Skip to main content

Full text of "Reallexikon der indogermanischen altertumskunde Grundzüge einer kultur und völkergeschichte Alteuropas"

See other formats


Reallexikon 
der 

indogermani. 
altertumskun 


Otto  Schräder 


1> 


REALLEXIKON 

DER 

INDOGERMANISCHEN  ALTERTUMSKUNDE. 


« 


Digitized 


REALLEXIKON 

DER 

INDOGERMANISCHEN  ALTERTUMSKUNDE. 

GRUNDZÜGE 

EINER 

KULTUR-  UND  VÖLKERGESCHICHTE 
ALTEUHOPAS 

VON 

O.  SCHRÄDER. 


UNtVERSlTY  ■ 

STRASSBURG, 
VERLAG  VON  KARL  J.  TRÜBNER 
1901. 

Alle  Rechte,  besonders  da»  der  Übcrsctzuutr,  vorbeualteu. 


Digitized  by  Google 


Digitized  by  Google 


Inhalt. 

I.  Vorrede  p.    VII— XL 

II.  Reallexikon  S.  1—1006 

III.  Anhang  S.  1007-1048 

1.  Nachträge  und  Berichtigungen  .   .   .   S.  1008—1026 

2.  Litteraturnachweise  S.  1027—1046 

3.  Sprachennachweise  (Abkürzungen)    .   S.  1047—1048 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


Durch  Franz  Bopp  und  die  von  ihm  begründete  Vergleichende 
Grammatik  ist  festgestellt  worden,  dass  die  meisten  Sprachen  Europas, 
nämlich  das  Griechische,  das  Lateiuische  mit  seiner  romanischen  Nach- 
kommenschaft, das  Keltische,  Germanische,  Litauische,  Slavische  und 
Albancsische  zusammen  mit  verschiedenen  asiatischen  Sprachen,  dem 
Indischen,  Iranischen  und  Armenischen,  eine  Spracheinheit  in  histo- 
rischem Sinne  bilden.  Die  Verwandtschaft  aller  dieser  Sprachen  kann 
also  nur  unter  der  Annahme  verstanden  werden,  dass  sie  von  einer 
ihnen  allen  zu  Grande  liegenden  (indogermanischen)  U  r  s  p  r  a  c  h  e  ab- 
stammen, die  von  einem  (indogermanischen)  Urvolk  gesprochen 
worden  sein  muss.  Diese  Forderung  eines  indogermanischen  Urvolks 
aber  eröffnet  zugleich  für  die  geschichtliche  und  kulturgeschicht- 
liche Forschung  einen  weiten  Ausblick.  Denn  es  ist  klar,  dass,  wie 
etwa  die  griechische  oder  lateinische  oder  deutsche  Grammatik  nicht 
ohne  Kenntnis  ihrer  indogermanischen  Vorgeschichte  verstanden  werden 
kann,  so  auch  die  Geschichte  der  materiellen  und  geistigen  Kultur 
der  indogermanischen  Völker  uns  erst  dann  vollkommen  deutlich  werden 
wird,  wenn  es  gelingt,  ihre  Wurzeln  in  der  indogermanischen  Urzeit 
aufzuspüren. 

Für  diejenigen  wissenschaftlichen  Bemühungen,  welche  auf  die 
Lösung  dieser  Aufgabe  gerichtet  sind,  hat  sich  mehr  und  mehr 
die  Bezeichnung  Indogermanische  Altertumskunde  festgesetzt, 
deren  Forschungsgebiet  also  die  Zeiträume  von  den  ersten  nachweisbaren 
Zusammenhängen  der  Indogermanen  bis  zum  Anheben  der  ältesten 
historischen  Nachrichten  bei  den  Einzelvölkern  umfasst,  und  es  fragt 
eich  zunächst,  welche  Mittel  der  Wissenschaft  zur  Verfügung  stehn, 
um  in  Epochen  einzudringen,  aus  denen  naturgemäss  jede  schriftliche 
Kunde  fehlt.  Diese  Mittel  sind  teils  sprachliche,  teils  sachliche, 
oder,  wenn  man  lieber  will,  teils  sachliche,  teils  sprachliche.  Da 
es  aber  zweifellos  die  Sprachwissenschaft  gewesen  ist,  die  sich 
zuerst  den  hier  gestellten  Aufgaben  widmete,  so  wird  es  gestattet 
Bein,  mit  der  Charakterisierung  ihres  Anteils  an  den  Bestrebungen  der 
Indogermanischen  Altertumskunde  zu  beginnen. 

Indem  die  Vergleichende  Sprachwissenschaft  den  Wortschatz  der 
indogermanischen  Ursprache  erschliesst,  gelingt  es  ihr  zugleich  festzu- 


105234 


Digitized  by  Google 


VIII 


Vorrede. 


stellen,  welche  Kultarbegriffe  schon  damals  ihre  sprachliche  Ausbildung 
gefunden  hatten.  Aus  zwei  urverwandten  Gleichungen  wie  sert.  ävi-, 
griech.  oI$,  lat.  ovis,  ahd.  ou,  lit.  atcls,  altsl.  ovlca  und  sert.  ü'rnä,  lat. 
Idna,  got.  tculla,  lit.  toilna,  altsl.  rJtfna  lernen  wir,  daas  das  Schaf 
und  seine  Wolle  dem  Urvolk  bereits  bekannt  waren,  aus  sert.  däma-, 
griech.  bonos,  lat.  domus,  altsl.  domii  und  sert.  dvä'rdu,  griech.  eupet, 
lat.  fores,  got.  daür,  lit.  ditrys,  altsl.  dviri,  dass  man  schon  damals 
Hutten  mit  Thoren  besass,  aus  einer  Sprachreihe  wie  sert.  rudhird-, 
griech.  £pu8pös,  lat.  ruber,  got.  rauds,  ir.  ruad,  altsl.  nJtfrw  ersehen 
wir,  dass  der  Begriff  des  Rots,  aus  einer  solchen  wie  sert.  <*vdgura-, 
griech.  £icupö(,  lat.  socer,  korn.  hvigeren,  got.  swaihra,  lit.  szesziüras, 
altsl.  svekru,  dass  der  des  Schwiegerverhältnisses,  aus  einer 
solchen  wie  sert.  devd-t  altlat.  deivos,  altn.  tivar,  lit.  didicas,  dass  die 
Vorstellung  von  himmlischen  Wesen  sprachliche  Ausbildung  ge- 
funden und  also  in  den  Gedanken-  und  Kulturkreis  der  Urzeit  bereits 
eingetreten  war  u.  s.  w. 

In  der  That  sollte  man  meinen,  dass  Schlussfolgerungen  wie  die 
hier  angeführten  so  klar  und  unmittelbar  überzeugend  seien,  dass 
ein  vernünftiger  Zweifel  an  ihnen  nicht  gestattet  wäre.  Gleichwohl 
sind  in  jüngster  Zeit  zwei  Gelehrte,  G.  Kossinna  (Z.  des  Vereins 
für  Volkskunde  VI,  1  ff.)  und  P.  Kretschmer  (Einleitung  in  die 
Geschichte  der  griechischen  Sprache  1896,  Cap.  2  und  3)  ziemlich 
gleichzeitig  mit  der  zwar  im  Grunde  auf  der  Verallgemeinerung  eines 
V.  Hchnschen  Gedankengauges  (vgl.  Vf.  V.  Hehn  Ein  Bild  seines 
Lebens  und  seiner  Werke  1891  S.  56  ff.)  beruhenden,  aber  in  dieser 
Verallgemeinerung  neuen  Behauptung  hervorgetreten,  dass  alle  der- 
artigen Schlüsse,  wie  sie  von  A.  Kuhn  (Zur  ältesten  Geschichte  der 
indogermanischen  Völker.  Berlin  1845)  bis  auf  die  Gegenwart  an- 
standslos gezogen  wurden,  Trugschlüsse  seien,  und  der  vergleichenden 
Sprachforschung  für  die  Ermittlung  der  ursprünglichen  Kult  Urzustände 
der  Indogermanen  nahezu  jeglicher  Wert  abzusprechen  sei.  Da  es  sich 
hierbei  um  Einwendungen  zweier  ebenso  gelehrter  wie  scharfsinniger 
Forscher  handelt,  wird  es  nötig  sein,  sich  ausführlicher  mit  ihnen  ab- 
zufinden. „Wie  alle  Spracherscheinungen",  so  lässt  sich  etwa  der 
Gedankengang  P.  Kretschmers  zusammenfassen,  „haben  sich  auch  die 
sogenannten  Kulturwörter  Uber  das  idg.  Sprachgebiet  wellenförmig  und 
allmählich  ausgebreitet.  Eine  „gemeinindogermanische*  Gleichung  wie 
sert.  yugdm,  griech.  Curöv,  lat.  iugum  u.  s.  w.  ,Joch'  ist  in  dieser 
Beziehuug  prinzipiell  nicht  anders  zu  beurteilen,  wie  die  Überein- 
stimmung von  sei  t,  pippali',  griech.  irenept,  lat.  piper  u.  s.  w.  ,Pfcffer', 
die  nachweislich  erst  in  historischer  Zeit  und  durch  historische  Vor- 
gänge zu  Stande  gekommen  ist.  Da  nun  derartige  Kulturwürter  zu 
ganz  verschiedenen  Zeiten,  in  ganz  verschiedener  Ausdehnung  und 
von  ganz  verschiedenen  Ausgangspunkten  aus  sich  verbreitet  haben, 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


IX 


so  ist  es  unmöglich,  durch  Addition  solcher  Kulturwörterreihen  ein 
einheitliche»  Bild  „nrindogenuanischer"  Kultur  zu  erhalten.  Man  ist 
also  nicht  imstande,  die  Kulturvcrhältnisse  einer  bestimmten  fernen 
Periode  der  Urzeit  zu  ermitteln.  Man  muss  daher  damit  aufhören, 
„aus  den  blossen  Wortgleichungen  Kulturgeschichte  herausdestillieren 
zu  wollen",  und  kann  dies  umsomehr,  „als  uns  die  Reste  altindoger- 
manischer Kultur  selbst  durch  die  Prähistorie  in  reicher  Fülle  vor  die 
Augen  gerückt  sind".  Ganz  ähnlich  äussert  sich  Kossinna  a.  a.  0.  S.  5: 
„Hier  (d.  h.  bei  Fällen  wie  got.  ulbandua  aus  lat.  elephantus)  wissen 
wir  nun,  dass  wir  es  mit  Lehnworten  zu  thun  haben.  Sobald  wir  aber 
zu  älteren  Zeiträumen  hinaufsteigen,  für  das  Germauische  etwa  zu 
dem  Beginn  des  ersten  Jahrtausends  v.  Chr.,  einer  Zeit,  deren  Kultur- 
znstand durch  die  Archäologie  völlig  klar  gelegt  worden  ist,  so  fehlt 
uns  bis  jetzt  jede  Möglichkeit,  Lehnworte  dieser  Zeit  mit  den  Mitteln 
der  Sprachforschung  als  solche  zu  erkennen.  Wir  kommen  so  zu  der 
(zweiten)  Frage:  Ist  ein  scheinbar  urindogennanisches  Wort  nicht  viel- 
mehr ein  Eigentum  nur  einer  der  idg.  Einzelsprachen  und  in  den 
andern  ein  späteres,  wenn  auch  immer  noch  vorhistorisches  Lehn- 
wort? Iii  solchem  Falle  entfällt  natürlich  die  Berechtigung,  es  der  Ur- 
zeit zuzuschreiben." 

Beide  Gelehrte  stimmen  also  darin  überein,  dass  sie  gewisse 
Sprachreihen,  die  man  bisher  „urverwandt"  nannte,  als  „Lehn- 
worte" bezeichnen,  und  da  selbstverständlich  eine  kulturhistorisch 
wichtige  Gleichung,  wie  das  oben  genannte  sert.  ywgd-  =  gricch.  Zutöv 
nicht  anders  beurteilt  werden  knnu  als  eine  solcher  Bedeutung  ent- 
behrende Reihe  (z.  B.  sert.  djdmi,  armen,  acem,  gricch.  ötw,  lat.  <tgo, 
ir.  agat  ,agant',  altn.  aka),  da  ferner  (nach  Kretschmcr  8.  23)  auch 
die  Verbreitung  lautlicher,  formaler  und  syntaktischer  Neuerungen  nur 
graduell  verschieden  von  derjenigen  lexikalischer  Übereinstimmungen 
war,  so  kann  man  sagen,  dass  für  Kretschmcr  und  Kossinna  sich  die 
ganze  idg.  Sprachverwandtschaft  in  eine  unendliche  Kette  von  Ent- 
lehnungen auflöst.  In  der  That  lässt  sich  gegen  eine  derartige  Anschauung 
theoretisch  nicht  viel  einwenden,  ja,  sie  muss  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  als  selbstverständlich  bezeichnet  werden.  Denn  wie  sollte  man  sich 
die  Entstehung  einer  Gleichung  wie  sert.  pac,  griech.  -niaau),  lat. 
coquo,  slav.  pelq  für  .kochen'  oder  sert.  *ir,  griech.  Kao*o*üio,  lat.  suo, 
got.  sittja,  lit.  siuicü  für  ,nähen'  anders  vorstellen  als  so,  dass  solche 
Wörter  an  einer  bestimmten  Stelle  des  vorhistorischen  Sprachgebiets 
zuerst  aufkamen  und  sich  von  da  über  das  Übrige  Sprachgebiet  durch 
Entlehnung  von  Individuum  zu  Individuum,  von  Stamm  zu  Stamm  aus- 
breiteten? Die  Hauptfrage  für  die  idg.  Altertumskunde  scheint  mir 
dabei,  worauf  ich  schon  vor  längerer  Zeit  (vgl.  a.  a.  0.  S.  59)  hingewiesen 
habe,  „nicht  die  zu  sein,  ob  hier  Urverwandtschaft  oder  En t Ich  nung 
vorliegt  —  zwei  in  der  That  in  jenen  alten  Zeiten  in  einander  über- 


Digitized  by  Google 


X  Vorrede. 

gebende  Begriffe  — ,  sondern  ob  wir  uns  die  Entstehung  solcher 
Gleichungen  noch  in  einer  Zeit  denken  dürfen,  in  welcher  die  idg. 
Völker  bereits  in  ihren  historischen  Wohnsitzen  angekommen  waren, 
oder  ob  wir  sie  in  eine  Epoche  verlegen  müssen,  in  welcher  die  idg. 
Völker  wie  sprachlich  so  räumlich  einander  näher  standen  und  keine 
allophylen  Elemente  sich  zwischen  sie  geschoben  hatten".  Da  nun 
P.  Krctschmcr  S.  22  ausdrücklich  Gleichungen  wie  die  oben  genannten 
als  „prähistorische  Termini"  bezeichnet,  und  mit  unzweideutigen 
Worten  zugiebt,  dass  zu  der  Zeit,  da  sie  sich  verbreiteten,  „andere 
sprachliche  und  ethnische  Zustände,  eine  andere  geographische  Ver- 
teilung der  idg.  Stämme  bestand,  als  sie  uns  im  Beginn  der  Geschichte 
entgegentritt",  da  ferner  auch  Kossiuna  lediglich  von  vorhistorischen 
Lehnwörtern  spricht,  so  scheint  mir  der  ganze  Gegensatz  zwischen 
der  bisher  üblichen  Auffassung  und  derjenigen  Krctschmers  und  Kossinnas 
lediglich  auf  ein  Spiel  mit  Worten  oder  höchstens  auf  eine  Verschieden- 
heit des  Standpunkts  der  Beobachter  hinauszulaufen,  insofern  man  mit 
dem  Ausdruck  „Entlehnung"  mehr  den  Prozess  der  Entstehung  der* 
artiger  Gleichungen,  mit  dem  Ausdruck  „Urverwandtschaft"  aber  mehr 
das  schliessliche  Ergebnis,  wie  es  sich  von  den  historisch  be- 
zeugten Epochen  aus  darstellt,  ins  Auge  fasst.  In  jedem  Falle  aber 
bleibt,  worauf  alles  ankommt,  der  aus  solchen  Gleichungen  sich  er- 
gebende Schluss,  dass  die  von  ihnen  bezeichneten  Gegenstände  oder 
Begriffe  schon  in  vorhistorischer  Zeit  bekannt  oder  lebendig  gewesen 
sein  müssen,  in  seiner  Bedeutung  unangetastet.  Ob  ich  z.  B.  mit  H.  Hirt 
(Geogr.  Z.  herausg.  von  A.  Hettner  IV,  1898  S.  381  i  so  sage:  „Aus 
den  historischen  Zeiten  führt  uns  die  Sprachwissenschaft  in  die  prä- 
historischen zurück.  Zu  dem  wenig  (?)  sicheren,  was  sie  uns  lehrt, 
gehört,  dass  die  Indogermancn  im  Besitz  des  Wagens  waren. 
Die  Bezeichnungen  für  seine  einzelnen  Teile  stimmen  bis  ins  kleinste 
überein",  oder  ob  ich  mich  mit  Krctschmcr  S.  49  über  denselben 
Gegenstand  so  ausdrücke:  „Ähnlich  zeugen  die  gemeinindogermanischen 
Wörter,  als  Lehnwörter  betrachtet,  für  alte  Kultnrbeziehungen  zwischen 
den  idg.  Stämmen.  Wenn  sich  die  Bezeichnungen  des  Wagens  und 
seiner  einzelnen  Teile,  das  Wort  für  Jahren'  u.  s.  w\  in  fast  allen  idg. 
Sprachen  decken,  so  wird  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  sich  die  Er- 
findung des  Wagens  von  einem  Punkte  ans  (woblgcmerkt  zu 
einer  Zeit,  „da  andere  sprachliche  und  ethnische  Zustände,  eine  andere 
geographische  Verteilung  der  idg.  Stämme  bestand,  als  sie  uns  im 
Beginn  der  Geschichte  entgegentritt"  s.  o.)  über  das  ganze  idg. 
Gebiet  verbreitet  hat",  —  das,  sollte  ich  meinen,  länft  im  Wesen 
der  Sache  auf  ein  und  dasselbe  hinaus. 

Allein  im  Grunde  folgert  Krctschmer  die  angebliche  Unfähigkeit 
der  Sprachvergleichung  für  kulturhistorische  Zwecke  weniger  aus  dem 
Charakter  der  einzelnen  Gleichungen,  als  aus  dem  Umstand,  dass 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XI 


es  nicht  möglich  sei,  durch  Addition  derselben  die  Kultnrver- 
hältnisse  einer  bestimmten  fernen  Periode  der  Urzeit  zu  er- 
mitteln. Hierbei  ist  nun  zuvörderst  zu  bemerken,  dass  genau  dasselbe, 
was  hier  von  der  Erschliessung  einer  uriiidogermauischcn  Kultur  durch 
sprachverwandte  Gleichungen  gesagt  wird,  von  der  Erschliessung 
einer  urindogermanischen  Grundsprache  überhaupt  gilt.  „Be- 
sonders ist  dabei  zu  betonen1*,  sagt  K.  B  rag  mann  Grundriss  I2,  24, 
rdas8  die  von  uns  konstruierten  Grundformen  zusammengenommen 
keine  Sprache  ergeben,  die  von  einer  einzelnen  geschlossenen  Sprach- 
genossenschaft in  einem  bestimmten  Zeitpunkt  gesprochen  worden  ist. 
Diese  Formen  haben  vielmehr  verschiedenen  Gegenden  und  verschiedenen 
Zeitaltern  angehört.  Man  kann  sie  zusammen  nur  in  dem  Sinn  die 
idg.  Ursprache  nennen,  wie  man  etwa  von  der  „deutschen  Sprache" 
auch  dann  redet,  wenn  man  ihre  ganze  Entwicklung  in  christlicher 
Zeit  bis  heute  mit  allen  dialektischen  Verzweigungen  meint.  In  dieser,  im 
Lichte  der  Geschichte  stehenden  Entwicklung  können  wir  für  bestimmte 
Zeitpunkte  und  bestimmte  Gegenden  die  Sprache  fixieren,  z.  B.  für 
ca.  lOÜOn.  Chr.  die  Sprache  des  südwestlichen  Gebietes  der  Alemannen. 
Für  die  uridg.  Periode  ist  das  unmöglich."  Trotz  dieser  ohne 
Zweifel  richtigen  Erwägungen  nimmt  Brugmann  bekanntlich  keinen  An- 
stoss,  nicht  nur  einzelne  urindogermanische  Grundformen,  sondern  auch 
ganze  Paradigmata  derselben  zu  erschliessen.  Welche  Logik  würde  es  nun 
sein,  ein  derartiges  in  Wirklichkeit  ja  allgemein  geübtes  Verfahren  zwar 
zu  billigen,  es  aber  auf  der  anderen  Seite  zu  tadeln,  wenn  etwa 
B.  Delbrück  am  Schlüsse  seiner  Abhandlung  über  die  idg.  Ver- 
wandtschaftsnamen eine  „Übersicht  über  die  Verwandtschaftsnamen 
der  idg.  Urzeit*  giebt,  oder  J.  Schmidt  in  seiner  Arbeit  über  die 
Urheimat  der  Indogermancn  (S.  22)  die  idg.  Bezeichnungen  der  einzelnen 
Jahreszeiten  zusammenstellt,  um  so  ein  Bild  der  Jahreseinteilung  des 
„indogermanischen  Urvolks"  oder  „unserer  Urväter"  zu  gewinnen? 
Mögen  immerhin  derartige  Zusammenstellungen,  deren  hypothetischen 
Charakter  ja  niemand  verkennen  wird,  manches  chronologisch  uneben- 
mässige  enthalten,  gegenüber  der  Bedeutung  solcher  prähistorischer 
Hilfskonstruktionen  für  das  Verständnis  der  historischen  Zustände 
werden  wir  über  diese  Mängel  unserer  Methode  hinwegsehen,  und  wir 
werden  dies  um  so  leichter  können,  als  wir  allen  Grund  zu  der  An- 
nahme haben,  dass  die  vorhistorische  Kultur-  wie  Sprachentwicklung 
der  Indogcrmanen  eine  im  ganzen  gleicbmässige,  stätige  und  langsame 
gewesen  sei.  Um  ein  konkretes  Beispiel  zu  gehrauchen:  Ich  gebe 
ohne  weiteres  zu,  dass  die  idg.  Gleichungen  für  ,Rind',  , Wagen', 
Schwiegertochter',  ^Schwiegervater'  sich  zu  verschiedenen  Zeiten  bei 
den  Indogermanen  festgesetzt  haben  können,  verstehe  aber  erstens 
nicht,  inwiefern  hierdurch  etwas  an  der  Erkenntnis  geändert  werden 
sollte,  dass  Rind  und  Wagen  ein  schon  proethnfecher  Besitz  der  Indo- 


Digitized  by  Google 


XII 


Vorrede. 


germanen  sind,  sowie  dass  in  der  idg.  Familie  das  Schwiegerverhältnis 
schon  in  vorhistorischer  Zeit  ausgebildet  war,  und  würde  zweitens 
denjenigen  nicht  einer  übermässigen  Kühnheit  beschuldigen,  der  (etwa 
bei  Besprechung  urzeitlicher  Hochzeitsbränche)  mit  der  Möglichkeit 
rechnete,  dass  schon  die  idg.  Schwiegertochter  auf  rinderbespanntem 
Wagen  in  das  Haus  des  Schwiegervaters  gefahren  sei,  also  das  gleich- 
zeitige Vorhandensein  von  Rind  und  Wagen,  Schwiegertochter  und 
Schwiegervater  in  der  Urzeit  annähme. 

Wenn  demnach  d  i  e  Itcdenken  gegen  die  kulturgeschichtliche 
Verwertbarkeit  der  Sprachvergleichung,  die  ans  der  Möglichkeit  zeit- 
licher Verschiedenheit  der  idg.  Gleichungen  abgeleitet  werden  könnten, 
zu  denjenigen  überkritischen  Einwänden  gerechnet  werden  können,  die 
Kretschmer  S.  99  als  „in  der  Theorie  unwiderleglich",  „im  gegebenen 
Fall  aber  ganz  und  gar  unwahrscheinlich"  bezeichnet,  so  ist  hier  da- 
gegen noch  kurz  die  unleugbare  Thatsache  der  räumlichen  Ver- 
schiedenheit, d.  h.  der  verschiedenen  geographischen  Verbreitung 
eben  dieser  Gleichungen  zu  erörtern.  Man  spricht  von  gern  ein  indo- 
germanischen Gleichungen,  an  denen  alle  idg.  Einzelsprachcn  teil 
haben,  und  von  partiellen  Gleichungen,  bei  denen  dies  nicht  der 
Fall  ist,  die  also  auf  2,  3.  4,  f>  u.  s.  w.  Sprachen  beschränkt  sind.  Bei 
näherem  Zusehen  zeigt  sich  aber,  dass  im  Grunde  eigentlich  n  u  r  von 
partiellen  Gleichungen  gesprochen  werden  kann,  da  die  übereinstimmende 
Benennung  eines  Kultnrbcgrifl's  in  wirklich  allen  idg.  Sprachen  zu 
den  grö3sten  Seltenheiten  gehört.  Durch  solche  partiellen  Überein- 
stimmungen werden  nun  die  idg.  Kin/elsprachen  in  allen  nur  denk- 
baren Gruppierungen  und  Verhältnissen  mit  einauder  verbunden.  Sic 
sind  häufig  zwischen  benachbarten  Sprachen,  z.  B.  zwischen  Slavisch 
und  Germanisch,  und  zwischen  wahrscheinlich  ursprünglich  be- 
nachbarten Spracheu,  z.  B.  zwischen  Litu-Slavisch  und  Iranisch,  sie 
kehren  aber  in  grosser  Anzahl  auch  zwischen  weit  von  einander  ge- 
lrennten Völkern  wie  Kelten  und  Indern,  Litauern  und  Italikern  (vgl. 
Kretschmer  Cap.  V)  wieder.  Die  uns  interessierende  Frage  ist  nun: 
Haben  an  solchen  partiellen  Gleichungen  auch  die  übrigen  idg.  Sprachen 
einstmals  teil  gehabt  und  das  betreffende  Wort  im  Laufe  der  Zeit  ver- 
loren, oder  war  die  Bezeichnung  eines  bestimmten  Knlturbegriffs  von 
Anfang  an  auf  einen  grösseren  oder  geringeren  Teil  des  vorhistorischen 
Sprachgebiets  beschränkt?  Offenbar  ist  beides  möglich  und  hat  beide* 
stattgefunden.  Was  aber  im  einzelnen  Falle  anzunehmen  ist,  wird  sich 
zwar  zuweilen  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit,  niemals  mit  unfehlbarer 
Sicherheit  entscheiden  lassen.  Die  Sache  läge  anders,  wenn  wir  über 
die  Art  der  Auflösung  der  idg.  Sprach-  und  Völkergemeinschaft  und 
die  aufs  engste  damit  zusammenhängende  Frage  der  engeren  Ver- 
wandtschaftsverhältnisse der  idg.  Völker  besser  unterrichtet  wären,  als 
wir  es  in  der  That  sind.    So  aber  ist  das  einzig  sichere,  was  wir  in 


Digitized  by  Google 


Vorred«. 


XIII 


dieser  Beziehung  wissen,  immer  noch  lediglich  die  Thatsaehc  einer 
näheren  Verwandtschaft  zwischen  Indem  und  Iraniern  (Ariern),  Litauern 
und  Slaven.  .Speziell  arische  und  litu-slavische  Gleichungen  (/..  B.  sert. 
so  ma-  =  aw.  haoma-)  wird  man  daher  nicht  zur  Erschliessung  der  idg. 
Urzeit  verwenden  können.  Aber  auch  wo  zwei  nicht  näher  verwandte 
Volker,  wie  Slaven  uud  Germanen,  oder  Germanen  und  Kellen  nach- 
weisbar durch  Jahrtausende  lange  Nachbarschaft  mit  einander  ver- 
bunden sind,  wird  man  bei  ausschliesslich  auf  diese  Völker  beschränkten 
Gleichungen  (z.  B.  bei  got.  gulp  =  altsl.  zlato  oder  got.  eisarn-  —  ir.  tarn), 
wenigstens  zunächst,  an  einen  relativ  späten  Kulturaustausch  lediglich 
zwischen  diesen  beiden  Völkern  zu  denken  haben.  Alle  übrigen  Glei- 
chungen, gemeinindogermanische  wie  partielle,  wird  man  nach  Lage  der 
Dinge  in  gleicherweise  als  „indogermanisch"  bezeichnen  müssen  und 
aus  ihnen  schliessen  dürfen,  dass  der  von  ihnen  bezeichnete  Kultur- 
begriff  innerhalb  des  vorhistorischen  Sprachgebiets  der  Indogermanen 
in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  seine  sprachliche 
Ausbildung  gefunden  hatte.  Ks  wird  dabei  für  die  Kulturgeschichte 
darauf  ankommen,  alle  etymologisch  übereinstimmenden  Bezeichnungen 
eines  bestimmten  Kulturbegriffs  zusammenzustellen.  Finde  ich  z.  B., 
dass  die  Milch  (s.  d.)  einerseits  übereinstimmend  im  Indischen  und 
Altpreussischen,  andererseits  im  Griechischen  und  Lateinischen,  drittens 
im  Keltischen  und  Germanischen  u.  s.  w.  benannt  wird,  oder  dass  für 
den  Begriff  des  Eides  ( s.  d.)  urverwaudte  Ausdrücke  erstens  im 
Indischen,  Griechischen,  und  Italischen,  zweitens  im  Slavischen  und 
Armenischen,  drittens  im  Keltischen  und  Germanischen  bestehn,  so 
werden  derartige  partielle  Gleichungen  zusammengenommen  dem 
Vorhandensein  einer  gemeiuiudogermanischen  Sprachleihe  gleich- 
kommen (s.  auch  die  methodologische  Erörterung  der  idg.  Ziegennamen 
u.  Kupfer  und  Ziege).  Einer  besonderen  Erwägung  wird  es  dabei 
bedürfen,  wenn  man  ganze  und  grosse  Gruppen  bedeutungsverwandter 
Übereinstimmungen  (s.  z.  B.  u.  Ackerbau  und  u.  Wald,  Wald  bäume) 
auf  bestimmte  Sprachen  beschränkt  findet. 

Wenn  aus  dem  bisherigen  hervorgeht,  dass  Glieder  einzelner 
Wortgleichungen  im  Laufe  der  Zeit  verloren  gegangen  sein  können, 
so  ist  ein  solcher  Verlust  natürlich  auch  bei  ganzen  Glcichuugen 
möglich.  Es  geht  also  nicht  an,  ohne  weiteres  aus  dem  Fehleu  der- 
selben für  bestimmte  Begriffe  negative  Schlüsse  auf  die  Kultur  der 
Urzeit  zu  ziehen.  Eine  so  grosse  Binsenweisheit  dies  ist,  so  schiessen 
doch  andererseits  kategorische  Behauptungen  wie  die  Kretschmers 
S.  68:  „Damit  ist  dieses  (nämlich  dass  man  aus  dem  Fehleu  des  west- 
idg.  Namens  des  Salzes  bei  den  Indoiraniern  nicht  schliessen  dürfe, 
dass  diese  das  Salz  nicht  gekannt  hätten)  und  jedes  lexikalische 
argumentum  ex  silentio  ad  absurdum  geführt"  oder  die  Hirts  (Beilage 
zur  Allg.  Z.  1898  Nr.  51  S.  3):  „Und  dann  ist  aus  dem  Fehleu  von 


Digitized  by  Google 


< 


XIV  Vorrede. 

Worten  überhaupt  nie  mal»  etwas  zn  erschliesscn"  über  das  Ziel 
hinaus.  Zunächst  wird  ein  Unterschied  zu  machen  sein,  ob  es  sieh  um  das 
Fehlen  von  Gleichungen  für  einen  einzelnen  Betriff  oder  für  ganze 
Begriffs kategoricn  handelt,  wie  ein  solches  z.  B.  auf  dem  Gebiet 
des  Fischfangs  (s.  d.")  gegenüber  dem  der  Jagdtiere  (s.  u.  Jagd), 
auf  «lern  der  Schiffahrt  (s.  d.)  gegenüber  dem  des  Wagenbaus 
(s.  u.  Wagen),  auf  dem  der  Blumenzucht  gegenüber  dem  Acker- 
bau (8.  s.  d.  d.)  u.  s.  w.  beobachtet  werden  kann.  In  allen  diesen 
Fällen  würde  es  unmethodisch  sein,  wenn  man  das  Fehlen  oder  die 
Armut  der  Terminologie  auf  dem  einen  Gebiet  gegenüber  dem 
auf  dem  andern  herrschenden  Reichtum  lediglich  aus  dem  Aus- 
sterben einst  vorhandener  urverwandter  Gleichungen  erklären  wollte. 
Aber  auch  bei  dem  Fehleu  urverwandter  Ausdrücke  für  einzelne 
Begriffe  wird  man  immer  die  begleitenden  Umstände  in  Erwägung 
ziehn  müssen.  So  nimmt  z.  B.  Delbrück  in  seinen  Verwand tschafts- 
namen  an,  dass  es  ein  idg.  Wort  für  den  Begriff  der  E  h  e  und  ein 
solches  für  den  des  Witwers  noch  nicht  gegeben  habe  und  folgert 
dies,  ausser  aus  dem  Fehlen  urverwandter  Gleichungen,  in  dem  einen 
Fall  auch  daraus  „dass  in  den  Einzelsprachen,  welche  sich  auf  einer 
altertümlichen  Stufe  gehalten  haben,  kein  derartiges  Wort  (wie  „Ehe") 
vorhanden  sei",  und  in  dem  anderen  auch  daraus,  „dass  wir  in  den 
meisten  Einzelsprachen  beobachten,  wie  neben  das  alte  Wort  für  Witwe 
ein  jüngeres  Wort  für  Witwer  tritt".  Ähnlich  wird  man  das  Fehlen 
eines  idg.  Wortes  für  Fenster  (s.  d.)  gegenüber  dem  Vorhandensein 
eines  solchen  für  Thür  (s.  d.)  auch  deshalb  nicht  für  Zufall  halten 
ditrfen,  weil  die  sprachliche  Ausbildung  dieses  Begriffes  in  den  Einzel- 
sprachen Erscheinungen  wie  Entlehnung  (z.  B.  lat.  fenestra)  und  Kom- 
position {-/..  B.  got.  atujadaürö)  aufweist,  die  jüngeren  Knlturbcgriffen 
eigen  zu  sein  pHegcn.  Nun  wird  man  zwar  theoretisch  auch  jetzt  noch 
einwenden  können:  „Es  ist  aber  dennoch  möglich,  dass  Wörter  für 
Ehe,  Witwer,  Fenster  in  der  Grundsprache  vorhanden  waren,  unter- 
gingen und  durch  andere  ersetzt  wurden",  aber  in  praxi  wird  der 
Sprachforscher,  der  weiss,  dass  es  sich  in  allen  diesen  Dingen  nicht 
um  Schlüsse  von  mathematischer  Sicherheit,  sondern  nur  um  Wahr- 
scheinlichkeitsrechnungen handeln  kann,  Uber  solche  akademische 
Einwendungen  zur  Tagesordnung  Übergehn.  Für  mich  wenigstens  liegt 
bei  diesem  Punkte  die  Sache  so,  dass  wenn  ich  für  einen  altertüm- 
lichen Kulturbcgriff  auf  dem  gesamten  idg.  Sprachgebiet  nirgends 
eine  etymologische  Übereinstimmung  entdecken  kann,  ich  es  zunächst 
für  der  Mühe  wert  halte  zu  fragen,  welches  der  Grund  dieser  Er- 
scheinung sein  könne. 

Die  eigentlichen  Schwierigkeiten  in  der  Benutzung  der  Ergebnisse 
der  vergleichenden  Sprachforschung  für  urgeschichtlicbe  Zwecke  liegen 
demnach  nicht  auf  dem  Boden  der  bisher  erörterten  Möglichkeiten,  sie 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XV 


sind  vielmehr  ganz  vorwiegend  auf  sc  masiologi  schein  Gebiet  zu 
suchen,  d.  h.  in  dem  Umstand,  dass  die  Feststellung  der  ursprünglichen 
Bedeutung  einer  urverwandten  Sprachleihe  nicht  immer  mit  rein 
sprachlichen  Mitteln  möglich  ist.  Auf  diese  Schwierigkeit  hat  bereits 
V.  Hehn  in  den  Kulturpflanzen  und  Hanstieren  mit  aller  Deutlichkeit 
hingewiesen  und  auch  das  Mittel  zu  ihrer  Beseitigung,  nämlich  die 
Notwendigkeit  der  Verbindung  von  Sprach-  und  Sach Forschung, 
angegeben.  Da  über  diesen  Punkt  unten  ausführlicher  zu  handeln 
sein  wird,  genüge  hier  die  Bemerkung,  dass  es  doch  auch  in  scheinbar 
verzweifelten  Fällen  oft  nicht  au  rein  sprachlichen  Kriterien  fehlt, 
welche  eine  Entscheidung  in  diesem  oder  jenem  Sinne  nahe  legeu.  So 
folgt  aus  der  Gleichung  sert.  drva-  =  lat.  equu*  u.  s.  w.  natürlich  nicht, 
dass  das  zahme  Pferd  bereits  den  Indogermanen  bekannt  gewesen 
sein  müsse.  Bedenkt  man  aber,  dass  neben  dieser  Gleichung  ein  be- 
sonderer urverwandter  Ausdruck  für  das  Fohlen,  das  Junge  des 
Pferdes  griech.  7nüXo<;  =  got.  fula)  liegt,  so  wird,  da  eine  solche  Er- 
scheinung bei  wilden  Tieren  kaum  nachweisbar  ist,  der  Ansatz,  dass 
das  Pferd  schon  in  der  Urzeit  in  ein  gewisses  Verhältnis  zum  Menschen 
getreten  war,  näher  als  das  Gegenteil  liegen. 

Es  ist  daher  eine  starke  Übertreibung  des  Nichtigen,  wenn 
Kossinna,  um  seine  Abneigung  gegen  die  „linguistische  Paläontologie" 
(ein  etwas  anspruchsvoller  Ausdruck,  über  dessen  Berechtigung  man 
streiten  kann)  des  weiteren  zu  begründen,  a.  a.  0.  behauptet,  dass 
wir  „nie  mit  einiger  Sicherheit'1  feststellen  könnten,  was 
ein  Wort  in  der  Urzeit  bedeutet  habe.  Ein  Beispiel  sei  die  Un- 
sicherheit des  eigentlichen  Sinnes  der  Metallnamen  {z.  B.  sert.  äi/as 
oder  griech.  xoXkös)  sogar  noch  in  den  ältesten  Literaturdenkmälern. 
Denn  gesetzt  auch  den  Fall,  es  Hesse  sich  die  ursprüngliche  Bedeutung 
einer  Gleichung  wie  seit,  äifnn  ~  lat.  aes,  got.  alz  {ob  , Kupfer',  ,Erz' 
oder  .Eisen  )  nicht  ermitteln,  so  würde  doch  auch  dann  die  für  die 
Indogermanische  Altertumskunde  höchst  bedeutsame  Thatsache  übrig 
bleiben,  dass  die  Indogermanen  schon  vor  ihrer  Trennung  wenigstens 
Uber  ein  X  u  t  z  m  e  t  a  1 1  verfügten. 

Es  handelte  sich  bis  jetzt  um  Kulturbegriffe,  für  die  eine  Be- 
nennung sich  nachweislich  schon  in  vorhistorischer  Zeit  festgesetzt  hat, 
und  um  die  Schlüsse,  die  sich  hieraus  ziehen  oder  nicht  ziehen  lassen. 
Bei  näherer  Betrachtung  zeigt  sich  aber,  dass  die  Namengebung 
der  kulturhistorischen  Begriffe  überhaupt,  auch  wenn  diese  sich 
nicht  über  den  Bereich  der  Einzelvölker  hinaus  verfolgen  lässt,  von 
ausserordentlicher  Bedeutung  für  die  kulturhistorische  Erkenntnis  ist. 

Wenn  die  Sprache  vor  die  Aufgabe  gestellt  ist,  einen  neuen  Be- 
griff zu  bezeichnen,  verfährt  sie  und  ist,  seit  Menschen  sprechen,  in 
der  grossen  Mehrheit  der  Fälle  so  verfahren,  dass  sie  eine  an  diesem 
Begriffe  haftende,  dem  Sprechenden  besonders  charakteristisch  er- 


Digitized  by  Google 


XVI 


Vorrede. 


scheinende  Vorstellung  herausgreift  und  nach  dieser  den  ganzen  Be- 
griff bezeichnet.  Das  idg.  Wort  für  Mond  (s.  d.)  bedeutet  höchst 
wahrscheinlich  der  „Messer",  weil  man  schon  in  grauer  Vorzeit  die 
Bedeutung  der  wechselnden  Phasen  dieses  Gestirns  als  Zeitiuass  er- 
kannte. Als  sich  bei  den  Germanen  die  neue  Schreibkunst  verbreitete, 
bezeichnete  man  das  Schreiben  als  „Ritzen"  (engl,  tcrite),  weil  mau 
die  ältesten  Buchstaben  in  Holztäfelchen  einritzte.  Mit  Recht  hebt 
dabei  Whitney  Leben  uud  Wachstum  der  Sprache  S.  144  hervor,  dass 
bei  der  hier  in  Frage  stehenden  Namengebung  immer  und  überall  der 
Begriff  dem  Ausdruck  vorangehe,  und  es  ist  von  kulturhistorischer 
Wichtigkeit  hinzuzufügen,  dass  nicht  schon  das  Vorhandensein  einer 
Erscheinung,  sondern  erst  die  Vorstellung  von  diesem  Vorhandensein, 
d.  h.  eben  ihr  lebendig  gewordener  Begriff  zur  Ausprägung  einer  Be- 
zeichnung führt.  Wenn  es  in  der  idg.  Ursprache  ein  Wort  für  die 
Witwe  (s.  d.),  nicht  aber  für  den  Witwer  gab,  so  liegt  der  Grund 
dieser  Thatsache  natürlich  nicht  darin,  dass  damals  nnr  Frauen,  die 
ihre  Männer,  aber  nicht  Männer,  die  ihre  Frauen  verloren  hatten,  vor- 
handen waren,  sondern  vielmehr  darin,  dass  das  Witwentum  durch 
gesellschaftliche  Einrichtungen  wie  das  Gesetz  des  Ledigbleibens  der 
Witwe  oder  das  ihres  Sterbens  am  Grabe  des  Mannes  zu  lebendiger 
Vorstellung  gelangt  war,  während  der  Mann,  dem  seine  Frau  gestorben 
war,  nach  den  damals  herrschenden  Begriffen  noch  auf  gleicher  Stufe 
mit  dem  stand,  der  ein  Kind  oder  auch  ein  Pferd  oder  eine  Kuh 
verloren  hatte.  Erst  als  in  gefühlvolleren  Zeiten  auch  der  Begriff  des 
Witwers  in  der  Vorstellung  der  Menschen  lebendig  geworden  war,  und 
sich  gegenüber  anderen  verwandten  Erscheinungen  deutlicher  abgegrenzt 
hatte,  diäugte  er  nach  einer  sprachlichen  Bezeichnung,  die  diesmal 
meist  durch  Maskulinisierung  des  Femininums  (lat.  viduus  :  cidtta) 
gewonnen  wurde.  „Jedes  neuerworbene  Teilchen  von  Erkenntnis  und 
Kraft",  sagt  Whitney  a.  a.  0.  treffend,  „legt  der  Geist  vermittels  der 
Sprache  als  sicheren  Besitz  an,  fährt  immer  fort  nach  neuer  Erkenntnis 
zu  streben  und  grössere  Herrschaft  über  seine  Kräfte  zu  gewinnen,  und 
sichert  den  Gewinn  in  derselben  Weise.  Er  arbeitet  beständig  unter 
der  Oberfläche  der  Sprache,  ändert  und  verbessert  die  in  den  Worten 
ausgedrückte  Einteilung  der  Dinge,  lcrnt'Bcgriffe,  die  einst  nur  an- 
nähernd gefasst  und  ungeschickt  gehandhabt  wurden,  besser  beherrschen, 
presst  neue  Erkenntnis  in  alte  Ausdrücke  —  alles,  im  ganzen  be- 
trachtet, mit  Hülfe  der  Sprache,  und  doch  in  jedem  einzelnen  Punkte 
unabhängig  von  der  Sprache".  Es  ist  dasselbe,  was  ein  anderer 
Sprachforscher,  Fr.  Rückert,  in  seinem  schönen  Gedicht  au  die  Sprache 
so  ausgedrückt  hat: 

„Da  ich  aus  dem  Schlaf  erwachte. 
Noch  nicht  wusste,  dass  ich  dachte, 
Gäbest  Du  mich  selber  mir. 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XVII 


Licssest  mich  die  Welt  erbeuten, 
Lehrtest  mich  die  Rätsel  deuten, 
Und  mich  spielen  seihst  mit  Dir." 

Was  hier  von  dem  einzelnen  gesagt  wird,  gilt  auch  von  einem 
ganzen  Volk  in  seiner  kulturgeschichtlichen  Entwicklung. 

Indem  der  Sprachforscher  diesem  vielvcrschlungenen  Weg  der 
Sprache  im  Hinblick  auf  ihren  kulturhistorisch  bedeutsamen  Wortschatz 
prüfend  nachgeht,  gelangt  er  dazu,  die  Vorstellungen  zu  ermitteln, 
welche  der  sprachlichen  Ausbildung  der  Begriffe  zu  Grunde  gelegt 
worden  sind  und  durch  die  Zusammenstellung  und  Vergleichung  der 
Ideen,  die  für  ein  und  dasselbe  Objekt  den  Benennungsgrund  hergaben, 
sich  der  Erkenntnis  des  Objekts  selbst  zu  nähern  (vgl.  auch  Pott 
Quinare  und  vigesimale  Zählmethodc  S.  226  ff.).  Auf  diesem  Wege 
lernen  wir,  dass  der  Eid  (s.  d.)  teils  als  ,Selbstverfluchung',  teils  als 
,Berührung'  (sc.  des  Verderben  bringen  oder  verderben  sollenden 
Gegenstands)  aufgefasst  wurde,  oder  dass  der  Begriff  des  Geldes 
(8.  d.)  in  den  einen  Sprachen  durch  Wörter  für  ,Vieh',  in  den  anderen 
durch  solche  für  ,Pelzwcrk',  ,Zeug\  »Schmuck  u.  dergl.  ausgedrückt 
wurde.  Auf  diesem  Wege  ermitteln  wir,  dass  die  Kunst  des  Lesens 
(s.  u.  Schreiben  und  Lesen)  als  ein  feierliches  Verkündigen',  als 
»Erraten'  oder  als  »Sammeln'  (der  Buchstaben)  gedacht  wurde,  Vor- 
stellungen, die  sich  aus  dem  Lesen  der  geheimnisvollen  Zeichen  des 
Losorakels  (s.  u.  Los)  ohne  weiteres  erklären.  Auf  diesem  Wege 
ergiebt  sich,  dass  der  Gedanke  der  Keuschheit  (s.  d.)  auf  sakralem 
Gebiete  wurzelt  (geschlechtlich  rein  für  Kultuszwecke),  oder  dass  der 
der  Freiheit  (s.  u.  Stände)  aus  dem  der  Stammeszugehörigkeit  hervor- 
gegangen ist.  Das  Mittel  der  Namengebung  beruht  in  allen  diesen 
Fällen  auf  den  gewöhnlichsten  Erscheinungen  des  Bedeutungs- 
wandels der  Sprache.  Wenn  das  Schreiben  (engl,  tcrite)  als  , Ein- 
ritzen' bezeichnet  wird,  so  findet  hier  zunächst  eine  Einschränkung 
der  ursprünglichen  Wortbedeutung  durch  das  Hiuzutreten  näher  be- 
stimmender Elemente  (Einritzen  zum  Zwecke  der  Mitteilung  au  andere) 
statt,  wenn  aber  dann  dasselbe  Zeitwort  für  jede  Art  der  schriftlichen 
Mitteilung  (nicht  bloss  für  das  durch  Einritzen)  gebraucht  wird,  geht 
die  Einschränkung  durch  das  Ausscheiden  determinierender  Elemente 
in  eine  Erweiterung  der  Wortbedeutung  über.  Eine  andere  Form 
des  Bedeutungswandels  als  dieser  auf  Determination  beruhende  ist  der 
durch  Association  in  der  Weise  erfolgende,  dass  neue  Begriffe  an 
bereits  vorhandene  augelehnt  werden,  sowie  der  auf  einfache  15c- 
deutungsübertragung  hinauslaufende,  bei  der  ein  neuer  Kulturbegriff 
einfach  nach  der  Ähnlichkeit  benannt  wird,  die  nach  irgend  einer 
Seite  zwischen  ihm  und  schon  bekannten  Dingen  statt  findet.  Ein  Bet- 
spiel für  den  ersteren  Sprachvorgang  ist  die  Ausbildung  der  indischen 
Metallnamen,  die  durch  Association  mit  dem  schon  idg.  Namen  des  Kupfers 

II 


Digitized  by  Google 


XVIII 


Vorrede. 


(scrt.  dyas  —  lat.  aes)  entstanden  sind:  scrt.  hlranya-  ,Gold',  eigentl. 
,gelbglänzeudes',  rajatd-  .Silber',  eigentl.  ,wei8sglänzendes',  qyämd- 
,Eiscn',  eigentl.  ,bläuliches'  sc.  äyas,  Beispiele  für  die  letztere  Sprach- 
erscheinung siud  es,  wenn  anf  germanischem  Boden  das  spätere  Glas 
(s.  d.)  nach  dem  früheren  Bernstein,  oder  bei  den  Griechen  die  spätere 
Zitrone  (s.  d.)  nach  dem  Holz  der  Zeder  oder  des  Wachholders  be- 
nannt wird.  Es  liegt  auf  der  Hand,  von  welcher  Bedeutung,  namentlich 
in  chronologischer  Beziehung,  auch  derartige  Beobachtungen  für  die 
Kulturgeschichte  werden  könuen.  Und  so  erweist  sich  denn  das  ge- 
samte Gebiet  des  Bedeutungswandels  der  Sprache,  soweit  es  sich  um 
kulturhistorische  Begriffe  handelt,  als  eine  noch  lange  nicht  erschöpfte 
Fundgrube  sachlicher  und  historischer  Erkenntnis.  Welch  ein  Stück 
geschichtlicher  Entwicklung  liegt  vor  uns  ausgebreitet,  wenn  wir  sehen, 
wie  zahlreiche  Benennungen  der  Mitgift  (s.  d.)  eines  Mädchens  aus 
alten  Wörtern  für  den  Kaufpreis  desselben  hervorgehu,  oder  wie  die 
ältesten  Bezeichnungen  des  Gastfreunds  is.  u.  Gastfreundschaft) 
ursprünglich  den  , Feind'  uud  , Fremden'  benannten,  oder  wie  Wörter 
für  Schlüssel  (s.  d.i  eigentlich  , Nagel',  oder  solche  für  Brücke 
(s.  d.)  eigentlich  ,Fnrt'  oder  solche  für  Bogen  (s.  u.  Pf  eil  und  Bogen) 
eigentlich  ,Eibe'  u.  s.  w.  bedeuteten.  Derartige  Einzclbeobachtungen 
liegen  in  ungezählten  Wörterbüchern  und  anderen  etymologischen  Ar- 
beiten in  Hülle  und  Fülle  zerstreut  vor.  Auf  dem  Boden  der  Idg. 
Altertumskunde  allein  können  sie  zu  fruchtbaren  Erkennt- 
nissen zusammengefasst  und  verarbeitet  werden. 

Nicht  selten  geschieht  es  nun  aber,  dass  die  Sprache  zur  Be- 
zeichnung eines  neuen  Kulturbegriffs  nicht  den  im  Bisherigen  ge- 
schilderten Weg  beschreitet,  sondern  dafür  einen  fix  und  fertig  aus 
der  Fremde  entlehnten  Ausdruck  sich  aneignet.  Wir  kommeu  damit 
zu  dem  Fremdwort  und  seiner  kulturhistorischen  Bedeutung,  über  die 
wir  uns  kurz  fassen  köuuen,  da  sie  im  allgemeinen  (auch  von  Kretschmer 
S.  49)  anerkannt  wird.  Nur  Kossinna  erhebt  auch  hier  wieder  Ein- 
wendungen:  „Wir  müssen  uns",  sagt  er  S.  5,  „ebensowohl  hüten,  zu 
viel  Worte  in  die  Urzeit  hinaufzurücken,  als  zu  wenig,  und  damit 
kommen  wir  zu  dem  dritten  sprachgcschichtlichen  Bedenken,  das  sich 
darauf  gründet,  dass  wir  keine  Ahnung  von  dem  Umfange  des  zweifel- 
los sehr  grossen  Verlustes  haben,  den  der  urzeitlichc  Sprachschatz 
innerhalb  jeder  Eiuzclsprache  erlitten  hat.  Jede  aus  der  Fremde  ein- 
geführte, vielleicht  recht  unwesentliche  Veränderung  eines  Gegenstands 
konnte  ein  Urwort  zum  Aussterben  bringen  und  ein  Fremdwort  dafür 
einführen.  Dieses  Fremdwort  nimmt  dann  der  „linguistische  Paläon- 
tologe" zum  Beweise  einer  Lücke  im  voraufliegenden  Kulturleben, 
während  es  thatsächiieh  nicht  in  eine  Lücke  getreten  ist,  sondern 
heimisches  Gut  verdrängt  hat.  So  sind  die  Worte  „Kupfer"  und 
„Pferd"  spütröinisehe  Lchnworte.    Pferde  gab  es  aber  als  Haustiere 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XIX 


bei  den  Germanen  nachweislich  schou  in  der  jüngeren  Steinzeit,  und 
das  Kupfer  wurde  ihnen  bereits  am  Ende  der  Steinzeit  bekannt". 
Wenn  man  dies  liest,  sollte  man  glauben,  dass  derartige  Erwägungen,  wie 
sie  hier  angestellt  werden,  dem  Sprachvergleicher  Ins  auf  G.  Kossinna  un- 
bekannt gewesen  seien.  Und  doch  habe  ich  selbst  lange  vor  ihm  zu  wieder- 
holten Malen  (vgl.  besonders  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte* 
S.  203  ff.  und  meine  Vorrede  zur  VI.  Auflage  von  V.  Hehns  Kulturpflanzen 
p.  XIV  ff.)  ausführlich  über  die  methodische  Verwertung  der  Fremdwörter 
gehandelt  und  dabei  ausdrttcklich  gerade  auch  auf  die  von  Kossinna 
angeführten  Schwierigkeiten  hingewiesen.  An  ebendenselben  Stellen 
habe  ich  aber  auch  gezeigt,  dass  „nicht  alles  aus  der  Sprache  schliessen 
können"  nicht  heisst  „nichts  aus  der  Sprache  schliessen  können",  und 
wenn  Kossinna  doch  selbst  sagt,  dass  „die  Veränderung"  eines  Gegen- 
stands die  Einführung  eines  Fremdworts  bedinge,  so  finde  ich  wiederum, 
dass  er  dasselbe  sagt  wie  ich  auch.  Denn  was  ist  Geschichte  und 
geschichtliches  Leben  anders  als  „Veränderung"?  Über  eben  diese 
Veränderung  der  Kulturbegriffe  aber  erhalten  wir  durch  das  Fremd- 
wort Aufschluss.  Es  ist  zweifellos  sicher,  dass  die  Entlehnung  des 
deutseben  Wortes  „Pferd"  aus  lat.  paraveredus  (gerade  dieses  Beispiel 
habe  ich  a.  a.  0.  gebraucht)  nicht  beweist,  dass  die  Deutschen  ihre 
Pferde  von  den  Römern  erhielten.  Es  ist  aber  ebenso  sicher,  dass  sie 
auf  die  Übernahme  einer  besonderen  Verwendung  des  Pferdes, 
nämlich  der  des  Postpferdes  (s.  u.  Post)  aus  römisch-romanischem 
Kulturgebiet  hinweist.  Es  ist  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  was 
besonders  gegen  die  Schlussfolgerungen  V.  Hehns  (s.  u.)  bemerkt  werden 
musste,  dass  die  Entlehnung  von  lat.  murtw  aus  griech.  uupio<;  nicht 
beweist,  dass  die  Myrte  selbst  aus  Griechenland  in  Italien  einwanderte, 
wohl  aber  dass  sie  unter  griechischem  Einfluss  daselbst  angepflanzt, 
verbreitet,  verehrt  wurde.  Es  ist  selbstverständlich,  dass  die  Deutschen 
schon  ehe  sie  ihr  „kaufen"  aus  lat.  caupo  bildeten,  kauften  uud  ver- 
kauften, und  doch  eröffnet  uns  gerade  diese  Entlehnung  (s.  n.  Kauf- 
mann) ein  so  lebensvolles  Bild  des  römisch  germanischen  Handelsver- 
kehrs, wie  keine  Ausgrabung  und  kein  Bericht  eines  antiken  Schrift- 
stellers es  uns  darbietet. 

Und  so  steht  es  denn  mit  diesem  Einwand  gegen  die  Benutzung 
der  Sprachwissenschaft  für  kulturhistorische  Zwecke  wie  mit  allen 
anderen.  Sie  haben  ihre  Berechtigung  dem  Forscher  gegenüber,  der 
pingui  Minerva  das  sprachliche  Material  handhabt  uud  etwa  aus  Ficks 
Vergleichendem  Wörterbuch  ein  Bild  der  Urzeit  oder  aus  Saalfclds 
Teusaurus  Italograecus  ein  Bild  der  griechisch-römischen  Beziehungen 
rekonstruieren  wollte.  Sie  verlieren  ihre  Bedeutung  demjenigen  gegen- 
über, der  sich  wohl  bewusst  ist,  dass  jede  sprachliche  Gleichung,  die 
auf  Urverwandtschaft  ebenso  wie  die  auf  Entlehnung  beruhende,  ehe 
sie  als  Baustein  benutzt  werden  kann,  einer  sorgfältigen  Prüfung  hin- 


Digitized  by  Google 


XX 


Vorrede. 


sichtlich  ihrer  Tragfähigkeit  bedarf.  Allgemeine  auf  jede  einzelne 
Thatsache  passende  Hegeln  lassen  sich  hierfür  bei  der  Mannigfaltigkeit 
der  zu  bedenkenden  Gesichtspunkte  allerdings  schwerlich  aufstellen. 
Jeder  Fall  hat  gewissermassen  seine  eigene  Methode.  Über  die  Prin- 
zipien der  Sprachbenutzung  für  die  Kulturgeschichte  wird  man  daher 
immer  streiten  können,  wie  man  seit  lange  mit  Vorliebe  darüber  ge- 
stritten hat.  In  concreto  zeigt  sich  glücklicher  Weise,  wie  schon  aus 
dem  obigen  hervorgeht,  dass  eine  Übereinstimmung,  sobald  man  wenigstens 
um  Sachen,  nicht  um  Worte  streitet,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht 
allzu  schwer  zu  erzielen  ist.  Und  so  stehen  wir  denn,  trotz  der  ge- 
machten Einwendungen,  noch  immer  auf  dem  „veralteten"  Standpunkt, 
den  J.Grimm  einnahm,  dass  wir  in  der  Geschichte  der  Sprache  eine 
der  reichsten  und  lebendigsten  Quellen  kulturhistorischer  Erkenntnis 
erblicken  und  trösten  uns  über  die  Versuche,  auch  an  dieser  Wahr- 
heit zu  rütteln,  mit  den  rcsignationsvollen  Worten  Goethes: 
„Wenu  sie  den  Stein  der  Weisen  hätten, 
der  Weise  maugclte  dem  Stcinu.  — 

Über  eins  aber  kann  in  methodologischer  Beziehung  kein  Zweifel 
sein  —  und  auf  diesen  Punkt  habe  ich,  seitdem  ich  überhaupt  auf 
dem  Gebiete  der  Idg.  Altertumskunde  arbeite,  mit  aller  mir  zu  Gebote 
stehenden  Deutlichkeit  hingewiesen1)  — ,  nämlich  darüber,  dass  diese 
Prüfung  der  sprachlichen  Thatsachen  in  engster  Fühlung  mit  den  auf 
idg.  Boden  uns  entgegentretenden  Realien  geschehen  muss. 

Die  Sprachbetrachtung  muss  von  Sac  h bet  rachtung  be- 
begleitet sein.  Diese  führt  uns  zunächst  zu  derjenigen  Wissenschaft, 

1)  Vgl.  K.  ßrugmann  über  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte1  im 
Lit.  Centraiblatt  1883  Nr.  39:  „Der  Vf.  kommt  zu  dein  Resultat,  dass  die 
Sprachwissenschaft,  auf  ihre  eigenen  Mittel  angewiesen,  nicht  im  stände  sei, 
ein  zuverlässiges  Bild  der  vorhistorischen  Kulturzust finde  zu  entwerfen;  sie 
müsse  mehr  als  es  bisher  geschehen  sei,  die  archäologische  Paläontologie 
und  Geschichtsforschung  zu  Hülfe  nehmen.  Darin  wird  jeder  dem  Vf.  bei- 
stimmen können-,  und  Curt  Wachs muth  Einleitung  in  das  Studium  der  alten 
Geschichte  Leipzig  1895  S.  320:  „Auf  die  prinzipiellen  Bedenken,  die  einer 
einseitigen  Verwendung  der  Sprachwissenschaft  zu  derartigen  kulturgeschicht- 
lichen Rückschlüssen  entgegen  stehn,  machte  dann  aber  mit  gutem  Grunde 
O.  Schräder  aufmerksam  :  besonders  hob  er  verschiedene,  die  ganze  Be- 
trachtungsweise empfindlich  störende  Möglichkeiten  hervor,  die  im  einzelnen 

zu  uroschränken  schwer  fällt   So  riet  Schräder,  mit  der  sprachlichen 

Paläontologie  die  archäologische  zu  verbinden  und  glaubte  durch  diese 
kombinierte  Methode,  die  sowohl  den  indogermanischen  Urechatz  als  die 
.prähistorischen'  Funde  verwertet,  die  Kultur  der  Urzeit  erschliessen  zu 
können,  die  er  als  die  .steinzeitliche'  der  Schweizer  Pfahlbauten  definierte". 
Ich  erlaube  mir  auf  diese  beiden,  leicht  zu  vermehrenden  Zeugnisse,  ein 
älteres  und  ein  jüngeres,  über  den  wirklichen  Charakter  meiner  Methode 
hinzuweisen,  da  man  es  neuerdings  bequem  findet,  mich  als  einseitigen 
„linguistischen  Paläontologen"  hinzustellen,  wovon  gerade  das  Gegenteil 
richtig  ist. 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XXI 


welche  mit  Hacke  und  Spaten  in  die  Tiefe  der  Erde  steigt,  um  die 
Zeugen  vorgeschichtlicher  .Jahrhunderte,  wenn  nicht  Jahrtausende,  leib- 
haftig dem  Auge  bloßzulegen,  der  archäologischen  Prähistorie. 
Es  ist  eine  erfreuliche  Thatsache,  dass  dieser  Forschungszweig  aus 
der  Rolle  des  Aschenbrödels,  die  er  den  philologisch  -  historischen 
Disziplinen  gegenüber  lange  Zeit  gespielt  hat,  sich  durch  die  auf- 
opferungsvolle Thätigkeit  hervorragender  Männer  zu  einer  selbständigen 
nnd  geachteten  Stellung  mit  eigener  Methode  und  einer  Reihe  ge- 
sicherter Resultate  emporgeschwungen  hat.  Wie  sollte  da  nicht  auch 
die  Indogermanische  Altertumskunde  zur  Aufhellung  der  vorhistorischen 
Knlturverhältnisse  der  idg.  Völker  von  ihren  Ergebnissen  Nutzen  ziehn. 
die  in  der  That  geeignet  sind,  wie  es  Kossinna  gut  ausdrückt,  den  oft 
„hlas8euu  sprachlichen  Konstruktionen  die  „blühende  Farbe  der  archäo- 
logischen Realitäten44  zu  verleihn?  Dass  die  Indogermanen  schon  in 
der  Urzeit  sich  darauf  verstanden,  Gefässc  (s.  d.)  zu  formen,  könnten 
wir  allein  aus  der  Sprache  lernen.  Wie  aber  diese  Gefässc  beschaffen, 
mit  welchen  Verzierungen  sie  geschmückt  waren,  ob  man  sie  aus  freier 
Hand  gestaltete,  oder  Bchon  die  Drehscheibe  (s.  u.  Töpferscheibe)  an- 
zuwenden verstand  u.  s.  w.,  kann  uns  nur  die  Prähistoiic  lehren.  Ja 
so  hoch  ist  die  Schätzung  eben  dieser  Wissenschaft  in  neuster  Zeit 
gestiegen,  dass  es  eher  notwendig  erscheint,  vor  einer  Überschätzung 
ihres  Wertes  für  die  Indogermanische  Altertumskunde  zu  warnen,  als 
ihre  von  keinem  Kundigen  mehr  bezweifelte  Bedeutung  ausführlicher 
darzulegen.  Wir  meinen  hierbei  nicht,  dass  die  wissenschaftliche  Be- 
stimmung und  Ausbeutung  eines  archäologischen  Fundes  kaum  einer 
geringeren  Zahl  von  natürlich  andersartigen  Fehlerquellen  wie  irgend 
eine  sprachliche  Gleichung  ausgesetzt  ist,  wir  wollen  hier  nur  auf  zwei, 
<ler  archäologischen  Prähistorie  ihrer  Natur  nach  anhaftende  Mängel 
aufmerksam  machen. 

P.  Kretschmer  sagte,  wie  wir  oben  sahen,  wir  sollten  der  Sprach- 
wissenschaft den  Laufpass  geben,  da  „uns  die  Reste  altindogermanischer 
Kultur  selbst  durch  die  Prähistorie  in  reicher  Fülle  vor  die  Augen 
gerückt  seien",  und  dasselbe  ist  die  Meinung  G.  Kossinnas.  Es  fragt 
sich  dabei  nur,  was  wir  unter  „ altindogermanischer  Kultur"  verstehen. 
Nach  Boeekh  ist  die  „Knlturentwicklung  der  Völker"  gleichbedeutend 
mit  der  „geschichtlichen  Betätigung  des  Geistes  der  Völker",  und 
fast  scheint  es,  als  ob  die  neueren  diese  „Bethätigung  des  Geistes  der 
Völker"  nur  in  Töpfen  und  Krügen,  in  Dolchen  und  Schwertern  u.  s.  w. 
suchten.  Denn  wie  hoch  man  auch  immer  den  Wert  der  Prähistorie 
anschlagen  möge,  zweifellos  ist  doch,  was  auch  H.  Hirt  zu  wieder- 
holten Malen  richtig  hervorgehoben  hat,  dass  ihre  Erkenntnisse  sich 
auf  verhältnismässig  beschränkte  Teile  der  urzeitlichen  Kulturwelt  be- 
zichn.  Wenn  auch  gewisse  Ansiedelungen,  wie  namentlich  die  Schweizer 
Pfahlbauten,  ein  ziemlich  vollständiges  Bild  wenigstens  der  materiellen 


Digitized  by  Google 


XXII 


Vorrede. 


Kultur  ihrer  Bewohner  gestatten,  so  handelt  es  sich  doch  in  der  Mehrheit 
der  Fälle  udi  vereinzelte  und  versprengte  Fundstücke  oder  um  Gräber- 
funde, d.  h.  um  die  Gaben,  welche  der  unverbrannten  oder  verbrannten 
Leiche  bei  der  Beisetzung  mitgegeben  wurden,  und  die  der  Natur  der 
Sache  nach  einem  beschränkten  Kreis  von  Gegenständen  entstammen. 
Vor  allem  aber  werden  wir  von  der  Prähistorie  nie  etwas  Uber  da« 
Familien-,  Staats-  und  Rechtsleben  und  nur  weniges  über  die  religiösen 
Anschauungen  der  Urzeit  erfahren  oder  zu  erwarten  haben,  so  dass 
also  die  gesamte  geistige  und  sittliche  Entwicklung  des  vor- 
historischen Menschen  auf  diesem  Wege  für  uns  in  Dunkel  gehüllt 
bleibt.  Gerade  hier  greift  die  Sprachvergleichung  ergänzend  ein,  die 
mit  ihrem  Licht  alle  Seiten  der  vorhistorischen  Kultur  beleuchtet,  und 
nur  in  diesem,  nicht  in  einem  die  sachliche  Forschung  ausschliessenden 
oder  beschränkenden  Sinne  habe  ich  „Über  den  Gedanken  einer  Kultur- 
geschichte der  Indogermanen  auf  sprachwissenschaftlicher  Grundlage" 
Jena  1887)  gesprochen,  den  Kretschmer  (S.  50)  als  ein  nUudinga, 
V.  Hehn  freilich,  dem  Kretschmer  wohl  ein  Stimmrecht  in  diesen 
Fragen  gestatten  wird,  als  einen  „schönen  Entwurf,  der  der  Erfüllung 
harrt" ')  bezeichnete.  In  der  That  sind  Gleichungen  wie  sert.  pdti-  = 
griech.  ttöoi?  für  den  Haus-  und  Familienvater,  sert.  rd'j-  =  lat.  rix 
für  den  Häuptling  des  Stammes,  aw.  kaend-  =  griech.  ttoivii  für  die 
Rache  und  ihre  Loskanfung  durch  die  Busse,  sc«,  deod-  =  lat.  dem, 
lit.  diewas  für  gewisse  himmclentstammte  Wesen  prähistorische  Funde, 
denen  die  archäologische  Prähistorie  selbst  nichts  ähnliches  an  die 
Seite  zu  setzen  hat. 

Und  noch  ein  zweiter  Nachteil  dieser  letzteren  Disziplin  dem 
sprachlichen  Material  gegenüber  niuss  hier  angeschlossen  werden.  Man 
mag  Gleichungen  wie  die  eben  genannten  für  urverwandt  oder  als 
uralte  Lehnwörter  ansehn,  eines  ist  doch  sicher,  dass  sie  auf  kultur- 
historische Zusammenhänge  zwischen  indogermanischen  Völkern 
hinweisen.  Der  archäologische  Fund  an  und  für  sich  aber  steht,  in 
je  ältere  Zeit  er  zurückgeht,  umso  mehr  jenseits  aller  ethnischen  Ver- 
hältnisse, und,  falls  es  nicht  gelingt,  eine  Beziehung  zu  diesen  herzu- 
stellen, auch  jenseits  alles  wirklich  historischen  Interesses. 

Eine  solche  Beziehung  habe  ich  anzubahnen  versucht,  indem  ich 
schon  in  der  ersten  Auflage  von  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte 
'1883)  den  Nachweis  zu  führen  unternahm,  dass  die  in  den  ältesten 


1)  V.  Hehn  au  den  Verfasser  am  29.  März  1887:  „Sie  habeu  mir  durch 
Ihre  akademische  Rede  wiederum  ein  angenehmes  und  wertvolles  Geschenk 
gemacht.  Sie  entwerfen  darin  den  Grundriss,  das  Fachwerk  einer  künftigen 
sprachwissenschaftlichen  Kulturgeschichte  und  halten  dem  Forscher  alle  Ge- 
Mchtspunkte  vor,  die  er  bei  diesem  Geschäft  sich  stellen  kann  oder  muss. 
Hin  schöner  Entwurf,  der  der  Erfüllung  harrt!  Einzeln«  Partien  sind  ja 
schon  mehr  oder  minder  ausgeführt,  nicht  am  wenigsten  durch  Sie  selbst"  u.  s.  w. 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XXIII 


Pfahlbauten  der  Schweiz  zu  Tage  getretene  Kultur  der  jüngeren  Stein- 
zeit sich  im  Grossen  und  Ganzen  mit  derjenigen  Kulturstufe  deckt, 
welche  wir  auf  linguistisch-historischem  Weg  als  die  der  ältesten 
europäischen  Indogerroaneu  erschließen  konneu.  Es  zeigt  sich,  das» 
die  wichtigsten  Bestandteile  jener  ältesten  Pfahlbautenkultur,  also  z.  B. 
die  daselbst  nachgewiesenen  Hausticrc  oder  Kulturpflanzen  oder  die 
von  den  Pfahlhauern  geübten  Künste  des  Nähens,  Spinnens,  Webens 
n.  s.  w.  sich  durch  urverwandte  Gleichungen  belegen  lassen,  während 
für  Kulturgegenstände,  die  bisher  in  der  ältesten  Pfahlbautenzeit  nicht 
nachgewiesen  werden  konnten,  also  z.  B.  für  Esel,  Maultier  und  Katze 
oder  für  den  Roggen  und  Hanf  auch  die  sprachlichen  Belege  in  dem 
Wörtcrscbatz  der  europäisch-indogermanischen  Urzeit  in  der  Kegel 
vermisst  werden  <>.  auch  u.  Kupfer  und  Steinzeit).  Dasselbe  wie 
von  der  Kultur  der  ältesten  Schweizer  Pfahlbauten  gilt  aber  von  den 
neolithiseben  Ansiedlungen  Europas  Uberhaupt,  und  so  gelangen  wir 
auf  diesem  Wege,  auf  dem  ich  unter  den  Archäologen  z.  B.  bei 
M.  Much  (Die  Kupferzeit  in  Europa  und  ihr  Verhältnis  zur  Kultur  der 
Indogermanen  II.  Auflage,  Jena  li<93),  unter  den  Sprachforschern  z.  B. 
bei  W.  Streit  berg1)  und  H.  Hirt»)  Zustimmung  gefunden  habe,  zu 
einem  doppelten  Ergebnis:  einmal  zu  dem,  dass  die  proelhnischeu  Zu- 
sammenhänge der  Indogermanen  in  die  neolithischc  Zeit  fallen,  und 
zweitens  zu  dem,  dass  der  auch  von  allgemeineren  Gesichtspunkten 
aus  nächstliegenden  Annahme  nichts  im  Wege  steht,  schon  das  neo- 
lithische  Europa  sei  in  weiter  Ausdehnung  von  Indogermanen  bevölkert 
gewesen3).   Damit  aber  ist  für  den  Linguisten  und  Prähistoriker  eine 

1)  „Eine  Thatsache  von  grosser  Tragweite,  auf  di«;  vor  allem  O.  Schräder 
hingewiesen  hat,  ist,  dass  die  Kultur  der  jüngeren  Steinzeit  überraschende 
Ähnlichkeit  mit  derjenigen  zeigt,  die  wir  aus  sprachlichen  Momenten  für  die 
idg.  Urzeit  erschließen  können",  W.  Streitberg  Die  Urheimat  der  Indoger- 
manen Feuilleton  d.  Frankf.  Zeitung  vom  15.  März  1893. 

2)  „Die  gleiche  Kulturstufe  wie  sie  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  vor- 
liegt, müssen  nach  Ausweis  der  Sprache  die  Indogermaneu.  zum  mindesten 
die  Europäer,  erreicht  haben",  H.  Hirt  Geogr.  Z.  heruusg.  von  A.  Hettner  IV, 
1898  S.  374  (s.  auch  u.  Kupfer  und  vgl.  die  Aum.  auf  S.  XVIII). 

3)  Zu  dem  gleichen  Resultat  kommt  auf  Grund  allgemeinerer  Er- 
wägungen auch  P.  Kretschmer  S.  57;  doch  tadelt  er  den  Weg,  auf  dem, 
wie  ich  glaube,  dasselbe  allein  beweisbar  ist.  Seine  Einwendungen  lassen 
Bich  an  folgenden  zwei  Fällen  zugleich  deutlich  machen  und  —  widerlegen. 
Der  neolithischen  Kultur  war  die  Ziege  als  Haustier  bekannt,  die  Gans  als 
solches  unbekannt.  Nun,  meint  Kretschmer,  fehle  gerade  für  die  Ziege 
ein  gemeinindogermanisches  Wort,  während  umgekehrt  für  die  Gans  (sert. 
hamtsii-  =  griech.  xnv  u.  8.  w.)  ein  solches  vorhanden  sei.  Was  nun  aber 
das  erstere  Beispiel  anbetrifft,  so  sind  für  den  Ziegenbock  so  viele  partielle 
Übereinstimmungen  in  den  idg.  Sprachen  vorhanden  {s.  u.  Ziege),  dass  mit 
uns  auch  Uhlenbeck  Beiträge  XIX,  330  und  Hirt  in  Hettners  Geogr.  Z.  IV,  379 
das  Vorhandensein  von  Ausdrücken  für  dieses  Tier  in  der  idg.  Ursprache 
folgern  (s.  oben  S.  XI  über  die  Verwertung  partieller  Gleichungen  .  Im 


Digitized  by  Google 


XXIV 


Vorrede. 


gemeinsame  ethnographische  Basis  gegeben,  von  welcher  sie  zur  Er- 
klärung der  weiteren  kulturgeschichtlichen  Entwicklung  unseres  Erd- 
teils zusammen  ihren  Ausgangspunkt  nehmen  könuen. 

Die  Notwendigkeit  eines  Zusammengehens  von  Sprach-  und 
Sachforschung  auf  dem  Boden  der  Idg.  Altertumskunde  tritt  mit  be- 
sonderer Deutlichkeit  ferner  bei  den  Versuchen  hervor,  über  die  Genesis 
unserer  Flora  und  Fauna  Licht  zu  verbreiten,  Versuche,  die  die 
Sprachforschung  zu  engen  Beruhrungen  mit  der  botanischen  und 
zoologischen  Paläontologie  führen  mussten.  Ich  kann  hieran  das 
kurz  schon  oben  genannte  Buch  V.  Hehns  Kulturpflanzen  und  Haus- 
tiere in  ihrem  Übergang  aus  Asien  nach  Griechenland  und  Italien  so- 
wie in  das  übrige  Europa  (1.  Auflage,  Berlin  1870)  anknüpfen.  Wie 
der  Titel  dieses  Werkes  andeutet,  sollte  in  demselben  der  Nachweis 
geführt  werden,  dass  die  wichtigsten  Charakterpflanzen  des  Südens 
zusammen  mit  einer  Reihe  von  Haustieren  erst  in  historischer  Zeit 
durch  die  Hand  des  Menschen  aus  dem  Orient,  gewöhnlich  wie  Hehn 
annahm,  aus  Syrien  oder  den  Pontusländern,  nach  Europa  verpflanzt 
und  hier  weiter  verbreitet  worden  seien.  Was  den  Verfasser  zu  dieser 
Annahme  einer  grossartigen  Orientalisiernng  der  europäischen  Flora, 
von  der  ich  hier  allein  sprechen  will,  führte,  war,  abgesehen  von 
historischen  Erwägungen,  die  Beobachtung,  dass  die  sprachliche  Ent- 
lehnung auf  dem  Gebiet  der  Kulturpflanzen  eine  sehr  umfangreiche  ist. 
Griech.  Kdvvn.  „das  Rohr"  ist  aus  dem  Semitischen  entlehnt,  lat.  murtu* 
,die  Myrte'  aus  dein  Griechischen.  Beweist  dies  nicht,  dass  auch  von 
den  beiden  Pflanzen  die  eine  von  den  Semiten  zu  den  Griechen,  die 
andere  von  den  Griechen  zu  den  Römern  kam?  Die  philologische 
Argumentation  Hehns  fand  einstimmigen  Beifall  bei  den  Philologen. 
Seitens  der  Naturforscher  wurden  Bedenken  laut.  So  machte  0.  Heer, 
der  bekannte  Bearbeiter  der  Pflanzen  der  Schweizer  Pfahlbauten,  darauf 
aufmerksam,  dass  Myrten-,  Lorbeer-  und  Mastixblätter  schon  in  den 
ältesten  Tuffen  am  Fuss  des  Aetna  entdeckt  worden  seien,  und  dass 
daher  diese  Pflanzen  nicht  in  historischer  Zeit  in  Italien  eingeführt 
worden  sein  könnten.  V.  Hehn  antwortete  in  dem  Vorwort  zur  II. 
Auflage  sehr  kühl:  „Ich  habe  Italien  genommen  wie  es  war,  als  in 
historischer  Zeit  sich  hier  die  erste  höhere  Kultur  entwickelte;  welche 

Pflanzen  es  in  einer  früheren  Erd-Epoche  trug,  ist  mir  gleichgiltig  

Erst  hätte  Herr  Professor  Heer  aufzeigen  müssen,  dass  von  den  ältesten 
Tuffen  des  Aetna  oder  den  diluvialen  Travcrtincn  Toskanas  iu  der 


zweiten  Falle  aber  übersieht  Kretsehiner ,  dass  wir  den  archäologischen 
Funden  nicht  allein  die  linguistischen,  sondern  die  linguistisch  historischen 
Ergebnisse  gegenüber  stellen,  und  diese  lehren  uns  eben,  dass  die  Gans 
(s.  d.)  in  der  idg.  Urzeit  noch  kein  Haustier  gewesen  sein  kann,  da  sie  es 
auch  in  historischer  Zeit  in  den  ältesten  Epochen  der  Einzclvölker  noch 
nicht  ist. 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XXV 


Tbat  ein  ununterbrochener  vegetativer  Zusammenhang  bis  auf  die  Zeit 
geht,  wo  die  geschichtlichen  Zeugnisse  beginnen.  Kann  er  diesen 
Nachweis  führen,  so  will  ich  gern  einräumen,  d  a  s  s  mich  meine 
historischen  Mittel  an  diesem  Punkte  falsch  beraten 
haben."  Naturforscher  und  Philologe  hatten  sich  nicht  überzeugt, 
und  doch  gab  und  giebt  es  für  beide  keine  besondere  Wahrheit. 

Als  es  sich  daher  darum  handelte,  nach  dem  Tode  V.  Hehns  eine 
Neubearbeitung  des  berühmten  Buches  zu  veranstalten,  schien  es  nötig, 
nm  diese  und  andere  Streitfragen,  welche  sich  an  dasselbe  knüpften, 
wenn  möglich  zu  schlichten,  die  Arbeit  gemeinsam  einem  Naturforscher 
nnd  Philologen  zu  übertragen.  Für  den  botanischen  Teil  wurde  Prof. 
A.  En  gl  er,  der  Direktor  des  Berliner  Botanischen  Gartens,  gewonnen. 
Indem  ich  auf  die  Ausführungen  dieses  Gelehrten  in  dem  Vorwort  zu 
der  Neubearbeitung  des  Hehnscheu  Werkes')  verweise,  hebe  ich  nur 
hervor,  dass  es  der  heutigen  Botanik  allerdings  möglich  ist,  den 
von  Helm  vermissten  Nachweis  der  vegetativen  Kontinuität  zwischen 
früheren  und  der  jetzigen  Erdpoche  im  westlichen  und  südlichen  Eu- 
ropa zu  führen.  Engler  schliesst:  „Wir  sind  daher  berechtigt,  von 
allen  Pflanzen,  welche  am  Ende  der  Tertiärperiode  oder  in  der 
lnterglacialperiode  oder  auch  bald  nach  der  Glacialperiode  in  Süd- 
europa existierten,  anzunehmen,  dass  sie  ohne  Zutbun  des  Menschen 
dahin  gelangt  sindu.  Dem  Philologen  blieb  es  übrig  zu  zeigen,  dass 
in  der  That  V.  Hehn  aus  sprachlichen  Kriterien  nicht  selten  zu  viel 
geschlossen  habe,  dass  z.  B.  lat.  murtus  auch  deswegen  aus  dem 
Griechischen  entlehnt  sein  könne,  weil  die  Römer  von  den  Griechen 
die  Verehrung  der  Myrte  als  des  Baumes  der  Aphrodite  übernahmen. 
Das  Gesamtresultat  Hehns  bleibt  trotzdem  bestehen,  nur  dass  man  in 
recht  vielen  Fällen  nicht  eine  Übertragung  der  Pflanze  selbst  aus  dem 
Orient  nach  Griechenland  oder  aus  Griechenland  nach  Italien,  sondern 
nur  die  ihrer  Kultur  annehmen  inuss. 

Wenn  so  bei  den  im  Hehnschen  Buch  behandelten  Pflanzen  durch 
die  gemeinsamen  Überlegungen  des  Botanikers  und  Philologen,  wie 
ich  hoffe,  zuverlässigere  Ergebnisse  gewonnen  worden  sind,  so  steht  die 
gleiche  Aufgabe  auf  zahlreichen  anderen  Gebieten  de»  Pflanzenreiches, 
soweit  es  in  den  Dienst  der  idg.  Völker  getreten  ist  oder  Beziehungen 
zu  ihrer  Kultur  gewonnen  hat,  noch  bevor.  So  werden  von  Hehn  die 
Getrcidcarten,  die  Pflanzen  des  Gemüsegartens  (mit  Ausnahme  der 
Cucurbitaceen,  Hülsenfrüchte  und  Zwiebelgewächse),  die  technisch  ver- 
wertbaren Pflanzen  (mit  Ausnahme  des  Flachses  und  Hanfes),  die  Heil- 
and Zauberkräuter  u.  s.  w.  entweder  gar  nicht  oder  nur  im  Vorübcr- 

1)  V.  Hehn  Kulturpflanzen  und  Haustiere.  VI.  Aufl.,  neu  herausge- 
geben von  O.  Sehrader,  mit  botanischen  Beiträgen  von  A.  Kngler.  Berlin 
1894.  Eine  II  Auflage  dieser  Neubearbeitung,  die  VII.  des  Buches,  ist  in 
Vorbereitung. 


Digitized  by  Google 


XXVI 


Vorrede. 


gehen  behandelt.  Über  die  Ursprünge  und  Verbreitungsgeschichte  aller 
dieser  Pflanzen  aber  sind  wir  noch  sehr  wenig  unterrichtet.  Hier  ist 
also  (ebenso  wie  auf  dem  Gebiete  des  Tierreichs)  noch  ein  weites 
Feld  geraeinsamer  Thätigkeit  für  Naturforscher  und  Philologen  ge- 
öffnet. 

Es  erübrigt,  ein  Wort  über  die  Beziehungen  der  indogermanischen 
Sprachwissenschaft  zu  derjenigen  Wissenschaft  zu  sagen,  welche  den. 
Menschen  selbst,  nicht  als  Eiiov  ttoAitiköv,  als  Kulturträger,  sondern 
als  Ztpov  in  naturwissenschaftlichem  Sinne  zu  erforschen  bestrebt  ist, 
zu  der  Anthropologie.  Ich  kann  mich  Uber  diescu  Punkt  umso 
kürzer  fassen,  als  er  von  P.  Krctschmer  in  seiner  oft  genannten  Ein- 
leitung in  die  Geschichte  der  griechischen  Sprache  1896  Cap.  II  mit 
ausgezeichneter  anthropologischen  Sachkenntnis  und  in  dem  gleichen 
Sinne  wie  vorher  von  mir  (Sprachvergleichung  und  Urgeschichte 8 
Zur  Methodik  und  Kritik  der  linguistisch-historischen  Forschung  Cap.  I: 
Die  idg.  Sprach-  und  Völkerverwandtschaft,  und  in  der  Aula  1895 
S.  364  ff.)  erschöpfend  und  richtig  behandelt  worden  ist.  Als  die  An- 
thropologie sich  der  indogermanischen  Frage  zuzuwenden  begann, 
schien  es  einen  Augenblick,  als  ob  der  ganze  Hegriff  des  Indogenna- 
nentums  vor  ihren  Rassenkonstruktionen,  in  die  er  sich  in  keiner 
Weise  einfügen  Hess,  in  sich  zusammenbrechen  werde.  Indessen  ist 
das  Gegenteil  der  Fall  gewesen.  Der  Gedanke  einer  idg.  Sprach- 
und  Völkereiuheit  ist  siegreich  aus  allen  Anfechtungen  hervorgegangen. 
Keine  der  anthropologischen  Hypothesen,  auch  nicht  die  auf  die  Ver- 
schiedenheit des  Baues  des  menschlichen  Schädels  gegründeten,  haben 
ein  für  die  genealogischen  Verhältnisse  der  Völker  entscheidendes  und 
allgemein  anerkanntes  Merkmal  ergeben.  „Ein  so  sicheres  Faktum", 
sagt  Kretscbmcr  a.  a.  0.  mit  Recht,  „wie  die  idg.  Sprachcinbcit,  eine 
so  scharfe  ethnische  Abgrenzung  wie  dieselbe  gegen  die  Nachbarvölker 
erlaubt,  bat  keine  der  anthropologischen  Theorien,  die  sich  mit  der 
idg.  Sprache  beschäftigen,  aufzuweisen  vermocht. u  So  nützlich  und 
fruchtbringend  daher  auch  die  anthropologischen  Untersuchungen  für 
die  Naturgeschichte  des  Menschen  sein  mögen,  für  die  Völkerkunde 
im  allgemeinen  und  für  die  Indogermanische  Altertumskunde  im  be- 
sonderen haben  sie  bis  jetzt  nur  einen  sekundären  Wert  erlangt  (s. 
näheres  u.  Körperbeschaffenheit  und  u.  Urheimat  der 
Indogermanen). 

Wir  haben  bis  jetzt  gesehen,  dass  die  für  das  Verständnis  der 
i udogermanischen  Sprachverwandtschaft  notwendige  Voraussetzung  eines 
indogermanischen  Urvolks  zu  der  Frage  führte,  ob  es  nicht  möglich  sei, 
wie  die  Sprachentwicklung,  so  auch  die  Kulturentwicklung  der  Indoger- 
manen bis  in  die  Epoche  dieses  Urvolks  zurückzuverfolgen.  Wir  haben 
ferner  gesehn,  welche  Mittel  die  Sprachwissenschaft  selbst  für  die  Erfüllung 
dieser  Aufgabe  darbietet,  Mittel,  die  jedoch  vielfach  nur  dann  zu  mi- 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XXVII 


anfechtbaren  Ergebnissen  führen  können,  wenn  die  Sprachbetrachtung 
sich  mit  sorgfältiger  Sachbetrachtung  verbindet.  Diese  Sachbetrachtnng 
leitete  ans  zunächst  zu  eine  Reihe  unter  einander  nahverwandter  Dis- 
ziplinen, welche  den  Vorzug  mit  einander  gemein  haben,  durch  prä- 
historische und  paläontologische  Funde  mehr  oder  weniger  direkt  in 
die  Urzeit  hinüberzufahren,  andererseits  aber  auch  den  gemeinsamen 
Nachteil  besitzen,  sich  auf  verhältnismässig  beschränkte  Teile  der  ur- 
zeitlichen Kulturwelt  zu  beziehn.  Die  Indogermanische  Altertumskunde 
würde  daher  bei  der  Rekonstruktion  ihres  Hildes  der  Urzeit  über  ein 
sehr  lückenhaftes  Material  verfügen,  wenn  ihr  nicht  noch  ein  anderes 
Mittel  für  ihre  Zwecke  zur  Verfügung  stände,  das  der  Vergleiehung 
der  bei  den  idg.  Völkern  historisch  bezeugten  oder  noch  jetzt  lebenden 
Realien  und  Institutionen. 

Diesen  Weg  zu  wandeln  hat  uns  V.  Hehn  gelehrt.  Sein  Aus- 
gangspunkt dabei  ist  ein  doppelter.  Einmal  werden  auf  das  sorgfältigste 
alle  Nachrichten  gesammelt,  welche  die  Schriftsteller  des  Altertums 
und  Mittelalters  uns  Über  die  Sitten  und  Gebräuche  der  europäischen 
Nordvölker,  vor  allem  der  Kelten,  Germanen  und  Slaven  hinterlassen 
haben.  Das  andre  Mal  wird  dieses  tote  Material  belebt  und  vervoll- 
ständigt dnreh  die  Erfahrungen,  welche  Hehn  selbst,  durch  ein  für 
ihn  selbst  widerwärtiges,  aber  für  die  Wissenschaft  heilsames  Lebeus- 
8chicksal  in  das  Innere  Russlands  verschlagen  (vgl.  Vf.  V.  Hehn,  ein 
Bild  seines  Lebens  und  seiner  Werke  Berlin  1891  S.  23  ff.),  bei  diesem 
rückständigen  Zweige  der  idg.  Völkerwelt  gesammelt  hatte.  Diese  Be- 
deutung der  Slaven  für  die  Urgeschichte  der  Indogermanen  wird  Hehn 
nicht  müde,  immer  aufs  neue  hervorzuheben.  Vgl.  De  moribus  Ru- 
thenorum  S.  118:  „Sie  (die  Russen)  sind  sehr  alt,  uralt  uud  haben 
das  älteste  konservativ  bewahrt  und  geben  es  nicht  auf.  An  ihrer 
Sprache,  ihrer  Familienverfassung,  ihrer  Religion, 
ihren  Sitten,  ihrem  Aberglauben,  ihrem  Erbrecht 
u.  s.  w.  lässt  sich  das  frühste  Altertum  studieren",  Italien  II.  Aufl. 

S.  236:  „Die  Slaven  bilden  für  den  Kulturhistoriker  eine 

reiche,  bisher  noch  so  gut  wie  unberührte  Fundgrube  von  Altertümern. 
Selbst  in  den  Gegenden  um  Moskau,  also  im  Herzen  Rnsslands,  sowie 
in  Kleinrussland  kann  der  aufmerksame,  mit  der  Sprache  bekannte 
Beobachter  tausendmal  an  Homer  und  das  bei  Homer 
geschilderte  Leben  erinnert  werden",  Baltische  Monats- 
schrift Januar  1864:  „Die  Baltische  Monatsschrift  verdient  es  wohl 
(viele  Abonnenten) ;  denn  hat  sie  nicht  auch  in  ihrer  Art  ein 
wichtiges  Amt  zu  verwalten,  ist  sie  nicht  auch,  gleich  ihrer  be 
rühmten  Pariser  Kollegin,  eine  Warte  beider  Welten?  Der  kleinen 
baltischen  nämlich  und  jener  auswärts  liegenden,  ganz  anders  ge- 
arteten, ungeheuer  ausgedehnten  byzantinisch-slavischen  Welt,  die  mit 
eignen  Schriftzeichen   schreibt,   mit  eigenen  Kügelchen  auf  Draht- 


Digitized  by  Google 


XXVIII 


Vorrede. 


Stäben  rechnet,  ihre  Grütze  so  körnig  isst,  wie  der  Perser  seinen  Reis, 
nnd  sich  mit  dem  Vor-  und  Vaternamen  nennt,  wie  die  Völker  des 
Altertums,  der  Welt  u  ran  fänglicher  Dorfgemeinsehaft, 
stammartig  wachsender,  durch  kein  Prinzip  der  Per- 
sönlichkeit sich  auflösender  Familie."  Erst  nachdem  so 
dem  Kulturhistoriker  auf  dem  schwankenden  Boden  der  Urgeschichte 
ein  bös  poi  ttoö  jtüj  gegeben  ist,  wagt  es  Hehn,  sich  der  glänzenderen 
Kulturwelt  des  klassischen  Altertums  zu  nähern  und  die  beiden  Fragen 
aufzuwerfen:  Wie  sind  einerseits  Griechen  und  Römer  aus  den  in  jenen 
Zeugnissen  noch  vorliegenden  Anfängen  idg.  Kultur  zu  den  viel- 
bewunderten Völkern  des  Altertums  geworden,  und  andererseits,  welche 
Überreste  der  Urzeit  lassen  sich  auch  bei  ihnen  noch  nachweisen? 

Die  hier  geschilderte  Methode  V.  Hehns,  über  die  Grenzen  der 
Überlieferung  vorzudringen,  kann  man  zugleich  als  neu  und  als  — 
uralt  bezeichnen.  Xcu  ist  sie  gegenüber  den  bis  auf  ihn  Üblichen 
rein  sprachlichen  Rekonstruktionen  der  Urzeit,  deren  umfangreichste 
in  dem  grossen  Werk  des  Genfer  Gelehrten  A.  Pietet  Les  origines 
Indoeuropccnnes  (1859 — 63)  vorliegt.  Uralt  ist  sie,  wenn  man  bedenkt, 
dass  schon  Thukydides  in  der  Einleitung  zu  seinem  Geschicbtswerk, 
in  der  er  ein  Bild  der  griechischen  Urzeit  zu  entwerfen  unter- 
nahm, diesen  Weg  einschlug.  Besonders  charakteristisch  ist  in  dieser 
Beziehung  das  V.  Kapitel  des  ersten  Buches,  in  dem  der  Geschichts- 
schreiber zeigt,  dass  im  ältesten  Hellas  fortwährende  Raubzüge  zwischen 
den  einzclneu  Stämmen  stattfanden,  und  dass  diese  Quelle  des  Erwerbs 
damals  für  die  Beteiligten  noch  nichts  ehrenrühriges  hatte.  Den  Be- 
weis für  diese  Anschauung  findet  er  einmal  darin,  dass  der  geschilderte 
Zustand  noch  zu  seinerzeit  bei  zurückgebliebenen  Stämmen  wie  den 
Ozolisehen  Lokrern,  den  Ätolern  und  Akaruanen  herrsche,  das  andre 
Mal  darin,  dass  man  noch  im  ältesten  Epos  den  angekommenen  Fremd- 
ling unbedenklich  frage,  ob  er  vielleicht  ein  Räuber  sei,  der  über  das 
Meer  gekommen  wäre.  TToXXd  b'  öv,  fügt  er  Cap.  VI  hinzu,  xm  äXXa 
Tiq  äTTobei£€i€  tö  iraXaidv  'EX\r)viKÖv  öuoiörpoTTa  tüj  vöv  ßapßapuaO 
biarmujevov.  „Auf  viele  andere  Züge  könnte  man  noch  hinweisen,  in 
denen  sich  altgriechischer  Brauch  mit  dem  moderner  Barbarenvölker 
deckt." 

Einiges  bleibt  zur  näheren  Charakterisierung  der  Quellen  und 
Methoden  dieser  Realien-  und  Institutionen verglcichung  zu  be- 
merken übrig.  Bei  der  ßeuutzung  der  Nachrichten,  welche  uns  Griechen 
und  Römer  über  die  Nordvölker  Europas  hinterlassen  haben,  vergesse  man 
nicht  eine  Erscheinung  in  Rechnung  zu  stellen,  auf  die  Alexander  Riese 
in  einem  feinsinnigen  Programm  Die  Idealisierung  der  Naturvölker  des 
Nordens  in  der  griechischen  und  römischen  Litteratur  (Frankfurt  a.  M. 
187ö)  zuerst  zusammenfassend  hingewiesen  hat,  die  Erscheinung  nämlich, 
dass  die  klassischen  Autoren  in  schroffem  Gegensatz  zu  einem  in  die 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XXIX 


Tiefe  der  Dinge  steigenden  Forscher  wie  Thukydides  vielfach  der 
Meinnng  waren,  die  uns  auch  in  neueren  Litteraturepochen  gelegentlich 
zu  begegnen  pflegt,  das«  Tugend,  Glück,  Wohlfahrt  allein  in  den  ein- 
facheren Verhältnissen  der  Harbaren  zu  finden  seien,  deren  Zustände 
sie  daher  nicht  selten  in  rosiger  Verklärung  schauten  und  schilderten. 

Neben  den  antiken  Nachrichten  über  die  Nordvölker  sind  natürlich 
auch,  was  von  V.  Hehn  nicht  immer  geschehen  ist,  ihre  einheimischen 
Quellen  zu  Rate  zu  ziehn,  die  so  relativ  später  Zeit  sie  angehören, 
und  so  sehr  sie  schon  unter  südlichen  Einflüssen  stehen  mögen,  doch 
reiche  Fundgruben  vorhistorischer  Altertümer  enthalten.  Man  denke 
in  dieser  Beziehung  etwa  an  Gesetzgebungen  wie  die  irischen  Brehon- 
gesetze  und  die  ältesten  slavischen  l'ravdas,  oder  an  Dichtungen  wie 
den  angelsächsischen  Bcownlf  und  den  altsächsischen  llcliand  u.  s.  w. 

Unter  den  Völkern  der  Gegenwart  erweisen  sich  ueben  den 
Russen,  die  Hehn  bei  seinen  obigen  Ausführungen  besonders  im  Auge 
hatte,  für  die  Rekonstruktion  der  Urzeit,  namentlich  auf  dem  Gebiete 
der  Familie,  der  Sippe  und  des  Stammes,  auch  die  südslavischen 
Verhältnisse  von  hervorragender  Wichtigkeit,  die  daher  sowohl  Delbrück 
in  seiner  Untersuchung  über  die  Verwandtschaftsnamen  wie  auch  der 
Unterzeichnete  in  der  zweiten  Auflage  von  Sprachvergleichung  und 
Urgeschichte  (1890)  vielfach  zur  Vergleichung  herangezogen  hat.  Dieser 
Ansicht  schliesst  sich  auch  H.  Hirt  an,  der  in  neuerer  Zeit  Bosnien 
und  die  Herzegowina  selbst  bereist  hat.  „Bei  den  Südslaven  ist  bis 
zum  heutigen  Tage  eine  Familien-  und  Wirtschaftsform,  die  zadruga, 
lebendig  geblieben,  die  sicher  in  sehr  alten  Zeiten  wurzelt''  (Jahrb.  f. 
Nationalök.  u.  Stat.  III.  Folge,  XV,  458),  und  „Hier  lebt  vor  allem 
noch  die  Familien-  und  Wirtschaftsform,  die  wir  für  die  Urzeit  voraus- 
setzen dürfen.  Mir  ist  in  diesen  Ländern  das  Bild  jener  Epoche,  das 
ich  durch  Studium  gewonnen  hatte,  erst  lebendig  geworden"  (Hettners 
Geogr.  Z.  IV  Jahrg.  1898  S.  387).  Es  ist  zu  wünschen,  dass  Hirt 
seine  Reisebcobachtungen  auf  diesem  Gebiet  bald  der  Öffentlichkeit 
übergeben  möge.  In  religiousgeschichtlieher  Beziehung  haben  sich, 
wie  das  hervorragende  Buch  H.  Uscners  Götternamen,  Versuch  einer 
Lehre  von  der  religiösen  Begritfsbildung  Bonn  1896  zeigt,  vor  allem 
die  litauischen  Götternamen  und  Gottesvorstellungen  als  wichtig 
für  das  Verständnis  des  ältesten  idg.  Glaubens  erwiesen  (s.  u.  Reli- 
gion). 

Der  charakteristischste  Punkt  der  Hehnschen  Sachvergleiehung 
ist  immer  das  Bestreben,  von  den  primitiven  Kulturverhältnisseu  der 
Xord-Indogermancn  aus  einen  Aus-  und  Einblick  in  die  Kulturentwick- 
lung des  klassischen  Altertums  zu  erhalten.  Gerade  umgekehrt  ist  der 
Weg,  den  B.  W.  Leist  in  seinen  Büchern  Gracco-italischc  Rechts- 
geschichte (1884),  Altarisches  Jus  gentium  (1889),  Altarisches  Jus 
civile  I  (1892),  Altarisches  Jus  civile  II  (1896)  einschlägt,  um  die 


Digitized  by  Google 


XXX  Vorrede. 

vorhistorische  Rechtsordnung  der  Griechen  und  Römer  zu  ermitteln 
und  auf  dieser  Grundlage  das  historische  Recht  der  Griechen  und 
vor  allem  das  der  Römer  zu  verstehen.  Aus  dem  Kreise  der  idg. 
Völker  greift  er  in  dem  eisten  Werk  die  Griechen  und  Römer,  in  dem 
zweiten  die  Inder,  Griechen  und  Römer,  also  beliebige,  d.  h.  nicht 
durch  nähere  Verwandtschaf t  mit  einander  verbundene,  aber 
sämtlich  schon  bei  Anheben  der  Überlieferung  auf  verhältnismässig 
hoher  Kulturstufe  stehende  Völker  heraus,  um  durch  eine  Vergleichung 
ihrer  Rechtsordnungen  bis  zu  ihrem  „Stammrecht"  vorzudringen.  Erst 
in  dem  letzten  der  genannten  Werke  werden  auch  die  Rcchtsbildungen 
der  Nordvölker  vergleichend  herangezogen,  ohne  auf  die  längst  vorher 
feststehenden  Grundanschauungcn  des  Verfassers  noch  einen  mass- 
gebenden Einfluss  ausüben  zu  können.  Meine  Bedenken  gegen  diese 
Forsehungsweisc  dqs  Verfassers,  die  um  so  sicherer  zu  übertriebenen 
Vorstellungen  von  dem  religiösen,  sittlichen  und  rechtlichen  Leben 
der  Indogermaneu  führen  musste,  als  auch  von  den  Ergebnissen  der 
Sprachforschung  nicht  selten  ein  unhistorischer  Gebrauch  gemacht 
wird,  habe  ich  zu  verschiedenen  Malen  dargelegt  (vgl.  Sprachvcrgl. 
und  Urgeschichte*  S.  202,  353  ff.,  Deutsche  Litz.  1893  Nr.  10),  und 
sehe  jetzt,  dass  ähnliche  Einwendungen  auch  von  anderen  gemacht 
werden.  So  äussert  vom  juristischen  Standpunkt  R.  Lö n i  n g  in  der 
Zeitschrift  für  die  gesamte  Strafrechtsw.  V,  553  ff.:  „Meist  beiseite 
gelassen  hat  der  Vf.  dagegen  die  rechtlichen  Anfänge  der  übrigen 
idg.  Völker,  insbesondere  der  Germanen,  welche  ihm  dnreh  ihre  weniger 
gefesteten  sakralen  Ordnungen  in  einem  wesentlichen  Gegensatz  zu 
Griechen  und  Italern  stehend  erscheinen.  Dagegen  lässt  sich  zwar 
an  sich  nichts  einwenden  (V);  doch  ist  andererseits  zu  beachten,  dass 
uns  für  kein  Volk  gerade  die  Urzustände  so  gut  bezeugt  sind,  wie  für 
die  Germanen,  und  dass  gerade  von  hier  aus  die  relativ 
sichersten  Schlüsse  auf  die  idg.  Rechtsanfänge  über- 
haupt und  damit  indirekt  auch  auf  die  der  G  r  a  e  c  o  - 
Italiker  gezogen  werden  könne n.u  So  bemerkt  E.  Meyer 
Geschichte  des  Altertums  11,45  von  historischem  Standpunkt,  dass 
die  Untersuchungen  Leists  zwar  im  einzelnen  sehr  viel  richtiges  und 
wertvolles  enthielten  (womit  auch  wir  durchaus  Ubereinstimmen),  ihre 
Grundgedanken  aber  sehr  problematisch  seien;  denn  die  nachge- 
wiesenen C  b  e  r  e  i  n  s  t  i  in  m  u  n  g  e  n  beruhten  weit  mehr 
auf  Gleichheit  der  Kulturbedingungen  als  auf  ver- 
erbtem Gut.  So  glaubt  Ol  den  b  e  rg  Die  Religion  des  Veda  S.  464 8 
vom  Standpunkt  der  Religio nsge"Bch ich tc,  dass  Leist  bei  der  Erklä- 
ning  gewisser  indischer  Hergänge  viel  zu  weit  in  dem  Bestreben 
gehe,  dieselben  nach  scharfen  juristischen  Begriffen 
zu  k o  n s t  r  u i e r  e n  u.  s.  w.  Gänzlich  ablehnend  gegen  die  Gedanken- 
gänge Leists  verhält  sich  offenbar  R.  v.  I bering  in  seinem  Werk  Vor- 


Digitized  by  Google 


Vorrede.  XXXI 

geschiente  der  Indoeuropäer1)  (Leipzig  1894),  in  dem  er,  so  oft  sich 
auch  die  Gelegenheit  dazu  bietet,  die  Leistscheu  Forschungen  —  öfters 
zu  seinem  Schaden  —  völlig  ignoriert. 

So  glauben  wir  also,  dass  die  Hehnsehe  und  Lcistsche  Methode 
sich  feindlich  einander  gegenüberstehen  wie  Feuer  und  Wasser,  und 
eine  prinzipielle  Vermittlung  zwischen  ihnen  nicht  denkbar  ist. 

Anderer  Meinung  ist  freilich  P.  v.  Bradkc  in  einer  Besprechung 
des  Leistschen  Jus  eivile  I  in  dem  Anzeiger  für  Indogerm.  Sprach- 
und  Altertumskunde  VI,  6  ff .  „Mit  Viktor  Hehns  Kulturpflanzen'," 
heisst  es  am  Schluss,  „bilden  die  Leistischen  Arbeiten  die  Grundlage 
für  die  wissenschaftliche  Erforschung  des  arischen  (indogermanischen) 
Altertums.    Scheinbar  sind  die  beiden  Männer  entgegengesetzte  Wege 

gegangen   Doch  widerspricht  sich  nichts,  beides 

z  n  s  a  m  m  e  n  c  r  g  i  e  b  t  erst  das  rechte  Bild".  Ich  glaube,  dass 
eine  irreführendere  Darstellung  des  vorliegenden  Verhältnisses  sich  nicht 
wohl  denken  lässt.  Mau  erwäge  aus  vielen  nur  folgende  Punkte!  Nach 
V.  Hehn  hatten  die  Naturgewalten  in  der  Urzeit  noch  keine  menschlich- 
persönliche Gestalt  angenommen,  und  der  Name  Gottes  bedeutete  noch 
Himmel.  Nach  Leist  war  schon  in  proetlmischcr  Zeit  Dyäus  der 
„schützende  und  strafende  Leiter  der  Weltordnungu,  die  „regierende 
Persönlichkeit",  die  „einerseits  vorsorgende,  ernährende,  andererseits  die 
animad vertierende,  strafende  Macht".  Nach  Hehn  beruht  die  idg. 
Familienorganisation  auf  ausgesprochenem  Patriarchentum.  Leist,  der 
jeden  patriarchalen  Charakter  der  ältesten  Familienordnung  ausdrücklich 
leugnet,  geht  von  der  sakralen  Gleichstellung  des  Weibes  mit  dem 
Manne  (der  pdtni  mit  dem  päti-)  im  idg.  Hauswesen  aus.  Nach  Hehn 
gehen  die  greisen  Eltern  in  der  Urzeit  freiwillig  in  den  Tod  oder 
werden  gewaltsam  erschlagen.  Nach  Leist  gehörte  schon  in  vorge- 
schichtlicher Zeit  die  Ehrung  der  Eltern  zu  den  neun  „der  Gottheit 
entstammenden,  von  weisen  Männern  gesehenen"  Geboten,  durch  die 
das  sittliche  Leben  des  Crvolks  geregelt  war.  Ich  darf  es  dem 
Leser  überlassen,  zu  ermessen,  welcher  Art  das  aus  derartigen  Wider- 
sprüchen zusammengesetzte  Bild  der  idg.  Urzeit  sein  würde2). 

Gleichwohl  ist  auch  so  den  Leistschen  Werken  ein  bleibender 
Wert  auf  dem  Gebiete  der  Indogermanischen  Altertumskunde  gesichert. 
Dieser  liegt  einmal  in  dem  überaus  reichen  rechtsgeschichtlichcu 
Material,  das  Leist  mit  grosser  Gelehrsamkeit  zusammengetragen  hat, 
das  andre  Mal  darin,  dass  es  Leist  gewesen  ist,  der  die  vergleichende 


1  Vgl.  im  übrigen  meine  Ansicht  über  diese»  Buch  in  der  Deutschen 
Litz.  1895  Nr.  6. 

2)  Ganz  leise  giebt  übrigens  auch  v.  Bradke  S.  14  zu,  dass  sich  „mit 
der  kräftigeren  Kinwirkung  besonders  der  nordeuropaischen  Tradition"  auch 
die  (Leistsche)  Auffassung  des  altarischen  Kultrechts  „mutmasslich  ver- 
schieben" werde. 


Digitized  by  Google 


XXXT1 


Vorrede. 


Rechtswissenschaft  zuerst  auf  den  festen  Boden  des  Indogernianeutuins 
beschränkt  hat. 

Dieser  zweite  Punkt  führt  uns  schliesslich  zu  dein  Verhältnis 
der  Indogermanischen  Altertumskunde  zu  derjenigen  Wissensehaft, 
welche  man  als  Vergleichende  Völkerkunde  zu  bezeichnen 
pflegt,  und  als  deren  Tochter  auch  die  Vergleichende  Rechtswissenschaft 
zu  betrachten  ist.  Indem  diese  die  Rcchtsiustitutionen  aller  möglicher 
Völker  des  Erdbodens,  namentlich  auch  die  der  sogenannten  Natur- 
völker, zum  Gegenstand  ihrer  Betrachtung  macht,  hofft  sie  auf  d  c  m 
Wege  der  Analogie  Belehrung  über  das  Wesen  und  die  Geschichte 
des  Rechts  auch  bei  den  idg.  Völkern  zu  erlangen.  Ob  dieser  Weg 
zu  dem  gewünschten  Ziele  führen  wird,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 
Hervorheben  aber  möchte  ich,  dass  die  Indogermanische  Altertums- 
kunde ihm  mit  einem  gewissen  Misstranen  gegenüber  zu  stelin  alle  Ursache 
hat.  Einen  interessanten  Beleg  für  die  Gefahren,  welche  ihr  von  dort 
drohen  können,  bietet  die  Geschichte  der  Theorie  des  sogenannten 
Mut  t  e  r  rec  h  t  s.  Die  Vergleichende  Rechtswissenschaft  beobachtete, 
dass  bei  zahlreichen  unzivilisierten,  aber  auch  bei  zivilisierteren  Völkern 
des  Erdballs  die  Verwandtschaft  und  der  Erbgang  des  Kindes  nach 
der  Mutter,  nicht  nach  dem  Vater  bestimmt  werde,  und  da  dieser  Zu- 
stand eine  passende  Mittelstufe  zu  bilden  schien  zwischen  der  als  Ur- 
zustand der  Menschheit  angenommenen  Promiscuität  der  Geschlechter,, 
bei  der  denn  la  recherche  de  paternitee  zwar  nicht  „untersagt14  aber 
unmöglich  war,  und  der  historischen  Vaterfamilic,  so  verfiel  man  auf 
den  Gedanken,  nach  Spuren  einer  mutterrechtlichen  Epoche  auch  bei 
dan  idg.  Völkern  zu  suchen.  In  der  That  glaubte  man  solche  nament- 
lich bei  den  Germanen,  z.  B.  in  der  vielbesprochenen  Stelle  von  Tacitus 
Germania:  nororum  filiis  idem  apud  aminculum  qui  apud  patrem 
honor,  gefunden  zu  haben;  denn  wo  die  Mutter  der  Ausgangspunkt 
der  Verwandtschaft  für  das  Kind  ist,  steht  demselben  der  Mutterbruder 
unter  den  männlichen  Verwandten  am  nächsten. 

Dem  gegenüber  habe  ich  schon  im  Jahre  1886  in  einer  Be- 
sprechung der  Antiquarischen  Briete  J.  Bachofens,  des  entschiedensten 
Vertreters  jener  Mtitterrechtstheorie  (Deutsche  Litz.  Nr.  27),  hervor- 
gehoben, dass  die  in  der  idg.  Ursprache  ausgebildeten  Verwandt- 
schaftsnanien  auf  das  unzweideutigste  Protest  gegen  die  Annahme  ein- 
legen, dass  die  Indogermauen  im  Zustand  des  Mutterrechts  gelebt 
hätten.  Seitdem  ist  durch  eine  Reihe  von  Untersuchungen,  für  welche 
ich  ausser  auf  B.  Delbrücks  Idg.  Verwandtschaftsnamen  (Leipzig 
1889)  auch  auf  den  betreffenden  Abschnitt  der  II.  Auflage  meines 
Buches  „Sprachvergleichung  und  Urgeschichte"  (Jena  1800  S.  ff.) 
verweisen  darf,  die  altindogermanische  Familicnordnung  derartig  klar 
gestellt  worden,  dass  von  Mutterrecht  auf  idg.  Boden  schlechterdings 
keine  Rede  mehr  sein  kann.   Dass  das,  was  man  bei  idg.  Völkern  als 


Digitized  by  Google 


Vorrcdn. 


XXXTII 


Spuren  jenes  Znstands  in  Anspruch  genommen  hat,  in  befriedigender 
Weise  anders  erklärt  werden  kann,  hat  Delbrück  in  einem  besonderen 
Aufsatz  (Das  Mutterrecht  bei  den  Indogcrmancn,  Preuss.  Jahrbücher 
LXXIX  Heft  1)  gezeigt  (näheres  s.  n.  M  u  1 1  e  r  r  e  c  h  t).  Derartigen 
Bestrebnngcn  gegenüber  ist  es,  wie  schon  hervorgehoben  wurde,  ein 
nicht  zu  unterschätzendes  Verdienst  B.  W.  Leists,  die  Diskussion  auf 
„historisch- cohaerenten"  Boden,  d.  h.  eben  auf  idg.  Gebiet  beschränkt 
zu  haben,  wie  er  denn  auch  mit  uns  die  Herrschaft  des  sog.  Mntter- 
rechts  in  indogermanischer  Vorzeit  leugnet.  Bemerkt  muss  übrigens 
werden,  dass  die  ethnologische  Forschung  (vgl.  namentlich  Grosse 
Die  Formen  der  Familie  und  d.  F.  der  Wirtschaft  Freiburg  i.  B. 
und  Leipzig  1896  S.  9  ff.)  in  neuster  Zeit  zu  wesentlich  anderen  Vor- 
stellungen über  Ursache  und  Geschichte  des  Mutterrccbts  wie  früher 
gekommen  ist. 

Grosse  Vorteile  auf  anderen  Gebieten  erhofft  H.Hirt  aus 
eiuer  engen  Verbindung  von  Indogermanischer  Altertumskunde  und 
Vergleichender  Ethnologie.  „Bei  unserer  Aufgabe",  sagt  er  in  der 
41.  Sonntagsbeilage  der  Vossischen  Zeitung  1890.  „können  wir  die 
Ethnologie  oder  Völkerkunde  nicht  mehr  entbehren.  Sic  hat  die  mo- 
dernen primitiven  Völker  untersucht  und  bei  ihnen  Zustände  gefunden, 
die  man  als  allgemeine  Entwicklungsstufen  der  Menschheit 
ansehn  darf.  Das  Ziel  der  Völkerkunde  geht  dahin,  die  noch  jetzt 
vorhandenen  Kulturstufen  der  Menschheit  in  ein  Entwicklungsystem  zu 
bringen,  dadurch  die  Geschichte  der  Menschheit  zu  ergründen  .... 
Soviel  stellt  fest,  dass  uns  die  Völkerkunde  oft  genug  ein  Verständnis 
der  Zustände  im  eignen  Hause  ermöglicht  hat.  Für  die  Erschliessung 
der  Urzeit  ist  sie  geradezu  unentbehrlich."  Und  in  den 
Jahrbüchern  für  Nationalökonomie  und  Statistik  III.  Folge,  XV,  463 
heisst  es:  „Die  Anschauungen  über  die  wirtschaftlichen  Zustände 
der  Indogcrmancn  haben  sehr  geschwankt.  Die  ältere  Wissenschaft  sah  in 
ihnen  ein  ideales  Naturvolk,  das  den  Ackerbau  und  die  Viehzucht  kannte. 
V.  Hehn  bat  dieser  Ansicht  den  Todesstoss  versetzt.  Er,  der  russische  Zu- 
stände lange  vor  Augen  gehabt  hatte,  suchte  das  kulturelle  Niveau  der 

Indogermanen  herabzudrücken   In  der  neueren  Zeit  ist  aber 

die  Ethnologie  auf  den  Kampfplatz  der  Geister  getreten,  und  ihre 
Forschungen  mussten  auch  die  Ansichten  über  unsere  Vorzeit  ändern." 
Auch  wir  sind  der  Meinung,  dass  die  Vergleichende  Ethnologie  über 
manche  Institution,  vorausgesetzt,  dass  dieselbe  durch  die  im 
obigen  geschilderten,  auf  idg.  Boden  sich  darbietenden 
Mittel  als  indogermanisch  erkannt  worden  ist,  helleres  Licht  ver- 
breiten kann,  sind  aber  andererseits  der  Meinung,  dass  II.  Hirt  iu  der 
Hcrcintragung  wirklicher  oder  vermeintlicher,  von  modernen  Natur- 
völkern abstrahierter  Entwicklungsschemata  in  die  Kulturgeschichte  der 

Schräder.  RealWikoii.  TU 


Digitized  by  Google 


XXXIV 


Vorrede. 


Iudogernianen  öfters  zu  weit  geht1)  (näheres  s.  u.  Acker  hau  und  be 
sonders  u.  Viehzucht).  Die  Hauptsache  wird  immer  die  Erschliessung 
des  indogermanischen  Altertums  mit  indogermanischen  Mittein  sein. 


Was  auf  diesem,  wie  wir  gesehn  haben,  an  Ergebnissen  und 
Streitfragen  reichen  Arbeitsgebiet  bis  jetzt  geleistet  worden  ist,  soll  das 
vorliegende  Reallcxikon  der  indogermanischen  Altertums- 
kunde zusammenfassen  und  weiter  ausbauen. 

Der  feste  Boden  für  die  Anlage  eines  Reallexikons  ist,  wenn  es 
sich  um  die  Altertumskunde  eines  einzelnen  Volkes  handelt,  in  den 
historisch  bezeugten  Altertümern  eben  dieses  Volkes  gegeben.  Nicht 
so  einfach  lagen  die  Dinge  bei  dem  gegenwärtigen  Werk.  Denn  es 
ging  natürlich  nicht  an,  bloss  solche  Gegenstände  und  Hegriffe  dem 
Wörterbuche  einzuverleiben,  für  welche  die  Herkunft  aus  der  idg.  Ur- 
zeit dem  Verfasser  feststand  oder  festzustehen  schien.  Hätte  doch 
alsdann  häufig  dasjenige  als  schon  bekannt  oder  erwiesen  vorausgesetzt 
werden  müssen,  was  erst  ermittelt  und  erwiesen  werden  sollte.  Gleich- 
wohl war  auch  hier  für  die  Auswahl  der  zu  behandelnden  Kultur- 
erscheinungen nach  einem  schon  gegebenen  Ausgangspunkt  zu 


1)  Ein  Beispiel  dafür,  wie  dieser  Gelehrte  auf  dem  genannten  Wege 
zuweilen  in  Widerspruch  mit  seinen  eigenen,  aus  rein  idg.  Verhältnissen  ab- 
geleiteten Thesen  gerät,  ist  das  folgende.  Die  Vergleichende  Ethnologie 
lehrt  nach  Grosse  a.  a.  O.  S.  36,  dass  mit  dem  Ackerbau,  den  Hirt  im  Gegen- 
sat/, zu  Hehn  als  die  ältest  erreichbare  Wirtschaftsform  der  Iudogermanen 
erweisen  möchte  (vgl.  I.  F.  V.  395  IT.),  der  wirtschaftliche  Schwerpunkt  von 
der  männlichen  auf  die  weibliche  Seite  verlegt  werde.  Thatsächlich  giebt 
es  altidg.  Völker,  z.  B.  die  Germanen,  bei  denen  der  Frau  oin  Anteil  an 
diesem  Erwerbszweig  zugeschrieben  wird  (vgl.  Tac.  Germ.  Cap.  15).  „In- 
folgedessen", lehrt  nach  Hirt  die  Ethnologie  weiter,  „finden  wir  bei  allen 
primitiven  Gesellschaften,  die  sich  vorwiegend  auf  den  Ackerbau  stützen, 
eine  matriarchalische  Familienform  oder  doch  die  Spuren  einer  solchen." 
Auch  das  scheint  für  die  Germanen  zuzutreffen,  da  Hirt  die  schon  oben  ge- 
nannte Stelle  aus  Tacitus  Germania:  sororum  filiis  etc.  trotz  Delbrück  nur 
als  „Spur  einstigen  Mutterrechts"  auffassen  zu  dürfen  glaubt  (a.  a.  O.  S.  400). 
Demgegenüber  spricht  nun  Hirt  an  einem  anderen  Orte  (Hettners  Geogr.  Z. 
IV,  383)  ganz  in  Einverständnis  mit  uns  die  Ansicht  aus,  dass  die  Iudoger- 
manen „zweifellos"  Mutterrecht  und  Mutterfolge  nicht  gekannt  hätten, 
sondern  vielmehr  die  Vaterfolge  bei  ihnen  geherrscht  habe.  Demnach  müssten 
also  die  Germanen  erst  nach  der  Völkertrennung  mutterrechtliche  Gewohn- 
heiten angenommen,  und  da  Mutterrecht  und  Ackerbau  nach  Hirt  auf  das 
engste  ursächlich  zusammenhängen,  auch  erst  nach  der  Völkertrennung  zum 
Ackerbau  übergegangen  sein.  So  scheint  mir  also  auf  diesem  Wege,  gerade 
das  Gegenteil  von  dem  bewiesen  zu  werden,  wns  bewiesen  werden  soll, 
nämlich  dass  der  Ackerbau  lirindogermanisch  sei. 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XXXV 


saclien.  Dieser  Hess  sich  in  der  Gesamtheit  der  auf  alteuropä- 
isehem  Hoden  historisch  bezeugten  Kulturzuständ e  unschwer 
finden.  Auf  diesem  liegt,  wenu  nicht  die  Wurzeln,  so  doch  der 
Schwerpunkt  der  idg.  Völker,  und  schon  von  vorhistorischer  Zeit  an 
tritt  uns  die  Gesittung  der  europäischen  Indogermanen  als  eine  im 
Laufe  der  Zeit  sich  immer  einheitlicher  gestaltende  Kulturgemcinschaft 
entgegen,  an  der  die  Inder  und  Irauier,  unter  dem  Druck  der  sie  um- 
gebenden Kulturen  des  Orients  in  ihrer  idg.  Eigenart  frühzeitig  unter- 
gegangen, keinen  Teil  mehr  haben.  Auf  diesen  festen  Boden  der 
historisch  bezeugten  Kultur  Alteuropas  stellt  Bich  also 
das  vorliegende  Werk,  löst  dieselbe  unter  geeigneten  Schlagwörtern 
in  ihre  Grundbegriffe  auf  und  sucht  bei  jedem  derselben  zu  ermitteln, 
ob  und  in  wie  weit  die  betreffenden  Kulturerscheinungen  indogermanisch 
oder  unindogermanisch  sind,  ob  uud  in  wie  weit  sie  ein  gemeinsames 
Erbe  der  idg.  Vorzeit  oder  einen  Neuerwerb  der  einzelnen  Völker, 
einen  selbständigen  oder  von  aussen  entlehnten  u.  s.  w.,  darstellen.  Es 
soll  somit  die  Gesamtheit  des  alteuropäischen  Kulturguts  auf  seine  idg. 
Provenienz  hin  geprüft  werden.  Neben  der  Geschichte  des  Kindes 
und  des  Hundes,  die,  wie  gezeigt  wird,  in  die  Urzeit  zurückfuhrt, 
wird  z.  B.  auch  die  des  Esels  und  Maultiers  gegeben,  bei  der 
solches  nicht  der  Fall  ist.  Neben  Wolle  und  Flachs  werden  auch 
Baumwolle  und  Seide,  neben  Gerste  und  Hirse  auch  Roggen 
und  Reis,  neben  Axt  und  Spiess  auch  Helm  und  Panzer  u.  s.  w. 
behandelt.  Indische  und  iranische  Sprache  und  Kultur  werden  zur 
Erklärung  der  europäischen  Zustände  überall  herangezogen.  Speziell 
arische  Kulturbegriffc  aber,  wie  etwa  unter  den  Pflanzen  der  Sorna 
oder  nnter  den  Getränken  die  Surft,  sind,  dem  Plane  des  Buches  ent- 
sprechend, nicht  als  selbständige  Artikel  in  das  Wörterbuch  aufge- 
nommen worden.  Das  Ganze  ist  ein  Versuch,  einerseits  von  europä- 
ischer Seite  in  das  idg.  Altertum  vorzudringen,  und  andererseits  von 
diesem  letzteren  aus  Licht  über  die  älteste  Kulturentwickluug  unseres 
Erdteils  zu  verbreiten.  So  versteht  und  rechtfertigt  sich  der  Unter- 
titel des  vorliegenden  Werkes:  Grundzüge  einer  Kultur-  und 
Völkergeschichtc  Alteuropa 8. 

Es  entspricht  dem  Grundgedanken  eines  Real lexi kons,  eine  mög- 
lichste Zergliederung  der  kulturhistorischen  Begriffe 
vorzunehmen,  die  dann  wieder  unter  höhere  Einheiten  znsammengefasst 
wird.  So  werden  z.  B.  die  einzelnen  Getreidearten  und  Ackerbau- 
pflanzen in  besonderen  Artikeln  behandelt,  die  ihrerseits  wieder  in 
einen  Gesamtartikcl  Ackerbau  zusammenlaufen.  Ebenso  verhält  sich 
die  gesonderte  Behandlung  der  einzelnen  Waffen  zu  dem  Gesamtartikel 
Waffen,  der  einzelnen  Werkzeuge  zu  dem  Gesamtartikel  Werk- 
zeuge, der  einzelnen  Verwandtschaftsverhältnisse  zu  dem  Artikel 
Familie,  die  gesonderte  Behandlung  der  einzelnen  Verbrechen  wie 


Digitized  by  Google 


XXXVI 


Vorrede. 


Diebstahl,  Ehebruch,  Körperverletzung,  Mord,  Notzucht, 
Raub  zu  dem  Gesanitartikcl  Ve  r  b  r  c  c  h  c  n  u.  s.  w. 

Doch  ist  dieses  Prinzip  der  Zergliederung  nicht  auf  die  Spitze 
getrieben  worden.  Vielmehr  ist  in  einer  Anzahl  von  Fällen  aus  prak- 
tischen Gründen,  nämlich  dann,  wenu  die  einzelne  Erscheinung:  erst 
im  Zusammenhang  mit  anderen  ein  grösseres  Interesse  erwecken  zu 
können  schien,  eine  ganze  Reihe  von  Gegenständen  unter  einem 
Gattungsnamen  oder  in  einem  Gesamtartikel  behandelt  worden.  So 
finden  sich  z.  B.  die  einzelneu  Edelsteine  u.  Edelsteine,  die  einzelnen 
Singvögel  u.  Singvögel,  die  einzelnen  Gartenbanpflanzcn  u.  Garten- 
bau, die  einzelnen  Wochentage  n.  Woche  u.  s.  w.  besprochen.  Auf 
diesem  Wege  ist  das  Buch  zwar  an  Verweisungen,  aber  auch  an 
lesbaren  Artikeln  reicher  und  an  sonst  unvermeidbaren  Wiederholungen 
ärmer  geworden. 

In  den  allgemeineren  Artikeln  des  Werkes  wird  natürlich  die 
Rekonstruktion  eines  einheitlichen  Zustands  auf  dem  betreffenden 
Gebiete  der  vorhistorischen  Kulturcntwicklung  angestrebt,  und  — 
wenigstens  in  der  Theorie  —  wird  die  Zusammensetzung  der  in  solchen 
allgemeineren  Artikeln  erzielten  Ergebnisse  ein  einheitliches  Bild  der 
indogermanischen  Urzeit  ergeben.  Doch  soll  bemerkt  werden,  dass 
die  Rekonstruktion  vorgeschichtlicher  Zustände,  die  bei  dem  dehn- 
baren Charakter  von  Ausdrücken  wie  Urvolk.  Urzeit,  Ursprache  immer 
etwas  fiktives  behalten  wird,  in  dem  vorliegenden  Werk  weniger  Selbst- 
zweck als  Hilfsmittel  zur  Erklärung  der  geschichtlichen  Ver- 
hältnisse sein  soll,  von  denen  es  ausgeht.  Wie  auf  dem  Gebiete  der 
Grammatik  die  Erschliessung  der  idg.  Ursprache  nicht  dazu  dienen 
soll,  idg.  Fabeln  oder  Zaubersprüche  in  ihrer  uridg.  Sprachform  zu 
ermitteln,  sondern  das  Verständnis  der  geschichtlich  überlieferten  Sprach- 
formen zu  ermöglichen,  so  erhält  auch  die  Indogermanische  Altertums- 
kunde ihren  eigentlichen  Wert  nicht  dadurch,  dass  sie  die  Gesittung 
eines  im  Inneren  Asiens  oder  Europas  gedachten  Urvolks  erschlichst, 
sondern  dadurch,  dass  sie  die  Basis  bildet,  auf  der  das  Verständnis 
der  historischen  Kulturen  der  idg.  Einzelvölker  möglich  wird. 

Im  allgemeinen  begnügt  sich  das  Werk  damit,  das  erste  Auf- 
treten einer  Kulturerschcinung  festzustellen  und  ihre  weitere  Ge- 
schichte den  Altertumskunden  der  idg.  Einzelvölker  zu  überlassen,  für 
die  das  Rcallexikon  eine  Einleitung  und  Ergänzung  sein  möchte. 
Diesen  Einzclwissenschaften  fallt  also  eine  doppelte  Aufgabe  zu.  indem 
sie  der  Idg.  Altertumskunde  einmal  einen  wichtigen  Teil  des  Stoffes 
(s.  o.)  zur  Zusammenstellung  des  Bildes  der  idg.  Urzeit  zuzuführen, 
das  andre  Mal  auf  der  so  geschaffenen  Grundlage  die  kulturgeschichtliche 
Weiterentwicklung  der  einzelnen  idg.  Völker  darzustellen  haben.  Sehr 
viel  bleibt  hier  freilich  noch  zu  thun  übrig,  und  mir  wenigstens  ist  bisher 
nur  eine  solche  vom  Geist  der  Idg.  Altertumskunde  wahrhaft  durch- 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XXXVII 


wehte  Darstellung  der  Sonderentwicklung  eines  idg.  Volkes  bekannt 
geworden.  Es  sind  Iwan  v.  Müllers  in  2.  Auflage  vorliegende  Grie- 
ebisebe  Privataltertünier. 

Der  Charakter  der  in  einem  Rcallexikon  der  Idg.  Altertumskunde 
zu  behandelnden  Fragen  bringt  es  mit  sieh,  dass  in  dasselbe  ausser  den 
eigentlichen  Kulturgegenständen  und  -begriffen  auch  solche  Erschei- 
nungen aufgenommen  werden  mussten,  welche,  ohne  selbst  Kultur- 
erscheinungen  zu  sein,  doch  für  die  Kulturentwicklnng,  die  ursprüng- 
liche Verbreitung,  die  Wanderungen  der  idg.  Volker  unseres  Erdteils 
u.  s.  w.  irgendwie  von  Bedeutung  sind  oder  zu  sein  scheinen.  Dies 
gilt  besonders  von  den  Tieren  und  Pflanzen,  also  auch  den  wilden, 
bezüglich  nicht  domestizierten  oder  nicht  kultivierten,  die  in  ihren 
hervorstechenderen  Erscheinungen  vollständig  behandelt  worden  sind. 
Aber  auch  für  die  Frage  der  Urheimat  wichtige  Begriffe  wie  Meer, 
Schnee  und  Eis  u.  a.  oder  für  die  Zeitteilung  und  die  Religions- 
anschauungeu  wesentliche  Erscheinungen  wie  Sonne  und  Mond, 
Wind  und  Sterne  haben  Aufnahme  gefunden.  Endlich  ist  unter 
geeigneten  Schlagwörtern  auch  über  die  auf  die  idg.  Völker  bezüg- 
lichen anthropologischen  Untersuchungen  (s.  u.  Körperbcschaf fen- 
heit  der  Iudogermanen)  und  über  die  Frage  der  Urheimat  seihst 
berichtet  worden,  über  die  man  sich  nach  allem,  was  iu  den  letzten 
Jahren  darüber  gesagt  worden  ist,  gegenwärtig  wohl  mit  einiger  Zu- 
versicht äussern  darf. 

Für  die  Auswahl  der  in  diesem  Reallexikon  behandelten 
kulturhistorischen  Begriffe  selbst  lässt  sich  eine  auf  alle  ein- 
zelnen Fälle  passende  Regel  nicht  aufstellen.  Im  Grossen  und  Ganzen 
kann  man  sagen,  dass  als  selbständige  Artikel  solche  Kulturcrschcinungen 
aufgenommen  worden  sind,  welche  für  das  historische  Altcnropa,  dieses 
etwa  bis  zu  seiner  Christianisierung  gerechnet,  eine  Uber  das  einzelne 
Volk  hinausgehende,  allgemeinere  Bedeutung  erlangt  haben.  An  manche 
Kategorien,  z.  B.  an  die  auch  kulturhistorisch  hoch  bedeutsame  sprach- 
liche Ausbildung  der  ethischen  Begriffe  habe  ich  mich  nach  Mass- 
gabe der  vorhandenen  Vorarbeiten  noch  nicht  oder  nur  ausnahmsweis 
(s.  z.  B.  u.  K  e  u  s  c  h  h  c  i  t)  herangewagt '). 


1)  Bemerkenswert  ist,  dass  die  Bedeutung  der  Sprachwissenschaft  für 
derartige  Untersuchungen  auch  Fr.  Nietzsches  scharfes  Auge  erkannte. 
In  einer  Anmerkung  zur  ersten  Abhandlung  der  Genealogie  der  Moral 
(Leipzig  1895  S.  338 )  sagt  er:  „Ich  nehme  die  Gelegenheit  wahr,  welche 
diese  Abhandlung  mir  giebt,  um  einen  Wunsch  öffentlich  und  förmlich  aus- 
zudrücken, der  von  mir  bisher  nur  in  gelegentlichem  Gespräche  mit  Gelehrten 
geäussert  worden  ist:  das»  nämlich  irgend  eine  philosophische  Fakultät  sich 
durch  eine  Reihe  akademischer  Preisausschrei  billigen  um  die  Förderung 
moralhistorischer  Studieu  verdient  machen  möge;  —  vielleicht  dient 
dieses  Buch  dazu,  einen  kräftigen  Anstoss  gerade  in  solcher  Richtung  zu 
geben.    In  Hinsicht  auf  eine  Möglichkeit  dieser  Art  sei  die  nachstehende 


Digitized  by  Google 


xxxvm 


Vorrede. 


Über  die  Methode,  die  diesen  Untersuchungen  zu  Grunde  liegt, 
brauche  ich  nach  den  obigen  Ausführungen  nichts  mehr  zu  sagen.  Sic 
liegt  in  der  Vereinigung  von  Sprach-  und  Sachvergleichnng,  und  es 
ist  eine  mtlssige  Frage,  ob  dieser  oder  jener  der  Ilauptantcil  zufallt. 
Die  Sachlage  ist  eben  ganz  einfach  die,  dass  auf  den  einen  Gebieten 
mehr  sprachliehe,  auf  den  anderen  mehr  sachliche  Kriterien  nutz- 
bringend und  entscheidend  sein  werden.  Nach  jeder  von  beiden  Seiten 
dürfte  aber  noch  eine  Bemerkung  am  Platze  sein. 

In  sprachwissenschaftlicher  Hinsicht  soll  hier  zum  ersten 
Mal  der  kulturhistorische  Wortschatz  der  altidg.  Sprachen  als 
Ganzes  sachlich  und  übersichtlich  geordnet  und  sprachlich  erklärt 
werden.  Dabei  wird  sieh  zeigen,  dass  die  Summe  unseres  Wissens 
trotz  der  mehr  als  60jährigen  Arbeit,  die  seit  Potts  Etymologischen 
Forschungen  geleistet  worden  ist,  noch  immer  eine  verhältnismässig 
nicht  allzu  grosse  ist.  Indessen  dürfte  die  Hoffnung  nicht  unbegründet 
sein,  dass  gerade  der  hier  eingeschlagene  Weg,  die  Terminologie  der 
einzelnen  Kulturerscheinungen  als  Ganzes  und  unter  sachlichen  Gesichts- 
punkten zu  betrachten,  zur  Aufhellung  manches  bisher  dunklen  Bc- 
standteils  derselben  führen  wird;  denn  je  besser  wir  die  Dinge  und 
Begriffe,  um  die  es  sich  handelt,  verstehen  lernen,  umso  besser  werden 
wir  auch  die  Wörter  versteht],  die  sie  bezeichnen.  Es  sind  daher 
vielfach  auch  noch  gänzlich  unerklärte  Benennungen  der  einzelnen 
Kulturcrscheinungen  als  Material  für  die  zukünftige  Forschung  ge- 
geben worden.  Dass  dabei  eine  Vollständigkeit  nicht  erreicht  werden 
konnte,  wird  derjenige  zu  entschuldigen  wissen,  der  sich  vergegen- 
wärtigt, wie  mühevoll  die  Zusammenbringung  einer  solcheu  kultur- 
historischen Synonymik  der  idg.  Sprachen  ist,  für  die  es  fast  völlig  an 
zusammenfassenden  Vorarbeiten  fehlt. 

Grössere  Schwierigkeiten  aber  noch  als  die  sprachwissenschaftliche 
Seite  des  Buches  hat  mir  auf  dem  Gebiete  der  Sachvergleichung  die 
Ausbeutung  der  archäologisch-prähistorischen  Forschung  ge- 
macht. Zwar  darf  ich  sagen,  dass  ich  mich  redlich  bemüht  habe, 
meine  Anschanngen  und  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiete  durch  Reisen 
und  Lektüre,  soweit  es  Mittel  und  Zeit  gestatteten,  zu  vertiefen 
und  auszudehnen.  Allein  ich  verkenne  doch  nicht,  dass  die  selb- 
ständige Verwertung  der  Funde,  namentlich  in  knnstgeschichtlicher 
Beziehung,  einen  Grad  von  Begabung  und  Schulung  fordert,  Uber  den 
ich  leider  nicht  verfüge.  Indessen  kam  es  für  mich  glücklicher  Weise 
auf  diese  mehr  kuustgcschichtliche  Seite  der  Prähistorie  weniger  an. 

Frage  in  Vorschlag  gebracht;  sie  verdient  ebenso  die  Aufmerksamkeit  der 
Philologen  und  Historiker  als  die  der  eigentlichen  Philosophie-Gelehrten  von 
Beruf:  „Welche  Fingerzeige  giebt  die  Sprachwissenschaft,  ins- 
besondere die  etymologische  Forschung,  für  die  Entwicklungs- 
geschichte der  moralischen  Begriffe  ab". 


Digitized  by  Google 


Vorrede. 


XXXIX 


Die  im  Mittelpunkt  meiner  Betrachtung  stellende  Frage  war  vielmehr 
die:  In  welcher  der  von  den  Prähistorikern  unterschiedenen  Epochen 
tritt  dieser  oder  jener  Kulturbegriff  zuerst  in  unserem  Erdteil  auf? 
Diese  Frage  habe  ich  bei  der  Durchmusterung  unserer  Museen  und 
Sammlungen  vornehmlich  im  Auge  gehabt  und  ihre  Beantwortung 
unter  der  sachkundigen  und  liebenswürdigen  Leitung  von  Männern  wie 
M.  Much  in  Wien,  S.  Müller  in  Kopenhagen,  A.  Goetze  in  Berlin, 
Herrn  Hcierli  in  Zürich  vielfach  gefundeu. 

Es  ist  ein  grosses  und  weitverzweigtes  Arbeitsgebiet  mit  einer 
kaum  Ubersebbaren  Fülle  sprachlicher  und  sachlicher  Li ttcratur,  auf 
dem  sich  die  vorliegenden  Untersuchungen  bewegen,  und  ich  bin  in  unserer 
spezialisierenden  Zeit  auf  den  Einwand  gefasst,  dass  der  Plan  des  Buches 
die  Vereinigung  mehrerer  Arbeiter  empfohlen  hätte.  Thatsächlich  habe 
ich  diesen  Gedanken  längere  Zeit  erwogen,  ihn  aber  aufgegeben,  je 
mehr  ich  sab,  wie  derartige  gegenwärtig  auf  der  Tagesordnung  stehende 
genossenschaftliche  Unternehmungen,  bei  hervorragendem  Wert  im 
einzelnen,  doch  allzu  oft  an  den  stärksten  Widersprüchen  in  den 
grundlegenden  Anschauungen  leiden  und  leiden  müssen.  Ich  habe  daher 
selbst  auf  die  Gefahr  häufigerer  Irrtümer  im  einzelnen  hin  an  dem  Vor- 
teil einheitlicher  Durchführung  des  Werkes  festgehalten.  Dass  ich  mir 
dabei  bewusst  bin,  zuweilen  noch  kaum  mehr  als  Rubriken  geboten 
zu  haben,  die  erst  von  der  zukünftigen  Forschung  auszufüllen  sein 
werden,  brauche  ich  nicht  zu  versichern.  Die  auf  unserem  Forschungs- 
gebiete bisher  geleistete  Arbeit  kann  man  mit  einem  grossen  Neubau 
vergleichen,  dessen  Fundamente  gelegt  sind,  dessen  Plan  entworfen  ist. 
An  zahlreichen  Stellen  ist  das  Werk  rüstig  emporgediehen.  Oft  aber 
stockt  die  Arbeit;  denn  der  Bau  gehört  nicht  zu  den  offiziellen  Bauten. 
So  ist  es  vielfach  noch  Stückwerk,  das  hier  geboten  wird. 

Auf  der  anderen  Seite  sind  es  aber  nun  bald  25  Jahre,  dass  ich 
mich,  durch  V.  Hehns  Kulturpflanzen  dazu  angeregt,  zuerst  den  hier 
behandelten  Fragen  zugewandt  habe  (Sprachwissenschaft  und  Kultur- 
geschichte Im  neuen  Reich  1877  S.  361  ff.).  Seitdem  habe  ich  durch 
eigene  Arbeiten  und  durch  die  Neuherausgabe  der  linguistisch-histo- 
rischen Schriften  V.  Hehns  in  fortdauernder  Fühlung  mit  den  Pro- 
blemen der  Idg.  Altertumskunde  gestanden.  Als  daher  von  dein  um  die 
idg.  Sprachwissenschaft  so  hoch  verdienten  Herrn  Verleger  der  Wunsch 
nach  einem  zusammenfassenden  Werk  über  die  Idg.  Altertumskunde 
ausgesprochen  wurde,  glaubte  ich  das  Recht  und  die  Pflicht  zu  haben, 
mich  dieser  Aufgabe  zu  unterziehn  und  lege  ihre  Erfüllung  in  diesem 
seit  lange  von  mir  geplanten  Reallexikon  der  Indogermanischen  Alter- 
tumskunde der  Öffentlichkeit  hiermit  vor. 

Zu  wärmstem  Dank  bin  ich  Herrn  Prof.  F.  Kluge  in  Freiburg  i.  B. 
verpflichtet,  der  das  Unternehmen  von  Anfang  bis  zu  Ende  durch  Rat 
und  That  uuterstützt  hat.   Wie  dieser,  hat  auch  Herr  Prof.  Ca ppcll er 


Digitized  by  Google 


XL 


Vorrede. 


in  Jena  die  grosse  Güte  gehabt,  eine  Korrektur  des  Werkes  zu  lesen 
und  mich  durch  eine  Reihe  von  Winken,  namentlich  auf  indischem 
und  litauischem  Gebiet,  zu  fördern.  Herr  Kollege  Dr.  II i Igen f cid  in 
Jena  hat  freundlichst  die  einheitliche  Umschreibung  des  semitischen 
Wortschatzes  im  Auge  gehabt. 

Der  Druck  des  Buches  hat  nahezu  zwei  Jahre  in  Anspruch  ge- 
nommen, so  dass  eine  Reihe  von  Nachträgen  notwendig  oder 
wünschenswert  geworden  ist,  die  ich  nicht  zu  übersehen  bitte. 

Jemi,  den  18.  Januar  1901. 

O.  Schräder. 


Digitized  by  Google 


A. 

Aal  iAngn'dla  fluriatilis).  Lat.  anguilla,  lit.  ungurßa  (*angurias} 
woran«  tinn.  ankerias),  altpr.  angurgix,  russ.  ugorl  sind  zweifellos  erst 
in  den  Einzelspraehen  entstandene  Diminutivbildungen  aus  einem  idg. 
Xamen  der  Schlange  (lat.  angin*,  lit.  angin,  slav.  *ongjü,  *on*l  —  poln. 
icoz,  russ.  uzü),  so  dass  demnach  der  Aal  so  viel  wie  , kleine  .Schlange' 
ist.  Ebenso  ist  ir.  exc-ung  eigentl.  ,Snmpf sehlange'  y-ung  =  lat.  an- 
gute),  dann  ,Aal',  und  wenn  (bei  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz 
S.  319)  ans  kymr.  y-slyicen,  nlowen  ,Aal'  und  bret.  stlaonenn  ,petite 
anguille'  mit  Recht  ein  urkeltisches  *s1angio-  ,Aal*  erschlossen  wird,  so 
dürfte  dies  schwer  von  ahd.  slango,  altn.  slange  ,Schlange'  getrennt 
werden  können.  Unter  diesen  Umständen  ist  es  wahrscheinlich,  dass 
auch  griech.  erxeXuq  nnr  eine  Verkleinerungsform  von  griech. 
.Schlange'  ist,  neben  dem  ein  nasalischer  Stamm  *£yxi-  (s.  näheres  n. 
Schlange)  bestanden  haben  wird.  Bemerkenswert  ist  auch,  dass 
bei  Homer  die  Aale  noch  nicht  zu  den  Fischen  gerechnet  werden,  wie 
der  Ausdruck  dtx^ueq  xe  Kai  ixöÜ€?  (II.  XXI,  203)  zeigt.  Ein  anderer 
griechischer  Ausdruck  ist  uußnpis'  Iyx6^?-  MnOuiuvcrioi  (Hcsych),  mit. 
dem  einige  in  weniger  wahrscheinlicher  Weise  die  litn-slavischen  Wörter 
verbinden  möchten.  —  Das  gemeingerraanischc  ahd.  dl  (*77o-;  ob  zu  ahd. 
aJant  ,eine  Fischart'  ?),  sowie  korn..^/?/,  arem.*///  (ZeussGr.Celt.2  S.  1074) 
sind  dunkel.  —  Von  Wichtigkeit  ist  die  nach  dem  obigen  zu  verneinende 
Frage,  ob  der  Aal  schon  in  der  Urzeit  bekannt  war,  für  die  Bestim- 
mung der  Urheimat  der  Indogernianen  (s.  d.)  deswegen,  weil  der 
Fisch  in  den  Stromgebieten  des  Kaspischen  und  Schwarzen  Meeres 
nach  Brehms  Tierlcben3,  Fische  S.  390  nicht  vorkommt.  S.  auch  u. 
Fisch,  Fischfang. 

Abend.  In  der  Benennung  des  Abends  gehen  die  idg.  Sprachen 
in  Gruppen  auseinander.  Es  decken  sich  sert.  döshä'  , Abend.  Dunkel' 
und  aw.  daom-,  griech.  ra  etfirepa,  n.  Icnre'pa  und  lat.  resper,  altsl. 
recerä  und  lit.  icäkaras.  Die  beiden  letztgenannten  Gleichungen 
scheinen  unter  einander  und  mit  dem  ir.  fescor,  kymr.  nvher,  sowie 
mit  armen,  gixer  (,Xacht')  zusammenzuhängen,  ohne  dass  dieses  Ver- 
hältnis bis  jetzt  lautlich  aufgeklärt  wäre.  —  Die  beiden  gemein- 
germanischen Gruppen  ahd.  dband,  agls.  '/'fen,  altn.  aptann  (got. 
xagqs,  eigentl.  ,Sinken  der  Sonne  )  und  altn.  kreld  .Abend',  ahd. 

Schräder.  Renlle*1kon  1 


Digitized  by  Google 


2 


Abend  —  Abgaben. 


chwilti-icerch  , Abendarbeit',  agls.  cwyldseten  , Abend'  sind  dunkel. 
Ebenso  altpr.  bitai  ,Abend',  bitas-idin  .Abendessen,  Abendmahl'. 

Eine  umschreibende  Bezeichnung  ist  hom.  ßouXurö?,  ßouXurövbe 
,die  Zeit  zum  Stierausspannen'  wie  sert.  sam-gavd-  ,die  Zeit,  wann 
die  Kühe  zusammengetrieben  werden',  , Vormittag'  oder  ir.  imbüarach 
,beim  Anbinden  der  Kühe',  ,morgends'  (Zimmer  K.  Z.  XXX,  17). 
Eigentlich  die  Abendmahlzeit  meint  die  Gleichung  alb.  darke  »Abend- 
essen', , Abend'  =  griech.  böpnov  »Abendmahlzeit'  (G.  Meyer  Et.  W. 
d.  alb.  Spr.  S.  61).  Neben  darkf  liegt  alb.  dreke  »Mittagessen',  ,Mittag- 
zeit'.  Es  gleicht  dies  dem  Verhältnis  von  sert.  pitü-,  aw.  pitu-  ,Nah- 
ruug'  einerseits  zu  lit.  pittüs  ,Mittag',  andererseits  zu  sert.  d-pitvd-  und 
abhi-pitvd-  , Abend'.  —  Der  späte  zum  Abend  neigende  Nachmittag 
heisst  im  Griechischen  beiXn.,  bdeAov  n.uctp  (Homer:  r}w<;,  ueaov  rjuap, 
betXn.).  Vgl.  Od.  VII,  289,  wo  Aristarch  beiXero  t'  ne'Xios  statt  bOaeio 
las.  Ein  idg.  Ausdruck  für  das  Dunkel  des  Abends  ist  sert.  rdjas-, 
armen,  erek  (, Abend"),  griech.  £peßo<;.  got.  riqis.  S.  u.  Zeitteilung. 
Über  Abend  —  Westen  s.  u.  Himmelsgegenden. 
Aberglaube,  s.  Zauber  und  Aberglaube. 
Abgaben.  Die  älteste  Form  der  Steuern  oder  öffentlichen  Ab- 
gaben besteht  in  der  freiwilligen  Darbringung  von  Naturalerzeug- 
nissen  an  den  Häuptling  oder  König  des  Stammes.  Diesen  Zustand 
schildert  Tacitus  in  der  Germania  (Cap.  15)  mit  vollkommener  Deut- 
lichkeit: Mos  est  ciritatibus  ultra  ac  viritim  conferre  prineipibus  vel 
armentorum  vel  frugtim  quod  pro  honore  aeeeptum  etiam  necessitatibus 
mbcenit  (vgl.  weiteres  bei  J.  Grimm  R.  A.  S.  245  ff.).  Auch  bei  Homer 
bestehen  die  Einkünfte  der  Könige  noch  aus  freiwilligen  Gaben  (bujTivaij 
des  Volkes,  wozu  sich  aber  hier  bereits  die  Qi^xiareq,  ,gesetztc' 
(:Tien.ui)  Abgaben  gesellen.    Vgl.  II.  IX,  154: 

€v  b'<5vbp€£  vaiouai  TroXüppnves,  noXußoÖTai, 
oT  K€  i  bwTivrjai  8€Öv  ii>q  Tiunffouat 
Kai  oi  uttö  Cicr|iTTpuj  Xrrrapäq  teXeouat  6e'uiO"Tas. 
Endlieh  bedeutet  wahrscheinlich  auch  im  Rigveda  (nach  H.  Zimmer 
Altindisches  Leben  S.  166)  sert.  ball-  (.wohl:  sert.  bala-  ,stark',  wie 
ahd.  st  iura  ,Steuer' :  ahd.  stiuri  ,stark',  also  etwa  ,Stärkung')  vor- 
wiegend freiwillige  Abgaben  des  Volkes  an  den  König  (anders  W.  Foy 
Die  königliche  Gewalt  S.  HS).  —  Dass  diese  ältesten  Abgaben  ledig 
lieh  aus  Naturalien  bestanden,  darauf  weist  auch  ein  alter  slavi- 
s  eh  er  Ausdruck  für  Steuern,   russ.  obroki ,  deutlich  hin,  ein  Wort, 
das  zu  altsl.  rekq  ,sage'  gehörig,  eigentlich  ,promissio'  bedeutet,  und 
dann,  weil  eben  die  ältesten  Steuern  nichts  als  Naturalabgaben  waren, 
in  zahlreichen  slavisehen  Sprachen  die  Bedeutung  von  ,Kost',  ,Lcbens- 
mittel'  u.  dergl.  angeuoinmen  hat  (vgl.   Ewers   1).  älteste  Recht  d. 
Russen  S.  36  ff.  >.    Von  Oleg  «STD — 012)  wird  dann  berichtet,  dass  er 
die  obroki.  jetzt  als  regelmässige  Abgabe  verstanden,  zuerst  in  Russ- 
land  eingeführt  habe. 


Digitized  by  Google 


Abgaben. 


3 


Wie  Behr  die  idg.  Stämme  von  Haus  aus  an  Freiheit  von  be 
stimmten  Abgaben  gewöhnt  waren,  dafür  spricht  auch  der  Umstand, 
dass  Darias,  als  er  sein  ungeheures  Reich  in  20  Satrapieen  einteilt, 
deren  jeder  er  einen  bestimmten  Tribut  auferlegt,  er  seinen  Persern 
gegenüber  dies  nicht  zu  thun  wagt:  drcX^a  y<*P  Tltpoai  veuoviai  xwpr|v 
<Herod.  III,  97). 

Die  Weiterentwicklung  ist  nun  die,  dass  das,  was  ursprünglich 
freiwillige  Darbietung  war,  nach  Erstarkung  der  königlichen  Ge- 
walt und  bei  Vermehrung  der  staatlichen  Bedürfnisse  von  den  Volks- 
genossen geheischt  (vgl.  ahd.  beta,  mhd.  bete,  eigentl.  , Bitte')  und 
ihnen  auferlegt  ward.    Letzteres,  die  ,Umlage',  bedeutet  eigentlich 
das  lat.  tribütum;  vgl.  Varro  De  lingua  lat.  V,  181:  Tribütum  dictum 
a  tribubus,  qttod  ea  pecunia,  quae  populo  imperata  erat,  tributim 
a  singulis  pro  portione  census  exigebatur  (tribuere,  eigentl.  ,nach 
Tribus  verteilen',  dann  allgemein  ,znerteilen').  —  Dazu  kommt  dann 
der  unterworfenen  Völkern  auferlegte  und  meist  durch  Geiseln 
(s.  d.)  gesicherte  Zins,  wie  ihn  schon  die  Germanen  zur  Zeit  des 
Tacitus  fremden  und  besiegten  Völkern  gegenüber  kannten.  Vgl.  Germ. 
Cap.  43:  Cotinos  Gallica,  Osos  Pannonica  lingua  coarguii  non  esse 
Germane»*,  et  quod  tributa  patiuntur.   partem  tributorum  Sar- 
matae,  partem  Quadi  ut  alienigenis  imponunt.  Altgermanische 
Ausdrücke  hierfür  werden  got.  güd  und  gtistr  von  altn.  gjalda,  altndd. 
g'eldan  (woraus  sehr  früh  altsl.  zledq  ,zahle',  ,bUsse'  entlehnt  wurde), 
,das  was  man  zahlt'  und  altn.  skattr  (got.  skatts;  vgl.  unser  , Schätzung' 
gewesen  sein.    Doch  werden  diese  Wörter,  namentlich  das  erstere  (vgl. 
got.  kaisara-gild  ,Kf\voo$),  sehr  früh  auch  für  Steuern  überhaupt  ge- 
braucht, für  deren  Bezeichnung  noch  agls.  gombe,  alts.  gambra  (Sit- 
gambri,  Gambrivii^)  und  agls.  gafol,  mlat.  gabltun  (=got.  gabaur?) 
in  Betracht  kommen.    Der  griechische  Ausdruck  für  Tribut  ist  qxipoq 
(:<pep€iv).    Er  wird  zuerst  von  Herodot,  und  zwar  im  Gegensatz  zu 
büupa  in  Bezug  auf  feste,  in  Talenten  (Geld)  zu  zahlende  Abgaben 
unterworfener  Völker  (III,  89  ff.),  von  Späteren  dann  ebenfalls  im 
Sinne  von  , Steuer'  verwendet.   Umgekehrt  ist  wohl  altsl.  danl  (=  lat. 
dönum  oder  griech.  bdvos)  zunächst  die  freiwillige  Abgabe,  dann  die 
auferlegte  Schätzung  (vgl.  Ewers  a.  a.  0.).    Entlehnt  aus  lat.  tribütum 
sind  in  früher  Zeit  ahd.  tribuz,  agls.  trifot,  in  späterer  aus  lat.  censux 
:  ahd  zins  (altndd.  Uns)  nebst  ir.  eis  ,Abgabe',  ,Tribut',  ein  Beweis 
dafür,  wie  schwer  der  römische  Steuerdruck  auf  Germanien  und  Gallien 
lastete  (die  historischen  Zeugnisse  hierfür  vgl.  bei  A.  Riese  Das  Rhei- 
nische Germanien). 

Allmählich  mehren  sich  die  Einnahmen  des  Staates ,  bezüglich 
seines  Beherrschers,  durch  Abgaben  anderer  Art,  wie  durcli  Gerichts- 
bussen  (vgl.  Tac.  Germ.  Cap.  12:  Pars  multae  regi  vel  civitati  .  .  .  . 
exolvitur  und  die  altrömischc  Prozessstcuer  in  Gestalt  einer  Viehbusse, 


Digitized  by  Google 


4 


Abgaben  —  Abort. 


nach  Moiumsen  Rom.  Gcscb.  I7,  71)  und,  bei  sich  steigerndem  Handels- 
verkehr, durch  Zölle  (vectigalia),  die  auf  die  eingeführten  Waren 
gelegt  wurden.  Vielleicht  hat  der  germanische  Norden  diese  primitiven 
Völkern  ursprünglich  fremde  Einrichtung  (vgl.  Ewers  a.  a.  0.  S.  188) 
erst  durch  den  Verkehr  mit  Rom  kennen  gelernt,  worauf  die  Entlehnung 
von  ahd.  zol,  zolonäri,  zollantuom,  alts.  toi,  tolna,  agls.  toi,  tolne, 
tolnire  aus  lat.  toloneum,  tolonarius  (diese  wieder  aus  griech.  TeXwvn,? 
,publieanus'  von  reXn.  , Abgaben')  hinweist.  Das  Gotische  hat  hierfür 
möta,  möta-8tap8,  mötäreis  ,t£\o<z,  tcXujviov,  TcXuivn.?'.  Das  Wort 
ist  von  hier  aus  auf  hochdeutsches  Gebiet  (ahd.  mtita)  und  zu  allca 
Slaven  und  Litauern  (russ.  myto  .Zoll'  u.  s.  w.,  lit.  multa*  desgl.)  über- 
gegangen. Woher  es  aber  auf  gotischem  Boden  stammt,  ist  noch 
nicht  ermittelt.  —  Mit  Einführung  des  Christentums  erscheint  dann  als 
eine  den  Barbaren  ganz  neue  Abgabe  der  Zehnte,  griech.  bcKdiri, 
lat.  deeima  (ahd.  dezemo  aus  dem  Lat.  entlehnt,  ahd.  zehando,  altsl. 
despjina  daraus  übersetzt),  die  Hauptsteuer,  welche  die  Kirche  der  Ge- 
meinde auferlegte.  —  8.  u.  König  und  u.  Stamm. 

Abhärtung,  s.  Bad. 

Abholung  der  Braut,  s.  Heirat. 

Abort.  Aus  der  Umfrage  nach  den  geschlechtlich  sittlichen  Ver- 
hältnissen der  evangelischen  Landbewohner  im  Deutschen  Reiche,  die 
von  der  allgemeinen  Konferenz  der  deutschen  Sittlichkeitsvercine  ver- 
anlasst wurde  (I  Band.  Leipzig  1895,  II  Band,  ebenda  1896),  hat 
sich  ergeben,  dass  die  Einrichtung  der  Abortc  noch  in  weiten  Teilen 
unseres  Vaterlandes  (und  wie  mag  es  dann  erst  etwa  in  den  Slaven- 
ländern  u.  s.  w.  stchn?)  eine  nahezu  unbekannte  Sache  ist,  und  dass 
damit  aufs  engste  die  Natürlichkeit  zusammenhängt,  deren  sich  die 
Landbewohner  bei  Befriedigung  ihrer  natürlichen  Bedürfnisse  in  Wort 
und  That  bedienen.  Es  zeigt  sich  also,  dass  eine  Geschichte  der 
Aborte  für  die  allgemeine  Kulturgeschichte  unseres  Erdteils  nicht  ohne 
Interesse  wäre.  Bis  eine  solche  vorliegt,  wird  man  vermuten  dürfeu, 
dass,  so  lange  sich  das  Leben  der  Indogermanen  in  Dörfern  (s.d.) 
abspielte,  BedUrfnishäuser  gänzlich  fehlten,  und  dass  dieselben  erst  mit 
den  städtischen  Niederlassungen  und  in  den  höheren  Kreisen  der  Be- 
völkerung allmählich  aufkamen,  zunächst  von  den  Wohnungen  getrennt, 
am  Düngerhaufen  gelegen,  und  vielleicht  für  mehrere  Häuser  gemein- 
sam (nur  von  deu  Thebancm  sagt  Eubulos  dv  KdpKwijn  Athen.  X  p.417d: 
U€T&  Tctüra  0»ißa?  rjXGov,  ou  inv  vuxö'  öXnv  xnv  8'n.u^pav  bemvoöai  Ka\ 
KOTrpiW  £x*i  ^ tt  1  Tai?  eupai?  eKaaxos,  ou  TrXn.pei  ßpoTtu  otk 
€0*ti  ueTZov  äYctGöv),  dann  allmählich  (in  Deutschland  zuerst  an  den 
mittelalterlichen  Burgen  nachweisbar),  in  die  Wohustätten  hinciugezogen 
(vgl.  H.Göll  Griech.  Privataltert.  S.  118,  Weinhold  Altn.  Leben  S.  228, 
A.  Schultz  Das  höfische  Lehen  im  M.A.  Iä,  S.  107  f.). 

In  die  Sprache  der  besseren  Kreise  führen  auch  die  uns  über- 


Digitized  by  Google 


Abort  —  Abtreibung. 


lieferten  verhüllenden  und  meist  sehr  konform  gebildeten  Bezeichnungen 
des  Aborts,  Wörter  wie  grieeh.  9äxo<;,  eigentl.  ,Sitz\  dirÖTraToq,  omndna, 
eigentl.  , Fensterchen'  (deutlicher  kottpwv  s.  o.),  lat.  xclla  familiarh, 
ahn.  heimilishtis  (heimili  ,homestead')  ntldahüs,  eigentl.  , Fliedens- 
haus', 8alerni  (wir  ,Saal'),  agls.  gangem  ,Ganghaus',  spätmhd.  pr'wet 
u.  s.  w. 

In  engem  Zusammenhang  mit  den  geschilderten  Verhältnissen  steht 
offenbar  auch  der  Umstand,  dass  die  altindogermanischen  Ausdrücke 
für  die  Verrichtung  der  natürlichen  Bedürfnisse  und  die  dabei  in  Be- 
tracht kommenden  Körperteile  (also  Wortreihen  wie  sert.  hddati  — 
griech.  xiluj,  alb.  bjfa;  sert.  mehati  =  griech.  öuixcuu,  lat.  mingo, 
lit.  m\szti,  agls.  migan;  sert.  pardate  =  griech.  Tre'pboucu,  ahd.  firzu\ 
griech.  öppo?  =  ahd.  ars;  sert.  pdw-  —  griech.  ttco?,  lat.  pttni*,  mhd. 
risel  u.  s.  w.)  sich  mit  der  gleichen  Treue  wie  die  wichtigsten  Kultur- 
wörter erhalten  haben.  Diese  Erscheinung  wäre  nicht  denkbar,  wenn 
die  heute  uns  geläufige  verschleiernde  Bezeichnung  dieser  Dinge  in 
frühen  Zeiten  in  irgend  welcher  Ausdehnung  üblich  gewesen  wäre.  — 
Bemerkt  sei  noch,  dass  auch  das  anf  sehr  ursprünglicher  Stufe  stehen 
gebliebene  armenische  Bauernhaus  der  Anlage  eines  Aborts  völlig 
entbehrt  (vgl.  Mitteil.  d.  Wiener  anthrop.  Ges.  XXII,  1541).  S.  u.  Haus. 

Abortus,  s.  Abtreibung  der  Leibesfrucht. 

Absichtliche  und  unabsichtliche  Tötung,  s.  M  o  r  d. 

Abtreibung  der  Leibesfrucht.  Verbote  gegen  diese  bei  Kultur- 
und  Naturvölkern,  in  alter  wie  neuer  Zeit  häufig  geübte  Unsitte  (vgl. 
H.  Ploss  Das  Weib  S.  546  ff.)  treten  auf  idg.  Boden  zuerst  und  sehr 
früh  bei  den  arischen  Völkern  hervor.  Bereits  der  Vendidäd  des 
Awesta  (vgl.  Geiger  Ostiran.  Kultur  8.  337  f.)  lehrt:  „Wenn  jemand 
mit  einem  Mädchen  Umgang  hat ....  und  es  schwanger  macht,  so  soll 
4as  Mädchen  nicht  aus  Scham  vor  den  Leuten  durch  Wassertrinken 
■oder  durch  pflanzliche  Mittel  seine  Regeln  künstlich  hervorbringen. 
Wenn  das  Mädchen  dies  thut,  so  ist  das  von  ihm  eine  Kapitalsünde." 
In  gleicher  Weise,  erfahren  wir  dann  weiter,  sind  schuldig  der  Mann, 
der  das  Mädchen  zur  Fruchtabtreibung  verführt,  und  die  Alte,  die  die 
Mittel  (es  wird  namentlich  Hanf  genannt)  bereitet  bat.  Auch  in  Indien 
verurteilen  schon  die  ältesten  Rechtslehrer  den  künstlichen  Abortus 
{bhrünahatyä'  /Tötung  der  Leibesfrucht  ),  indem  sie  den  Schuldigen 
aus  seiner  Kaste  ausstossen.  Vgl.  Apastamba  (1,9,24,8):  „Likeicise 
he  (is  called  an  Abhiqasta)  who  ha#  destroyed  an  embryo  of  a  (Bräh- 
mana,  even  though  its  sex  be)  undistinguhhableü ,  Gautama  (XXI,  9): 
tcoman  bekomes  an  outeast  by  procuring  abortionu ,  Vasishtha 
(XXVIII,  7):   „Those  versed  in  the  sacred  laic  State  that  here  are 

4hree  acts  (only)  which  make  tcomen  outeasts  and  the  destruetion 

■of  the  fruit  of  their  toomb.u  —  Ganz  anders  als  in  diesen  sakralen  Ge- 
setzgebungen des  Orients  stehen  die  Dinge  in  E  u  r  o  p  a. 


Digitized  by  Google 


6 


Abtreibung  —  Ackerbau. 


In  der  guten  griechischen  nnd  römischen  Zeit  haben  Strafandrohungen 
für  die  Abtreibung  der  Leibesfrucht  nirgends  bestanden,  und  erst  sehr 
spät  fängt  man  in  Rom  an,  der  immer  mehr  um  sich  greifenden  Un- 
sitte mittelbar  durch  Verbot  der  Darreichung  abtreibender  Tränke 
(Fr.  38.  §5.  D.  XLVIII,  19  de  poenis.  Paullus  Libro  V  Sententiarum : 
Qui  abortionisf  aut  amatorium  poculum  dant,  etsi  dolo  non  faciant, 
tarnen  quia  maJi  exempli  res  est,  humiliores  in  metallum,  hone- 
stiores  in  imulam  amissa  parte  bonorum  relegantur)  entgegenzu- 
arbeiten. Auch  bestraft  man  die  Abtreibende,  weil  sie  den  Mann  um 
seine  Kinder  betrüge  (Fr.  4.  D.  XLVII,  11.  de  extraord.  criminibus. 
Marcianus  Libro  I  Regularum :  Divus  Severus  et  Antoninus  rescripse- 
runt,  eam,  quae  data  opera  abegit,  a  Praeside  in  temporale  exilium 
dandam;  indignnm  enim  videri  potest,  impune  eam  maritum  liberis 
frattdasse),  also  nicht  wegen  der  Abtreibung  selbst. 

Erst  die  christliche  Kirche  hat  die  Abtreibung  der  Leibesfrucht  dem 
Morde  gleichgestellt  (vgl.  Spangenberg  Über  das  Verbrechen  der  Ab- 
treibung der  Leibesfrucht  im  neuen  Archiv  des  Kriminalrechts  II,  1  ff.). 

Die  älteste  Bestimmung  der  germanischen  Volksrechte  (vgl. 
Wilda  Germ.  Strafrecht  S.  718  ff.)  seheint  auf  einen  Rechtssatz:  Si 
qui 8  mulieri  ictu  quolibet  acorsum  fecerit,  XII  sol.  componat  oder 
ähnlich  zu  führen.  Demnach  würde  nur,  wer  einer  Schwangeren  durch 
Gewalt  einen  Abortus  bewirkte,  zu  einer  Busse  verpflichtet  gewesen 
sein,  während  die  Abtreibung  durch  dynamische  Mittel  (Tränke  u.  8.  w.) 
und  die  Abtreibung  durch  die  Mutter  selbst  ursprünglich  nicht  als  Ver- 
brechen angesehen  worden  wären  (Spangenberg  a.  a.  0.  S.  11  f.). 

Obgleich  so  im  ältesten  Europa  von  einem  Verbote  der  Fruchtabtrei- 
bung nicht  die  Rede  gewesen  sein  kann  —  was  auch  kaum  denkbar 
wäre  in  Zeiten,  in  denen  den  Eltern  noch  die  Aussetzung  des  ge- 
borenen Kindes  (s.  u.  Aussetzungsrecht)  freistand  — ,  so  wird 
man  doch  annehmen  dürfen,  dass  dieselbe  innerhalb  der  Ehe  bei  den 
altidg.  Völkern  selten  ausgeübt  wurde.  Denn  sie  steht  mit  der  überall 
auf  idg.  Boden  geltenden  Anschauung  in  direktem  Widerspruch,  nach 
welcher  der  Besitz  zahlreicher  Kinder,  <l  h.  Söhne  ein  heisserflehtes 
Glück  der  Eltern  (s.  u.  Kinderreichtum)  ist.  S.  u.  Verbrechen. 
Abtritt,  s.  Abort. 
Achat,  s.  Edelsteine. 

Achse.  Der  idg.  Name  dieses  Wagenteils  ist:  sert.  dksha-, 
griech.  ä£wv  (vgl.  <5ua£a,  ctfi-aEa  ,Wagen'),  lat.  axis,  ahd.  ahsa,  agls. 
eax,  altu.  öxull,  altsl.  osi,  lit.  aszls.    S.  u.  Wagen. 

Acht,  s.  Strafe. 

Ackerbau.  Dass  der  Ackerbau  in  Europa  über  die  Sonderexistenz 
der  einzelnen  idg.  Völker  hinausgeht,  lässt  sieh  auf  historischem,  ar- 
chäologischem und  sprachwissenschaftlichem  Wege  erhärten.  Alle  Indo- 
germanen  Europas  treten  mit  der  Kenntnis  desselben  ausgerüstet  aus  dem 


Digitized  by  Google 


Ackerbau. 


7 


Danke)  der  Urgeschichte  hervor.  Da  dies  für  den  Süden  Innlänglich 
bekannt  ist,  bedarf  es  nur  der  Belege  für  den  Norden  unseres  Erdteils. 

Schon  Pytheas  (Strabo  IV  p.  201 )  fand  anf  seiner  Reise  in  dasNord- 
meer  im  Zeitalter  Alexanders  des  Grossen  einen  emsigen  Anbau  von 
Brotfrucht  (o1to<;)  im  keltischen  Britannien  vor  (ausführlich  darüber 
Möllenhoff  D.  A.  I,  393  ff.).  Gegen  Norden  nahm  der  Landban  zwar 
allmählich  au  Bedeutung  ab;  aber  auch  hier  nährten  sich  die  Bewohner 
noch  von  kc'txPO?  ,Hirse'  (nach  Müllenhott's  kaum  nötiger  Annahme 
niissverständlich  für  Hafer).  Ebenso  rauss  auch  nach  den  Schilderungen 
Caesars  (De  bell.  gall.  IV,  31,  2;  32,  1)  jedenfalls  an  den  Küsten  des 
Meeres  ein  nicht  unbedeutender  Ackerbau  der  Eingeborenen  angenommen 
werden,  während  der  Schriftsteller  von  den  Bewohnern  des  Binnen- 
landes V,  14  berichtet:  Inferiores  plerique  frumenta  non  aerunt. 

Von  dem  Feldbau  der  Germanen  im  Zeitalter  des  Caesar  und 
Taeitus  wird  unten  ausführlicher  die  Rede  sein.  Hier  sei  nur  darauf 
hingewiesen,  dass  auch  die  zahlreichen  altgermanischen  Lehnwörter  im 
Finnischen  (Wörter  wie  finnisch  akana  , Streu'  aus  got.  ahana,  kakra 
, Hafer'  aus  altschwed.  hagre,  laukka  ,Lauch'  aus  altn.  laukr,  ruia 
.Roggen'  aus  altn.  rugr,  liina  , Flachs'  aus  altn.  Im,  tutmppu  ,Hanf 
aus  altn.  hampr,  mallax  ,MaIz'  aus  altn.  malt,  leipä  ,Brot'  aus  got. 
hlaifs,  atra  , Pflug'  aus  altn.  ardr,  Inuca  , Tenne'  aus  altschwed.  16, 
pelto  ,Feld*  aus  ahd.  feld,  lanta  ,Dünger'  aus  altn.  hland,  taina 
, Pflanze'  aus  got.  taina  u.  s.  w.)  vielfach  in  das  Gebiet  des  Ackerbaues 
gehören,  woraus  erbellt,  dass  unsere  Vorfahren  schon  in  den  ersten 
Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  auch  auf  diesem  Gebiete  einen 
civilisatorischen  Einfluss  auf  ihre  Nachbarn  ausgeübt  haben  müssen. 

Die  baltischen  Aisten,  die  Vorfahren  der  heutigen  Litauer,  kennt 
Taeitus  bereits  als  fleissige  Ackerbauer  <Cap.  45:  Frumenta  ce- 
teroaque  fruetua  patientiua  quam  pro  solita  Germanorum  inertia  la- 
borant),  und  auch  die  ältesten  Schilderungen  der  Slaven  (XxXdßoi, 
ZxXaßrivoi)  aus  dem  VI.  Jahrhundert  wissen  von  deren  Reichtum  an 
verschiedenen  Bodenerzeugnissen  zu  berichten  i  vgl.  Möllenhoff  D.  A.  II, 
3ö  f.).  Ackerbauer  müssen  endlich  auch  die  thrakischeu  Paeonier,  die 
in  Pfahlbauten  wohnten  ig.  n.  Haus),  gewesen  sein,  da  sie  Biertrinker 
(s.  u.  B  i  e  r)  waren.  Eine  Zeit  also,  in  welcher  die  europäischen  Iudo- 
germanen  keinen  Ackerbau  gekannt  hätten,  lässt  sich  mit  geschicht- 
lichen Zeugnissen  nicht  belegen. 

Als  ein  sicheres  Ergebnis  der  prähistorischen  Forschung  kann 
es  ferner  gelten,  dass  in  Europa  schon  in  einer  Epoche,  als  noch  keine 
Metalle  bekannt  waren  oder  dieselben  wenigstens  nicht  praktisch  ver- 
wertet wurden,  also  in  der  sogenannten  Steinzeit,  der  Ackerbau  neben 
der  Viehzucht  die  Grundlage  der  wirtschaftlichen  Existenz  der  damaligen 
Bewohner  Europas  bildete.  Dies  gilt  in  besonders  hohem  Grade  von 
der  vornehmlich  über  das  südliche  Mitteleuropa  verbreiteten  Pfahlbauten- 


Digitized  by  Google 


Ackerbau. 


kultur  (vgl.  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.4ff.,  Keller  Berichte  VII). 
Aber  auch  im  Norden  Europas  wird  der  Ackerbau  von  den  besten 
Sachkennern  (vgl.  u.  a.  Montelius  Die  Kultur  Schwedens  in  vorchrist- 
licher Zeit2  S.  26  f.  und  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  206) 
als  schon  im  Steinzeitalter  ausgeübt  angesehn.  Eine  der  Segnungen 
des  Ackerbaus  noch  entbehrende  Kulturschicht  ist  daher  in  Europa 
nur  in  den  Denkmälern  der  sogenannten  palaeolithischen  Periode,  zu 
der  in  diesem  Punkte  auch  die  Kjökkenmöddinger  Dänemarks  zu 
rechnen  sind,  an  den  Tag  getreten. 

Die  Kette  der  Beweisführung  aber  für  die  Existenz  eines  vorhisto- 
rischen Ackerbaus  in  Europa  wird  geschlossen  durch  den  Umstand, 
dass  eine  ziemlich  vollständige,  vorgeschichtliche  Terminologie  des 
Ackerbaus  sieh  durch  urverwandte  Gleichungen  aus  dem  Kreis  der 
europäisch  - idg.  Sprachen  belegen  lässt.  Übereinstimmend  benannt 
sind  die  Begriffe: 

Acker:  griech.  öVrpöq,  lat.  ager,  got.  akrs:  vgl.  auch  griech.  veiöc 
, Brachland'  =  russ.  nica  , Acker'. 

Pflügen:  griech.  äpöw,  lat.  arare,  ir.  airim,  altsl.  orati,  lit.  drti. 

Pflug:  griech.  äpOTpov,  lat.  aratrum,  ir.  arathar,  altn.  ardr 
—  armen,  araur;  altsl.  oralo,  lit.  (irllas.  altn.  arl. 

Pflugschar:  griech.  öqmq,  lat.  vömis,  ahd.  waganso,  altpr.  wagnu. 

Egge:  griech.  (Hes.)  ö£ivn,  lat.  occa,  occare,  ahd.  egjan,  egida, 
lit.  aketi,  dkeezios,  altkorn.  ocet. 

Säen:  lat.  sero,  kymr.  heu,  ir.  sil  ,Same',  got.  xaian,  altsl.  sejq, 
lit  m':ti. 

Same:  lat.  seinen,  ahd.  sämo,  altsl.  seme^  altpr.  semen,  lit.  xemti. 

Korn :  lat.  gränum,  got.  kaum,  altpr.  syrne,  altsl.  zrüno. 

Mähen  (E  r  n  t  c) :  griech.  dpctiu,  ahd.  mäjan ;  griech.  dur|TÖ<;  »Ernte* 
=  ahd.  mM;  vgl.  auch  lat.  meto  und  ir.  meithel,  methel  ,a 
party  of  reapers',  altkymr.  medel  id.;  beachte  ferner  got.  axans, 
ahd.  aran,  altpr.  assanis,  altsl.  jeseni  ,Herbst':  im  Germanischen 
erhaltene  Grundbedeutung  ,Erntezeit'  (got.  axneis  »Tagelöhner  ). 

Sichel:  griech.  cxpim..  lat.  sarpere,  ir.  xerr  (K.  Z.  XXXV,  264), 
altsl.  snqyü,  lett.  sirpe. 

Mahlen:  griech.  uuXn.,  lat.  molere,  ir.  melhn,  got.  malan,  altsl. 
melja,  lit.  malti,  alb.  miel  ,Mehl'. 

Handmühle:  got.  qairnus,  ir.  br<l,  lit.  girna,  altsl.  irünüvü  — 
armen,  erkan. 

Sieb:  lat.  cribrum,  ir.  criathar,  ahd.  rttara. 

Tenne:  griech.  äXw«;,  *äXw/n.,  äXwn.  =  altschwed.  U  (s.  o.  tinn.  luuva). 

Worfeln:  griech.  vcikXov Xikvov  Hes.  =  lit.  neköjtt  »schwinge  Ge- 
treide in  einer  Mulde'. 

Ähre  (Spreu):  griech.  äxvai,  lat.  acus,  got.  ahs,  ahana. 

Furche:  lat. porca,  ahd.  ftt ruh,  altbret.  rev  —  armen,  herki'i). 

Beet:  lat.  lira,  lit.  lyst,  altsl.  Ifcha  (mhd.  leis  ,Spur  ). 


Digitized  by  Google 


Ackerbau.  9 

An  diesen  Aekerbnugleichungen,  die  sich  leicht  durch  eine  statt- 
liche Reihe  gemeinschaftlicher  Benennungen  für  Fcldfrüchte  verschiedener 
Art  <s.  u.)  vennehren  Hessen,  nehmen  nun  die  arischen  (indisch-ira- 
nischen) Sprachen  keinen  Anteil,  und  so  erhebt  sich  die  für  die  Be- 
urteilung der  ältesten  wirtschaftlichen  Zustände  der  Indogermanen  sehr 
wichtige  Frage,  wie  diese  Thatsache  zu  erklären  sei.  Hierfür  bieten 
sich  auf  den  ersten  Blick  zwei  Möglichkeiten  dar :  entweder  haben  sich 
jene  Ackerbaugleichungeu  von  Anfang  an  auf  die  europäischen  Sprachen 
beschränkt,  oder  auch  die  arischen  Sprachen  haben  sie  einst  besessen 
und  sie  später  aus  bestimmten  Gründen  verloren.  Für  diese  letztere 
Möglichkeit  tritt  H.  Hirt  (I.  F.  1,  474  ff.,  V,  395  ff.,  Jahrb.  f.  National- 
ökonomie u.  Statistik  III.  Folge,  XV,  456  ff.)  ein.  Er  nimmt  an,  dass  die 
Indogermanen  schon  in  der  ältesten  erreichbaren  Zeit  den  Acker  bestellt 
hätten,  dass  aber  dann  die  Indo-Iranicr  bei  ihrer  Loslösung  von  den 
Europäern  und  ihren  Wanderungen  durch  unfruchtbare  Steppengebiete 
den  Ackerbau  aufgegeben  und  damit  auch  die  oben  angeführten  Wort- 
reihen, die  sie  ursprünglich  wie  die  Europäer  besassen,  eingebüsst  hätten. 

Allein  bei  näherer  Betrachtung  zeigt  sich  diese  Auffassung  als 
nicht  haltbar.  Denn  gerade  in  einer  Reihe  der  wichtigsten  Fälle  ist 
das  Arische  dennoch  in  gewissem  Sinne  an  jenen  Ackerbaugleichungeu 
beteiligt,  nämlich  so,  dass  es  ebenfalls  das  betreffende  Wort  besitzt, 
doch  nicht  in  agrarischem,  sondern  in  einem  allgemeinen,  chronologisch 
jenem  sichtlich  vorauf  liegenden  Sinne.  So  entspricht  griech.  ä-rpöq  u. s.w. 
dem  sert.  djra-  .Trift',  so  lat.  molere  u.  s.  w.  dem  sert.  mar  /zer- 
malmen', so  lat.  «erere  u.  s.  w.  einen»  aus  sert.  präsita-  ,dabin  schiessend' 
und  anderen  Wörtern  (vgl.  auch  griech.  i'riui,  *si-semi)  erschliessbaren 
Zeitwort  im  allgemeinen  Sinne  von  ,entsendcn',  so  scheint  lat.  yrduum 
u.  s.  w.  im  sert.  jir-nd-,  /zerrieben',  /zerfallen'  wiederzukehren  u.  a.  m. 
Es  ist  daher  (wofür  in  jüngster  Zeit  auch  0.  Bremer  Ethnographie 
der  germanischen  Stämme  in  Pauls  Grundriss  III*,  758  eingetreten  ist) 
viel  wahrscheinlicher,  das  in  jenen  europäischen  Ackerbaugleichungen 
Neuerungen  (natürlich  immernoch  prähistorische)  der  Sprachbildung 
vor  uns  liegen,  d.  h.  dass  Wortformen,  die  in  allgemeiner  Bedeutung 
schon  in  der  Ursprache  vorhanden  waren,  an  einer  bestimmten  Stelle 
des  damals  noch  beschränkteren  und  durch  ununterbrochene  Continuität 
verbundenen  vorhistorischen  Sprachgebiets  der  europäischen  Indoger- 
manen einen  besonderen,  auf  den  Ackerbau  bezüglichen  Sinn  annahmen, 
um  sich  so  in  teils  weiteren,  teils  engeren  Kreisen  zu  den  Nachbarn 
fortzupflanzen.  Die  Einwendung  H.  Hirts  (I.  F.  V,  396)  gegen  diese 
Anschauung,  dass  nämlich  die  Annahme  einer  solchen  ureuropäischen 
„Knlturgemeinscbaft"  auch  die  Annahme  einer  ureuropäischen  „Sprach- 
einheit" (gemeinsamer  lautlicher  oder  grammatischer  Neubildungen) 
fordere,  die  thatsächlich  nicht  nachzuweisen  scheint,  ist  nicht  stich- 
haltig. Mit  Rücksicht  z.  B.  auf  die  zahlreichen  und  alten  Kulturwörtcr, 


Digitized  by  Google 


10 


Ackerbau. 


die  speeiell  den  Kelten  und  Germanen  gemeinsam  sind  (vgl.  z.  B.  F. 
Kluge  in  Pauls  Grundriss  I2,  324  ff.),  könnte  man  sehr  wohl  von  einer 
frühen  keltisch-germanischen  „Kulturgemeinschaft"  sprechen,  ohne 
dass  die  Annahme  einer  keltisch-germanischen  „Spracheinheit"  irgend 
wie  berechtigt  wäre. 

Ist  aber  die  hier  gegebene  Ausführung  richtig,  so  muss  vor  der 
Zeit,  in  welcher  der  hier  geschilderte  Sprachprozess  sich  abspielte,  die 
Viehzucht  in  noch  höherem  Grade  als  später  bei  den  europäischen 
Indogcrmanen  den  Schwerpunkt  der  Wirtschaft  gebildet  haben,  oder, 
mit  anderen  Worten,  die  Indogermanen  der  ältesten  Zeit  müssen  auf 
derjenigen  Stufe  der  Wirtschaft  gestanden  haben,  welche  E.  Grosse  in 
seinem  Buche  Die  Formen  der  Familie  und  die  Formen  der  Wirtschaft 
(Freiburg  1896)  als  die  „der  Viehzüchter"  bezeichnet,  während  die 
Europäer  anfingen,  zu  der  Form  des  „Niederen  Ackerbaus"  ttberzu- 
gehn.  Die  Übrigen  Gesichtspunkte,  welche  für  die  Richtigkeit  dieser 
Ansicht  sprechen,  sind  u.  Viehzucht  zusammengestellt  worden. 

Dieses  einfache  Ergebnis,  dass  die  Indogermanen  Viehzüchter  ge- 
wesen seien,  scheint  aber  wieder  durch  die  Thatsache  verwirrt  zu 
werden,  dass  es  auch  zwischen  den  europäischen  und  arischen  Sprachen 
doch  nicht  ganz  an  Übereinstimmungen  fehlt,  welche  sich  auf  Landbau 
und  Feldfrüchte  beziehn.  Hierher  gehören  vor  allem  die  beiden  Reihen 
sert.  t/dva-  ,Getreide,  Gerste',  aw.  t/aca-  (npers.  jö  ,Gerste',  osset. 
yeu,  yau  ,llirse',  Pamird.  yöqj  ,Mehl),  griech.  Zeä,  lit.  jawal  »Ge- 
treide', ir.  eörua  , Gerste'  und  sert.  pish,  griech.  mioow,  lat.  pinso,  eine 
Verbalwurzel,  die  in  zahlreichen  idg.  Sprachen  mit  der  Verarbeitung 
des  Getreides  in  engstem  Zusammenhang  steht  (aw.  pistra-  ,Zcrstam- 
pfung  des  Getreides',  npers.  pist  ,farina  tosta  tritica',  altn.  fis  ,Spreu', 
altsl.  phseno  ,Mehl',  altpr.  som-pisinis  ,grobes  Brot";  s.  auch  u.  Mahlen, 
Mühle).  Geringere  geographische  Verbreitung  zeigen  die  Gleichungen 
lit.  dann  ,Brot'  =  sert.  dhrind'  PI.  , Getreidekörner' ,  aw.  ddna- 
(npers.  ddne,  Pamird.  pinj-dänd  , Hirse');  lit.  dirwä , Furche',  mittelndd. 
terwe,  tance  ,  Weizen'  =  sert.  du  red  , Hirse' ;  griech.  tcXctov  , Furche'  = 
sert.  karshu-,  griech.  öXupa  ,Spelt'  =  sert.  ttrcdrä,  aw.  urvard  »Saat- 
feld'. Nicht  sicher  ist  die  Übereinstimmung  von  griech.  dX^iu  , mahle' 
(von  anderen:  uuXn.  s.  o.  gestellt),  armen,  alam  und  npers.  drd,  hindi 
dfd  ,Mehl'  (vgl.  J.  Schmidt  Sonantentheorie  S.  88  und  Hübsehmann 
Armen.  Gr.  I,  414).  Als  ungeeignet  für  Schlüsse  auf  die  Urzeit  er- 
weist sich  auch  die  Zusammenstellung  von  griech.  euXmcct  ,Pflug'  (zu- 
nächst wohl  zu  aüXa£,  uuXaü,  iuX£,  fiXoE  , Furche'  gehörig)  und  seit. 
vrka-  ,Wolf,  ,Pflug'  (?).  Vgl.  v.  Bradkc  Methode  S.  121  f.  Das  Vor- 
handensein eines  eigentlichen  Ackerbaugerätes  (wie  europ.  öpoxpov  u.  s.w.) 
lässt  sich  durch  eine  europäisch-arische  Reihe  also  nicht  belegen. 

Die  Frage  aber,  welche  entsteht,  ist  die:  Wie  lassen  sich  derartige 
europäisch-arische  Übereinstimmungen,  wie  sie  in  dem  Vorstehenden 


Digitized  by  Google 


Ackerbau. 


11 


mitgeteilt  worden,  erklären  bei  der  oben  begründeten  Annahme,  dass 
die  Wirtschaftsform  der  ältesten  Indogermanen  die  von  Nomaden  und 
Viehzüchtern  gewesen  sei? 

Eine  befriedigende  Antwort  hierauf  kann  man  vielleicht  dem  an- 
regenden Buch  Eduard  Hahns,  Die  Haustiere  und  ihre  Beziehung  zur 
Wirtschaft  des  Menschen  (Leipzig  1896)  entnehmen.  In  demselben  ist 
der  überzeugende  Nachweis  geführt  worden,  dass  eine  der  ältesten  Wirt- 
schaftsformen der  Erde,  der  Stufe  des  Viehzüchters  wie  des  Ackerbauers 
vorausgehend,  der  sogenannte  Hackbau  ist,  der  noch  heute  über  weite 
Teile  des  Erdballs  verbreitet,  noch  in  kein  festes  Verhältnis  den  Haustieren 
gegenüber  getreten  ist,  nicht  mit  dem  Pfluge,  sondern  mit  der  Hacke 
arbeitet  und  meistens  Knollengewächse  und  Gemüse,  aber  auch  bereits 
Getreidegrüscr  verwendet.  Nach  E.  Hahu  wäre  dieser  Hackbau  nun 
in  unvordenklichen  Zeiten  auch  in  Europa  und  dem  grössten  Teile 
Asiens  verbreitet  und  seine  hervorragendste  Kulturpflanze  der  Hirse 
gewesen.  Ist  diese  Annahme  begründet,  so  könnten  in  vorindo- 
ger  manisch  er  Zeit  die  Indogermanen  ebenfalls  auf  dieser  Stufe  des 
Hackbaues  gestanden  haben,  und  es  stünde  nichts  im  Wege,  in  jener 
uralten  Reihe  sert.  yäva-  u.  s.  w.,  deren  genauer  Sinn  sich  bereits  für 
die  Zeiten  des  Veda  und  Homers  nicht  mehr  ermitteln  lässt,  ein  Wort 
für  Hirse  zu  vermuten.  Jedenfalls  erweckt  die  Geschichte  des  Hirse 
(s.  d.)  in  mehrfacher  Beziehung  den  Eiudruck,  als  ob  diese  Gctreidcart 
die  am  frühsten  in  der  idg.  Welt  angebaute  wäre.  Im  Laufe  der  Zeit 
zieht  er  sich  mehr  und  mehr  zurück,  während  die  ebenfalls  schon  in 
die  Urgeschichte  Europas  zurückgehenden  Getreidearten  Gerste  und 
Weizen  (s.s.  d.  d.)  ihren  Besitzstand  erweitern,  Roggen  und  Hafer 
(8.  s.  d.  d.)  aber  wohl  überhaupt  nicht  zu  der  ältesten  Schicht  europäi- 
scher Kulturpflanzen  gehören.  Merkwürdig  ist  auch,  dass  gerade  der 
Hirse  dem  semitisch-aegyptischen  Kulturkrcis  fremd  zu  sein  scheint, 
dem  Gerste  und  Weizen  sicher  angehören.  Bemerkenswert  ist  endlich, 
wie  oft  innerhalb  derselben  Wortstämine,  welche  Cerealien  bezeichnen, 
die  Bedeutung  ,Hirsc'  mit  der  von  ,Gerste'  und  , Weizen'  wechselt,  so 
dass  es  scheinen  könnte,  als  ob  die  letzteren  mehrfach  nach  dem  ersteren 
benannt  wären.  Vgl.  oben  sert.  du  red  .Hirse'  —  mittelndd.  terice 
,Weizen',  ferner  griech.  kc'txpo?  ,Hirse'  —  Kdxpu?  ,Gerstc',  und  auch 
griech.  Kpiön,,  lat.  hordeum,  ahd.  gersta  lassen  sich  vielleicht  mit  npers.2«r(i 
,Hirsc'  (vgl.  zuletzt  P.  Horn  Grundriss  der  npers.  Et.  S.  146)  verbinden. 

Demnach  darf  man  sich  den  wirtschaftlichen  Entwicklungsgang 
der  Indogermanen  vielleicht  folgendermassen  vorstellen.  Aus  jenen 
europäisch-arischen  Gleichungen  des  Landbaus  blickt  noch  die  primitive 
Stufe  des  Hackbaus  hervor,  die  in  vorindogermanische  Zeiten  zu- 
rückführt. Alsdann  wurden  die  Indogermanen  nach  und  nach  mit  den 
wichtigsten  Haustieren  bekannt,  und  die  Viehzucht  bildete  nunmehr 
die  wirtschaftliche  Grundlage  ihres  Lebens.    Daneben  bliebeu  Reste 


Digitized  by  Google 


12  Ackerbau. 

des  alten  Hackbaus  bestehen  und  lieferten  zu  der  in  der  Hauptsache 
tierischen  Nahrung  der  Indogermanen  eine,  wenn  auch  kleine,  pflanz- 
liche Beigabe,  auf  die  auch  der  Nomade  (vgl.  Hahn  a.  a.  0.  S.  407)  nur 
äusserst  widerwillig  verzichtet. 

Daun  begann  bei  den  Vorfahren  der  europäischen  Indogermanen  der 
eigentliche  Ackerbau  mit  dem  vielleicht  schon  vom  Rind  gezogenen 
Pflug,  mit  Gerste  und  Weizen  (neben  dem  uralten  Hirse)  aufzutreten. 
Dabei  ist  man  nicht  genötigt,  schon  fdr  damals  an  eine  örtliche 
Trennung  der  Europäer  und  Arier  zu  denken.  Entsprechend  einer  ver- 
schiedenartigen Beschaffenheit  des  Bodens  könnte  im  Westen  des  idg. 
Sprachgebiets  der  Ackerbau  leicht  Eingang  gefunden  haben,  während 
der  Osten  bei  der  älteren  Viehzucht  verharrte.  Ja,  wenu  u.  Urheimat 
die  ältesten  Wohnsitze  der  Indogermanen  mit  Recht  in  das  südliche 
Russland  verlegt  worden  sind,  so  sind  dies  dieselben  Gegenden,  in 
denen  eine  derartige  Zweiteilung  der  Bevölkerung  uns  thatsächlich  in 
historischer  Zeit  entgegentritt,  nämlich  die  der  Skythen  in  IkoOcu  dpo- 
Tfjpes  (oder  YtwpToi)  jn  (}en  fruchtbaren  Westlandschaften  und  in 
lKu6cti  voudbe?  (oder  ßao~i\€ioi  i  auf  dem  östlichen  Steppenboden.  Auch 
ist  es  nicht  richtig,  in  diesem  Übergang  eines  Teiles  der  Indogermanen 
zu  den  Anfängen  des  eigentlichen  Ackerbaus,  in  denen,  wie  unten 
noch  weiter  zu  zeigen  ist,  die  Europäer  bis  in  die  historischen  Zeiten 
verharrten,  ohne  weiteres  ein  Emporsteigen  zu  einer  höheren  Kultur- 
stufe dem  Viehzüchter  gegenüber  zu  erblicken.  Der  niedere  Ackerbau 
in  dein  Sinne  E.Grosses  ist  zunächst  nur  eine  andere,  keine  höhere 
Wirtschaftsstufe  als  die  Viehzucht. 

Nicht  unwahrscheinlich  ist,  dass  die  Europäer  zu  diesem  wirtschaft- 
lichen Übergang  ausser  durch  die  Gunst  ihres  Bodens  und  durch  ciuen 
örtlichen  Zwang,  eine  intensivere  Bewirtschaftung  desselben  vorzu- 
nehmen (8.  u.  Urheimat),  noch  durch  auswärtige  Anregungen,  durch 
die  sie  Pflug,  Gerste  und  Weizen  kennen  lernten,  veranlasst  wurden, 
und  es  läge  nahe,  hierbei  an  dieselben  von  semitischem  Boden  aus 
gehenden,  Uber  Kleinasien  und  die  Küsten  des  Schwarzen  Meeres  ver- 
laufenden Einflüsse  zu  denken,  welche  vielleicht  um  dieselbe  Zeit  den 
noch  vereinigten  Europäern  die  Bekanntschaft  mit  dem  babylonischen 
Scxagesimalsystem  (s.  u.  Zahlen)  vermittelt  haben.  Denkbar  und 
möglich  wäre  endlich  auch,  dass  diejenigen  idg.  Stämme,  aus  denen 
später  die  europäischen  Völker  hervorgingen,  noch  auf  der  Stufe  der 
Viehzüchter,  denen  überall  und  zu  allen  Zeiten  aggressive  Gelüste 
gegen  ackerbauende  Nachbarn  eigen  gewesen  sind  (vgl.  E.  Grosse 
Die  Anfange  der  Kunst  S.  38),  sich  eine  ackerbauende  Urbevölkerung 
unterwarfen,  und  so  selbst  zu  Ackerbauern  oder  zunächst  zu  Herren  von 
Ackerbauern  wurden.  Dieselbe  Möglichkeit  ist  hinsichtlich  des  Ver- 
hältnisses von  Patriarchat  (Viehzüchter)  zu  Matriarchat  (Ackerbauer)  u. 
Familie  am  Schluss)  und  n.  Mutterrecht  angedeutet  worden. 


Digitized  by  Google 


Ackerbau. 


13 


Kehren  wir  von  diesen  mehr  oder  weniger  kühnen  nnd  nicht  eigentlich 
beweisbaren  Vermutungen  zu  dem  altenropäischen  Ackerbau  selbst 
zurück,  so  lässt  sich  derselbe  durch  folgende  vier  Sätze  näher  cha- 
rakterisieren: 

1)  Esgiebtnoch  kein  Privateigentum  an  Grund  und  Boden. 

2)  Der  Ackerbau  wird  als  wilde  Fcldgraswirtschaf t  be- 
trieben. 

3)  Er  tritt  an  wirtschaftlicher  Bedeutung  noch  hinter  der 
Viehzucht  zurück  und  wird  von  der  männlichen  Bevölkerung 
als  eine  unwürdige  Beschäftigung  empfunden. 

4)  In  Folge  dieser  Umstände  sind  die  Ansiedelungen  der 
Menschen  noch  wenig  feste. 

Die  ältesten  nnd  entscheidenden  Nachrichten  über  den  deutschen 
Ackerbau  giebt  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  22:  Neque  quisquam  agri 
modum  certum  aut  fines  habet  proprio* ;  sed  mag'mtratus  ac ;  principe* 
in  anno8  singulos  gentibus  cognationibusque  hominum,  qui  tum  una 
coierunt,  quantum  et  quo  loco  visum  est,  agri  attribuunt  atque  anno 
post  alio  tramire  cogunt  und  IV,  1  von  den  Sueben:  Sed  privat  i  ac 
separati  agri  apud  eos  nihil  est,  neque  longius  anno  remanere  uno 
in  loco  incolendi  causa  licet.  Hierzu  tritt  Tacitus  Germ.  Cap.  2G: 
Agri  pro  numero  cultorum  ab  unitersis  in  vices  occupantur,  quo* 
mox  inter  ne  secundum  d ignat ionern  partiuntur ;  faeifitatem  partiendi 
camporum  spatia  praebent:  arra  per  annos  mutant,  superest  et  ager. 
Es  geht  hieraus  hervor,  dass  zur  Zeit  Caesars  der  Grund  und  Boden 
den  einzelnen  Familienverbänden  (Sippen)  gemeinsam  gehörte,  denen 
er  von  den  Häuptern  der  Stämme  zugewiesen  wurde.  Eine  weitere 
Verteilnng  und  zeitweise  Verlosung  des  Ackerbodens  an  die  einzelnen- 
Hausväter  wird  von  Caesar  noch  nicht  erwähnt,  und  wahrscheinlich 
fand  eine  solche  damals  überhaupt  noch  nicht  statt.  Vielmehr  ist  zu 
vermuten,  dass  durch  die  gemeinsame  Arbeit  der  Sippe  das  Feld 
gerodet  —  ein  schweres  Werk  auf  dem  wnrzeldurchzogenen  Waldboden 
Alteuropas  — ,  angebaut  und  abgeerntet  wurde,  worauf  der  Ertrag 
unter  die  einzelnen  verteilt  wurde.  Einen  solchen  Zustand  schildert 
wohl  auch  Diodorus  Sic.  V,  34  bei  keltiberischen  Stämmen :  outoi  xaö' 
SKCtöTov  fros  bicupoO|U€voi  tuv  xwpav  (unter  die  Familienvcrbände) 
T€wpTOÖ(Ji,  Kai  tou?  KctpiroiNj  KOivoTroiouuevoi  utTabiböaaiv  £i<do*Tiu  tö 
uepo<;  Kai  ToTq  voo^ptaau^voiq  ti  YewpYoiS  OävaTOV  tö  TTpöo*Ttuov  Te8€t- 
xao-t.  Vielleicht  dürfen  die  in  zahlreichen  Gegenden  Deutschlands, 
Englands  und  Dänemarks  nachgewiesenen  Hochäcker,  verlassene, 
jetzt  vielfach  von  Heide  oder  Wald  überzogene  Kulturen,  als  Überreste 
jener  gemeinsamen  Feldarbeit  alteuropäischer  Sippen  angesehen  werden 
(vgl.  A.  Hartmann  Zur  Hochäckerfrage,  Oberbair.  Archiv  f.  vaterl.  Ge 
schichte  XXXV,  115  ff.) 


Digitized  by  Google 


14 


Ackerbau. 


Eine  etwas  vorgerücktere  Stufe  der  Feldgemeinschaft 
schildert  die  Germania  des  Tacitus  anderthalb  Jahrhunderte  nach 
Caesar.  Der  Gruud  und  Bodeu  gehört  noch  immer  der  Dorfachaft 
(mit  anderen  Worten  der  Sippe)  gemeinsam;  doch  rindet  jetzt,  indem 
das  Ackerland  auf  Grund  periodischer  Verlosungen  unter  die  Hofbesitzer 
verteilt  wird,  eine  Sondenmtzung  desselben  durch  die  einzelnen  Familien- 
väter statt.  Dies  ist  der  Zustand,  wie  er  sich  in  Russland  in 
vielen  Gegenden  bis  in  die  Neuzeit  erhalten  hat.  Das  Ackerland  ge- 
hört der  Dorfgemeinde  und  wird  auf  Grund  periodischer  Verteilungen 
(1—20  Jahre)  den  einzelnen  zur  Nutzung  zugewiesen  (vgl.  M.  Kulischer 
Z.  f.  Völkerpsycb.  u.  Sprachw.  X,  370,  E.  de  Laveleye  Das  Ureigentum, 
deutsch  v.  Bücher  S.  7  ff.).  Dagegen  tritt  der  Gedanke  der  Verlosung 
bei  den  Südslaven  noch  zurück,  von  denen  Krauss  Sitte  und  Brauch 
S.  23  berichtet:  „Ein  Stamm  blutsverwandter  Hausgemeinschaften  nahm 
einen  grösseren  Landstrich  in  Besitz  und  legte  in  der  Umgebung  ihrer 
Hütten  grosse  gemeinsame  Felder  an,  die  sie  als  gemeinsames  Eigentum 
betrachteten  und  den  Anordnungen  des  Vorstandes  des  brätst  co  ent- 
sprechend bebauten.  In  der  Hercegowina,  Crinagora  uud  der  Bocca 
stehen  diese  alten  Einrichtungen  noch  immer  in  Kraft." 

Auch  im  alten  Irland  fehlt  es  nicht  an  Spuren  des  ehemaligen 
Gesamteigentums  der  Feldmark  und  ihrer  späteren  Aufteilung  (vgl. 
Maine  Early  bist,  of  institutions  lect.  IV).  und  auch  von  den  illyri- 
sehen  Stämmen  wissen  wir,  dass  bei  ihnen  alle  acht  Jahre  eine  Auf- 
teilung des  Landes  stattfand.  Vgl.  Strabo  VII  p.  315:  Xbiov  bi  tüjv 
AaX|iaTtuuv  tö  biet  ÖKTO€Tr|piboq  x^pa^  dvabao*|uöv  7roi€io*Öai. 

Indem  die  anfänglich  periodische  Verlosung  des  Ackerlandes  seltener 
und  seltener  stattfindet  und  allmählich  ganz  und  gar  aufhört,  bildet 
sich  aus  der  Feldgemeinschaft  nach  und  nach  das  Privateigentum  an 
Grund  und  Boden  heraus,  zu  dem  ein  Ansatz  schon  früh  in  dem  das 
Haus  umgebenden  Garten  (s.  d.)  vorhanden  war. 

Diese  Entwicklung  ist  bei  den  klassischen  Völkern  schon  im  An- 
fang ihrer  Überlieferung  zum  Abschluss  gekommen;  doch  fehlt  es 
nicht  an  Spuren  des  ursprünglichen  Zustand».  Besonders  deutlich  redet 
in  dieser  Beziehung  der  in  ganz  Griechenland  zur  Bezeichnung  des  im  erb- 
lichen Privateigentum  befindlichen  Grundstücks  übliche  Ausdruck  »cXnpoq 
,Loos'  (Homer:  oueo?  Kai  icAripo«;)  =-  ir.  chlr  ,Tnfel,  Brett',  wie  auch  im  La- 
teinischen sorg  nach  Festus  (ed.  C.  0.  Müller  S.  21)7)  et  Patrimonium  be- 
zeichnete (vgl.  auch  lat.  comortex).  Die  Gesetzgebung  des  Lykurg  ist  in 
agrarischer  Beziehung  offenbar  nichts  als  eine  solche  letztmalige  Auftei- 
lung des  Grundbesitzes,  „sie  erklärt  nach  griechischer  Art  die  Institution 
durch  einen  einmaligen  Willkürakt  des  Gesetzgebers"  (vgl.  E.  Meyer 
Geschichte  des  Altertums  II,  298).  Ol»  im  ältesten  Rom  noch  direkte 
Spuren  des  Bodeneigentums  des  Geschlechts  vorhanden  und  nachweisbar 
sind  (vgl.  Monimsen  Staatsrecht  111,1;  24  ff.)  oder  nicht  (E.  Meyer 


Digitized  by  Google 


Ackerbau. 


15 


a.  a.  O.  S.  518  f.),  mag  dahin  gestellt  bleiben.  Sicher  ist  nach  dem 
bisherigen  auch  das  römische  Privateigentum  an  Grund  und  Boden 
erst  das  Ergebnis  einer  tausendjährigen  Entwicklung. 

Die  Eingangs  dieses  Abschnittes  angeführten  Nachrichten  lassen  uns 
zugleich  einen  Blick  in  die  Art  und  Intensität  des  damaligen  Acker- 
bans werfen.  Die  ausdrückliche  Überlieferung  der  Germania:  Arm 
per  annos  mutant  in  Verbindung  mit  der  Schilderung  des  Horaz  III,  24 : 

melius 
vivunt  et  rigidi  Getae, 

immetata  quihtts  iugera  liberas 
fruges  et  Cererem  ferunt, 

nec  cultura  placet  longior  annua 
lässt  es  nach  den  Ausführungen  G.  Hanssens  (Agrarhist.  Abb.  I,  123  ff.) 
als  sicher  erseheinen,  dass  der  alteuropäische  Ackerbau  eine  extensive 
und  wilde  Feldgraswirtschaft  war,  d.h.  dass  auf  eine  Aekerkultnr 
von  einem  Jahr,  während  dessen  nur  Sommergetreide  gesät  wurde, 
eine  vieljährige  Grasnutzung  folgte,  so  dass  immer  nur  der  kleinste 
Teil  der  ganzen  Kulturflüche  gleichzeitig  unter  dem  Pfluge  gehalten 
wurde.  Eine  schlagmässige  Einteilung  der  Felder  (Zwei-  oder  Drei- 
felderwirtschaft) war  daher  ebensowenig  wie  wahrscheinlich  die  Kunst 
der  Düngung  (s.  d.)  damals  bekannt. 

Auch  Uber  das  Verhältnis  von  Ackerbau  und  Viehzucht  und  die 
Auffassung  des  ersteren  Erwerbszweigs  seitens  der  alten  Bevölkerungen 
lassen  uns  die  Autoren  nicht  im  Ungewissen.  Am  deutlichsten  drückt 
sich  Caesar  VI,  22  aus:  Agrkulturae  non  student  '„legen  sie  keinen 
besonderen  Wert"),  maiorque  pars  eorum  victus  in  lade,  caseo,  carne 
consistit.  Dazu  vgl.  Tacitus  Germ.  Cap.  14:  Xec  arare  terram  auf  ex- 
spectare  anmim  tarn  facile  persuaseris  quam  vocare  hostem  et  vulnera 
mereri.  pigrum  quin  immo  et  iners  tidetur  sudore  acquirere  quodpossis 
sanguine  parare  und  Cap.  15:  Delegata  domus  et  penatium  et  agrorum 
cura  f  eminis  senibusque  et  infirmissimo  cuiquee.r  familia 
gegenüber  Cap.  5:  Ke  armentis  quidem  suus  honor  ant  gloria  frontis: 
numern  gaudent,  eaeque  solae  et  gratissimae  opes  sunt.  Nicht 
weniger  klar  tritt  die  Geringschätzung  des  Ackerbaus  in  der  Schilde- 
rung des  Herodot  bei  den  alten  Thrakern  hervor:  öptöv  clvcu  k6X- 
Xio~tov,  THS  &e  epTotTnv  d-rinÖTctTov  (V,  6).  Es  zeigt  sich  also,  wie 
fest  in  der  Bevölkerung  Altcuropas  noch  die  Vorliebe  für  die  alt- 
ererbte  Wirtschaftsform  der  Viehzucht  wurzelt,  die  da,  wo  sie  rein  auf- 
tritt, „ein  fast  nie  unterbrochener  Feiertag"  ist,  und  dem  Menschen  zur 
Befriedigung  kriegerischer  Gelüste  Zeit,  Stimmung  und  Kraft  übrig  lässt. 

Eines  Wortes  bedarf  noch  die  von  Tacitus  hervorgehobene  Heran- 
ziehung der  Frau  zu  den  Arbeiten  des  Ackerbaus,  wofür  sich  Zeug- 
nisse auch  in  anderen  Teilen  Europas  finden  (vgl.  II.  Hirt  in  den 
Jahrbüchern  für  Nationalökonomie  u.  Statistik,  III.  Folge,  XV,  462). 


Digitized  by  Google 


Ackerbau. 


Jedoch  können  wir  im  Gegensatz  zu  H.  Hirt  in  den  europäischen  Ver- 
hältnissen für  die  ausserhalb  Europas  bezeugte,  dort  in  Verbindung 
mit  dieser  landwirtschaftlichen  Thätigkeit  der  Frau  stehende  Hebung 
ihrer  socialen  Stellung  durch  Einführung  der  Monogamie  und  vor  allem 
durch  Gewährung  eines  Rechtes  auf  den  von  ihr  bebauten 
Boden  (vgl.  Grosse  Die  Formen  der  Familie  8.  159)  keine  sicheren 
Spuren  finden;  denn  gerade  bei  Germanen,  Thrakern  und  Staren, 
deren  Frauen  nach  Massgabe  der  Zeugnisse  an  der  Bestellung  des 
Ackers  teilnehmen,  herrscht  noch  Polygamie  ('s.  d.)  in  ausgedehntem 
Masse,  und  die  Teilnahme  der  Frau  an  «lern  Eigentumsrecht  des  Bodens 
(ß.  u.  Erbschaft  II)  muss  für  alteuropäische  Zustände  geradezu  als 
eine  Unmöglichkeit  angesehen  werden. 

Schwieriger  ist  es,  sich  über  die  Frage,  bis  zu  welchem  Grade  der 
Ansässigkeit  die  lndogermancn  Europas  in  der  Urzeit  vorgeschritten 
waren,  ein  bestimmtes  Urteil  zu  bilden.  Man  hat  früher  viel  von 
einem  Nomaden  tum  der  ältesten  Germanen  und  idg.  Völker  Europas 
überhaupt  gesprochen,  und  wenn  die  obeu  angeführten  Nachrichten 
Caesars,  nach  denen  die  Germanen  jährlich  nicht  nur  ihre  Felder, 
sondern  auch  ihre  Wohnungen  gewechselt  hätten  (anders  kann  die 
Stelle  VI,  22  wegen  des  folgenden:  eiua  rei  multas  affemnt  causa* 

 ne  accuratius  ad  frigora  atqne  aestus  ritandos  aedißcent 

nicht  verstanden  werden),  riclitig  sind,  so  würde  allerdings  kein  Aus- 
druck für  die  Lebensweise  der  alten  Deutschen  passender  sein.  Es 
ist  ein  Verdienst  R.  Muchs  in  seinem  Aufsatz:  Waren  die  Germanen 
Wanderhirten 'i  (Z.  f.  deutsches  Altertum  XXXVI,  97  ff.)  nachgewiesen 
zu  haben,  dnss  die  Auffassung  des  grossen  Römers  eine  irrige  sein 
muss,  dass  er  zwei  ganz  verschiedene  Dinge,  jährlichen  Flur-  und 
jährlichen  Wohnungswechsel  miteinander  vermengte,  und  dass  über- 
haupt der  Ausdruck  „Nomadentum"  auf  die  Verhältnisse  Europas  ans 
geographischen  und  historischen  Gründen  nicht  wohl  angewendet  werden 
kann. 

Auf  der  anderen  Seite  scheint  freilich  Much  den  Grad  der  An- 
sässigkeit der  ältesten  europäischen  lndogermancn  zu  überschätzen. 
Caesar  hätte  in  den  von  Much  aufgedeckten  Irrtum  nicht  verfallen 
können,  wenn  die  Germanen,  die  er  doch  schliesslich  besser  als  wir 
neueren  kannte,  auch  nur  annähernd  so  sesshaft  wie  sein  eigenes  Volk 
gewesen  wären.  Bestellen  bleibt  auch  die  Nachricht  des  Strahn  VII  p.  291 
hinsichtlich  der  Sueben:  koivöv  b'  krriv  äuaffi  toi?  rauTn  to  irepi  Ta? 
ueTavaaTdaeu;  tupaplq  (vgl.  im  übrigen  die  Kritik  dieser  Stelle  bei 
Much  a.  a.  0.  8.  117  f.),  und  dasselbe  wird  von  den  Slaven  (Prokop. 
B.  G.  III,  14:  oucoöcri  €v  KaXußm?  oucTpau;  bieo'Knvriue'voi  ttoXXüj  miv 
än  ä\Xr|Xujv,  dtueißovTeq  bi  ih<;  tu  ttoXXu  töv  Tfj <;  i voiKn,CT£uj<; 
^Kaoiov  x&pov),  dasselbe  von  den  ältesten  G riechen  (Thnkyd.  I,  2: 
<paiv€Tat  T«P  n  vuv  'EXXdq  KaXouutvn,  ou  iröXai  ßcßcnwt;  oiicouM^vri.  dXXd 


Digitized  by  Google 


Ackerbau  —  Adoption. 


17 


u€Tavao*Täo"eiq  xe  oOo*ai  xct  TTpöxcpa  Kai  £abiw<;  £i<ao*TOi  xrjv  £aiml>v 
äm>XeinovT€<;,  ßtaZöuevoi  üttö  xivujv  ct€i  ttX€iövujv  berichtet. 

Es  wird  also  im  Norden  wie  im  Süden,  je  früher,  umso  häutiger, 
vorgekommen  sein,  dass  ein  Stamm  seine  Hütten  abbrach,  Weib  und 
Kind,  Hausgeräte  und  Ackerfrüehtc  auf  die  ochsenbespannten  Wagen 
lud,  um  mit  seinen  Herden  an  einer  anderen  Stelle  sein  Glück  zu  ver- 
suchen, ohne  dass  man  derartige  ueTavaaidcreis  noch  auf  gleiche  Stufe 
mit  den  ruhelosen  und  nur  durch  kurze  Rasten  unterbrochenen  Wande- 
rungen von  Xomadenvölkcrn  stellen  dürfte.  Dabei  mögen  örtliche 
Unterschiede  sehr  früh  hervorgetreten  sein.  Den  Bewohnern  der  nur 
mit  grosser  Mühe  in  den  Seen  und  sonst  errichteten  Pfahlbauten  <  s.  u. 
Haus),  z.  B.  den  thrakischen  Paeoniern  wird  man  schon  in  der  Stein- 
zeit ein  grösseres  Mass  von  Sesshaftigkeit  zuschreiben  dürfen  als  den 
Besiedlcrn  des  trockenen  Landes. 

Der  höchste  Grad  der  Sesshaftigkeit  aber  wird  erst  mit  dem  Aufblühn 
des  Garten-  und  Obstbaues  (s.s.  d.  d.)  erreicht,  über  die  Geschichte 
der  einzelnen  Feldfrüchte  ist  in  besonderen  Artikeln  gehandelt  worden. 
S.u.  Hirse,  Gerste,  Weizen  und  Spelt  (Dinkel),  Hafer,  Roggen, 
Reis,  Flachs,  Hanf,  Hopfen,  Erbse,  Bohne,  Linse,  Zwiebel  und 
Lauch,  Cucurbitaceen  (Gurke,  Kürbis,  Melone),  Kohl  und  Rübe, 
Mohn,  Möhre,  Beete.  Hierher  gehören  ferner  die  Artikel :  D  r  e- 
schen  (Tenue),  Düngung,  Egge,  Mahlen  (Mühle),  Pflug,  Stall 
und  Scheune  (.Speichen,  Sichel  und  Sense,  Sieb,  Worfeln. 

Adel,  s.  Stände. 

Adler,  s.  Raubvögel. 

Adoption.  Dieser  Rechtsbrauch,  der  dem  Kinderlosen  die  Mög- 
lichkeit „künstlicher  Sohnescreierung"  bietet  und  auch  auf  niedrigen 
Kulturstufen  weit  verbreitet  ist  (vgl.  Kohler  Studien  über  künstliche 
Verwandtschaft,  Z.  f.  vergl.  R.  W.  V,  415  ft'.),  lässt  sich  ausser  bei  den 
Römern  (lat.  adoptio,  bezw.  arrogatio,  eigentl.  ,Anwünschuug')  auch  bei 
anderen  idg.  Völkern  frühzeitig  nachweisen.  So  in  den  indischen 
Rechtsbüchern  (z.  B.  bei  Vasishtha  Dharmagästra  XV,  6:  „f/e  icho  desires 
to  adopt  u  son,  shall  assemble  his  kinsmen,  announce  his  inten- 
tion  to  the  kingt  make  burnt-offerings  in  the  middle  of  the  hou.se, 
reciting  the  Vydhrtis  and  take  'as  a  son)  a  not  remote  kinsman, 
just  the  märest  among  his  retoticex"  —  der  adoptierte  Sohn  heisst 
datta-  oder  dattaka-  ,der  gegebene',  auch  krtrima-  ,der  künstlich 
gefertigte';  vgl.  ausführlich  Jolly  Recht  und  Sitte,  Grundriss  der 
indo-ar.  Phil.  II,  71  ff.),  bei  den  Griechen  (r^vTt?  Oetöv  TiaTba 
TroueaGai  iQl\ri,  ßaffiXewv  ^vaviiov  TTOieeo*8ai,  Herodot  VI,  57; 
im  Recht  von  Gortyn:  äv<pavo*ts  , Adoption',  äuipaväucvos  , Adoptivvater', 
äu9avrös  , Adoptierter' :  äva<pouvo^i  ,weise  als  mein  auf),  bei  den 
Germanen  (got.  frastisibja,  entsprechend  dem  griech.  uio6€0*ict :  frasts 
.Kind'  und  sibja  Verwandtschaft',  vgl.  ahn.  wtt-lddiny  ,Adoption', 

Schräder,  Reallexikon.  2 


Digitized  by  Google 


18 


Adoption. 


eigentl.  .Einführung  in  die  Familie  oder  das  Vermögen';  von  den  bei  der 
Adoption  üblichen  Zeremonieu,  onter  denen  auch  das  bei  den  Indern 
vorkommende  Scheren  der  Haare  wiederkehrt:  ahn.  knesetja  von  der 
Kniesetzung,  altfränk.  fathumjan,  mlat.  adfatimus :  alts.  fathmos  ,Ariue 
und  Hände'  von  der  Umarmung  u.  a.).  Auch  bei  den  Slaveu  finden 
sich  schou  in  alten  Schriftdenkmälern  Wörter  für  Adoption,  adoptieren, 
Adoptivsohn.  Der  letztere  heisst  serb.  und  kroat.  posinak,  mit  dem- 
selben po-  gebildet,  das  auch  zur  Bezeichnung  der  Stiefkinder  (s.  u. 
Stief-)  dient.  „Die  ältere  Sprache",  fügt  Krauss  Sitte  und  Brauch 
der  Süd8lavcn  S.  595  hinzu,  „kennt  kein  Wort  für  Adoptiv  t  o  c  h  t  e  r.  .  .  . 
Dass  man  ein  erwachsenes  Mädchen  etwa  wie  einen  Burschen  adop- 
tieren würde,  kommt  nicht  vor,  weil  es  nach  der  Volksauffassung  eiu- 
fach  sinnlos  wäre".  Ebenso  wenig  ist  in  den  ausführlichen  Bestim- 
mungen des  Gortynischen  Rechts  (vgl.  Das  Recht  vou  Gortyn  von 
F.  Bttcheler  u.  E.  Zitelmann  S.  160  ff.)  über  Adoption  oder  in  den 
indischen  Reehtssatzungen  darüber  von  der  Annahme  von  Mädchen 
die  Rede. 

Ob  die  Adoptiou  als  ein  schon  idg.  Rechtsbrauch  anerkannt  werden 
darf,  mag  dahin  gestellt  bleiben,  zumal  ihre  Terminologie  in  den  Eiuzel- 
sprachen  so  weit  aus  einander  geht.  Jedenfalls  standen  dem  Indo- 
gernianen  zur  Erzielung  eines  für  die  Weiterführung  der  Wirtschaft 
und  die  Darbringung  der  Totensacra  (s.  u.  Ahnenkultus)  unentbehr- 
lichen Sohnes  bei  Sohnlosigkeit  der  Frau  noch  andere  und  einfachere 
Mittel  zur  Verfügung.  S.  u.  Polygamie,  Zeug  ungs  helfet-  und 
E  r  b  t  o  c  Ii  t  e  r. 

Als  ihre  älteste  Form  wird  der  dem  Brautkauf  entsprechende  und  in 
Indien  bezeugte  Sohneskauf  (vgl.  Kohler  Indisches  Ehe-  und  Familien- 
recht, Z.  f.  vergl.  R.W.  III,  423,  Leist  Altarisches  Jus  gentium  S.  104). 
als  ihr  ältestes  Symbol  die  von  Diodorus  IV,  39  bei  BarharenstAmtucn 
vorgefundene,  aber  von  Plinius  Panegyr.  Cap.  8  auch  für  das  kaiser- 
liche Rom  bezeugte  Nachahmung  des  wirklichen  Geburtsakts 
anzusehen  sein. 

Das  Hecht,  in  Adoption  zu  geben  oder  zu  nehmen,  steht  wie  das 
A  ussctzuiigsrecht  (s.  d.)  ursprünglich  allein  dem  Vater  zu. 

Die  Adoption  ist  ferner,  wie  dies  schon  aus  dem  obigen  hervorgeht, 
ein  öffentlicher  (in  Gegenwart  des  Königs  vorzunehmenden  Akt  der 
Sippe  und  des  Stammes.  Auch  bei  den  Germanen  ging  eine  besonders 
feierliche  Art  der  Adoption  im  gttirethin.v,  in  der  Volksversammlung 
zugleich  mit  der  Wchrhaftmachung  vor  sich  '  vgl.  Schröder  Deutsche 
Rcchtsgcschichtc*  S.  0T>j.  Recht  deutlich  tritt  die  Teilnahme  der 
Allgemeinheit  au  dem  in  Frage  stehenden  Vorgang  auch  bei  den 
irischen  Mic  Faesnut  ,children  of  adoptiou'  (fo-exxam  .Schutz  )  hervor. 
Vgl.  O'Curry  Manners  and  custoins  I.  CLXV.  Da  es  sich  hierbei  aber 
vornehmlich  um  die  Aufnahme  erwachsener  Fremder  in  ein  fine 


Digitized  by  Google 


Adoption  —  Affe. 


19 


(.Verwandtschaft')  durch  die  Vermittlung  eines  Haushalters  handelt, 
liegt  hier  mehr  der  Begriff  der  Arrogation  als  der  Adoption  vor. 
S.  u.  Recht  (Familienrecht). 

Affe.  Das  gegenwärtig  in  Europa  wild  nur  auf  dem  Felsen  von 
Gibraltar  vorkommende  Tier  war  vielleicht  früher  im  Süden  Europas 
weiter  verbreitet,  worauf  der  Xame  der  Pithekusen  oder  ,Affcniuscln' 
im  Golf  von  Neapel  hinweist.  Auch  ist  gerade  Italien  nicht  ohne  alte 
und,  wie  es  scheint,  einheimische  Benennungen  des  Tieres.  So  be- 
gegnet im  Etrurischen  dpiuo^  (Hesych),  im  Lateinischen  dura,  clusa  (?), 
cluna  (vgl.  Festus,  ed.  M.  S.  55,  9,  G.  Goetz  Thes.  Gl.  s.  v.  dura),  während 
lat.  simia  nach  Kretschmcr  K.  Z.  XXXIII,  563  identisch  mit  dem 
griechischen  Sklavennamen  Simia,  Imia?  (raiuöq,  lat.  simus  stumpf- 
nasige wäre  und  ursprünglich  ein  volkstümlicher  Scherzname  des  Affen 
gewesen  sei  (s.  ähnliches  u.  Hahn,  Huhn). 

In  Griechenland  kennt  die  homerische  Sprache  noch  keine  Bezeich- 
nung des  Tieres.    Eine  solche  tritt  als  mönKoq  vielmehr  erst  in  zwei 
Fabelfragmenten  bei  Archilochus  auf.    Vgl.  Fragm.  89  (Bergk): 
Tuerncos  fjei  9n.pt wv  dnoKpi8ei<; 

uoövo?  dv'  ^axaTinv ' 
tuj  b'  dp'  dXujTrnH  KepbaXen,  cruvr|VT€TO 
ttukvöv  Ixouaa  vöov  (s.  auch  u.  Fuchs) 
und  Fragm.  91:  xoinvbe,  tu  Tu9r|K€,  Tnv  mj-rnv  Ixwv. 
Das  Wort  ist  noch  unerklärt.    Vielleicht  darf  man  an  eine  Verstümme- 
lung aus  (Ka)Tri6nKOs  denken:  sert.  kapi-  ,Affe'  (s.  u.).    Vgl.  aber  auch 
Trn8u>v  m0n,icos  Hes. 

Sehr  viel  später  (zuerst  bei  Aristoteles)  ist  im  Griechischen  Kn,ßoq,  Knrcoq 
(auch  K€ßXo<;  Hes.),  woraus  lat.  ctphus,  nachweisbar.  Diese  Wörter  gehören 
zu  einer  Gruppe  von  Benennungen  des  Tieres  (sert.  kapi-,  schon  im 
Rig-  und  Atharvaveda  bezeugt,  woraus  durch  iranische  Vermittlung 
armen  kapik;  ferner  hebr.  qOf  und  altägypt.  qephi  .der  Affe  des  Landes 
I'unt  ),  die  zwar  sicher  unter  einander  zusammenhängen,  deren  Aus 
gangspunkt  aber  noch  nicht  ermittelt  ist.  Der  Austausch  muss  auf 
den  uralten  Haudelswegen  erfolgt  sein,  die  Indien  mit  dem  Wunder- 
landc  Ophir,  dem  ägyptischen  funt  im  südlichen  Arabien  oder  östlichen 
Afrika  verbanden.  Das  griechische  ktitto?  und  lat.  ctphus  scheinen 
dem  Ägyptischen  am  nächsten  zu  liegen. 

Frühzeitig  erfuhren  die  Griechen  auch  von  menschenartigen 
Affen,  und  zwar  durch  den  Karthager  Hanno,  welcher  um  500  den 
Kolonien  an  der  Westküste  Afrikas  neue  Maunschaften  zuführte  und 
darüber  einen  Bericht  verfasste,  der  ins  Griechische  übersetzt  wurde: 
'Ev  b€  tuj  uuxüj  vf\<soq  nv  ^oncina  xrj  TTpujxrj  X(u.vn.v  lx°u0"a'  KCtl  ^v 
TauTtj  vr\oo<;  nv  iiipa,  p€0*TT)  dv9pumujv  dtpiujv.  ttoXu  b£  TrXeiou?  naav 
TovaiKe?,  bacreiai  toi?  ffujuacri,  ot  ipnr\vk<;  exdXouv  FoniHa;  (nach 
Möller  für  Toorallas,  wie  in  der  Sprache  der  Mandiugi  -  Neger  die 


Digitized  by  Google 


20 


Affe  —  Ahle. 


Orang-Utans  heissen  sollen).  buuKOVTe?  be  ävbpa^  utv  auXXaßciv  ouk 
i^buvr|9»mev,  dXXd  TTdvreq  4£6puYOV  Kprmvoßdxai  övt€?  Ka\  toi?  TT^rpoic 
duuvöuevoi,  fuvaiKa?  bk  Tpet?,  a'i  baKvouaai  re  Kai  tfirapdirouaai  tou? 
drovra?  ouk  fj9€Xov  £7T€0*8ai.  dTroKT€ivavr€?  ji^vroi  aurdq  ^Ecbelpauev 
Kai  iäq  bopdq  ^Kouiffauev  €15  Kapxnböva  (Müller  Geogr.  graeci  min.  1, 13f.). 

Noch  viel  später  als  Kfjßo?  sind  griech.  umu»,  vielleicht  mit  Anlehnung 
an  uincioeai  aus  npers.  ntaimdn  (  vgl.  auch  ttlrk.  majmun,  alb.  maimün, 
ebenso  südslavisch  und  ngriech.),  die  wieder  mit  sert.  mayü-  ,Affe'  (Zimmer 
Altind.  Leben  S.  85)  irgendwie  zusammenhängen  könnten,  und  «pKom- 
8nKos,  k^pkuji^  :  k^pko?  ,8chwanz'  bezeugt,  über  die  Bedeutung  des  Afieu 
bei  Griechen  und  Römern  vgl.  Keller  Tiere  des  kl.  Altertums  S.  1  ff.).  — 
Auf  verschiedenen  Wegen  ist  der  Affe  zu  den  Nordvölkern  gelangt. 
Hesych  bietet  die  Glosse  dßpdva^  •  KcXtoi  toü£  K6pKOTri6r^Kou{.  Liest  man 
hierfür  mit  einer  alten  Emendation  (Rcinesius)  *dßßdva$,  *dßdva$,  so  er- 
hält man  die  germanische  Grundform  *apan-,  altn.  ape,  ahd.  affo.  Die 
Germanen  würden  demnach  schon  vor  der  ersten  Lautverschiebung 
den  Namen  des  Affen  von  den  Kelten  empfangen  haben,  welche  das 
possierliche  Tier  frühzeitig  etwa  von  Massilia  her  kennen  lernen  konnten. 
Es  mag  öfters  vorgekommen  sein,  was  Cicero  De  div.  I,  34  vom  Könige 
der  Molosser  berichtet,  dass  Harbarenhäuptlinge  sich  einen  Affen  zur 
Kurzweil  hielten.  Eine  weitere  Verknüpfung  des  keltisch-germanischen 
Stammes  *aban-,  *apan-  ist  bis  jetzt  nicht  möglich,  man  müsste  denn 
auch  hier  unter  Annahme  eines  Konsonantenschwundes  im  Anlaut  an 
Znsammenhang  mit  sert.  kapi-  etc.  denken.  Stokes  B.  B.  XXIII,  60 
zieht  zur  Vcrgleichung  ir.  abacc  (*abanko-)  ,Zwerg'  heran. 

Die  Slaven  haben  das  germanische  Wort  (altruss.  opka),  aber  auch 
das  altgriechische  (altsl.  pitikü)  und  dazu  einen  orientalischen  Ausdruck : 
russ.  obezüjana,  lit.  bezdziöne  (volksetymologisch  wohl  durch  bezdine 
,der  Hintere'  beeinflusst ;  vgl.  das  oben  angeführte  zweite  Fragment  des 
Archilochus  und  lat.  cluna  aus  dura :  clünes)  aus  tttrk.-pers.  ebuzini, 
buzini.  Im  Germanischen  begegnet  noch  ein  mndl.  »irnme,  simminkel 
,Affc'  aus  lat.  simia  (*8tmiuncula  s.  o.)  und  ein  agls.  sprinca  ans  lat.  spinga 
(spingion,  sphinx , Affenarten  ).  Vgl.  auch  engl,  monkei/j  oberd.  muonaff 
aus  ital.  monna,  mona  ,Affe'  (Madonna).  Hauptsächlich  Italiener  sind 
es  noch  heute,  die  mit  Affen  und  anderen  merkwürdigen  Tieren  in  den 
Städten  und  Dörfern  des  nördlichen  Europas  umherziehen. 
Agnation,  s.  Familie. 

Ahle.  Spitzige  ahlen-  oder  pfriemenartige  Werkzeuge  aus  Horn, 
Knochen  oder  Flint,  vornehmlich  wohl  zum  Durchbohren  des  Leders 
gebraucht,  sind  aus  der  neolithischeu  Periode  und  schon  aus  früherer 
Zeit  zahlreich  an  den  Tag  gekommen.  Neben  Dolch  und  Pfeil  ist 
ferner  der  Pfriem  das  älteste  Werkzeug,  das  aus  Metall  (Kupfer  und 
Bronze)  hergestellt  wurde  (vgl.  M.  Much,  Kupferzeit  *  S.  186  f.).  Der 
idg.  Name  desselben  ist  sert.  d'rd  ,Ahle',  ,Pfricm'  —  ahd.  diu,  lit.  yla. 


Digitized  by  Google 


Ahle  —  Ahnenkultus. 


21 


altpr.  yto  (die  beiden  letzteren  mit  auffallendem  Stammvocal);  daueben 
lat.  m-bula  =  ßech.  si-dlo,  polu.  szy-dlo  :  lat.  suo,  alid.  siula  ,Pfriem'; 
s.  u.  Nadel.  Unaufgeklärt  sind:  griech.  öireu?,  mhd.  pf Herne,  agls. 
prion,  altn.  prjönn  (woraus  ir.  prin,  gael.  prine)  und  gemeiukelt.  ir. 
menad  (*minaveto-).    S.  u.  Werkzeuge. 

Ahnenkultus.  Bei  allen  Indogennauen  findet  sieb,  wie  auf  an- 
deren Völkergebieten,  die  Vorstellung,  dass  die  Seelen  der  Verstorbenen 
in  ihren  Gräbern  oder  ausserhalb  derselben  seitens  ihrer  Angehörigen 
wiederholter  Labung  durch  Speise  und  Trank  bedürften.  Insofern  diese 
Labung  von  den  Mitgliedern  der  einzelnen  Familien  verbände  den  Seelen 
der  Abgeschiedenen  der  eigenen  Sippe  oder  der  eigenen  Hausgemein- 
schaft dargebracht  wird,  ist  statt  von  einem  Seelen kultus  von  einem 
A  Ii  n  e  n  d  i  e  n  s  t  zu  reden,  der  sich  dann  wieder,  wenn  er  sich  auf 
einzelne  durch  ihre  Thaten  besonders  berühmte  und  darum  als  Schutz- 
geister jener  Familienverbände,  später  des  Landes,  welches  sie  bewohnen, 
verehrte  Vorfahren  bezieht,  zu  einem  uur  auf  höheren  Stufen  bezeugten 
Heroenkultus  erhebt.  Bei  der  Aufzählung  der  Zeugnisse  für  diese 
Anschauungen  wird  es  gut  sein,  mit  den  nördlichen  lndogermanen 
zu  beginnen,  bei  denen  die  ursprünglichen  Verhältnisse  sich  naturgemäss 
ungetrübter  als  bei  den  arischen  und  südeuropäischen  Völkern  erhalten 
haben.  Die  hierher  gehörigen  Bräuche  der  alten  Preussen  und  Litauer 
fasst  Johan.  Lasieius  De  diis  Samagitarum,  Basileae  1615  S.  57  (dieser 
Teil  ist  ein  fast  wörtlicher  Abdruck  der  Schrift  des  Jan  Maleeki  über 
die  Opfer  und  den  Gottesdienst  der  alten  Preussen)  folgendermassen 
zusammen:  Qui  funus  mortuo  faciunt,  nummos  proiciunt  in  sepul- 
crum, futurum  mortui  viaticum.  panem  quoque  et  lagenam  cervisiae 
plenam  ad  caput  cadareHs  in  sepulcrum  illati,  ne  anima  vel 
eitiat  vel  esuriat,  collocant.  uxor  vero  tarn  Oriente  quam  occi- 
dente  sole  super  extineti  coniugis  sepulcrum  sedens  vel  iacens 
lamentatur  diebus  triginta.  caeterum  cognati  celebrant  convivia 
die  a  funere  tertio,  sexto,  nono  et  quadragesimo.  ad  quae 
animam  defuneti  invitant  precantes  ante  ianuam.  tibi  tacite  assident 
mensae,  tamquam  muH  (vgl.  lat.  süicemium  ,TotenmahT,  wenn  es 
richtig  mit  silere  »schweigen*  verbunden  wird),  nec  utuntur  cultris 
ministrantibus  duäbus  mulieHbus,  sed  absque  cultris,  eibumque  hos- 
pitibus  apponentibu8.  singuli  vero  de  unoquoque  ferculo  aliquid  infra 
mensam  abiciunt,  quo  animam  pasci  credunt  eique  potum  effundunt. 
Si  quid  forte  decidat  in  terram  de  mensa,  id  non  tollunt,  sed 
desertis,  ut  ipsi  loquuntur,  animis,  quae  null  09 
habent  vel  cog  natos  vel  amicos  vivos,  a  quibus  excipian- 
tur  convivio,  relinquunt  manducandum.  peracto  prandio  surgit  a 
mensa  sacHficulus  et  scopis  domum  verrens  animas  mortuorum  cum 
pulvere,  tamquam  pulices,  haec  dicens  eicit:  Edistis ,  inquit, 
bibistis,  animae,  ite  foras,  ite  foras.   posthaec  ineipiunt 


Digitized  by  Google 


22 


Ahnenkultus. 


convicae  inter  se  colloqui  et  certare  poculis,  mulieribus  viris  praebi* 
bentibm  et  viris  vicissim  Ulis  seque  invicem  osculantibus.  In  den  von 
ihm  selbst  herrührenden  Teilen  der  genannten  Schrift  nennt  Lasicius 
(S.  48)  dann  noch  einen  Gott  der  Seelen  Vielona  (s.  u.):  Cui  tum 
oblatio  ojfertur,  cum  mortui  pascuntur.  dari  autem  Uli  solent  frixae 
placentulae  quattuor  loci«  sibi  oppositis  paullulum  discissae.  eae 
Sikies  Vielonia  pemixlos  nominantur  („Fladen,  die  dem  V.  wohlgefällig: 
sind",  vgl.  Usener-Solmsen  Götternamen  S.  104)  und  (p.  51)  eine  zweite 
Totengottheit  Ezagulis  (wörtl.  ,der  auf  dem  Feldrain  liegende'  d.  h. 
der  Tote),  von  dem  es  heisst:  Skierstuices  (lit.  sJcerstüwes  ,Schlacht- 
schmaus)  festum  est  fareiminum,  ad  quod  deum  Ezagulis  ita  vocant: 
Vielona  velos  atteik  musmup  und  stala.  Veni,  inquit,  cum  mortuis 
fareimina  manduenturus  (wörtlich:  „V.  im  Totenreich,  komm'  zu  uns 
an  den  Tisch" ;  vgl.  Usener-Solmsen  S.  90  und  v.  Grienbcrger  Archiv  f. 
shiv.  Phil.  XVIII,  43  f.).  Audi  alte  und  vornehme  litauische  Familien 
kannte  Lasicius  (S.  47),  die  besondere  Familiengötter  verehrten.  Ihre 
von  ihm  mitgeteilten  Namen  stellen,  wie  dies  bei  dem  zuerst  genannten 
Simonaites  sicher  der  Fall  ist,  wahrscheinlich  die  Personennamen 
göttlich  verehrter  Ahnherren  des  Geschlechts  dar  (vgl.  v.  Grienbcrger 
a.  a.  0.  S.  28  f.) 

Auf  sla  vi  schein  Boden  enthalten  vor  allem  polnische  Zeugnisse 
(polnisch-lateinische  Predigten  des  XV.  Jahrh.;  vgl.  A.  Brückner  Archiv 
f.  slav.  Phil.  XIV,  18Hff.)  wichtige  Angaben  über  den  Kult  der  Toten. 
So  wird  von  dem  Vboze  (altsl.  ubozije  ,das  arme  Männchen',  entsprechend 
den  deutschen  Wichten  und  Kobolden),  das  direkt  den  lat.  mdnes, 
,Geistcr  der  Verstorbenen*  gleichgesetzt  wird,  berichtet :  Daemonihus 
sacrifkia  offerunt,  qttae  dicuntur  vbosthye,  remanentes  seu  derelin- 
quentes  eis  residuitates  eiborum  quinta  feria  post  cenam,  ferner: 
(einige  waschen  die  Schüsseln  am  Charfreitag  nach  der  Mahlzeit  nicht 
ab)  ad  pascendum  animas  rel  alias,  quae  dicuntur  rbosthe  u.  s.  w. 
Eine  andere  Nachricht  erzählt  von  Feuern,  an  denen  sich  die  Ahnen- 
seelen wärmen  sollen:  Cremare  focos  ardentes  feria  quarta  magna 
secundum  ritum  paganorum  in  cornmemorationem  animarum  suarum 
cariorum.  Eiu  altslawischer  Ausdruck  für  das  Totcninahl  war  strata. 
Vgl.  Jordanis  Cap.  49:  Post  quam  talibus  lamentis  est  defletus  (At- 
tila), st  rat  am  super  tumulum  eins,  quam  appellant  ipsi,  ingenti 
commessatione  concelebrant,  und  in  einer  Urkunde  vom  .lahre  1090: 
genus  tibi,  quod  vulgo  struva  dicitur.  Das  Wort  wird  ein  slavisches 
Lehnwort  im  Hunnischen  sein  und  bedeutet  im  Russischen,  Polnischen 
und  Böhmischen  ,Speise\  ,Mahl',  im  Altböhniisrhen  auch  , Leichenmahr 
(vgl.  Krek  Einleitung  2  S.  4:*ö  1  und  Miklosich  Et.  W.  s.  v.  strara, 
während  Gabclentz-Loebc  Glossar  S.  171  und.  R.  Kögel  Gesch.  d.  d. 
Lit.  I,  1,  48  das  Wort  als  germanisch  in  Anspruch  nehmen). —  In 
Deutsch  lai/d  wird  im  Iudiculus  snperstitionuni  et  paganiaram  das 


Digitized  by  Google 


Ahncnkultu». 


23 


sacrilegium  ad  sepulcra  mortuorum  verboten  (die  darin  eingeschlossenen 
dädsisas  ,Totenzauberliedcr'  seheinen  nach  Kögel  a.  a.  0.  S.  52  den 
Zweck  gehabt  zu  haben,  den  Geist  im  Grabe  festzubannen),  und  noch 
ums  Jahr  1000  eitert  Burkhard  von  Worms  gegen  die  oblationes,  quae 
in  quibusdam  lock  ad  sepulcra  mortuorum  fiunt.  Von  göttlicher  Ver- 
ehrung der  Ahnenseelen  weiss  Jordanis  Cap.  13:  Iam  proceres  suos, 
Quorum  quasi  fortuna  vincebant,  non  puros  homines,  sed  semideos, 
id  erf  anses  (s.  u.),  tocaverunt  zu  berichten  (vgl.  weiteres  bei  Golther 
Handbuch  der  germanischeu  Mythologie  S.  90  ff.  und  E.  Mogk  Mythologie 
in  Pauls  Grundriss  III2,  249  ff. ).  Noch  heute  setzt  man,  namentlich 
in  Tirol,  „den  armen  Seelen,  die  an  Allerheiligen  aus  dem  Fegefeuer 
geläutet  werden,  in  ihrer  Heimat  Krapfen  und  Milch  auf  den  Tisch, 
was  dann  morgens  Arme  wegholen,  wannt  ihnen  die  Stube  und  bietet 
ihnen  in  Lämpchen  linderndes  Oel  ftir  ihre  Brandwunden1'  (vgl.  E.  H. 
Meyer  Deutsche  Volkskunde  S.  275).  —  Wendet  man  sich  zu  Ariern 
und  Sttdenropäern,  so  werden  in  Indien  die  Vorfahren  pitdras)  mit 
ihren  auf  der  Erde  zurückgebliebenen  Verwandten,  den  näheren  (sa- 
phtrta-)  und  ferneren  (samanödaka-)  durch  einen  streng  geregelten 
Totendienst  verbunden,  der  zwei  Arten  religiöser  Handlungen  aufweist, 
das  pindapitrjjajAa-  ,das  Klösseväteropfcr'  (pinda-  ,Kloss',  daher  sa- 
pinda-  ,der  mit  anderen  Klösse  darbringt',  .Verwandter",  ,  Agnat';  vgl. 
oben  die  litauischen  dem  Vielona  angenehmen  Fladen)  und  die  erdddha-, 
ebenfalls  Totenmahle,  in  gläubiger  Gesinnung  {yaddhü')  dargebracht, 
bei  denen  „einem  oder  mehreren  Verstorbenen  zu  Gefallen  Brahmanen 
gespeist  werden,  und  nach  denen  den  Manen  Wasser,  Pinda  s,  Salbe, 
Kleidung  und  wieder  Wasser  (daher  samanödaka  aus  samana-  ,zu- 
sammen'  und  udaka-  , Wasser  )  dargebracht  wirda  (vgl.  W.  Caland  Über 
Totenvcrehrung  bei  einigen  der  idg.  Völker,  Amsterdam  1888,  derselbe 
Altindischer  Ahnenkult,  Leiden  1893).  Die  Bedeutung  der  ganzen  In- 
stitution ist  eine  ausserordentliche  und  hängt,  wie  sich  noch  weiter 
zeigen  wird,  aufs  innigste  mit  dem  altindischen  Ehe-  und  Erbrecht  zu- 
sammen. Die  Anschauungen,  auf  denen  dieser  l'nsterblichkeitsglaube 
und  Totendienst  beruht,  sind  sowohl  was  den  Aufenthalt  der  Seelen 
'nämlich  im  Himmel)  wie  auch  die  Formen  der  ihnen  gespendeten  Opfer 
anbetrifft,  schon  in  vedischer  Zeit  geläuterte.  Doch  fehlt  es  nicht  an 
Spuren  eines  älteren,  mit  dem  oben  geschilderten  altpreussisehen  u.  s.  w. 
nahezu  auf  einer  Stufe  stehenden  Seelcnglaubens,  wie  sie  namentlich 
in  der  Schilderung  der  Totenopfer  bei  Göbhila  in  den  Grhyasütras 
hervortreten.  „Nichts",  sagt  Oldenburg  Die  Religion  des  Veda  S.  5ä3, 
„deutet  hier  auf  himmlische  Wohnungen  der  Seelen;  die  Gaben  für  sie 
werden  nicht  durch  das  Opferfeuer  nach  oben  gesandt.  Sie  werden  in 
die  Erde  gelegt:  in  der  Erdtiefe  oder  auch  auf  der  Erde,  in  der  Nähe 
der  menschlichen  Wohnung  haust  die  Seele  und  wartet,  dass  die 
Lebenden  ihren  Hunger  stillen  und  sie  kleiden.   Sie  kommt  zum  Mahle 


Digitized  by  Google 


24 


Ahnenkultus. 


heran,  setzt  sieb  an  den  Platz,  den  man  für  sie  zugerichtet  hat,  oder 
sehlüpft  in  das  Wassergcfass;  von  der  Speise,  die  man  ihr  giebt,  ge- 
niesst  sie  die  Hitze  und  lässt  die  erkaltete  Substanz  liegen.  Hat  sie 
ihr  Teil  empfangen,  so  achtet  man  darauf,  dass  der  unheimliche  Gast 
nicht  länger  verweilt." 

Nicht  zurück  an  Bedeutung  hinter  dem  indischen  steht  der  römische 
Totendienst  mit  seineu  dei  parentum,  mdnes,  pendtes,  lemures,  lärme, 
lares.  Von  diesen  nicht  immer  scharf  geschiedenen  Namen  bezeichnete 
mdnes  (:  altlat.  mänus  ,gut',  mäne  ,zu  guter  Stunde';  vgl.  griech. 
XpnaTOi,  pdKctpes  etc.,  tnhd.  die  guoten,  holden  in  gleichem  Sinne)  im 
allgemeinen  die  verklärten  Geister  der  Verstorbenen,  denen  eine  Be- 
stattung zu  teil  geworden  war,  „während  die  lemures  und  larvae  eher 
für  die  Seelen  derjenigen  galten,  welche  iu  Folge  eines  gewaltsamen 
Todes  oder  begangener  Sünden  unstät  umherirrten".  Die  lares  im 
besonderen  sind  die  guten  Sehutzgeistcr  der  Familie  (lar  familiaris), 
denen  bei  jeder  Gelegenheit  Speise  und  Trank  iu  kleinen  Schüsselchen 
auf  dem  Herde  dargebracht  wurden.  Diese  Scheidung  in  gute  und 
böse  Geister  der  Verstorbenen  kann  aber  kaum  etwas  ursprüngliches 
sein,  da  lares  (läse*)  und  larva  (Häsiia)  offenbar  aus  demselben  unten 
ausführlich  zu  behandelnden  Stamm  HAs-  hervorgegangen  sind.  Auch 
fehlt  es  nicht  an  Stellen,  an  denen  die  Laren  noch  als  böse  und  gierige 
Geister  der  Unterwelt  aufgefasst  sind,  zu  denen  man  betet,  dass  sie 
das  Lebendige  verschonen  und  sich  an  Bildern  des  Lebendigen  ge- 
nügen lassen  möchten.  Vgl.  Festns  ed.  M.  S.  237  (nach  wahrscheinlicher 
Ergänzung):  Pilae  efftgies  viriles  et  muliebres  e.r  lana  Compitalibus  in 
compitis  suspenduntur,  quod  hunc  diem  festum  esse  deorttm  inferorum 
putant,  eorum,  quos  vocant  Lares,  quibus  tot  pilae  suspenduntur, 
quot  capita  sunt  sercorum,  tot  effigies,  quot  sunt  liberi  homines  in 
famiüa,  collocantur,  ut  vi  vis  parcant,  pilis  et  simtilacris  content i. 
Anders,  aber  nicht  überzeugend  über  die  ursprüngliche  Bedeutung  der 
Laren  urteilt  neuerdings  Wissowa  in  Roschers  Ausf.  Lexieon  der  griech. 
und  röm.  Mythologie,  wo  im  Gegensatz  zu  der  Auffassung  des  klassischen 
Altertums,  z.  B.  der  des  Verrius  Flaccus  bei  Festus  Pauli  S.  121 :  Lares 
animae  esse  putabantur  hominum  redactae  in  numerum  deorum,  die 
Laren  vielmehr  als  Flur-  und  Ortsgeister  gedeutet  werden. 

Sehr  merkwürdig  haben  sich  die  griechischen  Verhältnisse  ent- 
wickelt, die  bis  auf  ihre  Behandlung  durch  E.  Rohde  in  seinem  Buche 
Psyche,  Seelenkult  und  Unsterblichkcitsglaube  der  Griechen  Freiburg  i.B. 
1890  (2.  Aufl.  1898)  die  Annahme  eiues  ursprünglichen  Ahnenkultes  bei  den 
idg.  Völkern  erschwerten.  Nach  der  homerischen  Anschauung  führen  die 
Seelen  der  Entschlafenen  im  Hades  ein  der  Oberwelt  ganz  und  gar  ent- 
rücktes, schattenhaftes,  körper-  uud  bewusstseinloses  Dasein,  so  dass  für 
den  Lebenden  keine  Veranlassung  und  keine  Möglichkeit  vorliegt,  ihnen 
mit  Spenden  und  Opfern  zu  nahen.  Trotzdem  ragen  auch  in  die  homerische 


Digitized  by  Google 


Ahnenkultus. 


Zeit,  wie  Robde  gezeigt  hat,  die  Überreste  eines  einst  stark  ausgeprägten 
griechischen  Seelenglaubens  hinein.  Das  einleuchtendste  Beispiel  hier- 
für ist  das  Leichenbegängnis  des  Patroclus  (II.  XXIII,  164  ff.),  das 
stattfindet,  nachdem  in  der  vorhergehenden  Nacht  die  Psyche  des  noch 
unbcstattet  liegenden  Freundes  den  Achilleus  an  die  sch leunige  Er- 
füllung seiner  Bestattuugspflicht  gemahnt  hat: 

noinaav  bi  ixupnv  £KaTÖu7T€bov  £v8a  Kai  Iv8a, 
iv  bk  TTUprj  uTia-rr)  veKpöv  6€<Xav  dxvüuevoi  Kn.p. 
ixoXXä  be  upia  ufjXa  kou  ciXmoba«;  Z\i\ia<;  ßoö? 
7tpöo"0€  TTupnq  £bepöv  T€  Kai  äpq)€7Tov  ^k  b'  dpa  TrdvTWV 
brjuov  dXwv  tKCtXuvpe  vckuv  u€fd0uuos  'AxtXXeuq 
{<;  iröbaq  iK  KtqpaXfj«;,  nepi  bk  bpaxä  aujuara  vrjer 
ev  b'^TiOci  ulXiroq  Kai  dXetcparo^  ducpupopfja^, 
rrpö?  X^x*a  kXivujv  *  TriCupa?  b"  ^piaüxeva^  ittttou^ 
i<JOvn£v\u$  ^ve'ßaXXe  TTuprj,  uetaXa  crrevaxiEwv. 
Ivvia  tu»  yc  ävaKTi  TpaTrcCneq  kuv€?  fjaav 
ko\  u*v  tüjv  dvcßaXXe  mjprj  buo  bopoTounffa?, 
buibtKa  b€  Tpiuiwv  uetaeuuujv  uWa?  £o~eXou<; 
XaXKtu  brjiöwv  ■  KaKa  bk  q>pea\  unbeTo  £pta. 
In  der  That  kann  nach  den  Ausführungen  Rohdcs  ein  Zweifel 
darüber  nicht  bestehen,  dass  wir  es  hier  mit  der  dem  homerischen 
Griechen   selbst    nur    noch    halb    verständlichen    Schilderung  eines 
regelrechten  Totendienstes  zu  thim  haben,  durch  den  die  Seele  des 
heimgegangenen  Freundes  mit  Speise   und  Trank,  aber  auch  mit 
Blut  von  Tieren  und  Menschen  erquickt  werden  soll.    Nicht  weniger 
birgt  das  Totenopfer,  das  der  Dichter  der  Hadesfahrt  des  Odysscus 
diesen  in  der  Unterwelt  darbringen  lässt,  die  Erinnerung  an  eine  Zeit, 
in  der  man  derartige  Spenden,  wie  sie  hier  geschildert  werden  (Weihe- 
guss  in  die  Grube  aus  Milch,  Honig,  Wein,  Wasser,  Blut  des  Widders 
und  Schafes  u.  s.  w.),  den  Seelen  zur  Labung  auf  der  Oberwelt  dar- 
brachte (Rohde*  S.  49  ff.).    Abgesehen  von  diesen  und  einigen  anderen, 
minder  bedeutsamen  Zügen  ist  der  einstige  Seelcnkult  den  homerischen 
Griechen,  also  der  kleinasiatischen  Kulturwelt  fremd  geworden.  Aber 
im  Mutterland,  im  festländischen  Griechenland,  muss  jener  Glaube  nn 
ein  bewusstes  und  für  die  Menschen  bedeutsames  Weiterleben  der 
Psyche  fortgewuchert  haben.   Auf  ihn  gehen  (in  der  von  Rohde  näher 
geschilderten  Weise)  die  Vorstellung  Hesiods  von  Menschen  der  Vorzeit, 
deren  Seelen  nach  dem  Tode  als  „Dämonen"  (baiuovcq  s.  u.)  weiter- 
leben, auf  ihn  der  schou  in  der  Gesetzgebung  Drakons  (Rohde s  S.  146) 
als  Väterbrauch  be/.eichncte  Kult  der  Heroen  (n.pu><;  ,der  geehrte', 
:  got.  steers   ,gcchrt'V),  auf  ihn  endlich   jener  allgemeine  sakrale 
Totendienst  (tci  voui£6u€va,  x^<*6ai  Kai  ^vaxiZctv)  zurück,  der  noch  in 
der  späten  Ausbildung,  in  der  er  uns  vorliegt,  mancherlei  Berührung 
mit  indischem,  römischem,  litauischem  Ritual  zeigt. 


Digitized  by  Google 


26 


Ahnenkultus. 


Wenn  es  nach  dem  bisherigen  als  sieher  gelten  kann,  dass  schon 
die  Indogermanen  ihren  Verstorbenen  Speise  und  Trank  darbrachten, 
so  erheht  sich  jetzt  die  Frage,  warum  sie  dies  thaten.  Ohne  Zweifel 
hielten  sie  es  für  die  Ruhe  und  Wohlfahrt  ihrer  Toten  für  erforderlich. 
Aber  aus  welchen  Motiven  heraus  suchten  sie  ihnen  diese  Ruhe  und 
Wohlfahrt  zu  verschaffen?  Leist  in  seinen  Büchern  Gräco-italische 
Rechtsgeschichte,  Alt  arisches  Jus  gentium  u.  s.  w.  leitet  den  Totenkult 
der  idg.  Völker  ausschliesslich  aus  ihrer  Liebe  zu  den  Eltern,  aus  der 
Pietät  gegen  die  Parentcs  ab.  „Du  sollst  die  Eltern  ehren"  ist  für 
ihn  ein  schon  in  der  Urzeit  klar  erkanntes  Sittengebot,  das  in  dem 
indogermanischen  Sittencodex  unmittelbar  hinter  dem  „Du  sollst  die 
Götter  ehren"  stand.  Vergegenwärtigt  man  sich  aber  die  wirklichen 
Gesinnungen,  welche  nach  unzweifelhaften  Zeugnissen  die  Urzeit  gegen 
die  Alten  (s.  n.  Alte  Leute»,  wenn  sie  hinfallig  geworden  waren, 
vielfach  hegte,  bedenkt  man  den  harten  und  rohen  Geist,  der  noch  in 
der  idg.  Familienorganisation  (s.  u.  Familie)  herrschte,  erwägt  mau, 
wie  noch  durch  die  frommen  Lieder  des  Vcda  die  Angst  vor  den 
Schaden  stiftenden  Seelen  der  „Väter",  die  man  für  rohe  und  harte 
Wesen  hält,  hindurchklingt  (vgl.  Caland  Ahnenkultns  S.  1 76  ff.,  Ohlen- 
berg a.  a.  0.  S.  568),  so  wird  man  bezweifeln  müssen,  dass  die  Iudo- 
germanen  schon  in  der  Urzeit  so  pietätvoller  Empfindungen  fähig  waren. 
Viel  wahrscheinlicher  ist  es  daher,  mit  Forschern  wie  Caland  ia.  a.  0.), 
Ihcring  (Vorgeschichte  der  Indocuropäer  S.  f>9),  Rohdc  (Psyche*  S.  20, 
216  ff.)  n.  a.  anzunehmen,  dass,  wie  bei  anderen  Völkern,  so  auch  bei 
den  Indogcrmaiien,  nicht  die  Liebe  zu,  sondern  die  Furcht  vor  den 
Toten  den  Kultus  der  Toten  gezeitigt  hat. 

Bei  allen  primitiven  Völkern  ist  der  Glaube  an  die  schädliche  oder 
förderliche  Einwirkung  Verstorbener  tief  eingewurzelt.  Seinen  natür- 
lichen Ausgangspunkt  mag  dieser  weit  verbreitete  Gespensterglaube  vor 
allein  in  den  Erscheinungen  des  Schlafs  und  der  Traumwelt  gehabt 
haben,  in  der  die  Psyche  zu  selbständigem  Handeln  den  Körper  ver- 
licss,  besonders  in  den  sogenannten  V  I  p  t  r  ä  u  m  e  n,  in  denen  unsicht- 
bare Wesen,  die  nicht  selten  die  Gestalten  von  Entschlafenen  annahmen 
(vgl.  oben  die  Traumerscheinung  der  Psyche  des  Patroclus),  den  Träumer 
beunruhigten,  packten  und  würgten  (vgl.  E.  H.  Meyer  Gerinanische  My- 
thologie S.  76  ff.  und  Golther  a.  a.  0.  S.  75  ff.).  .Solche  schweifende 
Gespenster  an  ihre  Gräber  zu  bannen,  durch  Speise  und  Trank  ihren 
Hass  zu  zerstreuen,  ihr  Wohlwollen  zu  erlangen,  muss  der  nächste, 
rein  selbstsüchtige  Zweck  des  idg.  Totendienstes  gewesen  sein,  der  hinter 
dem  aus  ihm  allmählich  emporspriessenden  Pietätsgedanken  in  milderen 
Zeiten  mehr  und  mehr  zurücktrat.  Also  man  ehrte  die  Toten  zunächst, 
weil  man  sie  fürchtete.  Aber  auch  so  ist  jener  älteste  Totendienst 
für  die  religiöse  Entwicklung  der  Indogcrmaiien  von  ausserordentlicher 
Bedeutung  geworden. 


Digitized  by  Google 


Ahnenkultus.  27 

Der  Gedanke  des  überirdischen,  geheimnisvoll  die  Geschicke  des 
Menschen  umschwebenden  mag  in  dieser  primitiven  Form  zum  ersten 
Mal  dem  Indogermanen  zum  Bewusstsein  gekommen  sein,  aus  Seelen 
zuerst  Geister,  zuletzt  Götter  geschaffen  haben  und  so  zu  einer 
Quelle  der  Religion  geworden  sein,  die  im  Laufe  der  Entwicklung, 
aber  noch  in  idg.  Crzeit,  mit  den  Wassern  aus  einer  zweiten  Quelle 
zusammentraf,  die  ihren  Ursprung  nicht  im  Tode,  sondern  im  Leben, 
im  Leben  der  Natur  und  ihren  tausendfachen  Erscheinungen  hatte 
(s.  u.  Religion). 

Dieser  Entwicklungsgang  liegt  in  der  Sprachgeschichte  deutlich 
ausgeprägt  vor  uns. 

Zunächst  ist  auf  zwei  schon  idg.  Reihen  zu  verweisen,  deren  Grund- 
bedeutung sich  als  schädlicher,  trügerischer  Geist'  ergiebt,  ohne  dasa 
ein  direkter  Zusammenhang  mit  Toten  oder  Seelen  Verstorbener  sich 
sprachlich  erweisen  Hesse.  Es  sind  dies  einerseits  aw.  druj-  ,Gc- 
speust',  sert.  drüh-  ,Unhold',  altn.  draugr,  alts.  gidrog,  ahd.  gitroc 
,Gespcnst'  (vgl.  auch  agls.  dredg  ,larva  mortui';  dazu  auch  ahd.  troum 
aus  *draugmo-  ,Traum',  eigentl.  /Trugbild'? ),  ir.  *druag,  aur-drach 
.Gespenst":  sert.  dnth  .schädigen",  ahd.  friogan  , betrügen'  etc.,  anderer- 
seits altn.  dlfr,  agls.  aäf,  mhd.  (dp  ,Elfe.  gespenstiges  Wesen,  A  1  p, 
Alpdrücken'  =  sert.  rbhü-,  vedischer  Name  dreier  kunstreicher, 
elbischer  Wesen  (vgl.  K.  Z.  IV,  102  ff.),  wenn  diese  Wörter  richtig  zu 
griech.  €X€(pcupo^ai  , betrüge'  gestellt  werden.  Die  hier  nur  zu  ver- 
mutende Beziehung  auf  Toten-  und  Seclenwcsen  liegt  nun  im  Folgenden 
klarer  zu  Tage.  Ein  gemeinsamer  nordeuropäiseher  Ausdruck  für  ein 
den  Menschen  quälendes  Nachtgespenst,  den  eben  genannten  Alp  (griech. 
&pid\Tn.S  ,dcr  Aufspringer',  lat.  inatbu*,  lit.  aituraras,  vgl.  Lasicius  S.  öl) 
ist  das  genieingerm.  mhd.  mar  M.  F.,  altn.  mara,  agls.  märe,  mare, 
ahd.  mara  F.  ,Mahr",  altsl.  mora  ,Hexe,  Alp,  Trud',  ir.  mor-[r]igain 
gl.  lamia,  n  Alpkönigin".  Ganz  wie  nun  im  Indischen  prfta-  (aus  pra 
und  itd-  von  /  .geben' i  ,dcr  Heimgegangene',  ,der  tote'  die  Bedeutung 
von  jGespcust'  angenommen  hat,  wie  lit.  Ezagulia  ,der  auf  dem  Feld- 
rain liegende',  ,der  tote'  zu  der  Bezeichnung  einer  Gottheit  des  Todes 
geworden  ist  (s.o.),  wie  endlich  das  genieingerm.  altn.  valr,  agls.  icad 
etc.  ,der  tote',  bes.  der  auf  dem  Schlachtfeld  (vgl.  altn.  ralkyrja,  die 
Jungfrau,  die  die  Seelen  der  Gefallenen  auswählt  und  nach  ralhöll 
geleitet)  in  dem  ihm  entsprechenden  lit.  iceUs  (idg.  *rol- :  *n'l-;  vgl. 
auch  *röl-  in  ahd.  icuol  , Verderben  )  die  geisterhaften  Gestalten  der 
Gestorbenen,  geisterhafte  Wesen  überhaupt,  in  Vielana  den  Totengott 
selbst  (vgl.  v.  G Hellberger  a.  a.  0.  S.  45)  bezeichnet,  ebenso  wird  als 
Grundform  jener  nordeuropäischen  Sippe  ein  idg.  *moro-,  *mord  (vgl. 
sert.  mdra-  /Tod',  bei  den  Buddhisten  auch  , Teufel',  gallo-germ.  Mori- 
tuarusa  =  *mori  marusa  ,marc  mortuum')  ,der,  die  Tote':  idg.  mer 
(lat.  mnrior)  anzusetzen  sein.    Auf  gleicher  Stufe  wie  der  Bcdcutungs- 


Digitized  by  Google 


Ahnenkultus. 


Übergang  von  Toter  zu  Gespenst  (Alp),  steht  auch  der  von  Seele,  Atem, 
Hauch  zu  Kobold  etc.,  wie  er  in  der  Gleichung  got.  hugs  ,voü<;',  altn. 
hugr  ,Seele'  (mannahugir  ,Mcnschenseelen,  die  in  mancherlei  Gestalt 
auftreten')  =  lit.  katikas  ,ein  zwerghafter  Geist,  Kobold,  ungctauft  ge- 
storbenes Kind'  etc.  vorliegt  (vgl.  Mikkola  in  B.  B.XXII,  240  und  näheres 
über  kaükas  bei  v.  Grienberger  S.69  und  A.  Brückner  a.  a.  0.  S.  187). 

Beschränkt  sich  die  bisher  erörterte  Terminologie  auf  die  Bezeich- 
nungen im  Ganzen  niederer  Geisterwesen,  so  wird  sicli  nun  zeigen,  dass  in 
mehreren  der  idg.  Einzclsprachen  sogar  Ausdrücke  für  die  höchsten 
Götter  auf  Seelenerscheinuugen  und  Totengeister  zurückführen. 

Bei  den  Kelten  gab  es  eine  Art  unreiner  Geister  oder  Mahren, 
welche  dusii  Messen.  Vgl.  Augustiu.  De  eiv.  Dei  XV,  23:  Quosdam  dae- 
mones,  quos  Dusio«  Galli  nuneupant,  hanc  asttidue  immunditiam  et 
tentare  et  efficere  plures  talesque  a^severant,  Isid.  Or.  8,  11,  103: 
Saepe  improbi  existunt  etiam  mulieribus,  et  earum  peragunt  coneu- 
bitum,  quos  daemones  Galli  du  sios  nuneupant,  quia  asndue  hanc  per- 
agunt immunditiam.  Dieses  altgallische  *duftio-x  ^unreiner  Geist'  hängt 
nun  zweifellos  zunächst  mit  lit.  düsa*  , Dunst',  altsl.  duchü  ,Atem,  Geist', 
dum  ,Sccle',  dann  weiter  mit  lit.  dwase  ,Atein,  Geist',  mhd.  getwäs,  Ge- 
spenst' zusammen,  so  dass  sich  ein  abstufender  Stamm  *dhtes-,  *dhtos-, 
*dhves;  *dhu8-  ergiebt.  Mit  Sicherheit  darf  hierher  auch  lat.  ferälu,  Fe- 
rälia  (*dhrendli-)  gestellt  werden,  welches  letztere  also  wörtlich  ,Seelen- 
fest'  bedeutet.  Mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  ist  aber  auch  griech.  8eö? 
aus  *e/€0*o-s  ,Gott'  hier  anzuknüpfen  (so  jetzt  auch  K.  Brugmann  Grund- 
riss  I*,  1 , 310  u.  a.),  so  dass  selbst  die  Kollektivbezeichnung  der  olympischen 
Götter  in  jenem  uralten  Vorstellungskreis  von  Mahren  und  anderen 
Seelengeistern  wurzelt.  Man  wird  nicht  einwenden  wollen,  dass,  die 
Richtigkeit  der  angeführten  Zusammenstellung  zugegeben,  daraus  nichts 
besonderes  zu  folgern  sei,  da  ja  auch  wir  noch  heute  davon  sprächen, 
dass  Gott  ein  „Geist"  sei;  denn  es  liegt  natürlich  auf  der  Hand,  dass, 
wenn  9eö?  dem  altgallischen  dusios  oder  dem  mhd.  getwds  u.  8.  w. 
gleich  zu  setzen  ist,  der  ursprüngliche  Bedeutungsinhalt  des  griech. 
Wortes  einst  dem  jener  Wörter,  nicht  aber  der  geläuterten  Auffassung 
des  Begriffes  „Geist"  in  moderner  Zeit  entsprochen  haben  muss. 

Diese  hier  für  griech.  Bcö?  angesetzte  Bedeutungsentwicklung  von 
Seele.  Gespenst,  Geist  zu  Gott  gewinnt  nun  an  Wahrscheinlichkeit 
durch  den  Umstand,  dass  zwei  weitere,  religionsgeschichtlich  äusserst 
bedeutsame  Bezeichnungen  der  Gottheit,  nämlich  das  griech.  bounwv 
und  das  indische  dsura-  einen  ganz  ähnlichen  Weg  vom  Grabe  zum 
Olympos  zurückgelegt  haben. 

Griech.  baiuujv  bezeichnet  bei  Homer  vorwiegend  die  unsterblichen 
Götter  (9€Ö?),  dann  das  von  ihnen  geschickte  Verhängnis,  das  Schicksal, 
besonders  Unglück,  einmal  auch  den  Tod  oder  einen  Todesgott  (toi 
i>aiuova  bwo*uu).    Schon  oben  aber  sahen  wir,  dass  Hesiod  baijaoveq 


Digitized  by  Google 


Ahncnkultus. 


29 


im  Sinne  verklärter  Menschenseelen  gebraucht ,  und  bei  den 
ältesten  Tragikern  (z.  B.  Aesch.  Pers.  v.  620)  wird  bai|iwv  geradezu 
von  der  Seele  oder  dem  Schatten  eines  Verstorbenen  (des  Dariiis  j  ge- 
sagt. Ist  es  nun  nach  dem  oben  (nach  Rohde)  über  die  Geschichte 
des  griechischen  Seelenglaubens  ausgeführten  an  sich  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  für  die  Bedeutungsentwicklung  des  griech.  bcuuwv  von 
der  im  Mutterland,  bei  Hesiod  und  den  Tragikern,  wenngleich  zufällig 
später,  bezeugten  Bedeutung  auszugehen  sei,  so  wird  dies  durch  die 
etymologische  Betrachtung  des  Wortes  so  gut  wie  sicher.  Seine 
bisherigen  Deutungen  aus  alter  und  neuer  Zeit  t'von  bar)uu>v  ,kundig' 
oder  von  baioficu  ,teile  zu'  oder  von  sert.  die  .strahlen')  wird  niemand 
für  befriedigend  halten.  Bei  ihnen  ist  man  stillschweigend  oder  aus- 
gesprochener Massen  davon  ausgegangen,  dass  -uuuv  in  bai-uuuv  ein 
Primärsuffix  sein  müsse.  Wie  aber  ein  Blick  auf  hom.  barruuuiv  ,Gast' 
von  baiTÜ?  ,Mahl'  oder  auf  &Kp€-uwv  ,Ast'  von  diKpö?  ,spitz'  zeigt,  ist 
dies  nicht  der  Fall:  die  Endung  -uwv  knnn  ohne  Zweifel  auch  als 
Secundärsufifix  angesehen  werden.  Es  steht  daher  nichts  im  Wege,  für 
bcuniuv  eine  Grundform  *bao>uwv  anzusetzen,  und  den  ersten  Bestand- 
teil dieses  Wortes  *bao*i-  unter  Annahme  eines  bekannten  Lautwandels 
(bdKpuiict :  lacrima)  dem  lat.  *lasi-  {lärex,  Idrium)  ,Geist  eines  Ver- 
storbenen' zu  vergleichen.  Wie  baiTunÜJv  einen  bezeichnet,  der  mit 
dem  Mahle  zusammenhängt,  so  ranss  die  Grundbedeutung  von  *baamujv 
(bairnuv  als  Paroxytonon  nach  dem  Muster  ÖKfiujv  etc.,  da  es  zwei- 
silbige Oxytona  auf  -mnv,  -novo?  nicht  giebt)  die  eines  Wesens  ge- 
wesen sein,  das  mit  Seelen  der  Verstorbenen  zusammenhängt,  dann 
Seele  eines  Verstorbenen  selbst.  Da  diese  Seelen,  wie  genugsam  ge- 
zeigt worden  ist,  nützlich  wie  schädlich  sein  können,  je  nachdem  man 
sie  behandelt,  so  liegt  bei  bcduwv  schon  im  Keime  jene  doppelte  Be- 
deutungsbasis vor,  die  schliesslich  zu  den  Extremen  Gott  und  Teufel 
geführt  hat. 

Auf  indischem  Boden  wäre  als  vielleicht  hierhergehörig  die  Gruppe  von 
däsa-,  ddsd-,  ddsyu-  in  Erwägung  zu  ziehn.  Diese  Wörter  bezeichnen 
im  wesentlichen  zweierlei:  1)  den  Menschen  feindliche  Dämonen,  zu- 
weilen in  Gestalt  Verstorbener  (vgl.  ddsyu-  bei  B.  R.).  2)  die 
den  Ariern  feindlichen  Barbarenstämmc ,  die  Eingeborenen  Indiens. 
Geht  man  nun  von  der  ersteren  Bedeutung  als  der  ursprünglicheren 
aus,  nimmt  also  an,  dass  die  Eingeborenen  Indiens  —  sie  waren  schwarz 
und  ,nasenlos',  d.  h.  wohl  stumpfnasig  (vgl.  Ohlenberg  a.  a.  0.  S.  154) 
von  den  weissen  Ariern  als  »Gespenster'  oder  /Teufel'  (vgl.  etwa  den 
Ausdruck  „roter  Teufel"  für  Indianer)  bezeichnet  worden  sein,  so  liegt 
die  Verknüpfung  mit  dem  gräco-italischen  *bacri-,  last-  nahe.  Man 
könnte  von  einem  stammabstufenden  idg.  *dds,  *das-ös  —  lat.  lds} 
Idsis,  Idr,  Idris  ausgehen  (vgl.  Neue  Lat.  Formenlehre  I8,  166),  wovon 
sich  dann  die  Stämme  *daso-  (sert.  däsa-),  *da*i-  (*bcto*i-jiuuv,  bcuiuwv, 


Digitized  by  Google 


Ahnenkultus. 


lat.  *lasi-,  larium,  scrt.  ddsyu-)  und  ddm-  (scrt.  ddsd-\  vgl.  auch  lat. 
*läsua  =  larva  und  Laterna  ,larvarum  dea'  aus  *  Larverna ,  *Lasuerna, 
G.  Goetz  Ind.  schol.  aestiv.  Jeneus.  1887  S.  VIII)  uuschwer  ableiten 
Hessen.  Die  Grundbedeutung  dieses  idg.  *dds,  *das-ö8  wäre  alsdann 
schadender  oder  nützender  Geist  eines  Verstorbenen'  gewesen.  Als 
Wurzel  empföhle  sich  scrt.  das,  ddsyati  «Mangel  leiden,  schmachten', 
<las  nicht  mit  B.  R.  =  griech.  biw  (für  b€uw)  gesetzt  werden  darf, 
so  dass  von  vornherein  dem  Worte  der  Sinn  eines  schmachtenden  und 
darum  durch  Speise  und  Trank  zu  labenden  Wesens  innewohnte. 

Dieselbe  Erscheinung  einer  Entwicklung  in  bonam  et  malam  parfem 
wie  griech.  baiuuuv  zeigt  das  indische  dsura-,  das  in  der  älteren  vedischen 
Sprache  auch  als  Beiwort  für  Götter,  in  der  jüngeren  ausschliesslich 
für  götter  feindliche  Wesen  gebraucht  wird,  auf  iranischem  Boden 
aber  die  erhabenste  Gottheit  (Ahuramazda)  bezeichnet  (vgl.  Oldcnberg 
a.  a.  O.  S.  162).  Das  Wort  ist  eine  Ableitung  von  dsu-y  dessen  älteste 
Bedeutung  die  des  Lebenshauchs  bei  Mensch  und  Tier,  also  ,anima  ist 
(Oldenberg  S.  524  f.).  Ausserhalb  Indiens  kehrt  das  Wort  in  got.  anses, 
altn.  d>sir  ,Asen,  Heroen,  Halbgötter'  (s.  o.)  wieder,  in  eine  noch  nie- 
drigere Stufe  der  Seelen  wesen  aber  führt  das  agls.  e'se,  das  ganz  für 
Elfen  (iaa  gescot  wie  ylfa  yescot  ,IIexenschuss)  gebraucht  wird.  ein. 
Auch  bei  dieser  Sippe  lässt  sich  also  die  ganze  Stufenleiter  der  Be- 
deutungsentwicklung vou  Seele  bis  Gott  (oder  Teufel)  nachweisen. 

Wenden  wir  uns  zu  der  sachlichen  Seite  des  ältesten  Totenkultes 
zurück,  so  lassen  sich  einzelne  Züge  desselben  als  mit  Wahrschein- 
lichkeit schon  der  Crzeit  augehörig  erweisen.  Dies  gilt  vor  allem  von 
den  Zeiten,  an  denen  Gaben  an  Speise  und  Trank  den  Toten  darge- 
bracht werden.  Die  Sitte  der  alten  Preussen  i  s.  o.),  nach  welcher  die 
Verwandten  Totemnahle  halten  die  a  funere  tertio,  (sewto),  nono  (et 
quadrageaimo)  kehrt  in  den  tpiTa  tcai  fvaia  der  Griechen,  d.  h.  in  den 
Mahlzeiten,  die  dem  Toten  am  III.  und  IX.  Tage  nach  der  Bestattung 
an  seinem  Grabe  aufgetragen  wurden,  und  in  der  römischen  Novemdial- 
feicr  wieder,  während  die  Inder  eine  lOtägige  Impuritätsfrist  unter- 
scheiden. Die  3(i  Tage,  während  deren  bei  den  Preussen  (s.  o.)  die 
Witwe  an  dem  Grabe  des  Gatten  früh  und  abends  klagen  muss,  er- 
innern an  die  athenischen  TpiaKube?,  die  sich  an  die  TpiTct  xai  fvetTa 
nnschliessen.  Bei  den  Deutschen  erfahren  wir  von  Gedächtnisfeiern 
Verstorbener,  die  am  III.,  VII.  und  XXX.  Tage  und  am  Jahrestage  des 
Todes  stattfanden.  Es  ging  bei  ihnen  mit  Trinken  und  Singen  wild 
her,  und  den  Geistlichen  werden  strenge  Vorschriften  hinsichtlich  ihres 
Verhaltens  an  diesen  Festen  gegeben  t  vgl.  R.  Kögel  Gesch.  d.  d.  Lit.  I, 
1,  öö;.  Auch  allgemeine,  dh.  den  ganzen  Stamm  betreffende  Toten- 
feste wie  an  den  Anthesterien  zu  Athen  oder  die  römischen  Ferdlia 
(s.  o.,  weiterlebend  in  dem  Allerseelentag  der  Katholiken)  oder  das 
russische  radunlci  (angeblich  von  altsl.  radd  ,libens',  weil  die  Toten 


Digitized  by  Google 


Ahnenkultus. 


31 


über  die  dargebrachten  Gaben  erfreut  seien)  werden  schon  für  frühe 
Zeiten  anzunehmen  sein  (vgl.  Caland  a.  a.  0.  8.  78  ff.).  Au  solchen  Tagen 
stand  den  Geistern  die  Welt  offen.  Zur  Abwehr  der  unheimlichen 
Gäste  bestrich  man  in  Griechenland  die  Thürpfosten  mit  Pech  und 
kaute  Blätter  von  Weissdorn,  wie  in  Indien  die  von  der  Verbrennung 
heimkehrenden  Verwandten  Nimbablätter  in  den  Mund  nahmeu  (vgl. 
Rohde  a.  n.  0.-  S.  237 3,  Caland  8.  71). 

In  dem  Zeremoniell  selbst  sei  auf  die  merkwürdige  Über- 
einstimmung in  dem  Brauch  hingewiesen,  die  Seelen  nach  geschehener 
Bewirtung  feierlich  und  ausdrücklich  zu  entlassen.  So  fegt  bei  den 
alten  Prcussen  der  sacrifieulus  die  Seelen  wie  die  Flöhe  hinaus: 
„EduftiH* ,  sagt  er,  „bibistU,  animae,  ite  foras,  ite  fora*!u,  so  bestand 
in  G  r  i  e  c  h  e  n  1  a  n  d  das  Sprichwort :  6upaZe,  Knpe?  (alte  Bezeichnung 
für  tpuxai)  ,ouk  It'  'Aveeorripia,  so  wurden  in  Rom  an  den  Lemuricn 
die  Seelen  hinausgetrieben  mit  den  Worten:  Manes  exite  paterni 
(vgl.  Rohde  a.  a.  0.  S.  239  so  bestand  auch  bei  den  Indern  die 
Vorschrift  des  Acvaläyana  für  das  pindapitryajha-  (Caland  Totenver- 
ehrung S.  6,i:  „Darauf  entlasse  er  (der  Priester)  die  Pitaras  mit  den 
Worten:  „Gehet  hin,  ihr  lieblichen  Pitaras,  auf  den  alten  geheimnis- 
vollen Wegen;  gebet  uus  hier  Reichtum  und  Glück  und  verleihet  uns 
reichen  Besitz  an  Männern". 

Die  äussere  Auffassung  der  Ahnenseelen  wird  in  der  Urzeit  noch 
eine  verschiedenartige  ebenso  wie  diejenige  der  aus  Naturerscheinungen 
entnommenen  Gottheiten  (s.  u.  Religion)  gewesen  sein.  Man  wird  sich 
die  Seelen  der  Väter  teils  menschenähnlich  als  Zwerge  und  Riesen 
(s.  d.i,  teils  aber  auch  in  Gestalt  von  Tieren  vorgestellt  haben.  In 
letzterer  Beziehung  scheint  vor  allem  die  durch  ein  geheimnisvolles 
und  plötzliches  Nahen  und  Verschwinden  charakteristische  Sch lange 
dazn  gedient  zu  haben,  unter  ihrem  Symbol  den  Seelen  Verehrung 
darzubringen.  Uber  die  Litauer  berichtet  wiederum  Lasicius  S.  51 :  A7w- 
triunt  etiom  qutisi  deos  penates  nigri  coloris,  obesos  et  quadrupedes  (!) 
quosdam  serpentex,  Giuoitos  (lit.  yytcäte  ,Schlange)  vocatox  (vgl.  dazu 
Acneas  Silvius  bei  Uscner-Solmsen  Götteruamen  S.  91 :  Serpentes  co- 
ltbunt; pat er  famiUas  nutim  quisque  in  angulo  domus  serpentem 
habuit,  cui  eibum  dedit  et  aacrificium  fecit  in  foeno  iacenti).  Aber 
auch  bei  den  Hellenen  erscheinen  unterirdische  Götter,  Heroen,  ja  die 
Seelen  Verstorbener  selbst  gern  unter  dem  Bilde  göttlich  verehrter 
Schlangen  (vgl.  Rohdes  Psyche  passiin),  ein  Kultus,  der  auch  in  Indien 
nicht  fremd  ist. 

Die  Stätten,  an  denen  jene  Totenopfer  dargebracht  wurden,  waren, 
wie  sich  aus  den  vorstehenden  Zeugnissen  ergiebt,  teils  die  Gräber  der 
Verschiedenen  selbst,  teils  aber  auch  andere  Plätze,  vor  allem  boten 
die  Mahlzeiten  im  Haus  oder  ausserhalb  desselben  Gelegenheit  dar, 
der  Toten  mit  Speise  und  Trank  zu  gedenken.    Dies  zu  erinnern  ist 


Digitized  by  Google 


32 


Ahnenkultus. 


wichtig,  da  die  Annahme  eines  ausschliesslich  auf  den  Grübern  statt- 
findenden Totendienstes  schlecht  zu  den  u.  Ackerbau  besprocheneu 
häufigen  Umsiedelungen  der  idg.  .Stämme  stimmen  würde,  welche  die- 
selben naturgemäss  oft  von  den  Gräbern  ihrer  Toten  entfernen  mussten. 

Die  Ausübung  des  Totenkultes  haftete  zunächst  an  der  Verwandt- 
schaft der  Toten.  In  dieser  Beziehung  treten  bei  einigen  der  Einzelvölker 
bestimmte  Verwandten  kreiste,  bei  den  Indem  die  mpinda-  (s.  o.  t,  bei 
den  Griechen  die  dtx^T€i?  oder  »nächsten',  bei  den  Römern  die  pro- 
pinqui  sobrino  tenw*  hervor.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  auch 
schon  in  der  Urzeit  der  Begriff  einer  solchen  Nahverwandtschaft  be- 
stand, deren  Mitgliedern  die  Totenopfer  an  die  gemeinsamen  Vorfahren 
in  erster  Linie  oblagen.  Es  waren  dieselben  Personen,  denen,  ausser 
der  Pflicht  der  Blutrache  (s.  d.),  das  Recht  zu  c  r  b  e  u  i  s.  darüber 
u.  Erbschaft)  zustand.  Totenkult  und  Erbschaft  treten  daher  in 
innigstem  Zusammenhang  mit  einander  auf.  In  Indien  sind  Ausdrücke 
wie  Jemandes  Erbe  sein'  und  Jemandem  das  Totenmahl  geben'  (sei  t. 
däyddä-  ,Tcilgenosse',  ,Erbe'  und  sapintfa-  »Teilnehmer  am  Opferkloss') 
oft  synonym.  Dasselbe  gilt  von  Griechenland,  wo  z.  B.  noch  der  Redner 
Isaeus  (VI,  öl)  sagen  kann:  „Was  von  beiden  ist  Recht,  dass  der  Sohn 
dieser  Frau  oder  dieser  Sohn  der  Schwester  Philoktemons,  welchen 
er  adoptiert  hat,  elvcu  KXrjpovöuov  Kai  Im  toi  uvnuaTa  h-vai  x*OM*vov 
Kai  dvatioüvTa?"  Aber  auch  bei  den  Germanen  inuss  die  Vorstellung 
geherrscht  haben,  dass  Totenkult  und  Erbschaft  identische  Begriffe 
seien.  Sprachliche  Belege  hierfür  sind  die  altnordischen  Ausdrücke: 
erfa  1)  ,to  honour  with  a  funeral  feast',  2)  ,to  inherit',  erfd  ,in- 
heritance',  erfda-öldr  ,a  funeral  feast',  erfi  ,a  wake',  .funeral  feast', 
erfingi,  erfi-vördr  (agls.  erfeweard)  ,an  heir',  erfi-öl  ,a  wake,  funeral 
feast'. 

Man  ist  daher  berechtigt,  von  dem  Personenkreis,  in  dem  sich  das 
Eigentum  vererbte,  einen  Schluss  auf  den  Personenkreis  zu  ziehen,  der 
durch  gemeinsame  Totenopfer  verbunden  war.  Dieser  Personenkreis 
ist  u.  Erbschaft  näher  bestimmt  worden. 

Es  ist  darnach  wahrscheinlich,  dass  jeder  einzelne  seinen  nächsten 
drei  Ahnen,  Vater,  Grossvatcr  und  Urgrossvatcr,  die  er  oft  noch  per- 
sönlich gekannt,  und  mit  denen  er  in  derselben  Hausgemeinschaft  (s.  n. 
Familie)  noch  oft  zusammengelebt  haben  mochte,  einen  besonderen 
Seelenkult  darzubringen  verpflichtet  war,  und  dass  er  diejenigen  als 
„Nächstverwandte"  betrachtete,  die  diese  drei  Ahnen  ganz  oder  teil- 
weise mit  ihm  gemein  hatten  (Brüder,  Brudersöhne,  Bruderenkel). 

Männliche,  durch  Frauen  vermittelte  Verwandte,  z.  B.  der  Bruder 
oder  Vater  der  Mutter,  wurden  nur  in  der  Sippe,  in  die  sie  von  Haus 
aus  gehörten,  mit  Totenopfern  geehrt.  Frauen,  wie  sie  ursprünglich 
kein  Eigentum  besitzen  und  nicht  erben  konnten,  können  in  der  Urzeit 
noch  keine  Totensacia  empfangen  haben,  und  Weiber  überhaupt  keine 


Digitized  by  Google 


Ahnenkult  us  —  Ahmt. 


33 


Vorfahren  in  technischem  Sinne  gewesen  sein  (vgl.  Fustel  de  C'oulanges 
La  cite  antique  S.  94).  Wo  daher  eine  Beteiligung  der  Kognaten  und 
der  Frauen  im  Ahnenkultns  hervortritt,  muss  dies  auf  einer  sekundären 
Entwicklung  beruhen  (vgl.  auch  B.  Delbrück  bei  0.  Lorenz  Lehrbuch 
der  Genealogie  S.  82 Üer  von  Leist  in  den  oben  genannten  Büchern 
schon  für  die  Urzeit  kognatisch  konstruierte  Kreis  der  Nahverwandt- 
schaft (vgl.  besonders  Altarisehes  Jus  civile  I,  232  ff.)  kann  in  soweit 
nicht  für  richtig  gehalten  werden. 

Die  Institution  des  Ahnenkultes  lehrt  uns  endlich  den  überall  auf 
idg.  Boden  hervortretenden  heissen  Wunsch  nach  Söhnen  (s.  u.  Kin- 
derreichtum) erst  ganz  verstehen;  denn  der  Sohn  ist  in  jenen  alten 
Zeiten  dem  Vater  nicht  nur  eine  erwünschte  Arbeitskraft  in  der  Wirt- 
schaft mehr,  sondern  eine  unumgängliche  Notwendigkeit,  da  der  ein- 
zelne erst  dann  sicher  ist,  Ruhe  nach  dem  Tode  zu  finden,  wenn  er 
einen  Sohn  hinterlässt,  der  seine  Seele  im  Grabe  mit  Speise  und  Trank 
erquickt.  —  S.  auch  u.  Totenreiche  und  u.  Religion. 

Ahorn.  Die  Familie  der  Acerineac  ist  in  vielen  Arten  durch 
ganz  Europa  verbreitet.  Zwei  Reihen  von  Benennungen  gehen  über 
die  Einzelsprachcn  hinaus.  Es  gelten  einmal,  hauptsächlich  für  den 
Spitzahorn  (Acer  platanoides  L.)\  maked.  KXtvörpoxo?  (Theophr.) 
neben  t^ivo^,  f^ivoq  (mit  erweichtem  Anlaut),  altsl.  klenft,  lit.  klemm, 
altn.  hlynr,  ahd.  linboum,  nhd.  lehne,  lenne,  altkoru.  kelin.  mlat.  dentis, 
das  andere  Mal,  hauptsächlich  für  den  Bergahorn  (Acer  Pseudo-Pla- 
tanun  L.)\  lat.  acer,  aceris  aus  *aceshf  griech.  (Hesyeh)  ÄKacJToq,  ahd. 
dhorn,  woraus  das  gcmcinsl.  altsl.  javorü  ,Ahoru"  und  , Platane'  entlehnt 
ist.  —  Einzelsprachlich  sind  griech.  Zvfia  cigentl.  ,Jochholzhaum':  Ivföv 
über  Maultierjocbe  aus  Ahornholz  vgl.  Theophr.  Hist.  plant.  V,  7,  t>)  und 
o\pevbauvo<;  (,der  zitternde',  vgl.  sert.  xpdndate  ,er  zittert',  -uvo  par- 
ticipial?),  lat.  opulm  ,FcldahornT  (Acer  cawpextre  L.)t  ahd.  niazzoltra, 
agls.  mapuldr,  engl,  mapletree,  altn.  möpurr  neben  mömirr:  ahd. 
masar  ,Maser'  (vgl.  über  die  germanischen  Wörter  Kluge  Et.  W.';  s.  v. 
Massholder  und  Maser).  Vgl.  noch  deutseh  dialektisch  fiader,  flader- 
baum  (:  griech.  irXcrravos?)  —  Das  Holz  des  Baumes  wurde  schon  im 
Pfahlbau  von  Robenhausen  (vgl.  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahlb.  S.  öl) 
zur  Herstellung  von  Geschirren  (vgl.  mhd.  mnser  »Becher  aus  Ahorn- 
holz', mlat.  Hcyphi  maserini  und  Venantius  Fortunatus  im  ('arm.  Pracf., 
das  die  Barbaren  schildert,  wie  sie  hinter  Krügen  aus  Ahornholz  sitzen) 
verwendet.    S.  u.  Platane  und  u.  Wald,  Waldbäume. 

Ähre,  s.  Ackerbau. 

Alabaster,  s.  Gyps. 

Alant  (Inula  helenium  /,.).  Die  Pflanze  gehört  dem  mittelasiatisch- 
europäischen Florengebiet  an,  fehlt  aber  in  Europa  dem  höhern  Norden 
und  Süden  (vgl.  Flückiger  Pharmakognosie-  S.  440  ff.).  Sie  wurde 
im  Altertum  als  Arzneipflanze  gegen  Husten,  schweres  Atmen,  schwache 

Schräder,  Kcallextkoii.  3 


Digitized  by  Google 


Alant  —  Aloi-. 


Verdauung  u.  8.  w.,  aber  auch  als  Genussniitte)  sehr  geschätzt  (vgl. 
Lenz  Botanik  S.  470)  und  darum  auch  angebaut.  In  ersterer  Eigen- 
schaft hat  sie  sich  im  altgermanischen  Aberglauben  festgesetzt  und 
wird  bei  den  Angelsachsen  als  Mittel  gegen  eine  Albkrankheit  (celf-ddl 
,Alpdrücken',  das  auch  nach  Dioskorides  mit  Alant  geheilt  wird)  ge- 
priesen (vgl.  Hoops  Alteugl.  Pflanzern).  S.  53).  —  Die  Terminologie 
der  Pflanze  bietet  noch  ungelöste  Schwierigkeiten.  Die  einfachste  Form 
scheint  in  dem  von  Isidor  überlieferten  ala  (Inula  quam  alam  rustici  ro- 
cant)  vorzuliegen.  Das  Verhältnis  hierzu  von  einerseits  ahd.  alant,  anderer- 
seits griech.  £\eviov  (Diosk.)  ist  noch  nicht  aufgeklärt.  Im  Lateinischen 
gilt  inuhx,  woneben  ein  dem  griechischen  Worte  näher  stehendes  *eluna, 
*iluna  im  Volksmunde  vorhanden  gewesen  sein  wird,  aus  dem  agls.  eolone, 
elene  stammt  (vgl.  auch  frz.  aunie  aus  *ilunata).  Genieinslaviseh  russ. 
omanü  (aus  *o/o-  jw,  alamV").  Lit.  debesgla*.  Andere  Heilpflanzen  s.  u. 
A  r  z  t. 

Alaun.  Dieses  weitverbreitete  Thonerdesalz  wird  zuerst  von 
Ilerodot  als  crruTTTripia  sc.  ff\  :  (JTÜq>ai  ,zusammcnzieben'  genannt  (  vgl. 
ngriech.  öTuipi?,  serb.  stipsa,  alb.  ntipe.s).  Im  Lateinischen  gilt  alü- 
tnen  , Alaun',  ahhta  ,mit  A.  behandeltes  Leder".  Das  Wort  gehört 
etymologisch  zu  den  nordeuropäischen  Namen  des  Bieres:  agls.  ealu, 
altn.  öl,  altpr.  alu,  lit.  alü.s  (finn.  olut),  die  auf  einen  Stamm  *alu-, 
*alut-  führen.  Die  adjektivische  Grundbedeutung  der  ganzen  Sippe 
muss  ,herb,  süss-sauer'  gewesen  sein,  die  im  Süden  auf  den  Alaun, 
im  Norden  auf  das  Bier  (s.  d.)  bezogen  wurde.  Eine  genaue  Parallele 
für  diesen  zunächst  überraschenden  Bedeutungswandel  bietet  slav.  altsl. 
kvasü,  welches  sowohl  den  Alaun  (vgl.  auch  das  aus  dem  Slavischen 
entlehnte  lit.  kwö.sas  , Alaun  )  als  auch  das  bekannte  russische  Bauern- 
bier,  den  kwas  leinen  rohen  säuerlichen  Aufguss  auf  Getreide)  be- 
zeichnen kann.  Von  Italien  aus  int  alümen  , Alaun'  in  das  übrige 
Europa  entlehnt  worden:  hieraus  in  sehr  früher  Zeit  agls.  celifne  (?), 
kvmr.  elt/f  etc.,  in  späterer  mhd.  alfin,  lit.  alunas,  poln.  ahm,  russ. 
gähnt  n  etc.    S.  auch  u.  Leder. 

Almosen,  s.  Fasten. 

Aloe.  Lignit  m  Aloe*  *.  Lignit  m  AgaUochi  ist  der  botanische 
Name  verschiedener  wohlriechender  Hölzer,  wie  von  Alol\v;jlon  Agal- 
foc/ium  in  Coehinehina,  oder  von  Afjtiilltiria  Agalhcha  in  Hinterindien 
(vgl.  R.  Sigismund  Die  Aromata  S.  39,  Flückiger  Pharmakognosie  ~ 
S.  l(J;"n.  Dieses  kostbare,  im  Orient  schon  im  Alten  Testament  zu  dem 
berühmtesten  Rauchwerk  gehörige  Holz  begegnet  in  Europa  erst  bei 
Dioskorides  De  mat.  med.  I,  21  i  als  dfdXXoxov,  ein  Wort,  das  man 
trotz  der  auf  der  Hand  liegenden  Schwierigkeiten  doch  wohl  mit  hebr. 
'ältälim  oder  'tihälöt  und  seit,  agaru,  agunt  'eigentl.  , nicht  schwer'), 
das  in  dem  grossen  Epos  aus  Asam  den  Indischen  Königen  zum  Ge- 
schenk gebracht  wird,  zusammenstellen  müssen  wird.    Auf  das  dieser 


Digitized  by  Google 


Aloö  —  A!raun. 


35 


Sippe  zu  Grunde  liegende  hinterindische  Wort  führt  auch  das  portug. 
aguila.  das  missverständlich  zu  dem  botanischen  Namen  Aquilaria  (frz. 
boi*  d'aigle.  engl,  eagle  icood  ,Adlerhol//)  Anlass  gegeben  hat.  —  Hier- 
mit gar  nichts  zu  thun  hatte  ursprünglich  die  ebenfalls  zuerst  vonDiosko- 
rides  (De  mat.  med.  111,22)  genannte  Pflanze  dXön.,  lat.  tilöe  (vgl.  auch 
altsl.  alügttji,  die  ebenfalls  aus  dem  Orient,  und  zwar  hauptsächlich 
aus  dem  Gebiete  des  roten  Meeres  und  von  der  Ost-  und  Südküste 
Afrikas  stammt  und  durch  ihreu  bitteru  Saft  grosse  Bedeutung  für  die 
Ar/neikunde  erlangte.  Auch  im  Periplus  maris  erythraei  wird  wohl 
■die  §  28  aus  Arabien  ausgeführte  dXdn,  diese  Pflanze  oder  ihren  Saft 
bezeichnen.  Gewöhnlich  wird  auch  griech.  dXön.,  wie  das  oben  ge- 
nannte dTÖXXoxov,  aus  dem  Orient  abgeleitet,  indem  man  annimmt, 
dass  ersteres  direkt  auf  das  Semitische,  letzteres  direkt  auf  das  Indische 
zurückgehe.  Doch  bezeichnen  ja  die  orientalischen  Wörter  nur  das 
Lignum  Agallochi.  Vielleicht  ist  daher  griech.  dXön.  *dXoJ:r|  ein  ein- 
heimischer griechischer  Name  für  irgend  eine  Pflanze  mit  bitterem  Safte 
(s.  über  den  Stamm  *alu-  u.  Alaun  u.  vgl.  dXön,  raXXiKn,  ,Enziau')  ge- 
wesen und  später  auf  die  fremdländische  Droge  übertragen  worden.  Früh- 
zeitig wurde  dann  allerdings  der  Ausdruck  Aloe  auch  auf  das  Lignum 
Agallochi  (EuXaXon.)  bezogen,  wohl  weil  man  fälschlich  die  Droge  aus 
diesem  ableitete.  Schon  im  Johannesevaug.  XIX,  39  bringt  Nieodemus 
ein  niruci  auupvris  Kai  dXöri?.  Im  deutschen  Mittelalter  ist  dann  lign  dloe 
das  geschätzteste  Räuchermittel.  Im  grossen  Saal  der  Gralburg  steigt 
rouch  von  lign  dloe  auf,  um  die  Schmerzen  des  kranken  Aufortas  zu 
mildem  Parzival).  Du  blilendez  lignum  Aloe  heisst  die  heilige  Jung- 
frau u.  s.  w.  Vgl.  0.  Schade  Ahd.  W.  -  S.  1389.  S.  u.  Aromata. 
Alp,  Alpdrücken,  s.  Ahnenkultns. 

Alraun  (Mandragora  vernali*  Bert,  und  verwandte  Arten).  Die 
in  Südeuropa  heimische  Pflanze  wurde  von  den  Alten  zunächst  als 
Schlafmittel  und  Narcoticum  geschätzt.  Vgl.  Plinius  Hist.  nat.  XXV, 
150:  Via  somnifica  pro  viribus  bibentium.  Nach  Frontinus  (Stra- 
tegematicon  II,  5,  12)  berauschte  Maharhal  die  aufrührerischen  Afrer 
mit  Wein,  der  mit  Mandragoras  gemischt  war.  Im  Volksglauben  galt 
ferner  die  Pflanze  als  wirksames  Apbrodisiacum,  wie  denn  schon 
Theophrast  Hist.  plant.  IX,  8,  8,  au  einer  Stelle,  wo  er  allerdings  Nach- 
richten über  die  Tollkirsche  oder  ßelladnnua  mit  einmischt,  vorschreibt, 
beim  Graben  des  uavbpcrröpai;  solle  man  Xeteiv  di<;  TrXeicrra  nepi  d<ppo- 
biaiujv.  Endlich  müsseu  aber  auch  schon  im  klassischen  Altertum  die 
menschenähnlich  gebildeten  Wurzeln  der  Mandragoras-Pflanze  resp. 
künstliche  Präparate  derselben  beachtet  gewesen  sein.  Aus  einem  Citat  im 
Codex  Neapolitanus  des  Dioskorides  erfahren  wir,  dass  in  der  verlorenen 
Schrift  des  Pseudo-Pythagoras  über  die  Wirkungen  der  Pflanzen  die  Man- 
dragoras-Wurzel,  die  auch  Columella  (De  re  rustica  X,  19,  20)  semihomo 
nennt,  als  dvepumöuop<po<;  bezeichnet  wurde.  Das  Wort  navbpcrröpcu;  ist 


Digitized  by  Google 


36 


Alraun  —  Alte  Leute. 


dunkel  (daraus  alb.  mandragurr,  engl,  mandrake  und  orientalische  Wörter 
wie  armen,  manragor  etc.).  Anzuklingen  scheint  der  persische  Name  der 
Pflanze  merdum  gijä  ,Mcnschenpflanzc'  (vgl.  Lagarde  Ges.  Abh.  S.  67). 

Allmählich  wurde  das  Netz  des  Aberglaubens,  das  sich  um  den  Man- 
dragora* spann,  immer  dichter,  namentlich  seitdem  auf  eine  syrische 
Wurzel  Baaras  bezügliche  Vorstellungen,  von  der  Josephus  (De  hello 
iudaico  VII,  6,  3)  zuerst  berichtete,  die  nur  von  einem  Hund  ge- 
graben werden  konnte  n.  s.  w.,  damit  verquickt  wurden.  —  Der  so  ent- 
standene Mandragoraskult  ging  nun  auf  verschiedenen  Wegen  in  die 
nördliche  Welt  über:  einmal  von  Griechenland  aus,  auf  eine  andere 
Solanacce  der  östlichen  Karpathenländer,  den  Walkcnbaum  (Scopolia 
carniolica  Jaeq.)  übertragen  zu  den  Rumänen,  nach  Galizien,  Südwest- 
Russland,  Obersehlesien,  Ostprcusscn,  Kurland,  das  andre  Mal  von 
Italien  aus  nach  Deutschland.  Hier  war  zu  dieser  Zeit  der  altheidnische 
Glaube  noch  so  lebendig,  dass  auf  die  südländischen,  teils  in  männ- 
licher, teils  in  weiblicher  Gestalt  erscheinenden  Zauberfiguren  ein  alt- 
deutsches Wort  alruna  übertragen  wurde  (,alle  Geheimnisse  kennend'), 
das  vorher  altgermanische,  weibliche  Zauberwesen  wie  die  Idise  und 
andere  bezeichnet  haben  mochte.  lu  althochdeutschen  Glossen  giebt  al- 
rüna  das  lat.  mandrogora  —  hebr.  dudtYim  wieder,  welches  Genesis XXX, 
14 — 17  und  Hob.  Lied  VII,  13  die  Früchte  des  Mandragoras  bezeichnet. 
Da  die  Pflanze  aber  in  Deutschland  nicht  einheimisch  ist,  traten  an  ihre 
Stelle  Präparate  ans  der  Wurzel  der  Zaunrübe  oder  des  Allermanns- 
harnisch.  Russische  Namen  bedeuten  nach  Nemnich  Allgemeines  Poly- 
glottenlex.  d.  Natg.  1,535  soviel  wie  Zauberkrant  oder  Adamskopf.  Vgl. 

dazu  die  heilige  Hildegard  Phys.  II,  102  (1  Cap.  56):  mandragora  

de  terra,  de  qua  Adam  creatu*  est  etc.    Litauisch  begegnet  kaükax 
, Kobold,  Heinzelmännchen,  Alraun'  (s.  über  das  Wort  u.  Ahnen kultus). 
—  Vgl.  Ascherson  und  andere  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie  1891 
Verhandl.  8.  726  tf.  (hier  auch  die  Litteratur  über  die  ganze  Frage). 
Altar,  s.  Tempel. 

Alte  Lente.  Von  fast  allen  idg.  Völkern  besitzen  wir  Nachrichten, 
nach  denen  es  gestattet  gewesen  wäre,  sich  der  Greise  und  Kranken,  ja 
selbst  der  hinfällig  gewordenen  Eltern  durch  Tötung  oder  Aussetzung  zu 
entledigen.  Im  Atharvaveda  werden  neben  den  Vätern,  die  begraben  und 
die  verbrannt  wurden,  auch  die  ausgesetzten  {uddhita-)  angerufen  (vgl. 
Zimmer  Altind.  Leben  S.  328).  Über  iranische  Völker  berichtet  aus- 
führlich Strabo  XI  p.  517.  Hier  heisst  es  von  den  Baktrieru:  tou?  dTreipn.- 
kotckj  oid  v\pa<;  f\  vöoov  Zwvras  TtapaßdXXeo6ai  Tp€<poulvoic  kuöi  ^mnioes 
npÖ£  toüto  (der  Hund  ist  bei  den  Iraniern  heilig,  Sagdtd  , Hundeschau'  ist 
eine  bei  Leichenbegängnissen  übliche  Zeremonie,  bei  der  man  einen  Hund 
zu  dem  Toten  hinführt),  oöq  £vTaq>ioujTd<;  Ka\€to~6at  rf)  ncrrpuKji  yXonTr).  Erst 
Alexander  der  Grosse  habe  den  Brauch  abgeschafft.  Ferner  heisst  es  von 
den  Kaspiera:  tou?  foviaq,  ^Treibdv  unip  eßöopnKOVxa  Ztx)  ftfovdrtq  Tirr- 


Digitized  by  Google 


Alte  Leute. 


87 


X<ivuj(Jiv,  £YKA€i(J9tvTaq  XtuoKxovetaBm.  Das,  fügt  der  Schriftsteller  hinzu, 
sei  noch  ziemlich  erträglich  (dtveKTÖrepov)  und  gleiche  dem  auf  der 
Insel  Keos  herrschenden  Brauch  (tcou  tlu  Kdwv  vöpiu  TrapotTrXriaiov), 
woraus  wir  also  erfahren,  dass  selbst  noch  auf  griechisch  ein  Boden 
Rudimente  der  barbarischen  Sitte  bestanden  haben  müssen.  Thatsüch- 
lich  berichtet  Strahn  noch  an  einer  zweiten  Stelle  (p.  486),  was  von 
anderen  Autoren  auf  das  beste  bestätigt  wird  (vgl.  Bröndsted  Voyages 
et  Recherches  dans  la  Grece  S.  63  ff.),  dass  auf  Keos  ein  Gesetz  oder 
eine  Sitte  (vöuos,  voutuov)  galt,  die  den  über  60  Jahre  alten  gebot, 
durch  Gift  zu  sterben,  damit  sie  den  jüngeren  den  Lebensunterhalt 
nicht  verkürzten.  —  Im  alten  Rom  gab  es  eine  sprichwörtliche  Redens- 
art: Se.ragenarii  de  ponte.  Schon  die  Alten  waren  über  ihre  Erklärung 
verschiedener  Meinung.  Nach  den  einen  wären  in  der  Urzeit  die 
60 jährigen  Greise  wirklich  von  der  Brücke  («lern  pons  mblkius)  in 
den  Tiber  geworfen  worden,  wofür  wieder  verschiedene  Veranlassungen 
angegeben  werden  (vgl.  namentlich  Festus  ed.  C.  0.  Mueller  S.  334), 
nach  den  anderen  handelte  es  sich  um  ein  Herabstossen  der  Greise  von 
den  Stimmbrucken,  eine  Erklärung,  die  ganz  wie  ein  Verlegenheits- 
behclf  gegenüber  einer  dem  historischen  Rom  völlig  unverständlichen 
Einrichtung  aussieht.  Jedenfalls  kann  Cicero  pro  Sexto  Roscio  Cap.  3f> 
('.Habeo  etiam  dicere,  quem  contra  morem  maiorum,  minorem  annis 
LX,  de  ponte  in  Tiberhn  deiecerif)  an  nichts  anderes  als  an  eine  Volks- 
sago von  wirklicher  Tötung  der  Greise  gedacht  haben  (vgl.  Oscu- 
brüggeu  Z.  f.  Altertumswissenschaft  1836  S.  1005  ff.),  reinen  Versuch, 
das  Herabstossen  der  Greise  gerade  von  einer  Brücke  zu  erklären, 
macht  Iheriug  Vorgeschichte  der  Indoeuropäer  S.  432.  —  Voll  von 
Zeugnissen  ist  das  germanische  Altertum,  die  J.  Grimm  Deutsche 
R.  A.  S.  486  ff.  gesammelt  hat.  Am  ausführlichsten  berichtet  Prokop 
B.  G.  II,  14  über  die  Hernler:  oütc  y<*P  °wpua*0\)(5\\  outc  voo-oucri 
aÜTois  ßiOTeuctv  ilf\v  äXX'  drceibdv  Tiq  auTuiv  f|  fi.  vöauj  äXdm,, 

^TTavcrfices  oi  ^tiv€T0,  tou?  aurrtvei«;  aiTeloeat  ön  Taxidia  II  äv- 
ÖpojTTuuv  auröv  ä<pavi£eiv.  Dann  wird  der  Hergang,  bei  dem  der 
Todesstoss  selbst  nicht  von  einem  Blutsverwandten  geführt  werden 
darf,  ausführlich  geschildert.  Besonders  häufig  scheint  der  alte  Brauch 
bei  Hungersnöten,  die  in  der  Urzeit  natürlich  nicht  selten  waren,  in 
Kraft  getreten  zu  sein  (vgl.  auch  Weinhold  Altn.  Leben  S.  473).  Das- 
selbe wie  von  den  Germanen  gilt  von  den  alten  P  reu ssen,  von  denen 
Hartknoch  Altes  und  neues  Preussen  S.  181  folgendes  erzählt:  „Dieses 
aber  ist  das  grösste  und  eine  schröckliche  Barbaries,  dass  sie  ihre 
lahme,  blinde,  alte  oder  kranke  Knechte  haben  auff  die  Bäume  zu 
hengen  pflegen,  damit  sie  nicht  dürfften  uinbsonst  sie  mit  Spciss  uud 
Trauck  versorgen  (vgl.  dazu  altn.  grafgangamadi',  ein  Rechtsausdruck 
für  zu  tötende  Freigelassene,  die  verarmt  wäre  n).  Ja,  was  noch 
mehr  ist,  sie  haben  auch  ihre  eigene  Eltern  auf  Anordnung  des  Waide- 


Digitized  by  Google 


38 


Alte  Leute 


wuti  (Priesters),  wenn  sie  alt  worden  oder  sonst,  in  eine  harte  Kranck- 
lieit  gefallen  waren,  ersticket,  damit  sie  keine  unnöthige  Unkosten  auff 
sie  wenden  dörfften"  n.  s.  w. 

Noch  scheußlicheres  erzählt  Hcrodot  von  den  Massageten  (1, 216)  und 
den  indischen  Padäern  (111,99),  Völkern,  von  denen  es  indessen  wahr- 
scheinlicher ist,  dass  sie  nicht  zu  deu  Indogermanen  (Ariern)  gehörten. 

Wohl  kann  man  sich  die  Sehreeklichkeit  solcher  Bräuche  gemildert 
denken  durch  die  Annahme,  dass  viele  jener  Greise  und  Kranken  selbst 
ihren  Tod  herbeigewünscht  haben  werden;  denn  auf  primitiven  Kultur- 
stufen hängt  der  Mensch  nicht  wie  heute  am  Leben,  und  Selbst- 
mord kommt  gerade  bei  deu  Barbaren  des  Nordens  häufig  vor  (vgl. 
Weinhold  und  Hartkuoch  a.  a.  0.).  Immerhin  wird  man  nicht  umhin 
können,  den  Hauptgrund  für  die  Hinschlachtung  der  alten  und  kranken 
Leute  in  dem  Wunsche  der  Ihrigen  zu  suchen,  sie  los  zu  werden. 
Mögen  auch  die  Schriftsteller  vielfach  einzelne  Vorkommnisse  dieser 
Art  fälschlich  verallgemeinert  haben,  die  unzweifelhafte  Duldung  der- 
selben durch  die  Gesamtheit  lässt  das  Gefühlsleben  der  ältesten  Indo- 
germanen noch  als  ein  so  stumpfes  uud  rohes  erscheinen,  dass  es  schon 
aus  diesem  Grunde  nicht  angeht,  indogermanische  Institutionen,  wie 
den  Ahnen kult us  (s.  d.)  und  andere  aus  einem  Gefühle  der  Pietät 
der  Kinder  gegen  die  Eltern  zu  erklären.  Die  harte  Sinnesart  dieser 
primitiven  Menschen  wird  man  noch  am  ehesten  verstehen,  nicht  aus 
der  geläuterten  Empfindung  der  gebildeten  Kreise  des  Altertums  oder 
der  Neuzeit,  auch  nicht  aus  der  Psychologie  der  Störche,  die  aus 
Mitleid  ihre  kranken  Genossen  töten  sollen  (so  Leist  Altarisches  Jus 
civile  I,  184),  sondern  aus  der  lieblosen  Behandlung,  die  unsere  heutigen 
Bauern  (wie  immer  wiederkehrende  Prozesse  zeigen)  leider  noch  viel- 
fach ihren  in  das  Altenteil  übergesiedelten  Eltern  angedeihen  lassen. 
Vgl.  dazu  E.  H.  Meyer  Deutsche  Volkskunde  S.  184:  „Die  Klage  der 
Eltern  Uber  schlechte  Behandlung  seitens  der  Kinder  ist  in  Deutschland 
uralt,  so  dass  das  Alter  nicht  bloss  wegen  seiner  körperlichen  Ge- 
brechen für  eine  wenig  lebenswerte  Zeit  gilt.  Fast  möchte  man  diesem 
Umstand  die  Mitschuld  zuschieben  an  den  verhältnismässig  vielen 
Selbstmorden,  die  noch  im  hohen  Alter  vorkommen."  Auch  schweize- 
rische Ausdrücke  wie  Stinkähni,  Pfuchähni,  Pfuipfuchähni ,  d.  h. 
Pfuistinkurgrossvater  u.  a.  würden  nach  Meyer  auf  die  ursprüngliche 
Verachtung  der  Hochbejahrten  hinweisen.  Eine  auffallende  Thatsache 
ist  es,  dass  von  verschiedenen  der  ältesten  Gesetzgeber,  von  Romnlus, 
Solon  u.  n.  berichtet  wird,  sie  hätten  Uberhaupt  keine  Strafe  auf  den 
Vatermord  gesetzt,  und  zwar  deswegen,  weil  dieses  Verbrechen  in 
ihren  Augen  eine  Unmöglichkeit  gewesen  sei  (vgl.  Brunnenmeister  Das 
Tötungsverbrechen  S.  190  f.).  Diese  Erklärung  ist  ebenso  sinnig  wie 
unwahrscheinlich.  Viel  glaublicher  ist,  dass  in  die  Zeiten  der  ältesten 
Gesetzgebungen  die  Kechtsphärc  der  Familie  und  Sippe  noch  so  stark 


Digitized  by  Google 


Alte  Leute  —  Amine. 


39 


hereinragte,  dass  jede  Handhabe  für  die  gesetzliche  Bestrafung  des 
Elternmordes  fehlte.  Beseitigung  der  Alten  steht  im  Grunde  auf  einer 
Stufe  mit  dem  Aussetzt!  ligsrccht  (s.  d  )  den  Kindern  gegenüber. 
War  eine  Familie  oder  Sippe  übereingekommen  (etwa  in  Zeiten  der 
Xot),  sich  der  Alten  zu  entledigen,  so  gab  es  keine  irdische  Macht, 
die  sie  daran  hätte  verhindern  oder  das  geschehene  strafen  können. 
S.  u.  Recht  (Familicnrecht). 

Alter  für  das  Heiraten,  s.  II  ei  ratsalt  er. 

Amarant,  s.  Garten,  Garten  ha u. 

Anibosg,  s.  Schmied. 

Ameise.  Der  idg.  Xame  dieses  Tieres  führt  auf  eine  nicht  weiter 
deutbare  Grundform  *morri-  (vgl.  .1.  Schmidt  Sonantentheorie  S.  29  tf., 
teil  weis  anders  Brugraann  Grundriss  1 2,  2  S.  849,  80n),  die  sieh  aus 
aw.  mao'tri-  (npers.  afgh.  etc.  mör,  kurd.  muri),  altn.  maurr,  ndd. 
miere  (auch  krimgot.  miera),  ir.  moirb  (kymr.  mor,  mt/r,  bret.  merien), 
altsl.  mraeija  ergiebt.  Daneben  lag  ein  durch  Umstellung  aus  *morth 
entstandenes  *vormi-,  auf  das  griech.  ßupuaE,  ßöpuaE,  sert.  ramr'i  (aus 
*varmi-  durch  Anlehnung  an  sert.  vdmiti  ,cr  speit")  und  vielleicht  lat. 
formlca  (volksetymologisch  nach  ferre  rnicas  aus  *vormica)  führen. 
Aus  einer  Verschränkung  der  beiden  Stämme  ist  griech.  pupjin,£,  Mupuos 
hervorgegangen.  Noch  nicht  deutlich  ist  der  Zusammenhang  «lieser 
Formen  mit  armen,  mrjimn,  osset.  muljug,  korn.  menvionen,  kymr. 
tm/icion-yn  (vgl.  Stokes  Urkelt.  Spraehseh.  S.  21;")).  Altpr.  sangig 
könnte  aus  Hangis  verschrieben  sein  und  zu  korn.  sengan  , Ameise' 
gehören   Stokes  a.  a.  0.1.    Ahd.  ameiza  und  lit.  skruzde  sind  dunkel. 

Amethyst,  s.  Edelsteine. 

Amme.  Wie  es  Tacitus  Genn.  Cap.  20  von  den  Germanen  be- 
richtet (tiua  quemque  mater  uheribus  alit,  nec  ancillis  aut  hutrieibus 
deleguntur wie  es  im  alten  Rom  im  Gegeusatz  zu  dem  später  herr- 
sehenden Brauch  als  gute  Sitte  der  Vorfahren  galt  (vgl.  Plutarch  De 
edueatione  pueroruin  Cap.  f>,  Tacit.  Dial.  Cap.  28  f.),  so,  darf  man  an- 
nehmen, wird  es  auch  bei  den  Indogcrmanen  gewesen  sein,  d.  h.  die 
Mutter  wird  die  Kinder  an  der  eigenen  Brust  genährt  haben.  Eine  Än- 
derung wird  erst  mit  dem  Aufkommen  eines  Sklavenstandes  (s.  u. 
Stände»  eingetreten  sein,  der  allmählich  anfing,  den  reicheren  und 
vornehmeren  Frauen  diese  bequemen  Vertreterinnen  bei  der  Erfüllung 
mütterlicher  Pflichten  zu  stellen.  So  ist  es  schon  bei  Homer.  Frauen 
wie  Hekabe  oder  Pcnelope  stillen  ihre  Kinder  noch  selbst.  Daneben 
ist  aber  auch  die  (unfreie)  Amme  <Ti6nvn,  Tpotpö?)  eine  häutige  Er- 
scheinung (vgl.  Buchholz  Realien  11,2;  24). 

Als  Benennungen  der  Amme  werden  entweder  Lallwörter  ver- 
wendet, die  zugleich  auch  die  Mutter  (auch  Mutterbrust)  und  Gross- 
mutter bezeichnen.  So  im  Germanischen:  ahd.  altn.  amma  , Amme, 
Mutter,  Grossmuttcr',  so  griech.  men,  ,Amme,  Muttcrbrust'.  auch  für 


Digitized  by  Google 


40 


Ainme  —  Auker. 


Tn6n,  ,Grossmntter'  und  ,Amme',  so  lat.  mamma  , Brust',  , Mutter',  ,Gross- 
mutter',  ,An»me'.  Bemerkenswert  ist,  dass  bei  zahlreichen  Naturvölkern 
(vgl.  Ploss  Das  Weib8  S.  394)  gerade  die  Grossmütter  als  Aminen 
auftreten,  indem  sie  es  verstehen,  ihren  alternden  Brüsten  hinrei- 
chende Milchabsonderung  zu  entlocken.  —  Oder  die  Amme  heisst 
die  ^äugende',  , ernährende'  wie  im  grieeh.  TiBnvn,  (wovon  Tirön.  nach 
einigen  Kurzform  wäre)  von  9fjo*0ai  , melken',  sert.  dhdyati  ,er  saugt', 
lat.  ftlare  u.  s.  w.  i  vgl.  auch  sert.  dhätri-  ,Amme,  Pflegerin,  Mutter", 
npers.  drfya.  armen,  dayeak,  kurd.  dain  ,Ammc'),  lat.  nütri.r  (axsa 
m'itri.r  .trockene  Amme',  .Wärterin  )  :  niitrio,  russ.  korntilica :  kormü 
, Nahrung'  u.  a.  in. 

Ammer,  s.  Singvögel. 

Ammer,  s.  K  irsc  he. 

Ampel,  s.  Lieht. 

Ampfer.  Pflanze  mit  altertümlicher,  aber  weit  aus  einander 
gehender  Terminologie.  Griech.  XdTraGov  (schon  von  den  Alten  zu 
XamiKÖ?  .ausleerend',  Xcmdo*o*uj  ,führe  ab'  gestellt;  hieraus  lat.  lapathnm 
,Sauerampfcr'  und  hieraus  wieder  ahd.  (huofhlettkha  aus  Haptka),  lat. 
rume.r,  westgerm.  ahd.  ampfaro,  agls.  ompre  (:ndl.  amper  ,sebarf, 
bitter'  etc.,  sert.  amla-  ,sauer",  wie  auch  engl,  sorrel,  frz.  Hurelle, 
altfrz.  sorel,  dän.  xyre  auf  ahd.  stlr  .sauer'  zurückgehen),  gcmeinsl.  altsl. 
tttavü,  russ.  scavelh  lit.  rükxztyne  (rnkxztas  , sauer  ).  Vgl.  noch  menua 
bei  der  heiligen  Ilildegardis  für  Humex  obtusifollus  L.  [menuelwurz 
in  Grimms  W..  *manhat). 

Amsel,  s.  Singvögel. 

Amt,  s.  S  t  ä  n  d  e. 

Amulet,  s.  Schmuck. 

Auegange,  s.  Orakel. 

Angel,  s.  Fisch,  Fischfang. 

Anis,  s.  Garte  n,  G  arte  n  b  a  u. 

Anker.  In  den  ältesten  Zeiten  wurden  die  Schiffe  entweder 
auf  das  Festland  hinaufgezogen  (hom.  tmKfcXacu),  oder  an  dazu  be- 
stimmten Steinen  (griech.  XoYT-do*ia  Aesch.,  vielleicht:  ir.  long  ,Schiff', 
woraus  altn.  lung  id.?;  vgl.  auch  Xo^Y-aoln.  *  vcibq  Kai  'ifftiou  fcpeiaua  Hes.) 
und  Pfählen  (ahd.  ntarxtecho)  mit  Tauen  festgebunden,  oder  endlich, 
es  wurden  statt  des  Ankers  schwere  Steine  (hom.  eüvcu,  ahd.  senkil, 
senkil  xt ein)  auf  den  Meeresboden  herabgelassen. 

Der  eiserne  Anker  tritt  erst  mit  griech.  dfKupa  (,der  gekrümmte': 
d'ficujv  .Bug  )  auf,  zuerst  bei  Theognis  v.  459:  outoi  o*üu<popöv  l<5t\  T^vn, 
via  dvbp\  fepovTi'  oü  ^dp  rnibaXiiy  TTtiOetai,  wq  aKcrroq,  oOb'  dtKupai 
?Xouaiv.  Dieses  Wort  hat  sieh  dann  zusammen  mit  der  Sache  durch 
ganz  Europa  verbreitet,  wie  lat.  ancora  (Xacvius),  ir.  ingor,  kymr. 
angor,  körn,  ancar,  bret.  eor,  ahd.  anchar,  agls.  oncor  (sehr  früh), 
altn.  akkere  (finn.  arikuri),  lit.  iiikamx.  altsl.  ankim,  ankam  zeigen. 


Digitized  by  Google 


Anker  —  Antilope. 


41 


Vgl.  daneben  altsl.  kotra,  eigentl. , Katze'  wie  griech.  YPÜTres*  dxKupai  (Hes. 
ed.  M.  Schmidt  IV,  2;  95),  eigcntl.  »Greife*.  —  Im  Norden  F^uropas  hatten 
schon  die  gallischen  Vencter  nach  Caesar  III,  13  ancorae  pro  funibus 
ferreis  catenis  revinetae,  die  sie  in  vorröinischcr  Zeit  von  Massilia 
her  kennen  gelernt  haben  könnten.  Auf  germanischem  Hoden  wurde 
ein  eiserner  Anker  bei  zwei  grossen  Booten  im  Nydamsinoor  im  süd- 
lieheu  Jittland  zusammen  mit  römischen  Müuzen  des  II.  Jahrhunderts 
n.  Chr.  Geb.  gefunden  (vgl.  Montelius  Die  Kultur  Schwedens8  S.  112). 
Auch  der  Beowulf  erwähnt  den  Anker  mehrfach.  Bei  den  Russen 
fordert  Oleg  von  dem  griechischen  Zaren  als  Schätzung  Anker  nebst 
Tauwerk  und  Segeln,  ein  Zeichen,  dass  diese  Dinge  damals  bei  den 
Russen  selbst  noch  selten  waren.    S.  u.  Schiff,  Schiffahrt. 

Ansässigkeit,  s.  Ackerbau. 

Aiithroponiorphisnius,  s.  Religion. 

Anthropophagie,  s.  Opfer. 

Antilope.  Von  Antilopenarten  ist  nur  die  S  a  i  ga  -  A  n  t  i  1  o  p  e 
und  die  Gemse  in  Europa  einheimisch. 

Die  erstere  kommt  jetzt  nur  in  einem  beschrankten  Gebiet  des  süd- 
lichen Russland  zwischen  Don  und  Wolga  vor,  war  aber  früher  in  der 
ganzen  Steppe  und  zur  diluvialen  Zeit  sogar  in  dem  ungeheuren  Raum 
vom  südwestlichen  Frankreich  bis  zum  ostsibirischen  Eismeer  verbreitet 
(vgl.  F.  Tb.  KOppen  Ausland  1891  S.  583). 

Das  Wohnungsgebiet  der  Gemse  erstreckt  sich  über  die  Gebirge 
Südeuropas  von  den  Pyrenäen  bis  zu  den  Karpathen.  Das  Tier  war 
daher  den  Alten  bekannt;  doch  warfen  sie  es  sprachlich  mit  ähnlichen 
Gebirgsbewohnern,  wie  dem  Paseng,  der  wilden  Ziege,  dem  Steinbock 
u.  a.  zusammen:  griech.  cuE  <5rpio<;,  ärpoicpa,  arrcrfpo«;,  xmama,  lat. 
rupicapra,  damma,  capra.  Eigentümlich  dunkle  Namen  nennt  Hesych : 
vpivaBo?,  aavvdq,  iupK€<;,  lopKe?  (aus  dein  keltischen  *jorkos,  korn. 
yorch  etc.)  neben  dein  mit  dein  keltischen  Wort  vielleicht  urverwandten 
£öp£.  S.  u.  Hirsch  und  Steinbock,  und  vgl.  Keller  Tiere  d.  kl. 
Altertums  S.  49  ff.  —  Kinc  spezielle  Bezeichnung  der  Gemse  tritt  erst  mit 
ahd.  gamiza,  mhd.  gamz  auf,  mit  dem  die  romanischen  it.  camozza,  frz. 
chamoix  irgendwie  zusammenhängen,  und  das  von  neueren  Etymologen 
teils  (vgl.  Noreen  Abriss  der  urgerm.  Lautlehre  S.  133,  152)  zu  griech. 
K€udt£,  Keudb-o?  ,Reh,  Hirsch.  Antilopenart'  gestellt,  teils  (vgl.  R.  Much 
Z.  f.  d.  Altertum  XLII,  l«8t,  und  zwar  wahrscheinlicher,  zusammen 
mit  den  romanischen  l'orinen  von  einem  im  V.  Jahrb.  bezeugten  alpeu- 
lateinischen  Tiernamen  camo.r  (vgl.  auch  ahd.  gamicin  ,ibex'  t  abgeleitet 
wird.  —  Frühzeitig  mussten  die  Alten  auch  mit  ausländische  n  An- 
tilopenarten, vor  allein  mit  den  G  a  z  e  1 1  e  n  Nordostafrikas  und  Arabiens, 
Bekanntschaft  machen.  Für  dieselben  gebrauchten  sie  (zuerst  Aeschylos) 
den  Ausdruck  ßoüßaXiq,  ßoüßaXoq,  ein  Wort,  das,  wie  der  Name  sagt, 
ursprünglich  eine  Rinderart  bezeichnet  haben  muss.  Eine  solche  Über- 


Digitized  by  Google 


42 


Antilopr  —  Apfelbaum. 


tragnng  verliert  daß  seltsame,  das  ihr  auf  den  ersten  Blick  anhaftet, 
wenn  man  sich  die  zahlreichen  Fälle  dieses  Bedeutungswechsels  aus 
den  semitischen  Sprachen,  namentlich  dem  Arabischen  vergegenwärtigt 
(vgl.  F.  Hommcl  Xamen  der  Säugetiere  S.  228,  436).  Über  die  wei- 
teren Geschicke  des  Wortes  ßoußaXo?  s.  u.  Rind  (Büffel). 

Ein  anderer  alter  Name  für  eine  Gazellenart  im  Griechischen  ist  öpuH 
(in  der  Form  opus  vielleicht  zuerst  bei  Herodot  IV,  192).  Man  sucht 
es  aus  orientalischen  Sprachen  (assyr.  turahu  .Steinbock')  zu  erklären 
(vgl.  Muss-Arnolt  Transactions  of  the  American  Phil.  Assoc.  XXIII,  98 
und  Lewy  Die  scm.  Fremd w.  S.  3).  —  Erst  in  den  romanischen  Sprachen 
(it.  (jazzella  u.  s.  w.)  tritt  das  arabische  gaztil  auf. 

Apfelbaum  (Pirus  Malus  L.).  In  den  ncolithischcn  Stationen 
Italiens,  Ostreichs  und  der  Schweiz  haben  sich  teilweise  in  grosser 
Menge  Äpfel  gefunden,  die  gewöhnlich  in  zwei  oder  drei  Stücke  zer- 
schnitten waren,  ohne  Zweifel,  um  so  gedörrt  und  für  den  Winterbedarf 
zurückgelegt  zu  werden.  Die  grosse  Mehrzahl  dieser  Apfelrestc  gehört 
dem  w  i  1  d  e  n  Holzapfel  [Pirus  sihuitica  MM.)  an,  der  durch  das 
ganze  zentrale  Europa  bis  nach  Norddeutsehland  verbreitet  ist.  That- 
sächlich  nahmen  noch  die  Germanen  des  Tacitus  (Genn.  Cap.  23)  an 
dem  rohen  Geschmack  der  agrestia  ponm,  die  sie  als  Nahrungsmittel 
verwandten,  keinen  Anstoss.  Neben  diesem  wilden  und  kleinen  Holz- 
apfel haben  sich  aber  in  den  genannten  Pfahlbauten  auch  noch  Über- 
reste einer  zweiten  Apfelsorte  gefunden,  die  bereits  die  Spuren  von 
Veredelung  tragen  soll  t  vgl.  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  24 
und  G.  Buschan  Vorgesch.  Botanik  S.  166  ff.). 

Ein  die  nördlichen  Länder  Europas  verbindender  gemeinsamer  Name 
des  Apfelbaums  wird  unten  zu  behandeln  sein. 

Schwierig  ist  die  Frage  zu  beantworten,  wann  zuerst  im  Süden 
unseres  Erdteils  der  Knlturapfel  bekannt  wurde,  besonders  deshalb, 
weil  im  Griechischen  ufiXov  , Apfel'  zugleich  als  Gesamtbczcichnung  für 
alles  Kernobst  gebraucht  wird.  Indessen  dürfte  doch  an  den  beiden 
Homerstellen  Od.  VII,  llf>ff.  und  XI,  f)89,  wo  neben  öxxvat,  (ioicu, 
auKai,  ^Xatat  die  nn^ai,  bezüglich  die  jjfjXa,  ohne  jeden  weiteren  Zusatz 
gebraucht  werden,  unter  den  beiden  letztgenannten  Wörtern  kaum 
etwas  anderes  als  unser  Apfelbaum,  bezügl.  seine  Früchte,  zu  verstehen 
sein.  Auch  ist  der  Apfelbaum  im  Orient  alt  und  kann  daher  leicht 
von  hier  in  Griechenland  eingewandert  sein.  Es  seheint,  dass  seine 
Kultur  sich  in  nördlich-südlicher  Richtung,  von  den  Pontusländern,  auf 
die  als  Ausgangspunkt  der  Äpfelkultur  auch  naturgesehichtliehe  An- 
zeichen hinweisen  (vgl.  Englcr  in  Hehns  Kulturpflanzen  6  S.  594  und 
Buschan  a.  a.  0.  S.  173),  bis  nach  Ägypten  verbreitet  hat.  Einmal 
stammt  das  syrische  Wort  für  den  Apfelbaum  hazurd  aus  armen,  wnjor, 
.rncor  , Apfel',  xncori  .Apfelbaum'  (vgl.  Hübschmann  Armen.  Gramm.  I, 
30;")).   Das  andere  Mal  dürfte  nichts  im  Wege  stehen,  den  ägyptischen 


Digitized  by  Google 


Apfelbaum. 


43 


Namen  des  Baumes  d-p-h  aus  hebr.  tappAüh  abzuleiten.  Freilich 
ist  nicht  ganz  sicher,  ob  die  beiden  zuletzt  genannten  Wörter  wirklich 
Pirus  Malus  bezeichnen.  Auf  keinen  Fall  könnte  der  Apfelbaum 
in  Ägypten,  also  am  südlichen  Ende  seines  Verbreitungsgebietes,  eiue 
grosse  Bedeutung  gehabt  haben,  da  er  weder  auf  Wandgemälden,  noch 
seine  Früchte  in  Gräbern  nachgewiesen  sind  (vgl.  F.  Hommel  Aufsätze 
und  Abh.  München  1892  S.  167,  Buschan  a.  a.  0.  S.  166). 

Das  lat.  mälum  kann  zunächst  ebensowohl  für  urverwandt  mit, 
als  entlehnt  aus  dem  griech.  un>ov,  dor.  jiäXov  gehalten  werden.  Da 
indessen  die  romanischen  Formen  it.  melo,  mm.  mer,  rät.  meil  ebenso 
wie  auch  alb.  moh.  auf  ein  vulgärlat.  melum  (vgl.  auch  melarius, 
müarius  in  der  Lex  Salica)  zurückführen,  das  doch  nur  aus  ion.-att. 
jjfiXov  entlehnt  sein  kann,  so  liegt  es  näher,  auch  für  lat.  mälum  an 
Entlehnung  aus  dor.  jjäXov  zu  denken.  Jedenfalls  ist  Italien  bald  und 
in  viel  höherem  Grade  wie  Griechenland  ein  äpfelreiches  Land  ge- 
worden. Columella  zählt  bereits  7  Sorten  verschiedener  Äpfel,  Plinius, 
der  auch  den  Apfelwein  erwähnt,  deren  noch  mehr  auf,  während 
Dioskorides  erst  zwei  Sorten  kennt.  Besonders  berühmt  muss  die 
Äpfelkultur  der  Stadt  Abella  im  fruchtreiclicn  Campanien  gewesen  sein, 
wie  aus  Vergilt»  Aeneis  VII,  740  (Scrvius): 

et  quo8  malif  erat  despectant  moenia  Abellae 
hervorgeht.  Die  Wahrscheinlichkeit  liegt  auf  der  Hand,  dass  dieser 
Städtename  Abella  auf  irgend  eine  Weise  mit  der  schon  oben  an- 
gedeuteten nordeuropäischeu  Bezeichnung  des  Apfelbaums,  resp.  Apfels 
zusammenhängt,  die  auf  eine  Grundform  *abela-,  *ablu~  zurückgeht  und 
in  ir.  aball,  uball,  ubull,  ahd.  apful,  agls.  appel,  altn.  eple,  lit.  öbülan, 
altpr.  icobalne,  woble,  slav.  jablfdo  vorliegt.  Es  fragt  sich  nur,  wie 
dieser  Zusammenhang  des  näheren  zu  denken  ist.  Man  kann  annehmen, 
dass  eine  Bezeichnung  wie  (tnalum)  Abellanum  oder  besser  (malum 
de)  Abella  zunächst  ins  Keltische  und  von  hier  aus,  noch  vor  der 
ersten  Lautverschiebung  (s.  u.  Affe),  ins  Germanische  übergegangen 
sei,  aus  dem  es  die  Litauer  und  Slaven  wiederum  übernommen  hätten. 
Letztere  könnten  aber  auch  das  Wort  unmittelbar  von  den  Kelten  ent- 
lehnt haben  zu  einer  Zeit,  „in  welcher  eine  Berührung  der  Kelten  und 
Slavoletten  an  der  unteren  Donau  statt  fand"  (Fick  Vergl.  W.  I  *,  349). 
Möglich  ist  endlich  aber  auch,  Abella  als  urverwandt  mit  den  nord- 
europäischeu Ausdrücken  anzusehen  und  den  Ort  von  der  Frucht,  nicht 
die  Frucht  von  dem  Ort  benannt  sein  zu  lassen  (vgl.  R.  Much  Z.  f. 
österr.  Gymn.  1896  S.  608).  So  sind  in  der  Bibel  Ortsnamen  wie 
Tappftah  (s.  o.)  ganz  gewöhnlich.  Vgl.  auch  Ortsnamen  wie  nhd. 
Affoltern,  Affaltrach,  ndl.  Apeldoren,  engl.  Appledore:  ahd.  affbltra, 
agls.  apuldr  , Apfelbaum'.  Alsdann  würde  in  Abella,  ir.  aball  u.s.w. 
eine  vorhistorische,  weit  zurückgehende  Bezeichnung  des  Apfels  vor- 
liegen, zunächst  natürlich  des  wilden  Holzapfels  (s.  <>.),  die  dann  auch 
anf  veredelte  Arten  Ubertragen  wurde. 


Digitized  by  Google 


44 


Apfelbaum  Aromuta. 


Mit  voller  Bestimmtheit  lässt  Bich,  was  den  germanischen  Namen 
des  Apfelbaumes  betrifft,  also  nur  sagen,  dass  derselbe  nicht  wie  die 
Benennungen  der  übrigen  Obstbäume  erst  spät  und  direkt  aus  dem 
Lateinischen  hervorgegangen  ist.  In  den  altgermauischeu  Rechtsquellen 
ist  in  den  ältesten  Codd.  der  Lex  Salica  (cd.  Hessels)  Uberhaupt  noch 
nicht  von  Obstbäumen  die  Rede,  und  erst  in  den  späteren  Codd.  und 
der  Lex  Emendata  werden  der  pomariu*  domesticus  (auch  melariux, 
mttarim)  neben  dem  pemrius,  pirariust  wiederholt  genannt,  wie  denn 
auch  in  der  Lex  Baiuv.  (Walter)  XXI,  f>  und  im  Kdictum  Rotharis  306 
Äpfel  und  Hirnen  vorkommen.  Die  zur  Zeit  Karls  des  Grossen  ge- 
bauten Apfelsorten  zählt  das  Capit.  de  villis  70,  89  auf. 

Zum  Schluss  sei  bemerkt,  dass  auch  die  Finnen,  die  auf  ihrem 
Gebiete  nur  zwei  kultivierte  Fruchtbäume,  den  Apfel-  und  Kirschbaum, 
kennen,  für  ersteren  einen  gemeinsamen  Namen  (finn.  omena,  liv.  umär, 
mordv.  mar  )  haben,  der  natürlich  mit  der  oben  erörterten  nordeuro- 
päiseheu  Benennung  nichts  zu  thun  hat.  S.  u.  Obstbau  und 
Bau  m  z  u  e  Ii  1. 

Aprikose,  s.  Pfirsich. 

Architektur,  s.  Haus,  Steinbau,  Unterirdische  Wohnungen. 
Aristokratie,  s.  Stände. 
Arm,  s.  Reich  und  arm. 
Armband,  s.  Schmuck. 
Armbrust,  s.  Pfeil  und  Bogen. 

Aromata.    Als  Hermes  (Od.  V,  f>8  ff.)  im  Auftrag  der  Götter 
zu  der  Höhle  der  Kalypso  kommt:  tt]v  b'  €vbo9t  xeruev  doütfav. 

mip  piv  in  £o*x<*pocpiv  ja^ra  koUto,  TnXöcfc  b'  öbpf| 
K^bpou  t'  eikedToio  Suou  t*  äva  vntfov  öbwbei 
baiou^vujv. 

Ans  dieser  Stelle  erhellt,  dass  schon  in  homerischer  Zeit  in  den  Wohnungen 
und  Palästen  einheimische  Hölzer,  um  Wohlgeruch  zu  verbreiten,  verbrannt 
wurden.  Genannt  werden  Kt'bpoq  und  öviov,  die  beide  schon  sprachlich  auf 
ihre  Bestimmung,  in  Rauch  aufzugchen,  hinweisen.  Über  K€bpo^  s.  in  dieser 
Beziehung  u.  Wach  holder,  0uov  (sachlich  nicht  genau  bestimmbar) 
gehört  zweifellos  zusammen  mit  8u€a,  9ur|Xcu:  griech.  öuuj  (bei  Homer 
nur  im  Sinne  von  Buutäw)  —  lat.  sttf/io  , lasse  in  Rauch  aufgehen'.  Zu 
gleichem  Zwecke  werden  Lorbeer,  Myrte  und  Kypresse  verwendet 
worden  sein.  Eine  andere  Frage  ist,  ob  in  homerischer  Zeit  auch  den 
Göttern  schon  Rauch-,  d.  h.  Wohlgeruchsopfer  mit  einheimischen 
Stoffen  dargebracht  wurden,  was  von  v.  Fritze  Die  Rauchopfer  bei  den 
Griechen  (Berlin  1894)  bejaht,  von  Stengel  in  seiner  Besprechung 
dieses  Buches  (Berliner  Phil.  Wochenschrift  1805  S.  118)  verneint  wird. 

Wie  sich  dies  nun  auch  verhalten  möge,  sicher  ist  jedenfalls,  dass  das 
Wohlgeruehopfcr  seine  eigentliche  Bedeutung  erst  geraume  Zeit  nach 
Homer  erlaugt  hat,  als  durch  gesteigerte  Handelsbeziehungen  und  eine 


Digitized  by  Google 


Aronmta  —  Arzt 


bessere  Bekanntschaft  mit  den  orientalischen  Kulten  die  kostbaren  Wohl- 
gerüche  des  Orients,  allen  voran  Myrrhe,  Weihrauch  und  Kassia,  in 
Griechenland  und  dadurch  im  übrigen  Kuropa  bekannt  wurden.  Wie 
im  Orient,  loderten  nun  in  Griechenland,  wie  der  Astartc,  so  der  Aphro- 
dite ungeheure  Massen  der  kostbaren  Stoffe  empor. 

Während  ferner  Alteuropa  Haar  und  Leib  mit  stinkender  Butter 
(s.  d.)  salbt,  eine  barbarische  Sitte,  die  in  Griechenland  schon  in  vor- 
homerischer Zeit  die  Gabe  des  Oelbanms  (s.  d.)  verdrängt  hatte,  ist 
es  dem  Orient  gelungen,  den  fluchtigen  Wohlgeruch  der  Pflnnzenstoffe 
an  Fette  und  Öle  zu  binden  und  süssdufteude  Salben  zu  bereiten,  von 
denen  eine  dunkle  Kunde  schon  zu  den  homerischen  Griechen  gedrungen 
ist  t  vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen ü  8.  lOil).  Und  mögen  nun  in  Griechen- 
land Gesetzgeber  wie  Solon  und  Lykurg  den  Verkauf  oder  Verbrauch  sol- 
cher Salbeu  unter  Strafe  stellen  (vgl.  Athenaeus  XV  p.686f.),  oder  mögen 
in  Rom  die  Censoren  in  gleichem  Sinne  Edikte  erlassen  (Pliti.  Hist. 
nat.  XIII,  24),  bald  ist  im  klassischen  Süden,  wenigstens  in  den  höheren 
Ständen,  die  Anwendung  wohlriechender  Salben  ein  fast  tägliches  Be- 
dürfnis. 

Der  ausserordentliche  und  kostspielige  Verbrauch  orientalischer  Par- 
füms lenkte  mehr  und  mehr  die  Aufmerksamkeit  auch  auf  die  im  Süden 
nicht  selten  einheimischen  Pflanzenarten,  welche  zwar  minder  kostbare, 
aber  auch  um  so  viel  billigere  Produkte  lieferten.  So  ist  es  gekommen, 
dass  das  Altertum  über  eine  beträchtliche  Anzahl  von  dpiÜLiaTa  (das 
Wort  ist  zuerst  bei  Xenophon  und  Theophrast  überliefert  und  noch  uner- 
klärt) verfügte.  Über  die  Geschichte  derselben  ist  in  besonderen  Ar- 
tikeln gehandelt  worden :  von  Harzen  u.  Weihrauch,  Myrrhe, 
Balsam,  Styrax,  Bdellium,  Galbanum,  Gummi,  Mastix  (s.  u. 
Terebinthaceen Ladanum,  an  Teilen  von  Pflanzen  u.  Zimmet 
(und  Kassiai,  Narde,  Malabatbron,  Kostus,  Kalmus,  Kyper- 
blume,  Alol4,  Santelholz,  Iris.  S.  auch  u.  Hose,  Veilchen, 
Safran  und  u.  Gewürze.  Im  allgemeinen  vgl.  R.  Sigismund  Die 
Aromata  Leipzig  1884. 
Arrak,  s.  Reis. 

Arsenik.  Dies  im  Altertum  nur  als  Farbstoff  bekannte  Mineral 
wird  zuerst  von  Aristoteles  als  dpcreviKÖv,  von  Theophrast  als  dppevucöv, 
lat.  (Plin.).  arrhenicum  genannt.  Das  Wort  scheint  unter  volkscty- 
mologischer  Anlehnung  an  äpanv  aus  syr.  zarnikd,  npers.-arab.  zarnifi, 
zarniq,  zarni,  zarna,  armen,  zaHk  ,Arscnik'  verstümmelt  zu  sein.  Zu 
(«runde  liegt  aw.  zaranya-,  npers.  zar  ,GoId',  .goldig'. 

Artischoke,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Arzt.  Die  Wissenschaft  des  Arztes  ist  in  langer  Entwicklung 
aus  den  Künsten  der  Zauberei  und  des  Aberglaubens  hervorgegangen, 
die  in  der  Volksmedizin  noch  heute  eine  wichtige  Rolle  spielen.  Im 
Rigveda,  besonders  aber  im  Atharvaveda  werden  zahlreiche  Krankheiten 


Digitized  by  Google 


46 


Arzt. 


aufgeführt,  die  ausser  durch  Pflanzen  und  Amulette  (scrt.  inani-)  durch 
-die  Hersagung  von  Zaubersprüchen  (scrt.  mdntra-)  geheilt  werden.  Diese 
sollen  die  Dämonen  verscheuchen  und  den  feindlichen  Zauber  brechen, 
welche  als  die  eigentlichen  Urheber  der  Krankheiten  .  gedacht  sind 
(vgl.  A.  Hillebrand  Grundriss  der  indo-ar.  Phil.  III,  2;  181  ff.).  Ent- 
sprechend wird  im  Awesta  neben  urvarö-baemza-  ,  Heilung  durch 
Pflanzen'  und  Jcaretu-baemza-  , Heilung  durchs  Messer'  ausdrücklich 
ein  mqdrö-baemza-  »Heilung  durch  Zaubersprüche'  unterschieden,  und 
noch  bei  Homer  (Od.  XIX,  4Ö7)  wird  das  aus  der  Wunde  des  Odya- 
seus  strömende  Blut  durch  Besprechung  (<*Traoibnj  gestillt.  Ja,  selbst 
Piudar  ueunt  (Pyth.  III,  öl : 

Touq  ufcv  uaXaicai«;  ^Traotbats  äuq>€Trujv, 
Touq  be  Tipoaavea  mvovraq,  x\  "fuiou;  ttcp&tttujv  TrdvToOcv 
<päpuaKCt,  tou^  bfe  touaw;  £o"Tao"€v  öp6oü?) 
neben  Tränken,  Kräuterunischlägen  und  Schneiden  noch  deutlich  als 
Heilmittel  die  Beschwörung  und  zwar  an  erster  Stelle  (vgl.  weiteres 
bei  Welekcr  Epoden  oder  das  Besprechen  Kl.  Sehr.  III,  64  ff.).  Auch 
aus  Italien  haben  wir  reichliche  Nachrichten  über  Zauberlieder  im 
Dienste  der  Heilknnst.  Die  Marser  verbrachten  Wunder  incentionibiis 
herbarumque  succis  medelarum  (Gellius  XVI,  II).  Von  den  Körnern 
berichtet  Plinius  Hist.  nat.  XXVIII,  29:  Carinina  quaedam  e.rstant 
contra  grandines  contraque  morborum  genera,  und  derselbe  Autor 
XXVIII,  21  kennt  ein  Carmen  au.illiare  des  Cato  (s.  u.)  lu.vatis  mem- 
bris  um!  ein  solches  des  M.  Varrn  gegen  das  Podagra  (vgl.  Welcker 
a.  a.  0.  S.  £6  l'.j.  Am  reichsten  aber  an  Zeugnissen  für  das  Bestehen 
derartiger  Zauberlieder  (altn.  galdr,  agls.  gealdor,  ahd.  galdar :  ahd. 
gahin  .singen '.  bigalan  , beschwören',  vgl.  lat.  incantaiio  :  cantare) 
gegen  alle  nur  denkbaren  Krankheiten  erweist  sich  die  altgcrmanische 
Littcratur  (vgl.  die  Sammlung  bei  K.  Kögel  Geschichte  d.  d.  Lit.  I, 
1 ;  &2  ff.). 

Von  der  Beschaffenheit  dieser  heilenden  Zaubersprüche  giebt  uus  der 
eine  der  beiden  Mcrseburgcr  Heilsprüchc  gegen  die  Fnssverrenkung 
eines  Rosses,  verglichen  mit  einem  ganz  ähnlichen  des  Atharvavcda 
(IV,  2  ,  der  sich  jedoch  auf  Menschen  bezieht,  eine  lebendige  Vorstcl- 
tung  (vgl.  A.  Kuhn  K.  Z.  XIII,  41»  ff.).  Der  erstere  lautet  mit  pro- 
saischer Einleitung:  i.Phol  und  Wuodan  fuhren  zu  Holze.  Da  ward  dem 
Rosse  Balders  sein  Fuss  verrenkt.  Da  besprach  es  Sindgund  und  Souuc, 
ihre  Schwester;  da  besprach  es  Wuodan,  der  sich  wohl  darauf  verstand. 
Sei  es  Beinverrenkung,  sei  es  Blut  Verrenkung,  sei  es  Glied  Verrenkung:) 

Ih'U  zi  brna   bluol  zi  bhutda, 
lid  zi  geliden,  xöse  gtUmida  trin. 

In  Indien  lautet  die  entsprechende  Formel: 
Zusammen  werde  Mark  mit  Mark  und  auch  zusammen  Glied  mit  Glied, 
Was  Dir  an  Fleisch  vergangen  ist  und  auch  der  Knochen  wachse  Dir. 
Mark  mit  Marke  sei  vereinigt,  Haut  und  Haut  erhebe  sich! 


Digitized  by  Google 


Arzt. 


47 


Noch  heute  aber  bannt  man  auf  dem  Balkan  Krankheiten  mit  fol- 
genden Worten:  „Schweige  X.  X.  (Name  des  Kranken)!  weine  nicht! 
Wir  werden  ein  Weib  herrufen  (so  spricht  die  Bannerin  selbst),  fttnf- 
fingrig,  des  Bannens  kundig,  um  mit  Gräsern  uud  Kräutern  die  Krank- 
heit zu  bannen,  herauszutreiben,  die  Knochen  zu  setzen,  die  Knöchelchen 
zu  setzen,  das  Gehirn  zu  setzen"  u.  s.  w.  (vgl.  Lübeck  Die  Krankheits- 
dämonen  der  Balkanvölker  Z.  d.  Vereins  für  Volksk.  VIII,  382). 

Anderer  Art  sind  Zaubersprüche,  wie  der  schon  oben  genannte  des 
Cato  (De  agricultura  160)  gegen  Luxation,  in  dem  ganz  unverständliche 
mvstischc  Wörter  wie  daries,  dardaries,  asiadaridex  oder  huat,  hauat. 
huat,  ista,  pisfa,  xista  u.  s.  w.  sinnlos  nebeneinander  gestellt  sind.  Es 
ist  aber  wahrscheinlich,  dass  in  ihnen  bereits  Einflüsse  aegyptischer 
und  babylonischer  Magik  vorliegen  (vgl.  Welckcr  a.  a.  0.  8.  78  f.). 

Mit  dem  ersten  Aufkommen  der  Schrift  (s.  u.  Schreiben  und 
Lesen)  scheint  man  auch  in  der  schriftlich  festgehaltenen  Formel  einen 
wirksamen  Gegenzauber  gegen  die  Macht  der  Krankheit  erblickt  zu 
haben.    So  heisst  es  im  Lied  von  Sigrdrifa  (Gering): 
„Astrunen  lerne,  willst  Arzt  du  werden 
und  wissen,  wie  Wunden  man  heilt, 
in  die  Borke  schneid'  sie  «lern  Baum  des  Waldes, 
der  die  Aste  nach  Osten  neigt, u 
und  aus  der  griech.  Überlieferung  erfahren  wir  von  einem  cpdpuctKov, 
das  auf  „Thrakischcu  Täfclchenu  '0prjo*o"cuq       o*avio*iv)  eingeritzt  war 
(Welckcr  S.  6(5  . 

Den  mitgeteilten  kulturhistorischen  Thatsacheu  entspricht  die  sprach- 
liche Entwicklung,  die  einen  häufigen  Bedeutungsübergang  von  ,sprecbcn, 
besprechen'  zu  , heilen',  von  , Beschwürer'  zu  ,Arzt'  zeigt.  Besonders 
deutlich  tritt  derselbe  in  der  slavischen  Sippe  von  ba-  =  griech.  <pnjii, 
lat.  fdri  hervor.  Vgl.  altsl.  bajati  ,fabulari,  incantare,  mederV,  balo- 
ranije  .medicina',  bulg.  baja  «Zauberspruch',  altsl.  balistvn  , Heil- 
mittel', balocati  .curare",  rus*.  dial.  bachari  ,Arzt.  Auch  in  altsl. 
eraci  ,Arzf,  vielleicht:  altsl.  rrücati  .einen Laut  von  sieh  geben1,  und  in 
griech.  föns :  föoq  ,Geheul,  Wehklagen'  vielleicht  —  sert.  hdva-  .Ruf  gehen 
die  Bedeutungen  »Zauberer',  .Beschwörer',  ,Arzt'  durcheinander.  Über  ir. 
Uaig  ,Arzt',  eigentl.  ,  Besprechet  s.  u.  Vgl.  auch  Ostholf  B.  B.XXIV,  124. 

Das  erste  sachliche  Moment  briugt  in  diese  Beschwörungen  und 
Zaubereien  die  daneben  hergehende,  allmählich  immer  mehr  hervor- 
tretende, wenn  auch  immer  noch  von  einer  Wolke  des  Aberglaubens 
umgebene  Verwendung  pflanzlicher  Stoffe:  cantus  et  sapores. 
Charakteristisch  ist  in  dieser  Beziehung  die  Bedeutungsentfaltung  des 
griech.  <päpno.KOV,  das  (nach  Ostholf  a.  a.  0.  S.  149)  zu  lit.  buriit,  bärti 
.Besprechungen,  Zauberei  treiben',  burta  , Zauber',  bdrtas  ,Loos'  ge- 
hört, demnach  zunächst  , Zaubermitter,  dann  , Heilmittel'  und  .Gift'  be- 
zeichnet; denn   Giftpflanzen  (seit,  rishä-,  aw.  vi*«-  ■--  griech.  'löq, 


Digitized  by  Google 


48 


Arzt. 


lat.  virus,  ir.  fi  ,( üft')  sind  es  besonders,  von  denen  hergenommene 
Heilmittel  ab  Gegengifte  sich  eines  frühen  und  grossen  Rufes  erfreuen. 
Vgl.  aw.  viscidra-,  ein  von  einer  Giftpflanze  stammendes  Heilmittel", 
got.  luhja-Ieisei  ,<papno.Keia',  ,Gift",  ,Zaubermittcr  {lubja-  =  altn.  lyf 
.Heilkraut',  agls.  lyf  »Zauberei,  Gift',  ahd.  luppi  ,Gift,  Zauberei', 
ir.  luib  .Kraut,  Strauch,  Pflanze  ).  Vielleicht  bedeutet  auch  gricch. 
ldo|jai  (iatpöq,  inrr|p)  ,hcilcn'  ursprünglich  ,mit  Gift-,  dh.  Heil  tränken 
(iö?)  versehen',  dadurch  , heilen'  'andere  stellen  das  Wort  zu  icuvuu  ,er- 
(|uicke'  —  sert.  ishanyäti  ,treibt  an' ;  Bugge  vergleicht  altn.  Eir,  *ai*0 
,dea  nicdieinae).  Lat.  venemim  ist  zunächst  der  zauberische  Licbestrank 
(:  lat.  Venus),  dann  das  .Gift',  von  dem  er  hergenommen  sein  wird. 

Den  ersten  Anlass  zu  einer  genaueren  Kenntnis  und  Unterscheidung 
der  Pflanzen  mit  ihren  nützlichen  und  schädlichen  Wirkungen  wird  den 
Indogcrmanen  als  einem  Volke  von  Viehzüchtern  (s.  u.  Ackerbau 
und  u.  Viehzucht)  die  Rücksicht  auf  ihre  Herden  gegeben  haben, 
wie  ja  noch  heute  bei  Schäfern  und  Hirten  bessere  botanische  Kennt- 
nisse als  sonst  im  Volke  sich  finden.  Allmählich  aber  wird  sich  bei 
gewissen  Personen  ein  besonderes  Verständnis  in  der  Unterscheidung 
und  Zubereitung  heilkräftiger  Kräuter  herausgebildet  haben.  Diese  be- 
sondere ,Weishcit'  im  Hinblick  auf  die  Heilkunde  wird  in  drei  idg. 
Sprachen  übereinstimmend  durch  Bildungen  von  einer  Wurzel  med  :  mPd 
(vgl.  griech.  un.bo?  ,Ratschlag',  armen,  mit  ,Sinn'  etc.)  bezeichnet. 
Hierher  gehört  im  Awesta  vi-mäaah-  »ärztliche  Behandlung',  vi-mAday 
,ärztliehc  B.  lernen',  im  Lateinischen  mederi,  mfdicus,  mtdieina,  im  Grie- 
chischen aber  eine  stattliche  Reihe  von  Namen  griechischer  Gottheiten 
der  Heilkunde,  die  mit  un.b-  gebildet  sind:  Mnboq,  Mnbeios,  Mf|br|, 
'AYaunbn.  Mnb€ia,  TTepiun&n  u.  a.  (vgl.  Usener  Götternamen  S.  160). 

Dabei  ist  es  bemerkenswert,  dass  wie  auf  griechischem,  so  auf  ger- 
manischem Boden,  wo  die  Frauen  als  Seherinnen  (s.  u.  Orakel)  ge- 
schätzt werden,  ihnen  auch  eine  besondere  Einsicht  in  das  Wesen  der 
Pflanzenkräfte  zugeschrieben  wird.  Wie  schon  die  llias  XI,  741  eine 
'Ayaunbri  kennt, 

f|  TÖcra  <pdpuaxa  fjbn.  öaa  Tpeq>€i  €Üpeia  xöwv, 
wie  dann  in  der  Medea  der  Typus  der  zauberischen  und  pflanzen- 
kundigen Frau  verkörpert  erscheint  (vgl.  weiteres  bei  Welckcr  Medea 
oder  die  Kräutcrkundc  bei  den  Frauen  Kl.  Sehr.  III.  20  ff. ),  so  werden 
die  gleichen  Eigenschaften  bei  den  weisen  Frauen  der  Germanen  her- 
vorgehoben, und  schon  Tncitus  Genn.  Gap.  7  konnte  berichten:  Ad 
matreSy  ad  coniuges  cnlnera  ferunt,  nec  Wae  numerare  auf  e.rigere 
piagas  parent. 

Sehr  früh  treten  bei  den  einzelnen  Völkern  auch  bestimmte  Pflanzen 
hervor,  die  in  besonders  hohem  Masse  für  heilkräftig  gelten,  und  daher 
als  Panacee  angesehen  werden.  So  bei  den  Indem  der  lushtha-  (vgl. 
Webers  Ind.  Stud.  IX,  42.J;  s.  auch  n.  Kostns\  so  bei  Homer  das 


Digitized  by  Google 


Arzt. 


49 


fabelhafte  uuüXu  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen ,!  S.  107  f.)  neben  dem 
qpdpuaKOv  vn,Trev6€£  t' dxoXöv  T€  (Od.  IV,  220  t'.),  so  bei  den  Kelten  die 
alles  heilende  Mistel  (s.  d.)  u.  s.  w.  Haid  finden  wir  Uber  Europa 
eine  grosse  Masse  gemeinsamer  Vorstellungen  ausgebreitet,  die  sich 
auf  die  Verwendbarkeit  bestimmter  Pflanzen  zur  Heilung  gewisser 
Krankheiten  oder  zur  Erregung  gewisser  Kräfte,  namentlich  aphrodisi- 
scher, beziehen,  eine  Übereinstimmung,  die  in  den  meisten  Fällen  aber 
nicht  auf  gemeinsamem  Erbe  der  Urzeit,  sondern  auf  früher  Entlehnung 
des  Nordens  aus  dem  Süden  beruht,  wo  Volksmedizin  und  wissenschaft- 
liche Forschung  zusammen  ein  dichtes  Netz  des  auf  die  Heilkraft  der 
Pflanzen  bezüglichen  Glaubens  und  Aberglaubens  gesponnen  hatte. 
Einige  dieser  Heilpflanzen  sind  in  den  Artikeln  Alant,  Alraun,  Bal- 
drian, Heifuss,  Betonie,  Drachenwnrz,  Eberraute,  Eibisch, 
Eisenkraut,  Hauslauch,  Klette,  Liebstöckel,  Raute,  Wermut 
behandelt  worden.  Vgl.  auch  die  u.  Garten,  Gartenbau  genannten 
Pflanzen. 

Fragt  man  nach  dem  Teile  der  Heilkunst,  welcher  durch  reiche  Er- 
fahrung zuerst  eine  gewisse  rationelle  Ausbildung  erlangt  hatte,  so 
wird  man  die  Chirurgie  zu  nennen  haben,  soweit  sie  sieh  auf  die 
Behandlung  der  im  Krieg  und  Streit  empfangenen  Wunden  bezog. 
Wiederum  stimmen  hierbei  Griechen  und  Germanen  darin  überein,  dass 
die  Helden  die  Wunden,  die  sie  schlagen,  auch  vielfach  selbst  zu  heilen 
verstehen.  Ausgezeichnete  Krieger  und  Wundärzte  sind  in  der  llias  Po- 
dalirius  und  Machann,  die  Söhne  des  Asklepios,  der  also  hier  schon 
in  Verbindung  mit  heilkundigen  Heroen  gebracht  wird;  aber  auch 
Achilles,  dem  der  Keutaurc  Chiron  (II.  XI,  832)  die  Kunst  der  n>ia 
<päpua.Ka  lehrte,  versteht  sich  auf  die  Wundbehandlung,  wie  durch  ihn 
Patroclus.  Endlich  werden  wir  uns  auch  die  übrigen  inrpoi,  die  in 
der  llias  <  XIII,  213,  XVI,  28)  genannt  werden,  zugleich  als  wackere 
Streiter  vorstellen  müssen  (vgl.  weiteres  bei  Welckcr  Chiron  der  Phil- 
lyride, und  Wundheilkunst  der  Heroeu  bei  Homer  Kl.  Sehr.  111,3  und 
27  ff.).  Ganz  ähnlich  sehen  wir  auch  die  Helden  des  nordgermanischen 
Altertums  au  sich  und  anderen  Operationen  vollziehen,  die  unseren 
heutigen  Chirurgen  alle  Ehre  machen  würden  (vgl.  Weinhold  Altn. 
Leben  S.  390). 

Deutlicher  tritt  uns  ein  eigentlicher  Stand  von  Ärzten  in  der 
Odyssee  entgegen,  in  der  die  inrr|pes  neben  dem  mcxvtk;  und  t6ktuuv 
zu  den  ormioupfoi  ,Leute,  die  für  das  ganze  Volk  nützliche  Geschälte 
betreiben'  gerechnet  werden.  Doch  hat  auch  in  der  llias  der  Olymp 
schon  in  TTcuriuuv  (Trairjujv  .Lobgesang';  das  Wort  ist  noch  nicht  be- 
friedigend erklärt;  doch  s.  u.  Dichtkunst,  Dichter)  seinen  Hausarzt. 
Die  Thätigkeit  des  Arztes  wird  ausser  durch  idoum  s.  o.)  durch 
äw'oMcu,  dK€touat  ,heile'  ausgedrückt,  eine  Ableitung  von  uko?  , Heil- 
mittel' (vgl.  ir.  kaim  , heile  :  ic  ,Ileilung'  aus  *jak-  =  ök?i.  Die 

Schräder.  Rcallexlkon.  * 


Digitized  by  Google 


50 


Arzt. 


Römer  haben  seit  Überführung  des  griecb.  Hcilgottes  'AatcXfinio?  (8.0.) 
nach  Rom  im  Jahre  291  (lat.  Aesculapiu*)  auch  auf  diesem  Gebiete 
immer  unter  griechischen  Einflüssen  gestanden  (vgl.  0.  Weise  Gricch. 
Wörter  in  d.  lat.  Spr.  S.  2<i6  ff.). 

Im  Norden  Europas  scheinen  wichtige  medizinische  Einflüsse  von 
Gallien,  der  Heimat  der  heilkundigen  Druiden,  ausgegangen  zu  sein. 
Im  Irischen  heisst  der  Arzt  liaig,  das  man  (vgl.  Stokcs  Urkelt.  Sprach- 
schatz S.  251,  248,  K.  Z.  XXXV,  595)  aus  Vepagi- :  scrt.  lapati  ,er 
flüstert'  als  ,Besprecher"  (s.  o.)  deutet.  Von  hier  wäre  dann  das  Wort 
nach  Ausfall  des  p  im  Keltischen  und  vor  der  ersten  Lautverschie- 
bung im  Germanischen  in  letzteres  eingedrungen,  wo  got.  Ukeis  ,Arzt', 
lekinön,  altn.  1d>kna,  agls.  Idcnian,  ahd.  lächinön  ,heilen'  begegnen. 
Die  Vorstellung  des  Zauberers  und  Besprechen  tritt  noch  in  mhd. 
hichenen  besprechen',  lächentere  .Beschwörer'  hervor.  Aus  dem  Ger- 
manischen stammen  weiter  altsl.  ttkü  .Heilmittel',  Irkari  ,Arzt',  leko- 
vati,  leciti  , heilen'  (vgl.  auch  lit.  liekorius  und  finn.  hMkari).  Ein 
einheimischer  deutscher  Ausdruck  für  .gesundmachen'  ist  ahd.  heilen, 
agls.  hcelan:  ahd.  heil  ,gesund\  .ganz'  (=  altsl.  celü),  wahrend  lit.  gyti 
.gesund  werden'  und  poln.  gojiö  .gesund  machen'  (klruss.  höj  .Arznei') 
mit  der  W.  scrt.  jir  , leben'  iji  z.  B.  in  aw.  ji-ti-  ,Lcben')  zusammen- 
hängen und  also  eigentl.  .lebenskräftig  werden  oder  machen'  bedeuten. 

Im  Gegensatz  zu  Europa  haben  es  die  Arier  frühzeitig  zu  einer  deut- 
lichen gemeinsamen  sprachlichen  Ausbildung  des  Begriffes  Arzt  gebracht, 
die  in  scrt.  bhishdj-  \bhtxhajd-  , Arznei  )  =  aw.  bafttaza-  ,Arzt'  und 
.Arznei',  npers.  bhixk  ,Arzt'  (woraus  armen,  biiik)  vorliegt. 

Auf  die  weitere  Geschichte  der  Medizin  bei  den  idg.  Völkern  ist 
hier  nicht  einzugchen.  Erwähnt  sei  nur,  dass  mit  dein  Hervortreten 
von  Priestern  (s.  d.t  und  Priesterschaften  diese  in  der  Regel  auch 
die  Heilung  der  Krankheiten  au  sich  zu  reissen  streben.  80  ist  es 
im  Zeitalter  des  Awesta  (vgl.  W.  Geiger  Ostiran.  Kultur  S.  391  ff.), 
so,  aber  erst  in  naehhomerischer  Zeit,  in  Griechenland,  namentlich  in 
hellenistischer  und  römischer  Zeit  (vgl.  J.  v.  Müller  Privataltert.2 
S.  201  ff.),  so  bei  den  keltischen  Druiden  (vgl.  Caesar  De  bell.  gall. 
VI,  16)  und  anderwärts.  Auch  die  christlichen  Priester  treten  in  den 
bekehrten  Ländern  gern  als  öffentliche  Ärzte  auf  (vgl.  Wcinhold  Altn. 
Leben  S.  395).  Die  Mittel,  deren  sie  sich  dabei  bedienen,  bleiben 
aber  im  wesentlichen  dieselben  wie  die  oben  geschilderten,  und  es 
kommt  wohl  dabei  vor,  dass  ein  so  hervorragend  christlicher  Terminus 
wie  ahd.  segan  (aus  lat.  signum)  .Kreuzeszeichen'  den  Sinn  von  .Zauber', 
,Zanbersegen  zu  Heilzwecken'  annimmt. 

Alle  höhere  Erkenntnis  ist  für  den  Norden  Europas  auf  diesem 
Gebiet  von  der  spät-griechischen  Arzneikunde  ausgegangen.  Nicht  am 
wenigsten  spiegelt  sich  dies  in  dem  Übergang  des  grieeh.-lat.  äpxtctTpoq- 
archiater.  wie  in  der  späteren  Kaiserzeit  am  Hofe  und  sonst  fest  an- 


Digitized  by  Google 


Arzt  —  Aussetzunjfsrt'cht. 


51 


gestellte  Ärzte  hieben  (vgl.  Marquardt  Privatleben  II.  7T>2  ff.),  die 
auch  an  den  fränkischen  Königshöfen  unter  diesem  Namen  auftreten, 
iu  das  Hoch-  und  Niederdeutsche  (altndd.  ercetere,  mndl.  arsatre, 
ahd.  arzdt  .Arzt';  vgl.  auch  ahd.  gi-arzinon,  mhd.  erzenen  , heilen' 
nach  ahd.  lächinön  s.o.).  Weiteres  der  Art  ist  von  F.  Kluge  Et.  W." 
u.  „Latwerge1*,  „Lakritze11,  „Büchse",  „Pflaster"  behandelt  worden. 
S.  auch  u.  Hebamme  und  u.  Krankheit. 

Asphalt.  Griech.  q  do"cpa\TO<;  .Erdpech'  wird  zuerst  von  Herodot 
erwähnt,  bei  dem  (VI,  119)  im  Kissierland  ein  Brunnen  genannt  wird, 
aus  dem  mau  Erdpech,  Salzlauelie  und  Erdöl  schöpfte.  Besonders 
reich  an  ihm  war  die  Umgebung  des  toten  Meeres.  Man  deutet  daher 
äacpctXTos  aus  arab.  tiifil  .Bodensatz,  Hefe,  Kot'  von  tafala  ,sich  setzen', 
wozu  äcftpaXToq  eine  (semitische)  Femininbildung  sei  (vgl.  Lewy  Sem. 
Fremdw.  S.  53).  Lat.  bitumen  s.u.  Fichte.  Armen,  nart,  npers.  na/t 
.Erdharz,  Erdpeeh,  Erdöl'  unbekannten  Ursprungs.  Vgl.  dazu  grieeh. 
väqpea  ,ein  dickes  Öl'. 

Asyl,  s.  Tempel. 

Auerhahn,  s.  Fasan. 

Auerochs,  s.  Kind. 

Aufzug,  s.  Webstuhl. 

Anspielen,  s.  Orakel. 

Aussatz,  s.  Krankheit. 

Äusseres  der  Indogeriiianen,  s.  Körperbildung  d.  I. 

Aussetzungsrecht.  In  der  idg.  Urzeit  stand  dem  Hausvater  das 
Recht  zu,  hinsichtlich  der  ihm  von  seinem  Weibe  oder  seinen  Weibern 
geborenen  Kinder  zu  entscheiden,  ob  er  sie  durch  Aufheben  von  dem 
Erdboden  anerkennen  oder  aussetzen  und  damit  dem  Untergang  weihen 
wollte.    Dieser  Zustand  tritt  bei  den  Einzelvölkern  noch  klar  zu  Tage. 

Iu  Griechenland  hatte  der  pater  famiUas  freie  Macht,  einem 
Kinde  die  Aufnahme  in  die  Familie  zu  verweigern,  und  der  £TxuTpio*uö<; 
.das  Aussetzen  in  thönernen  Gelassen'  war  ein  weit  verbreiteter  Brauch, 
in  Sparta,  wo  missgestalteten  Kindem  gegenüber  sogar  ein  Aussetzungs- 
zwang  herrschte,  beschränkt  durch  die  Pflicht  des  Vaters,  das  Kind 
vorher  den  irpeaßÜTatoi  twv  (du\€tujv  zu  zeigen  (Plutareh  Lykurg  Cap.  16). 
und  nur  in  Theben  ganz  durch  da«  Gesetz  beseitigt.  Betroffen  wurden  von 
der  Aussetzung  vornehmlich  Mädchen.   Vgl.  Stobaeus  Serm.  LXXVII,  7  : 
üiöv  Tpcqpei  tu;  k&v  ^evite  ™S  tuv  TÜxq, 
9uYaT€pa  b'  €KTi6r|cri,  k'  av  fj  TrXoüaioq. 
Aus  dem  ältesten  Rom  haben  wir  Kunde  von  einem  dem  Romulus 
zugeschriebenen  Gesetz,  von  dem  Dion.  Hai.  II,  IT)  berichtet:  eiq  äväfKqv 
KaTe'o*Tn,o"€  (sc.  ö  'PuJuuXoq )  toüs  oiKnropas  aÜTqs  (sc.  tqs  TTÖXeuu?)  cmaaav 
äpp€va  f€vedv  ^KTp€<peiv  Kai  ÖUYOTepujv  Tag  TrpwTOYÖvoug,  ctTTOKTivvuvai 

bi  Uqb€V  TUJV  T€VVUU(L1^VUJV  V€U)T6pOV   Tpi€TOÜS.  TrXf|V  €ITI  T^VOlTO  TTCtlblOV 

äväTTqpov  ft.  T€pa<;  €u6u<;  öittö  YOvq<;  ■  Tauta  b'  oök  €KuuXuo*ev  tiaiOevai 


Digitized  by  Google 


52 


Aussetzungsrecht. 


tou?  Y€ivaptvouq  ^mbeiEavtaq  TrpÖTepov  tt€VT£  üvbpäo*i  toi?  iTTi^fa 
oiKOütfi.  Es  erbellt  also,  dass  vor  Roinulus  uneingeschränkte  Kinder- 
nussetzung  gegolten  hat,  die  nun  durch  die  Bestimmung  eingeengt 
wurde,  dass  man  erstens  alle  Knaben  und  die  erstgeborene  Tochter 
aufziehen  mtlsse,  zweitens  aber  auch  die  später  geborenen  Mädchen 
nicht  vor  dem  dritten  Jahre  töten  dürfe,  und  drittens  endlich  die 
portenta  und  prodigia  vor  ihrer  Tötung  einem  Rate  von  5  Nachbarn  zu 
zeigen  habe  (vgl.  M.  Voigt  Leges  Regiae  S.  57(5  ff.).  Es  scheint  aber,  dass 
diese  zur  Hebung  der  Bcvölkcruugsmenge  des  jungen  Staates  erlassenen 
Bestimmungen  später  wieder  ihre  Kraft  verloren  haben;  denn  die  XII  Tat'., 
die  die  Beseitigung  der  Missgeburten  anordneten,  haben  wahrscheinlich 
keine  Beschränkung  der  Aussetzung  enthalten,  und  Neugeborene,  Knaben 
wie  Mädchen,  wurden  während  der  Republik  ungestraft  ausgesetzt,  bis  die 
Jurisprudenz  der  mittleren  Kaiserzeit  endlich  darin  eine  strafbare  That  er- 
blickte (vgl.  Brunnenmeister  Tötungsverbrechen  S.  148).  —  Über  die  Sitte 
des  liberos  tollere,  suseipere,  reeipere  vgl.  M.  Voigt  a.  a.  O.  S.  577  4e. 

Voll  von  Zeugnissen  für  den  Brauch  der  Kinderaussetzung  ist  das 
germanische  Altertum  (vgl.  J.  Grimm  R.-A.  S.  455  ff.).  Die  entgegen- 
stehende Nachricht  des  Tacitus  Germ.  Cap.  19:  Xumentm  liberorum 
finire  auf  quemquam  ex  agnatis  necare  flagitium  habetur  ist  nach 
dem  Zusammenhang,  in  dem  sie  steht  {plusque  ibi  boni  mores  valent 
quam  alibi  bonae  leges),  dahin  aufzufassen,  dass  ein  gesetzliches 
Verbot  der  Kindcraussetznng  bei  den  Germanen  nicht  bestand.  Aber 
auch  für  ein  flagitium  könnte  sie  höchstens  bei  den  rheinischen,  fort- 
geschritteneren Germanen  gehalten  worden  sein.  Beschränkt  wurde 
die  Tötung  der  Neugeborenen  durch  die  Sitte,  jedes  Kind,  das  irgend 
welche  Nahrung  erhalten  hatte,  zu  schonen  und  (wie  bei  Griechen  und 
Römern)  vorwiegend  Mädchen  auszusetzen  (vgl.  Weinhold  Deutsche 
Frauen  I*,  91  ff.).  Das  Aufheben  oder  Aufhcbenlassen  des  auerkannten 
Kindes  durch  den  Vater  ist  auch  auf  germanischem  Boden  gut  bezeugt 
(vgl.  J.  Grimm  a.  a.  0.). 

Es  erübrigt,  der  alten  Prelis sen  zu  gedenken,  von  denen  Hartknoch 
S.  17s  erzählt:  „Was  die  Kinder,  die  in  wehrendem  Ehestand  ehrlich 
gezeuget  waren,  betriff,  die  konten  die  alten  Prcussen  nach  dem  Ge- 
brauch fast  aller  heydnischcr  Völcker,  den  auch  der  vortreffliche  Philo- 
sophus  Aristoteles  selbst  [Polit.  IV,  16  §  10]  etlicher  massen  approbiret, 
entweder  aufferziehen  oder  wegwerffenu  u.  s.  w.  Dass  man  auch  hier 
vorwiegend  Mädchen  „weggeworfen"  haben  wird,  erhellt  aus  der  grossen 
Wertschätzung  der  Knaben  bei  den  alten  Preussen,  die  nach  Hartknoch 
soweit  ging,  dass  man  eine  verheiratete  Frau  so  lauge  Jungtrau  nannte, 
bis  sie  einen  Knaben  geboren  hatte. 

Aus  den  bisherigen  Ausführungen  folgt,  dass  das  Recht  der  Kinder-, 
vor  allem  der  Mädclicuaussetzung  einmal  auch  auf  arischem  Boden 
ausgeübt  worden  sein  muss,  und  thatsächlich  findet  sich  an  mehreren 


Digitized  by  Google 


Aussetzungsrecht  —  Auster. 


53 


vedischen  Stellen,  z.  B.  TaittirTya-Saridtitä  6,  f>,  1U,  3  ein  Satz,  welcher 
lantet:  tasmdt  striyarii  pardst/anfi,  nt  pumansam  haranti,  und  den 
man  Ubersetzt  hat:  „Deshalb  setzt  man  ein  Mädchen  aus,  einen  Knaben 
hebt  man  auf  (tollunt)".  Hiergegen  hat  neuerdings  0.  Böhtlingk  Z.  d. 
D.  Morgenl.  Ges.  XLIV,  494  ff.  Einspruch  erhoben:  „Eine  solche  Bar- 
barei", sagt  er,  „den  alten  Indern  zuzutrauen,  hei  mir  schwer,  und  dann 
dachte  ich,  dass  die  Sache  an  und  für  sich  sehr  unwahrscheinlich  sei,  da 
man  ohne  Mädchen  das  höchste  Glück  eines  Inders,  die  Erzeugung  eines 
Sohnes,  nicht  erreichen  kannu.  Er  tibersetzt  sodann:  „Einen  Sohn  hebt 
man  bei  seiner  Geburt  vor  Freude  in  die  Höhe,  ein  Mädchen  legt  man 
bei  Seite  <übcrgiebt  es  sogleich  der  Wärterin)".  Bedenkt  man  aber, 
dass  noch  in  späterer  Zeit  in  Indien  dem  Vater  oder  den  Eltern  das 
Recht  zusteht,  den  Sohn  wegzugeben,  zu  verkaufen  oder  zu  Verstössen 
(vgl.  Vasishtha's  Dharmacastra  XV,  2:  (Therefore)  the  father  and 
the  mother  have  power  to  give,  to  aell.  and  to  abandon  their  xori), 
bedenkt  man  ferner,  dass  das  vedische  Altertum  die  Anschauung  durch- 
zieht, dass  der  Besitz  von  Mädchen  „ein  Jammer"  sei,  und  dass  die 
Aussetzung  von  Greisen  (s.  n.  Alte  Leute)  im  Veda  bezeugt  ist,  er- 
wägt man  weiter,  dass  die  von  Böhtlingk  als  Barbarei  verabscheute 
Sitte  der  Kinderaussetzung  sich  bei  Griechen  und  Römern  bis  tief  in 
die  historischen  Zeiten  erhalten  hat,  und  dass  es  sich  bei  dieser  Aus- 
setzung selbstverständlich  mit  wenigen,  verkrüppelte  Kinder  betreffen- 
den Ausnahmen)  nur  um  ein  kann,  nicht  um  ein  m  u  s  s  handelt,  so 
dürfte  es  schwer  werden,  die  ältere,  sprachlich  einwandfreie  Über- 
setzung der  angeführten  Stelle  aufzugeben.  S.  u.  Recht  (Familienreeht). 

Aussteuer,  s.  Mitgift. 

Ausstossung  aus  dein  Stamm,  s.  Strafe. 

Auster.  An  den  nördlichen  und  östlichen  Küsten  .Unlands,  auf 
Nord-Fünen  und  -Seeland  haben  sich  aus  den  letzten  Epochen  der 
älteren  Steinzeit  die  Spuren  einer  Bevölkerung  erhalten,  deren  Dasein 
aufs  engste  mit  der  Verbreitung  und  dem  Genuss  der  Auster  verknüpft 
war.  Uugehenere  Muschelhaufen  aus  den  Schalen  der  Auster,  aber 
auch  aus  Miesmuscheln,  Herzmuscheln.  Strandschnecken  u.  s.  w.  be- 
stehend, und  am  häutigsten  mit  dem  dänischen  Ausdruck  Kjökken- 
möddinger  ,Küchenabfälle'  bezeichnet,  sind  als  Zeugen  der  Mahlzeiten 
jener  prähistorischen  Mensehen  noch  heute  vorhanden.  Ähnliche  Er- 
scheinungen siud  an  französischen  und  portugiesischen  Küsten  und 
ausserhalb  Europas  zu  Tage  getreten  vgl.  S.  Müller  Nordische  Alter- 
tumskunde I,  3  ff.).  Ein  Zusammenhang  dieser  pulaeolithischen  ,Austern- 
freunde',  welche,  ausser  dem  Hund,  noch  keine  Haustiere  kannten,  noch 
nichts  vom  Ackerbau  verstanden,  und  nur  wenige  rohe  Steingeräte 
kannten,  mit  den  Indogermanen  lüsst  sich  bis  jetzt  durch  nichts  wahr- 
scheinlich machen.  Im  Gegenteil  scheint  es,  dass  die  Indogerniancn  Euro- 
pas erst  spät  und  vom  mittelländischen  Meere  her  auf  den  Gcuuss  des 
Tieres  aufmerksam  wurden  und  besondere  Xanten  für  dasselbe  annahmen. 


Digitized  by  Google 


54 


Auster  —  Axt. 


Wie  die  Totengaben  in  den  mykenischcn  Gräbern  uns  lebren  (vgl. 
Tsuntas  'Eq>n.u.  'Apx.  1891  S.  40),  wurde  die  Auster  in  Griechenland 
früh  als  Nahrung  gebraucht,  und  auch  in  der  llias  (XVI,  747)  ist  be- 
reits von  einem  Taucher  die  Rede,  der  Austern,  Tnöea  ( :  Qr\OaaQai 
,saugen',  weil  sich  die  Tiere  am  Felsen  fcstsaugeu)  fischt.  Das  ge- 
bräuchlichere Wort  <5crrp€ov  (:  öctc'ov  ,Knochen',  .Scbalknochentier)  tritt 
erst  später  auf,  und  ist  mit  zahlreichen  griechischen  Ausdrücken  des 
Fischfangs  (s.  d.)  früh  (seit  Ennius)  als  ostrea,  ostreum  nach  Italien 
gewandert,  wo  der  kostbare  Leckerbissen  bald  in  besonderen  Austern- 
parks (ostrearum  vicarium)  gepflegt  wurde. 

Wie  aus  der  lateinischen,  so  sind  auch  aus  den  nordeuropäischen 
Sprachen  alte  und  einheimische  Benennungen  der  Ostrea  edulis  nicht 
bekannt.  Das  Tier  wird  sich  noch  unter  anderen  Muscheltieren  (vgl. 
altn.  siel,  agls.  scyll,  engl,  shell,  altsl.  skolika  , Muschel';  ir.  slice 
bei  Zeuss  Gr.  Celt.s  8.  215)  verborgen  gehalten  haben.  Erst  der 
Handel  mit  den  romanischen  Völkern  in  christlicher  Zeit  wird  die  kel- 
tischen und  germanischen  Stämme  auf  den  bis  dahin  kaum  beachteten 
und  ungehobenen  Schatz  ihrer  eigenen  Meere  aufmerksam  gemacht 
haben,  ein  Verkehr,  aus  dem  erst  besondere  nordische  Namen  des 
Tieres  wie  agls.  östre,  ndl.  Oester,  korn.  estren,  arem.  histr,  histrenn 
etc.  (Zeuss  Gr.  C.'elt.*  S.  1074),  sämtlich  aus  ostrea  etc.  entlehnt, 
hervorgegangen  sind. 

Avunculat,  s.  Oheim  (Mutterbruder k 

Axt.  Die  Begriffe  Axt  und  Beil  lassen  sich  weder  sachlich  noch 
sprachlich  scharf  unterscheiden,  so  dass  sie  hier  zusammen  behandelt 
werden.  Dieselben  gehören,  im  Norden  zumeist  aus  Klint,  doch  auch 
aus  anderem  Gestein,  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  zunächst  aus  Ser- 
pentin, Diorit  und  Saussnrit,  dann  aus  selteneren  Gesteinen  wie  Nephrit 
und  Jadeit  hergestellt  und  zum  Teil  mit  grosser  Kunst  verfertigt,  zu 
den  häutigsten  Waffen  und  Werkzeugen  der  neolithiseben  Periode.  Über 
ihre  verschiedenartigen  Typen  kann  mau  sich  etwa  aus  0.  Montelius 
Anti(|iütcs  Suedoises  S.  4  ff'.,  aus  L.  Lindcnschmit  (Sohn)  Das  römisch- 
germanische Ontral-Muscum  Tafel  IL  und  A.  Müller  Vorgeschichtliche 
kulturbilder  aus  der  Höhlen-  und  älteren  Pfahlbautenzeit  Tafel  VII 
orientieren. 

Natürlich  konnten  derartige  Artefakte  nur  da  hergestellt  werden, 
wo  geeignetes  Gestein  sich  in  ausreichender  Menge  vorfand,  und  so 
haben  schon  in  neolithischer  Zeit  an  verschiedenen  Stellen  Massenwerk- 
stätten für  Steiusacheu  bestanden,  deren  Erzeugnisse  durch  den  Handel 
oft  in  weite  Ferne  geführt  wurden.  In  Deutschland  z.  B.  müssen  der- 
artige Werkstätten  für  Feuersteinbeile  etc.  sich  auf  Rügen  und  in 
dessen  Umgebung  befunden  haben  (vgl.  A.  Götze  ('her  neolithiseben 
Handel  in  der  Festschrift  für  Bastian  S.  347  f.).  Allmählich  tritt  an 
die  Stelle  des  Steins  das  Metall,  zuerst  in  gewissen  Gegenden  wie  iu 


Digitized  by  Google 


Axt. 


55 


den  Pfahlbauten  des  Mondsees,  das  reine  Kupier,  dann  Bronze  und 
Eisen,  doch  so,  dass  im  Süden  wie  im  Norden  steinerne  Artefakte  noch 
in  die  Bronzezeit  hereinragen  (vgl.  Heibig  Die  Italiker  in  der  Poebene 
S.  18,  Montelius  Die  Kultur  Sehwedens*  S.  52).  Als  sicher  darf  an- 
gesehen werden,  dass  zahlreiche  dieser  metallenen  Äxte  und  Beile  auch 
diesseits  der  Alpen  in  loco  hergestellt  worden  sind,  also  nicht  auf 
Import  vom  Süden  oder  Osten  beruhen,  wie  auch  die  besten  Sachkenner 
darin  übereinstimmen,  dass  gerade  die  ältesten  metallenen  Artefakte 
dieser  Art  in  ihrer  Form  sich  noch  an  die  steinernen  anschlicssen. 

Die  Zahl  der  etymologischen  Gleichungen  auf  dem  Gebiet  der  idg. 
Axt-  und  Beilnamcn,  durch  welche  die  Bekanntschaft  der  idg.  Urzeit 
mit  diesen  Waffen  und  Werkzeugen  erhärtet  wird,  ist  keine  geringe. 
Die  interessanteste  unter  ihnen  ist  die  von  sert. parorii-  —  griech.  ttc'Xcku?, 
vor  allem  deswegen,  weil  sie  im  babylon.assyr.  pilakku  und  sumerischen 
balag  wiederzukehren  scheint  (vgl.  F.  llommel  Archiv  f.  Anthrop.  XV, 
1**4,  S.  1(54,  J.  Schmidt  Urheimat  S.  9,  P.  Kretschmcr  Einleitung 
S.  H»r»ff.i.  Ist  dieses  Verhältnis  nicht  ein  reiner  Zufall,  so  würde 
man  in  dem  indisch-griechischen  Wort,  das  im  Indogermanischen  eine 
befriedigende  Erklärung  noch  nicht  gefunden  hat  <  bei  Stokes  Urkclt. 
Sprachschatz  wird  an  ir.  lec  , Stein  aus  *plec-  gedacht),  am  wahr- 
scheinlichsten ein  schon  idg.  Lehnwort  aus  mesopotamischem  Kulturkrcis 
erblicken  müssen,  und  da  nun  auch  ein  idg.  Wort  für  Kupfer:  sert. 
lohd-,  pehl.  röd,  altsl.  rnda,  lat.  raudus,  altn.  raudi  im  Sumerischen 
urud  ,Kupfer*)  wiederzukehren  scheint,  so  läge  die  Vermutung  nahe, 
dass  die  Indogermanen  oder  Teile  derselben  schon  in  ihrer  Urheimat 
das  Kupfer  vom  Euphrat  her  zuerst  am  Beile  kennen  lernten. 
An  eine  direkte  Nachbarschaft  idg.  Sprachgebiets  mit  Mesopotamien 
brauchte  man  deshalb  nicht  zu  denken,  da  auch  sonst  Axt-  und  Beil- 
namen  ungeheure  Wanderungen  zurückgelegt  haben.  So  npers.  teber, 
das  ausser  in  das  Armenische  (tapur),  ins  Slavisehe  t  russ.  toporü  ,  ins 
Angelsächsische  'tapor).  und  weiter  ins  Finnische  tappara),  (  cre- 
missische,  Ungarische  n.  s.  w.  eingedrungen  ist.  S.  weiteres  u.  Kupfer. 

Von  sonstigen  vorhistorischen  Gleichungen  fllr  Axt  und  Beil  be- 
schränken sich  auf  Europa:  griech.  öiivn.,  lat.  ancia,  got.  aqizi  <ahd. 
acchns  u.  s.w.);  ferner  lat.  securis,  altsl.  sekyra  .Hacke',  seeivo  ,Axt' 
»:  lat.  Sfcare);  ahd.  barta,  altsl.  brady,  ahd.  dehsala,  altsl.  tesla 
<:  sert.  takxh  .zimmern',  auch  in  sert.  takshani-,  aw.  taia-,  lit.  teszlyczid; 
vgl.  auch  ir.  tdl);  ahd.  bilud,  altn.  bilda,  ir.  Mail,  kymr.  bict/ell,  alt- 
körn,  bahell  {doch  vgl.  F.  Kluge,  Et.  W.«  S.  v.  Beik  Auf  Wurzel- 
verwandtschaft könnte  sert.  seddh-iti-  und  altpr.  tredigo,  lit.  icedegd 
beruhen  *svedh  \.  Aus  einer  Umdeutung  aus  altgall.  ridubium,  ridtirium 
,6iK€XXa'  (=  altfrz.  vouge)  würde  nach  Kluge  in  Pauls  Grundriss  I-,  .H4(i 
agls.  icidubill  ,Axt'  zu  erklären  sein. 

Als  Waffen  sind  Axt  und  Beil  bei  den  europäischen  Indogermanen 


Digitized  by  Google 


5G 


Axt  —  Bad. 


in  historischer  Zeit,  wenigstens  im  Süden,  gäuzlieh  in  den  Hintergrund 
getreten.  In  der  Ilias  wird  nur  erwähnt,  dass  der  Troer  Peisandros 
eine  Streitaxt  unterhalb  des  Schildes  trug  (XIII,  611),  und  dass  bei  dem 
Kampf  um  die  Schilfe  (XV,  711 )  auch  dHivai  und  7reX€K€iq  geschwungen 
wurden.  Im  Norden  dagegen  war  die  Streitaxt  bei  den  germanischen 
Stämmen,  bei  Dänen  und  Norwegern  (vgl.  Vlgfusson  Dict.  s.  v.  <kv)  und 
namentlich  bei  den  Franken,  wo  sie  nach  diesem  Volke  francisca  hiess, 
eine  beliebte  Waffe.  Vgl.  die  verschiedenen  Axtformen  ans  frünkisch- 
alamannischen  Gräbern  bei  Lindenschmit  Altertümer  l,  H.  2,  T.  7  und 
über  den  Gebrauch  der  Streitaxt  im  Walthari-Lied  R.  Kögel  Gesch.  d. 
d.  Lit.  I,  2  S.  314.  Ob  auch  im  Hildebrandlicd  die  Streitäxte  klingen 
istaimbort  vhludun),  als  die  Helden  aufeinander  stürzen,  ist  fraglieh. 
Mit  stein  hat  dieses  staintbort  kaum  etwas  zu  thun,  so  dass  man  in 
dieser  Stelle  nicht  aus  der  Urzeit  erhaltene  Steinäxte  erblicken  darf, 
die  Helden  wie  Hildebrand  und  seinem  Sohne  schlecht  anstehen  würden. 
S.  i>.  Waffen  und  u.  Werkzeuge. 


B. 

Bach,  s.  Flu ss. 
Bachstelze,  s.  Singvögel. 
Backen,  Backwerk,  s.  Brot. 
Backofen,  s.  Ofen. 
Backstein,  s.  Ziegel. 
Bäcker,  s.  Gewerbe. 

Bad.  Der  Begriff  des  Waschens  und  Badens  wird  in  dem  euro- 
päisch armenischen  Teile  des  idg  Sprachgebiets  durch  die  Wurzel  lor. 
In  ausgedrückt:  griech.  Xoüuj,  lat.  lato,  luo,  armen,  log-ana-m  .bade 
mich".  Aus  dem  Keltischen  gehören  hierher  altgall.  lautro  .balneo". 
ir.  hithur  , Badewanne  ,  aus  dem  Germanisehen  altn.  laitdr,  agls.  Wador 
jScife'  und  vielleicht  altn.  laug  , warmes  Bad\  agls.  leah,  ahd.  longa 
, Lauge'.  Neben  dem  verbalen  \ovw-larare  scheint  ein  substantivisches 
*laro-  in  ir.  In  .Wasser'  zu  liegen,  ähnlich  wie  das  gemeingerm.  ahd. 
teascan  .waschen'  aus  *tcaf-sla-  :  got.  imtö  , Wasser'  entstanden  sein 
dürfte.  Germano-slavischc  Beziehungen  zeigt  die  Gruppe  von  gemein- 
germ. ahd.  bad,  badön  und  altsl.  banja  .Bad',  banjati  , baden,  waschen', 
gennano-preussische  die  von  gemeingerm.  got.  Jncahan  ,vittt€iv',  ptrahl 
,XouTpöv'  und  altpr.  tica.rtan  .Badequast'.  Zu  den  Ariern  hinüber  reicht 
die  Reihe  griech.  vi£uj,  vinnu,  ir.  nigim,  sei  t,  nij,  «loch  wird  das  .sich 
waschen'  im  Indischen  durch  die  Winzeln  snt't  und  plu  init  ä)  ausge 
drückt,  die  in  Kuropa  .schwimmen'  (lat.  ndre)  und  .spülen'  ' griech. 
ttXüvwj  bedeuten. 

Wenn  so  das  Reinlichkeitsbedürfnis  der  Urzeit  durch  die  Sprache 


Digitized  by  Google 


Bad. 


57 


hinlänglich  sicher  gestellt  ist,  so  wird  zur  Befriedigung  desselben  das 
Baden  in  den  Flüssen  der  Urheimat  noch  ausgereicht  haben.  So  fanden 
es  die  klassischen  Berichterstatter  bei  den  europäischen  Xord Völkern, 
besonders  bei  den  Germanen,  und  an  den  verweichlichenden  Badeluxus 
des  Südens  gewöhnt,  verfehlen  sie  nicht,  deu  beobachteten  Brauch  als 
Zeichen  der  körperlichen  Abhürtung  des  unverdorbenen  Naturvolks 
hinzustellen.   Vgl.  Caesar  De  bell.  gall.  IV,  1:  Atque  in  eam  se  con- 

metudinem  adduxerunt,  ut  loch  frigid issimis  lavarentur  in 

fiuminibus,  VI.  21:  In  /luminibus  perhtuntur,  Herodian  VII,  2,  6: 
€io"\  bi  Kai  npo?  tö  vrixecreai  Y€Yuuvao*|U€vot  ctTe  uövuj  XouTpüj  toi<; 
TTotauoi?  xpwfacvoi.  Nach  Dio  Cass.  LXXI,  20  weigern  sich  die 
Marcomannen  und  Quadcn  auch  deshalb  in  Städten  zu  wohnen,  weil 
sie  dann  auf  das  ihnen  gewohnte  Baden  verzichten  müssten.  Ja,  es 
wird  mehrfach  berichtet,  dass  im  hohen  Norden  die  kleinen  Kinder 
vom  Mutterleibe  weg  in  das  eiskalte  Wasser  der  Ströme  eingetaucht 
worden  seien  (s.  die  Stellen  und  über  ihre  Deutung  u.  Name,  Namen- 
gebungi. 

Wenn  Tacitus  Germ.  Cap.  22  dem  gegenüber  meldet :  Statim  e  somno, 
quem  plerumque  in  diem  extrahunt.  hwantur,  saepiu*  calida,  ut 
apud  qtios  plurimum  hiems  occupat,  so  kann  hier  nur  ein  gelegent- 
liches Waschen  mit  warmem  Wasser,  nicht  ein  regelmässiges  Baden 
in  Badestuben  gemeint  sein,  die  erst  später  aufkommen  (s.  u.'i.  Auch 
bei  Aquae  Sextiac  erfreuen  sich  die  Kimbern  (nach  Plnt.  Marius  Cap.  19) 
vor  der  Schlacht  -  in  den  heissen  Quellen  dieser  Gegend,  und  die  warmen 
Brunnen  von  Wiesbaden  (Aquae  Muttiacae  <,  Baden-Baden  (aquae  cali- 
dae\  u.  s.  w.  sind  gewiss  schon  in  vorrömischer  Zeit  bekannt  und  be- 
nutzt gewesen. 

Wie  bei  den  Nordvölkern,  ist  auch  in  homerischer  Zeit  das 
kalte  Baden  im  FIuss  oder  im  Meere,  tö  ijJuxpoAouTeiv,  an  dem  die 
Spartaner  immer  fest  hielten,  die  oft  belegbare  Regel.  Das  warme 
Bad  in  der  Badewanne  (doäMivöo?,  vgl.  über  das  Wort  Lewy  Die 
semit.  Fremdw.  S.  löf)1;  es  ist  vielleicht  nicht  einheimisch)  gilt  noch 
mehr  als  ausserordentliches  Stärkungsmittel  nach  Anstrengungen  aller 
Art,  Jagd,  Reisen  u.  s.  w.  Doch  ist,  zweifellos  unter  orientalischem 
Einfluss,  ein  Badezimmer  schon  in  den  Fürstenpalüstcn  der  mykenischen 
Epoche  vorhanden  vgl.  J.  v.  Müller  Privataltertümer*  S.  16.  48.  133). 
In  nachhomeriseher  Zeit  tritt  dann  der  Begriff  der  öffentlichen  Bade- 
stube ißaXaveiov.  seit  Aristoph.;  wenn  einheimisch,  kaum:  sert.  jalä-, 
.Wasser',  eher:  «lern  früh  bezeugten  ßdAavoq  .Zapfen,  Rieger,  also  .was 
mit  einem  ß.  verschliessbar)  hervor,  der  zusammen  mit  seiuem  grie- 
chischen Namen  zu  den  Römern  ibalneae,  baineu ni,  balineum)  übergeht, 
die  in  früherer  Zeit  seltner  und  nur  zur  Reinigung,  nicht  zum  Vergnügen 
in  der  neben  der  Küche  gelegenen  lavatrina  gebadet  hatten.  Vgl.  Seneea 
Epist.  86:  Xam,  ut  aiunt,  qui  priscos  mores  Crbh  t radiderunt ,bracchia 


Digitized  by  Google 


58 


Bad  —  Baldrian. 


et  vrura  cotidie  abluebant,  quae  acilicet  sorde*  opere  cotdegerant ;  ceterum 
tnti  mindinift  lavabantur.  Wie  dann  überall,  wo  Römer  ihr  Heini  aufschlu- 
gen, die  Anlage  von  Thermen  und  Hadern  zur  unabweisbaren  Notwendig- 
keit wird  i  vgl.  die  Stelleu  bei  A.  Riese  Da«  rheinische  Germanien  in  der 
antiken  Literatur,  passim  ,  ist  bekannt.  Es  hat  somit  nichts  auffallendes, 
dass  die  Einrichtung  von  Badestuben  vom  Rhein  und  der  Donau  her  lang- 
sam nach  Osten  und  Norden  vordrang,  wo  zunächst  ein  einfacher  geschlos- 
sener Raum,  der  durch  einen  Ofen  mit  Steinmantel  geheizt  wurde,  die 
Stelle  der  kunstvollen  römischen  Anlagen  vertrat.  Dieser  Kulturprocess 
knüpft  an  die  Wortreihe  von  ahd.  stttba,  agls.  altn.  stofa,  lit.  stubd, 
altsl.  iatüba  an,  die  im  Romanischen  wurzelt  (s.  näheres  u.  0  f  e  if,, 
und  zunächst  ,Bndestube',  dann  , heizbares  Zimmer  überhaupt'  bezeichnet. 
Auf  den  gleichen  Kultureinfluss  wird  auch  die  Entlehnung  von  ahd. 
labon  , waschen',  dann  , erquicken,  erfrischen',  agls.  gelafian  aus  lat. 
laciire.  waschen'  zurückgehen.  Denselben  Bedeutungsübergang  wie  xtuba 
zeigt  lit.  pirti.s  , Badestube'  von  perüi  ,Jem.  baden",  eigentlich  .mit  dem 
Badequast  schlagen'  altsl.  pera  ,schlage,  wasche'  ,  das,  wie  übrigens 
auch  die  vorige  Reihe,  ins  Finnische  und  diesem  verwandte  Sprachen 
eingedrungen  ist,  wo  es  ausser  für  Badestube  auch  für  Rtutehstube, 
Stube  des  Gesindes,  Stube  mit  Ofen  u.  s.  w.  gebraucht  wird  (vgl.  W. 
Thonisen  Beröringer  S.  208i.  Im  Mordvinischen  und  Wogulischen  gilt 
das  russische  Wort  für  Badestube,  biiita  (vgl.  Ahlqvist  Kulturw.  S.  121). 
Eine  reiche  Littcratur  über  die  nordeuropäische  Badestnbe  findet  sich 
bei  R.  Mcriuger  Mitteil.  d.  Wiener  anthrop.  Gesellschaft  XXIII.  Hiß  ff. 

Der  slavische  Osten,  wo  der  Gebrauch  der  Badestuben  noch  heute 
als  lebendige  Volkssittc  herrscht,  wird  zugleich  als  die  eigentliche 
Heimat  einer  Abart  des  Warmbads,  des  Schwitz-  oder  Dampfbads 
(russ.  ptira  .Dampf  ,  pariti  , baden  )  angesehen.  Es  ist  nicht  unmöglich, 
dass  der  Ursprung  derselben  diesmal  nicht  nach  Westen,  sondern 
weit  nach  Osten  weist.  Von  den  Skvthen  erzählt  Herodot  IV,  75, 
nachdem  er  vorher  des  in  Skvthien  und  Thrakien  wachsenden  Hanfes 
(s.d./  gedacht  hat,  folgendes:  laom.?  wv  ot  Zicü8at  Trjq  Kavväßio?  tö 
o*7Tt'pua  tneav  XußuKXi,  ÜTTobüvoucn  Otto  jovq  7uXoug,  kui  erreiTev  emßäXXoudi 
tö  orrtpua  im  tov<;  biaquivta«;  XiGou?  tu)  rcopi  •  tö  U  BuMiäTai  tmßaXXö- 
)atvov  Kai  ÜTuiöa  rrapexeTai  TOO*aörnv,  u>aT€  'EXXnviKn.  oubeuia  (5v  uiv 
TTupin  äTTOKpaTn.ö€i€.  oi  be  IxuScn  aruMtvoi  tv)  Trupin.  wpuovTai  •  toötö  ffqn 
ävTi  XouTpoö  eöTiv*ou  füp  bf)  Xoövtcu  übaTi  tö  TTapärrav  tö  o*wua. 
Ein  weiterer  altslavischcr  Ausdruck  für  , baden  ,  .Bad'  lautet  altsl. 
kopati,  Lo/udi.  Er  ist  noch  unerklärt.  —  Über  das  Bad  im  Ritual 
s.u.  Reinheit  und  Unreinheit,  über  Reinigungsmittel  s.  u.  Seife. 

Baldrian  i  Yalerhineae).  Die  hierher  gehörigen  Pflanzen  galten 
schon  im  Altertum  als  sehr  heilkräftig  und  wurden  als  Nardcn  (grieeh. 
vdpbo<;,  lat.  nardus  ,  also  mit  dem  indischen  Namen  der  Xardus  india 
oder  Spica  Xardi.   des  Rhi/oms  von  Xurdostnchy*  Jatttmausi  (s.  u. 


Digitized  by  Google 


Baldrian  —  Balsam. 


59 


Xardc),  bezeichnet,  das  durch  den  Handel  eingeführt,  die  Aufmerk- 
samkeit auf  minder  wertvolle  Arten  Vorderasieus  und  Europas  lenken 
mochte.  80  keunt  Dioskorides  De  mat.  med.  I  Cap.  7  f.  eine  öpeivf) 
vdpboq  in  Cilicien  und  Syrien,  eine  dfpia  vdpbog,  die  am  Pontus  vor- 
kam und  wohl  mit  ihrem  pontisehen  Namen  <poü  hiess,  und  eine  KcX- 
TiKfj  vdpbo«;  in  Istrien  und  in  den  ligurisehen  Alpen,  in  der  Landes- 
sprache (TaXiouTKa  genannt  (woraus  die  deutschen  salunk,  seling  u.  dergl.). 

Im  Mittelalter  kommt  dann  für  die  durch  den  grössten  Teil  des  Nordens 
der  alten  Welt  verbreitete  Valeriana  officinalu  L.  der  den  klassi- 
schen Sprachen  noch  fremde  Ausdruck  Valeriana  auf,  kaum  eine 
echte  romanische  Bildung  (etwa  von  valere),  sondern  eher  aus  einer 
nordischen  Namensform  wie  schwed.  Vandelrot ,  norw.  Vendelrod, 
dän.  Velaudsurt  verstümmelt  und  umgedeutet,  die  man  als  ,Wielands- 
wurz'  deuten  möchte,  da  Schmiede  wie  Wieland  von  jeher  auch  als 
Arzte  und  Zauberer  angesehen  werden.  Ähnlich  hat  man  versucht, 
mhd.  baldridn,  lit.  baldrijöns  aus  dem  Namen  des  gütigen  Gottes 
Balder  herzuleiten,  der  anderen  Pflanzennameu  (z.  B.  altn.  baldrs-brd 
.Balders  Braue'  —  Kamille)  sicher  zu  Grunde  liegt.  Andere  deuten  wieder 
das  deutsche  Baldrian  aus  Valeriana.  Eine  sichere  Erklärung  aller 
dieser  Namen  ist  noch  nicht  gefunden.  Die  heilige  Hildegard  (um  1160) 
nennt  die  Pflanze  denemarcha  (nach  Dänemark),  ein  Ausdruck,  der 
auch  sonst  noch  vorkommt.  Im  Slavischen  bezeichnet  *odoleml  ausser 
anderen  Pflanzen  auch  den  Baldrian,  z.  B.  im  eech.  odolen.  Vgl. 
Flückiger  Pharmakognosie 2  S.  4'A'd  f.  Andere  Heilpflanzen  s.  u.  Arzt. 
Ballspiel,  s.  Spiele. 

Balsam  (das  Harz  des  Balmmodendron  Gileadenxe).  Der  Baum 
wird  von  den  Alten  seit  Theophrast  (IX,  (5)  als  in  Syrien  und  Palä- 
stina, aber  nur  in  angebautem  Zustand  (ärpiov  be  oüb*v  eivai  ßdXaapov 
oübaiioö;,  heimisch  bezeichnet,  dem  erst  Spätere,  wie  Strabo,  das  Land 
der  Sabäer,  oder  wie  Dioskorides,  Aegypten  hinzufügen,  das  später  als 
das  erste  Balsamland  galt;  doch  nennt  der  Periplus  maris  erythräi, 
der  doch  den  Export  aus  beiden  Ländern  ausführlich  schildert,  den 
Balsam  überhaupt  nicht.  —  Was  seine  Namen  anbetrifft,  so  nimmt  man 
an,  dass  hebr.  bds'dm  =  arab.  baxdm  (im  Hohenlied  V,  1)  den  Balsam- 
strauch sicher  bezeichne.  Daneben  lindet  sich  box'em  ,Balsamstaudc, 
Wohlgeruch,  wohlriechende  StoftV.  Da  nun  Plinius  Hist.  nat.  XU, 
117  erzählt:  Ale.randro  Magno  rex  ibi  in  Judaea  —  aber 
wann?  — )  gereute  toto  die  aestivo  unam  concham  'balxant'n  impleri 
iuxtum  erat,  und,  wie  gesagt,  die  Bekanntschaft  mit  dem  Balsam  im  Abend- 
land erst  seit  Theophrast  auftaucht,  wird  man  annehmen  dürfen,  dass  erst 
in  Folge  der  Kriegszüge  Alexanders  der  Balsam  sowie  nähere  Kunde  von 
ihm  nach  Europa  kam.  Dass  griech.  ßdXtfcmov  auch  ßdXo"äuov)  aus  hebr. 
bds'äm  entlehnt  ist,  wird  man  für  wahrscheinlich  ansehen  müssen,  ob- 
gleich der  Einschub  des  X  vor  0*  lautgeschichtlich  noch  unerklärt  ist. 


Digitized  by  Google 


60 


Balsam  —  Bar. 


—  Die  Römer  sahen  den  jüdischen  Balsamstrauch  durch  die  Triumph- 
züge  des  Pompejus  und  dann  des  Vcspasian  in  natura  (vgl.  Plinius 
a.  a.  0.)-  Das  Wort  balsamum  aus  ßdXaauov  begegnet  zuerst  bei 
Vergil.  Hauptsächlich  durch  die  Kirche  ist  dann  das  griech.-lat.  Wort, 
das  bald  sehr  verschiedenartige  aromatische  Mischungen  zu  bezeichnen 
anfing,  in  die  nördlichen  Sprachen  (altsl.  balüsamü,  ahd.  bahamo  u.  s.  w.) 
übergegangen.  Die  Goten  haben  balsan,  das  in  seinem  Ausgang  dem 
aus  griech.  ßdXtfauov  rückentlehntcn  arab.  balasan,  armen,  balasan 
naher  als  dem  gricch.-lat.  Worte  zu  stehen  scheint.  Neben  balasan, 
palasan  hat  das  Armenische  noch  einen  zweiten  Ausdruck  für  Haisam 
aprxam,  aprasam,  der  zu  syrisch  äpurxmd,  pursmä  stimmt  (vgl. 
Hübschmann  Armen.  Gr.  I,  107).  Ob  eine  Vermittlung  dieser  Wörter 
mit  griech.  ßdXcfauov  möglieh  sei,  dürfte  schwer  zu  entscheiden  sein. 
8.  u.  Aroma ta. 

Bank,  s.  Hausrat. 

Banner,  s.  Fahne. 

Bär.  Der  idg.  Name  dieses  Raubtieres  liegt  in  der  Reihe:  griech. 
öpKTO?,  lat.  ursiix,  sert.  fkxfta-,  aw.  aresa-,  Pamird.  yurx,  armen,  arj. 
Ob  alb.  ari  und  ir.  art,  kymr.  arth  hierher  gehören,  ist  zweifelhaft.  Die 
germano-litu-slavischen  Sprachen  haben  das  Wort  eingebtisst,  was  in 
diesem  Falle  mit  der  religiös-dämonischen  Bedeutung,  welche  man  dem 
Tier  an  vielen  Orten  beimass  (vgl.  Keller  Tiere  d.  kl.  Altert.  S.  1011), 
zusammenhängen  könnte,  die  den  eigentlichen  Namen  des  Bären  zu 
nennen  verbot.  Für  denselben  ist  im  Gennanischen  ahd.  bero,  agls. 
bera,  altn.  björn  eingetreten,  der  ,braune'  (vgl.  lit.  beras  ,braun'),  wie 
denn  in  der  altdeutschen  Tiersage  „Braun"  geradezu  der  Name  des 
Bären  ist.  Die  Slaven  haben  altsl.  meeikü.  meeika,  vielleicht  der  , blö- 
kende' (sert.  mdkaka-),  daneben  altsl.  medrrdü,  eigentlich  , Honigesser' 
und  russ.  mixka  (lit.  meszkä),  eigentl.  ,Michelchcn'.  Ganz  allein  steht  lit.- 
preuss.  loktfx-  clokix.  Griechische  Sagen  erzählen  von  der  Aufsäugung 
ausgesetzter  Kinder,  z.  B.  der  Atalante  oder  des  Alexandras,  Sohnes  des 
Priamos,  durch  Bärinnen,  wie  gleiches  von  Wölfinnen  und  Hündinneu  be- 
richtet wird  (vgl.  Keller  a.  a.  0.  S.  108  und  s.  u.  Hund  und  u.  Wolf). 

Der  Bär  war  ursprünglich  in  allen  waldigen  und  gebirgigen  Teilen 
Europas  und  Vorderasiens  (Keller  a.  a.  O.)  verbreitet.  Aber  auch  im 
europäischen  Steppengebiet  war  er  früher,  wo  der  Baumwuchs  daselbst 
reicher  war,  mehr  nach  Süden  zu  Hause  als  jetzt.  Noch  gegenwärtig 
kommt  er  z.  B.  im  „Honiglandu  der  Baschkiren  und  im  Gouvernement 
Sitnbirsk  vor  (vgl.  A.  Nehring  Tundren  und  Steppen  S.  101  und  Z. 
der  Gesellsch.  für  Erdkunde  zu  Berlin  XXVI,  314).  Man  kann  also 
nicht  mit  J.  Schmidt  Urheimat  S.  22  den  Umstand,  dass  die  Indoger- 
manen  den  Bären  kannten,  gegen  die  Annahme  geltend  machen  (s.  u. 
Urheimat),  dieselben  hätten  ihre  ursprünglichen  Wohnsitze  im  süd- 
lichen Russland  gehabt.    So  auch  P.  Kretschnier  Einleitung  S.  58. 


Digitized  by  Google 


Barsch  —  Baumwolle. 


61 


Harsch  (Perca  fiuviatilis  L.).  Die  Noinenclatur  dieses  in  fast 
allen  Flüssen,  Seen  und  Teicben  Europas  einheimischen  und  aueh 
schon  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  (vgl.  Rütimeyer  Fauna  S.  114) 
nachgewiesenen  Fisches  geht  fast  gänzlich  auseinander :  griech.  Trepicn 
(seit  Aristoteles;  wohl  zu  7repKvö?  ,bunt',  s.  u.  Forelle),  woraus  lat. 
perca  entlehnt.  Ohne  Zusammenhang  hiermit  gemeingerm.  ahd.  bemieh, 
agls.  bwrs,  schwed.  abbore  (,der  borstige'  :  nhd.  bürste,  barste)  und 
die  nicht  weiter  deutbare  Gruppe  von  altpr.  ansegln,  lit.  ez'egys  (neben 
eszerys),  poln.  jazdz  {*jazg-).  Vgl.  noch  russ.  okunl  etc.  :  altsl.  oko 
,Auge'  (von  den  grossen  Augen  des  Tieres,  wie  unser  Kaulbarsch : 
mhd.  TctUe  ,Kugel  i  und  ht.  pükys  , Kaulbarsch'.  S.  u.  Fisch  ,  Fischfang. 

Bart,  s.  Haartracht. 

Bast,  s.  Strick. 

Bastard,  s.  Ehelich  und  unehelich. 
Baukunst,  s.  Steinbau. 
Bäume,  s.  Wald,  Waldbäume. 
Baumkultus,  s.  Tempel. 

Baumwolle  {Gossypium  herbaceum).  Die  erste  Nachricht  Uber 
Wolle  tragende  Bäume  giebt  Herodot  III,  106  aus  Indien:  „Die  wild- 
wachsenden Bäume",  sagt  er,  „tragen  als  Frucht  eine  Wolle,  welche 
die  der  Schafe  an  Schönheit  und  Güte  übertrifft.  Die  Wolle  dieser 
Bäume  verwenden  die  Inder  auch  zu  Kleidungsstücken".  Nach  dem- 
selben Schriftsteller  (VII,  65)  war  das  indische  Hiltskorps  des  Xerxes 
in  Baumwolle  (etuerra  dirö  EüXwv)  gekleidet.  Ausserhalb  Indiens  lässt 
sich  die  Kultur  der  Baumwolle  in  der  Geschichte  des  höheren  Alter- 
tums dagegen  nirgends,  weder  in  Aegypten,  noch  in  Palästina,  noch  in 
Syrien  nachweisen  (vgl.  die  Belege  hierfür  bei  Vf.  Handelsgeschichte 
und  Warenkunde  I,  191  ff.). 

Auch  über  die  indische  Baumwolle  wurde  erst  durch  die  Erobe- 
rungszüge  Alexanders  des  Grossen  und  von  dessen  Begleitern,  Ncar- 
chos  (daQnji  o£  Ivboi  Xivc'rj  xptovrou,  KCtTOtnep  X€Y€i  Nc'apxo^,  Xivou  toö 
ötto  tüjv  b^vbp€wv,  UTTCp  OTUJV  pOl  f^br]  X^Xcktcu.  TO  be  Xivov  T0ÜT0  f| 
XapTrpÖT€pov  Tfjv  XP°lHv  doriv  äXXou  Xivou  uavTO?  f|  pdXave^  airroi  eövTeq 
XapTTpöiepov  tö  Xivov  q>cuv€0"8ai  ttoi€ouo*i,  Arrian.  Ilist.  ind.  Cap.  16), 
Aristobulos  (vgl.  Strabo  XV  p.  694)  und  Onesikritos  (vgl.  Senilis  ad 
Verg.  Aen.  I,  649)  nähere  und  direkte  Kunde  verbreitet.  Auf  Grund 
derselben  handelt  dann  Theophrast  (Hist.  plant.  IV,  4,  8)  näher  von 
der  Staude,  von  welcher  die  Inder  ihre  Kleider  machen,  und  die  sie 
wie  die  Weinstöckc  iu  Reihen  auf  den  Feldern  pflanzen  (il  ujv  b£  tä 
ipcrna  noiouffi  to  pev  <püXXov  öpoiov  €x€i  Tfj  auKaptvuj,  tö  b€  öXov  <puTÖv 
TOI?  KUVOpÖbOt«;  öpOlOV.  (pUT€UOUO*l  bi  dv  toi?  nebioiq  aÖTÖ  k(xt'  öpxou?, 
bi'  ö  Kai  TTÖppiwSev  äcpopwai  öpireXot  <paivovTcu).  Ausser  Indien  nennt 
Theophrast  (IV,  7,  7  u.  8)  aber  noch  zwei  Stellen,  an  denen  Bauin  wollö 
vorkomme,  nämlich  die  am  Eingang  des  Persischen  Golfs  gelegene 


Digitized  by  Google 


€2 


Baumwolle. 


Insel  Tylos  und  Arabien  (ohne  nähere  geographische  Bestimmung:). 
Hieran  schlieft  sieh  dann  zunächst  die  Erwähnung-  Oberägyptens  durch 
Plinius  Hist.  nat.  XIX,  14:  Superior  para  Aegypti  in  Arabiam  rer- 
gens  gignit  fruticem  quem  aliqui  goMxypion  rocant,  plures  xi/lon  et 
ideo  lina  inde  facta  .rylina.  Vergegenwärtigt  mau  sich  nun,  das«  die 
Linie  Indien-Tylos-Arabien-Aegyptcn  eine  der  ältesten  und  befahrensten 
Handelsstrassen  der  alten  Welt  bildet,  so  liegt  die  Annahme  nahe,  die 
Bauinwollenkultur  habe  sich  auf  diesem  Wege  von  Ost  nach  West  ver- 
breitet. Diese  Annahme  wUrde  au  Glaubwürdigkeit  gewinnen,  wenn 
mau  mit  A.  v.  Kremer  (Semitische  Kulturcntlehnungen  Ausland  1875 
S.  06)  den  altindischen  Namen  der  Baumwolle,  sert.  kdrpäsa-  mit 
Sicherheit  in  dem  altarabischen  kursufa,  kursuf,  und  in  dem  aegypt.- 
lat.  gosst/pium  wiederfinden  dürfte,  für  welches  letztere  Parthey  (Vocab. 
Copt.  567)  auch  ein  Kopcrimov  anführt.  Andere,  wie  S.  Fraenkcl  (Aram. 
Fremdw.  im  Arab.  S.  145)  sehen  freilich  das  arabische  Wort  ans 
gossypium  für  entlehnt  an. 

Was  Tylos,  das  jetzige  Bahrein,  betrifft,  so  wird  man,  worauf  den  Vf. 
Prof.  Völlers  aufmerksam  macht,  es  nur  als  Transithafen  des  Baumwollen- 
handels zu  betrachten  haben.  Es  wird  bei  den  alten  Arabern  auch 
für  indisches  Holz,  Panzer  u.  s.  w.  als  Einfuhrstclle  genannt.  In  jedem 
Falle  liegt  es  nahe,  den  Namen  dieser  Insel  mit  dem  sert.  tula-  »Baum- 
wolle' zu  vergleichen. 

Sicherer  als  auf  dem  Seeweg  ist  das  indische  kdrpd*a-  auf  dem 
Landweg  westwärts  gewandert.  Es  kehrt  wieder  in  npers.  kirpäs, 
armen,  kerpas,  arab.  kirbäs,  hebr.  karpa*  (Esther  1,  6).  aram.  karpas 
u.  s.  \v.,  griech.  KdpTrao*o^  i  spät),  lat.  carbasus  (zuerst  Ennius  560  Vahl.). 
Es  scheint  aber,  dass  die  auf  Handelswegen  von  Indien  her  verbreiteten 
Stoffe,  welche  jene  Namen  trugen,  zunächst  nicht  als  etwas  neues  er- 
kannt wurden;  denn  die  angeführten  Wörter  bezeichnen  meistens  teils 
feinere,  teils  gröbere  Linneufabrikate  im  Lateinischen  besonders  Segel, 
zuweilen  Kleider).  Kaum  zu  verstehen  ist  die  Nachricht  des  Plinius 
Hist.  nat.  XIX,  10:  Et  ab  hin  /lispania  citerior  habet  splendorem  Uni 
praeeipua  torrentU  in  quo  politur  natura,  qui  adlnit  Tarraconem. 
et  tenuitas  mira  ibi  primum  carba*!*  repertis.  Erst  spät  werden 
griech.-lat.  Käpixaao^-carbams  unzweifelhaft  auch  von  baumwollenen 
Fabrikaten  gebraucht.  Dasselbe  ist  der  Fall  mit  einer  Keihe  anderer 
Wörter  wie  aivbuüv,  ßücraoq,  dGövn,,  öGdviov  (für  Baumwolle  namentlich 
im  Periplus  maris  erythraei  gebraucht:  vgl.  §  41:  TroXuqpöpo?  .  .  .  . 
Kapndcrou  Kai  tujv  iE  aÜTfjq  'Ivbixwv  69oviujv),  welche  ursprünglich 
durchweg  (ausländische)  linnenc  Stoffe  bezeichnet  hatten  (s.  u.  Flachs). 

Im  Ganzen  zeigt  sich  so,  dass  die  Baumwolle  im  Altertum  wenig  be- 
achtet wurde,  und  wohl  häufiger  Stoffe  aus  ihr  benutzt,  denn  als  solche 
erkannt  wurden.  Erst  durch  die  Araber  hat  die  Kultur  der  Baum- 
wolle eine  weitere  Verbreitung  gefunden.  Unter  Harun  al  Raschid  wurde 


Digitized  by  Google 


Baumwolle  —  Beer«nol>st. 


63 


dieselbe  in  Babylonien  einheimisch.  Im  XII.  Jahrhundert  finden  wir 
sie  durch  Araber  betrieben  in  Sieilien,  an  den  Küsten  von  Andalusien, 
in  Aegypten,  in  Palästina  bei  Gaza  und  an  der  Tigrismündung  bei 
Bassora.  Dieser  Thätigkeit  der  Araber  und  den  aus  ihr  hervorgehen- 
den Handelsbeziehungen  entspricht  die  Verbreitung  des  arab.  qufn 
.Baumwolle',  dessen  Ursprung  noch  nicht  aufgeklart  ist,  das  aber  ganz 
sieher  nichts  mit  hehr,  betonet  (s.  u.  Flachs)  zu  thuu  hat.  Das  arabische 
Wort  liegt  in  span.  al-godon,  ital.  cotone,  frz.  coton,  unsernv  kattun, 
mlat.  cotonum,  coto,  russ.  kntnja.  rum.  kutnie  u.  s.  w.  vor. 

Herrscht  dieses  Wort  mehr  im  Westen  Europas,  so  regiert  im 
Osten  ein  byzantinisch-orientalischer  Ausdruck  für  Baumwolle.  In  ihm 
scheinen  zwei  verschiedene  Bestandteile  zusammen  geschmolzen  zu  sein, 
einmal  eiu  orientalisches,  noch  nicht  sicher  erklärtes  Wort:  pehl.jw/ro- 
bak  '.Baum,  der  Wolle  trägt  zur  Bekleidung  ),  npers.  panha.  osset. 
bambag,  armen,  bambak  .Baumwolle*,  und  zweitens  ein  gricch.  ßonßüiuov, 
eigentlich  das  Gespinnst  des  ßöußuE,  der  wilden  Seidenraupe  s.  u.  Seide) 
bezeichnend  (lat.  bombyeinae  testen).  Die  so  vereinigten  Wortreihen 
bambag-bombi/cium  gingen  ins  Slavische  (russ.  bunuiga  etc.).  Neu- 
griechische '  ßoußciKiov  etc.),  Türkische,  Albauesische.  Magyarische,  ins 
Mittellateinisehe  ibomba.v.  bombi.t  u.  s.  w.)  und  auch  ins  Romanische 
(ital.  bambagio)  über.  —  Vgl.  Kitter  Die  geographische  Verbreitung  der 
Baumwolle  und  ihr  Verhältnis  zur  Industrie  der  Völker  alter  uud  neuer 
Zeit  Abb.  d.  Ak.  d.  W.  Berlin  1851s  H.  Brandes  Über  die  antiken 
Xameu  und  die  geographische  Verbreitung  der  Baumwolle  im  Altertum 
(V.  Jahresbericht  des  Vereins  von  Freunden  der  Erdkunde  in  Leipzig. 
1866),  V  f.  Handels  ge  schichte  u  n  d  Wa  renk  u  n  d  c  I,  ff. 
S.  u.  G  e  w  e  b  e  s  t  o  f  f  e. 

Baumzncht,  s.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Bauopfer,  s.  Opfer. 

Bdellium  (das  Harz  des  Balmmodendron  Mukul  Hook  in  Indien). 
Dieses  Aroma  kommt,  auch  uach  dem  Periplus  maris  erythraei  §  41), 
aus  Indien.  Ausser  in  Indien  kennt  Plinius  (XII,  35)  den  BnujM  noch 
in  Baktrien,  Arabien,  Medien  und  Babylonien.  Die  griech.  Bcnennuug  des 
Harzes  ßbeXXiov  (erst  bei  Diosk.  i,  daneben  ßbe'XXa  (Peripl.),  ßboXxöv,  uübeX- 
kov  (maldacon,  Plin.),  aus  der  lat.  bdellium  ,  bedelUum,  bidellium  entlehnt 
wurde,  stammt  zunächst  aus  dem  hebr.  bedolah,  das  man  wieder  auf 
ein  jüdisches  maddlaka-  -vgl.  oben  ndtbeXKOv)  zurückführt.  Näheres 
vgl.  bei  Muss-Arnolt  Trausactions  of  tbe  Am.  Phil.  Assoc.  XXIII,  11") 
und  Lewy  D.  sein.  Fremdw.  8.  45.    8.  u.  Aromata. 

Beamte,  s.  Stände. 

Becher,  Becken,  s.  Gcfässe. 

Beerenobst.    Dass  in  der  Urzeit  die  wilden  Beeren  des  Waldes 
gegessen  wurden,  wie  in  dem  goldenen  Zeitalter  des  Ovid: 
arbuteos  fetus  montanaque  fraga  legebant 
contaque  et  in  dttri*  haerentitt  mora  rubetix. 


Digitized  by  Google 


64 


Beerenobst  —  Beet. 


und  wie  noch  heute,  ist  selbstverständlich.  Das  gemeiugermanische 
Wort  für  Beere:  got.  -basi,  ahd.  beri  pflegt  zu  der  indischen  Wurzel 
bhas  ,kauen'  gestellt  zu  werden,  so  dass  es  soviel  wie  jEssbares'  be- 
deuten würde.  Urverwandte  Gleichungen  für  den  Begriff  , Beere'  liegen 
in  seit,  drdkshd  .Weintraube'  —  ir.  derc  , Beere',  in  lat.  frägum  (s.u.) 
=  gricch.  pd£  (*srag-)  oder  =  agls.  streatc-berie  ,straw-berry'  i*sraghtro-, 
**trau~a-)  und  lat.  Ava  (*ögva)  —  lit.  uga,  altsl.  jagoda  vor.  Von  be- 
stimmten Beeren  bestehen  nur  für  die  Brombeere  (Rubus  sp.)  vor- 
geschichtliche Ausdrücke  in  griech.  pöpov,  uüjpov,  lat.  mörum,  ir.  nierenn, 
armen,  mor,  mori,  moreni  und  in  dak.  uavTeia,  alb.  man,  mand.  Mehrere 
dieser  Wörter  sind  später  auf  die  ähnlichen  Früchte  des  im  Süden  Europas 
e  i  n  g  e  f ü  h  r t  e  n  M  a  u  1  b  c  c  r  b  a  u  m  s  (s.  d.)  übertragen  worden.  Es  liegt 
nahe,  an  die  zuletzt  genannte  Gruppe  auch  das  griechische,  schon  bei 
Homer  (aber  wohl  in  der  Bedeutung  , Dornstrauch")  bezeugte  ßdroq  an- 
zuknüpfen, worunter  Theophrast  (Hist.  plant.  III,  18, 4)  die  Brombeere  ver- 
steht. Das  Thrakische,  zu  dem  das  Dakische  gehört,  wird  nämlich  durch 
einen  Wechsel  von  m  mit  b  namentlich  in  der  Umgebung  von  n  cha- 
rakterisiert (vgl.  Kretschmer  Einleitung  S.  230).  Im  Lateinischen  sagt 
man  für  Brombeere  sentix  und  rubus,  im  Mittelalter  cepris,  wovon 
ahd.  brämberi :  brämo  ,Dorn'  eine  Übersetzung  sein  könnte.  Vgl.  auch 
poln.  ostrega  u.  s.  w.  :  altsl.  ostrü  ,Stachel'  und  gemeinkeit.  ir.  driss 
,Brombeer-  und  Dornstranch'.  Lit.  gehcüge,  altsl.  kqpina  , rubus'. 
Ganz  unbekannt  scheint  im  griechischen  Altertum  die  Erdbeere 
(Fragaria  vesca  L.)  gewesen  zu  sein,  für  die  erst  im  XI.  Jahrb.  ciu 
griechischer  Name  ((ppdouXe  ans  frägum)  besteht.  Hingegen  bezeich- 
neten sie  die  Römer  wohl  als  Beere  schlechtweg  i  frägum,  s.  o.),  ganz 
wie  in  gleichem  Sinne  in  zahlreichen  slavischen  Sprachen  jagoda  (vgl. 
Nemnich  Allg.  Polyglottenlex.  d.  Natg.  S.  1 650 1  verwendet  wird.  Über 
ahd.  erdperi  s.  u.  Erdbeerbaum. 

Schon  bei  der  Himbeere  (Rubus  idaeush.)  ist  es  zweifelhaft,  ob  sie 
überhaupt  einen  eigenen  klassischen  Namen  hatte  (vielleicht  ßcero«;  ibata) 
oder  mit  der  Brombeere  vermengt  wurde.  Dagegen  begegnen  im  Norden 
für  sie  ziemlich  alte  Namen,  die  mehrfach  von  Tieren  herrühren.  So 
ahd.  hint-beri,  agls.  hindberie  fauch  .Erdbeere  )  von  ahd.  hinta,  Hirsch- 
kuh' und  lit.  aicite,  aieecz'ios  von  awis  .Schaf;  vgl.  auch  klruss.  jezyna 
ii.  8.  w.  (aber  .Brombeere')  von  altsl.  jezl  ,lgel\  Vgl.  noch  für  Himbeere 
die  slavischen  Ausdrücke  malina  (z.  B.  poln.j  und  sunka  (z.  B.  weiss- 
russ.),  letzteres  vielleicht:  altpr.  sunis  ,Hund'. 

Erst  am  Ausgang  des  Mittelalters  oder  noch  später  treten  in  Europa  die 
Johannis-  und  Stachel  beere  hervor.  Vgl.  v.  Fischer- Bcnzon  Bo- 
tanisches Centralblatt  LX1 V,  321,360,  401  ff.  -  In  der  Flora  der  Schweizer 
Pfahlbauten  sind  Himbeeren  und  Brombeeren,  in  Kobenhausen  auch 
Erdbeeren  nachgewiesen  worden  (vgl.  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahl- 
bauten S.  28  f.). 

Beet,  s.  Ackerbau. 


Digitized  by  Google 


Beete  —  Beischläferin. 


«5 


Beete  Beta  vulgaris  L.).  Die  Pflanze  ist  an  den  Küsten  der  gauzen 
Mittelmeerregion  einheimisch  (vgl.  De  Candolle  Kulturpflanzen  S.  73), 
aber,  wie  es  scheint,  erst  verhältnismässig  spät  in  Kultur  genommen 
worden.  Ihre  Geschichte  in  Europa  lässt  sich  noch  ziemlich  deutlich 
übersehen.  Die  im  Süden  geltenden,  nicht  weiter  deutbaren  Namen 
sind  griech.  tۚtXov,  o*ۆt\ov  (Aristoph.,  Thcophr.)  und  lat.  beta  (Colu- 
niella,  Flinius).  Beide  sind,  unzweifelhaft  mit  der  Kultur  der  Pflanze, 
in  den  Norden  Europas,  ersteres  in  die  sla vischen,  letzteres  in  die 
germanischen  Sprachen  Übergegangen.  Griech.  aeöxXov  (ngriech.  td 
<T€0"KouXa,  o*60*icXa  und  aeuxouXa,  all),  sefktti  führte  zu  dem  gemein- 
slavischen  altsl.  sreklü,  lit.  swiklas,  lat.  beta  (auch  im  Capit.  de  villis 
7U,  48  genannt)  zu  ahd.  bieza,  mhd.  bieze,  agls.  bete,  engl,  beet  (vgl. 
aber  auch  russ.  botva  und  serb.  bitta,  blitva).  Die  deutsche  Bezeichnung 
mangold,  mhd.  mangolt  ist  noch  nicht  aufgeklärt.    S.  u.  Ackerbau. 

Befestigung,  s.  Mauer. 

Begräbnis,  s.  Bestattung. 

Beheizung,  s.  Ofen. 

Beifuss  (Artemisia  vulgaris  L.)  Die  in  den  meisten  Teilen  Eu- 
ropas einheimische  Pflanze,  griech.-lat.  äpT€uio~ia,  artemisia,  wurde  im 
Altertum  als  Mittel  gegen  Ermüdung  für  Fusswanderer  geschätzt.  Vgl. 
Plin.  Hist.  nat.  XXVI,  150:  ArtemUtiam  et  eleliftphacum  alligatas 
qui  habeat  viator  negatur  lassitudinem  sentire.  Nicht  weniger  ist  sie 
als  Schutz  gegen  Zauberinittel  geachtet.  Vgl.  Apulejus  Barbarns  ed. 
Ackermann  S.  165:  Fugat  et  daemonia  in  domo  posita  et  prohihet 
mala  medicamenta  et  avertit  oculos  malorum  hominum.  Die  Wert- 
schätzung des  Beifusses  nach  den  beiden  genannten  Seiten  kehrt, 
offenbar  aus  dem  Süden  übernommen,  genau  bei  den  Germanen  wieder. 
Vgl.  J.  Grimm  D.  M.  II3,  UM  und  Hoops  Altengl.  Pflanzcnu.  S.  47. 
Auch  bezieht  sich  der  ahd.  Name  bi-fuoz  wahrscheinlich  auf  den  er- 
wähnten Glauben,  dass  Beifuss  an  das  Bein  gebunden  oder  in  den  Schuh 
gethan,  vor  Ermattung  schütze.  Agls.  mucgicyrt,  engl,  mugwort,  poln. 
etc.  bylica  ( :  byti  ,wachsen\  Pflanze  Kai'  &oxnv),  lit.  kireziai.  Andere 
Heilpflanzen  s.  u.  Arzt. 

Beigabe  der  Toten,  s.  Bestattung. 

Beil,  s.  Axt. 

Beinkleid,  s.  Hose. 

Beinschiene,  s.  Panzer. 

Beischläferin.  Die  idg.  Urzeit  lebte  in  Polygamie  (s.  d.). 
Neben  einer  Hauptfrau  konnte  der  Mann  noch  mehrere  Nebenfrauen 
besitzen,  die  von  ihm  wie  die  erstere  durch  Kauf  erworben  (s.  u.  Braut- 
kauf) und  ihm  feierlich  „zugeführt"  worden  sein  werden  f's.  u.  Heirat). 
Ausserdem  finden  wir  nach  den  u.  Polygamie  zusammengestellten  Nach- 
richten in  den  Häusern  mehrerer  altidg.  Volker  neben  der  Ehefrau 
oder  neben  den  Ehefrauen  noch  zahlreiche  Kebsweiber  vor.  Doch 

Schräder,  Kcallcxikon.  iS 


Digitized  by  Google 


66 


Beischläferin. 


dürfte  es  zweifelhaft  sein,  ob  dieser  letztere  Zustand  bereits  als  indo- 
germanisch angesetzt  werden  darf.  Eine  vorhistorische  Bezeichnung 
für  den  Begriff  der  Beischläferin  lässt  sich  bis  auf  eine  unten  zu 
nennende  Übereinstimmung  der  keltisch-germanischen  Sprachen  nicht 
nachweisen,  und  aus  inneren  Gründen  ist  es  wahrscheinlich,  dass  erst, 
nachdem  auf  den  einzelnen  Völkergebieten  sich  ein  Gegensatz  von 
herrschenden  und  beherrschten  Volksbestandteilen  herausgebildet  hatte 
(s.  u.  Stände),  Frauen  und  Mädchen  aus  den  letzteren  dem  Herren 
als  Beischläferinnen  zu  dienen  anfingen. 

Es  stimmt  hiermit  überein,  dass  in  den  Einzelsprachen  die  Konku- 
bine nicht  selten  mit  Wörtern  bezeichnet  wird,  welche  zugleich  die 
,Sklavin'  bedeuten.  Dies  gilt,  wie  von  dem  altindischen  däsf-  ,Däsa- 
frau',  dann  ,Sklavin'  und  , Beischläferin',  von  dem  gemeingerm.  ahd. 
kebisa,  chebis  ,Kebsweib',  das  in  agls.  öefes,  fyfea  ,Konkubinc'  und 
,Magd'  und  im  altn.  kefser  Masc.  ,Sklave'  bedeutet.  Sollte  die  neuer- 
dings versuchte  Verknüpfung  der  germ.  Wörter  mit  ir.  bi  ,Weib'  (vgl. 
Liden  B.  B.  XXI,  96  f.,  114)  richtig  sein,  so  würde  als  Grandbedeu- 
tung wohl  »unterworfenes  Weib'  angesetzt  werdcu  müssen.  Ähnlich 
wird  altn.  man  Neutr.  ,Sklavc'  auch  im  Sinne  von  ,Sklavin'  und 
.Konkubine  gebraucht'.  Auch  das  gricch.  iraXXaKi?  (Homer),  TraXXaKn., 
iräXXaH  ,Kebswcib'  ist  hierher  zu  stellen,  wenn  es  richtig  mit  altsl. 
ölocekü  ,Mensch',  clovedica  ,Magd'  verbunden  wird.  Alsdann  wäre 
das  hebr.  pUege*  , Nebenweib',  , Kebse',  woraus  andere  das  griechische 
Wort  entlehnt  sein  lassen,  entweder  fern  zu  halten  oder  seinerseits  als 
aus  dem  Griechischen  übernommen  anzusehen  (vgl.  H.  Lewy  Die  semit. 
Fremdw.  im  Griech.  S.  66  f.).  Vgl.  endlich  noch  bei  Hesych  dbjitvibc? 
(, Bettgenossinnen' :  griech.  bc'nviov  ,Bctt')  •  boüXcti,  altschwed.  sloeki- 
frilla  ( :  sloeki  ,ancilla  pigra')  und  ahd.  lazza,  eigcutl.  die  Frau  oder 
Tochter  eines  Lassen  oder  Liten,  d.  h.  eines  unfreien  Landsiedlers. 

Wie  das  Loos  der  Sklaven  und  Sklavinnen  in  ältester  Zeit  überhaupt 
ein  erträgliches  war  (s.  u.  Stände),  so  wird  auch  die  Stellung  dieser 
Kebsweiber  und  ihrer  Kinder  zur  eigentlichen  Familie  damals  eine 
festere  und  unbeanstandetere  gewesen  sein,  als  wir  uns  heute,  wo  wir 
auch  für  den  Mann  die  Forderung  ehelicher  Treue  (s.  u.  Ehebruch) 
erheben,  vorzustellen  vermögen. 

Dafür  fehlte  damals  die  geschäftliche  Ausbeutung  des  geschlecht- 
lichen Verkehrs,  wie  sie  sich  erst  mit  dem  Aufkommen  städtischer 
Ansiedlungen  ausbilden  kann.  Erst  jetzt  werden  Wörter  wie  griech. 
TTÖpvn  (Aristoph.)  ,Hurc\  iropveiov  .Bordell'  :  TiepvTiui  .verkaufe'  oder 
wie  lat.  meretrix  :  mereri  vom  Gewerbe,  oder  wie  lat.  fornicatrix 
{'.fornix  .unterirdisches  Gewölbe'),  prostihulum  (weil  sie  vor  den 
Thüren  der  Lnpanarien  stehen)  und  altn.  portkona  (cigentl.  , Thorweib'), 
vom  Aufenthaltsort  der  Huren  hergenommen,  möglich.  Charakteristisch 
auf  diesem  Gebiete  der  Terminologie  sind  ferner  die  zahlreichen  Ent- 


Digitized  by  Google 


Beischläferin. 


67 


lehnungen,  welche  teilweis  schon  in  früher  Zeit  von  Volk  zu  Volk 
stattgefunden  haben. 

So  stammt  armen,  pornik  ,Hurer,  Hure'  aus  griech.  iropviKÖ«;,  lat.  pelex 
aus  griech.  irdXXaE  (oder  aus  dem  phoenikischen  Wort'?).  Lat.  meretrix 
ist  in  das  Irische  (mertrech)  und  Angelsächsische  (miltestre),  ein  ro- 
manisches *pütdna  (ital.  puttana)  in  das  Altnordische  (püta)  und  Nieder- 
deutsche (mndd.  püte)  entlehnt  worden.  Das  gemeingerm.  ahd.  huora, 
altn.  höra,  das  in  eiuer  ähnlichen  Bedeutung  in  einem  wahrscheinlich 
altgallischen  Wort  Carisa  (,vetus  lena  percallida'  etc.,  ,lena  vetus  et 
litigosa',  ,ancilla  dolosa',  ,Tropvoßoo"KÖ?',  vgl.  G.  Goetz  Thes.  Gloss. 
I,  1,  183,  Stokes  Urkelt.  Sprachschatz  S.  330)  wiederkehrt  und  zu 
lat.  cärus  ,lieb'  (vgl.  ir.  druth  ,a  harlot'  =  ahd.  trüt  ,geliebt'  und 
altn.  fridla,  ahd.  friudüa  im  Sinne  von  ,Konkubine')  zu  stellen  ist, 
ward  in  lautlich  noch  nicht  völlig  aufgeklärter  Weise  vom  Slavischen 
(kurüca)  und  Litauischen  ikurwa)  übernommen.  Merkwürdig  ist  auch 
das  Verhältnis  von  lit.  ke~ksze  zu  dem  oben  behandelten  altn.  kefser 
u.  s.  w„  das  sich  doch  wohl  auch  durch  Entlehnung  des  litauischen 
Wortes  (aus  dem  Skandinavischen?)  erklären  wird.  Ganz  einsam  scheint 
das  auf  das  Gotische  beschränkte  kalki  ,Hure',  kalkinaxsus  ,Hurerei* 
dazustehen.  Erwägt  man  jedoch,  dass  das  oben  genannte  griech.  naMcncn;, 
wenn  die  Verbindung  mit  altsl.  clovekü  richtig  ist,  in  Sprachen  (z.  B. 
auch  in  dem  dem  Gotischen  benachbarten  Thrakisch),  die  anlautendes 
q  nicht  in  p  verwandeln,  *kallaki-  oder  ähnlich  gelautet  haben  mttsste, 
so  läge  in  Ermanglung  einer  besseren  die  Vermutung  nahe,  dass  got. 
kalki  eine  Entlehnung  aus  einer  solchen  Sprache  sei.  Die  Finnen 
haben  sogar  drei  Bezeichnungen  des  Freudenmädchens  (huora,  portto 
aus  altn.  portkona  s.  o.  und  kurva)  von  ihren  Nachbarn  entlehnt,  und 
auch  die  Turko-Tataren  bedienen  sich  zur  Bezeichnung  dieses  Begriffs  x 
persischer  Lehnwörter  (vgl.  Vambery  Primitive  Kultur  S.  72).  —  Aus 
den  Einzelsprachen  sind  ferner  noch  für  die  Begriffe  , Beischläferin', 
,Hure'  etc.  etwa  zu  nennen:  griech.  tcdcKJa,  xaexaupa,  Kao~aXßd£  (»caöiupiov, 
Kcttfaupiov, Bordell';  vgl.  H.  Schmidt  Synonymik  II,  412  ff.,  etymologisch 
dunkel)  und  Xancds  (von  einigen  als  aus  *TXan<d<;  zu  got.  gaplaihan 
,liebkosen'  gestellt),  lat.  scortum  (eigcntl.  ,Fcll'),  lupa  (eigcutl. , Wölfin' ; 
vgl.  weiteres  bei  Becker-Göll  Gallus  III,  89  ff.  i,  gerra.  ahd.  ella,  gella, 
altn.  elja  (:  lat.  alius  ,die  andere'?),  zdtre,  zdturra,  lantgengja,  altn. 
skcekja  u.  a.  (reichhaltige  Sammlung  bei  Weinhold  Deutsche  Frauen  II 2, 
16).  altpr.  manga  ( :  ir.  meng  ,Trug',  griech.  udpravov  ,Trugmittel',  lat. 
mango  ,Aufputzer',  vgl.  E.  Berneker  Die  preussisehe  Spr.  S.  306).  Eine 
höchst  merkwürdige  Bezeichnung  bietet  das  Altslovenische  mit  obnoznja 
,concubina'  :  noga  ,Fuss',  das  eine  Entsprechung  iu  fiun.  jalkacaimo 
,Fussweib',  ,Kebse'  findet  (vgl.  Ahlqvist  Kulturw.  S.  215).  Schlief  iu 
alten  Zeiten  die  Kebse  im  Gegensatz  zu  der  Gattin  (griech.  dXoxo?. 
altsl.  salozl  ,BeiIiegerin')  etwa  nicht  an  der  Seite,  sondern  zu  den 
Füssen  ihres  Gebieters?  —  S.  auch  n.  Ehelich  und  unehelich. 


Digitized  by  Google 


68 


Beize  —  Bergbau. 


Beize,  8.  Falkenjagd. 

Beleuchtung,  8.  Licht. 

Beinaliing  des  Korpers,  s.  Tätowierung. 

Berg  (Gebirge).  Diese  für  die  Beurteilung  der  Topographie  de* 
Urlandes  der  Indogennanen  nicht  unwichtigen  Begriffe  werden  für  die 
Urzeit  belegt  durch  die  beiden  Gleichungen  :  scrt.  giri-,  aw.  gairi- 
=  altsl.  gora,  lit.  glre  (,Wald',  altpr.  garian  ,Baum')  und  altpcrs. 
kaufa-,  aw.  kaofa-  ,Berg'  =  lit.  köpos  ,Nehrung'  (ein  Dünenstreifen 
wie  /.wischen  dem  Kurischen  Haff  und  der  Ostsee).  Vgl.  auch  ahd.  berg, 
got.  bairgahei  .Bergland',  ir.  bri  ,Berg',  armen,  berj  ,Höhe',  aw.  bare- 
zah-  desgl.  (scrt.  brhdnt-  ,hoch').  Auf  die  arischen  Sprachen  be- 
schränkt sich  scrt.  pdrvata-,  aw.  paurvatd-  (griech.  ttcipoto  s.  u. 
Grenze),  auf  Europa  :  lat.  collis,  lit.  kdlnas,  got.  hallus  (vgl.  lat. 
culmen,  griech.  KoXwvöq)  :  lat.  excellere  und  lat.  mons,  kymr.  mynydd 
,Berg'  etc.  (Stokcs),  griech.  noöaai  (*mont-)  eigentl.  ,Bergbewohnerinnen' 
(J.  Waekernagel  i.  Für  den  Begriff  des  Thaies  besteht  nur  die  Gleichung 
got.  dal  ~  altsl.  doln,  welches  letztere  aber  nur  ,Loch,  Grube'  be- 
deutet (vgl.  auch  griech.  6öXo?  , Kuppeldach'  (Wölbung  =  umgedrehte 
Höhlung).  Im  übrigen  gehen  die  Einzelsprachen  mit  Ausdrücken  wie 
griech.  värni  ,Waldthal'  (vgl.  npo-vurn-riq  ,vorwärts  geneigt'),  lit.  lankü, 
lenke  (vgl.  lit.  lefkkti  ,beugcn'),  lat.  callis  (vgl.  ir.  fdl  ,Gehege'?)  u.  a. 
gänzlich  auseinander.    8.  u.  Urheimat. 

Bergbau.  Wann,  wo  und  von  wem  in  Europa  zuerst  den  Metallen 
in  deu  Schoss  der  Erde  nachgegangen  worden  sei,  lässt  sich  noch  nicht 
mit  genügender  Deutlichkeit  übersehen.  Die  homerischen  Gedichte 
enthalten  weder  ein  Wort  für  Bergwerk,  noch  irgend  eine  Hindeutung 
auf  die  Bekanntschaft  mit  einem  solchen.  Erst  bei  Herodot  tritt  u£ra\Xov 
, Bergwerk'  (später  , Metair,  seit  Lucrez  auch  in  lat.  metallum  bezeugt) 
hervor,  dessen  ursprünglicher  Sinn,  da  es  auch  für  Salzbergwerk, 
Steinbruch  u.  dergl.  gebraucht  wird,  ganz  allgemein  ,Grubc'  gewesen 
sein  dürfte,  und  dessen  Herkunft  gerade  deshalb  wohl  eine  einheimische 
sein  wird,  wenn  eine  haltbare  Erklärung  (mau  hat  u.  a.  an  griech. 
naiiiu  .suche',  .Snchstellc'  gedacht)  des  Wortes  auch  noch  nicht  ge- 
funden ist. 

Im  allgemeinen  werden  schon  im  Altertum  die  Phoenicier  mit 
grosser  Bestimmtheit  als  diejenigen  bezeichnet,  welche  im  Bereiche 
ihrer  Ansiedelungen  und  Faktoreien  Bergwerke  eröffneten.  So  berichtet 
Herodot  VI,  47  von  Thasos:  clbov  bk  Kai  oOtö?  tu  (ac'xoXXa  Taöia, 
Kai  MGtKptl)  nv  aÜTÜüv  0ujufjao*iu)TaTa  töl  o'i  <t>oiviKec  dveöpov  o\  n€T& 
0döou  KTiffavTC?  tuv  vf)o"ov  TauTn.v,  nri^  vöv  im  tou  0äo*ou  toutou  toö 
<t>oiviKO£  tö  ouvojia  £o"x€.  iä  fitraXXa  ra  <t>oivixiKä  TaCrra  idix  rr\q  0do"ou 
M€Ta£u  Alvüpujv  T6  x^pou  KaAeoue'vou  Kai  Koivupwv,  ävriov  bk  XauoöpnT- 
Kr\q,  oüpoq  ucy«  dvetfTpauu^vov  ev  xrj  Znrrjai.  Auch  zahlreiche  Orts- 
namen des  Mittelnieergebiets  weisen  auf  diese  civilisatorischc  Thätigkcit 


Digitized  by  Google 


Bergbau. 


69 


•der  Phoenicier  hin.  So  T€u^o*n.  auf  Cypcrn  (oder  im  Lande  der  Brut- 
tier?), aus  dem  der  Taphierftirst  iMentes  schon  Od.  I,  184  Kupfer  (gegen 
Eisen)  holt, :  hebr.  t eines  ,das  Zerfliessen'  (,SchmclzhUtte),  so  die  beiden 
benachbarten  Kykladeninseln  le'pupcw;  und  I(<pvoq  (hier  nach  Herodot 
III,  57  Gold-  und  Silberbergwerke) :  hebr.  sAraf  schmelzen'  und  säfän 
,Schatz',  so  das  lakonische  Vorgebirge  Tcdvapov  :  hebr.  tannür  (auch 
aw.  tanilra-,  armen,  t'onir)  ,fornax,  clibanus'  (vgl.  Lewy  Die  scui. 
Fremdw.  im  Griech.  s.  v.)  u.  a. 

Indessen  ist  es  doch  fraglich,  ob  die  Phoenicier  an  den  genannten 
Orten  und  sonst  wirklich  als  die  eigentlichen  Eröffner  des  Bergbaus 
und  nicht  vielmehr  nur  als  Verbessercr  und  Organisatoren  eines  schon 
vorher  den  Eingeborenen  bekannten  primitiven  Bergwerksbetriebs  auf- 
zufassen sind.  Es  hat  sich  immer  deutlicher  gezeigt  (vgl.  namentlich 
R.  Andree  Die  Metalle  bei  den  Naturvölkern  Leipzig  1884),  dass 
metallurgische  Keuntnisse  keineswegs  nur  auf  höheren  Kulturstufen 
uns  begegnen.  Das  bestätigt  auch  die  Überlieferung  des  Altertums. 
Alle  die  Gebirgsvölker  im  Süden  des  Pontus  bis  zum  Kaspischen  Meere 
hin,  die  Chalyber,  Tibarener,  Moscher  u.  a.,  welche  nicht  zum  ge- 
ringsten Teil  Vorderasien  und  Griechenland  mit  Nutz-  und  Edelmetallen 
versorgten  (vgl.  z.  B.  Hcsekicl  XXVII,  13:  ,Javan,  Thubal  d.  h.  Tiba- 
rener und  Mesech,  d.  h.  Moscher  haben  mit  Dir  gehandelt  und  haben 
Dir  leibeigene  Leute  und  Erz  auf  Deine  Märkte  gebracht'  oder  Xenoph. 
Anab.  V,  5,1:  6  ßioc  r\v  roiq  n\€io"TOi£  auiiwv,  d.  h.  den  Chalybeu  dnö 
o*ibnp€ta?),  können  wir  uns  nach  allem,  was  wir  wissen,  kulturgeschicht- 
lich nur  wenig  fortgeschritten  vorstellen.  Andere  Stämme  können  in 
Europa  selbst  in  metallreichcu  Gebirgsgegenden  schon  frühzeitig  als 
Bergleute  thätig  gewesen  sein  und  sind  es  gewesen,  wenn  wir  den 
neueren  Untersuchungen  der  Urgeschichtsforscher  glauben  dürfen. 
Namentlich  hat  M.  Much  Die  Kupferzeit  in  Europa  -  S.  248  ff.  auf  der 
Mitterberg-Alpe  bei  Bischofshofen  im  Herzogtum  Salzburg  und  auf  der 
Kelchalpe  bei  Kitzbühel  in  Tirol  ausgedehnte  Stätten  uralten  Kupfer- 
bergbaues nachgewiesen,  die  er  uach  den  daselbst  gemachten  Funden 
für  gleichzeitig  mit  den  dem  Ausgang  der  jüngeren  Steinzeit 
angehörigen  Pfahlbauten  des  Atter-,  Mond-  und  Trauusees  hält.  Von 
dort  hätten  die  Bewohner  dieser  Stationen  das  Metall  für  ihre  kupfernen 
Beile,  Dolche,  Pfriemen,  Angelhaken,  Spiralen  u.  s.  w.  geholt,  wie  un- 
weit jener  Mitterberger  Gruben  auf  dem  „Götschenberg"  auch  eine  der- 
selben Zeit  angehörige  Werkstatt  für  steinerne  Waffen  und  Werkzeuge 
sich  befunden  habe  (s.  u.  Axt).  Gleiche  oder  ähnliche  Kupfergruben 
aber  seien  ausser  in  den  Alpen  selbst  in  Irland,  England  und  vor  allem 
auf  der  iberischen  Halbinsel  entdeckt  worden  i  vgl.  Much  a. a. 0. 
S.  282). 

Es  ist  daher  durchaus  nicht  unwahrscheinlich,  dass,  als  die  Phoenicier 
zuerst  ihre  Faktoreien  in  diesem  metallreichsten  Lande  Alteuropas 


Digitized  by  Google 


TO 


Bergbau. 


aufschlugen,  sie  auch  hier  bereits  durch  die  Eingeborenen  eröffnete 
Gruben  vorfanden.  Auch  scheint  dies  aus  dem  Berichte  des  Diodorus 
V,  35  zu  folgen,  der  erzählt,  dass  die  Phoenicier  bei  ihrer  Ankunft 
in  Spanien  grosse  Mengen  fertigen  Silbers  von  den  Bewohnern,  die 
den  Wert  des  Metalls  nicht  gekaunt  hätten,  für  kleine  Gegengabe 
kauften,  wenngleich  allerdings  der  Schriftsteller  das  Vorhandensein 
uusgeschmolzenen  Metalls  nicht  aus  einer  metallurgischen  Thätigkeit 
der  alten  Iberer,  sondern  aus  fabelhaften  Naturereignissen  (vgl.  auch 
StraboIII  p.  147)  erklärt.  Unter  Leitung  erst  der  Karthager,  dann  der 
Römer,  die  in  älterer  Zeit  ausschliesslich  auf  etrurischen  und  griechi- 
schen Bergbau  angewiesen  gewesen  zu  sein  scheinen,  bat  sich  dann  die 
Blüte  des  spanischen  Bergbaus  entwickelt  (vgl.  Roloff  Über  den  Bergbau 
und  die  Metallurgie  des  alten  Spaniens  in  Gehlens  Journal  für  Chemie, 
Physik  und  Mineralogie  IX,  608  ff.).  Aus  dem  Iberischen  sind  denn 
auch  eine  Reihe  auf  den  Bergbau  bezüglicher  Termini,  wie  arrugia 
,Goldstollen',  balux  .Goldklumpen'  (vgl.  Diefenbach  Origines  Europ. 
S.  240)  ins  Lateinische  eingedrungen,  zu  denen  auch  lat.  cuniculu* 
gehört,  das  in  der  Doppelbedeutung  ,Kaninchen'  und  ,vom  Kaninchen 
gewühlte  Höhle',  dann  ,Mine'  sicher  schon  iberisch  war  (s.  u.  Kaninchen). 

Ähnlich  wie  die  ersten  Beziehungen  der  Phoenicier  zu  den  Iberern 
werden  auch  die  der  Phoenicier  zu  den  britannischen  Kelten  hin- 
sichtlich der  Gewinnung  des  Zinnes  gewesen  sein,  d.  h.  auch  hier  werden 
uralte,  vorphoenicische  Anfänge  des  Bergbaus  anzunehmen  sein.  Aber 
auch  die  Kelten  des  Festlandes  müssen,  sicherlich  schon  in  vorrömischer 
Zeit,  geschickte  Bergleute  gewesen  sein.  Vgl.  Caesar  De  bell.  gall. 
VII,  22  von  den  Biturigen:  Apud  eos  magnae  sunt  ferrariae  atque 
o/nne  genus  cu  niculornm  notum  atque  uxitatum  est  (dazu  vgl. 
Diod.  V,  27  und  Strabo  IV  p.  191).  Bemerkenswert  ist  auch,  dass 
die  gemeinkeltische  Bezeichnung  des  rohen  Metalls  ir.  mtin,  mianach, 
kymr.  micyn  in  dem  Sinne  von  Bergwerk  (frz.  mine,  ital.  mina)  in  die 
romanischen  Sprachen  übergegangen  ist.  Wie  hoch  freilich  das  Alter 
dieses  altgallischen  Bergbaus  anzusetzen  ist,  lässt  sich  nicht  ermessen. 

Ostlich  des  Rheins  und  nördlich  der  Donau  scheint  es  (auch  in 
Skandinavien)  an  sicheren  litterarischen  oder  archäologischen  Spuren 
vorhistorischen  Bergbaus  zu  fehlen.  Tacitus  Germ.  Cap.  5  sagt  aus- 
drücklich: Argentum  et  aurum  propitüne  an  irati  dii  negaverint, 
dubito.  nec  tarnen  affirmaterim  nullam  Germaniae  venam  argentum 
aurumve  gignere;  quis  enirn  scrutatus  eat>,  und  kennt  nur  im 
Osten  an  den  vorderen  Karpathen  ein  gallisches  Sklavenvolk  der  Ger- 
manen, die  Cotini,  die,  quo  magis  pudeat,  et  ferrum  effodiunt  (Cap.  43). 
Das  Metall,  welches  in  diesen  Teilen  Europas  in  vorhistorischer  Zeit 
erscheint,  muss  daher  von  vornherein  als  auf  Import  beruhend  auf- 
gefasst  werden. 

Über  das  Alter  und  die  Reihenfolge  des  Bekanntwerdens  der  ein- 


Digitized  by  Google 


Bernstein. 


71 


zelnen  Metalle  in  Europa  ist  in  besonderen  Artikeln  gehandelt  worden, 
in  denen  auch  näheres  Aber  ihre  Fundstätten  gesagt  ist.  8.  auch  u. 
Metalle. 

Bernstein.  Harzige,  dem  Bernstein  ähnliche  Körper  kommen 
ausser  an  der  norddeutschen  Meeresküste  noch  in  vielen  anderen  Teilen 
Europas  und  ausserhalb  desselben,  i.  B.  in  Oberitalien,  Sicilien,  Ru- 
mänien, Böhmen,  am  Libanon  u.  s.  w.  in  natürlichem  Zustand  vor.  Doch 
hat  die  Chemie  den  Nachweis  geführt,  dass  der  echte,  durch  einen  er- 
heblichen Gehalt  von  Bernsteinsäure  und  andere  Eigenschaften  charak- 
terisierte Succinit  ausschliesslich  nördlicher  Herkunft  ist.  Wo  daher 
aus  diesem  hergestellte  Objekte  in  prähistorischen  Funden  begegnen, 
weisen  dieselben  auf  den  Norden  Europas  als  ihren  Ausgangspunkt 
hin.  Artefakte  aus  säurefreiem  oder  -armem  Bernstein  sind  aus  frühen 
Epochen  so  gut  wie  nicht  nachgewiesen  worden. 

Im  Orient  hat  der  Bernstein  (Succinit)  in  alter  Zeit  niemals  eine 
hervorragende  Rolle  gespielt,  abgesehen  von  den  Gräbern  des  Kaukasus 
zu  Koban  und  Samthawro.  in  denen  Virchow  das  Vorhandensein  von 
Bernstein  nachgewiesen  hat.  Doch  gehören  dieselben  erst  der  ver- 
hältnismässig späten  Hallstatt-Zeit  an. 

Man  hat  es  also  bei  dem  Bernstein  mit  einer  eminent 
europäischen  Kulturerscheinung  zu  thun.  Im  Norden  Europas 
hat  man  nun  nach  Massgabe  der  Funde  zwei  grosse  Bernsteingebiete 
zu  unterscheiden  :  ein  ostbaltisches  (Samland)  und  ein  westbal- 
tisehes,  von  der  Westküste  der  kimbrischen  Halbinsel,  also  von  der 
Nordsee  ausgehend  und  sich  über  die  Küstenländer  der  westlichen 
Ostsee  (das  Gebiet  links  der  Oder  bis  über  die  Elbmündung,  Schleswig- 
Holstein,  Schweden  und  Dänemark)  erstreckend.  In  diesen  beiden 
Gruppen  bildet  der  Hernstein  den  hervorragendsten  .Schmuck  der  jüngeren 
Steinzeit,  während  derselbe  in  den  steinzeitlichen  Pfahlbauten  der 
Schweiz  nnr  äusserst  selten,  in  der  neolithischen  Epoche  Oberitaliens 
gar  nicht  nachzuweisen  ist.  Der  Bernstein  ist  also  kein  gemeinsamer 
Besitz  der  europäischen  jüngeren  Steinzeit,  ein  Umstand,  der  mit  anderen 
(s.  n.  Salz)  gegen  die  Annahme  H.  Hirts  (I.  F.  I,  464  ff.)  in  die  Wag- 
schale fällt,  dass  die  Urheimat  der  Indogermanen,  denen  auch  ein  ge- 
meinsames Wort  für  den  Bernstein  fehlt,  an  der  Ostsee  zu  suchen  sei, 
wenigstens  sobald  man  die  älteste  erreichbare  Kultur  der  Indogermanen 
für  identisch  mit  der  in  unserm  Erdteil  aufgedeckten  neolithischen 
Kulturperiode  hält  (s.  darüber  n.  Steinzeit,  Metalle,  Kupfer  ).  Da« 
angegebene  Verhältnis  ändert  sich  nun.  sobald  das  Gold  und  die 
Bronze  in  Europa  auftreten.  In  demselben  Masse,  in  welchem  diese 
beiden  Metalle  nach  dem  Norden  vordringen,  beginnt  der  Bernstein  in 
dem  Bereich  des  Westbalticums  zu  verschwinden  und  dafür  in  Mittel- 
und  Sfldeuropa  aufzutreten,  wo  er  bereits  in  den  Schachtgräberu  von 
Mykenae  (in  grosser  Menge)  und  in  den  Pfahlbauten  der  Poebne,  beide 


Digitized  by  Google 


72 


Bernstein. 


der  reinen  Brouzezeit  angehörig,  vorkommt,  nud  sich  iu  seiner  Bedeu- 
tung als  Schmuekmittel  bis  in  die  Eisenzeit  (vgl.  die  zahlreichen  Bern- 
steinfundc  aus  dem  Grüberfeld  von  Hallstatt  und  in  den  Xekropolen 
von  Villanova)  erhält.  Die  Ursachen  dieses  Umschwungs  liegen  klar  zu 
Tage.  Es  kann  nicht  wohl  bezweifelt  werden,  dass  es  der  Austausch  des 
Benisteins  gegen  Gold  und  Bronze  war,  welcher  denselben  dem  Norden 
entführte  oder  wenigstens  als  »Schmuckmittel  ihm  entfremdete  und  dem 
Süden  zubrachte.  In  letzterem  sind  seine  Geschicke  fernerhin  schwan- 
kende gewesen.  Die  Griechen  der  klassischen  Zeit  verwarfen  die  Ver- 
wendung des  Bernsteins  im  Kunstgewerbe,  und  dasselbe  ist  der  Fall 
überall,  wo  griechischer  Einfluss  vorherrschte,  bis  dann  in  dem  Anfang 
der  römischen  Kaiserzeit  aus  unten  näher  zu  erörternden  Gründen  das 
leuchtende  Harz  wieder  in  aufsteigendem  Masse  zu  Ansehen  kam.  So 
ist  es  geschehen,  dass  die  griechischen  Autoren  des  Bernsteins  nur 
gelegentlich  als  einer  seltsamen  Naturerscheinung  gedenken,  und  dass 
der  lat.  Name  des  Bernsteins  (xAcinum »,  obwohl  doch  die  Sache  selbst 
seit  Alters  in  Italien  bekannt  war,  von  älteren  Autoren  wie  Plautus, 
Tercnz,  Cato  gar  nicht  genannt,  sondern  erst  von  Plinius  erwähnt 
wird  (erst  von  Vergil  das  gricch.  electron).  Ob  dieses  sücinum  eine 
einheimische  Bildung  von  sücus  .Saft'  sei  (man  wusste  im  Süden  früh- 
zeitig, dass  der  Bernstein  eine  Ausschwitzung  von  Bäumen  sei),  oder 
ob  man  iu  ihm  ein  Fremdwort  (s.  u.)  zu  erblicken  habe,  lässt  sich 
nicht  entscheiden. 

An  Handelswcgen,  welche  von  dem  westbaltischen  Bernsteingebiet 
nach  dein  Süden  führten,  lassen  sich  drei  unterscheiden.  1.  Der  durch 
Mülleuhoff  (Deutsche  Altertumskunde  I)  ermittelte  Seeweg  aus  der 
Nordsee  durch  den  Ocean,  eröffnet  von  den  Pboeuiciern  und  in  ihren 
Geleisen  noch  von  Pvthcas  von  Massilia  befahren.  Jedenfalls  sind  es 
Phoenicier,  die  bei  Homer  (Od.  XV,  459;  als  Händler  mit  Bernstein- 
schmuck  'jjXtKTpov)  erscheinen.  Leider  hat  auch  dieser  ältestüberliefcrte 
Name  des  Bernsteins  noch  keine  sichere  Erklärung  gefunden,  Wahr- 
scheinlich kann  er  aber  nicht  von  ö  rjXexTpoq  ,Goidsilbcr'  und  r)XeKTwp 
,Sonne'  getrennt  werden.  Andere  dagegen  haben  an  eine  Ableitung 
von  ötXtKiu  ,wchre  ab"  gedacht,  als  ob  der  Bernstein  von  Anfang  an  als 
<puXaKTr|piov  oder  Amulet  aufgefasst  worden  wäre,  in  welchem  Sinne 
er  später  gebraucht  wird.  'J.  Ein  westlicher  Land  w  c  g  von 
der  Nordsceküste  entweder  quer  durch  Gallien  direkt  zur  Rhone  oder 
durch  die  Rheinlande  erst  zum  Oberlauf  des  Stromes  und  dann  einer- 
seits zur  Rhone,  andererseits  nach  Ligurien  und  zum  Po  führend. 
Diese  Strasse  scheint  zuerst  in  den  schon  von  Aeschylus  (  Plin.  XXXVII, 
31)  und  Enripides  genannten  Mythen  vom  Flusse  Eridanos  (Rhone,  dann 
Po),  den  auch  llesiod  schon  nennt,  hervorzutreten,  an  dessen  Ufern  die 
Heliaden  in  Pappeln  verwandelt  Thräuen  vergiessen,  die  sich  in  Bern- 
stein umsetzen.   Doch  äussert  sich  Herodot  (III,  llöi  sehr  skeptisch 


Digitized  by  Google 


Hornstein. 


73 


gegenüber  der  Existenz  eines  solchen  Flusses,  der  sich  nach  ihm  in  das 
Nordmeer  ergiesst  (Rhein*?).  Nur  das  sei  gewiss,  dass  der  Bernstein 
wie  das  Zinn  vom  änssersten  Norden  Europas  kamen.  Genauere  Kunde 
über  diese  Bernsteinstrasse  hat  dann  Pytheas  auf  seiner  Nordlandsfahrt 
gewonnen,  die  sich  in  dem  Bericht  des  Diodorus  Siculus  V,  23  erhalten 
hat :  Tfj?  ZKueiaq  tt\<;  vrxkp  luv  TaXatiav  KaxavTiKpu  vf\o6q  £0"n  TreXcrpa 
KöTct  töv  üuKeavov  n.  TrpocraYopeuoucvn.  BaaiXeia.  ei?  TctÜTnv  ö  kXüöuuv 
^KßdXXei  bcu^Xe?  tö  KaXounevov  nXeKipov,  oübauoö  be  Tfj?  oiKouuevrj«; 

q>aivö)H€vov  to  rdp  nXexTpov  öuvdYeiai  u€v  ev  ttj  TTpoetpnuevn. 

vntfoj,  koui&tcu  b€  uttö  twv  dTXiopiujv  npö?  Tn.v  dvTiTrcpa?  rjTreipov,  bi* 
f|?  cpepeiai  Trpö?  tou?  Ka6'  r|uä?  töttou?  Ka9öti  npoeipriTai.  Es  ist 
aber  in  dem  vorhergehenden  Kapitel  vom  Zinnhaudcl  von  der  gallischen 
Nordküste  zur  Rhone  die  Rede  s.  u.  Zinn).  Vgl.  dazu  Plinius  Hist, 
nat.  XXXVII.  35:  Pytheas  Guionibus  {Gutonibus\  Müllenhoft*:  Teutonia) 
GermanUie  genti  accoli  aestuarium  oceani  Metuonidis  (Meconomon ; 
Mhff.:  Mentonomon)  nomine  spatio  stadiorum  sex  milium,  ab  hoc  diei 
nacigatione  abesse  insuJam  Abalum,  Mo  (electrum  )  per  ver  fluctibus 
adcehi  et  esse  concreti  maris  purgamentum,  incolas  pro  Vujno  ad 
ignern  uti  eo  proximisque  Teutonis  vendere.  huic  et  Timaeus  (der 
Gewährsmann  des  Diodorus  s.  o.)  credidit,  sed  insulam  Basiliam  rocavit. 

Dass  das  Ligurerland,  wo  nach  Theophrast  (De  lapid.  4?  53)  auch 
einheimischer  Bernstein  gegraben  worden  wäre,  ein  wichtiger  Depot- 
platz des  Bernsteinhandels  war,  scheint  auch  aus  einer  bisher  noch 
nicht  genannten  griech.-lat.  Benennung  des  Bernsteins  hervorzugehen: 
Xirupiov,  dann  volksetymologisch  verdreht,  XuYKOÜptov,  Xirrroöpiov,  liyte 
rius,  langurium,  lagurium  etc.,  vorausgesetzt,  was  keineswegs  sicher 
ist,  dass  diese  Deutung  des  Wortes  als  Bernstein  und  als  ,ligurische' 
(Ware)  das  richtige  trifft.  Endlich  lässt  sich  auch  an  der  Hand  der 
Funde,  die  aber  im  Rheingebiet  erst  der  Hallstatt-  und  La  Tenepcriode 
anzugehören  scheinen,  die  angegebene  Strasse  verfolgen,  wenn  auch 
nicht  so  deutlich,  wie  dies  bei  dem  ohne  Zweifel  ältesten  und  be- 
deutendsten Weg  des  Bernsteinhandels,  3.  dem  östlichen  Landweg, 
oder  der  Elbstrasse  der  Fall  ist. 

Diese  lässt  sich  nach  Maßgabe  der  Funde  als  von  der  Elbmündung 
zunächst  bis  Böhmen  und  Mähren  führend  erweisen,  während  der  weitere 
Verlauf  nach  dem  Süden  bei  dem  Umstand,  dass  in  Ungarn  und  Xieder- 
österreich  ältere  Bernsteinfunde  fehlen,  noch  nicht  feststeht.  Nach  Plinius 
XXXVII,  43  wäre  der  Bernstein  von  den  Germanen  nach  Pannonien 
und  von  da  durch  die  Vcneter  ans  adriatische  Meer  gebracht  worden, 
wo  noch  zur  Zeit  des  Plinius  Bauern weiber  Bernsteinschmuck  als 
Halsbänder  trugen.  Hier  wäre  Rhein-  und  Elbstrasse  zusammenge- 
troffen. Doch  vermutet  Orshausen  s.  u.),  dass  dieser  von  Plinius  ge- 
nannte Weg  nur  für  die  Römerzeit  gegolten  habe  und  früher  nicht 
sowohl  durch  Pannonien  als  durch  Xoricum  (vgl.  die  Bernsteinfunde  der 
allerdings  verhältnismässig  späten  llallstätter  Ansiedelung)  geführt  habe. 


74 


Bernstein. 


Auf  der  Elb8tras.se,  an  die  Olshauscn  auch  den  Eridnnosmvthus  auzu- 
knüpfen  geneigt  ist,  lügst  sich  schliesslich  am  deutlichsten  das  Vorrücken 
gewisser  Goldspiralen  aus  den  südlichen  Ländern  in  der  Richtung  auf  die 
kimbrische  Halbinsel  (zum  Eintausch  des  Bernsteins)  verfolgen,  auf  der  sie 
am  zahlreichsten  an  der  Westküste  Jütlands,  dem  wichtigsten  Ursprungsort 
des  westbaltischen  Bernsteins  (vgl.  S.  Müller  a.  ti.  a.  0.  S.  323),  nachge- 
wiesen sind.  Auf  einer  der  beiden  zuletzt  genannten  Strassen  ist  der  ger- 
manische, an  der  Nordseeküste  geltende  Name  des  Bernsteins  glfsum, 
glaesum  (agls.  glcere)  den  Römern  bekannt  geworden.  Das  Wort  kommt 
zuerst  bei  Plinius  XXXVII,  42  vor  :  Certum  est  gigni  in  insulig 
septentrionalis  oceani  et  ab  Germanis  appellari  glaesum,  itaque  et 
ab  nostris  ob  id  unam  insular  um  Glaesariam  appellatam  Germa' 
nico  Caesare  res  ibi  gereute  classibus  Austeraviam  a  barbaris  dh'tam 
(vgl.  auch  IV,  97).  und  wird  dann  von  Tacitus,  der  nur  das  Samland 
als  Bernsteinland  kennt  (Genn.  Cap.  45),  irrtümlich  auf  den  Bern- 
stein der  Ostsee  angewendet.  Glemim  steht  in  Ablaut  zu  der  gemein- 
germ.  Sippe  ahd.  glas,  altn.  gier  (vgl.  auch  ir.  glain,  gloin  ,Glas', 
,Krystall'  aus  *gla*-in-),  die,  da  das  Glas  im  Norden  eine  verhältnis- 
mässig junge  Erscheinung  ist,  ebenfalls  ursprünglich  »Bernstein'  bedeutet 
haben  muss  (».  u.  Glas).  In  unserem  Worte  „Glas"  wäre  also 
der  uralte  germanische  Name  des  Bernsteins  erhalten.  Der 
dabei  anzunehmende  Bedeutungswandel  wiederholt  sich  in  mehreren 
nordöstlichen  Sprachen  (vgl.  Ii v.  el'mas  .Bernstein',  tinn.  helmi  ,Glasperle'; 
russ.  jantarh  magy.  gyantdr  , Bernstein',  gydnta  ,Harz',  öeremissisch 
janddr  ,Glas',).    S.  auch  über  skythiseh  sualhternieum  u.  Glas. 

Noch  offen  ist  die  Frage,  wann  zuerst  der  Bernstein  des  Ostbalti- 
cums,  also  der  samländischc  Bernstein,  in  die  Kulturgeschichte  Europas 
eintritt.  Für  den  frühen  Znsammenhang  des  Südens,  ja  schon  der 
griechischen  Pontusstüdte,  namentlich  Olbias,  mit  Ostpreussen  hat  man 
sich  früher  auf  eine  Reihe  von  Münzfunden  aus  der  Zeit  vor  Kaiser 
Angnstus  im  Küstengebiet  der  Ostsee  berufen.  Doch  haben  sich  die- 
t  selben  bei  näherer  Untersuchung  (vgl.  Olshauscn  Zeitschrift  f.  Ethno- 
logie 1891,  Verhandl.,  S.  223)  als  hierfür  nicht  beweisfällig  herausge- 
stellt. Günstiger  für  die  Annahme  frühzeitiger  Verbindung  Ostprcusseus 
mit  Italien  wäre  es,  wenn  sich  die  Entlehnung  des  ital.  ausom  in  das 
lit.  duksas  's.  darüber  u.  Gold)  über  allen  Zweifel  erheben  Hesse. 
Doeh  ist  zu  bemerken,  dass  dieses  sonst  überall  in  Znsammenhang  mit 
dem  Bernsteiuhandel  auftretende  Metall  gerade  in  Ostpreussen  vor  der 
römischen  Kaiserzeit  nicht  gefunden  worden  ist.  Ebensowenig  reichen 
ältere  Brouzefunde  ostwärts  über  das  Gebiet  des  heutigen  Mecklenburg 
hinaus.  Auch  zeigt  sich  von  den  (im  Uhrigen  dunklen;  baltischen  Be- 
nennungen des  Bernsteins  (lit.  gintäras,  altpr.  gentars,  woraus  russ. 
jantari  s.  o.)  nicht  wie  von  germ.  glesum  irgend  eine  Spur  im  Süden. 
Sichere  Kunde  des  ostbaltischen  Bernsteinlandes  beweist  daher  erst 


Digitized  by  Google 


£  1 

Bernstein.  V  ^  75- \  (> 

, 

Tacitus  Germ.  Cap.  45,  wo  er  von  den  gentes  Aestuorum,  d.  h.  von 
den  Litauern  und  Preussen  folgendes  erzählt:  Sed  et  mare  scrutantur, 
ac  soH  omnium  sucinum,  quod  ipsi  glaesum  (s.  u.)  vocant,  inter  vada 
atque  in  ipso  litore  legunt.  nec  quae  natura  quaeve  ratio  gignat,  ut 
barbaris  quaesitum  compertumre;  diu  quin  etiam  inter  cetera  eiecta- 
menta  maris  iacebat,  donec  luxuria  nostra  dedit  nomen.  ipsis  in 
nullo  usu  :  rude  legitur,  informe  perfertur,  pretiumque  mirantes 
accipiunt.  Auch  in  diesem  Bericht  mischt  sich  freilich,  ganz  abgesehen 
von  der  Annahme  des  Schriftstellers,  dass  glimm  ein  Bernsteinname 
der  Aestuer  sei,  Wahres  und  Falsches.  Thatsächlich  wurde  auch  in 
Ostpreussen  der  Bernstein  seit  uralter  Zeit  als  Schmuekgegenstand 
verwendet  (s.  o.)>  Handelsartikel  mag  er  dagegen  hier  erst  kurze 
Zeit  vor  Tacitus  geworden  sein.  Man  bringt  damit  in  Verbindung  den 
schon  oben  angezogenen  Bericht  des  Plinius  XXXV II,  42  —  45  von  der 
Reise  eines  römischen  Ritters  unter  Nero  nacb  dem  Bernstcinlande : 
DC  M.  p.  fere  a  Carnunto  Pannoniae  abesse  litus  id  Germaniae, 
ejr  quo  invehitur  (sucinum),  percognitum  est  nuper.  vidit  eques  R. 
ad  id  comparandum  missus  ab  Juliano  curante  gladiatorium  munus 
Neronis  prineipis,  quin  et  commercia  exereuit  et  litora  peragrarit, 
tanta  copia  inrecta  ut  etc.  Allerdings  ist  hier  nur  von  der  Küste 
Germaniens  die  Rede;  aber  die  ungeheuere  Menge  des  heimgebrachten 
Bernsteins  dürfte  auf  eine  neue  Bezugsquelle  desselben  hinweisen. 
Umgekehrt  werden  nun  auch  grosse  und  reiche  Funde  ans  der  römischen 
Periode  an  der  östlichen  Bernsteinküstc  häufig  (vgl.  S.  Müller  a.  a.  0. 
8.  326). 

Die  Bezeichnungen  des  Bernsteins  in  den  europäischen  Sprachen 
sind  im  Vorstehenden  mitgeteilt  worden;  doch  bleibt  noch  einiges  zu 
erwähnen  übrig.  Zunächst  ein  skythisches  sacrium  (Plin.  XXXVII, 
40),  das  einerseits  an  lat.  xtlcinum  (s.  o.)  und  lit.  sakal  Man, 
Gummi',  andererseits  an  aegypt.  sacal  (Plin.;  im  Aegyptischcn  selbst 
hat  sich  keine  Benennung  des  Bernsteins  gefunden)  anklingt.  Im  Ger- 
manischen hat  neben  glesum-glas  noch  ein  zweiter  alter  Name  des 
Bernsteins  bestanden:  nordfries.  reaf,  altn.  rafr,  schwed.  raf,  dän.  rav, 
der  aber  bis  jetzt  jeder  Erklärung  spottet.  Neuere  germanische  Namen 
sind  mhd.  agetstein,  eitsteht,  wohl  identisch  mit  ahd.  agatstein  ,Achat', 
,Magnet'  (denn  auch  der  Bernstein  zieht  an),  nnd  nhd.  bernstein  ,B renn- 
stein' (aus  dem  niederd.  bortisten,  in  einem  norwegischen  Ausfuhr- 
verbot anno  1316:  brenmtsstein;  vgl.  Jacob  a.  u.  a  0.  S.  362;  klruss. 
burxtyn). 

In  den  keltischen  Sprachen  bestehen  neben  vielfachen  Entlehnungen 
aus  lat.  electrum  und  rom.  ambra  (s.  u.)  einige  einheimische,  aber 
noch  ganz  dunkle  Bernsteinnaroen,  wie  kymr.  gwefr  (*vebr-)  und  bret. 
goularz,  die  eine  eigene  Untersuchung  verdienten.  Vielleicht  weisen 
sie  im  Zusammenhang  mit  gewissen  archäologischen  Thatsachcn  auf 


Digitized  by  Google 


76 


Bernstein  —  Bestattung. 


das  Bestehen  eines  dritten  nordischen  Bernsteinreichs,  eines  britan- 
nischen, hin. 

In  den  romanischen  Sprachen  hat  weder  lat.  aücintim,  noch  electrum 
Fuss  gefasst.  Der  Bernstein  heisst  hier  vielmehr  ital.  ambra,  sp.  pg. 
ambar,  al-ambar,  frz.  ambre  (inhd.  amber,  ämer),  entlehnt  aus  arab. 
anbar,  ursprünglich  ciu  animalisches  harziges  Produkt  (der  Nierensteiu) 
vom  Pottfisch,  während  der  eigentliche  arabische  Ausdruck  für  den  bal- 
tischen Bernstein  kahrubd  ist.  Doch  führen  diese  Ausdrücke  bereits 
zu  den  von  K.  G.  Jacob  (Xeue  Studien  den  Bernstein  im  Orient  be- 
treffend, Z.  d.  D.  Morgenl.  Oes.  XLIII,  353  ff.)  behandelten  mittel- 
alterlichen Beziehungen  der  Araber  zu  den  Erzeugnissen  des  hohen 
Nordens. 

Vgl.  F.  Wald  mann  Der  Bernstein  im  Altertum,  Fellin  1883  und 
besonders  Olshausen  Über  den  alten  Bernsteinhandel  der  kimbrischen 
Halbinsel  und  seine  Beziehungen  zu  den  Goldfunden  (Zeitschrift  für 
Ethnologie,  Verhandlungen  1890  S.  270  ff.  und  1891  S.  286  ff.),  wo 
auch  die  ungemein  grosse  Litteratur  über  die  Bernsteinfrage  verzeichnet 
ist.  Zuletzt:  P.  Moldenhaucr  Das  Gold  des  Nordens.  Ein  Rückblick 
auf  die  Geschichte  des  Bernsteins,  Danzig  1894,  S.  Müller  Nordische 
Altertumskunde  I,  316  ff.  und  II.  Blümner  Artikel  Bernstein  in  Pauli- 
Wissowas  Realeneyklopädie. 
Beryll,  s.  Edelsteine. 

Beschwörung,  s.  Arzt,  Dichtkunst,  Eid,  Priester,  Religion. 
Besitz,  s.  Eigentum. 

Bestattung.  Eine  Zeit,  in  welcher  man  den  Toten  noch  keine 
pietätvolle  Fürsorge  zuwandte,  sondern  sie  nur  flüchtig  an  dem  Platze 
verscharrte,  auf  dein  man  hauste,  liegt  in  der  palaeolithischcn 
Epoche  unseres  Erdteils  vor  (vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde 
I,  22  ff.,  368  f.),  die  (s.  u.  Steinzeit)  keinerlei  Beziehung  zu  Iudo- 
germaneutum  und  indogermanischer  Kultur  zeigt. 

Solange  wir  Indogermauen  kennen,  ehren  sie  ihre  Toten  mit  einer 
dauernden  Wohnung,  und  seit  grauer  Vorzeit  bis  auf  den  heutigen  Tag 
ringen  bei  ihnen  zwei  Formen  der  Bestattung,  Begraben  und  Ver- 
brennen, mit  abwechselndem  Glück  um  die  Vorherrschaft.  Ihnen  gegen- 
über treten  audere  Bräuche,  wie  der  von  den  Zoroastricrn  und  den 
persischen  Magiern  (Herod.  I,  140)  geübte,  die  Toten  Hunden,  Vögeln 
und  reissenden  Tieren  zum  Frasse  auszusetzen,  oder  die  Sitte  meeran- 
wohnender  Germanen,  die  Leiche  im  Kahn  auf  das  offene  Meer  hinaus- 
treiben zu  lassen,  an  Bedeutung  gänzlich  zurück. 

Die  Hauptfrage  ist  daher,  ob  das  angegebene  schwankende  Ver- 
hältnis zwischen  Verbrennen  und  Begraben  von  jeher  dasselbe  bei  den 
Indogermauen  gewesen  sei,  oder  ob  sich  für  das  eine  oder  das  andere 
ein  historisches  prius  erweisen  lasse.  —  Das  homerische  Griechenland 
kennt  nur  den  Leichenbrand,  zu  dem  als  eiu  notwendiger  Bestandteil  aber 


Digitized  by  Google 


Bestattung. 


77 


die  Beisetzung  der  Urne  mit  dem  verbrannten  Gebein  des  Verstorbenen 
im  Hügel  gehört;  6änr€iv  ,begraben'  wird  daher  auch  gebraucht,  wo 
Kactv  ^brennen' gemeint  ist.  Anders  aber  ist  es  in  dem  vor  homerischen 
Hellas  gewesen,  in  das  uns  die  Ausgrabungen  in  Mykcnae,  Tiryns, 
in  Attika  und  sonst  einen  Blick  verstattet  haben.  In  den  Schachten, 
Kammern  und  Gewölben,  welche  hier  zu  Tage  getreten  sind,  wurden 
die  Toten  unverbrannt  und  teilweis  in  mttniificiertcm  Znstand  beigesetzt, 
wenn  sich  auch  Spuren  einer  teilweisen  Verbrennung  der  Leichen  ge- 
funden haben,  die  aber  wohl  von  dem  im  Grabe  selbst  vollzogenen 
Opferbrand  herrührten,  dessen  heissc  Asche  über  den  Leichnam  ge- 
schüttet wurde  (vgl.  Schliemann  Mykenac  passim  und  dazu  Naue  Die 
Bronzezeit  in  Obcrbayern  S.  50 1  sowie  Olshansen  Zeitschrift  für  Eth- 
nologie 1892  Verh.  S.  129  ff.  über  Leichenverbrennung,  S.  163  ff.  über 
Teilverbrennung).  Unter  diesen  Umständen  gewinnt  es  den  Anschein, 
dass,  wenn  im  historischen  Griechenland  Begraben  und  Verbrennen 
neben  einander  vorkommen,  (vgl.  Göll  Privataltert.  S.  157,  Rohde 
Psyche  II*,  225*),  eben  dieser  erstere  Brauch  als  der  ursprünglichere 
anzusehen  ist  (vgl.  auch  Mau  Artikel  Bestattung  in  Pauli- Wissowas 
Realencyklopädie  und  A.  Engelbrecht  Erläut.  z.  hom.  Sitte  der  Toten- 
bestattung, Festschrift  f.  0.  Benndorf.    Wien  1898  S.  1  ff.). 

Es  stimmt  hiermit  ttberein,  dass  im  alten  Rom  eine  feste  Uber- 
lieferung bestand,  nach  welcher  dem  „Brennalter"  das  Begraben  vorauf- 
ging.   Vgl.  Plinius  Hist.  nat.  VII,  187:  Ipsum  cremare  apud  Romanos 

non  fnit  ceteri*  instituti',  terra  condebantur  et  tarnen  multae 

familiae  prisco»  servavere  ritus,  sicut  in  Cornelia  nemo  ante  Sullam 
dictatorem  traditur  crematus  (vgl.  auch  Cicero  De  leg.  II,  22,  56). 
Auf  dasselbe  weisen  verschiedene  alte  Bräuche,  wie  vor  allem  der,  bei 
der  Verbrennung  von  Leichen  ein  Glied  des  Körpers  abzuschneiden, 
und  besonders  zu  begraben,  und  endlich  stimmen  hiermit  auch  die  Er- 
gebnisse der  Ausgrabungen  in  so  fern  ttberein,  als  die  vor  nicht  langer 
Zeit  aufgedeckte  Nekropole  an  der  Porta  Esquilina  in  ihrer  untersten 
Schicht  in  Felsen  gehauene  Grabkaramern  mit  unverbrannten  Leichen 
enthielt  (vgl.  Marquardt  Privatleben  I,  330  ff.).  Aber  auch  die  Sitte 
des  Verbrennens  muss  in  Rom  und  Latium  sehr  alt  sein.  Zwar  bestand 
eine  alte  lex  regia  (vgl.  M.  Voigt  Legcs  regiae  S.  627)  über  den 
Kaiserschnitt,  welche  lautete:  Xegat  lex  regia  midierem,  quae  prae- 
gnanx  mortua  sit,  humari,  antequam  partus  ei  excidatur.  die  also 
Beerdigung  voraussetzt;  aber  schon  von  Numa  (Plutarch  Cap.  22)  wird 
berichtet,  dass  er  die  Verbrennung  seines  Leichnams  verboten  hätte, 
wonach  diese  Bestattungsart  jedenfalls  bekannt  gewesen  sein  muss.  Die 
XII  Tafeln  (ed.  Sehoell)  lassen  beides  zu,  wie  die  Bestimmungen  der 
tabula  X  zeigen:  1.  hominem  mortuum  in  urbe  ne  sepelito  neve 
urito  (vgl.  Cicero  De  leg.  II,  23,  58),  2.  hoc  plus  ne  facito  :  rogum 
a*cea  ne  polito,  8.,  9.    neve  aurum  addito.  cui  atiro  deuten  iuneti 


Digitized  by  Google 


7« 


Bestattung. 


£*cunt,  ast  im  cum  Mo  sepeliet  uretve,  se  fraude  esto  etc.  Aschen- 
urnen zeigt  auch  bereits  die  zweite  Bodenschicht  des  oben  genannten 
Gräberfelds  am  esquilinischen  Thore  ebenso  wie  die  Nekropole  von 
Alba  Longa  (über  die  näheres  bei  Heibig  Die  Italiker  in  der  Poebene, 
passim).  Indem  wir  einige  Angaben  über  die  nördlicheren  Teile  Ita- 
liens für  das  spätere  zurückstellen,  wenden  wir  uns  unmittelbar  den 
idg.  Völkern  Nordeuropas  zu. 

Bei  Kelten  und  Germanen  kennen  die  ältesten  römischen  Au- 
toren nur  den  Leichenbrand.  Vgl.  für  die  Gallier  Caesar  De  bell, 
gall.  VI,  19:  Funera  sunt  pro  cultu  Gallorum  magnifica  et  sump- 
tuosa;  omniaque,  quae  vivis  cordi  fuisse  arbitrantur,  in  ignem  in- 
ferunt,  etiam  animalia,  ac  paulo  supra  hanc  memoriam  serci  et 
clientes,  quos  ab  iis  dilectos  esse  constabat,  iustis  funeribus  confectis 
una  cremabantur  (vgl.  dazu  über  die  späteren  irischen  Zustände  0' 
Curry  Manners  and  customs  I,  CCCXIX  (F.),  für  die  Germanen 
Tacitus  Germ.  Cap.  27 :  Funerum  nulla  ambitio  :  id  solum  observatur, 
ut  corpora  clarorum  virorum  certis  lignis  crementur.  struem  rogi 
nec  restibus  nec  odoribus  cumulant  :  sua  cuique  arma,  quorundam 
igni  et  equus  adicitur.  sepulcrum  caespes  erigit.  Diese  Nachricht 
des  Tacitus  wird  bestätigt  sowohl  durch  reichliche  litterarischc  Zeug- 
nisse (gesammelt  von  J.  Grimm  Über  das  Verbrennen  der  Leicheu  Kl. 
Sehr.  II,  211  ff.),  namentlich  aus  dem  skandinavischen  Norden,  wie 
.auch  durch  zahlreiche  Gräberfunde  mit  verbrannten  Leichenresten.  Die 
metallischen  Beigaben  dieser  letzteren  bestehen  aus  Bronze  und  Eisen. 
Aber  vor  ihnen  liegen  auf  demselben  Boden  ältere  Gräber,  Dolmen, 
Ganggräber  und  Steinkisten  (s.  auch  u.  Steinbau)  mit  unverbrannten 
Leichen,  die  nach  ihren  Beigaben  entweder  in  die  Steinzeit  oder  eine 
ältere  Epoche  der  Bronzezeit  gehören.  War  man  nun  früher  der  Mei- 
nung, dass  diese  Verschiedenheiten  der  Bestattungsarten  und  der  zu 
den  Totenbeigaben  verwendeten  Stoffe  auf  einem  Wechsel  der  Bevöl- 
kerung in  den  nordgermanischen  Landen  beruhten,  so  mehren  sich  in 
neuerer  Zeit  die  Anzeichen  dafür,  dass  in  deu  angeführten  Erscheinungen 
nicht  ein  plötzlicher,  durch  neue  Einwanderungen  veranlasster  Umschwung 
aller  Lebensverhältnisse  sich  offenbart,  sondern  vielmehr  ein  ganz  all- 
mählicher Übergang  derselben  Bevölkerung  vom  Begraben  zum  Ver- 
brennen, vom  Stein  zur  Bronze.  So  begegnen  an  vielen  Orten  zuerst 
.grosse  Steinkisten  von  Manneslänge  mit  der  unverbramiten  Leiche, 
dann  treten  ebenso  grosse  Kisten  auf,  die  aber  nur  ein  kleines  Häuflein 
verbrannter  Knochen  enthalten,  und  erst  nach  und  nach  werden  die 
Gräber  kleiner,  dem  neuen  Bedürfnisse  der  Leichenverbrennung  ange- 
paßt (ähnliches  ans  Assarlik  in  Karien  und  den  hom.  Epen  bei  Engel- 
brecht a.  a.  O.  S.  4).  Sind  diese  Anschauungen  begründet  (vgl.  namentlich 
0.  Montelius  Archiv  f.  Anthropologie  XVII,  IM  ff.),  so  ist  zugleich  der 
Nachweis  geliefert,  dass  auch  bei  den  Germanen  die  Leichen  in  der 
ältesten  Zeit  begraben  und  nicht  verbrannt  wurden. 


Digitized  by  Google 


Bestattung. 


79 


Der  Osten  Europas  trägt  vorläufig  zur  Entscheidung  unserer  Frage 
nichts  wesentliches  bei.  Die  Nachrichten  über  die  litu-preussischcn 
nnd  Ria vischen  Stämme  kenneu  beide  Bestattuugsarten.  Vgl.  z.  B.  den 
Friedensvergleich  zwischen  dem  deutschen  Orden  und  den  Preussen  vom 
Jahre  1249:  Promiserunt  quod  ipsi  et  heredes  eorum  in  mortui» 
combur  endis  vel  subterrandis  cum  equis  sive  hombiibus  vel  cum 
armis  seu  vestibus  vel  quibuscumque  aliis  preciosis  rebus  vel  etiam 
in  aliis  quibuscumque  ritus  gentilium  de  cetero  non  servabunt.  Wei- 
teres vgl.  bei  V.  Hehn  Kulturpflanzen  und  Haustiere0  S.  521  ff.  und 
Krek  Einleitung  in  die  slav.  Litg. s  S.  424  ff.  Eine  ausführliche  Be- 
schreibung der  Bestattungsbräuche  bei  den  heidnischeu  Russen,  bei 
denen  sich  Slavisches  mit  Ostskandiuavischem  mischt,  findet  sich  bei 
dem  Araber  Ihn  Fozlan  bei  Frähn  S.  13.  Ganz  wie  im  skandinavischen 
Norden  wird  hier  der  tote  Häuptling  in  ein  Schiff  gesetzt  und  mit  ihm 
verbrannt.  Hinwiederum  nennt  ein  anderer,  und  zwar  einer  der 
ältesten  arabischen  Schriftsteller  Uber  Russland,  Ibn  Dustali  (um  912 
n.  Chr.),  ausdrücklich  das  Begraben,  indem  er  berichtet:  „Stirbt  ein 
hervorragender  Mann,  so  machen  sie  ihm  ein  Grab  in  Gestalt  eines 
grossen  Hauses,  legen  ihn  hinein,  und  mit  ihm  zusammen  legen  sie 
in  dasselbe  Grab  seine  Kleider  sowie  die  goldenen  Armbänder,  die  er 
getragen,  ferner  einen  Vorrat  Lebensmittel  und  Gefässe  mit  Getränken 
und  Geld.  Endlich  legen  sie  das  Lieblingsweib  des  Verstorbenen 
lebendig  in  das  Grab,  sehliessen  den  Zugang,  und  die  Frau  stirbt  so 
darin"  (vgl.  W.  Thonisen  Der  Ursprung  des  russischen  Staates  S.  28). 
Auch  dies  aber  wird  nur  ein  Wiederhall  skandinavischen  Brauches 
sein;  denn  anch  in  Norwegen  stossen  wir  in  der  jüngeren  Eisenzeit 
auf  stattliche  gezimmerte  Holzkammern,  in  denen  Leichen  teils  auf 
gestopften  Kissen  lagen,  teils  auf  Stühlen  sassen  (vgl.  0.  Montelius 
Die  Kultnr  Schwedens*  S.  193).  Ebenso  wie  die  Russen,  kennen  die 
Thraker  beide  Bcstattuugsweisen  (vgl.  Herodot  V,  8:  Tcwpcu  bl  toicti 
eübaiuoo*i  auxüjv  eicri  a'i'be  •  ipei?  ufcv  nu^pa«;  TTpotiG^aai  töv  voepöv, 
Kai  navTOia  a<pd£avT€?  Ipn/icx  cöujxoüvtcu,  irpoicXaüaavT€<;  ttpüjtov  •  Ittcitcv 
be  edirrouai  KaxaKauaavie?  fi.  <5\Xuj<;  rri  KpüipavTes,  xwua  bk 
Xcavies  dtYiwva  Ti9eio"i  iraviolov),  während  die  ausführliche  Beschreibung 
des  Leichenbegängnisses  eines  skythischen  Königs  bei  Herodot  (IV,  71, 
72)  lediglich  Beerdigung  voraussetzt.  Mit  den  von  Herodot  beschrie- 
benen thrakischen  Grabhügeln  scheinen  aber  die  zahlreichen  in  Thrakien 
selbst  und  den  angrenzenden  Ländern  sowie  in  der  Troas  und  Phrygien 
sich  findenden  Tumuli  identisch  zu  sein,  von  denen  freilich  bis  jetzt  nur 
einer  (bei  Bos-üjük,  dem  antiken  Lamuna  in  Phrygien)  genauer  unter- 
sucht, in  acht  Schichten  der  troischen  Keramik  entsprechende  Thon- 
waren,  Tierknochen  von  Rindern,  Ziegen,  Damhirschen,  zuletzt  auch 
menschliche  Gebeine,  vermutlich  von  geopferten  Sklaven  enthielt.  Bis 
zu  dem  Verstorbeneu  selbst,  dessen  Überreste  jedenfalls  nicht  in  einer 


Digitized  by  Google 


80 


Bestattung. 


Grabkamincr  lagen,  ist  man  aber  noch  nicht  vorgedrungen  (vgl.  P. 
Kretschmer  Einleitung  S.  174  ff.). 

So  bleiben  die  arischen  Verhältnisse  knrz  zu  bedenken.  Die  Perser 
begruben,  wie  Herodot  I,  140  (KcrraKripuKJavTe«;  bn.  u»v  töv  v6cuv  TTCpffat 
TTi  KpuTTTOuai)  ausdrücklich  hervorhebt,  ihre  Toten.  Auch  im  Awcsta 
wird  Totenbegrabung  neben  Totenverbrennung  (bei  anderen  Stämmen)  ge- 
nannt. Auf  die  Gebräuche  der  Magier  und  der  Anhänger  Zoroasters  wurde 
schon  oben  hingewiesen  (vgl.  auch  W.  Geiger  Ostiran.  Kultur  S.  262  ff.). 
Die  vedischen  Zustände  fasst  Oldenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  570 
folgendermassen  zusammen:  „Die  Verbrennung  war  die  normale,  aber 
keineswegs  allgemein  durchgeführte  Bestattungsform  des  ve- 
dischen Zeitalters   Der  Rigveda  (X,  15,  14)  spricht  von  den 

Toten  —  und  zwar  nicht  etwa  gemeinem  Volk,  Nichtariern  u.  s.  w.,  sondern 
den  in  Himmelsfreuden  lebenden  frommen  Vorfahren  —  ,die  vom  Feuer 
verbrannt  und  die  nicht  vom  Feuer  verbrannt  sind',  und  neben  diese 
Stelle  setzt  der  Atharvaveda  (XVIII,  2,  34)  einen  Vers,  in  welchem 
ähnlich,  aber  mit  konkreterer  Wendung  Agni  angerufen  wird :  ,Die  Be- 
grabenen und  die  Weggeworfenen,  die  Verbrannten  und  die  Ausge- 
stellten: die  alle  führe  herbei  ,Agni,  die  Väter,  dass  sie  vom  Opfer 
essen'u  (über  die  uddhitäh , Ausgestellten'  s.  u.  Alte  Leute).  In  den 
Ritualtexten  wurde  nach  Oldenberg  das  Begraben  nicht  berücksichtigt 
(vgl.  auch  Zimmer  Altind.  Leben  S.  401  ff.). 

Überblickt  man  die  im  bisherigen  aufgeführten  Thatsachen,  so  ergiebt 
sich,  besonders  im  Hiublick  auf  die  altgriechischen,  altrömischen  und 
altgermanischen  Zustände,  der  Schluss,  dass  die  Indogermancn  in 
ältester  Zeit  ihre  Toten  begraben  haben.  Ein  idg.  Ausdruck 
für  die  Bezeichnung  der  Beisetzung  der  Leiche  oder  des  Ortes,  wo  dies 
geschieht,  ist  bis  jetzt  nicht  gefunden  worden.  Am  weitesten  geht  die 
Übereinstimmung  in  der  Reihe  von  altpr.  kopts,  enkopts  ,begraben',  lit. 
ktipas  »Grabhügel',  lett.  kapu  mdte  ,Grabesgöttin'  (Usener-Solmsen  Götter- 
namen  S.  107),  gricch.  KäiT€T0<;  ,Grab'  (vgl.  .11.  XXIV,  795  ff.),  ,Grubc', 
lat.  capuhts  ,Sarg' ;  doch  bedeuten  lit.  kapöti,  altsl.  kopati  nur  .hacken' 
oder  ,grabcn'  (begraben  :  lit.  pakattti,  russ.  choroniti  u.  s.  w.).  Sehr  alter- 
tümlich ist  lat.  sepelio.  wenn  es  richtig  mit  seit,  »apary  ,dienen,  hul- 
digen, ehren'  verglichen  wird.  Das  lat.  Vcrbum  hätte  dann  seinen 
Ursprung  im  Totendienst,  wie  auch  lat.  fünus  .Leichenbegängnis',  das 
man  dem  griech.  Ooivn.  ,Mahl',  ,Opfermahl'  etymologisch  gleichsetzen 
kann,  sich  ursprünglich  auf  das  Totenmahl  isiUcernium  >  bezogen  haben 
könnte.  Auch  das  gricch.  9<mTu>,  rdqpoq  ist  noch  nicht  sicher  erklärt. 
Vf.  hat  ahd.  tunc  ,Grube\  , unterirdische  Wohnung'  herangezogen  (so 
jetzt  auch  F.  Kluge  Et.  W. c  s.  v.  Dung),  und  man  könnte  auch  an  den 
awestischen  Ausdruck  dayma-  denken,  der  (nach  E.  Wilhelms  Mittei- 
lung) im  persischen  Wörterbuch  mit  ,Haus,  in  dem  man  die  Feueran- 
beter begräbt",  erklärt,  im  Pehlevi  durch  a*tndän  .Knochenbchältcr' 


Digitized  by  Google 


Bestattung. 


81 


wiedergegeben  wird,  und  im  Awesta  den  Platz  der  Aussetzung  der 
Leichen  bezeichnet.  Die  idg.  Grundform  aller  drei  Wörter  wäre  dann 
*dhnkh-.  Auf  keinen  Fall  geht  Bcctttu),  wie  J.  Grimm  a.  a.  0.  S.  223 
glaubte,  ursprunglich  auf  das  Verbrennen  (scrt.  tap,  lat.  tepeo,  griech. 
T€<ppa  »Asche'),  und  auch  aw.  dayma-  kann  nicht  mit  W.  Geiger 
a.  a.  0.  S.  268  zu  aw.  daiaiti  =  scrt.  dähati  ,er  verbrennt'  gezogen 
werden.  Im  Gotischen  wird  griech.  Sännu  durch  ganawiströn  ( :  naus 
»Toter,  woraus  wahrscheinlich  altsl.  navi  /Toter',  altpr.  nowis  .Rumpf 
entlehnt  sind,  =  aw.  mmi-,  griech.  Wicuq , Leiche';  vgl.  jedoch  0.  Hoffmann 
B.  13.  XXV,  107)  und  filhan  (ga-flh,  UM-filh  .Begräbnis',  filigri , Höhle') 
Ubersetzt.  Die  Grundbedeutung  des  letzteren  Ausdrucks  ist  Kpuirrctv. 
Ein  Etymon  ist  noch  nicht  gefunden  (doch  s.  u.  Torf),  ebenso  wenig 
für  got.  aurahi  ,Grabeshöh)e'.  Vgl.  noch  für  ,Grab'  das  gemeingerm.  got. 
Mahr,  run.  Maina  {Mamidd  ,ich  begrub  ),  agls.  Mdw,  alts.  Meo,  ahd. 
Meo  ,Grabhögel',  »Grabstein',  ,Grabdenkmal',  ferner  altndd.  burgisli,  agls. 
byrgel*  ,Grabhligel'  :  agls.  byrgan  »begraben'  und  ahd.  grab  =  altsl. 
grobü  ,Grab,  Sarg'  :  got.  graban  »graben  (nicht  , begraben').  Ein  ge- 
meingerm. Name  des  Scheiterhaufens  scheint  nicht  nachweisbar 
(nordische  Bezeichnungen  bei  Weinhold  Altn.  Leben  S.  481,  agls.  ba>l 
und  dd  =  griech.  od6os  »Brand',  scrt.  t'dhas-  »Brennholz',  mbd.  rdz 
.Scheiterhaufen',  eigentl.  »Gewebe',  vgl.  F.  Kluge  Et.  W.G  s.  v.  Ross2 
u.  a.). 

Zu  der  Zeit,  als  sich  die  Indogermanen  Uber  Europa  verbreiteten 
und  nach  Ankunft  in  ihren  Stammsitzen  herrschte  also  bei  ihnen  die 
Gewohnheit,  ihre  Toten  in  Felsenhöhlen,  Steingräbern  oder  Grabhügeln 
un  verbrannt  beizusetzen,  eine  Sitte,  die  später  nach  und  nach  durch 
den  Leiche nbrand  zwar  nicht  beseitigt,  wohl  aber,  hier  mehr,  dort 
weniger,  eingeschränkt  wurde.  Es  knüpfen  sich  hieran  die  drei  Fragen, 
wann  diese  neue  Bestattungsweise  zuerst  aufgekommen  sein  möge, 
welche  Gedanken  ihr  zu  Grunde  liegen,  und  ob  sich  der  Aus- 
gangspunkt bestimmen  lasse,  von  wo  die  neue  Sitte  ihren  Zug  durch 
Europa  antrat. 

In  chronologischer  Beziehung  haben  schon  die  obigen  Ausführungen  ge- 
zeigt, dass  der  Leichenbrand  in  unserem  Erdteil  erst  aufgekommen  sein 
kann,  nachdem  der  Gebrauch  der  Bronze  (s.  u.  Erz)  sich  in  demselben 
verbreitet  hatte.  Nur  ausnahmsweise  lassen  sich  Spuren  desselben  in  der 
Steinzeit,  wie  es  scheint,  namentlich  in  Thüringen,  nachweisen  (vgl.  Ols- 
hansen  a.a.O.  S.  163).  Ganz  aber  wie  im  skandinavischen  Norden  im 
Beginn  des  Bronzealters  noch  in  Steinkisten  oder  Baumsärgen  begraben 
wurde,  ebenso  ist  in  Mitteleuropa,  wie  die  Untersuchungen  der  Hügel- 
gräber zwischen  Ammer-  und  Staffelsee  und  in  der  Nähe  des  Starn- 
bergergees (vgl.  J.  Naue  Die  Bronzezeit  in  Oberbayern)  gezeigt  haben, 
die  Leichenbegrabung  (hier  meist  in  gewölbartig  gebauten  Grabhügeln  ) 
während  der  älteren  Bronzezeit  noch  in  ausnahmslosem  Gebrauch,  und 

Schräder,  Reallexikon.  6 


Digitized  by  Google 


82 


Bestattung. 


erst  während  der  jüngeren  Bronzezeit  wird  die  Verbrennung  der  Leiclien 
zur  Regel,  die  aber  noch  immer  der  Ausnahmen  nicht  entbehrt.  Zur  Zeit 
des  ersten  Auftretens  des  Eisens  finden  sich  beide  Bestattungsarten  in  ver- 
schiedenem Verhältnis  beieinander.  Das  berühmte  Gräberfeld  von  Hall- 
statt weist  455  Brandgräber  und  525  Beerdigungen  auf,  wozu  dann  noch  13 
Fälle  einer  teil  weisen,  auch  in  Oberbayern  nachweisbaren  Verbrennung 
kommen.  Zugleich  aber  erhellt  aus  den  völlig  gleichen  Beigaben,  dass 
ein  zeitlicher  Unterschied  zwischen  beiden  Arten  der  Bestattung  nicht 
bestand  (vgl.  v.  Sacken  Das  Grabfeld  von  Hallstatt  S.  16).  In  Ober- 
italien  auf  dem  Begräbnisplatz  von  Villanova  (unweit  Bolognas),  der 
ebenfalls  der  ältesten  Eisenzeit  angehört,  stiess  man  auf  14  Skeletgräber 
zwischen  193  Urnengräbcru,  während  bei  den  in  der  Nähe  gelegenen 
und  ungefähr  gleichzeitigen  Gräberfunden  bei  Schloss  Marzabotto  sich 
das  Verhältnis  von  Skelet-  und  Brandgräbern  hinsichtlich  der  ersteren 
günstiger  stellte  (vgl.  Undset  Das  erste  Auftreten  des  Eisens  in  Nord- 
Europa).  Wohin  man  blickt,  überall  kein  plötzlicher  Bruch,  sondern 
ein  allmähliches  Aufkommen  der  neuen  Bestattungsart. 

Welche  Gedanken  mögen  sie  ins  Leben  gerufen  haben? 
Auf  diese  Frage  hat  neuerdings  E.  Rohde  eine  geistreiche  und  vielleicht 
richtige  Antwort  gegeben. 

U.  Ahnenkultus  ist  gezeigt  worden,  dass  in  der  Urzeit  und  bis  tief 
in  die  historischen  Zeiten  die  Auffassung  herrschte,  dass  auch  nach 
dem  Tode  des  Menschen  seine  Seele  noch  in  der  Nähe  des  toten  Leibes 
hause,  und  durch  ihr  Wiedererscheinen  leicht  den  Lebenden  gefähr- 
lich werden  könnte.  Man  hält  es  daher  für  notwendig,  diese  Seele 
von  Zeit  zu  Zeit  mit  Speise  und  Trank  zu  laben.  Auch  giebt  mau 
dem  Leichnam  Schmuck,  Waffen,  Werkzeuge,  Gefässe  mit  allerhand 
Lehensmitteln,  knrz  die  verschiedensten  Gaben  mit,  wie  sie  schon  in 
der  Steinzeit  regelmässig  gefunden  werden.  Auf  demselben  Gedanken 
beruht  der  Brauch,  der  sich  aber,  namentlich  im  Norden,  erst  aus  ver- 
hältnismässig später  Zeit  belegen  lässt  (vgl.  S.  Müller  a.  a.  O.  418),  an 
dem  Grabe  des  Verstorbenen  Pferde,  Hunde,  Diener  und  vor  allem  die 
Frau  oder  eine  der  Frauen  des  Dahingeschiedenen  is.  u.  Witwe) 
zu  schlachten.  Das  Weib  hat  der  Lust  des  Verstorbenen  im  Lebeu 
gedient,  sie  soll  es  auch  im  Tode  thun.  So  thut  man  alles,  um  die 
Seele  des  Toten,  die  noch  in  unheimlicher  Nähe  weilt,  zufrieden  zu 
stellen.  Wie  nuu,  meint  Rohde  (Psyche  I *,  31  ff.),  wenn  man  in  dem 
Feuer  das  taugliche  Mittel  gefunden  zu  haben  glaubte,  um  eine  schnelle 
und  gänzliche  Abtrennung  der  Seele  von  dem  Laude  der  Lebenden 
zu  bewirken?  „Schneller  als  Feuer  kann  nichts  den  sichtbaren  Doppcl- 
gänger der  Psyche  verzehren:  ist  dies  geschehen,  und  sind  auch  die 
liebsten  Besitztümer  des  Verstorbenen  im  Feuer  vernichtet,  so  hält  kein 
Haft  die  Seele  mehr  im  Diesseits  fest.  So  sorgt  man  durch  Verbrennung 
des  Leibes  für  die  Toten,  die  nun  nicht  mehr  rastlos  umherschweifen, 


Digitized  by  Google 


Bestattung'. 


83 


mehr  noch  für  die  Lebenden,  denen  die  Seelen,  in  die  Erdtiefe  ver- 
bannt, nie  mehr  begegnen  können."  Zu  derselben  Auffassung  ist  nach 
Rohde,  aber  unabhängig  von  ihm,  auch  S.  Müller  in  seiner  oft  genannten 
nordischen  Altertumskunde  I,  363  ff.  gekommen. 

Was  sich  gegen  diese  Erklärungen,  die  die  ältere  Deutung  J.  Grimms 
(a.  o.  a.  0.)  aus  einer  angeblichen  Opferung  der  Gestorbenen  an  die 
Gottheit  ersetzen  sollen,  einwenden  lässt,  ist,  dass,  wenn  der  Leichen- 
brand den  Toten  von  allem  Irdischen  scheiden  soll,  man  nicht  recht 
versteht,  warum  man  auch  bei  der  Leichenverbrennung  damit  fortfuhr, 
die  Seelen  mit  Speise  und  Trank  zu  laben,  und  an  Totenbeigaben  wie 
früher  festhielt.  Mau  müsste  alsdann  annehmen,  dass  der  altehrwürdige 
Brauch,  auch  nachdem  er  sinnlos  geworden  war,  noch  festgehalten  wurde, 
und  dass  das,  was  früher  zum  wirklichen  Gebrauch  des  Toten  bestimmt 
war,  jetzt  mehr  als  Andenken  und  Liebeszeichen  für  denselben  aufge- 
fasst  ward.  Thatsächlich  scheinen  in  der  jüngeren  Bronzezeit  die 
Totengaben,  die  damals  noch  nicht  auf  den  Scheiterhaufen  gelegt 
wurden,  ärmlicher  und  willkürlicher  als  früher  zu  sein.  Abermals  eine 
neue  Phase  des  Glaubens  bezeichnete  dann  die  Vorstellung,  dass  die 
Totengaben,  zusammen  mit  dem  Toten  verbrannt,  ihm  in  das  bessere 
Jenseits  folgten  und  dort  ihm  nützlich  wären  (vgl.  S.  Müller  a.  a.  0. 
S.  416  ff.). 

Naturgemäss  wird  man  auf  diesem  Gebiete  sich  in  einander  schie- 
bender und  über  einander  schichtender  Vorstellungen  niemals  über 
mehr  oder  weniger  wahrscheinliche  Vermutungen  hinauskommen. 

Dass  die  Gewohnheit,  die  Toten  zu  verbrennen,  statt  zu  begraben, 
Uberall  da,  wo  sie  begegnet,  neu  entstanden  sei,  wird  man  für  wenig 
wahrscheinlich  halten.  Unzweifelhaft  liegt  auch  hier  die  weltweite 
Wanderung  eines  Brauches  von  Volk  zu  Volk  vor,  dessen  Ausgaugs- 
pnnkt  sich  noch  ahnen  lässt.  Wir  haben  oben  gesehen,  dass  der 
Leichcubrand  in  den  Fusstapfen  der  ihm  geraume  Zeit  voraufgegangenen 
Bronze  auftritt,  deren  Ursprünge  (s.  u.  Erz)  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  in  den  Euphrat-  und  Tigrislandschaften  zu  suchen  siud.  Sollte  nicht 
auch  der  Lcichenbraud  von  hier  seinen  Ausgang  genommen  haben? 
Im  Jahre  1887  sind  in  Babylonien  die  beiden  Trttmmerstätten  Surghul 
und  El  Hibba  im  Lande  der  Chaldäer  eingehend  untersucht  worden, 
wobei  ungeheuere  Nekropolen  als  geineinsame  Ruheplätze  der  Reste 
im  Feuer  verbrannter  Leichen  zu  Tage  getreten  sind  (vgl.  R.  Koldewey 
in  der  Zeitschrift  für  Assyriologic  II,  403  ff.).  Es  ist,  als  ob  der  Mensch 
hier  eine  Schule  der  Leichenverbrennung  durchgemacht  habe.  Leichen 
findeu  sich,  die  gänzlich  eingeäschert  sind,  Leichen,  die  nur  zum  Teil 
verkohlt  sind,  Leichen,  die  kaum  eine  Spur  der  Verbrennung  tragen. 
Man  kann  „Leicbengräber"  und  „Ascheugräber"  unterscheiden;  bei  deu 
erstereu  sind  die  Reste  der  Verbrennung  auf  ihrem  Platze  unberührt 
liegen  geblieben,  bei  den  letzteren  in  besondere  Gefässe  gesammelt  worden. 


Digitized  by  Google 


84 


Bestattung  —  Beutel. 


Auch  Beigaben  aller  Art  finden  sieb,  sowohl  solche,  die  mit  dem 
Toten  verbrannt  wurden,  als  anch  solche,  die  nachher  an  dem  Grabe 
oder  in  den  Totenhäusera  —  denn  anch  solche  sind  nachgewiesen  — 
niedergelegt  worden.  Wenn  wir  es  demnach  in  Surghul  und  El  Hibba 
zweifellos  mit  den  Ruinen  altbabylonischer  Feuernekropolen  zn 
tbun  haben,  so  ist  der  Leichenbrand  doch  kaum  eine  semitische 
Erfindung.  Altsemitischer  Brandl  ist  vielmehr  das  Begräbnis  der  Toten, 
wie  es  sich  bei  Hebräern,  Phoeniziern  und  Arabern  findet,  die  mit  dem 
Babylonisch-Assyrischen  auch  das  Wort  hebr.  qdbar  ,begraben'  gemein 
haben.  Fritz  Hommel  (brieflich)  ist  daher  der  Meinung,  dass  das  Ver- 
brennen der  Toten  eine  Einrichtung  der  Sumerer  sei,  auf  die  (s.  u. 
Erz)  wohl  auch  die  Erfindung  der  in  jenen  Nekropolen  vielfach  nach- 
gewiesenen Bronze  zurückgeht. 

In  Europa  hat  sich  der  Leichenbrand  neben  dem  Begräbnis  wie  in 
der  älteren  Eisenzeit  (s.  o.),  so  später  erhalten,  bis  die  christliche  Kirche, 
die  dem  alten  Testament  ihre  Vorliebe  für  das  Begräbnis  verdankte, 
sowohl  der  Verbrennung  wie  auch  der  Bestattung  in  Hügeln  u.  dergl. 
statt  auf  dem  gottgeweihten  Kirchhof  ein  Ende  machte.  —  S.  noch 
u.  Friedhof  und  u.  Sarg. 

Betonie.  Betonica  ofßcinalis  L.  ist  eine  schon  von  Griechen 
und  Römern  geschätzte  Heil-  und  Zauberpflanze.  Bereits  im  Altertum 
war  eine  (fälschlich)  dem  Leibarzt  des  Augustus,  Antonius  Musa,  zuge- 
schriebene Abhandlung  De  herba  Vettonica  vorhanden,  in  der  die 
Pflanze  als  Heilmittel  gegen  47  Krankheiten  empfohlen  wurde.  Über 
den  Namen  griech.  ßcrroviKn.  (Diosk.),  lat.  vettonica  äussert  sich 
Plinius  XXV,  84:  Vettones  in  Ilixpania  eam  quae  Vettonica 
dicitur  in  Gallia,  in  Italia  autem  serratula,  a  Graecis  cestros 
aut  p8ychrotrophon}  ante  cunetas  laudatisaima.  Der  Ausgangs- 
punkt des  Wortes  ist  also  wohl  im  Altgallischen,  wo  auch  der  Mistel- 
abcrglaube  (s.  u.  Mistel)  wurzelt,  zu  suchen. 

In  Deutschland  begegnet  die  vittonica  in  den  zwei  Inventaren  kaiser- 
licher Gärten  vom  Jahre  812.  Ein  agls.  Kräuterbuch  (vgl.  HoopsAlt- 
engl.  Pflanzenn.  S.  45)  beschreibt  die  Wirkungen  der  bitönke  genau 
mit  den  Worten  des  Dioskorides.  Bei  der  heiligen  Hildegard  heisst 
die  Pflanze,  wie  auch  in  lat.  Glossen  pandonia,  deutsch  bathenia, 
beides,  wie  auch  die  neueren  batänie,  battunie,  patönig  u.  s.  w.  Ver- 
stümmlungen aus  bettonica.  Vgl.  noch  agls.  biscopwyrt  und  nhd.  pfaffen- 
blume  (Pritzel  und  Jessen  Deutsche  Volksn.  S.  388).  Poln.  etc.  buktcka 
,Betonie'  :  buk  ,Buche'  (vgl.  Miklosich  Et.  W.  d.  slavischen  Spr.).  — 
Andere  Heilpflanzen  s.  u.  Arzt. 

Bett,  s.  Hausrat. 

Bettler,  s.  Reich  und  arm. 

Beute,  8.  Krieg. 

Beutel,  s.  Geldbeutel. 


Digitized  by  Google 


Bewaffnung  —  Biene,  Bienenzucht. 


Bewaffnung,  s.  Waffen. 
Bezahlnngsmittel,  s.  Geld. 

Biber.  Er  war  schon  den  Indogermanen  bekannt  und  ursprüng- 
lich über  fast  ganz  Europa  verbreitet.  Auch  in  der  südrussischen  Steppe 
(s.  u.  Urheimat»  kam  er  noch  im  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts 
in  den  Gouvernements  Simbirsk  und  Kasan  vor  (vgl.  A.  Nehring  Tun- 
dren und  Steppen  S.  105  und  Z.  d.  Gesellsch.  f.  Erdkunde  zu  Berlin 
XXVI,  322).  Sein  idg.  Name  lautet  aw.  bawri-  (scrt.  bdbhru-  ,braun', 
^grosser  Ichneumon'),  tat.  fiber  (das  späte  beber  aus  dem  Germanischen), 
korn.  befer,  ahd.  bibar  (bibarizzi,  bibartcurz  ,castoreum'),  lit.  böbrtts, 
altsl.  bebrü.  Im  Litauischen  besteht  noch  däbras.  Ob  es  zu  lat.  faber 
,Künstler',  got.  gadöfs  ,schicklich',  lit.  dabinü  ,schmttckc'  oder  zu  kelt. 
ir.  dobar  ,Wasser',  ir.  dobrän  ,fiber\  ,Otter',  dobor-chti  ,Wasserhund' 
=  Otter,  Biber  (vgl.  noch  altpr.  dobringe  ,rivus)  gehört,  ist  zweifel- 
haft. Nach  dem  Tiere  sind  auf  keltischem  wie  germanischem  Boden 
zahlreiche  Orte  benannt:  Bibrax,  Bibracte,  Biberach,  Bibrich  etc. 

Nur  in  Griechenland  fehlt  Wort  und  Sache.  Zuerst  berichtet  Herodot 
(IV,  109)  aus  dem  Lande  der  nordpontischen  Budinen  von  Kdorope?. 
Auch  kennt  er  bereits  den  Gebrauch  des  Bibergeils  zu  niedicinischen 
Zwecken  (ol  öpxi€?  auroiffi  eiffi  xPH^MOi  i$  üo*T€p^uiv  äicccriv).  Nach 
ihm  nennt  Aristoteles  Hist.  anim.  VIII,  7,  5  den  tcctö"ru>p  neben  dem 
XdTa£,  von  dem  er  erzählt,  dass  er  Nachts  ans  Ufer  gehe  und  mit  den 
Zähnen  Stämme  abschneide.  Aus  eigener  Anschauung  scheint  er  das 
Tier  aber  nicht  zu  kennen.  Unter  diesen  Umständen  wird  Käffrwp  ein 
Fremdwort  sein.  Schwerlich  wird  man  es  an  öeremiss.  (budinisch) 
yundur,  yondyr  , Biber'  (vgl.  Tomaschek  Kritik  der  ältesten  Nachrichten 
über  den  skythischen  Norden  II,  26)  anknüpfen  können.  Wahrscheinlich 
beruht  KäoTwp  , Biber'  vielmehr  auf  einer  Verwechslung  mit  scrt.  kastüri 
(in  Tibet  kosterah)  ,Moschu stier*.  Veranlassung  zu  derselben  gab 
dann  die  Ähnlichkeit  des  stark  duftenden  Bibergeils  mit  dem  aroma- 
tischen Beutel  des  Moschustieres,  von  dessen  Bekanntschaft  bei  den 
Alten  freilich  sonst  keine  Spuren  vorhanden  sind.  Erst  bei  dem  Kirchen- 
vater Hieronymus  Contra  Jovinianum  lib.  2  findet  sich  lmincus  (woraus 
it.  musco  u.  s.  w.).    Vgl.  Beckmann  Beiträge  V,  49. 

Biene,  Bienenzucht.  Der  idg.  Rauschtrank  war  der  aus  Honig 
hergestellte  Met:  scrt.  mddhu-  ,Süssigkeit,  Honig'  (auch  der  Sorna), 
aw.  madu-  .Honig'  (npers.  mei  ,Wein'),  mada-  ,Rauschtrank'  (das 
aber  auch  dem  scrt.  mada-  id.  entsprechen  kann),  griech.  p^8u  ,Wein', 
H^6r|  ,Trunkenheit',  ahd.  mMo,  mitu,  altn.  mjödr  (spätlat.  medus)  ,Mct", 
ir.  mid  ,Met',  korn.  med  ,sicera'  (ir.  mesce  aus  *medce  ,Trunkenheit'i, 
altsl.  medü,  altpr.  meddo  , Honig',  lit.  midüs  ,Mef,  medüs  , Honig'  (s. 
auch  u.  Opfer,  Mahlzeiten  und  Trinkgelage,  Nahrung).  Daneben 
besteht  für  den  Honig  ein  auf  das  Armenische  und  mehrere  europäische 
Sprachen  beschränkter  Ausdruck:  armen,  melr,  grieeb.  uc'Xi  (dazu 


Digitized  by  Google 


86 


Biene,  Bienenzucht. 


ßXrrnu  ,zeidcle'  ans  *mlittö),  lat.  mel,  got.  milip,  ir.  mil,  alb.  mjaV. 
Für  das  Wachs  giebt  es  die  Gleichungen  griech.  tcripö;,  lat.  cera, 
lit.  köris  und  ahd.  wahs,  altsl.  voskü,  lit.  tcäszkas  (doch  sind  die  beiden 
letzteren  Wörter  vielleicht  dem  Germanischen  entlehnt). 

Es  kann  also  nicht  bezweifelt  werden,  dass  der  Honig  in  der  Ur- 
heimat der  Indogermanen  bekannt  war,  und  dass  daselbst  demnach  auch 
die  Biene  zu  Hause  gewesen  sein  muss.  Wenn  kein  sicherer  gemein- 
samer Name  für  das  Tier  besteht,  so  kann  dies  darin  seinen  Grund 
haben,  dass  die  Indogermanen  nur  den  Honig  der  wilden,  d.  h.  noch 
nicht  in  von  Menschen  angebotenen  Wohnungen  angesiedelten  Biene 
kannten  und  verwendeten  und  daher  dem  Insekt  selbst  noch  weiter 
keine  Beachtung  schenkten,  dessen  Name  daher  vielfach  mit  dem  ähn- 
licher Tiere  wie  Hummel  oder  Wespe  zusammenfliesst.  Dies  gilt  von 
sert.  bambhara-  ,Biene"  (Lex.) :  griech.  Trcuxppnbuiv  ,eine  Wespenart',  von 
ahd.  treno,  agls.  dran  .Drohne,  Hummel'  :  griech.  T€v8pn,vn  ,eine  Art 
Wespe  oder  Hummel',  Tcvepnbwv,  dvepnbwv,  lak.  Opwvaf  ,Drohne',  dv- 
epnvn.  ,Waldbiene',  von  griech.  Kn.<pnv  ,Drohne',  das  von  einigen  mit 
altsl.  capü  ,Bicne'  (*kfph-)  verglichen  wird,  vielleicht  aber  eher  zu 
ahd.  humbal  jHnmmel'  zu  stellen  ist  (*kmbh-  :*kmbh-;  vgl.  wegen  des 
/  :  ahd.  himil  :  got.  himins).  Auf  Wurzel  verwand  tschaft  beruht  die 
Reibe  :  ahd.  bini  und  bia,  altpr.  bitte,  lit.  bitis,  ir.  bech.  Ein  freilich 
noch  nicht  aufgeklärter  Zusammenhang  wird  auch  stattfinden  zwischen 
lat.  apiß,  gall.  am(p)ella  ,Bienensug'  (eine  Pflanze)  und  ahd.  imbi 
, Bienenschwarm'  (während  P.  Horn  Grundriss  d.  npers.  Et.  S.  254 ff. 
das  lat.  Wort  mit  npers.  eng  ,Biene'  zu  vermitteln  versucht;  von  ahd. 
imbi  ist  griech.  duTtiq  ,Stecbmttcke'  der  Bedeutung  wegen  wohl  fern 
zu  halten).  Griech.  .ucXiaaa  ,Biene'  und  alb.  mjal'tse  id.  sind  in  gleicher 
Weise  von  den  oben  genannten  Wörtern  für  Honig  abgeleitet.  Ono- 
matopoetisch sind  sert.  bhramard-  , Biene'  :  nhd.  brummen  (vgl.  auch 
P.  Horn  a.  a.  0.),  griech.  ßoußuXn.  ,eine  Bienenart',  ßoußuXiö?  , Hummel' : 
ßouß&u  (Uber  ßÖMßu£  s.  u.  Seide),  altsl.  büceht  u.  a.  m.  Vgl.  noch 
lit.  kamäne  .Erdbienc",  altpr.  camus  , Hummel'. 

Die  Honigbiene  kommt  spontan  in  dem  grössten  Teil  Europas,  na- 
mentlich auch  im  südliehen  Russland  (s.  u.  Urheimat),  vor,  wo  östlich 
von  dem  Mittellauf  der  Wolga,  zwischen  Orcnburg  und  Perm  das 
„Honiglandu  der  heutigen  Baschkiren,  grösstenteils  Steppengebiet  sich 
erstreckt  (vgl.  über  dasselbe  F.  W.  Gross  Das  neue  Ausland  I  Jahrg. 
H.  17  —  19).  In  Asien  ist  die  Honigbiene  dagegen  nur  in  einer  schmalen 
Zone  zu  Hause,  die  von  West  nach  Ost  über  Kleinasien.  Syrien,  Nord- 
arabien, Pcrsiei),  Afghanistan,  das  Himalayagebirge,  Tibet  und  China 
läuft.  Als  nicht  ursprünglich  ist  sie  nachgewiesen  worden  in  Turkestan, 
also  in  den  Oxns-  und  Jaxartesländern,  wo  von  J.  G.  Rhode  an  (vgl. 
Vf.  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte8  S.  10 1  bis  heute  die  Ursitze 
der  Indogermanen  von  zahlreichen  Gelehrten  gesucht  worden  sind,  und 


Digitized  by  Google 


Bieue,  Bienenzucht. 


87 


jenseits  des  Ural,  in  Sibirien,  wo  sie  jetzt  zwar  verbreitet,  aber  erst 
seit  dem  Jahre  1775  eingeführt  worden  ist  (vgl.  Fr.  T  h.  Koppen 
Ein  neuer  tiergeographischer  Beitrag  zur  Frage  Uber  die  Urheimat 
der  Indoeuropäer  und  Ugrotinnen  Ausland  1890  Nr.  51).  Den  Mittel- 
punkt der  beachtenswerten  Ausführungen  dieses  Naturforschers  bildet 
die  merkwürdige  Übereinstimmung  des  oben  besprochenen  idg.  *medhu- 
lnit  der  finnisch-ugrischen  Benennung  des  Honigs,  finn.  m€si.  St.  niete-, 
mordv.  med,  cer.  wi/,  syrj.  ma,  ostj.  mag,  wog.  mau,  ung.  m&z,  eine 
Übereinstimmung,  die  auch  nach  W.  Thomsen  Über  den  Einflnss  d. 
gerra.  Sprachen  S.  2,  Beröringer  S.  200  nicht  auf  späterer  Entlehnung 
des  Finnischen  aus  einer  idg.  Einzelsprache  bernhen  kann,  so  dass 
hier  in  der  That  ein  gemeinsamer,  prähistorischer  Besitz  der  Indoger- 
tnanen  und  Finnen  vorzuliegen  scheint. 

Eigentliche  Bienenzucht  ist  erst  nach  Trennung  des  idg.  Urvolks 
aufgekommen,  im  Norden  Europas  zunächst  die  wilde  Waldbieneuzucht 
an  Zeidelbäumen,  im  Süden  die  zahme  Bienenzucht  in  Bienenstücken, 
die  dann  allmählich  auch  nach  dem  Norden  vorgedrungen  ist.  Bei 
Homer  lässt  sich  noch  keine  Spur  derselben  nachweisen.  Erst  iu  der 
hesiodeischen  Theogonie,  wo  auch  die  Arbeitsbienen  (ueXiCHJai)  und 
Drohnen  (Kn.<pfjv€q)  zuerst  unterschieden  werden,  treten  die  künstlichen 
Bienenkörbe,  die  0\xr\vr\  und  aiußXoi  (  :  ahd.  seim  , Honigseim',  altn. 
hunangsaeimr  ,Wabe'?  vgl.  Pott  Beitr.  z.  vergl.  Sprachf.  II,  277) 
hervor.  Wie  alt  iui  Norden,  auf  keltischem  und  germanischem  Boden, 
die  Waldbienenzucht  sei,  lässt  sich  nicht  sagen.  Nachrichten  wie  die 
des  Strabo  IV,  p.  201  über  das  bochnordische  Thüle:  nap'  ol?  bi  ohoq 
kcu  mcXi  -f«TV€Tai  ko.1  tö  TTÖjua  ^vt€ö9£v  oder  die  des  Plinius  Hist. 
nat.  XI,  33,  nach  der  man  in  Germanien  eine  Wabe  (mhd.  räze, 
das  schon  in  der  Reichenauer  Glossenhandsehrift  als  frata  mellis  be- 
zeugt ist)  von  8  Fuss  Länge  gefunden  habe,  können  sich  natürlich 
auch  auf  das  Erzeugnis  wilder  Bienen  beziehen.  Jedenfalls  nehmen 
aber  die  leges  barbarorum  von  Anfang  an  sowohl  auf  die  Zeidelwcide, 
wie  auch  auf  die  Bienenzucht  in  ordentlichen  Bienenhäusern  eingehende 
Rücksicht  (vgl.  darüber  Anton  Deutsche  Landwirtschaft  I,  163  ff.),  über 
den  westgerra.  Ausdruck  ahd.  bia-bröt,  agls.  beö-bredd  s.  u.  Brot,  Uber 
die  Verwendung  des  Honigs  zum  Bier  s.  d.  Auch  die  Slavenlande, 
in  denen  ebenso  wie  iu  dem  benachbarten  Litauen  sich  das  Honig- 
sammeln  in  den  Wäldern  bis  in  die  Gegenwart  erhalten  hat  (vgl.  V. 
Hehn  Kulturpflanzen6  S.  565),  zeichneten  sich  schon  nach  dem  Bericht 
Abraham  Jakobsens  vom  Jahre  973  durch  Überfluss  au  Korn,  Fleisch, 
Honig  und  Fischen  aus.  Wein  und  starkes  Getränk  wurden  ans  Honig 
bereitet. 

Die  Bezeichnungen  der  Bienenkörbe  in  den  nordischen  Sprachen 
gehen  vielfach  von  der  Grundbedeutung  ,Trog,  Tonne'  aus.  So  bedeutet 
ahd.  biutta  .Backtrog'  uud  .Bienenkorb',  agls.  hyf,  engl,  hire  ist  = 


Biene,  Bienenzucht  —  Bier. 


lat.  cüpa,  litu-slavisch  atcilgs-ulej  beruhen  auf  Urverwandtschaft  mit 
lat.  alceun  ,Trog',  auch  »Bienenkorb'.  Dem  gegenüber  entspricht  altpr. 
drawine  .Beute',  .wilder  Bienenkorb',  lit.  drawi*  , Waldbienenstock' 
dem  got.  triu  ,Baum'  (*tretoa-).  Dunkel  sind  ahd.  zidal  iu  zidaldri, 
zidaheeida  und  russ.  bortl  ,  Waldbienenstock '  {*berti :  agls.  bord  , Brett, 
Tafel'  etc.?». 

Zwei  noch  nicht  aufgeklärte  Bezeichnungen  des  Honigs  sind  ahd. 
honang  und  altsl.  strüdü.  Die  kulturhistorische  Bedeutung  des  Honigs 
als  des  hervorragendsten  Versttssungsmittels  der  Speisen  und  Getränke 
ist  im  Altertum  und  Mittelalter  eine  ausserordentliche,  bis  sie  durch 
den  allmählich  auf  kommenden  Zucker  (s.  d.)  eingeschränkt  wird.  — 
Allgemeines  Uber  Bienen  und  Bienenzucht  s.  bei  E.  Hahn  Die  Haus- 
tiere S.  379  ff. 

Bier.  Mit  dem  Übergang  der  Indogermanen  Europas  zum  Acker- 
bau (8.  d.)  und  dem  Anbau  der  wichtigsten  Getreidearten  waren  die 
Voraussetzungen  für  die  Herstellung  eines  bierartigen  Getränkes  an 
Stelle  des  urzeitlichen  Metes  (s.  u.  Biene)  gegeben-  Ob  die  ersten 
Anfange  eines  solchen  bereits  in  die  Zeit  vorhistorischer  Zusammen- 
hänge zurückgehen,  lässt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen.  Immerhin 
weisen  Gleichungen  wie  gemeingenn.  ahd.  briuwan,  agls.  breötcan, 
altn.  brttgga  ,brauen'  :  thrak.-phryg.  ßpöxov  .gebrautes',  ßpoüro^  •  Ik 
tcpiGwv  rcöuct  Hes.  (vgl.  auch  lat.  de-fru-tu-m  ,eingekochter  Most'),  ferner 
anscheinend  urverwandte  Ausdrücke  für  Treber  und  Hefe  :  ahd. 
trebir,  isl.  draf,  agls.  dreef  (*dhrap~)  neben  ahd.  trestir,  agls.  d&rstan, 
ahd.  truonna,  agls.  drösn  (*dhraq-8)  =  lat.  fraces  ,Oelhefen'  (vgl.  auch 
alb.  drä  ,Bodengatz  des  Öls'  aus  *dragd,  altn.  dregg  aus  *dragja, 
altpr.  dragios,  altsl.  droidija  :  *dhragh-?)  sowie  auch  agls.  beorma 
, Bärme'  =  alb.  brum  »Sauerteig*,  lat.  fermentum  ,Hefe,  Gährungsmittcl, 
Bier'  (s.  auch  u.  Brot)  darauf  hin.  Vgl.  auch  die  auf  den  germauisch- 
slavischen  Norden  beschränkte  Übereinstimmung  von  agls.  ealu,  ealod, 
altn.  öl,  lit.  a1ü8  (woraus  finn.  olut)  .Bier',  altsl.  olü  ,Bier',  ,sicera', 
altpr.  alu  ,Met',  St.  *alut-  (das  Etymon  s.  u.  Alaun).  —  Waren  aber  von 
den  Indogermanen  in  vorhistorischer  Zeit  Anfänge  der  Bierbereitung 
gemacht  worden,  so  hatten  jedenfalls  Griechen  und  Römer,  in  ihrer 
neuen  Heimat  mit  dem  Weine  bekannt  geworden,  dieselben  längst 
vergessen,  ganz  ähulich,  wie  die  schon  in  der  Urzeit  bekannte  Butter 
(s.  d.)  im  Süden  hinter  der  Gabe  des  Ölbaums  (s.  d.)  zurückgetreten 
ist.  Doch  haben  sie  uns  zahlreiche  Nachrichten  hinterlassen,  welche 
von  der  Bekanntschaft  mit  einem  aus  Getreide  hergestellten  Trank  im 
ganzen  übrigen  Europa  und  dem  angrenzenden  Kleinasien  sowie  im 
alten  Aegypten  zeugen.  Die  wichtigsten  derselben  nebst  den  betreffen- 
den Namen  des  Bieres  in  den  einzelnen  Ländern  sind  folgende: 

Die  älteste  Kunde  von  dem  Genuss  eines  „Bräusa  bei  Phrygern  und 
Thrakern  giebt  der  parische  Dichter  Archilochus  (Athen.  X  p.  447): 


Digitized  by  Google 


Bier. 


89 


üj<JTT€p  bi*  aüXoC  ßpürov  fj  0prjiE  ävfjp 

f|  <ppüE  eßpu£€,  Kußba  b'  r^v  7rov€UMtvrj 
(vgl.  dazu  Vf.  K.  Z.  N.  F.  X,  5,  470  f.;  s.  auch  n.). 

Das  in  diesen  Versen  zuerst  erwähnte  ßpürov  ,Bräu'  wurde  schon  er- 
klärt. Die  auf  Pfählen  wohnenden  Paeonier  tranken  nach  Hekatacus 
(b.  Athen.  1.  c.)  ebenfalls  ßpürov  &tt6  twv  Kpi8€u>v,  dazu  Trapaßitiv  dirö 
K^rxpou  (Hirse)  Kai  kovuCti?  (d-  h.  mit  Zuthat  de«  stark  duftenden 
Krautes  icovüZn.).  Iu  Illyrien  und  Pannonien  wurde  ein  Bräu 
getrunken,  das  die  Römer  sabaja,  sabajum  nannten;  später  tritt  in 
diesen  Gegenden  ein  zuerst  im  Maximaltarif  des  Diocletian  (ed.  Blümner 
S.  70)  genanntes  camum-Ka^ov  auf.  Von  den  drei  zuletzt  genannten 
Ausdrücken  scheint  nur  bei  dem  illyrisch-pannonischen  sabaja  (vgl.  die 
Stellen  bei  V.  Hehn  a.  u.  a.  O.  S.  145)  eine  Anknüpfung  möglich  zu 
sein,  insofern  es  nahe  liegt,  mit  ihm  den  Namen  des  thrakisch-phry- 
gischen  Dionysos,  Sabazios,  zu  verbinden.  Setzt  man  mit  Kretschmer 
Einleitung  S.  195  als  echte  Namensform  dieses  Gottes  Savadios  an, 
so  steht  nichts  im  Wege,  auch  in  sabaja  b  als  Vertreter  vou  v  auf- 
zufassen (*saraia-).  In  diesem  Falle  könnte  mau  scrt.  sacd-  , Kelterung' 
heranziehen :  sabaja  wäre  »gekeltertes',  Sabazios  ,Gott  der  Kelteruug' 
(vgl.  u.  altgall.  Braciaca  ,Gott  des  Malzes  ).  Wohl  gleichfalls  eine 
nordische  Bezeichnung  des  Bieres  ist  das  von  Aristoteles  (b.  Athen.  1.  c.) 
in  seiner  verlorenen  Schrift  rapi  niQx\$  genannte  rrivov,  an  slav.  pico 
,Getränk,  Bier',  altpr.  piwis  ,Bier  (s.  u.)  erinucrnd.  Die  Bekanntschaft 
der  alten  Deutschen  mit  dem  braunen  Tranke  bezeugt  Tacitus 
Germ.  Cap.  23:  Potui  humor  ex  kordeo  auf  frumento,  in  quandam 
similüudinem  vini  corruptus,  wobei  man  unter  frumentum  nach  ital. 
formentOy  altfrz.  frument,  frz.  froment  am  wahrscheinlichsten  Weizen 
zu  verstehen  haben  wird.  Ein  altgermanischer  Name  für  das  Bier  wird 
aber  von  den  Römern  nicht  Uberliefert.  Überaus  häufig  sind  ferner  die 
Nachrichten  der  Alten  Uber  das  keltische  Bier,  deren  älteste  in  dem 
bei  Strabo  (IV,  p.  201  >  aufbewahrten  Bericht  des  Pytheas  hinsichtlich 
der  brittiscbcn  Kelten  enthalten  ist:  Tiap'  oi?  b€  Oito?  Kai  p^Xi  (s.  u.) 
tWvtTai  Kai  tö  Tröua  £vTeu0ev  £x*iv.  Der  altgallische  Name  des 
Getränkes  lautete  KÖpua,  KoOpm;  er  ist  noch  in  ir.  cuirm  etc.  erhalten. 
Ein  zweiter  weitverbreiteter  keltischer  Name  des  Bieres  liegt  in  ir.  lind, 
kymr.  llynn  vor  =  Hendu,  noch  unaufgeklärt.  In  Zusammenhang 
aber  mit  KÖpua,  Koöpm  steht  offenbar  das  von  Plinius  XXII,  164  aus 
Spanien  gemeldete  cerea,  das  in  Gallien  nach  demselben  Autor  cer- 
vesia  (so  mlat.  u.  rom.)  lautete.  Vgl.  noch  Plinitks  XIV,  149:  Est  et 
occidentis  populis  sua  ebrietas  fruge  madida  pluribus  modln  per 
Gallias  Hispaniasque,  nominibus  aliis  sed  ratione  eadem.  Hispa- 
niae  iam  et  vetustatem  f er  re  ea  gener  a  docuerunt. 
Wie  der  Gebrauch  des  Bieres  im  Osten  zu  Thrakern,  Phrygern  und 
Armeuiern  's.  u.j  übergeht,  so  lässt  er  sich  im  Westen  von  Spanien 


Digitized  by  Google 


90 


Bier. 


hinüber  nach  Afrika  verfolgen.  Im  alten  Ägypten  war  Bier  neben 
dem  Wein  der  Vornehmen  das  gewöhnliche  Volksgetränk ;  doch  gehört 
der  von  den  Alten  für  das  ägyptische  Bier  gebranchte  Ausdruck  ZvQoq 
kaum  dem  Ägyptischen  an,  welches  das  Bier  vielmehr  hekt  nennt, 
sondern  entstammt  eher  dem  Griechischen  selbst  (Zöeo?  ,Bier'  :  Cuun. 
Sauerteig';  vgl.  oben  lat.  fermentiim).  Sehr  interessante  Nachrichten 
Uber  die  ägyptische  Bierbrauerei  aus  der  Ptolemäerzcit  enthält  der  Auf- 
satz Karl  Wesselys  Zythos  und  Zythera  (XIII  Jahresb.  d.  k.  k.  Staats- 
gymnasiums in  Hernais.  Wien  1887). 

Hinsichtlich  der  Beschaffenheit  des  ältesten  europäischen  Bieres 
muss  man  den  Gedanken  an  unser  modernes  Getränk  ziemlich  bei  Seite 
lassen.  Zunächst  fehlte  ihm  der  Hopfen.  Uber  diese  KulturpHauze 
ist  in  einem  besonderen  Artikel  gehandelt  worden,  in  dem  gezeigt 
worden  ist,  dass  der  Anbau  und  die  Verwendung  des  Hopfens  beim 
Bierbrauen  sich  erst  im  Mittelalter  durch  slavische  Vermittlung  von 
finnischen  und  tatarischen  Völkern  her  in  Europa  verbreitet  hat.  Sollte 
es  lautgeschichtlich  gestattet  sein,  die  germanische  Sippe  von  ahd.  bior, 
agls.  beör,  altn.  bjdrr,  in  der  man  früher  vielfach  eine  einheimische 
Weiterbildung  aus  agls.  beö,  altn.  btjgg  ,Gerste'  erblickte,  mit  E.  Kuhn 
(K.  Z.  XXXV,  313  f.)  als  verhältnismässig  späte  Entlehnuug  aus  altsl. 
piro,  *pires-,  altpr.  pittis  ,Bicr'  aufzufassen,  so  läge  die  sachlich  an- 
sprechende Möglichkeit  vor,  in  agls.  beör  u.  s.  w.  einen  Ausdruck  für 
das  gehopfte,  in  agls.  eaht  u.  s.  w.  einen  solchen  für  das  ungehopfte 
Bier  anzuerkennen.  Ein  Gegensatz  zwischen  beiden  Wörtern  tritt  schon 
im  Alvismäl  hervor:  öl  heitir  med  mönnum,  en  med  Asum  björr, 
und  noch  die  heutigen  Engländer  unterscheiden  so  zwischen  beer  und 
die.  Ein  agls.  Synonym  von  ealu  ist  mcatan,  schott.  Stents  ,Bicr'  : 
engl,  sieeet  ,süss".  Indessen  ist  der  Hopfen  in  Europa  vielleicht  nicht 
das  erste  Ingredienz  gewesen,  welches  man  verwendete,  um  dem  Biere 
einen  aromatischen  und  bitterlichen  Geschmack  zu  geben.  Schon  oben 
lernten  wir  bei  den  Paeonicrn  die  icovuZn,  kennen.  In  Aegypten  ver- 
wendete man  hierzu  nach  Columella  X,  1 14  (vgl.  Wessely  S.  39)  siser  [Sium 
Sisarum  L.\,  Assyria  radix  (Rettig)  und  Wolfsbohne  (Lupinus  hir- 
sutus  und  angufitifblius  L.).  Für  Europa  könnte  man  auch  an  Eichen- 
rinde, Fichtensprossen,  Schafgarbe  u.  dgl.  als  Bieringredienzen  denken 
(vgl.  O'Cnrry  Manners  and  cnstoms  of  the  ancient  Irish  I,  CCCLXXIII). 
Zweitens  hat  sich  die  Kunst  des  Mälzens  offenbar  erst  ganz  allmählich 
in  Europa  entwickelt.  In  der  ältesten  Zeit  wird  man  das  gequollene 
Getreide  unmittelbar'  zur  Bierbereituug  benutzt  haben.  So  kommt  es, 
dass  bei  den  Armeniern  nach  Xenophons  Anabasis  (IV,  5,  26)  in  den 
KpaTn.p€£  noch  die  Gerstenkörner  herumschwammen  (^vfiöav  bk  Kai  au- 
tcTi  ai  xptBai  iaoxciXci?),  so  dass  man  beim  Trinken  Rohrhairae  an- 
wendete, um  die  Körner  nicht  in  den  Mund  zu  bekommen.  Auf  das 
gleiche  scheinen  die  oben  genannten  Verse  des  Archilochus  anzuspielen: 


Digitized  by  Google 


Bier. 


91 


„Gleichwie  der  Thraker  oder  Phrvger  durchs  Rohr  sein  Bräu  hinnnter- 
gurgelt,  also  mit  vorgeneigtem  Kopf"  u.  8.  w.  Doch  wurde  bei  den 
Kelten  nach  Pogidonius  (bei  Athen.  IV  p.  152)  das  Bier  bereits  aus 
xuaeoi  und  bei  den  Germanen  und  anderen  Völkern  aus  Hörnern  (g.  u. 
Horn)  getrunken.  Heute  wurde  jenes  alteuropäische  Bier  zubereitet, 
und  morgen  schon  vertilgt.  So  beschreibt  es  Lasicius  De  diis  Sania- 
gitarum  S.  44  bei  den  Litauern :  Cercisia  in  va*h  er  cortieibus  facti», 
positis  intus  saxis  fercidis,  ex  aqua,  frumento,  lupulo,  una  nocte 
cocta  protinus  faecex  aeeipit  posteroque  die  bibitur  („eine  nette  Art, 
den  Darm  zu  reinigen",  fügt  der  Schriftsteller  hinzu).  Die  Kunst,  das  Bier 
baltbar  zu  machen,  wäre  nach  Plinius  a.  o.  a.  0.  in  Spanien  erfunden 
worden.  Auch  mnsste  die  unvollkommene  Malzbereitung  nur  einen 
geringen  Zuckergehalt  des  Bieres  liefern.  Die  alten  Völker 
griffen  daher,  um  das  Getränk  zu  versüssen,  zu  dem  altgewohnten 
Honig,  so  dass  dieses  älteste  Bier  am  besten  als  ein  Übergangsgetränk 
vom  Met  zum  eigentlichen  Biere  aus  Malz  und  Hopfen  aufgefasst  werden 
kann.  Zu  dem  schon  oben  genannten  Zeugnis  des  Pytheas  hierfür 
kommt  noch  das  bei  Diodorus  Sicnlus  V,  2G:  biÖTrcp  xüüv  TaXaTuiv  ol 

TOUTUUV  TUÜV  KapTTtÜV    (TOÖ  01V0U)    0*TeplÖXÖli€VOl    7rÖliCl  KOTa(jK€ud£0U0~lV 

Ik  Tf)£  KpiOfjq  tö  TrpoffaYopcuoiievov  2ü8oq,  Kai  xä  «npia  ttXOvovtc? 
tuj  toutujv  OTTOTrXüpaTi  xpwvTat,  und  das  des  Posidonius  (a.  a.  0.):  irapd 

bk  TO»?  U1T0be€ÖT^p0»?  ZÜBO$  TTÜpiVOV  U€TOl  li€'XlTO?  40*K€Ua0*U€V0V. 

Da  die  Fortschritte  der  Bierbrauerei  also  ausser  an  die  Einführung 
des  Hopfens  wesentlich  an  die  Fortschritte  in  der  Kunst  des  Malzens 
gebunden  sind,  so  sei  hier  noch  das  Hervortreten  dieses  Begriffes  in 
den  nordeuropäischen  Sprachen  kurz  erörtert.  Der  gemeinkeltische 
Name  des  Malzes  ist  altir.  braich,  korn.  bräg,  kymr.  brag  (vgl.  auch 
altkorn.  bracaut,  gl.  mulsnm)  =  *mraci-,  das  auch  in  dem  von  Plinius 
XVIII,  62  genannten  altgallischen  bracem  (Gl. :  braces)  ,eine  Speltart'  (lat. 
Hcandala)  vorliegt.  Die  Grundbedeutung  wird  frux  madida  (*mraci- :  lit. 
mafkti  ,einweichen')  sein.  Nach  Holders  altkeltischem  Sprachschatz 
wäre  mit  diesem  Wort  auch  ein  altgallischer  Beiname  des  Mars:  Braci- 
äca  (C.  I.  L.  VII,  176:  Deo  Marti  Braciacae)  als  ,Gott  des  Malzes' 
zu  verbinden,  wozu  man  das  Epigramm  des  Kaisers  Julian  auf  den 
keltischen  Gersten-Bacchus  (bei  Hehn  a.  u.  a.  O.  S.  147)  vergleiche.  Im 
Mittellateinischen  ist  bracium  dann  der  gewöhnliche  Ausdruck  für  Malz, 
und  auch  die  romanischen  altfr.  brau  ,Malz',  braver,  altsp.  bramr 
,brauen'  beruhen  in  letzter  Instanz  auf  dieser  keltischen  Sippe.  Nach 
einigen  wären  aus  derselben  zur  Zeit  des  Aufenthalts  keltischer  Stämme 
an  der  untern  Donau  auch  die  slavo-litauischen  Ausdrücke  russ.  braga 
,Getränk  von  Gerste  und  Hirse',  klruss.  braha  .Art  Dünnbier"  etc.,  lit. 
brögas  ,Schlempe"  entlehnt  worden. 

Auch  die  Germanen  haben  ein  gemeinsames  Wort  für  das  Malz: 
ahd.  malz,  agls.  mealt,  altn.  malt :  altsl.  mladü  .zart'  (vgl.  russ.  molodl 


Digitized  by  Google 


32 


Bier  —  Birnbaum. 


,Bierwürzc).  Dasselbe  ist  in  die  meisten  Slavinen  (poln.  mloto  etc.). 
ins  Altpreussische  (pitcamaltan),  ins  Finnische  {mallas)  und  ins  Magya- 
rische (maldta)  übergegangen.  Ebenso  ist  ein  einheimischer  slavischer 
Name  des  Malzes:  russ.  solodü  etc.,  von  *sladü,  altsl.  sladükü  ,dulcis', 
in  zahlreiche  östliche  Sprachen  entlehnt  worden.  Es  lässt  sich  also 
in  Europa  hinsichtlich  der  Bekanntschaft  der  Völker  mit  dem  Malze 
eine  deutliche,  von  Westen  nach  Osten,  von  den  gallischen  Getreide- 
gefilden nach  den  Linden  Waldungen  des  Ostens  verlaufende  Kultur- 
Strömung  feststellen. 

Die  Herstellung  des  Bieres  ist  in  alten  Zeiten  überall  an  die  einzelnen 
Haushaltungen  gebunden  gewesen,  und  war  hier,  wie  alles  häusliche 
Werk,  vornehmlich  Sache  der  Frauen.  Besondere  Braustätten  (mansum 
cum  molendino  et  cum  podeUa  ad  braciare)  treten  erst  spät  auf 
(Anton  Geschichte  d.  deutschen  Landw.  I,  408).  —  Vgl.  V.  Hehn 
Kulturpflanzen6  S.  141  ff.  S.  auch  u.  Nahrung  (Getränke). 
Bilsenkraut,  s.  Farnkraut. 

Bimstein.  Griech.  Kio-ffriptq,  Kto-npi?  (dunkel),  lat.  pümex  ( :  spüma 
»Schaum',  ,Schaumstein'?),  woraus  abd.  bumiz,  agls.  pümicstdn  , Bim- 
stein'. Er  diente  schon  im  Altertum  zum  Polieren  verschiedener  Mine- 
ralien (vgl.  Lenz  Mineralogie  S.  19). 

Binse,  s.  Strick  und  Licht. 

Birke,  lietula  alba  L.  ist  einer  der  wenigen  Waldbäume,  deren 
Benennung  von  Europa  aus  sich  bis  in  die  arischen  Sprachen  verfolgen 
lässt  :  ahd.  birihha,  altsl.  breza,  lit.  htrias,  altpr.  berse,  scrt.  bhürja-, 
osset.  barse.  Die  Wurzel  ist  wahrscheinlich  scrt.  bhrdj  .glänzen*,  so 
dass  die  glänzende  Weissbirke  gemeint  ist,  die  nur  in  nördlichen 
Klimaten  gedeiht. 

Im  Süden  Europas  verschwindet  der  Baum  und  mit  ihm  sein  Name. 
Indessen  gehört  vielleicht  lat.  fraxinus,  farnus  hierher,  das  aber  die 
Bedeutung  , Esche'  angenommen  hat.  Lautlich  fast  identisch  mit  dem 
genannten  idg.  Namen  der  Birke  ist  auch  alb.  bred-di,  St.  breü,  das 
aber  ,Tanne'  bedeutet.  Diese  Zusammenstellung  wird  weniger  unwahr- 
scheinlich, wenn  man  bedenkt,  dass  die  Birke  auf  albanischem  Gebiete 
so  gut  wie  fehlt  (der  sehr  seltene  alb.  Name  b'Utszt  ist  aus  dem  Ro- 
manischen entlehnt,  die  Bulgaren  haben  gar  keine  Bezeichnung  des 
Baumes;  vgl.  Krek  Einleitung  in  die  slav.  Litg.s  S.  136 x),  und  wenn 
man  Bedcutungswcchsel  wie  ahd.  linta  , Linde'  —  griech.  £XöVrn  , Fichte' 
(s.  u.  Linde)  und  ahd.  forha,  erst  ,Eiche',  dann  ,Föhre\  ferner  ahd. 
tanna,  erst  ,Eiche',  dann  ,Taune'  (s.  u.  Eiche)  in  Betracht  zieht.  Lat. 
betitln,  betulla  entstammt  dem  Keltischen  (ir.  bethe,  kynir.  bedw),  wie 
denn  Plinius  XVI,  75  die  Birke  geradezu  als  einen  gallischen  Baum 
bezeichnet.    S.  u.  Wald,  Wald  bäume. 

Birnbaum  (Pirus  communis  L.)    Obwohl  griech.  öyxvt1  ,edler 
Birnbaum',  , Birne'  noch  in  der  Ilias  fehlt  und  erst  in  den  jüngeren 


Digitized  by  Google 


Birnbaum. 


93 


Teilen  der  Odyssee  vorkommt  (vgl.  z.  B.  o"Td?  dp'  üttö  ß\u>9pnv  örxvnv  Od. 
XXIV,  234;  s.  auch  u.  Apfelbaum),  so  muss  doch  das  Wort,  natürlich 
in  der  Bedeutung  ,wilder  Birnbaum',  als  seit  Urzeiten  heimisch  im 
Griechischen  angesehen  werden;  denn  es  steht  in  Ablautsverhältnis  zu 
dx-pd?,  äx-epbot  »wilder  Birnbaum'  (ngriech.  dxXctbnd)  und  wahrscheinlich 
auch  zu  £tx-o*  »Lanze  a.  d.  Holz  d.  wilden  Birnbaums',  .Lanze'.  Die 
Mittelstufe  *engh-  dürfte  dem  urslav.  *cezü  »Ulme'  (poln.  wiqz  ,Rüster', 
serb.  vjaz  »Ulme'  u.  s.  w.»  alb.  vt&,  vidi  ,Ulme')  entsprechen.  Eine  dritte 
altgriechische  Benennung  des  Birnbaums  ist  &mo<;  (ngriech.  dmbnd), 
das  auf  Urverwandtschaft  mit  lat.  pirus  (*pisos  :  *apisos)  zu  beruhen 
scheint.  Auch  im  Albanesischen  giebt  es  neben  dem  entlehnten  goritse 
,wilder  Birnbaum'  (aus  slav.  *gorinica  :  gorü  ,Berg',  ngriech.  YKOpiTZnd) 
ein  einheiulisches  darde  .edler  Birnbaum',  darddn  .Bauer'  =  Birnen- 
züchter. Man  bringt  mit  letzterem  Wort  den  Volksnamen  der  Dardaner 
in  Beziehung,  wie  man  auch  die  griechischen  'Axcuoi  und  die  germa- 
nischen Ingvaeones  von  dx-pdq,  *en§h-  hat  ableiten  wollen  (vgl.  Jo- 
hansson B.  B.  XVIII,  28).  Übrigens  wurde  auch  Apia,  die  alte  Bezeich- 
nung des  Peloponneses,  von  den  Alten  als  Birnenland  gedeutet. 

Alle«  das  scheint  auf  ein  altes  Indigenat  des  Baumes  in  Europa  hin- 
zudeuten, wie  denn  auch  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  neben  Äpfeln 
wilde  Birnen  in  Wangen  und  Robenhausen,  freilich  in  spärlicher  Zahl 
(vgl.  G.  Bnschan  Vorgesch.  Botanik  S.  175),  gefunden  wurden.  Noch 
heute  verstehen  slavische  Völker  aus  den  Früchten  des  wilden  Birn- 
baums ein  angenehmes  Getränk  zu  bereiten.  —  Aus  semitischem  Gebiet 
und  aus  dem  alten  Ägypten  erfahren  wir  im  Gegensatz  zu  der  Ge- 
schichte des  Apfelbaums  (s.  d.)  von  einer  Kultur birne  nichts.  Die 
älteste  Kultur  des  Baumes  wird  sich  daher  auf  Griechenland  und  die 
kleinasiatisch-pontischen  Gegenden  (s.  u.)  beschränkt  haben.  —  Nach 
dem  nördlichen  Europa  scheint  die  Kultur  der  Birne  nach  Ausweis 
der  Sprache  von  zwei  Seiten  vorgedrungen  zu  sein.  Einmal  vom 
römischen  Süden  her:  lat.  pirus,  das  auch  in  den  keltischen  Sprachen 
erscheint,  ist  in  die  germanischen  Sprachen  (agls.  peru,  ahd.  bira)  Uber- 
gegangen. Der  Anlaut  des  hochdeutschen  Wortes  (vgl.  dagegen  pflaume 
aus  pränus)  könnte  auf  eine  ziemlich  späte  Zeit  der  Entlehnung  (nicht 
vor  dem  9.  Jahrh.)  hindeuten.  Bedenkt  man  aber,  dass  Birnbäume 
schon  in  den  legibus  barbarorum  (s.  d.  Belege  u.  Apfelbaum)  nicht  selten 
genannt  werden,  so  wird  man  es  wahrscheinlicher  finden,  dass  ahd. 
bira  sein  b,  p  (statt  pf)  irgend  einer  volksetymologischen  Anlehnung 
des  Wortes,  vielleicht  an  got.  bairan  etc.  .tragen'  verdankt  (vgl.  F. 
Kluge  Et.  W.6  8.  v.).  Hingegen  weisen  die  osteuropäischen  Be- 
nennungen des  Birnbaums  lit.  gruszia,  kriäuszia,  altpr.  kraust/,  altsl. 
grusa,  die  sich  an  kurd.  koresi,  kureH  anknüpfen  lassen,  in  die 
iranische,  pontisch-kaspische  Welt.  Hier  ist  noch  jetzt  der  Kaukasus 
ein  Hauptverbreitungsgebiet  der  Pirtis  communis  (vgl.  Köppen  Holz- 
gewächse I  S.  396 ff.).    S.  u.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Digitized  by  Google 


Bittopfer  —  Blau. 


Bittopfer,  s.  Opfer. 
Blasebalg,  8.  Schmied. 

Blau.    Eine  zusammenfassende  Bezeichnung  für  diese  Farbe 
ist  in  der  idg.  Grundsprache  nicht  nachweisbar.    Hingegen  scheiuen 
schon  in  vorhistorischer  Zeit  zahlreiche  Ausdrücke  für  verschiedene 
Abtönungen  derselben  wie  schwarz-blau,  grau-blau,  blass-bau,  hell-blau 
u.  s.  w.,  jedesmal  wohl  im  Hinblick  auf  bestimmte  Erscheinungen, 
Wesen  oder  Gegenstände  dieser  Färbung  vorhanden  gewesen  zu  sein, 
die  sich  in  den  Einzelsprachen  nachher  in  verschiedener  Weise  in 
allgemeinerem  Sinne  fixierten.    Derartige  Sprachreihen  sind:  1.  für 
schwarz-blau  :  sert.  malina-  ,dunkelfarbig,  grau,  schwarz',  griech. 
u^Xou;,  lett.  wein*  ,schwarz'  —  lit.  melynas  ,blau',  ,blauer  Fleck', 
altpr.  meine  ,blauer  Fleck'.   Da  offenbar  auch  urkelt.  *melino-8  (kymr. 
melyn)  ,gclblich'  hierher  gehört,  so  könnte  man  annehmen,  dass  diese 
Bezeichnung,  wie  noch  im  Litauischen  und  Altpreussischen,  zuuäehst 
diejenige  schwer  defiuierbare  Färbung  bezeichnete,  wie  sie  bei  heftigen 
Schlägen  und  Stössen  am  Körper  hervorgebracht  zu  werden  pflegt. 
2.  für  grau-blau  :  sert.  palitd-  ,grau',  griech.  ttoXiö?  id.  (lat.  pallidux, 
ahd.  fafa  ,fahl',  altsl.  plavä  ,weiss',  lit.  paheas  .blassgelb')  —  griech. 
7T€Xiö^,  ireXibvö«;,  n€\Xö<;  ,grau-blau'.  Vielleicht  hatte  man  bei  dieser 
Farbenbezeiclmung  zunächst  die  grau-blaue  Feldtaube  (griech.  TieXcia) 
im  Auge,  wie  dies  auch  bei  altpr.  goUmban,  npers.  kabild  ,blau', 
aw.  aymena-,  npers.  yexin  ,blauschwarz'  der  Fall  gewesen  ist,  die 
in  verschiedenen  Spracheu  eben  diesem  Tiere  den  Namen  gegeben 
haben  (s.  u.  Taube).    Vgl.  noch  lit.  illas  ,grau'  (ir.  gel  , weiss'?)  — 
lett.  si'ls  ,blau'.    3.  für  blass-blau.    Einen  derartigen  Sinn  werden 
die  Ableitungen  von  einer  idg.  Wurzel  ghlas  gehabt  haben,  die  im 
Keltischen  als  *glas-to-  (ir.  glast«,  kymr.  glas)  vorliegt  und  eine  Sammel- 
bezeichnung für  verschiedene  blasse  Farben,  grün,  blau,  gelb  etc.  ab- 
giebt.    Durch  Zusammensetzung  mit  dub  ,schwarz'  entsteht  ir.  dub- 
glasa,  kymr.  dulas,  bret.  duglas  ,caeruleus';  doch  wird  auch  das 
einfache  glas  mit  eaerula  (aber  auch  mit  viridis)  glossiert.    Mit  Ab- 
leitungen von  dieser  Wurzel  werden  der  Bernstein  (lat.-genn. 
glesumjy  das  Glas  (ahd.  glas,  altn.  gier,  ir.  glain  aus  *glas-in)  und 
der  Waid  (lat.-gall.  glast  um)  benannt.    4.  für  hellblau  :  sert.  ketti- 
,Helle',  altn.  heip  .klarer  Himmel',  ahd.  heitar  ,hell'  —  lat.  *caesus 
(*caet-tu-x)  in  caesissimus  (Varro),  caesius  , he  11  blau'  (von  anderen 
mit  lit.  skäistas,  skaidrus  ,hell,  glänzend'  verglichen,  wobei  das  Be- 
deutungsverhältnis dasselbe  bleibt).  Vgl.  auch  griech.  xXauxö;  (tXauiaäuu 
,blickc  mit  funkelnden  Augen  ),  das  bei  Homer  nur  ,licht,  glänzend' 
bedeutet,  später  aber  (wie  auch  das  daraus  entlehnte  lat.  glaueus)  im 
Sinne  von  ,  he  II  blau'  bezeugt  ist,  und  altsl.  sinqti  .erglänzen'  — 
altsl.  sinl  ,lividus',  bulg.  sin  ,blau' etc.  (vgl.  auch  altpr.  sineco,  russ. 
sinica  ,Meise').    Unsicher  ist  die  Zusammenstellung  von  lat.  fldvus 


Digitized  by  Google 


Blau  -  Blei. 


1)5 


,blond',  ir.  bld  ,gelb'  (Stokes  Urkelt.  Sprachschatz  S.  187)  —  ahd.  bläo, 
altn.  blär  ,blau'  (aber  auch  ,lividus',  ,flavus )?  da  lat.  flävus  auch  zu 
fulvus  ,gelb'  gehören  kann.    Über  ahd.  bldo  s.  u.  Blei. 

Gehen  die  bisher  besprochenen  Ausdrücke  wohl  ausschliesslich  auf 
Wurzeln  oder  Stämme  zurück,  die  von  Anfang  an  der  Bezeichnung 
einer  Farbeunuance  oder  eines  Lichteindruckes  dienten,  so  fehlt  es 
auch  nicht  an  Bezeichnungen  des  Blau,  die  von  Gegenständen  direkt 
abgeleitet  sind,  welche  eine  bläuliche  Färbung  zeigen.  Poetischer  Natur 
sind  Ausdrücke  wie  hom.  tfcpo€ibr|£  „luftartig'  (vom  Meere  gesagt), 
dAmöpqpupoq  .dunkelblau  wie  das  Meer'  «von  Wolle  und  Gewändern), 
io€t?  ,violenfarbig*  (vom  Eisen),  iobvccpn?  ,dunkel  wie  Violen'  (von  der 
Wolle  der  Widder  des  Polyphein),  iocibn.«;  ,violenartig'  (von  der  Färbung 
des  Meeres).  Der  Sprache  des  gewöhnlichen  Lebens  gehört  das  seltene 
icraTiubn?  ,blau  wie  Waid'  an.  Ebenso  das  gewöhnliche  Wort  für  blau 
im  Lateinischen  :  caeruleus  aus  *caeluleus  :  caelum  ,Himiuel'.  Lat. 
Hindus,  Ittor,  liveo  können  von  lit.  slywa,  altsl.  sliva  , Pflaume'  (s.d.) 
abgeleitet  sein,  so  dass  mit  limdus  ,bleifarbig,  bläulich,  blau'  ur- 
sprünglich die  Farbe  der  wilden  Schlehe  gemeint  wäre  (vgl.  auch  nsl.  sliv 
,bläulich').  Ähnlich  ist  alb.  kdtttre  ,blau*  eine  Weiterbildung  von  lat. 
caltha.  calta,  caltum,  das  verschiedene  blaue,  aber  auch  gelbliche  Blumen 
bezeichnet  (vgl.  G.  Meyer  Et.  W.  S.  170,  G.  Goetz  Thes.  Gloss.  I,  170). 

Hierher  wäre  auch  das  vielbesprochene  homerische  KuavoO?  zu  stellen, 
als  von  kuüvo?  abgeleitet.  Da  aber  dieses  letztere  Wort  etymologisch 
und  seinem  Sinne  nach  noch  unerklärt  ist,  so  fehlt  die  Möglichkeit,  den 
Ausgangspunkt  dieser  Farbenbezeichnung  zu  bestimmen.  In  nach- 
homeriseber  Zeit  wurde  Kuavo?  sicher  im  Sinne  des  ägyptischen  chesbet 
, Lasurstein,  Ultramarin,  Kupferlasur,  Bergblau'  (vgl.  Lepsius  Die  Metalle 
in  den  ägypt.  Inschriften  Abb.  d.  Berl.  Ak.  d.  W.  phil.-hist.  Kl.  1871 
S.  117),  also  im  Sinne  einer  eminent  blauen  Farbe  gebraucht.  So 
erklärt  sich  das  späte  r\  Kuavo<;  ,Kornblurae'  u.  anderes.  Für  das  ho- 
merische Kuavoö?  ist  aber  anzumerken,  dass  es  niemals  von  unzweifel- 
haft blauen  Gegenständen  (vielmehr  von  Augenbrauen,  Haar  und  Bart, 
Wolken,  dunklen  heranziehenden  Schaaren  u.  s.  w.)  gebraucht  zu  werden 
scheint.  —  S.  weiteres  u.  Farbe. 

Blei.  In  Mittel-  und  Nordeuropa  tritt  das  Blei  erst  in  der  Hall- 
statt-Periode auf.  In  Hallstatt  selbst  kommt  das  Metall  in  Gestalt  von 
dünnen  Stäbchen  oder  Draht  zu  verschiedenen  Gebrauchszwecken,  nicht 
aber  zu  selbständigen  Geräten  verarbeitet  vor  (v.  Sacken  S.  119).  In 
dieselbe  Zeit  gehören  die  zahlreichen  bleiernen  Reiterfigürchen  der 
Tumuli  von  Kosegg  in  Kärnten.  Eine  Zusammenstellung  nördlicher 
Blcifunde  vgl.  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie,  Verhandlungen  XV, 
1883  S.  107  ff.  Dagegen  findet  sich  das  Metall  im  Süden  Europas 
schon  in  Mykenae  (Schliemann  S.  87),  also  in  der  reinen  Bronzezeit, 
während  es  auf  dem  Grabhügel  von  Hissarlik  in  allen  Schichten  vor- 


Digitized  by  Google 


Blei. 


kommt.  Einen  bleiernen  ringartigen  Gegenstand  der  III.  Stadt  versucht 
Schliemann  (Ilios  S.  563)  als  Haarschmuck  zu  deuten. 

Über  die  Herkunft  des  Bleies  in  Europa  giebt  die  Sprache  einige 
Andeutungen.  Dieselben  weisen  auf  den  Westen  unseres  Erdteils,  auf 
die  bleireichen  Landschaften  Spaniens,  Galliens  und  Britanniens  (vgl. 
BlOmner  Terminologie  u.  Techn.  IV,  88  ff.).  Auf  ersteres  führt  der  alt- 
griechische Bleiname,  der  in  den  verschiedenartigsten,  schon  hierdurch 
das  Fremdwort  verratenden  Formen:  uöXißoc  (Horn.),  uöXußot,  uöXußbot 
(in  uoXußbcuvri  Horn.),  rhod.  ßöXißo^  (in  TrepißoXißüjam),  epidaur.  ßoXiuo^ 
auftritt.  Geht  man,  wogegen  nichts  im  Wege  steht,  von  der  zuletzt 
genannten  Bildung  ßöXuioq  aus,  von  welcher  juöXißo?  durch  Umstellung, 
ßöXißo?  durch  Verschränkung  mit  letzterem  abzuleiten  wäre  (vgl.  J. 
Schmidt  Sonantentheorie  S.  28  IT.),  so  entspricht  dieselbe  dem  baskischen 
Namen  des  Bleis  bertin,  berunez  ,von  Blei'  ziemlich  genau,  namentlich 
wenu  man  an  phönikisehe  Vermittlung  des  Wortes  denkt.  Jedenfalls 
waren  die  Griechen,  bevor  die  Bleiglanzlager  des  Lauriongebirges  aus- 
gebeutet wurden,  auf  den  Import  des  Metalles  angewiesen.  Die  Be- 
wohner der  lusitauischen  Landschaft  Medubriga  werden  ausdrücklich 
Plumbari  (Pliu.  IV,  118)  genannt.  Vgl.  auch  die  Stadt  MoXußbivn.  im 
Gebiet  der  Mastarner  bei  den  Säulen  des  Hercules. 

Der  Charakter  des  Bleies  als  eines  alten  Handelsartikels  scheint 
sich  auch  in  dem  lat.  plumbum  auszusprechen.  Das  Metall  wurde 
seit  den  frühesten  Zeiten  in  der  Form  von  Ziegeln,  Kuchen  oder  Barren 
verschickt.  Solche  Bleiziegeln  mit  der  Aufschrift  tehf,  tehfi,  fehfu 
(kopt.  ,Blei')  kommen  schon  im  alten  Ägypten  vor.  Namentlich  aber 
sind  aus  späterer  Zeit  in  Spanien,  Frankreich  und  England  solche 
Bleikuchen,  mit  Stempeln  und  den  Namen  römischer  Kaiser  u.  8.  w. 
versehen,  in  Menge  gefunden  worden  (vgl.  K.  B.  Hofmann  Das  Blei  bei  den 
Völkern  des  Altertums  Berlin  1885  S.  10).  Es  liegt  daher  der  Gedanke 
nahe,  dass  lat.  plumbum,  welches  an  andere  idg.  Bleinamen  keine  An- 
knüpfung findet,  selbst  ursprünglich  nichts  als  .Ziegel',  , Barren'  bedeutet 
habe  (vgl.  roman.  grana  ,Kern'  =  Scharlach,  cnnnella  .Röhrchen'  = 
Zimmt)  und  so  auf  Urverwandtschaft  mit  griech.  TrX(v0o<;,  Ziegelstein' 
beruhe  {*plndho-,  vgl.  lat.  lumbus  :  altsl.  ledrija,  ahd.  lentin\  über 
griech.  Xi  =  n  G.  Meyer  Gr. 3  S.  68).  Auf  eine  ursprünglich  in  Be- 
ziehung auf  die  Metalle  inditferente  Bedeutung  von  lat.  plumbum  kann 
man  auch  aus  der  Bezeichnung  pl.  album  ,Zinn',  pl.  nigrum  ,Blei' 
schliessen. 

Wiederum  vom  Westen,  diesmal  von  Gallien,  ausgegangen  dürfte  auch 
die  Reihe  ir.  luaide  (Houdio-)  =  mhd.  lot,  ndl.  lood,  agls.  leäd  ,Blei' 
(vgl.  auch  lit.  liüd?.  ,Bleilot'i  sein;  allerdings  fehlt  ein  Kriterium,  welches 
zwingend  auf  die  Annahme  von  Urverwandtschaft  oder  früher  Entleh- 
nung hinwiese.  Doch  spricht  die  kulturhistorische  Gesamtlage  mit 
Notwendigkeit  für  letztere.    Auf  den  keltischen  Westen  wiese  auch 


Digitized  by  Google 


Blei  —  Blumen,  Blumenzucht. 


97 


das  gemeingerm.  ahd.  bliu,  bliuwes,  altn.  bly  ,Blci'  (*blhca-),  wenn  es 
richtig  von  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altert.  XLII,  H53  aus  einem  keltischen, 
dem  gemeingcrni.  ahd.  bldo,  altn.  Mar  ,blau'  (*bldwa-)  entsprechenden 
*blevo~  (*bliDO~)  ,blau'  gedeutet  wird,  das  freilich  im  Keltischen  selbst 
nicht  zu  belegen  ist  (anders  Persson  B.  B.  XIX,  273,  wo  für  ahd.  bldo 
ein  lit.  Mainas  ,licht,  klar'  herangezogen  wird).  Jedenfalls  liegt  für 
ahd.  bliu  ,Blei'  an  einen  ursprünglichen  Farbennamen  zu  denken  wegen 
des  Suffixes  vo-  (vgl.  Kluge  Stammbildungslehre  -  S.  90)  nahe  (vgl.  auch 
Braune  Beiträge  XXIV,  195). 

Im  Osten,  in  der  litu-slavischen  Welt,  tritt  eine  schon  beim  Latei- 
nischen beobachtete  Erscheinung  auf,  die  noch  weiter  östlich  an  Häufig- 
keit zunimmt,  nämlich  d  i  e,  dass  die  Bezeichnungen  fltr  das  Blei  und 
das  diesem  äusserlich  ähnliche  Zinn  mit  einander  verwechselt  werden, 
resp.  nur  ein  Name  für  beide  Metalle  existiert.  So  gemeinsl.  altsl. 
oloco,  altpr.  aheis  ,Blei'  :  lit.  alwas  ,Zinn'  neben  russ.  xvintcü,  lit. 
szteinas  ,Blci'  (beide  dunkel,  und  in  beiden  Fällen  scheint  das  litauische 
Wort  ans  dem  slavischen  entlehnt  zu  sein).  Das  Westfinnische  hat  für 
beide  Metalle,  Blei  wie  Zinn,  nur  entlehnte  Ausdrücke,  während  das 
mordvinische  kivä  und  das  Seremissisehe  vulna  wiederum  beide  Me- 
talle bezeichnet,  und  das  Syrjänische  ez{&  sogar  noch  das  Silber  in 
sich  begreift  (vgl.  Ahlqvist  Kulturw.  S.  72). 

Im  Orient  begegnen  bei  den  Ariern  wie  Semiten  alte,  aber  ebenfalls 
nicht  weiter  anknüpfbare  Namen  für  das  Blei  :  sert.  stm-  (Atharva- 
veda),  aw.  sru-  (npers.  stirb  etc.;  vgl.  Horn  Grundriss  S.  161);  hebr. 
oferet,  bab.-assyr.  abdru  (sum.  abar;  vgl.  Hommel  Vorsem.  Kulturen 
S.  409  f.).  Vgl.  weiteres  bei  Vf.  Sprachvergl.  und  Urgeschichte  * 
S.  317  f.  —  S.  u.  Metalle. 

Blind,  s.  Krankheit. 

Blitz,  s.  Gewitter. 

Block,  s.  Strafe. 

Blond,  8.  Farbe. 

Blondheit  der  Indogermaneti,  s.  K  örpcrbcscb  äffen  hei  t  d.  I. 

Blumen,  Blumenzucht.  Von  allem,  was  Feld  und  Garten  her- 
vorbringt, ist  die  Pflege  der  Blumen  die  letzte  Errungenschaft  der  eu- 
ropäischen Menschheit.  Der  Realismus  der  Urzeit  hat  noch  kein  Verhältnis 
gefunden  zu  diesen  Lieblingen  der  Dichter  und  Frauen,  wie  ihr  Ohr  auch 
dem  Gesänge  der  Lerche  oder  der  Nachtigall  (s.  u.  Singvögel)  ver- 
schlossen war.  Das  hat  sich  erst  geändert,  als  die  Blumend  Ufte  des 
wohlgeruchschwangeren  Orients  nach  Europa  herüberwehton,  und  das 
Verhältnis  des  Menschcu  zur  Natur,  wenigstens  in  den  höheren  Kreisen, 
ein  sentinicntalischcs  zu  werden  anfing. 

Noch  bei  Homer  findet  sich  keiue  Spur  von  Blumenzucht.  Einzelne 
Blumen,  Xeipiov  in  Xeipiöci?,  Kpöico«;,  u6kiv8o<;,  iov,  (iöbov  in  (fobobdK- 
tuXo?  und  (ioböcn;,  —   fast  ausschliesslich  fremde  Namen  —  werden 

Schräder.  Roallexilcon.  7 


Digitized  by  Google 


98 


Blumen,  Blumenzucht  —  Blutrache. 


zwar  genannt;  aber  an  den  Stellen,  wie  in  der  Beschreibung  der 
Gärten  des  Alkinoos,  an  denen  wir  eine  Erwähnung  ihrer  Kultur  er- 
warteten, schweigt  der  Sänger  (vgl.  E.  Buchholz  Die  hom.  Realien  II, 
111  ff.).  Erst  nachdem  der  Homer  noch  unbekannte  und  zweifellos 
dem  Orient,  vor  allem  Ägypten,  entstammende  Gebrauch  der  Kränze 
bei  Gelagen  und  zur  Ehrung  von  Lebenden  wie  Toten  (vgl.  Wönig 
Die  Pflanzen  Ägyptens*  S.  234  ff.  und  Lenz  Botanik  S.  154 ff.)  aufge- 
kommen war,  wird  man  von  einer  Blumistik  der  Griechen  sprechen 
können  (vgl.  J.  v.  Müller  Privataltert.8  S.  239).  Grossgriechenland  ist 
auch  hier  das  Vorbild  für  Italien  gewesen,  wie  die  Entlehnungen  von 
lat.  struppus  aus  griech.  tfTpöqpoq,  von  coröna  aus  griech.  Kopwvrj, 
KOpuuviq  (vgl.  Plinius  XXI,  3:  Tenuioribus  ntebantur  antiqui,  strop- 
po8  appellantes;  das  gewöhnliche  Wort  fUr  , Kranz',  griech.  o*T6<pavo?, 
ist  merkwürdiger  Weise  nicht  ins  Lateinische  übergegangen,  KOpuivn 
ist  in  der  Bedeutung  , Kranz'  erst  spät,  o*Tpö<pos  gar  nicht  überliefert), 
von  rosa,  liliutn,  crocus,  narcissus,  irls,  ht/acinthua  u.  s.  w.  zeigen. 
Immer  aber  ist  der  Kreis  der  antiken  Blumenkultur  ein  verhältnismässig 
beschränkter  gewesen  (vgl.  auch  Becker-Güll  Gallus. III,  75  ff.).  Als 
solcher  hat  er  seinen  Eingang  in  die  Gärten  der  christlichen  Klöster 
und  nach  ihrem  Muster  in  das  Capitnlarc  Karls  des  Grossen  de  villis 
vel  curtis  Imperatoris  (LXX)  und  in  die  deutschen  Banerngärtcn  ge- 
funden. Doch  wird  bezweifelt  (vgl.  A.  Kerner  Die  Flora  der  Banern- 
gärtcn in  Deutschland,  in  den  Verband],  des  zool.-bot.  Vereins  in  Wien 
V,  7t)  1),  ob  Karl  der  Grosse,  wenn  er  in  seinem  Capitularc  z.  B.  den 
Anbau  der  Lilie  an  erster  Stelle  vorschreibt,  dazu  durch  irgendwelche 
ästhetische  und  nicht  vielmehr  durch  praktische  Rücksichten,  d.  h.  in 
diesem  Falle  durch  den  Umstand  bestimmt  wurde,  dass  die  Blumen- 
blätter der  weissen  Lilie  als  Hauptbestandteil  eines  als  Volksmittel  be- 
rühmten Öles  benutzt  wurden.  Vgl.  besonders  von  Fischcr-Benzon 
Deutsche  Gartcnfiora  1 ;.    Zierpflanzen  S.  33  ff. 

Von  einzelnen  Blumen  sind  behandelt  worden:  Hyacinthe,  Iris, 
Lilie.  Narcisse,  Nelke,  Rose,  Safran,  Veilchen.  —  S.  auch 
u.  Garten,  Gartenbau. 

Blutrache.  Die  SUhuung  gewollter  oder  ungewollter  Tötung  — 
denn  beide  Begriffe  werden  ursprünglich  nicht  geschieden  s.u.  Mord)  — 
liegt  in  alter  Zeit  nicht  dem  Staat  oder  der  Gemeinde,  sondern  aus- 
schliesslich der  Sippe  (s.  d.)  ob,  die  für  den  erschlagenen  Genossen 
gegen  den  Thäter  und  dessen  Sippe  auftritt.  Dieser  Znstand  lässt  sich 
bei  allen  Indogermanen  teils  in  lebendigem,  zuweilen  bis  in  die  Gegen- 
wart hereinragendem  Brauch,  teils  in  mehr  oder  weniger  deutlichen 
Spuren  einstiger  Gepflogenheit  nachweisen. 

Die  Ih>  in  eri  sehe  Anschauung  schildern  die  Verse  der  Odyssee 
(XXIV,  -133  ff.): 

Xiüßii  -füp  Töbe  t  t(TTi  kcm  to-aouevoiai  TTut>fc'o*6ai, 


Digitized  by  Google 


Blutrache.  99 

€i  br\  un.  Traibwv  T€  Ka<Jirvr|TUJV  re  tpovnaq 
TicröueB'. 

Trauernd  geht  (II.  XIII,  643  ff.)  der  König  Pylaimenes  hinter  der 
Leiche  des  erschlagenen  Sohnes  her: 

TT  O  l  V  T\  b'  OUTNJ  TTCU&d?  dflTVCTO  T€0Vr|U»TO?. 

Aber  die  ttoivu.  braucht  nicht  der  Tod  des  Mörders  zu  sein.  Es  ziemt 
sich  vielmehr,  an  seiner  Statt  die  dargebotene  Sühnsuminc  anzunehmen: 
tccri  u^v  Ti?  tc  Kao*iTvrjToio  <povno<; 
Troivf|v  f|  ou  Traiböq  tbitaTO  T€Övnü>TO<;, 
Kai  {)'  6  ufcv  iv  bn,uiu  u€V€i  aÜTOÜ,  ttöXX'  öttot  10*015? 
Tou  bi  t'  ^prjtueTai  Kpabin,  Kai  Öimos  dfiivujp 
rroivnv  bcEauevou  (11.  IX,  632  ff.). 
Ilias  XVIII,  497  ff.  wird  auf  dem  Schilde  des  Achilleus  der  Streit 
zweier  Männer  geschildert: 

bÜO  <5vbp€£  £v£tK€OV  €tV€Ka  ITOIVIK 

dvbpö?  ärtoq>8iu€vou*  6  uev  euxcxo  Trävr'  ätroboövai, 
bn,uw  TTi<pau(7K(juv  ,  6  b'  ävaiv€TO  unbtv  £Xeo*8ai. 
Man  ist  geteilter  Meinung,  ob  hier  zu  tibersetzen  sei:  „Der  eine  er- 
klärte, alles  gegeben  zu  haben,  der  andere  aber  leugnete,  irgend  etwas 
empfangen  zu  haben",  so  dass  an  dieser  Stelle  nichts  als  eine  ge- 
wöhnliche Schuldklage  vorläge,  oder  ob  vielmehr  wiederzugeben  sei: 
„Der  eine  gelobte  alles  zu  geben,  der  andere  aber  weigerte  sich,  etwas 
zu  nehmen",  so  dass  hier  die  viel  bedeutsamere  Verhandlung  vor  Ge- 
ronten  und  einem  Schiedsrichter  uffTuip)  anzunehmen  sei,  ob  in  einer 
bestimmten  Mordsache  Blutrache  oder  Composition  stattfinden  solle  (vgl. 
A.  Hofmeister  Z.  f.  vcrgl.  Rechtsw.  II,  443  ff.  u.  Delbrück  Vgl.  Syntax 
II,  472». 

Nach  befriedigter  Rache  oder  Einigung  über  die  rroivn.  soll  Friede 
und  Freundschaft  herrschen.    So  befiehlt  es  Zeus  (Od.  XXIV,  4*2): 
tneibn,  uvn.0"Tf|pa<;  eTiöaro  bxoq  'Obuaacuq. 

ÖpKIÜ  TTlOTOt  TÜ|4ÖVT6<;,  Ö  UCV  ßa(TlXtU€TUJ  aW\, 

f|U€?q  b'  au  TTatbiuv  T€  xao"rfvr|TUJV  T€  cpövoio 
^KXr|0"iv  Be'wpev  *  toi  b  äXXr)Xou?  cpiXeövTwv 
w<;  t6  Ttupo^"  ttXoütoi;  bc  Kai  eipnvr)  aXiq  e'OTUJ. 
Oft  nach  geschehener  lilutlhat  flieht  der  Mörder  in  die  Fremde.,  um 
der  Rache  seiner  Feinde  zu  entgehen.    Vgl.  Od.  XV.  272 f.: 

OUTU)  TOI  Kü'l  6TUJV  iK  TTUTpiboq,  Övbpa  KCtTOKTCt^ 

£ucpuXov  rroXXoi  be  KamYvnToi  Tt  tTüi  tc 
"Apfo?  äv'  iTTTToßÖTOV,  utYa  be  KpaTtouOiv  Axaiüüv. 
twv  ÜTraXeuäuevoq  OävaTov  xa'i  Kfipa  ue'Xuivuv 
(peüru),  €7T€i  vü  uoi  aicTa  kot'  dvGpujTrouq  üXdXn.o"0ai. 
Zug  für  Zug  entsprechen  die  germanischen  Verhältnisse:  Suscii>ere 
tarn  inhnicitias  seit  pati'is  seit  propinqul  quam  amicitias  necesse  est', 
nec  implacahiles  dttrant  :  Ivitur  enim  etiam  homicnUum  certo  armen- 


Digitized  by  Google 


100 


Blutrache. 


forum  ac  pecorum  numero  recipitque  satisfactionem  unkersa  domus 
(Tac.  Germ.  Cnp.  21).  Der  durcb  die  ßlutthat  zwischen  zwei  Sippeu 
geschaffene  Zustand  ist  die  Fehde,  mlat.  faida,  ahd.  fehida,  agls. 
fdehd>  wörtlich  }inimicitia  :  ahd.  fech,  agls.  fäh  i*poiko-8  =  ir.  öech 
.Feind').  Die  satisf actio  besteht  in  dem  Wergeid:  ahd.  weragelt,  agls. 
teer-,  weregild  :  got.  icair  ,Mann',  daneben  agls.  leödgeld,  altn.  mann- 
gjöld  etc.  Domus  ist  ,Sippe'.  Die  Höhe  des  Wergclds  ist  bereits,  wie  aus 
,certtts}  hervorgeht,  staatlich  festgesetzt  (s.  u.).  Auch  bei  den  Germanen  soll 
nach  feierlicher  Aussöhnung  wieder  Friede  uud  Freundschaft  herrschen. 
Auch  hier  flieht  der  Totschläger  für  einige  Zeit  aus  dem  Lande  oder 
meidet  wenigstens  den  Anblick  seiner  Gegner  (tenetur  occisor  summo- 
pere  praeeavere,  ne  se  suorum  sie  ingerat  adversariorum  conspectui, 
ut  propter  suam  praesentiam  offendantur,  sed  a  domo  et  ecclesia  et 
a  via,  in  quibus  adversarios  suos  esxe  deprehenderit,  non  superse- 
deat  cum  proximis  declinare;  vgl.  Wilda  Das  Strafrecht  der  Germanen 
S.  181  aus  einer  schonischen  Rechtssanimlung,  ü hersetzt  von  dem  Erz- 
bischof  Andreas  Suncscn  1204 — 1215). 

.Wenn  aber  auf  griechischem  und  germanischem  Gebiet,  ebenso 
wie  auch  auf  keltischem  (genus  super  omnia  diligunt,  et  damna 
sanguinis  atque  decoris  acriter  uJciscuntur  :  vindicis  enim  animi  sunt 
et  irae  cruentae,  nec  solum  novas  et  recentes  iniurias,  verum  etiam 
reteres  et  antiquas  velut  instantes  vindicare  parat  i\  vgl.  GiraidusCanibriae 
descr.  Cap.  17  nach  Walter  Das  alte  Wales  S.  138  *),  das  einstige  Be- 
stehen der  Blutrache  sich  im  wesentlichen  nur  aus  alten  Denkmälern 
nachweisen  lässt,  kann  dieselbe  im  Osten  Europas,  wo  so  viel  urzeit- 
liches sich  bis  heute  erhalten  hat,  bei  den  sla  vi  sehen  Völkern  (vgl. 
Miklosich  Die  Blutrache  bei  den  Slavcn,  Denkschr.  d.  k.  Ak.  d.  W.  zu 
Wien,  phil.-hist.  Cl.  XXXVI,  127  ff.),  vielfach  bis  an  die  Schwelle  der 
Gegenwart  verfolgt  werden.  Mitgeteilt  seien  hier  die  wichtigsten  Sätze 
aus  den  auf  Montenegro  bezüglichen  Nachrichten,  wo  die  Blut- 
rache erst  im  Jahre  1855  durch  ein  Gesetz  des  Fürsten  Danilo  erstickt 
worden  sein  soll:  „Die  Blutrache  wird  als  das  einzige  Mittel  zur  Auf- 
rcchterhaltung  der  Gerechtigkeit  angeschen.  Sie  wird  geübt  für  Tot- 
schlag, Verwundung,  Schimpf,  und  gilt  als  eine  religiöse,  heilige  Pflicht 
vor  allem  gegen  den  Getöteten,  dann  wohl  auch  gegen  dessen  Sippe. 
Zur  Rache  verpflichtet  ist  jedes  männliche  Glied  der  Sippe.  Vor  allen 
ist  der  älteste  Sohn  des  Getöteten  berufen  Rache  zu  üben ;  ist  ein  Sohn 
nicht  da,  so  liegt  die  Pflicht  dem  ältesten  Bruder  des  zu  Rächenden 
ob.  Stirbt  der  von  der  Blutrache  Verfolgte,  so  vererbt  sich  seine 
Pflicht  zur  Busse  auf  das  ihm  nächste  Haupt,  so  dass  nicht  selten  erst 
die  Söhne  oder  Enkel  die  Streitigkeiten  ihrer  Väter  und  Grossväter 
ausfechten.  Man  trachtet  vor  allem  den  Totschläger  zu  töten,  und 
wenn  dies  nicht  möglich  ist,  seinen  nächsten  Verwandten,  Bruder,  Vater, 
Sohn.   In  der  Wut  ist  der  Rächer  vor  allem  darauf  bedacht,  sich  eines 


Blutrache. 


101 


Teiles  des  Körpers  seines  Opfers  zu  bemächtigen,  des  Kopfes,  der 
Zunge,  der  Ohren  (man  vergleiche  hier  das  von  Rohde  Psyche  I  *,  322  ff. 
Aber  den  griechischen  Brauch  des  uao*xaM£€iv  beigebrachte,  nach  dem 
der  Mörder  dem  Ermordeten  einzelne  Glieder  abschnitt  und  an  einer 
Schnur  um  seinen  Nacken  hing).  Der  Totschläger  flieht  in  der  ersten 
Zeit  nach  dem  Totschlag  in  einen  anderen  Distrikt.  Nur  in  der  Sühne, 
welche  die  Zahlung  des  Blutgelds  und  eine  fUr  den  Schuldigen  demü- 
tigende Ceremonie  in  sich  schliesst,  erreicht  die  Blutrache  ihr  unblutiges 
Ende.  Sie  erstreckt  sich  auf  die  ganze  Sippe.  Nur  die  Sippe,  nicht 
einzelne  Mitglieder  derselben,  kann  Frieden  schliessen."  —  Aus  der 
altslavischen  f  erminologie  der  Blutrache  (vgl.  bei  Miklosich  S.  140  ff.) 
sei  hier  auf  das  weitverbreitete  altsl.  vrailda  (:  altsl.  vragi  ,Feind'  = 
altpr.  warg*  »schlecht',  altn.  vargr)  verwiesen,  das  inhaltlich  genau  dem 
oben  genannten  ahd.  ffhida  entspricht.  Doch  bedeutet  das  Wort  nicht 
nur  , Feindschaft'  und  /Totschlag',  sondern  auch  die  ,Busse'  für  den 
letzteren,  ganz  wie  dies  bei  altkymr.  galanas  erst  »Totschlag',  dann 
,  Wergeid'  und  bei  mgriech.  tpövo?,  ähnlich  auch  bei  homerisch  noivn. 
,Rache'  und  , Busse'  der  Fall  ist.  Ferner  wird  im  Slavischen  zur  Be- 
zeichnung des  durch  Blutrache  zu  sühnenden  Totschlags  häutig  von  den 
beiden  Wörtern  altsl.  glava  ,Kopf  und  l'rüvi  ,Blut'  (vgl.  auch  alb.  gdk 
,BInt,  Blutrache')  Gebrauch  gemacht.   ,Rache'  ist  mistl,  , Friede'  mirü. 

Ebenso  wie  bei  den  Südslaven,  ist  bei  den  Albanesen,  geschützt 
durch  die  Abgeschlossenheit  ihres  Landes,  die  Blutrache  „so  alt  wie 
das  Volk,  das  dieses  Land  bewohnt"  (Miklosich  S.  163  ff.)  und  steht 
heute  daselbst  noch  in  voller  Blüte. 

So  ergiebt  sich,  dass  innerhalb  Europas  die  hier  in  Frage  stehende 
Institution  nur  im  alten  Rom  nicht  nachzuweisen  ist.  Doch  haben  sich 
Spuren  ihres  einstmaligen  Vorhandenseins  auch  hier  erhalten:  Sane  in 
Numae  legibus,  berichtet  Servius  in  Verg.  Ecl.  IV,  43,  cautum  est, 
ttt  #i  quin  impnidens  occidisset  hominem,  pro  capite  occisi  \ag\natis  eius 
in  [conc]ione  offerret  arietem\  —  oblatus  homicidam  crimine  homicidii 
possit  exsolcere.  Aus  dem  Umstand  aber,  dass  im  Falle  einer  im- 
prudenten  (culposen)  Tötung  an  die  Verwandten  des  Getöteten  ein 
Widder  in  Stellvertretung  des  Thäters  uud  als  Sühnopfer  zu  entrichten 
war,  ist  zu  folgern,  dass  im  Falle  einer  prudenten  (dolosen)  Tötung 
die  älteste  lateinische  Rechtsordnung  die  Auslieferung  des  Mörders 
selbst  an  die  Agnaten  des  Ermordeten  behufs  Tötung,  d.  h.  Opferung 
vorschrieb.  In  einer  solchen  Bestimmung,  wie  sie  notwendig  vorausge- 
setzt werden  rouss,  tritt  aber  die  uralte  Idee  der  Blutrache  deutlich  zu 
Tage  (vgl.  M.  Voigt  Leges  Rcgiae  S.  618  ff.). 

Eine  zweite  Spur  einstiger  Übung  der  Blutrache  im  ältesten  Rom 
ist  in  der  Wortgruppe  von  lat.  vindicta,  rindicare  u.  s.  w.  (s.  u. 
Familie)  enthalten,  deren  ursprünglicher  Sinu  an  die  Begriffe  »Sippen- 
recht',  ,Sippenrache'  nahe  heran  kam. 


Digitized  by  Google 


102 


Blutrache. 


Es  ist  merkwürdig,  dass  gerade  unter  diesem  Namen  (ital.  Vendetta 
u.  s.  w.)  die  Blutrache  im  Mittelalter  bei  den  romanischen  Völkern 
wieder  hervortritt,  wie  sie  auf  Korsika  und  in  Sardinien  noch  heute 
herrscht.  Miklosich  a.  a.  0.  S.  172  ist  geneigt,  dies  auf  den  Einfluss 
der  in  den  Süden  Europas  einbrechenden  germanischen  Völker  zurück- 
zuführen. Wahrscheinlicher  ist  aber,  dass  in  gebirgigen  und  unwirt- 
lichen Gegenden  Italiens  und  der  benachbarten  Inseln,  in  die  der  Arm 
und  Einfluss  des  römischen  Rechts  nicht  reichte,  die  alte  Glnt  des 
Hasses  und  der  Leidenschaft  weiter  glomm,  bis  sie  später  nach  Zerfall 
des  römischen  Staates  zu  neuen  Flammen  angefacht  wurde.  Wie 
lange  z.  B.  auf  germanischem  Boden  neben  im  übrigen  gefestigten 
Rechtszuständen  die  urgermanisclien  Gewohnheiten  der  Blutrache  weiter 
wucherten,  zeigt  aufs  deutlichste  die  Schrift  P.  Frauenstädts  Blutrache 
und  Totschlagsühne  im  Deutschen  Mittelalter  (Leipzig  1881). 

Wendet  man  sich  zu  den  arischen  Indogermanen,  so  kann  das  einstige 
Bestehen  der  Blutrache  bei  den  Indern  durch  den  sicheren  Nachweis 
ihrer  Bekanntschaft  mit  dem  Wergeid  als  zweifellos  angenommen 
werden.  In  der  Maitrayaniya  Samhitä  liest  man  I,  113,  13  (nach  Roth 
Das  Wergeid  im  Veda  Z.  d.  D.  Morgenl.  G.  XLI,  072 ff.):  „Einen 
Männermord  unter  (an)  den  Göttern  begeht,  wer  das  Feuer  (den  Agni) 
vertilgt  (auslöscht).  Nun  ist  die  Abfindung  für  den  Mann  ein  Hundert 
(gataddyö  rirö).  Indem  die  hierbei  üblichen  Panktiversc  100  Silben 
zählen,  büsst  er  hierdurch  den  Göttern  ab  für  den  (erschlagenen)  Mann." 
Hierzu  eine  Ergänzung  rindet  sich  im  TAndya  Brähmana  16,  1,  12.  13: 
„Der  Opferlohn,  den  er  zu  geben  hat,  besteht  in  112  Kühen.  Denn  wer 
den  Sorna  zerdrückt,  der  erschlägt  einen  Mann  aus  der  Zahl  der  Götter. 
Die  hundert  (Kühe)  sind  die  Mannbusse  (väiram),  die  er  den 
Göttern  hinauszahlt"  u.s.w.  Der  hier  unzweideutig  beschriebene  Ge- 
brauch des  Wergeides  lässt  sich  nun  auch  bis  in  die  späteren  Gesetzes- 
sammlungen (vgl.  G.  Bühler  Das  Wergeid  in  Indien  Festgruss  an  Roth 
S.  44  ff.)  deutlich  verfolgen.  Von  besonderem  Interesse  sind  hierbei 
die  Angaben  ßaudhäyanns  (1, 18, 18  —  1,  19,  6),  insofern  hier,  als  Teil 
des  Königsrechts,  die  Zahlung  des  Wergeids  als  eine  rein  weltliche 
Institution  dargestellt  wird:  „Brahmanen-Mord  oder  Tötung,  begangen 
durch  einen  Brahnmnen  wird  durch  Brandmarkung  und  Verbannung 
bestraft.  Der  Mord  oder  die  Tötung  eines  Mannes  gleichen  oder  nie- 
deren Standes,  begangen  durch  einen  Kshatriya,  Vaicja  oder  Qttdra, 
wird  je  nach  ihrem  Vermögen  durch  passende  Strafen  geahndet,  nämlich 
für  den  Mord  oder  die.  Tötung  eines  Kshatriya  soll  man  dem  Könige 
1000  Kühe  und  einen  Bullen  zahlen  zur  Entfernung  der  Feindschaft, 
desgleichen  für  einen  Vaicra  100  Kühe  und  einen  Bullen,  desgleichen 
für  einen  Cüdra  10  Kühe  und  einen  Bullen,  desgleichen  unter  ge 
wohnlichen  Umständen  für  eine  Frau  die  letztere  Busse."  An- 
genommen muss  werden,  dass  der  König  die  Kühe  der  Familie  des 


Digitized  by  Google 


Blutrache. 


103 


Erschlagenen  herausgiebt,  während  er  den  Bollen  für  sich  behält,  ganz 
wie  nach  germanischem  Recht  bei  gerichtlich  abgeschlossenen  Sühne- 
verträgen (s.  u.)  dem  König  oder  dem  Volk  ein  fredus  zufällt. 

Bei  den  übrigen  smrtikäras  werden  dann  die  ursprünglich  rein  pri- 
vaten oder  staatlichen  Geldbusscu  für  Tötung  mehr  und  mehr  Teile 
des  geistlichen  Rechts  (prdyagcitta-). 

Aber  auch  im  modernen  Indien  ist  die  Bekanntschaft  mit  dem  Wer- 
geid nicht  ganz  erloschen  (vgl.  ausser  Btthler  a.  a.  O.  Jolly  Recht 
und  Sitte  S.  131).  Ein  neuerer  Name  für  dasselbe  lautet  mund-kati 
(mundakdti),  eigentlich  ,Kopfabschncidung',  was  an  die  obengenannten 
Bezeichnungen  des  Wergeids,  altkymr.  galanas,  und  mgrieeb.  q>övo?  er- 
innert. Endlich  werden  auch  im  Awesta  Mordthaten  durch  Geldbussen 
(vgl.  bei  Justi  metöcinanh-),  zuweilen  auch  durch  die  Darbringuug 
junger  Mädchen  inäiriänanh-)  gebüsst.  Vgl.  W.  Geiger  Ostiran.  Kultur 
S.  452.  Ebendaselbst  vgl.  Uber  die  Blutrache  der  Afghanen,  die 
noch  heute  in  voller  Blüte  steht. 

Nach  alledem  kann  es  nicht  bezweifelt  werden,  das»  die  Blutrache 
als  eine  indogermanische  Institution  zu  betrachten  ist,  um  so 
mehr,  da  sich  auch  ein  Teil  ihrer  Terminologie  als  indogermanisch 
erweist.  Das  Verbum,  welches  ursprünglich  die  Ausübung  der  Rache, 
sowohl  die  blutige,  wie  auch  die  durch  Busse  herbeigeführte  bezeich- 
nete, war  sert.  ci,  cuyate  ,strafeti,  rächen',  aw.  ci,  grieeh.  tivoucu, 
TivuMai,  -rivw  ,sich  eine  Busse  entrichten  lassen,  strafen,  eine  Busse 
entrichten'.  Das  dazu  gehörige  Substantivum  ist  aw.  kaend-  »Strafe, 
Rache'  (npers.  kin  »Feindschaft,  Hass,  Zorn  )  =  grieeh.  Trotvn.  , Blutrache' 
und  , Wergeid'. 

Zweifellos  sind  aber  zu  grieeh.  Troivn.  auch  lit.  kainn  ,Wcrt,  Preis'  und 
altsl.  cena  ,Preis'  zu  stellen,  da  eben  das  Wergeid  den  Wert  des 
Menschen,  seinen  Preis  zum  Ausdruck  bringt.  Nimmt  man  nun  an,  dass 
neben  den  Wurzelformen  *qi-  (in  tivuj)  und  *qoi-  (in  Troivrp  noch  eine 
Hochstute  *qö(i)-  lag,  so  lassen  sich  noch  zwei  weitere  überaus  wichtige 
Rechtstermini  hier  anschliessen.  Ks  ist  dies  einmal  das  irische  edin 
gl.  emeuda  i.  e.  ,damni  reparatio',  ,satisfacti<>  de  iure  lacso  vel  de  in- 
iuria  illata'  {edin  aus  *cd-ni-,  wie  tdid  ,Dieb'  aus  *td-ti- :  tdi  , stehlen'; 
vgl.  Stokes  lrish  Glosses  S.  47  und  156)  und  zweitens  das  altsl.  kozni 
,Strafe',  .die  schwere  staatliche  Strafe,  z.  B.  für  Mord';  vgl.  Ewers 
Ältestes  Recht  der  Russen  S.  214  (ka-zni-  aus  +qö(i)-sni-  :  serb.  kajati 
,ulcisei';  vgl.  Miklosieh  Et.  W.  u.  ka-,  altsl.  kajati  se  .bereuen',  cigcntl. 
,sich  strafen  ).  Über  die  Entwicklung  des  Begriffs  der  Strafe  aus  dem 
des  Wergeids  oder  der  Busse  s.  u.  Strafe. 

Zweifelhafter  ist  es,  ob  neben  dem  idg.  Ausdruck  aw.  kaend-  = 
grieeh.  Troivrj,  welcher  ,Rache'  und  , Busse'  bedeutete,  noch  ein  beson- 
derer und  ausschliesslicher  Name  für  das  Wergeid  vorhanden  war. 
Einen  solchen  hat  man  (vgl.  L.  v.  Sehröder  Indogermanisches  Wergeid, 


Digitized  by  Google 


104 


Blutrache. 


Festgruss  an  Roth  S.  49  ff.)  aus  sert.  väira-  {väira-diya-y  räira-yätana-) 
agls.  wer-,  were-gild  (s.  o.)  und  altruss.  vira  ersch  Hessen  wollen.  Letz- 
teres Wort  bezeichnet  sowohl  in  der  Chronik  Nestors  wie  auch  im  ältesten 
russischen  Rechtsbuch,  der  Pravda  Russkaja  (hier  in  der  adjektivischen 
Form  vimoje),  die  zur  Sühnung  eines  Totschlags  an  den  Fürsten  zu 
zahlende  Leistung.  Indessen  ruht  auf  dem  altrussischen  und  nur  hier 
bezeugten  Worte  der  Verdacht  skandinavischer  Entlehnung,  und  auch 
das  wahre  Verhältnis  des  schon  von  Roth  mit  einander  verglichenen 
agls.  wer-,  were-  und  sert.  väira-  ist  schwer  zu  ermitteln.  Sicher  ist 
jedenfalls,  dass  beide  zu  dem  altidg.  Worte  für  Mann  (lat.  vir)  gehören. 

Wenn  also  die  Institution  der  Blutrache  und  ihrer  Ablösung  durch 
ein  Wcrgcld  als  indogermanisch  anzusehen  ist,  so  kann  man  doch  über 
das  Alter  einzelner  charakteristischer  Züge  dieser  Institution  zweifel- 
haft sein.  War  schon  in  der  Urzeit  eine  Instanz,  etwa  das  Schieds- 
richtertuni des  Königs  (s.  d.),  vorhanden,  vor  dem  die  beiden  feindlichen 
Sippen  sich  einigen  konnten,  ob  Zahlung  einer  Busse  stattfinden  oder 
der  Rache  freier  Lauf  gelassen  werden  sollte?  War  schon  damals 
die  Höhe  des  Wergclds  festgesetzt  oder  durch  Gebrauch  fest  geworden, 
eine  Annahme,  auf  welche  die  Übereinstimmung  des  indischen  Wergclds 
von  100  Kühen  für  den  erschlagenen  Mann  mit  germanischen  und 
slavischcn  Sätzen  (vgl.  Roth  und  Schröder  a.  a.  0.)  führen  könnte? 
u.  8.  w. 

Als  wahrscheinlich  darf  gelten,  dass  schon  in  der  Urzeit  die  unmittel- 
bare Tötung  des  Vollbringe«  gewisser  Gewalttaten  (s.  u.  Diebstahl 
und  u.  Ehebruch)  nicht  die  Blutrache  der  geschädigten  Sippe  her- 
vorrief, dass  also  der  Begriff  der  straf-  oder  besser  stthnelosen  Tötung 
als  Ansatz  einer  eigentlichen  Rechtsordnung  sich  bereits  auszubilden 
begonnen  hatte.  Doch  wird  mau  sich  hüten  müssen,  derartige  Begriffe 
und  Gewohnheiten  als  schon  in  alten  Zeiten  durchaus  fest  geworden 
anzusehen. 

Ihren  Ursprung  haben  die  Einrichtungen  der  Blutrache  in  dem  nicht 
weiter  ableitbaren  Rache-  und  Schutzbedürfnis  des  Menschen.  Die  Be- 
friedigung des  letzteren  fand  der  Indogerraane  ausschliesslich  oder 
vorwiegend  —  die  Gemeinschaft  des  Stammes  richtete  sich  mehr 
gegen  den  Kriegsfeind  —  in  der  Vereinigung  der  Sippe  (s.  d.).  Bei 
ihr  haftet  daher  die  Verpflichtung,  den  Sippengenossen  zu  schützen. 
Innerhalb  dieses  weiteren  Begriffs  fällt  wieder  in  erster  Linie  die 
Pflicht  der  Rache  gewissen  nächsten  Verwandten  des  Erschlagenen  zu. 
Bei  Homer  werden  als  solche  die  Söhne  und  Enkel,  der  Vater,  die 
Brüder  und  die  £tcu  genannt.  Leider  ist  letzteres  ein  nicht  mit  Sicher- 
heit übersetzbarer  Ausdruck.  Er  wird  zu  o*Fe(*o*F€Tä-)  gehören  und  so 
viel  wie  , Angehörige'  bedeuten.  Von  Affinen  als  Bluträchern  ist  nirgends 
die  Rede.  Einmal  (II.  XV,  554)  wird  ein  dveiyiö?  genannt.  Es  gilt  dies 
von  Mclanippos,  dem  Sohne  des  Hiketaon,  in  seinem  Verhältnis  zu 


Digitized  by  Google 


Blutrache. 


105 


Dolops,  dein  Sohne  des  Lampos.  Nun  waren  Hiketaon  und  Lampos 
(II.  XX,  238)  Brtlder,  so  dass  wir  es  also  mit  Brndersöhnen  zu  tbnn 
haben.  Es  werden  demnach  von  Homer  nur  agnatische  Verwandte 
als  Bluträcher  genannt. 

In  bestem  Einklang  hiermit  steht  die  oben  angeführte  Stelle  der 
Oesetzgebung  Xumas,  nach  welcher  der  Widder  den  Agnaten  des 
Erschlagenen  zu  übergeben  war.  Freilich  beruht  die  Lesung  agnati* 
auf  einer  Verbesserung  der  sinnlosen  Worte  et  natix,  die  aber  gegen- 
wärtig wohl  von  allen  Rechtshistorikern  angenommen  ist.  Eine  Aus- 
nahme macht  wohl  nur  Leist  Graeco-italische  Rechtsgcschichte  S.  349  f., 
indem  er  cognatis,  nicht  agnutix  lesen  will.  Zu  dieser  Auffassung 
gelangt  er,  weil  er  spätere  Grundsätze  des  römischen  Rechts  Uber  An- 
klagerecht, bzw.  Anklagepflicht  nächster  kognatiseher  Verwandten  (vgl. 
namentlich  Glück-Leist  Commentar  V,  65  ff.)  in  direkte  Beziehung  zu 
der  auch  von  ihm  für  Roms  Urzeit  angenommenen  Blutrache  setzt. 
Aus  einer  idg.  Pflicht  zur  Blutrache  innerhalb  des  Kognatenkreises 
(xobrino  tenus)  sei  später  ein  bevorzugtes  Anklagerecht  derselben  Ver- 
wandten geworden.  Allein  von  sachverständiger  Seite  wird  einge- 
wendet, dass  der  von  Leist  eonstruierte  Zusammenhang  kaum  haltbar 
sei.  In  der  früheren  Zeit  seien  bei  dem  Verfahren  wegen  parricidium 
die  Anklagen  gar  nicht  von  Verwandten  oder  überhaupt  von  Privat-, 
sondern  von  Magistratspersonen  (den  quaextorex  parricidii)  erhoben 
worden.  Privatkläger  seien  erst  denkbar  nach  Einsetzung  der  quae- 
stionex  perpetuae  (149  v.  Chr.),  die  ursprünglich  für  privatrechtliche 
Ansprüche  eingerichtet,  es  allmählich  auch  mit  dem  Strafrechte  zu 
thun  bekommen  hätten.  Bei  diesen  hätte  im  allgemeinen  jeder  als 
Kläger  auftreten  können,  nur  nicht  ursprünglich  die  Frauen,  und  die 
von  Leist  in  dem  oben  angegebenen  Sinne  ausgelegten  Stellen  der 
Rechtsquellen  bezögen  sich  auf  nichts  anderes,  als  dass  ausnahmsweise 
auch  Frauen  als  Nächstangehörige  das  Recht  (nicht  die  Pflicht)  zu 
klagen  haben  sollten.  Ähnliches  gelte  von  den  ursprünglich  ebenfalls 
zur  Klage  nicht  zugelassenen  Soldaten.  „Eine  Verpflichtung  von  Kog- 
naten, den  Tod  des  Familiengenosscn  zu  rächen,  die  nach  Leist  schon 
der  prähistorischen  Zeit  angehören  soll,  ist  in  den  römischen  Reehts- 
quelleu  nirgends  zu  entdecken." 

Viel  eher  könnte  man  geneigt  sein,  mit  Brunnenmeister  Tötungsver- 
brechen S.  163  die  freilich  auch  erst  spät  hervortretende  Anschauung, 
denjenigen  für  erb  unwürdig  zu  erklären,  der  es  unterlassen  hat,  den 
Mord  des  Erblassers  zu  verfolgen  (vgl.  z.  B.  Pauli  Sent.  rec.  HI,  5  §  2: 
Honextati  enim  lieredix  conrenit,  qualemcunque  mortem  textatorix  in- 
ultam  non  praetermittere),  als  einen  Nachhall  uralter  Anschauungen 
aufzufassen.  Der  Eibgang  aber  ruht  in  Rom  auf  agnatischer 
Grundlage. 

Die  indischen  und  germanischen  Quellen  tragen  zur  Charakterisierung 


Digitized  by  Google 


106 


Blutrache  —  Bohne. 


der  ältesten  Faniiliengenossensehaft  der  Blutrache  direkt  nichts  bei. 
Die  älteste  russische  Pravda  (vgl.  Ewers  a.  a.  0.  S.  264)  aber  bestimmt: 
„Erschlägt  der  Mann  einen  Mann,  so  räche  der  Bruder  den  Bruder, 
oder  der  Sohn  den  Vater,  oder  der  Vater  den  Sohn,  oder  der  Bruder- 
sohu,  oder  der  Schwestersohn."  Au  letzter  Stelle  ist  hier  also  als 
Blnträcher  ein  kognatischer  Verwandter  (aus  der  Anchistic  rcpd^  narpö?) 
genannt  oder  wahrscheinlich  angefügt  worden.  Wenn  so  die  unmittel- 
baren, auf  die  Ausübung  der  Blutrache  bezüglichen  Nachrichten  die  Frage, 
ob  in  der  Urzeit  die  Verpflichtung  zur  Rache  nur  bei  aguatischen  oder 
auch  bei  kognatischen  Nahverwandten  ruhte,  nicht  mit  voller  Evidenz  in 
ersterem  Sinuc  entscheiden  könuen,  so  geschieht  dies  durch  die  von  nie- 
mandem geleugnete  Verbindung,  in  der  die  Pflicht  zu  rächen  mit  dem  Recht 
zu  erben  auftritt.  Dass  hier  eine  Nahverwandtschaft  nur  durch  ag- 
natisch verbundene  Personen,  nämlich  durch  Männer,  welche  den  gleichen 
Vater,  Grossvater  oder  Urgrossvater  mit  einander  gemein  hatten,  in 
der  Urzeit  gebildet  wurde,  ist  n.  Erbschaft  gezeigt  worden. 

Die  Bedeutung  der  Blutrache  beginnt  zu  schwinden,  je  mehr  der 
Begriff  des  Staates  (s.  d.)  in  Europa  hervortritt.  Dieser  Prozcss  ist 
bei  den  einzelnen  Völkern  in  verschiedener  Weise  und  zu  verschiedener  Zeit 
vor  sich  gegangen.  Iu  Attika  hat  vor  Drakon  der  Arcopag  alle  Blutprocesse 
entschieden  (vgl.  Gilbert  Die  Entwicklungsgeschichte  der  athenischen  Blut- 
gerichtsbarkeit Jahrb.  f.  klass.  Phil.  XXIII  Suppl.  S.  485  IT.).  Das  römische 
Recht,  sahen  wir,  hatte  schon  vor  aller  Überlieferung  die  Privatrache 
überwunden.  Im  Norden  zeigt  sich  dagegen  die  Blutrache  in  gewissem 
Sinne  in  die  Verfassung  der  civitas  eingegliedert.  Es  steht  bei  den 
Germanen  der  gekränkten  Sippe  frei,  entweder  den  Weg  der  Fehde 
zu  beschreiten  oder  auf  privatem  Wege  die  Busse  zu  erwirken  oder 
die  letztere  bei  dem  concilium  einzuklagen  (vgl.  Brunuer  Deutsche 
Rcchtsgesehichte  I,  160).  Bei  den  Slaven  endlich  hielt  noch  der 
russische  Fürst  Vladimir  dem  Drängeu  der  Bischöfe  gegenüber,  die  ihn 
ermahnten,  die  sich  mehrenden  Mordthaten  von  Staatswegen  zu  be- 
strafen, es  für  Unrecht  (grechü),  solches  zu  thun  und  das  Wergeid  (vira) 
zu  beseitigen  (vgl.  Ewers  a.  a.  0.  S.  213).  Hier  im  Norden  Europas 
hat  vor  allem  die  christliche  Kirche  durch  die  Begründung  des  Gottes- 
friedens (treuga  dei),  durch  die  Eröffnung  von  Asylen  fs.  u.  Tempel}, 
durch  eine  straffe  Bussdisziplin  u.  s.  w.  energisch  und  erfolgreich  die 
überall  noch  vorgefundene  Einrichtung  der  Blutrache  bekämpft.  S.  auch 
u.  Körperverletzung  uud  u.  Recht  (Straf recht ). 

Blutschande,  s.  Verwandtenehc. 

Blntsfreanclschaft,  s.  Freuud  und  Feind. 

Boden,  s.  Eigentum. 

Bodenkultur,  s.  Ackerbau. 

Bogen,  s.  Pfeil  und  Bogen. 

Bohne.     Auf  keinen  Fall  kann  unsere  heutige  Gartenbohne 


Digitized  by  Google 


Bohne. 


107 


(Phaseolus  vulgaris  L.)  in  alten  Zeiten  bekannt  gewesen  sein,  da  sie 
nachweislich  erst  ans  Amerika  bei  nns  eingeführt  worden  ist.  Es  bleibt 
daher  nur  die  Geschichte  der  sogenannten  Saubohne  (Vicia  Faba  L.f 
Faba  vulgaris  Meh.)  zn  bestimmen  übrig. 

Die  archäologische  und  historische  Überlieferung  weist  auf  ein  hohes 
Alter  ihres  Anbaues  in  Europa  hin.  Aus  ncolithischcu  Stationen  ist 
derselbe  in  Italien,  Spanien  und  Ungarn  nachgewiesen  worden,  während 
er  in  der  Schweiz  allerdings  erst  in  den  der  Bronzezeit  angehörigen 
Pfahlbauten  zu  belegen  ist  (vgl.  Buschan  Vorgesch.  Bot.  S.  21 H).  Auch 
Homer  (II.  XIII,  589)  kennt  bereits  die  kügujoi  ueXotvöxpoe^,  die  dunkel- 
farbigen Bohnen,  die  auch  in  Hissarlik  (vgl.  Wittmack  Berichte  d.  D. 
bot.  Ges.  1886)  gefunden  wurden.  Nicht  weniger  muss  in  Italien,  wo 
die  Pfahlbauten  der  I'oebcne  ebenfalls  Faba  tulgari*  aufweisen,  die 
Bohne  ein  wichtiges  nnd  beliebtes  Nahrungsmittel  der  älteren  latei- 
nischen Zeit  gewesen  sein,  was  ausser  durch  vieles  andere  (vgl.  Heibig 
Die  Italiker  in  der  Poebene  S.  TO),  durch  die  alten  Bauernuamen  der  Fabii, 
des  Modius  Fabidiua,  des  Mettim  Fufetiutt  bewiesen  wird.  Von  den 
Kelten,  wenigstens  den  oberitalischen,  berichtet  IMinius  Hist.  nat.  XVIII, 
101 :  Panko  et  Galliae  quidem,  praeeipue  Aquitania  utitur;  sed  et 
Circumpadana  Italia  addita  faba,  sine  qua  nihil  conficiunt. 
Nach  demselben  Autor  (IV,  97)  nannten  die  römischen  Soldaten  die  Insel 
Bureana,  das  heutige  Borknru,  Fabaria,  a  frugis  multitudine  sponte 
procenientis.  Waren  es  dennoch  angebaute  Bohnen,  da  an  wilde  kaum 
gedacht  werden  kann?  Eine  andere  Insel  der  Nordsee  hiess  vielleicht  (vgl. 
Plinius  I.  c.  IV,  94)  wirklich  Jiaunonia  (altn.  bann  , Bohne  ).  Die  LexSnlica 
enthält  schon  in  den  ältesten  Codices  1  u.  2  (Hessels)  XXIX,  7  die 
Straf bestimmnng:  Si  quis  in  napina,  in  fauaria,  in  pissaria  vel  in 
lenticlaria  in  furtum  ingrexsm  fuerit,  etc.  Über  Bohnenfunde  in 
Deutschland,  allerdings  erst  aus  der  Eisenzeit,  vgl.  Buschan  a.  a.  0.  — 
Auch  die  Sprache  weist  auf  ein  hohes  Alter  der  Bohne  bei  den  idg. 
Völkern.  Wie  die  Arier  durch  die  Übereinstimmung  von  sert.  md'sha- 
—  npers.  mäs,  Pamird.  ma%  (letzteres  freilich  , Erbse  )  verbunden  werden, 
so  herrscht  in  Europa  die  Gleichung  :  lat.  faba  (woraus  durch  Ver- 
mittlung eines  brit.  *ßbi-  entlehnt  ir.  seib^  =  altpr.  babo,  altsl.  bobü 
,Bohne'.  Auch  lit.  pupä  gehört  hierher,  dürfte  aber  erst  durch  finnische 
Vermittlung  aus  dem  Slavischcn  übernommen  sein  (vgl.  Kretsehmer 
Einleit.  S.  146).  Hingegen  lässt  sich  ahd.  böna,  altn.  baun  vorläufig 
nicht  mit  faba  vermitteln.  Alleinstehend:  griech.  kuciuos,  miavo?  :  kucu> 
,schwelle'.  Alb.  baih  ,Saubohne'  s.  u.  Linse.  Die  slaviscbe,  ihrem 
Ursprung  nach  noch  unerklärte  Gruppe  von  altsl.  grachü  umfasst  mit  fc 
ihren  Entlehnungen  (alb.  grosr,  ngrieeh.  fpaxos,  tttrk.  gray)  zwar  alle 
Arten  von  Hülsenfrüchten,  scheint  aber  doch  vorwiegend  , Bohne'  zu 
bedeuten. 

Nach  alledem  kann  mau  es  als  wahrscheinlich  ansehen,  dass  die 


Digitized  by  Google 


Iiis 


Bohne  —  Braun. 


Saubohne,  die  anch  indem  ägyptisch-semitischen  Kulturkreis  von 
ältester  Zeit  an  bekannt,  obwohl  bei  den  Ägyptern  (ähnlich  in  Indien; 
vgl.  L.  v.  Schröder  Pythagoras  S.  35)  als  Speise  aus  religiösen  Gründen 
verabscheut  ist,  zu  den  ältesten  Ackerbaufrachten  der  europäischen 
Indogermanen  gehört.  Als  Stamnipflanze  der  Saubohne  sieht  mau  Vicia 
narbonensis  an,  die  in  den  Mittelmecrländcrn  und  im  Orient  bis  Meso- 
potamien hin  wildwachsend  verbreitet  ist. 

Zu  erwähnen  bleibt,  dass  von  den  Griechen  neben  der  Saubohne  auch 
eine  Dolichosart  (Dolichoa  melanophthalmoa  D.  C.)  angebaut  wurde: 
böXixo^  (Thcophr.),  tfuiXaS  Ktinaia  und  (patfioXo^  (Diose.),  letzteres  von 
dem  schon  früher  bezeugten  <pdo*n>os  abgeleitet.  Hieraus  entlehnt  lat. 
phaseluft,  faseolu*,  phaxiolu*.  Dieselbe  Pflanze  meint  auch  griech.  Xößia 
(vgl.  v.  Fischer-Benzon  S.  98),  zu  Xoßoi  »Schotenhülsen*,  X^ßiveoq  ,eine 
Schotenart'  (lat.  legthnen?)  gehörig.  Auch  dieses  Wort  hat  eine  weite 
Wanderung,  und  zwar  in  östlicher  Richtung,  angetreten,  wie  kurd. 
lobia,  npers.  tübiya,  anneu.  lovias.  lubia,  syr.  lubjd  etc.  zeigen  (vgl. 
Löw  Aram.  Pfianzenn.  S.  234,  Ilübschmann  Armen.  Gr.  I,  267).  S.  u. 
Hülsenfrüchte  und  u.  Ackerbau. 

Bohrer.  Steinerne  Werkzeuge  zum  Durchbohren  des  Holzes  sind 
in  der  neolitbischen  Zeit,  ja  schon  in  den  voraufgehenden  Perioden,  an 
vielen  Orten  und  in  Menge  zu  Tage  getreten.  Ein  idg.  Name  derselben 
ist  griech.  ihom.)  Te'pcTpov  =  ir.  tarathar;  vgl.  auch  lat.  terebra.  Man 
beachte  noch  die  Gleichungen  lat.  forare  =  ahd.  borön  und  lit.  grp&ü 
,bohre',  altpr.  gransti*  , Bohrer',  lett.  grtsnis  ,DrilIbohrcr'  =  mhd.  krinc 
,Kreis'  (Bohrloch).  Das  Slavische  verwendet  für  den  Begriff  des  Bohrens 
meist  die  Wurzel  vert,  altsl.  vrütiti  etc.,  für  den  Bohrer  das  gemeinsl. 
altsl.  tscrtidlü  (*8verd- :  ahd.  xicert,  agls.  xiceord,  altn.  sverd  ,Schwert'?). 
Gemeingermanisch  ist  die  Zusammensetzung  ahd.  naga-ber  aus  *naba- 
ger,  agls.  nafo-gär,  altndd.  nabugSr,  altn.  nafarr  (finnisch  napa- 
Jcaira),  wörtlich  ,Gcreiscu  zum  bohren  der  Nabe'.  Gemeinkeltisch: 
*al'i-"dlo  #  ,Bohrcr'  (kymr.  ebil  »terebrum';  vgl.  lat.  aculeus  nach  Stokes 
Urkelt.  Sprachschatz  S.  5).  —  S.  u.  Werkzeuge. 

Boot,  s.  Schiff,  Schiffahrt. 

Borgen,  s.  Schulden. 

Braten,  s.  Kochkunst. 

Brauen,  s.  Bier. 

Braun.  Ein  idg.  Name  dieser  Farbe  ist  in  der  Benennung  des 
Bibers  (s.  d.)  erhalten.  Als  Farbenadjektivum  ist  das  Wort  (idg.  *bhe- 
bhr-u  )  noch  in  sert.  babhrit-  ,braun'  und  (ohne  Reduplikation)  in  dem 
gemeingerm.,  auch  ins  Romanische,  Litauische  und  Slavische  entlehnten 
ahd.  briln,  altn.  brünn  bewahrt.  Vgl.  auch  griech.  q>puvn,  ,Kröte'  (die 
jbraunc  ).  Die  reduplikatiousloscn  Stammstufen  bher-  und  bher-  scheinen 
in  ahd.  bero  ,Bär'  (,Meister  Braun')  und  in  lit.  beras  .braun'  (nur  von 
Pferden)  vorzuliegen.  Die  Einzclsprachen  benennen  das  Braun  entweder 


Digitized  by  Google 


Braun  —  Brautkuuf. 


10!» 


im  Hinblick  auf  das  Schwarz  (z.  B.  griech.  dpcpvivo?  :  öpqpvri  Finsternis', 
lat.  fuscus  :  lat.  furvus  ,kohlschwarz'  ans  *fus-to-s;  über  ir.  donn  etc. 
vgl.  Stokes  Urkelt.  Sprachschatz  S.  152),  oder  auf  das  Rot  (lit.  riidas  : 
raudönas  ,rot'),  oder  das  Gelb  (lat.  badius  :  ir.  buide  ,gelb',  ahd.  elo 
aus  lat.  helcus).  Altai,  ttmaglü  ,fuscus'  scheint  soviel  wie  ,dürr,  ver- 
brannt' zu  sein  (vgl.  Miklosich  Et.  W.).  S.  noch  u.  Gelb,  Schwarz 
und  Weiss,  und  u.  Farbe. 

Braut,  Bräutigam  s.  Heirat. 

Brautkauf.  Die  idg.  Ehe  beruht  auf  dem  Kaufe  des  Weibes. 
Von  dem  alten  Griechenland  berichtet  Aristoteles  Polit.  II,  5,  11  aus- 
drücklich: toÜ£  Top  dpxcuous  vöpout  Xiav  airXoC^  elvai  Kai  ßapßapiKOÜ;: 
£(Tibripo<poGvxö  T€  xdp  o\  "EXXn,V€q  Kai  xd^  xuvaiKaq  duuvoüvxo. 
Diese  Angabc  wird  noch  durch  die  homerischen  Gedichte  bestätigt. 
Hier  wird  eine  Jungfrau  dX<peo*ißoia  genannt,  weil  sie  den  Eltern  einen 
guten  Preis  in  Gestalt  von  Rindern  einbringt.  Zuweilen  werden  nam- 
hafte, dTTCiptoia  £bva,  dem  Vater  des  Mädchens  dargebracht.  Vgl.  z.  B. 
II.  XI,  244: 

TTpOde'  *KOXÖV    ßOÜS  bÜJK€V,  ^TTClXa  bfc  X»*»'  Ü1T€0"Tr|, 

aifaq  öpoö  Kai  öi?,  xd  o'i  äarrcxa  Troinaivovxo. 
Nicht  weniger  deutlich  ist  die  Kaufehe  bei  den  alten  Thrakern 
bezeugt.  Vgl.  Herodot  V,  (>:  lüveovxai  xd?  YuvaiKaq  irapd  xüjv  tovcwv 
Xpimdxaiv  uttä^wv  und  Xcuophon  Anab.  VII,  2,  38:  Zoi  bt,  u>  Eevoqpoiv 
(sagt  der  Thrakerfürst  Seuthes),  Kai  0uYax€'pa  buiaui  Kai  eixiq  o*oi  fem 
6urdxr|p,  iüvr|0*opai  OpaKiiy  vöuui.  Ebenso  ist  es  bei  deu  Litauern. 
Vgl.  Michalonis  Lituaui  De  moribus  Tartarorum,  Lituanorum  et  Mo- 
schorum  fragmina  ed.  Grasser  Basiliae  1615  S.  28:  Quemadmoduni  et 
in  nostra  olim  gente  solvebatur  parentibm  pro  npomis  pretium,  quod 
krieno  (,Kaufpreis'  :  sert.  krind'mi,  lett.  kreens,  kreena  näuda  ,ein 
Geschenk  an  die  Braut')  a  Samagitis  vocatur.  Bei  den  Slaven  gab 
nach  der  Chronik  Nestors  Vladimir  (980 — 101»)  den  byzantinischen 
Kaisern  Basilius  und  Konstantin  für  die  Hand  ihrer  Schwester  Anna 
als  ceno  , Kaufpreis'  (s.  u.)  Cherson,  und  Jaroslav  (1019 — 1054)  erhielt 
von  Kaziinir  von  Polen  für  seine  Schwester  Maria  als  veno  800  Menschen, 
die  Boleslav  vordem  gefangen  genommen  hatte  (vgl.  Krek  Analecta 
Gracciensia  S.  187).  Bei  den  Sudslaven  herrscht  der  Brauch  des  Braut- 
kaufs teilweis  noch  heute  (vgl.  Krauss  Sitte  und  Brauch  der  SUdslavcn 
S.  272  ff.). 

Auch  bei  den  Germanen  erfolgte  die  Eheschliessung  durch  Frauen- 
kauf, und  die  Geschenke,  welche  nach  Tacitus  Genn.  Cap.  18  (dotem  non 
tueor  marito,  sed  uxori  maritus  offerf  :  boves  et  frenatum  equum 
et  scutum  mm  framea  gladioque)  der  Mann  der  Frau  nach  Billigung 
durch  die  Eltern  und  Sippe  der  Braut  darbringt,  können  kaum  etwas 
anderes  als  der  Kaufpreis  für  das  Mädchen  (/»  haec  munera  uxor 
aeeipitur)  sein.  Noch  in  den  späteren  Volksrechten  heisst  ^erheiraten' 


Digitized  by  Google 


110 


Brautkauf. 


uxorem  emere,  feminam  vendere,  die  , Braut'  pttella  empta,  die  Ver- 
lobung' mercatio  u.  s.  \v.  (Brunner  Deutsche  Rechtsgcscbichte  I,  74). 
über  die  altiri sehen  Verbältnisse  vgl.  0 'Curry  Manners  and  customs 
I,  CLXXIIff.  Hier  gebt  bereits  nur  ein  Teil  der  Geschenke  des 
Bräutigams  an  den  Vater  des  Mädchens  oder  das  Haupt  ihrer  Sippe, 
während  das  übrige  der  jungen  Frau  gehört.  S.  auch  über  ir.  tindscra 
,Kaufpreis  eines  Mädchens'  bei  Windisch  Irische  Texte  Wb.  s.  v. 

Endlich  hat  auch  im  vedischen  Altertum  der  Frauenkauf  gegolten. 
Vasishtha  (Dbarmacästra  I,  36;  vgl.  auch  Apastamba  II,  6,  12)  nennt 
eine  Vedastelle,  nach  welcher  der  Bräutigam  au  den  Vater  100  Kühe 
(vgl.  oben  ^kotov  ßou<;)  nebst  einem  Wagen  zu  zahlen  habe.  An  anderen 
Stellen  ist  von  einer  Frau  die  Rede,  die  mit  anderen  Männern  ver- 
kehrt, obschon  ihr  Gatte  sie  gekauft  habe,  und  Rigveda  I,  109,  2 
werden  die  reichen  Geschenke  des  Tochtermanns  erwähnt  (vgl.  Jolly 
Grundriss  der  indo-ar.  Phil.  II,  8;  52,  Zimmer  Altindisches  Leben  S.  310). 
Doch  lehnen  sich  später  die  Smrtis  gegen  jede  Art  des  Frauenkaufs 
auf,  der  höchstens  den  Vaicva  und  QQdra  gestattet  sein  soll. 

So  ist  nur  bei  den  Römern  der  Kauf  des  Mädchens  gegenüber 
anderen  Formen  der  Eheschliessung,  namentlich  der  rein  sakralen  con- 
farreatio,  ganz  zurückgetreten ;  doch  dürfte  nicht  zweifelhaft  sein,  dass 
in  der  symbolischen  Handlung  der  coemptio  auch  hier  eine  Erinnerung 
an  den  ursprünglichen  Zustand  bewahrt  ist  (vgl.  Leist  Altarisches  Jus 
gentium  S.  128  ff.). 

Zweifellos  ist  der  Kauf  des  Mädchens  ursprünglich  ein  Kauf  ihrer 
Person  gewesen  und  hat  nicht  etwa  (wie  später  bei  den  Germanen) 
nur  die  Erwerbung  des  Schutzrechts  (s.  u.)  über  dasselbe  bedeutet. 
Bemerkenswert  ist  die  Übereinstimmung  des  Kaufpreises  von  100  Kühen 
mit  der  gleichen  Höhe  des  Wergeides  des  Mannes  (s.  u.  Blutrache). 

Der  idg.  Name  des  Kaufpreises  einer  Frau  ist  erhalten  in  dem 
grieeb.  ebvov,  &bvov  (bei  Homer  fast  immer  von  den  Geschenken  an  die 
Braut  oder  an  ihre  Eltern  gebraucht),  agls.  icentuma  , Kaufpreis  der 
Braut',  bnrgund.  wittemo  (<juod  maritu*  dedit'\,  ahd.  trhlamo  ,dos', 
altsl.  veno  (vgl.  Pedersen  I.  F.  V,  67)  ,dos'  („es  wird  urspr.  den  für 
die  Braut  ihrer  Familie  bezahlten  Preis  bedeutet  haben,  eine  Mitgift 
erhielt  die  Braut  in  alter  Zeit  nicht",  Miklosich  Et.  W.;  vgl. 
auch  Kiek  a.  a.  O.i.  Die  Sippe  gehört  zu  der  Wurzel  redh.red 
, heimführen'  (s.  u.  Heirat)  und  bedeutet  also  den  Preis,  den  man 
für  die  Hcimflilirung  «ler  Braut  zahlte.  Ferner  sind  zu  nennen  neben 
dein  schon  oben  erwähnten  lit.  krieno  , Kaufpreis'  (vgl.  auch  lit.  kraitis 
jBrautsehatz',  .Mitgift  >  :  longob.  iurta  lahd.  nrieta,  ein  idg.  Wort  für 
,Lohn,  Bezahlung,  Preis";  s.  u.  Lohn)  und  altn.  tintndr,  ein  spezifisch 
germanischer  Ausdruck  für  das  Loskaufen  des  Mädchens  aus  der  ,lland' 
f altn.  wundj  des  Vaters,  schliesslich  seit,  ytlkä-  ,money  given  to  the 
parents  of  the  bride'  (vgl.  Indische  Stud.  V,  407  und  Jolly  a.  a.  0. 


Digitized  by  Google 


Brautraub  —  Brot. 


111 


S.  52)  ,Kaufpreis'  :  russ.  suliti  »versprechen",  posulü  ,Geschenk  zur 
Bestechung',  lit.  stilyti,  also  eigentlich  , Angebot'.  —  S.  u.  Ehe,  Mit- 
gift, Raubehe. 

Brautraub,  s.  Raubehe. 

Brautwerber,  s.  Heirat. 

Brei.  Eine  uralte  Benutzung  des  Mchles  der  Getreidearten  ist 
•die  zum  Brei,  wovon  Spuren  sich  mehrfach  in  prähistorischen  Gefässen 
gefunden  haben  (vgl.  z.  B.  Heibig  Die  Italiker  in  der  Poebene  S.  17). 
Eine  idg.  Gleichung  für  diese  Speise  liegt  in  griech.  ttöXto?  (Alkman 
neben  dem  dunklen  £tvo$  id.)  =  lat.  puls  vor.  Nach  Plinius  Hiat. 
nat.  XVIII,  83  (pulte  autem,  non  parte  vixtese  longo  tempore  Roma- 
nos manifestum)  wäre  der  Brei  sogar  älter  als  das  Brot,  wobei  jedoch 
an  ein  späteres  vervollkommnetes,  namentlich  gesäuertes  Backwerk  (s. 
u.  Brot)  zu  denken  sein  wird.  Auch  bei  den  Germauen  war  nach 
Plinius  XVIII,  149  (quippe  quum  Germaniae  populi  serant  eam 
(avenam)  neque  alia  pulte  vivant)  die  Grütze  (ahd.  gruzzi,  altn. 
grautr)  eine  sehr  beliebte  Speise.  Über  ähnliche  altindische  Gerichte, 
namentlich  den  karambhd-  vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  268  f.  —  S. 
n.  Nahrung. 

Brief,  s.  Schreiben  und  Lesen. 

Brombeere,  s.  Beerenobst. 

Bronze,  s.  Erz. 

Brot.  Die  Prähistorie  weist  auf  ein  hohes  Alter  des  Brotes  in 
Europa  hin.  In  den  Schweizer  Pfahlbauten  siud  verschiedene  Brot- 
arten, und  zwar  sehon  in  den  ältesten  Stationen  (Wangen,  Robenhausen), 
zu  Tage  getreten,  die  von  0.  Heer  (Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  9) 
ausführlich  beschrieben  werden.  Sie  bestellen  teils  ans  Weizen,  teils 
ans  Hirse:  „Bei  dem  gewöhnlichen  Weizenbrot  wurden  die  Körner 
stark  gerieben,  dann  mit  Wasser  ein  Teig  angemacht,  und  dieser  auf 
einen  heissen  Stein  gelegt  und  wahrscheinlich  mit  Asche  zugedeckt  .  .  . 
Es  waren  diese  Brote  rundlich,  aber  ganz  nieder;  sie  hatten  nur  eine 
Höhe  von  15 — 25  mm,  bekamen  also  mehr  die  Form  von  Kuchen  oder 
Zelten,  wie  man  in  manchen  Gegenden  solche  flache  Brote  nennt". 

Schwieriger  ist  es,  das  Alter  des  Brotes  in  Europa  auf  sprach- 
lichem Woge  festzustellen.  Es  handelt  sich  dabei  namentlich  um  die 
Reihe:  lat.  l/biim,  gemeingerm.  got.  hhiiß,  gemeinsl.  altsl.  chtebä. 
Trotz  allem,  was  in  neuerer  Zeit  über  das  Verhältnis  dieser  Wörter 
zu  einander  gesagt  worden  ist  (vgl.  Kozlovsky  Archiv  f.  slav.  Sprachen 
XI.  :;,  ZW,  Liden  BB.  XV,  3,  514,  Pedersen  I.  F.  V,  5u,  L'hlenbeck 
Et.  W.  S.  To},  ist  ein  sicheres  Ergebnis  noch  nicht  erzielt.  Am  wahr- 
scheinlichsten dürfte  immerhin  die  Ausety.ung  eines  ureuropnischen 
Stammes  *kltloibho-  got.  hliiij's,  Hhleihho-  lat.  libnm,  altsl.  vh b'-bft  , 
*khlihho-  nihd.  U;be.-kuocht'  im  Sinne  von  Brotkuclien*  sein.  Auch 
sonst  treten  Übereinstimmungen  in  der  Terminologie  der  Brotbere?tung 


Digitized  by  Google 


112 


Brot. 


in  den  europäischen  Sprachen  hervor.  Vgl.  besonders  ahd.  bahhan, 
agls.  bacan  =  grieeh.  <pujyu)  (phryg.  ߀KÖ^  ,Brot,  Herod.  II,  2?).  8. 
weiteres  u.  Kochkunst,  Küche.  Vgl.  ferner  gemeingerm.  ahd. 
knetan  =  altsl.  gnedq,  altpr.  gnode  ,Teigtrog\  , Backtrog'  und  urkelt. 
*tais-to-  (ir.  Mi«,  kymr.  toes)  ,Teig'  =  urslav.  *tMo-  (russ.  testo  n.  s.  w.) 
id.  (daneben  ahd.  deismo,  agls.  p&sma  »Sauerteig'). 

Einzel  sprachliche  Bezeichnungen  des  Brotes  sind:  griech.  äpxo^ 
(dunkel),  rrupvov  ( :  Trupöq  , Weizen'),  uciZa  ( :  uäereru)  , knete  ),  lat.  pdnis 
(ipaacor;  ir.  ain-chut  , Brotkorb',  *ain-  aus  *p(1ni-?)%  gemeinkeit.  ir. 
bairgen  (vgl.  lat.  feretum  ,Opferkuchen'),  altpr.  sompisenis  ,grobes 
Brot'  ( :  altsl.  pUeno  ,<5\<piTov'),  geit»  (:  altsl.  zito  , Frucht',  ,Getreidc), 
lit.  duno  ( =  sei  t,  dhdnd'  PI.  ,Getreidekürner' ;  daneben  lit.  Hipas  und  lett. 
klaips,  die  mit  den  oben  genannten  altsl.  chUhü,  got.  hlaifs  zusammen- 
hängen). Auch  diese  einzelsprachlichen  Bildungen  machen  teihveis  den 
Eindruck  hohen  Alters. 

Endlich  kann  mau  für  die  frühe  Bekanntschaft  Europas  mit  dem 
Brot  oder  Brotkuchen  noch  geltend  machen,  dass,  wie  im  griechischen 
und  römischen  Heidentum  (vgl.  Lobeck  De  placentis  sacris  I  und  II, 
Regimonti  Boruss.  1828),  so  auch  im  germanischen,  heiliges  Back- 
werk in  verschiedenen  Gestalten  gebacken  wurde.  In  dieser  Beziehung 
braucht  nur  an  das  im  Indiculus  superstitionum  et  paganiarum  genannte 
«imuUicrum  de  conxparsa  farina  oder  an  den  agls.  solnwnath  (potest 
dici  memis  placentarum,  quas  in  eo  diis  suis  offerebant  bei  Beda) 
erinnert  zu  werden.  Bekanntlich  haben  unsere  Bretzeln,  Hörnchen, 
Stollen,  Krapfen,  Kipfel  u.  s.  w.  bis  heute  eine  Erinnerung  an  dieses 
heidnische  Backwerk  bewahrt. 

Wir  sahen  oben,  dass  eine  charakteristische  Eigentümlichkeit  jener 
ältesten  Brote  der  Schweizer  Pfahlbauten  ihre  Niedrigkeit  war,  die 
schon  J.  Lubbock  (Die  vorgesch.  Zeit3  S.  207)  auf  den  Gedanken 
brachte,  dass  sie  ohne  Hefe  hergestellt  worden  sein  möchten.  Sieber 
sind  die  dem  Pfahlbau  des  Mondsees  entnommenen  und  im  Privat- 
besitz des  Dr.  M.  Much  (Wien)  befindlichen  Brote  ohne  dieselbe  an- 
gefertigt. 

Und  in  der  T hat  scheint  es,  dass  sich  die  Kunst,  dem  Teige  durch 
Zusatz  von  Hefe  oder  Sauerteig  leichtere  Verdaulichkeit  und  grösseren 
Wohlgeschmack  zu  geben,  in  Europa  erst  verhältnismässig  spät  verbreitet 
hat.  Über  die  griechischen  Verhältnisse  vgl.  den  lehrreichen  Aufsatz 
von  0.  Benndorf  Altgriechisches  Brot  (Souderabdrnck  aus  Eranos 
Vindobonensis  S.  4).  Benndorf  nimmt  an,  dass  die  Bekanntschaft  mit 
dem  Sauerteig  in  Ägypten  aufkam  und  erst  in  historischer  Zeit  von 
dort  zu  den  Griechen  gelangte.  In  Italien  ward  der  Flamen  Dialis 
angehalten,  farinam  fermento  imbutam  zu  vermeiden  (vgl.  Heibig  Die 
Italiker  in  der  Poebenc  S.  72  nach  Gellius  und  Fcstus),  eine  unzweifel- 
hafte Erinnerung  an  eine  Zeit,  in  welcher  es  noch  kein  gesäuertes 


Digitized  by  Google 


Brot. 


113 


Brot  gab.  Am  thrakischen  Fürstenhof  des  Seuthes  (Xcnoph.  Anal».  VI  1, 21 ) 
linden  wir  allerdings  bereits  grosse  gesäuerte  Brote  (dptot  Zuuitcu), 
die  an  die  FleischstUcke  angeheftet  waren,  im  Gebrauch;  doch  mag 
dies  auf  griechischem  Einfluss  beruhen. 

Nachdem  die  Säuerung  des  Brotes  in  Europa  bekannt  geworden  war, 
bedienten  sich  Griechen  und  Römer  (vgl.  Klllmncr  Terminologie  und 
Technologie  I,  T>8)  zur  Herstellung  des  Sauerteig»,  wie  es  bei  wein- 
banenden  Völkern  zu  erwarten  ist,  vorwiegend  des  Mostes,  der  mit 
Hirse  zusammengeknetet  wurde.  Es  musste  daher  den  Alten  autfallen, 
wenn  sie  es  anderswo,  wie  in  Gallien  nnd  Spanien,  anders  fanden: 
Galliae  et  Hispaniae  frumento  in  potum  resoluto  (quibus  diximu* 
generibus)  xpuma  ita  concreto  pro  fermento  utunfur,  quo  de  causa 
/error  Uli«  quam  ceteris  panis  ert  (Plin.  Hist.  nat.  XVIII,  68 1.  Aus 
diesen  Worten  folgt,  dass  man  sich  in  den  bierbrauenden  Ländern 
Gallien  nnd  Spanien  der  Hefe  des  Bieres  zur  Anfertigung  des 
Sauerteigs  bediente,  eine  Kunst,  die  den  ceteri,  worunter  nur  die  übrigen 
Barbaren  des  Nordens,  also  auch  die  Germanen  verstanden  werden 
können,  damals  noch  nicht  geläufig  war.  Deren  Brot  war  demnach 
damals  noch  ungesäuert,  schwer  uud  unverdaulich.  Nichts  andern  als 
diese  spuma  concreto  frumenti  in  potum  resoluti  des  Püning,  also 
,Bier',  , Bierhefe'  kann  nun  ursprünglich  die  Gleichung  ahd.  brat,  agls. 
bready  altn.  brau >)  —  ßpoöro?  •  KpiBwv  nopa  lies,  und  phryg.-thrak. 
ßpürov  .Bier'  :  ahd.  briuwan  (s.  u.  Bier)  bedeutet  haben.  Aus  der 
Bedeutung  ^lefc'  hat  sich  dann  die  von  ,Sauerteig'  entwickelt,  wie  in 
agls.  beorma  , Bärme,  Hefe'  :  alb.  brum,  lat.  fermentum  ,Sauerteig' 
und  in  griech.  ZöBo?  ,Bicr'  :  Zupö?  ,fenncntumT  (vgl.  auch  lat.  ju* 
,Brtthe'  :  üt.  jüsze  schlechte  Suppe  von  Sauerteig  ).  Von  dem  gallisch- 
romanischen Westen  ging  dann  in  der  germanischen  Welt  die  Fest- 
setzung des  Stammes  *brauda-  in  der  Bedeutung  ,Brot . .gesäuertes 
Brot'  aus.  Im  Althochdeutschen  hat  bröf  vom  Anheben  der  Überlie- 
ferung an  die  feste  Bedeutung  von  panis.  Im  Angelsächsischen  aber 
tritt  briod  als  besonderes  Wort  (s.  u.)  nnd  in  der  Bedeutung  von  Brot 
(dpio?)  und  Bissen  Brot  (ipuiuiov)  erst  im  X.  Jahrhundert  auf.  Der 
gewöhnliche  Ausdruck  ist  durchaus  Mdf,  wie  auch  die  zahlreichen 
uud  wichtigen  Komposita  mit  diesem  Stamme  hldford,  hUefdige  n.  s.  w. 
zeigen.  In  der  altskandinavischcn  Poesie  endlich  gilt  ausschliesslich 
hleifr,  und  erst  ganz  spät  begegnet  auch  hier  braud  (dän.  bröd). 
Seine  uralte  Bedeutung  ,Gcbrautcs\  , Brühe'  aber  scheint  das  Wort  in 
der  altgermanischen  Zusammensetzung  ahd.  biabröt  =  agls.  beobread 
bewahrt  zu  haben,  mit  der  die  alten  Bienenzüchter  wohl  nicht  das 
heutige  , Bienenbrot'  als  vielmehr  den  sauersüssen  Futterbrei  der  Bicnen- 
larven  bezeichneten  (näheres  s.  bei  Vf.  Festgabe  für  Sicvers  S.  9  f.). 
Ein  alleinstehendes  Wort  für  Sauerteig  ist  noch  got.  betet  (:  got.  baitrs 
,bitter'  oder:  ahd.  ungibiUöt  br6t  ,azymus  panis'?). 

Schräder,  Hcallexlkon.  ^ 


Digitized  by  Google 


114 


Brot  —  Brücke. 


So  hat  sich  gezeigt,  dass  der  ungesäuerte,  in  der  Asche  des  Herdes 
gebackeue  Brotkuchen  in  Europa  eine  uralte,  wahrscheinlich  Uber  die 
Sonderexistenz  der  Einzelvölker  hinausgehende  Erfindung  ist,  die  all- 
mählich durch  die  hinzukommende  Kunst  der  Säuerung  vervollkommnet 
wurde.  Grössere  Schmackhaftigkeit  wird  dem  Brot  von  den  Griechen 
frühzeitig  (vgl.  Alkman  Frgm.  74,  Bergk)  auch  durch  das  Hinzuhacken 
von  Mohnkörneru,  Leinsaat,  Sesamkörnera  und  dergl.  gegeben.  Sie 
sind  es  auch,  die  durch  die  Anwendung  feineren  Mehles  und  durch 
die  Hinzuthat  von  Eiern,  Milch,  Öl,  Honig  u.  s.  w.  nach  und  nach 
feineres  Backwerk  herzustellen  lernen.  Bei  ihnen  gehen  die  Römer  in 
die  Schule,  wie  die  zahlreichen  Entlehnungen  des  Lateinischen  aus  dem 
Griechischen  auf  dem  Gebiete  der  Kunstbäckerei  (z.  B.  lat.  maxsa  aus 
griech.  uä£a,  placenta  , Kuchen'  aus  irXaKOÖ?,  spira  .Bretzel'  aus  antipa 
u.  s.  w.;  vgl.  O.  Weise  Die  griech.  W.  in  der  lat.  Sprache  S.  169  f.) 
zeigen.  Ganz  neu  und  spät  endlich  ist  die  Benutzung  der  Butter 
zur  Gewinnung  eines  feinen  Gebäckes.  Da  der  Buttergenuss  dem 
klassischen  Altertum  fremd  war,  kann  diese  zukunftsreiche  Erfindung 
nur  da  gemacht  worden  sein,  wo  römische  und  barbarische  Bäckerei 
zusammen  trafen.  Mehrere  Anzeichen  deuten  darauf  hin,  dass  dies  in 
der  Gegend  des  Niederrheins  geschehen  sei.  Vgl.  Plinius  Hist.  nat. 
XVIII,  105:  Quid  am  ex  ovis  auf  lade  subigunt,  butyro  vero  gentes 
pacatae,  ad  operix  pistorii  genera  transeunie  cura.  Von  Nieder- 
deutschland aus  hat  sich  auch  das  lateinische  Wort  ^Butter"  in  Deutsch- 
land verbreitet  (s.u.  Butter).  Von  hier  könnte  auch  die  Reihe:  */b- 
catia  ,KuchenJ  (:  lat.  focux  ,Herd',  it.  focaccia),  ahd.  fohanza,  altsl. 
pogaca  u.  s.  w.  ausgegangen  sein.  Vornehmlich  die  gemeingerm.  Sippe 
von  ahd.  kuoliho,  engl,  cake  etc.,  die  ursprunglich  ihrer  Bedeutung 
nach  nicht  wesentlich  von  got.  hldifs  verschieden  gewesen  sein  wird 
(vgl.  das  Grimmsche  Wb.  unter  Kuchem,  dient  dazu,  nunmehr  das 
feinere  Backwerk  zu  bezeichnen.  Eine  Vermutung  Uber  die  Herkunft 
dieser  Wörter  vgl.  bei  Vf.  a.  a.  0.  S.  G3.  —  S.  u.  Nahrung. 

Brücke.  Die  Wege  des  Handels  und  Verkehrs  werden  in  alten 
Zeiten  nicht  am  wenigsten  durch  Furten  bestimmt,  die  der  Reisende 
durchwaten  niuss  (lat.  radum,  altn.  vadt  agls.  wa>d,  ahd.  teat  :  lat. 
vadere,  ahd.  icatan;  lit.  brastd,  bradä,  altpr.  braut,  brasta,  braste, 
altsl.  brodü  ,Furt*  :  lit.  bredü,  altsl.  bredq  ,ich  wate';  ir.  dth  ,Furt'  : 
sert.  yd'mi  ,gehe  ).  An  ihre  Stelle  tritt  später  die  kunstvoll  gebaute 
BrUcke,  deren  Bezeichnungen  daher  mehrfach  aus  denen  der  Furt 
hervorgehen.  So  in  ahd.  furt,  agls.  ford  (:  farari),  gall.  -ritum  aus 
*pritum  (in  Augusto-ritum)  ,Furt' :  aw.  peretu-,  npers.  pul  ,Brttcke' 
(vgl.  noch  griech.  nöpo?  ,Furt',  thrak.  -para  in  Eigennamen  und  lat. 
portus  ,Hafen\  altn.  fjördr  , Bucht').  Ferner  in  sert.  tirthd-  /Tränke', 
,Furt'  :  lit.  Ulfas  , Brücke',  das  seinerseits  in  die  finnischen  Sprachen 
(fiuu.  silta)  eingedrungen  ist  (vgl.  W.  Thonisen  Beröringer  S.  232). 


Digitized  by  Google 


Brücke  —  Bruder. 


115 


Sprachliche  Übereinstimmung  in  Form  und  Bedeutung,  wie  im  Arischen 
zwischen  sert.  setu-  ,Brückc'  und  aw.  hafitti-,  os*et.  xed  id.,  zeigt 
sich  in  Europa  nur  zwischen  Kelten  und  Germanen:  altgall.  -briva 
(Samaro-brica  ete.)  , Brücke'  ist  =  altn.  brti  und  bryggja,  ahd.  brucca. 
Die  Grundbedeutung  ist  wohl  in  slav.  *brec-hw  (altsl.  brüvtno)  , Balken' 
erhalten.  Dass  die  Gallier  zu  Caesars  Zeit  grössere  Flüsse  noch 
nicht  zu  überbrücken  verstanden,  zeigt  Caesar  De  bell.  Gall.  I,  13,  wo 
die  Helvetier  durch  die  über  den  Arar  geschlagene  Brücke  der  Römer 
aufs  äusserste  überrascht  werden,  da  sie  selbst  den  Fluss  auf  Kähnen 
und  Flössen  kaum  in  20  Tagen  hätten  überschreiten  können. 

Nicht  geringere  Schwierigkeiten  wie  die  Flüsse  setzten  dem  Verkehre 
die  Sümpfe  und  feuchten  Niederungeu  entgegen,  von  denen  wir  uns 
das  alte  Europa  in  hohem  Masse  durchzogen  denken  müssen  (vgl. 
Tacitus  Germ.  Cap.  5:  auf  silzis  horrido  mit  palttdihm  foeda).  Die 
Deiche  und  Knüppeldämme,  durch  die  man  hiergegen  die  Wege  zu 
sichern  suchte,  heissen  im  Griechischen  x&pupai,  ein  Wort,  das  erst 
später  fseit  Herodot)  auch  den  Sinn  von  ,Brttcke'  annimmt.  Seine 
schwankende  Lautgestalt  (lak.  bi<poüpa,  theb.  ß^pupa)  könnte  auf  aus- 
ländischen Ursprung  hinweisen.  In  diesem  Sinne  hat  man  versucht, 
griech.  T&pupa  an  ein  semitisches  g$Mr  (syr.  geird,  arab.  gisr) , Brücke' 
anzuknüpfen,  sowie  den  alt-böotischen  Stamm  der  r"€<pupcuoi  als  , Brücken- 
bauer' zu  deuten  und  aus  hebr.  Gtxuri  (vgl.  'AqppobiTrj  —  'Axtöret) 
,ein  Volk  in  Syrien  am  Fusse  des  Hermon,  wo  sich  eine  noch  jetzt 
gangbare  Brücke  über  den  Jordan  befindet',  herzuleiten  (vgl.  Lewy 
Die  semit.  Fremdw.  im  Griechischen  S.  250  und  Muss-Arnolt  Semitic 
words  S.  75).  Ein  idg.  Wort  dagegen,  das  man  mit  griech.  flyvpu. 
verglichen  hat,  ist  armen,  kamurj  ,Brückc',  eine  Zusammenstellung, 
die  indessen  auch  als  unsicher  bezeichnet  werden  muss  (vgl.  Hübsch- 
mann Armen.  Gr.  I,  457). 

Genau  dieselbe  Bedeutung  wie  griech.  Y^pupa  hat  ursprünglich  das 
altsl.  mostä  , Brücke'  gehabt.  Es  bezeichnete  von  Haus  aus  nicht  die 
künstlichen  Wege  Uber  Bäche  und  Flüsse,  sondern  vielmehr  mit  Holz 
belegte  Wege,  vermittelst  derer  man  über  die  reichlich  vorhandenen 
Sümpfe  gelangen  konnte  (vgl.  Ewers  Ältestes  Recht  der  Russen  S.  65).  Es 
steht  zu  vermuten,  dass  altsl.  mostä  (vgl.  auch  nm.  jwmontü  ,Fussboden') 
nichts  als  eine  alte  Entlehnung  ans  dem  germanischen  ahd.  meist  dar- 
stellt, dessen  älteste  Bedeutung  (s.  u.  Segel  und  Mast)  ,Stange'  war 
(vgl.  wegen  des  o  altsl.  skotü  aus  got.  skatts  und  in  sachlicher  Hin- 
sicht mndd.  specke  ,Knüppelbrücke'  :  ahd.  spahho  »Reisig';  F.  Kluge 
Et.  W.'  8.  v.  Specke).  Eine  viel  jüngere  Entlehnung  ist  alsdann  die 
von  russ.  maita  etc.  in  der  Bedeutung  von  ,Mast'.  über  lat.  pons 
8.  o.  Strasse.    Alb.  ure  , Brücke'  ist  dunkel. 

Bruder.    Sein  idg.  Name  liegt  in  der  Reihe:  sert.  bhrd'tar-, 
aw.  brdtar-,  armen,  elbair,  griech.  (ppnjrtp '  äbeAq>ö<;  Hes.,  lat.  f räter, 


116 


Bruder  —  Buche. 


ir.  brdthir,  got.  brö])ar,  lit.  broterelis  (daneben  die  Koseform  brölis), 
altpr.  brote,  brdti,  altsl.  bratrü.  Eine  Wurzelbedeutung  dieser  Sippe 
ist  uicht  mit  Sicherheit  zu  ermitteln.  Gewöhnlich  denkt  man  an  die 
W.  bher  (gricch.  cp^pw),  so  dass  bhrä'tar-  soviel  wie  .Träger',  ,Erhaltcr', 
nämlich  der  Schwester  wäre,  was  aber  natürlich  ganz  unsicher  ist.  Aus 
weicht  nur  das  Albancsische  mit  dem  dunklen  veid,  via',  doch  ist  auch  im 
Griechischen  (ppnrnp  im  Sinne  von  Bruder  nicht  mehr  «blich.  An  seine 
Stelle  sind  getreten  äbeAcpö?,  lak.  db€Xiq>n.p  :  beXcpü«;  ,dcr  demselben 
Mutterleihe  entsprossene'  (vgl.  auch  öuofaaTiop,  äfäatoptq-  <5tbe\<pol 
bibufioi,  6Tdo*Toup,  sert.  xödara-  =  sa  +  ttdarä-  , Hauch',  osset.  tinsuicär 
,Bruder'  =  än  +  suicär  ,Mutterleib').  die  noch  nicht  sicher  erklärten 
aiiTOKao*rfvnros,  KaaiYvnTos,  Käo*i<;  i  vgl.  Delbrück,  Verwandtschaftsnamen 
S.  46ßf.)  und  tvoütö?,  vielleicht  =  ir.  gndth,  also  cigentl.  .Bekannter'. 
S.  u.  Familie. 

Bruderschaft,  s.  Sippe. 

Brühe,  s.  Fleisch. 

Brunne,  s.  Panzer. 

Brunnen.  Wie  es  Tacitus  von  den  Germanen  berichtet  (Germ. 
Cap.  16:  Colunt  discreti  ac  diversi,  ut  fons,  ut  campu*,  ut  nemus 
placuit),  wie  Caesar  von  den  Galliern  (  VI,  30:  Ut  sunt  fere  domiciUa 
Gallorum,  qui  vitandi  aestus  causa  plerumque  silvartim  ac  fluminum 
petunt  propinquitatex),  so  werden  auch  schon  in  der  Urzeit  die  idg. 
Dorfsippen  (s.  u.  Dorf)  darnach  getrachtet  haben,  sich  in  der  Nähe 
des  Wassers  anzusiedeln.  Quelle  und  Brunnen  sind  in  diesen  Zeiten 
noch  sich  deckende  Begriffe,  die  daher  auch  in  der  weit  verbreiteten 
Gleichung:  armen,  afbiur  ,Quclle',  griech.  cppe'ap,  (ppcaTO?  {*bhrern-) 
, Brunnen',  got.  brunna  ,Trn.rn\  tipra  (*t<i-aith-brevant-)  .Quelle', 
,n  well'  in  einander  übergehen. 

Der  gegrabene  und  gefasste  Brunnen  ist  ein  jüngerer  Kultur- 
erwerh,  über  dessen  Ausbreitung  in  Europa  die  Sprache  noch  einiges 
Licht  verbreitet.  Im  Westen  herrscht  das  (selbst  dunkle)  lat.  puteus 
, Brunnen',  das  ausser  ins  Albancsische  (pus)f  ins  Altirischc  (cuit/ie), 
Kyrurische  (peten),  ins  Althochdeutsche  {pfuzzi  .Brunnen',  später  ,Pfütze  ) 
und  Angelsächsische  {pytt , Brunnen',  engl,  pit  .Grube  )  entlehnt  wurde. 
Im  Nord-Osten  ging  von  skandinavischem  Boden  altn.  heida  ,well, 
spring'  (:  got.  kalds  ,kalt'  wie  lit.  szaltlnis  .kalter  Brunnen'  :  szaltas 
,kalt'  und  altsl.  studenlcl  , Brunnen'  :  stynqti  ,erkalten'j  in  das  Sla- 
vische  (altsl.  llad^zl  ,puteus')  und  Finnische  (kaltio)  über.  Vgl.  noch 
die  alleinstehenden  sert.  avatd-  .Brunnen'  (=  lett.  ateiits  id.?)  und  ütsa- 
, Quelle,  Bronnen'  »  beide  vedisch),  aw.  cdt-  .Brunnen'  und  altpr.  apus 
, Brunnen,  Quelle'  (:  ape  ,Fluss,  Wasser'). 

Buch,  Buchstabe,  s.  Schreiben  und  Lesen. 

Buche,  Rotbuche.    {Fagux  sylratka  L.).    Das  ahd.  buohha, 
agls.  böetrto,  altn.  bök  —  älteste  Form  erhalten  in  Silva  Bdceni* 


Digitized  by  Google 


Buche,  Rotbuche. 


117 


,Buchenwnld'  bei  Caesar  De  bell.  Gall.  VI,  10  (Harz,  Rhön?;  vgl.  R. 
Much  Stammsitze  S.  21)  —  ist  identisch  mit  lat.  fügus  und  griecb.  <pnTÖ?, 
welches  letztere  aber  eine  Art  Eiche,  vielleicht  auch  ,Kastanie' 
(s.  d.)  bedeutet.  Eiue  weitere  Spur  des  Wortes  kann  sich  in  dem 
Namen  des  phrygischen  Zeus  Bcrrcuoc  erhalten  haben,  der  dann  so- 
viel wie  der  , Buchen-'  oder  ,Eichengott'  bedeutete  (vgl.  Torp,  I.  F. 
V,  193).  Die  Wurzel  des  Wortes  erblickt  man  in  griech.  9crreiv  ,esseu', 
so  dags  ein  Baum  mit  essbaren  Fruchten  (Bucheckern,  Eicheln,  Kasta- 
nien? gemeint  wäre.  Da  nun  die  vorhistorische  Bedeutung  dieser  Wort- 
reihe durch  die  Übereinstimmung  der  germanischen  Sprachen  mit  der 
lateinischen  als  ,Buche'  feststeht,  so  erhellt,  dass  die  Griechen  von  ihr 
abgewichen  sind.  Je  weiter  man  in  Griechenland  von  Norden  nach 
Sflden  vorschreitet,  umso  seltener  wird  die  Buche,  die  noch  am  thes- 
salisehen  Olymp  und  am  Pindns  häufig  ist  (vgl.  Heldreich  Nutzpflanzen 
S.  18),  und  neuerdings  auch  in  Aetolien  nachgewiesen  worden  sein  soll 
(vgl.  Heldrcich  bei  Virchow  Korresp.-Bl.  der  Anthr.  Ges.  1893  S.  76). 
Es  lag  daher  für  die  Griechen  nahe,  das  altererbte  <pn.TÖ<;  auf  ähnliche 
Bäume  mit  essbareu  Früchten,  Quercus  Aegilops  L.  oder  Castanea 
vulgaris  Lam.  zu  übertragen. 

Der  eigentliche  (seltene)  Name  der  Rotbuche  ist  im  Griechischen 
öEun.  bei  Theophrast  III,  10,  1,  der  aber  die  Sache  auch  nur  sehr 
von  der  Ferne  kennt  (vgl.  Lenz  Botanik  S.  409).  Das  Wort  scheint 
mit  alb.  ah  (*aska-)  .Buche'  und  lit.  esc  ulus  id.  übereinzustimmen,  so 
dass  hier  ein  zweiter  idg.  Bnchenname  (vgl.  Pedersen  I.  F.  V,  44)  vor- 
liegen könnte.  Doch  vgl.  altn.  askr  ,Esche'  und  dSun.  ,Lanzc'  bei  Ar- 
chilochus.  Lanzenschäfte  aber  sind  kaum  je  aus  dein  weichen  Holz  der 
Buche  gemacht  worden,  so  das  die  Grundbedeutung  der  ganzen  Sippe 
doch  wohl  eine  andere  als  Buche  gewesen  ist. 

„Die  nordöstliche  Vegetationslinie  der  Buche  beginnt  im  südlichsten 
Teile  Norwegens,  berührt  die  schwedische  Westküste  von  Gothenburg, 
geht  an  der  Ostküste  nur  bis  Kalmar  und  durchschneidet  fast  gerad- 
linig den  Kontinent  vom  frischen  Haff  bei  Königsberg  aus  über  Polen 
bis  Podolien,  und  bis  sie  jenseits  der  Steppen  in  der  Krim  und  am 
Kaukasus  sich  wieder  fortsetzt1'  (Grisebach).  Dem  entspricht  es,  dass 
die  Finnen  keinen  eigenen  Namen  für  den  Baum  haben,  sondern  ihn 
saksan  tammi  ,dentsche  Eiche'  nennen.  Ebenso,  dass  die  Slavcn  die 
Bezeichnung  der  Buche  (buky)  aus  dem  Deutschen  entlehnt  haben; 
auch  werden  im  Grossrussischen  keine  Ortsnamen  von  diesem  Baum- 
namen gebildet,  nnd  die  kleinrussischcn  sind  auf  Gallizien  beschränkt. 

Die  Litauer,  deren  Gebiet  nur  zum  kleinsten  Teil  in  die  oben  be- 
zeichnete Buchengrenze  fallt,  haben  für  die  Rotbuche  skirp-xtaa  (:  lat. 
carp-inust  .Hainbuche',  altpr.  »kerptu*  ,R(ister'),  für  die  Hainbuche 
{Carpinus  Betuhis  L.)f  deren  Verbreitungsgebiet  früher  in  östlicher 
Richtung  sich  weit  über  das  der  Rotbuche  hinaus  erstreckte  (vgl. 


Digitized  by  Google 


Buche  —  Buchöbaum. 


Köppen  Holzgewächse  II,  176),  skroblüs,  das  an  gcmeinsl.  *grabrü, 
rass.  grabä  ,Weissbucbe'  (vgl.  auch  altpr.  icosigrabi*  ,spilboem')  an- 
klingt. 

Gegen  Nord- Westen  war  nach  Caesar  De  hello  Gall.  V,  12  die 
Rotbuche  noch  nicht  (Iber  den  Kanal  vorgedrungen  (materia  cuiusque 
genervt  ut  in  Gallia  est  praeter  fagum  et  abietem).  Ein  einheimischer 
keltischer  Name  des  Baumes  ist  bis  jetzt  nicht  bekannt  geworden  (ir. 
faighe  aus  fdgus).  Vgl.  auch  frz.  hetre  aus  mhd.  heister  Junge  Buche', 
dessen  Stammsilbe  heis-  man  in  der  Silva  Caesia  zwischen  Ruhr  und 
Lippe  (altndd.  Hesiwald;  vgl.  oben  S.  Bdcenis)  wiederzufinden  meint. 
In  Kleinasien  setzt  sich  die  Verbreitung  der  Buche  südlich  des 
Schwarzen  Meeres  in  einer  schmalen  Zone  bis  zum  Kaukasus  fort. 
Nach  Strabo  XII  p.  572  hätten  die  Myscr  ihren  Namen  von  einem  an- 
geblichen lydiseben  uuerdq,  uöcroq  ,Buche'  erhalten.  Auf  dem  Ida  hat 
Virchow  (a.  o.  a.  0.)  thatsächlich  den  Baum  nachgewiesen.  —  S.  u. 
Wald,  Waldbäume  und  u.  Urheimat. 

Bnchsbaum  (Bu.rus  sempercirens  L.).  Er  ist  nach  Ausweis 
fossiler,  in  Italien  und  Frankreich  gemachter  Funde  in  Südeuropa  ein- 
heimisch. Gegenwärtig  ist  der  Buchsbaum  als  wildwachsender  Strauch 
oder  als  Bäumchen  verbreitet:  im  nordwestlichen  Himalaja,  in  Afgha- 
nistan, im  nordöstlichen  Persicn,  in  Ghilan  und  im  persischen  Talyscb, 
ferner  in  der  Küstenzone  des  westlichen  Transkaukasien  und  an  der 
Küste  des  Schwarzen  Meeres,  in  Karien  und  Bithynicn,  bei  Konstau- 
tiuopel,  in  Macedonien,  auf  dem  thessalischen  Olymp  und  im  Pindus, 
in  Albanien,  auf  den  dalmatinischen  Inseln,  in  Istrien,  im  mittleren 
und  nördlichen  Italien,  in  Südtyrol,  der  Westschweiz,  den  Seealpen, 
der  Dauphinc,  weiter  auf  den  Pyrenäen  und  in  Katalonien,  schliesslich 
auch  bei  Beifort  und  im  Elsass,  in  Oberbaden,  im  Moselthal  und  in 
der  englischen  Grafschaft  Surrey  (nach  A.  Engler  bei  V.  Hehn  s.  u.). 

Im  Altertum  wird  der  Buchsbaum  genannt  auf  dem  Cytorusgcbirge 
in  Paphlagonien  (Theophr.  Hist.  pl.  III,  15,  5  :  ou  n.  irXeiOTT)  yivctcu), 
auf  dem  Berecyntus-Gebirge  in  Phrygien  (Plin.  Hist.  nat.  XVI,  71: 
buxus  plurima  Berecyntio  tractu),  auf  dem  macedonischen  Olymp 
(Theoph.  1.  c.  :  ou  uetaXn),  auf  der  Insel  Kyrnos  =  Korsika  (Theophr. 
1.  c.  u€Y»o"Tn.  Kai  KaXXtffTTi)  und  auf  den  Pyrenäen  (Plinius  Hist.  nat.  XVI, 
70  und  71,  wo  auch  eine  gallische  Art  genannt  wird:  buxus  Pyrenaeis 
montibm  plurima).  Es  ergiebt  sich  also,  dass  die  Verbreitung  des 
Buchsbaums  im  Altertum,  soweit  man  dies  aus  den  natnrgemäss  lücken- 
haften Nachrichten  der  Alten  erkennen  kann,  so  ziemlich  dieselbe  wie 
in  der  Neuzeit  war. 

Der  Name  des  Buchsbaums  (griech.  ttuEo?)  wird  schon  bei  Homer 
genannt:  das  Joch  am  Wagen  des  Priamos  ist  ttuEivo?  ,aus  Buchsbaum- 
holz' (II.  XXIV,  269).  Das  Wort  selbst  aber  ist  noch  unerklärt.  Die 
einen  haben  an  Verbindung  mit  tt€ukii  ,Fichtc',  die  andern  an  tttuckxu) 


Digitized  by  Google 


BuchsbRum.  119 

,falte,  schichte,  füge',  die  dritten  an  miica  , dicht,  fest',  ttukvö^ 
(itü£os  ,das  feste  Holz')  gedacht.  Natürlich  ist  aber  auch  ein  aus- 
wärtiger Ursprung  des  griechischen  Wortes,  unter  Einfügung  in  die 
griechischen  Lautverhältnisse,  nicht  ausgeschlossen,  und  zwar  umso 
weniger,  als  man  in  Griechenland  nicht  das  verkrüppelte  Holz  des 
Pindos  und  Olympos,  sondern  das  auf  Handelswegen  eingeführte  bessere 
vom  Schwarzen  Meer  und  Kaukasos  verarbeitet  haben  wird.  Man  hat 
in  dieser  Beziehung  an  das  kaukasische  bsa,  bxakali  ,Buchsbaum'  er- 
innert. Interessante  Zahlen  Uber  die  bedeutende  Ausfuhr  des  Buchs- 
baumholzes aus  den  genannten  Gegenden  in  neuester  Zeit  giebt  Koppen 
Holzgewächse  II,  6. 

Das  lat.  buxus  (vgl.  auch  den  Ortsnamen  Buxentum  an  der  Luka- 
nischen  Küste  =  gricch.  TTuSou?)  ist  offenbar  aus  ttu2o<;  entlehnt.  Die 
Übernahme  wird  sich  aus  der  wichtigen  Rolle  erklären,  die  das  Buchs- 
baumholz in  der  Technik  des  Drechslers  und  Zimmermannes  spielte, 
welche  die  Latiner  von  den  Griechen  übernahmen,  so  dass  sie  erst  durch 
diese  auf  die  kulturhistorische  Bedeutung  des  einheimischen,  dann  durch 
Anpflanzung  weiter  verbreiteten  Bäumchens  aufmerksam  wurden.  Auf 
diesem  Wege  hat  das  griech. -lateinische  Wort,  das  auch  jeden  aus 
Buchsbaumholz  verfertigten  Gegenstand  bezeichnet  (wie  Flöten,  Kreisel, 
Kämme,  Schreibtafeln),  eine  ungeheure  Verbreitung  in  dem  Norden 
Europas  gefunden.  Vgl.  z.  B.  griech.  irüEi?  »Büchse  aus  Bnehsbaum- 
holz',  vulgärlat.  buxis,  ahd.  buhsa,  slav.  puxika  , Flinte,  Kanone'  auch 
litauisch,  albanesisch,  magyarisch).  Vgl.  lerner  ans  dem  Romanischen  frz. 
boite  .Schachtel',  boisseau  ,Scheffel',  frz.  boussole  ,Kompass'  u.  s.  w., 
aus  dem  Albanesisehen  boxt  »Spindel',  ,Achse',  wie  irüEivot  örpcttcroi 
schon  bei  Hippokrates  und  im  Edictuni  Dioclctiani  genannt  werden. 

Von  grossem  Interesse  ist  die  Bedeutungsentwicklung  des  lat.  buxus 
auch  als  Pflanzen name  in  den  romanischen  Sprachen.  It.  bosso.  frz. 
buis  =  buxus  bedeutet  ,Buchsbauin';  davon  abgeleitet  ist  it.  buscione, 
prov.  boixsons,  frz.  buisson  , Gebüsch'.  Neben  buxus  muss  aber  auch  ein 
*buscus  (vgl.  Romania  V,  169)  bestanden  haben,  das  zu  it.  boaco,  frz. 
bot*  ,Wald,  Holz'  (wohl  auch  zn  ahd.  buttc  , Busch')  geführt  hat.  Dieser 
Bedeutungswandel  wird  verständlich,  wenn  man  bedenkt,  dass  auf  ge- 
wissen Teilen  des  romanischen  Bodens,  wie  in  der  Westschweiz,  den 
Seealpen  und  der  Dauphinc  (s.  oben)  der  Buchsbaum  Jeden  Gedanken 
an  Einschleppung  zurückweisend"  ganze  Bergabhänge  bedeckt. 

In  Deutschland  endlich  und  England,  wo  der  Buchsbaum  wohl  fast 
ausschliesslich  durch  Kultur  sich  verbreitet  bat,  kehrt  natürlich  eben- 
falls das  lat.  buxus  wieder  :  ahd.  buhxboum  (zuerst  von  der  heiligen 
Hildegard  genannt)  und  agls.  box,  adj.  bixen  (nach  Hoops  Über  die 
alteng!.  Pflanzenn.  S.  7b"  in  der  Zeit  von  450 — 600  aufgenommen). 

Eine  eigenartige  Benennung  des  Buchsbaums  s.  noch  u.  Dattel- 
palme. —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen«  S.  324 ff. 


Digitized  by  Google 


120  Buckelig  —  Bürge,  Bürgschaft. 


Buckelig,  s.  Krankheit. 
Büffel,  8.  Rind. 
Kuhleriii,  s.  Beischläferin. 
Bunt,  s.  Farbe. 
Burg,  8.  Stadt. 

Bürge,  Bürgschaft.  Mehrere  idg.  Sprachen  besitzen  ein  gemein- 
sames Wort  für  den  Begriff  der  Sach-  und  Pcrsonenhaftung.  Es  ent- 
spricht das  gemeingerm.  got.  teadi,  ahd.  icetti  ,Pfand'  dem  lat.  vas, 
*cadi-  (auch  prae*,  *prae~cids)  , Bürge',  tadimönium,  Bürgschaft'  und 
dem  lit.  icaddju  ,ich  löse  (ein  Pfand)  aus".  Da  aber,  wie  allgemein  ange- 
nommen wird,  auch  griech.  äeGXov,  ü9Xov  (*äF€Ö-Xo-)  .Kampfpreis,  Ein- 
satz bei  Wettspielen'  hierherzustellen  ist,  so  könnte  auch  im  Griechischen 
die  ursprüngliche  Bedeutung  der  ganzen  Sippe  wurzeln,  was  um  so 
wahrscheinlicher  ist,  als  irgendwie  geregelte  Schuldverhältnisse,  bei 
denen  Bürgen  und  Pfänder  hauptsächlich  zur  Verwendung  kommen, 
zwar  sehr  frühen,  aber  doch  wohl  noch  nicht  indogermanischen  Zeiten 
angehören  (s.  u.  Schulden).  Der  älteste  Fall  einer  Bürgschaft  liegt 
Od.  VIII,  344  ff.  vor.  Poseidon  verspricht,  dass  Ares  die  verwirkte 
Busse  für  den  Ehebruch  (uoixoVfpia)  dem  Hephästos  zahlen  solle.  Hierauf 
sagt  dieser:  beiXcti  toi  bciXiwv  *a\  ^TTucu  dYTv<fco*8ai  („für  Tauge- 
nichtse sich  Bürgschaft  leisten  lassen,  taugt  nichts").  „Wie  sollte  ich 
Dich  binden,  wenn  jener  (Ares)  seiner  Schuld  und  den  Bauden  ent- 
flöhe Vu  Es  zeigt  sich  also,  dass  damals  dem  Bürgen  gegenüber  genau 
dasselbe  Verfahren  wie  dem  Schuldner  gegenüber  stattfinden  konnte:  die 
manum  iniectio  und  domum  deduetio  des  römischen  Rechts.  Viel- 
leicht bedeutet  griech.  £rfuoq,  *dv-tuio-<;  (von  f\)\a  •  xtipe's  re  tecu 
ttöo€£  Kai  toi  XoiTTct.  lies.)  selbst  soviel  wie  einer  „an  den  man 
Hand  anlegen  kannu,  ganz,  ähnlich,  wie  im  Skandiuavischeu  taki  ,ZiU- 
griffsmann'  soviel  wie  Bürge  ist  (vgl.  Amira  in  Pauls  Grundriss  II,  2- 
1Q4\.  Übrigens  steckt  ein  Wort  für  Hand  auch  in  der  ältesten  sla; 
vischen  Benennung  des  Bürgen,  altsl.  porqktl  (schon  in  der  Pravda 
Jaroslaws  bei  Ewers  Ältestes  Recht  S.  269).  Da  aber  po  ursprünglich 
,nach'  (auch  im  Sinne  des  unechten,  schlechten)  bedeutet,  so  wird  po- 
rqka  :  rqkü  ,Hand'  soviel  wie  ,Naehhand"  (»zweite  Hand':  die  erste 
ist  der  Schuldner  selbst)  sein. 

Zu  nennen  sind  noch  folgende  Benennungen  des  Bürgen:  sert.  pra- 
tibhit-  ^Stellvertreter  oder  lagnaka-  , haftbar'  (ddhi-  »niedergelegtes', 
,Pfand',  auch  bandha-  , Bindung  ),  ahd.  burigo  (altn.  ä  byrgjast  ,sich 
verbürgen':  Grundbedeutung  scheint  , Fürsorge,  Acht  haben'  gewesen 
zu  sein;  Pfand:  ahd.  pfant,  altfries.  pand,  noch  dunkel;  doch  vgl. 
Kluge  Et.  W.ü),  altir.  aitire,  aittire,  eteriux  ,Bürgc,  Bürgschaft',  lit. 
Itiida*  .Bürge'   beide  dunkel). 

Von  eiuer  besonderen  Art  der  Bürgschaft  ist  u.  Geisel  gehandelt 
worden.  —  S.  u.  Recht  (Sachen-  und  Obligationcnrccht). 


Digitized  by  Google 


Bürger  —  Buttrr. 


121 


Kärger,  8.  Staat. 
Busse,  s.  Strafe. 

Butter.  Schon  in  der  idg.  Urzeit  wurden  die  fetten  Bestandteile 
der  Milch  (s.  d.)  von  den  molkigen  und  quarkigen  sprachlich  unter- 
schieden. Über  die  beiden  letzteren  s.  u.  Käse.  Für  die  ersteren 
von  Bedeutung  sind  die  beiden  Reihen:  sert.  ajt/a-  »Opferbutter', 
aiijana-  »Salbe',  lat.  unguentum  ,Salbe',  altpr.  anetan  , Butter',  ahd. 
anchoj  alem.  anke  , Butter',  ir.  imb,  korn.  amenen  »Butter'  etc.  (Zcuss  Gr. 
C.  -  p.  1079)  und  sert.  mrpis-  »ausgelassene  Butter',  kypr.  Acpo?  »Butter', 
i\ixoq '  £Xaiov,  ore'ap  (lies.),  agls.  sealf  ,Salbe',  alb.  galp  .Butter'.  Die 
Grundbedeutung  dieser  beiden  Sippen  ist  offenbar  nicht  , Butter  zum 
Genuss*,  sondern  »Salbe  zum  Einreiben  des  Körpers',  namentlich  der 
Haare,  ein  Gebrauch,  den  schon  Hekatäus  bei  den  thrakischen  Paeo- 
niern  (Athen.  X,  p.  447 :  dXei<povTai  i\a\w  üttö  faXaKio^)  erwähnt,  und 
den  noch  Sidonius  Apollinaris  (XII)  bei  den  Burgundionen  vorfand: 
Quod  Burgundio  cantat  esculenttts 
Infundens  acido  coniam  butyro. 

Eine  Spur,  dass  auch  die  Griechen,  bevor  sie  die  Bekanntschaft  mit 
dem  Ol  und  ausländischen  Parfüms  machten»  sich  zum  Salben  des  Fettes 
der  Milch  bedienten,  s.  u.  Myrrhe.  Ausserdem  vgl.  slav.  maslo  »Butter' 
und  »Salbe'  (mazl  »Salbe',  mazati  »schmieren' :  griech.  pe-uaT-u€vn.»  ua*r- 
€u?  etc.).  Allein  stehend  und  dunkel:  lit.  Hwientas  »Butter'.  —  Erst 
nach  der  Trennung  des  Urvolks  sind  dann  die  Einzelvölker  zur  eigent- 
lichen Butterbereitung  für  den  G  e  n  u  s  s  des  Menschen  vorge- 
schritten.   Dies  geschah  in  Europa  wie  in  Asien. 

Schon  im  vedischen  Indien  ist  Butter  {ghrtä-)  eine  beliebte  Speise 
der  Götter  und  Menschen  (vgl.  Zimmer  Altindisches  Leben  S.  272), 
und  im  Periplus  maris  erythraei  ed.  Fabricius  §  14  und  41  ist  sogar 
von  der  Ausführung  indischer  Butter  nach  den  Häfen  des  roten 
Meeres  die  Rede  (ein  ausreichender  Grund»  an  den  angegebenen  Stellen 
ßouuopo?  ,eine  indische  Getreideart'  für  das  überlieferte  ßoüiupov  zu 
lesen,  ist  trotz  Fabricius  S.  130  nicht  vorhanden).  Ein  gemeinsamer 
iranischer  Name  für  das  Butteröl  ist  aw.  rttoyna-,  kurd.  rün  u.  s.w. 
(Horn  Grundriss  S.  140);  auch  gehörte  fXatov  öttö  toXokto?  nach  des 
Polyaenos  Angabc  zu  den  täglichen  Lieferungen  an  die  Hofhaltung  des 
Grosskönigs.  —  In  Europa  sind  Griechen  und  R  ö  m  e  r  in  der 
Heimat  des  Ölbaums  immer  unbekannt  mit  dem  Genuss  der  Butter 
geblieben,  die  ihnen  bis  in  die  Zeiten  des  Galenos  lediglich  als  Arznei- 
mittel diente.  Umso  auffallender  musste  es  ihnen  sein,  dass  zahlreiche 
nördliche  Völker  ihnen  als  ßouTupoqporroi  entgegen  traten. 

Die  erste  Nachricht  über  Butterbereitung  und  zwar  aus  Stutenmilch 
giebt  Herodot  IV,  2  von  den  Skythen:  dTredv  bi  du^XEuJO-i  tö  fä\u, 
^0*x€avT€?  i$  EüXiva  drrnia  KoiXa  Kai  TrepiöTiSavieq  Katct  xä  dirnia 
Toüq  rucpXouq  bove'ouöi  tö  taXa,  Kai  tö  uev  qutou  ^TTiCTäpevov  dnapüöavTeq 


Digitized  by  Google 


122 


Butter. 


riT€ÖvTat  eTvat  TiuiuiT€pov,  tö  b'  uTTiaidnevov  6<jaov  toö  iripov.  Ähnliches 
berichtet  dann  Hippokrates  (De  morbis  Hb.  IV,  20),  der  auch  das  Wort 
ßouxupov  (worüber  unten)  zuerst  nennt:  —  uicm-ep  o\  lKu9at  ttoi^oucfi  4k 
toö  \7iTr€iou  TdXaKTO^  •  ^yx^ovtcs  fäp  tö  fä\a  i$  HuXa  KOTXa  tfcioucri  • 
tö  bi  Tapaaaöfi€vov  äq>p€ei  Kai  oiaKpivcTai,  Kai  tö  u€v  iriov,  ößouTupov 
KaX4ouo*i,  ^nmoXriq  öiiaTcrrai  ^Xacppöv  iov '  tö  b£  ßapü  Kai  naxu  k&tu) 
fcrrotTai,  8  Kai  aTtoKpivovT€?  Hn.pcuvouo*i.  Als  Butteresser  werden  dann  weiter 
die  Thraker  von  Anaxandrides  (bei  Athen.  IV,  131  b)  bei  Schilderung 
eines  thrakischen  Hochzeitsmahles  und  die  keltischen  Lusitanier  (bei 
Strabo  III  p.  155)  bezeichnet.  Ein  noch  unerklärtes  phrygisches 
niK^piov  wird  als  Name  der  Butter  von  Hippokrates  überliefert  (vgl. 
V.  Hehn  a.  u.  a.  0.  S.  154).  Am  ausführlichsten  aber  berichtet  Plinius 
XXVIII,  133  Über  die  Butterbereituug  der  Nordländer:  E  lade  fit 
et  butyrum,  barbarorum  gentium  lautwnmu»  eibus  et  qui  divite*  a 
plebe  discernat,  plurimum  e  bubulo,  et  inde  nomen,  pinguissimum  ex 
oeibus.  fit  et  ex  caprino  etc.  (das  folgende  kann  hier  tibergangen 
werden,  zumal  es  von  sachlichen  Unrichtigkeiten  voll  ist).  Das»  Plinius 
hier  mit  den  barbarae  gentes  die  Germanen  oder  wenigstens  auch 
die  Germanen  meint,  wird  man  kaum  bezweifeln  können.  In  der  That 
scheint  es,  dass  von  diesen  Völkern  frühzeitig  Fortschritte  in  der 
Butterbereitung  gemacht  wurden.  Hierfür  spricht  auch  der  Umstand, 
dass  in  der  germanischen  Welt  eine  übereinstimmende  Bezeichnung  des 
Butterfasses  sich  findet:  altn.  kirna,  agls.  cirne,  engl,  churn,  auch 
niederdeutsch  und  bis  ins  Hessische  verbreitet  (auch  ins  Finnische  — 
kirnu  —  entlehnt).  Vielleicht  liegt,  worauf  zuerst  Martiny  a.  u.  a.  0. 
aufmerksam  gemacht  hat,  hier  eine  Übertragung,  bezüglich  Ableitung 
(*kimjön)  von  dem  u.  Mühle  (s.  d.)  besprochenen  nordenropäischen 
Namen  der  Handmühlc:  got.  -qairnus,  altn.  keern  (daneben  aber  auch 
mit  k  statt  g:mhd.  kurn,  kiirne\  vgl.  Norcen  Abriss  d.  urg.  Lautlehre 
S.  145)  vor.  Dass  oberpfälzisch  kern  und  isl.  kjarna  ,Milchrahm'  bedeuten, 
lande  eine  Entsprechung  darin,  dass  umgekehrt  Schweiz,  buder  (doch 
kaum  von  ahd.  butera  , Butter'  zu  trennen)  das  ,Bnttcrfass'  bezeichnet. 
Das  tertium  comparationis  zwischen  Handmühle  und  Butterfass  läge  dabei 
in  der  Ähnlichkeit  zwischen  dem  Mahlen  und  Zerstampfen  des  Getreides 
einer-  und  dem  Quirlen  und  Stossen  der  Milch  andererseits.  In  diesem  Zu- 
sammenbang erschiene  auch  das  altpr.  girnoyici*  »Quirl' :  lit.  gtrnos , Mühle' 
beachtenswert.  —  Die  ältesten  Gefässe  und  Werkzeuge  der  Butterung 
werden  der  zu  diesem  Zweck  bis  in  die  Neuzeit  gebrauchte  thönerne 
Bnttertopf  und  Quirl,  welcher  letztere  einen  urverwandten  europäischen 
Namen  trägt  (ahd.  dwiril,  griech.  Topiivn;  lat.  trua),  gewesen  sein.  Wie 
weit  derartige  Vorrichtungen,  die  ja  auch  bereits  zum  Herstellen  der  zum 
Salben  (s.  o.)  gebrauchten  Butter  gedient  haben  können,  in  die  Vorge- 
schichte Europas  zurückgehen,  wird  sich  schwer  sagen  lassen.  Doch  sind 
in  den  Schweizer  Pfahlbauten  der  Steinzeit  quirlartige  Hölzer,  die  als 


Digitized  by  Google 


Butter. 


123 


Bntterrührstöcke  und  Töpfe,  die  als  Buttertöpfe  angesprochen  werden 
können,  gefunden  worden  (vgl.  Martiny  a.  n.  a.  0.  S.  32).  Endlich 
darf  man  für  die  grössere  Beachtung,  welche  die  Nordvölker  im  Gegen- 
satz zu  Griechen  und  Römern  der  Behandlung  der  Milch  widmeten, 
auch  den  Umstand  geltend  machen,  dass  hei  jenen  weitverbreitete  und 
uralte  Bezeichnungen  für  den  Begriff  des  Rahms  oder  der  Sahne 
bestehen  (gemeingerm.  mhd.  roum,  agls.  riam,  altn.  rjöme  neben  mhd. 
sane  ,Sahne',  senno  .Hirt';  rnss.  smetana  und  so  in  allen  Slavinen: 
altsl.  mqsti  ,turbare',  nsl.  mesti  , Butter  rühren',  lit.  mentüre,  altpr. 
mandiwelis  , Quirl',  sert.  mdnthati  ,rührt';  lit.  griejü  »schöpfe  den  Rahm 
ab',  grietini  ,Sabnc',  ob  :  sert.  ghr-td-  , Butter',  ir.  ger-t  , Milch' ?), 
während  die  südlichen  Völker  sich  mit  Umschreibungen  (wie  griech. 
to  Traxü  toö  YäkaKTOS,  lat.  flos  lactix)  behelfen. 

Nach  der  Angabe  des  Plinius  (s.  o.)  bildete  die  Butter  die  Licbliugs- 
speise  der  reichen  Leute,  d.  h.  solcher,  deren  Viehstand  gross  genug 
war,  um  Milch  für  die  Butterbereitiing  übrig  zu  lassen.  Ähnliches 
finden  wir  im  alten  Irland,  wo  ebenfalls  sehr  frühzeitig  die  Butter  be- 
kannt, aber  als  Speise  für  eine  bevorzugte  Klasse  der  Bevölkerung 
(Aire)  reserviert  ist  (vgl.  O'Cnrry  Manners  and  customs  I,  367  u.  III 
passim,  s.  d.  Index  unter  butter).  Als  allgemeine  Volksnahrung  hin- 
gegen wird  die  Butter,  namentlich  in  Mittel-  und  Oberdeutschland,  erst 
viel  später  gebräuchlich  (vgl.  Martiny  a.  n.  a.  0.  S.  21  ff.). 

Was  die  Beschaffenheit  der  ältesten  Butter  anbetrifft,  so  niuss  man, 
ähnlich  wie  beim  Bier  (s.  d.),  von  ungern  heutigen  Begriffen  absehen. 
So  galt  in  älteren  Zeiten  der  ranzige  Geschmack  der  Butter  für 
eineu  Vorzug,  den  man  sich  durch  langjähriges  künstliches  Aufbewahren 
derselben  zu  verschaffen  wusste  (vgl.  Martiny  S.  7  d.  Anhangs). 

Wenn  nach  dem  obigen  den  germanischen  Völkern  in  der  Geschichte 
der  Butterbereitung  eine  selbständige  Rolle  zufällt,  so  muss  es  befremd- 
lich erscheinen,  das»  gleichwohl  in  einigen  derselben  das  lateinisch- 
romanische  butyruni,  butururn,  butur,  ital.  burro,  altfr.  bure  festen 
Fuss  gefasst  hat  (vgl.  agls.  butere,  altfries.  bntera,  ahd.  butera).  In 
irgend  einer  Richtung  der  Buttcrbereitung  oder  Butterbenutzung  müssen 
demnach  romanische  Völker  eleu  deutsehen  vorbildlich  gewesen  sein. 
S.  darüber  n.  Brot. 

In  dem  Quellwort  des  lat.  butyrum,  in  griech.  ßoüxupov  bei  Hippo- 
krates  (s.  o.)  hat  mau  vergeblich  ein  skythisches  oder  osteuropäisches 
Wort  gesucht.  Griech.  ßoiiiupov  in  der  angeführten  Stelle  des  H.  (tö 
mov  ö  ß.  KdA^ouoi)  bedeutet  aber  offenbar  nichts  anderes  als  ,Kuhquark', 
sei  es,  dass  man  so  einen  originalen  skythischen  Ausdruck  übersetzte 
(vgl.  etwa  ahd.  chuo-xmero  ,Butter'),  sei  es,  dass  die  griechischen 
Hirten  die  wenige  Butter,  welche  sie  zu  Heilzwecken  gewannen,  wirk- 
lich so  nannten,  weil  die  fetten  und  quarkigen  Bestandteile  der  Milch 
eben  von  ihnen  nicht  scharf  geschieden  wurden  (so  jetzt  auch  Olck, 


124 


Butter  —  Dach. 


Artikel  Butter  in  Pauli- Wissowas  Realencyklopädie).  Über  griech.  xupö? 
«.  n.  Käse. 

Erwähnt  sei  noch,  das«  die  romanischen  Sprachen  nur  teilweis  das 
lat.  butyrum  aufweisen,  das  Kumänische,  Spanische  und  Portugiesische 
hingegen  einen  anderen  Ausdruck  manticä,  manteca,  manteiga  fllr  die 
Butter  besitzen.  Man  stellt  diese  Wörter  zu  lat.  mantica  ,Mantelsack' 
und  vermutet,  dass  der  Bedeutungsübergang  sich  aus  dem  Umstaud 
erkläre,  dass  die  Butter  in  „sackartigen  Schläuchen  zubereitet  wurde". 
—  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  153 ff.  und  B.  Martiny  Kirne  u. 
Girbc  [d.  h.  Stand-  und  Schwingbutterfass]  Berlin  1894.  S.  u.  Nahrung. 

o 

S.  unter  K  und  Z. 

D. 

Dach.  Dieser  Teil  des  Hauses  wird  in  zahlreichen  idg.  Sprachen 
übereinstimmend,  jedoch  ohne  Gemeinsamkeit  der  Wortbildung,  durch 
Ableitungen  von  der  Wurzel  (*)teg  »bedecken'  (lat.  tego)  bezeichnet: 
griech.  o-r^ro?,  <Tt^t»1,  tc'to?,  lat.  tectum,  ahd.  dah,  agls.  pwk,  altn. 
pak,  lit.  stogas  (gcmeinkclt.  *fegos-,  das  aber  ,Haus'  bedeutet;  vgl. 
auch  lat.  tugurium  , Hütte*).  Das  Dach  ist  also,  wie  natürlich,  ,das 
deckende',  ebenso  in  russ.  krovü  ,Dach' :  kryti  ,deckeu\  Eine  keltisch- 
germanische Gleichung  ist  ir.  crö,  kymr.  crate  aus  *krdpo-  =  agls.  hröf, 
altfrics.  hröf,  engl.  roof.    Alleinstehend  und  dunkel:  altsl.  stri'cha. 

Sprache  und  Überlieferung  zeigen  in  gleicher  Weise,  dass  das  Dach 
de«  alteuropäischen  Hauses  ans  Stroh  oder  Schilfrohr  bestand.  Lat. 
culmen  ,Dach'  ist  eins  mit  culmus  ,Halm',  griech.  dpoqpn.  ,Daclf  eins 
mit  dpo<pos  ,Rohr*  (beide  :  ^pttpw  .bedecke';  vgl.  auch  altn.  rdfr  ,Dach'). 
Wie  Ovid  (Fast.  VI.  261)  es  vom  ältesten  Tempel  der  Vesta  berichtet: 

quae  nunc  aere  cides,  stipula  tum  tecta  viderett, 
wie  in  Sardes,  das  einen  Schluss  auch  auf  hellenische  Häuser  gestatten 
wird,  noch  zur  Zeit  des  ionischen  Aufstandes  (Herod.  V,  101),  selbst 
die  steinernen  Häuser  Dächer  aus  Rohr  hatten,  so  wird  bei  deu  Nord- 
volkern das  Strohdach  als  gemeinsame  Eigentümlichkeit  derselben  von 
zahlreichen  Schriftstellern  hervorgehoben.  Vgl.  Caesar  De  bell.  gall.  V,  43: 
Casae,  quae  inore  Gallien  stramentis  mint  tectae,  Vitruvius  II.  1,  4: 
Ad  hunc  diem  aedifeia  constitttuntur  .  .  in  Gallia,  Hhpania,  Lusi- 
tania,  Aquitania  scandttli*  robusteis  aut  stramentix,  Strabo  IV  p.  197 


Digitized  by  Google 


Dnch  —  Dachs. 


125 


(von  den  Belgern):  öpo<pov  ttoXüv  dmßäXXovT€£  (nämlich  auf  ihre  Hütten), 
Plinius  Hist.  nat.  XVI,  15ti:  Teyulo  earum  (haruudinum)  domus  sua* 
septentrionales  popuU  operiuut  durantque  aeiis  tecta  talia  und  XVIII, 
206:  Ubi  stipula  domos  coutegnnt,  quam  longissimam  Servitut,  Sym- 
machus  Oratio  II,  2  (Panegyricus  auf  Valentian):  Quälern  te,  iuhospita 
regio,  nuper  imeuimus?  ignaram  tefuatatü  urbium  nc  tirgeis  domi- 
bus  et  tectis  herbidis  indecoram.  Auch  die  Barbarenhütten  auf  der 
Antoninus-Säule  und  mehrere  der  in  Italien  und  Deutsehland  gefundenen 
Hausurnen  (s.  u.  Hau*)  /.eigen  deutlich  das  alte  Strohdach.  Daneben 
mag  man  sich  noch  anderer  Mittel  der  Bedachung  bedient  haben,  wie 
z.  B.  ir.  dethe  ,Daeh' :  cliath  xrates  auf  Flechtwerk  hinweist,  oder  wie 
man  in  Skandinavien  Birkenrinde  verwendete.  Über  die  Schindel  s.  u. 
Ziegel.  Als  sicher  darf  gelten,  dass  das  alte  Dach,  in  welchem  wir 
uns  frühzeitig  das  Rauchloch  (griech.  KanvobÖKr)),  bezügl.  die  Licht- 
öffnung (s.  u.  Fenster)  zu  denken  haben,  noch  nicht  durch  eine 
Zwischendecke  von  «lein  einzigen  Raum  des  ursprünglichen  Hauses, 
der  Herdstätte,  getrennt  war.  Dieser  Zustand  hat  sich  bei  den  Ger- 
manen lange  erhalten.  Nach  alemannischen)  Recht  hat  das  Neugeborene 
gelebt,  wenn  es  die  Augen  geöffnet  und  das  Dach  und  die  vier 
Wände  erblickt  hat.  Got.  hröt  ,Dach'  (neben  agls.  hrost)  bedeutet 
nach  Hennig  Das  deutsche  Haus  S.  122  noch  heute  als  „Rota  technisch 
einen  bis  unters  Dach  offenen  Raum.  Über  die  steinerne,  gewölbte 
Decke,  die  der  Ausdruck  griech.  Kaudpa  (:  lat.  camur  ,gewölbt';  vgl. 
auch  griech.  K|u-€X€6pov,  n€'Xa6pov  .Dach')  bezeichnet,  und  ihren  Über- 
gang nach  dem  Norden  s.  u.  Stein  bau.  —  S.  u.  Haus. 

Dachs.  Das  Tier  ist  in  Mittel-  und  Westeuropa  nach  Ausweis 
der  Funde  schon  seit  der  älteren  Diluvialzeit  vorhanden.  Im  Süden 
scheint  es  dagegen  im  Altertum  unbekannt  gewesen  zn  sein. 

Nur  bei  Aristoteles  begegnet  ein  vereinzeltes  Tpöxo?  (der  , Läufer'  in 
der  Runde,  , Dreher '),  das  man  auf  den  Dachs  deutet.  Ein  einheimischer 
lat.  Ausdruck  fehlt.  Alte  uud  einheimische,  aber  untereinander  unver- 
wandte Namen  des  Tieres  bestehen  dagegen  bei  Kelten,  Germanen, 
Slaven  und  Litauern.  Der  urkeltischc  Name  ist  *brocvos,  ir.  brocc  etc., 
vielleicht  so  viel  wie  der  .spitzige'  bedeutend  (Thurneysen  Kclto-ro- 
manisehes  S.  50).  Es  kehrt  in  gallischen  Ortsnamen  wie  Jirocomago,  liroc- 
comaza  wieder  und  ist  von  keltischem  Boden  ins  Angelsächsische  (brocc) 
nnd  Dänische  (brock)  gedrungen.  Bedeutsam  ist  ahd.  dahs  (ebenfalls  in 
Ortsnamen  w  ic  altndd.  Thahshem).  Es  gehört  vielleicht  zu  der  idg.  Wurzel 
teks  (vgl.  griech.  t€ktujv)  und  wäre  dann  soviel  wie  der  , Baumeister, 
Künstler'.  Vom  Deutschen  ist  das  Wort  sehr  früh  ins  Lateinische  ge- 
wandert: schon  Marcellus  Empiricus  im  IV.  Jahrh.  verschreibt  eine  Dosis 
adipix  taxoninae.  Aus  dem  lat.  ta.ro  (=  germ.  *pahson-)  sind  die  roman. 
it.  tasso,  frz.  taisson  hervorgegangen.  Merkwürdig  aber  ist,  dass  schon 
100  Jahre  v.  Chr.  bei  Afranius  (Isidor  XX,  24)  ein  gallisches  tiurea 


Digitized  by  Google 


126 


Dachs  —  Dattelpalme. 


,Dachsf ett'(V) :  Gallum  sagatum  pingui  postum  taxea  vorkommt,  von 
dem  sich  in  den  keltischen  Sprachen  aber  keine  Spur  findet.  Slavisch  ist 
jazvü  \jazta  , Höhle',  litu-preussisch  obszrits,  wöbsdus,  nach  Miklosich 
Et.  W.  zu  W.  gerf  slav.  zlrq  jvorare"  gehörig  (lett.  öpsis).  Im  Norden 
der  Balkanhalbinsel  bestehen  alb.  vjiduh  , Dachs'  oder  ,Hamster',  rum. 
tiezurä  (:  alb.  med-  ,stehlen'?).  Neuere  Namen  des  Tieres  sind  engl. 
badger,  frz.  blaireau  ,Kornhändler',  it.  grajo  (=  agraria*?),  wcstphäl. 
etc.  griewel  ,Gräber'.  Slav.  borsük  stammt  ans  dein  Türkischen. 
Damm,  s.  Brücke. 

Dämonen,  s.  Ahnenkultus  und  Religion. 
Dampfbad,  s.  Bad. 
Damwild,  8.  Hirsch. 
Dank,  Dankopfer,  s.  Opfer. 
Darlehen,  s.  Schulden. 

Dattelpalme.  Die  Verbreitung  der  Phoenix  daetylifera  L.  ist 
nach  Engler  (bei  V.  Hehn  s.  u.)  auf  ihrem  heutigen  Areal  von  den 
Canaren,  wo  schon  der  numidische  König  Juba  (Plin.  Hist.  nat.  VI,  205) 
fruchtbare  Dattelpalmen  in  Menge  vorfand,  bis  nach  dem  Pendschab 
bereits  in  vorhistorischen  Zeiten,  und  nicht  durch  das  Zuthun  des 
Menscheu,  erfolgt.  Auf  diesem  Gebiet  tritt  in  den  alten  Kulturstaaten 
des  Orients,  im  Osten  ebenso  wie  im  Westen,  die  Bekanntschaft  mit 
der  Dattelpalme  in  frühen  Epochen  uns  entgegeu.  Auf  den  assy- 
rischen Denkmälern  begegnet  der  Banm  unter  dem  angeblich  sume- 
risch-akkadischen  Namen  mumqqan  (,himmelhäuptig';  vgl.  hebr.  tämär 
cigentl.  ,die  schlanke').  „Das  Musuqqanholz  wird  in  Bauten  bei  Niniveh 
und  Babylon  verwendet  und  erscheint,  wenn  es  Tributgegenstand  ist, 
lediglich  als  solcher  eines  besiegten  babylonischen,  näher  sttdbabylo- 
nischen  Machthabers.  Ein  Hain  von  Musnqqanbäumen  wird  vom 
Assyrerkönig  vor  der  südbabylonischen  Stadt  Sapt  vernichtet,  durch 
Umbaun  der  Stämme.  Dagegen  erscheint  das  Musuqqanholz  niemals 
als  ein  Tributgegenstand  westlicher  syrisch-palästinischer  Völker  und 
wird  niemals  als  ein  in  Westasien,  von  den  Assyrern  etwa  auf  dem 
Libanon  und  Amanos  gefällter  Baum  bezeichnet"  (E.  Schräder).  Aus 
Assyrien  hat  bereits  Herodot,  1, 193,  wenn  auch  noch  in  sagenhafter  Ge- 
stalt, Kunde  von  der  Sitte  erhalten,  die  weiblichen  Dattelpalmen  mit 
den  Rispen  der  mäunlichen  zu  befruchten  (cloi  bi  ffept  (poivtK€?  tt€<puköt€? 
dvd  iräv  tö  rabiov,  o\  nXeuve?  atrrwv  KapTtotpöpoi,  die  tujv  kgu  o*ma  koi 
otvov  Kai  u^Xi  iroieövTaf  tou?  ctuk€€wv  Tpönov  öepaTrcuouai  td  Te  äXXa, 
xal  90ivikiov,  tou?  ?po*evac  "EXXnvcq  KaXfoutfi,  toutujv  töv  Kapiröv 
TTcptb^oucfi  Trjtfi  ßaXavn.<pöpoio*i  tuiv  <potviKu>v  iva  TTCTraivn,  tftpi  6  t|mv 
Tnv  ßdXavov  tobuvwv  Kai  uf|  dnopp^ri  ö  Kapnöt  toö  tpoiviKO^).  Vgl. 
noch  armen,  armav  ,Dattel'  aus  npers.  xurmä  (Hübschmann  Armen. 
Gr.  I,  III). 

Auch  in  Ägypten  lässt  sich  der  Anfang  der  Dattelpalmenkultur  bis 


Digitized  by  Google 


Dattelpalme. 


127 


in  die  X.  und  XI.  Dynastie  znrückverfolgcn  (am  , Dattelpalme',  bäner 
,Dattel',  bau  ,Palmeuzweig').  Man  hat  vermutet,  das«  der  in  dieser 
Zeit  aufkommende  Handelsverkehr  zwischen  Ägypten  und  dem  Lande 
Paut  (im  südlichen  Arabien  oder  an  der  afrikanischen  SomalikUste) 
den  Baum  nach  Ägypten  brachte.  Ein  Landschaftsbild  aus  letztge- 
nannter Gegend  in  der  Tempelhalle  von  Der-el-Baharic  zeigt  ein  auf 
Pfählen  errichtetes  Dorf  zwischen  Dattelpalmen  und  Weihrauchbäumen. 
Andere  nehmen  dagegen  für  Ägypten  einen  einheimischen  Ursprung 
der  Dattelkultur  an. 

Nördlich  des  südmediterranen  Areals  der  Dattelpalme,  in  dem 
grössten  Teile  Griechenlands  und  Italiens,  hat  sich  der  Baum  wohl 
nur  auf  dem  Wege  der  Anpflanzung  verbreitet.  Er  hat  hier  die  Fähig- 
keit, wohlschmeckende  Früchte  hervorzubringen,  fast  gänzlich  einge- 
büßt und  ist  in  den  genannten  Ländern  daher  zu  den  Zier-,  nicht 
zu  den  Nutzpflanzen  zu  rechnen. 

Die  erste  Erwähnung  des  Palmcnbaums  in  Griechenland  ge- 
schieht Od.  VI,  162  ff.    Der  weitgewanderte  Odysseus  hat  ihn  auf 
Delos,  und  zwar  nur  hier,  gesehen  und  vergleicht  seinen  schlanken 
"Wuchs  (s.  oben  hebr.  tdmdr)  der  Gestalt  der  Nausikaa: 
Ar)Xiu  br\  TTOie  toTov  'AttöXXwvo^  Tiapä  ßumuj 
(poiviKoq  veov  fpvo?  dvepxöpevov  ^vöntfa. 

Der  hier  gebrauchte  Ausdruck  cpoivtE  ist  offenbar  identisch  mit 
<t>oivt£  ,dcr  Phoenicier'  und  deutet  auf  die  östliche  Herkunft  des 
Baumes  hin.  Ob  man  ihn  schon  in  mykenischer  Zeit  in  Griechenland 
selbst  kannte,  muss  dahin  gestellt  bleiben,  da  die  zahlreichen  Abbil- 
dungen desselben  auf  Kunstwerken  dieser  Periode  orientalische  Land- 
schaftsmotive  sein  köuuen.  In  später  Zeit  bat  sich  im  Griechischen 
das  oben  genannte  ägyptische  bau  eingebürgert  und  zu  griech.  ßa?£, 
ßatov  geführt.  Auf  Kreta  heisst  noch  jetzt  der  Palmenbaum  cpoivucnä 
nnd  ßana,  während  der  gewöhnliche  Ausdruck  Kouppabna  türkischen 
L'rsprungs  ist,  wie  denn  die  meisten  älteren  Palmen  im  heutigen 
Griechenland  aus  der  Türkenzeit  stammen  sollen  (Heldrcich  Nutz- 
pflanzen S.  11). 

Das  Lateinische  hat  einen  einheimischen  Namen  für  den  Palm- 
baum,  palma.  Die  Annahme,  dass  dieses  Wort  eine  Entlehnung  aus 
hebr.  tdmtir  und  aus  dem  Städtenamen  Tadmor-Palmyra  sei,  in  dem 
man  irrtümlich  ein  ,Palmenstadt'  erkennen  wollte,  darf  jetzt  wohl 
als  allgemein  aufgegeben  gelten.  Palma  ist  vielmehr  der  echte  latei- 
nische Name  für  die  in  Südeuropa  einheimische  Zwergpalme  (Chamaerops 
humilis)  und  wohl  identisch  mit  lat.  palma  (=  ahd.  folma)  ,Hand', 
indem  man  eine  Ähnlichkeit  zwischen  den  fächerartigen  Blättern  der 
Zwergpalme  mit  einer  flachen  Hand  (s.  u.  über  bctKTuXo?)  heraus- 
fand. Dieser  Ausdruck  wurde  dann  später  auch  auf  Phoenix  daety- 
lifera  im  Volkgmund   angewendet.    Die  erste  Nachricht  von  einem 


Digitized  by  Google 


128 


Dattelpalme. 


Palmcnbaum  in  Italien,  mul  zwar  in  Antinni,  bezieht  sich  auf  das  Jahr 
291  v.  Chr.  (vgl.  V.  Hehn  a.  u.  a.  0.  8.  209).  —  Eine  weitere  Ver- 
breitung an  den  Küsten  des  Mittelmccrs,  vor  allem  in  Spanien,  hat  die 
Palme  erst  durch  die  Araber  gefunden. 

Wie  aber  der  Kaum  gelbst  vom  fernen  Osten  nach  Griechenland  und 
Italien  gebracht  worden  war,  so  wohl  auch  die  Sitte,  seine  Zweige  als 
Symbol  des  Sieges  und  der  Freude  zu  verwenden,  eine  Sitte,  die  schon  im 
Alten  Testament  begegnet,  in  Griechenland  zuerst  von  Pindar,  in 
Italien  zuerst  aus  dem  Jahre  29.*,  als  von  den  Griechen  entlehnt  (vgl.  auch 
lat.  spddix  ,Palmzwcig'  aus  gricch.  cmäbiE  abgerissener  Zweig  ),  ge- 
meldet wird.  Ihren  Übergang  in  das  mittelalterliche  und  christliche 
Europa  hat  sie  durch  die  Palmeu  gefunden,  die  nach  dem  Johanncs- 
Kvangelium  dem  in  Jerusalem  einziehenden  Heiland  gestreut  wurden. 
Durch  den  „Palmsonntag"  erst  ist  wohl  der  lateinische  Name  des  Baumes 
im  Norden  (vgl.  ahd.  pidma  u.  s.  w.)  bekannt  geworden.  Nur  das 
Gotische  hat  einen  eigenen,  noch  völlig  rätselhaften  Namen  des  Haunies 
(peikabagmsL  Nach  R.  Much  Deutsche  Stammsitze  §  33  bedeutete  das 
Wort  eigentlich  »Feigenbaum',  fUr  den  die  Goten  aber  einen  beson- 
deren Ausdruck  {xmuhkabagmx)  hatten.  Der  erste  Teil  des  Wortes 
peika-  wäre  nach  ihm  durch  Vermittlung  der  Kelten  'bei  denen  das 
Wort  aber  gar  nicht  bezeugt  ist)  aus  lat.  ficus  entlehnt. 

Bald  verfiel  man  an  verschiedenen  Stellen  auf  den  Gedanken,  statt  der 
teuren  und  schwer  erhältlichen  Palmenzweigc,  die  in  Italien  der  Palmen- 
hain von  Bordigbera  für  die  Zwecke  der  Kirche  liefert,  andere,  meist 
immergrüne  Gewächse  zu  benutzen.  So  heisst  im  Neugriechischen  der  Lor- 
beer ßaind,  weil  er  am  Palmsonntag  (iopri]  xd>v  ßatwv)  verwendet  wird. 
Im  kaukasischen  Kussisch  nennt  man  den  Buchsbaum  Kaickassaja 
pal'ma  ,kaukasischc  Palme',  und  derselbe  Name  für  dieselbe  Pflanze 
(palm,  palmenherg  etc.)  kommt  auch  in  verschiedenen  deutschen  Mund- 
arten vor.  Im  Litauischen  bedeutet  icerbo,  cigentl.  »Weidenrute'  auch 
, Palmblatt'  oder  ,Palmenzweig',  werbt!  nedele  ist  der  Palmsonntag. 
Vgl.  dazu  E.  H.  .Meyer  Deutsche  Volkskunde  S.  257:  „Zum  Palm- 
sonntag werden  in  der  Kirche  die  Palmen  geweiht,  Weidenzweige 
oder  lange  Stangen,  (dien  mit  Buchs-  und  Lebensbaum  ge- 
schmückt." 

Da  die  Dattelpalme,  wie  schon  oben  bemerkt,  im  südlichen  Europa 
im  allgemeinen  ihre  Früchte  nicht  zur  Reife  bringt  'Dattelpalmen 
mit  leidlichen  Früchten  befanden  sich  nach  Pausanias  IX,  19,  ö  in 
Aulis  vor  dein  Tempel  der  Artemis),  so  musste  der  Handel  mit  orien- 
talischen Datteln  bald  bedeutend  werden.  Der  Name  der  Frucht  ist 
zunächst  gleich  dem  des  Baumes:  griech.  <poivi£,  lat.  palma.  Später 
kommen  andere  Renenuungcn  auf:  für  eine  nussförmige  Art  griech. 
KapuwTÖq,  icapudms,  lat.  caryöta,  caryötin  und  das  in  die  modernen 
Sprachen    übergegangene   griech.   bdiauXo?,    lat.   daetylu*   , Dattel'. 


Digitized  by  Google 


Dattelpalme  —  Dichtkunst. 


129 


Noch  zweifelt  man,  ob  hier  ein  einheimischer  Name  für  eine  linger 
ähnliche  Dattelart  (bdtKTuXoq  , Finger' ;  vgl.  Plin.  Hist.  nat.  XIII,  46: 
daetylui,  praelonga  gracilitate  cttnatU  interim)  vorliegt,  oder  oh 
bäKTuXoq  eine  Entlehnung  aus  aram.  diqlä,  syr.  deqhl,  arab.  daqal 
,Palme'  (arab.  ,eine  Sorte  Datteln)  darstellt.  In  Verbindung  mit  dem 
letztgenannten  Wort  sucht  man  auch  die  Hcsyehischen  Glossen  croöicXar 
qxnviKoßäXavoi  und  o*ouK(X)o-ßdXavo?  •  tö  auio  <t>oiviKe?  zu  bringen.  — 
Vgl.  Th.  Fischer  in  Petennanns  Mitteilungen,  Ergäuzungshcft  Nr.  64 
und  V.  Hehn  Kulturpflanzen ü  S.  262  ff. 
Daune,  s.  G  a  n  s. 

Deichsel.  Eine  etymologische  Übereinstimmung  für  diesen  Teil 
des  Wagens  scheint  in  lat.  temo  =  ahd.  dihsala  (neben  zeotar  ,Zittcr', 
eigentl.  ,Seil':  ahd.  ziohan),  agls.  pixl,  altn.  pisl  vorzuliegen.  Wurzel 
tenx-,  germ.  *piys-.  Andere  deutcu  lat.  temo  aus  +tem-mö  und  ver- 
gleichen altpr.  teansis  ,Deicbsel'  (vgl.  Osthoff  I.  F.  VIII,  .">7  ff.).  In 
diesem  Fall  wäre  ahd.  dihsala  zu  trennen  und  könnte  etwa  an  altsl. 
twü  (s.  u.  Eibe)  angeschlossen  werden,  so  dass  die  Deichseln  ur- 
sprünglich aus  Eibeuholz  verfertigt  worden  wäreu.  Eine  zweite 
Gleichung  ist  sert.  ishd',  aw.  isa-  (hdmisa-)  ,Deichsel'  =  nsl.  etc.  oje 
^Deichsel',  »Deichselstange'  (Uber  griech.  oinE  s.  u.  Steuerruder). 
Einzelsprachlich  sind:  sert.  dhur-,  prdüga-,  griech.  i^uuöq  (:  Ipvw)  ,Zug- 
holz',  lit.  dyselys,  russ.  dyttzlo  (aus  dem  Deutschen).    S.  u.  Wagen. 

Delikte,  s.  Verbrechen. 

Delphin,  s.  Wal. 

Dezimalsystem,  s.  Zahlen. 

Diadem,  s.  Krone. 

Diamant,  s.  Edelsteine. 

Dichtkunst,  Dichter.  So  deutlich  der  Begriff  des  gesproche- 
nen Wortes  in  idg.  Gleichungen  wie  sert.  vdcas-,  aw.  vacah-  = 
griech.  Itioq  (vgl.  auch  sert.  väk,  i'ücds  =  lat.  vöx,  griech.  ÖV)  und 
lat.  terbum  =  got.  icaürd,  altpr.  icirds  (vgl.  auch  griech.  etpuj  ,ich 
sage')  hervortritt,  umso  weniger  ausgebildet  muss  die  Terminologie  des 
Gesanges  in  der  idg.  Grundsprache  gewesen  sein.  Die  Bezeichnungen 
der  Einzclsprachcn  hierfür  sind  fast  ausschliesslich  (eine  nach  Form 
und  Bedeutung  übereinstimmende  Bezeichnung  des  Begriffes  ,Lied' 
scheint  nur  in  der  Gleichung  sert.  arid-:  rc  ,singcn'  =  armen,  erg 
vorzuliegen)  ans  Wörtern  hervorgegangen,  welche  ursprünglich  ver- 
schiedene Arten  des  Sprechens  oder  Schreiens  ausdrückten.  Im 
Griechischen  gehört  tietbw  ,ich  singe' ,  doibri  ,Gesang',  doiböq 
,Sänger':  ir.  faed  ,Sehrei,  Ton',  kymr.  gicaedd  ,cry,  shout'  hierher. 
Vgl.  auch  die  Gruppe  von  griech.  übuu,  aubri,  seit,  rddati,  die  jede  Art 
stimmlichen  Ausdrucks  bezeichnet.  Im  Lateinischen  entspricht  zwar 
cano  ,singe'  dem  ir.  canim,  welches  dasselbe  bedeutet;  aber  sowohl 
die  Bcdcutungseutfaltung  des  Wortes  im  Lateinischen  selbst,  wie  auch 

Schräder,  RpnllejclWmi.  !> 


Digitized  by  Google 


130 


Dichtkunst,  Dichter. 


das  neben  cano  -  canim  liegende  got.  hunu  ,Halm'  machen  es  sicher, 
dass  die  Grundbedeutung  der  ganzen  Sippe  »einen  vernehmlichen  Ton 
von  sich  geben',  gewesen  ist.  Im  Germanischen  finden  sich  fflr 
Singen  vor  allem  zwei  Reihen:  got.  siggican  und  ahd.  galan.  Das 
erstere  bedeutet  ausser  ,äetbeiv'  auch  ,äva-pYvujo'K€iv',  d.  h.  ,vorlesen, 
und  das  dazu  gehörige  Hauptwort  saggtes  (iübr)  und  dväfvujat?)  ent- 
spricht als  urverwandt  dein  gricch.  öuqprj  (*nonghd-)  ,die  Stimme',  vor- 
nehmlich die  der  Götter,  also  die  laute,  gewaltige  Stimme,  so  dass 
ein  Zweifel  darüber  nicht  bestehen  kann,  dass  unser  ,singen'  ursprüng- 
lich bedeutete  ,mit  vernehmlicher  Stimme  etwas  vortragen',  ungefähr 
dasselbe  wie  got.  spillön  ,btn.Y€io"9ai,  dKtp^pciv,  cüaYTeXUtaritar,  wenn  es 
(vonFröhde  B.  B.  XIX,  241)  richtig  mit  lat.  -pellare,  appellare  ver- 
glichen wird.  Der  zweite  Ausdruck,  altn.  gala,  agls.  ahd.  galan  ,singen' 
hängt  aufs  engste  mit  unseren  Wörtern  „gell",  „gellen"  (ahd.  gellan 
,laut  tönen',  ,schreien')  zusammen,  wird  wie  lat.  cano  ebenfalls  von 
den  Stimmen  allerhand  Vögel,  des  Hahnes,  Kuckucks,  Raben  etc.  ge- 
braucht, und  hat  daher  zweifellos  eine  ähnliche  Grundbedeutung  wie 
dieses  gehabt.  Noch  nicht  sicher  ist  got.  Hupft n  ,singen',  ,iyä\Xeiv' 
von  ahd.  liod  u.  s.  w.  ,Lied'  erklärt.  Die  einen  vergleichen  ir.  luad 
,Gespräch\  ,Rede'  (idg.  *leu-to-  :  *Ieu-do-),  andere  (vgl.  R.  Kögel  Gesch. 
d.  d.  Lit.  I,  1,  7)  gehen  von  der  Bedeutung  ,Tauzlied"  {Hm-to-,  cigentl. 
,Lösung'  :  griech.  Xüu>  .löse)  aus.  Das  Sla  vi  sc  he  verfügt  für  Singen 
über  altsl.  pi>ti,  pojq.  Eine  sichere  Anknüpfung  in  den  verwandten 
Sprachen  ist  noch  nicht  gefunden.  Vielleicht  könnte  man  an  griech. 
7ramu>v  »feierlicher  Gesang  zu  Ehren  des  Apollo'  denken,  fflr  welches 
dann  von  einem  Stamm  *pai-cd-  ,Rccitation,  Gesang'  (  vgl.  etwa  gricch. 
örrdijuv  .Gefährte'  :  *#aqd-  ,Folguug"  :  eTroucti)  auszugehen  wäre.  Für 
die  Grundbedeutung  von  altsl.  pHi  .singen'  ist  wichtig,  dass  es  eben- 
falls von  dem  Gesänge  des  Hahues  (pftelinü)  gebraucht  wird,  und  dass 
mau  z  B.  im  Bulgarischen  kniga  peja  .ein  Buch  lesen'  (vgl.  oben 
got.  siggtcan)  sagen  kaum  Litauisch  giedu  ,ich  singe'  endlich 
{gaidi/s  ,Hahn)  wird  gewiss  mit  Recht  als  wurzelverwandt  mit  altsl. 
gajati  ,krächzen'  sowie  mit  sert.  gd.  gd'yati  ,singen,  in  singendem  Tone 
sprechen'  angesehen,  während  altpr.  grimons  ,gesungen',  grimikan 
,Lied'  zu  agls.  ceorm,  ahd.  karmen  .Wehklagen'  gestellt  wird. 

Was  man  aus  dem  Bisherigen  wird  schliessen  dürfen,  ist,  dass  iu  der 
Urzeit  noch  kein  Bedürfnis  bestanden  haben  kann,  ,Wort'  und  .Schrei' 
sprachlich  von  .Gesang'  zu  unterscheiden,  ähnlich  wie  dies  hinsichtlich 
der  Begriffe  ,Gehen'  und  , Hüpfen'  im  Unterschied  von  ,Tanzen'  der 
Fall  gewesen  ist  (s.  u.  Tanz).  Immerhin  werden  die  verschiedenen 
cinzclspraehlichen  Bezeichnungen  des  Singens  gemeinsam  durch  die 
Betonung  des  pathetischen,  lauten  oder  geschreiartigen  Sprechens  cha- 
rakterisiert, so  dass  also  die  Sprachbetrachtung  zu  demselben  Ergebnis 
gelangt,  zu  dem  mau  bereits  auf  dem  Wege  sachlicher  Erwägungen 


Digitized  by  Google 


Dichtkunst,  Dichter. 


131 


gekommen  war,  nämlich  dem,  dass  der  menschliche  Gesang  im  wesent- 
lichen eine  Entwicklung  der  menschlichen  Rede  darstellt.  So  äussert 
H.  Spencer  (nach  E.  Grosse  Die  Anlange  der  Kunst  8.  268)  die  An- 
sicht, „dass  die  stimmlicheu  Eigentümlichkeiten,  welche  die  Erregung 
des  Gefühls  an/eigen,  genau  dieselben  seien,  welche  den  Gesang  von 
der  gewöhnlichen  Rede  unterscheiden:  —  nämlich  die  Stärke  (lotidnessr 
die  Qualität  oder  der  Timbre;  die  starke  Abweichung  von  einem  mitt- 
leren Niveau  der  Höhe;  die  Weite  der  Intervalle  und  der  ausseror- 
dentlich schnelle  Wechsel".  Der  Gesang  sei  daher  durch  die  Ausprä- 
gung \emphasising)  und  Verstärkung  dieser  Eigenschaften  entstanden. 
Dazu  vgl.  Billroth  Wer  ist  musikalisch  ?  (Deutsche  Rundschau  Jahrg. 
1894/95,  IV,  454:)  „Und  doch  ist  meiner  Überzeugung  nach  der  Ge- 
sang aus  der  Sprache  hervorgegangen   Bei  sehr  lautem  Sprechen, 

beim  öffentlichen  lauten  Gebet  der  Priester  erwies  es  sich  als  besonders 
wirksam  auf  die  Zuhörer,  den  Stimmton  bald  zu  lieben,  bald  zu  senken ; 
vielleicht  war  dies  Anfangs  nicht  beabsichtigt  und  ergab  sich  von 
selbst  als  Folge  der  Anstrengung  und  Ermüdung  der  Kehlkopfmuskeln. 
Die  meisten  Menschen  endigen  einen  Satz  in  tieferem  Ton  als  sie  be- 
gonnen haben  (Tonfall,  Cadenz).  Zum  Hervorheben  einzelner,  besonders 
wichtiger  Worte  und  Sätze  wurde  die  Stimme  in  eine  höhere  Tonlage 
gehoben;  es  gelang  dadurch  besser,  die  Aufmerksamkeit  der  Hörer  zu 
fesseln  als  durch  rein  monotones  Sprechen  ....  Stärkere  Betonung 
ist  zugleich  unabsichtliche  Tonerhöhung;  doch  geht  der  Vortragende 
auch  oft  bewusst  in  eine  höhere  Tonlage  über;  der  Reduer  benutzt 
absichtlich  verschiedene  Tonhöhen;  seine  Sprache  ist  neben  der  Klang- 
gebärde zugleich  Tonsprache.  Beim  gewöhnlichen  Sprechen  bleiben 
wir  etwa  innerhalb  einer  Quint;  beim  erregten  Sprechen  benutzen  wir 
wohl  eine  Octav.  —  Die  genannten  Hilfsmittel  des  Ausdrucks  wurden 
wohl  besonders  von  den  Priestern,  deu  Sehern,  den  Propheten  .... 
benutzt;  sie  erwiesen  sich  eben  nützlich  für  die  Erreichung  der  ange- 
strebten Wirkungen.  Von  einem  derartigen  pathetischen  Sprechen  zum 
halb  singenden  Recitieren  ist  ein  leicht  gethaner  Schritt,  schliesslich 
ein  kaum  wahrnehmbarer  Übergang." 

Menschlicher  Rede  in  dem  hier  gemeinten  Sinne  wohnt  ein  gewisser, 
natürlich  noch  gänzlich  freier  Rhythmus  mit  Naturnotwendigkeit  inne, 
wofür  man  sich  auf  Erscheinungen  der  Tierwelt,  wie  das  Krähen 
des  Hahnes  oder  den  Ruf  des  Kuckucks  (vgl.  Billroth  a.  a.  0.  I,  114) 
berufen  kann.  Eine  Veranlassung,  den  Ausgangspunkt  desselben  mit 
K.  Bücher  (Arbeit  und  Rhythmus  Abh.  d.  Kgl.  Sächs.  Ges.  d.  W.  XXXIX) 
in  den  die  rhythmischen  Bewegungen  gewisser  Handwerke  und  Mani- 
pulationen begleitenden  Arbeitsliedern  der  Menschen  zu  suchen,  liegt 
daher  nicht  vor,  wenn  es  auch  nach  dem  von  Bücher  beigebrachten 
Material  nicht  geleugnet  werden  soll,  dass  das  Arbeitslied  auf  die  Aus- 
bildung bestimmter  Rhythmen  von  Einfluss  gewesen  sein  kann,  eine 


Digitized  by  Google 


132 


Dichtkunst,  Dichter. 


Richtung,  in  der  dauu  weiter  und  vor  allem  die  unten  zu  besprechende  Ver- 
bindung von  Wort  und  Tanz  wirkte.  Wir  sind  also  der  Meinung,  dass 
der  pathetisch  und  darum  auch  rhythmisch  gesprochene  Satz  die  älteste 
dichterische  Form  der  Indogermanen  gewesen  sei,  während  die  Aus- 
bildung eigentlicher  musikalischer  und  zu  Melodien  verbundener  Töne, 
des  Gesanges  im  heutigen  Sinne  (s.  auch  u.  Singvögel),  noch  nicht 
begonnen  hatte  oder  noch  in  den  Anfängen  stand. 

Dem  so  gesprochenen  Wort  wird  bei  allen  idg.  Völkern  eine  zauber- 
hafte Kraft  zugeschrieben,  durch  die  man  Uber  die  Ausscnwelt  Gewalt 
zu  erhalten  sich  vorstellt.  Nicht  die  Absicht  einer  aesthetisehen, 
sondern  vielmehr  die  einer  praktischen  Wirkung  ist  es  daher  gewesen, 
welche  die  ohne  Zweifel  älteste  Gattung  idg.  Poesie,  den  Zauber- 
spruch oder  das  Zauberlied,  hervorgerufen  hat.  Man  wendet  sie 
an,  wenn  es  gilt,  feindliche  Krankheitsgeister  zu  vertreiben  (s.  u.  Arzt), 
oder  wenn  mau  die  Toten  in  ihren  Gräbern  festbannen  will  (s.  u. 
Ahnenkult),  wenn  man  die  Zukunft  aus  zusammen  gelegten  Baum- 
stäbchen (s.  u.  Los)  erraten  möchte,  oder  wenn  man  einen  Fluch  im 
Falle  der  Lüge  auf  sich  herabschwört  (s.  u.  Eid),  wenn  man  Uber- 
irdische Mächte  zur  Annahme  eines  Opfers  (s.  d.)  zwingen  möchte, 
und  in  zahlreichen  anderen  Fällen.  Ein  idg.  Ausdruck  für  den  Begriff 
eines  solchen  Zauberspruchs  scheint  in  der  Gleichung  sert.  brdhman-  = 
lat.  flämen  erhalten,  worüber  näheres  u.  Priester  mitgeteilt  ist. 
Andere,  einzelsprachliche  Bezeichnuugen  s.  u.  Arzt.  Zu  erörtern  bleibt 
das  lat.  Carmen,  das  in  der  Bedeutung  »Zauberspruch'  z.  B.  in  den 
XII  Tafeln  vorliegend,  nach  und  nach  zur  Bezeichnung  jedes  poetischen 
Erzeugnisses  geworden  ist.  Da  die  Erklärung  des  Wortes  aus  kan- 
nten (:cano)  lautlich  wohl  ausgeschlossen  ist,  bleibt  die  Möglichkeit 
einer  doppelten  Auffassung  bestehen.  Man  kann  das  Wort  einmal  an 
Casmena,  den  Namen  der  in  dem  uralten  Hain  vor  dem  Capenischen 
Thore  singenden  Nymphen,  anknüpfen,  in  welchem  Falle  sich  carmen 
unschwer  ans  einem  neben  *cas-men  liegenden  *casimen  (vgl.  iegmen  : 
tegimen)  erklären  würde.  Alsdann  entspräche  *casmen  genau  dem 
vedischen  eds-man-  ,Lob,  Preis'  (der  Götter,  auf  höherer  Rcligions- 
stufe),  und  die  sich  dabei  ergebende  Schwierigkeit  wäre  nur  die,  dass 
sert.  qdsman-,  wenn  =  carmen,  von  sert.  $am  ,hcrsagcn,  reciticren' 
(=  lat.  censeo)  getrennt  werden  müsste.  Neuere  Etymologen  ziehen 
daher  vor,  lat.  carmen  mit  seit,  kdrti-  ,Sängcr'  gricch.  xfipu£  , Herold' 
(,einer  der  mit  vernehmlicher  Stimme  etwas  verkündet  )  zu  ver- 
binden. Die  alsdann  zu  Grunde  liegende  Wurzel  qar  dürfte  von  qor, 
der  Namen  der  Krähe  und  des  Raben  (s.  u.  Singvögel)  entstammen, 
nicht  zu  trennen  sein.  Wie  sich  dies  nun  auch  verhalten  möge,  jeden- 
falls scheinen  noch  andere  Wörter  als  lat.  carmen  aus  dem  Gebiet  der 
Zauberei  allmählich  in  höhere  Regionen  empor  gestiegen  zu  sein.  So  sert. 
sd'-man-  ,Gesang,  gesungenes  Lied*,  wenn  es  von  Osthoff  (B.  B.  XXIV, 


Digitized  by  Google 


Dichtkunst,  Dichter. 


133 


160)  richtig  mit  griech.  otun,  ,Lied,  Gesang*  etc.  und  altu.  seidr 
,Zaubcr',  lit.  saitas  ,Zeichendeuterei'  (s.  auch  u.  Orakel)  verglichen 
■wird.  Vgl.  bei  demselben  auch  das  Verhältnis  von  altu.  bragr  »Dich- 
tung, Dichtkunst'  :  ir.  bricht  ,Zauber'. 

Von  jeher  hat  das  rhythmisch  gesprochene  Wort  eine  enge  Verbin- 
dung mit  dem  rhythmisch  bewegten  Gang,  dem  Tanz,  geschlossen.  So 
entsteht  das  Tanzlied  oder  der  Reigen,  dessen  erste  Anfänge,  wie 
das  Zauberlied  selbst,  aufs  engste  mit  dein  Dienste  der  Geister  oder 
Götter  verknüpft  sind. 

Ein  uralter  Rest  dieser  Art  von  Dichtung,  an  Ursprllnglichkeit  des 
Inhalts  nur  mit  den  ältesten  Partien  des  Veda  vergleichbar,  liegt  uns 
in  dem  römischen  Arvallied  vor.  Wenn  der  Frühling  gekommen  ist, 
und  die  junge  Saat  emporspriesst  —  so  werden  wir  uns  mit  Th.  Birt 
Das  Arvallied  in  Wölfflins  Archiv  XI,  149 ff.  den  ursprünglichen 
Verlauf  der  Feier  denken  dürfen  — ,  zieht  eine  Sippe  blutsverwandter 
Menschen,  eine  Brüderschaft  [f rat res),  die  im  Besitze  eines  besonders 
wirksamen  Ackersegens  oder  Ackerzaubers  ist  (s.  auch  u.  Priester), 
hinaus  auf  die  Flur,  um  die  Lascs,  d.  h.  die  Geister  der  verstorbenen 
Väter  (s.  u.  Ahnenkultus),  und  den  Mars,  der  in  diesem  alten  Liede 
ganz  wie  die  griechische  Persephone  teils  als  Frühlings-,  teils  als 
Totengott,  im  Ganzen  aber  als  ein  wilder  und  schwer  zu  sättigender 
Dämon  erscheint  (s.  auch  u.  To  t  e  u  r  c  i  c  h  e),  anzuflehen,  den  eben 
erstandenen  Frühling  nicht  wieder  in  die  Unterwelt  hinabsinken  zu 
lassen.  Sic  tanzen  und  recitiereu  dazu  (carmen  descindentes  tripo- 
daverunt): 

„Helft  uns,  Lasen!" 
{Enos  Loses  iuvate) 
„Lasse,  o  Mars,  nicht  den  Frühling  in  die  Unterwelt  hinabsinken" 
(Xecel  verre  Marmar  sins  ineurrere  in  pleores,  so  nach  Th.  Birt 
a.  a.  0.;  Mommsen  liest  dagegen  und  Ubersetzt:  Neve  lue  rue,  Mar- 
mar, sins  ineurrere  in  pleore*:  „Nicht  Sterben  und  Verderben,  Mars, 
lass  einstürmen  auf  Mehrere"), 

„Sei  gesättigt,  wilder  Mars" 
(Satur  fu,  fere  Mars)  u.  8.  w. 
Ähnlich  werden  wir  uns  mit  R.  Kögel  a.  a.  0.  S.  31  die  altger- 
manischen Flurzüge  und  Umgänge  an  hohen  Festen,  über  die  wir 
reichliche  Nachrichten  haben,  und  bei  denen  Tanz  und  Gesang  eben- 
falls verbunden  auftreten,  vorzustellen  haben.  Vielleicht  darf  mau  in 
dem  dreimaligen  triumpe,  mit  welchem  das  Arvallied  schliesst,  oder 
in  den  wiederholten  Interjektionen  (heia,  nana),  die  in  das  von  Kögel 
S.  34  ff.  rekonstruierte  gotische  (heidnische)  Weihnachtsspiel  einge- 
streut sind,  oder  in  Kriegsrufen  wie  dem  vielleicht  schon  indogerma- 
nischen sert.  arare,  griech.  äXaXd,  altsl.  ole  etc.  den  ersten  Ansatz 
zur  Ausbildung  musikalischer,  über  die  gewöhnliche  Recitationsweise 


Digitized  by  Google 


1 


134  Dichtkunst,  Dichter. 

sich  erhebender  Töne  erblicken.  Vgl.  Rillroth  a.  a.  0.:  „Zu  den  ur- 
sprünglichen „Klanggebärden"  gehören  vor  allem  auch  die  An-  und 
Ansrnt'e,  die  Interjektionen.  Mehr  oder  weniger  langdauerndc  Töne 
werden  stark  und  wiederholt  ausgcstossen  als  klang-mimischer  Ausdruck 
eines  Empfindungszustandes.  Dies  war  Anfangs  wohl  ein  reflektorischer 
Vorgang  wie  der  Schrei  des  neugeborenen  Kindes,  wurde  aber  bald 
zu  einem  bewusst  angewandten  nützlichen  Ansdrucksmittel." 

Auch  sonst  zeigt  gerade  die  in  Verbindung  mit  dem  Kultus  auf- 
tretende Poesie  der  idg.  Völker  mancherlei  Berührungen,  namentlich 
zwischen  Indern  und  Germanen.  So  kehrt  bei  beiden  Völkern  eine 
bestimmte  Form  des  Rätselspiels  (s.  u.  Rätsel)  wieder,  deren  Zweck 
die  Aufklärung  der  Festversammlung  über  die  jedesmalige  Kultnshand- 
lung  zu  sein  scheint  (vgl.  R.  Kögel  a.  a.  0.  8.  64).  Dasselbe  gilt 
von  einer  im  Vcda  wie  in  der  Edda  nachgewiesenen  Form  der  Ver- 
bindung von  Prosa  und  strophisch  geordneten  Versen  (Kögel  S.  97), 
die  ähnlichen  Absichten  gedient  zu  haben  scheint.  Doch  dürfte  es, 
wenigstens  zunächst,  geratener  sein,  in  derartigen  Übereinstimmungen 
lieber  parallele  durch  das  allmähliche  Aufkommen  von  Priesterständen 
(s.  u.  Priester)  bedingte  Entwicklungen  als  gemeinsames  Erbe  der 
idg.  Urzeit  zn  erblicken. 

Auch  wie  weit  (Ins  rhythmisch  gesprochene  Wort  und  seine  Verbin- 
dung mit  dem  Tanz  in  das  profane  Lehen  eingriff,  lässt  sich  vor  der 
Hand  nicht  entscheiden.  Möglich  oder  wahrscheinlich,  dass  die  Hcim- 
führung  der  Braut  (s.  n.  Heirat)  unter  derartigen  Reigen  erfolgte, 
möglich  oder  wahrscheinlich,  dass  man  so  in  die  Schlacht  rückte  oder 
so  die  Totcnklage  anstimmte. 

Seit  R.  Westphals  bekannter  Abhandlung  Zur  vergleichenden  Metrik 
der  idg.  Völker  (K.  Z.  IX,  437  ff.)  hat  man  sich  mehrfach  bemüht, 
sogar  die  metrische  Form  zn  erschlicssen,  in  welche  die  älteste  Poesie 
der  Indogermanen  ihre  Erzeugnisse  kleidete  (weitere  Littcratur  s.  Sprach- 
vergleichung und  Urgeschichte*  S.  40 ff.).  Auf  diese  Fragen  soll  hier 
nicht  eingegangen  werden.  Im  ganzen  scheint  es  nach  dem  obigen 
wenig  wahrscheinlich,  dass  die  Rhythmen,  in  denen  sich  die  ältesten 
poetischen  Formen  bewegten,  schon  so  gefestigt  waren,  dass  sie  von 
Einzelvölkern  bis  in  die  historischen  Zeiten  hätten  fortgetragen  werden 
können. 

Wie  nun  auch  immer  die  älteste  idg.  Dichtung  beschaffen  war,  jeden- 
falls kann  ihren  Erzeugnissen  gegenüber  noch  nicht  von  einer  kunst- 
oder  berufsmässigen  Ausbildung  des  Dichterhandwerks  gesprochen  werden. 
Erst  auf  dem  Boden  der  Einzelvölker  tritt  eine  solche  hervor,  und  es 
stellt  sich  zum  ersten  Mal  das  Bedürfnis  ein,  das  Dichten  als  eine 
bewusst  ausgeübte  Thätigkcit  zn  bezeichnen.  Die  Ausdrücke,  die  man 
hierfür  wählt,  sind,  wie  begreiflich,  dem  Handwerk  des  täglichen  Lebens 
entnommen.    Man  webt  Lieder  (sert.  rtit/nti  arlcdm  ,cr  webt  einen 


Digitized  by  Google 


Dwhtkm^t,  Dichter. 


13 


Gesang';  auch  griech.  ücpaivciv  und  agls.  tcefan  (icordcraft)  werden 
ähnlich  gebraucht;  vgl.  ferner  alts.  agls.  fitt  , Gedicht',  cigcntl.  , Faden', 
altn.  pdttr  desgl.),  man  näht  Lieder  (griech.  üjivo?  —  sert.  syü'man- 
,Band,  Naht';  vgl.  auch  griech.  ßanTeiv  doibnv,  fknj/iubdq,  lat.  varmina 
texere),  man  zimmert  welche  (sert.  takfth,  griech.  T€KTaiv€08ai  doibn.v), 
man  schmiedet  welche  (altn.  IjAdasmidr)  u.  s.  w. 

Mehr  und  mehr  haftet  nun  die  neue  Kunst  an  bestimmten  Persön- 
lichkeiten oder  Verbänden  von  Persönlichkeiten,  in  denen  die  Hegriffe 
Säuger  und  Dichter  noch  in  eins  znsainmenfliessen.  Von  besonderer 
Bedeutung  für  die  Heranbildung  derartiger  Persönlichkeiten  erweist 
sich  die  Uberall  erstarkende  Macht  des  Königtums  (s.  u.  König)  und 
die  Herausbildung  eines  Adels  (8.  u.  Stände).  Dem  Könige  wie  den 
Edlen  liegt  es  daran,  dass  ihre  und  ihrer  Vorfahren  Thatcn  den  Volks- 
genossen in  frischem  Andenken  erhalten  werden,  ja,  ihre  Macht  und 
ihr  Einfluss  stützt  sich  ausser  auf  ihren  grösseren  Reichtum,  darauf, 
dass  dies  geschieht.  Der  Sänger,  dessen  Lied  daher  einen  hymnisch- 
epischen Charakter  erhält,  bildet  nunmehr  eine  stehende  Figur  an  den 
Hofhaltungen  der  Könige.  Im  vedischen  Indien  begegnen  fast  in 
jedem  Stamm  Sängerfamilien,  die  in  der  Umgebung  des  Königs  weilen 
und  seinen  Ruhm  besingen  (vgl.  Zimmer  Altindisches  Leben  S.  H>8). 
Nicht  weniger  treffen  wir  den  doiböq  in  der  Odyssee  an  den  Fürsten- 
höfen von  Seheria  und  auf  Ithaka  an.  In  Rom  mag  mit  der  Ein- 
richtung des  Königtums  auch  die  Gestalt  des  Sängers  verschwunden 
sein  i  über  lat.  tdtes  s.  n.).  Vielleicht  wäre  es  nicht  zu  kühn,  in  jenen 
alten  Tischliedern,  welche  noch  beim  Beginn  der  Republik  zum  Preise 
der  Vorfahren  bei  Flötenspiel  oder  Saitenklang  von  Knaben  oder  den 
Teilnehmern  des  Gastmahls  selbst  gesungen  wurden  (vgl.  Teuffei  Litg. s 
§  82,  ;V),  Überreste  einer  einst  bestehenden  höfischen  Dichtung  zu  er- 
blicken. Sie  wurden  auf  Nnma  zurückgeführt,  und  waren  schon  Jahr- 
hunderte vor  Cicero  bis  auf  die  Thatsache,  dass  sie  einst  bestanden 
hatten,  vergessen. 

Hingegen  blüht  die  Kunst  der  ßüpboi  und  ouerrets  wiederum  bei 
den  Galliern  mach  Poscidonius  bei  Strabo  IV  p.  197).  Die  ersteren 
werden  als  uuvr|Tai  Kai  Troinjai,  die  zweiten  als  icponoiot  Kai  <puo*io\öfOi 
bezeichnet.  Beides  aber  sind  gemeinkeltische  Bezeichnungen  des  Dichters 
und  Propheten,  von  denen  die  erst  er  e  (ir.  hard,  vgl.  auch  altgall.  bardo- 
cttcullux  ,die  Mantcltracht'  des  Barden)  etymologisch  noch  nicht  sicher 
erklärt  ist  (Stokes  im  ürkeltischen  Sprachschatz  denkt  an  Zusammen- 
hang mit  altpr.  gerdaut  , reden";  vgl.  oben  über  griech.  deibuj),  die 
zweite  ixr.fdith  .Dichter',  kymr.  gtcaitd  ,carmen,  poema  encomiasticHin"), 
ausser  zu  lat.  täten  (s.  u.),  zu  agls.  icdp  ,Stimme,  Gesang',  altn.  6dr 
,Gesang,  Poesie'  (vgl.  auch  ahd.  teuot  ,Wut)  gehört.  Eine  d  ritte  ge- 
mein keltische  Bezeichnung  des  Dichters  und  Weisen  liegt  in  ir.  fili, 
Gen.  filed,  *celet-  vor,  das  in  dem  Namen  der  Seherin  im  Bruktercrlande, 


Digitized  by  Google 


136 


Dichtkunst,  Dichter. 


Veleda  (Tae.  Germ.  Cap.  8),  wiederzukehren  scheint.  Dass  auch  diese 
altgallischen  Sänger  vornehmlich  an  den  Höfen  der  Kimige  und  Adeligen 
lebten,  geht  schon  aus  dem  Umstand  hervor,  dass  sie  von  demselben 
Poseidonius  (bei  Athenaeus  VI  p.  246)  als  napaffiToi  , Leute,  die 
an  der  Tafel  anderer  leben",  bezeichnet  werden.  Auf  inselkcltischem 
Boden  kehrt  der  altirische  rfg-faith  ,vates  regius'  (vgl.  sert.  räjarshi-) 
noch  als  stehende  Person  in  dem  Gefolge  des  Clanhäuptlings  im 
Wnverly  W.  Scotts  wieder.  Vgl.  weiteres  Uber  die  altgallischen  ßdpbot 
und  oudTti?  bei  L.  Diefenbach  Origincs  Europ.  und  Holder  Altkcl- 
tischer  Sprachschatz  s.  v.  Bardus.  —  Auf  gleicher  Stufe  mit  ihnen 
steht  der  Sänger  au  den  Hofhaltungen  der  altgermanischcu  Könige, 
der  im  Westgermanischen  übereinstimmend  ahd.  scopf,  scof,  agls.  »cop 
genannt  wird.  Vielleicht  gehört  das  Wort  (vgl.  Kögel  a.  a.  0.  S.  141) 
zu  got.  gaskapjan  ,schaffen,  machen',  und  würde  demnach  soviel  wie 
griech.  Troir|Tr|q  :  noi^uu  bedeuten.  Nach  anderen  wäre  der  westgerma- 
nische Name  des  Sängers  mit  ahd.  scopf  Judibriimi'  zu  verbinden,  was 
zwar  lautlich  ansprechender,  aber  semasiologisch  doch  bedenklich  er- 
scheint.   Vgl.  noch  altn.  skald  :  ir.  *ctlt  Erzählung' (V). 

Was  alle  diese  Sänger  und  Dichter,  mögen  sie  nun  vor  griechischen, 
gallischen  oder  germanischen  Königen  ihre  Kunst  zeigen,  gemeinsam 
haben,  ist,  dass  sie  ihren  rentierenden  Gesang  mit  einem  Saitenin- 
strument (griech.  KiBdpa,  altgall.  crotta,  germ.  harpa)  begleiten,  uud 
es  liegt  nahe  zu  vermuten,  dass  dieser  melodramatische  Vortrag  in 
hohem  Grade  geeignet  gewesen  sein  muss,  die  musikalische  Empfindung 
der  barbarischen  Hörer  zu  erwecken,  und  auf  ihren  bisherigen  „Gesang", 
der  mit  Rücksicht  auf  die  Nordvölker  -  und  ähnlich  wird  es  ursprünglich 
im  Süden  gewesen  sein  —  dem  Gekreische  krächzender  Vögel,  rasseln- 
dem Fuhrwerk  oder  dem  Gebell  von  Hunden  von  den  Berichterstattern 
verglichen  wird  (vgl.  die  wichtigsten  Stellen  bei  F.  A.  Specht  Gast- 
mähler u.  Trinkgelage  bei  den  Deutschen  S.  24),  veredelnd  einzu- 
wirken. Näheres  über  die  Geschichte  der  Harfe  s.  u.  Musikalische 
Instrti  nie  nte. 

Eine  deutliche  Scheidung  zwischen  Sänger  und  Dichter  tritt,  wie 
natürlich,  zuerst  in  Griechenland  hervor,  wo  iu  der  Zeit  nach  Hcsiod 
und  Pindar  nonyrrjs  ,der  Macher'  (von  Liedern)  für  den  letzteren  ge- 
braucht zu  werden  anlangt.  Bei  den  Römern  hätte  nach  F.  Marx 
Die  Beziehungen  der  klassischen  Völker  des  Altertums  zu  dem  keltisch- 
germanischen  Norden  (Sonderabdruck  a.  d.  Beilage  z.  Allg.  Zeit.  1897, 
No.  1(32,  163,  S.  17)  ein  einheimischer  Ausdruck  weder  für  den  Sänger 
noch  für  den  Dichter  bestanden,  da  nach  ihm  das  lat.  vdte*  eine  frühe 
Entlehnung  von  keltischem  Boden  her  (vgl.  oben  ir.  faith,  *vdti-) 
sei,  der  noch  später  namhafte  Dichter  und  Geschichtschreiber  (Cornelius 
Gallus,  Varro,  Vergil,  Catull,  Trogus,  Nepos)  den  Römern  geschenkt 
habe.   Als  die  Umstände  aber  erheischt  hätten,  einen  einheimischen 


Digitized  by  Google 


Dichter  —  Dieb. 


137 


Namen  für  den  Dichter  zu  prägen,  sei  man  auf  lat.  scriba  ,Sehreiber' 
verfallen,  „ein  ungemein  lebendiges  Zeugnis  dafür,  dass  die  römische 
Poesie  im  Gegensatz  zu  der  Poesie  der  Griechen  und  anderer  Völker 
das  Erzeugnis  eines  tintenklecksenden  Säcuiums  gewesen  ist".  Den 
.Sieg  habe  dann  das  griechische  poeta  davongetragen.  Ein  lautge- 
schichtlicher Anhalt  dafür,  dass  lat.  vdtes  dem  Gallischen  entnommen 
sei,  lässt  sich  aber  nicht  gewinnen. 

Ganz  spät  hat  sich  im  deutschen  tihtön  aus  lat.  dictare  eine  Be- 
zeichnung poetischer  Produktion  entwickelt.  Im  Litauischen  und  81a- 
vischeu  giebt  es,  wie  vielleicht  im  ältesten  Lateinischen,  keine  alten 
Ausdrücke  für  Sänger  oder  Dichter.  Will  man  den  letzteren  Begriff 
7..  B.  im  Litauischen  bezeichnen,  so  muss  man  noch  heute  sagen :  ,einer, 
der  Lieder  machen  kann'. 

Dieb,  Diebstahl.  Urverwandte  Gleichungen  hierfür  sind:  sert. 
stenä-,  tdyü-  ,Dieb',  stdydt-  ,heimlich',  aw.  tdya-  , Diebstahl',  taya- 
,heimlich ,  altsl.  tatt  ,Dieb',  taiti  ,hehlcn\  taj  ,heimlicir,  ir.  tdid 
.Dieb'  (vgl.  noch  griech.  Tniäw  .beraube'  und  lat.  mustrla  aus  *mus- 
ste-la  , Wiesel',  eigentl.  ,Mausedieb') ;  ferner:  griech.  kX^tttw,  lat.  clepere, 
got.  hlifan  (altpr.  aukliptas  »verborgen',  ir.  cliiaim  ,Betrug)  und  griech. 
<pu>p  .Dieb  =  lat.  für  (furtim  , heimlich  ).  Allein  stehen  die  noch  un- 
erklärten gemeingerm.  got.  piufs  ,Dieb',  piubi  , Diebstahl'  {piubjö 
,heimlich  )  und  got.  stilan  ,stehlen',  armen,  gol  ,l)ieb'  {galt  ,heimlich'), 
altsl.  kradq,  krdsti  ,stehlen'  (poln.  kradmo  ,furtim  )  und  lit.  wagiii, 
icökti. 

Es  ergiebt  sich  also,  dass  schon  in  der  Urzeit  der  Begriff  des  Dieb- 
stahls, d.  i.  des  heimlichen  Nehmens,  sprachlich  abgegrenzt  war 
gegenüber  dem  gewaltsamen  Nehmen,  dem  Kaub  (s.  d.),  und  dem 
rechtmässigen  Nehmen  (got.  nima,  lat.  enio  .nehme,  kaufe',  lit. 
iwm,  altsl.  imq,  griech.  v€pw,  das  in  icXr|po-vdpos  soviel  wie  ,der  das 
Los  nimmt',  ,Erbe'  bedeuten  könnte;  doch  s.  u.  Erbschaft). 

Den  auf  offener  That  ertappten  Dieb  war  in  den  ältesten  Gesetz- 
gebungen, namentlich  wenn  er  des  Nachts  kam  oder  sich  zur  Wehre 
setzte,  zu  töten  erlaubt.  Vgl.  für  die  Griechen:  Demosth.  Kcrra 
TmoKpdxous  (Reiske)  p.  735:  |IdXwv]  vöuov  eitfnvetKev,  ei  pc'v  ti?  h€0' 
fmepav  uuep  TrevTrjKOVTa  bpaxuäs  kX^tttoi,  ä7TaYluYU.v  rcpdq  tou?  tvbeica 
€?vat,  ci  b€  Tiq  vuktwp  önoöv  kXctttoi  toötov  Ö€lvai  KOI  dTTOKTClVai 
Kai  Tpöjaai  buuKOVTa,  für  die  Römer  die  Bestimmung  der  XII  Tafeln 
(VIII,  11,  12  Schöll):  Si  nox  (bei  Nacht)  furtum  faxsit,  si  im  occisit, 

iure  caesus  esto.    Luci  .  .  si  se  telo  defendit  endoque  plorato 

(d.  h.  er  soll  durch  Schreien  seine  That  kund  geben;  vgl.  auch 
Gell.  Noct.  Att.  XI,  18,  8:  Ex  ceteris  autem  manifest  is  furibus  liberos 
nerberari  addicique  iusserunt  —  sc.  decemviri  —  ei  cui  furtum  fac- 
tum esset,  si  modo  id  luci  fecissent  neque  se  telo  defendissent),  für 
die  Germanen:  Hakon  Gulath.  (vgl.  Wilda  8.  889):  „In  drei  Fällen  kann 


Digitized  by  Google 


138 


Dieb  —  Diebstahl. 


man  einen  Mann  töten  ....  Der  andre  Fall  ist,  wenn  ein  Mann  einen 
andern  in  seiner  Wohnung  antrifft,  der  ein  Bündel  von  seinen  Sachen 
und  Kleidern  trägt;  dann  mag  er  ihn  töten,  wenn  er  will,  und  gehe 
dann  zu  seinen  Nachbarn,  zeige  ihnen  den  Getöteten  und  nütze  ihres 
Zeugnisses  beim  Pfeilgericht.  Der  dritte  Fall  ist,  wenn  ein  Mann 
jemanden  auf  seinem  Felde  oder  in  seinem  Stalle  findet,  der  seinem 
Vieh  Hände  angelegt  hat,  um  es  fortzuführen ;  dann  mag  er  ihn  töten" 
n.  s.  w.  (Im  übrigen  zeigt  sich  auch  hier  die  Beschränkung  des 
Tötnngsrcchtes  auf  den  nächtlichen,  sich  wehrenden  und  namentlich 
auf  den  das  Haus  untergrabenden  Dieb:  vgl.  Wilda  Straf  recht  S.  889  ff.  )"T 
für  die  Slaven:  „Wenn  ein  Russe  etwas  bei  einem  Christen  oder  ein 
Christ  bei  einem  Russen  stiehlt,  und  wird  in  dem  Augenblick  ertappt, 
da  er  den  Diebstahl  verübt,  von  dem,  der  die  Sache  verloren  hat,  — 
wenn  der  sich  stellt  (wehrt),  welcher  den  Diebstahl  verübte,  und  ge- 
tötet wird,  so  soll  sein  Tod  nicht  gesucht  werden"  (Friedensschlüsse 
Olegs  und  Igors  911/945  mit  den  Griechen,  bei  Ewers  Ältestes  Recht 
der  Russen  S.  147).  „Wenn  man  einen  Hausherrn  erschlägt  im  Gemache, 
oder  bei  dem  Pferde,  oder  bei  dem  Rinde,  oder  bei  einem  Kuhdieb- 
stahle, so  erschlägt  man  ihn  an  Hundes  statt."  „Wenn  man  einen 
Dieb  erschlägt  auf  seinem  Hofe,  entweder  bei  dem  Gemache,  oder  bei 
dem  Stalle,  so  ist  derselbe  ersehlagen.  Wenn  man  ihn  bis  zum  Lichte 
hält,  so  führe  man  ihn  an  den  Fürstenhof"  u.  s.  w.  (Russ.  Pravda, 
Erweiterung  durch  Jaroslavs  Söhne  20  u.  Hl,  Ewers  S.  305  ff.). 

Derartige  Rechtssätze  können  für  die  Urzeit  nur  so  verstanden 
werden,  dass  die  Tötung  eines  auf  frischer  That  ertappten  Diebes 
nicht  die  Blutrache  (s.  d.)  der  betreffenden  Sippe  hervorzurufen 
pflegte.  Andererseits  wird  derselben,  falls  der  Dieb  geschont  worden 
war,  ein  Loskaufen  der  Rache  möglich  gewesen  sein.  —  Aber  auch, 
wenn  der  Dieb  mit  seiner  Beute  den  Verfolgen),  Freunden  und  Nach- 
barn des  Betroffenen,  die  auf  seinen  Hilferuf  herbeigeeilt  waren,  ent- 
wischt war,  scheint  sich  schon  in  vorhistorischer  Zeit  ein  feierliches 
Verfahren  festgesetzt  zu  haben,  des  Thäters  und  des  gestohlenen 
Gutes  habhaft  zu  werden,  die  Haussuchung.  Übereinstimmend  zieht 
sich  durch  das  griechische,  römische  und  nordgermanische 
Altertum  ein  Brauch,  nach  dem  es  dem  Bestohlencn  gestattet  war, 
nackt  oder  leicht  bekleidet  (entweder  um  kein  Gut  einschmuggeln  zu 
können  oder  —  wahrscheinlicher  —  um  die  friedliche  Absicht  zu  erkennen 
zu  geben)  mit  einem  oder  mehreren  Zeugen  in  das  Hans  des  Be- 
schuldigten einzudringen,  um  dort  nach  dem  gestohlenen  Gegenstand  zu 
suchen.  Vgl.  Plato  Leg.  XII  p.  954:  q>u>pdv  b£  fiv  iQi\ri  tu;  ti  Trap* 
ÖTUJOÜv,  tuhvö?  f|  x»TU)viaKOv  Ix^v  älwOioq  Ttpoouöffa?  toö?  voinpoix; 
Öcou?  f\  uf)v  ^AmZctv  €Üpno*€tv  outuj  eptupäv.  ö  b£  Trap6X€Tui  rnv  olKtav, 
xd  T€  o*€0~n.uctO"u^va  Kai  rd  äanuavra,  «pujpäv  n.  s.  w.  (dazu  vgl.  Aristoph. 
Nubes  497 — 99  und  die  Scholien  zu  499).    Im  römischen  Altertum 


Diebstahl  —  Distel. 


1.19 


entspricht  die  der  historischen  Zeit  schon  nicht  mehr  verständliche  Furto- 
rum  quaestio  cum  lance  et  licio.  Vgl.  Festus  ed.  M.  p.  117:  Lance 
et  licio  dicebatur  apud  antiquos,  quin  qui  furtum  ibat  quaerere  in 
domo  aliena  licio  [i.  e.  consuti  genus,  quo  necessariae  partes  tegerentur] 
cinetus  intrabat  lancemque  ante  oculon  tenebat,  propter  matrum  fa- 
miliae  aut  virginum  praesentiam  (die  Schüssel  vielmehr  wohl,  um 
anzudeuten,  dass  man  etwas  holen  will).  Vgl.  weiteres  bei  Schoell 
Legis  XII  tab.  rel.  S.  147.  Bei  den  Nordgermanen  vergleicht  sich 
die  Vornahme  des  ransak  , Haussuchung'  (rann  ,domus'  =  got.  razn): 
„Beide  (der  Bestohlene  mit  einem  andern)  sollen  oben  los,  d.  i.  bar- 
haupt sein  und  losgegürtet  und  barfnss,  die  Hosen  ans  Knie  zu- 
rückgebunden nnd  so  eingehn  und  in  den  Häusern  suchen"  (Grimm 
R.-A.  S.  (i40).  Endlich  hat  sich  auch  bei  den  Slaven  in  dem  soge- 
nannten svod  ein  ähnliches,  wenn  auch  in  anderer  Richtung  entwickeltes 
Sucliverfabren  erhalten  (vgl.  Bcrnhöft  Staat  nnd  Recht  der  römischen 
Königszeit  S.  248  und  besonders  Leist  a.  n.  a.  0.  II,  241).  Aber 
auch  abgesehen  hiervon,  ist  die  Übereinstimmung  zwischen  den  grie- 
chisch-römischen und  altnordischen  Vorschriften  so  in  die  Augen 
springend,  dass  man  mit  den  hervorragendsten  Forschern  wie  .1.  Grimm, 
R.  v.  Ihering  (Geist  im  römischen  Keclit  II  ',  lf><)  Anm.  208;  u.  a. 
nicht  daran  wird  zweifeln  können,  dass  hier  ein  schon  indogermani- 
scher Rechtsbrauch  vorliegt.  Vieles  an  demselben  bleibt  freilich 
noch  dunkel.  Was  geschab  in  der  Urzeit,  wenn  der  Verdächtige  die 
Haussuchung  verweigerte?  Was  mit  dein  durch  die  Haussuchung  ent- 
larvten Dieb?  Wurde  er,  wie  im  römischen  Recht,  gerade  so  be- 
handelt, als  wenn  er  auf  der  That  ergriffen  worden  wäre  (vgl.  Gellius 
Noct.  Att.  XI,  18,  0  :  Ea  qnoque  furta  quae  per  lancem  liciumque 
coneepta  exsent,  proinde  nc  si  manifest a  forent,  tindicaierunt)?  Was 
geschah,  wenn  der  des  Diebstahls  Beschuldigte  den  fraglichen  Gegen- 
stand rechtmässig  zu  besitzen  oder  erworben  zu  haben  behauptete  V  u.  s.  w. 
Das  sind  Fragen,  die  sich  gegenwärtig  noch  nicht  mit  Sicherheit  be- 
antworten lassen.  —  Vgl.  weiteres  bei  Leist  Graeco-italische  R.  G. 
S.  302fT.,  Altarisches  Jus  civile  I,  401  ff.  (das  furtum),  II,  237  ff.  S.  u. 
Verbrechen,  Strafe  und  Recht. 

Diener,  s.  Stände. 

Dienstag,  s.  Woche. 

Dienstleistung  gegen  Lohn,  s.  Lohn. 

DIU,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Dinkel,  s.  Weizen  und  Spelt. 

Distel.  Pflanze  mit  auseinandergehender  Terminologie  :  griech. 
dKavOa  (:  W.  ak  ,scbarf  sein',  lat.  acte*),  lat.  Carduus  (:  crirere 
,kratzen',  namentlich  Wolle?),  gemeingerman.  ahd.  distila,  altn.  pistell 
(neben  got.  teiga  deina  ,  slavisch  nsl.  oxet,  poln.  oset  u.  s.  w.  (:  *os-, 
altsl.  ostrü  , acutus',  vgl.  äx-avOai,  und  ceeh.  bodldk  u.  s.  w.  (:  altsl. 
boda  ,steche'i,  lit.  ttsnis.    S.  auch  n.  Gartenbau  (Artischoke). 


Digitized  by  Google 


140 


Docht  —  Dolmetscher. 


Docht,  s.  Licht. 

Dohle,  s.  Singvögel  (Rabe). 

Dolch,  s.  Schwert. 

Dolmetscher.  Diese  Person,  die  sich  mit  der  des  Mäklers 
nahe  berührt,  tritt  erst  auf  höheren  Stufen  des  Handels  (s.  d.)  und 
Völkerverkehre  deutlicher  hervor.  Bei  den  Griechen  gebraucht  zuerst 
Herodot  den  Ausdruck  £punv€u$  im  Sinne  vou  Dolmetscher,  und  zwar 
vornehmlich  mit  Rücksicht  auf  ägyptische  Verhältnisse.  Der  König 
Psammetich  hat  Jonier  und  Karer  im  Nildelta  angesiedelt  und  vertraut 
ihnen  ägyptische  Knaben  an,  damit  sie  Griechisch  lernen.  Aus  diesen 
Knaben  geht  dann  die  Kaste  der  Dolmetscher  (II,  IM,  164)  hervor, 
deren  Dienste  Herodot  selbst  (II,  125)  gebraucht.  Aber  auch  die  poli- 
tischen Skythen  (IV,  24)  verkehrten  mit  den  „Kahlköpfen"  und  an- 
deren östlichen  Völkern  durch  £punv€i£.  V  o  r  Herodot  wird  das  Wort 
von  Pindar  und  Aeschylus  im  Sinuc  von  , Ausleger,  Erklärer'  ange- 
wendet. Es  gehört  zu  lat.  sermo,  serm/mari  und  hat  mit  'Epunq  (der 
Dolmetscher  etwa  als  .Mann  des  Handelsgottcs)  kaum  etwas  zu  thun. 

Eher  scheint  lat.  interpre*,  Interpret -ix  von  Anfang  an  den  Ver- 
mittler im  Völker-  und  Handelsverkehr  bezeichnet  zu  haben.  Seine  eigent- 
liche Ücdeutuug  ist  Zwischenhändler'  im  Krieg  (Liv.  XXI,  12  :  Se 
pacis  eitiK  interpretein  fore  poUicetur)  und  Frieden  (bei  Handelsge- 
schäften u.  dergl.;  vgl.  M.  Breal  Dict.  Ktym.  lat. 3  S.  136).  Es  wird 
zu  got.  frafri  ,Siun,  Verstand',  fraftjan  verstehen'  (vgl.  Uhlcnbcck 
Et.  W.  S.  46)  gehören,  so  dass  die  Grundbedeutung  von  *inter-pret- 
wäre  ,ciner  der  das  Verstäuduis  zwischen  zwei  Parteien  vermittelt' 
(mit  lat.  pretium  ans  *prekium  =  lit.  prekiä  , Preis'  hängt  es  alsdann 
nicht  zusammen).  Derartige  Zwischenpersonen  werden  als  KfjpuE  und 
YpauuaTeüq  schon  in  dem  ersten  Handelsvertrag  zwischen  Rom  und 
Karthago  (Polyb.  III,  22)  genannt.  Später  wird  besonders  auch  der 
upöEevoq  die  Handelsgeschäfte  zwischen  seinen  Laudsleutcn  und  den 
Einheimischen  sprachlich  uud  sachlich  vermittelt  haben  (daher  lat. 
proxenita  aus  griech.  TrpoEevnrite  »Makler',  proxenHicum  aus  npo- 
üevrjTiKÖv  ^Maklerlohn').  Immer  aber  ist  im  Altertum  wie  im  Mittel- 
alter (s.  u.)  der  Orient  und  der  Verkehr  mit  ihm  der  Ausgangspunkt 
des  Doimctscherwesens  gewesen.  Wie  in  Ägypten,  scheint  es  auch  in 
Lykien  (Arrians  Anab.  IV,  3,  7)  einen  Stand  von  Dolmetschern  gegeben 
zu  haben,  in  Dioskurias  am  schwarzen  Meer  klangen  300  Sprachen 
durcheinander,  zu  deren  Verständnis  die  Römer  130  Dolmetscher 
brauchten  u.  s.  w. 

Nördlich  der  Alpen  begegnet  bei  den  Angelsachsen  eine  alte  und 
einheimische  Bezeichnung  für  den  Begriff  des  Dolmetschers  in  wealh- 
8töd,  vielleicht  ,ciuer  der  die  Welschen  (agls.  Wealh)  versteht'  (stöd  :  nhd. 
„ verstehen" '?);  in  jedem  Fall  ist  sie  im  Verkehr  zwischen  Kelten  und  Ger- 
manen erwachsen.    Die  späteren  europäischen  Namen  weisen  sämtlich 


Digitized  by  Google 


Dorf. 


141 


auf  den  Orient.  Aus  dein  Persisch- Arftbiseben  («imsrir  ,proxeneta', 
hinter  amicos  dnos  mediator  ,  Freytag  Lex.  arab.-lat.  II,  3ö3  u)  stammt 
das  mlat.  sensalis  »Mäkler',  ebendaher  (arab.  targumdn)  die  weitver- 
breitete Sippe  von  mlat.  dragtunanus,  Span,  dragoman  u.  s.  w.,  die 
auch  in  der  volkstümlichen  Gestalt  des  länder-  und  spraehenkundigen 
Pilgers  Tragemnnt,  Trougemunt  (XI.  Jalirh.)  sich  fortsetzt.  Erst  im  XIII. 
Jahrhundert  wurde  unser  dolmetsch  aus  den  slavischen  Sprachen  (altsh 
th'imacl  u.  s.  w.)  aufgenommen,  in  denen  das  Wort  nach  Miklosich 
Et.  \V.  zu  dem  ältesten  türkischen  Lehngut  (nordtttrk.  tihnadZ,  magy. 
tolmdcx)  gehört.  In  noch  nicht  aufgeklärtem  Zusammenhang  hiermit  und 
wohl  auch  mit  arab.  taryumrin  (mlat.  auch  tureimanus,  venetian. 
crueimanmt  neben  tolomacius),  wird  auch  altsl.  tlükü  ,intcrpretatio' 
stehen,  woher  lit.  tidkaa  , Dolmetsch',  altn.  tttlkr  ,an  interpreter', 
,spokesman',  mhd.  tolke.  Jedenfalls  haftet  im  Osten  Europas  und 
nach  Asien  hinübergreifend  die  Vorstellung  des  Dolmetschertunis  an 
Lautkomplexen  wie  terg,  telm  (*ttVm),  telk  (tülk),  und  man  ist  ver- 
sucht, mit  ihnen  auch  die  ganz  allein  stehende  slavisch-albanesische 
Bezeichnung  des  Marktes,  altsl.  trügü  aus  *tergü  (Torgau),  alb.  t?-ege 
(altillyr.  Tergexte  .Triest')  irgendwie  zuverbindeu.  —  Vgl.  den  (freilich 
etwas  phantastischen)  Aufsatz  von  A.  Peez  Dolmetscher  und  Dolmetscher- 
Städte  »Beilage  zur  Allg.  Z.  1887  Xo.  184,  185)  und  L.  Goldschmidt 
Handbuch  des  Handelsrechts  1,  l3  S.  22  f. 

Donner,  Donnerkeil,  s.  Gewitter. 

Donnerstag,  s.  Woche. 

Dorf.  Die  Ausbreitung  und  erste  Siedelung  der  Indogermanen 
in  Europa  erfolgte  in  der  Gestalt  von  Dörfern  und  zwar  von  Ge- 
sehlechtsdörfcrn,  d.  h.  solchen  Niederlassungen,  in  denen  ganze 
Sippen  (s.d.)  oder  Teile  einer  solchen  zusammensassen.  Diese  beiden 
Sätze  sind  im  folgenden  näher  zu  begründen. 

Dass  der  Begriff  des  Dorfes  in  Europa  bis  in  die  jüngere  Steinzeit 
zurückverfolgt  werden  kann,  geht  aus  den  Pfahldörfern  hervor,  die 
von  dieser  Epoche  an  durch  die  Bronzezeit  bis  in  die  geschichtlichen 
Zeiten  in  weiten  Teilen  Europas  (und  teilweis  auf  zweifellos  indoge- 
manischem  Boden)  sich  finden.  Hierüber  ist  u.  Haus  gehandelt 
worden.  Als  Ganze  betrachtet,  stellen  diese  Dörfer  Rechtecke  von  sehr 
verschiedenem  Umfange  dar.  So  misst  der  Pfahlbau  von  Wangen  am 
Untersee  (Bodensee)  700  Schritt  in  die  Länge  (parallel  mit  dem  Ufer), 
120  in  die  Breite.  Die  Zahl  seiner  Pfähle  betrug  30—40,000,  während 
Robenhausen  weit  über  100  000  Pfähle  aufweist.  Der  Pfahlbau  von 
Niederwyl  erreicht  dagegen  nur  eine  Länge  von  etwa  12  und  eine 
Breite  von  9  m.  Die  oberitalienischen,  meist  auf  dem  Lande  errich- 
teten Pfahlbauten  „liegen  durchweg  in  der  Nähe  von  Flüssen  oder 
Bächen  und  bilden  Oblonge,  deren  Schenkel  nach  den  Himmelsge- 
genden orientiert  sind."    Ihr  Flächeninhalt  scheint  zwischen  drei  und 


Digitized  by  Google 


142 


Dorf. 


vier  Hektaren  zu  schwanken,  doch  giebt  es  auch  kleinere  und  grössere 
Niederlassungen  bis  zu  10  Hektaren  (vgl.  Heibig  Die  Italiker  in  der 
Poebene  S.  1 1  f.).  Diese  letzteren  Dörfer  sind  mit  einem  Graben  und 
einem  Erdwalle  umgeben.  Neben  diesen  im  Wasser  oder  auf  dem 
Festlande  auf  Pfähleu  errichteten  Ansiedelungen  inuss  es  aber  in  dem 
prähistorischen  Alteuropa  auch  Niederlassungen  in  Wohngruben  oder 
Wohnmulden  (s.  u.  Unterirdische  Wohnungen)  gegeben  haben, 
deren  dicht  nebeneinander  liegende  Beste  ebenfalls  auf  einstige  Dörfer 
hinweisen.  Endlich  kann  es  auch  an  oberirdischen,  nicht  auf  Pfählen 
errichteten  eigentlichen  Httttendörfern  auf  ebener  Erde  nicht  gefehlt 
haben,  die  aber  bei  der  Leichtigkeit  ihres  Baus  spurlos  verschwunden 
sind.  Doch  lassen  die  aufgefundenen  vereinigten  Wohnstätten  der 
Toten  (s.  u.  Friedhof)  vielfach  auf  in  der  Nähe  befindliche  gemein- 
same Wohnstätten  der  Lebenden  schliesscu. 

Noch  deutlicher  reden  die  historischen  Nachrichten.  Für  das 
älteste  Griechenland  wird  die  ursprüngliche  Dorfsiedcluug  ausdrück- 
lich von  Thukydides  1,  10  (KaTct  Kiouaq  tu/  naXatui  jf\q  'EXXdbo<;  Tpömy 
oiKio"6€io"Tis)  bezeugt.  Noch  spät  wohnten  die  in  ihrer  Entwicklung 
zurückgebliebenen  Ätoler  in  weit  auseinander  gelegenen,  unbefestig- 
ten Dörfern  (Thuk.  III,  94).  Zahlreiche  griechische  Städte  sind  nach- 
weislich aus  der  Zusammenzieliuug  (o*uvoiKKJuöq)  mehrerer  Dorfge- 
meinden entstanden.  Ebenso  ist  in  Italien  das  Dorf  die  älteste 
Form  der  Besiedclung  gewesen,  die  sich  am  längsten  bei  den  sabelli- 
sehen  Stämmen  erhalten  hat  (vgl.  näheres  bei  E.  Meyer  Geschichte  des 
Altertums  II,  20f>,  ölT,  519). 

Dasselbe  gilt  von  dem  Norden  Europas.  Der  Begriff  cicus  ,Dorf  ist 
dem  Caesar  wie  dem  Tacitus  in  Beziehung  auf  die  Germanen  eiu  völlig 
geläufiger  (vgl.  die  Belege  bei  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altert.  XXXVI, 
110).  Auch  die  bekannte  Stelle  bei  Tac.  Germ.  Cap.  16  :  Colunt  dhcreti 
ac  dicersi,  ut  foiu*,  ut  campus,  ut  nemtus  placuit,  vicos  locant  non 
in  nostrum  niorem  coneris  et  cohaerentibu»  aedifieiis  :  suam  quis- 
que  domum  spatio  circumdat,  xice  adtertus  casus  ignis  remedium 
vice  inncitin  aedißcandi  kann  sich  nach  den  Ausführungen  des  ge- 
nannten Gelehrten  kaum,  wie  man  früher  geglaubt  hat,  auf  ein  System 
von  Einzel h öfen  bezichen.  Die  Worte  colunt  discreti  u.  s.  w.  werden 
vielmehr  der  zerstreuten  Lage  der  ganzen  cid  innerhalb  des  Landes 
gelten  (vgl.  oben  über  die  Aetoler).  Innerhalb  des  einzelnen  cicus 
wohnten  dann  die  Germanen  in  der  in  dem  weiteren  Verlauf  der  Stelle 
angegebenen  Weise,  wie  denn  eiu  scharfer  Gegensatz  zwischen  Dorf  und 
Einzelhof  für  die  Germanen  nicht  durchführbar  ist. 

Ähnlich  steht  es  mit  den  Kelten.  Von  den  italischen  sagt  Poly- 
bius  11,  17,  dass  sie  Kaxct  Kuina?  äTeixiffTOu?  wohnten.  Bei  den  Hel- 
vetiern  nennt  Caesar  (I,  5)  gegen  12  Städte  und  400  Dörfer.  Dabei 
weist  die  Stelle  VI,  30  :  Sed  hoc  quoque  factum  ext,  quod  aedificio 


Digitized  by  Google 


Dorf. 


143 


circumdato  silva,  ut  sunt  fere  dnmicitia  Gallorum,  qui  ri- 
tandi  aestus  causa  plerumque  silvarum  ac  fiuminum  petunt  propin- 
quitates  darauf  liin,  das«  auch  liier  die  Häuser  oft  weit  von  einander 
werden  getrennt  gewesen  sein. 

Mit  gleicher  Sicherheit  lüsst  sich  der  Nachweis  führen,  das»  jene  idg. 
Dörfer  Geschlc chts-  oder  Sippendörfer  waren.  Dies  geht  aus  der 
Sprache  ebenso  wie  aus  den  geschichtlichen  Überbleibseln  jenes  ursprung- 
lichen Zustaudes  hervor.   U.  Sippe  (s.d.)  ist  gezeigt  worden,  dass  der 
idg.  Name  für  diesen  Begriff  v)k-  (sei  t,  r/»  lautete.  Die  hierher  gehörigen 
europäischen  Wörter  Jat.  rh-us,  gut.  weih*,  altsl.  visi,  körn,  gteie,  all). 
vixe)  bedeuten  nun  fast  ganz  übereinstimmend  das  ,Dorf,  so  dass  dieser 
Begriff  für  die  älteste  Zeit  nicht  anders  denn  als  Niederlassung 
einer  V  e  r  w  a  n  d  t  s  c  h  a  f  t  aufgefasst  werden  kann.    Eine  zweite, 
auf  Europa  beschränkte,  freilich  nicht  völlig  sichere  Gleichung  :  grieeh. 
Kump  (*Kwiun.)  =  got.  haims,  lit.  Leinas,  altpr.  caymis  scheint  das  Dorf 
als  Hast  ort  (grieeh.  K€iuai  »liege',  altsl.  pokoji  ,Ruhe)  zu  bezeichnen. 
Der  gleiche  Bedeutungsubergang  vom  Verwandtschaftlichen  zum  Terri- 
torialen wie  in  seit,  tue-,  lat.  ricus  u.  s.  w.  kehrt  ttlr  einen  engeren  oder 
weiteren  Kreis  der  Verwandtschaft  naturgemäss  oft  in  Europa  wieder. 
So  finden  sich  in  Attika  zahlreiche  Dörfer  (Fhilaidai,  Paionidai,  Jonidai, 
Titakidai,  Semaehidai,  Lakiadai  u.  s.  w.,  gebildet  mit  dem  patronymischen 
Suffix  -ibn,-,  vgl.  'Axptibri^),  die  nach  den  adligen  Geschlechtern  benannt 
sind,  die  dort  ihren  Sitz  hatten  (vgl.  E.  Meyer  a.  a.  0.  II,  30(>).  Ebenso 
haben  in  Rom  (nach  Mommsen  R.  G.  I7,  &">)  die  ältesten  Patrizicr- 
familien  wie  die  Aemilii,  Coraelii,  Fabii  u.  s.  w.  (das  lateinische  pa- 
tronymisebe  Suffix  ist  •//>-)  den  aus  alten  Geschlechterbezirken  umge- 
bildeten Landquartieren  (tribus  rustkae)  ihre  Namen  gegeben.  Im 
Germanischen  entspricht  dem  griechischen  Suffix  -tbr|-  (lat.  -io-)  in- 
haltlich genau  -inga-  (unga)  :  agls.  Hredling  ist  der  Sohn  des  Jlredel, 
ahn.  Ylfingar,  agls.  Wylfingas,  mhd.  Wülfing*  bezeichnet  die  Sippe 
der  Wultinga,  Abkömmlinge  des  Wulf,  wie  im  Slavischen  serb.  Yukovic, 
öech.  Ylkovk,  polu.  Wilkowk  die  Nachkommen  des  serb.  Vuk,  cech. 
Mk,  poln.  ll"/7A-  znsnmmenfasst.    Ganz  gewöhnlich  werden  nun  im 
Gerinanischen  (vgl.  z.  B.  agls.  Centingas,  Idumingas  und  die  deutschen 
Ortsnamen  auf  -ingen)  die  mit  jenem  Suffix  -inga-  gebildeten  Namen 
für  die  Insassen  eines  Landes  oder  einer  Stadt  und  für  Land  und 
Stadt  selbst  verwendet  (weiteres  vgl.  bei  Kluge  Nominale  Stauunbildungs- 
lehre*  S.  14 f.).    Ebenso  werden  die  alten  Bezeichnungen  der  Sippe 
ahd.  fara  und  agls.  ma>gd  häufig  in  territorialer  Anwendung  gebraucht 
(vgl.  Brunner  D.  R.  G.  I,  84  und  E.  H.  Meyer  Deutsche  Volkskunde 
S.  1  ff.  über  Haufendorf  und  Sippendorf).    Über  die  slavischen  Ver- 
hältnisse endlich  äussert  sich  Krek  (Einl.  in  d.  slav.  Litg. s  S.  löT)  : 
„Den  gemeinschaftlichen  Namen  erhielten  die  Mitglieder  der  Sippe 
(Dorfscbaft)  nach  dem  Ahnherrn  (s.  o.),  beziehungsweise  Ältesten  (stanj- 


Digitized  by  Google 


144 


Dorf  —  Dreiahnenkri'is. 


sina,  starosta),  dessen  Name  noch  dadurch  an  Anselm  und  Bedeutung: 
gewann,  dass  er  zugleich  den  von  der  betreffenden  Sippe  be- 
wohnten Ort,  sobald  dieser  eine  grössere  Ansiedlung  repräsentierte, 
charakteristisch  bezeichnete." 

In  wieweit  im  Süden  Europas  noch  in  den  Anfängen  historischer 
Zeit  Dorf  und  Sippe  sich  deckten,  ist  schwer  zu  sagen.  Überall  wo 
Städte  gegründet  werden  oder  aus  o*uvoikio"uö<;  hervorgehn,  sprengt 
die  Rücksicht  auf  den  Ort  die  alteu  verwandtschaftlichen  Verbände. 
Immerhin  f'asste  aber  noch  Aristoteles  (Polit.  I,  1  §  7)  die  Dorfgemeinde 
als  die  natürliche  Erweiterung  der  Familie  auf:  n.  b'  U  ttXciövwv 
oIkiwv  Kotvwvict  TTpoÜTn  xpntows  £veicev  un.  £<pn.M«'pou  Kwun.  *  udXiffTa  b' 
£oik€  kotä  cpücriv  f)  Kiuun,  dnoiKia  oliaaq  eTvai,  oüq  KaXoGffi  nve?  6uo- 
TaXaierac. 

Treuer  sind,  wie  schon  aus  den  obigen  Zeugnissen  hervorgeht,  die 
ursprünglichen  Verhältnisse  bei  Germanen  und  Slaven  bewahrt  worden. 
In  Niederdeutschland  haben  sich  Gesehlechtsdörfer  bis  in  das  XVI.  Jahr- 
hundert erhalten  (weiteres  bei  Brunner  a.  a.  0.).  Das  südslavische 
bratstvo  (,Sippe  )  bewohnt  nach  F.  S.  Krauss  (Sitte  und  Brauch  der 
Südsl.  S.  39)  je  nach  seiner  Scelenzahl  ein  oder  auch  mehrere  Dörfer 
ganz  ausschliesslich.  Daneben  „giebt  es  auch  solche  bratstca,  die  mir 
aus  einigen  Häusern  eines  Dorfes  gebildet  sind,  doch  wissen  die  Mit- 
glieder eines  jeden  Hauses  sehr  wohl,  welchem  bratstvo  sie  angehören, 
mögen  in  demselben  Dorfe  auch  mehrere  bratstva  vorhanden  sein". 

Über  die  Bedeutung  des  Dorfes,  bezüglich  der  Sippe,  als  einer  Acker- 
baugenossensc haf t  s.  u.  Ackerbau.  Ackerdorf  scheint  auch  die 
Grundbedeutung  des  keltisch-germanischen  kymr.  tref  ,Dorf '  (vgl.  Attre- 
bates),  ahd.  dorf,  agls.  porp  ,Dorf  (got.  paitrp  ,Acker')  gewesen  zu 
sein.  Die  weitere  Verzweigung  dieser  Reihe  (lat.  turba  ,Schar'?,  lat. 
trihm,  umbr.  trifu  /feil  der  Gemeindeflur' ?)  steht  noch  nicht  fest. 

So  erweist  sich  für  die  europäischen  Indogermanen  das  Sippen - 
dorf  als  ein  gemeinsamer  und  urzeitlicher  Besitz.  Aber  auch  im  alten 
Indien  spielt  sich  das  Leben  in  Dörfern  ab,  und  auch  hier  sind  grä'ma- 
,Dorf  und  jdnman-  »Verwandtschaft'  nahezu  identische  Begriffe.  S.  u. 
S  t  a  d  t. 

Drache,  s.  Greif. 

Drachen w ii rz  (Armn  Dracunculu*  L.).  Die  wegen  ihrer  Zauber- 
und  Heilkräfte,  namentlich  bei  Schlangen biss,  gepriesene  Pflanze  wird 
bei  Theophrast  und  Dioskorides  unter  dem  Namen  bpaKÖvnov  genannt. 
Sie  ist  in  Sttdeuropa  einheimisch.  Dieser  oder  einer  verwandten  Arum- 
art  wird  die  Pflanze  dragantea,  dragontea  entsprechen,  deren  Anbau 
das  Capitulare  Karls  des  Grossen  (LXX,  18)  anordnet.  Vgl.  v.  Fischer- 
Benzon  Altd.  Gartenflora  S.  51  ff.  —  Andere  Heilpflanzen  s.  u.  Arzt. 

Drehscheibe,  s.  Töpferscheibe. 

Dreiahnenkreis,  s.  Erbschaft,  Vorfahren. 


Digitized  by  Google 


Dreifelderwirtschaft  —  Dreschen,  Dreschflegel. 


145 


Dreifelderwirtschaft,  8.  Ackerbau. 

Dreschen,  Dreschflegel.  In  dein  alten  Europa  gab  es  zwei 
Hauptarten,  die  Körner  des  Getreides  von  den  Halmen  zu  befreien: 
das  Ausdrescben  1.  durch  Tiere,  2.  durch  den  Stock  oder  Flegel. 
Dreschmaschinen  scheinen,  als  eine  karthagische  Erfindung  (vgl.  lat. 
plostellum  Punicum),  in  grösserem  Massstab  nur  in  Italien  gebräuchlich 
gewesen  zu  sein  (vgl.  BlUmucr  Terminologie  u.  Tecbu.  I,  5).  Das 
Dreschen  durch  Tiere  ist  im  Süden  seit  der  ältesten  Zeit  nachweis- 
bar. Vgl.  11.  XX,  495,  wo  das  öteißciv  der  Rosse  des  Achilleus  mit 
dem  Tpi߀'n€vcu  verglichen  wird: 

ib?  b*  ÖT€  ti<;  ZeüEn.  ßöaq  äpereva?  eüpuueTumpuq 
Tpiße'uevai  Kpt  Xeiwöv  €ÜKTiu€vn.  iv  äXwrj, 

^ipqpa  T€  XCTTT*  IftVOVTO  ßOUJV  ÜTTÖ  TTÖCTO"'  dpl)LlUKUJV. 

Aber  auch  im  Norden  kann  diese  Weise  des  Dreschens  nicht  unbekannt 
gewesen  sein.  Hierauf  weist  zunächst  die  Sprache  mit  Deutlichkeit 
hin.  Das  geineingerm.  got.  priskan,  agls.  perscan,  abd.  dreskan,  das 
an  sich  Uber  die  altgcrmaniscbe  Dreschweise  natürlich  nichts  aussagen 
würde,  ist  in  die  romanischen  Sprachen  entlehnt  worden,  wo  es  (vgl. 
Kai.  trescare,  altfrz.  tresche)  die  Bedeutung  ,mit  den  Füssen  trampeln', 
,tanzen  angenommen  hat.  Offeubar  lässt  sich  dieser  Bedeutungsüber- 
gang nur  erklären,  wenn  man  von  der  trampelnden  Bewegung  des  Viehs 
beim  Dreschen,  nicht  aber  von  der  ruhenden  Stellung  des  mit  dem  Dresch- 
flegel arbeitenden  Mannes  ausgeht.  Wenn  daher  in  L.  Wisigotb  (W.)  VIII, 
4,  10  die  Bestimmung  enthalten  ist,  dass  man  nicht  eines  anderen 
Vieh  auf  den  Dreschplatz  führen  solle,  so  ist  kein  Grund  vorhanden, 
dies  mit  Anton  (Geschichte  der  deutschen  Landw.  I,  101)  ohne  weiteres 
als  Ausfluss  südlicher  Sitte  aufzufassen.  Vielleicht  lässt  sich  got.  priskan, 
agls.  perscan  mit  dem  homerischen  Tp'ißw,  mit  dem  es  also  sachlich 
identisch  ist,  auch  etymologisch  (*ferzg-,  woraus  perscan,  priskan  = 
griech.  Tpißuu  wie  abd.  gersta  =  griech.  xplGri)  vereinigen,  wodurch  dann 
für  dieses  Zeitwort  die  Ansetzung  der  schon  in  ureuropäischer  Zeit  neben 
einander  liegenden  Bedeutungen  ,zcrreiben',  ,durch  die  Hufe  der  Tiere 
zerreiben',  ,dreschen'  möglich  würde. 

Das  Dreschen  des  Getreides  mit  Stöcken  oder  Knütteln  (lat.  baculis 
excutere,  fustibus  hindere,  perticis  flagellare)  wurde  in  Italien  geübt, 
wenu  es  sich  nur  um  die  abgesebu ittenen  Ähren,  nicht  um  das 
Getreide  mit  den  Halmen  handelte  (vgl.  Blümner  1.  c.  S.  7).  Denselben 
Gebrauch  hatte  schon  Pytbeas  nach  Strabo  bei  den  britischen  Kelten 
vorgefunden.  Es  ist  in  dieser  unten  mitgeteilten  Nachricht  ausdrücklich 
vom  kötttciv  , schlagen'  der  ffraxues  , Ähren'  die  Rede,  und  dass  nur 
solche,  nicht  das  Getreide  mit  dem  Halm  gemeint  sind,  geht  aus  einer 
aus  derselben  Quelle  fliessenden  Nachricht  des  Diodorus  (s.  u.)  mit 
Sicherheit  hervor  (vgl.  Müllenhoff  I).  A.  I,  393  f.). 

Der  Gebrauch,  das  Getreide  mit  dem  Halm  in  gleicher  Weise  zu 

Schräder,  Reallexikon.  10 


Digitized  by  Google 


146 


Dreschen,  Dreschflegel  —  Düngung. 


behandeln,  ist  in  Europa  erst  mit  der  Erfindung  des  heutigen  Dresch- 
flegels aufgekommen.  Die  Bezeichnung  desselben,  lat.  fiageUum,  tritt 
in  diesem  Sinne  zuerst  bei  St.  Hieronymus  Jesai.  IX,  28  auf  (vgl.  Du 
Cange)  und  hat  dann  von  Italien  aus  eine  ausserordentliche  Verbreitung 
in  Europa  erlangt  (ahd.  flegil,  agls.  fligel,  ir.  srogelh  kymr.  frowyU). 
Der  Dreschflegel  wird  dann  die  uralte  Benutzung  des  Viehs  zum  Aus- 
treten des  Getreides  mehr  und  mehr  verdrängt  haben,  und  so  ist  es 
nicht  verwunderlich,  dass  das  ursprunglich  nur  diese  bezeichnende 
germanische  Zeitwort  allmählich  auch  die  mit  dem  Dreschflegel  aus- 
geübte Thätigkeit  bezeichnete  (darum  ahd.  driscil  ,flagelluin*,  engl. 
thrash  in  der  Bedeutung  .prügeln";  vgl.  griech.  dXoäv  in  demselben 
Sinne).  Vgl.  noch  gemeinsl.  allst,  mlatiti  »dreschen'  :  mlatü  , Hammer', 
altsl.  vrüchq,  vrexti  id.  (in  Teilen  des  slavischen  Gebietes  auch  vom 
Austreten  des  Getreides  durch  Vieh  gebraucht)  —  lat.  rirro,  ahd.  icirru 
,verwirre'  und  lit.  sprägilas  , Dreschflegel'  :  spragit  ,prasselc'  (kuliü 
,drescbe). 

Auf  das  Vorhandensein  eines  für  das  Ausdreschen  des  Getreides  be- 
stimmten Platzes,  also  der  Tenne,  schon  in  der  europäischen  Urzeit 
weist  die  Gleichung  altschwed.  lö  (finn.  luura)  =  griech.  *d-XujFn,,  dXwn., 
äXuj?  davon  dXoduu)  deutlich  hin.  Diese  Tennen  (griech.  auch  bivos, 
lat.  Area)  waren  im  Süden  im  Freien  gelegen.  Im  Norden  machte 
sich  frühzeitig  ihre  Unterbringung  in  hölzernen  Gebäuden  zum  Schutze 
des  Getreides  gegen  die  feuchte  Witterung  nötig.  So  fand  es  schon 
Pytheas  in  Britannien  nach  Strabo  IV  p.  201:  töv  be  o*ixov,  ^K€ibn  xou? 
f)Xiou£  ouk  €xouo*i  KaGapou^,  iv  obcoi?  uexdXoiq  köttxouom  ctuykoui- 
o"8€vxwv  beupo  xwv  axaxuujv.  a'i  fdp  äXuuq  <5xPn°*Toi  Yivovxai  bid  tö  dvr|Xiov 
Kai  rouq  öußpou«;.  Dazu  vgl.  Diodorus  V,  21 :  xnv  xc  auvaYuJTnv  xüjv 
(Jixikwv  KapTruiv  iroioüvxai  xouq  o"xdxo<;  auioü?  dTTOxepvovxe?  Kai 
en.o*aupiZovT€<;  eiq  xdq  Kaxacrre'-fous  oucnaeic.  Auf  solche  Häuser  (aus 
Tannenholz)  weist  vielleicht  ahd.  tenni  (Reichenauer  Gl.:  danea)  hin, 
wenn  es  richtig  von  ahd.  tanna  ,Tanne'  abgeleitet  wird.  Xoch  nicht 
sicher  ist  auch  die  Reihe:  ahd.  driscuviU,  agls.  persetcold,  altn. 
prrakuldr  erklärt,  die  offenbar  eine  Ableitung  von  got. priakan  , dreschen' 
ist,  aber  ,Thürschwelle'  bedeutet,  nach  J.  Grimm  (D.  W.  u.  Drisehaufel), 
weil  früher  am  Eingange  des  Hauses  auf  der  Diele  gedroschen  worden 
sei  (vgl.  auch  Inama-Sternegg  Deutsche  Wirtschaftsgesch.  I,  130).  Vgl. 
nach  altpr.  plonis  ,Tenne' :  lit.  plönas  ,flach',  lat.  plänm  (ir.  tdr  ,Bodeu, 
Estrich'  =  altn.  flrirr,  agls.  flur  ,Flur').  Gemeinsl.  altsl.  gumino  ,Tenne' 
(dunkel),  lit.  klojimas :  klöju  »breite  Getreide  aus'.  —  S.  u.  Ackerbau. 

Drohtie,  s.  Biene,  Bienenzucht. 

Drossel,  s.  Singvögel. 

Düngung.  Wenn  der  Charakter  der  ältesten  europäischen  Land- 
wirtschaft n.  Ackerbau  richtig  aufgefasst  worden  ist,  so  ist  es  nicht 
sehr  wahrscheinlich,  dass  man  bereits  damals  die  Kunst,  durch  Anweu- 


Digitized  by  Google 


Dünger. 


147 


dung  des  Düngers  dein  Acker  neue  Kraft  zuzuführen,  gekannt  oder 
vou  ilir  in  grösserem  Massstabe  Gebrauch  gemacht  habe. 

Die  Sprache  kann  für  die  Bestimmung  des  Alters  der  Düngung  keine 
Dienste  leisten;  denn  wenn  auch  urverwandte  Gleichungen  für  den 
Begriff  ,Mist'  etc.,  sei  es  auf  weiten  Teilen  des  idg.  Gebietes  (wie  sert. 
ytkrt-,  griech.  <JKiI)p,  altn.  nkam  oder  kymr.  tail  ,Misf  =  griech.  nXo? 
,8tercu8  liquatum '),  sei  es  innerhalb  ein/einer  Sprachgebiete  (wie  ge- 
meingerm.  got.  maihstus,  ahd.  mint,  agls.  meox  :  lit.  mieziu  , miste' 
oder  ahd.,  agls.,  altn.  gor)  sich  Huden,  so  sageu  dieselben  natürlich 
doch  nichts  darüber  aus,  ob  man  den  Mist  schon  damals  zu  kulturellen 
Zweeken  zu  verwenden  gelernt  hatte. 

Als  Spur  einer  Zeit,  in  welcher  es  im  Süden  Europas  noch  keine 
Düngung  des  Ackere  gegeben  hätte,  pflegt  man  seit  Plinius  die  Sage 
vom  König  Augias  zu  betrachten.  Vgl.  Hist.  nat.  XVII,  60:  Augeax 
ret  in  Graecia  e.rcogitasfte  (sc.  stercorationem)  traditur,  divulgasse 
zero  Ifercule*  in  Italia,  qnae  regi  wo  Stercuto  Fauni  filio  ob  hoc 
incentum  inmortalitatem  tribuit.  Hei  Hesiod  wird  zwar  die  Düngung 
nicht  genannt;  aber  die  Odyssee  thut  ihrer  z.  B.  in  der  Erzählung  von 
dem  treuen  Huude  Argos  (XVII,  296  ff.)  bereits  Erwähnung: 
br\  töt€  k€it'  dn66€0"Toq  dnoixouevoio  ovokto?, 
tv  TToXXrj  KÖTrpuj,  fj  oi  TrpOTropoiÖe  eupäiuv 

f|UtÖVUJV  T€  ßOUJV  T€  ÖXt?  K€XOT,  6<pp'  &V  äfOICV 

buw€S  'Obuo*o*n>;  T^pevo?  K07Tpn,o*ovTe<;. 
Bei  Archilochus  (vgl.  Plut.  Vit.  Marii  Cap.  21)  findet  sich  sogar  schon 
eine  Anspielung  auf  Knochendünger.  Auch  in  Italien  ist  das  stercorare 
von  Anfang  der  Überlieferung  an  eine  geschätzte  und  viel  besprochene 
Kunst  (vgl.  die  Stellen  bei  Lenz  Botanik  S.  53  ff.i. 

Frühzeitig  muss  auch  bei  den  keltischen  Stämmen  Galliens  und 
Britanniens  eine  Düngung  der  Äcker,  und  zwar  vornehmlich  durch 
Mergel,  gettbt  worden  sein,  der  aber  auch  in  Griechenland  uicht  unbe- 
kannt war  (vgl.  Plinius  Hist.  nat.  XVII,  42).  Auch  das  Wort  marga  (ur- 
verwandt vielleicht  mit  griech.  äpt-iXoq  ,weisse  Thonerde';  daraus  mlat. 
margila,  ital.  marga,  ahd.  mergih  wird  von  Plinius  als  keltisch  in 
Anspruch  genommen  (über  die  neukeltischen  Formen  vgl.  Thumeysen 
Kelto-rom.  S.  107).  Schon  vor  Plinius  aber  hatte  Scrofa  bei  Varro  (De  re 
rust.  1,  7,  8)  gefunden,  dass  in  Gallia  transalpiua  nahe  dem  Rhein  Can- 
dida fossicia  creta  gedüngt  werde,  wie  nach  Plinius  (a.  a.  0.  §  47) 
bei  Aeduern  und  Pictonen  mit  Kalk.  Hinsichtlich  der  Germauen 
besitzen  wir  eine  einzige,  die  Ubier  betreffende  Nachricht.  Vgl.  Plin. 
Hist.  nat.  XVII,  47:  Ubios  gentium  solo*  novimus,  qui  fertilisximum 
agrum  colentes  quacumque  terra  infra  pedes  treu  effossa  et  pedali 
crassitudine  iniecta  laetißcent.  Es  ist  also  eine  ähnliche  Methode  wie 
bei  den  Kelten,  und  zweifellos  von  den  früh  civilisierten  Ubiern  von 
dort  entlehnt.  Von  den  übrigen  Germanen  erfahren  wir  nichts.  Spätere 


Digitized  by  Google 


148 


Düngung  —  Ebenholz. 


Ausdrücke  für  Dünger  sind  im  Germanischen,  abgesehen  von  den  schon 
oben  genannten  ahd.  mist  und  gor  :  ahd.  dornt,  dost,  tost  ,coenum", 
,fimus'  und  ahd.  deisc  (Graff  V,  231),  ferner  altn.  tad  (woraus  finn. 
tade'),  tedja  ,düngen\  dessen  hochdeutsche  Entsprechung,  ahd.  zettan 
aber  nur  .streuen',  nicht  speziell  ,düngen'  bedeutet.  Über  ahd.  tunga 
,stercoratio'  in  seinem  Verhältnis  zu  ahd.  ttinc  8.  u.  Unterirdische 
Wohnungen.  Ebenda  über  die  germanische  Sitte,  die  Winterwohnung 
durch  Aufhäufnug  von  Mist  auf  dieselbe  vor  Kälte  zu  schützen. 

Die  oben  aus  allgemeinen  Gründen  ausgesprochene  Annahme,  das» 
dem  ältesten  europäischen  Ackerbau  die  Düngung  der  Äcker  noch 
nicht  bekannt  gewesen  sei,  lässt  sieh  also  durch  positive  Nachrichten 
über  einen  solchen  Zustand  bei  idg.  Volkern  nicht  belegen.  Zu  be- 
denken ist  auch,  dass  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahlbanteu  S.  7  die 
Düngung  schon  für  den  steinzeitlichen  Ackerbau  für  wahrscheinlich  hält: 
„Auf  der  Pfahlbaute  Bobenhausen  wurde  neuerdings  6  Fuss  tief  unter 
dem  Torf  ein  Lager  verkohlten  Ziegendüngers  gefunden;  an  einer  an- 
deren Stelle  war  er  un verkohlt,  und  die  zahlreichen  dazwischen  liegen- 
den Zweige  der  Weisstanne  zeigen  uns,  dass  dieses  Material  zur 
Streuung  verwendet  worden  ist;  nahe  dabei  muss  ein  Schafstall  ge- 
standen haben,  zu  dessen  Streue  Laubblätter  gedient  haben,  die  nun 
zwischen  den  Schafbohnen  liegen.  Selbst  die  zahlreichen  Puppen- 
Hülsen  der  Fliegen,  welche  sich  im  Dünger  eingenistet  hatten,  blieben 
erhalten  und  sagen  uns,  dass  man  diesen  Dünger  längere  Zeit  im  Stalle 
liegen  Hess,  daher  ohne  Zweifel  für  die  Düngung  der  Felder 
aufbewahrt  hat."  Doch  sind  keine  späteren  Funde  gemacht  worden, 
welche  diese  Ansicht  Heers  bestätigten.  —  S.  u.  Ackerbau. 
Duodezimalsystem,  s.  Zahlen. 


E. 

Ebbe,  8.  Meer. 

Ebenholz  (von  Bäumen  der  Gattung  Diospyros  aus  Afrika  und 
Indien  stammend).  In  Ägypten  bildet  es  unter  dem  hieroglyphischen 
Namen  heben  einen  wichtigen  Handelsartikel  mit  dem  Lande  Punt  (s. 
u.  Affe,  Dattelpalme,  Weihrauch).  Unter  den  Griechen  berichtet 
zuerst  Herodot  (III,  97,  114),  dass  die  an  Ägypten  grenzenden  Neger 
den  £ß€vo<;  als  Tribut  dem  Perserkönig  Dariiis  steuerten.  Das  griechische 
Wort  wird  unmittelbar  dem  Ägyptischen  entlehnt  sein.  Das  Ebenholz 
muss  aber  auch  in  Griechenland  selbst  früh  verwendet  worden  sein, 
da  Pausanias  (I,  42,  5,  VIII,  53,  11)  altertümliche  Eöava  aus  diesem 
Material  kennt.  Übrigens  drang  das  ägyptische  Wort  auch  zu  den 
Semiten,  wo  es  hebr.  höbnim  lautet.   Nach  Ezcch.  XXVII,  15  bezog 


Digitized  by  Google 


Ebenholx  —  Edelsteine. 


149 


Tyrus  Ebenholz  vom  Volke  Deddn,  das  auch  Elfenbein  liefert.  —  Den 
indischen  Ebenholzbaum  nennt  zuerst  Theophrast  (IV,  4,  6),  und 
noch  nach  dem  Periplus  maris  erythräi  (§  36)  werden  qpdXaTTC?  £ßt- 
vivai  aus  Barygaza  nach  persischen  Häfen  ausgeführt.  Ein  dem  ägypt.- 
griech.  heben  —  Ißcvo?  entsprechender  Sanskritnnmc  des  Ebenholzes 
ist  nicht  bekannt.  Die  arabisch-persisch-hindostanische  Bezeichnung 
desselben,  hbnus  etc.,  ist  eine  Entlehnung  ans  dem  Griechischen  (vgl. 
Pott  Z.  f.  d.  Kunde  des  Morgenl.  V,  74).  Lat.  ebenu*  (seit  Vergil). 
Hieraus  ahd.  ebenus  u.  s.  w.  —  Vgl.  Lieblein  Handel  und  Schiffahrt 
auf  dem  roten  Meer  S.  71  ff. 

Eber,  s.  Schwein. 

Eberesche,  s.  Speierling. 

Eberraute  ( Artemma  Abrotanum  L.).  Diese  schon  im  Altertum 
geschätzte  Heilpflanze  heisst  griech.  dßpöxovov,  woraus  lat.  abrotomim, 
«las  auch  im  Capitularc  Karls  des  Grossen  de  villis  LXX,  7  begegnet.  Die 
erst  ziemlich  spät  überlieferten  deutschen  Namen  der  Pflanze  eberraute, 
eberreis,  aberzicurz,  aeberreixs  u.  s.  w.  (vgl.  Pritzel  u.  Jessen  Volksnamen 
S.  41)  sind  volksetymologische  Verdrehungen  aus  abrotonum.  Die  heilige 
Hildegard  hat  xtagwurts.  Gegen  Osten  scheint  die  Pflanze  auch  reli- 
giöse Beziehungen  zu  erhalten:  jenseits  der  Donau  begegnen  „Herrgott- 
hölzel",  slavisch  „Gotteshölzehcn"  etc.  (Nemnich  Polyglottenlexikon  I, 
466).  Wo  ist  die  Pflanze  einheimisch?  —  Andere  Heilpflanzen  s.  u.  Arzt. 

Edele,  s.  Stände. 

Edelsteine.  Kostbare  Steine  fandeu  die  ihnen  gebührende  Wert- 
schätzung zuerst  in  den  Enphrat-Tigrisländern,  wo  zahlreiche  edle, 
freilich  kaum  näher  bestimmbare  Steinarten  schon  bei  der  Urbevölke- 
rung dieser  Gegenden,  den  Sumerern,  genannt  werden  (vgl.  F.  Hommel 
Vorsemit.  Kulturen  S.  411).  Nach  Herodots  Bericht  über  Babylon 
(I,  195)  besass  jeder  Einwohner  daselbst  o*q>pr|Y»ba  ,cinen  Siegelring' 
und  ein  OtcnnTpov  x^pOTrofarov.  Hier  in  Mesopotamien  nmss  daher  auch 
die  Steinschncidekunst  frühzeitig  erfunden  worden  sein  (vgl.  Movers 
Phoenicier  II,  3,  266  ff.).  Die  Edelsteine  selbst  sind  hierher  auf  den 
weitverzweigten  Wegen  des  babylonischen  Handels  zum  teil  aus  weiter 
Entfernung,  aus  Vorderasien,  Ägypten,  vor  allem  aber  aus  Indien  zu 
sammengeströmt,  das  im  ganzen  Altertum  als  Haupterzeugungsort  der 
Edelsteine  galt,  wie  dies  schon  Ktesias  Ind.  Cap.  5  :  Trcpi  tu>v  öpuiv 
tu>v  M£YäXu>v,  iE  tLv  if\  tc  aapbw  öpuo*o*€T<xi  Kai  oi  övux€?  Kai  a\  äXXai 
tfcppaTibt?  berichtet.  Doch  erfahren  wir  aus  Indien  selbst  erst  sehr 
spät  direktes  über  die  dortigen  Edelsteine,  auf  deren  Studium  die  Aus- 
bildung der  Medizin  mit  ihrem  Glauben  an  heilkräftige  Wirkungen  der 
Steine  die  Aufmerksamkeit  lenkte  (vgl.  R.  Garbe  Die  indischeu  Mine- 
ralien Leipzig  1882). 

Von  Babylonien  aus  ist  die  Verwendung  der  Ganz-  und  Halbedelsteine 
zu  maunigfachem  Schmuck,  namentlich  auch  zu  Siegelringen,  in  sehr 


Digitized  by  Google 


150 


Edeteteine. 


früher  Zeit  zu  den  Israeliten  gedrungen  (vgl.  Riehms  Bibellexikon 2  Art. 
Edelsteine).  Über  den  pbönizischen  Handel  mit  den  südlichen  Euphrat- 
ländern  sagt  der  Prophet  Ezechiel  XXVII,  16:  „Aram  handelte  mit  Dir 
(Tyrns)  wegen  Deiner  vielen  Waren  mit  Karfunkeln,  Purpur  und 
Buntstickerei;  Byssns  und  Korallen  und  Rubinen  brachten  sie  in 
Deinen  Verkehr"  (vgl.  Movers  a.  a.  0.  S.  258).  Auch  in  Mykenae 
haben  die  Ausgrabungen  .Schliemanns  Schieber  von  Achat,  Gemmen  von 
Sardouyx  und  Amethyst,  ebenso  wie  kostbare  Siegelringe  an  den  Tag 
gebracht. 

Bei  Homer  ist  indessen  von  Edelsteinen  noch  nicht  die  Rede,  und 
erst  in  der  späteren  Littcratur,  von  Herodot  an,  begegnen  uns  ihre 
Xameu,  die  sich  naturgemäss  als  vielfach  entlehnt,  meistens  aus  dein 
•Semitischen,  später  auch  direkt  aus  dem  Indischen  erweisen  (s.  u.). 
Ein  besonderes  Wort  für  Edelstein  ist  im  Griechischen  nicht  vorhanden. 
Man  sagt  dafür  \iBo<;  ,Stein'  oder  aqppcrns,  eigentlich  .Ringstein'.  Eine 
Erklärung  für  dieses  letztere  Wort  ist  noch  nicht  gefunden  worden. 
Es  liegt  nach  dem  obigen  nahe,  in  ihm  eine  Entlehnung  aus  babylo- 
nischem Kulturkreis  zu  vermuten,  wie  aus  diesem  die  indisch-persische 
Bezeichnung  des  Siegelrings  und  Siegels,  sert.  mudrä,  altpers.  *mudrdt 
npers.  muhr  aus  assyr.  mmaru,  mumrü  ,Sehrifturkunde  in  der  Form 
einer  Stein-  oder  Metallplatte',  ursprünglich  wohl  ebenfalls  ,Siegelring' 
stammt  (vgl.  II.  Hübschmann  K.  Z.  XXXVI,  176). 

In  Rom  ist  weder  bei  Plautus  noch  hei  Terenz  etwas  Uber  Edel- 
steine zu  finden.  Allerdings  hätten  der  Sage  nach  die  Sabiner  schon 
zur  Zeit  des  Romulus  (vgl.  Liv.  I,  11)  annuli  yemmati  getragen, 
wahrscheinlicher  aber  berichtet  Plinius  Hist.  nat.  XXXVII,  85  aus- 
drücklich, dass  erst  Scipio  Africanus  sich  eines  Ringes  mit  geschnittenem 
Steine  bedient  habe.  —  Von  Südenropa  ging  der  Gebrauch  der  Edel- 
steine auf  dem  gewohnten  Wege  in  die  mittelalterliche  Welt  über,  bis 
später  auch  direkte  Verbindungen  mit  den  östlichen  Erzeugungsländern 
sieh  eröffneten.  Die  früheste  sprachliche  Entlehnung  der  germanischen 
Sprachen  aus  dem  Latein  auf  diesem  Gebiete  dürfte  ahd.  gimma,  agls. 
gimm  etc.  aus  lat.  gemrna,  der  (noch  dnnklen)  Gesamtbenennung  der 
Edelsteine  sein.  Das  Wort  kommt  wiederholt  schon  in  der  Edda  vor 
(altn.  gim,  gimrtein),  wo  es  z.  B.  von  Völund  (Wieland)  heisst: 
„In  Gold  fasst'  er  glänzende  Steine". 

Eine  alte  einheimische  Bezeichnung  des  Edelsteins  ist  altn.  jark- 
nasteinn,  agls.  eorclanstdn  (:  got.  -airkns  ,rein  ).  Entlehnt  wiederum 
aus  dem  Lateinischen  ist  die  Bezeichnung  des  Abdrucks  des  Siegel- 
rings, des  Siegels:  got.  sigljö,  mhd.  sigel  (ahd.  inMgili),  agls.  sigel 
aus  lat.  sigiüum  (:  Signum).  Es  scheint,  dass  im  alten  Völkerverkehr 
Siegel  und  Siegelringe  eine  wichtige  Rolle  spielten,  worüber  wir  hin- 
sichtlich der  russisch-byzantinischen  Beziehungen  einiges  durch  Ewers 
Ältestes  Recht  der  Russen  S.  184  f.  wissen.    Hiernach  führten  die 


Digitized  by  Google 


Edelsteine. 


151 


russischen  Gesandten  goldene,  die  Großhändler  silberne  Siegelringe 
zu  ihrer  Beglaubigung  bei  sich,  an  deren  Stelle  später  (seit  der  Ur- 
kunde Igors)  geschriebene  Pässe  traten.  Auch  fertige  Siegel  übersehiekte 
man  sich  zu  gleichen  Zwecken.  —  Zusammen  mit  den  kostbaren  Steinen 
selbst  wanderte  eine  Fülle  des  Aberglaubens,  der  zumeist  an  die  an- 
gebliehen medizinischen  Kräfte  der  wertvollen  und  neuen  in  die  Kultur- 
geschichte eintretenden  Korper  anknüpfte,  die  für  umso  heilsamer 
galten,  je  kostbarer  sie  waren.  Unentbehrlich  für  die  Geschichte  der 
Edelsteine  im  Altertum  und  Mittelalter  sind  in  dieser  Beziehung  die 
Artikel  in  den  Nachträgen  von  0.  Schadcs  Ahd.  WA  —  Nach  diesen 
Vorbemerkungen  soll  hier  in  alphabetischer  Reihenfolge  die  freilich 
noch  mehrfach  etymologisch  dunkle  Terminologie  von  14  wichtigen 
Edel-  und  Halbedelsteinen  gegeben  werden: 

1.  Achat.  Griech.  dxänis  (Theophr.),  tat.  achates  (Plin.),  frz. 
agate.  Angeblich  nach  dem  Flusse  Achates  in  Sicilien  benannt;  «loch 
versucht  H.  Lewy  Die  semit.  Fremdw.  S.  56  eine  Erklärung  aus  dem 
Semitischen.  Fundorte  ausser  Sicilien:  Kreta,  Indien,  Phrygien,  Ägypten, 
Kypros,  Oeta,  Parnassos,  Lesbos,  Messenien,  Rhodus,  Persien  (nach 
Blümner  Term.  u.  Tcchn.  III,  260). 

2.  Amethyst.  Griech.  dueeuo-roq,  dut8uo-o<;  (Pinto,  Theophr.), 
lat.  amethyntus  (Ovid),  mhd.  ametiate.  Von  ueeüw,  Weil  der  Stein 
gegen  Trunkenheit  schützen  soll?  Oder  von  djLi€8uo"o<;  =  oivumö? 
,weinfarbig'  (vgl.  Blümner  a.  a.  0.  S.  251)?  Noch  andere  denken  an 
ein  arab.  yamast  , Amethyst'  (vgl.  Muss-Arnolt  Scmitie  Words  S.  139, 
Lewy  a.  a.  O.  S.  58).  Fundorte:  Indien,  Arabien,  Armenien,  Ägypten, 
Galatien.  Eine  Art  Amethyst  bezeichnete  im  Altertum  auch  griech. 
üdKiv6o<;  (Diosk.),  lat.  hyacinthus  <Plin.),  woraus  mhd.  jachant  {vgl. 
O.  Schade  a.  a.  0.). 

3.  Beryll.  Griech.  ßfjpuXXo^  (Dion.  Perieg.),  lat.  beryllus.  (Pro- 
pere). Aus  sert.  raifjärya-,  präkr.  reluriya  ,dcr  Beryll'  (nach  P.  W.; 
aber  das  ,Katzcnauge'  nach  R.  Garbe  Die  indischen  Mineralien  S.  85; 
vgl.  auch  M.  Müller  India  what  can  it  teach  us?  S.  267),  pcrs.-arab. 
billattr,  biliar.  Das  Wort  hat  reiche  Verbreitung  im  Deutschen  und 
Romanischen  gefunden:  mhd.  berille.  barille,  daher  auch  nhd.  brille 
(weil  man  zu  den  ersten  Augengläsern  —  um  1300  —  den  Beryll 
verwendete,  dem  schon  die  Alten  Heilkraft  bei  kranken  Augen  zu- 
schrieben), rom.  *beryllare,  ital.  brillare  .glänzen'  etc.,  barelle  , Brillen- 
gläser'.   Fundorte:  Indien,  Pontus  ^Ural). 

4.  Diamant.  Griech.  dodiict«;  (Plato),  urspr.  ,Stahl'  (s.  d.),  lat. 
adamag  (Vergil),  woraus  die  romanischen  diamante  etc.  Im  Mittelalter 
nahm  das  Wort  auch  die  Bedeutung  »Magnet '  (s.  d.)  an:  prov.  adi- 
mam  etc.  Im  Osten  Europas  gelten  aus  dem  Arabisch-Türkischen 
(almdts  =  dbdua?)  entlehnte  Formen:  russ.  ahnazü  u.  s.  w.  Fundorte: 
Indien,  Ural.   Im  Hebräischen  heisst  der  Diamant  samir,  woraus  nach 


Digitized  by  Google 


152 


Edelsteine. 


einigen  griech.  ouxp'u;-  äuuou  elbo?,  fj  cfurixovTai  01  o*icXr|poi  twv  XiGinv. 
Hcs.  (,Di.iwaiitpiilvcr'?)  entlehnt  sein  soll. 

5.  Jaspis.  Griech.  \aam<;  (Pinto),  lat.  iaspis  (Vergil),  ital.  dia- 
spro  etc.  Ans  hebr.  jtUepeh.  Fundorte:  Indien,  Kypros,  Persien,  K as- 
pisches Meer,  Pontus,  Phrygien,  Kappadokien. 

6.  Karneol  uSard).  Griech.  adpbiov  (Plato),  aapbüj  (Ktesias  s.  o.), 
lat.  sarda,  sardius  (Plin.).  Man  leitet  das  Wort  in  der  Regel  von  dein 
Städtenamen  Sardes  ab.  Lewy  Die  semit.  Freuidw.  S.  57  f.  sucht  hin- 
gegen semitischen  Ursprung  wahrscheinlich  zu  machen.  Fundorte: 
Sardes,  Babylon,  Paros,  Assos,  Indien,  Arabien,  Epiros,  Ägypten. 

7.  Krystall.  Griech.  KpuöTaXXo«;  (schon  bei  Homer,  aber  nur  in 
der  Bedeutung  ,Eis\  vgl.  Kpuo?  , Kälte',  später  —  bei  Theophr.  —  ,Berg- 
krystall";  vgl.  sachlich  hebr.  qerah  ebenfalls  ,Eis'  und  .Kiystall*),  lat. 
cryxtallum  (Vergil),  and.  chrixtalla.  Fundorte:  Indien,  Kleinasien, 
Alpen  etc. 

8.  Onyx.  Griech.  övuE,  dvuxiov  (Ktesias  8.  o.,  Theophr.),  lat.  onyx 
(Catull),  ital.  onice,  nichetto  u.  s.  w.  Man  hat  versucht,  das  Wort  an 
ein  assyr.  unqu  ,Ring'  oder  an  ein  ägypt.  anak  anzuknüpfen  (vgl.  Muss- 
Arnolt  Semitic  words  S.  139).  Plinius  dachte  an  Identität  mit  griech. 
övuE  .Nagel',  da  der  Onyx  eine  ähnliche  Weisse  wie  der  menschliche 
Nagel  zeige  (vgl.  Blümner  a.  a.  0.  III,  265).  Fundorte:  Indien,  Arabien, 
Armenien,  Galatien. 

9.  Opal.  Lat.  opalus  (Plin.),  griech.  öirdXXiov  (Orph.  lapid.).  Ans 
sert.  ttpala-  , Stein'  (nach  Lassen  Ind.  Altertumskunde ),  das  auch  unter 
den  Synonymen  für  .Edelstein'  (Garbe  S.  70)  vorkommt.  Fundort: 
Indien  nach  Plinius,  was  schwerlich  richtig;  vgl.  Blümner  a.  a.  0. 
III,  245). 

10.  Rubin.  Griech.  <ävepa£  (Aristot.),  lat.  carbunculm  (aus  dem 
Griech.  Ubersetzt),  mhd.  Karbunkel.  Fundorte:  Indien,  Afrika.  Im 
Mittelalter  gilt  mhd.  balas,  frz.  balaU,  prov.  balach,  ital.  balascio, 
mlat.  balascus,  so  genannt  nach  dem  Chanat  Badakshan  (Balascban) 
östlich  von  Samarkand.  Vgl.  Heyd  Levantehandel  S.  583.  „The 
mountains  of  Iiadakhshdn  have  given  their  name  to  the  Badakhshi 
ruby,  vulgnrJy  called  al-Balakhsh",  lbn  Batuta  (nach  Yulc  and  Bnrnell 
Hobson-Jobson  S.  39). 

11.  Sapphir.  Griech.  ödnqpcipo«;  (Theophr.),  lat.  sapphirus  (Plin.). 
Aus  hebr.  sappir,  syr.  mpild  (weiteres  bei  Mnss-Amolt  a.  a.  0.  S.  139), 
dem  auch  armen,  mpila  entstammt.  Indessen  bezeichnete  das  klassische 
Wort  nach  allgemeiner  Annahme  das,  was  wir  Lasurstein  nennen: 
ital.  azzurro,  mhd.  hUur,  Idzftr  aus  pers.  lazeard,  arab.  Idzuward. 
Wie  die  Alten  den  ihnen  ebenfalls  bekannten  Sapphir  bezeichneten, 
steht  nicht  fest.  Fundort  des  Lapi*  laztdi:  Medien  (wohin  er  aus 
Tibet  kam,  wo  noch  heute  Lasurstein  gefunden  wird,  Blttmner  III,  275). 

12.  Smaragd.  Griech.  o*udpccfbo<;  (Hcrodot),  lat.  xmaragdus  (Lucrez), 


Digitized  by  Google 


Edelsteine  —  Egge. 


153 


ital.  smeraldo  etc.,  ahd.  smaragd  (gelehrt).  Vgl.  auch  armen,  zmruxt, 
npers.  zumttrrud.  Man  denkt  für  o*udpaYbo?  an  Entlehnung  aus  hebr. 
bäreqet  ,Sniaragd\  indem  man  annimmt,  dass  ein  aus  bareqet  hervor- 
gegangenes Vapcrrboq  durch  Anlehnung  an  crudu)  ,putze'  oder  cruaperr^u) 
.erdröhne'  zu  audparbo?  geworden  Bei  (vgl.  Muss-Arnolt  S.  139,  Lewy 
S.  57).  Indisch  marakata-  ,Smaragd'  ist  ein  Lehnwort  aus  dem 
Griechischen.    Fundorte:  Skythien  (Ural,  Altai),  Baktrien,  Ägypten. 

13.  Topas.  Griech.  tottoEiov  (Agatharchides),  lat.  topazon  (Plin.), 
nach  den  Alten  auf  einer  Insel  Topazus  gefunden,  worunter  man  ge- 
wöhnlich Ceylon  versteht,  wo  noch  heute  Topase  vorkommen.  Nach 
Plinius  aber  lag  sie  im  roten  Meer  und  hatte  ihren  Namen  von  einem 
„troglodvtisehen"  Verbum  TOirdZciv  ,suchen'  (vgl.  Blümner  a.  a.  0. 
III,  238). 

14.  Türkis.  Wie  der  den  Alten  sicher  bekannte  Stein  im  Altertum 
geheissen  habe,  steht  nicht  fest.  Mhd.  turkoys,  türkis,  fr/.,  tourquoixe, 
prov.  spau.  turquesa  ,aus  der  Türkei',  d.  h.  vom  Osten. 

Noch  ein  Wort  bleibt  über  den  Probierstein,  den  lydischen  Stein 
(Aubict  Xi8oq)  der  Alten  zu  sagen.  Er  heisst  griech.  ßderavo^,  das  schon 
bei  Theognis  und  Pindar,  also  früher  als  alle  Edelsteinnamen  begegnet. 
Das  Wort  ist  ausländischen  Ursprungs  verdächtig.  Lewy  a.  a.  0.  S.  61 
leitet  es  aus  hebr.  päz  gediegenes  Gold',  päzaz  ,Gold  und  Silber  rei- 
nigen' ab.  Anders  Muss-Arnolt  S.  146.  Vgl.  auch  sert  pdsMna-  ,Stein', 
»Probierstein'  (aus  ßdo*avoq*?i. 

Egge.  Ein  unserer  Egge  ähnliches  Werkzeug  zum  Ebenen  des 
aufgepflügten  Erdreichs  muss  schon  zur  Zeit  des  vorhistorischen  Acker- 
baus der  europäischen  Indogermanen  in  Gebrauch  gewesen  sein,  wie 
die  Gleichung  Int.  occare,  occa,  ahd.  egida,  agls.  egepe,  lit.  aketi, 
akeezios,  altpr.  aketes,  altkorn.  ocet,  kymr.  oged,  eggen',  ,Egge'  lehrt. 
Die  nordeuropäischen  Sprachen  stimmen  auch  in  der  Suffixhildung  des 
Hauptworts  überein.  Nur  im  Slavischcn  und  Griechischen  erlischt  die 
Reihe  bis  auf  eine  in  letzterem  von  Hesych  bewahrte  Spur:  öEiva  • 
ipxaXeiöv  ti  y£u>pyiköv,  crtbnpoöq  fO|iq)ou?  £x°v>  eXKÖuevov  üttö  ßouüv. 
In  der  That  scheint  in  Griechenland  die  Egge  ziemlich  ungebräuchlich 
gewesen  zu  sein.  Bei  Hesiod  W.  u.  T.  469  folgt  dem  Säenden  viel- 
mehr ein  Sklave  mit  der  Schaufel  (6  eTnaKCKpeu«;  Hes.)  zum  Bedecken 
des  Samens. 

Eine  zweite,  aber  auf  das  Lateinische  und  Germanische  beschränkte 
Gleichung  dürfte  in  lat.  hirpex,  irpex  =  altn.  herfe,  nschwed.  harf, 
engl,  harrote  ,Egge'  vorliegen  {*kherq-  :  *khorq-).  Das  lateinische 
Wort  wäre  dann  wegen  seines  p  als  oskisch-samnitisches  Lehnwort 
anzusehen.  Für  den  Lautwandel  erc  :  irc  vgl.  auch  ircutt,  stircus, 
Mirquriux,  commercium  (Stolz  Lat.  Gr.*  S.  256).  Bei  den  Galliern 
nennt  Plinius  VIII,  173  die  Egge:  Semen  protinus  iniciunt  erat  es- 
que  dentatas  mpertrahunt,  und  auch  in  der  Lex  Salica  XXXIV,  2 


Digitized  by  Google 


154 


Egge  —  Ehe. 


wird  sie  bereits  erwähnt:  67  qtiis  per  dliena  messe  postquam  levaverit 
irpicem  traxerit  etc.  (Cod.  1  Hessels). 

Im  Osten  Europas,  in  den  slavischen  Sprachen  und  im  Albancsischcn, 
gilt  für  Egge  russ.  berona  etc.,  alb.  braue  (vgl.  auch  ngricch.  aßdpva), 
das  G.  Meyer  Et.  W.  S.  44  für  ein  frühzeitiges  Lehnwort  aus  dem 
Iranischen  (npers.  barn  ,Egge')  hält.  —  S.  u.  Ackerbau. 

Ehe.  Eine  vorhistorische  Bezeichnung  für  diesen  Begriff  lässt 
sich  nicht  nachweisen.  Ja,  es  scheint,  dass  noch  in  den  älteren  Pe- 
rioden der  Einzclsprachen  Wörter,  die  das  eheliche  Verbundensein  von 
Mann  und  Frau  wie  im  lat.  coniugium  oder  im  deutschen  „Ehe",  be- 
zeichnen, nicht  vorhanden  waren.  Noch  Aristoteles  im  ersten  Buche 
der  Politik  (Cap.  3)  bemerkt,  dass  ein  treffender  Ausdruck  für  ,Ehe' 
fehle:  dvwvuuov  t«P  *1  Tuvcmcds  *m  ävbpdq  Ovltvlxq. 

In  den  Einzelspraehen  macht  man  zur  Benennung  dieses  Begriffs  am 
häutigsten  Gebrauch  von  Wörtern,  welche  eigentlich  ,Eheschlies8ung'y 
, Hochzeit'  bedeuten.  Vgl.  z.  B.  sert.  vkahä-  (vgl.  rahatü-  .Brautzug'), 
griech.  tam*1!  (:  täuos)i  das  Aristoteles  a.  d.  o.  Stelle  in  Ermangelung 
eines  treffenderen  Ausdrucks  gebraucht,  lat.  miptiae  (»Verhüllung), 
lit.  teenezimea  .Trauung'  (tcenczinwoin/ste  .Ehestand  ).  Weiteres  s.  u. 
Heirat.  Anderer  Art  sind  Ausdrücke  wie  sert.  janitni-  und  lat. 
matrimöninm,  eigcntl.  »Gattinnen-',  bezw.  , Mutterschaft'  (daher  in  ma- 
trimonium  ire  etc.).  Spät  erst  hat  ahd.  eica,  agls.  d>w,  cigentl.  .Ge- 
setz' die  heutige  Bedeutung  angenommen  (vgl.  J.  Grimm  K.-A.  S.  41  T)r 
wie  auch  dän.  und  schwed.  ägteskab,  äktenskap  ,matrimonium'  von 
(Igte,  ekta  (aus  unserem  echt,  £-haft)  junge  Wörter  sind.  Altnordisch  ist 
hjü-skapr  (:  *hhra-,  s.  u.),  eigentl.  ,Hausmaiinschaft\  agls.  sin-xeipe, 
eigcntl.  .Dauerschaft',  hdmed-seipe  u.  a.    Dunkel  :  altsl.  brakü  .Ehe'. 

Auch  Namen  für  das  Ehepaar,  die  Gatten,  sind  in  alter  Zeit 
nicht  vorhanden,  da  Ausdrücke  wie  griech.  o"ü£u£  (seit  Euripides),  lat. 
coniux  (in  älterer  Zeit  fast  nur  bei  Dichtern),  altsl.  sqprqgü,  [xüprqzl 
,Joch  ),  ir.  cele  (,Genosse'),  ahd.  gimahalo,  gimahala  (:  ahd.  mahal  »Ver- 
sammlung. Kontrakt,  Ehevertrag';  vgl.  auch  ahd.  gimahhidi  bei  Graff 
IV,  639  .Ehepaar'  und  ,eins  der  beiden  Gatten',  Kollektivbildung:  agls. 
gemaca,  genuecca  ,Gatte',  eigentl.  ,was  zusammen  passt',  Plur.  ,Ehc- 
gatten)  verhältnismässig  jungen  Sprachschichten  angehören.  Eine  merk- 
würdige Bezeichnung  ist  ir.  hinamain  ,a  married  conple",  wovon  W- 
namna*  ,eoniugium'  (vgl.  Windisch  J.  T.  s.  v.l,  von  Stokcs  Urkeltischer 
Sprachschatz  S.  293  ans  *lan-mmmn  ,volle  Vereinigung'  gedeutet. 

Es  kann  also  in  der  Urzeit  noch  kaum  das  Bedürfnis  empfunden 
worden  sein,  die  dauernde  Gemeinschaft  von  Mann  und  Weib  sprachlich 
zum  Ausdruck  zu  britigen.  Den  Grund  dieser  Erscheinung  findet 
B.  Delbrück  Verwandtschaftsnamen  S.  440  ohne  Zweifel  mit  Recht 
darin,  nda«is  die  Stellung  des  Mannes  zur  Frau  und  die  der  Frau  zum 
Manne  nach  alter  Meinung  zwei  so  verschiedene  Dinge  waren,  das» 


Digitized  by  Google 


Ehe. 


155 


man  nicht  darauf  kommen  konnte,  Mann  und  Frau  durch  das  gleiche 
Wort  zu  bezeichnen".    Einen  analogen  Fall  B.  u.  Eltern. 

Am  nächsten  der  idg.  Auffassung  des  Verhältnisses  von  Mann  und 
Frau  dürfte  das  indische  patitcd-  ,Ehc',  d.  h.  ,Gattcnschaft'  kommen, 
welchem  die  ureprachliche  Bezeichnung  des  Hausherrn  und  Ehemannes: 
scrt.  pdti-  ,Gebieter,  Herr,  Gatte',  ddmpati-  , Hausherr'  ddrhpati-  .Haus- 
herr und  Hausfrau',  aw.  paiti-,  griech.  Tiöcriq  ,Gatte'  (beöirÖTris  =  scrt. 
ddrhpati-',  anders  Pischel  in  P.  G.  Ved.  Studien  II,  307),  got.  fap*t  brüp- 
faps  ,Herr  der  Braut  oder  jungen  Frau',  lit.  päis  ,Gatte,  Ehemann'  (vgl. 
noch  lat.  pot-estas,  compo(t)8  etc.)  zu  Grunde  liegt.  Das  Wort  wird  mit 
Wahrscheinlichkeit  von  scrt.  pd  ,schützen'  abgeleitet,  so  dass  scrt.  pdti- 
ctc.  soviel  wie  der  , Beschützer"  (ursprünglich  vielleicht  , Beschützung') 
wäre.  Neben  diesem  idg.  *pöti-  lag  —  entsprechend  dem  Verhältnis  von 
ahd.  frö,  got.  frauja  ,Herr'  feigentl.  ,der  erste'  =  scrt.  pu'rra-  id.) :  ahd. 
,frouica  (*fraujön-)  , Herrin'  —  ein  idg.  *putni- :  scrt.  pdtni,  aw.  -pattni- 
Ehetran,  Herrin',  griech.  i  Horn.)  nörvia,  ein  ehrendes  Beiwort  für  Frauen, 
iTÖTVia  Mn,Tn,p  .Frau  Mutter',  auch  be'ffTroivct  vgl.  b€0"Tnvaq"  fovaiKaq  .  0ea- 
aaXoi  Hes.;  anders  jedoch  J.  Schmidt,  s.  u.  Frau).  Da  man  für  die  Urzeit 
unzweifelhaft  von  polygamischen  Verhältnissen  auszugehen  hat  |  s.  u.  P  o  I  y- 
gamie),  so  wird  *pötni-  ursprünglich  die  erste  oder  Lieblingsfrau  des 
Mannes,  die  in  Indien  beim  Opfer  allein  als  seine  Genossin  erscheint,  be- 
zeichnet haben,  ein  Begriff,  der  sonst  im  Sanskrit  durch  mdhishi  (die  ge- 
waltige') bezeichnet  wird.  Viel  verbreiteter  für  die  Benennung  der  Ehefrau 
ist  aber  die  Sippe  von  scrt.  jdni-,  -jdni-,  gnd'-,  aw.  ynd-,  jtni-,  armen. 
kin,  griech.  tuvtj,  ßavet  (vgl.  uväonai  .ich  beweibe  mich'  und  <i-|ivä-^ouq• 
rouq  ^ytövous  >von  demselben  Weibe'  lies.),  ir.  ben,  Gen.  mnd,  got. 
qinö  und  qenx,  altsl.  zena,  altpr.  genna,  die,  mag  sie  nun  mit  lat. 
gigno,  scrt.  jan  .gebären'  etc.,  was  wegen  der  Gutturalverhältnisse 
(g  :  g)  Schwierigkeiten  macht,  zu  verbinden  sein  oder  nicht,  doch  in 
jedem  Falle  die  Ehefrau  nach  ihrer  geschlechtlichen  Seite,  also  als 
,Weib'  schlechthin,  bezeichnet  (vgl.  noch  avr.Jaüi'  .Geschlecht',  lit.  gentis 
,Verwandter',  die  im  Anlaut  zu  griech.  yvvy\,  altsl.  zena  u.  s.  w.  stimmen, 
und  auch  schwer  von  lat.  gigno,  scrt.  jan  loszulösen  sein  dürften). 
Auf  vorhistorischen  Zusammenhang  dürfen  als  Namen  der  Ehefrau 
vielleicht  noch  Anspruch  erheben:  griech.  <5\oxoq  =  altsl.  sqlogü  ,con- 
sore  tori'  und  lat.  u.ror , Eheweib' :  lit.  mzicis  .Vater  des  Eheweibs'  (*6ksc-; 
vgl.  lat.  für  :  griech.  <pwp  ,Dieb').  —  In  den  Einzelsprachen  werden,  ab- 
gesehen von  den  schon  angeführten  Ausdrücken,  Ehemann  und  Ehefrau 
häutig  kurz  als  Mann  (s.  d.)  u.  Fran  (s.  d.)  bezeichnet,  wie  es  bei  ruvn, 
und  seiner  Sippe  sicher  schon  in  der  Urzeit  der  Fall  war.  Bemerkens- 
wertere Bezeichnungen  anderer  Art  vgl.  die  Sammlung  bei  Delbrück 
a.  a.  0.  S.  408 —  440)  sind  aus  dem  Sanskrit:  bhdrtar-  und  bhd'ryd  , Er- 
halter' und  ,zn  erhaltende'  (letzteres  im  Sinne  von  .Ehefrau'  früher  bezeugt 
als  ersteres),  ans  dem  Griechischen:  bä\iap  (Horn.,  irgendwie  zu  böuo<;, 

1  'i  *  # 


Digitized  by  Google 


156 


Ehe  —  Ehebruch. 


kaum:  scrt.  därd  ,Weib'  gehörig)  und  öap  (Houi.,  dunkel),  aus  dem  Latei- 
nischen: marita  ,die  mit  eiueni  mäs  versehene'  und  darnach  gebildet 
maritus,  mulier  (dunkel;  im  Plural  der  .Stand  der  Ehefrauen  ),  aus  dem 
Germanischen:  ahd.  hitco  , Gatte',  hiica  ,Gattin',  hiun  ,bcide  Gatten' 
(:  got.  heitca-  ,Haus',  also  eigentl.  .familiäres'),  agls.  auch  sin-hiwan  und  got. 
aba  , Ehemann'  (dunkel),  aus  dem  A 1  ba u es i scheu:  bür  desgl.  (dunkel), 
aus  dem  Litauischen:  möte  .Ehefrau'  (s.  u.  Mutter)  u.  a.  —  über  den 
Eingang  einer  Ehe  s.  u.  Brautkauf,  Heirat,  Raubehe,  über  die  Stellung 
des  Mannes  und  der  Frau  in  der  Ehe  s.  u.  Familie.  S.  auch  hin- 
sichtlich der  ältesten  ehelichen  Verhältnisse  die  Artikel:  Abtreibuug 
der  Leibesfrucht,  Adoption,  Alte  Leute,  Amme,  Äusserungs- 
recht, Beischläferin,  Ehebruch,  Ehelich  und  unehelich,  Ehe- 
scheidung, Erbtochter,  Frau,  Heiratsalter,  Junggeselle, 
Mann,  Mitgift,  Mutterrecht,  Polyandrie,  Polygamie,  Ver- 
wandtenehe, Witwe,  Zeugungshelfcr. 

Ehebruch.  Die  bezüglich  der  Reinhaltung  der  Ehe  in  der  älteren 
Zeit  herrschende  Anschauung  ist  die,  dass  dem  Ehemann  mit  Neben- 
frauen und  Kebsen  ein  uneingeschränkter  Geschlechtsverkehr  frei  steht, 
dass  hingegen  die  Ehefrau  an  die  strengste  eheliche  Treue  gebunden 
ist.  Bricht  sie  diese,  so  trifft  sie  zusammen  mit  dem  Ehebrecher,  wenn  er 
auf  frischer  That  ertappt  ward,  der  Tod.  Am  reinsten  ist  dieser 
Standpunkt  in  der  römischen  Rechtsauffassung  aufbewahrt,  über  die 
sich  Cato  bei  Gell.  X,  23  so  äussert:  In  adulterio  uxorem  tuam  si 
prehendissis,  sine  in  dich  impune  necares :  Hin  te,  si  adulterares  sice 
tu  adulterarere,  digito  non  änderet  contingere,  neque  jus  est.  Dazu 
vgl.  fr.  24  pr.  ad.  1.  Jul.  de  Adult  XL VIII,  5:  Marito  quoque  adulterum 
uxoris  sitae  occidere  permittitur  etc.  Ebenso  war  es  bei  einem  grossen 
Teil  der  alten  Germanen.  So  berichtet  Bonifatius  von  den  Sachsen 
(Monum.  Moguntinn  ed.  Phil.  Jaffe  S.  172):  Kam  in  antiqua  Saxonia, 
si  virgo  paternam  domum  cum  adulterio  maculacerit  vel  si  mulier 
maritata,  perdito  foedere  matrimonii,  adult erium  perpetraverit,  ali- 
quando  cogunt  eam,  proprio  manu  per  laqueum  suspensatn,  vitam 
finire;  et  super  bustum  illiux,  incense  et  concrematae,  corruptorem 
eitt8  suspendunt,  und  die  L.  Wisigoth.  (W.)  III,  4,  4  bestimmte:  67  ad- 
ulterum cum  adultera  maritus  vel  sponsus  occiderit,  pro  homicida  non 
teneatur.  Auch  nach  südslavischcm  Gewohnheitsrecht  darf  der  gekränkte 
Mann  den  Buhlen  und  die  Ehebrecherin  auf  der  Stelle  töten  (vgl.  Krauss 
Sitte  und  Brauch  der  Südsl.  S.  511,  566 1.  Das  Anrecht  des  Mannes 
hingegen  auf  unbehinderten  Geschlechtsgenuss  mit  anderen  Frauen  er- 
giebt  sich  aus  der  Abwesenheit  jeder  ihn  beschränkenden  Bestimmung 
und  aus  deu  thatsächlich  bestehenden  Gebräuchen  (s.  u.  Polygamie 
und  Beischläferin). 

Eine  Milderung  dieser  urzeitlichen  Anschauungen  trat  in  der  Weise 
ein,  dass  man  zwar  an  dein  Recht  der  Tötung  des  Buhlen  noch  fest- 


Digitized  by  Google 


Ehebruch. 


157 


hielt,  hingegen  das  Leben  der  Frau  zu  schonen  anfing,  indem  man 
sieb  damit  begnügte,  Uber  sie  den  moralischen  Tod,  die  Atimie,  zu 
verhangen.  So  ist  es  bei  Indern  nnd  Griechen.  Über  die  ersteren 
stehen  uns  ans  vedischer  Zeit  freilich  keine  sicheren  Nachrichten  zu 
Gebote.  Aber  noch  in  den  Rechtsbttchern  wird  der,  welcher  eines 
andern  Weib  entführt,  oder  der,  welcher  verbotenen  Umgang  mit  eines 
andern  Mannes  Weib  hat,  zu  den  „Angrcifeina,  bezw.  „Mördern"  ge- 
rechnet, deren  man  sich  durch  straflose  Tötung  erwehren  kann  (vgl. 
Leist  Altar.  Jus  gent.  S.  H01*>.  Die  Ehebrecherin  verstösst  mnn,  reicht 
ihr  nur  die  notdürftigste  Nahrung,  seheert  ihr  das  Haar,  kleidet  sie 
schlecht  nnd  hält  sie  zur  niedrigsten  Sklavenarbeit  an  (vgl.  Jolly  Über 
die  Stellung  der  Frauen  bei  den  alten  Indern  §  12,  Sitzungsb.  d.  phil.- 
hist.  Kl.  d.  Münchener  Ak.  1876).  Doch  kommt  auch  die  Todesstrafe 
der  Ehebrecherin  noch  vor  (Jolly  Recht  und  Sitte  S.  66).  Ebenso  war 
es  in  Griechenland.  Noch  das  athenische  Recht  der  späteren  Zeit 
bestimmte,  dass  man  den  Mann  straflos  töten  dürfe,  den  man  bei  seiner 
Frau,  bei  seiner  Mutter,  bei  seiner  Schwester,  »einer  Tochter  oder  auch  bei 
seiner  Kebse  (f]v  öv  ^tt'  £XeuG€poiq  Trmoiv  Z\r))  findet  (vgl.  Leist  Graeco- 
ital.  Rechtsgeschichte  S.  299).  Der  gekränkte  Mann  der  Ehefrau  fordert 
seine  tbva  (s.  u.  Braut  kauf)  zurück  (Od.  VIII,  318).  Die  Ehe- 
brecherin trifft  die  Atimie  (ctTiuuiv  rnv  Toiau-rnv  Yuvanca  Kai  töv  ßiov 
auTfj  dßiujTOv  Trapacnceuä&juv).  In  Kyme  in  Kleinasien  wurde  sie  auf 
einem  Stein  zur  Schau  gestellt  und  auf  einem  Esel  sitzend  durch 
die  Stadt  geführt  (vgl.  Hermann  Lehrbuch  der  grieeh.  Rechtsaltertttmer, 
dritte  Aufl.  von  Th.  Thalhcim  S.  18).  Ganz  ähnlich  wie  in  Indien 
und  Griechenland  war  die  Bestrafung  der  Ehebrecherin  auch  bei  den  Gc  r- 
manen,  welche  Taeitns  schildert:  Accisin  crinibux  (vgl.  oben  über 
die  Inder),  nudatam,  coram  propinquix  e.rpeUit  domo  maritus  ac  per 
omnem  vicum  rerbere  agit  (Germ.  Cap.  19).  Dazu  vgl.  Bonifatius 
a.  o.  a.  0.:  AUqnando,  congregato  e.cercitu  femineo,  fiagellatam  eam 
mulieres  per  pago.s  circumquaqne  d nennt,  virgis  cedentes  et  ce*ti- 
menta  eiwt  obscidentes  iu,rta  cingulum  etc. 

Eine  Milderung  des  Schicksals  des  Buhlen  stellt  es  dar,  wenn  in  ge- 
wissen Teilen  des  griechischen  Gebietes  dem  Ehebrecher  gesetzlich 
eine  Frist  gegeben  ist,  sich  durch  ebenfalls  gesetzlich  bestimmte  Privat- 
bnsse  von  der  Privatrache  des  betroffenen  Mannes  los  zu  kaufen.  In 
diesem  Sinne  bestimmte  das  gortynische  Recht:  „Wenn  er  mit  der 
Freiin  ehebrechend  gefasst  wird  in  Vaters  oder  in  Bruders  oder  in 

Mannes  Haus,  so  wird  er  100  Statereu  erlegen   Er  (der 

Geschädigte)  soll  aber  vorher  ankündigen  vor  3  Zeugen  den  Verwandten 
des  darin  Gefasstcn,  ihn  auszulösen  binnen  5  Tagen  ....  Wenn  er 
aber  sich  nicht  auslöst,  soll  es  bei  denen,  welche  fassten,  stehen,  mit 
ihm  zu  verfahren,  wie  sie  wollen"  (II,  21 — 35;  vgl.  dazu  Das  Recht 
von  Gortyn  von  F.  Bttcheler  nnd  E.  Zitelmann  S.  101  ff.).    Die  Frei- 


Digitized  by  Google 


158 


Ehebruch. 


hcit  des  Mannes  in  geschlechtlicher  Beziehung;  war,  soweit  er  nicht 
in  einen  fremden  Bezirk  einbrach,  in  Indien  und  Griechenland  ebenso 
wie  in  Rom  und  bei  den  Germanen  gewahrt.  Im  einzelnen  Fall  mochte 
natürlich  der  Einfluss  der  Ehefrau  dem  Manne  frühzeitig  Beschränkung 
auferlegen.  Ein  homerisches  Beispiel  dieser  Art  bietet  Laertes  (Od.  I, 
433),  der  den  Umgang  mit  Eurykleia  meidet,  weil  er  den  Zorn  der  Gattin 
fürchtet.  Andererseits  (z.  ß.  II.  V,  69  ff.)  werden  Frauen  gelobt,  weil 
sie  den  v60o<;  des  Mannes  wie  ihre  eigenen  Kinder  aufziehen. 

Die  grundsätzliche  Gleichstellung  des  Mannes  mit  der  Frau  aber 
findet  sich  erst  bei  christlichen  Schriftstellern  ausgesprochen  (vgl. 
darüber  Marquardt  Privatleben  der  Römer  S.  65.  Anm.  1). 

Eine  vorhistorische  Bezeichnung  des  Begriffes  ,Ehebruclf,  , Ehe- 
brecher' (auch  agis.  ceic-bryce)  etc.  bat  sich  bis  jetzt  nicht  nachweisen 
lassen.  Auch  wird  man  eine  solche  kaum  erwarten  können.  Wenn  es  richtig 
ist  (s.  u.  Ehe),  dass  ein  sprachlicher  Ausdruck  für  das  dauernde  eheliche 
Zusammenleben  von  Mann  und  Weib  in  der  Urzeit  nicht  bestand,  so  wird 
man  noch  weniger  annehmen  dürfen,  das»  eine  deutliche  Bezeichnung  für 
den  Einbruch  in  dieses  Verhältnis  vorhanden  war.  Die  einzelsprach- 
lichen Bezeichnungen  des  Ehebruchs  sind  aus  verschiedenen  Quellen 
hervorgegangen.  Im  Indischen  sagt  man  dafür  strisamgrahana-  ,Frauen- 
ergreifung".  Der  älteste  lateinische  Ausdruck  scheint  nach  der  griechischen 
Übersetzung  mit  <p9opct  o*umctToq  (bei  Dion.  II,  25)  etwa  violatio  corporis 
(vgl.  M.  Voigt  Leg.  Reg.  S.  570 3S)  gewesen  zu  sein.  Erst  später  löst  sich 
aus  dem  weiteren  Begriff  des  Jttuprum  das  adulterium  (entlehnt  ins  ir. 
adaltras,  Zenas  Gr.  C. 8  p.  787)  ab.  Ob  dieses  Wort,  wie  schon  die  Alten 
meinten,  wirklich  mit  alter  zusammenhängt  („sich  mit  einem  andern  ab- 
gebeua),  ist  sehr  zweifelhaft.  Natürlich  konnte  das  Wort  nach  den 
obigen  Angaben  nur  das  Vergehen  einer  Ehefrau  mit  einem  andern  Manne, 
nicht  aber  das  Vergehen  eines  Ehemannes  mit  einer  anderen  Frau,  die 
nicht  Ehefrau  war,  bezeichnen  (vgl.  auch  Rein  Criminalrecht  8.  836).  Im 
Griechischen  bedeutet  uotxö«;  (:  öjaixtu)  , harne',  sert.  mehati  ,mingit', 
,seiuen  effundit')  ganz  wie  im  Germanisehen  ahd.  huor,  altn.  hör  (vgl. 
got.  hörn  .MOtxöV,  ,TTÖpvos')  unterschiedslos  ,Ehcbrecher',  , Ehebruch'  wie 
auch  jede  andere  Art  ausserehelichen  Beischlafs.  Vgl.  noch  ahd.  ubar- 
ligida  ,adulterium',  ubarligan  ,stuprare',  agls.  forligex  , Ehebrecherin' : 
forlicgan,  eigentl.  ,die  sich  verliegt'.  Im  Slavischen  schafft  man  Bil- 
dungen von  ljubü  ,lieb'  :  altel.  ljuby  ,amor',  ,adulterium',  ,scortatio', 
oder  man  bedieut  sich  des  Stammes  smil-  (lit.  smailüs  ,geil')  :  altsl. 
smillnoje  ,adnlterium'  ete.  Im  Armenischen  bedeutet  tun  ,Hund'  und 
^Ehebrecher'  (mal  .ehebrechen'),  offenbar  weil  das  Tier  wie  im  Indischen 
für  den  Inbegriff  der  Schamlosigkeit  gilt. 

Nach  alledem  ist  es  wenig  wahrscheinlich,  dass  mau  schon  in  der 
Urzeit  den  Ehebruch,  etwa  wie  den  Diebstahl  (s.  d.),  als  eiu  deutlich 
von  anderen  feindlichen  Handlungen  unterschiedenes  Verbrechen  cm- 


Digitized  by  Google 


Ehebruch  —  Ehelich  und  unehelich. 


159 


pfiiudeii  habe.  Als  das  eigentlich  unrechte  bei  einem  Ehebruch  wird 
man  nicht  die  Ausübung  des  Heischlafs  mit  der  Ehefrau,  über  dessen 
Bedeutung  (s.  u.  Gastfreundschaft  u.  Zeugungshelfer ,  man  in 
der  Urzeit  andere  Vorstellungen  wie  heute  hatte,  aufgefasst  haben, 
sondern  den  Einbruch  in  ein  fremdes  Gebiet,  das  von  dem  Hausherrn 
nicht  gestattete  ..Ackern  auf  fremdem  Felde11.  Ebenso  wie  den 
Ehebrecher,  tötete  man  den  Buhlen,  den  man  bei  der  Schwester,  Tochter 
und  wohl  überhaupt  bei  einer  der  Frauen  der  Hausgemeinschaft  fand. 
8.  u.  Kecht  und  u.  Verbrechen. 

Ehehindernis,  s.  Verwandtenheirat. 

Ehelich  und  unehelich.  Ob  in  der  Urzeit  zwischen  den  vom 
Hausvater  t*poti  )  mit  der  Hauptfrau  (*potnl-)  und  den  Xebenfrauen 
{*geiui-,  *gna-)  gezeugten  Kindern  (s.  u.  Ehe)  Unterschiede  gemacht 
wurden,  lässt  sich  kaum  sagen.  Sicherlich  fehlt  jede  Spur  einer  ur- 
zeitlichen Terminologie  für  die  Begriffe,  welche  wir  heute  mit  ziemlich 
jungen  Ausdrücken  als  ehelich  und  unehelich  bezeichnen.  Es  scheint, 
dass  erst  mit  dem  Aufkommen  eines  Sklavcnstandcs,  das,  wie  u. 
Stände  gezeigt  ist,  chronologisch  in  die  frühesten  Epochen  der 
Einzel  Völker  fällt,  erst  mit  der  Zeit,  in  welcher  zahlreiche  Weiber 
nnterjochter  oder  sonst  unfrei  gewordener  Volksbestandteile  als  Skla- 
vinnen und  Beischläferinnen  (s.  d.)  in  den  Häusern  der  Indoger- 
manen  zu  leben  anfingen,  Unterscheidungen  wie  die  hier  in  Frage 
stehende  notwendig  wurden. 

Bei  den  Griechen  steht  sich,  von  Homer  an,  -p/riaio«;  und  VÖ605 
gegenüber.  Erstercs,  aus  *xvr|T-io-q :  sei  t,  jüäti- , Verwandter'  (vgl.  auch 
griech.  tviutös  (Blutsverwandter',  got.  knöpft,  ahd.  chnuot  ,Gcschlecht) 
bezeichnet  den  ,ini  Geschlecht  geborenen',  ganz  wie  der  eheliche 
Sohn  ahd.  adalerbo,  altn.  adalborinn  (vgl.  J.  Grimm  R.-A.  S.  475) : 
uilal  »Geschlecht'  heisst.  Auch  lat.  liberi  und  ahd.  kind  sind  von  Haus 
aus  nur  die  ehelichen,  d.  h.  eben  stammhaften  Kinder  <s.  näheres  n. 
Kind  und  u.  Stände).  Cber  kriech,  vöeoq  weiss  man  nur  soviel,  dass 
es  mit  dem  von  Hesych  bewahrten  vuöö?  ,heimlich"  zusammenhängt. 
Es  ist  der  heimlich  geborene  Sohn  ganz  wie  altn.  laun-barn  und  Imm- 
getinn  (a  ,secret,  sccretly  begotten  child  i.  Vgl.  auch  sert.  güdhaja- 
»heimlich  geboren'  (meist  von  ehebrecherischem  Umgang;  aurasa-  ,ehelich' 
von  üras-  ,Brnst'  .[eigner]  Leib';  in  der  vedischen  Sprache  scheint  von 
derartigen  Ausdrücken  nur  kunidri-putra-  ,Jungfraunsohn'  zu  begegnen). 

Reich  an  Bezeichnungen,  welche  dies  „heimlich"  geboren  oder  erzeugt 
werden  sinnlich  veranschaulichen,  sind  die  germanischen  Sprachen.  Am 
verbreitetsten  ist  altn.  homungr,  agls.  hornungmmu,  fries.  horning, 
nach  J.  Grimm  ,der  im  Horn  iangulus)  geborene',  , Winkelkind'.  Dazu 
altn.  bdtttinqr  ,im  Stalle  (fniss)  geboren',  hrimngr  ,im  Walde  geboren', 
mhd.  banchart  .Bankert'.  ,auf  der  Bank  gezeugt'.  Auch  das  über  die 
ganze  mittelalterliche  Welt  verbreitete,  halb  romanische,  halb  germa- 


Digitized  by  Google 


160 


Ehelich  uml  unehelich  —  Ehescheidung. 


nische  altfrz.  bmtard,  mhd.  bastart  scheint  einen  ähnlichen  Ursprung 
zu  haben  (vgl.  Kluge  Et.  W."  s.  v.).  Nicht  umschreibende  Bezeich- 
nungen sind  z.  B.  ahd.  lebhkind,  altn.  frillu-barn,  frillu-borinn  (:  fridla 
,amiea'),  py-barn,  py-borinn  (: py  ,Sklavin')  u.  a.  Vgl.  noch  agls.  döc 
,unehelicbes  Kind'  (dunkel).  Dabei  beachte  man  die  häufige  Verwen- 
dung des  Suffixes  {iiinga-  (auch  in  ahd.  huoriling,  Jcebütiling,  altn. 
skeptingr  u.  a.),  welches  sonst  der  Bezeichnung  der  Familienzugehörig- 
keit  dient  (vgl.  F.  Kluge  Stammbildungslehre2  S.  12),  und  also  darauf 
hinweist,  dass  die  Bastarde  mit  zu  der  Familie  gerechnet  wurden. 

Je  fester  bei  den  idg.  Völkern  Europas  sich  die  monogamische  Ehe 
setzte,  umso  mehr  musste  jedes  von  einem  Ehemann  nicht  mit  der  einen 
Ehefrau  erzeugte  Kind  als  unehelich  betrachtet  werden.  Hierbei  werden 
zahlreiche  rechtliche  nnd  sprachliche  Unterscheidungen  gemacht.  So 
unterscheidet  man  bei  den  Nordgermanen  zwischen  Kindern,  die  aus 
offenem  Konkubinat  mit  einer  Freien,  aus  heimlichem  Umgang  mit  einer 
Freien  und  aus  Beischlaf  mit  einer  Unfreien  hervorgegangen  sind  (vgl. 
Ainira  in  Pauls  Grundriss  II,  2,  S.  14l>i.  Im  Lateinischen  ist  tiothm 
(aus  griech.  vö6o?)  der  von  einem  gewissen  Vater  mit  einer  Bei- 
schläferin erzeugte,  spurius  (unerklärt;  ob  zu  dem  spät  bezeugten 
spurium  aus  griech.  tfTropd  »weibliches  Geschlechtsglied  ?i  der  von 
einem  ungewissen  Vater  mit  einer  Buhldirne  erzeugte  Sohn  u.  s.  w.  S. 
u.  Beischläferin. 

Ehelosigkeit,  s.  Junggeselle. 

Ehemann,  Ehefrau,  s.  Ehe,  Mann,  Frau. 

Ehepaar,  s.  Ehe. 

Ehescheidung.  Wo  die  Ehe  auf  dem  Kaufe  des  Weibes  beruht, 
pflegt  Ehescheidung  für  den  Mann  eine  Leichtigkeit,  für  die  Frau  eine 
Unmöglichkeit  zu  sein  (vgl.  E.  Grosse  Die  Formen  der  Familie  und 
der  Wirtschaft  S.  114  f.).  Ebenso  muss  es  bei  den  Indogerinanen,  bei 
denen  die  Sitte  des  ßrautkaufs  (s.  d.)  herrschte,  gewesen  sein,  und 
die  Spuren  dieses  einstigen  Znstandes  lassen  sich  bei  den  einzelnen 
Völkern  noch  mit  grosser  Deutlichkeit  nachweisen. 

Am  klarsten  liegen  die  Verhältnisse  in  den  germanischen  Volks- 
rechten (vgl.  Löning  Geschichte  des  deutschen  Kirchenrechts  II,  617  ff.). 
Die  Scheidung  der  Ehe  kann  hier  uur  vom  Manne  ausgehen.  Er  tötet 
oder  verstösst  die  im  Ehebruch  (s.d.)  ergriffene  Frau,  aber  er  kann 
sein  Weib  auch  ohne  Grund  entlassen,  nur  dass  er  dann  zu  einem 
Schadenersatz  verpflichtet  ist,  ursprünglich  aber  nicht  der  Fran,  sondern 
ihren  Verwandten  gegenüber.  Umgekehrt  kann  die  Ehe  unter  keinen  Um- 
ständen von  der  Frau  oder  deren  Verwandten  einseitig  gelöst  werden, 
auch  nicht  bei  Untreue,  Krankheit,  Impotenz  oder  Verweigerung  der 
ehelichen  Pflicht  von  Seite  des  Mannes.  Die  Lex.  Burg.  (W.)  XXXIV,  1 
bestimmte:  Si  qua  midier  maritum  sttum,  etti  legitime  iuneta  est,  di- 
miserit,  necetur  in  luto  (vgl.  auch  Weinhold  Deutsche  Frauen  II2,  43  ff.). 


Digitized  by  Google 


Khvscheidiihg. 


161 


Altgermanisehe  Ausdrucke  für  Scheidung  sind  got.  af statu*  , Abstand' 
oder  af satein*  ^Absetzung',  ahd.  danatrip,  sceitunga,  agls.  hiw-gedäl, 
eigentl.  .Eheteilung'  u.  a.  (vgl.  J.  Grimm  R.-A.  S.  453). 

Überaus  konform  sind  die  ältesten  römischen  Zustünde.  Über 
Romulus  berichtet  Plutarch  Cap.  22:  l8nK€  be  Kai  vöuou?  Tivdq,  u>v 
aepobpo?  uev  dativ  6  yuvoiki  an.  bibou?  dTroXei7T€iv  fivbpa,  yu- 
vaka  b€  biboüq  €KßaXetv  im  q>apuaK€ia,  tc'kvujv  P|  KXeibwv  ünoßoXrj 
(Interpunktion  nach  Ihcring  Vorgeschichte  der  Indoeuropäer  S.  420; 
anders  mit  den  meisten  M.  Voigt  a.  u.  a.  0.  S.  587  ff.)  Kai  uoixtuöeToav. 
cl  b' dXXw?  ti^  dTTOTT^MHiaixo,  jf\<;  ovaiaq  auToü  tö  pev  tf\$  -fovatKÖ? 
€?vai,  rd  b€  Tt\q  Armnipoq  \epöv  KcXeücuv  (vgl.  auch  Dion.  II,  25  und 
dazu  M.  Voigt  Leg.  Reg.  S.  580  ff.).  Es  ergiebt  sich  hieraus,  dass 
auch  im  ältesten  Rom  die  Frau  niemals  den  Mann  verlassen  durfte, 
hingegen  der  Mann  die  Frau  bei  schwerem  Vergehen  {wohl  nach 
Abhaltung  eines  iudicium  domesticum)  Verstössen,  sie  aber  auch  ohne 
Grund  entlassen  konnte,  in  welch  letzterem  Falle  er  freilich  —  und 
hier  zeigt  sich  das  römische  Recht  von  Anfang  an  frauenfreund- 
licher als  das  germanische  —  mit  seinem  ganzen  Vermögen  büsste. 
Als  Gründe  strafloser  oder  besser  bussloser  Verstossung  werden  in 
unserer  Stelle  geltend  gemacht  Ehebruch,  Versuch  des  Giftmords, 
Unterschiebung  von  Kindern  und  Schlüsseln*  (nach  Ihcring).  Was  das 
letztere  bedeuten  soll,  ist  nicht  ganz  klar;  doch  spielen  die  Schlüssel 
beim  altrömischen  divortium  (dem  ,sich  aus  einander  wenden';  älter 
wohl  repudium,  ursprünglich  nur  vom  Manne  gesagt)  auch  sonst  eine 
Rolle.  Claves  adimere  ist  ein  Ausdruck  der  XII  Tafeln  für  e.rigere, 
&cßaXetv  (vgl.  Schoell  S.  125),  ein  anderer  (nach  Büehelers  Vermutung 
in  Fleckeisens  Jahrb.  CV,  566):  haete  (,gehe')  foras,  midier,  beide  also 
nur  vom  Maune  in  Beziehung  auf  die  Frau  gebraucht.  Weiteres  s.  bei 
Marquardt  Privatleben  I,  67  f.  und  unten.  Beiläufig  sei  bemerkt,  dass  auch 
in  den  germanischen  Rechten  die  Rückgabe  oder  Wegnahme  der  Schlüssel 
als  Zeichen  der  Scheidung  gelten  (vgl.  H.  Brunner  Z.  d.  Savigny-Stiftuug 
Germ.  Abt.  XIX,  138  f..  Amira  in  Pauls  Grund riss  II,  2,  142). 

Milder  ist  der  Stand  der  Dinge  in  Athen  (vgl.  J.  Müller  Privataltcrt. 2 
S.  152).  Doch  ist  auch  hier  noch  die  Ehescheidung  (dTTÖTrcuHnq,  dtro- 
Xcujn;)  dem  Ehemann  ungleich  leichter  gemacht  als  der  Frau.  Der 
Mann  konnte  ohne  weiteres  die  Frau  Verstössen,  nur  niusste  er  die  Mitgift 
herausgeben  und  event.  für  den  Unterhalt  der  Verstossenen  sorgen. 
Die  Frau  hatte  hingegen  eine  wohl  begründete  schriftliche  Klage  bei 
dem  Archon  einzubringen.  Auch  nach  dem  gortyuischen  Recht  war 
eine  Scheidung  von  Seiten  der  Frau  möglich,  wie  schon  der  hier  ge- 
brauchte Ausdruck  biOKpiveöOai  ,sich  scheiden'  zeigt  (vgl.  Büchclcr  und 
Zitelmann  Das  Recht  v.  Gortyn  S.  118 47  ff.). 

Eine  wirkliche  Gleichstellung  des  Mannes  und  der  Frau  wurde 
erst  durch  das  spätere  römische  Recht  (vgl.  Löning  a.  a.  0.  S.  613  f.) 


Schräder,  Rcallexlkon. 


11 


Digitized  by  Google 


162 


Ehescheidung  —  Eibe. 


angebahnt ,  nach  dein  ausser  durch  gegenseitige  Übereinstimmung 
der  Ehegatten  die  Lösung  der  Ehe  möglich  war  „durch  einseitige 
Scheidung  aus  einem  rechtmässigen  Grunde,  der  in  einem  Vergehen 
des  andern  Ehegatten  bestand"  (Ehebruch  bleibt  indessen,  nur  wenn 
von  der  Frau  begangen,  Scheidungsgrund).  Von  hier  ans  hat  sich  diese 
Auffassung  allmählich  in  Europa  weiter  Bahn  gebrochen.  —  In  der  Ur- 
zeit war  demnach  die  Frau  mit  ehernen  Banden  an  den  Mann  gekettet, 
und  die  Vermutung  liegt  nahe,  dass  die  wiederholte  Anführung  von 
Giftmordversuchen  (<papuaKeia  s.  o.)  oder  anderen  Lebcnsnachstellungen 
seitens  der  Frau  als  rechtsgiltiger  Scheidungsgrund  für  den  Mann  in 
diesen  Verhältnissen  ihre  Ursachen  hat.  In  Rom  sollen  im  Jahre  329 
v.  Chr.  190  Matronen  ihre  Männer  vergiftet  haben  (Marquardt  S.  67 
a.  a.  0.),  auch  in  den  germanischen  Volksrechten  ist  oft  von  Nachstellung 
der  Frau  nach  dem  Leben  des  Mannes  die  Hede  (vgl.  Löning  a.  a.  O. 
S.  021),  und  wenn  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  19  von  den  Galliern  er- 
zählt, dass  wenn  ein  vornehmer  Familienvater  in  verdächtiger  Weise 
gestorben  sei,  gegen  seine  Weiber  wie  gegen  Sklavinnen  eine  Unter- 
suchung angestrengt  werde,  so  werden  auch  hier  ähnliche  Ursachen 
und  ähnliche  Wirkungen  vorliegen,  d.  h.  die  Unauflöslichkeit  ihrer 
Ehe  wird  der  Frau  oft  den  Giftbecher  für  den  Mann  in  die  Hand  ge- 
zwungen haben. 

Sehr  schwierig  ist  es,  sich  über  die  Ausübung  des  tyägä-  ,der  Ver- 
stossung  des  Weibes'  im  ältesten  Indien  ein  sicheres  Urteil  zu  bilden, 
wofür  auf  Jolly  Recht  und  Sitte  S.  04  ff.  verwiesen  sei.  Auch  reichen 
unsere  Nachrichten  über  die  alteuropäischen  Verhältnisse  aus,  um,  wie 
es  oben  geschehen  ist,  den  indogermanischen  Zustand  zu  rekonstruiren. 
Ein  fester  Terminus  für  die  in  der  Urzeit  demnach  allein  mögliche 
Verstossung  der  Frau  durch  den  Mann  wird  damals  noch  nicht  vor- 
handen gewesen  sein.  Die  gewöhnlichen  Ausdrücke  für  , verjagen'  n.  s.  w., 
vielleicht  Formeln,  wie  die  oben  genannte  altrömische:  „Weib,  gehe 
hinaus!'',  werden  hingereicht  haben,  um  den  natürlich  nur  die  Familie 
des  Verstosscnden  und  die  Sippe  der  Verstossenen  angehenden  Akt  zu 
bezeichnen.  Ein  noch  dunkler  altsl.  Ausdruck  für  die  verstosseue 
Gattin  ist  potlpega,  nur  dass  man  als  ersten  Bestandteil  das  idg.  Wort 
für  den  Ehemann  (,*;;o/i-,  8.  u.  Ehe)  vermuten  kann. 

Eheverbote,  s.  Verwandten  che. 

Ehrfurchtserwei.snng,  s.  Gruss. 

Elbe.  Die  europäische  Ostgrenze  von  Taxus  baccata  L.  ent- 
spricht im  grossen  und  ganzen  der  der  Buche  (s.  d.).  „Die  Grenz- 
linie ihrer  Verbreitung  verläuft  von  den  Alands-Inseln  durch  den 
westlichsten  Teil  Estlands  und  Livlands,  steil  nach  Süden,  ferner 
durch  das  Gouvernement  Grodno.  Wolhvnien.  Podolicn  und  Bessarabien(9). 
Jenseits  der  Steppe  wächst  sie  in  den  Gebirgen  der  Krim  und  des  Kau- 
kasus" (Köppen  Holzgewächse  II,  378).   Der  Baum  ist  wegen  der  vor- 


Digitized  by  Google 


Eibe  -  Eibisch. 


trefflichen  Beschaffenheit  seines  Holzes  für  Schnitz  werk  aller  Art  in 
Europa  sehr  frühzeitig  geschätzt  gewesen,  und  schon  in  den  Mitesten 
Pfahlhauten  der  Schweiz  wie  auch  in  denen  Österreichs  (vgl.  Much 
Kupferzeit*  S.  342)  haben  sich  Bogen,  Messer,  Kämme,  Fassungen  von 
Feuersteinsägeu  u.  s.  w.  aus  Eibenholz  gefunden.  Diese  Verwertung 
des  Baumes  spiegelt  sich  auch  in  der  Sprache  ab. 

Lateinisch  heisst  der  Baum  ta.rus,  das  sich  mit  dem  griech.  xö£ov 
, Bogen'  in  der  Weise  vereinigt,  dass  beide  zu  der  idg.  Wurzel  teks 
,kün$tlich  verfertigen'  gehören  i  griech.  t€ktu>v,  altsl.  tesati  ,hauen';  s. 
auch  u.  Dachs).  Die  Grundbedeutung  von  töEov  taxus  wäre  demnach 
etwa  ,Schnitzholz*.  Ebenso  bedeutet  altn.  yr  und  ir.  ibhar,  ibar,  jubar 
,Eibe'  und  .Bogen'.  Vgl.  noch  schwäb.  aip  , Armbrust*  und  nhd.  eiben- 
8chiitze.  Wie  ta.rttx  :  teks,  so  gehört  griech.  (J\\\\o<;,  ufto?  ,Taxus- 
baum'  mit  crimiXri  ,Schnitzmesser'  zu  einer  Wurzel  stnei  .künstlich  ver- 
fertigen' (nhd.  geschmeide,  schmieden). 

Auch  als  Gift  bäum  fand  die  Eibe  frtlh  Beachtung.  Vgl.  Caesar  De 
bell.  gall.  VI,  31 :  Catuvoleux,  re.r  dimidiae  partis  Ebu  ronum  (letzteres 
:  dem  oben  genannteu  ir.  ibharY)  ta.ro,  cuiux  magna  in  Oalli/t  Ger- 
maniaque  copia  est,  se  exanimarit. 

Die  Terminologie  der  Eibe  bietet  noch  manche  Dunkelheiten. 
Durch  ganz  Nordeuropa  zieht  sich  ein  gemeinsamer  Ausdruck,  der  im 
Osten  aber  in  andere  Bedeutungen  ausweicht  :  ir.  eo,  kymr.  yv,  korn. 
hicen,  hret.  ivin,  ahd.  iwa  neben  iha,  agls.  iw  neben  eoh  —  mlat.  ivus, 
frz.  if  —  altpr.  invis  ,Eibe',  lit.  jewä  , Faulbaum',  slav.  im  ,Weide'. 
»So  viel  man  bis  jetzt  sehen  kann,  scheint  die  Sippe  im  Germanischen 
zu  wurzeln  (ahd.  iha,  Schweiz,  ige,  alts.  ich,  agls.  eoh  im  grammatischen 
Wechsel  zu  agls.  iw,  ahd.  iwa,  *t qo-  :  *iqö-).  Dann  aber  mtlsste  das 
keltische  uud  slavischc  Wort  aus  dein  Deutschen  stammen,  was  auch 
seltsam  wäre.  Merkwürdig  ist  ferner,  dass  das  Slavischc,  obgleich  es 
nur  teil  weis  (s.  o.)  in  das  Verbreitungsgebiet  der  Eibe  fällt,  doch  einen 
gemeinsamen  Namen  des  Baumes,  tisü,  aufweist.  Dieser  kann  seines 
Vokales  wegen  nicht  mit  lat.  tn.cus  zusammenhängen,  vielleicht  liegt  er 
aber  dem  ahd.  dihxala,  lat.  temo  {Heicsmo-)  , Deichsel'  zu  Grunde, 
wenn  man  die  Deichsel  (s.  d.)  als  aus  Eibenholz  gefertigt  auffasst.  Lit. 
iglius  ,Eibe'  :  altsl.  jel.d)la  ,Tanne'.    S.  u.  Wald,  Waldbäume. 

Eiblsfh  (Althaea  officinalh  L.).  Die  Pflanze  war  ein  schon  im 
Altertum  hochgeschätztes  Heilkraut,  daher  von  Theophrast  an  (uebcu 
uotXäxn  ärrpia)  äX8aia  :  äXGiu,  äXGcuvuj  ,hcile'  genannt.  Später  tritt 
das  griech.-lat.  X§\OKO$-hibiscum  (dunklen  Ursprungs)  auf,  das  zugleich 
wohl  mit  der  Verwendung  der  Pflanze  ins  Deutsche  (ahd.  ibisca,  mhd. 
tbische  ,Eibi8ch')  überging.  Die  romanischen  Sprachen  bedienen  sich 
einer  Znsammensetzung  von  malva  und  ibiscum  :  it.  malva-vischio, 
frz.  guimauve  =  *ivimauve  etc.  In  diesen  Kreis  gehört  auch  das 
< wohl  verschriebene)  mismalvas  des  Capitulare  LXX,50.  Ebenso  benennen 


Digitized  by  Google 


164 


Eiche  —  Eichhorn. 


die  Slaven  die  Pflanze  meistenteils  nach  der  Malve  (tslezü),  wie  man 
auch  im  Deutschen  weiszpapel  und  grote  pepele  (».  u.  Malve;  sagt. 
Der  Eibisch  soll  iu  ganz  Europa  mit  Ausnahme  des  Ostens  und  Nordens 
vorkommen  (vgl.  v.  Fischer-Benzou  Altd.  Gartenfl.  S.  63).  -  Andere  Heil- 
pflanzen 8.  u.  Arzt. 

Eiche.  Für  die  Gattung  Quercus  giebt  es  drei  Reihen  sprach- 
licher Übereinstimmungen,  die  sich  sämtlich  auf  Europa  beschränken. 
Erstens:  lat.  quercus  =  ahd.  forha  urspr.  ,Eichc'  (vgl.  ahd.  vereh- 
eih,  longob.  fereha),  dann  ,Föbrc\  Mit  ahd.  forha  hängt  ferner  got. 
falrguni  »Gebirge'  zusammen,  cigcntl.  ,Eicbwald'  (ahd.  Virgunnüi,  der 
Virgunt,  die  Böhmen  umfassenden  Gebirge*,  und,  wenn  lat.  querem 
mit  H.  Hirt  I.  F.  I,  479  f.  als  aus  *perqu  (vgl.  lat.  quinque  :  griech. 
tt€vt€,  sert.  ptiilca)  entstanden  anzusehen  ist,  auch  die  Hercynia  silca 
der  Alten  (urspr.  die  Alpen,  incl.  des  deutschen  Mittelgebirges,  dann, 
als  seit  Herodot  für  erstere  die  Bezeichnung  Alpe«  sich  ausbreitet, 
Schwarzwald,  Odenwald,  Spessart,  Thüringer-,  Frankenwald  u.  8.  w., 
keltisch  Hercynia  aus  *perqunia\  anders  R.  Much  Festschr.  f.  Heinzel 
S.  205  ff.).  Über  lit.  Perkünas  und  sert.  Parjdnya,  die  nach  Hirt  a.  a.  0. 
,Eichcngott'  bedeuten  würden,  s.  u.  Gewitter  und  Religion.  Zweitens 
(für  die  Frucht  der  Eiche,  die  Eichel):  griech.  ßdXavo?  =  lat.  glam, 
altsl.  ieladi  (armen,  kaiin  ,Eichel',  kalni  ,Eiche').  Drittens:  ahd.  eih 
(auf  Island  ,Baum')  =  griech.  alriXunii  ,species  roboris',  cuYavdn.  ,der 
(eichene)  Speer',  alyi?  ,der  (eichene)  Schild  des  Juppiter',  lat.  aesculus 
aus  *aeg-8culus. 

Eine  vierte  ausserordentlich  weit  verbreitete  Sippe  geht  zwar  über 
die  Grenzen  Europas  hinaus;  doch  lässt  sich  kaum  mit  Sicherheit  ent- 
scheiden, welche  der  drei  in  ihr  wiederkehrenden  Bedeutungen  ,Baum', 
,Eiche',  ,Fichte',  die  ursprüngliche  ist:  sert.  aw.  dru-  ,Baum',  altsl. 
drüvo  ,Holz',  alb.  dru  ,Holz,  Baum',  griech.  opü?  ,Eiche'  (ahd.  trog 
,hölzerucs  Gefäss')  —  altsl.  drevo  (*derto-)  ,Holz',  got.  tritt  {*drevo-) 
,Baum',  lit.  derwä  ,Kieuholz',  mhd.  zirbe,  zirbel  ,Zirbelfichte',  altn.  tyrr 
, Föhre'  (ndl.  teer,  altn.  tjara)  —  sert.  dä'ru-  ,Holz',  deca-däru-  ,Fichte', 
aw.  däuru-  ,Holz'  (griech.  böpu  ,Speer'),  Auupiq  ,Holzlaud',  maked. 
bdpuXXo?  ,Eiche',  ir.  dairy  daur  ,Eiche',  lat.  larLr  {*darix)  ,Lärchef. 

Im  Slavischen  heisst  die  Eiche  dabü  =  ahd.  zimbar  ,BauhoIz\  Lat. 
röbur  und  lit.  duhtlas  sind  dunkel.  Griech.  <pr|TÖ?  s.  u.  Buche.  — 
S.  auch  u.  Wald,  Wald  bäume.  Über  die  Eiche  im  Kultus  s.  u.  Tempel. 
Eichelnahrung,  8.  Obstbau  und  Baumzucht. 
Eichhorn.  Das  Tierchen  wird  früher  in  der  lateinischen  Ent- 
lehnung seiürus  (Varro)  als  in  dem  griech.  Original  OKioupoq  (Oppian) 
genannt.    Die  Stelle  bei  Oppian  Cyn.  II,  586  lautet: 

X€ITTU)  KOtl  Xdt0"lOV  T^VO?  OUTlbaVOlO  0*K10ÜpOU, 

ö<;  (Set  vu  toi  Oc'pous  ucadTOii  <pXoY€prjcn  Iv  äipai? 
oüpn.v  dvT€'XX€i  Ok£tt<x<;  auiopöqpoio  ^Xdepou. 


Digitized  by  Google 


Eichhorn  —  Kid. 


165 


Wie  aus  diesen  Versen  hervorgeht,  deuteten  die  Alten  ihr  aicioupos 
als  das  Tier,  das  sich  mit  dem  Schwanz  (oüpä)  Schatten  (tfKiä)  zuwedelt; 
doch  liegen  diese  Bestandteile  kaum  von  Hans  aus  in  dein  Wort,  das 
vielleicht  aus  einem  dem  ahd.  .setri  ,schneH'  entsprechenden  griech.  Wort 
volksetyniologisch  verstümmelt  ist.  Auch  die  germanischen  Ausdrücke 
ahd.  eihhorn,  agls.  deweorna,  altn.  ikome  (aber  eik  , Eiche')  haben  wohl 
von  Haus  aus  nichts  mit  eiche  —  der  gewöhnliche  Aufenthalt  des  Tieres 
sind  vielmehr  Nadelwälder  —  und  sicher  nichts  mit  hörn  zu  thun. 
Wir  haben  wohl  eine  Diminutivbilduug,  vielleicht  von  einem  einfachen 
Adjektiv  wie  *aikva-,  *ikva-  (:  sert.  t'j  ,sich  bewegen')  mit  der  Bedeu- 
tung schnell',  .behend'  vor  uns  (anders  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altert. 
XLII,  166;  vgl.  auch  H.  Palander  Die  ahd.  Tiernamen  S.  66). 

Slavisch  heisst  das  Tier  altsl.  veterica  (altpr.  iceware,  lit.  wowert). 
Hieraus  wird,  als  auf  den  Wegen  des  Pelzhandels  entlehnt,  lat.  viverra 
, Frettchen'  erklärt,  das  einmal  bei  Plinius  vorkommt.  Vielleicht  erweist 
sich  das  slavische  Wort  durch  Vergleichung  mit  den  keltischen  ir. 
feoragh  »Eichhörnchen',  kymr.  gveywer,  bret.  gwiber  (^vecer-)  id.  als 
vorhistorisch.    Vgl.  noch  slav.  belka  :  belü  ,wci8s\ 

Im  äussersten  Nord- Osten  Europas  gilt  das  Fell  des  Eichhörnchens 
als  Geld  oder  Tauschmittel.  Russ.  belka  ist  eine  Art  alter  Münze, 
in  mehreren  ural-altaisehen  Sprachen  werden  die  russischen  Kopeken 
mit  Namen  des  Eichhörnchens  benannt.  Im  Wogulischen  heisst  der 
Rubel  set-Hn  =  100  Eichhörnchen.  Schliesslich  ist  auf  russ.  vekm 
jEichhörnchen'  zu  verweisen,  das  ebenfalls  in»  Altrussisehen  eine  Art 
Tauschmittel  bezeichnet  und  für  orientalischen  Ursprungs  gehalten  wird 
(vgl.  Miklosich  Et.  W.).    S.  u.  Geld. 

Eid.  Die  Bekanntschaft  der  Indogermancn  mit  diesem  für  die 
Religions-  und  Rechtsgeschichte  gleich  wichtigen  Begriff  wird  durch 
die  Gleichung  sert.  am  (vgl.  Aufrecht  Rhein.  Mus.  XL,  160)  = 
griech.  öjivuui,  ital.  omn-  (osk.  urtam  lüsd  paam  omhnfajvt  quasi  pro- 
raissum  solvit,  quod  voverat,  pälign.  omnitu  ecue  elusuist  votum  hoc 
«olutum  est  iussu  Uraniae;  vgl.  Büchclcr  Lex.  lt.  XVIII)  erwiesen. 
Hierzn  treten  ergänzend  die  slavisch-armenische  Reihe  :  altsl.  rota  ,Eid' 
=  armen,  erdnum  ,schwöre'  (osset.  ard  ,Eid')  und  die  keltisch-germa- 
nische: ir.  öeth  =  gemeingerm.  got.  aips.  Auch  aus  gemciukelt.  ir.  luige 
,Eid'  :  got.  liugan  »heiraten'  (vgl.  ahd.  eidum  ,Schwiegersohn'  :  ahd. 
eid)  scheint  sich  eine  alte  Bezeichnung  unseres  Begriffes  folgern  zu 
lassen.  Die  Wurzelbedeutung  aller  dieser  Wörter  ist  noch  nicht  sicher 
ermittelt  (zu  ir.  öeth,  got.  aips  vgl.  Osthoff  B.  B.  XXIV,  199\ 

Deutlicher  legt  das  Ei nzclspr achliche  von  der  Natur  des  ältesten 
Eides  Zeugnis  ab. 

Schwören  ist  zunächst  soviel  wie  fluchen,  sich  verfluchen  für  den 
Fall,  dass  man  die  Unwahrheit  sagen  oder  etwas  Versprochenes  nicht 
thun  sollte.  Dies  zeigen  sert.  capdtha-,  cäpana-,  $aptd~ , Fluch,  Schwur' : 


Digitized  by  Google 


Wi  Eid. 

sert.  $ap  ,fluchen',  Med.  ,sicb  fluchen',  ,scbwören'  und  altsl.  Jcl^ti,  altpr. 
llantit  ,fluchen',  altsl.  Mqti  schwören'  (vgl.  auch  lat.  ea-aecrari  : 
sacramentum,  engl,  oath  ,Schwur\  ,Fluch',  steear  ,fluchen,  schwören'; 
weiteres  bei  Osthoff  a.  a.  0.).  Diese  Selbstverwünschuug  wird  mit 
feierlicher  und  pathetischer  Stimme  ganz  wie  ein  Zauberspmch  (s.  u. 
Dichtkunst,  Dichter)  vorgetragen.  Hiervon  scheint  die  gemein- 
germ.  Sippe  von  got.  atearan,  sicör  ,schwörcn'  hergenommen  zu  sein, 
deren  Grundbedeutung  (vgl.  auch  altn.  scara  »antworten',  agls.  and- 
sicaru  , Antwort')  wohl  war  ,mit  lauter,  halbsingender  Stimme  etwas 
äussern".  Etymologisch  vergleicht  sich  sert.  svdra-,  tsvdrä-  »Ton,  Schall, 
Stimme'  und  urkelt.  *xuerö  ,singe'  (ir.  »ibrase  gl.  modulabor,  sirecht 
,Melodie',  auch  lat.  *u*urru*\  vgl.  Stokes  ürkelt.  Sprachschatz  S.  323). 
Dabei  ist  es  wesentlich,  dass  man  einen  Gegenstand  berührt,  der 
einem  im  Falle  des  Trugs  Verderben  bringen  oder  Verderben  leiden 
soll  (s.  u.).  Schwören  ist  daher  auch  soviel  wie  berühren,  wie  ir.  tong, 
kymr.  tyngu  ,schwörc'  :  lat.  tango  und  altsl.  prisqga  .Eid',  prisqgati 
,schwören'  :  pris^gnqti  , berühren'  (vgl.  Miklosich  Denkschr.  d.  Wiener 
Ak.  phil.-hist.  Kl.  XXIV,  44)  zeigen.  Auf  die  Bedeutung  des  Eides 
als  eines  Rechtsmittels  weist  lat.  iiirare,  iiiramentum,  ius  iürandum 
:  ins  hin  :>.  u.  Recht),  und  auch  schwed.  lag  ,Gesetz'  kann  schlechthin  für 
,Eid"  gebraucht  werden.  Noch  keine  sichere  Erklärung  hat  das  griech. 
ÖpKoq  ,Eid'  gefunden.  Es  bezeichnet  zunächst  den  Gegenstand,  bei 
dem  man  schwört  (Xtuyös  übwp  öo"T€  mc'tkJto?  öpKO?  TTAei),  und  ist 
vielleicht  ebenfalls  mit  dem  oben  genannten  sert.  sear  ,töncn,  besingen' 
(cFop-KO-?)  zu  verbinden,  während  es  andere  mit  £pKoq  vereinigen  uud 
als  »Schränke*  deuten  möchten,  „durch  die  man  gehalten  sei,  etwas  zu 
thun".  Für  die  letztere  Auffassung  könnte  man  sich  auf  alb.  be  .Eid* 
=  altsl.  beda  ,Not.  Zwang'  berufen. 

Wenden  wir  uns  zu  den  historischen  Nachrichten,  so  ist  der  ger- 
manische Eid  auf  einer  sehr  primitiven  Stufe  stehen  geblieben,  wenn 
derselbe  von  Amira  in  Pauls  Grundriss  II,  2,  193  richtig  charakterisiert 
wird:  „Der  Eid  ist  Gewährleistung  für  die  Verlässigkeit  des  eigenen  Wortes 
durch  Einsatz  eines  Gutes  für  dessen  Wahrheit.  Diese  Gewährleistung 
geschieht  durch  formelhaftes,  ursprünglich  zauberisches  Reden,  das 
„Schwören".  Dass  dabei  die  Gottheit  angerufen  („beschworen")  werde, 
ist  dem  heidnischen  Eide  nicht  wesentlich.  Es  geschieht  nur  dann,  weun 
der  Verlust  des  eingesetzten  Gutes  bei  „Meineid"  gerade  durch  die 
Gottheit  bewirkt  werden  soll.  Auch  in  diesem  Falle  ist  aber  dem  Heidentum 
die  Vorstellung  fremd,  dass  die  Gottheit  als  Schützerin  der  Wahrheit  den 
falschen  Eid  bestrafen  werde.  Man  pflegte  ebenso  wie  eine  Gottheit, 
und  öfter  noch,  Sachen  zu  „beschwören",  z.  Ii.  die  eigenen  Waffen, 
das  eigene  Schiff,  das  eigene  Ross.  Dort  wie  hier  soll  das  Leben  des 
Schwörenden  eingesetzt  sein,  dort  die  Gottheit,  hier  die  Waffe,  das 
Schiff,  das  Ross  ihm  den  Tod  bringen,  wenn  der  Eid  falsch  ist."  Vgl. 


Digitized  by  Google 


Eid. 


167 


näheres  bei  Vigfnsson  Corpus  Poetieum  Boreale  I,  422  ff.  Als  Beispiel 
eines  altgermanisehen  Eides  sei  der  in  der  Völundarkvipa  von  Völund 
(Wieland)  geforderte  angeführt: 

„Erst  sollst  Du  mir  alle  Eide  schwören 
bei  des  Schiffes  Bord  und  des  Schildes  Rand, 
bei  der  Schneide  des  Schwerts  und  dem  Schenkel  des  Rosses, 
dass  du  Völunds  Gattin  nicht  Weh  bereitest  (Gering). 
Auch  den  indischen  Eid  behandelt  Oldenberg  Die  Religion  des 
Veda  S.  ;>20  mehr  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Zauberei  als  unter 
dem  der  Religion:  „Der  Eid  ist  ein  Fluch,  den  man  gegen  sich  selbst 
richtet,  sofern  man  sein  Wort  brechen  wird  oder  sofern  man  die  Un- 
wahrheit gesagt  hat.  Man  setzt  sein  Leben,  der  Seinigen  Leben,  seine 
Lebensgüter  im  Diesseits  und  Jenseits  —  eventuell  auch  irgend  welche 
bestimmte  unter  diesen  Gütern  —  für  die  Wahrheit  seines  Wortes  ein; 
mit  der  Formel,  welche  das  Unglück  auf  die  eigene  Person  herabruft, 
können  sich  Geberden  oder  symbolische  Akte  verbinden,  in  welchen 
eich  ein  die  feindlichen  Mächte  herbeiziehender  Zauber  darstellt." 
Unter  diesen  tritt  besonders  der  Gestus  des  sich  selbst  Berührens 
hervor,  durch  den  die  bösen  Mächte  auf  das  Haupt  des  Schwörenden 
gelenkt  werden  sollen.  Nach  der  späteren  Littcratur  soll  der  Kshatriya 
bei  seinem  Wagen,  seinem  Reiltier,  seinen  Waffen  schwören.  Dabei 
soll  er  diese  Dinge  berühren  und  sagen:  „Mögen  sie  für  mich  nutzlos 
werden".  Nur  der  Brahmane  soll  bei  der  Wahrheit  (mtydm)  den  Eid 
leisten,  worin  Oldenberg  a.  a.  Ü.  S.  Ö2U6  mit  Recht  „eine  relativ 
moderne  Vergeistignng  des  Eides"  erblickt.  Als  Zeuge  wird  zwar  schon 
in  einem  alten  vedischen  Vers  der  Gott  Varuna  angerufen:  aber  diese 
Anteilnahme  der  Himmlischen  ist  doch  weit  davon  entfernt,  einen 
wesentlichen  Bestandteil  des  altindischen  Eides  auszumachen. 

Anders  bei  Griechen  und  Römern,  deren  Eide  schon  in  der  ältesten 
historischen  Zeit  eine  geläuterte  Gestalt  zeigen.  Bei  beiden  Völkern 
müssen  die  Götter  angerufen  werden,  sowohl  um  als  Zeugen  des  aus- 
gestossenen  Fluches  gegenwärtig  zu  sein,  als  auch,  um  ihn  im  Falle  des 
Meineids  zn  vollstrecken.   So  schwört  man  bei  Homer  z.  B.  II.  XIX,  258: 

ujtu»  vOv  Zeu;  rrpurra,  Scdiv  imaToq  Kai  äpio"roq, 

Vf\  tc  Kai  'HAio^  Kai  'Epivucs,  a't'8'  Otto  fdxav 

dv6pujTrou?  Tivimai,  önq  K^mopKov  ö\iooar). 

€i  bi  ti  xdivb'  dmopKov,  ^uoi  9c oi  fiXf€a  boicv 
TToXXa  udX',  ö<xaa  biboüffiv  öti?  o*<p'  äXmyrai  öuöaaa?, 

oder  II.  III,  276,  wo  Agamemnon  sagt: 

Zeu  TTöVrep,  "IbnGcv  M€Öewv,  KÜbiCic,  ucfiöie, 
'HcXiöq  6',       irdvr  ^qpopdq  Kai  Ttavt*  ^ttokouci^, 
Kai  TTotapoi  Kai  Tala,  Kai  oi  uTre'vcpOe  KauövTa^ 
dvOputmous  tivuo"0ov,  öti^  K^mopKOv  dpöo*o*rj, 

Üp€l?  UÖpTUpOl  &JT€,  (pu\da0*£T€  b'  ÖpKia  TTKJTd, 

•  Digitized  by  Google 


168 


Eid. 


und  die  Achaeer  im  Hiublick  auf  den  beim  Eidopfer  ausgegossenen 
Wein  hinzufügen: 

Zeö  Kubicrre  u£tio-t€,  Koü  dedvaTot  Geoi  dXXoi, 

ÖTTTTÖTepot  irpötepoi  ünep  öpKia  rnmnveiav, 

iLbe*  o"q>'  dtK^cpaXoq  xaMO°l?  0€ot  uu?  öbe  olvoq, 

auTÜ»v  Kai  TeKe'uuv,  äXoxoi  b'  äXXouJi  bapeiev. 
Auch  Berührungen  seitens  der  Schwörenden  sind  bei  den  Griechen 
von  Homer  an  ganz  gewöhnlich.  So  soll  II.  XXIII,  580  ff.  Archilochos 
dem  Mcnclaos  schwören,  dass  er  ihn  beim  Wagenrcnneu  niciit  vor- 
sätzlich übervorteilt  habe.  Er  soll  dabei  vor  sein  Gespann  treten,  die 
Peitsche  in  die  Hand  nehmen,  die  Pferde  berühren  und  bei  Poseidon 
den  Eid  leisten.  Der  zu  Grunde  liegende  Gedanke  ist  gewiss  auch 
hier,  dass  im  Falle  des  Meineids  Unheil  auf  die  Häupter  der  Pferde 
herabgeleitet  werden  soll,  oder  dass  sie  ihrem  Besitzer  Verderben  bringen 
mögen.  Auch  bei  seinen  Waffen,  seiner  Lanze,  seinem  Schwert  schwört 
der  griechische  Held  wie  der  germanische  und  indische  und  in  dem 
gleichen  Sinne  (vgl.  Sittl  Gebärden  der  Griechen  und  Römer  S.  139*).  — 
Nicht  weniger  wird  in  den  alt-römischen  Eidesfonuulierungen 
Jupiter  ständig  als  Zeuge  und  Vollstrecker  der  von  den  Göttern  ver- 
hängten Strafe  des  Eidbruches  herbeigerufen.  Vgl.  z.  B.  Liv.  I,  24,  8: 
Jitppiter  popuhim  Romanum  sie  ferito,  ut  ego  hunc  porcum  hic 
hodie  feriain  tantoque  magix  ferito,  quanto  magis  pote*  pollesque. 
Indessen  ist  gerade  auf  römischem  Boden  eine  weitaus  ältere  Eides- 
formel bezeugt.  Aus  Anlass  der  Handelsverträge  zwischen  Karthagern 
und  Kömern  teilt  Polybius  III.  25,  6  ff.  (vgl.  dazu  C.  Wunderer  Philo- 
logus  N.  F.  X,  1^0  ff.)  die  Eide  mit,  welche  dabei  gesprochen  wurden: 
Töv  be  öpKov  öuvueiv  e*bei  toioötov,  Kapxnbovious  uev  tou<;  6eouq  tou$ 
iraTpujous,  'Pwuaiouq  be  im  uev  tujv  TTpamnv  öuvenKiwv  biä  Xi9ujv 
(so  die  besten  Handschriften)  Kard  n  TraXaiöv  iQoq,  im  be  toutujv 
töv  vApnv  Kai  'EvudXtov.  fern  be  tö  bid  Xi6u>v  toioötov  Xaßibv  elq 
Tf)v  X€'Pa  Xi6ov  6  TTOioüuevos  Td  öpKia  irepi  tujv  o*uv6r|Ka»vt  direibdv 
ö|aöo"»i  bripoo'ia  matei,  Xerei  Tabe  ■  eöopKOÖvri  uev  uot  ein,  t'  draSd  *  el 
b'  dXXw^  biavor|8eir|v  ti  f|  npdEaiui,  rrdvTiuv  tujv  äXXwv  o'wZoue'vuiv  e*v 
Tai^  ibiai?  iraTpiöiv,  iv  toi?  ibioi£  vöuoi«;,  im  tüüv  ibiwv  ßiiuv,  Upwv, 
Tdcpuuv,  etuj  udvo?  dKrre'aoiui  oütu)?  öbe  Xiöo?  vuv.  Kai 
Tauf  eirtduv  ^iuTei  töv  X(6ov  eK  th?  xopö?.  Es  werden  hier  also 
aufs  deutlichste  zwei  römische  Eidesformeln  unterschieden,  eine  jüngere 
m  i  t  Anrufung  der  Götter  (des  Mars  und  Quirinus)  und  eine  ältere, 
ohne  solche,  tö  bid  Xi9ujv  genannt.  Der  Schwörende  nimmt  einen 
Stein  in  die  Hand  und  erklärt,  er  wolle  so  wie  dieser  Stein  fortge- 
schleudert werden  (e"KTreo"oiui),  wenn  er  sein  Wort  breche,  d.  h.  er  ruft 
im  Falle  seines  Meineides  das  schwerste  Geschick,  welches  jemanden 
in  alten  Zeiten  treffen  kann,  auf  sich  herab,  die  Ausstossung  aus  dem 
Stamm  ts.  u.  Strafe).  Noch  nicht  völlig  aufgeklärt  ist  der  Zusammen- 


Digitized  by  Google 


Eid  —  Eidechse. 


109 


hang,  in  dem  diese  letztere  Art  des  Schwüre»  mit  der  von  Cicero  an 
bezeugten  Wendung  Iocem  lapidem  iurare  (vgl.  Wunderer  a.  a.  0.) 
steht.  Charakteristisch  bleibt  jedenfalls  für  die  von  Polybius  über- 
lieferte Eidesformel  biet  XiGurv,  dass  „hier  der  Gedanke,  der  Meineidige 
werde  von  Zeuss  getroffen,  noch  ganz  fehlt".  —  So  ergiebt  sich  der 
älteste  Eid  auf  idg.  Boden  als  ein  Fluch,  den  man  für  den  Fall  des 
Meineides  gegen  sich  selbst  ausspricht,  als  ein  Zauber,  den  man  gegen 
sich  selbst  herbeiruft.  Man  berührt  dabei  sieh  selber  oder  einen  anderen 
Gegenstand  in  dem  Gedanken,  dass  das  Berührte,  wenn  man  falsch 
schwöre,  dem  Verderben  ausgesetzt  sein  oder  Verderben  bringen  solle. 
Auch  andere  symbolische  Handlungen  dieser  Art  (Steinwurf,  Tötung 
eines  Opfertieres,  Trankausgiessung)  nimmt  man  dabei  vor.  Die  Götter 
aber  ruft  man  noch  nicht  als  Zeugen  oder  Vollstrecker  des 
Eides  an,  ans  dem  einfachen  Grunde,  weil  man  sie  noch  nicht  als 
ethische  Persönlichkeiten  und  vor  allem  noch  nicht  als  Hüter  ewiger 
Wahrheit  kennt  (s.  u.  Religion). 

Der  Eid  tritt,  wie  aus  dem  obigen  hervorgeht,  bei  den  idg.  Völkern  vor- 
nehmlich bei  Vertragsabschlüssen  mit  anderen  Völkern  und  Stämmen 
hervor.  Dies  gilt  auch  von  den  Slaven,  bei  denen  schon  in  dem  Ver- 
trag des  Oleg  vom  Jahre  911  zwischen  Griechen  und  Russen  bestimmt 
wird,  dass  jeder  nach  seinem  Glauben  schwören  solle  (vgl.  Ewers  Das 
älteste  Recht  der  Russen  S.  132).  Auch  als  juristisches  Beweismittel 
wird  der  Eid  früh  benutzt  worden  sein.  Als  solches  schreibt  ihn 
bereits  das  Gesetzbuch  des  Manu  (  VIII,  109  f.  cd.  Bühler)  vor:  nIf 
two  {parties)  dispute  about  matters  for  tthich  wo  witnesses  are  acai- 
lable,  and  the  \judge\  is  u nable  to  really  asce.rtain  the  truth,  he 
may  cause  it  to  be  dhcocered  even  by  an  oath.  Both  by  the  great 
sagen  and  the  gods  oaths  have  been  täken  for  the  purpose  of  (deci- 
dlng  doubtful)  matters;  and  Vasishfha  even  swore  an  oath  before 
king  (Sudd*),  the  son  of  Pijavana."  Doch  scheint  es,  dass  hier  der 
Eid  mit  einem  andern  uralten  Beweismittel,  dem  Gottesurteil  (s.d.), 
zusammenflicsst.  Über  die  bei  einigen  idg.  Völkern  begegnende  Sitte, 
auf  einen  Ring  den  Eid  zu  leisten,  und  über  Ringfunde  dieser  Art 
vgl.  den  Aufsatz  Die  Eid-  und  Schwurringe  bei  den  arischen  Völkern 
Olobus  XIII,  329,  XIV,  176 ff.  (über  den  altn.  baug-eidr  vgl.  auch 
Vigfusson  a.  a.  0.).  Einen  Vergleich  zwischen  dem  Eid  der  idg.  Völker 
mit  dem  der  Juden  zieht  Leist  Gräeoitalische  Rechtsgeschichte  S.  74  f. 
(vgl.  auch  S.  227  ff.),  dem  wir  nur  zum  Teil  folgen  können. 

Eidechse.  Tier  mit  reicher,  aber  noch  vielfach  dunkler,  keine 
Spur  von  Verwandtschaft  verratender  Terminologie.  Griech.  aaüpa, 
tfaupoq  (:  aouXö?  friedlich'?),  -rriYTa^  (lies. :  sert.  pingala-  ,brannf),  dt- 
<jKdXu)ßo?,  0*KaXoßujTr|q,  ku)Xu»tti^  (:  ku»Xov  .Glied' V),  x«MS;  Zifvis,  burvi?; 
lat.  steüio  {'.Stella,  etwa  ,gestirnt'V  oder  aus  *ster-lio  mit  altsl.  ja- 
Merü  .Eidechse',  altpr.  e-stureyto  id.  vereinbar?!,  lacerta  (:  lacertus 


Digitized  by  Google 


170 


Eidechse  —  Eigentum. 


,Muskel"?),  scincus',  ahd.  egi-dehsa  (weiteres  bei  Kluge  Et.  W.6),  agls. 
efeta  (engl,  netet  aus  an  eict);  lit.  drüz'as.  Dunkle  keltische  Namen 
vgl.  bei  Zeuss  Gr.  Celt. 8  p.  1075.  Auf  Entlehnung  beruht  die  Reihe: 
hehr,  sab  ,eine  Eidcchsenart',  gricch  Or\\\>  ,giftige  Sehlange'  und  .eine 
Eideehsenart',  lat.  seps,  alb.  sapl  ,Eidechse'  (vgl.  G.  Meyer  Et.  W. 
S.  399  und  Lewy  Semit.  Fremdw.  S.  14).  Eiu  iouisch-griechiseher 
Name  der  Eidechse  war  nach  Herodot  II,  69  KpoKÖbeiXo?  (:  KpÖKO? 
,Sairan'  nach  der  Farbe'?.»,  mit  dem  die  Hellenen  aber  das  Krokodil 
benannten,  als  es  ihnen  in  Ägypten  bekannt  wurde.  Die  Ägypter  hätten 
nach  Herodot  die  Tiere  x<*uyai  genannt;  doch  ist  der  altägyptische 
Name  meshu.  Über  xaucuXeiov,  ebenfalls  eine  Eidechsenart,  vgl.  Lewy 
a.  a.  0.  S.  14.  —  Als  die  Kunde  von  Krokodilen,  Flusspferden  und  von 
anderen  ausländischen  und  im  Wasser  lebenden  Ungeheuern  zu  den 
germanischen  Völkern  drang,  benanuten  die  letzteren  sie  mit  einem 
gemeingerm.  Ausdruck  ahd.  nihhus,  agls.  nicor,  altn.  nykr  ,Nix',  der 
in  der  germanischen  Urzeit  einen  märchenhafteu  Seegeist  in  tierischer 
Gestalt  bezeichnet  hatte. 

Eigenname,  s.  Name. 

Eigentum.  Da  der  Grund  und  Hoden  (sert.  btidhnä-  =  grieclu 
iru8nnv,  'at-  fundus,  ahd.  bodam),  wie  u.  Ackerbau  gezeigt  ist,  bei 
einzelnen  idg.  Völkern  noch  bis  tief  in  die  historischen  Zeiten  der 
Sippe,  bezüglich  dem  Stamm  nngehört  hat,  so  kann  sich  der  Begriff 
des  Sondereigentums  bei  den  Indogennanen  nicht  an  der  „liegenden", 
sondern  nur  an  der  „fahrendeu"  Habe  (sert.  dräcina-  :  dru  , laufen', 
lat.  res  möbilea,  griech.  äqxxvn.?  :  <pavepd  ,res  immobiles',  nihd.  varnde 
guot,  Ines,  drivanda  and  dreganda;  vgl.  J.  Grimm  R.-A.  8.  564), 
vor  allem  also  an  dem  Viehstande,  entwickelt  haben.  In  sehr  charakte- 
ristischer Weise  ist  denn  auch  die  älteste  technische  Benennung  des 
Privat  Vermögens  im  Lateinischen  peeiinia  ,Vichstand'  und  familia 
,Häuslerschaft',  beide  zusammen  oder  jedes  für  sich  (vgl.  Mommsen 
Staatsrecht  III,  1  S.  22).  Auch  das  Haus  wird  in  der  ältesten  Zeit,  wie  bei 
den  Germanen  (vgl.  Much  Z.  f.  deutsches  Altert.  XXXVI,  121),  mit  zur 
„Fahrnis"  gerechnet  worden  sein,  nicht  weil  es  gefahren  wurde,  sondern 
wegen  seiner  leichten,  schnellen  Abbruch  gestattenden  Bauart.  Endlich 
lässt  sich  anch  auf  rechtsgeschichtlichem  Wege  zeigen,  dass  es  ur- 
sprünglich einen  Eigentumsbegriff  hinsichtlich  des  Grund  und  Bodens 
nicht  gegeben  hat;  denn  die  ältesten  Formen  des  Eigentuinsprozesses 
haben  sich  sichtlich  an  Fahrnis  entwickelt,  und  sind  von  hier  erst  auf 
den  Liegenschaftsprozess  übertragen  worden  (vgl.  Leist  Altar.  Ins  civ. 
II,  297). 

Aber  auch  hinsichtlich  der  fahrenden  Habe  muss  für  die  Ur- 
zeit der  Begriff  des  Sondereigentums  mit  Einschränkung  verstanden 
werden.  U.  Familie  ist  ausführlich  dargethan  worden,  dass  wir  für  die 
idg.  Urzeit  nicht  von  der  Sonder-,  vielmehr  von  der  Grossfamilic  oder 


Digitized  by  Google 


Eigentum. 


171 


Hausgemeinschaft  auszugeben  haben.  In  einer  solchen  aber,  mögen 
wir  uns  nun  nach  Indien  (vgl.  Jolly  Recht  und  Sitte  S.  76)  oder  zu 
den  südlichen  Slaven  (vgl.  Kranes  Sitte  u.  Brauch  der  Stiels!.)  wenden,  wo 
diese  Hausgemeinschaften  noch  lebendig  sind,  gehört  die  ganze  Habe 
nicht  dem  einzelnen,  sondern  der  Gesamtheit  der  Familienglicder, 
wenigstens  der  männlichen,  an.  Ebenso  muss  es  in  der  idg.  Urzeit 
gewesen  sein.  Das  Vieh,  die  Wirtschaftsgeräte,  der  Wirtschaftsertrag, 
kurz  alle  Habe  (sert.  r£-,  rd-  ,Gut,  Schatz,  Reichtum'  =  lat.  res  »Be- 
sitztum, Vermögen',  z.  B.  in  rem  auger  e\  sert.  dpnas-  ,Ertrag,  Besitz, 
Habe'  =  griech.  ftpvoq,  ftpevot  Reichlicher  Vorrat')  muss  Gesamt- 
eigentum  gewesen  sein,  über  das  der  jedesmalige  *poti-  des  Hauses 
(s.  u.  F  a  m  i  1  i  e)  ein  in  der  ältesten  Zeit  wohl  wenig  beschränktes 
Verwaltungsrecht  übte.  Wirkliches  Privateigentum  werden  in  der 
Urzeit  daher  nur  Dinge  wie  für  den  Mann  die  Kleider  und  Waffen  (mhd. 
hergeica>te},  für  die  Frauen  die  Kleider  und  der  Schmuck  (mhd.  frauen- 
rade)  gewesen  sein,  ein  Besitz,  der  in  der  Urzeit  Uberhaupt  nicht 
vererbt,  sondern  nach  uraltem  Brauch  <s.  n.  Bestattung)  dem  Toten 
ins  Grab  mitgegeben  wurde.  Aus  diesem  mit  dem  Toten  begrabenen 
oder  verbrannten  Fahrnis  ist  das  hervorgegangen,  was  in  den  germa- 
nischen Rechten  als  Tot  enteil  (dead  mann  part)  bezeichnet  wird, 
und  in  christlichen  Zeiten  sich  zu  dem  der  Kirche  gebührenden  Seel- 
gerät oder  Seelschatz  umgestaltete  (vgl.  H.  Brunner  Das  Totenteil  in 
germanischen  Rechten  Z.  d.  Savigny-Stiftung  XIX,  107  ff.  Genn.  Abt.).  — 
Substantivische  Bezeichnungen  für  die  Begriffe  des  Eigentums  und 
Eigentümers  waren  in  der  Grundsprache  offenbar  nicht  vorhanden  (vgl. 
auch  Bernhöft  Z.  f.  vergl.  Rcchtsw.  I,  10).  Will  man  in  der  ältesten 
Zeit  sein  Eigentumsrecht  an  etwas  geltend  machen,  so  bedient  man  sich 
der  Fürwörter.  Man  sagt  im  Indischen  mamedam,  mamdyam  ,dies, 
dieser  ist  mein',  im  Lateinischen  aio  hanc  rem  meam  esae,  im  Sla- 
vischen:  ,cs  ist  das  mehlige'  (Ewers  Ältestes  Recht  d.  Russen  S.  260). 
Am  ältesten  wird  der  Gebrauch  des  Fronominalstamnies  *8co~,  *sevo- 
in  diesem  Sinne  6ein.  Derselbe  war  in  der  Urzeit  nicht,  wie  später, 
auf  die  dritte  Person  beschränkt  und  bedeutete  ganz  allgemein  ,eigen', 
eigentümlich'.  Man  konnte  damals  sagen:  aio  hanc  rem  hu  am  esse 
im  Sinne  von  „Ich  behaupte,  das»  die  Sache  mein  (oder  unser*  Eigen- 
tum ist"  (vgl.  weiteres  bei  B.  Delbrück  Vgl.  Synt.  I,  486  ff.).  Daher  kommt 
es,  dass  von  diesem  Stamme  *sco-  zahlreiche  Wörter  für  Eigentum  in  den 
Einzelsprachen  gebildet  worden  sind.  Vgl.  sert.  gram  »Eigentum',  xvümin- 
,Eigentümer,  scatca-,  srdmya-,  svdmitca-  »Eigentumsrecht'  (während 
der  Begriff  des  Besitzes  durch  Ableitungen  von  der  Wurzel  bhuj 
,genie8sen'  ausgedrückt  wird),  lat.  mum  «Eigentum,  Besitz',  got.  swes 
,ouöict,  ßio^'  (ahd.  xudx).  Das  Rechtssubjekt,  dem  durch  das  Pro- 
nomen *8co-  etwas  als  Eigentum  zugewiesen  wird,  kann  nach  dem 
obigen  nur  die  Familie  oder  Sippe  gewesen  sein.  Ein  noch  deutlicherer 


Digitized  by  Google 


172 


Eigentum. 


Hinweis  auf  dieselbe  liegt  in  dein  uralten  lateinischen  Terminus  tech- 
niciiB  des  Eigentunisprozesses,  in  vindkare,  vor.  Schon  Leist  (Altari- 
sches Ius  civile  II,  298)  bemerkt,  dass  der  im  Vindicationsprozess 
übliche  Ausdruck  meum  est  ursprünglich  nicht  meinen  könne:  „es  ge- 
hört exelusiv  mir,  sondern:  es  gehört  zur  Hausgemeinschaft". 
Dieser  Gedanke  aber  ist  unmittelbar  in  lat.  vindkare  ausgesprochen, 
wenn  der  erste  Bestandteil  dieses  Wortes  (s.  ausführlicher  u.  Familie) 
daselbst  richtig  mit  ir.  fine, Grossfamilie'  identifiziert  worden  ist.  Vindkare 
bedeutet  alsdann  geradezu  „etwas  als  zur  Hausgemeinschaft  gehörig 
bezeichnen**.  Vgl.  auch  altn.  ödal,  ahd.  nodal  »Eigentum' :  altn.  adal, 
ahd.  adal  .Geschlecht'  (s.  u.  Stände). 

Was  die  Benennungen  des  Eigentümers  anbetrifft,  so  bemerkt 
J.  Grimm  R.-A.  S.  491  hinsichtlich  der  Germanen  folgendes:  „Be- 
merkenswert scheint,  dass  der  altdeutschen  Sprache  substantivische 
Ausdrucke  für  dominus  im  Sinne  von  Eigentümer  mangeln,  sie  muss 
sich  der  Participicn  uigands,  eikanti,  eigandi  oder  habands,  habenti 

bedienen   Frau ja  und  heriro,  herro  bezeichnen  stets  dominus 

(Gebieter)  im  Gegensatz  zu  servus,  und  wir  dürfen  wohl  heute  sagen 
„der  Herr  des  Ackers,  des  Pferdes"  {le  propriitaire  du  champ,  du 
cheval),  nicht  aber  ahd.  heriro  des  acchares,  les  hrosses.u  Ähnlich 
werden  im  Griechischen  Wörter  wie  b€0*7TÖrriq  oder  Kupio?,  im  La- 
teinischen dominus  (wovon  das  ganz  junge  dominium  , Eigentum')  im 
Sinuc  von  Eigentümer  (einer  Sache)  eine  verhältnismässig  späte  Stufe 
der  Bedeutungsentwicklung  darstellen;  doch  werden  im  Griechischen 
betfTTÖTriq  schon  bei  den  Tragikern  und  im  Lateinischen  dominus  schon 
bei  Cicero  auch  in  diesem  Sinne  gebraucht.  Die  idg.  Ansdrucksweise  wird 
in  Participien,  wie  dem  oben  genannten  got.  aigands  von  aigan  zu 
suchen  sein,  das  sich  durch  Vcrgleichung  mit  sert.  fqe  ,habe  zu  eigen', 
iqdnd-  ,besitzend,  herrschend',  i$ä'  , Vermögen,  Macht'  als  idg.  erweist. 
Vgl.  auch  got.  aigin  ja  inrdpxovTa',  ahd.  eikan  und  got.  dihts,  ahd. 
eht  ,Habe,  Besitz'  (osk.  eituuam  .pecuniam'  aus  *eictuam?). 

Wo  Hausgemeinschaften,  in  denen  nach  dem  obigen  also  alles  Gut 
allen  gemeinsam  ist,  von  den  Berichterstattern  alter  oder  neuerer  Zeit 
geschildert  werden,  wird  von  ihnen  wiederholt  hervorgehoben,  dass  in 
solchen  Kulturverhältnissen  die  uns  so  natürlich  erscheinenden  Gegen- 
sätze von  Reich  und  Arm  weniger  hervortreten.  So  äussert  E.  de  La- 
veleye  Das  Ureigeutum  S.  383  hinsichtlich  der  südslavischen  Haus- 
kommnniouen:  „Die  sozialen  Lasten  und  die  Zufälle  des  Lebens  treffen 
eine  Familiengenossenschaft  weniger  schwer,  als  einen  einzelnen  Haus- 
stand. Wenn  einer  der  Männer  zur  Armee  einberufen,  von  einer 
schweren  Krankheit  betroffen  oder  sonst  zeitweise  an  der  Arbeit  ge- 
hindert wird,  so  verrichten  die  übrigen  seine  Geschäfte,  und  die  Ge- 
meinschaft sorgt  für  seine  Bedürfnisse  in  der  Hoffnung  auf  Gegen- 
seitigkeit   Jeder  ist  Miteigentümer  eines  Grundstücks  und 


Digitized  by  Google 


Kigentuui 


-  Eisen. 


173 


wirtschaftet  so  nur  mit  eigenem  Produktivkapital.  Es  giebt  also  weder 
endemischen  Pauperismus  noch  zufällige  Dürftigkeit. u  Ebenso  wird 
hinsichtlich  der  alten  Slaven  (der  liani)  in  Helinoldi  Chron.  Slav.  II, 
12  (vgl.  Krek  Einleitung-  S.  361)  hervurgehohen:  Xeque  enim  aliquis 
egenu«  auf  mendicus  apttd  eos  tdiquando  reperhis  ettt,  und  auch  von 
den  Spartanern,  bei  denen  die  von  Lykurg  nicht  geschaffene,  sondern 
festgehaltene  Gleichheit,  Geschlossenheit  und  Unveräusserlichkeit  des 
Grundbesitzes  in  mancher  Beziehung  ähnliche  Bcsitzverhältnisse  wie  in 
jenen  slavischen  Hauskoinraunionen  hervorgerufen  hatte,  berichtet  Plutarch 
(Lyk.  24):  „Es  gab  keinen  Reichtum  und  keine  Armut,  wohl  aber 
Gleichheit  im  Wohlstande  und  Gedeihen  in  der  Einfachheit."  Auch 
wenn  man  von  derartigen  Schilderungen  die  zweifellos  idealisierenden 
und  Ubertreibenden  Züge  in  Abrechnung  bringt,  bleibt  doch  soviel  be- 
stehen, dass  eine  gewisse  soziale  und  wirtschaftliche  Gleichheit 
als  charakteristisch  für  den  Begriff  der  Eamilicngenossenschaft  anzusehen 
ist.  Ein  gleicher  Zustand  darf  daher  auch  für  die  idg.  Urzeit  voraus- 
gesetzt werden,  und  ein  solcher  Ansatz  findet  darin  eine  Unterstützung, 
dass  eine  deutliche  Terminologie  für  die  Begriffe  Reich  und  Ar m 
(s.  d.)  in  der  idg.  Grundsprache  nicht  nachweisbar  ist.  Weiteres  hier- 
über s.  u.  Stände. 

Da-ss  die  Frauen  au  dem  gemeinsamen  Fumiliengnt  nicht  teilnahmen, 
geht  schon  aus  dem  bisherigen  hervor.    Näheres  s.  u.  Erbschaft. 

Die  wichtigsten  Rechtsverhältnisse,  die  sich  aus  der  Bewegung  des 
Eigentums  ergeben,  und  die  Frage  ihres  Alters  auf  idg.  Boden  sind 
u.  Handel  (Kauf,  Verkauf,  Tausch),  Lohn  und  Schulden  behandelt 
worden.  Über  Vergehen  gegen  das  Eigentum  s.  u.  Diebstahl  und 
Raub. 

Eimer,  s.  Gefässc. 

Einbauiii,  s.  Schiff,  Schiffahrt. 

Einkorn,  s.  Weizen  und  Spelt. 

Einschlag,  s.  Webstuhl. 

Einzelhof,  s.  Dorf. 

Eis,  s.  Schnee  und  Eis. 

Eisen.  Ausserhalb  der  beiden  klassischen  Länder  begegnet  das 
Eisen  in  Europa  am  frühesten  auf  zwei  berühmten,  weit  von  einander 
entfernten  Fundstellen:  auf  dem  Gräberfeld  von  Hallstatt  im  Salz- 
kammergut und  in  dem  bei  dem  kleinen  Dorfe  Marin  am  Nordende 
des  Neucnburger  Sees  entdeckten  Pfahlbau,  La  T£ne  (,die  Untiefe') 
genannt.  Die  ersterc  Fundstätte  ist  ohne  Zweifel  die  zeitlich  frühere, 
wie  schon  die  reichlichen  Brouzcsacben  zeigen,  die  neben  und  mit 
dem  Eisen  in  Hallstatt  auftreten.  So  fanden  sich  in  538  Gräbern 
mit  beerdigten  Leichen  18  Waffen,  37  Geräte  und  1543  Schmuck- 
sachen aus  Bronze  gegenüber  165  Waffen  und  42  Geräten  aus  Eisen, 
in  den  Brandgräbern  kamen  auf  455  Gräber  91  Waffen,  55  Geräte, 


Digitized  by  Google 


171 


Eisen. 


1735  Schmuckstücke  aus  Bronze  gegenüber  348  Waffen  und  43  Ge- 
räten aus  Eisen.  Aus  letztcrem  Metall  gefertigt  sind  fast  alle  Klingen 
der  Schwerter,  Messer  und  Dolche,  ferner  zahlreiche  Keile,  Äxte  und 
Spicssc,  auch  Nägel,  während  es  im  Gegensatz  zur  Bronze  nur  selten 
zu  Schmuckgegenständen  verwendet  wurde.  Über  die  Nationalität  der 
Anwohner  dieses  ältesten  in  Europa  nachweisbaren  Salzbergwerks  ist 
man  noch  nicht  einig.  Während  der  verdienstvolle  Bearbeiter  der 
Hallstätter  Funde,  Freiherr  von  Sacken  (Das  Grabfeld  v.  H.  Wien  1868), 
sich  für  Kelten,  speziell  für  die  in  dieser  Gegend  nachgewiesenen 
norischen  Taurisker  entschied,  ist  man  neuerdings  mit  Rücksicht  auf  die 
frühzeitigen  Beziehungen,  welche  zwischen  dem  Grabfeld  von  Hallstatt 
und  den  ältesten  italischen  Eisenfunden  bei  Villanova  unweit  Bologua 
(vgl.  Undset  Das  erste  Auftreten  des  Eisens  in  Nord-Europa  S.  1  ff.) 
einerseits,  den  altgriechischen  Ausgrabungen  von  Olympia  (vgl. 
Hörnes  im  Ausland  1891  S.  281  ff.)  andererseits  bestehen,  geneigt,  das 
Gräberfeld  von  Hallstatt,  wenigstens  in  seinen  Anfängen,  in  eine  vor- 
keltische  Epoche  zu  rücken. 

Umso  klarer  sieht  man  in  diesem  Punkte  bei  den  westeuropäischen 
Eisenf nuden  von  La  Tene  (vgl.  Hörnes  Urgeschichte  der  Menschheit5 
S.  147  ff.)-  Es  ist  uiemals  bezweifelt  worden,  dass  dieselben  einem  kel- 
tischen Stamme  angehören  und  aus  der  Epoche  vor  der  Eroberung  Galliens 
durch  Rom  stammen.  Die  gefundenen  Waffenstücke  entsprechen  den  anf 
dem  alten  Schlachtfeld  von  Alesia  an  den  Tag  gekommenen,  und  zahlreiche 
Nachrichten  (s.  n.  Bergbau)  belehren  uns,  dass  die  Kelten  schon  in  vor- 
römisehcr  Zeit  in  den  Künsten  des  Bergbaues,  vor  allem  dem  auf  Eisen, 
wohlerfahren  gewesen  sein  müssen.  Woher  freilich  die  Kelten  die  erste 
Anregung  zur-  Ausbildung  einer  nationalen  Eisentechnik  empfingen,  ob 
durch  griechiseh-niassaliotisehe,  oder  durch  früh  italische  Einflüsse 
(vgl.  bei  Plinius  Hist.  nat.  XII,  ö  die  Sage  vom  Aufenthalt  eines  hel- 
vetischen Bürgers,  Helico,  in  Rom  fabrüem  ob  artem),  ist  ungewiss. 

Der  gemeinkeltische  Name  des  Eisens  ist  ir.  tarn,  kymr.  haiam, 
körn,  hoem,  arem.  hoiam.  Er  führt  auf  ein  ursprüngliches  *is-amo~, 
(erhalten  in  dem  burgundischen  Eigennamen  Isarno-dori  :  Orfus  haud 
longe  a  vico,  etti  vetusta  paganitas  ob  celebritatem  clawmramque 
forfisximam  mperxlitiofättsimi  templi  Gallica  lingua  J.  i.  e.  ferrei 
oxtii  indidif  nomen.  V.  S.  Eugendi  Abb.  mon.  S.  Claudii  in  Bur- 
gundiai,  und  ist  vielleicht  eine  Weiterbildung  aus  einem  ursprünglichen 
das  nichts  als  eine  andere  Ablautstufe  des  altindogermanischen 
Wortes  für  Kupfer:  sert.  Ayas-,  lat.  aes,  got.  atz  sein  könnte.  Die  Kelten 
würden  also  das  neue  Metall,  als  es  ihneu  bekannt  wurde,  mit  einer  Ab- 
leitung von  dem  uralten,  sonst  bei  ihnen  ausgestorbenen  Kupfernamen  be- 
nannt haben.  Anders  freilich  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altert.  XLII,  164, 
der  das  keltische  Wort  mit  Berufung  auf  ahd.  »fäkal,  altpr.  stakla  (s.  u. 
Stahl)  =  aw.  stax-ra-  .stark,  fest'  mit  sert.  iskird-  ,erfrischcnd,  kraftig, 


Digitized  by  Google 


KiMMl. 


175 


munter',  griech.  iepö^  »kräftig',  , heilig'  verknüpfen  möchte,  deren  Be- 
deutung aber  doch  eine  andere  als  die  des  iranischen  Wortes  ist. 

Noch  verdient  hervorgehoben  zu  werden,  dass  ein  Beweis  für  die 
wichtige  Rolle,  welche  das  Eisen  in  der  keltischen  Kulturgeschichte 
spielte,  dem  Umstand  entnommen  werden  kann,  dass  überaus  häutig 
der  Stamm  *te  arno-  in  allen  keltischen  Sprachen  zur  Bildung  von 
Eigennamen  verwendet  wird.  Vgl.  altgall.  Ixerninu*  (ein  Begleiter  S. 
Patricks),  abret.  Cat-ihermut,  Plebs  Iloiernin.  kvmr.  u.  arein.  Haiarn, 
Hoiarmcoet,  Cathoiurn  u.  s.  w.  (Zeuss  Gr.  Cclt.  *  p.  lOti  und  Stokes 
Crkelt.  Sprachschatz  S.  25). 

Dieses  altgallische  *i8-arno-  ist  nun  in  einer  Zeit,  in  der  das  inter- 
vokale #  noch  erhalten  war,  und  zusammen  mit  mehreren  altkeltischen 
Benennungen  für  Gegenstände  der  Eisenmanufaktur  (s.  u.  Panzer  und 
u.  Spiess),  in  die  germanischen  Spracheu  eingedrungen,  wo  es  zu  got. 
ei*amy  agls.  hern,  altn.  imnt  (selten),  ahd.  ixarn  geführt  hat  (vgl. 
weiteres  über  die  germanischen  Formen  bei  R.  Much  a.  a.  <).).  An  Ur- 
verwandtschaft der  keltisch-germanischen  Ausdrücke  ist  aus  allgemeinen 
Gründen,  und  weil  das  Suffix  -arno-  (vgl.  Brugmann  Grund riss  II,  138) 
im  Gerinanischen  nicht  gebräuchlich  ist,  schwerlich  zu  denken.  Wann 
dieser  Entlehnungsprozess  sich  abspielte,  lässt  sich  des  genauem  nicht 
sagen.  Die  Archäologen  (vgl.  Montelius  Die  Kultur  Schwedens  S.  88) 
rücken  das  erste  Auftreten  des  Eisens  im  Norden  in  das  V.  Jahrhun- 
dert v.  Chr.  und  bringen  es  mit  dem  späteren  Teil  der  Hallstatt-Periode 
in  Verbindung.  An  diesen  schliesst  sich  dann  die  La  Tene-Periode, 
die  ihren  Einfluss  weit  Uber  keltischen  Boden  hinaus  bis  hoch  nach 
Skandinavien  (vgl.  über  die  ältesten  dänischen  Eisenfnnde  in  den 
Brandgräbcm  von  Bornholm  S.  Müller  Nordische  Altcrtuinsk.  II,  16  ff.) 
-äussert.  In  dieser  Zeit,  etwa  in  dem  Zeitalter  Alexanders  des 
Grossen,  werden  sich  die  keltischen  Wörter  für  Eisen  im  Gerinanischen 
festgesetzt  haben.  Nach  Tacitus  Germ.  Cap.  (i  zwar  wäre  Eisen  in 
Deutschland  noch  zu  seiner  Zeit  nicht  in  Cberfluss  vorhanden  gewesen 
{ne  ferrum  quidem  mperettt).  Aber  es  werden  doch  von  ihm  selbst  so 
viele  ganz  oder  teilweis  eiserne  Gegenstände  genannt,  Schwerter  in 
verschiedenen  Gestalten.  Lanzen,  frameae,  Panzer,  Helme,  Ringe  u.  s.  w., 
dass  die  Verwendung  dieses  Metallcs,  natürlich  im  Vergleich  mit  Rom 
in  bescheidenen  Grenzeu,  immerhin  eine  nicht  unbedeutende  gewesen 
sein  mnss. 

Wenn  so  die  Geschichte  des  Eisens  im  Westen  und  in  der  Mitte 
des  nördlichen  Europas  ziemlich  deutlich  vor  uns  liegt,  so  ist  dies  in 
geringerem  Masse  hinsichtlich  des  Ostens  der  Fall.  Der  lituslavischc 
Sprachzweig  wird  durch  eine  gemeinsame  Benennung  des  Eisens  ver- 
bunden :  lit.  geleiis,  altpr.  gefao,  altsl.  ieUzo,  die  jedenfalls  nichts  mit 
<len  keltisch-germanischen  Ausdrücken  zu  thun  hat.  Gewöhnlich  werden 
die  genannten  Wörter  mit  dem  griech.  xö-Xkö?  , Kupfer,  Erz'  verbunden. 


Digitized  by  Google 


Eisen. 


Ist  (lies  richtig  (es  wird  bezweifelt  von  Kretschuier  Einleitung:  S.  187  f.)y 
so  würde  hier  ein  ähnlicher  Bedeutungsübergang  wie  im  Keltischen 
(s.  o.)  vorliegen:  ein  altes  Wort  für  Kupfer  hätte  sich  später  im  Sinne 
von  Eisen  festgesetzt.  Über  die  Seite,  von  der  her  die  Slaven  und 
Litauer,  bei  denen  noch  zur  Zeit  des  Tacitus  (Genn.  Cap.  45)  das  Eisen 
selten  war,  das  neue  Metall  empfingen,  wissen  wir  nichts  sicheres. 
Man  kann  an  einen  frühen  Handel  mit  den  politischen  Gricchenstädten 
(s.  u.)  oder  an  iranische  Einflüsse  denken.  Jedenfalls  war  bei  den  den 
Iraniern  stammverwandten  Skvthen  schon  zu  Herodots  Zeit  das  Eisen 
eine  bekannte  Sache,  so  dass  der  Kriegsgott  bei  ihnen  unter  den» 
Bilde  eines  eisernen  Säbels  (aibripeo?  aKiväKnq)  verehrt  wurde  (Herod. 
IV,  62).  Noch  weiter  östlich,  in  der  finnischen  Welt,  begegnen  sich 
sprachlich  germanische  und  iranische  Einflüsse.  Die  Westfinnen  haben 
für  Eisen  tfinn.  rauta)  einen  altnordischen  Ausdruck  (altu.  raudi,  ur- 
sprünglich ebenfalls  ,Kupfer'  s.  d.),  die  ostfinnischen  Idiome  (ostjak. 
karte  u.  s.  w.)  bedienen  sich  eines  iranischen  Lehnwortes  (aw.  kareta-, 
eigentl.  ,Mcsscr';  s.  u.  Schwert). 

Nicht  weniger  als  für  den  Norden  Europas  lässt  sich  aber  ein  verhältnis- 
mässig spätes  Auftreten  des  Eisens  für  den  Süden  unseres  Erdteils 
erhärten.  Und  zwar  sind  es,  was  zunächst  die  Balkanhalbinsel  be- 
trifft, folgende  Gesichtspunkte,  welche  in  dieser  Frage  entscheidend  ins 
Gewicht  fallen:  1.  Die  mykenischen  Funde  gehören  dem  Bronze- 
alter an;  einige  eiserne  Messer  und  Schlüssel  sind  allerdings  gefunden 
worden,  werden  aber  von  Schliemann  mit  Rücksicht  auf  ihre  Form 
(Mykenac  S.  83)  in  eine  wesentlich  spätere  Zeit  gesetzt.  Älter  dürften 
einige  eiserne  nach  Schliemann  in  der  Unterstadt  entdeckte  Ringe 
(vgl.  Schuchardt  Ausgrabungen  S.  332)  sein,  wie  sie  von  den  Lacc- 
dämoniern  (Plin.  Hist.  uat.  XXXIII,  9)  getragen  wurden.  Auf  jeden 
Fall  zeigt  sich  aber,  dass  das  Eisen  innerhalb  der  mykenischen  Periode 
äusserst  selten  gewesen  ist.  2.  Das  homerische  Zeitalter  selbst 
befindet  sich  in  einer  Art  Übergangsperiode  von  der  Bronze  zum 
Eisen.  Als  aus  letzterem  Metall  gefertigt  werden  in  der  Ilias  bezeichnet: 
eine  Keule,  ein  Messer,  eine  Pfeilspitze,  eine  Axt,  eiue  Achse  und 
Thore,  in  der  Odyssee:  eine  Axt  und  Fesseln.  Dazu  vgl.  den  Vers 
der  Odyssee  (XVI,  294)  auTÖ?  fäp  £cpAK£Tai  ävbpa  o*tbn,po<;,  was  sich 
auf  eiserne  Waffcu  zu  beziehen  scheint,  und  die  Stelle  der  Ilias  XXIII, 
825 ff.,  an  der  Achilleus  einen  rohen  Eisenklumpen  als  Preis  aussetzt: 
£H€i  |iiv  Kai  tt^vt€  TTepiTrXou^vou?  eviauTOuq 
Xpcumevos  •  ou  uev  f&p  oi  aTeußouevös  o"ibr|pou 
rcoiunv  oüb'  äpoxfip  eio"  i$  ttöXiv,  äAXä  irap&ei. 
Im  übrigen  sind  alle  Waffen  und  Werkzeuge  noch  als  aus  Erz  herge- 
stellt gedacht.  Auf  die  Frage,  ob  in  den  einzelneu  Teilen  der  Ilias  und 
Odyssee  oder  in  dem  Verhältnis  der  beiden  Gedichte  zu  einander  eine 
fortschreitende  Verwendung  des  Eisens  nachgewiesen  werden  könne, 


Digitized  by  Google 


■ 


Eisen. 


sei  hier  nicht  eingegangen.  Sie  scheint  nach  der  Untersuchung  von  F.  B. 
Jevons  (Journal  of  Hcllcnic  studies  VIII,  25  ff.)  nicht  bejaht  werden  zu 
können.  3.  Dein  vorhergehenden  entsprechend  erweist  sich  xa^K<>S 
dem  o*ibnpo?  gegenüber  als  ein  älterer  Bestandteil  der  griechischen 
Sprache.  Der  älteste  Name  des  Schmiedes,  xalKtvq,  und  der  Schmiede, 
XccXiceiuv,  ist  von  xa*xo->  nicht  von  o*ibn.po-  gebildet.  Schon  in  home- 
rischer Zeit  entspriessen  dem  enteren  eine  Menge  Ableitungen  (xdX- 
Kco^,  xaXK€io?,  xaXxeOc,  xa^Keuw,  xa^Kciuv,  xaXKn.io£,  xaXKnpn.?),  während 
neben  ffibnpoq  nur  oibnpeoq  vorkommt.  Personennamen  werden,  was 
die  Nutzmetalle  anbetrifft,  im  wesentlichen  nur  von  xa^KÖq  gebildet. 
4.  Die  Alten  scheinen  nach  den  Worten  des  Hesiod  (vgl.  auch  Lucrez 
V,  1285 ff.),  nach  denen  die  Menschen  des  dritten  Zeitalters: 

XoXkuj  b'  eipTdCovTO-  ue'Xaq  b'  oük  faxe  aibn.poq, 
selbst  noch  eine  Ahnung  von  dem  einstigen  Bestehen  eines  reinen  Bronze- 
alters gehabt  zu  haben,  und  eine  ganz  bestimmte  Tradition  bezüglich  der 
Herkunft  des  Eisens  hat  sich  in  Griechenland  erhalten,  deren  erste 
Spur  sich  in  dem  epischen  Fragment  der  Phoronis  (vgl.  Schol.  zu  Apoll. 
Arg.  I,  1126)  findet: 

vEv8a  YÖnrcq, 
'Iba  Toi  <t>püf€S  ävbp£<;  öp€0"T€poi  oba'  Ivatov, 
KeXuu;,  Aanvcuaeveui;  T€  uera?  xai  ÜTiepßioq  "Akuujv, 
EÜTräXauot  6€päTT0VT€?  öp€iri?  'AbpnaT€tn?, 
o'i  TrpüJTOt  T€'xvn.v  TroXuunrioq  'Hqpaiffxoio 
Eupov  iv  oüpeinai  vdrrai?  löevTot  cxibtipov 
'E?  iröp  t'  Tjv€TKav  koi  dpiTTpeTti?  £pfoy  £bei£av. 

Seitdem  wird  der  phrygischc  Ida  als  Erzeugnngsstätte  des  Eisens  oft 

genannt. 

Das  griech.  cribnpos  selbst  ist  noch  nicht  sicher  erklärt.  Man  hat 
es  ans  idg.  Wurzeln  zu  deuten  versucht  (o*ibn.poq  .das  ausgeschmolzene' : 
sert.  xnid-itd-  geschmolzen',  svedani-  ,eiseme  Pfanne  ),  man  hat  es 
an  nordkleinasiatiselie  (libn.,  Iibnvn:  vgl.  II.  Bnumhofer,  Fernschau, 
Aarau  1886  p.  59)  oder  an  Ivkischc  (Iibapoüq,  Iibnpoüq)  Ortsnamen 
anzuknüpfen  versucht  u.  s.  w.  Am  wahrscheinlichsten  bleibt  seine 
Verbindung  mit  dem  von  Tomaschek  (Z.  t'.  o.  Phil.  I,  125)  beige- 
brachten kaukasischen  (udischen)  zido  , Eisen'.  Aus  der  Nachbar- 
schaft des  Kaukasus  ist  jedenfalls  das  griechische  (nach homerische) 
XäXuip  ,der  Stahl',  eigentlich  ,der  Chalyber'  ausgegangen,  wie  denn 
die  mbr|pOT€KT0V6q  XdXu߀?  schon  von  Aeschylus  Prom.  715  genannt 
werden  (weiteres  s.  u.  Bergbau).  Ebenso  ist  vom  Kaukasus  das 
armenische  Wort  für  Eisen  abgeleitet:  erlaf  (nach  arcaf  ,Silbcr  ) 
von  georgisch  rkina  ,Eisen',  lasisch  erkina  desgl.,  rkina  ,Mcsser\ 

Zu  weniger  Bemerkungen  bieten  die  Verhältnisse  der  Apennin  halb- 
inselAnlass.  In  den  Pfahlbauten  der  Poebene  wurde  noch  kein  Eisen 
gefunden.    Der  ältesten  Eiseufundc  auf  italischem  Boden  in  der  Um- 

Schrader.  Reallexikon.  1- 


Digitized  by  Google 


178 


Eisen. 


gebung  von  Bologna  ist  schon  oben  Erwähnung  gethan;  docb  wissen 
wir  nicht,  welchem  Volke  sie  angehören.  Im  alten  Korn  niuss  zwar 
schon  zur  Königszeit  das  Eisen  häufig  gewesen  sein,  da  Porsina  bei 
dem  Friedenssehluss  den  Römern  den  Gebrauch  des  Eisens  ausser  zu 
Ackerbauzwecken  verbot  (ne  ferro  nisi  in  agri  cultu  uteretur;  vgl. 
Pliuius  XXXIV,  139);  doch  fehlt  es  nicht  an  deutlichen  Spuren,  dass 
auch  auf  römischem  Boden  der  Gebrauch  des  Erzes  dem  des  Eisens 
voraufging.  Vor  allem  schliesscn  die  Kultussatzungeu  den  Gebrauch 
des  Eisens  überall  ursprünglich  aus.  In  ehernem  Siebe  musste  die 
Vestalin  das  Feuer  in  den  Tempel  tragen  (vgl.  Festus  Pauli  ed.  C.  0.  Müller 
p.  106:  Ignis  Vestae  si  quando  int  erstinet  us  esset,  virgines  rer- 
beribus  afßciebantur  a  pontifice,  quibus  mos  erat  tabulam  felicis 
materiae  tamdiu  terebrare,  quousque  eueeptum  ignem  cribro  aeneo 
virgo  in  aedem  ferret),  mit  eherne  m  Messer  musste  sich  der 
Flamen  Dialis  rasieren,  mit  ehernem  Pflug  musste  bei  Städtegrün- 
dungen  der  Umriss  einer  Niederlassung  gezogen  werdeu  (vgl.  die 
Belege  hierfür  und  weiteres  bei  Heibig  Die  Italiker  in  der  Poebene 
S.  HO  f.). 

Dem  zu  Folge  wird  auch  das  lateinische  Wort  für  Eisen,  ferrum, 
wenigstens  in  diesem  Sinne,  verhältnismässig  jung  auf  lateinischem 
Boden  sein.  Man  hat  für  ferrum  (das  aus  *fers-o-m,  *bhers-o-m  ent- 
standen sein  kann)  an  Verbindung  mit  einem  unten  zu  nennenden  sumerisch- 
semitischen  Namen  des  Eisens  gedacht,  oder  es  zu  dem  innerhalb  des 
Germanischen  ganz  allein  stehenden  agls.  bnvs,  engl,  braus  .Erz'  ge- 
stellt (vgl.  oben  lit.  geleüs  , Eisen'  :  griech.  x^Xkö^  ,Erz').  Eine  sichere 
Entscheidung  kann  aber  bis  jetzt  nicht  getroffen  werden. 

Als  völlig  dunkel  bleibt  von  europäischen  Eisennamen  auch  noch 
albanesisch  hekur  zu  nennen  (Vermutungen  über  dasselbe  bei 
G.  Meyer  Et.  W.  S.  150). 

Auch  bei  den  arischen  Indogermaucn,  den  Indern  und  Iraniem,  tritt 
das  Eisen  zweifellos  erst  nach  der  Bronze  auf.  Die  erste  sichere 
Bezeichnung  desselben  in  den  vedischen  Schriften  ist  qytimd-,  qydmdm 
dyas,  wörtlich  «dunkelblaues  Erz',  so  dass  also  das  spätere  Eisen  vom 
Standpunkt  der  früheren  Bronze  ans  benannt  ist.  Die  iranischen  Namen 
unseres  Metalles :  npers.  dhen,  pehl.  Asin,  kurd.  hdsin  gegenüber  afgh. 
öspana,  öspina,  osset.  äfsdn,  Pamird.  spiu  (vgl.  Horn  Grundriss  d. 
npers.  Et.  S.  14)  haben  noch  keine  Erklärung  gefunden,  doch  scheinen 
sie  alt  und  einheimisch  zu  sein. 

Im  Gegensatz  zu  den  Indogcrmanen  verfügen  die  Semiten  in  hebr. 
barzeh  syr.  parzld,  assyr.  parzillu  Uber  eine  uralte  gemeinschaftliche 
Benennung  des  Eisens,  die  auch  im  Sumerischen  (barza)  wiederkehrt; 
aber  auch  antiquarisch  lässt  sich  die  Bekanntschaft  mit  dem  Metalle 
in  den  Euphrat-  und  Tigrisländern  bis  ins  dritte  vorchristliche  Jahr- 
tausend zurückführen,  wenu  es  zu  einer  Verdrängung  des  Kupfersund 


Digitized  by  Google 


Eisen  —  Eisvogel. 


179 


der  Bronze  durch  das  Eisen  auch  hier  erst  spät  gekommen  ist  (vgl. 
S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  II,  5).  Ebenso  hnt  in  Ägypten 
das  Eisen  erst  sehr  spät  eine  praktische  Bedeutung  erlangt,  obgleich  es 
(unter  dem  Namen  men  und  mit  dem  Zeichen  des  Kupfers  determiniert) 
schon  im  alten  Reiche  bekannt  war.  Vielfach  wird  es  (im  Gegen- 
satz zu  der  roten  Bronze  durch  blaue  Farbe  kenntlich)  auf  den  Denk- 
mälern von  semitischen  .Völkern  her  eingeführt  (vgl.  E.  Keyer  Alt- 
orientalische Metallurgie  Z.  d.  D.  Morgenl.  Oes.  XXXVIII,  149  fl'.).  — 
S.  n.  Erz,  Kupfer,  Metalle,  .Schmied,  Stahl. 

Eisenkraut  ( Verbena  ofßcinalis  L.).  Es  wnrde  in  Griechenland 
und  Italien  als  Zauber-,  Heil-  und  Glückspflanze  betrachtet  und  in 
letzterem  zu  den  Pflanzen  gerechnet,  welche  cerbenae  oder  mgmina 
genannt,  bei  feierlichen  Gelegenheiten  benutzt  zu  werden  pflegten.  Vgl. 
Plinius  Hist.  nat.  XXV,  105:  Nulla  tarnen  Romanos  nobilitatis  plus 
habet  quam  frier a  botane.  aliqui  aristerion,  nostri  verbenacam 
vocant.    haec  est  quam  legatos  ferre  ad  hostes  indicammus.  hac 

Joris  mensa  verritur,  domus  purgantur  lustranturque  utra- 

que  genera  plant ae)  sortiuntur  Galli  et  praecinunt  responsa,  sed 
Magi  utique  circa  hanc  insaniunt,  hac  perunetos  inpetrare  quae 
relint,  febres  obigere,  amicitias  conciliare  nullique  non  morbo  nieder i. 
colligi  debere  circa  canis  ortum  ita  ne  luna  aut  sol  conspiciat,  faris 
ante  et  melle  terrae  ad  piamentuni  datix,  circumscriptam  ferro 
effodi  sin  ist  ra  manu  etc.  In  Nordeuropa,  bei  Germanen  und  »Slaven, 
wird  die  Pflanze  vom  Eisen  her  benannt:  ysena  (heilige  Hildegard), 
isinchlete,  isenarre,  isere,  iiserenbart,  isenbart,  isenhart  (vgl.  v.  Fischer- 
Beuzon  Altd.  Gartenfl.  S.  78),  slavisch  ebenso  mit  Ableitungen  von 
zeUzo  ,Eisen'  (Ncmnich  IV,  1553).  Diese  Namenbildung  hat  ihr  Vor- 
bild im  klassischen  Altertum,  wo  Dioskorides  neben  rcepitfTepcwv  ütttio? 
und  zahlreichen  anderen  Bezeichnungen  auch  den  Ausdruck  ffibtipm? 
(Lenz  Botanik  8.  530)  überliefert  (vgl.  oben  das  ferro  effodi  bei  PI.). 
Die  Pflanze  scheint  in  ganz  Europa  einheimisch  zu  sein.  —  Andere  Heil- 
und  Zauberpflanzen  s.  u.  Arzt. 

Eisvogel.  Der  griech.  Name  des  schon  von  Homer  (II.  IX,  509: 
unrrip  öXkuövo?  TToXuirevGfc'oq  oTtov  ixovöa) 
genannten  schönen  und  sagenumwobenen  Vogels,  dXKurnv,  üXkuijuv  wird 
von  einigen  Etymologen  mit  dem  gleichbedeutenden  lat.  alcedo  und 
einem  ganz  vereinzelten  ahd.  alacra  ,dohfugal',  ,tuhhari',  ,mcrgulus' 
(bei  Graft)  verglichen.  Nach  anderen  entspräche  dem  griech.  üXkucuv 
vielmehr  ahd.  swalawa,  agls.  swealwe,  altn.  srala  {*scalgvön-)  ,Schwalbe', 
was  lautlich  korrekt  und  sachlich  wohl  angängig  wäre,  weil  der  Eis- 
vogel und  gewisse  «Schwalbenarten  (Uferschwalbe,  Erdschwalbe)  in  der 
Art  ihr  Nest  in  den  Erdboden  einzugraben  manches  Verwandte  haben; 
doch  ist  bei  dieser  Annahme  das  Verhältnis  von  lat.  alcedo :  dXKuwv  dunkel. 
Die  im  kl.  Altertum  über  den  Vogel  verbreiteten  Nachrichten  vgl.  bei 


Digitized  by  Google 


180 


Elch.  Elentier  —  Elfenbein,  Elefant. 


Aristoteles  Hist.  anim.  V,  8;  2,  3,  4,  VIII,  5;  7,  IX,  15  u.  Lenz  Zoologie 
d.  Griechen  und  Römer  S.  313  f.  Vgl.  noch  griech.  KnpöXoq  ,daa 
Männchen  des  Eisvogels'. 

Elch,  Elentter,  s.  Hirsch. 

Elektron,  s.  Metalle. 

Elfenbein,  Elefant.  Griech.  ^<paq  wird  bei  Homer,  Hesiod 
and  Pindar,  ebenso  wie  daslat.  ebur,  nur  in  dem  Sinne  von  Elfenbein 
gebraucht,  das  also  frühzeitig  und  auf  weit  ausgedehnten  Handelswegen 
nach  Griechenland  und  Italien  gebracht  worden  sein  muss.  Die  Heimat 
des  Elefanten  ist  Afrika  und  Indien;  doch  müssen  auch  in  Syrien 
zur  Zeit  der  Züge  Dhutmcs  III  dahin  zahlreiche  wilde  Elefanten  ge- 
lebt haben,  von  deren  Jagd,  ebenso  wie  von  Tributleistungcn  der  Ru- 
tennu  (Assyrier)  an  Elfenbein,  altägyptische  Denkmäler  in  Wort  und 
Bild  mehrfach  berichten.  Auch  auf  dem  berühmten  Obelisk  Salma- 
nassars  des  II.  sind  doppclhöckrige  Kamele,  Affen,  ein  Rhinoceros, 
ein  Elefant  und  ein  Jaekochsc  als  Tribut  dargestellt,  den  das  Land 
Musri  (das  östliche  Gcbirgsland)  schickt  (vgl.  E.  Meyer  Geschichte  des 
Altertums  I  §§  220,  338). 

Sehr  frühzeitig  ist  daher  der  kostbare  Stoff  in  dem  klcinasiatischen 
Kulturkreis  und  in  den  semitischen  Ländern  nachzuweisen.  In  der  III. 
Stadt  von  Ilios  sind,  ebenso  wie  in  Mykenae,  sehr  verschiedenartige 
Gegenstände  aus  Elfenbein  gefunden  worden.  Auf  mäonische  und 
karische  Elfenbeinfärberei  deuten  die  Verse  der  Ilias  IV,  141  f.: 
ö'  öt€  "ris  ^X^tpavra  Yuvfj  qpoiviKi  uicuvrj 
Mrjoviq  i\i  Kdeipa,  iraprpov  £|4M€vai  ittttouv. 
tberall  in  semitischen  Landen  ist,  wie  auch  in  der  Odyssee,  die  Incmsta- 
tiou  der  Wände  und  Thttren,  wie  mit  Metallen,  so  mit  Elfenbein  üblich, 
das  die  Schiffe  Salomons  aus  Ophir,  die  ägyptischen  aus  dem  Lande 
Pnnt  holen  (vgl.  Heibig  Horn.  Epos*  S.  110  f.,  425).  -  Unter  diesen  Um- 
ständen ist  es  an  sich  wahrscheinlich,  dass  i\iyaq-ebur  Entlehnungen  sind. 
Wohl  unzweifelhaft  ist  lat.  ebur  (nach  Analogie  von  jecur,  femur)  an 
ägypt.  rfft,  äbu  , Elefant,  Elfenbein',  kopt.  €ßou,  £ßu  anzuknüpfen.  Aber 
auch  griech.  ^X-^<pa?  (wobei  i\  =  dem  arabischen  Artikel  gesetzt  wird), 
hebr.  senhabbim  ,Elfcnbein'  (ärra£  Xet^  sonst  nur  xt'n  ,dcns'  oder 
qarnöt  seti  ,cornua  dentis';  vgl.  lat.  dens  Indiens)  und  sert.  ibha- 
,Elefant'  (vedisch  mrgd-  hastin-  ,bchandetcs  Tier  )  sucht  man  gewöhn- 
lich mit  dem  ägyptischen  Wort  zu  verbinden,  indem  man  in  der  an- 
geführten Sippe  ein  ähnliches  Handelswort  wie  das  n.  Affe  behandelte 
griech.  Kf\noq  erblickt.  S.  auch  u.  Ebenholz  und  vgl.  J.  Lieblein 
Handel  und  Schiffahrt  auf  dem  roten  Meere  in  alten  Zeiten,  nach 
ägyptischen  Quellen,  Christiania  1886  S.  69  f.  Was  dieser  sachlich 
sehr  ansprechenden  Erklärung  des  griech.  IXlcpas  im  Wege  steht,  ist, 
dass  man  zwar  begreift,  wie  im  Lande  Punt,  wenn  dessen  Kern  nach 
Lieblein  das  südliche  Arabien  war,  der  arabische  Artikel  vor  ein  ägyp- 


Digitized  by  Google 


Elfenbein  —  Elefant. 


181 


tiscbes  Wort  gesetzt  werden  konnte  (£\-«pas),  man  aber  nicht  recht 
versteht,  wie  dieses  Wort  durch  die  Vermittlnng  anderer  semitischer 
Stämme  hindurch,  die  bekanntlich  den  arabischen  Artikel  al,  hat  nicht 
kenneu,  in  dieser  speziell  arabischen  Form  zu  den  Griechen  kommen 
konnte.  Immerhin  scheint  die  angeführte  Erklärung  noch  einleuchtender 
als  der  Versuch  l~k{<pa<;  0  griech.  dXcpöi;,  lat.  albus  .weiss'?)  aus  dem 
Griechischen  zu  deuten  oder  es  unter  Hinweis  auf  got.  ulbandus  (s.  u.) 
als  einen  uridg.  Tiernamen  zu  fassen. 

Das  Tier  selbst  nennt  unter  den  Griechen  zuerst  Herodot  in  Äthio- 
pien III,  114),  dann  wird  es  von  Aristoteles  ausfuhrlich  beschrieben. 
Die  Römer  sahen  die  ersten  Elefanten  im  tarcutinischen  Krieg  und 
benannten  sie  bös  Lüca  (Lucrez  V.  1300  ff.),  weil  zunächst  in  Lukanien 
gesehen  (Isidor.  Hisp.  Orig.  XII,  2:  Hos  boves  Lucanos  vocabant 
müiqui  Romani,  boves  quin  nullum  animal  grandius  videbant,  Lu- 
canos  quia  in  Lucania  Mos  primus  Pyrrhus  in  proelio  obiecit  Ro- 
manist, dann  nach  dem  Griechischen  elephantus.  Allerdings  bestreitet 
Bücheler  Rhein.  Mus.  XL,  149  diese  Deutung  von  bös  Lüca  und  sieht 
darin  mit  Berufung  auf  Horazens: 

sive  elephans  albus  volgi  converteret  ora 
bös  louca  , weisse  Kuh'.  Doch  sind  weisse  Elefanten  eine  so  grosse  Selten- 
heit, dass  sie  kaum  je  als  Quelle  der  Namengebung  gegolten  haben 
können.   Bei  Horaz  begegnet  noch  der  dunkle  Ausdruck  barrus  (:  sert. 
edrana-,  väru-  ,Elefant'?). 

Ausserhalb  der  klassischen  Länder  Europas  ist  frühzeitig  in 
Spanien  Elfenbein  in  Gestalt  von  Knöpfen,  Ferien  und  Armbändern  ge- 
funden worden  (vgl.  Much  Kupferzeit*  S.  125),  was  bei  der  Nähe  Afrikas 
leicht  verständlich  ist.  In  Mitteleuropa  weist  das  Gräberfeld  von  Hall- 
statt 6  eiserne  Schwerter  mit  elfenbeinernen  Knäufen  auf  (vgl.  v.  Sacken 
Grabfeld  v.  H.  S.  30).  Das  Tier  selbst  sahen  die  Kelten  und  Alpen- 
völker zuerst  bei  dem  Zuge  Hannibals  (218  v.  Chr.),  der  40  Elefanten 
mit  sich  führte,  dann  in  den  Kämpfen  gegen  Doinitius  Ahenobarbus 
ungefähr  ein  Jahrhundert  später  (vgl.  H.  Gaidoz  Les  Celtes  et  les  ele- 
phants  Revue  celtique  II,  486).  Ob  und  wie  sie  es  damals  benannten,  ist 
nicht  bekannt.  In  ihrer  späteren  Terminologie  des  Tieres  gehen  die 
keltischen  und  germanischen  Sprachen  auf  das  lat.  elephas,  elephantis 
(*elpant-)  zurück  :  korn.  oliphans  etc.  (Zeuss  Gr.  Celt.*  S.  1075),  agls. 
elpend,  ylpend,  ahd.  Helfant  (helfantbein).  Über  got.  ulbandus,  altsl. 
vellbqdü  s.  u.  Kamel.  Höchst  merkwürdige  Benennungen  des  Elefanten 
zeigen  die  östlichen  und  nördlichen  idg.  Sprachen  Europas.  In 
allen  Slavinen  gilt  das  ganz  rätselhafte  slonü,  im  Litauischen  szlapts, 
tzlajus,  szlejus,  für  die  man  an  Zusammenhang  mit  sert.  qll-pada- 
»Elephantiasis'  denken  könnte.  Im  Skandinavischen  heisst  das  Tier 
fill,  dän.  ß  (ßlsbein,  filabein),  das  sich  durch  slavische  Dialekte  und 
durch  das  Neupersisch  (pil,  fil;  ebenso  Kurdisch,  Ossetisch,  Armenisch, 


Digitized  by  Google 


1*2 


Elle  —  Enkel. 


Albanesiscb,  Arabisch)  bis  ins  Indische  (scrt  pilü-)  und  Assyrische  (piru 
»Elefant',  sinni-  ptri  ,Elfenbcin')  verfolgen  lässt.  Hesych  bietet  mp{ao*a<; 
für  Elefant.  Ohne  Zweifel  haben  wir  auch  hier  ein  weitverzweigtes 
Handclswort  vor  uns,  das  für  Europa  seinen  Ausgangspunkt  in  Byzanz 
gehabt  haben  wird.  Vgl.  auch  Yulc  and  Burncll  Hobson-Jobson  S.  794  ff. 

Elle,  8.  Mass,  Messen. 

Elster,  s.  Singvögel. 

Eltern.  Eine  vorhistorische  Bezeichnung  für  diesen  Begriff  ist 
nicht  nachgewiesen.  Wahrscheinlich  war  eine  solche  in  der  Urzeit 
Überhaupt  nicht  vorhanden,  da  die  ganz  verschiedenartige  Stellung, 
welche  Vater  und  Mutter  den  Kindern  gegenüber  einnahmen,  die  Aus- 
bildung einer  zusammenfassenden  Bezeichnung  für  dieselben  verhindern 
mochte.  Siehe  Uber  die  sprachliche  Ausbildung  des  Begriffs  ,Gatten'  u. 
Ehe.  Das  Übergewicht  der  Stellung  des  Vaters  in  der  alten  Familie 
wird  durch  eine  ganze  Reihe  c  i  n  z  c  1  sprachlicher  Benennungen  des 
Elternpaares  bewiesen  :  so  durch  got.  fadrein  n.,  altn.  faderni  und 
fedgen,  alles  zu  got.  fadar  gehörige  Kollektivnamcn  für  Vater  und 
Mutter,  griech.  iraiepe?,  lat.  patres,  lit.  teteal,  alle  im  Sinne  von  pater 
et  mater,  scrt.  pitdrd  ebenso  (aber  auch  mdtdrd  und  mdtdrd  pitärau; 
vgl.  Delbrück  Verwandtschaftsnamen  S.  452).  .Ohne  besonderes  Inter- 
esse sind  Bildungen  wie  griech.  toktic?,  tov€??,  lat.  parentes,  got.  bertis- 
jös  (:  hairan)  ,die  Erzeuger',  oder  wie  ahd.  eltiron  ,die  älteren'  u.  s.  w.  — 
S.  u.  Familie. 

Elternmord,  s.  Alte  Leute. 

Emmer,  s.  Weizen  und  Spelt. 

Endivie,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Enkel.  Der  idg.  Name  dieses  Verwandtschaftsgrades  liegt  in 
der  Reihe:  scrt.  ndpdt-,  n&ptar-  ,Abkömmling  Uberhaupt,  Sohn,  im  bes. 
Enkel'  (in  der  älteren  Sprache  vorzugsweise  in  der  allgemeinen,  in  der 
späteren  nur  in  der  Bedeutung  ,Enker  gebraucht),  ndpti  »Tochter', 
»Enkelin,  aw.  Nom.  napd,  Gen.  naptö  ,Enkel',  ebenso  altpers.  und  in  den 
neuiran.  Sprachen  (npers.  netedde  u.  s.  w.,  vgl.  Horn  Grundr.  S.  234), 
napti-  ,Enkelin',  napti-  .Verwandtschaft',  griech.  dvevjjio?  (♦d-ven-njo-?), 
wörtlich  »einer,  der  mit  anderen  zusammen  zu  einer  *nepti-  gehört', 
,Mit-Enkel',  »Geschwisterkind'  (Enkel  sind  untereinander  Geschwister- 
kinder), Wnobes  (an  ttou?  angelehnt)  ,Brut',  »Abkömmlinge',  veönrpai 
(für  *vcKOTpat)*  uiüjv  8irraT€'p€s  Hes.,  lat.  nepög,  nepötis  »Enkel',  später 
auch  ,Neffe'  {nepös  »Verschwender'  scheint  ein  Lehnwort  aus  dem  Etrus- 
kischen  zu  sein),  neptw  ,Enkelin',  ,Nichte',  germanisch  agls.  nefa  .Enkel', 
,Neffe',  altn.  nefe  »Verwandter',  ahd.  neto,  mhd.  neve  ,Schwcster8ohn', 
auch  (seltener)  »Brudersohn*,  auch  ,Oheim',  dann  allgemein  »Verwandter', 
altn.  nipt,  ahd.  nift,  mhd.  niftel  ,Schwestertocliter,  Nichte',  got.  nipju 
,Vetter',  altn.  nidr  .Abkömmling'  (*niptjo-,  vgl.  oben  dvev^ioq),  lit.  (alt) 
nepoti*  ,Enkel',  neptis  »Enkelin',  altsl.  netiji  .Neffe',  nestera  (*nep-Mtera?) 


Digitized  by  Google 


Enkel  —  Epheu. 


183 


,Nichtc',  ir.  nice,  Gen.  niath  ,Schwestersohn',  necJit  .Nichte',  alb.  mbese 
,Enkcliu,  Nichte'  (aus  *nepotiä  nach  H.  Pedersen  B.  B.  XX,  228—38, 
der  auch  alb.  nip  ,Enkcl,  Neffe'  für  urverwandt  mit  dem  lateinischen 
Worte  hält).  Die  Bedeutung  ,Enkel',  ,Enkelin'  ist  demnach  auf  meh- 
reren Sprachgebieten  nachweislich  die  ältere  und  muss  als  die  urzeit- 
liche angesetzt  werden.  Über  den  Übergang  des  Wortes  in  die  Be- 
deutung von  Neffe  s.  d.  Neben  ,Enkel'  staud  schon  in  der  Urzeit 
die  allgemeinere  Bedeutung  ,A  b  k  ö  m  m  1  i  n  g',  wie  in  der  Asccndenz 
die  Wörter  für  Grossvater  wohl  ursprünglich  ,Ahn'  bezeichneten  (s. 
u.  Gross  eitern).  Weiteres  lässt  sich  Uber  die  Herkunft  des  idg. 
*nepöt-  nicht  sagen  (die  Annahme  einer  Grundbedeutung  ,Waise',  die 
Leumanu  Festgruss  an  Böhtlingk  S.  77  vorschlägt,  ist  unwahrscheinlich; 
ebenso  der  Versuch  von  Prcllwitz,  in  *ne-pötes  die  »Nicht-Herren*  zu 
erblicken).  Den  , kleinen  Ahn'  scheinen  ahd.  eninchili  und  altsl.  vä- 
nukä  (woraus  lit.  anukas)  :  ahd.  ano  zu  meinen.  Ahd.  diehter  »Enkel' 
stellt  sich  zu  sert.  tue-  „Nachkommenschaft'.  Altir.  aue  s.  u.  Sohn, 
armen,  t'orn  ist  dunkel.  Die  übrigen  Namen  des  Enkels  und  Urenkels 
wie  sert.  ptiutra-,  prapdutra-  (:  putrd  ,Sohn'),  ahd.  ferner griech. 
uiuüvöq  u.  8.  w.  bieten  nichts  von  Interesse.  —  S.  u.  Familie. 

Entbindung,  s.  Hebamme  und  Mond  und  Monat. 

Entführung,  s.  Kaubehe. 

Enthaitang,  s.  Keuschheit. 

Ente.  Der  idg.  Name  des  Vogels  steckt  in  griech.  vf\<saa,  lat. 
anatt,  ahd.  anut,  altsl.  qtl,  lit.  dntin,  sert.  dti-.  Altkorn,  hoet  etc.  kann 
damit  nicht  vereinigt  werden.  Dafür  dass  die  Ente  nicht  als  idg. 
Haustier  betrachtet  werden  kann,  sind  dieselben  Erwägungen  wie  die 
u.  Gans  angestellten  massgebend.  Übrigens  hat  gegeuüber  der  Gans 
die  Ente  im  Altertum  wie  im  Mittelalter  eine  untergeordnete  Kollc  ge- 
spielt. Ihr  Ahnherr  ist  die  in  Europa  einheimische  wilde  Ente  (Anas 
boschas  L.).  Eigentümliche  Namen  hat  das  Germanische.  Engl,  duck, 
agls.  düke  ist  der  »Taucher',  nhd.  enterich,  ahd.  antrahho  eine  Zu- 
sammensetzung von  ente  und  einem  dem  engl,  drake  , Enterich'  ent- 
sprechenden Wort.  Weiteres  vgl.  bei  Kluge  Et.  W.".  Im  Südosten  Eu- 
ropas gilt  für  Gans  und  Ente  alb.  pate  , Gans',  slov.,  bulg.,  serb.  patka 
,Ente'  (aber  auch  span.  pato,  pata  ,Gans',  früher  ,Eute'),  wohl  orien- 
talischer Herkunft  (pers.  bat  ,Entc',  arab.  bat  ,Ente,  Gans'  u.  8.  w.). 
Vgl.  E.  Hahn  Die  Haustiere  S.  286  ff.  -  S.  auch  u.  Viehzucht. 

Enzian  {Gentiana  lutea  LX  Diese  Alpenpflanze  wird  zuerst  von 
Dioskorides  III,  3  als  T€vnavn.  genannt,  angeblich  nach  einem  illyrischen 
König  Gcntis,  der  sie  zuerst  gefunden  habe. 

Epbeu  (Hedera  Ilelijr  L.).  Griech.  Kxaaoq  (Homer)  aus  *xi8jo-? 
und  lat.  hedera  werden  auf  Urverwandtschaft  beruhen.  Ahd.  ebahewi, 
ebatei,  agls.  ifig  (*iba-;  weiteres  bei  Kluge  Et.  W.,;)  ist  dunkel.  Ebenso 
die  in  den  slavischen  Sprachen  weit  verbreiteten  altsl.  bljustl  und 


Digitized  by  Google 


184 


Epheu  -  Erbschaft. 


brmljanü.  Iui  europäischen  Russland  beschränkt  sich  übrigens  der 
Epheu  auf  den  westlichen  Rand,  auf  die  Krim  uud  den  Kaukasus. 
Gemeinkeltisch:  ir.  eidenn,  kymr.  eiddew,  korn.  idhio,  das  Stokes  ürkelt. 
Sprachsch.  aus  *(p)edenno-  deutet  und  zu  griech.  TT^orj  ,Fu8sfe8sel'  stellt. 

Eppich,  8.  Garten-,  Gartenbau. 

Erbrechen,  s.  Krankheit. 

Erbschaft.  Die  Bezeichnungen  hierfür  gehen  in  den  idg.  Sprachen 
weit  auseinander.  Griechisch  gilt  KXrjpo-vöuo?,  lcXripovoueiv,  KXr|povo- 
ueTaBou.  Über  den  ersten  Bestandteil  des  Wortes,  KXfjpoq  ,Ackerlos', 
s.  u.  Ackerbau,  in  -vöpos  scheint  vepw  in  der  Bedeutung  ,regieren', 
»verwalten'  vorzuliegen,  so  dass  KXrjpo-vöuos  eigentlich  ,Losverwalter' 
wäre  «oder  ist  Wuw  hier,  wie  in  got.  niman,  »nehmen',  KXn.povöuoq  ,Los- 
nehmer',  ,Erbe"?).  Übrigens  sind  die  genannten  Ausdrücke  in  juristisch- 
technischem  Sinne  kaum  sehr  alt  (Dcmosthenes,  Isacus).  Das  Gesetz 
von  Gortyn  hat  sie  nicht.  ,l)ic  Erbschaft  erhalten'  wird  hier  durch 
to  xPHMOTa  £xnv>  Xavxävnv,  änoXavxävriv  und  dva»Xfj6ai  ausgedrückt. 
Das  lateinische  Wort  ist  heres,  heredis.  Es  gehört  zu  griech.  xfipos 
, verwaist',  und  Tieren  bezeichnet  also  einen,  der  ein  verwaistes  Gut  an- 
tritt. Zu  bemerken  ist,  dass  auch  das  griech.  xnpoq  in  der  homerischen 
Ableitung  xnpurtrvK  ei»e  Beziehung  zur  Erbschaft  angenommen  hat: 
II.  V,  158  werden  unter  xnpwo-Tai  solche  (Verwandte)  verstanden,  welche 
in  Ermangelung  von  Söhnen  den  Besitz  eines  Verstorbenen  teilen. 

Wenden  wir  uns  in  den  Norden,  und  zunächt  in  die  litu-slavische 
Welt,  so  begegnet  altpr.  waldüns  ,der  Erbe',  waldisnan  ,das  Erbe'  : 
lit.  paiceldeti  ,ererben\  eigentl.  ,regicren,  besitzen,  an  sich  bringen' 
(vgl.  lit.  icaldaü  .regiere',  das  man  aus  dem  germanischen  got.  tealdan  etc. 
entlehnt  sein  lüsst,  und  oben  den  KXrjpo-vöpo?).  Im  übrigen  wird  .Erbschaft' 
häufig  mit  Ableitungen  von  Wörtern  für  Vater  und  Grossvater  ^Väter- 
liches') bezeichnet  (vgl.  lat.  patrimönium  :  pater).  So  lit.  tetconls 
,Erbe",  tewiszke  ,das  Ei  be' :  te'icas  , Vater',  nsl.  dedina  »Erbschaft' :  altel. 
dedü  , Grossvater'  etc.  Russ.  zadnica  ist  ,Hinterlassensehaft',  altsl. 
bastina  ,das  Erbe'  türkischen  Ursprungs.  Ein  g  e  m  e  i  n  s  I  a  v  i  s  c  h  e  r  Aus- 
druck für  ,erben'  und  ,Erbe'  ist  demnach  nicht  vorhanden.  Im  Litauischen 
bürgern  sich  mehr  und  mehr  die  deutschen  arwüti,  drwas  ein.  Eine 
einzige  Übereinstimmung  besteht  auf  idg.  Gebiet,  und  zwar  zwischen 
Germanisch  und  Keltisch,  insofern  das  gemeingerm.  got.  arbi  ,dasErbe', 
arbeis,  arbi  mtmja  ,der  Erbe',  das  (vgl.  oben  lat.  heres)  zu  lat.  orbus, 
griech.  öptpavö?  ,verwaist'  gestellt  werden  mnss,  im  Irischen  (altir.  com- 
arpi  jMiterben'  =  ahd.  ganarbo  ,cohaeres')  wiederkehrt.  Da  aber  bei 
ausschliesslich  keltisch-germanischen  Entsprechungen,  namentlich  auf  dem 
Gebiet  des  Rechts-  und  Staatswesens  (8.  u.  Eid,  König,  Geisel  etc.), 
der  Verdacht  einer  Entlehnung  sehr  nahe  liegt,  so  kann  man  aus  jener 
Übereinstimmung  keinen  Schluss  auf  die  Urzeit  ziehen.  Im  Gegenteil 
machen  es  die  allgemeinen  Besitzverhältnisse  derselben  («.  u.  Eigcn- 


Digitized  by  Google 


Erbschaft. 


185 


tum)  wahrscheinlich,  dass  es  damals  überhaupt  kein  Wort  für  ,crben' 
gegeben  hat.  Natürlich  musste  es,  sobald  der  Eigentunisbegriff  den 
Indogermanen  aufgegangen  war,  auch  eine  Nachfolge  im  Eigentum 
gehen.  Solange  die  Verhältnisse  aber  so  einfache  waren,  dass  diese 
Nachfolge  ohne  jede  gesetzliche  Bestimmung  nach  uralter  Gewohnheit 
gleichsam  von  selbst  vor  sich  ging,  solange  die  Erben,  ohue  dass  eine 
Behörde  oder  dergl.  davon  Kenntnis  nahm,  gleichsam  in  die  Hinter- 
lassenschaft eines  Mannes  , hineinwuchsen',  lag  ein  Bedürfnis  zur  Prä- 
gung eines  Wortes  für  ,erben'  nicht  vor;  denn  Wörter  werden  ge- 
schaffen, nicht  schon,  wenn  die  betreffende  Sache,  welche  sie  später 
bezeichnen,  vorhanden  ist,  sondern  erst,  wenn  die  Vorstellung  von  dieser 
♦Sache  im  Volke  lebendig  wird.  Die  Vorstellung  des  Erbens  aber  konnte 
bei  den  Indogermanen  umso  weniger  lebendig  werden,  als  wir  uns 
dieselben,  wie  u.  Familie  gezeigt  ist,  in  Grossfamilien  oder  Hausge- 
meinschaften lebend  vorstellen  müssen,  bei  denen  das  gesamte  Eigen- 
tum als  Gemeinbesitz  aller  betrachtet  wird.  Der  Tod  des  einzelnen 
vermehrt  daher  wohl  den  Auteil  der  übrigen,  aber  ein  eigentliches 
Erben  findet  nicht  statt.  Es  ist  daher  kein  Zufall,  dass  gerade  im 
Osten  Europas,  wo  sich  die  ursprünglichen  Verhältnisse  am  längsten 
«rhalten  haben,  die  älteste  Gesetzgebung  (vgl.  darüber  Ewers  Das 
Recht  der  Russen  S.  260)  jeder  Verordnung  über  Erbrecht  entbehrt, 
wie  ja  auch  kein  gemeinslavischer  Ausdruck  sich  dafür  findet  (vgl. 
auch  Krek  Einleitung  in  die  slavischc  Litg. 8  S.  165). 

Freilich  musste  auch  bei  den  Indogermanen  gelegentlich  eine  Aus- 
einandersetzung über  Vermögensverhältnisse  stattfinden,  und  zwar  im 
Falle  der  Teilung  einer  Hausgemeinschaft,  sei  es,  dass  dieselbe 
durch  überzahl  der  Mitglieder  oder  durch  andere  Gründe  veranlasst  war. 
Alsdann  trat  natürlich  auch  eine  Teilung  des  Vermögens  ein,  für  die 
das  Verbum  sert.  ddyate  =  griech.  betfoueu,  vgl.  altsl.  delü  (südsl.  dijela, 
dijeliti  bezeichnet  spezifisch  die  Teilung  einer  Hausgenossenschaft)  galt 
<das  Verhältnis  von  got.  dails  ,Teil'  u*.  s.  w.  hierzu  ist  dunkel).  Später  ist 
dieses  Zeitwort  der  terminus  technicus  für  den  Begriff  jeder  Erbteilung. 

Hinsichtlich  der  Art  der  Teilung  einer  solchen  Hausgemeinschaft 
stehen  sich  bei  den  slavischen  Völkern  zwei  verschiedene  Anschauungen 
gegenüber.  Über  die  russischen  Dorfgemeinschaften  berichtet  E.  de 
Laveleye  Das  ürcigentum  S.  19:  „Weun  nach  einem  Sterbefall  eine 
Teilung  stattfindet,  was  jetzt  weniger  selten  ist  als  früher,  so  geschieht 
dieselbe  nicht  nach  dem  Verwandtschaftsgrade,  sondern  nach  der  An- 
zahl der  erwachsenen  männlichen  Personen,  welche  das  Haus  be- 
wohnen." Anders  bei  den  Südslaven.  Hier  wird  nach  Krauss  Sitte 
und  Brauch  der  Südsl.  S.  120  „bei  der  Teilung  einer  Hausgemeinschaft 
die  Fiction  aufrecht  erhalten,  als  lebten  die  Söhne  des  Mannes,  der 
das  Heimwesen  ursprünglich  gegründet;  demnach  wird  die  Teilung 
nach  Gliedern  (in  stipites)  oder  Zweiglinien  und  nicht  nach  der  An- 


Digitized  by  Google 


186 


Erbschaft. 


zahl  der  Köpfe  (in  capita),  selbstverständlich  sind  damit  die 
mann  liehen  Mitglieder  gemeint,  regelrecht  vorgenommen".  Es 
wird  sieh  weiter  unten  zeigen,  das*  der  letztere  Brauch  das  ursprüng- 
liche bewahrt. 

Wenn  nach  dem  bisherigen  von  einer  gesetzlichen  Regelung  de» 
Erbgnngs  weder  in  der  Urzeit  noch  in  den  frühesten  historischen 
Epochen  die  Rede  sein  kann,  so  erweist  sich  doch  eine  vergleichende 
Betraclitnng  der  ältesten  Erbsysteme  der  Einzelvölker  als  von  ausser- 
ordentlicher Bedeutung  nicht  nur  für  das  Verständnis  der  ursprünglichen 
Knltnrverhältnisse  der  Indogermanen  (die  Stellung  ihrer  Frauen  u.  s.  w.) 
im  allgemeinen,  sondern  auch  für  das  ihrer  ältesten  Familicnorganisatioa 
im  besonderen.  Denn  es  wird  sich  zeigen,  dass  in  jenen  ersten  Erb- 
schaftssatxungen  der  Einzelvölker  die  auf  anderen  Gebieten  teilweis  ver- 
wischten Vorstellungen  aufs  treueste  bewahrt  worden  sind,  welche  die 
Urzeit  von  Familie  und  Verwandtschaft  hatte,  (leradc  hier  bietet  sich 
die  Möglichkeit,  das  namentlich  auf  sprachlichem  Wege  über  den 
ältesten  Ausbau  der  idg.  Familie  (s.  d.)  ermittelte  sachlich  zu  prüfen 
und  zu  befestigen.  Und  zwar  dürften  sich  ans  der  Vergleichung  der 
einzelnen  Erbrechte  folgende  fünf  Sätze  als  Kernpunkte  aller  erbrecht- 
lichcn  Bestimmungen  ergeben: 

I.  Es  gab  ursprünglich  keine  Tcstameute. 

II.  Frauen  konnten  nicht  erben. 

III.  Männer  konnten  nicht  durch  Frauen  erben. 

IV.  Männer  erbten  also  nur  durch  Männer,  und  zwar  zuerst  die 
Söhne,  unter  denen  das  väterliche  Gut  geteilt  wurde,  die  Enkel  und 
Urenkel,  dann  die  Brüder  mit  ihren  Söhnen  und  Enkeln,  dann  die 
Valersbrüder  mit  ihren  Söhnen  und  Enkeln,  dann  die  Grossvatersbrüder 
mit  ihren  Söhnen  und  Enkeln. 

V.  Wenn  ein  Mann  nur  Töchter  hatte,  konnte  er  eine  derselben 
zur  „Erbtoehteru  machen  und  sie  einem  (ursprünglich  vielleicht  den 
nächsten  Verwandten  angehörigen)  Manne  unter  der  Bedingung  zur 
Frau  geben,  dass  der  erzeugte  Sohn  als  Nachfolger  und  Erbe  des- 
mütterlichen Grossvaters  gelte. 

I.  Es  gab  ursprünglich  keine  Testamente. 

Noch  in  den  älteren  Epochen  der  Einzelvölker  war  die  mündliche 
oder  schriftliche  Xicdcrlegung  des  letzten  Willens,  wie  zahlreiche 
Zeugnisse  hervorheben,  eine  unbekannte  Sache.  Näheres  darüber  s.  u. 
Testament. 

II.  Frauen  konnten  nicht  erben. 

Schon  aus  den  obigen  Angaben  geht  hervor,  dass  bei  der  Teilung 
einer  slavischen  Hansgemeinschaft  die  Frauen  leer  ausgingen.  Ganz 
undenkbar  ist  es  ferner  für  das  Begriffsvermögen  des  Volkes,  dass 
ein  aus  einer  Hausgemeinschaft  herausheiratendes  Mädchen  nach  dem 
Tode  des  Vaters  an  ihre  Brüder  irgendwelche  Erbschaftsausprüche 


Digitized  by  Google 


Erbschaft. 


187 


hinsichtlich  des  väterlichen  Vermögens  stellen  könnte.    Nur  auf  das 
Mitgebrachte  der  Mntter  steht  der  Tochter  ein  Erbanspruch  zu.  Einen 
für  die  ursprünglichen  Anschauungen  höchst  lehrreichen  Vorfall  dieser 
Art  erzählt  Krauss  a.  a.  O.  S.  286  ff.    Die  Witwe  hat  ein  Anrecht 
darauf,  in  der  Hausgemeinschaft  ihres  verstorbenen  Mannes  Wohnung 
und  Unterhalt  zu  finden.   Scheidet  sie  aus  derselben  aus,  so  „erbt  sie 
nicht  das  Geringste  von  ihrem  Manne.   Sie  kann  nur  die  mitgebrachte 
Aussteuer  (Wüsche  und  Schmuckgegenstände)  mitnehmen;  selbst  die 
Geschenke,  die  sie  von  ihrem  ersten  Manne  erhalten,  mnss  sie  der 
Hausgemeinschaft  zurückgeben"  (Krauss  S.  579  f.).    Dieser  uns  hier 
noch  in  der  Gegenwart  entgegentretende  Zustand  lässt  sich  nun  teils 
mit  grösserer,  teils  mit  geringerer  Deutlichkeit  noch  in  den  Erbrechten 
der  verwandten  Völker  nachweisen.   Hei  den  Indern  äussert  sich  mit 
Bestimmtheit  Baudhäyana  Dhanna-sntrn  11,  2,  3,  44  ff.  Uber  die  Erbun- 
fähigkeit der  Frauen:  Women  do  not  poxsexx  independence  451  Now 
they  quote  also  (the  folloicing  verxe)  :  /Vheir  father  protectx  ithem) 
in  childhood,  their  huxband  protectx  (themt  in  youth,  and  tbeir  xonx 
protect  ithem)  in  old  age;  a  tcoman  is  never  fit  for  independence 
46).  The  Veda  declarex  :  ,Therefore  icomen  are  conxidered  to  be 
destitute  of  xtrength  and  of  a  portion  (ddya-  :  baioficu  s.  o.j.  Vgl. 
dazu  Äpastamba  II,  6,  14;  2  ff.,  der  die  Witwe  gar  nicht  erwähnt 
und  die  Tochter  erst  hinter  den  Sapindns  (s.  u.)  einschiebt,  und 
für  beide  die  betreffenden  Noten  Bühlers.   Auch  Jolly  Sitte  und  Recht 
S.  86  gelangt  zu  dem  Schluss,  dass  die  Erbfähigkeit  der  Frauen  ein 
sekundäres  und  darum  viel  umstrittenes  Prinzip  der  altindischen  Erb- 
ordnnng  sei.   Nach  griechischem  Recht  konnten  in  Attika  die  weib- 
lichen Familienglieder  nur  auf  Unterhalt  und  Ausstattung  aus  dem 
Hausvermögen,  nie  auf  eigenen   Besitz  Anspruch  machen  (vgl. 
Thalheim  Rechtsaltert.  S.  56t,  während  in  Gortyn  galt:  „Wenn  einer 
stirbt,  sollen  die  Häuser  in  der  Stadt  und  was  in  den  Häusern  drin 
ist,  denen  kein  Häusler  inwohnt,  der  auf  der  Stelle  haust,  und  das 
Triftvieh  und  starkfüssige,  was  nicht  eines  Häuslers  ist,  bei  den  Söhnen 
stehen;  das  andre  Vermögen  aber  all  sollen  sie  teilen  schön  (bcrrcBOat 
KctAö^),  und  sollen  bekommen  die  Söhne,  so  viele  sind,  zwei  Teile 
jeder,  die  Töchter  aber,  so  viele  sind,  einen  Teil  jede"  (Das  Recht 
von  Gortyn  von  F.  BUcbcler  und  E.  Zitclmnnn,  IV  32  ff.).   Alles  echte 
Eigentum  also,  ebenso  wie  das  Vieh,  gehört  ausschliesslich  den  Söhnen, 
während  hinsichtlich  des  übrigen  eine  Milderung  des  noch  deutlich 
durchblickenden  ursprünglichen  Zustandes  zu  Gunsten  der  Töchter  ein- 
getreten ist. 

Überaus  ähnliche  Erscheinungen  zeigt  das  altgermanisehe  Recht. 
Die  skandinavische  und  deutsche  Erbfolge  stimmen  darin  überein,  dass 
der  Landbesitz  bei  den  Männern  bleibt.  Vgl  Lex  Salica  ed.  Hessels 
Cod.  I,  LVI1II,  5:  De  terra  vero  nulla  in  midiere  hereditax  perti- 


Digitized  by  Google 


188 


Erbschaft. 


nebit,  sed  ad  virilem  sexum  qui  fratres  fuerint  tota  terra  perteneunt  = 
Lex  emend.  LXII,  6:  De  terra  vero  Salica  nulla  portio  hereditatis 
mulieri  veniat,  sed  ad  virilem  sexum  tota  terrae  hereditas  perveniat. 
Hinsichtlich  der  fahrenden  Habe  aber  ist  nur  der  Norden  auf  dem 
urzeitlichen  Standpunkt,  wie  er  durch  den  Satz:  ,,Der  Mann  geht  zum 
Erbe,  das  Weib  davon"  ausgedrückt  wird,  stehen  geblieben,  und 
erst  später  zeigt  sich  (ganz  wie  in  Gortyu)  auch  dort  die  Milderung, 
dass  die  Töchter  auf  den  halben  Teil  der  Söhne  gesetzt  werden.  Im 
deutscheu  Recht  hingegen  nehmen  Söhne  und  Töchter  am  Fahrnis  mit 
gleichen  Quoten  teil  (vgl.  J.  Grimm  R.-A.  S.  407,  472  f.). 

Der  allmähliche  Sieg  des  Erbrechts  der  Frauen  im  mittelalterlichen 
Europa  wird,  ausser  auf  die  fortschreitende  Milderung  der  Sitten,  nicht 
am  wenigsten  auf  den  Einfluss  des  römischen  Rechte  zurückzufahren 
sein,  das  schon  in  seiner  ältest  erreichbaren  Gestalt  die  (unverheiratete) 
Tochter  dem  Sohne,  die  (unverheiratete)  Schwester  dem  Bruder  im 
Erbgange  gleich  gestellt  hatte.  Weiterhin  aber  waren  die  Agnatiunen 
nicht  zu  der  legitima  hereditas  zugelassen.  Vgl.  Gai.  III,  23:  Item 
feminae  agnatae,  quaecunque  comanguineorum  gradum  excedunt, 
nihil  iuris  ex  lege  habent  und  Ulpian  tit.  XXVI,  6:  Ad  feminas  ultra 
comanguineorum  gradum  legitima  hereditas  non  pertinet\  itaque 
soror  fratri  sororive  legitima  heres  fit.  Es  liegt  vom  vergleichenden 
Standpunkt  nahe,  diese  Zurücksetzung  der  Frauen  als  Kachhall  einer 
Zeit  zu  betrachten,  in  der  es  überhaupt  kein  Intestaterbrecht  der 
Frauen  in  Rom  gab.  Doch  erblicken  die  Mehrzahl  der  Juristen  darin  umge- 
kehrt eine  spätere  Neuerung  (vgl.  Rein  Privatrecht  S.  386).  Unzweifel- 
haft hat  sich  das  älteste  Eigentums-  und  Erbrecht  der  Frau  zuerst  hin- 
sichtlich des  Schmuckes  und  der  Mitgift  der  Mutter  entwickelt, 
wie  es  auch  Baudhäyana  (a.  o.  a.  0. 43)  hervorhebt:  The  daughters  shall 
obtain  the  Ornaments  of  their  mother,  (as  many  as  are)  presented 
aecording  to  the  custom  {of  the  caste),  or  anything  ehe  (that  may 
be  given  [by  the  matemal  grandfather)  aecording  to  custom.  Es  ist 
das,  was  im  indischen  Recht  strhdhana-  ,Frauengut'  (Jollv  S.  87  ff.), 
im  deutschen  gerdde  heisst.  Dass  aber  in  der  Urzeit  der  Begriff  der 
dös  noch  unbekannt  war,  ist  u.  Mitgift  gezeigt  worden,  und  der  wenige 
Schmuck,  den  die  Frau  in  der  Urzeit  besass,  wird  ihr  zum  grössten 
Teil  ins  Grab  nachgefolgt  sein  (s.  u.  Bestattung  und  u.  Eigeutum). 
III.  Männer  konuten  nicht  durch  Frauen  erben. 

Die  Richtigkeit  dieses  Satzes  lüsst  sich  nicht  so  direkt,  aber  mit 
nicht  geringerer  Sicherheit  wie  der  vorige  erweisen. 

U.  Familie  ist  auf  anderem  Wege  gezeigt  wordeu,  dass  der  Ver- 
wandtschaftsbegriff der  idg.  Urzeit  der  agna tische  war,  dass  ein 
ego  weder  die  Verwandten  seiner  Frau  als  mit  sich  verschwägert, 
noch  die  Kinder  dieses  ego  die  Verwandten  ihrer  Mutter  als  mit  sich 
verwandt  betrachteten. 


Digitized  by  Google 


Erbschaft. 


Wenn  dem  aber  so  war,  so  muss  von  einem  Standpunkt  ans,  welcher 
in  den  ältesten  Erbbcstinimnngen  nichts  als  den  Ausfhiss  der  ältesten 
Familienorganisation  erblickt,  es  von  vornherein  als  ausgemacht  gelten, 
dass  auch  der  Erbgang  bei  den  idg.  Völkern  in  den  ältesten  Zeiten 
agnatisch  geordnet  war.  Findet  sieh  daher  bei  einem  der  idg.  Völker 
ein  so  gestaltetes  Erbrecht  in  ungetrübter  Reinheit  vor,  so  wird  es  au 
sich  wahrscheinlich  sein,  dass  hier  der  ursprüngliche  Zustand  bewahrt 
wurde.  Dies  ist  nun  thatsächlieh  der  Fall  im  römischen  Recht,  dessen 
Erbgesetz  nach  den  XI 1  Tafeln  lautete:  Si  intestato  moritur  cui  mus 
heres  nec  escit,  agnatux  projeimux  familiam  habet o.  Die  Wahrschein- 
lichkeit aber  dafür,  dass  in  diesem  kurzen  Satze  wirklich  das  älteste 
des  alten  enthalten  ist,  würde  sich  steigern,  wenn  es  gelänge,  in  den 
Erbbestimmungen  der  übrigen  idg.  Völker  die  Überreste  jenes  ursprüng- 
lichen Zustandes  wiederzufinden.  Dies  soll  im  folgenden  versucht 
werden.  In  den  indischen  Rechtsbüchern  wird  die  Frage,  von  wem 
das  Erbe  angetreten  werde,  wenn  keine  Söhne  daseien,  regelmässig 
beantwortet:  „Von  dem  nächsten  Sapinda".  Vgl.  z.  H.  Apastamba  II, 
14;  2:  On  failure  of  xonx  the  nearext  Sapinda  (takex  the  inheritance). 
Welcher  Verwandtenkreis  wird  nun  mit  diesem  Worte  bezeichnet?  Die 
ausführlichste  Definition  desselben  giebt  Baudhäyana  I,  5,  11;  9: 
Moreover,  the  great-grandfather,  the  grandfather,  the  father,  oneself, 
the  uterine  brotherx,  the  xon  by  a  wife  of  equal  carte,  the  grand- 
xon,  (and)  the  greatgrandson  —  these  they  call  Sapinda «, 
but  not  the  (great-grandson's)8on.  Überblickt  man  diese  Verwandten, 
so  werden  nur  Männer  genannt,  die  durch  Mänucr  verwandt  sind.  Zwar 
ist  es  aus  unten  noch  anzuführenden  Gründen  so  gut  wie  sicher,  dass 
zu  den  Brüdern,  dem  (iross-  und  Urgrossvatcr  auch  deren  Söhne  und 
Enkel  gehören.  Diese  liegen  iinplicite  in  den  genannten  Personen 
darin.  Schwcstcrsöhnc  aber  können  nach  dieser  Definition  schlechter- 
dings nicht  zu  den  Sapindas  gehört  haben;  denn  es  hätte  alsdann 
irgend  eine  Beziehung  auf  sie  genommen  werden  müssen.  Dass  aber 
der  grand-xon  nur  der  Sohn  des  Sohnes,  nicht  der  der  Tochter  gewesen 
sein  kaun,  folgt  aus  dem  bei  den  Indern  in  voller  Blüte  stehenden 
Institut  der  Erbtochter  fs.  d.)  mit  Sicherheit.  Würde  doch  dasselbe 
jedes  vernünftigen  Sinnes  entbehren,  wenn  jeder  Tochtersohn  (dauhi- 
tra-)  Erbe  des  mütterlichen  Grossvaters  gewesen  wäre  und  nicht  erst 
durch  einen  besonderen  Akt  zu  einem  solchen,  zum  ptttrikd-putra-  hätte 
gemacht  werden  müssen.  „Wenn  keine  Sapindas  da  sind",  fährt 
Baudhäyana  fort,  „geht  das  Erbe  an  die  Sakulyas".  Zu  dem  letzteren 
Wort  bemerkt  der  Commentator  Govinda :  If  a  partkidar  relMionxhip 
ix  knoten,  they  are  called  Sapindas',  and  if  {the  fact)  only  ix  known 
that  relationship  exists,  Sakulyas.  Herne  the  Sapindas  are  aho 
Sakulyas.  Ist  dies  richtig,  so  würden  die  Sapindas  den  römischen 
agnati  (mit  nachweisbarem  Gradus),  die  Sakulyas  aber  den  römischen 


Digitized  by  Google 


290 


Erbschaft. 


gentile*  (Agnaten  mit  nicht  nachweisbarem  Gradust  entsprechen,  auf 
die  in  Ermangelung  der  crateren  auch  in  Rom  die  Erbschaft  Uberging 
(XII  Tafeln:  Si  adgnatus  nec  escit,  gentiles  familiam  habento).  That- 
sächlich  deckt  sich  begrifflich  sert.  m-kulya-  :  küla-  , Wohnsitz,  Fa- 
milie, Geschlecht'  (mau  vergleicht  lit.  keltis,  lett.  zilts  »Geschlecht', 
altsl.  celjadl  , Familie",  ir.  cland  .Geschlecht,  Clan')  genau  mit  dem 
lat.  gentili*  :  gens. 

Der  so  ermittelte  Sinn  des  Wortes  Sapinda  ergiebt  sich  aber  auch 
aus  dem  Gebrauch,  den  Gautama  und  sein  Commentator  Haradatta  von 
demselben  macht.  Bei  Gelegenheit  seiner  Darstellung  der  Lehre  von 
der  Unreinheit  bei  dem  Tode  eines  Verwandten  (vgl.  auch  Delbrück 
Verwaudtschaftsnamen  8.  570 f.)  zählt  der  erstere  (XIV,  15;  19/20) 
folgende  drei  verschiedene  Arten  von  Verwandten  auf:  1.  den  sapinda- f 
2.  den  asapinda-,  3.  den  yönisambandha-.  Das  Wort  asapinda  ,Nicht- 
Sapinda'  erklärt  Haradatta  mit  Samänödaka  i.  e.  ,,a  kinsman  bearhig 
the  same  family  name,  but  more  than  six  degrees  removed"  (vgl. 
oben  Sakulya),  das  Wort  yönisambandha  mit  „the  maternal  grand- 
father,  a  maternal  aunt's  sons  and  their  sons  etc.,  the  fathers  of 
wives  and  the  rest".  Der  Herausgeber  G.  Bühler  fügt  hinzu:  „The 
latter  term  (yönisambandha-  :  yö'ni-  .Mutterleib',  ,vulva')f  for  tcJiich 
fa  person  related  through  a  female  would  be  a  more  exaet 
rendering  (than  the  one  given  above,  nämlich  ,a  relative  by  marriage  ), 
includes,  therefore.  thoxe  persona,  icho,  aecording  to  the  terminology 
of  Manu  and  Yäjnacalkya,  are  called  Bhinnagotrasapindas,  Bdnd- 
havas,  or  Bandhus".  Ist  das  aber  richtig,  so  bleibt  für  die  Sapindas 
nur  die  Bedeutung  übrig:  „ein  Verwandtenkreis  von  Männern,  die 
innerhalb  eines  bestimmten  Kreises  durch  Männer  verwandt  sind". 

Nun  finden  sich  allerdings  vor  den  Sakulyas,  bezüglich  an  Stelle 
derselben,  gelegentlich  die  Sapindas  der  Mutter  oder  die  Bandhus  ein- 
geschoben, sowohl  als  solche,  welche  die  Totensacra  darbringen  (  vgl. 
Gautama  XV,  10;  13),  als  auch  als  solche,  welche  die  Erbschaft  an- 
treten (vgl.  The  Institutes  of  Vishuu,  trauslatcd  by  .1.  Jolly  XVII,  20;  10, 
dazu  den  Commentator  Vishnu's  Nandapandita).  Unzweifelhaft  hat  man 
es  hier  aber  mit  nichts  anderem  zu  thun  als  dem  auf  idg.  Völkergebiet 
überall  wiederkehrenden  Versuch,  der  allmählich  erkannten  Verwandt- 
schaft durch  die  Frauen  gerecht  zu  werden.  Zu  dieser  Überzeugung 
ist  auch  Jolly  Sitte  und  Recht  gekommen,  indem  er  S.  86  hervorhebt : 
„Die  Beteiligung  der  Kognaten  an  der  Successiou  ist  offenbar 
ein  mindestens  ebenso  sekundäres  Prinzip  wie  die  Beteiligung 
der  Frauenu.  Cbcr  die  heutigen  Verhältnisse  des  Pendjab  aber  fügt 
er  hinzu  :  „Das  Gewohnheitsrecht  des  Pendjab  stimmt  auch  hier 
wieder  mehrfach  mit  den  Smrtis  überein,  obschon  ihm  der  Zusammen- 
hang des  Erbrechts  mit  den  Totenopfern  fremd  ist.  Die  Erbfolge 
ist  streng  agnatisch  geordnet,  nach  Parentelen  und  mit  nnbe- 


Digitized  by  Google 


Erbschaft. 


191 


-dingtem  Rcpräsentationsrccht;  nie  geht  das  Familiengut  aus  dem  got 
(götra-)  hinaus.4' 

Es  ergiebt  sieh  also,  das»  das  indische  dem  römischen  Erbrecht  sehr 
nahe  steht  nnd  beide  auf  eine  ihnen  zu  Gruudc  liegende  agnatischc 
Organisation  der  idg.  Familie  hinweisen. 

In  höherem  Grade  dagegen  als  bei  den  Indern  wird  der  Satz  „Männer 
erben  nur  durch  Männer''  bei  den  Griechen  durch  Berücksichtigung 
kognatischer  Verwandten  durchbrochen.  Zwar  können  auch  hier  die 
Söhne  von  Töchtern  im  allgemeinen  als  Erben  nicht  in  Betracht  gekommen 
sein:  sie  müssen  vielmehr  erst  durch  das  Institut  des  Erbtöchtertums 
künstlich  zu  solchen  gemacht  werden.  Aber  deutlich  rücken  in  dem 
Gesetz  von  Gortyn  (V,  10  ff.)  in  dem  Fall,  dass  der  Verstorbene  keine 
Kinder,  keine  Enkel  uud  keine  Urenkel  hinterlässt,  auch  Brüder  des 
Verstorbenen  mit  Kindern  und  Kindeskindern  nicht  vorhanden  sind, 
die  Schwestern  mit  ihren  Kindern  und  Kindeskindern  in  die  Erbschaft 
ein.  Wie  in  diesen  Dingen  die  Verhältnisse  in  Attika  lagcu,  muss  hier 
unbestimmt  gelassen  werden:  denn  leider  ist  die  Hauptstelle,  auf  die 
sich  unsere  Kenntnis  des  attischen  Erbgangs  stützt  (Demosth.  in  Ma- 
cartatum  p.  1007],  seit  alters  und  in  vielen  Punkten  so  sehr  umstritten, 
dass  sie  hier  nicht  erörtert  werden  kann.  Ganz  klar  ist  nur  die  an 
dieser  Stelle  enthaltene  Angabe  Uber  die  Heranziehung  der  mütter- 
lichen Verwandten:  iäv  be  un.  ukJi  npö«;  naTpos  uexpi  ävenmiiv  ttcuoujv 
(Vettern  zweiten  Grades,  semnd  com*/»«),  tou^  rcpö^  toö  dv- 

bpöq  KUTtt  T'aÜTO  Kupiou?  €ivat.  Das  würde  indisch  ausgedruckt  heisseu: 
„Wenn  keine  Sapindas  von  väterlicher  Seite  vorhanden  sind,  erst  dann 
erben  die  Sapindas  der  Mutter"  oder  mit  anderen  Worten :  „Erst  wenn 
nicht  einmal  ein  Enkel  meines  Grossvatersbruders  lebt,  kommen  die 
Verwandten  meiner  Mutter  au  die  Reihe  in  der  Erbschaft." 

Ob  diese  Einschiebung  der  mütterlichen  Verwandten  auch  in  Kreta 
stattfand,  lässt  sich  uicht  sagen.  Nach  dem  Gesetze  von  Gortyn  (V,  23) 
sollen,  wenn  auch  keine  Enkel  von  Schwestern  da  sind,  die  dmßäX- 
Xovt€?  (olq  k'  tTTißüXXei  öttö  k'  ei )  erben.  Man  kann  leider  nicht  mit  Be- 
stimmtheit sagen,  was  das  für  Leute  sind. 

Für  die  germanischen  Verhältnisse  sind  wir  in  der  frühesten  Zeit 
lediglich  auf  die  Angabe  des  Tacitus  Genn.  Cap.  20  angewiesen,  welche 
lautet:  Heredes  tarnen  (d.  h.  trotz  der  im  Vorhergehenden  besprochenen 
Vorzugsstellung  des  Mutterbruders)  successoresque  sui  cuique  liberi  et 
nullitm  testamentum.  si  liberi  non  sunt,  proximus  gradutt  in  pox- 
xet&ione  fratres,  patrui,  avuneuli.  Dass  unter  den  liberi  nur  Söhne 
zu  verstehen  sind,  ist  nach  dem  Früheren  sicher.  Über  die  Erbschaft 
der  Töchtersöhne  ist  aus  den  Worten  des  Schriftstellers  nichts  zu  ent- 
nehmen. Sehr  wichtig  aber  ist,  dass  hinter  den  fratre*  (und  offenbar 
ihren  Söhnen  und  Enkeln)  die  Schwestern  mit  ihrem  Nachwuchs 
fehlen.    So  schliessen  sich  an  die  fratrett  unmittelbar  die  patrui 


Digitized  by  Google 


lf-2 


Erbschaft. 


(olfenbar  wiederum  mit  Söhnen  und  Enkeln)  an.  Wären  nun  hinter  den 
patrui  noch  die  magni  patrui  (mit  Sühnen  und  Enkeln)  genannt,  so 
würde  das  so  gewonnene  Bild  des  altgermanischen  Erbgangs  in  allem 
wesentlichen  dem  oben  als  ursprünglich  angenommenen  entsprechen. 
Statt  dessen  erscheinen  hinter  den  patrui  gleich  die  aruneuli,  wodurch 
bei  den  Germanen  ein  um  eine  Stufe  früheres  Heranziehen  der 
mütterlichen  Verwandten,  als  wir  es  bei  Indern  ausnahmsweise  und 
Griechen  wohl  regelmässig  fanden,  bezeugt  wird. 

So  scheint  sich  folgender  Zustand  für  die  Beurteilung  des  Alters 
der  frühesten  Erbbestimmnngen  bei  den  idg.  Völkern  zu  ergeben:  Geht 
man  von  dem  agnatischen  Prinzip  des  Erbrechts  der  12  Tafeln  aus, 
so  kann  die  bei  den  übrigen  Völkern  teils  mehr,  teils  weniger  hervor- 
tretende auffällige  Zurücksetzung  der  durch  Frauen  vermittelten  Ver- 
wandten im  Erbgang  ohne  Schwierigkeiten  aufgefasst  werden  als 
beruhend  auf  der  allmählichen  Durchbrechung  des  agnatischen  Familien- 
gedankeii8  durch  die  Bcrüeksiehtiguiig  der  durch  Weiber  vermittelten 
Verwandtschaft.  Wollte  man  aber  annehmen,  dass  von  vornherein  bei 
den  Indogcrmanen  Kognaten  zur  Erbschaft  zugelassen  worden  seien, 
so  würde  sowohl  jene  nun  genugsam  erörterte  Zurücksetzung  derselben, 
wie  auch  vor  allem  der  ganze  Grundgedanke  des  römischen  Erbrechts 
dunkel  sein. 

IV.  Männer  erbten  also  nur  durch  Männer. 
In  welcher  Weise  aber  erbten  Männer  durch  Männer?  Zuerst 
ist  von  den  Söhnen  zu  sprechen.  Drei  Bestimmungen  finden  sich  in 
dieser  Beziehung  in  den  ältesten  Erbrechten  der  Indogcrmanen:  Ent- 
weder soll  der  Erstgeborene  das  ganze  Gut  des  Vaters  erben,  oder 
er  soll  einen  Vorzugsteil  erhalten,  oder  die  Söhne  sollen  alle  zu  gleichen 
Teilen  erben.  Bei  den  indischen  Rcchtslehrern  linden  sieh  alle  drei 
Modi  angegeben.  Vgl.  Gautama  XXV11I,  1 ):  After  the  father's  death 
let  the  sons  diride  his  estate  3)  Or  the  whole  (estate  may  go)  to  the 
first  born;  (and)  he  xhall  support  the  reut)  as  a  father  Oi,  10)  Or 
let  the  eldest  hare  two  shares,  And  the  rest  one  each,  Baudhavaua  II, 
2,  B;  2  ff. :  The  Veda  (says)  ,Manu  divided  his  estate  anwng  his  sons. 
(A  father  may,  therefore,  diride  his  property)  equally  among  all, 
without  {making  any)  differenve.  Or  the  eldest  may  reeeice  the  most 
e.rcellent  chatte!.  (For)  the  Veda  says  .Therefore,  they  distinguish 
the  eldest  by  (an  additional  share  of  the)  property'.  Or  the  eldest 
may  reeeice  {in  excess)  one  part  out  of  ten;  (And)  the  other  (sonn) 
xhall  reeeice  equal  shares,  Apastaniba  II,  6,  14;  1 :  He  should,  du  ring 
his  lifetime,  diride  his  wealth  equally  amongst  his  sons  6)  Some  de 
clnre,  that  the  eldest  son  alone  inherits  7)  In  some  countries  gold, 
(or)  black  cattle,  (or)  black  produce  of  the  earth  is  the  share  of  the 
eldest.  Im  allgemeinen  befürworten  diese  indischen  Juristen  die  Teilung, 
bezüglich  die  gleichmäßige  Teilung  unter  Söhnen.    Gautama  a.  a.  0. 


Digitized  by  Google 


Erbschaft. 


193 


v.  4  hebt  hervor:  Hut  in  partition  there  is  an  increa.se  of  spiritual 
merit.  und  Apastamba  (a.  a.  0.  v.  13)  polemisiert  (ohne  ihn  zu  nennen) 
gegen  die  Heranziehung  der  zweiten  von  Baudhäyana  angeführten 
Vedastclle,  die  die  Bevorzugung  des  Erstgeborenen  empfiehlt,  da  sie 
nicht  beweiskräftig  sei  (vgl.  Bühlcr  Sacred  Books  11,  XX  ff... 

In  Griechenland  wurde  seit  Anfang  der  i'berlieferung  das  väter- 
liche Gut  gleichmässig  unter  die  Söhne  verteilt.  Ho  geschah  es  bei 
den  Göttern,  als  die  Welt  zwischen  Zeus,  Poseidon  und  Hades  geteilt 
wurde  (II.  XV,  189:  xpix9«  be  Trdvra  bibaoxav,  so  bei  den  Menschen 
(Od.  XIV,  209:  toi  b€  Zwnv  ^bäaavxo  rcatbeq  Ü7rep6uuoi  Kai  im 
KXiipou?  ^ßdXovTot,  so  schrieb  es  auch  das  spätere  Gesetz  vor:  äiravTa«; 
Touq  Tvnffiou«;  iaonoipou?  €?vai  tüjv  naTpiywv  (Is.  VI,  25  p.  60).  Gleich- 
wohl schimmert  eine  gewisse  Bevorzugung  des  Erstgeborenen  bei  Homer 
(II.  XV,  204 :  oio*6'  d>s  TTp€0"ßuTCpoio"iv  'Eptvuc?  atev  £ttovt(ii)  und  später 
(vgl.  Thalheim  Griech.  R.-A.  8.  54 ')  noch  durch.  In  Rom  fällt  das 
Erbe  den  Kindern  zu  gleichen  Teilen  zu.  Bei  den  Slaven  fehlt  in 
den  ältesten  Aufzeichnungen,  wie  oben  bemerkt,  jede  Bestimmung  über 
den  Erbgang.  Erst  das  Gericht  {sydü)  des  .laroslav  Wladimirowitsch 
(XIII.  Jahrh.)  schreibt  vor:  „Wenn  jemand  sterbend  das  Haus  (domü) 
unter  seine  Kinder  verteilt,  so  bleibt  es  dabei.  Hinwiederum  stirbt 
er  ohne  alle  Bestimmung,  dann  (gehört  es)  allen  Kindern"  (Ewers 
S.  326). 

Für  die  Germanen  lässt  die  oben  angeführte  Stelle  der  Germania 
(Cap.  20  )  auf  gleiche  Verteilung  der  Erbschaft  unter  die  Kinder  schliessen. 
Daneben  aber  heisst  es  in  derselben  Schrift  über  die  Tencterer  (Cap.  32): 
Inter  familiam  et  penatex  et  iura  successionum  equi  traduntur  :  ex- 
eipit  ßius,  non  ut  cetera,  maximutt  natu,  sed  prout  ferox  hello 
et  melior.  Es  scheint  also,  dass  bei  den  Tcncterern,  und  wahrscheinlich 
auch  noch  in  anderen  Teilen  Germaniens,  das  Recht  der  Erstgeburt 
herrschte. 

Über  das  Verhältnis  der  so  geschilderten  Erbmodi  zu  einander  dürfte 
nach  dem  bisherigen  ein  Zweifel  nicht  möglich  sein.  Wenn  der  Erst- 
geborene mit  der  Verpflichtung,  die  übrigen  wie  ein  Vater  zu  unterhalten, 
alles  erbt,  dann  findet  eben  eine  Erhtcilnng  Überhaupt  nicht 
statt.  Die  Hausgemeinschaft  bleibt  bestehen.  Mit  der  Re- 
giernngsgewalt  (s.  u.  Familie)  geht  das  unbeschränkte  Verwaltungsrecht 
über  das  Eigentum  der  Familie  auf  den  ältesten  Sohn  über.  Dies  war 
sozusagen  der  normale  Zustand  der  idg.  Urzeit.  Fand  aber  eine 
Teilung  statt,  was,  je  mehr  im  Laufe  der  Zeit  die  Sonderfamilie  an  die 
Stelle  der  Grossfamilie  trat,  immer  mehr  das  gewöhnliche  wurde,  so  wurde 
das  Vermögen  an  die  Söhne,  bezüglich  an  die  Stämme  einstiger  Söhne 
(s.  o.)  im  ganzen  glcichmässig  verteilt.  Ehrengeschenke  an  den  Altesten 
(sert.  jyäijthfhya-,  griech.  npecrßeiov)  waren  dabei  nicht  ausgeschlossen. 

Hinsichtlich  der  weiteren  Regelung  des  Erbgangs  bei  den  Einzel- 

Schratler.  ReaUexikon.  1'* 


Digitized  by  Google 


194 


Erbschaft. 


Völkern  tritt  uns  auf  indischem  und  griechischem  Oehiet  der  Begriff 
einer  Nah  Verwandtschaft  entgegen,  wie  er  in  der  indischen  Sapinda- 
Familic  und  in  dem  griechischen  Kreis  der  'Arxiffte»?  oder  Nächsten, 
der  Verwandtschaft  nc'xp«  ctve^nuv  Trcubwv  vorliegt.  Unzweifelhaft  (s.  o.) 
umfasste  der  indische  Ausdruck  solche  (männliche  und  durch  Männer 
vermittelte)  Verwandte,  welche  einen  gemeinsamen  Vater,  Gross-  oder 
Urgrossvater  hatten.  Die  Grenze  der  Nahverwandtschaft  bildete  also  mir 
gegenüber  der  Enkel  meines  Grossvaterbruders.  Denselben  Verwandten 
meint  aber  bei  den  Definitionen  der  Anchistie  wahrscheinlich  auch  das 
griech.  dv€vjnaboö<;  (=  dv€i|;ioö  Ttaiq),  also  , Vetter  II.  Grades,  second 
couän'  (demnach  nicht  wie  sonst  den  Sohn  meines  Vetters,  den  Enkel 
meines  Oheims,  den  first  couxin  once  rewored).  Dies  scheint  namentlich 
aus  dem  Gortynischen  Erbrecht  zu  folgen,  nach  dem  (ganz  wie  bei  den 
Indern  s.  o.)  die  Dcscendenten  eines  Verstorbenen  bis  zum  Urenkel 
(nicht  Ururenkel),  die  Nachkommen  seines  Bruders  nur  bis  zum  Enkel 
(nicht  Urenkel)  erben.  Aus  dieser  Dreistufigkeit  der  Deseendenz,  die 
natürlich  auf  einer  Dreistufigkeit  der  Ascendeuz  basiert,  mit  einem 
Worte  aus  der  Vorstellung  eines  Dreiahnenkreises  (s.  auch  u.  Vor- 
fahren) ergiebt  sich  aber  als  ältester  Modus  des  Erbgangs  der  oben 
aufgestellte  Satz  von  selbst,  nach  dem  zuerst  die  männlichen  Dcscen- 
denten eines  Verstorbenen  bis  zum  Urenkel,  dann  die  Brüder,  dann  die 
Oheime  (patrui),  dann  die  Grossoheime  (magni  patrui)  mit  Söhnen 
und  Enkeln  erbten  (so  auch  B.  Delbrück  Preuss.  Jahrb.  LXX1X,  21). 

Eine  derartige  schenmtische  und  abstrakte  Verwandtschaftsberech- 
nung muss  sich  aus  ganz  bestimmten,  konkreten  Verhältnissen  der 
Urzeit  ableiten  lassen.  Solche  bieten  die  Zustäude  der  idg.  Hausge- 
nos8enschaft  dar.  „Der  Umfang  der  Gesaiutfauiilie",  berichtet  Jolly 
von  der  indischen  Hausgeuosscuschaft  (a.  a.  0.  S.  79)  „war  und  ist 
häufig  ein  sehr  bedeutender.  Nicht  bloss  Eltern  und  Kinder,  Brüder 
und  Stiefbrüder  leben  in  Vennögensgemeinschaft,  sondern  dieselbe  kann 
sich  auch  auf  Ascendenten,  Deseendcnten  und  Seitenverwandte  aus 
mehreren  Generationen  erstrecken.  Bei  der  Sitte  der  frühen  Heiraten 
konnte  der  paterfamilias  noch  in  jungen  Jahren  zum  Grossvater  werden 
und  häufig  auch  zum  Urgrossvater  avancieren".  Auch  in  den  arme- 
nischen Hausgemeinschaften  (vgl.  Barchudarian  bei  Leist  Jus  civile 
I,  498)  leben  oft  sehr  zahlreiche  verheiratete,  also  mit  Kindern  (Ur- 
enkeln) versehene  Enkel  beieinander.  Etwas  weniger  ausgedehnt, 
wenigstens  heut  zu  Tage,  ist  die  Verwandtschaft  der  s  1  a  v  i  s  c  h  e  u 
Hausgemeinschaft  („selbstverständlich  nur  in  männlicher  Linie";  vgl. 
Krauss  a.  a.  0.  S.  75). 

Da  auch  für  die  idg.  Urzeit  ein  verhältnismässig  frühes  Heirats- 
alter (s.  d.)  anzunehmen  sein  wird,  so  steht  der  Annahme  nichts  im 
Wege,  dass  die  gewöhnliche  Ausdehnung  der  idg.  Hausgemeinschaft 
dieselbe  wie  bei  Indern  und  Armeniern  gewesen  sein  wird,  dass  also 


Digitized  by  Google 


Erbschaft. 


195 


auch  hier  noch  oft  Urgrossvater  und  Urenkel  mit  einander  gelebt  haben 
werden.  Versetzt  man  sich  auf  den  Standpunkt  eines  solchen  Urenkels 
einer  solchen  Hausgemeinschaft,  so  konnte  derselbe  durch  räumliche 
Gemeinschaft  mit  Vater,  Gross-  und  Urgrossvater,  mit  Brüdern,  Oheimen 
(patrui)  und  Vettern,  mit  Grossoheimen,  deren  Söhnen  und  Enkeln 
(dv€H»iaboö?),  kurz  mit  demjenigen  Kreis  von  Verwandten  verbunden 
sein,  welcher  schematisch  mit  der  Zahl  3  nach  Analogie  der  direkten 
Dcsccndenz  (Vater,  Gross-,  Urgrossvater  :  Sohn,  Enkel,  Urenkel)  aus- 
gebaut, in  der  indischen  Sapindafamilie  und  bei  den  griechischen 
Anchisteis  vorliegt.  Hier  wird  daher  auch  der  sehr  einfache  Ursprung 
dieser  Nahverwandtschaft  liegen.  In  der  Urzeit  war  man  mit  ihr  durch 
Gemeinsamkeit  des  Eigentums  verbunden,  in  der  späteren  Zeit,  wo  die 
Sonderfamilie  die  Hausgemeinschaft  überwog,  vererbte  sich  das  Vermögen 
innerhalb  derselben. 

An  der  gleichen  Nahverwandtschaft  haftete  die  Pflicht,  die  Totenopfer 
darzubringen  (s.  u.  A  h  n  e  n  k  u  1 t  u  s)  und  weiter  die  Pflicht,  den  er- 
schlagenen Blutsverwandten  zu  rächen  (s.  u.  Blutrache).  Auch  das 
heisst  in  die  Urzeit  Übertragen  nichts  anderes  als:  Die  Mitglieder  einer 
Hausgemeinschaft  sind  in  Totenkult  und  Blutrache  solidarisch  verbunden. 
Hausgemeinschaft  und  Nahverwandtschaft  sind  in  der  Urzeit  identische 
Begriffe.  Der  letztere  überdauert  an  Erbschaft,  Animaverehrung  und 
Blutrache  gebunden  den  ersteren,  nimmt  aber,  von  dem  realen  Boden 
der  alten  Hausgemeinschaft  losgelöst,  allmählich  einen  rein  fictiveu 
Charakter  an. 

Aus  dem  Bisherigen  wird  es  wahrscheinlich,  dass  auch  im  römischen 
Erbrecht,  das  ja  im  übrigen  die  Grundzüge  der  idg.  Familienorganisation 
so  treu  bewahrt  hat,  der  Begriff  einer  solchen  Xahver  wandt  schaff 
einmal  lebendig  gewesen  ist.    Es  läge  die  Vermutung  nahe,  dass  die 
Agnaten  mit  nachweisbarein  Gradns  ursprünglich  =  den  indischen  Sa- 
pindas,  d.  h.  =  denjenigen  Agnaten  gewesen  seien,  welche  von  dem 
gleichen  Vater,  Gross-  oder  Urgrossvater  abstammten  (s.  o.).  Einen 
ähnlichen  Gedanken  hat  M.  Voigt  Jus  naturale  III,  1163  ausgesprochen, 
indem  er  annimmt,  die  Agitation  (gegenüber  der  Gentilität)  umfasse 
die  civilen  Verwandten  bis  zu  und  mit  dem  VI.  Grade.    In  den  uns 
überlieferten  Rechtszustunden  ist  hinsichtlich  des  Erbrechts  von  einer 
solchen  Nahverwandtschaft  nicht  die  Rede,  wohl  aber  begegnet  sie  uns 
auffallender  Weise,  nicht  in  der  Agnaten-,  sondern  in  der  Kognaten- 
familie  sobrino  tenus  (s.  über  xobrtnus  u.  Vetter;  das  Wort  ist  wohl 
auch   hier,  wie  dvetyiabou?,  in  dem  Sinne  von  Enkel  des  Gross 
oheims  gebraucht).    Diese  Kognatenfatnilic  tritt  in  der  angegebenen 
Begrenzung  namentlich  auf  ZAvei  für  die  indogermanische  Altertums- 
kunde wichtigen  Gebieten,  nämlich  in  Beziehung  auf  die  Eheverbote 
und  auf  die  Trau erpf licht  bei  dem  Tode  eines  Verwandten  hervor 
(über  die  angebliche  Beteiligung  der  Kognaten  an  der  Verfolgung  von 


Digitized  by  Google 


1% 


Erbschalt  —  Erbse. 


Mordsachen  8.  n.  Blutrache).  Über  den  erstereu  Punkt  ist  u.  Ver- 
wandtenheirat gehandelt  worden.  Den  Entwicklungsgang  hinsichtlich 
des  zweiten  würde  man  sich  vielleicht  so  vorstellen  können:  Die  Dar- 
bringung der  Totensacra  (Bestattung,  Totenbesänftigung,  Animaver- 
ehrnng)  haftete,  ebenso  wie  der  Erbgaug,  von  Urzeiten  her  an  der 
Agnatenfainilie,  innerhalb  deren  es  in  vorhistorischer  Zeit  eine  (damals 
natürlich  agnatische)  Nahverwandtschaft  sobriuo  tenua  gab.  Zu  einer 
gewissen  Zeit  wurden  nun  zur  Ausübung  der  aktuelle  Intercsscu  nicht 
berührenden  Trauerp  flicht  die  Kognaten  in  gleicher  Ausdehnung 
(aobrino  tenua)  herangezogen,  nachdem  mehr  und  mehr  der  Gedanke 
einer  Verwandtschaft  durch  Weiber  an  Buden  gewonnen  hatte.  In 
diesem  nenen  Kreise  blieb  der  alte  Begriff  der  Xahverwandtsehaft 
erhalten,  während  hinsichtlich  des  Erbgangs  und  des  Kultes  der  Toten 
(aus  noch  zu  ermittelnden  Gründen)  eine  neue  Berechnung  der  Verwandt- 
schaft, nach  Gradus  oder  Zeugungen  eingeführt  wurde. 

V.  Über  das  Institut  der  Erbtochter  s.  d.  —  8.  auch  u.  Recht 
(Familienrecht). 

Erbse.  Es  handelt  sich  hier  1.  um  die  Garten-  und  Felderbse 
(Fixum  sativum  und  P.  arvenae  /,.),  2.  um  die  Kichererbse  {Oker 
arietinum  L.).  Von  diesen  ist  nur  die  Gartenerbse  in  prähistorischen 
Schichten  Europas,  aus  neolithischer  Zeit  nur  in  den  Schweizer  Pfahl- 
bauten von  Mooscedorf  und  Lüscherz  (vgl.  Bnschan  Vorbist.  Botanik 
S.  200),  nachweisbar.  Auch  in  Hissarlik  kommt  sie  vor  (vgl.  Wittmack 
Berichte  der  D.  bot.  G.  1886),  ist  aber,  im  Gegensatz  zu  Bohne  und 
Linse,  dem  ganzen  ägy  ptisch-semitischen  Kulturkrcis  fremd.  — 
Eine  urverwandte  Bezeichnung  der  Erbse  scheint  in  der  Reihe :  armen. 
aiaern,  lat.  cicer,  altpr.  keckers,  griech.  (ice)Kpiös  vorzuliegen.  Man  hätte 
von  einem  Stamme  keqro-  auszugehen  und  teils  vorwärts  (armen,  gittern), 
teils  rückwärts  (altpr.  kecker* )  wirkende  Assimilation  der  Gutturale 
anzunehmen.  Alsdann  würde  als  Grundbedeutung  dieser  Sippe  aber 
kaum,  worauf  man  durch  lat.  cicer  und  griech.  Kpiöq  (Theophr.)  ge- 
führt werden  könnte,  , Kichererbse'  angesetzt  werden  dürfen,  da  es 
wahrscheinlich  ist,  dass  der  K icher  sich  in  Europa  erst  spät  vom  Süden 
her  verbreitet  hat,  wofür  auch  auf  die  starke  Entlehnung  aus  lat.  cicer 
:  ahd.  kiehftrra,  chihhira,  mengl.  (hiebe,  chikpea*  PI.,  alb.  kikerr  (neben 
dem  dunklen  moduh)  zu  verweisen  ist.  Vgl.  noch  cicer  Kalkum  in 
dem  Capitulare  Karls  des  («rossen.  Doch  kann,  wie  schon  angedeutet, 
die  Reihe:  armen,  siaehi,  lat.  cicer  u.  s.  w.  nicht  als  eine  über 
allen  Zweifel  erhabene  gelten  (vgl.  auch  Hübschmnim  Armen.  Gr.  I, 
490). 

Nicht  sicher  erklärt  sind  auch  die  meisten  andern  Benennungen  der 
Erbse  in  den  europäischen  Sprachen.  Griech.  €p^ßiv8o<;  (vgl.  auch 
(idßiv9ot  Hes.),  schon  bei  Homer  (ungewiss  ob  Kichcr-  oder  Gartenerbse 
bezeichnend),  gehört  offenbar  am  nächsten  zu  öpoßos  ,Erbsc'  oder 


Digitized  by  Google 


Erbse  —  Erbtochter. 


197 


,Erwenwicke*  (Ervum  Ervilia  L.)  und  deckt  sieh  vielleicht  mit  lat. 
ervum  {*eregvo~,  *erogvo-,  vgl.  K.  Z.  XXXII,  825).  Xoch  nicht  klar 
aber  ist  das  Verhältnis,  in  dem  die  germanischen  Ausdrücke  ahd.  aratceiz, 
ariciz,  agls.  earfe,  altn.  ertr  PI.  zu  den  südlichen  Wörtern  stehen.  Auf 
keinen  Fall  können  sie  direkt  aus  ^ßiv8o<;  oder  ervu  m  entlehnt  sein. 
Die  einen  halten  daher  ariciz  für  urverwandt  mit  lat.  ervum,  das  dann 
von  öpoßoq  zu  trennen  wäre,  andere  suchen  es  mit  gricch.  äpaKog,  dem 
Namen  einer  Hülsenfrucht  zu  vermitteln.  Auch  hinsichtlich  der  griechisch- 
lateinischen  Gleichung  inffoq,  mo*o"os,  mo*ov  =  lat.  pinutn  (Piao  wie 
Cicero  :  cicer)  :  idg.  püt,  lat.  pinso  /Verstössen'  schwankt  man,  ob 
Urverwandtschaft  oder  Entlehnung  des  Lateinischen  aus  dem  West- 
griechischen  vorliegt.  Die  Bedeutung  dieser  Wörter  dürfte  ,Felderbse' 
gewesen  sein,  da  der  von  Plinius  XVIII,  123  f.  dieser  Erbsenart  zu- 
geschriebene unebne  und  eckige  Samen  auf  /*.  arvense,  nicht  sativum 
hinweist  (vgl.  weiteres  bei  Fischer-Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  95).  Lat. 
ptsum  ist  in  alle  keltischen  Sprachen  (ir.  pls  u.  s.  w.:  vgl.  auch  agls. 
pise)  entlehnt  worden.  Vgl.  noch  griech. -fcpiveo^  und  tlXivdof  £p€ßtv0O£ 
Hes.  :  lit.  z'irnis  ,Erbse'  •:?)■ 

Hinsichtlich  der  Spontanität  und  Urheimat  der  Kichererbse  weiss 
man  durchaus  nichts  sicheres.  Für  die  Gartenerbse  hält  man  den  Ur- 
sprung aus  Pisum  arvense,  das  wildwachsend  namentlich  in  Hecken 
und  Gebirgswäldern  Nord-  und  Mittelitaliens  verbreitet  ist,  für  wahr- 
scheinlich (vgl.  A.  Eugler  bei  V.  Hehn  KultnrpÜanzen6  S.  215).  —  S. 
n.  Hülsenfrüchte. 

Erbtochter.  Bei  Indern  und  Griechen  findet  sich  übereinstimmend 
der  Rech tsbrauch,  das»  es  einem  söhneloscn  Vater  verstattet  ist,  sieh 
durch  seine  Tochter,  bezüglich  eine  seiner  Töchter  einen  Sohn  und 
Erben  erzeugen  zu  lasseu.  Das  Mädchen  wird  also  unter  der  Be- 
dingung verheiratet,  dass  der  von  ihr  zu  gebärende  Knabe  als  Sohn 
des  mütterlichen  Grossvaters  zu  gelten  habe.  Die  betreffende  Tochter 
(Erbtochter)  heisst  im  Indischen  putrikd,  von  putrd-  ,Sohn',  im 
Griechischen  att.  dmKXn,pos  (nach  M.  Schmidt  Hes.  IV,  2  S.  52  auch 
auToirdmuv,  £mbiKO£,  £(pebpO£),  kret.  naTpuauiKO^.  Hierbei  ergiebt  sich 
für  Inder  und  Griechen  der  bemerkenswerte  Unterschied,  dass  bei  den 
letzteren  ein  naher  Verwandter  (zunächst  die  Brüder  des  Vaters  und 
deren  Söhne)  gebunden  ist,  das  Mädchen  zu  heiraten,  während  bei  den 
Indern  von  einer  solchen  Beschränkung  nicht  die  Rede  ist.  Es  liegt 
nahe  (mit  Leist  Altarisches  Jus  gentium  S.  108),  in  dem  griechischen 
Brauche  hier  das  altertümliche  und  ursprüngliche  zu  erblicken.  Indessen 
dürfte  dieser  Punkt  noch  weiterer  Erwägung  bedürfen,  namentlich  auch 
mit  Rücksicht  auf  die  Frage,  ob  und  in  wie  weit  in  der  Urzeit  eine 
Ehe  zwisebeu  Blutsverwandten  (s.  u.  Verwandtenheirat)  möglich 
war. 

Jedenfalls  muss  bei  den  Südslaveu,  bei  denen  noch  heute  das 


Digitized  by  Google 


198 


Erbtochter  —  Erdbeerbauni. 


Institut  der  Erbtöchter  sehr  bedeutungsvoll  ist,  der  Erbtochtcrruann 
(domazet)  durchaus  einem  anderen  brätst  co  angehören  als  die  Erb- 
tochter {blagarica  .Gutsbesitzerin',  vgl.  oben  griech.  dmKXr|po<;),  in  deren 
bratstco  er  erst  durch  den  Vater  des  Mädchens  eingekauft  werden 
muss  vgl.  Krauss  Sitte  u.  Brauch  der  Stldsl.  S.  41  u.  460  ff.).  Dabei 
geht  der  Zuname  der  Familie  des  Weibes  allmählich  auf  den  Erb- 
tochtermann und  seine  Kinder  über,  was  an  eine  vereinzelte  römische 
Nachricht  über  den  Gebrauch  des  praenomen  Numerius  in  der  Fabischen 
gens  erinnert  :  Numerik  sola  tantum  modo patricia  familia  usa  est  Fabia, 
ideircu  guod  trecentis  sex  apud  Cremeram  flumen  eaesis,  qui  unus 
e.c  ea  Stirpe  exstiterat,  dueta  in  matrimonium  uxore  filia  Xumerii 
Otacilii  Malecentani  sub  e*o  pacto  ut  quem  primum  filium 
sustulissetf  ei  materni  avi  praenomen  imponeret,  obtempe- 
raiit  (De  praenominibus  im  Anhang  zu  Valerius  Maximus,  vgl.  auch 
Festus  p.  170).  Bachofen  Antiqu.  Br.  II,  K>3  bemerkt  hierzu  scharf- 
sinnig: „Durch  ausdrücklichen  Ehepaet  behält  Otacilius  die  erste 
männliche  Geburt  seiner  Tochter  sich  vor.  PutrikAputra  des  Maleven- 
faners  wird  der  von  Fabius  mit  der  Tochter  desselben  erzielte  Sohn". 

Wenn  es  somit  wahrscheinlich  ist,  dass  das  Institut  der  Erbtochtcr 
mit  seinen  Wurzeln  in  die  idg.  Urzeit  zurückgeht,  so  wird  dasselbe 
nach  dem  u.  Erbschaft  ausgeführten  seineu  eigentlichen  Ursprung 
jedoch  nicht  in  erster  Linie  in  dem  Wunsche  haben,  einen  Erben  zu 
besitzen.  Neben  der  Adoption  (s.  d.)  und  der  Ze  u  g  u  n  gs  h  i  1  f  e 
(s.  u.  Zeugungshclfer)  wird  die  Erzielung  eines  Sohnes  durch  die 
„Erbtochter"  vielmehr  ein  weiteres  Mittel  gewesen  sein,  zunächst,  um 
in  den  ersehnten  Besitz  eines  fflr  die  Darbringung  der  Totensacra 
unentbehrlichen  Sohnes  zu  gelangen  (s.  u.  Ahnenknltus).  Es  ist  zu 
vermuten,  dass  in  diesem  Verhältnis  der  Urzeit  zuerst  der  Begriff  eines 
Schwiegersohnes  aufging  (s.  u.  Sc  h  wieg  er-),  ohne  jedoch  damals 
schon  zu  einer  scharfen  sprachlichen  Bezeichnung  zu  gelangen.  — 
S.  u.  Erbschaft  und  u.  Recht  (Familienrecht). 

Erdbeerbauni  (Arbutus  unedo  L.).  Ein  im  Mittelmecrgcbiet 
zweifellos  einheimisches  Bäumchen,  dessen  erdbeerartige  Früchte  den 
klassischen  Dichtern  als  Speise  der  Urzeit  galten.  Die  griechischen 
Namen  desselben,  KÖuapo<;,  KÖnopoq,  Kduapo«;,  ngriech.  Kouuapnä  decken 
sich  mit  ahd.  hemera  ,Nieswurz',  altsl.  deiner!  ,Gift',  iemerica  ,helle- 
borus',  klruss.  cemer  ,uausea'.  Nieswurz  wird  daher  die  ursprüngliche 
Bedeutung  des  altcuropäischen  Pflanzennamens  sein,  der  auf  den  Erd- 
beerbauni übertragen  wurde,  da  man  auch  dessen  Früchten  eine  be- 
täubende Wirkung  zuschrieb.  Die  Früchte  heissen  griech.  uiucukuXo: 
(dunkel).  Lat.  arbutus  hat  vielleicht  mit  arbor,  arbustum  nichts  zu 
thun,  sondern  gehört  zu  alts.  erda  ,Bicnenkraut',  Melisse',  das  auch 
dein  ahd.  ert-beri  »Erdbeere'  zu  Grunde  liegen  könnte  (so  Kluge  Et.  W.r'; 
anders  0.  Böhtlingk  I.  F.  VII,  272,  der  mit  Berufung  auf  russ.  zemlja- 


Digitized  by  Google 


Erdbeere  —  Erz. 


199 


nika  :  zemlja  und  schwed.  jordbär  an  der  Verbindung  des  deutscheu 
Wortes  mit  „Erde"  festhält).  —  Vgl.  V.  Helm  Kulturpflanzen0  8.  395  ff. 
Erdbeere,  s.  Beerenobst. 

Erde.  Der  idg.  Ausdruck  hierfür  liegt  in  der  lantgesehichtlich 
noch  nicht  völlig  durchsichtigen  Reihe:  seit  kshd'x,  Gen.  gmä*t  jmds, 
kahmd*,  aw.  zä,  Gen.  zento  Eupers,  zemi),  gricch.  x&wv,  x6°v°S> 
Xauai,  lat.  humus,  lit.  z'eme,  altsl.  zemlja.  Die  Wurzelbedeutung  ist 
noch  nicht  ermittelt.  Einige  denken  an  scrt.  kshämate  ,geduldig  er- 
tragen' und  vergleichen  griech.  TaXd(To*ai :  lat.  tellus.  Weitere  Gleichungen 
sind  scrt.  prthirt  =  agls.  fohle  und  got.  airpa,  ahd.  erda  und  ero, 
altn.  jöree  =  griech.  £paCc  ,nuf  die  Erde'.  Einzelsprachlich  und  dunkel: 
griech.  ia\a,  Tn  und  das  italische  lat.  terra,  osk.  teer-,  terom  ,territoriuin'. 
Über  die  Erde  in  religionsgeschichtlicher  Hinsicht  s.  u.  Religion. 

Erle  (Gattung  Alnus).  Dieser  europäische  Waldbaum  wird  Uber- 
einstimmend im  Lateinischen,  Gerinanischen  und  Lituslavischen  benannt: 
lat.  alnus  (*al#nus),  ahd.  elira,  agls.  alor,  altn.  o7r  (vgl.  auch  altn. 
ilxtre,  jülstr  ,Weidc'V),  got.  *alixa,  woraus  span.  alita  .Erle',  lit.  elkxnis 
(vgl.  auch  altpr.  ahkanke),  altsl.  jelicha.  Griechisch  heisst  der  Raum 
KXfjOpri,  das  mit  nhd.  ludere,  ludern  ,  Alpeneric*  {Betitln  nana)  über- 
einstimmt, keltisch  *rerno-  in  gall.  Yernodubrum  .Erlenwasser'  (Plin.) 
=  ir.  fem.  fernog,  körn,  t/tcern,  gicernen  (fr/,  cerue).  S.  u.  Wald, 
Wald  bä  n  me. 

Ernte,  s.  Ackerbau. 

Erz  (Bronze).  In  dem  Artikel  Kupfer  (s.  auch  u.  .Steinzeit) 
sind  die  Gesichtspunkte  zusammengestellt  worden,  welche  zu  der  An- 
nahme fahren,  dnss  die  Kultur  der  idg.  Urzeit  auf  steinzeitlicher  (nco- 
lithischcr)  Grundlage  beruhte,  dass  aber  das  Metall  in  Gestalt  des 
Kupfers  bereits  damals  bekannt  war  und  wahrscheinlich  auch  schon 
zu  einer  Reihe  von  Artefakten  wie  dem  Dolehmesser,  dem  Beil,  dem 
Pfriem  auf  dem  Wege  des  Gusses  verarbeitet  wurde.  In  dem  Artikel 
Eisen  ist  ferner  gezeigt  worden,  dass  dieses  Metall  erst  verhältnis- 
mässig spät  in  unserem  Erdteil  auftritt:  im  Süden  in  dem  Zeitraum, 
der  zwischen  der  Mykotischen  Periode  und  dem  Homerischen  Zeitaller 
liegt,  im  Norden  erst  mit  der  Hallstatt-  und  La  Tcne- Periode,  d.  h. 
kaum  vor  dem  ;">.— 4.  Jahrhundert  v.  Chr.  Zwischen  diesen  beiden 
Epochen  liegt  nun  das,  was  die  Archäologen  als  Erz-  oder  Bronze - 
alter  Europas  bezeichnen,  d.  h.  eine  Zeit,  aus  welcher  im  wesentlichen 
nur  bronzene  Waffen,  Geräte  und  Schmuckgegenständc  an  den  Tag 
getreten  sind.  Diese  Erscheinung  zeigt  sich  in  ganz  Europa,  mit  kürzerer 
Dauer  in  Griechenland  und  Italien,  mit  längerer  in  Ungarn  und  der 
Schweiz,  in  der  norddeutschen  Tiefebene,  in  Dänemark,  .Schweden  und 
Grossbritannien. 

Es  kann  demnach  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  Indogcimanen 
Europas  bereits  ethnisch  differenziert  und  im  wesentlichen  in  ihren 


Digitized  by  Google 


200 


Erz. 


Stammsitzen  angekommen  wareu,  als  die  Bronze  bei  ihnen  auftrat. 
Andererseits  ist  aber  auch  die  Annahme  ausgeschlossen,  dass  etwa  die 
einzelnen  Völker  Europas  selbständig  und  unabhängig  von  einauder 
auf  die  Herstellung  der  Bronze  verfallen  seien.  Gerade  diejenigen  Länder, 
in  denen  die  Bronzezeit  sich  am  reichsten  entwickelt  zeigt,  Dänemark 
und  Schweden,  sind  nicht  nur  für  das  zur  Herstellung  der  Bronze 
nötige  Zinn  s.d.),  sondern  auch  für  den  Hauptbestandteil  der  Erzes, 
das  Kupfer,  in  alter  Zeit  ganz  auf  den  Import  angewiesen  gewesen. 
Dazu  kommt,  dass  die  Bronze  gerade  in  älterer  Zeit  in  einem  ziemlich 
konstanten,  auf  einen  einheitlichen  Ursprung  hinweisenden  Verhältnis 
von  9%  Kupfer  zu  1  %  Zinn  in  Europa  auftritt,  und  dass  endlich  auch 
die  Formen  und  Verzierungen  der  bronzenen  Gegenstände  mit  grösserer 
oder  geringerer  Deutlichkeit  auf  ethnische  Zusammenhänge  hindeuten.  Es 
kann  daher  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  diese  Brouzekultur  in  einer  sehr 
frühen  Zeit  —  die  Archäologen  pflegen  die  Mitte  des  zweiten  Jahrtausends 
für  den  Beginn  dieses  Prozesses  anzusetzen  —  von  einem  gemein- 
samen Ausgangspunkt  aus  sich  über  Europa  verbreitete. 

Dieser  Ausgangspunkt  scheint  noch  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit 
ermittelt  werden  zu  können.  Er  führt  weit  über  die  Grenzen  Europas 
hinaus,  in  d  i  e  Länder,  von  denen  auch  andere  hochwichtige  Erfin- 
dungen der  Menschheit,  wie  die  Schrift  (s.  u.  Schreiben  uud  Lesen) 
und  die  Zeitteilung  (s.  d.),  ausgegangen  sind,  nach  Mesopotamien. 
Während  in  den  Sprachen  aller  anderen  Völker,  bei  denen  wir  alte 
Bronzen  auftreten  sehen,  bei  den  Indogermauen  ('s.  u.>,  wie  auch  bei 
Semiten  (hebr.  nthoxet  etc.)  und  Ägyptern  (yomt)  besondere  Namen 
für  die  Bronze  nicht  bestehen,  sondern  die  letztere  in  den  Benennungen 
des  Kupfers  mit  enthalten  ist,  bietet  allein  das  Sumerisch-A kka- 
dische,  die  Sprache  der  Urbewohner  der  Euphratländer,  neben  urtidu 
, Kupfer'  (s.  u.  Kupfer)  eine  ausdrückliche  Benennung  der 
Bronze  zabar  'eigentl.  ,feuerrot  glänzend';  vgl.  1\  Jensen  Z.  f.  Assyrio* 
logic  I,  2f>f>)  dar,  die  als  aus  Kupfer  (urudu)  und  Zinn  (anna,  urspr. 
annay,  vgl.  assyr.  andku,  hebr.  'anal;  arab.  drntk,  äthiop.  ntlk,  sert. 
nüga-y  armen,  anny)  gemischt  geschildert  wird.  Dazu  ist  uns  in  der 
akkadisch-sumcrischcn  Littcratur  ein  bilinguer  magischer  Hymnus  au 
den  Feuergott  Gibil  erhalten,  in  welchem  dieser  geradezu  als  der 
„Mischer  von  Kupfer  und  Zinn",  d.  h.  doch  wohl  als  der  Erfinder 
dieser  Mischung  gepriesen  wird  (vgl.  F.  Lcnonnant  Les  noms  de  l'airain 
et  du  cuivre,  Transactious  of  the  Society  of  Biblical  Archacology  VI, 
34ü  und  F.  Hommel  Die  vorsemit.  Kulturen  S.  277,  409).  Zu  derselben 
Ansicht,  wie  sie  vom  Vf.  schon  in  der  ersten  Auflage  von  Sprachver- 
gleichung und  Urgeschichte  (1883)  ausgesprochen  wurde,  ist  später 
auch  W.  Tomaschck  in  einem  Aufsatz  Die  Zinngcwinnuiig  und  Bronzc- 
bereitung  in  Asien  (Mitteil.  d.  Wiener  anthrop.  Ges.  1888  Xr.  1)  ge- 
kommen.   Auch  er  nimmt  an,  dass  die  Sumero-Akkader,  Assyrer  und 


Digitized  by  Google 


Erz. 


201 


Chcta  die  ersten  Lehrmeister  der  Bronzemischung  gewesen  seien.  Das 
Kupfer  hätten  diese  Kulturvölker  teils  aus  den  Gebirgen  der  kauka- 
sischen und  kuschiti8chen  Aborigincr,  teils  aus  Mäkan  in  Arabien,  das 
Zinn  aus  dem  metallreicheu  Laude  Midian  bezogen.  Auch  an  die  Zinn- 
grnben  des  Paropamisus  (Strabo  XV  p.  724)  und  andere  Zinnquellen 
des  iranischen  Ländergebiets  (vgl.  Toinaschek  a.  a.  0.)  wird  man  für 
die  Zeit  denken  dürfen,  ehe  die  Phoenicicr  ihre  Handelsfahrten  bis 
zum  Wcstland  Tarsis  ausdehnten  (vgl.  v.  Haer  Archiv  für  Anthropo- 
logie IX,  265 1.  Wie  Tomaschek,  entscheidet  sich  auch  M.  Hoernes 
Urgeschichte  der  bildenden  Kunst  in  Europa  (Wien  1898)  S.  306  für 
das  Zweiströmeland  als  älteste  Heimat  des  Bronzegusses  und  der  Bronzc- 
giesser. 

Auf  welchem  W  ege  die  Bronze  von  hier  Uber  Vorderasien  und  Europa 
bis  hoch  in  dessen  Norden  sich  verbreitete,  und  welche  Zwischen- 
stationen der  Bronzeerzeugung  dabei  bestanden,  ist  noch  in  vieler 
Beziehung  dunkel  und  soll  hier  nicht  weitläufiger  erörtert  werden. 
Und  noch  ein  anderer  Punkt  bedarf  mehrfacher  weiterer  Aufklärung, 
nämlich  der.  wie  gross  der  Anteil  war,  den  namentlich  die  Völker 
nördlich  der  Alpen  an  der  Erzeugung  der  auf  ihrem  Gebiete  gefundenen 
Bronzesachcn  hatten.  Hat  man  es  bei  ihnen  vorwiegend  mit  Produkten 
einer  einheimischen,  mit  fremdem  Material  und  nach  fremden  Vorbildern, 
aber  doch  auch  wieder  mit  selbständigen  Ideen  der  Forinengebung  und 
Ornamentik  arbeitenden  Industrie  oder  vorwiegend  mit  eingeführten 
Waren  zu  thunV  Diese  Frage  hat  die  Forseher,  seit  0.  J.  Thomsen 
sein  Dreitcilnngssystem  (Stein-,  Bronze-,  Eisenalter)  aufstellte,  bewegt, 
und  die  aura  popularis  hat  sich  bald  mehr  (wie  in  der  Gegenwart) 
der  ersteren,  bald  mehr  der  letzteren  Anschauung  zugeneigt  (vgl.  über 
diesen  wissenschaftlichen  »Streit  zuletzt  Sophus  Müller  Nordische  Alter- 
tumskunde I,  217  ft'.).  Als  sicher  darf  angenommen  werden,  dass  jeden- 
falls ein  beträchtlicher  Teil  der  nördlichen  Bronzesachen  in  loco  her- 
gestellt worden  ist.  Die  Zweifler  hieran  müssen  verstummen  vor  den  sich 
mehrenden  Funden  an  Gussformen,  Gusszapfen,  Geräten  zur  Metall- 
arbeit u.  s.  w.,  welche  auf  dem  bezeichneten  Gebiete  zu  Tage  getreten  sind. 
Nach  Montclius  (Die  Kultur  Schwedens  S.  49)  sind  z.  B.  in  Dänemark 
und  Schweden  bis  zum  Jahre  1885  je  lf>  Gussformen  für  Äxte,  Messer, 
Sägen  und  Armbänder  gefunden  worden,  und  nach  S.  Müller  (a.  a.  0. 
8.  451)  sind  zu  Ende  des  Jahres  1895  bei  Haag,  Thorsager  (Jütland) 
wiederum  Fragmente  zahlreicher  Thonformen  zu  Schwertern.  Speer- 
spitzen, Celten  u.  s.  w.  entdeckt  worden.  Auch  das  Züricher  National- 
museum bietet  sowohl  aus  der  Ostschweiz  (namentlich  aus  dem  Pfahl- 
bau Wolli8hofen  bei  Zürich)  wie  auch  aus  der  Westschweiz  eine 
reichhaltige  Sammlung  von  Gussformen  für  Messer,  Nadeln,  Beile, 
Hämmer,  Lanzen  dar,  wenn  dieselben  auch  dem  Anfang  der  Bronze- 
periode  noch  zu  fehlen  und  ganzen  Gattungeu  von  Artefakten  (z.  B. 


Digitized  by  Google 


202 


Erz. 


jeder,  auch  der  einfachsten  Art  von  Bechern)  gegenüber  zu  versagen 
scheinen.  Endlich  sähe  man,  wenn  u.  Kupfer  mit  Recht  angenommen 
worden  ist.  dass  bereits  die  urzeitlichen  Indogermanen  gewisse  kupferne 
Gegenstände  auf  dem  Wege  des  Metallgusses  herstellen  konnten,  auch 
nicht  eiu,  warum  sie  beim  Bekanntwerden  der  Bronze  diese  Thätigkeit 
nicht  fortgesetzt  nnd  weiter  ausgebildet  haben  sollten. 

Auf  der  anderen  Seite  wird  man  es  denjenigen,  die  die  Urgeschichte 
unseres  Erdteils  nicht  nur  von  dem  doch  immerhin  einseitigen  .Stand- 
punkt der  Bronzefiage  betrachten,  nicht  verübeln  dürfen,  wenn  sie 
zögern,  den  von  zahlreichen  Archäologen  behaupteten  einheimischen 
Ursprung  auch  solcher  Brouzcsachen  für  wahrscheinlich  zu  halten, 
welche  den  Stempel  einer  höheren  technischen  Vollendung  in  Form  und 
Ornamentik  an  sich  tragen.  Auch  hat  man  nicht  mit  Unrecht  darauf 
hingewiesen,  dass  die  Keramik  der  betreffenden  Völker  nicht  gleichen 
Schritt  halte  mit  der  sich  zu  immer  grösserer  Schönheit  entfaltenden 
Bronzefabrikation,  und  dass  mau  doch,  wo  diese  in  gleicher  Weise  blühe, 
wenigstens  Anfänge  auch  der  Architektur  und  Plastik  erwarten  müsse. 
Statt  dessen  müssen  die  Leute,  welche  jene  kunstreichen  Dinge  schufen, 
in  so  leicht  gezimmerten  Hütten  gewohnt  haben,  dass  keine  Spur  ihres 
einstigen  Daseins  auf  uns  gekommen  ist,  von  deren  primitiver  Gestalt 
aber  vielleicht  die  Hansurnen  (s.  u.  Hans;  uns  noch  eine  Vorstellung 
machen  können  ivgl.  Montclius  a.  a.  0.  S.  52,  S.  Müller  a.  a.  0.  S.  401). 
Statt  dessen  müssen  die  Leute,  die  über  eine  meisterhafte  Ornamen- 
tierung des  Bronzegusses  verfügten,  in  ihre  Felsen  Bilder  enigemeisselt 
haben  (vgl.  S.  Müller  a.  a.  0.  S.  464  ff.,  Montelius  a.  a.  O.  passinn, 
die  eine  äusserst  primitive  Stufe  künstlerischen  Könnens  und  Empfindens 
verraten. 

Auf  keinen  Fall  dürfte  «las  Bekanntwerden  der  Bronze  bei  den  nörd- 
lichen Völkern  eine  neue  Aera  kulturgeschichtlicher  Entwicklung  ein- 
geleitet haben,  wie  sie  später  das  Auftreten  des  Eisens  verursacht  hat. 

Wie  sich  in  diesen  Fragen  nun  auch  die  wissenschaftliche  Meinung 
endgiltig  festsetzen  möge,  als  in  hohem  Grade  wahrscheinlich  kann 
schon  jetzt  gelten,  dass  der  Magnet,  welcher  die  Bronze  von  dem  Süden 
nach  dem  Norden  lockte,  der  einzige  Tauschwert  der  nördlichen 
Lander  in  jener  Zeit,  der  Bernstein  (s.  d.)  war.  Zuerst  ist  diese 
Kulturströmung  vom  Norden  nach  der  Balkanhalbinsel  und  in  den 
mykenischen  Kulturkreis  gerichtet,  später  —  die  Archaeologen  sprechen 
dann  von  einem  jüngeren  Bronzealtcr  —  wendet  sie  sich  Italien  zu. 
Je  mehr  dann  der  Gebrauch  des  Eisens  im  Süden  zunimmt,  und  je 
mehr  die  Völkerverhältnisse  nordwärts  der  Alpen,  vor  allem  durch 
den  grossen  östlichen  Vorstoss  der  Kelten,  sich  ändern,  verringert  sich 
die  Ausfuhr  südlicher  Bronze  nordwärts,  und  das  Eisenzeitalter  steht 
vor  der  Thür. 

Als  den  Indogermanen  Europas  nach  der  Zeit  ihrer  geographischen 


Digitized  by  Google 


Erz. 


203 


Trennung,  aber,  was  die  Nordvölker  und  im  besonderen  die  Germanen 
betrifft,  noch  in  ihren  ältesten  historischen  Stamm- 
sitzen die  Bronze  bekannt  wurde,  kam  für  dieselbe,  wie  schon  oben 
bemerkt  wurde,  kein  neuer  Name  auf.  Man  benannte  vielmehr  das 
Mischmetall  mit  der  alten,  aus  der  Urzeit  ererbten  Benennung  des 
Kupfers  weiter,  wie  dies  bei  lat.  ae*  und  got.  aiz,  die  beide  , Kupfer' 
wie  ,Erz'  bezeichnen,  der  Fall  ist.  Auch  Wörter,  wie  griech.  xa^0S 
und  agis.  braes,  beide  ,Bronzc',  die  vielleicht  auf  Urverwandtschaft  mit 
anderen  Wörtern  in  der  Bedeutung  .Eisen'  (s.  d.)  beruhen,  müssen 
nach  dem  Bisherigen  von  Haus  aus  ,Kupfer'  oder  allgemein  ,Mctall' 
bezeichnet  haben. 

Später  kommen  daun  im  Norden  Europas  neue  Namen  speziell 
für  die  Bronze  auf.  Es  sind  hier  zu  nennen  erstens  ir.  cred-uma, 
eine  Zusammensetzung  aus  ir.  crnl  ,Zinn'  und  umae  , Kupfer'.  Auf 
hoch-  und  niederdeutsches  Sprachgebiet  beschränkt  sich  ahd.  aruz, 
aruzi,  erezi,  nhd.  erz  (auch  in  Ortsnamen,  vgl.  Aruzapah,  Arizperc, 
Arizgreßi,  Arizgruoba:  aus  dem  Deutschen:  estn.  Ürt*,  ung.  ercz)  und 
altndd.  arut.  Das  Wort  ist  noch  nicht  sicher  erklärt.  Die  einen  ver- 
gleichen griech.  dpbi?  .Pfeilspitze'  (Kick  Vergl.  W.  *  1, 306),  andere  denken 
an  alb.  arint*  .Stahl'  (G.  Meyer  Et.  W.  S.  14);  auch  den  Namen  der 
durch  seine  Waffenfabriken  berühmten  elrurischen  Stadt  Arretium  (vgl. 
Liv.  XXVIII,  4f>,  IG:  Arretini  MMM  —  sc.  poliäti  —  scutorum,  galea* 
totidem,  pila  gaesa  hasta*  longa*,  millium  quinquaginta  sununam 
pari  cuiusque  generis  numero  expleturos,  securis  rutra  falces  alce- 
olos  mala*,  quantum  in  XL  longa*  nates  opus  e*set)  hat  man  (vgl. 
Vf.  V.  Hehn  Ein  Bild  seines  Lebens  und  seines  Wirkens  S.  42*)  zur 
Erklärung  von  arut-  aruzi  (=ae*  Arn'tium  oder  de  Arretio)  heran- 
gezogen. 

Im  Mittelalter  bereitet  sich  dann  ein  bis  dahin  gänzlich  unbekannter 
Name  des  Kupfererzes  vor,  der  in  Neueuropa  den  Sieg  über  alle  älteren 
Ausdrücke  davon  getragen  hat:  it.  bronzo,  frz.  bronze,  span.  bronce, 
mgriech.  (jirpouvio?,  russ.  bronza,  alb.  brunt*  u.  s.  w.  Frühere  Er- 
klärungsversuche dieser  schwierigen  Sippe  vgl.  bei  Körting  Lat.-rom. 
W.  unter  *brunitiu*.  Eine  neue  Erklärung  bat  kürzlieh  Berthelot  in 
einem  Aufsatz  Sur  le  noni  du  bronze  chez  les  alchimistes  grecs  Revue 
archcologique  1888  p.  294;  aufgestellt,  indem  er  als  älteste  Form  des 
Wortes  aus  alchimistischen  Schriften  ein  mgriech.  ßpovintfiov  erweist. 
Dieses  erkläre  sich  aus  einem  Int.  ae*  lintndisium  oder  Brundisinum 
(so  jetzt  auch  F.  Kluge  Et.  W.,;  s.  v.  Bronze),  da  in  Brundisium  nach 
Plin.  XXXIII,  130,  XXXIV,  160  berühmte  Bronzefabriken  gewesen 
zu  sein  schienen.  Wäre  diese  Erklärung  sicher,  so  böte  sie  eine  schöne 
Parallele  zu  ahd.  aruzi  aus  ae*  Arretium.  Doch  macht  K.  B.  Hofmann 
in  der  Berg-  und  Hüttenm.  Zeitung  1890  Nr.  30  nicht  unbegründete 
Bedenken  gegen  sie  geltend.  Er  selbst  möchte  das  Wort  bronze  wegen 


Digitized  by  Google 


204 


Erz  —  Esche. 


der  Bedeutung  der  persischen  und  arabischen  ßronzefabrikation  lieber 
an  npers.  birinj,  parsi  barinz  ,Kupfer,  Messing:',  kurd.  pirinjok  (armen. 
plinj,  kaukas.  xpilendzi  , Kupfer',  vgl.  Sprachvergl.  u.  Urgcsch.2  S.  280) 
anknüpfen,  was  man  übrigens  schon  vor  ihm  versucht  hatte.  Auch 
das  geht  aber  lautlich  kaum  an. 

Über  das  erste  Auftreten  der  Bronze  bei  den  arischen  Indoger- 
mancn,  den  Indern  und  Iranicrn,  ist  hier  nicht  7.11  handeln.  Vgl.  für 
die  erstcren  Vf.  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte*  »S.  272  ff.  nebst 
den  hieran  anschliessenden  Kontroversen  (v.  Bradke  Methode  und  Er- 
gebnisse passim  und  Guttingische  Gelehrte  Anzeigen  1890  Nr.  23  S.  919, 
Vf.  Wochenschrift  für  klassische  Philologie  1890  8.  7  ff .  des  Sonderab- 
drucks), für  die  letzteren  W.  Toinaschck  a.  o.  a.  0.  —  8.  n.  Eisen, 
Kupfer.  Metalle,  Schmied. 

Erziehung.  Eine  planmäßige  erzieherische  Einwirkung  auf  die 
Jugend  durch  andere  Personen  als  die  Eltern  findet  in  Europa  zuerst 
in  der  Weise  statt,  dass  Greise  oder  doch  ältere  und  erfahrene 
Männer  vornehmen  Jüuglingen  als  Begleiter  und  Lehrer  beigegeben 
werden.  Eine  solche  Gestalt  ist  in  der  Ilias  (IX,  432  f.)  Phoinix,  der 
etpdTTwv  des  Achilleus.  Aus  der  Heimat  vertrieben,  ist  er  von  Peleus 
freundlich  in  Phtbia  aufgenommen  und  mit  Land  und  Leuten  beschenkt 
worden.  Schon  dem  Knaben  hat  er  das  Fleisch  vorgeschnitten  und 
den  Becher  gehalten.  Vor  allem  aber  ist  er  berufen,  den  Jüngling  zu 
lehren 

fiüOwv  T£  (SqTfjp*  £|U€vai  TrprjKTf}pä  Tt  £pfujv. 
Besonders  reich  an  Beispielen  ist  das  germanische  Altertum,  wofür 
es  genügt,  auf  „Meister  Hildebrand",  den  Waffenmeister  und  Erzieher 
Theoderichs,  auf  Starcatherus  am  dänischen,  auf  Hagen  am  bnrgun- 
dischen  Hofe  zu  verweisen.  Aber  auch  von  den  Römern  berichtet 
Plinius  Ep.  VIII,  14,  4:  Erat  autem  antiquitus  institutum,  ut  a  ma- 
ioribus  natu  non  auribm  modo,  verum  etiam  oculis  disceremus.  quae 
facienda  mo.r  ijm  ac  per  rices  quatdam  tradenda  minor ibus  habe- 
rem  us. 

Tritt  in  den  u.  Alte  Leute  geschilderten  Verhältnissen  die  rohe 
Verachtung  des  primitiven  Menschen  gegen  die  physische  Schwäche 
der  Greise  hervor,  so  bricht  sich  hier  bei  diesen  ersten  Typen  des 
Lehrers  und  Erziehers  wie  bei  anderen  erst  nach  der  Völker- 
trennung hervortretenden  Persönlichkeiten,  dem  Priester,  Richter, 
Dichter  (s.  s.  d.  d.),  Gesandten  (vgl.  griech.  TTpetfßcuTris,  eigentl.  ,der 
Alte'  1  mehr  und  mehr  die  Anerkennung  und  Bewunderung  der  mit  dem 
Alter  verbundenen  grösseren  Erfahrung  und  Weisheit  Bahn. 

Esche  (Fraxinus  excehior  L.).  Dieser  europäische  Waldbaum 
zeigt  in  seiner  Terminologie  weitgehende  Übereinstimmung:  lat.  ornus 
(*6si-nu  s)  ,Bergesche\  ir.  huinmus,  kytur.  onnen,  bret.  ounnen  {*onnd, 
*osn('i),  lit.  tish,  altpr.  woatis,  russ.  jaseni,  cecü.  Jasen.    Auch  das 


Digitized  by  Google 


Escho  —  Esi'l. 


205 


Griechische  scheint  eiue  Spur  des  Worte«  in  ax€p-wi?  »Pappel'  (-wert  = 
lit.  s.  u.  Espe)  bewahrt  zu  haben.    Keiner  stehen  altn.  axkr, 

ahd.  axe  (s.  u.  Buche)  und  armen.  hacti  ,Esche'  aus  askhio-  (vgl. 
Hübschmann  Armen.  Gr.  I,  465).  Lat.  fraxinus  s.  u.  Birke.  Gricch. 
HcXin.  , Esche'  wird  als  „aschgraue1'  gedeutet  (lit.  xme/u.s). 

Das  Holz  des  Baumes  wurde  frühzeitig  für  allerhand  Werkzeuge 
und  Waffen  sehr  geschätzt,  wie  denn  schon  im  Pfahlbau  von  Roben- 
hausen eine  Keule  aus  Eschenholz  als  Griff  eines  Steinbeils  entdeckt 
wurde  (vgl.  Heer  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  40).  Besonders  häutig 
wird  aber  der  Speer  kurz  als  „Esche"  bezeichnet.  So  altn.  axkr,  grieeh. 
u€Xir|  (öEün.),  lat.  ornux,  fra.iimix.    S.  u.  Wald,  Waldbäume. 

Esel.  Die  Bekanntschaft  mit  diesem  Tiere  geht  in  die  Urzeit 
aller  derjenigen  Völkerstämme  zurück,  «leren  Ursprünge  mit  Sicherheit 
in  Asien  gesucht  werden  dürfen.  Dies  gilt  von  den  Semiten  (urs. 
*ätihiu,  *hinuh'u)  und  Turko-Tataren  (e*el;  e*ik).  Aber  auch  die 
arischen  Indogernianen  zeigen  eine  wohl  urverwandte  Gleichung: 
aw.  yara-  (kurd.  ker,  afgh.  yar  u.  s.  w.)  =  skrt.  khara-  (in  der  spät. 
Lit.),  und  jedenfalls  ist  zur  Zeit  ihrer  ältesten  Denkmäler  der  Esel 
(ved.  gardabhd-,  raxabha-)  schon  ein  gewöhnliches  Haustier.  Ebenso 
erseheint  er  als  solches  im  ältesten  Ägypten. 

Anders  liegen  die  Dinge,  sobald  wir  Europa  betreten.  Dass  der 
Esel  nicht  zu  den  hier  heimischen  Tieren  gehört,  beweist  schon  der 
Umstand,  dass  er  in  keiner  prähistorischen  Schicht  gefunden  wurde 
(Uber  Italien  s.  unten).  In  den  homerischen  Gedichten  wird  sein  Xamc 
an  einer  einzigen  Stelle  (II.  XI,  558)  genannt,  an  der  der  Telanionier 
Aias  mit  einem  weidenden  Esel  verglichen  wird,  der  trotz  der  Schläge 
der  Knaben  in  ein  Saatfeld  einbricht.  Schon  diese  Vergleichung  eines 
berühmten  Helden  mit  dem  von  uns  so  verachteten  Tiere  macht  es 
wahrscheinlich,  dass  die  Auflassung  desselben  damals  eine  andere  als 
heute  war.  Thatsächlich  scheint  es,  dass  die  ersten  Esel  in  Griechen- 
land nicht  als  eigentliche  Haustiere,  sondern  eher  als  Zuchttiere  zur 
Erzeugung  der  bei  Homer  ganz  gewöhnlichen  Maultiere  (fmiovo?,  s.  u. 
Maultier)  gebraucht  worden  seien.  So  lautet  das  UTste  Fragment  des 
Archiloehus  (ed.  Bergk): 

H  be  oi  o"ä6n. 
uuo*€i  f  övou  TTpinve'oq 
KnXwvoq  tTrXn.UMup€v  OTpurnepaTou. 

Die  Phokäer  hatten  nach  Hesyeh  ein  besonderes  Wort  für  die  övou? 
in'  öxtiav  TreuTTOpivou?,  nämlich  uuxXöq  (vgl.  uükXoi'  oi  Xuyvoi  koi 
dxtuTou  und  uuttö?-  -fuvaiKÖi;  aiboiov:  sert.  muc  ,semen  profundere' 
wie  sert.  ntsabha-  ,Esel'  :  rcisa-  ,Same  ).  Auch  Simonides  von 
Amorgos  spricht  von  der  Geneigtheit  des  Esels  zu  epta  d<ppobio*ia  u.  s.  w. 
Die  erste  sichere  Erwähnung  des  Esels  als  eines  Haustiers  in  unserem 
Sinne  findet  sich  bei  Tyrtäus  Frgm.  6: 


Digitized  by  Google 


206 


E<el  —  Espe. 


ujcnrep  övoi  inetaXoii;  fixötcri  Teipöiucvoi 

bccmoffuvoicrt  <pepovT€<;  etc. 
In  nahem  Zusammenhang  mit  dieser  aphrodisischen  Bedeutung,  welche 
der  Esel  im  ältesten  Griechenland  hatte,  vielleicht  auch  mit  einer  nörd- 
lichen Herkunft  des  Tieres  (s.  unten)  steht  die  Rolle,  welche  dasselbe 
im  Dionysosdienst  in  Verbindung  mit  Bakchos  und  Scilenos,  von  Reben 
umgeben,  auf  antiken  Münzen  (namentlich  makedonischen)  und  Gemmen 
spielt  (vgl.  Tier-  und  PHanzenbilder  auf  Münzen  und  Gemmen  des  kl. 
A.  v.  lmhof-Blümer  n.  0.  Keller;  s.  auch  u.  Wein).  Schwierig  ist 
die  Erklärung  des  Wortes  övoq.  Aufgegeben  ist  wohl  seine  Ableitung 
von  hebr.  \1t6n  .Eselin'.  Die  von  Eick  und  Prell witz  vertretene  Gleich- 
stellung mit  lat.  onus  .Last',  an  sich  wohl  denkbar  und  durch  ein 
Analogon  (s.  u.)  zu  stützen,  würde  an  dem  über  den  ältesten  Charakter 
des  gricch.  Esels  oben  gesagten  scheitern.  Am  wahrscheinlichsten  ist 
noch,  d.*iss  övo$  und  lat.  asinus  auf  eine  gemeinsame  Grundform  *asnas 
zurückgehen,  deren  Herkunft  im  Norden  der  Balkauhalbinsel  zu  suchen 
sein  würde.  Vielleicht  ist  weiter  eine  Verknüpfung  mit  armen,  es  ,Esel' 
möglich  (vgl.  oben  turko-tat.  ex'ek,  es'ik  und  sumerisch  an«»,  ansi). 
Wort  und  Sache  wären  dann  von  südpontischen  Indogermanen  her, 
die  auch  die  Maultiererzeugung  erfunden  hatten  (s.  u.  Maultier),  in 
sehr  früher  Zeit  nach  Griechenland  und  Italien  gewandert.  Nördlich 
des  Pontus  kamen  keine  Esel  mehr  vor  (vgl.  die  Stellen  bei  V.  Hehn 
Kulturpflanzen G  S.  562  f.).  Auch  in  Italien  würde  dann  der  Esel  sehr 
früh  erschienen  sein;  doch  ist  die  Frage,  ob  er  bereits  in  den  Pfahl- 
bauten der  Poebene  vorkam,  noch  unerledigt  (vgl.  W.  Heibig  Die 
Italiker  in  der  Poebene  S.  15). 

Von  Italien  wanderte  das  lat.  asinus  mit  den  Warenzügen  der  Kanf- 
leute,  später  auch  in  biblischen  Legenden  und  dcrgl.  in  den  ganzen 
Norden  Europas,  zu  Kelten  (ir.  assan  —  woraus  agls.  assa,  engl,  ass  — 
kymr.  asyn,  korn.  asen,  bret.  azen),  zu  Germanen  (got.  asilus  aus 
asinus,  nicht  asellus,  ahd.  esil),  zu  Slaven  und  Litauern  (altsl.  osllü, 
altpr.  asilis,  lit.  Asilas,  alle  zunächst  aus  dem  Germanischen).  In  ebenso 
alte  Zeit  (I — II  Jahrh.)  geht  wohl  die  Entlehnung  von  ahd.  soum  ,Last 
eiues  Saumtiers',  ,Last-  und  Saumtier',  agls.  sMm  aus  vulgärlat.  sauma 
,Packsattel'  {aä^a)  zurück  (prov.  sauma  ,Lasttier  ).  Daneben  ahd. 
saumdri,  agls.  s&amtre  :  mlat.  sagmariu*,  it.  somaro  ,Esel'  (wie 
ngriech.  Youäpi,  alb.  gomdr  ,EseP  :  tömo?  ,Last').  Dass  hier  Wort-  und 
Sachentlehnung  überall  dasselbe  ist,  kann  nicht  bezweifelt  werden. 

Als  die  Heimat  wilder  Eselarten  sieht  man  die  semitischen  Wüsteu- 
länder  und  die  Steppen  des  centralen  Asiens  an ;  doch  soll  der  Stamm- 
vater des  jetzigen  europäischen  Hausesels  der  afrikanische  Stcppen- 
escl  sein  (vgl.  Brehms  Tierleben  Säugetiere  IIP,  59  ff.).  S.  u.  Viehzucht. 

Espe  (Populus  tremtda  L.).    Ein  in  allen   kälteren  Ländern 
Europas  einheimischer  Bamn.   Seine  Namen  im  Germanischen  (ahd. 


Digitized  by  Google 


Espe  —  Fahne. 


207 


aspa,  ahn.  ösp),  Litauischen  (altpr.  abse,  lett.  apsa,  lit.  apuszi*,  sonst 
drebuU :  drebü  gittere  )  und  Slavischcn  (altsl.  osina,  bulg.,  serb.  jasika, 
öech.  osika  aHS  *ai>sika-)  scheinen  auf  Urverwandtschaft  zu  beruhen, 
deren  ratio  indessen  noch  nicht  sicher  ermittelt  ist  (germ.  *asp- :  litu- 
slav.  *aps).   Andere  vergleichen  ahd.  aspa  mit  lat.  arbor  (aus  *azbor). 

Im  Süden  verschwindet  die  Espe.  An  ihre  Stelle  treten  Pappel- 
arten, die  Silberpappel  (Populus  alba  L.)  und  die  Schwarzpappel  (P. 
nigra  /..):  griech.  (schou  bei  Homer)  aiYetpoq  (:  seit,  ej  ,sich  bewegen'; 
vgl.  grieeh.  atYiXunjj  und  alfaven,  u.  Eiche  und  oben  lit.  drebuU)  und 
<ix*pu»is  (s.  u.  Esche),  lat.  populus.  Ob  diese  Räume  auch  im  Norden 
Europas  einheimisch  sind,  muss  dahin  gestellt  bleiben.  Für  das  euro- 
päische Russland  wird  ein  spontanes  Vorkommen  derselben  von  Köppen 
Holzgewäehse  II.  333  ff.  angenommen. 

Auf  der  andern  Seite  könnte  der  Umstand,  dass  für  P.  alba  schon 
im  Ahd.  ein  noch  jetzt  dialektisch  lebendes  albüri,  arbar  (aus  it.  al- 
bero  :  arbor  oder  albus)  vorkommt,  und  dass  im  Mhd.  papel,  popel 
aus  lat.  pöpulux  auftritt,  darauf  deuten,  dass,  wie  nachweisbar  die 
italienische  oder  Pyramidenpappel,  eine  Varietät  von  P.  nigra,  erst  im 
vorigen  Jahrhundert  von  Italien  aus  zu  uns  gekommen  ist,  so  früher 
auch  andere  Pappclartcu  durch  südliche  Einflüsse  im  Norden  aufkamen 
oder  wenigstens  durch  dieselben  dort  weiter  verbreitet  wurden.  Auch 
der  slavischc  Ausdruck  für  P.  alba,  altsl.  topoll,  poln.  topola  u.  8.  w.  sieht 
wie  eine  durch  Dissimilation  (vgl.  agls.  tapor  , Kerze'  aus  lat.  papt/rus ; 
s.  u.  Licht)  verursachte  Verstümmelung  aus  pöpulus  aus.  Doch  fehlt 
es  auch  im  Deutseben  nicht  an  einheimischen  Benennungen  für  Pappel- 
arten, von  denen  belle,  bellweide,  belzboum  (ahd.  bellizboum)  und  sar- 
baum,  sarbuche  etc.  die  häufigsten  sind  (vgl.  Pritzcl  und  Jessen  Volks- 
namen S.  300  ff.).  Slavisch  gilt  für  P.  nigra  :  russ.  osokorl,  poln.  sokora 
and  altsl.  jagnedu,  serb.  jagned  (dunkel).  S.  u.  Wald,  Wald  bäume. 
Esse,  s.  Ofen. 

Essgerate,  s.  Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 
Essig,  s.  Wein. 
Etikette,  s.  Gruss. 
Enle,  s.  Raubvögel. 


F. 

Fackel,  s.  Licht. 

Fahne.  Ein  Anhalt  dafür,  dass  bestimmte  Feldzeichen,  unter 
denen  vereinigt  die  einzelnen  Sippen  (s.  u.  Heer*  hätten  kämpfen 
können,  schon  der  Urzeit  bekannt  gewesen  seien,  hat  sich  bis  jetzt 
nicht  ergeben.    Doch  geht  der  Oebiauch  der  Fahnen  bei  den  meisten 


Digitized  by  Google 


208 


Fuhne. 


idg.  Völker»  in  die  früheste  Zeit  ihrer  Überlieferung  zurück.  Die 
Inder  und  Iranier  haben  sogar  in  seit,  drapsd-  =  an*,  drafxa-  ein 
gemeinsames  Wort  für  diesen  Begriff,  und  ihre  Bedeutung  in  der 
Sehlacht  kann  durch  Stellen  des  Rigveda  wie  des  Awcsta  in  gleicher 
Weise  belegt  werden  (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  294  und  W.  Geiger 
Ostiran.  Kultur  S.  \\V>). 

In  Europa  sind  die  (1  riechen  bis  in  späte  Zeiten  unbekannt  mit 
diesem  äusseren  Kennzeichen  taktischer  Gliederung  des  Heeres  geblieben. 
Hingegen  findet  sich  bei  Römern  und  Germanen  in  merkwürdiger 
Übereinstimmung  die  Sitte,  unter  gewissen  auf  Stangen  getragenen 
Bildern  (signa,  effigies)  in  die  Schlacht  zu  rücken.  Vgl.  für  die 
ersteren  Pliuius  Hist.  uat.  X,  16:  liomanu  eam  (aquUam)  legionibus 
C.  Marius  in  secundn  comulatu  suo  proprie  dicarit.  Erat  et  antea 
prima  cum  quattuor  «Iiis  :  lupi,  minotanri,  eqtii,  aprique  singuhs 
ordines  anteibant  etc.  In  den  Bereich  volksetyinologischer  Wortdeutnngen 
ist  dagegen  wohl  die  Überlieferung  des  IMutareh  Rom.  **>  und  anderer 
zu  verweisen,  nach  der  die  ältesten  Fahnen  lleubündel  an  Stangen 
getragen  gewesen  wären,  eine  Sitte,  die  dem  lat.  manipulits,  eigentl. 
,eine  Hand  voll' sc.  Heu  seinen  Namen  gegeben  habe:  dKdo"rns  (Hundert- 
schaft) bi  dvrjp  üt(pnTeiTO,  xoptou  Kai  üXn.<S  äTxaXic-a  kovtuj  TT£piK€iuevr|v 
dvt'xwv  uavinXa  xauTa  Aomvoi  KaXoöai.  Immerhin  kommt  ein  solcher 
Ersatz  der  eigentlichen  Fahne  auch  in  neuerer  Zeit,  z.  B.  bei  Bauern- 
aufständen gelegentlich  vor. 

Über  die  Germanen  berichtet  Taeitus  Germ.  Cap.  7:  Effigiesque 
et  signa  quaedam  detracta  lucis  in  proelium  ferunt.  Mit  Recht  ver- 
mutet man,  dass  unter  den  signa  Dinge  wie  die  Lanze  des  Wodan, 
unter  den  effigies  (ganz  wie  in  Rom)  vornehmlieh  Tierbildcr,  Bär  und 
Bock  des  Donar  u.  s.  w.  zu  verstehen  seien.  Dabei  ist  daran  zu  er- 
innern, dass  die  idg.  Götter  (s.  u.  Religion)  in  der  ältesten  Zeit  ge- 
radezu als  Tiere  verehrt  werden  konnten.  Der  altgennanische  Name 
für  solche  Feldzeichen  war  ahd.,  alts.  cumbal,  agls.  cumbol,  cumbnr 
{heorocumbol  .Sehwertzeichen',  eoforcumhol  ,Eberzeichcn').  Dazu  gehört 
auch  ahd.  cumpurie  ,tribus",  d.  h.  die  Sippe  oder  der  Stamm,  der  unter 
einer  gemeinsamen  effigies  kämpft.  Darf  vielleicht  das  ganze  ans  *chunni- 
bara-m  ,das  von  der  .Sippe  geführte'  gedeutet  werden?  Von  germa- 
nischem Boden  aus  sind  dann  sowohl  in  westlicher  zu  K  o  m  a  n  e  n  wie 
in  östlicher  Richtung  r/.uSlavcn)  Beeinflussungen  in  der  Bezeichnung 
der  Fahne  ausgegangen.  Sowohl  das  westgermanische  ahd.  gnndfano, 
agls.  güpfana,  eigentl.  .Kampftuch'  Cgot.  fana  ,Tueh',  also  zuerst 
deutlich  auf  diesen  Stoff  als  Hauptbestandteil  des  Feldzeichens  hinweisend) 
wie  auch  das  germ.-mlat.  bandum  (rexillum  quod  bandum  appellant 
bei  Raul.  Diac.  —  got.  bandwö  .Zeichen  ,  , Symbol'  :  bindan  .binden', 
eigentl.  ,Band':  vgl.  u.  griech.  TcuvioO  sind  in  die  romanischen  Sprachen 
(frz.  gon fahrt,  it.  gonfahne  und  frz.  banniere,  it.  bandiera)  überge- 

■ 


Digitized  by  Google 


Fahiw. 


■ 

209 


ganzen.  Von  germanischem  Boden  scheint  auch  das  Jat.  tüfa  (schon 
bei  Vegetius  III,  5  bezeugt)  ,genus  vexilli  apud  Romanos  ex  confertis 
plumarum  globis'  zu  stammen.  Vgl.  agls.  pttf,  sige-püf  .Siegfahne' 
{püf  :  altn.  ßöfi,  lit.  tabtt  ,Filz'?).  Dagegen  aus  dem  lat.  «^n«o> 
entlehnt:  agls.  segn  .Feldzeichen'.  Auf  der  andern  Seite  hat  got. 
hrugga  »Stange'  (Fahnenstange)  zu  altsl.  chorqgy  .Fahne'  und  hat  alt- 
schwed.  stang,  altn.  stüng  ,Stange,  Fahne'  zu  altruss.  stagä  , Fahne' 
geführt.  Daneben  besteht  ein  einheimisches  gemeinsl.  *porporü,  altsl. 
praporü,  das  Miklosich  Et.  W.  zu  per-  Riegen'  (»flatterndes*  =  Fahne) 
stellen  möchte. 

Auch  in  der  a  1 1  ga  1 1  i  s  c  h  e  n  Kriegsführung  spielen  Feldzeichen, 
über  deren  Beschaffenheit  wir  freilich  nichts  wissen,  eine  wichtige 
Rolle.  Nach  Caesar  De  bell.  gall.  VII,  2  eroffnen  im  Jahre  öl  die 
Carnuten  die  Feindseligkeiten  collatis  militaribus  signis,  quo  more 
eorum  gravixsima  cuerimonia  continetur,  ne  facto  initio  belli  ab  re- 
liquix  deserantur.  Eine  irische  Bezeichnung  der  Fahne  ist  merge 
(*mergiA).  was  an  altn.  merki  .Kennzeichen'  und  ebenfalls  , Fahne'  er- 
innert. Vgl.  noch  ir.  brat  ach  , Fahne'  :  brat  ..Mantel'  (wie  oben  ahd. 
fano  i. 

Einer  Bemerkung  bedarf  noch  die  Fahne  des  Schiffes,  die  Flagge. 
Im  Gegensatz  zu  dem  altgriechischcn  Landheer  (s.  o.),  hat  die  griechische 
Flotte  unzweifelhaft  von  ihr  Gebrauch  gemacht.    Vgl.  Poll.  On.  I,  <H): 
t6  bk  ÜKpct  tti?  TTpüuvn,<;  dtcpXaöTa  KaXtvrai,  wv  tviö«;  EüXov  öpööv  nin- 
•picv,  ö  KaXouOi  aiuXiba  (,Flaggeustock  )  *  ou  tö  £k  ue'aou  Kpeuäuevov 
fruKoc,  toi  via  (.Flagge,  Wimpel',  eigentl.  .Band')  övonaZeTai.  Signal- 
und  Nationalflaggen  hicssen  schon  in  guter  Zeit  o*r)M€ia  (vgl.  Brcusing 
Nautik  S.  87  i.  Indessen  ist  es  zweifelhaft,  ob  mit  diesen  Ausdrücken 
Flaggen  im  eigentlichen  Sinne,  d.  h.  grosse  am  Hinterteil  des  Schiffes 
oder  auf  der  Spitze  des  Mastes  befestigte,  viereckige  Fahnen  gemeint 
sind,  oder  nicht  vielmehr  das,  was  die  heutigen  Seeleute  als  „Flüger4 
(sehr  kleine  Fahnen  am  Mastbanm  zur  Kenntlichmachung  der  Wind- 
richtung, aber  auch  zur  Bezeichnung  der  Nationalität )  und  „Wimpel4' 
(lange,  schmale  Fahnen  zum  Schaugepränge  etc.;  ahd.  ichnpal  noch 
.Schleier  )  bezeichnen.   Nur  solche  Fahnen  sind  an  den  mittelalterlichen 
Schiffen,  wie  sie  die  ältesten  Stadtsiegel  etc.  zur  Darstellung  bringen, 
nachweisbar.    Die  heutige  Flagge  tritt  erst  spät  (etwa  im  Zeitalter 
der  Entdeckungen)  auf,  im  Französischen  unter  dem  Namen  pavülon 
aus  lat.  päpilio  (von  den  auf  grossen  Schiffen  errichteten  Pavillons, 
auf  denen  die  Fahne  aufgesteckt  wurde?  oder  direkt  von  dein  flatternden 
Schmetterling?),  in  den  germanischen  Sprachen  unter  dem  noch  dunklen 
Worte  dän.  flag,  engl,  flag  n.  s.  w.    Vorläufer  unserer  Flaggen  waren 
anch  die  Standarten  (it.  stendardo,  mhd.  »tanthart),  die  in  früheren 
Zeiten  auf  dem  Verdecke  des  Schiffes  aufgepflanzt  wurden.  Vgl. 
Lappenberg  Z.  d.  Ver.  f.  hamb.  Geschichte  III,  1(j4.  —  S.  u.  Heer. 

Schräder,  RwUlcxIkon.  M 


Digitized  by  Google 


ilO  KahrsJrassc  —  Falke.  Falkenjagd. 

Fahrstrasse,  s.  Strasse. 

Fahrzeuge,  s.  Schiff,  Sehlitten.  Streitwagen,  Wagen. 

Falke.  Falkenjagd.  Die  ersten  historischen  Nachrichten  Uber 
die  Benutzung  von  Raubvögeln  zu  Jagdzweeken  geben  Ktesias  {lud. 
Cap.  11)  und  Aristoteles  (Hist.  aniiu.  IX,  3G,  4)  aus  Indien,  bezüglich 
Thrakien.  Den  Griechen  und  Römern  war  die  Kunst.  Jagdvögcl 
auf  kleineres  Wild  Stessen  zu  lassen,  in  der  guten  Zeit  unbekannt. 
Die  einzige  Art,  den  itpa£  zur  Jagd  zu  benutzen,  ist  die  von  Oppian 
'lEeuiiKÜ  III,  f>  geschilderte,  nach  welcher  Habicht  oder  Falke  an  einen 
Baum  angebunden,  dazu  dient,  die  auf  dem  Baume  sitzenden  Vögel 
vor  Schreck  starr  zu  machen.  Erst  im  IV.  oder  V.  Jahrhundert  n.  Chr., 
bei  Julius  Firuücus  Maternus  und  (ajus  Sollius  Apollinaris  Sidonius, 
ist  die  Falkenjagd  unzweifelhaft  eine  bekannte  Sache.  Dass  es  ger- 
manische Völker  waren,  welche  dieselbe  nach  Italien  und  in  andere 
romanische  Länder  verpflanzten,  macht  die  Sprache  wahrscheinlich. 
Ans  dem  ahd.  xparicäri  (eigentl.  ,Sperlingsadler',  aperuarius  Lex.  Sal.) 
stammen  :  it.  xparavtere,  fr/,  eperrier,  aus  altn.  geirfalki  (Falco  iV 
landivus)  ,Sperfalkc'  :  it.  ger falco,  span.  gerifalte,  prov.  girfalc,  frz. 
gerfaut,  aus  ahd.  smirl,  nhd.  xchmerl  .ein  Zwergfalke*  :  it.  smerlo, 
prov.  esmirle,  it.  smeriglione,  aus  nihil,  luoder  .Lockspeise  :  it.  logoro, 
frz.  leurre.  Auch  mlat.  falco.  it.  falcoue,  frz.  faueon  (nur  im  Ru- 
mänischen nicht  bezeugt)  leitet  man  nicht  mehr  wie  früher  von  lat. 
fal.v  ^Sichel*  i  ebensowenig  wie  griech.  äpTrn,  .Lämmergeier'  von  tipim, 
,Sichel)  ab,  sondern  man  siebt  auch  hier  in  den  romanischen  Namen 
Entlehnung,  und  zwar  aus  ahd.  fakho,  altn.  fulki  i  letzteres  spät  bezeugt), 
die  man  ihrerseits  entweder  zu  nhd.  fallen  (aeeipitres  praedax  perse- 
quuntur,  falcones  ab  alto  feruntur)  stellt  oder  als  die  „fahlenu  (oberd. 
faleh)  Vögel  erklären  möchte.  Jedenfalls  wird  Faho  auch  als  Eigenname 
in  mehreren  altgerm.  Dialekten  verwendet,  wodurch  das  Indigcnat  des 
Wortes  auf  germanischem  Boden  weiter  erhärtet  wird. 

Woher  die  Germanen  die  neue  Jagdweise,  die  weder  Caesar,  noch 
Tacitus,  noch  Plinius  bei  ihnen  kenneu,  die  aber  sowohl  in  den  legibus 
Barbarorum,  wenigstens  in  den  späteren  >si  qtün  aeeeptrem  de.  arborem 
furaverit  der  Lex.  Sal.  könnte  noch  auf  die  oben  geschilderte  Oppi- 
anischc  Jagdweise  gehen,  doch  Lex.  Alem.  hat  bereits:  aeeeptorqui  aucam 
mordet),  wie  auch  bei  den  nordischen  Germanen  (vgl.  Weiuhold  Altn. 
Leben  S.  64  ff.)  bezeugt  ist,  dürfte  schwer  zu  sagen  sein.  Kaum  vom 
Westen,  von  den  Kelten  her,  auf  welche  die  Bedeutung  dieses  Volke« 
auf  andern  Gebieten  des  Jagdsportes  hinweisen  könnte  (s.  u.  Jagd). 
Hier  ist  erst  im  X.  Jahrhundert,  in  wallisischen  Rcchtsqucllen  die  Jagd 
mit  Habicht,  Falke  und  Sperber,  und  zwar  ganz  in  der  späteren  mittel- 
alterlichen Weise,  zu  belegen,  und  altkymr.  hebauc,  altir.  sebocc  , Habicht' 
sind  nicht,  wie  man  früher  gemeint  hat,  die  Quelle  von,  sondern 
Entlehnung  aus  agls.  heafoc,  engl,  hawk  <ahd.  habuh,  altn.  haukr, 


Digitized  by  Google 


Falko,  Falkenjagd. 


211 


finn.  hacukka).  Wahrscheinlicher  ist  es,  dass  die  ersten  Stürme  der 
Völkerwanderung  die  Falkenjagd  aus  dem  Innern  Asiens  nach  dem 
Oceident  herüber  brachten.  In  Tnrkestan,  dem  Stammland  der  Türken, 
bei  denen  diese  Jagdweise,  wie  es  scheint,  seit  ältester  Zeit  bekannt 
ist  (vgl.  Vambery  Primitive  Kultur  S.  1U0),  sind  die  edelsten  Falken- 
und  Habichtsarten  noch  heute  einheimisch.  Auch  kann  man  sich  die 
Jagd  mit  Vögeln  eher  auf  der  unendlichen  Steppe  als  in  dem  hegrcit/ten 
Waldland  Europas  entstanden  denken.  Jedenfalls  ist  von  dort  aus 
die  slavische  Welt  und,  durch  persische  Vermittlung,  Byzanz  be- 
einflusst  worden.  Schon  in  sehr  früher  Zeit  ist  das  türkische  karagu, 
kergu  .Sperber'  in  sämtliche  slavische  Sprachen  eingedrungen:  altsl. 
kraguj,  bulg.  kargo,  russ.  (lautlich  auffallend)  krtignj  u.  8.  w.  (vgl.  Mi- 
klosich  Türk.  Eiern.  S.  91).  Vgl.  noch  russ.  sari/cii  Fnh-n  Buten  ans 
nordtürk.  stireca  ,Jagdfalkc'. 

Unter  den  byzantinischen  Ausdrücken  für  Jagdvögcl,  die  das  Orueo- 
sophion,  resp.  Hierakosophion  des  Kaisers  Michael  angiebt,  sind  ein- 
heimisch: iepa£  .Habicht",  TTeTpiuiq  ,Edcl-,  Tauben-  und  Wanderfalke' 
und  ÖEuTmpiov  , Sperber';  drei  Ausdrücke  aber  sind  orientalischen  Ur- 
sprung: nämlich  lä^avoc,  aus  türk.  zagen  , Weihe'  oder  ans  arab.-pers. 
«dhin,  Pamird.  idin,  kurd.  x/n  .Königsfalke',  o-irrKOÜpiov  ans  npers. 
xonkur  ,Gcrfalke'  und  TZoupäjctov  ,Sorrak,  Falco  candican*  wohl  aus 
npers.  cary,  Painird.  fxdr,  txdrgh. 

In  Europa  wuchs  die  Bedeutung  der  Falkenjagd  immer  mehr,  so  dass  sie 
im  VI.  Jahrhundert  auf  verschiedenen  Kirchenversanimlungen  der  Geist- 
lichkeit verboten  werden  musste.  Ihren  Höhepunkt  erreichte  sie  aber  im 
XII.  und  XIII.  Jahrhundert,  in  dem  Friedrich  II.  ein  eigenes  Werk  Über  sie 
schrieb.  Auch  damals  noch  kamen  neue  Verbesserungen  auf  diesem  Ge- 
biet ans  dem  Orient.  So  wird  z.  B.  im  Buche  des  Kaisers  Friedrich 
die  Erfindung  der  Falkenhaube  icapella)  als  eine  arabische  bezeichnet. 
Einen  sprachlichen  Beleg  aber  für  diese  spätorientalischcu  Bezie- 
hungen bietet  mint,  xaeer,  it.  xagro,  frz.,  span.  xaere,  mhd.  xaekerx  .der 
-Sackcrfalk".  Die  Meinung,  dass  diese  verhältnismässig  spät  bezeugte 
Sippe  nichts  sei  als  das  lat.  xaeer  , heilig  ,  eine  Übersetzung  von  »epa£, 
kann  jetzt  wohl  als  aufgegeben  gelten.  Auch  nhd.  icie  , Weihe'  ist  von 
ahd.  wiho  , heilig'  zu  trennen,  und  auch  in  WpaE  ist,  wie  Hcsychs  ßci- 
pa«s  lehrt,  tepö?  .heilig'  =  sert.  ixhira-  erst  volkstümlich  hineinge- 
tragen worden.  Die  oben  genannte  Sippe  von  mlat.  xaeer  etc.  ist 
vielmehr  eine  Entlehnung  aus  dem  arab.  .saqr  (vgl.  auch  npers.  xikere 
,Jagdhabicht ),  das  vielleicht  seinerseits  wieder  aus  türk.  txehakir  entstellt 
ist.  Slav.  sokolit  und  lit.  xakalax  .Falke'  (ob  :  sert.  qakunä-  , Vogel  ?) 
sind  von  xaeer  fern  zu  halten. 

Mit  der  Erfindung  des  Schiesspulvers  beginnt  der  Verfall  der  Falken- 
jagd. Die  Namen  der  Jagdvögel  werden  nun  zum  Teil  auf  die  neuen 
Sebiesswaffen  übertragen:  vgl.  it.  falconetto  , Feldschlange'  moxchetto, 


Digitized  by  Google 


212 


Falke,  Falkenjagd. 


eigontl.  .der  Sperber",  terzeruolo  eigentl.  ,das  Männchen  des  Habichts', 
xagro,  eigentl.  ,Sackerfalk',  alles  zugleich  Ausdrücke  fflr  Schicsswaffen. 

Zu  erwähnen  bleiben  einige  weitere  Be/.eiclinungcn  des  Habichts, 
des  ältesten  Jagdvogels,  die  im  Bisherigen  keine  Besprechung  gefunden 
haben. 

Weit  verbreitet  ist  das  lat.  aeeipiter.  Es  wird  gewöhnlich  aus  *aeu- 
piter  (vgl.  lat.  acu-pediux  .schnellfüssig'  und  grieeh.  TTtToucti  ,flicge'} 
hergeleitet  und  als  der  ,schuellflicgciide'  vgl.  o.  grieeh.  öEim-re'piov 
,Habicht',  schon  in  der  Septuagintai  gedeutet.  Neuerdings  *  vgl.  Holt- 
hausen I.  F.  V,  274)  aber  hat  man  an  eine  Grundform  *aci-piter  (aeo~ 
:  got.  ahakx  /Taube'  und  lat.  petere  ,auf  etwas  losgehen'  /  gedacht  und 
das  Wort  etwa  als  „Taubenstdsser'  aufgefasst,  ganz  wie  das  schon 
oben  genannte  ahd.  habuh  von  Uhlenbeck  Beiträge  XXI,  08  auf  eine 
Grundform  Hapo-ghno-  (*kupo-  Jlulm*  in  sert.  kapiftjala-  , Haselhuhn' 
etc.,  -ghno-  —  sert.  -ghna-  /..  B.  in  brahma-ghna-  .Brahmanentöter'i  zu- 
rückgeführt und  als  „Hühnertöteru  aufgefasst  worden  ist  (doch  vgl. 
auch  mlat.  capux,  das  schon  allein  .Habicht"  bedeutet,  und  russ.  kobezü. 
das  man  ebenfalls  zur  Erklärung  von  ahd.  habuh  herangezogen  hat  i. 
Wie  nun  auch  immer  das  zweifellos  durch  lat.  aeeipere  beeinflusste 
lat.  aeeipiter  entstanden  zn  denken  sei,  jedenfalls  ist  dasselbe  durch 
die  Rücksichtnahme  auf  dasselbe  Verbum  noch  weiter  beeinflusst  worden. 
Daher  zunächst  lat.  aeeeptor  <  schon  bei  Lucilius).  —  Ans  aeeeptor  oder 
volksmässig  uoch  weiter  entstelltem  *auceptor  (:  atteeps)  gingen  die 
romanischen  Formen  span.  azor,  prov.  auxtor,  frz.  autour,  it.  astore 
hervor.  Vielleicht  hatte  auf  ihre  Bildung  auch  das  zuerst  von  Firmicus 
Maternus  gebrauchte  astur  .Sperber'  EinHuss  (Axtir  ein  röm.  Gladia- 
torenname,  vgl.  0.  Keller  Lat.  Volkset.  S.  314),  duukelcn  Ursprung« 
und  kaum  zu  dein  Aristotelischen  darepiaq  ,eitie  Art  Raubvogel"  ge- 
hörig. Die  slavischen  altsl.  jaxtrebü  .Habicht"  (nach  Miklosich  :  slovak. 
jaxtriti  .scharf  blicken';  haben  mit  aeeipiter,  mit  dem  noch  all»,  kift 
,Sperbcr'  und  ngr.  Suprcpi  .epervier'  zu  verbinden  ist.  nichts  zu  thun. 

Im  Litauischen  heisst  der  Habicht  wtinagax.  Nach  .1.  Grimm  Is.  u. 
S.  ;")()),  dem  V.  Hehn  (s.  n.  S.  ">83 )  hierin  folgt,  läfrc  eine  Entlehnung 
aus  dem  Gennauischeu  vor.  Hier  bedeute  ahd.  iranuo-wi:ho  einen 
kleinen  für  heilig  gehaltenen  Raubvogel,  dem  Wannen  (Int.  rannux)  an 
den  Häusern  errichtet  würden,  um  darin  zu  nisten.  Wort  und  Sitte 
stammten  aus  Italien,  wo  letztere  schon  (olumclla  VIII,  8  und  riiuius 
X,  100  erwähnten.  Wer  indessen  diese  Nachrichten  der  Alten  prüft , 
nach  denen  der  tinuneulux  von  tiua  ,Gcfäss')  in  den  Columbarien  ge- 
rade  zum  Schutz  gegen  den  Habicht  gehalten  wurde,  wird  die  ange- 
gebene Erklärung  für  lit.  teauagax  nicht  glaublich  finden.  Eher  könnte 
man  für  dasselbe  an  ir.  fang,  fähig  ,Geier'  denken. 

Vgl.  Beckmann  Beyträge  II,  2  S.  2f>7  ff.,  Hammcr-Pnrgstal I 
Falknerklee  Wien  1840  (das  türkische  Falkenbuch,  das  byzantinische  Hie- 


Digitized  by  Google 


Familie. 


213 


rakosophion,  Kaiser  Maximilians  Buch  über  die  Falkncrei),  J.Grimm 
Geschichte  d.  deutschen  Sprache  S.  43  ff.,  V.  Hehn  Kulturpflanzen* 
S.  362 ff.,  Baist  Z.  f.  deutsches  A.  1883,  F.  Kluge  Et.  W.«  s.  v.  Falke. 

Familie.  Aus  den  idg.  Verwandtschaftsnamen  ergiebt  sieb,  dass 
für  die  engste  Fainilienzusanimengehörigkeit,  für  Vater,  Mutter,  Sohn, 
Tochter,  Bruder,  Schwester  (s.  s.  d.  d.)  urzeitliche  Benennungen 
vorhanden  waren.  Ausserdem  gab  es  ein  Wort  für  den  Bruder  des 
Vaters  (s.u.  Oheim,  fUr  den  Grossvater  und  Enkel  (s.s.  d.d.).  Was 
die  Heiratsverwandtschaft  anbetrifft,  so  gab  es  eine  Bezeichnung  für 
die  Schwiegertochter  und  für  ihre  Beziehungen  zu  den  Verwandten 
des  Mannes,  also  für  dessen  Vater.  Mutter,  Bruder.  Schwester.  Auch 
ein  zusammenfassender  Name  für  die  Frauen  von  Brüdern  war  vor- 
handen s.  u.  Schwieger-).  Hingegen  lassen  sich  keine  urzeitlichen 
Bezeichnungen  für  die  Beziehungen  des  jungen  Mannes  zu  den  Ange- 
hörigen seiner  Frau  und  wohl  auch  keine  für  den  Begriff  des  Schwieger- 
sohnes selbst  nachweisen.  Der  Schluss,  der  aus  diesen  Thatsaeheu 
gezogen  werden  inuss,  ist  zunächst  der,  dnss  der  Gedanke  der 
Affinität  im  heutigen  Sinne  der  Urzeit  noch  nicht  aufge- 
gangen sein  kann.  „Die  Sippe  der  Frau  mochte  schon  damals 
als  eine  „befreundete"  griech.  Kr|be(JTr|<;  Jeder  durch  Heirat  Verwandte, 
»Schwiegersohn.  Schwiegervater.  Schwager',  Kubenöve«;'  oi  Kaiä  im- 
irauiav  oiiceioi  Hes.,  Knbeuua  , Verschwägerung'  —  während  im  Gesetz 
von  Gortyn  KabcffTcts  Blutsverwandte  von  Männern  und  namentlich 
von  Frauen  bezeichnet  —  :  Knbeioq,  Kr)bio"TO£  .lieb',  südsl.  prijateljstimi 
,die  ganze  Verwandtschaft  der  Frau'  :  altsl.  prijatell  .Freund",  mhd. 
criuntftchaft  , Verschwägerung,  Freundschaft')  gelten;  aber  als  durch 
Verwandtschaft  betrachtete  man  sich  noch  nicht  mit  ihr  verbunden. 
Mit  der  Ehe  trat  ein  Weib  aus  dem  Kreis  ihrer  Anverwandten  in 
den  des  Mannes  über,  was  sie  aber  mit  diesem  vereinigte,  zerriss 
zugleich  ihre  bisherigen  Familienbandc,  knüpfte  nicht  neue  zwischen 
ihrer  und  des  Mannes  Sippe  an.  Das  Weib  verschwand,  so  zu  sagen, 
im  Hause  des  Ehemanns"  (Sprachvergleichung  und  Urgeschichte8). 

Wenn  aber  Jemand  den  Bruder  seiner  Frau  nicht  als  Verwandten 
betrachtet,  so  ist  es  von  vornherein  nicht  wahrscheinlich,  dass  seine 
Kinder  den  Bruder  ihrer  Mutter  als  solchen  ansehen  werden,  und 
thatsächlich  können  indogermanische  Namen  für  lediglich  durch  Frauen, 
vermittelte  Verwandtschaf  tsbeziehungen,  im  besonderen  für  den  Mutter- 
bruder (s.  u.  Oheim),  nicht  nachgewiesen  werden.  Wie  die  Affinen, 
werden  daher  auch  die  Kognaten  nur  im  allgemeinen  als  „Freunde" 
oder  „Verbundene"  bezeichnet  worden  sein,  wie  denn  Bildungen  von 
der  Wurzel  bhendh  .binden'  im  griech.  irevBepö?  den  Schwiegervater, 
(des  Mannes),  im  sert.  bändhu-  vorwiegend  den  Kognaten,  namentlich 
den  Mutterbruder  (vgl.  Jolly  Sitte  u.  Recht  S.  85  f.)  bezeichnen.  Nimmt 
man  hierzu,  dass  die  aus  der  Erweiterung  der  Familie  schon  in  »1er 


Digitized  by  Google 


214 


Familie 


Urzeit  hervorgegangene  Sippe  (s.  d.)  als  agrarische  und  militärische 
Einheit  schlechterdings  nicht  verstanden  werden  kann,  wenn  man  für 
die  Zugehörigkeit  zu  einer  solchen  Sippe  ausser  der  Verwandtschaft 
durch  Männer  auch  noch  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  durch 
die  Frauen  massgebend  sein  lassen  wollte,  so  ergiebt  sich  aus  alledem, 
dass  der  Familienhegriff  der  idg.  Urzeit  ein  durchaus  ag- 
natischer gewesen  sein  muss. 

Zu  diesem  Ergebnis  war  F.  Bernhöft,  freilich  ohne  seine  Meinung, 
was  erst  durch  die  Sprachvergleichung  möglich  war,  eigentlich  beweisen 
zu  können,  schon  im  Jahre  1882  gelangt,  indem  er  (Staat  und  Recht 
der  römischen  Königszeit  S.  202 1  sehr  richtig  sagt:  „Das  Prinzip  der 
Verwandtschaft  im  Mannesstamme  ist  schon  in  der  gemeinschaftlichen 
Vorzeit  der  Indogermanen  durchgedrungen.    Die  Annahme,  als  ob  ur- 
sprünglich noch  Verwandtschaft  im  Weiberstamme  gegolten  hätte,  und 
hieraus  sich  bei  jedem  einzelnen  Volke  das  agnatische  Prinzip  mehr 
oder  weniger  rein  entwickelt  hätte,  ist  zu  verwerfen''.    Leider  ist  er 
später,  namentlich  in  einem  Aufsatz  Ehe-  und  Erbrecht  der  griechischen 
Heroenzeit  (Z.  f.  vergl.  Rechtsw.  XI,  321  ff.),  aus  nicht  ausreichenden 
Grlluden  von  dieser  richtigen  Erkenntnis  wieder  abgewichen.  Hingegen 
hat  R.  Schröder  in  der  zweiten  Auflage  seiner  Deutschen  Rechtsge- 
selnchtc  (1894)  S.  02  {dritte  Aufl.  S.  63)  den  in  Sprachvergleichung 
und  Urgeschichte2  vertretenen  Standpunkt  ohne  Einschränkung  ange- 
nommen: ,,Der  Aufbau  der  arischen  [indogermanischen]  Familie  war 
ein  durchaus  agnatischer,   die  Blutsfreundc  von  mütterlicher  Seite 
wurden  nicht  als  Verwandte,  sondern  nur  als  Freunde  angesehen." 
Dasselbe  thut  0.  Lorenz  in  seinem  Handbuch  der  Genealogie  (Berlin 
1*98)  S.  81  ff.,  der  auf  diesem  Wege  zugleich  die  Erscheinung  erklärt 
sieht,  dass  „die  Genealogien  der  alten  Völker  in  der  Asccndenz  innner 
nur  die  väterliche  Reihe  berücksichtigen".    Die  Einwendungen  Leists 
(Altar.  Jus  civile  I.  205  f.)  gegen  diese  immer  mehr  durchdringenden 
Anschauungen  von  dem  Charakter  der  ältesten  Familie  sind  nicht  stich- 
haltig.   Er  weist  darauf  hin,  „dass  die  alte  Sprache  nicht  einmal  ein 
Wort  für  Agnation  habe",  ohne  zu  bedenken,  dass  in  einer  Zeit,  in 
der  es  nur  eine  Art  der  Verwandtschaft,  die  agnatisetie,  gab,  natürlich 
jedes  Wort,  welches  Verwandter,  Verwandtschaft  u.  s.  w.  bezeichnete, 
ausschliesslich  in  diesem  Sinne  gemeint  war.   Gegensätze  wie  lat.  og- 
twtu*  und  cognatus,  sert.  sapintfa-  und  bdndhu-,  deutsch  Germagen 
und  Spindelmagen  gehören  erst  den  Einzelsprachen  an. 

Wenn  er  dann  ferner  zu  Gunsten  eines  ursprünglich  kognatischen 
Familiengedankeus  auf  „die  hohe  Wichtigkeit  des  Avunculats,  die  bis 
zu  den  Germanen  reiche"  und  auf  die  „bei  Griechen  wie  Indern  be- 
stehende Erbberechtigung  npö?  unjpös"  hinweist,  so  ergiebt"  sich  die 
geringe  Tragweite  dieser  Argumente  ans  den  Ausführungen  u.  Oheim 
und  Erbschaft. 


Digitized  by  Google 


Familie. 


215 


Hiernach  bleibt  das  Wesen  der  indogermanischen  Familie  noch 
nach  einer  dreifachen  Seite  zu  bestimmen.  Es  ist  erstens  über  die 
Stellung  des  Hausherrn  der  Frau  und  den  Kindern  gegenüber  und  über 
die  der  beiden  letzteren  selbst  zu  handeln.  Es  ist  zweitens  die  Aus- 
dehnung der  Familie  in  der  Urzeit  zu  bestimmen,  und  es  sind  drittens 
die  ältesten  Bezeichnungen  des  Familieubegriffes  zu  erörtern. 

1.  Die  Stel  lung  des  Hausherrn  zu  Frau  und  Kindern  u.  s.  w. 

An  der  Spitze  der  idg.  Familie  steht  der  Vater  s.  d.i,  der  der 
Frau  und  dem  ganzen  Hause  gegenüber  als  „Herr"  \*pofi-,  s.  u.  Ehe) 
bezeichnet  wird.  Er  hat  die  Fron  durch  Kauf  (s.  u.  Brautkaiifj  in 
seine  -Hand"  gebracht,  wie  die  Vergleichung  von  ahd.  munt,  altn.  alts. 
agls.  wund  ,innndiuiu'  mit  lat.  manu*  in  waneipium,  mainuitix/tio, 
u.vor  in  wann  u.  s.  w.  zeigt,  eine  wohl  schon  idg.  Ausdrucksweisc, 
die  ursprünglich  ohne  Zweifel  auf  jedes  fainilien-  wie  sachcnrechtliche 
Eigentumsverhältnis  angewendet  wurde  (vgl.  K.  Sehröder  a.  a.  O.  S.  58). 
Die  Frau  ist  dadurch  mit  allem,  was  sie  hervorbringt,  das  Eigentum 
des  .Mannes  geworden.  Ihre  Sippe  gilt  dem  Manne  noch  nicht  als  eine 
ihm  verwandtschaftlich  verbundene  (s.  o.).  Auf  demselben  Wege  des 
Kaufs  kann  er  sich  eine  zweite  und  dritte  Frau  (s.  u.  Polygamie) 
erwerben:  ausserdem  kann  er  sich  (was  aber  wohl  erst  nach  Aufkommen 
eines  Sklaveustandes  üblich  wird)  zur  Befriedigung  seiner  Lust  eine 
unbestimmte  Zahl  von  Kebsen  (s.  u.  Beischläferin)  halten,  während 
der  Ehebruch  (s.  d.)  der  Frau  bis  in  späte  Zeiten  mit  dein  Tode 
geahndet  wird.  Er  kann  die  Frau  Verstössen,  die  ihrerseits  mit  un- 
auflöslichen Banden  (s.  u.  Ehescheidung)  an  den  Mann  gebunden  ist. 
Ist  er  selbst  nicht  im  Stande,  sich  den  erflehten  Sohn,  der  dereinst 
für  die  Ruhe  seiner  Seele  (s.  u.  Ahnenknltus)  sorgen  soll,  zu  er- 
zeugen, so  kann  er  dies  bei  seinem  Weibe  durch  einen  Zeugungs- 
helfer (s.d.)  besorgen  lassen,  wie  er  gelegentlich  auch  nicht  ansteht, 
seine  Frau  einem  besonders  geehrten  Freund  (s.  i^  Gastfreundschaft) 
zur  Verfügung  zu  stellen.  So  ungleichartig  war  die  Stellung  von 
Mann  und  Frau,  dass  die  sprachliche  Ausbildung  von  Begriffen  wie 
Ehe  (s.  d.),  Gatten  (s.  u.  Ehe),  Eltern  (s.  d.)  in  der  Urzeit  noch 
unmöglich  gewesen  zu  sein  scheint.  Auch  ein  Wort  für  den  Witwer 
fehlte  in  der  Ursprache  noch,  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  ein 
Mann,  der  seine  Frau  eingebüsst  hatte,  ein  bedeutungsloser  Begriff  war, 
etwa  wie  ein  Mann,  der  eine  Kuh  oder  dergleichen  verloren  hatte  (s.  u. 
Witwe. 

Niedrig  wie  die  Stellung  des  Eheweibes  ist  natürlich  auch  die  der 
Frau  überhaupt  gewesen.  Erst  ganz  allmählich  wird  sie  auf  idg.  Boden 
zum  Eigentum  und  zur  Erbschaft  fs.  s.  d.  d.  zugelassen.  Bei  den 
Mahlzeiten  (s.  u.  Mahlzeiten  und  Trinkgelage.'!  speisen 
die  Weiber  getrennt  von  den  Männern  und  erhalten,  was  diese  übrig 
lassen.  Töchter  zu  haben,  gilt  allen  altidg.  Völkern  für  ein  Jammer,  von 


Digitized  by  Google 


216 


Familie. 


dem  man  sieh  häufig  durch  Aussetzung  derselben  befreit  (s.  u.  Aus- 
setzungsrecht).  Zur  Jungfrau  herangewachsen,  ist  das  Mädchen 
ein  Tauschobjekt  für  den  Vater,  der  sie  verheiratet,  ohne  nach  ihrem 
Willen  zu  fragen  (s.  u.  Heirat).  Als  Weib  ist  sie,  wie  wir  sahen, 
Eigentum  des  Mannes,  und  auch  das  Los  der  Witwe  (s.  d.)  ist  bis 
tief  in  die  historischen  Zeiten  ein  klägliches  geblieben.  Der  allgemeine 
Satz  der  Völkerkunde  (vgl.  E.  Grosse  Die  Formen  der  Familie  und 
d.  F.  d.  Wirtschaft  S.  171,  181),  dass  Frauenkauf  und  Vaterfolge  überall 
zunächst  mit  einer  niedrigen  Stellung  des  Weibes  verbunden  sind,  be- 
wahrheitet sich  also  durchaus  auch  auf  idg.  Boden,  und  es  ist  schwer 
zu  begreifen,  wie  Leist  in  seinen  Huchem  Altarisches  Jus  gentium  und 
Altarisches  Jus  civile  (passim»  zu  der  Vorstellung  von  einer  parcutal- 
rechtlicheu  Stellung  der  idg.  Frau  dem  Manne  gegenüber  gelangen 
konnte.  Die  Opfcrgemeinsehaft  der  Ehegatten,  wie  sie  uns  bei  Indern 
und  Körnern  entgegentritt,  kann  man  fllr  eine  frühzeitige  Gleichstellung 
der  Frau  mit  dem  Manne  den  oben  angeführten  Thatsacheu  gegenüber 
nicht  geltend  machen;  denn  es  steht  nichts  im  Wege,  worauf  Fustel 
de  Coulanges  La  eite  antique  schon  längst  hingewiesen  hat,  die  Frau 
auch  hierbei  ursprünglich  nicht  als  eine  dem  Manne  gleichberechtigte 
Teilnehmerin  am  Opfer,  sondern  als  seine  Dienerin  und  Gchilfiu 
aufzufassen.  Auch  fehlt  es  weder  in  Italien  noch  in  Indien  an  Opfern, 
bei  denen  die  Anwesenheit  der  Frau  streng  untersagt  ist,  Erscheinungen, 
die  man  nach  dem  obigen  als  surmeah  eines  Zustandcs  auffassen  muss, 
in  dem  die  Frau  überhaupt  nicht  zum  Opfer  zugelassen  war.  Dies  gilt 
bei  den  Römern  von  dem  Marsopfer  pro  boum  valetudine  'Cato  De  re 
rust.  83:  Mulier  ad  rem  dirinam  ne  ad-sit  nere  videat  qtiomodo  fit), 
in  Indien  von  der  Pravargya-Zeremonie  („wenn  die  Pravargya-Zeremonie 
vollzogen  wird,  verhüllt  die  Gattin  des  Opfcrveranstalters  das  Haupt", 
Catapath.  Hrälim.).  Vgl.  Henrici  Jordani  vind.  serm.  lat.  nntiquissimi 
Regimontii  1882.  Über  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  neben  idg. 
*poti-  liegenden  *potni-  s.  u.  E  h  c. 

Gleichwohl  wird  das  Los  der  Frau  frühzeitig  durch  die  Anteilnahme 
der  Sippe,  welcher  sie  angehörte,  gemildert  worden  sein.  Umso  länger 
und  schroffer  tritt  die  ganze  Strenge  der  väterlichen  Gewalt  den 
Kindern  gegenüber  zu  Tage.  Über  die  Inder  äussert  in  dieser  Be- 
ziehung Jolly  a.  a.  O.  S.  78:  „Xach  Xärada  I,  32—42  herrscht  der 
Hausvater  (grhin-)  über  seine  Familie  wie  ein  König  über  seine  ünter- 
thanen,  ein  Lehrer  über  seine  Schüler.  Seine  Frauen  und  Diener  sind 
ihm  unbedingten  Gehorsam  schuldig,  und  selbst  seine  Söhne  bleiben 
abhängig  von  ihm,  so  lange  er  lebt,  selbst  wenn  sie  mit  16  Jahren 
volljährig  geworden  sind  ....  Über  die  Söhne  kann  er  unbedingt 
verfügen,  sie  verschenken,  verkaufen  oder  Verstössen  (Vas.  15,  2);  doch 

wird  der  Verkauf  schon  Ap.  2,  13,  1 1  verboten  Der  Erwerb 

der  Söhne  gehört  im  allgemeinen  dem  Vater,  sie  stehen  in  dieser  Hinsicht 


Digitized  by  Google 


Familie. 


217 


mit  Sklaven  und  Fraueu  auf  gleicher  Stufe  (Närada  5,  41)."  Für  das 
alte  Gallien  haben  wir  den  kurzen,  aber  bedeutsamen  Satz  des  Caesar 
De  bell.  gall.  VI,  19:  Viri  in  tuorex,  xicut  in  liherox,  ritae  necis- 
que  hahent  potestatem.  Dasselbe  galt  bei  den  alten  Preussen  (nach 
Hartknoch  Das  alte  und  neue  Preussen  S.  208).  Über  die  alt  ger- 
manischen Zustände  berichtet  R.  Schröder  a.  a.  0.  S.  64:  „Von 
der  ausserordentlichen  Strenge,  mit  der  die  Gewalt  des  Hausherrn 
(*poti-)  in  der  idg.  Zeit  ausgestattet  gewesen  sein  mnss,  haben  sich 
in  den  germanischen  Rechten  noch  manche,  zum  Teil  bis  in  das  Mittel- 
alter vcrfolgbarc  Spuren  erhalten  [vgl.  auch  Brauner  1).  Rechtsg.  I,  75]. 
Die  Töchter  unterlagen,  teilweise  noch  in  der  fränkischen  Zeit,  dem 
unbedingten  Heiratszwange  des  Vaters.  In  Fällen  der  Not  konnte  man 
Frau  und  Kinder  in  die  Knechtschaft  verkaufen.  [Tac.  ann.  IV,  72]. 
Beide  waren  der  strengsten  Zucht-  und  Strafgewalt  des  Hausherrn 

unterworfen   Man  hat  die  Wchrhaftmachung  der  Sühne 

mehrfach  für  einen  die  väterliche  Gewalt  aufhebenden  Emanzipations- 
akt  erklärt.  Aber  indem  Tacitus  [Germ.  Cap.  \;\:  Haec  apud  ilhx 
toga,  hie  primus  iueentae  honos;  ante  hoc  domnx  parx  videntur,  mox 
rei  publieae\  den  Akt  mit  der  Anlegung  der  toga  ririlix  bei  den  Römern 
gleichstellte  (bei  den  Germanen  bestand  die  Ablegung  der  Kinder- 
tracht in  dem  Scheren  der  bis  dahin  unverkürzt  getragenen  Haare), 
gab  er  zu  verstehen,  dass  es  sich  nur  um  die  Einräumung  der  poli- 
tischen Selbständigkeit,  keineswegs  aber  um  die  Entlassung  aus  der 
patria  potestas  handelte4.  Im  Griechischen  weist  der  Umstand, 
dass  b€0*TTÖTn.s  (s.  u.).  das  ursprünglich  nichts  anderes  wie  idg.  *poti- 
bedeutete,  allmählich  den  Sinn  von  ,unumschränkter  Herrscher',  z.  B. 
vom  Perserkönig  gesagt,  angenommen  hat,  auf  die  Fülle  der  Macht 
hin,  über  welche  der  Hausherr  einst  auch  in  Hellas  gebot.  Später 
geheint  sich  dieselbe  gerade  hier  verringert  zu  haben,  und  die  familicn- 
reehtliche  Mündigkeit  trat  wenigstens  in  Athen  gleichzeitig  mit  der 
bürgerlichen  (2  Jahre  nach  erfolgter  Mannbarkeit)  ein.  Nur  in  solchen 
Fällen,  in  denen  die  Hausgemeinschaft  unaufgelöst  blieb  (s.  u.),  wird 
die  väterliche  Gewalt  fortgewirkt  haben  (vgl.  Jevons  Kin  and  cnstom 
Journal  of  philology  XVI,  1ÜÜ  flf.,  wo  überhaupt  wertvolles  Material 
ftlr  die  Annahme  einer  grösseren  Bedeutung  der  patria  potextas  in 
Griechenland  beigebracht  wird).  Auf  uraltem  idg.  Rechtsboden  aber 
befinden  wir  uns  wieder  in  Rom.  Auch  hier  hat  dem  Vater  das  volle 
Verfügnngsrecht  über  seine  Kinder  zugestanden.  Er  durfte  sie  aussetzen, 
verkaufen,  töten  (vgl.  die  Belege  hierfür  und  für  die  späteren  Ein- 
schränkungen bei  Marquardt  Privatleben  I,  Erst  mit  dem  Tode 
des  Vaters  erlischt  seine  Gewalt  über  die  Kinder.  Es  kann  daher  nicht 
bezweifelt  werden,  dass,  sobald  man  das  Wesen  und  nicht  die  Form 
der  Sache  ins  Auge  fasst,  der  altrömische  Begriff  der  patria  potextas, 
ebenso  wie  der  der  Agnat ion  (s.  o.),  nicht,  wie  Leist  Altar.  Jus  eivile  I,  77 


Digitized  by  Google 


218 


Familie. 


meint  ..partikularrechtliches,  lateinisch-römisches  ius  civile",  sondern, 
wenn  auch  in  seinen  letzten  Konsequenzen  erst  in  Rom  juristisch  aus- 
gebaut (s.  n.),  uraltes  gemeinsames  Besitztum  der  idg.  Völker  (Jus 
gentium!  ist. 

II.  Die  Ausdehnung  der  indogermanischen  Familie. 

Bei  den  idg.  Völkern  begegnen  uns  in  Geschichte  und  Gegenwart 
zwei  Formen  der  Familie,  die  wir  mit  E.  Grosse  (s.  o.)  als  die  Sondcr- 
familic  und  die  Grossfamilie  bezeichnen  können.  Bei  der  ersteren 
tritt  der  Sohn  mit  seiner  Verheiratung  aus  dem  väterlichen  Hause  aus, 
entzündet  ein  eigenes  Herdfener  und  führt  eine  eigene  Wirtschaft,  bei 
der  letzteren  bleiben  die  Söhne  auch  nach  ihrer  Verheiratung  und  oft 
auch  nach  dem  Tode  des  Vaters  in  dem  väterlichen  Erbe  sitzen  und 
bilden  eine  Haus-  und  Wirtschaftsgemeinschaft.  Auch  Delbrück  hebt 
(Verwandtschaftsnamen  8.  4)  diese  Verschiedenheit  hervor  und  fügt 
hinzu:  „Es  liegt,  wie  mir  scheint,  kein  Grund  zu  der  Annahme  vor, 
dass  diese  Verhältnisse  in  der  Urzeit  einförmiger  gewesen  sein,  als 
diejenigen,  die  wir  jetzt  beobachten".  Indessen  wird  man  doch  zu- 
geben müssen,  dass  die  beiden  genannten  Formen  der  Familie  zwei 
so  verschiedene  soziale  und  wirtschaftliche  Ordnungen  darstellen,  dass 
sie  zwar,  wie  es  thatsächlich  der  Fall  ist,  die  eine  als  untergehendes, 
die  andere  als  aufsprießendes  Gebilde,  bei  gewissen  Einzelvölkern  eine 
Zeit  lang  neben  einander  gelegen  haben,  aber  nicht  neben  einander 
entstanden  sein  können.  Die  Frage  lüsst  sich  daher  nicht  umgehen, 
welche  der  beiden  Familienformen  die  ältere  sei.  Es  lässt  sich  aber 
unschwer  wahrscheinlich  machen,  dass  für  die  idg.  Urzeit  die 
Form  der  Grossfamilie  anzusetzen,  und  auf  idg.  Boden  also- 
Uberall  die  Sonderfamilie  aus  der  Grossfamilie  hervorgegangen  ist. 

Die  Form  der  Hausgemeinschaft  tritt  uns  unter  den  idg.  Völkern 
mit  besonderer  Deutlichkeit  in  Asien  bei  Indern  und  Armeniern,  in 
Europa  bei  Slavcn  und  Kelten  entgegen.  Die  bei  den  drei  zuerst  ge- 
nannten Völkern  in  dieser  Beziehung  herrschenden  Zustände  sollen  zu- 
nächst in  einigen  charakteristischen  Zügen  dargestellt  werden.  ,,Die 
indische  Gesamtfamilie",  sagt  .lolly  Sitte  und  Recht  S.  76,  „beruht  auf 
der  Gemeinsamkeit  der  Wohnung,  der  Mahlzeiten,  des  Gottesdienstes 
und  des  Eigentums.  Die  gemeinsame  Bereitung  der  Nahrung  und  das 
Znsammen8pei8cn  ist  das  sichtbarste  äussere  Zeichen  der  Zusammen- 
gehörigkeit, und  die  Mitglieder  der  Familie  werden  daher  geradezu 
als  die  Gesamtheit  der  ekapükena  vasatäw,  d.  h.  ..gemeinsam  kochenden'4 

bezeichnet   Der  Patriarch,  der  an  der  Spitze  der  Familie 

stand,  konnte  in  der  Regel  zu  einer  Teilung  des  Vermögens  nicht  ge- 
zwungen werden,  und  so  musste  bis  zu  seinem  Tode  die  Zahl  der  mit 
ihm  in  Gütergemeinschaft  lebenden  Familicnglieder  stetig  anschwellen, 
zumal,  da  jeder  männliche  Descendent  schon  in  jugendlichem  Alter 
eine  Schwiegertochter  in  das  Haus  brachte  Starb  der  pater 


Digitized  by  Google 


Familie. 


219 


familias,  ohne  selbst  eine  Teilung  vorgenommen  zu  haben,  so  ging 
seine  Würde  auf  seinen  ältesten  Sohn  über,  der  entweder  geradezu  als 
der  Erbe,  oder  wenigstens  als  der  Haushaltungsvorstand  betrachtet 
wurde,  der  wie  ein  Vater  für  seine  jüngeren  Brüder  und  Verwandten 
sorgen  sollte".    Von  der  a  r  m  e  n  i  s  e  h  e  n  Hausgemeinschaft  berichtet 
Dr.  Barchudarian  »bei  Leist  Altarisehes  .Ins  eivile  I,  497 1:  „Das  Haus 
bildet  eine  festgeschlossene  Geineinschaft,  und  zwar  wird  diese  nicht 
dadurch  gelost,  dass  die  Söhne  heiraten  und  ein  eigenes  Haus  gründeu. 
Vielmehr  geht  die  absolute  Herrschaft  des  Haushalters  fort  auf  die 
von  den  Söhnen  und  Enkeln  gegründeten  Familien.    Alles  lebt  zu- 
sammen nach  dem  keinen  Widerspruch  duldenden  Willen  des  Hansherrn. 
Die  Verfügungen  desselben  sind  unwidersprechlich.    Was  die  Söhne 
erwerben,  kommt  iu  die  gemeinsame  Kasse,  aus  der  die  zum  Hause 
gehörigen  Frauen  ernährt  werden.    Es  gilt  noch  ganz  der  Satz,  dasa 
die  Mädchen  keine  Mitgift  erhalten:  sie  werden  mit  Kleidern  und  Schmuck 
ausgestattet.    Sie  treten  durch  die  Verheiratung  ans  dem  Hause  aus. 
Stirbt  der  Hausherr,  so  wird  der  älteste  Sohn  der  Beherrscher  des 
Hauswesens,  und  so  noch  ferner  in  der  dritten  Generation".    Die  süd- 
slavische  Hausgemeinschaft  (zadrugai  endlich  besteht  nach  der 
Schilderung  von  Kranss  Sitte  und  Brauch  der  Südslaven  S.  64  ff.  aus 
einer  Vereinigung  von  an  Zahl  bis  zu  150—70  Mitgliedern,  die  unter 
einander  Blutsverwandte  2 — 3  Grades  „selbstverständlich  nur  in 
männlicher  Linie"  sind.  Sie  wohnen  in  demselben  Gehöft,  besitzen  ein 
gemeinsames  Vermögen  und  sind  unter  einander  gleichberechtigt.  An 
der  Spitze  steht  ein  Hausverweser  idomac'in),  der  zwar  die  gemein- 
schaftlichen Angelegenheiten  leitet,  aber  nicht  Eigentümer  des  Familien- 
vermögens ist,  das,  wie  schon  bemerkt,  sämtlichen  männlichen  er- 
wachsenen Hausgenosseu  gemeinschaftlich  gehört.    Hausverweser  wird 
der  verständigste  Familienvater.    Eine  eigentliche  Wahl  findet  aber 
selten  statt.   Häufig  folgt  vielmehr  der  Sohn  oder  Bruder  (vgl.  S.  81). 
Die  Hansgcmciuschaft  wohnt  so,  dass  (las  eigentliche  Haus  {ogniMije 
,die  Feuerstätte  )  allein  von  dem  Hausverweser  und  seiner  Familie  be- 
wohnt wird,  um  das  sich  dann  in  hufeisenförmigem  Halbkreis  die  Woh- 
nungen der  übrigen  Mitglieder  (nur  Schlafkammern)  herumgruppieren. 
Die  Mahlzeiten  werden  von  den  Männern  gemeinsam  eingenommen. 

Bei  den  Kelten  lässt  sich  die  Hausgemeinschaft  schon  in  den  alt- 
irischen Brchongesetzcn  nachweisen.  Vgl.  darüber  Maine  Lectnres  on 
the  early  history  of  institutions4  S.  71»  ff. 

Der  entscheidende  Umstand  nun  dafür,  dass  die  so  weit  verbreitete 
Institution  der  Grossfamilie  nicht  eine  Neuerung  der  genannten  Völker, 
sondern  vielmehr  schon  für  die  idg.  Urzeit  vorauszusetzen  ist,  liegt 
darin,  dass  auch  bei  denjenigen  Völkern,  bei  denen  im  übrigen  die 
Sonderfamilic  die  herrschende  Regel  bildet,  doch  die  unverkennbaren 
Überbleibsel  des  ursprünglichen  Zustands  sieh  finden. 


Digitized  by  Google 


220 


Familie. 


Dies  gilt  besonders  vom  alten  Rom.  Hier  erzählt  Plutareh  von 
M.  Crassus  (I):  f|v  TinnjiKoö  Kai  epiaußiKOÜ  TtaTpo?-  dTpdqpn.  b'iv  okia 
jaiKpä  ji€Tot  buoTv  dbeX<pujv  Ka\  Tolq  dbeXqpou;  aüroü  Tuvalus  nffav,  £ti 
tujv  Yoveuuv  Juüvtujv  Kai  TidvT€<;  im  jr\v  aürnv  dqpoixuuv  TpdTrcEav.  Ferner 
erwähnt  Valerius  Maximum  von  der  Familie  der  Aelier  (IV,  8) :  Qttid 
Aelia  familia,  quam  loctipleal  Sedecitn  eodem  tempore  Aelii  fuerunt, 
quibus  una  domuncula  erat  .  ...  et  unus  in  agro  Vejente  fundua, 
minus  multo  cultores  dexiderans,  quam  dominox  habebat  (dazu  vgl. 
Plutareh  Acm.  Paul.  V:  nffav  T«p  ^KKaibeKa  aurrtvci?,  ATXiot  TidvTeq 
—  also  Agnaten  —  •  oiKibiov  be  Trdvu  |uiKpöv  nv  aüioi?  Kai  xwpibiov 
Iv  n.P><€i  TTäcri  uiav  foriav  veuoutfi  neid  Traibuiv  ttoXXwv  Kai  Tuvamiüv  . 
Oft  scheint  in  solchen  Hausgemeinschaften  einer  der  älteren  Frauen 
die  Beaufsichtigung  aller  Kinder  zugefallen  zu  sein  (Tacit.  Dial.  Cap. 
28).  Nicht  unpassend  bringt  M.  Voigt  Leges  Kegiae  8.  f>98  mit  diesem 
Zusammemvohnen  mehrerer  Familien  auf  engem  Kaum  und  der  sich 
hieraus  ergebenden  Notwendigkeit  der  Unterordnung  aller  tlbrigeu 
Frauen  unter  den  Willen  der  mater  familiax  den  strengen  Satz  einer 
lex  Rnmuli  in  Verbindung:  Si  nuru*  xoertti  obambulaxsit  („mit  ihr 
hadert"),  «st  oll«  plorasxit,  xaern  Dich  parentum  extod.  Stellt  man 
zu  diesen  sieh  so  ergebenden  Zügen  einer  altrömischen  Hausgemeinschaft, 
dem  Zusammenwohncn  mehrerer  Generationen,  den  gemeinsamen  Mahl- 
zeiten, der  gemeinsamen  Kindererziehung,  die  in  Rom  selbstverständlichen 
des  gemeinsamen  Gottesdienstes  (der  Laren  und  Penaten)  und  der  ge- 
meinsamen Abhängigkeit  von  der  patrin  potextax,  so  hat  man  in  den 
römischen  Verhältnissen  das  ziemlich  getreue  Ebenbild  der  idg.  Gcsamt- 
familie  vor  sich. 

Auch  in  Griechenland  tritt  uns  die  alte  Form  der  Hausgemein- 
schaft noch  in  Poesie  und  Wirklichkeit  entgegen.  Homerische  Beispiele 
bieten  das  Haus  des  Priamos  in  Troja  und  das  mythische  des  Aiolos 
(Od.  X,  5).  Charakteristisch  ist  auch,  dass  der  homerische  Held  sein 
Weib  nicht  in  sein  eigenes,  sondern  in  das  des  Vaters  führt.  Vgl. 
II.  IX,  147,  wo  Agamemnon  dem  Achilleus  seine  Tochter  anbietet: 
<piXnv  dvdebvov  dxeaOuj  npöq  okov  TT  n  X  f\  o  q.  Besondere  zwang  in 
Sparta  die  Unteilbarkeit  des  KXnpo?  mehrere  Brttder  vereinigt  in  dem 
ungeteilten  Erbe  sitzen  zu  bleiben.  Aber  auch  in  Athen  müssen  solche 
Fälle  noch  in  späterer  Zeit  häufig  vorgekommen  sein  (vgl.  besonders 
F.  B.  Jcvons  a.  a.  0.  S.  102 ff... 

über  die  Germanen  stehen  uns  ans  der  ältesten  Zeit  keine  Nach- 
richten zur  Verfügung;  doch  sind  die  späteren  Rechtsqucllcn  reich  an 
Beispielen  der  Hausgemeinderschaft  und  des  Ganerbcntums  (vgl.  R. 
Schröder  Deutsche  Rechtsgeschichte*  s.  Index  v.  und  Brunner  Deutsche 
Rechtsgeschichte  S.  79). 

Wenn  nach  dem  Bisherigen  demnach  die  agna tisch  aufgebaute 
Grossfamilie  als  indogermanisch  anzusetzen  ist,  so  ergiebt  sich  näheres 


Digitized  by  Google 


221 


über  ihre  Ausdehnung  und  soziale  Bedeutung  aus  den  u.  Erbschaft 
angestellten  Erörterungen  Uber  den  Begriff  einer  idg.  Xahverwandt- 
schaft.  Es  hat  sich  daselbst  gezeigt,  dass  diese  abstrakte  Vorstellung 
in  den  konkreten  Verhältnissen  der  idg.  agnatischen  Hausgemeinschaft 
wurzeln  muss,  die  sieh  oft  vom  Urgrossvater  bis  zum  Urenkel  mit  den 
dazu  gehörigen  Seitenverwandten  erstreckt  haben  wird.  Die  besonderen 
Rechte  und  Pflichten,  namentlich  die  des  Ahnenkultes,  der  Blut- 
rache s.  s.  d.  d.i  und  der  Nachfolge  im  Erbe,  welche  später  mit  jener 
Xa.h  Verwandtschaft  verknüpft  sind,  werden  daher  von  Haus  aus 
an  den  einzelnen  Hausgenossen  sc  haften  gehaftet  haben,  die  noch 
mit  Rücksicht  auf  die  in  ihnen  herrschenden  Regierung*-  und  Eigen- 
tumsverhältnisse eine  kurze  Besprechung  nötig  machen. 

Es  liegt  in  der  oben  geschilderten  Xatnr  der  väterlichen  Gewalt, 
dass  sich  dieselbe  über  alle  Mitglieder  der  Hausgenossenschaft  in  ihrer 
gauzen  Strenge  erstreckte  und  erst  mit  dem  Tode  des  Patcrfamilias 
erlosch.  Doch  ist  dabei  zu  bedenken,  dass  es  sieh  hier  um  Zeiten 
handelt,  in  denen  ein  starres  Recht  noch  nicht  regiert,  und  alle  Ordnung 
von  der  naturgemäss  mannigfachen  Schwankungen  unterworfenen  Sitte 
abhängt.  Es  wird  daher  auch  vorgekommen  sein,  dass  gelegentlich 
der  Paterfaniilias,  der  nicht  mehr  durch  die  Kraft  seines  Armes  oder 
seines  Geistes  die  Hausgemeinschaft  regieren  konnte,  von  dem  auf- 
strebenden Sohne,  der  im  Falle  des  Todes  und  des  Zusammeubleibcns 
der  Verwandten  der  gegebene  Nachfolger  war,  entthront  und,  wie 
Laertes  in  der  Odyssee,  auf  das  Altenteil  gesetzt  wurde,  wenn  er  nicht 
zu  noch  schlimmerem  Los  verurteilt  wurde  (s.  u.  Alte  Leute  und 
vgl.  Ihering  Vorgeschichte  S.  f>;V.  Wir  müssen  uns  alle  dies?  urzeit- 
lieben  Verbältnisse  in  einem  gewissen  Fluss  begriffen  und  nicht  von 
römischen  Juristen  ausgeklügelt  vorstellen.  Wenn  in  der  südslavischen 
zmlrnya  •>.  o.  an  Stelle  der  sonst  überall  begegnenden  strengen  und 
monarchischen  väterlichen  Gewalt  ein  mehr  genossenschaftlich  und 
demokratisch  geleitetes  Hauswesen  uns  entgegentritt,  so  wird  man 
nicht  irren,  in  diesem  Zuge  eine  Neuerung  der  slavischcn  Stämme  zu  er- 
blicken, und  auch  nicht  aller:  d»*nn  schon  der  russische  Hausälteste  verfügt 
über  eine  weit  grössere  Regierungsgewalt  als  der  südslavischc  domtuHn. 

Das  Eigentum  der  idg.  Hausgenossenschaft  {rehörte  allen  männlichen 
Mitgliedern  derselben  gemeinschaftlich.  Es  könnte  scheinen,  als  ob 
dieser  Satz  dem  von  der  unumschränkten  Gewalt  des  l'aterfamilias 
widerspräche.  Und  dem  wäre  so,  wenn  mau  eben  für  die  Urzeit  mit 
schürf  geschliffenen  juristischen  Begriffen  rechnen  dürfte.  So  wird  man 
das  Verhältnis  am  besten  so  ausdrücken:  «las  Eigentum  wurde  von 
den  Familienmitgliedern  als  Gesamteigcntum  betrachtet,  über  das  ein 
schrankenloses  Verwalfnngsrecht  dem  Paterfamilias  zustand.  Der  Ge- 
danke, dass  er  dieses  Gut  an  Fremde  weggeben  könnte,  lag 
aber  dem  Familiensinne  dieser  Zeit  fern. 


Digitized  by  Google 


222 


Familie. 


Im  römischen  Recht  hat  eine  leise  Verschiebung  dahin  stattgefunden, 
dass  der  Paterfamilias  nun  wirklich  Eigentümer  des  Familicngntes  ge- 
worden ist.  Ob  ihn  auch  das  Volk  in  der  ältesten  Zeit  als  solchen 
ansah,  mag  dahin  gestellt  bleiben.  Die  Spur  einer  Epoche,  wo  auch 
in  Rom  das  Eigentum  als  Familiengut  aufgefasst  wurde,  liegt  in  lat. 
vindkare  (s.  u.i  vor. 

III.  Die  Henennurigen  der  idg.  Familie. 
Der  oder  ein  idg.  Name  der  Familie  ergiebt  sich  mit  Sicherheit  aus 
der  Gleichung:  sert.  däihpati-  .Hausherr'  =  griech.  b€o*TTÖTn<;  is.  o.). 
Diese  Wörter  sind  aus  einem  idg.  *dem-s-poti-  hervorgegangen,  das 
*poti-  des  *dem-  =  sert.  dam  ,Haus*  i^Gen.  PI.  damä'm),  aw.  dam-, 
armen,  tun  (vgl.  Hübschmanu  Armen.  Gr.  S.  498  ?  bedeutet.   In  vollerer 
Form  liegt  jenes  *dem-  in  dem  ebenfalls  schon  indogermanischen  :  sert. 
damd-,  griech.  böuos,  lat.  domus,  altsl.  domö,  sowie  wohl  auch  in 
aw.  nmrtna-  aus  *damdna-  (vgl.  auch  altpers.  mäniya-,  npers.  man 
und  lit.  nämai?)  vor,  die  last  alle,  wie  idg.  *dem-f  im  Griechischen 
und  Litauischen  namentlich  im  Plural,  zugleich  im  Sinne  von  ,Familie' 
gebraucht  werden  können.   Im  Laufe  der  Zeit  sind  dann  an  die  Stelle 
des  alten  Wortes  vielfach  neue  Ausdrücke  für  Familie  getreten,  die 
zum  Teil  ebenfalls  von  dem  Haus,  der  Wohnstätte  ausgehen.  Dies  gilt 
von  sert.  grhd-  (grhdpati-  ,Hausherr)  =  aw.  gereda-  ,Höhle,  unter- 
irdische Behausung'  (s.  n.  Unterirdische  Wohnungen),  für  griech. 
o?ko£,  oix€T€ia  (vgl.  Aristoteles  Politik  I,  2,  6:  f)  u£v  ouv  €l?  nätfav  fmlpav 
<Juv€0"TnKma  Koivwvia  koto  <püo*iv  o  1  k  ö  ?  dffnv,  ou?  ö  jn%v  Xapuüvba? 
KaXei  ö^octittuou?,  'Emuevibris  bi  6  Kpn.?  öuoicänous  :  ktitto?  ,Hufe, 
Garten'),  für  ahd.  htU  (wie  auch  noch  für  nhd.  „Haus")  u.  a.  Recht 
eigentlich  die  in  einem  Haushalt  vereinigte  Mannschaft,  namentlich 
auch  in  ihrer  Verwendung  im  Kriege  (s.  u.  Heer),  meint  das  urkel- 
tische  Kompositum  *tego-8lougo-»  :  ir.  teglach  Jlausgenossensehaft',  alt- 
kymr.  telu  .Haushalt.  Familie',  kom.  feiln  gl.  familia  :  ir.  teg,  tech 
,Haus'  nnd  slug  .Schar,  Zug,  Heer'  (vgl.  Zcuss  Gr.  Celt.*  p.  140, 
Stokes  L'rkclt.  Sprachschatz  S.  321).   Etwas  verwickelter  ist  die  Be- 
deutungsgescliichte  von  lat.  familia.   Das  uritalische  Wort  (vgl.  nmbr. 
famediax)  ist  zunächst  eine  Ableitung  von  osk.  famel,  lat.  famulus, 
die,  wie  osk.  faamat  ,er  wohnt'  zeigt,  ursprünglich  »Hausbewohner' 
bedeutet  haben  müssen.  Zu  vergleichen  ist  wahrscheinlich  sert.  dhd'man- 
jWohnstättc,  Heimat,  bes.  die  Stelle  des  heiligen  Feuers,  die  An- 
gehörigen, zusammengehörige  Schar'.  Der  eigentliche  Sinn  von  familia 
ist  demnach  , Hausbewohnerschaft',  paterfamilias  (vgl.  oben  idg.  *dem  s- 
poti-)  ist  der  Vater  oder  Herr  der  Hausbewohuerschaft.  In  der  historisch 
bezeugten  Sprache  bedeutet  aber  familia  zuerst  nur  das  Haus  vermögen 
und  das  Gesinde,  und  erst  später  wird  es,  aber  doch  wohl  in  An- 
knüpfung an  die  etymologische  Bedeutung  des  Wortes,  als  Complex- 
begrifl  für  einen  Teil  der  Geschlechtsgenossen  und  für  das  Geschlecht 


Digitized  by  Google 


Familie. 


223  • 


selbst  gebraucht  (vgl.  M.  Breal  Diet.  ctym.  lat.  S.  84,  Mommscn  Röm. 
Staatsrecht  III,  1:  102,  Ii.  Delbrück  bei  Leist  Altar.  Jus.  eiv.  II,  HWS; 
nur  wenige  haben  andere  Erklärungen  für  lat.  famil'm  versucht  und  es 
z.  Ii.  dem  lit.  gimint  .Verwandtschaft'  gleich  setzen  wollen).  In  pater- 
familias  ist  die  ursprüngliche  Bedeutung  von  fanülia  immer  bewahrt 
geblieben. 

Anderer  Herkunft  ist  der  germanische  Stamm  *hiica-,  *hiwa-  in  got. 
heiwa-frauja  , Hansherr',  agls.  hi-r4d  , Familie',  ahd.  hi-rät  .Vermählung', 
hiteuiki  , Hausgesinde'  , Familie',  altn.  hyxke  , Familie',  agls.  hlican 
, Diener',  ahd.  hitco  , Gatte,  Hausgenosse',  hiica  .Gattin'  u.  s.  w.  Derselbe 
entspricht  genau  dem  scrt.  $ivd-,  cei-a-  ,lieb'.  Die  Hausgenossen  sind 
also  als  die  .Lieben',  die  , Freunde'  bezeichnet.  Auch  lat.  ciris  .Bürger' 
wird  hierhergehören.  Von  derselben  Wurzel,  aber  mit  anderem  Suffix 
ist  wohl  auch  die  weit  verbreitete  litu-slavische  Sippe  *sei-mi-  abge- 
leitet :  altsl.  semija  ,persona",  semija  .mancipia',  seminü  ,mancipium', 
klrnss.  semja  , Familie',  russ.  aem'tja  ,Mann  und  Weib',  .Familie",  xemi- 
janinü  ,Oberhanpt  der  Familie',  altpr.  Heimins,  lit.  szeimyna  ,Gesinde' 
u.  s.  w.  (vgl.  Miklosich  Et.  W.).  Die  Grundbedeutung  ist  immer  ,die 
Lieben',  ,Ve  r  e  i  n  der  Lieben'  (Uber  die  Stellung  der  Sklaven 
g.  u.  Stände). 

Endlich  werden  auch  Wörter,  die  ganz  allgemein  Verwandtschaft' 
bedeuten,  für  die  Hausgemeinschaft  gebraucht.  So  scrt.jViV  (:jdnas-) 
mjds-pdti-  , Familienvater',  so  gricch.  Ttcrrpa  .die  unter  der  Gewalt  eines 
ircmip  stehende  Vereinigung',  so  slavisch  rodü  ,partus,  generatio,  gens' 
(vgl.  Ewere  Ältestes  Recht  d.  Russen  S.  12  und  Krauss  a.  a.  0.  S.  73: 
„In  der  Hcrcegovina,  Cmagora  und  der  Bocca  nennen  die  Mädchen, 
so  lange  sie  im  Elternhause  weilen,  dasselbe  dorn,  und,  nachdem  sie 
ausgeheiratet,  rod,  das  neue  Heim  dagegen  dorn"). 

Da  die  Hausgemeinschaften  sich  im  Verlauf  der  natürlichen  Ent- 
wicklung zu  Sippen  und  die  Sippen  zu  Stämmen  erweitern,  die 
sich  von  einem  und  demselben  (hier  natürlich  toten)  Stammvater  wie  die 
Hausgemeinschaft  ableiten,  so  ist  es  begreiflich,  dass  namentlich  die- 
jenigen Bezeichnungen  der  Grossfamilie,  die  dieselbe  als  .Freundschaft' 
oder  .Verwandtschaft'  bezeichnen,  auch  für  die  weiteren  Begriffe  ge- 
braucht werden  können  (s.  u.  Sippe  und  Stamm). 

Es  dürfte  hier  der  geeignete  Ort  sein,  in  ausführlicherer  Erörterung 
auf  eine  Gruppe  bisher  noch  nicht  zusammengestellter  Wörter  einzu- 
gehen, die.  wenn  richtig  mit  einander  verglichen,  in  hohem  Masse 
geeignet  sind,  den  Charakter  der  einstigen  Grossfamilie  namentlich 
mit  Rücksicht  auf  das  vorhistorische  Rom  noch  näher  zu  be- 
stimmen. 

Es  handelt  sich  um  die  Gruppe:  lat.  vindex,  tindicere,  tindiciae, 
mndicta,  vindicare,  vindicatio  :  ir.  fine  ,Grossfaniilie\  Joint  family' 
(Sept>  aus  *eenio-  und  altgall.  ]'eni-vdru8  .seiner  Familie  wert',  ir. 


Digitized  by  Google 


.  224 


Familie. 


fin-gal  ,Mord  ei  lies  Familiengenossen'   *veni-)y  ahd.  aus  *ceni- 

,\vcr  zur  Familie  gehört',  »Freund'. 

Die  lateinische  Wortsippe  tritt  uns  schon  in  der  ältesten  Überlieferung 
in  einer  dreifachen  Bedeutung  entgegen.  Wer  nach  der  ersten  der 
XII  Tafeln  in  ius  vocatur,  muss  unter  allen  Umständen  Folge  leisten, 
es  sei  denn  das»  er  an  seiner  Stelle  einen  r index  stellt,  und  das  Gesetz 
bestimmt:  Asxiduo  (d.  h.  dem  reichen  Manne)  r index  as^iduun  esto, 
proletario  iam  civi  quin  rolet  vindex  esto.  In  der  dritten  Tafel  werden 
sodann  die  Schuldverhältnisse  abgehandelt.  Nach  Ablauf  der  3<t  dies 
itusti  kanu  der  Gläubiger  die  Hand  an  den  Schuldner  legen  und  ihn 
vor  den  Richter  führen.  Xi  iudicata m  f'aeit  auf  quis  endo  eo  in  iure 
vindicit,  secum  ducito,  d.  h.  der  Gläubiger  kann  den  Schuldner  mit 
nach  Hause  nehmen  und  dort  gefesselt  in  Gewahrsam  halten,  wenn 
nicht  der  Schuldner  sich  einen  vindex  verschafft.  Vindex  sein  (vindi- 
cere)  bedeutet  also  zunächst  „vor  Gericht  für  Jemanden  eintretend 
Ein  deutsches  sich  genau  deckendes  Hauptwort  ist  für  die  Übersetzung 
des  spezitisch  römischen  Rcebtsbegriffes  vindex  natürlich  nicht  vor- 
handen. Am  nächsten  würde  unser  „Bürge*  kommen,  doch  nicht  in 
dem  rein  juristischen  Sinne,  nach  dem  der  Bürge  neben  einen  andern 
tritt,  wohl  aber  in  dem  Sinne,  in  dem  etwa  Schiller  das  Wort  in  der 
„Bürgschaft-  gebraucht:  „So  muss  er  statt  Deiner  erblassen,  und  Dir 
ist  die  Strafe  erlassen." 

Eine  zweite  für  das  altrömische  Rechtsleben  nicht  minder  wichtige 
Bedeutung  der  lateinischen  Wortsippe  liegt  vor  in  dem  von  vindex 
abgeleiteten  vindicare  ,eine  Person  und  Sache  als  sein  Eigentum  in 
Anspruch  nehmen'.  Hierzu  stellen  sich  das  ebenfalls  schon  in  den  XII 
Tafeln  bezeugte  eiudicia.  vindiciae  ,der  vom  Praetor  für  die  Dauer 
eines  Rechtsstreits  einem  der  streitenden  Teile  zugesprochene  Besitz 
des  Streitobjekts',  ,die  Eigcntumsklage  und  das  Streitobjekt  selbst', 
sowie  vindicatio  .Verfolgung  eines  Anspruchs'  und  ebenfalls  ,Eigentnins- 
kluge*. 

Drittens  heisst  vindex  , Rächer  .  vindicare  , rächen  ,  rindicta  .Rache  . 
Dass  auch  diese  Bedeutung,  und  zwar  ursprünglich  in  dem  technischen 
Sinne  der  im  historischen  Rom  erloschenen  Blutrache,  sehr  alt  ist, 
dürfte  aus  einer  merkwürdigen  Stelle  des  Tiinummus  ■ v.  642  ff.  i  ge- 
folgert werden  können.  Der  junge  Lysiteles  macht  hier  dem  leicht- 
sinnigen Lesbonicus  die  heftigsten  Vorwürfe:  „Haben  Dir",  sagt  er, 
„Deine  Vorfahren  deshalb  den  guten  Ruf  hinterlassen,  damit  Du  das 
durch  ihre  Tüchtigkeit  erworbene  schimpflich  verdürbest, 

Atque  honori  posterorttm  tuorum  ut  vindex  /ieren?u, 
eine  Stelle,  die  Ritsehl  'Opnse.  II,  :r2i))  ohne  Zweifel  richtig  mit  den 
Worten  Ubersetzt:  , .damit  Du  zum  Henker  (vindex}  würdest  au  der 
Ehre  Deiner  Kinder".  Die  Bedeutung  , Henker'  aber  setzt  eine  frühere 
Bedeutung  ,Bluträchcr'  voraus:  denn  aus  einer  solchen  ergiebt  sieh 


Digitized  by  Google 


Familie. 


22;  > 


der  Sinn  von  , Henker'  ohne  weiteres,  wenn  man  bedenkt,  dass  die 
ursprünglich  auf  Selbst-,  beziehungsweise  Familienhilfe  beruhende  In- 
stitution der  Blutrache  in  Rom  wie  anderwärts  vom  Staate  übernommen 
wurde,  so  dass  der  die  nuumchr  als  Strafe,  nicht  als  Rache  gedachte 
Tötung  des  Schuldigen  vollziehende  Beamte,  dessen  Gewerbe  in  der 
ältesten  Zeit  nirgends  etwas  verächtliches  hatte  (s.  u.  Strafe),  sehr 
wohl  als  ,Bluträcher'  (vindex)  bezeichnet  werden  konnte. 

Zur  etymologischen  Erklärung  unserer  Wortsippe  sind  bis  jetzt 
im  wesentlichen  drei  Versuche  gemacht  worden.  Den  Alten  schien  es 
sicher,  und  unseren  Juristen  scheint  es  sicher,  dass  der  erste  Teil  des 
Wortes  vindex  den  Akkusativ  von  vis  .Gewalt'  enthalte,  eine  Auf- 
fassung, die  K.  0.  Müller  (Rhein.  Museum  für  Jurisprudenz  V,  190) 
näher  zu  begründen  versucht  hat.  Zu  deu  Formen  des  Viudicatious- 
prozesses  gehört  es  nämlich,  dass  beide  Parteien,  die  um  einen  Sklaven 
oder  ein  anderes  Gut  streiten,  einen  Stab,  eine  festuca  in  der  Hand 
haben,  die  auch  selbst  vindicta  genannt  wird,  mit  dieser  den  streitigen 
Gegenstand  berühren,  und,  wenn  es  sich  z.  B.  um  einen  Sklaven 
handelt,  nach  einander  sagen:  Nunc  ego  hominem  ex  iure  Quiritium 
meum  esse  aio  secundum  suam  causam  sicut  dixi.  Ecce  tibi  vin- 
dktam  imposni.  Da  nun  an  Stelle  der  festuca  nach  Gaius  (lnstitutiones 
IV,  16.  ehemals  eine  hasta  als  signum  quoddam  iusti  dominii  stand, 
auch  der  Vorgang  von  den  Alten  selbst  durch  in  iure  manum  comerere 
bezeichnet  wurde  (vgl.  Gellius  Noct.  Att.  XX,  10),  so  meint  K.  0.  Müller, 
dass  dieser  Brauch  die  symbolisch  bewahrte  Erinnerung  an  eine  Zeit 
darstelle,  in  der  man  um  sein  Eigentum  nur  mit  den  Waffen  stritt. 
Vin-dicia  ist  ihm  daher  nichts  anderes  als  das  „an  den  Tag  legen  von 
Gewalt,  wenn  der  Gegner  der  Forderung  nicht  nachgeben  will". 

Gleich  hier  kann  hervorgehoben  werden,  dass  es  seltsam  erscheint, 
wenn  die  lateinische  Sprache,  vor  die  Aufgabe  gestellt,  die  Inanspruch- 
nahme eines  Eigentums  auf  dem  Wege  des  Rechts  auszudrücken,  dafür 
kein  anderes  Mittel  gehabt  haben  sollte,  als  auf  die  Gewalt  hinzu- 
weisen. Auch  hat  sich  die  neuere  Sprachforschung  mit  jener  Erklärung 
nicht  zufrieden  gegeben,  sondern  zwei  weitere  Deutungen  versucht. 

Zunächst  hat  W.  Corssen  (Aussprache  und  Voe.  IIS,  272  f.)  vindex 
aus  *veno-dex  hergeleitet,  den  ersten  Bestandteil  des  Wortes,  *ceno- 
zu  sert.  van  ,gern  haben',  ,wünschen'  gestellt,  und  vindex  als  den 
gedeutet,  „der  sein  Begehren  ausspricht",  „einen  Rechtsauspruch  erhebt". 
Ferner  hat  M.  Breal  (Mein,  de  la  soc.  de  liugu.  II,  318),  ohne  zu 
bemerken,  dass  seine  Erklärung  schon  in  dem  Etymologicon  des  alten 
Vossius  sich  verzeichnet  findet,  für  vindex  ein  *veno-dex  angesetzt, 
dieses  *veno-  in  veneo,  vendere,  venumdare,  also  in  einem  alten  *venum 
,der  Preis'  wiederzufinden  geglaubt  und  demzufolge  vindex  als  den  er- 
klärt, „der  den  Preis  nennt4',  was  soviel  heissen  soll  als  „un  honune 
qui  de'clare  donner  cautiona. 

Schräder.  Rcallcxikon.  15 


Digitized  by  Google 


2-Jtt 


Familie. 


Alle  drei  Erklärunge  11  finden  sieh  hei  Pott  (Et.  F.  II,  4\  141  und 
520ttV.t  besprochen,  der  aher  seihst  zu  einer  festen  Entscheidung  nicht 
kommt.  Es  lässt  sich  zeigeu.  dass  alle  drei  Deutungen  nicht  haltbar 
sind. 

Allerdings  lassen  sich  formelle  Bedenken  —  und  auch  schwerlich 
mehr  als  solche  —  nur  gegen  die  Herleitung  unserer  Sippe  ans  rim 
dicere  geltend  machen.  Da  rindicare  und  rindiciae  offenbar  Ablei- 
tungen aus  rinde.r  sind,  wie  iüdtcare  und  iii dictum  von  iüde.r,  so 
wäre  die  Annahme  einer  alten  Zusammenrückung  eigentlich  nur  für 
das  einmalige  s.  o.i  rindicere  nahe  liegend.  Hiervon  könnte  rindicta 
gebildet  sein.  Wie  aber  rinde.r  selbst  direkt  aus  einer  Zusammen-. 
Schiebung  von  rhu  und  der  entstanden,  oder  indirekt  ans  rindicere 
abgeleitet  sein  sollte,  ist  sprachgesebiclillich  scliwer  einzusehen. 

Der  entscheidende  Gesichtspunkt  liegt  aber  auf  dem  Gebiete  der 
Bedeutungslehre.  Alle  drei  Erklärungen  kranken  nämlich  an  dem- 
selben Fehler,  dass  sie  immer  nur  eine  Seite  des  oben  als  dreispaltig 
erwiesenen  Bedeutnngskerns  unserer  Sippe  erklären.  Hie  kann  man 
von  der  Bedeutung  ..Gewalt  an  den  Tag  legen",  angenommen  dass  sie 
der  Ausgangspunkt  für  die  Terminologie  des  Vindicntionspro/.csscs  ge- 
wesen sei.  ohne  gewaltsame  Sprünge  zu  der  Bedeutung  .für  Jemanden 
als  Bürge  eintreten"  gelangen?  Wo  ist  die  Brücke,  auf  der  man  von 
„ein  Begehren  aussprechen"  zu  „ Hache  üben"  oder  von  .eine  Kaution 
stellen"  zu  sein  ..Eigentumsrecht  geltend  machen'  hinüberkommeii 
könnte? 

In  der  That  ist  den  älteren  Etymologen  diese  Discrepanz  der  Be- 
deutungen so  gross  erschienen,  dass  sie  für  unsere  Sippe  zwei  ganz 
verschiedene  Stamniverba,  ein  rindicare  und  ein  rendicare  annahmeu. 
Da  dies  gegenwärtig  niemand  befürworten  wird,  zumal  wir  wissen, 
dass  rindicare  überall  die  ältere,  rendicare  die  jüngere  Schreibung 
ist,  so  musri  derjenige,  welcher  eine  neue  Erklärung  vorzuschlagen  be- 
absichtigt, vor  allem  sein  Augenmerk  darauf  richten,  hinter  jeuer 
historischen  Dreispaltigkeit  des  Bedeutuugskernes  eine  vorhistorische 
Einheit  nachzuweisen.  Oder  mit  anderen  Worten:  der  Begriff,  den  der 
erste  Bestandteil  von  cin-de.r  enthält,  nmss  ein  derartiger  sein,  dass 
der  feierliche  Hinweis  auf  ihn,  wie  er  in  -de.c  :  deico.  beiKVuui  ausge- 
sprochen ist  —  in  beiden  Sprachen  sind  mit  dieser  Wurzel  schon 
juristische  Vorstellungen  verknüpft  — ,  den  Gedanken  des  für  Jemanden 
als  Bürge  Eintretens,  der  Inanspruchnahme  eines  Eigentums 
und  des  Rächens  hervorrufen  kann. 

Ein  solcher  Begriff  ist  nur  einmal  vorhanden.  Es  ist  die  alte  idg. 
Familie,  d.  h.  die  in  mehreren  Generationen  bei  einander  bleibende 
G rossf ami I i e.  Die  Mitglieder  einer  solchen  Familiensippe  sind  unter 
einander  solidarisch  verbunden,  indem  sie  in  jeder  Weise  für  einander 
einstehen,  einander  schützen  und  rächen.  Ein  Sondereigentum  des  ein- 


Digitized  by  Google 


Familie. 


227 


zelnen  ist  noch  nicht  vorhanden.  Es  picht  lediglich  ein  Gesamteigentum 
der  einzelnen  Hausgemeinschaften,  das  zunächst  nur  aus  fahrender  Habe 
besteht. 

Dass  diese  altidg.  Grossfamilie  auch  auf  römischem  Hoden  noch 
lehendig  war,  geht  aus  dem  obigen  zur  Genüge  hervor.  Sollte  sich 
daher  in  dem  ersten  Bestandteil  von  vin  de.r  ein  alter  idg.  Ausdruck 
für  den  Begriff  der  Grossfamilie  wieder  finden  lassen,  so  würde  dies 
die  Möglichkeit  eröffnen,  einen  Ausweg  aus  den  obwaltenden  Schwierig- 
keiten zu  finden. 

Und  in  der  That  lässt  sich  ein  solches  Wort  nachweisen,  und  zwar 
in  denjenigen  Sprachen,  an  die  man  sich  zur  Aufhellung  des  lateinischen 
Wortschatzes  nächst  dem  Lateinischen  selbst  in  erster  Linie  zu  wenden 
berechtigt  ist,  im  Keltischen  und  Germanischen. 

Es  picht  einen  gemeinkeltischen  Stamm  *renio-,  welcher  in  ir.  [ine 
vorliegt,  das  genau  den  auf  altirischem  Boden  noch  lebendigen  Betriff 
der  Grossfamilie,  Joint  fmnihf  oder  Sept  bezeichnet.  Finechas  ist  das 
gemeinsame  der  Familie  gehörige  Eigentum,  Erbschaft,  Nachfolge,  Itecht 
der  Familie  u.  s.  w.  Daneben  findet  sich  ein  Stamm  *ceni-  für  das  Mitglied 
einer  Grossfamilie,  der  in  altgall.  Veni-cdrus  ,seiner  Familie  wert'  und 
in  ir.  /in  gal  .Mord  eines  Familiengenossen',  (in- gal  ach  ,one  who  has 
killed  a  tribesman',  [in-galcha  ,parricidalia  arnia*  (vgl.  lat.  pdricida 
,Sippcnmörder'  u.  Sippe  vorliegt.  Aus  dem  Germanischen  aber  gehört 
hierher  ahd.  iciiri  aus  *reni-s.  eigentlich  ,wer  zur  Familie  gehört', 
, Freund  .  .Lieber  ,  vgl.  Maine  Lccturcs  ou  the  early  history  of  insti- 
tutious"  S.  lOö,  II.  d'Arbois  de  Jubainvillc  Mem.  de  la  soc.  lingu.  VII, 
21)4,  Wiudisch  Irische  Texte  Wörterb.  s.  v.,  Stokcs  Urkeltischer  Sprach- 
schatz S.  27"  i. 

Hier  ist  also  das  lat.  rinde.r  anzugliedern.  Es  ist  ein  echtes  Kom- 
positum, aus  *reni  deics  entstanden  und  bezeichnet  einen  „der  auf  die 
Familie  hinweist",  etwa  vor  dem  Könige  's.d.;,  dessen  Amt  vielleicht  schon 
in  der  Urzeit  ein  schiedsrichterliches  war.  Dieser  Hinweis  auf  die  Familie 
kann  in  einem  dreifachen  Sinne  erfolgen.  Erstens  in  dem,  dass  man  Je- 
manden als  zu  den  *reni-  gehörig  hinstellt,  wodurch  man  für  ihn  eintritt, 
ihn  schützt,  verteidigt,  für  ihn  bürgt  (vgl.  hinsichtlich  der  alt- 
kymrischen  Familicnverbände  Gualter  Mapcs  De  nugis  curialium  Dist.  II. 
Cap.  22  p.  di>  bei  Walter  Das  alte  Wales  S.  135  Anm.  1:  Ut  moris 
est.  radein  *e  off'ert  pro  iurene  tota  cognatio,  et  rarere  iudicio  xisti  . 
Zweitens  in  dem  Sinne,  dass  man  eine  Person  oder  eine  Sache  als  den 
*reni  und  damit  sich  selber  gehörig  bezeichnet,  wodurch  man  dieselben 
als  sein  Eigentum  beansprucht.  So  bedeutet  rindicare  geradezu 
etwas  als  zur  Hausgemeinschaft  gehörig  bezeichnen  (s.  u.  Eigentum  und 
vgl.  Leist  Altar.  Jus  civ.  II,  2W).  Es  ist  die  licchtstörmel  ah  mrum  esse 
e.r  iure  Qttiritium  in  der  Sprache  einer  früheren  Kulturstufe.  Drittens 
endlich  ist  *reni-deics  einer,  der  auf  die  Familie  hinweist  in  dem 


Digitized  by  Google 


228 


Familie  —  Farbe. 


Sinne,  dass  er  die  Verfolgung  eiuer  Unthat  als  Sache  der  *veni-  hinstellt, 
wodurch  er  die  Familien-  oder  Blutrache  proklamiert.  Vindicia 
nud  vindicta  sind  die  Substantivierungen  des  in  vindex  zunächst  parti- 
cipial  gedachten  Begriffs  und  bedeuten  ursprünglich  ganz  allgemein 
Einweisung  auf  die  Familiensippe',  »Geltendmachung  des  Sippenrechts' 
u.  s.  w.  Vindicere,  wenn  richtig  überliefert,  kann  in  formeller  Be- 
ziehung eine  Zusanimenrückung  aus  *cenim  dicere  sein.  Als  Grund- 
bedeutung des  Stammes  *veni  kann  man,  mit  Corssen  an  die  Sanskrit- 
wurzel van  ,gcrn  haben'  anknüpfend,  und  in  Analogie  zu  dem  oben 
besprochenen  Stamme  *hitca-  , Familie',  einen  Begriff  wie  , Freundschaft' 
oder  »Freunde'  ansetzen. 

Auf  die  Weiterentwicklung  der  idg.  Familie  kann  und  soll 
hier  nur  in  einigen  ihrer  Hauptzüge  hingewiesen  werden.  Je  fester  die 
Ansiedelungen  uud  je  stabiler  die  Wobnnngsverhältnisse  der  Menschen 
werden,  je  mehr  wird  die  agnatische  Struktur  der  idg.  Familie  durch 
die  Berücksichtigung  der  Verwandtschaft  mit  der  Mutter  durchbrochen. 
Die  Heiratsverwandtschaft  und  der  Kognationsgcdankc  treten  jetzt 
hervor.  Die  wichtigste  Rolle  bei  diesen  Vorgängen  spielt  naturgemäss 
der  Mutterbruder  (s.  u.  Oheim).  Er  bildet  gleichsam  die  Brücke 
zwischen  der  Vater-  und  Mutterfamilie.  Namen  für  ihn  kommen  daher 
nunmehr  in  den  Einzelsprachcn  auf.  Besonders  angesehen  gestaltet 
sich  seine  Stellung  bei  den  Germanen:  So-rorum  filii*,  sagt  Tacitus 
Germ.  Cap.  20,  idem  apud  avunculum  qui  apud  patrem  honor.  Doch 
geht  bei  der  Erbschaft  s.  d.)  der  patruua  noch  immer  dem  avunculus 
vor.  Nicht  ausgeschlossen  ist  auch  die  Möglichkeit,  dass  auf  das  Her- 
vortreten des  Kognationsgcdankeus  der  Einfluss  des  Mutter  rechts  (s.  d.) 
vorindogermanischer  Bevölkerungsschichten  mit  von  Bedeutung  gewesen 
ist.  Je  enger  aber  die  Beziehungen  der  in  ein  fremdes  Haus  eingetretenen 
Frau  und  ihrer  Kinder  zu  ihrer  heimatlichen  Sippe  sich  gestalten,  desto 
grösser  wird  der  Einfluss  dieser  letzteren  auf  die  Gestaltung  der  Stellung 
der  Frau  in  dem  Hause  des  Mannes  sein.  In  der  allmählichen  An- 
näherung der  väterlichen  und  mütterlichen  Verwandtschaft  liegt  daher 
auch  ein  Hauptgrund  für  die  allmähliche  Steigerung  der  Würde  der 
Frau.  Der  durch  den  Kultus  und  die  Priesterschaften  geförderte  Ge- 
danke, dass  Mann  und  Frau  Glieder  eines  Leibes  seien,  wirkt  in  der- 
selben Richtung.  Die  Monogamie  schreitet  siegreich  vorwärts  Wörter 
für  die  Begriffe  Ehe.  Gatten,  Eltern  werden  jetzt  möglich.  Gleichzeitig 
führen  wirtschaftliche,  soziale  und  politische  Umwälzungen  auf  weiten 
Völkergcbicteu  die  Sprengung  der  alten  verwandtschaftlichen  Verbände 
herbei:  an  die  Stelle  der  Sippe  uud  der  Grossfamilic  treten  Staat  uud 
Sonderfamilie.  —  S.  u.  Ehe,  Sippe,  Stamm.  Staat,  Volk. 

Familienbegräbnis,  s.  Friedhof. 

Familienrecht,  s.  Recht. 

Farbe.    Obgleich  es  sicher  ist,  dass  man  schon  in  der  Urzeit 


Digitized  by  Google 


Farbe. 


229 


tod  Farben  Gebrauch  gemacht  hat  (8.  u.  Farbstoffe  und  Täto- 
wierung), so  ist  doch  eine  idg.  Bezeichnung  für  den  Begriff  der  Farbe 
nicht  ermittelt  worden.  Auf  das  Arische  beschränkt  sieb  sert.  ranga- 
=  npers.  reng  (armen,  erang),  auf  das  Litn-Slavise  he  altpr.  icoapix  = 
altsl.  capü\  doch  ist  in  beiden  Fällen  auch  ein  Entlehnuugsvcrhältnis 
nicht  ausgeschlossen.  Die  einzelsprachlichen  Bezeichnungen  fassen 
die  Farbe  meist  als  Hülle  oder  Haut  auf:  so  sert.  vörna-  (auch  , Kaste  ) 
:  rar  , bedecken',  lat.  color  :  oeeuhre,  gricch.  xpwua  :  xpw?  ,Haut' 
vgl.  auch  tinn.  karva  , Farbe',  eigentl.  ,Hnar>.  Die  germanischen 
.Sprachen  verfugen  Uber  keinen  durch  alle  Mundarten  durchgehenden 
Ausdruek.  Ahd.  sind  die  beiden  noch  dunkelen  faratca  (faro,  farawtr 
,farbig)  und  zdica  {zehön  .färben'),  im  Altnordischen  bedeutet  steinn 
,Stein'  auch  , Farbe'  (Steina  ,färbcn  ).  Im  Keltischen  (vgl.  ir.  Ii , Farbe, 
Glanz',  kyinr.  llitc  ,color',  koru.  liu  id.)  und  im  Slavischcn  (vgl.  Mi- 
klosich  Et.  W.  g.  v.  kram)  scheinen  Wörter  für  Farbe  aus  solchen 
für  Glanz,  bezügl.  Schönheit  hervorgegangen  zu  sein.  Das  Litauische 
hat  von  zwei  Seiten  her  entlehnt,  einmal  aus  dem  Germanischen  (lit. 
pancas,  vgl.  auch  cech.  barva  etc.),  das  andere  Mal  nus  dein  Slavischen 
{krösaa,  s.  o.).  So  weist  alles  darauf  hin,  dass  ein  Wort  für  Farbe 
in  der  Urzeit  überhaupt  nicht  vorhanden  war,  eine  Erklärung,  die 
in  den  Untersuchungen  von  H.  Magnus  über  den  Farbensinn  der  Natur- 
völker <Preycr  Sammlung  physiol.  Abhandl.  II)  ihre  Entsprechung  findet. 
„Die  Auffassung  der  Farbe",  heisst  es  daselbst  S.  14  f.,  „als  eines  ab- 
strakten Begriffes,  wie  wir  sie  bei  eivilisierten  Nationen  finden,  dürfte 
der  Mehrzahl  der  in  unserem  Interesse  untersuchten  Volksstämme  fehlen. 
Es  scheint  so,  als  ob  die  philosophische  Isolierung,  die  Ablösung  des 
Abstraktum,  der  Farbe,  von  dem  Konkretum.  dem  gefärbten  Gegenstand, 
für  eine  grosse  Anzahl  der  Naturvölker  eine  viel  zu  schwierige  geistige 
Operation  sei,  und  sie  deshalb  lieber  darauf  verzichten,  die  Vorstellung 
der  Farbe  begrifflich  und  sprachlich  selbständig  zu  entwickeln  und  es 
vorziehen,  den  Begriff  „Farbe11  mit  anderen  ihrer  geistigen  Sphäre 
adäquateren  und  bequemeren  Vorstellungen  zu  verschmelzen".  Dasselbe 
werden  also  die  fndogermanen  gethan  haben. 

Was  nun  die  Unterscheidung  der  einzelnen  Farben  selbst  anbe- 
trifft, so  wird  man,  wenn  man  ermitteln  will,  wie  es  hiermit  in  der  idg. 
Urzeit  bestellt  war,  sich  auch  auf  diesem  Gebiet  am  besten  zu  einem 
derjenigen  idg.  Völker  wenden,  die  in  ihrer  kulturgeschichtlichen  Ent- 
wicklung hinter  anderen  zurückgeblieben  sind;  denn  es  liegt  an  sich 
auf  der  Hand  und  wird  durch  das  folgende  bestätigt,  dass  exakte 
Terminologien,  wie  wir  sie  etwa  gegenüber  den  Farben  des  Spektrums 
gegenwärtig  besitzen,  nur  das  Ergebnis  einer  langen  sprachlichen  und 
kulturgeschichtlichen  Entwicklung  sein  können.  Von  grossem  Interesse 
ist  in  dieser  Beziehung,  was  .1.  Schmidt  (Kritik  d.  Sonantentheorie)  über 
die  Farbcnbezeichnnngen  der  Litauer  mitteilt:  „Der  Farbensinn  der 


Digitized  by  Google 


2.T0 


Farbe. 


Litauer-,  sagt  er  8.  37,  „steht  nämlich  noch  auf  der  Stufe  der  Natur- 
völker. Bei  mehreren  Farben  sind  sie  noch  nicht  wie  die  Kulturvölker 
zu  allgemeinen  Bezeichnungen  aufgestiegen,  sondern  bei  den 
ein/.clnen  Tönen  stehen  geblieben.  Für  ,grau'  haben  sie  nicht  weniger 
als  vier  oder  fünf  einfache  Worte:  pilkas  (nur  von  Wolle  und  Gänsen1», 
szirmax,  «zincas  (nur  von  Pferden  ,  szhnass  (nur  von  Rindvieh),  ziltts 
i.  Haare  des  Menschen  und  des  Viehs  ausser  (Jansen,  Pferden,  Rindvieh); 
für  ,braun'  beras  nur  von  Pferden,  sonst  rndas  oder  das  deutsche 
britinas;  für  ,rot'  ztilas  nur  vom  Rindvieh,  sonst  raudöncs;  für  ,sch\varz' 
dicfflax  nur  vom  Rindvieh,  sonst  jüdas\  für  ,bunt'  mdrgas  (Rindvieh, 
Hunde},  azUtkutajf  (Hühner),  raiba  geguze  bnnter  Kukuk,  rahias 
graubunt  gestreift  'Erbsen,  Katzen  u.  a.  vierfüssige  Tiere,  Kröten), 
dagld  kiatile  schwarz  und  weiss  geflecktes  Schwein". 

Ahnlich  wird  die  Farbenterminologie  der  idg.  Urzeit  beschaffen  ge- 
wesen seiu,  wie  sich  aus  der  Besprechung  der  einzelnen  Farben  de» 
näheren  ergiebt.  D.  h.  für  die  unendliche  Menge  der  in  der  Natur 
uns  entgegentretenden  Farbentöne  wird  schon  damals  eine  grosse  Zahl 
von  Bezeichnungen,  jedesmal  wohl  in  Beziehung  auf  ein  bestimmtes, 
diese  Färbung  tragendes  Objekt  (oder  Gruppen  solcher),  zahme  und 
wilde  Tiere,  Pflanzen,  Mineralien  u.  s.  w.  vorhanden  gewesen  sein, 
während  zusammenfassende  oder  allgemeine  Bezeichnungen  erst  in  ihrer 
Ausbildung  begriffen  waren.  Um  ein  konkretes  Beispiel  zu  wählen, 
ist  früher  ein  Ausdruck  für  die  gelblich-grüne  Färbung  der  jungen  Saat 
als  für  unsere  zusammen  fassenden  Begriffe  Gelb  und  Grün  vorhanden 
gewesen  (s.  n.  Gelb).  Oft  sind  freilich  jene  idg.  Wörter  für  einzelne 
Farbentönc  in  den  historischen  Sprachperioden  nicht  mehr  als  solche, 
sondern  ausschliesslich  oder  teilweis  als  appellativischc  Benennungen 
der  Dinge,  deren  Färbung  sie  einst  bezeichneten,  vorhanden,  wie  wenn 
sert.  pfqni-  —  grieeh.  ttcpkvö^  ,bunt,  gefleckt*  (sert.  auch  ,buntc  Kuh', 
gricch.  TrpOK0t£,  rrpöE  ,rehartige  Tiere  )  im  Keltisch-Germanischen  nur  in 
dem  Namen  der  getüpfelten  Forelle  (ir.  earc,  ahd.  forhana)  vorliegt, 
oder  wie  ein  idg.  *bhe-bhru~  ,braun  wie  ein  Biber'  wohl  schon  in  der 
Grundsprache  selbst  zur  Bezeichnung  dieses  Tieres  (s.  u.  Biber)  ver- 
wendet wurde.  Auch  sind  viele  dieser  ursprünglichen  Ausdrücke  für 
bestimmte  Farbenuuancen  in  späterer  Zeit  in  ihrer  Bedeutung  weit 
auseinander  gegangen,  so  dass  auf  diesem  Gebiete  vielfach  der  Anschein 
völliger  Willkür  des  Bedeutungswandels  hervorgerufen  wird.  Beispiels- 
weise kann  so  der  Stamm  *melino-  ( s.  u.  B 1  a  u  i  in  der  Urzeit  der 
spezielle  Ausdruck  für  diejenige  kaum  definierbare  Farbennuauee  ge- 
wesen sein,  welche  bei  einer  ins  Bläuliche,  Gelbliche,  Schwärzliche  u.  s.  w. 
schillernden  Beule  oder  bei  einem  reifenden  Geschwür  hervortritt,  und 
dieser  Stamm  kann  dann  in  den  Einzelsprachen  zur  Bezeichnung  teil» 
des  Blau,  teils  des  Gelb,  teils  des  Schwarz  verwendet  worden  sein. 
Eine  zusammenfassende  Bezeichnung  hat  sich  offenbar  zuerst  für 


Digitized  by  Google 


Farbe. 


231 


de«  Begriff  des  Rot  ausgebildet,  Ansätze  zu  einer  solchen  waren  aber 
schon  in  vorhistorischer  Zeit  auch  für  Gelb,  Schwarz  und  Weiss 
vorhanden.  Viel  später  erst  haben  sich  allgemeine  Bezeichnungen  für 
Grün  und  Blau  festgesetzt. 

Auch  dieser  Zustand  ist  von  H.  Magnus  a.  o  a.  0.  als  der  bei 
Naturvölkern,  so  zu  sagen,  normale  nachgewiesen  worden.  -Stets", 
heisst  es  S.  34  bei  der  Zusammenfassung  der  erzielten  Ergebnisse, 
„sind  die  sprachlichen  Ausdrücke  für  die  langwelligen  Farben  (Rot 
und  Gelb)  viel  schärfer  ausgeprägt  als  wie  für  die  kurzwelligen  Farben 
(Grün  und  Blau  i.  Der  sprachliche  Ausdruck  für  Rot  ist  am  schärfsten 
entwickelt,  dann  folgt  der  für  Gelb,  dann  der  für  Grün,  und  schliesslich 
der  für  Blau".  Den  Grund  dieser  Erscheinung  sucht  Magnus  in  einer 
„grösseren  Energie  in  der  Empfindung  rlcr  langwelligen  Farben-  und 
in  einer  «ausgesprochenen  Gleichgültigkeit  gegen  die  Farben  kurzer 
Wellenlänge";  doch  soll  hier  nicht  versucht  werden,  auf  diese  mehr 
physiologischen  Fragen  einzugehen.  Bemerkt  sei  nur  noch,  dass  es 
gerade  die  vier  Farben  Rot,  Gelb,  Weiss,  Schwarz  sind,  welche  mich 
in  der  Tätowierung  der  meisten  Naturvölker,  und  zwar  in  der  ange- 
gebenen Reihenfolge,  am  meistcu  beliebt  sind  (vgl.  darüber  E.  Grosse 
Die  Anfange  der  Kunst  S.  58  ff.). 

Hinsichtlich  der  Herkunft  der  idg.  Farbenbeueunuiigen  ist  hervor- 
zuheben, dass  die  uns  heute  geläutigste  Art,  neue  Farbcnnnmen  zu 
bilden,  nämlich  nach  Gegenstünden,  welche  die  betreffende  Farbe 
tragen,  Bildungen  wie  „citronengelb",  „ehokoladenbraun*,  grieeh.  Trpd- 
Oivos  , lauchgrün',  lat.  cerrinutt  , hirschbraun*  u.  s.  w.  verhältnismässig 
jnng  sind.  Das  älteste,  worauf  wir  zurückgehen  könneu,  sind  bestimmte 
Wurzeln  oder  Stämme  für  bestimmte  Farbentöne  oder  Farben:  *Mte- 
bhrti-  .braun  wie  ein  Biber',  perle-  ,getüpfelt  wie  ein  Reh  oder  eine 
Forelle',  *ghel-,  *ghel  (lat.  hehttn)  ,gelblich  grün  wie  die  junge  Saat', 
*reudh  ,rot'  (wie  Kupfer?)  u.  8.  w.  Eine  weitere  Auflösung  oder  Zurück- 
führung  derartiger  Wurzeln  auf  allgemeinere  Begriffe  (Leuchten,  Brennen 
u.  s.  w.),  wie  sie  namentlich  von  0.  Weise  Die  Farbcnbczeichnuugen  der 
Jndogermanen  B.  B.  II,  273  ff.  versucht  worden  ist,  führt  selten  zu 
einem  gesicherten  Resultat.    Einzelnes  s.  bei  den  verschiedenen  Farben. 

In  Beziehung  auf  ihre  Stammbild ung  werden  die  Farbenbezeich- 
nungen der  einzelnen  Sprachen  mehrfach  durch  das  gleiche  Suffix  zu- 
sammengehalten. Dies  gilt  namentlich  von  dem  Suffix  -ro-,  das  obwohl 
auch  in  anderen  Sprachen  (vgl.  sert.  sydvä-,  grieeh.  iruppös  aus  *TrupFo-, 
altsl.  plarü)  in  dieser  Funktion  nachweisbar,  im  Lateinischen  und  Ger- 
manischen das  reguläre  Farbensuffix  geworden  ist,  wie  lat.  heltux, 
furrux,  rdeux,  fldeus  u.  s.  w.,  ahd.  gelo,  sah,  grdo,  bldo  u.  8.  w.  zeigen. 
Ein  zweites  weitverbreitetes  Farbensuffix  ist  -ro-  :  sert.  härita-  .gelb', 
dsita  ,sehwarz',  rohita-  ,rötlich',  lit.  gel-ta-s  ,gclb',  bdlta-s  ,weisslich\ 
rüs  ta  s  , bräunlich'  (vgl.  auch  die  slaviseh-gcrnianischcn  Wörter  für 


Digitized  by  Google 


Farbe  —  Färberröte. 


,Gold'  :  altsl.  zlato,  got.  gulp,  eigentl.  das  ,gelbe'  nnd  8.  lat.  caeriun  n. 
Blau).  —  Weiteres  vgl.  bei  F.  Kluge  Nom.  Stammbildungsl. 2  S.  90. 

Auch  die  Entlehnung  spielt  aus  begreiflichen  Gründen  seit  Alters 
eine  grosse  Rolle  in  der  Terminologie  der  Farben;  denn  es  liegt  auf 
der  Hand,  dass  Handel  und  Verkehr  Gegenstände  mit  bis  dahin  nicht 
gesehener  Färbung  und  damit  auch  die  Bezeichnungen  für  letztere  von 
Volk  zu  Volk  verbreiten  inusste.  Auch  hier  zeigt  sich  in  Rom  der 
griechische  Einflnss  (vgl.  0.  Weise  Griech.  Wörter  im  Lat.  S.  205),  in 
besonders  hohem  Masse  aber  sind  in  dieser  Beziehung  die  romanischen 
Sprachen  von  den  germanischen  abhängig,  denen  Farbenbezeichnungen 
wie  frz.  bleu,  blaue,  brun,  gris  etc.  ursprünglich  angehören.  Auch 
frz.  blond  scheint  aus  dem  Germanischen  (vulgärlat.  blundus  =  sert. 
bradhnä-  ,rötlich,  falb  )  zu  stammen.  Eine  andere  weitgehende  Ent- 
lehnungsreihe für  die  Nuance  des  Blond  ist  lat.  rmftwt  (:  rtttilus,  ruber'?), 
woraus  ngriech.  £oöo"o~0£,  altsl.  rusü,  alb.  rus,  ndl.  rostt. 

An  Litteratur  über  die  Farbenbezeichnungen  sind  ausser  den  schon 
erwähnten  Schriften  von  Magnus  und  Weise  noch  zu  nennen:  L.  Geiger 
Über  den  Farbensinn  der  Urzeit  (Zur  Entwicklungsgeschichte  d.  Mensch- 
heit 1871  S.  45),  W.  Jordan  Die  Farben  bei  Homeros  Nene  Jahrb.  f. 
Philologie  CX1II  (1876)  S.  161  ff.,  A.  Bacmeister  Keltische  Briefe  1874 
S.  112 IT.,  Pole  Oolour  blinduess  in  relation  to  the  homeric  expressions 
for  colour,  Nature  1878  S.  224,  H.  Schmidt  Synonymik  der  griechischen 
Sprache  III,  1879  S.  1 — 54,  Gr  an  t  Allen  Der  Farbensinn  Leipzig  1880, 
Edm.  Veckenstedt  Geschichte  d.  griech.  Farbenl.  1888.  Im  Ganzen 
kann  man  sagen,  dass  die  früher,  namentlich  durch  Geigers  Aufsätze 
zur  Herrschaft  gelangte  Meinung,  als  ob  durch  die  Etymologie  und 
Beobachtung  der  Farbenwörter  in  den  ältesten  Literaturdenkmälern, 
in  der  Bibel,  im  Rigveda,  bei  Homer  n.  s.  w.  eine  Entwicklung  des 
Farbensinnes  selbst  bei  den  Menschen  im  allgemeinen  und  bei  den 
Indogcrmanen  im  besonderen  erwiesen  werden  könnte,  gegenwärtig  nur 
noch  wenige  Anhänger  zählt.  Fruchtbarer  für  das  Verständnis  der 
Farben bezeichnungen  und  ihrer  Geschichte  scheint  der  im  obigen  be- 
tonte Gesichtspunkt,  dass  auch  auf  diesem  Gebiete  wie  auf  anderen 
eine  fortschreitende  Entwicklung  von  der  Bezeichnung  der  einzelnen 
Erscheinung  zu  der  Ausprägung  von  Gattungsbegriffen  anzuerkennen 
ist.  Am  notwendigsten  aber  wäre  für  das  historische  Verständnis  der 
Farhenterminologic,  auch  für  die  Nordvölker  ähnlich  reiche  und  sorg- 
fältige Sammlungen  anzulegen,  wie  dies  von  H.  Schmidt  a.  a.  0.  für 
das  Griechische  gesehen  ist.  —  An  einzelnen  Farben  ist  gehandelt 
worden  über  Blau,  Braun,  Gelb,  Grün,  Rot,  Schwarz  und  Weiss. 

Färberrote  (Iiubia  tinetoria  L.).  Die  Pflanze  ist  in  Südeuropa 
einheimisch  und  zeigt  keine  Spur  Ubereinstimmender  Benennung.  Griech. 
<pu6pobavov  (Diosk.),  lat.  rubia  (Plin.),  mint,  icarenfia  (so  auch  im 
Capitularc  de  villis  LXX,  65),  woher  frz.  garance,  deutsch  krapp 


Digitized  by  Google 


Farbstoffe  —  Farnkraut. 


233 


(andere  Namen  bei  Pritzel  und  Jessen  Deutsche  Volksnamen  S.  342), 
cecb.  marena,  poln.  niarzana,  russ.  marena  (an  warentia  anklingend ; 
vgl.  auch  den  serb.  Monatsnamen  maren  neben  bulg.  broAt  u.  8.  w. 
(altsl.  brostl  ,purpnra').  —  Vgl.  Beckmann  Bey  träge  IV,  41  ff. 

Farbstoffe.  Dass  solche  schon  in  der  Urzeit  bekannt  waren 
und  benutzt  wurden,  ist  sehr  wahrscheinlich,  zumal  die  Sitte  der 
Tätowierung  (s.  d.)  im  iiitesten  Europa  bei  Indogermanen  und 
Nicbt-Indogcrmanen  weit  verbreitet  war.  Eines  der  ältesten  Färbe- 
mittel zur  Erzeugung  der  auf  niedrigen  Kulturstufen  besonders  be- 
liebten roten  Farbe  (vgl.  grieeh.  pe'Zw  , färbe'  =  seit,  raj,  ranj, 
rajyati  ,sich  färben",  .rot  sein')  wird  der  natürliche  Rötel  (grieeh. 
HiXtos;  uiXTo-rcdpnos  bei  Homer  von  Schiffen  gesagt)  gewesen  sein. 
Die  Alten  (Herod.  IV,  191,  VII,  69,  Plin.  VI,  190)  wissen  von  ver- 
schiedenen, allerdings  nichtindogermanisehen,  Völkern  zu  berichten, 
die  ihren  Leib  mit  Rötel  bemalten.  In  den  Steinstationen  Europas  sind 
wiederholt  Funde  von  Rötel  und  Ocker  gemacht  worden  (vgl.  A.  Müller 
Vorgesch.  Knlturbilder  S.  100),  die  zum  Teil  bis  weit  in  die  palaeo- 
litbisehe  Zeit  zurückgehen  (vgl.  Hörnes  Urgeschichte  der  bildenden 
Kunst  S.  21).  Vielleicht  liegt  auch  ein  gemeinsamer  Name  des  Rötels 
in  lat.  minium  (miniare)  =  grieeh.  äuuiov  aus  *ävfiiov  (allerdings  erst 
bei  Dioskorides)  vor,  wenn  man  das  lateinische  Wort  durch  Umstellung 
aus  *inmium  entstanden  sein  lässt.  Zweifellos  war  dieses  letztere  ur- 
sprünglich ein  Sammelname  für  verschiedene  mineralische  rotfärbende 
Stoffe  und  ist  erst  später  auf  den  Mennig,  ein  künstliches  Produkt  aus 
gebranntem  Hleiweiss,  und  auf  den  Zinnober  übertragen  worden  (vgl. 
Blümner  Term.  n.  Techn.  IV,  478  ff.).  Auch  das  mit  Mennig  erklärte 
agls.  teafor  =  ahd.  zoubar  wird  eine  Rötelart  gewesen  sein,  mit  der 
die  Zauberrnnen  eingeritzt  und  die  linneucn  Gewänder  der  germanischen 
Frauen  (vgl.  Tac.  Genn.  Cnp.  16)  gefärbt  wurden. 

Nicht  minder  früh  werden  als  Farbstoffe  auch  Kohle,  Kreide, 
Gyps  u.  s.  w.  gebraucht  worden  sein.  In  besonderen  Artikeln  sind 
bebandelt  worden:  aus  dem  Mineralreich  der  Zinnober,  aus  dem 
Pflanzenreich:  Färberröte,  Indigo,  Saflor.  Safran,  Waid,  Wau, 
aus  dem  Tierreich:  Kermes  und  Purpur. 

Farnkraut.  Es  wird  in  fast  allen  Sprachen  als  Feder  kraut 
bezeichnet:  grieeh.  Trr€pi<;  :  impöv  .Feder';  dazu  lit.  impdrtis,  russ. 
paporott,  altgall.  ratis  aus  *pratix,  ir.  raith,  breton.  raden.  Ahd.  rarn, 
varm,  agls.  fearn  :  sert.  parnd-  .Flügel,  Feder'.  —  Aus  weicht  lat. 
fiüjtj  das  zu  der  germanoslavischen  Benennung  des  Bilsenkrautes: 
ahd.  bilisa,  agls.  beolene,  russ.  befand,  poln.  bielun  zu  gehören  scheint. 
Im  deutschen  und  sla vischen  Altertum  wurden  der  Pflanze  Zauberkräfte 
zugeschrieben.  Sie  bannt  den  Teufel,  und  ihr  Same  macht  unsichtbar 
<J.  Grimm  Deutsehe  Myth.  II8,  1160 f.,  Krck  Einleitung  in  d.  slav. 
Litg.*  S.  662).   Im  klassischen  Altertum  lässt  sich  ein  solcher  Glaube 


Digitized  by  Google 


23» 


Fasan. 


nicht  nachweisen,  doch  weiden  Farnarten  als  Arznei  verwendet  (vgL 
Lenz  Botanik  S.  738  ff.). 

Fasan.    Er  wird  von  Aristophanes  Nub.  108 f.: 
ouk  av  not  töv  Aiövutfov,  ei  boiris  T*  MOi 
tou?  (pao*iavoÜ£  ou?  Tp€q>€i  Aeurropaq 
als  Luxusvogcl  in  Athen  genannt  und  wurde,  worauf  der  Name  <pao*tavö<; 
weist,  vom  Flusse  Phasis  her  daselbst  eingeführt.    Daneben  bestand 
eine  wohl  direkt  aus  Medien  stammende  Benennung  des  Tieres  Tetapo?, 
TaTÜpas;  denn  aus  Medien  wurden  nach  der  ausdrücklichen  Über- 
lieferung des  Athcnaeus  Fasanen  bis  in  das  griechische  Ägypten  aus- 
geführt (vgl.  Hehn  Kulturpflanzen  6  S.  355).    Die  Römer,  in  deren 
Aviarien  und  Parks  der  Vogel  eine  hervorragende  Rolle  spielte,  nannten 
ihn  nach  den  Griechen  phdsidnux  (frz.  faisan,  engl,  pheamnt).  Auch 
iu  Deutschland  war  der  fasdn  schon  im  frühen  Mittelalter,  z.  B.  in 
den  Kapitularien  Karls  des  Grossen,  ein  beliebter  Speise-  und  Ziervogel 
der  Vornehmen. 

Das  oben  genannte  modische  T€Totpo<;,  Tarupa«;  =  npers.  tederv  , Fasan' 
schlicsst  sich  etymologisch  an  griech.  T€Tpdwv  •  öpvi?  ttoiö?  Hes.  (vgL 
fat.tetrao  .Auerhahn  ),  t£Tpa£,  Tt'ipiE,  TeTpdbwv,  retpaiov  ,Aucrbahn'(?), 
altn.  pidu-rr  , Auerhahn',  sowie  an  slav.  tetrevl,  lit.  teterwa,  tttericinas 
(daraus  fiun.  tetri,  tedri),  altpr.  tataricis  an,  welche  ,Trappe,  Auer- 
hahn, Birkhahn  und  Haselhuhn'  bedeuten.  Alle  diese  Ausdrücke  gehen 
zusammen  mit  seit,  tittiri-  , Rebhuhn'  auf  ein  idg.  *tetero-  ,ein  ti-ttr- 
Rchrciendcr  Vogel'  (griech.  TCTpdZuu,  lat.  tetrinnire)  zurück,  das  dann 
in  den  Einzclsprachen  auf  verschiedene,  verwandte  oder  einander  ähn- 
liche Vogelarten  übertragen  wurde.  Bemerkenswert  ist,  dass  neben  jenem 
idg.  *tetero-  ein  reduplikationsloses  finnisches  perm.  tar,  votjak.  tur  liegt. 

Die  Bedeutung  , Fasan'  hat  «las  Wort  ausser  im  Medischeu  (und 
Griechischen)  nur  noch  im  Slavischcn,  aus  dem  schon  Abraham  Jakobsen 
folgendes  berichtet:  „Ferner  ist  da  ein  Waldhuhn,  das  auf  Slavisch 
tetm  heisst.  Sein  Fleisch  schmeckt  vortrefflich.  Es  lasst  seine  Stimme 
vom  Gipfel  der  Bäume  erschallen  auf  eine  Meile  Entfernung  und  weiter 
zu  hören.  Man  hat  zwei  Arten  von  diesen  Vögeln,  schwarze  (Auer- 
hahn) und  farbig  gezeichnete,  die  schöner  als  Pfauc  sind  (vgl.  Abraham 
Jakobsens  Bericht  über  die  Slavenländer  vom  Jahre  973  in  den  Gc- 
ßchichtschreibern  der  deutschen  Vorzeit  2.  Gesamtausg.  B.  33).  Mit  der 
letzteren  Art  kann  wohl  nur  der  Fasan  gemeint  sein. 

Andere  Ausdrücke  für  den  Auerhahn,  die  hier  angeschlossen  werden 
mögen,  sind  zunächst  ahd.  orre-huon,  vgl.  altn.  orre  , Birkhuhn'.  Das 
zu  Grunde  liegende  *orro-  aus  urgerm.  *urzon-  entspricht  dem  sert.  rfshan- 
,brünstig,  zeugungskräftig'.  Wie  hier  an  die  Brunst  des  Auerhahns  iu 
der  Balz  gedacht  ist,  so  haben  die  Litauer  und  Slaven  deu  gleichen 
Zustand  vor  Augen,  wenn  sie  den  Vogel  nach  seiner  Taubheit  während 
des  Balzens  benennen:  lit.  kurtinyg  ,taub'  und  ,Auerhahn',  altsl.  gluchn 


Digitized  by  Google 


■ 


Fasten  —  Fuss.  235 

,taub',  russ.  gluchdrl  etc.  ,Auerhahn'.  Lett.  medeius,  mednis  ,Auerhahn', 
altpr.  medenix  taunci*  (für  tatanci*  s.  o.) :  altpr.  median  /Wald'.  —  Vgl. 
ausser  V.  Hehn  a.  a.  0.  noch  E.  Hahn  Die  Haustiere  S.  321  ff. 

Fasten.  Als  das  Christentum  sich  Uber  Europa  ausbreitete,  und 
als  Werke,  durch  die  man  sich  den  Himmel  erwerben  könne,  Almosen- 
geben (aus  griech.  lat.  £X€nuoo*üvTi  entlehnt  :  ir.  altnsan,  ahd.  alamuo- 
mny  agls.  (elmense,  altn.  ölmutta;  ihm  nachgebildet:  got.  aruiaiö,  altsl. 
milostyni)  und  Fasten  forderte,  fand  es  den  letzteren  Begriff  bereits 
im  Heidentum  ausgebildet  vor.  In  Griechenland  war  die  vnaTeia  ,das 
Nicht-Essen'  (von  vncFTu;  aus  *>ieed-ti-s  :  £bw  ,esse  )  an  gewissen  Festen, 
namentlich  an  denen  der  Demeter  und  besonders  von  Frauen  ausgeübt, 
wohl  bekannt  (vgl.  K.  F.  Hermann  Gottesdienst).  Altert. 2  s.  Index  von 
Fasten).  Auch  scheint  man,  wie  in  Indien  und  Iran,  ein  dreitägiges 
Fasten  nach  dem  Tode  eines  Anverwandten  geübt  zu  haben  (vgl.  Kaegi 
Die  Neunzahl  Abb.  f.  Sehwei/.er-Sidler  S.  Gl 4C).  Ahnliches  gilt  von  dem 
lat.  ieiänium  (*edi-üno-  ,der  Speise  entbehrend'  ??).  Dass  aber  auch  schon 
im  germanischen  Heidentum  aus  religiösen  Gründen  gefastet  wurde, 
macht  der  Umstand  wahrscheinlich,  dass  sich  eine  einheitliche  und 
einheimische  Bezeichnung  dafür  (got.  fastan,  altn.  faata,  agls.  fastan, 
ahd.  fasten)  in  allen  Mundarten  findet.  Durch  deutsche  Glaubensboten 
ist  dann  das  Wort,  dessen  Grundbedeutung  wohl  festhalten'  (got.  fastan) 
sc.  an  einer  religiösen  Vorschrift  ist,  in  christlicher  Zeit  in  den  ganzen 
Osten  Europas  (altsl.  postti,  altpr.  paxtauton,  Ht.  pastininkas,  tinn. 
paasto)  getragen  worden.  Vgl.  noch  ir.  troscaim  ,ieh  faste',  nach  Stokes 
Urkeltischer  Sprachschatz  S.  139  aus  Hrudskö:  got.  m-ßriutan  .be- 
lästigen', altsl.  trudü  »Mühsal'. 

Nicht  unwahrscheinlich  ist,  dass,  wie  andere  kultliche  Observanzen 
so  auch  die  des  Fastens  in  ein  sehr  hohes  Altertum  zurückgeht,  und 
aus  dem  Gebiete  des  Göttcrglaubens  noch  in  das  des  Zaubers  und 
Dämonenkultes  hinüberführt.  Scheint  es  doch,  dass  der  erste  und 
eigentliche  Zweck  des  Fastens  d  e  r  gewesen  ist,  den  dem  Menschen 
auflauernden  Geistern  an  und  durch  Speise  und  Trank  keinen  Eintritt 
in  das  Innere  des  menschlichen  Leibes  zu  gewähren.  Als  ein  zweiter 
Gedanke  hätte  sich  dann  hieran  der  angeschlossen,  von  der  für  Geister 
oder  Götter  bestimmten  Speise  nichts  gleichsam  für  sich  vorauszunehmen 
(vgl.  Oldenberg  Die  Religion  des  Veda  Index  s.  v.  Fasten).  —  S.  u. 
Riten.    Über  Speiseverbote  s.  u.  Nahrung. 

Fass.  Hölzerne  Fässer  oder  Tonnen  waren  im  klassischen  Alter- 
tum nicht  gebräuchlich.  Der  Wein  wurde  in  thönernen,  teilweis  in 
die  Erde  eingelassenen  Gefässen  (niBoi)  oder  in  Schläuchen  aufbewahrt. 
Eigentliche  Fässer  werden  zuerst  aus  den  waldreichen,  dem  Alpcn- 
gebiet  angehörigen  Gegenden  des  eis-  und  transalpinischen  Galliens  und 
lllyriens  gemeldet.  Hier  waren  hölzerne  Fässer  grösser  als  Häuser  in 
Gebrauch.    Die  Einwohner  von  Massilia  und  der  aquitanischen  Stadt 


Digitized  by  Google 


23fi 


Fass  —  Feige- 


Uxellodunum  verteidigten  sieh,  indem  sie  mit  Teer  und  Pech  gefüllte 
Fässer  (cilpa)  auf  die  angreifenden  Römer  wälzten.  Bei  Aqnileja  haute 
sich  der  Kaiser  Maximinius  im  Jahre  238  eine  Brücke  aus  Weinfässern 
u.  s.  w.  (s.  d.  Belege  hei  V.  Hehn  Kulturpflanzen  *  S.  558  ff.). 

Auf  keltischem  oder  romanischem  Boden  wurzeln  denn  auch  zahl- 
reiche Benennungen  des  Fasses  in  den  Sprachen  des  nördlichen  Europas, 
wo  dieser  Behälter  durch  die  hier  herrschende  Bierbrauerei  eine  neue 
und  ausserordentliche  Bedeutung  gewann.  Schon  im  Jahre  600  traf 
der  heilige  Columbanus  auf  Sucven,  die  ans  einem  Fass,  das  26  modii 
enthielt,  ihrem  Wodan  opferten  (s.  Du  Cange  u.  cupa).  Keltischen 
Ursprungs  tir.  tunna\  scheinen  ahd.  tunna,  agls.  *unne  zu  sein.  Auf 
eine  viel  frühere  Entlehnung  aber  weist  altschwed.  pyn  (mit  Lautver- 
schiebung; vgl.  Kluge  Et.  \V.S  s.  v.  Tonne,  anders  Et.  W.6).  Aus  lat. 
cilpa  (:  griech.  kutt-€XXov  , Becher';,  resp.  cöpa  (Corp.  GIors.  Lat.  V.5841) 
stammen  :  ahd.  kuofa,  alts.  cöpa  (vgl.  auch  die  Sippe  von  lat.  ctippa, 
ahd.  köpf,  Becher'  und  von  mlat.  cupella,  prov.  cuhel,  ahd.  -kubil,  agls. 
cyfel  und  cyf  ,Fass',  lit.  kübilas,  altsl.  kübilu),  aus  mlat.  doga,  *döga 
(von  griech.  boxn  .Behälter')  :  mhd.  dttge  .Fassdaubc',  cech.  duha,  slov. 
doga,  alb.  doge,  aus  lat.  *butijt,  *butina  (von  griech.  ßurivn.  •  Xdruvo? 
fj  ä}xiq  Hes.)  :  ahd.  butin,  agls.  byden,  alb.  but  .Tonne',  altsl.  bütarl 
,Fass  (im  Germanischen  und  Romanischen  wechseln  die  Bedeutungen 
,Fass'  und  .Schlauch',  vgl.  agls.  bytt  .Schlauch',  span.  bota,  frz.  botte 
,Weinfass'>.  Wo  wurzelt  die  Sippe  von  it.  barrile,  frz.  baril.  engl. 
barrel,  alb.  biiril,  altsl.  barilo  ,Fass"  (*barr-)Y 

Neben  diesen  weitverzweigten  Entlehnnngsreihen  treten  in  den  ger- 
manischen und  slavischcn  Sprachen  auch  einheimische,  ursprünglich 
wohl  auf  thöneme  Gefässe  bezügliche  Bildungen  auf.  So  gemein- 
germ.  ahd.  faz,  agls.  feet,  altn.  fat  :  lit.  pudas  .Topf  (*pod-  :  *p6d-) 
nnd  altsl.  dehj  ,Fnss\  bulg.  delca  .grosser  irdner  Topf  :  lat.  dolium, 
urspr.  jthönemer  Behälter".  Auf  Herstellung  aber  aus  Holz  weist  mit 
Sicherheit  das  gemeingerm.  ahd.  troc,  altn.  trog  aus  *dru-ko-  :  griech. 
bpü-£  (s.  u.  Eiche).  —  S.  auch  u.  Gefässe. 

Fauna  der  Urzeit,  s.  Urheimat  der  Indogermanen. 

Feder,  s.  Schreiben  und  Lesen. 

Fehde,  s.  Blutrache. 

Feier,  s.  Mond  und  Monat,  Zeitteilung. 

Feige.  Durch  palaeontologische  Thatsachen  steht  es  fest,  dass 
Ficu*  carica  L.  schon  in  der  Quartär-  oder  Diluvialperiode  auch  im 
westlichen  Teil  des  Mittclmeergebietes  verbreitet  war,  ja  sogar  nord- 
wärts von  den  Grenzen  der  heutigen  Mediterranflora  in  Westeuropa 
vorkam.  In  den  tertiären  Ablagerungen  Europas  fehlt  hingegen  der 
Typus  der  Ficu*  carica,  und  da  nach  dem  Urteil  der  Botaniker  dieser 
Typus  in  Westasien  und  Ostafrika  Uberhaupt  reicher  als  in  Europa 
entwickelt  ist,  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  die  europäische  Feige  aus 


Digitized  by  Google 


Ff  ige. 


237 


dem  Osten  stammt.  Nur  ist  festzuhalten,  das»  diese  Ausbreitung  des 
Baumes  von  Ost  nach  West  ohne  Z  u  t  h  u  n  des  Menschen  und  zu 
einer  Zeit  erfolgt  ist,  in  welcher  derselbe  noch  nicht  Kulturpflanze  war. 

Die  Entstehung  der  Ess-  oder  Kulturteige  hängt  aufs  engste  mit  dem 
Prozess  der  sogenannten  Kaprifikation  zusammen,  durch  welchen 
die  Übertragung  des  Blütenstaubes  der  männlichen  Pflanze,  d.  h.  eben 
des  Kaprificus  (griech.  eptveöq)  auf  die  weiblichen  Stöcke,  die  so  zur 
Befrachtung  gelangen,  getördert  wird. 

Diese  Erfind uug  der  Kaprifikation  scheint  von  den  Semiten  gemacht 
worden  zu  sein.  Bereits  bei  Arnos  VII,  14  begegnet  der  Ausdruck 
böles  iiqmhn  ,  Jemand,  der  an  der  Sykomore  eine  Operation  besorgt 
ähnlich  derjenigen,  die  am  Feigenbäume  üblich  ist'.  Die  Benennungen 
des  Knltnrfeigcnbaumes  ti  nu  hebr.,  aratn.,  vgl.  auch  assyr.  tittü)  und  der 
Feige  balattu  (hebr.,  arab.,  aethiop.)  sind  mehreren  semitischen  Sprachen 
gemeinsam,  Nach  der  Ansicht  eines  hervorragenden  Semitisten  (Lagarde) 
wäre  die  Bezeichnung  ti'nu  innerhalb  der  semitischen  Sprachen  von  dem 
südöstlichen  Arabien  ausgegangen,  wo  auch  nach  Ansicht  der  Botaniker 
die  Entstehung  der  Fcigcukultur  zu  suchen  wäre.  Vielleicht  ist  auch 
der  ägyptische  Name  des  Feigenbaumes,  der  in  den  Denkmälern  von 
der  XII  Dynastie  an  abgebildet  erscheint,  von  dem  semitischen  ableitbar 
(vgl.  F.  Hommel  Aufs.  u.  Abh.  S.  105). 

Von  den  Semiten  wurde  die  Kultur  des  Feigenbaumes  zusammen 
mit  der  Kunst  der  Kaprifikation  zu  den  Helleneu  gebracht.  Aus 
dem  Umstand,  dass  die  Feigen  (aÖKOv,  (TuK€n,  böot.  tökov)  nur  in 
späteren  Teilen  der  Odyssee  (Niederfahrt  in  die  Unterwelt,  Gärten  des 
Alcinoos,  Garten  des  Laertes),  dann  bei  Archilochus  genannt  werden, 
hat  man  geschlossen,  dass  dies  erst  zur  Zeit  der  ausklagenden  Dichtung 
Homers  geschehen  sei.  Doch  bleibt  zu  erwägen,  dass  schon  in  der 
Ilias  der  Name  des  wilden  Feigenbaumes  vorkommt,  epivcöq  (:  £pi<po?, 
vgl.  messen.  Tpdro<;  ,  d.  h.  .Bocksbamu',  eine  Benennung,  deren  Ursprung 
man  sich  schwur  anders  als  im  Gegensatz  zu  dem  frUchtetragenden 
Feigenbaum  erfolgt  vorstellen  kann  vgl.  lat.  atprif'icu*  :  ficus\  der 
also  zur  Zeit  der  Bildung  dieses  Wortes  schon  bekannt  gewesen  sein 
müsste.  Das  griech.  o*ökov,  tökov  ist  schwer  zu  erklären,  vielleicht  ist 
es  eines  Stammes  mit  griech.  o*€KOÜct,  erneua,  aueuq  , Gurke",  die  sieh 
durch  die  Verglcichung  mit  altsl.  tyky  .Kürbis'  (idg.  Heek-)  als  vor- 
historisch erweisen  fs.  u.  Cucurbitaceen),  so  dass  man  die  Früchte 
erst  der  wilden,  dann  der  veredelten  Feige  nach  der  in  die  Augen 
fallenden  Ähnlichkeit  als  „Gurken"  bezeichnet  hätte.  An  Zusammen- 
hang mit  armen,  t'uz  .Feige',  ist  aus  lautlichen  Gründen  kaum  zu 
denken  (vgl.  auch  Bartholomae  \V.  f.  klass.  Phil.  1895  S.  590).  — 
Während  die  von  den  Semiten  eingeführte  und  verbreitete  Kaprifikation 
iu  Griechenland,  Nordafrika,  Südportugal,  SUdspanien,  Sicilien  herrscht, 
fehlt  sie  in  Italien.  Man  hat  hieraus  geschlossen,  dass  die  Einführung 


Digitized  by  Google 


Feige  —  Fenster. 


der  Kulturfcigc  nach  Italien  nicht  von  den  griechischen  Kolonien  aus- 
gegangen sei.  sondern  seitens  der  östlichen  Völker  unmittelbar  durch 
Setzlinge  erfolgt  sei.  Jedenfalls  kann  lat.  fieus  nicht  au*  griech.  aÖKOV 
entlehnt  sein.  Oh  es  ans  hehr,  paggim  ,halbreife  Teigen'  (svr.  paggd, 
arah.  fagtj,  figg,,  wofür  man  auf  das  Analogon  von  lat.  cottana  aus  hehr. 
qätön  verweisen  kötinte.  erklärt  werden  darf,  ist  zweifelhaft. 

Das  nördliche  Europa  gebraucht  zur  Bezeichnung  der  natürlich 
auf  Handelswegen  eingeführten  Frucht  im  allgemeinen  Entlehnungen 
aus  lat.  fielt*  (russ.  pigrtt  .Quitte'  ans  ahd.  fitja  weicht  in  der  Bedeu- 
tung ausj.  Ein  eigentlicher  Obstbaum  konnte  die  Feige  des  Klimas 
wegen  im  Norden  nicht  werden.  Immerhin  wird  sie  in  dem  Capitularc 
de  villis  LXX,  87  (nicht  aber  in  den  zwei  Oarteninventarcn  Karls  des 
Grossen  vom  Jahre  812)  erwähnt.  In  hohem  Grade  merkwürdig  ist 
der  gotiseh-slavische  Xame  der  Feige,  got.  smakka,  umakkabagintt,  altsl. 
smoky.  Auch  er  harrt  noch  einer  befriedigenden  Erklärung.  Auf  keinen 
Fall  kann  er  mit  griech.  cröxov  irgendwie  zusammenhängen.  —  Vgl. 
V.  Hehn  Kulturpflanzen  u.  Haustiere"  S.  94  ff.  und  vor  allem  Graf  zu 
Solms- La ubach  Die  Herkunft,  Domestikation  und  Verbreitung  des  ge- 
wöhnlichen Feigenbaumes  (Abb.  d.  k.  Ges.  d.  W.  zu  Göttingen  XXVIII 
(1882).  —  8.  u.  Obstbau  und  Baumzucht. 
Felle,  s.  Säge. 

Feind,  s.  Freund  und  Feind. 
Feldgemeinschaft,  s.  Ackerbau. 
Feldgraswirtschaft,  s.  Ackerbau. 
Feldzeichen,  s.  Fahne. 

Felge.  Eine  urverwandte  Gleichung  für  den  Rand  des  Hades 
ist  griech.  Tiuq  -  lat.  vittts.  Die  Grundbedeutung  ist  Weide  (griech. 
\jia>,  wie  auch  ahd.  felga,  agls.  feig,  engl,  feüy  mit  ahd.  feloica 
, Weide1  zu  verbinden  sein  dürfte  {*felgua).  Lit.  skrytis,  altpr.  scritai/le 
,Radfelgc'  wird,  wie  lett.  ski-ituUs,  ursprünglich  das  ganze  Kad  be- 
zeichnen und  zu  ahd.  scritan,  altn.  skrida  ^kriechen'  (Grundbedeutung: 
,sicli  bewegen',  lit.  skreti  .rotieren'  i  gehören  (s.  die  idg.  Xamen  dieses 
Wagenteils  u.  H  ad  i.  Den  eigentlichen  Radreifen  meint  griech.  tmciöw- 
Tpov  :  aiÜTpov  .Kad'.  Lat.  eantits  ist  ein  gallisches  Wort,  das  sich 
vielleicht  aus  biet,  comhet  an  rot  ,cant  de  rotte'  {*kambiton)  erklärt. 
Scrt.  tn'»mi-}  lat.  orbis  rotarum,  orbile.  —  S.  u.  Wagen. 

Fell,  Felltracht,  s.  Pclzkleider. 

Felsen,  s.  Berg. 

Felsenbilder,  s.  Kunst  und  Schreiben  und  Lesen. 
Fenchel,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Fenster.  Im  Gegensatz  zu  der  Thür  <s.  d.)  ist  das  Fenster, 
wenn  man  tiarunter  den  modernen  Begriff,  d.  h.  die  regelmässige,  mit 
Glas  oder  Glimmer  verschlossene  W  a  n  d  Öffnung  zum  Durchlassen  des 
Lichtes  und  der  Luft  versteht,  wie  sie  auch  im  klassischen  Altertum, 


Digitized  by  Google 


Fenster  —  Feuer. 


239 


namentlich  für  die  Obergeschosse  der  Wohnungen,  schon  vorhanden 
war,  eine  verhältnismässig  j  u  n  ge  K  u  1 1  u  r  e  r  s  e  Ii  e  i  n  u  n  g.  An  ihrer  Stelle 
steht  im  Norden  Europas  noch  in  später  Zeit  die  offene  Dachluke, 
die  ebensowohl  dein  Durehlass  des  Herdrauches  wie  der  Luft  und  des 
Lichtes  dient  und  im  Notfall  mit  einem  Brett  verschlossen  wird.  Auf 
Island  waren  diese  Dachluken  (altn.  Ijöre  ,LiehtöfTnung'  :  1}<U  , Licht  ) 
mit  der  durchsichtigen  Haut  des  neugeborenen  Kalbes  geschlossen,  die 
daselbst  noch  gegenwärtig  statt  des  Fensterglases  verwendet  werden 
soll.  Auch  die  Hausurnen  Deutschlands  und  Italiens,  die,  wie  u.  Haus 
gezeigt  ist,  ein  treues  Bild  des  alteuropäischen  Hauses  gewähren,  ent- 
behren der  Fenster,  zeigen  aber  mehrmals  die  uralten  Lichtöffnungen 
im  Dache.  Alte  einheimische  Namen  für  diese  letzteren,  die  später  auf 
das  eigentliche  Fenster  übertragen  wurden,  sind  geineinsl.  okno  :  altsl. 
oko  ,Auge'  (woher  finn.  alckuna  , Fenster'  und  ähnlich  in  zahlreichen 
finnischen  Sprachen),  altn.  cind-nnga,  engl,  icindoic  (altir.  fvindeng'?), 
got.  augadaürö,  ahd.  augatora,  agls.  tgPyrel  ,Augenloch'  u.  a.  Vgl. 
noch  altfries.  andern  , Fenster',  eigentl.  .Atcmloeh'  (Heiträge  XIV,  232  . 
Dunkel  ist  lit.  längas  {langafis,  Rauehloch)  altpr.  lanrto,  lett.  longa. 

Langsam  bricht  sich  das  eigentliche,  mit  Glas  geschlossene  Fenster 
vom  .Süden  her  seine  Bahn  nach  dein  Norden,  überall,  wie  der  Ofen 
(s.  d.),  einen  gewaltigen  Eintlnss  auf  die  Umgestaltung  des  ursprüng- 
lichen Hausbaues  ausübend.  Diesen  Vorgang  bezeichnet  die  Entlehnungs- 
reihe  von  lat.  f'enestra  (schon  bei  Plautus:  vielleicht  aus  einem  zu  er- 
schliessenden  griech.  *(pavno*Tpa;  der  überlieferte  griechische  Name  ist 
8upi<;,  ÖTrrj),  ir.  xeinistir,  kyinr.  ffenestyr,  korn.  fenester,  bret.  fenestr, 
ahd.  reustar,  ndl.  venster.  Im  Finnischen  und  Lappischen  wird  das 
Glasfenster  mit  dem  deutschen  Namen  des  Glases  (klasi,  last)  benannt.  — 
S.  u.  Haus. 

Ferkel,  s.  Schwein. 

Fessel,  s.  Kette. 

Fest,  s.  Mond  und  Monat.  Zeitteilung. 
Fe.stiinar,  s.  Stadt  und  Mauer. 
Fetischismus,  s.  Keligion. 

Feuer.  Idg.  Bezeichnungen  dieses  Elementes  sind :  sert.  agni-, 
lat.  lg nh,  lit.  ugn'is,  altsl.  ognt:  griech.  Tiöp.  uinbr.  pir,  ahd.  fnir, 
armen,  hnr:  got.  fön,  altn.  fnne,  altpr.  panno.  Vgl.  noch  ir.  aed 
, Feuer  :  sert.  r'dhas-,  aw.  aeuma-  , Brennholz/,  ahd.  elf  , Scheiterhaufen' 
(:scit.  idh  ,anzünden  )  und  die  einzelspraelilichen:  ir.  tene,  tened,  korn. 
tauet  .Feuer'  (:  seit.  tapf  lat.  ttpeoY),  aw.  dtar-  (npers.  dAer,  kurd. 
dür  n.  s.  w.i  , Feuer'  (vgl.  armen,  airem  .zünde  an'  von  *air  , Feuer  ) 
und  die  rätselhaften  von  einigen  als  Entlehnungen  aus  dem  Iranischen 
betrachteten  frech,  vatra,  poln.  iratra  etc.  , Feuer,  Herd',  alb.  rafrr 
jFeuerstelle'  i weiteres  bei  Miklosieb  Et.  W.  und  (J.  Meyer  Et.  W.  d. 
alb.  Spr.  S.  4<i4f.i.   (.'her  die  rcligiousgcschichtliclic  Bedeutung  dieses 


Digitized  by  Google 


240 


Feuerstätte  —  Feuerzeug. 


Elementes  (den  vedisehen  Feuergott  Agni,  die  litauische  L'yn'm  szwentä 
und  die  Feuergüttin  Pontjke,  die  lateinische  Herdgöttin  Vesta  u.  a.) 
8.  u.  Religion  und  u.  Herd. 
Feuerstätte,  s.  Herd. 

Feuerzeug.  Die  älteste  und  alltägliche  Art,  neues  Feuer  zu  ent- 
flammen, bestand  darin,  das»  man  die  sorgfältig  bewahrte  Glut  der 
Herdasche  anblies  (.lebendig  machte1;  vgl.  altn.  kveykja  ,anzünden'  : 
ahd.  quek  .lebendig  ),  oder,  wenn  dieselbe  erloschen  war,  sich  von  einem 
Nachbar  frisches  Feuer  holte.  So  ist  es  bis  tief  in  die  klassische  Zeit, 
vielleicht  immer  bei  Griechen  und  Römern  gewesen.  Vgl.  Od.  V,  488  ff.: 
üj<;  b'  öi€  Ttq  baXöv  OTrobirj  ^V€Kpuu/€  peXaivrj 
dtpoö  en'  döxaTifis,  &  un  ^apet  Y*iTOV€<;  äXXoi, 
0TT6pua  Ttupo?  tfwZuuv,  tvet  pn.  Troeev  äXXo0€v  aüoi, 
(ix;  'Obutfeus  <püXXoio*i  KaXOipaTO. 
Nur  ausnahmsweise,  und  namentlich  zur  Entzündung  heiliger  Feuer, 
bediente  man  sich  eines  primitiven  und  für  den  jedesmaligen  Gebrauch 
besonders  hergestellten  Feuerzeugs.    Übereinstimmend  findet  sich  bei 
Indern,  Griechen,  Römern  und  Germanen  die  Sitte,  Feuer  zu  den  an- 
gegebenen heiligen  Zwecken  in  der  Weise  zu  gewinnen,  dass  man  einen 
Stab  aus  hartem  Holz  in  einen  andern  Stab,  eine  Scheibe  oder  Tafel 
aus  weicherem  Holz  ciubohrt  und  darin  so  lange  herumdreht,  bis  durch 
diese  Reibung  Feuer  herausspringt  (vgl.  die  Belege  bei  A.  Kuhn  Die 
Herabkunft  des  Feuers  S.  30  ff.  und  M.  Planck  Die  Feuerzeuge  der 
Griechen  und  Römer,  Progr.  Stuttgart  1884). 

Vorgeschichtliche  Bezeichnungen  für  den  Begriff  des  Feuerzeuges 
sind  unter  diesen  Umständen  nicht  zu  erwarten.  In  Indien,  wo  früh- 
zeitig eine  Verbesserung  des  oben  geschilderten  Urfeuerzeuges  auftritt 
(vgl.  R.  Roth  Z.  d.  Deutschen  Morgenl.  Ges.  XLIII,  590  ff.),  heisst  der 
Rührstab  pramantha-,  die  Reibhölzer  —  es  sind  hier  zwei  —  arani-i 
eine  zusammenfassende  Benennung  scheint  nicht  zu  bestehen.  Im 
Griechischen  heissen  die  beiden  Hölzer  nupeia  (vgl.  den  hom.  Hymnus  auf 
Hermes  v.  108  ff.).  Lat.  if/nifabutum  meint  zunächst  die  Steinfeuer- 
zeuge (s.  u.).  In  der  Urzeit  wird  das  alte  Wort  für  Bohrer  (s.  d.) 
hingereicht  haben,  um  auch  den  Feuerbohrer  zu  bezeichnen.  So  wird 
griech.  Ttpeipov  neben  Tpimavov  gebraucht,  so  lat.  terebrare,  bei  Fcstus 
ed.  0.  Müller  S.  100  von  den  Vestalinuen  gesagt,  die  das  erloschene 
Feuer  des  Tempels  aus  einer  tabula  felicis  materiae  hervorlocken.  Die 
rührende  oder  drehende  Bewegung  des  Feueranzünders  wird  durch 
sert.  manth,  wovon  pra-mantha-  *  vgl.  altn.  möndull  Jiguum  teres,  quo 
mola  rrusatilis  manu  circumagitur  ),  mit  bezeichnet  worden  sein. 

Wo  FI  int  vorhanden  war,  wird  auch  dieser  frühzeitig  zur  Erzeugung 
neuen  Feuers  gedient  haben.  Besonders  häufig  wird  diese  Art  der 
Feuergewinnung  auf  römischem  Boden  erwähnt  (vgl.  Planck  a.  a.  0. 
S.  16).    Unter  den  Griechen  nennt   sie   zuerst  Sophokles  Philokt. 


Digitized  by  Google 


Feuerzeug  —  Fiedel. 


•241 


v.  i?9ß  ' :  dXX  tv  7TeTpoi0i  rceTpov  dtapißtov  uöXii;  €<pr)v'  acpaviov  TTÖp). 
Als  Feucrfünger  und  Fcuerbewahrer  diente  u.  a.  der  früh  in  Europa 
beachtete  Schwefel,  mit  dein  man  wohl  auch  die  Steine  bestrich  (Planck. 
S.  10).  S.  u.  Schwefel,  wo  auch  auf  vorhistorische  Feuerzeug-  und 
Schwefelkiesfunde  hingewiesen  worden  ist. 
Fibel,  s.  Schmuck. 

Fichte.  Da  in  der  Sprache  die  Namen  für  Fichte,  Kiefer 
und  Tanne  nicht  scharf  unterschieden  werden,  so  müssen  die  Abietineae 
hier  zusammen  behandelt  werden.  Eine  Reihe  übereinstimmender 
Namen  geht  Über  den  Hoden  Europas  hinaus:  sert.  pi'ta-dru-,  pita- 
ddru-.  pitn  d(iru-}  Pamird. /hV,  griech.  ttitu?.  lat. pinus  (s.  u.  Pinie  und 
vgl.  \at.  pitu  ita  ,Schleim  der  Bäume'  etc.,  .Schnupfen).  Daneben  besteht 
ein  urverwandter  Name  des  Baumharzes:  sert.  jatu-  .Lack,  Gummi', 
agls.  ewidu,  ahd.  chuti  »Kitt*,  ,Lciin',  lat.  bittlmen  ,Erdpech\ 

Auf  Europa  beschränkt  sich:  griech.  TreuKn,  altpr.  peuse,  lit.  puxzis, 
ahd.  /iuhta,  ir.  ochtach  {*pultd).  Ebenso  der  gemeinsame  Name  des 
Peches:  griech.  Trio*o*ct,  lat.  pi.r,  altsl.  ptklü  (ahd.  peh  aus  lat.  pteem 
vermutlich  mit  der  römischen  Kunst  der  Weinbereitung  und  Weinbe- 
handlnng  entlehnt).  Vgl.  noch  agls.  c<'n,  ahd.  chien  (nhd.  kiefer  aus 
kien föhre)  :  altir.  hi  gl.  piv  (griech.  ßüvn.  •  Treikn,  Hes.V),  während 
andere  für  das  germanische  Wort  an  Verwandtschaft  mit  altsl.  sosna 
,abies'  (aus  *zosna  :  *kizn  -=  ahd.  chien)  denken  (vgl.  H.  Pederscn 
I.  F.  V,  60).  Gleichungen  von  geringerer  Ausdehnung  sind  lat.  abies, 
griech.  äßiv  eXdinv,  o'i  bc  ttcukiiv  (lies.)  und  slav.  borii  , Fichte', 
, Fichtenwald',  agls.  bearu,  altn.  börr  .Wald'  (eigentl.  .Fichtenwald'). 
Als  ein  urzeitlichcr  Bauraname  darf  auch  ahd.  tanna  in  Anspruch  ge- 
nommen werden,  das  dem  sert.  dhdnvun-  .Bogen'  genau  entspricht 
(vgl.  altn.  dlmr  , Bogen  aus  Ulmenholz',  altn.  yr  und  griech.  töEov 
,Bogen  aus  Eibenholz '  doch  wird  man  mit  Rücksicht  auf  die  Eigen- 
schaft des  Holzes  der  Tanne  vielleicht  eher  mit  II.  Hirt  I.  F.  I,  4*2 
von  der  für  ahd.  tanna  neben  ,Tanue'  bestehenden  Bedeutung  .Eiche' 
auszugehen  haben.  Griech.  eXam,  s.  u.  Linde,  all»,  breO-di  , Tanne' 
u.  Birke,  ahd.  forha  und  mhd.  zirbe,  zirhel  .Pinns  cembra  L.'  (altn. 
tyrvidr  , Kienholz',  ndl.  teer,  agls.  teoro,  altn.  tjuru.  ,Tccr  )  —  lit.  derirü 
,Kienholz',  lett.  dartra  ,Teer'  u.  Eiche,  altsl.  jela  .Tanne'  u.  Eibe, 
bulg.  smircu,  klruss.  smruku  etc.  .Tanne',  .Fichte'  u.  Wach  holder. 
Kymr.  syb-icydd  .Föhre'  (*soqo-vidu-)  ist  Jlarzbaum'  :  altsl.  gokii,  lit. 
sakai  .Harz'. 

Dunkel  ist  slavisch  *chcoja  (poln.  choju  , Kienbaum'  etc.);  vgl.  lit. 
skujü  .Tannen-  oder  Fichtennadel'.  Aus  dem  Lateinischen  (Iuris  --- 
ir.  dair,  daur,  Gen.  äurac.h  .Eiche  )  entlehnt  ist  mhd.  larche  .Lärche' 
(Pinns  lariv  L.).  —  S.  u.  Wald,  Wald  bäume. 

Fieber,  s.  Krankheit. 

Fiedel,  s.  Musikalisehe  Instrumente. 

Schräder.  Rcallcxlkon.  IG 


Digitized  by  Google 


242 


Filz  -  Fisch,  FUchfan». 


Filz.  Dieser  ltegriff  erweist  sieh  als  vorhistorisch  durch  die 
Gleichung  lat.  pilleus  {*pildeu#;  vgl.  lat.  aallere  aus  *mldere\  agls. 
feit,  ahd.  filz  \*peldo-\,  altsl.  plüsti  {*peld-ti  ).  Die  Zugehörigkeit  von 
gricch.  ttiXos  ist  unsicher,  Germano  baltisch  ist:  ahn. ptifi  , Filz',  pöfa- 
hettir  ,Filzhütc'  :  lit.  titba,  ttibis,  altpr.  tubo  ,Filz'.  Wahrscheinlich 
sind  aher  die  litu-preussisehen  Formen  aus  dem  Nordischen  entlehnt. 
In  sehr  früher  Zeit  wurde  von  den  Slavcn,  noch  bevor  sie  ihre  Wohn- 
sitze westwärts  ausgedehnt  hatten,  aus  der  Sprache  turko- tatarischer 
Völker,  welche  noch  heute  Meister  der  Filzbereitung  sind,  das  gemeinst, 
altsl.  klobuk  üt  eech.  klobuk  u.  s.  w.  ,Filz"  übernommen,  und  zwar  aus 
türk.  kalpak  .Mütze',  so  dass  also  Kopfbedeckungen  in  dem  damaligen 
türkiseh-slavischcn  Handel  eine  bedeutende  Rolle  gespielt  haben  müssen. 
Dasselbe  Wort  ist  ein  Jahrtausend  später  noch  einmal  von  den  osma- 
niseheu  Türken  entlehnt  worden:  seil),  kalpak.  ngriech.  KaXTidia  u.  s.  w. 
(vgl.  Miklosich  Türk.  Elemente  S.  1).  Aus  <lcm  germanischen  Worte 
stammt  mlat.  filtrum  ,Filz"  ihal.  feltro,  frz.  feutre),  neben  dem  ein 
ebenfalls  auf  germanischer  Grundlage  beruhendes  fu/tnim  (daraus  wieder 
ahd.  fulter)  bestand.  —  S.  u.  Kopfbedeckung. 

Fingerring,  s.  Schmuck. 

Finke,  s.  Singvögel. 

Fisch,  Fischfang.  Die  Kenntnis  und  Übung  des  Fischfangs 
lässt  sich  in  unserem  Kidteil,  wenigstens  in  dem  Alpengebiet  uud 
nördlich  desselben,  bis  in  die  entferntesten  Zeiten  zurück  verfolgen. 
Bildliche  Darstellungen  verschiedener  Fischartcu,  des  Hechtes,  der 
Forelle,  des  Aales  u.  a.  haben  sich  auf  Knochen  oder  SchicferplatJen  der 
palaeolit  Iiis  eben  Epoche  eingraviert  gefunden.  In  den  Höhlen  von 
Mcntone  wurden  50  verschiedene  Fischarten  nachgewiesen  u.  s.  w.  Die 
Kjökkenmöddinger  oder  Muschelhaufen  Dänemarks  zeigen  zwischen  den 
Schalen  von  Austern  und  verschiedenen  Muschelartcn  eine  Menge 
Fischgräten  von  Schollen,  Dorsch,  Häring  und  Aal.  Der  grosse  Umfang 
der  Fischerei  in  neol ithisc her  Zeit  ist  zweifellos.  In  den  Schweizer 
Pfahlbauten  (vgl.  Rütimeyer  Fauna  d.  l'f.  S.  114)  lassen  sich  9  ver- 
schiedene Gattungen  von  Fischen,  z.  H.  Aal,  Harsch,  Hecht,  Karpfen, 
Lachs,  unterscheiden.  „Im  Mondsee",  sagt  M.  Much  (brieflich),  „fand 
ich  Fischreste  und  eine  kupferne  Fischangel,  die  wie  die  meisten  stein- 
zeitlichen Fischangeln  noch  des  Widerhakens  entbehrt,  und  es  ist  nicht 
ausgeschlossen,  dass  auch  hier  bearbeitete  Knochenstücke  als  Fisch- 
angeln dienten."  Auch  in  den  steinzeitlichen  Niederlassungen  Däne- 
marks und  Schwedens  sind  verschiedene  Fischereigeräte,  Angelhaken 
ans  Knochen  (hier  m  i  t  Widcrkaken),  Harpunen,  Stechgabeln  und  Reste 
von  Netzen,  die  auch  in  Robenhausen  begegnen,  gefunden  worden 
(vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  148,  Montelius  Kultur 
Schwedens*  S.  25). 

Anders  könnten  die  Verhältnisse  südlich  der  Alpen  gelegen  haben. 


Digitized  by  Google 


Fisch,  Fisclitang. 


243 


In  den  Pfahlbauten  der  Poebcnc  sind,  obgleich  diese  Stationen  erst 
der  Bronzezeit  angehören,  keinerlei  Fischgräten,  Angelhaken  und  dergl. 
aufgetaucht  (vgl.  Heibig  Die  Italiker  in  der  Poehne  S.  lf>).  und  dasselbe 
ist  nach  der  ausdrücklichen  Versicherung  von  Tstintas  (  EqpTm.  dpx- 
1801  8.  39  ff.)  bei  den  ungefähr  derselben  Epoche  Angehörigen  Über- 
resten von  Tiryns  und  Mykenae  der  Fall. 

Von  dieser  kurzen  Übersicht  Uber  die  prähistorischen  Verhältnisse 
Kuropas,  soweit  sie  sich  in  den  Funden  darstellen,  wenden  wir  uns  der 
Terminologie  des  Fischfangs  in  den  idg.  Sprachen  zu.  Es  ist  eine 
längst  beobachtete  Thatsache,  das*  es  in  den  idg.  Sprachen  für  den 
Begriff  des  Fisches  keine  sich  von  Europa  bis  in  das  arische  Gebiet 
erstreckende  Gleichung  giebt  vgl.  lat.  pincis,  ir.  iasc,  got.  fisks;  armen. 
jukn,  lit.  iuic'ts,  altpr.  zukam  gegen  Uber  sert.  mätxya-,  aw.  masya-  \ 
dunkel:  griech.  ixOuq,  und  altsl.  ri/ba,  ersteres  von  einigen  mit  Armen,  jukn 
verglichen),  und  dass  für  einzelne  Fischarten  überhaupt  keiue  sicheren 
Gleichungen  bestehen  (einzelnes  zweifelhafte  vgl.  bei  O.  Weise  Die 
griech.  Wörter  im  Latein  S.  III,  dazu  Sprachvergl.  und  Urgeschichte* 
S.  HiG).  S.  auch  u.  Aal.  Eine  deutliche  Ausnahme  machen  nur  die 
germanischen  und  litu-slavischcn  Sprachen  mit  einer  Reihe  von  gemein- 
samen Fisehnamcn  (altpr.  lasasno,  lit.  lasziszä,  russ.  lo*08iy  ahd.  Iah* 
,Lachs";  altpr.  linis,  lit.  lynas,  cecli.  IIA,  ahd.  slto  ,Sehleic';  Altpr.  kalis, 
mhd.  icels  ,Wels). 

Was  die  Fischereigeräte  betrifft,  so  wird  in  Europa  an  mehreren 
Stellen  von  dem  Stamme  *onko-  {  —  sert.  aükd-  , Haken,  Biegung,  Bug' 
:  ac  »biegen,  krümmen')  Gebrauch  gemacht,  um  Wörter  für  Angel 
davon  abzuleiten.  So  in  griech.  afKitfTpov  und  in  dem  gemeingerm. 
ahd.  angul,  altn.  öngull.  Im  Lateinischen  heisst  der  Angelhaken  htimux, 
das  vielleicht  mit  ahd.  hämo  id.  (vgl.  lat.  habeo  =  got.  haban)  urver- 
wandt ist,  wie  vielleicht  auch  got.  nati  ,Netz'  mit  lat.  nassa  »Fisch- 
reuse, Netz'  zusammenhängt  (doch  s.  u.  Nessel;  sonst  heisst  das  Netz: 
lat.  rete  =  lit.  ritt*  , Bastsieb",  griech.  tfoprrjvn.,  äu<pißAn.o-Tpov,  lit.  tiil- 
klas,  mdrszka;  meszkere  .Angel*  u.  s.  w.i. 

Es  fragt  sich  nun,  wie  diese  auffallende  Armut  der  idg.  Sprachen  an 
Übereinstimmungen  in  der  Terminologie  des  Fischfangs  zu  erklären  sei. 
Zwei  Deutungen  sind  denkbar.  Entweder  man  sagt:  es  ist  selbst- 
verständlich, dass  die  Indogermanen  Fischfang  getrieben  und  Fische 
gegessen  haben.  Nur  war  ihr  Gesehmacksinn  noch  so  wenig  ent- 
wickelt, dass  sie  zwischen  einzelnen  Fischgattungen  sprachlich  nicht 
unterschieden  (so  etwa  II.  Hirt  I.  F.  Anzeiger  VIII,  59).  Oder  man  nimmt 
an,  dass  die  Indogermanen  in  der  Zeit,  als  Europäer  und  Arier  noch 
eine  Kultureinheit  bildeten,  thatsächlich  keinen  Fischfang  kannten  und 
keine  Fische  assen.  Gegen  die  erstere  Erklärung  lässt  sich  einwenden, 
dass  sie  einmal  die  auch  in  der  Terminologie  der  Fischerei  gerät e 
bestehende  Anuut  ausser  Betracht  lässt,  und  man  das  andere  Mal  nicht 


Digitized  by  Google 


244 


Fisch,  Fischl'nn;?. 


versteht,  warum  die  Indogernianen,  die  doch  für  sehr  viel  unansehnlichere 
Tiere  wie  Floh  und  Laus,  Ameise  und  Fliege  u.  s.  w.  bestimmte  Namen 
hatten,  nicht  im  Stande  gewesen  sein  sollten,  die,  wenn  nicht  (für  die 
damaligen  Indogermauen)  durch  den  Geschmack,  so  doch  durch  Farbe, 
Grösse  und  Gestalt  so  verschiedenen  Fischarten  verschieden  /u  benennen, 
wenn  sie  dieselben  praktisch  verwerteten.  Nimmt  man  nun  hinzu, 
dass  weder  im  Awesta,  noch  im  Rigveda  (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben 
S.  26)  des  Fischfangs  mit  einem  Worte  Erwähnung  geschieht,  wie 
auch  die  arische  Periode  keine  gemeinsamen  Fischnamcn  ausgebildet 
hat,  und  dass  auch  durch  das  homerische  Zeitalter,  das  im  übrigen 
gewerbsmässigen  Fischfang  bereits  kennt  (vgl.  J.  v.  Müller  Privataltcrt.2 
S.  121 5),  noch  die  Erinnerung  an  eine  Zeit  hindurchzublicken  scheint, 
in  der  der  griechische  Held  ebensowenig  Fische  ass,  wie  ritt,  schrieb 
oder  Suppe  kochte  (vgl.  v.  Wilainowitz  Horn.  Unters.  S.  292.  Tsuntas 
a.  a.  0.),  so  wird  man  die  oben  angeführte  zweite  Deutung  für  die 
wahrscheinlichere  halten  müssen.  Thatsächlich  wird  uns  von  gewissen 
Völkern,  z.  Ii.  den  britannischen  Kaledoniern  noch  aus  später  Zeit  be- 
richtet, dass  sie  sieh  alles  Fischgenusses  enthielten  (vgl.  Dio  Cass.  Epit. 
LXXVI,  12:  tüjv  t«P  ixöüujv  dtTreipiuv  kcu  rxTrXeTwv  övtwv  ou  fcöovTai .. 
Warum  könnte  es  also  nicht  ebenso  bei  den  Indogernianen  gewesen 
sein  ?  Auch  abergläubische  Speiseverbote  könnten  dabei  mitgewirkt  haben. 

Demnach  würde  man  sich  im  Hinblick  auf  das  oben  geschilderte 
hohe  Alter  des  Fischfangs  in  weiten  Teilen  Europas  den  kulturge- 
schichtlichen Entwicklungsgang  auf  diesem  Gebiete  etwa  so  vorzustellen 
haben. 

Die  Indogermauen  waren  zur  Zeit  des  Kulturzusammenhangs  zwischen 
Europäern  und  Ariern  im  wesentlichen  ein  Volk  von  Viehzüchtern  (s.  u. 
Ackerbau  und  u.  Viehzucht),  das  den  Fischfang  und  Fischgennss 
nicht  kannte.  Der  Schauplatz  dieser  Epoche  ist  an  der  Grenze  Asiens 
und  Europas  zu  suchen  s.  u.  Urheimat  .  Je  mehr  nun  die  West- 
imlogennanen  sich  über  Europa  ausdehnten,  ein  Prozess,  der  sich  mit 
dein  Beginn  oder  im  Verlauf  der  neolithischcn  Periode  abspielte,  um 
so  mehr  wandten  sich  die  sich  allmählich  immer  stärker  differenzierenden 
idg.  Völker,  vielleicht  durch  das  Heispiel  urangesessener  Stämme  au- 
geregt, dem  Fischfänge  zu.  Es  besteht  also  in  dieser  Beziehung  un- 
zweifelhaft einKnlturgegensatz  etwa  zwischen  den  Menschen  der  Schweizer 
Pfahlbauten  oder  denen  der  jüngeren  Skandinavischen  Steinzeit  und  den 
ältesten  Indogernianen:  aber  man  darf  daraus  nicht  schlicssen,  dass 
die  Schweizer  oder  Skandinavische  Bevölkerung  jener  Epochen  keine 
indogermanische  gewesen  sein  könne;  denn  nach  der  hier  vorgetragenen 
Auffassung  können  die  genannten  Stationen  jünger  als  die  älteste 
Stufe  der  idg.  Kulturentwicklung  sein. 

Den  Völkern  irn  südlichen  Europa,  zunächst  den  Griechen,  ist  eine 
eigentliche  Blüte  des  Fischfangs  erst  erwachsen,  nachdem  sie  mit  Meer 


Digitized  by  Google 


Fisch,  Fischfang.  245 

nnd  Schiffahrt  (s.  d.)  inniger  vertraut  geworden  waren.  Der  Fischer 
heisst  nun  (von  Homer  an)  äXieü«;,  d.  i.  ,der  Seemann'.  Phoenizische 
oder  sonst  orientalische  Einflüsse  lassen  sich  dabei,  wenigstens  sprach- 
lich, nicht  nachweisen.  Nur  der  wichtige  Thuntisch  (6üvvo<;),  der  grösstc 
essbare  Seetisch  des  Mittclmeers,  weist  vielleicht  auf  die  semitischen 
Sprachen  (hebr.  tannin  .grosses  Wassertier,  Waltisch,  Haifisch'»  hin 
(vgl.  Lewy  Semit.  Fremdw.  S.  14).  In  allem,  was  sich  auf  das  Meer, 
also  auch  auf  den  Fischfang  bezieht,  hat  dann  Hellas  seinen  vollen 
Kultureinfluss  auf  Italien  ausgeübt.  Die  Fischkost  (lat.  obmnium  aus 
griech.  öiyuüviov»  findet  nun  auch  hier  immer  stärkeren  Eingang.  Weit- 
aus die  meisten  römischen  Fischnaineu  sind  aus  dem  Griechischen  ent- 
weder entlehnt  oder  Ubersetzt  (vgl.  (  ).  Weise  a.  a.  0.  S.  110  ff.).  Als 
eine  ganz  neue  Errungenschaft  der  Kultur  aber  tritt  bei  den  klassischen 
Völkern  die  künstliche  Fischzucht  in  den  dazu  hergerichteten 
Teichen  ■ griech.  A^vn.,*  lat.  piacina,  r/eärium)  auf.  So  berichtet  z.  B. 
Diodorus  Siculus  XIII,  82  von  Agrigeut:  fjv  b£  Kai  Xiuvri  küt'  Ikcivov 
töv  xpövov  ^kto?  Tf|^  TTÖXtujq  xt»PO*oir|Toq,  £xouo"a  Tr|v  rapiutTpov 
öTabiuuv  ^TTTä,  tö  bt  ßdöo?  eiKOCTi  ttiixwv  «i?  *1V  ^TTarou^vwv  übanuv 
£<piXoT€xvn.O"av  nXrjGoq  i  x  9  u  uj  v  tv  aÜTfj  TroirjO"ai  ttcivtoujuv  eiq  Täq 
bn.uoo~ia£  £o"ruko*€i£,  ue8'  d»v  o"uvbi€Tpißov  kükvoi  Kai  töjv  <5XXluv  öpvcuuv 
ttoXu  TtXnOoq.  In  dieser  Richtung  wird  denn  auch  der  Norden  Europas 
auf  dem  Gebiete  der  Fischerei  vornehmlich  Anregung  erfahren  haben, 
wovon  die  Entlehnung  des  ahd.  irhcitri,  altnd.  ichceri  , Weiher,  Fisch- 
teich' aus  lat.  riedrium  Zeugnis  ablegt.  Im  übrigen  sind  die  Spuren 
römischer  Gesittung  im  Norden  auf  diesem  Felde  nicht  allzu  viele,  wie 
nicht  zu  verwundern,  da  nach  den  obigen  Ausführungen  die  Nordvölker 
lange  vor  ihrer  Berührung  mit  Rom  zum  Fischfang  und  Fisch- 
gennss  übergegangen  waren.  Konnte  doch  schon  J'osidonius  (Athen. 
IV,  p.  152)  von  den  Kelten  berichten:  TTpoo"<pepovTai  be  Kai  ix^ö?  °i'Tf- 
Ttapd  xoüq  TTOTauoü?  oiKOuvieq  Kai  Trapä  Tr)v  dvxö«;  Kai  xn;v  iKTÖq  9d- 
Xatfaav,  Kai  toutou?  bi  ötttou?  neO'  dXujv  Kai  ö£ou<;  Kai  kujjivou.  Auf 
germanischem  Boden  macht  sich  die  grössere  Bedeutung  des  Fisch- 
fangs geltend  in  den  schon  urgermanischen  Wörtern  „Angel",  „Netz- 
<s.  o.),  „  Wateu  =  Zugnetz  laltn.  vatir  »Angelleine  ),  „Rogen"  (ahd.  rogan), 
„Laich"  und  in  zahlreichen  gemeinsamen  Fischnamen  wie  -Stör"  (s.  ü.\ 
„Brassen^  (altachwed.  braxn),  „Barsch"  (s.d.),  „Lachs"  (s.  o.),  „Aal" 
(s.d.;  und  auderen.  über  die  Bedeutung  des  Fischfangs  und  des  Fisch- 
genusses im  skandinavischen  Norden  vgl.  Weinbold  Altn.  Leben  S.  68  ff. 
Es  sind  daher  nur  wenige  und  nicht  weit  verbreitete  Lehnwörter  aus  der 
lat.  Sprache,  wenigstens  bei  den  kontinentalen  Germanen,  auf  dem  Ge- 
biete der  Fischerei  nachweisbar,  z.  B.  ahd.  pescen  ,mit  dem  Köder 
fangen'  aus  lat.  pisedre,  mhd.  pfnlsen,  ndl.  pohen  (vgl.  Kluge  in  Pauls 
Grundriss  I  *,  343)  aus  lat.  jmhdre,  ahd.  lempfrida  ,Lamprete'  aus  lat. 
lamprita.    Stärkere  Ausbeute  liefert  das  Angelsächsische  mit  afetne 


Digitized  by  Google 


24f, 


Fisch,  Fischfang  —  Flachs. 


aus  lat.  obxönium,  lopust,  lopestre  , Hummer'  aus  lat.  locttsia,  lopostra 
(Corp.  Gloss.  Lat.  V,  390 ,9),  truht  ,Forelle'  aus  lat.  trücta,  träglian 
,Zugnerz'  aus  trdgula,  drdkgnett  ,Schleppnetz'  aus  trAgum,  cocc  , Muschel' 
aus  cocca  für  concha,  östre  , Auster'  aus  ostrea  (vgl.  F.  Kluge  Grund- 
riss  l*,  333  ff.  i.  Umgekehrt  sind  aber  nach  Eröffnung  der  nördlichen 
FiKchgrttnde  auch  barbarische  Fischnainen  i m  S  U  d  e  n  e i  n gc  w a  n d e r t. 
So  in  sehr  früher  Zeit  das  keltische  exox  ,Lacbs',  später  das  germanische 
(iringus  .Häring'.  Eine  ganze  Reihe  barbarischer  Fischnamen  wie 
nlaum  (ahd.  alosa,  wohl  keltischer  Herkunft),  tinca  (vgl.  ndl.  Unke), 
rtdo,  salmo  (s.  u.  Lachs),  fario  (s.  u.  Forelle)  gebraucht  Ausonius 
in  seiner  Mosella.  Eine  uugcheure  Steigerung  des  Fischgenusses  und 
damit  verbunden  eine  genauere  Unterscheidung  der  einzelnen  Fisch- 
arten in  sachlicher  nnd  sprachlicher  Beziehung  musstc  im  mittelalter- 
lichen Europa  durch  die  Aufnahme  des  Fisches  unter  die  kirchlich 
gestatteten  Fastenspeisen  hervorgerufen  werden. 

Von  einzelnen  Fischarten  sind  behandelt  worden:  Aal,  Barsch, 
Forelle,  Haifisch,  Häring,  Hecht,  Karpfen,  Lachs,  Schleie, 
Stör,  Wels.  S.  auch  n.  Anstcr,  Krebs  (Hümmer^  Walfisch.  — 
S.  u.  Schiff,  Schiffahrt. 

Fischotter.  Der  idg.  Name  des  Tieres  ist  sert.  udrd-,  aw. 
udra-,  griech.  übpo?  GWasserschlange',  ^vubpiq  .Otter*),  ahd.  ottar,  lit. 
üdra,  altsl.  rydra  'idg.  *udro  :  sert.  uddn-,  griech.  übiup  etc.  , Wasser', 
also  ,das  Wassertier').  *  Lat.  lutra  ist  dunkel  trotz  0.  Keller  (Lat. 
Volksctym.  S.  47  ».  der  das  Wort  durch  Anlehnung  an  ein  nicht  vor- 
handenes Hutor  ,Wäscher'  erklärt.    Keltische  Namen  s.  u.  Biber. 

Flachs  (Linum  angustifolium  Huds.,  I Arnim  unitathsimum).  Dass 
die  Indogermanen  Europas  mit  der  Kenntnis  des  Leinbans  und  einer 
primitiven  Liunenindustrie  's.  u.  Flechten,  Spinnen  und  Weben) 
schon  in  vorgeschichtlichen  Zeiten  ausgerüstet  waren,  lässt  sich  sowohl 
durch  sprachliche  wie  geschichtliche  (archäologische)  Thatsacheu  wahr- 
scheinlich machen. 

Der  den  europäischen  Indogermanen  gemeinsame  Name  dea 
Flachses  ist:  griech.  Xivov,  schon  bei  Homer  mit  den  Bedeutungen  von 
jAngelschnur,  Spinnfaden,  Netz,  Bettlaken',  daneben  Xi-T-i,  Xt-r-a  ,linnenc 
Decke',  lat.  linum  ,Lein'  neben  lin-t-eum  ,Leinwand',  ir.  lin,  kymr.  //in, 
korn.,  bret.  litt  ,Lein',  ir.  lin  ,Netz',  daneben  kymr.  lliain,  korn.,  bret. 
lien  , Leinen'  (aus  */*-«-«»-?:  vgl.  Rhys  Revue  celtiqne  VII,  241),  ahd. 
lin,  daneben  gemeingerm.  *hin-j6-:  ahd.  Htm,  altn.  lina,  agls.  line  , Leine', 
lit.  linai,  slav.  llnü  , Flachs'.  Allerdings  hat  es  nicht  an  Gelehrten 
gefehlt,  welche  diese  Sippe  auf  verhältnismässig  später  Entlehnung  be- 
ruhen lassen  wollten  und  das  lat.  Wort  linum  aus  dem  Griechischen 
wo  Xivov  bei  attischen  Komikern  begegnet),  das  kelt.  lin,  germ.  /fw, 
slavo-lit.  linü,  linai  aus  dem  Lateinischen  ableiteten.  Allein  wenn 
auch  diese  Annahme  bei  den  angeführten  Wörtern  als  lantgeachiehtlich. 


Digitized  by  Google 


Flachs. 


•247 


möglich  bezeichnet  werden  muss,  so  hängen  doch  mit  denselben  so  viele 
von  ihnen  nicht  oder  nur  gewaltsam  zu  trennende,  keine  Spur  von  Erbor- 
gong  zeigende  Benennungen  aus  Lein  hergestellter  Gegenstünde  (vgl. 
namentlich  grieeh.  Am  und  lat.  linteum)  zusammen,  dass  die  Anschauung, 
es  hatten  schon  in  vorhistorischer  Zeit  in  den  Sprachen  der  europäischen 
Indogermanen  Ableitungen  von  einer  Wurzel  II  (vgl.  etwa  sert.  li-na-8  in- 
liegend', grieeh.  Xeioq  .glatt  )  bestanden,  welche  den  Flachs  und  primitive 
Gespinnste  und  Gewebe  aus  demselben  bezeichneten,  durchaus  als  die 
wahrscheinlichere  bezeichnet  werden  mnss.  Oder  mit  anderen  Worten: 
die  angeführte  Sprachreihe  ist  wie  jene  ureuropäischen  Ackerbau- 
gleichungen  zu  beurteilen,  von  denen  u.  Ackerbau  gehandelt  worden 
ist.  Dabei  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  einzelne  Glieder  derselben, 
etwa  lit.  l'tnai  und  slav.  llnü,  die  in  ihren  Sprachen  ableitungslos  da- 
stehen, dennoch  erst  später  entlehnt  sind.  Auch  auf  den  einzelnen 
Sprachgebieten  lassen  sich  sehr  alte  Bezeichnungen  derselben  Kultur- 
pflanze nachweisen.  So  gemeingerm.  altn.  hörr  —  ahd.  haro  und  west- 
germ.  abd.  flaha.  agls.  fleax,  das  vielleicht  Beziehungen  zu  altsl.  poslonl, 
poln.  ploskon  ,Hanf'  hat.  So  ferner  gemeinslavisch  altsl.  platino  für 
Leinwand  (vgl.  ir.  dm  loit  find  ,/wei  weisse  Mäntel' V).  —  Wendet  man 
sich  zu  den  archäologisch-historischen  Anhaltspunkten  für  das 
Alter  des  Flachses  in  Europa,  so  wurde  derselbe  in  rohem  wie  in  verar- 
beitetem Zustand  in  den  Schweizer  Pfahldörfern,  in  Mooseedorf,  Wangen 
und  Robenhausen  gefunden,  so  dass  darüber  kein  Zweifel  bestehen 
kann,  dass  die  Pflanze  schon  zu  der  Zeit,  als  im  wesentlichen  nur 
Steinwaffen  in  der  Schweiz  gebraucht  wurden,  bereits  angebaut  und 
verarbeitet  wurde.  Ebenso  ist  er  in  dem  Pfahlbau  des  Laibacher  Moors 
(neolithi8che  Zeit)  und  in  den  Pfahlbauten  der  Pocbeuc  frühe  Bronze- 
zeit) nachgewiesen  worden. 

Hingegen  fehlt  jede  Spur  des  Flachses  in  der  Skandinavischen  Stein- 
zeit, wie  sich  hier  überhaupt  bis  jetzt  die  Künste  des  Spinnens  und 
Webcns  nicht  belegen  lassen.  Doch  wird  man  derartige  Dinge  mit 
grosser  Vorsicht  beurteilen,  wenn  man  bedenkt,  dass  erst  im  Jahre  1894 
unzweifelhaft  nachgewiesene  Getreidekörner  (vgl.  S.  Müller  Nordische 
Altertumskunde  I,  20b  f.)  den  Beweis  erbracht  haben,  dass  im  Norden 
ein  Landbau  ähnlichen  Umfanges  wie  in  der  Schweiz  betrieben 
wurde. 

Dass  im  homerischen  Griechenland  der  Flachs  auch  an  Ort  und 
Stelle  gewonnen,  nicht  etwa,  wie  man  vermutet  hat,  lediglich  aus  dem 
Orient  eingeführt  wurde,  darauf  weist  der  Umstand  hin,  dass  bei  Homer 
die  Parze  (II.  XX,  128)  den  verhängnisvollen  Schicksalsfaden  Xivuj  „mit 
Flachs"  spinnt;  denn  man  hat  mit  Recht  bezweifelt,  dass  es  möglieh 
sei,  bei  einer  so  altertümlichen  Vorstellung  an  „einen  verhältnismässig 
jungen  semitischen  Importartikel11  zu  denken.  Auch  auf  die  Anfertigung 
linnener  Gewandungen  (ÖGövn.)  verstand  man  sich  bereits  damals  vgl. 


Digitized  by  Google 


24h 


Flachs. 


11.  XVIII,  51>6,  Od.  VII,  105  ff.);  denn  dass  an  den  angeführten  Stellen 
nur  solche  gemeint  sein  können,  beweist  die  dabei  erwähnte,  nur  in 
der  Linnenindustrie  übliche  Appretur  mit  Öl  (s.  näheres  u.  Ölbaum). 

Für  Italien  ist  es  beachtenswert,  „dass  sich  in  der  primitiven  Kultur- 
schicht auf  dem  Esquilin  hürnene  Utensilien  gefunden  haben,  welche 
nach  der  übereinstimmenden  Annahme  aller  Palacethnologen  zum  Aus- 
kommen des  Flachses  dienten".  Vgl.  \\\  Heibig  Die  Italiker  in  der 
Pocbenc  8.  07,  wo  ausführlich  die  Frage  erörtert  wird,  in  wie  weit 
der  Flachsbau  oder  die  linnene  Tracht  italischer  Völkerschaften  auf 
Überlieferung  aus  der  Urzeit  oder  auf  überseeischen  Einflüssen  beruhe. 

Aus  Gallien  und  Oermanien  meldet  Plinius  Hist.  nat.  XIX,  8 
eine  eifrig  betriebene  Liunenindustrie,  namentlich  zur  Herstellung  von 
Segeltuch:  Itane  et  GaUiae  cementur  hoc  (Uni)  reditu?  .  .  .  Cadurci, 
Caleti,  Jinteni,  Jiiturigen  ultumique  hominum  existimati  Morini,  immo 
vero  Galliae  unicerme  rela  texunt,  iam  quidem  et  trannrhenani  honten, 
nec  pulchriorem  aliam  vestem  eorum  feminae  novere  ....  in  Ger- 
mania autem  defossae  atque  sah  terra  id  opus  agunt.  In  Überein- 
stimmung hiermit  spricht  auch  Tacitus  Cap.  IT  von  linei  amictm  der 
germanischen  Frauen.  Die  Lex  Salica  nennt  den  Flachsbau  schon  in 
ihren  ältesten  Codices.  Vgl.  Cod.  1-4  (Hessels)  XVII.  8:  Si  quis  de 
can/po  alieno  Uno  furaverit,  et  enm  in  caballo  aut  in  carro  porta- 
verit.  Ein  wichtiges  Produkt  dieser  altgermanischen  Linuenindustrie  ist 
das  am  Leib  anliegende  Hemd,  das  von  germanischem  Boden  in  die 
romanische  und  keltische  Welt  überging  (s.  u.  Hemd).  Nun  haben  ja 
allerdings  wichtige  römische  Kulturentlehnungen  auch  schon  in  vor- 
pliniauischer  und  vortaciteischer  Zeit  seitens  der  Germanen  stattgefunden; 
aber  dieselben  scheinen  doch  mehr  der  Art  gewesen  zu  sein,  wie  sie 
durch  kriegerische  Berührung  oder  auf  dem  Wege  des  Handels  geschehen 
konnten.  Dass  schon  damals  die  kulturhistorischen  Bedingungen  dafür 
gegeben  waren,  dass  Horn  die  Lehrmeistern!  Deutschlands  im  Anbau 
einer  der  wichtigsten  Kulturpflanzen,  wie  dies  später  auf  dem  Gebiete 
des  Obst-  und  Gemüsebaus  der  Fall  war,  werden  konnte,  für  diese 
Anschauung  würde  durchaus  ein  Analogon  fehlen. 

Somit  glauben  wir,  dass  die  Meinung,  nach  welcher  ein  primitiver 
Leinbau  mit  zu  dem  gemeinsamen  Erbe  aller  europäischen  Indogermancn 
aus  ferner  Urzeit  (s.  u.  Ackerbau)  gehört,  eine  wohl  begründete  ist. 
Ob  dabei  die  Vorfahren  der  europäischen  Völker  selbständig  auf  don 
Anbau  des  Flachses  vcrfielcu,  oder  ob  dieser  ihnen  in  Zusammenhängen 
zukam,  die  zuletzt  vielleicht  auf  babylonischen  Boden  (s.  u.)  führen, 
wird  sich  nicht  entscheiden  lassen.  Das  Problem  ist  hier  dasselbe,  wie 
es  uns  bei  andern  Kulturpflanzen,  vor  allem  bei  der  Geschichte  der 
Gerste  und  des  Weizens  'S.  s.  d.  d.),  entgegentritt. 

Die  älteste  in  Europa  angebaute  Art  war  nicht  unser  heutiger  Flachs 
(Linum  UHitatixximum),  sondern  das  wildwachsend  im  ganzen  Mittel- 


Digitized  by  Google 


Flachs  —  Flasche. 


24'J 


meergebict,  von  den  kanarischen  Inseln  bis  nach  Palästina  und  zu  den 
Kankasusländern  einheimische  Linum  angimtlfolium.  Man  nimmt  an, 
dass  Linum  usitatmimum,  das  zuerst  in  altägyptiseben  Gräbern  nach- 
weisbar ist,  aus  diesem  hervorgegangen  sei. 

Wenn  somit  die  Griechen  und  Römer  mit  uralter  Kenntnis  und  Be- 
nutzung des  Flachses  ausgerüstet  in  ihre  historische  Heimat  einzogen, 
so  steht  es  doch  andererseits  nicht  minder  fest,  dass  sie,  und  vor  allem 
die  Bewohner  des  für  Flachsbau  wenig  geeigneten  Hellas,  wie  auf 
anderen  Gebieten,  so  auf  diesem  unter  den  Einiluss  der  semitischen 
Länder  wie  auch  Ägyptens  gerieten,  in  denen  Flachsbau  und  Linnen- 
industrie seit  ältester  Zeit  blühten,  und  welche  Fabrikate  hervorbrachten, 
mit  denen  sich  die  Gewebe  der  Urzeit  nicht  messen  konnten.  Eine 
ganze  Reibe  griechischer  Namen  linnener  GcwehcstotTc  oder  Kleidungs- 
stücke, die  aus  dem  Semitischen  entlehnt  sind,  legt  denn  auch  Zeugnis 
von  dem  Einflusa  des  Orients  auf  den  Occident  in  dieser  Hinsicht  ab. 
So  die  schon  homerischen  xituüv  lat.  c)tuniva)  aus  hebr.  betonet,  arain. 
kittdnäf  syr.  ketänä,  ass.  kitinnn  .Lein,  Linnen',  68övr|  aus  hebr.  eftin 
und  cpdpo«;  (lat.  sup-parus)  aus  ügypt.  päilr  (nach  anderen  auch  aus  dem 
»Semitischen aus  späterer  Zeit  ßuooo^  aus  hebr.  bü*  und  <pujo*o"ujv  ,grobc 
Leinwand'  aus  köpf,  qnuic  (hierogl.  pg,  pk)  u.  a.  Ein  Zusammenhang 
aber  zwischen  Ägypten  und  den  semitischen  Ländern  auf  diesem  Gebiete 
ergiebt  sich  aus  den  beiden  gemeinsamen  Benennungen  des  Flachses 
(ägypt.  pe.st,  hebr.  peset,  pun.  <poio*T  in  iepa-cpoiOT  Diosk.i  und  der 
Leinwand  (ägypt.  sx,  stn  sx  , königliches  xes'f  hebr.  ses).  Da  Linum 
angustifoliuni  in  Ägypten  nicht  gefunden  wird,  sondern  gleich  das  nach 
dem  obigen  aus  diesem  hervorgegangene  L.  usitatissiitium,  wird  es  nahe 
liegen,  Ägypten  hieibei  als  den  empfangenden  Teil  zu  betrachten. 

Zu  erwähnen  bleibt  noch,  dass  wie  im  Orient,  so  auch  in  Europa 
Leinsaat  gelegentlich  als  Speise  gedient  hat.  Die  älteste  Erwähnung 
davon  findet  sich  bei  Alkman  (VII.  Jahrh  );  doch  sind  schon  im  Pfahl- 
bau von  Robenhausen  mit  Leinsamen  imprägnierte  Brote  gefunden 
worden. 

S.  auch  u.  Hanf,  Gewebestoffe,  Panzer,  Segel,  Papier,  Geld. 
—  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen*5  S.  IGOff.,  G.  Buschan  Vorgeschichtliche 
Botanik  S.  234  ff. 

Flagge,  s.  Fahne. 

Flasche.  Flaschenartige  Gefässe  ans  Thon,  Holz,  auch  Glas 
waren  schon  im  Altertum  bekannt.  Ihre  eigentliche  Bedeutung  aber 
haben  sie  erst  erlangt,  nachdem  man  angefangen  hatte,  Wein,  Bier  und 
andere  Getränke  in  sie  abzuziehen  und  sie  dann  mit  Kork  (s.  d.)  zu 
verspunden.  Nach  Beckmann  Bey  träge  II,  4Hi>  ist  diese  Sitte  aber  nicht 
vor  dem  XV.  Jahrhundert  in  Europa  durchgedrungen. 

In  der  Terminologie  der  Flasche  herrschen  wie  bei  anderen  Gcfass- 
.arten  weitverzweigte  Enllehnungsrcihen.  So  gricch.  \ätuvo<;.  lat.  logoe- 


Digitized  by  Google 


250  Klasche  —  Fleisch. 

na,  lagellum,  laguucula,  ahd.  lägella,  altsl.  lagtica,  lagunü  und  ralat. 
flasco  (aus  vasculum'?),  it.  fiattco  etc.,  ahd.  fiasca  (und  in  allen  ger- 
manischen Sprachen),  altsl.  ploxkra  (etc.),  alb.  plotxkf.  Das  Übliche 
Wort  für  .Flasche'  in  den  romanischen  Sprachen  ist  jedoch  frz.  bouteiUe, 
u.  s.  w.  (:frz.         .Weinfass).  —  S.  u.  Fass  und  n.  Gefässe. 

Flechten.  Eine  idg.  Bezeichnung  dieser  Kunst  liegt  in  der  Reihe: 
griech.  ttX^kuj,  lat.  pleeto.  ahd.  flihtu,  altsl.  pletq,  plesti\  vgl.  sert. 
prarna-  .Geflecht,  Korb'.  —  S.  n.  Spinnen  nnd  u.  Weben. 

Flechtwerk,  s.  Dach,  Mauer,  Thür,  Haus. 

Fledermaus.  Ihre  etymologisch  nicht  zusammenhängenden  Namen 
sind  mehrfach  von  Wörtern  für  Abend  oder  Nacht  hergenommen.  So 
lat.  vexper  tüio,  griech.  vuirrcpu;,  altsl.  netopyrl  neben  nopotyrl  (*neto- 
:  *nokt-  ,Nacht'  nach  Miklosich  Et.  W.),  agls.  cwyld-hrepe  ,die  Abend- 
schnelle'.  Andere  Sprachen  legen  in  ihre  Benennungen  den  Begriff 
,Maus'  oder  ,Rattc'.  So  ahd.  flSdarmus  (fledaremustro)  ,Flattcrmaus', 
das  im  Ahd.  und  Mhd.  auch  Nachtfalter',  .papilio',  , Motte'  und  noch 
jetzt  z.  B.  in  der  Pfalz  nur  .Schmetterling'  (vgl.  auch  polab.  netiipdr 
^Schmetterling')  bedeutet.  Entsprechend:  agls.  hreape-,  hre'remüs,  engl, 
dial.  reremouse,  russ.  letutsaja  mytsi,  poln.  latomyxz,  frz.  chautesouris 
,kahle  Maus',  prov.  rata-pennada  .fliegende  Ratte'.  Eine  dritte  Namcns- 
quelle  ist  die  leder-  oder  speckartige  Flugbaut  des  Tieres.  Vgl.  west- 
phäl.  leterxpecht  .Lcderspccht',  lit.  szikxznöxparnis  ,Lederflügler',  pfülz. 
speckmaus,  mcngl.  backe  (engl,  bat ?) :  engl,  bacon  ,Speck*  u.  a.  Weiteres 
vgl.  bei  v.  Edlinger  Tiernamen  Landshut  1886  (reichhaltig,  doch  mit 
Vorsicht  zu  benutzen)  nnd  H.  Palandcr  Die  ahd.  Tiernainen  1899  S.  22. 

Flegel,  s.  Dreschen,  Dreschflegel. 

Fleisch.  Hierfür  bestehen  zwei  idg.  Gleichungen:  einmal  sert. 
kravf*-  =  griech.  xpea^,  wie  die  Verwandtschaft  mit  lat.  cruor,  altsl. 
kräv't,  ir.  erü  ,Blut',  ahd.  rö  ,roh*  zeigt,  ursprünglich  das  rohe  Fleisch, 
das  andere  Mal  sert.  mariisä-,  armen,  min,  altpr.  memo,  lit.  miesd, 
altsl.  meso,  alb.  mit,  got.  mimz,  vermutlich  das  zubereitete  Fleisch 
bezeichnend.  Lat.  caro,  carni*  gehört  zn  ir.  cama  .Fleisch',  und  wird 
ursprünglich,  wie  die  Bedeutungsentwicklung  in  den  übrigen  italischen 
Sprachen  (umbr.  karu,  osk.  carneis  ,pars,  partis')  zeigt,  den  Fleisch- 
anteil des  einzelnen  bei  den  gemeinsamen  Mahlzeiten  gemeint  haben. 
Die  germanische  Sippe  von  ahd.  fleisc  bezeichnete  von  Haus  aus  speziell 
das  Schweinefleisch  (altn.  flexc).  Daneben  altn.  kjöt  »Fleisch'.  Vgl. 
noch  thrak.  t^vra  ja  »epea  (Lagarde  Ges.  Abb.  S.  279). 

Von  dem  Genuss  des  rohen  (sert.  dmd-,  armen,  htm,  griech.  wuoq,  ir. 
6m)  Fleisches  wird  auf  idg.  Boden  selten  berichtet.  So  erzählt  Pomp. 
Mela  III,  3,  28  von  den  Germanen:  Vicht  ita  a*peri  incultique,  ut 
cruda  etiam  carne  tescantur  aut  recenti  aut  cum  rigentem  in  ipsis 
peeudum  ferarumque  enrii»,  manibus  pedibusque  subigendo  renova- 
verinit,  und  auch  nach  der  Helgakviöa  Hundingsbana  II,  7,  8  hat  Helgi 


Digitized  by  Google 


Fleisch  —  Flnh. 


mit  seinen  Helden  am  Strande  rohes  Fleisch  genossen.  Doch  wird  im 
ersten  Wikingergesetz  diese  Speise  ausdrücklich  verboten :  „Viele  Menschen 
hegen  die  Sitte,  rohes  Fleisch  in  ihre  Kleider  zu  wickeln  und  so  zu 
sieden,  wie  sie  es  heissen:  aber  das  ist  mehr  eine  Wolfs-  als  eine 
Menschensitte14  (vgl.  Weinhold  Altn.  Leben  S.  148).  Bei  den  Indern 
werden  nur  Dämonen  und  Zanberer  als  kravyd'd  ,rohes  Fleisch  essend' 
bezeichnet. 

Die  älteste  und  beliebteste  Art,  das  Fleisch  herzurichten,  wird  das 
Braten  am  Spiesse  Uber  dem  offenen  Feuer  gewesen  sein.  So  ist  es 
zur  Zeit  des  Rigvcda  (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  271),  und  nur  diese 
Art  der  Fleischbcreitnng  kennen  die  homerischen  Gedichte.  Auch  Varro 
De  lingua  lat.  V,  31,  (28)  bemerkt:  Hanc  (carnem)  primo  assam  („ge- 
braten am  Feuer14),  secundo  elixam  („gesotten"),  tertio  e  iure  uti  coe- 
pisse  natura  docet,  und  auch  bei  dem  von  Posidonius  (Athen.  IV,  p.  151) 
geschilderten  keltischen  Oastinahl  wird  das  Fleisch  genossen :  outci  in' 
dvepctKiJuv  f|  ößeXiOKuuv;  doch  wird  daneben,  wie  übrigens  auch  im  Rigveda, 
gekochtes  Fleisch  (*pla  ttoXXü      übern)  genannt. 

Als  eine  Delikatesse  wird  anch  das  Mark  'sert.  majjan-  —  aw. 
mazga-,  altsl.  mozgü,  altpr.  mmgeno,  ahd.  marg;  ausweichend:  griech. 
uucXöq,  lat.  medullo)  der  Knochen  'sert.  aathi-,  asthän-  —  aw.  axt-, 
asti-,  asta-,  griech.  öcrrcov,  lat.  om,  alb.  ast)  gegolten  haben.  Es  wird 
noch  bei  Homer  (11.  XXII,  501)  als  besonders  nahrhafte  Kinderspeise 
genannt,  und  ist  von  jeher  bei  allen  fleischessenden  Völkern  beliebt 
gewesen.  So  bemerkt  Rütimeyer  von  den  Schweizer  Pfahlbaucrn  in 
Kellers  III  Pfahlbautenbericht  S.  VII  Anm.  1):  „Ein  durchgehendes  Merk- 
mal des  Küchcmnoders  ist,  dass  alle  Knochen,  die  Mark  oder  essbaren 
Inhalt  haben,  geizig  bis  auf  diesen  ärmlichen  Inhalt  ausgebeutet  sind.u 

Der  idg.  Name  der  Fleischbrühe  liegt  in  der  Gleichung  sert.  gtis-, 
yüshdn-,  lat.  Jw«,  altsl.  jitcha  (woraus  \\t.  jüxze,  jukä  ,schlechte  Suppe'). 
Nach  dem  obigen  ist  vielleicht  damit  weniger  eigentliche  Bouillon  als 
vielmehr  der  aus  dem  am  Feuer  gebratenen  Fleisch  ausbrodelnde  Saft 
gemeint  gewesen.  —  S.  u.  Kochkunst  und  n.  Nahrung. 
Flieder,  s.  Holunder. 

Flora  der  Urzeit,  s.  Urheimat  der  Indogermanen. 

Fliege.  Urverwandt:  griech.  muio  (*mu*ia)  =  lit.  mttse,  altpr. 
muao,  altsl.  miiiica',  dazu  lat.  mus-ca.  Man  denkt  an  eine  Wurzel  mu 
,summen',  vor  der  man  auch  das  germ.  *muci-  ('altn.  mg,  ahd.  mucca, 
agls.  mydg,  engl,  midge)  und  das  alb.  mi-ze  ableitet.  Andere  sehen 
in  *mu«-ia  eine  Verkleinerung  des  idg.  Wortes  für  ,Maus\  „weil  die 
Fliegen  wie  die  Mäuse  von  den  Lebensmitteln  stehlen14  (H.  Pedersen 
I.  F.  V,  34).  Ferner  vergleicht  sich  lat.  culex  und  ir.  cuil,  kymr. 
cylion,  korn.  kelionen.  —  Griech.  kuivuü^  ,Mttckc'  (:  küüvo?  ?spitzer 
Zapfen'?),  ahd.  ftioga  etc.  von  fliegen. 

Floh,  s.  Ungeziefer. 


Digitized  by  Google 


Flüte  -  Forelle. 


Flöte,  s.  Musikalische  Instrumente. 
Fluch,  s.  Eid. 

Fluss.  Mehrere  Gleichungen  hierfür  leiten  mich  von  der  Wurzel 
sreii<sru  (sert.  xru,  grieeh.  pe'w  ,flicsse)  ab.  So  seit,  -srava  in  yiri- 
sratd  ,Bergstrom',  grieeh.  pon.  <*sroiä),  lit.  griotee  (vgl.  auch  altsl. 
ostrovü  .Insel),  so  grieeh.  pcüua,  ir.  sruaim,  ahd.  stroum,  so  sert.  srotaa-, 
altp.  raittah-,  npers.  ivirf  (vgl.  auch  ir.  «rw/A  , Fluss'  und  armen,  r/rte 
.Kanal  aus  *sruti:s  wie  npers.  Joi,  jö  , Kanal'  :  altp.  yaucayä-,  sert. 
yavya  ,in  Strömen' *.  Andere  Entsprechungen  sind:  sert.  aw.  r/p-, 
altpr.  lit.  M/>e;  lat.  r/y?<r/.  got.  ahica,  ahd.  ommy/  (/n  der  Bedeutung 
, Insel'  vgl.  oben  altsl.  onfron't)  :  sert.  timbu-  , Wasser',  gall.  nw6e  ,rivo', 
inter  nm/>e.<f  ,inter  rivos':  ir.  «bann,  aub  , Fluss'  (über  die  wird  west- 
deutschen Orts-  und  Flussnamen  auf  -apa,  -nfa,  -äff«  vgl.  Möllenhoff 
D.  A.-K.  11,  ff.\  lat.  <i/n»j*  \*abni-).  In  den  meisten  dieser  Reihen 
wechselt  die  allgemeine  Bedeutung  .Wasser'  mit  der  von  .Fluss'. 

Uralte  Bezeichnungen  hierfür  stecken  zweifellos  auch  in  einer  grossen 
Zahl  von  Kigennamen  asiatischer  wie  europäischer  Flüsse.  So  gehört 
der  makedonische  XTpüuuuv  und  vielleicht  der  alte  Xanie  des  Tiber, 
Jithiiö.  zu  dem  oben  angeführten  idg.  *xreu-men  .Strom".  Lateinisch- 
keltisch Dihmrius,  ahd.  Tuonouua,  slav.  Dunavü  verbinden  sieh  mit 
aw.  (länu-  , Fluss',  osset.  don  , Wasser'.  Auch  der  Name  des  grössten 
Stromes  Ost-Kuropas,  der  Wolga,  welcher  bei  Ptolemacus  'Pä  d.  h. 
'PaFa  =  mordv.  J'aira,  Hau  lautet  ("Oapo?  bei  llerodot  kann  hieraus 
verhört  worden  sein,  vgl.  Möllenhoff  L).  A.-K.  II,  70),  wird  von  einein 
idg.  Stamme  herrühren,  der  den  Fluss  *srovd  (s.  o.j  nannte,  eine 
Wertform,  die  in  finnischem  Munde  lautgesetzlich  zu  Jiatca  weiden 
musstc.  Diese  Erklärung  wird  um  so  wahrscheinlicher,  wenn  man  be- 
denkt, dass  auch  die  Türken  denselben  Strom  „grosser  Flnssu  (adel, 
ideh  nennen.  Eine  systematische  Erforschung  der  altcuropäisehen 
Fluss-  und  Oebirgsnamen  würde  wichtige  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Wohnsitze  und  Wanderungen  der  Indogermancn  in  unserem  Erdteil 
liefern.  —  Über  Flnsskultus  s.  u.  Religion.    S.  auch  u.  Urheimat. 

Flusspferd.  Die  innoi  o'i  noTriuioi,  später  InrTTOTTÖTauoi  werden 
zuerst  von  llerodot  (II,  71)  beschrieben.  Das  Tier  selbst  wurde  in 
Europa  erst  in  Rom  gelegentlich  der  Spiele  'so  z.  B.  im  Jahre  58  v. 
Chr.)  gesehen.  Ausführlich  berichtet  Uber  das  ägyptische  Niclpferd. 
A.  Wiedcmann  Zweites  Buch  des  Hcrodot  S.  vJOOff.  —  S.  auch  u. 
Eidechse  (Krokodil). 

Fohlen,  s.  Pferd. 

Föhre,  s.  Fichte. 

Forelle.  Der  Fisch  wird  von  den  Alten  erst  sehr  spät  genannt, 
und  zwar  als  salar  in  der  Mosclla  des  Ausonius: 

purpureisque  salar  stellatus  tergora  guttis. 
über  die  Herkunft  des  Wortes  lässt  sieh  nur  sagen,  dass  es  offenbar 


Digitized  by  Google 


Forelle  -  Frau. 


253 


mit  dem  von  Plinins  IX,  (58  genannten,  in  Aquitanien  bevorzugten 
sal  mo  (s.  u.  Lachs)  und  dem  ebendaselbst  erwähnten,  in  Ebusus  auf 
den  spanischen  Pithyusen  geschätzten  sal-pa  zusammenhängt  und  iberisch- 
gallischen  Ursprungs  sein  wird. 

Bei  demselben  Ausonius  begegnet  für  eine  Art  Lnchsforclle  der  Aus- 
druck fario,  den  K.  Much  Z.  f.  deutsches  A.  XL1I,  106  aus  dem  Deutschen 
(vgl.  ahd.  faro  , Farbe',  ,der  farbige'  s.  n.)  herleiten  möchte.  Später 
nennt  Isidor,  llisp.  Orig.  XII,  0  den  Fisch  trutta  oder  trueta  :  tarii 
a  rarietate,  auas  rulga  truetas  (al.  f  ruf  tax)  racant.  Das  Wort,  das 
im  Romanischen  Wurzel  geschlagen  hat  it.  trata,  frz.  frühe),  scheint 
aus  dem  Griechischen  entlehnt  zu  sein,  wo  rpuuKTTiq  ursprünglich  zwar 
einen  Seetisch,  im  Mittelalter  aber  die  Forelle  bezeichnet  (aus  Tpunans 
:  alb.  traft*  , Forelle'  neben  korän).  Den  irischen  und  westgerm. 
Ausdruck  ir.  eure  aus  *(  p)erko-  und  ahd.  forhana  (agls.  trüht,  engl. 
traut  aus  trueta,  vgl.  auch  korn.  trud)  deutet  man  als  den  ge- 
sprenkelten' Fisch  :  griech.  TitpKVÖ«;  ,hunt'  'vgl.  auch  griech.  TT€pKn, 
, Barsch'  und  oben  varii  bei  Isidor),  wie  auch  slavischc  und  weitere 
keltische  Namen  des  Fisches  z.  B.  russ.  pestruska  .Forelle'  von  peatryj 
,bunt',  russ.  rjabü,  rjabecü  von  *rembü  ,bunt',  kymr.  brithyll,  korn. 
breithil,  bret.  brezell  von  *mrkta-  ,bunt*  (altkymr.  brith)  abgeleitet 
werden.  Lit.  margöji  laszhzdite  ,bunter  Lachs'.  Altn.  aurridi,  dän. 
örred  (vgl.  Müllenhoff  D.  A.-K.  I,  34).  -  S.  u.  Fisch,  Fischfang. 

Frau.  Der  idg.  Xamc  für  das  Weib  als  Geschlechtswcsen,  zu- 
gleich aber  auch  für  dasselbe  als  Frau  des  Mannes,  als  Ehefrau,  griech. 
Yuvn  und  seine  Sippe,  ist  u.  E  h  e  mitgeteilt  worden,  wo  auch  über 
sert.  pdtni  —  griech.  ttötviö  eigentlich  .Herrin',  der  idg.  Benennung 
wahrscheinlich  der  ersten  oder  Lieblingsfrau  des  Mannes,  gesprochen 
worden  ist.  Eine  dritte  idg.  Gleichung  liegt  vielleicht  in  seit,  priyä' 
.Gattin"  —  alts.  fri,  agls.  frea  ,\Veib'  vor,  deren  Grundbedeutung  als- 
dann die  .liebe'  wäre.  Aus  den  Einzelsprachcn  sei  für  den  Begriff 
eines  weiblichen  Wesens  noch  folgendes  genanut.  Arisch  :  seit,  stri' 
=  aw.  tttri-  'dunkel1,  sert.  nd'ri  =  aw.  ndirikd-  ':  mir-  ,Mann\  also 
.Maninil'  .  Lateinisch:  /V-mhi/i  .die  säugende'  :  griech.  OrjcraaBai, 
6n,o*cmtvr|  (als  Trägerin  des  weiblichen  Geschlechts  gegenüber  mulier 
als  Trägerin  des  weiblichen  Charakters,  nach  Delbrück  Vcrwandtsehafts- 
namen).  Germanisch:  ahd.  »dp,  agls.  tri/':  ahd.  iti*  ,niatrona',  alts. 
idh',  agls.  ide*  ,feinina  cuiusvis  Status  et  aetatis'  'beide  dunkel):  altfries. 
fümne  »Mädchen,  Magd,  verheiratete  Frau',  agls.  fa?'mne  .Jungfrau., 
junge  Frau',  alts.  fernen  (von  einer  schwangeren  Frau  gesagt),  altn. 
feima  , Mädchen',  fehnenn  ,schaiuhaft".  .1.  Schmidt  Sonantenth.  S.  105 
stellt  diese  Wörter  zu  aw.  paeman-  .Milch  der  Weiber',  npers.  pinö, 
.saure  Milch'  und  bemerkt  dazu:  „Auf  der  niedrigsten  Entwicklungsstufe 
schätzt  der  Mensch  am  Weibe  nur  die  Geschleehtsfunktionen  und  benennt 
es  danach.    Höhere  Gesittung  erkennt  aber  die  Blüte  des  Weibes 


Digitized  by  Google 


Frau  —  Freier. 


gerade  in  dein  Zustande  der  Unbertthrtlieit  und  deutet  den  alten  ur- 
sprünglich rein  sexuellen,  durch  Isolierung  aber  unverständlich  gewor- 
denen Namen  in  diesem  Sinne  um.  So  ist  das  germanische  Wort  [zu  dem 
J.  Schmidt  übrigens  auch  griceh.  bfo-Troiva  aus  *b€0*-rcoiuvia  «teilt], 
welches  ursprünglich  die  Milch  habende  bedeutete,  zunächst  zu  allge- 
meiner Bezeichnung  des  Weibes,  dann  zur  Bezeichnung  des  Weibes  in 
seiner  Blüte  als  Jungfrau  geworden".  Auch  altsl.  dem  Jungfrau' 
(devistco  Jungfräulichkeit';  habe  ursprünglich  ,die  säugende'  (vgl.  oben 
lat.  fe-mina  und  griech.  8n.-\uq),  bezeichnet.  Über  ahd.  fromm  etc.  s.  u. 
Ehe.  Litauisch:  möte  ,Frau'  s.  u.  Mutter,  imonü  :  imü  , Mensch' 
(,Mcii8chin).  Alle  diese  Wörter,  mit  Ausnahme  etwa  von  lat.  femina 
und  lit.  zmonä  können  regelmässig  oder  doch  gelegentlich  und  in  be- 
sonderer Anwendung  (lat.  mulieres  .Stand  der  Ehefrauen')  auch  für  Ehe- 
frau gebraucht  werden  (vgl.  Delbrück  a.  a.  0.  S.  408  —  440). 

Zur  Hervorhebung  dieses  letzteren  Begriffes,  wenn  man  die  legitima 
uxor  im  Gegensatz  zu  Nebenweibern  und  Kebsen  (s.  u.  Beischläferin) 
stellen  will,  bedienen  sich  die  Einzelspraehen  verschiedener  Mittel,  von 
denen  hier  besonders  auf  die  griechischen  hingewiesen  sei.  Im  Epos 
kann  man  das  blosse  äXoxo?  , Bettgenossin'  (so  auch  agls.  gebedda)  zur 
Bezeichnung  der  Ehrenstellung  des  Weibes  gebrauchen  (vgl.  Delbrück 
a.a.O.  S.  421).  Gewöhnlich  bedient  man  sich  aber  einer  Hinzufügung 
wie  uvn.o*Tn,  ,die  regelmässig  gefreite'  (vgl.  agls.  bexceddod  icif)  oder 
Koupibir)  lanch  von  Männern:  xoupibio;  ttöo*i^).  Der  letztere  Ausdruck 
ist  noch  nicht  sicher  gedeutet  (vgl.  die  Zusammenstellung  der  Erklärungen 
in  Seilers  Ilomcrlexikon).  Wahrscheinlich  ist  aber  von  icoGpo£,  Koiipn. 
in  den  Bedeutungen  ,frcier  Jüngling',  , freie  Jungfrau'  auszugehen, 
so  dass  sich  eiue  Parallele  zu  dem  agls.  fHo-lic  wif  ,frcigcborcnc  , 
d.  h.  rechtmässige  Gattin  (vgl.  F.  Roeder  Familie  bei  den  Angelsachsen 
Stud.  z.  engl.  Phil.  IV,  72)  ergäbe.  Ebenso  ist  agls.  riht  cedel-ctcbi 
Jegitinie  (d.  h.  einem  Geschlecht  augehörige  -  Gattin'  aufzufassen  is.  auch 
u.  Ehelich  und  Unehelich.'.  Auf  einer  anderen  Anschauung  beruht 
das  bei  den  Tragikern  (Oed.  R.  v.  930)  bezeugte  TtavieXriS  böuiap, 
eigentlich  eine  Frau,  bei  deren  IleimfUhrung  alle  Ceremonien  erfüllt 
worden  sind. 

Bezeichnungen  für  den  Begriff  der  Jungfrau  s.  noch  u.  Kind  und 
Keuschheit,  für  den  der  Braut  n.  Heirat.  Über  die  Stellung  des 
Weibes  in  der  ältesten  Zeit  s.  u.  Familie,  über  Frauen  als  Ärzte  u. 
Arzt,  als  Seherinnen  u.  Orakel. 

Frauenkauf,  s.  Brautkauf. 

Frauenraub,  s.  Raubehe. 

Frauenschniuck,  s.  Eigentum  und  Schmuck. 

Frauentracht,  s.  Kleidung. 

Frei,  s.  Stände. 

Freier,  s.  Heirat. 


Digitized  by  Google 


Freiheitsstrafe  -  Freund  und  Feind. 


255 


Freiheitsstrafe,  s.  Strafe. 
Freitag,  s.  Woche.  Wochentage. 
Fremd,  Fremde,  s.  Freund  und  Feind. 
Frettchen,  s.  Wiesel. 
Freudenmädchen,  g.  Beischläferin. 

Freund  und  Feind.  Für  den  ersteren  Begriff  finden  sich  weit 
verbreitet  Ableitungen  von  der  Wurzel  sert.  pri  »erfreuen' :  sert.  priyd- 
,lieb,  Freund',  got.  frijönds,  ahd.  friunt  (got.  frijön  »lieben),  altsl. 
prijateü  , Freund'  u.  a.  Eine  ähnliche  Participialbildung  wie  das  ger- 
manische Wort  ist  ir.  cara,  Gen.  curat  .Freund'  von  caraim  ,ich  liebe' 
:  lat.  cäriiH.  Überaus  häufig  werden  ferner  dieselben  Stamme,  welche 
den  Freund  bezeichnen,  zugleich  für  diejenigen  gebraucht,  welche 
einem  engeren  oder  weiteren  Verwandtschaftsverband  (Familie, 
Sippe,  Stamm)  angehören,  und  umgekehrt,  da  in  der  ältesten  Zeit  nur 
derjenige  als  Freund  betrachtet  wird,  welcher  mit  dem  Sprechenden 
yu  einer  derartigen  Gemeinschaft  gehört.  Hierher  stellen  sieh  ahd. 
teini  , Freund'  :  ir.  fine  ,Grossfamilie',  coibnes  »Verwandtschaft'  etc. 
(näheres  s.  u.  F  a  m  i  1  i  c),  hierher  griech.  <pi\o<;,  wenn  es  in  den 
Studien  auf  dein  Gebiete  des  Griechischen  und  der  arischen  Sprachen 
von  J.  u.  Tb.  Haunack  I,  25  mit  Recht  aus  *oq>  1X0-5  gedeutet  und 
von  idg.  Hebhä  .Sippe'  (s.  d.)  abgeleitet  wird,  hierher  lat.  eich  ,Mit- 
bürger"  (oft  so  viel  wie  , Freund  )  :  germ.  *hica-  (got.  heiwafrauja 
jllnusherr")  , Hausgemeinschaft',  eigentl.  ,das  liebe'  =  sert.  ricä-  »freund- 
lich'), hierher  vielleicht  auch  altsl.  drugü  .Freund',  lit.  draugas  , Ge- 
nosse :  got.  driugan  .Kriegsdienste  thun",  altgall.  drungos  (vgl.  Stokes 
Urkeltischer  Sprachschatz  S.  157)  »Truppe',  d.  h.  nach  idg.  und  gerade 
bei  den  Kelten  fortlebender  Anschauung  (s.  u.  Sippe  und  u.  Heer)  die 
auf  v  c  r  w a  n d  t  s  c  h  a  f  1 1  i  c h  c  r  Gliederung  beruhende  A bteilung  des  Heeres. 
Vielleicht  gehört  auch  das  bis  jetzt  nicht  befriedigend  gedeutete  lat. 
amicus  in  diesen  Zusammenhang.  Ks  fügt  sich  ohne  weiteres  zu  einem 
aus  sert.  nma  .heimwärts ,  amit't  ,von  Hause',  anul'tya-  , Hausgenosse' 
erschliessbaren  idg.  *«md  .Haus',  *amo~  .zum  Hause  gehörig",  von 
welchem  lat.  nmicus  (vgl.  lat.  umbil/cus  :  griech.  dutpaXöq)  abgeleitet 
wäre  {amäre  »Jemanden  als  zum  Hause  gehörig  betrachten,  lieben'; 
anders  Uhlenbeck  Et.  Wr.  d.  altind.  Spr.  s.  v.  dmasi.  Auch  unser 
„Freundschaft"  und  das  slavischc  prijateli  wird  vielfach  im  Sinne  von 
Verwandtschaft'  und  »Verwandter'  gebraucht. 

Wenn  demnach  in  der  ältesten  Zeit  Freundschaft  und  Blutsverwandt- 
schaft identische  Begriffe  sind,  so  versteht  man,  warum,  wenn  später 
nicht  verwandte  Männer  Freundschaft  zu  schlicssen  sich  anschickten, 
dies  unter  dem  Symbol  des  in  einander  rinnenden  Blutes  der 
beiden  zukünftigen  Freunde  geschah.  Dies  ist  bei  der  Ceremonie  der  alt- 
germanischen Blutsverbrüderung  der  Fall,  auf  die  in  einem  Brnnhildc- 
lied  der  Edda  (Vigfusson  Corpus  Poet.  Bor.  I,  308 .1  angespielt  wird: 


Digitized  by  Google 


25G 


Freuint  und  1'eind  —  Krii-dliof. 


J'finiemberest  thon  that.  clearly,  Gunnar'i  hau:  ye  tiraiu  {Sigurd  and 
thy.self)  did  Jet  your  blood  run  together  in  the  footprint  (mcearing 
hrotherhood),  und  die  auch  Saxo  Lib.  I  p.  40  (Vllaj  im  Hinblick  auf 
Vertragsabschlüsse  beschreibt:  Siqtiidem  ictttri  foedn*  eeteres  vestigia 
mm  mtttiti  sanguinis  anpersione  perfundere  con/tuecerant,  amicitiarum 
pignuH  aJterni  vruorh  commercio  firmaturi.  Das  eigentliche  und 
charakteristische  Wort  für  eine  so  beschworene  Blutsfrenndschaft 
scheint  ahn.  eidsibja  .Vcrsippung  durch  Eid'  gewesen  zu  sein  (Vig- 
fusson  I,  424  .  Auch  Walthari  und  Hagen  hatten  ein  solches  cruen- 
titHt  pactum  geschlossen  (vgl.  Kogel  Gesch.  d.  d.  Lit.  I,  2,  298). 

Den  Gegensatz  zu  dem  Freund,  d.  h.  dem  Verwandten  oder  Ein- 
heimischen bildet  die  u.  Gastfreundschaft  näher  besprochene  idg. 
Reihe  von  lat.  hostis,  got.  gast*,  altsl.  gosti,  eigentl.  .der  Fremde',  im 
Lateinischen  auch  der  feindliche  Fremde :  ,der  Kriegsfeind'.  Eine  keltisch- 
germanische  Gleichung  für  den  Begriff  des  Feindes  ist  ir.  oech  —  ahd. 
gif  eh,  agls.  gefda,  engl,  foe  \*pniko-.  vgl.  lit.  piltati  .böse).  Einzel- 
sprachliches, soweit  es  nicht  ohne  weiteres  klar  ist, :  got.  ftjands,  ahd. 
pant  :*scrt.  phy  ,sehmähen.  höhnen',  .der  höhnende',  ir.  ndme,  näma, 
nach  Stokes  a.  a.  O.  S.  192  .der  nehmende'  :  got.  nintanf?),  griech. 
bn.io<;  feindlich'  :  baiw  ,vcrbrenne',  .der  verheerende'.  —  S.  auch  u. 
Stande  und  vgl.  über  die  Begriffe  Fremd  und  Einheimisch  Vf.  Handels- 
geschichte und  Warenkunde  I,  Off. 
Friede,  s.  Krieg. 

Friedhof.  U.  Bestattung  ist  vor  allein  über  das  historische 
Verhältnis  des  Begraben»  und  des  Verbrennen»  der  Toten  auf  idg. 
Boden  gehandelt  worden.  Hier  soll  über  den  Ort  gesprochen  werden, 
an  dem  die  Leichen  oder  ihre  verbrannten  Überreste  in  den  ältesten 
Zeiten  beigesetzt  wurden. 

Bei  Griechen  wie  Hörnern  giebt  es  vereinzelte  und  beinahe  märchen- 
haft klingende  Nachrichten,  nach  denen  in  grauer  Vorzeit  die  Toten 
im  Innern  des  Hauses,  in  der  Gegend  der  uralten  Kullusstätte  des 
Herdes  begraben  worden  seien  :  vgl.  E.  Rolide  Psyche  I -.  228 1,  und  in 
der  älteren  Steinzeit  des  westlichen  Europas,  vor  allem  in  Portugal, 
will  man  Anzeichen  gefunden  haben,  die  auf  dieselbe  Gewohnheit  hin- 
wiesen (vgl.  8.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  2.T). 

Deutlicher  sind  die  Überlieferungen,  welche  auf  die  aus  dem  engen 
Zusammenleben  der  Familien  und  Sippen  bei  den  idg.  Völkern  sieh 
ohne  weiteres  ergebende  Sitte  hinweisen,  die  gemeinsamen  Toten  der 
bald  engeren,  bald  weiteren  Verwandtschaften  auch  gemeinsam  zu  be- 
statten. Im  alten  Rom  hatte  jede  gen*,  d.  b.  Sippe  s.  d.)  ihren  ge- 
meinsamen Begräbnisplatz  Uepulcnun >.  und  wenn  eine  Familie  ans  der- 
selben ausschied,  machte  sieh  die  Errichtung  einer  neuen  Begräbnisstätte 
notwendig  vgl.  Marquardt  Privatleben  S.  ;>fvV).  In  Attika  lässt  sich 
die  Grabgemeinschaft  der  Mitglieder  eines  -re'voq  s.  u.  Sippe.i  zwar 


Digitized  by  Google 


Friedhof. 


257 


nicht  mehr  nachweisen;  aber  Gruppen  verwandtschaftlich  verbundener 
oTkoi  oder  Hausgemeinschaften  verfügten  auch  hier  (  vgl.  Kohde  a.  a.  0. 
S.  229 s)  Ober  gemeinsame  Gräber  (uvnua  tcoivöv).  Hei  den  Nord- 
germanen redet  der  Ausdruck  cetthtiugar  ,Geschlcchtshüger  (:  cett  ,Fa- 
milie',  .Geschlecht')  eine  deutliche  Sprache.  Auch  die  Prähistorie 
bezeugt  das  Vorkommen  gemeinsanier  Begräbnisstätten,  sei  es  in  Massen- 
gräbern, sei  es  in  Einzelgräbern  auf  gemeinsamen  Plätzen,  iu  Europa  bis  zu- 
rück in  die  jüngere  Steinzeit  und  ältere  Bronzezeit.  So  äussert  8.  M  Uli  er 
a.  a.  0.  S.  65:  „Die  Idee  gemeinsamer  ßegräbnisplätze  ist  keineswegs 
modern  oder  auch  nur  verhältnismässig  späten  Ursprungs.  Schon  die 
kleinen  Kammern  sind  ja  nicht  zur  Aufnahme  einer  einzelnen  Leiche, 
sondern  zur  Ruhestätte  für  mehrere  bestimmt.  Die  grösseren  Kammern, 
Riesenstnben,  bezeichnen  nur  einen  Fortschritt  in  derselben  Richtung: 
sie  sind  grosse  Beinhäuser,  welche  die  Überreste  zahlreicher  Individuen 
bergen,  und  auch  diese  Stuben  werden  wieder  durch  Anbau  anderer 
Kammern  und  Seitenstuben  erweitert u,  und  S.  105:  „Man  findet  oft 
Skelette  von  vielen  Individuen  in  diesen  Gräbern,  nicht  selten  20 — 30, 
bisweilen  aber  auch  mehr,  so  z.  B.  befanden  sich  in  einer  ganz  aus- 
gefüllten Kiescnstube  bei  Borrcby  (Seeland)  gegen  70  und  in  einem 
schwedischen  Grab  über  100a  (vgl.  auch  Montelius  Kultur  Schwedens* 
S.  34.  79;  ....  „Auch  dieser  Umstand  bekräftigt,  dass  die  Grab- 
stube längere  Zeiten  als  gemeinsame  Begräbnisstätte  für  einen  gewissen 
Kreis  von  Menschen,  ein  Geschlecht  oder  eine  Familie,  benutzt 
worden  ist."  Noch  entschiedener  argumentiert  .1.  Naue  (Die  Bronze- 
zeit in  Oberbayern  S.  58)  hinsichtlich  der  Hügelgräber  zwischen 
Ammer-  und  Staffelsee  zu  Gunsten  von  Sippengräberu:  „Da  sich  nun  aber 
bei  einigen  Gruppen  in  oft  geringer  Entfernung  zwei  bis  drei  Friedhöfe 
vorfinden,  und  jeder  Friedhof  (im  Gegensatz  zu  den  oft  weit  ausge- 
dehnten Friedhöfen  der  Hallstattzeit)  wie  eine  grosse  gemeinsame  Grab- 
stätte erscheint,  so  glaube  ich  annehmen  zu  sollen,  dass  in  einem 
Friedhof  stets  nur  die  Angehörigen  einer  Gemeinde  oder  Sippe 
bestattet  worden  sind,  und  dass  der  zweite  oder  dritte  unweit  davon 
errichtete  für  die  Augehörigen  anderer  Sippen  bestimmt  war." 

So  durfte  sich  das  gemeinsame  Sippengrab  oder  der  gemeinsame 
Sippenfriedhof  als  ein  uralter  Besitz  der  europäischen  Iudogennancu  er- 
geben, und  noch  heute  wird  bei  den  Südslaven  (vgl.  Krauss  Sitte  u.  Brauch 
S.  40)  der  Friedhof,  ebenso  wie  die  Weideplätze,  als  gemeinsames 
Eigentum  eines  jeden  bratstvo,  d.  h.  eben  einer  jeden  Sippe  angesehen. 

Nach  Lockerung  oder  Auflösung  der  alten  Sippenverbändc  bildete  die 
Kirche  einen  neuen  Sammelpunkt  für  die  Toten  mit  ihrer  Lehre,  dass  nur 
der  ewige  Seligkeit  erhoffen  könne,  dessen  Gebeine  auf  geweihtem  Raum 
innerhalb  oder  im  Umkreis  des  Gotteshauses  ruhten.  So  entstand  der 
G ottesac ker,  griech.  Kouinjrjpiov,  lat.  coemeterlum,  ein  Wort,  das  sieli 
in  weiter  Ausdehnung  über  das  mittelalterliche  Kuropa  verbreitet  hat 

Schräder.  Kcalle-xikon.  17 


Digitized  by  Google 


Friedhof  -  Fuchs. 


(vgl.  z.  B.  frz.  cimeti&re,  engl,  cemetery  und  fast  bei  allen  Slaven: 
altsl.  kumitira,  poln.  cmentarz,  kroat.  cimiter  n.  8.  w.).  Einheimische 
Bildungen:  ahd.  frithof  .eingefriedigter  Platz  bei  der  Kirche',  agls.  lic- 
tün,  cigentl.  .Leichenzaun',  altsl.  grobhüca  :  grobu  ,Grab'.  lit.  kapinte 
:  käpax  ,GrabhUgel',  älter  :  mogilä,  ein  merkwürdiges  Wort,  das  in 
weiten  Teilen  des  östlichen  Europas  (altsl.  mogyla  und  gomila  .tuinnlus', 
alb.  mäguTt  und  gamul'e  .Hügel'  u.  s.  w.;  vgl.  Miklosich  Et.  W.  und 
G.  Meyer  Et.  W.  d.  alb.  Spr.  S.  118)  gilt  und  auf  litauischem  Boden 
sogar  als  mythische  Persönlichkeit:  Magila  ,die  Dienerin  der  Todes- 
göttin Giltine  erscheint.  —  S.  u.  Bestattung  u.  Sarg. 

Frisuren,  s.  Haartracht. 

Frosch,  s.  Kröte. 

Frühling.  Der  idg.  Name  für  diese  Jahreszeit  liegt  in  der 
Reihe:  scrt.  raxar-,  rasantd-,  aw.  vahhri,  armen,  garun,  griech.  £ap, 
lat.  ver,  akymr.  guiannuin  gl.  verc,  korn.  gnaintoin  gl.  ver.  altn.  vdrf 
altsl.  veana,  lit.  waxarü  (.Sommer',  pdwasaris  „Ansommer",  ,FrUhling  ). 
Die  Wurzel  ist  scrt.  vas  .aufleuchten',  die  auch  für  Bildungeu  zur  Be- 
zeichnung des  Morgens  (s.  d.)  verwendet  worden  ist.  Abweichend: 
westgerm.  ahd.  lenzo,  agls.  leiteten,  wahrscheinlich  aus  *langi-tini- 
ahd.  lengizin)  ,hmgcr  Tag',  Jangtägig'  (seit,  dhia-,  lit.  dienä  .Tag' 's 
also  die  Jahreszeit,  welche  die  langen  Tage  bringt  (vgl.  R.  Kögel  Bei- 
träge XVI,  öl«».,  anschliessend  an  die  Julzeit,  ,die  dunkle'  Zeit  (s.  u. 
Mond  und  Monat;.  Ir.  errach  , Frühling'  (dnnkel),  altsl.  jarü  id.  = 
got.  jer  ,Jahr\  —  S.  u.  Jahreszeiten  und  u.  Zeitteilung. 

Fuchs.  Die  homerische  Dichtung,  Hesiod  und  die  Hymnen  nennen 
das  Tier,  welches  doch  in  Europa  einheimisch  ist,  noch  nicht.  Es 
scheint  daher,  dass  damals  die  bekannten  geistigen  Eigenschaften  des- 
selben noch  nicht  erkannt  worden  waren.  Erst  mit  dem  Parier  Archi- 
loehos  tritt  der  Fuchs  in  die  griech.  Litteratur  ein,  und  zwar  gleich  im 
Gewand  einer  Fabel  und  gleich  mit  den  Attributen  K€pba\e'o<;  und 
ttukvöv  fyouffa  vöov.  Das  eine  Fragmeut,  in  dem  der  Fuchs  zusammen 
mit  dem  Affen  genannt  wird,  s.  unter  diesem.  Ein  zweites  Fragment 
des  Archilochus  lautet: 

alvöq  ti?  äv9pumiuv  6b€ " 
di?  dp'  dXujimE  Kai€TÖ<;  Euvumnv 
£juiiEav. 

Es  fragt  sich,  von  welchem  Volke  den  internationalen  Fabclstoffen 
die  Schlauheit  des  Fuchses  als  charakteristisches  Moment  eingefügt 
worden  sei.  In  Indien,  der  Urheimat  der  Ticrfabel,  ist  dies  nicht  ge- 
schehen, da  hier  der  Schakal  die  im  Occideut  dem  Fuchs  zugewiesene 
Rolle  des  schlausten  Tieres  spielt.  Dagegen  hat  schon  in  den  von 
George  Smith  in  der  chaldäischen  Genesis  (1876)  herausgegebenen 
keilinschriftlichen  Fragmenten  einer  babylonischen  Tiersage  der  Fuchs, 
der  schon  den  Urscmiteu  bekannt  und  von  ihnen  benannt  (*ta'labu 


Digitized  by  Google 


Fuchs  -  Fürst. 


259 


, Fuchs  )  war,  dieselbe  Rolle  des  listigen  und  heuchlerischen  Tieres  wie 
im  Occident  gespielt.  Es  sind  also  vielleicht  Semiten  gewesen,  welche 
dem  Fuchs  seinen  Charakter  und  seine  Stellung  in  der  Tierfabel  an- 
wiesen. Grosse  Schwierigkeiten  macht  die  richtige  Beurteilung  des 
Wortes  dXumnE,  neben  dem  ein  späteres  äXuüTTÖ?  liegt.  Auf  der  einen 
Seite  vergleichen  sich  armen,  alt  es  aus  *alöpeku-  und  sert.  Ifipäcä- 
,Schakal'  aus  *laupfko-,  npers.  röbäh,  osset.  robax  u.  s.  w.  , Fuchs' 
(also  arisch  au  der  Wurzelsilbe  gegenüber  griech. -armen.  6).  Auf  der 
andern  Seite  ist  aber  auch  lit.  lape  , Fuchs',  und  sind  auch  die  kelti- 
schen Formen  arem.  lonarn,  körn,  louuern  (Zenas  Gr.  Cclt.  2  S.  827)  aus 
Huperno-  zu  bedenken.  Eine  Erklärung  dieser  Schwierigkeiten  ist 
noch  nicht  gefunden.  Züge  man  noch  das  altsl.  lisü  , Fuchs',  das  aus 
*lipm  entstanden  sein  könnte,  heran,  so  würden  drei  verschiedene 
Vokale,  wovon  zwei  mit  Ablaut,  in  dem  Stamme  des  Fuchsnamens 
vertreten  sein:  lap-  (lit.  läpe  i  :  löp-  (griech.  dXumnE,  armen,  aives), 
lup-  (arem.  louarn)  :  laup-  (sert.  löpa<;ii-)  und  endlich  Up-  (altsl. 
lisü).  Noch  nicht  sicher  gedeutet  ist  auch  got.  faühö  , Fuchs',  ahd. 
foha,  altn.  fön  , Füchsin'  neben  ahd.  fuhs,  engl.  fo.r.  Die  einen  denken 
an  Zusammenhang  mit  sert.  pitecha-  .Schwan/.',  so  dass  das  germa- 
nische Wort  das  ^geschwänzte'  Tier  bezeichnete.  Andere  ziehen  zur 
Erklärung  das  griech.  (lakonische)  qjoöai  •  dXiUTT€K€<;  Hes.  heran  (lak. 
<poüai  -  att.  *<pöcrai  aus  *phukjai  oder  *phiikhjai,  vgl.  Vf.  Ii.  B.  XV,  135). 
Zuletzt  hat  über  diese  Wörter  Uhlenbeck  Beiträge  XXII,  538  gehandelt, 
der  sich  für  die  erstere  dieser  beiden  Möglichkeiten  entscheidet.  Aus 
späterer  Zeit  ist  in  Griechenland  eine  reiche  Terminologie  des  Tieres  vor- 
handen, die  die  Popularität  dess'elbcn  bekundet:  Xdp7rouptq  ,Leuchtschwanz. 
(Brandfuchs),  o*Ka<puupr|  ,Gräber  (:  o~Kaq>eü<;),  Ktpacpog  (daneben  o*Kipa<po^ 
^avouptripa',  vgl.  lat.  vulpinari  und  altn.  fox  , Betrug  ),  KÖXoupi?  (:altn. 
skollr  , Fuchs'?),  KÖ9oupo?  , Schädiger'  (d-o"Kn6n.s?)-  Der  letzte  Be- 
standteil -oupa,  dor.  -wpa,  -oupiq  .Schwanz'  wird  in  den  meisten  Fällen 
volk8etyniologisch  in  die  betreffenden  Wörter  hineingetragen  worden 
sein.  Alb.  skil'r  , Fuchs'  ist  aus  ngr.  cjküXos,  atcüXa  ,IIund,  Mündin 
(vgl.  den  zoologischen  Namen  Canis  Vulpes),  cigeutl.  junger  Hund 
entlehnt.  Ebenso  dürfte  lat.  vulpes  aus  *crolpes  zu  ahd.  weif,  agls» 
htoelp,  ahn.  hvelpr  junger  Hund',  ,Junges  von  wilden  Tieren'  (W. 
ktelpjb)  gehören,  während  H.  Hirt  Beiträge  XXII,  230  doch  wieder 
für  lat.  vulpes  an  Znsammenhang  mit  got.  wulfs  ,WolP  denkt.  Finno- 
germanisch  ist  finn.  repo,  altn.  refr. ;  aber  wo  ist  der  Ausgangspunkt 
des  Wortes  zu  suchen?  Die  Franzosen  benennen  das  Tier  mit  dem 
altdeutschen  Fabelnamen  desselben  renard,  d.  i.  reginhart  ,Reinhart'. 
Vgl.  noch  thrak.  ßctaadpa  ,  Fuchs'.  —  Über  den  Fuchs  im  Altertum 
handelt  0.  Keller  Tiere  des  kl.  Altert.  S.  178  ff. 

Forche,  s.  Ackerbau. 

Fürst,  s.  König. 


Digitized  by  Google 


260 


Furt  —  Gabel. 


Fort,  8.  Brücke. 
Fuss,  s.  Mass,  Messen. 
Fassfall,  8.  Gruss. 
Fassvolk,  s.  Heer. 

Fatterkräater.  Ihr  Anbau  ist  auf  den  einzelnen  Kulturgebieten 
Europas  erst  spät  erfolgt,  namentlich  im  Norden,  wo  die  Natur 
durch  reichliche  Wiesen  und  Matten  aus  erster  Hand  dem  Vieh 
seine  Nahrung  darbot.  Speciell  der  Kleebau  hat  sich  erst  im  XVII. 
Jahrhundert  Uber  Mitteleuropa  von  Flandern  her  verbreitet;  doch  war 
die  Pflanze  selbst,  wie  ihre  Terminologie  (westgerm.  ahd.  chleo,  agls. 
cläfre,  cläfre  gegenüber  isl.  »märt,  norweg.  smeere,  gemeinslav.  russ. 
djatlina,  *dentela,  lit.  dobilal)  zeigt,  schon  früher  bekannt  und  benannt. 

Zeitiger  inusste  man  im  Süden,  dem  das  saftige  Grün  der  Wiesen 
versagt  ist,  auf  anderweitige  Fütterung  des  Viehs  bedacht  sein.  Zu 
diesem  Zweck  ging  man  entweder  zu  der  dem  Norden  fremden  Laub- 
fütterung Uber,  oder  man  fing  an,  sich  auf  den  Anbau  ausländischer 
oder  einheimischer  Futterpflanzen  zu  verlegen.  Zwei  derselben,  die 
Luzerne  und  der  Cytisus  sind  in  besonderen  Artikeln  behandelt 
worden.  Aber  auch  Kleearten  (griech  Aujtös,  lat.  trifolium),  ferner 
der  Bock8homklee  (Trigonella  foenum  Graecum  L.),  griech.  if\ki<;, 
ßouK^paq,  lat.  siliqua  und  die  Lupine  sind  wenigstens  im  späteren 
Altertum  als  Futterpflanzen  angebaut  worden.  Von  Italien  aus  wird 
sich  auch  der  Anbau  der  Futterwicke  (Vicia  sativa  L.)  über  Eu- 
ropa verbreitet  haben,  worauf  die  Entlehnung  von  lat.  vicia  iu  kymr. 
gtcyy,  ahd.  wicka  (vgl.  auch  ugricch.  6  ßivcoq,  alb.  vik)  hinweist.  In 
Italien  wird  der  Anbau  der  Wicke  zuerst  bei  Cato  De  re  rust.  Cap. 
27,37  genannt  (vgl.  Lenz  Botanik  S.  718 ff.,  V.  Hehn  Kulturpflanzen0 
S.  395,  Xeutuanu-Partseh  Physikalische  Geographie  Griechenlands 
S.  404  ff.).  —  S.  u.  Viehzucht. 


G. 

Gabel.  Der  Gebrauch  der  Gabel  als  eines  Speise  Werkzeugs 
ist  iu  ganz  Alt-Europa  unbekannt.  Derselbe  kommt,  wie  Beckmann  Bey- 
träge  V,  286  ff.  ausführlich  nachgewiesen  hat,  in  grösserem  Umfang 
erst  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert,  von  Italien  ausgehend,  auf,  wo 
übrigens,  ebenso  wie  in  Griechenland,  schon  im  Altertum  die  Gabel 
auch  zu  Küchenzwecken,  z.  B.  zum  Herausholen  des  Fleisches  aus 
dein  Topfe  (griech.  Kpeäxpa)  gebraucht  worden  war.  Das  neue  In- 
strument wird  überall  mit  Namen  bezeichnet,  welche  ursprünglich 
grössere  gabelförmige  Werkzeuge,  wie  die  Heu-  und  Mistgabel,  be- 


Digitized  by  Google 


Gabel  —  Gans. 


2G1 


nannt  hatten,  and  die  zuweilen  Aber  die  Grenzen  der  Einzelsprachen 
hinausgehen.  So  entspricht  ahd.  gabala,  agls.  geaftd  dem  ir.  gabul, 
nkymr.  gafl  ,Gabel',  ,gegabelter  Ast'  (vgl.  auch  lat.  gabaius  ,Galgen', 
gabelförmiges  Holz').  Im  Litauischen  wird  szakä,  cigentl.  ,Ast',  für 
alle  Arten  von  Gabeln  gebraucht.  Im  Slavischen  gilt  *vidla-,  altsl. 
vilics  etc.  (ob :  ahd.  witu,  ir.  fid  ,Holz,  Baum':  „aus  Holz"?).  Die 
romanischen  Sprachen  und  das  Albanesische  (vgl.  Körting  Lat.-rom. 
W.  S.  349  und  G.  Meyer  Et.  W.  S.  114)  bedieneu  sich  mannigfacher 
Ableitungen  von  lat.  furca  (auch  altndd.  furka,  agls.  force).  das  nebst 
dem  gleiches  bedeutenden  fuscina  noch  nicht  erklärt  ist.  Vgl.  noch 
griech.  Tplmvct,  TpivaH  »dreizackige  Gabel'.  Als  Kriegswerkzeug 
wird  die  Gabel  bei  Kelten  und  Germanen  erwähnt  (vgl.  O'Curry  Man- 
ners and  custoras  I,  CCCCILVI).  —  S.  u.  Mahlzeiten  und  Trink- 
gelage. 

Galhanum.  Das  im  Altertum,  namentlich  in  der  Arzneikunde, 
gebrauchte  Harz  einer  Pflanze,  die  von  Theophrast  (IX,  7,  2)  als  in 
Syrien  heimisch  bezeichnet  wird  und  travag  genannt  wurde.  Der  grie- 
chische Name  xaXßdvn.  stammt  aus  dein  Semitischen  <  hehr,  hetbinäh  ,ein 
zum  Räuchern  bestimmter  Stoff").   Lat.  galbanum.  —  S.  u.  Aromata. 

Galgen,  s.  Strafe. 

Galmei,  s.  Messing. 

Ganggräber,  s.  Bestattung. 

(»ans.  Der  idg.  Name  des  Tieres  liegt  in  der  Reihe:  sert. 
hathsü-,  griech.  xnv,  lat.  anser,  ahd.  gatut,  altsl.  gqst  (aus  dem  Ger- 
manischen?), lit  £qsi8  (woraus  finn.  hanhi),  altpr.  sansy,  ir.  güs;  doch 
ist  das  letztere  Wort  in  die  Bedeutung  ,Schwan'  ausgewichen,  während 
ir.  gid  ,Gans'  (s.  u.)  wahrscheinlich  nicht  hierher  gehört.  Mir.  goss  ist  aus 
dem  Angelsächsischen  entlehnt.  Armen,  sag  ,Gans'  ist  noch  unerklärt. 
Der  Vogel  war  also  schon  den  Indogerinanen  bekannt,  doch  kann  an 
eine  Zähmung  desselben  in  der  Urzeit  nicht  wohl  gedacht  werden,  so- 
wohl aus  allgemeinen  Gründen  (s.  u.  Viehzucht),  wie  auch  deshalb, 
weil  die  Gans  in  den  ältesten  Epochen  der  idg.  Überlieferung,  bei  den 
Indern  des  Rigveda,  den  Iraniern  des  Awesta  und  den  Griechen  der 
Ilias,  soweit  man  nach  dem  Schweigen  der  betreffenden  Dichtungen 
urteilen  kann,  noch  nicht  als  Haustier  gehalten  wurde.  Vor  allem  aber 
sind  in  den  neolithischen  Denkmälern  Europas  noch  nirgends  Spuren  der 
zahmen  Gans  (und  Ente)  gefunden  worden.  Immerhin  wird  in  Europa 
die  Gans  der  erste  Vogel  gewesen  sein,  der  sich  an  den  Menschen  ge- 
wöhnte. Schon  in  der  Odyssee  (XIX,  536  ff. )  hat  Peuclope  eine  Herde 
von  20  Gänsen,  die  sie  aber  mehr  zu  ihrer  Freude  als  des  Nutzens 
wegen  zu  halten  scheint,  wie  denn  überhaupt  im  griechisch-römischen 
Altertum  der  Vogel  zunächst  für  ein  anmutiges  und  wachsames  Tier 
galt.  Vgl.  näheres  bei  0.  Keller  Tiere  des  klassischen  Altertums 
S.  286  ff'. 


Digitized  by  Google 


262 


Gans. 


Auch  im  Norden  tritt  uns  die  Gans  am  frühesten  als  ein  von  einer 
gewissen  Verehrung  umgebenes  Luxustier  entgegen,  indem  Caesar  De 
hell.  gall.  V,  12  von  den  keltischen  Briten  berichtet:  Leporem  et  galr 
linam  et  unserem  gustare  fas  non  putant,  haec  tarnen  alunt  animi 
voluptatisque  causa.  Anders  diesseits  des  Kanals.  Hier  muss  bei 
den  Morinern  eine  ausgiebige  Gänsezucht  bestanden  haben,  und  grosse 
Gänseherden  wurden  von  dort  bis  nach  Rom  getrieben.  Vgl.  Plinius 
Hist.  nat.  X,  53:  Mirum  in  hac  alite  a  Morinis  usque  Romam  pedi- 
bus  venire.  Fessi  proferuntur  ad  primos,  ita  ceteri  stipatione  na- 
t uralt  propellunt  eos.  Noch  mehr  geschätzt  als  diese  keltischen 
zahmen  Gänse  war  aber  bei  den  Römern  eine  kleine,  weisse,  germa- 
nische Wildgans,  deren  Daunen  (altn.  dunn)  zur  Herstellung  von 
Kissen,  Pfuhlen,  Polstern  aller  Art  aus  Deutschland  eingeführt  wurden, 
Kulturbegriffe,  deren  lateinische  Namen  dann  wieder  in  die  germani- 
schen Spracheu  übergingen  (wie  z.  B.  lat.  pulvinar,  pulvinus  iu  ahd. 
pfultco,  pfuliwi  .Pfühl',  spät.-lat.  coxinus,  it.  eujeino  in  ahd.  kussin 
, Kissen';  vgl.  auch  ahd.  pflüma,  agls.  phimfedere,  ir.  dum  ,Flaum, 
Feder',  altkymr.  plumauc  , Kissen'  aus  lat.  plüma).  Die  Nachricht  des 
Plinius  a.  a.  0.  hierüber  lautet:  Mollior  {pluma  anserum),  quae  cor- 
pori  proxima,  et  e  Germania  laudatissima.  Candidi  ibi,  verum 
minores,  gantae  cocantur.  Pretium  plumae  eorum  in  libras  de- 
narii  quini.  et  inde  crimina  plerumque  auxiliorum  praefectis  a 
rigili  statione  ad  haec  aueupia  dimissis  cohortibus  totis;  eoque  deli- 
ciae  processere,  ut  sine  hoc  instrumenta  durare  iam  ne  virorum  qui- 
dem  cervices  possint.  Das  vou  Plinius  genannte  ganta,  das  auch 
(neben  anser)  bei  Venant.  Fortunatus  Carm.  VII,  4,  11 :  Aut  Mosa  dulce 
sonans,  quo  grus,  ganta  anser  olorque  est  vorkommt  und  prov.  ganta, 
altfrz.  gante  lautet,  ist  au»  westphäl.  gante,  ndl.  gent,  vorgerm.  *ghan-da 
(vgl.  ahd.  gan-azzo  ,Gänserich',  gan  ot  ,Scbwan\  gandra  ,Gänserieh'), 
also  vom  Niederrhein  her  entlehnt  worden.  Hierzu  würde  ir.  ged 
,Gans'  gut  stimmen;  doch  ist  man  neuerdings  wegen  des  neben  ir.  gid 
liegenden  kymr.  gicydd  geneigter,  beide  Formen  auf  ein  ursprüng- 
liches *gegdil  (Stokes  Urkeltischcr  Sprachschatz  S.  109)  zurückzuführen. 
Vgl.  noch  ir.  gigrann  ,Gans'  bei  Zeuss  Gr.  Celt.  *  S.  21:  spätlat.  gin- 
gritus,  gingrire,  vom  .Schnattern  der  Gäuse  gesagt,  und  altn.  gagl 
,Schueegans':  ndl.  gagelen  ,schuattern'. 

In  den  Leges  barbarorum  (Lex  Salica  T.  VII),  wie  auch  in  den 
Kapitularien  Karls  des  Grossen  bilden  Gans  und  Huhu  das  eigentliche 
Hausgeflügel  andern  Vögeln  gegenüber,  die  mehr  der  Zierde  wegen 
gehalten  werden.  8.  noch  u.  Ente  und  über  den  Gebrauch  der  Gänse- 
feder zum  Schreiben  u.  Schreiben  und  Lesen.  Von  wo  aus  die 
Gans  erst  als  Luxus-,  dann  als  Nutzvogel  sich  bei  den  europäischen 
Völkern  verbreitet  hat,  ist  kaum  zu  sagen.  Bemerkenswert  ist,  dass 
die  Gänsezucht  im  alten  Ägypten  eine  grosse  Bedeutung  erlangt  hat 


Digitized  by  Google 


Garten,  Gartenbau. 


263 


(vgl.  Wiedemann  Herodots  II  Buch  S.  310),  während  sie  hei  den  Se- 
miten fehlt,  ein  Umstand,  der  sehr  {regen  die  Annahme  E.  Hahns  Die 
Haustiere  8.  275  ins  Gewieht  fällt,  dass  ihr  Ausgangspunkt  in  Buby- 
lonien  zu  suchen  sei.  —  8.  u.  Viehzucht. 

(«arten,  Gartenbau.  Bei  dem  u.  Ackerbau  geschilderten 
Charakter  der  ältesten  europäischen  Landwirtschaft  ist  ein  regelmässiger 
Betrieb  des  Gartenbaus  von  vornherein  ausgeschlossen.  In  der  That 
konnte  noch  Tacitns  von  den  Germanen  (Cap.  20)  ausdrücklich  berichten: 
Nec  enim  cum  ubertate  et  ampUtudine  soli  labore  contenduiit,  ut 
pomaria  conserant  et  prata  neparent  et  hortos  rigent:  sola  terrae 
neyes  imperatur.  Entsprechend  erkannte  bereits  Thukydidcs  ( 1,  2), 
dass  die  ältesten  Hellenen  nur  in  soweit  jhr  Land  bebauten  '  veuÖMevoi 
xct  aÜTÜJv),  als  zum  Leben  nötig  war,  ohne  Reicht  linier  zu  sammeln, 
ohue  Baumpflanzungen  anzulegen  (oub€  fr\v  (puxeuovrcs).  Auch  die  Denk- 
mäler der  neolithischeu  Epoche  unseres  Erdteils  haben  zwar  vielerlei 
vom  Ackerbau  der  damaligen  Menschen,  aber  so  gut  wie  nichts  von 
einem  Gartenbau  derselben  zu  erzählen.  „Kür  die  Steinzeit  oder  Pfahl- 
bauten", sagt  0.  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  22,  „lassen 
sich  mit  Ausnahme  der  Erbsen  keine  Gemüsepflanzen  mit  voller 

Sicherheit  nachweisen;  „von  den  Kohlarten,  Rüben,  von  Kraut 

und  all  den  verschiedenen  Gemüsen,  welche  jetzt  in  der  Küche  eine 
grosse  Rolle  spielen,  ist  uns  noch  keine  Spur  zugekommen".  Trotzdem  ist 
vielleicht  schon  in  der  Urzeit  die  Wohnstätte  der  einzelnen  Hausge- 
meinschaften, wie  bei  den  Germanen  (vgl.  Tacitns  Germ.  Cap.  10: 
tiuam  quisque  domum  xpatio  cirvumdat),  mit  einem  umfriedigten  Platz 
umgeben  gewesen,  auf  dem  man  gelegentlich  auch  einige  Hülsen- 
früchte (s.  d.),  den  Mohn,  etwas  Flachs  (s.  s.  d.  d.)  und  andere  schon 
in  vorhistorischer  Zeit  bekannt  gewordene  Kulturpflanzen  baute.  Vor- 
historische Gleichungen  hierfür  werden  sein:  griech.  Knjros  .Garten'  = 
ahd.  huoba  ,Hufe  vgl.  auch  all),  köpfte  und  ir.  cep  ,Garten  aus 
*keppo-n,  *kepno-x'i\  davon  zu  trennen  :  gemeiugerm.  ahd.  hof,  *kupo-n) 
und  lat.  hortus  »Garten  vgl.  aber  Plin.  Hist.  nat.  XIX,  f>0:  In  XJI  tabulis 
legum  nostrarum  nusquam  nominatur  villa,  Kemper  in  signi/iattione 
ea  hortus,  in  horti  rero  heredium),  cohar*  .Einzäunung,  Hof  = 
altn.  gardr  .eingehegter  Hol",  got.  gards  .Haus'  (vgl.  lat.  hortus 
,villa's  griech.  xöpxo?  ,Gras,  Futter,  Hofplatz',  ir.  gort  ,seges',  hibgort 
,Gemüsegarten"  (lit.  zardis  , Rossgarten',  allpr.  xardi«  .Zaun  :  altsl.  zrädl 
,8tange';  lit.  gdrda-s  .Hürde",  altsl.  gradü  .Stadt'  aus  «lein  Deutschen). 
Auch  aw.  dvara-  ,Hof  —  lat.  forum  ,Vorhof"  (.Marktplatz'),  lit.  dicilras 
,Hof,  altsl.  dcortl  (auch  ,Haus  )  deuten  auf  einen  in  der  Urzeit  vor  der 
Thür  (griech  öupa,  lat.  foren)  befindlichen  und  umschlossenen  Raum 
hin.    Vgl.  noch  ahd.  hag  etc.  =  altgall.  caium  .Einhegung'. 

Nicht  unwahrscheinlich  ist,  dass  von  dieser  llofstätte  bei  den  Einzel- 
völkern der  Begriff  des  Eigentums  s.  d.)  an  Grundbesitz  allmählich  aus- 


Digitized  by  Google 


264 


Garten,  Gartenbau. 


gegangen  ist.  Im  Deutseben  jedenfalls  fasste  der  Ausdruck  „Hufeu  nach 
und  nach  alle  Rechte,  die  der  einzelne  Genosse  der  Dorfschaft  oder 
Bauernschaft  iubezug  auf  Grund  und  Boden  besass  (  vgl.  Brunner  D. 
Rechtsg.  I,  62),  zusammen,  und  nach  der  römischen  Legende  hat  Ro- 
mulus  jedem  Bürger  ein  Erbgut  oder  Gartengrundstück  (heredium  s.  o.) 
gegeben,  worin  Monimseti  Röm.  Staatsrecht  III,  1;  23  wohl  mit  Recht 
eine  Andeutung  über  die  Entstehung  des  Privateigentums  in  Rom  er- 
blickt (anders  freilich  E.  Meyer  Gesch.  d.  A.  II,  519). 

Gartenbau  von  einiger  Bedeutung,  Obstbau,  Blumenzucht  und 
Gemüsebau  ist  bei  den  idg.  Völkern  also  erst  nach  Ankunft  in  ihren 
historischen  Wohnsitzen  und  auch  hier  erst  nach  geraumer  Zeit  auf- 
gekommen. Indem  bezüglich  der  beiden  ersteren  Punkte  auf  die  be- 
treffenden Artikel  verwiesen  wird,  soll  hier  nur  von  den  Pflanzen  des 
Gemüse-  oder  Küchengartens  gehandelt  werden.  Noch  bei  Homer 
ist  die  Zahl  derselben  eine  ziemlich  beschränkte.  Es  werden  genannt: 
^p^ßtvGot  , Erbsen',  kucuioi  ,ButTbohnen  ,  Kpöuuov,  Zwiebel',  irpdaov 
,Lauclf  (wohl  zu  erschliessen  ans  Trpacrim  »Gemüsebeete')  und  unKUJV 
,Mohn".  Allmählich  aber  wächst  die  Zahl  der  angebauten  Gewürz- 
pflanzen, Gemüse  und  vSalate  ins  ungemessene.  Ja,  man  kann  sagen, 
dass  die  Verwendung  derselben  im  Altertum  eine  mannigfaltigere  und 
intensivere  als  in  neueren  Zeitläuften  war.  Der  Grund  dieser  Erscheinuug 
liegt  darin,  dass  dieselben  auf  der  einen  Seite  moderne  Volksnahrungs- 
mittel,  wie  die  Kartoffel,  und  damals  noch  nicht  oder  nur  wenig  be- 
kannte orientalische  Gewürze,  wie  den  Pfeffer  (s.d.),  ersetzen  nmssten, 
auf  der  andern  Seite  aber  an  ihnen  die  Vorstellung  von  gewissen, 
ihnen  innewohnenden  Heilkräften  haftete,  in  deren  Aufzählung  die 
Alten,  von  Hippokrates  bis  Apieius,  sich  nicht  genug  thun  können  (vgl. 
darüber  namentlich  Chr.  Th.  Schlich  Gemüse  und  Salate  der  Alten  in 
gesunden  und  kranken  Tagen,  2  Hefte  Rastatt  1853,  54).  Besonders 
gefiel  sieli  der  naive  Sinn  des  Altertums  darin,  die  Wirkung  gewisser 
Pflanzen,  wie  namentlich  der  Rau  ke  (Brassica  eruca),  auf  die  Erregung 
des  männlichen  Geschlechtstriebes  (Columella  X,  105 f.:  E.vcitet  ut 
Yentri  türdos  eruca  maritos)  empfehlend  hervorzuheben  (vgl.  auch 
Beckmann  Bey träge  V,  107  ff.  ^Küchengewäehsc").  —  Die  Beeinflussung 
des  germanischen  Nordens  durch  den  römischen  Gemüsegarten, 
der  seinerseits  zunächst  von  Griechenland,  dann  direkt  vom  Orient, 
namentlich  von  Syrien,  abhängig  ist  (mnlta  Syrorum  olera),  geht  in 
ihren  Anfängen  in  frühe  Zeit  zurück.  Sprachlich  spiegelt  sie  sich  in  der 
sehr  alten  Entlehnung  des  \&\.hortus,  ortus  (so  häutig  in  der  Lex  Salica) 
in  die  germanischen  Sprachen:  got.  aurtja  ,Gärtncr',  aürtigards  ,Gartcn', 
ahd.  orzön  ,exeolcrc*,  agls.  ortgeard,  engl,  orchard  (vgl.  Kluge  Frci- 
burger  Fcstgruss  an  II.  OsthotT  1894).  Auch  lat.  planta  ging  früh- 
zeitig ins  Germanische  über:  ahd.  pflanza,  agls.  plante  (auch  ir.  cland), 
dazu  ahd.  pflanzön,  agls.  plantian  aus  lat.  plantare;  ebenso  \M.  fruetus 


Digitized  by  Google 


Garten,  Gartenbau. 


265 


:  ahd.  fruht,  altfries.  frucht.  Ihren  Höhepunkt  aber  erreichte  diese  Kultur- 
strömung erst  in  christlicher  Zeit  durch  die  Küchengärten  der  Klöster, 
namentlich  der  Benediktinermönche  (vgl.  den  Entwurf  eines  Kloster- 
gartens im  ^Bauriss  des  Klosters  St.  Gallen  vom  Jahre  820u).  Diese 
wnrden  dann  wieder  vorbildlich  ftir  die  Anordnungen  auch  der  weltlichen 
Behörden  (vgl.  das  Capitulare  Karls  des  Grossen  de  villi«  Cap.  LXX),  wie 
für  die  Anlage  der  Gärten  der  Bevölkerung.  So  ist  es  gekommen, 
dass  die  deutschen  Bauerngärten  bis  in  dieses  Jahrhundert  hinein  im 
ganzen  einheitlich  noch  den  Charakter  repräsentieren,  welchen  die  ersten 
nach  antikem  Muster  auf  deutschem  Boden  gegründeten  Gärten  hatten 
(ausführlich  hierüber  K.  v.  Fischer  Benzon  Altd.  Gartcnflora  Kiel  1H94). 
Im  Einzelnen  werden  die  Einflüsse,  welche  auf  diesem  Gebiet  in  Europa 
geherrscht  haben,  sich  am  besten  in  der  nachfolgenden  Tabelle  über- 
sehen lassen,  welche  an  einer  Reihe  wichtiger  Gartenpflanzen  einerseits 
die  sprachliche  Abhängigkeit  Italiens  von  Griechenland,  andererseits 
die  des  europäischen  Nordens  vom  Süden  zur  Anschauung  bringen  soll. 
Die  zahlreichen  hier  zur  Sprache  kommenden  Entlehnungsreihen  lehren 
dasselbe,  worauf  vom  Vf.  schon  in  der  Einleitung  zur  <>.  Auflage  von 
V.  Hehns  Kulturpflanzen  und  Haustieren  S.  XVI  hingewiesen  wurde, 
nämlich,  dass  die  Entlehnung  eines  Pflanzen  namens  keineswegs  auch 
die  Annahme  einer  Entlehnung  der  Pf  1  a nze  selbst  bediugt,  sondern  dass 
sie  nur,  wo  es  sieh  um  eine  Kulturpflanze  handelt,  auf  die  Richtung  hinzu- 
deuten pflegt,  ans  der  die  Anregung  zur  ersten  In-K  nltur-Xahnie  der 
betreffenden  Pflanze  erfolgte.  Die  Entlehnung  z.  B.  von  ahd.  hittuh 
aus  lat.  lacttlca  f.Xr.  20)  wird  von  der  Entlehnung  der  Pflanze  selbst 
begleitet  gewesen  sein,  während  z.  B.  lat.  foeniculum  (Nr.  10)  auf 
eiue  einheimische  wilde  und  dann  kultivierte  Fenchelart  übertragen 
worden  sein  wird.  Welche  von  beiden  Möglichkeiten  jedesmal  vorliegt, 
kann  nur  durch  die  Naturwissenschaft  und  etwaige  gese hiebt  liehe  Nach- 
richten erwiesen  werden. 

Der  erste  Ursprung  der  hier  zu  nennenden  Pflanzennamen  ist  in 
einigen  Fällen  deutlich:  griech.  eüZwuov  .Rauke'  mag  wirklich  , Brüh- 
würze' iZumöq  .Brühe')  und  griech.  KOpiavvov  .Koriander'  wirklich 
,Wanzenkraut'  (tcöpis  .Wanze  )  bedeutet  haben.  Ir  den  meisten  Fällen 
aber  ist  er  in  völliges  Dunkel  gehüllt,  und  es  hat  keine  grosse  Über- 
zeugungskraft, etwa  <5vn0ov  ,Dill'  als  , duftendes'  (:  fiveuo?  .Hauch  ) 
oder  udpaGov  , Fenchel'  als  .hochgewachsenes'  (:  ßXwGpoq  ,hoch',  *mrödh- 
ro-s)  oder  tf^Xivov  , Eppich'  als  .Ringblume'  (:  ij/eXiov  .Armband  )  zu 
deuten. 

Von  derartigen  Erklärungsversuchen  ist  daher  hier  abgesehen 
worden. 

1.  A marant  (Amarantus  Blitum  L.).  Spinatpflanze.  Heimat:  Süd- 
europa und  östliche  Mittelmeerländer.  Griech.  (Theophr.)  ßXrrov  f viel- 
leicht urverwandt  mit  ahd.  mnlda,  mhd.  melde  ,GartenmeIde  ),  woraus 


Digitized  by  Google 


266 


Garten.  Gartenbau. 


lat.  (Plaut.)  Mittun,  Capit.  hlidas.  Ahd.  sfnr,  «füre.  Vgl.  auch  G.  Goetz 
Thes.  1,  146.   Später  verdrängt  durch  den  eigentlichen  Spinat  (s.  d.). 

2.  Anis  (Pimpinella  Anisum  LX  Arznei-  und  Gewürzpflanze. 
Heimat:  Orient.  Griech.  (Diosk.)  fivtaov  {:  ävnOov,  s.  u.  Dill),  woraus 
lat.  i'Cato)  anisum,  Cap.  anesum  (Thes.  I,  71),  inhd.  awf«,  russ.  anisü,  bulg. 
anason.  Anis  und  Koriander  wurden  aut  der  griechischen  Insel  Therasia 
bereits  vorhistorisch  nachgewiesen  (vgl.  M.  Much  Kupferzeit*  S.  146). 

3.  A  rtise  hoke  {Cynara  Scolymnus  LX  Die  echte  Artischoke, 
die  im  Altertum  als  Heil-  und  Nahrungsmittel  diente,  stammt  nach 
De  Candollc  Ursprung  der  Kulturpfl.  S.  115  von  der  in  Südeuropa 
einheimischen  C.  Cardtinculus  ab.  Die  Geschichte  der  Artischoke  be- 
handelt ausser  Schlich  a.  a.  O.  S.  20  ff",  und  von  Fiseher-Benzon  a.  a.  0. 
S.  121  f.  noch  Beckmann  Beytrüge  II,  IDön0.  Griech  tcuväpa  (Athen.), 
woraus  lat.  (Col.)  cinara.  Vgl.  ferner  griech.  (Epicharm.,  Theophr.) 
KCXKTO^t  woraus  lat.  (Plin.)  cactu».  Lat.  Carduus,  Cap.  cardones(t) 
(Thes.  I,  182:  cardus,  agls.  thistil).  Der  moderne  Ausdruck  artischoke, 
nordit.  articioeco  geht  zuletzt  auf  arab.  al-harsaf  zurück. 

4.  Beete  {Beta  vulgaris  L.)  s.  d. 
.">.    Bohne  s.  d. 

6.  Dill  {Anethum  graveolens  L.).  Heimat:  Südeuropa.  Heil-  und 
Gewürzpflanze.  Griech.  (Aristoph.)  ävr|8ov  (Herod. :  ävnöov;  8.  auch  o. 
u.  Anis),  woraus  lat.  (Verg.)  anethum,  Cap.  anetum.  Ahd.  tilli,  altsl. 
koprä. 

7.  Endivie  Cichorium  Endivia  LX  S'alatpflanze.  Nach  De  Can- 
dolle  a.  a.  0.  S.  120 1F.  eine  Varietät  des  in  der  Mittelmecrregion  wild- 
wachsenden Cichorium  pumilum  Jaquin.  Griech.  (Epicharm.)  Glpic,, 
woraus  lat.  (Varro)  seris.  Lat.  (Plin.)  intubus  (Thes.  I,  Ö6f>:  indivia),  das 
nach  Lagarde  (vgl.  Muss-Arnolt  Semitic  and  other  glosses  to  Kluges 
Et.  \V.  S.  2öi  aus  den  arab.  landab  stammt.  Im  Deutschen  ist  endivie 
erst  spät.  In  den  romanischen  Sprachen  gilt  neben  endivia  :  it.  scariola, 
frz.  scarole  aus  lat.  escarius  .zur  Speise  dienend'. 

5.  Eppich  (Sellerie;  Apium  graveolens  LX  Im  Altertum 
Gemüse-  und  Schinuckpflanze.  Heimat:  gemässigtes  und  südliches  Europa. 
Griech.  (Homer,  bei  dem  nur  an  die  wilde  Pflanze  gedacht  werden 
kann;  Theophr.)  a^Xivov,  woraus  lat.  (Apul.i  selinum.  Lat.  apium, 
Cap.  apium,  woraus  ahd.  ep/i,  altmfrk.  eppi.  nindl.  eppe,  eeeh.,  poln. 
opich. 

9.    Erbse  s.  d. 

10.  Fenchel  (Anethum  Foeniculum  L).  Heil-  und  Gewürzpflanze. 
Heimat:  Europa.  Griech.  (Epicharm.,  Theophr.)  udpctöov,  udpaOpov, 
woraus  lat.  (Ovid)  marathrus  und  altsl.  molotnl,  sowie  alb.  mardj. 
Lat.  foeniculum,  Cap.  fenkulum,  woraus  ahd.  f'enahhal,  finahhal,  mndl. 
venekel  (Thes.  I,  44.5  :  finkulus,  agls.  finugl >.  Vgl.  noch  altsl.  moracl 
, Fenchel'  (G.  Meyer  Et.  \V.  d.  alb.  Sprache  S.  2f>9>  und  altpr.  kamato. 


Digitized  by  Google 


Garten,  Gartenbau. 


267 


11.  Kaper  (Capparix  Spinosa  L.).  Gemüse-  und  Gewürzpflanze. 
Heimat:  Südeuropa.  Griecli.  (Theophr.)  KotTTTtapis,  woraus  lat.  < l'lautiis) 
capparix  (Thes.  I,  178). 

12.  Kerbel  {Anthrixcus  Cere folium).  Gemüsepflanze.  Heimat:  Süd- 
östl.  Kurland,  Westasien.  Lat.  iCol.,  Plin.)  euere folium,  chaerephyllon, 
Cap.  cer folium  {Thea.  I,  201.  21(5)  aus  einem  nicht  nachweisbaren 
griech.  *xaip€<puXXov.  Aus  dem  Lateinischen  oder  Romanisehen  icerfu- 
lum)  alid.  kervola,  kervul,  mndl.  ke'rvele,  agls.  cerfille,  slav.  *kerculie1, 
russ.  kervell  u.  s.  w.  Eine  andere  Kerbelart  ist  griech.  (Aristoph., 
Theophr.)  crKävbiE,  woraus  lat.  (Plin.)  xcandix.  Vgl.  Schlich  a.  a.  O.  S.  40. 

13.  K  ich  er  s.  u.  Erbse. 

14.  Cichorie  {Cichorium  Inft/bus  L.).  Heilmittel  und  Genusspflanzc. 
Heimat:  Europa.  Griech.  Kixwpn,  Kixwpiov  (Theophr.),  woraus  lat.  (Hör., 
Pliu.i  cicöreum,  cichöreiim.  Daneben  lat.  intubux  erraticus  .wilde 
Endivie'  und  xolsequium.  So  im  Capitulare.  Ahd.  xunnewirbel  (bei 
der  heiligen  Hildegard)  und  ftintlope. 

15.  Kohl,  s.  u.  Kohl  und  Rühe. 

16.  Koriander  (Coriandrum  sativum  £.).  Gewürzpflanze.  Heimat: 
Orient,  Südeuropa.  Griech.  (Aristoph.  xoptavvov,  Kopiavbpov,  KoXiavbpov, 
woraus  lat.  (; Plaut.)  coriandrum,  coliandrum,  Cap.  coriandrum,  ahd. 
chullantar,  agls.  cellendre,  polu.  koledra,  russ.  koriandrü.  S.  u.  Anis. 

17.  Kresse  (Lepidium  sativum  L.\  Gartenkresse  .  Heil- und  Salat- 
pflanze. Heimat:  Persien  und  Kleinasien.  Griech.  Aristoph.,  Theophr.) 
KUpbauov.  Lat.  (Col.,  Plin.)  nasturcium,  Cap.  nasturtittm.  Thes.  I,  727: 
crissonus,  er.  ortenxi»  etc.,  ahd.  krexso  (Thes. :  crexxa),  agls.  ccerse, 
nsl.  kres,  kresa.  Altgall.  beruht  Sri.  berle),  ir.  biror,  bilor,  kymr. 
berwr  etc.  , Brunnenkresse'  (vgl.  Stokes  Urkclt.  Sprachschatz  S.  170). 

1H.    Kümmel,  s.  d. 

19.  Kürbis,  s.  u.  Cucurbitaceen. 

20.  Lattich  (Salat;  Lactuca  Scariola  L.).  Heimat:  Südeuropa, 
Westasien.  Griech.  (Herod.)  6pTba£,  att.  epibctKivn.,  nach  Miklosich 
Et.  W.  ius  Slavische  (altsl.  brüdokva,  russ.  bredocka  etc.)  entlehnt. 
Lat.  lactuca,  Cap.  lactuca»  (Thes.'I,  (519:  /.  agls.  pupistil),  woraus  ahd. 
lattuh,  agls.  leahtric,  slav.  Hoktjuka,  altsl.  loMika,  auch  lit.  und  alba- 
nesieh.  In  letzterer  Sprache  noch  maruV ,  ngrieeb.  j*apoü\i,  türk.  marul 
etc.  (vgl.  G.  Meyer  Et.  W.  S.  2(51).  —  Mhd.  salat  aus  it.  salata, 
insalata.  Das  Einmachen  von  Salatpflanzcn  wurde  schon  im  Altertum 
in  ausgedehntester  Weise  geübt  (Schlich  a.  a.  0.  S.  14).  Vgl.  auch  lat. 
composita  (Apicius)  im  Deutschen  u.  Kohl  und  Rübe. 

21.  Linse,  s.  d. 

22.  Mal ve,  s.  d. 

23.  Mai  ran  (Origanum  Majorana  L.:.  Gewürzpflanze.  Heimat: 
Nordafrika.  Griech.  (Theophr.;  äudpcocoq,  woraus  lat.  (Col.)  arnaracus, 
das  volksctymologisch  verstümmelt,  zu  mlat.  majorana,  it.  mougiorana, 


Digitized  by  Google 


26* 


Garteti,  Gartenbau. 


mhd.  meigramme,  poln,  maioran  u.  8.  w.  führte.  Ausserdem  griech. 
(Diosk.)  tfduumxov,  woraus  lat.  (Col.)  sampsucum. 

24.  Melde  (Atriplex  hortensis  L.).  Spinatpflanze.  Heimat:  Süd- 
europa. Griech.  (Theoplir.)  dbpd(pofu?,  dvbpdqpaEiq,  dxpd<paEu<;,  woraus 
mit  volkstümlicher  Verdrehung  lat.  (Col.)  atriplex,  Cap.  adripiaa.  Über 
nhd.  melde  s.  u.  Amarant. 

25.  Minze  (Gattung).  Griech.  (Theophr.)  |wv9oq,  -n.,  -ov,  woraus 
lat.  (Col.)  menta,  Cap.  mentam,  ahd.  minza  (munza),  agls.  minte, 
altsl.  meta,  auch  lit.  und  alb.  (mentf,  mindere).  Bachminze  (Mentha 
aquatica  L.):  griech.  (Theophr.)  o*io*üußpiov,  woraus  (Plin.)  sisimbrium, 
Cap.  ebenso.  Arten  und  Namen  sind  hier  besonders  schwer  zu  unter- 
scheiden (8.  auch  u.  Pol  ei). 

26.  Mohn,  s.  d. 

27.  Möhre,  s.  d. 

28.  Pastinake  (Pastinaca  satira  L.).  Wurzelgemüse.  Heimat: 
Mittel-  und  Südeuropa.  Griech.  (Diosk.)  4Xa<p6ßoo*Kov,  woraus  lat.  (Plin.) 
elaphoboscon.  Lat.  (Varro,  Col.)  niner  (Diosk.  :  oiaapov).  Nach  Plinius 
XIX,  90  Hess  sich  Tiberius  siser  von  der  Burg  Gelduba  am  Rhein 
kommen;  doch  kann  swer  hier  auch  die  Zuekerwurzcl  \Sium  SUaron 
L.)  meinen.  It.  noch  paxtinaca,  Cap.  pastinacas,  ahd.  pestinaca, 
pe8tinac,  russ.  pastemakü  etc. 

29.  Petersilie  iApium  Petroselinum  L.).  Heimat:  Südeuropa, 
Algerien,  Libanon.  Griech.  (Diosk.)  7T€Tpoo*eAivov,  woher  lat.  (Plin.) 
petroselinum,  Cap.  petreselinum,  ahd.  pedaraiUi,  russ.  petrtiäka, 
auch  lit. 

30.  Pfebc,  s.  u.  Cucurbitaceen. 

31.  Pilz  'Gattung).  Griech.  ßioXirns  (Geopon.),  woraus  lat.  (Plin.) 
boletus,  ahd.  buliz,  agls.  bulot,  westph.  bülte,  russ.  dial.  blieü.  Ein- 
heimisch im  Slavischcn:  rnss.  gribü  etc.,  lit.  yrgbas. 

32.  Polci  (Menta  Pulegium  L.).  Gemüse-  und;Arzncipflanze.  Griech. 
(Aristoph.)  ßXiixwv  (dor.  rXdxwv),  woran»  mit  volkstümlicher  Anlehnung 
an  pillex  ,Flbh'  —  in  Deutschland  ist  Polei  thatsächlich  als  Mittel  gegen 
Flöhe  gebraucht  worden  — :  lat.  puleium,  ptlleginm  ivgl.  Keller  Lat. 
'Volksetym.  S.  64)  hervorging.  Cap.  puledium,  ahd.  polei,  russ.  polej, 
auch  lit. 

33.  Porree,  s.  u.  Zwiebel  und  Lauch. 

34.  Quendel  (Thymus  Serpyllum  L.K  Heimat:  Südeuropa.  Griech. 
(Aristoph.)  gpiruXXov,  lat.  (Cato)  serpullum.    S.  u.  Saturci. 

3ö.  Rauke  Eruca  satica  L).  Heimat:  Südeuropa.  Griech. 
(Theophr.)  eüZumov.  Lat.  erüca  (Thes.  I,  399:  auch  uruca;  vvenerem 
incendem*,  s.  o.),  Cap.  eruca  alba.    Erst  nhd.  rauke,  poln.  ruka  etc. 

36.  Rettig,  s.  d. 

37.  Salbei  (Sai via  officinali*  L.\.  Gewürz- und  Heilpflanze.  Griech. 
(Theophr.)  dXeXio*<paKO<;    vielleicht  nicht  unser  Salbei).    Lat.  (Plin.) 


Digitized  by  Google 


Garten,  Gartenbau  —  Gastfreundschaft. 


269 


aalcia,  Cap.  salviam,  woraus  ahd.  salbeia,  selba  (heilige  Hildegard), 
russ.  s~alfej. 

38.  Saturei  (Satureja  hortensis  L.  und  S.  Thytnbra  L.).  Heimat: 
Erstere  in  Italien,  letztere  in  Griechenland  und  Italien.  Grieth. 
(Nicand.)  KoviXn.,  woraus  lat.  (Plaut.)  cunila,  ahd.  quenala,  agls.  cunüe 
(auf  für  Quendel  und  Thymian).  Griech.  (Theophr.)  Gujißpov,  Öuußpa, 
woher  lat  (Verg.)  thymbra.  Lat.  satureja,  Cap.  satureiam,  ahd.  satereia 
(Heilige  Hildegard). 

39.  Senf,  8.  d. 

40.  Spargel  (Asparagus  officinalbt  L.).  Heimat:  Europa,  West- 
asien. Griech.  (Theophr.)  dandpcrros,  das  auch  junger  Trieb'  überhaupt 
bedeutet,  wird  von  einigen  als  urverwandt  mit  aw.  spareya-  ,Sprosse, 
Zinke  am  Pfeil',  lit.  spürgas  ,Knoten  am  Baum'  angesehen  (so  Prellwitz 
Et.  W.),  von  anderen  als  Lehnwort  aus  iranischem  Sprachgebiet  be- 
trachtet (so  G.  Meyer  Türk.  Stud.  I,  28).  Von  den  Alten  wurden  ver- 
schiedene Spargelarten  gebaut.  Der  dairdpato^  des  Theophrast  ist  der 
spitzblättrige  Spargel  (A.  acutifolius  L.).  Über  eine  deutsche  Spargel- 
art vgl.  Pliniu8  Hist.  nat.  XIX,  145:  Est  et  aliud  genus  incultius  as- 
parago,  mitius  corruda  (wilder  Spargel),  passim  etiam  in  montibus 
nascen8,  refertis  superioris  Germaniae  campis.  Aus  daTrapcnroq  :  lat. 
(Cato)  asparagus  und  (erst)  inhd.  spargel. 

41.  Thymian  {Thymus  vulgaris  L.).  Heimat:  Südeuropa.  Griech. 
Guuov,  woraus  lat.  (Verg.)  thymum. 

über  Heilpflanzen  s.  auch  u.  Arzt. 
Gasse,  s.  Strasse. 

Gastfreundschaft.  In  der  Urzeit  wird  nur  d  c  r  als  Freund  und 
als  in  Schutz.-  und  Rechtsgemeinschaft  stehend  angesehen,  welcher 
demselben  Stamm,  noch  früher  vielleicht  nur  derselben  Sippe,  angehört 
(s.  u.  Freund  und  Feind  und  u.  Stände).  Der  Fremde  ist  rechtlos. 
Diese  Anschauung  hat  bis  tief  in  die  historischen  Zeiten  gegolten,  und 
ist  eigentlich  erst  durch  die  neue  Weltanschauung  des  Christentums 
überwunden  worden.  Nach  germanischem  Recht  hat  der  Ausländer  kein 
Wergeid,  und  seinen  Verwandten  steht  keine  Befugnis  zu,  rechtliche 
Genugthuung  für  seine  Ermordung  zu  fordern.  Der  Totschläger  des 
Fremden  wird  nicht  friedlos  und  laudflüchtig,  und  erst  ganz  allmählich 
gleichen  sich  unter  den  nächststchenden  Stämmen  die  Rechtsverhältnisse 
aus  (vgl.  J.  Grimm  R.-A.  S.  397  ff.).  Ebenso  ist  im  Süden  in  rechtlicher 
Beziehung  der  Fremde  immer  der  d-riunro«;  utravaarris  geblieben,  der 
er  in  homerischer  Zeit  war,  uud  in  Athen  wie  in  Rom  bedarf  er  des 
einheimischen  Muntwalts  vor  dem  Richter. 

Dieser  finstere  und  engbegrenzte  Horizont  wird  nun  frühzeitig  durch 
den  an  ihm  aufgehenden  Stern  des  Gast  rechts  erhellt,  d.  h.  durch 
die  in  der  Brust  der  Menschen  erwachende  Satzung,  welche  befiehlt, 
den  Fremden,  der  an  sich|natürlich  immer  ausserhalb  der  Rechtssphäre 


Digitized  by  Google 


270 


Gastfreundschaft. 


des  Stammes  stehen  bleibt,  dennoch  zu  schonen,  ja  ihn  aufzunehmen, 
zu  pflegen,-  zu  beschützen.  Diese  Forderung  der  Menschlichkeit  lässt 
sich  in  Europa  sehr  früh  und  in  sehr  weiter  Ausdehnung  nachweisen. 
Schon  bei  Homer  ist  der  £tvo<;.  wie  der  utujxö?  ,Bettler'  und  kern.? 
.der  Bittflehende',  in  gewissem  Sinne  heilig,  und  steht  unter  dem  be- 
sonderen Schutze  des  Zeus  Hvioq.  Nicht  weniger  lässt  sieh  auf  ita- 
lischem Boden  die  Unvcrletzliehkeit  des  Gastes  durch  zahlreiche  Züge 
der  Geschichte  und  Sage  feststellen  vgl.  Leist  Graeeo-it.  Kcchtsg. 
S.  211  ff.). 

Aber  auch  in  den  roheren  Verhältnissen  der  nördlichen  Indoger- 
manen  wird  die  Sitte  der  Gastfreundschaft  als  im  weitesten  Umfang 
herrschend  von  den  antiken  Schriftstellern  bezeugt.  So  berichtet  von  den 
Ccltiheriern  Diodorns  Siculns  V.  .'54:  Txpoq  b*  Touq  Eevou?  ^meutet? 
kcu  qptXdvGpumoi .  touq  rdp  tTTibn,un.aavTa<;  £evous  änavT€q  dEioüat  rcap' 
auTOtq  7TOieio"0ai  t&?  KaiaXuatiq  Kai  irp6?  dXXr|Xou<;  äuiXXwvTai  rrepi  Tf\q 
(ptXoStvia?  (vgl.  auch  Diefenbach  Origines  Europ.  S.  172),  von  den 
Germanen  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  23:  Jfospitem  riolare  fax  non 
putant;  qui  qnaque  de  causa  ad  eox  renerunt,  ab  iniuria  prohibent, 
miwtofi  liabeut,  hixque  omni  um  domus  patent  rictusque  communicatur 
und  Tacitus  Germ.  Cap.  21 :  Convieiibux  et  hospitiix  non  alia  gern 
effuxiux  induhjet.  quemeunque  mortalium  arcere  tecto  nefax  habetur  etc. 
(s.  u.),  von  den  Slaven  Maurikios  Strateg.  XI,  f>:  eial  b£  xolc,  imH 
vouu€VOtq  aÜTOiq  tjmot,  Kai  <ptXo<ppovoüu€voi  aÜToüi;  biao*uu£ouo"iv  £k  töttou 
€l<;  töttov,  ou  av  blumai,  di?  €Tte  bi'  d^Xciav  toö  ÜTTobexou^vou  tfuußtj 
töv  &vov  ßXaßnvai,  ttöXcuov  Kivei  kot'  outöv  ö  toötov  Trapa6^u€voq, 
o*€ßa;  f|Yoö^i€voq  xr|v  toö  &vou  6cbiKr|0"iv  (vgl.  Krek  Einleit.  in  d.  gl. 
Litg. *  S.  357*).  Die  Letten  haben  sogar  einen  eigenen  Gott  der  Gast- 
freundschaft unter  dem  Namen  Ceroklix  (ille  hoxpitalitatix  deu8f  cui  ex 
omnibux  exculentix  prima*  buccax,  primo*  ex  pocuUntis  haust tis  stulta 
libabat  plebex)  geschaffen  (vgl.  Usener  Götternamen  S.  10ßu  Bei  den 
Nordgermanen  finden  sich  Spuren,  dass  hier  der  Gastgeber  dem 
Fremden  sogar  Frau  oder  Tochter  für  die  Nacht  zur  Verfügung  stellte, 
eine  Sitte,  die  noch  aus  der  Gegenwart  von  mehreren  Naturvölkern  ge- 
meldet wird  (vgl.  Weinhold  Deutsche  Frauen  II2,  199 f.). 

Diese  weite  Verbreitung  und  dieses  hohe  Alter  der  Gastfreundschaft 
bei  den  idg.  Völkern  haben  Leist  a.  a.  0.  (vgl.  auch  Altar.  Jus  civile 
1,354  ff.)  zu  der  Annahme  geführt,  dass  hier  eine  bereits  indogerma- 
nische I  ustitution  anzuerkennen  sei,  wofür  er  sich  auch  auf  sprachliche 
Beweisgründe  berufen  zu  können  glaubt.  „Dass  wir  es  auch  in  Betreff 
des  italischen  Verhältnisses  (der  Gastfreundschaft)",  heisst  es  S.  214, 
„mit  einer  uralten  Institution  zu  thun  haben,  beweist  die  Sprache  .... 
Es  leidet  keinen  Zweifel,  dass  das  lat.  hosti*  dasselbe  Wort  ist,  wie 
unser  deutsches  Gast.  Mit  demselben  Worte  werden  auch  immer  bei 
germanischeu  wie  italischen  Stämmen  gleichartige  Gedanken  verbunden 


Digitized  by  Google 


Gastfreundschaft. 


371 


gewesen  sein".  Allein  gerade  in  der  Sprache  liegt  das  Bedenkliche 
der  Leistsehen  Anschauung.  Ohne  Zweifel  ist  lat.  hostis,  fostis  .Fremder, 
Kriegsfeind'  identisch  mit  got.  gaats  ,E€vo^'  (gasti-göds  ,qnXö£€vos', 
gaxti-godei  ,<piXo£€via'),  ahd.  gast  .Fremder,  Fremdling,  feindlich  kommen- 
der Fremder.  Gast',  sowie  mit  altsl.  goutt  .Gast  faltruas.  anch  im  .Sinne 
von  ,Grosskaufmami'):  aber  in  dem  lateinischen  Worte  ist  niemals  die 
in  den  nordischen  Sprachen  hervortretende  freundliche  Gesinnung 
gegen  den  Fremden  zum  Ausdruck  gekommen.  Diese  liegt  vielmehr 
erst  vor  in  dem  Compositum  hoxpes  aus  *kosti-pets  (vgl.  sert.  titithi- 
pati-  ,hospes*  ',  eigentl.  ,Hcrr  und  Schützer  des  Fremden',  , Bewirtender', 
dann  auch  .Bewirteter'.  Man  kann  also  nur  sagen,  dass  in  der  angeführten 
Gleichung  ein  Wort  für  Fremder  im  feindlichen  Sinne  allmählich  zu 
der  Bedeutung  von  Fremder  im  freundlichen  Sinne  gekommen,  dem- 
nach in  sein  Gegenteil  umgeschlagen  ist,  ähnlich  wie  etwa  alte  WOrter 
für  den  Kaufpreis  eines  Mädchens  in  jüngeren  Zeiten  zur  Bezeichnung 
ihrer  Mitgift  s.d.)  verwendet  worden  sind.  Dieselbe  Entwicklung  bat 
aber  auch  das  griechische  Hvoq  (vielleicht  aus  *ghx-envo-s  und  mit 
dem  eben  besprochenen  *gho8-ti-  zusammenhängend)  durchgemacht.  Nach 
Plutarch  Arist.  Cap.  10  nannten  die  Lacedämonier  die  Barharen  und 
besonders  die  Ferser  Eevoi  und  eine  Hesvchische  Glosse  lautet:  Ee'voi  •  ol 
troXeuiot  •  o»  bfe  tou<j  TTVpcraq  (vgl.  K.  Brugmann  in  Curtius  Stud.  V,  226  ff.). 
Und  wiederum  entspricht  in  völlig  übereinstimmender  Weise  ir.  oech,  oegi, 
Gen.  oeged  ,Gast  ,  öigedaht  ,hospitalitas',  wenn  als  Grundform  *poiko-s 
anzusetzen  ist,  dem  ahd.  gi-ft%  agls.  fdh  .feindlich',  ahd.  pfihida,  agls. 
fiehd  .Feindschaft,  Fehde'  's.  u.  Blutrache),  wenn  dagegen  von 
*poigho-s  auszugehen  ist.  dem  altn.  feigr,  agls.  feege,  ahd.  feigi,  deren 
ursprüngliche  Bedeutung  ,dem  Tode  verfallen'  (moribundus)  gewesen 
ist.  In  beiden  Fällen  wird  also  der  Gast  ursprünglich  als  ein  feind- 
liches oder  für  den  Untergang  bestimmtes  Wesen  bezeichnet. 

Nimmt  man  hierzu,  dass  es  an  Resten  einstiger  dHevia  bei  den  idg. 
Völkern  Europas  auch  in  der  historischen  Überlieferung  nicht  fehlt, 
dass  Horaz  (Carm.  III,  4,  33)  die  Britannen  hospitibus  feros  nennt, 
dass  der  Araber  Ibn-Fozlan  (bei  Frähn  S.  51)  von  den  heidnischen 
Russen  sagt,  dass  kein  Fremder  ihr  Gebiet  betreten  habe,  ohne  augen- 
blicklieh das  Leben  zu  verlieren,  dass  die  pontischen  Skythen  (Strabo 
V,  p.  300)  von  besonderer  Grausamkeit  gegen  alle  Fremden  waren,  ja 
dass  noch  die  Lacedämonier,  die  soviele  Spuren  urzeitlicher  Vorstel- 
lungen und  Gebräuche  bewahrt  haben,  in  dem  Rufe  feindseliger  Ge- 
sinnung gegen  die  Fremden  standen,  dass  Eratosthenes  (vgl.  H.  Berger 
Die  geogr.  Frgm.  des  E.  1880  S.  49)  fand,  dass  die  Sitte  der  Ecvn.- 
Xaöia  allen  Barbaren  gemeinsam  sei,  so  werden  diese  sprachlichen  und 
sachlichen  Zeugnisse  zu  der  Annahme  führen  müssen,  die  Indoger- 
manen  seien  gegen  den  Fremdling  noch  lediglich  von 
feindlicher  Gesinnung  erfüllt  gewesen. 


Digitized  by  Google 


272 


Gastfreundechart. 


Auf  welche  Weise  dann,  allerdings  in  sehr  früher  Zeit,  aber  doch 
immer  erat  auf  dem  Boden  der  Einzelvölker,  und  auch  hier  nicht  gleich- 
massig bei  allen  Stämmen,  sondern  zunächst  wohl  nur  an  gewissen  Kult ur- 
ccntren,  der  humane  Gedanke  des  Gastrechts  sich  Bahn  gebrochen 
hat,  lässt  sich  noch  wahrscheinlich  machen.  Es  kann  kaum  bezweifelt 
werden,  das«  dies  im  engsten  Anschluss  an  einen  mehr  und  mehr  auf- 
kommenden Verkehr  und  die  durch  denselben  hervorgerufeneu  Handels- 
beziehungen der  Völker  geschehen  ist.  Wo  Gastfreundschaft  begegnet, 
begegnet  auch  Austausch  von  Gastgeschenken.  Bei  Homer  wird  die 
Gastfreundschaft  selbst,  ebenso  wie  das  Darbieten  von  Gastgeschenken 
(£€ivn.iov),  die  erwidert  werden  müssen,  als  eine  Pflicht  der  e^i? 
bezeichnet  (11.  XI,  779,  Od.  IX,  268).  Dabei  wird  durchaus  nach  dem 
Grundsatz  „Gleiches  um  Gleiches"  verfahren  (II.  VI,  232  ff.),  und  so 
reiche  und  mannigfaltige  Gaben  werden  (Od.  XXIV,  273  ff.)  dem  Gast- 
freund  dargebracht,  dass  sie  unter  dem  Gesichtspunkt  der  Not- 
wendigkeit ihrer  Erwiderung  angesehen,  vielmehr  einem 
Handelsgeschäft  als  einer  Gabe  der  Freundschaft  gleichen.  Nicht  weniger 
hebt  Tacitus  a.  o.  a.  0.  ausdrücklich  hervor:  Abeunti  si  quid  popos- 
cerit,  concedere  moris  et  poscendi  eadem  faeüttas,  und  die  Hävamälen 
(Str.  40)  lehren: 

„So  gastfrei  ist  keiner  und  zum  Geben  geneigt, 
dass  er  Geschenke  verschmäht, 

oder  so  wenig  auf  Erwerb  bedacht, 

dass  er  Gegengabe  hasst"  u.  s.  w.  (Gering) 
(vgl.  auch  Wciuhold  Altn.  Leben  S.  448  und  Deutsche  Frauen  II*,  201). 
Ein  eigentliches  freies  Schenken  in  modernem  Sinne  hat  es  in  der  Ur- 
zeit vielleicht  überhaupt  nicht  gegeben.  R.  M.  Meyer  in  einem  geistvollen 
Aufsatz  Zur  Geschichte  des  Schenken*  (in  Steinhauscm»  Z.  f.  Kultur- 
geschichte V,  18  ff.)  unterscheidet  drei  „Grundformen  des  Schenkens" 
in  der  Urzeit:  die  Gabe  auf  Widerruf  (das  „Leihen":  „was  der  Manu 
[in  der  Urzeit]  Frau  oder  Kindern  schenkt,  das  bleibt  ja  thatsächlich 
immer  sein  Eigentum",  besser:  „ Familieneigentum u,  über  das  er  das 
Verfügungsrecht  hat;  s.  u.  Eigentum  und  u.  Familie),  die  Gabe  auf 
Gegenschenkung  und  die  Pflichtgabe  (s.  z.  B.  u.  Abgaben).  Zu  der 
zweiten  Art  würde  das  Gastgeschenk  gehören,  und  treffend  sagt 
Meyer  a.a.O.  S.  23:  „Von  solcher  Art  sind  fast  alle  „Geschenke",  die 
die  „kindlich  überströmende  Freundlichkeit"  der  Naturvölker  Fremden 
entgegenbringt.  Sie  schenken,  was  sie  haben,  aber  sie  erwarten  Gegen- 
geschenke als  etwas  Selbstverständliches^.  So  ist  auch  das  Gastge- 
schenk eine  Art  von  Handel,  und  wir  möchten  glauben,  dass  der 
Wunsch  und  das  Bedürfnis  solchen  Handels  den  Boden  für  das  all- 
mähliche Aufkommen  einer  gastfreundlichen  Gesinnung  geebnet  hat. 
Oder,  um  es  mit  den  Worten  Iherings  (a.  u.  a.  0.  S.  412)  auszu- 
drücken: „Das  Motiv,  welches  die  Gastfreundschaft  im  Altertum  ins 


Digitized  by  Google 


r.nstfivundsch;il'l  —  (iastlmu  273 

Leben  gerufen  und  sie  zu  dem  gemacht  bat,  was  sie  ward,  war  nicht 
ethischer,  sondern  praktischer  Art,  nicht  das  uneigennützige  der 
Menschenliebe,  sondern  das  egoistische  der  Ermöglichung  eines  ge- 
sicherten Handelsverkehrs;  ohne  den  gesicherten  Rechtsschutz  würe 
ein  internationaler  Handelsverkehr  zur  Zeit  der  Rechtlosigkeit  des 
Fremden  unmöglich  gewesen".  Zweifellos  ist  auf  die  Form  und  Ge- 
staltung der  Gastfreundschaft  in  den  südlichen  Ländern  der  Eintiuss 
der  Phönizier  von  Wichtigkeit  gewesen,  wofür  man  bloss  an  die  Über- 
einstimmung des  (TunßoXov  der  Griechen  und  der  texseva  hospitalut 
der  Römer  mit  dem  chirs  arlichot  ,Scherbc  der  Gastfreundschaft'  der 
Punier  (Plaut.  Poen.)  zu  erinnern  braucht.  Dnss  aber,  wie  Ihering  glaubt, 
der  Begriff  der  Gastfreundschaft  in  Kuropa  überhaupt  erst  mit  dem 
Erscheinen  der  Phönizier  daselbst  aufgekommen  sei,  ist  wenig  wahr- 
scheinlich. Er  war  vorhanden,  ehe  noch  ein  Phönizier  nach  Griechen- 
land, Italien  oder  sonstwobin  in  Europa  seinen  Fuss  setzte.  —  Vgl. 
Vf.  Handelsgesehichte  und  Warenkunde  I,  4  ff.,  R.  v.  Ihering  Deutsche 
Rundschau  1886/87  B.  III  April-Juni  1*87:  Die  Gastfreundschaft  im 
Altertum  8.  4ö7  ff.,  S.  420  ff.  (Widerspruch  hiergegen  bei  Goldschmidt 
Handbuch  des  Handelsrechts  Is,  1  S.  34,  teilweise  Zustimmung  bei 
Wundt  Ethik8  8.  231;.  —  8.  auch  u.  Gasthaus. 

Gast  haus.    In  homerischer  Zeit  wird  von  einem  Manne  namens 
Axylos  aus  Arisbe  in  Thrakien  (II.  VI,  \h\  berichtet: 
oupveicq  ßiÖTOio,  cpiXos  b'  fjv  äv8pumoto*i  • 
Trdviaq  y«P  cpiX€€(JK€v,  öbw  £m  ouaa  vaiwv. 
Natürlich  ist  aber  hier  nur  eine  ausgedehnte  Gastfreundschaft,  kein 
Gasthausbetrieb  gemeint,  wie  ihn  viel  später  in  Italien  Grossgrundbe- 
sitzer an  den  Landstrassen  in  nahe  von  ihren  Gütern  gelegenen  und 
von  Pächtern  oder  Sklaven  bewirtschafteten  Tnberncn  ausübten.  Im 
übrigen  werden  bei  Homer  zwei  Stätten  genannt,  an  denen  der  Fremd- 
ling für  die  Nacht  sein  Haupt  niederlegen  kann,  die  Schmiede  und 
die  X€<Jxn-    8o  sagt  Od.  XVIII,  328  f.  die  ungetreue  Magd  Melantho 
zum  Bettler  Odysseus: 

oub'  £6eX€iq  eübeiv  xaXicn.iov      böuov  tXfldiv, 

rje  ttou  iq  Xe'crxiv,  dXX'  tvOübe  ttöXX'  «fopeuei?  etc. 
Vgl.  dazu  Hesiod  Werke  und  Tage  v.  493  f. 

Trüp'  b  i'9i  xüXkciov  6ÜÜKOV  küi  ^TraX^a  X€0"xnv 

a>pr)  xemepirj.  öttötc  Kpüo?  avt'pa?  fpfuuv 

i'öxavei, 
und  v.  fiOuf.: 

eXu'i?  b'  oük  äfa8n,  Kexpnutvov  ävbpa  »contoi 

n/itvov  tv  Xeaxrj,  tiL  \xr\  ßto<;  äpKio«;  ein,. 
Hinsichtlich  der  Sehmiede  wird  man,  wie  es  im  deutschen  Mittel- 
alter nachweisbar  ist,  an  gemeinsame,  allen  offen  stehende  Räume 
denken  müssen,  in  denen  der  einzelne  seinen  Bedarf  an  Schmiedearbeit 

Schräder.  Reallexlkon  18 


Digitized  by  Google 


274 


Gasthaus. 


selbst  herstellte  (s.  auch  u.  Schmied;,  und  die  zugleich  cineu  warmen 
Aufenthalt  für  die  Nacht  darboten.  Bezüglich  der  Ua%r\  gehen  die 
Meinungen  noch  auseinander.  Die  einen  leiten  das  Wort  aus  dein 
hebr.  luikdli  ,Zelle  am  Temper,  ,Zimmer  im  Schloss',  ^Speisesaal'  (vgl. 
1.  San».  9,  22:  „Samuel  aber  nahm  Saul  und  seinen  Knaben  und  führte 
sie  in  die  Esslaube,  und  setzte  sie  oben  an  unter  die,  so  geladen 
waren,  deren  waren  bei  30  Mann"),  andere  halten  es  für  echt  griechisch 
und  stellen  es  entweder  zu  Xex  ,liegen'  (Xexoq  .Bett'),  *Xex-o"ica,  oder  zu 
X^rw  , spreche  ,  wie  denn  das  Wort  bei  Herodot  ,Gespräch',  bei  Aeschylns 
und  Sophokles  , Versammlung'  bedeutet.  Wie  sich  dies  nun  auch  ver- 
halten möge,  jedenfalls  muss  in  den  obigen  Zeugnissen  Xeaxn  ein  Ort 
gewesen  sein,  wo  man  nächtigen,  sein.  (Jehl  verthun,  sich  behaglich 
aufhalten  konnte,  eine  Herberge,  eine  Kneipe.  Für  die  Entlehnung 
aus  dem  Semitischen  kann  mau  anführen,  dass,  wie  aus  dem  späteren 
hervorgehen  wird,  häufig  Ausdrücke  für  den  Begriff'  der  Herberge  sich 
als  Wanderwörter  erweisen. 

Zur  Zeit  der  ältesten  griechischen  Tragiker  sind  dann,  wenigstens 
in  Athen,  eigentliche  Gasthäuser  zur  Aufnahme  von  Fremden  (Travbo- 
K€tov,  KaTafuVfiov,  KaiaXuau;)  bekannt.  Vgl.  z.  B.  Acsch.  Chocph.  v. 
660  ff.: 

t£xuv6  b',       ko\  vuktö?  äpu'  ^nciteTcn 
0"kot€ivöv,  uipa  b'inuöpovq  KaBitvai 
äfxupav  iv  bÖMOiai  iravbÖKOig  Ee'vwv. 

Ebenso  wie  aus  dem  homerischen  Griechenland,  sind  aus  dein  ger- 
manischen Norden  Züge  ausgedehntester  Gastfreundschaft  bekannt. 
Auch  hier  bestanden  an  grossen  Höfen  mit  reichlichem  Frcmdenzufluss 
besondere  „Gasthäuser"  (altn.  gesta-hüs,  ahd.  gasthus,  agls.  gext-hüa). 
Auch  legten  in  den  Bergen  Norwegens  und  Islands  menschenfreundliche 
Männer  in  bestimmten  Entfernungen  „Schutzhäuseru  {xä>Ut-hux  :  sa>Ia 
,bliss,  happiness'i  als  Untcrknnftsstätten  für  Heisende  an  (vgl.  Weinhold 
Ahn.  Leben  S.  369  ff.,  M.  Heyne  Wohnungswesen  S.  38.  147 81 1. 

Eigentliche,  d.  h.  dem  Erwerb  dienende  (Tasthäuser  lernten  «lic 
germanischen  Völker  aber  wohl  erst  nach  und  durch  ihre  Berührung  mit 
Italien  kennen.  Gasthäuser  idecerxoria)  und  Ausspannen  \stnhultt)  sind 
hier  seit  dem  II.  Jahrhundert  v.  Chr.  nachweisbar.  Ihre  Bedeutung 
wuchs,  je  mehr  (nach  orientalischem  Vorbild i  Poststrassen  (s.  u.  Tost) 
sich  über  das  römische  Reich  auszudehnen  anfingen.  Diese  waren  in 
Positionen  und  stationes  (auch  mutatione*  und  ciritates  .Hauptpost- 
stationen  )  eingeteilt,  und  häufige  Posthäuser  oder  wansiones  boten 
den  Reisenden  geräumige  und  bequeme  Gelegenheit  zur  Unterkunft.  Zu- 
gleich hatten  aber  diese  mamione*  auch  eine  militärische  Bedeutung, 
insofern  liier  den  marschierenden  Truppen  ihre  Rationen  zugemessen 
und  ihr  Sold  ausgezahlt  wurde  (vgl.  Ginzrot  Die  Wagen  und  Fuhrwerke 
der  Griechen  und  Römer  I.  307*.    Die  germanische  Sippe  ahd.  heri- 


Digitized  by  Google 


Gasthaus  —  Gazelle. 


275 


berga,  spätagls.  herebeorga,  altn.  herbergi  (auch  in  die  nun.  Sprachen  : 
it.,  altsp.  albergo  u.  s.  w.  entlehnt)  mit  ihrer  doppelten  Bedeutung 
»Heerlager'  und  .Wirtshaus'  dürfte  daher  eine  Art  von  Verdeutschung 
des  Jat.  mansio  darstellen. 

Im  (Ihrigen  liegt  den  meisten  Benennungen  de»  Wirtshauses  in  den 
germanischen  Sprachen  das  gemeingermanische  Wort  alid.  sal  .Haus, 
Saal,  Halle,  meistens  nur  einen  Saal  enthaltendes  Gebäude',  alts.  seli 
»Gebäude,  nur  aus  einein  grossen  Saal  bestehend',  agls.  seh,  salor,  $<vl 
, Halle,  Palast',  altn.  sah  zu  Grunde.  Hierzu  got.  saljan  »einkehren' 
und  einerseits  nhd.  saii-hus,  xelihiU,  alts.  seli-hüs,  das  andere  Mal  got. 
salipica  .KorrriXuMa',  alts.  xelitha,  ahd.  selida  ,mansio'  (altsl.  selitvo  »Woh- 
nung' aus  dem  Deutschen?/.  Auch  mit  xtaps  »Stätte'  wird  von  Ultilas 
tccrraXuna  gelegentlich  i  Luc.  II.  1)  Übersetzt.  Erst  spät  wurde  aus  dein 
Lateinischen  ahd.  tacerna.  tarerhns,  altn.  tafernishü*.  ahd.  tacernari 
,caupo'  Übernommen.    Unaufgeklärt  ist  bis  jetzt  altn.  inni,  agls.  /■»». 

Recht  deutlich  knüpft  auch  bei  den  Slaven  das  jüngere  Gasthaus- 
wesen an  die  Bedingungen  der  älteren  Gastfreundschaft  an.  Die  ein- 
heimischen Ausdrücke,  altsl.  gospoda,  £ceh.  hospoda  u.  s.  w.  , Herberge' 
(daraus  lit.  gaspadä)  gehören  zu  dem  in  allen  Slavinen  verbreiteten 
altsl.  gospodl  ,IIerr'  'meist  nur  von  Gott  gesagt),  das  aus  *gosti-poti- 
entstanden,  ursprünglich  genau  dasselbe  wie  lat.  hoxpes  aus  *ho*tipeta 
[hospitium)  bedeutet  haben  muss.  Der  dabei  zu  Grunde  liegende  Ge- 
danke ist  wohl  der,  dass  der  in  eine  Hausgemeinschaft  eintretende 
Fremde  (daher  lit.  uiexzeti  »zu  Gaste  sein'  von  wiesz-  =  griech.  oko?» 
lat.  ticus;  lit.  tciöxzpats  ,Herr',  von  Gott  und  dem  König  gesagt,  s.  u. 
Sippe)  für  die  Zeit  seines  Aufenthaltes  daselbst  denselben  Schutz  wie 
die  Hausangchörigcn  von  Seiten  des  Hausherrn  lidg.  *poti-\  s.  n.  Ehe) 
genicsst,  der  dadurch  also  zum  *gosti-poti-  , Herren  des  Fremden'  wird. 
Altsl.  gospoda  i*gosti-potd)  wird  eigentlich  »Herrschaft  über  deu  Fremden' 
bedeuten.  Charakteristisch  hierfür  ist  auch,  dass  nach  agls.  Recht  (vgl. 
F.  Rocder  Familie  bei  den  Angelsachsen  S.  X31)  der  Hausherr  für  den 
Fremdling,  dem  Gastfreundschaft  gewährt  ward,  rechtlich  verantwortlich 
ist.  Auffällig  bleibt  in  lautlicher  Beziehung  die  inlautende  Media  des 
altsl.  gospodl,  gospoda  gegenüber  dem  lat.  hospes,  hospitis.  R.  Much 
Festschrift  für  Heinzcl  S.  213  sucht  diese  Schwierigkeit  durch  Annahme 
einer  Entlehnung  des  slavischen  Wortes  aus  dem  Germanischen  (*gasti- 
faps,  *gasti-fadis)  zu  beseitigen.  Auch  an  Entlehnungen,  namentlich 
aus  dem  Osten/  sind  die  slavischen  Sprachen  reich:  z.  B.  russ.  chanCt 
»Gasthaus',  nun.  hau,  ngriech.  x<*vi  aus  türk.  yan.  —  Weiteres  vgl.  bei 
Vf.  Handelsgeschichte  und  Warenkunde  I,  2*  ff. 

Gastmähler  und  Trinkgelage,  s.  Mahlzeiten  n.  Trinkgelage. 
Gatten,  s.  Ehe. 

Gau,  s.  König,  Sippe,  Stamm. 
Gazelle,  s.  Antilope. 


Digitized  by  Google 


27« 


Gebück,  s.  Brot, 
liebet,  8.  Opfer. 
Gebirge,  s.  Berg. 

Gebnrt,  s.  Hebamme,  Mond  und  Monat  (Schwangerschnfts- 
berechnung),  Reinheit  und  Unreinheit. 
Gedicht,  s.  Dichtkunst. 
Gefängnis,  Gefängnisstrafe,  s.  Strafe. 

Gelasse.  Die  Ausübung  der  Töpferei  geht  unzweifelhaft  in  die 
neolithische  Epoche  unseres  Erdteils,  ja  über  dieselbe  hinaus,  in  die 
Zeit  der  Kjökkenmöddinger  zurück,  in  denen  grosse  thönerne  Kruken 
(noch  ohne  Henkel)  und  kleine  ovale  Schalen  gefunden  wurden  (vgl. 
S.  Müller  Nordische  Alfertumsk.  I,  .*>*).  Hingegen  sind  der  palaeo- 
lithischcn  Zeit  Thongcfässc  irgend  welcher  Art  nach  Mortillet  und 
('artaihac  höchstwahrscheinlich  abzusprechen  vgl.  X.  Jolly  Der  Mensch 
vor  der  Zeit  der  Metalle  S.  3(>W.  Auch  M.  Much  äussert  sich  darüber 
«brieflich):  „Die  Nachrichten  von  dem  Funde  von  Thongefässcn  in 
mauimnt-  oder  renntierzeitlicheu  Schichten  sind  mit  äusserster  Vorsicht 
aufzunehmen.  In  zweifellos  uugcstörtcu  Schichten  dieser  Zeit  ist 
nirgends  Thongeschirr  vorgekommen"  ebenso  M.  Hörnes  Urgeschichte 
des  Menschen  S.  37). 

Noch  ohne  Benutzung  der  Drehscheibe  s.  u.  Töpferscheibe;  und 
ohne  Kenntnis  des  Töpfendens  entfaltete  das  jüngere  Steinzeitalter  in 
der  Herstellung  und  Ornamentierung  seiner  ftefässe  dennoch  bereits 
das  Streben  nach  Schmuck  und  Schönheit.  Die  mit  den  Fingern  ein- 
gedrückten Vertiefungen  sollen  auf  die  Hände  von  Frauen  hinweisen, 
denen,  wie  inau  annimmt,  damals  die  Ausübung  der  Töpferei  obgelegen 
habe.  Als  besonders  hierfür  beweisend  sieht  man  einen  schon  vor 
längerer  Zeit  bei  Coreelettes  am  Neuenburgersec  gefundenen  Thon- 
seherben au,  der  fünf  deutliche  Fingereindrücke  zeigt,  aus  denen  Koll- 
mann  auf  dem  Anthropologenkongrcss  in  Lindau  drtlW)  nach  Zeitungs- 
berichten eine  ganze  .Töpferin  von  Coreelettes"  zu  rekonstruieren  unter- 
nommen hat.  Auch  an  Mannigfaltigkeit  der  Gefäss  formen,  an  Töpfen, 
Krügen,  Bechern,  Schalen,  Schüsseln  u.  s.  w.,  die  man  bereits  mit 
Henkeln  auszustatten  versteht,  fehlt  es  schon  damals  nicht.  Eine 
Übersieht  über  die  (Jefässformen  frühester  Zeit  erhält  man  z.  B.  aus 
L.  Liudenschmit  Das  römisch-germanische  Centraimuseum  Tafel  L  (für 
den  Norden  vgl.  S.  Müller  a.  a.  O.  S.  152). 

Neben  dem  Thon  wurde  auch  Holz  frühzeitig  zur  Herstellung 
von  Gefässen  benutzt,  und  schon  die  Schweizer  Pfahlbauten  weisen, 
wie  in  beschränktcrem  Masse  auch  die  nordischen  Altertümer  i  vgl. 
S.  Müller  a.  a.  0.  S.  liW.,  Schalen  und  Schüsseln,  Löffel  und  Kellen 
ans  Holz  auf. 

Im  allgemeinen  werden  die  Thongcfässc  der  jüugeren  Steinzeit  da, 
wo  sie  gefunden  werden,  auch  hergestellt  worden  sein,  wenngleich  sieh 


Digitized  by  Google 


» 


Gettsse.  277 

Spuren  eines  mit  ihnen  getriebenen  Handels,  z.B.  von  Thüringen  aus 
(vgl.  A.  Goetze  Über  ncolithisehen  Handel,  Festschrift  f.  Bastian  S.  345  f.), 
schon  damals  finden. 

Im  Gegensatz  zu  der  paläolithischen  Zeit  und,  wie  auf  anderen  Kultur- 
gebieten (s.  u.  Ackerbau,  Viehzucht,  Waffen,  Bestattung),  im 
Einklang  mit  dem  oben  geschilderten  Charakter  der  neolithisehen  Epoche 
muss  nun  auch  für  die  Kultur  der  Indogermanen  die  Bekanntschaft 
mit  der  Töpferei  vorausgesetzt  werden,  die.  abgesehen  von  der  Reihe 
sert.  dih  »bestreichen,  kitten',  npers.  dt'g  ,Topf,  lat.  figulus  /Töpfer', 
got.  deigan  ,aus  Thon  formen'  etc.,  aus  einer  beträchtlichen  Zahl  ur- 
verwandter Gleichungen  für  verschiedene  Gefässarten  zu  folgern 
ist.  Es  sind  vornehmlich  folgende:  1.  sert.  carü-  , Kessel,  Topf,  griech. 
KC'pvoq*  dTfeia  K€paued  Hes.,  ir.  core,  kymr.  pair  »Kessel',  altn.  hverr 
id.,  altsl.  cara  »Schale';  2.  sert.  ukhd-,  ukhd'  .Kochtopf,  Pfanne',  lat. 
aula,  olla,  au.rilla  ,Topf,  griech.  iTrvöq,  got.  ai'thm  (s.  u.  Ofen): 
3.  sert.  dmatra-  ,Gefäss,  Krug',  armen,  antdn  .Gefäss',  griech.  dui^ 
,Topf.  duvtov  .Üpferschalc'  (nach  anderen:  lat.  mnguin),  lat.  ama 
, Eimer'  (s.  u.>;  4.  sert.  karpara-  »Schale'  =  griech.  KdXTTn.»  koeXtti^  »Krug', 
lat.  caJpar  »Weinfass  =ir.  cilorn  .ureeus"  odcr=altsl.  trepti  »Scherbe',  ahd. 
scirbi  ,Scherbe,  Topf;  5.  sert.  kumbhä-  ,Topf,  aw.  xumba-  =  griech. 
Konßo^  id.  (oder  ~  nhd.  Humpen  i)\  0.  sert.  kahi<;a-  /Topf,  Krug',  griech. 
küXiE,  lat.  calix;  7.  sert.  göla-  .Kugel,  kugelförmiger  Krug',  griech.  YcmXöq 
»Melkeimer',  lat.  gauhts  »ein  dickleibiges  Trinkgefäss',  ir.  guala  .Kessel'; 
8.  aw.  takta-  »Schale,  Tasse',  lat.  texta  jedes  irdene  Geschirr';  9. 
griech.  möos  ,grosser  Krug',  lat.  fidelia  ,irdenes  Gefäss,  Topf,  altn. 
bfoa  »Butterfass';  10.  griech.  XcKdvr,.  dor.  XotKdvr,  »Schüssel',  , Becken' 
(Xr|Ku9o^  ,FIäschcheir),  lat.  lana-  Schüssel",  altsl.  lakütü  ,irdner  Krug"; 
11.  griech.  üpxn  ,irdenes  Gefäss',  lat.  urceus  ,Krug'  (s.  u.),  altsl.  vrüci 
id.;  12.  griech.  TraTdvn,,  lat.  patina  (oder  entlehnt?)  »Schüssel',  ir.  an 
(*pat>id)  ,ein  Trinkgefäss';  13.  griech.  x^Tpa  ,Topf,  thrak.  ZeTpcact  id.; 
14.  Altpr.  kiosi  , Becher',  altsl.  cam  id.;  15)  Ir.  ballan  »Trinkgefäss', 
altn.  bolli  ,Opferschalc',  agls.  bolla  »Topf,  Napf,  Krug'  (oder  Entleh- 
nung seitens  des  Irischen?;  u.  a.  Für  den  Begriff  des  Henkels  be- 
steht die  Gleichung:  sert.  aiim-  in  ama-dhri'-  »Kochtopf,  lat.  ansa 
»Grift",  lit.  qsä  , Henkel,  altpr.  ansix  , Haken'.  Was  die  genannten 
Gleichungen  für  Gefässarten  selbst  betrifft,  so  erhellt,  dass  innerhalb 
der  einzelnen  Reihen  die  Bedeutungen  so  sehr  in  einander  fliessen,  dass 
die  Ansetzuug  einer  festen  urzeitlichen  Bedeutung  nur  selten  möglich 
ist.  Auch  heute  wird  ja  sprachlich  nicht  scharf  zwischen  Begriffen 
■wie  Napf,  Schale,  Schüssel,  Becken  u.  s.  w.  unterschieden.  Merk- 
würdig ist,  wie  häutig  in  den  idg.  Sprachen  neben  Gefässnaineu  stamm- 
gleiche Ausdrücke  für  Kopf  und  Schädel  liegen.  So  neben  altn. 
hverr  , Kessel'  (s.  o.)  got.  lucairnei  .Schädel",  neben  sert.  kö'ra-  .Be- 
hälter' (Eimer,  Kiste  etc.)  lit.  klduniv  .Schädel  ,  neben  altn.  kolir  ,Kopf 


Digitized  by  Google 


278  Gelüsse. 

kolla  ,Topf.  Seit,  kapdla-  ist  »Schale'  und  »Schädel',  altpr.  kerpetis 
»Schädel'  scheint  zu  seit,  karpara-  »Schale'  zu  gehören.  Aber  auch 
in  jüngeren  Sprachperioden  ist  frz.  tete  ,Kopf  aus  lat.  testa,  und  ist 
mhd.  köpf  (s.  u.)  aus  lat.  cuppa  , Becher'  hervorgegangen.  Der  (irund 
dieser  Erscheinung  liegt  zunächst  in  der  Ähnlichkeit  des  Kopfes  mit 
einein  Gefüss.  Das«  sich  aber  diese  beiden  Hegriffe  in  der  Phantasie 
der  Sprechenden  so  nahe  rückten,  mag  darin  begründet  sein,  dass  bis 
in  ziemlich  späte  Zeit  auch  bei  idg.  Völkern  der  Schädel  des  er- 
schlagenen Feindes  als  Trinkgefäss  diente.  So  berichtet  Livius  XXIII, 
24  von  den  oberitaliscben  Bojern:  Purgato  inde  capite  (des  gefallenen 
römischen  Konsuls  Postumius),  ut  mos  iis  est,  calcam  auro  caela- 
rere  idque  merunt  ras  iis  erat,  quo  sollemnihit*  libarent  poculumque 
ideni  saeerdotibtts  ac  tetapli  antistitilnts.  So  fertigt  auch  Wieland 
aus  den  Köpfen  von  Xidungs  Söhnen  Trinkbecher,  und  (Judrun  reicht 
dein  Atli  den  Trank  in  den  Schädeln  seiner  Kinder.  Bemerkt  darf 
in  diesem  Zusammenhang  auch  das  in  den  Funden  hervortretende  Be- 
streben werden,  gewissen  Gefässforinen  die  Ähnlichkeit  mit  einem 
menschlichen  Antlitz  zu  verleiben,  wie  es  am  deutlichsten  in  den  so- 
genannten Gesichtsuruen  (vgl.  Undset  Das  erste  Auftreten  d.  Eisens 
in  Xordcuropa  S.  113  ff.)  sich  zeigt. 

Xoeh  grösser  aber  als  die  Zahl  der  urverwandten  Entsprechungen 
ist  auf  dem  Gebiete  der  Gcl'ässnamen  diejenige  der  auf  Entlehnung 
beruhenden,  ,1a,  es  giebt  vielleicht  kein  zweites  Bereich  der  Kultur- 
geschichte, dessen  Terminologie  eine  gleiche  Fülle  entlehnten  Gutes 
aufwiese.  Der  Grund  dieser  Erscheinung  liegt  offenbar  in  dein  Um- 
stand, dass  die  Gcfassc  in  dem  Handel  der  Völker  eine  wichtige 
Holle  spielten,  indem  sie  einerseits  als  Bergung  der  Ware,  andererseits 
gleichzeitig  als  Gemäss  (s.  u.  Mass,  Messen)  dienten. 

Dieser  bedeutsame  Kulturaustausch  ist  an  der  Hand  einiger  weit- 
verbreiteter Entlehnungsreilien  zu  charakterisieren:  Es  stammen: 

Aus  p  Ii  o  e  u  i  z.  -  Ii  c  b  r.  kad  , Eimer*  :  griech.  tcäboq  i  Arehiloehns) 
.ein  grösseres  Gefüss  zum  Aufbewahren  des  Weines,  Eimer',  lat.  cadtts 
(  Plant.),  agls.  veed  ,Xachen'(V),  altsl.  kadi  und  in  allen  Slavincn.  auch 
lit.  (vgl.  auch  gricch.  ßticoq  bei  Herod.  .irdenes  Gefäss  für  Wein', 
jCTrüuvoq  aita  fywv'  Hes.  aus  syr.  büqä)\  aus  hebr.  qnbba'at,  assyr.  qa- 
hu'tu  , Kelch,  Becher'  :  griech.  ToßaGov  ipüßXiov  (Hos.),  lat.  gabata 
(Mart.),  ahd.  gebiza. 

Aus gri cch.  dmpopeüq  (äuqpupopcus) , Weinkrug' :  hü.amphora  (Xacv.), 
anipulla  (Plaut.),  ahd.  aaibar  (einibar),  agls.  ömbor,  altsl.  qborti,  altpr. 
wumbaris  , Eimer';  aus  griech.  bio*KO<;  »Schüssel',  ,Teller"  :  lat.  dincus 
(Plaut.,  aber  hier  nur  ,  Wurfscheibe',  später  .Schüssel'),  ahd.  tisc,  agls. 
disc  »Schüsser;  aus  griech.  KdxKaßo^,  KaKKäßn  ,Topf  :  lat.  eaccabus,  ahd. 
(mit  Suffixwechsel)  kahhahr,  aus  griech.  TrVrctvov  :  lat.  tfgula,  ahd.  tegal, 
agls.  tigle,  tigele,  altn.  digull  (mit  Anlehnung  an  got.  deigan  s.  o.).  Xoeh 


Digitized  by  Google 


(icfHsse  —  Geisel. 


27<> 


dunkel  sind  die  Lautverhältnisse  in  der  Reihe:  griech.  Kpwaaöq  {*Kpu)Kjo-j 
,Krng',  ir.  crocean  gl.  olla,  ahd.  kruog  fliehen  agls.  crocca,  altn. 
krukka  .Krug  ;. 

Ans  lat.  catinus  .Schüssel'  (scrt.  kafhina-'f)  :  got.  katils,  ahd.  chezziL 
altn.  k  et  Uly  altsl.  kotlü  .Kessel',  lit.  kdtilas-  ans  lat.  e«//./'  (s.  o.j  :  ahd. 
chelih,  alts.  fct?/*Ä\  agls.  c«/if,  altn.  krilkr,  altsl.  kalezi  (und  entsprechend 
in  den  meisten  Slaviuen);  ans  lat.  urceus  (s.  o.,  vgl.  auch  lat.  urna  aus 
*urcua)  :  got.  atirkje  Gen.  Flur.;  aus  mlat.  bicdrium  von  lat.  ha  rar 
(Fcstusi  oder  griech.  ßucoq  (s.  o.)  :  ahd.  hehhdri,  altndd.  hikeri.  ndl. 
beAvr,  altn.  bikarr:  ans  mlat.  cm/j/m  (ital.  roppa)  :  ahd.  c/iojv/',  vhu/th, 
agls.  co/i/i,  nippe,  altn.  Äo/^i-  fs».  o.i.  Endlich  maclien  sich  im  mittel- 
alterlichen Europa  anch  arabische  Einflüsse  in  Reihen  wie  it.  tazza, 
sp.,  pg.  taza,  pr.  tassa,  fr/,  fasse  aus  arab.  fassah  .Napf  oder  it.  ca- 
raffa,  sp.  garrafa,  fr/..  Karaffe  aus  arab.  girdf  geltend. 

Weiteres  vgl.  bei  Lewy  Die  somit.  Fremdw.  S.  93  ff'.,  Muss-Arnolt 
Semitic  words  (  vessels)  S.  97  ff.,  ().  Weise  Die  griech.  W.  im  Lat. 
S.  174  ff.,  F.  Kluge  Die  lat.  Lehnwörter  der  altgerm.  Sprachen  (in 
Panls  Grundr.  I2,  333  ff.).  Vgl.  ferner  Vf.  llamlelsgcsch.  u.  Warenkunde 
I,  löl  ff.  —  S.  auch  n.  Fass,  Flasche,  Teller,  Töpferscheibe. 

Geflügel,  Geflügelzucht,  s.  Hahn,  Huhn  und  Viehzucht. 

(Gefolgschaft,  s.  Stände. 

Geier,  s.  Raubvögel. 

Geige,  s.  Musikalische  Instrumente. 

Geisel  (obses).  Die  Anfrechterhaltnng  von  Vertrauen  /.wischen 
verschiedenen  Stämmen  ist  in  alten  Zeiten  nur  durch  die  Gestellung 
von  (Geiseln  möglich,  wozu  mit  Vorliebe  adlige  Jünglinge  und  besonders 
gern  auch  Jungfrauen  gefordert  werden  (Tacitus  Genn.  Cap.  8: 
Captirifate,  quam  lange  impatientius  feminarum  mar  um  nomine  ti- 
ment,  adeo  ut  e/peacius  obligentur  anhni  ciritatum,  quibus  int  er 
obsides  puellae  quoque  nobiles  imperantur;  dazu  vergleiche  die 
Geschichte  der  Römerin  Cloclia  Liv.  I,  13).  Auch  darauf  ist  man  be- 
dacht, besonders  nahe  Verwandte  des  durch  Geiseln  zu  bindenden 
auszuwählen  (Tac.  Germ.  Cap.  20  n  Quidam  sanvtiorem  artioremque 
httne  ne*cum  sanguinis  —  es  ist  vom  .Mutterbruder  und  Schwestersöhnen 
die  Rede  —  arbitrantur  et  in  aeeipiendis  obsidibus  magis  e.riguntf 
tanquam  et  animum  firmius  et  domum  latius  teneant).  Namentlich 
bei  Eroberungen  ist  es  nicht  anders  möglich,  «las  eroberte  Land  fest- 
zuhalten. So  bilden  an  den  altirischen  Königshöfen  (man  denke  auch 
an  den  Hof  des  Attila  mit  Hagen,  Walther  und  Hildegunde)  die  Geiseln 
unterworfener  Stämme,  die  keine  Waffen  tragen  dürfen,  und  wenn  sie 
verfallen  sind,  in  Fesseln  gehalten  werden,  einen  stehenden  Teil  des 
königlichen  Gefolges  (vgl.  O'Curry  .Manneis  and  eustoms  of  old  Ircland 
I,  CCCLI).  Königtum  und  Geiselschaft  treten  hier  in  engster 
Verbindung  auf. 


Digitized  by  Google 


Geisel  —  Gelb. 


Bedenkt  man  dies,  so  liegt  die  Annahme  nahe,  das  urkeltische  Wort 
l'ür  Geisel  {*geislo-,  *geistlo-  :  ir.  gfaU,  kymr.  gteystyl,  korn.  guistet), 
welches  sonst  nur  im  Germanischen  wiederkehrt  (ahd.  ghal,  agls.  gi*el. 
altn.  gid),  möchte  zu  derselben  Zeit  und  unter  denselben  Umstünden 
von  keltischem  auf  germanischen  Boden  wie  das  keltische  Wort  für 
König  (s.  d.)  verpflanzt  worden  sein,  Bemerkenswert  ist  dabei,  das« 
sowohl  das  keltische  wie  auch  das  germanische  Wort  häufig  in  Eigen- 
nanicn  vorkommt  (vgl.  altgall.  Co-gestlu*,  altkorn.  Ana-gttisl,  Med- 
guistyl,  mhd.  Ghelher,  agls.  Eadgih  =  altn.  Audih).  Kluge  vermutet 
daher,  dass  die  Geiseln  öfters  in  dem  Stamme,  bei  dem  sie  vcrgeiselt 
waren,  gebliehen  sein  und  sich  verheiratet  haben  möchten,  so  dass 
ihren  Kindern  derartige  Xamen  gegeben  werden  konnten. 

Die  Grundbedeutung  des  keltisch-germanischen  Ausdrucks  ist  unbe- 
kannt. Lat.  obses  (*ob-xed-\  scheint  den,  der  am  (feindlichen  Lager) 
sitzt,  griech.  öun,poq  'öuoö  und  dpapiaicuj  ?)  den  (dem  Feinde)  verbun- 
denen zu  bezeichnen.  Altsl.  tali  (vgl.  Ewers  Ältestes  Recht  der  Russen 
S.  225 1  ist  dunkel.  —  Eine  besondere  und  wohl  spätere  Art  der  Geisel- 
schaft  ist  die  Schuldgeiselschaft  (s.  n.  Schulden'. 
Geisel  {fiagellum\  s.  Peitsche. 
Geisterglaube,  s.  Ahnenkultus. 

Gell).  Der  Bezeichnung  dieser  Farbe  dienen  am  häutigsten  Bil- 
dungen von  den  beiden  Wurzeln  ghel  und  (diel,  deren  Ableitungen  sich 
nicht  immer  scharf  von  einander  trennen  lassen.  Zu  ihnen  gehören: 
sert.  hart-,  hart  na-,  harit-,  hdrita-  ,gelb,  gelblieh,  auch  grünlieh',  aw. 
zairita  ,  zairina-  ,gelblich,  grün',  griech.  x^iupö;  ,gclbgrün',  lat.  helcus, 
gdrus,  fulnts,  ahd.  geh,  altn.  gulr,  lit.  z"dlias  ,grün',  gelta*  ,gelb\ 
altsl.  zelenü  ,grün',  zh'du  ,gelb*.  Die  idg.  Grundbedeutung  dieser 
Wurzeln  und  Stämme  inuss  also  ursprünglich  diejenige  Nuance  von 
Gelb  gewesen  sein,  welche  im  Spectrum  dem  Grün  am  nächsten  liegt, 
in  konkreter  Hinsicht  das  Gelbgrünc  der  jungen  Saat  und  sonstigen 
Pflanzenwelt  (vgl.  griech.  x^°1  ,Gras',  x^o䣀iv  ? keimen',  altsl.  zelije, 
,olera',  phryg.  ZikKia  , Gemüse'  u.  a.).  Aber  auch  zahlreiche  Wörter 
für  Gold  (s.  d.  i  siud  von  diesen  Wurzeln  gebildet,  deren  Ableitungen 
die  früh  hervortretende  Neigung  zeigen,  sich  zu  allgemeinen  und  zu- 
sammenfassenden Benennungen  des  Gelb  zu  erheben. 

Andere  vorhistorische  Bezeichnungen  für  Farbennuancen,  innerhalb 
derer  in  den  Einzelsprachen  die  Bedeutung  ,Gclb'  hervortritt,  sind 
griech.  Kiftyös  ans  *Kip-Fo  <;  , hellgelb'  'besonders  vom  Wein,  dunkler  als 
XeuKÖq  oivoq,  heller  als  ni\a<;  oivo^i  =  lit.  xzirteas,  szihnax  .blaugrau' 
und  ir.  blä  .i.  buidhe  (,gelb  )  —  lat.  flätux,  ahd.  bläo  ,caeruleus,  lividus, 
flavus'.  Die  Grundbedeutung  dieser  beiden  Reihen  wäre  dann  etwa 
die  des  ir.  glas«,  einer  Bezeichnung  für  einen  blassen,  ins  Gelbliche, 
Bläuliche  oder  Grünliche  schimmernden  Farbenton  (s.  u.  Blau:.  Doch 
ist  zu  bemerken,  dass  für  ahd.  bldo  und  für  lat.  flavus  <*f/-vo-  :  ftdrux) 


Digitized  by  Google 


Gell)  -  GeH. 


2H1 


auch  andere  Deutungen  möglieh  sind.  Einzelspraehliehes:  grieeh.  Eavöö? 
(wohl  verwandt  mit  £ou6ö?i,  der  allgemeine  Ausdruck  für  die  gelbe 
Farbe,  nuppö?  aus  *7rup-Fo-<;  :  iröp  .Feuer',  unXivo«;  /piittengelb'  Kpö- 
kivo<;  .safraufarbig',  Bäipivot  (nach  dem  Kraut  6at|iia),  0€iu)bn.<;  .schwefel- 
gelb'. ÜJXPO?  ,blassgelb\  lat.  U'tteus  von  lütum  ,Wau',  lüridus  (:  lü- 
tit-mfi  u.  a.  —  8.  u.  Farbe  und  Farbstoffe. 

Geld.    Der  älteste  Wertmesser  der  idg.  Völker  sind  die  Herden- 
tiere, und  unter  ihnen  vor  allem  die  Milchkuh. 

In  vedischcr  Zeit  sind  Kinder  und  Rosse,  doch  auch  Schafe  das 
üblichste  Zahlungsmittel.  In  Kühen  ist  der  Preis  eines  jungen  Mäd- 
chens, in  Kühen  das  Wergeid  (s.  u.  Brautkauf  und  u.  Blutrache) 
festgesetzt.  Entsprechend  wird  im  Awesta  nach  grossen  und  kleinen 
Herdentieren  das  Honorar  abgestuft,  das  Ärzten  und  Priestern  gezahlt 
wird. 

Ebenso  liegen  die  Verhältnisse  in  Europa.  Bei  Homer  wird  ganz 
überwiegend  nach  Rindern  gerechnet.  Die  eherne  Rüstung  des  Dio- 
medes  ist  1),  die  goldene  des  Glaukos  100  Rinder  wert  (II.  VI,  23(5), 
ein  Dreifnss  'II.  XXIII,  7o3j  kostet  12  Rinder,  jede  Quaste  an  der 
Aegis  der  Göttin  Athene  (11.  II,  44*/  100.  Eine  kunstverständige 
Sklavin  (II.  XXIII,  7o:>,  wird  auf  4  Rinder  geschätzt,  die  Eurykleia 
aber  bezahlt  Laertes  mit  einem  Werte  von  20  (Od.  I,  431),  der  Königs- 
sohn Lykaon  (II.  XXI,  70)  bringt  dem  Achilleus  eine  Hekatombe 
UKciTÖußn  aus  *iKctTov-ß/  x] :  ßoü<;)  ein.  Die  heiratsfähige  Jungfrau  heisst 
äX<p€0"ißoiu,  weil  sie  den  Eltern  viele  Rinder  d.  h.  einen  guten  Kauf- 
preis einbringt.  Hinsichtlich  Italiens  genügt  es,  auf  die  sprachliche 
Entwicklung  von  lat.  peettnia  .Geld'  s.  auch  n  Eigentum)  ans  pecus 
,Vieh'  und  darauf  hinzuweisen,  dass  erst  in  der  Lex  Aternia  Tarpeia 
A'ie  bisherigen  Bussen  von  Rindern  und  Schafen  in  Zahlungen  in  Kupfer 
umgesetzt  wurden.  Vgl.  Festus  ed.  O.  Müller  S.  237:  I'ecul  a  t  un 
furtum  publicum  dici  coeptum  est  a  pecore,  quin  ab  eo  inithtm  eins 
fraudis  esse  coepit  (vgl.  longob.  fi-gang  »Diebstahl  /,  siquidem  ante 
ttex  aut  argentum  signatnm  ob  delicta  poena  grarixxima  erat  duarum 
oeium  et  XXX  bovuni  (wohl  umgekehrt:  zweier  Rinder  und  von  30 

Schafen)  qtiae  peettdex,  postquam  aere.  xignato  titi  coepit  1\ 

R.,  Tarpeia  lege  cautuni  est,  ut  bo*  ceiitusibtts,  oris  deettsibux  aesti- 
maretur. 

Auch  in  den  altirischen  Brchongesetzen  sind  alle  Strafen.  Abgaben, 
Zinsen,  Rückerstattungen  u.  s.  w.  in  Vieh,  namentlich  in  Milchkühen  aus- 
gerechnet, und  alle  Unterschiede  zwischen  Reich  und  Arm,  Frei  und 
Unfrei  (s.  u.  Stände)  werden  durch  grösseren  oder  geringeren  Vieh- 
besitz bestimmt.  Den  Germanen  sind  nach  Tacitus  Germ.  Cap.  5 
ihre  Herden  der  einzige  und  liebste  Besitz.  Die  Gerichtsbussen  sind 
«lahcr  auch  hier  in  Vieh,  Pferden  und  Rindern  festgesetzt  Cap.  12: 
4>quorum  pecorumque  numero  cotivicti  multantun.     Unter  den  Ge- 


Digitized  by  Google 


2K-2 


Gold. 


schenken,  die  der  llräutigam  der  Braut  macht  Cap.  18),  befinden  sich 
Rinder  und  ein  aufgezäumtes  Ross.  Auch  bei  den  Hachsen  und  Friesen 

(  Lex  Fris.  Add.  tit.  1 1  W. :  equam  rel  quamlibet  aliam  pecunlam)  tritt 

das  let/.tere  als  Zahlungsmittel  gleichwie  in  Indien  stark  hervor,  Ganz 
wie  in  Rom  wird  l»ei  den  Germanen  das  altidg.  Wort  für  Vieh  :  got. 
faihu  u.  s.  w.  =  lat.  pecus  im  Sinne  von  Geld  verwendet.  UIHlas  über- 
setzt damit  xPÜuaTa,  Kirjuaia  (vgl.  lat.  pecülium)  und  dpfüpiov  'vgl. 
lat.  preunia),  faihu-frikei  ist  .Habsucht",  faihu- frik*  »habsüchtig',  faihu- 
gairnei  >  fttihngeinh  faihngeiran  desgl.,  faihu-gtitraürki  ist  ,Gcldgc- 
schäft',  faihu-skula  .Schuldner',  faihu-praihns  , Reichtum',  /ilufaihus 
, reichhaltig'  i  ttoXuttoikiXo«;  :  xPHMöTa  exovie?  ,die  reichen'  sind  pal  faihu 
gahabandan*  (vgl.  ir.  bö-aire  ,Knhedelmnnn',  ein  einfacher  1  lauer, 
der  reich  an  Vieh  geworden  ist;-.  Ähnlieh  ist  die  Entwicklung  des 
engl,  fee  aus  agls.  f'eoh.  Ahd.  fater/io,  agls.  fa'derlng-feoh  bedeuten 
, Vatervieh'  d.  i.  väterliches  Erbgut  u.  s.  w. 

Zweifellos  ist  auch  bei  den  Slaven  in  der  ältesten  Zeit  das  Vieh 
das  beliebteste  und  verbreiteiste  Zahlmittel  gewesen.  Am  deutlichsten 
spiegelt  sich  dies  in  dem  Gebrauch  des  wahrscheinlich  aus  dem  Ger- 
manischen (got.  skatts,  ahd.  xcaz  ,Geld,  Vermögen',  altfries.  **•«?»*, Vieh' 
und  ,GehO  entlehnten  altslawischen  *kotü  ab.  Vgl.  darüber  Miklosicb 
Et.  \V.  s.  v.:  „altsl.  skotü  , pecus',  .peeunia'  :  in  alter  Zeit  spielte  Vieh 
die  Rolle  des  Geldes;  bnlg.  skot  ,Vieh',  cech.  xkot,  skotak  , Kuhhirt', 
klruss.  skotni/ca  '  skotiniva)  ^Schatzkammer',  rnss.  xkot  .Vieh",  alt  auch 
,Geld'w  etc. 

Frühzeitig  ist  aber  in  diesen  (iegenden  das  Viehgeld  durch  ei» 
anderes  Tausch-  und  Zahlmittel,  das  Pelzwerk,  eingeschränkt  oder 
ergänzt  worden.  Im  älteren  Russisch  heisst  das  Geld  (neben  skot)  auch 
kann,  kunii  (vgl.  bv/ant.  TOÜva  .vestis  pellieca',  mint,  guuna,  frz.  gönne, 
engl,  goten),  was  eigentlich  .Marder'  bedeutet:  ebenso  kommen  tulka  und 
rekm,  eigentlich  Xamen  des  Eichh örnchens  (s.  d. >,  als  Henennungen  von 
Geld  vor.  In  gewissen  Teilen  Russlands,  namentlich  in  Nowgorod  und 
Pskov,  wurden  Marder-Schnauzen  (mordkh,  Stiruläppchen  von  Eich- 
hörnchen (lobki\  und  andere  Pel/stüekehen  als  Kleingeld  verwendet 
(vgl.  Nestor,  übers,  v.  A.  1,.  v.  Seblözcr  III,  8f>>.  Doch  wird  solches 
Pelzgehl,  Marder  und  Rjcsan  irezan}  :  altsl.  rtzati  »schneiden',  .ab- 
geschnittene PelzstUckchcn'i.  erst  in  der  jüngeren  Pravda  des  XIII. 
Jahrhunderts  genannt,  während  in  der  ältesten  Reehtsaufzeiehnung  nur 
von  .«kotti  .pecunia'  und  yrirna  (s.  darüber  u.)  die  Rede  ist  vgl. 
Ewers  Ältestes  Recht  d.  Russen).  Man  wird  daher  nicht  irren,  wenn 
man  diesen  Gebrauch  des  Pelzgehles  bei  den  slawischen  Völkern  als 
einen  verhältnismässig  jungen,  von  ihren  finnischen  Nachbarn  über- 
nommenen auflasst,  bei  welchen  letzteren  er  uralt  ist  (vgl.  AhUjvist 
Knlturw.  in  den  wcsth'un.  Sprachen  S.  18Hff.  i. 

Die  bisherige  Übersicht  hat  eine  Vorstellung  von  der  Altertümlich- 


Digitized  by  Google 


Grift 


283 


keit  und  weiten  Verbreitung  der  Herdentiere  als  Zahlungsmittel  bei 
den  idg.  Völkern  gegeben  (vgl.  schon  Chr.  Crusius  Comnientarius  de 
orginibus  pecuniae  a  peeore  ante  lmiuiiiiuii  signatnin  Petropoli  1748  und 
aus  neuerer  Zeit  \V.  Kidgcway  The  origin  of  uietallic  currency  and 
weight  Standards  Cambridge  18H2).  Zugleich  liegt  hierin  ein  einwand- 
freier Beweis  für  die  doiuinicrendc  wirtschaftliche  Bedeutung 
«ler  Viehzucht  im  indogermanischen  Altertum.  Es  werden 
meist  recht  hohe  Viehpreise  genannt.  .Ja,  der  Satz,  von  H'<»  Kühen  als 
Mannbusse  darf  vielleicht  als  schon  idg.  angesehen  werden  (s.  u.  Blut- 
rache). S.  auch  u.  Opfer  (Hekatomben  i.  Alles  <lies  weist  auf  einen 
reichen  llerdenbcsitz  hin,  bei  dem  das  einzelne  Stück  nicht  sonderlichen 
Wert  hatte.  Vgl.  Taeitus  Genn.  Cap.  f>:  Xe  ttrmentis  quidem  suus  honar 
auf  gloria  front is  :  n  u  me.ro  ga u den  f.  Neben  ausgedehntem  Herdenbe- 
sitz  aber  kann,  namentlich  unter  primitiven  Kulturverhältnissen,  ein  irgend- 
wie bedeutsamer  Ackerbau  (s.  d.?  schwerlich  betrieben  worden  sein. 

Andere  nichtmetallische  Zahlmittcl  kommen,  abgesehen  von  den» 
oben  besprochenen  slavischen  I'el/.geld,  den  Herdentieren  gegenüber  bei 
den  idg.  Völkern  weniger  in  Betracht.  Doch  verdienen  eine  Bemerkung 
die  Gewandstoffe,  vor  allem  die  Leinwund,  die,  wie  bei  zahlreichen 
Naturvölkern,  eo  auch  in  Kuropa  liier  und  da  als  Tauschmittel  ver- 
wendet werden.  So  sind  bei  den  Germanen  die  Abgaben  des  Sklaven 
an  seinen  Herrn  in  Getreide,  Vieh  und  Zeug  festgesetzt  i  vgl.  Taeitus 
Germ.  Cap.  25:  Frumenti  modum  dominus  (tut  pecoris  auf  restis 
ttt  colono  iniungit),  und  im  Chron.  Slav.  Helm.  Krug  Z.  .Münzkunde 
Russlands  S.  Nf>,  wo  weiteres):  AVr  est  in  comparandis  rebus  con- 
suetudo  nummorum,  sed  quirquid  in  foro  mercari  rolueris.  panno 
lineo  comparahis.  Uber  den  Sklaven  als  Wertmesser  s.  u.  Stände. 

Während  so  im  ältesten  Europa  lange  Zeit  der  Austausch  der  Herden- 
tiere die  wohl  einzige  Grundlage  alles  Handelsverkehrs  bildete,  bereitete 
sieh  in  den  Kulturstaaten  des  Orients,  in  Ägypten,  bei  den  Phöniziern, 
in  Assyrien  und  Babylonien  allmählich  ein  neuer,  durch  Teilbarkeit, 
Transport-  und  Aufbewahruugsfähigkcit  geeigneterer  Wertmesser  vor, 
der  seinen  Siegeslauf  auch  über  Kuropa  auszudehnen  bestimmt  war, 
das  Metall.  Ks  sind  dabei  zwei  Kpochcn  zu  unterscheiden,  eine 
Epoche  des  gewogenen  und  eine  des  gemürzten  Metalls.  In  die 
erstere  fällt  das  früheste  griechische  Altertum.  Es  liegen  hier  zwei 
Kulturstufen  deutlich  neben  einander,  die  indogermanische  des  Vieh- 
gelds und  die  in  ihren  Anfängen  immer  noch  in  vorhistorische  Zeiten 
zurückgehende  des  gewogenen  Gehles.  Für  Erz  und  funkelndes  Eisen 
kaufen  die  Griechen  den  Wein  von  den  Lenmiern  (II.  VII,  473).  In 
den  Schatzkammern  der  Fürsten  liegen  als  MtunXia,  die  im  gegebenen 
Kall  zweifellos  auch  als  Tauschmittel  dienen  sollen: 

xaXKÖq  T€  xpufföfj  T€  TToXÜKunjös  T€  öibr|po<;  (Jh  VI,  47). 

Die  metallische  Wei  teinheit  bildet  das   von  dem  späteren  scharf  zu 


Digitized  by  Google 


284 


Geld. 


scheidende)  Gold- Talent,  honi.  idXavrov  (riuiTdXavTov),  da»  —  charak- 
teristisch für  den  innigen  Zusammenhang  zwischen  Geld  und  Gewicht  — 
einerseits  .Wage'  (11.  VIII,  69).  andererseits  eine  damit  gewogene  Metall- 
masse bezeichnet.  Es  ist  (nach  llidgcway)  nicht  unwahrscheinlich,  dass 
dieses  Goldtalent  in  einem  festen  Verhältnis  zu  dem  alteren  Viehgeld 
stand,  und  ein  Goldtalent  dem  Werte  eines  Ochsen  oder  einer  Milchkuh 
entsprach.  Auch  kann  man  annehmen,  dass  Ausdrücke  wie  die  ölten 
angegebenen  ^KOtTÖußoiov,  tvveotßoiov  u.  s.  w.  schon  bei  Homer  nicht  eigent- 
lich 100  oder  9  Kühe,  sondern  nur  ihren  metallischen  Wert,  100  oder 
9  Talente  meinten.  Mit  Hecht  fasst  Pausauias  III,  12  die  Zahlungs- 
verhiiltnissc  der  heroischen  Zeit  in  die  Worte  zusammen:  dptüpou  ydp 
ouk  nv  TToi  TÖTt  oubfc  xpvöov  vöuio"ua,  KaTa  tpöttov  be  £n  töv  dpxaiov 
dvTtbibotfav  ßo0$  Kai  dvbpdaoba  Kai  dp^öv  töv  öptupov  Kai  xpufföv. 
Direkt  dem  Orient  entstammt  die  allerdings  erst  bei  Herodot  bezeugte 
Benennung  eines  Teiles  des  Talents,  der  Mine  (gricch.  Mve'a,  nvä),  einer 
Gcwichtshcstimmung,  die  über  ganz  Vorderasien  bis  Ägypten  und  Indien 
(assyr.  manu,  hebr.  manch,  ägypt.  mn,  sert.  manä ')  gilt  und  auch  ins 
Lateinische  (mlna*  übernommen  ward.  Auf  alten  Harren  verkehr  weist 
griech.  ößoXöq,  büof.  ößtXös,  delph.  öbeXö?,  att.  biwßeXia,  kret.  öboXKai 
(später  der  sechste  Teil  der  Drachme),  das  von  oßeXöq,  megar.  öbcXö«; 
.eiserner  Stab'  nicht  getrennt  werden  kann.  Thatsäehlieh  wird  von 
eisernem  Stabgeld  in  Lakonieu  berichtet.  Endlieh  haben  die  Aus- 
grabungen Schliemanns  in  Mykenac  (Mykcnac  S.  165,  Fig.  220,  S.  401, 
Fig.  529,  S.  40'li  auch  Kinggeld  zu  Tage  gefördert,  das  noch  weiter- 
hin zu  erwähnen  sein  wird.  Es  sind  goldene  gewundene  Spiralen  ans 
vierkantig  ausgchäinmertem  oder  gewundenem  Draht. 

Im  Gegensatz  zu  den  Kulturstaatcn  des  Orients  und  zu  Griechenland, 
in  denen  hauptsächlich  die  Edelmetalle,  Gold  und  Silber,  den  Wert- 
messer abgaben,  bildete  in  Italien  in  älterer  Zeit  ausschliesslich  das 
Kupfer,  in  rohem  Zustand  (aes  rtule,  raudm  ,das  Kupferstück,  mit 
dem  bei  der  Mancipatio  der  Käufer  au  die  Wage  schlug  )  oder  in 
Barren  neben  der  peeänia  (s.  o.)  den  alten  Wertmesser.  Auf  den  Ge- 
brauch der  Wage  weist  der  Ausdruck  pendere  für  /zahlen'  und  die  alte 
Formel  des  rechtmässigen  Kaufes:  per  ae#  et  libram.  Erst  im  Jahre 
268  v.  Chr.  tritt  das  Silber  an  die  Seite  der  Kupfcrwähruug. 

Naturgemäss  haben  die  Mctallverhältnissc  des  Orients  und  der  süd- 
enropäischen  Länder  frühzeitig  ihre  Spuren  auch  in  dem  X  o  r  d  e  n 
unseres  Erdteils  hinterlassen.  Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  hier 
die  sogenannten  Sehatzfundc  der  dänischen  und  schwedischen  Moore 
und  Torfstrecken  (vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  425  ff.). 
Neben  mannigfachen  Gerätschaften  aus  Bronze  wurden  hier  kleine 
Stangen  und  Barren  desselben  Metalls  gefunden,  die  offenbar  als 
Zahlungsmittel  dienend  hier  für  bessere  Zeiten  verborgen  werden  sollten. 
Nicht  minder  bedeutsam  sind  verwandte  Funde  von  Bruchstücken 


Digitized  by  Google 


<lt'l(l. 


mannigfaltiger  Bronzesachen,  die  absichtlich  die  kreuz  und  «|iier  zer- 
broehen  worden  sind.  »Diese  weitgehende  Zcrbrcehung,  die  uns  in  einer 
Reihe  von  Funden  entgegentritt,  scheint  nur  die  Erklärung  zuzulassen, 
dassdie  Bronzefragmente  als  Bezahlimgsmittel  gedient  hahen,  ähnlich 
wie  in  den  späteren  Zeiten  des  Altertums  zerbrochene  Schmucksachen, 
Gefässe  u.  s.  w.  aus  Silber  und  Goldu.  Das  letztere  tritt  von  der- 
selben Zeit  an  wie  die  Bronze  am  häutigsten  in  Spiralringen  auf.  »Sie 
sind  in  bedeutender  Anzahl  in  kleineren,  ringförmig  gerollten  Bruch- 
stücken zu  Tage  gekommen,  und  ebenso  findet  man  häutig  fast  voll- 
ständige Ringe,  von  denen  ein  kleines  Stück  abgeschlagen  ist  .  .  .  . 
Die  Verstümmelung  der  schönen  Ringe  ist  unzweifelhaft  erfolgt,  um 
Bczahlnngsmittel  aufzubringen1*.  Iber  diese  Goldspiraleu,  neben 
denen  auch  solche  aus  Bronze  sich  Huden,  bat  am  ausführlichsten  M.  Much 
(Bange  und  Ringe  Mitteil.  d.  anthrop.  Gesellschaft  in  Wien  IX,  H9  ff.) 
gehandelt  und  sie  in  Kuropa  von  Mykenac  s.  u.)  nach  Siebenbürgen 
und  Ungarn  und  weiter  durch  Nieder-  und  Oberösterreich,  Böhmen, 
Sachsen,  Brandenburg.  Mecklenburg,  Schleswig- Holstein  bis  in  die 
skandinavischen  Länder  verfolgt  (s.  auch  u.  Bernstein  und  Göhl). 
Der  Gebrauch  dieses  Ringgelds  dauert  bis  tief  in  die  Eisenzeit  an,  und 
liegt  daher  auch  in  zahlreichen  literarischen  Zeugnissen  beglaubigt  vor  uns. 

Ausführlicher  ist  über  die  Bedeutung  des  Rings  bei  den  Nordvölkern 
u.  Schmuck  gesprochen  worden,  wozu  derselbe  natürlich  ebenso  wie 
zur  Bezahlung  verwendet  wurde.  Hinsichtlich  seiner  Verwendung  als 
Geld  äussert  das  Vigfussonschc  Lexikon  über  altn.  baugr  agls.  beag, 
ahd.  boitc,  bouga):  In  olden  times,  before  minted  gold  nr  xilrer  came 
into  une.  the  metah  nere  rolled  up  in  xpiral-formed  rings,  and  piecex 
cut  off  and  ireighed  teere,  used  ax  a  medium  of  puument',  he  nee  in 
old  timex  bn tt gr  xitnplt/  itteanx  tiioneg.  used  in  the  poetx  in  num- 
Iterlexs  Compounds.  Ebenso  deutlich  ist  dieser  Gehrauch  bei  anderen 
Germanen,  z.  B.  bei  den  Angelsachsen,  nachweisbar,  bei  denen  aus- 
drücklich hervorgehoben  wird,  wie  der  Mann  seine  Frau  btinttm  and 
Magum  ,mit  Bechern  und  Bangen'  kauft  (vgl.  F.  Boeder  Die  Familie 
bei  den  Angelsachsen  S.  27  .  Der  Verlobnngsring,  den  ursprünglich 
nur  der  Mann  an  die  Hand  des  Mädchens  steckt,  dürfte,  wenn  altger- 
manisch vgl.  J.  Grimm  R.-A.  S.  117  f.,  432),  kaum  etwas  anderes  wie 
der  symbolisch  angedeutete  Kaufpreis  (s.  u.  Braut  kauf  sein. 

Ganz  entsprechend  dem  altn.  baugr  ist  die  Bedeutungsentwicklung 
des  altsl.  grit'tna  gewesen,  das  (:  griia  ,x^r],  iuba  —  sert.  grivcY 
,Nackcn)  ursprünglich  einen  Halsschmuck,  dann  auch  Armband  be- 
zeichnet und  schliesslich,  wie  baugr,  die  Bedeutung  von  ,drachtuat 
moneta,  pecunia  annimmt. 

Eine  vereinzelte  Nachricht  eisernen  Barrcngeldes  aus  Britannien 
enthält  Caesar  De  bell.  gall.  V,  12:  Utuntur  auf  aere  mit  talis 
ferreix  ad  certnm  pondtts  examhuttis  pro  nummo. 


Digitized  by  Google 


28T> 


Geld. 


In  welcher  Form  aber  auch  immer  das  Metallgeld  in  dieser  Epoche 
auftrat,  es  muss  Uberall  von  der  Wage  begleitet  gewesen  sein,  die 
daher  von  der  Bronzezeit  ab  auch  den  nördlichen  Indogerinanen  be- 
kannt gewesen  sein  muss.  Näheres  darüber  8.  u.  Wage  und  Gc- 
w  i  c  h  t. 

Auch  diese  Kulturstufe  des  gewogenen  (leides  wird  im  Laufe  der 
Zeit  allmählich  durch  den  dritten  und  letzten  Sehritt  in  der  Ent- 
wicklung der  Zahlungsmittel  überwunden,  durch  die  Münze.  Gegen- 
über dem  Familien-  und  Sippenstaat,  in  dem  mit  Vieh  oder  Mctallge- 
wicht  bezahlt  wird,  ist  es  nunmehr  der  moderne  (politische)  Staat,  der 
für  Gewicht  und  Korn  des  Geldes  die  Bürgschaft  Ubernimmt  und  dies 
mit  seinem  Stempel  bezeugt.  Die  Erfindung  dieses  neuesten  und  end- 
giltigen  Tauschmittels  führt  in  die  Hauptstadt  des  handclskuudigen 
Lydervolkes,  wie  es  Herodot  I,  94  ausdrücklich  bezeugt:  Trpurroi  bfe 
dv8pumu)v  tüjv  fipeTq  ibpev  vöpio*pa  XPU0*0U  K°d  dpfupou  Koij/d/jevoi 
dXpntfavTo,  Trpüjioi  bi  Kai  KairriXoi  ^t^vovto.  Wann  in  Griechenland 
selbst  der  Gebrauch  des  gewogenen  Geldes  der  von  Asien  herüber- 
dringenden Münze  gewichen  ist.  soll  hier  nicht  untersucht  werden.  Das 
älteste  Gepräge  der  attischen  und  euböischen  Münzen  scheint  ein  Stier 
gewesen  zu  sein,  wie  denn  das  Geld  in  Athen  in  frühester  Zeit  ge- 
radezu ßoöq  (vgl.  Pollux  IX.  61:  tö  rcaXaiöv  bfc  toöt'  nv  'AGnvaiOK; 
vöuuTua  Kai  dKaXeiTO  ßoö?,  öti  ßouv  efycv  £vT€T\mwp^vov)  geheissen 
hätte,  beides  doch  wohl  in  der  Erinnerung  an  und  im  Zusammenhang 
mit  dem  homerischen  Wertmesser  des  Stieres  oder  der  Milchkuh.  Im 
Übrigen  sind  die  griechischen  Münzen  auch  sonst  vielfach  nach  ihrem 
Gepräge  benannt,  wie  Münzbenennungen  wie  ctTKupa,  KÖpn,  tXaöE, 
utXiacra,  mTrop  u.  s.  w.  zeigen.  Überhaupt  treten  bei  den  griechischen 
MUnznamcn  uns  schon  im  Altertum  im  wesentlichen  dieselben  Kate- 
gorien der  Namengebung  wie  noch  heute  oder  im  Mittelalter  entgegen: 
nach  dem  Metalle  (z.  B.  xpuo*oö<;,  äp-rupoq  •  ö  0"TaTn.p,  (Jibdpeoq). 
nach  dem  Herkunftsort  (z.  B.  'laXütfia,  AiYetvaTov,  KuEucrivoi),  nach 
Personen  (/..  B.  OiXmTreioi.  'AXeäEdvbpeioO  u.  s.  w.  Östlichen  Ursprungs 
sind  Müuziiameu  wie  bapciKÖq,  bavdKn.,  0"tfXos  vgl.  arrXui , Ohrgehänge  , 
denn  ausländische  Münzen  werden  zu  allen  Zeiten  gern  als  Schmuck 
getragen).  Auch  grieeh.  bpaxun,  ist  man  geneigt,  auf  die  hebräische 
und  phönizische  Form  für  den  Dareikos,  darktmön  zurückzuführen  (vgl. 
Lcwy  Semit.  Fremdw.  S.  118). 

In  Italien  versahen  zuerst  die  Deeemviru.  zweifellos  nach  grie- 
chischem Vorbild,  das  Kupfer  mit  einem  Wertzeichen  und  schufen  so 
die  Münze.  Das  Grossstück  derselben,  lat.  as,  Stamm  *a8si-,  ist 
sprachlich  leider  noch  immer  dunkel.  Ein  neuerer  und  nicht  unebener 
Erklärungsversuch  (vgl.  Kidgeway  a.  a.  0.  S.  354  ff.)  knüpft  das  AYort 
an  das  lautlieb  nahe  liegende  lat.  asser  ,Kute,  Stab'  vgl.  vömis  :  vömer\ 
an,  so  dass  das  römische  As  ähnlich  wie  der  griechische  Oholos  (s.  o.)  zu 


Digitized  by  Google 


2*7 


beurteilen  wäre.  Als  Gesamtbenennung  der  Münze  j;ilt  nummus,  aus 
dem  Grossgriechischen  entlehnt,  wo  vöuog.  eigentlich  .Satzunu;'  die  Be- 
deutung einer  festgesetzten  Münzeinheit  (vgl.  grieeh.  vöuitfua)  ange- 
nominen  haben  inuss  (vgl.  in  den  Tafeln  von  lleraklea:  be»ca  vöpuj«; 
dpTupiu»).  In  späterer  Zeit  beschränkt  sich  uummns  auf  die  Bezeich- 
nung des  sextertins,  und  zur  Benennung  der  .Münze  wird  iseit  Ovid) 
moneta  verwendet,  von  Juno  Moneta,  in  «leren  Tempel  nach  Einführung 
der  Silberwährung  ''i'WliSr  eine  Münzstätte  errichtet  worden  war.  Im 
übrigen  bieten  die  lateinischen  Mllnzuamen.  die  einheimischen,  wie  die 
aus  dem  Griechischen  entlehnten,  nichts  von  besonderem  Interesse. 

Verhältnismässig  spät  begegnen  die  klassischen  Münzen  im  Norden 
unseres  Erdteils.  Funde  von  Geldsorten  aus  älterer  Zeit  sind  äusserst 
selten  und  öfters  zweifelhaft.  Nach  Ophausen  Z.  f.  Ethnologie  1 81*1 
Verhandl.  8.  hJ'J'A  ff.  über  die  im  Küstengebiet  der  Ostsee  gefundenen 
Münzen  ans  der  Zeit  v  o  r  Kaiser  Augnstus  kann  ein  irgend  erheblicher 
Verkehr  zwischen  Nord  und  Süd  vor  Christi  Geburt  durch  Münzfundc 
nicht  erwiesen  werden.  Auch  nach  Montelius  sind  die  ältesten  schwe- 
dischen M linzen  r  ö  mische  Den  a  r  e  .  während  der  eisten  zwei 
Jahrhunderte  n.  Chr.  geprägt.  Zur  Zeit  des  Tacitus  war  römisches 
Geld  nur  in  den  dem  Imperium  Homannm  angrenzenden  Gebieten  in 
Kurs.  Vgl.  Genn.  Cap.  .">:  Quamquam  pro.rimi  ob  uxum  rommercio- 
rum  aururn  et  argentum  in  pretio  habent  forma  sque  quasdam  nos- 
trae  pecuniae  agnoscunt  atque  eligunt  :  inferiores  ximpliciux  et  anti- 
quius  permntatione  mercium  utuntur  wozu  auch  die  Stufe  des 
gewogenen  Geldes  gerechnet  sein  wird),  pecuniam  probant  reterem 
et  diu  not  am,  xerratox  bigatoxque.  argentum  quoque  magix  quam 
an  mm  sequuntin\  nuUa  affectione  animi.  xed  quin  numerus  argent- 
eorum  facUior  usui  est  promixcua  ac  vilia  mercantibux.  Von  dieser 
Zeit  an  wird  sich  das  römische  moneta  allmählich  bei  den  Germanen 
verbreitet  haben  :  abd.  muni$,  muni^a,  altndd.  munita,  mndl.  mönte, 
agls.  mt/net  (vgl.  auch  ir.  monadh'  hoc  nomisma  Stokes  Irish  gl.  p.  1»>0 
und  lit.  maneta,  poln.  moneta  >.  Doch  begegnen  auch  sehr  frühzeitig  und 
in  weitester  Verbreitung  einheimische  Münznamen,  die  sieh  vielleicht 
vorher  auf  nicht  gemünztes  Geld  bezogen  haben.  So  vor  allem  got. 
xkilliggx,  altn.  xkillingr,  ahd.  xcilling.  am  wahrscheinlichsten:  got. 
skilja  .Fleischer',  altn.  skilja  ,spaltcn,  scheiden'  gehörig,  und  vielleicht 
ursprünglich  ein  Name  des  oben  besprochenen  Bruchgeldes  der  Bronze- 
zeit (vgl.  auch  Strabo  HI  p.  lf>f>  von  den  Lusitaniern:  dvfi  bi  vomi<J- 
uerros  o'i  Xiav  €v  ßdGci  (popxiwv  duoißrj  xpwviat  f|  toO  dptupou  eXd- 
o*paTo<;  dTTOT€MVOVT€<;  biböaai).  Noch  nicht  sicher  gedeutet  ist  auch  die 
weitverbreitete  Sippe  von  ahd.  phennig,  phantinr,  phending.  agls.  pening, 
pending,  altn.  penningr,  *pan-ing.  Nach  dem  Muster  dieser  beiden 
Wörter  wird  das  westgermanische  ahd.  vheimring,  agls.  cdxering  ge- 


Digitized  by  Google 


28* 


Gold  -  Geldbeutel. 


bildet  sein,  das  deutlich  auf  römische  Kaisermünzen  hindeutet.  Die 
Stelle  des  Hildebrandlieds: 

ttuaut  her  do  ar  arme 

mittut a im  bottyn 

chei.su ringu(m )  gitä u , 

so  huo  se  der  chttuiug  gap, 

Iliineo  t ruht  tu 

seheint  mit  M.  Much  a.  a.  0.  S.  117  auf  eine  Sitte  hinzuweisen,  nach 
der  man  die  römiseheu  Kaiserliugc  anfangs  in  das  alte  Spiralgoldgeld 
umgeschlagen  hätte.  Speziell  gotisch  ist  das  dunkele  kiutu.t  .Kobpdv- 
Tn.<;\  , Heller',  speziell  hochdeutsch  der  Gebrauch  des  Wortes  geld,  gelt 
(:  got.  gild  ,q)öpo?  )  im  Sinne  von  pevunia. 

Wichtig  für  die  ältesten  germanisch-slaviscben  Beziehungen  ist  der 
Umstand,  dass  die  meisten  der  eben  genannten  Ausdrücke  von  den 
slavischen  Sprachen  (altsl.  ttkletzt  aus  got.  skilliggx,  altsl.  pinegit  (lit. 
piniugai)  aus  *p<tuiugf  altsl.  cefa  ,oliolus'  aus  got.  kinttift)  früh  Uhcr- 
nommen  worden  sind. 

Eigene  Münzprägungen  sind  seitens  der  Xordvölker  zuerst  von  den 
Kelten,  und  zwar  schon  während  der  La  Tene-Periode,  in  Nachahmung 
massaliotischer  und  makedonischer  Münzen  vorgenommen  worden.  Auch 
in  den  auf  deutschem  Hoden  vielfach  gefundenen  ..Regenbogenschüssel- 
chen"  sieht  man  Münzen  keltischen  Ursprungs.  In  Deutschland  haben 
erst  die  fränkischen  Könige  Gold  mit  ihrem  Hilde  geprägt.  Theoderich 
liess  teilweis  noch  mit  dem  Hilde  de*  Kaisers  Zeno  und  Anastasius 
münzen.  —  Vgl.  weiteres  bei  Vf.  Handelsgcschichte  und  Warenkunde  I. 
111  —  137.  S.  u.  Handel,  Kaufmann,  Mass  Messen;,  Metalle, 
Wage  und  Gewicht. 

Geldbeutel.  Die  älteste  Vorrichtung,  Metallgeld  dauernd  bei  sieb 
zu  führen,  ist,  abgesehen  von  allerlei  Formen  des  Schmucks,  in  denen 
man  dasselbe  tragt  (über  den  Spiralring  s.  u.  G  e  1  d),  der  von  der 
Bronzezeit  ab  in  Europa  nachweisbare  S  a  m  in  c  1  r  i  n  g  ,  an  dem  man 
die  Geldringe  aufreiht,  etwa  wie  heut  zu  Tage  Schlüssel  an  einem 
Schlüsselbund  (vgl.  darüber  M.  Much  Mitteil.  d.  anthrop.  Ges.  z.  Wien 
IX,  HD,  wo  auch  Abbildungen  dieser  Sammelringe  zu  linden  sind).  Sehr 
schön  lassen  sich  dieselben  /..  B.  an  dem  im  Züricher  Nationalmnseum 
aufbewahrten  Ringgcld  des  Pfahlhaus  von  Wollishofen  reine  Bronze- 
zeit studieren. 

Mit  dem  gemünzten  Geld  tritt  dann  auch  der  eigentliche  Geldbeutel 
auf,  dessen  Benennungen  sich  natürlich  von  Wörtern  für  Beutel,  Tasche. 
Sack  u.  s.  w.  nicht  scharf  scheiden  lassen.  Im  Griechischen  gilt  ßct\- 
i\  dvTiov  (Aristoph.)  neben  kürzerem  dpu-ßaXXoi,  äpu-ßaXiba  (lies.)  und 
udpo*iTTO<;,  uapcrimov,  papaumov,  näpamnoq,  beide  dunkel,  letzteres 
vielleicht  ausländischer  Herkunft.  Bemerkenswert  sind  aus  Hesycb 
noch  kuvoöxo?  cigentl.  .Hundsfell'  und  Ötfxca,  eigentl.  , Hodensack'.  Das 


Digitized  by  Google 


Geldbeutel  —  Gerste. 


289 


Lateinische  hat  meist  ans  dem  Griechischen  entlehnt,  wie  marsüpium 
(Plant.)  aus  uapnumov  und  paseeolus  (Plaut.)  aus  <pdo"KUjXoq(  <pdo~K<xXo£ 
,lederner  Kentel'  zeigen.  Zweifelhaft  ist  das  Verhältnis  von  crumtna  : 
griech.  Ypuu^a  ,ßeutel',  Tasche'.  Urverwandt  sind  lat.  follU  ,Schlauch, 
Geldbeutel'  und  griech.  OaXXiq,  edXXnca  (uacli  Hesych  .ßaXdvnov',  ,udp- 
oimo?  ucocpoO,  *dhl-ni-.  Iin  Germanischen  sind  zwei  Reihen  weit 
verbreitet:  got. pugg  ,ßaXdvxiov',  sAtn.pungr  ,Lederschlaueh,  Geldbeutel', 
ahd.  seazpfung  (ruman.  punga,  ragriech,  ttoöyycO  und  ahd.  phoso  ,mar- 
#upium',  agls.  posa,  altn.  posi.  Für  letzteres  könnte  mau  in  Erinnerung 
hd  unser  „Geldkatze"  an  Zusammenhang  mit  dem  für  die  Benennung 
der  Katze  (s.  d.)  weit  verbreiteten  Stamm  pus-  denken.  —  Weiteres  vgl. 
bei  Vf.  Handelsgeschichtc  und  Warenkunde  I,  140  f. 
Gemahl,  s.  Ehe. 

Gemeindeversammlung,  s.  Volksversammlung. 

Gemse,  s.  Antilope. 

Gemüse,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Gerätschaften,  s.  Werkzeuge. 

Gerben,  s.  Leder. 

Gerichtsverfahren,  s.  Recht. 

Gerste  (Hordeum).  An  urverwandten  Gleichungen  für  diese  Ge- 
treideart finden  sich  ahd.  gersta  =  lat.  hordeum  fghrsdh-)  und  vielleicht 
griech.  Kpi8r|  (*ghrzdh-),  hom.  icpi  (aus  *tcpl8-).  Möglicher  Weise  setzt 
sich  diese  Reihe  sogar  nach  Asien  hinein  fort,  wo  alsdann  armen,  gart 
,Gerete',  upers.  zurd  ,Art  Hirse',  pchl.  jurtäk  ,Getreide'  etc.  heran- 
zuziehen sein  würden  (vgl.  P.  Horn  Grundriss  d.  npers.  Et.  S.  146, 
Hübschmann  Armen.  Gramm.  I,  432).  Daneben  vgl.  alb.  el'p-bi  .Gerste' 
=  griech.  dXqpt,  fiX<ptxov  id.  Ein  weiteres  germanisches  Wort  für  Gerste 
mit  idg.  Verwandtschaft  (got.  barizeins  etc.)  ».  u.  Weizen  und  Spelt, 
die  wichtige  Gleichung  sert.  ydea-  =  griech.  Ceid  etc.  s.  u.  Ackerbau. 
Dunkel  sind  lit.  mUHai  =  altpr.  moasix  und  altsl.  jqclmy  ,Gerste'. 

Im  alten  Griechenland  war  Gerste  als  Brei  (ttöXto?  =  lat.  pufo)  oder 
Fladen  (udZa)  genossen,  das  wichtigste  Volksnahrungsmittel,  so  dass 
schon  Homer  die  äX<pvra  das  Mark  der  Männer  nennt.  Auch  als  Pferde- 
fntter  diente  sie  bereits  damals.  Plinius  (Hist.  nat.  XVIII,  72)  be- 
zeichnet die  Gerste  geradezu  als  antiquissimum  in  eibh  hordeum, 
woraus  sich  ihre  Anwendung  bei  alten  Opfergebräuchen  erklärt.  Aus 
dem  alten  Deutschland  meldet  sie  Tacitus  (Germ.  Cap.  23:  Potui  umor 
ex  hordeo;  s.  u.  Bier).  Ein  gotisches,  aus  ihr  hergestelltes  National- 
gericht, dem  griech.  <5X<piTa  und  dem  lat.  polenta  (vgl.  griech.  TidXn. 
,feine8  Mehl',  altpr.  pelwo,  lit.  pelai,  altsl.  pleva,  lat.  palea,  sert.  pa- 
Id'va-  .Spreu')  sachlich  entsprechend,  hiess  nach  Anthinins  cd.  Rose 
Cap.  64  fenea,  das  wohl  zu  lit.  penas  .Nahrung'  (penn  gittere')  und 
lat.  penus  , Vorrat'  zu  stellen  ist.  Nimmt  man  hierzu,  dass  Gerste,  und 
zwar  in  3  Varietäten  (//.  he.rastichum  sanetum,  IL  he.taxtichuni  densuw, 

Schräder,  Reallexikon.  19 


Digitized  by  Google 


290 


Gerste  —  Geschwister. 


H.  dutichum  L.),  schon  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  gefunden,  und 
dass  sie  wie  in  zahlreichen  anderen  neolithischen  Stationen  Süd-  und 
Mitteleuropas,  jetzt  auch  (in  der  Form  der  sechszeiligen  Gerste)  in  der 
nordischen  Steinzeit  nachgewiesen  wurde  (vgl.  S.  Müller  Nordische 
A.-K.  1, 126),  so  wird  man  nicht  anstehen,  in  ihr  eine  der  ältesten  Acker- 
baupflanzen Europas  zu  erkennen.  Im  höhereu  Norden  bildet  sie  da- 
selbst noch  jetzt  die  eigentliche  Brotfrucht,  weshalb  sie  in  Nordfries- 
land, Helgoland,  Jeverland  u.  s.  w.  schlechthin  Korn  genannt  wird.  In 
Mitteleuropa  verdrängt  sie  in  dieser  Eigenschaft  allmählich  der  Roggen, 
im  Süden  schon  im  Altertum  der  Weizen.  Die  wilde  Stammform  der 
Gerste  {Hordeum  spontanum)  soll  nach  dem  Handbuch  des  Getreide- 
baus von  Körnicke  und  Werner  I,  129  ff.  vom  Kaukasus  bis  Persien 
gefunden  werden.  Hier  müsste  also  diese  Getreideart,  deren  Anbau 
sich  auch  bis  in  die  ältesten  Perioden  der  ägyptischeu  und  semitischen 
Geschichte  zurückverfolgen  lässt,  zuerst  in  Kultur  genommen  worden 
sein.  —  Vgl.  G.  Buschan  Vorgeschichtliche  Botanik  S.  35  ff.  S.  auch 
n.  Ackerbau  und  u.  Getreidearten. 

Gesamteigentum,  s.  Eigentum. 

Gesang,  s.  Dichtkunst,  Dichter. 

Geschlecht,  s.  Familie,  Sippe,  Stamm. 

Geschlechterdorf,  s.  Dorf. 

Geschlechtsuuigang,  s.  Keuschheit,  Knabenliebe. 
Geschmeide,  s.  Schmuck. 

Geschwister.  Wollte  man  in  alter  Zeit  Bruder  und  Schwester 
in  ihrem  Verhältnis  zu  einander  mit  einem  Ausdruck  zusammenfassen, 
so  scheint  man  sich  dazu  des  Duals  oder  Plurals  des  Wortes  für  Bruder 
bedient  zu  haben:  sert.  bhrd'tarau,  griech.  dbeKq>oi,  lat.  frdtres  (vgl. 
das  analoge  Verhältnis  u.  Eltern).  Im  Germanischen  liegt  in  unserem 
gehöhter  :  ahd.  lehtar  ,uterus'  (,die  von  demselben  Mutterleib')  ein 
früher,  freilich  in  dieser  Bedeutung  nur  vorauszusetzender,  nicht  wirk- 
lich bezeugter  Ausdruck  für  den  Begriff  »Geschwister'  vor  (vgl.  Kluge 
Et.  W.6  S.  139);  ausserdem  waren  sowohl  zur  Zusammenfassung  der 
Brüder  (got.  bröpraham,  ahd.  gibruoder  PI.),  wie  auch  zu  der  der 
Schwestern  (ahd.  giswester,  altndd.  gisustruon)  Gollectiva  vorhanden, 
von  denen  die  letzteren  in  nicht  ganz  aufgeklärter  Weise  allmählich 
auch  gebraucht  wurden,  um  Brüder  und  Schwestern  zu  be- 
zeichnen (mhd.  gesicester  F.  PI.  ,Schwesternpaar',  gestowter,  gexwisterde 
N.  .Geschwister').  Vgl.  auch  altn.  systken  Neutr.  Plur.  , Bruder  und 
Schwester'  (gebildet  wie  fepgen  , Vater  und  Mutter',  moepgen  ,Mutter  und 
Sohn'),  sowie  lat.  consobrinus  ,Geschwisterkind'  (s.  u.  Vetter  und  Kou- 
sine)  und  griech.  £ope(  *  dveunoi  (s.  u.  Schwester),  alles  Ausdrücke,  die 
in  letzer  Instanz  auf  das  idg.  Wort  für  Schwester  zurückgehen.  Im 
Litauischen  kann  man  für  Geschwister  (Bruder  und  Schwester)  nur 
sagen:  brölis  bei  sesü.    Vgl.  Delbrück  Verwandtschaftsnamen  S.  469. 


Digitized  by  Google 


Geschwisterehe  —  Gewerbe. 


291 


Geschwisterehe,  s.  Verwandtenehe. 
Gesetz,  8.  Recht. 

Gespensterglaube,  s.  Ahnenkultus. 
Gestirne,  s.  Sterne. 
Getränke,  s.  Nahrang. 

Getreidearten.  Die  Älteste  Getreideart  auf  idg.  Boden  ist  viel- 
leicht der  Hirse.  Jedenfalls  gehören  dieser  sowie  Gerste-  und  Weizen- 
arten schon  dem  ältesten  Ackerbau  (s.  d.)  der  europäischen  Indo- 
gennanen  an.  Erst  später  hat  sich  der  Anbau  des  Roggens  Uber  ge- 
wisse Teile  Europas  verbreitet,  während  die  Geschichte  des  Hafers 
sich  noch  nicht  klar  übersehen  läset.  Der  Reis  ist  im  Altertum  niemals 
angebaut  worden.  Alle  die  genannten  Getreidearten  sind  in  besonderen 
Artikeln  behandelt  worden.  Über  den  amerikanischen  Mais  und  den 
ostasiatischen,  erst  im  späteren  Mittelalter  nach  Europa  gelangten 
Buchweizen  vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen  und  Haustiere6  S.  491,  494. 

Gewalt  väterliche,  s.  Familie. 

Gewandnadel,  s.  Schmuck. 

Gewebestoffe.  Den  Indogernianen  stand  zur  Ausübung  der  ihnen 
bekannten  Kunst  des  Webens  (s.  d.)  zunächst  die  Wolle  ihrer  Schafe 
zur  Verfügung.  Ausserdem  war  bei  den  europäischen  Indogermanen 
schon  in  ferner  Urzeit  der  Flachs,  bei  den  Ariern  der  Hanf  bekannt, 
welcher  letztere  in  Europa  sich  erst  später,  wenn  auch  (im  Norden) 
immer  noch  in  vorhistorischer  Zeit  verbreitet  hat.  Die  erste  Erwähnung 
der  indischen  Baumwolle  geschieht  durch  Herodot,  die  erste  Bekannt- 
schaft der  Römer  mit  der  chinesischen  Seide  erfolgte  im  ersten  Jahrh. 
v.  Chr.  Über  diese  Gewebestoffe  ist  in  besonderen  Artikeln  gehandelt 
worden.  Minder  wichtige  animalische,  vegetabilische  und  mineralische 
Gewebestoffe  vgl.  bei  Vf.  Handelsgeschichte  und  Warenkunde  I,  214  ff. 

Gewerbe.  Dass  schon  in  der  Urzeit  eine  Reihe  technischer  Fertig- 
keiten, wie  Flechten,  Spinnen,  Weben,  Nähen  (s.  u.  Nadel), 
die  Kochkunst,  die  Herstellung  von  Waffen  und  Werkzeugen, 
von  Schmuck,  die  Töpferei  (s.  u.  Gef  ässe)  u.  s.  w.  betrieben  wurden, 
zeigen  die  betreffenden  Abschnitte.  Die  hier  zu  behandelnde  Frage  ist 
daher  nur  die,  ob  und  in  wie  weit  bereits  damals  eine  Arbeitsteilung 
stattgefunden  hatte,  und  ob  man  also  von  urzeitlichen  Gewerben  zu 
sprechen  ein  Recht  hat. 

Als  die  Überlieferung  anhebt,  finden  wir  bei  den  arischen  wie  süd- 
europäischen Indogermanen  die  ersten  Ansätze  eines  eigentlichen  Hand- 
werks bezeugt,  Ansätze,  die  aber  ein  deutliches  Licht  auf  eine  Zeit 
fallen  lassen,  in  der  von  getrennten  Gewerben  so  gut  wie  noch  keine 
Rede  sein  konnte.  Diese  Kulturstufe  scheint  dann  bei  den  ältesten 
Germanen  im  wesentlichen  noch  vorzuliegen. 

Das  vedische  Altertum  kennt  im  Grunde  nur  zwei  Gewerbe,  das 
des  Holzarbeiters  (tdkshan-,  tdahfar-)  und  das  des  Metallarbeiters  (kdr- 


Digitized  by  Google 


292 


Gewerbe. 


mära-).  Nach  Ausbildung  des  brabmanischen  Staatewesens  liegt  dann- 
eine  vollständig  eingetretene  Arbeitsteilung  mit  kastenartig  betriebenett 
Handwerken  und  KOnsten  vor  (vgl.  H.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  245  ff.). 
Auch  bei  Homer  werden  nur  wenige  entwickelte  Gewerbe  genannt. 
So  das  des  t^ktujv,  Uber  den  unten  noch  mehr  zu  sagen  sein  wird, 
das  den  xa^uc*  (^s  Schmiedes,  des  (Tkutotöuos,  des  Riemers  und 
Schuhmachers,  des  Kepaucüq,  des  Tapfere.  Auch  »1er  äXieu?  .Fischer V 
7Top8|i€Üq  .Fährmann'  und  vctüniq  .Schiffer'  werden  genannt.  Alle  diese 
Leute  zählen  zu  den  bnuiouptoi,  den  Menschen,  die  für  das  Volk  arbeiten,, 
zu  denen  auch  die  Seher,  Arzte,  Sänger  und  Herolde  gerechnet  werden 
(vgl.  A.  Riedenaucr  Handwerk  und  Handwerker  in  den  homerische» 
Zeiten,  Erlangen  1873).  Im  ältesten  Rom  hatte  nach  der  Überlieferung 
(Plutarch  Numa  17)  schon  der  König  Numa  Handwcrkskollegien  ein- 
gerichtet, zu  denen  die  ctuXnTai  (tibicines  oder  Flötenspieler),  die  XPU* 
aoxöoi  (aurifices  oder  Goldschmiede),  die  t^ktovc?  (fabri  tignarii  oder 
Zimraerleute),  die  ßaq>€i<;  (tinetore*  oder  Färber),  die  ckutotöuoi  (sit- 
tores  oder  Schuster),  die  o*kutoo^€i?  {coriarii  oder  Gerber),  die  xÄ^- 
K€i?  (fabri  aerarii  oder  Kupferschmiede)  und  xepa^tq  (figuli  oder 
Töpfer)  gehören  (vgl.  E.  Wezel  De  opificio  opifieibusque  apud  veteres 
Romanos,  Berlin,  Progr.  1871).  Wie  man  sieht,  werden  weder  bei 
Homer  noch  in  den  Zünften  des  Numa  eine  ganze  Reihe  von  Gewerb- 
treibenden  genannt,  die  uns  heute  für  eine  Gemeinschaft  von  Menschen, 
unentbehrlich  erscheinen,  der  S  c  h  n  e  i  d  e  r ,  Weber,  Fleischer, 
Müller,  Bäcker,  Koch  u.  s.  w.  Alle  diese  Gewerbe  müssen  also  noch 
am  Hause  gehaftet  haben  und  werden  hier,  abgesehen  etwa  von  dem 
Geschäft  des  Schlachtens,  in  das  Bereich  der  Frauen  gefallen  sein. 
Dass  die  Künste  des  Spinnens,  Webens  und  Kleidennachens  bis  in. 
späte  Zeiten  im  Altertum  hei  Hoch  und  Niedrig  den  Frauen  des  Hauses 
oblagen,  bedarf  keiner  Belege;  aber  auch  die  Thätigkeit  des  Backens 
wurde  von  ihnen  lange  Zeit  ausschliesslich  ausgeübt,  wie  dies  Plinius 
Hist.  nat.  XVIII,  107  ausdrücklich  hervorhebt:  PUtores  Romae  non 
fuere  ad  Perskum  usque  bellum  annis  ab  urbe  condüa  super  DLXXX. 
Ipsi  panem  faciebant  Quirites.  mulierumque  id  opus  maxime  erat, 
sicut  etiam  nunc  in  plurimix  gentium.  Eine  sprachliche  Illustration 
hierzu  bietet  der  agls.  Ehrenname  der  Hansfrau  hlmf-dige  (neben  hldford 
, Hausherr',  d.  i.  ,Brot-wart),  welches  wahrscheinlich  (vgl.  got.  deigan. 
agls.  daige)  soviel  wie  ,Teigmacherin,  Bäckerin'  bedeutet. 

Auch  die  dürftigen  Anfänge  gewerblicher  Arbeitsteilung,  die  wir  in 
Indien  und  im  Süden  Europas  treffen,  scheinen  nun  im  eigentlichen  Ger- 
manien der  ersten  Römerzeit  noch  gänzlich  zu  fehlen  (vgl.  W.  Wacker- 
nagel Gewerbe,  Handel  und  Schiffahrt  der  Germanen  Kl.  Sehr.  I,  35  ff.). 
Der  freie  Germane  arbeitet  überhaupt  höchst  ungern:  Delegata  domus 
et  penatium  et  agrorum  cum  feminin  senibusque  et  infirmissimo  cui- 
qtte  ex  familia,  ipsi  hehent.  mira  direrxitate  tiaturae,  cum  idem  hö- 


Digitized  by  Google 


Gewerbe. 


miines  sie  ament  inertiam  et  oderint  quietem  (Germ.  Cap.  15).  Auch 
-die  wenigen  Sklaven  des  Hauses  scheinen  noch  nicht,  wie  später,  zu 
bestimmten  Handwerken  angehalten  worden  zu  sein:  Ceteris  servis  non 
An  nogtrum  morem  discriptis  per  familiam  minüteriis  utuntur  (Tac. 
£ertu.  25).  Erst  unter  dem  Einfluss  der  Kultur  Roms,  wo  im  Laufe 
der  Jahrhundertc  das  Handwerk,  einst  Sache  des  freien  Mannes,  mehr 
'Und  mehr  zur  Sklavenarbeit  geworden  war,  treten  dann  auch  auf  den 
grösseren  Edelhöfen  der  Germanen  bestimmte  Gewerbesklaven  auf.  Vgl. 
z.  B.  Lex  Burgund.  (W.)  21,  2:  Quicunque  vero  sercum  sttum  aurificem, 
argentarium,  ferrarium,  fabrum  aerarium,  sartorem  vel  sutorem  in 
publico  attributum  artißeium  exercere  permiserit.  et  id,  quod  ad 
.facienda  opera  a  quocunque  suseepit,  fortasse  everterit,  dominus  eins 
<tut  pro  eodem  satisfaciat  auf  servi  ipsius,  si  maluerit,  faciat  cessi- 
*onem.  Bemerkenswert  sind  in  diesem  Zusammenhang  auch  die  zahl- 
reichen Entlehnungen  römischer  Handwerkerbenennungen  in  die  germa- 
nischen Sprachen:  monitdrius  in  ahd.  munijjdri,  alts.  muniteri, 
mqlindrius  in  ahd.  mulindri,  ceüdrius  in  ahd.  kelldri  u.  s.  w.,  Wörter, 
von  denen  das  namentlich  in  den  westgermanischen  Sprachen  an  Stelle 
.älterer  Bildungen  mittelst  des  Suffixes  -ja-n  (ahd.  zimbardri  ,Zimmerer' 
gegenüber  got.  timrja  etc.)  verbreitete  Suffix  ahd.  -dri,  agls.  •e're  aus 
lat.  drius  seinen  Ausgangspunkt  genommen  hat.  Auch  lat.  Handwerker- 
bezeichuungen  wie  xütor  ,Scbuster'  (ahd.  sutdri,  agls.  mtere)  oder 
ftUlo  , Walker'  (agls.  fulUre,  mndl.  volre)  sind  durch  dasselbe  umge- 
staltet worden  (vgl.  näheres  bei  F.  Kluge  Stammbildungslehre  *  S.  5  ff.). 
Gleichwohl  bedürfen  diese  Ausführungen  hinsichtlich  der  altgerma- 
nischen Verhältnisse  eine  Ergänzung.  Eine  Gewerbebezeichnung  muss 
sicher  als  urgermanisch  angesetzt  werden :  got.  -smipay  altn.  smi&r, 
agls.  smip,  ahd.  smid.  Indessen  haben  diese  Wörter  ursprünglich  nicht 
die  heutige,  spezielle  Bedeutung  gehabt,  die  vielmehr  erst  durch  Zu- 
sammensetzungen wie  got.  aizasmipa,  ahd.  trsmid,  chaltsmid  erreicht 
wird,  sondern  bezeichneten,  etymologisch  zu  griech.  o*ui-Xn.  ,Schnitz- 
messer',  etc.  gehörig,  ganz  allgemein  den  kunstverständigen  Mann, 
mochte  derselbe  nun  in  Holz,  Metall  oder  anderem  Stoff  arbeiten. 
Näher  ist  über  diese  Wörter  u.  Schmied  gehandelt  worden.  Hier 
sollen  sie  nur  dazu  dienen,  das  Verständnis  für  die  einzige  schon  indo- 
germanische Gewerbebenennung  sert.  tdkshan-  =  griech.  t£ktu>v  vor- 
zubereiten. Da  eine  Verbalwurzel  t€kt  =  sert.  taksh  im  Griechischen 
nicht  vorhanden  ist,  auch  das  Suffix  -dn-,  -an-  =  -wv,  -ov-  als  unmittel- 
bar von  der  Vcrbalwurzel  nomina  agentis  bildend,  weder  im  Griechi- 
schen noch  im  Sanskrit  lebendig  genannt  werden  kann,  so  hat  man 
zweifellos  eine  urzeitliche  Bildung  vor  sich.  Sert.  taksh  bedeutet 
,behauen,  schneiden,  schnitzen,  bearbeiten,  gestalten',  bezeichnet 
also  die  verschiedensten  Arten  handwerklicher  Thätigkeit,  spezialisiert 
Jiegt  es  in  altsl.  tesati  ,haueu'  und  lat.  texo  ,webe?  vor  (s.  auch  u. 


Digitized  by  Google 


294 


Gewerbe  —  Gewitter. 


Dachs  und  Axt).  Das  Snbstantivnm  wird  im  Veda  (s.  o.)  nur  von» 
Ziramermannsarbeit  gebraucht,  griech.  t^ktwv  aber  bezeichnet  bei  Homer 
noch  Steinhauer  wie  Zimmermann,  Schiffbauer  wie  Wagner,  Horndreher 
wie  Elfenbeinschnitzer.  Die  idg.  Bedeutung  der  Gleichung  sert.  tdkshan- 
=  griech.  tIktwv  wird  also  eine  ganz  ähnliche  wie  die  des  urgerma- 
nischen ahd.  8tnid  gewesen  sein,  etwa  ,der  geschickte  Mann',  ,Kunst- 
arbeiter',  nur  ist  das  indisch-griechische  Wort  nicht  wie  das  germanische 
später  auch  auf  Metallarbeit  angewendet  worden,  für  die  vielmehr  schon 
im  Veda  (kdrmdra-)  und  bei  Homer  (xaXKEut)  besondere  Wörter  auf- 
gekommen sind.  Ganz  gleich  sind  auch  lat.  faber  und  ir.  cerd  ,aera- 
rius,  figulus,  poeta'  =  lat.  cerdo  (griech.  Kepbocovri  wie  t€ktoo*uvt|)  zu 
beurteilen.  Auf  jeden  Fall  erhellt,  dass  schon  in  der  Urzeit  besonders 
geschickte  Männer  vorhanden  gewesen  und  als  solche  aus  der  grossen 
Menge  sprachlich  hervorgehoben  worden  sein  müssen,  die  eine  grössere 
Fertigkeit  als  andere,  sei  es  nun  im  Zimmern  einer  Hütte  oder  im 
Glätten  eines  Steinwerkzeuges  oder  in  ähnlichem  erlangt  hatten.  In- 
sofern kann  man  sagen,  dass  die  ersten  Anfänge  der  Gewerbebildung 
in  die  Urzeit  zurückgehen. 

Unsicherer  ist  eine  zweite  urverwandte,  doch  auf  Europa  beschränkte 
Gewerbebeucnnung:  griech.  iroiunv  =  lit.  piemü  ,Hirt'  zu  beurteilen. 
Dass  zu  einer  Zeit,  in  der  alle  Hirten  oder  vorwiegend  Hirten  waren, 
das  Hüten  des  Viehs  als  ein  bestimmtes  Gewerbe  betrachtet  worden, 
sein  sollte,  ist  wenig  wahrscheinlich.  Doch  könnte  man  vielleicht  sich 
vorstellen,  dass  die  Vorfahren  der  europäischen  Indogermanen,  bei 
denen  der  Ackerbau  (s.  d.)  schon  in  der  Urzeit  eine  grössere  Be- 
deutung erlangt  hatte,  so,  d.  h.  als  „Hirten",  reine  Hirten  (voudoeq)  ihre 
östlichen,  arischen  Nachbarn  bezeichneten,  die  ihrerseits  vielleicht  die 
Westindogennanen  „Furchenzieher"  (sert.  krshfdycu,  vou  der  speziell 
arischen  Wurzel  lar*h  , Furchen  ziehn')  nannten  (vgl.  Iku8oi  äpcnf|p€<; 
oder  tewpToi  neben  den  Zkuöoi  vojudbc?). 

In  besonderen  Artikeln  ist  über  das  Hervortreten  des  Arztes, 
Dichters,  Erziehers  (s.  u.  Erziehung),  Kaufmanns,  Königs, 
Priesters,  Richters  und  Schmieds  gehandelt  worden. 

Gewitter.  Für  die  Erscheinung  des  Donners  liegt  eine  weit- 
verbreitete Sprachreihe  in  sert.  standyati  ,es  donnert',  stanayitmi- 
.Donner',  lat.  tonat,  tonitru,  agls.  punian  =  tonare,  punor,  ahd.  donar 
vor.  Aus  ihr  ist  der  gemeingermanische  Name  des  Donnergottes:  ahd. 
Donar,  altnd.  Thu nar,  altn.  Thörr  hervorgegangen.  Die  Grundbedeutung 
der  ganzen  Sippe  ist  ,laut  tönen',  .lauter  Schair  (vgl.  sert.  standtha- 
, Gebrüll',  tanayitnü-  ,donnernd,  rauschend').  Auch  das  Keltische  nimmt 
mit  einem  inschriftlich  bezeugten  *Tanaras  \  Jovi  Optima  Maximo 
Tanaro\  vgl.  R.  Much  Der  germanische  Himmelsgott,  Festschrift  für 
Hcinzel  S.  227)  an  der  angegebenen  Reihe  teil. 

Die  häutigere  Bezeichnung  der  keltischen  Donnergottheit  ist  aber  in. 


Digitized  by  Google 


Gewitter. 


dem  von  Lncan  (Pharsalica  I,  446)  bezeugten  Taranis  enthalten,  das 
durch  inschriftliche  Formen  wie  Tapovoou  CDat.),  Taranucm,  Taranu- 
enus  (Tgl.  Reinach  Revne  Ccltique  XVIII,  137  und  Much  a.  a.  0.)  weiter 
bestätigt  wird.  Die  Grundlage  dieser  Götternamen  bildet  der  gemein- 
keltische  Ausdruck  für  den  Donner  *toranno-s  (ir.  torann,  kymr.  ta- 
rann,  korn.  taran).  Taranu-cn-us  (vgl.  ir.  centl  ,Gesehlecht',  cinim 
,ich  entspringe  )  wird  soviel  wie  ,Sohn  des  Donners'  bezeichnen,  wie 
im  Litauischen  Perkuna  tele  ,niatcr  fulminis  atque  tonitruf  ist. 

Der  letztere  Ausdruck  führt  zu  der  im  Osten  Europas  geltenden 
Bezeichnung  des  Donners:  lit.  perkünas  ,Donner,  Donnergott',  perkti- 
nyja  , Gewitter',  lett.  perkuns,  altpr.  percuni*  ,Donner\  womit  höchst- 
wahrscheinlich auch  russ.  perunü  .Donnerkeil',  , Donnergott',  klruss. 
perun  , Blitzstrahl*  u.  s.  w.  zusammenhängen,  obwohl  der  Ausfall  des  k 
im  Slavischen,  bezüglich  der  Eintritt  dieses  Lautes  im  Litauischen  noch 
unerklärt  ist.  Gewöhnlich  stellt  man  lit.  perkünas  zu  dem  altnordischen 
Namen  der  Mutter  Thors  Fjörgyn,  wohl  auch  zu  dem  des  vedischen 
Regen-  und  Gewittergottes  Parjdnya-,  und  verbindet  alle  diese  Wörter 
mit  lat.  quercus,  ahd.  forha  ,Eiche,  Föhre',  so  dass  sich  eine  Grund- 
bedeutung .Eichengott'  ergiebt  (vgl.  H.  Hirt  I.  F.  I,  479  ff.).  Anderer 
Ansicht  ist  R.  Much  n.  a.  0.,  der  das  lit.  perkünas  und  russ.  perunü 
für  Entlehnungen  ans  einem  gerin.  *Perküno.s,  *Feryünaz,  *Ferhünaz 
ausicht,  das  er  als  ,der  sehr  hohe'  (vgl.  lat.  per-  in  permagnus  ~  kelt. 
er-  und  kymr.  cwn  ,Höhe')  deutet.  Bei  beiden  Erklärungen  wäre  in  lit. 
perkuna*,  altpr.  percunis  u.  s.  w.  die  Benennung  der  Wettererscheinung 
aus  dem  Eigeunamcn  eiues  Gottes  hervorgegangen,  was  an  sich  nicht 
unmöglich,  jedoch  im  Hinblick  auf  die  auf  germanischem  und  keltischem 
Boden  deutlich  verfolgbaren  Vorgänge  der  Bedeutungsentwicklung  nicht 
gerade  wahrscheinlich  ist.  Vielleicht  ist  daher  für  die  litauisch-slavischen 
Wörter  doch  einfach  von  der  Bedeutung  , Donner',  ,Gewitter'  auszu- 
gehen, und  die  Anklänge  an  «lic  verwandten  Sprachen  (von  mehr  kann, 
was  das  sert.  Parjdnya-  betrifft,  auch  aus  lautlichen  Gründen  nicht 
gesprochen  werden;  vgl.  Kretschmer  Einleitung  S.  82,  K.  Brugmann 
Grundriss  I8,  514,  R.  Mnch  a.  a.  0.)  beruhen  auf  Zufall. 

Von  weiteren  urverwandten  Bezeichnungen  des  Donners  sei  noch  auf 
die  Gleichungen  altsl.  gromü  =  griech.  ßpovrn.  (:  0pö|jo?  ,Getön',  vgl. 
Z€u?  u«|iißp€u.£nic  ,der  hochdonnernde  Zeus*)  und  got.  peihico,  vielleicht 
=■  altsl.  tqca  .finstere  Wolke,  Sturzregen'  verwiesen. 

Wenn  somit  für  den  Donner  verschiedene  urzeitliche  Benennungen 
bestehen,  so  ist  dies  bei  dem  Blitze  nicht  der  Fall.  Es  scheint,  dass 
in  der  ältesten  Zeit  die  Begriffe  des  Blitzes  und  des  Feuers,  des 
himmlischen  und  des  irdischen  Feuers,  noch  zusammengefallen  sind. 
Nach  uralter  Anschauung  (vgl.  A.  Kuhn  Die  Herabkunft  des  Feuers) 
entsteht  das  Feuer  in  der  Wolke  gerade  so  wie  auf  der  Erde,  nämlich 
dnreh  Reibung  bestimmter  Hölzer  (s.  u.  Feuerzeug'),  und  lodert  dann 


Digitized  by  Google 


Gewitter  —  Glas. 


im  Blitze  zur  Erde  oder  wird  von  mythischen  Wesen  wie  dem  indischeu 
Mätaricvan  oder  dem  griechischen  Prometheus  dahin  gebracht.  Dem- 
entsprechend ist  sert.  agni-  im  Veda  oft  mit  ,Blitz'  zu  Ubersetzen. 
Ebenso  wird  griech.  nvp  und  <pw$  (<pdi^  u€"ra  Ik  Aiö<;,  Xen.  Auab.  III,  1, 12) 
gebraucht.  Vgl.  ferner  sert.  vidyu-t-  ,Blitz' :  die  ,strahlcn',  lat.  f'ulmen, 
fulgitr  (vielleicht  verwandt  mit  ahd.  blic) :  fulgeo,  griech.  cpXöE  , Flamme', 
(pXerw  jleuchte',  got.  lauhmuni  ,äo*TpaTTfV,  dan.  lyn7  altschwed.  lygn- 
elder  ,Blitzfeuer'  :  lat.  lux  ,Licht',  alt».  Hörne  ,Strahl',  abd.  louc 
,Lohe'  u.  s.  w. 

Nicht  selten  wird  auch  der  Blitz  als  Keil  oder  Waffe  (Axt,  Hammer) 
bezeichnet,  der  zur  Erde  ans  der  Gewitterwolke  herniedertahrt.  So  in 
sert.  dqani-,  dgman-  (vgl.  lit.  Perkuno  akmu  bei  J.  Grimm  Über  die 
Namen  des  Donners  Kl.  Sehr.  I,  425)  und  vdjra-,  so  in  griech.  Kepau- 
vö?  (:  sert.  qdru-  ,WaftV,  got.  hairus  ,Schwert'),  so  in  altsl.  mlünija, 
russ.  mohiija  ,Blitz'  (vgl.  auch  altpr.  mealde  und  kynir.  mellt  id.  ?)  : 
altn.  mjölnir  ,Thor8  Hammer',  d.  i.  der  Blitz,  in  deutschen  Ausdrücken 
wie  donnerkeil,  donneraxt  (vgl.  Grimms  W.)  u.  s.  w. 

Feste  und  selbständige  Göttergestalten  haben  sich  aus  den  Bezeich- 
nungen des  Blitzes  nur  selten  und  nicht  so  deutlich  wie  aus  denen 
des  Donners  entwickelt.  Vgl.  Usencr  Götternamen  (Uber  einen  make- 
donischen Keraunos  S.  286)  und  R.  Much  a.  a.  0.  S.  231  ff.  (über  Er- 
scheinungen ans  der  germanischen  Mythologie \  —  S.  u.  Religion. 
Gewohnheitsrecht,  s.  Recht. 

Gewürze.  Schon  in  vorhistorischer  Zeit  war  in  Europa  das  Salz 
i  s.  d.  i  bekannt.  Ausserdem  standen  frühzeitig  zahlreiche  Gewürzpflanzen 
zur  Verfügung.  S.  über  dieselben  u.  Garten,  Gartenbau  und  u. 
Zwiebel  und  Lauch.  Von  aussereuropäischen  Gewürzen  sind  der 
Kümmel,  Pfeffer,  Ingwer,  das  Silphium,  die  Muskatnuss  und 
die  Nelke  bebandelt  worden.  —  S.  auch  u.  Nahrung. 

Gift,  s.  Arzt. 

Glas.  Die  Bereitung  des  Glases  geht  im  Orient,  namentlich  in 
Ägypten,  in  sehr  frühe  Zeiten  zurück,  und  schon  in  den  Grabkammern 
der  IV.  und  V.  Dynastie  haben  sich  Abbildungen  des  Glasblasens  ge- 
funden. Von  hier  haben  ohne  Zweifel  die  Phoenizier  die  Fabrikation 
des  Glases,  die  aber  auch  in  Assyrien  sehr  alt  ist,  übernommen  (vgl. 
Blttmner  Termin,  nnd  Techn.  IV,  379  ff.). 

Nach  Europa  wurde  das  Glas  zuerst  in  Form  von  Perlen  und 
Kugeln,  noch  nicht  in  Gestalt  von  Gefässen  ausgeführt.  Die  eretcren 
haben  sich  in  weisser  und  blauer  Farbe  schon  in  den  mykenischen 
Gräbern  gefunden,  während  selbst  Homer  noch  nichts  von  Glas  ge- 
fässen zu  berichten  weiss,  und  solche  erst  von  Aristophanes  aus- 
drücklich erwähnt  werden  (vgl.  Blümner  a.  a.  0).  Überhaupt  zuerst 
genannt  wird  das  Glas  von  Herodot  als  Xtöoq  x^n  ,gegossener  Stein', 
wofür  später  üaXo?  eintritt,  das  zwar  auch  schou  bei  Herodot  vor- 


Digitized  by  Google 


Glas  —  Glocke. 


kommt,  hier  aber  noch  -ein  natürliches,  aus  der  Erde  gegrabenes 
Material"  bezeichnet.  Etymologisch  scheint  griech.  üaXo?  dein  ersten 
Teil  des  von  Plinins  XXXVII,  33  als  skythiscb,  d.  h.  nordeuropäisch 
genannten  Namen  des  Bernsteins  Huali-ternicum  (Codex  ßamb.)  zu 
entsprechen.  Das  Zusammenfliessen  von  Wörtern  für  Glas  und  Bern- 
stein ist  aber  eine  gewöhnliche  Erscheinung,  wofür  auf  den  A.  Bern- 
stein zu  verweisen  ist.  Die  Grundbedeutung  von  *sualo-  wird  .durch- 
sichtiger Stein'  oder  ähnliches  gewesen  sein  (anders  Kögel  I.  F.  IV,  316). 

Auf  der  Apenninhalbinsel  sind  noch  keine  Glasperlen  in  den 
Pfahlbauten  der  Poebne  nachgewiesen  worden;  sie  kommen  erst  zu- 
sammen mit  dem  Eisen  in  den  Funden  von  Villanova  und  Marzabotto 
vor  vgl.  Undset  Das  erste  Auftreten  des  Eisens  S.  2  und  4).  Als  die 
Kölner  den  bläulichen  Glasschmuck  kennen  lernten,  benannten  sie  ihn 
mit  dem  urzeitliehen  Namen  des  zum  Blnufärben  dienenden  Waides 
's.  d.),  i'itrum  (wohl  zufällig  erst  bei  Cicero  überliefert).  Dieses  ist 
denn  auch  die  gewöhnliche  Bezeichnung  des  Glases  in  den  romanischen 
Sprachen  (it.  retro,  frz.  verre  etc.)  mit  Ausnahme  des  Rumänischen, 
wo  stikla  (s.  u. 1  gilt,  geworden.  —  Die  Verhältnisse  des  mittleren  und 
nördlichen  Europa  entsprechen  im  wesentlichen  den  italischen, 
d.  h.  auch  hier  tritt  das  Glas,  ebenfalls  fast  ausschliesslich  in  Form 
von  Perlen  und  8chmuckgehängen,  erst  mit  dem  Ende  der  Bronzezeit 
und  zusammen  mit  Eisen  und  Silber  (s.s.d.d.) auf.  Doch  sind  Glasperlen 
auch  schon  in  dem  der  reinen  Bronzezeit  angehörigen  Pfahlbau  von 
Wollishofen  bei  Zürich  gefunden  worden.  Eine  grosse  Ausbeute  gläserner 
Artefakte  (kleine  Ringe,  Schmuck  an  Fibeln  etc.)  bietet  alsdann  das 
Gräberfeld  von  Hallstatt  (v.  Sacken  S.  120).  Die  La  Tene-Zeit  zeigt 
die  neue  Erscheinung  gläserner  Annringe.  Auch  im  äussersten  Norden 
wurde  man  erst  im  Eisenzeitalter  mit  dem  Glase  bekannt  vgl.  O.  Mon- 
telins  Die  Kultur  Schwedens ?  S.  86,  98,  99). 

Der  neue  Ankömmling  wurde  von  den  germanischeu  Stämmen  über- 
einstimmend in  d  e  r  Weise  benannt,  dass  der  urgermanische  Name  des 
mit  dem  Aufkommen  der  Edelmetalle  an  Bedeutung  zurückgetretenen 
Bernsteins  (s.  d.i  auf  ihn  übertragen  wurde:  altn.  gier,  ahd.  glm. 
Dasselbe  war  wohl  auch  bei  den  Kelten  der  Fall  (vgl.  ir.  glain,  gloin 
.Glas,  Krystair  aus  *glasin).  Von  den  Germanen  ging  die  Bekannt- 
schaft mit  dem  Glas  dann  zu  den  Slaven  über,  aber  erst  zu  einer  Zeit, 
als  bei  den  Germanen  bereits  vom  Süden  eingeführte  gläserne  Trink- 
getässe  bekannt  waren.  So  erklärt  sich  die  Entlehnung  von  lit.  sttklcs. 
altpr.  ttticlo,  altsl.  stiklü  (in  allen  Slavinen;  vgl.  auch  oben  mm.  stikla) 
,Glas'  aus  got.  stikls,  ahd.  stechal  »Trinkbecher'. 
Glaube,  s.  Religion. 

Glocke.  Klingeln  (lat.  tintinnabulum,  griech.  kiüouiv)  waren  schon 
im  klassischen  Altertum  zu  verschiedenen  Zwecken  gebräuchlich.  Die 
eigentliche  Glocke  hat  sich  aber  erst  auf  dem  Boden  desChristen- 


Digitized  by  Google 


298 


Glocke  -  Gold. 


tums  herausgebildet.  Hier  wird  sie  in  deu  Schriften  des  heiligen  Gregor 
von  Tours  als  signum,  vollständiger  signum  ecdesiae,  bezeichnet.  Vgl. 
De  virtutibus  S.  Martini  28  (Mon.  S.  601  M):  Reverti  autem  cupiens  nocte 
ad  funem  illum  de  quo  signum  commovetur  advenit.  Über  ihre  Her- 
kunft äussert  Walafrid  Strabo  De  exord.  et  increment.  rer.  eccl.  Cap.  V.: 
Eorum  (der  Glocken)  usum  primo  apud  Italos  affirmant  inventum. 
unde  et  a  Campania  ,  quae  est  Italiae  procincia,  eadem  vasa 
maiora  quidem  campanae  dicuntur  :  minora  vero,  quae  et  a  sono 
tintinnabula  vocantur,  nola  8  apellant,  a  Nola  eiusdem  civitate  Cam- 
paniae,  tibi  eadem  vasa  primo  sunt  commentata.  Die  hier  gegebenen 
Erklärungen  von  campana  .Glocke'  (in  dieser  Bedeutung  zuerst  in  der 
Vita  St.  Coluinbac  Cap.  22,  früher  bei  Isidor  in  der  Bedeutung  von 
Schnelhvage)  und  von  nola  (zuerst  in  der  Bedeutung  von  Schelle  bei 
Avienus  Fab.  7  v.  8)  sind  zweifelhaft;  doch  sind  bessere  noch  nicht 
gegeben  worden.  Keine  der  beiden  Bezeichnungen  ist  nach  Nordeuropa 
Ubergegaugen.  Bei  Kelten,  Romanen  (ausser  in  den  südlichen 
Mundarten,  die  campana  gebrauchen)  und  Germanen  gilt  vielmehr 
ein  anderer  Name  der  Glocke:  ir.  cloc,  gäl.  dag,  körn,  doch,  bret. 
kloc'h,  prov.  cloca,  fr/.,  doche,  ahd.  glocka,  agls.  cluggef  altn.  klukka, 
mlat.  cloca,  der  wahrscheinlich  von  Irland  ausgegangen  und  auf  dem 
Festland  durch  die  irische  Mission  verbreitet  worden  ist.  Schon  der 
heilige  Patricius  (V.  Jahrhundert)  soll  dem  neugewählten  Bischof  von 
Irland  eine  Glocke  verehrt  haben  (vgl.  Thurneysen  Kelto-Romanisches 
S.  95).  Später  wird  dann  von  einem  irischeu  Mönche  Dagäus  (f  um 
586)  im  Kloster  Kieran  berichtet,  der  „trecentas  campanasu  verfertigt 
habe.  Welche  Neuerung  etwa  in  Irland  mit  dem  Glockenguss  vorge- 
nommen worden  sein  könnte,  entzieht  sich  unserer  Kenntnis.  Der  Ur- 
sprung des  keltischen  Wortes  {*klukko-si  dürfte  ein  onomatopoetischer 
sein. 

Die  Litauer  und  Slaven,  die  ausserhalb  der  angegebenen  Missions- 
richtung liegen,  haben  auch  an  der  eben  besprochenen  Reihe  ir. 
doc  u.  s.  w.  keinen  Anteil.  Sie  benennen  die  Glocke  mit  einheimischen 
Ausdrücken  wie  altsl.  klakolü,  russ.  kolokolü  etc.,  wohl  ebenfalls  ono 
matopoetisch  (vgl.  auch  sert.  karkari-  ,ein  Musikinstrument'),  oder  mit 
Ableitungen  von  *zren-,  altsl.  zvlneti  ,klingen'  :  bulg.  zvünec  ,Glocke", 
woraus  entlehut  auch  lit.  zieänas  (neben  einheimischem,  aber  dunklem 
wafpas). 

Gold.  Das  vornehmste  der  Metalle,  in  Ägypten  von  der  ältesten 
Zeit  an  nachweisbar,  und  wohl  auch  den  semitischen  Völkern,  wie  die 
Ubereinstimmung  von  assyr.  huräsu  mit  hehr,  hdrüs  zeigt,  vor  ihrer 
Trennung  zugekommen,  ist  währeud  der  europäischen  Steinzeit  noch 
unbekannt  und  tritt  in  grösserer  Menge  erst  im  Verein  mit  der  Bronze 
auf.  Allerdings  begegnen  vereinzelte  Goldfunde  auch  zusammen  mit 
rein  kupfernen,  der  neolithischen  Periode  nahe  liegenden  Artefakten, 


Digitized  by  Google 


Gold. 


allein  nur  an  den  zwei  äusserten,  Asien  und  Afrika  benachbarten 
Punkten  Europas,  im  Südosten:  (in  Troja),  auf  Therasia  und  im 
einstigen  Pannonieu,  im  Südwesten:  im  südlichen  Frankreich  und  in 
Spanien  (vgl.  näheres  bei  M.  Much  Die  Kupferzeit  in  Europa  9  S.  29, 
112,  119,  156,  356).  Innerhalb  der  Bronzezeit  scheint  sich  dann  das 
Gold  hauptsächlich  im  Anscbluss  an  den  Bernsteinhandel  (s.  u.  Bern- 
stein) vom  Südosten  Europas  aus  nordwärts  verbreitet  zu  haben.  Über 
die  hierbei  wichtigen  Goldspiralen  s.  auch  u.  Geld. 

Ein  indogermanischer  Name  des  Goldes  ist  noch  nicht  ermittelt 
worden.  Freilich  hat  es  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  einen  solchen  zu 
erschliessen.  Zunächst  hat  man  (vgl.  G.  Curtius  Grundzüge4  S.  204) 
die  arischen  Benennungen  des  Goldes  seit,  hiranya-,  aw.  zaranya-, 
die  bei  ihrer  völligen  Übereinstimmung  in  Stamm  und  Suffix  auf  eine 
Bekanntschaft  der  arischen  Urzeit  mit  dem  Golde  hinweisen,  mit  den 
europäischen  gricch.  xpuffö?,  got.  gulp,  altsl.  zlato  verknüpft.  Allein 
hinsichtlich  des  griechischen  Wortes  sind  jetzt  wohl  alle  Sprachforscher 
(vgl.  zuletzt  .1.  Schmidt  Urheimat  S.  8,  Prell  witz  Et.  W.,  Muss-Arnolt 
Semitic  words  S.  137,  H.  Lcwy  Die  semit.  Fremd w.  S.  59)  einig, 
dass  es  eine  Entlehnung  aus  semitischem  Sprachgebiet  ist,  und  die 
germano-slavischen  Wörter  haben  mit  den  arischen  ausschliesslich  die 
Wurzelsilbe  gemeinsam.  Ferner  hat  man  (zuerst  Fick,  der  daran  auch 
noch  Vergl.  W.  I4,  55  festhält)  got.  gulp  und  slav.  zlato  mit  einem 
sert.  hdfaka-  (aus  *haltaka-)  verglichen,  das  spät  auch  Gold  bedeutet. 
Indessen  setzt  das  Petersburger  Wörterbuch  als  erste  Bedeutung  des 
indischen  Wortes  .Volk  und  Land  Hdfaka  uud  dann  erst  ,Gold  vom 
Lande  II.'  an,  und  ans  R.  Garbes  Schrift  Die  indischen  Mineralien 
S.  33  kann  man  als  Analoga  zu  diesem  Bedeutungswandel  noch  Fälle 
wie  jdmbünada-,  ^dtakumbha-,  saumerava-,  jdmbava-,  gdngeya-,  die  alle 
Gold  von  dem  betreffenden  Lande,  resp.  FIurs  oder  Berg  bezeichnen, 
kennen  lernen.  Endlich  folgert  Fick  Vergl.  W.  I4,  348  eine  gemein- 
same westeuropäische  Benennung  des  Goldes  auch  aus  lat.  attrum  aus 
*ausom  und  lit.  duksas,  altpr.  ausis.  Vergleicht  man  aber  sicher  auf 
Urverwandtschaft  beruhende  Fälle  dieser  Art  wie  lat.  auris  aus  *ausi$ 
jOhr'  =  lit.  ausis,  altpr.  ausins  Acc.  PI.,  so  sieht  man,  dass  lit.  duksas 
mit  ks  ~  $  wahrscheinlich  eine  andere  Erklärung  als  die  Annahme  der 
Urverwandtschaft  fordert  (s.  u.). 

Somit  lassen  sich  keine  sicheren  sprachlichen  oder  sachlichen  Kri- 
terien gewinnen,  ans  denen  sich  die  Bekanntschaft  der  Indogcrmane» 
mit  dem  Golde  vor  ihrer  Trennung  ergäbe. 

Es  fragt  sich  nun,  in  wie  weit  sich  die  Wege  ermitteln  lassen,  auf 
denen  das  Gold  sich  in  Europa  verbreitete.  Gricch.  XPu<*oq,  wie  wir 
schon  sahen,  ist  aus  dem  Semitischen  (hcbr.-phoeniz.  Itdrtls)  entlehnt. 
Obwohl  das  Wort  auf  griechischem  Boden  schon  im  Anfang  der  Über- 
lieferung so  fest  eingewurzelt  ist,  dass  Orts-  und  Personennamen  voik 


Digitized  by  Google 


Gold. 


ihm  gebildet  werden,  steht  doch  nichts  im  Wege,  die  Phoenizier  als 
-Übermittle!*  des  Wortes  und  der  Sache  anzusehen,  wenn  wir  bedenken, 
dass  schon  im  XVI.  Jahrhundert  der  Handelsverkehr  dieses  Volkes 
mit  Griechenland  voll  entwickelt  war  (vgl.  E.  Meyer  Geschichte  des 
Altertums  II,  140  .  Jedenfalls  waren  es  Phoenizier,  die  die  ersten 
Goldgruben  in  Hellas,  auf  der  Insel  Thasos  und  am  Pangaeon,  eröff- 
neten oder  weiter  ausbauten  (s.  u.  Bergwerk),  und  auch  auf  dem 
Landwege  über  Syrien  und  Kleinasien,  das  an  Fluss-,  wie  Beiggold 
überaus  reich  war  ('vgl.  Strabo  XIV,  p.  680),  wird  manches  Stück  des 
-edlen  Metalls  nach  dem  goldarmen  Griechenland  gekommen  sein.  Noch 
im  VI.  Jahrhundert  mussten  die  Lacedämonier,  um  dem  Apollo  ciue 
Bildsäule  zu  errichten,  zu  Kroisos  von  Lydien  behufs  Einkaufs  des 
dazu  nötigen  Goldes  eine  Gesandtschaft  schicken  (Herod.  1,  69). 

Lat.  aurum  aus  *ausom,  vgl.  sab.  au»um  (Festus  Pauli  S.  9),  ist  rein 
italischen  Ursprungs,  zu  lat.  auröra,  *au8-6sa  .Morgenröte',  aur-ügo 
«Gelbsucht'  gehörig  und  bedeutet  also  ,das  gelbe'  Metall.  Einen  Wink, 
woher  da»  Gold,  das  in  den  Pfahlbauten  der  Poebene  noch  nicht  nach- 
gewiesen werden  konnte,  und  erst  zusammen  mit  dem  Eisen  in  Ober- 
italicn  vorzukommen  scheint  •  vgl.  Olshausen  Zeitschrift  für  Ethnologie, 
Verhandlungen  1891  S.  317),  nach  Italien  gekommen  sei,  erhält  mau 
also  so  nicht.  Hingegen  lassen  sich  von  hier  aus  mehrere  Fäden 
in  das  übrige  Europa  verfolgen.  Zunächst  haben  alle  keltischen 
Sprachen  ihr  Wort  für  Gold  dem  Lateinischen  entlehnt:  ir.  6r,  kyinr. 
mer,  kambr.  our.  Die  Entlehnung  fand  statt  in  einer  Zeit,  in  welcher 
das  inlautende  s  des  Lateinischen  bereits  seine  Umwandlung  in  r  durch- 
gemacht hatte,  also  etwa  zur  Zeit  der  Samniterkriege  oder  noch  früher, 
als  die  Einnahme  Roms  nach  dem  Tag  an  der  Allia  den  Galliern 
1000  Pfund  römischen  Golds  als  Beute  zugeführt  hatte.  Dabei  ist  es 
natürlich  möglich  (was  mutatis  mutandis  auch  von  dem  Verhältnis  der 
Griechen  zu  den  Pbocniziern  gilt),  dass  bei  der  Thatsaehe  früher  Gold- 
fundc  im  südlichen  Frankreich  und  Spanien  vereinzelte  goldene  Arte- 
fakte schon  vorher  den  keltischen  Stämmen  zu  Gesicht  gekommen  und 
von  ihnen  benutzt  worden  sein  könnten;  es  fragt  sich  nur,  wie  in 
ähnlichen  Fällen,  so  auch  hier,  ob  diese  letzteren  schon  vor  ihrer  Be- 
rührung mit  Rom  in  denselben  ein  besonderes  Metall,  wertvoller 
als  die  dem  Golde  so  ähnliche  Bronze  erkannt  und  ihm  einen  Namen 
gegeben  hatten,  von  dem  dann  jedenfalls  jegliche  Spur  fehlen  würde. 
Hierdurch  erledigen  sich  die  Einwendungen  W.  Ridgeways  The  origiu 
of  metallic  currency  S.  Ol  ff.  gegen  die  vorgetragenen  Anschauungen; 
auch  werden  von  dem  genannten  Gelehrten  die  keltischen  Wörter  zu 
Unrecht  an  das  baskische  urrea  ,Gold'  angeknüpft. 

Aus  italisch  aurum  stammt  femer  alb.  är.  Die  älteste  Eutlehnung 
aus  ital.  ausom  aber,  in  einer  Zeit,  iu  welcher  das  intervokalc  .v  des 
«talischen  Wortes  noch  unversehrt  war,  hätte  nach  V.  Hehn  (Kultur- 


Digitized  by  Google 


Gold. 


pflanzen6  S.  547)  in  die  baltische»  Wörter  :  altpr.  mutis,  lit.  duksa* 
statt  gehabt.  Hierbei  ist  in  sprachlicher  Hinsicht  zu  bemerken,  dass- 
s  o  das  lit.  Jc8  =  m  in  duksas  sich  allerdings  eher  als  bei  der  Annahme 
der  Urverwandtschaft  des  italisch-baltischen  Wortes  verstehen  würde 
(s.  o.),  da  bei  Entlehnungen  eher  unregelmäßige  Erscheinungen  in  der 
Lautvertretung  (vgl.  auch  lit.  tükxtantis,  altpr.  tüsimtons,  got.  ßÜJtundi) 
zuzulassen  sind  (so  auch  Kretschmer  Einleitung  S.  150  f.,  der  sich 
gleichfalls  für  die  Entlehnung  des  italischen  Wortes  in  das  Baltische 
entscheidet/.  In  sachlicher  Beziehung  wäre  an  den  alten  Bernstein- 
handel  zwischen  Italien  und  den  baltischen  Ländern  zu  erinnern,  der 
für  so  frühe  Zeit  freilich  noch  nicht  sicher  bewiesen  ist  (s.  u.  Bern- 
stein). Auch  ist  Gold  aus  der  Bronze-  und  Hallstattzeit  in  den 
Provinzen  Ost-  und  Westpreussen  bis  jetzt  nicht  gefunden  worden  (vgl. 
Olshausen  a.  a.  O.  1890  8.  284  und  Bezzen berger  Deutsche  Litz.  1892: 
S.  1488). 

Eine  gemeinsame  Bezeichnung  des  (»oldes  besitzen  die  germanischen, 
und  s  1  a  v  i  s  c  h  e  u  Sprachen  nebst  dem  Lettischen  jedenfalls  in- 
sofern, als  sie  dasselbe  Adjektivum,  wenn  auch  in  verschiedenen  Ab- 
stufungen des  Stammes  vorliegend,  zur  Benennung  des  Goldes  verwendet 
haben:  got.  gulp  aus  *ghf-to-,  altsl.  zlato  aus  §hol-to-,  lett.  seit*  aus 
gheJrto-  :  W.  ghel  (lat.  hel-cutt)  ,das  gelbe'.  Es  muss  also  ein  idg- 
Adjektivum  mit  der  Bedeutung  ,gelb'  sich  zu  einer  gewissen  Zeit  bei 
Germanen,  Slaven  und  einem  Teil  der  Balten  als  Benennung  des  Goldes 
verbreitet  und  festgesetzt  haben  und  dann  als  Farbenbezeichnnng  all- 
mählich verblasst  sein.  Da  dies  nur  geschehen  sein  kann,  als  die  drei 
Wörter  sich  noch  ähnlicher  waren  als  jetzt,  und  im  besondern  der  Über- 
gang des  palatalen  Gutturals  in  den  Sibilanten  (idg.  gh  :  slav.  z,  lett.  s) 
noch  nicht  stattgefunden  haben  oder  wenigstens  noch  nicht  durchge- 
führt worden  sein  konnte  (vgl.  auch  Kretschmer  a.  a.  O.  S.  150),  so- 
folgt  hieraus,  dass  die  erste  Bekanntschaft  mit  dem  Golde  bei  den. 
genannten  Völkern  sehr  früh,  vielleicht  früher  als  in  Italien  erfolgt  ist. 
was  zu  dem  archäologischen  Befund  (vgl.  Olshausen  a.  a.  0.  1891 
S.  317)  wohl  zu  stimmen  scheint. 

Wenden  wir  uns  noch  kurz  nach  dem  äussersten  Osten  Europas  und 
den  daran  stossenden  Teilen  Asiens,  so  liegen  die  Dinge  bei  dem 
Finnen  in  sprachlicher  Beziehung  sehr  klar.  Die  Westfinnen  haben 
ihre  Bezeichnung  des  Goldes  aus  dem  Germanischen  (tinn.  kulta,  estn. 
kuld,  lapp.  golle),  die  Ostfinnen  aus  dem  Iranischen  iiuordv.  drnär 
wog.  sorni,  ostj.  sömi,  wotj.  und  syrj.  zarni  aus  aw.  zaranya,  npers. 
zarr,  zar  u.  s.  w.)  entlehnt.  Als  Vermittler  können  wir  uns  in  letz- 
terem Falle  irano-skythische  Stämme  denken,  etwa  Massageten,  die 
nach  Herodot  (I,  215)  überaus  reich  an  Gold  (und  Erz)  waren.  Ganz 
im  Gegensatz  zu  den  Finnen  besitzt  der  am  Westende  des  goldreichen 
Altai  einheimische  turko-tatarische  Sprachzweig  eine  einheitliche  Be- 


Digitized  by  Google 


Gold  —  Gott. 


nennung  unseres  Metalles,  die  in  ungeheurer  geographischer  Ausdehnung 
noch  heute  gilt  (altun,  altyn,  iltyn).  Die  Sage  von  den  goldhütenden 
Greifen  im  Lande  der  Arimaspen,  von  denen  uns  Herodot  (III,  116,  IV,  27) 
berichtet,  scheint  eine  Ahnung  dieses  hochnordischen  Goldreichtunis  zu 
verraten. 

Nachzutragen  ist  aus  idg.  Sprachgebiet  noch  armen,  oakr  ,Gold' 
und  phryg.  t^oupea  desgl.,  ersteres  uugewisser  Herkunft  (vielleicht 
vorarmenisch  und  zu  sumerisch  gushkin  ,Gold'  gehörig),  letzteres  eben- 
falls eine  Bildung  von  der  Wurzel  ghel,  doch  mit  volarem  Anlaut  (vgl. 
griech.  xkwpöq  und  lit.  geltet*,  altsl.  ilütü).  —  S.  u.  Metalle. 
Goldlack,  s.  Veilchen. 

Gott.  Die  Bezeichnungen  der  idg.  Sprachen  für  den  Begriff  der 
Gottheit  gehen  zu  dem  einen  Teil  auf  diejenige  Schiebt  religiöser  Vor- 
stellungen zurück,  welche  u.  Ahnen kultus  behandelt  worden  ist. 
Hierher  gehören  sert.  dmra-,  griech.  Gcö?  und  bcunwv,  altn.  cesir  ,Asen' 
u.  a.  Alle  diese  Wörter  bedeuteten  ursprünglich  ,Gcist',  d.  h.  ,anima 
eines  Verstorbenen',  teils  freundlich,  teils  feindlich  für  den  Menschen 
gedacht,  je  nach  der  Verehrung,  die  dem  Toten  zu  Teil  geworden  war. 

Daneben  aber  hatte  sich  schon  in  der  Ursprache  eine  Bezeichnung 
für  den  Begriff  eines  Gottes  festgesetzt,  die  in  einem  andern  An- 
schauungskreis wurzelte:  sert.  derd-,  lat.  deus,  lit.  diiteas,  ir.  dia, 
altn.  tivar  Nom.  PI.  (sert.  dityd-,  griech.  btoq  ,göttlich').  Das  sich  so 
ergebende  idg.  *deivo-  ist  von  der  idg.  Bezeichnung  des  Himmels 
(s.  d.),  *dßus,  abgeleitet  und  bezeichnete,  zunächst  wohl  rein  lokal, 
solche  Mächte  wie  Sonne,  Mond,  Morgenröte,  Donner,  Winde  u.  s.  w., 
die  räumlich  irgendwie  in  Znsammenhang  mit  dem  Himmel  standen. 
Da  auch  diese  Naturgewalten,  die  „himmlischen",  doppelseitig  waren 
und  sowohl  nützlich  wie  schädlich  für  den  Menschen  werden  konnten, 
so  hat  es  nichts  auffallendes,  dass  wenigstens  auf  einem  Sprachgebiet, 
nämlich  auf  dem  iranischen  (vgl.  aw.  da€ca-,  npers.  dev  , Dämon, 
Teufel'),  die  letztere  Seite  zur  ausschliesslichen  Herrschaft  gelangt  ist. 
Verloren  ist  die  uralte  Bezeichnung  der  himmlischen  Mächte  unter  den 
europäischen  Sprachen  im  Griechischen  (s.  o.),  im  Slavischen  und  iu  dem 
grössten  Teil  des  Germanischen.  In  den  slavischen  Sprachen  gilt  bogü, 
das  eine  sehr  frühzeitige  Entlehnung  aus  arischem  Sprachgebiet  (aw. 
baya-,  altp.  baga-  ,Gott',  sert.  bhdga-  ,Brot-,  Schutzherr,  Beiname  von 
Göttern')  sein  wird,  aus  dem  auch  die  Armenier  ihr  nur  in  Zusammen- 
setzungen übliches  bag-  (selbständig:  das  dunkle  astuak)  Ubernahmen. 
Über  altsl.  bogatü  ,reich',  u-bogü  ,arm'  s.  u.  Reich  und  arm.  Die 
germanischeu  Sprachen  bieten  ein  über  alle  Mundarten  verbreitetes, 
neutral  gebildetes  (aber  männlich  gebrauchtes)  got.  gup,  altn.  god,  gud, 
ahd.  got,  das  zuletzt  H.  Osthoff  B.  B.  XXIV,  177  ff.  in  ausführlicher 
Erörterung  auf  eine  Grundform  *ghu-tö-m  zurückgeführt,  zu  sert.  hdvate 
,er  ruft'  (hu-td-  ,gerufen'),  aw.  zavaiti  ,flucht',  lit.  iatoiti  besprechen', 


Digitized  by  Google 


Gott. 


303 


iett.  savoH  ,zaubern',  armen,  nzovk  , Flach'  etc.  gestellt  and  als  ,durcli 
Zauberwort  berufenes  Wesen'  oder  direkt  als  »Zauberwort'  (incanta- 
mentum)  gedeutet  hat.  „Darnach  hätte  unser  „Gott"  in  der  Tbat  im 
Grunde  gar  nichts  anderes  besagt,  als  was  das  altindische  Neutrum  hrdhma 
[s.  darüber  näheres  u.  Priester],  was  ferner  fetisch,  frz.  ßtiche,  it. 
feticcio,  fetisco  aus  portug.  feitigo  ,Zauber,  Zaubcrtnittel,  Amulett, 
Götze'  =  lat.  facticium.  Es  ist  mir  auch  jetzt  noch  sehr  wahrscheinlich, 
dass  in  „secretum  ülud,  quod  sola  reverentia  videntu  bei  Tacitus 
Germ.  Cap.  9  eine  Hindeutung  auf  das  unpersönlich  gedachte  *gobä-n 
der  Germanen  zu  suchen  sei". 

Der  gleiche,  wenn  auch  in  fortgeschritteneren  Gedankenkreisen  sich 
abspielende  Bedeutungstibergang  vom  Unpersönlichen  zum  Persönlichen 
liegt  vor  in  lat.  nümen  =  griech.  veüpot  :  griech.  v€uuj,  lat.  nuo  (vgl. 
II.  I,  528:  f\  Kai  KimWntfiv  In'  ö<ppuo*i  veöae  Kpoviuiv),  das  zunächst 
das  gewährende  Zunicken  der  Gottheit,  dann  die  Gottheit  selbst  be- 
zeichnete (s.  auch  u.  Gruss). 

Noch  unerklärt  ist  die  von  BUcheler  Lex.  Ital.  IV  zusammengestellte 
Sippe  des  italischen  *ais-y  *aisos,  *aiaar  ,bouuiov,  6cö?',  die  vielleicht 
im  Etruskischcn  wurzelt  (aioot '  0€o\  utto  Tuppnvwv  Hes.,  aesar  Etrusca 
lingua  ,deus',  Suet.  Aug.  Cap.  97).  Bücheler  vergleicht  den  altgallischen 
Esusi'i). 

Wohl  erst  mit  dein  Christentum  hat  sich  nach  dem  Vorbild  des 
griech.  Kiipio?,  lat.  dominus  die  Sitte  in  Europa  verbreitet,  Gott  (wie 
auch  Christus)  als  den  Herrn  kot  ££oxnv  zu  bezeichnen.  So  in  got. 
frauja,  ahd.  frö  Voc.,  in  lit.  icföszpats,  eigentlich  ,Herr  der  Sippe', 
in  altsl.  pospodi,  eigentlich  ,Herr  des  Fremden'  (s.  u.  Gasthaus). 
Ähnlich  ist  im  Griechischen  beaTrörrrc  (s.  u.  Familie),  eigentl. 
»Hausherr'  zu  einer  Bezeichnung  des  unumschränkten  Herrschers  wie 
der  unsterblichen  Götter  geworden.  Alle  diese  Fälle  zeigen,  welche 
Fülle  von  Macht  einst  den  an  der  Spitze  der  einzelnen  Familienver- 
bände stehenden  Männern  inne  gewohnt  haben  muss.  Auch  in  dem 
noch  nicht  sicher  erklärten  alb.  zot  ,Gott'  (neben  perendi,  perndt  aus 
lat.  imperantem,  kaum  mit  Pedersen  B.  B.  XX,  231:  lit  Perkünas) 
wird  ,Herr'  die  ursprüngliche  Bedeutung  sein  (vgl.  neben  zot  noch  zon'e 
»Herrin'). 

Mit  dem  Christentum  musste  auch  der  Gegensatz  zwischen  dem  einzig 
wahren  Christengott  und  den  falschen  Göttern  der  Heiden,  der  Begriff 
des  Götzen,  in  Europa  hervortreten.  Altgerraanische  Ausdrücke  hier- 
für sind  got.  galiuga-gup,  ga-liug,  ahd.  abgot  (got.  afgups  ,gottlos') 
u.  a.,  während  das  erst  spät  bezeugte  götze,  (nach  Bahder  Beiträge 
XXII,  531  ff.)  soviel  wie  »kleiner  Gott',  die  Bedeutung  , Abgott'  erst 
durch  Luther  erhalten  hat  und  vorher  das  Abbild  eines  Kobolds  oder 
oder  Hausgottes  bezeichnete.  Besonders  reich  an  Ausdrücken  für  die 
Begriffe  Götze  und  Götzentempel  sind  die  slavischen  Sprachen  (vgl. 


Digitized  by  Google 


Gott  —  Gottesurteil. 


Miklosich  D.  cbristl.  Terra,  d.  slav.  Spr.,  Deukschr.  d.  Wiener  Ak.  d.  W. 
XXIV,  36  f.).  Dieselben  geben  nieist  auf  eine  Grundbedeutung  ,Bild, 
Klotz,  Säule,  Statue*  zurück,  was  au  die  u.  Tempel  besprochene 
uralte  Verehrung  des  Göttlichen  unter  der  Gestalt  eines  Baumstammes 
erinnert.  —  S.  u.  Religion. 

Götterbilder,  s.  Tempel. 

Gottesacker,  s.  Friedhof. 

Gottesdiener,  s.  Priester. 

Gottesdienst,  s.  Opfer. 

Gotteshaus,  8.  Tempel. 

Gottesurteil.  Bei  allen  idg.  Völkern  findet  sich,  teils  in  .Spuren 
erhalten,  teils  als  noch  lebendiger  Rechtsbrauch,  die  Sitte,  durch 
Feuer-  oder  Wasserprobeu  oder  auch  durch  andere  Ordalc  die  Schuld 
oder  Unschuld  eines  Menschen  zu  erweisen.  Am  bedeutsamsten  tritt 
sie  bei  Indern  und  Germanen  hervor,  ohne  jedoch  in  der  ältesten 
Überlieferung  der  beiden  Völker  sicher  bezeugt  zu  sein,  da  der  ge- 
wöhnlich als  Beweis  für  Gottesurteile  in  vedischcr  Zeit  betrachtete 
Hymnus  II,  12  des  Atharvavcda  kaum  als  solcher  gelten  kann  (vgl. 
Grill  100  Lieder  des  Ath.  S.  f>0),  und  die  römischen  Autoren  über  die 
Germanen  in  dieser  Hinsicht  schweigen.  Umso  reichlicher  sind  die 
späteren  Nachrichten,  die  von  A.  Kaegi  Alter  und  Herkunft  des  germ. 
Gottesurteils  (Zürich  1887 ;  dazu  Liebcrmann  Kesselfaug  bei  den  West- 
sachsen im  VII.  Jahrb.,  Sitzungsb.  d.  Bcrl.  Ak.  1896  S.  82»  ff.),  wo  die 
ganze  Frage  zugleich  vom  rcchtsvergleiehenden  Standpunkt  erörtert  und 
alle  wichtige  Littcratur  gegeben  wird,  sorgfältig  gesammelt  worden 
sind.  Bei  Griechen  und  Römern  finden  sieh  dagegen  nur  wenige 
Zeugnisse  für  das  Bestehen  des  Gottesgerichts  im  Süden  unseres  Erd- 
teils; doch  fehlen  sie  nicht  ganz.  In  der  Autigone  des  Sophokles 
(v.  264  ff. i  sagen  die  Wächter  am  Leichname  des  Polyncikes: 

f|JLl€V  b'  CT01U.01  Kai  HÜbp0U$  Ct!p€lV  X^POIV 
KOI  TT  Up  bt€pTT€lV  Kai  8€0Ü<;  ÖpKUH10T€lV, 

t6  unje  bpätfai  unTe  tlu  Suveib^vai 

t6  TrpäYua  ßouXtüffavrt  un,b'  eipYCto*|u^vuj. 
Auf  römischem  Boden  weist  der  Seholiast  Acron  zu  llor.  Ep.  I,  10,  10 
auf  die  auch  anderwärts  häufig  vorkommende  Probe  des  geweihten 
Bissens  bei  Diebstahl  mit  deu  Worten  hin:  Cum  in  senris  suspicio 
furti  habetur,  dueuntur  ad  sacerdotem,  qui  crustum  panis  carmine 
infectum  dat  »ingulis  :  quod  cum  adaexerit  ort,  manifeste  furti 
reum  adserit.  In  beiden  Nachrichten  wird  mau  Überbleibsel  eines  in 
Volkskreisen  sich  erhaltenden  uralten  Brauches  zu  erkennen  haben. 

Nimmt  man  demzufolge  mit  A.  Kaegi  (a.  a.  O.)  an,  dass  «las  Gottes- 
urteil in  seinen  ersten  Anfängen  als  eine  schon  idg.  Institution  zu  be- 
trachten sei,  so  wird  man  ihren  Grundgedanken  am  ehesten  aus 
dem  Grundgedanken  des  idg.  Eides  (s.  d.)  erklären  dürfen.  Der 


Digitized  by  Google 


Gottesurteil  —  GranatapleMuiuni. 


'.Wo 


älteste  Eid  ist  ein  Fluch,  den  man  gegen  sieh  ausspricht,  indem  man 
eine  Person  oder  einen  Gegenstand  „beschwort"  und  meistens  dabei 
„berührt",  mit  dem  Oedanken,  dass  sie  einem  im  Falle  der  Lüge  Tod 
oder  Verderben  bringen  mögen.  Dabei  wird  vielfach,  wie  bei  den 
Indern  «vgl.  Jolly  Grundriss  II,  H.  144 1,  eine  bestimmte  Frist  be- 
obachtet, innerhall)  deren  der  Schwörende,  wenn  er  nicht  meineidig 
erscheinen  soll,  das  heraufbeschworene  Unglück  nicht  erleiden  darf. 
Ganz  ähnlich  tritt  z.  Ii.  bei  der  Feuerprobe  der  Schwörende  in  Be- 
rührung mit  der  Flamme,  die  er,  etwa  in  Gestalt  glühenden  Eisens, 
eine  Strecke  weit  trägt.  Nach  einer  Frist  von  drei  Tagen  (vgl.  Kaegi 
a.  a.  O.  S.  47,  50)  wird  dann  untersucht,  ob  die  Hand  verräterische 
Wunden  zeigt.  So  dürfte  das  Gottesurteil  als  nichts  denn  als  eine 
verschärfte  Form  des  Eides  aufzufassen  sein.  Thatsächlich  schliesst 
bei  den  Indern  <;npatfia-  ,Eid*  das  Gottesurteil,  und  tlivya-  »Gottesurteil' 
den  Eid  mit  in  sich.  Im  Altnordischen  steht  gnds  sktral  ,Gottes 
Reinigung'  (vgl.  got.  *keirx  .reini  dem  manna  skh-sl  ,Menschenrcini- 
gung'  =  Eid  gegenüber.  Agls.  ordäl  imlat.  ordathim)  ist  ,Urteir.  Aus 
anderen  Sprachgebieten  als  dem  indischen  und  germanischen  sind  alte 
Namen  für  Gottesurteil  nicht  bekannt.  In  der  ältesten  Zeit  werden 
eben  Eid  und  Gottesurteil  mit  denselben  Ausdrücken  (s.  u.  Eid)  be- 
nannt worden  sein. 

Göttliche  Ordnung,  s.  Religion. 

Götze,  s.  Gott. 

Grab,  s.  Bestattung,  Friedhof,  Sarg. 
Granatapfelbauni  (Pttnicum  granatum  L.).  Er  ist  in  Vorder- 
asien und  einem  Teil  der  Balkanhalbinsel  einheimisch,  während  seine 
Verbreitung  nach  Italien  und  dem  westlichen  Teil  des  Mittelmeerge- 
bietes wahrscheinlich  erst  in  historischer  Zeit  an  der  Hand  der  Kultur 
erfolgt  ist  (vgl.  A.  Engler  bei  V.  Hehn  s.  u.'.  In  Griechenland  wird 
der  Granatapfel  zuerst  in  der  Odyssee  an  denselben  Stellen  wie  die 
Feige  (s.d.)  genannt.  Sein  Name  griech.  poict,  (Soa  (ngriech.  poibna, 
vgl.  Hesych  :  £übia)  ist  noch  nicht  genügend  aufgeklärt.  Für  die  An- 
nahme einer  Entlehnung  aus  dem  westsemitischen  hebr.  rinnnön,  arab. 
rtimmän  fehlt  jeder  lantgeschichtliche  Anhalt.  Aber  auch  eine  Deutung 
aus  den  idg.  Sprachen,  speziell  aus  dem  Griechischen  selbst,  ist  noch 
nicht  gefunden.  Eher  entlehnt  als  poiöt  dürfte  eine  zweite  griechische, 
z.  B.  im  Bocotischen  geltende  Benennung  des  Granatapfels,  aißbn,,  tfibn. 
(vielleicht  auch  Eiußnj.  sein.  Es  lässt  sich  zu  npers.  seb,  kurd.  x/r  stellen, 
die  jedoch  nur  , Apfel'  bedeuten.  Vgl.  noch  alb.  segr  , Granatapfel' 
und  serb.  sipak  .Rose*  und  »Granatapfel'. 

Eine  auf  die  iranischen  Sprachen  und  das  Annenische  beschränkte 
Gruppe  von  Namen  der  Granate  ist  npers.  wrfr,  kurd.  enur,  armen,  nuin 
(vgl.  jedoch  Hübschmann  Armen.  Gr.  I,  207). 

Zweifelhaft  ist  auch,  ob  die  Italcr  den  der  Hera  geweihten  Baum 

Schräder.  Reallexikon.  oq 


Digitized  by  Google 


3M 


Granatapfelbaum  —  Grenzt-. 


durch  die  Griechen  oder,  worauf  der  Int.  Name  mal  um  Pttnicum  hin- 
weist, von  den  Puniern  empfanden  haben.  In  Ägypten  ist  die  Kultur 
des  Baumes,  wie  die  Denkmäler  beweisen,  uralt.  Sein  ägyptischer 
Name  (kopt.  erman,  herman)  wird  für  verwandt  mit  dem  westseini- 
tischen  angesehen  und  eine  Einführung  des  Granatapfelbaums  in  Ägypten 
aus  dem  südlichen  Arabien,  wie  bei  der  Feige,  angenommen  (vgl. 
F.  Hoinmel  Aufs.  u.  Abb.  S.  9)S  und  Sehweinfurt  Zeitschrift  f.  Ethno- 
logie, Vcrhandl.  1W(.Ü  S.  (>;*>">).  Nach  der  iberischen  Halbinsel  wurde 
der  Granatapfelbaum  erst  durch  die  Araber  gebracht.  Im  Portugiesischen 
lautet  daher  sein  Name  noch  heute  roma,  romeira.  —  Vgl.  V.  Hehn 
Kulturpflanzen 6  S.  233 ft.  S.  u.  Obstbau  und  Baumzucht. 
Grau,  s.  Blau,  Schwarz  und  weiss. 

Greif.    Es  soll  hier  von  den  beiden  geflügelten  Wundertieren, 
dem  Greif  und  dem  Drachen,  gehandelt  werden. 

Der  Name  des  ersteren  (griech.  fpvy)  wird  zuerst  nach  dem  ariruas- 
piseben  Gedicht  des  Aristeas  von  Herodot  (III,  llti  etc.  t  genannt,  der  von 
goldhütendcn  Greifen  berichtet,  denen  die  Arimaspen  im  üussersten 
Osten  der  damals  bekannten  Welt  das  Metall  unter  den  Füssen  weg- 
nehmen (s.  u.  Gold).  Das  Wort  Ypüiy  ist  aus  hebr.  kirnb  entlehnt. 
Alle  derartige  Mischgestalten  wie  Greife.  Sphinxe,  Chimaera,  Harpyien 
sind  Ausgeburten  ägyptisch-semitischer  Phantasie,  auch  auf  Denkmälern 
der  mykenischen  Kulturperiode  nachweisbar.  Speziell  die  Gestalt  der 
Greifen  scheint  von  Babylon  auszugehen.  Auf  ('herüben  thront  ebenso 
wie  die  babylonischen  Götter  der  hebräische  Jahwe  i  vgl.  E.  Meyer  Ge- 
schichte des  Altertums  I,  241  ff.  und  F.  Delitzsch  Wo  lag  das  Paradies? 
S.  151  ff.,  wo  auch  ein  babylon.  kirübu  als  Name  gewisser  babylo- 
nischer Stiergottheiten  angeführt  wird ,  die  den  hebr.  Cheruben  ent- 
sprechen). Wie  im  Norden  die  Greife  das  Gold,  bewachen  nach  der 
Bibel  (Gen.  III,  24)  die  Cherube  den  Garten  Eden.  Im  Lateinischen 
muss  neben  gn/ps  eiu  gryphus,  *gripo  bestanden  haben,  das  in  die 
mittelalterliche  Welt  (it.  griffo,  ahd.  grlfo,  ir.  grif  )  übergegangen  ist, 
wo  der  Vogel  Greif  namentlich  durch  die  Sage  von  Herzog  Ernst 
populär  wurde.   Unerklärt  agls.  giw  .Greif. 

Der  Drache  (griech.  bpätouv,  vielleicht  :  bt'pKouai  , blicke  )  findet  sich 
als  mythisches  Fabelwesen  schon  in  der  homerischen  Dichtung,  doch 
wird  bpäxuiv  ebenso  wie  das  daraus  entlehnte  lat.  draco  i  Enning)  auch 
für  die  gewöhnliche  Schlange  (s.  d.)  gebraucht.  In  die  germanische 
Mythologie  ist  die  Vorstellung  von  einem  geflügelten  Giftwurm,  der 
wie  der  Greif  Schätze  behütet,  nebst  seiner  klassischen  Benennung  früh 
eingedrungen  (ahd.  traccho  aus  dem  neben  draco  bezeugten  draeco, 
agls.  draca,  altn.  dreki,  auch  ir.  drac,  draic).  Das  slavisch-litauische 
Fabeltier  heisst  altsl.  smokä,  lit.  smükas  (woher?». 
Greise,  s.  Alte  Leute  und  Erziehung. 

Grenze.   Eine  idg.  Bezeichnung  hierfür  liegt  in  der  Reihe  npers. 


Digitized  by  Google 


Grenze. 


307 


marz,  got.  marka  »Grenze',  lat.  margo  ,Raud',  ir.  brt't  aus  *mrog  id., 
britig.  kyinr.,  korn.  bro  , Bezirk,  Land,  Gegend'.  Vgl.  auch  griecli. 
T€puwv  ,Greuze',  Tcppct  ,Ziel'  =  lat.  termo,  termen,  umlir.  termnoui-e 
,ad  tenninum'  (seit,  tärman-  .Spitze  des  Opferpfahls').  Als  Grenzen 
der  Völker  und  Stämme  betrachtete  man  in  alten  Zeiten  hauptsächlich 
Wälder  und  Berge.  Hierauf  weist,  was  die  ersteren  betrifft,  das 
altn.  mörk  ,Wald'  =  got.  marka  ,Greuze'.  Aber  auch  altn.  c/ör,  agls. 
tcidu,  ahd.  witu,  ir.  fid  ,Wald,  Holz,  Baum'  (:  lit.  tcidüs  ,die  Mitte,  das 
Innere')  und  altpr.  median,  lett.  mexch  ,Wald',  lit.  me"dis  .Baum'  (:  lat. 
meditts,  altsl.  meida  , Mitte,  Grenze',  nsl.  meja  , Grenze,  Unterwald, 
Dickicht,  Zaun  )  erweisen  den  Wald  als  Grenzgebiet  zweier  Land- 
schaften gedacht  (vgl.  Bugge  Beiträge  XXI,  427  f.).  Als  Gebirge  gefasst, 
zeigt  si<-h  die  Grenze  in  der  Gleichung  sert.  pdrvata-  ,Gebirge,  Fels' 
=  griech.  (Horn.)  Tretpara  PL  ,das  Äusserste,  die  Grenzen'.  Vielleicht 
sind  aber  auch  die  beiden  neben  einander  liegenden  griech.  Wörter 
<5poq  ,Berg"  und  öpo-q  »Grenze*  (vgl.  die  mundartlichen  Können  bei 
G.  Meyer  Griecli.  Gr.a  S.  135.  136)  im  Grunde  nur  Differenzierungen 
eines  und  desselben  Stammes. 

Hinsichtlich  der  Anlage  künstlicher  Grenzen  ist  als  charakteristisch 
für  primitive  Verhältnisse  besonders  auf  die  Nachricht  des  Caesar  De 
bell.  gall.  VI,  23  (vgl.  IV,  3*  Uber  die  Germanen  zu  verweisen:  0>i- 
tatibm  maxima  laus  est  quam  latissime  circum  se  rastatis  finibus 
solitudine*  habere.  Hoc  proprium  virtutis  existimant,  expulsos  agris 
finitimoM  cedere  neque  quemquam  prope  audere  consistere :  simul  hoc 
se  fore  tutiores  arbitrantur,  repentinae  ineursionis  timore  sublato. 
Die  Kinöde  soll  hier  den  undurchdringlichen  Wald  oder  das  unUber- 
steigbare  Gebirge  ersetzen;  denn  Völker  schliessen  sich  in  alten  Zeiten 
ab,  nicht  an.  Merkwürdig  früh  werden  aber  auch  zwischen  den  Ge- 
bieten einzelner  germanischer  Stämme  richtige  Grenzsteine  genannt 
(Ammian.  Marc.  XVIII,  2,  15:  Cum  centum  fuisset  ad  regionem  cui 
Capellatii  cel  Palas  nomen  est,  ubi  terminales  lapides  Alaman- 
norum  et  Burgundiorum  confinia  distinguehant  .  .  .  ). 

Innerhalb  der  einzelnen  Stämme  werden  künstliche  Eigentunis- 
grenzen gegenüber  dem  Umstand,  dass  der  Grund  und  Boden  noch  lange 
Zeit  den  Faniilienverbünden  gehört  und  bei  den  Aufteilungen  Ackerland 
die  Hülle  und  Fülle  vorhanden  ist  (vgl.  Tacitus  Germ.  Gap.  26:  Facili- 
tatem  partiendi  camporum  spatia  praestant)  erst  verhältnismässig  spät 
aufgekommen  sein.  Ist  aber  erst  die  Idee  des  Privateigentums  an  Grund 
und  Boden  erwacht,  so  wird  dasselbe  so  ängstlich  wie  jedes  andere 
Eigentum  (s.  u.  Diebstahl)  gehütet.  In  Rom  bestimmte  schon  ein  dem 
Nnnia  zugeschriebenes  Gesetz:  Eum  qtu  terminum  exarasset,  et  ipsum 
et  boves  sacros  (, verflacht  )  esse.  Aber  auch  bei  den  Germanen  wurde 
nach  den  Bestimmungen  der  ältesten  Gesetze  die  Zerstörung  oder  Ver- 
rückung der  Grenzzeichen  (Erdhaufen  oder  Wälle,  Steine,  Mahlbäume) 


Digitized  by  Google 


308 


Glosseltern  —  Grosshundert. 


mit  den  schwersten  Straten  geahndet  (vgl.  Anton  Geschichte  der  teutschen 
Landwirtschaft  I,  G4ff.t. 

Grosseltern.  Unter  ihren  Benennungen  lässt  sich  zunächst  eine 
als  vorhistorisch  erweisen:  armen,  hat  .Grossvater,  Vorfahr'  'vgl. 
Hübschmann  Armen.  Gr.  I,  4fiö)  —  lat.  avus  ,Grossvater',  nnd  got.  mrö 
,Gro8smntter'  (mundartl.  im  Deutschen  atcio  ,Grossvater',  altn.  de  ,Ur- 
grossvater":  auch  altn.  n(i  ,Grossvatcr  würde  nach  Xorcen  lautgesetz- 
lich hierhergehören).  Delbrück  Verwandtschaftsnamen  S.  482  leitet  den 
Stamm  *aro-  von  sert.  diati  ,er  fördert,  behütet,  hat  gern'  ab  und 
deutet  avus  als  .Gönner'.  Erwägt  man  aber,  wie  alle  derartige  ..idyl- 
lische" Deutungen  der  Verwandtschaftsnamen  (sert.  duhitdr-  .Tochter' 
als  „Melkerin-,  sert.  dtrdr-  .Sehwager'  als  „ Spielgenosse u  etc.)  sich  als 
hinfällig  erwiesen  haben,  so  wird  man  auch  gegen  diese  an  sieh  wohl 
mögliche  Erklärung  misstrauisch  werden.  Wahrscheinlicher  scheint 
es,  dass  *aco-,  worauf  schon  das  Armenische  hinweist,  ursprünglich 
allgemein  die  Alten  und  Vorfahren  bezeichnete,  wie  dies  wohl  auch 
bei  dem  Stamme  *ano-  der  Fall  ist  :  ahd.  ano  ,Grossvatcr',  ana  ,Gross- 
inuttcr',  lat.  anun  ,altc  Frau',  altpr.  ane  .Grossmnttcr',*  lit.  anf/ta  ,die 
Schwiegermutter',  cigentl.  die  Mutter  des  Sohnes  vom  Hause,  in  den 
Dainos  der  Schwiegertochter  gegenüber  gewöhnlich  als  sehr  strenge 
dargestellt  iKurschat),  „die  Alteu,  griech.  dvvw;  .Grossmutter'  (Hes.). 
Über  die  Etymologie  der  beiden  Stämme  lässt  sich  freilich  nichts  sicheres 
sagen.  In  bemerkenswerter  Nähe  des  ersteren  scheint  die  Praeposition 
sert.  ava  ,von  her',  des  letzteren  die  Praeposition  griech.  otvd  , hinauf 
zu  liegen,  so  dass  man  vermuten  könnte,  in  *ano-  seien  die  Vorfahren 
als  diejenigen  aufgefasst,  z  u  denen  man  als  Ausgangspunkt  des  Ge- 
schlechtes hinauf  blickte,  während  man  in  *</ro-  diejenigen  bezeich- 
nete, von  denen  man  seinen  Ursprung  ableitete.  Doch  kann  nicht 
verkannt  werden,  dass  derartige  alsdann  vorauszusetzende  Bildungen 
von  Praepo8itional8tämmcn  sich  schwerlich  auf  Analoga  stützen  können. 

Zusammenhang  zeigt  auch  altsl.  di-dü  .Grossvater'  mit  griech.  xr|0rj 
,Grossmutter\  vielleicht  ursprünglich  Lallwörter,  der  Kindersprache 
entstammt.  Im  übrigen  sind  die  Namen  der  Grosseltern  vielfach  mit 
Adjektiven  wie  „gross"  (sert.  pitdmahd-,  pitdmahi-,  mätdmaha-,  mdtä- 
mahi-,  griech.  Hes.  ^Tö^OMnirip)  oder  „alt"  •  ir.  senmdthir,  lit.  sen- 
fewix,  auch  bloss  whm  .Alter  »  gebildet  und  bieten  sachlich  nichts  von 
Interesse. 

Etymologisch  dunkel  sind:  aw.  nyaka-,  npers.  nij/d  u.  s.  w  .Gross- 
vater' und  alb.  diis  desgl.  Ein  Lallwort  ist  griech.  7tötttto^,  armen,  pap. 
Bemerkenswert  ist,  dass  die  Namen  des  Grossvaters  mehrfach  die 
Neigung  zeigen,  in  den  Einzclsprachen  mit  andern  Ableitungen  den 
Vater-  oder  namentlich  den  Mutterbruder  zu  bezeichnen.  S.  darüber 
u.  Oheim.  —  S.  ferner  u.  Vorfahren. 
GrossJmndert,  s.  Zahlen. 


Digitized  by  Google 


Grubenwohnungen  —  Gnu*. 


Grubeuwohnimgen,  s.  Unterirdische  Wohnungen. 

Grün.  U.  Gelb  ist  auf  die  Ableitungen  von  den  beiden  Wurzeln 
§hel  und  ghel  hingewiesen  worden,  welche  in  der  Urzeit  diejenige 
Farbennuance  bezeichneten,  die  in  dem  Gelblich-Grünen  der  jungen 
Vegetation  zu  Tage  tritt.  Aus  dieser  Sippe  sind  dann  namentlich 
Wörter  für  Gell»,  aber  auch  solche  für  Grün  (Hellgrün)  hervorgegangen. 
Am  deutlichsten  zeigt  sich  diese  letztere  Bedeutung  in  dem  schon  ho- 
merischen x^-iupö?,  zu  dein  für  dunklere  Töne  des  Grün  später  Wörter 
wie  TTonwbriq  .grasgrün'  und  -npäöwos,  npcuJoeibriq  ,laucbgrün'  hinzu- 
treten. Ebenfalls  das  Hellgrüne  des  ersten  Pflanzentriebs  meint  ohne 
Zweifel  das  gemeingeriu.  ahd.  gruoni,  altn.  gränn,  ein  Verbalad- 
jektiv zu  agls.  groican,  engl,  to  groic,  also  cigentl.  »gewachsenes", 
und  wohl  auch  die  italo-keltische,  nicht  weiter  auflösbare  Gruppe:  lat. 
viridis,  vireo,  riror,  altkymr.  guird  gl.  herbida),  korn.  guirt  (gl.  vi- 
ridis i.  *cirjo-M.  Für  Dunkelgrün  wird  im  Lateinischen  merkwürdiger 
Weise  das  sonst  für  Hl  au  übliche  caeruleua  (so  werden  z.  13.  Gurken 
und  Wiesen  genannt)  mit  gebraucht.  Vgl.  noch  ir.  üane  ,grün'  und  -Ar 
, viridis',  kymr.  ir  id.  (*üro-s).  —  S.  u.  Blau,  Farbe,  Farbstoffe. 

Grundeigentum,  s.  Ackerbau  und  Eigentum. 

Gruss.  Im  allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  auf  niederen 
Kulturstufen  die  Intensität  und  Mannigfaltigkeit  der  Begrüssuugsforma- 
litäten  eine  grössere  als  auf  höheren  ist,  und  dass  wiederum  innerhalb 
des  Kreises  der  Kulturvölker  Asien  von  jeher  den  Zeremonien  der 
Höflichkeit  und  Ehrerbietung  eine  grössere  Bedeutung  als  Europa  bei- 
gemessen hat.  Während  aber  über  dieses  wichtige  Gebiet  der  Sitte 
vom  Staudpunkt  der  vergleichenden  Völkerkunde  oft  und  eingehend 
gehandelt  worden  ist  (vgl.  II.  Spencer  Principles  of  Sociology  II,  1, 
Ihering  Der  Zweck  im  Recht  II,  (540  ff.,  Wnndt  Ethik  ■  S.  176  ff.}, 
hat  man  den  Versuch,  eine  eigentlich  historische  Entwicklung  der 
Grusssitten,  der  Formen  der  Höflichkeit  und  Etikette,  auf  dem  Boden 
der  idg.  Völker  darzustellen,  noch  nicht  gemacht.  Auch  scheint  es, 
dass  es  bei  den  europäischen  Nordvölkern,  Kelten,  Germanen,  Litauern 
und  Slaven,  die  sonst  so  oft  die  Kulturzustände  der  Urzeit  aufs  treuste 
bewahrt  haben,  au  Nachrichten  Uber  ursprüngliche  Grusssitten  fast 
ganz  gebricht,  während  wir  hinsichtlich  der  Inder  (vgl.  B.  Delbrück 
Verwand tschaftsnainen  S.  178  ff.  „Die  Grussordnung"),  sowie  der  Griechen 
und  Römer  (vgl.  Sittl  Gebärden  der  Griechen  und  Römer,  besonders 
Cap.  5  und  9)  besser  bestellt  sind. 

Vorläufig  kann  daher  im  Folgeuden  nur  auf  eine  Reihe  von  Einzei- 
he iten  hingewiesen  werden,  die  unter  die  Stich worte  1.  Bedeutung 
der  rechten  Seite,  2.  Verbeugung,  3.  Händedruck,  4.  Knss,  f>.  Grüsscn 
und  Gruss  eingeordnet  werden  mögen. 

1.  Bedeutung  der  rechten  Seite  (s.  auch  u.  Rechts  u.  links). 
Für  den  Süden  wie  für  den  Norden  Europas  wird  von  den  Alten  die 


Digitized  by  Google 


:jio 


Gross. 


Sitte  bezeugt,  sich  bei  dem  Gebet  zu  den  Göttern  nach  der  rechten 
Seite  zu  wenden.  Vgl.  Theognis  v.  944:  bcEiö?  äGavdToiq  8€oi<Ji 
^K€uxö|i€V05,  Plaut.  Ourcul.  v.  70:  Si  deos  mint  an,  dextrorormm  censeo, 
Posidonius  bei  Athenaeus  IV,  p.  152  Uber  die  Kelten:  Kai  toih;  8eou? 
TTpoaKuvoöm  im  Tä  b€Eid  (TTp€(pöu€voi.  In  merkwürdiger  übereinstim- 
immg  hat  sich  hieraus  bei  Indern  und  Kelten  die  Gewohnheit  entwickelt, 
einer  zu  ehrenden  Persönlichkeit  die  rechte  Seite  zuzuwenden  nud  sie 
in  dieser  Stellung  zu  uniwandeln :  das  indische  pradakshina- :  dakshirta- 
,rechts'  und  das  irische  deheal  :  deas,  dess  ,rechts'  (vgl.  näheres  bei 
A.  Pictet  Lcs  Origines  II,  498  ff.). 

2.  Die  Verbeugung.  Der  indische  Ausdruck  für  die  den  Göttern 
und  Ahnenseelen  zu  zollende  Verehrung  lautet  ndmas-,  unzweifelhaft 
zu  sert.  ndmate  ,er  verbeugt  sich'  gehörig.  Ist  es  nun  richtig,  das» 
mit  diesem  sert.  ndmas-  auch  ir.  nem,  kymr.  nef  (*nemo*-)  »Himmel', 
altgall.  Wjwtov  , Heiligtum',  lat.  nemu*  (heiliger)  ,Hain'  als  Orte  der 
, Verehrung'  oder  ,Verbcugung'  zusammenhängen  (anders  Uhlenbcck 
Et.  W.  d.  altind.  Sprache  S.  143),  so  würde  es  zugleich  wahrscheinlich 
werden,  dass  die  Verbeugung  als  eine  uralte  idg.  Form  der  Verehrung 
des  Göttlichen  angesehen  werden  mnss.  Thatsächlich  tritt  dieselbe  auch  in 
ganz  rohen  Kultnsformen  auf  idg.  Boden  uns  entgegen,  wie  z.  B.  von  den 
Langobarden  berichtet  wird,  dass  sie  ein  göttlich  verehrtes  Ziegenhaupt 
submhtM  cercieibu*  angebetet  hätten  (vgl.  J.  Grimm  I).  Myth.  1 3,  28), 
oder  von  den  heidnischen  Russen,  dass  sie  sich  vor  kleinen  Statuen, 
die  sie  wie  Götter  verehrten,  in  Demut  verbengten  (Ibn  Fozlan  bei 
Thomsen  Ursprung  d.  russ.  Staats  S.  31).  Wann  zuerst  die  Vcrnei- 
gung  auch  Menschen  gegenüber  als  Gruss  oder  Zeichen  der  Ehrer- 
bietung aufkam,  ist  des  näheren  nicht  zu  sagen.  Die  Griechen  und 
Römer  (Sittl  S.  1  ;">">)  kannten  das  üttokütttciv  und  caput  deicere  nur 
im  Verkehr  des  Sklaven  mit  dem  Herren.  Bemerkenswert  ist  dagegen 
got.  hnaites  ,demütig,  niedrig'  :  hneiwan  ,sich  neigen'  =  lat.  nico,  nicto 
.zwinkern',  das  für  die  Germanen  auf  eine  allgemeine  Sitte  der  Vernei- 
gnng  Höheren  gegenüber  hinzuweisen  scheint.  Auf  der  andern  Seite  wird 
die  leichte  Senkung  des  Hauptes  von  Seiten  des  Höheren,  namentlich 
auch  der  Gottheit,  griech.  veüw  =  lat.  nuo  (über  mimen  s.  u.  Gott) 
frühzeitig  als  ein  Zeichen  huldvoller  Gewährung  aufgefasst  worden  sein. 
Auch  dieses  ist  eine  Art  der  Vemeigung,  deren  Bedeutung  sich  in  Aus- 
drücken wie  Int.  inclinatio  .Zuneigung',  nhd.  , Neigung',  ,Abneigung' 
(seit  wann  in  diesem  Sinne  belegt?)  spiegelt. 

Das  äusserste  Extrem  der  Vcrneigung  ist  das  sich  NMederwerfen 
zu  Füssen  des  verehrten  Gottes,  Menschen  oder  Gegenstandes,  das.  waa 
die  Griechen  als  (TTpoamn-mv  Kai)  npoqKuvciv  ,anküssen'  (von  einigen 
zu  kuwv  gestellt:  ,anhündehr)  bezeichneten.  Es  ist  von  den  Griechen 
und  Römern  der  guten  Zeit  Menschen  gegenüber  immer  als  Ausgeburt 
orientalischen  Sklavcnsinus  betrachtet  worden  vgl.  Xenoph.  Anab.  III,  2, 1 3: 


Digitized  by  Google 


Gruss. 


.'511 


OUbCVCt  TOP    fiv6pU)TT0V  bCCTTÖTnV,    dXXä  TOU?    6€0Üq  TrpOO*KUV€lT€,  Corn. 

Nep.  Conon  Cap.  3:  Xecesse  est  enim  [chiliarchus  Cononi  dixit],  si  in 
conspectum  [sc.  Artaxerxis]  vettert»,  venerari  te  regem,  quod  nnoo- 
xvvnmv  Uli  vocant,  Eutropius  IX,  26:  Diochtianu»  —  adorari  »e 
iussit,  cum  ante  eum  cttncti  salutarentur),  und  auch  die  Germanen 
und  andere  Nordvölker  scheinen,  soweit  man  aus  den  auf  den  Säulen 
des  Trajan  und  Marc  Aurel  dargestellten  Sccnen  schliessen  kann,  selbst 
als  Besiegte  diese  Art  der  Unterwerfung  unter  den  Sieger  nicht 
gekannt  zu  haben.  Charakteristisch  ist  in  dieser  Beziehung  auch  eine  von 
Vellerns  Patercnlus  II,  107  geschilderte  Scene.  Ein  Germane  rudert 
auf  seinem  Einbaum  über  die  Elbe,  um  den  Caesar  anzustaunen.  Es 
wird  ihm  gestattet,  die  Hand  desselben  zu  berühren.  Nachdem  er  dies 
gethan,  fährt  er  zu  den  Seinen  zurück.  Jeder  Orientale  würde  sich 
vor  dem  Herrscher  der  Welt  auf  den  Boden  geworfen  haben.  Ob  auch 
im  Kultus  das  TrpotfKuveiv  den  Germanen  fremd  war  (über  das  pedibus 
provolei  in  christlicher  Zeit  vgl.  J.  Grimm  a.  a.  0.),  muss  dahin  ge- 
stellt bleiben,  der  heidnische  Russe  wirft  sieh  vor  der  grössten  der 
oben  genannten  hölzernen  Figuren  ganz  auf  den  Boden  nieder.  Be- 
merkt sei  hter  noch,  dass  in  den  heidnischen  Riten  mancher  sonst 
nur  auf  den  niedrigsten  oder  weit  abgelegenen  Kulturstufen  erhaltene 
verwickelte  Brauch  der  Ehrfnrchtsbezeugung  wiederkehrt.  Ein  solcher 
Fall  liegt  Tacitus  Germ.  Cap.  39  vor:  Xemo  nisi  rineulo  ligatus 
ingreditur  (den  heiligen  Hain  der  Semnonen),  ut  minor  et  potesfatem 
numini»  prae  se  ferem,  wenn  man  dazu  die  Mitteilung  H.  Spencers 
a.  a.  0.  S.  126  hält:  rA  sign  of  humility  in  ancient  Peru  icas  to 
hare  the  hands  hottnd  and  a  rope  round  the  neck  :  the  condition 
of  captice»  was  simu1ateda. 

In  der  Mitte  zwischen  der  blossen  Verbeugung  und  dem  sich  Nieder- 
werfen steht  der  Fuss  fall,  als  Zeichen  des  Bittflehenden  wohl  früh 
durch  ganz  Europa  verbreitet  und  ebenfalls  in  engem  Zusammenhang 
mit  der  Gottesverehrung  stehend.    Vgl.  Od.  XIII,  230 f.: 

0*01  Y&p  ifVJ 

eüxojicu  üiq  T6  Seil»  Kai  aeu  <pi\a  -rouvaG'  itcävw. 
Oft  wird  von  den  römischen  Historikern  erzählt  (Sittl  S.  156),  wie 
Könige  und  Gesandtschaften  bittflehend  vor  dem  Senat  oder  den  Feld- 
hcrrti  niederknien.  In  sprachlicher  Beziehung  bemerkenswert  ist  das 
got.  knussjan  ,tovutt€T€iv'  als  dunkle  und  uralte  Ableitung  von  sert. 
jnu-,  aw.  znu-,  griech.  fvu-  in  Trpöxvu)  ,Knie".  Zu  einem  Akte  der  De- 
votion innerhalb  der  eigenen  Volksgenossen  hat  sich  das  Knicen 
aber  erst  im  Mittelalter  entwickelt  (vgl.  Ihering  a.  a.  O.  S.  646  f.).  Einen 
ersten  Beleg  hierfür  bietet  das  angelsächsische  Gedicht  Der  Wanderer: 
ftEs  scheint  ihm  in  seinem  Gern  Ate*  dass  er  seinen  Lehnsherren  um- 
arme und  küsse  und  ihm  auf  die  Kniee  lege  Hände  und  Haupta. 
Viel  früher  ist  in  Indien  (vgl.  Delbrück  S.  181)  «las  upasamgrahana- 


Digitized  by  Google 


312 


Gruss. 


,das  Unitassen  der  Füsse'  zu  einer  weltlichen,  höchst  wichtigen,  Lehrern 
und  anderen  Respektspersonen  gegenüber  auszuübenden  Grusszeremonie 
geworden. 

3.  Händedruck.  Während  die  im  bisherigen  berührten  Formender 
Ehrerbietung  oder  Höflichkeit  vielleicht  im  Kultus  wurzeln  oder  in  ihm 
zunächst  nachweisbar  sind,  wird  der  Harnisch  lag,  tö  £v  xtiptOOi  q>üeo*6cti, 
wie  er  bei  Homer  heisst,  von  Anfang  au  in  weltlichen  Verhältnissen 
seinen  Ursprung  haben.  Ihering  a.  a.  0.  S.  649  deutet  ihn  als  ein 
ursprüngliches  Symbol  der  Friedcnsversicherung ;  denn  man  mache  die 
Rechte  wehrlos,  indem  man  sie  dem  Gegner  darbiete.  Thatsächlich 
hat  der  Handschlag  in  diesem  Sinuc  nuch  später  im  Süden  wie  im 
Norden  eine  hohe  Bedeutung.  Eine  äusserst  primitive  und  verwickelte 
Zeremonie  dieser  Art  schildert  Tacitus  Ann.  XII,  47  bei  altarmcnischeu 
Königen:  Mos  est  reqibns,  quotiens  in  societatem  coäant,  impUcare 
dextras  poliieesque  int  er  se  vincire  nodoque  praestrin(jere\  mox  tibi 
sanquis  in  artus  extremos  suffuderit,  leti  ictu  cruorem  eliciunt  atqne 
in  ricem  himhunt  {über  die  Bedeutung  des  Blutes  beim  Schliessen  von 
Freundschaften  s.  u.  Freund  und  Feind).  Auch  sonst  ist  die 
Reehtssymbolik  der  Hand  (vgl.  Sittl  a.  a.  0.  S.  129  ff.,  J.  Grimm  R.-A. 
S.  131  f.»  überall  eine  grosse,  worauf  hier  nicht  weiter  eingegangen 
werden  kann.  8.  u.  Familie  und  u.  Heirat  (Handergreifung).  Im 
allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  dem  Handschlag  immer  ein  tieferer 
Sinn  als  heute  zu  Grunde  lag,  und  er  noch  nicht  wie  jetzt  zu  einer 
bedeutungslosen  Förmlichkeit  der  Höflichkeit  herabgesunken  war  (vgl. 
für  das  klassische  Altertum  Sittl  S.  27  ff.). 

4.  Der  Kuss.  Eine  idg.  Gleichung  hierfür  ist  bis  jetzt  nicht  nach- 
gewiesen worden,  da  das  mit  dem  griech.  Kuvt'uu,  etcua-cra  oft  ver- 
glichene sert.  küsyaü  uicht  belegt  ist,  und  die  mit  dem  griechischen 
Wort  ebenfalls  zusammengestellten  altkorn.  cussin,  mkyiur.  cussan  ,Kuss* 
Lehnwörter  aus  dem  gemeingerm.  altn.  kons,  agls.  coss,  ahd.  kus  (:  ir. 
bus  , Lippe  ?  daneben  got.  kukjan  , küssen' i  sind  (vgl.  Brugmann  Grund- 
riss  II,  971 Da  die  Ethnographie  lehrt,  dass  viele  Völker  den  Kuss 
nicht  kennen  ^im  Altertum  wird  es  z.  B.  von  Valerius  Maximns  II,  6, 
17  hinsichtlich  der  Xumider  berichtet),  so  braucht  dieses  Versagen  der 
Etymologie  kein  zufälliges  zu  sein.  Doch  küsst  man  sich  schon  bei 
Homer  (aber  nicht  auf  den  Mund)  aus  verschiedenen  Anlässen  Wei- 
teres Uber  den  Kuss  bei  Griechen  später  tpiXeiv,  eigentl.  .lieben'  für  das 
ältere  xuvetvi  und  Römern,  bei  denen  das  ins  oscirfi  (osculutn  :  6s 
,Mund'  neben  sdrium  und  btisium:  vgl.  G.  Goetz  Thes.  1,  131)  das  Vor- 
recht eines  bestimmten  Verwandtschaftskreises  bildet,  vgl.  bei  Sittl  a.  a.  O. 
S.  36  ff.  über  die  Germanen  wissen  wir  aus  älterer  Zeit  fast  uiebts 
(einiges  vgl.  bei  J.Grimm  II3,  lof>5).*  Im  Beowulf  ist  zwar  der  Kuss  (v. 
1871;  s.  auch  o.)  bekannt:  doch  spielt  in  diesem  Epos  die  höfische  Eti- 
kette -  vgl.  z.  B.  v.  359:  Wulf'gdr  ende  dugttHe  praie  „W.  kannte  die 


Digitized  by  Google 


(iruss. 


313 


höfische  Sitte"  und  trat  in  Folge  dessen  nicht  direkt  vor,  sondern  seit- 
wärts, for  eaalum  seines  Herreu)  eine  so  grosse  Rolle,  dass  man  von 
hier  kaum  auf  frühere  Zeiten  schliefen  kann. 

Zu  einem  gewöhnlichen  Gruss  (wie  heut  zu  Tage  in  vornehmen  Fa- 
milien unter  Gleichgestellten  und  im  ganzen  Osten  Europas»  und  zu- 
gleich zu  einem  ausgeprägten  Merkmal  der  Standesunterschiede  hat 
sich  der  Kuss  bei  deu  Persern  entwickelt.  Vgl.  Herodot  I,  134:  'Ev- 
tutx«V0VT*S  b  aXXn,Xoio*i  fcv  Trjo*i  öboicn,  Twbe  dv  iiq  bicrrvoio.,  €i 
duoloi  eio*i  01  o*uvTUfxavovT€?  *  dvri  Yap  toö  TTpotfafopeüeiv  (wie  bei  den 
Griechen)  qnXcouai  touTi  crröuaai.  nv  be  §  oütepo«;  (mobefcO*T€po<;  öXvrw, 
tui;  Tiap€iä<;  cpiXtovTai,  f|v  b€  ttoXXüj  f}  oÜT€po<;  ü.ftv((JT€po<z,  TTpocmi- 
tttujv  npoffKuveei  tov  frtpov  (s.  o.j.  Auch  den  Verwandtschaftskuss 
kennen  die  Perser  (vgl.  Leist  Altarisches  Jus  civile  I,  2öPy. 

ö.  Grüsscu  und  Grussformeln.  Auch  hierbei  zeigen  sich,  mit 
einer  unten  zu  nennenden  Ausnahme,  keine  etymologischen  Überein- 
stimmungen. In  den  Einzelspracheu  wird  der  Begriff  des  Grüssens 
mehrfach  durch  Zeitwörter  ausgedrückt,  deren  eigentlicher  Sinn  , an- 
reden' ist.  Vgl.  sert.  abhi  vadati  ,er  spricht  zu  Jemand',  abhi  rdda- 
yate  ,er  bewirkt,  dass  Jemand  zu  ihm  spricht'  (über  die  indische  Zere- 
monie des  abhieädana  ,MeIdung'  vgl.  Delbrück  a.  a.  0.  S.  183),  griech. 
npocraYopcüw,  geineingerm.  altn.  grata,  agls.  grttan,  engl,  greet,  ahd. 
gruozzen,  eigentl.  ,Jemand  ansprechen',  sogar  in  feindlicher  Absicht 
(got.  göljan  nach  Uhlcnbeck  :  ahd.  galan,  urspr.  .laut,  freudig  zurufen'). 
Auch  griech.  äo*Trü£onai  hat  ursprünglich  die  Bedeutung  .anreden'  ge- 
habt, wenn  es  von  O.  Lagercrantz  mit  Hecht  zu  griech.  £vv€ttu>  (W.seq) 
gestellt  wird  (vgl.  K.  Z.  X.  F.  XIV,  ;*82ff.).  —  Was  die  Gruss- 
formcln  anbetrifft,  so  stimmen  sie,  wie  natürlich,  darin  überein,  dass 
sie  dem  amiern  Gesundheit,  eigentl.  ,Stärke'  und  .Ganzheit'  wünschen. 
So  griech.  IppuxJo  :  pwvvum.  pwan.  xaipe  »freue  Dich  !  ,  lat.  nahe  :  sert. 
#drca-,  griech.  öXo?  ,ganz,  heil'  lat.  salüto  ,ich  grüsse';  vale  ,sei  stark'; 
4iv<!  nach  Osthoff  B.  B.  XXIV,  188  ff.  :  sert.  hdmt*  .er  ruft',  eigentl. 
,werde  angerufen',  ,sei  gegrüsst  ).  geineingerm.  ?ot.  haih  (vgl.  /..  B. 
Beow.  v.  407:  Wes  pu,  Hrödgdr,  hat)  :  altsl.  ci-lü  .ganz,  heil",  altpr. 
kailüstikan  Aee.  , Gesundheit',  lit.  meeikaa  .gesund'  (xiceikinu  ,ich 
grüsse').  Als  eine  schon  idg.  Grussformel  wird  man  dabei  die 
Gleichung  griech.  (Horn.)  ouXe  =  lat.  mite  ansehen  dürfen,  auch  letz- 
teres wohl  ursprünglich  ein  Vocativ  (aalet),  der  durch  die  Einwirkung 
von  vale  uud  ace  zum  Imperativ  geworden  ist. 

Wesentliche  Veränderungen  in  den  Grussfonneln  sind  in  Europa  mit 
der  Ausbreitung  des  Chris  ten  tu  ms  auf  getreten,  durch  das  Formeln  des 
Segens  oder  gottcsdienstlichcn  Grusses  („Gott  mit  Diru,  „Adieir,  „Pax 
vobiscumu  u.  s.  w.)  sich  im  gewöhnlichen  Leben  eingebürgert  haben. 
Auch  die  jetzt  in  ganz  Europa  verbreitete,  spät  aufgekommene  Sitte 
des  Hut  abnehme  ns  wurzelt  vielleicht  in  letzter  Linie  im  Christentum, 


Digitized  by  Google 


314  GrusB  —  Gyps. 

« 

indem  entgegen  den  Kultusvorschriften  der  Juden  der  Apostel  Paulos 
I.  Corinth.  11,  4,  7  lehrt:  „Der  Mann  aber  soll  das  Haupt  (beim  Beten, 
also  zunächst  Gott,  dann  jedem  Höheren  gegenüber)  nicht  bedecken, 
sintemal  er  ist  Gottes  Bild  und  Ehre"  (vgl.  näheres  bei  M.  Schaber 
Über  Sitten,  Ausdrücke  nnd  Symbole  des  Grusses  civilisierter  Völker 
alter  und  neuer  Zeit  I.  Abteilung:  Orientalische  Völker,  Ebräer,  Mus- 
limen, Chinesen.    Progr.  Donaueschingen  1850/57  S.  28ffA 

Gummi.  Die  griechische  Bezeichnung  dieses  Stoffe«,  tö  kö^i, 
wird  zuerst  von  Ilerodot  II,  86  hinsichtlich  der  ägyptischen  Einbal- 
samierung der  Toten  (uttoxpiovtc^  tw  köumi,  tw  br\  dvri  KÖXXnq  ,Leim' 
tci  ttoXXoi  xp€'ovxai  AItutttioi)  gebraucht.  Als  Baum,  von  dem  es  kommt, 
wird  von  Herodot  II,  %  und  von  Theophrast  IV,  3,  8  die  ägyptische 
ÖKav9a  [Mimom  nilotica  L.  nach  Lenz)  bezeichnet.  Später  werden 
die  harzigen  Absonderungen  sehr  verschiedener  Bäume  und  Sträucher 
(vgl.  Plin.  Hist.  nat.  XIII,  66)  unter  diesem  Namen  znsammenge- 
fasst.  Der  ägyptische  Xame  ist  kemai,  kemn  (woraus  tcduui),  dag  in 
älterer  Zeit  als  Ausfuhrartikel  des  Landes  Punt  (vgl.  Lieblein  Handel 
n.  Schiffahrt  auf  dein  roten  Meer  S.  48  f.)  genannt  wird.  Lat.  cummi 
(schon  Cato  De  re  rust.  69,  2),  später  gumtni.  Im  Altertum  wurde 
das  Gummi  zu  den  Aromata  (s.  d.)  gerechuet. 

Gurke,  s.  Cucurbitaceen. 

Gurt,  Gürtel,  s.  Kleidung. 

Gut,  's.  Eigentum. 

Gflterteilung,  s.  Erbschaft. 

Gussforineii,  s.  Erz. 

Gyps.  Griech.  TÜipo^,  zuerst  bei  Herodot,  auch  ,Kalk'  und  ,Kreide' 
bezeichnend.  Man  vermutet  orientalischen  Ursprung  (arab.  gibs),  wie 
denn  der  beste  Gyps  ausser  von  Cypern,  auch  aus  Syrien  kam  (vgl. 
Muss-Arnolt.  Semitic  words  S.  70).  Auch  für  o"Kipo?,  tfidpov,  aKtppo?, 
öKeipo?  etc.,  ebenfalls  ,Gyps\  nimmt  man  semitische  Herkunft  an  (vgl. 
Lewy  Die  semit.  Fremdw.  S.  54).  Gricch.  yütyos  wurde  in  lat.  gypmm, 
dies  in  ahd.  gips  entlehnt. 

Eine  besondere  Art  des  Gypses  ist  der  Alabaster.  Er  wird  zuerst 
bei  Herodot  III,  20  genannt.  Kambyses  schenkte  dem  Könige  von 
Äthiopien  nöpou  dXdßao'Tpov  Kai  (poivixrpou  otvou  Kdöov.  Man  hat  Zu- 
sammenhang mit  arabischem  al-basrah  ,Stein  von  Basra'  vermutet  (vgl. 
Muss-Arnolt  a.  a.  O.  S.  138  f.).    Got.  alabahtraun  mit  auffälligem  /. 


Digitized  by  Google 


Haarfarbe  der  Indogermanen  —  Haartracht. 


315 


H. 

Haarfarbe  der  Indogermanen,  s.  K  ör  per  beschaff  en  hei  t  d.  I. 
Haarsalbe,  s.  Butter,  Seife. 

Haartracht.  Zar  Bezeichnung  des  Haupthaares  dienen  die 
Gleichungen  sert.  kfmra-  =  lat.  caesaries  (wobei  aber  in  beiden 
Sprachen  die  Bewahrung  des  »  statt  »h,  bezüglich  r  noch  .Schwierig- 
keiten macht)  und  die  auf  Kuropa  beschränkte,  ebenfalls  noch  nicht 
durchsichtige  Reihe  von  griech.  KÖun,,  lat.  coma,  altsl.  kosmü,  kosa 
{cesati  .kämmen  ),  ir.  cass  ,gclocktcs  Haar',  gemeingerm.  ahd.  hdr  aus 
*heza-,  altn.  haddr  aus  *hazda-.  Vgl.  noch  sert.  rö'man-  ,Haär  am 
Körper',  npers.  rüm  ,Schamhaar'  :  ir.  ruainne  ,einzelnes  Haar',  ir.  foU 
,Haar' :  griech.  \acioq  ,haarig'  aus  *voIto-  (altsl.  rltutil  aus  *voho-)  und 
got.  skitft  :  altpr.  *cebelis.  Oer  Bart  wird  bezeichnet  durch  sert. 
qmdqru-  aus  *smdqru-  =  armen,  moru-k  ,Kinnbart'  (:  lit.  smakrä,  ir. 
smech,  alb.  mjekn  ,Kinn';  vgl.  griech.  ycvctov  ,Bart'  :  tivvc,  ,Kinn  ), 
durch  lat.  barba  —  lit.  barzdä,  altpr.  bardus,  altsl.  brada,  ahd.  hart 
und  durch  ir.  fe*  —  altpr.  icamto,  altsl.  rqsü.  Der  Begriff  der  Haar- 
losigkeit oder  Kahlhcit  wird  ausgedruckt  durch  die  Gleichung  sert. 
kttlea-  in  dti-kulra-  ,zu  kahl  ,  aw.  kaurca-  —  lat.  cah'its. 

Für  indogermanisch  darf  die  Sitte  gelten,  langes  Haar  und  langen 
Bart  zu  tragen.  Beides  thim  die  Kdpn.  Kouöwvieq  'Axaioi  des  Epos, 
nur  dass  sie  bereits  die  Oberlippe  zu  rasieren  angefangen  haben  (vgl. 
Helbig  Horn.  Epos*  S.  236  ff.).  In  Rom  waren  bis  in  die  Mitte  des 
V.  Jahrhunderts  die  männlichen  Statuen  mit  langem  Haupthaar  und 
grossen  Bärten  dargestellt  (vgl.  Varro  De  re  rast.  II,  11).  Auf  nichts 
anderes  kann  sich  der  Name  Gallia  Comata  (Plin.  IV,  105)  für  das 
ganze  transalpine  Gallien  bezichen,  wie  der  genannte  Schriftsteller 
überhaupt  allen  Xordvölkern  promissi  capilli  zuschreibt.  Gleiches  gilt 
von  den  alten  Preussen  (vgl.  Hartkuoch  S.  77,  wo  reiche  Littcratur 
über  die  Haartracht  der  alteuropäischen  Völker  beigebracht  wird),  und 
auch  die  Geten  erscheinen  dem  bereits  an  eine  andere  Tracht  ge- 
wöhnten Dichter  der  Hauptstadt  als  Leute,  denen  non  coma,  nou  ulla 
barba  resecta  manu  (Ovid.  Trist.  V,  7,  18). 

Wie  aber  die  reiche  Fülle  des  Haupthaars  überall  dem  Menschen 
ein  willkommenes  Material  darbietet,  um  an  demselben  ein  gewisses 
Schönheits-  und  Fnterschcidungsbedürfuis  zum  Ausdruck  zu  bringen, 
so  lassen  sich  künstliche  Frisuren  verschiedener  Art  frühzeitig 
auch  bei  zahlreichen  idg.  Völkern  nachweisen.  Wie  schon  in  vedischcr 
Zeit  selbst  von  den  Männern  das  Haar  in  Form  eines  Zopfes  (sert. 
opaca-)  aufgebunden  wurde,  und  gewisse  Familien  wie  die  Vasishtiden 
durch  eine  bestimmte  muschelartige  (kaparda-)  Anordnung  der  Haar- 
flechten ausgezeichnet  waren  (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  ^fv»  f.),  so 


Digitized  by  Google 


3i«; 


Haartracht. 


werden  schon  in  der  Hins  die  Thraker  (IV,  f>33)  als  dKpÖKOuoi  und  die 
euhöischen  A  bauten  (II,  f>42i  als  ömSev  kouöujvt€<;  (d.  h.  vom  au  der 
Stirn  geschoren,  am  Hinterkopf  mit  schweifartigem  Haar)  bezeichnet. 
Von  den  Galliern  berichtet  Diodorus  Siculus  V,  28:  äXXä  kcu  bia  Tr\q 
KaTao*Keufiq  eniTnb€uouO"iv  auftiv  Tnv  (putfiKnv  Tn.s  xpö«?  ibtÖTryra.  tito- 
vou  f«P  (itrorrXü|LiaTi  tfpÜJVTe«;  tck;  Tpixa?  cfuvexw«;  Kai  arrö  tüjv 
jueTiüiTUjv  t tti  Tn,v  Kopuqprjv  Kai  tous  T^vovra?  ävao*TTÜJ(Jiv, 
ü»0"T€  Tnv  Trpöo"oi|MV  aörüjv  <paiv£0"6ai  Zatüpoiq  Kai  TTäo*iv  £oiKuTav '  Tta- 
Xuvovrai  f«P  ai  Tpixt?  ottö  xrjq  KaT€prao*iaq,  wo"T€  unbev  xf\<;  twv  umuiv 
Xadn,?  biaqpepciv.  Bekannt  ist  ferner  die  suc  bische  Haartracht  bei 
Tacitus  Genn.  C'ap.  38 :  Insigne  gentist  obliquare  crinem  nodoque  sab- 
8t  ringe  re  Udas  Haar  seitwärts  zu  streichen  und  in  einem  Knoten  zu- 
sammenzufassen") :  sie  Sitebi  a  ceteris  Germania,  sie  Sueborum  ingenui 
a  ser vis  separantur.  in  aliis  gentibus  seu  cognatione  aliqua  üue- 
brirum  seu,  quod  saepe  accidit,  imitatione,  ramm  et  intra  iaventae 
8patium,  apud  Siwbos  usqne  ad  canitiem  horrentem  eapillum  retro 
sequuntur,  ae  saepe  in  ipso  solo  rertice  religatur  (.man  bindet  es  oft 
gerade  auf  dem  blossen  Seheitel",  was  nur  von  den  alten  Leuten  zu  geltcu 
scheint j:  principe*  et  ornatiorem  habent  (vgl.  zu  der  schwierigen  Stelle 
H.  Fischer  Philologus  L,  379).  Was  hier  mehr  als  eine  besondere 
Eigentümlichkeit  der  Sueben  geschildert  wird,  legt  Martial  (erinibus 
in  nodum  t  ort  in  renere  Sicambri  Spec.  III,  9)  auch  den  Sigam- 
bern,  andere  Autoren  Uberhaupt  allen  Germanen  bei  (vgl.  Ph.  Cluveri 
Germania  antiqua  p.  113  ff.  und  II.  Krause  Plotina  oder  die  Kostüme 
des  Haupthaars  bei  den  Völkern  der  alten  Welt  Leipzig  18f>8  S.  181). 
Der  urgernianische  Name  für  jenen  nodos  könnte  in  abd.  zopf,  altn. 
toppr  .Haarbüschel'  stecken,  wie  auch  ahd.  loc,  altn.  lokkr  .Locke'  und 
mhd.  schöpf,  got.  skuft,  altn.  skopt  gemeingermanisch  sind  und  auf 
eine  frühe  Übung  kosmetischer  Künste  bei  den  Germanen  hindeuten. 
Ha/dinge  (Astingii  war  der  Name  des  vandalischen  Königsgeschlechts 
„Männer  mit  Frauenhaar"  (vgl.  oben  *hazda-),  und  vielleicht  entstammte 
der  meerdos  muhebri  ornatu,  den  Tacitus  Germ.  Cap.  43  bei  den 
Xahanarvalcu  nennt,  diesem  Königsgeschleeht  (vgl.  MüllcnhofT  Haupts 
Z.  XII,  346).  Auch  auf  der  Marcus-Säule  (vgl.  Petersen  S.  49)  sind 
mehrere  Harbarengestalten  durch  einen  merkwürdigen  nach  oben  ge- 
richteten Strich  des  Haupthaars,  der  zuweilen  mit  einer  Aufbiegung 
des  Endes  der  langen  Bärte  verbunden  ist,  ausgezeichnet,  und  die 
Trajansäulc  und  das  Monument  von  Adamklissi  (s.  u.  Kleidung)  seheinen 
sogar  direkte  Spuren  jener  suebischen  Haartracht  aufzuweisen. 

Eine  andere  Frage  ist,  ob  man  derartige  künstliehe  Frisuren  schon  als 
indogermanisch  ansetzen  darf.  Wahrscheinlicher  ist  es  vielleicht,  dass 
der  künstliche  Aufputz  des  Haares,  auch  da,  wo  er  uns  nördlich  der  Alpen 
entgegentritt,  den  Ausfluss  ägy  p  t  i sc  Ii  - o  r  i e n  t  a  I  i sc  b  c  r  M  ode 
verrät.   .Sicher  sind  auf  orientalische  Einwirkung  die  archaischen  Haar- 


Digitized  by  Google 


Haartracht. 


:;i7 


frisuren  der  (i riechen  zurückzuführen,  die  ihre  Spuren  schon  in  den 
homerischen  Gesängen  hinterlassen  haben  (vgl.  Heibig  a.  a.  O.  S.  2.->(5 tf.i. 
Ein  archäologisches  Zeugnis  hierfür  sind  die  in  Klein-Asien  und  Alt- 
Griechenland  zu  Tage  getretenen  metallischen  Spiralen,  die  Heibig  als 
Lockenhalter  deutet,  und  die  nach  ihm  ihren  Weg  auch  zu  den  mittel- 
europäischen Barbaren  (/..  B.  in  das  Gräberfeld  von  Mallstatt  i  gefunden 
haben.  Auch  das  griech.  KpuußuXo«;  .der  orientalische  Zopf,  der  in 
Attika  bis  zum  l'erikleiseheu  Zeitalter  getragen  wurde,  hat  man  ans 
dem  Semitischen,  freilich  ohne  grosse  Überzeugungskraft,  abzuleiten 
versucht  (vgl.  Lcwy  Die  somit.  Fremdw.  S.  89). 

Man  könnte  an  die  Kulturströmung  denken,  welche  vom  Süd-Osten 
her  die  Bronze  (s.  u.  Erz)  über  Mitteleuropa  verbreitete,  und  in  deren 
Gefolge  auch  derartige  Gebräuche  wandern  mochten. 

Sicherer  dürfte  in  diesem  Zusammenhang  sich  die  Sitte,  den  ganzen 
oder  einen  Teil  des  Bartes  abzunehmen,  die  Kunst  des  Rasierens 
über  Europa  verbreitet  haben.  Dass  aus  der  Gleichung  :  seit,  kshurri- 
=  griech.  Eupöv  nicht  auf  die  Bekanntschaft  der  idg.  Urzeit  mit  dem 
Rasiermesser  geschlossen  werden  darf,  ist  u.  Messer  gezeigt  worden. 
Hingegen  treten  zusammen  mit  späteren  Formen  der  älteren  Bronze- 
zeit auf  einem  Gebiete,  das  sich  von  Griechenland,  Ungarn  und  Italien 
bis  nach  Frankreich,  England  und  Irland  erstreckt,  als  Totcnbeigabeu, 
und  zwar  nur  für  männliche  Leichen,  zahlreiche  gleichartige,  ein-  und 
zweischneidige  Messer  auf,  welche  die  Forschung  übereinstimmend  als 
Rasiermesser  deutet  (vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  258). 
Mit  ihnen  wird  sich,  zunächst  in  höheren  Schichten,  dann  in  immer 
weiteren  Kreisen  die  Gewohnheit,  einen  Teil  des  Gesichtes  von  Bart- 
haar frei  zu  machen,  verbreitet  haben.  Auch  die  Überlieferung  legt 
davon  Zeugnis  ab,  dass  die  Kunst  des  Rasierens  schon  in  vorrömischer 
Zeit  nördlich  der  Alpen  verbreitet  war.  So  berichtet  Diodorus  a.  a.  0. 
von  den  Kelten:  tu  bi  ftvtxa  Tive?  uev  EupujvTat,  nvt?  be  ueTpiw?  ütto- 
Tpeqwutfiv  ot  b*  euteven;  ton;  uev  Trop€id?  dnoXciaivoufft,  rdq  b'  üttuvck; 
dveiuevas  liboiv,  üjo"t€  td  aTÖuara  auTiiv  dmKaXuTrr€0"6ai,  btörcep  ^o*9i- 
övtwv  uev  aÜTwv  eunXe'KOVTai  iai<;  Tpoqpaiq,  ttivövtujv  be  KaBctTrepei  btd 
tivo?  n,8uoü  (pe'peTcu  tö  TTÖua  und  Caesar  De  bell.  gall.  V,  14  von  den 
Britannern:  CapiUoque  sunt  pronihso  atque  omni  parte  corporis 
rasa  praeter  caput  et  labrttm  xuperius. 

Kehren  wir  zu  der  Haartracht  des  Hauptes  zurück,  so  ist  das 
regelmässige  Scheren  desselben  in  Rom  in  der  Mitte  des  VI.  Jahr- 
hunderts der  Stadt  aufgekommen  (vgl.  Krause  Plotina  S.  141),  und 
wird  von  hier  aus  allmählich  die  Herrschaft  in  Europa  gewonnen  haben 
(vgl.  auch  got.  kapUlön  ,scheren'  aus  lat.  capülus  und  die  Entlehnung 
von  ahd.  kalo,  agls.  calu  aus  lat.  calvus).  Am  längsten  haben  in 
der  germanischen  Welt  die  Mitglieder  der  fürstlichen  Häuser  an  dem 
langen  Haupthaar  und  Bart  als  an  einer  Auszeichnung  ihres  Standes 


Digitized  by  Google 


318 


Haartracht. 


festgehalten  (vgl.  J.  Grimm  R.-A.  8.  239  und  Krause  a.  a.  0.  S.  182). 
Am  ausführlichsten  ist  das  Zeugnis  des  Agathias  lib.  1  (bei  Grimm): 
9€m»cttöv  fctp  toi?  ßacFiXeüm  tüiv  OpäTfwv  oü  ttu)ttot€  KeipeaGat,  äXX* 
dK6ip£KÖ^ai  tc  eicriv  naibwv  del  kgu  irapntfpiivTai  aüroi<;  äTtavieq  €Ö 
näXa  im  tüuv  wuujv  oi  nXditapoi.  int\  koA  o\  £uirpöo*eioi  ix.  tou  perumou 
<TXi£öuevoi  iq>'  CKCtTepa  <pepovTcu  .  .  .  toöto  Ö€  &Omp  ti  Yvwpi0*pa  Kai 
xe'paq  ^Eaipeiov  tw  ßacnXdw  ftvei  äveiaBat  vevouiarai.  Vgl.  auch  oben 
über  die  Hazdinge.  Bemerkt  sei  indessen,  dass  auf  den  oben  genannten 
Monumenten  ein  derartig  langes  Haupthaar,  selbst  bei  Personen  von 
offenbar  fürstlichem  Stande,  nicht  vorkommt. 

Auch  sonst  bildet  aber  die  Symbolik  der  Haartracht  und  des 
Haares  ein  wichtiges  Kapitel  der  idg.  Altertumskunde,  das  hier  nur  ge- 
streift werden  kann.  Das  abgeschnittene  Haar  wird,  namentlich  im  Toten- 
kult, bei  Indern  und  Griechen  als  Opfer  dargebracht  (vgl.  Oldenberg 
Religion  des  Veda  S.  425 3,  Rohde  Psyche  ls,  17'i.  Eine  feierliche  Haar- 
schur begleitet  wichtige  Akte  und  Phasen  des  menschlichen  Lebens  wie 
die  germanische  Adoption  (s.  d.  und  vgl.  J.  Grimm  R.-A.  S.  146)  und 
die  indische  Schülerweihe  (upanat/ana-',  vgl.  Oldenberg  a.  a.  0.  S.  466). 
Auch  das  erstmalige  Absebneiden  des  Haares  eines  Kindes  ist  bei 
Indern  und  Südslavcn  mit  wunderlichen  Zeremonien  umgeben  (vgl. 
J.  Kirste  Idg.  Gebräuche  beim  Haarschneiden  Analecta  Graeciensia 
S.  53  ff.).  Der  Gegensatz  von  Freiheit  und  Knechtschaft  wird  durch 
wallendes  und  geschorenes  Haupthaar  bezeichnet  (vgl.  für  die  Griechen 
z.  B.  Aristophanes  Av.  v.  911 :  £tt€itci  bfiTa  ooüXo?  wv  köhuv  £x*i?;  für 
die  Germanen  J.  Grimm  a.  a.  0.  S.  339  und  oben  über  die  Sueven; 
auch  bei  Frauen:  agls.  friwif  locbore  ,eine  Freie,  eine  Lockenträgerin', 
vgl.  Roediger  Familie  der  Angelsachsen  S.  152).  Bei  den  Chatten 
bedeutet  unbeschränktes  VVachscnlassen  des  Haares  und  Bartes  ein 
Gelübde  kriegerischer  Tapferkeit.  Vgl.  Tacitus  Genn.  Cap.  31: 
Et  aliis  Germanorunt  populis  usurpatum  raro  et  pricata  cuimque 
audentia  apud  Chattos  in  consensum  vertit,  ut  primum  adoleverint, 
crinem  barbamque  submittere,  nec  nisi  hoste  caeso  exuere  cotivum 

obligatumque  rirtuti  oris  habitum  ignaci*  et  imbeJlibus 

mattet  squalor.  Ähnliche  Gelübde  werden  von  andern  germanischen 
Stämmen  und  Heerführern  berichtet  (vgl.  die  Stellen  bei  Vigfusson 
Corpus  Poeticum  Boreale  I,  424).  Bei  den  Frauen  ist  eine  Änderung 
der  Haartracht  als  Glied  des  Hoehzcitszcrenioniells  (s.  u.  Heirat)  bei 
zahlreichen  Völkern  bezeugt.  Zur  Strafe  wird  das  Haupthaar  der 
Ehebrecherin  bei  Indern  und  Germanen  abgeschnitten  (s.  u.  Ehe- 
bruch)u.  s.  w.  Indessen  wird  man  sich  hüten  müssen,  aus  derartigen 
Übereinstimmungen  ohne  weiteres  n  r  z  e  i  1 1  i  c  h  e  n  Brauch  zu 
folgern. 

Zu  bedenken  ist  auch,  dass  das  für  eine  Haarschur  uns  unentbehrlich 
scheinende  Werkzeug,  die  Schere  (s.  d.),  vermutlich  jungen  Datums 


Digitized  by  Google 


Haartracht  —  Hacke. 


319 


in  Kuropa  ist.  Zwar  scheint  in  griech.  xeipuj  -  ahd.  sceran  eine  vor- 
historische Bezeichnung  des  Scherens  vorzuliegen;  aher  die  Bedeutungs- 
entfaltung des  germanischen  Worte**  weist  darauf  hin,  dass  .zerschneiden', 
/zerhauen'  (daher  altn.  skera  auch  »schlachten')  der  ursprüngliche  Sinn 
dieser  Sippe  gewesen  sein  wird.  Vgl.  auch  lit.  kii-pti  ,uiit  der  Schere 
scheren'  :  seit,  krpäna-  ,Schwert'  und  lat.  tondeo  ,schere'  (*tem-d-) 
:  griech.  T€#nvu>  ,schneide'.  Auf  jeden  Fall  niuss  daher  in  der  Urzeit 
das  Verkürzen  des  Haares  mit  dem  steinernen  Spanmesser  —  ein  an- 
deres Instrument  stand  kaum  zur  Verfügung  —  ein  unerfreuliches  und 
schwieriges  Geschäft  gewesen  sein,  das  sich  indessen  vielleicht  gerade 
deshalb  dazu  eignete,  mit  einer  gewissen  Heiligkeit  umgehen  zu  werden. 
—  über  die  Sitte  der  Haarfärbung  s.  u.  Seife.  S.  auch  u.  Kamm. 
Habicht,  s.  Falke,  Falkenjagd. 

Habitus  physischer  der  Indogerinaiien,  s.  Körpcrbe- 
schaff  en  heit  d.  I. 

Hackhau,  s.  Ackerbau. 

Hacke.  Werkzeuge,  welche  unserer  Vorstellung  von  einer  Hacke 
entsprechen,  aus  Stein  oder  Hirschhorn,  sind  in  prähistorischen  Schichten 
mehrfach  gefunden  worden  (vgl.  S.  Nilsson  Das  Steinalter  S.  59  und 
Z.  f.  Ethnologie  VIII,  154,  232,  X,  361).  Doch  kommen  dieselben 
Artefakte  auch  aus  ziemlich  später  Zeit,  z.  B.  mit  wendischen  Eisen- 
aachen zusammen  vor,  und  eiu  sicherer  Beweis  dafür,  dass  die  Hacke 
schon  zu  den  Werkzeugen  der  jüngeren  Steinzeit  gehört  habe,  scheint 
noch  nicht  erbracht  zu  sein.  Auch  in  der  Terminologie  der  Hacke 
fehlen  bis  jetzt  sichere  Ü  bereinstimmungen.  Spuren  einer  solchen  liegen 
in  ir.  laige  , Hacke'  und  ,Spaten'  aus  Hagiä  :  griech.  Xaxcuvw  ,haeke' 
vor,  von  dem  aus  man  auf  eiu  griech.  *Xaxnv  , Hacke'  (vgl.  ttoiuouvu)  : 
iromnv)  schliesscn  kann,  und  in  lat.  ligo,  das  man  mit  griech.  Xto*xo^ 
(aus  *\\f-CKO-<i)  vergleicht.  Auf  Wurzel  Verwandtschaft  könnte  auch  die 
Reihe:  altsl.  mot-yka  (entlehnt:  lit.  matikas,  alb.  matuke)  .Hacke',  lat. 
mat-eola  ,ein  Werkzeug  zum  Einschlagen  der  Erde',  sert.  matyü-  ,Egge', 
, Walze'  beruhn;  doch  lässt  sich  die  ursprüngliche  Bedeutung  derselben 
nicht  crmessen.  Die  meisten  Bezeichnungen  der  Hacke  sind  cinzcl- 
aprachlich  und  in  ihrer  Bildung  ziemlieh  durchsichtig.  Wie  mhd.  hacke 
:  hacken  und  mlid*  hicke  :  ahd.  ian<t)bicchun  ,stechen  vgl.  auch  agls. 
b£cca  ,Spitzhacke',  altgall.  beccu*  ,Schnabcl'),  so  gehört  griech.  o*KaTrävr) : 
<Jkütttui  ,grabe,  hacke',  OicaXi«;  :  OKäXXw  , behacke',  lat.  dolabra  :  dolore, 
rast  nun  :  rädere,  sarculum  :  mrire  ,scharrcn',  pastinum  vielleicht  : 
russ.  pachatl  .ackern',  poln.  pachac  ,graben'.  Griech.  uctKeXXa  ist  der 
Ein-,  buceXXa  der  Zweizack  u.  s.  w.  Vielleicht  hat  das  Werkzeug  eine 
grössere  Bedeutung  erst  mit  dem  Aufkommen  des  Gartenbans  (s.  d.) 
erhalten. 

Sollte,  wie  u.  Ackerbau  angedeutet,  dem  eigentlichen  Feldhau  mit 
Pflug  und  Stier  auch  auf  idg.  Boden  ein  primitiver  Hackbau  voraus- 


Digitized  by  Google 


320 


Hacke  —  Haler. 


gegangen  sein,  so  war  (Initials  das  Werkzeug,  mit  den»  derselbe  be- 
trieben wurde,  vielleicht  weder  sachlich  noch  sprachlieh  von  dem  Be- 
griffe der  Axt  (s.  d.i  unterschieden,  deren  Benennungen  auch  später 
vielfach  zugleich  die  Hacke  bezeichnen  (altsl.  toporü  , Hacke"  und  ,Axt\ 
mhd.  bil  .Steinhaue',  agls.  bill  .Schwert',  engl,  hilf  ,Schwert.  Hacke, 
Axt'  etc.).  -    S.  u.  Werkzeuge. 

Hafen,  s.  Schiff,  Schiffahrt. 

Hafer.  Der  Anbau  der  .Ire««  satira  ist  dein  ägyptisch-semi- 
tischen Kulturkreis  fremd,  und  ebensowenig  in  den  Denkmälern  des 
europäischen  Steinzeitalters  nachweisbar.  Er  tritt  erst  in  den  bronze- 
zeitlichen Pfahlbauten  von  Montelicr  und  Petersinsel  in  der  Schweiz, 
von  Bourget  in  Savoyen  und  in  dem  gleichzeitigen  Salzbergwerke 
Heidcnsehaelit  bei  Hallein  auf.  Hierdurch  erhält  die  Geschichte  des 
Saathafers  von  vornherein  ein  anderes  Gesicht  als  die  der  Gerste  und 
des  Weizens,  die  der  ältesten  Schicht  europäischer  Ackerbaupflanzeii 
angehören. 

Über  die  Gruppierung  und  Deutung  der  Benennungen  des  Hafers 
ist  eine  Übereinstimmung  noch  nicht  erzielt  worden.  Am  wahrschein- 
lichsten ist,  dass  lat.  art'na,  altsl.  ov'tsü,  lit.  airizä,  altpr.  vyae,  teisge 
eine  zusammengehörige  Gruppe  von  Wörtern  bilden,  die  auf  eine  Grund- 
form *arig-,  *avigd  oder  *orig-,  *origd  (vgl.  H.  Pedersen  I.  F.  V, 
42  f.)  zurückgeht),  und  mit  denen  vielleicht  auch  griceh.  airiXuj^  ans 
♦dFiTiXuj^  zu  verbinden  ist.  Die  Grundbedeutung  könnte  etwa  ,Schaf- 
gras'  sein  (sert.  dri-  ,Sehaf),  wobei  nur  das  a  von  lat.  arena  und 
griech.  arriXunji  (letzteres  vielleicht  durch  Anklang  an  on£  ,Zicge'  er- 
klärbar) gegenüber  lat.  oris,  griech.  6\%  auffiele  (eine  andere  Deutung 
von  atena  aus  *qhaqhes-nä  :  ahd.  habaro  vgl.  bei  Xoreen  Abriss  der 
nrgerm.  Lautlehre  S.  148:  noch  andere  denken  an  Zusammenhang  mit 
sert.  avasd-  ,Xahrung'i.  Eine  zweite  Gruppe  von  Namen  bilden  die 
gemeingerm.  altgntn.  hagri  (woraus  nun.  lakra  ,  alts.  haroro,  ahd. 
habaro,  *koqro-  und  die  gemeinkcltischen  ir.  coirce,  kymr.  ceirch, 
H'orqio-  (mit  Metathese  des  r  in  einem  der  beiden  Sprachgebiete,  vgl. 
Vf.  in  V.  Hehns  Kulturpflanzen0  S.  62f>.  Znpitza  Gutturale  S.  32). 

Im  historischen  Europa  fanden  bereits  die  Römer  Haferbau  und 
Hafernahrung  im  alten  Germanien  vor.  Vgl.  Plinins  1 1 ist.  mit.  XVIII, 
149:  Primnm  omnium  f'rumenti  Vitium  arena  est,  et  hordeum  in 
eam  degenerat,  sie  ttt  ipsa  .frumenti  sit  instar,  quippe  cum  Ger- 
maniae  populi  serant  eam  neqtte  alia  pulte  ricant  s.  u. 
Brei).  Von  deu  Oeoncn,  einem  fabelhaften  Inselvolk  der  Nordsee, 
berichtet  Mela:  In  his  esse  Oeonas,  qui  oris  avium  pulustriiun  et 
avenis  taut  um  alantur  (111,6,56);  doch  möchte  Müllenhoft' D.  A.-K.  I, 
493  aus  dem  Plural  avenis  folgern,  dass  hier  noch  wilde  Halmpflanzen 
gemeint  seien.  Habermuss  als  Nationalgericht  lässt  sich  bei  zahlreichen 
keltischen  und  germanischen  Völkerschaften  durch  vielfache  Zeugnisse 


Digitized  by  Google 


Haler. 


321 


nachweisen.  Auch  in  dem  Breviarium  Karls  des  Grossen  vom  Jahre 
812  wird  der  Anbau  des  Hafers  vorgeschrieben,  und  von  der  heiligen 
Hildegard  wird  ein  auch  sonst  erwähntes  Haferbier  genannt.  Eine 
speziell  angelsächsische  Bezeichnung  unserer  Gctreidcart  ist  agls.  ata, 
engl,  oats  (nicht  weiter  vcrfolgbar),  während  das  Althochdeutsche 
neben  habaro  auch  eine  Entlehnung  aus  lat.  uro  na  <ahd.  erina,  inndl. 
ecene,  altndd.  erenin,  am  Xiederrhein  evenmant  ,Habernionat'  Für  Sep- 
tember) aufweist. 

Für  die  alte  Bekanntschaft  der  Slaveu  mit  dem  Hafer  ist  auf  ver- 
schiedene Haferfunde  aus  den  Burgwällen  von  Ahrensburg  und  Popp- 
schütz und  den  Pfahlbauten  auf  der  Dominsel  in  Breslau  und  von 
Wismar  zu  verweisen. 

Ganz  anders  wie  im  Norden  lässt  sich  im  Süden  Europas  ein 
Anbau  des  Hafers  nur  ganz  vereinzelt  und  nur  zu  Futter-  oder  medi- 
zinischen Zwecken  nachweisen.  Cato  (De  re  rust.  XXXVII,  f>)  spricht 
vom  Hafer  nur  als  von  einem  Unkraut  (vgl.  auch  oben  Püning).  Hin- 
gegen berichtet  Columella  II,  1 1 :  Similix  xatio  a  r  ena  e  <  quae  auc- 
tumno  xata,  partim  caeditur  in  foenum,  rel  pabulum.  dum  adhuc 
viret,  partim  xemini  cuxtodititr.  In  Griechenland  wird  von  dem 
Ar/.te  Dieuchcs,  der  dem  IV.  Jahrb.  v.  Chr.  angehört  (vgl.  XXI  veter. 
et  dar.  medic.  Graec.  varia  opuscula,  ed.  F.  de  Matthaei  Mosquae  1808 
p.  als  Rezept  ein  dXqpnov  dirö  toö  ßpöuou  genannt,  das  besser 
als  das  tcpieivov  dXcpiTov  sei.  Freilieh  könnte  man  auch  hierbei  an 
Wildhafer  denken.  Die  Bezeichnung  ßpouo«;,  später  ßpwuos  (ngriech. 
ßpumn..  auf  Kreta:  Tat)  hat  noch  keine  Erklärung  gefunden.  Vgl.  noch 
alb.  trrstTf  ans  lat.  trhnense,  *trimensanum  ivgl.  Isidor.  Orig.  XVII,  3: 
trimense  trificum  ideo  nunrnptitur,  qitia  xatum  post  tres  menxex 
cölligitur). 

Die  Benutzung  des  Hafers  als  menschliehe  Speise,  aber  auch  nur  für 
Zeiten  der  Xot.  tritt  dann  wieder  in  Kleinasicn  hervor.  Vgl.  Galen. 
De  alini.  fac.  I,  14:  Tpotpn.  b  eoYtv  ukoZutiiuv,  ouk  dvöpumwv,  ti  un. 

TTOTfc  dp«  \lUUJTTOVT6<;    {Cty«™^  «VUf KUCOUCV    €K   TOUTOU  TOÖ  OTTfeppaTO? 

apTOTTOteiaGai.  Unter  den  Getreideresten  von  Hissarlik  ist  Hafer  aber 
nicht  gefunden  worden,  wie  er  auch  nicht  bei  Homer  vorkommt. 

Bei  den  geschilderten  Verhältnissen  lassen  sich  deutliche  Unirisse 
der  ältesten  Geschichte  des  Saathafers  noch  nicht  gewinnen.  Viel- 
leicht war  eine  wilde  Hafergattung  schon  den  Indogennanen  be- 
kannt. Zu  dem  Anbau  des  Saathafers  aber  werden  die  einzelnen 
Völker  erst  nach  ihrer  Trennung  übergegangen  sein,  was  im  Korden 
in  ausgedehntem,  im  Süden  in  beschränkterem  Masse  geschah.  Auch 
dies  wird  in  gewissen  Kulturzusaninienhängcn  vor  sieh  gegangen  sein, 
die  sich  aber  nicht  übersehen  lassen,  namentlich  so  lange  nicht  fest- 
steht, aus  welcher  der  zahlreichen  wilden  Haferarten  sich  Arena  satira 
entwickelt  hat,  und  wo  dies  gesehen  ist.    Im  allgemeinen  neigt  man 

Schräder,  Reallexlkon.  21 


Digitized  by  Google 


Haler  —  Hahn,  Huhn. 


jetzt  dazu,  die  Stammform  de»  Saathafers  in  At  eno  fatua  zu  erblicken; 
doch  seheint  über  das  älteste  Verbreitungsgebiet  dieses  Wildhafers 
noch  wenig1  festzustellen.  Die  Naturforscher  denken  an  eine  Herkunft 
des  Saathafers  aus  Süd-ost-Europa,  woher  auch  der  Koggen  (s.  d.) 
stammt.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen"  8.  536,  039,  A.  de  Caudolle 
Ursprung  der  Kulturpflanzen  8.  471,  V.  Haussknecht  in  den  Mit- 
teilungen der  geogr.  Ges.  in  Jena  1884  S.  233,  Handbuch  des  Ge- 
treidebaus v.  Körnicke  und  Werner  I,  200  ff.,  Ascherson  im 
Correspondenzbl.  f.  Anthropologie  1890  8.  135,  v.  Fischer-Benzon 
Altd.  (.i artend.  8.  165  ff.,  G.  Huschau  Vorgcsch.  Botanik  8.  37  ff.  S. 
auch  u.  Ackerbau  und  u.  Getrcidcarten. 

Haftung,  s.  Bürge,  Geisel.  Schulden. 

Hagestolz,  s.  Junggeselle. 

Häher,  s.  Singvögel. 

Hahn,  Huhn.  Weder  in  der  homerischen  Dichtung,  noch  bei  He- 
siod,  noch  in  der  älteren  an  diese  anschliessenden  Lyrik  der  Griechen 
wird  des  Haushahns  gedacht.  Der  erste,  der  ihn  nennt,  ist  der  in  der 
Mitte  des  VI.  Jahrh.  lebende  Theogms: 

iampir)  t  ev£€iut  Kai  öpepin.  üütu;  eaemi, 
ry>.o<;  (iXtKTpuövujv  (pGÖYfoS  cHtipoutviuv. 
Da  nun  der  von  dem  Bankivahuhn  Indiens  abstammende  Haushahn  bei 
den  1  laniern  seit  ältester  Zeit  als  Verkündiger  des  die  bösen  Geister 
der  Finsternis  verscheuchenden  Morgens  in  Indien  Ehren  gehalten  wird 
(vgl.  W.  Geiger  Ostiranische  Kultur  8.  365  ff.  >,  so  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  erst  mit  der  Ausbreitung  der  persischen  Herrschaft  über  Klein 
asien,  die  Theognis  mit  erlebte,  das  Tier  zu  den  Griechen  kam.  Zu 
einer  etwas  früheren  Datierung  des  ersten  Erscheinens  des  Haushahns 
im  Gesichtskreis  der  Hellenen  gelangt  P.  Krctschmer  (K.Z.  XXXIII,  560), 
auf  alte  Darstellungen  von  Hähnen  auf  griechischen  Vasen  gestützt. 
Die  Namen,  unter  denen  der  Haushahn  auftritt,  äXe'KTwp  und  äXeKTpuujv, 
zu  denen  sich  erst  später  ein  äXeKTpüaiva  , Henne',  dXeKTopi^  ,Huhn'  ge- 
sellt, sind  wahrscheinlich  identisch  mit  den  gleichlautenden  Eigennamen 
des  homerischen  Epos  Alcktor  und  Alektryon.  die  zu  üXe£w,  dXe£njr|p, 
äXicrrip  .wehre  ab',  ,Kämpfer"  gehören.  Der  Vorgang  bei  der  Xameu- 
gebung  war  dann  der,  „dass  man  den  Hahn  mit  einem  aus  dem  Epos 
in  doppelter  Form  bekannten  heroischen  Namen  benannte,  dessen  Be- 
deutung dem  streitbaren  Charakter  des  Vogels  entsprach".  So  ist 
Mtnvujv  ein  Name  des  Esels,  KaXXia?  des  Affen,  Kepbw  des  Fuchses, 
und  ganz  entsprechend  wäre  in  frz.  renard  aus  Reinhart  ein  volkstüm- 
licher Scherzname  zum  gewöhnlichen  Appcllativum  geworden  (vergl. 
Krctschmer  a.  a.  0.). 

Wann  und  auf  welchen  Wegen  der  Haushahn  sich  zu  den  übrigen 
Indogcrmancn  Europas  verbreitet  hat,  darüber  fehlt  es  an  zuverlässigen 
Anhaltspunkten.    Wahrscheinlich  hat  die  Gattung  Gallus  im  tertiären 


Digitized  by  Google 


Hahn.  Huhn. 


323 


Europa  in  wildem  Zustand  gelebt,  ebenso  in  der  älteren  Quatcrnär- 
Periode  (Mammutszeit,  Palaeolithische  Zeit);  dann  scheint  sie  aus 
Europa  verschwunden  zu  sein,  uud  erst  zusammen  mit  bronzenen  Gegen- 
ständen treten  die  Spuren  des  Haushuhns  bei  uns  auf  (vgl.  L.  II.  Jeittelcs 
Zur  Geschichte  des  Haushuhns,  Zoologischer  Garten  XIV,  55,  88,  130). 
Die  Terminologie  des  Tieres  verbreitet  Uber  sein  ältestes  Auftreten  in 
Italien  und  in  dem  nördlichen  Europa  kaum  einige  Aufklärung.  Doch 
ist  bemerkenswert,  dass  sowohl  die  keltischen  wie  die  germanischen 
Sprachen  in  allen  Mundarten  übereinstimmende  Bezeichnungen  des 
Hahnes  besitzen,  während  die  sklavischen  Sprachen  sieh  in  seiner  Be- 
nennung spalten  (s.  u.i,  was  auf  ein  früheres  Erscheinen  des  Tieres  im 
Westen  und  in  der  Mitte  als  im  Osten  unseres  Erdteils  zu  deuten  scheint. 
Überblickt  man  die  Bezeichnungen  des  Hahnes,  so  zerfallen 
sie,  soweit  etymologisch  durchsichtig,  in  zwei  Gattungen.  Der  Hahn 
wird  entweder  onomatopoictisch,  d.  h.  mit  Nachahmung  seines  Schreiens 
benannt  oder  als  , Rufer'  und  »Sänger'  bezeichnet.  Die  Namen  der 
zweiten  Klasse  beschränken  sich,  mit  Ausnahme  des  gemeingerm.  got. 
hana  entlehnt  rinn,  kana)  =  n/i-KavÖT  äXexTpuwv  (Hesych)  :  lat.  canere 
(das  germ.  Commune  ahd.  huon  :  lat.  ci-cöuia'i),  auf  die  Einzelsprachen 
(ir.  cailech  :  grieeh.  KaXc'w,  lat.  calare,  womit  Prellwitz  Et.  W.  auch 
ein  ans  grieeh.  xäXXaia  ,Bart  des  Hahnes'  erschlossenes  *KÖXXa  ,Hahn' 
verbinden  möchte,  lit.  gaidtfs  :  giedöti  ,siugen',  slav.  im  S.  u.  N.-O.  pietlfi 
:  peti,  alb.  kmde's  :  kendoii  .singe',  osset.  vasüg  :  seit,  nie  «schreien*, 
lat.  gallus  vielleicht  :  agls.  ceallian,  engl,  call,  auch  vom  Hahnenschrei«, 
während  die  Bezeichnungen  der  erste  reu  Klasse  weiter  verbreitet  sind 
und  als  die  Benennungen  wilder  Vogelartcn,  die  später  auf  den  Haus- 
hahn übertragen  w  urden,  wohl  schon  in  der  idg.  Ursprache  vorhanden 
waren.  Auch  ist  hier  die  Bedeutung  ,Hahn,  Huhn'  nicht  koustant.  Es 
handelt  sich  hierbei  vornehmlich  um  zwei  Reihen.  Die  eine  ist  durch 
die  Silbe  kerk-,  krik-  charakterisiert:  seit,  krka  vä'kn-,  aw.  kahrkdm-, 
kakrkatda-,  npers.  kerk,  kurd.  kttrk,  afgh.  cirg,  osset.  kork,  Pamird. 
kork,  grieeh.  K€pKO£  lies,  (daneben  Kt'picaE'  \ipo£,  Kepud^'  Kpe£,  xcptci- 
60X15 *  ^pwöiö^,  Kcpicvöf  icpdEi,  ir.  cerc,  slav.  krik-  (Ableitungen  davon 
bezeichnen  die  verschiedensten  Vogelartcn,  vgl.  Miklosich  Et.  W.  S.  140). 
Die  Stammsilbe  der  zweiten  Reihe  ist  kuk-  oder  kok-  (kukk-,  kokk-)  : 
sert.  kukkufd-,  westsl.  kokotü,  grieeh.  KOKKußöa«;.  kokkü&iv  etc.,  agls. 
cocc,  altn.  kokkr,  agls.  cycen,  ndd.  küken,  Lex  Salica:  coccttn,  arem., 
frz.  coq.  Derselbe  Lautkomplex  liegt  aber  auch  zahlreichen  Benen- 
nungen des  Kuckucks  (s.  d.)  in  den  idg.  Sprachen  zu  Guude. 

Einen  interessanten  Weg  in  die  iranische  Welt  wiese  das  slavisehe 
kurü,  kura,  wenn  es  als  Entlehnung  aus  npers.  xurös,  pehl.  xros,  kurd. 
korös,  bei.  krön,  kurus  ,Hahn'  aufgefasst  werden  könnte;  doch  ist  dies 
wahrscheinlich  nicht  der  Fall.  Nach  andern  wäre  vielmehr  das  slavisehe 
Wort  identisch  mit  lat.  corvus,  so  dass  also  eine  Vermischung  zwischen 


Digitized  by  Google 


324 


Hahn,  Huhn. 


Rabe  nml  Hahn  anzunehmen  wäre,  wie  sie  wohl  auch  in  got.  hrük 
^Hahnenschrei'  gegenüber  altu.  hrökr  ,Seerabc',  agls.  hröc  ,Mandel- 
krähe',  ahd.  hruoh  ,Krähe',  griech.  KpdZw,  KpujZw  vorliegt  (vgl.  noch 
nhd.  krähen  :  krähe,  engl,  crotr). 

Dunkle  Ausdrücke  sind  das  gemeinkeltische  *j(iro-,  nltkymr.  iar  etc., 
lit.  wisztä  und  altpr.  gertis,  gerto  (lit.  geriet  , Kranich'?).  Vgl.  noch 
bei  Miklosich  Et.  W.  die  Sippe  von  slavisch  pilft,  das  aber  auch  für 
junge  Enten  'und  Ganse  gilt. 

Im  übrigen  sind  für  die  Geschichte  des  Haushahns  in  Italien  und 
dem  übrigen  Europa  noch  folgende  Momente  hervorzuheben.  Die 
ältesten  Hahnentypen  auf  Münzen  stammen  ans  Himcra  in  Sicilien 
und  gehören  dem  ersten  Viertel  des  V.  Jahrhunderts  v.  Chr.  an  (vgl. 
Imhoof-Blumer  und  0.  Keller  Tier-  und  Pflanzenbilder  8.  ;3o).  Kurze 
Zeit  nach  seinem  Erscheinen  im  Abendland  wird  also  das  Tier  von 
Griechenland  auch  nach  Sicilien  und  Italien  übergegangen  sein.  Ein 
genügender  Grund,  mit  F.  Marx  Die  Beziehungen  der  klassischen  Völker 
des  Altertums  zu  dem  keltisch-germanischen  Norden  i'Sonderabdr.  a.  d. 
Beilage  z.  Allgem.  Zeitung  1^97  Nr.  162  u.  1 B-S  S.  Hij  in  lat.  gallns 
den  ,Gallier'  zu  erblicken  (etwa  wie  griech.  ö  TTepaixö«;  öpvi<;)  und 
anzunehmen,  dass  „dieses  nützliche  Haustier  für  die  Römer  aus  dem 
Keltenlande  stamme",  ist  nicht  vorhanden. 

Hinsichtlich  der  Geschicke  des  Hanshahns  im  Norden  ist  daran  zu 
erinnern,  dass  die  kulturhistorische  Bedeutung  des  Tieres  eine  drei- 
fache ist  :  einmal  die  als  eines  Verk ündigers  des  Morgenl ichtes, 
nicht  hoch  genug  zu  schätzen  für  Zeiten,  in  denen  es  noch  keine  Uhren 
gab,  und  die  Nacht  voll  von  bösen  Geistern  gedacht  wurde  's.  u.  Tag 
zahlreiche  vom  Hahnenschrei  hergenommene  Bezeichnungen  für  be- 
stimmte Teile  der  Nacht ...  zweitens  die  des  Kämpfers,  der  in  künstlichen 
Hahnenspielen  die  Menge  belustigt,  und  drittens  die  des  Haustiers,  das 
mit  seinem  Fleische  und  seinen  Eiern  den  Menschen  nützt.  Von  der 
Bedeutung  des  Hahnes  als  Kämpfers  findet  sieh  im  Norden  keine  Spur, 
so  wichtig  sie  für  Griechen  und  Römer  gewesen  ist.  Hingegen  ist  es 
sehr  wahrscheinlich,  dass  der  Vogel  hier  Jahrhunderte  lang  als  Ver- 
kündiger des  Morgens  für  ein  ausschliesslich  heiliges  Tier  galt,  bis  er 
auch  des  Nutzens  wegen  gehalten  zu  werden  anfing. 

Für  die  keltischen  Britannier  s.  die  u.  Gans  mitgeteilte  Nachricht 
des  Caesar.  Bei  den  Germanen  ist  in  der  Völuspa  der  goldkammige 
Hahn  Symbol  des  Lichtes.  Hahn  und  Henne  werden  nach  des  Arabers 
Ilm  Fozlan  Bericht  von  den  heidnischen  Russen  als  Totenopfer  dar- 
gebracht. Verbote  des  Genusses  von  Hühnerfleisch  (s.  u.  Nahrung) 
ziehen  sich  durch  den  ganzen  Norden  Europas.  Vgl.  noch  Abraham 
Jakobsens  Bericht  Uber  die  Slavenlande  vom  Jahre  97;J  (Geschichts- 
schreiber der  deutschen  Vorzeit,  zweite  Gesamtausgabe  B.  ;13>,  wonach 
die  Slaven  damals  das  Essen  von  jungen  Hühnern  ^aus  Furcht  vor 
Krankheit"  vermieden. 


Digitized  by  Google 


Hahn,  Huhn  —  Halbedelsteine. 


325 


Hühner-  und  überhaupt  Geflügelzucht  von  einiger  volkswirt- 
schaftlichen Bedeutung  ist  im  Norden  wohl  erst  durch  römisches  Bei- 
spiel hervorgerufen  worden.  Zu  dieser  Annahme  wird  man  durch  eine 
Reihe  wichtiger  diesem  Gebiete  angehöriger  Entlehnungen  aus  lateinischem 
Sprachgebiet  geführt.  So  stammt  aus  lat.  pitttita  fpippita,  *pipita, 
*tippita):  ahd.  pfiff iz,  heneberg.  zipf  etc.,  bulg.  pipka,  cech.  tipec, 
russ.  tipunü,  lit.  pepulis  etc.  ,Pips',  eine  Hühnerkrankheit,  aus  lat. 
mütare :  ahd.  mmjjom,  agls.  mittian  ,mauseni',  aus  lat.  plthna :  ahd. 
pfitima,  agls.  phimfedere  (vgl.  auch  F.  Kluge  Et.  W.6  u.  pflücken 
und  Käfig:  ahd.  chevia  aus  lat.  cavea).  Auf  demselben  Wege,  wenn 
auch  erst  in  späterer  Zeit  (in  Deutschland  erst  nach  der  zweiten  Laut- 
verschiebung), hat  sich  der  Name  des  castrierten  Hahues,  des 
Kapaunes,  in  Europa  verbreitet,  der  als  capux,  später  capo,  capfrnis 
(griech.  Känwv)  zuerst  bei  Varro  De  re  rust.  III,  1)  (:  Capi  semitnares, 
qnod  Klint  castrati.  gallos  castrant,  ut  »int  capi,  candenti  ferro 
inurentes  ad  infima  crura,  usque  dum  rumpatur)  auftritt,  ungewisser 
Herkunft  (vgl.  got.  hamfs  .verstümmelt'?),  und  dann  in  zahlreiche  nörd- 
liche .Sprachen  (ahd.  kappo,  agls.  capün,  alb.  kapua  u.  s.  w.;  vgl. 
Pott  B.  z.  vergl.  Sprachf.  II,  200)  gewandert  ist.  —  Vgl.  vor  allem 
V.  Hehn  Kulturpflanzen  und  Haustiere'1  8.  314  ff.,  wo  auch  über 
das  Auftreten  des  Haushahus  in  Aegypten  und  Babylonicn  gehandelt 
ist,  und  (mehr  in  naturgeschichtlichcr  Beziehung)  E.  Hahn  Die  Haus- 
tiere 8.  291  ff.  8.  auch  n.  Viehzucht. 

Haitisch.  Aus  der  ursprünglich  ununterschiedenen  Masse  der 
KiVrea  (Homer;  ein  schon  vorhist.  Wort,  vgl.  lat.  squdtus,  squdtina) 
tritt  der  Hai  deutlicher  zuerst  bei  dem  Dichter  Archestratos  hervor, 
der  vor  Aristoteles  eine  gastronomische  Weltreise  machte,  und  auch 
ein  Rezept,  die  Bauehteile  des  Hais,  des  xotpxapia^  kuwv,  wörtlich 
,gefrässiger  Hund'  zu  bereiten,  aus  Torone  auf  der  Clialkidike  Über- 
liefert (vgl.  Athen.  VII,  p.  310).  Nach  dem  Glossographcu  Nicander 
(ibid.  VII,  p.  300;  wäre  mit  KCtpxapiaq  identisch  Xduia  und  tfKuXXa 
(CTKÜXaE  junges  Tier,  bes.  Hund  ).  Auch  die  Römer  haben  sehr  ver- 
schiedenartige Namen  für  haifischartige  Tiere  :  das  entlehnte  carcharus 
(Col.),  squdtina  (s.  o. squalus  (s.  u.  W  e  I  s),  musUla  nach  griech. 
YaXcös  und  canicula  nach  griech.  xapxapict^  kuwv.  Letztere  Bildung 
scheint  massgebend  für  die  übrigen,  jungen  Bezeichnungen  Europas  wie 
frz.  chien  de  la  mer,  it.  pesce-cane  u.  s.  w.  gewesen  zu  sein.  Nur  an 
den  nördlichen  Küsten  Europas  begegnen  wieder  eigentümliche, 
aber  dunkle  Namen:  so  engl,  shark,  altn.  hdr,  schwed.  haj  (unser 
„Hai",  das  C.  Gessner  noch  unbekannt  ist,  der  dafür  frasshund,  hund- 
fisch, mengl.  houndfish  bietet). 

Hain  heiliger,  s.  Tempel. 

Hakeupflug,  s.  Pflug. 

Halbedelsteine,  s.  Edelsteine. 


Digitized  by  Google 


326 


Halle  —  Hamster. 


Halle,  s.  Haus. 
Halsband,  s.  Schmuck. 
Hammel,  s.  Schaf. 

Hammer.  Steinerne  Hämmer  (von  Axt  und  15 e i  1  begrifflich 
nicht  immer  scheidbar "i,  teils  auf  das  sorgfältigste  hearbeitet,  teils  roh  und 
unbehauen,  mit  Stielloch  oder  ohne  eine  solches,  sind  ans  allen  Teilen 
Europas  so  häufig  ans  Licht  gekommen,  dass  es  besonderer  Belege 
für  diese  Erscheinung  nicht  bedarf.  Sic  dienten  offenbar  ebenso  als 
Waffen  wie  als  Werkze  uge,  und  in  ersterer  Beziehung  sowohl  im  Xah- 
kampf  wie  auch,  um  in  die  Ferne  geschleudert  zu  werden.  Eine  alte 
Bezeichnung  für  den  steinernen  Hammer  seheint  sich  in  dem  gemein- 
gerni.  ahd.  hamar  usw.  erhalten  zu  haben,  das  im  Altnordischen  noch 
die  Bedeutung  ,Fels,  Klippe'  aufweist  und  mit  altsl.  kameni  ,StehV 
genau  übereinstimmt.  Auch  dürfen  diese  beiden  Wörter  kaum  von  dem 
seit,  (iynan-  und  dem  griech.  <5kuwv  getrennt  werden,  die  dort  Indra, 
hier  Zeus  auf  die  Feinde  schleudert,  wie  der  skandinavische  Thor 
den  Hammer  (vgl.  in  lautl.  Beziehung  Bcchtel  Nachr.  d.  Ges.  d.  W.  z. 
Güttingen  1888  p.  402).  Die  Grundbedeutung  dieser  Sippe  war  eben 
,Stcin',  speciell  der  als  Hammer  gebrauchte.  Doch  macht  R.  Much 
Festgabe  für  Heinzel  1898  S.  232  wohl  mit  Recht  darauf  aufmerksam, 
dass  eine  derartige  Wortbildung  schwerlich  bis  in  die  Steinzeit  selbst 
zurückgehe,  in  der  sie,  da  alle  Waffen  ans  Stein  waren,  nichts  charak- 
teristisches gehabt  hätte.  Sic  würde  nach  ihm  der  Bronzezeit  ange- 
hören, in  die  der  Gebrauch  steinerner  Waffen  noch  vielfach  hineinragt. 

Eine  idg.  Gleichung,  zunächst  wohl  für  den  zum  Wurf  bestimmten 
Kriegshammer,  liegt  in  aw.  caku-  (vgl.  Geldner  K.  Z.  XXV,  531)  = 
altsl.  cekanü  ,Hammcr'  (Fick  Vergl.  W.  I4,  22)  vor.  Ausserdem  vergl. 
lat.  malleiiH  ~  altsl.  malj  ,Hammcr'  und  altsl.  mlatü  =  lat.  niartulus 
(aus  *nialtu-lun),  neben  dem  mlat.  martellits  (vgl.  auch  G.  Goetz 
Thesaurus  I,  H82)  liegt  (aus  *maU-eUus'u  «las  in  die  romanischen 
Sprachen  (frz.  marteau)  und  auch  ins  Keltische  (kambr.  morlhol, 
myrthicl,  vgl.  Zeuss  Gr.  Celt*  p.  149,  lOtfl)  übergegangen  ist. 

Am  längsten  hat  sich  der  steinerc,  dann  eißerne  Kriegshammer  bei 
Kelten  und  Germanen  erhalten  (vgl.  O'Curry  Manners  and  customs 
1  p.  CCCCLVH  f.). 

Einzel  sprach  Ii  eh:  griech.  o*<püpa  (:  aepupöv,  Knöchel  , Ferse'?;,  lat. 
marais,  gemeinkeit.  *ordo-s  (ir.  ordd,  kambr.  ord),  alle  dunkel, 
altsl.  ktjj  —  lit.  kügis,  altpr.  engis  (:  altsl.  kornti,  ahd.  houican'f).  — 
S.  u.  Waffen  und  u.  Werkzeuge. 

Hamster.  Das  heutige  Verbreitungsgebiet  des  gemeinen  Hamsters 
erstreckt  sich  von  den  Vogesen  und  den  östlichen  Teilen  Belgiens 
durch  Deutschland,  Oesterreich-Ungarn,  das  mittlere  und  südliche  Russ- 
land bis  in  das  südliche  Westsibirien  hinein.  In  dieser  Zone  ist  das 
Tier  schon  während  der  Quartär-  oder  Diluvialzeit  heimisch  gewesen. 


Digitized  by  Google 


Hamster  —  Handel. 


r>27 


ja,  es  hat  in  der  Pleistoeäuzeit  noch  eine  weitere  Verbreitung  nach 
Westen  und  Südwesten  gehabt.  Auch  aas  der  Zeit  des  germanischen 
Urwaldes  sind  zahlreiche  snbfossile  Reste  des  Hamsters  nachgewiesen 
worden  (vgl.  A.  Nehring  im  Jahrbuch  der  k.  k.  gcol.  Rcichsanstalt 
1893,  43.  Band,  2.  Heft  sowie  Tundren  nnd  Steppen  Berlin  1*90  S.  201). 
Mit  den  angeführten  Thatsachen  stimmt  es  überein,  dass  weder  ein 
griechischer,  noch  lateinischer,  noch  auch  keltischer  Name  des  Hamsters 
existiert,  dass  hingegen  im  Althochdeutschen,  A Itp renssisc hen, 
Litauischen  und  Slavischen  eigne,  wenn  auch  dunkle,  Namen  des 
Tieres  vorhanden  sind :  ahd.  hamttstro,  hamitstra,  altpr.  dntki*  oder  duckix 
(:  lett.  dükans  .braun'  ?),  lit.  balesas,  staras,  slav.  vhomjakfi.  In  ahd. 
hammtro  hat  man  eine  Entlehnung  aus  slav.  chomjakü,  bezüglich 
altsl.  chomixtarü  ,animal  cpioddam*  sehen  wollen.  Doch  ist  die  Be- 
deutung des  deutschen  Wortes  in  älterer  Zeit  ausschliesslich  .curculio', 
,Kornwnrm\  die  erst  später  (nachweisbar  seit  dem  XIII.  Jahrb.;  vgl. 
Palander  Althochd.  Tiernamen  S.  75)  auf  den  Hamster  übertragen 
wurde,  wahrscheinlich,  als  derselbe  mit  zunehmendem  Ackerbau  mehr 
und  mehr  an  Bedeutung  gewann.  Vgl.  noch  den  frz.  Ausdruck  mar- 
motte  d'AIlemagne.  —  S.  auch  n.  Dachs. 

Handel.  Schon  in  der  idg.  Ursprache  waren  die  G  rund  begriffe 
des  Handels  sprachlich  fixiert.  Das  idg.  Wort  für  den  Kaufpreis 
liegt  in  der  Reihe:  sert.  vasnri-  (vasnay  »feilschen'),  griech.  uivoq 
(üjveouai  , kaufe"',  armen,  gin  (gnem  .kaufe  ),  lat.  *vemtm  in  venire, 
vtnumdare  ,vcrkauft  werden*,  ,verkaufen*.  Altsl.  veno  , Mitgift'  ist 
wahrscheinlich  hiervon  zu  trennen  und  mit  griech.  fe'bvov  (s.  u.  Braut- 
kauf) zu  verbinden;  doch  bedeutet  altsl.  veniti  nur  ,vendcre".  Auch 
ein  einheitlicher  Wertmesser  hatte  sich  in  Gestalt  der  Herdentiere,  vor 
allem  der  Milchkuh  (s.  u.  Geld],  bereits  herausgebildet.  Mit  Hilfe 
eines  solchen  etwas  erwerben,  etwas  .kaufen'  wird  durch  die  Reihe: 
Bert,  krinä'mi,  npers.  .ciridan,  griech.  TTpia<J8m,  ir.  crenim,  altruss. 
krfnuti  (lit.  krieno  ,pretium  pro  sponsis')  ausgedrückt.  Für  den  Begriff 
des  Tausches  besteht  die  Gleichung:  seit,  mayate,  lit.  mainat,  altsl. 
merw,  Tausch,  lat.  münwt  , (Gegen tgabe'. 

Die  Handelsgeschäfte  der  Urzeit  werden  vornehmlich  zwischen  Mit- 
gliedern des  eigenen  Stammes  oder  denen  befreundeter  Stämme  ver- 
laufen sein.  Der  Fremde  gilt  nach  den  Ausführungen  u.  Gastfreund- 
schaft noch  als  Feind,  «lern  man  sich  nicht  gefahrlos  nahen  kann. 
Gleichwohl  ist  auch  auf  dieser  Kulturstufe  —  ein  Beweis  dafür,  wie 
das  Handclsbedürfnis  der  Menschen  alle  Schranken  überspringt  —  ein 
Weg  des  Handelsverkehrs  in  dem  sogenannten  stummen  Tausch- 
handel vorgezeichnet,  der  von  zahlreichen  Völkern  des  Altertums  wie 
der  Neuzeit  Uberliefert  (vgl.  Vf.  Handelsgeschichte  und  Warenkunde 
I,  1 1 1,  darin  besteht,  „dass  die  eine  Partei  an  einem  dazu  bestimmten 
Orte  ihre  Waren  niederlegt  und  sich  in  ihr  Versteck  zurückzieht,  wo- 


Digitized  by  Google 


328 


Handel. 


rauf  der  Käufer  erscheint,  um  sein  Äquivalent  neben  den  ausgestellten 
Waren  auszubreiten  und  sich  ebenfalls  schleunigst  zu  entfernen.  Werden 
diese  Waren  abgeholt,  so  ist  der  Kauf  geschlossen,  wo  nicht,  so  pflegt 
der  Käufer  solange  an  Handelsgütern  zuzulegen,  bis  sich  die  Gegen- 
partei durch  Ansichnahmc  derselben  befriedigt  erklärt."  Man  kann 
sich  den  ältesten  Handelsverkehr  Europas  in  dieser  Weise  verlaufen 
denken,  so  dass  gewisse  Handelsgüter  auch  durch  tütlich  verfeindete 
Stämme  sich  Bahn  brechen  konnten.  Weite  Handelszüge  ganzer 
Stämme,  wie  wir  sie  später  etwa  bei  den  Küssen  finden  (vgl.  Vf. 
a.  a.  O.  S.  94)  oder  Handelsreisen  einzelner,  die  schon  das  Gewerbe 
des  Kaufmanns  (s.  d.i  voraussetzen,  dürften  erst  für  spätere  Kultur- 
stufen anzunehmen  sein. 

Auch  die  archäologische  Forschung  führt  die  Ursprünge  des  Han- 
dels bis  tief  in  die  ueolithische  Zeit  zurück.  Besonders  hat  neuerdings 
A.  Goetze  in  einem  Aufsatz  über  neolithischen  Handel  (Festschrift  für 
Bastian  S.  339  ff.)  nachzuweisen  versucht,  dass  schon  damals  thürin- 
gische Steinartefakte  und  Thonwaren  verschiedener  Art  sich  hauptsächlich 
in  nördlicher,  und  umgekehrt  Rttgensebe  Feuerstein  waren  etc.  sich  in 
südlicher  Richtung  auf  dem  Wege  des  Handels  verbreitet  hatten,  Kbcnso 
ist  das  Rohmaterial  für  Feuersteinwerkeuge  und  sind  die  wertvollsten 
Steinsorten  des  Nephrit  und  Jadeit  oft  weithin  ausgeführt  worden 
(vgl.  Hörnes  Urgeschichte  der  bildenden  Kunst  S.  123 1.  Auch  nor- 
discher Bernstein  kommt,  wenn  auch  spärlich,  bereits  in  der  Steinzeit 
am  Bodensec  und  in  der  Schweiz  vor,  und  in  noch  höhcrem  Grad 
sind  dem  Schmucke  dienende  Muscheln  frühzeitig  Gegenstände  des 
Handels  gewesen  (vgl.  Vf.  a.  a.  0.  S.  66).  An  diese  eommerciellcn 
Beziehungen  der  Steinzeit  dürfte  dann  mit  dem  Auftreten  der  Metalle, 
zunächst  des  Erzes  und  Goldes  (s.  s.  d.  d.),  ein  immer  intensiverer 
Handelsverkehr  angeknüpft  haben,  der  die  Verwandlung  der  urzeit- 
lichen  d£tvia,  wenigstens  an  gewissen  Mittelpunkten  des  Warenaus- 
tausches, in  die  eüEtvict  spaterer  Zeiten,  zur  Folge  hatte,  wie  sie  die 
klassischen  Völker  bei  ihrem  Erscheinen  im  Norden  vorfanden.  Im 
Ganzen  aber  ist  die  Geschichte  des  Handels  in  vorhistorischen  Zeiten 
noch  eine  grosse  terra  incognita.  Nicht  daran  ist  zu  zweifeln, 
dass  ein  solcher  Handelsverkehr,  und  zwar  in  ausgedehntem  Masse, 
wirklich  stattfand  (s.  z.  B.  u.  Bernstein,  Erz  u.  s.  w.),  auch  nicht 
daran,  dass  in  seinem  Geleite  zahlreiche  Vorstellungen,  Sitten  und  Ge- 
bräuche von  Volk  zu  Volk  wanderten  (s.  z.  B.  u.  Bestattung,  Haar- 
tracht, Zahlen  u.  s.  w.i.  Aber  wie  man  sich  diesen  Handel  in  der 
ältesten  Zeit,  und  von  wem  ausgeübt  zu  denken  hat,  sind  Fragen, 
die  sich  noch  nicht  mit  annähernder  Sicherheit  beantworten  lassen. 

Auch  in  der  Sprache  treten  die  Begriffe  des  Handels  und  Wan- 
dels nun  in  immer  engerer  Verbindung  auf.  Von  besonderer  Häufigkeit 
sind  die  Bildungen  der  Wurzel  per,  prr,  die  der  Bezeichnung  des  Handels 


Digitized  by  Google 


Handel. 


329 


in  griech.  rapdtw,  7T€pvn.ui,  ttittpokTkuu  »verkaufe',  ir.  renim  aus  *pernim 
,kaufe',  lit.  pirkti  .kaufen'  (vgl.  griech.  Trpnaöuj  aus  *Trpn.K-juj  .durch- 
reise', TTpf|Ei?  .Handel  ),  der  des  Wandels  in  griech.  rapduj,  altsl.  perq 
,fahre',  got.  faran  etc.  dienen.  Vgl.  auch  sert.  pan  aus  *par-n  .kaufen' 
:  par,  pfparti  »hinüberführen'.  Dasselbe  Bedeutungsverhältnis  kehrt 
oft  wieder.  So  in  lit.  teereziü  (lat.  verto)  , wende',  icercziüs  , wende 
mich',  ,vcrkclire  im  Handel',  griech.  TTt'Xuu,  7reXouai  ,sich  bewegen', 
iruuXeouai  .verkehre',  ^uttoXuuu  »kaufe  ein',  muXe'w  (naehhom.)  »verkaufe', 
ahd.  icantalon  .verändern,  verwandeln',  wantala  .negotium',  icantalöd 
,vendit',  ttuandelunga  .commercium'  u.  a.  Es  steht  demnach  kaum  etwas 
im  Wege,  das  gemeingerm.  got.  bugjan  (für  dtopdCeiv  und  rcujXeiv).  agls. 
bt/egan,  nlts.  buggian  »handeln,  kaufen'  als  eine  Abzweigung  von  got. 
biugan  .biegen'  (sert.  bhitj  »liegen',  griech.  q>€u-fu>  .gehe  ausser 
Landes',  lat.  fugio,  »fliehe',  agls.  bügan  id.)  aufzufassen.  Jedenfalls 
ist  eine  bessere  Erklärung  noch  nicht  gefunden.  Andere  Bezeichnungen 
des  Kaufes  und  Verkaufs  sind  aus  allgemeineren  Conceptionen  hervor- 
gegangen, wie  der  des  Gehens  (lit.  pardüti  »verkaufen',  altsl.  prodati, 
griech.  (iTTobiboo"6cu  id.),  des  Nehmens  (lat.  emo  »kaufe":  got.  nima, 
lit.  imü  etc.),  des  Anbietens  (agls.  seUnn  »verkaufen",  altn.  selja, 
sal  »Übergabe  »Verkauf  :  lit.  miau,  sitlyti  »darbieten'). 

Noch  nicht  sicher  erklärt  ist  die  wichtige  Sippe  von  lat.  merx 
,Ware',  merairi  »kaufen',  mercatua  »Markt",  mercator  , Kaufmann', 
commercium  »Handel*,  Mercurius  , Handelsgott'.  Man  stellt  merx, 
merces  entweder  zu  griech.  u&ptttw  »fasse  an'  oder  zu  lat.  mereo 
»verdiene'  und  deutet  die  Ware  als  die  .angefasste'  oder  die  .ver- 
dienende', Erklärungen,  die  in  keiner  Beziehung  etwas  einleuchtendes 
oder  wahrscheinliches  haben.  Schon  Handelsgeschiehte  und  Waren- 
kunde I,  75  ist  daher,  in  Analogie  zu  der  Entwicklung  der  lat.  Wörter 
für  Geld  (peeänia)  und  Eigentum  (pecölium)  aus  dein  Worte  für  Vieh 
(pecus),  lat.  Hierein  zu  der  keltisch-germanischen  Benennung  des  Pferdes, 
bezüglich  der  Stute  :  gall.  marka,  ir.  marc,  ahd.  marha,  meriha 
(*merk-  :  mfk  )  gestellt  worden,  so  dass  die  Ware  a  potiori  nach  einem 
hervorragenden  Handelsgut  benannt  wäre.  Thatsächlich  bedeutet 
ahd.  marha  in  seiner  osteuropäischen  Entlehnung  schlecht- 
weg , Ware'  (nsl.  mrha  .pecus,  armeiitum,  merx',  rum.  marvü,  marfü 
,inerx',  magyar.  marha  ,tncrx>.  Vgl.  auch  Lex  Fris.  (W.)  Add.  tit. 
11  :  equam  vel  quttmlibet  aliam  pecuniam  (s  u.  Geld). 

Im  weiteren  Verlauf  der  Handelsgeschiehte  steigen,  die  alten  Ter- 
mini verdrängend,  neue  Ausdrücke  für  die  Begriffe  Kaufen  und  Ver- 
kaufen etc.  gern  empor.  Besonders  deutlich  lässt  sich  dies  auf  roma- 
nischem Boden  verfolgen,  wo  die  alten  entere  »kaufen'  und  «olcere 
»bezahlen'  erloschen  und  dafür  ad-captare  (fr/.,  acheter)  und  pacare 
(frz.  pager)  eingetreten  sind.  Vgl.  auch  lat.  abletare,  woraus  alb.  bVeti 
,kanfe".  —  Weiteres  zur  Geschichte  des  Handels  und  Verkehrs  s.  u.  Ab- 


Digitized  by  Google 


SM) 


Handel  —  Hanl. 


graben  (Zoll),  Dolmetscher,  Gastfreundschaft,  Gasthaus,  Geld, 
Kaufmann,  Markt,  Mass  (Messern,  Post,  Schiffahrt,  Wage 
und  Gewicht,  Wagen.  Vgl.  im  allgemeinen  Vf.  Handelsg.  und 
W.-K.  I  und  Goldschmidt  Handh.  des  Handelsrechts 3  1,  1  S.  14  ff. 

Handergreifhng  der  Braut,  s.  Heirat. 

Handmühle,  s.  Mahlen,  Mühle. 

Handschuh.  Für  diesen  Begriff  fehlt  es  an  einer  vorhistorischen 
Benennung,  während  eine  solche  für  den  der  Schuhe  (s.  d.)  vorhan- 
den war.  Griechen  und  Körner  trugen  nur  ausnahmsweis  Handschuhe 
(X€»pibe<;,  manicae),  weshalb  ihnen  der  regelmässige  Gebrauch  der  Winter- 
handschuhe  bei  den  Persern  (vgl.  Xen.  Cyrop.  VIII,  8,  17)  auffiel. 

Über  die  europäischen  Nordvölker  fehlt  es  in  dieser  Beziehung 
an  alten  Nachrichten.  Auch  vermisst  mau  einen  gemeingermanischen, 
-keltischen  oder  -slavischcn  Ausdruck  für  dieses  Kleidungsstück, 
das  daher  erst  verhältnismässig  spät  bekannt  geworden  sein  wird. 
Mehrere  alte  Namen  für  dasselbe  wurzeln  in  den  nordgermanisch  en 
Sprachen.  So  altn.  riittr  ans  *cantuzy  das  sowohl  in  das  Finnische 
(tanttu)  wie  auch  ins  Mittellateinisehe  {vantux)  und  Romanische  {frz. 
gant,  it.  guanto)  entlehnt  wurde.  Schon  im  Beowulf  begegnet  ferner 
agls.  glöf,  engl,  gloie  (hieraus  altn.  glofor)  aus  *ge-1öfa  (?)  von  got.  lO/'a 
,Hand'  und  wohl  auch  , Handschuh'  (altsp.  lua,  ptg.  luca  , Handschuh  ). 
Im  Mittelalter  ist  dann  das  Kleidungsstück  (wantus,  chirothfea >  ein 
wichtiges  Symbol  bei  Rechtsgeschäften  gewordeu.  Mit  dem  darge- 
reichten oder  hingeworfenen  Handschuh  (ahd.  hantseuoft)  werden  Güter 
übergeben,  spricht  der  König  den  Bann  aus,  wird  Fehde  angekündigt, 
werden  allerhand  Gewalten  übertragen  u.  s.  w.  (vgl.  J.  Grimm  R.-A. 
S.  Iö2ff).  Eine  zweifache  Art  von  Handschuhen,  Sommer-  und  Winter- 
handschuhe,  werden  schon  in  einer  Kleidcrordnung  für  die  Mönche 
vom  Jahre  817  i  vgl.  Beckmann  Bey träge  V,  69)  unterschieden  :  Abbas 

procidmt,  ut  unusquixque  tuonachontm  habeat  icantox  (s.  o.) 

in  aestate,  muffulas  in  hieme  cercecina*.  Es  ist  an  dieser  Stelle, 
dass  unser  seiner  Herkunft  nach  noch  dunkle  Wort  muff'  (frz.  moufie 
,Fan*thandschuh')  zuerst  begegnet.  Vgl.  noch  ir.  Idmann  ,a  glove'  von 
him  ,Hand'  (*ldp-ma  :  got.  löfa,  russ.  etc.  lapa),  lit.  pirsztin?  :  pirsz- 
tas  , Finger'  und  russ.  perctttJca  :  perstü  id.  —  S.  u.  Kleid  u  n  g. 

Handwerk,  s.  Gewerbe. 

Hanf.  Cannabis  satten  L.  findet  sich  wildwachsend  südlich  vom 
kaspischen  Meer,  in  Mittel-  und  Südrussland,  sowie  in  Sibirien  vom 
Cral  bis  Daunen  (nach  A.  Engler  hei  V.  Hehn  s.  u.). 

Iu  Europa  ist  weder  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  noch  in  denen 
der  Poebne  noch  sonst  in  vorhistorischen  Schichten  Hanf  neben  dem 
reichlich  daselbst  nachgewiesenen  Flachs  (s.d.)  gefunden  worden. 
Seine  erste  Erwähnung  geschieht  durch  Herodot  IV,  74,  75:  „Der 
Hanf  wächst  wild  und  angebaut  (auToudTn,  Kai  aratpo.uevn.)  im  Lande 


Digitized  by  Google 


Hanf. 


331 


der  Skythen.  Die  Thraker  weben  aus  ihm  Stoffe,  die  den  linnenen 
zum  Verwechseln  ähnlich  sehn.  Die  Skythen  aber,  die  sieh  niemals  mit 
Wasser  waschen,  baden  und  berauschen  sieh  mit  dem  Dampf  des  Hanf- 
samens, der  auf  glühenden  Steinen  erhitzt  wird*  (s.  auch  u.  Bad). 
An  dieser  Stelle  wird  auch  das  Wort  Kdvvußtq,  das  aus  dem  Griechischen 
ins  Lateinische  {cannabis,  zuerst  bei  Lucilius)  Überging,  zum  ersten 
Male  erwiihnt  (vgl.  daneben  noch  Sophokles  Frgm.  231  ed.  Dindorf: 
xäwaßtt  :  I.  Gauvipa).  Über  die  Verbreitung  der  Hanfkultur  selbst  im 
südlichen  Europa  wissen  wir  wenig;  doch  seheint  dieselbe  schon  im 
Ausgang  des  III.  Jahrhunderts  v.  Chr.  in  Gallien  an  der  Rhone  ge- 
blüht zu  haben,  da  von  dort  Ilicro  II  von  Syrakus  den  Hanf  zu  seinem 
bei  Athenäns  beschriebenen  Frachtschiff  bezog  (Athen.  V,  p.  206). 
Varro  und  Columclla  kennen  den  Hanf  als  Kulturpflanze  auf  Feldern. 

In  Nordeuropa  heisst  der  Hanf  x\\u\.hanaf,  agls.  luvne.p,  altn.  hanpr, 
altsl.  konoplja,  lit.  kamlpes.  altpr.  kuapios.  Man  ist  darüber  einig, 
dass  diese  Formen  nicht  auf  Entlehnung  aus  dem  gricch.-lat.  KÜvvaßn;  — 
cannabi*  beruhen  können,  weil  Entlehnungen  ans  den  klassischen 
Sprachen  im  Germanischen  sonst  keine  Spuren  der  ersten  Lautver- 
schiebung zeigen.  Vielmehr  ist  es  wahrscheinlich,  dass  die  nord- 
europäische Sippe  zusammen  mit  der  griechisch-lateinischen  auf  eine 
gemeinsame  osteuropäische  Quelle  zurückgeht,  deren  einfachste  Form 
im  tferemissischen  kene,  knie  .Hanf  vorliegt.  Auch  der  zweite  Bestand- 
teil des  gricch.-lat.  Kavva-ßiq,  neben  dem  wahrscheinlich  ein  *Kavva-Tn<;, 
cannapi*  (it.  canape,  rura.  ettnapa,  alb.  kanrp,  krrp)  bestand,  findet 
vielleicht  so  seine  Erklärung,  insofern  -ßu;.  -m?  der  syrjänisehen  und 
wotjakischen  Benennung  des  Hanfes,  eigentlich  der  Nessel,  pis,  pus 
entsprechen  könnte.  Griech.-thrak.  Kdvvaßn;  würde  dann  etwa  soviel 
wie  »Haufnessel'  sein.  Vgl.  in  diesem  Zusammenhang  auch  die  merk- 
würdige Glosse  bei  Wright-Wüleker  Agls.  a.  0.  E.  Voeabularics  I, 
198":  cannabum  hwnep  rel  pis  (oder  für  (canna)pi#? ').  Nahe 
jenem  ceremissischen  ketie,  knie  scheinen  auch  die  turko^ tatarischen 
Namen  des  Hanfes  kendir  (cuvasch.  kan-dyr)  zu  liegen. 

Direkte  Nachrichten  über  Hanfbau  im  europäischen  Norden  sind 
jungen  Datums:  Bischof  Otto  von  Bamberg  fand  ihn  bei  den  heid- 
nischen Slaven  in  Pommern,  und  Karl  der  Grosse  schrieb  in  seinem 
Capitularc  de  villis  62  den  Anbau  von  canara  auf  seinen  Landgütern 
vor.  —  Überblickt  man  die  mitgeteilten  Tbatsachen,  so  dürfte  feststellen, 
dass  der  Hanf  nicht,  wie  der  Flachs  (s.  d.),  zu  der  ältesten  Schicht 
europäischer  Kulturpflanzen  gehört,  dass  seine  Einführung  im  Norden 
Europas  andererseits  aber  auch  nicht  erst  der  Berührung  desselben  mit 
dem  klassischen  Süden  zu  verdanken  ist.  Der  Hanf  ist  ebenso  wie 
der  Roggen  (s.  d.)  dem  aegyptisch-semitischen  Kulturkreis  fremd 
und  wahrscheinlich  wie  dieser  auf  dem  gleichen  Kulturweg  von  Thrakien 
her  den  germanisch-slaviseh-Iitauisehen  Stämmen  zugeführt  worden. 


Digitized  by  Google 


332 


Hanf  —  Hürnig. 


Doch  muss  die  Übernahme  des  Wortes  für  Hanf  seitens  der  Germanen 
vor  oder  während  der  ersten  Lautverschiebung,  des  Wortes  für 
Roggen  nach  derselben  erfolgt  sein  (vgl.  altn.  hanpr  aus  grieeh.- 
thrak.  Kdvvaßi?  gegenüber  riigr  aus  gricch.-thrak.  ßpiZa,  *crugja). 
Erst  auf  späten  römischen  Einflüssen  beruhen  die  deutsch-mundartlichen 
Ausdrücke  feinden,  femmel,  fimme,  fimmel,  ndl.  fimel  aus  lat.  femella 
(in  Wirklichkeit  aber  die  männliche  Pflanze)  und  mäsch.  mesch  aus 
lat.  masculus  in  Wirklichkeit  aber  die  weibliche  Pflanze.  Vgl.  noch 
ndl.  kennep  .Hanf  aus  cannabis  >  Mischform  mit  henne.p)  und  den 
sonderbaren  mlat.  Namen  des  Hanfes  agrhiM,agre  =  griceli.  orrptoc  ,wild' 
(v.  Fischer-Benzon  Altd.  Garten«.  S.  M,  G.  Goctz  Thesaurus  I,  174j. 

Schliesslich  bedürfen  noch  die  a  r  i  s  c  Ii  c  n  Hanfnamen  einer  kurzen 
Erörterung;  denn  es  scheint,  dass  auch  der  indische  Xame  des  Hanfes, 
seit,  canä-  an  die  oben  besprochene  Gruppe  von  ceremissiseh  kene  etc. 
anzuknüpfen  ist,  indem  der  Anlaut  des  fremden  Wortes  hier  als  pala- 
tales  k  gehört  wurde.  Dann  lässt  sich  mit  sert.  qatui-  auch  der  osse- 
tische Xame  des  Weines  snn  vereinigen,  wenn  man  bedenkt,  dass  auf 
iranischskythischein  Hoden  der  Hanfrausch  dem  Weinrausch  zuvorging. 
Jedenfalls  ist  die  Bekanntschaft  mit  dem  Hanf  und  seiner  narkotischen 
Wirkung  bei  den  arischen  Indogermancn  sehr  alt,  wie  die  Reihe  seit. 
bhafigd  ,Hanf ,  ,ein  aus  Hanfsamen  bereitetes  Berausehungsmitter,  aw. 
baiiha-  ,ein  Xarcoticum*  (npers.  meng  ,Hanf,  afgh.  bang  desgl.)  zeigt. 
Wahrscheinlich  ist  dieser  Ausdruck  (vgl.  russ.  penka,  poln.  pienka  etc.) 
in  die  slavisehcn  Sprachen  entlehnt  worden.  Armen,  kanap,  kanep, 
npers.  kanab  gehören  natürlich  ebenfalls  zu  Kawaßi?;  <loch  weiss  man 
nicht,  aus  welcher  Sprache  sie  zunächst  stammen.  —  Vgl.  V.  Hehn 
Kulturpflanzen 6  S.  1*6  ff.  und  G.  Buschan  Vorgeschichtliche  Botanik 
S.  115  ff.  S.  auch  u.  Ackerbau  und  u.  Gewebestoffe. 
Halligen,  s.  Strafe. 

Harfe,  s.  Musikalische  I  n  s  t  r  n  m  e  n  t  e. 

Häring.  Der  zu  gewissen  Zeiten  aus  den  Tiefen  des  Atlantischen 
Occans  aufsteigende  und  in  ungeheuren  Scharen  den  Küsten  von 
Irland,  Schottland  und  Norwegen,  mit  geringerer  Rcgelmässigkeit  auch 
der  Mündung  der  Elbe,  sowie  der  deutschen  und  schwedischen  Ostsce- 
küste  zusteuernde  Fisch  muss  frühzeitig  den  keltischen  und  germa- 
nischen Kü8tenstämmen  bekannt  gewesen  sein.  In  der  That  finden  sich 
hier  überall  alte  Namen  des  Hürnigs.  Von  besonderem  Interesse  ist  eine 
bis  jetzt  wenig  beachtete  Sippe :  ir.  »catan  (Corui.),  sgadan  gl.  allcc 
(bei  Stokes  Irish  gl.  1*67,  vgl.  auch  Zeuss  Gr.  Celt.  *  p.  776),  nir. 
sgadan,  manx  skeddan,  kyiur.  ysgadan  ,herring',  agls.  aceadd,  engl. 
shad,  norw.  skadd,  nhd.  muudarti.i  schade,  schaden.  Die  feste  Be- 
deutung dieser  Wörter  in  den  keltischen  Sprachen  ist  also  Häring, 
da  auch  allec  im  mittelalterlichen  Latein  nichts  anderes  als  «Uesen 
Fisch  bezeichnet.   Agls.  sceadd  kommt  nach  Bosworth  (An  Anglo-Sax. 


Digitized  by  Google 


Häring. 


333 


Dict.  •)  nur  einmal  vor,  und  es  ist  nicht  sicher,  oh  sceadd  an  dieser 
Stelle  den  Maring  bedeutet.  Engl,  shad  jedenfalls  ist  nicht  der  eigent- 
liche Maring  Cliipea  harengus),  sondern  der  diesem  nah  verwandte, 
ihm  zum  verwechseln  ähnliche  und  im  Englischen  (vgl.  Nemnich  s.  v. 
Clupea  alosa)  geradezu  mother  of  her  rings  genannte  Mai  fisch.  Den- 
selben Fisch  meint  auch  das  deutsche,  von  Niederdeutschland  ausgehende 
schade,  schaden,  während  norw.  skadd  für  einen  kleinen  der  Familie 
der  Lachse  ungehörigen  Fisch,  Sahno  lararetns,  gilt. 

Dass  die  hier  aufgezählten  Benennungen  des  Marings  oder  eines 
häringartigen  Fisches  etymologisch  zusammenhängen,  ist  einleuchtend. 
Sehr  schwierig  aber  ist  es,  das  historische  Verhältnis  der  einzelnen 
Glieder  dieser  Sippe  zu  einander  festzustellen.  Es  ist  wahrscheinlich, 
dass  ir.  scatan  :  kymr.  ysgadan  sich  verhält  wie  ir.  cretim  :  kymr. 
credit,  also  auf  ein  urkeltisehes  *svadd-,  idg.  scaddh-  zurückgeht.  Auf 
dieses  könnten  auch  die  germanischen  Formen  als  urverwandt  zurück- 
geführt werden;  doch  stände  auch  der  Annahme  ihrer  frühzeitigen 
Entlehnung  aus  dem  Keltischen  nichts  im  Wege.  Möglich  wäre  endlich, 
dass  wir  es  überhaupt  ursprünglich  weder  mit  einem  keltischen  noch 
germanischen  Worte  zu  thun  haben,  sondern  mit  einer  Erborgung  aus 
dem  Wortschätze  einer  vor-kelto  germanischen,  dem  Häringsfang  ob- 
liegenden Küstenbevölkerung,  etwa  jener  wilden  und  barbarischen 
Vorläufer  der  heutigen  holländischen  Märingstiscber  an  der  Hhein- 
mündung,  von  denen  Caesar  De  bell.  gall.  IV.  1<»  berichtet,  dass  sie 
piseibus  i  besonders  von  Märingen)  atque  ovis  ar'nun  rirere  e.rist'nnantur. 
In  Dänemark  sind  schon  in  den  Kjökkeumöddinger  überaus  häutig 
Gräten  vom  Maring  wie  von  Schollen.  Dorsch  und  Aal  >  nachgewiesen 
worden. 

Wie  sieh  nun  dies  auch  verhalten  möge,  in  hohem  Grade  wahr- 
scheinlich scheint  es.  dass  jenes  ir.  scatan,  agls.  sceadd  in  dem  zuerst 
von  Plinius  und  zwar  in  einer  doppelten  Sehreibung  überlieferten  Laud- 
schaftsnameu  Scatinaria  Mist.  nat.  IV,  9(i;  und  Ücadinaria  >  VIII,  '>9; 
vgl.  Müllenhoft'  D.  A.-K.  II,  M*>9  f.  erhalten  ist,  der  somit  als  „Märings- 
aue"  zu  deuten  wäre.  Dass  die  Namen  nördlicher  Eilande  oft  her- 
genommen sind  von  den  Produkten,  welche  sie  erzeugen,  beweisen  die 
Faröern  oder  Sehafinseln.  die  Fabariae  ( llaunmüa)  oder  Bohneninseln, 
die  Cassitcriden  oder  Zinninseln.  Neben  der  irischen  und  schottischen 
Küste  aber  gehört  Norwegen  seit  der  ältesten  Zeit  zu  den  ergiebigsten 
Fangplätzen  des  Marings.  Hier  und  in  Schonen  altn.  Skdney,  das 
bis  heute  das  alte  *Scadn-avia  treu  repräsentiert)  bildete  der  Häring 
schon  in  altnordischer  Zeit  den  bedeutendsten  Teil  der  Volksnahrung. 
So  stimmt  alles  zusammen,  um  die  Annahme,  dass  in  Skatinaria, 
Scadinavia  eine  Norwegen,  Schonen  und  auch  wobl  den  gegenüber- 
liegenden Teilen  Dänemarks  nach  dem  Hauptcrzcugnissc  ihrer  Küsten- 
striche gegebene  Benennung  keltisch-germanischer  Schiffer  vorliege, 


Digitized  by  Google 


33J 


Höring  —  Harnisch. 


die  ihre  Falliten  bis  dahin  ausdehnen  und  die  erste  Kunde  von  den 
genannten  Ländern  auch  den  Römern  vermitteln  mochten,  zu  einer 
wohl  begründeten  zu  machen.  Von  Interesse  in  diesem  Zusammenhang 
ist  auch  eine  Notiz  aus  dem  (Jermania-Commentar  von  Altliamer  Bren- 
tius  (lf>8<)}:  Hic  Codatms  (aus  *Scod-anus?)  sinus  (Plin.  IV,  96:  die 
Ostsee"'!  nobi*  haleces  largiiur,  ideo  quidam  hunc  den  Heringsee 
cognominarerunt  (andere  Deutungen  von  Scadinacia  vgl.  bei  Möllen- 
hoff a.  a.  <>.  II,  ;J67ff„  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altertum  XXXVI, 
125  ff.  und  Bugge  Beiträge  XXI,  424,  welcher  Scadinacia  als,  Hirtenau 
deutet,  von  einem  freilich  nicht  vorhandenen  germ.  *skaba-  Vieh'  = 
altsl.  skotü,  *skabana-  ,Hirt). 

Später  sind  auf  germanischem  Boden  zwei  weitere  Xamen  des  Härings 
hervorgetreten.  Einmal  das  westgermanische  ahd.  häring,  hering,  agls. 
hdsring.  Mau  hat  das  Wort  als  eine  Ableitung  von  ahd.  heri  ,Heer' 
fassen  wollen:  .der  in  Heerscharen  kommende  Fisch';  doch  passt 
diese  Deutung,  so  ansprechend  sie  sachlich  ist,  nicht  zu  den  über- 
wiegenden Formen  des  Wortes  mit  langem  Stammvocal  (hdring).  Eiuen 
ganz  andern  Namen  haben  die  Skandinavier  (altn.  sild),  der  auf  dem 
Wege  der  Entlehnung  weit  gegen  Osten  gewandert  ist  (russ.  selidi, 
seledka,  lit.  .silkt,  altpr.  sylecke,  tinn.  tili  etc.»,  somit  auf  einen  aus- 
gebreiteten Iläringshandel  hindeutend,  der  natürlich  auch  die  Bekannt- 
schaft mit  der  Eiusulzung  des  leicht  verderbenden  Fisches  voraussetzt. 
Auch  in  der  lateinisch-romanischen  Welt  begegnet  ziemlich  früh  die 
Bekanntschaft  mit  dem  nützlichen  Fisch  der  nördlichen  Meere.  Die 
romanischen  Sprachen  bieten  it.  aringa,  span.  arenque,  frz.  hareng. 
Ja,  vielleicht  ist  das  Wort  schon  in  dem  späteren  Latein  nachzuweisen. 
In  einem  dem  (Jargilius  Martialis  (um  240  n.  Chr.)  zugeschriebenen 
Bruchstück  Confectio  liquaminin,  quod  oenagrnnt  vocant  heisst  es 
gleich  im  Eingang:  Capivntur  pfoces  natura  pingues,  itt  tttint  nalmonen 
et  anguillae  et  alausae  et  mrdinae  rel  aringi  (Hermes  VIII,  226). 
Freilich  scheint  bei  einem  Schriftsteller  des  III.  Jahrhunderts  die 
Ignorierung  des  germanischen  Anlauts  h,  ch,  x  [aringua  :  haring  gegen- 
über Fällen  wie  Cherusci,  Chatti,  Chauci)  auffallend,  so  dass  die  Mög- 
lichkeit, die  Worte  rel  aringi  seien  ein  späterer  Zusatz,  nicht  ausge- 
schlossen ist. 

Die  mittelalterlichen  Quellen,  welche  über  den  etwa  seit  dem  Jahre 
1000  an  dem  Strande  der  Ostsee  in  grösserem  Massstabe  entwickelten 
Häringshandcl  berichten  (vgl.  V.  Hehn  Das  Salz  S.  67  ff.),  bedienen 
sich  zur  Bezeichnung  des  Fisches  durchweg  des  schon  oben  genannten 
lat.  Wortes  aller,  hallec,  das  ursprünglich  eine  Fischlake  bezeichnet 
(aus  griech.  öXuköv,  üXiköv  nach  Keller  Lat.  Volksetymologie  S.  79  ?). 
Natürlich  hat  dasselbe  nichts  mit  dem  deutscheu  hering  zu  thun.  — 
Vgl.  Vf.  Festgabe  für  Sievers  S.  1  ff.  S.  auch  u.  Fisch,  Fischfang. 
Harnisch,  s.  Panzer. 


Digitized  by  Google 


Hnrtrit'g«-!  —  Uusolmi.ss. 


335 


Hartriegel,  s.  Kornclkirschbaum. 

Hase.  Ein  schon  den  Indogerinanen  bekanntes  Tier,  wie  die 
Reihe  sert.  <;a(;a-,  Pamird.  süi,  afgh.  soi,  altpr.  sashis,  ahd.  haxo, 
kymr.  ceinach  zeigt.  Nimmt  man  an,  dass  das  sieh  s<>  ergehende  idg. 
*kaso-,  *kas-n-,  das  vielleicht  so  viel  wie  «1er  .graue'  (vgl.  agls.  hasu, 
lat.  canus  ,grau'i  bezeichnete,  schon  auf  Teilen  des  vorhistorischen 
Sprachgebiets  an  die  \\\  sert.  e«c  .springen'  (vgl.  seit.  <;a<;ä-)  angelehnt 
wurde,  so  wäre  auch  die  Heranziehung  des  kretischen  '  Hesyeh) 
KCKnv-a?'  Xarwoug  möglich  (anders  K.  Brugmnmi  Grundriss  I2,  2,  732;. 
Das  griech.  XaYUJi;  und  lat.  lepus  (sieil.  Xeiropic)  sind  noch  nicht  sicher 
erklärt.  Ersteres  könnte  zusammen  mit  Xeßripiq  , Kaninehen'  zu  Xoßoi 
,Ohrläppchen'.  lat.  legula  (attris)  desgl.,  ahd.  lappa  (?)  gehören.  S. 
frz.  lopin  \\.  Kaninchen  und  vgl.  korn.  scouarnor  .Hase'  —  uuritus. 
Anders  Hugge  B.  B.  XIV,  67  und  wieder  anders  Prellwitz  Et.  W. 
Altsl.  zqjqci  ,Hase'  r:  seit,  hü  ,eilen,  losspringen'  ?  daraus  lit.  zutki*) 
und  lit.  kiszkis  sied  dunkel. 

Der  Hase  ist  im  allgemeinen  ein  beliebtes  Jagd-  und  Speisetier. 
Doch  verbietet  Papst  Zacharias  den  Oenuss  seines  Fleisches  in  einem 
.Sendschreiben  an  Bonifaeius  vom  4.  Nov.  751  i Hehn  Kulturpflanzen'1 
S.  3Ü(K  Die  Spuren  gleicher  Scheu  vor  dem  Genuss  des  Tieres  be- 
gegnen schon  bei  den  Britannen  (Caesar  De  hello  gall.  V,  12),  bei 
denen  der  Hase  zusammen  mit  Gans  und  Huhn  zum  Vergnügen  ge- 
halten wurde.  Vgl.  dazu  die  Nachricht  von  der  britannischen  Königin 
Bunduika  bei  Dio  Cassius  (>2,  6 :  lauia  eiiroGaa  Xafibv  utv  €K  toö 
köXttou  iwie  ein  Schosshündchen  >  irpopKaTO  pavTcia  tivi  xpwpevn.,  Kai 
^TT€ibfi  dv  aiaiuj  aqncriv  £öpape.  tö  Tt  rcXfjeoq  träv  r\aQlv  äveßönae.  Sonst 
gilt  der  Angang  des  Hasen  in  der  Regel  für  Unglück  bedeutend  (vgl. 
P.  Sehwarz  Menschen  und  Tiere  im  Aberglauben  der  Griechen  und 
Römer  Progr.  Celle  1888  . 

Haselnuss.  Die  in  Europa  einheimische  Corylus  Avellana  L. 
weist  daselbst  einen  urverwandten  Namen  auf :  genieingerm.  ahd.  hasalf 
altn.  hasl,  lat.  condns,  ir.  coU  aus  *vosl.  Daneben  vgl.  die  Ent- 
sprechungen von  griech.  äpuor  tu  'HpaicXtumKÜ  Kdpua  (Bes.  s.  unten), 
alb.  an,  altsl.  orechü  ,Nuss'  (nach  G.  Meyer  Et.  W.  d.  alb.  Spr.  S.  17, 
anders  Miklosich  Et.  W.,  der  das  slavische  Wort  mit  altpr.  retiis,  lit. 
rexzutas  ,Haselnuss'  vergleicht)  und  alb.  l'aiQi,  altsl.  U:sha  (vgl. 
Koppen  Holzgewächse  II,  172),  lit.  lazdä  [Laxdona  ,avellanarum  deus), 
altpr.  Uhrde  ,Haselnuss'.  Auch  die  germano-keltische  Gleichung  ahd. 
nuz}  agls.  hnutu,  altn.  hnot  =  ir.  enii  wird  sieh  auf  die  Haselnuss 
bezogen  oder  sie  jedenfalls  mit  umfasst  haben. 

In  Griechenland  wird  die  Haselnuss  gegen  Süden  immer  seltner, 
woraus  es  sich  wohl  erklärt,  dass  die  Griechen  die  Nüsse  und  wohl 
auch  aufs  neue  den  Strauch  vom  Pontus  bezogen  und  ihn  'HpoucXemTitcri 
Kdpua  (beschrieben  von  Thcophrast  III,  14,  1,  3)  nannten.   Noch  heute 


Digitized  by  Google 


336 


Haselnus*  —  Hau«. 


kommen  in  Griechenland  die  meisten  Haselnüsse  ans  den  benachbarten 
Provinzen  der  Türkei  und  heissen  deshalb  cpouvTOUKia,  alb.  funduk' 
ans  türk.  fmdek,  das  seinerseits  aus  griech.  ttovtiköv,  mix  Pontica 
stammt  'vgl.  Heldreich  Nutzpflanzen  .S.  15). 

In  Italien  wurde  die  Haselnuss  in  besonderer  Güte  in  Abcila  in 
Campanien  's.  u.  Apfel)  gezogen  (Plin.  Hist.  nat.  XV,  88).  Da- 
her bei  den  Römern  der  Name  mix  Abellana,  Arellana  (it.  avellano, 
frz.  ateline).  Den  Anbau  solcher  acellanarii  in  Deutschland  befiehlt 
das  Capit.  de  villis  LXX,  82.  Nicht  unmöglich  ist,  dass  diese  Hasel- 
nüsse dem  entsprechen,  was  später  lampertsnuss,  lammertsnot,  lam- 
bertsnu**  ;Nüsse  aus  der  Lombardei'  (vgl.  Pritzel-Jesscn  Deutsehe  Volks- 
namen der  Pflanzen  S.  11T>)  =  Corylns  ma.rima  MdL  oder  C.  tubulosa 
Willd.  genannt  wird  (vgl.  v.  Fischer-Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  160). 
—  S.  u.  Wald,  Wald  bäume. 

Haube,  s.  Kopfbedeckung. 

Haus.  Schon  der  idg.  Urzeit  müssen  neben  unterirdischen 
Wohnungen  s.  d.)  auch  die  Anfänge  eines  oberirdischen  eigent- 
lichen Hans-  und  Huttenbaus  bekannt  gewesen  sein.  Der  idg.  Name 
des  Hauses  ist  in  der  Gleichung  sert.  damä-  =  griech.  böuo«;,  lat.  domus 
enthalten,  die  vollständig  u.  Familie  III  Die  Benennungen  der  idg. 
Familie)  angeführt  ist.  Ihre  Wurzel  liegt  wahrscheinlich  in  griech. 
btuuu  =  got.  timrjan  .bauen,  zimmern'  vor,  so  dass  von  einer  Grund- 
bedeutung ^gezimmertes'  oder  , Zimmerung'  auszugehn  ist.  Umgekehrt 
bezeichnet  griech.  oTko?,  ouaot  -  sert.  vtcii-  (s.  u.  Sippe)  zunächst  die 
Niederlassung  der  Menschen  und  dann  den  Wohnraum  einer  solchen. 
Unsicherer  als  diese  beiden  ist  die  Reibe  von  sert.  v/i'lä  , Hütte'  — - 
griech.  kciXiu,  lat.  cella,  altn.  hüll,  agls.  hettll,  mbd.  halle  :  lat.  celare, 
ahd.  tti'lan.  Auf  den  Norden  Kuropas  beschränkt  sich  ir.  both  , Hütte', 
mhd.  buode  desgl.  vgl.  altn.  btt,)  , Wohnung ,  .Hütte  ),  lit.  buta*  .Haus' 
:  got.  bauan,  ahd.  buan  ,wolnien\  wovon  auch  lit.  bttl.lä  =  altudd. 
boüal  etc.  , Wohnung'  und  ahd.  biir,  agls.  bt'n-  ,Hans'.  I  ber  griech. 
öT€fn.  lat.  tinjurium,  ir.  tech  .Hans'  s.  u.  Dach,  über  griech.  fiiTra  = 
altn.  ko/i,  mhd.  lobe  s.  n.  Unterirdische  Wohnungen.  Aus  den 
Einzelsprachen  seien  noch  genannt:  griech.  KaXüßn.  .Hütte'  :  KaXüirruu 
, verberge',  KXiain,  »cXiaiov.  «Xio-td?  desgl.  :  got.  Ideipra  ,Zelt,  Hütte' 
(auch  altsl.  Wn  .Haus'?!,  lat.  aede*.  eigentl.  , Feuerstätte'  sert.  idh 
,an/.ttnden',  s.  u.  Feuer),  <a.sa  , Hütte'  (dunkel).  Genicingerinanische 
Reihen  sind  got.  ynd-)hCts,  ahd.  litis  :  griech.  kcü0uj  , verberge'  in  das 
gemeinst  altsl.  diyzn  ,Haus'  entlehnt;  vgl.  auch  gemeinsl.  altsl.  chhim 
,StalF  aus  dem  Germanischen)  und  got.  razn.  altn.  rann  ,Haus',  agls. 
ratan  , Bretterdecke'.  Vgl.  auch  got.  yards  .Haus'  (s.  u.  Garten, 
Gartenbau)  und  altn.  kot,  kytja,  agls.  cot,  cote,  cyte,  ndd.  kote 
, Hütte'  (weiteres  bei  M.  Heyne  Das  deutsche  Wohnungswesen  S.  13  ff.). 
Mit  gleicher  Deutlichkeit  wie  die  Sprache,  weist  die  Überlieferung 


Digitized  by  Google 


Haus. 


337 


auf  die  frühzeitige  Bekanntschaft  der  Indogcrinnnen  mit  dem  Haus- 
oder  Hüttenbau  hin.  Ks  gicbt,  wenigstens  in  Europa,  kein  idg.  Volk, 
das  bei  dem  Anheben  der  geschichtlichen  Zeugnisse  sich  nicht  bereits 
daranf  verstünde,  den  Acker  zu  bauen  und  Häuser  zu  zimmern.  Hin- 
sichtlich der  Griechen  und  Römer,  der  Kelten  und  Germanen  (Tac. 
Cap.  16)  bedarf  dies  weiter  keiner  Belege.  Aber  auch  von  den  Slavcn, 
den  Veneti,  hebt  Tacitus  Germ.  Cap.  40  ausdrücklich  hervor :  ///  tarnen 
inter  Germanos  potins  refemntnr,  qnio  et  domo*  figunt  .  .  .  qttae 
omnia  dirersa  Farmatis  sunt  in  planst ro  equoqne  rirentibus. 

Schwieriger  ist  es,  sich  über  die  Gestalt  und  die  Beschaffen- 
heit der  ältesten  idg.  Hütten,  von  denen  bei  ihrer  selbstverständlich 
leichten  Bauart  kaum  irgend  welche  direkte  Spuren  auf  uns  gekommen 
sind,  bestimmte  Vorstellungen  zu  bilden.  Von  Wichtigkeit  hierfür  sind 
zunächst  die  sogenannten  H  a  u  s  u  r  n  e  n,  welche  namentlich  in  Italien, 
Deutschland  und  Dänemark  gefunden  worden  sind  (vgl.  über  dieselben 
Lisch  Jahrb.  d.  Vereins  für  Mecklenburg.  Geschichte  XXI,  249,  K.  Vir- 
chow  Über  die  Zeitbestimmung  der  italischen  und  deutschen  Haus- 
urnen, Sitzungsb.  d.  Ak.  d.  W.  z.  Berlin  1883  S.  100*,  K.  Henning 
Das  deutsche  Haus  Strassburg  1882  Nachtrag  S.  178  ff.).  Es  sind 
Thongefässc,  die  in  der  mehr  oder  weniger  deutlichen  Nachbildung 
eines  Hauses  dazu  bestimmt  waren,  Überreste  des  Leichenbrands  in  sich 
aufzunehmen.  Über  das  historische  Verhältnis  der  italischen  zu  den 
germanischen  Hausurnen  hat  man  verschiedene  Vermutungen  geäussert. 
Man  hat  für  die  letzteren  an  Einführung  aus  Italien  gedacht,  und  um- 
gekehrt bat  man  die  italischen  Denkmäler  (vgl.  namentlich  A.  Meitzen 
Das  deutsche  Haus  in  seinen  volkstümlichen  Formen  in  den  Verhandl. 
des  I.  deutschen  Geographentags  zu  Berlin  bis  in  die  Zeit  der  deutschen 
Völkerwanderung  hcrabrücken  wollen.  Am  wahrscheinlichsten  und 
gegenwärtig  am  meisten  durchgedrungen  erscheint  die  schon  von  Lisch 
geäusserte  Ausicht,  dnss  jene  Hausurneu  selbständige,  im  grossen  und 
ganzen  der  Bronzezeit  ungehörige  Schöpfungen  der  beiden  Völker 
darstellen,  welche  somit  vorzüglich  geeignet  sind,  eine  Vorstellung  von 
dem  idg.  Haus,  wenn  auch  nicht  in  der  ältesten,  so  doch  in  einer  ver- 
hältnismässig sehr  frühen  Kulturepoche  zu  gewähren. 

Eine  weitere  Quelle  uusercr  Kenntnis  des  ältesten  Wohnhauses  bildet 
die  vergleichende  Betrachtung  der  verschiedenen  Bauarten  der  idg. 
Stämme.  Eine  solche  ist  namentlich  von  R.  Henning  a.  a.  <  K  vorge- 
nommen worden.  Dabei  kommt  er  zu  dem  Ergebnis,  dass  das  nor- 
dische und  ostdeutsche,  also  das  ostgermanische  Bauernhaus  als  dem 
urgermaniseben  Haus  am  nächsten  stehend  betrachtet  werden  muss. 
„Die  einfachste  Gestalt  des  Haukes,  aus  der  sich  alle  anderen  ent- 
wickelt haben,  ist  ein  im  Innern  ungeteilter  Kaum  von  annähernd 
quadratischer  Form,  vor  dessen  Giebelseite  zum  Schutze  gegen  Wind 
und  Unwetter  noch  eine  Vorhalle  von  der  Breite  des  Hauses  sich 

Schräder.  Real  lex  Ikon. 


Digitized  by  Google 


338  Hans 

befindet."  „Treten  wir  durch  die  Vorhalle  hinein,  so  erblicken  wir 
eine  Stube,  die  ohne  weitere  Abteilung  von  der  einen  nackten  Holz- 
wand bis  zur  anderen,  von  der  Diele  bis  zum  Dachfirst  reicht.  Mitten 
auf  der  Diele  ist  die  ebenerdige  Feuerstätte,  nur  durch  eine  längliche 
Steinsetzling  eingehegt.  Über  dem  Feuer  hängt  der  grosse  Kessel  an 
einem  Seile,  das  von  einem  drehbaren  Gerüst  herabläuft.  Der  Rauch 
zieht  durch  eine  verschliessbare  Dachöffnung,  welche  nicht  nur  den 
Schornstein,  sondern  auch  die  Fenster  ersetzt,  so  dass  das  Tageslicht 
diesen  halbdunklen  Raum  nie  völlig  zu  durchdringen  vermag"  u.  s.  w. 
(Henning  S.  62  f.).  Diese  altgcrmanischc  Wohnstätte  mit  ihrer  Vor- 
halle und  ihrem  Herdraum  entspricht  nun  in  allem  wesentlichen  so  sehr 
dem  altgriechischen  Wohnhaus  mit  seinem  Trpöoouos  und  bonos  und 
ebenso  der  einfachsten  Gestaltung  des  altgriechischen  Tempels,  in  dem 
man  allgemeiu  die  Nachahmung  der  ältesten  Wohnung  erblickt,  mit  seinem 
vaÖ£  und  npövao^,  dass  Henning  a.  a.  0.  hierin  den  oder  wenigstens 
einen  Typus  des  europäisch-indogermanischen  Hauses  zu  erblicken  kein 
Bedenken  trägt.  In  der  Tliat  ist  die  angeführte  Ubereinstimmung  so 
gross,  dass  auch  Mcitzcn  r..  a.  0.  sie  auf  historischem  Zusammenhang 
beruhen  lässt,  wenngleich  er  diesen  Zusammenhang  durch  spätere  Ent- 
lehnung der  Ostgernianen  von  den  Griechen  zu  erklären  sucht,  wo- 
gegen Henning  a.  a.  0.  S.  176  begründete  Einwendungen  erhebt. 

Demnach  hätte  man  bei  der  Rekonstruetion  des  idg.  Hauses  von 
einer  Vorhalle  uuszugehn,  die  „anfänglich  gewiss  nur  ein  auf  Säulen 
ruhender  Vorsprung  des  Daches  war"  tzum  Schutz  gegen  die  Witterung). 
Eine  sichere  idg.  Bezeichnung  desselben  ist  allerdings  bis  jetzt  nicht 
nachweisbar  (urgerm.  got.  ubizva  ,o"Toä',  ahd.  obasa  ,ve8tibulum',  mhd. 
obese,  agls.  efes,  engl,  eaves  ^Dachtraufe',  altn.  up.s  ,Vorsprnng  am 
Daeh';  vgl.  auch  ahd.  louba  ,Schutzdach',  , Vorbau',  woraus  it.  loggia, 
in.  löge,  und  M.  Heyue  a.  a.  0.  S.  32  f.).  Doch  ist  es  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  dieselbe  in  der  auch  u.  T  h  ü  r  genannten  Gleichung 
sert.  ä'tä  jThürpfosten'  =  lat.  anta  mit  enthalten  ist.  Aus  derselben 
sind  altn.  Und  , Vorzimmer'  und  armen,  dr-and  idr-  aus  dur  /Thür') 
,ein  Raum  an  der  Schwelle'  (vgl.  in  der  armen.  Bibelübersetzung 
Richter  XIX,  26)  hervorgegangen.  Ein  temphtm  in  anüs  war  ein 
solcher  Tempel,  dessen  über  die  Thür  vorspringendes  Dach  auf  den 
verlängerten  Seitenwänden  ruhte,  zwischen  denen  sich  zuweilen  ein 
Sänlenpaar  befand.  Bemerkenswert  ist  auch,  dass  der  Begriff  des 
Pfostens  oder  der  Säule  sich  durch  mehrere  Gleichungen  als  indo- 
germanisch erweist.  Vgl.  sert.  xthA'nä,  aw.  stüna-  —  grieeh.  aeol. 
0TdX\o,  dor.  crrdXa,  att.  o"rr|Xn.,  ahd.  xtollo  aus  *xt(h)jl-nä  und  sert.  xvdrti- 
,Opferpfo8teu'  =  agls.  xicer  ,Säule'  {vielleicht  auch  grieeh.  kiwv  = 
annen.  siun  ,Säulc').  Endlich  zeigt  auch  wenigstens  ein  Exemplar 
der  Albanisehen  Hausurnen  (das  Berliner,  vgl.  Henning  a.  a.  0.  S.  181) 
„an  jeder  Seite  der  Thür  zwei  etwas  erhöhte  Rippen,  welche  (wie 


Digitized  by  Google 


Haus. 


339 


schon  Lisch  a.  o.  a.  0.  vermutete)  wohl  Pfeiler  zum  Tragen  eines  Vor- 
dachs bezeichnen",  und  ebenso  lassen  sich  an  den  gleich  weiter  zu 
nennenden  Barbarenhutten  der  Marcus-Säule  (vgl.  Tafel  XIV  und  dazu 
Petersen  S.  f>5)  gleichartige  Vorsprünge  des  Daches  nachweisen  (vgl. 
auch  0.  Montelius  a.  u.  a.  0.  S.  453). 

Aus  der  Vorhalle  gelangte  man  in  den  Herd  räum  (s.  u.  Herd), 
das  einzige  Gelass  des  ältesten  Hauses,  das  zugleich  als  Wohn-  und 
Schlafstätte  wie  als  K  U  c  h  e  (s.  d.)  der  Insassen,  zuweilen  wohl  auch 
als  Aufenthaltsort  der  Haustiere  (s.u.  Stall  und  S  c  h  e  u  n  e)  diente. 
Eine  Hauptfrage  ist,  oh  man  sich  diesen  Herdraum,  und  damit  d  i  e 
Anlage  des  ganzen  Gebäudes  ursprünglich  als  rund  oder  als 
viereckig  zu  denken  habe. 

„Die  Urnen",  sagt  Heibig  hinsichtlich  der  lateinischen  Hausumen 
der  Xekropole  von  Alba  Longa  (Die  Italiker  in  der  Poebne  S.  50), 
„stellen  rundliche  Hütten  dar,  deren  Wände  man  sich  aus  Lehm, 
Keisig,  oder  anderen  vergänglichen  Stoffen  aufgeführt  zu  denken  hat. 
Das  Dach  seheint  aus  Lagen  von  Stroh  oder  Rohr  bestanden  zu  haben 
und  wird  durch  Rippen  zusammengehalten,  die  in  der  Wirklichkeit 
offenbar  aus  Holz  gearbeitet  waren.  Es  entbehrt  des  für  das  spätere 
italische  Wohnhaus  bezeichnenden  Compluviums.  Vielmehr  diente,  um 
das  Licht  in  den  innern  Raum  herein,  und  den  Rauch  ans  demselben 
herauszulassen,  die  Thüröffnung  und  ausserdem  bisweilen  eine  kleine 
dreicekige  Luke,  welche  einige  dieser  Asehengefässe  an  dem  vorderen 
wie  an  dem  hinteren  Abfall  des  Daches  erkennen  lassen. <;  Die  gleiche 
Form  und  Beschaffenheit  hat  derselbe  Gelehrte  überhaupt  für  die 
ältesten  Wohnhutten  Italiens  erwiesen  und  sich  dabei  besonders  auf  die 
runde  Gestalt  und  primitive  Konstruction  des  ältesten  Vestatempels 
(vgl.  a.  a.  0.  S.  52)  berufen.  Auch  aus  griechischem  Gebiet,  von  Melos, 
ist  uns  eine  in  vormykenischc  Zeit  fallende  Hausurne,  die  mehrere 
runde  Hütten  darstellt,  erhalten  (vgl.  Umlsct  Z.  f.  Ethnologie  1883 
S.  214  Note).  Das  gleiche  gilt  vom  Norden  Europas.  Wie  die 
römischen  Bildwerke  die  gallischen  Häuser  rund  darstellen,  und  von 
den  Beigen  Strabo  IV,  p.  197  ausdrücklich  berichtet :  toi»?  b'  oueouq  Ik 
öavibujv  kui  t^ppwv  £xou0"1  n€fdXou?  GoXoeibeT^  cGöXo^  .Kuppel  ), 
^ipoqpov  rroXuv  dmßäXXovrcq,  so  ist  der  Rundbau  auch  die  üblichste  Form 
der.  auf  der  Marcus-Säule  dargestellten  Barharenhütten,  wofür  auf 
Tafel  XIV,  XXVIII,  L  (nach  Petersen  S.  69  ein  fürstlicher  Wohnsitz), 
XCVII  (nach  Petersen  eine  Felsenburg),  CX,  CXII  (das  stattlichste 
aller  Barbarenhäuser  der  Säule)  der  neusten  Veröffentlichung  dieses 
Kunstwerks  verwiesen  sei  (die  Ausführungen  M.  Heynes  Wohnungs- 
wesen S.  22  ff.  über  die  Häuser  der  Marcus-Säule  scheinen  auf  Un- 
kenntnis dieser  Publication  zu  beruhen). 

Endlich  ist  die  Frage  nach  der  Entwicklungsgeschichte  und  ältesten 
Gestalt  des  europäischen  Wohnhauses  neuerdings  auch  von  0.  Montelius 


Digitized  by  Google 


340 


Haus. 


(Zur  ältesten  Geschichte  des  Wohnhauses  in  Europa,  speciell  im  Norden, 
Anhang:  Die  runde  HUttcnfonn  in  Europa  Archiv  f.  Anthropologie  XXIIIr 
1895  S.  451  ff.)  ausführlich  erörtert  worden.  In  Einklang  mit  Sprach- 
vergleichung und  Urgeschichte*  8.  498  kommt  auch  dieser  Gelehrte  zu 
der  Überzeugung,  dass  das  älteste  idg.  Haus  ein  Rundbau  gewesen  sei  : 
„Da  man  jetzt  weiss,  dass  fast  sämtliche  arischen  oder  indogermanischen 
Völker  in  mehr  oder  minder  fernen  Zeiten  derartige  runde  Wohnhäuser 
gehabt  haben,  und  da  es  alle  Wahrscheinlichkeit  für  sich  bat,  dass 
dies  auch  von  den  anderen  arischen  Völkern  gilt,  deren  älteste  Woh- 
nungen man  noch  nicht  kennt,  so  dlirfen  wir  als  gewiss  betrachten, 
dass  das  arische  Urvolk,  ehe  es  sich  in  seine  vielen  Zweige  teilte,  in 
solchen  runden  Hütten  gewohnt  hat." 

Auch  für  die  in  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte8  geäusserte 
Ansicht,  dass  die  Kreisform  der  alteuropäischen  Hütte  sich  aus  dem 
runden  Zelt  entwickelt  habe,  das  nur  aus  einem  Holzgcrüst  mit  darüber 
gespannten  Tierhäuten  besteht,  dürfte  Montelius  in  der  angegebenen 
Arbeit  eine  nicht  geringe  Wahrscheinlichkeit  erzielt  haben.  So  er- 
öffnet sich  auch  von  dieser  Seite  (s.  u.  Ackerbau  und  n.  Viehzucht; 
der  Ausblick  in  eine  Zeit,  in  welcher  die  Indogermanen  noch  ein  wenig 
sesshaftes  und  fast  ausschliesslich  der  Viehzucht  ergebenes  Leben  führten. 

Immerhin  müssen  in  Europa  sehr  frühzeitig  ovale  und  viereckige 
Formen  der  Hütte  neben  den  runden  Eingang  gefunden  haben.  Dies 
beweisen  schon  mehrere  Exemplare  der  Hansurneii,  z.  B.  die  Urne  von 
Aschersleben,  die  ein  viereckiges  Haus  mit  hohem  und  steilem  Stroh- 
dachc  darstellt,  ebenso  wie  der  Umstand,  dass  auch  auf  der  Marcus- 
Säule  derartige  Gebäude  (vgl.  Tafel  XIV,  XXV.  XXVIII,  LIII)  nicht 
ganz  selten  nachgewiesen  werden  können.  Besonders  aber  scheinen 
die  Pfahlbauten,  auf  die  unten  des  nähern  einzugehen  sein  wird, 
eine  geradlinige  Anordnung  der  Wände  nötig  gemacht  zu  haben 
(vgl.  J.  Kellers  *.  Bericht  p.  VI). 

Ein  besonderer  Name  wird  für  den  nach  dem  bisherigen  ursprünglich 
runden  Herd  räum  in  der  Urzeit  nicht  vorhanden  gewesen  sein. 
Da  derselbe  das  einzige  Gelass  des  Hauses  bildete,  so  wird  das  all- 
gemeine *dem-,  *domo-  zur  Bezeichnung  desselben  ausgereicht  haben. 
So  ist  es  bei  dem  a  rm  e  n  i  sc  h  c  n  Bauernhaus,  dessen  überaus  primi- 
tive Anlage  überhaupt  eine  frappante  Ähnlichkeit  mit  dem  oben  er- 
schlossenen Typus  der  nreuropäischen  Hütte  zeigt  (vgl.  Parsadan  Tcr- 
Mowscsjanz  Das  armenische  Bauernhaus  Mitteil.  d.  Wiener  anthrop.  Ges. 
XXII,  125  ff.).  Gegenüber  dem  srah,  der  Vorhalle  (ein  persisches 
Wort,  vgl.  Hübschmann  Armen.  Gr.  I,  241 1,  wird  hier  mit  tun  =  bonos 
der  ganze  Übrige  Teil  des  Hauses  ztisammengefasHt.  Hier  findet  sich 
alles  zusammen :  „der  Wohnraum  für  Menschen,  der  Herd,  die  Vorrats- 
kammer, der  Backofen,  der  Schlaf-,  Ess-  und  Aufenthaltsort.  In  armen 
Familien  weilt  auch  der  fremde  Gast  daselbst"  (S.  140). 


Digitized  by  Google 


Hau». 


Besondere  Benennungen  des  Herdraunis  werden  vielmehr  erst 
aufgekommen  sein,  nachdem  das  „einzeilige"  Wohnhaus  angefangen  hatte 
—  was  zuerst  durch  den  Ausbau  der  Vorhalle  geschehen  zu  sein  scheint 
(vgl.  Montelius  a.  a.  0.  S.  453  f.)  —  sieh  mannigfaltiger  zu  zergliedern. 
Der  urgermani.sche  Name  für  den  Hauptraum  des  Hauses  dürfte 
ahd.  sal,  alts.  seli,  agls.  sele,  salor,  sM,  altn.  salr  (:  lat.  Holum  , Boden') 
gewesen  sein,  Wörter,  die  später  zur  Bezeichnung  der  Halle,  des 
Empfangsgebäudes,  der  Gastwohnung  (vgl.  got.  salijncös,  ahd.  selida 
,Gasthaus')  verwendet  werden.  Zunächst  ftir  den  Fussboden  dieses 
Kauines  gelten  die  beiden  Gleichungen:  mhd.  rluor,  agls.  flör,  altn. 
fldr  neben  ahd.  fiazzi,  agls.,  altn.  flet  ,arca',  ,atrium'j  —  ir.  Wir  , Estrich, 
Flur  )  und  altsl.  tllo  .pavhnentum',  , Estrich'  (nsl.  tla  ,Tenne')  =  ahd. 
dili.  agls.  pel,  welche  letzteren  demnach  erst  später  den  Sinn  von 
,brcttcrner  Fussboden,  Brett'  angenommen  haben  (vgl.  über  ahd. 
fiazzi  und  dili  etc.  auch  M.  Heyne  a.  a..O.  8.  33  ff.).  Genau  der  alt- 
germanischeu  Herdstube  entspricht  das  lat.  Atrium.  Man  schwankt, 
ob  man  das  Wort :  aw.  dtare  , Feuer'  oder:  lat.  Ater  ,schwarz'  (atrum 
enim  erat  ei-  fumo  8erv.)  stellen  soll;  doch  sprechen  die  semasiolo- 
gischeu  Analogien  für  letzteres,  wenn  man  bedenkt,  dass  derartige  vom 
Feuer  des  Herdes  und  der  Kienfaekelu  berusste  Räume  noch  jetzt  in 
Russland  ..Schwarzstuben-  heissen  (vgl.  Beckmann  Hey  träge  II,  410), 
und  im  Armenischen  als  synonym  mit  dem  oben  besprochenen  Ton 
(tun)  Gharadam  d.  h.  ,Schwarzes  Haus'  gebraucht  wird  vgl.  a.  a.  0.). 
Scheint  doch  auch  die  primitivste  Einrichtung  des  Herdes  selbst  in  den 
germanischen  Sprachen  als  r  Rauch",  altu.  reykr,  agls.  rtc,  ahd.  rouh 
bezeichnet  worden  zu  sein  (vgl.  M.  Heyne  a.  a  0.  S.  34  Wird 
ferner  lat.  vestibulum  richtig  aus  *resti-stibulnm  Jlerdstand'  erklärt, 
so  hätte  auch  dieses  Wort  ursprünglich  den  Herd  räum  bezeichnet  (vgl. 
Gellius  XVI,  5,  3:  Animadverti  qttosdam  haudquaquam  indoctos  eiros 
opinari  r  e  st  ibul  um  esse  partem  domus  primorem,  quam  rulgus 
at  ri  u  m  vocat),  und  wäre  erst  später,  ähnlich  wie  das  deutsche  „Flur- 
(s.  o.)  auf  einen  Vorraum  übertragen  worden.  Doch  ist  die  Bedeutungs- 
entwicklung des  lat.  vestibulum  ebenso  wie  seine  etymologische  Er- 
klärung unsicher  (vgl.  Hecker-Göll  Gallus  II,  224  ff.  und  Marquardt 
Privatleben  I,  219  ff.).  Auf  gleicher  Linie  wiederum  mit  dem  lat. 
ätrium  steht  das  homerische  uerapov  ,das  grosse'  (:  *u€fapo<;  ,grosa' 
in  u€Yötpuj,  armen,  mecarem  ,halte  hoch';  kaum:  seit.  Agdra-  ,Haus', 
und  auch  an  Entlehnung  aus  hebr.  mAgür  , Aufenthaltsort'  ist  nicht  zu 
denken).  Noch  in  homerischer  Zeit  steht  im  Hintergrund  dieser  ge- 
räumigen Halle  der  Herd,  an  dem  zugleich  die  Speisen  bereitet  werden, 
die  man  auch  in  demselben  Räume  geniesst.  Die  Frau  des  Hauses  hat 
an  ihm  ihren  Sitz.  Der  Rauch  des  Herdfeuers  steigt  bis  zum  Dache 
(|X€\a6pov)  empor,  das  darum  at9a\Ö€v  ,russig'  genannt  wird.  Der  Hoden 
(griech.  bäraoov  :  *dem-  ,Haus':  nach  Mikkola  B.  B.  XXV.  75:.  lit. 


Digitized  by  Google 


342  Haus. 

ilimstis  ,Hof ,  altn.  topt,  *ttimfetiz  , Platz  für  Gebäude  )  ist  nicht  mit 
Steinplatten  bedeckt,  sondern  festgestampft,  und  rücksichtslos  werden 
die  Asche  des  Feuers  und  die  Überreste  des  Mahles  auf  ihm  ausge- 
schüttet. Hinter  dem  Herde  ist  für  das  Ehebett  des  Hausherrn  ein 
Winkel  bestimmt,  wie  dies  auch  im  altgermanisehcn  Hanse  ähnlieh 
der  Fall  war  (vgl.  Buchhol/.  Realien  II,  2,  105  ff.  und  Henning  a.  a.  0. 
S.  105  ff.). 

Für  gewöhnlich  wurden  die  idg.  Hütten  unmittelbar  auf  dem  Hachen 
Erdboden  erbaut.  Die  Kunst  der  Fundamcntierung  gehört  erst 
höheren  Kulturstufen  an,  wenngleich  Spuren  derselben  sich  bereits  bei 
einigen  der  Häuser  der  Marcus-Säule  'vgl.  z.  H.  Tafel  XXV  den 
Sockel  eines  viereckigen  Hauses)  Huden.  Wie  wenig  fest  aber  jene 
ältesten  Bauten  zu  denken  sind,  beweisen  noch  späte  gesetzliche  Be- 
stimmungen, die  sich  gegen  das  Untergraben  und  Umstürzen  der  Wohn- 
häuser richten.  S.  ferner  u.  Eigentum.  Weit  verbreitet  im  alten 
Europa  muss  aber  auch  die  Sitte  gewesen  sein,  die  Wohnungen  auf 
dem  Unterbau  eines  Pfahlrostes  zu  errichten. 

Als  im  Winter  des  Jahres  lHö.'J  T>4  in  der  Schweiz  die  ersten  Pfahl- 
bauten ans  Licht  traten,  denen  sich  nach  und  nach  gleiche  An- 
siedelungen in  Österreich,  Italien,  Süddeutschland,  überall  in  Anlehnung 
an  den  Alpengürtel  (eine  gute  Übersicht  bei  M.  Hörncs  Urgeschichte 
der  Menschheit  S.  72),  dann  aber  auch  in  Mecklenburg,  Pommern, 
Ostpreussen  u.  s.  w.  anschlössen,  schien  es  auf  den  ersten  Blick,  als  ob 
diese  Ansiedelungsart,  wenigstens  in  der  alten  Welt,  ohne  historisches 
Analogen  dastünde.  Bald  aber  zeigte  es  sich,  dass  die  Geschichts- 
schreiber längst  auf  Pfahlbauteuwohnungen  in  unserem  Erdteil  hinge- 
wiesen hatten.  Von  besonderem  Interesse  ist  hierbei  der  Bericht  des 
Hcrodot  (V,  Hij  über  die  im  See  Prasias  auf  Pfählen  wohnenden  Päonier, 
die  —  ein  Beweis  wie  nützlich  solche  Ansiedelungen  im  Kriege  waren 
-  im  Gegensatz  zu  den  das  feste  Land  bewohnenden  Päoniern  der 
persischen  Herrschaft  entgingen,  einerseits  wegen  seiner  Ausführlichkeit, 
andererseits,  weil  es  sieh  hier  um  ein  zweifellos  indogerma- 
nisches (thrakisehes/  Volk  handelt.  Dieser  Bericht  lautet:  ixpia 
cm  öraupüjv  utpriXdiv  e^eufueva  iv  ue'o"r|  eörrjKe  Tr)  Xtuvrj,  e"o*obov  ck 
n.rr€tpou  öTeivnv  £x°VTa  MirJ  T€<püpr).  tou?  be  ataupoüq  Toüq  utrecTTe- 
uuaq  toio*i  iKptoKJi  to  uev  kou  äpxaiov  foTnaav  KOtvrj  TrävTeq  oi  ttoXi- 
fVrat,  u£Tä  be  vöuiy  xpcöuevoi  laraai  Totwbe-  kouiZovt«;  ii.  oüpeo«;,  tuj 
oüvoud  ton  "OpßnXos,  kotoi  Tuvaixa  eKdarnv  ö  Tapeuiv  Tpeu;  aTaupou? 
CrrrUrrnov  äretcu  be  e'Kaaioq  cruxvctq  YuvcuKaq.  oiiceöcJi  be  toioütov 
tpöttov,  KpaT^ujv  enaa-ro?  im  tujv  iicpiiuv  KaXußnq  tc,  iv  rrj  biaiTÜTai, 
Kai  6üpri5  KcrraTraKTfis  biet  tujv  ixpiiuv  KOtTai  <pepoüo*n.£  l<;  ir\v  Xiuvn,v. 
xa  be  vn.ma  rroubta  beoutfi  toö  rrobö^  dnapTip,  prj  KaT0tKuXuo*6rj  beijaai- 

V0VT6?.  TOlO"l  b£  ITTTTOIO*!  KCU    T0l0*l   ÜTT0£uYt0l0"l  TT0tpeXOUO"l  X°PT0V  •X^Ö?. 

tujv  be  TrXnQös  effTi  tocfoöto,  üjöt€  örav  ttjv  6üpr|v  Tnv  xctTcmaKTny 


Digitized  by  Google 


Haus. 


343 


dvctKXivr),  Kcmci  (Txoivtu  cnrupibct  K€tvnv  Tnv  .Xiuvnv,  kcu  ou  ttoXXöv 
Tiva  xpovov  £mo*xwv  ävacma  TrXr|p€a  ixOuuuv .  tüjv  bk  ixBüwv  iax\  y^vect 
büo,  Toüq  KaXc'ouffi  Trän-paKäq  Tc  Kai  TtXwvaq.  Nimmt  mau  hierzu,  was 
wir  aus  andern  Quellen  über  die  Sitten  und  Gebräuche  der  Päonier 
wissen,  so  stimmt  alles  aufs  beste  zu  dem  Bilde,  das  wir  uns  von  den 
Schweizer  Pfahlbauten  und  ihrem  Kulturleben  machen  müssen  (vgl. 
Keller  Pfahlbautenberichte  1 — 8).  Genau  so  wie  von  Hcrodot  geschil- 
dert, muss  die  Anlage  der  Schweizer  Pfahlbauton  mit  ihrem  brücken- 
artigen Zugänge  vom  Lande  gewesen  sein.  Wie  die  Schweizer,  müssen 
die  Paeonier  ausser  Fischern  auch  Viehzüchter  (vgl.  oben  die  'ittttoi 
und  OTToruTtet  der  Poeonier)  und  Ackerbauer  gewesen  sein,  welch  letz- 
terer Punkt  aus  dein  Umstand  folgt,  dass  uns  ein  paeonischer  Xame 
des  Bieres  (napaßin.  s.  u.  Bier)  genannt  wird.  Auch  auf  den  Anbau 
des  Flachses  und  auf  das  Drehen  des  Fadens  mit  der  Spindel  ver- 
standen sie  sich  wie  die  Schweizer,  wie  denn  Herodot  (V,  12)  selbst 
eine  spinnende  (Xivw  KXw6ouo*a)  Paeonierin  nennt. 

So  werden  die  Pfahlbauten  in  die  Reihe  aufs  beste  beglaubigter 
historischer  Erscheinungen  eingereiht. 

Errichtet  wurden  dieselben  sowohl  in  Seen  und  Flüssen  wie  auch 
auf  dem  festen  Lande.  Letzteres  gilt  namentlich  von  den  Pfahldörfern 
in  den  Terramare  der  Emilia,  die  von  einem  Erdwalle  umgeben,  auf 
trockenem  Boden  angelegt  waren  (vgl.  Heibig  Die  Italiker  in  der 
Poebenc  S.  f>8).  Aber  auch  bei  den  germanischen  Völkern  war 
und  ist  zum  teil  noch  heute  die  Sitte,  die  Häuser  auf  hohem  Pfahl- 
werk zu  erbauen,  eine  weit  verbreitete  (vgl.  Henning  a.  a.  0.  S.  IGtiflf. 
und  M.  Heyne  a.  a.  ().  S.  1 7  f.). 

Gewöhnlich  wird  angenommen,  dass  die  Pfahlbautenanlagcn  im  Hin- 
blick auf  die  Vorteile,  welche  dieselben  bei  Wasserbauten  boten, 
eingeführt  und  dann  von  einer  an  diese  gewöhnten  Bevölkerung  auch 
auf  dem  Festland  beibehalten  worden  sein.  Indessen  ist  der  Pfahlrost 
in  Zeiten,  denen  eine  Unterkellerung  der  Wohnung  noch  fremd  ist, 
auch  auf  dein  festen  Boden  in  mannigfacher  Beziehung,  z.  B.  zur 
Trockenlegung  des  Fussbodens,  zum  Schutze  vor  Mäusen  und  Ratten 
u.  s.  w.  so  nützlich,  dass  der  umgekehrte  Weg  der  Entwicklung  nicht 
minder  denkbar  erscheint. 

So  viel  im  allgemeinen  über  die  Anlage  der  idg.  Wohnstätte,  die 
man  sich  schon  in  der  Urzeit  von  einem  hofartigen  Raum  (s.  u.  Garten, 
Gartenbau)  umgeben  zu  denken  haben  wird.  Über  das  einzelne  ist 
in  besonderen  Artikeln  gehandelt  worden:  Die  Wände  des  Hauses  be- 
standen lediglieh  aus  Holz,  Flechtwerk  und  Lehm  s.  n.  M  n  n  e  r), 
noch  nicht  aus  Stein  (s.  u.  Steinban),  das  Dach  (s.  d.)  aus  Stroh, 
Schilf  oder  Rohr.  Es  breitete  sich  unmittelbar  über  dem  Herdraum 
ans,  der  durch  einen  in  seiner  Mitte  gelegenen  Herd  <s.  d.),  ur- 
sprünglich eine  einfache  Feuergrube,  Wärme  und  Beleuchtung  ('s.  u. 


Digitized  by  Google 


444 


Haus  —  Hausrat. 


Licht)  empfing.  Fenster  s.  d.)  und  Öfen  (s.  u.  Ofen)  waren  nicht 
vorhaudcu,  wohl  aber  eine  bereits  versehliessbare  Thür  d.).  Haus- 
rat (s.  d.)  fehlte  noch  gänzlich.  Man  sass  auf  Streu  und  ass  aus 
Töpfen,  statt  von  Tischen.  Küche,  Keller,  Abort  (s.  s.  d.  d.)  sind 
späte  Erfindungen.  Uber  die  Unterbringung  des  Viehs  und  der  Er- 
trägnisse des  Feldhaus  s.  u.  Stall  und  Scheune. 
Hausen,  s.  Stör. 

Hausgemeinschaft,  Hauskoinmiittioii,  s.  Familie. 
Hausgruben,  s.  Unterirdische  Wohnungen. 
Hausherr,  s.  Ehe,  Familie. 

Hauslauch  (üempercinim  tectorum  L.).  Grieeh.  (Theophr.) 
äetfwov,  lat.  sedum.  Die  Pflanze  galt  im  Altertum  als  Heilmittel, 
namentlich  gegen  Brandwunden.  Ferner  wurde  sie  in  Schalen  gepflanzt 
und  so  auf  die  Dächer  der  Häuser  gesetzt  (Kai  iv  ööTpdKOi?  tvioi  (puteü- 
ouöiv  aÖTÖ  dm  tujv  oiKiipaTwv,  Dioskorides).  Diese  Sitte,  die  in  dem 
Glauben  wurzelt,  dass  der  Hauslauch  die  Häuser  vor  Blitz  und  Donner- 
schlag schütze,  hat  zu  der  Verbreitung  der  nur  im  Süden  einheimischen 
Pflanze  nach  dem  Norden  gefühlt.  Noch  Albertus  Magnus  berichtet: 
Qui  autem  incantationi  student,  dicunt  ipsam  (plant am)  fitgare,  fulmen 
tonitrui:  et  ideo  in  tectis  plantatur.  So  erklären  sich  die  Namen 
huszteurtz  (heilige  Hildegard),  hauslauch,  donnerlauch,  agls.  ßunoricyrt 
etc.  Den  letzteren  Ausdrücken,  bei  denen,  wie  in  donnerstag,  agls. 
punresda>g,  der  erste  Bestandteil  ursprünglich  als  Gottheit  des  Donners 
aufgefasst  wurde,  entspricht  das  romanische  Jovis  barba  (frz.  joubarbe 
des  toits,  span.  jnsbarba),  dessen  Atibau  im  Capitulare  de  villis  LXX,  73 
vorgeschrieben  wird.  —  Andere  Heil-  und  Zauberpflanzen  s.  u.  Arzt. 

Hausrat  Die  älteste  Geschichte  des  Hausrats,  von  dem  hier 
nur  das  Ameublcnient  der  Wohnung  und  aus  diesem  wiederum  nur 
die  drei  wichtigsten  Begriffe  Bett,  Stuhl  und  Tisch  besprochen 
werden  sollen,  bedarf  uoch  mannigfacher  Aufklärung.  Freilich  wird 
eine  solche  schwer  zu  erreichen  sein,  da  die  Nachrichten  der  Alten 
Uber  die  in  den  ausserklassischen  Gegenden  Europas  in  dieser  Beziehung 
herrschenden  Zustände  überaus  dürftige  sind,  und  aus  prähistorischen 
Schichten  Überreste  von  Gegenständen  der  genannten  Art  bei  deren 
leichter  Zerstörbarkeit  auch  dann  nicht  zu  erwarten  wären,  wenn  sie 
vorhanden  gewesen  sein  sollten.  Auch  die  Sprache  kaun  hier  nur 
wenig  Belehrung  bringen.  Urverwandte  Sprachreihen  wie  für  das  Bett: 
grieeh.  Xexo?,  Xeinpov,  lat.  lectus,  got.  ligrs,  ir.  lige  oder  für  den 
Stuhl:  lat.  sella,  lak.  i\\ä  •  xctOebpa  Hes.,  got.  sitls,  gall.  (caneco)- 
sedlon  sind  zwar  vorhanden;  da  aber  die  erstere  nichts  anderes  als 
,Lagcr  (got.  ligan),  die  letztere  nichts  anderes  als  ,Sit//  (lat.  sedeo) 
bezeichnet,  so  sagen  sie  Uber  die  Beschaffenheit  des  Lagers  und 
Sitzes  in  der  ältesten  Zeit  natürlich  nichts  aus. 

Gleichwohl  fehlt  es  nicht  gänzlich  an  Anhaltspunkten,  welche  darauf 


Digitized  by  Google 


Hausrat. 


:;45 


hinweisen,  dass  sowohl  das  Bett  (im  Sinne  des  auf  einem  hölzernen 
Gestell  bereiteten  Laders)  wie  auch  der  Stuhl  und  Tisch,  obwohl  sie 
bei  den  Griechen  und  Römern  vom  Anfang  ihrer  Überlieferung  an  be- 
zeugt sind,  dennoch  bei  den  europäischen  Indogermanen  kein  allzu  hohes 
Alter  haben.  Von  den  Kelten  und  Kel tiberern  wird  mehrfach  be- 
richtet, dass  sie  auf  dem  Erdboden  schliefen  und  sich  bei  ihren 
Mahlzeiten  keiner  Stühle  bedienten.  Vgl.  Strabo  III,  p.  164:  kcu  toötö 
t€  kcu  t6  xaMeuvtiv  koivöv  ^o*n  toi£  1ßr|po*i  Ttpöq  toü£  KcXtous,  der- 
selbe IV,  p.  197:  (von  den  Kelten)  xaMCuvoöai  b£  Kai  ue'xpi  vöv  01 
ttoXXoi  Kai  Ka8e£6uevoi  öeiTrvoOaiv  ev  OTißdai,  dazu  Diod.  Sic. 
V,  28:  b€nrvoöo*i  bfc  Ka8n.uevoi  Travit^,  ouk  eni  9pövwv  äXX'  in\  ff\<;, 
ÜTrocrrpu'juao'i  xpwuevoi  Xukujv  f\  kuvujv  bc'puaai.  Bei  Homer  II.  XVI,  234 
werden  die  Seiler,  die  Priester  des  dodonäischen  Zeus,  als  dviTTTÖirobcq 
und  xttuousuvat  hczeichnet,  worin  allerdings  Kretschmer  Einleitung  S.  87 
vielleicht  mit  Recht  nicht  das  Kennzeichen  einer  niederen  Kulturstufe, 
sondern  das  Beispiel  einer  priesterlichen  Askese  erblicken  möchte.  Wie 
sich  dies  auch  verhalten  möge,  jedenfalls  wird  man  sagen  müssen, 
dass,  wenn  die  Kelten  in  der  frühsten  historischen  Zeit  noch  keine 
Betten  und  Stühle  hatten,  dies  bei  Germanen  und  Slaven  noch  weniger 
der  Fall  gewesen  sein  dürfte. 

In  der  Terminologie  der  beiden  Hausgerätschaften  bei  den  Xord- 
völkem  geht  eine  Gruppe  von  Wörtern  auf  eine  Wurzel  stel  zurück, 
<lcren  Ableitungen  in  sich  die  verschiedensten  Bedeutungen:  ,Gcstell , 
,Bett",  jStuhl'  auch  /fisch'  vereinigen,  so  dass  irgend  ein  sachlicher 
Schluss  aus  ihnen  ebenfalls  nicht  möglich  ist.  Vgl.  lit.  pastölas  , Ge- 
stell', altsl.  postelja  ,Bett\  stolü  vgl.  Miklosich  Et.  W.  s.  v.  stel) 
,thronus'  und  /fisch'  (entlehnt  lit.  stolatt  .Tisch*),  got.  nföls  ,Stuhl'  u.  s.  w. 
Die  gemeingermanische  Reihe  got.  badi,  ahd.  betti  dürfte  nach  Mass- 
gabe des  altn.  Iiedr,  ursprünglich  , Polster'  bedeutet  haben  (was  auch 
das  entlehnte  tinn.  patja  bezeichnet  /.  Im  Bcowulf  v.  1240—47  werden 
<lic  Betten  und  Polster  den  Helden  zwischen  den  zusammengerückten 
Bänken  auf  der  Diele  bereitet.  Litu-slavisch  sind  altpr.  creslan,  lit. 
kresltui,  altsl.  kreslo  ,Stuhl'  und  altpr.  dumpi*  .Stuhl',  altsl.  klapt 
,Bank'.  Vgl.  noch  für  Bett  altsl.  odrü  (vgl.  Miklosich  Et.  W.  s.  v.), 
ir.  imda,  xceny  und  lepuid,  lebaid  alle  dunkel)  und  altpr.  last»  (lit. 
lashi  ,  Brutnest';. 

Als  älteste  Sitzgelegenheiten  der  Kelten  wurden  in  den  oben  ange- 
führten Nachrichten  die  o"ri{JdÖ€S,  d.  h.  , Streu  oder  Lager  aus  Stroh', 
auch  , Matratzen'  und  die  bepuara  , Felle'  genannt.  Eine  idg.  Bezeichnung 
für  den  ersteren  Begriff  liegt  in  der  Reihe  sert.  barhi's-  .Streu,  Opfer- 
streu', aw.  bar<tzix-  , Decke,  Matte'  (vgl.  auch  sert.  upa-barhatm- , Decke, 
Polster  ),  altpr.  bahinis  , Kissen',  pobaho  , Pfühl',  serb.  blazina  , Kissen, 
Polster',  slov.  blazina  »Federbett',  altn.  bohtr,  ahd.  bidstar  .Kissen, 
Polster'  (vgl.  Ost  hoff  B.  B.  XXIV,  14.'5,  Kluge  Et.  \\'.<  s.  v.  Polster) 


Digitized  by  Google 


346 


Hausrat 


vor,  deren  primitive  Grundbedeutung  eben  ,Stren',  .Heubündel'  oder 
ähnliche*)  gewesen  sein  wird  für  kunstvollere  Erzeugnisse  dieser 
Art  herrschen  hei  den  Germanen  lauter  römische  Ausdrücke;  s.  u. 
Gans).  Dass  aber  die  .Menschen  auf  einem  derartigen  Strohbündel  in 
der  Urzeit  wirklich  süssen,  k»un  auch  daraus  gefolgert  werden,  dass 
in  den  ältesten  Opferriten  auch  den  Göttern,  wenn  sie  zum  Empfang 
menschlicher  Nahrung  herbeigerufen  werden  (s.  n.  Opfer,  gleiche 
Sitze  bereitet  werden.  Ähnlich  ist  das  Fell  in  dieser  Bedeutung  im 
Kitus  festgehalten  worden.    S.  darüber  u.  Heirat  Nr.  7. 

Der  Tisch-  tritt  im  Norden  nach  den  Nachrichten  der  Alten  nicht 
zuerst  als  lange  und  hohe  Tafel  auf,  an  der  viele  Platz  nehmen  können, 
sondern  entsprechend  dem  Sitze  der  Schmausenden  auf  dem  Erdboden, 
auf  Polstern  und  Fellen,  in  niedriger  und  kleiner  Gestalt,  dazu  be- 
stimmt, vor  jeden  einzelnen  der  Gäste  hingestellt  zu  werden.  Vgl. 
Athen.  IV,  p.  151:  KtXixu  (q>n,o*l  TTotfcibiüvioq)  rpoyuq  TTporiOtviai 
XÖpTov  ÜTToßdWovTtq  Kai  t tt \  TpaTre£u>v  EuXivwv  uixpöv  öttö  ttk 
Tn,q  tTrnPMtvuuv,  Tacit.  Genn.  Cap.  22:  Lauft  eihum  capiunt:  separntae 
sbujuHs  sedes  et  sua  cuique  nie  nun,  Xenophon  Anab.  VII.  I?,  21 
(Gastmahl  des  Thrakerfürsten  Scnthes):  tö  bfcmvov  u£v  rjv  Kuenutvois 
kükXut  6TT€iTa  b€  Tpmob€<;  eiffnWxOnaav  Trädr  outoi  b"  ntfav  Kpewv  ne- 
öto'i  v6V€un.U€Vu)v.  Ebenso  speisen  die  Hunnen  im  Waltharilied  (vgl. 
Kögel  Gesch.  d.  d.  Lit.  I,  2,  29:5  und  weiteres  bei  M.  Heyne  Das 
deutsche  Wohnungswesen  S.  fiö).  Aber  auch  bei  Homer  haben  die 
Helden  mit  wenigen  Ausnahmen  jeder  sein  eigenes  Tischchen  vor  sich. 
In  noch  früherer  Zeit  waren  diese  kleinen  Tische  vielleicht  nichts 
anderes  als  thönerne  Schüsseln,  die  vor  die  einzelnen  hingesetzt  wurden. 
Hemerkenswert  ist  jedenfalls,  dass  die  gemeingerninnische  Bezeichnung 
des  Tisches:  got.  biups,  altn.  hjöAr,  ahd.  beot  zugleich  auch  ,Schüsscl' 
bezeichnet,  und  dass  diese  letztere  Bedeutung  durch  die  uralte  sla- 
vische  Entlehnung  altsl.  bljudo,  bljudft  .patina'  als  die  ältere  erwiesen 
zu  werden  scheint.  Vgl.  auch  ahd.  fixe,  agls.  disc  .Tisch,  Schüssel' 
aus  lat.  dt nc im  ^Schüssel*.  Auch  sonst  fällt  in  der  Terminologie  des 
Tisches  die  starke  Entlehnung  ans  dem  Süden  auf:  aus  lat.  menna 
stammen  ir.  miau,  got.  mi's,  ahd.  miau,  ausgricch.  Tpdnela:  altsl.,  hulg. 
trapeza,  alb.  trapezr  u.  s.  w. 

Von  der  Gegenwart  aus  hat  neuerdings  R.  Mcringcr  Studien  zur 
germanischen  Volkskunde  III  Der  Hausrat  des  oberdeutschen  Hauses 
(Mitteilungen  d.  Wiener  authrop.  Ges.  XXV,  öß  ff.'»  in  die  Geschichte 
unseres  Gegenstands  einzudringen  versucht.  Es  zeigt  sich,  dass  die 
Ausstattung  des  oberdeutschen  Bauernhauses  noch  heute  eine  überaus 
dürftige  ist.  Eigentliche  Stühle  sind  in  demselben  nur  ausnahmsweise 
vorhanden.  Ihre  Stelle  vertritt  die  um  die  ganze  Stube  herumlaufende 
Bank,  die  in  fester  Verbindung  mit  der  Holzwand  steht.  Ebenso  mus» 
noch  vor  nicht  langer  Zeit  auch  das  Bett,  wie  in  den  Sennhütten,  au 


Digitized  by  Google 


IJansrat  —  Hebamme. 


347 


der  Wand  befestigt  gewesen  sein.  Das  einzige  wirkliehe  Hausgerät 
{mobile)  ist  der  Tisch,  „und  auch  der  Tisch  ist  in  alten  Häusern  von 
solcher  Grösse  und  Arbeit,  dass  er  gewiss  in  Jahren  seinen  Platz  nicht 
sehr  verändert  hatu.  Genau  entspricht  das  Innere  des  nordischen, 
etwa  des  altschwedischen  Hauses,  wie  es  Montelius  Die  Kultur  Schwedens* 
S.  142  skizziert:  r  An  der  Wand  betest  igte  Bänke  (genicingenn.  altn. 
bekkr,  agls.  benc,  ahd.  bauch)  und  Betten,  lange  Tische  vor  den  Bänken 
und  eine  oder  die  andere  Truhe  zur  Aufbewahrung  der  Kostbarkeiten 
des  Hauses,  das  wäre  wohl  das  hauptsächlichste  (des  Ameublements), 
wenn  nicht  alles".  So  also  mag  der  Hausrat  des  germanischen  Bauern- 
hauses ungezählte  Jahrhunderte  lang  beschatten  gewesen  sein,  und  doch 
ist  dieser  Zustand  von  dem  frühest  erreichbaren  und  oben  geschilderten, 
in  dem  die  Stämme  des  nördlichen  Europa  noch  auf  dem  Erdboden 
schliefen,  nur  auf  Fellen  oder  Heuhündeln  sassen  und  vielleicht  auch 
den  Begriff  des  Tisches  noch  nicht  kannten,  bereits  durch  eine  breite 
Kluft  geschichtlicher  Entwicklung  getrennt,  deren  Überbrückung  der 
Forschung  noch  nicht  möglich  ist.       S.  auch  u.  Kiste. 

Haussuchung,  s.  Dieb,  Diebstahl. 

Hausthür,  s.  Thür. 

Haustiere,  s.  Viehzucht. 

Huustirne,  s.  Haus. 

Hausvater,  s.  Familie. 

Hautfarbe  der  Indngermaiien,  s.  Körperbeschaff'enheit  d.  I. 
Hautkrankheiten,  s.  Krankheit. 

Hebamme.  Strahn  III,  p.  16f>  erzählt,  dass  bei  keltischen  wie 
thrakischen  und  skythischen  Stämmen  die  Frauen  durch  gleiche  Tapfer- 
keit wie  die  Männer  ausgezeichnet  seien.  Sie  nehmen  am  Ackerbau 
teil,  und,  wenn  sie  geboren  haben,  bedienen  sie  ihre  Männer,  die  sie 
anstatt  ihrer  selbst  sich  ins  Bett  legen  lassen.  Mitten  in  der  Arbeit 
waschen  und  wickeln  sie  ihre  Kinder  an  irgend  einem  Bache.  Es  folgt 
dann  weiter  die  nach  Posidonius  erzählte  und  auch  von  Diodorus  IV,  20 
mitgeteilte  Geschichte,  auf  die  auch  Aelian  De  nat.  anim.  VII,  12  an- 
spielt, nach  welcher  eine  ligurische  Frau  sieh  auf  kurze  Zeit  von  der 
Feldarbeit  entfernt,  geboren  habe  und  zurückgekehrt  sei,  als  ob  nichts 
geschehen  sei.  Wenngleich  die  hier  erwähnte  noch  nicht  erklärte  Sitte 
der  Convade  oder  des  Männerkindbetts  (vgl.  u.  a.  Starckc  Die 
primitive  Familie  S.  54  ff.)  von  Strabo  irrtümlich  von  iberischen  auf 
idg.  Stämme  übertragen  worden  sein  dürfte  sie  wird  sonst  inner- 
halb Europas  nur  noch  aus  Korsika  von  Diodorus  V,  14  gemeldet: 
napaboEÖTaTov  b'  £o"ri  trap*  auroT?  to  Tivöpevov  kotci  ta?  tujv  tckvujv 
feWöc«?"  ÖTav  fäp  f|  fuvn  t€ktj,  Taum,«;  pev  oübepia  fivcTai  Ttepi  Tn.v 
Xox^iav  dmpeXcia,  ö  b'  ävn,p  aurr)?  üvaTreödiv  w<;  voaüuv  XoxtutTcu  töktöc^ 
rmlpa^  üj^  tou  awpaioq  auToö  kcikottoi6oö vto^ in  Vorderasien  wird  das 
Männerkindbett  mehrfach  bei  den  Tibarenern  bezeugt,  vgl.  E.  Meyer 


Digitized  by  Google 


348 


Hebamme. 


Geschichte  des  Altertums  II,  4»lJf.  — ,  so  folgt  doch  aus  den  ange- 
führten Nachrichten,  was  sich  Übrigens  ans  zahlreichen  anderen  Bc- 
8chreil)ungcn  der  körperlichen  Rüstigkeit  der  Nordvölker  ergiebt,  dass 
die  alteuropäischcn  Frauen  ihre  Kinder  mit  grosser  Leichtigkeit  zur 
Welt  gebracht  haheu  müssen.  Irgend  ein  geburtshilflicher  Beistand 
wird  dabei  nicht  erforderlich  gewesen  sein.  Machte  sich  derselbe  trotz- 
dem notwendig,  so  werden  alte  Frauen  mit  praktischen  Handgriffen 
und  noch  mehr  mit  wirksamen  Zaubersprüchen  nachgeholfen  haben. 

Die  meisten  Bezeichnungen  der  Hebamme  sind  aus  Wörtern  für  altes 
Weib,  Alte  u.  s.  w.  hervorgegangen.  So  griech.  uaTa  (im  Sinne  von 
Hebamme  etwa  seit  IMato),  abgeleitet  von  (ja,  einer  Koseform  von  Mnrrip, 
dazu  paieuw.  pai6op.ai  ^ntbinde'  (später:  äKttfTpiq,  raMOÖöa.  6u<paXo- 
töuo?,  iaTpouaia).  So  lit.  senüji  ,die  alte'  und  slavisch  baba  ,altes 
Weib'.  Auch  in  ahd.  hevianna,  später  in  hebamme  umgedeutet,  steckt 
wahrscheinlich  anna  —  lat.  anus  .altes  Weib  ,  so  dass  das  Compositum 
etwa  , Hebefrau'  (:  got.  hafjan  „heben  )  bezeichnet.  J.  Grimm  R.-A. 
S.  4;V>  bezieht  diese  Benennung  ebenso  wie  auch  die  schwedischen  und 
dänischen  Ausdrücke  iordgitmma,  iordemoder  .Krdinutter'  auf  eine 
Sitte,  nach  welcher  die  Hebamme  auf  Befehl  des  Vaters,  wenn  dieser 
das  Neugeborene  habe  annehmen  wollen,  das  Kind  von  dem  Knihoden 
aufgehoben  habe  (s.  u.  Aussetzungsrec  ht). 

Andersartige  Benennungen  sind  lat.  obstet  rix  in  Rom  entwickelte 
sich  ein  Hcbammcngewerbe  durch  griechische  KinHüssei,  eigentlich  die 
gegenüberstehende .  eine  Bezeichnung,  die  auf  eine  Form  der  Knt- 
bindung  zurückgeht,  bei  welcher  die  Hebamme  nicht,  wie  heute,  neben 
der  Kreissenden,  sondern  vor  oder  zwischen  ihren  Knien  sitzt  ivgl. 
Abbildungen  bei  H.  Ploss  Das  Weib3  S.  117,  119.  120).  Ferner  lit. 
pributrejti  ,die  dabei  seiende',  tuittclcngl.  midicife.  Vgl.  die  weitere 
Terminologie  bei  Ploss  a.  a.  0.  S.  144  ff. 

Die  Bedeutung  des  Zaubers  für  die  Krleichterung  der  Geburt 
schildert  anschaulich  die  altnordische  Oddrunsklagc:  Borgny,  des  Königs 
Heidrek  Tochter,  liegt  von  ihrem  Geliebten  Wilmund  geschwängert, 
in  schweren  Wehen.  Niemand  kann  ihr  helfen.  Da  naht  Oddruu, 
Atlis  Schwester: 


geh  k  mild  ff/r  km- 
meijju  at  nitja; 
riht  gdl  Oddrün, 
rammt  gol  Oddrün 
bitra  galdra 
at  ßorgnffju. 


„sie  liess  vor  den  Knien 


der  Kranken  sieh  nieder* 


(vgl.  oben  lat.  obstetrix), 

„Sprüche  voll  Heilkraft 
Der  leidenden  Borgny 


sprach  nun  Oddruu, 
erlösenden  Zauber". 


Digitized  by  Google 


Hebamme  —  Heer. 


349 


Auch  sonst  wird  in  der  Edda  wiederholt  Entbindungszauber  genannt. 
Vgl.  das  Lied  von  Fafnir  12: 

„Sage  mir,  Fafnir,  —  für  erfahren  giltst  Du 
Und  durch  reiches  Wissen  berühmt:  — 
Welche  Nomen  bringen  in  Nöten  Hilfe 
Und  erlösen  Mütter  von  Leibesfrucht^? 
und  das  Lied  von  Sigrdrifa  9: 

„Schutzrunen  lerne,  wenn  Du  schwangere  Frauen 
Von  der  Leibesfrucht  lösen  willst: 
Auf  Hände  und  Gliedbinden  male  die  Heilzeichen 
Und  den  Heistand  der  Discn  erbitt!a  (Gering) 
Ebenso  machen  bei  den  Griechen  die  Hebammen  von  Zaubcriiedern 
(lat.  puerpera  verba)  Gebrauch,  wie  es  noch  Pinto  Theaetet.  p.  149  c 
schildert:  xai  pf|V  Kai  biboötfai       ai  naia»  (papnäxia  Kai  liraboutfat 
büvavrai  ifexpew  t€  taq  wbivas  Kat  uaAaKorc'paq  ujv  av  ßoüXujvxai  noielv. 

In  dieser  Weise  mag  mutntis  mutandis  noch  heute  in  entlegenen 
Teilen  unseres  Erdteils,  etwa  des  slavischen  Ostens,  die  Entbindnngs- 
kunst  ausgeübt  werden.  Hebammennnterricht,  staatliche  Beaufsichtigung 
u.  s.  w.  sind  selbst  bei  den  heutigen  Kulturvölkern  junge  Einrichtungen 
(worüber  ausführlich  PIoss  a.  a.  ().  Cap.  XXXIII  Die  Geburtshülfc). 
Vgl.  auch  Weleker  Kleine  Schriften  III,  185 ff.  (Entbindung),  wo  in 
Sage  und  Wirklichkeit  eine  knieende  Stellung '  der  kreissenden  Frau 
angenommen  wird.  —  S.  u.  Arzt. 

Hecht.  Die  Entscheidung  über  die  Frage,  ob  dieser  Fisch  schon 
den  Alten  bekannt  war,  hängt  davon  ab,  ob  man  mit  zahlreichen  Aus- 
legern denselben  in  dem  lat.  lupus.  entsprechend  dem  griech.  XdßpaE, 
erblickt,  die  von  anderen  als  eine  Art  Seebarsch  gedeutet  werden. 
Hiervon  abgesehen,  würde  sich  der  übrigens  schon  in  den  Schweizer 
Pfahlbauten  nachgewiesene  Hecht  unter  dem  seltsamen  Xameu  lucius 
zuerst  in  des  Ausonius  Mosclla  v.  120  ff.  finden: 

hk  etiam  Lotio  risus  praenomine  cultor 
stagnorum,  querulis  vis  infestissima  ranis, 
l uciu#,  obscuras  ulca  caenoque  lacunas 
ob.sidet.  hic  nullos  mensamm  lectus  ad  usus 
ferret  fumosis  olido  nidore  popinis. 
Damals  galt  also  der  Fisch  noch  als  eine  minderwertige  Speise. 
Die  Namen  desselben  gehen  ganz  auseinander:  westgerm.  ahd.  hahhit, 
agis.  hacad  :  mhd.  hecken  .stechen*   vgl.  fr/,  brocket,  engl,  pike,  nltn. 
gedda  :  gaddr  .Stachel'  i.  altpr.  liede  (neben  meida  bei  Nesselm.)  = 
lit.  lydekü,  lett.  lideks,  slav.  *  Stuka,  russ.  seuka  etc.,  korn.  denshoc 
dour  ,dentatus  aqnae'.  —  S.  u.  Fisch,  Fischfang. 

Heer.  Ein  idg.  Ausdruck  hierfür  ist  got.  harjis,  altpr.  karjis, 
ir.  cuire,  eine  /o-Ableitung  zu  lit.  kdras,  kare  .Krieg',  auch  ,Heer' 
=  nltp.  kdra-  ,Hecr'.    In  der  ältesten  Zeit  ist  Heer  ein  identischer 


Digitized  by  Google 


350 


Heer. 


Begriff  mit  Volk  und  Stamm  (s.  s.  d.  d.),  die  zum  Kriege  ausgezogen, 
nach  der  oben  genannten  Gleichung  selbst  als  , Krieg'  oder  .zum  Kriege 
gehörig'  bezeichnet  worden  sein  werden.  Wie  der  Stamm,  ist  daher 
auch  das  Heer  in  Sippen  (s.  d.)  und  Verwandtschaften  (Familien) 
gegliedert.  An  seiner  Spitze  steht  der  Häuptling  des  Stammes,  der 
König  (s.  d.),  dessen  Gewalt  im  Krieg  eine  grössere  als  im  Frieden  ist. 

Neben  der  eben  genannten  uralten  Einteilung  des  Heeres  nach  Sippen 
u.  s.  w.  findet  sich  aber  bei  mehreren  idg.  Völkern  eine  zweite  auf 
dem  Dezimalsystem  beruhende,  nach  Tausend-  Hundert-  Zehner- 
schaften. Am  deutlichsten  ist  dies  bei  Kömern  und  Germanen  der 
Fall.  Die  römische  legio  .Lese'  (:  legere)  umfasst  gemäss  der  Drei- 
teilung des  alten  Rom  3000  Krieger,  die  sich  weiter  in  Curien  und 
Decurien  gliedern.  Die  Sueben  schicken  nach  Caesar  De  bell.  gall.  IV,  1 
aus  jedem  pagus  1000  (1200?)  Krieger  ins  Feld,  und  noch  im  Beownlf 
werden  Tausendschaften  erwähnt.  Sie  zerfallen  in  Hundertschaften, 
an  deren  Spitze  ein  hunno  (fränk.),  hundredes  ealdor  (agls.),  hunda- 
faps  (got.)  u.  s.  w.  =  centurio  steht.  Centeni  (120?)  sind  nach  Tacitus 
Germ.  €ap.  6  eine  Elitetruppe  der  einzelnen  pagi  und  nach  Cap.  12 
das  Gefolge  der  per  pagos  vicosque  Recht  sprechenden  principe*. 

Unter  den  übrigen  Indogermanen  wird  die  Hundertschafts-  und 
Tausendschaftsordnung  nur  noch  bei  den  Russen  erwähnt,  nicht  bei 
den  Südslaven,  so  dass  sie  bei  den  ersteren  sehr  wohl  auf  germanischen 
Einflüssen  beruhen  kann,  und  bei  den  Indern,  hier  aber  nicht  als  Kriegs-, 
sondern  nur  als  spätere  Administrativordnung  (Dorf schaftsordnung  der 
Sutrazeit).  Unter  diesen  Umständen  wird  es  nicht  angehen,  mit  Leist 
Alt-arisches  Jus  civile  II,  224  f.  die  Gliederung  des  Heeres  nach  Hundert- 
mal Tausendschaften  als  eine  schon  indogermanische  Institution  anzusehen. 
Sic  wird  aus  einer  Zeit  herrühren,  wo  Volk  und  Heer  schon  nicht 
mehr  ganz  dasselbe  waren,  und  die  einzelnen  Stämme  nur  einen  nach 
dezimaler  Rechnung  bestimmten  Teil  ihrer  Leute  zum  Heere  stellten, 
ganz  wie  es  Caesar  oben  von  den  Sueben  berichtet.  Man  kann  also 
nicht  sagen,  der  pagus  (über  den  germ.  „Gau"  s.  u.  Stamm)  ist  die 
Niederlassung  einer  Tausendschaft,  sondern  nur,  der  pagus  ist  eine 
Gemeinschaft  von  Dörfern,  die  1000  (1200?  s.  u.  Zahlen)  Krieger 
stellte.  Bemerkenswert  ist,  dass  die  Völker  mit  alter  dezimaler  Heeres- 
gliederung, also  Römer  und  Germanen,  zugleich  auch  am  frühesten  den 
Gebrauch  von  Feldzeichen  (s.  u.  Fahne)  bei  sich  ausgebildet  haben. 

Die  idg.  Stammheere  kämpften  zu  Fuss.  Homer  kennt  noch  keine 
Reiterei,  die  in  Griechenland  erst  mit  dem  Auftreten  eines  begüterten 
Adelstands  allmählich  aufgekommen  ist,  ohne  in  älterer  Zeit  irgendwo 
grössere  Bedeutung  zu  erlangen.  Zur  Zeit  der  Schlacht  von  Marathon 
scheinen  in  Athen,  das  später  auf  seine  Reiterei  stolz  war,  nur  wenige 
Familien,  und  zwar  mehr  zu  Sport-  als  zu  Kriegszwecken,  Pferde  ge- 
halten zu  haben.  Auch  in  Rom  war  die  Reiterei  eine  sekundäre  Waffe. 


Digitized  by  Google 


Heer. 


.151 


Die  germanischen  V  erhältnisse  fasst  Taeitus  Germ.  Cap.  6  in  die  Worte 
zusammen:  In  Universum  aestimanti  plus  penes  ped item  roboris,  wenn- 
gleich er  seihst  und  andere  ausnahmsweise  germanische  Reitervölker 
wie  die  Tenctercr  (Germ.  Cap.  32)  oder  Bataver  <I)io  Gass.  LV,  24) 
kennen.  Dasselbe  gilt  von  den  Slaven  (Veneti).  Vgl.  Tacitns  Germ. 
Cap.  46:  ///'  tarnen  inter  Germanos  potius  referuntur,  quin  et  domo* 
figunt  et  acuta  gestaut  et  pedum  usu  av  pe rnicitat e  gaudent  : 
quae.  omnia  dicersa  Sarinatis  sunt  in  plaustro  equoque  v i veut ibus. 
Es  geht  daher  schon  aus  diesem  Grunde  nicht  an,  die  berittenen  Völker 
der  Marcus-Säule  mit  Petersen  für  Slaven  zu  halten.  Es  werden  Sar- 
maten  sein,  während  die  Germanen  meist  zu  Fnssc  fechten. 

Als  ein  Übergang  zu  einer  grösseren  Beachtung  der  Reiterei  wird 
die  in  ganz  Nordeuropa  bestehende  Sitte  einer  Comhinierung  von  Fuss- 
volk und  Reiterei,  die  Einrichtung  der  sogenannten  Tropoßatai  ,Ncben- 
läufer',  zu  betrachten  sein.  Caesar  De  bell.  gall.  VII,  80  fand  sie  bei 
den  Galliern  und  im  Heere  des  Ariovist  vor  (I,  48:  Genus  hoc  erat 
pngnae,  quo  se  Germani  exercuerant.  equitum  milia  erant  sex, 
totidem  numero  pe.dites  velocisaimi  ac  fortissimi,  quo*  e.v  omni  copia 
singuli  singulos  suae  saiutis  causa  delegerant  :  cum  his  in  proeliis 
versabantur.  ad  eos  se  equites  reeipiebant  :  hi.  si  quid  erat  duriusy 
coneurrebant,  si  qui  graviore  rulnere  aeeepto  equo  deciderat,  circum- 
sistebant;  si  quo  erat  longius  prodeundum  auf  celerius  reeipiendum, 
tanta  erat  Horum  exercitatione  celeritas,  ut  iubis  equorum  sublerati 
cursum  adaequarent  .  Taeitus  erwähnt  sie  in  der  Germania  (Cap.  0: 
Eoque  mixti  proeliantur,  apta  et  congruente  ad  equestrem  pugnam 
velocitate  peditum,  quos  ex  omni  iueentute  delectos  ante  aciem  locant, 
8.  o. !.  und  auch  von  den  östlichen  Stämmen,  den  Rastarnen,  wird  sie 
mehrfach  überliefert  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen c  S.  46  ff.).  Etwas 
anderes  aber  ist  die  von  Pausanias  X,  19  bezeugte  altgallische  TpiuapKioia 
^Drei-Pferdeschaft'  :  altgall.  marka  , Pferd',  bei  der  der  Reiter  eben- 
falls Begleiter,  aber  berittene,  um  sich  hat.  —  Ebenso  wie  die  europä- 
ischen, müssen  wir  uns  die  arischen  Indogermanen  ursprünglich  zu 
Fuss  in  die  Schlacht  gehend  vorstellen.  Auch  der  Rigveda  kennt 
zwar  das  Reiten,  aber  keine  Reiterei,  und  erst  auf  iranischem  Boden 
ist  unter  auswärtigen  Einflüssen  die  Ausbildung  dieser  Waffe  erfolgt 
(s.  u.  Pferd,  Reiten,  Streitwagen). 

Hinsichtlich  der  Aufstellung  des  idg.  Fnsshceres  wissen  wir,  ab- 
gesehen von  der  oben  hervorgehobenen  Thatsache  des  Beieinander- 
kämpfens  der  einzelnen  Familienverbände,  nichts  sicheres.  Eine  alte 
Form  der  idg.  Schlachtordnung  war  vielleicht  der  Keil  (Tacit.  Germ. 
Cap.  6:  Acies  per  cuneos  instruitur),  und  indogermanisch  vielleicht 
auch  die  von  der  Ähnlichkeit  eines  solchen  Keils  hergenommene  Be- 
zeichnung desselben  als  „Eber"  oder  „Eberkopf",  die  in  Indien  (vgl. 
Mann  VII,  187)  und  in  Europa  (vgl.  Vegetius  De  re  militari  III,  10: 


Digitized  by  Google 


Heer  -  Heidekraut. 


Cunetts dicitur  mitltitudo peditum,  qttae  ittneta  cum  acte  primo  angustior, 
deinde  latior  procedit  et  adrersariorttm  ordines  rumpit,  quin  a  plw 
r'tbtt*  in  unum  locttm  tela  mittuntttr.  quam  rem  militest  nominant 
capttt  porcinum  —  altii.  svinf ylking)  wiederkehrt.  Andererseits  fehlt 
es  freilich  nicht  an  Zeugnissen  z.  B.  Tac.  Ann.  II,  45),  nach  denen  die 
Germanen  früher  durchaus  tagte  ineursibm  aut  dhiectas  per  catercas 
gekämpft  und  erst  von  den  Körnern  gelernt  hätten,  sequi  sigtta,  sub- 
sidiut  firmari,  dicta  imperatorum  aeeipere  (vgl.  W.  Scherer  Anzeiger 
f.  deutsches  Altertum  IV,  97,  A.  Holtzmann  Genn.  Altertümer  S.  150). 
Die  Monumente  lassen  eine  bestimmte  Kampfordnung  der  Germanen, 
nicht  erkennen. 

Über  die  älteste  Bewaffnung  des  idg.  Heeres  s.  u.  Waffen. 
Zahlreiche  Bezeichnungen  des  Heeres  oder  eines  Ileerhaufens,  die  später 
in  die  Bedeutung  von  Volk  übergegangen  sind,  s.  u.  d.  Im  Übrigen 
seien  aus  den  Einzel  sprachen  noch  genannt:  Griech.  o*Tpaxö?  ,Heerr 
Lager'  (dazu  o*TpaTuoTn.s),  gewöhnlich  zu  o*Tpuuvvuui  , breite  aus'  gestellt, 
von  Windisch  I.  F.  III,  80 f.  dagegen  mit  ir.  tret  (*strento-)  ,Herde' 
verglichen  (wie  ahd.  drtipo  .kleinerer  Heeresteil'  und  in  der  Lex  Alam.  65 
troppo  etc.  .Herde'i.  Lat.  e.rercitus,  wohl  eigentl.  , Übung',  kaum  = 
er  arce  ditetus.  Der  Soldat  heisst  lat.  miles,  vielleicht  der  ,Tausend- 
schaftlcr';  andere  deuten  das  Wort  aus  *misdett  :  griech.  uicreöq),  so 
dass  griech.  Mio~9ocpöpo<;  und  mhd.  Holde.no>  re  inhaltlich  entsprächen, 
die  aber  schon  stehende  Heere  und  Soldzahlung  voraussetzen,  was  zu 
dem  ältesten  Sinn  des  lat.  index  kaum  passt.  Auch  lat.  qttiris,  qtti- 
ritia  bezeichnet  nach  Mommseu  Köm.  Geschichte  I 09  eigentlich  den 
Wehrmann  d.  h.  Vollbürger:  sab.  ettri«  , Lanze'  i anders  Vf.  »Sprachver- 
gleichung und  Urgeschichte  *  SS.  572  ).  Im  Germanischen  übersetzt  l'lhlas 
das  griechische  aTpariioTii?  mit  ga-dratihtn  (drauhtinön  ,aTpaT€ueo*eai', 
drauhtinansus,  dratihtiicitöj)  .öTpcrma'i,  d.  i.,  wer  zu  einer  ^dranhti-, 
altn.  drött,  agls.  drt/ftt,  allfries.  dracht,  ahd.  trttht  ,Getolge,  Schar' 
gehört'  :  got.  drittgan  , Kriegsdienste  thun'.  Hierher  gehört  auch  alt^nll. 
drttngos  (ir.  droit g)  ,Truppe  ,  das  durch  die  Kelten  weit  in  Europa  ver- 
breitet worden  ist  (lat.  drungtts,  bv/.autin.  bpoörro?,  bpoutropio?  ,x»M- 
apxo«;',  altsl.  dragari  ,drungarius,  qui  drungo  scu  tnrmae  militari  pracest'  i. 
Über  langob.  arimannus  s.  u.  Stände.  Einfluss  des  römischen 
Kriegswesens  verrät  got.  militön  aus  lat.  militare,  ahd.  mUizzä  aus 
milites.  Lit.  .z'alnas  , Kriegsvolk'  (vgl.  das  deutsche  z  al nii  rius  ,Söldncr  ), 
altsl.  rojska  .Heer'  etc.  vgl.  Miklosich  Et.  W.  S.  m\).  S.  u.  Krieg. 
Hefe,  s.  Bier. 

Heidekraut.  Pflanze  mit  schon  idg.  Xamcn:  Griech.  epeuert 
(woraus  lat.  erice;  =  gemeinkeit.  ir.  froech  (*vroiko-*).  Daneben 
gciiieiusl.  *rt?w<.  russ.  vereint,  altsl.  vrtsini  ,September",  lit.  trii-z'is. 
Agls.  heep,  ahd.  heida  , Heide',  , Heidekraut'  =  altgall.  efto-,  caeto-, 
altkymr.  coit  ,Wald'  (auch  lat.  bü-cetum  ,  Busch'?  vgl.  Xicdermann  I.  F. 
X,  256). 


Digitized  by  Google 


Heili-c  Haiue  —  Heirat. 


Heilige  Haine,  s.  Tempel. 
Heilige  Zahlen,  s.  Zahlen. 
Heilpflanzen,  s.  Arzt, 
Heimfilhrung,  s.  Heirat. 

Heirat.  Der  Begriff  des  Heiratens  wird  in  den  idg.  Sprachen 
übereinstimmend  durch  die  Wurzel  vedh<red  (über  den  Wechsel  der 
media  und  media  aspirata  im  Auslaut  vgl.  Brugniann  Grundriss  1 *,  2, 
633)  ausgedrückt,  zu  der  einerseits  die  u.  Braut  kauf  behandelte  Sippe 
von  griech.  £bvov,  agls.  weotuma  etc.,  andererseits  lit.  icedü  ,f  (Ihren, 
heiraten',  altsl.  vedq  ,fnhrcn'  (über  den  auch  hier  auf  die  Eingehung  der 
Ehe  bezüglichen  Sinn  des  Wortes  s.  u.  Polygamie),  aw.  upa-vüda- 
yatta  ,er  möge  heiraten',  sert.  vadhü'-  .junge  Ehefrau'  gehören.  Als 
Grundbedeutung  von  vedhlved  (vgl.  noch  ir.  fedim  ,führe',  kymr.  dy- 
weddio  , heiraten')  wird  man  daher  schon  für  die  Urzeit  , fahren',  hei- 
rate n' ansetzen  dürfen,  woraus  sich  die  feierliehe  Heimfü hrung 
der  Braut,  was  sich  weiter  (s.  u.)  auch  aus  sachlichen  Beobachtungen 
ergiebt,  als  das  für  die  Begründung  der  idg.  Ehe  charakteri- 
stischste Moment  erweisen  lässt.  Vgl.  noch  aus  den  Einzelsprachen 
sert.  idhate  ,er  führt  sich  ein  Weib  heim',  vahatie  ,Hochzeit\  lat. 
mrarem  ducere,  gricch.  yuvcuko:  öVrcaeai,  altsl.  sagttti  ,'(a^lv\  pom- 
gati  ,nubere',  poaagü  .nuptiac'  (vielleicht  =  gricch.  fiteioem,  lat.  sdgire, 
got.  gdkjan).  Im  übrigen  sind  wir,  um  die  Eigenart  der  idg.  Ehe- 
schließung zu  bestimmen,  fast  ausschliesslich  auf  die  vergleichende 
Betrachtung  der  bei  den  einzelnen  idg.  Völkern  bestehenden  Hochzcits- 
gebrauche  angewiesen.  Vgl.  über  dieselben  namentlich  E.  Haas  (H.) 
Die  Heiratsgebrauche  der  alten  Inder  nach  den  Grhyasfitra  (Weber 
Indische  Studien  V,  2«>7  ff. A.  Rossbach  (R.i  Untersuchungen  über 
die  römische  Ehe.  Stuttgart  1853,  B.  W.  Leist  ;L.)  Altarisches  Jus 
gentium  Jena  1SH9  S.  134  ff.,  L.  v.  Schröder  (Seh.)  Die  Hoehzeits- 
gebräuche  der  Esten  und  einiger  anderer  finnisch-ugrischer  Völker- 
schaften in  Vergleiehung  mit  denen  der  idg.  Völker  Berlin  1888, 
M.  Winternitz  (W.)  Das  altindische  Hoclizeitsrituell  nach  dem  Apa- 
stamlriya-Grhyasfttra  und  einigen  anderen  verwandten  Werken  mit. 
Vergleiehung  der  Hochzeitsgcbränche  bei  den  übrigen  idg.  Völkern, 
Denkschriften  d.  Wiener  Ak.  d.  W.  phil.-hist.  Kl.  XL,  1  ff.  1802).  Ans 
dem  reichen  in  diesen  Werken  enthaltenen  Material  soll  hier  zunächst 
auf  eine  Reihe  von  rankten  hingewiesen  werden,  bei  denen  die  Über- 
einstimmung innerhalb  der  idg.  Völkerwelt  eine  so  weitgehende  ist, 
dass  sie  zu  ihrer  Erklärung  die  Annahme  einer  gemeinsamen  historischen 
Grundlage  zu  fordein  scheint.    Es  sind  folgende: 

1.  Werbung.  Da  die  idg.  Ehe  auf  dem  Kaufe  des  Weibes  (s.u. 
Braut  kauf)  beruhte,  so  ist  es  selbstverständlich,  dass  der  Hochzeit, 
d.  h.  der  Übergabe  des  Mädchens  an  den  Mann,  Verhandlungen  über 
die  Höhe  des  Kaufpreises  u.  s.  w.  vorausgingen,  die  mit  dem  Vater 

Schräder.  ReaUexik<>n. 


Digitized  by  Google 


Heinit. 


oder  Machthaber  des  Mädchens  durch  Mittelpersoueu  gefuhrt  wurden. 
Auf  die  Zustimmung  des  Mädchens  kam  es  dabei  ursprünglich  nicht  an. 
Viclmehrt  folgt  aus  dem  Wesen  der  urzeitlichen  Patria  potestas,  dass 
dem  Vater  ein  unbedingter  Heiratszwang  der  Tochter  gegenüber  zustand 
(s.  u.  Familie   und  vgl.   für  die  altgermanischen  Zustände  noch 
F.  Roedcr  Die  Familie  bei  den  Angelsachsen,  Studien  z.  engl.  Phil. 
IV,  24).    Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  auf  diese  vor  der  Hochzeit 
stattfindenden  Verhandlungen  das  bei  den  meisten  idg.  Völkern  nach- 
weisbare Institut  des  Braut w erbers  (sert.  vard-  eigentl.  , Wähler', 
ahd.  brüt-bitil  =  altn.  bidill,  agls.  biddere  :  bitten  —  weiteres  bei  Wein- 
hold Deutsche  Frauen  I»,  317  und  F.  Roedcr  a.  a.  0.  S.  22  f.  — , 
griech.  TTpouvnötpia,  TrpouvnöTpi?,  litu-slavisch  s.  u.)  zurückgeht,  in  dem 
Abschluss  jeuer  Verhandlungen  aber  die  Einrichtungen  der  germanischen 
Verlobung  (altn.  festa,  mhd.  vestenen,  altn.  festingastemma  ,Ver- 
lobungstag',  weiteres  bei  Wciuhold  a.  a.  0.  8.  340  und  F.  Roeder 
a.  a.  0.  S.  30 1,  der  griech.  ^fTuntfu;  (:  ^TT^l  , Bürgschaft',  ganz  wie 
agls.  iceddian  tö  teife,  beweddung  ,  Verlobung  ,  engl,  teeddhig  :  got. 
teadi,  altn.  reb,  agls.  icedd  »Handgeld,  Unterpfand,  foedus)  und  der 
lat.  sponsio  (xpondeo  =  griech.  Ottcvöuu,  o*Trt'vbo|uai)  wurzeln.  —  Das 
Zeitwort,  dessen  mau  sich  bediente,  um  das  Werben  um  ein  Mädchen 
zu  bezeichnen,  scheint  in  der  Urzeit  die  Wurzel  prek  (lat.  precari) 
jbitten",  ,f ragen'  gewesen  zu  sein,  aus  der  armen,  harxn  ,  Braut',  lat. 
procus  , Freier',  lit.  pirszlys  , Brautwerber',  bulg.  promtor  ,IIochzeits- 
bitter',  serb.  prosit i  ,frcicn\  prosci  ,Werber'  hervorgegangen  sind. 
Eine  scharfe  Unterscheidung  zwischen  der  Verlobten  und  der  Ver- 
heirateten, wie  in  dem  nhd.  braut  :  frau  oder  in  dem  lat.  spoma  : 
uxor  („die  Verlobung  ist,  als  sponsio.  in  Latium  von  der  Eheschlies- 
sung abgetrennt  und  zu  einem  selbständigen,  klagbaren,  der  Ehc- 
8chliessung  voraufgehenden  Verhältnis  gemacht  worden"  (L.  S.  147), 
lässt  sich  aber  ursprünglich  sprachlich  nicht  nachweisen:  sert.  vadhä'- 
(s.  o.)f  griech.  vüuqm.  (s.  u.),  gemeingerni.  ahd.  brüt  (*brübi-  aus  idg.  *mrüti- 
( Versprechung'  :  sert.  brdviti  ,er  sagt',  aw.  mraoiti,  vgl.  Uhlcnbeck 
und  H.  Hirt  Beiträge  XXII,  188  und  234;  ein  krimgotisches  Wort  für 
,Braut'  ist  schuos  :  got.  swex  ,eigen*,  vgl.  K.  Z.  XXX,  481  ff.),  lit. 
marti  (vgl.  krimgot.  marzus  , Hochzeit  ),  altsl.  nevista  (:  cedqT)  be- 
zeichnen alle  zugleich  die  Braut  und  die  junge  Frau.    Der  Bräutigam 
heisst  griech.  vuutpto;  (auch  .junger  Ehemann' lat.  sponxus,  ahd.  brü- 
tigomo,  altn.  brüdgume  (:  got.  guma  ,Mann'p  brüpfaps  ,Biäutigam  ),  lit. 
jauniki8  ,der  Junge",  teedijs,  teedeklis  :  teedft,  südslavisch  mladenec 
,der  Jüngling',  momak  , Bursche'  (weiteres,  auch  über  die  Benennungen 
der  Braut  vgl.  bei  Krauss  .Sitte  u.  Brauch  S.  381 ;  lit.  noch  nufaka  ,Braut', 
eigentl.  ,matura  ).    Altpr.  grandan  (etwa:  altsl.  gr^dq  ,kommc',  ^der 
künftige"?).  -  Vgl.  H.  S.  291  ff.,  L.  S.  135  ff.,  Sch.  S.  32  ff.,  W.  S.  40. 
2.    Passende  Zeit.    Bei  Indern,  Griechen,  Germanen  und  Slavo- 


Digitized  by  Google 


Heirat. 


355 


Litauern  findet  sich  übereinstimmend  die  Überzeugung,  dass  der  Spät- 
herbst and  Winter  für  die  Eingehung  von  Ehen  besonders  geeignet  sei. 
Vgl.  z.  B.  Aristoteles  Politik  IV  §  7  (Suseuiihl):  jo\<;  bk  trepi  ttjv 
üipav  xpovoi?  b€i  xpn.O*8ai,  o\  ttoXXoi  xpwvTai  KaXw<;,  Kai  vüv,  öpi- 
o*ovt€?  x€lMwv0?  TtoictOOat  xf)v  tfuvauXiav  Taürriv.  Auch  Monatsnamen 
wie  der  attische  fauiiXiwv  (Januar),  zunächst  wohl  nach  einem  Fest 
der  Ehegöttin  Hera  benannt,  und  der  altruss.  sradebnyj  (Februar  r. 
svadba  »Hochzeit'  (vgl.  weiteres  bei  Th.  Bergk  Beiträge  zur  griechischen 
Monatekunde  S.  36,  F.  Miklosich  Die  slavischeu  Monatsnamen  S.  23) 
legen  von  der  genannten  Sitte  Zeugnis  ab.  Nur  bei  den  Römern  rückt 
die  übliche  Zeit  der  Ehcschliessung  auf  die  zweite  Hälfte  des  Juni,  die 
Zeit  der  Ernte.  Ferner  ist  die  Anschauung  in  der  idg.  Welt  weitver- 
breitet, dass  Ehen  bei  vollem  oder  zunehmendem  Monde  geschlossen 
werden  iiiüssten.  Die  erstere  Vorstellung  hinsichtlich  der  herbstlichen 
oder  winterlichen  Eheschliessung  wird  auf  wirtschaftlichen  Gründen 
beruhn,  da  die  Zeit  nach  der  Ernte  für  Festlichkeiten  aller  Art  be- 
sonders geeignet  war,  die  andere  wurzelt  in  dem  weitverbreiteten 
Glauben  an  die  Bedeutung  des  Mondlichts  (s.  u.  Mond  und  Monat  . 
—  Vgl.  H.  S.  296  f.,  Seh.  S.  48  ff.,  W.  S.  27. 

3.  Verhüllung  der  Braut.  Bei  allen  europäischen  Indogermanen 
muss  die  Braut  während  der  Hochzeitsfeierlichkeiten  oder  eines  Teiles 
derselben  verscheiert  oder  sonst  verhüllt  sein.  In  Indien  tritt  dieser 
Brauch  weniger  hervor;  doch  lässt  er  sich  immerhin  in  Spuren  nach- 
weisen (Haas  a.  a.  0.  S.  313'.  Sprachlich  hat  er  sich  in  lat.  wm6/» 
,ich  verhülle  mich",  »heirate'  (von  der  Frau),  nuptiae  (Plural  als  Fest?* 
»Hochzeit'  festgesetzt.  Ob  auch  griech.  vüuq>n.  , Braut'  hierherzustellen 
sei,  ist  zweifelhaft.  Vgl.  auch  bulg.  bulcica  ,die  kleine  Verschleierte' 
d.  i.  Braut  vou  bulo  »Brautschleier'  (Krauss  a.  a.  0.  S.  382,  444  . 
Die  Beobachtung,  dass  der  lateinische  Brauch  im  Norden  Europas 
wiederkehre,  ist  sehr  alt.  Schon  Johannes  Lasicius  in  seiner  Schrift 
De  (Iiis  Samagitarum  (bei  Michalonis  Lituani  De  moribus  Tartarorum  etc. 
Basileac  1615)  bemerkt  S.  56,  dass  bei  den  Samagiteu  und  Litauern 
ccuU  sponsae  teguntur  celainine  und  fügt  hinzu :  Similis  olim  obnu- 
bendi  ratio  capitis  apud  Latinos  nuptae  nuputiarumqne  nomen  dedit. 
Die  Ursprünge  dieser  Brautverhüllung  liegen  im  Dunkeln.  Leist  S.  146 
vermutet,  das  Mädchen  sei  mit  einem  Schleier  verhüllt  wordeu  „zum 
Zeichen  ihrer  Trennung  vom  übrigen  Lebciri?).  Nach  Schröder  a.  a.  0. 
S.  77  hätten  wir  es  mit  der  symbolischen  Bewahrung  einer  Sitte  des 
Frauenraubes  ts.  u.  Raube  he)  zu  thun,  bei  dem  das  Überwerfen  eine? 
Tuches  die  Entführung  des  Mädchens  erleichtert  hätte. 

4.  Handergreifung.  Einen  der  wichtigsten  Akte  des  indischen 
HeiratszerenionicllB  bildet  das  pünigrahana-  ,die  Handergreifung'  (vgl. 
pdnim  grah  ,hciratcn',  vom  Manne,  pdnim  dü  ,die  Hand  reichen',  von 
der  Frau,  pdnigrahitar-  etc.  , Bräutigam,  Gatte  ).   Der  Brauch  ist  schon 


Digitized  by  Google 


35$ 


Heirat. 


in  den  Vcden  bezeugt  (Zimmer  Altind.  Leben  S.  311).  In  Gegenwart 
des  Gewalthabers  eines  Mädchens  ergreift  der  Bräutigam  die  Hand 
des  letzteren  zum  Zeichen,  dass  sie  nunmehr  in  seine  Gewalt  übergehe. 
Diese  symbolische  Handlung  kehrt  aufs  genauste  in  Europa  wieder. 
Im  Germanischen  heisst  die  Gewalt  über  ein  Mädchen,  die  der  Ehe- 
mann mit  dem  Brautkanf  erwirbt,  munt,  das  von  Haus  aus  weiter 
nichts  als  ,Handr  bedeutet  (ahd.  munt,  agls.  mund  ,Hand,  Schutz', 
altn.  mund  .Hand';,  und  hiermit  wiederum  hängt  etymologisch  das 
lateinische  manu»  maneipiumque  (mund  :  manu*  wie  hund  :  canis) 
zusammen.  Vgl.  z.  B.  Senilis  ad.  Aen.  XI,  470:  Matrem  famüias  esse 
eam,  quae  in  mariti  manu  mancipioqtie.  Die  Handergreifnng  erfolgt 
in  der  dextrarum  coniunetio,  durch  welche  die  Pronuba  die  Hände 
des  Bräutigams  und  .der  Braut  vereinigt.  Vgl.  auch  gricch.  d-rruntfiS» 
irfvn  (s.  o.)  :  aw.  gäo  ,Hand'.  —  H.  S.  201,  277,  317,  388,  R.  S.  37  ff., 
308,  L.  S.  156,  161  Anm.,  W.  S.  48. 

5.  Feuer  und  Wasser.  Diese  beiden  für  das  Bestehen  des 
Hauses  besonders  wichtigen  Elemente  spielen  eine  hervorragende  Bolle 
innerhalb  der  idg.  Hochzeitsritcn.  In  Indien  führt  nach  der  Hand- 
ergreifnng der  Bräutigam  die  Braut  dreimal  um  das  Feuer  des  Herdes, 
in  das  ein  Opfer  von  gerösteten  Körnern  dargebracht  wird.  Vorher 
wird  ein  neuer  und  gefüllter  Wasserkrug  aufgestellt,  der  bei  der  Um- 
wandlung des  Feuers  rechts  vom  Brautpaar  bleiben  muss.  Auch  sonst 
wird  von  dem  feierlich  vom  Quell  geholten  Wasser  reichlicher  Ge- 
brauch gemacht.  Die  Braut  wird  in  ihm  gebadet,  das  junge  Paar  mit 
ihm  besprengt  u.  s.  w.  Fast  ganz  übereinstimmende  Gebräuche  bietet 
die  römische  Hochzeit  dar.  Nach  feierlicher  Umwandlung  des  Altars 
von  links  nach  rechts,  wobei  ein  Knabe  das  ans  reiner  Quelle  ge- 
schöpfte Hochzeitswasscr  und  die  Hoehzeitsfackel  trägt,  wird  im  Hause 
des  Brautvaters  ein  Far-Brod  (daher  confarreatio)  im  Feuer  geopfert. 
Nach  römischer,  ja  gemeinitalisehcr  Anschauung  ist  die  Ehe  eine 
Vereinigung  aqua  et  igni,  wie  denn  Koinulus  die  geraubten  Sabinerinnen 
verheiratete  Karo  Toüq  naTpiouq  iK<xaTr\c,  t8io*uouq  im  koivujviu  Trupo?  Kai 
ubato?  dYToÜJV  Touq  fömovq  (Dion.  11,  3«)  .  Vgl.  ferner  Scrv.  ad  Aen.  IV, 
167:  Varro  diät:  aqua  et  igni  mariti  u.rores  aeeipiebant.  l  'nde  hodie- 
que  et  face*  praelucent  et  aqua  petita  de  puro  fönte  per  f'eiicixsimum 
puerum  aliquem  auf  pueUam  interest  nuptiis.  de  qua  nubentibiis 
solebant  pedes  larari.  Dieselben  Bräuche  wie  im  Osten  und  Süden 
der  idg.  Völkerwclt  kehren  im  Norden  Europas  wieder.  So  berichtet 
Johan.  Lnsieius  a.  o.  a.  O.  von  den  Samagiten  und  Litauern:  Cum 
nuptiae  celehrantur,  sponsa  ter  diteitur  circa  focum:  deinde 
ibidem  in  selfa  collocatur.  super  quam  sedenti  pedes  lacantur 
aqua,  qua  lectus  nuptialis,  tota  supelle.r  dornest iva  et  inritati  ad 
nuptias  hospites  consperguntur.  Endlich  wird  auch  nach  d  e  n  t  s  c  h  e  n 
Hoch/citssitteu  die  Braut  in  der  Wohnung  des  Bräutigams  dreimal  um 


Digitized  by  Google 


Heirat. 


"57 


<len  Herd  herumgeführt,  nachdem  sie  vorher  Uber  ein  G.efüss  mit 
Wasser  geschritteu  ist  (vgl.  Weinhold  Deutgehe  Frauen  Is,  408, 
E.  H.  Meyer  Volkskunde  S.  67).  Die  wenigsten  Entsprechungen  bieten 
sich  auf  griechischem  Hoden.  Hier  ist  nur  an  die  Sitte  des 
Brautbades  zu  erinnern,  zu  dein  Wasser  aus  heiliger  Quelle  geschöpft 
wird.  —  Vgl.  H.  an  den  S.  411,412  angegebenen  Stellen,  R.  S.  115, 
L.  S.  157,  1(51.  Seh.  S.  127  ff.,  133  ff.,  W.  S.  46  (Brautbad),  S.  62 
(Rechtsuuiwandeln  des  Feuere). 

6.  II  e  i  m  f  II  Ii  r  u  n  g.  Schon  im  Eingang  dieses  Artikels  ist  darauf 
hingewiesen  worden,  dass  die  Hcimführung  (domum  deduetio)  des 
Mädchens  aus  dem  Hause  des  Brautvaters  in  das  des  Bräutigams  den 
Indogcrmanen  so  sehr  als  der  charakteristischste  Teil  der  Eheschlics- 
suug  erschienen  sein  inuss,  dass  die  letztere  hiervon  ihre  ältesten  und 
verbreitetsten  Bezeichnungen  (s.  o.)  erhaltet]  hat.  In  sprachlicher  Be- 
ziehung ist  noch  auf  das  diese  lleiinführung  meinende  gemeingertna- 
nische  ahd.  bn'Ulouft,  agls.  bryd  hleap  (bryd-löp  ,  altn.  brud-klaup 
,Brantlauf  =  Hochzeit,  in  sachlicher  darauf  zu  verweisen,  dass  häutig 
mit  der  Braut  das  in  dem  Hause  des  Brautvaters  entzündete  Herd-  und 
Hochzeitsfeuer  in  die  neue  Wohnung  übertragen  wird.  Auch  sonst 
zeigen  die  bei  dieser  Gelegenheit  hervortretenden  Sitten  mancherlei 
Verwandtschaft.  Vgl.  II.  S.  181  ff.,  277,  327,  346,  Seh.  S.  95  ff.,  W. 
S.  64,  68,  71. 

7.  Das  Heben  der  Braut  über  die  Schwelle  des  Hauses. 
Ihr  (bezüglich  des  Brautpaars)  Xicdersitzen  auf  einem  Fell. 
Der  S  c  h  o  s  s  k  n  a  b  e.  In  Indien  wird  westlich  vom  Feuer  ein 
rotes  Stierfell  ausgebreitet.  Zu  diesem  Fell  wird  die  Braut  von  einem 
starken  Manne  getragen,  und  der  Bräutigam  lässt  sie  mit  Segens- 
wünschen darauf  sitzen.  Diese  Zeremonie  hat  uach  den  einen  im 
Brautvaterhause,  nach  den  anderen  und  wohl  den  den  älteren  Zustand 
berichtenden  erst  bei  der  Ankunft  im  netten  Hause  statt.  Dein  ent- 
spricht es,  wenn  bei  den  Römern  die  Braut  von  den  Brautführern 
über  die  Schwelle  des  neuen  Hauses,  wobei  sie  diese  nicht  berühren 
darf,  gehoben  wird  und  sich  auf  ein  mit  Wolle  versehenes  Schaffell 
(pellis  htnata  nach  Festus,  vebcos  nach  Plutarch)  niedersetzen  muss. 
Dazu  wird  berichtet,  dass  bei  der  Conferreatio  der  Flamen  und  die 
Flaniinica  sich  auf  zwei  mit  dem  Felle  des  kurz  zuvor  geschlachteten 
Schates  bedeckten  Sesseln  niedergelassen  hätten.  Im  Norden  Europas 
findet  sich  die  Sitte  der  Brauthebung  besonders  deutlich  bei  den  Ger- 
manen, die  des  Sitzens  (hier  des  Brautpaars)  auf  dem  Schaffell  bei 
den  Slaven  wieder.  Eine  sichere  Erklärung  dieser  Bräuche  ist  nicht 
möglich.  Das  Heben  und  Tragen  der  Braut  fasst  man  als  ("berrest 
der  alten  Raubehe  (vgl.  n.  3.)  auf.  Das  Niedersitzen  der  Braut 
oder  des  Brautpaars  wird  symbolisch  das  Besitzergreifen  der  neuen 
Wohutiug  andeuten,  wobei  das  Tierfell  die  Erinnerung  an  Zeiten  be- 


Digitized  by  Google 


.158  Heirat. 

wahren  wird,  in  denen  es  in  den  Wohnungen  andere  Sitzgelegenheiten 
's.  u.  Hansrat)  noch  nicht  gab.  Weiter  Verbreitung  erfreut  sich 
auch  die  Sitte,  der  Braut  als  symbolischen  Ausdruck  des  Wunsches 
nach  männlicher  Nachkommenschaft  einen  Knaben  in  den  Scboss  zu 
setzen.  —  Vgl.  H.  S.  324,  Sch.  S.  88  ff.,  R.  S.  324,  W.  S.  64,  71,  74,  75. 

8.  Bestreuen  der  Braut  mit  Körnern  u.  dergl.  Noch  vor 
der  eigentlichen  Hochzeit  streut  in  Indien  eine  Verwandte  des  Braut- 
paars aus  einem  Worfelgefäss  Reis  auf  der  beiden  Brautleute  Häupter. 
Ebenso  wird  bei  der  altgriechischen  Hochzeit  das  Paar  am  Hause 
des  jungen  Ehemanns  von  den  Freunden  mit  Datteln,  Naschwerk, 
Feigen,  Nüssen  (KaTaxotfuara)  u.  s.  w.  überschüttet.  Aus  dem  Norden 
Europas  sei  statt  vieler  anderer  (vgl.  namentlich  Mannhardt  Kind  und 
Korn  in  Quellen  u.  Forsch.  XLI  S.  351  ff.)  der  baltische  Brauch  an- 
geführt, wie  ihn  wiederum  Johannes  Lasicins  1615  (s.  o.)  schildert: 
Die  verschleierte  Braut  wird  an  den  Thüren  des  Hauses  herumgeführt 
und  ihr  aufgetragen,  diese  mit  dem  rechten  Fasse  zu  berühren.  Dann 
heisst  es  weiter :  Ad  singulas  fores  circumspergitur  tritico,  siligine, 
acena,  hordeo,  pisis,  fabfo,  paparere,  seqttente  uno  sponsam  cum 
saeco  pleno  omni*  generis  frtigum.  Unzweifelhaft  deutet  die  ganze 
Sitte  auf  die  zu  erhoffende  Fruchtbarkeit  der  Braut  hin.  Mit  Recht 
bemerkt  Mannhardt  a.  a.  O.  S.  365  zu  der  griechischen  Sitte:  „Nüsse 
und  Baumfrüchte  sind  erst  in  historischer  Zeit  über  Kleinasien  nach 
Europa  eingeführt,  während  die  feste  Stellung  des  Beschttttens  mit 
einer  Getreideart  innerhalb  eines  bei  Indern  und  allen  europäischen 
Indogermancn  —  wie  leicht  darzulegen  wäre  —  in  fast  alleu  Stücken, 
sogar  in  der  Reihenfolge  der  Begehungen  übereinstimmenden  Kreises 
von  Hocbzeitsgcbräuclien  es  höchst  wahrscheinlich  macht,  dass  das- 
nelbe  mit  irgend  einer  Halmfrucht  schon  von  dem  nur  ganz  primitiven 
Ackerbau  (s.  d.)  treibenden,  vorzugsweise  dem  Hirtenlebeu  ergebeuen 
Urvolke  vor  der  Völkertrennung  geübt  wurde".  —  Vgl.  H.  S.  299, 
Sch.  S.  112  ff.,  W.  S.  75,  76. 

9.  Beschreiten  des  Ehebetts  vor  Zeugen.  Das  talpäröhana-, 
das  Besteigen  des  torua,  ist  in  Indien  ein  feierlicher  Teil  der  Hoch- 
zeitszeremonien, dem  ohne  Zweifel  die  weltlichen  und  geistlichen 
Hochzeitsgäste  beiwohnten.  Dem  entspricht  es,  dass  in  Rom  die 
Promiba  das  Paar  zum  Thalamus  begleitete  und  daselbst  der  Braut 
Anweisungen  für  den  Akt  gab,  dessen  einzelne  Phasen  unter  den  Schutz 
besonderer  Gottheiten  gestellt  waren  (Dea  Pertnnda,  Perfica  etc.).  In 
der  germanischen  Welt  hat  sich  durch  das  ganze  Mittelalter  hin- 
durch die  Anschauung  erhalten,  dass  eine  Ehe  erst  dann  rechtskraftig 
sei,  wenn  vor  Zeugen  eine  Decke  Mann  und  Frau  „beschlägt". 
Die  Brautführer  (agls.  brgd-boda,  dryht-ealdor,  dryht-guma,  dryht-mon) 
sind  die  Zeugen  dieses  Vorgangs  <  Roeder  a.  a.  0.  S.  55).  Desgleichen 
wird  bei  den  Prcussen  und  Litauern  die  Braut  von  der  ausgelassenen 


Digitized  by  Google 


Heirat. 


Hochzeitsgesellschaft  ins  Schlafzimmer  geleitet,  ins  Bett  „geworfen" 
nnd  so  dem  Bräutigam  Obergeben.  Vgl.  Job.  Lasicius  a.  a.  0.:  Ad 
extremum  introducitur  in  eubiculum:  puhataque  et  verberata  aliarum 
pttgnis,  non  iratarum,  sed  nimia  quadam  laetitia  gestientium,  in  lectum 
inicitur  sponsoque  traditur.  tum  pro  bellariis  afferuntur  testiculi 
caprini  vel  ursini,  quibutt  Mo  nuptiali  tempore  manducatis  creduntur 
conitiges  fieri  foecundi  (aoeh  das  hier  geschilderte  scherzhafte  Durch- 
prügeln der  Braut,  wohl  auch  des  Bräutigams,  sowie  das  Vorsetzen 
einer  Speise  für  das  neue  Paar  im  Ehebett  ist  anderswo  weit  ver- 
breitete Sitte).  Im  gauzen  weist  der  hervorgehobene  Brauch,  der  sich 
aus  dem  Wunsch,  die  Eheeingehung  eines  Paares  handgreiflich  zu  er- 
härten, unschwer  erklärt,  auf  eine  rohere  Auffassung  der  geschlechtlichen 
Verhältnisse,  als  sie  heute  herrscht,  hin.   W.  S.  92  (s.  u.  Keuschheit). 

10.  Änderung  der  Haartracht  bei  der  Frau.  Wie  das  Haar 
in  der  idg.  Völkerwelt  überhaupt  dazu  benutzt  wird,  um  an  ihm  Unter- 
schiede und  Besonderheiten  der  Menschen  kenntlich  zu  inachen  (s.  u. 
Haartracht),  so  tindet  auch  bei  dem  Übergang  des  Mädchens  zur 
jungen  Frau  übereinstimmend  eine  Veränderung  in  der  Weise  statt, 
dass  das  vorher  frei  getragene  Haar  kurz  vor  oder  nach  der  Hochzeit 
gescheitelt  und  unter  ein  Xetz,  Tuch,  Haube  oder  dergl.  gesteckt  ward. 
Vgl.  das  reiche  Material  bei  H.  S.  405/406  u.  Sch.  S.  144  fl". 

Hinsichtlich  der  Beweiskraft  derartiger  Übereinstimmungen,  wie  sie 
in  den  vorstehenden  10  Punkten  mitgeteilt  worden  sind,  für  die  Annahme 
vorhistorischer  Hochzeitsbräuche  bei  den  Indogermanen  kann 
man  die  Frage  anfwerfen,  ob  nicht  derartige  Sitten  auch  bei  gänzlich 
unverwandten  Völkern  wiederkehren,  und  somit  ihre  Übereinstimmung 
auch  bei  den  Indogermanen  mehr  die  Folge  gleichartiger  Entwicklung 
als  vorhistorischer  Gemeinschaft  sei.  Von  diesem  Gesichtspunkt  aus 
hat  namentlich  Leopold  v.  Schröder  in  seinem  oben  genannten  Buch  einen 
Überblick  Uber  die  Hochzeitsbräuche  aller  Völker  der  Erde  gegeben 
und  ist  dabei  zu  dem  Ergebnis  gelangt,  „dass  wir  allerdings  den 
einen  und  den  anderen  Brauch  vereinzelt  bei  diesem  oder 
jenem  Volke  wiederfinden:  nirgends  aber  begegnet  uns  die 
ganze  Serie  der  oben  besprochenen  Bräuche  oder  auch  nur 
der  grössere  Teil  derselben  —  mit  Ausnahme  der  indoger- 
manischen und  (in  diesem  Nachweis  liegt  die  Hauptaufgabe  des 
Buches)  der  finnisch-ugrischen  Völker".  Die  Erklärung  dieser 
letzteren  Tbatsache  erblickt  der  Vf.  wohl  mit  Recht  in  der  Annahme 
einer  uralten  Nachbarschaft  der  indogermanischen  und 
finnisch-ugrischen  Völker,  die  die  Entlehnung  der  Hochzcits- 
bräuche  der  ersteren  durch  die  letzteren  —  für  den  umgekehrten  An- 
satz würde  jede  Wahrscheinlichkeit  fehlen  —  ermöglichte. 

Wie  schon  oben  bemerkt,  sind  hier  nur  die  wichtigsten  und  weitest 
gehenden  Analogien  auf  dein  Gebiete  des  idg.  Heiratszerenioniells  zu- 


Digitized  by  Google 


3»;o 


Heirat. 


sammengcstcllt  wordeu.  Anderes  bedarf  noch  weiterer  Erwägung.  So 
die  in  Indien  teilweis  erhobene  Forderung  geschlechtlicher  Ent- 
haltsamkeit für  kltr/crc  oder  längere  Zeit  nach  der  Hochzeit  (vgl. 
W.  S.  86),  die  in  den  drei  dasselbe  bezweckeuden  Tobiasnächten  der 
Deutschen  wiederkehrcu  könnte  u.  s.  w.  (s.  u.  Keuschheit;.  Keine 
Entsprechung  bei  den  europäischen  Indogermanen  scheinen  die  in  den 
indischen  Riten  stark  hervortretenden  Gebräuche  des  Betretens  des 
Steines  (im  Anschluss  an  die  Feuerumwandlnug)  und  der  sieben 
Schritte  'im  Anschluss  an  die  Haudergreiiung)  zu  finden,  während 
wir  umgekehrt  sahen,  dass  die  in  Europa  festgewurzelte  Sitte  der 
BrautvcrhUllung  (Xr.  in  Indien  nur  in  Spuren  wiederkehrt. 
Manches  scheint  ganz  aus  dem  obigen  Rahmen  herauszufallen,  wie  der 
merkwürdige  von  Herodot  (I,  190)  bei  den  illy rischeu  Vcnctcrn  i ebenso 
wie  in  Babylon '  und  von  Pomponius  Mela  (II,  2,  21)  bei  den  Thrakern 
bezeugte  Brauch,  nach  welchem  die  Mädchen  der  einzelnen  Ortschaften 
jährlich  öffentlich  versteigert  wurden  (vgl.  weiteres  bei  Krek  in  den 
Analecta  Graeeiensia  S.  189  ff.)  u.  a. 

In>  allgemeinen  werden  die  einzelnen  Riten  so  aufeinander  gefolgt 
sein,  wie  sie  in»  obigen  aufgezählt  wurden.  Eine  weitere  Zusammen- 
fassung versucht  Leist  a.  a.  0.,  indem  er  schon  für  die  Urzeit  drei 
Stufen,  nämlich  die  Ehegrüudung,  Eheeinsetzung  und  Ehevollziehung 
unterscheidet,  innerhalb  deren  er  wieder  eine  weltliche  und  gemäss 
seiner  Anschauung,  dass  die  Vorfahren  der  Inder,  Griechen  und  Römer 
„ihren  Rechtsgedanken  schon  in  der  Urzeit  ein  sakrales  Kleid"  gegeben 
hätten,  eine  sakrale  Seite  annimmt.  Entkleidet  man  die  Ausführungen 
dieses  Gelehrten  des  iuristischen  Tiefsinns,  den  derselbe,  wie  auch 
Ohlenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  404*  bemerkt,  in  das  indo- 
germanische und  indische  Altertum  zu  übertragen  allzu  geneigt  ist,  so 
kann  man  sich  mit  der  Annahme  dieser  Hauptakte  der  idg.  Ehe- 
schliessung wohl  befreunden  und  dieselben  kurz  als  Werbung,  Iland- 
ergreifung  und  Heimftthrung  bezeichnen.  Dass  für  alle  diese 
drei  Phasen  auch  urverwandte  Gleichungen  bestchn,  ist  oben  ge- 
zeigt worden. 

Auch  in  der  Betonung  des  sakralen  Charakters  der  idg.  Ebe- 
sehlicssung  dürfte  Leist  zu  weit  gegangen  sein.  Das  indische  Kuhopfer, 
welches  derselbe  als  indogermanisch  voraussetzt  und  mit  dem  ersten 
Stadium  der  Eheeingehung  verbindet,  erweist  sieh  als  ein  spmfiseh 
indischer  Teil  des  gewöhnlichen  Rituells  für  den  Empfang  von  Gästen 
(vgl.  Winternitz  a.  a.  0.  S.  3).  Auch  hinsichtlich  der  übrigen  Opfer, 
welche  bei  Indern  und  Römern  in  Verbindung  mit  dem  Hoehzeits- 
zeremoniell  auftreten,  versagen  sowohl  bei  den  Griechen  wie  besonders 
bei  den  Nordvölkein  die  Parallelen  vollkommen.  Bestehen  bleibt  und 
zweifellos  als  indogermanisch  anzusehen  ist  (vgl.  auch  Winternitz  a.  a.  0. 
S.  02)  die  Verehrung,  die  man  bei  der  Hochzeitsfeier  den  beiden 


Digitized  by  Google 


Heirat. 


361 


Elementen  des  Wassers  und  Feuers  entgegenbringt  (Xr.  5),  Vorstel- 
lungen, die  sieh  durchaus  in  den  Kähmen  dessen  einfügen,  was  wir 
von  altidg.  Religion  (s.  d.)  wissen.  Auch  Ohlenberg  Religion  des 
Veda  S.  462  f.  bemerkt  betreffend  der  indischen  Hochzeitsbräuche : 
„Im  ganzen  bewegen  sich  die  Hochzeitsbräuehe  mehr  auf  dem  Gebiete 
«les  Zaubers  als  auf  dem  des  Opfereultus  .  .  .  Die  Verehrung  der 
<iötter  steht  bei  diesen  Riten  mehr  im  Hintergründe.  Am  nachdrück- 
lichsten wandte  sie  sieh  an  Agni  (ignix ,  den  mit  dem  Leben  des 
einzelnen  und  der  Familie  am  engsten  verwachsenen  Gott  .  .  .  Auch 
verschiedene  Opferspenden  wurden  dargebracht;  dass  aber  bei  diesen 
«ine  wirklich  eingewurzelte  Beziehung  auf  bestimmte  die  Ehe  segnende 
Gottheiten  im  ganzen  wenigstens  nicht  obwaltete,  ist  deutlich  sichtbar." 
An  eine  Mitwirkung  von  Priestern,  selbst  wenn  deren  Vorhandensein 
in  der  Urzeit  (s.  u.  Priester)  überhaupt  erwiesen  werden  köunte, 
wird  man  für  eine  idg.  Hochzeit  nicht  denken  dürfen.  Wäre  wie  bei 
den  Indern  oder  bei  der  römischen  Confarrcatio,  so  etwa  bei  den 
.alten  Germanen  die  Anwesenheit  eines  heidnischen  Priesters  zur  Ein- 
weihung der  Ehe  oder  zur  Vollziehung  feierlicher  Opfer  nötig  gewesen, 
so  würde  die  christliche  Kirche  später  nicht  so  grosse  Mühe  gehabt 
haben,  die  Eheschließungen  in  ihre  Hand  zu  bekommen  (vgl.  darüber 
Weinhold  Deutsche  Frauen  Is,  i)77  ff.). 

Die  idg.  Heirat  ist,  obwohl  von  zahlreichen  religiösen  Vorstellungen 
und  abergläubischen  Gebräuchen  umschlungen,  doch  im  wesentlichen 
eine  rein  weltliche  Angelegenheit  der  Familie  und  Sippe.  Was 
Taeitus  Germ.  Gap.  IM  berichtet:  Intermnt  parentes  ac  propinqui  ac 
munera  probaut,  wird  überhaupt  von  der  Urzeit  gelten.  Eine  weitere 
Beteiligung  der  Öffentlichkeit  findet  nicht  statt,  und  auch  bei  den  Ger- 
manen lässt  sich  die  Teilnahme  der  Volksversammlung  an  Verlobung 
und  Hochzeit  nicht,  wie  man  früher  (vgl.  J.  Grimm  R.-A.S.  4W)  glaubte, 
nachweisen  (vgl.  K.  Lehmann  Verlobung  und  Hochzeit  S.  76). 

Von  weiteren  Fragen,  die  sieh  an  die  älteste  Geschichte  der  idg. 
Heirat  ansehliessen,  ist  über  das  Problem  der  V  e  r  w  a  n  d  t  c  n  h  e  i  r  a  t 
<s.  d.  i  und  lies  H  c  i  r  a  t  s  a  1 1  e  r  s  (s.  d.)  in  besonderen  Artikeln  ge- 
handelt worden.  Hier  erübrigt,  die  Ausdrücke  der  idg.  Sprachen 
Europas  für  die  Begriffe  , Heirat,  heiraten,  Hochzeit,  Trauung' 
zusammenzufassen,  sowohl  die  schon  früher  erwähnten,  wie  auch  die, 
welche  in  den  bisherigen  Ausführungen  keinen  Platz  gefunden  haben: 

Indogermanisch:  vedh  j  ved  (s.o.;.  —  Griechisch:  TOtuos, 
füuot,  -raMe'uj  (vom  Maune),  Tcmeoucu  (von  der  Frau),  entweder:  aw. 
gt'nnö-  in  gä mö^ber eiti-  , Darbietung  zum  Gohlis',  npers.  gäden  .coitieren' 
(Horn  Grundriss  d.  npers.  Ft.  S.  197  i,  oder  :  aw.  zdmi-  .Geburt',  nizä- 
tnayriuti  ,sie  bringen  zum  Gebären',  in  beiden  Fällen  also  auf  den 
Zeuglingsakt  bezüglich,  von  dem  sonst  Benennungen  der  Hochzeit  etc. 
nicht  hergenommen  werden.    Schon  homerisch  Tc'Xoq  tauoio  ,Voll- 


Digitized  by  Google 


Heirat  —  Heiratealter. 


Ziehung  der  Heirat'.  Weiter  dmau*  (dunkel  trotz  Prellwitz  Et.  W.)  und 
uvctoucti  ,bcweibe  mich'  :  t^vr),  böot.  ßavd  ,Weib'.  —  Lateinisch:  nübof 
nuptiae,  uxorem  dtico  s.  o.,  in  matrimönium  ire  etc.  s.  u.  Ehe.  — 
Germanisch:  Ahd.  hirdt  »Vermählung'  (Iiiwan  »heiraten),  eine  Zu- 
sammensetzung ans  *hha-  ,Haus'  im  Sinne  von  , Hausbewohner'  und 
rdt  (altn.  rdd  auch  allein  ,inarriage')  .Hauswesen',  ,Ehestand',  ^Schlies- 
sung der  Ehe';  vgl.  auch  altu.  hjuskapr  ,coniugium'.  Agls.  heemed, 
hdmede  :  hdm  ,Heim',  eigentl.  »HeimführungY?),  dann  ,coitns',  »nuptiae', 
»connuhium',  gift  ,nuptiae',  eigentl.  »Übergabe*  (altn.  gefa  »verheiraten'). 
Altn.  gipting  und  kvdnfdng  .nuptiae'  (vgl.  weiteres  bei  J.  Grimm  R.-A. 
S.  419,  und  Rocder  a.  a.  0  S.  47  ff.).  Mehrere  Bezeichnungen  sind  von 
der  Hochzeitsfestlichkeit  hergenommen.  Vgl.  ahd.  hileich,  agls. 
bryd-lac,  wed  läc,  icif-läc,  htemed-ldc  (von  den  Hochzeitsliedern),  mhd. 
höchzit  (ursprünglich  jedes  hohe  Fest),  altn.  fesfaröl,  ölstemna,  agls. 
brt/d-ealu  (vom  Hochzeitsbier),  agls.  gemung  (:  ahd.  gauma  ,cocna\ 
vom  Hochzeitsiiiahl).  Sammlung  bei  Weinhold  Deutsche  Frauen  1% 
362  Anm.  und  Roeder  a.  a.  0.  Allein  steht  das  Gotische  mit  liugan 
»heiraten'  (s.  u.  Eid).  Über  krimgot.  marzus  »Hochzeit',  *marp6a  s.  o. 
—  Slavisch:  Altai,  brdky  .Hochzeit',  Plural  zu  brakil  ,Ehc'  (un- 
erklärt trotz  Krek  in  den  Analecta  Graeciensia  S.  186).  Auch  pirü, 
eigentlich  ,auuTröo"tov'  wird  in  mehreren  Slavinen  zur  Bezeichnung  der 
Hochzeit  verwendet.  Altsl.  sagati  etc.  s.  o.  Im  übrigen  macht  sich 
hier  in  christlicher  Zeit  ein  Unterschied  zwischen  der  Einflnsssphäre 
der  griechisch-katholischen  und  der  der  römisch-katholischen  Kirche 
geltend.  Im  Kirehenslavischen,  Russischen  u.  s.  w.  heisst  »Tranen' 
tuhitcati,  renvaü,  cutsprechend  dem  griech.  öTeepovoöv  (Braut  und  Bräuti- 
gam werden  mit  einem  Reifen  bei  der  Hochzeit  versehen),  wahrend 
im  Westen  sehr  verschiedene  Ausdrücke,  z.  B.  cech.  oddavky  Plur.  f. 
eigentl.  Ȇbergabe  der  Braut'  (vgl.  oben  agls.  gift),  poln.  x'hib,  eigentl. 
.Versprechen'  herrschen  (weiteres  vgl.  hei  Miklosich  Denkschr.  d.  Wiener 
Ak.  d.  W.  phil-hist.  Kl.  XXIV,  33).  —  Das  Litauische  erweist  sich  auf 
diesem  Gebiete  ganz  abhängig  vom  Slavischen.  Aus  rencatl  stammen 
uefieziaica  , Trauung',  icencziatcoju  .traue',  wenciiavcöne  .Trauung'  ,wen- 
chawonyate  »Ehestand',  aus//«/*:  szlt'tbas  , Trauung'.  Hierher  gehören 
wohl  auch  lit.  nqliuba  ,Ehe,  Hochzeit,  Trauung'  und  altpr.  mJnuban 
,Ehe',  sahibma  .Trauung'.  Entlehnt  aus  dem  Slavischen  sind  endlich 
auch  die  beiden  litauischen  Ausdrücke  für  »Hochzeit',  aicodba  und 
icesttt,  ersteres  aus  altsl.  svadba  »nuptiae'  :  sratü  aus  *svojatü  .affinis' 
(die  südslavischen  scati  sind  die  Hauptfunctionärc  bei  der  Hochzeit)», 
letzteres  aus  altsl.  teselü  »fröhlich',  klruss.  risile  »Hochzeit'.  —  S.  u. 
Ehe  und  u.  Familie. 

Heiratsalter.  Die  Völkerkunde  lehrt,  dass  für  die  Bestimmung 
des  Heiratsaltcr8  bei  Männern  und  Frauen  namentlich  zwei  Faktoren 
bestimmend  sind,  einmal  die  Verschiedenheit  des  Klimas,  indem  t*üd- 


Digitized  by  Google 


Heiratsalter. 


:-»f,3 


liehe  Gegenden  ein  früheres  Eintreten  der  Pubertät  herbeizuführen 
scheinen,  und  zweitens  die  Höhe  oder  Tiefe  der  Kulturstufe,  indem  die 
erstere  ein  Hinausschieben  des  Heiratsalters  zu  verursachen  pflegt  (vgl. 
Ploss  Das  Weib 9  S.  386  ff.).  Diese  Gesichtspunkte  werden  daher  auch 
bei  der  Beurteilung  der  idg.  Verhältnisse  zu  bedenken  sein. 

In  dem  homerischen  Griechenland  setzt  die  Fabel  der  Odyssee  ein 
sehr  frühes  Heiratsalter  voraus;  denn  Penelopeia  erfreut  sich  noch 
nach  20 jähriger  Abwesenheit  ihres  Ehegemahls  einer  alle  Freier  be- 
strickenden Frische  und  Schönheit.  Auch  später  kommen  noch  Ehen 
vor,  in  denen  die  Frau  15  (Xenoph.  Occ.  VII,  5),  der  Mann  18  Jahre 
(Demosth.  in  Boeot.  p.  1009)  zählt.  Dem  gegenüber  macht  sich  aber 
bei  Dichtern  und  Philosophen  frühzeitig  eine  Strömung  geltend,  die 
einen  späteren  Eintritt  in  die  Ehe  empfiehlt.  Vgl.  Hesiod  W.  n. 
T.  v.  695  ff.: 

dbpatos  b€  YuvaiKa  tcöv  ttoti  oTkov  ärftaBai, 
urrre  Tpir)KÖvTiuv  ^T€u>v  uäXa  ttöXX'  äTToXeiTrwv 
unj'  ^Ttiöeiq  uäXa  TroXXä*  YaMO£  °^  T°l  ü>pio<;  oüto$, 
n,  be  tovfj  T^iop  rißwoi,  TrcuTrruj  bl  y<*uoTto, 
und  Aristot.  Polit.  IV,  14  (Snscmihli:  biö  Tctq       äpuÖTxei  Trepi  Tf|v  öktu>- 
KaibeKa  £tu>v  f|Xndav  CFuZeuYVuvat,  tou$  b'  ^tttci  Kai  TpidKOVTa  f|  uixpöv. 

Ganz  im  Gegensatz  hierzu  haben  die  römischen  Juristen  von  An- 
fang au  bis  in  späte  Zeiten  den  wirklichen  Eintritt  der  Pubertät  in 
Italien,  d.  h.  für  die  Jungfrau  das  12.,  für  den  Jüugling  das  14.  Lebens- 
jahr, als  frühsten  Heiratstermin  festgesetzt,  und  es  scheint,  dass  nament- 
lich in  der  älteren  Zeit,  aber  auch  noch  später,  häufig  von  dieser  Er- 
laubnis Gebrauch  gemacht  wurde.  Konnte  doch  noch  die  Lex  Julia 
und  Papia  Poppaca  bei  Vermeidung  schwerer  Strafen  verlangen,  dass 
ein  Weib  mit  20  Jahreu  Kinder  geboren,  und  ein  Mann  mit  25  Jahren 
solche  erzeugt  habe.  Einen  höchst  altertümlichen  Eindruck  macht  dabei 
die  in  früher  Zeit  bestehende  Einrichtung,  nach  welcher  vor  der  Ver- 
heiratung oder  Pubertätserklärnng  der  Körper  des  Jünglings  auf  seine 
Beschaffenheit  und  Zeugungsfähigkeit  untersucht  wurde  /  vgl.  Rossbach 
Die  römische  Ehe  S.  404  ff.  und  über  ähnliche  Verhältnisse  bei  den 
Griechen  Th.  Bergk  Beiträge  zur  griechischen  Monatskunde  S.  37). 

Schwieriger  sind  die  nordeuropäischen,  speziell  die  germanischen 
Verhältnisse  zu  verstehn.  Schon  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  21  berichtet: 
Qui  diutissime  imputiere*  permanserunt,  ma.vimam  inter  suo*  ferunt 
laudem:  hoc  all  staturam,  ali  vires  nervosque  confxrmari  putant.  intra 
annum  vero  vicesimuni  feminae  notitiatn  habuisse  in  turpissimis  habent 
rebus;  cuitts  rei  nulla  est  occultatio,  quod  et  promiscue  in  fluminibus 
perluttntur  et  pelhbus  ant  parris  renonum  tegimentis  utuntttr,  magna 
corporis  parte  mala  (letzteres  beiläufig  ein  dunkler  Satz;  denn  wie 
kann  ein  stattgehabter  Gcschlcchtsnmgang  bei  Knaben  oder  Mädchen 
auf  diesem  Wege  offenbar  werden  Vi.   Hierzu  fügt  Tacitus  Germ.  Cap.  2u : 


Digitized  by  Google 


3fA 


Heiratsalter  —  Helm. 


Sera  iuvenum  venu*  eoque  ine.rkausta  pubertas.  nec  virgines  festi- 
nantur;  eadem  iucenta.  siiuilis  procerita*:  parea  validaeque  miscen- 
tur,  ac  robora  parentum  liberi  referuut.  Indessen  stimmt  hiermit, 
was  wir  sonst  aus  dem  germanischen  Altertum  wissen  (vgl.  Weinhold 
Deutsche  Frauen  1  294  und  F.  Roeder  Die  Familie  bei  den  Angel- 
sachsen Stud.  z.  engl.  Phil.  IV,  22,  der  eine  agls.  Kussordnung  an- 
führt, nach  der  Mädchen  noch  vor  dem  15.  Jahre  heiraten  konnten), 
sehlecht  (Iberein,  und  auch  heute  noch  steht  unsere  ländliche  Bevölke- 
rung zum  grosseu  Teil  auf  dem  Standpunkt  Hermanns  in  Hermann 
und  Dorothea,  der  trotz  seiner  18  Jahre  „der  Gattin  entbehrt".  Will 
man  daher  nicht  annehmen,  dass  in  Deutschland,  etwa  durch  römische 
Einflüsse,  eine  Verschiebung  der  Sitten  in  peius  stattgefunden  habe 
(schon  das  lungohardische,  friesische,  sächsische  Hecht,  der  Sachsen- 
spiegel, das  ältere  kanonische  Hecht  setzen  12  und  14  Jahre  als 
Heiratsgrenzen  fest),  so  wird  man  die  Darstellung  des  Caesar  und 
Tacitus  so  auffassen  müssen,  dass  ihnen  ein  immer  noch  frühes  Heirats- 
alter der  Germanen  (etwa  von  IG  und  20  Jahren  wie  nach  dem  heu- 
tigen Keiehsgesetzi  als  ein  relativ  spätes  den  Sitten  ihrer  Heimat  gegen- 
über erschien. 

Sehr  früh  heiratet  wenigstens  das  Mädchen  auch  bei  den  arischen 
Indogcrmauen.  Der  Vendidad  schreibt  das  15.  Lebensjahr  vor,  und 
bei  den  ludern  ist  von  sehr  früher  Zeit  an  die  Sitte  der  Kinder- 
hochzeiten  bezeugt  {bülavirdha),  bei  denen  Mädchen  im  zartesten 
Alter  ynagnikü  , nackt  ,  weil  sie  noch  nackt  herumlaufen)  einem  Manne 
\  erheiratet  werden,  der  die  letzte  Zeremonie,  garbhüdhäna-  , Befrach- 
tung' genannt,  natürlich  erst  nach  eingetretener  Pubertät  vollzieht 
(ausführlich  Jolly  Recht  und  Sitte  S.  54).  Spuren  solcher  Kinder- 
hochzeiten oder  Kindervcrlobungen  sind  übrigens  auch  in  Europa,  bei 
Germanen  (z.  B.  im  Waltharilied  zwischen  Walthcr  und  Hildegunde, 
vgl.  Weinhold  a.  a.  0.,  Germania  XXXV,  48)  und  Kelten  (vgl.  Walter 
Das  alte  Wales  S.  410),  nachweisbar. 

Im  allgemeinen  wird  man  anzunehmen  haben,  dass  frühe  Heiraten 
(s.  auch  u.  Erbschaft)  bei  den  altidg.  Völkern  die  Regel  bildeten. 

Hei ratsverwandtsehaft ,  s.  S  c  h  w  i e g e  r-,  F a  in  i  1  i  e. 

Heiratszeiten,  s.  Heirat. 

Heizung,  s.  Ofen. 

Helm.  Der  metallene,  zunächst  bronzene  Helm,  welcher  bereits 
den  homerischen  Helden  wie  auch  den  etrurischen  und  altrömisehen 
Hopliten  schirmt,  und  auch  schon  auf  mykenischen  Abbildungen  vor- 
kommt (vgl.  Schliemann  Mykenae  S.  259),  tritt  in  Mittel-  und  Nord- 
europa sehr  spät  auf.  Das  Kopenhagencr  Nationalmuscum  besitzt 
unter  seinen  reichen  Bronzesehätzen  nur  das  Kinnstück  eines  Bronze- 
helms mit  Goldbclag.  Die  Publikation  J.  Xaues  Die  Bronzezeit  in 
Oberbayern  (München  1894i  weiss  von  keiner  Spur  eines  Helms  zu  be- 


Digitized  by  Google 


Helm. 


365 


richten.  Erst  in  der  Hallstattperiode  werden  Funde  bronzener  Helme 
etwas  häutiger,  deren  älteste  Stücke  das  k.  k.  naturhistorischc  Hof 
museum  zu  Wien  aus  dem  Gräberfeld  zu  Waatsch  in  Krain  bewahrt. 
Eiserne  Helme  weist  dann  die  La  Tenc-Periode  auf.  Weiteres  über 
Helmfunde  in  Mitteleuropa  vgl.  bei  Lindcnschmit  Altertümer  unsrer 
heidnischen  Vorzeit  I  (n.  d.  Index)  u.  III,  Beilage  zu  Heft  1  8.  lf>, 
sowie  im  General-Register  der  Z.  f.  Ethu.  1 — XX.  Dass  auch  in 
Italien  während  der  älteren  Bronzezeit  der  Helm  eine  unbekannte  Sache 
war,  beweisen  die  Funde  in  den  Pfahlbauten  der  Pochne. 

In  sprachlicher  Hinsicht  fehlt  denn  auch  jede  auf  Urverwandt- 
schaft beruhende  Übereinstimmung  in  den  Namen  des  Helms.  Dieselben 
gehören  den  Einzelsprachen  an  und  bezeichneten  entweder  von  Haus 
aus  eine  unmetallische  Kopfbedeckung,  Kappe,  Hut  u.  dergl.,  oder  sie 
sind  hergenommen  von  der  Ähnlichkeit  des  Helmes  mit  der  Schüssel 
(Schüsselhelm)  oder  dem  Topf,  oder  sie  haben  endlich  ursprünglich 
nichts  anderes  als  .Sehnt/;,  »Schirm'  bedeutet.  Griech.  xöpu£,  KopuGo?, 
wenn  ursprünglich  , Haube",  stellt  sich  :  sert.  cü'da-  aus  *kerdha-  (Fröhde 
B.  B.  III,  132) , Wulst',  oder  es  ist  —  sert.  cart't-  .Topf,  wie  griech.  xpetvo«; 
,Helm'  zu  Kpotvov  .Schädel'  und  K^pvov  .Schüssel'  und  TrnXr|£  .Helm' 
zu  ttcXXi?  .Becken'  gehören.  Kuven.  :  küujv)  war  ursprünglich  nur  die 
Kappe  von  Hundsfcll;  doch  schon  bei  Homer  begegnet  neben  Kuverj 
Taupein.,  KTibirj,  acrein,  auch  die  Kuven,  xa^HPH?  oder  Trdfxa^KO^  {vgl. 
aw.  ayö-yaoda-  ,Helm',  eigentl.  ,Erzmützc'.  Das  Lateinische  hat 
zwei  Ausdrücke  für  den  Helm:  cassis,  cassUlis  (cassifa  Fest.'  für  den 
metallenen,  erst  ehernen,  dann  seit  Camillus  >  Plutarch  Camill.  40)  eisernen 
Helm,  galea  für  den  ledernen.  Von  diesen  gehört  cassis  aus  *cat-ti- 
wahrschcinlich  zu  den  gemeingermanisehen  Benennungen  des  Hutes 
(ahd.  hitot,  agls.  höd  , Haube',  hat,  altn.  höttr),  während  galea  nebst 
galear,  galnnis,  galenum  Entlehnungen  aus  -foAen,  , Wiesel'  sind,  «las 
auch  Kopfbedeckungen  aus  Wiesellcll  bezeichnet  haben  wird ;  vgl.  oben 
die  kuv^h  KTibtn,  , Haube  aus  Wieselfell',  wie  sie  Dolon  (II.  X,  335) 
trägt.  —  Im  Norden  finden  wir  die  festländischen  Gallier  als  Träger 
der  La  Tenc-Periode  (s.  o.  >  nach  Diodor.  V,  30  zeitig  im  Besitz  metal- 
lener Helme :  Kpdvr)  be  xa^K<*  itcpmGcvTai,  petaXa^  t£oxä?  tE  aüxiüv 
IxovTa  ....  toi?  uev  Tap  TTpooKeiTm  o*un<pun.  Ktpata  u.  s.  w.  Das 
etrnrische  Vorbild  eines  solchen  börnergeschmürkten  Hehns  ist  von 
Lindcnschmit  a.  o.  a.  0.  I,  3,  II  veröffentlicht.  Au  altkcltisehen  Namen 
des  Helms  fehlt  es  noch.  Stokcs  Ir.  Gl.  2(>  bietet  at  t)  cluic  (^Glocken- 
wulst"  ?,  vgl.  nir.  c.logad  ,Helm'),  Windisch  LT.  cathbarr  (Zeuss  Gr. 
C*  41  harr  ,Spitze'  allein  für  cassis).  Bei  den  Germanen  hingegen 
wird  die  Seltenheit  des  Hehns  von  den  klassischen  Schriftstellern  aus- 
drücklich hervorgehoben.  Die  Leute  des  Ariovist  kämpften  barhäuptig 
(Cassius  Dio  XXXVIII,  50).  Nach  Tacitns  Genn.  Cap.  6:  Vix  uni 
alterice  cassis  aut  galea.    Die  (iermanen  der  Marcus-Säule  sind  ohne 


Digitized  by  Google 


Helm  —  Herbst. 


Helm  abgebildet.  Gleichwohl  besteht  ein  gememgermanischer  Aus- 
druck: got.  hilms,  ahd.  heim,  altn.  hjdlmr  (=  scrt.  $ärinan-  ,Schutz), 
der  ost-  und  westwärts  entlehnt  wurde,  ostwärts  von  den  statischen 
Sprachen  (altsl.  slemü,  altruss.  selom,  auch  lit.  szülmas ;  daneben  altsl. 
galija  etc.  aus  lat.  galea,  inhd.  gälte),  westwärts  in  das  Romanische 
(nilat.  helmus  in  den  Reichenauer  Gl.,  it.  elmo  etc.),  ein  gewichtiges 
Zeugnis  späterer  germanischer  Waffen technik.  —  S.  u.  Kopfbe- 
deckung und  u.  Waffen. 

Hemd.  U.  Kleidung  ist  gezeigt  worden,  dass  die  älteste  idg. 
Tracht  den  Begriff  des  Unterkleides  (Rockes)  noch  nicht  kannte.  Es 
ergiebt  sich  hieraus  von  selbst,  dass  das  noch  unter  dem  Unterkleide 
getragene  II  e  m  d  ein  verhältnismässig  junger  Kulturcrwerb  sein  muss. 

Eine  wichtige  Rolle  in  seiner  Geschichte  spielen  die  Germanen. 
Schon  auf  der  Marcus-Säule  (vgl.  Petersen  S.  47)  tragen  die  vollbe- 
kleideten Barbarengestalten,  Männer  wie  Frauen,  langärmliche  Hemden, 
dereu  altgermanische  Benennung  iu  ahd.  hemidi,  agls.  hemepe  (*hameipja, 
*kamitjo-  :  altn.  hamr  ,H(llle,  Haut  )  vorliegt.  Das  germanische  Wort 
ist  nun  einerseits  in  die  keltischen  Sprachen  (kymr.  hefis  , Frauengewand', 
ir.  caimmse  ,nomen  vestis'),  andererseits  in  die  spätlateinische  Soldaten- 
spraebe  (camism;  vgl.  bei  G.  Goetz  Thes.  I,  171:  camissa'  haam)  und 
in  das  Romanische  eingedrungen  (vgl.  Kluge  Et.  W. 6  s.  v.  Hemd). 
Mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  kann  daher  die  in  Rom  erst  im  IV. 
Jahrhundert  nachweisbare  Sitte,  unter  der  wollenen  Tnnica  ein  leinenes 
Hemd  zu  tragen,  etwa  wie  der  Gebrauch  der  Hosen  (s.  d.),  als  eine 
Entlehnung  von  den  nördlichen  Barbaren,  speziell  von  den  Germanen, 
angesehn  werden.  Wollene  tunicae  inferiores  oder  subueulae  waren 
allerdings  schon  zur  Zeit  des  Plautus  in  Gebrauch  (vgl.  Marquardt 
Rom.  Privatleben  S.  470,  535).  Der  altn.  Name  für  das  Hemd  ist  serkr 
(vgl.  Kluge  in  Pauls  Grnndriss  I8,  344  s.  v.  sarciaY);  auch  er  hat  viel- 
leicht eine  weite  Wanderung,  und  zwar  in  Ostlicher  Richtung,  ange- 
treten, wenn  altsl.  sraka,  russ.  soroka  , Kleidung',  sorocka  ,Hcmd",  tinu. 
särk  ,IIemd'  mit  Recht  aus  ihm  hergeleitet  werden.  Andere  denken 
freilich  an  eine  umgekehrte  Wauderungsrichtung.  Vgl.  aus  den  Eiuzel- 
8prachcn  fllr  ,Hcmd'  noch  geraeiusl.  koittlja  (russ.  ,Pelz"),  lit.  marszkinial 
(:  miirszka  .dichtes  Fischernet//),  altpr.  northe,  nurtue  (vgl.  lit.  ne'rti 
,hiueinschlUpfen').    Über  ir.  Une  8.  ti.  F 1  a  c  h  s. 

Hengst,  s.  Pferd. 

Henkel,  s.  Ge lasse. 

Henker,  s.  Strafe. 

Herberge,  s.  Gasthaus. 

Herbst.  Eine  idg.  Bezeichnung  für  diese  Jahreszeit  lässt  sich 
nicht  nachweisen,  wie  denn  noch  Tacitus  Germ.  Cap.  20  ausdrücklich 
hervorhebt:  Autumni  perinde  nomen  ac  bona  ignorantur.  Auch  die 
ältesten  Griechen  unterschieden  noch  keinen  Herbst  in  unserem  Sinne, 


Digitized  by  Google 


I 


Herbat  -  Herd.  367 

-da  die  ömupa  Spätsommer'  (6n-  in  Öm6tv,  dipc  ,spät*  und  öipa,  eigentlich 
freundliche  Jahreszeit  )  viel  früher  begann  und  noch  die  heisseste 
Zeit  des  Sommers  in  sich  schloss.  Erst  von  Hippokrates  an  finden 
wir  einen  dem  unsern  entsprechenden  Herbst,  der  als  u€TÖmupov  und 
<p9ivÖ7Tuipov  (,die  ömupa  vernichtend  )  bezeichnet  wird  (vgl.  Ideler  Lehr- 
buch der  Chronologie  S.  101  ff.).  Die  Ausdrücke  der  Einzelsprachcn 
sind  naturgemäss  am  häufigsten  aus  Wörtern  erwachsen,  welche  ur- 
sprünglich so  viel  wie  , Keife',  , Reife  der  Früchte'  ausdrückten.  So 
ahd.  herbist,  agls.  hwrfest  (auch  altn.  haust?)  :  gricch.  Kapirö«;;  die 
eigentliche  Bedeutung  von  „Herbst"  ist  noch  in  Oberdeutschland  Obst- 
und  Weinernte.  Altpr.  assanis,  altsl.  jesenl  , Herbst'  gehören  zu  got. 
asans  .Sommer',  ahd.  aran  ,Erntc\  altn.  önn  , Feldarbeit'  (vgl.  got. 
asneis,  agls.  esne,  ahd.  esni  .Tagelöhner').  Lat.  autumnus  oder  auc- 
tumnus,  ursprünglich  wohl  der  Name  einer  Gottheit  (vgl.  Vertumnus, 
Portumnus),  werden  mit  altn.  auör  ,Wohlstand'  oder  mit  lat.  augeo, 
lit.  augmii  , Wachstum'  zu  verbinden  sein.  Auch  Bezeichnungen  wie 
„Vorwinter"  kommen  nicht  selten  vor:  ßech.  podzhni,  slov.  predzima, 
ir.  foghmhar,  fomhar,  altir.  fogamur  ,a  name  for  the  last  month  in 
the  autumn'  (:  slav.  zima,  ir.  gam  , Winter').  Allein  steht  lit.  rtidü  : 
rüdas  ,braun-rot'  (von  der  Farbe  der  Blätter).  Über  sert.  <;ardd-  8.  u. 
Jahr.  —  S.  u.  Jahreszeiten  und  u.  Zeitteilung. 

Herd.  Eine  vorhistorische  Bezeichnung  des  Herdteuers  hat  sich 
in  der  Gleichung  gricch.  att.  tojia,  arkad.  Ficrria  i  bei  Homer  nur  als 
Appellativum  für  Herd  gebraucht  und  erst  später  personifiziert)  =  lat. 
Vesta  ,Göttin  des  heiligen  Herdfeuers',  ursprünglich  zweifellos  das 
Herdfeuer  selbst  erhalten.  Allerdings  haben  mehrere  Forscher  (zuletzt 
P.  Kretschmer  Einlcit.  S.  162  ff.)  den  gesamten  lateinischen  Vcstakultus 
zusammen  mit  dem  Namen  seiner  Beschützerin  für  entlehnt  aus  west- 
griechischem Kulturgebiet  angesehen.  Indessen  machen  doch  der  ein- 
fache Grundgedanke  dieses  Gottesdicustcs,  die  Bewahrung  eines  peren- 
nierenden heiligen  Feuers  (s.  u.  Religion)  und  zahlreiche  Züge,  mit 
denen  derselbe  in  Rom  ausgestattet  ist,  die  Wiederanzündung  der 
Flamme  mittelst  Quirluug  von  Hölzern  (s.  u.  Feuerzeug),  das  Tragen 
derselben  in  einem  ehernen  Sieb  (s.  u.  Eisen),  die  Totpeitschung  der 
schuldigen  Vestalin  (s.  u.  Strafe),  die  runde  Gestalt  des  Vcstatempels 
(s.  u.  Haus)  u.  a.,  so  sehr  den  Eindruck  höchster  Altcrtünilichkcit,  dass 
man  sich  schwer  entschliessen  wird,  an  einen  verhältnismässig  späten 
Ursprung  dieser  durch  ihr  Alter  ehrwürdigen  Einrichtungen  zu  glauben. 
Auch  ist  der  Gedanke  eiuer  göttlichen  Verehrung  des  Herdfeuers 
keineswegs  auf  die  höheren  Kulturen,  die  Inder,  bei  denen  er  in  der  Gestalt 
des  Agni,  des  Hüters  von  Haus  und  Herd  (grha-pati-),  einen  lebendigen 
Ausdruck  gefunden  hat,  auf  die  Iranicr,  bei  denen  das  Herdfeuer  als 
nmdnö-paiti-  ,Herr  des  Hauses'  bezeichnet  wird,  auf  Griechen  und 
Römer  beschränkt.    Nicht  weniger  hat  sich  bei  den  alten  Preusscn 


Digitized  by  Google 


368  H«'rd. 

und  Litauern,  also  in  ganz  zurückgebliebenen  Kultumiständen,  eine 
„Göttin  des  brennenden  Herdes",  Polengabia  :  altpr.  pelanno  ,HerdT 
(s.  u.)  entwickelt  (Altpr.  Monatsschrift  IV,  127,  vgl  auch  Hartknocb 
Altes  und  neues  Preusscu  S.  179  und  bei  Uscner-Solmscn  Göttcrnamen 
S.  86  über  die  litauische  Aspel e nie  ,die  hinter  dem  Herde  wohnende 
Göttin').  Noch  den  heutigen  Armeniern  (vgl.  Mtlg.  d.  Wiener  nnthrop. 
Ges.  XXII,  145)  ist  der  Herd  das  „religiös  geheiligte  Symbol  der 
Familie".  Man  schwört  bei  ihm,  wie  es  schon  die  homerischen  Griechen 
(Od.  XIV,  159)  bei  ihrer  krrin,  thaten.  Endlich  berichtet  auch  Herodot 
von  den  Skythen  (IV,  59»:  Gcou?  |uev  p-ouvou«;  Toutfbe  IXäöKOVTCu,  'laTinv 

uev  uäXiaTa  oüvonäZcTai  bi  Iku6io"t\  'löTin  uev  Taßm  fetwa 

für  Taßrfi?  zu  altpr.  Polen  gabia  s.  o.;  vgl.  auch  die  altpr.  Göttcr- 
namen Gabartai,  GahjauLurx  etc.?}. 

So  dürfte  die  Heilighaltung  des  Herdfeuers  eine  der  ältesten  reli- 
giösen Vorstellungen  sein,  die  wir  bei  den  Indogermanen  finden,  wenn- 
gleich die  Herausbildung  eigentlicher  von  dem  Element  des  Feuers 
losgelöster  Götter-  oder  Göttinnengestalten  erst  der  Sonderentwicklung 
der  Einzelvölker  angehören  wird. 

Auffällig  ist  die  geringe  Verbreitung  der  Gleichung  ioria- Vesta  (über 
lat.  vestihulum  s.  u.  II  aus).  Die  eigentliche  idg.  Benennung  des  Herd- 
feuers ist  daher  vielleicht  in  den  allgemeinen  Ausdrücken  für  Feuer 
(s.  d.),  vor  allem  in  der  Reihe  sert.  agni-,  lat.  ignia  u.  s.  w..  mit  enthalten 
gewesen.  Es  wird  nach  der  Auffassung  der  Urzeit  zwei  heilige  Feuer 
gegeben  haben:  das  Feuer  auf  dein  häuslichen  Herd  und  das  im  Blitz 
(s.  u.  Gewitter)  aus  der  Wolke  herniederfahrende  Feuer.  Für  beide 
hat  derselbe  Ausdruck  vielleicht  lange  Zeit  ausgereicht. 

Die  Stelle  im  Mittelpunkt  des  Hauses,  wo  dieses  heilige 
Feuer  loderte,  scheint  in  der  Urzeit  als  „Asche"  oder  „Aschenplatz" 
bezeichnet  worden  zu  sein.  Es  finden  sich  mehrere  urverwandte  Sprach- 
reihen, in  denen  die  Bedeutungen  von  Asche.  Herd  und  Altar  —  denn 
naturgemüss  wird  der  Herd  zur  Opferstätte  des  Hauses  —  in  einander 
übergehen.  So  namentlich  in  der  Reihe:  sert.  am-  .Asche,  äshtn- 
, Feuerplatz'  =  lat.  ära,  umbr.  am  .Altar',  altn.  arenn  .Erhöhung.  Herd' 
(nun.  arina  .Herd  ),  ahd.  arin,  erin  ,Altar,  Fussboden,  Ereu  .  Auch 
ahd.  essa,  nord.-finn.  ahjo  ,ustrina,  eaminus  fabrilis'  wird  hierherge- 
hören (W.  (U  :  am.  Vgl.  ferner  griech.  ^xötpn  .Herd'  :  got.  azgö 
.Asche',  während  altn.  aska,  alid.  asca  :  griech.  do"ßoXoq  .Russ'  zu  stellen 
ist  (anders  U'hlenbeck  Et.  W.  d.  got.  Spr.i  und  altpr.  pelanno.  lit. 
peline  ,Herd'  i.s.  o.)  :  altpr.  pelanne,  lit.  pelenai,  altsl.  pepeltl  u.  s.  w. 
, Asche'.  Ähnlich  ir.  ong  .Herd  :  sert.  äiigara-,  lit.  an  glitt,  altsl.  ongli 
.Kohle  (Zusammenhang  mit  agni  ignis?  ,  ahd.  herd,  agls.  heorp  :  got. 
hauri  ,Kohle'(?)  uml  griech.  öbiaq-  icxäoa,  ßuuuö<;  :  äbaXöq  ■  ÄaßoXo? 
.Russ"  (Hesyeh).    Über  alb.  vatrt  ,Herd'  s.  u.  Feuer. 

Etwas  näheres  über  die  Beschaffenheit  des  ältesten  Herdes,  ob 


Digitized  by  Google 


Hi-nl  —  Himmel. 


derselbe  bereits  einen  künstlichen  Aufbau  darstellte,  oder,  wie  wahrschein- 
licher, mich  aus  einer  einfachen  Grube  bestand,  in  der  das  Feuer 
brannte  (vgl.  auch  R.  Meringcr  Der  indogermanische  Herd  Mitlg.  d. 
Wiener  anthrop.  («es.  XXI,  läuft',  und  M.  Heyne  Das  deutsche 
Wohnungswesen  S.  34  f.),  wird  sicli  nicht  ermitteln  lassen.  Weiteres 
8.  u.  Ofen  und  Haus,  dessen  wichtigster  Bestandteil  nach  allem  bis- 
herigen der  Herd  ist.  Es  ist  daher  begreiflich,  dass  oft  Herd  fllr  Haus 
und  Familie  gesetzt  wird.  So  in  grieeh.  4<rrict  und  lat.  focus,  in 
armen,  odxchah  (ein  tatarisches  Wort)  u.  a.  Besonders  bezeichnend 
ist  das  altrussische  ognixcaninn  der  Pravdas  (von  ogniste  ,Herd'  :  ognt 
,Feuer'),  «las  eigentlich  , Herdbesitzer',  dann  »Hausbesitzer',  dann  all- 
gemein ,Mann'  (als  Rechtssubjekt)  bedeutet. 

Herde,  s.  Viehzucht. 

Herdum Wandlung,  s.  Heirat. 

Hering,  s.  Häring. 

Hermelin,  s.  Pelzkleider. 

Heroenkult,  s.  Ahnenkult. 

Herrseher,  s.  König. 

Heuschrecke.  Die  bis  jetzt  keine  vorhistorischen  Zusammenhänge 
zeigende  Terminologie  des  Tieres  benennt  dasselbe  vorwiegend  als 
»Springer.  So  lat.  locusta  ans  *tlocnstat  vielleicht  :  got.  plahxjan 
»erschrecken'  (vgl.  ahd.  hetri-skrekko  :  ahd.  screckdn  »auffahren,  springen' 
und  hewi-stapfo  :  stapf  , Tritt  ),  got.  pramst ei  (nach  Grimm  und  Schade: 
alts.  thrimman  ,sich  bewegen',  Hei.  »002:  thram  imu  an  innan  möd 
bittro  an  ix  hr eostun,  —  lat.  tremo,  gricch.  Tpeuw),  altsl.  pragü  :  W. 
preng  =  ahd.  springan  und  skaclkü  :  skokü  ,S prang'.  —  Meistens 
noch  unaufgeklärt  sind:  grieeh.  rrapvoip,  iröpvoiy,  xöpvoiy  (G.  Meyer 
Gricch.  Gr. 3  S.  60),  äicpi«;  (vgl.  Prellwitz  Et.  W.  d.  gricch.  Spr.)  und 
ßpoÜKoq,  kret.  ßpeÜKoq  i  :  ßpikw  ,beisse'?),  lit.  skeris  und  Ziögas,  korn. 
chelioc  reden,  kambr.  ceiliog  rhedyn  („Krauthahn",  vgl.  ndd.  sprink- 
haoii'.  Rurs,  saranca  »Wanderheuschrecke',  vielleicht  aus  dem  Türk- 
ischen, armen,  ntara.r  aus  dem  Iranischen  (aw.  mada.vri-,  npers. 
maJax).  —  Namentlich  im  Südosten  Europas  hat  das  Tier  durch  seine 
Verheerungen  grossen  Eindruck  gemacht.  Im  Altslovenischen  wird 
der  Juni  als  Heuschreckenzeit  (altsl.  izokü)  bezeichnet  (vgl.  Mi- 
klosich  Die  slavischen  Monatsnamen  S.  9).  In  Griechenland  gab  es 
am  Oeta  einen  Herakles  Kopvomwv,  in  der  Aeolis  einen  Apollon  TTop- 
vomwv,  in  Athen  einen  Apollon  TTopvömo?,  nach  dem  bei  den  asiatischen 
Acoliern  ein  Monat  TTopvomuLiv  genannt  war  (vgl.  Usencr  Götternamen 
S.  201,  Th.  Bergk  Beiträge  zur  grieeh.  Monatskunde  S.  H>. 

Himbeere,  s.  Becrenobst. 

Himmel.  Die  älteste  Bezeichnung  des  Himmels  (Himnielsgottes) 
liegt  in  der  Reihe:  seit,  dt/aus,  grieeh.  Zeu^,  lat.  Juppiter,  zu  der 
vielleicht  auch  ahd.  Zitt,  ahn.  Ti)r  gehört.    Näheres  s.  u.  Religion. 

Schräder,  Rcnllcxikon.  21 


Digitized  by  Google 


370 


Himmel  —  Himmelsgegenden. 


Eine  arische  Entsprechung  ist  sert.  dqman-  =  aw.  asman-,  npers. 
dttmdn,  wohl  mit  der  Grundbedeutung  ,Stein,  Felsenwand'  etc.  Vgl. 
noch  npers.  sipihr  »Himmel'  :  seit,  qpitrd-  ,hell\  altp.  LTriGpabdra?, 
Xm8pibaTn,q  und  aw.  ftvdsa-  (letzteres  dunkel). 

In  Europa  verrät  eine  sakrale  Beziehung  nur  die  keltische 
Benennung  des  Himmels:  ir.  nem,  kymr.  nef,  wenn  sie  richtig  zu  sert. 
nämas-  , Verehrung'  gestellt  wird  (sert.  ndmate  ,er  verbengt  sich';  s. 
u.  Gruss).  Im  übrigen  wird  der  Himmel  einfach  als  , Decke'  :  Ht., 
altpr.  dangiis  :  Ht.  deügti  .decken',  ahd.  kimil,  got.  himim,  agls.  heofon 
:  griech.  xuAeGpov  ,Stubendecke'  (weniger  ansprechend  ist  die  Zu- 
sammenstellung mit  got.  haim*  .Hehn  der  Götter'),  als  ,Gewölk'  : 
russ.  nebo  =  sert.  ndbha* •■,  griech.  ve<po<;  oder  als  ,UmhUllung'  :  att. 
oupavö«;,  dor.  wpavö«;.  aeol.  dpavös  =  aw.  varena-  „Umhüllung,  Be- 
deckung' bezeichnet  (vgl.  weiteres  bei  R.  Much  Der  germanische 
Himmclsgott,  Festgabe  für  Heiuzcl  S.  215  f.,  wo  die  von  Rhys  Lec- 
tures  on  the  origin  and  growth  of  religion,  Hibbert  Lectures  1ns6 
8.  42  vorgeschlagene  Vcrgleichuug  von  ahd.  himil,  hnmil  mit  altgall. 
Camulus,  ir.  Cumall,  einem  geläufigen  Beinamen  des  britischen  Mars 
Leucetius,  Loucetius  —  osk.-röni.  Loucetius,  Lücetiu*  .Diespiter'  für 
nicht  unwahrscheinlich  gelialten  wird). 

Mit  dem  Auftreten  des  Christentums  macht  sich  vielfach  das  Be- 
streben geltend,  den  natürlichen  von  dem  kirchlichen  Himmel;  dem 
Orte  der  Seligen,  sprachlich  zu  unterscheiden.  Man  bedient  sich  ent- 
weder zur  Bezeichnung  des  letzteren  Begriffes  der  Pluralbildungen: 
griech.  oüpavoi,  lat.  codi,  ahd.  himila,  altsl.  nebesa,  oder  man  wählt 
ganz  verschiedene  Wörter  wie  in  engl,  sky  (mengl.  sich,  skye  aus  altn. 
sky  , Wolke':  vgl.  o.  altsl.  nebo)  :  heaven  —  ndd.  heteen  :  hhnmel.  Noch 
keine  Erklärung  hat  lat.  caelum  und  armen.  erkin-k  (vgl.  Hübschmann 
Armen.  Gr.  I.  445)  gefunden.  —  S.  auch  u.  Sonne,  Mond  und 
Monat,  Sterne,  Gewitter,  Wind,  Windnamen. 

Himmelsgegenden.  Die  frühste  Orientierung  im  Räume  erfolgte 
bei  den  Indogermanen  in  der  Weise,  dass  man  das  Gesicht  der  auf- 
gehenden Sonne  zuwendete  und  demnach  den  Osten  als  vorn,  den 
Westen  als  hinten,  den  Süden  als  rechts  und  den  Norden  als  links 
bezeichnete.  Vgl.  für  Osten:  seit,  prü  fte-  und  pt't'rva-  --  aw.  pouru-, 
ir.  airther  —  griech.  TrapoiTcpo?  ,der  vordere',  für  Westen:  sert. 
dpora-  =  aw.  apara-,  auch  sert.  äpdnc-  und  apäcyd-  Rückwärts'  und 
, westlich',  npers.  bdxtar  , Westen'  (auffallend  aw.  apdxtara-  »Norden  ), 
ir.  iar,  siar  (vgl.  Zeuss  Gr.  C.s  S.  57  Aum.,  012  t'.),  für  Süden  :  sert. 
ddkshina-  (Dekhan)  —  aw.  dasina-,  ir.  de.ss  ,rechts'  und  ,südlich',  für 
Norden:  seit,  mryä-,  ir.  tüath,  beide:  ,links'  und  »nördlich*:  vgl. 
auch  ir.  fochla  ,Norden'  :  cU  ,links'  (got.  hleiduma)  und  gemeingerm. 
ahd.  nord  :  umbr.  nertru  .sinistro",  nertruku  .ad  sinistrum'  (abweichend 


Digitized  by  Google 


Himmelsgegenden  —  Hirsch. 


371 


grieeh.  om\6q  ,link'  und  ,w  est  lieh",  da  der  griechische  GtonpÖTTOs  sieb 
nordwärts  wandte,  vgl.  IL  XII,  237  ff.). 

Diese,  wie  man  sieht,  besonders  bei  Ariern  und  Kelten,  aber  auch 
von  den  römischen  Angara  (Sinistras  autem  partes  septentrionales 
esse  augurutn  diseiplina  consentit  Serv.  ad  Aen.  II,  693)  treu  be- 
wahrte Orientierungsweise  wurde  frühzeitig  durchbrochen  durch  andere 
Arten,  die  Himmelsgegenden  zu  bestimmen.  Solche  neuere  Benennungen 
sind  hergenommen:  von  dem  Auf-  und  Untergang  der  Sonne,  resp.  von 
der  Morgenröte  (griech.  ävorroXai,  £w<;,  butfueti,  Z6q>o<;,  lat.  orienx,  occidens, 
ahd.  6s tau  [:  griech.  £ui<;,  lat.  aurora],  it.  ponente  f:  pöno]  .Westen', 
levante  ,Osten',  von  den  Winden  (griech.  rd  ßöpeta  ,Norden',  vöto? 
,Süden',  altsl.  severä,  lit.  szidure  ,Norden',  &\ts\.  jugü  .Süden'  :  griech. 
irrpös  .feucht  ),  von  den  Tageszeiten  (griech.  iatxipn,  ueoTiußpia,  lat. 
meridies,  lit.  pittas  , Mittag'  und  ,Süd\  wakaral  , Abend'  und  ,Wcst  , 
rytai  , Morgen'  und  ,Ost\  nhd.  -Morgen",  „Mittag",  „Abend",  „Mitter- 
nacht"; vgl.  auch  aw.  daosatara-  ,westlich',  rapifheina-  ,Süden'), 
von  den  Jahreszeiten  (lit.  ziemiel  , Winter',  ,Nord'),  von  den  Ge- 
stirnen (griech.  äpicroq)  u.  a.  Noch  nicht  sicher  erklärt  sind  die  ge- 
meingerm.  ahd.  westan  <  :  griech.  do*7repa  u.  s.  w.V)  und  sundan  ,Süden'. 
Da  indessen  der  Stamm  des  letzteren  Wortes  *sunp-  identisch  ist  mit 
*sund-  (agls.,  altn.  sund),  einer  gemeingernmnischen  Benennung  des 
Meeres,  so  liegt  es  nahe,  altn.  sunnan,  agls.  südan  ,von  Südeu  her' 
=  , vom  Meere  her'  zu  fassen  (vgl.  hebr.jdm  ,Meer\  ,Mittelmecr'  =  Westen 
uud  linn.  luode\  Ii v.  Itiod,  weps  lödeh  aus  got.  fiödus  ,Flut,  Nord- 
west, Westen,  Westwind').  Im  Urland  der  Germanen  oder  Indngermancn 
wäre  daher  südwärts  ein  Meer  anzunehmen  (das  Schwarze  Meer:  s. 
u.  Urheimat».  Eine  andere  Erklärung  möchte  germ.  *sunp-  ,Süden' 
:  griech.  vöroq  aus  *o*voto?  stellen!?).  Bemerkenswert  ist  noch,  dass 
in  den  romanischen  Sprachen  die  Namen  der  Himmelsgegenden  viel- 
fach aus  dem  Germanischen  entnommen  sind  (vgl.  frz.  nord,  sud,  ouest, 
est  .  was  mit  dem  germanischen  Einfluss  auf  dem  Gebiete  des  Schiffs- 
wesens (s.  u.  Schiff,  Schiffahrt)  zusammenhängen  wird.  —  V»l. 
weiteres  bei  Pott  Die  qninarc  und  vigesiniale  Zählmcthodc  S.  2(>1  ff. 
und  s.  u.  Rechts  und  links. 
Hin  rieht  uim,  s.  Strafe. 

Hirsch  (Cervidenj.  Es  ist  hier  von  dein  eigentlichen  Hirsch, 
dem  Reil,  dem  Damwild,  dem  Elch  oder  Elen  und  dein  Remitier 
zu  sprechen.  Von  diesen  sind  die  drei  erst  genannten  Arten  noch 
heute  weit  in  Europa  verbreitet.  Der  Elch  lebte  in  historischer  Zeit 
noch  in  den  germanischen  Wäldern,  wo  ihn  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  27 
ausführlich  beschreibt:  Sunt  item,  quae  appellantur  alces.  harunt  est 
consimiUs  capris  ftguva  et  varietas  pellium,  sed  magnitudine  paulo  ante- 
cedunt  mutilaeque  sunt  cornihus  et  crura  sine  nodis  articlisque  ha- 
bent  etc.   Auch  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  sind  Reste  des  Elenticres 


Digitized  by  Google 


372 


Hirsch. 


neben  denen  des  Edelhirsches  und  Rehes  reichlich  gefunden  worden. 
Hingegen  hat  sieh  das  Kenntier,  dessen  Spuren  in  den  Überresten  der 
neolitbischen  Periode  nirgends  sich  mit  Sicherheit  haben  nachweisen  lasben, 
nach  der  glacialen  und  postglacialen  Epoche,  vor  und  während  der 
es  auch  in  Westeuropa  lebte  (vgl.  Rrandt-Woldrieh  in  den  Memoire* 
de  l'academie  imperiale  des  seiences  de  St.-Petersbourg  VII  serie, 
tonie  XXXV,  10  S.  124  ff.),  nach  dem  änssersten  Xord-Ostcn  Europas 
zurückgezogen.  In  keinem  Falle  kann  es  daher  Caesar  in  Germanien 
gesehen  haben,  wenn  er  das  Remitier  mit  VI,  26:  Est  hon  cervi  figttra, 
euius  a  media  fronte  inter  aures  unum  cornu  exsistit  ej'celsiu*  ma- 
gisque  derectum  Iiis,  qnae  vobis  nota  sunt,  cornibus;  ab  ein*  summo 
fticut  pahnae  ramique  late  diffunduntur  überhaupt  meint. 

An  indogermanischen  oder  vorhistorischen  Namen  für  Cerviden 
fehlt  es  nicht.  Zuerst  lat.  alces  aus  germ.  *alki-  (ahd.  elah,  agls.  eolh, 
altn.  elgr)  —  russ.  losl  ,Elen'  und  seit.  feya-  ,ein  Antilopenbock'.  Dann 
griech.  £Xacpoq,  IXXö;  , Hirsch'  =  lit.  Uni*  desgl.,  slav.  jeleni  (hieraus 
unser  „Elcnu),  alünl,  lanq  desgl.,  kymr.  elain,  armen,  ekn  .Hirschkuh*, 
die,  wenn  sich  auch  sert.  $na-  (aus  *elna-)  , Antilope"  hierher  fügt, 
ebenfalls  in  Asien  wiederkehren  würden.  Auf  Europa  beschränkt 
ist  lat.  cervus,  koni.  caruu,  kymr.  carte,  altpr.  sinrix,  ahd.  hiruz, 
das  ,Horntier'  :  griech.  »cepaq,  Kepaöq,  sert.  ernga-  ,Horn'  (vgl.  auch 
ahd.  spizzo  und  stach  ,Spiesshirsch'  :  ahd.  spiz  ,Spicss'  und  agls. 
staca  , Pfahl';  Gegensatz  :  altpr.  glumbe  ,Hiude',  .Hirschkuh'  :  lit.  gliimas 
, hornlos').  Hierher  wird  auch  altsl.  srüna  ,Reh'  (**erna-)  gehören, 
aus  dem  vielleicht  lit.  sttrna  entlehnt  ist  (nach  J.  Schmidt  Souantcn- 
theorie  S.  IM).  Vgl.  noch  aep^oi  *  eXaqpoi  'Hesvehh  wobei  atpToi 
für  *öepFoi  stehen  wird  =  altpr.  sirwi«  f\ic\\  aus  einer  Xord-Ost- 
sprache  übernommen).  Die  gleiche  Bedeutung  liegt  der  Reihe  schwed.- 
norw.  brind  ,Elcn',  Iii.  hredis  desgl.,  messap.  ßpeVnov  ,r\  K€(paXn.  tou 
tXd<pou'  (davon  der  Xamc  der  Stadt  Hrundisimn),  ßptvbov  £Xa<pov 
lies.,  alb.  br{-ni  .Horn,  Geweih'  zu  Grunde.  Vgl.  endlich  noch  griech. 
Keuäs  , Hirsch,  Gazelle'  —  ahd.  hinta  .Hirschkuh'  (ahd.  gamiza  s.  u. 
Antilope)  und  eveXor  veßpoi  lies.  =  lat.  nntli  , Hirschkälber"  (dazu 
armen,  nl  »einjährige  Ziege'  nach  Xiedcrmann  H.  H.  XXV,  Hf>? i.  Welche 
Cervidenarten  freilich  in  der  Urzeit  mit  diesen  Gleichungen  ge- 
meint waren,  lässt  sich  nicht  ausmachen. 

Von  einzclsprachlichcn  Ausdrücken  seien  noch  das  gemeinger- 
manische ahd.  reh,  *raihn-  neben  uhd.  rikke,  wofür  ahd.  n-ia  oder 
reh-geiz)  und  griech.  bopE,  bopxä?  .Reh'  genannt.  Ersteies  dürfte  zu  seit. 
nkha-  .geritzter  Streifen,  Linie,  Zeichnung'  i  wozu  auch  mhd.  rihe  .Reihe', 
ahd.  rihan  .reihen")  von  rikh  —  likh  .ritzen,  zeichnen,  malen'  gehören, 
so  dass  das  Reh  soviel  wie  gezeichnetes  Tier  wäre;  vgl.  sert.  pied- 
,1  »amhirseir  :  pi<;  .schmücken',  seit,  prshtti  .Gazelle',  eigentlich  .ge- 
sprenkelt', sowie  griech.  TipöE  (s.u.)  und  ötiktö?  .gedeckt' :  cttiZuj,  das 


Digitized  by  Google 


Hirsch. 


373 


häufig  vom  £Xaqpo<;  gehraucht  wird  (vgl.  Zacher  Wochcnschr.  f.  klass. 
Phil.  1884  S.  1619).  Griech.  bopKd?  aber  wird  eine  volkstümlich 
(durch  bcpKOuai,  vgl.  G.  Meyer  Griech.  Gr. 3  S.  270;  entstellte  Form 
für  £opKä<;  iHerodot)  sein  und  dem  keltischen  *jovkos  (s.  u.  Antilope) 
,caper\  auch  ,ehevrenir  entsprechen.  Vgl.  auch  lat.  capreolus,  capre- 
ola  ,Reh'  :  caper  .Ziegenbock  . 

Was  das  Damwild  anbetrifft,  so  wäre  nach  den  Ausführungen 
0.  Kellers  (Tiere  des  kl.  Altertums  S.  73  ff.)  dieses  während  der 
klassischen  Zeit  in  Griechenland  unbekannt  gewesen  und  erst  im  III. 
Jahrh.  ii.  Chr.  in  den  italischen  Tiergärten  erschienen.  Allerdings  hätten 
die  Griechen,  und  zwar  schon  die  homerischen,  den  Damhirsch  unter  dem 
Namen  TTpöE  (:  TrepKvdq  =  sert.  pfäni-  .gesprenkelt' s.  o.»  gekannt,  aber 
sie  hätten  unter  demselben  immer  nur  das  westasiatische,  dem  eigentlichen 
Hellas  fremde  Tier  verstanden  (anders  Zacher  a.  a.  0.  S.  1611)).  In  Italien 
aber  habe  das  Wort  däma,  dam /na,  dam  mala  ursprünglich  ein  zu  den 
Antilopen  gehöriges  Tier,  auch  die  Gemse,  nicht  aber  einen  Hirsch 
bezeichnet.  Unter  diesen  Umständen  liegt  es  nahe,  für  den  bis  jetzt 
ganz  unerklärten  lateinischen  Ausdruck  einen  ähnlichen  Bedeutungs- 
ühergang  wie  den  für  griech.  ßoußaXic  is.  u.  Antilope)  festgestellten 
anzunehmen  und  lat.  däma  mit  griech.  bdpaXo«;  ,Kalb'.  baudXns  Junger 
Stier,  ir.  dam  .Stier'  zu  vergleichen.  Alsdann  hätte  dtima  erst  im 
späteren  Lateinisch  die  Bedeutung  von  Damwild  (cerewt  palmatn«, 
platycero*  •  angenommen  und  würde  in  dieser  ins  Germanische  (ahd. 
tarn.  mndl.  däme)  cutlehnt  worden  sein.  Vgl.  noch  areni.  demm,  ven. 
ditem.  kambr.  dämm  f  Zeuss  Gr.  Celt.s  p.  107f>).  Das  agls.  da,  engl,  doe 
(daher  körn,  da)  lässt  sieh  aber  mit  lat.  däma  nur  vereinigen,  wenn 
man  eine  volksetymologische  Verstümmlung  des  lat.  Wortes  durch 
die  naheliegenden  agls.  rd,  engl,  roe  ,Reh'  annimmt  (vgl.  auch  G.  Goetz 
Thes.  I.  303,  Gröber  Archiv  f.  lat.  Lex.  II,  1  00,  Palander  Die  ahd. 
Tiernamen  S.  103). 

Von  dein  Renntier  hatten  die  Alten  aus  den  nordpontischen 
Ländern,  wo  es  noch  heute  seine  Wanderungen  bis  in  das  Gou- 
vernement Kasan  ausdehnt,  einige.  Nachricht.  Bei  Pseudo-Arist.  De 
mirab.  auscult.  XXX  findet  sich  die  Mitteilung:  £v  be  iKuGaiq  to\<; 
KaXouufc'voi«;  reXwvoiq  <patft  Grjpiov  ti  -fiveaeai,  (JTrdviov  uev  urrep- 
ßoXf].  6  övoudreTcu  TÜpavbo;  •  XeteTai  be  toüto  ueraßdXXeiv  xdq 
Xpöaq  jf\q  Tpixds  Ka9"  Öv  dv  Kai  töttov  rj.  btd  be  toüto  eivai  buo"6n- 
pöxaxov.  Kai  tdp  be'vbpetfi  Kai  töttoi?,  kü\  ö\vj<;  ev  oi?  &v  r),  toioötov 
tt)  xpeia  riveertku.  SaupaOnjuTatov  be  tö  Tn,v  Tpixa  nexaßdXXeiv.  rd  fdp 
Xoittü  töv  xpwTa,  °,ov  0T*  xaMa,^c'u>v  KCtl  0  TToXuaou?.  tö  be  u£Y€8oq 
tbcTavei  ßoü^  .  toü  be  ttpocrüttou  töv  tuttov  Öuoiov  e'xei  ^Xdcput.  Das 
hier  hervorgehobene  Wechseln  der  Färbung  und  der  Haare  ist  zu 
charakteristisch  für  das  Remitier,  als  dass  ein  anderes  Tier  genieint  sein 
könnte.    Unerklärt  ist  das  Wort  Tdpavbo?  (vgl.  darüber  W.  Toma>chek 


Digitized  by  Google 


374 


Hirsch  -  Hirtse. 


Kritik  d.  ältesten  Nachrichten  Uber  den  skytli.  Norden  II,  27  f.).  Dunkel 
ist  auch  noch  das  altn.  hreinn,  agls.  hrdn  , Renntier'.  Man  sucht  seinen 
Ursprung  im  Lappischen,  wo  aber  ein  entsprechendes  Wort  noch  nicht 
sicher  nachgewiesen  ist.  Bezeichnend  für  die  Holle,  welche  das  Renn- 
tier im  änssersten  Nord-Osten  Kuropas  von  jeher  gespielt  hat,  ist  der 
Umstand,  dass  ein  und  dasselbe  Wort  (finn.  hürkä,  lapp.  herke)  hier 
/ahmen  Remitier,  dort  Ochse  bedeutet,  oder,  mit  anderen  Worten,  das» 
die  Finnen,  als  sie  den  Ochsen  kennen  lernten,  auf  ihn  den  Namen  des 
zu  ahnlichen  Zwecken  hei  ihnen  verwendeten  Renntiers  Ubertrugen  vgl. 
Möllenhoff  D.  A.-K.  II,  35(5). 

Hirse  (Panicnm  miliaceum  L.,  Rispen-  und  Pankum  italicum, 
Kolheiihirse).  —  Der  Hirse  erweist  sich  als  zu  der  ältesten  Schicht 
europäischer  AckerbaufrUchtc  gehörig.  Ja,  vielleicht  ist  er  die  erste 
Knlmfrucht,  die  auf  idg.  Roden  angebaut  wurde  ti.  Ackerbau). 
Kiue  urverwandte  Gleichung  fUr  diese  Getreideart  ist  gricch.  neXivri, 
lat.  milium,  lit.  malnos.  Wie  dies  eigentlich  .Mahlfrucht'  (:  lat.  ma- 
lere, lit.  mdlti)  bedeutet,  so  zeigen  auch  die  Übrigen  Benennungen  des 
Hirse  seine  Wichtigkeit  als  Ackerbau-  und  Xährfrucht  an.  So  lit.  söra 
:  Hfti  ,Saatf nicht',  gricch.  Auuoq  (Kolhenhirse  nach  v.  Fiseher-Benzous 
Vermutung  Altd.  Gartenfl.  S.  160)  :  £Xuna  .Pflugschar',  also  ,PHug- 
frncht',  lat.  pänicum  :  pänis,  paxei  .Brotfrucht'  ithatsächlich  wurde 
nach  Columella  und  Plinius  auch  Hirsenbrot  in  Italien  gebacken),  ahd. 
hirsi  vielleicht  :  ital.  *kerxna,  umbr.  qerxnttfur,  lat.  ceana,  veno,  sili- 
cerniiim  .Speisefrncht'.  Uber  den  Bedentungswcchsel  von  Hirse  mit 
anderen  Getreidearten  innerhalb  urverwandter  Wortreihen  s.  u.  Ackerbau. 
Dunkel  ist  slav.  proxo,  altpr.  prasxan.  —  Der  Anbau  des  Hirse  lässt 
sieh  in  den  beiden  genannten  Arten  bereits  aus  der  Steinzeit  der 
Schweizer  Pfahlbauten  nachweisen  (vgl.  0.  Heer  Die  Pflanzen  der 
Pfahlbauten  S.  Iii.  Nicht  weniger  erscheinen  Hirscfunde  in  neolithisehen 
Stationen  Italiens,  Ungarns  und  Rumäniens  (vgl.  Buschau  a.  u.  a.  0. 
S.  72),  und  neuerdigs  konnte  Hirse  auch  in  Denkmälern  «1er  skandi-  * 
navischen  Steinzeit  konstatiert  werden  (S.  Müller  Nordische  Altertnmsk. 
I,  206).  Aber  auch  zahlreiche  geschichtliche  Nachrichten  deuten 
auf  die  uralte  Kultur  des  Hirse  in  fast  allen  Teilen  Europas  hin.  Wie 
schon  Pytheas  im  Zeitalter  Alexanders  des  Grossen  auf  seiner  Reise 
ins  Nordmeer  nach  Strabo  IV,  p.  201  fand,  dass  die  keltischen  Einwohner 
Britanniens  sieh  kc'txPMJ  Kai  dtptoi?  Xaxävoi?  Kai  KapnoT?  Kai  pi£ai£ 
nährten,  so  schreibt  Hcrodot  IV,  17  im  äussersten  Osten  Europas  den 
skythischen  Alazoncn  am  Hypanis  den  Anbau  von  Kpöuuua,  tfKÖpoba, 
cpaKOi  und  k  e  t  X  P  o  i  Von  den  Slnvcn  weiss  der  Strategiker 
Maurikios  (5S2 — 602),  dass  sie  reich  au  Bodenerzeugnissen,  besonders 
an  Hirse  seien,  und  dies  wird  bestätigt  durch  Abraham  Jakohsen» 
Bericht  Uber  die  Slavenland  v.  .1.  073  („was  sie  am  meisten  auhnun, 
ist  Hirscu).   Weitere  Nachrichten  au»  Aquitanien,  Gallien,  Oberitalieu, 


Digitized  by  Google 


Hirse. 


375 


Thrakien,  Sarmatien,  Pannonien,  Illyrien  vgl.  bei  V.  Hehn  Kulturpflanzen6 
S.  543  f. 

Gegenüber  diesen  Zeugnissen  uralter  Bekanntschaft  der  Indoger- 
manen  Europas  mit  dem  Hirse  kann  der  Umstand,  dass  im  Deutschen 
neben  dem  einheimischen  hirsi  sich  zur  Bezeichnung  dieser  Getreidc- 
art  auch  Entlehnungen  aus  dem  Lateinischen  finden  (nhd.  milli  aus 
militim,  mhd.  pftnkh  aus  panicum),  nicht  ins  Gewicht  fallen.  Da 
jedoch  der  einheimische  Name  hirsi  sich  auf  l'anicum  miliaceum  be- 
schränkt, während  pfenich  für  P.  italicum  gilt,  das  nach  Xemnich 
auch  „welscher  Hirsen"  etc.  heisst,  so  könnte  man  für  letzteres  immer- 
hin an  eine  spätere  Einführung  in  Deutschland  denken.  Das  Capit. 
de  vi  Iiis  kennt  den  Anbau  von  milium  und  panicium. 

Weiter  nach  Süden  tritt  in  Europa  der  Hirse,  obgleich  ihn  natürlich 
Theophrast,  ebenso  wie  Cato,  Varro  und  Columclla,  kennen,  an  Be- 
deutung anderen  Getreidearten  gegenüber  zurück.  Nur  die  den  alten 
Gebrauch  am  treuesten  bewahrenden  Laeedämonier  werden  als  „Hirse- 
breiesser" (Hehn  1.  c.)  geschildert.  Der  Grund  dieses  allmählichen 
Verschwinden»  des  Hirsebaus  in  südlicher  Richtung  könnte  in  dem 
Umstand  liegen,  dass  P.  miliaceum  wie  P.  italicum,  wie  es  scheint,  dem 
semitisch-ägyptischen  Kulturkreis,  der  seinen  Einflnss  immer  stärker 
auf  Griechenland  und  Italien  ausübte,  fremd  sind.  Hinsichtlich  Ägyptens 
dürfte  dies  sicher  sein  (vgl.  Buschan  a.  u.  a.  0.  S.  68).  Die  Ent- 
scheidung bezüglich  der  Israeliten  hängt  davon  ab,  ob  mau  Kzccb.  4,  9 
in  hebr.  dohan  eine  der  gewöhnlichen  Hirscarten  (mit  Low  Arani. 
Pflanzenn.  S.  IUI)  oder  den  sogenannten  Mohrhirse,  Sorghum  vul- 
gare L.  (mit  Kiehm  im  Bibellexikon)  erkennt,  der  gegenwärtig  in  den 
südlicheren  Teilen  des  Mittelmeergebiets,  in  Afrika  im  ganzen  Xilthal 
bis  tief  in  das  Innere,  aber  mit  A lisch luss  des  Deltas,  angebaut  wird. 
Ob  diese  Pflanze  schon  in  altägyptischer  Zeit  bekannt  war,  darüber 
scheinen  die  Akten  noch  nicht  geschlossen  (vgl.  Wocnig  Die  Pflanzen 
im  alten  Ägypten  S.  171  und  Schweinfurth  Ägyptens  auswärtige  Be- 
ziehungen hinsichtlich  der  Kulturgewächse  Z.  f.  Ethnologie  XXIII,  1891 
Verhandl.  S.  054).  War  sie  es,  so  müsste  die  Nachricht  des  Plinius  XVIII, 
55:  Milium  intra  hos  X  anno»  e.v  India  in  Italiam  imectum  est 
nigrum  colore,  amplum  grano,  harundineum  culmo,  so  zu  deuten 
sein,  dass  der  Mohrhirse  zwar  thatsächlich  ans  Oberägypten,  wo  er  auch 
nach  Ansicht  der  Botaniker  (vgl.  Engler  bei  Hehn0  S.  493)  zuerst  in 
Kultur  genommen  wäre,  stammte,  aber  fälschlich,  weil  der  indische 
Handel  über  Ägypten  führte,  von  Plinius  als  aus  Indien  kommend 
aufgefasst  wurde.  Seine  heutige  Verbreitung  hat  der  Mohrhirsc  wohl 
erst  durch  die  Araber  erlangt.  Er  heisst  arab.  durra\  duhn,  it. 
melgay  melica  =  milica,  auch  saggina,  sorgo,  ngriech.  KaXcturrÖKi,  all). 
kal'amhök'  'später  auch  Mais  bedeutend). 

Über  das  ursprüngliche  Vaterland  des  Rispen-  und  Kolbenhirse  ist 


Digitized  by  Google 


376 


Hirse  —  Hopfen. 


nichts  sicheres  bekannt.  Vermutungen  bei  De  Gundolfe  Der  Ursprung 
der  Kulturpflanzen  S.  47;">ff.  Die  wilde  Stammform  der  Kolbcnhirsc 
Boll  in  Panicum  viride  L.,  einem  im  gemässigten  Europa  bis  Finn- 
land weit  verbreiteten  Unkraut,  vorliegen.  Vgl.  G.  Busehnn  Vorgesch. 
Botanik  S.  67  ff.,  S.  ü3ff.  —  S.  u.  Gctreidcarten. 

Hirt,  s.  Gewerbe. 

Hochäcker,  s.  Ackerbau. 

Hochzeit,  Hochzeitsgebruuche,  s.  Heirat. 

Hof,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Ho  Ii  Ii  nasse,  s.  Mass,  Messen. 

Hölle,  s.  Totenreiehc. 

Holunder  \8ainbucus  nigra  L.).  Übereinstimmung  zeigt  sich 
zwischen  ahd.  holuntar  (neben  agls.  eilen)  und  slavisch  kalina,  dessen 
Bedeutung  aber  keine  ganz  feste  ist  i Hirschholunder,  Kainwcide  etc.). 
Der  eigentliche  slavische  Name  für  den  Baum  ist  russ.  bozü  etc.  (auch 
ngriech.  ßou£na,  nach  Lenz  nur  für  den  Zwergholunder),  lit.  (aus  dein 
Politischen  ^  beza*,  h'zdas.  Daneben  besteht  ein  lit.  büktut,  das  in  lat. 
sambuai«,  /tabuem  {nun.  hoc)  wiederzukehren  scheint.  —  Abseits  griech. 
dKTfj,  woraus  lat.  acte  und  ahd.  attah,  attuh,  atah.  Dioskorides  führt 
ein  altgallischcs  OKoßinv  und  ein  dakisches  ö€ßa  für  Holunder  an. 
Erstcres  klingt  au  das  dialektische  nhd.  schibicken,  schipken  etc.  an 
(vgl.  Pritzel-Jessen  Volksnaincn  S.  301).  Alleinstehend  und  dunkel 
auch:  all),  stok  und  mndd.  vlexler,  nhd.  flieder. 

Den  Zwerg-Holunder,  6'.  ebultts  L.  (griech.  xau01«1«1!),  meint  lat. 
ebuluH  (vgl.  G.  Goetz  Thesaurus  I,  371,  wo  auch  scheinbar  dein  deutschen 
attich  entsprechende  Formen  wie  odicus,  odecux  begegnen),  das  ins 
Angelsächsische  {eofole\  entlehnt  wurde.  Hier  haftet  an  der  Pflanze 
der  Aberglaube,  dass  sie  aus  dem  Blut  gefallener  Krieger  entstanden 
sei,  und  bei  andern  germanischen  .Stämmen  ist  die  Sitte  verbreitet, 
Holundcrbüschc  auf  Friedhöfen  anzupflanzen  Hoops  Altengl.  Pflanzcnn. 
S.  6öi.  Daher  agls.  unalhuyrt  (Thea.)  ,Leichenwurz'  (für  tjca*lwi/rt\ 
oder  =  tcealliicj/rt  .Keltcnwurz'V).  Schon  Vergil.  Ecl.  X,  27  spricht  von 
den  n blutigen u  Beeren  des  Zwerg-Holunders.  Beide  Arten  des  Ho- 
lunders dienten  im  Altertum  zu  Arzneizwecken.  woher  wohl  auch  die 
vielfache  Entlehnung  in  ihren  Namen.  —  S.  u.  Wald.  Wald  bäume. 

Holzbauten,  s.  Mauer,  Haus. 

Honig,  s.  Biene,  Bienenzucht. 

Hopfen.  Humidas  Lupulus  L.  ist  nach  Ansicht  der  Botaniker, 
obwohl  in  tertiären  Ablagerungen  noch  nicht  mit  Sicherheit  nachge- 
wiesen, im  ganzen  gemässigten  Europa  und  Asien  einheimisch.  In 
ersterein  fehlt  er  nur  im  nördlichen  Norwegen.  Lappland  und  Finnland 
(uach  A.  Engler  bei  V.  Hehn  s.  u.). 

Dem  entspricht  es,  dass  mehrere  einheimische  Benennungen 
der  Pflanze  iu  verschiedenen  Teilen  Europas  zu  Tage  getreten  sind.  So 


Digitized  by  Google 


Hopfen. 


377 


ahd.  hopfo,  ndl.  hoppe,  engl,  hop  (vgl.  auch  nltndd.  feldhoppo  = 
agls.  feldirop  ,\vilder  Hopfen'),  etymologisch  noch  unerklärt.  So  lit. 
aptcynt)*,  apynia),  lett.  appini,  eigentlich  , Rankengewächs',  wie  auch 
im  Neugriechischen  der  Hopfen  neben  xouueXi  (s.  u.)  noch  ärpiötcXriua 
,wilde  Rebe'  heisst.  Auch  der  lupus  salictarius  des  Plinius,  der 
Hist.  nat.  XX f,  86  zusammen  mit  anderen  wildwachsenden  Pflanzen 
wie  dem  asparagus  Galliens  als  oblectameuta  mehr  denn  als  eibus 
genannt  wir»!  (in  der  That  werden  die  jungen  Hopfentriebe  ähnlich 
wie  der  Spargel  genossen),  wird  von  den  meisten  auf  den  Hopfen  be- 
zogeu.  der  im  Mlat.  lupulus,  it.  luppolo  genannt  wird.  Nach  Nem- 
nichs  Allg.  Polvglottenlexicon  d.  Naturg.  III,  18.'J  wird  übrigens  auch 
im  Deutschen  der  wilde  Hopfen  neben  Rasen-,  Wald-,  Wiesen-,  Busch-, 
Heidehopfen  auch  W  e  i  d  e  n  h  o  p  f  e  n  (salictarius  :  salin  , Weide* '?) 
genannt.  Endlich  ist  noch  ein  spütlat.  (gänzlich  dunkles)  bradigabo 
feldhoppo'  (vgl.  G.  Goetz  Thesaurus  1,  lf>l  sowie  in  den  Addenda 
et  C'orrigcnda  Ij  zu  erwähnen. 

Seine  eigentliche  Bedeutung  für  die  Menschheit  hat  der  Hopfen  aber 
erst  gewonnen,  nachdem  man  auf  den  Gedanken  verfallen  war,  ihn 
bei  der  Bereitung  des  Bieres  is.  d.)  zu  benutzen. 

Die  ersten  Spuren  des  Hopfenbaus  lassen  sich  in  einem  Schenkungs- 
brief des  Königs  Pipin,  des  Vaters  Karls  des  Grossen,  an  die  Abtei 
St.  Dcnys  nachweisen,  in  dem  llumlonariae  (s.  n.)  cum  integritate 
genannt  werden.  Noch  deutlicher  treten  Hopfengärten  in  Urkunden 
ans  der  Zeit  Karls  des  Grossen.  Ludwigs  des  Frommen  und  Ludwigs 
des  Deutschen  hervor  (vgl.  die  Zeugnisse  bei  V.  Hehn  Kulturpflanzen  ,! 
S.  4li4  und  bei  Braungart  Geschichtliches  über  den  Hopfen  in  der 
Wochenschrift  für  Brauerei  18*11 .  Nr.  GS  u.  14).  Die  Bezeichnung, 
uute#  welcher  hier  der  Hopfen  auftritt,  ist  mlat.  humuhts  (G.  Goctz 
Thes.  1,  :>.SU:  humulonus).  Dieses  Wort,  welches  nicht  mit  ahd.  hopfo 
etc.  verknüpft  werden  kann,  kommt  von  germanischen  Sprachen  nur 
im  Altnordischen  {humall)  vor  und  hat  ohne  Zweifel  seine  Heimat  in 
den  sla vischen  Sprachen,  wo  chmeli  , Hopfen'  nicht  nur  allen  Mund- 
arten gemeinsam  ist,  sondern  auch  Bcdeutuugsentwickluugen  wie  poln. 
pochmiel  .Rausch'  etc.  die  al:e  Existenz  des  Wortes  auf  slavischem 
Boden  beweisen.  Schon  in  einer  Stelle  des  Zonaras  vom  Jahre  1120 
(vgl.  Hehn  S.  4«57)  heisst  x°uMtXn  ein  Trank,  der  ohne  Wein  Berau- 
schung bewirkt  (vgl.  auch  Krek  Einleitung  in  die  slav,  Litg.  *  S.  122). 
Ob  das  slavische  Wort  idg.  Ursprungs  ist,  ist  noch  nicht  sicher  er- 
mittelt. Einige  suchen  slav.  chmeli,  chmeli  mit  gricch.  o*ui\a£  zu  ver- 
einigen, welches  Smilaa:  aspera  ,Steckwinde  (Theophr.  111.  IT,  11 
u.  12)  oder  auch  eine  Bohnenart  (ZuiXaE  KrjTraia  Diosk.,  s.  n.  Bohne), 
also  jedenfalls  eine  rankende  Pflanze,  bezeichnet.  Indessen  ist  der 
Lautübergang  des  idg.  xm-  zu  slav.  chm-  noch  nicht  erwiesen,  und  wahr- 
scheinlicher dürfte  es  daher  sein,  dass  die  slavischcn  Wörter  eine 


Digitized  by  Google 


37« 


Hopfen  —  Hose. 


alte  Entlehnung  aus  ostasiatiscben,  turkotatarischen  und  ostfinnischen 
Sprachen:  dnv.  yumld,  tat.  yomlak,  vög.  qumlek,  ung.  komlö,  ßer. 
humid,  mordv.  komlä  darstellen,  während  die  westtiunischen  hu  mala, 
eßtn.  hu  mal  etc.  vielleicht  erst  aus  altn.  humall  übernommen  sind. 

Es  scheint  daher,  dass  die  Erfindung,  den  Hopfen  dem  Rauschetrank 
beizusetzen  —  man  denke  etwa  an  die  auf  Pfählen  wohnenden  Paeonicr, 
die  schon  nach  Hekatacos  (Athen.  X,  p.  447)  ihre  Kovüzn,  der  Trapaßinj 
aus  Hirse  hinzufügten  —  von  einer  östlichen  Völkerschaft  ausging 
und  durch  Vermittlung  der  Slaven  in  den  Westen  gelangte. 

Auf  slavo-germanisehem  Hoden  mochte  die  Pflanze  zuerst  zum 
Anbau  gelangen,  der  sich  von  Xiederdeutschland  aus  zu  den  Romanen 
verbreitete  (vgl.  frz.  houblon,  mlat.  auch  huhalm  aus  ndd.  hoppe 
mit  verkleinerndem  l).  In  England  und  Schweden  wird  der  Hopfen, 
erst  gegen  den  Ausgang  des  Mittelalters  allgemeiner.  —  S.  u.  Acker- 
bau und  u.  Bier. 

Hörige,  s.  Stände. 

Horn.  Lat.  cornu  =  got.  haürn,  ir.  com  (vgl.  gricch.  xdpvos* 
irpößcrrov  Hes.  und  sert.  $)'ö-ga-  ,Horn).  Die  Sitte,  die  gewaltigen 
Hörner  des  Ur  und  Wiesend  (s.  u.  Rind)  als  Trinkgefässe  zu  be- 
nutzen, war  in  Alteuropa  weit  verbreitet.  Vgl.  Plinius  Hist.  nat.  XI, 
126  über  die  Xordvölkcr  im  allgemeinen  :  l'rorum  cornibus  barbari 
septentrionales  pottint,  urnixque  vini(?)  capitis  unius  cornu a  implent, 
Caesar  De  bell.  gall.  VI,  28  über  die  Germanen:  Amplitudo  cornuum 
et  figura  et  xpeciex  multum  a  nmtrorum  boum  cornibus  di/fert.  haec 
studiose  conqumta  ab  labris  argento  circumcludunt  atque  in  am- 
pli**hni*  epulix  pro  poculi*  utuntur,  Xenophon  Anal».  VII.  2,  23 
von  den  Thrakern  :  tTreibn,  ö'  evbov  f\oav,  narrdCovTO  ulv  rrpwTov  dAXrjXouc 
Kai  Korra  töv  Gpaxiov  vöpov  K^pctTa  otvou  npoümvov  <  vgl.  auch  Vlfc  3, 
21  IT.).  Dasselbe  wird  von  Athenäus  XI,  p.  4T(>  von  den  Königen  der 
Mazedonier  und  der  Paeonier  berichtet,  welche  letzteren  ganz  wie  die 
Germanen  die  Ränder  ihrer  Trinkhörner  versilberten  oder  vergoldcteu. 
Trinkhörner  werden  nach  demselben  auch  von  Pir.dar  bei  den  Ken- 
tauren und  von  Aeschylus  bei  den  Parrhäbern  (einem  thessalischen 
Stamm)  vorausgesetzt;  aber  auch  in  Athen  benutzte  man  Hörner  zum 
Trinken,  wenngleich  dieselben  hier  früh  aus  Metall  hergestellt  wurden. 
In  der  keltischen  Sippe  ir.  com  scheint  die  Bedeutung  ,Triukhorn  die 
überwiegende  zu  sein.  —  S.U.Mahlzeiten  und  Trinkgelage.  Über 
die  Rolle  des  Hörnen  in  der  Musik  s.  u.  Musikalische  Instrumente. 

Hornisse,  s.  Wespe. 

Hose.  Dafür  dass  dieses  Kleidungsstück  schon  in  der  idg.  Ur- 
zeit bekannt  gewesen  sei,  fehlt  es  an  jedem  sprachlichen  oder  sach- 
lichen Anhalt.  Dem  klassischen  Süden  ist  dasselbe  als  Teil  der  ein- 
heimischen Tracht  durchaus  fremd,  und  erst  mit  dem  Andrängen  der 
Barbarenvölker  wird  es  auch  hier  zur  Mode.  Doch  kannten  die  Griechen 


Digitized  by  Google 


Hose. 


379 


und  Römer  die  Hosen  frühzeitig  bei  anderen  Völkern,  und  zwar  einer- 
seits bei  den  Orientalen,  Meilern  und  Persern,  unter  der  wohl  aus- 
ländischen, zuerst  von  Herodot  bezeugten  Benennung  dvaEupibcq  i  wo- 
für mit  einem  einheimischen  Worte  auch  eüAciKoi  .Säcke'  gesagt  wird), 
andererseits  bei  den  Nordvölkem  Europas,  vornehmlich  unter  dem 
Namen  brdca,  hracca.  Unter  den  keltischen  Völkern  werden  von 
Polybius  den  "Ivtfoußpes  und  Botot,  von  Strahn  den  Belgern  dvaSupibe? 
zugeschrieben,  und  Diodorus  Siculus  V,  30  bemerkt  ausdrücklich : 
(TaXaTai  xpwvrat)  dva£upio*i,  diceivoi  ß  p  ä  k  a  q  npoo~aYop€uouo*i.  Vgl. 
noch  Plinins  Hist.  mit.  III,  31  :  ÄTarbonentti*  prorincia  appellatur  pars 
GaUiarum  ....  Bracata  ante  dicta.  Auch  auf  den  antiken  Bild- 
werken treten  die  Nordvölker  durchweg  als  hraccati,  d.  h.  mit  engen, 
anliegenden,  langen,  um  die  Schuhe  zusammengeschnürten  Hosen  ver- 
sehen auf.  Dies  gilt  im  besonderen  auch  von  den  sicheren  Germnnen- 
typen  der  Marcus-Säule  (vgl.  Petersen  S.  47).  sowie  von  denen  des  Monu- 
mentes von  Adamklissi  in  der  Dobrntscha,  wenn  letzteres  mit  Hecht 
von  Furtwängler  (Intermezzi)  auf  den  Krieg  des  M.  Licinius  Crn&sus 
im  .lahre  29  u.  2H  v.  Chr.  gegen  die  Bastartier  bezogen  wird  vgl. 
auch  H.  Bulle  Die  ältesten  Darstellungen  von  Germanen  Archiv  f. 
Anthropologie  XXIV,  613  ff.).  Auffallend  ist.  dass  sowohl  Caesar  wie 
Tacitus  in  ihren  Beschreibungen  der  altgermanischen  Tracht  die  Bein- 
bcklcidtttigen  der  Germanen  mit  Stillschweigen  Übergehn.  Indessen 
werden  sie  bei  Tacitus  Cap.  17  unter  der  vestis  stricto,  et  xiugulos 
artii*  e.rprimenx  mit  zu  verstehen  sein. 

Die  Frage  ist  nun,  w a n n  und  bei  welchem  Volk e  z Herst 
die  Hosentracht  im  nördlichen  Europa  aufgekommen  sei.  In  Beziehung 
auf  den  enteren  Punkt  ist  es  bemerkenswert,  dass  die  nordischen 
Moorfunde  der  Bronzezeit  zwar  Mützen.  Mäntel,  Röcke,  Jacken,  aber 
noch  keine  Hosen  an  den  Tag  gebracht  haben,  die  vielmehr  erst  mit 
dem  Eisen  (s.  d.)  auftreten  (vgl.  0.  Montelius  Die  Kultur  Schwedens8 
S.  62.  S.  Müller  Nordische  A.-K.  I,  270  ff.).  In  Hinsicht  auf  die 
zweite  Frage  bedarf  die  Geschichte  des  schon  oben  genannten  nlt- 
gall.  bräca,  das  im  Germanischen  als  ahd.  bruoh,  agls.  broc,  altn. 
bnik  , Bruch'  wiederkehrt,  näherer  Erörterung.  Gewöhnlich  nimmt  man 
an,  dass  das  germanische  Wort  nach  der  ersten  Lautverschiebung, 
aber  vor  der  Verwandlung  des  idg.  d  in  ö,  die  auf  germanischem 
Boden  erst  spät  eingetreten  zu  sein  scheint  (vgl.  K.  Brugmann  Grund- 
riss  l  *,  1,  S.  IM)  aus  dem  keltischen  Sprachschatz  übernommen 
worden  sei.  Doch  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  bei  dieser  Auffas- 
sung einige  sprachliche  Punkte  keine  befriedigende  Erklärung  tiuden. 
Das  altgall.  brdca  hat,  wenn  man  von  einem  5- Anlaut  des  Wortes 
ausgeht,  bis  jetzt  keinen  Anhalt  in  den  keltischen  Sprachen  gefunden. 
Die  hierher  gehörigen  neukcltisehen  Formen  siud  entweder,  wie  bret. 
bragez,  bragott  ,weite  Kniehosen  der  Bauern'  Rückcntlehnungen  aus 


Digitized  by  Google 


380 


Hose. 


dem  Lateinischen,  oder,  sie  sind,  wie  gäl.  brigis  oder  mittelir.  bröcc, 
erst  aus  dem  Englischen  <breeks)  oder  Nordischen  (brök)  übernommen 
(vgl.  Thurneysen  Kelto-Romanisehes  S.  47).  Fuhrt  man  aber  (mit 
Schucbardt  Z.  f.  rom.  Phil.  IV,  148)  bräca  {braccat  auf  eine  Grund- 
form *vrücä  zurück,  mit  der  man  dann  kymr.  gtcregys,  korn.  grugis, 
bret.  grouiz  «Gürtel'  vergleicht,  so  sieht  man  nicht,  wie  die  germa- 
nischen Formen  aus  einem  solchen  altgall.  *vräcä  entlehnt  worden  sein 
sollten.  Neuere  Etymologen  (vgl.  F.  Kluge  Et.  W.ü  s.  v.  Bruch, 
R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altertum  XLI1,  170)  möchten  daher  altgall. 
bräca  überhaupt  nicht  im  Keltischen,  sondern  im  Oermanisch en  (ahd. 
bruoh,  agls.  bröc,  ahn.  brök)  wurzeln  lassen,  indem  sie  von  einem 
neben  agls.  bröc  liegenden  bric  IM.  ,Steiss'  ausgehn  und  auf  Fälle 
wie  mhd.  nnieder,  altfries.  möther  «Brnsthindc  der  Frauen',  , Mieder': 
grieeh.  nnjpa  «Gebärmutter',  unser  „Leibchen"  :  „Leib11,  v Ärmel"  :  „Arm", 
frz.  culotte  ,Hose'  :  lat.  cu/us  .Hinterer  n.  a.  verweisen.  Eine  Entschei- 
dung in  letzterer  Richtung  würde  erleichtert  werden,  wenn  es  gelänge,  die 
durch  agls.  brec  .Steiss'  gewiesene  Spur  weiter  zu  verfolgen  und  nachzu- 
weisen, dass  die  Grundbedeutung  der  ganzen  germanischen  Sippe  wirklieh 
die  des  menschlichen  Hinterteils  gewesen  ist.  Dies  geschieht  durch  die 
Heranziehung  des  lat.  xu/f'rägines  aus  *siib-f'räg-iH-es  .Hinterbug  der 
Tiere',  d.  h.  .das,  was  unter  dem  »Steiss  oder  Hinteren  gelegen  ist', 
so  dass  sich  eine  latino-germanische  Gleichung:  lat.  *fräg-  —  urgerm. 
*brök-  'ahd.  bruoh,  ahn.  brök,  agls.  bröc,  brec)  ergiebt  .Steiss,  Hin- 
terer, dann  «Hose'.  Die  Wurzel  liegt  in  lat.  frango,  ahd.  bri'chau, 
so  dass  die  Grundbedeutung  .Hruch'  ist  (vgl.  mhd.  stiuz  ,Steiss'  :  stözen 
,stossen).  So  ergiebt  sich  also,  dass  altgall.  bräca  im  Germanischen 
wurzelt,  und  die  Geschichte  der  Hose  im  Norden  demnach  ähnliche 
Erscheinungen  wie  die  des  Hemdes  (s.  d.)  aufweist. 

Einheimischen  Ursprungs  ist  auch  die  gcmeingermanische  Reihe : 
got.  husa  (vgl.  Kluge  Grundriss  I*,  IW2),  ahd.  hosa,  agls.  hosu,  ahn. 
hoaa,  deren  Bedeutung  aber  bis  in  späte  Zeit  nicht  ,Hose\  sondern 
, Strumpf  oder  .Gamasche'  ist.  Hierauf  führt  auch  die  Etymologie  des 
Wortes:  denn  wie  mhd.  strumpf  von  Haus  aus  nichts  anderes  als 
»Stumpf  oder  «Stummel'  bedeutet,  so  dürfte  auch  gemeingerm.  *husä 
:  altpr.  A-«**,  kussig,  kitnig  .klein,  kurz,  gestutzt',  kusel  .Stumpf  (vgl. 
Xesselmann  Tlres.  S.  85),  bulg.  kus  .gestutzt'  gehören  und  eigentlich 
nichts  anderes  als  «Stumpf  bezeichnen.  In  der  Bedeutung  .Strumpf, 
Gamasche,  hoher  Stiefel'  etc.  ist  das  Wort  auch  ins  Mittcllateinisehe 
und  Romanische  (vgl.  E.  Saglio  Les  Hracae  et  les  Hosae.  Revue  celti- 
que  XI,  ff.j.  sowie  ins  Keltische  <  korn.  hos  .oerea",  hosan,  hossan, 
hossaneu  ,braceac'  entlehnt  worden  (vgl.  Zeuss  Gr.  Gelt.  *  S.  118,  wo 
aber  irrig  keltische  Herkunft  des  Wortes  angenommen,  und  ir.  hak 
,calceus',  assan  ,caliga"  herangezogen  wird).  Ein  ähnliches  Kleidungs- 
stück wie  germ.  hosa,  zur  Bedeckung  des  Kusses  und  des  Beines  bis 


Digitized  by  Google 


Hose  —  Hufeisen. 


381 


zum  Knie,  wird  auch  gemeinkelt.  Vritro- :  korn.  loder,  biet,  louzr 
,caliga',  kymr.  llatcdr  .braeeae'  gewesen  sein.  Vgl.  totner  altpr.  lagno 
,Hosc'  (ob :  griech.  Xcrrwv,  -ovo?  .Weiche'  ?  nach  Nesseiniann  Thesaurus 
S.  87  freilich  eine  Bedeckung  des  Beins  bis  zum  Oberschenkel,  aber 
nicht  bis  zur  Hüfte)  und  lit.  kelines,  keines  id.:  kelys  .Knie'. 
S.  auch  u.  Panzer  'Beinschienen). 

Die  Römer  nahmen  das  nordische  Beinkleid  zuerst  in  ihren  Pro- 
vinzen in  Gehrauch.  Der  erste,  der  unter  allgemeiner  Entrüstung  in 
Italien  Hosen  zu  tragen  wagte,  war  ein  gewisser  Caecina  in  der  Mitte 
des  I.  Jahrb.  n.  Chr.  (Tae.  llist.  II,  20).  Doch  verbot  noch  ein  Ge- 
setz des  Honorius  vom  Jahre  397  die  barbarische  Sitte  intra  urbem 
venerabilem  (vgl.  Saglio  a.  a.  0.  S.  36). 

Noch  bedarf  es  eines  Blickes  auf  die  slavische  Welt.  Historische 
Nachrichten  über  ihre  Kleidung  fehlen  aus  älterer  Zeit.  Sprachlich 
zeigen  sich  die  Slaven  in  der  Benennung  der  Hosen  vom  Westen 
und  vom  Osten  abhängig.  Aus  dem  Deutschen  stammt  rusg. 
brjuki  (neben  braki  aus  bracca ;  vgl.  auch  noch  altpr.  broakay  und 
alb.  breke).  Im  Altslovenischen  hat  das  Wort  bracinü)  unter  orien- 
talischem Einfluss  die  Bedeutung  von  sericae  festes  angenommen.  In 
den  Osten,  in  letzter  Instanz  auf  npers.  selvdr  (-..sei  .Schenker), 
führt  russ.  mravary  u.  s.  w.  .Pumphosen'.  Der  überaus  weit  ver- 
breitete Ausdruck  ist  ins  Mittellateinische  (sarabalfa,  sarabarra,  schon 
Isidor.:  Parthis  sarabara  .  .  .  ,  s.  sunt  fluxa  ac  sinuosa  restimenta) 
Ubergegangen  und  kehrt  selbst  im  Spanischen  (saragäelles  .altmodische 
Hosen')  wieder.  —  S.  u.  K  1  e  i  d  u  n  g. 

Hufeisen.  Sieher  ist,  dass  die  Griechen  und  Körner  die  Hufe 
ihres  Zugviehs  oder  ihrer  Reittiere  durch  eine  Art  von  Schuhen 
(oTTobnuaTU,  soleae,  Calcet,  davon  calciare,  z.  B.  mulanti  zu  schützen 
verstanden.  Doch  kann  dies  keine  allgemeine  Einrichtung  gewesen 
sein,  da  häufig  im  Altertum  Klagen  über  das  Zusehandewerden  der 
Pferdehute  bei  der  Reiterei  sich  vernehmen  lassen  (vgl.  Beckmann 
Bey träge  III,  122  ff.).  Eigentliche  Hufeisen  wären  nach  ihm  erst  im 
IX.  Jahrhundert  unter  der  mittelgriech.  Benennung  o*e\n,vaia  {.moiid- 
förmig  )  nachweisbar.  Doch  deuten  mehrfache  Funde  von  Hufeisen  in 
Mittel-Europa  (namentlich  die  von  Horn  bei  Detmold,  Z.  f.  Ethnologie 
Verhandl.  XVIII,  #17  f.)  auf  römischen  Ursprung  und  damit  auf  ein 
höheres  Alter  dieses  Begriffes  hin.  Die  Germanen  kannten  keine  Huf- 
eisen (vgl.  Lindcnschinit  Altert,  d.  merov.  Zeit  I,  295;  erwähnt  ist  die 
ungula  ferrata  zuerst  im  Walthar.  v.  1203).  Ein  altgcrmi  Name  dafür 
fehlt  daher.  Altpr.  lattaco  .Hufeisen'  und  lit.  led£(ga  daneben  patkaträ 
ans  poln.  podkfitca  :  koteae  .schmieden')  gehören  (nach  Berneker  Die  pr. 
Sprache  S.  303)  :  lit.  ledas  ,Eis"  und  teku,  bezüglich  zengiit  , laufen', 
würden  sieh  also  auf  die  Notwendigkeit  beziehen,  die  Tiere  gegen  das 
Ausgleiten  auf  dem  Eise  zu  sichern.  —  S.  u.  Reiten. 


Digitized  by  Google 


Hülsenfrüchte  —  Hund. 


Hülsenfrüchte.  Von  ihnen  läset  sich  der  Anbau  der  Saubohne, 
der  G  artenerbse  und  der  Linse  an  einigen  Stellen  Europas  bis  in  die 
neolithische  Zeit  verfolgen.  Beachtenswert  für  die  Richtung,  von 
der  diese  Kulturen  ausgegangen  sein  mögen,  ist  der  Umstand,  dass 
nur  die  Bohne  und  Linse,  aber  nicht  die  Erbse  in  Ägypteu  und  auf 
semitischem  Boden  wiederkehren.  Hinsichtlich  der  Zeit,  in  der  man 
angefangen  hat,  die  einzelnen  Gattungen  der  Hülsenfrüchte  auzubancn, 
dürfte  das  meiste  und  sicherste  Anrecht  die  Saubohne  haben,  in  die 
Epoche  zurückzugehn,  in  welcher  die  europäischen  Indogermanen,  ein- 
ander noch  sehr  nahe  stehend,  dem  Ackerbau  (s.  d.)  zuerst  grössere 
Beachtung  schenkten.  —  Näheres  s.u.  Bohne,  Erbse,  Linse. 

Hummel,  s.  Biene. 

Hummer,  s.  Krebs. 

Humpen,  s.  Gefässe. 

Hund.  Der  idg.  Name  des  Tieres  ist  sert.  ced',  günas,  aw.  spd, 
sünü,  armen.  mnt  grieeh.  kuujv,  lat.  canis,  ir.  cm,  ahd.  hun-d  (von 
F.  Kluge  Et.  W.°  nicht  überzeugend  hiervon  getrennt  und  zu  got. 
hinpan  ,fangcn'  gestellt),  lit.  szu,  altpr.  sunis.  Nicht  teil  an  dieser 
Gleichung  nehmen  das  Slaviscb,  das  ein  noch  unaufgeklärtes  p'fsü  bietet 
(Spuren  von  sert.  ccaw-  s.  u.),  und  das  Albanesische  (s.  u.).  Der  Hund 
ist  als  Haustier  in  alleu  historischen  Epoehen  der  Indogermanen  sowie 
in  den  prähistorischen  Denkmälern  Alteuropas,  soweit  dieselben  der 
neolithischen  Zeit  augehören,  bezeugt.  Selbst  in  den  dänischen  Kjökkeu- 
möddinger.  die  sonst  keine  Haustiere  kennen,  sind  die  Spuren  des 
Haushundes  durch  Steenstrup  überzeugend  nachgewiesen  worden.  Be- 
züglich der  Abstammung  unserer  Haushundrassen  scheinen  unanfecht- 
bare Ergebnisse  noch  nicht  erzielt  worden  zu  sein.  Doch  gab  es  Wild- 
hunde schon  im  diluvialen  und  tertiären  Europa  (A.  Otto  Zur  Geschichte 
der  ältesten  Haustiere  S.  55  n". ). 

Eine  hohe  Verehrung,  ja,  den  Ruf  der  Heiligkeit  genoss  der  Haus- 
hund bei  den  iranischen  Stämmen  (vgl.  Herodot  1,  140:  o\  be  brj 
udroi  auTOxeipin  TrävToi  TrXnv  Kuvoq  Kai  ävSpumou  KTeivouo"i  und  W. 
Geiger  Ostiran.  Kultur  S.  Mix).  Vielleicht  ist  diesem  Umstand  die 
Entlehnung  des  russischen  sobaka  (neben  dem  wohl  urverwandten 
anka  , Hündin  )  aus  dem  medischen  öttoko  zuzusehreiben.  S.  auch  u. 
Haushahn.  Ittokuj  hiess  nach  Herodot  I,  110  die  Mederin,  die 
den  ausgesetzten  Kyros  aufsäugt,  was  an  die  Lupa  bei  Liv.  I,  4  er- 
innert, die  den  Romulus  und  Rcmus  autzieht,  deutliche  Spuren  einer 
idg.  Überlieferung,  welche  von  dem  Aufgesäugtwerden  ausgesetzter 
Kinder  (s.  u.  Aussetznngsrccht)  durch  eine  wilde  Hündin  oder 
Wölfin  belichtete. 

Eine  z  w  e  i  t  e  urverwandte,  aber  auf  geringeren  Raum  als  lat.  canis 
und  seine  Sippe  beschränkte  Gleichung  scheint  in  armen,  skund  (von 
anderen  zu  sert.  Qru  u.  s.  w.  gestellt ;  vgl.  auch  lett.  suntana  »grosser 


Digitized  by  Google 


Hund  —  Hyaeinthe. 


383 


Hnnd'),  Patnird.  skön,  altsl.  steinet  (*sken-)  vorzuliegen.  Einer  un- 
geheueren Verbreitung  namentlich  in  Osteuropa,  in  Nord-  und  Vorder- 
asien bei  idg.  und  nichtidg.  Völkern  erfreut  sich  eine  Gruppe  von 
Bezeichnungen  des  Hundes,  die  durch  altsl.  kunka  (klruss.  auch  ko- 
fuha\  alb.  kuti  {vgl.  G.  Meyer  Et.  \V.  d.  all).  Spr.  S.  218),  estn.  kut's, 
wotj.  kuta,  ung.  kutya,  pers.  kücak,  titrk.  küciik,  osset.  khudz  (vgl. 
Touiaschck  Ccntralas.  Stud.  II,  29 1  charakterisiert  werden  möge.  In 
dieser  Reihe  wird  dieselbe  onomatopoietische  Interjektion  ku-  vorliegen, 
die  als  ku-  in  voridg.  Zeiten  zur  Entstehung  der  Sippe  sert.  etw/'w-, 

führte  (vgl.  oben  auch  xku-  in  armen,  skn-nd). 
Wie  bei  den  lndogermanen,  bestehen  urverwandte  Namen  des  Hundes 
auch  bei  Semiten,  Finnen  und  Turkotataren.  Auch  in  Ägypten  ist 
die  Bekanntschaft  mit  dem  Haus-  und  Jagdhund  uralt;  doch  beziehen 
sich  die  Nachrichten  der  Alten  über  die  angebliche  Heilighnltung  des 
Tieres  daselbst  auf  den  Schakal  (vgl.  Wiedcmann  Herodots  II.  Buch 
S.  2X7).  —  Über  Jagdhunde  s.  u.  Jagd.    S.  auch  u.  Viehzucht. 

Hundert-  und  Tausendschaft,  s.  Heer. 

Hürde,  s.  Stall. 

Hure,  k.  Beischläferin. 

Husten,  s.  Krankheit. 

Hut,  s.  Kopfbedeckung. 

Hfltte,  s.  Haus. 

Hyaeinthe.  Ob  die  schon  bei  Homer  (II.  XIV,  M4X)  genannte 
Blume  üdtKiv6os  (davon  ueoavBtvoq  vom  Haare  des  Odysscus  in  der 
Odyssee)  mit  unserer  Hyaeinthe  (Hyacinthus  Orientalin  L.)  identisch 
ist  oder  nicht,  kann  nicht  mit  Sicherheit  ausgemacht  werden.  Die- 
jenigen, die  auf  andere  Blumen  wie  den  Schwertel  (Oladiolus  triphyllus) 
oder  die  gemeine  Schwertlilie  (Iris  germanica  L.)  geraten  haben, 
Hessen  sich  hierzu  namentlich  durch  die  poetische  Überlieferung  (vgl. 
Ovid  Met.  X,  215)  leiten,  dass  an  den  Blüten  des  üdKiv9o<;  die  Zeichen 
AI  oder  YA  zu  erkennen  sein,  d.  h.  die  Trauerlautc,  die  Apollo  bei 
dem  Tode  seines  früh  dahingerafften  Lieblings  Hyakinthos  ausstiess. 
Diese  Zeichen  glaubte  man  an  den  beiden  genannten  Pflanzen  zu  er- 
kennen. 

Neuerdings  aber  scheint  man  wieder  mehr  zu  der  älteren  Erklärung 
zurückzugehen,  nach  der  üÖKtvGoq  ganz  oder  teilweis  unserer  Hyaeinthe 
entspräche.  Grieeh.  OdK-ivGo?  'vgl.  Ipc'ß-ivOoc,  T€peß-tv9oq)  ist  stamm- 
verwandt mit  lat.  vacciniiun,  vacinium,  dem  lateinischen  Namen  der 
Hyaeinthe  (neben  dem  entlehnten  hyacinthus).  Vgl.  J.  Murr  a.  u.  a.  0. 
S.  f>9.  Man  würde  demnach  einen  urverwandten,  zunächst  auf  die 
wilde  Pflanze  gehenden  griechiseh-lateiniseheu  Blumcnnamen  (vgl. 
grieeh.  tov  :  lat.  riola)  vor  sich  haben. 

Die  Pflanze  selbst  wird  als  einheimisch  auf  der  Balkan-  und  Apenuiu- 
halbinscl  sowie  in  der  Provence  angesehen.    Nach  Deutschland  aber 


Digitized  by  Google 


m 


Ilyiine  —  Jagd. 


ist  die  Blume  nicht  durch  die  Römer,  sondern  erst  von  Konstantiuopel 
aus,  wo  sie  seit  der  Türkenherrschaft  beliebt  war,  eingeführt  worden.  — 
Vgl.  J.  Murr  Progr.  d.  k.  k.  Staatsgymn.  in  Innsbruck  1888  8.  48  ff. 
und  v.  Fischer-Bcnzon  Altd.  Gartcnflora  S.  38.  8.  auch  u.  Blumen, 
Blumenzucht. 

Hyäne.  Sic  wird  zuerst  von  Herodot  IV,  192  als  ein  libysches 
Tier  unter  dem  Namen  üaiva  (:  v<;  nach  Xe'ouvct)  genannt,  dann  von 
Aristoteles  Hist.  anim.  VI,  28,  2,  VIII,  7,  2,  der  auch  die  Bezeichnung 
tXdvoq  hat,  näher  beschrieben.    Lat.  hyaena  (Ovid.). 


i  (j). 

Jadeit,  s.  Steinzeit. 

Jagd.  Dass  es  der  idg.  Urzeit  nicht  an  Jagdbeute  fehlte,  lehren 
die  Artikel  Uber  Wolf  und  Bär,  Otter  und  Iltis,  Hase  und  Biber, 
Hirsch  und  Schwein,  (Jans,  Ente,  Adler  is.  u.  Raubvögel) 
n.  s.  w.  Gleichwohl  hat  sich  in  den  idg.  Sprachen  keine  einheitliche 
und  primitive  Bezeichnung  für  , Jagd',  Jagen',  ,Jäger"  herausgebildet. 
Dieser  Begriff  wird  entweder  durch  Ableitungen  von  Wörtern  für 
,Wild'  (sert.  mrgdyate  ,er  jagt'  :  iurgd-  ,Wild',  mrgayd  ,Jagd', 
mrgayu-  ,.Iäger',  grieeh.  8n,p€uuj  :  öqp)  und  ,Wald'  (altpr.  wedie* 
,Jäger',  lit.  medejas-,  altpr.  mediane,  lit.  medziükle  ,Jagd'  :  altpr.  median 
,Wald  )  ausgedrückt,  oder  Wörter  allgemeinerer  Bedeutung  haben  sich 
spezialisiert,  wie  in  grieeh.  arpeuw  .jage',  dtpcOq  ,Jäger'  :  dtpa  ,1'ang' 
(vgl.  ir.  tir  »Schlacht,  Kampf,  aw.  azra-  ,Jagd),  in  dem  gemeingerm. 
ahd.  siwrian,  agls.  spyriun,  altn.  xpt/rja,  cigcutl.  .einer  Spur  nach- 
gehen', in  ahd.  jagön  (vielleicht  =  grieeh.  bi-(jiwKW  , verfolge'/,  in  den 
slavischen  Sprachen  die  Wurzel  gen-  (vgl.  sert.  han  .schlagen,  töten  ), 
altsl.  zen<i,  gnati  ,trciben,  jagen'  oder  russ.  trariti  .hetzen,  jagen  ,  «»der 
endlich,  man  hat  zu  Unisehreibungen  wie  grieeh.  Kuvr|*f*Tn,S>  Kuvn.Y€0"iu, 
eigentl.  ,dcr  Hundeführer',  ,Hundeführung'  (vgl.  auch  agls.  huntimi, 
engl,  hu nt  :  engl.  honndY)  gegriffen.  Nur  auf  drei  europäischen 
Sprachgebieten  erseheint  ein  und  dieselbe  Wurzel  (sert.  ri,  veti  Jos- 
gehen auf  ,  .bekämpfen  )  in  gleicher  Weise  zur  Bezeichnung  der  Jagd, 
des  Jägers  oder  Wildes  verwendet  :  lat.  n'uari,  venntur  Jagen,  Jäger', 
germ.  ahd.  teeida,  altn.  <v/'<V,  agls.  iräi)  .Jagd'  (loch  auch  allgemeiner 
,das  Speisesuehcn  )  und  ir.  fiad  ,Wild  fiadaeh  ,Jäger*. 

Die  Jagd  hat  für  den  Hirten  und  angehenden  Ackerbauer  eine 
wesentlich  andere  Bedeutung  als  auf  vorgerückteren  Kulturstufen.  Dort 
ist  sie  ein  allen  aufgedrungener  Kampf,  hier  Sport  und  Lust  der  Vor- 
nehmen. In  der  Urzeit  gilt  es  die  Herde  oder  das  mühsam  ausge- 
rodete Ackerland  gegen  reissende  Wölfe  oder  wütende  Eber  zu  schützen 


Digitized  by  Google 


Jagd. 


3S5 


oder  dein  Wilde  nachzuspüren,  um  sein  Fell  oder  sein  Fleisch  zu  er- 
beuten. Doch  ist  zu  bemerken,  das«  Wildbret,  welches  den  Göttern 
nicht  geopfert  weiden  kann,  als  Nahrungsmittel  in  alten  Zeiten  erst 
in  zweiter  Reihe  steht.  Im  Rigveda,  wo  Jagden  auf  wilde  Tiere 
mehrfach  erwähnt  werden,  ist  vom  Genuss  des  Wildbrets  keine  Rede, 
und  auch  Homer  lässt  seine  Helden,  ausser  in  zwei  Fallen  der  Not 
(Od.  IX,  155,  X,  lf>7  ff.),  kein  Wild  verspeisen.  Auch  treten  in  den 
Pfahldörfern  der  Poebene  die  Reste  der  wilden  Tiere  noch  wesentlich 
zurück  hinter  denjenigen  der  Haustiere  (vgl.  Heibig  Die  Italikcr  der 
Poebene),  während  in  den  Pfahldörfern  der  Schweiz  sich  beide  un- 
gefähr die  Wage  halten  (vgl.  Rütimeyer  Fauna  8.  8  ff.).  Dass  daher 
das  Weidwerk  schon  in  der  Urzeit  als  ein  heldenmässiges  Vergnügen 
aufgefasst  worden  sei,  muss  bezweifelt  werden,  und  Tacitus  hat  viel- 
leicht das  richtigere  getroffen,  wenn  er  in  offenbar  beabsichtigtem 
Gegensatz  zu  den  Worten  Caesars  (De  bell.  gall.  VI,  21:  Vita  omni* 
in  venationibus  und  IV,  1  Multum  sunt  in  venationibus)  Germ.  Cap.  15 
von  den  alten  Deutsehen  ausdrücklich  sagt:  Non  multum  venati- 
bus.  plus  per  otium  tranxigunt,  dediti  somno  eiboque.  Auch  bei 
den  bäurisch  gesinnten  Römern  hat  der  eigentliche  Jagd.sport,  wie 
es  scheint,  erst  verhältnismässig  spät  seinen  Einzug  gehalten.  Es  war 
nach  der  Schlacht  bei  Pydna,  als  der  Sieger  L.  Aemilius  die  bedeu- 
tenden Tierparks  der  mazedonischen  Könige,  welche  lange  Zeit  unbe- 
rührt gestanden  hatten,  seinem  Sohne,  dem  jüngeren  Scipio,  öffnen  Hess 
und  für  ihu  die  königlichen  Jäger  verpflichtete.  Dieser,  nach  Rom 
zurückgekehrt,  setzte  dann  hier  mit  Unterstützung  seines  Freundes 
Polybius  das  in  Mazedonien  erlernte  Waidwerk  fort,  das  der  vor- 
nehmen römischen  Jugend  bis  dahin,  wenn  nicht  unbekannt,  so  doch 
ungewohnt  gewesen  zu  sein  seheint  (vgl.  Polybius  XXXII,  lf>i.  Wie 
ganz  anders  war  in  Griechenland,  wohl  unter  orientalischen  Einflüssen, 
schon  in  homerischer  Zeit  die  Jagd  die  Lust  des  freien  Mannes!  — 
Für  die  weitere  Ausbildung  des  Jagdsports  im  alten  Europa  sind  vor 
anderen  drei  Erscheinungen  von  hervorragender  Wichtigkeit:  die  An- 
legung künstlicher  Tiergärten,  die  Ausbildung  vervollkommneter 
Jagdhundrassen  und  die  Falkenjagd. 

1.  Tiergärten.  Unter  den  Griechen  werden  Tierparks  mit  dem 
Ausdruck  TTapdbeiöo?  zuerst  von  Xenophon  genannt.  Die  Herkunft  des 
Wortes  (aus  aw.  pairidaeza-,  upers.  pältz  .Garten',  das  auch  ins  armen. 
pdlez  und  hebr.  pardrs  , Garten,  Park'  entlehnt  wurde,  vgl.  Horn 
Grundzüge  d.  npers.  Et.  S.  tvi.  Hübschmann  Armen.  Gr.  I,  229:  auf 
Cypern  sagte  man  für  Trapüö€iO"o<;  :  fävoq  aus  hebr.  gan  , Garten  )  zeigt, 
wo  man  die  Sache  zuerst  hatte  kennen  leinen.  Nach  Xenophon  Hell. 
IV,  1,  15  hatte  Agesilaos  in  Daseyleum  bei  der  Königsburg  des  Pharna- 
bazus  auch  efipai  gesehen,  ai  n£v  ev  TTepteip-fuevoi?  7rapabeio*oiq,  a'i  bk  Kai 
ävaTT€TTTauevois  töttoi?,  TräfKaXai.  Xenophon  selbst  hatte  ■  Anab.  V,  3,  7  ff.) 

Schräder,  Reallexikon.  -«r> 


Digitized  by  Google 


Jagd. 


in  Skillus  bei  Olympia  einen  solchen  TTapdb€io*o$  angelegt  (iv  bi  tlu 
iv  IkiXXoövti  xwpiw  *cü  Örjpai  ttovtujv  bnööa  iaiw  ä-fpeuöueva  Gnpia), 
ohne  jedoch  an  dieser  Stelle  das  fremde  Wort,  das  er  offenbar  für  die 
persischen  Gärten  aufbewahrt  (vgl.  Üec.  IV,  20,  Cyrop.  I,  4,  11),  zu 
gebrauchen.  Die  Römer  haben  das  allmählich  in  Griechenland  ein- 
gebürgerte Wort  in  diesem  Sinne  nicht  übernommen,  so  sehr  sie  Tier- 
parks lieben  lernten.  Über  die  römische  Terminologie  derselben  äussert 
sich  Gellius  Noct.  Att.  II,  20:  Vicaria  autem,  quae  nunc  tulgus  dicit, 
quos  TTCcpabeiffous  Graeci  appellant,  {quae  leporaria  Yarro  dicit), 
haut  usquam  memini  apud  rerustiores  scriptum,  sed  quod  apud 
Scipionem,  omnium  aetatis  suae  purissime  locutuni,  legimus  robo- 
roria,  aliquot  Pomae  doctos  ciros  dicere  audiri  id  signi/icare,  quod 
no«  vicaria  dieimus,  appellataque  esse  a  tabulis  roboreis,  quibus 
saepta  essent\  quod  genus  saeptoruni  cidimus  in  Jtalia  loci*  pleris- 
que.  Von  den  hier  erörterten  Ausdrücken  ist  rirdrium  in  das  Ger- 
manische :  ahd.  wiwdri,  widri,  nhd.  „Weiher"  übergegangen,  das  aber 
von  der  ältesten  Zeit  an  vorwiegend  «las  lat.  piscina  , Fischteich'  (s. 
u.  Fisch,  Fischfang)  übersct/.t.  Der  eigentliche  altdeutsche  Aus- 
druck für  das  griech.  Trapribeio*o<;  ist  unser  „Brühl",  ahd.  bruil.  zu- 
sammen mit  frz.  breuil  keltischer  Herkunft,  ans  *hrogilo-  callkelt. 
*brog-.  *brogi-  -  ir.  bruig,  kymr.,  korn.,  biet,  br<>  .Bezirk")  , kleiner, 
umzäunter  Bezirk'  (vgl.  Thumeyseu  Kelto-romanisehes  S.  f>l ;  hervor- 
gegangen. Im  Mittellateinischen  lautet  das  Wort  brogilns  (L't  Incos 
nostros,  quos  culgus  Brogilos  cocat,  Capit.  de  villis").  bro/ium,  brolius, 
broilus,  und  ähnlich.  Vgl.  noch  altgall.(?>  breialo  '  Holder  Altkeltischer 
Sprachsehatz  I,  620)  und  broel  (agls.  edisc  ,vivarium\  deor-tuun  ,Tier- 
zauin.  broelarius  (agls.  edisc  ueard;  G.  Goetz  Thes.  I,  l.r>2).  Liut- 
prand  berichtet  von  seiner  Gesandtschaft  an  den  byzantinischen  Hof 
♦  vgl.  Du  Gange'  unter  brolium)  :  Xicephorus  in  eadem  coena  me 
inferrogacit,  si  cos  Pericolia  (TrepißöAiov.  der  byzantinische  Ausdruck 
für  napcb€io*o<;,  aus  dem  altsl.  perivolü  , Garten  hervorging),  id  est, 
Briolia,  cel  si  in  Perivoliis  onagros  vel  caetera  animalia  haberetis. 
cui  cum  ros  Briolia,  et  in  Brioliis  animalia.  e.cceptis  onagris  habere 
afprmarem,  Ducam  te,  inquit,  in  nostrum  Pericofium.  Ein  anderer 
mlat.  Ausdruck  für  den  Wildpark  ist  bersa.  eigentlich  der  Zauu 
des  Brühl  (vgl.  oben  lat.  robordrium),  womit  altfrz.  berser  ,mit  dem 
Pfeil  jagen',  mhd.  birsen  zusammenzuhängen  scheint,  deren  Grundbe- 
deutung demnach  wäre:  „in  einem  brolium  jagen".  Nach  Du  Gange  * 
u.  bersa  wäre  auch  dieses  Wort  keltischer  Provenienz  (arem.  bers 
,prohibitio',  bersa  ,Schutzzaun');  allerdings  bezweifeln  sowohl  Diez 
S.  f>20  wie  Körting  (Lat.-roni.  W.)  diese  Erklärung  der  Sippe  berser- 
birsen,  ohne  freilich  selbst  etwas  einleuchtendes  vorbringen  zu  können. 
Wohl  allgemein  .Umzäunung'.  »Einfriedigung'  bedeutet  die  westger- 
manische Sippe  von  ahd.  pferrih,  agls.  pearroc,  unser  „ Pferch",  die 


Digitized  by  Google 


•Ml 


in  einem  mlat.  *parricus,  *parracu#  wurzeln.  Die  Herkunft  dieser 
Wörter  (vgl.  Baist  in  Kluges  Et.  \V.,:)  ist  aber  noch  nicht  sicher  gestellt. 

Schliesslich  ist  in  diesem  Zusammenhang  auf  das  wichtige  ahd.  forst 
zn  verweisen  (=  mlat.  foresta,  foresüs,  frz.  foret)  ,der  Bannwald',  zu- 
erst in  einer  Urkunde  Childherts  I.  vom  Jahre  550  Uberliefert.  Mit 
diesem  Begriff  des  Bannforstes  ist  die  altgermanische,  ans  der  Urzeit 
ererbte  Vorstellung  von  dem  gemeinsamen  Anteil  aller  an  dein  Wild 
und  Holze  des  Waldes  durchbrochen.  Besonders  die  Könige  sondern 
von  dem  Gemeinde wald  bedeutende  Stücke  ab  (die  nun  drausseu, 
„fori*",  liegen),  in  denen  sie  unter  strengen,  ja  grausamen  Strafen 
anderen  als  ihren  beauftragten  die  Jagd  u.  s.  w.  verbieten.  Die  Deutung 
des  ahd.  forst  aus  dem  Deutschen  (:  ahd.  foraha  ,Föbre',  vgl.  Noreen 
Urgerai.  Lautlehre  S.  175)  ist  dem  gegenüber  wenig  wahrscheinlich. 

So  haben  wir  eine  deutliche  Strömung  wahrnehmen  können,  die  fin- 
den Norden  Europas  von  gallo-romanischcm,  später  von  fränkischen 
Stämmen  besiedelten  Buden  ausgeht.  Wenn  wir  in  den  letzteren  leiden- 
schaftliche Jagdfreunde  erkennen  (vgl.  Du  Gange  III*,  550;,  so  werden 
wir  nicht  irren,  wenn  wir  hierin  eine  Erbsehaft  erblicken,  welche  die 
Kranken  von  ihren  Vorgängern  auf  jenem  Boden,  den  Kelten,  über- 
nahmen, deren  Bedeutung  für  die  Geschichte  der  alteuropäischen  Jagd 
im  folgenden  noch  deutlicher  hervortreten  wird. 

2.  Jagd  Ii  u  d  d  r  a  s  s  e  n.  So  vertraut  schon  bei  Homer  das  Ver- 
hältnis zwischen  dem  Jäger  und  seinem  Hund  ist,  wie  das  rührende 
Beispiel  des  Argos  (Od.  XVII,  200  ff.»  zeigt,  so  hat  man  doch,  wie  es 
scheint,  auf  bestimmte  Hundearten  als  zur  Jagd  geeignet,  noch  nicht 
sein  Augenmerk  gerichtet.  Die  erste  Jagdhundrasse  tritt  erst  in  einem 
Fragment  des  Pindar  (Athen.  I,  p.  28j  auf: 
änö  TairreToio  ptv  XaKCtivav 
tm  8npo*i  Kuva  Tpt'<p€iv  mjKivwTaTOv  epmvröv. 
Seit  dieser  Zeit  werden  im  klassischen  Altertum  immer  mehr  Hunde- 
rassen, und  zwar  fast  ausschliesslich  mit  Rücksicht  auf  die  Jagd,  unter- 
schieden. Es  werden  indische,  kretische,  karische,  afrikanische,  aus 
Griechenland :  molossische,  aetolische,  arkadische,  sikyonische,  aus 
Italien:  umbrische,  ausouischc,  sizilische  u.  s.  w.  Hunde  unterschieden 
(vgl.  d.  A.  cani.s  in  Dareinberg  und  Saglios  Dictionnaire  des  Antiquites*. 
Aber  auch  der  Norden  Europas,  und  vor  allem  der  keltische,  fängt 
nun  an,  sich  an  der  Ilervorbringuug  von  Jagdhunderassen  hervorragend 
zu  beteiligen. 

Arrian  von  Nicomedieu  (in  der  Zeit  Hadrians-  erinnert  in  seinem 
Büchlein  Uber  die  Jagd,  dass  sein  Vorgänger  Xenophon  in  seinem 
KuvriTHTiKÖ?  die  keltischen  Hunde  nicht  erwähnt  habe.  Freilich 
habe  er  das  nicht  thuen  können,  weil  ihm  die  Ethnographie  Europas 
mit  Ausnahme  des  grossgriechischen  Italiens  und  des  Bereichs  des 
griechischen  Handelsverkehrs  noch  unbekannt  geblieben  sei.  Aber  hätte 


Digitized  by  Google 


Jagd. 


er  sie  gekannt,  so  würde  er  nicht  gesagt  haben,  dass  nur  ausnahms- 
weise Hasen  von  Hunden  im  Laufe  eingeholt  würden;  denn  die  Kelten 
bedienten  sich  bei  der  Hasenjagd  gar  keiner  Netze,  sondern  lediglich 
ihrer  Hetzhunde,  denen  die  Vornehmen  zu  Pferde  folgten  (Cap.  II,  III, 
XV).  Überhaupt  seien  die  Kelten  grosse  Jagdfreunde.  Sie  opferten 
alljährlich  der  Artemis,  und  einige  von  ihnen  hätten  eine  Jagdkas.se 
(9r|0~aupös),  in  die  sie  für  jedes  erlegte  Wild,  für  den  Hasen  2  Obolen, 
für  den  Fuchs  eine  Drachme,  für  das  Reh  4  Drachmen  bezahlten. 
Aus  diesen  Erträgen  würden  dann  am  Geburtstag  der  Göttin  Jäger 
und  Hunde  bewirtet  (Cap.  XXXIV).  Ferner  heisst  es  Cap.  III:  ko> 
Xoüvtcu  be  'Etouffiai  aib€  ai  küv€£,  emd  £9vouq  KcXtikoü  tuv  £ttujvu- 
uiav  Ixouöai,  und  weiter  :  a'i  bi  ttoowkck*.  küvc<*  a\  KeXtiKai  KaXoüvTai 

piv  oüe'pTpaTot  icOveq  <puwj  Trj  KcXtwv  oimu  bf)  kou  aurat 

ätrö  tt^  wKUTnTO?.  Die  hier  genannten  keltischen  Ausdrücke  für  Rassen 
von  Jagdhunden  haben  nun  in  der  mittelalterlichen  Welt  eine  grosse 
Bedeutung  gewonnen:  denn  es  kann  nicht  wohl  bezweifelt  werden, 
dass  das  hier  genannte  arrianische  'Etouaicu  eine  Verstümmlung  von 
l€YOuaicu  ist  und  dem  canis  segutius,  seusius,  siusius,  seucis  etc.  der 
germanischen  Gesetzbücher  entspricht.  Als  Ausgangspunkt  wird  man 
am  ehesten  an  den  Stamm  der  Següsia'ii  bei  dem  heutigen  Lyon 
denken.  Das  mlat.  Wort,  das  z.  B.  in  der  Lex  Alemannorum  mit  hessi- 
hunt  .Hetzhund'  'neben  leiti-hund)  glossiert  wird,  ist  in  die  meisten 
romanischen  Sprachen  übergegangen  :  it.  segugio  .Spürhund',  sp. 
sabttwo,  mbejo,  prov.  xaJiux,  altfrz.  srttts,  si:us  etc.  (Diez  S.  290,  Gröber 
Archiv  f.  lat.  Lex.  V,  464).  Vgl.  auch  ahd.  siuso.  siusi,  mhd.  seuse, 
süse,  gewöhnlich  ,Jagd-  oder  Spürhund'  im  Gegensatz  zu  dem  Hetz- 
hund vgl.  Palander  Die  ahd.  Tiernamen  S.  34).  Der  andere  arria- 
nische Ausdruck  oiWpTpcrroi  —  certragi  wird  von  Zeuss  Gr.  Celt.*  S.  4. 
14;")  zu  ir.  traig  .pes'  also  etwa  .eüttouc''  gestellt  und  ist  ebenfalls 
in  mannigfacher  Gestalt  sowohl  in  die  germanischen  Gesetzbücher 
(rertrapus,  reltrahus.  celtrus,  veltrlr,  veiter),  wie  auch  in  die  roma- 
nischen Sprachen  iit.  veltro,  altfrz.  ciautre  n.  s.  w.)  übergegangen. 
Auch  für  ahd.  icint  .Windhund'  (icintzfiha  .Weibchen  des  Windhunds  ) 
wird  volksetymologisehe  Umgestaltung  durch  teint  ,ventns'  aus  dieser 
Sippe  angenommen.  Ebenso  weist  auf  die  Bedeutung  der  keltischen 
Hunde  das  sp.,  ptg.  galgo  ans  canis  Oallicus,  z.  B.  bei  Ovid  Met.  I,; '>'.)'.): 
l't  canis  in  racuo  h'porcm  cum  <ia11ictt*  arro 
Vidit  et  hie  praedam  pedibus  petit,  ille  sahttciu. 
Vgl.  über  mittelalterliche  Jagdhuudrasseii  noch  Dn  Gange*  unter  canis, 
Arnold  Geschichte  der  tcutschen  Landwirtschaft  I,  löüff.,  v.  Wagner 
über  die  Jagd  des  grossen  Wildes  im  Mittelalter  Germania  XXIX, 
HO  ff.,  Palander  a.  a.  0.  S.  29  ff. 

Aber  auch  die  britannischen  Kelten,  bei  denen  ein  Stamm 
geradezu  „Jäger"  =--  Selgovae  (Üolway)  heisst,  von  gcmeinkclt.  *selga 


Digitized  by  Google 


Jagd  —  Jahr. 


389 


,Jagd'  (ir.  selg,  altkymr.  in-hekha  ,in  veuando',  körn,  helhia  .jagen') 
standen  schon  bei  den  Alten  in  dem  Ruf,  eine  zwar  kleine,  aber  vor- 
treffliche Art  von  Spürhunden  mit  dem  dunkeln  Namen  äyaooaiov<;  zu 
besitzen  (vgl.  Oppian  Cyncg.  I,  471). 

Diese  vom  keltisch- romanischen  Westen  der  mittelalterlichen  Welt 
zugegangenen  Anregungen  haben  sich  von  germanischem  Boden  zu  den 
Slaven  fortgepflanzt,  wie  die  Entlehnungsreihe:  agls.  hryppa  (vgl.  auch 
ahd.  t'udo  ,vertragus',  unser  „Rüde"),  altsl.  chrütt,  lit.  kürtax,  altpr. 
curtis  »Windhund'  zeigt. 

In  andere  Richtung  weist  (drittens.!  die  Falkenjagd,  die  in  einem 
besonderen  Artikel  behandelt  ist. 
Jagdhunde,  s.  Jagd. 
Jagdvogel,  s.  Falke,  Falkenjagd. 

Jahr.  Die  Erkenntnis,  dass  mit  der  Ankunft  des  Sommers  oder 
des  Winters,  je  nachdem  man  nun  diesen  oder  jenen  an  den  An- 
fang stellte,  eine  neue  Zeiteinheit  beginne  und  eine  alte  ihren  Ab- 
schlug finde,  ist  so  nahe  liegend,  dass  man  dieselbe  schon  auf  den 
frühsten  Kulturstufen  wird  voraussetzten  müssen.  In  der  That  lässt 
sich  auch  bereits  für  die  idg.  Grundsprache  eine  Bezeichnung  für  den 
Begriff  des  Jahres  nachweisen.  In  seiner  einfachsten  Gestalt  lautete 
dieselbe  *eet-,  *ut-  uud  liegt  in  dem  idg.  *peruti  ,im  vorigen  Jahre' 
(sert.  parat,  Pamird.  pard,  par-wuz,  armen,  heru,  gricch.  nipvOi,  altn. 
fjörp)  vor.  Daneheu  bestand  ein  vollerer  Stamm:  *retos-,  *vetes-, 
*rets-,  der  in  grieeh.  Feioq,  all),  riet,  sert.  sam-cats-arä-,  pari-vats- 
ard-,  tats-ard-  .Jahr'  erhalten  ist,  während  lat.  retus,  altsl.  vetftchü, 
lit.  icetuszas  nur  in  der  Bcdcutuug  von  ,alf  belegt  sind.  Die  Grund- 
bedeutung der  ganzen  Sippe  wird  demnach  etwa  , Alter',  ,Altertümlich- 
keit"  (eine  „Vergangenheit")  gewesen  sein.  Sehr  bemerkenswert  ist, 
dass  die  finnischen  Sprachen  ganz  ähnlieh  klingende  Bezeichnungen 
des  Jahres  ffinn.  ruosi,  weps.  tcos,  ostjak.  öt)  besitzen. 

Bei  der  Zählung  nach  Jahren  aber  dürfte  in  deu  älteren  Epochen 
der  Gebrauch  vorgeherrscht  haben,  dass  man  das  bestimmte  oder  un- 
bestimmte Zahlwort  mit  dem  Namen  einer  einzelnen  Jahreszeit 
verband,  die  dann  für  das  ganze  Jahr  stand.  So  wird  noch  in  den 
vedischen  Texten  zuerst  nach  Wintern  (himd),  dann  nach  Herbsten 
{qardd-)  gezählt,  bis  dann  viel  später  „entsprechend  der  mittlerweile 
vor  sich  gegangenen  Verschiebung  der  Wohnsitze"  nach  Regenzeiten 
(rarshdni)  gerechnet  wird  (vgl.  A.  Weber  Ind.  Stud.  XVII,  232).  Aber 
auch  Ulrilas  kann  noch  einen  Satz  wie  *ruvr)  a\uoppooGo*a  bwbeiat  {tt\ 
(Math.  9,  20)  mit  qino  bldprinnandei  ticalib  trintruns  übersetzen. 
Dass  dieser  Gebrauch  schon  in  vorhistorischen  Zeiten  herrschte,  beweist 
der  Umstand,  dass  in  den  Einzelsprachen  überaus  häutig  die  Benen- 
nungen der  Begriffe  ,Jahr',  .jährlich'  u.  s.  w.  von  den  Namen  der 
einzelnen  Jahreszeiten  hergenommen  worden  sind,  und  zwar  können 


Digitized  by  Google 


3^0 


Jahr. 


hierzu  die  meisten  Bezeichnungen  dieser  letzteren  verwendet  werden. 
Zu  dem  idg.  Wort  für  Winter  (s.  d.),  lat.  hiems  u.  8.  w.  gehören  : 
lat.  bimtts,  tritnus  ,zwei-  und  dreijährig',  griech.  X»uapo<;.  X^aipa 
Ziegenbock,  Ziege',  eigentlich  ,Jährling',  germ.  in-gimus  Jährlich' 
(Lex  Sal.,  Kern  Taal  n.  Letterb.  II,  143),  sert.  hdyand-  ,Jahr',  aw. 
zima-  ,Winter,  Jahr'.  Vgl  auch  agls.  dmeintre,  ducintre  ,einjäbrig' 
(deet  Jamb  sceal  beön  dmeintre  ,erit  agnus  anniculus')  und  niederrhein. 
-Einwintert  d.  h.  .einjährige  Ziege,  Rind'.  Zu  einem  altidg.  Wort 
für  , Frühling'  oder  für  die  ganze  freundliche  Jahreszeit,  zu  altsl.  jarü, 
gricch.  uipa,  stellen  sich  got.  jer,  aw.  i/dre  .Jahr',  lat.  kor  nun  ,heuer' 
aus  *hojörinu-x.  In  slav.  Uto  (über  die  Etymologie  s.  u.  Mond  und 
Monat)  vereinigen  sich  die  Bedeutungen  ,Sonimer'  und  .Jahr'.  Etwas 
anders  ist  wohl  das  Verhältnis  von  ahd.  sumar  u.  g.  w.  .Sommer'  : 
armeiT.  am  .Jahr'  (s.  u.  Sommer  und  u.  Jahreszeiten)  zu  beur- 
teilen, insofern  die  Grundbedeutung  der  ganzen  Sippe  .Halbjahr'  (sert. 
sdmd)  ist,  die  einerseits  zu  .Sommer',  andererseits  zu  .Jahr'  führte. 
Nach  Herbsten  {autumni)  wird  in  der  Lex  Bajnvarioruin  gerechnet, 
bei  den  Schweizern  wird  nach  „Laubreisen",  d.  i.  Laubfällen  (ahd. 
louprhi)  gezählt  (vgl.  Wcinhold  Über  die  deutsche  Jahrteilung  Kiel 
1862  S.  12,  10).  und  in  den  arischen  Sprachen  ist  ein  altes  Wort  für 
die  Fruchtreife  oder  den  Herbst  (seit,  ytrdd-)  zu  einer  ganz  gewöhn- 
lichen Bezeichnung  de«  Jahres  (aw.  xarefki-,  npers.  adl,  kurd.,  afgh., 
Pamird.  ebenso;  vgl.  auch  das  wohl  aus  dem  Iranischen  entlehnte 
hdische  aüpbi?)  geworden. 

Von  weiteren  Benennungen  des  Jahres  in  den  idg.  Sprachen  ist  zu- 
nächst hier  noch  lit.  vtMas  .Zeit,  Jahr'  zu  nennen,  das  dein  alb.  mot 
,Jabr,  Wetter'  genau  entspricht.  Grundbedeutung:  .Zeitmass'  (alb.  matt 
.Mass').  Ähnlich  fliessen  in  dein  slavischen  godü,  godina  (vgl.  Miklosich 
Et.  W.  s.  v.  ged)  die  Bedeutungen  ,Zeit'  und  .Jahr'  (auch  ,Fest')  in 
einander  über.  Über  mehrere  Ausdrücke  gehen  die  Ansichten  noch 
auseinander.  So  über  lat.  annun  ,Jahr',  das  von  den  einen  mit  got. 
asans  , Erntezeit'  verglichen  (vgl.  auch  griech.  äpotöq  , Ackerzeit',  dann 
,Jahr'  bei  Soph.  Trach.  69,  82ö),  von  anderen  zu  dem  selbst  dunklen 
got.  apn,  at-apni  ,Jahr'  gestellt  wird.  So  auch  über  griech.  dviaurö?, 
mit  dem  sich  zuletzt  Prellwitz  (Beilage  z.  Progr.  des  kgl.  Gymnasiums 
zu  Bartenstein  1895  S.  6)  eingehend  beschäftigt  hat.  Er  sucht  nach- 
zuweisen, dass  das  Wort  eigentlich  .Jahrestag'  (nicht  Jahresfrist)  be- 
zeichne, und  durch  Substantivierung  des  Ausdrucks  evi  aünü  „(wieder) 
auf  demselben  Punkte  (angelangt)"  entstanden  sei  (vgl.  besonderes.  7  f.). 
Hierbei  wird  die  Möglichkeit  einer  Verbindung  mit  slio%  unterschätzt, 
die  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte*  S.  441  versucht  worden  ist. 
Nachzutragen  ist,  dass  das  an  dieser  Stelle  als  erster  Teil  von  iv\- 
auTÖ£  vermutete  £vo-$  (Hvio-c,)  =  sert.  sdna-  ,alt'  (vgl.  oben  griech. 
Jiro<;  :  lat.  retus)  auch  allein  ,Jahr'  bedeutet.   Vgl.  bei  Hesych  £vo<;  * 


Digitized  by  Google 


Jahr. 


391 


4viauxöq  (bievoq,  ^Trrdevov,  TtTpdcvov).  Nicht  mit  Mroq  zu  vereinigen 
ist  af\ie$,  (Täi€<;,  in™?  ,hcuer\  wenn  man  nicht  (mit  Brugmann  Grund- 
riss  l2,  1,  S.  274)  eine  Analogiebildung  nach  ion.  örmepov,  dor.  aci(n€- 
pov,  att.  Tiiiitpov  Jieute"  (aus  *icj-üu€pov  :  *Kjo-  ,dieser'  und  nu^pa  ,Tag') 
annehmen  will.  Steckt  vielleicht  in  (Jütc«;  u.  s.  w.  ein  ganz  anderes 
Wort  f(lr  Jahr?  etwa  der  »Stamm  des  oben  genannten  got.  apn  \*at-n-) 
,Jahr"?  Gänzlich  unaufgeklärt  ist  noch  das  gemeinkcltische  *bhido- 
,Jahr\  kymr.  blicydd,  hret.  bloaz  (ir.  blladain  etc.). 

Wichtig  aber  ist  es,  dass  es  keine  urverwandten  und  überhaupt  nur 
späte  und  vereinzelte  Benennungen  des  Jahres  gieht,  welche  eine  Be- 
zugnahme auf  den  Lauf  der  Sonne  verraten,  der  doch  in  historischen 
Zeiten  überall  den  .Jahresanfang  und  das  Jahresende  regelt.  Ein  Bei- 
spiel dieser  Art  ist  das  seltene  griech.  XuKÜfktq  .Jahr'  (Od.),  insofern 
es  .Wandel  des  Lichts'  zu  bedeuten  scheint.  Man  verbiudet  damit 
(vgl.  Prellwitz  a.  a.  0.  und  Usener  Götternamen  S.  den  Namen 

des  attischen  AuKaßntTÖ^,  an  dessen  scharfen,  dem  Horizont  zugekehrten 
Linien  man  zuerst  eine  genauere  Beobachtung  des  nördlichsten  und 
südlichsten  Aufgangspunktes  der  Sonne  vorgenommen  habe  (vgl.  auch 
deutsche  Bergnamen  wie  Sonnjoch,  Sonnenwendstein,  Mittagsjoch  u.  a.). 
Ein  ähnlicher  Fall  läge  in  umbr.  ose  ,anni  aut  consimilis  annno  tem- 
poris",  pälign.  itus  ,annum  aut  tempus  honoris  enrsui  destinatum'  vor, 
wenn  sie  von  F.  Büchelcr  Lex  It.  V  richtig  mit  lat.  auröra,  *(Ium  öm 
»Morgenröte'  etc.  verbunden  werden. 

Auch  die  Wörter  für  Sonne  's.  d.)  selbst  zeigen  keinerlei  Beziehung 
zur  Zeitteilung,  wie  sie  in  dem  Verhältnis  von  Mond  zu  Monat  (got. 
mena  .Mond'  :  nu'nops  .Monat  )  so  deutlich  hervortritt. 

Dass  es  in  der  That  in  der  idg.  Urzeit  den  Begriff  eines  Sonnen- 
jahrs  noch  nicht  gegeben  hat,  muss  man  indirekt  auch  daraus  folgern, 
dass  die  Monatsnamen  is.  u.  Mond  und  Monat  sich  auf  idg.  Boden 
erst  verhältnismässig  spät  festgesetzt  haben.  Dieselben  müssten  aber 
schon  iu  der  Urzeit  vorhanden  gewesen  sein  und  eine  Spur  ihres  ein- 
stigen Daseins  uns  hinterlassen  haben,  wenn  schon  damals  eine  Ein- 
rechnung  der  Monate  in  das  Sonnenjahr  stattgefunden  hätte  und  die- 
selben dadurch  zu  bestimmteil,  jährlich  wiederkehrenden,  eines  Namens 
bedürftigen  Individuen  geworden  wären.  Allerdings  hat  es  nicht  an 
Versuchen  gefehlt,  auf  anderem  Wege  schon  für  die  idg.  Urzeit  die 
Bekanntschaft  mit  einem  Sonnenjahr  zu  erweisen.  Man  ist  dabei  von 
den  bei  unserem  Volke  mit  mancherlei  mythischen  Vorstellungen  um- 
wobenen  „Zwölften",  der  Zeit  vom  '2b.  Dezember  bis  zum  G.  Januar 
ausgegangen,  welche  sich  in  den  indischen  „zwölf  (heiligen)  Nächten, 
welche  das  Abbild  des  (kommenden)  Jahres  sind"  der  BrAhmana-Littc- 
ratur  genau  wieder  zu  finden  scheinen.  Iu  ihnen  sei  ein  gemeinsamer 
prähistorischer  Versuch  anzuerkennen,  einen  Ausgleich  zwischen  dem 
3ö4tägigen  Mondjahr  \ "=  12  Mondmonate)  und  zwischen  dem  vMitägigen, 


Digitized  by  Google 


3fJ2 


Jahr. 


bürgerliehen  Sonnenjahrc  in  groben  Zügen  herzustellen.  Am  eingehendsten 
hat  sieh  mit  dieser  Frage  A.  Weber  (Omina  und  Portenta  S.  388, 
Indische  Studien  XVII,  224,  Sitzungsberichte  d.  kgl.  pr.  Ak.  d.  W. 
zu  Berlin,  phil.  hist.  Kl.  1898  XXXVII,  2  ff.)  beschäftigt,  der  nach 
mancherlei  Schwankungen  seiner  Ansicht  sein  schliessliches  Ergebnis 
so  zusammenfasse  „Meinem  Dafürhalten  nach  waren  die  Indogermanen 
nicht  auf  einer  Ilöhe  der  Kultur  stehend,  welche  sie  dazu  befähigt 
hätte,  selbständig  Beobachtungen  oder  gar  Berechnungen  anzustellen, 
die  sie  zu  einer  solchen  Korrektur  ihres  Mondkalenders  hätten  führen 
können.  Ich  kann  mir  nur  denken,  dass  sie  dabei  durch  die  Nachbar- 
schaft semitischer  Kultur  beeinflusst  worden  sind.  Natürlich  wäre 
dabei  nicht  an  die  südlichen  Semiten  zu  denken  (Juden  und  Araber),  die 
ja  noch  jetzt  an  dem  alten  Mondjahre  festhalten,  sondern  au  die  nörd- 
lichen Semiten,  resp.  die  Babylonicr."  A.  Weber  setzt  also  die  Be- 
kanntschaft mit  dein  Sonnenjahr  schon  für  die  idg.  Urzeit  voraus,  führt 
aber  dieselbe  auf  auswärtige  Einflüsse  zurück.  Gesetzt  nun  aber  auch 
den  Fall,  es  sei  eiu  historischer  Zusammenhang  zwischen  den  ger- 
manischen Zwölften  und  den  12  heiligen  Nächten  der  luder  anzuer- 
kennen, und  der  Ursprung  derselben  sei,  was  an  sich  wohl  denkbar 
wäre,  in  Babylonien  zu  suchen,  so  stände  doch  nichts  der  Annahme 
entgegen,  dass  dieser  babylonische  Kulturcinfluss,  der  sich  bei  den 
übrigen  Indogermaiicu  nicht  zeigt,  sich  erst  äusserte,  als  die  vor- 
historischen Zusammenhänge  zwischen  den  Indogermanen  längst  ge- 
löst waren,  und  die  Inder  in  Indien  (vgl.  über  babvlonischc  Kultur- 
einflösse  auf  Indien  Weber  Sitzungsberichte  S.  6)  und  die  Germanen 
in  ihren  ältesten  historischen  Wohnsitzen  an  der  Ost-  und  Nordsee 
süssen  (s.  auch  n.  Erz,  Bestattung,  Zahlen).  Man  könnte  dann 
mit  H.  Hirt  (I.  F.  I,  469)  vermuten,  dass  die  hohe  Bedeutung  der  12 
in  dem  germanischen  Rechnungswesen  (s.  u.  Zahlern  auf  den  EiuÜuss 
eben  dieser  den  Kalender  annähernd  ausgleichenden  Nächte  beruhe. 
Allein  gerade  gegen  die  Annahme  des  heidnischen  Altertums  der  ger- 
manischen Zwölften  ist  neuerdings  ein  scharfer  und  wohl  zu  bedenken- 
der Einspruch  durch  A.  Tille  Vule  und  Christmas,  their  place  in  tho 
Germanic  year  London  1899  erhoben  worden,  der  es  vielmehr  wahr- 
scheinlich macht,  dass  diese  sagenumwobenen  Zwölften  uiehts  als  das 
germanische  Abbild  des  christlichen  Dodekahemeron,  der  heiligen  Zeit 
zwischen  Weihnachten  und  Epiphanias,  dem  neuen  und  alten  Er- 
innerungstag  der  Gottwordung  Christi  (vgl.  S.  120  ff  ),  seien. 

Derselbe  Gelehrte  hat  in  dem  Kapitel:  Solstices  and  equinoxes  den 
überzeugenden  Nachweis  geführt,  dass  auch  die  Bekanntschaft  mit  den 
sogenannten  vier  Jahrpunkten  des  Sonnenjahrs,  den  Sonnenwenden 
und  N  a  c  h  t  g  1  e  i  e  h  e  n ,  nicht  im  germanischen  Heidentum  wurzelt, 
sondern  erst  auf  die  Verbreitung  des  römischen  Kalenders  bei  den 
Germanen  zurückzuführen  ist:  v  The  furing  of  the  date  at  ichkh  day 


Digitized  by  Google 


Jahr. 


393 


and  night  are  exactly  equal  lacks  entirely  in  economic  interest  and 
significance,  and  certainly  never  affected  thc  mind*  of  primitive 
peoplex.  The  Observation  of  so  called  soUtices,  on  the  other  handf 
is  extreme! y  difficult  etc.  Die  Bezeichnung  der  Xachtgleichcn  in  dcu 
germanischen  Sprachen,  ahd.  ebennaht,  agls.  efenniht,  altn.  jafndccgri, 
ist  sicher  nur  eine  Übersetzung  des  lat.  aequinoctium  (griech.  iar\- 
Utpiai).  Für  den  Begriff  der  Sonnenwende  haben  sie  ganz  verschiedene 
Ausdrücke,  deutseh  sumeende,  xungiht,  Mimstede,  sommertag,  agls. 
sunn-stede,  altn.  sölhvarf  etc.,  die  alle  ihre  Abhängigkeit  von  dem 
lat.  solstitutin  dadurch  beweisen,  dass  sie  wie  dieses  ohne  Zusatz  nur  von 
der  Sommersonnenwende  gebraucht  werden,  während  für  die  Winter- 
sonnenwende (lat.  brüma,  d.  i.  brevushna)  überhaupt  keine  älteren 
Ausdrücke  bestehen.  S.  auch  u.  Zeitteilung  i Feste).  Wie  die 
Germanen  von  den  Reimern,  so  haben  zweifellos  die  Römer  von  den 
(kriechen,  und  die  kriechen  von  den  Rabylonicrn  die  Kenntnis  der  vier 
Jahrpunkte  übernommen,  wie  es,  was  die  Griechen  betrifft,  ilcrodot 
II.  1  Ol*  ausdrücklich  bezeugt:  ttöXov  pfcv  y«P  kgu  fviuiiova  (letzterer 
gab  die  Sonnenwenden  und  Naehtgleieheu  zu  erkennen;  vgl.  Ideler 
Lehrbuch  der  <  'hronologic  S.  97)  Kai  tü  binöbtKa  ue'pea  Tfjq  n.ue'pn.5 
napä  BaßuXwviuiv  euaGov  oi  "EXXrjvc?.  Da  die  Berechnung  des  Sonnen- 
Durchmessers  auf*  V  ;»,,  des  Ä(|uators.  die  einen  Eckpfeiler  der  gesamten 
babylonischen  Zeit-  und  Raunirechnung  bildet  (vgl.  Lehmann  Z.  f. 
Ethnologie  Vcrhandl.  1H9Ö  S.  4TJ,  4o4),  nur  in  der  Zeit  der  Aequi- 
noctieu  möglich  war,  so  inuss  in  Bnhylonicn  die  Erkenntnis  derselben 
zu  dem  ältesten  des  allen  gehören.  Auch  inschriftlich  ist  sie  bezeugt: 
The  sixth  day  of  Xitsan  i  .Mürz)  —  the  day  and  the  night  —  teere 
balanced  (there  teere)  six  kaspu  (  Doppelstunden .  of  day —  and) 
si.r  kaspu  of  night  u.  s.  w.  (vgl.  Bilfinger  Die  babylonische  Doppel- 
stunde, Progr.  Stuttgart  1 8S8  S.  4).  Bei  Homer  scheint  dagegen  der 
einmal  gebrauchte  Ausdruck  xpoTrcri  neXtoio 
(Od.  XV,  404:  vnööq  Tiq  Zupin 

'Opiufin?  Ka9uTT€pB€V  Ö8t  TpoTroti  TieXioio) 
noch  nicht  , Sonnenwende",  sondern  nur  die  (scheinbare)  tägliche 
Wendung  der  Sonne  zu  bezeichnen.   Bei  Hesiod  ist  aber  Tpo;rai  neXioio 
im  Sinne  von  Sonnenwende  ein  geläufiger  Ausdruck. 

So  weist  alles  darauf  hin,  dass  die  Indogcrmanen  noch  lange  nach 
ihrer  Trennung  unter  „Jahr-  {*retos)  lediglich  ein  „Wittcrnngsjahr", 
d.  h.  die  Zusammenfassung  von  Winter  und  Sommer  verstanden,  wobei 
entsprechend  dem  Verhältnis  von  Nacht  und  Tag  der  Winter,  wie  bei 
den  Gcrmaueu  (  vgl.  Wcinhold  a.  a.  0.  S.  4,  A.  Tille  a.  a.  O.  S.  17  ff.), 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  an  den  Anfang  gestellt  wurde,  und  dass 
ohne  Verbindung  mit  diesem  v  Witterungsjahru  die  Zählung  nach  Monden, 
d.  h.  reinen  Mond-Monaten  nebenher  lief.  Erst  die  direkte  oder  in- 
direkte Bekanntschaft  mit  der  Zeitrechnung  des  Orients,  vor  allem  mit 


Digitized  by  Google 


Jahr  —  Jahreszeiten. 


dem  in  zwölf  Monate  zu  je  30  Tagen  geteilten  babylonischen  Jahr 
von  3f>0  Tagen  (in  das  behufs  der  Übereinstimmung  mit  dem  Stand 
der  Sonne  in  festen  Zwischenräumen  ein  ganzer  Monat  eingeschaltet 
wurde)  veranlasste  auch  die  idg.  Völker  Europas,  den  Versuch  zu 
machen,  eine  gewisse  Zahl  von  Monaten  in  den  Umlauf  der  Sonne,  der 
mehr  und  mehr  auch  in  Europa  als  massgebend  für  den  Umfang  des 
Jahres  erkannt  wurde,  einzurechnen  und  die  entstehende  oder  bleibende 
Differenz  durch  Schaltvorriehtungcn  in  der  einen  oder  anderen  Weise 
auszugleichen.  Das  weitere  hierüber  gehört  in  die  Chronologie  der 
Einzel  Völker.  —  S.  n.  Zeitteilung. 

.Jahreszeiten.  Aus  dem  gleichmässigen  Strome  der  Zeit  seheinen 
die  Indogermanen  am  frühesten  denjenigen  Abschnitt  des  Jahres  her- 
vorgehoben zu  haben,  welcher  die  Natur  in  Schnee  und  Eis  (s.  d.) 
erstarren  machte,  Menschen  und  Tiere  in  ihren  Wohnungen  und  Be- 
hausungen zusammenpferchte  und  allen  Zügen  und  Wanderungen  fried- 
licher und  kriegerischer  Art  ein  Ziel  setzte,  den  W inter  (s.  d.),  dessen 
weitverbreitete  idg.  Bezeichnung  in  lat.  hiems  und  seiner  Sippe  vor- 
liegt. Ihre  Grundbedeutung  pflegt  man  als  /Treiben',  »Schneetreiben' 
(vgl.  grieeh.  X€»ua  ,Stnrm\  x»wv  .Schnee",  sert.  th;u-ht'man-  :  hi,  hinö'ti 
,trcibcn  )  aufzufassen.  Gegenüber  dieser  lange  Zeit  vielleicht  einzigen 
Bezeichnung  einer  Jahreszeit  mnss  nun  allmählich  das  Bedürfnis  her- 
vorgetreten sein,  auch  für  die  freundlichere  Witterungsepoehe, 
den  Nicht- Winter  einen  Ausdruck  zu  prägen.  Er  wurde  gefunden 
in  ahd.  mmar  und  den  diesen  verwandten  Wörtern  (s.  u.  Sommer), 
deren  ursprünglichste  Bedeutung  ivgl.  seit.  *ama-  .eben',  ,gleich',  aw. 
hama-,  grieeh.  öuö<;,  öuctXö«;,  lat.  simMs,  got.  mma  u.  s.  w.  ■  ,dic  dem 
Winter)  gleiche,  zweite  Hälfte'  des  Jahres  war  so  auch  A.  Weber 
Sitzungsberichte  d.  kgl.  preuss.  Ak.  d.  W.  zu  Berlin  phil.-hist.  Kl.  1898 
XXXVII,  2).  Ausserdem  sind  für  die  Bezeichnung  einer  freundlicheren 
Jahreszeit  noch  zwei  etymologische  Reihen,  lat.  rer  und  altsl.  jarä 
mit  ihrer  Verwandtschaft  ('s.  u.  Frühling  und  Jahr),  anzuerkennen. 
Von  diesen  hat  die  erstere  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  speziell  das 
Eintreten  des  besseren  Wetters  ausgedrückt.  Wie  die  Ableitungen 
von  der  volleren  Wurzelgestalt  res  (sert.  ras,  ttcchtlti  ,er*trahlen)  : 
sert.  raauntd-,  altsl.  resna,  grieeh.  £ap,  altn.  rar  den  Beginn  der  helleren 
Jahreszeit,  so  bezeichnen  die  Bildungen  von  der  kürzeren  Wurzelform 
H8  :  gert.  iishäs  ,  grieeh.  nwq  , Morgenröte',  ahd.  östan .  , Morgen,  Osten' 
(vgl.  aber  auch  ahd.  ostarün,  agls.  eastron  , Ostern  )  den  Anfang  des 
Tages,  den  Morgen,  so  dass  in  völlig  paralleler  Weise  durch  die 
angeführten  Wortsippen  einerseits  die  Fuge  zwischen  Winter  und  Sommer, 
andererseits  die  zwischen  Nacht  und  Tag  ausgefüllt  wird.  Auch  ist  für 
die  hier  angenommene  ursprünglich  äusserst  kurze  Frist  der  Bildungen 
wie  sert.  razanta-  u.  s.  w.  charakteristisch,  dass  dieselben  niemals  wie 
andere  alte  Bezeichnungen  der  Jahreszeiten  zur  Bezeichnung  des  ganzen 


Digitized  by  Google 


Jahreszeiten. 


Jahres  (s.  a.  Jahr)  verwendet  worden  sind  (vgl.  auch  Bilfinger  Das 
altn.  Jahr  Stuttgart  1899  S.  16).  Altsl.  jarü,  gricch.  üipa  u.  s.  w.  sind 
dagegen  vielleicht  auf  ein  idg.  */»<?.  *jörä  zurückzuführen,  die  ur- 
sprünglich mit  dein  ohen  erörterten  *semd  verbunden,  das  Halbjahr  be- 
zeichneten in  dem  man  sich  zu  Wanderungen  oder  zum  Ziehen  auf  die 
Weide  -aufmachte"  (sert.  yati  ,cr  geht';  vgl.  auch  Uhlenbeck  Et.  W. 
d.  got.  Spr.  s.  v.jer).  Ganz  ähnlich  bezeichnet  nach  Vämbcry  Primitive 
Kultur  S.  162  das  tnrko-tatarisehc  Wort  für  Sommer,  jaz,  diejenige 
Jahreszeit,  „in  welcher  man  sieh  ausdehnen  kannu  (jaz  ,ausbreiten', 
jazi  , Ebene  ,  jazihtmalc  ,auf  die  Weide  gehn'),  während  der  Winter, 
ebenfalls  wie  im  Indogermanischen,  die  Zeit  des  Schneegestöber*  ist,  fr/V, 
kis  ,  Winter'  :  kaj-is,  kais'-kis  .Schneegestöber'). 

Wenn  es  nach  dem  obigen  eine  Zweiteilung  des  Jahres  in  Winter 
und  Sommer,  die  durch  eine  kurze  Übergangszeit  des  Frühlings 
unterbrochen  waren,  ist,  die  auf  sprachlichem  Wege  für  die  ältesten 
Indogermanen  wahrscheinlich  gemacht  wird,  und  auf  die  auch  der  be- 
merkenswerte Umstand  hinweist,  dass  in  den  Einzelspraehen  initiier  nur 
die  Ausdrücke  für  zwei  Jahreszeiten  in  ihrer  Suffixbildung  auf  ein- 
ander bezogen  sind  (sert.  hemantd-  :  rasant  d-,  aw.  zima  :  hama,  armen. 
imeht  :  ainain,  germ.  icintar  :  sumar,  ir.  gam  :  sam).  so  fehlt  es 
auch  nicht  in  der  Überlieferung  an  mehr  oder  weniger  deutlichen 
Spuren  desselben  Zustand*.  Bei  den  Ariern  steht  im  Vendidad  des 
Awesta  durchaus  noch  Winter  und  Sommer  (zyd,  zima-  :  hama  )  im 
Mittelpunkt  der  Zeitrechnung,  wenn  auch,  wie  in  der  Urzeit,  eine  kurze 
Übergangszeit  des  Frühlings  (aw.  raiihri  ,im  Frühling'  und  zaremaya- 
,das  Grüne':  vgl.  Koth  Z.  d.  Deutsch.  Morgenl.  Ges.  XXXIV,  702) 
daneben  genannt  wird.  In  Europa  haben  vor  allem  die  Germanen 
und  Kelten  Überreste  der  alten  Zweiteilung  des  Jahres  bewahrt  (vgl. 
K.  Weinhold  Über  die  deutsche  Jahrteilung  Kiel  1862  S.  6  ff.,  A.  Tille 
Yule  and  Christmas,  London  1899,  Bilfiiiger  a.  a.  0.  S.  IT),  18,  95, 
Thnrneyscn  Z.  f.  kelt.  Phil.  11,  f>25  .  Die  Rechnung  nach  den  beiden 
Semestern  (agls.  missere,  altn.  misseri)  Winter  und  Sommer  tritt  bei 
jenen  in  der  Sprache  der  Poesie  (Heliand:  thea  habda  so  filu  wintro 
ettdi  sumaro  gilibd,  Ilildebrandslied:  ik  icallota  sumaro  endi  wintro 
sehstic)  wie  des  Rechts  (agls.  tc  int  res  ond  sumeres;  cü  on  sumera, 
oxan  on  wintra)  noch  unzweideutig  hervor.  Zwei  allgemeine  Tage- 
dinge (phicita  generalia),  im  November  und  im  Mai,  wurden  bis  auf 
Karl  den  Grossen  jährlich  abgehalten,  und  noch  lange  sind  Martini  (an 
dem  nach  Tille  da*  altgermanische  Jahr  begann)  und  Mitte  Mai  die 
Haupttermine  für  Rechtsgeschäfte  wie  für  kirchliche  Feierlichkeiten 
geblieben.  Ausdrücklich  berichtet  auch  Beda  De  temporura  rationc 
Cap.  lf>:  Item  [Herum]  principaliter  annum  totum  in  duo  tempora, 
hyemis  videlicet,  et  aestatis  dhpartiebant:  sex  illos  menses,  quibus 
longiores  noctibus  dies  sunt,  aestati  tribuendo,  sex  religuos  hyemi. 


Digitized  by  Google 


396 


Jahreszeiten. 


Bei  den  Kelten  sei  auf  die  strikte  Zweiteilung  des  Jahres  in  dem  altgall. 
Kalender  von  Coligny  (Thurneysen  8.  525)  verwiesen.  Über  Spuren 
der  Zweiteilung  bei  Griechen  und  Römern  vgl.  Ideler  Lehrb.  8.  100  f. 

Verbreiteter  als  die  Zweiteilung  ist  aber  in  frühistorischer  Zeit  bei 
den  idg.  Völkern  eine  Dreiteilung  des  Jahres.  Sie  ist  für  das 
vedische  Indien  bezeugt  (trayö  vd  rtavah  sanivatsarast/a  Cut.  Brnhm.) 
und  auch  für  die  älteren  Griechen  (vgl.  Ideler  Lehrbuch  der  Chrono- 
logie 8.  103)  anzunehmen.  So  unterscheidet  Acschylus  x^wwv,  ^aP» 
6^po<;,  Aristophancs  x*»uujv,  tap.  ÖTrwpa,  und  es  scheint,  dass  die  ältere 
griechische  Dichtkunst  und  Plastik  nur  drei  Hören  kannte.  Daneben 
beginnt  sich  allerdings  schon  bei  Homer  vom  6€po<;  eine  weitere  Jahres- 
zeit, die  T€9aXula  ömupn.,  loszulösen  (II.  XXI,  346,  XVI,  385).  Auch 
bei  den  Germanen  fand  Tacitus  (Germ.  Cap.  2*3:  Unde  annum  quoque 
ipsttm  non  in  totidem  digerunt  species  :  hie  ms  et  ver  et  aestas  httellertum 
et  vocabnla  habent,  autumni  perinde  vomen  et  bona  ignorantur)  eine 
Dreiteilung  vor,  die  sieh  neben  der  Halbierung  des  Jahres  in  zahl- 
reichen Zügen,  vor  allem  in  den  drei  über  die  germanische  Welt  weit 
verbreiteten  Termineu  von  Martini,  Mitte  März  und  Mitte  Juli  (vgl. 
A.  Tille  a.  a.  0.  8.  34  ff.:  Martinmas  and  ihe  tripartition  of  the  year) 
bis  in  späte  Zeiten  erhalten  hat.  In  enger  Beziehung  zu  dieser  Drei- 
teilung des  Jahres  seheint  eine  Sechsteilung  desselben  zu  stehen, 
die  bereits  zu  der  Rechnung  nach  Monaten  (s.  u.  Mond  und  Monat) 
hinüber  führt.  Sie  kommt  im  späteren  Indien  vor,  wo  rarshd'  (, Regen- 
zeit', Juli  und  August  >,  rardd-  (September.  October,  die  feuchte  Saison 
nach  dem  Regen),  heinantd-  (November,  Dezember,  die  kühle  Jahres- 
zeit ,  qicira-  (Januar,  Februar,  die  Periode  der  kühlen  Morgen  und  der 
Nebel,  die  tauige  Jahreszeit),  vasantd-  (, Frühling',  März,  April),  grishmd- 
(.Sommer',  Mai,  Juni)  unterschieden  werden.  Sie  liegt  den  sechs  Fest- 
zeiten des  Jahres  im  Awesta,  den  sechs  Gahnnbars  <z.  B.  paithshahya- 
:  hahya-  .Aussaat',  die  .Zeit,  welche  das  Getreide  mit  sich  bringt', 
ayddrema-  ,die  Zeit  des  Eintrieb*  von  der  Alm',  maidyözaremya-  , Mitte 
des  Grünen'  u.  s.  w.)  zu  Grunde,  und  auf  sie  weist  die  schon  von 
J.  Grimm  (Geschichte  der  deutschen  Sprache  I,  110  ff.  hinsichtlich  der 
d eut  sc  heu  Monatsnamen  bemerkte  Krschcinung,  dass  nicht  selten  zwei 
Monate  unter  einem  Namen  also  zwölf  Monate  in  sechs;  zusammen- 
gefasst  werden.  Die  ältesten  Belege  hierfür  bietet  die  schon  genannte 
Schrift  des  Beda,  in  der  der  Ausdruck  Giali  die  Monate  Januar  und 
Dezember  (vgl.  auch  in  einem  gotischen  Kalender  fruma  Jiuleis  für 
November,  was  auf  ein  *aftuma  .Jiuleis  für  Dezember  sehlicssen  lässt) 
und  der  Ausdruck  Lida  die  Monate  Juni  und  Juli  unisehliesst  (weiteres 
bei  J.  Grimm  a.  a.  0.  und  bei  A.  Tille  8.  in,  138  ff.;  s.  auch  u.  Moud 
und  Monat).  Erwägt  man  nun,  dass  sowohl  die  Drei-  wie  die  Sechs- 
teilung des  Jahres  am  besten  zu  der  Annahme  eines  Jahres  von  360 
Tagen  sich  fügt  (360  =  3X120,  3  Grosshunderte  oder  =  6X60,  6 


Digitized  by  Google 


Jahreszeiten  —  Ichtieumou. 


397 


Schock),  so  liegt  der  Gedanke  nahe,  in  ihnen  bereits  die  Spuren  aus- 
wärtiger (babylonischer),  die  altindogerniani8che  Rechnung  nach  Wintern 
und  Sommern  durchkreuzender  Strömungen  der  Zeitteilung  zu  erblicken 
(s.  u.  Jahr,  Zahlen,  Zeitteilung). 

Den  endlichen  Sieg  hat  in  Europa  die  Vierteilung  des  Jahres 
davon  getragen,  die  frühzeitig  durch  praktische  Erfahrung  aufgekommen, 
allmählich  ihre  tiefere  Begründung  in  der  Erkenntnis  der  vier 
Jahrpunkte,  den  Sonnenwenden  und  X  a  c  h  t  gl  e  ic  Ii  c  n  (s.  u. 
Jahr),  fand.  An  ihrer  Stelle  hat  die  Xatur  dem  höheren  Altertum 
gefiederte  Herolde  der  Jahreszeiten  gegeben,  wie  es  Aristophanes  in 
dem  Chor  der  Vögel  v.  710 ff.  beschreibt: 

npilrra  pfcv  ä»pa?  9cuvou€v  nuei?  n.po<;,  x*»MÜivo<;,  öntupa?. 
o"Tt€ip€iv  uev,  ÖTav  ttpavoq  KpiuZoua'  lo  xnv  Aißunv  utTaxwpr)  .  .  . 
I kt ivo?  b'  au  m*tü  TOÖTa  (paveiq  ^te'pav  wpav  dnocpaivei, 
rjviKa  neKTtiv  ü»pa  TTpoßdtuuv  ttökov  npivöv.  tua  x^Xibiuv, 
ötc  XPH  xXcüvav  TtiuXeiv  f\br\  Kai  Xrjbdpiöv  ti  rrpiaaOai. 
Vgl.  schon  Homer  II.  III,  3: 

11UT€  TTtp  KXaTfTl    f€pdtVUJV  TT€X€l  OUpOVÖÖl  TTpÖ, 

air*  €TT€i  ouv  xeijiuiva  qpurov  d9€0*qKtT0V  öußpov 
und  Hesiod  W.  u.  T.  v.  448: 

(ppdleaeai  b',  cüt*  äv  tepdvou  qpwvnv  ^TraKoOoij? 

ü^öGev  eK  vecpe'wv  eviaüaia  K€K\ryfmn,S ' 

lyr'  dpÖTOiö  Te  ai\na  <p€pei,  Kai  x*»MaTO<;  üipnv 

bckvuei  ÖMßpnpoö, 
sowie  Aristoph.  Kitter  v.  410:  oux  öpäG' ;  wpa  v€a,  x€Xibwv.  Wie 
sehr  derartige  Anschauungen  im  Volke  wurzelten,  erhellt  am  besten 
daraus,  dass  noch  späte  Astronomen  (z.  Ii.  Geminus)  Ausdrücke  wie 
xeXibuuv,  Iktivo?  (paivcTat  ihren  astronomischen  Bestimmungen  beimischen. 
Nicht  minder  gelten  auf  germanisehem  Boden  Schwalbe  und  Storch 
für  wetterverkündende  und  darum  heilige  Tiere.  Noch  im  vorigen 
Jahrhundert  waren  nach  J.  Grimm  die  Türmer  mancher  Städte  Deutsch- 
lands angewiesen,  den  nahenden  Frühlingsherold  anzublasen,  wofür 
ihnen  ein  Ehrentrunk  aus  dem  Ratskeller  zu  teil  wurde.  Schon  eine 
wesentlich  höhere  Stufe  der  Zeitrechnung  stellt  es  dar,  wenn  die  Auf- 
nnd  Untergänge  gewisser  Sterne,  z.  B.  der  Plejaden  (bei  Griechen 
und  Römern)  als  Signale  der  Jahreszeiten  gebraucht  werden  (vgl.  Ideler 
a.  a.  0.  S.  1(10).  —  S.  n.  Frühling,  Herbst,  Sommer,  Winter 
und  u.  Zeitteilung. 

Ichneumon.  Das  in  Ägypten  für  heilig  gehaltene  und  in  zahl- 
reichen Mumien  daselbst  aufgefundene  Tier  wird  von  dort  zuerst  durch 
Herodot  II,  67  unter  dem  Namen  ixveuTriq  (:  ixveuw  ,nachspttrcn')  ge- 
meldet, für  den  später  ixveüuujv  eintritt.  'IxvcuTai '  o\  vöv  ixveuyove? 
Xeröp-evoi  Hesych.  Der  ägyptische  Name  war  yatrt,  yatru.  Vgl. 
A.  Wiedemann  Herodots  II.  Buch  S.  288  f. 


Digitized  by  Google 


398 


Igel  —  Johannisbrot  hautu. 


Igel.  Der  vorhistorische,  aber  auf  Europa  und  das  Armenische 
beschränkte  Name  des  Tieres  ist  griech.  exivo<;,  gemeingerm.  ahd.  igil 
(*igi-la-  vielleicht  aus  *eg-ino-),  lit.  ezyst,  nltsl.jeif  (armeu.  ozni).  Dazu 
gricch.  xnp,  lat.  er,  eris,  erinaceus,  herinaceus,  die,  wenn  aus  *{e)gh-er 
hervorgegangen,  zu  ersterer  Sippe  mit  gehören. 

Iltiss,  s.  Wiesel. 

Incest,  s.  Verwandten  ehe. 

Indigo.  Hei  den  Alten  wird  seit  Vitruv,  Dioskorides  und  Plinius 
ein  aus  Indien  stammender  Farbstoff  'IvbiKÖv-Indicum  genannt,  der 
nach  allgemeiner  Anuahme  der  aus  Indigofera  tinctoria  L.  in  Ost- 
indien durch  (Jährung  ausgeschiedenen,  blaufärbenden  Substanz  ent- 
spricht. Hingegen  erblickt  man  in  dem  von  dem  Verfasser  des  Pcriplus 
maris  erythäi  <§  39),  allerdings  auch  unter  indischen  Waren,  ge- 
nannten IvbiKÖv  uActv  et  was  anderes,  wahrscheinlich  chinesische  Tusche. 
Lat.  indicum  setzt  sich  in  it.  indico,  indaco  fort.  Der  Sanskritname 
der  Pflanze  n'di-  (scrt.  ni'la-  ,dunkelfarbig,  blau,  schwarzblau,  schwarz ) 
hat  in  Europa  erst  durch  die  Araber,  deren  Ärzte  eine  Verwendung 
der  Pflauzc  als  Heilmittel  —  wie  auch  schon  Plinius  —  kennen,  Ver- 
breitung gefunden  :  arab.  an-nil,  sp.  ailil,  ptg.  anil.  Durch  den  Indigo 
wird  der  einheimische  Waid  (s.  d.)  zurückgedrängt.  —  Vgl.  Beck- 
mann Beiträge  IV,  473 ff.    S.  n.  Farbstoffe. 

Ingwer  (Amomtun  Zingiber  L.).  Er  ist  in  Cochinchina  und 
Bengalen,  nach  der  wohl  falschlichen  Meinung  der  Alten  auch  im  süd- 
östlichen Arabien  heimisch.  Die  Pflanze,  deren  Wurzel  das  bekannte 
Gewürz  liefert,  tritt  ebenso  wie  das  letztere  erst  bei  Dioskorides  und 
Plinius  unter  den  Namen  £iYY>ß*pi<;  —  zingiberi  (zimpiberi)  hervor.  Die- 
selben gehen  durch  arab.  zangabil  auf  präkr.  xingabera,  scrt.  rrfigtt- 
rem-  zurück,  das  nur  in  Wörterbüchern  des  IX— XI  Jahrh.  u.  Chr. 
nachweisbar,  vielleicht  selbst  erst  volksetymologisch  (nach  en'uja-  ,\\ov\\\ 
da  die  Wurzel  des  Ingwers  hornförmig  ist;  aus  einem  aboriginen  Aus- 
druck verstümmelt  ist.  Im  Lateinischen  kam  nebeu  zingiberi  eiu 
späteres  (Apicius)  gingiber  (vgl.  auch  G.  Goetz  Thesaurus  I,  493)  auf. 
Beide  Formen  liegen  den  neueren  Namen  des  Ingwers  zu  Grunde:  it. 
zenzöcero,  inhd.  ingeicer,  gingebere,  engl,  ginger  u.  s.  w.  —  Vgl.  Lassen 
Ind.  Altcrtumsk.  Is,  333,  Flückiger  Pharmakognosie2  S.  329  IT.,  Hobson- 
Jobson  by  Yule  and  Bumell  S.  280.    S.  u.  Gewürze. 

Instrumente  musikalische,  s.  Musikalische  Instrumente. 

Joch.  Der  idg.  Name  für  diesen  Teil  des  Wageus  ist  scrt.  yugä-, 
npers.  jtiy,  armen,  lue,  grieeh.  Zvyöv,  lat.  iugum,  got.  juk,  altsl.  igo, 
lit.  jüngaa,  kymr.  iou.  —  S.  u.  Wageu. 

Johannisbeere,  s.  Beerenobst. 

Johannisbrotbanni.  Ceratonia  Siliqua  L.  gilt  im  östlichen 
Mittelmeergebiet  für  einheimisch.  Speziell  werden  die  griechischen 
Inseln  und  die  w  ärmeren  Teile  Griechenlands  mit  als  zu  dem  ursprüng- 


Digitized  by  Google 


.lohnnnisbrolbnum  —  Junggeselle. 


liehen  Verbreitungsgebiet  des  Hannies  gehörig  angeschn  (nach  Engler 
bei  V.  Helm  s.  u.).  Hiermit  stimmt  auch  die  Xachricht  des  Tlieo- 
phrast  (Iberern,  welcher  Hist.  plant.  IV,  J,  4  zuerst  über  den  Manu» 
berichtet:  touti)  (einer  Feigenart)  b£  TTapunXtiaia  kui  n,v  01  "Iwves 

K€puiviav  i sonst  heilst  der  Baum  icepcrria)  kuXoücJi  o  be  teap- 

ttö?  eXXoßo«;,  öv  KaXoöai  nvt?  Aitütttiov  (Tukov  birmapTriKÖTt?.  ou  Tiveim 
■jap  öXu>£  TT€pl  Alf utttov  (was  alier  zweifelhaft).  üXXü  TTtpi  Zupiav  Kai 
iv  luivia  be,  irtpi  Kvibov  Kai  'Pöbov.  Dann  folgt  die  Beschreibung  des 
Baumes.  Die  Kömer  nennen  ihn  und  seine  Früchte  nach  ihrem  Her- 
kunftsort graeette  (auch  xyriacae)  siliquae.  Die  erste  Anweisung  zur 
Anpflanzung  des  Baumes  giebt  zwar  schon  Columella  V,  10,  20;  doch, 
scheint  es,  dass  die  weitere  Verbreitung  seiner  Kultur  erst  durch  die 
Araber  erfolgt  ist.  Daher  trägt  der  Johannisbrotbaum  im  romanischen 
Süden  den  arabischen  Namen  it.  carruba  u.  s.  w.  (aus  arab.  harr  Ab). 
Auf  der  Balkanhalbiuscl  gelten  dagegen  ngriech.  EuAoK€paTn,ü  und 
all»,  tsotxobanuze  (  —  türk.  k'etsibujnuzu  ,Ziegenhorn \  Die  Frucht 
des  Baumes  bildete  in  getrocknetem  oder  geröstetem  Zustand  früh- 
zeitig einen  Handelsartikel  vorzüglich  nach  dem  europäischen  Osten 
(vgl.  russ.  karatü.  all»,  kamt,  sp.  quilatt  aus  arab.  qirtif  —  griech. 
KepuTiov  ,  was  zur  Verwendung  der  Bohne  der  .lohanuisbrotschote  als 
Gewicht  (Karat)  führte.  Ulhlas  übersetzt  das  KepotTtov  des  Lukas- 
Evangeliums  IT),  1»>  mit  haürn  haAm^  puei  matultdun  streina).  Ob 
er  wusste,  was  mit  Ktpunov  eigentlich  gemeint  war?  —  Vgl.  V.  Hehu 
Kulturpflanzen'  S.  440  tf.    S.  u.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Iris  (Guttun;^  Iris  L.  .  Die  Pflanze  ipi$  wird  von  Theophrast 
(IX,  7  als  das  einzige  Aroma  bezeichnet,  das  in  Europa,  und  zwar 
am  besten  in  Ilhrien,  vorkomme.  Dioskorides  leitet  den  Namen  wegen 
der  Viclfarbigkeit  der  Blüten  von  ipiq  .Regenbogen'  ab.  —  8.  u.  Aro- 
ma ta. 

Jungfrau,  Jungfrauiischnft,  s.  Frau,  Kind,  Keuschheit. 

Jiingferusöhnc,  s.  Ehelich  und  unehelich. 

Junggeselle.  Die  Sorge  um  die  Fortpflanzung  der  Familie  und 
des  Geschlechts,  sowie  der  Wunsch,  durch  die  Erzeugung  ciues  Sohnes 
sich  zugleich  einen  Erben,  einen  Rächer  und  einen  Vollstrecker  der 
unentbehrlichen  Totenopfer  is.  u.  Ahncnkultus)  zu  verschaffen,  machen 
die  Heimlührung  eines  Weibes  in  der  Urzeit  zu  einer  wirtschaftlichen, 
sittlichen  und  in  gewissem  Sinne  religiösen  N  otwendigkeit.  Der  Gedanke 
der  Ehelosigkeit  schliesst  für  jene  Zeiten  den  Verzicht  auf  die  Ruhe 
der  eigenen  Seele  nach  dem  Tode  in  sich  und  ist  für  den  Indoger- 
manen  wie  für  andere  Völker  ^vgl.  Leist  Altar.  Jus  gent.  S.  68 3)  ein 
kaum  denkbarer  gewesen. 

Ihre  Fortsetzung  finden  diese  Anschaungen  in  der  Verachtung 
und  Bestrafung,  welche  noch  in  frühen  historischen  Zeiten  dem 
Ehcloscn  zu  teil  wird.  So  heisst  es  von  Lykurg  bei  l'lutarch  Cap.  XV: 


Digitized  by  Google 


Junggeselle. 


ou  unv  dXXd  Kai  ätiuiav  Tivd  TTpoo"e'8n.Ke  toT^  dfdpoi£.  EtpxovTO  fäp 
dv  Tatq  tunvoTraibiai«;  rf\<;  9e'a<;  •  xoö  be  x^.uwvos  o't  uev  öpxovTeq  auTou^ 
eKe'Xeuov  dv  kuk\uj  tumvou?  Trepiievai  rnv  diTopdv,  oi  be  TTepiiövxe?  fjbov 
ei?  aüxouq  u)bnv  nva  Tr€Troin.uevnv,  ib?  btKaia  irdaxoiev,  öti  toT<;  vöuoiq 
dTT€i9oö(Ti '  TiMn?  be  Kai  OepaTreiaq,  nv  veoi  TrpeaßuTe'pois  trapeixov,  £o~Te- 
pr|vio.  Ebenso  wurden  im  ältesten  Rom  die  Hagestolzen  von  den 
Censoren  mit  Strafen  belegt;  denn:  Xatura  vobis  quemadmodum  uns- 
cendi,  Ha  giguendi  legem  scribit,  parentesque  vos  alendo  nepotum 
nutriendorum  debito  (si  quin  ext  pudor)  allignverunt  (Val.  Max.  II,  9,  1). 
In  einem  agls.  Text  ((ircin  II,  217;  vgl.  Roeder  Familie  der  Angel- 
sachsen S.  80  f.)  klagt  ein  Hagestolz,  dass  er  des  hyht-ptega  Judus 
iucundus"  mit  einer  Frau  entbehre: 

„   Nicht  wähnen  darf  ich, 

dass  ein  Sohn  mich  räche  an  des  Schlägers  Leben. 

wenn  mich  der  Feinde  einer  fällt  im  Kampfe: 

vermehrt  wird  die  Magschaft  nicht 

durch  meine  Abkömmlinge,  welcher  ich  entstammte. u 
Noch  heute  wird  es  in  der  Cmagora  und  Hercegovina,  wo  die  ältesten 
idg.  Familienznstände  mit  zäher  Treue  bewahrt  sind,  für  die  grösste 
Schande  gehalten.  Junggeselle  zu  sein  (vgl.  Kranss  Sitte  und  Krauch 
S.  334). 

Unter  welchen  Verhältnissen  sich  allmählich  ein  Junggesellentum 
herausgebildet  hat,  lässt  sich  zum  teil  noch  übersehen,  und  zwar  be- 
sonders deutlich  an  den  westgermanischen  Ausdrücken  ahd.  hagtixtalt, 
agls.  heegsteald  (agls.  auch  gfheald-sumnys,  einer  ,dcr  Enthaltsamkeit 
übt  ).  Diese  Wörter  bezeichnen  einen,  der  einen  .Hag"  besitzt  (got. 
staldan  »besitzen",  d.  h.  ein  zu  dem  eigentlichen  Bauernhof  gehöriges 
und  von  diesem  abhängiges  kleineres  (»rundstück.  Solehe  -Hage-  (ahd. 
hag  , Umzäunung",  agls.  haga  .(lehege,  (iärtehen'  etc.  -----  altgall.  atium, 
kymr.  cae  ,<iehege",  *c<tgio->  wurden  einerseits  gewissen  Unfreien  i  vgl. 
Tac.  ("ierm.  (,'ap.  2f>  und  Atheuäus  VI,  p.  207 e.:  Aueptaq  be  dpKiTu? 
<pn.oi  KaXeiO"9ai  tou?  xaTa  tou?  dtpou?  okeTas  :  epKO?  ,Zaun',  .(iehege), 
andererseits  aber  auch  wohl  jüngeren  Brüdern  von  dem  älteren,  dem 
eigentlichen  Hofbesitzer,  zugewiesen  und  mochten  in  der  Regel  nicht 
die  Möglichkeit  bieten,  eine  Familie  auf  ihnen  zu  erhalten.  So  wird 
das  Wort  im  Althochdeutschen  ausser  mit  caelebx  noch  mit  hin-uis, 
famulm,  mercenarius,  agricola  Uber  etc.  übersetzt,  bis  es  allmählich 
ganz  den  heutigen  Sinn  annimmt. 

Die  übrigen  Benennungen  des  Junggesellen  in  den  idg.  Sprachen 
bieten  kein  kulturhistorisches  Interesse,  insofern  sie  den  verhältnis- 
mässig jungen  Begriff  einfach  durch  Wörter  für  .allein',  »alleinstehend' 
verdeutlichen.  So  ir.  öentnim  gl.  caelebs  :  den  .einzig,  allein',  so  lat. 
caelebs  aus  *caitele-bu-*t :  sert.  kerala- , allein',  so  altsl.  chlak  ü  und  chlastü, 
falls  diese  Wörter  von  Pedersen  I.  F.  V,  04  richtig  :  lat.  sölu*  {*ksö!~) 


Digitized  by  Google 


Junggeselle  —  Kuimt. 


401 


gestellt  sein  sollten.  Gricch.  rjteeos  (kaum  zu  lat.  vidua  gehörig)  dürfte 
ursprünglich  überhaupt  nicht  den  Ilagestol/.en,  d.  h.  den  Uber  die  ge- 
wöhnliche Zeit  hinaus  unverheirateten,  sondern  nur  ,Jüngling'  im  Gegen- 
satz zur  .Jungfrau  bezeichnen.  Hinsichtlich  der  romanischen  Sippe 
endlich  von  it.  baccalare,  prov.  bacalars,  frz.  bachelier  etc.  (mlat. 
baccalarim,  baccalaris)  ist  nur  so  viel  wahrscheinlich,  dass  es  ursprüng- 
lich den  Besitzer  eines  grösseren  Hauerngutes  bezeichnete,  während 
mau,  sowohl  was  die  Herkunft  des  Wortes  wie  die  Frage  seiner  Be- 
deutuugsentwicklung:  Junger  Ritter',  eingehender  Gelehrter',  »Jung- 
geselle' (auch  engl,  bachelor)  betrifft,  noch  im  Dunkeln  tappt.  Mit  der 
Einführung  des  Christentums  kommt  der  Hagestolz  in  Folge  seiner 
vorausgesetzten  geschlechtlichen  Reinheit  vielfach  in  den  Geruch  der 
Heiligkeit.  Daher  Etymologien  wie  caeleb*  dicitur  quasi  caelo  beatus 
und  Umdeutungen  wie  caelestem  (caelibem)  vitam  agentes  (G.  Goetz 
Thesaurus  I,  162).  —  S.  u.  Keuschheit  und  u.  Ehe. 


K 

(C,  Ch;  s.  auch  u.  Z) 
Kachel,  Kachelofen,  s.  Ofen. 

Käfer.  Eine  etymologische  Übereinstimmung  zeigt  sich  nur 
zwischen  lit.  wäbalas  und  ahd.  wibil,  agls.  wifel,  wohl  zu  „weben" 
gehörig  (vom  Einspinnen  mehrerer  Käferarten  beim  Verpuppen).  Sonst 
ist  der  Käfer  ,der  gebogene'  (grieeh.  K0tv9apo<;  :  Kav8u>bn.<;  »gebogen', 
xaveöq  .Radreifen  ),  der  .nageude'  (ahd.  chevaro,  agls.  Ceafor  :  nihd. 
kifen,  Kiffen  ,nagenJ)  oder  ,der  summende'  (altsl.  chrqsti  nach  Miklo- 
sich  Et.  \Y.).  Das  Lateinische  kennt  nur  scarabaeus,  eine  Entlehnung 
aus  gricch.  *o*Kapußuio<;,  von  einer  Nebenform  *öKÜpaßo$  :  Kdpaßo? 
, Küfer'.  Keltisch  :  körn,  hrilen,  kambr.  chicilen,  areni.  c'houil  (Zeuss 
Gr.  Cell.2  S.  1074). 

Käfig,  s.  Hahn,  Huhn. 

Knhl,  s.  Haartracht. 

Kahn,  s.  Schiff,  Schiffahrt. 

Kaiser.  Der  Begriff  des  Kaisertunis  geht  für  Europa  sachlich 
und  sprachlieh  von  der  Person  des  grossen  Römers  C.  Julius  Caesar 
aus,  dessen  Cognomen  Caesar  (nach  Ansicht  der  Alten  von  lat.  cae- 
mrietf  ,Haar',  vgl.  Cincinnatm  ,der  Lockige',  Crispm  ,der  Krauskopf'), 
seit  Alters  hergebracht  im  Julischen  Geschlecht,  von  Octavianns  an  zu- 
nächst in  der  Julischen,  dann  auch  in  den  folgenden  Kaiserfamilien 
als  unterscheidendes  Merkmal  der  herrschenden  Dynastie  gebraucht 

Schräder,  Reallexikon      *  og 


Digitized  by  Google 


402  Kaif.iT. 

wurde,  bis  es  mit  Kaiser  Hadrian  auf  die  Bezeichnung  des  mutmass- 
lichen Thronfolgers  beschrankt  wurde.  Aus  lat.  Caesar  sind  ohne 
Zweilei  die  germanischen  Ausdrücke:  ahd.  keixur,  agls.  casere  i*Cae- 
stlritts},  got.  kaisar  entlehnt  worden.  Indessen  macht  die  Feststellung 
der  Zeit  und  der  Umstände,  in  der  und  unter  denen  die  Übernahme 
des  Wortes  durch  die  Germanen  erfolgte,  Schwierigkeiten.  In  dem 
ersten  nachchristlichen  Jahrhundert  oder  den  zunächst  darauf  folgenden, 
in  die  man  aus  bedentungsgeschiehtliehen  Gründen  diesen  Vorgang  am 
liebsten  verlegen  würde,  wurde  das  römische  Wort,  das  früher  kaisar 
(wie  aide*  für  aedes  und  ah  für  aes)  lautete,  unzweifelhaft  kaesar 
ausgesprochen.  Eine  solche  Form  aber  hätte  im  Hochdeutschen,  wie 
die  Entwicklung  von  Graevi  zu  „Griechen"  und  von  liaetia  zu  „Riessu 
(Hinter-  und  Vordcrriess)  zeigt,  *  kieser,  nicht  „Kaiser"  (ahd.  keisur) 
ergeben  müssen.  Auch  die  Annahme,  dass  das  Wort  durch  griechische 
Vermittlung  zu  uns  gelangt  sein  könne,  führt  nicht  weiter,  da  lat. 
Caemr,  wenn  auch  noch  als  kaisar  zu  den  Griechen  gekommen,  bei 
diesen  erst  recht  kaesar  ausgesprochen  wurde.  Ebensowenig  fördert 
die  Wahrnehmung,  dass  unter  der  Regierung  des  Kaisers  Claudius  alter- 
tümliche Schreibungen  wie  Caisare  n.  a.  vorkommen,  da  es  sich 
hierbei  lediglich  um  altertümelnde  Schreibungen,  nicht  um  Aus- 
sprache handelt.  Somit  bleibt  nichts  übrig,  als  die  Aufnahme  des 
lat.  Wortes  durch  die  Germanen  in  das  erste  vorchristliche  Jahr- 
hundert zu  rücken,  um  dessen  Mitte  die  Aussprache  des  alten  ai  sich 
auch  zwar  dem  ae  schon  genähert  hatte,  doch  so,  dass  das  Element  i 
noch  immer  wahrnehmbar  zu  hören  war  (vgl.  Seclmann  Die  Aussprache 
des  Latein  S.  224).  Alsdann  ist  aber  in  dem  lat.  Caesar  nicht  der 
Ehrenname  der  kaiserlichen  Familie,  sondern  das  Cognomen  des  Divus 
Julius  selbst,  der  im  Jahre  58  den  „König"  der  Germanen,  Ariovistus 
besiegte  und  in  den  Jahren  55  uud  53  die  römische  Macht  auf  dem 
rechten  Rheinufer  eutfaltete,  zu  den  Germanen  übergegangen.  Eine 
Unterstützung  findet  diese  Anschauung  in  dem  Umstand,  dass  die  Slaven 
die  ihnen  gemeinsame  Benennung  des  Königs  (s.  d.),  russ.  koroli,  aus 
dem  Namen  des  grossen  Frankenkönigs  gebildet  haben,  und  eine  weitere 
Unterstützung  in  der  Thatsachc,  dass  auch  in  den  orientalischen 
Sprachen  das  lat.  Caesar  in  der  Form  kaisar,  wie  im  Armenischen, 
Arabischen  und  Alttürkischen  vorliegt,  die  sich  nur  erklären  tösst  bei 
der  Annahme,  dass  die  Orientalen  „den  Namen  des  grossen  Caesar  in 
der  alten  römischen  Aussprache  direkt  aus  dem  Munde  der  römischen 
Legionssoldaten  aufnahmen"  (vgl.  G.  Meyer  Türkische  Studien  I,  6 
u.  y9). 

Später  hat  natürlich  das  deutsche  „Kaiser"  seinen  dauernden  An- 
halt an  dem  römischen  Caesarentitcl  gehabt.  Die  sieh  immer  stei- 
gernden Beziehungen  des  germanischen  Nordens  zu  dem  römischen 
Süden,  der  Eintritt  zahlreicher  nordischer  Krieger  in  die  Leibwache 


Digitized  by  Google 


Kaiser. 


403 


der  Kaiser,  der  erzwungene  oder  freiwillige  Aufenthalt  zahlreicher 
Sühne  Germaniens  in  der  ewigen  Stadt,  der  gerade  in  den  Provinzen 
hervortretende  Knlt  des  kaiserliehen  Genius,  das  alles  musste  das  Wort 
«lern  germanischen  Sprach  he  wusstsein  als  eine  lebendige  Macht  nahe- 
hringen.  Insbesondere,  und  namentlich  für  die  Jahrhunderte,  in  denen 
es  ein  weströmisches  Kaisertum  nicht  mehr  gab,  ist  hier  noch  auf  den 
Einttuss  des  römischen  und  byzantinischen  Geldes  zu  verweisen,  das 
sieh  den  Weg  auch  zu  d  c  n  germanischen  Stämmen  bahnte,  welche  die 
Stürme  der  Völkerwanderung  nicht  ans  ihrer  Heimat  getrieben  hatte 
(s.  namentlich  über  den  Ausdruck  ahd.  cheisnring,  agls.  edsering  i\. 
G  e  l  d ;. 

Immer  aber  war  es  Jahrhunderte  hindurch  ein  ferner,  fremder  Kaiser, 
den  dieser  Name  benannte.  Eine  Wendung  trat  ein  mit  jener  denk- 
würdigen Weihnacht  des  Jahres  800,  als  in  der  Peterskirche  zu  Korn  der 
Papst  Leo  dem  grossen  Frankenkönige  die  Krone  aufs  Haupt  setzte  und 
ihn  als  Imperator  et  August  us  grüsste.  Merkwürdig  ist  aber,  dass  das 
lat.  Caesar  durchaus  keine  Verbreitung  in  den  romanischen  Sprachen 
gefunden  hat,  welche  mit  ihrem  imperator  (it.  imperatore,  frz.  empereur) 
geschlossen  den  Germanen  mit  ihrem  „Kaiser"  gegenüberstehen.  Hie  im- 
peiatoi-  hie  -Kaiser",  es  ist,  als  ob  dies  der  Streitruf  wäre  in  dem 
durch  das  Mittelalter  sieh  hindurchziehenden  Kampf  über  die  Frage, 
ob  das  römische  Kaisertum  Rechtens  den  westfränkischen  Welschen 
oder  den  ostfränkiseheu  Deutsehen  gebühre.  Um  so  weiter  hat  sich 
das  lat.  Caesar  durch  die  Vermittlung  des  Deutschen  in  die  osteuro- 
päische Welt  verbreitet.  Namentlich  haben  die  Slaven.  und  zwar  schon 
in  urslaviseher  Zeit,  aus  keixur  ihr  cesari  (clsarl,  cart  ,Zar'  sind  spätere 
russische  Formen,  k'exar  entstammt  dem  Koticrap  der  Bibel»  gebildet, 
das  zunächst  die  Könige  fremder  Völker,  vor  allem  den  byzantinischen 
ßacnXeüq  bezeichnete,  wie  der  oströmische  Kaiser  in  den  byzantinischen 
Quellen  im  Gegensatz  zu  £n£  (anderen  Königen)  genannt  wurde.  Im 
Hinblick  auf  den  Osten  Europas,  der  natnrgemdss  am  wenigsten  be- 
rührt war  von  dem  das  Mittelalter  beherrschenden  Gedanken  einer 
christlichen  Univcrsahuonarehie  ist  denn  auch  mit  der  im  Westen  not- 
wendig geltenden  Vorstellung  allmählich  gebrochen  worden,  dass  es 
eigentlich  nur  einen  Kaiser,  eben  den  römischen,  in  der  Welt  geben 
könne.  Dies  drückt  Caspar  Stieler  in  seinem  Deutschen  Sprachsehatz 
im  Jahre  1  OL»  1  unter  Keyser,  Keiner,  Kaiser  so  aus:  „Eigentlich 
sollte  niemand  anders  Kaiser  heissen  als  die  Imperatoren  liomani; 
aber  heut  zu  Tage  wollen  viele  andere  Fürsten  Caesarea  genannt 
werden.  Daher  spricht  man  denn,  abgesehen  von  unserem  Imperator 
Romanus,  auch  von  dem  ,Tüikisehcu  Keyser ,  Tnrcorum  imperator, 
HultanuK,  magnus  dominus  (schon  im  15.  Jahrb.  begegnet  , Keyser  von 
Constantinopel  ).  Auch  ,Tschinesischer  Keyser'  und  , Keyser  in  Japan' 
giebt  es.    Ja,  sogar  der  magmig  du.r  Moscotiae  verlangt  , Keyser  in 


Digitized  by  Google 


404 


Kaiser  —  Kamel. 


Moskau'  zu  bcisscn  und  nennt  sich  selbst  ,C/.ar\  quasi  Caesarem^.  — 
Vgl.  Vf.  „Deutsches  Reich"  und  „Deutscher  Kaiser",  eine  sprachlich- 
geschichtliche Betrachtung  zum  18.  Jan.  1896,  Sonderabdruek  ans  den 
Wissenschaftlichen  Beiheften  zur  Z.  des  allgcm.  deutschen  .Sprach- 
vereins X. 

Kalb,  s.  Rind. 

Kalender,  s.  Zeitteilung. 

Kalk.  Dieses  in  Gestalt  von  Mörtel  wichtige  Bindemittel  des 
Stein baus  wird  unter  dem  Namen  \iih\l  zuerst  bei  Gelegenheit  des 
Baues  der  langen  Mauern  von  Athen  in  Griechenland  genannt  vgl. 
Blünincr  Teno,  u.  Techn.  111,  100  t.  Wohl  mit  Recht  nimmt  mau  an, 
dass  aus  diesem  \a.\\l,  das  sonst  häufiger  ,Kiesel'  (xäxAnEi  bedeutet 
(der  gewöhnliche  griech.  Name  für  Kalk  ist  titovo?,  KiTTavo?  und  tcovia) 
frühzeitig  das  lat.  calx  (Plaut.)  entlehnt  wurde,  dem  wiederum  die 
nordeuropäische  Sippe  von  ahd.  kalk,  agls.  reale  »einheimisch:  lim), 
altsl.  klakü,  lit.  kdlkis  entstammt,  während  altsl.  izvistü  aus  spät- 
griech.  <Xo*߀0*To?  hervorgegangen  ist.  Vgl.  auch  ahd.  flaut  er,  pjlaster, 
ebenfalls  nicht  selten  im  Sinne  eines  Bindemittels  der  Steine  verwendet, 
aus  grieeh.-lat.  luTiXatfipov  ,Wnndpflaster'  und  mhd.  morter  aus  mlat. 
mortarium  , Mörtel'.  Im  Deutsehen  tritt  zusammen  mit  kalk  häutig 
ahd.  tunihhön  .tünchen'  auf.  eine  Bildung  aus  ahd.  tunihha  , Kleid' 
(von  lat.  tunica)  nach  dem  Muster  von  it.  intonicare  «tünchen'.  Doch 
verstanden  sich  die  Germanen  schon  vor  dieser  in  spätere  Zeit  fallenden 
Entlehnung  darauf,  durch  eine  Art  von  Lehmbewurf  dem  Haus  ein 
schmuckes  Aussehn  zu  geben.  Vgl.  Tac.  Germ.  Cap.  H>:  Quaedam  loca 
diligentiuii  illinunt  terra  ita  pura  ac  splemlente  ttt  pirturam  ac  linea- 
menta  colorum  imitetur,  dazu  Much  i.  d.  Mittl.  d.  Wiener  antlirop. 
Ges.  VII,  339  ff.  und  M.  Heyne  Wohnungswesen  S.  19sr\  Vielleicht 
deutet  auf  diese  Sitte  auch  das  gemeinsl.  altsl.  raplno  ,Kalk'.  eigentl. 
.Tünche',  das  man  mit  altsl.  vapii,  altpr.  icoupi*  , Farbe'  i.ans  griech. 
ßaepn?)  in  Verbindung  bringt.       S.  u.  Steinbau  und  u.  Haus. 

Kalmus  (Acorus  Calamus  LX  Er  wird  unter  dem  Namen  KdXaiuo? 
zuerst  vou  Tbeophrast  und  zwar  unter  den  Aromata  'IX.  T'i  genannt. 
Er  wächst  nach  ihm  in  einen»  Thal  zwischen  dem  Libanon  und  einem 
anderen  Berg.  Da  »cäXcmos  ein  griechisches  Wort  <  —  ahd.  hafam ,  ist, 
so  wird  der  Name  von  einer  einheimischen  nahverwandten  Art  auf  den 
orientalischen  Kalmus  übertragen  worden  sein.  Später  iDiosk.t  tritt 
der  Ausdruck  oxopov  auf,  von  dem  Plinins  XXV,  157)  berichtet,  dass 
er  sich  namentlich  am  Pontus,  aber  auch  in  Kreta  finde.  Der  Kalmus 
ist  auch  ein  wichtiges  Arzneimittel.  —  S.  u.  Aromata. 

Kamel.  Man  hat  zu  unterscheiden  zwischen  dein  zweihöckrigen 
eigentlichen  Kamel  {Camelus  bactrianux,  Trampeltier)  Ost-  und  Mittel- 
asiens und  dem  einböckrigen  Dromedar  (Camelus  dromedariux)  Süd- 
Westasiens  und  Afrikas.    Doch  gehen  beide  wahrscheinlich  auf  eine 


Digitized  by  Google 


Kamel. 


405 


Stainmart  zurück,  deren  Heimat  die  Wüsten  des  zentralen  Asiens  sind. 
Urverwandte  Bezeichnungen  des  Tieres  Huden  sieb  bei  den  Türke- 
Tataren:  uig.  töbe,  Cag.  töve,  alt.  töö,  osni.  dere  !\gl.  Vamböry  Primi- 
tive Kultur  8.  191)  und  bei  den  Semiten  (ursem.  *gamatu,  hebr.  gtlmdl, 
arab.  gamal,  assyr.  gammalu  .  Aber  auch  die  Arier  (Irauier  und  Inder) 
haben  das  Kamel  wohl  schon  vor  ihrer  Trennung  gekannt,  worauf  die 
Gleichung  aw.  ustra-  (npers.  ustur,  knrd.  hu  stur.  Pamird.  üxtilr,  stur, 
ytür)  —  sert.  üshfra-  hinweist  (vgl.  F.  Spiegel  Arisehe  Periode  S.  49,  51). 
Allerdings  bedeutet  das  indische  Wort  in  der  älteren  Zeit  nur  ,Hüffel', 
so  dass  man  für  das  Sanskrit  einen  Bedeutungswechsel  annehmen  muss, 
der  umsoweniger  bedenklich  ist,  wenn  man  annimmt,  dass  es  das 
wilde  Kamel  war,  welches  die  Arier  in  ihrer  Urheimat  kannten  (vgl. 
noch  seit,  kramein-  aus  griech.  KäunXoc).  Im  ganzen  liegen  die  Ver- 
hältnisse ähnlieh  wie  bei  dem  Esel  <s.  d.  ,  und  wie  dieser  ist  das 
Kamel  in  Europa  ein  Fremdling,  ohne  jedoch  wie  der  Esel  irgendwo 
daselbst  testen  Fuss  zu  fassen. 

In  Griechenland  wird  das  aus  dem  Semitischen  entlehnte  xäuriXos 
zuerst  von  Aesehylus  Sappl,  v.  285  erwähnt.  Erst  die  Perserkriege 
werden  es  in  Hellas  bekannter  gemacht  haben.  Aus  Käun,Xo<;  entl.  lat. 
camflus;  vgl.  auch  Bactrinus,  liactrius  >est  iuagnus  camelus;  Thes.  I, 
125).  Merkwürdig  früh  aber  nmss  auf  noch  unbekannten  Wegen  die 
Kunde  von  dem  Tiere  zu  Germanen  und  Slavcn  gedrungen  sein,  die 
in  got.  ulbandus,  nltn.  ulfalde.  ahd.  olbento,  alts.  olbundeo,  agls.  olfend 
(vgl.  Palander  Ahd.  Tiernamen  S.  100)  und  dem  zweifellos  damit  zu- 
sammenhängenden altsl.  relibqdü,  russ.  relbljudü  alte  und  weitver- 
breitete Namen  für  dasselbe  besitzen.  Eine  Erklärung  der  ganzen 
Sippe  ist  noch  nicht  gefunden.  Man  denkt  au  Zusammenhang  mit 
griech.  t\ecpa£,  lat.  elephantus  8.  n.  Elefantj,  mit  dem  es  zusammen 
einen  urzeitlichen  Tiernamen  unbekannter  Bedeutung  bilde,  oder  an 
Entlehnung  aus  dem  lateinischen  Wort,  wobei  eine  Verwechslung  von 
Elefant  und  Kamel  stattgefunden  habe.  Wie  weit  jedenfalls  der- 
artige Vertauschungen  von  Tiernamen  gehen  können,  lehrt  das  Alt- 
preussisehe,  wo  tceloblundi*  .Maultier'  bedeutet.  Lagarde  Armen.  Stud. 
S.  121  sucht  ein  armen,  oült  .Kamel'  für  *oühct  mit  den  genuanisch-sla- 
vischen  Wörtern  zu  verknüpfen  i  ?).  An  historischen  Nachrichten,  welche 
von  vereinzelten,  von  östlichen  Herrschern  zum  Geschenk  geschickten 
und  als  Merkwürdigkeit  gehaltenen  Kamelen  an  frühmittelalterlichen 
Fürstenhöfen  berichten,  fehlt  es  nicht.  Die  ältesten  beziehen  sich  auf 
die  spanischen  Westgoten  (vgl.  E.  Hahn  n.  u.  a.  O.  S.  2.*o,  557 1.  Nähere 
Kunde  von  dem  Tiere  gelangte  aber  erst  durch  die  Kreuzzüge  invli 
Europa,  die  daselbst  auch  das  arab.  gamal  als  mhd.  kemel,  kemtlthr 
(vgl.  F.  Kluge  Et.  W.';  nach  Baist)  verbreiteten.  Friedrieh  II.  führte 
eine  Menge  von  Kamelen  mit  sich.  In  der  Zeit  der  Kreuzzüge  ent- 
stand auch  das  bekannte  Kamclgestüt  zu  San  Kossore  bei  Pisa.  In 


Digitized  by  Google 


406 


Kamel  —  Ramm. 


grosserer  Zahl  erschien  dann  das  Kamel  in  Begleitung  der  Türken  und 
Tataren,  und  mit  ihnen  das  obengenannte  türkische  Wort  in  mehreren 
ostlichen  .Sprachen  (gerb,  deia,  alb.  deve,  magy.  tece\ 

In  Afrika  hat  sich  das  Kamel  von  Süd-Westasien  her  verbreitet. 
Die  Frage  ist  nur,  wann.  Nach  Ägypten,  so  meinte  man  früher,  sei  es 
erst  im  l\.  nachchristlichen  Jahrhundert  eingeführt  worden.  Doch  mehren 
sich  die  Anzeichen  dafür,  dass  man  das  Tier  daselbst  schon  weit  früher, 
vielleicht  bereits  im  neuen  Reiche,  verwendete.  In  einem  Papyrus  des 
XIV.  Jahrhunderts  wird  das  Tier  mit  seinem  semitischen  Xamen  an- 
geführt (ägypt.  kamadir  ans  semit.  gämäl).  Unter  den  aus  der  XI. 
Dynastie  stammenden  Felseninschriften  im  Wadi-Hammamat  hat  sich 
auch  die  Abbildung  eines  Kamels  gefunden  u.  s.  w.  vgl.  F.  Honiinel 
Namen  der  Säugetiere  S.  215.  Mnss-Arnnlt  Transactions  of  the  Americ. 
Philol.  association  XXIII,  94,  Schweinfnrth  Ägyptens  auswärtige  Be- 
ziehungen hinsichtlich  der  Kulturgcwächse,  Zeitschrift  für  Ethnologie, 
Verhandl.  1 891  S.  (>5ü).  Vgl.  auch,  wie  über  die  Geschichte  des 
Kamels  übcrliaupt,  E.  Hahn  Die  Hausticrc  S.  220  ff. 

Kamille  (Matriearia  VhamowiHa  L.).  Diese  in  Griechenland 
und  Italien,  aber  auch  in  Mitteleuropa  als  Unkraut  auf  Äckern  und  an 
Wegen  weit  verbreitete  Pflanze  wurde  zuerst,  wie  es  scheint,  unter 
den  Xamen  cuaveeuoq  oder  dv8eu»<;  von  den  Allen  beachtet  (vgl.  Lenz 
Botanik  8.  478).  Deutlicher  tritt  sie  hervor  unter  der  Bezeichnung 
xajjcuun.Xov  (Diosk.,  Plin.).  eigentlich  .Erdapfel'  'von  dem  apfelähu- 
lieheii  Geruch  oder  Aussehn  der  BlütenküpfehciO,  wie  die  Pflanze  auch 
im  Neugriechischen  heisst  (xcmoufiXi,  Td  xomoMn^a  -  Dieser  Name  (vgl. 
auch  it.  vamamilla,  camomilla  <  ist  unter  dem  Einftuss  der  mittelalter- 
lichen griechischen  und  arabischen  Medizin,  in  der  die  Pflanze  eine 
bedeutende  Rolle  spielte  'vgl.  Flückiger  Pharmakognosie*  S.  7**  .  zu 
den  Deutschen  übergegangen,  bei  denen  zuerst  im  Mhd.  kainille  er- 
scheint. Auf  den  Süden  scheint  auch  die  im  Osten  Europas  geltende 
Bezeichnung  der  Kamille:  russ.  romenü,  romnxka  u.  s.  w..  lit.  remünt# 
remides,  deutsch  Roniey,  Kömerey,  Riemerey  (aus  rotnanu.s  ?)  hinzuweisen. 
Kamin,  s.  Ofen. 

Kamin.  Wie  weit  sich  dieses  für  Pflege  und  Anordnung  des 
Haares  unentbehrliche  Werkzeug  in  die  Geschichte  unseres  Erdteils 
zurückverfolgen  lässt,  kann  noch  nicht  mit  völliger  Deutlichkeit  über- 
sehen werden.  Aus  spateren  prähistorischen  Epochen  sind  wiederholt 
bronzene  oder  hornenc  Kämme  als  Totenbeigaben  oder  sonst  zu  Tage 
getreten.  Für  die  Steinzeit,  wenigstens  für  die  nordische,  stellt  aber  Mon- 
telius  Die  Kultur  Schwedens8  S.  59,  (H),  (>4  das  Vorkommen  von  Kämmen 
in  Abrede.  Dagegen  sind  in  der  Schweiz  schon  aus  der  Steinzeit  Kämme 
aus  Eibcuholz  etc.  (vgl.  Pfahlbautenbcricht  XI)  nachgewiesen  worden. 
—  Eine  idg.  Gleichung  f II r  den  Begriff  des  Kammes  wurde  ebenfalls 
noch  nicht  mit  Sicherheit  ermittelt.  Dies  gilt  sowohl  von  der  Gleich- 


Digitized  by  Google 


Kamm  —  Kaninchen. 


407 


Setzung  des  lat.  pecteti  (ipecto  ,kämnie')  mit  griech.  KTciq,  ktcv-ö?,  die 
einige  Etymologen  auf  eine  Grundform  *p(e)ct-en  zurückführen  möchten, 
wie  aaeh  von  der  des  griechischen  Wortes  mit  ir.  clr  ,Kamm'  (vgl. 
Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  78),  da  griech.  kt-  sicherlich  auf 
einen  anderen  Anlaut  als  einfaches  Ä-  hinweist.  Andere  Gelehrte  vgl. 
Zimmer  K.  Z.  XXX,  211,  Strachan  Ii.  B.  XX,  37)  haben  daher  das 
irische  Wort  zu  sert.  karsh  .pflügen',  karshu-  , Furche'  gestellt,  die  dann 
von  griech.  T€'Xo*ov  »Furche'  (s.  u.  Ackerbau)  zu  trennen  wären. 
Gememgermanisch  ist  ahd.  kamb,  agls.  comb,  altn.  kanibr,  zu  altsl. 
Z([bü  ,Zahu',  griech.  Yau<pai  »Kinnbacken',  seit,  jämbha-  PI.  ,Gebiss' 
gehörig  und  von  der  Ähnlichkeit  des  Kammes  mit  gezahnten  Kinnladen, 
die  vielleicht  auch  selbst  als  Kämme  verwendet  wurden,  hergenommen. 
Auch  für  lit.  szuko*  ,Kamm',  das  in  die  finnischen  Sprachen  entlehnt 
wurde  (vgl.  Thomsen  Beröringcr  S.  220),  verweist  Kurschat  auf  poln. 
szezoka  .Kinnlade'.  Im  Slavischen  gelten  Bildungen  von  (emti  .kämmen' 
:  cesh't  oder  von  greba  ,schabe,  kratze,  kämme'  :  grebeni.  Vielleicht 
hängt  mit  letzterem  alb.  kreh  ,kämme'  i*greb-nkö)  zusammen,  wovon 
kreher  etc.  .Kamm'.  Vgl.  noch  altpr.  coi/snis  ,Kamm",  coestue  , Bürste' 
:  lit.  käiszu  ,schabe'.  S.  u.  Haartracht. 
Kampf,  s.  Krieg. 

Kampfer.  Diese  harzige,  für  Arzneizwecke  wichtige  .Substanz 
rührt  von  verschiedenen  Arten  von  Lorbeerbäumen,  auch  von  Laitrust 
Cinnamomum  (s.  u.  Zimmet)  in  Japan,  Borneo,  Sumatra  u.  s.  w.  her. 
In  Indien  wird  Kampler  auch  aus  anderen  gewürzliat'ten  Pflanzen  ge- 
wonnen. Eine  flüchtige  Kenntnis  von  diesem  Stoff  erhielten  die  Griechen 
durch  Ktcsias,  der  (frgm.  28  ed.  C.  Müller)  von  einem  Baume  berichtet, 
der  auf  Indisch  Kdpmov  (vgl.  sert.  karpüra-  , Kampfer',  javan.  kripür), 
auf  Griechisch  uupopöba  hicss:  peouai  be  ii  aÜToü  cXatou  <rrcrröve<;, 
oö?  epky  dvcnyüJVTeq  öttö  toö  btvbpou  dTTOTmEouai  eiq  dXaßdtfTpous 

XiGivouq  Kai  eTieuiycv  6  Ivbüjv  tuj  TT€po"ujv  ßacriXti.  Indessen 

ist  der  Kampfer  selbst  im  Altertum  nicht  bekannt  geworden,  und  erst 
im  Mittelalter  treten  durch  arabische  Einflüsse  mlat.  cawphora  (heilige 
Hildegard),  it.  canfora,  cafura,  mhd.  kämpf 'er,  gaff  er,  ngrieeb.  xa- 
«poupd  auf,  die  zunächst  auf  arab.  käfär  zurückgehen.  —  Weiteres 
vgl.  bei  Flückiger  Pharmakognosie4  S.  143  f.  und  Vule-Bnrnell  Hobson- 
Jobson  S.  116  f. 

Kanal,  s.  St  ein  bau. 

Kaninclieii.  Die  fossilen  Reste  des  Tierchens  sind  vor  allem  in 
Spanien  und  Portugal,  doch  auch  in  Italien,  Frankreich  und  Südengland, 
aber  nicht  in  Deutschland  gefunden  worden.  Gleichwohl  weist  die 
linguistisch-historische  L  herlief erung  mit  grosser  Entschiedenheit  aus- 
schliesslich auf  die  P yrrhenäen-Halbinsel  als  Ausgangspunkt  der 
Terminologie  des  Tieres  und  der  Bekanntschaft  mit  ihm  für  das  histo- 
rische Europa  hin.    Das  lat.  cunkulus  cujucIu*,  conicula  begegnet, 


Digitized  by  Google 


408 


Kaninchen  —  Karpfen. 


und  zwar  in  griechischer  Gestalt,  zuerst  hei  Polyhius  (um  15U),  wird 
von  den  Alten  ausdrücklich  als  iberisch  erklärt  und  findet  sich,  wie 
es  scheint,  im  Baskischen  selbst  (unchi  ,Kaninchen)  wieder  (vgl.  die 
Stellen  bei  L.  Diefenbach  0.  E.).  Vom  Lateinischen  aus  ist  das  Wort 
in  die  keltischen  und  germanischen  Sprachen,  hier  in  mancherlei  volks- 
etymologischer Verdrehung  (vgl.  Kluge  Et.  W."j  gewandert.  Die  häufigste 
derselben  (mhd.  käniclin,  künlin,  nhd.  königl,  könighase)  hat  zur  Ent- 
stehung des  slavo-lettischen  krolikä  —  karalikas  , Kaninchen'  von  krall 
jKönig'  Anlass  gegeben.  Auf  einer  Konfusion  von  koüvikAo«;  und  altsl. 
kttna  .Marder'  scheint  ngriech.  kouvc'Xi,  Kouvdbi,  alb.  kunaeje  , Ka- 
ninchen' (vgl.  G.  Meyer  Et.  W.  d.  alb.  Spr.  S.  214)  zu  beruhen:  doch 
vgl.  auch  altfrz.  conti,  das  wohl  direkt  dem  lat.  cuniculu*  entspricht. 

Daneben  treten  eine  Reihe  anderer  Benennungen  auf,  wie  gricch.- 
massiliotisch  Xeßrtpi^,  eigentlich  , Hase",  wie  das  Tier  auch  im  Deutschen 
gelegentlich  schlechthin  genannt  wird.  Die  ganz  jungen  Tierchen,  eine 
Delikatesse  der  Iberer  (Plin.  Hist.  nat.  VIII,  217),  Iiiessen  im  Latein 
laurices,  ein  wohl  ebenfalls  iberisches  Wort,  das  eine  Spur  in  ptg. 
lottra  , Kaninchenhöhle'  hinterlassen  hat  und  in  ahd.  Glossen  als  lörichln 
(vgl.  Palander  Ahd.  Tiernamen  S.  77)  wiederkehrt.  Frz.  lapin  wird 
als  Tier  mit  Lappenohren  aus  dem  Germanischen  gedeutet,  eine,  wenn 
richtig,  auffallende  Entlehnung,  weil  das  Kaninchen  als  Volksnahruug 
gerade  in  Frankreich  schon  von  Gregor  v.  Tours  (vgl.  Hehn  Kulturpfl.6 
S.  44fi  genannt  wird.  Engl,  rabhit  ist  dunkel.  Im  Litauischen  be- 
gegnet ein  einheimisches  triüszkis  :  russ.  trttsü  , Feigling,  Hase,  Ka- 
ninchen'. 

Den  ersten  Anstoss  zur  Zucht  des  Kaninchens  haben  die  Leporarieu 
der  Römer  gegeben.  Vgl.  Varro  De  re  rust.  III,  12:  Horum  omnium 
tria  genera  (Hase,  weisser  Alpenhasc,  Kaninchen),  si  poxsU,  in  lepo- 
rario  habere  oportet.  Duo  quidem  utique  te  habere  puto,  et  qttod 
in  Hispania  anni*  ifa  fuhtti  multis,  ttt  ind-e  te  cttnicttlos  persecutos 
c  red  am. 

Kanne,  s.  Gefässe. 

Kannibalismus,  s.  Opfer. 

Kapaun,  s.  Hahn.  Huhn. 

Kaper,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Kappe,  Kapuze,  s.  Kopfbedeckung. 

Karausche,  s.  Karpfen. 

Karneol,  s.  Edelsteine  (Said). 

Karpfen  {Cgprinus  Citrpio  /,.).  Die  Bekanntschaft  mit  diesem 
Fisch  lässt  sich  für  das  klassische  Altertum  nicht  nachweisen.  Er  wird 
vielmehr  sicher  erst  von  dem  Geheimschreiber  Theoderichs,  Cassiodor 
(VI.  Jahrb.),  und  zwar  als  eine  kostbare,  nur  für  fürstliche  Tafeln  be- 
stimmte Delikatesse  der  Donau  genannt  i  Var.  üb.  XII.  4  p.  Pri- 
vat! est  habere,  qttod  locus  continet;  in  principali  concirio  hoc  pro- 


Digitized  by  Google 


Karpfen  —  Krtse. 


•109 


fecto  decet  exqtiiri,  quod  visum  debeat  admirari.  Destinet  carpam 
Danubius  etc.).  Der  Fisch,  der  bereits  in  den  Schweizer  Pfahlbauten 
von  Mooseedorf  und  Robenhausen  (vgl.  Rtttimcyer  Fauna  der  Pfahl- 
bauten S.  114)  nachgewiesen  ist,  muss  in  Teilen  des  Alpengebietes 
nnd  SUddeutschlands  seit  Urzeiten  vorhanden  gewesen  sein,  aber  als 
eine  besondere  Art  erst  verhältnismässig  spät  die  Aufmerksamkeit  der 
civilisierten  Welt  auf  sieh  gelenkt  haben.  In  einer  Sprache  des  ge- 
nannten Gebietes  wird  daher  auch  der  Ursprung  des  plötzlich  hervor- 
tretenden Wortes  carpa  zu  suchen  sein,  das  sich  allmählich  durch  ganz 
Europa  verbreitet  hat  (ahd.  charpfo,  altn.  karfe,  engl,  carp,  kymr. 
carp.  frz.  curpe,  it.  carpione,  russ.  karpti,  lit.  kdrpa  etc.).  Die  von 
Uhlenbcek  Heiträge  XIX,  .!J31)  versuchte  Anknüpfung  des  Wortes  an 
sert.  caphara-,  raphari  (*garphara-)  .eine  Karpfenart'  hat  wenig  Wahr- 
scheinlichkeit. Alleinstehend  altpr.  sarote,  aus  dem  Türkischen  russ. 
gazanü.  Man  hat  wohl  mit  Recht  vermutet,  dass  der  Grund  der  ausser- 
ordentlichen Verbreitung  des  in  Teichen  und  Weihern  leicht  zieh  baren 
Fisches,  dessen  Ankunft  im  Xorden  und  Osten,  in  England,  Dänemark, 
Preussen  u.  s.  w.  teilweis  erst  aus  sehr  späten  Jahrhunderten  gemeldet 
wird,  mit  dem  von  der  Kirche  gestatteten  Fischgenuss  während  der 
Fastenzeit  zusammenhängt.  Vgl.  Beckmann  Bcyträge  zur  Geschichte 
der  Erfindungen  III,  412 ff.  (Karpen i.  —  Eine  andere  Karpfenart  ist 
die  Karausche  {Cyprinus  CaraBsiux),  deren  erst  nhd.  bezeugter  Name 
karaz.  karmische  aus  Osteuropa  '  lit.  karoms  und  ähnlich  in  allen  Sla- 
vinen)  stammt.  S.  u.  Fisch,  Fischfang. 
Karren,  s.  Wagen. 

Käse.  Neben  den  Namen  für  die  fetten  Bestandteile  der  Milch 
(s.  u.  Butter)  gab  es  in  der  idg.  Ursprache  auch  solche  für  den 
Molken:  sert.  xd'ra-  —  griech.  opöq,  lat.  serum  und  den  Käse:  aw. 
tuirinqm  =  griech.  rupöq,  altsl.  tvarogü  (mit  unaufgeklärten  Beziehungen 
zu  türk.  torak,  magy.  taroh  etc.).  Indessen  darf  man  mit  dieser  letz- 
teren Gleichung  noch  nicht  die  Vorstellung  von  geformtem,  getrock- 
neten und  reifenden  Käse  verbinden,  vielmehr  wird  Tupö?  und  seine 
Sippe  ursprünglich  nichts  anderes  als  mehr  oder  weniger  flüssigen 
Quark  bezeichnet  haben,  wie  dies  noch  die  Bedeutung  der  slavischen 
Wörter  ,lac  coagnlatum)  ist.  aus  deuen  das  mhd.  tearc,  quarc  ent- 
lehnt wurde.  So  erklärt  sich  auch  der  scheinbare  Widerspruch  hin- 
sichtlieh des  Verhältnisses  der  Germanen  zur  Käsenahrung  bei  Caesar 
De  bell.  gall.  VI.  '22:  Mahr  parx  eorttm  rictux  in  .  .  caxeo  conxixtit 
und  des  Plinius  XI,  2)\S):  Mirum  barbarax  gentex  quae  lacte  eivant 
igiwrare  aut  spernere  tot  saeculix  casei  dotem,  denxantex  id  alioqui 
in  acorein  iueundu  m  et  pingue  butyrum.  Plinius  dachte  eben  bei 
dem  Worte  ca-neus  an  die  vorgeschrittene  südliche  Bereitung  des  ge- 
formten i*formatkux  =  frz.  fromage,  it.  formaggio)  Käse,  während 
Caesar  mit  demselben  einen  weiteren  Begriff  verband.    Die  genaueste 


Digitized  by  Google 


410 


Käse  —  Kastanie. 


Nachricht  bietet  daher  Tacitus  Germ.  Cap.  23,  wenn  er  einfach  lac 
eoneretum  als  Speise  der  Germanen  bezeichnet.  Dass  der  älteste  ger- 
manische Käse  noch  viel  flüssige  Substanzen  enthielt,  zeigt  auch  der 
altnordische  Name  desselben  otttr  (woraus  finn.  juusto)  :  lat.  jus 
,Brühe'  etc.  gehörig.  Den  säuerlichen  Geschmack  jenes  Käsequarks 
hebt  altsl.  si/rü,  altpr.,  lit.  süris  ,Käse'  hervor  :  ahd.  sur  ,sauer"  (vgl. 
auch  alb.  hin  .Molken")  und  vielleicht  lat.  caseus  selbst  :  altsl.  Itjsdü 
,suner\  Jcea*ü-  ,fermentnm'  (Fiek:  neuerdings  Pedersen  I.  F.  I,  37). 

Mit  der  Verbreitung  der  besseren  Methoden  der  Käsebereitung  des 
Südens  im  europäischen  Norden  hat  dann  offenbar  die  Verbreitung  des 
lat.  caxetis  (it.  eaeio.  cnscio,  rum.  cas,  span.  quem  etc.  i  in  den  nörd- 
lichen Sprachen  Schritt  gehalten:  ir.  caixe,  ahd.  chdsi,  agls.  et/se.  Vgl. 
auch  ahd.  formizzi  aus  formatium.  —  S.  u.  Lab,  Milch  und  u. 
Nah  ru  ng. 

Kastanie.  Caxtanea  rulgari*  oder  cexea  ist  nach  Ansicht  der 
Botaniker  im  westlichen  Transkaukasien,  im  nördlichen  Kleinasien.  iu 
Thrakien  und  Mazedonien,  sowie  in  ganz  Griechenland  einheimisch. 
In  Übereinstimmung  hiermit  weist  bereits  Theophrast  (III,  2;  3,  4, 
III,  3;  1)  auf  den  Unterschied  wilder  und  veredelter  Kastanien  hin, 
für  welche  er  sich  des  Ausdrucks  Atö?  ßdXavo<;  bedient.  Vor  diesem 
Schriftsteller  lässt  sich  ein  bestimmter  und  spezialisierender  Name 
des  Baumes  in  Griechenland  nicht  nachweisen.  Es  scheint  sich  dies 
folgendermassen  zu  erklären. 

In  ihrer  nördlichen  Heimat  hatten  die  Hellenen  zwei  der  Kastanie 
nahestehende  früehtetragendc  Waldbäume  gekannt:  die  Eiche  igriech. 
ßaXavos,  lat.  glans,  lit.  gile,  altsl.  zelqdi  ,EicheO  und  die  B  u  e  h  e 
kriech.  <pnTÖ?,  lat.  fdgus,  ahd.  huohha).  Als  sie  nun  in  die  Balkan- 
halbinscl  einrückten  und  hier  auf  die  wilde  Kastanie  und  den  wilden 
Walnussbaum  stiessen,  fassten  sie  in  einer  an  botanische  Unterschei- 
dungen noch  ungewohnten  Zeit  die  neuen  Cupulifereu  unter  die  Namen 
<ler  alten  mit  zusammen.  So  bezeichnete  ßriXavoq  Eichel  und  Kastanie 
(wohl  auch  Walnuss),  und  je  nach  den  Verhältnissen  der  einzelnen 
Landschaften  trat  bald  diese,  bald  jene  Bedeutung  hervor.  So  mögen 
die  "ApKdbcs  ßaXavn,<pcirfoi  (Herod.  I,  66)  immerhin  „Eichelesser-  ge- 
wesen sein,  weil  gerade  in  Arkadicu  die  Kastanie  selten  war  vgl. 
Neumann-Partsch  Physikalische  Geographie  Griechenlands  S.  :\*'2).  Auch 
bei  (priYOS,  das  seine  alte  Bedeutung  , Buche"  bei  der  Abwesenheit  de* 
Baumes  im  eigentlichen  Griechenland  (s.u.  Buche)  ganz  verloren  und 
dieselbe  mit  der  einer  Eichenart  vertauscht  hatte,  lassen  sich  Ansätze 
nicht  verkennen,  dasselbe  ebenfalls  zur  Bezeichnung  der  Kastanie  zu 
verwenden.  Eine  Notwendigkeit  aber,  zwischen  Eichel  und  Kastanie 
zu  unterscheiden,  lag  nmsoweniger  vor,  als  einerseits  eine  griechische 
Eichcnart  [Queren*  aegiJop*  L.  nach  Kenmann  Partsch  a.  a.  0.  S.  379) 
cssbare  Früchte  hervorbrachte,  andererseits  die  Früchte  der  wilden 


Digitized  by  Google 


Kastanie. 


411 


griechischen  Kastanie  keinen  besonderen  Wohlgeschmack  gehabt  haben 
können.  —  Mehr  und  mehr  lenkte  nun  die  Ausdehnung  des  grieeh. 
Handels  die  Aufmerksamkeit  nut*  die  besseren,  weil  frUhe  in  Kultur 
genommenen  Früchte  der  politischen  Länder.  Jetzt  bürgerten  sich, 
von  den  Ausfuhrorten  hergenommen,  Ausdrücke  wie  lapbiavm  ßäXavoi, 
EußoiWi  ßdXavoi  oder  auch  Benennungen  wie  „königliche",  „politische" 
Nüsse  etc.  ein,  ohne  dass  es  möglich  wäre,  jedesmal  zu  unterscheiden, 
ob  darunter  Kastanien,  Walnüsse  oder  auch  Haselnüsse  gemeint  sind. 
Wurde  doch  die  Bezeichnung  ßdXavoq  sogar  auf  Datteln  und  Mandeln 
angewendet  (vgl.  ßdXavo^  bei  H.  Stephanus).  Jetzt  begann  auch  die 
armenische  oder  vielleicht  überhaupt  am  Pontns  geltende  Bezeichnung 
der  Kastanie  hask,  kaskeni  .Kastnnieubauin  .  die  zu  dein  zuerst  bei 
Theophrast  <Hist.  plant.  IV,  8,  11)  bezeugten  i  irrtümlich  wie  von  einem 
Ortsnamen  KatfTaviq  abgeleiteten)  KoOtuvcuköv  »cdpuov,  dann  zu  Kacttd- 
vcuov,  xdo*Tavov  führte,  sich  in  Griechenland  festzusetzen.  Dass  KCKTraveiov 
ein  verhältnismässig  junges  Wort  war,  lehrt  auch  die  Nachricht  des 

Athenäiis  (II,  p.  ;r>h  nach  dem  Kphesier  Herakleon:  xdpua  ^xdXouv  

xai  tü  vüv  Kaaidvcia.  Diese  ausländischen  Beziehungen  zusammen 
mit  der  inzwischen  erfolgten  Kultur  des  einheimischen  Kastanien-  und 
Walnnssbaiunes  führte  nun  allmählich  zu  einer,  wenigstens  in  der 
wissenschaftlichen  Botanik  (noch  nicht  im  Volks  hervortretenden  ge- 
naueren Terminologie  der  in  Frage  kommenden  Bäume,  die  sich  bei 
Theophrast  als  Aiöq  ßdXavo?  , Kastanie  ,  Kapüa  (nrspr.  ,Xuss',  .etwas 
hartes'  im  allgemeinen)  ,\Va!nuss',  Kapüa  'HpaKXewTiKn.  Jlaselnuss'  dar- 
stellt. Weitere,  dunkle  Bezeichnungen  der  Kastanie,  Xöttiuov,  uöta, 
üuuuTa,  pöo*Tr|va  etc.  vgl.  bei  J.  Murr  a.  u.  a.  O.  8.  71. 

Ob  die  Kastanie  aneh  westlich  der  Balkanhalbinsel,  in  Italien, 
Spanien,  Südfrankreich  von  Haus  aus  einheimisch  sei,  ist  botanisch 
nicht  ausgemacht,  und  auch  vom  linguistisch-historischen  Gesichtspunkt 
lässt  sich  nichts  entscheidendes  hierüber  beibringen.  Möglich  ist,  dass 
auch  die  Römer  unter  den  g.'andett,  quae  deciderant  patitla  loch 
arbore  (Ovid  Mctanu)  sich  Kastanien  mit  vorstellten  und  vorstellen 
konnten,  und  dass  die  Ausdrücke  nnx  valva  (Catoi  und  mix  vioUuxca 
(lMautus)  Versuche  zu  genauerer  Bezeichnung  der  Frucht  darstellen, 
nachdem  man  von  den  griechischen  Kolonien  her  auf  die  Kultur  des 
Baumes  aufmerksam  geworden  war.  Schon  in  den  XII.  Tafeln  kam 
anscheinend  ylaus  (entsprechend  «lern  griech.  ßdXavo«;}  als  Bezeichnung 
der  Frucht  einer  Kulturpflanze  vor.  Vgl.  Plinius  llist.  nat.  XVI,  15: 
Catttum  est  pmeferea  lege  XII  tahularum,  ttt  gl  and  ei»  in  al  lernt  m 
fundum  procidentem  Uferet  colligere.  Das  von  den  Griechen  entlehnte 
Wort  custanea  aber  tritt  erst  bei  Vergil  nuf,  um  dann  von  römischem 
Boden  aus,  zusammen- mit  dem  Anbau  der  Kastanie,  den  gewöhnlichen 
Weg  nach  dem  Norden  anzutreten.  In  den  germanischen  Sprachen 
gilt  ahd.  chextinna,  kestenhattm  (heilige  Hildegardis),  agls.  (htenheam 


Digitized  by  Google 


412 


Kastanie  —  Katze. 


(cixtimbeam  G.  Goctz  Thcs.  I,  187).  Der  Anbau  von  castenarii  wird 
im  Üapitularc  de  villis  T0r  79  vorgeschrieben.  Unaufgeklärt  ist  noch 
der  romanische  Name  der  Frucht  it.  marrone,  frz.  marron  neben  den 
it.  castagna,  frz.  chätaigne.  Die  Slavcn  und  Albanesen  haben  das 
gewöhnliche  lateinisch-griechische  Wort  (altsl.  kastanl,  alb.  kextene); 
doch  kommt  im  russischen  Reich  die  Kastanie,  die  in  günstigen  Sommern 
noch  bei  Christianin  reife  Früchte  hervorbringt,  angepflanzt  nur  in  der 
Krim  und  in  Bessarabien  vor  (Koppen  Holzgcwächsc  II,  144). 

Auch  die  Rosskastanie  {Aesculus  J lippocastanum)  ist  in  Nord- 
griechenland  e  i  n  Ii  e  i  in  i  s  c  h.  Von  hier  ist  der  Baum  wahrscheinlich 
durch  die  Türken  nach  Konstautinopel  gekommen  und  durch  sie  im 
XVI.  Jahrhundert  durch  Europa  verbreitet  worden.  —  Vgl.  J.  Murr 
Beiträge  zur  Kenntnis  der  altklass.  Botanik,  Programm  des  k.  k.  Staats- 
gymn.  in  Innsbruck  1 888  und  V.  Hehn  Kulturpflanzen fi  S.  379  ff.  S. 
u.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Kasten,  s.  Kiste. 

Castrierung,  s.  Viehzucht. 

Katze.  Die  Schwierigkeit,  die  Zeit  zu  bestimmen,  in  welcher 
die  in  prähistorischen  Schichten  nirgends  gefundene  Hauskatze  in  Europa 
bekannt  wurde,  liegt  in  dem  Umstand,  dass  vor  und  neben  der 
Hauskatze  bei  den  Alten  Wiesel-  und  Marderarten  <s.  u.  Wiesel)  zum 
Fangen  von  Mausen  u.  dergl.  gezähmt  worden  waren.  Es  lässt  Bich 
nun  schwer  entscheiden,  ob  unter  deren  Namen  (aTXoupo?,  fa\f\f  mu- 
stela,  faeles)  nicht  gelegentlich  auch  die  Hauskatze  verstanden  wird. 
Ähnliche  Schwierigkeiten  erwachsen  bei  den  Abbildungen,  welche  uns 
von  katzenartigen  Tieren  aus  dem  Altertum  erhalten  sind.  Endlich 
greift  auch  die  Bekanntschaft  der  Alten  mit  der  in  Europa  einheimischen 
Wildkatze  verwirrend  in  die  vielumstrittene  Frage  ein. 

Sicher  dürfte  sein,  dass  die  Hauskatze  den  Griechen  der  guten 
Zeit  unbekannt  war,  weniger  ausgemacht,  wie  hoch  ihr  Alter  in  Italien 
zu  veranschlagen  ist.  Soll  man  die  liebevolle  Beobachtung  des  Plinius 
(Hist.  nat.  X,  202):  Feie«  quidem  quo  silentio,  quam  levibus  vextigiis 
obrepunt  avibus!  quam  occulte  speculatae  in  musculo*  exiliunt!  ex~ 
crementa  nun  effossa  obruunt  terra  intellegentex  odorem  illum  indicem 
sui  esse  mit  Hehn  (Kulturpflanzen0  S.  451)  wirklich  auf  die  Wildkatze 
beziehen,  oder  stellen  die  von  Daremberg  und  Saglio  (I,  689)  reprodu- 
zierten Grabmalereien  von  Caere  und  Tarquinii  (on  voit  des  chats  qui 
jouent,  pendant  le  repas,  sous  les  lits  et  lex  tablejf  avec  des  coqs  et 
des  perdrijr  prive.es,  ou  qui  saisissent  des  xouris  et  des  lezards)  oder 
das  ebendaselbst  wiedergegebene  Bas-Relief  des  Capitolischen  Museums 
{representant  mm  chat  que  l'on  dresxe  a  danser  au  son  de  la  lyre) 
dem  Augenschein  entgegen  doch  andere  Tiere  als  Hauskatzen  dar? 
Entschliesst  man  sich,  die  Hauskatze  erst  in  dem  für  sie  später  aus- 
schliesslich geltenden  Ausdruck  cattus  zu  erblicken,  so  findet  sicli  die 


Digitized  by  Google 


Katze. 


■413 


erste  Stelle,  an  der  sie  erwähnt  wird,  hei  Palladius  um  450)  De  re 
rustica  IV,  9,  4:  Contra  talpas  prodest  cattos  frequeuter  habere  in 
medii*  carduetis.  mustelas  habent  plerique  mausuetas.  Unzweifel- 
haft ist  aneh  die  Hauskatze  gemeint  in  der  Biographie  des  Papstes 
Gregors  des  Grossen  von  dem  Diakon  Johannes  (um  600):  Nihil  in 
mundo  habebat  praeter  unam  cat tarn,  quam  blandiens  crebro  quasi 
cohabitricem  in  suis  gremiis  reforebat. 

Woher  ist  nun  dieses  auf  einmal  auftretende  cattus  gekommen?  Dass 
dasselhe  auf  romanischem  Boden  (auch  nun.  cütusä,  vgl.  G.  Meyer 
I.  F.  VI,  117)  entstanden  sei.  wie  man  früher  meinte  {cattus  »Tierchen' 
:  catulus),  ist  lautgeschiehtlich  nicht  möglich.  Wohl  aher  muss  es  den 
nordeuropäisehen  Sprachen  seit  Alters  angehört  hauen.  Ein  urkel- 
tisches *kattd,  Hatto-  liegt  den  keltischen  Xamcn  der  Katze  (kymr.,  korn. 
cath  Fem.,  hret.  eaz,  ir.  cat  Mask.,  gäl.  cat)  zu  Grunde.  Sprachliche 
wie  sachliche  Gründe  (vgl.  Thurneysen  Kelto-Rom.  S.  62 1  hezeugen 
die  frühe  Anwesenheit  des  Wortes  auf  keltischem  Boden.  Von  gleichen 
Grundformen  gehen  die  germanischen  Wörter  ahd.  chazza  und  altn. 
köttr  aus,  nehen  denen  die  dazu  ablautenden  nhd.  Kitze,  mengl.  chitte, 
altn.  ketlingr,  sowie  die  alte  Maskulinhildung  ahd.  chataro  H'adaso-) 
bestehen.  Cattus  ist  also  ein  altes,  zunächst  nicht  weiter  deutbares, 
kelto  germanisches  Wort,  mit  dem  auch  das  gcmeinslav.  kotü  (vgl.  auch 
nslov.,  serb.  kotiti  , Junge  werfen',  kot  .Brut  )  und  lit.  katt}  zu  ver- 
binden sind.  Bei  den  Germanen  wird  cattus  ursprünglich  die  wilde 
Katze,  das  Lieblingstier  der  Freija.  deren  Wagen  von  zwei  wilden 
Katzen  gezogen  wurde,  daneben  auch  ähnliche  wilde  Tiere  (vgl.  G.  Goctz 
Thesaurus  Glossarum  einendatarum  I,  190:  catta  bestiolae  genus  quod 
dicitur  merth;  vgl.  agls.  mearp  , Marder  ),  bezeichnet  haben,  und  dann 
bei  dem  Einbruch  der  Germanen  in  den  europäischen  Süden  auf  die 
daselbst  bereits  v  orgefundene  Hnuskat ze  übertragen  worden 
sein,  für  die  es  im  Lateinischen  noch  an  einer  deutlichen  Bezeich- 
nung fehlte. 

Damit  stimmt  auch  überein,  dass  der  Kriegsschriftsteller  Vegctius, 
der  bereits  im  IV.  Jahrhundert  einige  Barbarismen  (burgus,  drungus) 
überliefert,  Mb.  IV,  Gap.  lf>  auch  das  Wort  cattus  hat,  und  zwar  in 
der  offenbar  von  dem  Namen  der  Wildkatze  abgeleiteten  Bedeutung 
einer  Kriegsmaschine:  Vinea*  di.rerunt  reteres,  quas  nunc  militari 
barbaricoque  usu  cattos  vocunt  (wie  cuniculus  .Kaninehen'  und 
,Mine"  und  musculus  .Mäuschen'  und  .Minirhütte). 

Allmählich  hat  dann  das  Wort,  nunmehr  im  Sinne  von  Hauskatze, 
namentlich  vom  byzantinischen  Griechisch  aus,  eine  ungeheure  Ver- 
breitung auch  in  den  Orient  (Armenisch,  Ossetisch,  Persisch,  Türkisch) 
gefunden.  Auch  die  finnischen  Sprachen  begreift  die  Ausdehnung  des 
Wortes  iu  sich.  In  Indien  tritt  die  Katze  (sert.  inArjära-  und  vi$dla-) 
als  Mäusefängerin  sehr  spät  auf.   Vgl.  M.  Müller  Indien  S.  227—234. 


Digitized  by  Google 


■414  Katze  —  Kaufmann. 

Was  nun  die  Frage  der  Herkunft  unserer  europäischen  Hauskatze 
anlangt,  so  ist  man  wohl  mit  Keeht  der  Meinung,  dass  dieselbe  von 
Ägypten  ausging,  wo  die  Katze  seit  den  ältesten  Zeiten  hekannt  war, 
wo  sie  im  Kufe  hoher  Heiligkeit  und  Unverletzlichkcit  stand,  wo  un- 
zählige Bronzestatuetten  und  mumificierte  Überreste  der  Katze  zu  Tage 
gebracht  worden  sind.  Doch  ist  dabei  zu  beachten,  dass  nach  den 
Untersuchungen  Virchows  (Z.  f.  Ethuologie,  Verhandl.  1 889  S.  458  n. 
552 ff.)  jedenfalls  die  älteren,  namentlich  die  auf  dem  Katzen friedhof 
zu  Bubastis  gefundenen  Katzenreste,  nicht  der  domestizierten  Haus- 
katze, sondern  einer  gezähmten  Wildkatze  augehören,  die,  wie  auch 
die  Abbildungen  zeigen,  zu  Jagdzwecken  abgerichtet  wurde.  Vgl.  das 
nämliche  Motiv  auf  einer  Dolchklinge  zu  Mykenae  (Mitt.  d.  Inst.  v.  Athen 
VII.  T.  8  t.  Eigentliche  Domestikation  soll  sich  erst  bei  der  felis 
maniculata  Ruep.  finden,  deren  Spuren  an  den  jüngeren  Katzcii- 
mumien  von  Beni- Hassan  und  Siut  hervortreten  (vgl.  A.  Xehring  Ver- 
handlungen a.  a.  0.).  Diese  ägyptische  Hauskatze  ist  dann,  in  auf- 
fallend später  Zeit,  nach  Europa  und  zwar  zunächst  nach  Italien  Über- 
geführt worden,  wo  sie  Vermischungen  mit  der  europäischen  Wildkatze 
einging.  Ausserdem  soll  an  der  Bildung  unserer  gegenwärtigen  Haus- 
katze nach  Xehring  auch  eine  asiatische  Species  beteiligt  sein. 

Je  vertrauter  man  in  Europa  und  Asien  mit  dem  Tiere  wurde,  um 
so  mehr  wuchs  die  Zahl  der  Kose-  und  Schiueichclnaineu  für  dasselbe. 
Unter  ihnen  am  weitesten  verbreitet  ist  der  germanische  Ausdruck 
„Buse",  „Bise",  der  im  Osten  und  Südosten  Europas,  ja  auch  in  ira- 
nischen Sprachen  wiederkehrt.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  447  ff. 
58U  und  E.  Halm  Die  Haustiere  S.  237  ff.  S.  aneh  u.  Viehzucht. 
Kauf,  Kaufen,  s.  Handel,  Kaulmann. 
Kauf  ehe,  s.  Braut  kau  f. 

Kaufmann.  U.  Handel  ist  gezeigt  worden,  dass  ein  primitiver 
Warenaustausch  bis  tief  in  die  neolithische  Epoche  unseres  Erdteils 
zurückgeht.  Dieser  älteste  Handel  bewegte  sich  ursprünglich  wahr- 
scheinlich von  Grenze  zu  Grenze,  von  Stamm  zu  Stamm,  so  dass  es 
viele  Jahrzehnte,  wenn  nicht  Jahrhunderte  dauern  mochte,  bis  etwa  eine 
Goldspirale  des  Südens  nach  dem  hohen  Norden  oder  ein  Bernstein- 
stück des  Nordens  nach  dem  Süden  gelangte.  Handelsverbindungen 
einzelner  werden  erst  aufgekommen  sein,  nachdem  das  Institut  der 
Gastfreundschaft  (s.  d.i  sich  in  Europa  festgesetzt  hatte.  Dass 
man  für  die  älteren  Zeiten  noch  nicht  an  Kaufleute  als  Vermittler 
des  Warenaustausches  denken  darf,  geht  auch  daraus  hervor,  dass  sich 
die  Ausbildung  eines  K auf mannstandes  bei  den  idg.  Einzelvölkern 
Europas  noch  mit  ziemlicher  Deutlichkeit  verfolgen  lässt. 

In  dem  homerischen  Zeitalter  ruht  der  griechische  Handel  noch  fast 
ganz  in  den  Händen  der  Phoenizier,  die  neben  den  Lydern  (s.  auch 
u.  Markt)  die  eigentlichen  Krämervölker  des  Altertums  sind.  Wenn 


Digitized  by  Google 


Kaufmann. 


415 


auch  die  am  Meere  angesiedelten  Griechenstämme  an  dem  nach  Thn- 
kydides  I,  f>  im  ganzen  Becken  des  Mittelmcers  im  .Sehwange  stehen- 
den Seeraub  sieh  beteiligen,  der  namentlich  durch  den  Sklavenhandel 
eine  wichtige  merkantile  Seite  hat,  so  werden  nls  berufsmässige 
Händler  doch  beinahe  ausschliesslich  l'hoeni/.icr  genannt:  ^ Mit  un- 
zähligem Tand  ,uupf  ätovt€?  dGüpuaTa  Od.  XV.  41(5)  beladen,  landet 
das  phoenizischc  Schiff  am  griechischen  Gestade,  wo  es  liegt,  bis  der 
Austausch  der  Waren  beendigt  ist  und  als  Kaufpreis  (ujvo«;  öbaiwv) 
reichliches  „Lebensgutu  (ßioro<;i,  Getreide,  Wein,  Holz,  Vieh,  Häute 
u.  s.  w.  in  Empfang  genommen  ist,  zuweilen  ein  ganzes  Jahr  (ib.  4öf>'. 
Nachdem  die  Gunst  des  Königs  durch  reiche  Geschenke  erkauft  ist 
.11.  XXI II,  74") j,  werden  die  mitgenommenen  Waren  am  Ufer,  ge- 
wöhnlich wohl  unter  Zelten  (Scylax  Caryand.  Peripl.  ed.  ('.  Müller  Geogr. 
graec.  min.  I,  94),  zum  Verkauf  ausgebreitet  (burriöccrtkii  ,auseinander- 
legen',  .verkaufen' '.  Nicht  selten  aber  gehen  die  phoenizischen  Händler 
selbst  in  die  umliegenden  Ortschaften,  um  ihre  Waren  feilzubieten. 
Dann  drängen  sich  namentlich  die  Weiber,  Sklavin  wie  Herrin,  gierig 
um  den  fremden  Mann,  das  noch  nie  gesehene  Kleinod  mit  den  Händen 
befühlend  (xepcriv  t*  duq>a<pöu)VTO  Kai  6q>8aXuoto-i  öpÜJVTO,  Od.  XV,  462  . 
Noch  nicht  vermittelt  das  gegenseitige  Verständuis  der  Sprachen  den 
Verkehr.  Oer  Käufer  hält  seine  Gegengabe  dem  Verkäufer  entgegen 
•  lüvov  ^maxöuevai  ib.  463),  und  dieser  giebt  durch  das  Nicken  des 
Kopfes  sein  Einverständnis  schweigend  zu  erkennen  (ö  bfc  Trj  Kcrreveuae 
<Tiumrj  ib.  463  .  Weiber,  die  ihre  übergrossc  Neugier  auf  das  Schiff 
des  fremden  Kaufmanns  selbst  geführt  hat,  werden  nicht  selten  ent- 
führt und  in  die  Sklaverei  (Hcrod.  I,  1)  verkauft"  (nach  Vf.  a.  u.  a.  O. 
S.  69). 

Ein  deutlicher  Ausdruck  für  Kaufmann  ist  in  der  homerischen 
Sprache  noch  nicht  vorhanden.  Das  Wort  luiropo;,  welches  später 
den  Grosskaufmann  bezeichnet  (davon  i^nopir\  .Handel'  zuerst  bei  Hesiod), 
bedeutet  bei  Homer  (Od.  II,  319,  XXIV,  300)  ausschliesslich  einen, 
der  in  einem  fremden  Schiffe  auf  dem  Meere  führt.  Will  man  den 
Begriff  Kaufmann  ausdrücken,  so  tnuss  man  eiue  Umsehreibung  ge- 
brauchen.   So  sagt  Enrvalos,  der  Phaeake,  zu  Odysseus  (Od.  VIII, 

K)9ff.): 

„Du  gleichst  keinem  Kämpfer, 

dXXd  tüj,  öq  8'  etuet  vn/i  TroXuKXrpbi  6aui£ujv 
äpxöq  vautdujv,  oi  Tt  Trpn.KTn.pfcq  *amv, 
(pöpTOu  T€  uvrmujv  Kai  fcniöKOTTO?  rjaiv  öbauwv 
KEpbfc'uiv  6  äprraXfcujv;'. 
Kaufleute  sind  also  „Schiffer,  die  auf  einer  Unternehmung  (TrprjSiSi  be- 
griffen sind".    Zugleich  zeigt  die  Stelle  die  tiefe  Verachtung,  die  der 
homerische  Held  noch  dem  Gewerbe  des  Kaufmanns  entgegenbringt,  und 
die  sieh  auch  in  der  Bezeichnung  der  phoeuizischen  Händler  mit  Aus- 


Digitized  by  Google 


416 


Kaufmann. 


drücken  wie  tpwktcu,  TroXimamaXoi,  Tro\uibpi€<;,  äiraTriXia  eiöÖT€<;  aus- 
spricht. Diese  Verachtung  ist  dann,  während  die  ^uTropia  allmählich 
zu  hohem  Ansehen  emporstieg,  an  dein  Kleinkrämer,  dem  kütttiXo^, 
hatten  geblieben.  Auch  dieses  Wort  hatte,  wie  die  angeführten,  ur- 
sprünglich einen  anrüchigen  »Sinn  (zuerst  von  Aeschylus  gebraucht 
frgm.  KamiXa  npocrqpepujv  9povr|uaTa.  vgl.  dazu  Et.  M.  p.  490.  12: 
ö  b€  Alo"xuk°S  T«  böXict  tt ci vt et  KämiXa  und  Phrvnieh.  in  Bckk.  aneed. 
p.  49,  9  KdTTnXov  qppövrma  ,TTaXiußoXov'  und  ,oüx  vfiiq)  und  ist,  weil 
häutig  auf  Krämer  angewendet,  schliesslich  eine  substantivische  Be- 
zeichnung derselben  geworden  (anders,  aber  kaum  richtig  Prcllwitz 
Et.  W.t.  Weiteres  über  die  Terminologie  des  griechischen  Handels 
und  Kaufmannsgewerbes  vgl.  bei  J.  .Müller  Privataltertttmer*  S.  2öl\ 
Die  lateinischen  Ausdrücke  mercator  und  negotiator  bieten  für  die 
Entwicklung  des  Kaufmannsstandes  in  Koni  nichts  bemerkenswertes 
(über  lat.  merx  ,Ware'  s.  u.  Handel).  Dass  ein  solcher  sich  vor- 
wiegend unter  griechischem  Einfluss  entwickelte,  lehren  die  zahlreichen 
in  dieses  Gebiet  einschlagenden  Entlehnungen  aus  dem  Griechischen 
(vgl.  <>.  Weise  G  riech.  Wörter  im  Lat.  S.  214  ff.  und  A.  Saalfeld  Italo- 
graeca  Heft  2,  S.  43  ff.),  von  denen  die  wichtigste  die  Übernahme  des 
lat.  arrhaho,  nrra,  raho  Plnut.)  .Handgeld',  .Angeld  aus  gricch. 
üppaßwv  (Isaeus/  sein  dürfte,  das  selbst  wiederum  dem  hebr.  'friihäu 
.Unterpfand'  entnommen  ist.  Diese  Entlehnungsrcihe  ist  ein  schlagendes 
Zeugnis  dafür,  wie  sehr  der  antike  Handel  des  Mittelmecrs  unter  se- 
mitischem Einfluss  steht.  Zahlreiche  Bezeichnungen  haben  sich  ferner 
im  Lateinischen  für  den  Kleiukaufmann.  den  Krämer  herausgebildet, 
Wörter  wie  cöpo,  catipo  wenn  ersteres  nach  Thurneyscn  K.  Z.  XXVIII, 
löT  die  ältere  Form  ist,  vielleicht  im  Ablauf  :  KUTTnXo«;  stehend),  mttngo 
:.uü.rravov  , künstliches  Mittel  ,  d.  i.  einer,  der  seine  Waren  künstlich 
herausputzt),  cocio,  coctio  (Ungewissen  Ursprungs,  vgl.  it.  eozzone,  alt  frz. 
coxMon),  arrilator  '  vgl.  o.  arra)  und  manche  andere,  von  denen  einige 
für  den  Norden  Europas  eine  ausserordentliche  Bedeutung  erlangt 
haben. 

Was  diesen  betrifft,  so  berichten  die  römischen  Quellen,  vor  allem 
Caesar  De  hello  gallieo,  zunächst  von  einem  a  1 1  g  a  1 1  i  s  c  Ii  e  n  Kauf- 
mannsstand. Gallische  Kaufleute  waren  die  Träger  von  Neuigkeiten 
durch  Gallien  (IV,  .Vi  bis  nach  Britannien  IV.  21,:")),  wo  sie  aber  nur 
die  Küsten  des  Landes  kannten  IV,  20.  •>  4  .  Auch  über  den  Khein, 
zu  germanischen  Stämmen,  den  Ubiern  'IV,  3)  und  den  Sueben  iIV,  2), 
wagten  sie  sieh,  und  von  ihnen  erfuhr  Caesars  Heer  1 1,  39)  die  eisten 
erschreckeuden  Nachrichten  Uber  die  Körperstärke  und  Tapferkeit  der 
Germanen  Ariovists.  Doch  kann  man  in  allen  diesen  Fällen  zweifel- 
haft sein,  ob  man  es  wirklich  mit  Händlern  gal  1  i scher  Nationalität, 
und  nicht  vielmehr  mit  solchen  italischer  Herkunft  zu  thuu  hat; 
denn  schon  im  Jahre  69  v.  Chr.  hatte  Cicero  (pro  Font.  1  §11)  Gallien 


Digitized  by  Google 


Kiiui'uiann. 


417 


angefüllt  mit  römischen  Händlern  treferta  negotiatorum,  plena  civium 
Jiomanontm)  genannt.  Nach  Beendigung  <les  Beigerkrieges  schickte 
Caesar  (III,  1—6)  ein  eigenes  Streif korps  ah,  um  die  nach  dem  Genfer- 
sec  und  der  Rhone  fahrenden  Alpenpässe  den  italischen  Kaufleutcn  zu 
öffnen  iquod  iter  per  Alpes,  quo  magno  cum  pericuh  magnisque  cum 
portoriis  mercatores  ire  consuerant,  pate/ieri  colehat).  Umsonst  hatte 
eine  Anzahl  kriegerischer  »Stämme,  die  Beiger  (I,  1),  die  Xervier  >  II,  15 1, 
die  Suchen  (IV,  2)  versucht,  ihre  Grenzen  gegen  die  südlichen  Waren, 
vor  allein  den  Wein,  von  dessen  Genuss  sie  eine  Entnervung  ihrer  ge- 
waltigen Leiber  fürchteten,  zu  sperren.  Der  übermächtige  Kulturstrom 
riss  alle  Hemmnisse  nieder. 

Je  festeren  Fuss  dann  die  römischen  Legionen  am  Rhein  und  an 
der  Donau  fassten,  umso  unerschrockener  wagten  sich  die  römischen 
Händler  in  das  Innere  Deutschlands  vor.  In  der  Hauptstadt  des  Marko- 
mannenkönigs  findet  Catualda  eine  Kolonie  römischer  Krämer  (Tac. 
Ann.  II,  62:  Xoatris  e  procineiis  lixae  ac  negotiatores  reperti,  quon 
ius  commercii,  dein  cupido  augendi  pecuniam  ....  hostilem  in 
agrum  tramtulerat).  Dieselben  lixae  ac  negotiatores  llomani  werden 
auf  einer  Insel  der  Bataver  erwähnt  (Tac.  Hist.  IV,  Mi,.  Scurrae 
,Possenrei88er'  werden  von  Ammian.  (XXIX,  4)  als  Handelsleute  in 
Deutschland  genannt. 

Wie  schon  aus  dem  Bisherigen  hervorgeht,  sind  es  die  niedrigsten 
Klassen  römischer  Kaufleute  gewesen,  im  Verkehr  mit  denen  sich  der 
germanische  Handel  entwickelte,  und  dass  dem  wirklich  so  war,  folgt 
aus  der  bedeutsamen  Tbatsache,  dass  zwei  römische  Benennungen  für 
derartige  Krämer  und  Kleinkaufleute,  caupo  und  mango,  im  Ger- 
manischen die  Quelle  einer  ausgebreiteten  Handelstcrminologie  geworden 
sind.  Aus  lat.  caupo,  das  am  häutigsten  ,Höker  mit  Wein'  u.  dergl. 
bedeutet  (vgl.  G.  Goetz  Thesaurus  I,  192  caupo:  negotiator  fraudu- 
lentu*:  qui  vinum  cendit;  qui  vinum  cum  aqua  miscet;  pessimum,  qui 
de  tino  aquam  facit  etc.),  ist  die  ungeheure  Sippe  von  ahd.  choufo  »Kauf- 
mann* und  altn.  kaup,  ahd.  chouf,  agls.  ceap  ,Kanf  entlehnt;  dazu  verbal: 
got.  kaupön,  ahd.  choufan,  agls.  ce"apian,  altn.  kaupa  u.  s.  w.  Ihre 
Bedeutung  ist  eine  ungemein  reiche.  Verbal  bezeichnet  sie  .einen  Tausch 
vornehmen'  (ahd.  choufan  ,commutare  )  und  kann  sowohl  auf  den  Käufer 
wie  auch  auf  den  Verkäufer  (ahd.  chouf/önto  ,vendcndo)  bezogen 
werden.  Daneben  hat  es  die  Bedeutungen  ,ein  Geschäft  machen*, 
, Handel  treiben',  ,Gc\vinn  ziehen',  ,einen  Vertrag  schliessen,  .bezahlen' 
und  ähnliche  entwickelt.  Das  Substantivum  „Kauf4*  ist  ganz  allgemein 
das  Tauschgeschäft  zwischen  Käufer  und  Verkäufer,  Verkauf  wie  Ein- 
kauf, dann  aber  auch  der  Gegenstand  des  Kaufhaudcls,  die  Ware,  und 
endlich  das  Kaufmittcl,  der  Preis  (daher  agls.  ceap  geradezu  ,Vieh'). 
Die  eigentliche  Grundbedeutung  von  „kaufen''  muss  nach  alledem  ge- 
wesen sein:  ,mit  einem  caupo  d.  h.  mit  dem  Händler  des  begehrtesten 

Schräder.  Reallexikon.  27 


Digitized  by  Google 


4  IM 


Ivnulinaiin. 


Gutes  des«  Nordens,  dem  Wein,  Handelsgeschäfte  treiben'.  Geringere 
Verbreitung,  aber  ganz  verwandte  sprachliche  und  seinasiologisehe  Er- 
scheinungen zeigen  die  Entlehnungen  aus  lat.  mango,  hauptsächlich  der 
.Sklavenkäufer'  (vgl.  Thes.  I,  (576:  mango  ,<JiuuaT6|U7Topos,  u€TotßöXo<; 
njoi  MtranpaTri«;  dvbpairöbuuv')  :  altn.  manga  ,negotiari',  mang  ,merea- 
tura',  mangari  ,mcrcator\  agls.  mangian  ,negotiari  .  mangere  ,incrcator", 
ahd.  mangari,  uihd.  mangiere  .Händler'.  So  spiegeln  sich  in  den  beiden 
Eutlehnungsrcilien  von  caupo  und  mango  gewissennassen  die  beiden 
Grundlagen  des  römisch- barbarischen  Handels  ab.  Man  begehrt  den 
Rausehtrank  und  giebt  dafür  den  Sklaven,  oder  man  begehrt  den 
Sklaven  und  giebt  dafür  den  Rauschtrank:  bibövT€<;  fdp  oivou  Kepduiov 
ävTiXot|ißdvouo*i  Traiba,  toO  TTÖuaios  biäxovov  äueißöuevoi.  wie  es  l)io- 
dorus  V,  20  von  den  italischen  Kaufleuten  in  ihrem  Verkehr  mit  den 
Galliern  berichtet. 

Dass  durch  diesen  Verkehr  der  Germanen  mit  römischen  Kaufleuten 
sieh  schon  in  altgcrmanischcr  Zeit  ein  einheimisches  Gewerbe  vou 
Händlern  herausgebildet  hätte,  ist  wenig  wahrscheinlich,  obwohl  es 
von  W.  Wackernagcl  Gewerbe,  Handel  und  Schiffahrt  der  Germanen 
(Kl.  Schriften  I,  tiö)  als  sicher  angenommen  wird.  Was  Tacitns  Germ. 
Cap.  41  von  dem  Verkehr  der  Hermunduren  in  Augsburg  berichtet: 
SoUx  Germanorum  non  in  ripa  commercium  (ein  Ausdruck,  der  lehrt, 
wie  scheu  im  allgemeinen  der  Verkehr  mit  den  Germanen  noch  war), 
sed  penitux  atque  in  splendidhsima  liaetiae  provinciae  coloniit.  paxsim 
sine  cu*tode  tranxeunt  etc.,  ist  ganz  allgemein  und  braucht  sich  keines- 
wegs, wie  W.  glaubt,  auf  berufsmässige  hennundurische  Händler  zu 
beziehen.  Auch  sonst  ist  von  germanischen  mercatore*  und  negotwtores 
in  dieser  Zeit  nirgends  die  Rede,  und  erst  später  hört  man  von  Handels- 
reisen einzelner,  wie  der  des  Franken  Samo  um  613  zu  den  Wenden. 
Die  westgermanische  Bezeichnung  des  Kaufmanns  ahd.  choufman  (neben 
choufo),  agls.  ciapman  (altn.  kaupmabr)  wird  sich  zunächst  auf  die 
fremden  Händler  bezogen  haben.  Noch  dunkel  ist  die  Sippe  von  ahd. 
phragandri  .Pfrägner,  Händler',  pfragenara  jä-ropavöuoi',  altn.  pranga 
,to  traffic',  prang  ,traffic',  prangari  ,a  trafficker'.  Wahrscheinlicher  ist, 
dass  auf  germanischem  Boden  erst  mit  dem  Aufkommen  grösserer 
Städte  ein  eigener  Handelsstand  sich  ausbildete.  Jetzt  beisst  die 
Stadt,  wie  im  Altnordischen,  direkt  kaupangr,  d.  h.  ,Kanfwiese\  und 
im  Hochdeutschen  werden  kauf  man,  kottfliute  und  fmrg&re,  market 
und  »tat  (koufstat)  identische  Begriffe  (vgl.  Hildebrand  in  Grimms 
W.  V,  Sp.  338,  M.  Heyne  Wohnungswesen  S.  202).  Wichtig  für  die 
spätere  Entwicklung  des  Kaufmannsstandes:  G.  Steinhausen  Der  Kauf- 
mann in  der  deutschen  Vergangenheit  Leipzig  1899. 

Der  bedeutende  Einfluss  aber,  der  für  den  Norden  von  dem  lat. 
caupo  ausging,  setzt  sich  durch  die  Germanen  auch  zu  den  Slaven, 
den  Litauern  und  Preussen.  ja,  zu  den  linnischen  Völkern  fort, 


Digitized  by  Google 


Kaufmann  —  Keller. 


41» 


wie  altsl.  kupfi  ,etuptio',  kupiti  ,kaufcn*  (nicht  wie  hei  den  Deutschen 
auch  , verkaufen'),  kuplja,  kuplcl,  lit.  küpzius  .Kaufmann',  altpr.  kau- 
piskan  .Handel',  finn.  kauppa  ,mereatura\  kaupunki  ,Stadt'  iaus  altn. 
kaupangr,,  kauppias  ,Kaufmann'  u.  s.  w.  zeigen. 

Auffallend  könnte  bei  dieser  sprachlichen  Abhängigkeit  der  Slaven 
vom  germanischen  Handel  (weiteres  darüber  vgl.  hei  Vf.  a.  u.  a.  0.  S.  92) 
sein,  dass  die  Russen  schon  nach  den  ältesten  Berichten,  die  wir  v.»n 
ihnen  haben,  als  äusserst  gewandte  Handelsleute  auftreten.  Der  Araber 
Ihn  Fosslan  (921/922)  schildert  ihre  Handelszuge  die  Wolga  herunter, 
die  sie  unternahmen,  um  mit  den  Wolga-Bulgaren  zu  handeln,  und  aus 
den  griechischen  Quellen  wissen  wir,  dass  zum  Anfang  jedes  Sommers 
grosse  Flotten  russischer  Kauflente  in  Byzanz  ankamen.  Diese  nis- 
sischen G  rosskauf  leute  Iiiessen  go«tl,  eigentlich  ,Gäste',  wahrscheinlich 
weil  ihnen  vertragsmässig  in  der  griechischen  Hauptstadt  Unterhalt  zu 
gewähren  war  (vgl.  Ewers  Ältestes  Recht  S.  180).  Indessen  kann  nicht 
bezweifelt  werden,  dass  diese  Russen  damals  noch  stark  mit  skandi- 
navischen, also  germanischen  Kleineuten  versetzt  waren,  die  nach 
Nestors  Bericht  im  Jahre  802  die  unter  sich  zerfallenen  Slaven  herbei- 
gerufen hatten  i  vgl.  W.  Thomsen  Der  Ursprung  des  russischen  Staates 
S.  12  ff. ...  Die  Handelsuntcrnehmungen  dieser  Russen  stellen  daher  nur 
einen  Austiuss  des  Geistes  der  Wickinger  dar,  die  seit  Jahrhunderten 
den  verwegenen  Seeräuber  und  gierigeu  Handelsmann  in  sieh  vereinigt 
hatten.  In  späterer  Zeit  sind  die  Slaven  dank  ihrer  geographischen, 
Byzanz  und  den  orientalischen  Handelsrouten  benachbarten  Lage  aller- 
dings auch  selbst  geschickte,  dem  deutschen  Handelsmann  sogar  über- 
legene Kauflente  geworden.  —  Vgl.  Vf.  Handclsgeschichte  und  Waren- 
kunde 1,  H8ff.    S.  u.  Handel. 

Kaviar,  s.  Stör. 

Kebsweih,  s.  Beischläferin. 

Keil,  s.  Heer. 

Kelch,  s.  Gefässe. 

Keller.  Die  Kunst,  gemauerte,  unter  den  Häusern  gelegene 
Vorratsräumc  auszubauen,  ging  zusammen  mit  dem  übrigen  St  ein  bau 
(s.  d.)  von  den  Griechen  zu  Römern  und  von  diesen  wieder  in  den 
Norden  Europas  über.  Hiervon  legt  die  Sprache  vielfaches  Zeugnis  ah. 
Aus  giiech.  uttötcuov  ^unterirdisches')  und  ctTToenKn.  (»Aufbewahrungs- 
ort für  Wein  )  stammen  lat.  hypogaeum  ,Kcllerge\völbc'  und  apotheca, 
aus  lat.  celldrium  (:  cella)  sind  ahd.  chelldri,  altndd.  kellen  (vgl.  auch 
alh.  k'itär  und  altsl.  kelarl)  hervorgegangen.  Doch  ist  zu  bemerken, 
dass  das  lateinische  Wort  nur  einen  oberirdischen  Speise-  und  Vorrats- 
raum, nicht  einen  unterirdischen  Bauteil  bezeichnete,  und  dass  dies 
daher  auch  zunächst  die  Bedeutung  des  ahd.  chelldri  gewesen  seiu 
wird,  mit  dem  ausser  lat.  celldrium  (agls.  hord-ern,  hydd-ern  ,Scbatz- 
haus')  auch  lat.  apotheca  (agls.  icinhim)  und  promphtarium  übersetzt 


Digitized  by  Google 


420 


Keller  —  Kermes. 


wird  (vgl.  M.  Heyne  Wohnungswesen  S.  92).  Die  litn-slavischen  Sprache» 
bedienen  sich  für  den  Begriff  des  Kellers  der  Sippe  von  lit.  lletuty 
altsl.  MM,  das  ursprünglich  nur  ein  geflochtenes  (oberirdisches)  Vorrats- 
häuschen bezeichnet  haben  kann.  Weit  verbreitet  im  Slavischen  ist  auch 
pivlnica  ,Keller'  :  piti  .trinken'.  —  S.  u.  Hans,  .Stall  und  Scheune 
(Speicher),  St  ein  bau. 
Kelter,  s.  Wein. 

Keramik,  s.  Gefässe,  Töpferscheibe. 
Kerbel,  s.  Garten,  Gartenbau. 
( ereallen,  s.  Getreidearten. 
Kerker,  s.  Strafe. 

Kermes.  Griechen  und  Römer  kannten  einen  kostbareu  roten 
Farbstoff,  der  nach  ihrer  Meinung  auf  den  Ästen  und  Blättern  einer 
Eichenart  vorkäme.  Schon  Theophrast  (III,  7,  3)  spricht  von  dem 
tpoiviKOÖs  kökko£  der  Ttpivo?,  und  Dioskorides  (IV,  48)  nennt  die 
Kermeseiche  (kökko?  ßa<piKn,)  in  Galatien,  Armenien,  Asien  (Asia  pro- 
consularis),  Cilicicn  und  Spanien.  Unbekannt  aber  war  ihnen,  dass 
dieser  Stoff  nicht  in  das  vegetabilische,  sondern  in  das  animalische 
Keich  gehöre  und  von  einem  Würmchen  stamme,  das  getrocknet  und 
ansgepresst  den  purporartigen  Saft  liefere.  Dies  ist  aus  einem  doppelten 
("»runde  auffallend. 

Einmal  hatte  schon  Ktesias  (Frgm.  21  cd.  C.  Müller)  aus  Indien 
folgende  Nachricht  gegeben:  napd  be  iäq  mitd?  toö  ttotcmou  toütou 

^f/Tl  TT€(pUKÖ?  ÖVÖOq  TTOO<pUpOÖV,    iE  OU  TTOp<pÜpa  ßdlTT€T0tt    OÜb€V  fjTTWV 

Tn<;  'EXXnviKti?  dXXd  Kai  ttoXü  cOav0€O*Wpa  •  öti  auTÖSi  £o*ti  tevöueva 
0r)pio  tö  u€ff6oq  öaov  Kdvdapo?,  ipvbpä  bk  üjfjirep  Kivvdßapr  noba?  b€ 
^X£i  uapKpouq  CKpöbpa.  uaXaKÖv  be  ionv  u>o*irep  o"KwXn£.  Kai  Yiverai 
Taöia  im  tu»v  btvbpuiv  tujv  to  n>6KTpov  <p€pövTuiv  Kai  töv  Kaprcöv 
Kateaeifci  auTiüv  Kai  biaq>8eip€i  uxmcp  toi?  "EXXnaiv  o\  (p6€ip€<;  tö? 
uuit^Xou«;.  touto  ouv  tu.  Br\p\a  TpißovT€q  oi  'Ivboi  ßttTrrouö'i  to?  <poi- 
viKiba?  Kai  toO?  x»TUJva?  Kai  dXXo  öti  öv  ßouXumai  •  Kai  tio"'i  ßeXriu> 
tiüv  Ttapd  TT^ptfaiq  ßaupdiuiv.  So  sehr  nun  auch  Wahres  und  Falsches 
hier  durcheinander  läuft,  und  so  sehr  man  über  die  Pflanze  im  Un- 
gewissen bleibt,  die  jene  Würmer  trägt,  so  wenig  kann  doch  bezweifelt 
werden,  dass  hier  von  einem  indischen  Schar  lach  wurm  klar  und 
deutlich  die  Rede  ist.  Hiermit  dürfte  dann  die  Notiz  des  Flavins 
Vopiscus  aus  dem  Leben  des  Aurelian  (Cap.  29)  zu  verbinden  sein, 
nach  welcher  der  Perserkönig  dem  Kaiser  Purpur  geschickt  habe, 
dessen  Farbenpracht  den  römischen  völlig  in  Schatten  gestellt  habe: 
Jloc  munus  re.r  Persarttm  ab  Indis  interioribun  mmptttm  Aure- 
liane) dedisse  perhibetur.  Die  römischen  Kaiser  hätten  dann,  so  heisst 
es  weiter,  in  Indien  selbst  nach  diesem  Purpur  forschen  lassen,  aber 
vergeblich,  wahrscheinlich  eben,  weil  man  nach  Purpur  und  nicht  nach 
Kermes  Umfrage  hielt. 


Digitized  by  Google 


Kermes  —  Ketto. 


421 


Zweitens  aber  muss  bei  den  orientalischen  Völkern  die  wahre 
Herkunft  des  Kermes  schon  iu  sehr  alter  Zeit  bekannt  gewesen  sein. 
Dies  folgt  unzweifelhaft  aus  der  althebräischen  (vgl.  Exod.  2:"),  4;  20, 
1,  31  etc.)  Bezeichnung  für  das  zur  Kunstwirkerei  verwandte  seharlach- 
farbige  Garn  tölaat  mni,  das  wörtlich  .Wurm  des  Glanzes'  bezeichnet 
(vgl.  weiteres  bei  Riehni  im  Bibellexikon  und  Siegfried-Stade  Wbv. 
Dein  jüngeren  Hebräisch  gehört  der  Ausdruck  karmil  an  (2.  Cliron.  2, 
6  etc.  .  über  dessen  Ursprung  s.  unten.  —  Im  Occident  begegnet 
die  erste  Erwähnung  des  Scharlach wuruis  erst  hei  Isidor.  Orig.  XIX,  2H,  1 : 
kökkov  Graeci,  uns  rubrum  neu  cerniiculnm  dieimus.  est  enim 
renn/culus  er  sihestribus  frondibus.  Dieses  rtnuieuhts,  von  dem 
it.  ceriuitjlio,  frz.  rermeil  etc.,  die  romanischen  Bezeichnungen  der 
Scharlaebfarbe,  abstammen,  entspricht  dem  arabischen  al  qirmiz,  das 
durch  die  Araber  und  den  Levantischen  Handel  eine  grosse  Verbreitung 
in  Europa  erlangte:  span.  alqnermez,  frz.  Kermes,  it.  cremisi,  griech. 
KpiiueZiTiKO?.  alb.  kenne,  russ.  karmazinu  (türk.  kermtz  .Scharlach- 
laus', kr ruuze  .kermesrot'  u.  s.  w.  Vgl.  Miklosich  Türk.  Elem.  S.  90. 
Das  arabische  Wort  steht  natürlich  in  Beziehung  zu  dem  oben  genannten 
hehr,  karmil  npers.  kermiel,  armen,  karmir  ,nuppöc',  .Scharlach'  und 
führt  in  letzter  Instanz  auf  seit,  ki-mi-  ,Wunn'.  Auf  den  Orient  geht 
auch  mlid.  xcharldt,  scharlactn>n,  ndl.  scharlaken  L'mdentung  nach 
mhd.  lachen  ,Tuch\  it.  scarlattn.  mlat.  scarlatum  etc.  zurück.  Vgl. 
npers.  sakirlät  (türk.  iskerleti. 

Neben  dem  im  Bisherigen  behandelten  Cocctis  ilicis  ist  aber  für 
Europa  noch  ein  Coccus  arborum  zu  beachten,  d.  h.  eine  Art  Kermes, 
welche  an  den  Wurzeln  ganz  verschiedener  Pflanzen  (vgl.  Beekmann 
und  Miklosich  a.  u.  a.  O.)  gefunden  und  als  Coccus  l'olonicus  bezeichnet 
wird.  Dieser  wurde  in  Deutschland  schon  im  XII.  Jahrhundert  ge- 
sammelt und  namentlich  von  den  Klöstern  als  Tribut  erhoben.  Be- 
sonders häufig  muss  er  in  den  Slavcnlündern  (daher  C.  l'olonicus)  vor- 
gekommen sein,  wofür  einerseits  das  Durcheinandergehen  der  Wörter 
für  .Wurm'  (altsl.  *cerm-,  criici  =  sert.  krmi-  s.  o.)  und  ,rot'  (cn'i- 
minü.  eigcntl.  .von  Würmern'),  andererseits  die  altslavischcn  Monats- 
namen crüc'tnü  und  erüctei  (Juni  und  Juli),  d.  h.  die  Mouate,  in  denen 
die  Scharlachwürmer  gesammelt  werden,  eine  lebendige  Illustration 
bieten.  Sowohl  der  Coccus  ilicis  wie  der  C.  arborum  sind  dann  in 
neuer  Zeit  durch  die  echte  Cochenille,  den  amerikanischen  Coccus 
cacti,  zurückgedrängt  worden.  —  Vgl.  Beckmann  Beiträge  III,  1.  1  ff . 
und  .Miklosich  Die  slavischen  Monatsnamen  (Denkschriften  d.  kais.  Ak. 
<I.  W.  phil.-hist.  Kl.  XVI,  7;  dazu  Et.  W.  S.  M}.  S.  u.  Farbstoffe. 
Kerze,  s.  Licht. 
Kessel,  s.  Ge fasse. 

Kette.   Die  charakteristischen  Pormen  der  Kette  treten  während 
der  Bronzezeit  (z.  B.  iu  dem  der  reinen  Bronzezeit  angehörten  Pfahl- 


Digitized  by  Google 


422 


Kette  —  Keule. 


hau  von  Wollishofen  bei  Zürich)  an  mannigfachem  Schmuck  hervor, 
und  sind  zu  praktischen  Zwecken  zuerst  an  bronzenen  Kettenzügeln 
und  eisernen  Kettenpanzern  nachweisbar,  beides  wohl  verhältnismässig 
späte  Erscheinungen,  die  bereits  auf  die  gallische  Kultur  der  La 
Tene-Periodc  oder  auch  schon  auf  römische  Einflüsse  hinweisen  (vgl. 
Fndsct  Das  erste  Auftreten  des  Eisens  Hamburg  1892  pnssim).  Von 
Italien  aus  ist  auch  das  lat.  catena,  hauptsächlich  ,die  schwere  eiserne 
Kette'  in  einen  Teil  des  nördlichen  Europa  übergegangen:  ahd.  ketlna, 
thetlnna  aus  vulgärem  cadtna.  nmdl.  ketene  und  kymr.  cadtryn  ans 
lat.  catena  (vgl.  auch  alts.  cosp,  agls.  cosp  .Fessel'  aus  lat.  cuspis, 
byzant.  koucttto«;  .Fesselblock'). 

Einheimische,  aber  ineist  dunkle  und  unter  einander  nicht  zusammen- 
hängende Bezeichnungen  der  Kette  in  den  europäischen  Sprachen  sind 
neben  lat.  catena  :  griech.  ctXuffi^  ''zuerst  Herodot  IX,  74:  ex  toö 
ZuKJTtipoq  toö  GuupnKO?  tepöpee  xaXKtn,  äXucn  bebeutvriv  äfKupav  cfibr|- 
p€r|v;  natürlich  aber  würde  man  auch  schon  unter  den  homerischen 
beauoi  äppmcxoi,  <5XuTOi,  mit  denen  Hephaestus  die  Liebenden  Od.  VI  II, 
27f>  fesselt,  sich  eherne  Ketten  vorstellen  könnem,  ir.  slabrad  F.  vgl. 
Zeuss  Gr.  Cclt.*  S.  8f>t>),  gemeinsl.  altsl.  lanlcugü  (lit.  le.nchhjas,.  In 
der  Urzeit  wird  man  sich  zur  Fesselung  der  Zweige  und  Stricke  (s.  d.) 
bedient  haben.  Eine  sehr  alte  Bezeichnung  hierfür  liegt  in  griech.  Trebn., 
lat.  pedica,  agls.  /Wer.  altn.  f'jöturr.  ahd.  fezzera  vor,  sämtlich  :  *ped- 
.Fuss'  gehörig,  eigentlich  also  .Fussfcssel'.  Ulfilas  kann  ein  eigentliches 
Wort  für  den  Begriff  der  metallenen  Kette  noch  nicht  gehabt  haben. 
Er  übersetzt  das  griech.  äXuffiq  mit  eisarnabandi  , Eisenbande',  naudi- 
bundi  jXotbande'  und  kuna-icida  (agls.  cyneicfoüe,  ahd.  khunauithi, 
cuoniotridi),  letzteres  vielleicht  ,Kniefcsser  (knna-  :  kniu  .Knie  .  ga- 
teidan  ,binden  )  bedeutend.  —  Im  Orient  sind  eiserne  Ketten  zuerst  in 
dem  berühmten  Eisenfund  von  Khorsabad  nachweisbar  <vgl.  Beck  Das 
Eisen  I,  VMS). 

Keule.  Aus  Eichenholz  hergestellte  Keulen  sind  in  mehreren 
Exemplaren  in  den  Pfahlbauten  von  Wangen,  Hohenhausen  und  Meilen 
gefunden  worden  (vgl.  Keller  Pfahlbantenberiehte  I,  7tf,  II,  14(i,  V,  1 
Ferner  finden  sich  hier  wie  namentlich  im  skandinavischen  Norden 
(vgl.  S.  Müller  Nordische  A.-K.  1,  1-14}  nicht  selten  Steinkugeln  und 
Steinscheiben  mit  Sticllocb  oder  mit  einer  Rülle  zur  Schaltung  ver- 
sehen, die  von  den  Urgeschiehtsforschern  wohl  mit  Recht  als  Aufsätze 
zu  keulenartigen  Waffen  aufgefasst  werden.  Auch  bei  den  idg.  Völkern 
ist  die  Keule  eine  bis  an  die  Schwelle  der  Überlieferung  fortgeführte 
Waffe.  Wie  bei  den  Indem  Indra,  bei  den  Irauieru  Mithra,  so  wird 
auch  der  griechische  Xationalheros  Herakles,  und  werden  andere  Heroen 
der  Vorzeit  mit  ihr  ausgestattet.  Ferner  führen  sie  die  (germanischen Y) 
Hilfsvölker  auf  der  Säule  des  Trojan,  und  bei  den  Litauern  Tac. 
Germ.  4ö:  Ranis  fern,  frequens  fustinm  usus)  war  sie  zur  Zeit  des 


Digitized  by  Google 


Keule  —  Keuschheit. 


423 


Tacitus  noch  eine  ganz  gewöhnliche  Waffe  (vgl.  dazu  Z.  f.  Ethnologie 
XVIII,  Verhandl.  S.  382  über  den  Fund  einer  altprenssischen  Keule 
von  Bothau  K.  Rüssel). 

Eine  idg.  Gleichung  für  diese  nach  dem  obigen  ohne  Zweifel  uralte 
Waffe  konnte  aber  bis  jetzt  nicht  ermittelt  werden.  Arisch  ist  sert. 
tdjra-  =  aw.  razra-,  griech.  pönaXov  (:  pam^  .Rute)  und  Kopüvn.  (:  Kpdvov 
,Hartriegcl'),  lat.  cläca  (:  lat.  clädes,  percellere,  lit.  kdlti  schlagen  ), 
ahd.  kolbo,  altn.  kölfr,  kylfa  (:  lat.  globus  .Kugel',  .Klumpen' V  i,  lit. 
yrundhO.s  c  altpr.  grandko  , Bohle',  lit.  grindig,  altsl.  grrdü  ,Balken) 
n.  s.  w.  —  S.  n.  Waffen. 

Keuschheit.  Zweifellos  haben  in  den  alteren  Epochen  der  idg. 
Völker  wesentlich  andere  Anschauungen  über  den  geschlechtlichen  Ver- 
kehr von  Mann  und  Weib  als  heutzutage  geherrscht.  Am  unzwei- 
deutigsten tritt  dies  in  dem  von  allen  älteren  Rechten  dem  Eliemaune 
eingeräumten,  unbehinderten  Geschlechtsverkehr  mit  anderen  Frauen, 
60\veit  er  dabei  nicht  in  einen  fremden  Bezirk  einbricht,  hervor.  Um- 
gekehrt wird  das  fleischliche  Vergehen  der  Ehefrau  seit  Urzeiten  mit 
den  strengsten  Strafen  (s.  u.  Ehebruch)  geahndet.  Dies  gilt  bei  den  Ger- 
manen auch  hinsichtlich  des  Verlobungsverhältnisses,  bei  dem  strenge 
Bestimmungen  gegen  die  Untreue  der  Braut,  aber  keine  gegen  die  des 
Bräutigams  erlassen  werden  (vgl.  Boeder  Familie  der  Angelsachsen, 
Stud.  z.  engl.  Phil.  IV,  38).  Es  inuss  daher  eine  Zeit  gegeben  haben, 
in  welcher  die  Forderung  der  Keuschheit  innerhalb  der  Ehe  (oder  Ver- 
lobung) nur  hinsichtlich  der  Ehefrau  erhoben  wurde.  Auch  hierbei 
aber  zeigt  das  eigentümliche  Institut  des  Zeugungshcl  fers  is.  d.  , 
nach  welchem  der  eigentliche  Ehemann  im  Falle  seines  Unvermögens 
einen  kräftigeren  Genossen  an  seine  Stelle  setzen  konnte,  oder  zeigt 
die  bei  den  Nordgermanen  noch  nachweisbare  Sitte  (s.  u.  Gastfreund- 
schaft), dem  geehrten  Gaste  Beilager  mit  dem  eignen  Weibe  zu  ge- 
statten, dass  nicht  sowohl  der  aussereheliche  Umgang  der  Frau  an 
sich,  als  vielmehr  nur  der  ohne  Wissen  und  Willen  des  Ehemanns 
geschehende  verpönt  war. 

Je  höher  wir  in  das  Altertum  hinaufsteigen,  umso  unverhüllter  tritt 
der  Gedanke,  dass  die  Ehe  lediglich  dazu  da  sei,  um  Kinder,  d.  h. 
Söhne  zu  erzeugen,  hervor.  Die  Ehe  wird  Uberorum  quaerendorum 
cattga  geschlossen,  wie  es  auch  ein  agls.  Spruch  iRoeder  S.  84  i  her- 
vorhebt: „(An  Zahl)  zwei  sind  die  Ehegatten  :  es  sollen  Weib  und 
Mann  Kinder  in  die  Welt  setzen  durch  Geburt".  Dabei  werden  Ge- 
bräuche überliefert,  die  wir  vom  heutigen  Standpunkt  als  unkeusch 
bezeichnen  würden,  und  die  zeigen,  welche  ungeheuren  Umwälzungen  in 
unseren  sexuellen  Anschauungen  eingetreten  sind.  Im  alten  Rom  wurde 
die  Braut  auf  das  gewaltige  Glied  eines  Priapus  gesetzt,  und  in 
Griechenland  wie  in  Italien  bildete  von  den  grauesten  bis  in  die 
christlichen  Zeiten  das  öffentliche  Herumtragen  des  aufgerichteten  Gliedes, 


Digitized  by  Google 


42i 


Keuschheit. 


des  (pdXXos  (vgl.  ir.  6a?/  ,membrum'),  bei  Hochzeiten,  Weinfesten  und 
dergleichen  einen  gewöhnlichen,  von  der  Absingnng  obscoener  Lieder 
begleiteten  Teil  der  Feierlichkeiten  (vgl.  d.  Artikel  Phallus  in  Paulys 
Realeneyklopädie).  Die  litauische  Jugend  opferte,  wenn  sie  dem 
Bräutigam  die  Braut  zuführte,  dem  l*izius,  d.  h.  dem  Phallus  (lit.  pisti 
,coire  cum  femina',  griech.  ttco?  .membrnm  virile').  Aber  auch  von  den 
Germanen  berichtet  Adam  von  Bremen:  Tertius  est  Fricco,  pacem 
voluptatemque  largiens  mortalibus,  cuius  etiam  simulacrum  fingunt 
ingenti  priapo;  si  nuptiae  celehrandae  sunt ,  [sacrificia 
offerunt)  Fricconi  'vgl.  J.  (trimm  Deutsche  Mythologie  I3,  193, 
II,  12U0  und  weiteres  bei  Vigfusson  Corp.  Poet.  Bor.  II,  381  f.). 

Wenn  nach  dein  obigen  an  die  Keuschheit  des  Mannes  während 
der  Ehe  keine  Anforderungen  gestellt  wurden,  so  wird  dies  in  noch 
geringerem  Masse  hinsichtlich  der  Zeit  v  o  r  der  Ehe  der  Fall  gewesen 
sein.  Was  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  21  in  dieser  Hinsicht  von  den 
(iermauen  belichtet  (gut  diutisshne  impttheres  permanserunt ,  maxi- 
mam  int  er  sitos  ferunt  landein),  hat  seinen  Grund  nicht  in  irgend 
welchen  Vorstellungen  von  der  Unsittlichkeit  vorchlichen  Geschlechts- 
umgangs, sondern  in  ganz  anderen  Erwägungen  (hoc  ali  staturam,  ali 
vires  nerrosque  confirmari  pntant).  Die  Hauptfrage  ist  daher,  wie  es 
in  alten  Zeiten  mit  der  Keuschheit  der  Jungfrauen  vor  der  Ehe 
bestellt  war.  Wer  die  Kapitel  18  — l'Ü  der  Germania  des  Tacitus  in 
Betracht  zieht  und  die  in  ihnen  enthaltene  Verherrlichung  altger- 
tnanischer  Keuschheit  zusammenhält  mit  den  strengen  Befugnissen, 
welche  die  altgermanischcn  Rechte  (vgl.  Wilda  Strafrecht  S.  809  ff.) 
dem  Vater,  Mnndwalt  oder  den  Blutsfrcunden  gegen  den  Beiliegcr  der 
Tochter  u.  s.  w.  sowie  gegen  das  Mildchen  selbst  einräumen,  wird, 
obgleich  Tacitus  an  der  angegebenen  Stelle  strenggenommen  nur  die 
Reinheit  der  Ehe  hervorhebt  und  die  Prostitution  ipuhlicata  pudi- 
eitia)  als  ungennanisch  bezeichnet,  leicht  zu  der  Überzeugung  gelangen, 
dass  voreheliche  Enthaltsamkeit  des  Weibes  eine  unausweichliche  For- 
derung des  altgermanischcn  Volksbcwnsstseins  war.  Nun  haben  aber 
die  Kulturforscher  schon  längst  die  Aufmerksamkeit  auf  die  in  weiten 
Teilen  Deutschlands  und  anderer  Länder  Europas  fest  eingewurzelte 
Sitte  der  Kiltgänge  und  Probenächte  (vgl.  F.  C.  J.  Fischer  Die 
Probenächte  «1er  deutschen  Bauernmädehen)  hingelenkt,  in  denen  den 
Burschen  die  Kenntnis,  Prüfung  und  der  Genuss  der  Reize  ihrer 
Mädchen  gestattet  wird,  und  auf  welche  die  Ehe  erst  dann  zu  folgen 
pflegt,  wenn  die  Schwangerschaft  derselben  offenbar  ist.  Hierzu  kommt, 
dass  die  in  neuester  Zeit  Uber  „die  geschlechtlich-sittlichen  Verhältnisse 
der  evangelischen  Landbewohner  im  deutschen  Reiche"  angestellte  Um- 
frage (vgl.  die  unter  diesem  Titel  erschienenen  Publikationen  des  Pastors 
0.  Wagner  B.  I  und  II  Leipzig  180")  und  96)  zu  dem  überraschenden 
Ergebnis  geführt  hat,  dass,  während  die  ehelichen  Zustände 


Digitized  by  Google 


Keuschheit. 


4-25 


auf  dem  Lande  gute  siud,  die  Mehrzahl  der  Mädchen  defloriert  in 
die  Ehe  eintritt,  und  andere  Beobachtungen  (vgl.  L.  v.  Schroeder 
Die  Hocbzeitsbräuche  der  Esten  u.  8.  w.  S.  196  ff.)  zeigen,  dass  dasselbe 
zweifellos  auch  von  dem  katholischen  Deutschland  und  überhaupt  in 
weiten  Teilen  Europas  gilt.  Wollte  man  die  nach  den  obigen  Er- 
hebungen bei  unserer  Landbevölkerung  herrschenden  geschlechtlichen 
Verhältnisse  in  griechischer  Sprache  wiedergeben,  so  könnte  man  sich 
einfach  der  Worte  des  Herodot  bedienen,  die  dieser  auf  die  den  Ger- 
manen kulturgeschichtlich  so  nahe  stehenden  Thraker  anwendet:  tü^ 
b€  irctpöevous  oü  <puXdto*o"ouo"t,  äXX'  £üjo"i  toTo*i  auim  ßouXovTat  ävbpaai  uiö- 
f€0"Bai .  Tot?  b£  fuvaiKa?  iöxupii?  <puXäo"o"ouo"i  (V,  6).  Es  wird  dem  Kultur- 
forscher  schwer  fallen,  in  diesen  bei  unserem  so  zäh  am  alten  hängen- 
den Landvolk  herrschenden  Gebräuchen  einfach  ein  Zurücksinken 
von  der  Stufe  altger  manisch  er  Keuschheit  zu  erblicken,  umso 
schwerer,  als  einerseits  bei  den  Schilderungen  der  Germania,  wo 
nicht  konkrete  Thatsachcn  berichtet  werden,  tiberall  mit  dem  Ideali- 
sierungsstreben des  Schriftstellers  und  seiner  Zeit  gerechnet  werden 
inuss  'vgl.  A.  Kiese  Die  Idealisierung  der  Naturvölker  des  Nordens  in 
der  grieeh.  und  röm.  Lit.  Progr.  Frankfurt  a.  M.  1870),  und  anderer- 
seits schon  frühe  historische  Nachrichten  ebenso  wie  die  ältesten  Buss- 
ordnungen  der  christlichen  Kirche  keineswegs  mehr  ein  dem  Taciteischen 
gleiches  Hild  sittlicher  Reinheit  des  Volkslebens  unserer  Vorfahren  ent- 
hüllen vgl.  F.  Roeder  a.  a.  O.  S.  14(>ff...  Richtete  sich  vielleicht 
die  Strenge  der  germanischen  Gesetzgebung,  entsprechend  den  die 
Reinheit  der  Ehe  betreffenden  Anschauungen  ('s.  o.\  ursprünglich  nur 
gegen  den  ausscrehclichen  Heischlaf,  welcher  ohne  Wissen  und 
Willen  des  Gewalthabers  eines  Mädchens  vollzogen  ward,  und  geschah 
er  vielleicht  in  i  t  Wissen  und  Willen  desselben,  wenn  es  sich  um  ernst- 
hafte Werbung  eines  Jünglings  handelte?  Thatsächlich  scheint  die 
Einrichtung  der  Proheuächtc  ein  naheliegendes  und  wirksames  Mittel 
zu  sein,  um  eine  Garantie  für  die  Erfüllung  des  heissen  Wunsches 
früher  Zeiten  nach  Nachkommenschaft  zu  bieten.  So  wäre  in  den 
heutigen  Zuständen  ein  menschlich  berechtigter  Kern  anzuerkennen, 
der  nach  Schwächung  der  alten  Familieuautorität  zu  mancherlei  Ver- 
wilderung führen  konnte.  Doch  darf  nicht  verschwiegen  werden,  dass 
wenigstens  einige  germanischen  Rechte  auch  eine  Heilagerbusse  des 
Bräutigams  keimen,  wenn  er  früher  das  Beilager  vollzog. 

Aus  anderen  Teilen  des  idg.  Völkergebiets  wäre  wiederum  von 
Bräuchen  wie  der  in  das  Hochzeitszeremoniell  aufgenommenen  Be- 
sichtigung des  blutbefleckten  Hemdes  der  Braut  nach  der  Brautnacht 
und  von  anderem  zu  berichten,  das  auf  eine  unzweideutige  Wert- 
schätzung der  Jungfernschaft  hinweist.  Thatsächlich  wird  bei  den 
Völkern  höherer  Kulturstufe,  z.  B.  bei  den  Indern  (vgl.  Leist  Altar. 
Jus  gentium  S.  Hb"7)  oder  bei  den  Römern  (vgl.  Festus  ed.  Müller 


Digitized  by  Google 


426 


Keuschheit. 


S.  *7:  Aqua  atpergebatur  novo,  nttpta,  ske  ut  casta  puraque  ad 
rirum  ceniret,  sire  .  .  .  .)  früh  und  unzweideutig  die  Forderung, 
dass  die  Jungfrau  rein  in  die  Ehe  komme,  erhoben. 

Es  stimmt  zu  den  bisherigen  Ausführungen,  dass  die  sprachliche 
Ausbildung  des  Begriffes  , keusch',  ,Keuschheii'  erst  in  den  Einzel- 
sprachen und  auch  hier  erst  spät  erfolgt  ist.  Die  wichtigsten  Aus- 
drücke für  denselben  sind:  griech.  üyvö?  (:  crrioq  , heilig',  ctfrmai  —  sert. 
yaj  ,schcue,  verehre',  ürviZw  ,dureh  Sühnopfer  reinigen',  ätvcüuj  .rein 
sein',  , reinigen'  etc.  i,  lat.  castus  (etymologisch  noch  unklar,  von  den 
einen  :  griech.  KaSapöq  ,rein",  von  den  anderen  :  seit,  qishta-  von  qä# 
jZÜchtigen  verweisen'  gestellt;  vgl.  contum  ,die  heilige  Festzeit  einer 
Gottheit,  während  welcher  mannigfache  Enthaltsamkeit  geboten  war  , 
casta  mola  ,genus  sacriticii,  quod  Vestales  virgincs  faeiebant',  beides 
bei  Festus,  castimönla  ,die  körperliche  Reinheit,  wie  sie  zu  religiösen 
Handlungen  erforderlich  ist,  die  Enthaltung  von  sinnlichen  Genüssen', 
castimönhtm  ,das  Fasten'  etc.),  got.  siciknx  etymologisch  unklar,  über- 
setzt ausser  griech.  örrvöq,  noch  00*105  ,durch  göttliches  Recht  bestimmt' 
und  riöiDoc-  ,straflos',  unsträflich';  der  letzteren  Bedeutung  kommt  das 
entsprechende  altn.  sykn  am  nächsten),  agls.  clänlie.  dwnnyxse  (eigentl. 
,rein',  , Reinheit),  ahd.  chüski  Grundbedeutung:  ,rein  nach  Kluge 
Et.  \X.").  überblickt  man  die  vorstellenden  Bedentnugsentwicklungen, 
so  erhält  man  den  Eindruck,  dass  die  Konzeption  des  Begriffes  , keusch' 
vornehmlich  in  das  sakrale  Gebiet  hinüberführt.  Es  ziemt  sich,  zu 
bestimmten  Zeiten  aus  religiösen  Gründen,  um  den  Göttern  rein  zu 
nahen  >s.  u.  Reinheit  und  Unreinheit),  sich  des  Beischlafs  zu  ent- 
halten. So  entstehen  schon  in  heidnischer  Zeit  Sekten,  die  sich  ganz 
und  gar  des  Umgangs  mit  Weibern  enthalten  und  darum  für  heilig 
gelten,  wie  dies  nach  Posidonius  (bei  Strabo  VI,  p.  2%)  bei  den 
thrakischen  kiüttcu  der  Fall  war.  Besonders  merkwürdig  ist  diese 
Forderung  der  Enthaltsamkeit,  wenn  sie,  wie  dies  bei  Indern  und 
Deutschen  der  Fall  ist  <s.  n.  Heirati,  für  die  Zeit  unmittelbar  nach 
der  Hochzeit  erhoben  wird.  Oldenberg  Die  Religion  des  Vcda  S.  271 
erblickt  den  Sinn  dieser  Sitte  in  der  Furcht  vor  Geistern,  die  beim 
Beilagcr  in  das  Weib  mit  hineiuschlüpfen  könnten  (s.  auch  u.  Fasten/, 
und  noch  heute  soll  man  im  Allgäu  (vgl.  L.  v.  Schröder  a.  a.  0.  S.  1 1*3) 
durch  diese  Enthaltsamkeit  hoffen  dem  Teufel  zu  verwehren,  dass  er 
der  Ehe  etwas  anhaben  könne.  Die  christliche  Kirche  hat  sich  mit 
Vorliebe  dieser  demnach  schon  im  Heidentum  vorhandenen  Enthaltsam- 
keitsvorschriften bemächtigt,  und  nach  einer  möglichsten  Einschränkung 
des  ehelichen  wie  ausserehelichen  Geschlechtsverkehrs  in  den  bekehrten 
Ländern  (vgl.  Roeder  a.  a.  0.  S.  130 ff.)  gestrebt.  In  diesen  den  Ge- 
bieten des  Glaubens  und  Aberglaubens  angehörenden  Verhältnissen 
mag  also  «1er  Gedanke  der  Keuschheit  zunächst  wurzeln.    Über  das 


Digitized  by  Google 


Keuschheit  —  Kind. 


227 


späte  Hervortreten  von  Wörtern  für  ,Jnngfrau'  und  ,Jungfraunsehaft* 
8.  u.  Frau  und  Kind.    S.  ferner  u.  Junggeselle. 

Chirurgie,  s.  Arzt. 

Kibltz,  s.  Sumpfvögel. 

K icher,  s.  Erbse. 

Kiefer,  s.  Fichte. 

Kind.  Für  die  Zusammenfassung  der  Begriffe  Sohn  (s.  d.) 
und  Tochter  <s.  d.),  bezllgl.  Knal>e  und  Mädchen  bestehen  folgende 
Gleichungen:  griech.  ukvov  ,Kind'  =  altn.  prgn,  ahd.  degan  »Knabe'  : 
TtKTui  ,gebäre',  got.  barn  =  lett.  bernx  ,Kind',  lit.  Mrnas  ,i  jungen  Knecht' 
:  got.  ha  Iran,  got.  fraats  ,Kind'  =  lat.  pröletf  aus  *prozdett  .Nachkommen- 
schaft' (unsicher)  und  ahd.  kind  (woraus  altsl.  cerfo)  =  urkelt.  *gintia 
in  Eigennamen  wie  akymr.  Bled-gint  ,Wolfskind'  :  lat.  gigno,  seit- 
jan  ,erzcugc',  womit  auch  sert.  jatä-  ,Sohn'  und  prajä  ,progenies'  zu 
verbinden  sind.  Unser  rKindu  entspricht  also  lautlich  genau  dem  lat. 
gern,  gentis  ,Stamm',  so  dass  seine  ursprüngliche  Bedeutung  ,Zcugung', 
,Stanim',  dann  ,zum  Stamme  gehöriges'  ist.  Der  gleiche  Ursprung 
ist  für  lat.  liberi  , Kinder'  (s.  u.  Stände)  anzunehmen.  S.  auch  u. 
Ehelich  und  u  n  e  Ii  e  1  i  c  h.  Ob  zu  der  Wurzel  gen,  gn  auch  die 
deutschen  kn-echt,  nrspr.  .Knabe',  kn-abe,  kn-appe  gehören,  mnss  bei 
der  Unklarheit  ihrer  Wortbildung  dahingestellt  bleiben.  Auf  Wurzelver- 
wandtschart mit  lat.  plius  (S.  u.  Solin)  beruhen  altsl.  detl  Collect. 
,Kinder'  (eigentlich  wohl  .Säugung'  W.  dh>'\,  di>teK  ,Kind',  fcca  Jung- 
frau' (s.  n.).  Lit.  icaikaa  , Knabe',  Plur.  , Kinder'.  Eine  interessnnte 
Bemerkung  zu  diesem  im  übrigen  dunklen  Wort  macht  Leskien  bei 
Delbrück  Verwandtschaftsnanien  S.  X)\x:  „Fragt  man  einen  Litauer, 
der  drei  Söhne  und  zwei  Töchter  hat,  wie  viel  Kinder  (tcaikiis)  hast 
Du,  so  wird  er  in  der  Kegel  antworten  turiii  tris  icaiknn,  die  Töchter 
ignorierend".  Es  wird  also  nur  die  Zahl  der  Söhne  beachtet.  Ir. 
nöidiu  ,Kind'  und  anderes  dunkle  vgl.  bei  Delbrück  a.  a.  0. 

Die  beiden  Reihen  für  Knabe  :  lat.  puer  und  got.  magna  nebst 
ihren  Sippen  s.  u.  Sohn.  Was  die  Bezeichnungen  für  .Mädchen 
anbetrifft,  so  verdienen  unter  ihnen  im  Zusammenhang  mit  dem  u. 
Keuschheit  angestellten  Betrachtungen  diejenigen  hervorgehoben  zu 
werden,  welche  das  Mädchen  als  Jungfrau  oder  Jungfer  (also  mit 
Betonung  ihrer  geschlechtlichen  Unbcrührtheit)  bezeichnen.  Einen  vor- 
historischen Ausdruck  hierfür  könnte  man  in  der  Gleichung  griech. 
TTapGevoq  --=  |at.  rirgo  i*uherg?t6n-  nach  Prell witz  Et.  W.)  anerkeunen, 
wenn  dieselbe  sicher  wäre,  und  man  überzeugt  sein  dürfte,  dags  die 
Vorstellung  der  Jungfernschaft  schon  an  dem  idg.  Prototyp  dieser 
Wörter  gehaftet  habe.  Die  Wurzelerklärung  derselben  weist  aber  nicht 
hierauf  hin;  denn  Prell  witz  deutet  napö^vo^  als  die  ,schwcllendc\ 
,spriessende',  , Drüsen  bekommende'.  Über  agls.  f&mne  etc.  und  altsl. 
dera  »Jungfrau*  UleiMto  .Jungfernschaft  )  s.  n.  Frau.    Auch  diese 


Digitized  by  Google 


Kind  —  Kinderreichtum. 


Wörter  benennen  die  Jungfrau  lediglich  nach  geschlechtlichen  Funk- 
tionen (.Milch  habend',  .säugend'  etc.)  ohne  irgend  welche  Hervorhebung 
geschlechtlicher  Reinheit.  Älter  als  inhd.  junefrouwe  ist  im  Germa- 
nischen got.  magaps,  ahd.  magad,  ursprünglich,  als  Femininableitung 
von  magus  , Knabe'  (  Vgl.  lat.  puella  :  ptter),  jedes  Mädchen  bezeichnend. 
Von  lit.  merga  .Mädchen'  (mergyste  Jungfernschaft')  lässt  sich  nur 
sagen,  dass  es  Beziehungen  zu  kelt.  *merkü  (aus  *merg-akä^),  kyinr. 
mvreh  .Tochter,  Mädchen'  zu  haben  scheint.  In  alle  diese  Wörter  ist 
also  die  Betonung  der  Virginität  erst  sekundär  hineingetragen  worden. 
Anderer  Art  ist  ir.  tiage  ,verginity'  von  ög,  üagf  das  adjektivisch  ,uu- 
versehrt,  heil',  substantivisch  .Jüngling,  Jungfrau'  bezeichnet.  —  Ein 
idg.  Wort  für  Zwilling  steckt  in  ir.  emuin  =  sert.  yamä-  (vgl.  lett. 
jumis  ,Doppclfrucht').  Sonst  gelten  hierfür  Ableitungen  von  dem  Zahl- 
wort zwei  (gricch.  bibunoi,  ahd.  ztcinal,  zwiniling,  lit.  dwynas).  Das 
Slaviscbe  verwendet  Bildungen  von  blizü  »nahe  :  altsl.  bliznid  .Zwil- 
ling .    Lat.  gemini  ist  dunkel. 

Kiiideruussetzuiig,  s.  Aussetzungsrecht. 

Kindererzieliuui;,  s.  Erziehung. 

Kiiiderltorhzeit,  s.  Heirat  sah  er. 

Kiiiderreichtuiii.  Auf  idg.  Boden  herrscht  überall  die  Anschauung, 
dass  der  Besitz  zahlreicher  Kinder  ein  heiss  zu  erflehendes  Glück  sei. 
..Zelm  Knaben,  o  Indra.  leg  in  sie  (das  Weib)  hinein  ',  so  und  ähnlich 
bitten  immer  aufs  neue  die  Lieder  des  Rigvcda  (vgl.  Zimmer  Alt- 
indisches  Leben  S.  :!18f.,  Kaegi  Der  Rigvcda,  s.  d.  Index  v.  Kinder- 
segen i.  Nächst  der  Tapferkeit  gilt  bei  den  Persern  Reichtum  an 
Kindern  als  vornehmste  Tugend  (llerod.  I,  13G:  tüj  b€  lovq  TrXtuxrouq 

CtTTOb€lKVÜVTl    bÜÜpa    tKTTtUTTCl    6   ßttO*lXcU^    UVOt  TTCtV    €T0£.    TO  TTOXXÖV  b' 

Tyr€üTai  iaxupöv  civai).  Als  Glücklichsten  preist  Solon  vor  Kroisos 
(Herod.  I,  30)  den  Athener  Tellos;  denn  Te'XXw  Tfjq  ttöXio?  eu  nKOÜans 
Traib€?  naav  KaXoi  T€  k'  rirraOol,  Kai  ffqn  elb€  6bra(Ji  T€Kva  eK^evoucva 
Kai  Trdvia  Tiapauc i vavxa ,  und  von  den  Germanen  gilt  das  Wort  des 
Tacitus  (Germ.  Cap.  L'O/:  Quanto  plus  propinquontm,  quo  tnaior  afji- 
nium  numerus,  tanto  gratiosior  seneettix,  nec  ulht  orbitatis  pretia. 
Im  Gegensatz  zu  zahlreichen  Naturvölkern,  welche  durch  ausschweifen- 
den Gebrauch  der  Fruchtabtreibung  (s.  u.  Abtreibung  der  Leibes- 
frucht sieh  ihr  eigenes  Grab  graben,  haben  wir  in  den  Indoger- 
manen  ein  zeugtings-  und  kinderfrobes  und  darum  zukunftsreiches 
Geschlecht  vor  uns.  Doch  ist  hervorzuheben,  dass  diese  Wertschätzung 
des  Kindersegens  sich,  wie  auch  aus  den  obigen  Stellen  hervorgeht, 
in  der  ältesten  Zeit  lediglich  auf  den  Besitz  von  Söhnen  bezieht, 
die  den  Ahnenkultus  (s.  d.)  darbringen,  das  Geschlecht  fortführen 
und  tüchtige  Arbeiter  in  der  Wirtschaft  sind.  Nur  Söhne  werden  daher 
durch  den  Rechtsakt  der  Adoption  (s.  d.)  angenommen.  Mädchen 
haben  nur  als  Tauschobjekt  für  den  Vater  (s.  u.  Brautkauf,  Fa- 


Digitized  by  Google 


Kinderreichtum  —  Kirschbaum. 


milie)  Wert.  Sie  werden  gering  geachtet,  und  oft  wird  gerade  gegen 
sie  der  Vater  von  seinem  Aussetzungsreeht  (s.  d.)  Gebrauch  ge- 
macht haben. 

Kindertracht,  s.  Kleidung. 

Kirschbaum.  Itunu«  Avium  /,.,  die  Süsskirsche,  wird  von 
den  Botanikern  für  einheimisch  in  Europa  gehalten.  .Steinkerne  der- 
selben sind  iu  den  Pfahlbauten  von  Robenhansen  und  in  anderen  neu- 
lithischen  Stationen  der  Schweiz,  Ostreichs  und  Italiens  gefunden 
worden.  Die  Anfänge  ihrer  Kultur  aber  lassen  sich  erst  spät  im 
Bereich  des  Mittelmeers  nachweisen.  Zuerst  werden  die  Kepdtfia  in  den 
Schriften  des  Diphilns  von  Siphnus  Athen.  II,  p.  51)  genannt,  eines 
Zeitgenossen  des  Theophrast,  der  ebenfalls  den  K€'pao*o<;  erwähnt,  wenn 
es  auch  zweifelhaft  ist,  ob  er  schon  den  Kirschbaum  damit  meint. 
Diese  xepdaia  stellen  wahrscheinlich  eine  auf  klcinasiatischem  Hoden 
veredelte  Form  der  Süsskirsche  dar.  Ihre  Bezeichnung  Kepaüoq,  xepd- 
cjiov  aber  (woher  Kepaaoö?  am  Pontus  ,die  kirschreiche'/  wird  ein  eben- 
daselbst geltender,  griechischer,  ans  demselben  Stamme  wie  gricch. 
Kpdveia,  lat.  cortittM  ,Kornelkirschhaum'  erwachsener  Xame  eben  der 
Prunus  avium  gewesen  sein,  die  dein  Kornclkirschbaum  Hartriegel) 
nahe  verwandt  ist.  Aach  altpr.  kirno  .Strauch',  lit.  kirim  .Strauch- 
band', russ.  cerenok  ,Pfropfreis'  und  der  altlitauische  Göttcrnaiue 
Kirnhs  sind  hierher  zu  stellen,  von  welchem  letzteren  es  bei  Lasicius 
De  diis  Samagitarum  S.  47  heisst:  Cerasos  arcis  alicuiits  secundum 
lacum  sitae  curat,  in  quas,  placandi  eius  causa,  gallos  mactat  os  ini- 
ciunt  caereosque  accensos  in  eis  figunt  (vgl.  Auiülas  ,Gott  der  Eiche  . 
Klewelis  ,Gott  des  Ahorns'  u.  a.  i.  Entlehnt  aus  dem  gricch.  K€pdo*iov 
sind  armen,  kei'as  (lltlbschmann  Armen.  Gr.  I,  35<S)  und  kurd.  ghilas, 
keras.  Eine  veredelte  Art  der  Süsskirsche  ist  es  daher  auch  wohl 
gewesen,  welche  Lucuilus  nach  Zerstörung  der  Stadt  Cerasus  nach 
Rom  brachte  (Plin.  Hist,  nat.  XV,  Ur>),  wo  sie  sich  so  schnell  ein- 
bürgerte, und  von  wo  sie  sich  so  schnell  verbreitete,  dass  derselbe 
Autor  an  der  angegebenen  Stelle  bereits  mehrere  Sorten  unterscheiden, 
und  von  dem  Gedeihen  der  Kirsche  in  Britannien,  Belgien  und  am 
Rhein  berichten  konnte.  Das  lndigenat  des  Baumes  in  Europa  er- 
möglichte die  schnelle  Verbreitung  seiner  veredelten  Form.  Diesem 
kulturhistorischen  Prozess  folgt  die  sprachliche  Entlehnung  auf  dem 
Fuss.  Das  seinerseits  aus  griech.  K^paao^  entlehnte  lat.  cerasux.  cera- 
8um  oder  genaner  ein  vulgärlat.  *ceresia  (ceresium,  tcepdöiov  C.  G.  L. 
III,  .358,  80)  liegt  den  Benennungen  der  Kirsche  im  ganzen  Norden 
Europas  zu  Grunde:  ahd.  chirsay  agls.  cyrxe  (vgl.  G.  Goet/.  Thes.  I,  2o0: 
cerasius,  agls.  cisirbeam),  altsl.  cresinja,  alb.  k'ertf  laus  cerasium, 
*cerasinum)  n.  s.  w.  Ins  Deutsche  ninss  die  Entlehnung  nach  Kluge 
(Et.  W.c,  vgl.  auch  in  Pauls  Grundriss  I8,  336)  vor  dem  VII.  Jahrh. 
stattgefunden  haben,  da  anlautendes  lat.  c  noch  als  k  erscheint.  Aus- 


Digitized  by  Google 


Kirschbaum  -  Kiste. 


drücklich  wird  der  Anbau  von  cerexarii  (diversi  generis)  erst  im  Cap. 
Karls  des  Grossen  de  villi»  LXX,  89  genannt. 

Anders  stehen  die  Dinge  hei  Prunus  Cerams  L.t  der  Sauerkirsche 
oder  Ammer.  Diese  kommt  wildwachsend,  soviel  man  weiss,  nur  in 
Transkaukasien  vor.  Auch  konnten  ihre  Kerne  in  den  oben  erwähnten 
prähistorischen  Kirschenfunden  nirgends  nachgewiesen  werden.  Ihr 
Erscheinen  in  Europa  ist  mit  der  Keilte  ngriech.  ßucratvna,  slav.  visnja, 
lit.  tcyszne,  ahd.  wifisela.  all),  risje,  it.  visciola  ,Wcichser  verknüpft, 
eine  Benennung,  die  wahrscheinlich  von  Byzanz  ausging,  wo  ßuo"o*ivr|d 
:  ßOaaivo?  von  ßuao"o?  soviel  wie  ,scharlacufarbig'  bezeichnete.  Noch 
jetzt  ist  in  Griechenland  die  geschätzteste  Spielart  der  Prunus  Cerasus 
die  „sogenannte  grosse  Weichsel  von  Constaiitinopel"  (Th.  v.  Held- 
reich Die  Nutzpflanzen  Griechenlands  S.  69).  Auf  klassischem  Boden 
lässt  sich  daher  die  Sauerkirsche  im  Altertum  nicht  mit  Sicherheit 
nachweisen.  In  Deutschland  wird  sie  zuerst  ven  Albertus  Magnus 
(XII — XIII  Jahrh.)  unter  dem  Namen  amarena,  amareüa  =  unserem 
„Ammer"  geuannt.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  380 ff.,  v. 
Fischer-Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  148  ff.  und  G.  ßuschan  Vorgeschicht- 
liche Botanik  S.  177  ff.  S.  u.  Obstbau  und  Baumzucht. 
Kissen,  s.  Gaus,  Hausrat. 

Kiste.  Wie  mit  dem  sich  steigernden  Handelsverkehr  zahlreiche 
Namen  für  irdene  oder  metallene  Gefässe  (s.  d.)  jeder  Art  sich  vom 
Süden  her  über  Europa  verbreitet  haben,  so  ist  das  gleiche  bei  den 
Ausdrücken  für  Kiste  und  Kasten  der  Fall.  Derartige  Spracbreihen, 
welche  teils  von  Griechenland,  teils  von  Italien  ausgehn,  sind: 
griech.  (hom.)  Kurrr)  {ki-oxx\  :  tcciuai?),  lat.  (Plaut.)  cista,  ahd.  chista, 
agls.  eest,  eist;  lat.  area  (:  areeo,  vgl.  nhd.  sehrank  :  schranke),  got. 
arka,  ahd.  archa,  agls.  earc,  alb.  arke,  slav.  raka,  letzteres  in  den 
Bedeutungen  .Grabmal,  Kiste,  Kasten,  Sarg';  lat.  scrinium,  ahd.  serini, 
agls.  serin,  lit.  skryni,  altsl.  skrina  (und  entsprechend  in  allen  Sla- 
vinen.t;  lat.  eapsa  (dies  wie  scrinium  besonders  von  Bücherbehältern), 
ahd.  chefsa.  In  Griechenland  sind  einige  hierher  gehörige  Bezeich- 
nungen, wie  das  seit  Aristophanes  bezeugte  Kißurrö?  .hölzerner  Kasten, 
Kiste,  Schrank',  semitischer  Herkunft  verdächtig  (vgl.  Lewy  Semit. 
Fremd w.  S.  99  ff.).  Zwei  weitere  slavische  Ausdrücke  (russ.  jaskü, 
askü  jKasten'  aus  altn.  askr  ,a  small  vcssel  of  wood7  und  russ.  lari 
,arca,  cista'  aus  altschwed.  lar)  entstammen  wiederum  <iem  Germa- 
nischen. -  Ein  Anhalt  dafür,  dass  Behälter  wie  Kisten  und  Kasten 
schon  in  der  Urzeit  vorhanden  gewesen  sein,  lässt  sich  nicht  nach- 
weisen. Jede  Spur  einer  Urverwandtschaft  fehlt  zwischen  den  in  den 
Einzelspracheu  für  diese  Begriffe  bestehenden  einheimischen  Ausdrücken 
(im  Litn-sla vischen  scheinen  solche  ganz  zu  mangeln).  Von  solchen 
seien  ans  dem  homerischen  Griechisch  noch  genannt:  xn^>{  /Truhe' 
<  :  xäotcu)?),  (pojptauö^  (:<p^puu?)  und  Xdpvaf  (vdpvaT  KißwTÖt  Hes.),  aus 


Digitized  by  Google 


Kistt*  -  Kleidung. 


431 


dem  Germanischen  :  ahd.  kaato  (verschieden  von  vhhta)  und  ahd. 
tntha  neben  den  nicht  sicher  damit  xn  vereinigenden  altn.  pro.  agls. 
J),u'(h  (vgl.  F.  Kluge  Et.  \V.°  s.  v.  Truhe  und  M.  Heyne  Deutsches 
Wohnungswesen  S.  f>7).  Wenn  somit  auch  kein  urzcitlichcr,  so  wird 
die  Kiste  oder  Truhe  «loch  immerhin  ein  verhältnismässig  früher  Be- 
standteil des  altcuropüischcn  Hausrats  sein,  der  auf  germanischem 
Hoden  für  die  Frau  eine  gewisse  rechtliche  Bedeutung  erlangt  hat.  In 
der  Truhe  birgt  die  Frau  ihr  einziges  Privateigentum,  Schmuck  und 
Kleider,  und  die  Schlüssel  zu  ihr,  wie  zu  der  Vorratskammer  {hord- 
enih  stehen  ihr  nnch  angelsächsischem  Recht  (vgl.  F.  Roeder  Die  Fa- 
milie bei  den  Angelsachsen  S.  86t  allein  zu.  Das  Monument  von 
Adamklissi  S.  48  zeigt  uns  auf  einem  vierrädrigen,  von  einem  Rinde 
gezogenen  Wagen  eine  Harbarenfamilie  (Bastamen V,  s.  u.  Kleidung), 
die  eine  grosse,  verschliessbare  Truhe  bei  sich  führt.  —  S.  u.  Hausrat. 

Klafter,  s.  Mass.  Messen. 

Klee,  s.  Futterkräuter. 

Kleidung.  Dieser  Begriff  wurde  in  der  idg.  Grundsprache 
durch  Ableitungen  von  der  Wurzel  rex  ausgedrückt  (sert.  vdsman-f 
rdsana-,  rantra-,  vdsana-y  aw.  raiih,  vaiihana-,  vastra-,  griecli.  fe'vvuui, 
<uua,  £avö^  .umhüllend'  =  seit,  edmna-,  toön,«;,  £o*8o<;,  iuötiov,  lat. 
testis,  got.  gateasjan,  trasth.  Der  Gegensatz  ist  sert.  nagnd-,  altsl. 
nagü,  lit.  ntigas,  lat.  m'idtix,  got.  naqaps,  altir.  nocht  ,nackt". 

Da  nun  die  Künste  des  Spinnens  (s.  d.)  und  Webens  (s.  d.)  den 
lndogermauen  bekannt  waren,  auch  das  W  olle  (s.  d.)  spendende 
.Schaf  's.  d.t  schon  in  der  Urzeit  als  Haustier  gehalten  wurde,  endlich 
auch  der  Flachs  (s.  d.)  zu  den  ältesten  Kulturpflanzen  Europas  ge- 
hört, so  erhellt,  dass  die  lndogermauen  für  ihre  Kleidung  keineswegs 
mehr  ausschliesslich  auf  die  Felle  der  Tiere  angewiesen  waren,  so 
weit  dieselben  in  ihrer  Verwendung  zur  Tracht  auch  in  die  historischen 
Zeiten  hineinragen  (s.  u.  P  e  1  z  k  1  e  i  d  c  r),  sondern  dass  ihnen  auch 
bereits  wollene  oder  linnene  Gewebestoffe  xur  Verfüguug  standen.  Idg. 
Gleichungen  für  solche  liegen  x.  B.  in  sert.  drdpi-  ,Mantel",  lit.  drä- 
panos  ,Weissxeug';  sert.  mala-  ,Gewaod',  lat.  milas  ,feiues  Tuch'; 
griech.  Xumn,  ,Gewand',  lit.  löpas  ,Stück  Tuch';  altsl.  platlno  ,Lein- 
wand',  altn.  faldr  ,Mantel',  ir.  loit  (Nom.  dual.),  dia  loit  find  ,xwei 
weisse  .Mantel  (+plotnd);  altpr.  pelkis  , Mantel',  ahd.  flech  ,Fetxe';  sert. 
kdnthd  ,Lappcnkleid\  lat.  cento.  griech.  KtvTpuuv  (ahd.  hadara  ,Lappen, 
Lumpen  ?)  u.  s.  w.  vor,  deren  ursprünglicher  Sinn  sich  freilieh  des 
genaueren  nicht  bestimmen  lässt. 

Über  ilie  Verteilung  der  Wolle-  und  Flachsstoffe  im  ältesten  Europa 
s.  u.  Weben.  Hier  ist  somit  lediglich  über  die  Form  der  indoger- 
manischen Kleidung  xu  handeln,  oder,  da  die  ursprünglichen  arischen 
Verhältnisse  noch  xu  wenig  erforscht  sind,  um  einen  festen  Anhalt  xu 
gewähren,  so  muss  versucht  werden,  auf  komparativem  Weg  wenigstens 


Digitized  by  Google 


4.12 


Kleiduiig. 


den  ursprünglichen  Typus  der  Kleidung  der  europäischen  Indo- 
germanen  zu  ermitteln.  Es  wird  gut  sein,  liierl»ei  zwischen  in  ä  u  n  - 
Ii  eh  er  und  weiblicher  Kleidung  zunächst  zu  unterscheiden. 

I.  Die  männliche  Kleidung.  Drei  Sätze  lassen  sich  in  dieser 
Beziehung  mit  Sicherheit  aufstellen,  die  im  Folgenden  näher  zu  be- 
gründen sind:  I.  Die  älteste  Tracht  der  europäischen  Iudogcruianen 
bestand  aus  dem  Oberkleid  oder  Mantel.  2.  Ein  Unterkleid  uder 
Rock  war  ursprünglich  nicht  vorhanden.  .H.  An  Stelle  desselben  stand 
der  Lendengurt  oder  Schurz.  Völlig  unverändert  liegen  diese  urzeit- 
liehen  Verhältnisse  im  ältesten  K  o  m  vor.  Nach  nicht  anzuzweifelnder 
Überlieferung  bestand  die  Kleidung  des  Römers  ursprünglich  aus  nichts 
als  der  toga  und  dem  subligaculum  oder  cinetus,  dem  Schurz.  Die 
tunica  fehlte  noch.  Vgl.  Gcllius  Noct.  Att.  VII,  12,  3:  17/7  autein 
Romani  primo  qtiidem  sine  tunicis  toga  sola  amicti  fuerunt,  und  von 
der  Familie  der  cinetnti  Cethegi  bemerkt  Porphyr,  ad  Horati  Art. 
Poet.  öO:  Omnes  enim  Cethegi  unum  morem  sercacerunt  Rotnav  .... 
nunquam  enim  tunica  usi  sunt,  ideoque  cinetutos  eos  di.eit,  qmmiam 
cinc.tum  est  genus  tunicae  infra  pectus  aptatae.  In  dieser  Tracht 
gefiel  sich  der  jüngere  Cato,  in  dieser  traten  die  Kandidaten  auf.  Dem 
konservativen  Ritus  entsprechend,  trug  der  Flamen  Carmeutalis  beim 
Opfer  nur  die  mit  bronzener  Fibula  zusammengeheftete  laena  (vgl. 
Marquardt  Privatleben  S.  f)33  f.,  Studniezka  Beiträge  zur  altgric  hi- 
schen Tracht  S.  &>).  Auf  das  gleiche  weist  die  Sprache:  Das  Ober- 
kleid [toga  :  tego,  also  eigentl.  »Decke',  vgl.  auch  ir.  tuige  .stramen) 
und  der  Schurz  (cinetus  :  cingo)  haben  echtlateiuische  Namen,  tunica 
ist  Entlehnung  aus  einem  gleich  zu  nennenden  semitischen  Wort. 

Genau  auf  gleicher  Stufe,  wie  die  römische,  mnssdie  altgricchische 
Tracht  ursprünglich  gestanden  haben.  Allerdings  ist  bereits  der  ho- 
merische Held,  ausser  mit  der  x^«iva  « :  xXauuq),  dem  Mantel,  ent- 
sprechend der  römischen  toga,  mit  dem  xitwv,  entsprechend  der  römisc  hen 
tunica  versehen.  Alleiu  dieses  letztere  Wort  erweist  sich  als  eine  der 
sichersten  Entlehnungen  der  vorhomerischen  Sprache  aus  dem  semi- 
tischen Kulturkreis  xitiuv  nebst  tunica  aus  hehr,  ketonet  ,Leibr«»ek", 
ein  auf  blossem  Leib,  auch  von  Frauenzimmern  getragenes  Kleid  .  so 
dass  wohl  niemand  mehr  zweifelt,  dass  der  auch  in  homerischer  Zeit 
wenigstens  den  Frauen  (s.  u.)  noch  fremde  Chiton  ein  Knltnrgeschenk 
des  Orients  an  die  südeuropäisehen  Indogernianen  ist.  Durch  ihn  wurde 
der  ursprünglich  getragene  Schurz  (£wua)  verdrängt,  der  aber  auf  den 
mykenischen  Kunstdenkmälern,  vor  allem  auf  einer  Dolchklinge  mit 
eingelegter  Darstellung  einer  Löwenjagd,  noch  deutlich  zn  sehen  ist 
(vgl.  Studniezka  a.  a.  0.  S.  Hl  ». 

Dieser  so  für  den  Süden  feststehende  Typus  der  ältesten  Kleidung 
findet  seine  genaue  Entsprechung  im  germanischen  Norden.  Die 
Besehreibung  der  männlichen  Tracht  bei  den  Germanen  dureh  Taeitns 


Digitized  by  Google 


Kleidung. 


(Genn.  Cap.  17  i  lautet:  Tegumen  omnibus  sagum  fibula  auf,  si  desit, 
spina  consertum  :  cetera  intecti  totos  dies  iuuta  focum  atque  ignem 
agunt.  lucuplethaimi  teste  di*tinguuntur,  non  fluitante  sicut  tiar- 
matae  ac  Parthi,  sed  stricta  et  singulo*  artus  e.rprimente.  Es  zeigt 
sieh  also,  dass  allen  Germanen  der  wollene,  mit  fibula  oder  Dorn  gc- 
nestelte  Mantel  eigen  war,  das«  aber  die  locupletissimi  ein  Unterkleid, 
restis,  entsprechend  der  römischen  tunica  und  dem  griechischen  X'T^v, 
hatten,  das  ihnen  eng  am  Körper  anlag.  Uber  einen  Schur/  der  non- 
locuplefissimi  sagt  Tacitus  freilich  nichts;  doch  ist  es  eine  ansprechende 
Vermutung  Milchhöfers  nnd  Studniezkas  (a.  a.  0.  S.  31  Anm.  10),  dass 
derselbe  auch  bei  den  Nordvölkern  ursprünglich  vorauszusetzen  sei, 
und  die  hier  auftretende  Hose  (s.  d.)  sich  als  eine  einfache  Weiter- 
bildung eben  dieses  Schurzes  darstelle. 

Dieser  Auffassung  der  angegebenen  Tacitusstelle  entsprechen  nun 
anfs  beste  die  Germanendarstellungen  der  römischen  Denkmäler,  des 
Monuments  von  Adainklissi  (herausg.  von  G.  Tocilesco,  0.  Benndorf, 
G.  Xicmann  Wien  1895),  der  Trajansäule  (Fröhucr  La  Colonne  Trajane) 
und  der  Markussäule  i herausg.  von  E.  Petersen,  A.  v.  Domaszewski, 
G.  ('alderini  München  1896),  welche  letztere  am  sichersten  Genuaneu- 
typen zur  Darstellung  bringt.  Nach  den  Untersuchungen  A.  Furt- 
wänglcrs  (Intermezzi  Leipzig  nnd  Berlin  1896,  vgl.  dazu  H.  Bulle 
Die  ältesten  Darstellungen  von  Germanen  Archiv  f.  Anthrop.  XXIV, 
613  ff.  und  A.  Furtwängler  Beilage  zur  Allg.  Zeit.  1896  Nr.  293/  wird 
die  älteste  Tracht  der  Germanen  charakterisiert  durch  die  Hose,  deu 
nackte  n  Oberkörper  und  den  Mantel,  den  wohl  auch  der  auf  dem 
Denkmal  von  Adamklissi  bei  Germancngestalten  hervortretende  mantel- 
artige  Kragen  zum  Ausdruck  bringen  soll.  „Meine  Untersuchungen 
Uber  den  alteren  Germanentypus",  sagt  Furtwängler,  «haben  jene 
Tracht  als  auf  den  frühesten  Genuanendarstellungen  durchaus  herrschend 
und  den  Germanen  speziell  charakteristisch  erwiesen,  die  nur  allmäh- 
lich der  volleren  Bekleidung  mit  dem  Rocke  weicht.  Auf  der 
Markus-Säule  haben  noch  zahlreiche  sichere  Germanen  den  nackten 
Oberkörper,  auch  einmal  ein  sicherer  Vornehmer  zu  Pferd,  eine  Haupt- 
person, wie  es  scheint,  der  Markomannen;  auch  einer  von  den  Edlen, 
die  zur  Enthauptung  geführt  werden.  Dagegen  kommt  die  Tracht  bei 
den  sicheren  Nicht-Germanen  gar  nicht  vor,  indem  diese  immer  den 
Rock  tragen".  Etwas  anders  ist  allerdings  die  Auffassuug  von  E.  Petersen 
(Markus-Säule  S.  46  f.  \  der  den  beiden  auf  der  Säule  vertretenen 
grossen  Völkerfamilien,  Germanen  und  Sarmaten,  im  wesentlichen  die 
gleiche  Tracht  zuschreibt,  bei  der  Vornehme  und  Geringe,  Herren  und 
Diener  in  d  e  r  Weise  unterschieden  würden,  dass  die  erstereu  die  voll- 
ständigere Kleidung  (Hemd  mit  langen,  Rock  mit  kurzen  Ärmeln, 
Mantel,  Hosem,  letztere  die  einfachere  (Mantel  und  Hosen)  hätten.  Da 
aber  auch  bei  dieser  Darstellung  von  der  Tracht  des  gemeinen  Mannes 

Schräder.  Keallexikon. 


Digitized  by  Google 


4M 


Kleidun»:. 


als  dem  ursprünglichen  auszugehen  ist,  so  ersieht  sich  auch  so.  dass 
bei  den  (Germanen,  geradeso  wie  die  ttmica  hei  deu  Körnern,  der  X'tujv 
bei  den  Griechen,  der  Kock.  d.  h.  der  unter  dein  Mantel  getragene 
Leibrock  eine  verhältnismässig  junge  Erscheinung  ist.  Leider  ist  üher 
die  Herkunft  des  ahd.  roc,  altn.  rokkr  nichts  bekannt.  Beziehungen 
scheinen  teils  zu  ahd.  roccho  »Spinnrocken',  teils  zu  ir.  nicht  .tunica' 
vorzuliegen.  Ullilas  hat  dieses  Wort  nicht.  Kr  übersetzt  das  griechische 
XiTiuv  vielmehr  mit  teasti,  allgemein  , Kleid'  oder  mit  paida  (agls.  päd, 
alts.  prda,  ahd.  j>feit\  got.  gapaidön  .bekleiden',  mhd.  enphetten  »ent- 
kleiden'), das,  wie  seine  Übereinstimmung  mit  griech.  ßaini  ,Hirten- 
roek  aus  Ziegcnfcllcn'  zeigt,  ursprünglich  ein  Kleidungsstück  aus  Fellen 
bezeichnet  haben  muss. 

Früher  als  die  Germanen  sind  die  Kelten,  deren  Mantel  und  Hosen- 
tracht im  übrigen  mit  der  germanischen  übereinstimmt,  zu  einer 
vollständigeren  Bekleidung  des  Körpers  mittelst  des  Leibrocks  über- 
gegangen, wie  die  Schilderung  des  .Strahn  IV,  p.  190)  zeigt:  aorrtv 
<popoGo*t  bfc  Kai  KOuoTpoq>oöai  Kai  äva£upio*i  xpwvrai  TupiTeTauevai^. 
ävT'i  be  x,Twvwv  crxi(JT0Ü<;  x^'P^wtoü^  (-Ärmeljackeir'  nach 
Groskurd'i  cpipovöi  ue'xP1  aiboiujv  Kai  y^outüüv.  n,  b  Ipia.  Tpa- 
X€ia  uev,  uaKpöuaXXo^  bt.  019"  f|S  Toüq  baffeiq  ödfoug  ^Eucpaivouffiv, 
oöq  Xaivaq  s.u.)  KaXoüai.  Ein  gemeiukeltiseher  Ausdruck  für  den 
Leibrock  ist  ir.  fitan,  kymr.  gun  (nach  Stokcs  aus  *co-ouno-  :  lat. 
ind  uo,  e.v-uo,  gall.  *rouna.  woraus  mlat.  gonna).  Dunkel  ist  ir.  inar 
,tuniea\  aus  dem  Lat.  entlehnt  ir.  tuinech  (neben  dein  auffallenden 
tonach.  teils  , Leihrock',  teils  , Mantel  ). 

Nur  für  zwei  Kleidungsstücke  darf  also  ein  Zurückgehen  in  die 
idg.  Urzeit  angenommen  werden,  für  den  Mantel  und  den  Schurz. 
Die  ursprünglichen  Bezeichnungen  des  ersteren  werden  in  den  Eingangs 
dieses  Artikels  angeführten  Gleichungen  inne  begriffen  gewesen  sein. 
Der  Mantel  ist  eben  einstmals  die  Kleidung  kot'  «oxnv  gewesen.  Eine 
vorhistorische  Bezeichnung  dieses  Begriffes  dürfte  auch  in  lat.  pallium 
aus  *pl-nio-  —  gcmeinkclt.  *pl-nnd,  gall.  Unna,  lenna,  ir.  lenn,  alt- 
kyiur.  lenn  etc.  ,sagum'  enthalten  sein.  Wahrscheinlich  hat  an  der 
angegebenen  Stelle  Strabo  dieses  Wort  im  Auge,  das  er  aber  mit  lat. 
toena  (ans  x^aiva?)  zusammenwirft  (vgl.  über  beide  Wörter  L.  Diefen- 
bach 0.  E.  S.  .'HO  f.).  Im  Grunde  sind  lat.  pallium  wie  gall.  Unna 
dann  Ableitungen  von  lat.  pellis  .Fell'  und  seiner  Sippe.  Auf  ähnliche 
Beispiele  ist  u.  l'clzk leider  hingewiesen,  wo  auch  über  got.  hakuls 
etc.  gehandelt  worden  ist.  Unaufgeklärt  ist  das  gemeinkeit.  *bratto  *. 
ir.  brat  (agls.  bratt)  u.  s.  w.  , Mantel',  sowie  das  oben  mehrfach  ge- 
nannte und  von  den  Alten  meist  als  keltisch  bezeichnete  lat.  sagtun 
(vgl.  Diefenbach  0.  E.i,  für  das  sich,  ausser  auf  dem  Wege  der  Rück- 
entlelmung  aus  dem  Lateinischen  (vgl.  ir.  sdi,  mhd.  sei,  it.  saja  etc. 
,WolIenstoffe'),  bis  jetzt  keine  Anknüpfung  in  den  keltischen  oder  ger- 


Digitized  by  Google 


Kleidung-. 


manischen  Sprachen  gefunden  hat.  Stokcs  (Urkeltischer  Sprachschatz; 
vergleicht  lat.  segestre  , Decke'  und  ein  lit.  sagis  , Reisekleid'.  Den 
Sieg  hat  schliesslich  in  Europa  das  lat.  mantele,  mantellum  (ein 
hispanisches  mantum  =  it.  manto  u.  s.  w.  nennt  Isidor.  Orig.  XIX,  24) 
davongetragen,  das  auch  im  Althochdeutschen  (mantal)  und  Alt- 
slovenischen  (mantltija)  vorliegt.  So  überwuchern  auf  diesem  Gebiete 
der  Mode  fortwährend  neue  Bezeichnungen  die  früheren  und  verwischen 
die  Spuren  des  höchsten  Altertums. 

Umso  deutlicher  lässt  sich  die  ursprüngliche  Bezeichnung  der  mittelst 
des  Schurzes  bewirkten  G  ü  r  t  u  n  g  erkennen,  die  offenbar  in  der 
Sippe  von  aw.  yäxta-  —  grieeb.  ZvjOtöq.  lit.  Juttas  .gegürtet',  griceh. 
Ziüvvuui.  üiüuot.  Euüvn.  lit.  Junta  ,Gürtel',  jüsmn  ,Gurt\  altsl.  pojasü 
,Zujvr]'  vorliegt.  Die  ursprüngliche  Bedeutung  derselben  hat  das  griech. 
Ziuna  ugl.  Studniczka  a.  a.  0.  S.  67)  am  treusten  bewahrt. 

II.  Die  weibliche  Tracht.  Es  ist  eine  allgemeine  kultur- 
historische Erfahrung,  dass  die  Kleidung  von  Mann  und  Weib  sich  erst 
auf  vorgerückteren  Kulturstufen  differenziert,  um!  auch  auf  idg.  Boden 
fehlt  es  wenigstens  nicht  au  S  p  u  r  c  u ,  dass  die  Tracht  der  Frau  ur- 
sprünglich dieselbe  wie  die  oben  geschilderte  des  Mannes  gewesen  ist. 
So  heisst  es  bei  Xonius  p.  540,  Iii:  Toga  non  Holum  viri  sed  etiam 
feminae  utebantur  und  Tacitus  a.  a.  0.  berichtet  von  den  Germanen  aus- 
drücklich: Xec  alius  feminin  quam  ciris  habitus.  Indessen  lässt  sich 
<lie  Geschichte  der  Differenzierung  beider  Trachten  in  ihren  Anfängen 
an  der  Hand  des  vorliegenden  Materials  noch  nicht  deutlich  übersehn. 
Nach  den  Untersuchungen  Studniczkas  (s.  o.)  hätte  sich  in  der  Be- 
wahrung des  Ursprünglichen  die  griechische  Frau  am  zähesten  be- 
wiesen. Im  Gegensatz  zu  dein  Manne,  der,  wie  oben  gezeigt,  in  seiner 
Tracht  bereits  xitujv  und  x^arva  vereinigte,  bediente  sich  die  homerische 
Griechin  ausschliesslich  des  Obergewandes,  des  tt^ttXo?  (:  öi-ttX-oo?, 
oi-TT\-oto*io<;  ,zweifältig' ?),  der,  wie  die  x^aiva  der  Männer,  aus  einem 
ranf  dein  primitiven  Webeapparat  angefertigten  Wollenzeug  bestand, 
welches  ganz  ohne  Zuschnitt  und  Näherei  blieb  und  durch  blosses  Um- 
legen und  Festheften  mittelst  Fibulae  zu  Kleidern  wurde".  Ähnlich 
wie  die  griechischen  Frauen  den  mirXo?,  mögen  die  römischen  die 
togn  verwendet  haben. 

Vollständiger  dürfte,  vielleicht  unter  dem  Drucke  des  Klimas,  sich 
die  Kleidung  des  nordeuropäise heu  Weibes  schon  in  früher  Zeit 
gestaltet  haben.  Die  Schilderung  des  Tacitus  Germ.  Cap.  17  von  der 
Tracht  der  germanischen  Frauen  lautet:  Xec  alius  feminis  quam 
tiri#  habitus,  nisi  quod  feminae  saepius  lineis  amictibus  velantvr 
eosque  purpura  variant  partemque  vestitus  superioris  in  manicas 
non  extendunt,  nudae  bracchia  ac  lacertos;  sed  et  proxima  pars  pec- 
toris patet.  Aus  dieser  Stelle  scheint  sich  zu  ergeben,  dass  erstens 
<lic  Frauen  dieselben  saga  wie  die  Männer  trugen,  denn  nur  hierauf 


Digitized  by  Google 


43'; 


Kleidung. 


kann  sich  das  tiec  nlius  feminitt  quam  riris  htibitun  beziehen,  das» 
aber  zweitens  bei  den  Frauen  nicht  nur  «lic  locttpletissimae,  sondern 
die  meisten  (oder  allej  unter  dein  Mantel  noch  eine  eigentliche  linncne 
Kleidung  (amictus  wohl  allgemein  im  Sinne  von  ,Gewänder')  hatten, 
<lie  ärmellos  eine  starke  Entblössung  weiblicher  Reize  bewirkte  (daher 
im  folgenden  Cap.:  quamquam  serern  Ulk  matrimonia).  Im  übrigen 
schweigen  die  Nachrichten  der  Alten  Uber  die  weibliche  Tracht  der  Xord- 
völker.  Hinsichtlich  der  Kunstdenkmäler  äussert  Petersen  S.  47  über  die 
Frauen  der  Markus-Säule:  „Die  Tracht  der  Frauen  ist,  wie  überhaupt 
das  Weib,  minder  scharf  charakterisiert.  Die  sarmatische  wie  die 
germanische  Frau  hat  über  laugärmeligem  Hemd  ein  Kleid  mit  kurzen 
Ärmeln,  hoch  gegürtet,  uud  vielleicht  noch  einmal  um  die  Hüften,  unter 
dem  Bausch;  dazu  ein  Vorzugsstück,  kleiuen  oder  grossen  Mantel,  der 
auch  über  den  Kopf  gezogen  wird.a  Diese  Frauenkleidung  ist  dem- 
nach sehr  vollständig  und  dezent.  Eine  Entblossung  tritt  allerdings 
bei  mehreren  von  Petersen  für  sarmatisch  gehaltenen  Frauengestalten 
der  Säule  hervor,  doch  seheint  dieselbe  ausschliesslich  durch  das  Herab- 
gleiten der  Gewänder  in  Augenblicken  der  Leidensehaft  und  Gefahr 
bewirkt  zu  werden. 

Noch  erübrigt,  was  Männer-  und  Frauentracht  betrifft,  einen 
Blick  auf  die  im  nördlichen  und  mittleren  Europa  durch  günstige 
Fügungen  zu  Tage  getretenen  Überreste  wirklicher  Kleidungs- 
stücke zu  werfen.    Die  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  gefundenen, 
teil  weis  schon  der  Steinzeit  ungehörigen  und  ausschliesslich  aus  Flachs 
hergestellten  Gewebestücke  gestatten  keine  Vermutung  mehr  hinsichtlich 
ihrer  ursprünglichen  Verwendung.    Von  Interesse  ist  aber  doch  die 
Bemerkung  F.  Kellers  (Pfahlbautenberichtc  IV,  '20):   „dass  er  bei  ge- 
nauer Betrachtung  der  Weberei-Produkte  nur  an  einem  einzigen  Stücke 
einen  vermittelst  einer  Nadel  gefertigten  Saum,  aber  nie  eine  Spur 
von  einem  Zuschnitt  des  Zeuges  habe  bemerken  können,  und  die  Ver- 
mutung hege,  das8  diese  Gewebe  eher  als  Umhüllungen  im  allgemeinen, 
denn  als  eine  den  verschiedenen  Teilen  des  Körpers  angepasste  Be- 
deckung (also  als  Mantel,  nicht  als  Rock)  verwendet  wurden."  Gar 
keine  Gewebestoffe  irgend  welcher  Art  sind  bis  jetzt  aus  der  jüngeren 
Steinzeit  des  skandinavischen  Nordens  nachgewiesen  worden,  und  da 
daselbst  auch  keine  Werkzeuge  zum  Spinnen  und  dergleichen  gefunden 
worden  sind,  so  neigt  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  l  S.  1">'* 
zu  der  Ausicbt,  dass  man  zur  Steinzeit  sich  ausschliesslich  in  Felle 
gekleidet  habe.    Wesentlich  günstiger  liegen  die  Verhältnisse  in  der 
älteren  Bronzezeit.   Aus  jütischen  und  schleswigsehcn  Grabhügeln  sind 
aus  Eichensärgen  nicht  weniger  als  fünf  vollständige,  unter  einander 
ganz  gleiche,  aus  Wolle  angefertigte  Männertrachten  gehoben  worden, 
die  wohl  geeignet  scheinen,  ein  zuverlässiges  Bild  der  damaligen  Ge- 
wandung zu  geben  (  vgl.  S.  Müller  a.  a.  O.  S.  268  ff.).    Diese  bestaud 


Digitized  by  Google 


Kleidung. 


437 


aus  einem  ovalen,  bis  Uber  einen  Meter  langen  Mantel,  der  rso  weit 
war.  dass  er  vorn  vollständig  zusammen  gezogen  werden  konnte,  wo 
ihn  dann  eine  oder  mehrere  Nadeln  zusammenhielten."  Ausserdem  aber 
war  der  Oberkörper  in  ein  viereckiges  Stück  Zeug  eingehüllt,  das 
oben  bis  zur  Brust,  unten  bis  zum  Knie  reichte,  und  von  einem  ge- 
webten Hand  oder  Ledergürtel  zusammengehalten  ward.  „Die  Beine 
waren  nackt;  Fuss  und  Knöchel  waren  mit  Zeitstücken  umbuuden 
und  mit  Lederschuhen  bedeckt.-*  Diese  Kleidung  ist  also  noch  eine 
sehr  primitive  und  entspricht,  da  man  das  um  den  Leib  geschlungene 
ungenau te  Stück  Zeug  viel  eher  unter  den  Begriff  des  Schurzes 
als  des  Kockes  stellen  wird,  im  wesentlichen  dem  üben  rekonstruierten 
Bild  der  ältesten  europäisch-indogermanischen  Tracht.  „Sehr  einfach", 
bemerkt  auch  Xaue  Die  Bronzezeit  in  Oberbayern  S.  26t>,  „niuss  so- 
wohl während  der  älteren,  als  auch  in  der  jüngeren  Bronzezeit  die 
Kleidung  der  Männer,  selbst  der  Hochgestellten  gewesen  sein.  Stets 
wird  nur  eine  Nadel  und  zwar  an  der  rechten  oberen  Brustseite,  in 
der  Nähe  der  Achsel  getragen.  Ihre  Schwere  lässt  vermuten,  dass 
sie  dazu  diente,  den  M  a  n  t  e  1  an  dieser  Stelle  festzuhalten  oder  zu 
schliessen.u 

Wesentlich  schlechter  ist  es  auch  hier  mit  unserer  Kenntnis  «ler 
weiblichen  Tracht  bestellt.  Bis  jetzt  ist  eine  einzige  vollständige 
weibliche  Kleidung  und  zwar  durch  den  Fund  von  Bornm-Kshöi  bei 
Aarhus  in  Jütland  bekannt  geworden,  der  ebenfalls  der  Bronzezeit 
angehört,  und  ebenfalls  nur  Wollenstoffe  cuthält  (vgl.  0.  Montelius  Die 
Kultur  Schwedens8  S.  5f>  und  S.  Müller  a.  a.  O.j.  Diese  Kleidung 
besteht  aus  einer  grob  geschnittenen  und  genähten  Jacke  mit  Ärmeln 
bis  zu  den  Ellenbogen,  an  die  sich  ein  ebenso  angefertigter  falten- 
reicher Frauenrock  anschliesst,  der  bis  zu  den  Füssen  gereicht  haben 
mn*s.  Hinzukommen  ein  wesentlich  feiner  gearbeitetes  Haarnetz  und 
ein  ftüttel  mit  Quaste.  Auch  für  die  bairische  Bronzezeit  nimmt  N'ane 
a.  a.  <  >.  S.  2<>G  nach  Massgabe  der  bei  den  Leichen  gefundenen  Nadeln, 
Spangen  etc.  eine  reichere  Entwicklung  der  weibliehen  Tracht  an,  die 
demnach  sowohl  hier  wie  im  Norden  schon  zur  Bronzezeit  von  der 
männlichen  deutlich  differenziert  gewesen  wäre.  Bemerkenswert  ist 
eine  gewisse  Ähnlichkeit,  die  zwischen  der  Kleidung  des  Fundes  von 
Borum-Kshöi  und  derjenigen  gewisser  Barbarenfrauen  des  Monumentes 
von  Adamklissi  obwaltet  (vgl.  die  Abbildungen  bei  S.  Müller  a.  a.  0. 
S.  2*  mit  denen  des  Monumentes  S.  68,. 

Über  die  Kinder  berichtet  Tacitns  Germ.  Cup.  2«»:  In  omni  dm,,,, 
nudi  <tc  Kordidi  in  hon  nrtus.  in  haec  corpora,  quae  ad  mim  mm; 
exerem-unt  (vgl.  sert.  nagnikd  , nackt",  der  gewöhnliche  Ausdruck  für 
ein  noch  nicht  mannbares,  a-nagnikä  ,nicbt-nackt'  für  ein  mannbares 
Mädchen).  Doch  lässt  sich  aus  dieser  Stelle  kein  Schluss  ziehen,  wie 
die  Kinder  ausserhalb  des  Hauses  gingen.    Auf  den  Denkmälern  er- 


Digitized  by  Google  l 


Kleidung  —  Knabenliebe. 


scheinen  die  Barbarenkinder  teils  unbekleidet  (so  auf  dem  Monument 
von  Adamklissi),  teils  aber  auch  in  derselben  Kleidung  wie  ihre  Eltern 
iso  auf  der  Markus-Säule).  —  Weiteres  Uber  die  Fragen  der  ältesten 
Tracht  der  europäisehen  Indogermnnen  s.  n.  Haartracht,  Hand- 
schuh, Hemd,  Hose,  Kopfbedeckung,  Pelzkleider,  Schmuck, 
Schuhe,  Spinnen.  Tätowierung,  Webeu. 

Klette  (Arctium  Läpp«  L.).  Für  die  durch  ganz  Europa  ver- 
breiteten und  seit  den  ältesten  Zeiten  als  Heilmittel  daher  griech. 
äpKeiov  , Klette  :  äpxo<;  .Heilmittel':  s.  äXeaia  u.  Eibisch  betrachteten 
Klettenartcn  seheint  ein  urverwandter  Name  in  lat  lappa  und  gemeinsl. 
*lopuchü,  russ.  lapuchü  etc.  vorzuliegen,  der  wohl  auch  Beziehungen 
zu  griech.  Xanaeov  .Ampfer'  woraus  lat.  lapathum)  hat.  Westger- 
manisch sind  ahd.  kletta,  agls.  clipe  (altfrz.  gletton  und  ahd.  kliba, 
agls.  clife  CG.  (loetz  Thes.  1,  625:  clifae)  :  kleben,  kleihen.  Im  Dä- 
nischen heisst  die  Klette  bnrre,  engl.  hnr.  inlat.  burres.  Vgl.  noch 
die  Namen  griech.  dTtupivn,  (Thcophr.i.  npoöium^,  TTpotfumtov  Diosk.), 
angeblich,  weil  die  Kinder  sich  Masken  aus  den  Blättern  der  Klette 
machten,  lat.  per*omüa,  in  Glossaren  drauoca  und  bardo,  btirdoua, 
bardantt  {parduna  im  (  apit.  Karls  des  Grossen  de  villis  LXN,  *?*; 
vgl.  auch  Thes.  I.  40:  alabardan),  lit.  dmjijx.  Vgl.  v.  Fischer- Benzon 
Altd.  Gartcnrl.  S.  .V.)f.  —  Andere  Heilpflanzen  s.  u.  Arzt. 

Klima  des  Irlands,  s.  Urheimat  der  1  ndogermanen. 

Klösscopfer,  s.  Ahnenkultus. 

Knabe,  s.  Kind. 

Kiiabcnliebe.  Je  mehr  man  sich  in  Europa  den  Ufern  des  mittel- 
ländischen Meeres  nähert,  um  so  deutlicher  tritt  dieses  Laster  in  alter 
wie  neuer  Zeit  hervor.  Die  historischen  Nachrichten  weisen  auf  den 
stld-ostlichcn  Winkel  des  aegacischen  Meeres  als  Ausgangspunkt  des- 
selben hin.  Vgl.  Athen.  XIII,  p.  002:  toü  TraibepaaTttv  irapa  TTpümuv 
KprjTiwv  ciq  toü?  "EXXn,vaq  nap€X9övT0S,  io"rop€T  Tiuaio<;  Aristoteles 
(  Folit.  II,  7,5)  hielt  es  für  möglich,  dass  hier  der  Gesetzgeber  selbst  die 
Päderastie  eingeführt  habe,  um  die  Vermehrung  der  Bevölkerung  zu 
verhindern.  Auf  dem  Kreta  benachbarten  Thcra  fand  Hiller  von  (iärt- 
ringen  (Verb.  d.  Dresdner  I'hilologenvers.  1*97  aus  sehr  früher  Zeit 
bildliche  Darstellungen  päderastischer  Handlungen.  Jedenfalls  war  der 
perverse  Trieb,  teils  in  unvcrhüllt  geschlechtlichem  Sinne,  teils  in  den 
Mantel  schwärmerischer  Pädophilie  gekleidet,  frühzeitig  bei  den  Hellenen 
heimisch,  und  erst  von  ihnen  hätte  nach  Herodot  I,  1:15:  kcu  bn.  Kai 
äir'  'EXXnvuJV  p.a9övT£5  Traioi  uiOfiaQai)  das  von  Haus  aus  rauhe  und 
unverdorbene  Volk  der  Perser  ihn  kennen  gelernt. 

Durch  die  Vermittlung  Grossgriecbenlands  wird  die  homosexuelle 
Liebe  zusammen  mit  den  einschlagenden  Ausdrücken  (vgl.  lat.  paedi- 
enre  bei  Cato  ans  tci  ttü.i6ikcx  :  Trais  , Knabe  und  lat.  cinaedus  bei 
Plautus  aus  dem  dunklen  Kivaioo{}  in  Rom  ihren  Einzug  gehalten 


Digitized  by  Google 


Knal>enliebe  —  Kochkunst,  Küche. 


439 


haben,  wo  sie  schon  im  Jahre  433  d.  St.  erwähnt  wird.  Von  hier  aas 
standen  ihr  die  Thore  des  Nordens  offen,  und  bereits  den  Galliern 
werden  arge  Ausschweifungen  in  dieser  Richtung  nachgesagt.  Vgl. 
Diod.  Sic.  V,  32:  Tuvaixa?  b*  £x°VT*S  eötibeiq  riKio*Tct  xauiaiq  7rpo?- 
€'xouo"iv,  dXXd  Ttpö^  xa^  tüüv  dpptvwv  ^ttittXokoi^  ^ktöttuj^  Xuo*o"wov 
€iüb6aai  b'  im  bopaiq  8n.piwv  XaMai  Ka8eübovTeq  d£  djicpoupiuv  tüjv  pe- 
pdiv  TrapctKOiTOKj  o"ufKuXi€0*8ai.  Die  Germanen  wären  nach  Tacitus 
(Germ.  Cap.  12:  Ignaros  et  imbelles  et  corpore  infames  caeno  ac 
palude,  iniecta  insttper  crate,  mergunti  schon  zur  Rümcrzeit  mit  den 
härtesten  und  schimpflichsten  Strafen  gegen  das  Laster  vorgegangen, 
wenn  man  die  demselben  ergebenen  unter  den  corpore  infames  mit 
verstehen  darf. 

Das  Vorstehende  beruht  auf  der  Anschauung,  dass  für  Europa  die 
Knabenliebc  in  den  dem  Orient  benachbarten  Gegenden  aufkam,  wo 
die  widernatürliche  Unzucht  in  physiologischen,  sich  aus  der  grösseren 
körperlichen  Schlaffheit  der  Orientalinnen  ergebenden  Gründen  eine 
natürliche  Ursache  zu  finden  scheint  (vgl.  Rosenbaum  Lustseuche  S.  118), 
und  sich  von  hier  aus  seuchenartig  über  unseren  Erdteil  ausbreitete. 
Doch  darf  nicht  verschwiegen  werden,  dass  die  moderne  Medizin  den 
homosexuellen  Geschlechtstrieb  als  nicht  wenigen  Individuen  aller  Völker 
angeboren  ansieht,  so  dass  die  Knabenliebe,  wenn  sie  sich  von  aussen 
her  in  Europa  verbreitete,  jedenfalls  auch  innerhalb  desselben  vielfach 
einen  günstigen  Roden  vorfand. 

Knecht,  s.  Stände. 

Knoblauch,  s.  Zwiebel  und  Lauch. 

Knochenmark,  s.  Fleisch. 

Kiiochendünger,  s.  Dünger. 

Kocher,  s.  Pfeil  und  Bogen. 

Kochkunst,  Küche.  Die  Anfänge  der  Kochkunst,  für  deren 
Ausübung  die  mannigfachsten  Gcfässe  (s.  d.)  zur  Verfügung  standen, 
sind  schon  in  die  idg.  Urzeit  zu  verlegen.  Dies  wird  zunächst  durch 
die  urverwandte  Sprachreihe:  sert.  pac  ,kocheu,  backen,  braten',  aw. 
pac  '  npers.  puyten  , kochen ),  griech.  neöauj  , koche,  backe'  (ÖTrrdui 
,brate'  aus  *o-TrK-Tdw?),  lat.  coquere  ,kochen'  (vgl.  aber  auch  panem 
coquere,  coctile  , Ziegelstein';  popina  ,GarkUche'  ein  ebenfalls  hierher 
gehöriges  oskiseh-uiubrisehcs  Wort),  altsl.  peka  , backe,  brate',  korn. 
peber  ,pistor'  erhärtet.  Ihre  Grundbedeutung  wird  ganz  allgemein 
,durch  Feuer  etwas  geniessbar  machen'  gewesen  sein.  Spezieller  die 
Regriffe  des  Bratens,  Röstens  oder  (auf  die  Ilalmfincht  bezogen  i  des 
Backens  (s.  u.  Brot)  bezeichnen  die  Gleichungen:  sert.  bhrajj  ,rösten', 
griech.  (ppu-rw,  lat.  frigo,  ir.  bruighim  ds.  (Vokalismus  unklar );  griech. 
<purrw,  ahd.  bahhan;  lit.  kepü  , brate,  backe  ,  griech.  dpio-KÖTroq  .Bäcker'; 
lat.  asstts  , trocken  gebraten'  aus  *ad-tu-s  :  griech.  oZvj,  *ab-ju>  ,dörre'. 
Noch  nicht  sicher  erklärt  ist  das  in  die  romanischen  Sprachen  (frz» 


Digitized  by  Google 


440 


Kochkunst,  Küche. 


rötir)  übergegangene  alid.  rösten  von  ahd.  rö»t,  rösta,  röstpfanna 
,sartago'.  Letzteres  dürfte  aus  *raudhst-  entstanden  sein,  zu  altn.  raudi 
,Eiscn',  lat.  raudu»  (*raude»is)  gehören  und  selbst  ursprünglich  .Eisen' 
bedcatet  haben  (vgl.  got.  hröf  :  agls.  hröst  ,Dach). 

Speziell  der  Bedeutung  ,koehen'  dient  hingegeu  die  Gleichung  armen. 
ep'em  =  griech.  tvpuj  (öipavov).  Besonders  beliebt  dürfte  aber  in  der 
Urzeit  das  Braten  oder  Rösten  des  Fleisches  (s.  d.)  am  Spiesse  ge- 
wesen sein.  Die  Kunst  des  Kocbcus  mochte  hauptsächlich  der  Her- 
stellung des  Breies  (s.  d.)  dienen.  Eigentliche  Suppen  gehören 
weder  in  Griechenland,  noch  in  Italien  zu  den  volkstümlichen  Tafel- 
freuden. Eine  Ausuahmc  macht  der  u€'Xa<;  Ztuuöq  der  Lacedämonier 
(Plutarch  Lykurg  Cap.  12).  Frühzeitig  hingegen  tritt  die  Suppe  in  ger- 
manischen Landen  auf,  wo  überhaupt  das  Kochen  (vgl.  gemeingerm. 
ahd.  »iodan,  agls.  »eodon  altn.  »jöda,  got.  saup»  .Opfertier'  f  von  jeher 
eine  wichtige  Rolle  spielte.  Schon  im  Rfgs))ula  Str.  4  gehört  die  Suppe 
(sod)  neben  grobem  Brot  und  gesottenem  Kalbfleisch  zu  den  Bestand- 
teilen eines  ärmlichen  Mahles.  Es  wird  daher  nicht  Zufall  sein,  dass 
zwei  germanische  Bezeichnungen  für  Suppe  und  Brühe  in  die  roma- 
nischen Sprachen  übergegangen  sind:  spnn.,  ptg.,  pr.  sopa,  frz.  »oupe 
aus  mhd.  supfen  .schlürfen,  trinken'  und  it.  brodo,  broda.  frz.  brauet 
aus  ahd.  brod,  altn.  brod  (ir.  brnth).  Weit  grösser  aber  ist  umgekehrt 
der  sprachliche  Einfluss,  welcher  auf  dem  Gebiete  der  Kochkunst  von 
dem  römisch  cn  Süden  auf  den  Norden  Europas  ausgeübt  wurde. 
Während  die  Griechen  für  das  mehr  und  mehr  emporblühende  Gewerbe 
des  Kochs  ein  neues  Wort,  uo/reipos  :  udo*o*uj  .knete*  (also  vom  Brot- 
bäcker hergenommen)  iirGcbrauch  nahmen,  hielten  die  Römer  an  ihrem 
uralten  coquere.  coquu»  fest,  das  sie,  zweifellos  mit  den  Fortsehritten 
einer  verfeinerten  Küche  selbst,  in  den  Norden  verpflanzten.  Aus  lat. 
cuquere  (cocere)  sind  hervorgegangen:  ahd.  chohhön,  mndl.  coken,  aus 
lat.  coquu»  {com»)  :  ahd.  choh,  altndd.,  mndl.  coc  (agls.  cor  jünger). 
Über  die  Stellung  des  coquu»  und  coquu»  regt»  in  den  Hofhaltungen 
des  frühen  Mittelalters  vgl.  F.  A.  Specht  Gastmähler  und  Trinkgelage 
bei  den  Deutschen  Stuttgart  1 8S7  S.  10  ff.  Auch  bis  zu  den  Slaven 
ist  die  römische  Sippe  gedrungen,  wo  sie  in  altsl.  kuchari  .Koch",  Cech. 
Vuchati  u.  s.  w.  vorliegt,  ein  einheimisches  slavo-litauisehes  rariti- 
teirti  ,kochen'  im  Gebrauch  beschränkend. 

Ein  besonderer  Raum  zum  Kochen,  eine  Küche,  war  in  dem  idg. 
Hans  'S.  d.)  nicht  vorhanden.  Wie  noch  in  homerischer  Zeit  (vgl. 
Heibig  Horn.  Epos8  S.  117),  wurden  die  Speisen  in  dem  allgemeinen 
Herdraum  zubereitet.  Erst  spät  hat  sich  von  demselben,  an  dem  rö- 
mischen Wohnhaus  (vgl.  Becker-Göll  Gallus  II,  277 1  und  an  dem  ger- 
manischen Bauernhaus  noch  deutlich  verfolgbar,  eine  eigene  Abteilung 
als  Küche  abgegliedert,  die  noch  einhelliger  wie  das  Kochen  selbst  in 
den  nordeuropäischen  Sprachen  den  lateinischen  Namen  führt.  Aus 


Digitized  by  Google 


Kochkunst,  Küche  -  Kohl  und  Rühe. 


441 


lat.  coquina  (coclita  .auf  Kochen  bezüglich',  ,Thätigkeit,  dann  Ort 
des  Kochens'  (daneben  das  dunkle  culhta,  das.  da  Latrine  und  Küche 
neben  einander  lagen,  auch  die  Bedeutung  ,Abort'  angenommen  hat, 
vgl.  G.  Goetz  Thesaurus  I,  292:  aus  culina  agls.  ci/In)  sind  entlehnt: 
ir.  cuicenn,  eucan,  kymr.  cegin,  ahd.  chuhhina,  nindl.  cökene.  ngls. 
cycene,  lit.  kitkne  <  altpr.  ktikore).  Am  frühsten  werden  auf  deutschem 
Roden  bei  den  Herrenhäusern  gesonderte  Gebäude  als  Küchen  er- 
wähnt. Vgl.  Lex  Baj.  { W.)  tit.  IX,  Cap.  3:  *S7  7«/*  desertarerit  auf  culnien 
eieverit.  quod  ttepe  contingit,  auf  incendio  tradiderit,  uniuxcuiusque 
quod  ßrxtfalli  dicunt,  quae  per  xe  conxt  rueta  sunt,  id  ext  bah 
nenrhtHi.  pixtoriam.  coqu  inain,  rel  cetera  huiusmodi,  cum  tribttx 
xolidix  componat,  et  rextittiat  dhnpata  eel  incensa  weiteres  vgl.  bei 
M.  Heyne  Deutsches  Wohnungswesen  S.  9;ltt'.,.       S.  u.  Haus. 

(oelibat.  s.  Junggeselle. 

Kognation,  s.  Familie. 

Kohl  null  Kühe.  Als  den  Ausgangspunkt  der  eigentlichen  Kohl- 
kultur (liraxsica  oleracia  betrachtet  mau  mit  Recht  Italien,  wenn 
auch  die  erste  Anregung  zu  derselben,  wie  auf  anderen  Gebieten  des 
Gemüsebaus,  von  Griechenland  ausgegangen  sein  wird  tvgl.  lat.  crambe 
aus  gricch.  KpäMßn/i,  wo  aber  der  Kohl  selbst  noch  bei  Theophrast  im 
Ganzen  wenig  beachtet  wird.  Auf  den  von  Italien  ausgehenden  EinHuss 
weist  die  Sprache  hin.  Ans  lat.  cattlix  ,Kohl'  f  --  gricch.  tcctuXö«;  »Stengel, 
Strunk',  auch  .Kohlstrunk';  oder  daraus  entlehnt  Y)  stammen  ahd.  köl,  chnli, 
chülo,  chöla,  agls.  cd  tri,  altn.  kdl.  kymr.  caicl,  aus  lat.  caputium  oder 
it.  cajmccio  <:cajmt  ,Kopf.  also  ,Kopfkohri  :  ahd.  kabttj,  chapu~},  unser 
«Kappes",  nsl.  kapnx,  aus  it.  compöxto,  lat.  compoxita  , eingemachtes' 
(doch  machten  die  Alten  nur  Rüben  in  gleicher  Weise  wie  wir  das 
Sauerkraut  ein,  :  mhd.  kumpoxt  .eingemachtes",  bes.  .Sauerkraut",  altsl. 
kapuxta,  nsl.  kapuxta,  wobei  zu  bemerken  ist.  dass  der  letztere  Aus- 
druck im  Slavischen  die  gewöhnliche  Bezeichnung  von  Jiraxxica  ole- 
racia geworden  ist.  Vielleicht  lernten  die  Slaven  daher  zuerst  durch 
Handelsbeziehungen  das  Sauerkraut,  und  dann  erst  die  Kultur  der 
Pflanze  kennen,  aus  der  dasselbe  bereitet  wurde.  Ganz  spät,  und  zwar 
erst  am  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts,  ist  unser  Blumenkohl  (Schweiz. 
kardifiol  aus  it.  cacoli  fiorii  aus  der  Levante  nach  Italien  und  von 
da  noch  später  nach  Deutschland  gekommen. 

Viel  früher  als  der  Kohl  müssen  die  Rüben  {Braxxica  naptix  und 
Ih\  rapa  L.)  in  Europa  angebaut  worden  sein,  für  die  in  lat.  räpa, 
räpntn,  gricch.  (barru^,  pdq>u?  (vgl.  Athen.  IX,  p.  3(59  ,  ahd.  räba, 
ruoba,  lit.  rdpe\  alh.  repe  eine  urverwandte,  in  ihren  Vokalverhält- 
nissen aber  noch  nicht  durchsichtige  Reihe  vorliegt.  Vgl.  auch  die 
Entsprechung  von  kymr.  erfin  ,napus',  bret.  iruinenn  .navet',  urkelt. 
*arbino-,  das  aber  teils  .Kohl',  teils  .Rettig*  bedeutet.  Indessen  ist 
zu  bemerken,  dass  in  prähistorischen  Schichten  bis  jetzt  durchaus 


Digitized  by  Google 


442 


Kohl  und  Kübe  —  König. 


keine  Brassica-Arten  nachgewiesen  worden  sind,  wenngleich  dieselben 
ihre  Heimat  in  Europa  selbst  zu  haben  scheinen  (vgl.  Heer  Die  Pflanzen 
der  Pfahlbauten  S.  22  und  De  Candolle  Ursprung  der  Kulturpflanzen 
8.  45).  Im  alten  Griechenland  tritt  auch  der  Rübenbau  i  forfoXi^ 
Br.  rapa,  ßouvid^  Br.  napus)  sehr  zurück,  während  er  in  Italien 
<räpa  und  napus)  wiederum  eine  hohe  Blüte  erlangt  hat.  Eine  Be- 
nutzung der  Rüben  Steckrüben,  Rübsen)  zur  Ölgewinnnng  hat  in- 
dessen im  Altertum  nicht  stattgefunden,  wozu  bei  dem  Vorhandensein 
des  Ölbaums  und  des  Sesams  (s.  s.  d.  d.)  auch  kein  Bedürfnis 
vorlag.  Das  Capitulare  de  villi»  nennt  napos,  die  auch  in  der  Lex  Salica 
bereits  erwähnt  werden  (Br.  napus  L.),  caulos  (,Kohl'  und  rata- 
caulos  G.  Götz  Thes.  I,  151:  raua-caulis),  mit  welch  letzterem  Aus- 
druckwohl unser  Kohlrabi  (', Rüben-Kohr;  vgl.  o.  ahd.  räba)  genieint  . 
ist.  —  Vgl.  Beckmann  Bcyträge  V,  118  ff.,  v.  Eischer-Benzon  Alt- 
deutsche Gartenflora  S.  1  <  >H  ff.  S.  u.  Ackerbau  und  u.  Garten, 
Gartenbau. 

Kompass,  s.  Magnet. 

König.  Unter  den  zahlreichen  Bezeichnungen  des  K  ö  n  i  g  s  in 
den  idg.  Sprachen  findet  sich  eine,  welche  in  die  idg.  Urzeit  zurück- 
geht. Es  ist  seit,  rrt'jan-,  raj-  =  lat.  /v>,  altgall.  -rix  in  Eigennamen 
wie  Orgetorir  etc.,  ir.  ri  :  sert.  rd'jati  ,er  herrscht",  aw.  rözttyriti 
.ordnet',  lat.  regere  , richten,  lenken,  leiten  .  also  ,der  Ordner,  Lenker' 
(die  Beziehungen  zu  einer  anderen  Reihe  von  Verben,  die  .ausstrecken' 
etc.  wie  gricch.  öpc'ru)  bedeuten,  sind  nicht  klar).  Daneben  wird  schon 
in  der  Urzeit  auch  ein  Wort  für  den  11  e  r  r  s  c  h  a  f  t  s  b  e  r  c  i  c  h  eines 
Königs  :  sert.  rdjyä-m  -  ir.  rige,  *rig-io-m  gelegen  haben,  während 
sich  eine  vorhistorische  Bezeichnung  für  die  Königin  aus  «lein  vor- 
handenen Material  :scrt.  rd'jni,  lat.  rt'gina,  ir.  rigain,  *rigaui  nicht 
mit  Sicherheit  crsehliessen  lässt. 

Es  gilt  hier,  den  Bedeutungsinhalt  und -Umfang  der  durch  die 
angeführte  Sippe  bezeichneten  königlichen  Macht  für  die  idg.  Urzeit 
zu  ermitteln. 

Zur  Zeit  als  die  Überlieferung  anhebt,  fiuden  wir  die  idg.  Völker 
sämtlich,  ganz  oder  teilweis,  von  ,.Königenu  beherrscht,  deren  Bedeutung' 
aber  bereits  eine  verschiedene  geworden  ist.  Bei  den  Slaven.  mit  deren 
Verhältnissen  zu  beginnen  vou  Nutzen  sein  wird,  werden  schon  von  dem 
Stratcgiker  Maurikios  f  Ende  des  VI.  Jahrb.;  vgl.  Arriani  Tactica  et  Mnuricii 
Artis  milit.  !.  XII  ed.  J.  Scheffcrus  Upsaliae  HJ64  p.  281  )  rcoXXoi  pn  ft? 
(koi  äauuqpwvws  £x0VTCS  ^PÖ?  a\Xr|Xou?)  genannt.  Wenn  daneben  Pro- 
kopius  B.  G.  III,  14  versichert,  dass  die  Slaven  und  Anten  seit  alters 
in  demokratischen  Zuständen  lebten  (Tä  *faP  fövn.  TauTa,  ZKXaßnvoi  te 
Kai  "AvTai,  oük  äpxovtai  irpö?  ävbpöq  £vöq,  äXX'  i\  bn.MOKpaTia  t< 
naXaioO  ßiOTeüouov  Kai  btd  toöto  autoiq  twv  TTpafpaTuiv  äti  rä  Tt 
2uu<popa  Kai  tü  büffKoXa  ic,  koivöv  —  .Volksversammlung'  -  crTeran,. 


Digitized  by  Google 


König-. 


•143 


so  findet  dieses  Beieinandersein  von  Königtum  und  Volkshcrrsehaft 
seine  Erklärung,  wenn  wir  unser»  Blick  auf  die  südlichen  81a ven 
richten,  die  wie  in  anderer  Beziehung,  so  auch  in  ihrer  Kegierungs- 
fon»  die  urslavischen  Verhältnisse  fast  Iiis  in  die  Gegenwart  treu  be- 
wahrt haben  (vgl.  für  das  folgende  F.  S.  Krauss  Sitte  und  Brauch 
der  Südslaven  Wien  18nfn.  Die  oberste  politische  Einheit  ist  hier 
bis  nicht  vor  langer  Zeit  der  Stamm  (pleine  oder  als  Wohnungsbezirk 
zupa)  geweseu,  der  wieder  in  eine  Anzahl  von  Brüderschaften  < brätst r») 
mit  ihren  Hausgenossenschaf  teil  zadruga  zerfallt.  Tür  die  Oberhäupter 
dieser  Stämme,  die  unter  jenen  £n.Y€q  des  Maurikios  gemeint  sein 
müssen,  bestehen  nach  Zeit  und  Ort  verschiedene  einheimische  Xamen: 
glatar  plemhuki  , Haupt  des  Stammes'  bloss  glavar  vom  Haupte  des 
bratxtvo),  iupun  :  zupa,  vojroda  (russ.  toi  ,Heer',  altsl.  redq  ,führe) 
, Herzog'  (auch  vom  Führer  des  or.-Contingents).  Ebenso  sind  altsl.  rladt/ka 
,der  Walter'  !:  rladq,  t1a*ti  , herrschen',  altpr.  iraldniku  Oat.  .König  ) 
und  xtaroxta,  starejsina  ,der  Alte  :  xtarü  ,alt'  {letzteres  wiederum 
auch  vom  Dorfältesten)  alte  Benennungen  für  denselben  Würdenträger. 
Dieser  wurde  noch  vor  20  Jahren  in  der  Crinagora  von  den  plentiun-i 
gewählt,  wobei  es  gewöhnlieh  das  stärkste  brattstro  verstand,  einen 
aus  seiner  .Mitte  zu  erheben.  In  manchem  pleme  war  und  ist  die 
Würde  eines  vojroda  aber  auch  seit  altersher  in  einer  Familie  erblieh. 
Das  Oberhaupt  des  Stammes  kann  abgesetzt  werden,  aber  man  thut 
es  nur,  „wenn  er  sich  im  Kampfe  nicht  als  Held  bewährt  und  in 
Angelegenheiten  des  Volkes,  z.  B.  in  richterlichen  Dingen  nicht  genug  Ver- 
stand und  Geschicklichkeit  an  den  Tag  legt".  Seine  Machtstellung 
ist  im  Frieden  und  besonders  im  Krieg  nicht  unbedeutend.  Während 
des  ersteren  liegt  in  seiner  Hand  die  richterliche  und  exekutive  Ge- 
walt, in  letztcrem  steht  ihm  das  Recht  über  Leben  und  Tod  zu.  Seine 
Einkünfte  bestehen  aus  der  Xutzniessung  eines  Teils  des  unvererb- 
lichen Staatsgruudbcsitzes,  dem  dritten  Teil  der  Abgabe  (tributum)  der 
iupa,  welcher  er  vorsteht,  ferner  aus  einem  Teil  der  Steuern  und  Ge- 
bühren {rectigal*  und  gewissen  durch  das  Gesetz  bestimmten  J ah res- 
geschenken  (donaria  saevularia). 

Diesem  Bilde  altslavischen  St  am  nie  sf  ü  rstentums,  dessen  Be- 
einträchtigung durch  auswärtige  Einflüsse  unten  zu  behandeln  sein  wird, 
stehen  nun  die  übrigen  Indogermanen  mit  einer  mehr  oder  weniger 
strafferen  Anspannung  der  fürstlichen  oder  königlichen  Gewalt  gegen- 
über, doch  sf»,  dass  iu  der  ältesten  Überlieferung  die  Spuren  einstiger 
sich  mit  den  slavischcn  deckender  oder  doch  ihnen  sehr  ähnlicher  Ver- 
hältnisse meist  noch  deutlich  zu  erkennen  sind. 

Die  Germanen  (vgl.  Brunner  Deutsche  Kechtsgeschichte  S.  11t»  ff.) 
finden  wir  zur  Zeit  des  Tacitus  teils  von  Königen  {rege*),  teils  von 
einer  Mehrzahl  von  Fürsten  {prim  ipes)  regiert,  zwischen  «leren  Würde 
mehr  ein  Unterschied  des  Grades  als  der  Art  besteht.    Beide,  ;•«?./■  wie 


Digitized  by  Google 


414 


König. 


princep«,  gehören  «lein  Adel  des  Landes  an.  Für  den  rer  folgt  dies 
aus  Tacitus  Germ.  Cap.  7:  Regen  e.r  nobilitate  aunntnt,  für  den 
prineeps  aus  der  Tliatsaelie,  das»  er  faktisch  überall  als  Mitglied  eines 
edlen  Geschlechtes  erscheint.  Bei  beiden  spielt  die  Wahl  seitens  der 
Landesgemeinde  noch  eiue  wichtige  Holle:  die  principe*  weiden  direkt 
in  dem  concilinni  gewühlt  (Tac.  Germ.  Cap.  12,  22),  das  Königtum 
ist  /war  in  gewissem  Sinuc  erblich,  aber  so,  dass  dies  die  Wahl  des 
Volkes  nicht  ausschliefst  „Das  Volk  wählt  den  König  aus  dem  herr- 
schenden Geschlecht".  Wie  das  Volk  den  König  wählt,  kann  es  ihn 
auch  absetzen,  verjagen  oder  erschlagen,  bei  Misswachs,  Kriegsnnglüek 
oder  wenn  er  dem  Willen  des  Volkes  zuwiderhandelt  (Ammian.  Marc. 
XXVIII,  5:  Apud  [Ihirgundiones)  —  rex  appellatur  hendinos  et  ritu 
ceteri  pote*tate  deposita  renweetur,  *i  sub  eo  fortuna  titubarerit  belli 
rel  segetuui  copiam  negarerit  terra).  Im  allgemeinen  gilt  von  der 
Macht  des  Königs,  was  im  besondern  von  den  Schweden  berichtet 
wird:  liege»  habent,  quorum  tarnen  vis  pendet  in  populi  sententia 
(vgl.  auch  Germ.  Cap.  7 :  Xec  regibus  infinita  auf  libera  potestas  und 
Ann.  XI II,  j">4:  Yerrito  et  Malorige,  qui  nationem  Frisiorum  regebant, 
in  quanttun  0  er  in  an  i  regnantun.  Die  Befugnisse  des  Königs 
sind  teils  richterliche  (in  Zusammenhang  damit  auch  oberpriesterliehei, 
teils  administrative,  teils  und  vor  allem  militärische.  Im  Frieden  beruft 
er  zuweilen  die  Mannschaften,  um  Leute  und  Waffen  zu  prüfen  (vgl. 
das  altn.  rupnaping  und  den  Campus  Martius  der  Franken).  Im  Kriege 
wird  der  König  zum  Herzog  (dtt.r).  In  Fürstenstaaten  wird  einer  der 
principe*  zu  diesem  Amte  erwählt.  Über  die  Einkünfte  der  letzteren 
berichtet  Tacitus  Genn.  Cap.  lö:  Mo*  e*t  cicitatibu*  nitro  ac  riritim 
conferre  prineipibu*  rel  arnientorum  rel  frugum,  quod  pro  honore 
aeeeptum  etiam  necessitatibus  subcenit.  Dasselbe  gilt  zweifellos  von 
den  Königen,  denen  nach  Cap.  12  ausserdem  noch  ein  Teil  der  Gerichts- 
bussen zufällt. 

In  sprachlicher  Hinsicht,  in  der  ein  grundsätzlicher  Unterschied 
zwischen  re.r  und  prineeps  ebenfalls  nicht  gemacht  wird,  ist  für  das 
Germanische  zunächst  die  enge  Verbindung  charakteristisch,  die  zwischen 
Fürst  und  Volk  hervorgehoben  wird.  So  bedeutet  nhd.  chuning,  agls. 
cyning,  altn.  konungr  nicht,  wie  man  früher  geglaubt  hat,  ursprünglich 
,eiuen  Mann  von  Geschlecht'  (e.r  nobilitate  s.  o.),  vielmehr  liegt  dem 
ahd.  chuning  u.  s.  w.  ein  einfaches,  in  Zusammensetzungen  wie  ahd. 
kunirichi  , Königreich',  agls.  ct/ne-helm  ,Königshelm,  diadema'  etc. 
noch  erhaltenes  *kunis  , König'  zu  Grunde,  von  dem  chuning,  eigentl. 
,Königssohn'.  , Prinz'  mit  dem  Patronymika  bildenden  Suffixe  -inga 
i chuning  wie  Wülfing)  abgeleitet  ist.  Jenes  *kuni-s  (vgl.  auch  altn. 
konr  ,a  royal  kinsman'i  oder  *kunio-*  ist  dann  aber  durch  nichts 
als  das  Genus  von  *kunio-m,  ahd.  chunni  .Stamm.  Volk*  unterschieden. 
Der  König  ist,  so  zu  sagen,  das  personifizierte  Volk,  ähnlich  etwa  wie 


Digitized  by  Google 


Konig. 


445 


im  Griechisclioii  ö  Aubög  im  Gegensatz  zu  oi  Auboi  auch  den  König 
der  Lyder  bezeichnen  kann.  Ebenso  verliiilt  sich  agls.  leod  Mask. 
,princeps'  :  leod  Fem.  .gens',  salfränk.  theod  .dominus'  Lex  Sal.  ed. 
Hessels  §227)  :  ahd.  rf/or  ,Volk',  ähnlich  das  gemeingerni.  got.  piu- 
dan*  ,ßa(Ti\€Ü<;'  :  /><«tffl  ,Volk  ,  ahd.  t ruht  in  .Herr'  :  truht  ,Schar', 
altn.  fylkir  :  /yMv  ,Volk',  got.  kindinn  ,nj€uwv'  :  lat.  </t>»a,  </e«^*.v  u.  a. 
(vgl.  Brunncr  a.  a.  0.  S.  I2uf.). 

Daneben  findet  sich  der  König  als  der  .erste'  bezeichnet.  So  im 
hurgundischen  hendinos  :  ir.  cd  ,primus',  altgall.  Cintu-gnntoH  (vgl. 
Kögel  Beiträge  XVI,  .">14i,  in  ahd.  fnristo  , Fürst*  und  got.  frauja 
,Herr'  «beide  :  sert.  puren-  ,der  erste' j.  fle.r  oder  prineep*  als  „Herzog" 
heissen  gemeingenn.  ahd.  herizogo,  altn.  hertoge  vgl.  oben  slav.  to/- 
rorfn).  Von  Wichtigkeit  ist  endlich  die  agls.  Bezeichnung  nldormau 
.Aldennann*.  Beda  Hist.  ecel.  V.  Cap.  10  berichtet  über  die  Verfassung 
der  Altsachsen:  Xon  enim  habent  regem  idem  Antiqui  Sn.cones, 
*ed  ttatrttpa*  plurimos  nune  genti  praeponitos,  ijui  ingruente  belli 
artienlo  mittunt  nequnliter  norten  et  quemeunque  norn  otttenderit,  hunc 
tempore  belli  ducem  omnen  sequuntur,  huic  obtemperant,  peracto 
autem  hello  rursum  aeqnalis  potent  ine  omnen  fiunt  mtrnpne.  Für 
antrnpn,  das  hier  also  gaiia  im  Sinne  des  Taciteischcn  prineep*  ge- 
braucht wird,  bietet  die  angelsächsische  Übersetzung  de»  Heda  nldor- 
mau, wofür  auch  agls.  uldor  enldor)  im  Sinne  von  xhief,  prince 
vorkommt,  so  das»  hier  also  noch  dieselbe  Bezeichnung  des  Stammes- 
hauptes  wie  im  Slavischcn  (xtnrosta  s.  o.)  vorliegt. 

Auf  gleicher  Stufe  mit  der  Verfassungsform  der  germanischen  cid- 
tntex  steht  oder  stand  die  der  a  1 1  g  a  1 1  i  s  c  h  c  n ,  so  sehr  die  beiden 
gemeinsamen  Grundzüge  hier  durch  das  Aufkommen  einer  mächtigen 
Priesterschaft  und  «lie  Gliederung  des  Volkes  in  druiden  und  equites 
mit  ihren  nmbneti  und  diente*  verdunkelt  worden  sind.  Auch  hier 
haben  wir  Fürsten-  und  König^staatcn,  über  deren  Verhältnis  zu  ein- 
ander unten  weiter  zu  handeln  sein  wird,  und  in  deucn  die  .Macht  der 
Herrschenden  durch  das  condlium  oder  die  Landgemeinde  und  einen 
von  Caesar  mehrfach  genannten,  in  seiner  staatsrechtlichen  Stellung 
nicht  ganz  klaren  nennt us  beschränkt  wird.  Nur  bei  den  Aeduern 
erwähnt  Caesar  1,  1(>  eine  mehr  republikanische  Obrigkeit,  den  vergo- 
bretu*,  d.  h.  den  Rechtsvollstrecker  (kymr.  guerg  ,cffieax',  ir.  breth 
.Urteil),  qtti  creatur  nnnnux  et  ritne  necinque  in  hu  oh  habet  po- 
tentntem.  Die  britischen  Kelten  aber,  bei  denen  wir  die  ursprüng- 
lichsten Verhältnisse  voraussetzen  dürfen,  tinden  wir  durchgängig 
von  Königen  (Kleinkönigen,  regen,  ouvacrraii  beherrscht,  deren  in  Can- 
tium  allein  (De  bell.  gall.  V,  22)  vier  regieren. 

Die  einheimische  Bezeichnung  aller  dieser  Herrscher,  mochten  sie 
nun  über  eine  grössere  oder  geringere  Zahl  von  Unterthanen  gebieten, 
war  ohne  Zweifel  das  oben  genannte  ir.  ri  (Gen.  rig>,  kymr.  rhi  .do- 


Digitized  by  Google 


44-; 


König. 


minus,  baro,  satrapas,  nobilis'  (=  Int.  rvx,  neben  kymr.  rhru  ,dominus, 
satrapas',  bret.  roe  ,roi"  aus  *regut-  :  lat.  rfiyo,  reifen*  nach  Stokcs 
Urkelt.  Sprachschatz).  So  ist  es  noch  iin  alten  Irlami.  Hier  ist  rig 
ein  Gattungsname  und  umschlichst  drei  Klassen  von  Königen.  Der 
niedrigste  und  wohl  historisch  frühste  ist  der  Mg  Tuatha  (Math  ,Volk' 
—  gnt.  piuda,  osk.  touto,  mnhr.  totam,  s.  u.  Stamm).  Den  zweiten 
Rang  nimmt  der  Rig  Mdr  (mar  »gross')  Tuatha  auch  Rig  Buiden 
(huden  »Schaar' i  ,king  of  companies"  ein.  Die  dritte  oder  höchste 
Klasse  von  Königen  bildet  der  Rig  Cuicidh  (eoieed  , Provinz  ),  Rig  liunad 
[bunad  , Ursprung,  Stammsitz'),  Rig  Rurech  (rare  ,Herr'j  oder  Provinzial- 
könig  und  der  Grosskönig  von  Irland  (vgl.  O'Curry  Manners  and 
Customs  I,  CCXXIX).  Sic  alle  sind  gewählt,  doch  nicht  aus  dem  Volke 
im  Ganzen,  sondern  nur  aus  der  höchsten  Adelsklasse  (flaith).  „Ein 
Erbrecht  bestand  in  so  fern,  als  die  Wahl  sich  praktisch  auf  die  Mit- 
glieder derselben  Familie  beschränkte."  Auch  die  Wahl  selbst  wjrd 
nicht  von  dem  ganzen  Volk,  sondern  nur  von  der  privilegierten  Klasse 
der  Aire  vollzogen.   Weiteres  über  das  altkeltische  Königtum  s.  u. 

Neben  ri  sind  im  Altirischen  als  Benennungen  des  Königs  noch  zu 
nennen  fäl  und  triath  (vgl.  Windisch  I.  T.  s.  v.),  beide  wohl  soviel 
wie  .Beschützer'  bedeutend,  ersteres  vielleicht  identisch  mit  sert.  vä'r 
{/..  B.  rd'r  rtdsya  ,Behflter  des  Rechts',  von  Indra  gesagt),  wenn  dieses 
Wort  von  Grassmann  im  Wb.  z.  Rigvcda  richtig  aufgefasst  ist  (anders 
B.  R>,  letzteres  (ans  *treito-)  vielleicht  zu  sert.  trä,  trä'yate  (*trei)  »be- 
schützen gehörig.  Das  schon  oben  genannte  ir.  fiaith,  *val-ti-  »Herr- 
schaft', dann  , Herrscher ,  kymr.  guletic  ,rex\  *caltiko-s,  ist  wurzel- 
verwandt einerseits  mit  akymr.  gualart,  kymr.  gwaladr  ,Oberherr', 
*ra1-atro-H,  andererseits  mit  der  schon  früher  erwähnten  Sippe  von 
altsl.  vladyka  , Walter',  ,Stammesbaupt\  altpr.  waldniku  Dat.  »König' 
(got.  icaldan). 

An  die  nordeuropäischen  Verhältnisse  schliesst  sich  am  besten  die 
Stellung  des  altindischen  Königs  an,  da  sie  die  mannigfachste  Über- 
einstimmung mit  jenen  zeigt  (vgl.  H.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  HWff. 
und  W.  Foy  Die  königliche  Gewalt  nach  den  altindischen  Rechts 
büchern  Leipzig  Auch  bei  den  vedischen  Indern  finden  wir 

Staateu,  die  von  einem  rü'jan-  und  solche,  die  von  mehreren  rä'- 
jrina*  beherrscht  werden.  Der  König  wird  durch  die  Wahl  bestellt, 
vielleicht  ausschliesslich,  da  der  Umstand,  dass  Urgrossvater,  Gross- 
vater. Vater  und  Sohn  über  die  Trtsu  gebieten,  sich  nach  R.  v.  Ihcrings 
richtiger  Bemerkung  (Vorgeschichte  S.  393)  auch  mit  der  Wahl- 
monarchie  nach  altgermanischem  Muster  verträgt.  Über  die  Befugnisse 
des  Königs  im  Frieden  erfahren  wir  wenig.  Er  wird  als  göpd'  jdna- 
sya  (vgl.  griech.  Tromnv  Xoauv,  agls.  folees  hyrde)  bezeichnet  und  hat 
ohne  Zweifel  die  Volksversammlung  zu  leiten,  mit  der  er  regiert,  und 
die  ihn  wohl  sicher  auch  wählt. 


Digitized  by  Google 


447 


Dem  Kiiiiiffe  zur  Seite  stehen  Beamte,  die  als  spärnx  .Spalier'  be- 
zeichnet werden.  Im  Kriege  heisst  er  sutpati-  ,der  starke  Herr  :  als 
solcher  liat  er  gelegentlich  ernster  Ereignisse  auch  die  Pflicht.  Opfer 
für  den  ganzen  Stamm  darzubringen.  Seine  Einkünfte  bestehen  (nach 
Zimmer  S.  ltiß.  anders  Foy  S.  :-W)  aus  freiwilligen  Oeschenken  ibali- 
<les  Volkes.  Zur  Zeit  der  Rcchtsbflcher  ist  aus  der  vedischen  Wahl- 
iiionareliie  eine  erbliche  und  absolute  Monarchie  geworden. 

Äusserst  lehrreiche  Aufschlüsse  über  die  idg.  L'r/eit  würden,  wie 
sonst,  die  Zustände  der  alten  Perser  ans  der  Zeit,  bevor  sie  in  die 
Weltherrschaft  eintraten,  uns  bieten.  Doch  wissen  wir  darüber  nur 
wenig  sicheres.  E  i  u  e  Nachricht  aber  verdient  hervorgehoben  zu 
werden.  Nach  Herodot  I,  l'Jö  zerfielen  die  Perser  ursprünglich  in 
drei  Stämme  (ftvea)  :  die  TTaaapTäbai,  Mapöwpioi,  Mäömoi.  Eine  q>prj- 
Tpn  der  TTaffapTabai  hiess  'Axaiucvibai,  und  diese  sind  es,  tvQtv  01 
ßaöiX«?  o\  TTtpcFeibai  Yetövaai.  Nach  slavisebcr  Analogie  (s.  o.)  würde 
das  etwa  heissen:  die  *Axaiu€vtbcu  waren  dasjenige  (stärkste)  brätst co 
(über  (ppnrpn,  =  hratfttvo  s.  u.  S  i  p  p  e),  aus  welchem  die  Könige 
(Stammcshäupter)  gekürt  wurden.  Der  spätere  persische  Grosskönig, 
der  .vxüyaftiya-  der  Keilinschriftcn  (npers.  siih  , König'),  der  König  der 
Könige,  König  der  Provinzen  u.  s.  w.  steht  natürlich  dem  idg.  *rfgs 
so  fremd  gegenüber,  wie  überhaupt  der  Orient  dem  Occident.  über 
<lie  nicht  sehr  klaren  Angaben  des  Awesta  Über  die  ost iranischen 
Regierungsverhältnisse  vgl.  W.  Geiger  Ostirau.  Kultur  S.  432  ff. 

Wenden  wir  uns  von  Asien  nach  Kuropa  zurück,  so  bleibt  hier  die 
Stellung  des  römischen  re.r  und  die  des  griechischen  ßaaiXcu?  zu  be- 
denken. Am  wenigsten  sicheres  wissen  wir  nach  Beschaffenheit  der 
Überlieferung  vom  römischen  Königstum,  von  dem  eigentlich  nur  das 
eine  feststeht,  das»  es  einst  wirklich  vorhanden  war.  Immerhin  wird 
mau  mit  Tb.  Mommscn  Kömische  Geschichte  I7,  Ol  ff.  (der  hier  mit 
Sehwegler  Rom.  Gesch.  I  *,  645  ff.  im  wesentlichen  Übereinstimmt; 
vielfach  abweichend  F.  Bernhöft  Staat  und  Recht  der  römischen  Königs- 
zeit S.  <>4ff.)  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  folgendes  sagen  dürfen: 
Der  römische  König  ist  ein  Wahlkönig,  der  von  dem  Rate  der  Alten 
mit  nachfolgender  formeller  Mitwirkung  der  Bürgerschaft  auf  Lebens- 
zeit gekürt  wird.  Edle  Abkunft  ist  eine  Empfehlung,  keine  Bedingung, 
„vielmehr  kann  rechtlich  jeder  zu  seinen  Jahren  gekommene  und  au 
Geist  und  Leib  gesunde  römische  Mann  zum  Königtum  gelangen".  Weit 
gegangen  sind  die  Römer  in  der  Ausgestaltung  der  Macht,  welche  sie 
ihren«  Könige  einräumten,  in  sofern  sie  dieselbe  nach  dem  schon  idg. 
Vorbilde  der  Stellung  des  pater  familia*  den  «km  gegenüber  ausbauten. 
Die  Herrschaft  des  Königs  im  Staate  ist  daher  absolut  wie  die  des 
Hansvaters  iu  der  Familie:  sie  umfasst  die  drei  Hauptgewalten  des 
Staates,  die  bürgerliche,  kriegerische  und  priesterliche.  Nur  darin  liegt 
«ine  Beschränkung  der  Gewalt  des  Königs,  dass  er  von  dem  Gesetz 


Digitized  by  Google 


ohne  Übereinstimmung  des  Rats  <lcr  Alten  und  der  Volksversammlung 
nicht  abweichen  kann.  Von  stellenden  beschenken  der  (ienieindebürger 
an  den  König  erfährt  man  hier  nichts.  Seine  Hinkünfte  waren  anderer 
Art   vgl.  Mommsen  a.  a.  0.  S.  71). 

Von  Königen  beherrscht  waren  ursprünglich  auch  die  anderen 
italischen  Stämme  und  Stadtgenieinden,  an  deren  Stelle  später  anders- 
artige (iemeinbeamte,  wie  z.  B.  <ler  sabellisebe  meddi.r  titticu*  \  meddi.r 
aus  *nuti-deictf  :  grieeh.  ur|Ti£  oder  :  ut'boum,  vgl.  das  homerisclie 
HTHTope?  n.be  u€bovT€(;),  getreten  sind. 

In  anderer  Richtung  hat  sich  das  Königtum  bei  den  Uriecheu  ent- 
wickelt. Cbcr  die  Deutung  des  Wortes  ßaaiXtüq  ist  noch  keine  Eini- 
gung  erzielt.  Die  einen  fassen  es  als  „Herzogt  *ßa(Ji-  :  ßcüvui  ,der 
geheu  macht',  -Xetiq  :  \r\6q  ,Volk '_>,  wie  nach  Plutarch  der  älteste  Name 
der  spartanischen  Könige  dpxcrrtTaq  i  vgl.  auch  den  thessalischen  Ttrröq 
:  TütTTuu )  gewesen  sei,  andere  verbinden  es  mit  lit.  gimth  „(iesehleeht 
i*ßa<Ji-  =  *gimti-:  vgl.  oben  got.  kindin*  :  lat.  gern,  (jentixu  Auch 
für  das  schon  bei  Homer  mit  ßctcnXeüq  konkurrierende  und  namentlich 
als  Titel  verwendete  Fdva£  ist  noch  keine  sichere  Erklärung  gefunden. 
Da  aber  das  Wort  bereits  in  den  altphrygischen  Felseninschriften,  auch 
in  der  Verbindung  ucrrpoFavaK  (vgl.  Kretschmer  Einleitung  S.  'J'.Wi  er- 
scheint, so  liegt  die  Möglichkeit  nahe,  dass  wir  es  hier  mit  einem  alt- 
phrygischen Lehnwort  der  homerischen  Sprache  zu  thuu  haben  vgl. 
auch  da»  bei  den  Tragikern  auftauchende  phrvgisehe  ßaXnv  »König'  : 
altsl.  bolisi  ,maior',  seit.  Inda-  ,Gewalt,  Kraft  ? j.  Auch  da*  erst  mit 
Arehilochos  auftretende  griech.  TÜpavvo«;,  Tupavvt«;  dürfte  kaum  auf 
griechischem  Boden  seine  Heimat  haben. 

Über  die  Stellung  des  honierischeu  ßaaiXtü;  sind  wir  durch  II  ja* 
und  Odyssee  ausreichend  unterrichtet.  Von  einer  Wahlmonarchie  findet 
sich  keine  Spur.  Die  Würde  des  Königs,  der  als  biOTpe<pr|<;  oder  bio- 
Ytvtte  bezeichnet  wird,  erbt  vom  Vater  auf  den  Sohn.  Aber  seine  Macht 
ist,  wenigstens  im  Frieden,  nicht  gross.  Sic  wird  eingeengt  durch  die 
neben  «lein  Könige  stehenden  xtpovreq  <n/rn.Top€<;  nbfc  uebovTt?.«,  die  wie 
er  ßaaiXfie?  heissen  und  vielleicht  einstmals  selbständige  Stammes- 
tttrsteu  waren.  Ihr  Name  (vgl.  auch  die  spartanische  tepoucria]  er- 
innert an  den  slavischen  Starosten  oder  den  germanischen  Aldermanu 
(s.  o.).  Mit  ihnen  beratet  der  König,  häutig  beim  festlichen  Mahl, 
während  die  grosse  Masse  des  Volkes  in  den  Volksversammlungen 
durchaus  eine  passive  Holle  spielt.  Ausser  der  Leitung  solcher  Ver- 
sammlungen sind  die  Befugnisse  des  Königs  richterlicher  und  priester- 
licher Art.  Am  mächtigsten  ist  er  im  Kriege.  Hier  hat  er  Gewalt 
über  Leben  und  Tod.  Mit  Rücksicht  darauf  sagt  Agamemnon  in  einem 
von  Aristoteles  (Polit.  III,  9,  ">)  uns  erhaltenen,  im  übrigen  verlorenen 
Verse  der  Ibas:  netp  -räp  ^MOi  0ävciTo<;.  Die  Einkünfte  des  Königs 
setzen  sich  aus  freiwilligen  beschenken  und  Gebühren  (bumvut  und 


Digitized  by  Google 


Kotiig. 


449 


6tMt(TTe?i  zusammen.  Ausserdem  gebührt  ihm  der  Ertrag  eines  Kton- 
guts  f'Ttfitvo?',  uiul  heim  Mahl  erhalt  er  den  Ehrenplatz  und  die  grösste 
Portion. 

Dieses  Rild  des  homerischen  Königtums  dürfte  neben  sehr  alter- 
tUiiiliclien  bereits  eine  Reihe  jüngerer  Züge  enthalten.  Ks  ist  wahr- 
scheinlich, dass  in  der  im  Osten  und  auf  den  Inseln  Griechenlands  vor 
Homer  herrschenden  ,.mykeuischcnu  Kulturepoche,  vielleicht  unter  klein- 
asiatischen  Einflüssen  (s.  o.  über  Fcivasi,  die  .Macht  des  Königtums  eine 
grössere  als  vorher  {in  der  Urzeit)  und  nachher  i  bei  Homer,  durch  das 
Aufkommen  mächtiger  Adelsgeschleehter)  gewesen  ist.  Die  Erblichkeit 
der  Königswürdc  kann  aus  dieser  Zeit  herrühren.  Ebenso  die  Herab- 
drückung  der  Volksgewalt,  während  in  der  griechischen  Urzeit  die 
Volksversammlung  ein  wichtiger  Regierungsfaktor  neben  dem  König 
gewesen  sein  muss.  Dies  kann  man  auch  aus  der  bedeutenden  Stellung 
sehliessen,  die  das  versammelte  Volk  bei  anderen  griechischen  in  ihrer 
Entwicklung  zurückgebliebenen  Stämmen  in  Ausübung  der  Gerichts- 
barkeit noch  spät  einnimmt.  So  berichtet  von  den  Makedonen  Curtius 
VI,  S.  2.>:  De  capittdihns  rebus  cetnxtu  Mucedonuni  modo  intpiirehat 
ej'crcifus:  in  pttre  erat  ruh/i.  Die  oberste  Entscheidung  in  Kri- 
minalsachen ruhte  hier  also  in  Krieg  und  Frieden  in  der  Hand  des 
Volkes,  nicht  in  der  von  Richtern  oder  des  Königs  'weiteres  vgl.  bei 
Gilbert  Jahrb.  f.  klass.  Phil.  XXIII  Sappl.,  S.  44:>  Anm.  1). 

Xach  dieser  Übersicht  über  die  Gestaltung  des  Königtums  in  den 
ältesten  Epochen  der  Einzel  Völker  wird  es  möglich  sein,  die  Stellung 
des  indogermanischen  *m/-.<  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  zu 
rekonstruieren.  Und  zwar  lassen  sieh  in  dieser  Reziehung  folgende 
Sätze  aufstellen: 

1.  Die  Würde  des  Königs  ist  nicht  erblich,  sondern  wird  durch 
Wahl  verliehen,  die  ohne  Zweifel  von  den  Sippenherrn  {*rik-p>iti-.  s. 
u.  Sippe,  und  Hansherrn  t*dem*-pofi-,  s.  u.  Familie)  vollzogen  wird. 
Prinzipiell  ist  die  Königsgewalt  jedermann  aus  dem  Volke  zugänglich, 
wie  sich  denn  überhaupt  für  die  Urzeit  eine  Gliederung  des  Volkes 
nach  Ständen  s.  d.)  nicht  nachweisen  lässt.  In  Wirklichkeit  aber 
mag  immerhin  schon  damals  eine  besonders  starke  Familie  oder  Sippe 
mehrfach  nach  einander  die  Wahl  eines  der  Ihrigen  zum  König  durch- 
gesetzt haben,  so  dass  gewisse  Ausätze  zur  liildung  von  Erbinouarchien 
schon  in  der  Urzeit  vorhanden  gewesen  sein  mögen. 

2.  Der  Gewalt  des  Königs  steht  die  Gewalt  der  Volks  Versamm- 
lung (s.  d.)  zur  Seite  oder  gegenüber,  so  dass  also  das  älteste  Staats- 
recht der  Indogcrmanen,  soweit  man  von  einem  solchen  sprechen  kann, 
auf  zwei  Pfeilern,  dem  Könige  und  der  Landesgeineiude,  beruht. 
Es  verdient  hervorgehoben  zu  werden,  dass  schon  M.  Voigt  in  seinem 
Ruche  Drei  epigraphische  Konstitutionen  Konstantins  des  Grossen,  Leipzig 
18f>U  S.  124  f.  zu  der  nämlichen  Anschauung  gelangt  ist:  ..Die  Organi- 

SchraJ-.T,  Re.illi r >i>. 


Digitized  by  Google 


sation  dieses  Staates  (des  indogermanischen;  wird  gewonnen  teils  durch 
eine  personale  Gliederung  der  Staatsgenossen,  teils  dureli  bestimmte 
Organe  der  Staatsgewalt,  als  welche  allenthalhen  ein  gewähltes 
Oberhaupt,  der  mit  der  Exekutive  ausgestattete  Magistrat,  und  eine 
Volksversammlung  hervortreten,  ausgestattet  mit  der  richterlichen 
und  sonst  noch  beschliessenden  Befugnis,  wogegen  die  Spuren  eines 
weiteren  konsultativen  Nationalausschusses  der  Stanimesältesten  'man 
denke  an  die  homerischen  f^povie?,  den  römischen  und  keltischen 
*enat um  etc.)  weniger  bestimmt  und  allgemein  wahrnehmbar  sind." 
Wie  sieh  das  Verhältnis  dieser  beiden  Regierungsfaktoren  zu  einander 
gestaltete,  wird  schon  in  der  Urzeit  von  Verhältnissen  und  Personen 
abgehangen  haben. 

o.  Die  Obliegenheiten  des  Königs  bestehen  in  der  Leitung 
der  Volksversammlung,  deren  Beschlüsse  er  zur  Ausführung  bringt. 
Über  seine  schiedsrichterliche  Stellung  s.  u.  Richter,  über  die  Frage 
seiner  priesterlichen  Thätigkeit  s.  u.  Priester.  Im  Kriege  tritt  der 
König  als  „Herzog*  auf,  als  welcher  er  eine  straffere  Gewalt  als  im 
Frieden  ausübt. 

4.  Die  Leistungen  des  Volkes  an  den  König  bestehen  in  frei- 
willigen, gewohuheitsmässig  gewordenen  Oeschenken,  die  dem  Könige 
liebst  anderen  Ehrungen  wie  dem  Vorsitz  beim  Mahle  und  den  fettesten 
Rissen  bei  demselben  dargebracht  werden.  S.  auch  u.  A  1)  gäbe  u. 
Über  den  sieh  nach  und  nach  mehrenden  Vieh-  und  Landbesitz  der 
Könige  und  des  Adels  s.  u.  Stände,  wo  auch  über  königliche  Be- 
amte gehandelt  ist. 

5.  Äussere  Abzeichen  des  Königs,  etwa  durch  einen  besonderen 
Haarschmuck,  wie  bei  den  Germanen  (s.  u.  Haartracht),  mögen  früh 
aufgekommen  sein,  lassen  sich  aber  für  die  Urzeit  nicht  nachweisen. 
Jedenfalls  aber  waren  die  uns  heute  geläufigen  Insignien  königlicher 
Gewalt,  Zepter,  Krone  und  Thron  (s.  s.  d.  d.j,  dem  frühsten  Alter- 
tum noch  fremd. 

Nachdem  im  bisherigen  der  Inhalt  der  idg.  Königswürde  ermittelt 
worden  ist,  erübrigt  es  im  folgenden  ihren  räumlichen  Umfang  zu 
bestimmen.  Da  u.  Stamm  gezeigt  worden  ist,  dass  die  weiteste  poli- 
tische Organisation  in  der  Urzeit  der  nicht  nur  auf  dem  Gedanken, 
sondern  vielfach  auch  noch  auf  der  Wirklichkeit  leiblicher  Verwandt- 
schaft seiner  Insassen  beruhende,  in  Sippen  mit  deren  Hausgemeinschaften 
zerfallende  Stamm  gewesen  ist,  so  erhellt,  dass  es  dieser  gewesen  sein 
muss,  mit  dem  sich  der  Begriff  des  idg.  *reg-io  m  (s.  o.)  zunächst  deckte. 
Solche  Stämme  als  selbständige  Organismen  sind  aber  in  ungetrübter 
Reinheit  in  Europa  nur  noch  bei  den  südlichen  Slaveu  nachweisbar 
oder  es  wenigstens  bis  vor  kurzem  gewesen.  Überall  sonst  begegnet 
uns  die  Vereinigung  mehrerer  Stämme  zu  eiuer  Völkerschaft,  und 
an  Stelle  des  alten  Stammköuigs  der  Völkerschaftskönig.  Wie 


Digitized  by  Google 


König-. 


451 


sich  hierbei  die  Dinge  in»  südlichen  Europa  entwickelt  haben,  lässt 
sich  nicht  mehr  erkennen.  Hei  Kelten  und  Germanen  aber  kann 
jener  Vorgang  der  Zusammenfassung  mehrerer  Stämme  zu  einer  cieitas 
noch  in  deutlichen  Spuren  verfolgt  werden,  und  es  scheint,  dass  jene 
alten  Stammkönige  bei  diesen»  Prozesse  eine  hervorragende  Holle  ge- 
spielt haben. 

Es  ist  eine  auffallende  Thatsache,  dass  die  Germanen,  Litu-Preussen 
und  Slavcn  das  alte  idg.  Wort  für  König  (*rcgs)  verloren,  und  die 
beiden  ersteren  dasselbe  durch  die  von  den  Kelten  entlehnte  kel- 
tische Lautform  des  Wortes  ersetzt  haben.  Aus  dem  altgallischem 
*rigs  stammt  zunächst  got.  reihst  ,6ipxwv';  im  übrigen  ist  das  Wort  ausser 
in  Eigennamen  (Theoderich,  Friedrich,  Heinrieh}  und  bis  auf  eine  Spur 
im  Altnordischen  {thiaurihr  in  einer  schwedischen  Runeninschrift  ,rex 
popnli',  dein  20  honuhar  , Könige'  gehorchen)  untergegangen.  Um  so 
lebendiger  aber  sind  die  Ableitungen  dieses  Stammes,  das  neutrale 
Substantivum  *rih-jo-m  :  ahd.  rihhi  , Reich'  (ans  altir.  rige)  und  das 
Adjektivun»  *rih-jo-s  :  ahd.  rihhi  ,mächtig,  reich'  (s.  u.  Reich  und  arm), 
ersteres  gemeingermaniseh,  letzteres  nur  kontinental-westgermanisch, 
geblieben.  Ans  dem  Germanischen  wiederum  stammen  altpr.  rihs 
,Reieh\  rihaut  ,herrschen\  rkhaüsnan  »Regierung*.  Urverwandtschaft 
zwischen  dem  germanischen  und  keltischen  Wort  kann  deshalb  nicht 
vorliegen,  weil  idg.  *reg-  im  Germanischen  lautgesetzlich  zu  *rfk-, 
nicht  zu  *rih-  geführt  hätte.  Wenn  K.  Brugmann  in  der  zweiten  Auf- 
lage des  ersten  Bandes  seines  Grundrisses  diese  noch  auf  S.  l.'Jö  ver- 
tretene Ansicht  S.  504  aufgiebt  und  wegen  der  angeblich  hierher  ge- 
hörigen Verben  Iit.  reteiüs  ,ich  brüste  mich',  rtfiz'aus  ,reekc  mich',  ahd. 
rthhan  ,sich  erstrecken'  denuoch  die  Urverwandtschaft  von  got.  reih*  — 
gall.  -r/.r,  lat.  rex,  sert.  rä'j-  (idg/*rc(7  )</)  :  *rig-)  annimmt,  so  wird 
es  schwer  sein,  ihm  hierin  zu  folgen,  da  man  nicht  einsieht,  warum 
die  angeführten  Zeitwörter  bei  ihrer  völligen  Bedeutungsverschiedenheit 
überhaupt  etwas  mit  den  Ausdrücken  für  König  zu  thun  haben  solleu. 
Die  Entlehnung  hat  stattgefunden,  bevor  im  Germanischen  die  Ver- 
schiebung der  tönenden  zu  tonlosen  Konsonanten  ig  :  h:  eintrat,  ein  Vor- 
gang, der  lange  vor  der  Römerzeit  zum  Abschluss  gekommen  war.  Viel 
leicht  erst  in  die  Zeit  nach  jener  Verschiebung,  aber  immerhin  noch  in 
eine  sehr  frühe  Epoche  fällt  die  Entlehnung  eines  zweiten  für  die 
älteste  Geschichte  des  Königtums  wichtigen  Wortes,  des  altgallischen 
ambactux  ,Klient  eines  Mächtigen'  (vgl.  Festus  ed.  0.  M.  S.  4:  Ambactus 
apud  Ennittm  lingua  Gallica  Nereus  appeliatur,  Caesar  VI,  15:  Komm 
i.  e.  eqttitum,  ut  quisque  est  genere  copiisque  ampUssimus,  ita  plurimos 
circum  se  ambactos  cUentesque  habet),  in  das  Germanische  (ahd. 
ambaht,  agls.  onbiht,  got.  andbahts  , Diener  ),  worauf  das  Verhältnis 
von  kelt.  6  (ambactux)  :  germ.  b  (ahd.  ambaht,  hinzuweisen  scheint. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  so  frühe  und  so  tief  eingedrnngne  Wort- 


Digitized  by  Google 


452 


König. 


entlehnungen  nicht  ohne  einen  sachlichen  Grund  geschehen  sein  können. 
Vergegenwärtigt  man  sich  nun  (worüber  weiteres  u.  Stamm),  dass 
auch  für  die  Kelten  und  Oermanen  als  von  der  frühesten  und  weitesten 
politischen  Organisation  nicht  von  der  ciritas,  sondern  von  dem  pagus, 
dem  Gau,  der  Tauscndsehaft,  dem  Stamm  auszugehen  ist,  so  kann  man 
sich  den  Übergang  mehrerer  solcher  pagi  in  eine  ciritas  kaum  na- 
türlicher erfolgt  denken  als  so,  dass  einzelne  mächtige  Persönlichkeiten, 
die  bis  jetzt  an  der  Spitze  eines  einzelnen  Stammes  gestanden  hatten 
-  eben  jene  *rig-es  — ,  gestützt  auf  die  Hülfe  ihnen  persönlich  er- 
gebener Dienstmaniien  —  eben  jener  ambacti  — ,  die  Herrschaft  über 
verschiedene  Stämme  in  kräftiger  Hand  vereinigten.  Auch  die  Ent- 
lehnung des  keltischen  Wortes  für  G  ei  sei  (s.  d.)  in  das  Germanische 
findet  in  diesem  Zusammenhang  ihre  Erklärung.  Kann  dieser  Vorgang 
als  innerlich  wahrscheinlich  angesehen  werden,  so  würde  die  Entlehnung 
des  genieingermanischen  *riks  , Herrscher'  und  *rik-jn-tn  .Herrschcrtum" 
ans  dem  Keltischen  darauf  hindeuten,  dass  diese  Entwicklung  für  den 
Norden  Europas  auf  keltischem  Boden  ihren  Ausgang  ge- 
nommen habe,  und  somit  würde  die  Durchbrechung  des  Hegriffes 
des  indogermanischen  Familienstaates  die  erste  jener  Wellen 
sein,  welche  vom  Westen  unseres  Erdteils  ausgehend,  unser  Staats- 
leben so  oft  erschüttert  und  zu  neuen  Bildungen  aufgerüttelt  haben 
(vgl.  Vf.  -Deutsches  Reich11  und  „ Deutscher  Kaiser",  Soudcrabdr.  aus 
den  wissenschaftlichen  Beiheften  z.  Z.  d.  allgem.  deutschen  Sprach- 
vereins X,  S.  3  ff.). 

Es  scheint,  dass  in  v  o  r  caesarischer  Zeit  i  aIso  eben  wo  jene  Ent- 
lehnungen erfolgten)  mehr  ciritates  als  später  in  Gallien  von  Königen 
beherrscht  wurden.  Wenigstens  nennt  Caesar  wiederholt  Männer,  wie 
/..  15.  den  Scquaner  Casticus  (I,  .'*)  oder  den  Trinobanten  Mandubraeius 
(V,  2">,  deren  Väter  noch  den  Königsstuhl  iuue  gehabt  hatten.  Mau 
wird  sich  den  Vorgang  so  denken  dürfen,  dass  der  von  den  reges 
geschaffene  politische  Begriff  der  ciritas  erhalten  blieb, 
auch  wenn  der  betreffende  rer  gestorben  oder  gestürzt,  und  an  Stelle 
des  Königtums  eine  Prinzipats-  oder  andere  Verfassung  getreten  war. 
Der  Kampf  aber  um  den  Königsrang  bricht  immer  aufs  neue  wieder 
aus,  und  zieht  sich  durch  die  ganze  eaesaiisehe  Epoche,  wie  es  Caesar 
II,  1  selbst  schildert:  Ab  nonnullis  etiam  {Gallia  sollicitabafnn,  qnod 
in  Galiläa  ptttentioribus  atque  iis,  qui  ad  conduce.ndos  hamines 
facultates  habebant  'also  ganz  in  der  oben  geschilderten  Weise), 
rulgo  regna  occnpabantitr,  qui  minus  facile  eam  rem  imperio  nostro 
conxequi  poterant.    Doch  setzt  Caesar  auch  selbst  reges  ein   V,  *»4;. 

Ganz  ähnlich  werden  die  Dinge  bei  den  Germanen  verlaufen  sein. 
Auch  hier  werden  politische  Wellen,  welche  die  Könige  emportrugen,  mit 
solchen  gewechselt  haben,  die  sie  : unt er  Erhal t ung  des  Begriffes 
wgiinm.  rihha,  cirita*   wieder  stürzten.    Auf  eine  solche  mag  das 


Digitized  by  Google 


Könijf. 


453 


Zurücktreten  des  Wortes  reib*  (s.  <>.)  in  den  germanischen  Sprnclien 
znrtU'kzufiilircu  sein.  Die  germanischen  Völker  wenigstens,  die  Caesar 
kannte,  lebten  damals  in  Priuzipatstaaten  (VI,  ^j:  In  pace  nulhis  est 
communis  magistratus).  Tacitus  nennt,  wie  s  li«-n  oben  bemerkt, 
beides.  Prinzipat-  und  Königsstaaten.  Eine  stranviv  Anspannung  der 
königliehen  Gewalt  herrschte  nach  ihm  im  Norden  und  Osten  des  ger- 
manischen Völkergebietes  (Ca|).  4;5:  Trans  Lipjio*  (rotones  regnautnr 
pauIo  iam  adduetius  qua  in  ceterae  Germannru  m  gentes,  nondum 
tarnen  stipra  libertatem.  protinus  deinde  ah  Oceaim  h'ngii  et  Letnocii; 

omninmque  harum  gentium  insigne  erga  regen  idisequium. 

Cap.  44:   Suhnum  hinv  cirifates  est  apnd  Mos  et  opibus  htnos, 

eorpw  unus  imperitat  nultis  iam  e.rcepthnibus,  nitn  precaria  iure  pa- 
readi  .  Eine  ähnliche  Rolle  wie  die  ambacti  hei  den  Galliern  spielen 
in  den  germanischen  Königsstaaten  die  liherti  'Cap.  :?;">:  Liherti  non 
malt  um  su pro  seriös  sunt,  raro  aliquod  mmnentum  in  domo,  nnn- 
qiuint  in  cititate,  e.rceptis  duuita.raf  iis  gentibiis  quae  regnantur.  ibi 
enim  et  super  ingenuns  et  super  nabiies  asvendunt :  apnd  reteros 
impares  lihertini  liberfatis  argumentum  sunt',. 

Die  hier  vorausgesetzte  Entwicklung  wäre  hypothetischer,  als  sie  ist, 
wenn  sie  nicht  in  den  sla vi  sehen  Verhältnissen  ihre  voll- 
kommene Entsprechung  fände.  Was  das  keltische  *rigs  für  die 
Germanen,  ist  in  vieler  Beziehung  das  germanische  ahd.  chuning  u.  s.  w. 
für  die  Slaven  geworden.  Aus  ihm  stammt  altsl.  künegfi.  kunedzi, 
künei't  ,E(trst'  vgl.  altpr.  konagis  .König',  lit.  küningas  , Pfarrer', 
eigeutl.  ,Herr',  auch  tinn.  küningas  u.  s.  w.  , König  ).  Wollen  die  sla- 
vischen Chronographen  den  Begriff  wirklicher  Herrschaft,  des  wirklichen 
Regieren*  im  Staate  im  Gegensatz  zu  dem  blossen  Verwalten  in  einem 
Landesteile  ausdrücken,  so  müssen  sie  sich  des  entlehnten  kujiüenie, 
knjaziti  gegenüber  dem  einheimischen  rlasti,  rladeti  s.  o.>  bedieneu 
(vgl.  Ewers  Das  älteste  Recht  der  Russen  S.  !*ti).  Als  „Knäse"  (kunezl) 
werden  die  skandinavischen  Waräger  von  den  Slaven  herbeigerufen. 
„Unser  Land",  sagen  sie,  ..ist  gross,  gut  und  mit  allem  gesegnet,  aber 
keine  Ordnung  ist  darin:  kommt  bei  uns  „Knäse"  zu  seiu  und  uns 
zu  regieren*1  Schlözers  Nestor  II,  lö4f.).  Charakteristisch  ist  auch, 
dass  wie  das  gallische  ambactus  in  das  Germanische,  so  ans  letzterem 
mehrere  Bezeichnungen  tür  Diener  des  Fürsten  in  das  Russische  ein- 
gedrungen sind.  So  altruss.  tiunü,  timnü,  tivonü  ,cinc  Art  Amts- 
person' (vgl.  auch  lit.  tijunas  ,Aiutmaiiu')  aus  altn.  pjonn  ,Diener, 
Sklave',  altruss.  gridl  ,Leibwüchter,  Gefolgsmann'  aus  altn.  grit  , Wohn- 
ort, Heimat  mit  dem  Nebenbegriff  des  Dienstverhältnisses'  (griümabr 
,Diener),  altruss.  jabedniku  .eine  Art  Beamter'  aus  altn.  ambadti  (vgl. 
W.  Thonisen  Ursprung  des  russischen  Staats  S.  l.'Jöf.)  u.  a.  Noch 
lehrreicher  sind  aber  die  s  ü  d  s  I  a  v  i  s  c  h  e  n  Verhältnisse  (  vgl.  Kraus» 
a.  a.  O.  S.  20  f.).   Natürlich  fingen  auch  hier  allmählich  mehrere  Stämme 


Digitized  by  Google 


König  —  Kopfbedeckung. 


(pteinena)  an,  in  eine  politische  Einheit  (cicitux)  zu  verschmelzen. 
„Das  mächtigste  pleme  beanspruchte  für  sich  eine  gewisse  Oberhoheit 
über  die  übrigen,  und  sein  Oberhaupt,  der  ziipan,  nahm  einen  dem 
entsprechenden  hühereu  Hang  über  die  übrigen  znpani  ein.  So  ent- 
wickelte sich  unter  den  .Südslaven  aus  kleinen  Anfängen 
der  Staat.  Ursprünglich  war  der  bedeutendste  unter  den  znpani 
bloss  der  primus  inte?  pures,  er  hiess  in  Serbien  ecliki  zupan  'der 
grosse  inpnn),  iu  Kroatien  dagegen  erhielt  er  frühzeitig  den 
fremden  Namen  knez.  Knez  zur  Bezeichnung  des  obersten  aller 
Volkshcerführcr  {rojcode)  erhielt  sich  bis  in  die  Gegenwart  in  der 
Cniagora".  Und  weiter:  „Unter  knez  Tomislav  und  seinen  Nachfolgern 
im  X.  Jahrhundert  erstarkte  in  Kroatien  immer  mehr  die  Machtstellung 
des  knez  und  in  demselben  Masse  schwand  die  Macht  der  znpani 
dem  knez  gegenüber,  «lern  sie  nicht  mehr  als  Gleichberech- 
tigte, sondern  als  Unterthanen  galten.  Der  knez  war  nun 
ein  wirklicher  Herrscher,  ein  König  geworden".  Mit  knez 
wechselt  die  Bezeichnung  kralj  (altsl.  kräh  .König',  russ.  knroli.  alb. 
kraV  ,lremder  König',  ngriech.  KpdXn,?,  auch  türk.  kral  u.  s.  w.  i,  nach 
Miklosich  (Et.  \V.)  und  anderen  ebenfalls  eine  Entlehnung,  und  zwar 
aus  dein  Namen  Karls  des  Grossen.  Dieselbe  Entwicklung,  wie  sie 
sich  in  sprachlicher  und  sachlicher  Beziehung  gleichsam  vor  unseren 
Augen  bei  den  Slaven  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  Germanen  ab- 
spielt, setzen  wir,  nur  in  einer  älteren  Zeit,  bei  den  Gerinn  neu  in 
ihrem  Verhältnis  zu  den  Kelten  voraus. 
Konkubinat,  s.  Beischläferin. 

Koptbcdcckuni:.  Eine  einzige  Bezeichnung  dieses  Begriffes  lässt 
sieh  über  den  Boden  der  Einzelspraeheu  hinaus  verfolgen.  Es  ist  das 
auch  u.  Helm  genannte  germanische  ahd.  Unat,  agls.  fahl  neben  agls. 
faitt,  altn.  fa'ittr  —  lat.  cassis.  Doch  kann  die  vorhistorische  Bedeutung 
dieser  Sippe  auch  noch  eine  abstrakte  (vgl.  ahd.  huota  ,Hut",  .Vorsicht', 
von  dem  man  htiot  .pileus'  kaum  wird  trennen  wollen)  gewesen  sein, 
wofür  »las  Verhältnis  von  got.  hihn*  Mvhw'  :  seit,  edrtnan-  .Schutz' 
ein  Analogon  darbietet. 

Die  Sitten  der  europäischen  Indogermanen  weisen  auf  ursprüngliche 
Barliii uptigk ei t  hin.  Der  homerische  Held  trug  im  Frieden  keine 
Kopfbedeckung,  während  die  Frau  bereits  mit  dem  Kpnbepvov,  der 
Kopfbinde  (ndpa  und  be'uj),  und  der  KaXOirrpu,,  dein  Schleier,  geschmückt 
war.  Nur  Laertes  hat  bei  seiner  Feldarbeit  eine  Kuvtn,  arftin.  eine 
Kappe  von  Geissfell  (xuvtn;  eigentlich  ,ans  Hundst'eir  :  küuuv  ,Hund  ). 
Auch  in  K  o  in  waren  Bedeckungen  des  Kopfes  ausser  auf  der  Heise 
und  bei  den  Arbeitern  nicht  üblich.  Doch  hat  Heibig  Über  den  pileus 
der  alten  Italiker  (Sitzungsb.  der  phil.-hist.  Klasse  d.  Ak.  d.  W.  zu 
München  lsso  S.  4*7  flf.)  es  wahrscheinlich  zu  machen  gesucht,  das» 
in  vorklassischcr  Zeit  von  Römern  und  Kömerinnen  als  Kopfschmuck. 


Digitized  by  Google 


Ko{>fl>edrckung. 


tr,5 


eine  hohe,  steife,  kuppclförmige  Mütze  ( piletts,  tutulus,  ape.c;  vgl.  zu 
letzterem  Festus  Pauli  ed.  O.  M.  S.  IS:  qul,  ut  sacerdotum  ianir/ne, 
dictus  est  ab  en,  quud  comprelu-iulere  antkpti  vineuht  apere  dicebant) 
getragen  wurde,  die  sieh  später  hei  verschiedenen  Pricstcrsehaften  und 
feierliehen  Handlungen  als  Tracht  erhalten  liahe.  Doch  wäre  auch  hierin 
nicht  ein  Rest  vorhistorischer  Kleidung  bewahrt  worden.  Vielmehr  be- 
trachtet Heibig  selbst  den  pileaa  als  eine  durch  Karthago  vermittelte  Ent- 
lehnung aus  dem  Orient,  dessen  hohe  und  steife,  namentlich  von  Königen 
und  Priestern  getragene  Kopfbedeckungen  unter  den  Namen  näpa, 
Kupßaaia  und  Kibapig  'vgl.  Lagard«  Ges.  Abb.  S.  201»  f.,  Lewv  .Sem. 
Frcmdw.  S.  00)  bekannt  sind.    S.  mich  u.  Kieme. 

Auch  für  die  nördlichen  Völker  Kuropas  wird  man  weder  im  Krieg, 
noch  im  Frieden  eine  regelmässige  I'edeckung  des  Hauptes  anzunehmen 
halten,  obgleich  bestimmte  Nachrichten  in  letzterer  lic/.iehuug  fehlen. 
Die  sicheren  Germanen  der  römischen  Denkmäler  (s.  über  dieselben  u. 
Kleidung)  erscheinen  barhäuptig,  während  andere  Harbaren  Sar- 
niatcn'?,  Skythen'?,  Getcn'?,  Thraker?)  orientalische  Mützen  verschie- 
dener Art,  Zipfelmützen,  Kappen  in  Form  abgestumpfter  Pyramiden 
u.s.  w.  (vgl.  Petersen  Markus-Säule  S.  f>1)  tragen.  Die  spätere  Über- 
lieferung (vgl.  .1.  Grimm  R.-A.  S.  tili)  kennt  den  Hut  oder  die  Mütze 
als  Auszeichnung  des  Adels  oder  Priestertunis  ausser  bei  Dakcn  und 
Skythen  (vgl.  auch  Tocilesco  Das  Monument  von  Adauiklissi  s.  so») 
allerdings  auch  bei  den  (loten,  und  jedenfalls  muss,  wie  die  oben  an- 
geführte Gleichung  von  ahd.  huot  u.  s.  w.  und  das  ebenfalls  urgerina- 
nische  ahd.  htlha,  agls.  hn/'e,  altn.  hnfa  .Haube'  (Kopfbedeckung  für 
beide  Geschlechter,  auch  Bischofsmütze)  zeigen,  der  Hegriff  der  Kopf- 
bedeckung schon  in  früher  germanischer  Zeit  bekannt  gewesen  sein, 
wenn  dieselbe  auch  nicht  zu  allgemeiner  P>enutzung  gelaugte.  Der 
Stamm  der  Chattuarii,  wenn  er  richtig  als  „UntlcutC  gedeutet  wird, 
würde  als  Hervorhebung  einer  Ausnahme  für  die  Regel  sprechen.  Über 
Strohhüte  der  Sachsen  vgl.  Widukind  III,  2. 

Wie  auf  allen  Gebieten  der  Tracht,  ist  auch  in  der  Terminologie 
der  Kopfbedeckungen  die  Entlehnung  eine  grosse  gewesen.  Die 
Römer  haben  u.  a.  den  petaxus  (Plaut.  ,  die  causia  (Plaut.)  und  die 
mitra  , Kopfbinde'  (Afr.)  aus  dem  Griechischen  (Tt€Tao*o<;  :  tt€tüvvuui, 
Kctoaia  :  Kaüaoq  , Hitze',  uiTpa  von  Prellwitz  Et.  W.  mit  lit.  mhturas 
gewundenes,  turbanartiges  Kopftuch'  verglichen)  übernommen.  Aus 
dem  Lateinischen,  resp.  Vulgärlateinischen  in  die  nördlichen  Sprachen, 
ans  dem  Altertum  ins  Mittelalter  übergegangen  sind  drei  Wörter,  die, 
sämtlich  noch  etymologisch  unaufgeklärt,  das  mit  einander  gemein 
haben,  das»  sie  eine  Kopfbedeckung  bezeichnen,  die  mit  einer  Art  von 
Kleidungsstück  verbunden  gewesen  sein  muss,  also  eine  Kapuze.  Es 
sind:  1.  lat.  cucullus,  cucttllio  (vgl.  auch  G.  Goetz  Thesaurus  s.  v. 
cuculht,  casuhi,  bimit,  Jacerna),  ahd.  chuqela  ,Gugcl\  prov.  coyula 


Digitized  by  Google 


456 


Kopfbedeckung  —  Koralle. 


u.  s.  w.  (vgl.  Diefenbach  0.  E.  u.  bardocuculhiH  ,Mantclkleid  des  kel- 
tischen Haiden  ).  2.  inlat.  cappa  (Thes.  I,  17*:  cajipu,  agls.  *MOf/, 
Mciciuy)  mit  ausgedehntester  Verzweigung  im  Komanisehen  (vgl.  Körting 
Lat.-roni.  W.  S.  IGT),  alid.  kappa,  agls.  aeppe  (weiteres  hei  Kluge 
Et.  W.':  s.  v.),  auch  in  den  slavischen  Sprachen  von  ungeheurer  Ver- 
breitung vgl.  Miklosich  Fremdw.  s.  v.  /r</;j«  und  sapka).  lit.  kepitre  u.s.  w. 
.*>.  ndat.  almutia,  span.  almuvio  u.  s.  w.  (vgl.  Körting  a.  a.  0.  8.  Ö12), 
juhd.  mutze,  mutze  (vgl.  Kluge  a.  a.  0.  s.  v.  Mützci,  lit.  mucz'la. 

Wie  der  Süden  Europas  (s.  o. >,  zeigt  auch  der  Osten  in  der  Termi- 
nologie der  Kopfbedeckungen  starke  orientalische  Beeinflussung:  Die 
Slaven  haben  schon  in  ihrer  osteuropäischen  Urheimat  von  Turk-Stäminen 
die  türkische  Bezeichnung  der  Mütze  kalpak\  übernommen,  die  in  allen 
Slavincn  (altsl.  klobnkü  u.  s.  w.)  gilt  (vgl.  Miklosich  Türk.  Eiern.  8.  1 
und  N*!.  —  8.  auch  u.  Filz.  Auf  die  Mützen-  oder  Kappeutracht  der 
süd-ost-curopaischen  Barbarenvölker  wurde  schon  hingewiesen. 

Die  Prähistoric  vermag  bis  jetzt  nur  vereinzelte  Aufschlüsse  zu 
geben.  Zu  der  u.  Kleidung  beschriebenen  Männertracht  der  skandi- 
navischen Bronzezeit  gehörte  auch  eine  wollene,  runde  und  ziemlich 
hohe  Mütze,  die  von  S.  Müller  Nordische  Altertumsk.  I,  2151)  aus- 
führlich beschrieben  wird.  Der  vereinzelte  Eund  einer  Frauentracht 
aus  derselben  Zeit  enthält  ein  sauber  geknüpftes  Netz  aus  Wollen- 
fädeu.  Etwas  weiteres  dürfte  über  Kopfbedeckungen  aus  prähistorischer 
Zeit  nicht  bekannt  sein. 

Alles  in  allem  genommen,  erhält  man  den  Eindruck,  dass  die  Sitte, 
Kopfbedeckungen  zu  tragen,  sich  in  Europa  mittel-  und  unmittelbar  erst 
von  orientalischen  Völkern  her  verbreitet  hat,  die  unter  dem  Ein- 
lluss  ihres  Klimas  frühzeitig  auf  eine  solche  Erfindung  verfallen  mussten. 
Zuerst  (wie  noch  heute  bei  Naturvölkern,  die  mit  europäischer  Ge- 
sittung in  Berührung  kommeni  wohl  überall  von  privilegierten  Gesell- 
schaftsklassen, Priestern,  Königen,  Adeligen  angenommen,  drang  sie  in 
Europa  erst  ganz  allmählich  in  weitere  Kreise.      S.  u.  Kleidung. 

Koralle.  Sie  wird  in  der  Umschreibung  Xeipiov  ävöiuov  T-ovria«-, 
^po*n,<-  ,Lilienblumc  des  Meerestaus'  zuerst  bei  Piudar  genannt  (vgl. 
Blümucr  Teno,  und  Teehn.  II,  .578).  Ihr  eigentlicher  Name  KopuXXiov, 
KOupaXiov.  xwpäXiov  tritt  erst  später  (Thcophr.,  8.  Empir.  Pyrrh..)  auf. 
Sie  kam  am  besten  am  indischen  Meerbusen  vor  und  bildete  einen 
geschätzten  Handelsartikel,  da  Korallen  gern  als  Amulette  gegen  den 
bösen  Blick  etc.  getragen  wurden,  eine  Sitte,  die  nach  der  ausdrück- 
lichen Überlieferung  des  Plinius  in  Indien  wiederkehrt  (XXXI I,  23).  Vgl. 
auch  K.  Garbe  Die  indischen  Mineralien  S.  TO:  „Die  Koralle  .... 
wirkt  gegen  Schleim,  Galle  und  sonstige  Krankheitsstoffe  und  verschafft, 
von  Frauen  getragen,  diesen  Kraft,  Schönheit  und  Glück".  Indische 
Namen  sind  u.  a.  ambhödhicaJlabha-  »Liebling  des  Meeres',  ambhö- 
dhipallata-  ,Zweig  des  Meeres'  u.  a.  Vgl.  auch  oben  den  pindarischen 


Digitized  by  Google 


Koralle  —  Kork. 


457 


Ausdruck.  Ist  es  denkbar,  dass  das  sonst  ganz  rätselhafte  griech.  ko- 
pritXXiov,  xoupäXiov  die  Übersetzung  einer  derartigen  Bezeichnung  (etwa 
KÖpn  oder  Koupn.  äXö?  .Tocliter  des  Meeres ')  seitens  eines  des  Indischen 
kundigen  griechischen  Handelsmannes  darstellt,  die  dann  in  mannig- 
facher Verstümmlung  nach  Griechenland  gelangte.-'  L'nter  den  Xord- 
völkern  werden  frühzeitig  die  Gallier  /'PI  in.  a.  a.  0.)  als  Leute  genannt, 
die  ihre  Schwerter,  Schilde,  Helme  mit  Korallen  schmückten,  die  übrigens 
auch  an  der  gallischen  Küste  selbst  vorkamen  (Plin.  XXXII,  LM  >. 

Korb.  Urverwandte  Bezeichnungen  hierfür  sind  lat.  quälns  *qims- 
lu  x  ,,  qiuisillunt  —  altsl.  ko*l  ,Korb  und  vielleicht  lat.  corbis  (vgl. 
auch  ir.  corb  , Wagen  ?  i  =  ahd.  ri-f,  altn.  hrip  »hölzernes  Traggestell'. 
Da  die  Kunst  des  Fl  ec  Iltens  s.  d.)  schon  in  der  Urzeit  bekannt 
war,  steht  der  Annahme,  dass  man  schon  damals  Körbe  zu  Hechten 
verstand,  nichts  im  Wege.  Thatsäehlieh  wurde  Korbflechterei  schon 
in  der  Steinzeit  der  Schweiz  und  in  anderen  ueolithischen  Stationen 
betrieben  i vgl.  Keller  Pfahlhautcnhcrichtc  IV,  lt>i.  Ja.  es  fehlt  nicht 
an  Archaeologeu,  welche  die  Kunst  der  Korbflechterei  für  alter  als 
die  der  Töpferei  rs.  u.  Gelasse)  ansehen  und  in  dem  Korb  das  Vor- 
bild des  Topfes  erblicken  (vgl.  Grosse  Anfänge  der  Kunst  S.  i:>7  und 
Hoernes  Urgeschichte  der  bildenden  Kunst  S.  iJT  ff.).  Kine  Art  von 
ledernen  Korben  ist  aus  späterer  Zeit  an  den  Tag  gekommen.  Das 
k.  k.  naturhistorische  Hofmuseum  in  Wien  enthält  mehrere  dem  Hall- 
stätter  Salzberg  entnommene  Tragkörbe  aus  Kalbsfell,  die  ursprünglich 
zum  Heraustragen  des  Salzes  aus  dein  Bergwerke  dienten.  Kine  lebendige 
sprachliche  Illustration  hierzu  bietet  die  Reihe:  seit,  meshd-  .Widder' 
(Widderfell),  lett.  maixs  .Sack',  altn.  meist  , Futterkorb  ,  ahd.  meiso  , Ge- 
stell zum  Tragen  auf  dem  Kücken'  (altsl.  mt  chü  .Schlauch',  altpr.  hioasit 
, Blasebalg';  über  ir.  mdit,  kymr.  miri/ts  etc.  ,vas  quoddam'  vgl.  Stokes 
Urkeltischer  Sprachschatz  S.  V.tih.  Wie  bei  den  Gc  fassen  s.d.,  ist 
auch  in  der  Terminologie  der  Körbe  die  Kntlehnung  eine  grosse. 
Schon  die  homerische  Sprache  hat  wiveov  (vgl.  auch  KdvaaTpov  ans 
dem  phoenizischen  Küvn.  (s.  u.  Kohr  gebildet.  Die  Körner  haben  at- 
niatnun  und  v.alothnt  (vgl.  griech.  KdXctöoq  seit  Aristoph.  :  arani.  qtla 
jHeehten'  nach  Lewv  Semit.  Fremdw.  S.  1  S#U y .  ans  dem  Griechischen 
entlehnt.  In  nnermesslicher  Ausdehnung  ist  lat.  corbis  iu  die  nördlichen 
Sprachen  gewandert  (ahd.  vhurb,  alts.,  ndl.  korf,  slavisch  *korbija, 
altsl.  krabij,  lit.  kui-bas).  Einzelsprachliches:  Griech.  idXapo? 
(Horn.  :  TaXdöo*ai,  lat.  tollere),  KÖqpivo?  (Aristoph.,  vgl.  Lcwy  a.  a.  0. 
8.  llf>),  öTrupii;  (vgl.  lat.  sporta)  u.  a.  Lat.  f'itcu*  (vgl.  engl,  basket?), 
scirpe«  (,aus  Binsen  ).  Ir.  clitib  (Zeuss  Gr.  Celt.-  S.  18).  Mhd.  krebe. 
Altsl.  krosuka  (alb.  krosna,  lit.  pintinis  (,gcHochtcnes  )  u.  a. 

Koriander,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Kork.    Die  Kinde  des  im  südlichen,  namentlich  aber  im  süd- 
westlichen Kuropa    Spanien  und  der  Provence)  einheimischen  Kork- 


Digitized  by  Google 


Kork  —  Kürperbeinalung. 


bannis  tQuercus  au  her  ,  der  Kork  'griech.  tpeXXöq,  wie  wahrscheinlich 
auch  <lcr  Daum  hiess;  lat.  «uher  ,der  Baum  und  seine  Kinde'  :  griecl». 
(Jücpap  .runzelige  Haut',  corte.c  nur  .die  Rinde  t,  wurde  schon  im 
Altertum  zu  Zwecken  der  Fischerei,  zu  Schuhen,  zu  Schwinnngürteln, 
seltener  auch  zum  Verspunden  von  allerhand  grösseren  Gcfässen  ge- 
braucht. Eine  allgemeine  Verwendung  des  Korkes  als  Stöpsel  oder 
Pfropfen  stellte  sich  in  Eiu-opa  alter  erst  nach  Einführung  der  gliiscrnen 
Flaschen  s.  d.  ein.  was  nicht  vor  dem  XV.  Jahrb.  der  Fall  war. 
Erst  aus  dieser  Z -it  rührt  die  Entlehnung  von  nhd.  kork  durch  nieder- 
ländische Handelsverbindungen  aus  span.  cardio  >corche  .Sandale  , 
, Schuh  aus  Korkholz':  vJ-d.  unser  „  Pantoffel*  aus  ngriech.  TTavToqpeXXd? 
jGan/.kork')  von  Carter  her.  Schon  nhd.  ist  dagegen  Sforza  aus  it. 
scorzit  '  von  *e.rcortea  oder  *scortea  :  scorttitn  , Leder' ).  Vgl.  noch  it. 
sughero  :  stiher  und  frz.  /%<•  ,Kork"  :  lat.  Jeris.  *lerin*  deicht'.  — 
Beckmann  Hintrage  II,  472  11'.,  V.  Hehn  Kulturpflanzen S.  .">.V.>  f. 
Korn,  s.  Acker  hau. 

Kornelkirschhuimi  Coruus  mascitla  L.).  Der  in  fast  allen 
Gebenden  Europas  verhreitete  Baum  führt  ühereinstiimnende  Namen 
einerseits  im  Griechischen  und  Lateinischen:  griech.  xpaveia  =.  lat. 
Curaus  beide  auch  iu  der  Bedeutung  von  .Speer  gebraucht),  anderer- 
seits im  Germanischen  und  Slavischcn:  ahd.  tirnponm  (dialckt.  nhd. 
täntthatnn,  tierle,  dierliiig  u.  s.  w.)  -  russ.  deren fi  etc.  Aus  lat. 
com««  entlehnt  sind  agls.  cnrntrro,  ahd.  kormdhouttt,  altndd.  karnil- 
hörn,  während  man  für  deutsche  mundartliche  Ausdrücke  wie  hirtufss, 
her  »scheu,  heriisketi  in  Thüringen  auch  Jarlitz,  hörützeu  etc..  vgl. 
Grassinann  Pdanzennamen  S.  116)  an  Urverwandtschaft  mit  lat.  coruus 
denken  könnte;  doch  mischen  sich  mit  diesen  Formen  solche  wie 
hornhautti ,  harnkirsche,  harnst  rauch,  die  sichtlich  nur  Übersetzungen 
des  lat.  Wortes  sind,  das  man  mit  lat.  cornu  ,Horn'  in  Verbindung 
brachte.  Doch  ist  diese  Ableitung  wahrscheinlich  falsch,  da  conttts 
nicht  von  lit.  Kirnis  ,dea  cerasoruiu',  altpr.  kirim  .Strauch'  etc.  s  u. 
Kirsche)  getrennt  werden  kann  und  also  auf  einen  volaren  Anlaut 
hinweist,  während  cormi  ,Honf  (griech.  Kc'paq  =  sei  t,  ciras-  >  palatal 
anlautet.  Dunkel:  ahd.  arlizboum  und  alb.  Haar  (vgl.  G.  Mover 
Et.  WA 

Von  dem  Kornelkirschbauin  verschieden,  wenn  ihm  auch  sehr  nahe 
stehend  ist  der  ebenfalls  in  Europa  einheimische  Hartriegel  (Cornu  ff 
sanguinea  L.).  Das  Griechische  und  Lateinische  hat  keine  besonderen 
Namen  für  diesen  Baum.  Im  Althochdeutschen  lieisst  er  hart-trugili, 
hartträgil,  hartrngitla  etc.  (Graff  V,  ;'x>l),  dessen  zweiter  Bestandteil 
(*trtiginus)  wohl  iu  frz.  troetie  .Hartriegel'  wiederkehrt  (weiteres  bei 
Pritzel  und  Jessen  Volksnamen  S.  111  und  Beiträge  XIII,  f)09).  Litu- 
slavisch:  altpr.  sidis,  russ.  sridina  etc.  -  S.  u.  Wald.  Waldbüume. 
Korperhenialuiig.  s.  Tätowierung. 


Digitized  by  Google 


Körjiorboschaffenheit. 


Körperbescliaffeiiheit   Körpcrbildungi  der  Indogermancii. 

In  seinem  Buche  Vorgeschichte  der  ludoeuropäer  (Leipzig  1894)  hat 
R.  v.  Ihering  ein  Problem  von  grosser  Bedeutung  angeschnitten.  Er 
wollte  die  Kthnogcnie  der  idg.  Völker  darstellen  und  zu  diesem  Zwecke 
untersuchen:  1.  wodurch  der  Charakter  des  idg.  Mutten olks  anderen 
prähistorischen  Kinheitcu,  vor  allem  den  Semiten  gegenühcr  bestimmt 
ward,  2.  wie  sich  die  den  europäischen  Indogermanen  gegenühcr  ludern 
und  Iraniern  gemeinsamen  Eigenschaften  erklären  und  3.  wie  die  neben 
aller  Übereinstimmung  des  europäischen  Volkscharakters  «loch  be- 
stehende Verschiedenheit  der  einzelnen  europäischen  Völker  entstanden 
zu  denken  sei.  nI)ie  Volkstypen,  welche  sie  repräsentieren,  können 
doch  nicht  das  Werk  des  Zufalls  sein:  es  muss  Gründe  gegeben  haben, 
welche  sie  zuwege  brachten,  und  es  fragt  sich,  ob  dasjenige,  was  wir 
von  ihnen  wissen,  nicht  ausreicht,  um  sie  zu  ermitteln. u  Leider  ist 
es  dem  Verfasser  nicht  gestattet  gewesen,  diesen  dritten  und  letzten 
Teil  seiner  Aufgabe  zu  lösen,  wobei  es,  wie  in  den  vorliegenden  Ab- 
schnitten des  Werkes,  nicht  an  schwerwiegenden  Irrtümern,  aber  auch 
nicht  an  fruchtbaren  Gedanken  und  Anregungen  gefehlt  haben  würde 
vgl.  Vf.  Deutsche  Litternturzeitung  I8*)f>  Xr.  0).  Denn  bis  jetzt  hat 
man  nur  der  somatischen  Seite  des  grossen  Problems  seine  Aufmerk- 
samkeit zugewendet.  Man  hat  die  auf  idg.  Völkerboden  uns  begegnenden 
Typen  einander  gegenübergestellt  und  die  Frage  aufgeworfen:  Aus 
welcher  Einheit  ist  diese  Vielheit  entstanden?  Welches  war  also  der 
körperliche  Habitus  der  Indogermanen?  Um  diese  Frage  richtig  be- 
antworten zu  können,  muss  man  sich,  was  von  zahlreichen  Anthropo- 
logen verkannt  worden  ist  und  noch  verkannt  wird,  vor  allem  klar 
machen,  dass  der  Begriff  eines  idg.  Urvolks  nicht  identisch  ist  mit* 
dem  einer  idg.  Urrasse,  und  dass  die  Ursprünge  der  Indogermanen 
durch  eine  unendliche  Kluft  der  Zeiten  von  denen  des  Menschen  ge- 
trennt sind.  Ja,  es  steht  der  Annahme  nichts  im  Wege,  dass  der 
Prozess,  durch  welchen  sich  ans  dem  Schosse  des  idg.  Urvolks  die  idg. 
Einzelvölker  loslösten,  sich  erst  abspielte,  nachdem  das  erste  geschicht- 
liche Leben  bereits  an  den  Ufern  des  Xil  oder  Euphrat  erwacht  war. 
Es  liegt  daher  kein  Grund  vor,  das  idg.  Urvolk  sieh  anders  als  andere 
Völker  vorzustellen,  d.  h.  als  eine  durch  Sprache,  Kultur  und  gemein- 
schaftliche politische  (uns  natürlich  unbekannte)  Geschicke  verbundene 
Anzahl  von  Menschen,  bei  der  die  gemeinschaftliche  physische  Ab- 
stammung zweifellos  noch  eine  grössere  Rolle  als  heute  spielte,  ohue 
jedoch  die  einzige  Ursache  volklicher  Zugehörigkeit  zu  bilden.  Wie 
alle  anderen  Völker,  kann  daher  auch  dieses  idg.  Urvolk  bereits  kör- 
perlich differenziert  gewesen  sein,  und  es  ist  nichts  irriger,  als  wenn 
Penka  mit  Rücksieht  auf  die  Indogermanen  sagt:  „ein  Urvolk  als  aus 
zwei  verschiedenen  Rassen  bestehend  anzunehmen,  heisst  der  Natur 
zumuten,  /u  gleicher  Zeit  und  unter  denselben  Umständen  ein  und 


Digitized  by  Google 


4«K) 


KürpiTlH-sdiaftViilidt. 


dieselbe  (Jrundiorm  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  umzugestalten". 
Man  könnte  gegen  die  Annahme  schon  in  der  Urzeit  bestellender 
körperlicher  Verschiedenheiten  der  Indogermanen  einwenden,  duss  das 
Leiten  derselben  sich  in  streng  verwandtschaftlich  gegliederten,  agnatiseh 
aufgebauten  .Sippen  {s.  d.i  abspielte,  die  das  Eindringen  fremden 
Hintes  unmöglich  gemacht  hätten.  Allein  es  ist  gleich  hinzuzufügen, 
dass  die  Indogermanen  s.  n.  Verwandten  hei  rat;  auch  der  Sitte  der 
Exognuiic  huldigten,  ihre  Weiber  also  von  fremden  (warum  nicht 
auch  uh  htindogcrmaitischen'.';  Siämnicn  raubten  oder  kauften.  Es  ge- 
schieht zuweilen,  dass  Sippenverbäude  (Stämme.)  überhaupt  dadurch  ent- 
stehen, dass  mehrere  selbständige  Sippen,  die  ..durch  «las  tiesetz  der  Exo- 
gamie  gezwungen  waren,  beständig  unter  einander  zu  heiraten"  von  einem 
Konnubialverband  allmählich  zu  einem  Schutz-  und  Trutzverband  über- 
gehu  vgl.  E.  Grosse  Formen  der  Familie  S.  INS)  und  so  nach  und 
nach  ganz  ineinander  verschmelzen.  Derartiges  kann  schon  in  der  idg. 
Urzeit  vorgekommen  sein.  Stellt  doch  noch  heute  bei  den  Südslavcn 
(vgl.  Kraiiss  Sitte  und  Brauch  S.  f>S,  der  Stamm  { pleme)  keineswegs 
immer  eine  Vereinigung  verwandtschaftlich  verbundener  Sippen  {brat- 
Htvo)  dar,  sondern  nicht  selten  kam  und  kommt  es  vor,  dass  sich  ein 
fremdes  hratstro  innerhalb  des  Schutzes  eines  fremden  pleno-  an- 
siedelt. 

Die  Iiis  hierher  nur  als  Möglichkeit  oder  Wahrscheinlichkeit  ge- 
dachte somatische  Verschiedenheit  der  urzeitlichen  Indogermanen  wird 
nun  durch  die  anthropologischen  und  vor  allem  die  kraniologischeu 
Thatsaehen  fast  zur  Gewissheit  erhoben.  Schwankte  bisher  ein  heftiger 
Kampf  über  die  Frage,  ob  mau  sieh  den  l'rtypns  der  Indogermanen 
<Us  dolichokephal,  wie  ihn  die  heutigen  Schweden  oder  Friesen  vor- 
wiegend zeigen,  oder  als  brachykephal,  wie  er  uns  heute  etwa  in  Teilen 
der  Slavenlande,  Süd-  und  Mitteldeutschlands  und  Frankreichs  ent- 
gegentritt, vorzustellen  habe,  und  wurde  dieser  Streit,  indem  die  Fran- 
zosen eine  begreifliche  Neigung  für  den  Braeliykephalismus,  die  Deutschen 
für  den  Dolichokephalismus  der  Indogermanen  hatten,  oft  mehr  nach 
nationalen  als  nach  wissenschaftlichen  Motiven  entschieden,  so  neigt 
man  sich  heute  mehr  und  mehr  der  schon  im  Jahre  INS.)  von  R.  Vir- 
ehow  (Korrespondenzblatt  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie 
S.  144-  ausgesprochenen  Ansicht  zu,  nach  welcher  bei  den  Indoger- 
manen von  jeher  eine  dolicho-  und  brnchykephale  Reihe  neben  und 
durcheinander  hergegangen  sei.  Es  bliebe  also  nur  das  zu  ermitteln, 
warum  auf  den  einzelnen  Völkergebieten  hier  mehr  die  langen,  dort 
mehr  die  kurzen  Schädel  die  Oberhand  gewonnen  haben.  „Soweit  im 
Westen  Europas",  sagt  J.  Kollmann  (Archiv  f.  Anthropologie  XXII, 
1S1»4  S.  l.'U  ff.,,  „die  kraniologischeu  Funde  objektiv  geprüft  wurden, 
hat  sich  nirgends  eine  Bevölkerung  von  völlig  homogener  Zusammen- 
setzung gefunden,  sondern  das  Gegenteil,  nämlich  durch  alle  Perioden 


Digitized  by  Google 


Küri.erlM'HcliJiftVnlR'ii. 


1(11 


hindurch  bis  in  die  Steinzeit  zurück  stets  eine  Zusammensetzung  von 
Dolicho-,  Meso-  und  Brachvkephalen".  Diese  Regel  wird  durch  die 
kraniologischen  Verhältnisse  des  europäischen  Ostens  bestätigt.  Ver- 
weilen wir  hei  den  Verhältnissen  der  jüngeren  Steinzeit;  in  die  (§.  u. 
Kupfer  und  u.  Steinzeit)  die  Ausbreitung  der  Indogermanen  in  Ku- 
ropa fällt,  so  weisen  die  Schädel  der  schwedischen  (iräher  dieser 
Epoche  zwar  auf  eine  vorwiegend  dolichokephale  Bevölkerung,  der 
aber  doch  ein  nicht  unbeträchtliches  braehykcphales  Klenieut  beige- 
mischt ist  (vgl.  Penka  Herkunft  der  Arier  S.  S).  In  England  glaubte 
man  früher  die  Bevölkerung  Britanniens,  welcher  die  «,long  barrowsu 
angehörten,  für  durchaus  dolichokephal.  die,  welcher  die  ..round 
barrows"  angehörten,  für  durchaus  brachykephal  halten  zu  dürfen,  bis 
man  neuerdings  nachgewiesen  hat,  dass  auch  Kundgräber  Langschädel 
und  Langgräber'  wenigstens  Mesokcphale  enthalten.  Vgl.  hierüber 
1*.  Kretsehmcr  a.  n.  a.  O.  S.  40,  wo  weitere  Belege  aus  der  jüngeren 
Steinzeit  sich  linden.  Auch  die  Schweizer  Pfahlbauten  dieser  Epoche 
weisen  unter  *?">  Schädeln  l.'J  von  brachykephnleni,  x  von  dolichoke- 
phalem  und  4  von  mesokephaleiu  Typus  auf,  und  es  ist  eine  durch 
nichts  zu  stützende  Annahme,  wenn  Stnder  und  Bannwarth  in  ihrem 
grossen  Werke  Crania  Helvetica  antiqun  (Leipzig  die  brach v- 

kephalen  Schädel  einer  älteren  Epoche  der  jüngeren  Steinzeit,  die 
dolicho-  und  mesokephalen  einer  späteren  zuschreiben,  aiso  nicht  ein 
Neben-  sondern  ein  Nacheinander  braehy-  und  dolichokephaler  Be- 
völkerungsbestandteile in  der  Schweiz  voraussetzen  möchten.  Auch 
für  die  Germanen  nimmt  Virchow  (Z.  f.  Ethnologie  lS.sl  Verhandl. 
Die  Deutschen  und  die  Germanen)  eine  Differenzierung  ihres  Skelett- 
bans bereits  für  die  frühsten  Zeiten  an,  und  dasselbe  folgt  aus  den 
römischen  Kunstdenkmälern  mit  Gernianendarstcllungen.  Wohl  treten 
auf  der  Markus  Säule  (Petersen  S.  47)  im  allgemeinen  zwei  Völker- 
typen, ein  germanischer  (_der  Germanenkopf  hat  im  allgemeinen 
den  Schädel  lang  und  hoch,  namentlich  auch  vorn  über  der  Stirn, 
die  Nase  grad  oder  wenig  gekrümmt,  auch  im  übrigen  regelmässige 
Bildung"4;  und  ein  sarmatischer  („hier  ist  der  Schädel  hinten  hoch, 
zur  Stirn  sich  senkend,  die  Nase  eher  eingebogen  mit  dickerer  Endi- 
gung,  das  Jochbein  hervortretend,  die  Wangenfiäehe  gross  mit  eckiger 
Kinnlade")  mit  ziemlicher  Deutlichkeit  hervor;  aber  von  irgend  welcher 
Durchführung  dieser  Gegensätze  kann  doch  auch  hier  nicht  die  Rede  sein. 

Auf  andere  Weise  dürfte  die  Frage  nach  der  ursprünglichen  Fär- 
bung der  Haare,  der  Augen,  der  Haut  sowie  nach  der  äusseren 
Körpergestal tung  der  Indogermanen  im  allgemeinen  ihre  Erledigung 
finden.  Als  die  europäischen  Nordvölker  in  den  Gesichtskreis  des 
Südens  traten,  verfehlte  ihr  von  dem  südliehen  abweichender  Habitus 
nicht,  die  Aufmerksamkeit  der  griechischen  und  romischen  Schriftsteller 
zu  erregen,  die  uns  darüber  zahlreiche  Nachrichten,  tahlreichere  als 


Digitized  by  Google 


462 


KörpdrWüchaflVuhiMt. 


über  die  eigenen  Landsleute  hinterlassen  haben.  Die  iiltestc  Nachricht 
über  die  Slaven  haben  wir  von  Herodot  IV,  108,  wenn  die  Boubivoi 
(und  Neupoi)  mit  Recht,  wie  wahrscheinlich,  zu  ihnen  gezählt  werden: 
cövo?  eöv  pera  kui  ttoXXöv  -fXauKÖv  t(  ttuv  iaxupOü?  eo*n  Kai  uuppöv. 
Aus  viel  späterer  Zeit,  aber  unzweifelhaft  auf  Slaven  bezüglich,  be- 
sitzen wir  dann  die  Nachricht  des  Prokop  Ii.  G.  III,  14:  oü  unv  oübe 
t6  eTbo?  e?  dXXr|Xou?  ti  btaXXcto"0"ooo"iv.  eo/ar|Kei?  tc  tdp  Kai  £Xkiuoi 
biGKpepöVruN;  eiff'iv  ärravTe?.  to  be  tfuuuaTa  Kai  Td?  KÖua?  outc  XeuKOi 

drav  f|  Eav9oi  eicriv  oüie  np  i%  tö  u^Xav  aÜTOi?  TravTeXw?  T^TpaiT- 
Tai,  dXX'  ÜTte'puepoi  eiaiv  djravTe?.  Also  die  ältesten  Slaven  waren 
gross  und  blond,  nach  Prokop  nur  ziemlich  blond.  Viel  reicher  sind 
die  Überlieferungen  hinsichtlich  der  Germanen  und  Kelten  (ge- 
sammelt bei  Zeuss  Die^  Deutschen  S.  49,  L.  Diefenbach  Origines  En- 
ropeae  S.  Mio  ff.,  Holtzmann  Germ.  Altertümer  S.  121).  Fasst  man  die- 
selben zusammen,  so  ergiebt  sich,  dass  beide  Völker  im  Vergleich  mit 
Italcm  und  Griechen  grossleibig  und  hellfarbig  an  Haar  und  Augen 
waren,  dass  aber  in  beiden  Eigenschaften  die  Kelten  von  den  Ger- 
mauen noch  ttbertroffen  wurden.  Einige  der  wichtigsten  Belege  lauten : 
(hinsichtlich  beider  Völker}  Strabo  VII,  p.  290:  Tepuavoi  ....  uiKpöv 
€£aXXärrovT€<;  toü  KcXtikoü  <puXou  tw  tc  TtXeovaauw  Tn.?  dYpiÖTUTO?  Kai 
toü  ueYe^ou?  Kai  Tfj?  EaveÖTnro?,  t'  dXXa  be  TrapaTrXricnoi  Kai  uopqpai? 
Kai  nSecri  Kai  ßioi?  övTe<;,  o'iou?  eipnKauev  toü?  KeXTOu?,  (hinsichtlich 
der  Germanen)  Caesar  De  bell.  gall.  I,  39:  Saepe  numero  sese  cum 
hi8  {Germanis)  congressos  ne  vultum  quidem  atque  aciem  oculorum 
ferre  potuisse,  Tacitus  Germ.  Gap.  4:  Vnde  habitus  quoque  vor- 
porum,  quamquam  in  tanto  hominnm  numero,  idem  omnibus:  trucex 
et  caerulei  oculi,  rutilae  comae,  magna  corpora  et  tantum  ad  im- 
petum  valida,  (hinsichtlich  der  Gallier;  Caesar  II,  30:  Plerumque  ho- 
minibux  Gallis  prae  magnitudine  corporum  suorum  brevitas  nostra 
contemptui  est,  Diodorus  V,  2H:  o\  TaXdiai  toi?  uev  o*wuao*iv  ei(7iv 
euunKei?,  Tai?  be  aapEi  Kd6uYpoi  Kai  XeuKOi,  toi?  be  KÖuai?  oO  uövov  i< 
<püo"eu>?  EavOoi,  dXXd  Kai  bid  rr\q  KaTaöKeurjq  (s.  u.  Seife)  e^rnribeu- 
outfi  aoEeiv  tu.v  q>uo*iKf)v  rf\q  xpo«S  ibiörnja,  (hinsichtlich  der  britan- 
nischen Kelten)  Strnbo  IV,  p.  20o:  o\  be  dvbpe?  eüunKeo*Tepoi  tüuv  KeXtwv 
€io*i  Kai  f|0*ffov  Eav8ÖTpixes,  xauvÖTepoi  be  toi?  (Tuüuao'i  ....  Td  b'  e"6n 
Td  uev  ouoia  toi?  KcXtoi?  Td  b'  drrXoucTTepa  Kai  ßapßapujTCpa,  (hin- 
sichtlich der  kleinasiatischen  Kelten)  Livius  XXXVIII,  17:  Procera 
corpora ,  promissae  et  rutilatae  comae.  Endlich  wird  auch  den 
Thrakern  und  verwandten  Völkern  glattes  und  blondes  Haar  zuge- 
schrieben (vgl.  Diefenbach  a.  a.  0.  S.  67). 

Diesen  hohen  und  hellen,  nur  durch  ein  Mehr  oder  Miuder  dieser 
Eigenschaften  unterschiedenen  Gestalten  des  Nordens  steht  nun  der 
gedrungene  und  dunklere  Typus  der  Sudindogermanen  gegenüber,  und 
es  fragt  sich,  auf  welcher  der  beiden  Seiten  hier  der  ursprüngliche 


Digitized  by  Google 


Köri'filti-hiliuftrni.cit 


Zustand  liegt,  «»der  ol)  wir  auch  in  diesem  Punkte  ein  Nebeneinander 
von  Gross  und  Klein,  von  Blond  und  Brünett  anzunehmen  haben, 
wie  dies  bei  der  Verschiedenheit  «1er  Schädclhihluug  wahrscheinlich 
der  Fall  war.  Dass  jedenfalls  diese  letztere  in  keinem  Zusammenhang 
mit  den  Kragen  der  Komplcxion  steht,  so  dass  man  nicht,  wie  dies 
früher  geschehen  ist,  Dolichokcphaiie  und  Blondheit.  Bra<  hykephalie 
und  Brünettheit  als  kongruente  Hegriffe  ansehen  darf,  wird  man  gegen- 
wartig als  sieher  betrachten  müssen  '  vgl.  Kretsehmer  a.  u.  a.  O.  S.  42  f.). 

Für  die  in  neuerer  Zeit  namentlich  von  Penka,  doch  auch  schon 
von  V.  Hehn  (Kulturpflanzen"  S.  f>10ff.}  mit  aller  Entschiedenheit  ver- 
tretene Ansicht,  dass  für  die  Bestimmung  der  ursprünglichen  Kom- 
plexion der  Indogermanen  von  den  nördlichen  Verhältnissen 
Europas  auszugehen  sei,  wird  man  es  als  eine  Art  von  Beweis 
ansehen  dürfen,  dass  gerade  iu  der  ältesten  Grüzität,  vor  allem  bei 
Homer,  häutig  zur  Bezeichnung  der  Helden  und  Heldinnen  von  dem 
Adjektivuni  tavQöq  , blond'  Gebrauch  gemacht  wird,  dass  die  Menschen 
der  Vorzeit  als  ein  grösseres  und  stärkeres  Geschlecht  geschildert 
werden,  als  die  jetzt  lebenden  (oioi  vöv  ßporoi  eiai  i.  dass  blondes  Haar 
(das  sich  die  Kölnerinnen  später  aus  Deutschland  kommen  Hessen)  und 
blaue  Augen  in  der  klassischen  Kunst  mit  Vorliehe  dargestellt  werden, 
und  dass  gewisse  Theile  des  griechischen  Volkes,  wie  namentlich  die 
kretischen  Sphakioten,  den  nördlichen  Typus  bis  in  die  Gegenwart 
bewahrt  zu  haben  scheinen  (vgl.  Penka  Origines  S.  2?>,  Herkunft  8.  1»>7). 
Es  wird  der  Zukunft  anheim  zu  stellen  sein,  ob  eine  sorgfältigere 
Sammlung  der  auf  die  Körperbeschaffenheit  der  Griechen  und  Römer 
bezüglichen  Nachrichten  und  Zeugnisse,  als  sie  bis  jetzt  vorliegt  (vgl. 
u.  a.  Van  der  Kiudere  Sur  les  caracteres  physiques  anciens  Grees, 
Bulletin  de  la  Societe  d'  anthropologie  de  Bruxclles  II,  8  —  13),  diese 
Anschauung  bestätigen  wird,  nach  welcher  innerhalb  der  klassischen 
Entwicklung  selbst  ein  allmählicher  Übergang  von  dem  einen  zum 
andern  Typus  stattgefunden  hätte,  wie  dies  zweifellos  bei  den  Kelten 
der  Fall  gewesen  ist,  »leren  heutige  Repräsentanten  in  nichts  mehr 
den  Nachrichten  der  Alten  entsprechen.  Bis  dahin  wird  man  es  immer- 
hin als  wahrscheinlich  ansehen  dürfen,  dass  die  ältesten  Indogermanen 
ein  aus  dolieho-  und  brachykephalen  Bestandteilen  gemischtes,  im 
Ganzen  grossleihiges  Volk  von  heller  Komplexion  waren.  Götterge- 
stalten wie  die  blond-  oder  rotbärtigen  Riesen  lndra  und  Thor  (vgl. 
Oldenherg  Die  Religion  des  Veda  S.  1*>4  und  E.  H.  Meyer  Germ. 
Mythologie  S.  205)  mögen  auch  in  dieser  Beziehung  als  himmlische 
Abbilder  auf  der  Erde  wandelnder  Menschen  gelten. 

Unter  den  Ursachen,  welche  die  heute  bestehenden  Differenzen  der 
idg.  Völker  erklären,  wird  immer  die  Annahme  einer  Vermischung  der 
idg.  Einzelvölker  mit  in  ihren  historischen  Wohnsitzen  vorgefundenen 
allophylen  Völkerbestandteilen  die  erste  Stelle  einnehmen.    Es  ist 


Digitized  by  Google 


4*M  p        Kf'.iiKiix-.^luilV.-nlu'it  —  KoriMi:.;!^. 


charakteristisch  für  die  vom  Osten  nach  Nordwesten  und  Südwesteu 
verlaufende  Richtung  der  Ausbreitung  der  Indogermanen  in  Kuropa 
(s.  ii.  Urheimat',  dass  gerade  im  Süden.  Westen  und  Nordwesten 
sieh  auch  historisch  noch  die  Spuren  oder  Reste  nichtiudogcrnianiseher 
Völker  nachweisen  lassen,  auf  der  Balkanhalbinsel  eine  aus  Kleinasien 
herüberrngende  allophyle  und  vorhellenische  Bevölkerung,  auf  Sizilien 
und  der  Apenninhalbinsel  Sikuler.  Etrusker  und  wahrscheinlich  Ligurer 
(vj:I.  Kretschmer  a.  u.  a.  0.  S.  4.'»),  auf  der  Pyrrbenäenhalbinsel  Iberer, 
in  Britannien  Pikten  s.  u.  M u  1 1  errec Ii  n  u.  s.  w.  An  den  äussersten 
(Ircn/en  des  idg.  Verbreitungsgebietes  konnten  die  fremden  Bestand- 
teile  eben  am  zähsten  ihr  Dasein  bewahren.  Wahrscheinlich  aber  ist, 
dass  's.  n.  Stände  auch  die  übrigen  idg.  Völker  bei  der  Ankunft  in 
ihren  historischen  Wohnsitzen  allenthalben  schon  eine  Urbevölkerung 
vorfanden,  mit  der  sie  in  mannigfachen  Verhältnissen  verschmolzen 
(vgl.  über  Rassenmiseh angen  im  ältesten  Europa  auch  Hörnes  Urge- 
schichte der  bildenden  Kunst  S.  Ti~>  ff.).  Wiissfen  wir  mehr,  als  es  der 
Fall  ist,  über  diese  vorindogennanischen  Bevölkerungsschichten.  so 
würde  das  Problem  nicht  nur  einer  physischen,  sondern  aueh  einer 
geistigen  Ethnogenic  der  indogermanen,  wie  es  Ihering  (s.  o.)  im  Auge 
hatte,  mit  grösserer  Aussicht  auf  Erfolg  als  unter  den  obwaltenden 
Umständen  in  Angriff  genommen  weiden  können.  —  Vgl.  Vf.  Sprach- 
vergleichung und  Urgeschichte'  S.  l.V>ff.,  Vf.  Die  Aula  ls<*r»  X,-.  li> 
Sp.  ;>i>4ft'.,  Kretschmer  Einleitung  in  die  (beschichte  der  griechischen 
Spnhe  S.  l><>  ff.,  O.  Bremer  in  Pauls  (Irundriss  III*,  7« »2  ff. 
Kftrpermasse,  s.  Mass,  Messen. 

Körperteile.  Seit  lange  ist  es  bemerkt  worden,  dass  die  Indo- 
germaueu  schon  in  der  Urzeit  eine  ziemlich  eingehende  anatomische 
Kenntnis  des  menschlichen  oder  tierischen  Körpers  (sert.  J.rp  ,  aw. 
kerjh  =  lat.  corpus,  agls.  hrif)  gehabt  haben  müssen  'vgl.  (.'.  Pauli 
Die  Körperteile  bei  den  Indogermanen  Progr.  Stettin  lSCo  ).  Über  die 
hierher  gehörigen  (ileichungen  soll  zunächst  unter  den  fünf  Rubriken 
Kopf.  Rumpf,  obere,  untere  Extremitäten  und  Allgemeines  eine  Über- 
sicht gegeben  werden.  Hieran  sollen  sieh  dann  einige  Bemerkungen 
über  die  sprachliche  Bezeichnung  der  in  der  ältesten  Zeit  an  be- 
stimmten Körperteilen  haftend  gedachten  Regungen  des  Ccmütcs  und 
Verstandes,  sowie  (Iber  die  Benennungen  des  Lcbensprin/.ips  Seele, 
(•eist"'  selbst  anschliessen. 

a)  Kopf. 

Schädel:  sert.  lapalu-,  agls.  hafola  vgl.  auch  lat.  capiUti*  , Haupt- 
haar" und  lat.  rapid  .Kopf,  sert.  kapturhala-  .Haar  am  Hinterhaupt' 
nebst  den  in  ihrer  Zugehörigkeit  noch  nicht  sicher  erklärten  germa- 
nischen got.  hauhiji  etc.  i;  ursprünglich  die  Spitze  des  Schädels,  dann 
das  ganze  Haupt  meinen  die  beiden  Reihen:  sert.  riras-,  aw.  sarah-, 
griech.  xäpä  .Kopf    vgl.  auch  griceh.  Kf'pag  .Horn',  lat.  crebrum  ,0e- 


Digitized  by  Google 


Korportfile. 


4G6 


hirn',  ndl.  herxen,  ahd.  hirni,  *herzn-)  und  grieeh.  K€qpct\n,,  ahd.  gebal 
»Schädel'  (got.  gibla  ,Gicbel');  lit.  galicä,  slav.  £/<ir<r.  —  S.  auch  u. 
Gc  fasse. 

Antlitz:  sert.  änika-,  a\v.  aiaika-,  grieeh.  dvwTrn,,  ir.  ainech  i*eni 
,in" -f  *o</-  8.  u.  Auge,  ..was  man  im  Auge  hatu  . 

Stirn:  ir.  e7fl/i  (*antano-).  abd.  cwdi,  lat.  antiae  , Haare,  die  in  die  Stirn 
fallen'  (:  grieeh.  dvii  gegenüber');  grieeh.  ßpfxuö?,  agls.  bnvgen  .brain'. 

Mund:  sert.  d'x-,  ä'san-,  a\v.  lat.  ir.  a  (vgl.  lat.  öra  , Küste', 
gricch.  oia  ,Saum  des  Kleides',  lit.  üxfa,  altn.  öxx  »Mündung);  aw. 
staman-,  grieeh.  rJTÖua,  kymr.  korn.  xtefenic  ,Gaumen'  (ahd. 

stimna  »Stimme '?);  armen.  t#r«»,  lit.  buniä;  got.  niunpx,  lat.  mentum 
,Kinn'  (vgl.  den  gleichen  Bedeutungswandel  u.  Kinn). 

Gaumen:  ahd.  gounto,  altn.  </omr,  lit.  gomuryx. 

Lippe:  sert.  6'xhfha-,  aw.  Pehl.  Gl.  aoxtra-,  altsl.  m*7«  ,Mund' 
(ustina  , Lippe'),  altpr.  austin  Acc.  ,Mund'  (Verwandtschaft  mit  sert. 

s.  u.  Mund?);  npers.  /<*&,  lat.  labium,  agls.  lippa\  altpr.  tcarxug, 
got.  ucairilö',  grieeh.  x^o?,  ir.  (*flhexlox'.J). 

Zunge:  sert.  jihvä',  aw.  hizra-,  Iii  zu-;  armen,  /er«,  lit.  lirzuteix,  ir. 
Zt<7«r  (vgl.  grieeh.  Xeixw  ,lecke  );  lat.  lingna,  dingtta,  got.  titggd:  altsl. 
jezykü,  altpr.  insuicis.  Vielleicht  sind  alle  vier  Gruppen  unter  ein- 
ander verwandt,  doch  ist  die  ratio  eines  solchen  Zusammenhangs  un- 
ermittelt. 

Zahn:  sert.  datä'  lnstr.,  diinta-,  aw.  dantan-,  armen,  atamn,  grieeh. 
dooüs,  iat.  dem,  got.  tunpus,  ahd.  zand,  lit.  dantix,  ir.  kymr. 
dmtf  (*ed-ont-  :  £öuj  ,esse',  ,der  essende');  sert.  jämbha-  ,Zahn  ,  PI. 
,Gebiss',  grieeh.  -rauqmi  .Kinnbacken',  alb.  danbi,  altsl.  zabfi  .Zahn' 
(s.  auch  u.  Kamm).  Grundbedeutung  der  zweiten  Reihe  wohl  ,Gebiss'. 
Vgl.  auch  aw.  zafare  ,Mund,  Rachen',  agls.  cedfl,  alts.  käfi  , Kiefer'. 

Auge:  armen,  nkn,  altsl.  oko,  oci  Du.,  lit.  akix,  lat.  och/mm,  grieeh. 
6u.ua,  oaae  ( =  altsl.  oci);  die  arischen  Ausdrücke  sert.  ilkxhi-,  okxluin-, 
aw.  a.ii-  lassen  sieh  mit  den  europäischen  bis  jetzt  nicht  recht  ver- 
einigen, got.  dugü  erklärt  sich  vielleicht  durch  Anlehnung  an  aitxö 
,Ohr\ 

Augenbraue:  seit.  blir/Y-,  aw.  bnnt-,  grieeh.  6(ppü<;,  nlid.  bräica, 
altsl.  brüvl,  ir.  brai  1*1..  dt  bröi  Du. 

Ohr:  aw.  it*i  ,die  beiden  Ohren",  armen,  uukn  {*ux-nkn},  grieeh. 
ou?,  lat.  aurix,  got.  tiuxö,  lit.  mtsix,  altsl.  «<  /«>,  ir.  r/«.  «;  sert.  kärna-, 
aw.  karena-. 

Nase:  seit.  lnstr.,  lat.  nrfi*e#,  ahd.  naxa,  altsl. 

(lit.  naxrai  ,Rachcn'i. 

Kinn,  Kinnladen:  sert.  hrimi-,  armen,  cnaut,  grieeh.  fiv\j%  tvaO- 
uög,  YvciBoq),  got.  kinnux  lat.  f/twa  ,\Vauge',  ir.  ,Mund  ,  kymr. 
gen  .gena,  mentum',  vgl.  dazu  II.  Zimmer  K.  Z.  XXXVI,  4<>l  ff.  :  lit. 
smakrä,  ir.  xmech,  alb.  mjekrr  ,Kinn'  (sert.  cindcm-,  armen,  mtiurn-k' 

Schräder.  RealU  xik.  n. 


Digitized  by  Google 


466  Körperteile. 

,Kinnbart>.  Vgl.  noch  ir.  mant,  kymr.  w«Mf  .maxilla  mit  griech. 
udeuiar  TvaOoi  Hes.  und  lat.  maxilla  .Kinnlade  mit  altpr.  w/a.c  in 
danthnax  .Zahnfleisch'. 

Haar  und  Hart:  s.  u.  Haartracht. 

In  R  u  in  p  f. 

Hals,  Nacken:  scrt.  grira,  au.  grirti,.  altsl.  griiina  .Halsband', 
grira  .Mahne',  griech.  bdpr)  (aus  lat.  coli  »tu,  ahd. 

auch  aus  scrt.  mdnyd  .Nacken',  ir.  muin-torc  .torques ,  gall.  factvidKriS, 
lat.  monile  scheint  ein  idg.  *numi-  ahd.  mana  .Mahne  ;  ,Hals'  ge- 
folgert werden  /u  müssen  i's.  u.  Sc  hm  tick). 

Kehle:  gert.  yafa-,  a\v.  garah-,  lat.  <y«h/,  ahd.  Av7</  (vgl.  noch  lat. 
(jurgulio,  griech.  rapTaXtujv  ,Halszapt'ehen  ,  altsl.  grülo  .Kehle'  aus 
*ger-dlo-  und  lit.  gerkU  id.). 

Brust:  scrt.  stana-,  aw.  f.stdna-,  npers.  pistdn,  armen.  alle  ,weib- 
liche  Brust'  i griech.  crrriviov,  (jTn9oq?>,  ir.  t/e/  .Zitze',  ahd.  .weib- 
liche Brust:  got.  brusts,  ir.  bruinne:  .scrt.  üras-,  aw.  rarah-:  lat. 
pect as,  ir.  /eA/  .Husen'  u/cA/  .Brust'  aus  *poctos'.':,  Ononiatopoietisch 
für  die  weihliche  Brust:  armen,  f/7.  griech.  titHö?.  agls.  f77,  nhd. 
und  anderes  (s.  auch  u.  Mutter  . 

Hauch:  scrt.  uddra-.  aw.  mlara-,  griech.  öbepo«;'  YaaTn.p  lies., 
altpr.  ceders  , Bauch",  lit.  icrdaras  .Magen,  Eingeweide'  (auch  lat. 
uterus.  griech.  uo"T€po<;  .Bauch',  ixrrc'pa  .Mutterleib  ?  ;  scrt.  jafhdra- 
. Bauch,  Mutterleib',  got.  kilpei  .Mutterleib':  scrt.  gdrhha-,  aw.  garvica-, 
griech.  oeXcpüs  (, Mutterleib',  vgl.  auch  gall.  galha  gl.  praepingui». 

Nabel:  scrt.  nabhi-,  griech.  öpqpaXö?,  lat.  umbilicu*,  ir.  imbliu,  ahd. 
nabolo,  altpr.  nabis. 

Rücken:  scrt.  prslifhd-,  aw.  par»ti-;  griech.  vujtov,  lat.  nates;  ir. 
cm/,  lat.  cülux  beide  lat.  Wörter  bezeichnen  jedoch  die  Fortsetzung 
des  Rückens,  den  Hinterem:  ir.  tarr  »Rücken.  Hinterteil',  lat.  tergumi?). 

Rippe:  scrt.  pdrerd-,  aw.  pere*u-.  altsl.  prü*i  1JI.  aber  ,Brust'); 
ahd.  rippa,  altsl.  rebro. 

Leber:  scrt.  ydkrt,  yaknds  Gen.,  aw.  ydkar-,  armen,  leard,  griech. 
n,TTctp,  lat.  jecur,  ahd.  lehara,  altn.  ///>■.  lit.  jeknos  PI.,  altpr.  /<o/mo 
\*ljtqrt-  nach  Kluge  und  J.  Schmidt). 

Herz:  scrt.  /«/•</-,  hrdaya-,  aw.  zaretiaya-,  armen,  .s/Yf,  griech.  Küpbia, 
icn.p  (s.  u.),  lat.  cor,  got.  hairto.  ir.  cr/t/c,  lit.  szirdis,  altsl.  srüdice, 
altpr.  *<N/r,  */><»><. 

Lunge:  scrt.  klömdn-,  griech.  TrXeüuwv.  lat.  jjrr/mo  vgl.  auch  lit. 
plaüciei,  altpr.  plauti,  altsl.  plustu/;  ahd.  lungun,  russ.  legkoe  (:  *lengh- : 
griech.  dXaxü?  .leicht ,  „weil  die  Lunge  leichter  als  die  Leber  ist"?). 

Eingeweide:  scrt.  antra-,  dnträ-,  grieeh.  eviepa,  osk.  entrai  ,in- 
testinac',  armen.  ?nder-k  *entro-  ,\vas  drinnen  ist');  scrt.  antust  ya- 
n.  , Eingeweide',  lat.  intestinum  *en-tes-  id.  .  Vgl.  auch  ir.  inathar, 
kom.  cnediren.  gl.  extiun  und  ahd.  inddiri  , Eingeweide:  griech. 


Digitized  by  Google 


Korj>ei  trilc. 


467 


fjrpov  »Bauch',  ferner  ir.  caehhi  .intestinum  tenuc',  akymr.  coilioit  gl. 
extortun  und  grieeb.  tü  koiXgi  »Weichen',  KoiXia  »Bauchhöhle  mit  Ge- 
därmen'.    Über  lat.  nnttia  u.  a.  vgl.  G.  Meyer  I.  F.  VI,  litt. 

Niere:  grieeb.  vetppös,  abd.  nioro  {aus  *neghr-,  womit  nach  einigen 
auch  lat.  inguen  .Gegend  um  die  Schainteilc'  und  grieeb.  dbrjv  , Drüse' 
zu  verbinden  wären;  vgl.  noeb  lat.  nefrönes,  nefrendex,  nebmndines 
.Nieren,  Hoden  );  lat.  rön,  ir.  <im,  kymr.  aren  (*ad-ren-\. 

Milz:  seit,  plihdn,  aw.  xpereza-,  grieeb.  cmXnv,  Int.  lien,  ir.  selg 
(vgl.  grieeb.  crTrXctfxva  ,edle  Eingeweide),  altsl.  slezena  (lit.  blninM). 

Darm:  grieeli.  xopon..  1»*-  hirat  haru-xpex  »Daniischaucr',  altn. 
gar  aar  .Eingeweide'»  all),  zoft,  lit.  zarna  (sert.  A/rrf'  »Ader);  abd. 
dämm,  grieeb.  tpams  »Gegend  /wischen  After  und  Darm'. 

(«alle:  grieeb.  x0^,  lat.  fei,  abd.  galla,  altsl.  kl  fiel  (,die  gelbe'; 
s.  u.  Gelb);  lat.  bilis,  kymr.  &«#r7,  biet.  bextl  (*bixU-,  *bixtlo-). 

Hintere:  armen,  or,  ork,  grieeb.  öppo?,  abd.  ars  (ir.  err  »Schwanz  ). 
Vgl.  aueb  aw.  zadah-,  grieeb.  xöoavo?,  ir.  gead  {:  sert.  had,  grieeb. 
Xilvj,  alb.  bj€?  »caeare';  armen,  jet  »Schwanz' i  und  s.  u.  Hose. 

Geschlechtsteile,  männlieber  a)  Hoden:  aw.  erezi-,  armen. 
or},  grieeli.  öpxi«;,  alb.  heroe  (vgl.  lit.  erzilax  .Hengst  );  altsl.  modo 
,Hodc',  grieeb.  \xr\h(.a  (<purrös)  »Scham',  b)  Das  Glied:  sert.  pdxax-, 
grieeb.  nio$,  lat.  penis  (*pesnis\,  mbd.  vixel;  wei blieber:  npers.  kus 
(sert.  kukxhi-  ,weiblieber  Leib  ),  lit.  kuxzi/s;  grieeb.  ki3o"9o<;,  lat.  atnnux; 
lit.  pyzdä}  slav.  pizda. 

e)  obere  Extremitäten. 
Sebulter:  sert.  änisa-,  armen.  ms,  grieeb.  umoq,  lat.  humems,  got. 
«z/iAf«:  ir.  leithe  »Schulterblatt",  nsl.  plexte  »hmnerus.  dorsum'  i*pletje). 
Aebsel:  abd.  ahxala,  lat.  a.rilla,  dla  »Achselhöhle'  (.Flügel  n 
Oberarm:  sert.  irnid-  .Arm',  ,Hug'  < ,Vorderscheukel\,  aw.  a  rennt- 
,Arm',  armen,  armukn  (»Ellenbogen'),  lat.  armux  .Schulterblatt',  »Ober- 
arm', »Vorderbug',  got.  arm«,  altpr.  ir/no  ,Arm',  altsl.  ranio  »Schulter' 
(lat.  bracchium  aus  grieeb.  ßpaxiwv). 

Unterarm:  sert.  bähit-,  aw.  bäzu-,  grieeb.  m'ixuq  falle  drei  zugleich 
als  Längenmassc  für  »Elle'  gebraucht  i,  abd.  bnny  i. Obergelenk  des 
Annes  und  Heines  ). 

Ellenbogen:  sert.  aratni-,  aw.  rälini-,  grieeli.  uJXcvn..  lat.  ulna, 
got.  aleina,  altpr.  /co/f/*  .Unterarm'  i iroaltix  .Elle'  .  lit.  alkttne  »Ellen- 
bogen' (ölektin  .Elle"),  altsl.  lakftti,  ir.  ?//e,  «//«?  'das  indische,  latei- 
nische und  slavisebe  Wort  aueb,  das  awestisebe  und  gotische  n  u  r 
für  »Elle",  das  griechische  und  irische  nur  für  »Ellenbogen'  bezeugt  . 

Hand:  sert.  hdata-,  aw.  zasta-,  altp.  dasta,  grieeb.  ä--foo*TÖq  »flache 
Hand';  grieeb.  TraXdun;,  lat.  palma,  abd.  folma  (sert.  pdni-  aus  *palni-\\ 
armen,  jern,  grieeb.  x*»p,  «db.  dort;  lat.  mantis,  abd.  munt  .Hand' 
(.Schutz  );  grieeb.  öe'vap  »innere  Hand',  abd.  tenar  .flache  Hand';  grieeb. 
büüpov  »Handbreite',  ir.  dorn  »Faust,  Hand';  ir.  Idm  (aus  Väp-ma.  (»der 


Digitized  by  Google 


46S 


Körperteile. 


:  lat.  palma  etc.?),  got.  Ufa,  russ.  etc.  lapa;  ahd.  /««f,  altsl.  y^ff 
, Faust'  (vgl.  auch  got.  figgvs  »Finger'?);  lit.  rankä,  altsl.  rqka.  Über 
got.  handus  und  /?<7</™  s.  u.  Zahlen. 

d)  Untere  Extremitäten. 

Lende:  sert.  <;rotn-  »Hinterbacke,  Hüfte',  a\v.  sraoni-  id.,  lat.  cliinis, 
lit.  szlmnuH  , Hüfte,  Oberschenkel',  altpr.  nlaunis  id.;  altn.  hlaun 
, Hinterbacke'  (griech.  kXövu;?);  lat.  lumbun,  ahd.  lentin,  altsl.  ledrija. 
Vgl.  auch  griech.  iEuq  =  lat.  Hin  (aus  *i.cUa)  , Weichen'. 

Unterschenkel,  Schienbein:  sert.  jdüghä,  aw.  zanga-  (für  das 
Gotische  und  Litauische  zu  crsehliessen  aus  got.  gagga,  lit.  zengiii 
»gehe');  armen,  urun-k  ,Sehienbcin  ,  lat.  cnls  id.  Vgl.  noch  griech. 
Kvrmn  .Schienbein'  mit  ir.  endim  PI.  ,ossa'  und  ahd.  hamma  .Hinter- 
schcnkcl',  agls.  harn  »Oberschenkel';  ferner  akymr.  morduit.  »Schenkel* 
(*mdrjeto),  ahd.  muriot  id.,  griech.  unpta,  nnpö«;  »Schcnkelknochen, 
Schenkel'. 

Kuie:  sert.  jd'nu-,  zdnu-,  avv.  frasnu  (=  griech.  Trpöxvu),  armen. 
cunr,  griech.  fövv,  lat.  gemi,  got.  knitt. 

Fuäs:  sert.  päd-,  päd,  aw.  pdda-,  armen,  otn,  griech.  ttou;,  lat.  prs, 
got.  fötu*  (lit.  »Fussspur');  altsl.  noga.  altpr.  lit.  w/tfa 

(,Hof). 

Ferse:  sert.  pd'rshni-,  aw.  pdxna-,  got.  fairzna,  griech.  7rr€pva 
, Ferse*  (, Schinken',  lat.  perna  , Hinterkeule  );  altsl.  peta>  altpr.  pent  ix, 
lit.  pent  in  (vgl.  ahd.  [endo,  agls.  .Fussgünger';  zu  Grunde  liegt 

eine  W.  pent  ,gehen',  von  der  auch  altsl.  pati,  lat.  pons,  griech.  Trdio?, 
altpr.  pintix  ,Weg"  etc.  abgeleitet  sind;  pent  .gehen'  :  altsl.  peja  .Ferse' 
wie  got.  gagga  ,gehe'  :  sert.  jdüghä  ,Bein). 

Nicht  selten  geschieht  es,  dass  in  einer  Sprachreihe,  wie  schon  die 
Zusammenstellungen  unter  ci  und  d)  zeigen,  das  betreffende  Wort  der 
einen  Sprache  einen  Teil  der  oberen,  das  der  anderen  einen  ent- 
sprechenden oder  ähnlichen  Teil  der  unteren  Extremitäten  bezeichnen. 
Besonders  charakteristisch  hierfür  ist  die  Reihe:  seit.  kakshd  .Achsel- 
grube', aw.  kasa-  , Achsel',  lat.  co.ca  , Hüfte',  ahd.  hahsa  ,Kuiehug'.  ir. 
coss  ,Fuss',  kymr.  coes  »Schenkel'.  Vgl.  auch  aw.  xupti-  »Schulter', 
got.  hup*  , Hüfte',  sowie  die  Kcihe:  ir.  less  ,  Hüfte'  gl.  clunis;  aus 
*leksä,  lat.  lacertus  »Ann",  altu.  leggr  »Schenkel',  griech.  XciE  »mit  der 
Ferse  ausschlagend'  (Stokcs).  dar  kein  Unterschied  ist  ursprünglich 
wohl  zwischen  Fingern  und  Zehen  gemacht  worden.  Überhaupt 
lässt  sich  ein  idg.  Ausdruck  für  einen  der  beiden  Begriffe  oder  beide 
zusammen  nicht  nachweisen,  da  die  Gleichstellung  von  griech.  bdxxuXos, 
lat.  digitus,  ahd.  zehn  lautlich  nicht  gesichert  ist.  Vielleicht  hat  man 
ursprünglich,  wie  im  Griechischen,  öxpai  x*ipeq  uud  äKpoi  Tröbe?  .Spitzen 
der  Hände  und  Füsse'  t'Herod.  I,  119)  gesagt.  Arisch:  seit,  angi'txhtha-, 
aw.  anguMa  und  litu-slavisch  pii'xztax,  perxti  (altpr.  pirxten)  bedeuten 
beide  .Finger'  und  .Zehe    (ausführlich  über  Hand  und  Finger,  auch 


Digitized  by  Google 


Körperteile. 


489 


über  die  Namen  der  letzteren  Pott  Die  quinare  und  vigesitnale  Zähl- 
methode  S.  258  ff.). 

e)  A  11<;ciii eines. 

Knochen:  sert.  dsthi-,  asthdn-,  aw.  asi-,  armen,  oskr  (*osthkr), 
griech.  ötft^ov,  lat.  o*,  all).  a*t,  ir.  ascorn  (*ont-cumnn\  Auch  altsl. 
koMVf 

Mark:  s.  n.  Fleisch. 

Fleisch:  s.  tl. 

Blut:  sert.  dxrk,  asndx  Gen.,  armen,  ariun,  griech.  £otp,  nap,  elap, 
lat.  tisah'y  axxer,  lett.  axxinx. 

Haut  (Fell):  seit,  edrinan-,  a\v.  vareman-,  lat.  corhtni;  sert. 
krtti-.  ahd.  herdo:  lat.  pellix,  ahd.  /V/  (lit.  pUice,  rnss.  pleca\  griech. 
TrcXXct  .Milcheimer  ,  cigcntl.  ,Lederbehälter  );  lat.  cwrVx,  altpr.  keuto, 
ahd.  ä«/:  ir.  c«/m»i,  altn.  Vgl.  auch  sert.  cÄ«r?'  ,Hant'  (aw. 

-yaoba-.  altp.  ^rtttrf-  ,Hclm'  aus  Leden,  griech.  (Jkötoi;,  lat.  xcütum 
(doch  8.  u.  Schild  ,  «rot.  xkaudaraipx  , Schuh  > Ledcn-Riemen'. 

Nagel:  sert.  nakhd-,  npers.  näxun,  griech.  övu£,  lat.  unguis,  ir. 
ingen.  ahd.  nagal,  lit.  ndgax,  altsl.  nagiiti. 

Sehne:  gort,  xnd'gu-  ,Baud  im  menschlichen  und  tierischen  Körper', 
armen,  ward  , Fiber.  Faser,  Muskelhnnd  ;  sert.  snd'ran-  ,Band',  ,Sehnc', 
aw.  xnücar-,  griech.  vcüpov  (*xin">u-ro-n),  ahd.  xe'noica  (*seneie-  :  *xneic-). 
Beide  Gruppen  hangen  zweifellos  zusammen  (auch  mit  lat.  nervus'S). 

Überblickt  man  die  hier  gegebenen  Zusammenstellungen,  so  bestätigt 
sich  die  oben  angeführte  Annahme  ziemlich  weit  gehender  anatomischer 
Kenntnisse  der  Indogennaneu,  die  sich  namentlich  auch  in  der  Unter- 
scheidung und  Benennung  zahlreicher  innerer  Organe,  der  Leber, 
des  Herzens,  der  Lunge,  der  Eingeweide,  der  Niere,  der  Milz,  der 
Galle  etc.  äussern.  Da  nun  die  Zergliederung  des  menschlichen 
Korpers  erst  späten  Epochen  angehört,  so  müssen  die  hier  in  Frage 
stehenden  Kenntnisse  sich  bei  dem  Schlachten  und  Zerlegen  des  Viehs 
zu  profanen  und  sakralen  Zwecken  herausgebildet  habeu,  was  bei 
Stämmen,  deren  wirtschaftliche  Existenz  hauptsächlich  auf  der  Vieh- 
zucht (s.  d.  und  u.  Ackerbau i  beruhte,  nicht  weiter  Wunder  nehmen 
kann.  Eine  Sonderung  in  der  Benennung  der  einzelnen  Körperteile  bei 
Mensch  und  Tier  hat  ursprünglich  nicht  stattgefunden.  Die  angeführten 
Gleichungen  haben  sieh  in  ihrer  grossen  Mehrheit  auf  den  Vierfttssler 
(sert.  catuxhpad~)  wie  auf  den  Zwcifüssler  (sert.  dvipad-)  bezogen. 
Selbst  Benennungen  von  auscbliesslich  tierischen  Körperteilen  wie  sert. 
ü'dhar-,  griech.  ou9ap,  lat.  über,  ahd.  ütar  , Euter'  werden  gelegentlich 
auf  den  Menschen  (vgl.  sert.  ü'dhar-  ,Bnscn',  griech.  ouGap  , Mutter- 
brust' angewendet.  Erst  in  den  Einzelsprachcn  treten  Unterscheidungen 
in  dieser  Richtung  auf,  wie  mau  etwa  im  Neuhochdeutschen  Wörter 
wie  Maul,  Rachen,  Nüstern,  Bug  u.  n.  überhaupt  oder  doch  in  der 
guten  .Sprache  nur  von  Tieren  gebraucht.   Vgl.  auch  das  oben  betonte 


Digitized  by  Google 


470 


Körperteile. 


Dnrcheinandcrfliessen  der  Benennungen  ftlr  Teile  der  oberen  und  unteren 
Extremitäten,  das  hei  dem  Tiere  leichter  als  heim  Menschen  zu  be- 
greifen ist. 

Die  Unterscheidung  der  Kürperteile  in  vorgeschichtlichen  Zeiten  hat 
naturgeniäss  ihre  bestimmten  Grenzen.  So  scheint  es,  wie  schon  Pauli 
a.  o.  a.  O.  bemerkt,  dass  der  Magen  erst  spät  als  eigenes  Organ  auf- 
gefasst  worden  ist,  was  darin  seinen  Grund  haben  wird,  dass  derselbe 
thatsächlieh  im  Körper  nicht  leicht  herauszufinden  und  vom  Darm  zu 
unterscheiden  ist.  Ebenso  ist  die  Terminologie  der  Nerven  (vedpov 
.Nerv'  erst  bei  Galen i.  Adern  und  Drüsen  in  alten  Zeiten  noch  eine 
sehr  schwankende  und  unvollkommene.  In  auffallender  Übereinstimmung 
werden  die  Muskeln  i armen,  mukn,  griech.  huujv,  lat.  musi'ulu*,  ahd. 
wtU,  altpr.  peten)  als  .Maus'  oder  , Manschen'  dat.  nuin,  lit.  pele  .Maus  ) 
bezeichnet,  was  auf  früher  gemeinsamer  Beobachtung  —  die  Muskeln 
z.  1».  des  Überanns  gleichen  wirklich  einer  Maus  oder  Hatte  — ,  doch 
auch  auf  Nachbildung  einer  einmal,  etwa  in  der  klassischen  Medizin, 
gemachten  Vcrglciehung  beruhen  kann. 

So  weitgehend,  wie  sich  aus  dem  bisherigen  ergieht,  die  sprachliche 
Unterscheidung  der  einzelnen  Körperteile  schon  in  der  idg.  Grund,- 
sprache  gewesen  sein  niuss,  so  wenig  ist  dies  gegenüber  den  jene 
Körperteile  bewegenden  und  beherrschenden  Äusserungen  des  Gemütes, 
Willens  und  Verstandes  der  Fall,  für  die  vorgeschichtliche  Aus- 
drücke nahezu  gänzlich  zu  fehlen  scheinen.  Ihre  ältesten  Bezeichnungen 
in  den  Ein.elsprachcn  gehen  von  «1er  Anschauung  aus,  dass  «he  Affekte, 
Verstand«  srhatigkeiten  u.  s.  w.  an  bestimmten  körperlichen  Organen 
haften,  «leren  Namen  daher  zugleich  sie  bezeichnen.    Besonders  reich 
an  Belegen  hierfür  ist  das  Griechische.   In  der  homerischen  Sprache 
bedeuten  «ppnv,  eppeveq  und  Trpambe«;,  beide  eigentlich  «las  .Zwerchfell', 
sowie  njop  und  Kfjp,  eigentlich  das  Jlerz',  zugleich  die  meisten  Be- 
gangen des  Willens,  Gemütes  und  Verstandes  (vgl.  auch  K.  Kolidc 
Psyche  1*,  44).    Ebenso  ist  x°^°?  , Galle'  und  .Zorn",  und  auch  das 
sonst  nicht  zu  erklärende  Ktfpboq  «kluger  Bat',  .Eist',  «pboeruvu.  .Ver- 
schlagenheit, Schlauheit'  dürften  zu  Kapbio  .Her/,    in  ähnlichen  Be- 
ziehungen stehen.    Aber  auch  die  übrigen  Sprachen    vgl.  z.  B.  lat. 
hil'i*  ,Galle'  und  7Zorn',  utra  bilis  ,Tiefsinn',  got.  idre'uja  ,Reuc  .  id- 
i-eigOn  ,Rcue  empfinden'  :  altn.  forar  .Eingeweide',  .Heue',  idra  .ge- 
reuen', idraxl-  jbereuen'  i  bieten  für  diesen  Vorgang  Belege,  die  sich 
bei  näherem  Nachforschen  gewiss  noch  vennehren  Hessen. 

Das  Prinzip  des  Lebens  selbst,  die  Seele,  wird  in  den  idg.  Sprachen 
wie  bei  anderen  Völkern  als  Hauch,  Wind,  Dunst  oder  Hauch  gedacht, 
der  in  den»  Körper  eingeschlossen  ist  und  diesen  mit  dem  Eintritt  des 
Todes,  vorübergehend  auch  in  den  Erscheinungen  des  Schlafs  und 
Traumes,  verlässt.  Ein  idg.  Ausdruck  hierfür  ist  in  der  Gleichung  sert. 
dt  man-  ~  ahd.  «tum   ,Atem,  Seele'  (ir.  nthach   , Hauch  )  erhalten. 


Digitized  by  Google 


Körperteil»*  —  Körperverletzung. 


471 


Mehrere  ursprünglich  dasselbe  bezeichnende  Wörter  aber  liegen  histo- 
risch nicht  mehr  in  der  Bedeutung  von  Seele  selbst  vor,  sondern  haben 
sieh  unter  der  Verehrung  fürchtender  oder  hoffender  Menschen  zur 
Bezeichnung  von  Geistern  und  Göttern  emporgeschwungen,  zu  denen 
sich  die  aus  den  Körpern  abgeschiedenen  Seelen  allmählich  auswuchsen 
(näheres  s.  u.  Ahneukultus).  Aus  den  Kinzelsprachen  seien  noch 
genannt:  lat.  animux  .Seele",  anima  ,Atem'  :  griech.  uvcuoq  ,\Yiud' 
(vgh  sert.  dniti  ,er  atmet',  ir.  anal  ,Atcin*  etc.)  und  griech.  H»uxn  : 
U/üxuj  ,hauche'  (uwxo<;  , Kühle',  iyuxpö<;  .kalt'  i.  Auch  das  griech.  öuuöq 
=  sert.  dhnmd-,  lat.  fümux,  altsl.  di/mu,  lit.  dt'nunx  .Rauch'  wird  ur- 
sprünglich von  lyuxn  (vgl.  auch  altsl.  duma  ,consilium',  klrnss.  duma 
,Gedauke'  n.  s.  w.'f)  nicht  verschieden  gewesen  sein,  wie  denn  noch 
an  einer  Stelle  der  Ibas  ( VII,  KU)  der  euuöq,  und  nicht  die  vuxn, 
üi  den  Hades  eingeht.  Ausserdem  bezeichnet  in  der  überlieferten 
Sprache  Ouuöq  allerdings  stets  eine  Kraft  oder  Eigenschaft  des  leben- 
digen Leibes,  nicht  aber  die  Seele  als  im  Gegensatz  zu  letzterem 
stehend  vgl.  Rohde  a.  a.  0.  1-,  4f>').  Noch  keine  sichere  Erklärung 
hat  das  geuieingerm.  got.  xaiutda.  ahd.  m'ufa,  xila  .Seele'  gefunden. 

Wenn  in  einer  Gleichung  wie  sert.  dtmdn-  =  ahd.  dt  um  das  phy- 
sische Substrat  der  Seele  deutlich  hervorblickt,  so  bezeichnet  die  auf 
indisch-griechisches  Gebiet  beschrankte  Übereinstimmung  von  sert. 
mdnas-  und  griech.  uevoq  eine  geistige  Toten/,  derselben.  Als  gemein- 
schaftliche Grundbedeutung  des  vedischen  vgl.  Ohlenberg  Die  Religion 
des  Veda  S.  f>:Mff.)  und  homerischen  Wortes  wird  man  vielleicht 
»kraftvolle  Bethätignng  der  Seele'  i  vgl.  griech.  ut'uovu  ,ich  strebe, 
trachte,  will" >  anzusetzen  haben,  und,  wie  im  N  eda  dxu-  und  mdnas-, 
so  treten  bei  Homer  tpuxn  und  utvo?  , Leben'  und  , Kraft'  neben  ein- 
ander auf. 

Auch  die  Seele  kann  als  an  ein  körperliches  Substrat  gebunden  gedacht 
werden.  Bezeichnend  hierfür  ist  das  griechische  tenp.  Kn.p€q,  ein  uraltes 
Synonym,  wie  9uuö?,  von  iyuxn  i.ÖüpaZe,  Kfjpe?,  ouk  £t'  'Aveeanipia, 
s.  u.  Ahneukultus).  Dieses  Ktip,  Kn.peq  ist  nach  G.  Meyer  Griech.  Gr.3 
8.  434  identisch  mit  top  ,Herz'  s.o.1,  so  dass  sich  folgende  Bedeutungs- 
entwiekluug  ergiebt:  ,Herz',  .Seele'  -weil  im  Herzen  sitzend),  ,Seelen- 
wcseiv,  ,Unglück,  Tod  bedeutendes  Seelenwesen'  (vgl.  Hesych  s.  v.  kiip* 

1Tfpl0"TTU)|a€V0V    KUl  OÜbtTtpwq  XffOUCVOV  f|  vpUXn*  Ö£uTOVOUJi€VOV   be  Kai 

OrjXuKÜjq  exqpepöuevov  fj  9avctTr|qpöpoq  uoipa  f|  ödvaio*;).  Auch  das 
indische  mdnas-  "hat  seinen  Sitz  als  daumengrosses  Wesen  im  Herzen 
(vgl.  Ohlenberg  a.  a.  0.  S.  "»2«»).  Vgl.  ferner  Ausdrücke  wie  lat.  mor* 
»irrsinnig'  und  recordari  ,sich  erinnern'  :  vor,  cordi*  ,Herz'. 

Körperverletzung.  Die  Verfolgung  und  Bestrafung  einer  Tötung 
war  in  der  l'rzcit  ausschliesslich  der  Sippe  des  Betroffenen  überlassen 
is.  u.  Blutrache,  welche  in  der  Ermordung  des  Missethätcrs  (be- 
züglich eines  seiner  Verwandten)  oder  in  der  Empfangnahme  einer 


Digitized  by  Google 


472 


Körperverletzung. 


entsprechenden  Viebsnumie  die  richtige  Busse  der  geschehenen  Unthat 
erblickte.  Es  geht  hieraus  von  selbst  hervor,  dass  auch  die  Ahndung 
von  Verwundungen  und  Körperverletzungen  jeder  Art  nach  dem 
Grundsätze:  „Gleiches  um  Gleiches"  der  Privatrache  der  Einzelnen 
vorbehalten  gewesen  sein  muss.  Thatsächlich  lassen  sich  die  Über- 
bleibsel dieses  Znstandes  in  den  Rechten  der  Einzelvölker  noch  deutlich 
erkennen.  Der  Satz  der  XII  Tafeln  (VIII,  2  Schoell):  67  membrum 
rupsit,  ni  cum  eo  jxicit,  talio  esto,  d.  h.  „wenn  keine  Verständigung 
erfolgt,  soll  Vergeltung  eintreten",  lässt  sich  unr  verstehen,  wenn  man 
annimmt,  dass  in  der  Urzeit  Italiens  die  talio  i:  talis)  als  Ausgleichnngs- 
mittcl  geschehener  iniuria  allgemein  galt.  Vgl.  Isidor  V,  27:  Talio 
est  si  militudo  r  indictae,  ut  taliter  quin  patiatur,  ut  fecit.  hoc 
enim  et  natura  et  lege  est  institutum,  ut  laedentem  similis  vindicta 
sequatur  (vgl.  Rein  Kriminalrccht  S.  37  ff.,  Mommsen  Strafrecht  S.  802). 
Anch  in  den  ältesten  griechischen  Gesetzgebungen  wie  der  des  Za- 
leukos  oder  Charoudas  (vgl.  Hermann- Thalhcim  S.  103ft)  kamen  noch 
Vorschriften  vor  wie  die:  iäv  th;  öcpGaXuöv  ^kköi^ii,  dvTtKKÖvpat  tto- 
paaxetv  töv  £üutoü.  Nicht  weniger  war  in  einzelnen  germanischen 
Rechten  der  Fehdegang  auch  wegen  Verwundungen  gestattet,  wozu 
Bruuner  Deutsche  Rechtsgeschichte  I,  1()2  bemerkt:  „Da  der  Zug  der 
geschichtlichen  Entwicklung  nicht  eine  Ausdehnung,  sondern  eine  all- 
mähliche Einschränkung  der  Fehde  wahrnehmen  lässt,  so  ist  es  wahr- 
scheinlich, dass  in  germanischer  Zeit  die  Fehde  im  allgemeinen  um 
Blut  und  Ehre  gestattet  war."  Bemerkenswert  ist  auch,  dass  im  Ger- 
manischen ein  scharfer  sprachlicher  Unterschied  zwischen  Tötung  und 
Körperverletzung,  die  nur  für  quantitativ  verschiedene  Missethaten 
gelten,  nicht  gemacht  wird,  und  altnordische  Ausdrücke  wie  rig,  sdr, 
drep  in  den  Rechtsquellcn  unterschiedslos  für  Totschlag,  Wunde  und 
Schläge  gebraucht  werden  (vgl.  Wilda  Strafrecht  S.  730). 

Zweifellos  wird  schon  in  der  Urzeit,  wie  eine  Blutschuld  durch  das 
Wergeid,  so  die  Schuld  einer  Körperverletzung  durch  eine  zunächst 
frei  vereinbarte  Viehbusse  abzukaufen  «blich  und  gestattet  gewesen 
sein.  Dieser  Zustand  ist  dann  in  den  Einzelrechten  der  herrsehende 
geworden,  mag  nun  dieses  regelmässige  Abkaufen  materieller  Wieder- 
vergeltung mehr  den  Charakter  einer  Busse  behalten  oder  den  einer 
vom  Staate  verhängten  Geldstrafe  angenommen  haben.  Schon  in  den 
XII  Tafeln  steht  neben  dein  oben  angeführten  Satz  der  weitere:  Manu 
fustice  si  os  (regit  libero,  CGC,  si  serco,  CL  poenam  subito  (VIII,  3 
Schoell;  altertümlicher  Cato  in  IUI  originum  bei  Priscian  6,  «9:  Si 
quin  membrum  rupit  aut  os  f regit,  talione  pro.cimus  cognatus  uU 
eixeitur;  vgl.  Mommsen  a.  a.  0.  S.  802 ä).  Bei  den  Germanen  hat 
sich  bekanntlich  ein  bis  in  alle  Einzelheiten  gehendes  Wundbusstaxen- 
systein  allmählich  herausgebildet,  das  in  seiner  nordischen  Gestaltung 
nicht  ohne  Einfluss  auf  das  älteste  russische  Recht  geblieben  ist,  in 


Digitized  by  Google 


Körperverletzung:  —  Krankheit. 


473 


dessen  ältester  Pravda  immer  noch  zuerst  an  Privatrache  gedacht  und 
erst,  wenn  diese  nicht  auf  der  Stelle  ausgeführt  werden  kann,  die 
Geldbusse  festgesetzt  wird.  Vgl.  Ewers  Ältestes  Hecht  S.  2b'öff.: 
III.  „Oder  wird  er  sein  blutig  oder  blau  geschlagen,  so  ist  ihm  nicht 
zu  suchen  ein  Augenzeuge,  diesem  Menschen"  i  weil  die  Flecken  schon 
Beweis  genug  sind).  IV.  .Wenn  er  sieh  nicht  kann  rächen,  so 
empfange  er  für  das  Unrecht  3  Grivncn,  aber  dem  Arzte  der  Lohn". 
VIII.  „Wenn  etwa  einer  den  Finger  trifft,  welcher  es  sei,  3  Grivncn 
für  das  Unrecht,  aber  an  den  Knebelbart,  \2  Grivneu;  und  an  den 
Hart  12  Grivncn-  u.  s.  w.  —  8.  u.  Verbrechen  und  u.  Recht. 

Kosmetik,  s.  Haartracht,  Schmuck,  Seife.  Tätowierung. 

Kost us.  Die  als  Aroma  verwendete,  dem  Alantrhi/.om  ähnliche 
Wurzel  von  Auklandia  Castus  (Falconer,  Aplotojis  Auriculata  D.  C.) 
in  Kaschmir  wird  unter  dem  Xamen  küshtha-  schon  im  Atharvaveda 
auf  der  nördlichen  Seite  dos  Himälaya  genannt  (vgl.  Zimmer  Altind. 
Leben  S.  03  f. ').  Auch  sonst  kommt  sie  in  der  indischen  Litteratur 
(B.  R.)  häutig  als  HeilpHanze  vor.  Am  häutigsten  scheint  sie  gegen 
Aussatz  verwendet  worden  zu  seilt,  der  selbst  küshfha-  heisst.  Ans 
kt'tshtha-  stammt  das  int  Semitischen  nicht  bezeugte  griech.  köo*to?  (zu- 
erst Thcophrast  IX,  17,  3j.  Köcrros  wird  aus  den  indischen  Häfen 
Barbarikon  und  Harygaza  ausgeführt  (Peripl.  tj  3'.*.  4S,  49).  Syrischen 
und  arabischen  Kosttts  nennt  Dioskorides  De  mat.  med.  I,  1;\  Lat. 
costttm  (Horaz)  aus  dem  Griechisclicu.  Weiteres  vgl.  bei  Flückiger 
Pharmakognosie9  S.  444  und  Über  späteren  Kostusliandel  Ynlc  and 
Bnrnell  Hobson-.Iobson  S.  504.  —  S.  u.  Aroma  tu. 

Cousine,  s.  Vetter  und  Cousine. 

Couvade,  s.  Hebamme. 

Krähe,  s.  Singvögel. 

Krämervftlker,  s.  Kaufmann,  Markt. 

Kranich,  s.  Sumpfvögel. 

Krankheit.  Kitte  vorhistorische  Bezeichnung  dieses  Begriffes 
liejrt  in  der  Gleichung:  ir.  serq  .Krankheit',  serg lige  »Krankenlager* 
-  lit.  sergä  ,hin  krank*,  lett.  «erga  ,Seuchc'.  Das  daueben  stehende 
gemeingenn.  got.  saurga  ,u€piuva"  beweist,  dass  die  Grundbedeutung 
der  nicht  weiter  verknüpfbaren  Wurzel  sergh  körperliches  und  geistiges 
Gedrüekt8ein,  etwa  wie  lat  oeger,  aegrotu«,  aegritudo,  umfasste.  Die 
cinzclsprac  blichen  Wörter  für  krank,  Krankheit,  krank  sein  gehen 
vielfach  von  einer  Grundbedeutung  .schwach',  .kraftlos"  aus  und  zeigen 
ebenfalls  die  Neigung,  auf  seelisches  Gebiet  überzugehen.  So  gehört 
das  genteingeruinnische  Wort  für  Krankheit  got.  saühts,  ahd.  suht  got. 
jfiuks,  ahd.  sioh  ,siech,  krank  )  :  nihil,  xwach,  wie  nhd.  krank  uoch 
im  Mittelhochdeutschen  .gering*,  .schwach',  .nichtig'  bedeutet,  lit.  ligä 
^Krankheit'  :  griech.  dXiroq  ,weuig,  gering'  (hont.  öXrrnrceXcwv,  öXrro- 
opav€'u»v  schwach,  ohnmächtig altsl.  jezta  .Krankheit'  :  lit.  engiu 


Digitized  by  Google 


474 


Krankheit. 


,ich  thue  etwas  mühsam  und  schwerfällig',  griech.  vöaoq,  voöo"oqr 
voöffa.o?,  *voo"o*Fo-  vielleicht  :  vu>9pö<;  ,matt',  »schlaff,  ahd.  anado,  anto 
»Kränkung:'  u.  s.  w.  (vgl.  Brugmann  Berichte  der  kgl.  sächs.  Gen.  d. 
W.  zu  Leipzig  XL1X,  29  flVi.  Lat.  morbus  {*morbho-\  kann  von  . 
morior  nicht  getrennt  werden  und  wird  ursprünglich  das  Sterben  be- 
deuten, wie  ir.  yalar  , Krankheit'  <*galro-n)  mit  altpr.  y  all  an  .Tod', 
lit.  giltine  .Todesgöttin'  zu  verbinden  sein  dürfte.  Ein  arischer  Aus- 
druck für  Leiden,  Krankheit  ist  sert.  dmayd-  .Krankheit',  dmaydriu- 
»krank',  aw.  anmyaed-  .Krankheit'  (vgl.  Lcumaun  Et.  \V.  d.  Sans- 
krit-Sprache S.  19):  sert.  dmiti  .dringt  an,  bedrängt'  (sert.  roga- 
, Krankheit'  :  rujdti  //.erbrechen',  wie  unser  „Gebrechen'*  und  sert. 
rdpax-  .Gebrechen' :  nhd.  refxen,  altu.  refxa  »züchtigen,  strafen',  eigentl. 
»Jemandem  einen  Schaden  zufügen  ). 

Au  Gleichungen  zur  Bezeichnung  einzelner  Krankheiten  und  Krank- 
heitserscheinungen lassen  sich  folgende  zusammenstellen: 

Für  Hautkrankheiten:  sert.  dadrt't-,  dardu-  , Aussatz'  ('.drndti 
, berstet,  sprengt,  spaltet  ),  lat.  derbiöxux,  lit.  dederwine,  agls.  tetei', 
ahd.  zitaroh,  bret.  der toed  'arisch:  sert.  pdmdn-  =  aw.  pdinan).  Ein 
Hautgeschwür  oder  eine  Hautgeschwulst  wird  die  Reihe  sert.  drras- 
»Hämorrhoiden',  griech.  eXxoq,  lat.  ttlcux  , Geschwür'  bezeichnet  halien. 
Der  stinkende  Eiter  in  einem  solchen  ist  sert.  püya-  .Jauche'.  .Eiter', 
griech.  mm,,  ttöov,  lat.  ptU,  purix,  armen,  hu,  lit.  pülei.  ir.  uth.  \  gl. 
auch  griech.  oibo?  ,Gesebwulst'  =  ahd.  eiz  »Geschwür'.  Für  eine 
sebwindsuchtartige  Krankheit:  sert.  ydkxhma-  (die  Hauptkrankheit 
der  im  l'cudjah  eingewanderten  Arier:  vgl.  Zimmer  Altindisches  Leben 
S.  37.r>ff.)  -=  griech.  ^ktikö?  .hektisch'  (bei  Medizinern  .  Für  Erbrechen: 
sert.  ram,  griech.  ^ue'uj,  lat.  vomo,  lit.  tremti,  altu.  corna  .nausea'  und 
armen,  orcam,  npers.  äröy,  griech.  tpeuToncu,  lat.  ructure,  triigare, 
iiltsl.  rygqjq,  lit.  ramjmi,  agls.  roccettan  <  alle  .rülpsen'  «»der  .erbrechen  ). 
Für  Husten:  sert.  kdx,  lit.  kdxin,  altsl.  kaxili,  ahd.  hunxto,  ir.  caxad, 
kvmr.  pdx.    Vgl.  auch  griech.  KÖpuCa  .Schnupfen'  :  ahd.  hroz-'i,. 

Hierzu  treten  dann  noch  die  Benennungen  der  häutigsten  Gebrechen: 

Blind:  lat.  caeats,  got.  haihx  »einäugig',  ir.  caech  id.;  sert.  kdnd- 
(*kolno)  ,cinäugig',  ir.  goll  »einäugig,  blintl",  altkymr.  coli:  arisch  : 
sert.  andhd-  »blind'  =  aw.  anda-  (griech.  Tu<pXd<-,  .blind'  gehört  zu  got. 
daufx  ,tanb'  und  dumbs  ,stumnf ,  mhd.  tumb  »dumm',  Grundbedeutung: 
»stumpf  von  Sinnen',  wie  auch  ir.  dall  »blind',  vluax-dall  eigentlich 
»ohrenblind'  mit  got.  dicalx  ,t hörig'  zu  verbinden  ist;  lit.  dklax,  vgl. 
lat.  aguilux  »dunker,  dtc-apov*  nnpXöv  Hes.;  got.  blind*  :  lit.  blandytl 
,die  Augen  niederschlagen',  blexti  ,sich  verfinstern';  altsl.  xhpü  :  lit. 
xlapaii  »verberge  mich';  armen,  koir  aus  dem  Neupersischen ).  —  Taub: 
aw.  karena-,  npers.  ker  (sert.  karnd-  »mit  verstümmelten  Ohren  ),  lit. 
kuhziax;  sert.  badhird,  ir.  bodar  'griech.  Kunpös,  wohl  ursprünglich 
»stumpf,  .ermattet'  :  lat.  hebex,  wie  auch  got.  baupx  in  sich  die  Bc- 


Digitized  by  Google 


Krankheit. 


475 


dentunpren  ,taub",  .stumm",  ,stumpr  vereinigt).  S.  auch  u.  Fasan 
(Auerhahn).  —  Stumm:  Ableitungen  von  einer  Wurzel  mfi,  sert.  muka-, 
grieeh.  uuvbös,  lat.  »tütus,  armen,  iuhhj,  *mundyo-  <ir.  am-labar :  hibra, 
lit.  be  kaibös  :  kalbä,  russ.  (jUisnyi  :  altsl.  ylasü,  alle  drei  .ohne 
.Stimme";  altsl.  tu'tnü).  -  Lahm:  seit.  cfmvitiut~,  lat.  claudu*  aus 
*clant-d(hn-,  sert.  tramd-,  altsl.  chromft;  seit.  khat\j,  grieeh.  CTküZuj, 
ahd.  hinchan  .hinken'  'got.  Äf//f*,  das  von  den  einen  zu  lat.  chtudus, 
sert.  khöda-  .hinkend',  von  anderen  zu  armen,  /.yf/,  grieeh.  kuXXo?, 
sert.  Äi/»/-  aus  *krni-  gestellt  wird:  dunkel:  grieeh.  xw\ö?,  vgl.  jedoch 
Mcillct  Mem.de  la  soeietc  lingu.  X.  2m' ).  --  Buckelig:  sert.  kubjd-, 
grieeh.  Kuqpö?,  mhd.  hoytjer  .Höcker,  Buckel'  (agls*.  Äo/Vr  , Buckel'  = 
lit.  ktipni  id.  . 

Für  Wunde  gelten  die  Reihen:  seit,  ciuuttt-,  alb.  r^/v:  lat.  colnus, 
grieeh.  oüXn.  (,Xarbe),  kymr.  *//re//  vulnus",  .plaga";  unsicher:  sert. 
rata-  ,Wunde'  in  rinitth  .unverletzt'  vgl.  Zimmer  a.  a.  0.  S.  ;$!M»), 
grieeh.  lÜTeiXn.  {oütgmj  .verwunde'!,  ir.  fnthn  Ace.  Plur.  .Stigmata',  ahd. 
KNuda;   altpr.  eymen,  altsl.  jnzru  (\'\\.  i-om'i  dunkel  .    Vgl.  auch 

die  Sippe  von  genieingerm.  got.  nah'  .Schmerz,  Wunde'  tinn.  sdirtts 
, krank'  ,  ir.  saeth,  soeth  .Leid,  Krankheit',  mit  der  Osthotf  I.  F.  VI.  'M 
auch  lat.  «aitchtx  .schwerverwnndet'  ans  *sn  j  ric  io  x  vereinigen  möchte. 

Der  Umstand,  dass.  soweit  iu:ut  bis  jet/.t  siebt,  eine  nur  geringe 
Zahl  vorhistorischer  Kranklieitsnameu  nachzuweisen  ist,  wird  aus  ver- 
schiedenen Ursachen  zu  erklären  sein.  Zunächst  werden  viele  später 
zu  technischen  KrankhciMiamen  gewordenen  Wörter  in  der  Urzeit 
noch  einen  allgemeineren  Sinn  gehabt  haben.  So  wird  das  Fieber 
in  den  meisten  Sprachen  einfach  als  Feuer  oder  Hitze  (armen,  jerm  : 
sert.  ghtwmd-  ,(llut\  grieeh.  Truperö^  :  rrüp  .Feuer',  got.  heitö,  briunö 
:  ahd.  hri;  und  got.  brinnon  , brennen',  lit.  karxztuu'  :  kdmztas  ,hciss\ 
sziltine  :  xzilta*  ,warm\  altsl.  oynica  :  »<jni  ,Feuer'),  in  einigen  auch 
als  Kälte  (altn.  kdlda,  löldn  sött,  altpr.  ennoys  :  lit.  ynix  .Reil",  altsl. 
inije  ,vi<peTn.">  bezeichnet,  und  so  wird  es  auch  in  der  Urzeit  gewesen 
»ein,  wo  man  also  von  einem  Fieberkranken  einfach  gesagt  haben 
wird:  „Kr  hat  die  Hitze  oder  Kältet  Ähnlich  wird  die  Wurzel  tük 
in  der  Ursprache  allgemein  ein  Dahinschwinden,  auch  das  durch 
Krankheit,  bezeichnet,  haben,  und  ist  dann  in  den  Kinzelsprachen  zur 
Benennung  einer  Fieberkrankheit  (sei  t,  tak-mdn-)  oder  der  Schwindsucht 
'grieeh.  Tr)K€Öujv,  TnKetfOcti  s.  n.)  verwendet  worden.  Im  (Sanzeu  fehlt 
es  bei  den  Kinzelvölkern,  auch  auf  früheren  Kulturstufen,  wie  ein  Blick 
auf  die  Krankhcitsnamcn  des  Atharvaveda  (vgl.  Zimmer  a.  a.  0.1  oder 
auf  das  Verzeichnis  der  vöaoi,  nd6r),  TpaüuaTa  in  dem  Lexikon  Hesychs 
(ed.  M.  Schmidt  IV,  140  fl'.;  oder  auf  das  eben  erschienene  dem  Vf. 
näher  noch  nicht  zugänglich  gewordene)  Werk  M.  Höflers  Deutsches 
Krankheitsnamen-Buch  'München  lehrt,  nicht  an  einer  grossen 

Zahl  mannigfaltiger  Krankheitsbezeichnungen.   Allein  diese  Ausdrücke 


Digitized  by  Qoogle 


•176 


Krankheit. 


erscheinen  noch  wenig  gefestigt  und  nach  Mundarten  und  Landschaften 
einer  grossen  Verschiedenheit  unterworfen.  Eine  exaktere  Termino- 
logie der  Krankheiten  kommt  erst  mit  den  Anfangen  einer  wissen- 
schaftlichen Medizin,  d.  h.  für  Europa  mit  dem  Aufblühen  ägyptisch- 
griechischer  Heilkunde  auf.  Fast  gänzlich  griechischer  Herkunft  oder 
unter  griechischem  Eintluss  gebildet  sind  die  römischen  litterarisch  be- 
zeugten Krankheitsnameu  (vgl.  O.  Weise  Die  griech.  VV.  im  Lat.  S.  268  ff.), 
und  diese  haben  sich  dann  über  Europa  verbreitet,  teils  sich  in  den 
höher  gebildeten  Kreisen  der  Ärzte  und  Priester  haltend,  teils  auch  in 
niedrigere  Volksschichten  eindringend  und  hier  zur  Beseitigung  alten 
.Sprachguts  führend.  So  etwa  hat  das  lat.  febr'm  (unbekannter  Herkunft) 
im  Westgermanischen  ahd.  ftebar,  agls.  fefor.t  die  oben  genannten  einhei- 
mischen Benennungen  des  Fiebers  (vgl.  auch  ahd.  rito,  agls.  hrid, 
hrihe,  eigentl.  „Sturm  ,  , Anfall ')  zurückgedrängt.  Schliesslich  aber  wird 
die  Urzeit  auch  noch  von  zahlreichen  Krankheiten  und  Plagen  ver- 
schollt gewesen  sein,  die  ihren  Einzug  in  Europa  erst  in  Folge  ge- 
steigerten Völkerverkehrs  und  intensiverer  Berührung  mit  den  unheim- 
lichen und  uralten  S  e  u  c  h  e  n  h  erde  n  des  Orients,  vor  allein  mit 
Unterägypten  und  Indien,  gehalten  haben.  Von  diesen  sei  hier 
nur  in  Kürze  des  Aussatzes  und  der  Pest  gedacht. 

Der  Aussatz.  Dass  verschiedene  Hautkrankheiten  seit  Urzeiten  bei 
den  idg.  Völkern  herrschten,  geht  aus  dem  obigen  hervor.  Zu  diesen 
sind  dann  im  Laufe  der  Zeit  gefährlichere  und  seuchenartige  Formen, 
vor  allem  die  in  engerem  Sinne  als  Aussatz  (Lepra  )  bezeichnete  Krank- 
heit hinzugekommen,  ohne  dass  es  bei  den  aus  Altertum  und  Mittel- 
alter herrührenden  Nachrichten  möglich  wäre,  jedesmal  den  eigentlichen 
Charakter  der  Krankheit  zu  bestimmen,  besonders  auch  deshalb,  weil 
in  den  meisten  derartigen  Mitteilungen  die  Krankheit  des  Aussatzes 
mit  der  der  Elephantiasis  konfundiert  wird,  unter  welchem  Wort  mau 
teils  den  Aussatz,  teils  die  sogenannte  Paehydermic  versteht  (vgl. 
A.  Hirsch  Handb.  d.  hist.-gcogr.  Pathologie  II8,  1  ff.).  Der  erste 
griechische  Schriftsteller,  der  die  Xe'Trpct  (:  Xercu)  ,schäle  ab'  wie  i\)G\xa 
, Aussatz'  bei  Hesyeh.:  Etui  .schabe  )  nennt,  ist  Herodot,  der  I,  138 
von  den  Persern  berichtet:  bq  öv  be  tüüv  do"ru>v  Xeirpriv  f|  XeÜKtiv 
£X0>  1$  ttöXiv  outo?  ou  KaT^px€Tou,  oübe  o*uuuicfT€Tai  toTo"!  äXXouJi  TTepanffi 
(Lepradörfer),  qpaal  be  niv  töv  tiXiov  äuapTÖvta  ti  Tada  e*xeiv. 
Eeivov  be  ttAvtci  töv  Xaußavöuevov  Otto  toutujv  dEeXaüvouai  £k  tü.<; 
Xcüpn?,  ttoXXoi  Kai  tok;  Xeuicäs  TrepicJTepäs,  xnv  aÜTfjv  alrinv  ^TTKpepovTe?. 
Doch  ist  nicht  sicher,  ob  hier  schon  die  echte  Lepra  genteint  ist.  Im 
Allgemeinen  nimmt  man  an,  dass  den  älteren  griechischen  Ärzten  dieser 
in  Ägypten  heimische  Aussatz  nicht  bekannt  gewesen  sei,  und  dass 
sich  im  römischen  Reich  die  Krankheit  erst  im  letzten  Jahrhundert 
v.  Chr.  gezeigt  habe  (vgl.  Hirsch  a.  a.  0.  S.  4).  Was  den  Norden 
Europas  betrifft,  so  macht  Galen  (bei  Hirsch)  die  Bemerkung:  In 


Digitized  by  Google 


Krankheit. 


477 


Ale.iandria  plurimi  elephantiasi  .  .  .  lahorant.  In  Germania  rero 
et  Mt/sia  rarimme  affedus  in  grassari  eisus  est.  et  apud  ladi- 
potas  Sci/thas  nunquam  vere  apparef.  Gesetzliche  Bestimmungen  über 
die  Behandlung  Aussätziger  stammen  erst  aus  dem  7.  und  8.  Jahr- 
hundert (vgl.  Hirsch  a.  a.  0.).  Die  Terminologie  des  Aussätze»  in  den 
nördlichen  Sprachen  ist  eine  mannigfaltige.  Ulfilas  übersetzt  Xerrpa  mit 
pmtxfdl,  dessen  erster  Bestandteil  noch  nicht  sicher  erklärt  ist  {-fill 
,Fell).  Altn.  lik-prri,  likprdr,  agls.  lie-prdicere,  eigentlich  .wer  am 
Körper  leidet*,  vgl.  auch  altsl.  prokaza  ,lepra'  :  kaziti  ,perdcre'.  Ahd. 
qelasuht  ,elephantinsis';  auch  hi'iupi  (Scabies),  riida  (impctigoi,  zittarläs 
(id.)  werden  den  Aussatz  mit  bezeichnet  haben.  Im  Mittelhochdeutscheu 
kommt  bei  verstärktem  Auftreten  des  Aussatzes  in  Folge  der  Kreuz- 
züge und  der  Verbreitung  der  Juden  der  neue  Ausdruck  misehuht 
(minellus)  auf.  Ir.  dam  .aussätzig',  kymr.  daf  .aegrotus',  da  fr  Jepra', 
ursprünglich  wohl  allgemein  .krank'  (sert.  khlmati  .wird  müde',  .schlaff* 
s.  o.j.  Lit.  raüpsai  , Aussatz'  gehört  wohl  zu  rüpuUe  .Kröte',  wie  altpr. 
ertipeyle  »Frosch'  =  lett.  kraupis  , Kröte'  auch  .Krätze ,  lit.  krtipe 
.Blattern  und  Pocken'  bezeichnet  (vgl.  auch  griechische  Krankheits- 
namen  wie  ä\um€Keg,  KapKivog.  küwv,  Xü-fH,  nupfin.»"^  etc.  bei  Hesych. 
a.  a.  0.  und  deutsche  wie  „Wolf",  „Krebs",  „Wurm"  au  den  Fingern  etc.). 

Die  Pest.  Wie  mit  dem  Worte  „Aussatz",  werden  auch  mit  der 
Bezeichnung  „Pest''  sehr  verschiedene  Seuchen  zusanunengefasst,  welche 
Europa  von  früher  Zeit  an  heimgesucht  haben.  Schon  Homer  kennt 
einen  Xoimö<;  (unbekanuter  Herkunft),  der  von  Apollo  gesendet,  das 
Heer  der  (»riechen  vor  Troja  befällt.  Weder  von  dieser  Seuche,  noch 
von  den  übrigen,  die  im  frühen  Altertum  in  Griechenland  und  Italien  •  lat. 
pestis,  vgl.  dazu  Festus  cd.  O.  Müller  S.  210:  Pesestas  inter  alia, 
quae  inter  precationem  dicuntur,  cum  fundus  Imtratur,  significare 
eklet ur  pestilentiam,  ut  intelligi  <-.r  ceteris  possttnt,  quam  didtttr: 
^Aeertas  morbum,  mortem,  labern,  nebulam,  impetiginem~;  im  übrigen 
ist  pesti*  dunkel;  auftreten,  lässt  sich  mit  Bestimmtheit  sagen,  welche 
Krankheiten  es  waren.  Aus  dem  Norden  Europas  ist  in  früher  Zeit 
nichts  von  derartigen  Heimsuchungen  bekannt,  man  müsstc  denn  die 
9n,\€ia  voüo*oq,  die  nach  Herodot  I,  105  die  Skythen  befiel,  weil  sie 
den  Venustempcl  von  Asealon  geplündert  hatten,  hierher  stellen  (vgl. 
Kosenbaum  Lustseuche2  S.  141  ff.).  Unzweideutig  lässt  sich  die  eigent- 
liche Pest,  die  ägyptische  Bculenpest,  in  Europa  erst  im  Zeitalter 
Justinians  nachweisen,  indem  sie  sich  über  das  ganze  ost-  und  west- 
römische Reich  und  weit  über  dessen  Grenzen  hinaus  verbreitete  (vgl. 
Hirsch  a.  a.  0.  I2,  349).  Auch  für  diesen  Schrecken  der  mittelalter- 
lichen Welt,  den  Schwarzen  Tod,  der  in  verschiedenen  Zügen  die 
Bevölkerungen  dezimierte,  tritt  nun  eine  Menge  ganz  verschiedener 
Xamen  hervor,  die  meistens  schlechthin  ,Tod'  bezeichnen :  ahd.  sterpo, 


Digitized  by  Google  I 


478 


Krankheit. 


scülmo,  icuol,  mhd.  auch  ph'ige  (aus  lat.  plag«),  agls.  acealm,  cicelm 
(cwelan  ,stcrben'j,  ultsl.  tnorü,  lit.  mdras  (:  lat.  morion  u.  8.  w. 

Als  die  Pest  in  Europa  auftrat,  wurde  sie  allgemein  als  ein  weib- 
licher Todesengel  aufgefasst,  der  würgend  durch  die  Laude  schritt 
(vgl.  .1.  Grimm  Deutsche  Mythologie3  8.  6H4 ff.),  eine  Vorstellung,  die 
im  Grunde  nichts  anderes  wiedersieht  als  die  Anschauung,  die  man 
ursprünglich  von  dem  Wesen  der  Krankheiten  Überhaupt  hatte.  Denn 
seit  der  grausten  Vorzeit  bis  tief  in  christliche  Zeitläute,  ja  zum  teil 
bis  in  die  Gegenwart,  glaubt  man.  dass  die  Krankheiten  die  Wirkungen 
feinlicher  Dämonen  darstelleu  und  selbst  solche  Dämonen  sind.  Am 
unzweideutigsten  spricht  diese  Auffassung  aus  dein  vedisehen  Altertum 
zu  uns,  in  dem  die  unheimlichen  Scharen  der  Rakshas,  Yätu,  Pishäca 
als  ganze  Familien  krankheiterreirender  Geister  auftreten.  „Der  Dämon 
Fieber  hat  den  Bruder  Auszehrung,  die  Schwester  Husten,  den  Vetter 
Ausschlag"  u.  s.  w.  (vgl.  Ohlenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  265). 
Der  mächtigste  dieser  Krankheitsgeister  ist  der  Gott  Rudra  (auch 
pluralisch  gedacht).  „Die  Macht  des  Gottes  äussert  sich  in  Krankheit, 
die  er  sendet,  aber  auch  in  Heilung.    Sein  Geschoss  ist  Fieber  und 
Husten  ....    Sehr  häufig  wird  er  „Herr  des  Viehs"  genannt;  ihm 
opfert  man,  um  Krankheit  aus  den  Herden  zu  vertreiben  oder  ihr  vor- 
zubeugen, denn  wie  er  die  Krankheit  sendet,  kann  er,  „der  beste  der 
Ärzteu,  sie  auch  entfernen*'  (Ohlenberg  a.  a.  0.  S.  220j.    Aber  auch 
in  Europa  herrsehen  die  gleichen  Vorstellungen.    Im  germanischen 
Norden  sind  es  die  Elfe,  welche  Krankheit  und  Tod  bringen.  Agls. 
ylfa  geseeot,  norw.  alfskttd,  dän.  eleeskud  .Eltengeschoss'  bezeichnen 
Lähmuug,  norw.  alegust,  elfblaest,  schwed.  elfceblt'mt  ,Elfenhanch' 
bezeichnen  Gliedergeschwulst  it.  s.  w.  (vgl.  Golther  Germ.  Mythologie 
S.  1.-J2).    Es  ist  nur  eine  Weiterbildung  dieser  primitivsten  Anschau- 
ungen, wenn  bei  Homer  die  unsterblichen  Götter  selbst  als  Sender  der 
Krankheiten  dargestellt  werden.    Apollo  hat  die  Seuche  ins  Griechen- 
lager geschickt  und  selbst  von  Zeus  heisst  es  Od.  IX,  411: 
voüo*öv  -f  ou  TTiuq  €0*n  Aiöq  ^ie-rdXou  dXtaaöai. 
Gemeint  ist  hier  die  Krankheit  des  Wahnsinns,  die  besonders  gern 
als  von  den  Göttern  gesandt  und  als  Strafe  für  gegen  die  Götter  be- 
gangenen Frevel  aufgefasst  wird  (vgl.  auch  Zimmer  a.  a.  0.  S. 
Daneben  spielen  die  Dämonen  ihre  Rolle  weiter.   Vgl.  Od.  V,  iJl«4: 
d>s  b  öt  av  ao*7Täo"ioq  ßioTO?  7raioeo"o*i  q>avn,r| 
7raTpöq,  6q  €v  voutfuj  Knjai  Kpcrrep'  dX'fea  7rdö"xujv. 
önpöv  Tr)KÖ,uevo£,  arutepö?  b£  oi  £xPat  baiu.u>v' 
dandaiov  b'  dpa  töv  ye.  0€Oi  KatcÖTr|TO<;  £Xuo"av. 
Hier  hat  also  der  baiurnv  den  Kranken  angefallen,  und  erst  die  Beoi 
haben  ihn  gerettet.    In  höchst  charakteristischer  Weise  liegen  im 
Griechischen  auch  n.TudXr|<;,  rjmöXn.«;  »Alp'  und  nuiciXo«;,  n.moXo<;  , Fieber' 
i  vgl.  mhd.  der  rite  bestuont  in)  in  der  Sprache  neben  einander.  Die 


Digitized  by  Google 


Krankheit  —  Kreide. 


479 


Reste  dieses  Glaubens  haben  sieh  Iiis  zu  den  christlichen  Heiligen  ge- 
flüchtet. Die  Sankt  Ruprcchtsplnge  ist  der  Rotlauf.  Sankt  Valeutius- 
plage  hiess  die  Epilepsie.  Veitstanz  ist  die  Krankheit  des  heiligen 
Veit  etc.  Natürlich  ist  der  Heilige  dabei  zunächst  als  Heilender  und 
Errettender  gedacht,  aber  bald  bezeichnet  der  Xame  des  Heiligen 
allein  das  Übel,  und  man  kann  jemandem  fluchend  anwünschen:  „das» 
dich  Saut  Velten  (Valentin*  aukoinm"  (vgl.  K.  Weinhold  Die  alt- 
deutschen Verwünsehiuigsf'ormeln,  Sitzungsb.  d.  Ak.  d.  \Y.  z.  Herlin  lJWn, 
2  S.  «>'.»:> ft". >.  Über  die  hauptsächlichsten  Heilnngsmethoden,  die 
sieh  aus  dieser  Auffassung  der  Krankheiten  ergeben,  s.  u.  Arzt. 

Kranz,  s.  Blumen,  Blumenzucht. 

Krapp,  s.  Färbe  rote. 

Krauter  heilende,  s.  Arzt. 

Krebs.  An  vorhistorischen  (Jleichungen  für  diese  Tierart  finden 
sich:  1.  seit,  karkafa-,  karkafaka-,  karkin-,  npers.  yercewj,  grieeh, 
Kaptcivoq,  KapKivdq,  tat.  cancer  aus  *carcro-  (vgl.  Hrugmann  (Jrundriss  I, 
1-  S.  42")  ,  2.  grieeh.  Ka^mpo^.  KÜuuopo^  £crn  be  »captbujv  fcvoq  ,eine 
Art  von  Seekrebsen  ,  vgl.  Athen.  VII,  p.  :Ju(3;,  altn.  humarr  , Hummer'. 
"Wie  bei  den  Fischen  (s.  u.  Fisch,  Fischfang),  hat  bei  den  Krebsen 
eine  starke  Entlehnung  seitens  des  Lateinischen  aus  dem  (iriechischen 
stattgefunden:  lat.  cammamn  aus  Kduapoq,  astacus  aus  daraKÖ?,  öerra- 
kö?  .Hummer'  \:  öcttcov  , Knochen',  vgl.  sert.  karkafdxthi-  :  dxthi- 
, Knochen',  ,Krcbssehale  ),  carabua  aus  icdpaßos  .Heuschreckenkrebs'. 
Im  Angelsächsischen  herrscht  für  Hummer  lopyittre,  engl,  lohster,  das 
aus  lat.  locnsta  (marina,  eigentl.  .Heuschrecke''  entlehnt  ist,  neben 
dem  eine  Form  lopotttra  bestand.  Die  Anwohner  der  Nordsee  werden 
erst  durch  den  römischen  oder  romanischen  Handel  ihren  Hunnner- 
reiehtum  recht  beachtet  haben  (s.  auch  u.  Auster).  Nordgennanisch: 
agls.  crabba,  nord.  krahbi,  die  mit  ahd.  krebaz  (woraus  frz.  ecrevisse) 
verwandt  sind.  Lit.  icez'ijs,  altsl.  rakü,  ir.  partan  sind  wie  die  ger- 
manischen Wörter  dunkel.    Korn,  cancher  ans  lat.  cancer. 

Kreide.  Lat.  creta  ist  ein  Sammelname  für  jede  weisse  Erde, 
Thon,  Mergel,  Kreide.  Es  ist  daher  nicht  sehr  wahrscheinlich,  dass 
das  Wort  identisch  sei  mit  dem  Namen  der  Insel  Kreta,  von  der  nur 
berichtet  wird,  dass  auf  ihr  ein  nicht  näher  zu  bestimmender  weisser 
Farbstoff,  paraetonium,  nach  einer  ägyptischen  Ortschaft  benannt,  wie 
auch  in  Kyrene  vorkäme  i  Plinius  XXXV,  M>.  Merkwürdig  nahe  dem 
lat.  creta  liegen  die  keltischen  ir.  cre\  criad  ,Lehm,  Thon.  Erde', 
kymr.  pridd  ,nrgilla.  terra',  korn.  pry  .argile';  doch  ist  eine  lautliche 
Vermittlung  bis  jetzt  nicht  möglich. 

Aus  römischen  Iuschriften  ergiebt  sich  ein  schwunghafter  Kreide- 
handel mit  dem  kreidereiehen  Britannien,  der  auf  der  Wasserstrasse 
des  Rheins  und  Neckars  sich  in  der  Richtung  auf  die  grossen  Alpen- 
strassen  bewegte.  So  wissen  wir  z.  B.  von  einem  negotiator  cretarius, 


Digitized  by  Google 


480 


Kreide  —  Krieg. 


M.  Secund.  Silvanus,  der  nach  stürmischer  Seefahrt  auf  Walchereil 
(Seheidemündung)  gelandet,  der  dort  verehrten  Göttin  Xehalennia  ob 
mercex  rede  consercat.au  einen  Altar  stiftete  (vgl.  F.  Kauffniann  Hei- 
träge XVI,  22ö).  Mit  diesem  Kreidchandel  wird  die  Entlehnung  des 
lat.  Wortes  in  die  germanischen  Sprachen  (mndd.,  inndl.  leite:  ahd. 
krida  ist  jüngere  Entlehnung)  zusammenhangen. 

Altsl.  hh'Iü  , Kreide'  und  so  in  den  meisten  Slavincn.  Ist  es  ein- 
heimisch (vgl.  lit.  mrlas  ,Gyps',  mölin  ,Lehm'\  oder  darf  an  Zu- 
sammenhang mit,  d.  h.  Entlehnung  ans  griech.  MrjXiov  xp^mcx.  MnXia  rn, 
MnXiaq,  tAr\\iq  ,mclische  Erde'  iein  berühmter  weisser  Farbstoff  des 
Altertums)  gedacht  werden?  S.  auch  u.  Gyps,  <lessen  Benennungen 
mehrfach  die  Kreide  mit  bezeichnen.  Die  berühmteste  Kreideart  ist 
der  Marmor:  griech.  udp^iapo<;  (Theophr.),  vorher  und  schon  bei  Monier 
in  der  Bedeutung  ,Fclsblock'  (oh:  uapuoupw  ,schiniiiiere'  oder  :  sert. 
mrnd'ti  ,er  zermalmt'?)  bezeugt.  Hieraus  entlehnt  lat.  marmor  «'Fmnius) 
und  weiter  ahd.  marmul,  agls.  marmstdn. 

Kresse,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Kreuz,  s.  Strafe. 

Krieg  i  u n  d  Frieden).  Urverwandte  Reihen  für  K  rie g,  K a m  p f , 
Seh  lacht,  Begriffe,  die  in  älteren  Zeiten  schwer  von  einander  ge- 
trennt weiden  können,  sind  nicht  selten.  L*.  Heer  ist  auf  altp.  kdra-. 
lit.  käran,  altpr.  karjis,  got.  harjis  verwiesen  worden,  deren  ursprüng- 
liche Bedeutung  , Krieg*  und  , Kriegsheer'  gewesen  sein  niuss.  Ausser- 
dem sind  folgende  Gleichungen  zu  beachten :  sei  t,  yüdh-  .Kampf, 
griech.  üo%dvr|  ,Sehlaeht\  brit.  iud-  .Kampf  in  Eigennamen  wie  akymr. 
Jud-nerth  etc. ;  griech.  bat  ,in  der  Schlacht'  (bn.ioq  .Kriegsfeind  :  «loch 
s.  u.  Freund  und  Feind),  lat.  duellnm,  bellum,  perduelltH  (weniger 
wahrscheinlich  wird  duellum  zu  dem  Zahlwort  duo,  mhd.  -ff/'-  in 
zicinpeltic  etc.  gestellt  oder  auch  mit  mhd.  zicist:  sert.  deish  .hassen' 
verglichen;  vgl.  zuletzt  Osthoff  I.  F.  VF,  17  i;  ahd.  hadu-,  agls.  heado- 
, Kampf,  ir.  cath,  altsl.  kotora  id.  (vgl.  auch  sert.  cdtru-  .Feind'  und 
griech.  aemvn.  »Streitwagen',  letzteres  ein  wohl  vorderasiatisches  Wort  ; 
got.  iceihan  , kämpfen',  tcaihjö  ,Kampf,  ahd.  iciijan,  ir.  /ich/m  , kämpfe  , 
lat.  cinco  .besiege'.  Aus  den  Einzelsprachen  vgl.  griech.  ttö\€uo<;. 
rrröXeuoq  (noch  unerklärt),  altndd.  ff  Athen  ,  Schlacht',  altn.  gunnr  :  seit. 
•hat yd-  .Tötung  ),  ahd.  hiltea  ('?,  während  ahd.  kämpf  wahrscheinlich 
eine  Entlehnung  aus  lat.  campun  und  mhd.  krieg  in  der  heuligen  Be- 
deutung jung  ist;  it.  guerra,  frz.  gnerre  aus  ahd.  icerra  .Verwirrung, 
Streit'),  altsl.  cojna  .bellum',  vojsko,  cojska  .exercitus'  <:  sert.  ci,  vf'ti 
.geht  los  auf  ,  , bekämpft',  s.  auch  u.  Jagd)  u.  a.  Eine  urverwandte 
Gleichung  für  den  Begriff  des  Sieges  liegt  in  sert.  sdhas-,  aw.  hazah-, 
gemeingerm.  got.  .tiyis  :  sert.  «ah  , besiege'  vor,  deren  ursprüngliche 
Bedeutung  ,iibcrwältigende  Kraft'  (auch  ir.  seg  .Stärke  )  ist.  Lat. 
cinco,  rictoria  s.  o.,  griech.  v\kt\  ist  dunkel.     Als  Beute  scheint  der 


Digitized  by  Google 


Krie^r  —  Kriejrswfscn.  4«1 

Sieg  in  ir.  buaid  -  mhd.  biute,  altn.  byte  aufgcfasst  zu  werden, 
während  sonst  dieser  erstere  Begriff  als  .Gewinn  kriech.  Xeia,  dor. 
Xaia,  ifni.  Xn.in  :  üTroXauio  ,geniesse\  lat.  hierum  , Gewinn',  altsl.  hnü 
,Fang,  Jagdbeute';  vgl.  auch  sert.  Iota-,  lötra-  , Heute*  L.)  oder  als  , Er- 
greifung' dat.  praedtt  ans  *prae.-hedä  :  pnieheudo)  bezeichnet  wird. 

Dein  gegenüber  lässt  sieh  ein  gemeinschaftliches  Wort  für  Frieden 
nicht  nachweisen.  In  der  Urzeit  ist  der  Krieg  so  zu  sagen  der  normale 
Zustand  zwischen  den  einzelnen  Stämmen,  der  natürlich  auch  bereits 
durch  Zeiten  der  „Ruhe"  (Virl.  altsl.,  russ.  pokoj  , Friede',  eigentlich 
,Ruhe',  woraus  lit.  pakajun  id.)  unterbrochen  wird,  die  aber  mehr  ^tat- 
sächlich sind,  als  auf  irgendwelchen  völkerrechtlichen  Abmachungen  be- 
rnhen.  Charakteristisch  in  diesen«  Zusammenhang  ist  auch  das  lat. 
indutiae  , Waffenstillstand',  wenn  es  richtig  als  ,Nielit  Krug'  \iii-dutiae  : 
du-ellum)  aufgefasst  wird  (vgl.  OsthofT  a.  j\.  0.).  Ks  gab  daher  wohl 
in  der  Urzeit  Gegensätze  wie  Kampf  und  Ruhe,  Kampf  und  Nicht- 
Kampf,  nicht  aber  wie  Krieg  und  Frieden,  wenn  man  wenigstens  mit 
dem  letzteren  Wort  wie  heute  einen  dauernden  und  rechtlich  gewähr- 
leisteten Zustand  zwischen  zwei  .Staaten  versteht.  Für  die  Entwick- 
lungsgeschichte des  Fried ensbegri fies  erweisen  sich  vor  allein  das 
geineingenn.  ahd.  fridu,  agls.  fribu,  altn.  f'r'tdr  im  Gotischen  nur 
Fripareiks  , Friedrich',  sonst  gawairpi,  ahd.  gitettrt  ,oblectatio\  und 
das  gemeinslavische  altsl.  miru  von  Bedeutung.  Das  gei  manische 
Wort  \*pri-tu-  :  sert.  pri  ,liebcn\  got.  f'rijön  id..  bezeichnet  von 
Haus  aus  den  Gegensatz  zu  dem  Begriff  der  „Fehde-,  d.  Ii.  der 
durch  Ausübung  der  Blutrache  (s.  d.)  zwischen  zwei  Sippen  desselben 
Stammes  hervorgerufenen  „Feindschaft-  (ahd.  fehidur,  es  bedeutet 
demnach  ursprünglich  „Freundschaft",  d.  h.  den  zwischen  Sippen  des- 
selben Stammes  regulärer  Weise  herrschenden  Rechtszustand  und 
ist  erst  später  auf  das  Verhältnis  verschiedener  Stämme  zn  ein- 
ander angewendet  worden.  Überaus  ähnliche  Erscheinungen  zeigt 
die  Geschichte  des  altslavischen  miru.  Dieses  Wort  wird  in  mi-rü 
(vgl.  pirü  , Gastmahl  :  piti  »trinken  )  zu  zerlegen,  zu  lit.  mylimas 
,geliebt',  mir-lax  .angenehm'  zu  stellen  sein  und,  wie  fridu,  ebenfalls 
ursprünglich  „  Freundschaft a,  dann  Friede,  Friedensgemeinde,  Bauern- 
gemeinde,  Gemeindebezirk  bedeutet  haben.  Erst  unter  christlichen  Ein- 
flüssen sind  dann  aus  den  Menschen  einer  Gemeinde,  innerhalb  welcher 
ursprünglich  allein  der  Friedenszustand  herrscht,  die  Mensehen  im  all- 
gemeinen, d.  h.  die  Welt   miru)  geworden. 

Ausdrücklich  als  , Vertrag'  wird  der  Friede  in  griech.  ttpnvn.  :  .fpnTpa, 
iptvj  und  in  lat.  pax  :  pangere,  pactum  (kaum  :  got.  faheds  , Freude", 
fag'mön  ,sich  freuen  )  bezeichnet.  Ir.  sith  M.  (dunkel).  Über  den 
Gottesfrieden  s.  u.  Blutrache.  —  S.  auch  u.  Raub. 

Kriegstanz,  s.  Tanz. 

Kriegs  wagen,  s.  Streitwagen. 

Schräder.  Rcullcxikuii.  31 


Digitized  by  Google 


4H2  Krokodil  -  Krone. 

Krokodil,  s.  Eidechse. 

Krone.  Dieses  Insigne  des  Königtums  wird  in  Europa  erst 
durch  Alexander  den  Grossen  und  die  Diadoehen  bekannt,  die  es 
ihrerseits  den  persischen  Königen  entlehnten.  Vgl.  Justin.  Hist.  Philipp. 
XII,  3,  8:  Post  haec  Alexander  habitum  regit  in  Persarurn  et  dia- 
detna  insolitum  antea  regibus  Macedonicis,  velut  in  lege* 
eontm,  quo*  ricerat,  transiret,  mmmit.  Die  den  Griechen  bekaunten 
persischen  Namen  der  königlichen  Kopfbedeckung  sind  Ttdpa,  Tidpn.<;, 
xupßaöia  und  Kibapt?  (vgl.  Lagarde  Ges.  Abh.  S.  205  ff. ).  Von  diesen 
kehrt  Tidpa  (f|  Xefop^vn.  Kupßaaia.  TauTnv  b£  ot  TTepdai  ßacriXciq  uövoi 
^XPujvto  6p6r|v  lies.)  auch  im  Phrygischen  (Lagarde  S.  289)  wieder, 
ist  aber  bisher  ungedeutet,  Kupßatfia  erinnert  in  seinem  ersten  Teil  an 
armen,  xoir  „das  ganz  alltägliche  Wort  für  Tiüpa,  tdbapis,  bidbr)uau, 
das  jedoch  von  Hübschmairn  Armen.  Gr.  I,  160  als  entlehnt  aus  npers. 
■/öd  ,Helm\  osset.  yodd,  yßd  .Mütze',  altp.  yauda-  in  tigra-yauda 
,init  spitzen  Mützen',  aw.  yaoAa-  .Helm'  bezeichnet  wird:  Kibapiq  end- 
lich (TtiXo^  ßacriXiKÖ«;,  öv  Kai  Tidpav  Hes..  auch  Kiiapiq  und  KiTTapiq) 
geht  zusammen  mit  hebr.  keter  .Krone"  auf  assyr.  kndurru  .Tiara, 
wie  sie  sich  der  König  aufsetzt,  wenn  er  die  Hauten  einweiht'  zurück 
(vgl.  Lcwy  Die  sein.  Fremd w.  S.  90  nach  F.  Hommel).  Unzweifel- 
haft liegt  hier  bei  den  Semiten  der  Ausgangspunkt  der  orientalischen 
Sitte. 

Bei  Griechen  und  Römern  vertrat  in  mancher  Beziehung  der  ge- 
flochtene, dann  auch  metallene  Kranz  i  o-rtqmvoq,  coröna)  die  barba- 
rische Krone.  Das  letztere  Wort,  welches  zusammen  mit  zahlreichen 
Verwendungen  des  Kranzes  (s.  u.  Blumen,  Blumenzucht)  von  den 
Griechen  (xopwvöq  , Kranz'  schon  bei  Simonides)  zu  den  Römern  über- 
gegangen war,  nahm  dann  allmählich  die  Bedeutung  von  , Krone'  an, 
in  der  es  durch  ganz  Europa  wanderte  (s.  u.). 

Im  Norden  waren  die  germanischen  Könige  durch  langes,  lockiges, 
von  einem  Band  oder  sonst  gehaltenes  Haupthaar  (s.  u.  Haartracht) 
ausgezeichnet.  Auch  die  metallenen  Helme  (s.  d.),  welche  nach  dem 
Norden  allmählich  vordrangen,  werden  am  frühsten  das  Haupt  der 
Könige  und  Häuptlinge  geschmückt  haben.  So  erklären  sich  die  ver- 
schiedenen Glossiernngen  der  Wörter  diadema  und  Corona  in  den  ger- 
manischen Sprachen  durch  ahd.,  alts.  houbitbant,  höbidband  oder 
durch  agls.  cyne-helm,  ahd.  chuninchidm.  Ulfilas  übersetzt  dicdvöivos 
<JT€q>avo?  , Dornenkrone'  mit  iraips,  das  zu  altn.  veipr  , Kopfbinde',  ahd. 
toeif  ,Binde'  gehört.  Vgl.  auch  bei  Stokes  Urkeltischcr  Sprachschatz 
S.  216:  ir.  mind  gl.  diadema,  akymr.  minn  gl.  sertum,  PI.  minnou 
gl.  serta,  1.  stemmata.  Später  hat  sich  dann  das  lat.  coröna  über  den 
Norden  ausgebreitet:  altir.  coröin,  ahd.  coröna,  mhd.  kröne,  mittelengl. 
cortine.  altn.  knina,  altsl.  koruna,  kruna,  lit.  karüm't  neben  dem 
einheimischen  icainikas  , Krone'  :  altsl.  renUl  , Kranz'.  —  S.  u.  König. 


Digitized  by  Google 


Kröte  —  Cucurbitaceen. 


483 


Kröte  (Frosch.  Beide  Tiere  lassen  sich  sprachlich  nicht  scharf 
von  einander  trennen.  Eine  urverwandte  Bezeichnung  derselben  liegt 
vielleicht  in  den  griechischen  Formen  ßdTpaxoq,  ion.  ßÖTpaxos,  ßpÖTa- 
Xoq,  ßäepaxo?  , Frosch'  vor,  die  auf  ein  ursprüngliches  *ßpa0-aKO-q 
zurückgehen  können,  das  dann  dem  ahd.  chreta,  chrota  , Kröte'  ent- 
spricht. Litu-slavisch  ist  allpr.  gabaico  , Kröte'  =  altsl.  zaba  , Frosch' 
(vgl.  auch  altndd.  quappa  .eine  Fischart'  :  sert.  jabh  schnappen')  und 
lit.  rit putze  =  poln.  ropucha  ,Kröte'  (vgl.  auch  lat.  rubeta  ,eine  Art 
Frosch'  aus  *rupt'ttt't).  Vgl.  ferner  griech.  q>püvr)  , Kröte'  (s.  u.  Braun) 
und  <püo"a\o$  id.  <:q>uo"ciu)  , blase  auf ),  lat.  bilfo  , Kröte'  (=  sert.  gödlu't 
,einc  Eidechsenart'  oder,  nach  M.  Nicdermann  B.  B.  XXV,  84,  =  altpr. 
gabaico,  *g6bko-  :  *gobho-)  und  räna  , Frosch'  (dunkel).  Unerklärt  sind 
auch  die  germanischen  ahd.  froxk,  altn.  fro*kr,  agls.  frogga  und  altn. 
fraukr  (weiteres  bei  F.  Kluge  Et.  W."  s.  v.  Frosch).  Korn,  croinoc 
,Krötc  von  kambr.  croen  ,Haut'  (Zeuss  Gr.  Celt.2  p.  849),  guihehin 
,Froseh'.    Lit.  teartt  .Frosch'. 

Krug,  s.  Gc fasse. 

Krystall,  s.  Edelsteine. 

Kübel,  Kufe,  s.  Gefässe. 

Köche,  s.  Kochkunst,  Küche. 

Kuchen,  s.  Brot. 

Küchengewächse,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Kuckuck.  Eine  übereinstimmende  ononiatopoietische  Benennung 
dieses  Vogels,  der  im  Norden  wie  im  Süden  als  Verkündiger  des 
Frühlings  (s.  u.  Jahreszeiten)  gefeiert  wird  (vgl.  schon  Hesiod  Werke 
und  Tage  v.  486 ff.: 

r|UO?  KÖKKUE  KOKKUECl  bpl)Ö£  7T£TäXoiO*l 

tö  npujTov,  TtpTrei  T€  ßpoxoOs  in  äireipova  Yaiav 

.  .  .  Mr|b€  o"€  Xr|6oi 

unj'  £ap  YiYvöuevov), 
liegt  in  der  Reihe:  sert.  kökild-,  griech.  kökkuE,  lat.  cucülus,  altsl. 
kukacica,  lit.  kuküti  ,wie  ein  Kuckuck  rufen',  ir.  ct'mch,  kymr.  cög. 
Auch  die  altgcrmanischen  Wörter  ahd.  gouch,  altn.  gaukr  sind  viel- 
leicht hierher,  zu  stellen  (vgl.  Norcen  Abriss  der  altgerm.  Lautlehre 
S.  lo/i).  Vgl.  noch  mhd.  kuckuck,  frz.  coueou,  it.  cueco.  Doch  wurde 
der  dieser  Sippe  zu  Grunde  liegende  Lautkomplex  kuk,  kouk  etc.  auch 
in  dem  Rufe  anderer  Vögel,  des  Hahnes  und  der  Eule  (s.  s.  d.  d.), 
und  auch  gewisser  Vierfüssler  (vgl.  Leumann  Et.  W.  d.  Sanskrit-Sprache 
S.  69)  vernommen. 

Cucurbitaceen.  Es  handelt  sich  hier  um  den  Kürbis,  die  Gurke 
und  die  Melone.  Was  den  ersteren  betrifft,  so  hat  man  neuerdings 
ermittelt,  dass  der  echte  Kürbis  (Cucurbita  Pepo  L.)  niemals  im  Alter- 
tum bekannt  gewesen  sein  kann,  da  seine  Heimat  in  Amerika  zu 
suchen  ist.  Der  von  den  Alten  angebaute  Kürbis  kann  daher  nur  der 


Digitized  by  Google 


484 


Cucurbitaceen. 


in  den  Tropen  der  alten  Welt  einheimische  und  in  Ägypten  sehr  früh- 
zeitig nachgewiesene  Flaschenkürbis  (Layenaria  vulgaris)  gewesen 
sein  Dieser  inuss  also  mit  griech.  ko\oküv9ti,  koXoküvth  (seit  Aristo- 
phanes  bezeugt)  und  lat.  Cucurbita  (Coluinelln)  gemeint  sein.  Der  Ur- 
sprung des  griechischen  Wortes  ist  noch  nicht  sicher  ermittelt.  Die 
einen  suchen  es  aus  koXo-ku-vtii  (vgl.  KoXö-xu-ua  ,grosse  Woge'  und 
Kueiu;  vgl.  auch  KÜ-auo?  , Hohne',  lat.  cu-cu-mis  ,Gurke',  ku-ku-ov  töv 
o"ikuöv  Hes.)  zu  deuten.  Andere  möchten  es  aus  kurd.  kalak  ,meIon', 
sert.  kölinda-  erklären.  Letztere  Ansicht  könnte  eine  Unterstützung 
in  Athen.  II,  p.  f)8  f.  finden :  EuBübriuo?  "AQnvaioq  tv  tu»  Tiepl  Xaxdvujv 
ötKuav  ivoucr|v  »caXei  Tt]v  koXoküvt»iv  bidrö  K€Kouio"6aiTÖ  o*TTtpua£K 
tii<;  'IvbiKn?  und  äxp»  ^  toö  vuv  XcrtöBai  rcapd  Kvibioi?  Tdq  koXo- 
küvtgk;  ivbiKäq.  Über  lat.  Cucurbita  s.  u.  Das  lat.  Wort  ist  als  ahd. 
kurbiz  und  agls.  cyrfet  in  die  germanischen  Sprachen  vor  der  hoch- 
deutschen Lautverschiebung  (von  t  in  zz)  entlehnt  worden.  Cucurbitas 
nennt  das  Capit.  de  villis  LXX,  10  und  die  heilige  Hildegard  spricht 
von  kurbesa.  Über  slav.  tyky  s.  u.  Ngriech.  vepOKoXoxuÖnd,  alb. 
korke  ,Flaschcnkürbis',  ngriech.  KoXoKuönd,  alb.  kt/nkui  (aus  cucumis) 
Cucurbita  Pepo. 

Die  Gurke  wird  zuerst  als  o*ixuq  bei  Aleacus  genannt  (daneben 
öikuos,  öixüa,  aeKoua  lies.,  von  KoXoKuvrr),  wie  Athen.  II,  p.  f>8  und 
III,  p.  73  zeigt,  nicht  immer  scharf  geschieden).  Auch  die  schon  in 
der  Ibas  II,  572  und  XXIII,  2911  genannte  .Stadt  Sikyon,  die  früher 
MriKiOvr)  ,Molmstadt'  geheissen  haben  soll,  wird  den  Namen  der  Frucht 
enthalten.  Lat.  cucumis  (s.  oben).  Die  Gurke  der  Alten  pflegt  alä 
Cucumis  saticus  L.  bestimmt  zu  werden,  die  ihre  Heimat  in  Ostindien 
hat.  Sie  war  gross,  dem  Kürbise  ähnlich  und  wurde  als  Erfrischung 
gegessen,  auch  gesotten  und  gebraten. 

Eine  neue  Art  derselben  Gattung  tritt  im  Mittelalter  in  Europa 
mit  dem  byzantinischen  Ausdruck  utYoupov,  dffoupi,  dffoupw  auf. 
Dieses  Wort  bedeutet  eigentlich  ,unreif  icrroupoi;  =  duipo?)uud  bezeichnete 
also  eine  Art,  die  vornehmlich  in  unr ei  fem  Zustand  genossen  wurde. 
Dieses  Wort  (ngriech.  6rr^o\)^\a)  ging  zu  den  Slaven  (russ.  ogurec, 
poln.  ogörek)  und  von  hier  ins  Deutsche  (gurke  erst  um  löOO)  über. 
Vorher  hatte  man  hier  die  cueumeres,  die  das  Capit.  de  villis  LXX,  8 
nennt,  mit  erdaphil,  ertappet  bezeichnet.  Vgl.  noch  russ.  krastav'icl 
,die  rauhe  Frucht'  und  alb.  trangnl  (aus  nigricch.  TCTpdtTOupov).  Im 
Italienischen  ist  an  Stelle  des  veralteten  cocomero  ein  neues  Wort 
citriolo,  citruiolo  etc.  getreten,  das  auf  ein  erst  spät  (bei  Albertus 
Magnus)  bezeugtes  citrulus  :  citreum,  citrium  zurückgeht  und  eigeutl. 
.kleine  Zitrone'  bedeutet  (vgl.  unten  die  sprachlichen  Beziehungen 
zwischen  Feige  und  Gurke). 

Bei  der  M  e  1  o  n  e  hat  man  zu  unterscheiden  zwischen  der  im  süd- 
lichen Afrika  einheimischen  Wasser  m  e  1  o  n  c  {Citrullus  vulgaris 


Digitized  by  Google 


Cucurbitaceen. 


435 


Schrad.)  und  der  Zuckermelone  (Cucunth  Melo  L.>.  die  dem  süd- 
lichen Asien  und  dem  tropischen  Afrika  angehört.  Beide  Arten  sind 
bereits  in  Funden  und  Abbildungen  des  alten  Ägyptens  nachgewiesen 
worden.  Kine  Melonennrt  wird  auch  in  der  Bibel  iXum.  11.  ö>  unter 
dem  Namen  'dbaffibini  (neben  qiisulm  ,Gurken)  genannt,  wie  es  nach 
dem  Zeugnis  des  Arabischen  und  Aramäischen  scheint,  die  Wasser- 
melone. Diese  ist  es  denn  auch,  die  zuerst  im  klassischen  Alter- 
tum, und  zwar  bei  Hippokrates  als  Trerciuv  (die  ,reife',  sc.  criteuog, 
lat.  pepoi  erscheint,  während  melopepo.  die  Zuckermelone,  erst  bei 
Plinius  (XIX,  07)  auftritt  (vgl.  auch  Blümner  Edict.  Diocl.  S.  ti#>. 
Bei  ihrem  Ubergang  in  die  altdeutsche  Garteuflora  (vgl.  peponex  im 
Capit.  de  villis  LXX,  9)  verwischte  sich  der  Unterschied  beider  Arten. 
Das  lat.  pepo  erscheint  im  Ahd.  als  pepano,  bebano,  mhd.  beben  (neben 
pfeben)  und  als  pethemo,  pfe'damo,  mhd.  pfedem  (vgl.  Kluge  Grnnd- 
riss  I-,  M'2).  Auch  für  die  Melonen  kommt  aber,  wie  für  die  Gurken 
(s.  o.i,  der  Ausdruck  „Erdapfel"  vor. 

Im  Osten  muss  Persien  ein  wichtiger  Ausgangspunkt  der  Wasser- 
iuelonenzueht  gewesen  sein:  npers.  yerbuze,  yerbuz,  eigentlich  , Esels- 
gurke' ist  ins  Turkotatarische  (karpuz,  charbuz)  und  ins  Slavische 
(z.  B.  poln.  harbuz,  garbuz,  arbuz,  karpuz)  übergegangen.  Vgl.  auch 
ugricch.  tu  KapTT0Ü£ia  »Wassermelonen',  to.  Treirövta  falb,  piepen  »Zucker- 
melonen'. Für  letztere  besteht  in  den  turko-tatarischeu  Sprachen  ein 
einheimischer  und  (nach  Vämbery  Primitive  Kultur  8.217)  sehr  alter 
Name:  karun,  kabun  (alb.  kacke'  s.  o.V).  Endlich  sind  noch  altsl.  dgnja 
,pepo",  bulg.,  seih,  lubenica  , Wassermelone'  und  ein  im  ganzen  .Süd- 
osten Europas  geltender  Name  des  Melonenfelds  (alb.  bunt  an)  zu  nennen, 
der  dem  Türkischen  (bostan  ,Gemüsegarten)  entstammt.  Wie  man  sieht, 
steht  der  slavische  Osten  auf  diesem  Gebiet  im  Gegensatz  zu  anderen 
Bestandteilen  des  Gemüsegartens  sprachlich  unabhängig  vom  germa- 
nischen Westen  da.  Die  in  ihm  geltende  Terminologie  ist  entweder 
einheimisch  oder  vom  Orient  abhängig. 

Überblickt  man  die  hier  geschilderten  Thatsachen  und  verbindet  sie 
mit  dem  Umstand,  dass  keine  eiuzige  Cucur bitaeeeuart  bis 
jetzt  in  dem  prähistorischen  Europa  nachgewiesen  werden 
konnte,  so  wird  man  kaum  zweifeln  können,  dass  das  Bekanntwerden 
mit  denselbcu  seitens  der  europäischen  Indogennanen  erst  verhältnis- 
mässig spät  und  in  ihren  historischen  Wohnsitzen  erfolgte.  Merkwürdig 
bleibt  nur,  dass  zwei  schon  im  bisherigen  genannte  Namen  von  Cucur- 
bitaceen über  die  Sonderheit  der  einzelnen  idg.  Völker  hinauszugehn 
scheinen.  Es  sind  dies  griech.  criicuq  und  lat.  Cucurbita.  Von  dieseu 
lässt  sich  aneus  (aus  *tceku-)  vielleicht  mit  altsl.  tyky  , Kürbis'  vereinigen 
(s.  ;t.  Feige),  während  lat.  Cucurbita  mit  agls.  heerfette  ,Kürbis'  und 
sert.  carbhata-,  eirbhafi,  cirbhitä  ,Gurke  übereinzustimmen  scheint.  Ob 
hiermit  eine  im  Urland  der  Indogennanen  wild  vorkommende  Cucur- 


Digitized  by  Google 


4M 


Cucurbitaceen  —  Kümmel. 


bitaeeenart,  resp.  eine  einer  solchen  älmliche  Pflanze  ursprünglich  ge- 
meint war,  oder  wie  die  Sache  sonst  zu  erklären  ist,  bedarf  noch  zu- 
künftiger Aufklärung.  Bemerkt  sei  jedoch,  dass  gerade  auf  der  Stufe 
des  Hackbaus,  der  vielleicht  auch  auf  idg.  Hoden  dem  eigentlichen 
Ackerbau  ('s.  d.)  vorausging,  Kürbisarten  nach  Hahn  Die  Haustiere 
S.  394  besonders  beliebt  zu  sciu  scheinen.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kultur- 
pflanzen0 S.  304  ff.  und  v.  Fischcr-lienzon  Altd.  Oartcnfi.  S.  89  ff. 
sowie  den  Anhang  des  letzteren  Werkes. 
Kuh,  s.  Rind. 

Kultus,  s.  Ahnenkultus,  Gruss,  Opfer,  Religion.  Riten, 
Tempel,  Zauber. 

Kultusgesänge,  s.  Dichtkunst,  Dichter. 

Kümmel  iCuminum  Cyminum  L.,  ägyptischer  oder  römischer 
Kreuz-  und  Pfeffcrkümmel,  der  wildwachsend  nnr  aus  Turkestan 
bekannt  ist,  und  Carum  Card  L.,  Feld-  oder  Wiesenk ümmel,  ein- 
heimisch in  Europa).  Der  Kümmel  war  im  Altertum  wie  im  Mittel- 
alter eine  viel  gebrauchte  Gewürzpflanze,  namentlich  bevor  der  Pfeffer 
(s.  d.)  in  Europa  bekannter  wurde.  Sein  griechischer  Name  Kumvov 
wird  zuerst  bei  Aristophancs  genannt  und  stammt  aus  dem  Semitischen 
(hebr.  kammön,  aram.  kammönd,  pun.  xaM«v;  vgl.  auch  armen,  caman, 
dessen  Anlaut  auffällt).  Aus  dem  Griechischen  drang  das  Wort  in 
das  Lateinische  (cuminum,  Cato)  und  wanderte  von  da  mit  den  Namen 
zahlreicher  anderer  Gewürzpflanzen  in  die  nordeuropäischen  Sprachen 
(ahd.  kümin,  chumil,  agls.  cymen,  altruss.  kjuminü,  russ.  kiminu, 
tminü,  alli.  k'imino). 

Das  demnach  aus  semitischem  Kulturkrcis  nach  Europa  eingeführte 
Cuminum  Cyminum,  über  dessen  Anbau  schon  Thcophrast  Hist.  plant. 
VII,  3,  2  u.  3  berichtet,  machte  daselbst  auf  das  einheimische  Carum 
Card  aufmerksam,  das  bei  Columella  und  Plinins  careum  (nach  Plin. 
XIX,  164  so  genannt,  weil  laudatinsimum  in  Curia),  bei  Dioskorides 
KCtpov  heisst.  Auch  dieses  Wort  drang  unter  dem  überwiegenden  Ein- 
fluss  der  südlichen  Gartenbankunst,  und,  wie  es  scheint,  mit  Einwirkung 
des  arabisch-romanischen  ulkaravia,  ins  Deutsche  ein:  mhd.  karbe, 
karte,  engl,  caraway.  Einheimische  Namen  der  Pflanze  sind  ahd. 
teitesa  (Graff),  später  Wistküinmel  etc.  (vgl.  Pritzcl  u.  Jessen  Deutsche 
Volksnamcn  und  Nemnich  II,  901).  Die  Nomenklatur  der  beiden 
Kümmelarten  ging  später  vielfach  in  einander  über. 

Im  Capitnlare  Karls  des  Grossen  de  villis  LXX,  12  n.  14  wird 
dminum  und  careium  unterschieden.  Als  drittes  gesellt  sich  LXX,  2» 
<jit  (Xigeüa  satica  L.  oder  Schwarzkümmel)  hinzu.  Dieses  Wort  be- 
gegnet schon  bei  Plautus  und  ist  wahrscheinlich  phönizisch-kart ha- 
gischen (nicht  griechischen,  vgl.  bei  Diosk.:  ^ie\dv9iov)  Ursprungs;  es 
beruht  auf  einer  Verwechslung  mit  dem  Koriander,  der  von  den  Afrern 
foib,  hebr.  gad  genannt  wurde.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  203  ff. 


- 


Digitized  by  Google 


Kümmel  -  Kunst. 


487 


und  v.  Fischer- Benzon  Altd.  Gartenflora  S.  131  f.  S.  u.  Gewürze  und 
u.  Garten,  Gartenbau. 

Kunst.  Indem  über  die  Künste  der  Bewegung,  den  Tanz, 
die  Dichtkuust,  die  Musik  (s.  u.  Musikalisc  he  Instrumente)  in  be- 
sonderen Abschnitten  gehandelt  worden  ist,  bleiben  hier  nur  die  ersten 
Anfänge  der  bildenden  Künste  oder  die  Künste  der  Ruhe  kurz 
zu  erörtern. 

Eine  der  merkwürdigsten  Thatsachen,  welche  die  Urgesehichts- 
forschung  enthüllt  hat,  ist  der  Umstand,  dass  in  paläolit  bischer 
Zeit,  gleichzeitig  mit  dem  Mammut  und  Renntier  eine  Bevölkerung 
lebte,  die  trotz  der  niedrigen  Kulturstufe  des  Jägertums,  auf  welcher 
sie  sieh  befand,  über  einen  unter  diesen  Verhältnissen  Staunen  er- 
regenden Grad  kunstbildender  Thätigkcit  verfügte.  Merkwürdige  Skulp- 
turen aus  Elfenbein,  die  weibliehe  Rundtiguren  zur  Darstellung  bringen, 
Tierbilder  im  Relief  aus  Renngeweih,  gravierte  Umrisszeichnungen  von 
Köpfen  des  Pferdes,  des  Steinbocks,  der  Ziege  u.  s.  w.  auf  Renn-  und 
Hirschgeweih,  Knochen  und  Stein  sind  die  Denkmäler,  welche  in  den  ver- 
schiedenen Epochen  angehörenden  Stationen  des  nordöstlichen  und  süd- 
lichen Frankreich  zu  Tage  getreten  sind,  und  die  lange  Zeit  ein  un- 
gelöstes Rätsel  der  Prähistorie  blieben,  bis  die  Ethnologie  immer 
deutlicher  darauf  hinweisen  konnte,  dass  auch  noch  heute  bei  soust 
ganz  rohen  Völkern,  z.  B.  bei  den  Tsehuktschcn  und  Eskimos,  aber 
auch  bei  australischen  und  afrikanischen  Stämmen  die  Spuren  ähn- 
licher künstlerischer  Befähigung  hervortreten. 

Mit  dem  Hereinbrechen  der  neolithischen  Zeit,  in  welche  die 
Ausbreitung  der  Iudogermanen  in  Europa  fällt  (s.  u.  Kupfer  und 
Steinzeit:,  verschwindet  dieser  freischaffende  künstlerische  Zug  aus 
den  Bevölkerungsschichten  Altcuropas.  Es  seheint,  dass  auf  den  höheren 
Wirtschaftsstufen  der  Viehzucht  und  des  Ackerbaus  das  Sehönheits- 
bedürfni8  des  Menschen  sich  in  einer  mehr  praktischen  und  nüchternen 
Richtung  bethätigte,  nämlich  einmal  in  der  geschmackvolleren  Her- 
stellung seiner  Waffen  und  Werkzeuge,  das  andre  Mal  in  der  Orna- 
mentierung  seiner  der  paläolithisehen  Zeit  noch  unbekannten  Thonge- 
fässe. 

Die  Beantwortung  der  Frage,  welches  der  hierbei  auftretenden 
Muster  etwa  als  indogermanisch  [oder  urcuropäisch  anzusprechen  sei, 
wird  erschwert  durch  die  Thatsache,  dass  schon  von  ueolithischer  Zeit 
an  orientalische  Kunsteinwirkungen  zuerst  im  Umkreis  des  mittel- 
ländischen Meeres,  dann  aber  auch  in  der  Mitte  und  im  Norden  unseres 
Erdteils  sich  geltend  machen,  die  noch  deutlicher  als  auf  dem  Gebiete 
der  Keramik  später  auf  dem  der  Bronzefabrikation  (die  ältesten  Bronzen 
sind  wie  die  kupfernen  und  steinernen  Artefakte  ohne  Omamentierung) 
allmählich  hervortreten.  Auf  eine  solche  Herkunft  scheinen  auch  die 
im  Südosten  Europas,  in  Thrakien  und  Illyrien,  in  Italien  und  der 


Digitized  by  Google 


488 


Kunst  —  Kupfer. 


Pfahlbauteuregion  jetzt  wieder  zu  Tage  kommenden  Werke  der  Plastik 
aus  Thon  hinzuweisen,  welche  kleine,  teils  menschliche  Figuren,  meistens 
weibliche,  teils  Tiere,  meistens  Kühe,  darstellen,  und  über  deren  eigent- 
liche Bedeutung  die  Meinungen  noch  vielfach  auseinandergehen. 

In  hohem  Grade  interessant  sind  aus  frühen  Epochen  auch  die  der 
Bronzezeit  ungehörigen  Felscnbilder  Skandinaviens,  welche  in  sehr 
primitiver  V/eise  allerhand  friedliche  und  kriegerische  Sccnen  des 
Menschenlebens  zeichnerisch  darstellen,  und  für  die  man  ebenfalls  An- 
knüpfung an  südöstliche  Kunsterscheinungen  gesucht  hat. 

Alle  diese  kunstgeschichtlichen  Probleme  fallen  ausserhalb  des  Rahmens 
dieses  Werkes  und  sind  in  vollem  Umfang  neuerdings  von  M.  Hoernes 
Urgeschichte  der  bildenden  Kunst  in  Europa  (Wien  1W»S)  behandelt 
worden.  Vgl.  dazu  F.  Crosse  Anfänge  der  Kunst  i  Freiburg  i.  B.  und 
Leipzig  It>94).  In  beiden  Werken  wird  zu  den  Erscheinungen  der 
bildenden  Kunst  auch  die  Kosmetik,  d.  Ii.  Sehmuck  und  Kleidung 
des  Körpers  gerechnet.  S.  hierüber  n.  Haartracht,  Kleidung, 
Schmuck  und  Tätowierung. 

Über  die  in  Europa  für  die  Zwecke  der  Lebenden  ((Iber  die  der 
Toten  s.  n.  Bestattung)  erst  in  sehr  späte  Zeit  fallenden  Anfänge 
der  Architektur  s.  u.  Steinbau. 

Kupfer.  Dass  den  Indogermanen  vor  ihrer  Trennung  sicherlieh 
ein  Xutzmetall  bekannt  war.  folgt  unabweislich  aus  der  Gleichung 
seit,  äyas-,  aw.  ayah-,  lat.  aes,  got.  aiz.  Die  vereinzelte  Anschauung 
(vgl.  Kauft'mnnn  Z.  f.  deutsche  Phil.  XXXI,  lVJö\  dass  diese  Reihe, 
zumal  sie  ohne  Sippe  und  Stammabstufung  da  stände,  auf  Entlehnung 
beruhe,  entbehrt  der  Begründung.  Mit  dem  gleichen  Recht  könnte  man 
die  Übereinstimmung  in  den  idg.  Namen  des  Vaters  oder  der  Mutter 
aus  Entlehnung  erklären.  Auch  ist  es  nicht  richtig,  dass  äyasaes  der 
Abstufung  entbehre.  Eine  solche  liegt  sicher  im  Suffix:  *ai  os-  —  sert. 
riyas-,  *ai-es-  in  lat.  aenns  aus  *ai-es-no-,  *ais-  iu  lat.  ae-r-is  aus 
*ais-is  (vgl.  Brngmanu  Grundriss  II,  392)  und  vielleicht  auch  im  Stamme 
(s.  über  ir.  iarn  ,Eisen'  aus  *i*-arn-,  *ais-  :  is-  u.  Eisen)  vor. 

Die  angeführte  Reihe  bedeutet  nun  in  ihren  europäischen  Gliedern 
sowohl  das  Kupfer  wie  auch  die  aus  diesem  Metall  und  dem  Zinne 
hergestellte  Bronze  (vgl.  z.  B.  Otfrid  I,  1,  09:  zi  nttzze  grebit  man 
ouh  thdr  er  inti  kupfar,  und  noch  später  wird  lat.  aes  ausser  mit 
erze  oder  eer  mit  , Kupfer'  übersetzt).  Zweifellos  ist  auch  lat.  aes  Roh- 
kupfer und  Bronze.  Nicht  so  sicher  ist  die  eigentliche  Bedeutung  von 
sert.  dyas-,  aw.  ayah-  in  den  älteren  indischen  und  iranischen  Quellen 
zu  ermitteln,  wenngleich  es  in  beiden  nicht  an  mehr  oder  weniger 
deutlichen  Spuren  fehlt,  dass  auch  hier  von  der  Bedeutung  Kupfer, 
Erz  auszugehen  ist  is.  die  Litteratur  über  diese  Frage  u.  Erz  am 
Schlussi.  Selbst  aber  für  den  Fall,  dass  mau  geneigt  sein  sollte,  für 
das  arische  äyas-  ayah-  frühzeitig  deu  Sinn  von  Eisen  anzusetzen,  so 


Digitized  by  Google 


Kupfer. 


489 


könnte  dieser  dennoch  nicht  als  indogermanisch  gelten,  weil  u.  Eisen 
gezeigt  worden  ist,  dass  dieses  Metall  hei  den  idg.  Völkern  Kuropas 
nachweislich  erst  sehr  spät  aufgetreten  ist.  Die  in  Frage  stehende 
Gleichung:  kann  in  der  Urzeit  daher  nur  Kupfer  oder  Erz  oder  Kupfer 
und  Erz  gemeint  haben.  Die  Entscheidung  für  eine  dieser  drei  Möglich- 
keiten kann  nur  mit  Hülfe  der  Prähistorie  getroffen  werden.  In  diesem 
ganzen  Werke  ist  wiederholt  auf  die  Thatsache  hingewiesen  worden, 
dass  die  Kultur  der  Indogermanen,  soweit  wir  sie  auf  linguistisch- 
historischem  Weg  ermitteln  können,  sich  wohl  mit  der  arehaeo- 
logisch  hezeugten  Gesittung  der  neoli thi sehen  Periode  Europas, 
nicht  aber  mit  derjenigen  der  auf  diese  folgenden  Bronze-  und  Eisen- 
periode  deckt,  dass  sich  also  idg.  Gleichungen  regelmässig  nur  für 
Knlturbegriffe  der  neolithisehen  Zeit  finden,  in  die  demnach  die  prä- 
historischen Zusammenhänge  der  idg.  Völker  fallen.  Lehrreich  sind  in 
dieser  Beziehung  die  Artikel  Rind,  Schaf,  Ziege,  Pferd,  Schwein 
gegenüber  den  Artikeln  Esel,  Maultier,  Katze  oder  Gerste,  Weizen, 
Hirse,  Flachs  gegenüber  Hafer,  Roggen,  Hanf  oder  Axt, 
Hammer,  Messer,  Spiess,  Pfeil,  Schild  gegenüber  Schwert, 
Helm,  Pan  z  e  r  oder  Ahle,  B  o  h  r  e  r ,  S  ä  g  e  ,  Schleifstein, 
Nadel,  Nagel,  Meisscl  gegenüber  Zange,  Scheere  u.  s.  w.  Zu 
dieser  Ansicht  bekennt  sich  jetzt  auch  H.  Hirt,  wenn  er  in  einem  Auf- 
satz über  die  wirtschaftlichen  Zustände  der  Indogermanen  (Jahrb.  f. 
Nationalök.  und  Stat.  III.  Folge,  XV,  4f>9)  hervorhebt,  dass  „in  wesent- 
liehen  Stücken  die  Zustände  der  Schweizer  Pfahlbauten  denen 
gleichen,  die  wir  mit  Hilfe  der  Sprachwissenschaft  den  Indoger- 
manen zuschreiben".  Die  Einwendungen  Kretschmcrs  Einleitung  S.  69 
gegen  diese  schon  in  der  ersten  Auflage  von  Sprachvergleichung  und 
Urgeschichte  vertretene  Anschauung  sind  nicht  stichhaltig;  denn  wenn 
derselbe  z.  B.  Anm.  1  bemerkt,  „dass  es  für  die  Ziege,  die  sieh  bereits 
in  den  neolithisehen  Pfahlbauten  finde,  nicht  einmal  eine  den  Iudo- 
gennanen  oder  auch  mir  den  Europäern  gemeinsame  Bezeichnung  gäbe", 
so  ist  hiergegen  auf  drei  partielle  Übereinstimmungen  iu  den  Xamen 
dieses  Tieres  (sert.  ajä-  =  lit.  oiys,  griech.  mE  =  armen,  aic,  lat. 
haedus  =  got.  gaits)  zu  verweisen,  die  sehr  wohl  dialektische  Diffe- 
renzen der  Ursprache  (vgl.  Kretschmer  a,  a.  0.  Cap.  I)  sein  können. 
In  jedem  Falle  aber  stellt  sich,  mag  man  nun  vom  Indischen  oder 
Armenischen  oder  Griechischen  oder  Litauischen  oder  Lateinischen 
oder  Deutschen  ausgehen,  der  Name  der  Ziege  als  ein  vorhistorischer 
heraus,  und  der  von  Kretschmer  konstruierte  Gegensatz  zwischen  dem 
„idg.  Lexikon"  und  der  durch  die  neolithisehen  Pfahlbauten  als  in 
Europa  vorhistorisch  erwiesenen  Ziegenzucht  (s.  u.  Ziege)  ist  nicht 
vorhanden.  Dabei  soll  nicht  verschwiegen  werden,  dass  noch  nicht 
alle  Fälle  sieh  in  die  aufgestellte  Regel  fügen,  was  hei  der  Lücken- 
haftigkeit des  prähistorischen  wie  des  etymologischen  Materials  auch 


Digitized  by  Google 


4 IX) 


Kupfer. 


nicht  befremden  kann:  doch  wie  man  etwa  die  Grundzüge  der  ger- 
manischen Lautverschiebung  festgestellt  hat,  bevor  man  noch  die  zahl- 
reichen Ausnahmen  von  derselben  zu  erklären  vermochte,  so  sollte 
man  auch  hier  zunächst  auf  die  grossen  das  Kultur-  und  Spraebleben 
durchziehenden  Züge  Gewicht  legen,  ohne  sich  durch  etwa  abweichende 
Einzelheiten  allzusehr  beirren  zu  lassen. 

Und  zwar  sollte  man  das  umsomehr  thun,  als  man  auch  auf  anderen 
Wegen  zu  dem  gleichen  Ergebnis  vorgedrungen  ist,  dass  die  idg.  Völker 
Europas  schon  während  der  jüngeren  Steinzeit  im  wesentlichen  in 
ihren  historischen  Wohnsitzen  sassen.  So  hat  dies  0.  Moutclius  schon 
im  Jahre  1887  (Archiv  f.  Anthropologie  XVII,  IM  ff.  Über  die  Ein- 
wanderung unserer  Vorfahren  im  Norden)  für  die  Germanen  dadurch 
zu  erweisen  gesucht,  dass  er  zeigte,  wie  in  Skandinavien  von  der 
neolithischen  bis  in  die  Eisenzeit  nirgends  sich  unvermittelte  Sprünge 
der  Kulturentwicklnng,  die  auf  den  Einbruch  eines  neuen  Volkes  hin- 
deuten könnten,  sondern  überall  nur  ganz  allmähliche  Übergänge  zu 
Tage  treten,  und  A.  Bezzenberger  hat  im  Bulletin  de  l'Aeademie  Im- 
periale des  Sciences  de  St.  Pctersbourg,  Nouvelle  Serie  IV  (XXXVI) 
p.  498  ff.  eine  Reihe  linguistisch-geographischer  Gründe  dafür  beige- 
bracht, dass  der  litauiseh-lettiaeh-prcussische  Sprachstanim  bereits  vor 
50UU  Jahren  in  neolithischen  Kulturvcrhältnissen  ostwärts  vom  kurischen 
Haff  sass  (s.  auch  u.  Steinzeit  und  u.  Urheimat). 

Wenu  demnach  die  idg.  Urzeit  der  neolithischen  Epoche  angehören 
muss,  so  ergiebt  sich,  dass  man  behufs  Deutung  der  Gleichung  dya*  =■ 
aes  sich  nach  einem  Metalle  umsehen  muss,  dass  nach  den  Erfahrungen 
der  Prähistorie  thatsächlich  innerhalb  neolithischer  Kulturvcrhältuisse 
vorkommt.  Dies  ist  aber  ausschliesslich  das  unvermischtc  Kupfer. 
In  einem  zusammenfassenden,  ausgezeichneten  Buche  Die  Kupferzeit 
in  Europa  (2.  Aull.  Jena  1893)  hat  M.  Much  den  überzeugenden  Nach- 
weis geführt,  dass  zahlreiche  Stämme  des  neolithischen  Zeitalters  in 
Europa  sich  im  Besitze  eines  Metalles,  eben  des  Kupfers,  befunden 
haben,  das  sie  auf  dein  Wege  des  Gusses  zu  mancherlei  Waffen  und 
Geräten  zu  verarbeiten  verstanden.  Dieses  Ergebnis  ist  durch  spätere 
Untersuchungen  (vgl.  namentlich  0.  Montelius  Findet  man  in  Schweden 
Überreste  eines  Kupferaltcrs?  Archiv  f.  Anthropologie  XXIII,  425  ff. 
und  J.  Hainpcl  Neuere  Studien  über  die  Kupferzeit  Z.  f.  Ethnologie 
XXVIII,  57  ff.:  über  thüringische  Kupferfunde  vgl.  M.  Verworn  Z.  f. 
Thüring.  Geschichte  und  A.  K.  XIX,  533)  lediglich  bestätigt  worden, 
und  nur  soviel  dürfte  noch  nicht  genügend  feststehen,  ob  die  Bekannt- 
schaft mit  dem  Metall  der  neolithischem  Periode  überhaupt  zuzn- 
schreiben  sei,  so  dass  man  streng  genommen  von  einer  jüngeren  Stein- 
zeit nicht  sprechen  könnte,  und  die  Abwesenheit  des  Kupfers  in 
zahlreichen  Funden  auf  Rechnung  des  Zufalls  oder  des  augenblicklichen 
lokalen  Mangels  an  dem  zweifellos  überall  seltenen  Metalle  zu  setzen 


Digitized  by  Google 


KupfVr. 


491 


wäre,  oder  ob  nur  gewisse  Stämme  in  gewissen  (späteren)  Epochen 
des  jüngeren  Steinalters  sich  im  Besitze  des  Kupfers  befanden. 

Wie  sich  dies  nun  auch  verhalten  möge,  als  in  hohem  Grade  wahr- 
scheinlich darf  gelten,  dass  die  idg.  Urzeit  —  ein  Schluss,  den  schon 
M.  Much  mit  voller  Deutlichkeit  gezogen  hat  —  als  eine  Epoche  zu 
betrachten  ist,  die  zwar  im  wesentlichen  noch  steinerne  Waffen  und 
Werkzeuge  führte,  daneben  aber  auch  schon  das  damals  wahrscheinlich 
noch  sehr  seltene  Kupfer  in  beschränktem  Masse  verwendete.  He- 
merkenswert ist  auch,  dass  gerade  die  allgemeinsten  und  verbreitetsten 
Gattungen  kupferner  Waffen  und  Werkzeuge,  das  Flachbeil,  der  Dolch 
und  der  Pfriem  (vgl.  Much  a.  a.  0.  S.  18*>)  sich  durch  unzweifelhafte 
idg.  Gleichungen  belegen  lassen  <s.  n.  Axt,  Messer  und  Ahle). 

Für  die  Frage,  woher  die  noch  vereinigten  Indogermanen  ihr  Kupfer 
bezogen,  ist  vielleicht  eine  zweite  idg.  Bezeichnung  dieses  Metalles: 
sert.  lohä-,  urspr.  , Kupfer'  (B.  R.),  npers.  rüi,  rö  id.,  altsl.  ruda  ,me- 
tallunr,  lat.  raudtts  ,Erzstück',  altn.  ranM  , rotes  Eisenerz'  von  Wichtig- 
keit, insofern  dieselbe  in  verführerischer  Nähe  des  sumerischen  Namens« 
des  Kupfers  urttd  (vgl.  auch  bask.  urraida  , Kupfer"?)  liegt.  Dieser 
Zusammenklang  gewinnt  an  Bedeutung  durch  eine  zweite  Entsprechung: 
sert.  purac/c,  gricch.  ttcXcku?  =  sumer.  balag,  babylon.-assyr.  pilakku 
,Beil\  Es  wäre  also  möglich,  dass  die  Indogermanen  schon  in  ihrer 
Urheimat  (vgl.  auch  .1.  Schmidt  Die  Urheimat  der  Indogermanen  S.  9 
nach  F.  Hominel)  das  erste  Metall,  vielleicht  zunächst  in  Gestalt 
kupferner  Beile,  durch  östliche  (sumerische)  Beziehungen  erhalten  hätten. 
Da  wir  diese  Urheimat  (s.  d.)  im  Südosten  Europas  suchen,  so  könnte 
der  Umstand,  dass  rein  kupferne  Artefakte  am  reichlichsten  in  Ungarn, 
Siebenbürgen  und  den  östlichen  Alpenländern  gefunden  worden  sind, 
so  auszulegen  sein,  dass  hier  in  nächster  Nähe  des  Verbreitungsherdes 
der  Indogermanen  noch  ein  grösserer  Vorrat  an  Kupfcrgeriiten  vor- 
handen war,  der  bei  der  weiteren  Ausbreitung  der  Indogermanen  in 
Europa  immer  spärlicher  wurde.  Ein  zweiter,  aber  unzweifelhaft  nicht 
indogermanischer  Mittelpunkt  des  Kupferreichtums  begegnet  dann  erst 
wieder  auf  der  iberischen  Halbinsel. 

Erst  nach  Auflösung  der  idg.  Spracheinheit  wurde  dann  den  ein- 
zelnen idg.  Völkern,  nachdem  sie  noch  geraume  Zeit  in  dem  aus  der 
Urzeit  ererbten  Knlturzustand  verharrt,  auch  hier  und  da  selbst  ver- 
sucht hatten,  das  immer  seltener  gewordene  Metall  zu  gewinnen  (s.  u. 
Bergbau),  die  Bronze  (s.  u.  Erz)  bekannt,  zu  dercu  Bezeichnung  die 
alten  Namen  des  Kupfers  (lat.  aes,  got.  oiz\  Uber  griech.  ya\K6$  und 
agls.  brau  s.  u.  Eisen)  zunächst  noch  ausreichten. 

Daueben  bestehen  in  den  nordenropäisehen  Sprachen  noch  besondere, 
meist  unaufgeklärte  Namen  für  das  unvermischte  Rohkupfer:  1.  urkclt. 
*umayo-,  ir.  umae,  altkvmr.  emid  etc.  (Bezzenberger  bei  Stokes  Urkelt. 
Sprachschatz  vermutet  in  -a//o-  das  alte  sert.  ayas  ).    2.  lit.  icarias, 


Digitized  by  Google 


•192 


KuplVr  —  Ky  presse. 


altpr.  irargien;  vgl.  altpr.  icarene  »Kessel'.  3.  gcmeinsl.  altsl.  nmU 
(wohl  zu  ahd.  »mitia,  gi«mhli  und  ir.  mein  , Metall'  gehörig,  demnach 
wohl  ursprünglich  ,veiurbeitbarcs'  bezeichnend).  Laugsam  bahnt  sieh 
dann  in  Alt-Europa  das  lat.  aes  Cyprhim  Zyprisches  Erz'  seine  Wege. 
Die  kupferreiehe  Insel  Kypros  war  schon  in  homerischer  Zeit  ein  Aus- 
fuhrort für  Kupfer  <xaXKÖ<;j  gewesen,  wenn  unter  Teu^o*n  (Od.  I,  1^4) 
das  kyprisehe  Tamassos  (,die  .Schinel/.htttte',  vgl.  hcbr.  teme»  ,das 
ZerHiessen  )  mit  Kecht  verstanden  wird.  Im  Jahre  57  v.  Chr.  waren 
die  Körner  in  den  Besitz  der  Insel  gekommen,  und  von  dieser  Zeit  an 
fängt  das  lat.  ae»  Cypriuut,  in  volkstümlicher  Form  ettprum,  cupreum, 
cyprinum  an,  seine  Kolle  in  der  Sprachgeschichte  Europas  zu  spicleu. 
Es  dringt  in  das  romanische  Sprachgebiet  ein,  wo  es  aber  nur  im 
Französischen  (citii  re)  begegnet  (sonst  herrscht  hier  das  lat.  aeramen, 
aeramentum,  vgl.  Körting  Lat.-rom.  W.  S.  2#,  daselbst  S.  444  über 
die  merkwürdige  Sippe  von  frz.  laiton  .Messing'),  in  das  Albancsische 
ik'iprr),  in  das  Germanische  (ahd.  chuphar,  engl,  copper,  nltn.  kopam, 
von  hier  wieder  ins  Irische  icopan  und  Komische  (cober),  aber  auch 
ins  Finnische.  Lappische  und  Estnische,  wo  aber  auch  uralte  ein- 
heimische Namen  des  Kupfers,  ebenso  wie  auch  im  Ural-Altaisehen  und 
Semitischen  bestehen  (vgl.  Vf.  Sprachvergleichumr  und  Urgeschichte2 
S.  27uf.).  -  S.  n.  Metalle. 

Kürbis,  s.  Cucurbitaceen. 

Kürschnerei,  s.  Lede>\ 

Kurzschäde)  (Braehykephalcni.  s.  Körper beschaf fenheit  d.  I. 
Kuss.  s.  Gruss. 
Kutsche,  s.  Wagen. 

Kyperhlumc.  Mau  versteht  hierunter  die  Blüte  eines  von  den 
Griechen  küttpo?  (Dioskoridesy  genannten  Baumes  {Lawsonia  alba  = 
dem  Hennastrauch  der  Araber),  der  am  Nil,  in  Judäa  und  auf  Kypros 
vorkam  (Min.  XII,  100,  Athen.  XV,  p.  688).  Dieselbe  wurde  zur 
Herstellung  der  kostbaren  Cypersalbe  verwendet.  Griech.  Kuitpo?  stammt 
aus  dem  gleichbedeutenden  hebr.  kofer.  Auf  dasselbe  Wort  möchte 
man  auch  das  altgriech.  KUTreipo^  (Horn.  Hymn.  auf  Hermes),  eine 
Wiesenpflanze  mit  aromatischer  Wurzel,  uud  küttcipov  (II.  Od.),  ein 
Pferdefutter  zurückführen  (vgl.  Lewv  Die  sem.  Freindw.  S.  40),  was 
bedeutungsgeschichtlich  wenig  wahrscheinlich  ist.  —  S.  u.  Aromata. 

Kypresse.    Cupre»ms  semperviren»  L.  (in  zwei  Varietäten  C. 
pyramidalix  und  C.  horizontali»)  ist  nach  A.  Englcr  (bei  V.  Hehn  s.  u.) 
wildwachsend  auf  den  Gebirgen  des  nördlichen  Persicns  und  Ciliciens, 
namentlich  aber  im  Libanon,  auf  den  Bergen  von  Kypros,  Khodns,  Melos, 
sowie  auch  auf  Kreta  gefunden  worden. 

Die  Bekanntschaft  mit  dem  Baum  muss  bei  den  Semiten  in  sehr 
alter  Zeit  vorausgesetzt  werden,  da  er  im  Osten  wie  im  Westen  des 
Sprachgebiets  den  gleichen  Namen  führt  (assyr.  buram  =  hcbr.  berös, 


Digitized  by  Google 


Hypnose  —  Cyii.sus. 


493 


aram.  berät«,  brröttV,  vgl.  auch  griech.  ßpüBu  ,Levenbanm  und  lat. 
bratus  ,eine  Kypresseuart  Vorderasiens'  bei  IMiniusi.  Die  Ky presse 
ist  auf  semitischem  Boden  seit  Alters  der  heilige  Haina  der  Aphrodite- 
Astarte,  die  deshalb  geradezu  Bn,poüe  =  Baälat  Beritt  .Göttin  der  Ky- 
presse' heisst,  und  es  ist  sehr  wohl  möglich,  dnss  im  Gefolge  dieses  Kultes 
(s.  auch  u.  T  a  n  b  e)  die  Kypresse  schon  in  vorhomerischer  Zeit  nach 
dem  eigentlichen  Griechenland  vordrang. 

Hier  ist  der  Haina  den  homerischen  Gedichten  wohl  bekannt.  Die 
Kypresse  wächst  (Dd.  V,  63)  um  die  Grotte  der  Kalypso: 
oXn,  be  o"tt€o?  duqri  7Teq)UK€i  TV|Xeti6iuo"a, 
K\n8pn.  t'  atreipöq  T€  kgö  euiübn,?  KUTrdp iO"o*oq. 
Die  Thürpfosten  am  Palaste  des  Odvsseus  (XVII,  340)  sind  aus  Ky- 
pressenhol/  gearbeitet.    Die  Ilias  nennt  in  dem  Schiffskatalog  bereits 
zwei  Örtlichkeiten,  Kyparissos  und  Kyparisseis,  welche  von  deai  Baume 
ihren  Namen  haben  (II.  II,  ö  1  * >  und  ö{»3). 

Auch  die  Bezeichnung  der  Kypresse  im  Griechischen,  Kimäpitfcros, 
hat  man  aus  dem  Semitischen  abzuleiten  gesucht,  und  zwar  aus  dem 
hebr.  yofer,  welches  an  der  einzigen  Stelle,  au  welcher  es  vorkommt 
(Gen.  6,  14),  das  Holz  bezeichnet,  ans  welchem  die  Arche  gebaut  war. 

.Man  kann  hiergegen  einwenden,  dass  semitische  Lehnwörter  im 
Griechischen  sonst  keine  Erweiterung  ihres  Lautbestandes  ■ KUTrdp-iö-o-og 
:  gofer)  zeigen.    Andere  haben  daher  vorgezogen,  Kimüpio-ao<;  (*kuttu- 
piTjo?)  an  das  häutiger  überlieferte  hebr.  (flfrit  ,Harz,  Pech,  Schwefel 
anzuknüpfen. 

In  Italien,  wo  der  Baum  den  griechischen  Namen  (virpressus,  zuerst 
bei  Ennins)  tragt,  ist  die  Kypresse  ausschliesslich  durch  Anpflanzung 
und  Kultur  verbreitet  worden.  Nach  V.  Hehn  wäre  dieselbe  von 
Griechenland  über  Sizilien,  wo  der  Baum  in  Theokrits  Idyllen  genanut 
wird,  und  Taren t  (cupressus  Tarentina,  Cato)  gewandert. 

Gegenwärtig  gelten  in  weiten  Teilen  des  südlichen  Europa  Namen, 
die  nichts  mit  griech.  KUTrdpto'o'o«;  zu  thua  haben:  alb.  selei',  bulg. 
selrija,  ngriech.  creXßivi  (neben  tö  Kunapio"o"i).  Diese  Ausdrücke  stammen 
zunächst  ans  dem  türkischen  sehe,  serw,  das  durch  eine  weite  Kette 
zusammenhängender  Namen  (npers.  serw,  knrd.  serw  und  salb  etc.) 
sich  bis  in  das  assyrische  mrmrtnu  („eine  kypressenartige  Conifere,  die 
von  den  assyrischen  Königen  auf  dem  Libanon  gefällt  wird")  und  snm.-akk. 
sur-man  verfolgen  lässt.  Vgl.  noch  syr.  surbitta.  arab.  .sirbin.  —  Vgl. 
V.  Hehn  Kulturpflanzen*  S.  276ff.  S.  u.  Obstbau  und  Banmzucht. 

Cytisus.  Medicago  arborea  L.  ist  ein  Strauch,  dessen  Blätter 
bei  Griechen  und  Römern  als  Futter  der  Haustiere  gesehätzt  waren. 
Im  Mittelmeergebiet  (auch  in  Griechenland  auf  dem  Lycabettns)  spo- 
radisch wildwachsend  verbreitet,  wird  er  unter  dem  dunklen  Namen 
kutio*0£  (woraus  lat.  cytisus)  zuerst  bei  den  komischen  Dichtern  Cratinus 
und  Eupolis  genannt.   Über  den  Ausgangspunkt  des  Strauches  äussert 


Digitized  by  Google 


494 


Cytisus  —  Lach*. 


Pliuius  XIII,  134:  Juventus  est  hic  frute.r  in  Cythno  insula,  inde 
tralatus  in  omnes  Cycladas,  mox  in  urbes  Graecas,  magno  casei  pro- 
ventn.  Eine  Cberführuug  nach  dem  Norden  hat  nicht  statt  gefunden. 
Charakteristischer  Weise  giebt  die  heilige  Hildegard»  das  ahd.  kle  mit 
cithysus  wieder:  -ad  pascua  pecorum  utile".  —  Vgl.  V.  Hehn  Kultur- 
pflanzen" S.  31*1»  f.    S.  u.  Futter  kraut  er. 


L. 

Lab.  Für  dieses  in  gewissen  Tiermagen  fertig  vorhandene,  aber 
auch  künstlich  durch  Pflnn/.ensäfte  herstellbare  Mittel,  die  Milch  zum 
Zwecke  der  Bereitung  des  Käses  (s.  d.)  /um  Gerinnen  zu  bringen 
(daher  lat.  coagulum),  linden  sich  in  den  einzelnen  Sprachen  alte,  aber 
keine  Spur  von  Zusammenhang  aufweisende  Benennungen.  So  griech. 
dor.  tduicros,  att.  mmet  (:  tcOuj  , bringe  zum  Eitern  ),  altpr.  raugus  (vgl. 
lit.  rdugas  , Sauerteig',  szliüzax  ,Lab'),  ahd.  käsiluppa  neben  mhd. 
kwselap,  agis.  cyslyb  (altn.  lyf  , Arznei',  got.  lubja  ,Gift',  Grnndbe- 
deutung:  ,stark  wirkender  Pflanzensaft'),  neunorw.  tette  .Mittel,  das 
die  Milch  gerinnen  macht',  neuschwed.  tütt  ,Laff  von  gewissen  Pflanzen 
(Finguicula  vulgaris,  Drosera  rotundifolia  u.  a.),  die  die  Milch  ge- 
rinnen machen',  neunorw.  tette  gras,  neuschwed.  tät  ört  ,einc  solche 
Pflanze',  alle  zn  altn.  pettr  ,dicht'  gehörig  (vgl.  Lidcu  Studien  zur 
altind.  u.  vergl.  Sprachgeschichte  S.  40).  In  Indien  war  das  Gerinnen- 
lasscu  \d-taiic)  der  Milch  durch  derartige  künstliche  Mittel  schon  in 
vedischer  Zeit  bekannt  (vgl.  Zimmer  Altindisches  Leben  S.  227).  — 
S.  u.  Milch. 

Lachs.  Da  der  Fisch  nur  in  denjenigen  Flüssen  vorkommt, 
welche  sich  in  den  Ocean  sowie  in  die  Ostsee  ergiesseu,  nicht  aber  in 
denjenigen,  welche  in  das  Mittelländische  oder  Schwarze  Meer  münden, 
so  ist  es  begreiflich,  dass  weder  Griechen  noch  Römer  einen  eigentüm- 
lichen Namen  für  denselben  hatten.  Doch  wurde  er  den  letzteren 
bekannt,  als  sich  ihnen  die  Fischereigründe  Galliens  und  Germaniens 
eröffneten.  Schon  bei  Plinius  tritt  der  Fisch  unter  zwei  verschiedenen 
Namen,  eso.v,  iso.v  und  sahno  auf.  Ersteres,  einen  sehr  grossen  Fisch 
des  Rheines  (Plin.  Hist.  nat.  IX,  44)  bezeichnend,  ist  ohne  Zweifel 
keltischer  Herkunft,  aus  urkelt.  *esdks,  *esdks  , Lachs'  =  ir.  e"o,  kymr. 
ehaicc,  eog,  korn.  ehoc,  bret.  eok  (vgl.  auch  bask.  isokin  ,saumon'  aus 
dem  Keltischen,  das  im  Irischen  noch  ein  dunkles  bratdn  ,Lachs'  bietet). 
Salmo  wird  von  Plinius  IX,  (38  aus  Aquitanien  gemeldet:  Jn  Aquitnnia 
salmo  fluviatilis  marinis  omnibus  praefertur  (vgl.  dazu  Ausonius 
Moseila  v.  97  ff.  und  129).    Das  Wort  ist  in  das  Französische  und  in 


Digitized  by  Google 


Lachs  —  Lailanum. 


495 


die  rheinischen  Dialekte  des  Deutschen  (ahd.  salmo)  übergegangen 
und  zeigt  Beziehungen  zu  Namen  der  Forelle  (s.  dJ,  die  auch  sonst 
(ir.  ort-  ,saImon',  erv  ,tront'  K.  Z.  XXXV,  hervortreten.  Eine 

Laehsart  wird  auch  das  von  Cassiodor.  Var.  XII,  4  genannte  ancho- 
rago bezeichnen:  a  Rhena  reniat  Anchorago.  Vgl.  daneben  ancora  im 
Chronieon  Abbatiae  8.  Trudonis  Hb.  lo:  Intet'  duo,  leguminum  tidelicet 
et  ohrum  fercula,  pixcem  qttotidie  dahat;  scilicet  auf  magno*  lucias, 
mit  Anchoram  sire  sal inonem .  rel  halec  recent'm  (weiteres  bei 
Du  Gange  u.  Anchora).  Da  nun  ancora,  woher  altfrz.  ancruel  ,le 
beccard',  , Salmo  feniina'  aus  *ancora  -\-  Alu«,  den  weiblichen  Lachs 
bezeichnet,  wird  anchorago  der  männliche  sein,  wobei  man  anzunehmen 
hat,  dass  der  zweite  Bestandteil  des  Wortes  dem  altdeutschen  hagen 
,Männchen'  (auch  des  Lachses,  vgl.  Grimms  W.  IV,  2  Sp.  IM)  ent- 
spricht. Es  liegt  also  eine  rom.-germ.  Mischform  wie  auch  in  lat. 
carrttgo  .Wagenburg'  aus  carrtts  +  hag  vor. 

Durch  eine  gemeinsame  Bezeichnung  des  Fisches  werden  die  ger- 
mano-litusla  vi  sehen  Sprachen  verbunden:  gemeingenn.  ahd.  lahs,  lit. 
la*zi*Z(t,  altpr.  lamuxo,  russ.  losoal  (neben  lachü).  Die  Wörter  sehen  aus, 
als  ob  sie  unter  mannigfachen  Verstümmelungen  auf  einen  abstufenden 
Stamm  *lok-o#-t  *lok-es-,  *lok-s-  zurückgingen.  Jedenfalls  muss  sich 
die  Gruppe  sehr  früh  auf  dem  bezeichneten  Sprachgebiet,  d.  h.  vor 
Übergang  des  palatalcn  Verschlusslants  in  den  Sibilanten  des  Litu- 
Slavischcn  festgesetzt  haben  (vgl.  den  analogen  Fall  bei  den  germano- 
slavischcn  Wörtern  für  Gold  s.  d.).  Hemerkenswert  ist,  dass  auch  bei 
anderen  Fisclmamcu  (s.  u.  Wels,  Sc  Ii  leihe,  Stör)  engere  Berührungen 
zwischen  dem  Germanischen  und  den  osteuropäischen  Sprachen  hervor- 
treten. Vgl.  noch  russ.  xigti,  altn.  sikr  , Salmo  lavaretus'  (ein  kleiner 
der  Familie  der  Lachse  angehöriger  Fisch).  —  8.  u.  Fisch,  Fisch- 
fan g. 

Lack.  Er  ist  das  harzige,  einen  gewissen  Prozentsatz  roten  Farb- 
stoffs enthaltende  Produkt  gewisser  Insekten  auf  mehreren  ostindischen 
Bäumen  und  heisst  im  Sanskrit  läkshd.  Die  einzige  Spur  dieses 
Giunmilacks  im  klassischen  Altertum  begegnet  bei  dem  Verfasser  des 
Periplus  maris  erythraei  (§  6).  Aus  den  inneren  Gegenden  Ariakes 
(Vorderindiens)  wird  dieser  Nachricht  zufolge  Xgikko^  xpwuänvo«;,  also 
eine  Lackfarbe  oder  mit  ihr  gefärbter  Stoff,  ausgeführt.  Weiter  und 
direkt  von  der  Levante  her  hat  sich  dasselbe  Wort  in  Europa  erst  ver- 
breitet, als  das  Siegellack  (in  der  Mitte  des  XVI.  Jahrh.)  aufkam. 
—  Vgl.  Beckmann  Beyträge  I,  474  ff.  (  Siegellack)  und  Yule-Bnrnell 
Hobson-Jobson  S. 

Ladaiiuiii.  Man  versteht  hierunter  das  als  Aroma  gebrauchte 
Harz  verschiedener  im  Mittelmeergcbiet,  auch  in  Griechenland,  ein- 
heimischer Cistus-Arten.  namentlich  des  C.  Vreticn.*  L.  etc.  (vgl.  Held- 
reich  Die  Nutzpflanzen  S.  41»).    Die  Griechen  lernten  den  Gebrauch 


Digitized  by  Google 


4% 


Lüdnumn  —  I.rtuM'iuUTiuiir. 


desselben  durch  die  Semiten  kennen,  wie  schon  der  griechische  Name 
Xrjfcavov  'To  Apäßioi  KuXt'ouai  Xäbavov,  Hemd.  III,  112)  aus  arab.  Iddan, 
assyr.  ladunu  i  Muss-Arnolt  Transactions  XXIII,  117)  zeigt.  Der  Strauch, 
an  dem  das  Harz  sich  bildet,  heisst  bei  Dioskorides  Xnbov.  Ob  auch 
hebr.  lö(,  ein  Aroma,  das  Gen.  2i>  die  lsniaelitcr  von  Gilead  nach 
Ägypten  bringen,  hierhergehört,  mag  dahin  gestellt  bleiben. 

Das  griechische  Wort  bat  sich  im  Slavischen:  russ.  ladanü  etc.  fort- 
gesetzt. Es  schchjt,  dass  man  in  der  orthodoxen  Kirche  häutig  La- 
danum  statt  Weihrauchs  verbrannte.  Lat.  hdumim  (Plin.i,  mlat.  lau- 
dann m.  lahdamun.  —  S.  u.  Aromata. 

Lahm,  s.  Krankheit. 

Laib,  s.  Brot. 

Laie,  s.  Priester. 

Lakritze  (Glylyrrhiza  ylabra  L.).  Das  Süssholz,  wildwachsend 
durch  Südeuropa  bis  Mittelasien  verbreitet,  wird  unter  dem  Namen 
•fXuKÜppiZia  zuerst  von  Dioskorides  De  mat.  med.  III,  5  genannt.  Es 
wächst  nach  ihm  vorzugsweise  am  Pontns  und  in  Kappadokien  und 
wird  als  Heilmittel  namentlich  gegen  Halskrankhciten  gepriesen.  Die- 
selbe Pflanze  hatte  schon  vorher  Theophrast  unter  dem  Namen  Iku- 
0ik»i  ptfet,  die  auch  yXük€icx  genannt  werde,  vom  See  Maeotis  her 
gemeldet  <  Hist.  plant.  IX,  VY>.  Die  Römer  nannten  das  Süssholz  ent- 
sprechend radi.c  du  l  eis.  Nach  Mitteleuropa  ist  das  Süssholz  nicht  so 
früh  wie  andere  Heilpflanzen  überführt  worden.  Es  wird  weder  in 
dem  Capitulare  Karls  des  Grossen,  noch  bei  Walafried  Strabus  genannt. 
Doch  spielt  die  liquiritia  (aus  xAuKÜp(<)t£a)  in  der  unter  griechischem 
Einfluss  stellenden  mittelalterlichen  Arzneikunde  keine  unbedeutende 
Rolle.  Ans  mlat.  liquiritia  stammt  mhd.  lakeritze.  In  den  roma- 
nischen Sprachen  gelten  Verstümmelungen  ans  demselben  Worte,  in 
den  slavischen  auch  Ausdrücke  wie  :,Siisseicheu  im  Russischem  oder 
„Süsswurz"  (im  Polnischen).  —  Näheres  vgl.  bei  Flückiger  Pharma- 
kognosie2 S.  ;>53.    Andere  Heilpflanzen  s.  u  Arzt. 

Lamm,  s.  Schaf. 

Lampe,  s.  Licht. 

Landbau,  s.  Ackerbau. 

Liindernainen,  s.  Staat. 

Landesgrenzen,  s.  Grenze. 

Läugeiimasse,  s.  Mass,  Messen. 

Latigschädel  i Dolichokeph alenj,  s.  Körperbeschaf fenheit 
der  Indogermancn. 
Lanze,  s.  Spiess. 
Lärche,  s.  Fichte. 
Laterne,  s.  Lieht. 
Lattich,  s.  Garten,  Gartenbau. 
Latibfutternng,  s.  Futterkräuter. 


Digitized  by  Google 


Lauch  -  Leder.  497 

t 

Lauch,  s.  Zwiebel. 

Lans,  s.  U  n  ge  z  i  e  f'e  r. 

Lallte,  s.  Musikalische  Instrumente. 

Lavieren.  Nach  den  Überzeugenden  Ausführungen  Breusings 
(Nautik  der  Alten)  und  R.  Werners  (Das  .Seewesen  der  germanischen 
Vorzeit  in  Westermanns  Monatsheften  Oct.  188:?)  hatten  die  Mittclmecr- 
völker  die  im  Norden  fr  IIb  geübte  Kunst,  gegen  den  Wind  zu  kreuzen 
und  dabei  vorwärts  zu  kommen,  noch  nicht  bei  sieh  ausgebildet,  wie 
denn  auch  ein  griechischer  oder  lateinischer  Name  für  diesen  Begriff 
fehlt.  Es  wird  daher  nicht  Zufall  sein,  wenn  die  neueren  romanischen 
Bezeichnungen  des  Lavierens  sämtlich  Ableitungen  ursprünglich  ger- 
manischer Wörter  sind.  So  frz.  loucayer  (woraus  dann  wieder  ndl. 
laceeren)  von  randl.  löf,  lue,  loff  ,Luf  d.  i.  Windseite,  so  it.  bor- 
deggiare,  frz.  bordayer  von  ahd.  bort,  agls.  bord  ,Schiflsrand'.  —  S. 
u.  Schiff,  Schiffahrt. 

Leben  nach  dem  Tode,  s.  Ahnenkultus,  Toten  reiche. 

Lebensmittel,  s.  Nahrung. 

Leder.  Eine  deutliche  Terminologie  des  Leders,  d.  h.  der  ge- 
gerbten und  bearbeiteten  Tierhaut  gegenüber  der  ungegerbten  hat 
sich  in  den  idg.  Sprachen  nur  teilweis  entwickelt.  Im  Griechischen 
bezeichnen  bopü,  be'pua  (:  beipuj  ,schindc',  lit.  diriü  id.,  sert.  drti-  ,Balg), 
bi<pÖ€pa,  ßüpo"«  is.  n.  Pelz k leitler),  o"KÜToq  (vgl.  lit.  xkürä)  beides. 
Mehr,  wenn  auch  nicht  ausschliesslich,  bedeutet  im  Lateinischen  corium 
(vgl.  seit,  edrman-)  das  Leder;  vgl.  ferner  scortum  ,Fell'  und  ,Leder' 
und  (data  (s.  u.  Alaun)  ,mit  Alaun  behandeltes  Lcder'.  Litauisch 
und  slavisch  gl: Ära  und  koza  s.  u.  Pelzkleider)  sind  wiederum  beides. 
Urgermanisch  ist  ahd.  ledar,  altn.  lepr  , Leder',  das  mit  ir.  lethar  ur- 
verwandt sein  könnte;  doch  sehen  andere  in  dem  keltischen  Wort 
vielmehr  eine  Entlehnung  aus  dem  Skandinavischen.  Altpr.  ist  nognan 
,Leder'  überliefert,  das  zu  lit.  ndgas  ,nackt'  etc.  gestellt  wird  (,uackte 
Haut'  i. 

Für  die  Technik  des  G  e  r  b  e  n  s  fehlt  es  an  einer  unzweideutigen 
Übereinstimmung  der  Bezeichnung  in  den  idg.  Sprachen.  Mehrfach 
hat  sich  ,Gerben'  aus  ,Treten'  entwickelt,  so  dass  letzteres  bei  dem 
Waschen  und  Einweichen  der  Häute  eine  Rolle  gespielt  zu  haben 
scheint.  Vgl.  lit.  iszm'tnti  »austreten',  altpr.  mynix  ,Gerbcr'  und  sert. 
carma  nind'-  , Gerber'  (Rigv.),  ferner  griech.  beyuj  i  lat.  depso,  entlehnt?) 
:  bcqpa)  , kneten',  ,walken',  eigentl.  ,tretcn',  mhd.  Zipfen  , trippeln'. 
Ausserdem  gelten  für  Gerben  sert.  mlrt  fgriech.  uapodvuu  ,aufreibcu', 
ahd.  mtirici  ,mürbe'),  lit.  isz-dirpti  eigentl.  ^ausarbeiten',  ahd.  U:dar- 
garawo  ,Gerber',  garheen  ,gar  machen',  serb.  strojiti,  eigeutl.  /zurecht- 
machen', wie  auch  lat.  conficere  (aluta  tentäter  confecta)  so  gebraucht 
wird,  alb.  reg',  eigentl.  ,ordnen'  u.  s.  w.  Denkbar  wäre,  dass  man  in 
der  Urzeit  noch  ganz  ungegerbte  Felle,  die  Haarseite  nach  aussen, 

Schräder,  Reallexikon.  32 


Digitized  by  Google 


498 


Li'iliT  —  Leim. 


getragen  habe,  wie  dies  bei  Pausanias  X,  38,  3  von  <len  ozolischen 
Lokrern  berichtet  wird.  Wahrscheinlicher  ist  indessen,  dass  man  schon 
damals  den  Häuten  eine  gewisse  Behandlung  wird  haben  zu  teil  werden 
lassen,  da  gänzlich  unbearbeitete  Felle  leicht  faulen  oder  zusammen- 
schrumpfen.   Nur  wird  sich  eben  eine  besondere,  einen  speziellen 
Namen  erfordernde  Technik  noch  nicht  ausgebildet  haben.   Messer,  die 
man  als  .Schabemesser  zum  Abschaben  der  Häute  auflaset,  begegnen 
schon  in  der  Steinzeit  (s.  u.  Messer).  —  Die  erste  literarische  Er- 
wähnung der  Gerberei  findet  sich  bei  Homer  II.  XVII,  381*  ff. : 
üj?  b'  öt'  dvnp  TCtupoio  ßoö$  uerdXoto  ßoeiqv 
XaoicTiv  biin,  Tavueiv,  u€8uouo*av  dXoi<prj' 
beEduevoi  b'  dpa  Toife  biaoidvieq  Tavuoucn 
kukXöo*',  dqpap  be  T€  iKuuq  £ßn,  buvei  bt  t  dXoi<pn, 
7toXX0üv  £Xkövtuuv.  TdvuTCti  bt  T6  rtäaa  bianpö. 
Man  hat  hier  ein  Heispiel  der  Sämiseh-  oder  Ölgerberei  vor  sich,  die 
Fett  auwendet.   Hingegen  erweisen  sich  die  in  der  Bronzezeit  Kuropas 
nachgewiesenen  Lederreste,  soweit  sie  bis  jetzt  chemisch  uutersuelit 
worden  sind  (vgl.  Olshausen  Z.  f.  Ethnologie,  Verhandl.  1884  S.  518  f. 
und  188ß  S.  240 f.),  als  der  Alaun-  oder  Weissgerberci  angehörig, 
welche  Alaun  und  Kochsalz  braucht.  —  Ein  berufsmässiger  o"kuto- 
töuos  kommt  schon  bei  Homer  vor  (Tyehios  aus  Hvle  in  Boeotien, 
vgl.  11.  VII,  220  f.),  und  als  Gewerbe  werden  die  Gerber  ((JKUTObe\|i€is, 
coriarii)  bereits  unter  den  Zünften  des  Numa  genannt  (s.  u.  Gewerbe). 
In  Deutschland  aber  scheint  die  Gerberei  noch  bis  auf  Karl  den  Grossen 
von  gewöhnlichen  Arbeitern  oder  Bauern  (vgl.  Blümner  Term.  und 
Tcchn.  I,  257  ff.)  betrieben  worden  zu  sein.  Anch  auf  diesem  Gebiete 
wird  die  römische  Kultur  anregend  für  den  Norden  gewesen  sein.  Eine 
weit  verbreitete  Entlehuungsreihe  aus  lat.  hircus  ,Boek'  (, Bocksleder') 
ist  ahd.  traft,  mhd.  ireft,  ereft  ,Bock,  Bocksleder,  weissgegerbtes  Leder', 
russ.  ircha,  irga  ,Weissledcr'  und  so  in  allen  Slavinen.    Hiermit  wird 
auch  die  Entlehnung  des  lat.  ahhnen  ,Alaun'  (s.  d.)  in  die  Nord- 
sprachen zusammenhängen.    Vgl.  noch  mint,  tannare,  frz.  tanner,  agls. 
tann'tan  (:  ahd.  tanna,  frz.  tan  ,Lohe '?). 
Lehrer,  s.  Erziehung. 
Leibeigene,  s.  Stände. 

Leibesbeschaffeiiheit  der  Indogerinanen,  s.  Körper be- 
8chaffenheit  d.  I. 

Leibesfruchtabtreibuiig,  s.  Abtreibung  der  Leibesfrucht. 
Leichenbegängnis,  Leichenbrand,  s.  Bestattung. 
Leichenschmaus,  s.  Ahuenkultus. 
Leihen,  s.  Schulden. 

Leim.  Verwandtschaft  scheint  zwischen  gricch.  köXXü  aus  *KoXj<x 
und  altsl.  hUj  (aus  dem  Slavischen  lit.  klejai)  vorzuliegen.  Eine  solche 
besteht  auch,  was  die  Wurzelsilbe  anbetrifft,  zwischeu  lat.  glitten  ,Leim', 


Digitized  by  Google 


Leim  —  Licht. 


499 


glütuts  ,zäh',  griech.  yAoiö<;  ,kle!»ri^c  Flllssifrkeit',  tXia,  rXivii  ,Leim', 
altsl.  glenü  ,Schleim',  glina  ,Thon"  etc.  In  dem  gemeingerin.  alid.  lim, 
altn.  lim,  die  mit  alul.  leimo  ,Lehm'  und  lat.  limns  ,Sclilamm'  ver- 
wandt sind,  gehen  die  Bedeutungen  .Leim'  und  ,Kalk'  ineinander  über. 
Lein,  Leinwand,  s.  Flachs. 

Leiter.  Wurzel  Verwandtschaft  besteht  zwischeu  griech.  KXiuaE 
uud  agls.  hhedder,  ahd.  leitara,  in  so  fern  beide  zu  griech.  kXivuj, 
sert.  cji,  qrdyati  ,neige,  lehne  an',  ahd.  Minen  , lehnen'  gehören  und 
also  so  viel  wie  ,die  schräge',  ,lehnende'  ausdrücken.  Sonst  ist  Leiter 
so  viel  wie  „Stiege"  (:  ,,steigenu).  Vgl.  lat.  scdla  aus  *scandla  :  scando, 
griech.  ßäöpov  :  ßaivw,  lit.  kdpeczios  PI.  :  lit.  kopiu  ,steige\  altsl. 
lestcica  :  leza,  lesti  ,kriechen'. 

Lendengfirtel,  s.  Kleidung. 

Lenz,  ».  Frtlhling. 

Leopard,  s.  Panther. 

Lerche,  s.  Singvögel. 

Lesen,  s.  Schreiben  uud  Lesen. 

Leuchter,  s.  Licht. 

Leuchtturm.  Schon  in  homerischer  Zeit  werdeu  Strandfeuer 
als  Leitmarkcn  für  Schiffer  genannt.    Vgl.  Od.  X,  l^»f.: 

^VVTlUap  U6V  ÖUÜJ£  7tX€0U£V  VUKTO^  T€  KOI  fjfiiap, 

rrj  btKctTr)  b'  f\br\  dve(paiV€TO  Tratpi?  fipoupa, 
Kai  bn,  TTupTToXe'ovTa?  iXtvOdoptv  irtv<i  46vt€£. 
Erst  aus  späterer  Zeit  werden  eigentliche  Leuchttürme  genannt,  deren 
berühmtester  der  auf  der  Insel  Pharus  bei  Alexandrien  errichtete  war, 
auch  selbst  Pharus  genannt  (vgl.  H.  Stephanus  Thesaurus  VIII,  659). 
Hiervon  sollen  die  romanischen  Ausdrücke  ptg.  faröl  »Leuchtturm',  it. 
falo  jErcudenfeucr',  f anale  .Schiffslaterne',  frz.  f'alot  , Laterne'  etc. 
herstammen  (doch  vgl.  Körting  Lat.-rom.  W.).  —  Weiteres  vgl.  bei 
Breusing  Nautik  der  Alten  S.  <>.    S.  n.  Schiff,  Schiffahrt. 

Leviratsehe,  s.  Zeugungshelfer. 

Levkoje,  s.  Veilchen. 

Licht.  Erst  verhältnismässig  spät  baten  sich  in  Europa  ver- 
feinerte Formen  der  Beleuchtung  mittelst  Kerze,  Lampe  uud  Laterne 
Bahn  gebrochen.  Noch  bei  Homer  sind  es  fast  au8schliesslich  das 
Herdfeuer  und  an  den  Wänden  befestigte  Kieufackcln  (bat£,  bä{, 
bäo£).  welche  das  Dunkel  erhellen  und  dabei  den  Saal  und  die  in  ihm 
aufgehängten  Waffen  mit  Russ  überziehen  (vgl.  Od.  XVI,  284  ff.). 
Ausserdem  werden  Xaunrfjpcq  ,Leuchtpfauncn'  genannt,  in  denen  dürres 
Holz  und  Kien  aufgehäuft  wird,  und  nur  an  einer  einzigen,  von  Kirch- 
hoff u.  a.  für  interpoliert  erklärten  Stelle  (Od.  XIX,  34)  wird  ein 
goldener  \uxvoq  genannt,  ein  Wort,  das  später  , Lampe'  bedeutet.  Dem 
homerischen  Zustand  entspricht  der  altnordische  noch  zur  Vikingerzeit : 
„An  den  langen  Winterabenden  wurde  die  Stube  oder  der  Saal  haupt- 


Digitized  by  Google 


500 


Licht. 


sächlich  durch  das  Herdfeuer  erleuchtet  oder  durch  die  an  der  Wand 
festgesteckten  Fackeln,  die  aus  gespaltenen,  trocknen,  harzreichen 
Kicferstämmchcn  bestandeu"  (Moutelius  Kultur  Schwedens*  S.  145, 
vgl.  auch  Wcinliold  Altn.  Leben  8.  235).  Nicht  anders  wird  es  in  der 
idg.  Urzeit  gewesen  sein.  Über  das  Herdfeucr  s.  u.  Herd.  Für  den 
Begriff  der  Fackel  werden  die  u.  Fichte  zusammengestellten  Bezeich- 
nungen harzreicher  Holzarten  mit  gebraucht  worden  sein,  wie  z.  B.  im 
Griechischen  tt€ukii  , Fichte'  ein  ganz  gewöhnliches  Synonym  für  od? 
, Fackel'  ist.  Das  letztere  Wort  bedeutet,  ebenso  wie  boto?  und  got. 
Iuris  jXauTräq'*  (:  ahd.  hei  .brennend  ),  eigentlich  , Brand'  (sert.  du  .brennen', 
dava-  ,Brand'),  während  lat.  taeda  ,Kienfackel'  noch  unerklärt  ist. 

Will  man  die  weitere  Geschichte  der  Beleuchtung  im  Altertum 
(vgl.  namentlich  J.  M.  Miller  Die  Beleuchtung  im  Altertum,  Programm 
Würzbnrg  1885  und  1886)  kurz  zusammenfassen,  so  kann  man  sagen,  dass 
die  Lampe  für  Europa  in  letzter  Instanz  von  Griechenland,  die  Kerze 
von  Italien  ausgegangen  sei.  Dass  die  Lampe  (XüxvoO  aber  auch  in 
Griechenland  keine  uralte  Erfindung  war,  wird  von  Athenaeus  XV, 
p.  700  ausdrücklich  hervorgehoben:  ou  rraXaidv  b'  €Üpn.ua  Xüxvos" 
(pXoTi  b'  o\  naXaioi  Tfj?  xe  baböq  Kai  tuiv  <5XXwv  EüXujv  ^xpwvro.  Die 
Überlieferung  bei  Clem.  Alex.  Strom.  I,  lß  p.  306  (Miller  1885  S.  22) 
führt  ihren  ersten  Gebrauch  auf  Ägypten  zurück.  Immerhin  muss  sie 
in  Griechenland  schon  zu  Herodots  Zeit  (vgl.  dessen  Zeitbestimmung 
TT€pi  Xuxvujv  äqmq)  eine  bekannte  Sache  gewesen  sein.  Rom  lernte 
die  Lampe  (lucerna)  von  Griechenland  her  kennen,  nachdem  man  schon 
früher  zu  der  Herstellung  der  Kerzen  (candelae  cereae;  sebaceae; 
funicnli),  die  den  Griechen  in  der  guten  Zeit  unbekannt  geblieben 
sind,  fortgeschritten  war.  Vgl.  Varro  De  lingua  Lat.  V,  110:  Cande- 
labrum  a  candelu ;  e.r  Iris  enim  funiculi  ardentes  figebantur;  lucema 
post  incenta,  quae  dicta  ti  luce,  (tut  quod  id  cocant  Graeci  Xüxvov. 
Endlich  waren  auch  Laternen  (griech.  (petvöq,  Xuxvoöxoq,  lat.  läuternd) 
schon  dem  klassischen  Altertum  bekannt.  Sic  bestanden  aus  Horn, 
Blase  oder  Glimmer.  Glasfenster  in  der  Laterne  werden  aber  erst  von 
Isidor  XX,  10:  Laterna  inde  vocata,  quod  lucein  interius  habeat 
clausam  Uanterna  vielmehr  mit  Anlehnung  an  lucema  entlehnt  aus 
griech.  XauTTTrip,  auch  , Laterne  ).    Fit  enim  ex  vitro  ....  erwähnt. 

Mit  der  Ausbreitung  römischer  K  ultur  nach  dein  Norden  gingen 
auch  die  Öllampe  und  die  wächserne  oder  talgene  Kerze  dahin  über, 
was  ausser  durch  zahlreiche  Funde  römischer  Lämpehen  durch  nicht 
wenige  sprachliche  Entlelmungsreihen  auf  diesem  Gebiete  erwiesen  wird. 
Aus  lat.  Iucerna,  vulgärlat.  lucarna  , Lampe'  stammen:  ir.  locharn, 
luacharn,  kymr.  llugorn,  körn,  lugarn  (wohl  mit  Anlehnung  an  ir. 
Irnich,  kymr.  llüg  ,lux,  lumen'  aus  dem  lat.  Wort  entlehnt,  nicht  ihm 
urverwandt),  got.  lidarn  ,Xüxvo<;'  (vgl.  auch  gutn.  lukarr  .kleines 
Feuer' i,  alb.  l'uk'ere  , Leuchter';  aus  lat.  candela  :  ir.  coinnill,  kymr. 


Digitized  by  Google 


Licht  -  Liebstöckel. 


r.oi 


cannwyl.  körn,  cantuil  (vgl.  Stokes  Irish.  Gl.  S.  42),  ahd.  kentiKxtab), 
agls.  cottdel;  aus  lat.  charta  (von  griech.  x«pTn.S  ,BIatt  ans  Papyrus  ) 
:  ahd.  karz,  kerza  , Docht,  Kerze';  aus  lat.  papyrux  (die  Lichtdoehte 
wurden  vielfach  aus  den  Papyrusfasern  oder  aus  dem  Mark  einer 
einheimischen  Iiinseuart  hergestellt;  vgl.  Miller  a.  a.  0.  1886  S.  18  f.) 
:  agis.  tapor,  engl,  taper  , Kerze'  (vgl.  F.  Kluge  Et.  W.ft  s.  v.  Kerze). 
♦Spätere  Entlehuuugcn  sind:  ahd.  ampla,  ampidla  ,Lampe'  aus  lat. 
ampulla  ,Fläschchen',  mhd.  lampe,  altsl.  lamitbada,  alb.  lambade  aus 
lat.  lanipada,  lampax,  griech.  XauTrdtq,  allgemein  , Leuchte',  mhd. 
Interne,  hniterne,  engl,  lantern,  lanthorn  (Anlehnung  an  horn  s.  o.) 
aus  lat.  lanterna.  Wesentlich  früher  hinwiederum  ist  das  lat.  facttla, 
vulgärlat.  facla  aus  fax,  das  im  Gegensatz  zu  taeda  .Kieuspnn  mehr 
eine  künstlich  hergestellte  Fackel  bezeichnete  (vgl.  Miller  a.  a.  0.  1886 
S.  14  ,  nach  dem  Norden  übergegangen,  wie  ahd.  facchala,  agls.  fcecele 
<vgl.  auch  slavische  Wörter  u.  baklja  und  faklja  bei  Miklosich  Et.  W.) 
zeigen.  Weiteres  in  sachlicher  und  sprachlicher  Hinsicht  vgl.  hei 
M.  Heyne  Deutsches  Wohnungsuesen  S.  58  ff.,  S.  124  ff. 

Trotz  dieser  starken  Kulturströntung  hat  sich  aber  die  urzeitliche 
Beleuehtungsart  mittelst  Herdfeuers  und  Kienspans  in  verstecktet!  oder 
'zurückgebliebenen  Teilen  Europas  bis  in  die  Gegenwart  erhalten.  Cha- 
rakteristisch ist  die  grosse  Armut  der  litauischen  Terminologie  auf 
diesem  Gebiete.  Es  giebt  hier  ein  einziges. einheimisches  Wort  z'iburys 
•  z'ibn  jglänze',  ,die  Leuchte',  ,die  Fackel'  (woraus  ostpreuss.  „Schibber" 
für  den  als  Licht  gebrauchten  Kienspan).  Derselbe  Ausdruck  wurde 
früher  auch  für  Kerze  gebraucht,  die  man  jetzt  liktis  ,Licht'  (deutsch) 
nennt,  wie  auch  die  Laterne  {Hkterna,  deutsch)  gelegentlich  z'iburyx 
heisst.  Dazu  noch  deutsch  liampa.  —  Einer  ganz  jungen  Zeit  ge- 
hören die  auch  dem  klassischen  Altertum  immer  fremd  gebliebenen 
Einrichtungen  der  Strassenbeleuchtung  an,  über  die  J.  Beckmann 
Beyträge  zur  Geschichte  der  Erfindungen  1,  62  ff.  zu  vergleichen  ist. 

Liebstöckel  (Ligusticum  Levisticum  L  ).  Vgl.  Plinius  Hist.  nat. 
XIX,  165:  Ligusticum  silvestre  ext  in  Liguriae  suae  montibvs. 
seritur  ubique  ....  panacem  (irdvaf,  Panacee)  aliqu'  vocant.  Neben 
diesem,  hier  genannten  ligusticum  bestand  noch  ein  (aus  diesem  durch 
Anlehnung  an  levix  volksetymologisch  verdrehtes?)  levisticum  =  it. 
levixtico,  frz.  Iwtche.  Die  Namen  der  Pflanze  ligusticum— Levisticum 
wurden  daun  zusammen  mit  dem  Anbau  derselben,  der  auch  im  Capitu- 
lare  de  villi»  LXX,  33  (leuisticum)  vorgeschrieben  wird,  aus  dem  Süden 
Europas,  wo  Ligusticum  Levisticum  einheimisch  ist,  nach  dem  Norden 
übertragen,  treten  hier  aber,  wozu  die  Auffassung  der  Pflanze  als 
Panacee,  namentlich,  wie  es  scheint,  als  Liebeszauber,  Veranlassung 
gab,  lediglich  in  volksetymologischen  Verstümmlungen  auf:  agls.  lufestice 
:  /m/m  , Liebe',  ahd.  lubiste'chal  :  ahd.  luppi  ,stark  wirkender  Pflanzen- 


Digitized  by  Google 


Liebstöckel  — 


Lilie. 


saft',  russ.  ljubistol-ä  :  ljubu  ,lieb'  u.  s.  w.  (vgl.  Krek  Flinleit.  in  d.  slav. 
Litg.8  S.  535).  -    Andere  Heilpflanzen  8.  u.  Arzt. 
Lied,  s.  Dichtkunst. 

Lilie.  Diese  Blume  wird  schon  von  Homer,  freilich  nur  in  der 
Ableitung  Xeipiötiq  , lilienartig,  lilienfarbig'  genannt.  Die  Verbindung  mit 
Xpiii?  ,Haiit'  (II.  XIII,  830),  in  welcher  dieses  Adjektivum  auftritt, 
zeigt,  das«  mit  Xcipiov  Lilium  candidum  L.,  die  weisse  Gartenlilie 
gemeint  sein  muss.  —  Später  (bei  Hcrodot,  Aristophanes  u.  s.  w.)  tritt 
dann  noch  eine  zweite  Lilienart,  Kpivov,  auf,  das  nach  Thcophrasts 
Beschreibung  (vgl.  v.  Fischer-Benzon  Altd.  Gartcnfl.  S.  33)  die  Feuer- 
lilie {Lilium  bulbiferum  L.)  bezeichnet.  Ist  diese  einheimisch  in 
Griechenland  ? 

Was  die  weisse  Lilie  betrifft,  so  ist  ihre  Heimat  noch  nicht  sicher 
ermittelt.  In  den  Gebirgen  Griechenlands  und  Klcinasiens  ist  sie  zwar 
verbreitet,  doch  meist  in  der  Nähe  menschlicher  Wohnungen,  also  auf 
Einschlcppung  hinweisend.  Nach  Boissier  käme  sie  wildwachsend  im 
Libanon  vor  (vgl.  A.  Engler  hei  V.  Hehn  s.  u.).  Auch  der  Ursprung 
des  griech.  Xeipiov  steht  noch  nicht  fest.  Auf  keinen  Fall  kann  nach 
den  Ausführungen  Lagardes  (Mitteil.  II,  21  ff.)  fernerhin  an  Entlehnung 
aus  npers.  lala,  läleh  gedacht  werden,  das,  auf  persischem  Boden 
kaum  alt,  jede  wildwachsende  Blume  bezeichnet.  Annehmbarer  ist  die 
Lagardesche  Ableitung  des  griech.  Xeipiov  aus  kopt.  prjpe,  £n.P>  ,öv9oq, 
Kpivov'. 

Sicher  ist,  dass  der  vorderasiatische  Name  einer  Lilienart  (syr. 
sösanetä,  hehr,  söxanndh,  arab.  sausun,  süsan,  woher  sp.  azucena 
,weisse  Lilie',  npers.  siisan,  vgl.  Etym.  magn.:  loOtfci  r\  ttöXk;  dnö 
tu»v  TT€piTT€(puKÖTUJV  Kpivujv  •  croutfa  t«P  Tci  Xeipict  KaXtuai)  au»  dem 
Ägyptischen  (gescheit,  kopt.  iösfin)  entlehnt  ist.  Das  ägyptische  Wort 
bezeichnet  freilich  Lotus  Xymphaea  L.,  den  Lotus  (von  den  Griechen 
Xurrd«;  genannt,  vgl.  Hcrod.  II,  92),  so  dass  also  auf  semitischem 
Boden  eine  Bedeutungstlbertragnng  auf  die  Lilie  stattgefunden  haben 
muss.  Ans  dem  Umstand  aber,  dass  ägypt.  »eschen  speziell  den 
weissen  Lotus  bezeichnet  im  Gegensatz  zu  der  blauen  Xymphaea 
caerulea  Sav.  =  ägypt.  sertep  und  zu  Xymphaea  Xelumbo  L.  —  ägypt. 
ne/eb  (die  auf  älteren  ägypt.  Denkmälern  nicht  nachgewiesen,  den 
fiXXa  Kpivea  £öboim  dpcpepe'a  des  Herodot  II,  92  entsprechen;  vgl.  Woenig 
Die  Pflauzen  im  alten  Ägypten  S.  1(5  ff.  und  Wiedcmann  Herodots 
II.  Buch  S.  374),  darf  man  schliessen,  dass  auch  die  vorderasiatischen 
Wörter  zunächst  für  die  weisse  Lilie  gegolten  haben. 

In  Italien  ist,  wie  die  stehende  Beifügung  von  album  und  can- 
didum zu  dem  aus  dem  Griechischen  entlehnten  lilium  zeigt,  nur  L. 
candidum  gebaut  worden.  Nur  diese  Art  ist  daher  auch  in  die  deutschen 
Gärten,  wo  lilium  z.  B.  im  Capit.  de  villis  LXX,  1  erscheint,  über- 
gegangen. Erst  im  XVI.  Jahrhundert  wird  dort  die  Feuerlilie  genannt. 


Digitized  by  Google 


Lilie  —  Linse. 


503 


Wie  die  Blume,  ist  ihre  Bezeichnung  von  Italien  ans  in  den  Norden 
Europas  gewandert:  ahd.  Iii  ja,  agls.  Wie,  russ.  UUja  etc.  {neben  alt*]. 
«oxonü  s.  o.).  Auch  all»,  l'ul'e,  das  aber  allgemein  .Blume*  bedeutet, 
wird  als  Entlehnung  au«  lat.  lilhim  nngesehn.  Umgekehrt  verwendet 
Ulfila»  Matth.  6,  28  zur  Übersetzung  von  tci  Kpiva  «no  toü  äfpoö  das 
allgemeine  blö/nans  , Blumen'.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen0  S.  243. 
S.  u.  Blumeu,  Blumenzucht. 
Llinone,  s.  Zitrone. 

Linde  {TU in  europea  L.  .  Für  diesen  europäischen  Waldbaum 
liegt  eine  weitverbreitete  Bezeichnung  in  einer  Sprachreihe  vor,  deren 
einzelne  Glieder  teils  den  Baum  selbst,  teils  aus  Lindenholz  gefertigte 
Gegenstände  bezeichnen.  Es  sind :  ahd.  linta  auch  mit  der  Bedeutung 
jSehild',  vgl.  altn.  linde  ,Gürtel'  aus  Lindenbast),  urslav.  *lontu 
(russ.  lutle  , Lindenwald*,  wruss.  litt  ,Bast  einer  jungen  Linde'  etc.), 
lit.  lentä  , Brett',  lat.  Unter  ,Kahn'  (beide  eigentl.  ,aus  Lindenholz'). 
Vielleicht  ist  auch  gricch.  i\dxr\ , Fichte'  (*hit-)  hierherzustellen.  Aualoga 
zu  dem  alsdann  anzunehmenden  Bedeutungswandel  s.  u.  E  i  c  h  e  und 
Birke.  Weitcrc  Gleichungen  sind  ir.  teile  =  lat.  tilia  und  altsl.  lipo, 
lit.  lepa,  altpr.  Upe  =  kymr.  Uicyf  (aus  *leipin<}-,  *leinui-,  woraus 
engl.  lime-tree),  womit  auch  gricch.  d-Xicp-aXo«;-  bpü<;  Hcs.  verbunden 
werden  könnte.  Das  zweimalige  Ausweichen  des  Griechischen  in  der 
Bedeutung  kann  darin  seinen  Grund  haben,  dass  TU  in  europea  in 
Griechenland  nicht  vorkommt.  Nur  im  Norden,  namentlich  auf  den 
makedonischen  Bergen  erscheint  die  von  Thcophrast  iiiist.  plant.  III,  10) 
anter  qnXüpa  beschriebene  .Silberlinde  (vgl.  Lenz  Botanik  S.  ('39,  Fraas 
Synopsis  8.  99). 

Die  Bedeutung  des  Lindenbastes  im  ältesten  Europa  zur  Herstellung 
von  Stricken  (s.  d.)  und  Flechtwerk  aller  Art  wird  eine  grosse  gewesen 
gein,  und  Geflechte  daraus  sind  schon  im  Pfahlbau  von  Robenhausen 
(vgl.  Heer  Pflanzen  der  Pfahlb.  S.  37)  gefunden  worden.  Die  sla- 
vische  Welt  hat  auch  hierin  die  Spuren  der  Urzeit  bis  auf  den  heutigen 
Tag  bewahrt.  Von  der  ungeheuren  Verwendung  des  Lindenbastes  noch 
im  heutigen  Russland  giebt  Koppen  Holzgewächse  I,  35  ff.  eine  lebendige 
Vorstellung.  So  tragen  20  Millionen  Einwohner  Russlands  Schuhe 
aus  Lindenbast  iruss.  lapoti,  lit.  tcyta,  beide  dunkel),  ein  Bedürfnis, 
das  jährlich  das  Fällen  von  487  '/2  Millionen  Lindenbäumcheu  nötig 
macht.  Das  allmähliche  Aussterben  der  Linde  in  Russland  wird  von 
diesem  uugeheuren  Konsum  befürchtet.  —  S.  u.  Wald,  Wald  bäume. 
Links,  s.  Rechts  und  Links. 

Linse  (Errum  Lena  L.}  Lern  Esculenta  Mch.).  Sie  ist  in 
den  Grabfunden  Ägyptens  (vgl.  Woenig  Die  Pflanzen  im  alten  Ägypten 
S.  214,  215',  in  Heraklea  auf  Kreta  (vgl.  Wittmack  Berichte  d.  D. 
bot.  Ges.  1885),  in  der  zweiten  Stadt  des  Hügels  von  Hissarlik,  aber 
auch  in  neolithischen  Stationen  des  mittleren  Europa,  in  Deutschland, 


Digitized  by  Google 


501 


Linse  —  Lohn. 


Italien,  der  Schweiz  und  Ungarn  (vgl.  G.  Buschan  Vorhist.  Botanik 
S.  2üG)  nachgewiesen  worden.  Ihr  Anbau  war  dem  klassischen  Alter- 
tum geläufig.  Was  ihre  Benennungen  anbetrifft,  so  deckt  sich  griech. 
(patcös  (Hcrod.)  mit  alb.  bade,  das  aber  ,Saubohnc'  bedeutet.  Lat.  lern, 
lentis  (ob  :  griech*.  XctOupo?  ,eine  Hülsenfrucht"?  vgl.  auch  den  Eigen- 
namen Lentulus'i)  hängt  mit  altsl.  lesta  aus  *lentja  (neben  sodico)  und 
ahd.  Ihm,  linsin  zusammen.  Eine  sichere  Entscheidung,  ob  hier  Ur- 
verwandtschaft oder  Entlehnung  aus  dem  Lateinischen  vorliegt,  lässt 
sich  nicht  treffen.  Kluge  (Pauls  Grundriss  I*,  339)  entscheidet  sich 
hinsichtlich  des  deutschen  Wortes  neuerdings  für  letzteres.  Bemerkens- 
wert ist,  dass  der  Anbau  der  Linse  im  Norden  schon  von  der  Lex  Salica 
vorausgesetzt  wird  (s.  die  Belege  u.  Erbse).  Vgl.  noch  alb.  djere, 
fjerr  , Linse*  aus  lat.  *fabäriutn  von  faba  , Bohne'.  —  Als  Heimat  der 
Lens  esculenta  ist  man  geneigt,  Kleinasien  zu  betrachten  (vgl.  A.  Engler 
bei  V.  Hehn  Kulturpflanzen«  S.  215).  —  S.  u.  Hülsenfrüchte. 
Locke,  s.  Haartracht. 

Löffel.  Dieses  Essgerät  ist  schon  in  der  europäischen  Steinzeit 
bekannt.  Die  Löffel  dieser  Epoche  sind  teils  aus  Eberzahn  (vgl.  Z.  f. 
Ethnologie,  Verh.  XX,  450),  teils,  wie  in  den  Pfahlbauten  des  Mondsees, 
aus  Eibenholz  oder  auch  aus  Thon  hergestellt.  Auch  innerhalb  der 
skandinavischen  jüngeren  Steinzeit  sind  Holzlöffel  und  Löffel  aus  Thon 
zu  Tage  getreten  (vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  152). 
Eine  vorhistorische  Gleichung  für  diesen  Begriff  ist  lat.  ligula  =  kelt. 
Heigü  (ir.  Hag,  kymr.  Ihcy  etc.),  wohl  zu  griech.  XeixuJ  und  seiner 
Sippe  ,leeken'  gehörig,  wie  auch  das  ahd.  le/pl  wohl  richtig  von  ahd. 
hiff'an  , lecken'  (, Instrument  um  Flüssigkeiten  einznschlürfen')  abgeleitet 
wird.  Neben  *ligä,  *leigd  lag  ein  *lugd,  wovon  altsl.  u.  8.  w.  lüzica 
, Löffel'  (ans  dem  Slav.  alb.  l'uge).  Einzelsprachlich:  griech.  (spät) 
nucrrpov,  lat.  cochlear  (eigentlich  ,der  zum  Essen  von  Cochleae  bestimmte 
Löffel',  in  die  romanischen  Sprachen  und  auch  in  agls.  eucelere  über- 
gegangen; von  ligula  nur  rum.  ligura),  altn.  spönn,  agls.  spön  »Holz- 
löffel', eigentl.  ,Span",  lit.  xzäuksztas,  altpr.  lapinis  (mit  griech.  Xottä? 
,Schale',  Schüssel"  vergleichbar).  —  Andere  Speisegeräte  s.  u.  Mahl- 
zeiten und  Trinkgelage. 

Lohn.  Ein  für  die  Beurteilung  der  idg.  Besitzverhältnisse  wich- 
tiges Wort  ist  der  durch  die  meisten  idg.  Sprachen  übereinstimmend 
sich  ziehende  Ausdruck  für  den  Begriff  des  Lohnes:  aw.  nitida-  (sert. 
midhd-  in  weiterer  Bedeutung  , Preis,  Lohn,  Wettkampf')  =  griech. 
Hicreös,  got.  mizdo,  altsl.  mizda.  Da  schon  in  der  Urzeit,  wie  sert. 
tdkshan-  =  griech.  t^ktuuv  zeigt  (s.  u.  Gewerbe),  innerhalb  der  ein- 
zelnen Hausgemeinschaften  in  bestimmten  Künsten  besonders  erfahrene 
Männer  vorhanden  gewesen  sein  müssen,  so  kann  man  sich  denken, 
dass  solche  von  anderen  Familien  gegen  Lohn  in  Anspruch  genommen 
wurden.    Vielleicht  blieb  derselbe,  wie  dies  bei  den  slavischen  Haus- 


Digitized  by  Google 


Lohn  —  Lorbeer. 


505 


gemeinsclmften  in  entsprechenden  Fällen  üblich  ist,  im  Besitz  des  Ein- 
zelnen und  bildete  so  eine  der  Quellen,  aus  der  das  Privateigentum 
entsprungen  ist.  —  S.  n.  Eigentum  und  u.  Recht. 

Lorbeer.  Durch  palaeontologische  Funde  in  Italien  und  Sttd- 
frankreich  ist  das  Iudigcnat  von  Lauria  nobilia  L.  im  südlichen  und 
südwestlichen  Europa  festgestellt.  Wildwachsend  kommt  der  Lorbeer 
gegenwärtig  im  Küstengebiet  Syriens  und  Kleinasiens  sowie  im  Süden 
des  schwar/.en  Meeres  vor.  Der  Schwerpunkt  seiner  Verbreitung  aber 
ruht  in  Europa.  Hier  erscheint  er  spontan  in  Thrakien  und  Mazedonien, 
in  vielen  Teilen  Griechenlands  und  auf  den  griechischen  Inseln,  in 
Istrien  und  Dalmatien.  in  Italien  bis  zum  Gardasee,  auf  Sardinien,  in 
Spanien  und  Portugal.  Nach  Engler  (bei  V.  Hehn  s.  u.)  mache  es  die 
Geschichte  der  Lorbeergewächse  sogar  wahrscheinlich,  dass  der  Lorbeer 
—  natürlich  in  vorhistorischen  Zeiten  —  vom  westlichen  Europa  erst 
nach  Osten  vorgedrungen  sei  und  dort  in  Vorderasien  seine  Grenze  er- 
reicht habe. 

Unter  diesen  Umständen  ist  es  nicht  verwunderlich,  dass  schon  in 
einem  der  ältesten  Teile  der  Odyssee  der  Lorbeer  wildwachsend  ge- 
dacht ist.  Odysseus  (IX,  182)  findet  die  Höhle  des  Kyklopen  von  ihm 
beschattet : 

!v0ct  b'  in'  IdxaTifj  anloq  €ibou€v  äxxi  6aXdao"ris 
uiynXöv,  bdqpvijcn  Katripetpe?. 

Auch  Hesiod  (Werke  und  Tage  v.  43ö)  giebt  bereits  die  Vorschrift, 
die  Deichsel  des  Pfluges  aus  Lorbeer-  oder  Ulmenholz  zu  machen.  Das 
Land  der  Latiner  aber  kennt  schon  Theophrast  als  reich  mit  Lorbeer 
bestanden  (vgl.  die  Stelle  u.  M  y  r  t  e).  Das  Griechische  wie  das  La- 
teinische hat  daher  auch  offenbar  einheimische,  freilich  noch  dunkle 
Kamen  des  Baumes.  Gemeingr.  bdqpvrj  lautete  im  Thessalischen  bauxva. 
Daneben  bietet  Hcsych,  der  noch  manche  andere  Namen  des  Lorbeers 
nennt,  ein  pergäisches  Xdqpvn.  und  ein  thessalisches  budpcia.  Lat.  laurua 
hat  man  als  nSühnebauniu  (:  luo,  laco)  erklären  wollen,  doch  ist  die 
Bildung  des  Wortes  für  eine  solche  Deutung  augenscheinlich  zu  alt. 
Andere  haben  laurua  an  das  obengenannte  budpcict  anknüpfen,  noch 
andre  es  aus  *lar-vo-  =  *dar-vo-  :  griech.  böpu  etc.  (mit  im  Lat.  kaum 
erhörter  Epenthese  des  v)  herleiten  wollen. 

Wenn  nach  dem  bisherigen  kein  Anhalt  zu  der  Annahme  früherer 
vorliegt,  dass  der  Lorbeer  erst  in  historischer  Zeit  in  Begleitung  des 
Apollokultus  von  KIcinasien  nach  Griechenland  und  von  Griechenland 
«ach  Italien  gewandert  sei,  so  wird  doch  niemand  in  Abrede  stellen, 
dass,  nachdem  der  im  Süden  einheimische  Baum  das  heilige  Gewächs 
des  Apollo  geworden  war  (vgl.  bei  Hesych  duoXXuJVid«;  und  daicXn.- 
iridq  ,bd<pvn'),  er  durch  Anpflanzung  bei  den  Tempeln  u.  s.  w.  in  beiden 
Ländern  eine  grössere  Verbreitung  gewann. 

Nach  dem  nördlichen  Europa  dehnte  sich  die  Kultur  des  Baumes,  der 


Digitized  by  Google 


506 


Lorbeer  —  Los. 


noch  im  westlichen  Frankreich  und  im  südlichen  England  aushält,  wegen 
der  zu  kalten  Winter  im  allgemeinen  nicht  aus.  Doch  ordnet  Karl 
der  Grosse  in  dem  Capitulnrc  de  villis  LXX,  85  auch  die  Anpflanzung 
von  lauri  auf  seinen  Gütern  an,  und  schon  vor  dem  VII.  Jahrhundert 
scheint  ahd.  lur-boum,  lörberi  aus  lat.  laurtts  entlehnt  worden  zu  sein. 
Letzteres  ist  indessen  wohl  mehr  dem  Umstand,  dass  die  Blätter  und 
Beeren  des  Lorbeerbaumes  frühzeitig  als  Arznei  und  in  der  Küche  als 
Würze  dienten,  als  der  Bekanntschaft  mit  dem  Baume  selbst  zuzuschreiben. 
—  Vgl.  V  Hehn  Kulturpflanzen"  S.  2 16 ff.  S.  n.  Obstbau  und 
Bau  m%ucht. 

Los.  Einer  der  in  Europa  ältesten  und  verbreitetsten  Wege,  in 
das  Dunkel  der  Zukunft  oder  in  den  Willen  geahnter  Sehicksalsmächte 
einzudringen,  ist  der  mittels  des  Baumorakels  oder  der  Baumlose. 
Die  älteste  Nachricht  über  sie  giebt  Hcrodot  IV,  CT  hinsichtlich  der 
politischen  (iranischen)  Skythen:  udvncq  bl  ZkuGciüv  eio*\  ttoXXoI,  oi 
pavTeüoviai  ßdßboiöi  ixet vij er i  TroXXrjO"i  ihbe.  ^Tudv  <pctKfc'Xou<;  pdßbwv 
ue-fdXou£  dveiKiuvTai,  8e'vT€<;  xaMcd  bie£eiXio"o*ouo*i  auioüq  Kai  im  niav 
iKÜCxr\v  |5dßbov  ti0€vt(?  0eo*mZouo*i.  äua  T€  Xetovre?  Tauia  auveiXeouai 
rdq  ßdßbou?  öttiöu)  kou  auitq  Kard  uiav  (jimiBeTai.  autn.  utv  o*q>i  f| 
uavTiKn  TTaTpioTn  iajiv.  Die  Weissagung  geschieht  also  durch  die  Con- 
figuration  der  wie  Karten  auseinander  und  wieder  zusammen  gelegten 
Stäbchen,  die  schon  auf  dieser  primitiven  Stufe  durch  bestimmte 
Zeichen  werden  unterschieden  gewesen  sein.  Jedenfalls  ist  letzteres 
in  der  Tacitcisehen  Sehildcruug  des  germanischen  Loswnrfs  (Germ. 
Cap-  10)  der  Fall:  Virgam  frugiferae  arbori  (Eiche,  Buche)  deeixam 
in  surculox  amputant  eoxque  notis  quibuxdam  dixeretox  super 
candidam  vestem  temere  ac  fortuito  xpargunt.  mox,  xi  publice  con- 
sultetur,  sacerdos  cititatix,  xin  privatim,  ipxe  pater  familuut,  precatus 
deox  caelumque  suspicienx  ter  vingulox  tollit,  sublatox  s  e  c  u  u  d  u  m 
impresxam  ante  not  am  interpretatur. 

Mit  derartigen  Losen  also  wurde  zu  Caesars  Zeit  von  den  Ger- 
manen des  Ariovist  über  das  Schicksal  des  Gaius  Valerius  Procillus 
entschieden:  Is  se  praesente  de  xe  ter  sortibus  consultuni  dicebat, 
utrum  igni  xtatim  necaretur  an  in  aliud  tempus  rexercaretur:  xortium 
beneficio  se  exxe  incolumem  (De  bell.  gall.  I,  53),  oder  von  ihren 
Frauen  (I,  50)  geweissagt,  ob  eine  Schlacht  geschlagen  werden  sollte, 
oder  nicht.  Auch  von  Agathias  II,  6  werden  xpno*uoXÖYOt  der  Ale- 
mannen genannt. 

Der  genieingermanische  Ausdruck  für  das  Los  ist  got.  hldutx,  altu. 
hlutr,  ahd.  hluz,  wahrscheinlich  (mit  Übergang  des  germanischen  Vo- 
kalismus in  die  «-Reihe)  :  gricch.  KXdboq  ,Zweig'  gehörig.  Vgl.  auch 
altn.  teinn,  agls.  tan  ,Zauberreis',  ahd.  zein  ,Stäbchen'.  Die  anf 
solchen  Tälelchen  eingeritzten  Zeichen,  an  deren  Stelle  später 
eigentliche  Buchstaben  traten,  heissen  urgermanisch  altn.  rün  (vgL 


Digitized  by  Google 


Los  —  Lotse. 


507 


anch  den  Ausdruck  rünakefli  , Runen  auf  runden  Holzplättchen'), 
agls.  run,  ahd.  rüna,  zu  ir.  run  .Geheimnis',  griecli.  ^-peuvdw  ,  komme 
einem  Geheimnis  auf  die  Spur',  ,spüre  aus'  gehörig.  Das  Mystische, 
das  dieses  ganze  nur  Eingeweihten  verständliche  Losorakel  umgab, 
liegt  hierin  ausgedrückt.  Wie  die  Gennauen,  müssen  auch  die  Kelten 
diese  Form  der  Weissagung  geübt  haben,  worauf  zahlreiche  Ausdrücke 
in  ihren  Sprachen,  z.  H.  ir.  chrann-chur  ,sort',  wörtlich  ,action  de 
lancer  le  bois'  (crann  ,Baum',  cor  ,\Vurf)  hinweisen.  Vgl.  weiteres 
bei  J.  Loth  Le  sort  chez  les  Gerinains  et  les  Geltes  Revue  celt.  XVI, 
313  und  bei  Steinmeyer  Ahd.  Gl.  IV,  273:  Scotti  dicertint  quod  in 
hibernia  ista  consuetudo  esset  in  sorciendo  quod  implerent  urnam 

 et  mitterent  in  illam  ligna  quadrata  que  tot  fverunt  quod 

homines  de  quibus  sors  fiebat  et  eortim  nominibus  scripta  circum- 
dabantur. 

Was  im  Norden  zur  Zeit  der  ältesten  Überlieferung  noch  in  leben- 
digem Gebrauche  steht,  tritt  uns  in  Rudimenten  auch  im  Süden  ent- 
gegen. .Schon  Lobeck  Aglaopham.  S.  814  hat  hinsichtlich  des  grie- 
chischen dvmpeiv,  welches  ganz  im  allgemeinen  später  von  der  Antwort 
des  Orakels  gebraucht  wird,  die  feinsinnige  Bemerkung  gemacht:  Anti- 
quissimum  esse  sortium  dirinarum  usuni  et  ratio  dictitat  et  terbum 
dvaipetv  docet,  sortes  tollere  (vgl.  oben  bei  Tacitus  surculos  tollere) 
signißcans,  non  ut  lexicographi  totem.  Auch  sonst  aber  bestehen 
zahlreiche  Spuren  einstiger  K\n,pOM«vT€ia  (vgl.  die  Litteratur  bei  K. 
F.  Hermann  Lehrbuch  der  gottesdienstlichen  Altert,  der  Griechen2 
S.  248).  Auch  griecli.  xXfipo?  selbst  (:  kXwv,  RXiipa,  KXdbo?  ,Zweig', 
vgl.  auch  ir.  cldr  /Tafel,  Brett)  kann  ursprünglich  nichts  anderes  als 
abgebrochener  (griecli.  tcXduj)  Zweig  bedeutet  haben.  In  Italien  ist  au 
die  Mitteilungen  des  Cicero  (De  divinat.  II,  41)  über  die  sortes  Prae- 
nestinae  zu  erinnern,  die  in  robore  iiisculptae  priscarum  literarum 
notis  waren.  Lat.  sors  ,Los'  gehört  wohl  zu  serere  ,reihen',  was  au 
den  oben  geschilderten  skythischen  Brauch  tglc,  paßbou?  im  uiav  ^Kdo-rnv 
Ti6t'vai  gemalmt. 

Wie  an  das  Orakel  mit  Baumlosen  die  Künste  des  S  e  h  r  e  i  b  e  n  r 
und  Lesens  (s.  d.)  anknüpfen,  ist  bei  der  Behandlung  dieser  Begriffe 
gezeigt  worden. 

Bemerkensweit  ist,  dass  in  Indien  keine  Spur  der  hier  geschilderten 
Mantik  vorhanden  zu  sciu  scheint.  —  S.  u.  Orakel. 

Lotse.  Dieser  nautische  Begriff  hat  im  klassischen  Altertum 
noch  keine  sprachliche  Ausprägung  erfahren,  wahrscheinlich,  weil  die 
wichtigsten  Handelsemporien  des  Mittelmeers,  Konstantinopel,  Alexan- 
dria, Messina,  Palermo,  Venedig,  Genua,  Neapel,  Marseille,  Barcelona, 
Valencia,  Malaga  u.  8.  w.  an  offener  See  lagen  und  daher  ein  Lotse 
nicht  nötig  war  (vgl.  ßrensing  Die  Sprache  des  deutschen  Seemanns 
Jahrb.  d.  Vereins  f.  niederd.  Sprachforschung  V,  1—20,  180—186). 


Digitized  by  Google 


50s 


l,ot±v  —  Lüwe. 


AVo  man  dennocb,  naiucntlick  bei  der  Schiffahrt  ausserhalb  des  Mittcl- 
meers,  die  Sache  bezeichnen  musste,  bediente  man  sich  umschreibender 
Wendungen  (z.  B.  Periplus  maris  erythraei  §  44)  oder  allgemeiner 
Ausdrucke  wie  KaTnteMÖvc«;  toö  ttXoou  (vgl.  Arrian.  Hist.  Ind.  40,  11)  u.  a. 
Erst  in  den  durch  Sandbänke  versperrten  Hafenplätzen  von  Antwerpen, 
Rotterdam,  Bremen,  Hamburg  erfuhren  die  Romanen,  was  ein  Lotse 
zu  bedeuten  hat.  Daher  altfrz.  lodeman  (in  den  Jugeinents  d'Oleron 
bei  .f.  M.  Pardessus  Collection  de  lois  maritimes  I,  283  ff.  Art.  24/25), 
fr/.,  locman  (mit  Anlehnung  an  frz.  loc,  engl.,  ndl.  log  .Instrument  zur 
Messung  der  Geschwindigkeit  des  Schiffes  )  aus  engl.  hid-mun,  loads- 
man,  ndd.  loedman,  loetsman  „Gcleitsmannu  (auch  let-saghe  „Geleit- 
sager14  schon  1299),  während  die  anderen  romanischen  Sprachen,  wie 
auch  das  jetzige  Englisch  {pilot),  dafür  piloto,  eigentlich  .Steuermann' 
(it.  auch  pedoto,  woraus  piloto  =  griech.  *rmbujTr|<;  von  unböv  .Ruder') 
sagten.  —  S.  u.  Schiff,  Schiffahrt. 

Lowe.  Er  war  nach  paläontologischen  Anzeigen  einst  fast  in 
ganz  Europa  verbreitet,  und  zwar  höchstwahrscheinlich  noch  gleich- 
zeitig mit  dem  Menschen  (vgl.  Lnbbock  Die  vorgesch.  Zeit  II,  5  und 
A.  Xehring  Z.  f.  Ethnologie  1893,  Verhandl.  v.  18.  Nov.);  doch  schon 
von  der  neolithisehen  Periode  an  hatte  er  sich,  wie  z.  B.  die  Fauna  der 
Pfahlbauten  zeigt,  im  allgemeinen  aus  unserem  Erdteil  zurückgezogen. 
Nur  in  gewissen  Teilen  der  nördlichen  Balkanhalbinsel  hatte  er  sich 
nach  Hcrodot  VII,  12f>  noch  erhalten.  Nachdem  nämlich  der  Geschichts- 
schreiber von  Löwenangriffen  auf  die  Kamele  des  Xcrxcs  erzählt 
hat,  fährt  er  Cap.  126  fort:  oupo?  be  to»o*i  Xeouo*t  iai\  ö  t€  bi  'Aß- 
bripiuv  jte'uuv  ttotcchös  Neo*Toq  Kai  ö  bi  'AKapvavirt?  friwv  'AxcXluo?.  outc 
•räp  tö  TTpö^  Tf)v  nw  toö  NcffTOu  oübauö6t  7rdo*n?  ^|iTTpoo*8e  Eupiö- 
ttti?  iboi  ti?  äv  X^ovtci,  oÖTe  npöq  ianipx]q  toö  'AxeXibou  iv  Tij  im- 
Xomiy  r^TTeiptu,  dXX'  cv  Tri  ueTaEu  toutwv  twv  ttotciuwv  ipvovTai.  Diese 
so  bestimmt  auftretende  und  auch  von  dem  aus  jenen  Gegenden 
stammenden  Aristoteles  zweimal  wiederholte  Nachricht  (vgl.  Carl  J. 
Sundevall  Die  Tierarten  des  Aristoteles,  deutsch  Stockholm  1863  S.  47) 
kann  unmöglich  bezweifelt  werden,  und  man  hat  also  mit  der  That- 
sache  zu  rechnen,  dasa  es  noch  in  historischer  Zeit  in  einem  Asien 
naheliegenden  Teile  Europas  wirklich  Löwen  gab,  ein  Unistand,  der 
auch  bei  der  Beurteilung  der  europäischen  Löwen n amen  in  Erwägung 
zu  ziehen  ist,  über  die  eine  Einigung  noch  nicht  erzielt  wurde. 

Aufzugeben  ist  aus  lautlichen  Gründen  die  herkömmliche  Meinung, 
nach  welcher  griech.  X^wv,  Xeuuv  eine  Entlehnung  aus  dem  Semitischen, 
und  zwar  aus  hebr.  Ubi\  assyr.  labbu,  ägypt.  labu,  kopt.  laboi  darstellten, 
während  die  gleiche  Annahme  bezüglich  des  hom.  XT{  (aus  hebr.  lajix) 
gestattet  ist.  Griech.  X^ujv,  Xeiouv  (*levjont-'f)  scheinen  also  eine  auf 
der  Balkanhalbiusel  einheimische  Benennung  des  Löwen  zu  sein,  was 
nach  der  geographischen  Verbreitung  des  Tieres  nicht  weiter  auffalleu 


Digitized  by  Google 


Löwe  —  Luchs. 


kann.  Aus  griech.  Xewv  entlehnt  ist  lat.  leo.  Die  eigentlichen  .Schwierig- 
keiten beginnen  hei  den  deutschen  Formen  leo,  lewo,  leico,  loiuco, 
von  denen  die  erstere  aus  lat.  leo  entlehnt  ist,  wahrend  die  gleiche 
Annahme  bezüglich  der  übrigen  (spater  überlieferten)  auf  grosse  Schwierig- 
keiten stösst.  Andererseits  ist  aber. auch  die  Zurück führmig  derselben 
auf  eine  gemeinsame  Grundform  mit  den  nichtgermanisebeu,  vor  allem 
dem  griechischen  Löwennamen  noch  nicht  gelungen.  Auch  ist  gegen 
das  Vorhandensein  eines  uralten  Löwennamens  im  Germanischen  geltend 
zu  machen,  das»  es  in  den  germanischen  Stammländcrn  seit  ucolithischer 
Zeit  (s.  o.)  keine  Löwen  giebt.  Bis  zum  IX.  Jahrhundert  spielt  denn 
auch  bei  den  Deutschen  der  Bär  (s.  d.)  und  nicht  der  Löwe  die  Rolle 
des  Königs  der  Tiere.  Ähnliche  Schwierigkeiten  macht  die  richtige 
Beurteilung  der  litu-slavischen  Formen,  lit.  Ifiras,  slav.  Ifcä.  Von  ihnen 
zu  trennen  ist  in  jedem  Fall  lit.  liütas,  das  nur  in  Märchen  vorkommt 
und  dem  weissruss.  Ijütyj  ,der  Böse'  entspricht  (vgl.  an  neuerer  Litte- 
ratur  über  die  Löwenfrage  seit  Sprach vergl.  und  Urgeschichte8  S.  120, 
126  ff.,  362:  J.  Schmidt  Die  Urheimat  der  Indogennanen  S.  10,  Muss- 
Arnolt  Semitic  words  in  Greec  and  Latin,  Transactions  of  the  Am. 
phil.  association  XXIII,  96,  Lewy  Semit.  Fremdw.  S.  6 f.,  Kauffmann 
und  Br  emer  Beitrüge  XII,  20<  tT.  u.  XIII,  384  ft.,  Palander  Althochd. 
Tiernnmen  S.  46). 

In  Asien  scheinen  die  noch  vereinigten  Arier  keine  Bekanntschaft 
mit  dem  Könige  der  Tiere  gemacht  zu  haben.  Sein  Name  ist  in  den 
Gesängen  des  Awcsta  noch  unbekannt.  Wohl  aber  mussten  die  Inder 
nach  Loslösnng  aus  dem  gemeinsamen  Stammland  bei  ihrer  Einwanderung 
in  das  Pcndjab  auf  das  Raubtier  stossen,  und  schon  in  den  ältesten 
Liedern  des  Rigveda  gilt  der  Löwe  als  schrecklichster  Feind  der 
Menschen  und  Herden.  Seine  Benennung  lautet  im  Indischen  shhlu'i-, 
siihlu '-,  ein  Wort,  welches  entweder  den  unarischen  Ursprachen  Indiens 
entstammt  oder  dem  armen,  inc  , Leopard'  entspricht. 

Luchs.  Der  vorhistorische,  auf  Europa  beschränkte  Xame  des 
Tieres  ist  griech.  XOtE,  ahd.  luhx,  agls.  lux  (ahd.  auch  luluta,  */«*-#-; 
ohne  suffixales  *  :  altschwed.  16),  lit.  lüszis,  altpr.  lui/sis  (vielleicht  zu 
lat.  lux,  griech.  Xۆo*o*ui  etc.  von  dem  funkelnden  Blick  des  Luchses; 
vgl.  unser  „Luchsauge"  und  slavische  Bezeichnungen  des  Tieres  wie 
fech.  ostrocid  ,scharfschend').  Merkwürdig  ist  das  slavische  rytti,  das 
bis  auf  sein  anlautendes  r  (statt  l)  zu  den  vorher  angeführten  Wörtern 
stimmt.  Ein  echt  lateinisches  Wort  für  das  Tier  scheint  zu  fehlen: 
lat.  lynjc  (daher  ahd.  linc)  ist  aus  dem  Griechischen  entlehnt.  Gallische 
Luchse  sahen  die  Römer  bei  den  Spielen  des  Pompejus.  Vgl.  Plinius 
Hist.  nat.  VIII,  70:  Pompei  Magni  primum  ludi  ostenderunt  chama 
(chaum),  quemGnlli  ruf  tum  voeahant,  effigie  lupi,  pardorum  maculU. 
Dazu  VIII,  84:  Sunt  in  eo  genere  (luporum)  qui  cercari  (so  heissen 
Luchse  und  Schakale,  vgl.  G.  Goetz  Thesaurus  I,  665,  662)  vocantur, 


Digitized  by  Google 


510 


Luchs  —  Magnetnadel. 


qualem  e  Gallia  in  Pompei  Magni  harena  xpectatum  di.vinnis.  Die 
hier  gebrauchten  Ausdrücke  für  Luchsarten  sind  aber  dunkel;  auch 
ein  einheimisches  keltisches  Wort  für  den  Luchs  scheint  zu  fehleu. 
Das  Voeabularium  coruicum  (Zeuss  Gr.  Celt.s  S.  lOTö)  unischreibt  das 
lat.  lin.r  mit  commixe  hhit  hahchi  , Mischung:  von  Wolf  und  Hund*. 

Lftnse.  Der  idg.  Name  für  diesen  Teil  des  Wagens  ist  seit,  ani- 
(*lni-)  =  ahd.  hin,  agls.  lynex,  alts.  lunisa.  —  S.  u.  Wagen. 

Luzerne.  Medicago  xativa  L.  ist  wildwachsend  vom  südwest- 
lichen Rnssland  durch  Asien  bis  zur  Mongolei,  bis  zum  Tibet  und 
Vorderindien  verbreitet  (nach  A.  Englcr  bei  V.  Hehn  s.  u.).  Ihre  Er- 
hebung zur  Kulturpflanze  dankt  sie  den  rosseliebenden  Iraniern,  die  sie 
pers.  uxpuxt,  pehl.  aspaxt,  d.  h.  ,Pferdefutter"  (vgl.  aw.  axpa-  , Pferd') 
nannten.  In  Griechenland  erscheint  die  Luzerne,  ebenfalls  als  Pferde- 
futter, unter  dem  direkt  auf  ihre  Herkunft  deutenden  Namen  unbiKr|. 
Vgl.  Plinius  Hist.  nat.  XVIII,  144:  Medica  externa  etiam  Graecis 
ext  ut  a  Medis  advecta  per  bella  Perxarum,  quae  Darius  intttlit, 
xed  vel  in  primis  dicenda.  In  Italien  scheint  die  medica  (span.  mielga) 
noch  nicht  von  Cato,  sondern  erst  von  Varro  au  gekannt  und  geschätzt 
zu  werden.  Eine  Überführung  der  Pflanze  nach  dem  Norden  hat  nicht 
statt  gefunden.  Der  späte  Name  luzerne,  wofür  auch  burgundisch 
Heu,  ewig  Klee  u.  s.  w.  gesagt  wird,  ist  noch  nicht  aufgeklärt.  Ein 
slavischer  Ausdruck  scheint  zu  fehlen.  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6 
S.  31*7  f.  —  S.  n.  Futtcrkränter. 


M. 

t 

Mädchen,  s.  Kind. 
Mädcheiikatif,  s.  Braut  kauf. 

Magnet.  Er  wird  bei  den  Griechen  uorrvnTu;  (zuerst  Eurip.  bei 
Plato),  Mdrvn?,  Xi0o<;  ucerviiTTis,  angeblich  ,Stcin  aus  Magnesia'  (in 
Lydien  und  Thessalien)  genannt.  Sonst  hiess  er  auch  Xt8oq  'HpaKXcia. 
Lat.  (Luerez)  magnex  aus  dem  Griechischen.  Im  Romauischen  hat  das 
Wort  keine  Wurzeln  geschlagen;  hier  gelten  vielmehr  Bildungen  aus 
adamax  (s.  Diamant  u.  Edelsteine).    Mhd.  magnex. 

Magnetnadel.  Ihr  Gebrauch  war  dem  Altertum  unbekannt,  woraus 
sich  der  wesentliche  Charakter  der  antiken  Schiffahrt  als  Küsten- 
schiffahrt erklärt.  Zur  Orientierung  beuutzten  die  Schiffer  die  Gestirne 
oder,  wenn  diese  verdeckt  waren,  Vögel  (Raben,  Taubeu  etc.),  die  mau 
steigen  Hess,  um  ihrem  landwärts  gerichteten  Flug  zu  folgen.  Dieser 
Brauch  wird  sowohl  aus  den  nördlichen  (vgl.  Weinhold  Altn.  Leben 
S.  133),  wie  aus  den  südlichen  Meeren  (vgl.  Plinius  Hist.  nat.  VI,  83: 


Digitized  by  Google 


Mniriu'tnadvl  —  Mahlen,  Mühl«« 


511 


volucres  secuta  rehunt  emitteutes  saepius  meatumque  earum  terram 
petentium  coniitantur)  gemeldet,  und  es  scheint,  dass  in  diesem  Zu- 
sammenhang die  Rahen  und  Tauben  aufgefasst  werden  müssen,  welche 
sowohl  nach  dem  hain  ionischen  wie  nach  dem  biblischen  Bericht  Uber 
die  Sintflut  von  der  Arche  oder  vom  Schilfe  los  gelassen  werden  (vgl. 
Iheiing  Vorgeschichte  S.  21  f>).  Wem  die  Menschheit  die  Erfindung 
des  Kompasses,  die  den  Seefahrern  das  Weltmeer  eröffnete,  verdankt, 
steht  noch  nicht  fest.  Sicher  ist,  dass  die  Deutsrhen  den  Kompass  von 
den  romanischen  Völkern  her  kennen  lernten.  Seine  erste  Er- 
wähnung geschieht  im  Titnrel  des  Wolfram  von  Eschenbach: 

ez  gienc  in  an  die  neige  .  .  . 
meisterliche  zeige 

mit  der  nadel  nach  dem  Tremontane 
(d.  i.  der  Nordstern,  inlid.  leitstern,  altengl.  loadstar) 

icas  verlorn. 

In  dem  welschen  Gast  des  Thomasin  von  Zirclaria  wird  dann  aus- 
drücklich diu-  kalamit  genannt,  d.  h.  der  genieinromanisehe  Name  der 
Magnetnadel,  it.  adamita  n.  s.  w.  Man  vermutet,  dass  derselbe  eine 
Übertragung  von  calamites  (KaXauiTn.q)  , Laubfrosch'  darstellt,  der  das 
Wetter  anzeigt,  wie  der  Kompass  die  Richtung.  Nach  Schade  Ahd.  W. 
S.  1390  wären  es  byzantinische  Kaufleute  gewesen,  die  durch  ihren 
Handel  mit  den  Chinesen,  bei  denen  die  Kenntnis  des  Kompasses  uralt 
sei,  denselben  kennen  gelernt  und  den  Mittelmeervölkern,  etwa  im  XII. 
— XIII.  Jahrhundert,  vermittelt  hätten.  —  S.  u.  Schiff,  Schiffahrt. 
Mähen,  Mahd,  s.  Ackerbau. 

Mahlen,  Muhle.  Für  das  Zermalmen  der  Getreidekörner  finden 
sich  in  den  idg.  Sprachen  zwei  Wortreihen.  Von  diesen  reicht  die 
eine:  sert.  pish,  gricch.  7TTio*o"uj,  lat.  piano  (vgl.  Senilis  ad  Acn.  I,  179: 
Quin  apud  maiores  nost.ros  molar» m  usus  non  erat,  frumenta  torre- 
hant  et  ea  in  pilas  missa  pinsebant,  et  hoc  erat  genus  aiolendi,  ttnde 
et  piusores  dicti  sunt,  qui  nunc  pistores  vocantur)  nach  Asien 
hinüber  und  bezeichnete  mehr  das  Zerstampfen  der  Körner  mit 
Keule  und  Mörser,  während  die  zweite:  lat.  molere,  got.  malan,  altsl. 
meljq,  lit.  mdlti  (griech.  dX&u?)  sich  auf  die  europäischen  Sprachen 
beschränkt  und  das  Zerreiben  des  Getreides  zwischen  zwei  Steinen 
zum  Ausdruck  bringt.  Vielleicht  dass  hier  in  der  Sprache  zwei  ver- 
schiedene Kulturstufen  in  der  Benutzung  der  Halmfrüchte  vor  uns  liegen. 
Näheres  s.  u.  Ackerbau. 

Steine  aus  Granit,  Sandstein  oder  Trachyt,  welche  von  den  Archäo- 
logen als  Mühlsteine  in  Anspruch  genommen  werden,  haben  sich  in 
allen  prähistorischen  Stationen,  namentlich  auch  in  denen  der  Steinzeit, 
in  Masse  gefunden.  Vgl.  A.  Müller  Vorgeschichtliche  Kultnrbilder 
S.  87,  91,  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  8,  0.  Moutelins  Die 
Kultur  Schwedens*  S.  26,  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  S.  206  n.  s.w. 


Digitized  by  Google 


512 


Mahlen.  Mühle. 


Ks  sind  entweder  2  Hache  Steine,  zwischen  denen  die  Getreidekörner 
zerquetscht  wurden,  oder  2  Steine,  von  denen  der  eine  eine  grosse 
etwas  ausgehöhlte  Platte,  der  andre  eine  Steiukugel  (Kornquetseher) 
darstellt.  Montelins  S.  2(5  bildet  eine  Handmühle  ab,  bei  der  ein 
nmldenartig  vertiefter  Stein  die  Grundlage  bildet,  während  mit  einem 
zweiten  Stein  die  Körner  in  jener  Vertiefung  zerrieben  wurden.  Der 
altcuropüische  Xamc  für  diese  primitive  Handmühle,  der  jedoch  nur 
im  Norden  unseres  Erdteils  und  in  Armenien  sieh  erhalten  hat,  ist  got. 
qairntiH,  lit.  g'trna,  ginios,  altsl.  zrunürn,  ir.  bro,  armen,  erkan  =  sert. 
grd'can-  , Fressstein  des  Sornas'  :  sert.  guru-  .schwer',  lat.  in-grtto,  lit. 
griuwit.  Die  Grundbedeutung  war  demnach  ,schwcrer  Stein  zum  Zer- 
pressen*. 

Eine  Vorrichtung,  durch  welche  der  obere  auf  dem  unteren  Stein 
befestigt  war,  so  dass  er  sieh  auf  oder  um  denselben  drehen  konnte, 
ist  bei  jenen  prähistorischen  Handmühlen  noch  nicht  nachweisbar.  In 
der  Erfindung  eines  solchen  Mechanismus  liegt  der  Fortschritt  der 
griechischen  und  römischen  Ilandmühlen,  die  in  einer  doppelten,  einer 
einfacheren  und  einer  komplizierteren  Gestalt,  vorliegen  und  von  Blümner 
Tenn.  und  Techn.  I.  2o  ff.  genau  beschrieben  werden.  Vgl.  daselbst 
auf  der  einen  Seite  die  Funde  von  Yorkshirc  und  Abbeville,  auf  der 
anderen  die  von  Pompeji.  Das  höchst  beschwerliche  Drehen  dieser 
Handmühlen  lag  in  erster  Linie  den  Sklavinnen  ob.  So  werden  schon 
Od.  VII,  1U3  im  Hause  des  Alkinoos  .r>U  Dienerinnen  genannt,  von 
denen  die  einen  äXeTpeüouo'i  uöXqq  €tti  uqXoTra  Kapiröv.  Dasselbe  gilt 
von  Deutschland,  wo  die  Mahlmägde  zusammen  mit  den  Kuhmägden 
genannt  werden  (vgl.  M.  Heyne  I).  deutsche  Wohnungswesen  S.  44'J:>). 
Doch  erinnerte  man  sich  in  Griechenland  noch  einer  Zeit,  in  der  die 
Hausfrauen  selbst  das  unerfreuliche  Geschäft  hatten  besorgen  müssen, 
und  das  Dorf  jeden  Morgen  vom  Dröhnen  der  Mühlsteine  wiederge- 
hallt hatte.  Vgl.  Athcnaeus  VI,  p.  20:5  (<l>ep€KpäTq<;  uev  täp  <^v  'Apfd- 
oi<;  (pntfiv): 

oü  rdp  qv  töt'  oüre  uävqq  oüu  ffqids  oüöfevi 
boüXos,  dXX'  au  tu?  cbei  uoxQtiv  äiravT'  iv  oiiua. 
erra  TTpöq  TOÜTOto*i  qXouv  öp6piai  tu  aitia, 
wo"T£  xqv  Kiüuqv  UTrqxciv  8iTTavouo*wv  TÜq  uüXa?. 
Als  ein  weiterer  Fortschritt  kann  betrachtet  werden,  dass  allmählich 
mehr  und  mehr  Tiere  (Esel,  Maultiere,  Pferde)  den  Menschen  ablösen. 
In  Folge  dessen  wird  der  obere,  vom  Esel  getriebene  Mühlslein  gricch. 
ovo?  dX^rq?  (äXeiav  övov  auch  in  den  neuen  Hruchstüeken  der  gorty- 
ni8chen  Gesetze,  Philologus  LV  Heft  3),  got.  dsiluqairnun  ,uüXo<;  övt- 
kö?',  agls.  emlciceorn  (asinariai  genannt. 

Ein  neues  Prinzip  trat  auf  diesem  Gebiet  mit  der  Erfindung  der 
Wassermühlen  auf,  die  iu  der  ersten  Kaiserzeit  in  Italien  bekannter 
werden.    Ihre  erste  Erwähnung  geschieht  durch  Strabo  XII,  p.  556 


Digitized  by  Google 


Mahlen,  Mühle  —  Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 


513 


aus  der  Residenz  des  Mithridates:  4v  b£  toi?  Kaßeipoiq  ia  ßaaiXeia 
Miöpibäiou  KaT6(iK€ijao"TO  Kai  ö  übpaXfciriq.  Von  Italien  drangen  sie 
langsam  in  dem  übrigen  Europa  vor,  und  sulion  Ausonius  (Moseila  v. 
361)  kennt  sie  an  einem  Nebenfluss  der  Mosel: 

die 

praeeiplti  torquens  ceredlia  sa.va  rotatu. 
Auch  in  den  Strafbestiiniiiungen  der  Lex  Saliea  (XXII,  Cod.  1  —  6)  de 
furtis  in  molino  commissis  können,  wie  die  Erwähnung  der  sei  um 
(exclusa)  ,Schleuse'  von  Cod.  6, 5  Hessels)  an  zeigt,  nur  Wassermühlen 
gemeint  sein.  In  der  Sprache  spiegelt  sich  dieser  Kulturfortschritt 
in  der  ausserordentlichen  Verbreitung,  welche  das  vulgärlat.  molina 
(vgl.  G.  Goetz  Thesaurus  1,  707,  aquaenwlina  I,  8ö)  für  mala  in  ganz 
Nordeuropa  gefunden  hat  <  ir.  inulin,  kymr.  melin,  ahd.  mulina,  mndl. 
molene,  agls.  mylen,  altsl.  mlynü,  mlhtü;  vgl.  auch  all),  muliri  und 
ahd.  mulinäri  aus  molindrius  ,WassermüHer').  Eine  Verbesserung  fanden 
die  Wassermühlen,  als  Heiisar  im  Jahre  586  bei  Anlass  der  Belagerung 
Roms  durch  Vitiges,  welcher  die  Wasserleitungen  der  Stadt,  die  bis 
dahin  die  Mühlen  getrieben  hatten,  verstopfen  liess,  Schiffsmühlen  auf 
dem  Tiber  erbaute. 

Windmühlen  scheinen  zuerst  in  einer  angelsächsischen  Urkunde 
vom  Jahre  833  (unura  molendinum  ventieium,  Kemble  l'rk.  I,  306 
nach  Hostmann  Altgerm.  Landwirtschaft  S.  64)  erwähnt  zu  werden.  — 
Vgl.  im  allgemeinen  Heckmann  Getreide- Mühlen  B.  z.  Gesch.  d.  Erf. 
II,  1  ff.    S.  u.  Ackerbau. 

Mahlsteine,  s.  Mahlen,  Mühle. 

Mahlzeiten  und  Trinkgelage.  Die  römischen  Quellen  sind  voll 
von  Nachrichten  über  die  Vorliebe  der  Germanen  für  Gastereien  und 
Zechereien  jeder  Art.  Den  Anfang  macht  Tacitus  in  seiner  Germania 
Cap.  22:  Dietn  noctemque  continuare  potando  nulli  probrum.  crebrae, 
ut  inter  tinolentos,  rixae,  raro  convieih,  saepius  eaede  et  vulneribus 
transiguntur,  Cap.  23:  Si  indidseris  ebrietati  suggerendo,  quantum 
coneupisctint,  haud  minus  facile  vitiis  quam  armis  tincentur,  Cap.  14: 
Epulae  et  quamquam  incompti,  largi  tarnen  apparatus  pro  stipendio 
cedunt.  Zu  welchem  der  germanischen  Stämme  wir  uns  auch  wenden, 
ob  zu  den  Goten,  von  denen  ein  Dichter  der  Anthologie  {De  eonviviis 
barbaris)  singt: 

Inter  vhailsu  goticum}  „scap{'i)  jah  matjan  jah  drigkan" 

Non  audet  quisquam  dignos  educere  versus. 

CaUiope  madido  trepidat  se  iungere  Baceho, 

Ne  pedibus  non  stet  ebria  Musa  sui*, 
ob  zu  den  Angelsachsen,  die  Bonifacius  (ep.  ed.  Jaffc  70)  für  noch  mehr 
dem  Laster  der  Trunksucht  ergeben  als  Franken  und  Langobarden  hält, 
ob  zu  den  Alamannen  oder  den  Herulern,  von  denen  es  „als  ein  Wunder 
galt,  wenn  einer  nicht  treulos  und  dem  Trünke  ergeben  wara  (vgl. 

Schräder.  Reallexikon.  33 


Digitized  by  Google 


514 


Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 


Specht  a.  u.  a.  ().),  Überall  kehrt  derselbe  Vorwurf  übermässigen  Genusses 
von  Speise  und  vor  allem  von  Trank  wieder.  Das  grösste  Entsetzen 
aber  (Iber  diese  Gastereien  germanischer  Völker  äussert  Venantius 
Fortunatas  in  dem  Proncmium  seiner  Gedichtsammlung:  Quid  inter 
haec  externa  viatica  consulte  dici  potuerit,  censor  ipse  mensura  (ur- 
teile selbst)  uhi  mihi  tantundem  r alebat  raucum  gemere 

quod  cantare  apud  quo*  nihil  disparat  aut  Stridor  amen*  auf  canor 
oloris  (wo  es  ebensoviel  wert  war  zu  krächzen  wie  zu  singen  bei  Leuten, 
die  keinen  Unterschied  zwischen  dem  Geschnatter  der  Gans  und  dem 
Gesänge  des  Schwanes  machen),  sola  saepe  bombicans  barbaros  leudos 
(Lieder)  arpa  (auf  der  Harfe)  relidens:  ut  inter  Mos  egomet  non 
mnsicus  poeta,  sed  muricus  deroso  pore  carminis  poema  non  canerem 
sed  garrirem,  quo  residentes  auditores  inter  acernea  pocula  salute 
bibentes  insana  Baccho  iudice  debaccharent .  quid  ibi  fabre  dictum 
sit  tibi  quis  sanus  ri.r  creditur,  visi  secum  pariter  insanitur,  quo 
gratulari  magis  est,  si  rivere  licet  post  bibere,  de  quo  conrivam  thyr- 
sicum  non  fatidicutn  licet  e.rire,  sed  fatuuni?  Vgl.  weiteres  bei 
F.  A.  Specht  Gastmähler  und  Trinkgelage  bei  den  Deutsehen.  Stuttgart 
1887  S.  85ft\ 

Trotzdem  ist  es  ein  Irrtum,  wenn  man  glaubt,  dass  nich  in  der 
Trunksucht  der  Germanen  und  ihrer  Neigung  zu  Trinkgelagen  ein  be- 
sonderer Charakterzug  gerade  unseres  Volkes  offenbare.  Vielmehr  zeigt 
sich  bei  näherer  Betrachtung,  dass  derselbe  allen  idg.  Völkern,  soweit 
sie  auf  primitiveren  Kulturstufen  sich  befinden,  eigentümlich  ist.  Die 
antiken  Zeugnisse  für  die  Gastereien  und  Trunksucht  der  Kelten  sind 
von  L.  Diefenbach  Origines  Enrop.  S.  172  gesammelt,  und  einige  der- 
selben werden  unten  angeführt  werden.   Ebenbürtig  den  beiden  Nord- 
völkern stehen  im  Süd-Osten  die  Thraker  gegenüber,  über  die  Aelian 
Var.  bist.  III,  15  zusammenfassend  urteilt:  tö  ?€  unv  ÜTrfcp  tüüv  0pa- 
küjv,  dXXct  toüto  ufcv  Kai  biaßcßönjai  Kai  bumepüXnTai  öj?  cloi  imtv 
beivÖTcrroi.    Das  findet  seine  Bestätigung  durch  zahlreiche  Überliefe- 
rungen aus  früher  und  später  Zeit.    Vgl.  Archilochus  (Hergk  32): 
okTttcp  bi'  aüXoö  ßpÖTOv  f|  GpfjiE  dvnp 
f|  <t>pu£  £ßpu£e,  xüßba  fjv  7roveuu€vr| 
(s.  u.  Hier  u.  vgl.  dazu  Vf.  K.  Z.  N.  F.  X,  470), 
Callimachus  bei  Athen.  XI.  p.  477  (X,  p.  442): 

Kai  tdp  ö  0pmKtr|V  uev  ävnvaTO  xavböv  öuucTtiv 
£ujp07TOT€iv,  öXifUJ  b'nbcTO  Ktaaußiiy, 
Menander  (Com.  gr.  frgm.  cd.  Meineke  IV,  232): 

7TdvT€?  uiv  Ol  OpÖKe? 

ou  o*<pöbp'  ^TKpaTct? 

topiv, 

Horaz  (Carm.  I,  27): 

Xati8  in  ustun  laetitiae  scyphis 
pugnare  Thracum  est 


Digitized  by  Google 


Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 


(gleiche  Triukkümpfc  waren  bei  den  Germanen  üblich,  Specht  a.  a.  0. 
S.öl).  Vgl.  weiteres  bei  Dilthey  Ann.  dell*  Inst.  1*67  p  172  f.  Über 
das  Gastmahl  des  Seattles  s.  n.  Über  Thrakien  als  Heimat  des  Baechns- 
dienstes  s.  u.  Wein.' 

Auch  die  alten  Prcussen  waren  gewaltige  Trinker,  wie  wir  durch 
Peter  von  Dasburg  (vgl.  Hartknoch  Das  alte  und  neue  Prcussen  S.  198) 
erfahren:  Xon  videtur  ipsis  quod  hospites  bene  proettracerint,  xi  non 
usque  ad  ebrietatem  sumpserunt  potum  suum.  llabent  in  consuetu- 
dine,  fjuod  in  compotationibus  suis  ad  aequales  et  hnmoderatos  haustus 
se  obligant:  ttnde  contingit,  quod  singuli  dornest  ici  hospiti  suo  men- 
suram  pottis  offerant  sab  his  pactis,  quod  postquam  ipsi  ebiberunt 
et  ipse  hospes  tantundem  eracuet  ebibendo  et  falis  oblatio  pottis 
toties  reiteratur,  qnousque  hospes  cum  dornest  icis,  u.ror  cum  inarito, 
filius  cum  filia  omnes  inebriantur  (bis  alle  unter  dem  Tische  liegen). 
Und  wenden  wir  uns  Uber  die  Steppe,  deren  Völker  sich  mit  dem  Dunst 
glühenden  Hanfsamens  oder  der  Milch  ihrer  Stuten,  wie  auch  die  alten 
Prcussen  (Peter  von  Dusburg:  pro  potu  habent  .  ...  et  mellicratum 
seu  medonem  et  lac  equarum,  s.  n.  Milch)  berauschen,  hinüber  zu  den 
arischen  ludogermanen,  den  Indern  (vgl.  Zimmer  Altindisches  Leben 
S.  272  ff.)  und  Iranicrn  (vgl.  W.  Geiger  Ostiran.  Kultur  S.  229  ff.),  so 
begegnet  uns  auch  hier  dasselbe  Schauspiel  mit  Leidenschaft  dem 
Trünke  ergebener  Menschen,  mag  nun  der  Trank,  mit  dem  man  sich 
über  den  Jammer  des  menschlichen  Daseins  erhebt,  wie  im  westlichen 
Europa.  Hier  und  Wein  oder,  wie  im  östlichen,  Met  und  Stutenmilch, 
oder,  wie  in  der  arischen  Welt,  das  Absud  der  vielgepriesenen  Sonia- 
pflan/.e  sein. 

Trunksucht  und  Neigung  zu  ausschweifenden  Gastereien  ist  also  ein 
Grundzug  der  Urzeit,  und  indogermanische  Göttergestalten,  wie  der 
indische  gewaltige  Fresser  und  Säufer  Indra.  der  im  Somarausch 
seine  berühmten  Thaten  vollbringt  (vgl.  Oldenberg  Die  Religion  des 
Vcda  S.  134  ff.),  oder  der  griechische  Vielesscr  (daher  'Abn/pato?,  TToXu- 
q>äto<;)  und  Vieltrinker  (OiXorrÖTris)  Herakles  (vgl.  namentlich  Athe- 
naeus  X,  p.  411)  oder  der  germanische  Thor,  gefrässig  und  trunksüchtig 
wie  die  vorigen  (vgl.  das  Lied  von  Thryin,  Strophe  24  ff.),  sind  nichts  als 
himmlische  Abbilder  irdischer  Recken.  Der  Rauschtrank  der  Urzeit, 
Uber  dessen  himmlische  Herkunft  und  wunderbare  Herabholung  mannig- 
faltige übereinstimmende  Sagen  bei  den  idg.  Völkern  im  Schwange 
waren  (vgl.  A.  Kuhn  Die  Herabkunft  des  Feuers  und  des  Göttertranks 
Berliu  1859),  war  der  Met  (s.  u.  Biene,  Bienenzucht),  der,  wenigstens 
in  Europa,  bei  festlichen  Gelegenheiten  aus  den  gewaltigen  Hörnern 
der  wilden  Rinderarten  (s.  u.  Horn),  wohl  auch  aus  den  Schädeln 
erschlagener  Feinde  (s.  u.  Gefässe)  getrunken  ward,  über  die  der 
Urzeit  zur  Verfügung  stehenden  Speisen,  von  denen  das  gebratene 
Fleisch  der  Herdentiere  am  beliebtesten  gewesen  sein  wird,  s.  u. 


Digitized  by  Google 


51G 


Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 


Nahrung.  An  Esswerkzengen  war  das  Messer  (s.  d.)  und  vielleicht 
der  Löffel  (s.  d.),  nicht  aber  die  Gabel  (s.  d.)  früh  bekannt.  Tische, 
Stühle  u.  s.  w.  (8.  u.  Hausrat)  scheinen  in  der  Urzeit  noch  gänzlich 
gefehlt  zu  haben.  Man  sass  auf  Fellen  von  Tieren  oder  Bündeln  von 
Heu  und  dergl. 

Noch  auf  zwei  gemeinsame  Züge  dieser  Gastmähler  und  Trink- 
gelage aber,  die  sich  übereinstimmend  in  weiter  Ausdehnung  bei  den 
Indogennanen  finden,  wird  es  hier  am  Platze  sein,  hinzuweisen. 

Die  idg.  Gelage  und  Mahlzeiten  sind  einmal  zugleich  die  Stätte 
ernsthafter  Beratungen.  Besonders  in  die  Augen  fallend  ist  die  Über- 
einstimmung des  persischen  Brauches,  wie  ihn  Hcrodot,  und  des  ger- 
manischen, wie  ihn  Tacitus  schildert.  Vgl.  Hcrod.  I,  133:  u€0uo*kö- 
uevoi  bk  IwQaai  ßouXcüeaGai  t&  cmoubateaTaTa  tüjv  TTpnTMönrujv  tö  b' 
av  äbrj  a<pi  ßouXeuou€VOicn,  toüto  Trj  uo*T€pairj  vn.<poucri  TTpOTi8ei  6  0T€- 
tapxoq,  toö  av  dövte?  ßouXeüujvrai.  Kai  f|v  u4v  äbrj  xai  vn,cpouo*i, 
Xpc'ovrai  auxui,  f|v  b€  prj  äbrj,  u£Ti€iai.  xd  b'  av  vn/povTeq  rcpoßouXeü- 
tfuuviat,  pcOuaKÖpevoi  £mbiaYivujcrKoucri  und  Germ.  Cap.  22:  »Serf  et  de 
reconciliandis  invicem  inimicis  et  iungendis  afßnitatibus  et  ascis- 
cendis  principibus}  de  pace  denique  ac  hello  plerumque  in  comiviis 
Consultant,  tanquam  nullo  magis  tempore  (tut  ad  simpttee*  cogitati- 
ones  patent  animus  aut  ad  magnas  incalescat.  gern  non  nstuta  nec 
calida  aperit  adhuc  secreta  pectoris  licentia  ioci.  ergo  detecta  et 
nuda  omnium  mens  postera  die  retractatur,  et  salva  utriusque  tem- 
poris  ratio  est  :  deliberant,  dum  fingere  nesciunt,  coustituunt,  dum 
errare  non  possunt.  Aber  auch  bei  Homer  ist  es  durchaus  das 
übliche,  dass  der  König  mit  den  Geronten  beim  Mahle  beratet. 

An  diesen  gemeinsamen  Gastmählern  und  Trinkgelagen,  wie  auch 
an  den  gewöhnlichen  Mahlzeiten  der  Hausgenossenschaften,  nahmen  — 
und  das  ist  der  zweite  Punkt,  der  hier  erwähnt  werden  soll  —  die 
Frauen  ursprünglich  nicht  teil,  was  zu  der  niederen  Stellung,  welche 
dieselben  in  der  Urzeit  inne  hatten  (s.  u.  Familie),  aufs  beste  stimmt. 
Als  eine  persische  Gesandtschaft  in  Makedonien  die  Anwesenheit 
von  Weibern  beim  Gelage  stürmisch  verlangt,  entgegnet  nach  Herodot 
V,  18  Amyntas,  König  von  Makedonien:  vöuo^  ufev  n.uw  ^o*ti  ouk 
outo?,  äXXd  KCXwpttfGai  fivbpa?  ruvaiKiIiv.  So  nehmen  auch  bei 
Homer  die  Frauen  ihre  Mahlzeiten  in  der  Regel  in  ihren  Gemächern 
ein,  und  noch  in  den  Nibelungen  (B)  1H7 1  heisst  es,  als  es  in  der 
Burg  Rüdigers  zum  Mahle  gehen  soll: 

mich  geiconheite  dö  schieden  *i  sich  dd: 
ritter  unde  frouteen  die  gingen  anderswd. 

Dasselbe  wird  von  den  alten  Preussen  berichtet  (vgl.  Hartknoch 
a.  a.  0.  S.  177,  187),  und  noch  heute  müssen  in  den  slavischen  wie 
in  den  armenischen  Hausgemeinschaften  die  Frauen  gesondert  von 
den  Männern,  die  gemeinsam  speisen,  ihre  Mahlzeiten  einnehmen  (vgl. 


Digitized  by  Google 


Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 


517 


Kranss  Sitte  und  Brauch  bei  den  Südslaven  S.  54  und  Barehudariau 
bei  Leist  Altarisches  Jus  eivile  I,  4U9j.  -  Von  Benennungen  der  Mahl- 
zeiten und  Trinkgelage  sei  nur  auf  weniges  hingewiesen.  Eiue  Be- 
ziehung zum  Kultus  hat  griech.  6oivr|  (:  8üüa8ai),  wenn  es  u.  Bestat- 
tung richtig  mit  lat.  fumut  verglichen  worden  ist  (eigentl.  ,Totenmahl', 
dann  , Leichenbegängnis )  und  griech.  btmvov,  wenn  es  zu  griech. 
baTTCtvn.  »Aufwand*,  lat.  dapn  ,Mahl,  Opfermahr,  altn.  taf'n  , Opfertier', 
,Speise',  ahd.  zebar,  agls.  ti/'er  ,Opfertier'  gestellt  werden  darf.  Das 
gemeinschaftliche  Festmahl  der  Dorfschaft  bezeichnet  vielleicht  das 
griech.  küjuo?,  falls  es  als  Nebenform  zu  ku>mh  ,Dorf  (küjuo«;  =  lit. 
kitiuas,  Kio.un,  =  got.  Vtuima-  in  haiinös)  angesehen  wird.  Analoga  zu 
dieser  Bedeutungsentwicklung  würde  das  deutsche  „Dorf-,  das  im 
Schweizerischen  (vgl.  Kluge  Et.  W/i  auch  .Besuch',  , Zusammenkunft' 
bezeichnet,  und  das  sert.  utibhri  bieten,  das  eigentlich  die  ,Sippe',  ,die 
Dorfgemeinde'  (got.  sibja),  dann  die  , Versammlung  der  Dorfgemeinde' 
bedeutet  und  weiterhin  den  Sinn  von  , Gemeindehaus'  als  Vergnügungs- 
lokal  oder  Spielhaus  der  Männer  (vgl.  Zimmer  a.  a.  0.  S.  172)  ange- 
nommen hat.  Das  Zusammenbringen  von  Speisen  und  Getränken  für 
diese  gemeinsamen  Mahlzeiten  der  Dorfselialt  würde  das  gotische 
gabaiir  zum  Ausdruck  bringen,  mit  dem  Ultilas  griech.  Kwuoq  übersetzt. 

Den  Abschluss  dieses  Artikels  möge  die  zusammenhängende  Dar- 
stellung keltischer  Gastmähler  nach  Athcnaeus  und  Diodorus,  sowie 
die  Beschreibung  des  thraki  sehen  Gastmahls  bei  Seuthes  nach 
Xenophon  bilden.  Bei  beiden  mischen  sich  bereits  jüngere  Züge  ein. 
Im  Ganzen  aber  sind  beide  Schilderungen  vorzüglich  geeignet,  eine 
Vorstellung  davon  zu  geben,  wie  es  in  Alteuropa  bei  derartigen  Gaste- 
reien zuging. 

Keltische  Gastmähler. 
„Die  Kelten,  erzählt  Posidonius,  tragen  die  Mahlzeiten  auf,  indem 
sie  Heu  unterstreucn,  auf  hölzernen  Tischen,  die  sich  nur  weuig  von 
der  Erde  erheben.  Ihre  Nahrung  besteht  aus  wenig  Brot  und  viel 
Fleisch,  das  in  Wasser  gekocht  uud  auf  Kohlen  oder  am  Spiesse  ge- 
braten wird.  Das  trägt  mau  reinlich  auf,  wie  die  Löwen  aber 
heben  sie  ganze  Gliedmassen  mit  beiden  Händen  empor  uud  beisscu 
davon  ab.  Wenn  aber  ein  Stück  schwer  abbeissbar  ist,  so  schneiden 
sie  es  mit  einem  kleiueu  Messer  ab,  welches  in  eiuem  besonderen  Be- 
hälter in  Scheiden  dabeilicgt  .  .  .  Wenn  mehrere  zusammen  speisen, 
sitzen  sie  im  Kreis,  in  der  Mitte  der  mächtigste,  wie  ein  Chorführer, 
der  sich  vor  anderen,  sei  es  in  kriegerischer  Tüchtigkeit,  «ei  es  durch 
seine  Abstammung,  sei  es  durch  seineu  Reichtum  auszeichnet.  Neben 
ihm  sitzt  der  Wirt,  dann  schliessen  sich  zu  beiden  Seiten  die  übrigen 
ihrem  Hange  entsprechend  an.  Die  Schildträger  stehen  hinter  ihnen, 
die  Speerträger  aber  sitzen  gegenüber  im  Kreis  wie  die  Herren  und 
schmausen  mit.    Das  Getränk  tragen  die  Diener  herum  in  Gelassen, 


Digitized  by  Google 


518 


Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 


die  thönernen  oder  silbernen  Krügen  (äußtKOs)  ähneln   Sie 

trinken  aus  demselben  Gefüss  (dtTroppo(poüo*i  Ik  toö  coitoö  ttottipiou)  in 
kleinen  Zügen,  nicht  mehr  als  einen  kuoc9o<;.  Das  thueu  sie  aber  öfters. 
Der  Knabe  trägt  das  Gefäss  rechts  nnd  links  im  Kreise  herum.  So 
weiden  sie  bedient  (unrichtig  Übersetzt  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  147: 
„aus  demselben  Fasse  wird  fleispig  Seidel  nach  Seidel  gezapft  und 
von  dem  Kellner  rechts  und  links  ausgeteilt";  denn  die  Stelle  kann 
nur  so  verstanden  werden,  dass  alle  Gäste  aus  demselben  Gcfäss 
tranken).  Den  Göttern  bringen  sie  ihre  Verehrung  rechtshin  dar" 
(Athen.  IV,  p.  151  f.).  „Zuweilen  liefern  sie  beim  Mahle  Zweikampfe. 
Denn  sie  versammeln  sich  in  Waffen,  führen  Scheinkämpfe  auf  (vgl. 
den  germanischen  Schwertertanz  in  omni  coetu  Tnc.  Germ.  Cap.  24) 
und  ringen  mit  einander.  Manchmal  kommt  es  zu  Wunden,  dann 
werden  sie  gereizt  und  gehen,  wenn  die  Anwesenden  sie  nicht  zurück- 
halten, bis  zum  Totschlag.  Früher  pflegte  es  zu  gescheht!,  dass,  wenn 
Schinken  aufgesetzt  war,  der  mächtigste  den  Sehenkelkuochen  ergriff. 
Machte  ihm  ein  anderer  diesen  streitig,  so  erhoben  sie  sich  zum  Zwei- 
kampf auf  Tod  und  Leben"  (Athen.  IV,  p.  154  ebenfalls  nach  Posidonius). 

„(die  Kelten  tragen  Knebelbärte).  Wenn  sie  daher  essen,  verflechten 
sich  diese  in  die  Speise,  und  wenn  sie  trinken,  läuft  der  Trank  wie 
durch  ein  Sieb.  Sie  speisen,  indem  sie  alle  nicht  auf  Sesseln,  sondern 
auf  der  Erde  sitzen  auf  Unterlagen  von  Wolfs-  oder  Hundsfell.  Sie 
werden  von  Kindern,  Knaben  und  Mädchen  bedient.  Nahe  bei  ihnen 
befinden  sich  Feuerherde  mit  Kesseln  und  Spiessen  voll  von  grossen 
Fleisehstückeu.  Ihre  wackeren  Männer  einen  sie  mit  den  schönsten 
Fleischportionen,  wie  auch  Homer  den  Aias  von  den  Vornehmen  ge- 
ehrt werden  lässt,  als  er  im  Zweikampf  mit  Hector  gesiegt  hatte: 
vujTOiffi  b'  AtavTct  bir|V€K€€aai  -rcpaipe. 

Sic  laden  auch  Fremde  zu  ihren  Gastmählern  nnd  fragen  sie  erst 
nach  der  Mahlzeit,  wer  sie  seien  und  was  sie  wollten"  (Diodorns  Sic. 
V,  28). 

Das  thrakische  Gastmahl  des  Seuthes. 
„Sie  sassen  zum  Gastmahl  im  Kreise.  Dann  wurden  für  alle  Drei- 
füS8e  hereingebracht.  Diese  waren  voll  von  zugeschnittenen  Fleisch- 
stücken, und  grosse  gesäuerte  Brote  waren  an  die  Fleischstücke  ange- 
heftet. Besonders  aber  wurden  die  Tische  immer  vor  die  Fremden 
hingesetzt.  Es  war  nämlich  so  Sitte.  Zuerst  that  nun  Seuthes  folgendes: 
er  nahm  die  bei  ihm  liegenden  Brote,  zerkleinerte  sie  und  warf  sie  so, 
wem  er  gerade  wollte,  zu,  und  das  Fleisch  ebenso,  indem  er  für  sich 
nur  zum  kosten  übrig  Hess.    Und  die  anderen,  bei  denen  die  Tische 

standen,  machten  es  ebenso  Man  trug  auch  Hörner  mit  Wein 

herum.  .  . .  Als  nun  das  Trinkgelage  vorrückte,  kam  ein  Thraker  mit 
einem  weissen  Ross  herein,  nahm  ein  volles  Horn  nnd  sagte:  „Dir, 
Seuthes,  trinke  ich  zu  und  schenke  dir  dieses  Pferdu  u.  s.  w.  Hierauf 


Digitized  by  Google 


Mahlzeiten  und  Trinkgelage  —  Malve. 


f)19 


kamen  Leute  herein,  die  auf  Signalhörnern  bliesen  und  auf  Dudelsäeken 
Weisen  küi  olov  Mcrrdbit?/  spielten.  Uud  Seuthes  selbst  sprang  auf, 
stiess  ein  Kriegsgeschrei  aus  und  sprang  sehr  behend  in  die  Höhe, 
als  ob  er  sich  vor  einem  Geschoss  decken  wollte.  Auch  Spassroacher 
kamen  herein"  (Xenophon  Anab.  VII,  3,  21  IT.). 

Mairan,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Mäkler,  s.  Dolmetscher. 

Malabathron.  Man  versteht  hierunter  ein  Aroma  des  Altertums, 
das  erst  bei  Dioskorides,  Plinius  und  dem  Verfasser  des  Periplus  maris 
erythraei  genannt  wird.  Dieser  hat  {§  <55)  Uber  Indien  folgende  Nach- 
richt erhalten:  „In  dem  Land  der  Seren  (Chinesen,  s.  u.  Seide)  liegt 
eine  sehr  grosse  Hinnenstadt  0ivat  (ZTvcu).  In  deren  Grenzland  kommen 
jährlich  aus  dem  Innern  breitgesichtige  Menschen  mit  korbartigen  Ge- 
flechten von  der  Farbe  des  frischen  Weinlaubs,  um  Feste  zu  feiern. 
Bei  ihrem  Abzug  lassen  sie  diese  als  Unterlagen  gebrauchten  Gegen- 
stände liegen.  Dann  eilen  die  Kinheimischen  herbei  und  formen  aus 
den  Blättern  jener  Gellechte,  die  ttctpoi  (=  sert.  pdttra-  , Blatt  )  heisseu, 
Kugeln,  die  das  Malabathron  bilden".  Sehr  wahrscheinlich  ist,  dass 
hier  eine  Art  stummer  Tauschhandel  zwischen  Chinesen  und  benach- 
barten Stämmen  gemeint  ist,  kaum  aber  mit  Sicherheit  auszumachen, 
was  unter  uaXdßaGpov  zu  verstehen  sei.  Immer  noch  für  am  wahr- 
scheinlichsten dürfte  die  Meinung  Lassens  (Ind.  Altertumsk.  III,  37) 
gelten,  welcher  uaXdßctöpov  aus  seit,  tamdlapattra-  (s.  o.  pdttra'  =■ 
nerpoi)  ,das  Blatt  der  Laurus  Cassia'  (Ii.  R.)  deutet,  so  dass  also  das 
griechische  Wort  eine  Art  von  Zimmet  bezeichnen,  und  somit  die  Chi- 
nesen als  Hanptvermittler  des  Zimmethandels  schon  im  Altertum  deutlich 
hervortreten  würden.  —  S.  u.  Zimmet  und  n.  Aroin  ata. 

Malve.  Eine  Malvcnart,  Malta  xihestria  oder  M.  neglecta  L., 
die  beide  im  südlichen  und  mittleren  Europa  einheimisch  sind,  diente 
schon  im  ältesten  Griechenland,  wie  auch  noch  im  heutigen,  als  Gemüse 
zur  Speise  des  ärmeren  Mannes.  Vgl.  schon  Hesiod  Werke  und  Tage 
v.  40: 

vn,Trioi  oüb'  itfcKJi  ÖOiu  ttX^ov  nutöu  TtaVTÖ? 

oüb'  Öffov  dv  m  a  X  ä  x  1  re  Kai  dcftpoblXw  utf '  övciap. 
Was  die  Namen  griech.  uaXdxn,  uoXöxn,  dial.  udXßct£  {malcak*),  lat. 
malca  anbetrifft,  so  ist  zweifelhaft,  ob  man  es  hier  mit  einem  vor- 
historischen, zu  griech.  uaXatcöq  ,weich'  gehörigen  Pflanzennamen  zu 
thun  hat,  zu  dem  auch  gewisse  indische  Namen  von  Pflanzen  (sert. 
maruta-,  maruvaka-)  stinnnen  würden,  oder  ob  das  griechische  Wort 
eine  Entlehnung  aus  dem  hehr,  malhldh  darstellt,  das  an  der  einzigen 
Stelle  der  Bibel,  an  der  es  vorkommt  (Hiob.  30,  4),  genau  wie  das 
Hesiodeische  uaXdxn  von  der  Speise  armer  Leute  gebraucht  wird. 

Der  Anbau  der  Malve  (malra)  wird  auch  in  dem  Capitulare  Karls 
des  Grossen  de  villi»  (LXX,  51)  vorgeschrieben,  und  sehr  früh  ist  das 


Digitized  by  Google 


Malve  —  Mandclbaum. 


Wort  im  Angelsächsischen  {meahce,  engl,  malloic)  einheimisch  geworden. 
Der  Gebrauch  der  Pflanze  zu  Nahrungszwecken  ist  aber  im  Norden, 
wie  es  scheint,  durch  den  neuaufgekommenen  Spinat  (s.d.),  beseitigt 
worden,  so  dass  nur  die  Anwendung  der  Pflanze  als  Heilmittel  (noch 
jetzt  Malventhee  etc.)  bestehen  blieb.  Auf  hochdeutschem  Hoden  hat 
sich  lat.  malva  erst  in  ganz  junger  Zeit  eingebürgert.  Der  alte  Name 
ist  das  dunkle  papula,  babula  <  Hildegardis).  Ausserdem  begegnen 
dialektisch  die  merkwürdigen  Ausdrücke  Kattenkees,  Kattenkäse,  Käsli- 
kraut,  Käskräutchen,  Käsepappeln,  Katzenkäsichen  etc.  (vgl.  Pritzel 
und  Jessen  Die  deutschen  Volksnamen  d.  Pflanzen  S.  229).  Vermutlieh 
ist  in  ihnen  die  volksetymologische  Verdrehung  nach  Katze  und  Käse 
(die  vom  Kelch  umgebene  Frucht  der  Malve  gleicht  einem  Käselaibchen) 
eines  alten,  im  Angelsächsischen  bewahrten  Namens  der  Pflanze  cottuc 
zu  erblicken,  für  den  Hoops  Altcngl.  Pflanzennamen  S.  76  des  Suffixes 
we  ren  keltischen  Ursprung  vermutet. 

Der  gemeinslavische  Name  der  Malve  ist  slezfi  (vgl.  Miklosich  Et. 
W.  s.  v.J. 

Über  die  gricch.-lat.  uoköxwa-molochina,  in  denen  man  allgemein 
Gewebe  aus  den  Fasern  der  Malve  vermutet,  vgl.  Vf.  Handelsgesehiehte 
und  Warenkunde  S.  216 ff.  —  S.  n.  Garten,  Gartenbau. 
Malz,  s.  liier. 

Mnndelhaum.'  Amygdalus  communis  L.  ist  einheimisch  in  Vorder- 
asien (Afghanistan,  Transkankasicn,  Kurdistan,  Mesopotamien).  Nach 
Griechenland  ist  der  Baum  eingeführt  worden.  Der  Name  seiner  Frucht 
begegnet  zuerst  bei  Phryniehus,  einem  Dichter  der  älteren  Komödie, 
als  Na£ia  duutbdXn,  (  Athen.  II,  p.  52).  Etwas  später  nennt  Xcnophon 
Anab.  IV,  4,  KJ  ein  riuirfbdXtvov  xpicfua,  das  er  in  Armenien  fand. 
Bei  Theophrast  heisst  der  Baum  duuTbaXn..  Das  Wort,  dessen  Deutung 
vielleicht  Auskunft  über  die  genauere  Herkunft  des  Baumes  geben 
könnte,  ist  noch  völlig  dunkel  (vgl.  die  bisherigen  Versuche  zu  seiner 
Erklärung  bei  Muss-Arnolt  Transactions  of  the  American  phil.  assoc. 
XXIII,  Ki6).  Ebenso  unaufgeklärt  wie  duufbdXri  ist  der  lakonische 
Name  der  Mandel  uouioipoq  (bei  Athen,  loc.  cit.). 

Von  Griechenland  wanderte  der  Baum  weiter  nach  Italien,  wo  die 
Mandel  bei  Cato  mix  Graeca,  der  Baum  bei  Colnmella  und  Plinius 
amygdula  hiess.  Später  bildet  sich  auf  italischem  Boden  durch  volks- 
tümliche Verdrehung  von  cimygdala  (mit  Anlehnung  an  amandus,  amams, 
maudere)  omandola,  amandula,  das  zuerst  in  der  Mcdicina  Plinii 
(IV.  Jahrb. t,  aber  auch  in  den  Glossen  des  C.  Gl.  L.  (vgl.  G.  Goetz 
Thesaurus  I,  ö8)  begegnet.  Es  liegt  den  romanischen  Sprachen  und 
dem  ahd.  mandala  zu  Grunde,  während  die  slavischen  Sprachen  (altsl. 
migdalü)  teilweis  .direkt  aus  dMuxbdXri  geschöpft  haben.  Vgl.  noch 
agls.  magdala-trfo  (bei  Hoops  Altengl.  Pflanzennamen). 

Den  Anbau  von  amandalarii  schreibt  das  Capit.  de  villi«  LXX,  83 


Digitized  by  Google 


Mandelbaum  —  Markt. 


521 


vor.  Doch  bringt  der  Mandelbaum  nur  noch  am  Rhein  und  in  der 
bairischen  Rheinpfalz  seine  Fruchte  zur  Reife.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kultur- 
pflanzenu  S.  :)79ff.  und  v.  Fischcr-Ben/.on  Altd.  Gartcufl.  S.  Iö8.  S. 
u.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Mandragora*,  s.  Alraun. 

Manenkult,  s.  Ahnen kultus 

Maugold,  s.  Beete. 

Mann.  Es  finden  sich  für  dieseu  Begriff  zwei  idg.  Reihen: 
1.  scrt.  rh'ä-,  aw.  vira-,  hrt.  cir,  ir.  fer,  got.  iruir,  lit.  icyiaa  2.  seit. 
mir-,  a\v.  nur-,  griech.  dvn.p.  Beiden  liegt,  wie  die  Ableitungen  lat. 
vir-tns  und  griech.  dvbp-€ia,  sabin.  nerio  /Tapferkeit'  zeigen,  die  Vor- 
stellung des  Starken  und  Tüehtigen  zu  Grunde.  In  zwei  anderen  Reihen 
schwanken  die  Bedeutungen  Mensch  und  Mann,  nämlich  erstens  in 
scrt.  manu-,  mdnusha-,  got.  manna  , Mensch,  Mann',  altsl.  mqzl  .Mann' 
(vgl.  auch  scrt.  Mdnu-s  .der  Stammvater  der  Menschen'  und  germ. 
Manmts  bei  Tac.  ,der  Stammvater  der  Germanen'),  zweitens  in  lat. 
homo  ,Menseh'.  got.  guma  .Mann'  (ahd.  brüti-gomo  , Bräutigam'), 
altlit.  z'mü  [z'iitotjiiti)  .Mensch,  Mann'.  Ersteies  pflegt  man  ans  scrt. 
man  .denken  (Mensch  „Denkender"/,  letzteres  von  scrt.  kshä's,  Gen. 
kslimäs  (s.  u.  Erdo  abzuleiten  (Mensch  -  „Irdischer").  Vgl.  noch 
das  geineinkelt.  ir.  dune,  duine  (Zeuss  Gr.  C  s  p.  229),  *du)i-jö-#  : 
griech.  Gaveiv  (Mensch  =  .,Sterblicheru,  lat.  mortaHs).  Die  rein  ge- 
schlechtliche Seite  des  Mannes  ist  in  der  Gleichung:  aw.  ar»an- 
,männlich,  Manu',  griech.  üppn.v,  ion.  €pO"n.v  ,niännlich',  armen,  air, 
Gen.  ain  .Mann'  vgl.  scrt.  rnhabhd-  .Stier',  drshati  ,fliesst',  ,strümt') 
ausgedrückt.  Dies  ist  auch  die  Grundbedeutung  des  geniciugerin.  ahd. 
karal  (vgl.  Kluge  Et.  \V.,:  u.  Kerl  und  s.  u.  Stände).  Fast  alle  hier 
für  Mann  genannten  Ausdrücke  werden  in  grösserer  oder  geringerer 
Ausdehnung  auch  für  Ehemann  (s.  u.  Ehe)  gebraucht.  Für  Mensch 
ist  noch  das  dunkle  griech.  <5v8pumo£  zu  nennen.  Über  die  Sippe  von 
mhd.  Hute  , Leute,  Menschen',  Hut  .Volk',  agls.  hode  , Leute  ,  altsl. 
ljudü  .Volk',  ljudije  , Leute',  altpr.  ludyxz,  lett.  laudis  .Mensch'  (altpr. 
ludini  , Wirtin',  Jüdin  ,Wirt')  etc.  s.  u.  Volk  und  Stände. 

Mannbusse,  s.  Blutrache. 

Mäunerkiiidhett,  s.  Hebamme. 

Mänuertracht,  s.  Kleidung. 

Mantel,  s.  Kleidung. 

Mardcllen,  s.  Unterirdische  Wohnungen. 
Marder,  s.  Wiesel. 
Mark.  s.  Fleisch. 

Markt.  U.  Handel  ist  gezeigt  worden,  dass  die  Anfänge  eines 
primitiven  Tauschverkehrs  bis  in  die  idg.  Urzeit  zurückgeht).  Als 
Gelegenheiten,  b  e  i  denen,  und  Orte,  a  n  denen  derartige  Geschäfte 
besonders  häufig  gemacht  wurden,  wird  man  nicht  irren  die  Versamm- 


Digitized  by  Google 


Markt. 


langen  zu  bezeichnen,  zu  denen  die  Mitglieder  desselben  Stammes  zu- 
sammenkamen, nm  gemeinsame  Angelegenheiten  zu  beraten  oder  ge- 
meinsame Feste  zu  feiern  (s.  u.  Volksversammlung).  Dass  dem  so 
war,  gebt  für  die  Germanen  aus  dem  Umstand  hervor,  dass  Ulfilas 
das  gricch.  dropd  gerade  da,  wo  es  unzweideutig  »Kaufmarkt'  (Marc. 
7,  4)  bezeichnet,  mit  mapl  übersetzt,  d.  h.  mit  der  gemeingenn. 
Benennung  (vgl.  ahd.  mahal,  agls.  maedel,  mlat.  mallus)  eben  jener 
germanischen  concilia,  von  denen  Tacitus  Genn.  Cap.  11  handelt.  Ebenso 
bedeutet  gricch.  dfopd  (:  dY€ipu>,  also  , Versammlung  )  selbst  sowohl  den 
Gemeindeplatz  wie  auch  den  Kaufmarkt,  die  beide  in  älterer  Zeit  aueb 
örtlich  zusammenfallen,  bis  fortschreitende  Bedürfnisse  sie  trennen  «  vgl. 
E.  Cnrtius  Attische  Studien  II,  Abh.  d.  kgl.  Gcscllsch.  d.  W.  z.  Gottingen 
XII,  119  ff.).  Zu  vermuten  steht,  dass  auch  das  gemeinslavische  *tergü 
»Markt'  (altsl.  trügü,  russ.  torgü,  cceh.  trh,  poln.  targ)  ursprünglich 
diesen  doppelten  Sinn  von  Gemeindeversammlung  und  Kaufmarkt  ge- 
habt hat,  was  gewiss  wäre,  wenn  das  slavischc  Wort  sicher  mit  ahd. 
dorf,  das  nhd.  dialektisch  auch  Zusammenkunft'  bedeutet,  vergliehen 
werden  könnte  (doch  s.  über  das  germanische  Wort  u.  Dorf,  über  das 
slavischc  u.  Dolmetscher). 

Wenn  bisher  von  dem  Tauschverkehr  stam  meingesessener  Leute 
unter  einander  die  Rede  war,  so  ist  schwieriger  die  Frage  zu  beant- 
worten, in  wie  weit  man  fitr  die  Urzeit  und  die  ältesten  Epochen  der 
Einzel  Völker  von  einem  Handel  mit  Fremden  und  in  die  Ferne 
wird  sprechen  können.  Auf  die  Institution  des  stummen  Tausch- 
handels, der  den  Verkehr  auch  zwischen  Stämmen,  die  in  grimmiger 
Feindschaft  und  steter  Fehde  mit  einander  leben,  vermittelt,  ist  u. 
Handel  hingewiesen  worden.  Eine  wesentlich  höhere  Stufe  mensch- 
licher Gesittung  ist  erreicht,  wenn  an  den  einzelnen  Stammgreuzen 
bestimmte  Plätze  eingerichtet  worden  sind,  an  denen  man  sich  zu 
bestimmten  Zeiten  des  Jahres  zu  Zwecken  des  Tauschverkehrs  friedlich 
trifft,  und  also  der  Begriff  des  Marktes  und  Marktfriedens  dem 
Menschen  aufgegangen  ist. 

Von  derartigen,  an  den  Grenzen  von  Stammes-  oder  Stadtgebieten 
gelegenen  Märkten  erfahren  wir  namentlich  aus  Griec henland.  Das 
waren  die  dtopal  £<popiat  oder  duvoboi  al  Ttpöq  xotq  öpoi?  tüjv  äöTu- 
T61TÖVUJV,  „durch  Vertrag  geheiligte  und  unter  den  Schutz  der  beider- 
seitigen Stadtgottheiten  gestellte  Freistätten,  welche  zu  friedlichen» 
Verkehre  von  Nachbargemeinden  benutzt  wurden"  (vgl.  E.  Cnrtius  a.  a.  0. 
S.  124).  In  ein  wie  hohes  Alter  sie  zurückgehen,  ist  freilich  nicht 
bezeugt.  Hierzu  treten  dann  in  Griechenland  die  Marktplätze  fremder 
Seefahrer,  vor  allem  die  der  Phönizier,  deren  an  den  griechischen  Ge- 
staden aufgeschlagene  Bazare  schon  Homer  (Od.  XV,  415  ff.)  und  Herodot 
(I,  1)  ausführlich  schildern,  sowie  die  der  Lyder,  die  zusammen  mit 
den  Phöniziern  die  eigentlichen  Krämervölker  Vorderasiens  bilden,  von 


Digitized  by  Google 


Markt.  523 

denen  die  Griechen  den  ihnen  wie  allen  Indogermanen  ursprünglich 
fremden  Geist  geschäftlicher  Betriebsamkeit  in  Jahrhunderte  langem 
Verkehre  sich  allmählich  aneigneten  (vgl.  E.  Curtius  a.  a.  0.  S.  121). 
Sowohl  aus  jenen  binncnländischen  wie  aus  diesen  an  den  Küsien  ge- 
gründeten Märkten  sind  dann  im  Laufe  der  Zeit  vielfach  Städte  ent- 
standen, auf  deren  Herkunft  noch  zahlreiche  Ortsnamen  wie  'Atopd, 
'AXia  etc.  (vgl.  Pape  Wörterbuch  der  griech.  Eigennamen  und  E.  Curtius 
a.  a.  0.  S.  121)  hinweisen,  wie  denn  überhaupt  in  Europa  Markt  und 
Burg  die  beiden  Hauptfaktoren  sind,  aus  denen  die  Städte  (s.  u.  Stadt) 
erwachsen  sind.  Wenn  so  schon  hier  ein  Hauch  orientalischen  Handels- 
geistes nach  Europa  herüberweht,  so  tritt  derselbe  noch  viel  stärker 
hervor,  als  nun  die  heiligen  Stätten  Olympia,  Delos,  Delphi,  offen- 
bar unter  dem  Kinflnss  der  grossartigen  Handelsmessen  und  Götterfeste 
des  Orients  (vgl.  Movers  Phönizier  II,  3,  1  S.  13öflÜ,  auch  eine  her- 
vorragende merkantile  Seite  gewinnen,  deren  Bedeutung  sich  bis  in 
die  Barbarenländer  des  Nordens  erstreckt.  Auf  kulturhistorische  Be- 
ziehungen zwischen  Olympia  und  der  Ansiedelung  von  Hallstatt  hat 
Hörnes  im  Ausland  (1891  S.  281  ff.)  hingewiesen,  und  schon  Herodot 
IV,  33  erzählt  von  Opfern  und  Abgesandten,  die  hyperboreischc  Völker 
bis  nach  Delos  schickten. 

Nachdem  ein  einheimischer  griechischer  Kaufinannsstand  erwachsen 
war,  was  erst  in  nachhomerischer  Zeit  is.  u.  Kaufmann)  der  Fall  ge- 
wesen ist,  wird  ein  allmähliches  Vordringen  griechischer  Märkte  und 
Bazare  von  Massilia,  von  dem  Norden  der  Balkanhalbinsel,  von  den 
Kttstenstädten  des  Schwarzen  Meeres  in  die  vorgelagerten  Barbaren- 
ländcr  vor  sich  gegangen  sein.  Ein  solcher  Marktplatz  ftlr  den  Verkehr 
mit  barbarischen  Völkerschaften  war  z.  B.  'Atopd  auf  dem  thrakischen 
Chersones,  nud  wenn  Herodot  IV,  108  von  einer  Stadt  Gelonos  im 
Lande  der  Budinen  zu  berichten  weiss,  die  griechischen  Kult  pflegte, 
und  deren  Einwohner  aus  den  griechischen  Emporien  am  Schwarzen 
Meer  stammten,  so  wird  mau  auch  hierin  nichts  als  einen  vorge- 
schobeneu griechischen  Marktplatz  erkenneu  können. 

In  ein  helleres  Licht  aber  treten  diese  Beziehungen  zwischen  Nord 
und  Süd  erst  in  dem  römisch -  germanischen  Handelsverkehr. 
Frühzeitig  müssen  wir  uns  Suddeutschland  und  die  Rheinlande  mit 
römischen  Krämern  und  Hausierern  angefüllt  denken,  die  ihre  fliegenden 
Bazare  bald  hier,  bald  dort  aufschlugen.  Der  römische  Ausdruck  hier- 
für war  mercatu*  (Travnrupiq,  ^unöpiov),  und  dieses  Wort  ist  denn  auch 
der  gewöhnliche  Ausdruck  für  Markt  in  den  germanischen  Sprachen 
geworden:  ahd.  marchet,  marchat,  marchit,  market  (vgl.  M.  Heyne 
Deutsches  Wohnungswesen  S.  147  8I),  fries.  merket,  agls.  geör-market, 
altn.  markdbr  (aus  dem  Angelsächsischen?).  Erst  nachdem  die  Deutschen 
selbst  Städtebauer  geworden  waren,  wird  dieses  Wort  angefangen  haben, 
auch  den  Markt  als  Ort,  als  Mittelpunkt  der  Stadt,  im  Sinne  also  des 


Digitized  by  Google 


521 


Markt  —  Mass.  Messen. 


lat.  forum  {  —  lit.  duaras,  altsl.  ch-orii  ,Hof)  zu  bezeichen.  Ulfilas  be- 
findet sieh  da,  wo  er  das  in  dieser  lokalen  Bedeutung  vorliegende 
griecli.  ä-ropd  übersetzen  soll,  in  einiger  Verlegenheit.  Einmal  (Marc. 
6,  56)  wählt  er  dafür  das  got.  gaggs,  das  nur  allgemein  ,Gasse'  be- 
deutet (Gassen  hatten  natürlich  auch  die  gotischen  Dörfer),  das  andre 
Mal  (Luc.  7,  32  —  Matth.  11,  16)  gebraucht  er  dafür  garuns,  was  zu 
rinnan  gehörig,  soviel  wie  ,Zusannnenlauf  zu  bezeichnen  scheint. 

Wird  so  durch  mercatus-markt  die  eine  Gruppe  der  Bezeichnungen 
des  Marktes  im  nördlichen  Europa  gebildet,  so  eine  zweite,  auf  ein 
anderes  Ilandelsgebiet  hinweisend,  durch  das  schon  oben  genannte 
slavischc  trngil,  das  in  das  Skandinavische  (altu.  torg,  schwed.,  dän. 
ebenso),  in  das  Litauische  (tui-gus)  und  Liviseh-estnisch-finnischc  [tnrg, 
törg,  titrku  eingedrungen  ist.  Aus  beiden  Gruppen,  sowohl  aus  dem 
deutschen  mark  t  ,  wie  auch  aus  dem  slavischen  *tergü  (vgl.  Torgau, 
Torgow,  tinn.  Turku)  werden  zahlreiche  Xainen  ueuentstandener  Markt- 
städte gebildet.  Nach  G.  Meyer  (I.  F.  I,  323)  wäre  auch  der  alte 
Stadtuamc  Tergeste  (Triest)  von  einem  illyrisehen  *terga  , Markt'  = 
altsl.  trügü  abzuleiten. 

Einen  dritten  auf  die  jüngere  slavischc  Welt  und  die  Balkan- 
halbinsel beschränkten  Kreis  von  Benennungen  des  Marktes  beherrscht 
das  türkisch- persische  bazar. 

Kehren  wir  zu  Romanen  und  Gerinaneu  zurück,  so  knüpfte  das 
Christentum,  als  es  hier  seinen  Einzug  hielt,  den  vorgefundenen 
Marktverkehr  in  Fortführung  des  heidnischen  Gedankens  jener  oben 
berührten  glänzenden  Handelsmessen  und  Götterfeste  gern  an  seiue 
eigenen  Feste,  besonders  au  die  der  Heiligen  und  an  die  Sitze  der 
Bischöfe  an.  Dieser  Vorgang  spiegelt  sich  in  dem  Bedeutuugsüber- 
gang  des  lat.  feriae  ,Fest,  Feier'  (ahd.  fira  id.),  das  auf  romanischem 
Boden  (it.  fiera,  sp.  feria,  ptg.,  pr.  feira,  frz.  foire,  vgl.  auch  engl. 
fair)  durchgängig  deu  Sinn  von  Jahrmarkt'  angenommen  hat.  Erst 
viel  später  hat  in  den  germanischen  Sprachen  das  in  seiner  kirchlichen 
Bedeutung  früh  entlehnte  lat.  missa  den  gleichen  Prozess  wie  lat. 
frriae  im  Komanischen  durchgemacht  (vgl.  unser  messe  Jahrmarkt  ). 
—  Vgl.  Vf.  Handelsgeschichtc  und  Warenkunde  I,  34  ff.  S.  u.  Handel. 

Marmor,  s.  Kreide. 

Mast,  s.  Segel  und  Mast. 

Mastix,  s.  Terebinthacecn. 

Mass,  Messen.  Die  idg.  Bezeichnung  des  Messens  liegt  in  deu 
beiden  unter  einander  zusammenhängenden  Reihen:  sert.  mi-mämi 
,messe',  ma  -tra  ,Mass',  lat.  -niMior.  altsl.  mtra,  lit.  miera  ,Mass',  matiiti 
,uie8seu\  got.  mtla  ,Scheffel'  und  griecli.  u€biuvoq  ,Mass',  u€ipov  (aus 
*ueb-Tpo-v)  id.,  lat.  modius  »Scheffel',  got.  mit  an  ,ines8en',  mitaps 
.Scheffel'  (griecli.  ur|bouai,  uebouai,  lat.  meditari,  ir.  midiur,  got. 
mitön  nur  in  übertragener  Bedeutung  ,ermesse'  etc.).    Die  Mittel  zu 


Digitized  by  Google 


Ma»s,  Messen. 


messen  sind  in  der  Urzeit  und  in  den  ältesten  Epochen  der  Einzel- 
völker noch  überaus  einfache  gewesen.  Was  zunächst  die  Längen- 
masse  anbetrifft,  so  bedient  man  sich  znr  Bezeichnung  der  kleineren 
derjenigen  Massstäbe,  welch  die  Natur  selbst  dem  Menschen  gegeben 
hat.  Man  misst  nach  Fingern  (griech.  bdiauXoq,  lat.  digitus  = 
Fuss;  vgl.  auch  ir.  ordlach  ,Zoll':  ordu  , Daumen'  wie  frz.  pottee  , Zoll' 
aus  lat.  pollejr),  nach  Handbreiten  (griech.  TraXaiain.  :  iraXaun.  ,Haud' 
=  lj4  Fuss;  vgl.  auch  griech.  buipov  :  ir.  dorn  JJand',  schon  in  dem 
homerischen  K€pa  ^KxaibeKdbujpa  .ein  Hirschgeweih  von  16  Handbreiten  ), 
nach  Unterarmen  oder  Ellen  (s.  u.  Körperteile  bei  Unterarm 
und  Ellenbogen;  vgl.  auch  griech.  ixwxwv  :  ttü£  ,fäustlings',  der  Teil 
von  der  Faust  bis  zum  Ellenbogen),  nach  Fussen,  oder  nach  der  Aus- 
spannung der  im  vorigen  genannten  Glieder,  der  Fingerspanne 
(griech.  aTnOaun.  :  ffmbn.?  ,ansgedehnt',  amZur  cktcivw;  altsl.  pqd'r,  ahd. 
spanna\  lit.  gprlndis  :  spr&ti),  der  Armspanne  oder  Klafter  (griech. 
öpfuid :  öpe'fw;  ahd.  lldftra  :  agls.  clyppan  ,umarincn',  vgl.  auch  lit.  glebys 
,armvoH!,  altpr.  glahüt  ,umarmen';  engl,  fathom  .Klafter'  :  alts.  fathmos 
,beide  ausgestreckte  Arme',  agls.  fvepm  id.,  altn.  fabmr  , beide  Arme', 
vgl.  griech.  Trerdwu/ai  ,breitc  aus';  lit  niPJcgnis  :  aekiu  ,langen,  reichen, 
greifen'),  der  Fussspaune  oder  dem  Schritt  (griech.  öpefuet  "  öpc'Tio, 
lat.  jwsms  , Doppelschritt'  :  pandere  etc.).  Ähnlich  verfährt  man  auch 
bei  der  Bestimmung  und  Benennung  grösserer  Längen,  in  so  fern 
man  auch  hier  von  der  Fähigkeit  des  menschlichen  Körpers,  durch 
Stimme,  Wurf,  Blick,  Marsch  u.  s.  w.  in  die  Ferne  zu  wirken  ausgeht. 
Zu  dem  ältesten  des  alten  werden  in  dieser  Beziehung  homerische  Aus- 
drücke wie 

TÖtfffov  dud  tttöXio?  ötfcrov  T€  TfTwvc  ßoricras  (Od.  VI,  294) 
„soweit  einer  schreien  kann", 
oder:  töckjov  tu;  T'£m\€Üöo*ei  öaov  fem  Xdav  ir|0*i  (II.  III,  12) 
„auf  St  einwarf", 

oder:  TTnXcibn«;  b'diröpoucKv  öcrov  j'im  boupd?  ^pwn.  (II.  XXI,  2f>l) 

„auf  Speerwurf"  u.  s.  w. 
gehören,  die  ihre  Entsprechungen  in  zahlreichen  Rechtsformeln  der 
germanischen  Völker  (vgl.  J.  Grimm  R.-A.  S.  54  ff.)  finden.  Von  der 
Marschfähigkeit  eines  wandernden  Mannes  oder  Stammes  hergenommen 
ist  die  Rechnung  nach  Tagemärschen,  dem  einzigen  Wegemass, 
das  die  alten  Germanen  kannten.  Vgl.  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  25: 
Hercyniae  silvae  latitudo  noeem  dierum  Her  ewpedito  patet;  non 
enim  aliter  finiri  potest  neque  menxuras  itinerum  nocerunt. 
Der  germanische  Ausdruck  dafür  ist  got.  rasta,  altn.  röst,  ahd.  ra*ta, 
eigentl.  .Rast'  (vgl.  auch  got.  razn  ,Haus),  der  später  (mit  starker 
Einschränkung)  gebraucht  worden  ist,  am  den  Begriff  der  römischen 
Meile  (uiXiov)  zu  übersetzen.  Beachtenswert  ist  auch  die  Wiedergabe  de» 
griech.  JTdbiov  bei  Ulfilas  durch  got.  spaürds  =  ahd.  spurt  ,Renn- 


Digitized  by  Google 


526 


Mass.  Messen. 


bahn5  (:  sert.  spdrdhafe  »wetteifert',  sprdh-  »Wetteifer,  Kampf  ),  und 
zwar  nicht  nur  an  Stellen  (wie  Cor.  1.  0,  24),  an  denen  atabiov  selbst 
, Rennbahn'  bedeutet,  sondern  auch  an  solchen,  wo  fftübiov  (wie  Job. 
6,  HJ;  11,  1H)  nichts  als  ein  Längenmass  ist.  Es  liegt  daher  die  Ver- 
mntnng  nahe,  dass  die  germanische  Sippe  schon  in  vorrömischer  Zeit 
auch  der  letzteren  Bedeutung  nahe  gekommen  sei  (vgl.  auch  agls. 
spyrd  ,a  measure  of  ground  containing  (552  feet',  mlat.  spurtut  ,cin 
Landstück'). 

Zu  dem  Bedürfnis  nach  Längenmassen  tritt  mit  dem  Aufkommen 
des  Ackerbaus  und  der  Verteilung  des  Ackerlandes  erst  an  die  einzelnen 
Familienverbände,  dann  an  die  einzelnen  Hofbesitzer  (s.  n.  Acker- 
b  a  u)  das  nach  F  1  ä  c  h  e  n  m  a  s  s  e  n  hervor.  Eine  vorhistorische  Be- 
zeichnung für  ein  solches  liegt  in  der  Gleichung  umbr.,  osk.  versus, 
vor xu s  (vgl.  Frontin.  De  limit.  p.  30:  Quod  Graeci  plethron  appellaut, 
Oxet  et  Umbri  vors  u  m)  ~  russ.  rersta  ,Werst',  altst.  rrüsta  ,uiXt- 
«piov,  uiXiov,  öTdbiov',  poln.  warsta,  tcarszta,  Cech.  terstwa,  slov. 
rersta  ,SchichtT,  altpr.  ain-icarst  ,einmar  :  lat.  verto  , wende'.  Die 
älteste  Bedeutung  ist  in  dem  lit.  wafstas  (neben  warsmas,  warsna, 
tearsnas)  ,Pflugwende',  auch  ,ein  bestimmtes  ,Sttlck  Ackerland'  er- 
halten. Der  etymologische  Sinn  ist  demnach  ,die  Ackerfurche,  welche 
der  Pflugstier  bis  zur  „Wendung"  zieht*,  woraus  im  Italischen  (vgl. 
Varro  De  re  rust.  1,  10,  1:  In  Campania  {metiuntur)  versibus  — , 
cerxum  dicunt  centum  pedes  quoquoversutn  quadratum)  ein  Flächen-, 
im  Slavischen  ein  Längenmass  geworden  ist.  Eine  z  weite  hierher 
gehörige  Gleichung  liegt  in  lat.  iugum,  iugerum  ,Ackcrmorgen'  = 
mhd.  jiueh  ,Morgeu  Landes',  spätahd.  jühhart  ,cin  Ackermass'  (vgl. 
Kluge  Et.  W.ß  s.  v.  Jauchert)  :  lat.  iugum  (s.  u.  Joe  h)  vor,  deren 
Grundbedeutung,  wie  schon  die  Römer  richtig  erkannten,  war:  ,soviel 
Landes,  als  ein  Joch  Rinder  an  einem  Tage  umzuackern  vermag'  (vgl. 
Varro  De  re  rust.  1,  10  :  Jugum  rocant,  quod  iuneti  boves  uno  die 
exarare  possint  und  Plinius  Hist.  nat.  XVI II,  9  :  Jugerum  vocabatur, 
quod  uno  iugo  bouni  in  die  e.rarari  posset).  Umschreibende 
Ausdrücke,  den  oben  angeführten  Längenmassen  entsprechend,  sind 
die  homerischen  Wendungen: 

öcKJov  t'cv  veno  oöpov  ttAci  f|Uiövouv  (Od.  VIII,  124) 
„soweit  im  Brachfeld  die  Strecke  der  beiden  Maultiere  sich  ausdehnt" 

oder  öo*o*ov  t'^tci  oupa  ttcXovtcu  fiuiövwv 
„soweit  als  die  Strecken  der  Maultiere  reichen". 
Das  in  ihnen  gebrauchte  Vernum  tt^Xuj,  n^Xopai  erscheint  substantiviert 
in  dem  ebenfalls  schon  homerischen  7T€Xe6pov,  nX^Opov,  desseu  Grund- 
bedeutung demnach  etwa  »Arbeitsfeld'  (sc.  des  Pflugstiers)  sein  würde, 
während  -Tuoq  in  TTtVTiiKOVTÖYuo^,  TCTpdfuo?,  T€Tpä"fuov  :  pins  »Krumm- 
holz am  Pflug'  gehört,  und  mit  dem  oben  besprochenen  lat.  iugum 
auf  gleicher  Stufe  steht,  nur  dass  es  nicht  das  Gespann,  sondern 


Digitized  by  Google 


Ma>.s.  Messfn. 


527 


das  Werkzeug  bezeichnet,  mit  dem  mau  an  einem  Tage  ein  Ackerland 
umpflügen  kann. 

Andere  altertümliche  Flächenmaße  sind  z.  Ii.  ahd.  morgan,  eigentl. 
,der  Morgen',  verständlich  aus  mint,  dies  ,tantum  terrae,  qnantum  quis 
per  diem  uuo  aratro  arare  potest'  (Du  fange  III*,  KM5)  oder  si/.iliseh 
Mtbiuvo«;  (entsprechend  dem  lat.  ingerum)  d.  h.  »soviel  Land,  als  mau  mit 
einem  Scheffel  Getreide  besäen  kann',  oder  agls.  hid,  engl.  Wide  ,a 
measure  of  land',  eigentl.  , genug  Land  für  eiuen  Haushalt'  {*hhtida-). 
S.  auch  griech.  Kf|Tro<;  =  ahd.  huoba  u.  Garten,  Gartenbau. 

Wenig  ist  (Iber  die  II  o  h  I  m  a  s  s  e  zu  sagen,  deren  Benennungen  in 
der  ältesten  Zeit  noch  gänzlich  mit  den  Bezeichnungen  der  Gefässe 
(s.  d.),  in  deuen  Flüssigkeiten  und  trockene  Gegenstände  aufbewahrt 
zu  werden  pflegten,  zusammengefallen  sein  werden.  Zu  bemerken  ist 
nur,  dass,  wie  dies  noch  heute  bei  Nomadenvölkern  der  Fall  ist,  auch 
der  8  c  h  I  a  n  c  h  aus  T  i  e  r  f  c  1 1  bei  der  Aufbewahrung  und  Messuug 
flüssiger  Dinge  eine  wichtige  Rolle  gespielt  haben  wird.  So  ist  im 
Lateinischen  der  ciilhus  ,lcderner  Sack'  (vgl.  griech.  koXcö?,  kou\€Ö£ 
,Seheide  des  Schwerts',  lit.  kulim  ,Sack  )  das  grösste  Kubikmass  für 
Flüssigkeiten  geworden.  Eine  namentlich  im  Norden  weit  verbreitete 
Reihe  für  diese  Art  von  Behältern  ist  tarentiniseh  noX-röq  (nach  G. 
Meyer  I.  F.  I,  32">  aus  dem  Messapischeu  nach  Tarent  gekommen) 
.Schlauch',  ,ßötio<;  äffKÖs',  altgall.  bnlga,  ir.  bolg  ,Sack',  got.  halgs  (s. 
auch  u.  Fass,  Sack  und  u.  Butter  am  Schlüsse 

Alle  die  im  bisherigen  genannten  Massbestimmuugen  weiden  wir  uns, 
in  je  frühere  Zeit  wir  zurückgehen,  umso  flüssiger  und  schwankender 
vorstellen  müssen.  Eine  exakte  Terminologie  kann  auf  diesem 
Gebiet  erst  aufkommen,  wenn  man  dazu  Übergegangen  ist,  feste  Mass- 
einheiten anzusetzen,  das  nun  nicht  mehr  wechselnde,  sondern  be- 
stimmte Fuss-  (Hier  Ellenmass  auf  den  Massstock  (griech.  äxatva 
oder  xäXa,uo<;,  lat.  pertica,  ahd.  ruota  u.  s.  w.,  alle  zu  10  oder  12  Fuss) 
zu  übertragen  und  sich  allmählich  einem  eigentlichen  metrischen 
S  y  s  t  e  m  zu  nähern.  Alles  dies  ist  in  Europa  erst  auf  dem  Boden 
der  Einzelvölker,  teils  durch  selbständigen  Kulturfortschritt,  teils  aber 
auch  unier  dem  direkten  und  indirekten  Eiufluss  desjenigen  Volkes 
vor  sich  gegangeu,  das  schon  einige  Tausend  Jahre  vor  Christus  zu 
einer  auf  der  durch  die  sorgfältige  Beobachtung  der  Zeit  (s.  u.  Zeit- 
teilung) gewonnenen  Zahl  (50  beruhenden  Ordnung  der  Masse  und 
Gewichte  fortgeschritten  war,  des  babylonische  n.  W  a  n  u  die 
ersten  Spuren  dieses  babylonischen  Sexagesimalsystems,  die  in  der 
Bildung  der  Zahlwörter  (s.  u.  Zahlen)  sehr  früh  hervortreten,  sich  auch 
in  den  Massen  der  europäischen  Völker  zuerst  bemerkbar  machen, 
bedarf  noch  näherer  Untersuchungen.  In  Griechenland  scheint 
dieser  Prozess  sieh  erst  in  nachhomerischer  Zeit  abgespielt  zu  haben. 
„Es  ist  merkwürdig",  sagt  J.  Brandis  Das  Münz-,  Mass-  und  Gewichts- 


Digitized  by  Google 


628  Mass,  Mensen. 

System  in  Vonlerasien,  Berlin  1S66  8.  25,  ncine  wie  grosse  Verbreitung 
diese  babylonischen  Raummasse  nicht  nur  in  Vorderasien,  sondem  auch 
diesseits  des  Mittelmecres  gefunden,  und  wie  sie  in  Griechenland  die 
in  der  homerischen  Zeit  noch  üblichen  Namen  mehr  oder  weniger  ver- 
drängt haben.    Man  ging  dort  zwar  von  der  althergebrachten  Rech- 
nung nach  Fuss  nicht  ab  und  Hess  auch  die  ebenso  alte  anderthalb- 
füssige  Elle  ebensowenig  wie  die  sechsfttssige  Klafter  fahren,  nahm 
aber  im  übrigen  die  morgeuliindischcn  Masse  einfach  an,  indem  man 
den  griechischen  Fuss  nach  dein  babylonischen  regulierte,  die  Namen 
Plethron  und  Stadion  auf  babylonische  Masse  übertrug,  und  die  ein- 
heimischen Feld-  und  Längenmasse  ganz  ausser  Gebrauch  setzte".  Das 
grösste  babylonische  Wcgmass  ward  durch  persische  Vermittlung  im 
TTapacrd-fTn?      u.  P  o  s  t)  übernommen.    In  Italien  treten  früh  und 
in  starker  Ausdehnung  die  Spuren  eines  den  idg.  Völkern  von  Hans 
aus  fremden  Duodezimalsystems  050:5=  12 )  hervor  (vgl.  Hultsch 
Metrologie  passim),  und  zwar  gilt  dies  nicht  nur  von  dem  Gewicht 
und  der  Münze  (wie  es  auch  bei  den  Griechen  der  Fall  ist),  sondern 
auch  von  der  römischen  Zergliederung  des  Fusscs  in  12  Teile,  von 
dem  aetttx  :  ago  f.dic  Länge  der  Furche,  welche  der  Pflugstier  auf 
einen  Antrieb  zieht  ),  der  im  Gegensatz  zu  dem  hnnderlfüssigcn  oskiseh- 
umbrischen  corsitn  's.  o.)  120  Fuss  misst,  von  der  Einteilung  des  Scx- 
tarius  u.  a.    Man  wird  nicht  irren,  wenn  man  diese  unverkennbaren 
Züge  einer  duodczimalen  Rechnung  auf  gleiche  Stufe  wie  die  unter 
Zahlen  angeführten  stellt.    Im  übrigen  haben  der  oben  kurz  cha- 
rakterisirten  babylonisch-griechischen  Strömung  gegenüber  die  italischen 
Stämme  ihre  einheimischen  Flächen-  und  Gewichtsmasse  bewahrt. 
Anders  sind  sie  bei  den  H  o  h  1  in  a  s  s  e  n  verfahren,  die  sie,  wie  schon 
Wortentlehuungen  gleich  lat.  cratera  aus  griech.  Kpairip,  amphora  aus 
ä^(popcu£,  cyalhua  aus  KÜaOoq  (s.  auch  u.  G  e  f  ä  s  s  e)  zeigen,  ganz 
und  gar  von  den  Griechen  übernommen  haben.   Brandis  a.  a.  0.  S.  27 
zieht  hieraus  den  Schluss,  dass  der  binnenländischc  Tauschverkehr  in 
Italien  das  Bedürfnis  eines  exakt  durchgeführten  Masssystems  für 
Flüssigkeiten  und  trockene  schüttbare  Gegenstände  noch  nicht  empfunden 
habe,  als  die  Griechen  anfingen,  sich  auf  der  Halbinsel  festzusetzen, 
und  dass  erst  durch  den  Handel  mit  diesen  Ansiedlungen,  namentlich 
mit  den  sizilischen  Pflanzstädten  (vgl.  lat.  hemina  V»  Sextarius  aus 
sizilisch  huiva),  ein  ausgedehnter  Produktenhandel,  namentlich  mit  Gel 
und  Wein,  begonnen  habe.    Die  Griechen  ihrerseits  stehen  auch  hier 
ganz  unter  dem  Einflnss  der  orientalisch- babylonischen  Welt.  Vgl. 
Brandis  a.  a.  0.  S.  27:  „Sowie  das  venezianische  Apothekergewicht 
nach  Nürnberg  gewandert  ist,  sowie  das  französische  Weinmass,  die 
brabanter  Elle  und  holländische  Flüssigkeitsmassc  mit  den  Waren  und 
den  Gefässen,  in  denen  diese  versandt  werden,  auf  die  Märkte  der 
grossen  europäischen  Handelsstädte  gelangen  und  dort  beim  Verkauf 


Digitized  by  Google 


Ma-s,  Messen. 


529 


der  betreffenden  Produkte  zur  Anwendung  kommen,  ebenso  brachte 
der  phoenizische  Kaufmann  mit  den  mnrgenländisehen  Weinen  und 
Ölen  die  Massgefässe,  in  welche  diese  gefüllt  waren,  und  mit  dem  von 
ihm  importierten  Getreide  das  Scheffelmass,  nachdem  er  dasselbe  in 
Syrien  oder  Ägypten  eingehandelt  hatte,  in  den  griechischen  Verkehr. 
So  war  das  babylonische  Salböl  in  birnenförmigen  Alabasterfläschehen, 
Palmweiu  in  eigentümlichen  Krügen,  Kaboi  genannt  (von  dem  semitischen 
Tcad),  im  griechischen  Handel,  so  mass  man  in  den  hellenischen 
Hafenstädten  persisches  Korn  nach  der  Addix  [vgl.  Eust.  p.  lSf>4: 
'Apicrro<pävris '  dXqnTiuv  utAtivwv  abbixu]  und  Achane  [Aristoph.  Ach.  v. 
10H,  vielleicht  semitischen  Ursprungs],  ägyptisches  und  syrisches  nach 
dem  Kdßo?  [aus  hehr,  qab,  nach  Hesych  ptTpov  oytiköv  x°ivticcriov.  01 
b€  öTTupiba],  Wein  und  Öl  aus  denselben  Ländern  nach  dem  iv  [aus  hehr. 
hin?]  und  seiner  Hälfte,  der  fmiva;  *°  bürgerten  sich  die  Xanten  für 
die  fremden  Massgefässe,  wie  Kotbo«;,  xrißo<;,  ßixoq  [s.  u.  GefässeJ,  iv, 
KißuOpiov  [nach  Hesych  AifUTrnov  övopa  im  ttottipiou:  vgl.  hebr.  kefor, 
assyr.  kapru?],  ebenso  wie  die  Masse  selbst  in  Hellas  ein.  wie  über- 
haupt der  Grieche  das  Handelsgeschäft  vom  Phönizier  gelernt,  und 
von  ihm  die  technischen  Handelsausdrücke,  wie  öppaßwv  [s.  u.  Kauf- 
mann] und  xöXXußo£  ^Scheidemünze'  aus  hebr.  hdlaf  .wechseln  ],  in 
ähnlicher  Weise  angenommen  hat,  wie  der  europäische  Norden  die 
seinigen  vom  Iombardischen  Kaufmann a  [vgl.  auch  Muss-Arnolt  Semitic 
words  Transactions  of  the  Am.  phil.  ass.  XXIII,  121  f.,  II.  Lewy  Die 
semitischen  Fremdw.  S.  115  ff.]. 

Wenden  wir  uns  noch  nach  dem  Norden  Europas,  so  werden 
einige  einheimische  Masse  frühzeitig  bei  den  Galliern  bezeugt.  Das 
altgallische  Wegmass  war  die  leuga  (it.  leg«,  altfrz.  legue,  Jen:  ans 
leuua  bei  Beda:  agls.  Uoice  ,Meile  )  ,1'  ä  römische  Meile',  etymologisch 
gänzlich  dunkel  (vgl.  Holder  Altceltischer  Sprachschatz  s.  v.).  Zwei 
Feldmasse  sind  der  arepeuni*,  *arependi*  (altsp.  arapende,  frz. 
arpent)  und  das  candetum,  ersteres  zu  einem  angeblichen  altgall. 
*arepo-st  , Pflog',  letzteres  zu  dem  Zahlwort  für  100,  ir.  cet  u.  s.  w. 
gehörig  (vgl.  Holder  a.  a.  0.  s.  v.).  In  dem  Verhältnis  von  2  :  1  ent- 
spricht die  gallische  leuga  der  schon  oben  genannten  germ.  rasta.  Mit 
den  ersten  Beziehungen  zu  Korn  hat  sich  dann  bei  den  Germanen  das 
römische  Wegemass)  die  Meile  (ahd.  milla,  nmdl.  mile,  agls.  mil  aus 
lat.  milia,  sc.  passuuin,  auch  spätgriech.  utXiov)  verbreitet.  Sonst 
erfahren  wir  noch,  dass  Claudius  Drusus,  der  Stiefsohn  des  Angustos, 
als  Statthalter  den  Versuch  machte,  durch  Einführung  des  pes  Drusianus 
(wie  er  bei  den  Tungern  hiess,  um  V*  grösser  als  der  römische)  das 
deutsche  Mass  im  Verhältnis  zum  römischen  zu  normieren  (vgl.  Hultsch 
a.  a.  0.  S.  294).  Hinsichtlich  der  Hoblraasse  ist  auch  hier  auf 
die  zahlreichen  Gefässnamen  zn  verweisen,  welche  aus  dem  Süden  in 
die  nördlichen  Sprachen  übergingen  (s.u.  Gefässei.    Weiteres  wie 

Schräder.  Reallexikon.  34 


Digitized  by  Google 


530 


Mass.  Messen  —  Mauer. 


ndl.  bmk  (daher  unser  ..Backtrog",  vgl.  „Windhund14,  „Damhirsch") 
aus  lat.  bacca,  agls.  aniot  aus  amula  , Hecken',  agls.  ccac  , Kessel*  aus 
lat.  cmtcuH  ,Trinkschalc'  (ir.  ettarh  .Becher'),  agls.  ort-  ans  Int.  orco 
.Krug",  limdl.  fn-eft,  treft  ,ollac  stistentaeuluiu'  ans  lat.  tripodem  -.tripus, 
ahd.  e^/w  aus  lat.  tubus  u.  s.  \v.  wäre  aus  F.  Kluges  Sammlung  der 
lat.  Lelmwörter  in  Pauls  Grundriss  I-,  HHH  ff.  hinzuzufügen.  An  di- 
rekten Masshestiimnnngen  sind  entlehnt:  für  Flüssigkeiten  ahd.  seht  An, 
agls.  srster  aus  lat.  se.ittirius,  für  trockene  Dinge  ahd.  inutti,  agls. 
mydd  aus  lat.  ntodius,  als  Zählmass  inhd.  decke r  etc.  aus  lat.  decuria 
,l)ckade\  wonach  in  der  Kaiserzeit  die  auch  von  germanischen  Stammen 
(Tac.  Ann.  IV,  72)  als  Tribut  gelieferten  Felle  gezählt  wurden  (vgl. 
F.  Kluge  Kt.  W.r>  s.  v.  Decher).  Auch  der  Hegriff  der  A  i  c  h  ung,  d.  h. 
der  obrigkeitlichen  Massbestiiumung,  trägt  im  Deutschen  den  lateinischen 
Namen  (mhd.  ichen  ,aichen',  ndl.  ijk  Eichstempel',  ndd.  ike  ,Aich- 
zeichen'  aus  lat.  aeqtidre;  vgl.  oben  die  Nachricht  über  den  pes  Dru- 
sianus  bei  den  Tungern,  von  deren  (Icbiet  der  Ausdruck  „aiehen" 
ausgegangen  sein  könnte)       S.  auch  u.  Wage  und  Gewicht. 

.Matriarchat,  s.  M u tterrecht. 

Matrose,  s.  Schiff,  Schiffahrt. 

Mauer  (Wall,  Wand).  Kine  ganze  Reihe  von  Bezeichnungen 
der  Wand  in  den  idg.  Sprachen  gehen  auf  die  Grundbedeutung  »ge- 
flochtenes' ,Flechtwerk'  zurück.  So  das  lat.  rallitm,  wenn  es  richtig 
aus  *i('f-lrnn  gedeutet  und  mit  ir.  fdl  ,Zaun,  Gehege'  verglichen  wird, 
so  ir.  fraig  .Wand'  =  seit,  rrajd-  , Hürde',  so  got.  -teaddjus  in  gntndu-, 
baürgs-,  mipgardi-waddjus  (letzteres  ,Scheidewand  )  =  altn.  ceggr,  agls. 
ird'g  :  seit,  räyati  ,er  webt',  lit.  wejit  ,drehe  einen  Strick',  altsl  povoj 
,fascia',  poln.  powoj  ,eardo',  klruss.  röj  ,Zaunschichtc',  etc.,  so  ahd. 
want  =.  got.  wandus  ,Rute',  lit.  teänta  ,Badequast',  d.  Ii.  geflochtenes 
Reisigbündel  (vgl.  Vf.  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte*  S.  41)4, 
Meringer  Etymologien  zum  geflochtenen  Haus,  Festgabe  für  Heinzel 
S.  ITH  ff.).  Zweifelhafter  ist,  ob  auch  got.  gards  ,llaus'  (s.  u.  Garten, 
Gartenbau)  mit  ahd.  gerta  ,Gcrte'  verbunden  werden  darf.  That- 
sächlich  wird  wiederholt  vongcfloehteten  Häusern  Alteuropas  berichtet. 
Nach  Strabo  IV,  p.  197  bestanden  die  Häuser  der  Beiger  aus  Brettern 
und  Flechtwcrk,  bei  Ovid  Fast.  VI,  261  heisst  es  vom  ältesten  Tempel 
der  Vesta: 

Et  partes  lento  l  imine  te.rtus  erat 
(vgl.  zu  te.ro  oben  got.  icaddju*  :  sert.  räyati  ,er  webt'  und  ahd.  icant 
:  got.  trindon,  sowie  Meringer  a.  a.  0.  S.  ITH  über  das  altn.  vandahüs). 
Beachtenswert  ist  auch,  dass  eine  russische  Benennung  des  Zimmermanns 
plotnikü  lautet,  von  altsl.  phtü  :  plesti  ,<ppcrruöq,  sepes.  Oft  wird 
ferner  das  Flcehtwerk  mit  Lehm  verstrichen,  oder  zwischen  zwei  Reihen 
von  Flcehtwerk  Lehm  eingestampft  worden  sein,  Arten  einer  Wand- 
konstruktion,  von  denen  die  Reste  vorgeschichtlicher  Ansicdlungen  rcich- 


Digitized  by  Google 


Mauer.  531 

liebes  Zeugnis  ablegen  (vgl.  M.  Much  in  den  Mitteilungen  tl.  Wiener 
anthrop.  Ges.  VII,  334  ff.).  Von  beutigen  Flechtwerkbauten,  nament- 
lich im  Norden  der  Balkanhalbinscl,  berichten  Mcringcr  a.  a.  0.  und 
II.  Hirt  Z.  f.  deutsche  Phil.  XXXI,  504. 

Eine  solidere  Hauswand  bewirkt  der  Bloekwerkban,  dessen  erste 
Anfänge  aber  nicht  in  der  horizontalen  Schichtung  der  Baumstämme,  son- 
dern in  der  Verwendung  des  aufrecht  gestellten  Baumstammes  für 
die  Umfassungswand  eines  Gebäudes  liegen  (vgl.  M.  Heyne  Deutsches 
Wohnungswesen  8.  18  f.  i.  Von  dieser  Art  sind  zahlreiche  der  auf  der 
Marcus-Säule  dargestellten  Gebäude.  Vgl.  Petersen  Marcus-Säule  S.  55: 
„Die  Häuser,  fünf  an  der  Zahl,  sind  alle  rund  im  Grundriss,  bis  auf 
das  grösste  oben  rechts,  welches  viereckig  erscheint  [Tafel  VII],  auf- 
gebaut aus  aufrechten  durch  drei  bis  vier  Flechtseile  in  Abständen 
übereinander  verbundenen,  nicht  dicken  Stämmen".  Auf  diese  Bauart 
wird  sich  auch  die  Angabe  des  Tacitus  Genn.  Cap.  16  beziehen:  Xe 
caementorum  quidem  apud  Mos  auf  tegularum  usus  :  niateria  ad 
omnia  utuntur  in  formt  et  citra  speciem  auf  delectationem.  quaedam 
loca  diligentia  illinunt  terrtt  ita  pura  ac  xplendente,  ttt  picturam 
ac  lineamenta  colorum  imitetur.  Vorwiegend  auf  derartige  Bauten 
mag  sich  die  Gleichung  sert.  däma-,  griech.  bonos  u.  s.  w.  :  griech. 
b^uuu,  got.  timrjan  »zimmern'  beziehen  (vgl.  Meringer  a.  a.  0.  S.  lt>'2). 

Endlich  nmss  auch  die  eigentliche,  damals  nur  nicht  ans  Stein, 
sondern  aus  Lehm  errichtete  Mauer  schon  der  Urzeit  bekannt  gewesen 
sein.  Eine  idg.  Gleichung  für  sie  liegt  in  griech.  Ttixos  ,Maner', 
toixo?  ,Wand*  —  osk.  feihuss  ,muros'  (vgl.  auch  sert.  dehf  , Auf- 
wurf, Damm,  Wall',  nw.pairi-daeza-  .Umf'riedignng',  altp.  didth  , Festung' 
u.  a.).  Die  zu  dieser  Sippe  gehörigen  got.  deigan  ,kneten',  daigs 
,Teig"  (wohl  auch  agls.  die  ,Damin'j,  lat.  fingo,  figulus  .Töpfer'  weisen 
deutlich  darauf  hin,  dass  man  hierbei  lediglich  au  die  aus  Lehm  auf- 
geführte Erdmaucr  zu  denken  hat.  Eine  Parallele  zu  Teixo^,  toixo<; 
bilden  die  slavischen  Ausdrücke  nsl.  zid,  eech.  zed'  , Mauer'  :  altsl. 
zldati  ,bauen',  zldü  ,tcrra  figularis',  poln  zdun  .Töpfer',  altpr.  set/dix, 
alb.  zid  ,Mauer'. 

Die  im  bisherigen  geschilderten  Wandkonstruktionen  werden  nun 
auch  bei  den  Befestigungen  Verwendung  gefunden  haben,  von  denen 
wir  uns  die  schon  in  der  Urzeit  vorhandenen  Burgen  (s.  u.  Stadt) 
umgeben  denken  müssen.  Nach  Herodot  (VII,  142)  war  die  Burg 
von  Athen  in  alten  Zeiten  lediglich  mit  einer  Domhecke  eingefriedigt 
gewesen  (f|  fap  öncpÖTroXii;  tö  TtdXai  tuiv  AenWujv  faxfy  in<<ppaicTO).  Für 
den  Norden  Europas  sind  in  dieser  Hinsicht  die  beiden  Reihen  ahd. 
zun,  alts.  tun,  agls.  tun  =  altgall.  -dunum,  ir.  dün  (vgl.  auch 
altsl.  tynü  ,Mauer')  und  mhd.  hag,  ahd.  kag  (auch  ,nrbs",  vgl.  ferner 
„Hagen"  in  Ortsnamen)  =  altgall.  caium,  kymr.  cae  bedeutungsvoll, 
in  denen  die  Bedeutung  ,Zaun',  ,Gehege'  allmählich  in  die  von  ,Ort' 
♦ 


Digitized  by  Google 


532 


Mauer  —  Maulbeerbaum. 


und  ,Stadt'  Ubergellt.  Vgl.  auch  alt.sl.  gradii  ,muros',  nsl.  grad  ,SchIoss', 
bulg.  grad  ,Stadt',  eeeh.  hrad  ,Bnrg'  u.  s.  w.  :  lit.  gardas  ,Gchege'. 
In  Italien  wird  von  der  Stadt  Aeciilanum  im  inneren  Samnium  berichtet, 
das»  sie  noch  während  des  grossen  Bnndesgcnossenkriegs  mit  einer 
hölzernen  Mauer  befestigt  gewesen  sei  (Appian.  Bell.  civ.  I,  öl),  und 
eine  Parallele  zu  den  die  Pfahldörfer  der  Poebne  umgebenden  Erd- 
wällen bietet  der  Tcrreus  murus,  welcher  die  latinische  Xiedcrlassung 
auf  der  Höhe  der  Carinen  umgab  (Varro  De  lingua  lat.  V,  48:  Subaru 
Junius  scribit  ab  eo,  quod  fuerit  sab  antiqua  Urbe:  qtwi  testimonium 
potent  exte,  quod  subest  ei  loco  qui  'Ferren*  murus  rocatur).  Auch 
den  homerischen  Dichtern  scheinen  nur  Befestigungswerke  aus  Palis- 
saden und  Erdwerken,  teilweis  mit  untermischten  Steinen,  bekannt  ge- 
wesen zu  sein  (vgl.  W.  Heibig  Die  Italiker  in  der  Poebue  S.  45  ff., 
S.  132  ff.).  Endlich  ist  auch  die  Verbindung  von  Flechtwerk  und 
eigentlichem  Wall  bekannt  gewesen,  wie  sie  die  Befestigungswerke 
auf  der  Marcus-Säule  und  die  im  Centralmuseum  zu  Mainz  aufgestellten 
Modelle  der  Ringwälle  auf  dem  Altkönig  (Taunus)  zeigen. 

Unbekannt  war  der  Urzeit  nach  allem  obigen  die  Mauer  aus  Stein, 
die  zusammen  mit  der  Kunst  des  Steinhaus  überhaupt  sich  vom  Mittel- 
meer her  über  Europa  verbreitet  bat.  Den  Gang  dieser  Kulturüber- 
tragnng  bezeichnet  die  Entlehnung  des  lat  murus  (*moiros,  mnenia  : 
kymr.  maen  ,Stein':  vgl.  altsl.  stena  ,Wand'  :  got.  stains  ,Stein)  ins 
Keltische  (ir.  mür;  über  aus  Stein  und  Holz  hergestellte  altgallische 
Mauern  vgl.  Caesar  De  bell.  gall.  VII,  23),  Germanisehe  (ahd.  mura, 
agls.  mür),  Slavisehe  fpoln.  mur),  Litauische  (müras:  neben  sie'nas,  das 
in  alle  westfinnisehen  Sprachen  eingedrungen  ist),  Albanesische  u.  s.  w. 
Ebenso  ist  lat.  vallum,  das  unter  griechischem  Kultureinfluss  (wie  griech. 
TtTxoq,  toixo?  unter  semitischem)  auf  die  steinerne  Mauer  übertragen 
worden  war,  von  den  Westgermanen  (agls.  tceall,  mhd.  ical,  auch 
mss.  ralü)  frühzeitig  übernommen  werden.  S.  unter  Haus  und 
Steinbau. 

Maulbeerbaum.  Der  schwarze  Maulbeerbaum  (Morus  nigra  L.) 
ist  wild  im  südlichen  Transkaukasien  und  wohl  auch  in  den  persischen 
Provinzen  Ghilan  und  Mascndcran  heimisch.  Wann  er  zuerst  im  alten 
Griechenland  auftritt,  ist  deswegen  schwer  zu  entscheiden,  weil  in  der 
Terminologie  des  Baumes  Verwechslungen  mit  derjenigen  der  ägyp- 
tischen Sykomorc  und  des  einheimischen  Brombeerstrauches  stattgefunden 
haben.  So  heisst  der  ägyptische  Manlbeerfeigenbaum  im  Hebräischen 
siqmdh,  und  es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  dass  hieraus  mit  Anlehnung 
an  (Tökov  , Feige'  das  griech.  (TuKänivoq  entstanden  ist.  Vielleicht  ist 
die  doppelte  Pluralform  von  siqmdh  :  siqmim  und  siqmöt  die  Quelle 
von  auKäpivo?,  ebenso  wie  von  dem  später  bezeugten  o*uKÖuopo£.  Eine 
zweite  Bezeichnung  des  Maulbeerbaums,  die  den  Ausdruck  o*uKdfiivo<; 
allmählich  fast  verdrängt,  ist  uop^a,  eine  Ableitung  von  uöpov,  das 


Digitized  by  Google 


Maulbeerbaum  —  Maultier. 


533 


eigentlich  »Brombeere',  dann  auch  , Maulbeere  bezeichnet.  Ebenso  hat 
das  als  dakiseb  überlieferte  uavTeia  , Brombeere  zu  alb.  man,  mand 
»Maulbeerbaum'  geführt.    8.  u.  Becrenobst. 

Im  allgemeinen  wird  man  die  Zeit  der  Tragiker,  spätestens  die  der 
mittleren  und  neuem  Komödie,  für  das  erste  Erscheinen  des  Maulbeer- 
baums in  Hellas  in  Anspruch  nehmen  können. 

Im  Lateinischen  heisst  der  Baum  mörus,  die  Frucht  möruni,  ent- 
weder eine  Entlehnung  aus  dem  griech.  uöpov,  utüpov,  oder,  was  wahr- 
scheinlicher, nach  dem  Vorbild  des  letzteren  aus  einem  einheimischen 
worum  , Brombeere'  gebildet.  Von  Italien  aus  ist  der  Baum  und  sein 
Name  nach  Deutschland  übergegangen  (ahd.  märberi,  agls.  mörberie), 
wo  sein  Anbau  in  dem  Capit.  de  villis  LXX.  HU  vorgeschrieben  wird. 
Die  Goten  haben  einen  selbständigen  Ausdruck  bairabagmx,  der  uoch 
nicht  überzeugend  erklärt  ist.  Einige  denken  an  eine  Verwechslung 
mit  dem  Birnbaum  und  sehen  in  batra-  das  ahd.  bim  aus  lat.  pirua, 
pirum. 

Da  lat.  mörus  zu  Verwechslungen  mit  der  Brombeere  Anlass  gab, 
so  bildete  sich  in  Italien  ein  genauerer  Ausdruck  ceha  sc.  mortui 
oder  auch  geradezu  cehux,  ceha  wie  morus,  mora  heraus,  der  zu  it. 
gelso  führte  (vgl.  G.  Goetz  Thesaurus  I,  7 IM  s.  v.  mora  dornest ica). 

Eine  neue  und  grosse  Aufgabe  erhielt  der  Baum,  als  man  gelernt 
hatte,  mit  seinen  Blättern  die  Seidenraupe  zu  füttern  (s.  u.  Seide). 
Hieraus  erklärt  sich  der  altsl.  Ausdruck  selkoeica  :  Aelkü  .Seide'  gegen- 
über jagodieije  :  jagoda  , Beere'.  Doch  wird  der  schwarze  Maulbeer- 
baum aus  dieser  Rolle  mehr  und  mehr  verdrängt  durch  den  gegen- 
wärtig in  Süd-  und  Mitteleuropa  zu  diesem  Zwecke  fast  ausschliess- 
lich angebauten  weissfrüchtigen  Maulbeerbaum  (Morus  alba  L.),  der 
Beine  Heimat  in  China  und  dem  nördlichen  Ostindien  hat.  Eine  Kette 
zusammenhängender  Namen  führt  von  dem  Osten  (russ.  tut)  und  Südosten 
(türk.  dud,  alb.  dude,  mgricch.  tout  kou  ria)  unseres  Erdteils  durch  die 
iranisch-armenischen  Länder  npers.  tut,  armen-  'tut)  his  nach  Indien 
(tüd  .Maulbeerbaum'  B.  K.j.  In  Deutschland  scheint  aber  erst  Hierony- 
mus Bock  (16.  Jahrb.)  in  seinein  Kräuterbuch  beide  Maulbeerbäume 
zu  kennen.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen"  S.  373 ff  und  v.  Fischer- 
Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  15(5  ff.  S.  u.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Maultier.  Die  Erfindung  der  Maultierzucht  wird  nach  den  überein- 
stimmenden Zeugnissen  des  klassischen  Altertums  (vgl.  sie  bei  V.  Hehn 
Kulturpflanzen "  S.  131)  dem  pou tischen  Kleinasien,  im  besonderen 
den  paphlagonischen  Enetern  und  Mysern  zugeschrieben.  Nach  dem 
alten  Testament  war  Thogarma  oder  Armenien  der  beste  Erzeugungs- 
ort des  Maultiers. 

Von  dort  war  das  Maultier  (»luiovoq,  eigentl.  ,Halbesel'  wie  auch  lit. 
püs dsilis)  schon  in  vorhomerischcr  Zeit  nach  Griechenland  gebracht 
worden,  wo  es  das  gewöhnliche  Zug-  und  Lasttier  (hoin.  auch  oüpeüq 


Digitized  by  Google 


531 


Maultit-r  —  Maulwurf. 


,Bcrgtier'  :  öpo?  ,Berg)  der  heroischen  Zeit  ist.  S.  u.  Esel.  Nur  im 
Laud  der  Eleer  wurde  Maultierzucht,  wie  bei  den  Juden,  als  Frevel 
betrachtet  (Hehn  Kulturpflanzen*5  S.  132).  Auf  kleinasiatischen  Ur- 
sprung weist  vielleicht  auch  das  lat.  mülm  hin.  Dasselbe  ist  ans 
*mux-1o-  hervorgegangen,  und  gehört  zu  alb.  mttik  ,Maultier',  friaul. 
muxs,  venez.  muxxo  ,Esel',  auch  rum.  musqoiu  und  altsl.  mizgü,  mlskü. 
Die  sich  so  ergebenden  G rundforiuen  *muxo-,  *mus-Io-,  *mux-ko~  lassen 
sich  vielleicht  als  .mysisches  Tier'  deuten  und  zu  dem  35.  Fragment 
des  Anakreon  iBergk): 

ITTTTOGÖpOV  bi  Muo*oi 
€Üp€iv  ^uEiv  övwv  npö<;  utttoih; 
stellen  (vgl.  G.  Meyer  I.  F.  I,  322). 

Bezeichnet  mülux  den  Abkömmling  von  Esel  und  Stute,  so  ist  das 
aus  griech.  ivvo<;  (Aristoteles)  entlehnte  hinnus  der  Spross  von  Hengst 
und  Eselin,  eine  wohl  spätere  Mischung. 

►Süd-östlich  von  den  Armeniern,  die  das  Maultier  Mikes  :  es  ,Esel' 
nennen,  zeigen  die  arischen  Sprachen  eine  zusammenhängende  Gruppe 
von  Benennungen  in  npers.  eater,  pehl.  axtar,  knrd.  istir,  sert.  (Atharva- 
veda)  aqvatarä:  Merkwtirdig  ist  bei  dieser  Zusammenstellung  (vgl. 
Horn  Ginndz.  d.  np.  Et.  S.  21),  dass  die  iranischen  Formen  des  p  von 
exp  =  seit,  liqva-  ,  Pferd'  entbehren. 

Von  Italien  ist  der  Name  des  Maultiers  mit  dem  Tiere  selbst  zu 
Kelten  (ir.  mt'd)  und  Germanen  (altn.  mt'tll,  agls.  mtil,  ahd.  mül)  ge- 
drungen, während  die  slavischen  Sprachen,  wie  wir  saheu,  auf  andere 
Zusammenhänge  hinwiesen.  Beachte  noch  mss.  Hak  ,Manltier'  aus 
turko-tat.  ex'ek  ,Escl'  i  vgl.  auch  oben  die  armen.  Wörter).  Wie  wenig 
bekannt  im  hohen  Norden  das  Maultier  in  früheren  Zeiten  gewesen 
sein  muss,  scheint  das  altpr.  weloblundix  ,mnlus'  zu  zeigen,  ein  Wort, 
das  sonst  in  den  nordischen  Idiomen  Kamel  (s.  d.)  bedeutet. 

Im  Vulgärlatein  tritt  für  hinnus  ein  hurdo  und  burdux  auf,  ver- 
schieden von  burrkux  ,kleines  Pferd'  (Wölftlins  Archiv  VII,  318  und 
G.  Goetz  Thesaurus  I,  157).    Vgl.  bei  Du  Gange: 

Burdon em  producit  equus  coniunetus  weihte, 
Procreat  et  mulum  iunetus  asellux  equae. 

Das  Wort  (dunkler  Herkunft)  ist,  wie  mtllux,  in  die  germanischen 
Sprachen  (ahd.  burdihhfn,  nind.  burdon,  mndl.  bord-esel)  entlehnt 
worden,  wo  ausserdem  ein  nicht  minder  rätselhaftes  ahd.  diirmer 
,burdo  ex  equa  et  asino'  begegnet  (vgl.  Palander  Ahd.  Tiernamen 
S.  99). 

Ein  anderer  Ausgangspunkt  der  Manltierzucht  als  die  südpontischen 
Gebirge  war  das  abessynische  Hochland,  worüber  F.  Hommcl  Die 
Namen  der  Säugetiere  S.  112.  —  S.  u.  Viehzucht. 

Maulwurf.  Das  Tier  hat  in  Europa  alte,  aber  bis  jetzt  keine  Spur 
lautlichen  Zusammenhangs  verratende  und  meist  etymologisch  dunkle  Be- 


Digitized  by  Google 


Maulwurf  —  Meer. 


535 


nennungen:  griech.  o*KdXoijj,  dairaXaH,  o*TrdXaE  ':o*KdXXu>  ,grabe'V\  lat. 
talpa,  korn.  */od  (arem.  goz,  knmbr.  gtcadd),  altsl.  kridü  (vgl.  lit. 
kertits  «Spitzmaus'),  alb.  «W.  .Sehr  mannigfaltig  sind  die  germanischen 
Namen:  ahd.  mti-trerf  (:  agls.  mrij/n,  nuiwa,  engl,  »ioic  , Hügel  )  und 
mult'icerf  (:  got.  mulda,  alid.  mo/to  ,Erde'  =  wert.  m/V/-  ,Lelmi,  Thon, 
Erde',  idg.  merdh  merd),  beides  also  , Erdwerfer'  bedeutend,  wie  das 
agls.  icttnde-tceorpe  .Wandwerfer'.  Daneben  ahd.  mtd-ic<:rf,  mul-tcelf, 
denen  ein  in  der  ndd.  Benennung  mul,  mol  und  in  den  Keichenauer 
Glossen  (talpas  :  muli,  qui  terram  eff'odinnt)  erhaltenes,  nicht  zu- 
sammengesetztes * niulos  , Maulwurf  zu  Grunde  zu  liegen  seheint.  Ein 
weiterer  Name  ist  ahd.  xci:ro  :  sci;ran  .sehneiden',  sefrran  .kratzen' 
(vgl.  Palander  Ahd.  Tiernamen  8.  2(5  ff.). 

Maus.  Der  idg.  Name  des  Tieres  ist  sert.  mush-,  npers.  ntüs, 
armen,  mukn,  griech.  uü£,  lat.  mrt*-,  ahd.  müs,  altsl.  /////*/*,  alb.  mt. 
Vgl.  sert.  mush  ,stehlen',  so  das«  die  Maus  soviel  wie  , Diebin'  wäre, 
doch  kann  umgekehrt  sert.  nntsh  auch  soviel  wie  „mausen"  sein.  Ans 
weicht  nur  das  Litn-Preussische  mit  pett-peles  (,die  graue',  vgl.  griech. 
Tr^Xeioq  «schwärzlich')  und  das  Keltische  mit  *htkot-,  ir.  Ittch,  Gen. 
lochat  (,die  schwarze',  vgl.  ir.  loch  »schwarz').  Vgl.  noch  lat.  sorex 
.Spitzmaus'  =  griech.  (spät  üpct£  und  das  alleinstehende  griech.  0uiv8os, 
(JuivHa  ,Haiismaus'  (vgl.  'AttöXXwv  Iuiv8io<;  ,der  die  Hausmäuse  ver- 
treibt), die  Prellwitz  Et.  W.  mit  lit.  smtliu«  ,Xäschcr',  smihhtti  «naschen' 
vereinigen  milchte.  Über  die  von  den  Namen  der  Maus  hergenommenen 
Benennungen  der  Muskeln  s.  n.  Körperteile. 

.Heer.  Üass  den  lndogermaucu  oder  grossen  Teilen  ilerselben 
schon  in  der  Urzeit  ein  Meer  bekannt  war,  folgt  mit  Sicherheit  aus 
der  Reihe:  lat.  mare,  altgall.  *mori  in  Eigennamen  wie  Aremorici, 
Morini,  ir.  muir,  got.  marei,  altsl.  ntorje,  lit.  mären  ,Hatf.  Die  Ver- 
mutung Kretschmers  Einleitung  S.  67),  nach  der  diese  Wörter  durch 
Entlehnung,  etwa  von  der  altgallischen  Küste  aus,  sich  über  Europa 
verbreitet  hätten,  entbehrt  jeder  Wahrscheinlichkeit.  Eine  Weiter- 
führung der  genannten  Sippe,  neuerdings  besonders  durch  Hirt  (I.  F. 
I,  47f>),  der  griech.  ßpüE,  ßpuxö?  ,Meeresschluud'  und  engl,  brack,  ndd. 
brackig  ,Salz-,  Seewasser',  oder  durch  Uhlenbeck  (Et.  W.  d.  got.  Spr. 
S.  102),  der  griech.  dudpet  ,Graben',  'Ampiuapo^  ,Sohn  Poseidons',  ja 
sert.  maryä'dä  ,Grenze'  („ Meeresküste" V)  heranziehu  möchte,  ist  oft- 
mals, doch  bis  jetzt  ohne  überzeugenden  Erfolg  versucht  worden. 
Somit  stelin  vorläufig  noch  abseits  von  der  genannten  Gleichung  in 
Europa  das  Griechische  mit  ttövto?  (wohl  ursprünglich  ,Pfad'  =  sert. 
pdnthds,  vgl.  ÜTpd  tce'Xeueai,  edXaaaa,  TrAaTO^.-üJKeavö«;  und  das  Albane- 
ßische  mit  dit  (vielleicht  aus  *del't  und  zu  9dXao*aa  gehörig).  Eine 
zweite  vorhistorische  Bezeichnung  des  Meeres  oder  auch  eines  grösseren 
Binnengewässers  liegt  in  lat.  locus,  ir.  loch,  altn.  lögr,  agls.  Ingo  vor. 
Litu-preussisch  ist  die  Gruppe  altpr.  juryay,  lit.  jt'tres,  lett.  jüra  ,das 


Digitized  by  Google 


Meer  —  Meerrettich. 


Meer',  ,ilie  Ostsee*,  eigentlich  das  .Wasser'  :  sert.  rar-  (vgl.  auch  altn. 
cer,  agls.  uw  ..Meer').  Zwei  gemeingermanisehe,  nicht  weiter  deut- 
bare Ausdrücke  sind  got.  nahe*,  ahd.  *fn  und  altu.  7m/*,  agls.  heef, 
mhd.  Ä^fte*.  Auch  von  dem  genicineuropäisclien  Wort  für  Salz 
(s.  d.)  werden  tnelirfach  Benennungen  des  Meeres  gebildet. 

Welchen  Meer  lat.  untre  und  seine  Sippe  ursprünglich  bezeichnete, 
kaun  nur  im  Rahmen  der  Urheiniatsfragc  entschieden  werden.  U.  Ur- 
heimat .sind  die  Gründe  angeführt  worden,  welche  dafür  sprechen, 
dass  das  den  Indogerinancn  bekannte  Meer  das  Schwarze  Meer 
war.  Sowohl  in  diesem  wie  auch  in  der  Ostsee  und  im  Mittellän- 
dischen Meer  ist  das  Phaenomen  der  Ebbe  und  Flut  unbekannt.  Alte 
Benennungen  für  diese  Erscheinungen  wird  man  daher  nur  bei  den 
an  den  Küsten  des  Ozeans  ansässigen  keltischen  und  germanischen 
Stämmen  erwarten  dürfen.  Keltische  Namen  scheinen  nicht  bekannt  zu 
sein.  Im  Angelsächsischen  und  Altniederdeutschen  gilt  ebha,  ebhiunga 
(:got.  ibttks  Rückwärts',  altn.  aber  fjara,  das  unerklärt  ist).  Der 
erste  (1  rieche,  der  genauere  Kenntnis  von  Ebbe  und  Flut  (djjirumt 
eigentlich  .das  Auftrinken'  von  dvü  und  ttivuj,  aeol.  mwvw  ,Ebbc'  und 
TrXn.uuupiq  ,Klnt  )  und  ihre  Ursachen  von  seiner  Reise  ins  Nordmeer 
mit  nach  Hause  brachte,  war  IVtheas  von  Massilia  (vgl.  Müllenhoff 
Deutsche  Altertumskunde  I,  M4  ft\).  —  S.  auch  u.  Schiff,  Schiff- 
fa  hrt. 

Medikamente,  s.  Arzt. 

Meerrettich  [Cochlearia  Armorica  L.).  Es  steht  noch  nicht 
fest,  ob  diese  Pflanze  im  Altertum  bekannt  war:  denn  es  wird  von 
einigen  bezweifelt,  dass  das  von  Colnmella  und  Plinius  (s.  n.)  genannte 
armoracin  sich  auf  den  Meerrettich  bezieht. 

Die  Botaniker  suchen  die  Heimat  der  Pflanze  im  östlichen  Europa. 
Thatsächlich  hat  dieselbe  nur  im  Sla  vischen  einen  über  alle  Mundarten 
verbreiteten,  offenbar  sehr  alten  Namen:  ehrend  (lit.  kriena,  vgl.  auch 
ngriech.  xp«vo^).  Dieses  Wort  ist  dann  in  das  mhd.  krene  und  weiter 
in  das  frz.  cran,  cranxon  (auch  motttarde  des  Allemands)  entlehnt 
worden.  Daneben  aber  besteht  im  Germanischeu  ein  älteres,  zuerst 
von  der  heiligen  Hildegard  überliefertes  meri-rätich,  merrich,  merre- 
dih  etc.,  agls.  merici,  bezüglich  dessen  man  zweifelhaft  ist,  ob  es 
„Meer-rettieha,  d.  h.  vom  Meere  gekommener  Rettich  oder  „Mähre-U, 
d.  h.  „Pferde-rettich"  (vgl.  engl,  horxeradixh)  bedeutet. 

Sollte  lat.  armoracia  identisch  mit  unserem  Meerrettich  sein,  so 
würde  die  Stelle  des  Plinius  Hist.  nat.  XIX,  in  der  es  vorkommt: 
Etiamnum  ununi  sileestre  Graeci  cerain  vocant  (cherain,  cherian, 
vgl.  Detlefsen  s.  v.  —  früher  las  man  agrion  — ),  Pontici  armon,  alii 
leuceu,  nostrl  armoracia  mt  f'ronde  copiosiux  quam  corpore  von 
grosser  Bedeutung  für  die  Geschichte  des  Meerrettichs  seiu.  Lat.  armo- 
racin, mit  dem  das  offenbar  verdorbene  armon  im  wesentlichen  identisch 


Digitized  by  Google 


Meerrettich  —  Messer. 


537 


wäre,  könnte  dann  als  eiu  galatisch-pontischcs  Lehnwort  und  genau 
als  Prototyp  unserer  „Meer-retticli"  (vgl.  gall.  *aremori  in  Aremorici 
„am  Meere**  etc.)  aufgefasst  werden.  Auf  dieselbe  Gegend  aber  würde 
slav.  chreml  zurückführen,  das  sich  in  dem  Plinianischen  c{e)ruin, 
ch{e)rmn  i  —  griech.  Kepdi'v,  mir  von  Theophrast  IX,  15,  5  bezeugt:  £ti  bfc 
öaÖKov  baqpvoeibe?  KpOKÖev,  Kai  r)v  £xetvot  u£v  pdcpavov  dfpiav  KaXouo"i 
tüjv  b'  iaTpdiv  tiv€?  Kepdiv)  unschwer  wiederfände.  In  Wirklichkeit 
bewohnt  der  Meerrettich  noch  jetzt  die  Küsten  des  Schwarzen  Meers  in 
wildem  Zustand.  Vgl.  De  Candolle  Urspr.  d.  Kulturpfl.  S.  42  und 
v.  Fiseher-Benzou  Altd.  Gartenfl.  S.  114. 

Mehl,  s.  Ackerbau  und  Mahlen  (Mühle). 

Meile,  s.  Mass,  Messen. 

Meise,  s.  Singvögel. 

Meissel.  Flintene  und  beinerne  Meissel  sind  eins  der  häutigsten, 
weil  zur  Herstellung  der  ältesten  Holzbauten  notwendigsten  Werkzeuge 
der  jüngeren  Steinzeit,  über  deren  verschiedene  Gestalten  u.  a.  S.  Müller 
Nordische  Altertumskunde  I,  137  ausführlich  gehandelt  hat.  Später 
tritt  auch  hier  die  Bronze  an  die  Stelle  des  Steins  oder  Horns  (vgl. 
S.  Müller  a.  a.  0.  S.  280),  in  welchem  Falle,  ebenso  wie  bei  dem  dem 
Meissel  nahe  verwandten  Gelte  (vgl.  über  dieses  Wort  und  den  von  ihm 
bezeichneten  Begriff  M.  Much  Mittl.  d.  Wiener  anthrop.  Ges.  XXIV,  84  ff.), 
oft  schwer  zu  entscheiden  ist,  ob  man  es  mit  einer  Waffe  oder  einem 
Werkzeug  zu  thun  hat.  Eine  idg.  Gleichung  für  die  mit  dem  Meissel 
auszuübende  Holzarbeit  ist  griech.  ■fXü<puj  (rXucpeiov,  -fXuqn«;  , Meissel') 
—  ahd.  klinbaii,  lat.  glttbo  (vgl.  auch  ir.  tjihab  ,eiseau  u.  a.  nach 
Ungge  Romania  IV,  ;i5S).  Für  das  Instrument  selbst  ist  eine  vor- 
geschichtliche Benennung  noch  nicht  ermittelt  worden:  griech.  o*Kt- 
irapvov  ,ein  nieissclartigcs  Werkzeug'  ahd.  scaban,  altsl.  skttpati  .graben' 
etc.),  lat.  scatprum  :  sealpo,  kambr.  crafell  .radula,  scalpruiu'  (Zetiss 
Gr.  C*  p.  1072).  gemeingerm.  ahd.  meteil,  altn.  nieitell  :  got. 
maitan  , hauen',  wie  lit.  kdltas  »Meissel*  :  kdlti  »schlagen*,  gemcinslav. 
*dolbto-,  altsl.  dlato.  woraus  all),  dalte  (:  agls.  delfan,  ahd.  felpon 
,graben  ).  —  S.  u.  Werkzeuge. 

Mehle,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Melken,  s.  Milch. 

Melone,  s.  Cucurbitaceen. 

Menig,  s.  Farbstoffe. 

Mensch,  s  Mann. 

Menschenopfer,  s.  Opfer. 

Mergel,  s.  Düngen. 

Messe,  s.  Markt. 

Messer.  Schon  in  der  Steinzeit  Europas  kommen  Messer  ver- 
schiedener Art  vielfach  vor.  Sie  bestehen  entweder  aus  Feuerstein 
(vielfach  noch  mit  ihrer  Holz-  oder  Hirschhornfassung  erhalten),  oder 


Digitized  by  Google 


Messer. 


auch,  wie  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  oder  in  denen  des  Mondseesr 
aus  Holz  (Eibe).  Sie  können  nur  friedfertigen  Zwecken  gedient  haben; 
denn  man  kann  mit  ihnen  wohl  schneiden,  schaben,  glätten,  nicht  aber 
hauen  und  stechen.  Zum  Kampfe  diente  vielmehr  das  steinerne  Dolch- 
messe r,  ebenfalls  häutig  nachgewiesen,  wenn  auch  nicht  immer  scharf 
vou  der  steinernen  Lanzenspitze  zu  unterscheiden.  Sowohl  für  das 
Messer  in  seiner  friedlichen  wie  in  seiner  kriegerischen  Bedeutung  be- 
stehen idg.  Gleichungen:  auf  der  einen  Seite  sert.  kxhurd-  =  griech. 
Hupöv,  auf  der  andern  sert.  asi-  =  lat.  ensis.  Lber  letztere  Reihe  ist 
u.  Schwert  gehandelt  worden;  was  die  erstere  betrifft,  so  ist  hier  die 
irrtümliche  Annahme  zurückzuweisen,  als  ob  kshurd-Zvpöv  von  Haus  aus 
das  Rasiermesser  bezeichnet  habe  (vgl.  die  Polemik  über  diese  frage 
zwischen  Benfey  und  W.  Heibig  Sprachvergl.  und  Urgeschichte*  S.  53 ff.). 
Sert.  kshurä-  gehört  zu  griech.  £e(F)w  ,glatt  machen'  und  hat  also  ur- 
sprünglich nichts  audercs  als  geglättetes'  oder  glättendes', , Messer'  über- 
haupt bezeichnet.  Thatsächlich  ist  dies  au  den  drei  Stellen  des  Rigveda, 
an  denen  das  Wort  vorkommt,  die  ausschliessliche  Bedeutung  (vgl. 
Zimmer  Altind.  Leben  S.  266),  und  auch  das  homerische:  em  Eupoü 
dKun?  löTcrrai  kann  man  sehr  wohl  einfach  übersetzen:  „es  steht  auf 
der  Schneide  des  Messers"  (nicht  Schermessers).  Dabei  braucht  nicht 
geleugnet  zu  werden,  dass  jene  prähistorischen  Flintmesscr  (kshurti-, 
Eupövj  auch  zum  Abnehmen  des  Bartes  verwendet  werden  konnten. 
Eigentliche  (metallene)  Rasiermesser  treten  erst  in  späteren  Zusammen- 
hängen in  Europa  auf  (s.  u.  Haartracht).  Eine  zweite,  aber  auf 
Europa  beschränkte  vorgeschichtliche  Benennung  des  Messers  liegt  in 
lat.  no{q)cä  cula  , Messerchen',  Rasiermesser'  :  altsl.  nozt  aus  *nogji 
,Mcsser'  vor,  die  beide  zu  altpr.  nagis,  lit.  tit-nagas  »Feuerstein'  ge- 
hören, ein  in  dem  angegebenen  Zusammenhang  nur  natürlicher  Be- 
deutungswandel (anders  Kretschmcr  Einleitung  S.  136  und  Brugniann 
Grundriss  II»,  675,  die  lat.  nocdcula  von  einem  Verbum  *c*nocare  : 
sert.  fahndüti  ,schärft,  schleift'  ableiten). 

Mit  dem  Auftreten  des  Metalles,  zunächst  der  Bronze,  begegnet  man 
einer  grossen  Mannigfaltigkeit  von  Messertypen  in  Europa,  Aber  die 
u.  a.  Nane  Die  Bronzezeit  in  Ober- Bayern  S.  100  ff.  gut  orientiert. 
Auch  die  Mannigfaltigkeit  der  auf  die  Eiuzelsprachcn  beschränkten  und 
noch  mehrfach  unklaren  Bezeichnungen  des  Messers  ist  eine  grosse: 
griech.  kottcu?  (:  kötttuj  »schlage'),  bopiq  (:  b€ipw  »schinde'),  o*MiXrj  (:  ni\o£ 
»Taxus',  s.  oben  über  eibene  Messer  der  Pfahlbauten),  lat.  culter  (cult-er 
:  sert.  krt-i-,  aw.  karet-a-  »Messer'  oder  cul-ter  :  *ceUere,  percellere, 
vgl.  oben  Korc-iq?;  Entlehnung  in  kymr.  ciclltr,  agls.  culter.  mndl. 
couter  etc.),  gcnieinkeltisch  ir.  scian  u.  s.  w.  (*skeeno-)  und  ir.  altain 
»Rasiermesser'  (*altani-).  gemeingerm.  altn.  knifr,  agls.  enif,  nhd.  kneif 
(dunkel),  daneben  ahd.  mezzirahs,  mezzi-mh*  »Speisemesser'  :  got. 
mats  ,Speise'  und  ahd.  mhs  (s.  u.  Schwert  und  vgl.  Posidonius  von  den 


Digitized  by  Google 


Messer  —  Messing. 


539 


Kelten  bei  Athen.  IV,  p.  152:  Trpoo*<pe'povTai  bi  xaÖTci  (icpea)  xaGaptuu?  ufcv, 
XeovTiuöui?  bl  Tai?  x*P°"lv  du<poTe'pais  afpovreq  öXa  ue'Xri  kgu  aTTObaK- 
vovre?-  iäv  bk  rj  n  buo"aTTÖo"Traö"Tov,  uaxaipiiy  niKptli  TTapaTeu- 
vovtc?,  ö  Toxq  ko\€Oi<;  ibia  6n.Kr)  TrapctKtiTai),  lk.  /m>J//x, 
auch  altpr.  in  VaUpeili*  »Hackmesser'  (dunkel). 

.Schliesslich  sei  bemerkt,  dass  unter  dem  oben  behandelten  seit. 
Jcsfiurd-  -  gricch.  £upöv  auch  die  feuersteinenen  Schabemesser  (vgl. 
lat.  scaba,  got.  sicaban,  altsl.  xkohlt  ^Schabeisen'  etc.)  mit  verstanden 
worden  sein  können,  die  zahlreich  in  der  neolithischen  Epoche  nach- 
weisbar sind,  und  deren  man  sich  bediente,  um  die  Häute  (s.  u.  Leder) 
zu  reinigen  und  zu  bearbeiten.  —  S.  u.  Werkzeuge. 

Messing.  Die  erste  Erwähnung  dieses  Metalles  findet  sich  bei 
Psendo- Aristoteles  De  mirabilibus  auscultationibus:  <paoi  töv  Mocrcru- 
voikov  xa^^öv  XaurrpÖTarov  ica\  XcuKÖTCtTov .  eivcu  oü  TrapauiYvuufcvoo 
aüruj  Kaamrepou  äXXä  -f»l?  tivo?  ((ialmei,  Zinkerz)  Y'vopcvn?  auve^o- 
lu^vri?  ctÜTLÜ.  Das  Messing  wurde  ursprünglich  direkt  in  Bergwerken, 
wo  sich  Kupfer  mit  Zink  vermischt  vorfand,  gewonnen  und  erst  später 
durch  künstliche  Mischung  hergestellt.  Der  gricch.  Name  des  Messing» 
ist  später  öpeixaXKoq  (, Bergerz'),  der  früher  ein  fabelhaftes  und  nicht 
näher  zu  bestimmendes  Metall  bezeichnet  hatte  (vgl.  Vf.  Spraehvergl. 
und  Urgeschichte8  S.  28ö).  Auch  die  Ausdrücke  Kpäpo,  KCKpauevoq 
XoXkö?  und  xa^xoXißavo?  kommen  vor.  Aus  dp€ixaXKO<;  wurde  lat. 
auri-chalcum  mit  Anlehnung  an  anrum  entlehnt,  urspr.  ebenfalls  ein 
fabelhaftes  Metall,  dann  Messing.  Aus  lat.  aurichalcum  :  ahd.  firchalc. 
Indessen  ist  der  gewöhnliche  Name  des  Messing«  im  Germanischen 
mhd.  mexxinc,  agls.  mastling,  altn.  mexsing  und  merxing  neben  den 
nicht  abgeleiteten  mhd.  mexxe,  Schweiz,  mösch.  Man  leitet  dies  Wort 
gewöhnlich  von  lat.  maxxa,  ahd.  maxsa  ,Metallkluinpen'  ab.  Indessen 
werden  vou  Kluge  (Et.  W.6  s.  v.  Messing)  gewichtige  Gründe  hier- 
gegen geltend  gemacht.  Wahrscheinlicher  ist,  dass  die  germanischen 
Wörter  östlicher  Herkunft  sind  und  aus  poln.  moxiqdz,  os. 
mosaz  stammen,  die  Miklosich  auf  eine  Grundform  *moxengjü  zurück- 
führt. Woher  die  slavischen  Formen  stammen,  ist  freilich  ungewiss. 
Man  kann  an  die  orientalischen  Namen  des  Kupfers  kirgis.  moex, 
buchar.  tnixs,  kurd.  myx,  npers.  myx,  mix,  mazend.  merx,  mix  denken, 
die  mit  einem  Suffix,  wie  es  etwa  in  npers.  bir-inj  etc.  , Kupfer', 
,Messing'  vorliegt,  wohl  das  Vorbild  von  slav.  *mo8engjü  gewesen  sein 
könnten.  Schon  im  Altertum  hatte  die  Bronze-  und  Messingfabrikation 
im  persischen  Reiche  eine  hohe  Entwicklung  erlangt  (vgl.  Tomaschek 
Mitteilungen  der  Wiener  anthrop.  Ges.  XVIII,  8).  Im  Osten  wurzelt 
auch  das  sfldost-europäische  ngricch.  toüvtZi,  rnm.  tuciü,  alb.  tutx, 
serb.,  bnlg.  tue,  eine  Sippe,  die  schon  aus  dem  XI.  Jahrb.  überliefert 
ist  (vgl.  Beckmann  a.  u.  a.  0.  S.  388).  Vgl.  tttrk.  tudz  ,Bronze'. 
Merkwürdig  ist  das  altpr.  caxsoye  , Messing',  insofern  es  an  sert.  kamxä- 


Digitized  by  Google 


640 


Mt'Shinsr  —  Metalle. 


,Becher',  ,Messing",  käriisya-  .Messing'  anklingt.  Hängen  diese  Wörter 
zusammen,  so  wäre  natürlich  von  der  Bedeutung  , Becher'  (dann  ,das 
Metall  eines  Bechers  )  auszugchen. 

Ganz  modernen  Ursprungs  ist  die  Reihe  von  it.  tombaeco,  all),  tum- 
bdk  etc.,  die  man  auf  malaviseh  tambdga  , Kupfer'  zurückführt. 

Was  das  zur  Erzeugung  des  Messings  notwendige  Zink  betrifft,  so 
kannten  die  Alten  nur  Zinkoxyd,  ein  bei  der  Verschmelzung  von  Erzen 
sich  ergebendes  Produkt,  und  fossiles,  natürliches  Galmei,  nicht  das 
metallische  Zink,  «las  nur  durch  eine  komplizierte  Destillationsvor- 
richtung  gewonnen  werden  kann.  Der  klassische  Name  für  Zinkoxyd 
und  Galmei  ist  gricch.  Kuouict,  lat.  codmea,  cadmia  (dunkler  Herkunft), 
woraus  sp.,  ptg.  adamin«,  frz.  cahnnine.  Das  erst  nhd.  zink  (lit. 
einlas  etc.)  wird  mit  nhd.  zinvo  .Zinke'  zusammenhängen,  in  welcher 
Form  sich  das  Zink  beim  Schmelzen  der  Erze  absetzt.  Schade  Altd. 
Wörterbuch  Art.  zinke  denkt  au  ahd.  zinco  ,weisscr  Fleck  im  Auge', 
wie  auch  H.  Much  Z.  f.  d.  Altert.  XLII,  163  ff.  —  Vgl.  Beckmann 
Beyträge  III,  i>78  Zink)  und  Blümner  Terminologie  und  Technologie 
IV.  Olff.  und  IV,  HL' ff.  S.  u.  Metalle. 
Met,  s.  Biene,  Bienenzucht. 

Metalle.  Eine  Gesamtbezeichnung  für  die  bei  den  einzelnen 
Völkern  bekannten  Kolunetallc  hat  sich  in  Europa  erst  spät  festgesetzt, 
und  zwar  zunächst  in  dem  gricch.  ntTaXXov,  erst  , Bergwerk',  dann 
, Metall',  ein  Wort,  das  sich  allmählich  über  unseren  ganzen  Erdteil 
und  ausserhalb  desselben  'armen,  metal-k  , Grube  )  verbreitet  hat. 
Früher  tritt  der  innere  Zusammenhang  der  Metallnamen  in  den  idg. 
Sprachen  in  der  Weise  hervor,  dass  dieselben,  und  zwar  je  früher, 
umso  mehr,  durch  das  gleiche  grammatische  Geschlecht  verbunden  werden, 
wobei  im  Sanskrit,  im  Awesta,  im  Lateinischen  und  Germanischen 
übereinstimmend  vom  Neutrum  Gebrauch  gemacht  wird.  Es  kann 
nicht  Zufall  sein,  dass  dies  zugleich  diejenigen  Sprachen  sind,  welche 
allein  den  eiuzigen  sicher  indogermanischen  Metallnamen  seit,  dt/an-, 
aw.  ayah-,  lat.  aes,  got.  tiiz,  urspr.  .Kupfer'  (s.d.)  bewahrt  habeu. 
Der  sprachhistorische  Vorgang  muss  daher  der  gewesen  sein,  dass 
neue  bei  den  genannten  Völkern  bekannt  werdende  Metalle  sich  in 
dein  Genus  ihrer  Benennungen  nach  dem  uralten  Kupfernamen  richteten 
oder  direkt  sich  an  ihn  anlehnten,  indem  mau  von  einem  ,gelben'  (sei  t. 
hicanyo-,  got.  gulp  ,Gold  ),  .weissen'  (lat.  argentum  »Silber  )  oder 
,blauen'  (seit,  qydmd-  , Eisen  )  sc.  Kupfererz  sprach.  Von  denjenigen 
Sprachen,  welche  das  idg.  dyas-,  oett  nicht  mehr  besitzen,  hat  das 
Griechische  und  Litauische  das  Maskulinum  (doch  gelefts  ,Eisen'  F.) 
durchgeführt.  Im  Slavischcn  finden  sich  bei  vorherrschendem  Neutrum 
starke  Schwankungen  {medi , Kupfer',  oceli  ,Stahl'  F.,  kotdterit  ,Zinu'  M.). 

Nach  der  Wertschätzung  der  einzelnen  Metalle  in  ihrem  Verhältnis 
zu  einander  hat  sich  bei  den  östlichen  Kulturvölkern,  in  den  altägyp- 


Digitized  by  Google 


Metalle  -  Milch. 


541 


tischen  Inschriften,  in  der  Bibel,  in  den  assyrischen  Keilinschriften 
nachweisbar,  eine  im  Ganzen  feste  Reihenfolge  der  Metalle  herausge- 
bildet, die  durch  die  vier  Hauptpunkte  Gold — Silber — Kupfer— Eisen 
charakterisiert  wird,  und  auch  in  den  Veden  und  auf  altgrieehisehem 
Boden  in  der  Aufzählung  und  Benennung  der  Hesiodeischen  Weltalter 
wiederkehrt.  Schwankungen  treten  hierbei  nur  hinsichtlich  des  Ver- 
hältnisses des  Silbers  zum  Golde  hervor,  insofern  in  den  ägyptischen 
wie  assyrischen  Denkmälern  jenes  häutig  vor  diesem  genannt  wird,  so 
dass  sich  für  gewisse  Knlturcpochen  eine  Bevorzugung  des  später  in 
die  Geschichte  eintretenden  Silbers  vor  dem  Golde  ergieht.  Vielleicht 
ist  man  überhaupt  von  der  sorgfältigeren  Behandlung  des  Goldes,  dem 
in  verschiedenen  Mischungen  das  weisse  Metall  innewohnt,  zu  der 
Kenntnis  des  Silbers  selbst  fortgeschritten.  Vielfach  bestehen  besondere 
Namen  für  dieses  Goldsilber  oder  Elektron:  ägypt.  äsem,  hehr. 
haimal,  griech.  ö  nX€KTpo<;  (in  dieser  Bedeutung  z.  B  Od.  IV,  To  : 
n.\e'KTmp  ,Sonnc\  s.  auch  u.  Bernstein),  vielleicht  auch  ir.  findruine 
(vgl.  Windisch  I.  T.  s.  v.)  :  find  ,weiss'  gegenüber  dem  dergör  oder 
, roten  Gold". 

Das  einzige  den  Indogermanen  vor  ihrer  Trennung  bekannte  Metall 
war,  wie  sich  auch  aus  dem  obigen  ergieht,  das  Kupfer.  Mit  diesem 
ausgerüstet,  haben  sie  sich  im  ncolithischen  Europa  ausgebreitet.  Erst 
in  ihren  historischen  Stammsitzen  sind  sie  mit  den  übrigen  Metallen, 
sehr  früh  mit  Gold  und  Bronze  (s.  u.  Erz»,  später  mit  Eisen  und 
»Silber  bekannt  geworden.  Über  die  Geschichte  aller  dieser  Metalle 
ist,  ebenso  wie  über  Zinn  und  Blei,  in  besonderen  Artikeln  gehandelt 
worden.    S.  auch  u.  Messing,  Quecksilber,  Stahl  und  Bergbau. 

MUrh.  Die  Thätigkeit  des  Melkens  wird  in  den  europäischen 
Sprachen  durch  die  Reihe  :  griech,  djicXtu),  lat.  innigen,  ir.  blichim, 
ahd.  milchu,  allsl.  rnlüzq,  lit.  miUu  (:  sert.  mrj  »streichen'?)  bezeichnet, 
während  die  Inder  hierfür  die  Wurzel  duh  gebrauchen.  Für  die  Milch 
sei b8t  giebt  es  zahlreiche,  auch  nach  Asien  herttberragende  urver- 
wandte Benennungen,  die  sich  merkwürdiger  Weise  innner  auf  zwei 
Sprachen  beschränken:  sert.  dadhdn-  -  altpr.  dadan,  griech.  f&\a 
(fXdtTO?)  =  lat.  lac,  got.  miluks  —  ir.  melg.  Vgl.  auch  sert.  ghrtd- 
,Butter'  =  ir.  gert  , Milch'  (arisch  sert.  pdyas-  =  aw.  payah-  und 
sert.  K'shird-  =  npers.  **r,  osset.  ayjdr,  Pamird.  yxir).  Auch  an  Ent- 
lehnungen  fehlt  es  nicht,  wie  denn  die  slavische  Sippe  altsl.  mWko 
etc.  ans  dem  Germanischeu,  die  keltische  ir.  lacht,  korn.  lait,  kynir. 
Uaeth  aus  dem  Lateinischen  stammt. 

Zur  Verfügung  stand  den  Indogermanen  die  Milch  ihrer  Kühe, 
Schafe  und  Ziegen.  Das  Trinken  von  Stutenmilch,  namentlich 
der  gegohrenen  und  darum  berauschenden,  wird,  wie  schon  Homer 
(II.  XIII,  5)  ein  Volk  der  'iTnrrmoXfoi  oder  Stutenmelker  kennt,  be- 
zeugt bei  den  Iraniern  (vgl.  W.  Geiger  Ostiran.    Kultur  S.  228), 


Digitized  by  Google 


542 


Milch  —  Mispel. 


den  Skythen  (die  nach  Hurodot  IV,  2  bereits  den  Kunstgriff  kannteu, 
durch  Blasebälge,  die  in  die  Geschlechtsteile  der  Stuten  gesteckt  wurden, 
mehr  Milch  hervor/.ulocken i  und  den  alten  Preussen  altpr.  asicinan 
,Pferdeinil<h)  :  pro  pottt  habent  ....  mellicratum  neu  medouem  et 
lac  equarnm  (Script,  rer.  pruss.  I,  54).  Man  kann  zweifelhaft  sein, 
ob  man  Iiier  einen  Rest  der  idg.  Urzeit  oder  eiue  spätere  Entlehnung 
der  alten  Preussen  von  skythischen  Xomaden  vor  sich  hat.  Nach  dem 
Uber  das  Pferd  (s.  d.)  bei  den  Indogermaneu  gesagten  dürfte  ersteres 
das  wahrscheinlichere  sein,  und  so  hätteu  sich  im  Osten  Europas  die 
beiden  ältesten  Ranschtränkc  der  Indogermaneu,  Met  (s.  u.  Honig) 
und  Stutenmilch,  am  zähsten  erhalten.  Je  mehr  dann  das  Pferd 
zum  Dienste  des  Menschen  herangezogen  wurde,  umsoinebr  uiusste 
man  naturgemäss  auf  den  Gebrauch  seiner  Milch  verzichten. 

Im  allgemeinen  wächst  die  Bedeutung  der  Milchnahrung  bei  den 
Indogermaneu  Europas,  je  mehr  man  sich  primitiven  Zuständen  nähert. 
In  Italien  lieferten  die  latinischen  Bundesstädte  zu  den  feriae  latinae 
Vieh,  Käse,  Milch  und  Mehl,  und  in  den  ältesten  von  Romulus  einge- 
richteten Kulten  waren  nur  Milchlibationen  gestattet  i.vgl.  Helbig  Die 
Italiker  in  der  Poebne  S.  71).  Die  alten  ßritannicr  nährten  sich  lade 
et  atme,  ebenso  die  Germanen  :  niaior  pars  tictux  eorum  in  lade, 
rasen,  carne,  emmstit  (vgl.  Caesar  De  bell.  gall.  V,  14,  VI,  22).  Be- 
sonders häutig  waren  Milchspeisen  verschiedener  Art  bei  den  Deutschen, 
und  schon  im  II.  Jahrh.  nach  Christo  war  der  Xame  einer  solchen 
(ueXKü)  nach  dem  Süden  gedrungen  (Gallen  X,  p.  408).  Urverwandte 
Gleichungen,  welche  Licht  über  die  Kunst  der  Milchverweitung  in  der 
Urzeit  verbreiten,  sind  :  sert.  ä'jya-  ,Opfcrbutter"  =  lat.  miguentum 
,Salbe'.  altpr.  anetan,  ahd.  ancho,  ir.  hnb  , Butter';  sert.  sarpis-  ^aus- 
gelassene Butter'  =  kypr.  ftcpo«;  , Butter',  £Xtto<;-  £Xmov,  crr&xp  lies, 
(vgl.  auch  ÖXttii  .ÖlHasche'),  agls.  sealf  ,Salbc',  alb.  yalp  ,Butter'; 
sert.  sa"ra-  ,gerounenc  Milch'  =  lat.  sernm,  griech.  öpöq  ,Molken';  aw. 
tüirinqm  =  griech.  Tupo?  ,Käse';  sert.  takrä-  (:  tafle  »zusammenziehen*) 
Buttermilch  zur  Hälfte  mit  Wasser  gemischt'  =  neaisl.  ptl  ,fresh- 
eurded  milk',  , Buttermilch'  (wohl  verschieden  von  neunorw.  fei,  feie, 
file  ,sttsser  Rahm',  ,dicht  gemachte  Milch').  Unsicherer  ist  die  Glei- 
chung sert.  ü-mikshä  ,MiIchklumpcn,  Quark',  osset.  misin  Buttermilch' 
=  altn.  tnym  .whey,  milk  when  the  cheese  has  been  takeu  from  if, 
inysu  oxtr  ,cheese  made  of  whey  or  goat's  milk'  etc.  (vgl.  Liden 
Studien  zur  altind.  u.  vergl.  Sprachgeschichte  S.  39 ft).  —  S.  u.  Butter, 
Käse,  Lab. 

Minze,  h.  Garten,  Gartenbau. 

Mispel.  Menpilus  germanica  L.  wächst  in  den  Wäldern  Mittel- 
europas wild.  Die  Anpflanzung  des  Bäumeheus  aber  ist  vom  Süden 
ausgegangen.  Das  etymologisch  noch  nicht  erklärte  ntomXov  wird 
von  Pollux  VI,  79  schon  aus  Archilocbus  angeführt.    Vgl.  weiter 


Digitized  by  Google 


MihjH-l  —  Mistel. 


543 


Theophrast  De  caus.  plant.  II,  8,  '2.  Bemerkenswert  ist,  das*  in  einem 
Fragment  des  Komikers  Amphis  auch  die  Früchte  der  Kpctv€ia  oder  des 
Komelkirsehen-ßaums  (s.  d.)  LUcmiXa  genannt  werden  (vgl.  Hehn 
Kulturpflanzen*''  S.  :-J94 >.  Von  Griechenland  wanderte  das  Wort  ins 
Lateinische  niespilus,  mespilum  Plin.),  und  von  da  ins  Deutsche  (mes- 
pila.  neben  dem  aber  auch,  wie  im  Romanischen  —  it.  nespola  — , 
die  Formen  nespila,  nespelbaum,  ja  dialektisch  espelbaum,  espele  etc. 
vorkommen:  vgl.  Pritzel- Jessen  Deutsche  Volksnamen  der  Pflanzen 
.S.  ll(V).  Im  Westgermanisehen  besteht  daneben  ein  einheimischer, 
derb-humoristischer  Name  des  Baumes,  hergenommen  von  der  eigen- 
tümlichen, oben  offenen  Frucht  :  altcngl.  openwrs,  mittclndd.  apenär- 
seken,  apenihrschen  (anus  apertus'.  Den  Anbau  von  mespilarii  em- 
pfiehlt das  Capitulare  de  villis  LXX,  78.  Im  Südosten  Europas  gelten 
ngrieeh.  uoüo"uouXa,  all),  mit* muh  aus  türk.  musnnda,  das  selbst  aus 
grieeh.  ue'amKov  gebildet  ist.  Die  slavischen  Formen  vgl.  bei  Miklosich 
Et.  W.  s.  mi.ipulja  und  bei  Koppen  Holzgewächse  I,  381. 

Mistel.  l'iscum  album  L.  ist  ein  Schmarotzergewächs  auf  ver- 
schiedenen Bäumen,  auf  Fichten,  Tannen,  auch  auf  Eichen.  Griechen 
und  Körner  haben  eine  gemeinschaftliche  Benennung  :  t£6<;,  i£ia  (auch  für 
Loranthus  europaeux  L.)  =  viscum,  ohne  dass  sich  bei  den  südlichen 
Völkern  der  Glaube  an  überirdische  Eigenschaften  der  Pflanze  belegen 
lä8St;  nur  wird  sie  für  nahrhaft  für  das  Vieh  gehalten.  Vgl.  Theophrast 
De  eausis  plant.  II,  17,  der  auch  weiss,  dass  sich  die  Samen  der 
Mistel  durch  den  Mist  der  Vögel  fortpflanzen.  Im  Arkadischen  hiess 
die  Pflanze  üq>^ap.  Die  abergläubische  Verehrung  der  Mistel  ist  aus 
der  keltischen  Druidenreligion  hervorgegangen.  Vgl.  Plin.  Hist.  nat. 
XVI,  249:  AVA/7  habent  Dntidae—  ita  suos  appellant  magos—visco 
et  arbore,  in  qua  gignatur,  si  modo  *it  robitr,  sacratius  .... 
enimeero  quidquid  adgnascatur  Ulis  (roboribus),  e  caelo  mixstnn 
putant  signumque  esse  electae  ab  ipso  deo  arboris  ....  omnia 
sanant  ein  appellant  es  suo  vocabulo,  sacrificio  epulisque  rite 
sub  arbore  conparatis  duos  admocenf  candidi  coloris  tauros,  quorum 
com  na  tum  primum  vinciantur.  sacerdos  Candida  teste  cultus  arborem 
scandit,  falce  aurea  demetit,  candido  id  excipitur  sago  etc.  Nach 
Plinius  würde  demnach  der  altgallische  Name  der  Mistel  soviel  wie 
Panacce  bedeutet  haben,  dem  ir.  uileiceach  (ir.  ule  ,ganz',  ic , Heilung') 
zu  entsprechen  scheint.  Indessen  dürfte  es  zweifelhaft  sein,  ob  bier 
ein  alter  Name  und  nicht  eine  Übersetzung  aus  dem  Lateinischen  vor- 
liegt. Ganz  dunkel  ist  das  gcineingermanischc  ahd.  inistil,  agls.  mistel, 
altn.  mistelteinn.  Über  den  Mistclglaubeu  bei  den  Germanen  vgl.  J. 
Grimm  Deutsche  Mythologie  IIS,  1150,  III*,  353,  bei  den  Slaven,  wo 
er  aber  nur  in  Spuren  vorkommt,  Krek  Einleit.  in  die  slav.  Litg.* 
S.  (5(53.  Die  Litu-Slaveu  haben  einen  gemeinsamen  Namen  für  die 
Pflanze  :  altpr.  emelno,  lit.  dmalas,  altsl.  imela,  der  sich  ebenfalls  nicht 


Digitized  by  Google 


541 


Mistel  -  Mitgill. 


weiter  verfolgen  lässt.  V.  Hehn  Kultnrpfl.'1  S.  f>!*!4  dachte  an  Ver- 
knüpfung dieser  Sippe  mit  einer  anderen  von  den  Kelten  zu  Heil- 
zwecken verwendeten  Pflanze  samolus.  In  dem  Pfahlbau  von  Moos- 
secdorf  (vgl.  Heer  Pfl.  d.  Pfahlb.  S.  40}  sind  Zweigstücke  und  Blaürcste 
von  Visen m  album  gefunden  worden. 

Mitgity.  V.  Braut  kauf  ist  gezeigt  worden,  dass  die  idg.  Ehe 
durch  den  Kauf  des  Weihes  geschlossen  wurde.  Der  Begriff  der 
Aussteuer  oder  Mitgift  muss  damals  also  noch  uuhekannt  gewesen 
sein.  Allmählich  tritt  min  hei  den  einzelnen  Völkern  eine  wachsende 
Mißbilligung  des  Frauenkaufes  hervor,  mit  dem  man  jedoch  lange 
nicht  als  mit  einer  uralten  Einrichtung  gänzlich  zu  brechen  wagt.  Der 
Kaufpreis  des  Mädchens  sinkt  daher  in  milderen  Zeiten  entweder  zu 
einem  Hochzeitsritus  mit  blossem  Scheinpreise  herab,  wie  dies  bei  der 
indichen  Ärsha-che,  der  lat.  coemptio  oder  den  fränkischen  Sponsalien 
per  solid  um  et  denarium  der  Fall  ist.  Oder  aber,  der  Vater  des 
Mädchens  empfängt  zwar  den  Kaufpreis,  liefert  ihn  aber,  teilweis  unter 
Hinzufllgung  von  eigenem,  der  Tochter  als  Brautschatz  aus.  Besonders 
deutlich  liegt  diese  Entwicklung  im  indischen  Altertum  vor  uns,  wo 
schon  der  Veda  zu  der  Bestimmung,  dass  der  Kaufpreis  des  Mädchens 
100  Kühe  und  einen  Wagen  betragen  sollte,  den  Zusatz  enthielt:  that 
(piff)  he  should  male  boofless  (by  returuing  it  to  the  gieer).  So  nach 
Apastaniba  Aphorisms  on  the  sacred  law  of  the  Hindus  ( Bühler .  II,  6, 
13,  12,  der  hinzufügt:  vIn  reference  to  thoxe  (marriage  rites)  the  icord 
rsaleu  (tchieh  oecurs  in  some  Smrtis  is  only  used  as)  a  metaphorical 
ed-pression;  for  the  union  {of  the  hushand  and  tcif'e)  ix  effected  through 
the  laicu.    Vgl.  auch  Leist  Altarisches  Jus  gentium  S.  132. 

Unter  diesen  Umständen  begreift  es  sich  von  selbst,  warum  in  den 
Einzelsprachen  alte  Wörter,  welche  ursprünglich  den  Kaufpreis  für 
ein  Mädchen  bezeichneten,  allmählich  den  Sinn  von  Mitgift  ange- 
nommen haben.  So  das  indische  eulkd-  (vgl.  dazu  The  Institutes  of 
Vishnu,  translat.  by  Jolly  S.  6<)  Anm.  zu  XVH,  18),  so  das  griech. 
£bvov,  das  an  zwei  Stellen  der  Odyssee  (1,  277,  II,  196)  diese  Bedeu- 
tung hat,  so  lit.  kra/tis,  so  agls.  iceotuma,  ahd.  icidnmo  etc.,  so  slav. 
veno.  Näheres  über  alle  diese  Wörter  s.  u.  Braut  kau  f.  Auch  für 
ir.  tindscra  wird  die  Bedeutungsentwicklung  1)  der  Kaufpreis  für  die 
Waut  2)  die  dem  Manne  zugebrachte  Mitgift  angegeben.  Dazu  kommen 
Ausdrücke,  die  ursprünglich  Gabe  im  allgemeinen  bezeichnen,  wie 
griech.  Ttpoig  (bei  Homer  nur  ,Gabc';  anck  ins  altsl.  prikija  entlehnt), 
lat.  dos  :  dare  wie  nhd.  gift  :  geben.  Im  Litauischen  nennt  Brückner 
Die  slav.  Frcmdw.  im  Lit.  S.  116  Anm.  noch  szdricas  ,Ansstattung', 
das  sonst  ,Rüstnug'  bedeutet.  Im  Altslovcnischcn  begegnet  noch  milo, 
das  vielleicht  dem  griech.  ueiXict  ,erfreuliche  Geschenke'  entspricht,  im 
Alhanesiscben  pdje  aus  lat.  pallium,  jenes  den  Schmuck,  dieses  die 
Kleider  bezeichnend,  die  dem  Mädchen  in  die  Ehe  allmählich  mitge- 


Digitized  by  Google 


Mitgilt  -  Mohn. 


545 


geben  werden  und  das  älteste  Privateigentum  der  Frau  (s.  u.  Erb- 
schaft II)  bilden.  Ein  ganz  allgemeiner  Ausdruck  für  Mitgift 
ist  klruss.  poaah,  russ.  posagü  etc.  :  altsl.  xagati  ,heiraten'  (woraus 
auch  lit.  pasoga).  —  Ausstattung  der  Trau  mit  einer  Mitgift  und 
Besserung  ihrer  Stellung  bedingen  sich  im  allgemeinen  gegenseitig. 
Doch  wird  hinsichtlich  der  alten  Gallier,  die  den  Hegriff  der  Mit- 
gift, zu  welcher  der  Mann  sogar  noch  von  dem  seinigen  den  gleichen 
Teil  hinzufügte,  bereits  kannten,  ausdrücklich  von  Caesar  VI,  19  her- 
vorgehoben: Yiri  in  n.rores,  sicut  in  liberoa,  vitae  necisque  hahent 
potestatem  (vgl.  P.  Collinct  Revue  celtique  XVII,  321  ff.  Le  regime 
des  biens  dans  le  manage  gaulois).  Ähnlich  wird  es  lange  Zeit  bei 
den  Germanen  gewesen  sein,  obgleich  auch  hier  zu  der  oder  neben 
die  Mitgift  von  Seiten  des  Mannes  frühzeitig  allerhand  Leistungen  hin- 
zutraten, die  als  Zugabe,  Wiederlagc,  Wittum  (  =  ahd.  icidumo,  ur- 
sprünglich also  , Kaufpreis',  , Mitgift',  dain>  ,angmeutnm'  oder  compen- 
satio dotis),  Morgengabe  etc.  aus  den  germanischen  Kechten  be- 
kannt sind  (vgl.  Weinhold  Deutsche  Frauen  I  *,  336  ff.,  402  ff  u  Vor- 
geschriebene Hochzcitsgeschenke  an  die  Braut  kehren  übrigens  auch 
sonst  häufig  wieder  (vgl.  z.  B.  Haas  in  Webers  Indischen  Studien  V, 
298  ff.). 

Mitsterben  der  Witwe,  s.  W  i  t  w  c. 
Mittag,  s.  Tag. 
Mittwoch,  s.  Woche. 
Mobiliar,  s.  Hausrat. 

Mohn  {Papacer  somniferum  L.).  Der  Gartenmohn  stammt  nach 
Ansicht  der  Botaniker  (vgl.  De  Candolle  Urspruug  der  Kulturpflanzen 
S.  öl>3  ff.)  aus  dem  Mittelmeergebiet  von  einer  dort  einheimischen  Molin- 
art  (Papacer  setigerum)  ab.  Der  Name  des  Mohns  lässt  sich  weit  in 
die  Urgeschichte  Europas  zurück  verfolgen.  Griech.  uukujv,  dor.  uükiuv 
entsprechen  dem  altsehwed.  ralmöghe  ,Mohn'  (neben  mhd.  mähen, 
ahd.  nulgo,  woraus  wohl  lett.  magone  -  neben  dem  dunklen  lit.  agana  — 
und  estn.  magna,  magunax  etc.  entlehnt  sind)  und  dem  altsl.  mahn, 
altpr.  moke,  so  dass  ein  abstufender  Stamm  mdq-,  meq-  :  maq-  vorzu- 
liegen scheint.  Auch  der  Anbau  des  Gartenmohns  ist  in  Europa  sehr 
alt.  Derselbe  war,  wenn  auch  in  etwas  von  der  heutigen  abweichenden 
Varietät,  schon  in  der  Steinzeit  der  Schweizer  Pfahlbauten  als  häutig 
augebaute  Kulturpflanze  wohl  bekannt.  In  Koljenhausen  wurde  ein 
ganzer  Kuchen  von  verkohltem  Mohnsamen  entdeckt,  aus  dem  man  Gl 
gepresst  oder  den  man  zur  Nahrung  verwendet  haben  mag  (vgl.  Heer 
Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  32  ff.).  Ebenso  ist  Mohn  in  den  neo- 
lithischcn  Stationen  von  Bourget  und  Lagozza  (Italien)  gefunden  worden. 
Auch  Homer  (II.  VIII,  306)  nennt  bereits  den  |un,Kwv  £v\  Kn.TTw  .im 
Garten'  KapTTüj  ßpiBouevn,  ,mit  Samen  gefüllt'.  In  Italien  führt  der 
Mohn  einen  abweichenden  Namen:  papdier  (woraus  agls.  poparg,  papeeg), 

Schräder,  Reallexikou.  35 


Digitized  by  Google 


546 


Mohn  —  Monat,  Monatsnamen. 


der  noch  nicht  »icher  erklärt  ist.  Man  hat  das  Wort  als  altes  Parti- 
cipiuui  mit  -ves  gebildet  aufgefasst:  ,das  Gedunsene'  (vgl.  lat.  papula, 
pampinus).  Sein  Anbau  wird  erst  von  Vergil  genannt,  aber  ein 
Mohubeet  im  Garten  des  Tarquinius  Superbas  durch  die  von  Livius 
(I,  54,  6)  bewahrte  Sage  vorausgesetzt.  Auch  iu  Deutschland  wird 
Mohnbau,  hingst  bevor  das  Capit.  de  villi*  LXX,  47  auf  ihn  hin- 
weist, getrieben  worden  sein.  Dafür  spricht  der  Umstand,  dass  die 
ahd.  Bezeichnung  des  Mohus  *mdhan  (s.  o.)  ins  Vulgärlatein  überge- 
gangen ist,  wo  sie  in  zahlreichen  Glossen  des  C.  Gl.  L.  III  (vgl.  G.  Goetz 
Thesaurus  I,  670)  als  mahunua,  niahonus,  manus  begegnet.  Auch  im 
Romanischen  (frz.  viahon)  lebt  das  Wort  weiter.  Der  Mohn  darf  daher 
der  ältest  erreichbaren  Schicht  europäischer  Kulturpflanzen  zugeschrieben 
werden.  Dem  ägyptisch-semitischen  Kulturkreis  scheint  er  dagegen, 
etwa  wie  die  ebenfalls  in  Europa  uralten  Hirse  und  Erbse  (s.  s.  d.  d.), 
von  Haus  aus  fremd  gewesen,. zu  sein. 

Die  betäubende  Eigenschaft  des  Mohnsaftes  (urpciuviov),  also  das 
Opium,  war  schon  den  Alten  seit  Hippokrates  und  Theophrast  wohl 
bekannt.  Das  griech.  öttö<;,  öttiov  (eigentl.  .Saft  )  wurde  ins  pers.- 
arab.  'afijun,  afjün,  dann  ins  türk.  afjun  entlehnt  und  führte  in  diesem 
Kreislaut'  schliesslich  zur  Benennung  des  Mohns  und  des  Opiums  bei 
Neugriechen  und  Albanesen  (ngriech.  dqpiüjvi,  alb.  afion)  zurück.  In- 
teressante Daten  über  die  Geschichte  des  Opiums  im  Orient  vgl.  bei 
De  Candolle  1.  c.  —  Vgl.  auch  G.  Buschan  Vorgesch.  Botanik  S.  245  ff. 
S.  u.  Ackerbau. 

Mohre  (l)aucus  Carota  L.).  Sie  ist  in  Europa  einheimisch  und 
in  dem  Pfahlbau  von  Robenhausen  vielleicht  noch  in  wildem  Znstand 
zu  Tage  gekommen  (vgl.  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  22). 
Die  Namen  zeigen  bis  jetzt  keine  Übereinstimmung.  Griech.  öTacpuXivo^ 
(Theophrast)  und  do-TcupuXivoq  (bei  Diokles  von  Karystos  kurz  nach 
Hippokrates,  vgl.  Athen.  IX,  p.  371),  ö  KtiTrorrd?  ffTaqpuXivo?  (Dioskor.) 
und  KdpwTÖv  (bei  Diphilus  vor  281  v.  Chr.  bei  Athen.  I.  c).  Lat. 
pa8Ünaca,  spät  daueu*  und  carota.  Das  Capit.  de  villis  nennt  LXX,  52 
carvitas  (auffällige  Bildung  von  lat.  carota,  it.  carota,  frz.  carotte). 
Der  einheimische  Name  ist  ahd.  moraha,  morha,  agls.  moru,  der  früh- 
zeitig in  die  slavischen  Sprachen  (russ.  morkovl,  nsl.  mrkva  etc.)  ent- 
lehnt wurde.  Eine  Möhrcuart  war  vielleicht  auch  der  siser,  der  nach 
Plinius  Hist.  uat.  XIX,  90  bei  Gelduba  am  Rhein  so  vorzüglich  gedieh, 
dass  ihn  Kaiser  Tiberius  jährlich  von  dort  bezog.  Ngriech.  tö  ocuptci 
(daucuMi,  alb.  ro£e  (eigentlich  ,Knoten  am  Baum'  aus  ngriech.  (>6Zo%, 
bctuKÖpptfo  ,Daucus  Carota').  —  Vgl.  Beckmann  Beyträge  V,  134  ff.  und 
v.  Fischer  Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  116. 

Molken,  s.  Käse. 

Monarchie,  s.  König. 

Monat,  Monatsnamen,  s.  Mond  und  Monat. 


Digitized  by  Google 


Mond  und  Monat. 


547 


Mond  und  Monat.  Der  idg.  Augdruck  für  diese»  Gestirn,  der 
vielfach  zugleich  (unverändert  oder  mit  leichten  Suffixverschiedenheiten) 
den  Monat  bezeichnet  oder  auch  sich  auf  die  Bezeichnung  des  Zeit- 
masses  beschränkt  hat,  indem  für  den  Mond  selbst  andere  Benennungen 
aufgekommen  sind,  liegt  in  der  Reihe:  scrt.  m<!'»-,  aw.  mäh-,  altp. 
mäh-  ,Mond,  Monat',  griech.  unvn.  ,Mond',  urjv  ,Monat',  got.  mina 
,Mond',  menöps  ,Monat",  lit.  mtnti  ,Mond',  minesis  ,Monatf,  altsl.  me- 
sset ,Mond'  und  ,Mouat',  lat.  miwris,  armen,  amw,  ir.  mi,  alb.  moi, 
die  letzteren  vier  nur  ,Monat'  bedeutend.  Als  Wurzel  dieser  ganzen 
Sippe  betrachtet  man  mit  Recht  mi  in  scrt.  mä'-mi  ,ich  messe',  so 
dass  der  Mond  schon  seiner  Wurzel  nach  der  „Zeitmesser"  ist.  Schlecht- 
hin als  „Leuchte"  wird  hingegen  das  Gestirn  in  lat.  lüna  (altlat.  losna), 
altsl.  luna,  armen,  lusin  :  lux,  luceo  (vgl.  altpr.  lauxnos  ,Gestirne  ) 
bezeichnet.  Eine  gleichzeitige  Bezeichnung  des  Monats  durch  diese 
Wörter  rindet  nicht  statt.  Allein  stehen  das  Griechische  mit  aeXrjvn. 
,Mond'  :  ai\a%  ,Glanz',  das  Albanesiscbe  mit  hene  (*8lmend-)  :  scrt. 
candrd-  ,glänzend',  auch  ,Mond',  lat.  candeo  und  das  Irische  mit  isca 
(dunkel).  Eiue  sonst  nicht  nachweisbare  Vermischung  mit  Wörtern 
für  Sonne  scheint  in  der  Reihe:  ir.  ri,  *revi  ,Mond'  =  scrt.  ravi-, 
armen,  arev  ,Sonne'  stattzufinden  (vgl.  Stokes  K.  Z.  XXXV,  596). 

Der  durch  den  Umlauf  des  Mondes  bedingte  reine  und  ungebundene 
Mondmonat,  der  bekanntlich  29  Tage,  12  Stunden,  44  Minuten  und 
einen  Bruchteil  von  Sekunden  beträgt,  muss  nach  der  oben  angeführten 
Grundbedeutung  des  scrt.  mä'g-  und  seiner  Sippe  als  „Zeitmesser14  dem- 
nach als  der  erste  und  sicherste  Ansatz  einer  geordneten  Zeitteilung 
bei  den  Indogermaneu  angesehn  werden,  und  hat  zweifellos  in  dieser 
von  der  Natur  gegebenen  Dauer  noch  lange  bei  den  Einzelvölkern 
gegolten.  Dies  tritt  besonders  deutlich  bei  der  Berechnung  des 
Schwangerschaftsjahrcs  hervor,  das  von  den  alten  Völkern 
allgemein  nicht  auf  9,  wie  von  uns,  sondern  auf  10  Monate  festgesetzt 
wird.  So  heisst  in  der  vedischen  Zeit  ein  reifes,  ausgetragenes  Kind 
dayimasya-  ,ein  zehnmonatliches',  und  so  gilt  auch  im  Awesta  der 
X.  Monat  als  die  normale  Zeit  der  Entbindung  (vgl.  W.  Geiger  Ostiran. 
Kultur  S.  236).  Dasselbe  ist  aber  auch  die  Anschauung  der  Griechen 
(vgl.  Herodot  VI,  69:  t»ktouo"i  *r<*P  TuvaiK€?  Kai  dvvcäunva  Kai  €Trrä- 
ur|va,  Kai  oo  nätfai  blia.  unvaq  i<Ji\ioaaai)  und  Römer  (z.  B. 
in  den  XII  Tafeln-,  vgl.  Unger  Zeitteilung  in  J.  v.  Müllers  Handbuch 
I*,  786  und  Leist  Altarischcs  Jus  gentium  S.  262  ff.). 

Im  Zusammenhang  hiermit  steht  es  auch,  dass,  als  in  Europa  die 
erste  Bekanntschaft  mit  dem  12  monatlichen  Sonnenjahr  der  Babylonier 
auftauchte,  man  in  tastender  Nachahmung  desselben,  zunächst  auf  ein 
354tägiges  Jahr  verfiel,  indem  man  den  reinen  Naturmonat,  nach  dem 
man  bis  jetzt  gerechnet  hatte,  mit  12  multiplizierte.  Dieses  354  tägigo 
Mondjahr  läset  sich  schon  bei  Homer  nachweisen,  und  zwar  Od.  XII, 


Digitized  by  Google 


548 


Mond  und  Monat. 


127  ff.,  wo  die  7  Rinder-  und  .Schafherden  des  Helios  auf  Thrinakia 
zu  je  50  Stück  (7x50  =  350,  dazu  die  beiden  sie  weidenden  Göttinnen 
Phaethusa  und  Lamperia  und  ihre  Eltern  Helios  und  Neaira)  genannt 
werden. 

Jedenfalls  kann  das  Mondjahr  von  12  Monaten  und  354  Tagen,  wo 
es  in  Europa  auftritt,  immer  nur  im  Hinblick  auf  ein  vom  Orient  her 
bekannt  gewordenes  Sonnenjahr  verstanden  werden,  und  die  Annahme 
ist  eine  irrtumliche,  als  ob  schon  die  ludogermancn  ein  solches  Mond- 
jahr von  12  Monaten  gehabt  hätten.  In  der  idg.  Urzeit  lief  vielmehr 
die  Rechnung  nach  natürlichen  Monaten  ohne  Verbindung  neben  und 
unausgeglichen  mit  der  Zählung  nach  Wintern  und  Sommern  her. 
Derselbe  Gedanke  ist  unzweideutig  auch  in  der  eben  erschienenen  Schrift 
von  G.  Biltingcr  Untersuchungen  über  die  Zeitrechnung  der  alteu  Ger- 
manen 1  Das  altnordische  Jahr  (Stuttgart  1890)  ausgesprochen,  der 
S.  50  ausführlich  Uber  das,  was  er  im  Gegensatz  zu  dem  reinen  und 
gebundenen  Mondjahr  als  „Naturjahr  mit  Mondmonaten"  bezeichnet, 
gesprochen  hat.  Nur  so  erklärt  es  sich,  dass  der  Gebranch  der  Monats- 
namen, deren  Festsetzung  erst  möglieh  ist,  sobald  in  irgend  einer 
Form  eine  Eingliederung  der  natürlichen  Monate,  sei  es  in  eine  be- 
stimmte Zahl,  sei  es  iu  den  Umlauf  der  Sonne,  stattgefunden  hat,  in 
Europa  ein  sehr  später,  in  Griechenland  offenbar  erst  durch  die 
Bekanntschaft  mit  dem  semitischen,  in  Italien  durch  die  mit  dem 
griechischen,  im  Norden  durch  die  mit  dem  römischen  Kalender 
hervorgerufener  ist. 

Bei  Homer  kommen  noch  keine  Monatsbezeichnungen  vor,  deren 
erste  (Anvcuuuv)  vielmehr  erst  bei  Hesiod  begegnet,  der  auch  den  30- 
tägigen  Monat  bereits  kennt.  In  der  Bildung  derselben  zerfallen  die 
griechischen  Stämme  in  zwei  deutlich  getrennte  Gruppen,  insofern  die 
ionischen  Staaten  sich  ausschliesslich  der  Endung  -iujv  (r*cuinXiwv,  Boi i- 
<poviwv,  MeTcrf€iTvujüv),  die  Dorier,  Aeolier  u.  s.  w.  sich  der  Endung 
-10-5  (BouKduoq,  KapveToq)  bedienen.  Auch  die  Sprachen  der  nordischen 
Sprachfamilien,  die  germanischen  und  slavischen,  ja  selbst  so  nahver- 
wandte Mundarten  wie  die  des  Litauischen  zeigen  in  der  Benennung 
der  Mouatc  eine  so  bunte  Mannigfaltigkeit,  dass  jeder  Gedanke  au  eine 
ursprüngliche  Gemeinschaft  ausgeschlossen  bleiben  muss.  Endlich  lässt 
sich  auch  das  für  die  späte  Bekanntschaft  der  Indogermanen  mit  der 
Monatsteilung  des  Jahres  geltend  machen,  dass  bei  den  einzelnen  Völkern 
überaus  häutig  dieselben  Bezeichnungen  für  verschiedene  Monate 
verwendet  werden.  So  ist  slavisch  liatopad  , Laubfall'  —  Oktober  und 
November,  deutsch  ackermonat  schwankt  zwischen  März  und  April, 
fuirtmoiiat  zwischen  November,  Dezember  und  Januar  u.  s.  w.  Der 
Grund  dieser  Erscheinung  liegt  natürlich  darin,  dass  derartige  Zeitbe- 
stimmungen schon  v  o  r  der  Monatsteilung  des  Jahres  bekannt  waren, 
und  danu  innerhalb  der  einzelnen  Mundarten  sich  in  verschiedener 


Digitized  by  Google 


Mond  und  Monat. 


549 


Weise  auf  die  Monate  des  Jahres  fixierten.  Gerade  dadurch  aber 
eröffnen  uns  die  Monatsnamen  vielfach  einen  Blick  in  die  Zcitteilnngs- 
verhältnisse  vorhistorischer  Zeiten.  Versucht  man  ihre  ungeheure  Menge 
(vgl.  K.  F.  Hermann  Über  griechische  Monatskunde  Göttingen  1844, 
Th.  Bcrgk  Beiträge  zur  griechischen  Monatskunde  Giessen  1845,  J.  Grimm 
Geschichte  d.  d.  Sprache  I,  75  ff.,  K.  Weinhold  Die  deutschen  Monat- 
namen Halle  1869,  Grotefend  Zeitrechnung  I,  s.  v.  Mouatsnamen,  Bil- 
fiuger  a.  a.  0.  S.  7,  25  etc.,  F.  Miklosich  Die  sklavischen  Monatsnamen 
Dcnkschr.  d.  phil.-hist.  kl.  d.  kais.  Ak.  d.  W.  XVII,  1—30,  Wien 
18ti8)  zu  überblicken,  so  lassen  sich  hauptsächlich  fünf  grosse  Be- 
deutungskategorien unterscheiden.  Die  Monatsnamen  können  nämlich 
1.  von  Witterungszustäuden  und  Naturerscheinungen;  2.  von 
den  Jahreszeiten;  3.  von  (meist  ländlichen)  Beschäftigungen  und 
Bräuchen  der  Menschen;  4.  von  Festen  und  Namen  der  Götter; 
5.  von  Zahlen  hergenommen  sein. 

1.  Monatsnamen  von  Witterungsznständei.  und  Naturer- 
scheinungen. Zu  den  altertümlichsten  hierher  zt>  stellenden  Aus- 
drücken gehören  die  von  Beda  De  mensibus  Angiorum  genannten  halb 
Jahreszeiten-,  halb  Mouatsbezeichnungcn  Giuli  und  Lida,  erstercs  die 
gemeinschaftliche  Benennung  des  Januars  und  Dezembers,  letzteres  die 
sprachliche  Zusammenfassung  für  Juni  und  Juli,  wozu  noch  ein  eventu- 
eller Schaltmonat  {Thri-lidi  ^Schaltjahr'  =  3  Lida)  hinzutreten  konnte. 
Von  diesen  gehört  Giuli  zu  got.jiuleis  (fruma  ji.  ,November',  *aftuma 
ji.  .Dezember'),  altn.  jöl,  yler  , Weihnachten',  und  bezeichnete  ur- 
sprünglich, wie  dies  von  A.  Tille  Yule  and  Christmas  London  1899 
näher  ausgeführt  worden  ist,  ursprünglich  kein  Fest,  sondern  einen 
Zeitabschnitt.  Da  es  von  agls.  geohhol  ,Jul'  (vgl.  F.  Kluge  Engl.  Stud. 
IX,  312)  nicht  getrennt  werden  kann,  so  ist  eine  idg.  Grundform  *jeq- 
»la-  oder  *jeqhala-  anzusetzen.  Legt  man  die  letztere  zu  Grunde,  so 
entspricht  genau  das  bisher  ebenfalls  noch  unerklärte  griech.  *Z€<po-  in 
ttepupo«;  ,Westwind*  und  *£cxpo-  in  Z6<po<;  »Finsternis,  Dunkel',  welches 
letztere  die  unzweifelhaft  älteste  Bedeutung  enthält.  Demnach  ist  die 
Julzeit  soviel  wie  die  ,dunkle  Zeit'  und  steht  in  deutlichem  Gegensatz 
zu  -Ostern",  der  , hellen  oder  aufleuchtenden  Zeit'  (ahd.  öntarün,  agls 
tmtrun,  eaxtro)  oder  auch  zu  dem  „Lenzu,  der  Zeit  der  ,länger  werdenden 
Tage'  (s.  n.  Frühling).  Andere,  aber  lautlich  und  sachlich  kaum  halt- 
bare Deutungen  vgl.  bei  Bugge  Ark.  f.  nord.  Fil.  IV,  135  und  Kögel 
Geschichte  d.  d.  Lit.  1,38  (dazu  A.  Tille  a.  a.  0.  S.  148).  Was  agls. 
Lida  betrifft,  so  denkt  mau  gewöhnlich  an  ahd.  lindi,  agls.  Hbe  ,mild, 
freundlich,  weich',  so  dass  Lida  die  ,milde  Zeit'  wäre;  doch  wäre  auch 
ein  Zusammenhang  mit  altsl.  ttto  ,Sommer'  möglich. 

Durchsichtiger,  aber  auch  um  vieles  jünger  sind  Monatsnamen  wie 
altsl.  grudinü  ,SchoIlenmonat'  (die  Zeit,  wo  die  Erde  durch  den  Frost 
zu  Schollen  wird)  =  November,  nsl.  gruden,  lit.  grödis,  grödinis  = 


Digitized  by  Google 


550 


Mond  und  Monat. 


Dezember  (vgl.  isl.  frermänadr  ,Gefriermonat'  =  November  und  ahd. 
hertimanöt,  harimon,  hartmonet  .Dezember'),  oder  wie  cech.  Jeden 
,die  Zeit  des  Eises'  (ledä)  =  Janaar,  oder  wie  altsl.  prosinlci  ,Januar', 
d.  h.  ,die  Zeit  der  Zunabme  des  Tageslichts'  (Miklosich  S.  15),  oder 
wie  altsl.  suchyj  ,März',  eigentl.  ,der  trockne  Monat'  (vgl.  lit.  mtUU 
, Dezember,  Januar'  :  saüsas  »trocken'  und  agls.  ue'annönad,  eigentl. 
,mensis  aridus',  ,Juni')  u.  s.  w.  Aus  dem  Keltischen  gehört  hierher 
der  Monat  ogron  des  altgallischen  Kalenders  von  Coligny  (vgl.  Thurn- 
eysen  Z.  f.  kelt.  Phil.  II,  534):  ir.  uar,  kymr.  oer  ,kalf,  ,Monat  der 
beginnenden  Kälte',  aus  dem  Lateinischen  vielleicht  Aprilis  :  apricus 
,sonnig'  und  Mäius  vielleicht  ,Wacbstum',  aus  dem  Griechischen  MaiuaKTn.- 
piwv  ,der  Stnrmmonat'  (vgl.  isl.  ylir  ,Heuler'),  obgleich  für  den  letzteren  zu- 
nächst an  das  Fest  eines  Zcu?  MatuaKTife  (Hermann  S.  20)  zu  denken  sein 
wird.  Unter  den  die  einzelnen  Jahresabschnitte  charakterisierenden  Natur- 
erscheinungen nehmen  aber  vor  allem  die  nach  irgend  einer  Seite  hin 
in  denselben  besonders  hervortretenden  Pflanzen  und  Tiere  die  erste 
Stelle  ein,  die  namentlich  in  den  sla  vis  eben  Sprachen  zu  einer  un- 
erschöpflichen Quelle  für  die  Bildung  von  Monatsnamen  geworden  sind. 
Hier  giebt  es,  was  die  ersteren  betrifft,  einen  Bohnen-,  Birken-,  Blüten-, 
Kirscheu-,  Eichen-,  Liudenmonat  u.  s.  w.,  was  die  letzteren  angeht, 
einen  PHan/.cnlänseinonat  [crüvlnü,  s.  u.  Kermes),  eine  Henschrecken- 
zeit,  einen  Monat,  wo  die  Ziege  bockt,  einen  solchen,  wo  der  (brünstige) 
Hirsch  schreit,  einen  Wolfsmonat,  Taubenmouat  n.  s.  w.  Aus  dem 
Germanischen  vergleichen  sich  Ausdrücke  wie  agls.  cueod-monath  (nach 
Beda  ,mensis  zizaniornm  quod  ea  tempestate  maxime  abundent'),  fries. 
blomenmoanne,  ndl.  gerntmcen,  grasmwnd,  niederrh.  ecenmant  , Haber- 
monat', isl.  gaukmdnadr  ,Kuckucksnionat',  hrutmanabr  , Widdermonat' 
(„weil  in  diesem  Monat  die  Begattung  beim  Schafvieh  stattfand"),  mhd. 
wolfmänet  »November',  nhd.  hundemaen  ,JuIi'  u.  dergl.  Aber  auch 
unter  den  gricch.  Monatsnamen  finden  sich  Fälle  wie  'Paßiv8io<;  (auf 
Kreta)  ,Erbscnmonat'  oder  'EXdqnos  (in  Elis)  , Hirschmonat',  während 
man  für  Bildungen  wie  'ludXio^  (auf  Kreta)  ,Weizenmonat',  TTuavenmjuv 
(Attika)  ,Bohnenkochmonat',  TTopvomujv  (bei  den  asianischen  Aeoliern) 
,Heuschreckenmonat',  'Apveio?  (Argos)  , Lammmonat'  wiederum  die  Ver- 
mittlung eines  religiösen  Festes  (id  mmveiina)  oder  eines  Götterbeinamens 
(Armr|Trip  'InaXiq,  'AttöXXwv  TTopvömos)  in  Anspruch  zu  nehmen  pflegt 
(8.  u.).  Aus  den  Monatsnamen  des  oben  genannten  altgallischen  Ka- 
lenders gehören  hierher  elembiu  ,Hirschmonat'  :  ir.  elit,  kymr.  elain 
, Hirschkuh',  ,Hirschmonat'  und  vielleicht  eqttos  :  ir.  ech  ,Pferd'(?). 

2.  Die  Erscheinung  der  von  Jahreszeiten  abgeleiteten  Monats- 
namen beschränkt  sich  auf  die  nördlichen  Sprachen.  In  dem  Kalender 
von  Coligny  stchn  sanwn,  der  ,Somnierinonat'  :  ir.  sam,  kymr.  haf 
,Sommer  und  giamon,  der  ,Wintemionat'  :  ir.  gam,  kymr.  gaem 
, Winter'  an  der  Spitze  der  beiden  Halbjahre,  Sommer  und  Winter, 


Digitized  by  Google 


Mond  und  Monat. 


551 


welche,  und  zwar  in  dieser  Reihenfolge,  das  altgallische  Jahr  hildcn. 
Unter  den  germanischen  Sprachen  macht  vor  allem  der  norwegische 
Kalender  (vgl.  Bilfinger  a.  a.  0.  S.  25)  von  derartigen  Benennungen 
Gebrauch,  indem  von  den  zwölf  Monaten  nicht  weniger  denn  acht  als 
,Frühlings-,  Sommer-,  Herbst-  und  Wintermonde'  bezeichnet  werden. 
Auch  Ausdrücke  wie  isl.  midmmar  ,Mittsommer'  für  Juli  sind  hierher 
zu  stellen,  die  zunächst  einen  bestimmten  Tag,  dann  den  Monat,  in 
den  dieser  fällt,  bezeichnen.  Aus  den  slavischen  Sprachen  vgl.  Fälle  wie 
russ.  osenl , Herbstmonat'  (September),  nxth.jarec  ,Lenzmonat'  (Mai)  u.  a. 

3.  Monatsnamen  von  (meist  ländlichen)  Beschäftigungen 
und  Bräuchen  der  Menschen.  Die  Hauptmasse  der  hierher  ge- 
hörigen Bezeichnungen  sind  der  Sphäre  des  Ackerbaues  entnommen 
zum  Zeichen,  dass,  als  die  Monatsnamen  aufkamen,  diese  Beschäfti- 
gung bereits  in  dem  Vordergrund  des  Erwerbslebens  stand.  Eine  hier 
einschlagende  Zeitbestimmung  got.  asans  ,Be'po?'  und  ,Ö€pio"u6s'  =  altpr. 
a*#ani#,  altsl.  jesenl  , Herbst'  in  der  Grundbedeutung  , Erntezeit'  (s.  u. 
Ackerbau)  geht  bereits  in  vorhistorische  Epochen  zurück.  Aus  den 
Einzelspracheu  gehören  hierher  auf  slaviscbem  Boden  z.  B.  klruss. 
hosen  ,die  Zeit  der  Heumahd'  =  Juli,  nserb.  mlofsny  .Dreschmonat'  = 
November,  usl.  prasnik  , Brachmonat'  =  Juni,  klruss.  s'iven'  ,Saatmonat' 
=  September,  altsl.  srüplnä  ,Sichelmonat'  =  Juli  u.  8.  w.,  auf  ger- 
manischem z.  B.  isl.  heyannir  ,Heuarbeit'  -  Juli,  kornskurdmänadr 
jKornschnittmonat'  =  August,  agls.  rug-ern,  vielleicht  , Roggenernte'  = 
September  (vgl.  lit.  rugpiütis  ,Roggeuschneidung  )  und  die  zahlreichen 
Ausdrücke  wie  nihd.  in  der  sät,  in  dem  snite,  im  brächet,  im  hoilwet, 
die  allmählich  von  den  jüngeren  Bezeichnungen  sätmän,  schnitmonat, 
hräch-  und  hoümonat  verdrängt  werden.  Auf  den  Weinbau  bezieht 
sich  ahd.  windumemänöt  ,Oktober',  nsl.  vi?iotok  desgl. 

Auch  bei  den  Griechen  zeigen  sich  derartige  Zeitbestimmungen 
wie  dpoTÖq  ,PflUgezeit',  airopnrös  ,Saatzeit',  cpuTaXid  ,Baumpflanzungs- 
zeit',  die  indessen  hier  mehr  den  Charakter  von  Jahreszeitenbeneunungcn 
(vgl.  Unger  Zeitrechnung  in  J.  v.  Müllers  Handbuch  I8,  724)  als  von 
Monatsnamen  an  sieb  tragen.  Beide  Begriffe  gehen  auch  sonst  in  ein- 
ander über.  Die  griechischen  Monatsnamen,  die  hierher  gehören, 
knüpfen  zunächst  an  ein  religiöses  Fest  an,  in  dem  der  Charakter  eines 
bestimmten  Zeitabschnitts  zusammengefasst  erscheint.  Der  Anvaid>v 
ist  der  Monat  der  Xnvaia,  des  Festes  der  Weinlese,  der  GaptnXiwv 
der  Monat  des  Festes  der  eaptnXia  (d.  h.  ndvT€<;  o\  dnö  ff\z  Kctpnoi) 
u.  s.  w.  Weniger  ist  über  das  Gebiet  der  Viehzucht  (vgl.  ahd. 
teinnemänöt  ,Weidcmonat'  :  got.  teinja,  ahd.  icinne  ,Weide',  agls. 
Trimilchi,  nach  Beda  [sie]  „dicebatur  <ptod  tribus  vieibus  in  eo  per  diem 
pecora  mnlgcbantnra  etc.)  zu  sagen.  Doch  liegt  gerade  hier  in  dem 
griech.  TTÖKioq  (in  Amphissa)  :  ttöko^  ^Schafschur'  ein  Monatsname  vor, 
der  keinerlei  nachweisbare  gottesdienstliche  Bedeutung  zeigt.   Vgl.  auch 


Digitized  by  Google 


bb-2 


Mond  und  Monat 


den  höotischen  Boukoitio?  uud  delischcu  Boucpoviwv  (vom  Töten  der 
Kinder  benannt)  mit  dem  ahd.  slachtmän  (Okt.,  Nov.,  Dez.)  uud  dem 
fei.  gormdnäbr  (von  gor  ,der  Unrat,  der  beim  Sehlachten  liegen  bleibt') 
—  Über  den  „Heiratsiuonat"  s.  u.  Heirat  (Heiratszeiten). 

4.  Monatsnamen  von  Festen  und  Namen  der  Götter.  Wie 
schon  aus  dem  Bisherigen  hervorgeht,  steht  das  Griechische  in  dem 
Mittelpunkt  dieser  Art  der  Naraeubildung,  insofern  hier  weitaus  die 
meisten  Monatsnamen  von  Gottheiten  ('AraAXaio^,  'AttoXXuuvio?,  'Aprc- 
uioioq,  TToo*eib€u>v  u.  s.  w.)  oder  gottesdienstlichen  Festen  ('Avöecrnipiwv, 
Bon.opouiujv,  'EXacpnßoXiujv  etc.)  hergenommen  sind.  Doch  zeigen  die 
schon  oben  angeführten  Fälle  wie  'EXdqno?  ,Hirschmonat',  'PaßivGioq 
,Erbsennionat',  TTökios  , Monat  der  Schafschur'  etc.,  dass  ursprünglich 
auch  den  griechischen  Monatsnamen  wie  den  nordeuropäischeu  ein 
ptofaucs  Element  zu  Grunde  lag,  das  nach  und  nach  in  dem  sakralen 
Kleid,  welches  der  griechische  Kalender  anlegte,  verschwand.  In 
Italien  ist  nur  der  Martins  unzweifelhaft  nach  einer  Gottheit  {Mars) 
benannt.  Im  Norden  liegen  die  Verhältnisse  so,  dass  nach  Festen, 
heidnischen  und  christlichen,  die  Monate  nicht  selten  benannt  werden 
(vgl.  agls.  bei  Beda:  UUt-monath  ,November',  „mensis  immolatiouum, 
quia  in  ea  pecora,  quae  oecisuri  erant,  Diis  suis  vovebant",  Haleg- 
monath  ,September',  ,mcnsis  sacrorum',  Sol-monath  , Februar',  „dici 
potest  mensis  placentarum,  quas  in  eo  Diis  suis  offerebant",  nhd.  sporkel 
, Februar',  vgl.  De  spurcalibus  in  Februario  des  Indiculus  supersti- 
tionum,  nsl.  risalcek  ,Rusalieu,  d.  i.  Pfingstmonat',  andrejxeak  ,Audreas- 
monat'  u.  s.  w.),  dass  hingegen  für  Ableitungen  von  Götternamen 
keine  einwandfreien  Beispiele  vorliegen.  Das  einzige,  was  man  hier- 
für geltend  machen  kann,  sind  die  von  Beda  genannten  Rhed-monath 
,März\  „a  Dea  illorniu  Rheda,  cui  in  illo  sacrifieahant,  nominatura  und 
Eosturmonath  .April',  „qui  nunc  Paschalis  mensis  interpretatur,  quon- 
dam  a  Dea  illornm,  quae  Eostro  vocabatur,  et  cui  in  illo  festa  cele- 
brabant,  nomen  hahuit";  doch  sind  weder  eine  Göttin  Rheda  noch  eine 
Eostre  sonst  bezeugt. 

5.  Monatsnamen  von  Zahlen.  Das  einzige  idg.  Volk,  welches 
von  diesem  cbeuso  einfachen  wie  nüchternen  Mittel  der  Monatsbe- 
zeichnung  in  grösserem  Umfang  allgemeinen  Gebranch  macht,  ist 
das  römische  mit  seinem  Quintiiis- December  (V— X,  weil  das  Jahr 
ursprünglich  mit  dem  März  begann).  In  Griechenland  ist  nur  bei  den 
Phokiern  durchgehende  Zählung  bezeugt  (vgl.  K.  F.  Hermann  a.  a.  O. 
S.  12,  106).  Teilweise  Nachahmung  des  lateinischen  Brauches  findet 
sich  in  den  jüngeren  keltischen  Kalendern  (vgl.  J.  Grimm  a.  a.  0. 
S.  101  ff.).  Im  Germanischen  macht  man  nur  dann  von  Zahlen  Ge- 
brauch, wenn  man  aus  eiuem  grösseren  Teilabschnitt  des  Jahres  einen 
ersten,  zweiten  u.  s.  w.  Monat  (vgl.  z.  B.  oben  got.  frnma  jiuleis)  her- 
vorhebt.  Eigenartig  ist  die  isl.  Bezeichnung  einmanadr  für  Mär/,  und 


Digitized  by  Google 


Mond  und  Monat. 


553 


tvimdna'br  für  Anglist,  die  auszudrücken  scheinen:  „Jetzt  ist  es  nocfi 
1,  bezügl.  2  Monate  bis  zum  Sommer,  bezüglich  zum  \Vintcru  (vgl. 
Bilfinger  S.  8). 

Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich,  dass  die  meisten  der  hier  er- 
örterten Ausdrücke  als  allgemeine  Zeitbestimmungen,  als  Bezeichnungen 
ländlicher  Feste  u.  dergl.  schon  längst  in  Europa  verbreitet  waren, 
ehe  sie  zu  eigentlichen  Mouatsnamen,  d.  h.  zur  Unterscheidung  der 
12  (oder  13)  Glieder  des  Sonnen jahres  verwendet  wurden.  Zu  ihnen 
kommen  dann,  was  den  Nordeu  Europas  betrifft,  noch  zahlreiche  fremde 
Namen  hinzu,  welche  die  allmählich  sich  verbreitende  Bekanntschaft 
mit  dein  römischen  Kalender  einbürgerte  (ahd.  merzo,  marzeo,  klruss. 
marec  aus  Martins,  ahd.  meio,  russ.  maj,  lit.  mojus  aus  Majus,  mhd. 
aprille,  altsl.  aprill  aus  Aprtlis  n.  s.  w.).  In  dem  Gebrauche  aller 
dieser  Ausdrücke  herrscht,  wie  schon  oben  hervorgehoben,  ursprünglich 
überall  die  grösste  Freiheit  und  lokale  Verschiedenheit.  Erst  auf 
höheren  Kulturstufen  werden  durch  die  Anordnungen  von  Priesterschnften 
und  Behörden  feste  Reihen  üblich.  S.  auch  u.  Zeitteilung  (Kalender). 

Wenden  wir  uns  zu  dem  reinen  und  ungebundenen  M  o  n  d  m  nnat 
der  idg.  Urzeit  zurück,  so  wurde  derselbe  durch  die  beiden  sich  ent- 
gegengesetzten Phasen  des  Mondlichts,  Neu-  und  Vollmond,  in  zwei 
Hälften  geteilt,  an  deren  Anfang  bei  den  Indern  die  Neumondsnacht 
(amdväsyä)  und  Vollmondsnacht  (paurnamäsi)  stehen.  Die  beiden 
Hälften  seihst  heissen  im  Sanskrit  jmrca-pakshd-  und  opora-pakshd- 
, vordere'  und  ,hiutere'  Seite  oder  yikla-paksha-  und  kruhna-paksha- 
,helle'  und  ,dunkle'  Hälfte  oder  auch  ydva-  und  dyava-  (vgl.  Zimmer 
Altindisches  Leben  S.  364).  Der  letztere  Ausdruck  scheint  zu  sert. 
yüvan-,  ydviyas-,  yactehfa-  jung'  zu  gehören  und  mit  lit.  jduna*  menü 
jNcumond'  zu  vergleichen  zu  sein.  Im  Griechischen  entsprechen  die 
Ausdrücke  unvö«;  'ujicui^vou  und  q>eivovroq,  au  die  in  historischer  Zeit 
eine  Einteilung  des  Monats  in  drei  Dekaden  anknüpft;  doch  wird  noch 
bei  Hesiod  W.  u.  T.  v.  780  der  13.  des  Monats,  der  spftter  Tpim. 
b^Kct  heisst,  mit  dem  Zusatz  nnv°S  'KTrauivou  (vgl.  Uuger  Zeitrechnung 
in  J.  v.  Müllers  Handbuch  I2,  787)  versehen,  was  also  auch  bei  den 
Griechen  auf  eiue  einstmalige  Zählung  der  Monatstage  in  2  Hälften 
hinweist.  Dasselbe  ist  der  Fall  bei  den  Monaten  des  altgatlischen 
Kalenders  von  Coliguv,  deren  jeder  in  zwei  scharf  getrennte  Hälften 
mit  besonderer  Tageszählung  (die  erste  immer  zu  15,  die  zweite,  ent- 
sprechend der  Einteilung  des  Jahres  in  7  30tägige  und  5  29  tägige 
Monate,  bald  zu  15,  bald  zu  14  Tagen)  zerfällt.  Über  der  zweiten 
Hälfte  steht  dabei  immer  das  Wort  atenoux,  das  man  als  ,grosse' 
oder  als  ,  Vollmondsnacht'  (vgl.  sert.  paurnamäsi)  gedeutet  hat.  Die 
ursprüngliche  Bezeichnung  einer  bestimmten  Nacht  könnte  dann  all- 
mählich zur  Benennuug  der  ganzen  auf  sie  folgenden  Monatshälftc  ge- 
worden sein  (vgl.  obeu  u.  2.  isl.  mittmmar  und  unten  agls.  icinter-fylleth, 


Digitized  by  Google 


554 


Mond  und  Mouat  —  Mord. 


We  auch  ursprünglich  nur  einen  bestimmten  Tag  oder  eine  bestimmte 
Nacht  bezeichnet  haben;  anders  Thurneysen  a.  a.  0.  S.  526  f.).  Endlich 
treten  auch  in  der  germanischen  Zeitteilung  (vgl.  Tacitus  Germ.  Cap.  11: 
cum  aut  incohatur  luna  aut  impletur)  Neu-  und  Vollmond  (got.  fulliß, 
agis.  icinter-f ylleth  ,Wintervollmond'  d.  h.  Oktober  =  lit.  pilndtis 
, Vollmond'  neben  dem  unerklärten  mhd.  icadel,  agls.  waool)  als  die 
hervorstechendsten  Phasen  des  Mondlichts  auf.  Auszuweichen  scheint 
der  römische  Kalender  mit  seiner  Dreiteilung  des  Monats  in  Kalendae, 
nönae,  idäs.  Die  Kalendae  ,der  Rufetag'  (:  griech.  KaXeiv),  weil  die 
wiedererscheinende  Mondsichel  in  der  Abenddämmerung  von  einem  der 
Pontifiees  ausgerufen  wurde,  entsprechen  dem  Neumond,  die  idtis  ,die 
heiteren  Nächte'  (:  griech.  iBapo?  , heiter',  mGiu  , brenne  )  dem  Vollmond. 
Die  nönae,  d.  i.  der  9.  Tag  vor  den  Iden,  haben  mit  den  Phasen  des 
Mondlichts  wahrscheinlich  zunächst  nichts  zu  thun,  sondern  beruhen 
auf  der  allgemeinen  Bedeutung  der  Neunzahl  (vgl.  Nundina,  nundinae, 
nocendial,  norendiales  feriae,  novena  lampas  etc.;  s.  auch  u.  Zahlen), 
die  das  ganze  alte  Rom  beherrscht,  und  sind  vielleicht  erst  später  in 
eine  Zweiteilung  des  Monats  eingeschoben  worden  (vgl.  Flex  Die  älteste 
Monatsteilung  der  Römer,  Jena  1880). 

Neu-  und  Vollmond  gelten  daher  auch  bei  dem  Einfluss,  den  man 
von  jeher  dem  Moudlicht  auf  irdische  Dinge  zuschrieb,  als  die  beiden 
günstigen  Zeiten.  Für  beide  Phasen  bezeugt  dies  Tacitus  a.  o.  a.  0.: 
Coeunt,  nisi  quid  fortuitum  et  subitum  incidit,  certis  diebtis,  cum  aut 
incohatur  luna  aut.  impletur;  nam  agendig  rebus  hoc  auspicatisximum 
initium  credunt,  für  den  Vollmond  Herodot  VI,  106  hinsichtlich  der 
Spartaner:  toio*i  bk  fc'abc  ufcv  ßonB&iv  'Aenvcuottfi,  dbüvctxa  be  a<pi  nv  to 
irapaimxa  ttoi&iv  Taöia  ou  ßouXouevouri  Xüciv  töv  vö(aov  nv  y<*P  io"Ta- 
uevou  tou  unvö?  civdrn.,  dvdTn  bfc  ouk  &€Xeüo*€ff6at  &paaav  un.  oü  nXrj- 
p€0?  dövTO?  toö  kukXou  .  outoi  nev  vuv  tuv  TravacXnvov  Ijievov,  für  den 
Neumond  Caesar  De  bell.  gall.  I,  öO:  Cum  ex  capticitt  quaereretT 
quamobrem  Ariovistus  proelio  non  decertaret,  haue  reperiebat  causam, 
quod  apud  Germanos  ea  consuetudo  esset,  ut  matresfamilwe  eorum 
sortibus  ac  caticinationibus  declararent,  utrum  proelittm  committi  ex 
usu  esset  necne;  eas  ita  dicere  :  non  esse  fas  Germanos  superaret 
si  ante  nocam  lunam  proelio  contendissent.  In  Athen  galt  der  Neu- 
mond als  die  für  Heiraten  geeignetste  Zeit  (Proclus  zu  Hcsiod  W.  u.  T. 
v.  780:  biö  Kai  'AOtivaioi  -xäq  irpö?  aüvobov  f|ulpct£  dEcXerovro  7rpÖ£ 
Y<iuou$)  u.  8.  w.  Für  •  die  Annahme  einer  weiteren  Einteilung  des 
Monats  in  ältester  Zeit  als  in  zwei  Hälften  fehlt  jeder  Anhalt.  Über 
die  Woche  s.  d.  —  S.  auch  u.  Zeitteilung. 

Monogamie,  s.  Familie,  Polygamie. 

Montag,  s.  Woche. 

Mord.    Der  dem  modernen  Rechtsbewusstsein  geläufige  Unter- 
schied zwischen  Mord,  Totschlag  und  fahrlässiger  Tötung  kommt  in 


Digitized  by  Google 


Mord. 


555 


den  alten  Sprachen  nur  in  sehr  geringem  Masse  zum  Ausdruck. 
Griech.  <pövo{  ist  das  ,Erschlageiv  (ö  biet  (J<pafn?  Ödvaro^  (Hes.)  :  8eivu» 
»schlage,  treffe'  =  sert.  hdnmi  »schlage,  erschlage',  ir.  geguin  (Perf.), 
gonim  ,ver\vunde,  töte  ).  Das  Verhorn  epoveuw  ist  noch  nicht  homerisch ; 
dafür  wird  Kteivw,  ktivvuui  gehraucht,  wahrscheinlich  =  sert.  kshanö'ti 
,er  verletzt,  verwundet'.  Anf  gleicher  Stufe  mit  <pövo?  steht  lat.  caedes, 
caedere,  occidere,  homi-cidium,  pdri-cidium  (begrifflich  schwer  mit 
dem  lautlich  naheliegenden  gut.  skaidan  .xiopiZeiv'  vereinbar).  Es  be- 
zeichnet „die  durch  gewaltsame  Einwirkung  der  Körperkraft  des  Thätcrs 
auf  den  Körper  des  Getöteten  verübte  Tötung",  während  necare  (:  nex 
—  ir.  4c  ,Tod',  echt  »Verbrechen,  Mord',  griech.  vei<pö{,  vIkvc,,  sert. 
w/c,  vi  nac,  ,verIoren  gehn',  »sterben',  Caus.  ,töten')  jede  beliebige 
Tötungsweise  bezeichnet.  Vgl.  Festus  ed.  0.  M.  S.  148 :  Occimm  a  necato 
distingui  quidam,  quod  alterum  a  caedendo  atque  ictu  fieri  dicunt, 
alterum  sine  ictu.  Bemerkenswert  ist  bei  den  Verben  des  Tötens  (inter- 
necare,  interimere,  interficere)  der  Gebrauch  von  iwfer,  der  nach 
Mommsen  Strafrecht  S.  612*  ursprünglich  auf  den  Tod  im  Handge- 
raenge weisen  könnte  (vgl.  jedoch  B.  Delbrück  Vergl.  S.  1, 072).  Eine  sehr 
alte  Phrase  zur  Bezeichnung  jeglicher  Tötung  ist  auch  morti  aliquem 
dare.  Vgl.  die  Lex  Numae  (M.  Voigt  Leg.  Reg.  S.  609):  67  qui  ho- 
minem  liberum  dolo  seien«  morti  duit,  parkidas  esto.  Von  der  Tötung 
caedendo  wird  frühzeitig  in  Rom  wie  in  Griechenland  die  Tötung  durch 
Gift  unterschieden.  Diese  beiden  Arten  der  Tötung  werden  schon  in 
dem  Titel  der  Lex  Cornelia  de  sicariis  {sicarius  :  sica  , Dolch')  et 
veneficis  (=  griech.  <pctpuaK€U£,  (papuaiceia)  deutlich  aus  einander  ge- 
halten (vgl.  R.  Loening  Z.  f.  d.  ges.  Straftsrechtsw.  VII,  657  f.). 

Im  Altslavischen  wird  jede  Tötung  mit  uböj  bezeichnet  (vgl.  Ewers 
Das  älteste  Recht  d.  R.  XI),  von  altsl.  bi-ti,  bi  jq  ,schlagc',  also  ganz 
wie  <pövo?  und  caedes.  In  der  Pravda  des  XIII.  Jahrhunderts  und 
sonst  wird  dagegen  für  Mord  und  den  damit  verbundenen  Strassenraub 
der  Ausdruck  razböj  (Ewers  S.  219  f.)  gebraucht,  eine  offenbar  schon 
technische  Bezeichnung,  die  auch  ins  Litauische  (razbdjus)  überge- 
gangen ist.  Für  den  Totschlag  kommen  in  der  Terminologie  der  Blut- 
rache (s.  d.)  auch  die  altsl.  Wörter  krüvi  ,Blut'  und  glaca  , Haupt'  häutig 
zur  Anwendung.  —  Früh  sind  die  Germanen  auf  diesem  Gebiet  zu 
einer  gewissen  sprachlichen  Differenzierung  gelangt,  insofern  sie  im 
Gegensatz  zu  Wörtern  wie  ahd.  slahta,  slago  (:  got.  slahan  u.  8.  w., 
ir.  sligim,  xlechtaim  ,schlage),  ahd.  bano,  altn.  bani  (vgl.  got.  banja 
,Wunde',  ir.  benim  ,schlage'),  altn.  drdp  (:  ahd.  treffan  u.  s.  w.)  und 
i lg  (:  got.  weihan  u.  s.  w.  .kämpfen',  ir.  fichim,  lat.  rinco),  welche 
sämtlich  den  Totschlag,  bczügl.  den  Totschläger  bezeichnen,  das  alte 
idg.  Wort  für  Tod,  *mrto-m  (vgl.  sert.  mrtd-,  lat.  mors,  morior  n.  s.  w.), 
im  Sinne  von  absichtlicher  heimlicher  oder  besser  verheimlichter 
Tötung,  von  „Mord"  (ahd.  mord,  agls.,  altn.  mord  neben  got.  mat'trpr, 


Digitized  by  Google 


55« 


Mord. 


agls.  mordor)  verwenden.  Vgl.  aus  den  deutschen  Volksreehten  z.  B. 
L.  Rip.  (W)  XV:  67  9«/«  ingenuti*  liipuariiim  interfecerit  et  eum  cum 
ramo  cooperuerit  vel  in  puteo  seu  in  quocunque  Übet  loco  celare 
voluerit,  quod  dicitur  mordridutt,  *ol.  fiOO  culpabilü  iudicetur.  Vgl. 
weiteres  bei  J.  Grimm  R.-A.  S.  625  f.  und  Wilda  Strafrecht  S.  706  ff. 
Indessen  ist  es  doch  zweifelhaft,  ob  germ.  *murpra-m  schon  in  urger- 
manischer Zeit  nur  in  diesem  eingeschränkten  Sinne  verheimlichter 
Tötung  gebraucht  wurde.  Bemerkenswert  scheint,  dass  Ulfilas  das  Wort 
Marc,  15,  7  auch  mit  Beziehung  auf  Barabbas  gebraucht,  der  iv  Oiäati 
(in  auhjödau  ,im  GctUnimcl')  einen  <pövo<;  {maurpr)  begangen  hatte. 
Ausdrücklich  wird  der  Begriff  des  heimlichen  erst  durch  die  ahd.  Bil- 
dungen mit  mühh-  (mühhil-sicert,  mtihhildri,  mtihhdri,  kelt.  *müg-  in 
formuichthai  .absconditus')  hervorgehoben. 

Es  ergiebt  sich  also,  dass  vorhistorische  Gleichungen  für  die  ver- 
schiedenen Arten  des  Tötungsverbrechens  oder  überhaupt  für  die  Tötung 
als  Verbrechen  im  Gegensatz  zu  anderer  Tötung  (etwa  eines  Tieres 
beim  Schlachten  desselben)  sich  nicht  nachweisen  lassen  (vgl.  dem 
gegenüber  die  schon  in  der  Ursprache  ausgebildete  Terminologie  des 
Eigentumsvergehens  u.  Diebstahl).  Offenbar  sind  die  subtilen  Unter- 
scheidungen, die  wir  heute  hinsichtlich  der  Tötung  eines  Menschen 
machen,  erst  das  Werk  einer  langeu  und  vielverschlungenen  Kultur- 
entwicklung, deren  Ausgangspunkt  im  folgenden  zu  ermitteln  ist.  Dabei 
lassen  sich  die  für  die  Urzeit  charakteristischen  Anschauungen  in  vier 
Punkte  zusammenfassen : 

1.  Es  wird  ursprünglich  kein  Unterschied  zwischen  ge- 
wollter und  nicht  gewollter,  unfreiwilliger  Tötuug,  zwischen 
cpövo?  ^Koücrioq  und  dKOuaio?  gemacht.  Die  Menschen  der  Ur- 
zeit rechnen  uur  mit  der  vollendeten  Thatsache  und  fragen  nicht  nach 
den  Umständen  und  Beweggründen,  unter  denen  oder  aus  denen  sie 
hervorging.    S.  auch  u.  Blutrache. 

Thatsächlich  herrscht  über  diesen  für  die  Beurteilung  der  Urzeit 
höchst  wichtigen  Punkt  hinsichtlich  des  heroischen  Zeitalters  der 
Griechen,  das  in  dieser  Beziehung  ganz  auf  dem  urzeitlichen  Stand- 
punkt stehen  gebliebeu  ist,  gegenwärtig  fast  völlige  Übereinstimmung 
der  Forscher.  Vgl.  u.  a.  Hcrniann-Thalheim  Lehrbuch  d.  griech.  Rechts- 
alt. S.  121 3,  Brunnenmeister  Tötungsverbrechen  S.  \Ml  (gegen  Leist 
Graeco-it.  Recbtsgesch.),  Rhode  Psyche  I',  265,  Gilbert  Beiträge  z. 
Entw.  d.  griech.  Gerichtsverfahrens  in  Fleckciscns  Jahrb.  XXIII  Suppl. 
S.  504  u.  a.  Aber  auch  Oldcnberg  Die  Religion  des  Veda  S.  289  hebt 
treffend  hervor:  „Es  verstellt  sich  von  selbst,  dass  die  äusserliche  Auf- 
fassung der  Sünde,  welcher  wir  hier  begegnen,  sich  auch  darin  zeigen 
muss,  dass  das  subjektive  Moment  des  sündigen  Willens  noch  weit 
davon  entfernt  ist,  zu  entscheidender  Geltung  gelangt  zu  sein  das 
Wesentliche  ist  das  objektive  Faktum  der  sündigen  That. 


Digitized  by  Google 


Mord. 


557 


Immerhin  sind  natürlich  Griechen  wie  Römer  frühzeitig  zu  der 
Unterscheidung  der  rprudenter,  £kou<Jiuj<;  oder  TTpovoiaq  und  der 
imprudenter,  ükou(Jiuj?  begangenen  Entleibung*4  fortgeschritten.  Im 
ältesten  Attika  bestand  ein  besonderer  Gerichtshof,  das  Palladiou,  tou; 
dnoKTeivadiv  aKOucriux;  (Paus.  I,  28,  8).  In  Rom  schrieb  schon  «las 
Königsgesctz  des  Nnma  vor:  Vt  si  quis  imprudens  occidisset  ko- 
ntinent, pro  capite  occisi  [ag]natis  eins  in  [conetone  offerre.t  artet  ein 
(Serv.  in  Verg.  Ecl.  IV,  43;,  ^voraus  zu  folgen  scheiut,  dass  qui  pru- 
denter  occiderat  selbst  den  Agnaten  des  Getöteten  überantwortet  wurde 
(s.  auch  u.  Blutrache).  In  wie  weit  dann  ferner  innerhalb  der  im- 
prudenten  Tötung  die  durch  Fahrlässigkeit,  culpa  (ein  ganz  dunkles 
Wort),  veranlasste  Tötung  von  der  durch  Zufall,  cam,  herbeigeführten 
unterschieden  wurde,  oder  wohin  die  im  Affekt  begangeuc  Tötung  ge- 
rechnet ward,  diese  Fragen  sind  hier  nicht  weiter  zu  behandeln.  Ist 
doch  sieher,  dass  sie  nicht  für  eine  Zeit  vorhanden  gewesen  sein  können, 
in  der  der  uus  so  überaus  nahe  liegende  Unterschied  zwischen  ge- 
wollter und  uicht  gewollter  Tötung  dem  Menschen  noch  nicht  aufge- 
gangen war  oder  keine  Beachtung  fand. 

2.  Der  Mord  hatte  in  der  Urzeit  noch  nichts  befleckendes 
und  wurde  noch  nicht  moralisch  verurteilt.  Auch  dies  lässt 
sich  aus  den  homerischen  Gedichten  folgern  (vgl.  Gilbert  a.  a.  0. 
8.  Ö04  ff.).  8o  wird  Theoklymcnos,  der  in  Argos  einen  Mann  erschlagen 
hatte  und  flüchtig  war  (Od.  XV,  222  ff.),  von  Telcmachos  aufgenommen, 
ohne  dass  es  irgend  einer  Reinigung  bedurft  hätte,  und  Üdysseus  selbst 
(Od.  XIII,  20»)  ff.)  fürchtet  nicht  den  Abscheu  seiner  Hörerin,  als  er 
in  einer  erdichteten  Erzählung  sich  als  einen  Mann  hinstellt,  der  auf 
Kreta  einen  Volksgenossen  meuchlings  im  Hinterhalt  erschlug.  Mit 
Recht  bemerkt  daher  Lobeck  Aglaoph.  p.  301:  Heroico  enint  aevo 
quicunque  tale  factum  in  se  adtniserant,  auf  exilium  dira  poenam 
pro  caede  luebant  aut  culpant  pretio  redimebant;  cuius  generis  die 
(IJomertts)  mulfos  inducit  et  dornt  cum  civibus  et  foris  cum  hospiti- 
bus  impune  innoxieque  con  versaut  es,  quod  fieri  nullo  modo  potuisset, 
si  iam  tum  ciguisset  opinio  homicidarum  interventu  deorum  religi- 
ones  et  hominurn  coetus  containinari  omniuinque  rem m  exitus  vitiaril 
ad  extremum,  ne  ullus  ad  tergirersandum  locus  relinquatur,  abest 
ab  Homert  carmintbus  Joris  Purißci  et  Prodigialis  sire  Graecis 
nominibus  ueiXixiou,  TraXanvcdou,  Ka6apo*iou,  (puEiou  ....  religio.  Vgl. 
in  diesem  Sinne  auch  Bernhöft  Z.  f.  vergl.  Recbtsw.  II,  278  und  F.  Stengel 
Die  griechischen  Kultusaltertümer  S.  107  <J.  v.  Müllers  Handbuch 
V,  3). 

Die  Reinigung  eines  Mörders  wird  zuerst  in  der  Aithiopis  (bei 
Proclus)  erwähnt,  und  es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  erst  das 
Aufkommen  geordneter  Priesterschaften,  namentlich  der  Delphischeu, 
und  geläuterterer  Religionsvorstellungen  in  dem  Morde  ein  nütfo<;  oder 


Digitized  by  Google 


558 


Mord. 


uiatfMa  erblicken  lehrte,  das  der  Reinigung  (xdöapox)  bedurfte.  Dass 
diese  Anschauung  in  Rom  vom  Anfang  der  Überlieferung  an  uns  ent- 
gegentritt (vgl.  M.  Voigt  Leg.  Reg.  S.  620,  624),  hat  seinen  Grund  nur 
in  ihrem  späteren  Anheben.  Jedenfalls  musste,  wo  diese  neue  Auf- 
fassung des  Mordes  die  herrschende  geworden  war,  in  Attika  wie  in 
Rom,  mit  dem  Kompositionensystem  der  idg.  Urzeit  gebrochen  werden. 
Die  Reinigungsbräuche  waren  nach  Herodot  I,  35  bei  den  Griechen 
nahezu  dieselben  wie  bei  den  stammfremden  Lydern.  Es  liegt  daher 
nahe,  sie  Uberhaupt  aus  orientalischen  Quellen  abzuleiten.  S.  auch  u. 
Reinheit  und  Unreinheit. 

3.  Auf  keinen  Fall  hat  in  der  Urzeit  die  Allgemeinheit  (der  Staat) 
irgend  etwas  mit  der  Verfolgung  einer  Blutthat  zu  thuen  gehabt.  Es 
ist  die  Sippe,  die  den  Mord  eines  Sippengenossen  rächt  oder  sich  die 
Rache  abkaufen  lässt.  Es  giebt  für  Mord  keine  Strafe,  sondern  nur 
eine  Busse.  Das  nähere  s.  u.  Blutrache  und  u.  Strafe.  Gewohn- 
heitsrechtlich aber  wird  schon  in  der  Urzeit  in  gewissen  Fällen  (s.  u. 
Ehebruch  und  Diebstahl)  die  durch  die  Tötung  eines  ihrer  Mit- 
glieder gekränkte  Sippe  auf  die  Ausübung  der  Blutrache  verzichtet 
haben. 

4.  Als  eine  besondere  Art  der  Tötung  tritt  bei  zwei  idg.  Völkern 
Europas  der  Begriff  des  Sippenmörders  und  des  Sippenmordes 
uns  entgegen.  Durch  die  Satzungen  der  Blutrache  war  der  in  der 
Urzeit  offenbar  sehr  häufige  Fall  geregelt,  wenn  jemand  das  Mitglied 
einer  fremden  Sippe  erschlug.  Etwas  besonderes  aber  und  ungeheures 
musste  es  scheinen,  wenn  jemand  freiwillig  oder  unfreiwillig  eiueu 
tötete,  der  zu  derselben  Sippe  wie  er  selbst  gehörte.  Hierher  ist 
nach  den  sachlich  wie  sprachlich  (näheres  s.  u.  Sippe)  überzeu- 
genden Ausführungen  Brunnenmeisters  (s.  o.)  das  lat.  pdricida,  ])äri- 
cid i um  zu  stellen.  Aber  auch  im  Altirisehen  werden  fingal  ,Mord  eines 
Stammcsgcnossen  oder  Verwandten',  fin-galach  ,a  fratricide,  one  who 
has  killed  a  tribesman',  fingalcha  Gl.  zu  parricidalia  arma  (Windisch 
I.  T.)  :  ir.  fine  , Familie,  Sippe'  (s.  über  diese  Wörter  u.  Familie) 
deutlich  unterschieden.  Es  liegt  daher  die  Vermutung  nahe,  dass 
hier  ein  Ausgangspunkt  für  die  Auffassung  des  Mordes  als  eines  Ver- 
brechens anzuerkennen  ist,  und  dass  die  schon  oben  genannte  Lex  des 
Nnma:  Si  qtti  hominem  liberum  dolo  xciem  morti  duit,  paricidaa 
esto  insofern  eine  civilisatorische  That  ist,  als  sie  den  am  Sippenmord 
erkannten  Begriff  des  Tötungsverbrechens  auf  jeden  Mord  eines  Volks- 
genossen (über  Uber  .frei',  eigentlich  ,Volksgenosse'  s.  u.  Stände) 
ausdehnte.  So  auch  E.  Meyer  Geschichte  des  Altertums  II,  512,  514  f. 
(der  nur  die  Brunnenmeisterschc  Worterklärung  von  lat.  pdricida  nicht 
billigt).  Was  in  der  Urzeit  mit  einem  solchen  Sippenmörder  geschah, 
Jässt  sich  nur  erraten.  Er  wird  gewesen  sein,  was  die  Römer  mit 
sacer  , verflucht',  die  Goten  mit  unsibjis  ,do*ۧn.?,  fivouo?'  (eigentlich 


Digitized  by  Google 


Mord  —  Münze. 


5rvj 


,au8gestos8en  aus  der  Sippe  )  bezeichneten.  Im  ältesten  Koni  wäre 
nach  Brunnenmeister  (S.  171)  die  Rechtsfolge  des  pdricidium  das  deo 
necari  gewesen.  In  der  Versammlung  der  Geschlechtsgenossen  wäre 
der  Verbrecher  den  nahen  Angehörigen  des  Gemordeten  übergeben  und 
von  diesen  zur  Besänftigung  des  göttlichen  Zornes  vom  Leben  zum 
Tode  gebracht  worden.  —  S.  n.  Verbrechen  und  u.  Strafe. 

Morgen  {tempun  matutinum).  Das  Frührot,  welches  den  Morgen 
herauffuhrt,  hat  in  den  idg.  Sprachen  eine  gemeinsame  Benennung: 
sert.  ushdji-,  aw.  ttäah-,  griech.  r|u»q,  aeol.  aüuuq,  lat.  auröra,  1h.  ausz- 
rä  esert.  ush,  ucchdti  »leuchtet').  S.  auch  u.  Religion.  Für  den 
Morgen  selbst  fehlt  es  an  scharf  ausgeprägten  substantivischen  Glei- 
chungen, sc  dass  das  sprachliche  Verhältnis  von  Morgen  zu  Abend 
<s.  d.)  einigermasseu  dem  von  Tag  zu  Nacht  (s.  d.)  entspricht.  Doch 
beachte  adverbiale  Bildungen  wie  sert.  prätdr  ,früh  Morgens'  :  gricch. 
iTpun,  ahd.  fruoji  und  griech.  fjpi  ,am  frühen  Morgen'  (aus  *dyeri  :  aw. 
ayare  ,Tag';  vgl.  auch  griech.  äpicrrov  ,was  man  in  der  Frühe  isst')  : 
got.  air  .früh",  ir.  an-air  ,von  Osten'.  Die  verbreitetste  Bezeichnung 
des  Morgens  löst  sich  von  dem  idg.  Wort  für  Nacht  *nokt-  ab,  dessen 
Tiefstufe  *nkt-  in  gemcingeriu.  got.  iihttcö,  ahd.  ühta  , Frühe,  Morgen- 
dämmerung', »Ivvuxov',  lit.  ankxü  ,frühe',  altpr.  angxtainai  »morgends', 
griech.  dien?  ,Strahl',  sert.  aktii-  ,Nacht,  Dämmerung,  Licht'  vorliegt 
(Sprachvergleichung  und  Urgeschichte*  S.  452,  ühlenbeck  Et.  W.  d. 
got.  Spr.  S.  152).  Eine  Entsprechung  findet  dieser  Bedeutungswandel 
in  got.  maürgins  , Morgen'  :  altsl.  mrüknqti  »dunkel  werden',  klruss. 
zmrök  »Dämmerung'  (anders  Ühlenbeck  a.  a.  0.  S.  10H).  Vgl.  auch 
unser  dämmerung  :  sert.  tämas-  »Finsternis1.  Einzclsprachliches:  griech. 
<5p9po<;  :  opvuut  („wenn  man  aufsteht"),  lat.  mdne,  mdtu-tinus  (wie 
diu-tinusi  :  mänus  ,gut'  („zu  guter  Stunde"),  lit.  ryta*  (dunkel).  — 
S.  u.  Tag,  Abend  und  u.  Zeitteilung. 

Morgen  (oriens),  s.  Himmelsgegenden. 

Morgen  (ingerum),  s.  Mass,  Messen. 

Morgengabe,  s.  Mitgift. 

Morgenrot«,  s.  Morgen,  Religion. 

Morgenstern,  s.  Religion,  Sterne. 

Mörtel,  s.  Kalk. 

Moschus,  s.  Biber. 

Most,  8.  Wein. 

Möwe.  Griech.  Xdpoq  (:  altn.  Uri  ,ein  Seevogel"?),  KaüaE,  ktiüE 
(:  lat.  gdria  ,Möwe?  oder  :  lit.  kdicas  »Dohle"?);  kelt.  *voilenno-,  ir. 
foilenn,  kymr.  gteylan  (auch  in  der  Bedeutung  ,alcedo'  etc.):  gemein- 
germ.  ahd.  meh,  altn.  mar,  agls.  mdw,  entlehnt  ins  Litauische  {rngwas). 
Altsl.  vypü. 

Mühle,  s.  Mahlen,  Mühle. 

Münze,  8.  Geld. 


Digitized  by  Google 


Murmeltier  —  Musikalische  Instrumente. 


Murmeltier.  Das  nur  auf  den  höchsten  Spitzen  des  Gebirges* 
lebende  und  daher  von  den  Alten  wenig  beachtete  Tier  scheint  zuerst 
von  Plinius  als  mus  Älpinu*  genannt  zu  werden.  Auf  Int.  murern 
montU  (rbätoroni.  murmont)  gehen  dann  ahd.  murimtnto,  murmuntl, 
und  vielleicht  it.  marmotta  etc.  zurück.  Verwandt  ist  die  Ziesel- 
maus: ahd.  xiximüs,  zisimAs,  nihd.  zixemAx,  zi&eh  Wörter,  für  die  man 
Entlehnung  aus  den  slavischen  .Sprachen  annimmt  i  vgl.  Palander  Ahd. 
Tieniamen  8.  08). 

Muschel,  s.  .Sc  Ii  muck. 

Musikalische  Instrumente.  Auf  diesem  Kulturgebiet  haben  sich 
vorhistorische  Gleichungen  von  irgend  welcher  Sicherheit  bis  jetzt 
nicht  nachweisen  lassen,  so  dass  man  von  Seiten  der  Sprache  zu  der 
Annahme  geführt  wird,  dass  die  idg.  Urzeit  an  musikalischen  Instru- 
menten noch  sehr  arm  war,  oder  derselben  gänzlich  entbehrte.  Es 
stimmt  hiermit  übereiu,  dass  auch  die  prähistorische  Forschung  aus 
der  neolithischen  Periode  unseres  Erdteils,  in  die  das  fällt,  was  wir 
unter  „Urzeit  der  Indogermanenu  bezeichnen  (s.  u.  Kupfer  und  Stein- 
zeit), fast  nichts  über  Funde  von  Musikinstrumenten  zu  berichten 
weiss.  Eine  Ausnahme  machen  gewisse  trichterförmige  Trommeln 
aus  Thon,  die  in  mcgalithischen  Gräbern  namentlich  der  Altmark  zu 
Tage  getreten  sind  i  ein  Exemplar  z.  B.  im  Proviuzmlmus.  z.  Halle  .  Sollte 
dieses  Instrument  durch  weitere  Forschung  sich  als  allgemeiner,  einziger 
uud  ältester  Besitz  der  jüngeren  Steinzeit  erweisen,  so  würde  hierdurch 
die  bei  Naturvölkern  gemachte  Erfahruug  lediglich  bestätigt  werden, 
nach  welcher  „die  mehr  rhythmischen  als  tonischen  Schlaginstrumente 
tvor  allem  also  Trommel  und  Pauke)  am  frühsten  auftretena  vgl. 
K.  Bücher  Arbeit  und  Rhythmus  S.  9i>>. 

In  jedem  Falle  lässt  sich  sagen,  dass  die  eigentliche  Geschichte  der 
musikalischen  Instrumente  in  Europa  erst  nach  der  Trennung  der  idg. 
Einzelvölker  auhebt,  und,  soviel  hier  noch  im  einzelnen  zu  thnn  übrig 
bleibt,  können  doch  ihre  Hauptakte  mit  einiger  Deutlichkeit  schon 
jetzt  übersehen  werden. 

In  der  homerischen  Welt  ist  es  noch  eine  geringe  Mnnnigfaltig- 
keit  von  Musikinstrumenten,  die  uns  entgegentritt.  Genannt  werden 
zunächst  die  drei  durch  SufHxgleichheit  ihrer  Benennungen  verbundenen 
Instrumente.  aOpifr  .die  Hirtenpfeife',  aäXm-rH  ,dic  Trompete  nur  im 
Gleichnis  von  der  Stimme  des  Achilleus  gebraucht,  aaXmkiv  vom 
Himmel:  äuepi  be  aäXTrrrEev  oOpavo?)  und  «pöpurrE  , das  Saiteninstrument 
des  Apollo  und  der  Aöden'.  Hinzu  kommen  auXöq  .die  Flöte"  (II.  X,  V.\ 
bei  den  Trojanern  und  XVIII,  495  zusammen  mit  der  cpöpurrE  als 
Tanzmusik  genannt),  »a8api<;  und  'nur  in  den  Hymnen)  Xüpr),  beides 
,.Saitcninstrumcnte'.  Etymologisch  sind  alle  diese  Ausdrücke,  vielleicht 
mit  Ausnahme  von  CaKm^l  (:  lit.  szicilpti  , pfeifen  ),  noch  nicht  sicher 
erklärt.    Einige  derselben,  wie  namentlich  Kiöapi«;.  später  KiOdpa  (vgl. 


Digitized  by  Google 


Musikalische  Instrumenta. 


5*31 


Lewy  Sem.  Frenulw.  S.  KU  f.),  sind  orientalischen  Ursprungs  ver- 
dächtig, der  auf  das  unzweideutigste  in  der  grossen  Menge  der  Be- 
nennnngen  von  Musikinstrumenten  in  nach  homerisch  er  Zeit  hervor- 
tritt. Einige  derselben  sind  vdßXa?  (Sophokles)  und  Kivüpa  (spät  bezeugt, 
aber  wohl  aus  Kivüpouai  ,klage'  etc.  schon  fUr  frühe  Zeit  zu  erschliessen), 
die  aus  dem  Hebräiseh-Phönizischen  (hebr.  nebel  und  kinnOr,  beides 
,Saitenspiele')  stammen,  Travboöpa  (armen,  pandir  ,ein  Saiteninstrument', 
osset.  fändur,  fändir  ,Zither  mit  2  Saiten  ),  ein  in  letzter  Instanz  Jy- 
disehes  Wort  (vgl.  Lagarde  Ges.  Abb.  S.  274),  TÜuTTavov  (Uerodot) 
,Handpauke',  wie  es  scheint  bis  nach  Assyrien  (ttippu,  tuppanu,  aram. 
ttippd  ,Handpauke")  hinüberführend.  Vgl.  weiteres  bei  Muss-Arnolt 
Semitic  words  (Transactions  of  the  Am.  phil.  association  XX11I  S.  127  f.) 
uud  Lewy  a.  a.  O.  S.  161  ff.  So  bestätigt  die  Sprache  lediglich  die 
in  Griechenland  vorbaudene  Überlieferung,  nach  welcher  alle  Musik 
zusammen  mit  dem  Ursprung  der  musikalischen  Instrumente  durch 
thrakischc  Vermittlung  aus  Asien  abzuleiten  sei.  Vgl.  Strabo  X,  p.  471 : 
dirö  be  toö  pe'Xou^  Kol  toO  £u0uoü  Kai  tujv  öpfavuuv  Kai  n.  uouffiKn,  Ttäaa 

GpaKia  Kai  'Ao*idTi£  vevöuiötai  Kai  ö  ue'v  jiq  <pn.o"iv  >Ki9dpav 

'Atfianv  £do*o*uiva,  ö  be  jovq  aüXoüq  BepeKuvrtouq  KaXeT  Kai  Opufiou^  * 
Kai  tujv  öpYdvwv  Ivia  ßapßdpiuv  iüvöuao"Tai  vdßXa^  (s.  o.),  aaußÜKn, 
(Muss-Arnolt  S.  12S,  Lewy  101),  Kai  ßdpßito?  (Muss-Arnolt  S.  127)  Kai 
uaYdbi?  (Lewy  S.  162)  Kai  aXXa  rcXeiw  (vgl.  auch  Athenaeus  IV,  p.  17ö  tF.). 
Wie  schon  in  homerischer  Zeit,  so  wird  der  Charakter  der  griechischen 
Musik  auch  später  vorwiegend  durch  die  Schlaginstrumente  bestimmt. 
Bezeichnend  hierfür  ist  »1er  Gebrauch  von  Kpoüeiv  schlagen*  =  KÖTrreiv 
und  KpoTeiv  (s.  u.)  für  musizieren  überhaupt,  so  dass  man  wie  Kpoüeiv 
<pöpuiYYa,  Kiödpav,  Xüpav  auch  Kpoüeiv  aüXöv,  Kpe'ußaXov  und  wie  Kpoüo*- 
uaia  .Musikstücke'  Ki6dpr|<;  so  KpoücTpaTa  Td  ^v  aüXnjiKrj  und  aaXm- 
0*TiKd  sagt  (vgl.  K.  Bücher  a.  a.  O.  S.  02 3). 

In  Rom  war  das  eigentlich  einheimische  Instrument  die  tibia  , Flöte' 
(eigentlich  ,Schicnbeinknocbcn  ).  Dazu  u.  a.  die  tuba  :  fubus  , Röhre' 
(auch  selbst  ,tubat  und  die  bAcina  ,IIorn,  Trompete'  (aus  *boricina? 
oder  :  mhd.  pfür.hen,  altsl.  bykü  .Stier',  bucati  .brüllen'?).  Die  Saiten- 
instrumente tragen  (auch  fules  aus  griccli.  o*qnbn,  ,Dann.  Saite?)  grie- 
chische Namen,  wie  denn  die  römische  Musik  ganz  unter  griechischem 
und  etiurischcm  (vgl.  Athen.  IV,  p.  184:  Tuppn.vüjv  b'  e'öfiv  eupn.ua 
Kepaid  re  Kai  adXmYYe?)  Eintluss  steht. 

Gegenüber  dem  Süden,  wo  das  Saitenspiel  in  mannigfachen  Arten 
die  Musik  beherrscht,  ist  im  Norden,  bei  keltischen  und  germanischen 
Völkern,  ein  Bl  as  i  n  s  t  r  u  m  e  n  t  zuerst  littcrarisch  und  archäologisch 
nachweisbar,  das  Horn.  Von  den  ersteren  berichtet  Diodorus  Sic.  V,  .'50: 
odXTTrfTaq  b'  e*xouo"iv  ibioqpuei?  Kai  ßapßapiKdq-  eu<puauiai  fdp  TaÜTai? 
Ka\  npoßdXXouaiv  fjxov  Tpaxüv  Kai  TroXeunois  tapaxn«;  oiKeiov.  Vgl.  dazu 
Hesych  Kdpvov  tt|v  o*dXmYYa  TaXdiai  und  Eustath.  ad.  Horn.  II. 

Schräder,  Reallexikon.  ,% 


Digitized  by  Google 


R62 


Musikalische  Instrumente. 


p.  1139,  f>7:  TpiTn  ((jaXinfS)  l~aXaTiKf|,  xwveuTn;  ....  €0*ti  bt  ö£u<pujvo? 
Kai  KaXeiTCu  üttö  tüjv  KcXtujv  Kap vuE.  Dass  auch  bei  den  Germanen 
das  Horn,  zunächst  das  einfache  Ochsenhorn,  dann  das  aus  Bronze 
oder  Gold  hergestellte,  ein  altbekanntes  Musikinstrument  war,  folgt 
erstens  aus  der  Wiedergabe  des  griech.  aa\mf£  durch  puthaürn  bei 
Ulfilas  (daneben  xtciglön,  siriglja  für  auXelv,  aüXnjn;?,  ahd.  nwegala 
, Flöte ').  dann  daraus,  das»  auf  einer  Kupfermünze  des  Marc  Aurel 
unter  germanischen  Waffen  auch  ein  Horn  dargestellt  ist,  und  endlich 
aus  den  Funden  wirklicher  (goldener)  Musikhörner  auf  von  Germanen 
besiedeltem  Boden  (vgl.  0.  Fleischer  Die  Musikinstrumente  des  Alter- 
tums und  Mittelalters  in  germanischen  Ländern  in  Pauls  Grundriss  III8, 
öt)T  ff.).  Zu  den  merkwürdigsten  Ergebnissen  aber  der  Prähistoric  über- 
haupt gehören  die  in  mehreren  Gegenden  Dänemarks,  sowie  in  Schweden 
und  (bruchstückeweis)  auch  in  Mecklenburg  und  Hannover  gefundenen 
1 1 —  — 1  -  Meter  langen,  posaunenartigen  Blasinstrumente  („Luren"  ge- 
nannt), die  zum  teil  späteren  Ursprungs,  teilweis  aber  auch  bis  in  die 
Bronzezeit  zurückgehen,  wo  sie  abgebildet  schon  auf  einem  südschwe- 
dischen  Fclscnrelief,  dem  Kiwikmomunent  bei  Mälby  im  südlichen 
Schweden,  erscheinen  (vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  481  f. 
und  0.  Fleischer  a.  a.  0.).  Analoga  zu  diesen  prachtvollen  Schätzen 
namentlich  des  Kopenhagener  Museums  haben  sich  bis  jetzt  weder  im 
Orient  noch  im  Occident  gefunden.  Jedenfalls  beweisen  aber  auch  sie, 
„dass  in  frühesten  Zeiten,  selbst  bevor  noch  die  deutschen  Völker  in 
den  Bannkreis  der  Geschichte  und  der  griechisch-römischen  Kultur 
traten,  vor  allem  in  den  nordischen  Ländern,  Blasinstrumente  be- 
kannt und  in  ausgedehntem  Masse  gebraucht  wurden". 

Langsam  beginnen  nun  auch  die  Saiteninstrumente  aus  dem  Süden 
nach  dem  Norden  Europas  vorzudringen,  wo  sie,  wie  schon  in  der 
Haud  des  homerischen  Aüden,  so  in  der  des  keltischen  Barden  und 
germanischen  Hofsängers  das  gewöhnliche,  die  barbarischen  Hörer  ent- 
zückende Begleitungsinstrument  werden  (s.  u.  Dichtkunst,  Dichter). 
Über  die  Abbildungen  derartiger  Kithara-artiger  Instrumente  anf  Denk- 
mälern, die  bis  in  die  Hallstatt-Periode  zurückgehen,  und  auf  alt- 
gallischen Münzen  aus  Caesars  Zeit,  sowie  über  die  späteren  Funde 
von  Saiteninstrumenten  selbst  in  alemannischen  Gräbern  vgl.  O.  Fleischer 
a.  a.  0.  Dabei  wird  man  für  die  Kelten  an  griechisch-inassiliotische, 
für  die  Germanen  an  gallische  Einflüsse  denken  dürfen.  In  merkwürdiger 
Nähe  des  gcmeinkeltischcn  Namens  der  Harfe,  altgall.  crotta,  ir.  crott, 
kymr.  crwth,  der  auf  eine  Grundform  *crotetä'  zurückzugehen  scheint 
(vgl.  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  100,),  liegt  das  schon  oben 
genannte  griech.  KpoTtiv  ,eiu  Saiteninstrument  schlagen',  KpoTTyro  u^Xn; 
,auf  einem  Saiteninstrument  gespielte  Lieder',  mit  dem  der  keltische 
Ausdruck,  rein  sprachlich  betrachtet,  wohl  urverwandt  sein,  aus  dem  er 
aber  auch  in  früher  Zeit  entlehnt  sein  könnte.  Aus  altgall.  crotta  stammt 


Digitized  by  Google 


Musikalische  Instrumente  —  Muskatuu.ss. 


aber  wiederum  nhd.  hrotta  (woraus  altfrz.  rota).  Auch  dieser  Fall 
wird  unter  die  n.  König  behaudelte  Entlehuungsgruppe  gehören,  d.h. 
mit  dem  altgallisehen  Königtum  wird  auch  die  Gestalt  des  Sängers 
und  der  Name  seines  Instruments  zu  den  Germanen  Ubergegaugen  seiu. 
Der  häutigere  altgcrmanische  Name  für  eine  von  der  crotta  vielleicht 
verschiedene  Harfenart  ist  ahd.  harfa,  agls.  hearpe,  altn.  harpa.  Er 
ist  schon  bei  Venautins  Fortunatns  bezeugt,  hat  aber  noch  keine  An- 
knüpfung oder  Erklärung  gefunden.  Bemerkenswert  aber  ist,  dass 
auch  im  äussersten  Osten  Europas,  in  der  sla  vi  scheu  Welt,  das 
Saitenspiel  früh  bezeugt  ist.  Als  der  Kaiser  Maurikios  im  9.  Jahre 
seiner  Regierung  sich  in  Thrakien  befand,  wurden  3  Slaven  mit  Zithern 
(Kiedpa;  entsprechend  wohl  das  altsl.  gqdl  aus  *gqdtll  :  gqdq  ,citbara 
cano  )  vor  ihn  geführt,  die  aussagten,  dass  dies  ihr  wichtigstes,  ja 
einziges  Instrument  wäre  (vgl.  die  Belege  bei  Krek  Einleit.  iu  die  slav. 
Litgeseh.8  S.  375).  Auch  die  Araber  berichten  von  Lauten,  Zithern, 
Schalmeien,  Saiten-  und  Blasinstrumenten  bei  den  sklavischen  Völkern. 
Vielleicht  darf  man  auch  hier  als  Vermittler  dieser  Kulturgüter  sich 
die  Thraker  (s.  o.)  denken,  denen  in  den  dürftigen  Nachrichten,  die 
wir  von  ihnen  haben,  mehrere  wichtige  Musikinstrumente  zugesprochen 
werden.  So  die  Harfe  selbst,  die  bei  ihnen  ßpuvxö?  hiess  (ßpuvxöv 
Ki8üpav.  OpctKes  Hes.),  so  (vgl.  Xcnophon  Anab.  VII,  3,  32)  das  Signal- 
born und  der  Dudclsack  oder  die  Sackpfeife  (crdKiriYE  uüpoßoeia),  auf 
der  sie  £u6hqo£  xe  kou  oiov  pafdbi  (in  der  Oktave?)  spielten. 

Gänzlich  unbekannt  sind  im  Altertum  und  früheren  Mittelalter  die 
Streichinstrumente  geblieben,  die  sich  im  Lauf  der  Zeit  aus  ge- 
wissen Grundformen  der  geschlagenen  Saiteninstrumente  cutwickelt 
haben.  Hiervon  legen  auch  Bedeutungseutwicklungeu  wie  engl,  croicd 
»Fiedel'  aus  kymr.  crwth  .crotta'  oder  nsl.  gusli,  serb.  güdulka,  ober- 
sorb.  hmla  ,Geige,  Violine'  :  altsl.  gasll  ,Ki0dpa'  Zeugnis  ab.  Die 
beiden  wichtigsten  Sprachreihen  für  diese  neuen  Bogeninstrumente 
liegen  in  mhd.  gige,  altn.  gigja,  it.  giga,  frz.  gigue  und  ahd.  fidula, 
agls.  /ibele,  altn.  fibla,  mlat.  ritula,  it.  viola,  frz.  riole,  cielle  vor. 
über  ihren  Ursprung  ist  noch  nichts  bekannt  (näheres  bei  Flcischcra.a.O.). 

Muskatnuss.  Die  als  Aroma  und  als  Gewürz  gebrauchte  Frucht 
der  auf  den  Molukken  einheimischen  Mgristica  moschata  oder  fragran* 
war  im  Altertum  unbekannt,  obwohl  es  einige  unter  dem  von  Dios- 
korides  (I,  110)  u.  a.  genannten  ud»c€p  (Plinius:  macir-,  schon  Plautus 
im  Pseudolus  hat  ein  macis,  macidisi  verstanden  wissen  wollen  („Macis- 
blüte1-;:  doch  vgl.  C.  Sprengel  Diosk.  II,  392.  —  Erst  im  Mittelalter, 
so  scheint  es,  hat  sich  die  Muskatnuss  von  Indien  her  westwärts 
durch  den  Handel  ausgebreitet,  wie  die  Aufnahme  des  indischen  jäti- 
kö$a-  in  das  Syrisch-Aramäische  zeigt  (vgl.  Lagardc  Ges.  Abb.  S.  25, 
Löw  Aram.  Pflanzenn.  S.  85,  Z.  f.  d.  Kunde  d.  M.  V,  83).  In  Byzanz 
erhielt  das  Gewürz  nach  der  Ähnlichkeit  seines  Geruches  mit  dein 


Digitized  by  Google 


5<;i 


Muskatnuss  —  Mutterrechf. 


Moschus  (b.  u.  Biher)  den  Namen  uoo*xoi<dpubov,  woraus  lat.  nux 
moschata,  mhd.  nuzmmcata  (heilige  Hildegard),  mmkät  (K.  v.  Megen- 
berg).  —  Ausführlich  Flückiger  Pharmakognosie*  S.  976. 

Matter.  Ihr  idg.  Name  ist  scrt.  mätdr-,  aw.  mätar-,  armen, 
/wfltr,  griech.  uäTn.p,  lat.  mäter,  ir.  mdthir,  ahd.  muotar,  altpr.  mothe, 
milti,  lit.  »ioW  ,Weib',  mötyna  .Mutter',  altsl.  »wrtfi  (alb.  »»ofrr 
,8chwester').  Eine  Wurzel-  oder  Grundbedeutung  dieses  Wortes  lässt 
sich  nicht  ermitteln.  Wahrscheinlich  ist  es  nichts  als  eine  organische 
Unibildung  eines  der  zahlreichen  Lall-  und  Kinderwörter,  welche  sich 
für  Vater  und  Mutter  durch  alle  Sprachen  der  Welt  in  d  e  r  Weise 
zichn,  dass  für  den  Vater  die  Laute  p  und  t,  für  die  Mutter  m  und  n 
charakteristisch  sind  (vgl.  Kretschmer  Einleitung  S.  8f>:-J  ff.).  Auf  idg. 
Boden  finden  sich  so  für  ,Muttcr'  :  scrt.  nand',  griech.  vevvct,  vdvvrj 
(auch  ,Mutter-  oder  Vaterschwester'),  uduua,  uduun.  (auch  ,Mutterhrust\ 
und  ,Grossmntter'),  lat.  mama,  mamula,  mamma  (auch  ,Mutterbrust, 
Amine,  Gro8Siuutter'),  amita  ,Tante',  kelt.  korn.  mam,  germ.  ahd.  amma 
(auch  ,Amme,  Grossmutter'),  altn.  möna,  ahd.  muoma  .matertcra',  ndd. 
mdme  ,Mtitter'  und  , Muhde',  lit.  mama  und  momd,  slav.  mama,  alb. 
ame,  natu  etc.  Dunkel  ist  got.  aipei.  —  S.  n.  Vater  und  Uber  die 
Stellung  der  Mutter  in  der  Familie  s.  d. 

Mutterbruder,  s.  Oheim. 

Muttersch  wester,  s.  Tante. 

Matterrecht.  Mit  diesem  Worte  bezeichnet  man  einen  bei  zahl- 
reichen Stämmen  der  Gegenwart  und  mehreren  Volkern  des  Altertums 
bezeugten  Zustand  der  Familie,  bei  welchem  die  Verwandtschaft  und 
der  Erbgang  des  Kindes  nicht,  wie  sonst,  durch  den  Vater,  sondern 
durch  die  Mutter  bestimmt  wird.  Welche  Verhältnisse  und  Gründe  zu 
diesem  uns  befremdenden  Thatbestand  gefuhrt  haben,  ist  noch  nicht 
genügend  ermittelt  (vgl.  namentlich  E.  Grosse  Die  Formen  der  Familie 
und  die  Formen  der  Wirtschaft  Freiburg  i.  B.  und  Leipzig  li^Oo 
passim)  und  soll  hier  nicht  erörtert  werden.  Jedenfalls  brauchen  es 
nicht  überall  dieselben  Ursachen  gewesen  zu  sein.  Unter  dem  Mutter- 
recht  ist  der  nächste  Verwandte  des  Kindes  naturgemäss  der  Mutter- 
bruder, so  dass  der  Kern  der  mutterrechtlichen  Familie  durch  Mutter, 
Kind,  Mnttcrbrudcr  gegenüber  Vater,  Kind,  Vaterbruder  der  vater- 
rechtlichen Familie  gebildet  wird. 

Nach  dem  u.  Familie  und  Erbschaft  (s.  auch  n.  Xamc,  Xamen- 
gebung)  ausgeführten  Sachverhalt  kann  nicht  davon  die  Rede  sein, 
dass  die  Indogermanen  in  uns  erreichbarer  Zeit  jemals  nach  Mutter- 
recht  gelebt  hätten,  und  es  wäre  daher  über  diesen  Begriff  hier  über- 
haupt nichts  zu  sagen,  wenn  nicht  einige  Spuren  vorhanden  wären,  die 
es  als  wahrscheinlich  erscheinen  Hessen,  dass  die  vorindogerma- 
nische Bevölkerung  Europas  oder  Teile  derselben  unter  Mutterrecht 
gestanden  hätten.   So  berichtet  zunächst  Herodot  I,  173  von  den  der 


Digitized  by  Google 


Mutterrecht. 


565 


griechischen  Welt  heuachharten  Lykiern  folgendes:  £v  bi  röb€  ibiov 
V€VopiKao*i  Kai  oübapoitfi  dXXöi^  ffupcptpovTai  avSpiumov  KaKiovCi  dno 
tüjv  pnjepuiv  ^uuutou?  Kai  oüki  dnö  tüjv  7raT€pujv.  eipopevou  bi  ^T€pou 
töv  nXrtcJiov,  ti?  €ir(,  xaTaX^ct  ^uuutöv  pnTpöGfcv  Kai  rfj^  pnTpö?  dva- 
vep&Tai  tci<;  urjTepaq.  Kai  nv  pev  re  Tuvrj  äaxr\  bouXw  auvoiKn.cn;),  rev- 
vaia  td  T€Kva  vevöptcrrat,  nv  be  dvfjp  aoiö<;.  Kai  6  irpÜJTO?  airrojv,  tu- 
vafaa  £eivnv  n.  naXXaKnv  £xn>  äupa  Td  t^kvo  riveTai.  Vgl.  auch  Nicolais 
von  Daniascus  De  mor.  gent.:  Aukioi  id^  Yuvafoaq  päXXov  f|  tou?  dv- 
bpaq  Tipwcfi  Kai  KaXoövrai  pr|TpöÖ€v,  jäq  T€  KXnpovopia?  Talq  6uTaTpdo"i 
XeiTrouat,  oü  toi?  uiois,  IJeraclides  Ponticus  De  re  publ.  15:  Aükioi  btfj- 
Yov  Xrj(JTeuovT€?  •  vöpoi^  bi  ou  xpwvTai,  dXX'  £0eo*i  Kai  Ik  TraXatou  yu- 
vatKpaTOÖvTai,  sowie  Nymphis  von  Heraclea  bei  Plut.  De  niul.  virt.  9, 
wo  die  xanthisehe  Sitte  pn.  TraTpö9ev  dXX'  öttö  pnipuiv  xpnP«™Tfoiv  auf 
den  lykischen  Nationalhelden  Hellerophon  zurückgeführt  wird.  Bemerkens- 
wert  ist  auch,  dass  der  Enkel  dieses  Bellerophou  in  mütterlicher  Linie, 
Sarpedon,  in  der  Erbschaft  vor  seinein  direkten  Enkel,  Glaukos,  be- 
vorzugt wird,  was  schon  den  Alten  auffiel  (vgl.  J.  Tocpffer  Attische 
Genealogie  8.  193  ff.  >.  Nun  ist  es  aber  nach  älteren  wie  nach  neueren 
Untersuchungen  (vgl.  P.  Kretschtner  Einleitung  in  die  Geschichte  der 
griech.  Sprache  S.  370)  wahrscheinlich,  dass  die  Lykier  zusammen 
mit  Karern,  Lydern  (vgl.  Uber  Spuren  des  Mutterrechts  bei  diesem 
Volke  Athen.  XII,  p.  515»,  Mysern,  Pisiden,  Kilikicrn  u.  a.  eine  durch 
Verwandtschaft  mit  einander  verbundene,  nicht  indogermanische  Völker- 
grnppe  bilden,  die  in  vorhistorischer  Zeit  auch  über  die  Inseln  des 
ägäischen  Meeres  und  den  Süden  der  Balkanhalbinse)  und  des  Mittel- 
meergebietes  Überhaupt  verbreitet  war.  Es  liegt  also  die  Vermutung 
nahe,  dass  das  Mutterrecht  der  Lykier  einstens  auch  bei  den  ihnen 
sprachverwandten  Völkern,  also  auch  im  Süden  Europas,  gegolten 
habe,  wo  einerseits  Diodorus  Siculus  (V,  17)  von  einer  ähnlichen  Wert- 
schätzung der  Frauen  auf  den  Balearen  wie  bei  den  Lykiern  zu  be- 
richten weiss,  und  andererseits  nach  Aristoteles  bei  Polyb.  XII,  5,  6 
(vgl.  Toepffer  a.  a.  0.  S.  194)  in  Griechenland  selbst  bei  den  als 
Nachkommen  der  Leleger  betrachteten  epizephyrischen  Lokrern  ein 
Adel  von  10o  Geschlechtern  in  weiblicher  Linie  auftritt.  Über  An- 
zeichen einstigen  Mutterrechts  auf  Kos  und  bei  den  Etruskern  s.  u. 
Name,  Xaraengebu  ng. 

Mit  Sicherheit  ist  ferner  der  Zustand  des  Mutterrechts  im  äussersten 
Nord- Westen  unseres  Erdteils,  bei  der  vorkeltischeu  Bevölkerung  Bri- 
tanniens, den  Pikten  bezeugt.  Die  Ermittlung  dieses  Umstauds  ver- 
danken wir  II.  Zimmer  (Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung  für  Rechts- 
geschichte XV.  Rom.  Abt.  S.  209  ff.),  der  sich  darüber  folgender- 
massen  äussert:  „Bei  den  Resten  der  vorarischen  (vorkeltischen) 
Urbevölkerung  Britanniens  bestand  das  Mutterrecht  in  voller  Geltung; 
es  regelte  die  Erbfolge  noch  Jahrhunderte,  als  die  Pikten  Fängst 


Digitized  by  Google 


Mutterrecht  —  Myrrhe. 


christianisiert  und  sprachlieh  keltisiert  waren,  his  zum  Untergang  des 
Piktenstaates  im  9.  Jahrhundert.  Die  Frauen  nahmen  nicht  etwa  eine 
besonders  hohe  .Stellung  ein  (was  nach  Grosse  a.  a.  0.  auch  sonst 
unter  der  Herrschaft  des  Mutterrechts  nicht  überall  beobachtet  worden 
ist),  im  Gegenteil;  nirgends  herrscht,  soviel  wir  sehen,  eine  Frau:  die 
Mutter,  also  die  Geburt,  bestimmt  aber  die  Stauunzuge- 
hörigkeit,  das  Erbrecht.  Auf  einen  Piktenherrscher  und  seine 
Brüder  folgt  nicht  etwa  der  Sohn  des  ältesten,  sondern  der  Sohn  der 
Schwester;  auf  diesen  und  seine  eventuellen  Brüder  von  Mutterscite 
folgt  wieder  ein  Schwestersobn  und  so  fort.a  An  der  Richtigkeit 
dieser  Ausführungen  kann  nach  den  beigebrachten  Zeugnissen  ein 
Zweifel  nicht  bestehen. 

Man  könnte  daher  geneigt  sein,  das  allmähliche  Durchbrechen  des 
agnatischen  Grundeharaktcrs  der  idg.  Familie  (s.  d.)  durch  die  mehr 
und  mehr  hervortretende  Berücksichtigung  der  weiblichen  Verwandt- 
schaft auf  den  Einflusa  vorindogermanischer  Völker  Europas 
zurückzuführen  (vgl.  namentlich  Bcruhöft  Staat  und  Recht  der  röm- 
ische!) Königszeit  Stuttgart  1882  S.  191  ff.).  Und  eine  derartige  An- 
nahme wird  man  nicht  als  unmöglich  bezeichnen  können:  doch  hat 
B.  Delbrück  in  den  Prenssischen  Jahrbüchern  (LXXIX,  14  ff.  Das 
Mutterrecht  bei  den  Indogermanen)  überzeugend  nachgewiesen,  das«  alle 
einzelnen  Punkte,  die  man  für  das  Bestehen  einstigen  und  eigentlichen 
Mutterrechts  bei  idg.  Völkern  ins  Feld  geführt  hat,  sich  sehr  wohl  auch 
ohne  eine  solche  Hypothese  erklären  lassen. 
Mfttze,  s.  Kopf bedeckung. 

Myrrhe  'das  Harz  des  namentlich  in  Ostafrika  und  Sudarabien  vor- 
kommenden llalxamodendron  Ehrenbergiamtm  oder  B.  Myrrha).  Wie 
die  Heimat,  so  bietet  auch  die  Geschichte  dieses  Aromas  viele  Ähn- 
lichkeit mit  der  des  Weihrauchs  (s.  d.).  Wie  diesen,  holen  die 
Ägypter  die  Myrrhe  und  Myrrhenbänme  seit  alten  Zeiten  ans  dem 
Wunderlandc  Punt,  und  es  ist  nicht  immer  möglich,  in  der  Sprache 
und  in  den  Abbildungen  die  beiden  wichtigsten  Aromata  des  Altertums 
auseinanderzuhalten;  doch  wird  das  in  den  ägyptischen  Inschriften 
viel  genannte  dilti  sich  auf  die  Myrrhe  beziehn,  wie  schon  das  Hesych- 
ische  d^vTiov  Ahwnov  cruupviov  zeigt.  In  denselben  semitischen 
Sprachen,  wie  der  Weihrauch,  ist  auch  die  Myrrhe  übereinstimmend 
benannt:  hehr.  »</>»•,  aram.  milrd,  arab.  murr  (zu  »irr,  märdr  »bitter 
sein'  gehörig,  also  auf  semitischem  Boden  wurzelnd).  Allerdings  hat 
neuerdings  G.  Schweinfurth  in  einem  Aufsatz  über  Balsam  und  Myrrhe 
(Berichte  der  pharmacentischen  Gesellschaft  III,  21*  ff.)  die  Behauptung 
aufgestellt,  dass  hehr,  mör  gar  nicht  Myrrhe,  sondern  vielmehr  Balsam 
bedeute.  Durch  den  .,Gleichklangu  des  hebräischen  und  neuarabischen 
Ausdrucks  verführt,  hätten  die  Erklärer  seit  alter  Zeit  fälschlich  jene 
Bedeutung  statt  dieser  angesetzt.   Überall  im  alten  Testament,  wo  der 


Digitized  by  Google 


Myrrhe. 


567 


Ausdruck  mör  vorkomme,  bezeichne  dieses  Wort  einen  flüssigen 
Wohlgeruch,  während  das  Myrrhenharz  (griech.  cruüpvn.)  ein  festes 
Harz  sei,  das  als  Wohlgeruch  nicht  aufgefasst  werden  könne.  Allein 
diese  Anschauung  des  berühmten  Reisenden  ist  eine  irrige.  Denn 
erstens  würde,  wenn  hebr.  mar,  das  Hoheslicd  ö,  1  deutlich  neben 
dem  Balsam  genannt  wird,  selbst  Balsam  bedeutete,  überhaupt  kein 
Wort  für  Myrrhe  im  alten  Testament  vorhanden  sein,  zweitens  beruht 
das  Verhältnis  von  hebr.  mör  zu  den  daneben  liegenden,  sicher  Myrrhe 
bezeichnenden  semitischen  Wörtern  nicht  auf  Schein  oder  Zufall,  sondern 
auf  wirklicher  Verwandtschaft,  und  drittens  wird  das  griech.  tfuupvn., 
das  Schweinfurth  selbst  für  Myrrhe  nimmt,  gerade  an  den  ältesten 
Stellen  seiner  Überlieferung  (vgl.  Archilochus  frgm.  30,  Bergk:  ^c.uupia- 
M€'va?  Koixaq  Kai  tfTn8o<;,  äv  Kai  yepwv  npäo*o"aTO  und  dazu  frgm.  31 : 
ouk  av  uupoiai  Tpaöq  lovO  r^\ciq)€TO>  ganz  wie  hebr.  mör,  nämlich  im 
Sinne  eines  flüssigen  Wohlgeruchs,  gebraucht.  Übrigens  wird  einmal 
(Exod.  30,23)  geradezu  ^flüssige"  Myrrhe  (mör)  genannt,  zum  Beweis, 
dass  es  daneben  auch  trockene  gab.  Man  wird  also  anzunehmen  haben, 
dass  die  Orientalen,  und  nach  ihnen  die  Griechen  sich  darauf  verstanden, 
das  Myrrhenharz  in  ein  flüssiges  Aroma  vgl.  etwa  unsere  _, Myrrhen- 
tinktur") zu  verwandeln,  und  dass  dies  und  nicht,  wie  bei  dem  Weih- 
rauch, die  Käucberung  der  älteste  Gebrauch  ist,  den  man  von  der 
Myrrhe  machte. 

Die  Namen,  unter  denen  dieselbe,  etwas  früher  als  die  des  Weih- 
rauchs, in  der  griechischen  Litteratur  auftritt,  sind  die  folgenden:  uüpov 
und  ^o*pupio*)Li€vr|  (s.  o.},  uüp'pa  (Sappho,  Bergk  163),  o*uüpvr|  (Soph.  frgm. 
340,  Merodot),  cfuüpva  (hellenistisch).  In  sprachlicher  Hinsieht  macht 
dabei  das  o"  Schwierigkeiten,  welches  sich  in  einigen  der  griech. 
Formen  findet,  ohne  einen  Anhalt  im  Semitischen  zu  haben.  Wahr- 
scheinlich sind  in  der  griechischen  Sippe  zwei  ganz  verschiedene  Be- 
standteile mit  einander  verschmolzen,  ein  phönizisch-semitiseher  und 
ein  einheimischer,  nämlich  ein  im  Griechischen  von  Alters  her  vor- 
handenes *tfuüpov  .Salbe'  (vgl.  auch  o"uüpi<;  ,Smirgcl'),  das  dem  ahd. 
smero  ,Fett,  Schmer',  got.  nmairpra  .Fett',  altn.  amjtir  , Butter'  ent- 
sprach. Von  hier  hätte  dann  das  in  auüpvn.  etc.  erscheinende  o*  seinen 
Ausgang  genommen.  Der  gemeine  Mann  bediente  sich  zürn  Salben 
des  Körpers  wohl  noch  lange,  wie  in  der  Urzeit,  der  fetten  Teile  der 
Milch  (s.  u.  Butter)  und  des  Fettes  der  Herdentiere.  Als  nun  als 
erstes  der  ausländischen  Aromata  und  Spezereien  das  Harz  der  arabi- 
schen Myrrhe,  das  zu  gleichen  Zwecken  diente,  in  Hellas  auf  den 
Wegen  des  Handels  bekannt  wurde,  konnte  es  leicht  geschehen,  dass 
der  fremde  und  einheimische  Ausdruck  in  einander  übergingen.  In 
Italien  ist  murra  (ans  uüpjia)  seit  Plautus  belegbar. 

Über  die  Heimat  der  Myrrhe  berichtet  zunächst  Herodot  (III,  107). 
Sie  wächst  zusammen  mit  dem  Weihrauch,  Zimt  und  Ledanum  in 


Digitized  by  Google 


f>f,8 


Myrrhe  —  Myrte. 


Arabien,  wird  aber  im  Gegensatz  zu  diesen  leicht  von  den  Arabern 
erworben.  Durch  Aristobulos  (bei  Arrian.  Anab.  VI,  22)  erfahren  wir 
dann,  dass  das  Heer  Alexanders  des  Grossen  bei  seinein  Marsehe 
durch  Gcdrosieu  auf  Myrrhcnbüsebe  sticss,  und  die  im  Heere  befind- 
lichen Phönizier  die  Myrrhe  eifrig  sammelten.  Eine  Besehreibung  des 
Baumes  findet  sich  bei  Theopbrast  IX,  4,  der  für  eine  flüssige  Sorte 
der  Droge  auch  den  Namen  crraKTri  (:  öxcrfujv  ,  Tropfen)  braucht.  Die 
genauste  Kunde  über  den  Myrrhcnhandel  in  der  römischen  Kaiserzeit, 
der  aus  Ost-Afrika  und  Süd-Arabien  exportiert,  erhalten  wir,  wie  hei 
dem  Weihrauch,  durch  den  Periplus  maris  erythraei. 

Da  die  Myrrhensalbe  heilig  war,  denn  Nikodemus  hatte  nach  Job. 
19,  30  den  Leichnam  des  Herrn  mit  Myrrhe  und  Aloe  gesalbt,  so 
verbreitete  sich  ihr  Name  früh  in  die  nordischen  Sprachen.  Aus  dem 
hellenistischen  (tfpupva)  stammt  got.  smyrn  und  altsl.  zmyrüna,  aus 
dem  Lateinischen  (murra,  myrrha)  ahd.  myrra,  alts.  myrra,  mhd. 
wirre.  —  Vgl.  auch  Flückiger  Pharmakognosie*  S.  35.  S.  u.  Aro- 
ma t  a. 

Myrte  (Myrtits  communis  L.).  Sie  ist  fossil  noch  nicht  mit 
Sicherheit  in  Südeuropa  nachgewiesen.  Trotzdem  halteu  die  Botaniker 
ihr  Indigenat  daselbst  mit  Rücksicht  auf  ihre  Verbreitung  in  allen 
Macchien  des  Mittelmeergebiets  für  unzweifelhaft.  In  Vorderasien  er- 
streckt sich  das  Gebiet  der  Myrte  weiter  ostwärts  als  das  des  Lorbeers, 
bis  Afghanistan  und  Beludschistan.  In  Europa  kommt  sie  wildwachsend 
auf  der  Balkanhalbinsel  bis  uach  Mazedonien,  Albanien  und  Dalmatien 
vor,  ferner  in  Istrien,  in  Italien  und  auf  den  italienischen  Inseln,  in 
Südfrankreich  und  auf  der  iberische!»  Halbinsel  (nach  A.  Engler  bei 
V.  Hehn  s.  n.)  vor. 

Bei  Homer  geschieht  der  Myrte  noch  keine  Erwähnung.  Sie  wird 
zuerst  in  dem  homerischen  Hymnus  auf  Hermes  (uupaivoeibns  v.  81), 
danu  bei  Arehiloehos  (uupo*ivn.  frgm.  29  und  püpTOv  .Myrtenbeere'  frgm. 
164;  genannt.  Doch  setzt  auch  für  die  homerischen  Zeiten  der 
Ortsname  Müptfivo«;  in  Elis  (II.  II,  616;,  der  später  Muprouvitov  heisst, 
die  Bekanntschaft  mit  dem  Baume  voraus.  Mit  dem  griechischen,  aus 
dem  Orient  entlehnten  Namen  der  Myrrhe  (Balsamodendron  Myrrha, 
s.  u.  Myrrhe)  hat  uuptfivr),  .uupToq  nichts  zu  thun;  eher  dürfte  an  das 
schon  homerische  pupiKn.  .Tamariske'  anzuknüpfen  sein.  Annen,  murt, 
npers.  mth-d  sind  erst  aus  dem  Griechischen  entlehnt  (vgl.  auch  Hübsch- 
inann  Armen.  Gr.  I,  197).  In  Italien  keunt  schon  Theophrast  (V,  8,  3) 
die  Myrte  neben  dem  Lorbeer:  n.  be  tüuv  Acmvujv  frpubpos  ixäaa'  Kai 

f|  pev  TT£b£ivr|  bdtpvnv  £x€i  Kai  puppivou;  Kai  öivryv  Oaupaarnv  

tö  b€  KipKaiov  KaXoüpevov  €i*vai  pev  ÖKpav  uvpnXf)v  bao*€iav  bk  0"<pöbpa 
Kai  c'xciv  bpöv  Kai  bdcpvnv  rcoXXriv  Kai  puppivou?.  Xtyeiv  bi  toö?  tYX1^" 
piou^  evTaö0a  r\  KipKrj  KaTWK€i*Kai  bciKVÜvai  töv  toö  'EXjrrivopo^ 
Tdqpov  iE  ov  <püovrai  puppivai.    An  diese  Stelle  knüpft  Plinius  Hist. 


Digitized  by  Google 


Myrte  -  Nachtgleichcii. 


569 


nat.  XV,  119  an  und  fügt,  offenbar  aus  eigenen  Mitteln,  hinzu: 
p rim  um  Circete  in  Elpenoris  tumulo  risa  {»iiirtus)  traditur  Grae- 
cumqtte  ei  nomen  remanet,  quo  peregri  »am  esse  apparet. 
Diese  Zuthat  aber  dürfte  nichts  als  ein  Schluss  des  Plinius  aus  der 
Entlehnung  des  lat.  murtus  aus  griech.  uup-ro^  sein,  ein  Schluss,  der 
aber  deswegen  auf  sehr  schwachen  Füssen  steht,  weil  es  sehr  wohl 
möglich,  ja  nach  unseren  botanischen  Vorbemerkungen  sicher  ist,  dass 
man  in  Italien  murtus  nur  deswegen  aus  dem  griechischen  entlehnte, 
weil  mau  von  Griechenland  her  den  einheimischen  Baum  als  der  Venus- 
Aphrodite  geweiht  auffassen  und  um  deren  Heiligtümer  pflanzen  lernte. 

In  Deutschland  wird  schon  bei  der  heiligen  Hildegard  ein  mirtel- 
baum  genannt.  Da  aber  von  ihm  ausdrücklich  bemerkt  wird,  dass  er 
beim  Hierbrauen  Verwendung  finde  (et  si  quin  cerrisiam  parare  volu- 
erit,  folia  et  fruetus  ipsitts  arboris  atm  cerrisia  coquat,  et  sann  erit, 
et  bibentem  nun  laedit),  so  ist  damit  wohl  sicher  eine  andere  Pflanze, 
der  Gagel  {Murica  gale  L.),  gemeint,  der  in  Westfalen  bis  ins  15.  Jahr- 
hundert statt  des  Hopfens  dem  sogenannten  Grutenbicr  zugesetzt  wurde, 
über  dessen  Verbreitung  in  Europa  Koppen  Holzgewäeuse  II,  ;il>l  aus- 
führlieh handelt,  und  der  noch  heute  in  manchen  Gegenden  Deutsch- 
lands gerber»iyrte,  heidelbeermyrte,  russ.  „Sumpfinyrte"  genannt  wird 
(vgl.  Pritzel -Jessen  Deutsche  Volksnamen  der  Pflanzen  S.  241).  Dunkel 
agls.  trir  ,Myrte'.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen45  S.  216  ff.  und  v. 
Fischer-Benzon  Altd.  Garteuflora  S.  4*. 
Mythus,  s.  Religion. 


N. 

Nabe.  Der  idg.  Name  dieses  Teiles  des  Wagens  ist  sei  t,  nabhi-, 
agls.  nafu,  altn.  nbf,  ahd.  naba.  altpr.  nabis  (vgl.  sert.  nribh-  , Ritze  ). 
Für  sich  stehen  griech.  TrXriuvn,  (:  mun-Xriui  , Füllung'),  lat.  Modiolus, 
orbieuhts,  lit.  stebulr.  —  S.  u.  Wagen. 

Nacht.  Der  idg.  Ausdruck  hierfür,  an  dem,  wie  an  den  Be- 
zeichnungen für  Winter  und  Mond-Monat,  fast  sämtliche  Einzel- 
sprachen  teilnehmen,  ist  sert.  nukti-,  näkta-  (Uber  sert.  aktu-  uud 
andere  hierhergehörigen  Wörter  s.  u.  Morgen )t  aw.  nayturu-  ,nachtlich\ 
griech.  vüE,  lat.  nox,  altsl.  no&ti,  lit.  »aktis,  all»,  naU,  got.  naht*,  ir. 
innocht  , diese  Nacht*.  Die  Wurzelbedeutung  des  idg.  Stammes  *noqt- 
ist  unbekannt.  Arisch  ist  die  Gleichung  sert.  kshdp-,  kshapa  —  aw. 
ysap-,  yxapan-.  Alleiu  steht  das  dunkle  ir.  aidche,  oidche.  —  S.  u. 
Tag  und  u.  Zeitteilung. 

Naclitgleiehen.  s.  Jahr. 


Digitized  by  Google 


570 


Nachtigall  -  Nadel. 


Nachtigall,  s.  Singvögel. 

Nadel.  Sie  dient  vornehmlich  einein  doppelten  Zweck :  entweder 
zum  Nähen  (als  Nähnadel)  oder  zum  Zusammenheften  und  -halten  des 
Gewandes  oder  Haares  (als  Gewand-  und  Haarnadel).  Indem  über 
ihre  Bedeutung  in  letzterer  Hinsicht  auf  den  A.  Schmuck  verwiesen 
wird,  soll  hier  nur  von  der  Nähnadel  gesprochen  werden. 

Nadeln  und  Pfriemen  aus  Tierknochen  oder  Eberzahn,  zum  Teil  mit 
durchbohrtem  Kopfende  (dem  Oehr),  sind  schon  während  der  jüngeren 
Steinzeit  aus  den  verschiedensten  Teilen  Europas  zu  Tage  getreten. 
Vgl.  Keller  Pfablbantenberichte  III,  98,  A.  Müller  Vorhist.  Kultur- 
bilder X,  4,  0.  Montclius  Antiquites  suedoises  S.  18,  S.  Müller  Nor- 
dische Altertumskunde  1,  150,  auch  Schliemann  Ilios  S.  29ö— 297. 
Doch  erwecken  alle  diese  Nadeln  den  Eindruck,  dass  dieselben  nicht 
zum  Zusammennähen  von  Zeng,  sondern  eines  spröderen  Stoffes,  vor 
allem  also  des  Leders,  gebraucht  worden  sind.  Selbst  wo,  wie  in  den 
Pfahlbauten  von  Wangen  und  Robenhausen,  wirkliche  Zeugreste  (aus 
Linnen)  gefunden  worden  sind,  zeigen  dieselben  nie  eine  Naht  oder 
eine  Spur  von  einem  Zuschnitt  des  Zeuges,  so  dass  Keller  Berichte 
IV,  20  vermutet,  dass  ^ diese  Gewebe  eher  als  Umhüllungen  im  allge- 
meinen, denn  als  eine  den  verschiedenen  Teilen  des  Körpers  angepasste 
Bedeckung  verwendet  wurden". 

Den  geschilderten  Verhältnissen  entspricht  es,  dass  auch  die  Indo- 
germanen  schon  in  der  Ur/.eit  die  Kunst  des  Nähens  kannten,  wie  aus 
der  Gleichung  sert.  sirt  xi'ryati,  grieeb.  Kao'o'üu),  lat.  *uo,  got.  .v/m/««, 
lit.  Mtvti,  altsl.  «iti,  sijq  mit  Sicherheit  hervorgeht,  und  dass  auch 
diese  (vgl.  griech.  Käo"o"uua  , Leder',  lat.  sütor  ,Schuster',  slav.  podüslca 
»Schuhsohle',  lat.  si'tkula  —  Cech.  si-dlo  ,Ahlc',  ahd.  siula)  sich  ur- 
sprünglich lediglich  auf  Lederarbeit  (s.  u.  Schuh  e)  bezog.  That- 
sächlich  bot  die  älteste  idg.  Kleidung  (s.  d.),  die  nur  aus  dem 
über  die  Schulter  geworfenen  Mantel  aus  Fell  oder  Zeng  und  dem 
um  die  Hüften  geschlungenen  Schurz  bestand,  keine  Veranlassung 
zu  einer  Ausbildung  der  Nähkunst  dar.  Eine  solche  stellte  sich  erst 
ein,  nachdem  das  Unterkleid,  der  genähte  Rock,  aufgekommen  war, 
ein  Fortschritt,  der  aber  erst  in  die  Entwicklung  der  Einzelvölker 
fällt.  Auf  deren  Sprachgebieten  treten  denn  auch  allmählich  neue 
Ausdrücke  für  die  Kunst  des  Nähens  auf.  So  entwickelte  sich  im 
Griechischen  dtanTiu)  und  im  Germanischen  (ahd.  nüjan)  eine  neue 
Bezeichnung  des  Näheus  aus  der  des  Spinnens  (s.  d.),  obwohl  man 
den  Bedeutungsübergang  von  „den  Faden  spinnen-'  und  „den  gesponnenen 
Faden  vernähen-  inhaltlich  nicht  recht  versteht. 

Zur  Bezeichnung  der  Nadel  hat  man  sich  in  der  Ursprache  offenbar 
derselben  Wörter  bedient,  welche  man  für  Ahle  (s.  d.)  und  Pfriem 
gebrauchte,  wie  ja  auch  archäologisch  diese  Begriffe  nach  dem  obigen 
von  dem  der  Nadel  nicht  scharf  unterschieden  werden  können.  Ob 


Digitized  by  Google 


Nudel  -  Nahrung.  571 

man  das  Ochr  schon  damals,  wie  es  übereinstimmend  im  Griechischen 
(ouq),  Litauischen  (aurte),  Germanischen  (ahd.  öri)  geschieht,  mit  dem- 
selben Worte  wie  das  Ohr  bezeichnete,  mag  dahingestellt  bleiben. 
Einzelsprachliche  Bezeichnungen  der  Nähnadel  und  des  Nähens  sind 
ferner  griech.  jüctepis,  (kupiov  (:  ^oltttiu),  lat.  actis  (vgl.  armen.  aseln 
,Nadel'  :  actio),  altlat.  (bei  Festus)  mullare  ,nähen'  (dunkel),  ir.  snd- 
that  ,NadeP  (:  sndthe  ,Faden',  s.  u.  Spinnen),  fuagaim  ,nähe'  i dunkel), 
gemeingerm.  got.  ntpla  (:  ahd.  ndjanf,  lit.  adatä  ,Nadel'  :  adaft  ,nähe', 
gcmeinsl.  altsl.  igla  (vgl.  altpr.  ai/culo  ,Nadel\  —  S.  u.  Werkzeuge. 

Nagel.  Dass  hölzerne  Nägel  oder  Pflöcke  schon  in  der  Stein- 
zeit gebraucht  wurden,  ist  selbstverständlich.  Wie  sollte  man  ohne  sie 
z.  B.  die  Konstruktion  der  Pfahlbauteu  sich  denken?  Auch  sind 
bronzene  Nägel  verhältnismässig  selten,  da  eben  der  hölzerne  Nagel 
bis  tief  in  die  metallische  Zeit  hineingeragt  haben  wird.  War  doch 
die  älteste  Tiberbrttcke  noch  gänzlich  ohne  Zuthat  metallener  Nägel  er- 
baut (vgl.  Heibig  Die  Italiker  in  der  Poebenc  S.  70i.  Eine  vorhisto- 
rische Gleichung  zur  Bezeichnung  des  Nagels  ist  griech.  r\\o<;  y<*X\oi  * 
fiXoi  Hes.)  aus  *FaX-vo-  =  lat.  vallus,  eine  weiter  verbreitete  findet  man 
u.  Schlüssel.  Einzelsprachlich:  gemeingerm.  ahd.  nagal  'ursprünglich 
der  Nagel  am  Fuss),  gemeinsl.  altsl.  gtosdt  (a.  d.  Slav.  alb.  gozdr), 
eigentl.  ,Keil'.  —  S.  u.  Werkzeuge. 

Nähen,  s.  Nadel. 

Nahrung.  Die  Speisen  der  idg.  Völker  Europas  zeigen  von 
jeher  eine  Mischung  animalischer  und  vegetabilischer  Kost,  doch  so, 
dass  entsprechend  dem  Verhältnis  von  Viehzucht  und  Ackerbau  (s.d.) 
die  Fleischkost  in  der  ältesten  Zeit  noch  durchaus  in  dem  Mittelpunkt 
der  Ernährung  steht.  Genossen  wurde  in  erster  Linie  das  Fleisch  der 
Haustiere,  zu  denen  das  Geflügel  noch  nicht  gehörte  (s.  n.  Viehzucht'), 
am  liebsten  in  gebratenem  Zustand,  erst  in  zweiter  Linie  das  Wild- 
bret (s.  n.  Jagd).  Eine  besondere  Delikatesse  bildete  das  Mark  der 
Knochen  (s.  u.  Fleisch).  Dem  Fischgenuss  scheint  man  in  der  Ur- 
zeit abgeneigt  gewesen  zu  sein  (s.  u.  Fisch,  Fischfang). 

Die  Halmfrucht  wurde  als  Brei  (s.  d.)  und  Brot  (s.  d.)  verspeist. 
Aus  der  Milch  s.  d.)  bereitete  man  eine  Art  flüssigen  Käses  (s.  d.), 
während  die  fetten  Bestandteile  derselben  (s.  u.  Butte  r)  eher  zum 
Einsalben  des  Körpers  als  zum  Essen  gebraucht  wurden.  Hinzu  kamen 
die  Früchte  wilder  Obstbäume,  der  Eichen  und  Buchen  (s.  u.  Obst- 
bau nud  Banmzucht).  Zur  Wü rze  der  Speisen  gebrauchte  man  das 
Salz  (s.  d.),  dessen  Gcnuss  dem  Menschen  umso  unentbehrlicher  wird, 
je  mehr  er  sich  vegetabilischer  Nahrung  zuwendet,  zur  Versüssung 
derselben  den  Honig  der  wilden  Waldbienen  (s.  u.  Biene,  Bienen- 
zucht). Andere  irritamenta  gulae  waren  unbekannt.  Vgl.  Tac.  Germ. 
Cap.  23:  Cibi  simpHces  ....  sine  blandimentis  expelhint  famem. 

Den  Rauschtrauk  der  Urzeit  bildete  der  Met  und  vielleicht  die  Milch 


Digitized  by  Google 


572 


Nahrung. 


der  Stuten  (s.  u.  Mileli  .  Fast  unmerklich  geht  der  erstere  mit  der 
zunehmenden  Bedeutung  des  Ackerbaus  zum  liiere  (s.  d.)  über,  dessen 
anfänglich  ungeheurer  Bereich  nach  und  nach  von  dem  ans  dem 
Südosten  vordringenden  Wein  (s.d.)  eingeengt  wird.  Erst  in  neuerer 
und  neuster  Zeit  erhalten  diese  Getränke  einen  gefährlichen  Neben- 
buhler im  Branntwein,  der  zuerst  als  Arznei  auftretend,  noch  im 
Ausgange  des  XV.  Jahrhunderts  kein  allgemeines  Getränk  gewesen 
ist  (vgl.  Beckmann  Beyträge).  über  den  im  Altertum  nur  aus  weiter 
Ferne  bekannt  gewordenen  Arrak  und  Rum  s.  u.  Reis  und  Zucker. 

Der  in  seinen  Hauptpunkten  charakterisierte  Speisezettel  der  idg. 
Urzeit  oder  (archäologisch  gesprochen)  der  ueolithischen  Kulturpcriode 
unseres  Erdteils  ist  von  dem  der  vorangehenden  paläolithischen  Zeit, 
in  welcher  dem  Menschen  nur  das  Fleisch  wilder  Tiere  und  der  Er- 
trag des  Fischfangs,  von  Vegctabilien  aber  nur  wilde  Kräuter,  Beeren 
und  Bannifrüchtc  zur  Verfügung  standen,  und  in  der  es  noch  an  Ge- 
fässen  s.  d.)  zur  Bereitung  der  Speisen  völlig  gefehlt  zu  haben 
scheint,  bereits  durch  eine  breite  Kluft  geschieden  (vgl.  auch  G.  Bu- 
schan Ein  Blick  in  die  Küche  der  Vorzeit  Jahresber.  d.  Gesellschaft 
f.  Anthropologie  u.  Urgesch.  d.  Oberlansitz  II.  2.). 

In  dem  Prozess  der  Weiterentwicklung  und  Steigerung  der  europä- 
ischen Xahrungsverhältnisse  in  späterer  Zeit  ist  vor  allem  auf  die  vom 
Süden  her  erfolgende  Ausbreitung  der  Gemüsekultur  s.  u.  Garten, 
Gartenbau)  und  des  Obstbaues  (s.  d.),  sowie  auf  die  auf  Handelswegeu 
erfolgte  Einführung  orientalischer  Gewürze  (s.  d.)  uud  des  Zuckers 
(8.  d.)  hinzuweisen.  Ob  und  in  wie  weit  durch  derartige  Umwälzungen 
des  Speisezettels,  durch  das  stufenweis  hervortretende  grössere  Gewicht 
vegetabilischer  Nahrung,  durch  Reizungen  des  Nervensytems,  wie  sie 
der  starke  Gebrauch  der  der  Urzeit  fast  unbekannten  Gewürze  aus- 
übt u.  s.  w.,  auch  leise  Verschiebungen  des  physischen  und  psychischen 
Organismus  des  Menschen  ausgeübt  wurden,  ist  eine  wichtige  der 
anthropologischen  Forschung  vorzulegende  Frage.  Jedenfalls  setzt  die 
Freude  an  dem  Genuss  etwa  eines  Pfirsichs,  ebenso  wie  die  an  dem 
Gerüche  einer  Rose  oder  an  dem  Gesänge  der  Nachtigall  (s.  u.  Blumen, 
Blumenzucht  und  u.  Singvögel),  eine  lange  Entwicklnngsreihe 
ästhetischer  Empfindungen  voraus,  die  sich  freilich  bis  jetzt  mehr 
ahnen  als  erkennen  lässt. 

Einiger  Bemerkungen  bedürfeu  noch  die  auch  in  Europa  hervor- 
tretenden Verbote  bestimmter  Speisen,  wenngleich  dieselben  hier  im 
ganzen  seltener  als  auf  anderen  Völkergebieten  sind.  Wie  anderswo 
beziehen  sich  dieselben  auch  in  Europa  vorwiegend  auf  das  Tier-, 
nicht  auf  das  PHauzcnrcich,  aus  dem  streng  geuommeu  nur  das  Bohnen- 
verbot des  Pythagoras  es.  u.  B  o  h  n  e)  zu  nennen  ist.  Was  die  Tiere 
betrifft,  so  bestand  bei  Griechen  und  Römern  ein  strenges  Gebot,  welches 
befahl,  sich  des  Geuusscs  des  Ackerstiers  zu  enthalten  i  ßoö?  dpoinpo? 


Digitized  by  Google 


Nahrung  —  Name. 


573 


dTT€'x6<J6ai).  Bei  den  Biitanniern  (Caesar  De  bell.  gall.  V,  12)  war  es 
nicht  erlaubt,  den  Hasen,  das  Huhn  und  die  Gans  zu  gemessen  [haec 
tarnen  ahmt  animi  voluptatisque  causa).  Ähnlich  wird  im  Osten 
Europas  die  Taube  nicht  verspeist  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen"  S.  340). 
Andere  britannische  Völker  (Dio  Cassius  LXXVI,  12)  enthielten  sieh 
des  Genusses  der  Fische.  Mit  weitgehenden  Vorschriften  dieser  Art 
wandte  sich  auch,  wie  aus  einem  Schreiben  des  Papstes  Zacharias  an 
Bonifatius  hervorgeht,  das  Christentum  an  die  Germanen:  . . .  in  primis 
volatilibus,  id  est  de  qraculis  et  corniculis  atque  ciconiis.  quae  omnia 
carendae  sunt  ab  esu  Christ ianorum.  etiam  et  fibri  et  lepores  et  equi 
sUvatici  multo  amplius  ritandi. 

Die  Gründe  derartiger  Speiseverbote  (vgl.  H.  Schnitz  Die  Speise- 
verbote, ein  Problem  der  Völkerkunde,  Virchow-Holtzcndoiff  X.  F. 
184)  sind  offenbar  sehr  verschieden  und  lassen  sich  meistenteils  kaum 
erraten.  Den  Pflngstier  tötete  man  nicht,  wie  schon  die  Alten  (vgl. 
Aelian  Var.  Hist.  V,  14,  Vano  De  re  rnst.  II,  T>)  annahmen,  weil  man 
ihn  als  Landmann  und  Genossen  des  Menschen  in  der  ländlichen 
Arbeit  ansah.  Bei  dem  Hausgeflügel,  vor  allem  bei  dem  Huhn  und 
der  Taube,  wird  man  anzunehmen  haben,  dass  es  sieh  um  ueu  einge- 
führte und  zunächst  nicht  des  Xntzens  wegen  gehaltene  Tiere  handelt. 
Das  Hasenverbot  kehrt  bei  vielen  Völkern,  auch  bei  solchen,  bei  denen 
das  Tier  nicht  wie  bei  den  Biitanniern  (s.  o.)  zum  Vergnügen  gehalten 
wurde,  wieder,  ohne  dass  man  einen  deutlichen  Grund  ausfindig  machen 
könnte.  Eine  noch  grössere  Verbreitung  hat  das  Fischverbot.  Aus 
einem  solchen  erklärt  sich  vielleicht,  wie  auch  u.  Fisch,  Fischfang 
angedeutet  wurde,  das  späte  Hervortreten  der  Fischkost  bei  den  idg. 
Völkern.  Vgl.  dazu  Schürt/,  a.  a.  0.  S.  22:  ^Auch  die  Tiere,  die  nur 
Ähnlichkeit  mit  den  Schlangen  haben,  erscheinen  verdächtig,  so  ins- 
besondere die  sehuppenloscu  Fische  s.  u.  Aal,  der  in  zahlreichen  idg. 
Sprachen  als  , kleine  Sehlange'  bezeichnet  wird),  ja  die  Fische  über- 
haupt. Den  Juden  sind  Fische,  die  nicht  Flossfedem  und  Schuppen 
haben,  verboten  ;  die  ostafrikanischen  Hamiten  verschmähen  fast  sämtlich 
die  Fische  und  begründen  diese  Abneigung  ausdrücklich  mit  der  An- 
gabe, dass  die  Fische  Schlangen  seien.  Dieselbe  Abneigung  und  dieselbe 
Ursache  finden  wir  bei  allen  südafrikanischen  Negern,  die  nicht  einmal 
Fische  mit  der  Hand  berühren  mögen".  Über  gänzliches  Enthalten 
von  Speisen  s.  u.  Fasten. 

Nah  Verwandtschaft,  s.  Familie. 

Name  (Namengebung).  Der  idg.  Ausdruck  hierfür  liegt  in 
der  Reihe  sert.  na  man-,  aw.  na  man- ,  altp.  ndman-,  griech.  övoua,  Int. 
nönien,  ir.  ainm,  got.  namö,  altpr.  einmens,  altsl.  ime0  alb.  enim, 
eine  Sippe,  deren  Wurzelbedeutung  noch  nicht  ermittelt  ist.  Die 
Litaner  verwenden  statt  ihrer  tcaPdas  =  altpr.  icirds,  got.  waürd,  lat. 
cerbum  ,Wort'. 


Digitized  by  Google 


574 


Namo. 


Die  Bildung  der  Personennamen  (und  nur  von  diesen  »oll  hier 
gehandelt  werden),  der  Männer-  wie  der  Frauennamen,  erfolgte  in  der 
idg.  Urzeit  durch  Zusammensetzungen.  Neben  dem  vollen  Kompositum, 
den  Volluamen,  aber  verwendete  man  bereits  damals  sogenannte  Kurz- 
oder Kosenamen,  d.  h.  nur  das  eine  der  beiden  Glieder,  gewöhnlich 
unter  Anhängung  eines  hypokoristischen  Suffixes.  Beispiele  sind:  sert. 
Agni-datta-  :  Agnika-,  Agnila-,  iranisch  Ana-phes,  Arta-mes,  Arta-pes 
:  Ari-b-aios,  Arid-ai  (vgl.  Justi  Iran.  Namenbuch  VII),  griech.  Zxpd- 
Tapxoq,  ZTpdxiTTTTo?  :  IipäTioq,  iTparnq,  'AvdicXnTO<;  :  KXnroq,  gall.  Cin- 
geto-rix,  Cintu-genus  :  Cingius,  Cintus,  ahd.  Berht-frid,  Friduberht  : 
Berhto,  Berhta,  lit.  X'or-butas,  Btttwifa-s,  altpr.  Buti-labes  :  Bitte, 
Btttil,  Bttteko,  serb.  Vukomir,  Ljubo-mir  :  Vttk,  Vukoj  (vgl.  Brug- 
mann  Grundriss  II,  32  f.  Das  Hauptwerk  ist  A.  Fick  Die  griech. 
Persouennamcn  1.  Aufl.  1874,  2.  1895). 

Die  Zahl  der  zu  Nameubildungen  verwendeten  Wortstämme  ist  eine 
sehr  grosse  und  mannigfaltige.  Besonders  beliebt  aber  scheinen  Hin- 
weise auf  die  Tüchtigkeit  (sert.  Vasu-datta-,  aw.  Vanhu-däta-,  altp. 
Vahuka,  griech.  EÜKXcnq,  kelt.  Yisu-rix,  Bello-cesus,  ahd.  U'isu-rich, 
Wisu-mär,  illyr.  Ve«~clevexis  :  idg.  *vesu-  ,gut')  oder  Berühmtheit 
(sert.  Q-uta-inagha-,  griech.  K\uToun.bn,s,  agls.  Hlophere,  kymr.  Clotri 
:  idg.  kluto-  , berühmt')  des  Namenträgers  oder  auf  gewisse  Tiere,  wie 
W  o  I  f  (sert.  Vrka-karman-,  griech.  Autcö-cppwv,  ahd.  Wolf-ger,  slav. 
Vuko-voj)  und  Pferd  (sert.  Aqcapati-,  aw.  Aspäyaoöa-,  griech.  "Iiritctp- 
XO<;,  kelt.  Epo-p'ennus,  agls.  E6md>r),  gewesen  zu  sein,  deren  Stärke 
und  Schnelligkeit  man  dem  betreffenden  Individuum  wünschte. 

Aufgegeben  ist  die  ursprüngliche  Bildungsweise  der  Namen  von  den 
Armeniern  (vgl.  über  armenische  Namen  II.  Hilbschmann  im  Festgruss 
an  R.  v.  Roth  Stuttgart  1893  S.  99),  von  den  Phrygem  im  Gegen- 
satz zu  den  Thrakern,  die  an  dem  alten  Braueh  der  Zusammensetzung 
mit  grosser  Zähigkeit  fest  gehalten  haben  (vgl.  Krctsehmer  Einleitung 
S.  2u0  f.),  und  von  den  italischen  Völkern.  Dass  aber  bei  den  letz- 
teren die  idg.  Volluamen  in  vorhistorischer  Zeit  ebenfalls  in  Geltung 
waren,  beweist  einmal  eine,  wenn  auch  kleine,  noch  erhaltene  Anzahl 
derselben  (/..  B.  das  bei  den  Verginii  übliche  praenomen  O-piter  = 
cid  actis  pater  est),  und  zweitens  der  Umstand,  dass  das  Latein  zu 
seiner  Namcubilduug  im  wesentlichen  dieselben  Stämme  verwendet, 
die  in  den  andern  idg.  Sprachen  und  zwar  meist  auch  zur  Bildung 
von  Vollnamen  gebräuchlich  sind  (vgl.  A.  Zimmermann  B.  B.  XXV,  1  ff.). 
In  historischer  Zeit  stellen  die  römischen  praenomina,  z.  B.  Munin* 
(auf  der  dem  VI.  .Jahrhundert  angehörigen  Inschrift  der  Fibula  von 
Praencstc  ohue  weiteren  Zusatz  gebraucht:  Manios  med  fhefhaked 
Xumasioi),  Lucius,  Quintus,  Sextus,  Tullus,  ASercius,  Marcus  etc. 
einstämmige  Bildungen  dar,  die  teils  aus  alten  Vollnamcu  (Manitts 
etwa  für  *Mane-gnatos  ,dcr  zu  guter  Stunde  geborene';  vgl.  dazu 


Digitized  by  Google 


Name. 


575 


Zimmermann  a.  a.  0.  S.  30)  hervorgegangen,  teils  (wie  Sextus,  Qttintus, 
Postumus)  wohl  von  Hause  ans  einstämmig  sind ;  denn  auch  schon 
in  der  idg.  Urzeit  werden,  wenn  auch  ausnahmsweise,  von  Anfang  an 
einstämmige,  also  nicht  erst  ans  Vollnamen  entstandene  Namen,  nament- 
lich von  Lallwörtern  (vgl.  italisch  Acca,  Atta,  Appius,  illyr.  Atto, 
Arnum,  germ.  Xanna,  got.  Tata,  Tato,  Attila  n.  s.  w.,  Kretschmer  Ein- 
leitung S.  .-5f>(3)  gebildet  worden  sein. 

Kehren  wir  zu  den  idg.  Namenkomposita  selbst  zurück,  so  macht 
sich  bei  ihnen  sehr  früh  das  Bestreben  bemerkbar,  allerhand  genealo- 
gische Verknüpfungen  in  ihre  Bildung  hineinzutragen.  Griechisch  ist 
Aivo-KpdTr)S  der  Sohn  des  Aivo-KAn.s,  ahd.  lliltibrant  der  Sohn  des 
Heribrant,  im  Iranischen  hat  Spitamenes  einen  Sohn  Spitakes  (weiteres 
bei  Iusti  Namenbuch  VIII),  Es  kehrt  also  ein  Teil  des  väterlichen 
Namens  in  dem  des  Sohnes  wieder.  Sehr  beliebt  ist  auch  die  Ver- 
wendung der  Voll-  und  Kosenamen  in  der  Weise,  dass  von  einem 
Brüderpaar  der  eine  den  zusammengesetzten,  der  andere  den  Kose- 
namen trägt.  So  seit.  DamJta-dhAra-  und  Danda-,  griech.  "Itnr-apxo^ 
um!  'lumas,  thrak.  'Pt|0"kou  Tropi?  und  'PfjöKOS,  fränk.  Karl  mann  und  Karl 
(vgl.  Eick  a.  a.  0.  S.  LXV).  Im  Germanischen  dient  die  Alliteration 
dazu,  Verwandtengruppen  zu  vereinigen:  Thusnelda  und  Thumelkus 
(Mutter  und  Sohn),  Segimerus  und  tiesithacus  (Vater  und  Sohn),  die 
Stammväter  der  lngvaeonen,  Herminonen  und  Istvaconen  (vgl. 
Müllenhoff  Haupts  Z.  VII,  527),  die  drei  Söhne  llredel«  im  Moiculf: 
JJerebeald,  Ifajücyn,  Nt/geldc  u.  a.  m. 

Das  derartigen  Bildungsweiseu  zu  Grunde  liegende  Bestreben,  eine 
Person  durch  ihren  Namen  möglichst  zu  individualisieren,  und  als  zu 
einer  anderen  Person  oder  zu  einer  Gruppe  anderer  Personen  gehörig 
zu  bezeichnen,  tritt  aber  noch  deutlicher  in  der  nicht  weniger  alten 
Iliiizufügung  verschiedener  Determinative  an  den  Indivualnaiuen  hervor. 
Das  üblichste  ist  hier  natürlich,  Jemanden  als  den  Sohn  (Tochter,  Frau) 
des  oder  jenes,  d.  h.  als  in  seiner  Gewalt  stehend  zu  bezeichnen : 
AnMoaetvn?  An.M«J8tvou<;,  Marcus  Marci  (filius),  lliltibrant  Heri- 
brante«  suno,  altp.  Ka{m)büjiya  näma  Kuraus  puüra-  u.  s.  w.  Wahr- 
scheinlich scheint,  dass  die  Hinzufügung  des  Wortes  für  Sohn  etc.  in 
solchen  Fällen  etwas  sekundäres  ist,  dass  Ar|Uoo*6£vr|S  An,Moa6€vou£ 
von  Hause  aus  nicht  anders  wie  okoq  An,uoo*8^vous  oder  ager  Tili  zu 
beurteilen  ist  (vgl.  Th.  Mommsen  Köm.  Forschungen  I,  6).  Der  offizielle 
römische  Gebrauch  schrieb  die  Hinzufügung  des  Vater-,  Grossvater- 
und  Urgrossvaternamens  vor:  M.  Tullius  M.  f.  M.  n.  M.  pr.  (pronepos), 
und  es  wäre  möglich,  dass  hierin  ein  uralter  Hinweis  auf  die  einstige 
Ausdehnung  der  idg.  Grossfamilie  gegeben  wäre  (s.  u.  Familie  und 
Vorfahren).  Den  Abschluss  der  Aszendenz  bildet  für  eine  Person 
der  Mann,  von  dem  seine  Sippe  ihren  Ursprung  ableitet,  der  Stamm- 
vater.  Eine  Ableitung  von  dessen  Namen  ist  daher  eiu  weiteres  ebenso 


Digitized  by  Google 


57« 


Nnme. 


häufiges  wie  altertümliches  Determiuativum  des  Individnalnnmens  ge- 
wesen: Atmocjee'vri?  TTaiavieüq  (AiBaXibn?,  I<pn.TTio<;),  Marcus  Tullius 
{Cornelius,  Martins),  altp.  Ddrayacaus  .  .  .  Ihr/dmanmya  ('Axmue- 
vibnO,  slaviseh  serb.  Vukocic,  fech.  Vlkoicic,  poln.  Wilkoicic,  germa- 
nisch altn.  Ylfingar,  agls.  Wylfingas,  nihil.  Will  finge  (s.  auch  u.  Dorf). 
Dabei  ist  zu  beachten,  dass  dieselben  »Surfixe  ineist  auch  der  eigentlichen 
Patronymikalbildung,  d.  h.  lediglich  der  Bezeichnung  des  Vaters  ('Obuo*- 
ö€U£  Aaepndbriq,  'Afau€^vu)v  'Aipeibriq  wie  TavTciXibn.?,  mini.  Amelunc 
,Sohn  des  Amala',  agls.  Wulf  Wonriding  für  sumt  Wonrede*)  dienen, 
weil  natürlich  wie  jeder  Aszendent,  so  auch  der  Vater  als  Ausgangspunkt 
der  Sippe  betrachtet  werden  kann.  Darf  eine  derartige  Hinzufugung 
des  Sippennamens  zu  dem  Individualismen,  da  wo  es  sich  um  die 
genaue  Bezeichnung  der  Person  handelte,  als  bereits  indogermanisch 
angeschn  werden,  so  würde  dem  idg.  Suffixe  -yo-,  iyo-  nach  den  obigen 
Beispielen  am  ehesten  eine  schon  idg.  Verwendung  iu  diesem  Sinne 
zugeschrieben  werden  können.  Ebenso  wird  wie  im  Indischen  \*vv\. 
Kutiktis  , Nachkommen  des  Kurika-,  PriyamedhAs  , Nachkommen  des 
P.)  und  Germanischen  (vgl.  bei  Jordanes  Amali  .Geschlecht  des 
Amala'  und  weiteres  bei  F.  Kluge  Stnmtnbildungslchre*  S.  14),  so 
schon  in  der  Urzeit  der  Plural  des  Namens  des  Stnmmherrn  gebraucht 
worden  sein,  um  alle  Mitglieder  einer  Sippe  zu  bezeichnen.  Auch  ist 
es,  was  die  Reihenfolge  des  Vater-  und  Staninivaternamens  anbetrifft, 
das  natürlichere  und  darum  wahrscheinlichere,  dass  die  im  Griechischen 
und  Altpersischcn  vorliegende  Folge:  Armoo*9tvn;q  Anuoo*9e'vou<;  TTaia- 

vfcüq,  Ddrayacaus  Yistdspahyd  puOra,  Arsdmahyii  napd, 

Hayßmanimya,  und  nicht  die  des  Lateinischen:  Qu.  Fabius  Qu.  f., 
das  ursprüngliche  darstellt;  „denn  die  beiden  Determinative,  der  As- 
zendent und  des  Stammes,  sind  korrclat  und  das  letzte  gleichsam  die 
Fortsetzung  des  ersteren"  (vgl.  Momniseii  a.  a.  0.  S.  14).  Dieser 
reichen  Patroirymikalbildung  der  idg.  Sprachen  gegenüber  fehlen  Me- 
tron vmika  fast  durchaus,  ein  Fin  stand  der  allein  schon  gegen  die  An- 
nahme spricht,  dass  die  idg.  Völker  in  der  ältesten  Zeit  unter  Mutter- 
recht gelebt  hätten.  Kine  Ausnahme  macht  ein  von  der  Insel  Kos 
überliefertes  Namenverzeichnis,  in  dem  einige  Knltteiluehiner  nach 
ihrer  Mutter  oder  Grossniutter,  sehr  viele  nach  ihrem  Grossvater  mütter- 
licherseits genannt  sind  (vgl.  Herzog  Koische  Forschungen  1*99 
S.  I8ö).  Auch  iu  den  altetruskischen  Grabinschriften  wurde  dem  Ver- 
storbenen der  Name  der  Mutter  weit  häutiger  als  der  des  Vaters  bei- 
gefügt (MüllerDeecke  Etrusker  I,  37(5,  499,  Töpffer  Attische  Genea- 
logie S.  196).  In  beiden  Fällen  wird  man  Überreste  des  Klcinasien 
und  den  Süden  Europas,  letzteren  in  vorhistorischer  Zeit,  beherrschen- 
den Mutterrechts  (s.  d.)  anzuerkennen  haben.  Anders  werden  einige 
schon  homerische  Metronymika  auf  -ibn.?,  -ictbri?  zu  beurteilen  sein  vgl. 
Zupitza  Deutsche  Litz.  1899  Nr.  9). 


Digitized  by  Google 


Name. 


577 


Aus  dem  Bisherigen  ergiebt  sieh,  das«  dem  Indogermanen  zn  einer 
bestimmten  Zeit  ein  Individualnatnc  beigelegt  wurde.  Was  den  Termin 
dieser  Xamengebung  anbetrifft,  so  erhielt  das  Kind  in  Indien  am 
X.  Tag  (also  nach  Verlauf  von  9  Tagen)  seinen  öffentlichen,  von  den 
Brahmanen  erkorenen  Xamen.  Das  war  das  Fest  des  näma-dhega- 
(von  sert.  nd'man-  dhd  wie  griech.  dvouet  Ti06O*Öai).  In  Griechenland 
wurde  ebenfall«  der  X.  Tag  nach  der  Geburt  des  Kindes  festlich  be- 
gangen (rn.v  c€KttTT|V  toö  rraibiou  6üeiv);  auch  er  war  für  die  Xamcn- 
gebung  bestimmt.  Dieselbe  Bedeutung  hatte  in  Rom  der  dies  lustri- 
c«.v,  der  IX.  Tag,  wenn  es  sich  um  einen  Knaben,  der  VIII.,  wenn  es 
sich  um  ein  Mädchen  handelte,  und  auch  westgermanische  Rechte 
(vgl.  Möllenhoff  Z.  f.  Deutsches  Altert.  Anz.  VII,  404)  kennen  eine 
9  tagige  Frist,  nach  deren  Verlauf  das  Kind  seinen  Namen  erhält  und 
in  den  Genuss  des  vollen  Wergeids  eintritt.  Es  liegt  daher  die  Ver- 
mutung nahe,  das*  es  schon  in  der  Urzeit  Sitte  gewesen  sei,  dem  Kinde 
am  nennten  Tage  oder  nacli  Verlauf  von  neun  Tagen  seinen  Xamen 
zu  geben,  eine  Sitte,  die  sich  unschwer  ans  dem  Wunsche  erklärt,  die 
junge  Mutter,  deren  Wochenbett  man  auf  9  oder  10  Tage  rechnete, 
an  der  Feier  der  Xamengebung  teil  nehmen  zu  lassen.  Vgl.  auch 
A.  Kaegi  Die  Neunzahl  bei  den  Ostariern  uSeparatabdr.  a.  d.  philol. 
Abh.  f.  Heinrich  Schweizer-Sidler)  S.  (>ö,  Leist  Graeco-it.  Rechtsge- 
schichte S.  714,  Altar.  Jns  gent.  S.  270  und  s.  u.  Reinheit  und 
Unreinheit. 

Wenn  daneben  eine  andere  gute  römische  Überlieferung  berichtet, 
dass  die  Knaben  erst  bei  Anlegung  der  toga  eirilis,  die  Mädchen  erst 
bei  ihrer  Hochzeit  ihr  praenomen  erhalten  hätten  (pneris  non  prius 
quam  togam  virilem  sumerent,  puellis  non  ante  quam  nuberent} 
praenomina  imponi  moris  fuisse  Qu.  Scaeiola  auetor  est.  Schrift 
de  praenom.  3),  so  wird  sich  dies  mit  der  Thatsache  des  dies  lustricus 
am  IX.  bezw.  VIII.  Tage  durch  die  Annahme  vereinigen  lassen,  dass 
es  sich  bei  letztcrem  um  die  familiäre,  später  um  die  offizielle  Xamen- 
gebung handelte. 

Gab  es  ein  schon  idg.  Fest  der  Xamengebung  am  X.  oder  IX.  Tage, 
so  lusst  sich  doch  Uber  die  an  demselben  herrschenden  Gebräuche 
kaum  noch  etwas  ermitteln. 

Im  heidnischen  Norwegen  und  auf  Island  war  wie  bei  den  Angel- 
sachsen die  Xamengebung  mit  einer  Wasser  weihe  verbunden,  die 
aber  nicht  an  eiue  Frist  gebunden  war  und  in  der  Regel  sofort  nach 
der  Geburt  stattfand.  Auch  gehen  die  Meinungen  darüber  auseinander, 
ob  man  es  hier  mit  dem  frühzeitigen  Eindringen  der  christlichen 
Taufe  (von  den  britischen  Inseln  her)  zu  thun  habe  (so  K.  Maurer 
Über  die  Wasserweihe  des  germanischen  Heidentums  Abh.  d.  kgl. 
bayer.  Ak.  d.  W.  I  Kl.  XV  Bd.  III  Abt.  München  1880),  oder  ob  man 
dabei  einen  uralten,  einst  allen  Germanen  gemeinsamen  heidnischen 

Schräder  Reallexikon.  37 


Digitized  by  Google 


578 


Name  —  Narde. 


Brauch  anzuerkennen  habe  (so  Müllenhoff  a.  a.  0.  S.  404  ff.).  Für  die 
letztere  Anschauung  spricht  u.  a.  die  einheimische  Bezeichnung  der 
christlichen  Taufe  in  den  germanischen  Sprachen  (got.  daupjan,  alts. 
döpian,  ahd.  toufan  :  got.  diups  .tief,  daneben  agls.  fulician),  die 
auf  einen  vor  Einführung  des  Christentums  bestehenden  heidnischen 
t  Brauch  hinzuweisen  scheint.    Zu  erwägen  sind  in  diesem  Zusammen- 

bange auch  die  Kachrichten  der  Alten  (gesammelt  bei  Cluver  Germania 
antiqua  1663  8.  155),  nach  denen  die  Germanen  und  andere  nördliche 
Völker  ihre  neugeborenen  Kinder  noch  „dampfend"  vom  Mutterleibe 
weg  in  das  kalte  Wasser  des  Flusses  eingetaucht  hätten,  nach  Galenits, 
um  ihre  Gesundheit  zu  erproben  und  zur  Abhärtung,  nach  Kaiser 
Julianus  (.der  aber  nur  von  Kelten  spricht),  weil  der  Rhein  die  Eigen- 
schaft gehabt  habe,  die  Echtheit  der  Gebnrt  eines  Kindes  zu  bezeugen 
(qui  spurios  infantes  undis  abripit,  tamquam  impuri  lecti  vindex). 
Nach  letzterer  Auffassang  hätte  man  es  mit  einer  Art  Gottesurteil  zu 
thun,  nach  dessen  günstigem  Ausfall  die  Anerkennung  durch  den  Vater 
erfolgen  mochte.  Ein  Wiederhall  dieser  Bräuche  bei  den  Ariern  oder 
im  südlichen  Europa,  wenn  man  einen  solchen  nicht  in  der  eveot. 
Grundbedeutung  des  lat.  dies  lustricus  (lu-strum  cigentl.  ,Bad"  :  luo 
,baden  )  erblicken  will,  konnte  aber  bis  jetzt  nicht  ermittelt  werden. 
Napf,  s.  Gefässe. 

Narcisse.  Die  Blume  war  in  mehreren  im  Süden  einheimischen 
Arten  den  Alten  wohl  bekannt.  Ihr  Name  väpmöo*o£  (:  vapxäuj  wegen 
des  betäubenden  Geruchs  der  Pflanze?  hinsichtlich  des  Suffixes  vgl. 
KUTräpto*o*o<;)  wird  zuerst  in  dem  Homerischen  Hymnus  auf  Demeter  v. 
428  zusammen  mit  einer  Reihe  anderer  frühzeitig  bekannt  gewordener 
Blumen  genannt: 

ttou£ou€v  ifa'  Äv8€ct  öp^TTOjiiev  x*»ptO"0"'  £pÖ€vra, 
uiYba  kpökov  t  äxavov  xa\  dtaXXiba?  nb'  vkxkivOov 
Kai  frobtas  KäXuKeu;  Kai  Xeipia,  6aüua  ibcaeai, 
väpKitfffov  9',  öv  &pu(T',  üiairep  kpökov,  €up€ia  xöwv. 
Auh  dem  Griechischen  lat.  narcissus  (Vergil). 
In  Deutschland  wird  der  Narcisscn  erst  im  XVI.  Jahrh.  häufiger 
Erwähnung  gethan,  wie  man  vermutet,  als  Folge  des  Einflusses  tür- 
kischer Blumenliebhabcrei.  Erst  seit  dieser  Zeit  lenkte  sich  die  Auf- 
merksamkeit auch  wohl  auf  die  bei  uns  einheimische  gelbe,  geruchlose 
Narcisse  (AT.  Paeudonarci&sus  L.).  —  S.  u.  Blumen,  Blumenzucht. 

Narde  (Valeriana  Jatamansi).  Die  Pflanze  ist  in  den  Gebirgen 
des  nördlicheu  Indiens  einheimisch.  Ihre  Blätter  und  Wurzeln  wurden 
im  Altertum  zu  aromatischen  Salben  verwendet.  Griech.  väpbo?  be- 
gegnet zuerst  bei  Theophrast  (IX,  7,  2,  3).  Man  kann  zweifelhaft 
sein,  ob  das  Wort  zunächst  aus  iranischem  (npers.  nard,  närd)  oder 
aus  semitischem  (hehr,  nerd  im  Hohenlied)  Kulturkreis  stammt.  Alle 
die  genannten  Ausdrücke  gehen  aber  auf  das  indische  ndlada-  (schon 


Digitized  by  Google 


Narde  -  Nelke. 


579 


im  Atbarvaveda  als  Aromapflanze  genannt,  vgl.  Zimmer  Altind.  Leben 
S.  68)  zurück.  Ein  Grand,  mit  Horn  Grundriss  d.  npers.  Et.  S.  237 
nnd  Uhlenbeck  Et.  W.  d.  altind.  Spr.  S.  144  in  dem  indischen  Worte 
ein  snnskritisiertes  vdpbo;  zu  sehn,  ist  nicht  vorhanden.  Nach  dem 
Periplus  maris  erytbraei  wird  vdpbo?  häufig  aus  indischen  Häfen 
ausgeführt.  Sie  kommt  (§  48)  aus  Kaschmir,  Kabul  und  den  Gegenden 
am  Hindukusch.  Auch  in  Gedrosien  stiess  das  Heer  Alexanders  auf 
die  kostbare  Pflanze  (Aman  Anabasis  VI,  22).  In  Europa  wurde 
das  fremdländische  vdpbo?  auf  einheimische  Valerianeae  Ubertragen 
(s.  u.  Baldrian).  Durch  die  Bibel  verbreiteten  sich  got.  nardus,  ahd. 
narda  etc.  —  S.  u.  Aromata. 

Nashorn.  Der  aus  rein  griechischen  Mitteln  gebildete  Name  des 
innerafrikauischen  Tieres  tritt  zuerst  in  der  lateinischen  Entlehnung 
rhlnocero8  bei  dem  Satiriker  Lucilius  auf  (rhinoceros  velut  Aethiopus, 
Sat.  III,  83  Lachm.).  Von  Griechen  beschreibt  als  erster  Strabo 
XVI,  p.  774,  775  ausführlich  den  jMvo-K^pu>?,  der  im  Jahre  55  durch 
Pompeius  in  Rom  gezeigt  wurde. 

Nation,  Nationalität,  s.  Volk. 

Natron,  s.  Soda. 

Natter,  s.  Schlange. 

Naturbelebung,  Naturerscheinungen,  s.  Religion. 
Naturordnung,  s.  Religion. 

Neffe,  Nichte.  Idg.  Bezeichnungen  für  den  Bruderssohu  oder  die 
Bruderstochtcr,  den  Schwestersohn  oder  die  Schwestertochter  lassen 
sich  nicht  nachweisen.  Man  wird  mit  Delbrück  Verwandtscbaftsnamen 
S.  502  anzunehmen  haben,  dass  der  Vatersbruder  in  der  Urzeit  noch 
seine  Neffen  und  Nichten  als  Söhne  und  Töchter  wie  seine  eigenen 
Kinder  bezeichnete.  Hand  in  Hand  mit  der  Ausbildung  eines  Namens 
für  den  der  Urzeit  begrifflich  noch  fremden  Mutterbrnder  (s.  u. 
Oheim)  geht  dann  in  zahlreichen  Einzelsprachen  die  Verwendung 
des  uralten  Wortes  für  Enkel  (s.  d.),  Iat.  nepos  etc.,  im  Sinne  zu- 
nächst von  ,Schwestersohn\  .Schwestertochter',  dann  auch  von  »Bruders- 
sohu', , Bruderstochter'.  Ein  besonderes  Wort  für  Bruderssohn  hat  nur 
das  Angelsächsische  in  dem  dunklen  suhtor,  suhtriga,  mhtorge fäder  an 
,Oheim  und  Neffe'  ausgebildet.  —  S.  auch  u.  F  a  m  i  I  i  e. 

Nelke.  1.  Gartennelke  (Gattung  Dianthus  L.).  Diese  in 
Südeuropa  einheimischen  Blumen  scheinen  unter  biö?av9o<;  bei  Theo- 
phrast  (VI,  6,  2)  gemeint  zu  sein.  Im  alten  Italien  wurden  sie  nicht 
beachtet  und  daher  auch  zunächst  nicht  nach  dem  Norden  verpflanzt. 
2.  Gewürznelke  (Caryophyllus  aromaticus),  auf  den  Molukkeu  etc. 
einheimisch.  Der  erste,  der  dieses  später  so  geschätzte  Gewürz  und 
zwar  unter  dem  Namen  icapuöcpuXXov  beschreibt,  ist  der  im  Anfang 
des  VII.  Jahrhunderts  in  Alexandrien  lebende  Arzt  Panlos  Aeginetes 
(vgl.  E.  Meyer  Geschichte  der  Botanik  II,  412  ff.).    Doch  wird  das 


Digitized  by  Google 


5K0 


Nelke  -  Nessel. 


Wort  caryophyllum  (wörtlich  .Nussblatt')  schon  früher  von  Plinins  XII, 
30,  aber  für  ein  anderes  Gewürz,  eine  Pfefferart,  genannt.  Noch 
anentschieden  ist  die  Frage,  ob  jenes  KapuöqpuXXov,  das  in  seiner 
wörtlichen  Bedeutung  für  die  Gewürznelke  keinen  Sinn  giebt,  die 
Quelle  von  oder  eine  Entlehnung  aus  dem  schon  bei  den  ältesten 
arabischen  Dichtern  (vgl.  Löw  Pflanzenn.  S.  355)  gebräuchlichen 
qaranful  »Gewürznelke'  ist.  Letzteres  erscheint  nach  Lage  der  Dinge 
das  wahrscheinlichere.  Andere  sehen  in  dem  griechischen  Wort  eine 
volkstümliche  Verstümmlung  eines  indischen  Pflanzennamens  (sert.  kafu- 
kaphala-),  aus  dem  dann  der  arabische  Ausdruck  direkt  oder  indirekt 
stammte  (vgl.  G.  Meyer  Türk.  Stud.  I,  31,  K.  Vollere  Z.  d.  Deutschen 
Morgenl.  Ges.  L,  G50).  Jedenfalls  hat  das  griechisch-arabische  Kapu- 
6<puWov  —  qaranful  eine  ungeheure  Verbreitung  in  Orient  und  Occi- 
dent  gefunden  :  kurd.  karafil  (auch  syr.,  türk.),  ngriech.  tcapuoqpüXXi, 
YCtpü(paXXov,  alb.  karanßl',  bulg.  karanfil,  sp.  girofle,  it.  garofano, 
nun.  carofil  n.  s.  w.  Als  man  in  Deutschland  die  Gewürznelken  (mlat. 
gariofilae,  s.  u.  Pfeffer)  kennen  lernte,  benannte  man  sie  nach  ihrer 
Ähnlichkeit  mit  kleinen  Nägeln,  die  schon  Paulos  Aeginetes  (s.  o.) 
hervorgehoben  hatte,  :  ndd.  negelkin,  mhd.  negellin  (Heilige  Hilde- 
gard :  nelchin).  Von  der  Gewürznelke  ans  benannte  man  dann  später 
in  ganz  Europa  die  Gartennelke,  als  deren  Zucht  (erat  im  Zeitalter 
der  Renaissance^  in  Italien  aufgekommen  war.  —  8.  u.  Blumen, 
Blumenzucht  und  u.  Gewürze. 

Neolithische  Epoche,  s.  Kupfer  und  Steinzeit. 

Nephrit,  s.  Steinzeit. 

Nessel.  Die  in  Europa  einheimische  grosse  Brcnnnessel  ( Urtica 
dioica  L.)  wurde  in  trüben  Zeiten  neben  und  vielleicht  vor  dem  Flachs 
(s.  d.)  als  Gespinstpflanze  zur  Herstellung  von  Netzen  und  Gameu, 
aber  auch  zu  Gewebestoffen  verwendet.  Dies  ist  noch  heute  bei  ver- 
schiedenen Völkern  an  der  Grenze  Asiens  und  Europas  der  Fall,  und 
in  Deutschland  kannte  noch  Albertus  Magnus  (im  XIII.  Jahrh.)  diesen 
Gebrauch  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen0  S.  569 f.). 

Auch  die  Sprache  weist  auf  diese  Bedeutung  der  Pflanze  hin.  Von 
einer  Wurzel  ned,  die  in  der  Ursprache  neben  nedh  ,knflpfeu,  binden' 
(sert.  nah,  naddhd  )  vorhanden  gewesen  sein  muss,  leiten  sich  ab  einer- 
seits die  Benennungen  der  Nessel  :  ahd.  nazza,  nezzila,  agls.  netele, 
griech.  db-iKn  (ans  *nd-),  ir.  nenaid  (kymr.  dynad,  bret.  linad), 
andrerseits  Bezeichnungen  für  mehrere  aus  Nesselfäden  geknüpfte 
Gegenstände  wie  got.  nati,  ahn.  nöt  ,grosscs  Netz',  lat.  nödus  .Knoten', 
Plur.  , Fischnetz'.  8.  auch  n.  Rohr.  In  bemerkenswerter  Nähe  von 
agls.  netele  liegen  ferner  altpr.  noatis,  lit.  notere*,  Jett,  ndtres  ,Nessel', 
ohne  das»  eine  direkte  Verknüpfung  lautlich  möglich  wäre.  Einzel- 
sprachliche Bezeichnungen  der  Nessel  sind  uoch  griech.  Kvibn.  (:  kvtiv 
, kratzen')  und  dicaXucpn.,  lat.  Urtica  (:  rerto  in  vertieillus,  sert.  vartana-, 


Digitized  by  Google 


Nessel  —  Notzucht. 


581 


altsl.  creteno  ,Spiunwirter?),  altsl.  kopriva  (vgl.  koprü  ,DhT  uud  bei 
Nestor:  koprijnyja  vetrila  ,Segel  aus  Nesselfäden':  koprina  ,Seide',  die  mit 
Nesselfäden  verfälscht  zu  werden  pflegt),  dak.  buv.  Namentlich  im  Süden 
dienen  Nesselarten  mit  ihren  jungen  Trieben,  wie  schon  Theophrast  be- 
merkt, auch  zur  Nahrung  und  mit  ihren  Samen  auch  zu  Heilzwecken.  — 
Vgl.  Lenz  Botanik  S.  430  und  v.  Fischer-Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  88  f. 

Netz,  s.  Fisch  (Fischfang)  und  Nessel. 

Neumond,  s.  Mond,  Monat. 

Neunzahl,  s.  Zahlen. 

Nomadentum  der  Idg.,  s.  Ackerbau,  Viehzucht,  Urheimat. 
Norden,  s.  Himmelsgegenden. 

Notzucht.  Zur  Bezeichnung  der  Ausübung  des  Beischlafs 
sind  mehrere  Gleichungen  in  den  idg.  Sprachen  vorhanden.  So  vor 
allem  die  Reihe  sert.  yabh,  griech.  oTcpuj,  nsl.  jebati.  Ein  uraltes 
Stammverbum  hierfür  wird  auch  lit.  plsti  ,coirc'  sein,  das  dem  sert. 
piisa*;  griech.  nio<;,  lat.  penut  i*pesnix)}  nihil,  visel  etc.  nahe  zu  liegen 
scheint.  In  der  Sippe  sert.  mehati,  griech.  6u.ix6ju,  uoixöq,  lat.  ruhigere, 
mejere  u.  s.  w.  gehen,  wie  auch  sonst,  die  Bedeutungen  von  ,mingere' 
und  .seinen  effundere'  in  einander  über.  Vgl.  auch  altn.  sertia  ,stu- 
prare',  agls.  serdan,  mhd.  werten  :  kymr.  serth  ,obscoenus'  und  ir. 
goithim  ,fntuo',  kymr.  godineb  ,fornicatio,  adulterium'  (*gotd)  :  lat. 
futuo(T).  Häutig  ist  auch  der  metaphorische  Gebrauch  von  Wörtern 
für  ,säeu'  im  Sinuc  von  ,eoire\  was  dann  die  Auffassung  des  Weibes 
als  eines  Fruchtfelds,  der  Kinder  als  Früchte  u.  s.  w.  zur  Folge  hat 
(vgl.  Mannhardt  Quellen  und  Forscb.  LI,  351  f.). 

Für  die  Ausübung  des  unerlaubten  Beischlafs,  im  besonderen 
für  die  beiden  Hauptarten  desselben,  den  Ehebruch  und  die  Not- 
zucht, bestehen  keine  besonderen  Gleichungen.  Über  die  Benen- 
nungen des  ersteren  Begriffs  s.  u.  Ehebruch. 

Notzucht  wird  im  Griechischen  durch  köptci  oicpeiv  (Gesetz  v. 
Gortyn)  oder  durch  ßmffuös,  ßiäZeaecu,  ßivcTv  (Ableitungen  von  ßia  »Ge- 
walt), im  Lateinischen  durch  per  vim  stuprare  ausgedrückt  (stuprum 
etym.  dunkel;  die  älteste  Bedeutung  ist  ,Schande',  vgl.  unser  „schänden"). 
Dieses  mit  Gewalt  vollzogene  stuprum  wurde  im  römischen  Recht 
nicht  als  ein  besonderes  Verbrechen  angesehn,  sondern  zur  iniuria 
oder  vis  gerechnet  (vgl.  Rein  Kriminalrecht  S.  868  f.). 

Ebenso  wird  in  den  germanischen  Rechten  (vgl.  Wilda  Strafrecht 
S.  829  ff.)  die  Notzucht  (ahd.  nötzogön  ,mit  Gewalt  fortzichn',  nöt- 
numft  :  neman,  agls.  nydneeme,  nord.  nothta>kt,  tcaldtakt,  nema  kunu 
mep  wald;  ahd.  nöt,  got.  nanps  =  altpr.  nauti  ist  eigentl.  ,Gcwalt') 
als  grobe  Gewalt  autgefasst,  und  löst  sich  erst  sehr  langsam  begrifflich 
von  dem  Delikt  des  Fraueuraubes  los.  Zu  der  Bestimmung  der  Lex 
Salica:  Si  quis  cum  ingenua  puella  per  virtutem  mechatus 
fuerit,  8ol  LXIII  culp.  iud.  (Cod.  1  Hessels,  in  den  (Ihrigen  cod. 


Digitized  by  Google 


582 


Notzucht  —  Obstbau  und  Baumzucht 


werden  sol.  LXII  genannt,  es  ist  dieselbe  Busse  wie  für  den  Frauen- 
raub) findet  sieh  die  Glosse  tkiuue-röfen,  theoröfa  (n.  Kern  bei  Hessels 
S.  495),  was  wörtlieh  ,Frauenraub*  bezeichnet.  Ebenso  wird  die  Auf- 
fassung der  idg.  Urzeit  gewesen  sein:  Notzucht  war  eine  Gewaltthat, 
die  wie  jede  andre  von  der  Familie  oder  Sippe  der  geschädigten  ge- 
ahndet wird.  Die  Busse  streicht  auch  hier  nicht  die  Verletzte  sondern 
der  ein,  in  dessen  Gewalt  das  Weib  steht.  Die  Spuren  dieses  Zu- 
stands  haben  sieb  in  den  Rechten  der  Einzelvoiker  lange  erhalten  (vgl. 
Wilda  a.  a.  0.  S.  838,  Bücheler  und  Zitelmann  Das  Recht  von  Gortyn 
S.  108).  —  S.  u.  Verbrechen. 

Nuss,  g.  Haselnuss  und  Walnuss. 


o. 

Obergewand,  s.  Kleidung. 
Obscoene  Bräuche,  s.  Keuschheit. 

Obstbau  nnd  Baumzucht.  Dass  die  Indogermanen  Europas  bei 
der  Ankunft  in  ihren  historischeu  Wohnsitzen  noch  nicht3  von  Obst- 
bau und  B  a  u  ra  z  u  c  h  t  wussten,  geht  bezüglich  der  Griechen  und 
Germanen  aus  ganz  bestimmten  u.  Garten,  Gartenbau  angeführten 
Nachrichten  der  Alten  hervor.  Zu  denselben  hinzuzufügen  ist,  dass 
Tacitus  Germ.  Cap.  5  Deutschland  überhaupt  als  frugiferarum  ar~ 
borum  impatiens  bezeichnet,  und  dass  Varro  De  re  rust.  I,  7,  8  be- 
richtet, je  weiter  Cu.  Tremellius  Scrofa  im  Transalpinischen  Gallien 
sich  mit  seinem  Heere  dem  Rheine  genähert  habe,  er  umso  häufiger 
in  Gegenden  gekommen  sei,  ttbi  nec  viti*  nec  oUa  nec  poma  nas- 
cerentur. 

Wohl  aber  müssen  die  Früchte  der  wilden  Obstbäume  in  der  Ur- 
zeit als  Nahrung  verwendet  worden  sein.  Wie  Tacitus  (Germ.  Cap.  23) 
agrestia  poma  als  Speise  der  alten  Deutschen  bezeichnet,  so  sind  in 
den  Schweizer  Pfahlbauten  verkohlte  wilde  Äpfel  und  Birnen,  nach 
Heer  auch  Kerne  der  Prunus  insititia  oder  Schlehenpflaume  und  der 
Prunus  avium  oder  wilden  Sttsskirsche  gefunden  worden.  Nicht  un- 
wahrscheinlich ist,  dass  in  vorhistorischen  Zeiten  auch  die  Eicheln, 
zu  denen  im  Süden  noch  die  wilden  Kastanien  hinzutraten,  genossen 
wurden.  Sowohl  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  wie  in  denen  der  Po- 
ebne  sind  grosse  Mengen  teilweise  in  Hälften  zerschnittener  und  in 
Thongetässen  aufbewahrter  Eicheln  zu  Tage  getreten.  In  Griechen- 
land wurden  die  in  ihrer  kulturgeschichtlichen  Entwicklung  zurück- 
gebliebenen Arkader  als  ßaXavn<pctTOi  oder  Eichelesser  bezeichnet  (s.  u. 
Kastanie),  und  noch  Plinius  Hist.  nat.  XVI,  15  berichtet  Uber  die 


Digitized  by  Google 


Obstbau  und  Baumzucht. 


583 


Verwendung  der  Eicheln  zur  menschlichen  Nahrung:  Nee  non  et  in- 
opia  frugum  aref actis  emolitur  farina  spissaturque  in  panis  usum. 
quin  et  hodieque  per  Hispanias  secundis  mensis  glans  inseritur. 
dulcior  eadem  in  cinere  tosta.  Ebenso  wird  Eichelmehl  in  nördlichen 
Ländern  noch  hente  als  Surrogat  beim  Brotbacken  verwendet,  und  in 
einem  altenglischen  Rnnenlied  (Wülker  I,  331—337)  wird  von  der 
Eiche  geradezu  gesagt: 

de  byp  on  eorpan  elda  beamum 

fleesces  föder. 

„Die  Eiche  ist  auf  Erden  den  Menschenkindern  Nahrung  des 
Fleisches". 

Zu  beachten  ist  auch  die  Notiz  des  Herodot  IV,  109,  nach  welcher 
die  (slavischen?)  Budinen  (pecipoTpa^ouai,  d.  h.  sich  von  den  Früchten 
der  Zirbelficbte  nähren  (an  „Läusee&ser"  ist  doch  kaum  zu  denken). 

Einen  interessanten  sprachlichen  Beleg  ftlr  diese  einstige  Bedeutung 
der  Eichelkost  bietet  die  Gleichung 

lat.  pömum  ,Obst'  =  ir.  omne  , Eiche'. 
Letzteres,  aus  *pomonaio-  hervorgegangen  (vgl.  Stokes  Urkelt.  Sprach- 
schatz S.  51),  bedeutete  demnach  ,arbor  frugifera'  in  dein  Sinne  von 
Germ.  Cap.  10  (virgam  frugiferae  arbori  decisam  in  mrculos 
amputant),  wo  nach  dem  oben  bemerkten  nur  von  wilden  Frucht- 
bäumen, zu  denen  auch  Eiche  oder  Buche  gehören,  die  Rede  sein 
kann.  Lat.  pömum  hätte  ursprünglich  die  Frucht  der  Eiche  oder  eines 
anderen  wilden  Frachtbaums  bezeichnet  und  wäre  dann  allmählich  zur 
Bezeichnung  des  Begriffes  ,Obst'  überhaupt  verwendet  worden.  Analoge 
Erscheinungen  bietet  das  slavische  ii-rü,  eigentlich  »Lebensmittel'  : 
altsl.  ii-ti  ,leben'  (wie  lat.  p6~mum  :  pa-nci  ,sich  nähren  ),  das  in  den 
sttdslavischen  Sprachen  auch  die  Eichel,  im  Slovenischen  die  Buch- 
nuss  und  bei  den  Kroaten  in  Istrien  das  Obst  bezeichnet  (vgl.  Krek 
Einleit.  in  d.  slav.  Litg.  *  S.  115*).  Vgl.  auch  die  germanisch-kel- 
tische Reihe  got.  akran  »Ertrag',  , Frucht',  altn.  akarn,  agls.  ateern, 
engl,  acorn  ,Eicbel'  =  kymr.  acron  , Früchte',  korn.  acran  ,Pflaumen', 
ir.  dirne  ,Schlehe'  (Zimmer  bei  Zupitza  Gutturale  S.  213). 

Der  Ubergang  der  Indogerraanen  Europas  zur  Obst-  und  Baumzucht 
bildet  eine  der  wichtigsten  Phasen  ihrer  kulturhistorischen  Entwicklung, 
insofern  erst  hierdurch  die  losen  von  dem  Ackerbau  geknüpften  Bande 
des  Menschen  mit  dem  heimatlichen  Boden  zu  unzerreissbaren  werden. 
Denn  der  Bauin  bedarf,  ehe  er  Frucht  bringt,  langjähriger  Pflege  und 
sein  Wert  und  Ertrag  wächst  mit  der  Dauer  der  Jahre.  So  setzt  die 
Baumzucht  den  Wanderungen  der  Menschen  eine  Grenze.  Der  hier 
geschilderte  Prozess  hat  in  Griechenland  schon  in  vorhomerischer  Zeit 
begonnen.  Bereits  in  den  homerischen  Gesängen  bildet  die  (puraXu) 
,die  Baumpflanzung'  eine  wichtige,  wenn  nicht  die  wichtigste  Abteilung 
des  öpxaioq  oder  Kt^Tto<;.  An  Fruchtbäumen  werden  (neben  dem  Wcin- 


Digitized  by  Google 


Obstbau  und  Baumzucht. 


stock)  der  Ölbaum  und  die  Feige,  Apfel,  Birne  und  Granate 
genannt.  Von  diesen  kommen  die  letzteren  vier  noch  nicht  in  der 
llias  vor  und  auch  in  der  Odyssee  nur  au  unzweifelhaft  späten  Stellen, 
wie  in  der  Beschreibung  der  Gärten  des  Alkinoos,  so  dass  man  aus 
diesem  Umstand  auf  ein  späteres  Aufkommen  dieser  Kulturpflanzen  in 
Griechenland  geschlossen  hat.  Zu  den  genannten  Frucht  bäumen  treten 
dann  schon  bei  Homer  folgende  Zier-  oder  Kultusbäume  hinzu: 
Platane  und  Buchsbaum  in  der  Ilias,  Myrte  und  Kyprcsse  in 
Ortsnamen  desselben  Gedichts,  Lorbeer  und  Dattelpalme  (welche 
letztere  in  griechischen  Breiten  nicht  als  Fruchtbaum  gelten  kann)  in 
der  Odyssee.  Mit  dem  Anwachsen  der  griechischen  Literaturdenk- 
mäler wächst  dann  auch  die  Zahl  der  angebauten  Obst-  und  Frucht- 
bäume, ohne  dass  es  möglich  wäre,  im  einzelnen  Falle  zu  entscheiden, 
ob  die  erste  Erwähnung  eines  Baumes  mit  der  Einfuhrung  desselben  oder 
seiner  Kultur  chronologisch  im  Grossen  und  Ganzen  zusammenfällt,  oder  die 
frül.ere  oder  spätere  Nennung  eines  Baumes  auf  Zufall  beruht.  So  werden 
bei  Archilochos  zuerst  genannt:  Mispel  und  Pflaume,  bei  Alkman 
oder  Stcsichoros:  die  Quitte,  bei  Solon:  der  S  um  ach,  bei  den  Tra- 
gikern oder  später:  die  Maulbeere,  bei  Phrynichos:  die  Mandel, 
bei  Herodot:  der  Mastix,  bei  Xenophon:  die  Terebinthe,  hei  Di- 
philos  von  Siphnos:  Kirschenarten,  bei  Thcophrast:  der  Speierling, 
die  Kastanie,  Waluuss,  Pinie,  Johannisbrotbaum,  Pcrrücken- 
b  a  u  tu.  Die  meisten  der  hier  genannten  Bäume  erweisen  sich  aus 
botanischen  Gründen  als  einheimisch  in  Griechenland,  so  dass  nur  ihre 
Inkulturnahmc  und  weitere  Pflege  nach  orientalischen  Mustern  erfolgt 
sein  wird.  Oft  mag  aber  auch  die  veredelte  Pflanze  direkt  von  Osten 
herübergekommen  sein,  so  dass  man  erst  durch  diese  auf  die  ein- 
heimische wilde  Pflanze  aufmerksam  wurde.  Als  nicht  einheimisch 
im  eigentlichen  Griechenland  dürften  von  den  bisher  genannten  Bäumen 
nur  Dattelpalme  und  Kypresse,  Quitte,  Mandel  und  Maul- 
beere anzuschn  sein. 

In  Italien  wird  man  im  Grossen  und  Ganzen  dieselben  Frucht- und 
Zicrbäume  als  einheimisch  oder  eingeführt  zu  betrachten  haben  wie 
in  Griechenland,  nur  dass  der  Granatapfel,  die  Platane  und  der 
Johannisbrotbaum  ihr  ursprüngliches  Verbreitungsgebiet  westwärts 
nicht  bis  Italien  ausdehnten,  hier  also  lediglich  durch  Zuthuu  des 
Menschen  sich  einbürgerten.  Im  allgemeinen  darf  Grossgriechenland 
als  die  Lehrmeisteriu  Italiens  auf  dem  Gebiete  der  Obst-  und  Bauin- 
zucht gelten,  worauf  schon  die  zahlreichen  auf  diesem  Gebiete  gelten- 
den Lehnwörter  des  Lateinischen  aus  dem  Griechischen  hinweisen. 
Nur  in  einzelnen  Fällen,  wie  bei  der  Feige  und  dem  Granatapfel, 
wird  man  an  Einführung  der  Kultur  oder  (bei  letzterem)  der  Pflanze 
selbst  aus  phönizisch-kaithagischem  Kulturkreis  denken  dürfen. 

Direkt  nach  Italien,  und  von  da  erst  nach  Griechenland,  wurden 


Digitized  by  Google 


Obstbau  und  Baumzucbt. 


tinter  dein  vollen  Lichte  der  Geschichte  aus  dem  Orient  im  I.  Jahr- 
hundert der  Kaiserherrschaft  der  Pfirsich,  die  Aprikose  uud  die 
Pistazie,  noch  später  die  Zitrone  eingeführt.  Der  hier  in  seinen 
Grundzttgen  geschilderte  Prozess,  der  später  durch  die  früchteliebenden 
Araber  vervollständigt  und  z.  B.  durch  die  Einführung  der  Limone 
und  Pomeranze,  noch  erweitert  wurde,  führte  zu  einer  Umgestaltung 
der  äusseren  Physionomic  der  klassischen  Länder,  die  schon  im  ersten 
vorchristlichen  Jahrhundert  Varro  zu  der  Frage  veranlasste:  non  ar- 
boribus  conxita  Italia  est,  ut  tota  po  mar  tum  cideatur?  Nimmt 
man  hinzu,  dass,  abgesehn  von  den  in  Gärten  gepflegten  Obstbäumen, 
allein  den  in  heiligen  Hainen  gepflauzten  Bäumen  der  Schutz  des  Ge- 
setzes zu  teil  wurde,  der  deu  ursprünglich  in  Menge  vorhandenen 
freien  Waldbeständen  fast  völlig  fehlte,  so  versteht  man,  wie  im  Laufe 
der  Zeit  im  klassischen  Süden  an  Stelle  der  von  der  Natur  geborenen 
Vegetation  last  durchaus  eine  durch  Kunst  umgestaltete  und  veredelte 
treten  musste. 

Hierbei  spielt  die  allmählich  in  der  Littcratur  hervortretende  und  in 
dem  kaiserliehen  Italien  auf  dem  Höhepunkt  ihrer  Vollendung  ange- 
kommene Kunst  der  Veredlung  der  Obstbäume  durch  Pf  ropfe  n 
und  Okulieren  eine  wichtige  Rolle.  Die  homerischen  Gedichte 
scheinen  von  ihr  noch  nichts  zu  wissen.  Der  homerische  Gärtner  düngt 
(KOTTpiZei)  und  bewässert  den  Boden  durch  künstliche  Kinnen  (dudpeu, 
dvnp  öxcthtikö?!.  Als  Werkzeug  gebraucht  er  die  Hacke,  mit  der  er 
den  Setzling  umgräbt  (XidTpeuen.  So  trifft  Odvsseus  den  Vater 
(XXIV,  ■>:>()): 

TÖV  b'  OIOV  TKXjifi    £Up€V  ^ÜKTlJi^Vrj  iv  ÜXlJüf} 
XlO"Tp€UOVTC(  <pUTÖV. 

Auch  in  der  späteren  Littcratur  ist  zunächst  vom  Pfropfen  der  Obst- 
bäume keine  Rede,  bis  bei  Theophrast  diese  Kunst  eine  allgemein  be- 
kannte Sache  ist,  die  mit  den  Ausdrücken  <*u(puT€Üeiv,  dtKevTpiZeiv, 
cvoqräctXufoiv  (vgl.  z.  B.  De  caus.  plant.  II,  14,  ;">)  bezeichnet  wird. 
Dazu  treten  später  Wendungen  wie  ^ußdXXetv,  ^uqnjXXtZeiv  etc.  In 
Italien,  wo  die  Iuokulatiou  durch  svrischc  und  eilizische  Sklaven  bc- 
sonders  gefördert  wurde,  ist  dieselbe  schon  bei  den  ältesten  landwirt- 
schaftlichen Sehrifstellern  nachweisbar.  Die  hier  geltenden,  teilweis 
dem  Griechischen  nachgebildeten  Termini  sind:  inserere,  imtitio,  In- 
sitor  ,eine  ländliche  Gottheit'  (n.  Scrvius  z.  Vergils  Georg.  I,  21), 
inoculari,  propdgo,  propdgare.  Doch  müssen  in  der  Sprache  der 
Gärtner  und  des  Volkes  noch  andere  Bezeichnungen  gegolten  haben, 
die  sich  aus  ihrer  Entlehnung  in  die  nördlichen  Sprachen  erkennen 
lassen. 

Im  Ahd.  begegnet  nämlich  für  inoculari  das  Wort  impfitön,  mhd. 
impfeten  neben  einem  kürzeren  ahd.  inipfon,  agls.  impian,  engl.  imp. 
Man  hat  versucht,  diese  zusammen  mit  dem  schon  in  der  Lex  Salica 


Digitized  by  Google 


586 


Obstbau  und  Baumzucht. 


begegnenden  impotus  , Pfropfreis',  frz.  ente,  enter,  prov.  entar 
,pfropfen',  ndl.  etc.  enten  .impfen'  an  das  oben  genannte  griecb.  £u- 
(puTeuuj,  ^inqpuu)  anzuknüpfen,  indem  man  annahm,  dass  diese  von 
griechischem  Boden  —  etwa  von  Massilia  aus  —  unmittelbar  in  kel- 
tische Dialekte  und  ans  diesen  ins  Romanische  und  Germanische  über- 
gegangeu  sein.  Wahrscheinlicher  aber  dürfte  jene  ganze  Sippe  au» 
lat.  imputare  (Hmpudare,  *impuare)  herzuleiten  sein,  für  das  dann, 
als  mit  putare  ,schneideln'  (vgl.  amputare)  zusammengesetzt,  von  einer 
in  der  Gärtnersprache  erhaltenen  hypothetischen  Bedeutnng  einschneiden' 
auszugehn  ist,  die  sich  durch  ,ins  Kerbholz  schneiden1  etc.  zu  der 
litterarisch  überlieferten  Bedeutung  ,auf  Rechnung  setzen'  etc.  entwickelt 
hätte.  Jedenfalls  hat  das  Simplex  putare  durch  it.  potare,  sp.  podar 
hindurch  seinen  Weg  nach  dem  Norden  angetreten  (vgl.  mfränk.  possen, 
mndl.  mndd.  poten  .propfen',  siebenbürg.  pösse,  pöste).  Aus  dem 
Lateinisch-Romanischen  stammt  auch  mhd.  pfrophen  von  ahd.  phropho 
aus  lat.  propägo  und  md.  pelzen,  Ostreich,  pfelzen  aus  prov.  empeltar, 
lat.  Hmpeltare  (:  lat.  peüis  ,Haut,  Rinde').  Vgl.  noch  bei  Palladium 
XII,  7  inoculari  quod  emplastrari  dicitur  ,einpflastem'  (auch  schon 
bei  Columella)  und  *sertare  von  serere  =  inserere,  das  sich  aus  alb. 
sartön  ,pfropfe'  folgern  lässt.  Ohne  Zusammenhang  mit  dem  Latei- 
nischen oder  Griechischen  ist  das  got.  intrisgan,  intrusgjan  ,£tk€v- 
Tpi£€iv'  gebildet,  das  noch  der  Aufklärung  harrt  (vgl.  lit.  dreskiü 
,reisscn\  ,einreissen"?).  Slavisch-litauische  Bezeichnungen  werden  von 
einer  Wurzel  skep-  ,spalten'  abgeleitet  (vgl.  Miklosich  Et.  W.  S.  293). 

Sucht  man  die  Reihenfolge  festzustellen,  in  welcher  die  Kultur 
der  Obstbäume  oder  letztere  selbst  allmählich  nach  dem  Norden  vor- 
drangen, so  wird  man  nicht  irren,  wenn  man  in  dem  Apfelbaum 
den  ersten  kultivierten  Obstbaum  des  Nordens  erblickt.  In  der  Lex 
Saliea  freilich  ist  in  den  ältesten  vier  Codices  (nach  der  englischen 
Ausgabe  von  Hessels)  von  Obstbäumen  überhaupt  noch  nicht  die  Rede. 
In  den  späteren  Abfassungen  treten  der  Apfel-  und  Birnbaum,  po- 
marius  (auch  melarius,  milarius)  und  pirarius  {perarius)  auf.  Vgl. 
z.  B.  Cod.  6  u.  ö,  VII,  11:  Si  quis  pomarium  domesticum  de  intus 
curte  mit  de  latus  carte  capulaverit  aut  involaverit,  sol.  III  culp. 
iud.  oder  Cod.  10,  XXVII,  21 :  Si  quis  in  potus  de  pomario  aut  de 
pirario  diruperit,  malb.  leudardi,  CXX  [den.]  qui  fac.  sol.  III  culp. 
iud.  Die  übrigen  leges  Barbarorum  bieten  nichts  wesentlich  neues» 
Schon  den  Abschluss  der  kulturhistorischen  Bewegung  zeigt  das  Cap'- 
tulare  de  villis,  welches  Cap.  LXX  anordnet:  De  arboribus  volumus  quod 
habeant  :  pomarios  diversi  generis,  pirarios  div.  gen.f  prunarios  div. 
gen.t  sorbarios,  mispilarios,  castanearios,  persicarios  div.  gen.,  cotoni- 
arios,  ateüanarios,  amandalarios,  morarios,  lauros,  pinos,  ficust 
nueavios,  ceresarios  die.  gen.  Denselben  Bestand  zeigt  der  ungefähr 
gleichzeitige  Bauriss  des  Benediktinerklosters  von  St.  Gallen  vom  Jahre 


Digitized  by  Google 


Obstbau  und  Baumzucht  —  Obstwein. 


587 


820,  in  den  auf  dem  Begräbnisplatz  des  Klosters  folgende  Bäume  ein- 
getragen sind :  mäl{arius),  perarius,  prtinarius,  pinus,  sorbarius,  «mV 
polarius,  laurus,  castenartus,  ficusf  gudunarius,  persicus,  avellanarius, 
amandelariux,  murarius,  nugarius  (vgl.  v.  Fischer-Benzon  Altd.  Garten- 
flora S.  184  ff.).  Fast  alle  hier  genannten  Bäume  tragen  im  Deutsehen 
Namen,  welche  aus  dem  Lateinischen  entlehnt  sind  oder  sonst  auf 
den  Süden  hinweisen  (wie  „Walnuss",  d.  h.  die  wälsche  Nuss).  Über  die 
Herkunft  der  deutschen  Obstzucht  kann  daher  kein  Zweifel  bestehn. 
Bei  den  S 1  a  v  e  n  wären  nach  Abraham  Jakobsens  Berichte  über  die 
Slavenländer  vom  Jahre  973  die  vornehmsten  Obstbäume  Apfelbäume, 
Birnbäume  und  Pfirsiche  (nach  des  Herausgebers  Vermutung  vielmehr 
Pflaumen)  gewesen.  Für  die  Abhängigkeit  des  slavischen  Obstbaus 
von  dem  deutschen  ist  die  Entlehnung  des  westgermanischen  ahd.  obaz, 
agls.  ofet  ,Obst'  (nach  Prelhvitz  B.  B.  XXV,  158  aus  +up-od-om  :  lat. 
edo  ,esse')  in  die  meisten  Slavinen  (altsl.  ocosti  ,frnctus'  u.  s.  w.)  be- 
zeichnend. —  Alle  hier  erwähnten  Baumartcn  sind  in  besonderen  (teil- 
weis mehrere  zusammenfassenden)  Artikeln  bebandelt  worden.  Im  all- 
gemeinen vgl.  V.  Hehn  Kultnrpfl/'  S.  120  und  419  ff.,  ausserdem  Pott 
Veredlung  der  Obstbäume  Beiträge  z.  vergl.  Sprachf.  II,  401  ff. 

Obstwein.  Nachrichten  über  aus  BaumfrUchten,  Äpfeln,  Birnen, 
Granaten,  Datteln,  Feigen  und  Maulbeeren  bereitete  Gcträukc  treten 
erst  in  der  römischen  Welt,  zuerst  bei  Dioskorides  und  Plinius  auf. 
Vielleicht  ging  die  Anregung  dazu  von  Syrien,  der  Heimat  veredelter 
Baumkultur,  aus.  Zu  den  Semiten  führt  wenigstens  das  spät-klassische 
ffiK6pa-*icerrt  zurück,  das  ans  hebr.  xekdr  , berauschendes  Getränk' 
entlehnt  wurde,  und  aus  dem  wiederum  die  it.  sidro  ,Obstwein',  mm. 
fighir,  frz.  cidre,  sp.  cidro  hervorgingen.  Indessen  ist  aicera  nicht 
nur  Obstwein.  Isidor  (Orig.  XX,  3)  erklärt  es  vielmehr  mit  omni 8 
potio  quae  extra  vinum  inebriare  potent.  Vgl.  auch  das  Capitnlare 
de  villis  (45):  siceratorex,  id  est  qui  cervimm  vel  pomatium  sive 
piratium,  vel  aliud  quodeunque  liquamen  ad  bibendum  aptum  fuerit, 
facere  sciunt.  Ebenso  hat  das  got.  leipus,  mit  dem  bei  Luc.  1,  15 
das  biblische  akepa  übersetzt  wird,  eine  weitere  Bedeutung,  wie  denn 
in  Baiern  jede  Schenke  Ut-htU,  der  Wirt  lit-gebe  etc.  hiess.  Vgl.  auch 
altn.  lid  heitir  öl  (Bier)  in  der  Edda  (Vigfusson).  Immerhin  scheint 
die  vorherrschende  Bedeutung  ,Obstwein'  gewesen  zu  sein  (vgl.  Wacker- 
nagel Kl.  Schriften  I,  96  f.).  Das  Wort  ist  gemeingermanisch  (altn. 
lid,  agls.  lid),  und  da  es  im  Ahd.  und  Agls.  auch  soviel  wie  ,poeulum, 
fiala'  bedeutet,  wird  es  mit  griech.  ä-X€io*ov  (*ä-X€iTjov)  , Becher*  zu 
verbinden  sein. 

Besonders  reich  an  Obstgetränken  jeder  Art  sind  die  Slaven  (altsl. 
kvasü  ,o"uc€pa',  eigentl.  ,sauerr,  wie  der  im  Mittelalter  berühmte  agras, 
it.  agresto  etc.  :  lat.  acer  gehört),  die  nach  Köppen  Holzgewächse 
sogar  aus  wilden  Birnen  ein  angenehmes  Getränk  herzustellen  wissen 


Digitized  by  Google 


588 


Obstwein  —  Ölbaum,  Öl. 


Es  verdient  in  diesem  Zusammenhang  bemerkt  zu  werden,  dass  die 
erste  Nachricht  Uber  eine  Art  von  Obstwein  Uberhaupt  in  den  äusserten 
Nord-Osten  der  den  Alten  bekannten  Welt,  zu  den  fabelhaften  Argip- 
päern  führt.  Vgl.  Herodot  IV,  23:  ttovtikov  uev  oüvoua  tw  b€vbp€'w, 
dir'  ou  Zwoutfi,  ueraöo«;  bi  Katd  o*uK€nv  udXio"Td  kij"  Kapnöv  bk.  <pop€€i 
Kuduiu  icrov,  Ttupf|va  bk  fax'  toöto  ^rcedv  YevnTai  ttcttov,  o*aKK^ouo"i 
\uaTioto*i,  ÜTToppcei  b'  dir'  aÜToO  ttoxu  Kai  |ueXav,  ouvoua  bk.  tu>  duop- 

p€OVTl  iOTl  Öaxu '  TOÖTO  KOI  XeiXOUCJt  Kai  faXaKTl  (JUUu{0*"fOVT€q  7TIVOU01. 

Wahrscheinlich  handelt  es  sich  dabei  um  den  Saft  der  Traubenkirsche 
(Prunn*  Padug).  Der  Ausdruck  do"xu  wird  türkischen  Ursprungs  sein. 
Vgl.  W.  Tomasehek  Kritik  der  ältesten  Nachrichten  über  den  sky- 
thischen  Norden  1,  f>8  flf.  (Sitzttngsb.  d.  kais.  Ak.  d.  W.  in  Wien,  pbil.- 
hist.  Kl.  CXVII).  Neue  Anregungen  auf  diesem  Gebiet  gingen  für 
Europa  wiederum  von  dem  Orient,  von  den  den  Fruchtsaft  in  allen 
Gestalten  liebenden  Arabern  aus.  Aus  diesem  Zusammenhang  erklären 
sich  Entlehnungen  wie  it.  robho,  frz.  rob  etc.  ,Obsthonig'  aus  arab. 
robb,  auch  wohl  it.  sorbetto,  frz.  mrbet  aus  arab.  stirb  ,ein  süsser, 
kühlender  Trank'  u.  anderes. 

Ochse,  s.  Kind. 

Ocker,  s.  Farbstoffe. 

Okulieren,  s.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Ölbaum,  Ol.  Über  die  Verbreitung  des  Ölbaums  {OJea  euro- 
paea  L.)  äussert  sich  Engler  (bei  V.  Hehn  s.  u.)  tolgendermassen : 
„Im  Orient  findet  sich  der  Ölbaum  wildwachsend  sowohl  als  Baum, 
wie  besonders  häutig  als  Strauch  in  den  Steppen  des  Pendschab  von 
Beludschistan,  von  Persien  bis  Transkaukasicn  und  auf  der  Krim,  in 
Syrien,  in  Palästina  und  Cilicien,  auch  in  Mesopotamien  und  im  süd- 
lichen Arabien  bis  Mascat.  Von  Bithynien  aus  verfolgen  wir  ihn 
durch  Thrakien  nach  Mazedonien  .  .  .  Sicher  wild  ist  er  auch  in 
Griechenland,  wo  man  in  den  Macchien  vielfach  die  kleinfrüchtige 
Form  Oleaster  antrinV.  Nach  demselben  Gelehrten  ist  der  Ölbaum 
auch  westlich  der  Balkanhalbinsel,  in  Italien,  Sizilien,  Sardinien,  Kor- 
sika, in  Spanien,  Portugal,  im  mediterranen  Frankreich  und  in  Nord- 
afrika einheimisch.  Speziell  in  Italien  wurde  das  Indigenat  des  Öl- 
baums durch  den  Fund  von  Blättern  desselben  in  pliocenen  Lagerstätten 
bei  Mougardino  erwiesen.  Weniger  sicher  scheint  zu  sein,  ob  man 
auch  für  die  subalpine  Kegion  des  südlichen  Nubiens  (am  roten  Meer) 
ein  ursprüngliches  Vorkommen  des  Ölbaums  annehmen  darf  (vgl.  auch 
Koppen  Holzgewächsc  I,  öTOf.). 

Erhebt  man  nun  die  Frage,  w  o  auf  diesem  ungeheuren  Gebiet  der 
Ölbaum  zuerst  zu  einer  der  wichtigsten  Nutzpflanzen  des  Mittclmeer- 
gebietes  gemacht  worden  sei,  so  ist  für  ihre  Beantwortung  eine  zu- 
sammenhängende Kette  von  Namen  wichtig,  welche  sieh  von  Ägypten, 
wo  der  Ölbaum  schon  auf  Denkmälern  der  XVIll  Dynastie  dargestellt 


Digitized  by  Google 


Ölbaum,  Ol. 


589 


wird,  und  das  Olivenöl  schon  in  sehr  alter  Zeit  ausser  zun»  Speisen 
auch  zum  Salben  und  zur  Opfergabe  gebraucht  wird,  durch  das  w  est  - 
semitische  Gebiet,  wo  das  Olivenöl  im  ganzen  Alten  Testament  dem 
vierfachen  Bedürfnis  des  Speisens,  des  Opfern*,  des  Brennens  in  der 
Lampe  und  des  Salbens  dient,  bis  nach  Armenien  erstreckt.  Es 
ist  dies  die  Reihe:  ägypt.  t'ef-t  ,01ive',  westsem.  (Hebräisch,  Phö- 
nizisch,  Aramäisch),  arab.  zait,  zet,  armen,  jet',  dzet\  Allein  noch  ist 
man  Uber  den  Ausgangspunkt  dieser  Namenreihe  nicht  im  klaren. 
Während  derselbe  nach  Lagarde  im  Armenischen  oder  in  einer  diesem 
uächststehenden  Sprache  Kleinasiens  (er  denkt  an  Cilizien)  zu  suchen 
wäre,  ist  nach  anderen  (Ermann)  die  semitische  Benennung  als  eine 
Entlehnung  ans  dem  Ägyptischen  und  (nach  Httbschmann,  vgl.  auch 
dessen  Armen.  Gr.  I,  309)  das  armenische  Wort  als  aus  dem  Semi- 
tischen Übernommen  anzusehn.  Bemerkenswert  ist,  dass  ein  starkes 
Vordringen  des  semitischen  Ausdrucks  in  das  Persische,  Kurdische,  in 
kaukasische  und  tartarische  Dialekte  stattgefunden  hat,  was  eher  auf 
eine  Ausbreitung  der  Olivenkultur  in  der  Richtung  von  Süden  nach 
Norden  als  umgekehrt  gedeutet  werden  könnte. 

In  Griechenland  muss  die  Olivenkultur  schon  in  vorhomerischer 
Zeit  ihren  Einzug  gehalten  haben.    Das  Bruchstück  eines  silbernen 
Gefässes  aus  Mykenae  ('E<pr|M€piq  1H91 .  3,  2)  stellt  die  Verteidigung 
einer  Stadt  dar,  zu  deren  Linken  Oliven  auftreten,  die  man  doch  wohl 
als  angepflanzte  wird  auffassen  müssen.  Wichtiger  ist,  dass  Olivenkerne 
selbst  neuerdings  mehrfach  in  Mykenae  aufgefunden  worden  sind. 
Unzweifelhaft  aber  setzen  die  homerischen  Gedichte  den  Anbau  des 
Baumes  und  die  verschiedenartige  Verwendung  des  Öls  seiner  Früchte 
voraus.    Wie  sollte  man  das  schöne  Gleichnis  der  Ilias  XVII,  53 ff.: 
olov  bk  Tp€<p€i  lpvo<;  ävf|p  £pi6n.X€<;  eXcrin? 
Xuipiu  iv  oIottöXuj,  60'  äXi?  dvaßeßpuxev  übwp, 
KaXöv  TnXeeaov  tö  bl  t€  ttvoicu  ooWoutfiv 
TravToiwv  äv€|uu>v,  koi  T€  ßpüei  fivOet  XcukuV 
dX6wv  b'  &amvn.<;  äveuo<;  aüv  XaiXam  ttoXXiJ 
ßöGpou  t'  ^Heorpeipe  Kai  £EeTävuo*o*'  im  ta»fl 
ungezwungen  anders  auffassen  V  Auch  der  Ölbaum,  aus  dem  Odysscus 
(Od.  XXIII,  190)  sein  Ehebett  zimmerte,  war  £pKeo$  Ivt6<;  ,im  Garten* 
gewachsen.    Dass  aber  auch  in  technischer  Beziehung  das  Ol  schon 
damals  eine  wichtige  Rolle  spielte,  geht  aus  zwei  weiteren  Stellen  der 
homerischen  Gedichte  II.  XVIII,  595: 

toiv  b'  cd  n*v  XeTTTCt?  öQovaq  fyov,  o'i  bl  x»™uvaq 
iiax  ^üvriTou?  nKa  (X-riXßovTas  dXatiu 
und  Od.  VII,  105: 

a\  b'  \axovq  ü<pöwo*t  Kai  nXaKaTa  o"Tpu)<pu>o*iv, 
Ui*€vai,  otd  T€  cpüXXa  uaK€bvfi<;  aitcipoio* 
Kaipouacr^wv  b'  ÖGoWiov  dTroXcißeiai  otpöv  £Xaiov 


Digitized  by  Google 


590 


Ölbaum,  Öl. 


hervor,  nach  welchen  zu  Folge  der  übereinstimmenden  Deutung  der 
neueren  Erklärer  die  in  der  Linnenindustrie  übliche  Appretur  der  Stoffe 
mit  Öl,  das  also  damals  schon  eine  ganz  bekannte  Sache  sein  niusste, 
gemeint  ist.  Eine  befriedigende  Erklärung  hat  das  griech.  dXcun  »Öl- 
baum', £Xaiov  ,01'  noch  nicht  gefuuden.  Lagarde  möchte,  entsprechend 
seiner  oben  erwähnten  Hypothese,  das  griechische  Wort  aus  dem  armen. 
iul  {eul,  o-St.)  ,01'  ableiten,  was  nach  Hübschmann  a.  a.  0. 1, 393  sehr 
unsicher  ist.  Noch  viel  unwahrscheinlicher  ist  freilich  die  von  Prellwitz 
Et.  W.  versuchte  Verknüpfung  von  IXaiov,  £Xaia  mit  lat.  ad-olere 
,  verbrennen',  da  der  Gebrauch  der  Öllampe  (s.  u.  Licht)  in  Griechenland 
ein  später  und  Homer  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  noch  unbekannter 
gewesen  ist.  Neben  i\a\a  begegnet  ein  ebenfalls  dunkles  kötivo^  für 
den  wilden  Ölbaum,  später  überliefert,  darum  aber  nicht  notwendig 
jüuger.  Dasselbe  scheinen  auch  die  schon  homerischen  muXin.  und  £Xcuo{ 
bezeichnet  zu  haben.  Vgl.  Pausamas  II,  32,  10:  (>axov<z  u£v  brj  xa- 
Xoütfi  TpotErivtoi  rcäv  ßaov  äicapTrov  iXaia?,  kötivov  koi  (puXiav  Kai 
£Xaiov. 

Ein  Ausgangspunkt  für  die  Olivenkultur  in  Griechenland  scheint 
Athen  gewesen  zu  sein,  wo  die  der  Athene  heiligen  Ölbäume  (uopicu) 
standen.  Nach  einer  sagenhaften  Überlieferung  des  Herodot  (V,  82) 
hätte  es  zu  einer  gewissen  Zeit  nirgends  auf  Erden  ausser  in  Athen 
Ölbäume  gegeben.  Im  übrigen  aber  dürfte  aus  derartigen  Nachrichten, 
die  von  Erfindern  des  Öls  oder  Einfuhrern  des  Ölbaums  (man  vergl. 
auch  bei  Pindar  Ol.  III,  13  die  Sage,  nach  welcher  Herakles  die  ikaxa 
von  dem  Istros  her,  aus  dem  Lande  der  Hyperboreer,  gebracht  habe) 
berichten,  nicht  viel  ^tatsächliches  zu  gewinnen  sein. 

Von  Griechenland  ging  die  Olivenkultur  nach  Italien  Uber,  worauf 
die  Sprache  mit  grosser  Deutlichkeit  hinweist.  Aus  griech.  £XcuFa 
stammt  lat.  oliva,  aus  griech.  £XaiFov  lat.  oleum  (näheres  bei  Kretschmer 
Einleitung  S.  112  f.).  Denselben  Ursprung  haben  auch  die  auf  den 
Ölbau  bezüglichen  und  ebenfalls  früh  (nach  ihrer  Lautgestaltung)  über- 
nommenen Ausdrücke  amurca  (aus  äpopTn.)  ,Hefe  des  Olivenöls'  und 
druppa  (aus  bpuTnra)  ,Uberreife  Olive'.  Den  wilden  Ölbaum  haben 
dann  die  Römer  von  dem  veredelten  her  oleaster,  oleastrum  (nach 
dem  Muster  von  pinaster,  patraster  etc.)  benannt,  obwohl  sie  gewiss 
schon  vorher  einen  Namen  für  ihn  hatten.  Nach  einer  bei  Plinius 
(Hist.  nat.  XV,  1 )  erhalteneu  Notiz  des  Annalisten  Fenestella  wüssten  wir 
sogar  den  Zeitpunkt,  wann  die  Olivenkultur  in  Italien  aufgekommen 
sei:  Fenestella  vero  omnino  non  fuisse  (oleam)  in  Italia  Hispani- 
aqne  aut  Africa  Tarquinio  Prisco  regnante,  ab  annis  populi  Romani 
CLXXllI,  quae  nunc  pervenit  trans  Alpes  quoque  et  inGallias 
Hispaniasque  medias. 

Schon  die  letzten  Worte  des  genannten  Autors  zeigen,  dass  die 
Olivcnkultur  sich  Uberall  im  Bereiche  der  römischen  Macht  ausbreitete, 


Digitized  by  Google 


Ölbaum,  Öl. 


591 


*wo  sie,  wie  im  südlichen  Gallien,  nicht  etwa  schon  viel  früher  von 
Griechen  eingeführt  worden  war.  Über  die  Einflüsse  des  mittellän- 
dischen Meeres  wagte  sich  der  Baum  selbst  (von  der  Krim  abgesehn) 
in  Europa  nicht  hinaus.  Anders  das  Produkt  seiner  Früchte,  das  Öl. 
Von  der  Ausfuhr  italischen  Öls  zu  Harbarcnstämmen  erfahren  wir 
mehrfach.  So  berichtet  Strabo  IV,  p.  202  über  Ölimport  aus  Genua 
bei  den  benachbarten  Ligureru  und  V,  p.  214  aus  Aquilcja  bei  illy- 
rischen Donaustämmen.  Zwar  die  Bedeutung,  welche  das  Öl  bei  den 
klassischen  Völkern  als  Speise  und  bei  der  Pflege  des  Körpers  besass, 
konnte  es  schon  wegen  der  Kostspieligkeit  des  Transports  bei  den 
butteressenden  und  sich  mit  Butter  oder  Seife  (s.  s.  d.  d.)  salbenden 
Barbaren  des  Nordens  niemals  erlangeu.  Nach  Posidonius  bei  Athen. 
IV,  p.  152  hätten  die  Kelten  das  Öl  bei  ihren  Speisen  verschmäht,  weil 
sie  es  nur  in  geringer  Menge  besessen  hätten,  und  das  Ungewohnte 
des  Geschmacks  ihnen  unerfreulich  erschienen  wäre.  Der  älteste  und 
eigentliche  Zweck  des  Ölexports  nach  nördlichen  Ländern  wird  viel- 
mehr in  den  Bedürfnissen  der  Beleuchtung  gesucht  werden  müsseu, 
eine  kulturhistorische  Aufgabe,  die  das  Öl  selbst  im  Süden  erst  ver- 
hältnismässig spät  übernommen  hatte.  U.  Licht  ist  auf  die  frühe 
Verbreitung  des  lat.  lücerna  »Öllampe'  in  den  keltischen  und  germa- 
nischen Sprachen  hingewiesen  worden.  Im  Znsammenhang  hiermit 
ist  zu  bemerken,  dass  auch  das  lat.  oleum  oder  besser  olivom  ,01' 
noch  in  seiner  älteren  Form  *olecom  in  die  Nordsprachen  eingedrungen 
ist  und  durch  das  Keltische  hindurch  zu  got.  alew,  aleicabagms  ,01', 
,Ölbaum'  gefuhrt  hat.  Diese  Annahme  einer  keltischen  Vermittlung, 
die  auch  bei  dem  Verhältnis  von  got.  lukarn,  kymr.  llugorn  :  lat. 
lücerna  nicht  ausgeschlossen  ist,  muss  mit  R.  Much  Beiträge  XVII,  34 
für  das  got.  alew  deswegen  aufgestellt  werden,  weil  eine  direkte  Ent- 
lehnung von  alew  aus  dem  römischen  olivom  aus  lautlichen  Gründen 
nicht  stattgefunden  haben  kann.  Alle  diese  Vorgänge  müssen  sich 
schon  früh,  im  III.  oder  im  Anfang  des  II.  Jahrhunderts  abgespielt 
haben. 

Eine  grössere  Bedeutung  im  Norden  wird  das  Öl  dann  erst  durch 
die  Ausbreitung  des  Christentums  erhalten  haben,  das  nach  einer  aus 
dem  Alten  Testament  übernommenen  Erbschaft,  von  heiligem  Öl  bei 
verschiedenen  Riten,  bei  der  Taufe,  der  Konfirmation,  namentlich  aber 
bei  Erteilung  der  Sterbesakramente  (oleum  infirmomm,  bei  den  Griechen 
€ÜxAaiov,  üyiov  tXaiov)  Gebrauch  machte.  Auf  den  Einfluss  der  Klöster 
wird  daher  auch  die  direkte  Verbreitung  der  klassischen  Wörter  für 
Öl  im  nördlichen  Europa  zurückzufahren  sein.  Aus  dem  Latein  stammen 
ir.  ola,  ahd.  olei,  oli,  agls.  ele,  aus  dem  Griechischen  altsl.  jelej,  russ. 
elej  etc.  Östlich  von  Italien  ist  noch  auf  alb.  tili  ,01ive\  ulist  ,Oliven- 
wald',  ulaktre  ,wilder  Ölbaum'  aus  lat.  olwa,  oleaster  zu  verweisen.  — 


Digitized  by  Google 


Ölbaum,  öl  -  Ofen. 


Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  101  ff.  (wo  auch  die  ganze  Litteratur 
über  die  Geschichte  des  Ölbaums).  S.  u.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Ofen.  Das  idg.  Haus  (s.d.)  bestand  aus  einem  einzigen  durch 
das  Feuer  des  Herdes,  dessen  Rauch  durch  die  Thür  und  die  Lücken 
des  Daches  abzog,  erwärmten  und  beleuchteten  Herdraum.  An  diesem 
Herd  wird  schon  in  der  Urzeit  eine  Vorrichtung  zum  Kochen.  Braten 
und  Hacken  vorhanden  gewesen  sein,  die  ursprünglich  aus  nichts 
als  einem  irdenen  Gcfäss,  einem  Topf  oder  dergleichen  bestanden 
haben  wird,  der  über  dem  Feuer  aufgehängt,  oder,  wenn  Brot  (s.  d.) 
gebacken  wurde,  in  die  Asche  geschoben  ward.  In  mehreren  Fällen 
sind  nämlich  uralte  Bezeichnungen  des  Ofens  aus  alten  Wörtern  für 
Topf  hervorgegangen.  Dies  ist  der  Fall  bei  got.  atihns,  ahd.  o/Vw, 
griech.  iuvöi;  (*uqnö-n)  ,Backofen'  :  sert.  uJchä'  ,Kochtopf,  Pfanne' 
(lat.  aula,  auxilla  ,Topf'?)  und  ebenso  bei  lat.  fornus  (woraus  ir. 
sormi),  fornax,  Fornax  ,Göttin  der  Backöfen'  :  gcmeinsl.  *(jernüf  altsl. 
grftnü,  das  in  den  einzelnen  Slavinen  die  Bedeutungen  ,Herd',  ,Topf, 
,Ofen'  aufweist  (vgl.  Miklosieh  Et.  W.  s.  v.).  Allmählich  muss  sich 
dann  vom  Herde  ein  selbständiger  Backofen  losgelöst  haben,  der  teils 
neben  dem  Herdfeuer  stehen  blieb,  teils  in  besonderen  Räumen  unter- 
gebracht wurde.  Alte  Namen  hierfür  sind  noch  griech.  Kot|iivo<;  (im 
Griechischen  nur  ,Back-  und  Schmelzofen  )  :  altsl.  kameni  .Stein'  wie 
altpr.  8tabni  ,Ofen'  :  sttihi*  .Stein'  (vgl.  auch  altn.  stehiofn)  und  Kpi- 
ßavo?  :  Kp^vöq  aus  *Kpißv6-?  ,Gcrstc',  eigentl.  also  der  Ofen,  in  dem 
Gerste  geröstet  wurde,  auch  eine  Pfanne  zu  diesem  Zweck  (auch  kXi- 
ßavos,  woraus  lat.  clibanu*  , Brotpfanne'),  gcmeinkelt.  ir.  dith,  dtho, 
kymr.  odyn  \*üti-ity  etym.  dnukel),  gemeinslav.  altsl.  peMl  :  peMi 
,backcn'  (weit  in  die  finnischen  Sprachen  hinein  entlehnt  :  finn.  petsi 
u.  s.  w.),  lit.  krösnis  (neben  peezius,  das  aus  dem  Slavischcn),  altpr. 
umpnis  , Backofen',  umno-de  , Backhaus'  (nach  Nesselmann  Thcs.),  die 
beiden  letzteren  ebenfalls  dunkel.  Keines  dieser  alten  Wörter  hat  von 
Haus  aus  den  Stubenofen  bezeichnet,  dessen  Geschichte  einer  be- 
sonderen Erwägung  bedarf. 

Die  Gunst  des  südlichen  Klimas  hat  die  Hcizvorrichtnngcn  der  Alten, 
soweit  sie  sich  auf  das  Erwärmen  der  Zimmer  bezogen,  nicht  über 
bescheidene  Grenzen  hinauskommen  lassen.  Ja,  es  fehlt  nicht  an  Ge- 
lehrten, welche  Griecheu  und  Römern  nur  den  Gebrauch  von  tragbaren 
und  mit  Kohlen  heizbaren  Becken  (ßaövoi,  ttviy€i?  etc.i  zugestehen  und 
ihnen  die  Kenntnis  feststehender  Stubenöfen  oder  Kamine,  die  ihrerseits 
wieder  die  Bekanntschaft  mit  dem  Essen  bau  voraussetzen,  ganz  oder 
fast  ganz  absprechen  (vgl.  namentlich  den  gelehrten  Aufsatz  „Schorn- 
stein" in  Beckmanns  Beyträgcu  zur  Geschichte  der  Erfindungen  II,  391  ff.). 
Trotzdem  wird  man  (mit  Becker-Göll  Gallus  II,  316  ff.)  spätestens  für 
die  römische  Kaiserzeit  das  Bestehen  von  eigentlichen  Kaminen  (lat. 
caminus,  auch  noch  »Schmiedeofen'  ete.  aus  griech.  xduivoi;;  vgl.  noch 


Digitized  by  Google 


Ofen. 


5915 


lat.  fortan  ,0fcugcsteü'  ans  gricch.  (pöpraH)  anzunehmen  Laben,  die  in 
richtige  Schornsteine  mündeten,  welche  iu  Pompeji  in  Bädern  und  bei 
Backhäusern  unzweifelhaft  nachgewiesen  worden  sind.  Man  verstünde 
nicht,  warum  dieselben,  namentlich  in  nördlicheren  Teilen  Italiens, 
wo  die  Beheizung  der  Wohnhäuser  eine  grössere  Rolle  spieleu  musste, 
nicht  auch  bei  solchen  zur  Anwendung  gekommen  sein  sollten.  Ihren 
Höhepunkt  aber  fand  die  Beheizungskunst  der  Alten  nicht  in  Hinsicht 
auf  die  Erwärmung  der  Wohnräume,  sondern  der  Bade  räume.  Vor 
allem  ist  hier  auf  das  Hypokaustuni  oder  das  balneum  pensile  (von 
pensilh  »schwebend',  d.  h.  auf  „Schwibbögen"  ruhend)  zu  verweisen, 
das  einen  mittelst  eines  im  Souterrain  aufgestellten  Ofens  durch  Röhren- 
leitung und  Luftheizung  erwärmten  Raum,  zunächst  eiue  Badestube, 
dann  auch  andere  so  geheizte  Zimmer  bezeichnete.  Namentlich  in  den 
römischen  Absiedlungen  nördlich  der  Alpen  sind  derartige  Heizungs- 
vorrichtungen häufig  nachgewiesen  worden,  wie  denn  auch  der  Kaiser 
Julian  (vgl.  Beckmann  a.  a.  0.  S.  433)  die  Pariser  Häuser  so  einge- 
richtet vorfand.  Von  derartigen  römischen  Anlagen  her  ist  nun  offen- 
bar den  Nord  Völkern,  die  bis  dahin  als  einzige  erwärm  bare  Stätte  des 
Hauses  den  alten  Herdraum  kannten,  der  Begriff  und  Name  des  heiz- 
baren Zimmers,  erst  der  Badestube,  dann  der  Wohnstube  zugekommen. 
Als  für  diesen  Vorgang  bezeichnend  erweisen  sich  zwei  wichtige 
Sprachreihen.  Zuerst  das  mlat.  stuba  und  seine  weitverzweigte 
Sippe.  Auszugehen  ist  für  dasselbe  (mit  Bugge  Rom.  IV,  3f>f>;  vgl. 
auch  Kluge  Et.  W/*  s.  v.«  Stube)  von  einem  romanischen  *extufare 
.dampfen  machen',  von  gricch.  rüqpoc  ,Dauipf,  it.  tufo  , Dunst'  stufare 
»schwitzen  machen',  sp.  estuvar  ,beizen',  frz.  etouffer  ,ersticken', 
Mucer  ,schmorcn',  neben  dem  ein  substantivisches  *extufa  ,Ort,  wo 
man  schwitzt',  it.  stufa  , Badestube',  sp.  eatufa  , Badestube,  Stuben- 
ofen', frz.  etute  , Badestube'  bestanden  hat  (vgl.  auch  Körting  Lat.-rom. 
W.,  wo  zur  Erklärung  der  Formen  mit  v  noch  lat.  tubux  ,Röhre  des 
Badeofens'  herangezogen  wird).  Diese  romanischen  Formen  haben  sich 
nun  in  nnermesslicher  Ausdehnung  in  die  nördlichen  Sprachen  verbreitet 
und  liegen  vor,  verbal  in  agls.  stofian,  inndl.  stöven  etc.,  substan- 
tivisch in  agls.  Htofa,  stnf'baed  ,balneum',  engl,  »toce  ,Ofeu',  altn. 
stofa,  stufa  , Baderaum  mit  Ofen',  ,gynaeceum',  ahd.  stuba  »Bade- 
zimmer, heizbares  Gemach',  in  allen  Slavinen  istüba  ,Hütte,  Zimmer' 
u.  dergl.  (itba  =  istüba  bei  dem  Araber  Ibrahhu-ibn-Jakubs  bedeutet 
noch  eine  hölzerne  Baracke  mit  Steinofen  zum  Baden),  lit.  stuba  ,Stube\ 
Ii  im.  tupa  etc.  ,aediculum,  cubiculum',  ung.  szoba,  türk.  soba  ,Stnbe'. 
Diesem  offenbaren  Zusammenhang  gegenüber  wird  die  Aunahme  E. 
Martins  Badenfahrt  von  Thomas  Murner  S.  XI  (nach  Meringer  Mit- 
teilungen der  Wieuer  antbrop.  Oes.  XXIII,  167  f.;  vgl.  auch  E.  Martin 
Z.  f.  deutsche  Phil.  XXVII,  52),  dass  .stuba  ein  deutsches  Wort  sei 
und  den  Ort  der  „stiebenden"  Wasserdämpfe  bedeute,  obgleich  auch 

Schräder,  Keallexikuu.  JJK 


Digitized  by  Google 


f)94 


Ofen. 


M.  Heyne  Deutsches  Wohnungswesen  S.  45  diese  Ansicht  teilt,  nicht 
aufrechtzuerhalten  sein,  und  zwar  um  so  weniger,  als  auch  das  oben 
schon  genannte  lat.  penxile  (baineu  m),  das  M.  Heyne  a.  a.  0.  S.  122 
nach  Du  Gange  VI.  irrtümlich  als  locus  deutet,  in  quo  pensa 

trahunt  midieres,  gynaecium,  denselben  Weg  wie  rom.  *extufare, 
*extufa  gewandert  ist  und  einerseits  zu  frz.  pofile  »heizbarer  Kaum, 
Ofen',  andererseits  zu  agls.  pisle,  ahd.  pfietutl,  nhd.  pfiesel,  pexel  ge- 
führt hat,  wie  noch  jetzt  an  vielen  Orten  ein  heizbares  Gemach  mund- 
artlich genannt  wird.  Vgl.  noch  agls.  cleofa,  altu.  Hefe  ,Gcmach'  aus 
lat.  clibanus  ,Ofeu'. 

Der  Entwicklungsgang  ist  also  der,  dass  die  Nordvolker  von  den 
Romanen  zunächst  die  Einrichtung  der  Hadestuben  (s.  auch  u.  Bad) 
übernahmen,  nur  dass  sie  dieselben  nicht  wie  die  Römer  unterirdisch 
(wie  hätte  dies  auch  ihre  primitive  Technik  vermocht?),  sondern  durch 
einen  in  dieselben  hincingesetzten,  dem  Backofen  verwandten,  steinernen 
und  schlotlosen  Ofen  erwärmt  haben  werden.  In  derartigen  Räumen 
mögen  zunächst  nur  warme  oder  beisse  Bäder,  dann  aber  auch  die, 
wie  es  scheint,  von  Osten  her  über  Europa  sich  ausbreitenden  Dampf- 
bäder (s.  n.  Bad  und  vgl.  Kochendörffer  Z.  f.  deutsche  Phil.  XXIV,  492) 
verabreicht  worden  sein.  Zugleich  aber  müssen  diese  Badestuben  auch 
für  andere  Zwecke  als  eiu  beliebter  Aufenthaltsort  namentlich  des 
weiblichen  Geschlechts  gegolten  haben,  wie  denn  noch  spät  der  Ge- 
brauch gilt,  das  Badcstübiein  als  Salon  zu  benutzen  (vgl.  Meringer 
a.  a.  0.  S.  169).  Der  eigentliche  Übergang  von  der  Badestube  zur 
Wohnstube  aber  erfolgte  erst,  nachdem  man  damit  begonnen  hatte,  den 
Badeofen  unter  Benutzung  einer  an  den  südlichen  .Steinbauten  kennen  ge- 
lernten Vorrichtung  für  den  Abzug  des  Rauches  (ahd.  rouchhus,  rottch, 
sldt;  vgl.  M.  Heyne  a.  a.  0.  S.  120)  in  gewisse  Teile  des  Wohnhauses 
hineinzusetzen.  Eine  wichtige  Rolle  spielt  dabei  die  Erfindung  des 
die  Wärme  haltenden  Kachelofens,  dessen  Ursprünge  noch  im  Dunkeln 
liegen.  Meringer  a.  a.  0.  S.  172  vermutet,  dass  dieselben  ebenfalls  auf 
die  Einflüsse  römischer  Kultur,  in  die  Grenzsphäre  von  Römern  und 
Germanen  führten.  Sicher  dürfte  wenigstens  das  Wort  n Kachel-,  ahd. 
kachala  aus  dem  Lateinischen  {cacabus  ,Gefäss'')  stammen. 

Der  durch  die  Einführung  der  Stuben-,  besonders  der  Kachelöfen 
erzielte  Fortschritt  ist,  wie  schon  bemerkt,  nicht  wohl  ohne  die  Zu- 
hilfenahme der  lehmernen  oder  steinernen  Esse  denkbar.  Ihr  Be- 
kanntwerden im  Norden  lässt  sich  an  der  Wanderung  des  griech.-lat. 
Käuivoq-cami/iM*  verfolgen,  das  einerseits  in  der  Bedeutung  von  ,Rauch- 
fang,  andererseits  in  der  von  , Kamin'  (d.  i.  Esse  und  Ofen,  wie  sie 
nach  südlichem  Muster  namentlich  in  den  deutschen  Burgen  gebaut 
wurden,  vgl.  A.  Schult/.  I).  höfische  Leben  im  M-A.  1,  50 1  in  die  nörd- 
lichen Sprachen  Uberging.  Vgl.  ahd.  chenü{n),  mhd.  kamin,  altsl. 
kamina  innd  entsprechend  in  allen  Slavinen)  ,Ofen'  und  , Ranchfang', 


Digitized  by  Google 


Ofen  —  Oheim. 


swr> 


lit.  käminas  , Kamin,  Schornstein',  altpr.  kamenis  ,Feuermauer,  Esse 
im  Haus  und  in  der  Schmiede',  daneben  mlat.  caminata  (rmit  einem 
Kamin"),  alid.  chemindta  .Kemenate'  (tuvaticeiov),  poln.  und  in  vielen 
Slavinen  komnata  , Kammer,  Zimmer'  (frz.  chenrinee,  engl,  chimney 
,Rauchfang).  Ein  allgemeiner  Gebrauch  von  Schornsteinen  aber  lässt 
sich  nicht  vor  dem  XIV.  Jahrhundert  belegen  (Beckmann  S.  441). 
Einheimische  Namen  für  den  neuen  Hegriff  sind  mhd.  riur  ram,  viur- 
müre  und  das  noch  nicht  recht  aufgeklärte  Schornstein,  schorstein, 
ndd.  8corenstein,  ndl.  schoorsteen  (vgl.  auch  M.  Heyne  a.  a.  0.  S.  121). 
Über  ahd.  essa  s.  n.  Herd.  Endlich  kehren  auch  die  oben  genannten 
Wärmpfannen  des  Südens  im  Norden  wieder,  wo  sie  als  ahd.  gluot- 
phanna,  gluthaven,  agls.  fyrponne  u.  s.  w.  (M.  Heyne  S.  121 ,h)  be- 
zeichnet werden.  —  S.  u.  Haus. 

Oheim.  Zur  Bezeichnung  des  Vatersbruders  findet  sich  eine 
unzweifelhaft  idg.  Gleichung:  sert.  pitrvya-,  aw.  tuiryö{'?),  griech. 
TTäTpws,  lat.  patruus,  ahd.  f'etiro.  Aus  weicht  das  Litu-Slavische  mit 
lit.  didis  (:  altsl.  dedü  ,avus\  griech.  Tn0T|  .Grossmutter',  grieeb.  8€io? 
,Vater-  und  Mutterbrudcr'  (nach  Delbrück  Verwandtschaftsnamen  S.  90  = 
468  wohl  eine  der  Kindersprache  entnommene  ehrende  Bezeichnung  für 
ältere  Personen  überhaupt;  und  altsl.  stryj,  stryjcl  (nach  Miklosich 
Et.  W.  zu  einem  allerdings  schlecht  bezeugten  lit.  strujus  ,Grcis'  ge- 
hörig). Im  Langobardischen  begegnet  das  merkwürdige  barbas  ,pa- 
truus'  (vgl.  W.  Bruckner  Die  Sprache  der  L.  S.  40);  es  scheint  irgend- 
wie zu  ahd.  basa  ,Sch\\estcr  des  Vaters'  (s.  u.  Tante)  zu  gehören. 

Demgegenüber  lässt  sieh  eine  vorhistorische  Benennung  des  Mutter- 
bruders nicht  nachweisen.  Derselbe  heisst  sert.  mätuld-  (einmal  auch 
miiturbhrätrd-),  armen,  k'eri  (scheinbar:  k'oir  ,Schwester'),  griech. 
pnjpws  (nach  Trdtpuji;),  lat.  avunculus,  altkoru.  euiter,  mkymr.  ewi-thr 
(auch  jVatershruder",  ir.  amnair  .avuuculus),  ahd.  öheim,  agls.  edm, 
altfries.  rm,  lit.  airynax,  altpr.  ateis,  altsl.  uji,  ujka.  Das  Lateinische 
und  die  sämtlichen  nordeuropäischen  Sprachen  haben  hierbei  gemeinsam, 
dass  der  Name  des  Mutterbruders  von  einem  vorhistorischen  Worte 
für  ,Grossvater"  (lat.  neu -s,  got.  awö  ,Grossmutter'  s.  u.  Gross  eitern) 
abgeleitet  ist,  aber  in  ganz  verschiedener,  zum  teil,  wie  im  Germanischen, 
dunkler  Weise,  so  dass  auf  eine  vorhistorische  Bildung  nicht  daraus 
geschlossen  werden  kann.  Trotzdem  ist  Delbrück  a.  a.  O.  S.  501  nicht 
geneigt,  das  Abhandensein  eines  Wortes  für  Mutterbruder  in  der  Ur- 
sprache anzunehmen.  Er  hält  es  vielmehr  für  wahrscheinlich,  dass 
der  Bruder  der  Mutter  ursprünglich  zugleich  mit  dem  Vater  der  Mutter 
unter  dem  Namen  *avo  x,  den  er  als  ,der  Gönner'  (lat.  aveo,  sei  t,  av, 
ävati)  deutet,  zusammengefasst  wurde.  Erwägt  man  jedoch,  dass  die 
Voraussetzung  Delbrücks,  lat.  arux  habe  ursprünglich  nur  den  mütter- 
lichen Grossvater  bezeichnet,  sich  nicht  auf  Thatsachcn  stützen  kann, 
und  dass  mau  bei  der  Aunalnne,  der  Begriff  des  Mutterbruders  sei  der 


Digitized  by  Google 


Oheim  —  Opfer. 


Urzeit  schon  aufgegangen  gewesen,  nicht  verstände,  warum  zur  Be- 
zeichnung desselben  nicht  ein  dem  *p*truo-  =  patruus  entsprechendes 
*mätruo-  —  *mMruu8  gebildet  worden  wäre,  so  wird  es,  schon  rein 
sprachlich  betrachtet,  wahrscheinlicher  sein,  dass  in  der  Ursprache 
ein  Name  des  Mutterbruders  nicht  nur  nicht  nachzuweisen  ist,  sondern 
überhaupt  nicht  bestand.  Eine  besondere  Ehrcnstellung  des  Mutter 
bruders,  wie  sie  Tacitus  Germ.  Cap.  20  bei  den  Germanen  (s.  die 
Stelle  n.  G  e  i  s  e  1)  vorfand,  lässt  sich  bei  anderen  Indogcrmanen, 
wenigstens  in  den  älteren  Epochen,  nicht  nachweisen.  Bei  den  Indern 
geniesst  in  der  ältesten  Litteratnr  der  pitrrya-,  der  in  der  Erbschaft 
(s.  d.)  auch  bei  den  Germanen  dem  Mutterbruder  vorangeht,  noch  weit 
grössere  Ehren  als  der  matulä-.  Für  jenen  gilt  eine  Unreinheitsfrist 
von  10,  für  diesen  von  3  Tagen,  und  die  Frau  des  enteren  ist  die 
geehrteste  unter  den  weiblichen  Verwandten.  Erst  später  fängt  der 
Mutterbruder  an  in  die  Ebrenstellnng  des  Vatersbruders  einzudringen 
(vgl.  Delbrück  a.  a.  0.  S.  208  -  5fct(i  IT.).  Schon  diese  Verhältnisse 
machen  die  Annahme  einer  ähnlichen  Entwicklung  für  die  Germanen 
wahrscheinlich.  —  S.  weiteres  u.  Familie  und  u.  Mutterrecht. 
Öhr,  s.  Nadel. 

Oleander  (Xerium  Oleander  L.).  Er  war  schon  während  der 
Tertiärperiode  in  Mitteleuropa  nicht  weniger  als  in  Südeuropa  ein- 
heimisch, und  erst  während  der  Glacialperiode  wurde  seine  Nordgrenzc 
weiter  südwärts  gerückt.  Die  Naturforscher  halten  daher  das  Indi- 
genat  der  Pflanze  im  südlichen  Europa  für  zweifellos  (vgl.  A.  Engler 
bei  V.  Hehn  Kulturpflanzen 6  S.  404).  Auffällig  bleibt  hierbei,  dass 
eine  so  charakteristische  Pflanze  erst  kurz  vor  Plinius  und  Dioskorides. 
bei  denen  sie  genauer  hervortritt,  zum  ersten  Male  genannt  wird.  Die 
griechisch-römischen  Namen,  mit  deueu  dies  geschieht,  sind  rhodo- 
dendron  (  woraus  oleandro,  leandro),  rhododaphne  und  neritun  (:  griech. 
vr|pö<;,  vetpös  ,fliessend,  feucht',  weil  der  Oleander  mit  Vorliebe  die 
Wasscrlänfc  zu  begleiten  pflegt?).  Man  hat  daher  andererseits  an 
eine  verhältnismässig  späte  Einführung  der  Pflanze  in  Griechenland 
und  Italien  gedacht.  Sollte  dies  der  Fall  seiu,  so  käme  als  Ausgangs- 
punkt indessen  viel  eher  der  iberische  Westen,  für  den  Oleanderbüsche 
besonders  charakteristisch  sind,  als,  wie  V.  Helm  (a.  a.  0.)  glaubte, 
das  politische  Gebirge  in  Betracht,  wo  Xerium  Oleander  L.  nach  Koch 
Bäume  und  Sträuchcr  S.  117  überhaupt  wild  nicht  vorkommt. 

Olive,  s.  Ölbaum. 

Omina,  s.  Orakel. 

Onkel,  s.  Oheim. 

Onyx,  8.  Edelsteine. 

Opal,  s.  Edelsteine. 

Opfer.  Wenn  es  idg.  Götter  (s.  u.  Religion)  gab,  so  muss  es  in 
irgend  einer  Form  auch  idg.  Opfer  gegeben  haben.  Götter  ohne  Gottes- 


Digitized  by  Google 


Opfer. 


597 


dienst,  d.  Ii.  ohne  Handlungen,  durch  welche  der  Mensch  sich  in  Beziehung 
zu  seineu  (lottern  setzt,  sind  nicht  wohl  denkbar.  Auch  die  Sprach- 
wissenschaft weist  auf  das  Vorhandensein  solcher  heiligen  Handlungen 
schon  in  der  Urzeit  hin.  Allerdings  sind  urverwandte  Sprachreihen 
für  die  Begriffe  Opfer,  opfern,  Opfertier,  die  allen  oder  den  meisten 
Indogerniancn  gemeinsam  waren,  bis  jetzt  nicht  nachgewiesen  worden. 
Doch  kehren  die  Bezeichnungen  der  Einzelsprachcn  fltr  diese  Begriffe 
sehr  häufig  in  den  verwandten  Idiomen  mit  entweder  ausschliesslich 
oder  doch  vorwiegend  sakralem  Sinne  wieder,  so  dass  die  Annahme, 
sie  hätten  schon  in  vorhistorischer  Zeit  eine  kultlichc  Bedeutung  ge- 
habt, zum  mindesten  als  sehr  wahrscheinlich  gelten  muss.  Dies  gilt 
von  dem  arischen  sert.  yaj,  aw.  yaz  ,opfern',  .durch  Opferung  ver- 
ehren', das  auch  im  gricch.  äfO<;  , Verehrung,  Opfer'  (zu  trennen  von 
ÄTo?  , Frevel')  —  sert.  ydjas-,  ätiCw,  dvcrpCw  ,Totenopfer  darbringen', 
crrio<;  »heilig'  vorliegt  und  auch  in  dZoum  ausschliesslich  die  religiöse 
Scheu  bezeichnet,  wie  man  sie  vor  Göttern  (und  Eltern)  haben  soll. 
Dies  gilt  von  dem  gemeingerm.  got.  hunsl,  altn.,  agls.  hüsl  ,Opfer'  = 
lit.  sziceMas,  altsl.  srejü,  aw.  spenta-  , heilig ,  dies  von  lat.  victima 
jOpfcrticr'  :  got.  weih*  ,hcilig',  weiha  , Priester',  weihan  ,heiligen'  und 
vol.sk.  esaristrom  .Opfer',  umbr.  esunu,  das  nach  Schulze  Quaest.  ep. 
S.  210  dem  griech.  ,heilig'  (kpd  auch  .Opfer'  s.  u.)  entspricht, 

dies  von  dem  gemeingerm.  ahd.  zebar,  agls.  Ufer,  altn.  tafn  ,Opfcr- 
ticr'  :  lat.  dapes  ,Opfermabr,  während  das  griech.  baTTCtvn.  die  all- 
gemeinere, aus  der  religiösen  abgeleitete  Bedeutung  ,Aufwand'  hat. 
Ein  starkes  sakrales  Moment  tritt  auch  in  der  Reihe  sert.  hu  ,ins 
Feuer  giessen',  harte-  ,Opfergabc',  hö'tar-  .Priester',  aw.  zaofhrä-  , Opfer- 
gabe', zaotar-  , Priester',  armen,  jaunem  ,wcihe'  (zweifelhaft,  ob  hierher- 
gehörig), griech.  x^w  (ausser  in  profanem  Sinne,  besonders  vom  Trank- 
und  beim  Totenopfer  gebraucht;  vgl.  got.  giuta,  lat.  fttndo)  hervor. 

Die  weitere  wichtigere  Terminologie  des  Opfers  in  den  Einzel- 
sprachcn ist  die  folgende.  Im  Griechischen  gelten:  öüuu,  Bvaia  etc. 
eigentlich  ,in  Rauch  aufgehen  lassen',  icpeuuj,  zunächst  wohl  ,'iepeu^ 
sein',  dann  als  solcher  ,die  lepeia  schlachten',  o-qmrmv  ,dem  getöteten 
Tiere  durch  einen  Schnitt  das  Blut  entziehen',  fc'&iv,  cigentl.  ,machen' 
(i€pd  (fc'Eeiv,  8.  u.).  Im  Lateinischen  :  sacrificare  ganz  wie  u-pd  |te£€iv 
(vgl.  auch  sert.  Icdrman-  ,Werk,  Opfer  ),  immolare,  eigentl.  ,dcm  zu 
opfernden  Tier  die  mola  aufstreuen',  mactare,  eigentl.  ,zn  einem  mactus 
machen'  (vgl.  Scrvius  ad  Aen.  IX,  641:  Quotiens  auf  tus  aut  vinum 
super  victimam  fundebatur,  dicebant  :  „mactux  est  taurus  vino  vel 
tureu,  hoc  est  cumulata  est  hostia,  et  magis  aueta;  vgl.  auch  Bival 
Dict.  etyni.  lat.3  S.  178),  hostia,  fostm  ,Opfcrticr'  (noch  nicht  sicher 
erklärt;  vgl.  hostire  für  ferire).  Im  Germanischen:  für  .opfern' 
das  dunkle  got.  blötan,  altn.  blöta,  ahd.  pluazan,  fltr  ,Opfer"  got. 
saups  :  ahd.  siodan  ,sicdcn'  (von  dem  beim  Opfer  gebrauchten  ge- 


Digitized  by  Google 


Opfer. 


sot tenen  Fleisch),  agls.  Jdc,  cigentl.  ,Leich,  Tanz'  (von  den  beim  Opfer 
üblichen  Festtänzen),  ahd.  gelt,  agls.  gild,  eigentl.  ,Eutgclt'  (was  man 
als  schuldig  zu  entrichten  gezwungen  ist).  Dunkel  altn.  söa  ,opfern*. 
Weiteres  vgl.  bei  J.  Grimm  Deutsehe  Mythologie  1 3  u.  Gottesdienst. 
Im  Slavi8chcn:  für  .opfern'  altsl.  zreti  (krütta  , Opfer')  :  lit.  giriü 
.preise',  sert.  grnd'ti  »anrufen,  preisen'  etc.,  für  ,Opfcr'  *oketi,  Cecb. 
obet,  eigentl.  ,eoxr|  ,votnm',  auch  altsl.  treba,  cigentl.  ^negotium'  (vgl. 
oben  sert.  kdrman-).  Mit  dem  Christentum  haben  die  lateinischen 
Ausdrücke  operari  eigentl.  .Almosen  spenden  (in  der  Kirchensprache) 
und  vor  allem  o/ferre  ,opfern'  weite  Verbreitung  auf  Kosten  der  heid- 
nischen Bezeichnungen  im  Norden  gefunden.  Vgl.  einerseits  ahd. 
opfarön  (wegen  der  Lautverschiebung  auf  sehr  frühe  Einflüsse  des 
Christentums  deutend),  andererseits  alts.  offrAn,  agls.  offrian,  Sech. 
oßera,  poln.  ofiara,  lit.  apierä,  lett.  upu-ris,  liv.  opper,  finn.  uhri 
(die  östlichen  Wörter  unter  Einfluss  des  ahd.  opfar). 

Näheres  über  Bedeutung  und  Beschaffenheit  der  ältesten  idg. 
Opfer  läset  sich  nur  auf  dem  Wege  der  Sachvergleichung  erhoffen. 

Zerlegt  man  die  Opfer  in  die  beiden  grossen  Klassen  der  Bitt-  und 
Dankopfer,  indem  man  in  die  erstere  auch  den  Begriff  des  Sühnopfers 
einrechnet,  insofern  dasselbe  nichts  als  die  Bitte  um  Abwendung  oder 
Einhaltung  des  göttlichen  Zornes  ausdrückt,  so  wird  die  Bekanntschaft 
mit  dem  Dankopfer  der  idg.  Urzeit  noch  abzusprechen  sein.  Eigent- 
liche Dankopfer  sind  dem  vedischen  Kult  noch  fast  völlig  fremd,  und 
auch  die  homerischen  Gedichte  haben  kaum  irgendwelche  Spuren  der- 
selben aufzuweisen  (vgl.  Ohlenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  305, 
J.  Wackernagel  Über  den  Ursprung  des  Brahmanismus  S.  18).  Ja, 
ein  Wort  für  ,danken'  ist  der  vedischen  Sprache  überhaupt  fremd,  und 
auch  europäische  Ausdrücke  hierfür  wie  gricch.  x^pi?  ('■  X«ipw  »freue 
mich'),  lat.  grdtia  (von  grdtus  »willkommen',  .angenehm'  =  sert.  gürtd-, 
cigentl.  gepriesen'  !,  got.  pagks  (:  pagkjan  ,denken)  haben  diesen  Sinn 
offenbar  erst  in  sekundärer  Entwicklung  aus  Begriffen  wie  , Freude' 
oder  , Erinnerung'  angenommen. 

Der  Indogcrmane  wendet  sich  also  mit  Opfern  an  seine  Götter 
lediglich  in  dem  Wunsche,  ein  Gut  zu  erlangen,  sei  es  direkt  mit 
der  Bitte  um  Förderung,  sei  es  indirekt  mit  der  Bitte  um  Abwendung 
des  göttlichen  Zornes.  Der  Weg,  den  er  hierbei  einschlägt,  ist  der 
denkbar  einfachste:  die  Speise  und  den  Trank,  an  dem  er  sich  selbst 
erfreut,  setzt  er  den  Göttern  vor,  um  sie  gnädig  für  sich  zu  stimmen. 
Dieser  allein  verständliche  Grundgedanke  des  antiken  Opfers  muss  in 
ungemein  frühe  Zeit  zurückgehen.  An  verschiedenen  Stellen  dieses 
Werkes  (s.  u.  Ahnenkultus,  Gott,  Religion)  ist  auf  zwei  ver- 
schiedene Schichten  idg.  Religionsanschauungen  hingewiesen  worden, 
auf  eine  ältere,  voriudogerraauischc,  die  des  Scclcndienstes  und  Ahnen- 
kultes und  auf  eine  jüngere,  indogermanische,  hauptsächlich  der  Ver- 


Digitized  by  Google 


Opfer. 


599 


cbrung  der  Naturkräfte  gewidmete.  Der  eben  geschilderte  Grund- 
gedanke des  Opfers  seheint  nun  innerhalb  der  ersteren  Stufe  eine  be- 
friedigendere Erklärung  als  innerhalb  der  zweiten  zu  finden.  Es  musstc, 
wenn  man  an  eine  teils  nützliche,  teils  schädliche  Wirkungen  aus- 
übende Weiterexistenz  der  Seele  nach  dem  Tode  glaubte,  eine  primi- 
tiver Denkungswcisc  ungemein  nahe  liegende  Vorstellung  sein,  dass 
es  nützlich  sei,  damit  fortzufahren,  Vater  und  Grossvatcr,  auch  wenn 
sie  verstorben  waren,  mit  Speise  und  Trank  zu  laben  und  dadurch 
günstig  zu  stimmen,  während  die  Speisung  der  in  den  Naturerschei- 
nungen, dem  Donner,  den»  Sturm,  dem  Feuer  gedachten  Wesen  erst 
durch  einen  Akt  der  Ableitung  und  Übertragung  aus  dem  Totenkultus 
verständlich  erscheint.  Früher  als  durch  Opfer  wird  man  eine  direkte 
Einwirkung  auf  diese  letzteren  durch  zauberische  Handlungen  ver- 
sucht haben,  wie  sie  im  vedischen  Altertum  noch  vielfach  bezeugt 
sind,  und  bei  denen  man  durch  ein  irdisches  Abbild  den  Vorgang  am 
Himmel  zu  beeinflussen  strebt.  Man  glaubt  den  Regen  zu  fördern, 
wenn  man  den  Rauschtrank  durch  ein  Sieb  träufeln  lässt  oder  hofft 
durch  die  Entzündung  eines  Feuers  auf  der  Erde  den  Aufgang  des 
grossen  himmlischen  Feuers  zu  erleichtern  (vgl.  Oldenberg  a.  a.  0. 
passini). 

Für  die  Annahme,  dass  somit  der  Grundgedanke  des  Opfers  im 
Seelenglanben,  nicht  in  der  Verehrung  der  Naturgewalten  wurzelt, 
dürfte  auch  die  folgende  Erwägung  von  Wichtigkeit  sein. 

Wo  in  historischer  Zeit  bei  Indern,  Griechen  oder  Römern 
Opfer  an  die  Unsterblichen  dargebracht  werden,  bedürfen  sie  des  auf 
dem  Altar  geschichteten  Feuers,  um  durch  dessen  Vermittlung  der 
Gottheit  zuzugehen.  Von  einer  anderen,  einfacheren  und  primitiveren 
Opferungsart  aber  weiss  Hcrodot  I,  132  im  Hinblick  auf  die  Perser 
zu  berichten,  die,  wie  u.  Religion  gezeigt  ist,  die  ursprünglichen 
Gottesvorstellungen  der  Indogermanen  mit  grosser  Treue  bewahrt  haben: 
6uoir|  bi  toTo*i  TTcpffnöi  rccpi  xouq  eipriutvouq  Öcoüi;  (Sonne,  Mond,  Erde, 
Feuer,  Wasser,  Winde)  if\bt  KarccrrriKe.  outc  ßwpouq  Troieuvrai  oöte 

TTÖp  ävaKatOUOM  p€XX0VT€£  0U€lV.  ou  OTTOVbrj  xPcovtg1»  ouki  «uXa»,  ou 

7T€uuao*i,  ouki  ouXrjo"i.  tujv  bk  ^KdtfTUj  öueiv  t9t\€i,  ic,  xwpov  KaGapöv 
d-raYibv  tö  KTfjvo^  KaXeei  töv  öeöv  eo*T€<pavu>p^voq  tov  Tin,pnv  pupaivn, 
pdXiOxa.  £uiutu>  pfcv  bn,  tu»  öüovti  ibiv]  poüvui  ou  o't  ernveiai  dpäo"6ai  aYa8d, 
ö  b€  Ttäai  total  TT€po*r)0*i  KaT€v3x€Tai  €0  Tiveo*9ai  Kai  Tili  ßaaiXei  •  iv  fäp 
bn,  toiOi  änam  TTtpontfi  Kai  auTÖq  riveTai  (das  kann,  kulturhistorisch 
gesprochen,  nur  heisseu:  in  primitiven  Zuständen,  in  denen  es  Privat- 
eigentum nicht,  weder  an  fahrender,  noch  an  liegender  Habe,  giebt, 
hat  es  überhaupt  keinen  Sinn  für  sich  allein  zu  bitten,  man  betet  für 
die  Familie,  die  Sippe,  den  Stamm),  diredv  be  biapio*TuXa<;  KaTd  p€pca 
tö  tptpov  4vpr)<JT]  Ta  Kpca  (vgl.  oben  got.  suupx  , Opfer  ),  UTTOTraffa? 
TToirjv  üj?  äTTaXu)TdTt|v,  pdXurra  bk  tö  TpupuXXov  (vgl.  aw.  baresman-. 


Digitized  by  Google 


800 


Opfer. 


scrt.  barhis-  ,Opfcrstrcu'),  iix\  TaÜTn?  £6nK€  uiv  ndvia  rd  icpta.  bia- 
eevTO?  bk.  aÜTOÜ  udyoq  dvf)p  Trap€(JTed>?  ^Tracibci  8€OYOvinv,  oinv  br\ 
dKdvoi  Xe'touai  elvai  thv  £  n  a  o  i  b  r|  v.  äveu  fdp  &n  ud-rou  ou  <Jq>i  vöp.o<; 
ioxi  Qvoiaq  TTOt^ffBai.  ^mcxxwv  bk  öXixov  xpovov  änocpcpcTai  ö  Öuöaq 
Td  Kpe'a,  Kai  xpäiai  öxi  mv  ö  Xöfos  cdpe'ei.  Dieser  altpersisehe  Opfer- 
brauch kennt  also  die  Verwendung  des  Feuers,  um  durch  dasselbe  die 
Speise  den  Göttern  zuzuführen,  nicht.  Das  Fleisch  wird  auf  einer 
besonders  hergerichteten  Üpferstren,  auf  der  auch  die  Gölter  sich 
niederlassen  sollen  (vgl.  Ohlenberg  a.  a.  0.  S.  344  f.  und  s.  u.  Hausrat), 
niedergelegt,  und  der  Gott  durch  eine  Art  von  Beschwörung  zum  Ge- 
nüsse desselben  herbeigelockt.  Dasselbe  erzählt  Herodot  IV,  60  von 
dem  skythischen  Opfer,  und  auch  im  Veda  fehlt  es  nicht  an  Spuren, 
welche  zeigen,  dass  in  dem  Opferfeuer  „die  Neueruug  einer  fortge- 
schritteneren sakrifikalen  Technik"  vorliegt  (vgl.  Ohlenberg  a.  a.  0. 
S.  343  ff.),  über  deren  älteste  Einführung  durch  die  Bhrgus  (Oldcnbcrg 
S.  123  ff.)  noch  weitverbreitete  Mythen  berichten.  Endlich  ist  auch 
bei  den  Germanen,  deren  Opfergebräuche  wir  freilich  nur  aus  nor- 
dischen und  zwar  späten  Quellen  kennen  (vgl.  Mogk  Mythologie  in 
Pauls  Grundriss  III »,  393  ff.,  Golther  Germ.  Mythologie  S.  567  f.),  das 
Opferfeuer  sichtlich  unbekannt  gewesen.  Charakteristisch  für  sie  ist, 
wie  bei  den  Persern  das  Ausbreiten  der  Opferspeise  auf  zartem  Gras, 
so  hier  das  Aufhängen  der  Opfcrlcibcr  oder  ihrer  Häupter  (vgl.  Tacitus 
Ann.  I,  61)  au  (heiligen)  Bäumen.  Vgl.  auch  des  Arabers  Ihn  Dustah 
(um  912  n.  Chr.)  Bericht  über  die  heidnischen  Russen  bei  Thomsen 
Russ.  Staat  S.  27:  „Der  Weissager  nimmt  den  Menschen  oder  das  Tier, 
legt  ihm  eine  Schlinge  um  den  Hals,  hängt  das  Opfer  an  einem  Baume 
auf,  wartet  bis  es  ausatmet,  und  sagt  dann,  dies  sei  ein  Opfer  zu 
Gott." 

Wird  demnach  die  Abwesenheit  eines  Opferfeuers,  wenigstens  in 
dem  Sinne  einer  Vermittlung  zwischen  Göttern  und  Menschen  —  Zauber- 
feuer neben  dem  Opfer  dürften  früher  gebrannt  haben  — ,  als  charak- 
teristisch für  das  älteste  idg.  Opfer  anzusehn  sein,  so  rückt  damit  die 
Speisung  der  himmlischen  Gewalten  dem  Totenopfer,  ans  dem,  wie 
wir  glauben,  die  erstere  abgeleitet  ist,  um  eine  Stufe  näher;  denn 
auch  das  Totenopfer  kennt  das  Opferfeuer  nicht,  die  Speisen  für  die 
Toten  werden  in  der  ältesten  Zeit  vielmehr  in  Gruben  und  Furchen 
niedergelegt  (vgl.  A.  Kaegi  Die  Neunzahl  bei  den  Ostariern,  Abhandl. 
für  H.  Schwcizer-Sidler  S.  57  30,  Ohlenberg  a.  a.  0.  S.  549,  Rohde 
Psyche8  S.  56  und  s.  u.  A  hncnkultus). 

Der  Mensch  labt  die  Götter  mit  der  Speise  und  dem  Trank,  den 
er  selbst  geniesst,  um  sie  für  seine  Zwecke  willig  und  kräftig  zu  machen. 
Ist  dies  richtig,  so  müssen  sich  ans  den  ältesten  Opfern  Schlüsse 
auf  die  älteste  Nahrung  und  aus  der  ältesten  Nahrung  Schlüsse 
auf  die  ältesten  Opfer  ziehen  lassen.    Thatsächlich  korrespondieren 


Digitized  by  Google 


Opfer. 


ROI 


beide  Begriffe  durchaus.  U.  N  a  Ii  r  u  u  g  ist  gezeigt  worden,  dass  die 
Speisen  der  idg.  Völker  von  Anfang  an  eine  Mischung  vegetabilischer 
und  animalischer  Kost  aufweisen,  dass  aber  in  je  frühere  Zeit  man 
zurückgeht,  entsprechend  dem  alsdann  stärkeren  Hervortreten  der 
Viehzucht  vor  dem  Ackerbau,  ein  Überwiegen  fleischlicher  Nahrung 
und  animalischer  Produkte  sich  geltend  macht.  Dasselbe  ist  bei  den 
Opfern  der  Fall.  Allerdings  hat  sich  schon  bei  den  Griechen  (vgl. 
zuerst  Plato  Leg.  VI  p.  782  C)  eine  Theorie  herausgebildet,  nach  welcher 
die  Erstlinge  des  Feldes  die  Ältesten  Opfer  überhaupt  gewesen  wären, 
und  neuere  Forscher  (vgl.  z.  B.  K.  F.  Hermann  Lehrb.  d.  gottcsdienstl. 
A.  d.  Griechen5  S.  141)  haben  hinzugefügt,  dass  dies  rauf  das  innigste 
mit  der  kindlichen  Einfachheit  zusammenhänge,  welche  nichts  zu  ge- 
messen wagte,  ohne  durch  gebührende  Abgaben  dem  Neide  der  Gott- 
heit zuvorgekommen  zu  sein".  Allein  diese  idyllischen  Anschauungen 
finden  keinen  Anhalt  an  den  wirklichen  Verhältnissen.  Gerade  bei  den 
in  ihrer  Kulturentwicklung  am  meisten  zurückgebliebenen  der  idg. 
Stämme,  da,  wo  der  Ackerbau  (s.d.)  noch  weit  hinter  der  Viehzucht 
zurücktritt,  werden  von  den  Gewährsmännern  nur  blutige  Opfer  ge- 
nannt. Die  Nachrichten  über  Perser  und  Skythen  s.  o.  Auch  hei  den 
Germanen  erwähnt  Tacitus  Germ.  (Jap.  9  nur  concesm  (constteta?) 
animalia.  Weitere  Nachrichten  Uber  altgermanische  Pferde-,  Kinder-, 
Schweine-,  Ziegenopfer  vgl.  bei  Golthcr  a.  a.  O.  S.  566  f.  Das  erste 
Opfer  aus  Backwerk  nenni  der  Indiculus  superstitiouuin,  charakte- 
ristischer Weise  sind  es  simulacra  (d.  h.  doch  wohl  Tierbilder)  de  con- 
sparsa  farina.  Ebenso  kennen  die  ältesten  Gewährsmänner  bei  den 
Slaven  nur  Tieropfer.  Vgl.  Prokop  B.  G.  III,  14:  Geöv  uev  t«P  t'va 
töv  xf\<;  äOTpaitf\q  bn.uioup-fdv  t  Pcrunü)  äTtavTiuv  Kupiov  uövov  carröv 
vouiEouffiv  tivai,  kcx\  Öuoutfi  auTil»  ßöaq  T€  kcu  tepeia  cmavTa  und  Hel- 
moldi  Ohron.  Slav.  I,  52:  Conveniuntqtte  viri  et  initiiere*  cum  par- 
rnlis,  mactantque  diis  suis  host  Um  de  bobus  et  ombux.  Wenn  man 
nun  auch  gesagt  hat,  dass  die  mehr  in  die  Augen  fallende  Erscheinung 
der  blutigen  Opfer,  die  oft  in  sehr  grosser,  einen  Schluss  auf  den  Vieh- 
reichtum  der  Indogcrinancn  gestattenden  Anzahl  dargebracht  werden 
(vgl.  (;atäm  gari/am,  äcryam  im  Vcda,  die  eKcrröußri  bei  den  Griechen, 
das  grosse  dänische  auf  die  heilige  Zahl  99  abgerundete  Opfer  bei 
Dietmar  von  Merseburg  I,  9  u.  s.  w.)  weniger  als  die  im  Stillen  sich 
vollziehende  Darbringung  von  Früchten  und  dergl.  der  Aufmerksam- 
keit fremder  Berichterstatter  entgehen  konnte,  so  würde  man  doch 
das  völlige  Schweigen  der  ältesten  Nachrichten  über  vegetabilische 
Opfergaben  nicht  verstehen  können,  wenn  man  annehmen  wollte,  die- 
selben hätten  von  Haus  aus  neben  dem  Tieropfer  eine  nennenswerte 
Rolle  gespielt,  wie  dies  bei  Griechen  und  Römern  entsprechend  ihrer 
vorgerückteren  agrarischen  Stellung  der  Fall  war.  Auch  bei  den  Indern 
sind  gekochte  und  gebackene  Opferspeisen  aus  Gerste  und  Reis  nicht 


Digitized  by  Google 


602 


Opfer. 


selten,  doch  „tritt  auch  hier  dabei  unverkennbar  hervor,  das»  den  von 
der  Kuh  kommenden  Produkten  ein  höheres  Gewicht  der  Heiligkeit 
und  mystischen  Bedeutung  beigelegt  wurde  als  den  Erzeugnissen  des 
Ackerbaus"  (Ohlenberg  a.  a.  ().  S.  3f>4).  Nimmt  man  endlich  das 
Bestehen  offenbar  uralter  Bezeichnungen  gerade  für  den  Begriff  des 
Opfertieres  wie  lat.  victima  oder  das  gemeingermauische  ahd.  z&bar 
(s.  o.)  hinzu  und  bedenkt  man  die  u.  Körperteile  erörterte  Thatsachc, 
dass  die  schon  in  der  Urzeit  sehr  sorgfältige  Unterscheidung  der  ein- 
zelnen inneren  und  äusseren  Teile  des  menschlichen  Leibes  nur  an  dem 
tierischen  Leibe  durch  Schlachtung  und  Opferung  gewonnen  worden 
sein  kann,  so  wird  man  das  Verhältnis  animalischer  und  vegetabilischer 
Opfergaben  nicht  anders  auffassen  können,  als  es  oben  geschehen  ist. 

Geopfert  und  gegessen  oder  gegessen  und  geopfert  wurde,  und  zwar 
in  der  ältesten  Zeit  ohne  die  Würze  des  Salzes  (s.d.),  das  Fleisch 
der  Haustiere,  Rind,  Schaf,  Ziege,  in  Europa  auch  das  Schwein.  Pferde- 
opfer und  Gennss  des  Pferdefleisches  bedürfen  einer  besonderen  Er- 
örterung (s.  darüber  u.  Pferd).  Ausgeschlossen  von  den  regelmässigen 
Opfern,  weil  nicht  zur  regelmässigen  Nahrung  dienend,  waren  ur- 
sprünglich das  Geflügel,  das  Wildbret  und  die  Fische  (s.  u.  Viehzucht, 
Jagd  und  Fisch,  Fischfang). 

Oer  Trank,  mit  dein  die  Unsterblichen  gelabt  wurden  (vgl.  auch  die 
beiden  gräco-italischen  Gleichungen  OTxivbw-spondeo  und  \t\$w-libare). 
war  ohuc  Zweifel  der  Met  (s.u.  Honig),  an  dem  sich  die  Götter  be- 
rauschten wie  die  armen  Sterblichen,  die  dadurch  für  Augenblicke 
göttlicher  Unsterblichkeit  teilhaftig  wurden  (vgl.  gricch.  d|ißpoo*ia  ,Speise 
der  Götter'  —  sert.  amfta-  , Unsterblichkeitstrank').  In  arischer  Zeit 
ist  an  seine  Stelle  als  Opfertrank  der  Saft  der  Somapflanze  getreten, 
der  aber  im  Veda  noch  lange  als  mddhu-  ,Mct'  bezeichnet  wird.  Im 
Süden  Europas  ist  der  natürliche  Nachfolger  des  Metes  auch  beim 
Opfer  der  Wein;  doch  kennt  griechische  Überlieferung  noch  einen 
metberauschten  Vater  Kronos,  und  auch  sonst  wird  im  Kultus  der  Wein 
zuweilen  ^Xi  , Honig'  genannt  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen0  S.  152, 
J.  Wackcraagel  a.  a.  0.  S.  10).  Auch  altitalische  Kultussatzungcn 
schlicsseu  noch  vielfach  den  Gebrauch  des  Weines  aus  (vgl.  Helbig 
Die  Italiker  in  der  Poebne  S.  71).  An  seiner  Statt  wird  Milch  ge- 
nannt. Vielleicht  ist  der  Argwohn  gestattet,  dass  diese  Milch  einen 
Zusatz  von  Honigmet  enthielt,  ganz  wie  in  Indien  der  Sorna  als  Bei- 
mischung zur  Milch  häutig  vorkommt  (vgl.  Ohlenberg  a.  a.  0.  S.  366). 
Die  Germanen  libierten  mit  Bier.  So  erfuhr  der  heilige  Oolumbanus, 
als  er  sich  bei  den  Snevcn  aufhielt:  Eos  sacri/icium  profanum  Ware 
celle,  vasque  magnttm,  quod  ruhjo  cupam  coCant,  quod  viginti  et 
sex  modios  am  plins  minusre  eapiebat,  cerevisia  plenum  in  medio 
habehant  positum.  ad  quod  vir  dei  accessit  et  sciscitatur,  quid  de 


Digitized  by  Google 


Opfer. 


Mo  fieri  vellent?  Uli  ajunt  :  deo  huo  Wodano,  quem  .Vercurium 
vocant  alii,  se  relle  litare  (vgl.  Grimm  L).  Mythologie  I3  S.  49). 

In  die  bisherige  Erörterung  ist  eine  Form  des  Opfers  nicht  hinein- 
gezogen  worden,  das  mit  finsteren  Zügen  aus  der  Urgeschichte  Europas 
hervorschaut,  und  über  dessen  Ursprünge  und  Geschichte  die  Ansichten 
der  Forscher  noch  vielfach  auseinander  gehen,  das  Menschenopfer. 
Die  Nachrichten  Uber  dasselbe  sind  bekannt.  Vgl.  für  Griechen  und 
Körner  E.  v.  Lasaulx  Die  Sühnopfer,  Würzburg  1841,  für  Kelten,  Ger- 
manen, Slaven,  Litauer  J.  Grimm  Deutsche  Mythologie  I3,  S.  38, 
V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  f>19ff.,  Golthcr  Germanische  Mythologie 
8.  frfil,  Möllenhoff  Deutsche  A.-K.  IV,  214  ff.,  für  die  Inder  A.  Weber 
Indische  Streifen  S.  54—89  dazu  Gidenberg  a.  a.  0.  S.  363).  Schwieriger 
ist  ihre  Eingliederung  in  den  allgemeinen  Opferbrauch. 

Wenn  opfern  ursprünglich  heisst,  die  Götter  mit  irdischer  Speise 
laben,  so  erhellt,  dass  es  nur  die  logische  Konsequenz  dieses  Satzes 
ist,  wenn  man  annimmt,  dass  einstmals  auch  hei  den  Völkern  unseres 
Stammes  Menschenfleisch  zur  Nahrung  gedient  habe.  Thatsächlich  hat 
sich  F.  A.  Wolf  in  seinem  Aufsatz  über  den  Ursprung  der  Opfer 
(Misccllanea  Halae  1802)  nicht  gescheut,  diesen  Schluss  zu  ziehen. 
Wir  glauben,  mit  Recht.  Freilich  lässt  sich,  soweit  wir  in  die  Ge- 
schichte der  idg.  Völker  hinein  zu  blicken  vermögen,  ausser  in  Sagen 
und  Mythen  nichts  von  einem  solchen  kannibalischen  Brauch  entdecken. 
Doch  muss  man  sich  erinnern,  dass  vor  dem  was  wir  idg.  Urzeit 
nennen,  eine  unendliche  Vorgeschichte  liegt,  aus  der  später  nicht  mehr 
oder  nur  halb  verstandene  Gewohnheiten  stammen  können.  Nun  ist 
es  keineswegs  unwahrscheinlich,  dass  auch  in  unserem  Erdteil  die  Sitte 
der  Menschenfresserei  einstmals  in  weitem  Umfang  verbreitet  gewescu 
ist.  Die  Prähistorie  hat  wiederholt  darauf  hingewiesen,  dass  nman 
im  Inhalt  der  Höhlen  der  Quaternärzeit  Menschenknochen  findet,  welche 
in  absichtlicher  Weise  geöffnet  erscheinen,  so  dass  man  wohl  schliessen 
könne,  sie  seien  zu  dem  Zwecke  zerbrochen  worden,  um  das  Mark  zu 
Nahrungszwecken  zu  erlangen.  Eine  grosse  Anzahl  Entdeckungen  sind 
nach  dieser  Richtung  hin  in  der  letzten  Zeit  gemacht  worden,  man 
hat  die  deutlichsten  Beweise  künstlicher  Öffnung  von  Markknochen, 
die  Schnitte  der  Feuersteingeräte  an  denselben  finden  wollen  und  sich 
immer  mehr  der  Ansicht  zugeneigt,  dass  man  es  mit  Überresten  prä- 
historischer Kannibalenmahlzeiten  in  solchen  Fällen  zu  thun  hat"  (vgl. 
R.  Andrce  Die  Anthropophagie  Leipzig  1887  S.  2).  Nicht  minder 
wichtig  ist,  dass  die  antiken  Schriftsteller  bei  Völkern  im  äussersten 
Osten  und  Norden  unseres  Erdteils,  bei  Stämmen  am  Pontus  (nach 
Aristoteles!,  bei  Issedonen  und  Massageten  (nach  Herodot  i.  bei  irischen 
und  britannischen  Völkern  nach  Strabo  und  Diodorns)  kannibalische 
Bräuche  kennen  (vgl.  die  Belege  bei  Andrce  a.  a.  O.  S.  12flY).  So 
möchte  es  zum  miudesten  nicht  ausgeschlossen  erscheinen,  dass  auch 


Digitized  by  Google 


«04 


Opfer. 


das  hei  idg.  Völkern  bezeugte  Menschenopfer  an  vorindogermanischen 
Kannibalismus  anzuknüpfen  sei.  Die  relativ  hohe  (neolithisebe)  Kultur,  zu 
der  die  Indogcrmanen  schon  vor  ihrer  Trennung  gelangten,  mochte 
sie  auf  den  Gennas  des  Menschenfleisches  verzichten  lassen,  während 
die  Menschenopfer  selbst  bestehen  blieben.  Es  mochte  nach  und  nach 
eine  Umdeutung  des  Opfergedankens  stattfinden,  in  dem  Sinuc, 
dass  man  in  den  Darbietungen  des  Opfers  mehr  und  mehr  nur  das 
beste  erschaute,  was  man  den  Göttern  geben  konnte,  und  das  allerbeste 
war  der  Mensch  (vgl.  Prokop  B.  G.  II,  15:  twv  bk  tepeuuv  aqrifft  tö 
KäXXiCfTov  ävöpumö?  £o"tiv,  övttcp  av  bopiäXwrov  7Toin,o"atvT0  TrpduTov. 
toötov  föp  tui  "Apei  öuoutft,  £tt£\  8eöv  auidv  vouUüouo"!  ueytCTOv  civai). 
Eine  solche  Entwicklung  scheint  uns  nicht  unmöglich  Und  jedenfalls 
wahrscheinlicher  als  die  neuerdings  aufgestellte  Ansieht  (vgl.  0.  Gruppe 
Jahresb.  über  die  Mythologie  aus  den  Jahren  1891  und  1892  im  J. 
über  die  Fortschritte  der  klassischen  Altcrtumsw.  Band  85  S.  10), 
nach  welcher  die  Menschenopfer  in  Europa  erst  in  verhältnismässig 
später  Zeit  vom  Orient  her  eingeführt  worden  seien. 

Überblickt  man  die  im  alten  Europa  bezeugten  Menschenopfer,  so  steht 
im  Norden  die  Niedermctzlung  der  gefangenen  Kriegsfeinde 
vor  den  Altaren  der  Götter  im  Vordergründe,  wovon  das  Schlachtfeld  des 
Teutoburger  Waldes  nach  der  Beschreibung  des  Tacitus  (Ann.  I,  Gl) 
ein  schaudererregendes  Beispiel  bietet.  Es  wird  sich  in  solchen  Fällen 
um  die  Vollstreckung  eines  vorher  eingegangenen  Gelübdes,  um  ein 
Bittopfer  „mit  verschobenem  Zeitpunkt"  (Ohlenberg  S.  306)  handeln,  wie 
es  hei  Kelten  nnd  Germanen  bezeugt  ist.  Vgl.  Caesar  De  bell.  gall. 
VI,  17:  Huic  (Marti),  cum  proelio  dimicare  constituerunt,  ea,  quae 
hello  ceperint,  plerumque  devovent;  cum  superaverunt,  animalia 
capta  (alles  gefangene  lebende)  immolant  reliqumque  reu  in  unum 
locum  conferunt.  multis  in  civitatibux  harum  rerum  e.rstructos  tu- 
mulox  locis  conxecrati*  conspicari  licet  (vgl.  dazu  S.  Müller  Nordische 
Altertumskunde  II,  145)  und  Tac.  Ann.  XIII,  57:  Sed  bellum  Her- 
mundurix  prosperttm,  Chattix  e.vitiosius  fuit,  quin  victorex  dirersam 
aciem  Marti  ac  Mercurio  xaeravere,  quo  roto  equi,  ririt  cuneta 
victa  oeeixioni  dantur.  Jedenfalls  wird  geweihte  oder  nicht  geweihte 
Vernichtung  der  gefangenen  Feinde  für  idg.  Brauch  zu  gelten  haben, 
von  dem  die  spätere  Fortführung  der  Gefangenen  in  die  Knechtschaft 
(s.  u.  Stände)  erst  eine  Milderung  darstellt.  In  einen  anderen  Zu- 
sammenhang gehört  es,  wenn  Menschen,  Weiber,  Beischläferinnen, 
Diener,  Gefangene  am  Grabe  oder  Scheiterhaufen  eines  Toten  hinge- 
schlachtet werden,  zweifellos  um  ihm  im  Jenseits  zu  dienen  oder  Freude 
zu  bereiten.  Doch  scheint  dieser  Brauch  (s.  u.  Bestattung  und 
u.  Witwe)  in  Europa  nicht  zu  dein  ältesten  zu  gehören,  und  jedenfalls 
lässt  sich  aus  ihm  nicht  mit  Wackernagel  a.  a.  0.  S.  14  die  Entstehung 
des  uordenropäischen  Menschenopfers  überhaupt  ableiten. 


Digitized  by  Google 


Opfer. 


605 


Dem  Siegesopfer  zur  Seite  steht  das  S  ü  h  n  e  opfer,  „die  Hingabe 
eines  Menschenlebens  für  verwirkte  oder  gefährdete  andre  Meuschen- 
lebenu.  Es  ist  das  gewöhnliche  in  den  von  Lasaulx  gesammelten 
Nachrichten  des  klassischen  Altertums.  Es  liegt  aber  auch  vor,  wenn 
Caesar  De  bell.  gall.  VI,  lü  von  den  Galliern  berichtet:  Qui  sunt 
a/fecti  grarioribus  morbus  quique  in  proeliü  periculisque  versantur, 
aut  pro  cictimis  homines  immolant  aut  se  immolaturos  rovent  .  .  .  . 
quod,  pro  vita  hominis  nid  hominis  vita  reddatur,  non  posse  de- 
orum  immortalium  numen  placari  arbitrantur,  oder  wenn 
die  Germanen  ihre  eigenen  Könige  in  Jahren  des  Misswachses  opfern. 
Als  eine  Abart  des  Sühnopfers  wird  man  auch  das  Straf  opfer  be- 
trachten dürfen,  bei  dem  ein  rechtskräftig  verurteilter  Verbrecher  der 
Gottheit  dargebracht  wird  (s.  darüber  u.  Strafe).  Endlich  sei  das 
Bauopfer  genannt,  das  auf  der  Vorstellung  beruht,  ein  Neubau  weide 
nur  dann  von  Dauer  sein,  wenn  ein  Menschenleben  gefallen  ist  (vgl. 
Liebrecht  zur  Volkskunde  S.  284  ff.  Die  vergrabenen  Menschen,  dazu 
Germ.  XXXV,  211).  Ob  diese  Vorstellungsreihen  freilieh  sämtlich 
schon  in  die  idg.  Urzeit  znrückgehn,  soll  nicht  entschieden  werden. 

Die  zweite  Haupt  Ii  and  hing,  durch  welche  der  Mensch  in  Be- 
ziehung zu  den  Göttern  tritt,  ist  das  Gebet.  Dass  dieses  iu  engster 
Beziehung  zu  dem  Opfer  steht,  geht  schon  aus  dem  oben  besprochenen, 
höchst  altertümlichen,  in  seinen  Grundzügen  vielleicht  schon  indoger- 
manischen altpersischen  Opferritus  hervor.  Man  ruft  (kciXcT)  den  Gott 
und  der  assistierende  Magier  singt  eine  Theogonie,  die  als  ^Traoibn. 
, Beschwörung'  bezeichnet  wird.  Auch  die  Terminologie  des  Gebetes 
weist  auf  ursprüngliche  Verknüpfung  mit  dem  Opfer  hin.  So  entspricht 
grieeh.  eüxoucu  (€Üxr|,  €Üxo$,  €utm«,  Trpooeuxn)  dem  lat.  voveo  ,gelobc' 
und  wird  ursprünglich  dasjenige  Gebet  bezeichnet  haben,  das  im  Falle 
der  Erfüllung  ein  Opfer  in  Aussicht  stellt.  Auch  in  gricch.  Xnr|,  Xicr- 
öouai  lat.  *iitd,  Ware  wechseln  die  Bedeutungen  ,Gcbet'  und  ,Opfcr' 
(Int er  Jitare'  et  ,sacri/icare'  hoc  interest:  saeri/icare  est  hostias  immo- 
lare, litare  vero  2><)st  immolationem  hostiarum  impetrare  quod  pos- 
tut  es,  Lactant.  ad.  Stat.  Thcb.  X,  GlU).  Im  übrigen  bestehen  zahl- 
reiche urverwandte  Sprachreihen  für  den  Begriff  des  Bittens,  ohne 
dass  es  möglich  wäre,  bei  ihnen  zu  sagen,  wo  der  weltliche  Siun 
aufhört  und  der  geistliche  beginnt.  Doch  ist  es  in  jedem  Fall  lehr- 
reich zu  beobachten,  wie  früh  die  Bitte  im  Gegensatz  zum  Dank  (s.  o.) 
sprachlichen  Ausdruck  fand.  Vgl.  in  dieser  Beziehung  die  Sprach- 
reihen: lat.  preces  (precatio,  comprecatio),  precari  ,Gebet\  , beten' 
von  einer  idg.  Wurzel  prek,  prk,  die  ebensowohl  ,fragcn'  wie  »bitten' 
bezeichnet  haben  inuss  (sert.  prchdti  ,frägt,  verlangt,  bittet',  ahd.  fer- 
gön  , bitten',  f rügen  , fragen',  altsl.  prosit  i  »fordern,  bitten');  got.  bida, 
ahd.  beta  , Bitte',  ,Gebet',  got.  bidjan  , bitten"  :  grieeh.  7T€i8uj  .durch 
Bitten  überreden';  got.  aihtrdn  ,bitten,  betteln,  beten'  :  grieeh.  *nc  in 


Digitized  by  Google 


606 


Opfer  -  Orakel. 


iKEtfia  ,Gebct',  TTpotoaouai  ,bitte'  n.  a.  Aus  den  Einzelsprachen 
sind  von  Benennungen  des  Gebetes  noch  wichtig:  griech.  dpa,  neben 
,Gebet'  auch  ,Fluch',  dpdojiai  ,beten,  fluchen',  äpnrrip  , Beter'  (:  sert.  dr, 
d'ryati  , preist'?),  lat.  carmen,  eigentl.  »Zauberspruch'  (s.  u.  Dicht- 
kunst^, indigetare  .beten'  (':  aio  ,sage',  eigentl.  ,anrufen),  got.  inreitan, 
eigcntl.  »ansehen'  (:  lat.  video;  vgl.  Tac.  Genn.  Cap.  10:  precari  deost 
coelumque  auapicere),  altn.  Irin,  agls.  ben  ,Gebet',  btna  ,supplex", 
bensian  ,supplicare'  (:  griech.  <pujvr|,  q>t]\x'i,  altsl.  bajq,  bajati  .fabulari, 
incantare,  mederi'  u.  s.  w.  mit  der  überwiegenden  Bedeutung  von 
Zaubersprüche  hersagen  ),  slavisch,  altsl.  moliti,  mollba,  inolUva  ,beten', 
,Gcbet\  nsl.  modliti  se  ,beten*  u.  s.  w.,  altpr.  maddla  , Gehet'  mit  noch 
unbekannter  Grundbedeutung.  Näheres  über  das  idg.  Gebet  zu  er- 
mitteln, ob  es  mehr  als  ein  Zauber-  und  Opferspruch  war,  ob  es  auch 
unabhängig  vom  Ritus  vorkam  u.  s.  w.,  muss  zukünftiger  Forschung 
vorbehalten  bleiben  (vgl.  Lasanlx  Über  die  Gebete  der  Griechen  und 
Römer,  Würzburg  1842,  0.  Gruppe  Kulte  und  Mythen  I,  5G2  ff.,  Ohlen- 
berg Die  Religion  des  Vcda  S.  430  ff.,  J.  Grimm  D.  Myth.  I3,  2(>  ff.).  - 
S.  u.  Religion. 

Opferfeuer,  s.  Opfer. 

Opferspeise,  Opfertrank,  Opfertiere,  s.  Opfer. 
Opferstätte,  s.  Tempel. 
Opium,  s.  Mohn. 

Orakel.  Neben  dem  Losorake  1  (s.  u.  Los)  steht  im  alten  Europa, 
auf  gleiche  oder  noch  grössere  Bedeutung  Anspruch  erhebend,  die 
Wahrsagung  aus  Vogelzcichcn.  Ihre  Benennungen  haben  vielfach 
dazu  gedient,  auch  andere  Orakelarten  a  potiori  zu  bezeichnen.  So 
wird  das  lat.  auspex  (*avi-*pex,  eigentl.  , Vogelspäher',  lat.  -spex  = 
sert.  spaq-),  auspkium  gebraucht,  und  auch  lat.  augur,  angurium  »Weis- 
sager', Weissagung'  wird  in  seiner  ersten  Silbe  sicherlich  mit  avis 
, Vogel*  zusammenhängen,  während  die  zweite  (sert.  grnd'ti,  lit.  giriü 
,prei8t,  preise',  altsl.  £lrq  , opfere  ?)  noch  nicht  sicher  erklärt  ist.  Die- 
selbe Bedeutungsentwicklung  findet  bei  griech.  oiwvöq  und  öpviq  , Vogel, 
Vogclzcichen',  dann  »Zeichen  überhaupt'  statt  (vgl.  dazu  K.  F.  Hermaun 
Gottesdicnstl.  Altert.2  S.  23ti,  3).  Vielleicht  bedeutet  griech.  oiuuvö<; 
, Vogel'  aus  *ÖFiöujvo?  :  lat.  ömen,  osmen  aus  *orismen  , Vorzeichen', 
griech.  oio^mi  aus  *6Fio"iO|nai  ,ahnc,  glaube  ,  sert.  dpix-,  aw.  dvix-  offen- 
bar' (idg.  *oris-  :  *6vis-)  selbst  soviel  wie  ,den  offenbar  machenden' 
(lat.  ömen  »Offenbarung',  griech.  otogen  ,für  Offenbarung  halten", 
,glauben').  Andere  möchten  oioucu  direkt  von  oiwvöq  ableiten,  indem 
sie  an  Fälle  wie  nhd.  „es  schwant  mir",  ahd.  fogalön  ,auspicari'  u.  a. 
erinnern.  Ganz  wie  oiuuvöq  wird  auch  sert.  qäkuna-  ,Vogel\  dann 
,oinen'  (qdkuna-  ,dic  Wissensehaft,  den  Vogelfing  zn  deuten')  gebraucht 
(vgl.  E.  Hultzseh  l'rolcgomena  zu  Vasautaräja  eakuna  nebst  Textprobcu 
Leipzig  1870;. 


Digitized  by  Google 


Orakel. 


607 


Ein  Eingehen  auf  die  bei  Griechen  und  Römern  von  Homer  ab  be- 
legte Bedeutung  de«  Vogelorakels  ist  nicht  nötig.  Für  das  germanische 
Altertum  bezeugt  sie  die  Stelle  der  Germania  Cap.  10:  Et  illud  qui- 
dem  etiam  hic  notum,  avium  voces  volatuaque  interrogare.  Der  indi- 
culns  superstitionum  XIII  handelte  de  auguriis  vel  avium  vel  equorum. 
In  sprachlicher  Hinsicht  zu  beachten  ist  ahd.  fogalrarta,  fogilrartöd 
,auspicinm,  augurinm'  :  got.  razda  ,Stinimc,  ebenso  agls.  fugelhwdte 
(vgl.  Golther  Germ.  Myth.  S.  638),  ferner  agls.  hUohor  ,Orakei',  hle- 
ohorstete  ,Orakelplatz',  hUoborcwide  ,Orakclspruch'  :  agls.  hleodor  ,Ton, 
Stimme',  sc.  der  Vögel  (doch  vgl.  Kögel  Geschichte  d.  deutschen  Litt. 
I,  1,  29).  Bemerkenswert  ist  auch  im  Slavischcu  das  Verhältnis  von 
altsl.  kobl  .augurium*  :  cech.  koba  ,Rabe',  nsl.  kobec  ,Geier',  serb. 
kobac  ,Sperber'  (vgl.  Miklosich  Et.  W.  S.  122). 

Im  Gegensatz  zu  dem  Baumlos  lässt  sich  die  Wahrsagung  aus 
Flug  und  Stimme  der  Vögel  bis  nach  Indien  und  zwar  bis  in 
die  älteste  Überlieferung  verfolgen.  Vgl.  Rgv.  II,  42:  „Schreie,  o 
Vogel,  rechtsher  vom  Hause,  indem  Du  Glück  bringst  und  Segen  ver- 
kündestu,  Rgv.  II,  43:  „Von  rechts  her  singen  die  Preissänger,  die 
Vögel,  welche  der  Ordnung  gemäss  sprechen",  dazu  (nach  Oldenbcrg 
Die  Religion  des  Veda  S.  511)  Hiranyakecin  G.  I,  17,  1.  3:  „Fliege 
um  das  Dorf  von  der  Linken  zur  Rechten  und  verkünde  uns  Glück, 
o  Eule".  Der  ausgesprochene  Unglücksvogel  ist  die  Taube  (kapö'ta-), 
der  Bote  der  Nirjti  und  des  Yama,  des  Genius  des  Verderbens  und 
des  Totengottes.  Vgl.  Rgv.  X,  165,  1:  „0  Götter,  was  die  eilige 
Taube,  der  Nirrti  Bote,  suchend  hierherkam,  dafür  wollen  wir  singen 
und  Entstthuung  machen:  Heil  sei  unserem  Zweifüssigen,  Heil  dem 
Vierfüssigen".  2.  „Huldvoll  sei  uns  die  eilige  Taube,  ohne  Unheil, 
ihr  Götter,  der  Vogel  im  Haus".  3.  „Nicht  möge  uns  hier,  Götter, 
die  Taube  verletzen"  u.  s.  w.  (vgl.  Sprachvergleichung  und  Urge- 
schichte* S.  368  und  s.  u.  Taube).  Über  die  Bedeutung  von  Rechts 
und  links  bei  der  Beurteilung  der  Stimmen  und  des  Flugs  der  Vögel  s.  d. 

Fragt  man  nach  dein  eigentlichen  Sinn,  der  diesen  Vogelorakeln  zu 
Grunde  liegt,  so  wird  derselbe  in  dem  gleichen,  im  Grunde  äusserst 
einfachen  Gedankenkreis  zu  suchen  sein,  aus  dem  heraus  sich  auch 
der  Glaube  an  andere  Vor/eichen  erklärt.  Man  macht  die  Wahr- 
scheinlichkeit oder  Unwahrschcinlichkcit  des  Eintritts  eines  Ereignisses 
abhängig  von  dem  Eintritt  eines  anderen,  der  Willensbestimmung  des 
Menschen  entzogenen  Ereignisses,  mag  dasselbe  nun  der  „Angang" 
eines  Vierfüsslcrs  oder  eines  Vogels,  das  Leuchten  eines  Blitzes,  das 
Rollen  des  Donners,  ein  plötzliches  Niesen  (griech.  Trräpvunai  =  lat. 
sternuo),  die  Uberraschende  Wahrnehmung  einer  tierischen  oder  mensch- 
lichen Stimme  u.  s.  w.  sein.  Was  im  besonderen  die  Vögel  anbetrifft,  so 
kommt  noch  hinzu,  dass  dieselben  frühzeitig  in  bestimmte  Beziehungen 
zu  gewissen  Gottheiten  gebracht,  Eule  und  Geier  als  Boten  des  Yama, 


Digitized  by  Google 


6QS 


Orakel. 


der  Adler  als  Vogel  des  Zeus,  der  Rabe  als  der  des  Odin  u.  s.  w. 
aufgefaßt  wurden,  woher  sie  denn  besonders  geeignet  ersehienen,  an 
dem  höheren  Wissen  der  Götter  und  Geister  teil  zu  nehmen.  Endlieh 
ist  auch  noch  auf  die  Bedeutung  gewisser  Vögel  als  Verkündiget  des 
Witterungswechsels  und  der  Jahreszeiten  (s.  d.)  hinzuweisen. 

Kinen  ganz  andern  Weg,  den  Ursprung  des  Vogelorakels  und  des 
Zeieheuorakels  Uberhaupt  zu  erklären,  hat  freilich  neuerdings  R.  v. 
Ihering  Vorgeschichte  der  Indocuropäer  S.  4'M  ff.  eingeschlagen.  Er 
sucht  denselben  nicht  in  religiösen  oder  abergläubischen,  sondern 
lediglich  in  praktischen  Gründen.  So  gehe  das  Vogelorakel  {signa  e.r 
aribtts)  von  der  Beobachtung  der  Zugvögel  aus,  die  den  auf  der 
Wanderung  begriffenen  Indogermancn  die  Gebirgspässe,  die  Läufe 
der  Flüsse,  die  zur  Rast  einladenden  Inseln  des  Meeres  angezeigt 
hätten.  Entsprechend  erkläre  sich  die  Eingeweideschau  (signa  er  e.rth) 
aus  einer  mit  Tieren  einer  unbekannten  Gegend  vorgenommenen  Prüfung, 
ob  ihre  Eingeweide  gesund,  das  Futter  dieses  Landes  also  zuträglich 
sei.  Ähnliches  hätte  das  Fresseulassen  der  Hühner  (tripudia)  bedeutet. 
Das  Herrare  de  caelo  sei  von  dem  Feldherrn  des  wandernden  Heeres 
vorgenommen  worden,  um  die  Witterungsaussichten  für  den  folgeuden 
Tagesmarsch  zu  bestimmen.  Die  pedestria  auxpicia,  von  denen  Paulus 
Diaconus  spricht  (Fest.  ed.  0.  M.  p.  244  pedestria  :  a  vulpe,  lupo,  ser- 
pente,  equo,  ceterisque  animantibus  quadrupedibus  fiunt),  seien  Marseh- 
und Warnnngszeichen  gewesen,  die  die  waudernden  Iudogerinauen 
beim  Anblick  der  genannten  Tiere  sich  gegeben  hätten.  In  eine  Er- 
örterung dieser  nach  der  Methode  vom  „ausreichenden  Grund"  (Ihering 
S.  446)  aufgestellten  Erklärungsversuche  soll  hier  nicht  eingetreten 
weiden.  Nur  was  das  Vogclorakel  anlaugt,  soll  bemerkt  werden,  dass 
die  ältesten  und  häutigsten  Orakelvögel  gerade  keine  Zugvögel  sind, 
eine  Thatsacbc,  mit  der  sich  Ihering  S.  4f>4  nicht  in  befriedigender 
Weise  abzufinden  vermag. 

Auf  andere  neben  Los-  und  Vogclorakel  bestehende  altertümliche 
Arten  der  Wahrsagung  soll  hier  nur  in  Kürze  hingewiesen  werden. 
Über  das  Gottesurteil  (s.d.)  ist  in  einem  besonderen  Artikel  ge- 
sprochen worden,  über  das  bei  Iranicrn,  Slaven  und  Germanen  be- 
zeugte Pferdeorakel  vgl.  V.  Hehn  Knlturpltanzen"  S.  44,  über  das 
Traumorakcl  s.  n.  Traum,  über  das  Weissagen  ans  dem  Rauschen 
der  Bäume  s.  u.  Tempel  (Heilige  Bäume).  Frühzeitig  wird  auch 
das  Opfer  (s.  d.),  sowohl  das  an  die  Verstorbenen  (Totenorakcl )  wie 
auch  das  an  die  Himmlischen,  benutzt  worden  sein,  um  aus  dem  Blut 
der  geschlachteten  Opfertiere,  aus  dem  Brennen  des  Opferfeuers,  aus 
dein  Aufsteigen  und  der  Richtung  seines  Rauches,  aus  dem  Verbrennen 
der  Fleischteile  n.  s.  w.  Zukünftiges  zu  ermitteln.  Im  Norden  Europas 
dienen  iiier/u  auch  die  Menschenopfer.  Schon  Strabo  VII,  p.  2\)A 
erzählt,  dass  den  Heeren  der  Cituberu  weissharige  Priesterinnen  mpo- 


Digitized  by  Google 


Orakel. 


ydvT€iq  le'pciai)  gefolgt  seien,  die  aus  dem  Hlut  der  über  einem  Kessel 
geschichteten  Kriegsgefangenen  (vgl.  altn.  blaut  , Opferblut'  :  got. 
Maut*  ,Los)  die  Zukunft  geweissagt  hätten.  Nach  Prokop  Ii.  G.  II,  25 
hätten  die  Franken  in  Ohcritalien  die  zurückgebliebenen  Gotenweiber 
und  Kinder  als  Opfer  in  den  Po  geworfen,  um  so  die  Zukunft  zu  er- 
fahren, wie  denn  Weissagung  aus  dem  Strudel  der  Flüsse  auch  von 
Plutarch  Caesar  Cap.  XIX  bei  den  Germanen  bezeugt  wird.  Als  Un- 
glück verkündend  werden  überall  auch  die  Missgebnrten  von  Mensch 
und  Tier,  seit,  vriikrta-,  griech.  T€pa?,  lat.  portetitum,  monstnuu 
(menschliche  Missbildung),  prodigium  (Weebsclbalg ;  vgl.  M.  Voigt  Leges 
Regine  S.  576)  angesebn  worden  sein,  wie  es  schon  in  einem  vedischen 
Text  (vgl.  A.  Weber  Zwei  vedisebe  Texte  über  Omina  und  Portenta 
Abb.  d.  Herl.  Ak.  d.  W.  185K,  phil.-hist.  Abt.  S.  323)  heisst: 
Auf  wessen  Haus  ein  Geier  fliegt,  oder  auch  eine  Eni'  zumal 
Oder  Taube  sich  niederlässt,  oder  Waldticre  jeder  Art, 
Wenn  ein  Zugvieh  fällt  unterm  Joch,  bei  Missgeburt  von 

Kind  u  n  d  W  c  i  b 

 dieser  Zeichen  all  als  Gottheit  Yama  wird  genannt. 

Leute,  die  sich  in  besonderen)  Masse  darauf  verstanden,  aus  derartigen 
Zeichen  die  Zukunft  zu  enträtseln,  also  Seher,  griech.  m«vtk;  cuai- 
vouai  ,rase'  von  der  gehobenen  Stimmung  des  Weissagenden),  gemein- 
germ.  abd.  wizago,  agls.  icitega,  altn.  vitki  »Wahrsager'  (weiteres  vgl. 
bei  Golther  Germ.  «Mythologie  S.  648;  über  lat.  rätex  und  ir.  f'äitJi 
8.  u.  Dichter,  Dichtkunst)  wird  es  überall  früh  gegeben  haben. 
Auch  bei  den  Litauern  werden  von  Lasicius  S.  56  sortüegi  genannt 
(qui  lingua  Ruthenka  Burti  vocantur).  Sie  rufen  den  Gott  der  Flüsse 
und  Quellen  Potnmpux  an  und  weissagen  aus  geschmolzenem  Wachs, 
das  sie  in  Wasser  giessen  (man  denke  an  unser  Hlcigicssen  in  der 
Xenjahrsnacht).  Natürlich  ist  es,  dass  die  allmählich  aufkommenden 
Priester  (s.  d.)  und  Priestcrkollegicn  die  immer  mehr  zur  Technik 
und  Kunst  gewordene  Prophezei luing  für  sieh  zu  monopolisieren  be- 
strebt waren.  Einen  merkwürdigen  Parnllclismus  grice bischer  und 
germanischer  Kulturentwieklung  stellt  es  dabei  dar,  dass  bei  beiden 
Völkern  den  sonst  überall  zurückstehenden  Frauen  Anteil  an  der 
Weissagung  gewährt  wurde.  Für  die  Hellenen  sei  hierfür  ausser  auf 
die  Gestalten  einer  Pythia  und  Kassandra  auf  die  greisen  Priesterinncn 
von  Dodona  verwiesen,  die  TTeXeidbc?  oder  TrAeiai  genannt  wurden, 
nach  Strabo  (vgl.  K.  F.  Hermann  a.  a.  O.  S.  200),  weil  einstmals  in 
Dodona  ein  Vogelorakel  mittelst  der  in  eleu  heiligen  cpiyfoi  nistenden 
Tauben  bestanden  habe,  für  die  Germanen  ausser  auf  die  oben  ge- 
nannten eimbrischen  Seherinnen  auf  Caesar  De  bell.  gall.  I,  50:  Cum 
ex  captieix  quaereret  C.f  quam  ob  rem  Ariodxtus  proelio  non  decer- 
taret,  haue  reperiebat  causam,  qitod  apttd  Germanos  ea  conmetudo 
esset,  ut  matres  familiae  eorum  xortibux  et  vatkinationibus  decla- 

Schrader.  Re»Uexlkon.  39 


Digitized  by  Google 


«10 


Orakel  —  Panther. 


rarent,  utrum  proelinm  cotnmitti  ex  usu  esset  necne  und  auf  Taeitus 
Genn.  Cap.  Inesse  quin  etiam  sanctum  aliquid  et  proeidum 
{feminis,  putant,  nec  auf  consilia  earum  aspernantur  auf  res- 
ponsa  negleyunt;  vidimus  suh  dito  Yespasiano  Yeledam,  diu  apud 
plevosque  numinis  lovo  habitam  ;  sed  et  olim  Albntnami?)  et  com- 
pluris  alias  renerati  sunt,  non  adtdatione  nec  tamquam  facerent 
deas  (weiteres  vgl.  bei  Goltlier  a.  a.  0.  S.  (520  ff.  .  Merkwürdig  ist, 
dass  die  bekannteste  dieser  altgcrmanischcn  Seherinnen  (Veleda)  wahr- 
scheinlich einen  keltischen  Namen  trügt  (s.  n.  Dichtkunst,  Dichter). 

Ein  idg.  Ausdruck  für  alle  im  bisherigen  geschilderten  Wege,  in 
das  Dunkel  der  Zukunft  vorzudringen,  dürfte  in  der  Reihe:  lit.  saitas 
jZeichendenterei',  ahn.  seibr  .eine  bestimmte  Art  von  Zauber,  auch 
um  die  Zukunft  zu  erforschen',  mkyinr.  hat.  nkymr.  hüd  .praestigiae', 
altkorn.  Intdol  gl.  magns  =  grieeh.  oito?  (ein  ionisches  Wort  mit 
Psilosis  wie  oGXoq  —  sert.  surva-i  .Geschick,  bes.  Unglück'  anzuer- 
kennen sein.  Hedeutungsentwicklung:  Zauberische  Zeichendeuterei  zur 
Ermittlung  des  Geschicks  —  das  auf  diese  Weise  ermittelte  Geschick 
selbst  (vgl.  lat.  sors,  sorte.?  1.  das  Lostäfckhen,  2.  das  Schicksal). 
Ein  kelto-gernianisebcr  Ausdruck  für  das  glückliche  Vorzeichen  ist  ir. 
c4l  aus  *keilo-  —  agls.  hdd,  altn.  heill  aus  *kailo-  :  got.  haih  .gesund, 
heilsam'  (vgl.  ahd.  heilisnn,  agls.  /uelsian  .augurari). 

Orange,  s.  Zitrone. 

Ordale,  s.  Gottesurteil. 

Osten,  s.  Himmelsgegenden. 

Ostern,  s.  Zeitteilung  (Feste). 

Otter,  s.  Fischotter. 


P. 

Paederastie,  s.  Knaben  liebe. 
Palast,  s.  Steinbau. 
Palme,  s.  Dattelpalme. 

Panther.  Schon  Homer  nennt  eine  Pantherart  (TräpbctXiq),  die 
in  Vorderasien  heimisch  gewesen  sein  muss;  denn  in  Europa  war  das 
Tier  immer  fremd.  TTdv8rip  begegnet  zuerst  bei  Herodot  IV,  H»2  als 
libysches  Tier.  Heide  Wörter  sind  noch  dunkel.  Die  einen  denken 
an  indische  Wörter,  für  trapbaXi«;,  TröpbaXiq,  Trdpboq  (spät  XeÖTrapboq) 
an  sert.  pi-daku-  , Natter,  Schlange',  , Panther'  (letztere  Bedeutung 
freilich  unbelegt;  vgl.  aber  npers.  palauy,  afgh.  prüng , Leopard'),  für 
ndvOrip  an  sert.  punddrika-  ,Tiger'  (  L.)  —  der  belegte  und  eigentliche 
indische  Name  des  Panthers  und  Leoparden,  auch  Tigers  ist  dvipin  ; 


Digitized  by  Google 


Panther  —  Panzer. 


611 


andere  suchen  Erklärungen  im  Semitischen  (vgl",  darüber  Muss-Arnolt 
Transaetions  of  tlie  American  Phil.  Ass.  XXIII,  08).  Die  Römer,  die 
den  Panther  schon  hei  den  ersten  Tierhetzen,  die  Überhaupt  abgehalten 
wurden  (186  v.  Chr.i,  sahen,  haben,  ausser  panthera,  pantera,  panther, 
pardus,  pardaliv.  leopardu*.  für  Tiere  dieser  Gattung  den  Ausdruck 
rarm  .gefleckt'.  Vgl.  Uber  den  Panther  im  Altertum  Keller  Tiere  des 
kl.  A.  S.  140  ff. 

Palaoolithisehe  Epoche,  s.  Steinzeit. 

Panzer,  Bronzene  Rüstungsstücke  haben  sich  nach  dem  Norden 
Europas  aus  dem  Süden  nur  ganz  ausnahmsweise  verirrt  (vgl.  Linden- 
schmit  Altertümer  I,  III,  1;  1,  2,  3  u.  I,  XI,  1;  6,  7;  über  einzelne 
Rüstungsteile  aus  dem  Grabfeld  v.  Hallstatt  vgl.  v.  Sacken  S.  43  f.). 
Öfter  kommen  dagegen  Reste  eiserner  Kettenpanzer  (s.  u.  Kette* 
vor,  die  aus  einheimischen  keltischen  Arbeitsstätten  hervorgegangen 
sind  (s.  u.). 

Im  Süden  Europas  ist  bereits  der  homerische  Held,  wie  auch 
schon  der  mykenische  Krieger  (vgl.  Schlicmann  Mykenae  S.  Iö3).  mit 
Harnisch  und  Beinschienen  bewaffnet.  Die  Benennungen  dieser  Schutz- 
waffen erweisen  sich  aber  als  einzelsprachliche  Bildungen  (9wprjt 
,Panzer'  :  sert.  dhdraka-  , Behälter',  Kvr|uTb€<;  , Beinschienen'  :  Kvr)ur) 
jSchienbein  ),  wie  denn  überhaupt  in  der  Terminologie  dieser  Begriffe 
jede  vorhistorische  Gemeinschaft  fehlt,  über  die  römischen  Ver- 
hältnisse berichtet  Varro  De  lingua  lat.  V,  24:  Loricu,  quod  elorh 
de  corio  crudo  pectoralia  faciebant;  postea  xubeidit  Galliea  e  ferro 
&ub  id  vocabulum,  ew  anuU»  ferrea  tunka.  Demnach  hätten  die  Römer 
ursprünglich  nur  den  ledernen  Koller  besessen  und  ihn  später  mit  dem 
gallischen  Kettenpanzer  vertauscht,  während  die  Entlehnung  von  griech. 
8wpalE  {thorax)  für  den  Plattenpanzer  und  KaidqppaKTo^  (cataphmctux) 
für  den  Schnppenpanzer  auf  griechische  Einflüsse  deutet.  Der  letztere 
scheint  zuerst  durch  die  Perser  in  Europa  bekannt  geworden  zu  sein, 
die  ihn  schon  auf  ihren  Zügen  nach  Griechenland  trugen  (vgl.  Herod. 
VII,  61;  genieiniran.  aw.  zräda-,  pehl.  zirid,  kurd.  ziri  u.  s.  w.,  vgl. 
Horn  Grundriss  S.  146  f.).  Lat.  oereae  , Beinschienen'  wird  mit  lit. 
aükle  , Fussbinde'  verglichen. 

Was  die  Beziehungen  der  Römer  zu  den  Galliern  auf  diesem  Ge- 
biete der  Bewaffnung  anbetrifft  (s.  auch  u.  Eisen,  Sc  h  w  e  r  t  und 
Spiess).  so  ist  nur  auffallend,  dass  die  Kelten  ihre  eigene  Benennung 
des  Panzers  (ir.  luirech,  kymr.  Uttryg)  aus  dem  lat.  lörica  entlehnt 
haben  und  sonst  keine  alten  Namen  für  diese  Schutzwaffe  zu  besitzen 
scheinen.  Doch  weisen,  wie  die  italischen,  so  auch  die  Verhältnisse 
des  nördlichen  Europa  auf  das  Gebiet  der  Kelten,  von  denen  Diodorus 
V,  30  berichtet :  0wpaica<;  fxoufftv  o'i  u£v  o*ibn,poü<;  äXuo*ibu»TOu?  [  Ketten- 
panzer), und  bei  denen  Tac.  Ann.  III,  43  ganz  in  Eisen  gekleidete 
Leute  (cruppellarii)  kennt,  als  auf  einen  wichtigen  Ausgangspunkt 


Digitized  by  Google 


012 


Tänzer  —  Papagei. 


eiserner  Bepanzerung  hin.  Auf  das  keltische  ir.  bruinne  , Brust'  geht 
das  gcmeingerm.  got.  brunjö,  alid.  hrttnja.  agls.  byrne,  altn.  brynja 
,  Brünne'  zurück,  das  weiter  ins  Slavische  (altsl.  brünja,  bronja)  ent- 
lehnt wurde  (vgl.  auch  alt  frz.  bronie,  prov.  bronha,  mlat.  brugna).  In 
ganz  analoger  Weise  ist  aus  lat.  pante.v  , Wanst'  die  romanische  Sippe: 
sp.  pancera,  altfrz.  panchire  n.  s.  w.,  mhd.  panzier  hervorgegangen. 
In  letzter  Instanz  im  Keltischen  (ir.  tarn  , Eisen',  kymr.  haearn)  wurzelt 
endlich  auch  die  romanische  Familie  von  altfrz.  harnatx,  it.  arnese  etc., 
mhd.  härnaschy  altn.  hardnexkja,  während  frz.  cuirasse,  it.  corazza, 
unser  lilrnss  :  lat.  corium  .Leder'  gehören.  Einheimischen  Ursprungs 
ist  dagegen  das  gemeingerm.  ahd.  hahperga,  agls.  heahbeorg,  altn. 
höhbjörg  (fr/.,  haubert),  einen  eisernen  offenen  Halsring  bezeichnend, 
wie  sie  die  La-Tene-Kultur  kennt,  und  wie  sie  in  Ungarn  vgl.  v. 
Sacken  S.  44)  gefunden  worden  sind.  Im  übrigen  ist  der  Panzer 
im  deutschen  Altertum  bis  in  die  ersten  Zeiten  des  Mittelalters  hinein 
selten  gewesen  (vgl.  Tac.  Germ.  Cap.  6:  paueix  loricae  und  Beck 
Geschichte  des  Eisens  I,  724  ff.).  Den  Slaven  aber  wird  noch  von 
Prokop  B.  G.  III,  14  jede  Bcpanzernng  abgesprochen:  „In  die  Schlacht 
zieht  die  Menge  zu  Fuss  mit  kleinen  Schilden  und  Wurfspiessen.  durch- 
aus ohne  Panzer,  einige  selbst  ohne  Leibrock  und  Mantel,  nur  mit 
einer  Bruch  um  Hüften  und  Lenden". 

Auch  aus  anderem  Material  als  Metall  und  Leder  gefertigte  Panzer 
sind  in  der  Kriegsgeschichte  Alt-Europas  zu  erwähnen.  Zunächst  der 
L  i  n  n  e  n  panzer,  über  den  V.  Hehn  Kulturpflanzen ,:  S.  167  f.  alles 
Material  gesammelt  hat.  Ferner  im  äussersten  Osten,  bei  Sarmaten 
und  den  germanischen  Quaden  der  Horn  panzer,  d.  h.  hörnerne  Schuppen 
von  Pferdehufen,  aufgenäht  auf  lederne  oder  linnenc  Unterkleider  vgl. 
Pausanias  I,  21,  ö  und  Ammianus  Marcellinus  XVII,  12,  2).  W.  K. 
Sullivan  bei  0*  Curry  Manners  and  Customs  I,  CCCCLXXV  vermutet, 
dass  ir.  conganchnes,  ein  Ausdruck  für  Bepanzerung,  zu  congan  ,Horn' 
gehöre  und  mit  dieser  Sitte  zu  verbinden  sei.  —  S.  n.  Waffen. 

Papagei.  Die  erste  griechische  Nachricht  über  diesen  merk- 
würdigen Vogel  rührt  von  dem  um  400  am  persischen  Hofe  lebenden 
Arzte  Ktesias  her:  Kai  rcepi  toö  öpveou  toö  ßinaKOu,  ön  fXwooav 
äv6piumvr|v  £x£l  Kai  <pu>vr)v,  uereöoq  yfcv  öcrov  ufpctE,  Trop<pupeov  bfc 
npööaiTTOV,  Kai  7Tu>Yujva  <p€p€i  ue'Xava,  aÜTÖ  bk.  Kuäveöv  £ötiv  uiq  töv 
Tpdxu.Xov,  üü0TT€p  Kivvdßapi.  bia\€TCO"6ai  bk  auto  ujonep  dvGpujTrov, 
'lvbio"Ti.  äv  bfc  'EXXnvtoVt  uäGrj,  xai  'EXXn,vio*Tt  (vgl.  C.  Müller  Ctes.  frgm. 
Ö7,  3).  Seit  Alexander  geschieht  des  Tieres  dann  häutig  Erwähnung. 
Die  Formen,  in  denen  sein  Name  auftritt,  lauten  ßiTTaKÖq,  oirraKOS  und 
»varaKO«;. 

Die  Heimat  des  Papageis  ist  Indien,  und  schon  die  Vedcn  kennen 
ihn  als  redebegabten  Vogel.  Was  wir  also  für  das  Griechische  er- 
warten dürfen,  ist  ein  Lehnwort  aus  dem  Indischen,  wahrscheinlich  in 


Digitized  by  Google 


Papagei  —  Patenschaft. 


Gl  3 


iranischer  Lantgcstalt.  Nun  lieisst  der  Papagei  sert.  (;üka-,  persisch 
/«/*,  hind.  töta,  und  es  ist  kulturgeschichtlich  wahrscheinlich,  dass  mit 
dieser  Sippe  die  griechischen  Wörter  irgendwie  zusammenhängen;  doch 
ist  die  lautgeschichtliche  Vermittlung  noch  nicht  gelungen.  Ans  lat. 
pttittacus  ist  ahd.  nhd.  sittich  entlehnt.  —  Auf  einen  anderen  und 
jüngeren  Weg  der  Verbreitung  des  Vogels  deutet  altfr/..  papegai,  nihd. 
papegän,  arab.  babagä,  armen,  paphay  (vgl.  Hiibschmauu  Z.  d.  D. 
M.  G.  XLV1,  548),  dessen  Ausgangspunkt  aber  ebenfalls  unbekannt  ist. 

Papier,  s.  Papyrus  und  .Schreiben  und  Lesen. 

Pappel,  s.  Espe. 

Papyrus.  Die  Papyrusstaude  (J'apymx  Cyperu*  L.),  die  sich 
gegenwärtig  aus  Ägypten  zurückgezogen  hat,  war  im  Altertum  eines 
der  für  dieses  Land  charakteristischsten  und  zugleich  nützlichsten  Ge- 
wächse. Ihre  Wurzeln  und  der  untere  Teil  ihres  Schaftes  diente  als 
Nahrung,  aus  der  Rinde  und  den  Halmen  verfertigte  man  Segel, 
Matten,  Teppiche,  Seile,  Gewänder,  Körbe,  Sandalen,  Mehlsiebe,  Bote, 
vor  allem  aber  lieferte  der  Papyrus  in  seinen  feinen  Häuten  den 
Ägyptern  seit  dem  III.  Jahrtausend  v.  Chr.  den  Stoff  zur  Herstellung 
ihres  Schreibmaterials,  das  Papier  (vgl.  Woenig  Die  Pflanzen  im  alten 
Ägypten  S.  74  ff.).  Es  ist  begreiflich,  dass  eine  so  bedeutende  Pflanze 
frühzeitig  den  umwohnenden  Völkern  und  durch  sie  den  Griechen  und 
Römern  bekannt  werden  musste.  In  Griechenland  kommen  zwei 
Namen  des  Papyrus,  das  ältere  ßußXoq  und  das  jüngere  nctTrupo?  vor. 
Ersteres  begegnet  in  der  Adjcktivbildung  ßüßXivo?,  von  einem  Seile 
gesagt,  schon  in  der  Odyssee  (XXI,  391),  ßüßXos  (ßißXos)  in  der  Be- 
deutung , Buch'  ist  erst  bei  Aesehylos  und  Herodot  bezeugt.  Der  zuerst 
bei  Hesiod  begegnende  Ausdruck  ßißXtvo?  olvo?  ist  noch  nicht  sicher 
erklärt  (vgl.  darüber  V.  Hehn  a.  u.  a.  O.  S.  ;>53).  TTdiTupo<;  wird 
erst  von  Theophrast  an  genannt.  Beide  Namen  ermangeln  noch  einer 
völlig  überzeugenden  Deutung.  BußXo?  identifiziert  man  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  dem  Xamen  der  phönizischen  Stadt  BüßXoq  (=  hehr. 
Gebal,  assyr.  Gublä),  die  dann  als  wichtiger  Ausfuhrort  des  Papyrus 
zu  betrachten  wäre,  und  Lagardc  Mittl.  II,  2G0  f.  schlägt  eine  ähnliche 
Deutung  für  TTÖirupo?  vor,  das  mit  dem  Städtchen  Bflra,  einem  Küsten- 
orte des  Bezirks  von  Damictte,  zusammenhänget?). 

In  Europa  findet  sich  die  Papyrusstaude  in  freiem  Zustand  nur  in 
Sizilien  (vgl.  den  piano  del  papireto  bei  Palermo),  wohin  sie  aber 
erst  durch  die  Araber  im  IX.  Jahrhundert  eingeführt  wurde.  Über 
die  Geschichte  des  Papiers  s.  u.  Seh  reiben  und  Lesen,  Uber  eine 
eigentümliche  Verwendung  des  Papyrus  für  Bcleuchtungszwccke  s.  u. 
Licht.    Vgl.  auch  V.  Hehn  Kulturpflanzen«  S.  301  ff. 

Park  (Tierpark),  s.  Jagd. 

Pastinake,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Patenschaft,  s.  Verwandten  hei  rat. 


Digitized  by  Google 


614 


Pntriarchentum  der  Idg.  —  PeJzkleider. 


Patriarchentniii  der  Irtcr.,  s.  Familie,  Sippe.  Stamm. 
Pech,  s.  Fichte. 

Peitsche.  Ihre  Terminologie  zeigt  keine  Verwandtschaft.  Aus 
derselben  wird  griech.  (hom.)  nao-riE,  udjTn;  ,eine  Gerte  mit  Peitsehcn- 
rieiiien"  gewöhnlieh  zu  mdq  .Riemen',  ijjdo'8Xn.J  udaeXn.  ,Geisel'  gestellt. 
Wahrscheinlicher  ist  imlesscn,  dass  griceh.  udo*n£,  naern?  nichts  als 
eine  kürzere  Form  von  uao"Tixn  ,Harz  des  Mastixbaumes'  ist,  ein  Wort, 
das,  wie  lat.  lentiscus,  ursprünglich  Ha  um  und  Harz  bedeutet  haben 
wird.  Oder  vielleicht  war  ud<m<;  der  Baum  (wofür  später  o*xivoO, 
uaerrixn  das  Harz.  Thatsäehlieh  waren  die  Zweige  des  Mastixbaumes 
wegen  ihrer  Biegsamkeit  (vgl.  lat.  lentiscus  :  lenttts)  im  Altertum  als 
Reitgerten  beliebt  (vgl.  V.  Hehn  KnlturphV  S.  411).  Griech.  udparva 
»Geisel'  ist  ein  persisches  Lehnwort  (vgl.  Hübschmann  K.  Z.  XXXVI, 
175  f.).  Die  lateinischen  Ausdrücke  (scutica,  Jora,  flagrum,  flagelhtm  etc.) 
bieten  nichts  von  Interesse.  Gcmeingerm.  gilt  ahd.  geisala,  geisla, 
altn.  yeisl,  dessen  Grundbedeutung,  worauf  auch  das  urverwandte 
Xaio^  ,Hirtcnstah*  weist,  ,Stccken,  Stock'  war,  mit  dem,  wie  in  Indien 
(vgl.  seit.  ashtrd  ,Ochscnstachcr  als  pa^usödhani  ,die  Herden  auf 
den  rechten  Weg  führend'  bezeichnet),  in  Griechenland  (vgl.  griech. 
KtvTpov)  und  Italien,  auch  im  Norden  das  Vieh  ursprünglich  angetrieben 
worden  sein  mag.  Der  gotische  Ausdruck  hierfür  ist  hnupfi  ,o"kö\oi|/', 
mit  gairu  .Stachel'  glossiert  (über  die  Etymologie  vgl.  A.  Thumb  K.  Z. 
XXXVI,  WO  f.).  Besonders  reich  an  Ausdrücken  für  Peitsche  sind 
die  sl avischen  Sprachen.  Vgl.  russ.  pleti,  unser  „l'letteu  (:  altsl.  pletq 
, flechte'),  bicü  (woraus  nhd.  peitsche),  Inutn,  unser -Knute"  (vielleicht 
aus  got.  hntipö  entlehnt),  kamtulü  (aus  dem  Türkischen).  Lit.  botügas 
.Peitsche'.    Über  die  Stratc  des  zu  Tode  Peitschens  s.  u.  Strafe. 

Pelzkleider.  Da  die  Indogermanen  in  erster  Linie  ein  vieh- 
züchtendes Volk  waren,  und  die  Fanna  des  Urlands  Cberfluss  an  pelz- 
tragenden Tieren  hatte  (s.  u.  Viehzucht  und  Jagd),  so  ist  es  fast 
selbstverständlich,  dass  dieselben  die  Felle  der  Herden-  und  Jagdtiere 
für  ihre  Kleidung  benutzten.  Dies  wird  für  die  Nord  Völker  zudem 
durch  zahlreiche  Zeugnisse  der  Alten  bestätigt,  für  die  Britannen  durch 
Caesar  De  bell.  Gall.  V,  14:  (Inferiore*)  pellibus  sunt  restiti,  für  die 
Germanen  durch  denselben  Autor  VI,  21:  Cuius  rei  (des  Geschlechts- 
Umgangs)  nulla  est  occultafio,  quod  et  promixeue  in  fluminibus 
perluuntitr  et  pellibus  mit  parvis  renonttm  tegimentis  utuntur  magna 
corporis  parte  nttda  und  IV,  1 :  Atque  in  eam  se  consuetudinem 
addujcerunt,  ut  locis  f rigidissimi*  neque  testitus  praeter  pellis  ha- 
berent  quiequam  .  .  .  .,  ebenso  wie  durch  Tacitns  Germ.  Cap.  17: 
Gerunt  et  ferarum  pell  es }  pro.rimi  ripae  negligenter,  ulteriores  ex- 
quisitius  ut  quibus  nullus  per  commercia  cultus.  eligunt  feras  et  de- 
tracta  velamina  spargunt  macidis  pellibusque  beluarum.  Weitere 
Nachrichten  über  Geten,  Thraker  und  Skythen  vgl.  bei  Beckmann 


Digitized  by  Google 


IVUkleider.  615 

Beyträge  V,  17  ff.  und  s.  unten!  Aber  auch  im  Süden  fehlt  es  nicht  an 
Ausläufern  jener  ältesten  Pelztraeht.  Hei  Homer  gebrauchen  Aga- 
memnon und  Diomedes  als  Obergewand  ein  Löwenfell,  Menelaos  ein 
Pardel-,  Dolon  ein  Wolfstell,  Enmaeos  noch  Uber  der  Chlaina  eine 
voKn,  ctrröq  u.  a.  (vgl.  Studniezka  Heiträge  zur  Gesch.  d.  altgrieeh. 
Tracht  S.  VI  f.).  Auch  kann  bei  den  Griechen  auf  die  fellumgürtete 
Gestalt  des  Herakles,  bei  den  Römern  auf  die  patres  pellitt  [des 
Proper/  'Eleg.  IV,  1,  Ii»)  verwiesen  werden.  Niedere  Bevölkerungs 
schichten  oder  zurückgebliebene  Stämme  trugen  auch  in  historischer 
Zeit  noch  lange  in  Griechenland  die  ursprüngliche  Felltracht  fbicpttpa, 
(Tiaüpa,  (Jtcfupvov  von  ööq  .Schwein  ),  wie  man  in  Euböa  und  Phocis 
Röcke  aus  Schweinshaut  trug  (vgl.  J.  Müller  Privatalt.8  S.  72). 

Unter  diesen  Umständen  begreift  es  sich,  warum  mehrere  Benen- 
nungen  des  Gewandes  oder  von  Gewandarten  in  den  idg.  Sprachen 
aus  Wörtern  hervorgegangen  sind,  welche  ursprünglich  ,Fell  oder  dergl. 
bedeuteten.  Es  sind :  griech.  vaicn.,  vrixoq  .Vliess*  KcmuvuKn,  .ein  Sklaven- 
kleid') =  got.  xnaga  ,Gewand';  griech.  ßaini  , Kleid  aus  Zicgenfcll'  — 
got.  paida,  ahd.  pheit,  ahs.  pfda  .Gewand',  ,Xitwv',  got.  gapaidon 
,£vbueiv';  altsl.  koza  , Ziege',  koza  *kog-ja  ,Haut,  Leder',  eigentlich 
,Ziegenfeir  —  gemeingerm.  got.  haktth  u.  s.  w.  .Mantel';  griech.  ßupo*a 
,Rindshaut'  =  ahd.  ehursina,  agls.  er  Anne.  , Pelzrock'  (woraus  altsl. 
Icrüzno,  mlat.  ermna,  entsinn  ;  thrak.  EaXud<;  , Fell'  in  ZüXmoEn;  (vgl. 
V.  Hehn  KulturphV5  S.  ö3<>,  f>3 "-5 )  =  griech.  xXauü«;  ,Oberkleid'  'dazu 
xXcuvct  aus  *xXauict  id.?). 

Auch  die  Möglichkeit  des  Zusammenhangs  von  griech.  Tie-irX-o-«;  und 
lat.  pallium  (*j)f-n-jo  )  mit  dem  u.  Körperteile  genannten  *pel-no-, 
*pello-,  lat.  pellis  ,FcIP  wird  man  unter  diesen  Umständen  nicht  von 
der  Hand  weisen  können. 

Doch  waren  schon  in  der  idg.  Urzeit,  in  der  man  sich  bereits  auf 
die  Künste  des  Spinnens  und  Webens  (s.  g.  d.  d.)  verstand,  Felle 
nicht  mehr  die  einzigen,  wenn  auch  wohl  die  häufigsten  Gewandstoffe. 
S.  auch  u.  Nadel  und  über  die  Behandlung  der  Felle  u.  Leder. 

Im  Süden  Europas  ist  die  aus  der  Urzeit  ererbte  Felltracht  natur- 
gemäss  bald  aus  der  Mode  gekommen,  und  erst  die  historischen  Be- 
rührungen der  Griechen  und  Römer  mit  den  Harbaren  des  Nordens 
lassen  bei  den  klassischen  Völkern  den  Gebrauch  des  Pelzwerks,  jetzt 
aber  als  eines  Lnxusgegcnstands  der  Reichen,  allmählich  wieder 
aufleben.  Zahlreiche  Namen  hochnordischer  Pelztiere  und  -kleider 
werden  nun  im  Süden  bekannt. 

Am  frühsten  wird  hier  der  Handel  des  Schwarzen  Meeres  vermittelt 
haben.  Die  Nachrichten,  die  schon  Hcrodot  an  dessen  Küsten  über 
den  Nordosten  unseres  Erdteils  sammelte,  gehen  über  die  sk vthischen 
Steppenlandschaften  weit  hinaus  in  den  litu-slavischen  und  finnischen 
Norden,  der  von  Bibern,  Ottern,  Eichhörnchen.  Mardern  u.  s.  w.  wimmelte, 


Digitized  by  Google 


616 


Pelzkleider. 


und  wo  seit  uralten  Zeiten  Grauwerk  das  gewöhnliche  Zahlungsmittel 
im  Handelsgeschäft  (s.  u.  Geld)  ist. 

Als  die  frühste  sprachliche  Spur  dieser  hoehnordischen  Beziehungen 
darf  man  vielleicht  das  zuerst  bei  Aristophanes  (Wespen  1137)  auf- 
tauchende Kauväioi  (lat.  gaunaatm)  »eine  barbarische  Pclzart'  betrachten, 
das  sich  ungezwungen  zu  altpr.  caune,  lit.  kuhtne,  slav.  kann,  kunica 
(wotj.  koni,  mlat.  catina)  ,Marder'  stellt.  Indessen  ist  das  Wort  zu 
den  Griechen  vielleicht  erst  durch  orientalische  Vermittlung  gekommen, 
da  die  KtxuvdKn.  vorwiegend  als  persisch-babylonisches  Kleidungsstück 
bezeichnet  wird,  llcbr.  gönak  (im  babylonischen  Talmud,  vgl.  Lagarde 
Ges.  Abb.  S.  20(3)  freilich  dürfte  kaum  mehr  als  eine  Entlehnung  aus 
dem  Griechischen  sein.  Sicher  tritt  das  nordpontischc  Pelzwerk  mit 
der  Erwähnung  der  „Politischen  Mäuse"  (uöeq  TTovTiKoi,  mures  l'ontici, 
zuerst  bei  Aristoteles)  in  die  südliche  Kultur  ein,  ohne  dass  sich  dieser 
Sammelname  mit  Sicherheit  auf  ein  bestimmtes  Tier  beziehen  Hesse. 
S.  auch  u.  R  a  1 1  e.  Unter  diese  mures  Pontici  wird  auch  der  von 
Hesych  genannte  o"iuwp  zu  rechnen  sein  (Tiapd  ndp0oi<;  KaXtiTai  ti  uuö? 
dtpiou  eibo?,  oü  rd?  bopd^  xpwviai  ttpo?  xiTluva?)-  Vgl.  pcrs.-türk. 
mniür,  arab.  saiumür  (häufig  bei  Frähn  I bu  Fosslan  als  russischer 
Ausfuhrartikel),  ngrieeh.  actpoüpi  u.  s.  w. 

Dem  t  h  raki  sehen  Sprachkreis  dürfte  die  zuerst  von  Ilerodot  in 
Beziehung  auf  dieses  Volk  genannte  Zeipd  ,Wildschur*  (vgl.  altsl.  zcerl 
,Wild")  angehören,  dem  nicht  lange  vor  ihm  eröffneten  oder  wieder- 
cröffneten  Bcrnsteinhandel  mit  dem  Ostbaltikum  (s.  u.  Bernstein) 
wird  Pliuius  das  nur  ihm  bekannte  cirerra  «Eichhörnchen*  (altpr. 
temare,  s.  u.  Eichhorn)  verdanken.  In  die  kcltisch-gerniauische 
Welt  führt  die  Erwähnung  der  renones  (s.  o.  und  bei  Sallustius:  Ger- 
man* intectum  renonibus  corpus  tegunt  und  Vestes  de  pellibus 
renones  tocantur)  ,ein  nordisches  Pelzwams',  von  Varro  als  gal- 
lisches Wort  bezeichnet,  aber  etymologisch  noch  nicht  sicher  erklärt 
(eine  Vermutung  vgl.  in  Sprach vergl.  u.  Urgesch.*  S.  474),  ebenso 
wenig  wie  die  mastruca,  die  in  Sardinien  heimisch  zu  sein  scheint 
(über  beide  Wörter  s.  L.  Diefenbach  0.  E.).  In  späterer  Zeit  ist  der 
gemeingerm.  Name  des  Marders  (s.  u.  Wiesel)  ahd.  mardar  in  das 
Mittellatciiiische  und  Romanische  (martns,  tnartre)  übergegangen. 

Auch  die  Xamen  für  die  kostbarsten  Pelztiere  des  öussersten  Xord- 
ostens,  den  Hermelin  und  Zobel,  treten  nun  in  Europa  hervor.  Zur 
Bezeichnung  des  ersteren  bedient  sich  das  Deutsche  eines  alten  Namens 
für  das  Wiesel  harmo,  mhd.  hermelin,  woraus  mlat.  harmellina,  har- 
meUmiH,  ermelinus,  die  in  den  romanischen  it.  armeUino,  prov.  ermin, 
frz.  erme  mit  Bildungen  aus  einem  lat.  mu*  armenim  =  mm  pontku* 
zusammengeflossen  sind.  Der  gemeinsl.  Name  des  Tieres  ist  russ. 
gornostaj  etc.  (dunkel). 

Für  den  Zobel  gilt  die  Reihe  russ.  soboli,  mlat.  sabellum,  mhd. 
zobel,  it.  zibeUino  u.  s.  w. 


Digitized  by  Google 


Pelzklekler  —  Pfand. 


617 


Aus  dem  Germanischen  stammt  mlat.  crusna,  cruxina  (s.  o.)  und 
grixeum,  grisium  (:  mhd.  grix  ,grau)  ,Grauwerk',  wie  umgekehrt  mlid. 
belliz.  nhd.  pelz  aus  mlat.  pelliceux.  Eine  roumnische  Xeuschöpfung 
ans  lat.  variux  ,hunt'  ist  prov.  t-fi/V*  ,Grauwerk',  vaimdor  .Kürschner' 
etc.  —  Vgl.  Beckmanu  Pelzkleidcr,  Beyträge  V,  1  — TG.  —  S.  auch 
u.  Kleidung. 

Perle.  Mit  dem  Bekanntwerden  des  arabischen  und  indischen 
Meeres  tritt  auch  die  Perle  in  den  Gesichtskreis  des  Abendlandes.  Sie 
wird  zuerst  bei  Theopbrast  als  uapYaptTn?  (sc.  \\Qo<;)  genannt,  ein 
Wort,  das  man  ans  seit,  maftjari  ,Bltttcnkuöpfehen,  Perle  abzuleiten 
sucht.  Aus  dem  Griechischen  stammt  lat.  margurita  (Cic),  das  früh- 
zeitig von  den  germanischen  Sprachen  übernommen  wurde:  got.  mari- 
kreitux,  agls.  meregreot,  ahd.  meri-grhz  (in  „Meergrie$su  umgedeutet). 
Viel  später  ist  ahd.  pi:rala  aus  einem  vorauszusetzenden  lat.  *pirula 
,kleinc  Birne":  denn  mit  Birnen  hatte  schon  Plinius  die  Perlen,  über 
die  er  Hist.  nat.  IX,  110  ff.  ausführlich  handelt,  nach  ihrer  Gestalt 
verglichen  (vgl.  auch  lat.  t'tuio,  eigeutl.  .Zwiebel").  In  ganz  andere 
Richtung  weist  die  slavische  Sippe  von  russ.  zemvugft,  lit.  z'emcz'iügax. 
In  Indien  selbst  werden  Perlen  {Irqana-)  als  aus  dem  Meere  getischt 
(samudraja-)  schon  in  vedischer  Zeit  zu  allerhand  Zierat  verwendet. 
Über  perlen  f  ö  r  in  i  g  e  Schmuckgegenstände  s.  u.  Sc h  in  u e  k. 

Ferlhulm.  Es  wird  zuerst  von  Sophokles  in  seiner  Tragödie 
Meleagros  (Plin.  Hist.  nat.  XXXVII,  40)  erwähnt.  Seine  Heimat  ist 
in  Afrika  zu  suchen.  Wie  und  wann  es  von  dort  zu  den  Griechen 
gekommen  ist,  darüber  sind  nur  Vermutungen  gestattet  (vgl.  Hehn 
Kulturpflanzen S.  351).  Wahrscheinlich  ist  griech.  ueXcarpic  unter 
volksctymologischer  Anlehnung  an  deu  griechischen  Heros  Meleagros, 
aus  aw.  mereya-,  npers.  mury,  afgh.  marya  .Vogel',  besonders  ,Huhu' 
entstanden.  Ist  dies  richtig,  so  würde  man  anzunehmen  haben,  dass 
das  Bekanntwerden  des  Perlhuhns  von  Westen  und  des  Haushahns  von 
Osten  (s.  u.  Hahn)  bei  den  kleinasiatischen  Griechen  etwa  gleichzeitig 
erfolgte,  so  dass  eine  Übertragung  des  Xamens  des  noch  neuen  per- 
sischen Vogels  auf  das  mit  ihm  am  nächsten  verwandte  Perlhuhn 
möglich  war.  Die  Körner  haben,  worauf  die  Namen  Xumidicae  acex, 
Africae  arex,  gaüinae  Africanae  weisen,  das  schöne  Tier  direkt  von 
Afrika  her  erhalten.  Nach  Mittel-  und  Xordenropa  scheint  es  im  Mittel- 
alter nicht  übergegangen  zu  sein.  —  S.  u.  Viehzucht. 

Perrückenhaum,  s.  Terebinthaceen. 

Personennamen,  s.  Name. 

Pest,  s.  Krankheit. 

Petersilie,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Pfad,  s.  Strasse. 

Pfahlbauten,  s.  Haus. 

Pfand,  s.  Bürge. 


Digitized  by  Google 


618 


Pfau  -  Pfeffer. 


Pfau.  Das  Tier  stammt  aus  Indien,  wo  es  schon  im  Rigveda 
(scrt.  magti'ri  .Pfauenweibehen',  tamul.  majil)  genannt  und  wegen 
seines  seliönen  Gefieders  bewundert  wird.  Xach  Curtius  IX,  2  fand 
noch  Alexander  daselbst  Pfauen  in  wildem  Zustand  in  grosser  Menge 
in  einem  Wald  voll  fremdartiger  Bäume  vor.  Von  Indien  kam  der 
Vogel  unter  einer  anderen  indischen  Benennung  (hebr.  tukkijim  aus 
scrt.  rikhin-,  alttanml.  toghtti  zu  Israeliten  und  Phöniziern.  Ob  der 
Pfau  von  ihnen  oder  durch  iranische  Vermittlung,  worauf  der  Ausdruck 
des  Haidas  Mnbncd?  Öpvtq  fuhren  könnte,  den  Griechen  zugeführt  wurde, 
lässt  sich  nicht  entscheiden.  Jedenfalls  wird  auch  griceh.  xauüq,  att. 
Touj?  auf  das  genannte  fauiul.  toghai  in  letzter  Instanz  zurückgehn. 
Xach  Meuodotos  von  Sanios  Athen.  XIV,  p.  65;"))  wäre  der  Tempel 
der  Hera  daselbst,  welcher  das  Tier  geweiht  wurde,  der  Ausgangs- 
punkt der  Piaucnzneht  gewesen.  In  Athen  erscheinen  sie  als  allgemein 
angestaunte  Xatnrwunder  zuerst  nach  der  Mitte  des  V.  Jahrb.  Vgl. 
V.  Hehn  Kulturpflanzen ,:  8.  343  ff. 

Dunkel  ist  das  lat.  -ptivo,  ptivus,  das  kaum  mit  Tau»?  irgendwie  zu- 
sammenhängt. Es  kann  lautlich  urverwandt  mit  armen,  hav  ,Vogel, 
Huhn'  armen,  siramarg  ,Pfau',  vgl.  dazu  Hübschmann  Annen.  Gr. 
I,  237)  sein;  dann  wäre  pitvo  als  Benennung  einer  wilden  Hühnerart 
einheimisch  in  Italien  und  auf  den  Pfau,  als  er  daselbst  in  frühen 
Zeiten  bekannt  wurde,  übertragen  worden:  doch  trennt  Hilbschmann 
a.  a.  0.  I,  465  neuerdings  armen,  hav  von  lat.  ptivo,  um  es  zu  lat. 
avin  , Vogel'  zu  stellen.  Die  nordeurop.  Wörter  ahd.  phtheo,  agls.  ptitva, 
pt?a  (engl,  peacock),  altsl.  pavit,  altpr.  powis,  lit.  pöwas  zeigen  sämtlich 
Entlehnung  aus  lat.  ptivo.  Die  germanischen  Lantverhältnisse  beweisen, 
dass  diese  um  das  oder  vor  dem  VI.  Jahrhundert  statt  gehabt  haben 
muss.  In  dem  Capit.  Karls  des  Grossen  De  villis  XL  wird  des  Pfauen 
neben  anderen  Ziervögeln  (s.  u.  T  aub  e)  schon  gedacht,  noch  nicht, 
wie  es  scheint,  in  den  legibus  barbarorum.  —  S.  u.  Viehzucht. 

Pfeffer.  Mper  nigra m  ist  in  Malabar  heimisch.  Xur  die  an- 
gebaute Pflanze  liefert  Frucht:  die  reif  gewordene  Beere  den  weissen, 
die  unreife  den  schwarzen  Pfeffer.  Das  Gewürz  scheint  im  vedischen 
Zeitalter  noch  nicht  beachtet  worden  zu  sein.  Im  Ramayana  aber 
werden  die  Speisen  bereits  mit  Salz  und  pippala-  (eigentl.  , Beere  )  zu- 
bereitet. 

In  den  semitischen  Kulturkreis  ist  das  Gewürz  in  älterer  Zeit 
nicht  übergegangen.  Erst  im  Aramäischen  (  vgl.  Low  S.  317)  begegnet 
pilpel  (aus  sert.  pippala-  oder  pippali').  In  Griechenland  taucht 
der  Pfeffer  als  „indisches  Heilmittel"  für  Augenkrankheiten  (ö  tcaXeeiai 
TTtTrept )  zuerst  in  der  hippokrateischen  Schrift  De  morbis  inulierum  und 
als  Ingredienz  des  npÖTToua  bei  den  Dichtern  der  mittleren  Komödie, 
Antiphanes,  Eubulos,  Ophelion  etc.  (vgl.  Athen.  II,  p.  66)  auf.  Theo- 
phrast,  der  IX,  20  auch  eine  Schilderung  der  Pflanze  versucht,  kennt 


Digitized  by  Google 


Pfeffer. 


619 


den  Pfeffer  als  Gegenmittel  gegen  den  Schierling.  Das  gricch.  TTtTrept 
(woraus  lat.  piper,  Horaz)  deutet  mit  seinem  p  gegenüber  dem  indischen 
l  ipippala-  darauf  hin.  dass  das  Wort  durch  persische  Vermittlung 
zu  den  Hellenen  kam.  Den  direkten  Seeweg  nach  der  Heimat  des 
Pfeffers  schildert  der  Periplus  maris  erythräi,  nach  welchem  derselbe 
aus  Baryga/a,  und  namentlich  aus  Bakare  (an  der  Malabarküste)  aus- 
geführt wird:  (pt'peiai  bfe  Trerrepi,  uovofeviü?  iv  iv\  töttuj  toütiuv  tojv 
eurcopiwv  fevvwuevov  tto\ü.  Trj  Aerou€vn.  KoTtovapiKn,  (Katittinatja). 

Nach  und  nach  bürgert  sich  der  Gebrauch  des  Pfeffers  bei  Griechen 
und  Körnern  mehr  und  mehr  ein.  andere  vorher  gebrauchte  Gewürze, 
wie  namentlich  die  Myrtenbeeren  vgl.  Pliuius  XV,  IIS)  oder  den 
Schwarzkümmel,  Kümmel  und  Koriander  mehr  und  mehr  verdrängend. 
Sogar  der  Versuch,  den  Pfeffer  in  Italien  anzupflanzen  (piperis 
arborem  iam  et  Italia  haltet.  Plin.  XII,  29)  wurde  gemacht:  doch 
noch  Plutarch  (Symp.  VIII,  9,  :S.  2»i)  konnte  sagen:  Kai  TTCirepews 
ttoXXou?  icrucv  en  twv  TTpeaßuTt'puiv  Y€*JO"aaBai  un,  buvuuc'voui;.  Indessen 
fanden  die  Barbaren  bei  ihrem  Einbruch  in  Italien  grosse  Massen  des 
auch  ihnen  bald  zusagenden  Gewürzes  vor.  und  Alarich  legte  der  Stadt 
Rom  im  Jahre  410  u.  a.  eine  Kontribution  von  300»)  Pfd.  Pfeffer  auf. 
Von  Italien  ist  denn  auch  lat.  piper  frühzeitig  in  alle  Sprachen  des 
Nordens  eingedrungen:  ahd.  p/'i/far,  agls.  pipor,  altn.  piparr,  altsl. 
plprü  u.  s.  w.  Ausführlich  handelt  von  diesem  Übergang  des  Pfeffers 
in  die  mittelalterliche  Welt  und  seine  Geschichte  innerhall)  derselben 
Flüekiger  Pharmakognosie2  S.  Stff)  ff.  Vgl.  auch  C.  Hartwich  Ans 
der  Geschichte  der  (Je würze  Apotheker-Zeitung  1894  Xr.  43,  44,  4(5. 
Man  kann  ohne  Übertreibung  den  Pfeffer  den  Mittelpunkt  des  ganzen 
mittelalterlichen  Handels  nennen.  Neben  piper  (frz.  poicre\  kommt  in 
den  romanischen  Sprachen  ein  zweites  Wort:  sp.  pimiento  etc. 
,Pfeffer'  auf.  Es  hat  seine  Quelle  in  lat.  pigmentum  , Kräutersaft',  ein 
Ausdruck,  der  im  Mittelalter  als  Kollektivbczeichnung  der  Gewürze 
gebraucht  wurde.  So  werden  in  einer  mittelalterlichen,  alle  möglichen 
Gebrechen  heilenden  Salbe  aus  d.  IX.  Jahrh.  (vgl.  Glossae  Theotiscae 
bei  v.  Fischer- Benzon  Altd.  Gartcnn".  S.  188  f.)  als  pigmenta  genannt: 
zadttar  (Zittwer),  cinnamomum  iZimmcti,  gingiber  (Ingwer),  costo 
(Kostus),  reopontico  ('Rhabarber),  pipere  Pfeffer),  gentiana  (eine 
Enzianart),  gariofilae  (Gewürznelke).  Vgl.  auch  ahd.  phuinta,  piminza 
jGewürz',  , Würzwein'.  Endlich  ist  auf  einen  dritten  romanischen 
Namen  für  den  Pfeffer  oder  für  eine  neue  Pfefferart  V)  zu  verweisen, 
der  aber  erst  durch  die  Araber  in  Europa  aufkam:  frz.  eubebe  etc. 
aus  arab.  labtiba. 

Etwas  von  Piper  nigrum  L.  gänzlich  verschiedenes,  obwohl  ge- 
wöhnlich mit  dessen  Namen  benannt,  ist  Capsicum  annuum  L.  spa- 
nischer, türkischer,  indischer  Pfeffer",  .Sehotenpfeffer'  etc.  Er  hat  wahr- 
scheinlich seine  Heimat  in  Brasilien  und  ist  erst  in  neuer  Zeit  bekannt 


Digitized  by  Google 


i;2o 


Pfeffer  -  Pfeil  und  Bo^en. 


geworden  (vgl.  De  Candollc  Ursprung  der  Kulturpfl.  S.  363).  —  8.  u. 
Ge  würze. 

Pfeil  und  Bogen.  Diese  Wulfe  wurde  schon  wälirend  der  Stein- 
zeit von  den  Bevölkerungen  Europas  gehandhabt.  Allerdings  sind  aus 
dieser  Epoche  nur  wenige  Bogen  seihst  auf  uns  gekommen,  da  alle 
aus  Hol/  verfertigten  Gegenstände  ohne  das  Hinzutreten  besonderer 
Umstände,  wie  natürlich,  schnell  der  Fäulnis  verHelen.  Nur  im  Schweizer 
Pfahlbau  von  Robenhausen  haben  sieh  Bogen  aus  Eibenholz,  im  Mond- 
see Bruchstücke  von  solchen  erhalten.  Um  so  lebendigeres  Zeugnis 
legen  die  zahllosen  teils  feuersteinenen  (mehr  im  Westen  und  Norden), 
teils  knöchernen  (mehr  im  Osten)  Pfeilspitzen  ab,  welche  bis  tief  in 
die  metallische  Zeit  ragen,  wie  die  Ausgrabungen  in  Mykenae  (vgl. 
Schlicmann  M.  S.  313)  ebenso  wie  die  im  skandinavischen  Norden 
(vgl.  Montelius  Die  Kultur  Schwedens2  S.  61) i  gelehrt  haben.  Keines- 
falls darf  die  in  Schweden  ebenso  wie  in  Dänemark  (vgl.  S.  Müller 
Nordische  Altertumskunde  I,  2f>3)  auffallende  Abwesenheit  bronzener 
Pfeilspitzen  mit  S.  Müller  a.  a.  0.  auf  einen  nur  ausnahmsweise!)  Ge- 
brauch des  Bogens  bezogen  werden,  da  die  nordischen  Felsenbilder 
häufig  Bogenschützen  darstellen. 

Bemerkenswert  an  jenen  ältesten  metallloscn  Pfeilspitzen  ist,  dass 
sie  oft  mit  Wiederhaken  versehn  sind,  was  bei  den  knöchernen  durch 
Einfügung  kleiner  Feuersteinsplitter  in  seitliehe  Kinnen  erreicht  wird, 
und  dass  sie  vielfach  an  dem  Schaft  vermittelst  Peches  befestigt  sind. 
Eine  Vorrichtung  zur  Aufnahme  von  Gift  ist  an  den  Pfeilspitzen  der 
neolithischen  Zeit  nicht  wahrnehmbar:  hingegen  zeigen  viele  bronzene 
Pfeilspitzen  eine  Tülle  mit  einem  seitlichen  Loche,  welches  der  in  die 
Tülle  gelegten  Giftpille  den  Austritt  in  die  Wunde  gcsiattcte,  sobald 
der  Pfeil  auftraf  (nach  M.  Much). 

Die  sprachliehen  Gleichungen,  aus  denen,  entsprechend  dem  ge- 
schilderten archäologischen  Befund,  sich  die  Bekanntschaft  der  I n do- 
ger manen  mit  Pfeil  und  Bogen  ergiebt,  sind:  griech.  ßiö?  , Bogen, 
Bogensehne'  =  sert.  jyd\  aw.  jyd-  , Bogensehne';  griech.  iöq  ,Pfeil'  = 
sert.  ishu-,  aw.  ixu-  (ir.  eo  ist  in  die  Bedeutung  , Nadel"  ausgewichen). 
Auf  Europa  beschränken  sich  lat.  arcus  ,  Bogen' =got.  arhieazna  , Pfeil', 
agls.  earh,  altn.  ör  und  ahd.  xträla  =  altsl.  strela  , Pfeil'.  Vgl.  noch 
sert.  snd'can-,  aw.  sndcar-,  griech.  veüpov,  ahd.  nvnawa  ,Sehne'  (auch 
»Bogensehne)  und  lit.  temptyica,  altsl.  ttfha  id.  Sonst  heidst  der  Bogen 
der  ,gebogene',  wie  ahd.  bogo,  agls.  boga  (vgl.  ir.  fidbocc  ,arcns 
ligneus  )  und  altsl.  Iqkü  (:  l$*ti  »biegen*,  lit.  liilkis  ,Bogenlinie'),  oder 
er  ist  nach  dem  Holze  benannt,  aus  dem  er  gefertigt  wurde:  griech. 
to£ov  , Bogen'  (neben  dem  Hübschmann  Z.  d.  Deutsch.  Morgen!.  Ges. 
XXXVIII,  430  ein  npers.  teyjt  , Pfeil'  nennt)  :  lat.  ta.rus  ,Eibc",  altn. 
yr  eigeutl.  ,Eibe',  dlmr  eigcntl.  ,Ulme';  über  sert.  dhdnvan-  8.  u. 
Fichte. 


Digitized  by  Google 


Pfeil  und  Hogrn. 


621 


Vergiftete  Pfeile  begegnen  mehrfach  auf  idg.  Völkerhoden.  Im 
Rigveda  (VI,  75,  15)  werden  zwei  Gattungen  von  Pfeilen  unterschieden: 
„Er,  der  mit  Gift  bestrichene,  hirsehhörnige  und  er,  dessen  Maul  Erz 
ist".  Nach  der  Odyssee  (I,  260)  fährt  Odysseus  nach  Ephyra,  um 
Gift  zum  Vergiften  seiner  Pfeile  zu  holen,  das  ihm  aber  der  Mermcride 
Hos  nicht  gab,  weil  er  „den  Zorn  der  ewigen  Götter  fürchtete".  Möglich 
ist,  dnss  griech.  öiaxöq  , Pfeil'  selbst  (:  iöq  ,Gift';  o  ans  um,  wie  in  ö-TrciTpoq, 
ö-lvZ)  den  , vergifteten'  bezeichnet.  Auch  den  alten  Slaven  ilicXäßoi 
Kai  "AvTai)  wird  von  dem  Strategikcr  Maurikios  (Mttllenhoff  I).  A.-K. 
II,  37)  der  Gebrauch  des  hölzernen  Mogens  mit  kleinen  vergifteten 
Pfeilen  zugeschrieben.  Man  kann  zweifelhaft  sein,  ob  man  es  hierbei 
mit  altidg.  Barbarei  oder  mit  einem  die  Einführung  metallener  Pfeil- 
spitzen (s.  o.)  begleitenden  Eindringen  eines  orientalischen  Brauches  zu 
thun  >hat. 

In  historischer  Zeit  hat  der  Bogen,  ähnlich  wie  Keule  und  Axt 
(s.  s.  d.  d.i,  bereits  angefangen,  als  Kriegswaffe  in  den  Hintergrund 
zu  treten.  Er  gehört  nicht  mehr  zur  regulären  Bewaffnung  des  home- 
rischen Helden.  Nur  die  Lokrcr  sind  „auf  den  Boi;en  vertrauend  und 
die  wohlgedrehte  Flocke  des  Schafes"  (II.  XIII,  710;  gen  Ilios  gezogen. 
Aber  Herakles,  der  griechische  Nationalheld,  wird  noch  in  der  Unter- 
welt als  mit  Bogen  und  Pfeil  ausgerüstet  gedacht  (Od.  XI,  607).  Auch 
in  der  Bewaffnung  des  servianischen  Heeres  kommt  der  Bogen  nicht 
mehr  vor.  der  erst  durch  die  Hilfsvölker  wieder  bekannter  in  Rom 
wird.  Ebenso  spielt  er  hei  Kelten  und  Germanen  zur  Zeit  der  Römer- 
kriege keine  Rolle  mehr,  wie  denn  auch  in  der  La  Tcne-Pcriode  nur 
selten  Pfeilspitzen  gefunden  werden  (Hönies  Urgeschichte  der  Menschheit2 
S.  150).  In  Skandinavien  sind  dagegen  aus  dieser  Epoche  Bogen  und 
eiserne  Pfeilspitzen,  auch  ein  Köcher,  ans  Licht  gekommen  (Montelius 
S.  104);  später  tritt  auch  hier  der  Bogen  mehr  und  mehr  in  die  Stellung 
einer  Jagdwatte  zurück  (Weinhold  Altn.  Leben  S.  205).  Erhalten  hat  sich 
der  alte,  ureuropäische  Bogen  mit  dem  knochengespitzten  Pfeil  als 
regelmässige  Kriegswaffe  noch  in  der  Überlieferung  des  Altertums  im 
äussersten  Osten  unseres  Erdteils,  bei  nichtidg.  Völkern.  Vgl.  über 
die  Finnen,  die  auch  einheimische  Namen  für  Bogen  und  Pfeil  (jottsi 
und  nuoli)  besitzen,  Tacitus  Germ.  Cap.  46:  Xon  arma  ....  sola 
in  sagittis  spe«,  quas  inop'm  fern,  oxHibus  asperani,  Uber  die  Sarmatcn 
Pausanias  I,  21,  5:  öctetva?  äiciba?  im  toi?  öiöton;  und  im  Toiq  bö- 
paffi  alxuäq  ötfTctvaq  dvfi  o"ibn.pou  <popoöo"t,  über  die  Hunnen  Amminnus 
Marcellinus  XXXI,  2,  9  u.  a. 

Noch  ist  zweier  Entlchnungsreihen  auf  dem  Gebiete  der  Pfeil- 
namen zu  gedenken,  welche  beide  von  Italien  ausgehend  nach  dem 
Norden  Europas  verlaufen:  einmal  ist  das  lat.  (Übrigens  ganz  dunkle) 
mgitta  ,Pfeil'  in  die  keltischen  Sprachen  übergegangen  (ir.  saiget, 
kynir.  saeth)t  das  andre  Mal  haben  die  Germanen  aus  lat.  p'dum  ihr 


Digitized  by  Google 


622 


I'lVil  und  Bogen  —  Pferd. 


ahd.  phil,  nhd.  pfeih  agls.  pil.  altn.  pila  gebildet  und  dafür  ihre 
heimischen  Benennungen  (s.  o.»  aufgegeben.  Welche  Namen  die  Kelten 
vor  dem  Eindringen  des  lat.  sagitta  besassen,  ist  dunkel.  Thurneyseu 
Kelto-romanisches  8.  f>9  möchte  die  romanische  Sippe  von  altfrz.  flesche, 
it.  freccia  .Pfeil'  u.  s.  w.  aus  ir.  flesc  ableiten,  das  freilich  nur 
,Rute  bedeutet.  Vgl.  auch  oben  ir.  eo  uud  diubarcu  .Pfeil'  (nach 
O'Curry  Manners  and  Customs  I,  CCCCLI11  f.  :  lat.  «rem).  Auf  jeden 
Kall  deuten  die  beiden  Eutlehnungsreihen  auf  die  Einführung  metallener 
Pfeilspitzen  aus  dem  römischen  Süden  hin.  Hierbei  ist,  was  den  Be- 
deutungsübergang von  pil  um  ,Lanze  zu  , Pfeil'  betrifft,  daran  zu  er- 
innern, dass  nach  Lindenschmit  Altertümer  I,  11,  4  in  Deutschland 
gefundene  römische  Pfeilspitzen  „nach  demselben  Prinzipe  gebildet 
sind,  wie  die  Spitze  des  Pilum". 

Für  den  Köcher  fehlt  es  in  den  idg.  Sprachen  an  einer  urverwandten 
Benennung.  Hingegen  fallt  die  grosse  Zahl  der  Entlehnungen  in  der 
Terminologie  dieses  Begriffes  auf:  Griech.  (hom.)  qpapeipa  (:  <pep€iv  ?), 
woraus  lat.  pharetra.  Daneben  griech.  (honu  "fwpuTÖs  ,Bogenbe- 
hälter'  (nach  Lewy  Semit.  Fremd w.  S.  1«0  aus  hebr.  härif),  woraus 
lat.  cörytus  ,Köeher',  sp.  goldre,  ptg.  coldre.  id.  Ir.  glac  saiged 
,pharetra'  Stokes  Ir.  Gl.  Nr.  214  glac  ,haud,  Jmndful),  westgerm. 
ahd.  chohhar,  agls.  cocur  aus  mlat.  cueurum,  mgriech.  koükoupov,  alb. 
kükure,  das  vorläufig  nicht  weiter  verfolgt  werden  kann,  altsl.  tulü  : 
TXn>au?  *  doch  hält  Miklosieh  Et.  W.  auch  Entlehnung  des  slavischeu 
Wortes  aus  npers.  tiil  für  möglich.  Vgl.  noch  russ.  sajdaku  , Köcher' 
aus  türk.  sagdak,  sajdak,  it.  turcasso,  inbd.  türkis  aus  npers.  terkes 
,Köeher'  :  tir  .Pfeil'  u.  a. 

Ein  dem  Bogen  verwandtes,  aber  im  Altertum  unbekanntes  Schiess- 
gewehr ist  die  Armbrust,  hervorgegangen  aus  den  Katapulten  und 
ähulichen  Wurfinaschinen  der  Alten:  mhd.  (seit  XTI.  Jahrb.)  armbrust 
aus  arcubalista,  während  in  den  roman.  Sprachen  Bildungen  von  man- 
ganum  (uärTavov)  , Maschine'  gelten.  —  S.  u.  Waffen. 
Pfeiler,  s.  Steinbau. 

Pferd.  Dass  dieses  Tier  den  Indogermauen  schon  vor  ihrer 
Trennung  bekannt  war,  geht  aus  der  Gleichung  sert.  <i<;va-,  aw.  aspa-, 
griech.  ittho?,  lat.  equus,  ir.  ech,  alts.  ehu-  (agls.  eoh,  altn.  jör,  got. 
aihwa-  in  aihwatttndi  .Dorustrauch  ),  lit.  aszicä  (altpr.  asicinan  ,Pferde- 
luilch')  mit  Sicherheit  hervor.  Ausserdem  ist  auf  die  Übereinstimmung 
von  sert.  hdya-  , Pferd'  mit  armen,  ji  id.  uud  in  Europa  auf  die  ur- 
verwandten Sprachreihen:  griech.  ttüüXo?,  got.  fula  , Füllen',  alb.  pel'e, 
ir.  *  pilair  ,Stute*  und  ahd.  stuota,  agls.  stöd,  altn.  stob,  lit.  stödas, 
altsl.  »tado  »Pferdeherde'  zu  verweisen.  Die  einzige  Sprache,  die  an 
sert.  dcca-  und  seiuer  Sippe  nicht  teil  nimmt,  ist  das  Slavische.  Hier 
gilt  für  Pferd  geuieinsl.  koni  und  daneben  gleichbedeutend  altruss. 
kömoni,  Sech,  komon  (vgl.  altpr.  camnet  ,Pferd',  lit.  kitme  ,Stuet', 


Digitized  by  Google 


PtVrd. 


«23 


kumelys  .Fohlen'  .  Nach  .1.  Schmidt  (Sonantentheorie  S.  1 38  f. >  hingen 
diese  beiden  Wörter  durch  eine  Grundform  *kobmnjit  *kohmonji  unter 
einander  und  weiter  sowohl  mit  altsl.  kobyla  .Stute'  wie  auch  mit 
gallo- lateinisch  cabaUu*  (auch  cabo'f  vgl.  0.  Goetz  Thesaurus  I,  159;., 
griech.  (lies.)  Kußä\Ar|<;  .Arbeitspferd'  zusammen.  Derselbe  Gelehrte 
ist  weiter  geneigt,  in  *kob-ntoui  eine  uralte  vorindogermanische 
Bezeichnung  des  Pferdes  zu  erblicken,  deren  erster  Bestandteil  auch 
in  dem  finnischen  Worte  für  Pferd  [hebo.  hepo)  und  deren  zweiter 
Bestandteil  in  dem  scheinbar  ganz  allein  stehenden  lat.  mannus  ,Pony, 
gallisches  Pferd'  wiederkehre.  Indessen  dürfte  lat.  mannus  durch 
Assimilation  des  nd  (vgl.  Stolz  Lat.  Gr.  in  J.  v.  Müllers  Handb.  II*,  312) 
eher  aus  *mandus  entstanden  sein,  und  alsdann  sich  an  das  illyrisch- 
pyrenäische  Alpenwort  alb.  nifs  .Füllen  von  Pferd  oder  Esel'  aus 
*mama,  *niandia  (vgl.  G.  Meyer  Et.  W.  S.  270).  bask.  mando  , Pferd' 
oder  .Maultier'  (vgl  v.  d.  Gabelentz  Die  Verwandtschaft  des  Baskischen 
S.  136)  ansehliessen. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  die  Existenz  einer  Wortreihe  wie  sert. 
«cm-  u.  s.  w.  in  dem  Sprachschatz  fast  aller  Indogermanen  sich  nur 
unter  der  Voraussetzung  erklärt,  dass  das  Pferd  entweder  die  Indo- 
germanen auf  ihren  Wanderungen  als  Haustier  begleitete,  oder  dass 
das  Ausbreitungsgebiet  auch  der  europäischen  Indogermanen  in  die 
Verbreitungszone  des  wilden  Pferdes  fiel,  oder  endlieh,  dass  beides 
zugleich  der  Fall  war.  Es  fragt  sich,  welche  von  diesen  Möglichkeiten 
die  grössere  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat. 

Zunächst  ist  hervorzuheben,  dass  gegenüber  der  früheren  Annahme, 
welche  die  Heimat  des  Pferdes  ausschliesslich  in  den  Steppen  und 
Weideflächen  Vorder-  und  Mittelasiens  suchte,  die  Naturforseher  jetzt 
mehr  und*  mehr  der  Ansicht  zuneigen,  dass  unser  Erdteil  mit  zu  den 
ursprünglichen  Wohnsitzen  des  wilden  Pferdes  gehört  habe.  Nach 
diesen  Untersuchungen  (vgl.  A.  Otto  Zur  Geschichte  der  ältesten  Hans- 
tiere S.  73  ff.  und  vor  allein  A.  Nehring  Fossile  Pferde  aus  deutsehen 
Diluvial- Ablagerungen  und  ihre  Beziehungen  zu  den  lebenden  Pferden, 
Laudw.  Jahrb.  1884)  hätte  das  schwere  Diluvialpferd,  der  Stammvater 
unseres  Hauspferdes,  in  der  Europa  in  postglacialer  Zeit  bedeckenden 
Steppenvegetation  als  Jagdtier  des  Menschen  in  grosser  Menge  gelebt, 
sieh  vor  den  immer  mehr  ausdehnenden  Waldungen  zwar  grösstenteils 
in  die  Steppenflora  des  Ostens  geflüchtet,  aber  doch  teilweis  in  den 
Lichtungen  des  Urwalds  sich  bis  in  historische  Zeiten  erhalten.  In 
dieser  Beleuchtung  wären  die  Nachrichten  der  Alten,  welche  von 
wilden  Pferden  in  Spauien,  in  den  Alpen,  wie  überhaupt  im  nörd- 
licheren Europa  berichten  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen0  S.  21  ff.  und 
Ecker  im  Globus  1878  B.  34)  auf  wirklich  wilde,  nicht  bloss  ver- 
wilderte Tiere  zu  bezieht!.  Es  wäre  also  wohl  möglieh,  dass  die  Indo- 
germanen, auch  wenn  ihr  ältestes  Verbreitungsgebiet  nach  Europa  fällt, 


Digitized  by  Google 


624 


PlVnl. 


das  Pferd  lediglich  in  wildein  Zustand  kannten.  Zu  Gunsten  derselben 
Ansieht  kann  auch  der  Umstand  angeführt  werden,  das»  das  Pferd  als 
Haustier  für  die  neolithisehe  Epoche  unseres  Erdteils,  in  welcher  die 
Ausbreitung  der  Indogermnnen  in  Europa  nach  allem,  was  wir  wissen, 
vor  sich  gegangen  ist,  nicht  mit  der  gleichen  Sicherheit  wie  der  übrige 
Bestand  ältester  Haustiere,  Hund,  Rind,  Schaf  und  Ziege  in  Anspruch 
genommen  werden  kann.  In  den  ältesten  Pfahlbauten  der  Schweiz 
{vgl.  Rütimeycr  Fauna  S.  123)  sind  zwar  Überreste  unseres  Haus- 
pferdes unzweifelhaft  nachgewiesen  worden,  doch  ist  die  Seltenheit 
seiner  Knochen  so  auffallend,  dass  das  Pferd  in  der  Volkswirtschaft 
der  Pfahlbanem  eine  andere  Stellung  als  Rind,  Schaf  und  Ziege  ein- 
genommen haben  muss.  In  den  oberöstreichischen  Pfahlbauten  (vgl. 
M.  Much  Die  Kupferzeit*  S.  241)  konnte  die  Anwesenheit  des  Pferdes 
bis  jetzt  in  keiner  Weise  erhärtet  werden.  Für  die  dänische  Steinzeit 
(vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumsk.  I,  204,  445)  wird  die  Bekannt- 
schaft mit  dem  Pferd  als  „Zweifel half  bezeichnet,  während  in  den 
Ganggräbern  Vestergötlands  allerdings  neben  Rindvieh,  Schaf,  Ziege  (?) 
und  Schwein  auch  Pferdereste  zu  Tage  gekommen  sind  (vgl.  Moutelius 
Kultur  Schwedens*  S.  2ti). 

Zu  bedenken  ist  ferner,  dass  das  Pferd  iu  der  ältesten  Zeit  jeden- 
falls nicht  für  diejenigen  Zwecke  gebraucht  worden  sein  kann,  für 
die  es  der  Mensch  jetzt  in  seinem  Dienste  hält,  zum  Fahren  (s.  u. 
Wagen  und  u.  Streitwagen)  und  zum  Reiten  (s.  d.i,  zu  letzterem 
wenigstens  nicht  im  Sinne  der  Ausbildung  einer  im  Kriege  zu  ge- 
brauchenden Reiterei  (s.  auch  u.  Heer). 

Auf  der  anderen  Seite  wird  aber  doch  das  Pferd  bei  weitaus  den 
meisten  lndogermanen  den  Himmlischen  als  Opfergabe  dargebracht, 
was  nach  den  Ausführungen  u.  Opfer  auf  seinen  Charakter  als  Haus- 
tier mit  grosser  Deutlichkeit  hinweist.  Bezeugt  ist  das  Pferdeopfer 
für  die  vedischen  Inder  (vgl.  H.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  72),  für 
die  Iranier,  Prensscn,  Slaven,  Germanen,  für  griechische  Stämme  (vgl. 
die  Nachrichten  bei  V.  Hehn  a.  a.  0.  S.  42  ff.),  endlich  auch  für  die 
Römer  '  vgl.  Paulus  Festi  v.  eqttnx:  Marti  immolahatur,  quod  per  eittx 
effiyieni  Troiani  capti  xint,  vel  quod  eo  genere  animalix  Marx  defectari 
putaretnr)  und  lllyricr,  bei  denen  die  messapischen  Sallentincr  dem  Jupiter 
Menzana  cigcutl.  ,.Pferdcjupiteru  (vgl.  oben  über  lat.  niannux,  all). 
*menza-)  ein  Ross  opferten.  Es  scheint,  wenn  man  sich  des  reichlichen 
Geuusses  von  Pferdefleisch  bei  den  Germanen  erinnert,  wo  ihn  die 
Kirche  bekämpfte  (s.  u.  N  a  h  r  n  n  g),  kein  zwingender  Grund  vorzu- 
liegen, das  Pferdeopfer  anders  denn  als  Speiscopfer  aufzufassen,  wenn 
auch  andere  Opfergedanken  mit  diesem  gerade  bei  dem  Pferd  frühzeitig 
verschmolzen  sein  mögen  (vgl.  Ohlenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  356). 

Nimmt  man  dies  alles  zusammen,  so  wird  die  Auffassung  uicht  un- 
begründet erscheinen,  dass  das  Pferd  schon  in  der  idg.  Urzeit  aus 


Digitized  by  Google 


Pferd. 


625 


dem  Zustand  der  Wildheit,  in  dem  es  den  vorindogermanisehen  Be- 
wohnern Europas  (in  paläolithiseher  Zeit)  ausschliesslich  als  Jagdtier 
gedient  hatte,  hier  und  <la  zu  einem  gewissen  Grad  der  Zähmung  ge- 
bracht worden  war,  in  dem  es  mehr  abseits  von  den  Ansiedelungen 
der  Menschen  in  eingehegten  Heiden  (vgl.  oben  ahd.  xtunta  u.  s.  w.) 
gehalten  wurde,  und  in  dem  es  dem  Menschen  nicht  so  wohl  zu  Dienst- 
leistungen als  zur  Nahrung,  mit  seinem  Fleisch  und  vielleicht  mit  seiner 
Milch  ib.  <!.),  sowie  zu  anderen  Zwecken  mit  seinem  Fell,  seinen 
Sehnen  etc.  diente.  Als  seine  charakteristischste  Eigenschaft  ist  aber 
von  jeher  seine  blitzartige  Schnelligkeit  aufgefasst  worden,  die  vielleicht 
schon  in  seinem  Namen  (sert.  ä<;ca-  :  (h;ü~  schnell';  ausgesprochen 
liegt,  und  die  die  Ursache  war,  dass  unter  seinem  Bild  gewisse  Lieht- 
erscheinnngen  des  Himmels,  vor  allem  der  schon  in  der  Urzeit  (s.  u. 
Religion)  viel  gefeierte  Morgenstern  gedacht  und  verehrt  wurden. 

Nur  wenig  erfahren  wir  aus  litterarischen  Nachrichten  (Iber  H  e  - 
schaffen  Ii  cit  und  Aussehen  des  alteuropäischen  Pferdes,  dessen 
ursprüngliche  Gestalt  wir  natürlich  eher  im  Norden  als  in  dem  dem 
Orient  offenen  Süden  unseres  Erdteils  erwarten  dürfen.  Die  wichtigsten 
Zeugnisse  sind:  Caesar  De  bell.  gall.  IV,  2:  Quin  etiam  iumenti* 
(»Pferde',  vgl.  Wttlfflins  Archiv  VII,  322),  qnibnx  ma.rime  Galli  de- 
lectantur  quaeque  inpenxo  parant  pretio,  importatix  hi  (JSttebi)  non 
utuntur,  xed  quae  sunt  apud  eox  nata,  prava  atque  deformia,  haec 
cotidiana  exercitatione,  summt  ut  sint  laborix,  ef/iciunt,  Tacitus 
Germ.  Ca]),  (i:  Equi  non  forma,  non  velocitate  conxpicui  (daneben 
Cap.  15:  electi  equi  als  Geschenke  benachbarter  Völker),  Trebellii 
Pollionis  vita  Claudii  IX,  4:  Equarum,  qua*  forma  nobilitat  Celtivarum. 
Als  iniuriae  tolerante*  schildert  Vegetius  De  Mulomed.  IV  (VI),  <i  die 
bnrgundischen  uud  thüringischen  Pferde,  denen  später  Cassiodorus  Var. 
IV.  1  das  höchste  Lob  erteilt.  In  den  vorstehenden  Nachrichten  ist 
zweimal  von  gallischen  Pferden  als  von  einer  teuereren  und  besseren 
Rasse  die  Rede,  von  der  gesagt  wird,  dass  sie  die  Snebep,  die  sich 
auch  sonst  abschlössen,  nicht  bei  sich  einführten,  was  nur  im  Gegen- 
satz zu  anderen  germanischen  Völkern  gemeint  sein  kann.  Dies  führt 
darauf,  dass  die  keltisch-germanische  Gruppe  von  Plerdenamen :  altgall. 
pupKot,  ir.  marc  -  ahd.  marah,  meriha.  ahn.  marr  auf  früher  Ent- 
lehnung der  Germanen  von  den  Kelten  beruht,  wie  denn  das  Wort  in 
der  Bedeutung  ,Vieh',  .Mähre',  ,Ware'  bis  ins  Slavische  und  andere 
östliche  Sprachen  gewandert  ist  (  vgl.  Miklosich  Et.  W.  S.  11)0;  s.  auch 
u.  Handel).  Die  Kelten,  wie  sie  die  Erfinder  zahlreicher  neuer  Wagen- 
arten (s.  u.  Wagen)  waren,  müssen,  worauf  schon  ihre  zahlreichen 
vom  Pferde  hergenommenen  Orts-  und  Personennamen  hinweisen  (vgl. 
Epo-manduo-durum,  Epo-redi.r.  Epn-redo-ri.r,  Epoxo-yiutt/ts,  Epona 
,mulionum  dea',  Marco-durum,  Marco-maynux  etc.  auch  hervorragende 

Schräder.  He.illexikon.  {U 


Digitized  by  Google 


f,2ö 


Pferd. 


PferdezUcbter  gewesen  und  dadurch  auch  für  die  mit  ihnen  in  Be- 
rührung tretenden  Germanen  bedeutungsvoll  geworden  sein. 

Einheimische  und  gemeiugermanische  Bezeichnungen  des  Pferdes  sind 
noch  ahd.  hros,  altn.  hross  und  ahd.  hengist,  altn.  hestr,  ersteres  in 
der  Bedeutung  .schlechte  Mähre'  auch  ins  Romanische  (it.  rozza)  Uber- 
gegangen und  vielleicht  zu  lat.  currere,  cursus  („Rcnuer")  gehörig, 
letzteres,  urgerm.  Vuing-ista  (malb.  gl.  der  Lex.  Sal.:  chanzisto,  chen- 
gisto)}  und  mit  der  Grundbedeutung  /Wallach'  (equus  castratus)  ety- 
mologisch noch  dunkel;  indessen  bietet  die  Möglichkeit  einer  Ver- 
gleichung  lat.  canterius  .kastriertes  Pferd'  (schon  bei  Plautus,  vgl. 
Wölfllins  Archiv  VII,  31b),  das  wie  quintus  aus  quincttis,  so  aus  *canc- 
terius  entstanden  sein  kauu.  Beachte  auch  das  Comperativsuffix  -ter{t)o- 
in  can-terius  gegenüber  dem  Superlativsuffix  -isto-  in  *hang-ista-;  vgl. 
sert.  agva  tard-  , Maultier';  Uber  die  Lautverhältnisse  von  quintus  vgl. 
Schweizer  Sidler  Grammatik  d.  lat.  Spr.8  S.  63  und  Brugmann  Grund- 
riss  1*,  2,  667.  Vgl.  noch  ahd.  meid  um  , Hengst'  =  got.  maipms  .Ge- 
schenk' (s.  o.),  wie  sert.  ddna-  ,Pferd",  eigentl.  ,Gabe'. 

Kleinheit  der  Gestalt  wird,  da  Caesar  IV,  2  praca  nicht  parva 
zu  lesen  ist,  nicht  bei  dem  altgermanischen  Pferde  hervorgehoben.  Wohl 
aber  charakterisiert  diese  das  skythischc  Tier.  Vgl.  Strabo  VII,  p.  312: 
MiKpo\  u€v  fäp  eio*i,  ö£ei?  U  öcpöbpa  Kai  buaTreieel?,  dazu  Herodot  V,  9 
über  die  medischen,  vielleicht  am  kaspischen  Meer  zu  lokalisierenden 
Sigynnen:  tou?  b£  inTiou?  autüiv  €lvai  Xaoious  ärcav  tö  o*d»pa,  in\  nivie 
baicrüXou?  tö  ßäöoq  tüjv  Tpixüüv,  auiKpou;  bi  Kai  öxnovq  kcu  äbuväTOus 
ävbpa;  qp^pciv,  ZeuYvujievous  bfc  Ott'  äpMara  elvai  öEuTäTOuq*  dpnaTr|Xa- 
T€*€iv  be  Trpö?  TaÖTCt  Touq  ^mxwpiouq.    Ebenso  Strabo  p.  520. 

Eine  grosse  Veränderung  in  der  europäischen  Terminologie  des 
Pferdes  wird  dadurch  herbeigeführt,  dass,  so  zu  sagen,  die  soziale 
Stellung  des  Tieres,  wie  sie  sich  zum  Teil  noch  in  vorhistorischen 
Zeiten  herausgebildet  hatte,  eine  andre  wird,  indem  man  das  zunächst 
nur  zu  heiligen  Zwecken,  nachher  besonders  im  Krieg  gebrauchte  Tier, 
den  bellator  equus,  mehr  und  mehr  auch  in  den  gemeinen  Dienst 
des  Menschen  zwingt.  Dieser  Umschwung  geht  vom  Süden  Europas 
aus  und  ist  mit  der  Verbreitung  der  beiden  Wörter  caballus  und  para- 
veredus  eng  verknüpft.  Caballus  (zuerst  bei  Lucilius)  ,das  Arbeitspferd' 
(s.  o.  i  hat  sieh  in  den  keltischen  Sprachen  (ir.  capall,  bret.  cavel, 
kymr.  cefyll)  verbreitet  oder,  wenn  es  selbst  gallischer  Herkunft  war, 
wieder  verbreitet  und  von  romanischem  Sprachboden  das  alte  equus 
fast  gänzlich  verdrängt  (frz.  checal,  it.  cavallo,  rum.  cal,  auch  alb. 
Jcdl').  Parai-eredus,  ein  Ausdruck  der  römischen  Postsprache  (8.  u. 
Pos  t),  ein  rfür  den  Dienst  auf  Xebenlinicu  bestimmtes  Tier"  (vgl. 
Wölfflius  Archiv  VII,  320)  bezeichnend,  ist  eine  hybride  Bildung  aus 
Trapa  und  ce-redus,  welches  letztere  die  Römer  im  augusteischen  Zeit- 
alter aus  Gallien  \*ro-reidos  =  kymr.  goneydd  :  gall.  reda  , Kutsche') 


♦ 

Digitized  by  Google 


Pferd  —  Pfirsich  und  Aprikose. 


627 


entlehnt  hatten.  Es  ist  dann  im  VI./ VII.  Jahrh.  als  alid.  pferfrit, 
altndd.  perid  auf  Kosten  der  einheimischen  Wörter,  zuletzt  als  Genus- 
bezeichnung des  Tieres,  ins  Deutsche  eingedrungen,  wo  es  namentlich 
auf  fränkisch-sächsischem  Boden  herrscht.  Römischen,  d.  h.  durch 
Börner  vermittelten  Ursprung  nimmt  man  auch  für  ahd.  zeltäri,  alts. 
telderi,  altn.  tjaldari,  ndl.  telde  ,Zelter  aus  *teldo  (vgl.  span.-lat. 
thieldones  ,Passgänger'j  au  (vgl.  F.  Kluge  in  Pauls  Grundriss  I8,  346). 
S.  weiteres  u.  Maultier  und  vgl.  Palaudcr  Ahd.  Tiernamen  S.  77  ff. 
Endlich  wird  mit  dem  Auftreten  der  Araber  im  Süden  und  Osten 
auch  der  Name  des  arabischen  Pferdes  bekannt:  sp.  alfaras, 
mlat.  farius,  mhd.  vdris,  bulg.  fariil,  altruss.  farl,  mgriech.  qpdpn.?. 
Übrigens  ist  der  Ruhm  der  arabischen  Rossezucht  ein  verhältnismässig 
junger,  da  erst  Ammianus  Marcellinus  ihrer  schnellen  Pferde  gedenkt. 
Vgl.  auch  mhd.  mör  ,Pferd'  aus  Maurus  ,Araber'. 

Wenden  wir  uns  schliesslich  von  indogermanischem  Boden  zu  den 
benachbarten  Völkerstämmeu,  so  ist  das  Pferd,  wie  bei  den  Indoger- 
manen,  ebenso  in  der  Urzeit  der  semitischen  (assyr.  sisu,  hebr. 
süs,  arara.  süsjd)  wie  auch  der  turko-tatarischen  Stämme  (at 
,Pferd')  bekannt  gewesen,  und  auch  die  Finnen  (s.  o.  und  vgl. 
Ahlqvist  Die  Kulturw.  d.  westfinn.  Sprachen  S.  9)  scheinen  mit  ihm 
bereits  an  der  Ostsee  eingetroffen  zu  sein.  Hingegen  dürfte  das  Pferd 
bei  den  Ägyptern,  die  auch  das  semitische  Wort  (süs)  entlehnt  haben, 
ein  späterer  Kulturerwerb  sein,  und  auch  bei  der  ältesten  (vorsemi- 
tischen) Bevölkerung  Babylouiens,  den  Sumerern,  begegnet  die  sichtlich 
junge  Benennung  des  Pferdes  „Esel  des  Berges  oder  Ostens".  —  S.  u. 
Viehzucht,  Reiten,  Wagen,  Streitwagen. 

Pfirsich  und  Aprikose.  Der  Pfirsichbaum  (Amygdalus  Persica  L.) 
bat  seine  Heimat  in  China,  während  die  Aprikose  (Prutius  Armem- 
aca  L.)  auch  weiter  westlich,  im  Himalaya,  in  der  Songarei  und  in 
Turkestan  wildwachsend  vorkommt. 

Beide  Bäume  erscheinen  in  Rom  nicht  vor  dem  ersten  Jahrhundert 
der  Kaiserherrschaft.  Ihre  Namen  Persica  und  Armeniaca  arbor 
(Plinius  und  Columella)  zeugen  nicht  von  der  wirklichen  Heimat,  sondern 
nur  von  der  unbestimmten  Vorstellung  einer  fernen  östlichen  Herkunft 
der  beiden  Bäume.  Nicht  unwahrscheinlich  ist,  dass  die  erste  Bekannt- 
schaft des  Westens  mit  ihnen  aus  der  Zeit  stammt,  als  in  dem  I.  vor- 
christlichen Jahrhundert  die  äussersten  östlichen  Grenzen  des  römischen 
und  die  äussersten  westlichen  Grenzen  des  chinesischen  Reiches  fast 
an  einander  stiessen  (s.  u.  Seide). 

Von  Italien  aus  hat  sich  der  Pfirsich  und  die  Aprikose  schnell  nach 
dem  Nordeu  verbreitet.  Schon  Plinius  und  Columella  kennen  eine  Art 
gallischer  Pfirsiche.  In  Deutschland  ist  zwar  das  Wort  mhd.  pfersich 
erst  spät  bezeugt;  aber  seine  Lautgestalt  (anl.  pf  =  lat.  p)  lehrt,  dass 
es  schon  in  voralthochdeutscher  Zeit  eingedrungen  sein  muss  (vgl.  noch 


Digitized  by  Google 


C28 


Pfirsich  und  Aprikose  —  Pflaume. 


agls.  persoc).  Aus  dein  Deutschen  stammen  wiederum  die  slavischen 
Fonnen  altsl.  praskva,  russ.  brosktina  etc.  Vgl.  alb.  pjeSkt  =  persicum. 

Aber  noch  andere  in  Italien  entstandene  Benennungen  der  beiden 
Fruchtbäume  gingen  in  das  mittelalterliche  und  neuere  Europa  Uber. 
Zwei  besondere  Arten  derselben  Messen  bei  den  römischen  Obstzüchtern 
duracina  und  praecoqua.  Ersteres,  mag  es  nun  „Härtlinge14  (durus) 
bedeuten,  oder  von  der  persischen,  durch  köstliche  Baumfrüchte  aus- 
gezeichneten Stadt  Durdk  seinen  Namen  haben  (s.  prunus  Damascena 
u.  Pflaume),  setzte  sich  in  der  neugriechischen  Benennung  des  Pfirsichs 
^obtxKivnd  (durch  Umstellung  und  mit  Anlehnung  an  fiöbov  entstanden) 
fort.  J*raecoqua  führte  durch  die  wunderlichsten  Verdrehungen  im 
Mittelgriechischen  (rcpeKUKKtov,  ßepUwKov  etc.)  und  Arabischen  (alburqüq) 
endlich  zu  it.  albercocco,  frz.  abricot,  unserem  aprikone  (von  Nieder- 
deutschlaud  ausgegangen).  In  Oberdeutschland  gelten  andere  Aus- 
drücke (vgl.  Pritzel-Jessen  Die  Deutscheu  Volksnamen  der  Pflanzen 
S.  311  und  F.  Kluge  Et.  W/'),  die  wie  Verdrehungen  aus  it.  armelHno, 
armeniUi  (arbor  Armeniaca)  aussehn.  Im  Süd-Osten  unseres  Erdteils 
herrschen  gegenwärtig  die  türkisch-persischen  Ausdrücke  ztrdeli  ,gclbe 
Pflaume'  (parsi  zardälu,  s.  u.  Pflaume)  und  kajse. 

Den  Anbau  von  Pfirsichbäumen  (perskarii  diversi  gener is)  in 
Deutschland  schreibt  das  Capitulare  de  villis  LXX,  80  vor.  Auch  eiu 
Codex  (Qu.)  der  Lex  Emendata  des  salischen  Gesetzes  XXIX,  10 
enthält  bereits  das  Wort  perticarius  =  persicarius.  Es  scheint,  dass 
man  in  Deutschland  zunächst  die  Aprikose  unter  dem  Namen  des 
Pfirsichbaums  mit  verstanden  hat.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6 
S.  415  ff.  und  v.  Fischcr-Bcnzon  Altd.  Gartenfl.  S.  154  ff.  S.u.  Obst- 
bau und  Baiunzucht. 

Pflanzenwelt  der  Urzeit,  s.  Urheimat  der  1  ndogermanen. 

Pflaster,  s.  Arzt. 

Pflasterung,  s.  Strasse. 

Pflaume.  Von  den  in  Kultur  befindlichen  Pflnumenarten  wird 
ft'unux  imititia  L.}  die  Kriechenpfiaume  oder  Pflaumcnschlehe,  von 
den  Botanikern  (vgl.  Engler  bei  V.  Hehn  a.  n.  a.  O.)  für  einheimisch 
im  gemässigten  Europa  gehalten.  Kerne  dieser  Pflaumenart  sind,  eben- 
so wie  solche  der  eigentlichen  Schlehe  (Prunn*  spinosa  L.)  und  der 
Traubenkirsche  (Prumis  Padwt  L.),  in  neolithischen  Stationen  der 
Schweiz,  Ostreichs  und  Italiens  gefunden  worden  (vgl.  G.  Buschan 
a.  u.  a.  0.  S.  181).  Urverwandte  Namen  für  derartige  Prunus-Arten 
liegen  in  den  Gleichungen:  ahd.  xleha,  agls.  sldhae  —  altsl.  sliva,  lit. 
dyicas  , Pflaume'  (über  lat.  liuidus  s.  u.  Blaut  und  griech.  ßpdß-uXov 
,Schlehc'  (*ßpaß-  —  greg)  —  ahd.  crich  boum,  mnd.  krike,  kreke,  nhd. 
schlesisch  krichele  (krieche  mit  volksetym.  Anlehnung  an  ahd.  chriach 
,Grieche)  vor.  Vgl.  noch  ir.  dm  Igen,  droighin  gl.  prunus,  kymr.  draen 
,spinus,  spina,  sentis'  etc.  (Stokes  Urkelt.  Sprachschatz  S.  155). 


Digitized  by  Google 


Pflaume. 


629 


Dagegen  kommen  die  anderen  Pflaumenarten,  Prunn*  cerasifera 
und  vor  allem  Prunus  domestica,  zu  der  auch  die  Zwetsche  (Prunus 
oeconomica)  gehört,  wild  nur  in  Vorderasien  vor.  Hier  wird  daher 
auch  die  Kultur  der  Pflaume  ihren  Anfang  genommen  haben,  obgleich 
sich  dies  mehr  aus  allgemeinen  Gesichtspunkten  schliessen  als  bestimmt 
erweisen  lässt. 

Unter  den  Griechen  wird  die  Pflaume  zuerst  von  dem  Parier 
Archilochus,  und  zwar  mit  dem  Namen  kokkumtiXov  (:  kökko?  ,Kern', 
„Kernobst")  genannt.  Andere  griechische  Ausdrücke  sind  pdbpua 
(:  altsl.  modrü  ,blau  ?)  und  f|Xa,  letzteres  wohl  eine  Entlehnung  aus 
iranischem  Sprachkreis  (vgl.  npers.  diu).  Welche  Pflaumeuarten  unter 
diesen  Wörtern  gemeint  sind,  lässt  sich  nicht  ermitteln.  In  Rom  ge- 
winnt die  Kultur  der  Pflaume  erst  in  augusteischer  Zeit  grössere  Be- 
deutung. Ihr  lat.  Name  prunus,  prunum  ist  eine  Entlehnung  aus  griech. 
TTpoÜMvn.  (Theophr.),  npoüuvov,  das,  ursprünglich  eine  Benennung  der 
wilden  Pflaume  (drrpiOKOKtcü|ur|Xov)  in  Kleinasien  auf  veredelte  Arten 
übertragen  worden  war.  Die  Zwetsche  nennt  Plinius  XV,  43:  In 
peregrinis  arboribus  dicta  sunt  Damascena  (ngriech.  banaaKnvna 
,Prunus  domestica'  gegenüber  Kopo|un.Xr|ä  und  TtoupvcXna  , Prunus  insi- 
itia',  engl,  damasc  plum,  it.  amascino)  a  Syriae  Damasco  cognominata, 
tarn  pridem  in  Italia  nascentia. 

Die  Ausdehnung  der  südlichen  Pflaumenkultur  nach  dem  germanischen 
Norden  lässt  sich  in  der  Entlehnung  des  ahd.  phrüma  ,Pflaume', 
pflämo  Pflaumenbaum',  agls.  plüme  aus  lat.  prünus,  prünum  in  vor- 
althochdeutscher Zeit  verfolgen.  Doch  macht  das  germanische  m  gegen- 
über dem  n  des  lat.  Wortes  Schwierigkeiten,  so  dass  J.  Schmidt 
Sonantentheorie  S.  111  geneigt  ist,  die  germanischen  Benennungen  der 
Pflaume  durch  thrakische  oder  illyrischc  Vermittlung  direkt  auf  griech. 
Ttpoönvov  zurückzuführen,  da  doch  die  nördlichen  Gegenden  der  Balkan- 
halbinsel Hauptsitz  der  Pflaumenknltur  seien.  rDie  Entlehnung  würde 
geschehen  sein,  ehe  die  Slaven  sich  als  Keil  zwischen  die  Germanen 
und  das  oströmische  Reich  schoben".  Anpflanzung  von  prunarii  di- 
versi  generis  schreibt  das  Capitulare  de  villi»  LXX,  76  vor.  Als  solche 
verschiedene  Arten  werden  von  der  heiligen  Hildegardis  (3,  7):  rosz- 
prumen,  gartenslehen,  kriechen  uud  ein  silvestre  genus  unterschieden. 
Erst  spät  (im  XVI.  Jahrb.)  hat  sich  in  Deutschland  der  Ausdruck 
quetsche,  zwetsche  eingebürgert.  Es  ist  immer  noch  die  wahrschein- 
lichste Annahme,  dass  er  auf  das  oben  geuannte  damascena  (prunus) 
zurückgeht  (näheres  vgl.  bei  Kluge  Et.  W.6).  Eigentümliche  Namen 
hat  das  Albanesische:  kümbuh  ,Pflaume\  kufumbri  ,SchIehe'  (vielleicht: 
lat.  columba  /Taube'  nach  der  blauschwarzen  Farbe  der  wilden  Taube). 
—  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen 6  S.  369  ff.,  v.  Fischer-Bcnzon  Altd. 
Gartenfl.  S.  152  ff.,  G.  Buschan  Vorhist.  Botanik  S.  181  ff.  S.  u. 
Obstbau  und  Baumzucht. 


Digitized  by  Google 


630 


Pflug. 


Pflng.  Sein  vorhistorischer  Name,  der  sieh  wie  fast  alle  auf 
den  Landbau  bezüglichen  Ausdrücke  auf  Europa  (und  Armenien)  be- 
schränkt, griech.  fipoTpov  (kret.  dpaTpov,  vgl.  Philologus  LV,  489)  u.  s.  w., 
ist  u.  Ackerbau  aufgeführt  worden.  Da  derselbe  nichts  anderes  als 
,Mittel  zum  Pflügen'  (griech.  dpöuj)  bezeichnet,  tat  sich  aus  ihm  Uber 
die  Beschaffenheit  des  ältesten  europäischen  Pfluges  nichts  weiter 
entnehmen.  Doch  steht  dieselbe  durch  antiquarische  und  linguistische 
Anhaltspunkte  ziemlich  fest. 

Die  vergleichende  Betrachtung  der  ältesten  antiken  Pflngtypen  (vgl. 
K.  H.  Rau  Geschichte  des  Pflugs  Heidelberg  1845  S.  17  ff.  sowie 
Daremberg  und  Saglio  u.  aratrum)  lehrt,  dass  der  ursprüngliche  Pflug 
ans  einem  einzigen  gekrümmten  Stück  Holz  bestand,  an  dem  sich  nur 
zwei  Teile  unterscheiden  lassen,  der  zur  Anspannung  bestimmte,  längere 
Teil,  Baum  oder  Grindel,  und  der  hakenförmig  gebogene,  keilartige, 
zum  Aufreissen  der  Erde  benutzte,  die  Schar.  Hierzu  tritt  dann  auf 
einer  höheren,  aber  immer  noch  sehr  frühen  Stufe  zur  besseren  Leitung 
des  Gerätes  eine  Handhabe,  Sterze  oder  Sterz,  die,  soweit  sie  die 
Natur  an  dem  betreifenden  Baumast  nicht  hatte  wachsen  lassen,  an 
demselben  angebunden  oder  in  denselben  eingepasst  wurde.  Wahr- 
scheinlich hat  noch  Hesiod  Werke  und  Tage  v.  425  ff.,  da,  wo  er  dem 
Landmann  den  Rat  giebt: 

cp^peiv  be  Yunv  (das  Krummholz),  öY  fiv  eüprj?, 
eis  oikov,  Kar'  öpo?  biZrmevoq  f|  kot'  äpoupav, 
TTpivivov 

und  jederzeit  zwei  Pflllge  in  Bereitschaft  zu  halten  (€i  x'^epöv  f'ä£a\qt 
£i€pöv  k  ^tti  ßouöi  ßdXoio),  nämlich  das  aÜTÖTUov  und  das  ttuktöv  äpo- 
rpov,  in  ersterem  nichts  als  jenen  europäischen  Urpflug  im  Auge. 

Auf  dieselbe  Beschaffenheit  des  ältesten  Pfluges  weist  die  Sprache 
hin.  Im  Gotischen  heisst  der  Pflug  höha  (dazu  ahd.  huohili  .Furche'), 
das  dein  lit.  szakä  ,Ast'  (vgl.  auch  sert.  cä'khd  ,Asf)  entspricht.  Zu 
derselben,  nur  nasalierten  Wurzel  (sert.  c-ankii-  , Pfahl',  altsl.  sqkä  ,Ast') 
gehört  auch  ir.  cecht,  mnnx  keeaght  ,Pflug'  (vgl.  Sprachvergl.  und  Ur- 
geschichte2 S.  417,  Uhlenbcck  Et.  W.  d.  got.  Spr.  S.  7*>).  Nicht 
hiermit  zu  vereinigen  ist  hingegen  die  slavische  Sippe  von  altsl.  socha 
.Knüttel',  tfech.  socha  ,Gabelstange',  poln.  socha  .Pflugsech',  klruss. 
jiosoäcyna  »Grundsteuer  nach  der  Zahl  der  Pflüge',  obgleich  dies  neuer- 
dings wieder  von  Pedcrsen  I.  F.  V,  49  versucht  worden  ist;  doch  ist 
auch  hier  die  Grundbedeutung  , Knüttel'  oder  ,Ast'. 

Von  den  alten  oben  genannten  Teilen  des  Pfluges  trägt  die  Schar 
einen  schon  idg.  Namen,  griech.  Öcpvtq  u.  s.  w.  (s.  u.  Ackerbau). 
Einzelsprach  liehe  Bezeichnungen  hierfür  sind  ahd.  seh  (auch  ,Pflug') 
:  lat.  secare  (wozu  auch  all),  mt  .Karst  )  .schneiden'  und  scaro  :  ahd. 
sceran,  altsl.  lernest  :  lomiti  ,brcchen',  altpr.  pedan,  indem  die  Schar 
mit  dem  Eude  des  Ruders  (griech.  Trnböv)  verglichen  wurde.  Die 


Digitized  by  Google 


Pflug. 


G31 


Schar  ist  nach  dem  obigen  ursprünglich  nichts  als  das  keilförmige 
Ende  des  als  Pflug  benutzten  Astes.  Man  kann  sich  denken,  dass  in 
metalllosen  Zeiten  frühzeitig  an  demselben  ein  Stein  befestigt  wurde, 
um  so  gewaltsamer  in  das  Erdreich  eingreifen  zu  können.  Thatsächlieh 
sind  in  zahlreichen  neolithischen  Stationen  derartige  Steine  gefunden 
worden,  die  man  als  Pflugscharen  in  Anspruch  nimmt.  Sonst  bietet 
die  Prähistoric  kaum  irgendwelche  Beiträge  zur  Geschichte  des  Pfluges; 
doch  ist  bemerkenswert,  dass  auf  den  der  Bronzezeit  angehörigen 
Felsenzeichnungeu  Schwedens,  in  Bohuslän  (vgl.  0.  Montclius  Kultur 
Schwedeus*  S.  69)  auch  ein  von  Rindern  gezogener  Pflug,  der  noch 
die  primitivste  Form,  aber  mit  Handhabe  zeigt,  abgebildet  ist.  Am 
meisten  scheint  derselbe  dem  bei  Daremberg-Saglio  Fig.  43(5  darge- 
stellten altetrurischen  Pflug  zu  ähneln. 

Eine  vorhistorische  Bezeichnung  des  K  r  u  m  m  h  o  1  z  e  s  ,  d.  h.  des 
unteren  Teilen  des  Grindels,  der  später  in  Krummholz  und  Deichsel 
zerfällt,  kann  in  griech.  funs  (xoa  , Ackerland')  =  lat.  (oskisch?)  büra 
,Krummholz'  (*güsd)  vorliegen.  Die  Ausdrücke  für  den  Sterz  (griech. 
4x€xXr|,  lat.  stira,  ahd.  gehet :  got.  gaits  =  lat.  haedus  von  der  ziegen- 
hornförmigen  Gestalt  der  Handhabe)  gehen  auseinander. 

Frühzeitig  hat  sich  die  ländliche  Bildersprache  des  Pflugs  und  seines 
Hauptteils,  der  Schar,  bemächtigt,  indem  sie  dieselben  mit  dein  Namen 
des  erdaufwühlenden  Schweines  benennt.  Hierher  gehören  griech. 
uvviq  ,Schar\  üvvn, "  apoTpov  Hes.  :  .Schwein'  und  ir.  socc  (frz.  soc) 
—  kymr.  stech,  körn,  soch  {*succo-s)  .Pflugschar'  und  ,Schweinsschnanze' 
(vgl.  kymr.  hweh,  korn.  hoch  .Schwein'  bei  Thurneyscn  Kelto-Roma- 
nisches  S.  112).  Aus  dem  Germanischen  ist  an  Benennungen  des 
Pfluges  noch  ngls.  sulh  zu  nennen  =  lat.  mlnua  .Furche'  :  griech.  €*Xkw 
jZiehe',  öXkos  , Furche'.  Über  griech.  aüXaxcr  üvviq  (Hes.),  euXäica 
^Pflugschar',  auXag  ,Fnrche'  s.  u.  Ackerbau. 

Ganz  unbekannt  muss  dem  höheren  Altertum  die  Einrichtung  ge- 
wesen sein,  mittelst  eines  Rädergestells  den  Pflug  fortzubewegen 
(eine  Spur  davon  bei  Ran  a.  a.  O.  Fig.  20,  Daremberg-Saglio  Fig.  438). 
Diese  Erfindung  schreibt  Plinius  Hist.  nat.  XVIII,  172  mit  grosser 
Bestimmtheit  den  raetischen  Galliern  zu:  Xon  pridem  inventum  in 
Jiaetia  GalUae,  ut  dtiatt  adderent  tali  rotitlas,  qttod  gentis  rocant 
plaumorati.  So  einleuchtend  es  ist,  dass  eine  derartige  Neuerung 
von  einem  der  im  Wagenbau  ''s.  u.  Wagen)  so  erfahrenen  gallischen 
Stämme  ausgehn  konnte,  so  schwierig  ist  die  Lesung  des  entscheiden- 
den, ohne  Zweifel  verstümmelten  Wortes  plaumorati.  Früher  stellte 
man  planst rarati  ,Wagenpflng'  her.  Neuerdings  schlägt  G.  Baist  in 
Wölfflins  Archiv  III,  2*5  die  Lesung  vor:  quod  genus  vocant  ploum 
Raeti.  Sicherheit  lässt  sich  nicht  erreichen.  Wahrscheinlich  bleibt 
der  schon  von  L.  Diefenbach  O.  E.  ausgesprochene  Gedanke,  dass 
hier  irgendwie  die  sonst  ganz  rätselhafte  Sippe  von  altn.  pldgr,  ahd. 


Digitized  by  Google 


632 


Pflug  —  Platane. 


pfluog  (von  Fick  Vergl.  W.  I4,  412  :  griech.  ^\\baaa,  tXujxcs,  y*u>- 
Xiv€<;  gestellt?),  russ.  plugü,  lit.  pliugas  (vgl.  auch  alb.  pl'uar,  pl'ug, 
rum.  plugu)  anzuknüpfen  sei.  —  S.  u.  Ackerbau. 

Pfosten,  8.  Haus. 

Pfriem,  s.  Ahle. 

Propfen,  s.  Obstbau  und  Baumzucht. 
PI  und,  8.  Wage  und  Gewicht. 
Phalltisdieiist,  s.  Keuschheit. 
Pilz,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Piuie.  Pinus  pinea  L.  wird  von  den  Botanikern  als  einheimisch 
in  den  Küstenstrichen  des  Mittelmeers  betrachtet.  Allerdings  tritt  ein 
spezieller  Name  des  Baumes  im  alten  Griechenland  erst  spät  hervor, 
wie  ein  solcher  auch  in  den  orientalischen  Sprachen  fehlt.  Theophrast 
(Hist.  plant.  III,  9,  4)  gebraucht  für  Pinns  pinea  den  Ausdruck  ttcukh 
rtnepoq  (TTeÜKri  xuivocpöpo;  II,  2,  6),  während  der  Baum  nach  demselben 
Autor  in  Arkadien  miuq  hiess.  Beides,  Treuxn,  wie  tutu$,  sind  vorhistorische 
Benennungen  nördlicher  Conifercnarten  ts.  u.  Fichte).  Die  Pignole 
heisst  im  Griechischen  kökkwv,  kökkoXo?  (wovon  ngriech.  KOuKouvapna, 
alb.  kukunare  ,Pinic'),  öTpößiXo?,  Kuivoq,  Trupnv,  öcrrpctids,  ttituT?,  alles 
Namen,  die  ursprünglich  allgemeine  Bedeutungen  gehabt  haben.  In- 
dessen ist  es  nicht  angängig,  aus  diesem  allmählichen  Hervortreten 
besonderer  Benennungen  für  die  Pinie  und  ihre  Früchte  auf  eine 
verhältnismässig  späte  Einführung  des  Baumes  iu  Griechenland  (aus 
Vorderasien,  wo  die  Pinie  noch  heute  im  Gebiet  von  Batum,  in  Ana- 
tolien  und  Syrien  wildwachsend  sein  soll)  zu  schliessen.  Dasselbe  er- 
klärt sich  vielmehr  ohne  Schwierigkeit  aus  der  Zunahme  botanischen 
Unterscheid ungsvermögens  und  der  damit  in  Verbindung  stehenden 
Verfeinerung  der  botanischen  Terminologie.  Über  ähnliche  Verhältnisse 
s.  n.  Kastanie  und  u.  Walnuss. 

In  Italien  werdeu  die  n'uees  pineae  schon  von  Cato  (48,  3)  genannt. 
Der  hier  geltende  Ausdruck  pinus  (aus  *pit-snus  oder  *pi-nus)  wird  zu 
derselben  Wurzel  wie  mru?  gehören  und  wie  dieses  ursprünglich  eine 
nördliche  Conifercnart  be/.eichuct  haben,  dann  aber  auf  die  Pinus  pinea 
übertragen  wordeu  sein.  Weiter  nach  Norden  war  es  dem  Baume, 
der  das  feuchte  Klima  des  Meeres  liebt,  zu  kalt.  Nach  Deutschland 
ging  der  Baum  daher  nicht  über.  Die  eigentliche  Pinus  pinea  wird 
daher  unter  den  pini  des  Capitulare  de  villis  LXX,  86  nicht  gemeint 
sein.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen"  S  290  ff.  und  v.  Fischer- Benzon 
Altd.  Gartenfl.  S.  161.    S.  u.  Obstbau  und  Baumzucht.  , 

Pistazie,  s.  Tcrebiuthaceen. 

Planeten,  s.  Recht,  Sterne,  Woche. 

Platane.  Platanu*  Orientalin  L.  findet  sich  nach  Engler  (bei 
V.  Hehn  s.  u.)  wild  im  Himalaya,  in  Afghanistan,  dem  ^südlichen 
Persien,  in  Imcrctien  und  Gurieu,  in  Paphlagonien,  auf  dem  Libanon 


Digitized  by  Google 


Platane  —  Polyandrie. 


633 


und  Cyperi',  ferner  im  westlichen  und  südlichen  Auatolien,  in  Bithynien, 
in  Thrakien,  Mazedonien  und  Griechenland.  Aher  auch  auf  Sizilien 
und  in  Cnteritalieu  sei  die  Platane  wildwachsend. 

Im  alten  Griechenland  wird  der  in  Vorderasien  religiöse  Verehrung 
geniesseude  Baum  schon  in  der  llias  (II,  305)  genannt.  Die  von  Aulis 
absegelnden  Hellenen  bringen  unter  ihm  Opfer  dar: 

t|uei£  b'  dpqn  ncpi  tcprjvnv  \epou?  icaia  ßumouq 
£pboucv  d0avdTOio*i  T€\r|€(J0"a^  ^Kaiöußas, 
KaXrj  Otto  irXcttaviaTw,  öOev  jte'ev  dfXaöv  übuop. 
Sein  Name  (TrX<xTdvio*TO<5,  nXdiavog,  ebenso  ngriech.)  ist  offenbar  echt 
griechisch,  von  tiXotu?  .breit',  wegen  der  breitschatteuden  Blätter  des 
Raumes,  abgeleitet.    Der  Annahme  der  Botaniker,  dass  der  Baum  in 
Griechenland  einheimisch  sei,  steht  also  von  linguistisch-historischer 
Seite  uichts  im  Wege. 

Etwas  anders  liegen  die  Dinge  in  Italien.  Über  das  Vorkommen 
der  Platane  daselbst  berichtet  schon  Theophrast  1 1 ist.  plant.  IV,  5,  6: 
uev  Y<*p  Tili  Abpict  TtXdTavov  ou  qxMJiv  elvai  ttXtjv  nepl  tö  Aioun.bou£ 
icpöv "  öTtaviav  bfc  Kai  iv  "iTaXia  Trdörj  •  kcutoi  ttoXXo!  koi  ucfdXoi  tto- 
Tauoi  uap"  duepoiv  dXX'  oük  £oik€  <p^peiv  6  tötto«;.  Nimmt  man  biuzu, 
dass  lat.  platarius  (Cato)  dem  Griechischen  entlehnt  ist,  so  wird  man 
anzunehmen  haben,  dass  in  Italien  der  Baum  sieh  hauptsächlich  durch 
die  vou  Grossgriechenland  ausgehende  Kultur  desselben  verbreitete. 
Nach  einer  merkwürdigen  Nachricht  des  Plinius  II  ist.  nat.  XII,  0 
hätte  in  seiner  Zeit  die  Platane  ihren  Weg  bis  zu  den  Morinern  ge- 
funden; doch  ist  wahrscheinlicher,  dass  au  dieser  Stelle  ein  ähnlicher 
Baum,  etwa  der  Ahorn  (s.  d.),  gemeint  ist,  der  zuweilen  mit  denselben 
Wörtern  wie  die  Platane  benannt  wird.  Im  Albanesischen  und  Alt- 
slovenischen  gilt  für  den  letzteren  Baum  Pap  und  repina.  —  Vgl.  V. 
Hehn  Kulturpflanzen0  S.  283  ff.    S.  u.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Poesie,  s.  Dichtkunst,  Dichter. 

Polei,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Polster,  s.  Hausrat. 

Polyandrie.  Diese  bei  zahlreichen  nichtidg.  Völkern  bezeugte 
Form  der  Ehe  (vgl.  darüber  Starckc  Die  primitive  Familie  S.  137  ff.), 
bei  welcher  ein  bestimmter  Kreis  vou  Männern,  meistens  Brüder  (Pbratro- 
gamie)  eine  oder  mehrere  Frauen  gemeinsam  besitzeu,  widerstreitet  so 
sehr  allem  Uber  die  Gemeinschaft  von  Mann  und  Frau  in  der  idg.  Ur- 
zeit feststehenden  (s.  u.  Familie),  dass  von  ihr  bei  den  idg.  Völkern 
als  von  eiuer  alten  Sitte  nicht  die  Rede  sein  kann.  Auch  lassen  sich 
die  wenigen  Beispiele  dieser  Eheform  auf  idg.  Boden  als  verhältnis- 
mässig jung  oder  gar  nicht  auf  echte  Idg.  bezüglich  erweisen.  In 
Indien  ist  in  der  vedischen  und  juristischen  Litteratur  noch  nichts  von 
Polyandrie  bekannt,  und  erst  im  Epos  treten,  z.  B.  in  der  Ehe  der 
Draupadi  mit  den  fünf  Pändu-Sühnen,  Fälle  von  ihr  auf  (vgl.  Delbrück 


Digitized  by  Google 


Polyandrie  —  Polygamie. 


Verwandtschaftsnamen  S.  544).  Von  den  Briten  berichtet  allerdings 
Caesar  De  bell.  gall.  V,  14:  Uxores  habent  dem  duodenique  inter 
8e  commune8,  et  maxime  fratres  cum  fratribm  parentesque  cum 
liberis:  sed  qui  sunt  ex  iis  nafi,  eorum  habentur  liberi,  quo  primum 
virgo  quaeque  deducta  est.  Allein  es  ist  wahrscheinlich,  dass  sich 
diese  Nachricht  gar  nicht  auf  die  keltischen  Briten,  sondern  auf  die 
Ureinwohner  Englands,  die  Pikten,  bezieht,  von  denen  auch  Dio  Cassius 
(LXXVI,  12)  sowohl  hinsichtlich  ihrer  nördlichen  Abteilung  (der 
KaXnbövioi),  wie  auch  der  südlichen  (der  Maidrai)  erzählt:  biaiTwvTai 
iv  tfKnvai?  -ruuvoi  kcii  dvuTröotTOi,  rat?  tovaiFiv  cttikoivok;  xpwuevoi 
Kai  tö  Y€vvu»ueva  Ttdvxa  £KTpecpovT€<;  (vgl.  H.  Zimmer  Z.  der  Savigny- 
Stiftung  für  Rechtsgeschiehte  XV.  B.  Roman.  Abt.  8.  224  ff.).  Aller- 
dings mttsste  dann  bei  den  Ureinwohnern  Englands  und  Irlands  sowohl 
Polyandrie  wie  auch  Mutterrecht  (s.  d.)  geherrscht  haben.  Von  den 
Agathyrsen  (vgl.  Herodot  IV,  104:  dmicoivov  be  tüjv  fuvaiKuiv  -rny^ 
HiEiv  itoieüvrai,  iva  KacriYvnjoi  T€  dXXnXiuv  £wöi  Kat  oiku/km  £övtc<;  ttovtc? 
unre  <p6övu»  jLir|TT  £x9ti  xP^vrai  i<;  dXXr|Xou?)  wissen  wir  nicht,  wohin 
sie  sprachlich  und  ethnographisch  gehören.  Die  Nachricht  des  Polybius 
endlich  (vgl.  K.  0.  Müller  Dörfer  II,  190,  Leist  Graeco-it.  Rechtsg.  S.  78), 
nach  der  in  Sparta  mehrere  (auf  einem  Kleros  sitzende)  Brüder  nur 
eine  Frau  und  gemeinschaftliche  Kinder  besessen  hätten,  stellt,  wenn 
sie  glaublich  ist,  doch  nur  eine  in  eiuem  besonderen  Fall  durch  rein 
wirtschaftliche  Gründe  (die  Unmöglichkeit  auf  einem  kleinen  Kleros 
mehrere  Frauen  zu  ernähren)  veranlasste  Ausnahme  von  der  allgemeinen 
Regel  dar.  Auch  wäre  zu  bedenken,  ob  nicht  die  klassischen  Bericht- 
erstatter, die  bei  den  auf  niedrigerer  Kulturstufe  zurückgebliebenen 
Indogcnnancn  Europas  überall  die  uralte,  ihnen  selbst  nicht  mehr  ge- 
läufige Erscheinung  der  „Hausgemeinschaft",  d.  h.  die  räumliche  Ver- 
einigung mehrerer  verwandten  Familien,  vorfanden,  diesen  Zustand 
zuweilen  mit  Polyandrie  und  Weibergemeinschaft  verwechselten.  That- 
sächlich  soll,  ,wo  mehrere  Gcschlechtsfolgcn  und  Haushaltungen  bei- 
sammen wohnen,  leicht  eine  Art  geschlechtlicher  Ungebundenheit  und 
Vermischung  entstehen"  (vgl.  F.  v.  Hellwald  über  die  russische  izbd, 
Die  menschliche  Familie  S.  öuO).  Einen  hübschen  Beleg  hierfür  giebt 
V.  Hehn  De  moribus  Ruthenorum  8.  244,  wo  ein  junger  Mann  mit 
Stolz  erzählt,  seine  Frau  sei  von  „Batnschka4  (seinem  Vater)  ge- 
schwängert worden.    Hehn  fügt  hinzu:  „Patriarchalismus4. 

Polygamie.  Mit  Ausnahme  von  Griechen  und  Römern  lassen 
sich  polygamische  Verhältnisse  noch  bei  allen  idg.  Völkern  nach- 
weisen. Über  die  Inder  äussert  sich  Delbrück  Vcrwandtschaftsnameu 
8.  ä40:  „Dass  ein  Mann  mehrere  Frauen  haben  konnte,  ist  unzweifel- 
haft. So  werden  z.  B.  Mann  selbst  zehn  Weiber  (jayä'x)  zugeschrieben. 
Als  regelmässig  werden  vier  Frauen  des  Fürsten  erwähnt  ....  Doch 
wird  in  den  Regeln  (Sütras)  Über  Opfer  und  Haushaltung  derZnstaud 


Digitized  by  Google 


4 


Polygamie  —  Post.  635 

als  der  natürliche  vorausgesetzt,  dass  ein  Mann  nur  eine  Kran,  oder 
doch  nnr  eine  Hauptfrau  hatu.  Dazu  vgl.  H.  Zimmer  Altind. 
Leben  S.  324  Aber  Zeugnisse  für  Polygamie  im  Rigveda.  Von  den 
alten  Persern  berichtet  Herodot  I,  135:  Ycm^outfi  b'  £ko.o"to<;  aütOuv 
TroXXd?  ufcv  tcoupMaq  yuvoukcu;,  ttoXXui  b'  £ti  TrXeövcu;  naXXcocä<;  ktwvtcu, 
und  derselbe  von  den  Thrakern:  fyet  Yovaixa?  2i<ao*TO<;  TioXXäs  (V,  5; 
das  folgende  zeigt,  dass  unter  YuvaiKCtq  eigentliche  Frauen  verstanden 
sind,  da  daneben  noch  <piXcu  .Kebse'  genannt  werden).  Unzweifelhaft 
ist  auch  die  Vielweiberei  bei  altslavischcn  Grossen  (von  dem  ge- 
meinen Mann  erfahren  wir,  wie  häutig,  nichts).  Die  wirkliehen 
Frauen  weiden  als  em//  vodimyja  (:  altsl.  vedq  ,flthre')  „ihm  Zugeführte" 
im  Gegensatz  zu  den  Heischläferinnen  (naloznia/)  bezeichnet  (vgl. 
Ewers  Das  älteste  Recht  der  Russen  8.  105  ff.).  Die  alten  Preussen 
verpflichteten  sieh  erst  im  Jahre  1240,  nicht  mehr,  wie  bisher,  2  oder 
3  Weiber  zu  nehmen,  sondern  sich  mit  einem  zu  begnügen  (vgl.  Hart- 
knoch  Das  alte  und  neue  Preussen  S.  177).  Bei  den  Germanen  tritt 
im  Anbeginn  ihrer  Überlieferung  die  Vielweiberei  im  Westen  noch  als 
Ausnahme,  bei  Fürsten  (Tac.  Germ.  Cap.  18),  im  Norden  aber  als  Regel 
uns  entgegen  (vgl.  Weinhold  Altn.  Leben  8.  249),  und  auch  für  die 
Gallier  lässt  der  Bericht  des  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  19  (:  Et  cum 
paterfamiliae  illustriore  loco  notus  deeexsit,  propinqui  conreniunt, 
et,  eins  de  morte  si  reit  in  mspicionem  venit,  de  u.roribns  in  ser- 
vilem modum  quaestionem  hahent)  auf  Polygamie  schliessen. 

Ohne  Zweifel  hat  man  also  für  die  idg  Urzeit  von  polygamischen 
Verhältnissen  anszugehn,  wobei  jedoch  zu  bedenken  ist,  dass  wie  in 
historischeu,  so  in  vorhistorischen  Zeiten  das  Halten  zahlreicher  Frauen 
im  allgemeinen  nur  dem  Reichen  und  Vornehmen  möglich  gewesen 
sein  wird.  Auch  wird  man  einen  Ansatz  zu  monogamischer  Ehe  schon 
in  der  Urzeit  in  dem  idg.  *potnt-  , Ehefrau,  Herrin'  (neben  *poti-*  ,Ehe- 
mann,  Herr  )  erblicken  dürfen,  womit  die  erste  oder  Lieblingsfrau  des 
Mannes  ursprünglich  benannt  worden  sein  wird  (s.  u.  Ehe:  vgl.  auch 
P.  v.  Bradke  Gött.  Gel.  Anz.  1890  S.  913  f.,  der  nach  zahlreichen 
Einwendungen  gegen  diese  schon  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte* 
S.  199,  i)99  ausgeführten  Ansichten  schliesslich  zu  wesentlich  derselben 
Auffassung  gelangt).  —  8.  noch  u.  Familie  und  Heirat. 

Polytheismus,  s.  Religion. 

Pomade,  s.  Seite. 

Pomeranze,  s.  Zitrone. 

Posanne,  s.  Musikalische  Instrumente. 

Post.  Eine  ständige  Einrichtung  zur  Beförderung  von  Nach- 
richten und  Personen  ist  im  Altertum  zuerst  durch  die  persischen 
Könige  ins  Leben  gerufen  worden.  Vgl.  Herodot  VIII,  98:  oütuu  toiOi 
rtepo*r|o"i  £2€upn.Tcti  toüto.  X€"rouo"i  y<*P.  ü>S  öo"tuv  öv  f|U€p^ujv  f\  r\  Träo"a 
ööds,  toOoötoi  Vttttoi  t6  Kai  <5vbp€<;  bieOiäOi,  Kcrrü  n.u€pr|0*ir|V  °^öv  ^K(*~ 


Digitized  by  Google 


63»; 


Post. 


<jttiv  uttto«;  T€  Kcu  dvn.p  TtTatM^vo?,  tou?  oute  vi<p€tö?,  oük  öpßpo?,  oü  Kaöua, 
oü  vü£  £pY£i  MH  ou  KaTavutfai  töv  TrpOK€ip€VOV  duüUTÜj  bpöuov  nr|V  Taxiarnv. 
6  pev  bf)  TrpüJToq  bpapibv  Trapabiboi  Tä  dvteTaXp^va  tüj  beuic'puj,  6  bk 
beÜTepo?  tüj  TpiTiu.  tö  be  £vöeÖT€V  f\br\  kot'  äXXov  bic£^px€Tai  Trapabi- 
böpeva  .  .  .  touto  tö  bpdprma  tüjv  Vttttujv  KaXe'oucri  TT£po"ai  dYYapn,- 
iov  und  V.  Ö2  (über  die  Strasse  diro  OaXdotfns  jf\q  'Iuivujv  rrapä  ßa- 
o'iXe'a):  o*Ta9poi  tc  TravTaxr)  €to"i  ßacriXn.ioi  Kai  KaTaXüo*i€?  KÖXXiöTai, 
bid  oiKtonevns  T€  n  öböq  ärcacra  Kai  datpaXeos,  dazu  Xcnophon  Cvro- 
paedie  VIII,  0,  17. 

Nach  Griechenland  muss  die  Kenntnis  dieses  persischen  Kourier- 
dienstes  früh  gedrungen  sein,  nie  denn  schon  Aeschylos  Agauienin. 
v.  282:  (ppuKTo?  bi  cppuKTÖv  beüp'  dTr'  dYYdpou  nupö?  eireurrev  (von 
den  Feuern  gesagt,  die  Trojas  Fall  melden)  das  persische  Wort  ge- 
braucht. Im  Iranischen  seihst  hat  dasselbe  aber  bis  jetzt  keine  be- 
friedigende Erklärung  gefunden  (ältere  Deutungen  vgl.  bei  Vf.  Handels- 
geschichte  und  Warenkunde  It  31).  Im  Gegenteil  hat  man  neuerdings 
vermutet,  dass  äffapoq,  drTapniov,  dYYap*uw  auc^  uu  Persischen  Lehn- 
wort sei  und  zu  babylonisch  agru  »Mietling*  gehöre,  wie  auch  das  von 
Suidas  als  Synonym  von  ärrapoq  bezeugte  do"Ydvbn.q  (dOTavbnq  :  o*n* 
paivei  Touq  ix  biaboxns  ßacriXiKoüq  YpappaToepöpouq)  aus  babylonisch 
asgandu  , Eilbote'  übernommen  sei  (vgl.  Jensen  bei  P.  Horn  Grundriss 
d.  npers.  Et.  S.  28  f.,  2ö4).  In  diesem  Falle  dürfte  man  vermuten, 
dass  die  persische  Post  ihr  Vorbild  im  Euphratthal  gehabt  hat. 

Nachahmung  hat  das  persische  Beispiel,  das  ein  grosses  und  von 
einem  einheitlichen  Willen  geleitetes  Reich  voraussetzt,  auf  griechi- 
schem Hoden  nicht  gefunden.  Hier  begnügt  man  sich  bis  in  späte 
Zeiten  mit  den  gelegentlichen  Tagesläufern  (npcpobpöpoi,  vgl.  agls. 
hleape're  »Läufer',  , Eilbote')  und,  bei  geheimer  Botschaft,  mit  der 
OKUTdXn,.  Einen  bleibenden  Gewinn  stellt  nur  die  Entfernungsberechnung 
nach  persischen  Ttapaad-fTm  (pchl.  fraxang,  npers.  ferseng)  dar  (Dcu- 
tnugsversuch  dieses  Wortes  bei  Lagarde  Ges.  Abh.  S.  78). 

Zu  einer  genauen  Nachbildung  des  persischen  Postdienstes  entwickelte 
sich  hingegen  während  der  Kaiserzeit  der  römische  cursus  publicus, 
in  dem  auch  das  persisch  griechische  angaria  als  Bezeichnung  des 
Kourierwesens  bis  in  das  mittelalterliche  Latein  fortgetragen  wurde. 
Was  von  Kyros  in  der  Cyropaedie  (s.  o.)  berichtet  wird,  erzählt  auch 
Sueton  von  Augustus:  Et  quo  celerius  et  sub  manum  annunciari  cog- 
noscique  poxset,  quid  in  l*rorincia  quaque  gereretur,  iuvenes  primo 
modieift  intercallitt  per  militares  tiax,  dehinc  vehicula  disposuit.  Den 
persischen  tfraGpoi  und  KaTaXüoie;  entsprechen  die  römischen  man- 
siones  und  permutationes,  auch  positionex  (mint,  posita  »Standort  der 
Pferde',  woraus  das  jungeuropäische  it.  posta,  nhd.  post,  lit.  püstas, 
russ.  pocta).  Wie  die  persische,  dient  auch  die  römische  Einrichtung 
nicht  dein  Verkehr  im  allgemeinen,  sondern  in  erster  Liuic  dem  Staate- 


Digitized  by  Google 


Post  —  Priedel-. 


037 


dienst  t.nd  der  Heeresbeförderung;  und  -Verpflegung.  Die  römischen 
nutnxionex  in  Italien  wie  in  den  Provinzen  waren  zugleich  , Heeres- 
lager' und  , Wirtshäuser',  wie  auch  das  alid.  heriberqa,  eine  Ver- 
deutschung; des  lateinischen  Wortes,  beide  Bedeutungen  in  sieh  vereinigt 
fs.  n.  Gasthaus).  Auch  direkt  sind  römische  Termini  dieses  cursus 
publicux  in  das  Oermanische  Übergegangen.  So  das  galliseh.-lat.  para- 
veredux  ,das  Postpferd  auf  Nebenlinien'  (ahd.  pferifrhl,  pferid,  s.  u. 
Pferd),  so  lat.  muht*,  der  Name  des  Maultiers,  das  in  diesem  römischen 
Postdienst  ebenfalls  eine  wichtige  Rolle  spielte  (ahd.  mill,  s.u.  Maul- 
i  i  c  r),  so  lat.  camtx.  die  Benennung  des  gewöhnlichsten  Transport- 
wagens im  Postdienst,  und  lat.  carruca  ,Prachtwageu'  (ahd.  karro, 
karra  und  karrüh,  s.  u.  Wagen),  so  das  lat.  xtrfita,  die  gemauerte 
Heer-  und  Poststrasse  (ahd.  xtrüzza,  s.  u.  Strasse),  und  das  römische 
Entfernungsmass,  lat.  mttia  sc.  pasxuum  (ahd.  milla,  mndl.  mih,  agls. 
mil).  Ansätze  zur  Bildung  eigener  Posten  lassen  sich  im  Norden  erst 
in  der  Zeit  der  fränkischen  Hausmaier  nachweisen. 

Versuche  freilich,  Nachrichten  schnell  von  Ort  zu  Ort  gelangen  zu 
lassen,  mögen  auch  bei  den  Nordvölkern,  wenigstens  da,  wo  sich 
staatliche  Zusammenhänge  gebildet  hatten,  früh  gemacht  worden  sein. 
Von  einem  derselben  bei  den  Oalliern  berichtet  Caesar  De  bell.  gall. 
VII,  3:  Celeriter  ad  omnex  Galliae  ciritatex  fama  perfertur.  nam 
ubi  quae  minor  atque  illuxtrior  iueidit  rex,  clamore  per  agrox  re- 
gionexque  signi/icant,  hunc  alii  deim  epx  e.i'cipiuiit  et  pro.rimix  tradunt. 
Vgl.  in  sachlicher  Hinsicht  H.  Stephan  Das  Verkehrsleben  im  Altertum 
(Historisches  Taschenbuch  v.  F.  Raumer  4.  Folge  9.  Jahrg.  S.  1  ff.). 
Presse,  s.  Wein. 

Priester.  Eine  idg.  Bezeichnung  für  im  Gottesdienst  berufs- 
mässig thätige  Personen  ist  bis  jetzt  nicht  nachgewiesen  worden.  Die 
einzige  Gleichung,  auf  die  man  sich  in  diesem  Sinne  berufen  könnte 
und  berufen  hat  (vgl.  .1.  Wackernagul  Ursprung  des  Brabmanismus 
S.  31),  ist  seit,  brähman-  N.  .Andacht',  brahmän-  , Priester'  =  lat. 
flämen.  Allein  es  lässt  sieb  erweisen,  dass  die  ursprünglichste  Be- 
deutung dieser  Sippe  nicht  eine  persönliche  und  also  nicht  die  eines 
Priesters  gewesen  sein  kann.  Für  das  indische  Wort,  das  wichtigste 
der  indischen  Religionsgeschichte,  neigt  man  sich  nach  dem  Vorgang 
M.  Hangs  (Über  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  brahma 
Sitzungsb.  d.  kgl.  bayer.  Ak.  d.  W.  zu  München  1868  II  S.  80  ff.) 
und  R.  Pischels  (Gotting,  gel.  Anzeigen  1894  S.  420  ff.;  mehr  und 
mehr  der  Ansicht  zu,  dass  die  Grundbedeutung  desselben  nicht  mit 
Böhtlingk-Rotli  in  der  Sphäre  der  Religion  („die  als  Drang  und  Fülle 
des  Gemütes  auftretende  und  den  Göttern  zustrebende  Andacht 
sondern  vielmehr  in  der  des  Zaubers  zu  suchen  sei,  dass  brähman- 
ursprünglich  Zauberspruch',  brahmän-  demzufolge  den  , Kenner  von 
Zaubersprüchen'  bezeichnet  habe.    Dieser  Meinung  schliesst  sich  mit 


Digitized  by  Google 


638 


Priester. 


voller  Entschiedenheit  auch  H.  Osthoff  Allerhand  Zauber  etymologisch 
beleuchtet  (B.  B.  XXIV,  113  ff.)  au,  nur  dass  er  seit,  brähman-  von 
lat.  flämen  trennen  und  zu  ir.  bricht  ,Zauber',  altn.  bragr  ,Dichtkunst', 
lat.  forma  („Formel")  stellen  möchte;  doch  wird  man  ihm  hinsichtlich 
dieses  letzteren  Punktes  angesichts  der  nahezu  vollständigen  Überein- 
stimmung von  sert.  brähman-  =  lat.  flämen  (worüber  auch  Kretschmer 
Einleitung  S.  128  zu  vergleichen  ist)  nicht  folgen  können.  Ist  aber 
die  Zusammenstellung  von  sert.  brähman-  und  lat.  flämen  richtig, 
dann  ist  fttr  das  lat.  Wort,  das  durch  seine  Bildung  (flämen  wie  carmen, 
agmen  etc.,  nicht  *flämö)  auf  einen  ursprünglich  neutralen  Begriff  hin- 
weist, die  Grundbedeutung  Zauberspruch'  anzusetzen,  die  durch  eine 
Zwischenstufe  wie  ,Gemeinschaft  von  Kennern  der  Zaubersprüche' 
hindurch  sich  auf  lateinischem  Boden  zu  der  historischen  Bedeutung 
von  , Priester'  (einzelner  Kenner  der  Zaubersprüche)  entwickelt  hat. 
Es  verdient  in  diesem  Zusammenhang  bemerkt  zu  werden,  dass  auch 
das  lat.  »acerdos  , Priester'  seiner  Bildung  nach  (*sacro-döti-)  auf  eine 
Bedeutungsentwicklung :  ,Opfergebung',  Gemeinschaft  von  Opfergebern', 
einzelner  Opfergeber'  (Priester)  hinzuweisen  scheint. 

Im  übrigen  fehlt  es  innerhalb  der  idg.  Benennungen  des  Priesters 
an  jeder  Übereinstimmung,  abgesehn  von  den  arischen  Sprachen,  die 
die  für  die  religionsgeschichtliche  Sonderentwicklung  der  Inder  und 
Iranier  hochwichtige  Gleichung  von  sert.  hö'tar-  (einer  der  hervor- 
ragendsten vedischen  Priester)  =  aw.  zaotar-  („vornehmster  Liturg  des 
awestischen  Rituals")  darbieten.  Daneben  wäre  auf  die  Übereinstimmung 
von  sert.  ätharvan-  , Feuerpriester'  =  aw.  a&aurun,  äßravan  , Priester' 
zu  verweisen. 

In  Europa  ist  das  Slavische  äusserst  arm  au  alten  heidnischen 
Ausdrücken  für  den  Diener  Gottes.  Zu  nennen  ist  eigentlich  nur  das 
altsl.  zrüci,  russ.  irecl,  das  zu  ireti  ,sacrificare'  (s.  u.  0  p  f  e  r)  gehört. 
Reicher  ist  das  Litu-Preussische  (s.  u.).  Auch  den  germanischen 
Sprachen  fehlt  es  an  einer  alle  Stämme  beherrschenden  Bezeichnung 
des  Priesters.  Im  Gotischen  und  Altnordischen  gelten  gudja  (daneben 
wird  für  dpxiepcu^  einmal  von  Ullilas  aühumists  weiha  ,Obereter  der 
Heiligen'  gegeben)  und  gooi,  gudi,  beides  Ableitungen  von  got.  gup 
,Gott*.  Ahd.  cotinc  ,tribunus'  zeigt,  wenn  es  wirklich  hierher  gehört, 
jedenfalls  eine  andere  Bildung.  Übereinstimmung  weisen  auch  got. 
gup-blöstreis  ,9€oo-eßn.<;'  und  ahd.  pluosträri  auf;  doch  können  beide 
auch  unabhängige  Ableituugen  von  got.  *blÖ8tr,  ahd.  bluostar  ,Opfer' 
sein.  Aus  dem  Althochdeutschen  sind  zu  nennen:  harugäri  und para- 
toäri,  welche  die  Priester  als  Huter  der  heiligen  Haine  bezeichnen, 
aus  dem  Althochdeutschen,  Altsächsischen  und  Friesischen  ewart  und 
teago,  die  die  richterliche  Bedeutung  des  germanischen  Pricstertums 
hervorheben  (s.  u.  Richter).  Von  burgundisch  sinistus  ist  später  zu 
handeln.    Den  altgallischeu  Pricsterstaud  benennt  druida,  ir.  drüi, 


Digitized  by  Google 


Priester. 


6:J9 


nach  Thurncysen  (bei  Holder  Altkcltischer  Sprachschatz)  aus  *dru- 
vid-8  latinisiert,  ,der  hochweise',  eine  Bezeichnung,  die  ihre  genaue 
Entsprechung  in  dein  litu-preussisehen  Namen  des  Priestern  und  Zauberers 
tcaidelotte,  waidewut  :  icaist  , wissen'  (vgl.  auch  bei  Nesselmann  The- 
saurus S.  190:  tcaidleimai,  „wir  waidlen",  d.  Ii.  wir  verrichten  die 
gottesdienstlichen  Gebräuche)  findet.  Auch  im  Irischen  ist  das  Wort 
noch  in  der  Bedeutung  von  ,magus',  ,Zauberer'  '  ir.  druidecht  , Zauberei  ) 
erhalten.  Von  der  lateinischen  Gesamtbezeichuung  der  Priester, 
sacerdos,  war  schon  die  Rede,  ebenso  von  den  fiäminex.  Von  den  Be- 
nennungen anderer  altlateiiiischer  Priestertümer  sind  die  pontifices  als 
,Wege-  oder  Brückenbauer',  die  salii  als  .Springer'  oder  ,Tänzer',  die 
fratrea  anales,  als  ,Feldbrüderschaft'  (s.  u.),  wohl  auch  die  augures  als 
,Vogelflugverkündiger'  unmittelbar  klar,  während  die  Namen  von 
Collegien  wie  der  fetiales  und  der  htperci  noch  der  Aufklärung  harren. 
Der  griechische  Name  des  Priesters  endlich,  \epeu{,  bezeichnet 
einen,  der  es  mit  dem  \epov  ,dem  Heiligen'  zu  thun  hat  (vgl.  voiieüq 
,Hirt'  :  vöuo?,  u€TaXX€u?  Bergarbeiter'  :  pitaXXov)  oder  noch  eher 
einen,  der  es  mit  einem  (Heiligtum'  (iepöv  ,Tempel')  zu  thun  hat,  wie 
denn  der  griechische  Priester,  wenigstens  in  homerischer  Zeit,  ganz 
und  gar  an  ein  solches  gebunden  ist.  Andere  griechische  Namen  des 
Priesters  finden  sich  bei  Hesychius  (ed.  M.  Schmidt  IV,  2  S.  42).  So 
<5pY€u>v€S  :  op-rict  ,geheimer  Gottesdienst'  von  £p-rov  ,\Verk'  (vgl.  bei 
Osthoff  a.  a.  0.  S.  109  altsl.  cartl  ,Zanber",  lit.  kere'ti  .bezaubern', 
sert.  krtyä'  .Behexung'  :  sert.  kar  ,thuen',  krti-  ,Werk'),  rduapo^,  tö- 
noupo?,  npößoXo?  u.  s.  w.  Sie  gehen  fast  alle  in  das  Gebiet  der  Mantik 
über,  da  Wahrsagerei  uud  Priestertum  gerade  auf  griechischem  Boden 
eng  bei  einander  liegen. 

Überblickt  man  die  geschilderten  Verhältnisse,  so  ergiebt  sieh,  zunächst 
von  rein  linguistischem  Standpunkt  aus,  der  Ansatz,  dass  die  Indoger- 
raanen  in  der  Urzeit  noch  keine  gottesdieustlichen  Personen 
kannten,  welchen  die  Darbringung  der  Opfer  n.  s.  w.  oblag.  Dieser 
Ansatz  scheint  durch  die  thatsächlicheu  Verhältnisse,  wie  sie  sich 
wenigstens  bei  z  w  e  i  idg.  Völkern  noch  finden,  als  richtig  bestätigt  zu 
werden.  Nach  Krek,  welcher  Einleitung  iu  die  slavische  Ltg.!  S.  411 
die  Litteratur  über  diese  Frage  hinsichtlich  der  altslavischcu  Völker 
gesammelt  hat,  hätte  es  bei  diesen  Priester  in  der  ältesten  Zeit  nicht 
gegeben,  als  Vollstrecker  der  Opfer  seien  vielmehr  ausschliesslich  die 
Hausväter,  die  Sippen-  und  Stammesältesten  sowie  die  Fürsten  anzu- 
sehn.  Dasselbe  wird  man  mit  Berufung  auf  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  21: 
Neque  druides  habent,  qui  rebus  divini«  praesint,  neque  sacrifieiis 
Student  („sie  legen  keinen  sonderlichen  Wert  auf  Opfer",  vgl.  VI,  22: 
agriculturae  non  student)  für  die  iiitesten  Germanen  oder  wenigstens 
für  d  i  e  Germanen,  welche  Caesar  kannte,  vermuten  müssen.  Allerdings 
ist  die  Stelle  im  Gegensatz  zu  den  keltischen  Zuständen  gesagt,  allein 


Digitized  by  Google 


640 


Priester. 


die  xVusd  rucksweise  des  Schriftsteller!*  wäre  doch  mehr  als  wunderlich, 
wenn  er  hätte  sagen  wollen:  die  Germanen  haben  zwar  keine  Druiden, 
aber  andersartige  Priester,  die  den  Opfern  vorstehn.  Auch  wurde  im 
skandinavischen  Norden  das  Opfer  ausschliesslich  von  den  weltlichen 
Herrschern  geleitet  (vgl.  Golther  Germ.  Myth.  S.  619),  wenn  es  auch 
daneben  bereits  eine  bestimmte  Art  von  Priestern  gab,  auf  die  unten 
zurückzukommen  sein  wird. 

Wenn  es  demnach  nicht  an  Anzeichen  fehlt,  welche  auf  einstige 
Pricsterlosigkeit  der  Indogermanen  hinweisen,  so  wird  die 
Frage,  auf  welchem  Wege  aus  einem  solchen  Zustand  die  Priester  und 
Pricstertttmer  der  Einzelvölker  hervorgegangen  sind,  noch  eingehender 
Untersuchungen  bedürfen.  Zwei  Sätze  aber  lassen  sich  schon  jetzt  mit 
ausreichender  Sicherheit  aufstellen,  nämlich  einmal,  dass  schon  in  sehr 
früher  Zeit  heilige  Familien  und  Sippen  vorhanden  waren,  die 
sich  in  dem  Besitz  besonders  wirksamer  Zauberformeln,  Opfer  und 
Gebete  befanden,  die  in  ihnen  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  weiter 
erbten,  und  zweitens  dass  zahlreiche  wichtige  Priesterärater  sich  von 
den  Funktionen  des  idg.  Königs  oder  Stammeshäuptlings  losgelöst 
haben.  Heilige  Clane  wie  die  Vasishthas,  die  Vicvämiträs,  die  Rharad- 
väjäs  u.  a.  sind  als  die  Vorläufer  der  späteren  Priesterkaste  aus  dem 
Rigveda  wohl  bekannt,  und  es  fehlt  nicht  an  Spuren  dafür,  dass  diese 
Priesterfamilien,  die  nach  der  Überlieferung  im  wesentlichen  ein  und 
denselben  Kultus  vertreten,  in  früherer  Zeit  zahlreiche  So nd erkalte 
und  Spczialriten  besessen  haben  (vgl.  Ohlenberg  Die  Religion  des 
Veda  S.  ST.'i).  Aber  auch  in  Europa  ist  derartiges  nicht  selten. 
Namentlich  sind  uns  aus  dem  alten  Griechenland  zahlreiche  sakrale 
Geschlechter  mit  besonderem  Kulte  überliefert,  die  EuiuoXmbai,  die 
'ET€oßouTdbai,  die  'Hauxtbai,  die  Kivupäbai,  KpovTibat,  Kuvvibm,  TTot- 
uevibai  u.  s.  w.  Das  Priestcrtum  ist  in  diesen  Familien  Gesamtbesitz 
wie  ursprünglich  alles  Eigentum  (s.  d.),  und  erbt  von  dem  Vater  auf 
sämtliche  Söhne  und  von  diesen  auf  sämtliche  Enkel  (vgl.  P.  Stengel 
Die  grieeh.  Kultusaltertümer  in  ,J.  v.  Müllers  Handbuch  d.  kl.  Alter- 
tumsw.  V,  3  S.  Hl  f.).  Durch  die  Errichtung  eines  Heiligtums  wird 
ein  solches  Priestcrtum  (was  im  vedischen  Indien  nicht  vorkommt) 
lokal  und  bildet  so  das  \epöv,  an  das  bei  Homer  «Iii*  Existenz  des  lepeüq 
geknüpft  ist.  Dem  homerischen  Priester  am  nächsten  steht,  was  wir 
über  die  norwegischen  Goden  wissen  (vgl.  Golther  a.  a.  O.  S.  f>lö>. 
Sic  können  den  ihnen  gehörigen  Tempel  noch  abbrechen  und  damit 
anderswohin  ziehen.  Auch  bei  ihnen  erbt  der  Priesterstand  durch 
mehrere  Geschlechter  fort  i  vgl.  ,1.  Grimm  D.M.  P,  8.'»).  Ganz  anders 
scheinen  auf  den  ersten  Mick  die  Verhältnisse  im  ältesten  R  o  m  zu 
liegen.  Hier  sind  es  staatliche  Collegien,  keine  Familienverbände,  denen 
die  Ausübung  der  einzelnen  Kulte  obliegt.  Gleichwohl  fehlt  es  auch 
hier  nicht  an  Resten  eines  älteren  Zustand».    Den  unzweideutigsten 


Digitized  by  Google 


Priester. 


G41 


stellen  die  fratres  arrales  dar.  In  der  Zeit,  wo  diese  Benennung 
geprägt  wurde,  kann  frater  nichts  anderes  als  den  wirklichen  Ver- 
wandtschaftsgrad bezeichnet  haben  und  nicht  etwa  wie  unser  „Bruder" 
in  „Klosterbruder",  „Amtsbruder",  „Verbindungsbruder  gebraucht 
worden  sein.  Zum  Überfluss  berichtet  zur  Erklärung  des  Xamens  die 
Sage  (vgl.  Marquardt  Römische  Staatsverwaltung  III,  429),  dass  Acca 
Larentia,  die  Frau  des  Fanstulus,  12  Söhne  gehabt  habe,  mit  denen 
sie  jährlich  einmal  für  die  Fruchtbarkeit  der  Felder  geopfert  habe. 
Wir  haben  also  eine  eigentliche  Brüderschaft  (griech.  <ppn.Tpr|,  slav. 
bratstvo,  s.  u.  Sippe)  vor  uns,  deren  erb-  und  eigentümliches  Zauber- 
lied jener  uus  glücklich  erhaltene  Gesang  war,  der  gerade  durch  die 
vereinigte  Anrufung  der  Totengeistcr  (Enos  Lasen  iueate,  s.  u.  Ahnen- 
kultus)  und  eines  eigentlichen  Gottes  (Enos  Marmor  iuvato)  den 
Stempel  höchsten  Altertums  trägt  (s.  u.  Dichtkunst,  Dichter).  Dies 
macht  es  wahrscheinlich,  dass  auch  andere  altrömische  Priestertümer 
in  verwandtschaftlichen  Organisationen  gewurzelt  haben.  Für  die  ponti- 
fices,  die  Weg-  und  Brückenbauer,  deren  Gewerbe  in  alten  Zeiten  von 
sakralen  Riten  umgeben  gewesen  sein  muss,  wird  dies  vielleicht  durch 
ihr  griechisches  Ebenbild,  das  böotisch-attischc  Geschlecht  der  Ge- 
phyräer  (:  yiyvpa  , Damin,  Brücke')  wahrscheinlich  gemacht  (vgl.  Leist 
Gräco-italische  Rechtsgeschichte  S.  185;  doch  s.  u.  Brücke). 

Der  zweite  der  oben  angefühlten  Sätze  behauptete  die  Loslösung 
zahlreicher  Priestertümer  aus  dem  Funktionenkreis  des  Königs  (s.  d.). 
Im  vedischen  Altertum  zwar  ist  dieser  Prozess  bereits  zum  Abschluss 
gediehen.  Hier  bedarf  der  König  als  Opferveranstaltcr  unumgänglich 
der  Dienste  des  Hauspriesters  (puröhita-).  „Nicht  essen  die  Götter", 
sagt  das  AitarSya  ßrähmana  VIII,  24  (Oldenberg  S.  374),  „die  Speise 
eines  Königs,  der  keinen  Purohita  hat.  Will  also  ein  König  opfern, 
soll  er  einen  ßrahmanen  zum  Purohita  machen,  damit  die  Götter  seine 
Speise  essen".  Auders  noch  im  homerischen  Zeitalter.  Hier  beschränkt 
sich  die  Opferthätigkeit  des  Priesters,  wie  wir  schon  sahen,  ganz  auf 
sein  Heiligtum.  Die  häuslichen  Opfer  besorgt  der  eiuzelne,  und  für 
das  ganze  Volk  opfert  der  König,  ohne  dass  ein  Priester  zugezogen 
würde.  So  fest  ist  der  Gedanke  des  Priestertums  mit  der  Würde  des 
Königs  verknüpft,  dass  nach  dem  Sturze  des  Königtums  die  priester- 
lichen Funktionen  desselben  in  dem  athenischen  öpxiuv  ßao*iX€Ü£  weiter 
leben.  Genau  so  ist  die  Entwicklung  im  alten  Rom.  Wie  die  sacra 
des  Hauses  von  dem  pater  familias,  so  ist  in  der  Königszeit  der 
öffentliche  Gottesdienst  von  dem  König  verwaltet  worden.  Mit  der 
Aufhebung  des  Königtums  ward  die  geistliche  Gewalt  des  Königs  auf 
den  Pont if ex  maximus  übertragen.  Für  einige  bestimmte  geistliche 
Handinngen  aber,  die  an  den  Namen  des  Rex  geknüpft  zu  sein 
scheinen,  behielt  man  auch  einen  Priester  mit  dem  Namen  Rex  {rex 

Schräder,  Reallexikon.  41 


Digitized  by  Google 


642 


Priester. 


sacrarum,  sacriftciorum,  sacrificus,  sacri/iculus)  bei  (vgl.  weiteres  bei 
Marquardt  a.  a.  0.;. 

Etwas  weniger  deutlich  lässt  sich  der  hier  in  Frage  stehende  Vor- 
gang bei  den  Germanen  nachweisen.  Nimmt  mau  von  den  Nach- 
richten des  Tacitns  über  einen  altgermauischen  Priest  erstand,  der  also 
nach  dem  obigen  in  der  Zeit  zwischen  Caesar  und  Tncitus  aufge- 
kommen sein  oder  an  Bedeutung  gewonnen  haben  muss,  diejenigen 
aus,  welche  sich  auf  ein  lokales  Heiligtum  beziehn,  den  Priester  der 
Nerthus  (Germ.  Cap.  40)  und  den  Priester  im  Haine  der  Alcis  bei 
den  Nahauarvaleu  (Cap.  43),  so  weiden  folgende  Funktionen  des  alt- 
germauisehen  Priesters  von  Tacitus  erwähnt.  Er  gebietet  den  Frieden 
iu  der  Volksversammlung  (Cap.  1 1 :  Silentium  per  sacerdotes,  quibus 
tum  et  coercendi  ius  est,  imperatur),  er  hat  die  -Strafgewalt  im  Krieg 
(Cap.  7:  Ceterum  neque  animadvertere  neqtie  tincire,  ne  verberare 
quidem  nisi  sacerdntibus  permissum,  non  quasi  in  poenam  nec  ducis 
iussu,  ned  velut  deo  imperante,  quem  adesse  hellantibus  credunt),  er 
trägt  die  Fahnen  ans  den  heiligen  Hainen  herbei  'Cap.  7:  Kfjigiesque 
et  signa  quaedani  detracta  lucis  in  proelium  ferunt),  er  deutet  in 
öffentlichen  Angelegenheiten  das  Los  und  begleitet  zusammen  mit  dem 
König  oder  Fürsten  den  mit  Rossen  bespannten  heiligen  Wageu,  um 
das  Wiehern  der  Tiere  zu  beobachten  iCnp.  10:  Mo.c,  si  publice  con- 
sultetur,  sacerdos  cinitati*.  sin  pricatim,  ipse  pater  familiae  .... 

(sttrculos)  interpretatur  quo*  (equox)  pressos  sacro  curru 

sacerdos  ac  rex  vel  prineeps  civitatis  comitantur  hinnitusque  ac  fre~ 
mit us  obsercant).  Von  diesen  Funktionen  lässt  sich  wenigstens  eine, 
die  Strafgewalt  im  Krieg,  als  zweifellos  von  der  weltlichen  auf  die 
geistliche  Macht  übertragen  nachweisen,  da  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  23 
ausdrücklich  bezeugt:  Cum  bellum  cicitas  auf  illatum  defendit  aut 
infert,  magistrat us,  qui  ei  hello  praesint,  ut  vitae  necisque  ha- 
beant  pot  estatem,  deliguntur.  Nimmt  man  hinzu,  dass  bei  den 
Germanen,  wie  der  König,  so  der  Priester  dem  Adel  angehören  muss 
(vgl.  J.  Grimni  R.-A.  S.  207  ff.),  dass,  wie  der  Stammeshäuptling  als 
Alderujann  (Starost,  s.  u.  König),  auch  der  Priester  als  „Ältester" 
(burguud.  sinistus  :  lat.  senex)  bezeichnet  wird,  dass  das  germanische 
*kuningaz,  wie  lit.  kunigas,  cech.  knez,  polu.  ksiqdz  u.  s.  w.  , Pfarrer' 
zeigen,  zu  einer  Zeit  iu  den  Osten  gedrungen  sein  könnte,  in  der  dem 
germanischen  Stammeshaupt  auch  priesterliche  Funktionen  zukamen,  so 
wird  dies  alles  zusammen  es  wahrscheinlich  machen,  dass  auch  bei  den 
Germanen  die  wichtigsten  Priesterämter  eine  Abzweigung  der  Königs- 
gewalt darstellen.  Ähnlich  liegen  die  Dinge  bei  den  Litauern  and 
Preusscn.  Ein  baltischer  Ausdruck  für  den  Priester  ist  hier  tcur- 
schaites,  ein  Wort,  das  (vgl.  v.  Gricnbergcr  Archiv  für  slav.  Phil. 
XVIII,  75)  entweder  zu  altpr.  urs  ,alt',  russ.-lit.  orits,  lit.  veraltet 
wöras  oder  zu  lit.  teirszüs  ,das  Obere'  gehört,  also  entweder  den  ,Alten' 


Digitized  by  Google 


Priester. 


643 


oder  ,den  Obersten'  bezeichnet  und  (wie  burgund.  sintowi)  ursprünglich 
„nichts  anderes  als  Vorsteher  der  Sippe  oder  des  Stammes"  sein  kann. 
Der  Oberpriester  der  heidnischen  Prensscn  heisst  critce,  crywe.  kriwe 
(ob  zu  dem  oben  genannten  lit.  kereti  .zaubern',  ,der  Zauberer'?).  Das 
Zeichen  seiner  Würde  ist  krhcüle  ,der  Krummstab',  den  ebenso  der 
Dorfschulze  führt,  und  den  er,  bestehend  aus  eiuem  kurzen  Stecken 
mit  daran  befindlicher  Wurzel,  von  Haus  zu  Haus  herumschickt,  um  die 
Gemeindeversammlung,  die  darum  auch  selbst  kriwüle  genannt  wird, 
zu  berufen.  Die  Blutsfreunde  des  kriwe  heissen  kryicaiten  (vgl. 
Nesselmann  Thesaurus  S.  81). 

Ausserhalb  aller  priesterlichen  Verhältnisse  Alteuropas  steht  die  kel- 
tische Druiden  käste,  über  die  alle  bis  auf  Aristoteles  zurückgehende 
Nachrichten  bei  Holder  Altkeltischer  Sprachschatz  gesammelt  sind.  Sie 
ist  von  Britannien  auf  den  Kontinent  herübergekommen.  Von  wo  die 
Anregungen  zu  ihrer  Bildung  ausgegangen  sind,  bleibt  in  Dunkel  ge- 
hüllt. Von  einer  eigentlichen  Kaste  kann  man  übrigens  bei  diesen 
Druiden  nicht  sprechen,  da  das  Druidentum  (vgl.  Caesar  De  bell.  gall. 
VI,  14,  2  f.)  offenbar  nicht  auf  Geburt,  sondern  auf  der  Anwerbung 
und  Ausbildung  von  Novizeu  beruht. 

Eine  vollständige  Umwandlung  der  Terminologie  des  Priestertums 
ist  uaturgemäss  in  Europa  durch  die  Ausbreitung  des  Christentums 
herbeigeführt  worden.  Nur  verhältnismässig  selten  werden  die  alten 
heidnischen  Bezeichnungen  des  Priesters  wie  got.  gudja  oder  ahd. 
twart  für  den  Diener  des  jüdischen  oder  christlichen  Gottes  fortge- 
führt. Die  Regel  bildet  durchaus  die  Übernahme  der  christlichen 
Termini  in  die  nordischen  Sprachen.  Weitaus  die  älteste  dieser  Ent- 
lehnungen ist  ahd.  pfaffo,  ndl.  pape  geistlicher,  Pfaffe',  woraus  altsl. 
popü  u.  8.  w.j  altpr.  paps  etc.  Wahrscheinlich  stammt  das  deutsche 
Wort  aus  griech.  Tremas  ,clericus  minor',  bezüglich  aus  dessen  Vokativ 
irarrä  und  enthält  eine  Spur  der  Einwirkung  griechischen  Christentums 
in  Deutschland.  Sehr  viel  später  sind  die  Benennungen  der  kirchlichen 
Ämter  uud  ihrer  Inhaber  ausserhalb  des  Südens  heimisch  geworden, 
worauf  hier  uicht  weiter  eingegangen  werden  soll. 

So  sehr  durchdringt  die  Bedeutung  des  neuen  Priesterstandes  das  Leben 
der  mittelalterlichen  Welt,  dass,  was  im  heidnischen  Altertum  niemals  der 
Fall  geweseu  war,  das  sprachliche  Bedürfnis  nach  einer  Unterscheidung 
von  Priestern  und  Nichtpricstcrn,  von  Pfaffeu  uud  Laien  hervortritt. 
Im  Deutschen  wird  hierzu  einerseits  das  oben  erörterte  ahd.  pfaffo 
und  als  Kollektivum  ahd.  heit  (got.  haidus  ,Art  und  Weise',  ,Stand', 
,ordo  clericus'),  andererseits  ahd.  leigo,  agls.  Idnoed  ,Laie'  aus  tulat. 
laicus  (von  griech.  Xaö{  ,Volk')  verwendet,  im  Slavischen  einerseits 
altsl.  klirosü  (aus  griech.  KXf)po<;  ,Erbteil',  xXnpot  6eo0  ,Priesterschaft'), 
andererseits  altsl.  ljudinü  :  ljudü  ,Xa6?'  (vgl.  auch  ir.  tüata  ,Laie'  : 
tüath  ,Volk')  gebraucht.  Weiteres,  namentlich  auch  über  die  zahlreichen 


Digitized  by  Google 


Priester  —  Purpur. 


Übersetzungen  griechisch-lateinischer  Termini  vgl.  bei  R.  v.  Räumer 
Die  Einwirkung  des  Christentums  auf  die  ahd.  Sprache  Stuttgart  1845 
S.  295  ff.  und  Miklosich  die  christliche  Terminologie  der  slavischen 
Sprachen  Denkschriften  d.  kais.  Ak.  d.  W.  phil.-hist.  Kl.  XXIV  Wien  1876. 

Privateigentum,  s.  Eigentum. 

Probierstein,  8.  Edelsteine. 

Prozess,  s.  Recht. 

Purpur.  Hierunter  versteht  man  den  zur  Färberei  benutzten 
Saft  der  Trompeten-  und  Purpnrschnecke,  von  denen  jene  griech. 
»cripuE,  lat.  bücinum,  mtirex,  diese  griech.  uop<püpct,  lat.  purpurn,  pe- 
Utgia  genannt  wird. 

Schon  in  der  homerischen  Sprache  begegnet  häufig  das  Adjcktivnm 
TTOp<pup€oq  als  Farbenbezcichnnng  (gesagt  von  cpäpo?,  x\a\va.,  biuXaS, 
^rftea,  t&nxyxi%,  o*q>mpa,  aTua,  aber  auch  von  KÜua,  äXq,  V€q>^Xr),  6d- 
vaTO?),  während  das  Substautivum  Trop<püpa , Purpurfarbe',  auch  purpur- 
farbige Teppiche'  erst  bei  Aeschylos,  und  rcopipüpa  ,Purpurschnecke' 
erst  bei  Aristoteles  zu  belegen  sind.  Zur  Erklärung  dieser  Sippe  geht 
man  gewöhnlich  von  dem  ebenfalls  schon  bei  Homer  bezeugten  Verbum 
TTOp(pupu> , heftig  wogen' =&crt.jdrbhuriti  ,zucken',  »zappeln*  aus,  mit  dem 
man  unter  der  Annahme,  dass  rsich  der  Begriff  der  schnellen  Be- 
wegung mit  dem  des  Glanzes,  Schimmeras,  auch  des  schillernden 
Farbenspiels  vereinige",  die  Wörter  für  Purpur  verbindet.  Dass  dies 
sehr  überzeugend  sei,  wird  Niemand  behaupten.  Bedenkt  man,  dass 
die  Phönizier  die  unzweifelhaften  Erfinder  der  Pnrpurfarberci  sind,  nud 
dass  die  Purpurschneckc  hauptsächlich  am  phönizischen  Gestade  und 
an  der  palästinischen  Küste  (allerdings  auch  bei  Lakonien  und  im 
Euripus)  vorkam,  so  wird  man  versucht,  den  Ursprung  des  griechischen 
Wortes  im  Semitischen  zu  suchen.  Doch  hat  sich  eine  sichere  Spur 
desselben  noch  nicht  nachweisen  lassen.  Was  Lewy  Die  semitischen 
Fremdw.  im  Griech.  S.  128  beibringt,  ist  zuweit  hergeholt.  Der  Purpur 
heisst  im  Hebräischen  ärgämAn  (roter  Purpur)  und  teltlet  (violetter 
Purpur),  die  Schnecke,  von  der  er  kommt,  nach  jüdischer  Überlieferung 
hilzön  (vgl.  Riehms  Bibellexikon  u.  Purpur).  Wie  iropqpupa,  ist  auch 
das  spät  überlieferte  tcdXxn,  , Purpurschnecke',  ,Purpursaft'  noch  nicht 
sicher  erklärt. 

Durch  die  Vermittlung  der  Milesier,  welche  schon  im  VII.  Jahr- 
hundert v.  Chr.  Färbereien  in  Tarcnt,  in  dessen  Golf  die  Purpurschnecke 
ebenfalls  vorkam,  anlegten,  gelangte  der  Purpur  nach  Italien  (vgl. O.Weise 
Die  griech.  Wörter  in  der  lat.  Spr.  S.  204).  Zeugnis  hiervon  legt  die 
frühzeitige  Übernahme  des  lat.  purpurn  (Liv.  Andr.,  Plautus)  aus 
griech.  Trop<püpa  ab.  Auch  die  einzelnen  Arten  des  Purpurs  sind  im 
Lateinischen  griechisch  benannt.  Im  Zusammenhang  mit  diesem  Akt 
der  Entlehnung  steht  wohl  auch  die  Übernahme  von  Benennungen  der 
Muscheln  wie  concha,  conehylium  ans  köyxi.  "OYX^n  ( =  scrt-  fafl&Äa-) 


Digitized  by  Google 


Purpur  —  Quecksilber. 


645 


oder  ostrum  aus  öarpcov  (s.  u.  Auster),  die  beide  uicbt  selten  aueb 
für  Purpurfarben  gebraucbt  werden,  uud  von  dem  bei  der  Herstellung 
gewisser  Purpurfarben  verwendeten  fueus  »Seetang,  ,Orseillefarbe'  aus 
grieeb.  (Horn.)  <pÖKO?  (aus  hebr.  pük  ,Augenschminke).  Auf  Urver- 
wandtschaft mit  dem  gricch.  puot£  »Miesmuschel'  beruht  hingegen  das 
ebenfalls  zur  Bezeichnung  des  Purpurs  häufig  gebrauchte  lat.  mürex. 

In  byzantinischer  Zeit  tritt  für  eine  bestimmte  Art  von  Purpur  ein 
ganz  neues  Wort  auf :  ßXdtTri,  ßXdxiov,  ßXdrnov,  blatta,  blattia,  blattela, 
blatteus  (vgl.  darüber  W.  A.  Schmidt  a.  u.  a.  0.  S.  130  ff.  und  H.  Blümner 
Der  Maximaltarif  des  Diocletian  S.  164  ff.).  Nach  den  Glossen  des 
Philoxenus  hat  dasselbe  eigentlich  0pöußo<;  aiuaio?  geronnenes  Blut' 
bezeichnet,  wie  auch  griech.  eduet  gelegentlich  für  den  Saft  der  Purpur- 
schnecke gebraucht  wird.  Vgl.  aus  dem  Thesaurus  von  G.  Goctz  1, 145 
noch  für  blatta  :  genus  purpurae,  purpurn,  genus  purpurae  ml 
vermis,  blatea  est  purpura,  hinc  blatea  dicitur  camisia  linea,  pig- 
mentum  hauiblauum  etc.  Das  Wort  lässt  sich  bis  jetzt  weder 
aus  dem  Griechischen,  noch  aus  dem  Lateinischen,  noch  aus  den  semi- 
tischen Sprachen  erklären.  Was  die  nordeuropäischeu  Sprachen 
betrifft,  so  ist  lat.  purpura  in  einige  derselben  früh  übergegangen. 
Vgl.  ir.  corcur,  corcra,  corcorda,  kymr.  porphor,  sowie  got.  paür- 
pura,  paürpuröps  von  einem  Verbum  *paurpurön  (jiroptpupoö?'  während 
xökkivos  mit  rauds  übersetzt  wird).  Auch  Ausdrücke  für  Klcidungs- 
stoffe  oder  -stücke  werden  nicht  selten  zur  Bezeichnung  der  Purpur- 
farbe (mit  der  sie  gefärbt  waren)  gebraucht.  So  griech.  duöpYiva*  id 
TTopqpupoßcupfj  vripaia  Kai  Xcrcid,  o\  ufcv  xpwuatos  elbos  Tf|v  duöpYnv 
(vgl.  Blttmner  Die  gewerbliche  Thätigkeit  der  Völker  des  kl.  A.  1869 
S.  95),  so  agls.  pcellen  aus  lat.  pallium  (vgl.  Kluges  Angls.  Lesebuch 
S.  50)  u.  a.  (vgl.  Vf.  Haudelsgeschichte  u.  Warenkunde  I,  219).  Im 
Mittelalter  aber  tritt  der  Purpur  anderen  Färbemitteln,  wie  dem  Scharlach, 
Indigo  und  der  Cochenille  gegenüber,  mehr  und  mehr  zurück,  bis 
er  seine  Bedeutung  endlich  ganz  und  gar  verliert.  —  Vgl.  in  sachlicher 
Beziehung  W.  A.  Schmidt  Die  Pnrpurfärberei  und  der  Purpurhaudel 
im  Altertum  (Forschungen  auf  dem  Gebiete  des  Altertums  I,  96  ff.). 
S.  u.  Farbstoffe. 


Q. 

Quark,  s.  Käse. 

Quecksilber.  Es  wird  zuerst  von  Theophrast  als  xvw<;  äpfvpoq 
,flüssiges  Silber'  erwähnt.  Daneben  tritt  später  der  Ausdruck  übpdp- 
Tupo?  speziell  für  das  künstlich  aus  Zinnober  (s.  d.)  bereitete  Queck- 


Digitized  by  Google 


64C> 


Quecksilber  —  Quitte. 


silber  hervor.  Die  Römer  (Plinins)  unterscheiden  zwischen  argentum 
vivum,  natürlichem,  und  hydrargyrwt,  künstlichem  Quecksilber.  Vgl. 
Kopp  Gesch.  d.  Chemie  IV,  172  f.  Das  lat.  argentum  vivum  ist  dann 
das  Vorbild  für  die  meisten  Bezeichnungen  des  Quecksilbers  in  den 
europäischen  Sprachen  geworden:  it.  argento  vivo,  frz.  vif-argent, 
ahd.  qutcsilhar  (ahd.  quec  »lebendig'  =  lat.  vivus),  agls.  emeseolfor 
u.s.w.  Ebenso  für  den  Orient:  npers.  ziva,  jiva  ,Queeksilber',  arab. 
zibaq,  armen,  zipak  desgl.  :  sert.  jivaka-  , lebendig'  (vgl.  Pott  Z.  f.  d. 
K.  d.  Morgenlands  IV,  263).  —  8.  u.  Metalle. 

(Quelle,  s.  Brunnen. 

(Quendel,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Quirl,  s.  Butter. 

Quitte.  Pyru«  Cydonia  L.,  im  Kaukasus,  in  Armenien,  Klein- 
asien und  südlich  des  Kaspisees  einheimisch,  ist  dem  ägyptisch-semi- 
tischen Knlturkreis  in  älterer  Zeit  fremd  geblieben.  In  den  neuiranischen 
Dialekten  lässt  sieh  eine  gemeinsame  Benennung  des  Baumes  (kurd. 
bell,  pehl.  he,  buehar.  hihir,  npers.  heh)  nachweisen,  die  aber  ohne  Be- 
ziehung zu  den  im  Westen  geltenden  Bezeichnungen  des  Baumes  ist. 

In  Griechenland  wird  der  Baum,  resp.  seine  Frucht,  zuerst  als 
KobuuctXov  bei  Alkman  ans  Lydien  in  der  Mitte  des  VII.  Jahrb.  (Fr. 
90  Bergk),  dann  —  deutlicher  —  als  Kubuüvia  uäAa  bei  dem  Sikuler 
Stesichorus  um  G00  (Fr.  29  Bergk)  genannt.  Man  sehliesst  aus  dieser 
Bezeichnung,  dass  der  Baum  den  Griechen  zuerst  aus  Kreta,  und  zwar 
ans  dem  Gebiet  der  Kydonen  zukam,  doch  ist  sein  ursprüngliches  Vor- 
kommen auf  der  genannten  Insel  noch  nicht  erwiesen.  Die  Frucht 
und  ihr  Name,  dann  auch  die  Kultur  des  Baumes  selbst  gelangte  von 
Griechenland  über  Sizilien  nach  Italien,  wo  die  Quitten  mala  cot onea 
(eine  Verstümmlung  aus  Kubwvia  wohl  nach  cotana,  cottana  ,kleine 
Feigen',  vgl.  u.  russ.  pigva)  und  cydonia  genannt  werden.  Daneben 
liegt  (schon  bei  Cat<>)  die  Bezeichnung  mal  um  strutheum,  das  dem 
0Tpou8to<;  des  Tbeophrast  (II,  2,  5)  entspricht  (Sperlingsapfel,  Früchte 
der  Birnquitte).  Die  griechisch -lateinischen  Bezeichnungen  malum 
cotoneum  und  eydonium  haben  sich  dann  nach  dem  Norden  Europas 
fortgepflanzt:  ahd.  eozzan,  cottana  und  chutina,  mhd.  quiten,  Hilde- 
gardis:  quittenbaum,  altcngl.  cod-,  godxvppQl,  altsl.  gdunje  und  kidonije 
(vgl.  Miklosich  Et.  W.  S.  61;  daneben  russ.  pigva  ,Quitte'  aus  ahd. 
figa  und  die  orientalischen  russ.  ajva  und  annud),  all»,  ftna  oi.  Den 
Anbau  von  Quittenbänmeu  (cotoniarii)  ordnet  Karl  der  Grosse  Capit. 
de  vill.  LXX,  81  an.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen"  8.  241  ff.  und 
v.  Fischer- Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  146 ff.  S.  u.  Obstbau  und 
Baumzucht. 


Digitized  by  Google 


Rabe  -  Rätsel. 


647 


R. 

Rabe,  s.  Singvogel. 
Rache,  s.  Blutrache. 

Rad.  Auf  idg.  Altertum  haben  drei  Reihen  der  Bezeichnung 
dieses  Begriffes  Anspruch:  1.  Int.  rota,  ir.  roth,  lit.  riltas,  ahd.  rad 
(sert.  rdfha-  , Wagen');  2.  sert.  calrd-,  griech.  KUKXoq,  agls.  hteeohl, 
hiceogl,  hieeoteol,  altn.  hidl  (daneben  ohne  Keduplikation  altpr.  kelan, 
altsl.  l'olo,  altn.  hvfl);  H.  armen,  durgn  .Töpferrad',  grieeh.  Tpoxö?, 
ir.  droch  (*drogo-n),  slav.  droga,  russ.  drogi  ,eine  Art  Wagen'.  Allen 
drei  Reihen  liegen  Verben  mit  der  Bedeutung  »laufen'  zu  Grunde:  ir. 
rethhii,  sert.  cärati,  grieeh.  Tpexw.  —  S.  n.  Wagen. 

Rahm,  s.  Butter. 

Rasieren,  Rasiermesser,  s.  Haartracht  und  Messer. 
Kassenfragen,  s.  K  Orper  beschaffen  hei  t  der  Idg. 
Hast,  s.  Mass,  Messen. 

Rätsel.  Die  Ursprünge  dieser  Dichtungsgattung  scheinen  im 
Kultus  zu  liegen.  Besonders  deutlich  tritt  dies  im  alten  Indien  hervor 
(vgl.  Hang  Vedische  Rätselfragen  und  Rätselsprllche,  Sitzungsb.  d. 
Münchner  Ak.d.  W.  phil.-hist.  Kl.  187;")  8.  4f>7  ff.),  wo  schon  in  vedischer 
Zeit  bei  Gelegenheit  der  grossen  Opferversainmlungcn  die  Priester  sich 
unter  einander  und  dem  Opferer  Rätselfragen  vorlegten,  die  die  Er- 
klärung des  Opfers  (vgl.  sert.  brahmndyam,  brahmaradyam  .Erklärung 
der  Opfcrsymholik')  und  der  grossen  kosmischen  Vorgänge,  des  Sonnen- 
laufs, der  Jahresteilung  u.  s.  w.  zum  Gegenstand  hatten.  So  fragt  z.  B. 
der  Hotar:  „Wer  wandelt  wohl  allein*?  -Wer  wohl  wird  wieder  ge- 
boren"? „Was  wohl  ist  das  Mittel  gegen  Schnee*?  nWas  wohl  die 
grosse  Hinstreuung"?,  und  der  Adhvaryu  antwortet:  „Die  Sonne  wandelt 
allein*,  „der  Mond  wird  wiedergeboren-,  „das  Feuer  ist  das  Mittel 
gegen  Schnee",  „die  Erde  die  grosse  Hinstreuuug*. 

Ganz  ähnliche  Rätselreihen  kehren  auf  germanischem  Boden 
(vgl.  Wilmanns  Z.  f.  deutsches  Altert.  XX,  2ü2)f  in  der  Edda,  ja  noch 
in  dem  späten  Traugemundslied  (teaz  ist  teizer  denne  der  sneY,  teaz 
ist  sneller  denne  dez  rech?  teaz  ist  hoher  denn  der  berc?  teaz  ist 
tinsterre  den  diu  naht?  u.  s.  w.)  wieder.  Ähnliches  gilt  von  den 
Griechen,  bei  denen  in  der  dem  Hesiod  zugeschriebenen  Melampodie 
der  Rätselwettkampf  zwischen  den  beiden  Schern  Mopsus  und  Kalchas 
geschildert  wird,  und  das  uralte  in  der  demselben  Dichter  beigelegten 
Hochzeit  des  Keyx  vorkommende  Rätsel  vom  Feuer,  das  Vater  und 
Mutter  verzehrt  (vgl.  Plutareh  Qnaest.  Symp.  VIII,  8),  einen  echt 
vedisehen  Eindruck  macht;  denn  auch  hier  verschlingt  Agni,  der  Sohn 
der  beiden  Hölzer,  deren  Reibung  ihn  erzeugt,  gleich  nach  seiner 
Geburt  Vater  und  Mutter.  Man  hat  daher  auf  idg.  Zusammenhänge  ge- 


Digitized  by  Google 


648 


Rätsel  -  Ratte. 


schlössen  (vgl.  R.  Kögel  Geschichte  d.  deutschen  Lit.  I,  1,  64).  Dies 
ist  nach  den  Ausführungen  n.  Dichtkunst,  Dichter  und  n.  Priester 
wenij;  wahrscheinlich,  so  dass  man  sich  nach  anderen  Erklärungen 
der  bestehenden  tbereinstiinmungen  wird  umsehn  müssen.  Auch  ist 
zu  bedenken,  dass  in  R  o  in  der  Begriff  des  Rätsels  erst  6pät  und 
unter  griechischem  Einfluss  hervortritt,  dem  auch  die  lateinischen  Aus- 
drücke für  denselben,  aenigma  (aus  griech.  cuvitua  :  a?vo?,  das  auch 
allein  Rätsel  bedeutet)  und  griphus  (aus  griech.  Tpi<P<>s,  eigentl.  ,Netz') 
entstammen.  Andere  Bezeichnungen  des  Rätsels  iu  den  idg.  Sprachen 
sind  got.  frisahts  ,cuviYua'  :  sakan  ,streitcn'  (vom  Rätselwettkampf?, 
oder  weil  sakan  =  ir.  saigim  ursprünglich  ,sagen'  bedeutete V),  ahd. 
tunkal  und  rdtussa,  rdtissa  sowie  agls.  retdeh,  altndd.  rddisli,  mhd. 
rdtsal  (:  got.  rtdan  ,raten),  lit.  m{sU  (:  menü  ,gedcnke'),  russ.  zagadka 
(:  altsl.  gadati  ,conicere'j  u.  s.  w. 

Ratte.  Das  Tier  lässt  sich  weder  auf  paläontologischem  noch 
linguistischem  Wege  als  einheimisch  in  Europa  erweiseu.  Wann  es 
freilich  daselbst  zuerst  erschienen,  und  von  wo  es  dahin  gekommen 
ist,  stellt  noch  nicht  fest.  Auch  für  die  verbreitete  Annahme,  dass 
imis  rattus  mit  den  Stürmen  der  Völkerwanderung  sich  über  Europa 
ausgebreitet  habe  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen"  S.  453),  fehlt  es  an 
einem  bestimmtet)  Beweis.  Sicher  ist,  dass  der  Ausdruck  rata,  ratta 
schon  in  frühen  ahd.  und  agls.  (flössen  vorkommt  (vgl.  Palander  Ahd. 
Tiernamen  S.  74),  und  auch  in  den  romanischen  (it.  ratto,  sp.  ptg. 
rato,  frz.  rat)  und  keltischen  (bret.  raz,  mir.  rata,  nir.  gäl.  raddn) 
Sprachen  weit  verbreitet  ist.  Sein  Urspruug  aber  ist  in  Dunkel  gehüllt, 
und  die  Ableitung  von  it.  ratto  —  lat.  rapidus  ,schnell,  flink'  wenig 
glaublieh.  Merkwürdig  ist  der  Zusammenklang  von  rattus  und  cattus 
(8.  u.  Katze).  Vielleicht  hat  ahd.  rato  nicht  vou  jeher  die  Ratte 
bedeutet,  worauf  das  allerdings  später  überlieferte,  lantverschobene 
ratz  , Marder',  auch  , Iltis'  deuten  könnte. 

Wenn  in  mehreren  Sprachen  die  Ratte  nach  einem  Völkers ta mm 
benannt  wird,  von  dein  sie  gekommen  sein  soll,  wie  nir.  francach, 
gaüuch  .gallische  Maus',  kymr.  Ih/goden  Ffrengig  .französische  Maus', 
eechiseh  „deutsche  Maus",  so  werden  sich  diese  offenbar  späten  Namen 
auf  die  grosse  Wanderratte,  Mus  decumanus,  bezichu,  die  erst  im 
Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderts  an  der  untern  Wolga  erschien  und 
von  da  Europa  überschwemmte.  Doch  vgl.  auch  altn.  vöfok  müs 
jwelsche  Maus'.  Ein  antiker  Name  für  die  Ratte  fehlt.  Sehr  spät 
hat  der  Ausdruck  |uü<;  ttovtikö?,  der  in  der  guten  Zeit  ein  nordisches 
Pelztier,  vielleicht  den  Hermelin  (vgl.  Beckmann  Beiträge  V,  52),  be- 
zeichnete, die  Bedeutung  von  Ratte  angenommen,  wie  denn  im  Neu- 
griechischen TTOVTixöq  ,Ratte'  ist.  Vgl.  darüber  0.  Keller  Lat.  Volks- 
etymologie S.  319,  der  hiermit  das  venetianische  pantegdna,  friaul. 
pantiane  .Ratte'  verbindet.    S.  u.  Pelzkleider. 


Digitized  by  Google 


Hatte  —  Kaub. 


In  den  slavischen  Sprachen  haben  sieh  zwei  Benennungen  für  das 
Tier  herausgebildet:  russ.  kryga  (ganz  dunkel)  und  poln.  szczur  (vgl. 
russ.  ja&curü,  *.sturü  , Haselmaus').  Lit.  iiürke  ,Katte'  (aus  dem  Sla- 
vischen?). 

Raub.  Thukydides  I.  f>  berichtet,  dass  im  ältesten  Hellas 
Raubzuge  zu  Wasser  und  zu  Lande  au  der  Tagesordnung  gewesen 
seicu,  und  dass  dieselben  denen,  die  sie  ausführten,  keine  .Schande, 
sondern  Ruhm  und  Ehre  gebracht  hätten.  Noch  zu  seiner  Zeit  sei  es 
so  bei  den  Ozolischen  Lokrern,  bei  Aetolern  und  Akarnaniern  gewesen. 
Diese  Schilderung  wird  durch  die  homerischen  Gedichte  durchaus  be- 
stätigt (vgl.  Gilbert  Jahrb.  f.  klass.  Phil.  XXIII  Suppl.  S.  448),  in 
denen  namentlich  der  Viehraub  als  eiue  ciuwandsfreic  Quelle  des  Er- 
werbs betrachtet  wird.  Auch  Raubzüge  gegen  die  eigenen  Stainmcs- 
genossen  (vgl.  II.  XXIV,  262  die  ^mbrmiot  äpuaKTf|pe<;)  kommen  noch 
vor,  werden  aber  bereits  vom  Rechts-  und  Staatsbcwusstsein  des  Volkes 
getadelt.  Besonders  steht  der  Seeraub  im  Schwange.  Ohne  dass  der 
Angeredete  daran  Anstoss  nimmt,  kann  man  (vgl.  Od.  III,  70  ff.)  den 
angekommenen  Fremdling  fragen,  ob  er  vielleicht  ein  Räuber  sei 
(\r|io"Tnp;  erst  spät  tritt  Treipcrrris,  eigentlich  ,einer,  der  sich  auf  einer 
Unternehmung  befindet',  woraus  lat.  pirdta,  in  der  Sprache  hervor),  der 
über  das  Meer  schweife  und  unter  Einsatz  seines  Lebens  anderen  Leid 
bringe.  Das  ägäischc  Meer  muss  mau  sich  in  dieser  Zeit  angefüllt 
mit  phttnizischen,  karischen,  griechischen  Seeräubern  (vgl.  auch  Herod. 
I,  1  ff.)  denken.  Genau  entsprechen  die  germanischen  Verhältnisse. 
Schon  Caesar  VI,  22  berichtet:  Latrocinia  nuUam  habent  infamiam, 
quae  extra  finea  cuiuttque  civitatis  fiunt,  atque  ea  iuven- 
tutis  exercendae  ac  desidiae  minuendae  cauaa  fieri  praedicant.  So 
sagen  sie  wenigstens:  der  wichtigste  Anlass  ist  natürlich  ihre  Beutelust, 
wie  auch  aus  Tac.  Germ.  Cap.  14 :  (IHgrum  quin  immo  et  iners 
videtur  sudore  acquirere  quod  potsi*  sanguine  parare)  hervorgeht. 
Wie  auf  dem  Lande,  ist  es  auf  dem  Wasser.  Schon  PI  in  ins  Hist.  nat. 
XVI,  203  kennt  als  Vorläufer  der  späteren  Wikinger  germanische 
Seeräuber,  die  in  Einbäumcn,  von  denen  einige  30  Menschen  trugeu, 
ihre  Seefahrten  machten.  r,Raubti,  bemerkt  J.  Grimm  R.-A.  S.  634, 
„war  so  wenig  als  Totschlag  im  Altertum  stets  entehrende  Handlung, 
man  kann  ihn,  wie  Totschlag  dem  Mord,  dem  heimlichen  Diebstahl 
entgegensetzen  und  hauptsächlich  letzterer  galt  dem  Altertum  eiu  Ver- 
brechen". Noch  im  späteren  Recht  kommt  es  vor,  dass  der  Raub 
niedriger  als  Diebstahl  gebüsst  wird  (vgl.  Wilda  Strafrecht  S.  914). 
Doch  ist  der  Staatsgedanke  offeubar  schon  in  altgermanischer  Zeit 
soweit  erstarkt,  dass  schwere  Raubthateu  gegen  Stammesgcnosseu  (altn. 
hernap)  von  dem  concilium  geahndet  werden  oder  werden  können. 

Wie  bei  den  Germanen,  galt  es  auch  bei  den  Thrakern  nach 
Herodot  V,  6  für  das  rühmlichste,  vom  Krieg  und  von  Raub  zu  leben 


Digitized  by  Google 


«50 


Raub. 


(tö  £u>€iv  ctTrö  ttoX^uou  tcct»  Xn.io*TÜ05  KdXXiO"rov).  Die  idg.  Auffassung 
des  Raubes  lässt  sich  aus  diesen  Zeugnissen  ohne  Schwierigkeit  er- 
scblicssen:  in  offener  Fehde  und  gegen  Fremde  ausgeübt,  war  er  bis 
tief  in  die  historischen  Zeiten  eine  durchaus  ehrenvolle  Quelle  des  Er- 
werbs. Dieselbe  Anschauung  wird  ursprünglich  auch  hinsichtlich  des 
Raubes  gegen  Stammesgenossen  gegolten  haben,  der  offen  ausgeführt, 
nicht  wie  der  Diebstahl  (s.  d.)  als  eine  ehrlose  Handlung  angesehn 
worden  sein  wird.  Doch  wird  man  annehmen  dürfen,  dass  wie  anderen 
Gewalttaten  gegenüber,  so  mich  hier  die  Macht  der  einzelnen  Sippeu 
sich  gegenseitig  in  Schach  gehalten  haben,  und  der  Gedanke  des 
Stammfricdens  frühzeitig  aufgekommen  sein  wird. 

Eine  urzeitliche  technische  Bezeichnung  des  Begriffes  , Raub'  ist 
unter  diesen  Umständen  nicht  zu  erwarten.  Zweifelhaft  ist  die  ety- 
mologische Übereinstimmung  von  griech.  äpTrdZw  und  lat.  rapio,  von 
denen  das  letztere  neuerdings  (vgl.  K.  Bruginann  Grundriss  I*,  437) 
eher  zu  griech.  £p€tttojucu  , rupfe,  fresse',  all»,  rjvp  rziehe  aus,  beraube' 
gestellt  wird.  Aber  auch,  wenn  die  beiden  Verba  zusammenhängen 
sollten,  hat  sich  an  sie  ursprünglich  kaum  eine  andere  Vorstellung  als 
„heftig  etwas  nehmen"  (vgl.  griech.  dpTraX^oq,  dem  der  Sinn  des 
Räuberischen  noch  ganz  fehlt,  und  im  Lateinischen  xurpere,  umrpare 
und  auch  das  einfache  rapere  in  zahlreichen  Verbindungen,  vgl.  Breal 
Dict.  et.  lat.3  S.  303,  41t»)  geknüpft.  Über  das  neben  äpTrdtCuu,  dp- 
TTatcnip  schon  bei  Homer  liegende  XrfiEeo"8ai,  XTpatrip  s.  u.  Volk.  Spätere 
Räubertypen  sind  der  XuinobuTn?  (der  in  fremde  Kleider  schlüpft)  und 
der  ävbpaTrofcio*Tr|q  ,Sklavcnrüuber',  sowie  der  Ki£dXXn.<;  (ganz  dunkel) 
,Strassenräuber'.  Vgl.  ferner  die  ebenfalls  unerklärten  oivouai,  aivrr)?, 
sowie  aüXov,  cruXdtu  (iaov\a'  dcprjpei  lies.)  und  o*küXov  (wohl  ursprüng- 
lich die  abgezogene  Haut  des  Tieres),  0"KuXdu>,  die  beiden  letzteren 
vornehmlich  von  dein  Rauben  der  Rüstung  des  erschlagenen  Feindes 
gebraucht,  also  wie  lat.  spoJiare  (spolia),  ahd.  hreoraup,  tralaraup, 
agls.  icälreaf  u.  a.  Der  älteste  griech.  R  e  c  h  t  s  t  e  r  m  i  n  u  s  für  den 
Begriff  des  Raubes  war  cpepeiv  koi  df€iv  (ßia  dbixujs).  Vgl.  das  dra- 
konische Gesetz  bei  Dem.  XXIII,  fit):  m\  edv  qptpovTa  Kai  dYOvra  ß(a 
dbiKux;  eüöuq  dpuvö^€vo?  Ki€ivr|,  vn,Troive\  TeGvdvai.  Im  römischen 
Recht  wurde  Iangczcit  die  rapina  nicht  als  besonderes  Verbrechen 
behandelt,  sondern  teils  (wie  im  Zwölftafelgesctz)  zum  furtum,  teils 
zum  damnum  {iniuria  Mal  um)  gerechnet.  Die  ältere  Sprache  kennt 
zwar  den  Gegensatz  von  clepere  und  rapere-,  aber  rechtlich  ist  von 
ihm  kein  Gebrauch  gemacht  worden.  Das  Verbrechen  des  latro  ,des 
Strassenränbers'  (eigentl.  .Söldner',  griech.  Xdipov  ,Lohn.  Sold  )  aber 
wurde  nach  der  lex  Cornelia  de  xicariix  bestraft  (Rein  Kriminalrccht 
S.  326  f.,  Mommsen  Strafrecht  S.  737 c).  Überaus  reich  an  Ausdrücken  für 
die  verschiedenen  Arten  des  Raubes  sind  die  germanischen  Sprachen. 
Urgennanisch  ist  got.  bi-raubön  (,auXdv',  ^xbueiv',  während  dpudCctv 


Digitized  by  Google 


Raub. 


G51 


durch  wilwan  wiedergegeben  ist),  ahd.  roubön,  agls.  reafian.  Die 
Wurzclbedeutung  steht  noch  nicht  fest.  Einige  vergleichen  altn.  rjtifa 
=  lat.  rumpo  ,breehe',  so  dass  man  an  den  durch  den  Raub  verübten 
Friedensbruch  denken  könnte  (so  Kluge  Et.  \V.C).  J.  Grimm  R.A. 
S.  635  ging  hingegen  von  einer  Grundbedeutung  ,vestis'  für  das 
Stannnesnomen  (ahd.  roub,  agls.  reaf  ,Ratib,  Beute,  Rüstung,  Kleid', 
nach  Grimm  also  umgekehrt:  ,Kleid,  Rüstung,  Heute,  Raub  )  aus,  wo- 
zu die  beschränkte  Bedeutung  des  Gotischen  passen  würde.  Bemerkens- 
wert ist,  dass  die  Sippe  sowohl  von  den  Romanen  (it.  ntba  ,Ranb', 
roba  ,Rock')  wie  auch  von  den  Slnven  (ecch.  rabovati  u.  s.  w.,  auch 
lit.  rabaicöti)  entlehnt  wurde.  Der  einheimische  slavische  Ausdruck 
ist  altsl.  grabiti  —  sert.  grabh  , heftig  ergreifen'  (also  ganz  wie  rapere, 
ctpirdZeiv).  Viel  umständlicher  ist  die  Bezeichnung  des  Raubes  in  der 
ältesten  slavischen  Rechtsquelle,  den  Friedensschlüssen  Olegs  und 
Igors  mit  den  Griechen.  „Mit  Zwang  den  Versuch  machena  scheint 
hier  =  Rauben  zu  sein,  dessen  milde  Behandlung  dem  Diebstahl  gegen- 
über hier  ebenfalls  auffällt  vgl.  Schlösser  Annalen  III,  31  s  f.,  Ewers 
Ältestes  Recht  S.  147  ff.).  Andere  weiter  im  Germanischen  verbreitete, 
meist  ganz  dunkele  Bezeichnungen  des  Raubes  sind  altn.  ran,  ahd. 
birahanen  ,spoliare';  ahd.  sc  ah,  .scrfhhriri,  :i^ls.  svedeere  , Räuber';  ahd. 
näma,  altn.  mim  (Nehmung).  Vgl.  noch  ahd.  zaseön  , rauben',  wozu 
fränk.  (Lex  Sal.)  taxaea,  texaea  , Diebstahl'  und  , Busse  für  denselben', 
got.  tcaidt'dja  <  ,\n.o"rnX,  eigentl.  ,Cbelthäter  )  u.  s.  w.  (vgl.  J.  Grimm 
R.-A.  S.  634  f.  und  Wilda  Strafrecht  S.  907  ff.). 

Für  das  Verständnis  der  Entwicklungsgeschichte  des  Raubes  aus 
einer  in  den  Augen  der  Menschen  Ruhm  bringenden  Handlung  zu 
einem  mit  immer  schwereren  Strafen  zu  ahndenden  Verbrechen  ist 
noch  folgendes  zu  bemerken.  Solange  der  Begriff  der  Sippe  in  voller 
Blüte  stand,  und  jeder  im  Volke  zu  einer  solchen  Sippe  gehörte,  die 
ihn  schützte,  aber  auch  für  ihn  die  Verantwortung  trug,  so  lange 
werden  Raubzüge,  so  sehr  sie  nach  aussen  im  Schwünge  waren,  inner- 
halb der  Stämme,  wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  selten  gewesen 
sein.  Die  Verhältnisse  änderten  sich,  je  mehr  im  Bereiche  eines 
Stammes  die  Zahl  derjenigen  Leute  wuchs,  welche  keinem  Sippen- 
verbandc  angehörten,  weil  sie  entweder  aus  dem  ihrigen  vertrieben 
oder  aus  der  Fremde  eingewandert  waren.  Namentlich  bei  den  Ger- 
manen lässt  sich  nachweisen,  dass  solche  Menschen  ursprünglich  das 
Hauptkontingent  für  die  Ausbildung  eines  gewerbsmässigen  Räuber- 
tnms  ausgemacht  haben,  das  nun  natürlich  einer  ganz  anderen  Beur- 
teilung unterlag.  So  ist  mlat.  rar  gm  (altn.  vargr,  agls.  teearg,  fränk. 
teargm)  der  gemeingerm.  Ausdruck  für  den  Friedlosen,  der  wie  ein 
würgender  (ahd.  würgen)  Wolf  (altn.  vargr  auch  ,Wolf)  im  Walde 
umherschweift,  und  zugleich  auch  (schon  bei  Sidonius  Apollinaris) 
die  Bezeichnung  des  latrunculus,   des  gewerbsmässigen 


Digitized  by  Google 


652 


Raub  —  Raubehe. 


Räubers.  Ähnlich  scheint  die  Bedeutungsentwicklung  des  langob. 
scamar  gewesen  zu  sein.  Vgl.  auch  it.  bandito  aus  bannitus  (vgl. 
Brunner  1).  Rechtsg.  S.  168IS).  Hierin  und  in  der  erstarkenden  Macht 
des  Staatsgedankens  liegen  die  Gründe  ftir  die  sich  allmählich  uni- 
gestaltende Auffassung  des  Raubes,  der,  wie  gesagt,  dem  Ausland 
gegenüber  und  vor  allem  zur  See  noch  lauge  seinen  alten  Glanz  be- 
wahrte. —  S.  u.  Recht  und  Verbrechen. 

Raabehe.  Neben  dem  Brautkauf  (s.  d.)  zieht  sich  eine  zweite 
Form  der  Eheschliessung  durch  das  idg.  Altertum,  die  Ehe  durch 
Raub  (bi'  upTrcrrfj«;).  In  Indien  bestand  für  den  Eheritus  durch 
Entführung  des  Mädchens  ein  besonderer  Name:  die  Räkshasa-Ehe, 
welche  auf  die  Kshatriya  (Krieger-,  Adels-)Kaste  beschränkt  war.  In 
Griechenland  ist  Raubehe,  die  nach  Dionysius  von  Halikarnass  II,  30 
einstmals  überall  verbreitet  gewesen  sei,  geschichtlich  namentlich  für 
die  Dorier  bezeugt  (Plut.  Lykurg  Cap.  15).  Auch  in  der  griechischen 
Sagenwelt  wird  mehrfach  —  man  denke  an  den  Raub  der  Helena 
oder  den  der  Töchter  des  Lcukippos  durch  Kastor  und  Polydeukes  — 
von  Entführungen  der  Jungfrauen  zum  Zwecke  dauernder  Ehen  be- 
richtet. In  R  o  m  flüchtete  die  Braut  vor  der  Heimführung  in  den 
Schoss  ihrer  Mutter,  aus  dem  sie  gewaltsam  geraubt  wurde.  Über  die 
Germanen  äussert  sich  Brunner  Deutsche  Rechtsgeschichte:  „Ger- 
manische Sagen  und  Dichtungen  preisen  den  Helden,  der  sich  durch 
kühne  Watreut  hat  aus  dem  Hause  des  Feindes  das  Eheweib  holt.  Die 
ehebegründende  Kraft  des  Frauenraubs  verraten  noch  die  Bestimmungen 
einzelner  deutscher  Volksrechte,  nach  welchen  der  raptor  die  Geraubte 
als  Ehefrau  wider  den  Willen  der  Verwandten,  welchen  er  sie  raubte, 
oder  wenigstens  dann  behält,  wenn  sie  in  die  Entführung  eingewilligt 
hat"  (S.  72,  73).  Eine  solche  Raubehe  schloss  Arminias  mit  der 
Tochter  seines  Vatersbruders  Scgcst.  Auch  von  den  alten  Preussen 
und  Litauern  berichtet  Job.  Lasicius  De  diis  Satnagitaruin  bei  Micha- 
lonis  Lituani  De  moribus  Tartarorum  etc.  (Basiliae  1615):  Xec  du- 
cvntnr  (puellaei,  sed  rapiuntur  in  matrimonium,  veteri  Lacedae- 
moniofum  more  a  Lycurgo  instituto.  rapiuntur  autem  non  ab  ipso 
sponso,  Med  a  duobtm  ein»  cognath.  ac  postquam  raptae  sunt,  tunc 
primum  requüito parentum  consensu,  matrimonium  contrahitur  (S.  56), 
und  ähnliche  Bräuche  lassen  sich  bei  albancsischen  und  südslavisehen 
Völkern  nachweisen. 

Überblickt  man  diese  leicht  zu  vermehrenden  Thatsachen,  so  ist 
nicht  zweifelhaft,  dass  es  sich  in  den  meisten  Fällen  nicht  um  eine 
rauhe  Wirklichkeit,  sondern  nur  um  einen  Teil  des  Hochzeitszere- 
moniells,  um  einen  Scheinraub,  handelt.  Freilich  fordert  auch  dies 
eine  Erklärung,  und  so  hat  man  angenommen,  dass  in  vor  indogerma- 
nischer Zeit,  die  wirkliche  Raubehe  die  regelmässige  Form  der  Ehe- 
schliessung gewesen  sei,  die  in  der  Epoche  des  Frauenkaufs  unter  dem 


Digitized  by  Google 


Raubehe  —  Raubvögel. 


053 


Schatten  eines  Hochzeitshraurhs  weiter  gelebt  habe.  Die  Kaufehe 
selbst  aber  sei  erst  ans  den  Sühnevcrtriigen  nach  Entführungen  her- 
vorgegangen (vgl.  Leist  Altarisehes  .Ins  gentium  S.  12t>,  i;k),  Vf. 
Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  SS.  554,  dagegen  Schröder  Deutsche 
Rechtsgeschichte*  S.  68).  Demnach  würde  also  die  Raubehe  zu  jenen 
Ablagerungen  vorindg.  Kulturentwicklung  gehören,  die  wir  auch  u. 
Ahnenknltus  und  u.  Opfer  (Menschenopfer)  anerkennen  zu  müssen 
geglaubt  haben.  Allerdings  bezweifelt  man  neuerdings,  dass  die  auch 
bei  nichtidg.  Völkern  häutig  nachweisbare  Form  der  Raubehe  überhaupt 
jemals  bei  irgend  einem  Stamme  eine  regelmässige  Institution  ge- 
bildet habe,  als  welche  sie  auch  bei  den  rohesten  Völkern  nicht  vor- 
komme. Die  Entführung  eines  Mädchens  mit  Waffengewalt  werde 
überall  als  ein  kühnes,  eines  Mannes  würdiges  Wagnis  gegolten  haben, 
und  so  werde  man  von  derartigen  außergewöhnlichen  Vorkommnissen 
her  die  seit  Urzeiten  übliche  Hoiraführung  der  Braut  ganz  oder  teilweis 
nach  dem  Muster  des  Raubes  umgebildet  haben  (vgl.  Grosse  Die 
Formen  der  Familie  S.  105  ff).  Vgl.  Über  die  Raubehe  auch  die  u. 
Heirat  angeführte  Litteratur. 

Rauhvögel.  Nur  wenige  Namen  solcher  Vögel  sind  Europa  und 
Asien  gemeinsam  und  auch  dann  nur  von  geringer  Verbreitung.  So 
seit,  qyend-  ,cin  grosser  Raubvogel'  (Adler,  Falke,  Habicht),  aw.  scn'nö 
mereyö  .Adler'  (npers.  slmury  »Greif,  Adler  ),  armen.  <;in  ,milvus',  die 
man  mit  griech.  Iktivo?  ,Weihc'  vergleicht  (eigentl.  der  »graublaue', 
vgl.  altsl.  abti  ,dunkelblau'),  und  griech.  «pnvn.  »Seeadler*,  das  man  dem 
sert.  bhdsd-  ,ein  Raubvogel'  gleichsetzt.  Einen  übereinstimmenden  Namen 
für  den  Adler  haben  die  nordeuropäischen  Sprachen:  ahd.  ovo  (daher 
unser  adler,  mhd.  adel-ar),  altsl.  orilü,  lit.  erelis,  korn.  er,  kymr. 
eryr,  Wörter  die  im  griech.  Öpviq  noch  allgemein  Vogel  bedeuten,  wie 
auch  griech.  akj6<;,  ai߀i6q  (TTcpTatoi  lies.)  von  lat.  acut,  sert.  vi-  ab- 
zuleiten sein  wird  (anders  Uhlenbeck  Et.  W.  d.  altind.  Spr.  S.  297). 
Lat.  aquila  ist  ,der  dunkle*  :  aquilus\  vgl.  griech.  (Aristoteles)  ucXav- 
ä€TO£.  Ganz  auseinandergehen  die  meist  dunklen  Namen  des  Geiers: 
griech.  yüip,  tottö?,  arruTTiös,  lat.  voltur,  ahd.  gir  (wohl  :  giri  .gierig', 
wie  auch  sert.  gfdhra-  ,Geier'  und  ,gierig'  bedeutet,  also  nicht  von 
mlat.  gyrare  ,krcisen),  altsl.  sqpü  und  /»»I.  Über  Namen  und  Be- 
deutung des  Falken,  Habichts,  Sperbers  und  der  Weihe  8.  u.  Falke, 
Falkenjagd. 

Was  die  Nachtranbvögel  anbetrifft,  so  wird  die  Eule  nach  dem 
Rufe  benannt,  den  sie  ausstösst,  und  für  den  die  Laute  ü  und  bä 
charakteristisch  sind:  sert.  ultlka-,  lat.  ululn,  ahd.  üicila,  lit.  ywas; 
armen.  boe6,  griech.  ßua?,  ßöZa  (oder  =  mhd.  kütz  ,Käuzchen'?),  lat. 
bübo.  Im  Albanesischen  und  Neugriechischen  wird  dagegen  der  Eulen- 
ruf ähnlich  wie  der  Kuckucksruf  aufgefasst:  alb.  kukuvaje  etc.  (vgl. 
G.  Meyer  Et.  W.  d.  alb.  Spr.  S.  211).   Daneben  griech.  (miny  :  o*küjittuj 


Digitized  by  Google 


fif>4 


Raubvögel  —  Reiht. 


,spotte'  vgl.  frz.  chat-huant  , Löhnende  Katze  ),  »riech.  oxpifZ,  ffTpirfö? 
=  lat.  ttria-,  Htrigis  ,Ohreule"  (vgl.  striga  ,alte  Hexe  ),  lat.  noctua  : 
«o.r.  Dunkel  sind  u.  a.  :  kainbr.  tylluan,  attsl.  sot  a.  Über  die  Be- 
deutung der  Raubvögel  im. Aberglauben  s.  u.  Orakel.  Über  den  Adler 
im  Altertum  vgl.  0.  Keller  Tiere  des  kl.  A.  S.  23G  ff. 

K  ä  uche  r un  g,  s.  Aromata. 

Rauke,  8.  Garteu,  Gartenbau. 

Raiiiiininsse,  s.  Mass,  Messen. 

Rausch,  s.  Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 

Raute  {Ruta  graveolens  L.).  Die  Pflanze  heisst  grieeb.  irn.Yavov 
(Aristot.,  Theophr.)  und  £ut»i  (Nicandcr),  lat.  (Col.,  Plin.)  ruta  aus 
pVrr).  Sie  ist  im  Süden  Europas  einheimisch  und  wurde  von  den  Alten 
ah*  Heil-  und  Zaubernlittel  sehr  gesehätzt.  Von  Italien  ans  ist  sie 
durch  Kultur  zusammen  mit  ihrem  lat.  Namen  in  der  gernianisch-sla- 
vischen  Welt  verbreitet  worden :  ahd.  räta  (auffällig  agls.  rüde),  russ. 
u.  8.  w.  ruta.  Vgl.  noch  rutam  im  Capitulare  Karls  d.  Grossen  de 
villi»  LXX,  6.  Im  Neupersischen  heisst  die  Pflanze  espend,  d.  h.  ,die 
heilige'  law.  tpenta-).  —  Andere  Heilpflanzen  8.  u.  Arzt. 

Rehe,  s.  Wein. 

Rebhuhn.  In  idg.  Zeit  wird  dieser  Vogel  unter  dem  u.  Fasan 
besprochenen  Worte  *tetero-  mit  verstanden  worden  seiu.  Später 
treten  spezielle,  noch  teilweis  dunkle  und  vielfach  entlehnte  Benennungen 
des  Tieres  auf.  So  grieeb.  rcepbiE  (zuerst  bei  Archilochus),  dessen  Ab- 
leitung vou  grieeb.  Trt'pboucu  ,1'arze*  (wegen  des  Geräusches,  das  der 
Vogel  beim  Auffliegen  macht)  kaum  befriedigt.  Ein  anderer  alter 
Name  ist  Kaiocdßri,  KaKxaßi?  (Alkman),  der  in  den  Orient  führt  (syr. 
qaqqebd,  armen,  kak'at;  upers.  kabk  ,Rebhuhu').  Die  Römer  haben 
ihr  perdix  (Varro)  aus  dem  Griechischen  übernommen,  sicher  unter 
dem  Eiufluss  der  in  Grossgriechenland  kennen  gelernten  opyiOoßochceTa, 
in  denen  auch  Rebhühner  gezüchtet  wurden.  Der  einheimische  lat. 
Name  scheint  gallina  rustica  , Feldhuhn'  gewesen  zu  sein  (vgl.  Varro 
De  re  rust.  III,  9,  7).  Auch  nach  Deutschland  ist  die  Sitte  der 
Rebhuhnzucht  (s.  u.  V  i  e  b  z  u  c  h  t)  übergegangen.  Der  hier  geltende 
Name  reba-huon  hat  mit  reba  ,Rebe'  nichts  zu  thun,  sondern  gehört 
wahrscheinlich  zu  russ.  rjabka  ,Rebhuhn",  eigentl.  ,bunt',  dessen  Grund- 
form freilich  *rembü  lautete.  Eine  andere  Gruppe  von  Benennungen 
des  Tieres  im  Slavischen  ist  russ.  kuropatva  u.  8.  w.,  teilweis  auch 
andere  ähnliche  Vögel  wie  Wachtel,  Schnepfe  etc.  bezeichnend.  Der 
erste  Bestandteil  des  Wortes  ist  altsl.  kurü  .Hahn',  der  zweite  dunkel. 
Aus  dem  Slavischen  lit.  kurapkä  ,Rebhuhn'. 

Recht.  Wenn  man  unter  Recht  eine  schriftliche  Sammlung 
staatlicher  oder  kirchlicher  Ge-  und  Verbote  versteht,  so  liegen  die 
Ursprünge  desselben  in  Europa  meist  klar  vor  Augen.  In  Griechen- 
land oder  auf  griechischem  Kulturgebiet  ist  es  das  VII.  Jahrhundert, 


Digitized  by  Google 


Kt-eht. 


655 


iu  dem  zuerst  der  Wunsch  nach  schriftlicher  Feststellung  des  Rechtes 
hervortritt  und  in  Gesetzgebungen  wie  denen  des  Zalenkos,  Charondas, 
Drakon  u.  s.  w.  seine  Erfüllung  findet.  Im  V.  Jahrhundert  folgt  Rom 
unter  dein  EinHuss  Griechenlands  mit  der  Zwölftafelgesetzgebung  nach. 
Fast  1000  Jahre  emsiger  Arbeit  an  dem  Ausbau  dieses  römischen 
Rechts  vergehen,  ehe  die  germanischen  Völker  von  der  Mitte  des 
V.  nachchristlichen  Jahrhunderts  an  unter  der  vollen  Einwirkung  der 
christlich-römischen  Kultur  Rechtsanfzeichnungen  in  lateinischer  oder 
in  der  Volkssprache  zu  machen  beginnen  (vgl.  Brunner  D.  Reehtsgesch. 
S.  282  ff.).  Nicht  vor  das  Jahr  1020  fällt  die  älteste  russische 
Rechtsurkunde,  das  Gesetz  des  Jaroslav,  zunächst  für  Xovgorod  be- 
stimmt, dann  in  ganz  Russlaud  gültig  (vgl.  Ewers  Das  älteste  Recht 
d.  Russen  8.  258).  Nicht  so  klar  sind  die  Anfänge  der  keltischen 
Rechtsfixierungen,  vor  allem  der  altirischen  Brehongesetze,  des  Senchus 
Mor  und  des  Buches  von  Aicill,  die  in  engem  Zusammenhang  mit  dem 
kanonischen  Recht  im  XI.  oder  X.  Jahrhundert  zusammengefügt  worden 
zu  sein  scheinen  (vgl.  Maine  Early  Hist.  of  Institutions  Lect.  I  uud  II; 
über  die  walisischen  Rechtsaufzeichnungen  vgl.  Walter  Das  alte  Wales 
S.  355). 

Nun  ist  es  niemals  bezweifelt  worden,  dass  alle  derartigen  Codi- 
fikationeu  nicht  die  Schaffung  neuen,  sondern  im  wesentlichen  die 
Feststellung  alten  Rechtes  enthalten,  das  demnach  Jahrhunderte,  wenn 
nicht  Jahrtausende  lang,  lediglich  in  mündlicher  Überlieferung  und  iu 
der  Gewohnheit  der  Menschen  gelebt  haben  muss.  Lbcr  das  Alter  und 
deu  Charakter  dieses  im  eigentlichsten  Sinuc  ungeschriebenen  Gesetzes 
bei  den  idg.  Völkern  soll  im  folgenden  gehandelt  werden.  Hierbei 
wird  es  nützlich  sein,  von  vornherein  auf  eine  notwendige  Unter- 
scheidung aufmerksam  zu  machen,  auf  die  Unterscheidung  nämlich  einer 
objektiven  Rechtsordnung  und  ihrer  subjektiven  Erkenntnis.  Eine 
Gemeinschaft  von  Menschen  kaun  unter  primitiven  Kulturverhältnissen 
lange  Zeit  nach  einer  von  den  Vätern  ererbten  Rechtsordnung  leben, 
ohne  dass  doch  die  Vorstellung  von  einer  solchen  Rechtsordnung  in 
ihr  lebendig  würde  und  Begriffe  wie  Recht  und  Gesetz  aufkämen  uud 
sprachliche  Verkörperung  fänden.  Zweifellos  kann  das  Leben  auch 
des  niedrigsten  Volksstammcs  nicht  ohne  eine  gewisse,  wie  auch  immer 
gestaltete  Rechtsordnung  gedacht  werden,  während  die  Frage,  ob  und 
in  wie  weit  diese  Rechtsordnung  zum  Bewuss tscin  der  nach  ihr 
instinktiv  lebenden  gekommen  sei,  jedesmal  einer  näheren  Erwägung 
bedarf.  Nach  diesen  beiden  Seiten  hin  würden  also  die  idg.  Ver- 
hältnisse zu  betrachten  sein.  Dabei  wird,  was  sich  an  materiellem 
Recht  für  die  älteste  Zeit  ergiebt,  unten  Ubersichtlich  zusammengestellt 
werden,  zunächst  aber  nur  der  Punkt  ausführlicher  zu  erörtern  sein, 
wann  und  unter  welchen  Umständen  die  Begriffe  von  Recht 
und  Gesetz  bei  den  idg.  Völkern  lebendig  geworden  sind. 


656 


Recht. 


Gemeinsani  haben  die  Inder  und  Irauier  ein  für  unsere  Aufgabe 
äusserst  wichtiges  Wort:  seit,  rtd-  —  aw.  a#a-  ausgebildet.  Es  be- 
zeichnet die  im  Natur-  wie  im  Menschenleben  herrschende  oder  herrschen 
sollende  Ordnung.  „Schon  in  indoiranischer  Zeit  hatte  das  Nach- 
denken über  die  in  der  Welt  herrschende  Ordnung,  «her  das  durch 
eine  höhere  Macht  vorgezeichnete  Eintreffen  dessen,  was  eintreffen  muss 
oder  soll,  zur  Schaffung  dieses  Begriffes  des  Rta  (etwa  „Bewegung") 
geführt,  welcher  für  die  priesterliche  Weltauffassung  bereits  jenes  Zeit- 
alters im  Vordergrund  des  Denkens  gestanden  und  sich  im  Veda  wie 
im  Awesta  in  dieser  Stellung  behauptet  hat".  Dabei  fehlt  es  nicht 
au  Spuren,  welche  darauf  hindeuten,  dass  die  Gottheiten,  unter  denen 
Schutz  dieses  Rta  stehend  gedacht  wird,  Mitra,  Varuna  und  die  5 
Adityas  (Sonne,  Mond  und  die  5  Planeten?),  den  Ariern  von  ausser- 
indogermanischem  Boden  zugekommen  sind  (vgl.  Oldenberg  Die  Reli- 
gion des  Veda  S.  49,  195).  Mit  lat.  ratum,  ratio,  das  in  der  römischen 
Jurisprudenz  inhaltlich  dem  Begriffe  des  Rta  nahekommt  (vgl.  Leist 
Graeco-ital.  Rechtsgeschichte  S.  1 99  ff.),  hat  das  vedische  Wort  etymo- 
logisch nichts  gemein.  Allein  auf  das  Sanskrit  beschränkt  sich  der 
Ausdruck  dhdrvian-,  dhdrma-  (=  lat.  firmus)  ,das  Feststehende'. 
Ungeschieden  liegen  in  ihm  noch  die  Begriffe  des  Rechtes,  der  Reli- 
gion und  der  Ethik  neben  eiuandcr,  und  die  DharinacAstra  oder 
Rechtsbücher  enthalten  Vorschriften  ans  allen  drei  Gebieten  bunt  durch 
einander.  Mannigfache  Berührung  mit  dem  Begriff  des  Ria  zeigt  der 
des  dhd'man-  (:  sert.  dhä,  *ri9mii)  ,Satzung',  ,Ordnung',  vor  allem  die 
von  Varuna  und  Mitra  gesetzte  Ordnung,  besonders  mit  Rücksicht  auf 
die  in  Haus  und  Familie  herrschende  Rechtsordnung,  so  dass  dhaman- 
hänfig  auch  .Wohnstätte'  und  Hausgemeinschaft'  bezeichnet.  Vou 
derselben  Wurzel  dhd  sind  altp.  aw.  ddta-  ,Gesctz',  npers.  ddd 
Gerechtigkeit'  (woraus  armen,  dat)  gebildet.  Aus  dem  Griechischen 
sind  vornehmlich  die  schwierigen  Ausdrücke  Öeuiq  (9€auö<;i,  bben.  und 
vöuos  zu  nennen.  Nur  die  beiden  ersteren  sind  schon  in  der  home- 
rischen Sprache  bezeugt  und  können  etymologisch  kaum  etwas  anderes 
als  ^Satzung'  (:  tiötimO  nnd  ,  Weisung'  (:  beiKvum,  lat.  dico,  vgl.  auch 
lat.  iudex  und  vinde.r)  bedeuten.  Noch  bei  Homer  giebt  es  Stellen 
wie  Od.  XI,  570:  v6cu€£  duqri  biKaq  cipovro  övaKTa  und  II.  XVI,  ;]87: 
Kpivetv  eeutcvTaq  aicoXiäq,  an  denen  die  beiden  Wörter  anscheinend 
denselben  Sinn  ^Rechtssprüche',  ,Rcchtsfälle)  geben;  aber  schon  von 
homerischer  Zeit  an  hat  Ocfiiq,  BefiiOreq  angefangen,  sich  mehr  auf  ein 
angeblich  von  den  Göttern  gesetztes,  in  der  sittlichen  und  physischen 
Wcltordnung  sich  offenbarendes,  biKrj  sich  mehr  auf  das  von  weltlich  - 
bürgerlichen  Richtern  gewiesene  Recht  zu  beschränken,  obgleich,  da 
auch  letzteres  als  ans  dem  ersteren  hervorgegangen  angesehn,  Dike  als 
eine  Tochter  der  Themis  betrachtet  wird,  eine  scharfe  Scheidung 
der  beiden  Begriffe  mit  grossen  Schwierigkeiten  verbunden  ist  (vgl. 


Digitized  by  Google 


Recht.  G57 

H.  Schmidt  Synonymik  I,  348  ff.).  Mit  Öeuu;  nahezu  identisch  ist  das 
ebenfalls  schon  homerische  bair\  :  öo"io<;,  das  von  einigen  dem  sert. 
satyd-  »wirklich,  wahr,  echt'  gleichgesetzt  wird;  doch  kann  das  in- 
dische Wort  auch  =  gricch.  dreöq  ,wahr'  sein  oder  eine  Ableitung  vom 
Participium  des  Vernum  snbstantivnm  („das  seiende")  darstellen.  Das 
von  Homer  noch  nicht  verwendete  vöuo<;  ,Gesetz'  geht  von  der  Be- 
deutung , Brauch'  (vgl.  vouiZw  «den  Brauch  haben'  und  ir.  nös  aus 
*nomso-  ,Gebrauch')  aus,  und  ist  erst  etwa  seit  Kleisthenes  auch  auf 
geschriebene  Gesetze  Ubertragen  worden  (vgl.  R.  Uirzel  vAtpa(po<;  vqmo?, 
Abb.  d.  phil.-hist.  Kl.  d.  kgl.  sächs.  Ges.  d.  W.  XX,  49).  Die  Gesetze 
des  Drakon  heissen  noch  8eo*uoi,  nicht  vouoi. 

Dem  Verhältnis  von  griech.  8eui£  :  b'utt)  entspricht  das  von  lat.  fds 
:  iüs.  Mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  deutet  man  fds  als  ,Aussprucb' 
(:  lat.  fdri,  griech.  <prm»>  vgl.  auch  altsl.  baxnl  ,fabula,  iueantatio', 
welches  letztere  Wort  also  wie  im  Lateinischen  ein  s  hinter  a  auf- 
weist), ,Ausspruch  der  Götter',  »göttliche  Satzung'.  Sehr  schwierig  ist 
die  Beurteilung  von  lat.  iüs.  Das  Wort  bedeutet  historisch  nur  das 
Verfahren  vor  dem  Magistrat  und  das  durch  ein  solches  Verfahren  zur 
Geltung  kommende  weltlich-bürgerliche  Recht  (vgl.  Leist  a.  a.  O. 
S.  513).  Auf  eine  ältere  Bedeutung  und  in  eine  andere  Sphäre  aber 
fuhrt  das  neben  iüs  liegende  iürare  »schwören'.  Es  setzt  iüs  in  der 
Bedeutung  ,Eid'  voraus,  ganz  wie  auch  im  Schwedischen  lug  ,Eid'  und 
«Gesetz'  zugleich  bezeichnet.  Bedenkt  man  nun,  dass  der  eigentliche 
Zweck  des  Eides  (s.  d.)  der  Beweis  der  Reinheit  von  Schuld  ist, 
so  liegt  es  nahe,  lat.  iüs  ,Eid'  an  aw.  yao*  ,rein',  yaoi-dadditi  ,reinigt' 
anzuknüpfen,  die  ausschliesslich  die  Reinheit  in  religiösem  Sinne  aus- 
drücken (vgl.  y.  44,  9:  Wie  soll  ich  mir  den  Glauben  rein  erhalten?, 
y.  46,  18:  Wer  mir  rein  lebt,  dem  verleihe  ich  das  beste,  nach  E. 
Wilhelm;  vgl.  auch  sert.  yö's  ,Heil'  in  der  Segensformcl  qdm  ca  yö'$  ca). 
Demnach  würde  sich  folgende  Bedeutungsentwicklung  für  lat.  iüs  er- 
geben: Reinheit  von  Schuld  (aw.  yaox),  Mittel  zur  Reinheit  von  Schuld 
zu  gelangen,  Rcinigungseid  (lat.  iüs  in  iürare),  Reiuigungscid  im  Rechts- 
gang, Rechtsgang  überhaupt,  Recht  (anders  Leist  a.  a.  0.).  Betreffend 
des  gemeinitalischen  lat.  te.v,  osk.  ligud  ,lege'  schwankt  man,  ob  man 
dasselbe  mit  griech.  XtYw,  lat.  lego  (also  etwa  ,Sammlung')  verbinden 
(vgl.  Brngmann  Grundriss  I8,  1  S.  134),  oder,  was  vielleicht  wahr- 
scheinlicher, es  mit  altn.  lög  im  PI.  »Gesetz'  (so  zuletzt  Kretschmer  Einleit. 
S.  165)  verknüpfen  soll,  in  welchem  Falle  alsdann  ein  vorhistorischer 
Ausdruck  für  »Satzung*  (altn.  lög  :  got.  ligan,  lagjan  ,liegen',  ,legen', 
,laid  down',  wie  8*uio"t€<;  :  Ti8n.ut,  dhd'man-  :  dhd)  sich  ergäbe.  Be- 
merkenswert ist  noch,  dass  lex  von  eigentlichen  Rechts-  wie  auch 
von  Kultusvorschriften  gebraucht  wird,  und  dass  unter  den  leges  regiae 
der  vordecemviralen  Gesetzgebung  sich  ebensowohl  Anordnungen  wie 
die  Uber  die  Dauer  der  Familientrauer  oder  die,  dass  der  Priester  mit 

Schräder.  Reallexikon.  42 


Digitized  by  Google  | 


658 


Recht. 


eherner,  nicht  mit  eiserner  Scbeere  den  Bart  kürzen  dürfe  wie  Rechts- 
ßätze  in  unserem  Sinne  sieh  finden  (vgl.  M.  Voigt  Lege»  Regiac  in  den 
Ahh.  d.  Bächs.  Ges.  d.  W.  XVII,  hm.  Zu  erwähnen  bleibt  noch 
umbr.  mei'8  ,ius'  :  griech.  utbouai,  ir.  midiur,  got.  mita,  also  mit  der 
ursprünglichen  Bedeutung  , Ermessen',  , Urteil'. 

Wenden  wir  uns  zu  den  nördlichen  Völkern,  so  lassen  sich  im 
Germanischen  zwei  Sprachreihen  als  urgermanisch  bezeichnen,  ein- 
mal got.  witop  ,vöuoq',  altn.  rttob,  altfrics.  witat,  ahd.  teizzöd,  das 
andre  Mal  got.  döms  ,Urteü',  altn.  dömr,  agls.  döm,  ahd.  tuom. 
Ersteres,  als  von  griech.  Fibelv,  lat.  videre,  got.  icitan  abgeleitet,  kann 
nur  so  viel  wie  ,Erkenntnis',  vielleicht  auch  ,Findung'  (sert.  vid  ,tinden') 
bedeuten,  letzteres  gehört  zu  derselben  Wurzel  wie  sert.  dhä'man-  und 
griech.  6t'uis  und  bezeichnet  also  ,Satzuog'.  Über  altn.  log  (*lagu) 
;Gesetz'  wurde  schon  gesprochen.  Daraus  entlehnt  ist  agls.  lagu, 
während  altfries.  logian  ,sich  verheiraten'  sich  wohl  eher  zu  got.  liugan 
(s.  u.  E  i  d)  stellt.  Nach  Jordanis  Cap.  1 1  (cd.  Lind.  p.  93)  wurden 
auch  von  den  (loten  ihre  Gesetze  be  hlagines  genannt.  Den  Wcst- 
germanen  in  der  Bedeutung  von  U.v  gemeinsam  ist  ahd.  ewa,  fries.  d> 
e,  agls.  dt,  (kir,  ilts.  to  =  lat.  oemm  (got.  aites  .Zeit  ),  griech.  ctU(, 
aiwv,  sert.  eva-  ,Lanf,  Gang,  Gewohnheit  ,  wohl  ursprünglich,  wie  sert. 
rtd-  ,Bewegung'  (s.  o.),  den  von  Ewigkeit  her  geordnetcu  Lauf  der  Dinge 
bezeichnend.  In  den  keltischen  und  germanischen  Sprachen,  die 
auch  sonst  Berührungen  der  staatsrechtlichen  und  juristischen  Termino- 
logie zeigen  (s.  u.  Eid,  Erbschaft,  König,  Geisel,  Stände  etc.), 
wird  ferner  übereinstimmend  von  einem  dein  lat.  rectus  ,gcradc', 
,richtig'  entsprechenden  Worte  Gebrauch  gemacht,  um  das  Recht  zu  be- 
zeichnen: ir.  recht,  ahd.  rtht,  altn.  rettr  got.  raihts  ,b»Kcno<;').  Das  ihm 
stammverwandte  sert.  rjü-  wird  auch  im  Rigveda  in  nahe  Verbindung  mit 
dem  Rta  gebracht.  Vgl.  Oldenberg  a.  a.  0.  S.  198:  „Die  Väter  haben 
die  Satzung  erfunden,  das  Rta  kündend,  das  Rechte  {rjü-)  denkend". 

Auf  derselben  Auffassang  des  Rechtes  als  des  ,Geradcn'  beruht  auch 
slavisch  praclda  :  pravü  ,gcrade  von  pro  (Gegensatz  kricida  :  krivü 
,krumin'),  auch  ins  Litauische  (proicä)  entlehnt.  So  heisseu  die  ältesten 
Gesetzesniederschriften,  die  auch  yxtaen  , Anordnung'  und  sydü  .Ge- 
richt' (vgl.  Ewers  Ältestes  Recht  S.  12.i  genannt  werden.  Der  eigentliche 
Ausdruck  für  »Gesetz'  aber  ist  im  Sla vischen  zakovü.  Ganz  ähnlich 
wie  das  griech.  vöuew;  (s.  o.),  bat  er  von  Haus  aus  ,Gewohuhcit,  Sitte' 
(aucli  ?Glaulie)  bezeichnet  und  erst  allmählich  grenzt  er  sich  im  Sinne 
von  Gesetz  gewordener  Sitte  gegen  Wörter  wie  nrarü  und  obycaj 
,Sitte,  Gewohnheit'  schärfer  ab  (vgl.  Krek  Einleit.  in  die  slav.  Litg.* 
S.  104,  Ö92),  wie  (lies  auch  im  Griechischen  bei  den  Ausdrücken  vöuo<; 
gegenüber  £öo<;  (vgl.  R.  Hirzel  a.  a.  O.i  der  Fall  ist. 

Überschaut  man  das  hier  in  kurzen  Zügen  geschilderte  Material,  so 
lässt  neben  der  «tbeii  als  unsicher  bezeichneten  Gleichung  lat.  U.v  = 


Digitized  by  Google 


Recht. 


altn.  log  nur  eine  der  behandelten  Sprachreihen  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit auf  ein  idg.  Prototyp  schliessen.  Es  ist  sert.  dhd'man-, 
griech.  8^ui<;,  got.  döms.  Da  ein  gewisses  Gerichtsverfahren  (s.  u.) 
schon  für  die  idg.  Urzeit  angenommen  werden  darf,  so  wird  mau 
darunter  die  Urteile  oder  Satzungen  zu  verstehen  haben,  welche  in 
der  Volksversammlung  der  König  zusammen  mit  der  Volksgemeinde 
fand,  und  die  einmal  „gesetzt''  für  zukünftige  Fälle  als  Praccedens 
dienten.  Zu  einer  Abstrahierung  der  Begriffe  von  Recht  und  Rechts- 
ordnung war  man,  wie  die  ganz  verschiedene  Concipicrung  derselben 
in  den  einzelnen  Sprachen  beweist,  und  wie  es  ja  auch  an  sich  durch- 
aus verständlich  ist,  noch  nicht  vorgedrungen.  Wollte  man  die  von 
den  Vätern  ererbte  Ordnung  bezeichnen,  die  in  der  Familie,  in  der 
Sippe  und  im  Stamme  herrschte,  so  wird  man  sich  der  Ausdrücke  für 
Sitte  und  Gewohnheit  bedient  haben,  für  die  eiue  idg.  Gleichung 
in  sert.  svadhä'  ,Eigenart',  .gewohnter  Zustand'  =  griech.  £9o?  Ge- 
wohnheit, Sitte,  Brauch',  f)6o?  , Gebrauch'  (letzteres  wie  das  indische  Wort 
auch  ,gcwohnter  Aufenthalt')  vorliegt.  Auch  die  germanische  Reihe  got. 
sidus,  altn.  #/ör,  ahd.  situ  ,Sitte'  mochte  man  hierher  stellen,  doch 
führt  dieselbe  auf  eine  Wurzel  sedh,  nicht  stedh  (sert.  svadhä  ).  Dass 
diese  „Sitte"  oder  dass  jene  „Satzungen"  schon  in  der  Urzeit  als  Aus- 
fltiss  einer  von  den  Göttern  gesetzten  Welt-  und  Rechtsordnung 
gegolten  hätten,  ist  wenig  wahrscheinlich.  Allerdings  lässt  sich  nicht 
verkeunen,  dass  zahlreiche  der  oben  erörterten  Termini  schon  in  der 
ältesten  Überlieferung  in  einem  sakralen  Gewände  auftreten,  und  diese 
Beobachtung  hat  bekanntlich  Leist  dazu  geführt,  schon  für  die  Urzeit 
eine  von  den  Menschen  klar  erkannte,  unter  dem  Schutze  der  Götter 
stehend  gedachte  Rechtsordnung  anzunehmen.  Allein  dieser  Ansatz 
scheitert  an  dem  Umstand,  dass  nach  den  Ausführungen  u.  Religion 
die  Gottheiten  der  idg.  Urzeit  noch  keine  ethisch  vertieften  Persönlich- 
keiten und  gleichgültig  gegen  den  Unterschied  von  Gut  und  Böse  ge- 
wesen sein  müssen.  Die  Spuren  dieses  Zustauds  finden  sich  gerade 
da,  wo  man  sie  am  wenigsten  suchen  würde,  in  den  Rcligionsbttchern 
des  Veda.  „Es  kann  nicht  bezweifelt  weiden,  sagt  Oldcnberg  a.  a.  0. 
S.  284  (die  Götter  und  das  Recht*,  dass  die  Ideen  von  Recht  und 
Unrecht,  dem  sozialen  Leben  entsprossen,  ursprünglich  von 
dem  Götterglaubeu  oder  dessen  Vorstufen  durchaus  unab- 
hängig sind   Das  Bild  der  Götter  im  Allgemeinen  trägt  ethische 

Züge  doch  nur  oberflächlich  an  sich.  Für  das  religiöse  Bewusstsein  ist  es 
das  wesentliche,  dass  der  Gott  ein  starker  Freund  ist;  in  den  Lobsprüchen, 
die  man  ihm  widmet,  erscheint  seine  Macht  ins  Ungemessne  gesteigert. 
Nicht  ebenso  seine  sittliche  Erhabenheit.  Wohl  werden  Eigenschaften 
wie  „wahr",  „nicht  trügend"  und  dgl.  allen  Göttern  zugeschrieben, 
aber  solche  Epitheta  treten  doch  weit  hinter  „grossu,  „gewaltig"  und 
dgl.  zurück   Die  beste  Bestätigung  dafür,  dass  die  vedischen 


Digitized  by  Google 


ßßO 


Recht. 


Götter  wenig  darauf  angelegt  waren,  von  sittlichem  Inhalt  mehr  als 
eine  oberflächliche  Färbung  anzunehmen,  giebt  der  weitere  Verlauf 
der  indischen  Rcligionsgescbichtc.  Für  ein  Zeitalter,  das  so  tief  von 
sittlichen  Problemen  berührt  war  wie  das  des  alten  Buddhismus, 
lagen  doch  die  Gipfelpunkte  ethischer  Vollkommenheit  durchaus  anders- 
wo als  in  den  Regionen  der  Göttcnvclt;  das  Dasein  des  buddhistischen 
Gottes  hat  seinen  Inhalt  eigentlich  nur  darin,  dass  er  durch  uner- 
meßliche Zeiträume  im  Himmel  sich  freut."  Und  so  Hessen  sich  un- 
Bchwer  auch  in  den  Religionen  der  übrigen  idg.  Völker  zwei  Schichten 
der  Auffassung  der  Gottheiten  nachweisen,  eine  ältere,  rohere,  die  in 
dem  Gott  nur  den  mächtigen  nützlichen  oder  schädlichen  Freund  oder 
Feind  erblickt,  und  eine  jüngere,  edlere,  die  mehr  und  mehr  bemüht 
ist,  eine  Verbindung  zwischen  dem  Gedanken  des  Rechts  und  dem 
Gedanken  der  Gottheit  herzustellen.  Fragt  man,  unter  welchen  Um- 
ständen in  die  ersten  Ansätze  einer  sozialen  Rechtsbildung  derartige 
sakrale  Vorstellungen  hineingetragen  worden  seien,  so  wird  man  kaum 
irren,  diesen  Vorgang  mit  dem  allmählichen  Auftreten  ciues  Pricster- 
standes  in  Beziehung  zu  bringen,  der  der  Urzeit  noch  fremd,  in  den 
ältesten  Epochen  der  Einzelvölker  aufzukommen  anfängt.  Von  den 
Funktionen  des  idg.  Stammkönigs  lösen  sich  nach  und  nach  die  Funk- 
tionen zweier  anderer,  an  vielen  Orten  als  eine  gedachten  Persönlich- 
keiten, die  des  Priesters  und  die  des  Richters  (s.  8.  d.  d.),  los.  In 
ihren  Kreisen  wird  sowohl  der  Gottes-  wie  der  Rechtsgedankc  eine 
vertiertere  Gestalt  angenommen  haben.  In  ihren  Kreisen  werden  zu- 
erst Ausdrücke  wie  seit,  rtd-,  dhdrma-,  lat.  fäs,  ahd.  ewa  u.  s.  w. 
aufgekommen  sein,  oder  werden  ältere  Termini  wie  griech.  Q4\xiq,  sert. 
dhä'man-  ihre  Verbindung  mit  den  Göttern  erhalten  habeu.  Ol)  und 
welche  Zusammenhänge  in  Folge  von  Kulturübertragung  (vgl.  oben  die 
Herkunft  des  arischen  Rta-Gedankcns)  dabei  anzunehmen  seien,  wird 
späterer  Forschung  zu  bestimmen  überlassen  werden  müssen. 

Nachdem  so  die  Entwicklung  des  Rechts-  und  Gesetzesbcgriffes  bei 
den  idg.  Völkern  festgestellt  worden  ist,  erübrigt  es,  was  in  diesem 
Werk  Über  die  objektive  Rechtsordnung  der  Iudogermauen  er- 
mittelt worden  ist,  hier  in  Kürze  zusammenzufassen. 

a)  Familienrecht. 

An  der  Spitze  der  idg.  Familie  steht  der  Hausherr.  Er  hat  seine 
Frau  durch  Kauf  erworben,  und  es  ist  nichts  im  Wege,  auf  dieselbe 
Weise  mehrere  Frauen  in  seinen  Besitz  zu  bringen,  von  denen  indessen 
eine  den  Ehrennamen  „Herrin"  führt.  Ein  Unterschied  zwischen  den 
von  diesen  Frauen  geborenen  Kindern  scheint  nicht  gemacht  worden 
zu  sein.  Begriffe  wie  ehelich  und  unehelich  dürften  vielmehr  erst 
mit  der  in  spätere  Zeiten  fallenden  Kebsenwirtschaft  aufgekommen 
sein.    Gelingt  es  dem  Manne  nicht,  mit  einer  dieser  Frauen  den  für 


Digitized  by  Google 


Recht. 


G61 


<lie  Darbringung:  der  Totensaera  notwendigen  Solm  zu  erzeugen,  so 
kann  er  die«  vermittelst  eines  Zeugungshelfers  oder  durch  eine  Tochter 
(Erbtochter)  erreichen.  So  zwingend  ist  der  Wunsch  nach  Sühnen,  dass 
er  ein  eigentliches  Junggesellcntum  nicht  aufkommen  lässt.  Ob  der 
Rechtsakt  der  Adoption,  der  alsdann  dem  Kaufe  eines  Sohnes  sehr 
nahe  kam,  schon  bekannt  war,  steht  dahin.  —  Der  Hausherr  hat  über 
die  Seinen  unumschränkte  Gewalt  über  Leben  und  Tod.  Ihm  unbe- 
queme Kinder  kann  er  aussetzen.  Auch  der  Alten  und  Kranken  kann 
man  sich  entledigen.  Die  Frau  ist  an  die  strikteste  eheliche  Treue 
gebunden,  sie  kann  sich  unter  keinen  Umständen  vom  Manne  scheiden, 
der  sie  seinerseits  leicht  Verstössen  kann,  sie  darf  nach  dem  Tode  des 
Mannes  sich  nicht  wieder  verheiraten,  sondern  bleibt  in  der  Haus- 
gemeinschaft des  Mannes  oder  stirbt  am  (trabe  desselben.  Der  Haus- 
sohn  scheidet  mit  seiner  Verheiratung  nicht  aus  der  Gewalt  des  Vaters, 
sondern  bringt  die  junge  Frau  in  das  väterliche  Haus,  da  die  Familien, 
durch  gemeinsame  Totenverehrung  und  gemeinsames  Eigentum  ver- 
bunden, mehrere  Generationen  hindurch  bei  einander  bleiben.  Heirats- 
verbote scheinen  nur  in  Hinblick  auf  die  agnatische  Nahverwandtschaft 
bestanden  zu  haben,  mit  anderen  Worten:  es  war  nicht  gestattet,  ein 
Mädchen  derselben  Grossfamilie  zu  heiraten. 

S.u.  Familie,  Brautkauf,  Heirat,  Polygamie,  Ehe,  Ehelieh 
und  unehelich,  Beischläferin,  Zeugungshelfer,  Erbtochter, 
Junggeselle,  Adoption,  Aussetzungsrecht,  Alte  Leute,  Ehe- 
bruch, Ehescheidung,  Witwe,  Ah nenkultns,  Eigentum,  Erb- 
schaft, V  c  r  w  a  n  d  t  c  n  e  h  e. 

b)  Sachen-  und  Obligatio  n  e  n  r  e  c  h  t. 

Der  Begriff  des  Privateigentums  ist  noch  nicht  aufgegangen.  Alles 
Hab  und  Gut  gehört  den  männlichen  Mitgliedern  der  Familie  gemeinsam, 
der  Familienvater  hat  ein  unbeschränktes  Vcrwaltungsrecht  darüber. 
Der  Grund  und  Boden  ist  Eigentum  der  Sippe  oder  des  Stammes 
und  wird  den  einzelnen  Hausgemeinschaften  zur  Nutzung  auf  kürzere 
oder  längere  Zeit  zugewiesen.  Ein  eigentlicher  Erbgang  tritt  unter 
den  geschilderten  Umständet)  nicht  ein,  doch  findet  zuweilen  eine 
Teilung  der  Hausgemeinschaft,  namentlich,  wenn  sie  zu  gross  geworden 
ist,  statt.  Die  Form  des  Gesamteigentums  scheint  auf  eine  gewisse 
Nivellierung  der  Besitzvcrhältnissc  hingewirkt  zu  haben,  wie  denn  in 
der  Urzeit  weder  die  Unterschiede  von  Arm  und  Reich  noch  von  Hoch 
und  Niedrig  (Stände),  eine  irgendwie  bedeutende  Rolle  gespielt  haben 
können.  —  Gleichwohl  muss,  wie  die  urzcitlicheu  Termini  für  Kaufen 
und  Verkaufen,  für  Lohn  u.  a.  zeigen,  ein  gewisser  Vermögensverkehr 
auch  in  der  Urzeit  schon  bestanden  haben.  Eine  eigentliche  Bedeutung 
aber  haben  die  ^xoücria  auvaXXcrfuaTü  in  der  älteren  Zeit  nicht  er- 
langt. 


Digitized  by  Google 


662  Recht  —  Rechte  des  Ehemanns. 


S.  u.  Eigentum,  Ackerbau,  Erbschaft,  Reich  und  arm, 
Stände,  .Schulden,  Bürge,  Handel,  Lohn. 

c)  8 1  r  a  f  r  e  c  1»  t. 

Es  giebt  in  der  Urzeit  nur  eine  Gattung  von  Verbrechen,  welche 
die  öffentliche  Gewalt  der  Stammesgcineinschaft  mit  Strafe  bedroht, 
nämlich  die,  welche  die  Gleichung  sert.  d'gas-  =  griech.  öto?  bezeichnet, 
d.  h.  Verbrechen  gegen  die  Volksgemeinschaft,  wie  Landesverrat,  Feig- 
heit, Königsmord  u.  a.  Die  einzige  Strafe,  welche  man  für  ein  solches 
Verbrechen  kennt,  und  welche  nach  ausgesprochenem  Urteil  alsbald 
von  der  Volksgemeinde  selbst  vollstreckt  wird,  ist  der  Tod,  im  Falle 
der  Flucht  des  Verbrechers  seine  Ausstossmig  ans  dem  Stamm.  Die 
Ahndung  aller  übrigen  Unthaten  ist  dem  Betroffenen,  bezüglich  seiner 
Familie  und  Sippe  auf  dem  Wege  der  Selbsthilfe,  die  nach  dem  Grund- 
satz: Gleiches  um  Gleiches  handelt,  überlassen.  Die  Rache  durch  die 
That  kann  aber  durch  Vieh  abgekauft  werden.  Bei  gewissen  Unthaten, 
wie  Diebstahl  und  Ehebruch,  scheint  die  Tötung  des  Thäters  auf  offner 
That  schon  in  der  Urzeit  nicht  die  Blutrache  der  betroffenen  Sippe 
hervorgerufen  zu  haben,  so  dass  hier  die  Tötung  des  Unthäters  fast 
schon  den  Charakter  einer  Strafe  annimmt,  die  aber  von  dem  Ge- 
schädigten oder  Bedrohten  selbst  vollzogen  wird. 

S.  u.  Verbrechen  (Diebstahl,  Ehebruch,  Körperverletzung, 
Mord,  Notzucht,  Raub),  Strafe,  Blutrache. 

d )  Gerichtsverfahren. 

Gegenüber  den  als  ti'gas  =  uyo<;  bezeichneten  Verbrechen  muss  schon 
in  der  Urzeit  ein  gewisses  Gerichtsverfahren  stattgefunden  haben,  das 
in  der  vom  König  geleiteten  Volksversammlung  abgehalten  wurde. 
Zum  Beweise  wurde  bereits  der  Eid,  d.  h.  eine  SelbstverÜuehung  für 
den  Fall,  dass  man  die  Unwahrheit  sage,  und  wahrscheinlich  das  mit 
dem  Eide  eng  zusammenhängende  Gottesurteil  verwendet.  Auch  Zeugen- 
aussagen scheinen  bekannt  gewesen  zu  sein.  Bei  anderen,  mehr  den 
Einzelnen,  als  die  Gesamtheit  betreffenden  Unthaten  gab  es  kein  Ge- 
richtsverfahren. Sie  waren  der  Selbsthilfe  oder  dem  Sippengericht 
überlassen.  Nur  bei  Diebstahl  muss  schon  in  der  Urzeit  ein  bestimmtes, 
zwar  auch  von  dem  Betroffenen  auszuführendes,  aber  unter  dem  Schutze 
der  Allgemeinheit  stehendes  Untersuehtingsverfahren  i  Haussuchung)  be- 
kannt gewesen  sein.  —  Möglich  ist,  dass  schon  in  der  Urzeit  zwei 
wegen  irgend  einer  Unthat  verfeindete  Sippen,  ehe  sie  den  Weg  der 
Selbsthilfe  beschritten,  ihre  Sache  vor  den  König  als  vor  einen  Schieds- 
richter brachten,  dessen  Spruch  man  sich  unterwerfen  konnte,  nicht 
mus8te. 

S.U.König,  Richter,  Volksversammlung,  Eid,  Gottes- 
urteil, Zeuge,  Diebstahl. 

Rechte  des  Ehemanns,  s.  Familie. 


Digitized  by  Google 


Rechtlosigkeit  der  Frauen  —  Hechts  und  links. 


M3 


Rechtlosigkeit  der  Frauen,  s.  Familie. 
Rechtlosigkeit  des  Fremden,  s.  Gastfreundschaft. 
Rechtssymbole,  s.  Kiten. 

Rechts  und  liuks.  Ftlr  ersteres  zieht  sich  eine  urverwandte 
Gleichung  durch  alle  idg.  Sprachen:  sert.  ddkshiua-,  a\v.  dasina-,  altal. 
destnü,  lit.  deszini,  alb.  djadte  (=  altsl.  destü),  griech.  beEiö?,  beEi- 
T€pö?,  lat.  dexter,  ir.  de**,  gnt.  taihstcö,  ahd.  zesaira.  Das  Wort  be- 
deutet zugleich  fast  überall  ,tauglich\  geschickt';  vgl.  mhd.  diu  bezzer 
hant,  alts.,  agls.  suithora,  stetdre  .rechte  Hand',  d.  h.  ,fortior,  citior'. 

Über  geringere  Sprachgebiete  erstrecken  sich  die  Gleichungen  für 
„links":  1.  sert.  saryd-,  a\v.  harya-,  altsl.  s»j\  2.  gricch.  Xaiö$.  lat. 
Itter  us,  altsl.  lerü,  eigentl.  ,matt'  (vgl.  griech.  Xiapö«;  .tepidus,  lenis', 
ahd.  sUo,  alts.  slett  ,matt',  ,lau',  sert.  asn'-mdn-  .nicht  ermattend  ); 
3.  griech.  aKaiöq,  lat.  setterus;  4.  ir.  de  {*kUjos\.  got.  Iileiditma  (vgl. 
ir.  de  i.  daon  ,obli(|iius',  altlat.  cl tritt«,  cliciitm  tutspicium  .ungünstiges 
Vorzeichen*  :  griech.  kXitu?  , Abhang',  kXivuj;  Gegensatz  :  nhd.  rechts, 
urspr.  ,gerade'  wie  auch  altsl.  prarü  .rectus,  dexter'  und  frz.  droit  = 
lat.  directus).  In  seiner  Bedeutung  übereinstimmend  mit  Xr.  '2  ist  auch 
ahd.  lendta  , linke  Hand',  niederrhein.  slink  \*slenqa-),  die  zu  griech. 
Acrrapö;  ,schmiichtig\  lat.  hnttjtteo  tmatt  sein*  gehören.  Ebenso  frz. 
gauche,  entlehnt  aus  ahd.  tedk  (*walki-)  ,die  welke'.  Vgl.  noch  it. 
vtanett,  stauen,  sp.  zttrda  .die  taube'  und  eeeh.  krsndk,  krximry  ,link- 
hand'  :  altsl.  kriidtiikt't  ,fragilis'  (weiteres  bei  Pott  Quinare  und  vigcsimale 
Zählmcthode  S.  L'äXrT.). 

Grössere  Schwierigkeiten  macht  aus  der  überaus  reichen  Termi- 
nologie des  rlinksu  eine  Gruppe  von  Bezeichnungen,  welche  formell 
die  Bildung  mit  den  Komparativsuftixen  (i)s-tero  gemein  haben  :  aw. 
vairyastdra-,  griech.  dp-iöTtpöq,  lat.  sin-ister,  ahd.  trinistar,  altn. 
vinstre.  Zur  Erklärung  dieser  Ausdrücke  knüpft  K.  Brugmann  Rhei- 
nisches Museum  N.  F.  XLI11.  399  f.  an  die  bei  den  Römern  überlieferte 
Anschauung  von  der  Gunst  linksseitiger  Omina  an  (vgl.  Cicero  De 
div.  II,  39:  ita  nobis  sinistra  cidentttr,  Graß*  et  barbari*  dextra 
meliora).  Wie  daher  griech.  sOwvuuo«;  .link',  eigentlich  ,von  guter 
Vorbedeutung'  sei,  so  wohne  allen  jeuen  Wörtern  für  ,link'  auf  -is-tero- 
der  Sinn  des  Guten,  Günstigen  und  Erwünschten  inne.  Aw.  rair- 
yastdra-  gehöre  zu  sert.  edriyas-  (Positiv  vom-)  .erwünschter,  vor- 
züglicher, besser',  griech.  äp-iaicpö?  :  dpeiuuv,  <3pto"ros,  lat.  sin-ister  : 
sert.  Comperativ  sdniyas-  ,mehr  gewinnend',  grieeh.  dt-vüu),  ahd.  trin- 
istar :  ahd.  teini  , Freund'.  Eine  weitere  Unterstützung  findet  diese 
Ansicht  darin,  dass  ir.  tt'tath  .links'  dem  got.  piup  ,gut'  und  lit.  kairi 
,ünkc  Hand'  dem  griech.  Kcupö«;  .günstiger  Augenblick'  entspricht,  und 
vielleicht  auch  die  unter  1.  genannte  Reihe:  sert.  savyd-  n.  s.  w.  von 
aert.  sti  ,gut,  wohl,  recht'  abgeleitet  ist. 

Entgegen  steht  ihr,  dass  die  Inder,  Griechen  und  Deutschen  in  der 


Digitized  by  Google 


Rechts  und  links  —  Regen. 


Anschauung  Übereinstimmen,  dass  vielmehr  die  von  rechts  kommenden 
Anzeichen  als  die  glückbringenden  zu  betrachten  seien  (vgl.  J.  Grimm 
G.  d.  deutschen  Spr.  S.  »HO— 996  „ Recht  und  Link"  und  Vf.  Sprach- 
vergleichung und  Urgeschichte*  S.  309 ff.).  Einen  Versuch,  diese  beiden 
einander  gegenüber  stehenden  Auffassungen  mit  einander  zu  vermitteln, 
hat  neuerdings  F.  B.  Jevons  Indocuropean  modes  of  orientation  (The 
Classical  Review  X,  22)  gemacht.  Es  sei  weniger  auf  die  Seite,  auf 
welcher  der  ominöse  Vogel  erschienen  sei,  angekommen,  als  auf  die 
Richtung,  in  der  er  sich  bewegte.  Stelle  man  sich  jemanden  vor.  der 
den  Blick  nach  der  ältesten  Orient iernngsw  eise  im  Räume  (s.  u. 
Himmelsgegenden)  gegen  Osten  gerichtet  habe,  so  sei  derjenige 
Vogel  glUckverkündend  gewesen,  der  zur  Linken  erschienen  und  dem 
Beobachtenden  die  rechte  Seite  zukehrend,  gen  Osten  (  vorn)  und  Süden 
("rechts)  geflogen  sei.  So  vereinigten  sich  die  glUckvcrkündende  Linke 
der  Römer  und  die  glUckvcrkündende  Rechte  der  Griechen.  Dunkel 
bleibt  aber  hierbei,  wie,  wenn  dies  richtig  wäre,  die  Alten  selbst 
(s.  o.i  von  einem  Gegensatz  in  der  Beurteilung  links-  und  rechts- 
seitiger Anspielen  zwischen  Griechenland  und  Rom  sprechen  konnten. 
Vielleicht  hat  man  daher  anzunehmen,  dass  sich  von  jeher  bei  den 
Indogermanen  zwei  Auffassungen  kreuzten,  indem  bei  den  einen  An- 
zeichen die  linke,  bei  den  andern  die  rechte  Seite  als  die  heilbringende 
angesehen  wurde.  So  war  es  bei  den  Römern  trotz  der  hier  im  all- 
gemeinen herrschenden  Ansicht  von  der  Gunst  linksseitiger  Omina.  Vgl. 
Plaut.  Asin.  II,  1,  iL':  Pkm  et  cor  nix  ab  laera,  parra  ab  dectera 
consuadent  (,geben  günstige  Wahrzeichen"). 

Welche  ratio  dabei  freilich  im  einzelnen  zu  Grande  gelegen  hat, 
lässt  sich  nicht  mehr  ermitteln,  wie  auch  die  Frage,  warum  die  Indo- 
germanen wie  die  übrige  Menschheit  in  allen  profanen  und  heiligen 
Verrichtungen  den  Gebrauch  der  rechten  Hand  so  entschieden  bevor- 
zugt haben,  noch  keine  völlig  befriedigende  Beantwortung  gefunden 
hat.  Vgl.  darüber  V.  Meyer  Z.  f.  Ethnologie  Verb.  d.  Berl.  Ges.  f. 
Antbrop.  etc.  1873.  V,  2.*>ff.  —  S.  auch  u.  Himmelsgegenden,  Gruss 
und  Orakel. 

Rede,  s.  Dichtkunst. 

Kell,  s.  Hirsch. 

Regen.  Eine  idg.  Bezeichnung  hierfür  liegt  in  sert.  varshd-,  ir. 
fra#x,  grieeh.  epan,  letzteres  ,Tau  ).  Sonst  gehen  die  Namen  ausein- 
ander, indem  der  Regen  bald  als  Wasser  (grieeh.  öußpo?  —  sert.  dmbu- 
, Wasser  ),  bald  als  Wolke  (lat.  imber  =  sert.  abhrd-  , Wolke  ),  bald  als 
Fluss  (lat.  plucia,  phiere,  vgl.  ahd.  fliozzan),  bald  als  Xass  (geraein- 
germ.  got.  rign  :  lat.  rigare  ,bewässern'V),  bald  als  Guss  (lit.  lytm  : 
altsl.  It-jn  ,giesse  aus)  u.  s.w.  aufgefasst  wird.  Für  den  Hagel  besteht 
die  idg.  Reihe:  seit,  hrädüni-,  lat.  grando,  altsl.  gradu  für  den  Nebel: 
grieeh.  ouixXn..  altsl.  migla.     Eine  mythologische  Vorstellung  liegt 


Digitized  by  Google 


liegen  —  Reich  uud  «rm. 


665 


dem  griech.  üei,  uctö?  zu  Grunde.  Sie  gehören  zu  seit,  su,  sunö'mi 
»keltere',  spez.  den  Sonia  (seit,  aö'ma-,  vgl.  auch  ir.  xttth,  ahd.  *oti, 
lit.  xyicax  ,Saft',  sert.  wird-  ,Kelterung).  Das  homerische  Ztvq  üei 
kann  daher  ursprünglich  nur  bedeutet  haben:  „der  Himmel  keltert", 
indem  die  Erzeugung  des  Kegcns  auf  gleiche  .Stufe  wie  die  Auskel- 
terung des  idg.  Rauschtranks  (Mets,  s.  u.  Honig)  gestellt  wurde,  eine 
Vorstellung,  die  in  dem  Verhältnis  zwischen  Sorna  und  Regen  dem 
vedischen  Altertum  noch  durchaus  lebendig  ist.  Indem  mau  den  Sorna 
durch  die  Seihe  tropfein  lässt,  hofft  man  den  „Vater  Himmel"  zu  ver- 
anlassen, ebenfalls  zu  „keltern",  d.  h.  den  Regen  auf  die  Erde  nieder- 
strömen zu  lassen.  Man  übt  einen  Regenzauber  aus  (vgl.  Windisch 
Festgruss  an  Roth  S.  140,  Ohlenberg  die  Religiou  des  Veda  S.  459 
und  passiuu.  —  S.  u.  Opfer  und  Religion. 
Regen hogeiischflssekhcii,  s.  Geld. 

Kegeiizauber,  s.  Regen,  Opfer,  Zauber  u.  Aberglaube. 
Kegicruiivsform,  s.  König  und  Volksversammlung. 
Kell,  s.  11  irsch. 
Reich,  s.  Staat. 

Reich  und  arm.  Vorhistorische  Bezeichnungen  für  diese  Be- 
griffe sind  bis  jetzt  nicht  nachgewiesen  worden.  Vielleicht  fehlten  sie 
ganz  im  Wortschätze  der  Urzeit,  da  in  derselben  die  Unterschiede 
zwischen  Arm  und  Reich,  Hoch  und  Niedrig  noch  wenig  hervorgetreten 
zu  sein  scheinen.  S.  n.  Eigentum  und  u.  Stände.  Doch  sollen  im 
Folgenden  die  wichtigsten  Ausdrucke  der  europäischen  Einzel- 
sprach e  u  mit  Ausschluss  der  sich  ohue  weiteres  erklärenden  (wie 
etwa  griech.  €voen,£  oder  Int.  inopx>  zusammengestellt  werden,  um  zu 
ermitteln,  welche  Anschauungen  der  sprachlichen  Ausbildung  der  Be- 
griffe Arm  und  reich  zu  Grunde  liegen.  Dabei  sind  auch  die 
europäischen  Bezeichnungen  des  Bettlers  herangezogen  worden. 
Griechisch:  TrXoüato?  ,reich'  von  ttXoöto?  , Fülle*  :  muTTXn.u»  gegenüber 
Trevris  .arm'  :  rcevonai  .arbeite',  ttovo?  .Mühe';  tttujxö?  ,der  Bettler'  : 
TrruKJöw  ,duckeu'  (bei  Homer  teilweis  noch  mit  ävr)p  verbunden).  La- 
teinisch: direx,  dir it ine.  :  dirux  ,göttlich'  (vgl.  fortunae,  fortunatns  : 
foi's  i  gegen  über  pau-per  ,der  sich  wenig  erworben  hat'  (:  griech.  Traö- 
po?,  Int.  pau-etts,  got.  fmc-ai  »wenige  'und  pario  ,  erwerbe);  mendicus 
, Bettler'  von  sert.  mindä'  , körperlicher  Fehler',  .Gebrechen'.  (Jer- 
manisch:  got.  avdagx  ,selig'  s.  u.),  altn.  aubugr,  agls.  frtdiy,  ahd. 
6tak,  Ableitung  von  *aud  ,opes'  (altn.  m/ör,  agls.  ead,  ahd.  6t)  und 
got.  gabig»  .reich',  gäbet  , Reichtum'  :  giban  ,geben'  gegenüber  got. 
arm»  u.  s.  w.,  <las  vielleicht  aus  *arbhmo-  entstanden  :  got.  arbaip» 
, Arbeit'  und  slav.  rabü  , Knecht  gehört.  In  ahd.  rihhi  uud  rihtuom 
geht  der  Begriff  des  Reichtums  aus  dem  der  königlichen  Macht  hervor 
(s.  u.).  Der  Bettler  heisst  got.  halkx  (woraus  vielleicht  altsl.  chlakü 
Junggeselle'  entlehnt  wurde;  eine  andere  Deutung  s.  u.  Junggeselle), 


Digitized  by  Google 


Reich  und  arm. 


ahd.  beteldri  :  bitte»,  altn.  verdgangr  ,mendieatio'  (a  going  begging" 
one's  food  .  Slaviseh  und  litauisch:  altsl.  bogatü  ,reich'  (woraus 
lit.  b(igotas)  von  bog*  ,Gott'  (vgl.  olien  lat.  direx  :  dirus)  gegenüber 
ubogü  ,ann'  (woraus  lit.  übagax  , Bettler  )  nnd  nebogü  desgl.  (lit.  ne- 
bägax).  In  der  Sippe  von  *chudü  gehen  die  Bedeutungen  von  ,klein' 
(altsl.  chudü)  .böse'  (nsl.  hud)  und  .ann'  (weissruss.  chud),  in  der  von- 
*Ä'o/rf  die  von  ,betteln'  (nsl.  koldorati)}  »reisen'  (klruss.  kofdux  , Reisender') 
und  ,zanbern'  (russ.  koldorati)  in  einander  über.  Die  letzteren  Aus- 
drücke sieht  Miklosich  Et.  W.  als  fremd  auf  slav.  Hoden  an.  Ein  ein- 
heimischer litauischer  Ausdruck  für  ,arm'  ist  icarg'ingax  von  icargas 
,Xot,  Elend',  altpr.  trargx  .schlecht,  Leid,  Übel',  altsl.  rragü  , Feind', 
got.  *icargx  .Feind,  Missethäter  in  gawargjan  .verdammen,  zum  Feinde 
machen'  'altn.  vargr  ,a  wolf  und  ,an  outlaw',  ein  ,ausgestossener'). 
Dunkele  Bezeichnungen  für  arm  und  reich  aus  den  keltischen  Sprachen 
vgl.  bei  Zeuss  Gr.  Cell.*  S.  *49  und  Stokes  K.  Z.  XXXV,  ö%. 

So  zeigt  sich,  dass  der  „Reiche-*  sprachlich  mehrfach  in  Beziehung 
zu  den  Göttern  (lat.  direx  ,der  mit  den  Himmlischen  gehende',  vgl. 
Brugmann  Grundriss  II,  HGS  und  altsl.  bogatü  :  bogü)  gesetzt  wird, 
wie  auch  grieeh.  eubcnuiuv  , reich'  denjenigen  bezeichnet,  über  dem  ein 
guter  Gott  oder  Geist  waltet.  Auch  als  Gute  und  Fromme  werden 
vom  Standpunkt  der  Herrenmoral  aus  die  Kciehen  oft  gegolten  haben, 
und  es  ist  bezeichnend,  dass  Ultilas,  um  den  Begriff  von  grieeh.  uet- 
KOtpioq  wiederzugeben,  den  das  Althochdeutsche  mit  xdlig,  xalida  ,selig', 
^Seligkeit'  übersetzt,  kein  anderes  Wort  als  audags  .der  reiche'  s.  o.) 
fand.  Ja,  das  Paradies  selbst,  der  Aufenthalt  der  Seligen,  würde  als 
Ort  des  Wohlstands  und  Reichtums  aufgefasst  seien,  wenn  Miklosich 
Denkschr.  d.  kais.  Ak.  d.  W.  phil.-hist.  Kl.  XXIV,  48  richtig  altsl.  raj, 
klruss.  raj  und  rirej  .Himmelreich'  (woraus  lit.  rojux  , Paradies  )  mit 
sert.  niff-  ,Gut,  Habe'  vergleicht.  Bezeichnend  für  die  Verhaltnisse, 
unter  denen  die  germanische  Welt,  für  deren  ursprüngliche  soziale 
Gleichheit  auch  der  Bericht  des  Caesar  De  bell.  gall.  VI,  22  („sie 
haben  kein  Privateigentum1*,  ve  latox  fines  parare  xtndeant  potentio- 

rexque  humiUorex  poxxexxionibux  e.rpeUant  ,  ne  qua  oriatur 

pecuniae  cupiditax,  qua  t\r  re  f actione»  dixxenxionexque  naxenntur; 
tit  animi  aequitate  plebem  contineant ,  <•  u  m  x  u  a  x  q  ti  i  xq  u  e  o  p  ex 
cum  pot  entisximix  aequari  videat)  von  Wichtigkeit  ist,  den  Be- 
griff des  Reichtums  kennen  lernte,  scheint  vor  allem  das  ahd.  rihhiT 
rihtuom,  das  eine  Ableitung  von  dem  aus  dem  Altgallischen  entlehnte 
got.  reikx  ist  <s.  darüber  u.  König;.  An  dem  aitgallischen  Völker- 
schaftskönig erfuhren  also  die  Germanen  zuerst,  was  Macht  und  Reich- 
tum bedeutet.  Dem  „Reichen1*  gegenüber  ist  der  „Arme"  der  Arbeiter 
oder  der  Knecht.  Auch  als  der  Schlechte  oder  Böse  wird  er  von  den 
tugendhaften  Reichen  bezeichnet,  wofür  des  weiteren  auf  den  Zu- 
sammenhang von  grieeh.  novripöq  .schlecht'  mit  ttövo?  und  Tre'vris  ver- 


Digitized  by  Google 


Reich  und  arm  —  Reis. 


667 


wiesen  werden  kann.  Der  „Bettler*  ist  der  sich  duckende,  miss- 
gestaltete, von  Thür  zu  Thür  schleichende,  dem  Zauberer  und  Ausge- 
stossenen  gleich  geachtete  Mann.  Gegenüber  dieser  Terminologie  der 
Verachtung  wird  es  in  vorgeschritteneren  Kulturen,  z.  B.  in  Indien  und 
schon  im  homerischen  Griechenland,  als  eiue  Forderung  göttlicher 
Gerechtigkeit  angeschn,  den  Bettler  wie  den  Gast  und  den  Bittflehen- 
den autzunehmen  und  zu  schützen  (  vgl.  Leist  Altarisches  Jus  gentium 
S.  40,  227). 

Reigen,  s.  Tanz. 

Reiher,  s.  »Sumpfvögel. 

Reinheit  und  Unreinheit.  In  früher  Zeit  tritt  bei  mehreren 
idg.  Völkern,  bei  Indern  und  Iraniern,  bei  Griechen  und  Römern  die 
Vorstellung  hervor,  dass  der  Mensch,  wie  physisch  durch  die  Berührung 
mit  gewissen  Gegenständen,  so  psychisch  durch  gewisse  Ereignisse  wie 
Zeugung,  Geburt  und  Tod  sowie  namentlich  durch  die  Begehung  von 
Verbrechen  verunreinigt  werde  und  einer  feierlichen  Reinigung  durch 
Bäder,  Waschungen,  Räuchernngen  etc.  bedürfe;  denn  nur  rein  darf 
man  hieb  den  Göttern  nahen.  Reiche  Materialiensammlnngen  hierfür 
finden  sich  bei  Leist  Altarischcs  Jus  gentium  S.  2f>G  ff.  und  Altarisches 
Jus  civile  I,  .TJ.-iff.  (vgl.  auch  A.  Kaegi  Die  Xeunzahl  bei  den  Ost- 
ariern S.  13).  Wenn  aber  derselbe  Gelehrte  geneigt  ist,  zahlreiche 
der  hier  herrsehenden  Anschauungen  und  Gebräuche  auf  vorhistorische 
Zusammenhänge  zurückzuführen  und  als  ein  Hauptgebot  der  von  ihm 
konstruierten  vorhistorischen  von  den  Göttern  gesetzten  und  behüteten 
Rechtsordnung  den  Satz  aufstellt:  „Du  sollst  Dich  rein  halten,  damit 
Du  Dich  den  Göttern  nahen  kannst*,  so  werden  ihm  diejenigen  hierin 
nicht  folgen  können,  welche  dem  idg.  Götterglauben  noch  jede  Ver- 
tiefung in  sittlicher  und  rechtlicher  Beziehung  absprechen  's.  u.  Recht 
und  u.  Religion).  Dass  im  besondern  die  Verbrechen  in  der  Urzeit 
noch  nicht  als  verunreinigend  gelten  konnten,  folgt  aus  den  Aus- 
führungen n.  Mord.  Im  Ganzen  machen  die  auf  diesem  Gebiet  ent- 
gegen tretenden  Anschauungen  und  Vorschriften  den  Eindruck  priester- 
lichen Raffinements  uud  darum  den  einer  späteren  Zeit  (s.  u.  Priester). 
Dabei  braucht  nicht  geleugnet  zu  werden,  dass  das  Bad  (s.  d.)  zur 
Abwaschung  zauberischer  Substanzen,  wie  bei  anderen  primitiven 
Völkern,  so  auch  bei  den  Indogermanen  schon  in  vorhistorischer  Zeit 
eine  gewisse  rituelle  Bedeutung  erlangt  haben  mag  (vgl.  Ohlenberg  Die 
Religion  des  Vcda  S.  490  und  passim). 

Reinigen  der  Häute,  s.  Leder. 

Reinignngseid,  s.  Eid  und  Recht. 

Reinigungsmittel,  s.  Bad  und  Seife. 

Reis.  Ot-fjza  xutka  L.  wächst  wild  wahrscheinlich  in  den  Sümpfen 
Cochinchinas.  In  China  soll  der  Reis  schon  um  2800  v.  Chr.  eine 
verbreitete  Kulturpflanze  gewesen  sein.  In  den  Gesängen  des  Rigveda 


Digitized  by  Google 


668 


Reis  —  Hinten. 


geschieht  seiner  zwar  »och  keine  Erwähnung,  aber  bereits  im  Atharva- 
veda  sind  Reis  und  Gerste,  trihi-  und  f/äva-t  die  gewöhnliehe  Nahrung 
des  Menschen  (s.  auch  u.  Salzi. 

Die  erste  Erwähnung  des  Reises  iu  Griechenland  liegt  vor  der 
Erschliessung  Indiens  durch  die  Züge  Alexanders  des  Grossen:  denn 
bereits  Sophokles  hatte  (nach  Athen.  III,  p.  110)  in  seinem  Triptolemus 
von  einem  öpivön,«;  äptoq  gesprochen:  öpivbet*  n.v  oi  ttoXXoi  öpucav  ko- 
XoOat  i  Phrynichus  Bekk.  Aneed.  1  j).  f>4).  Ausführlich  wird  tö  öpuZov 
dann  von  Theophrast  (Mist,  plant.  IV,  4,  10s  beschrieben,  und  Aristo- 
bulus,  einer  der  Begleiter  Alexanders  des  Grossen,  kennt  den  Reis 
schon  iu  Baktrieu,  Babylonien  und  Susis.  Die  Sprachgeschichte  folgt 
hier  der  Sachgeschichtc  auf  dem  Fusse:  seit,  rrihi-  ging  in  die  ira- 
nischen Sprachen  (hier  fast  überall  mit  Nasal,  npers.  hirinj,  gurhij, 
kurd.  birinj,  osset.  brinj,  bei.  briuj,  nur  afgh.  vrizr,  ohne  Nasal)  und 
in  das  Armenische  [brinj),  sowie  in  die  semitischen  Sprachen  (syr. 
b-rn-y;  arab.  druzz,  aram.  äruza,  'örez,  letzteres  erst  aus  öpu£a,  vgl. 
Lagarde  Ges.  Abb.  S.  24,  Löw  Ära  in.  Pilanzenn.  S.  .UäS)  über.  Aus 
dem  Iranischen  oder  Indischen  wanderte  das  Wort  ins  Griechische, 
wo  es  teils  als  öpivba  (mit  Nasal,  aber  auffallendem  b),  teils  als  öpvla, 
ÖpvZav  (vgl.  afgh.  rrizf)  erscheint. 

Im  klassischen  Altertum  ist  der  Reis  niemals  angebaut,  wohl  aber, 
auf  bekannten  Hnndelswcgcu  (vgl.  namentlich  darüber  den  Periplus  maris 
erythraei)  eingeführt  und  zu  medizinischen  Zwecken  verwendet  worden. 
Die  spätere  Kultur  des  Reises  im  südlichen  Europa,  in  Spauicu,  Italien 
und  Griechenland  'ngricch.  pu£i)  geht  auf  die  Araber  zurück.  Zuerst 
wohl  im  Neugriechischen  hat  griech.  öpvla,  lat.  oryza  sein  anlautendes 
ö  =  u  verloren  (vgl.  ngricch.  pößn.  aus  öpoßoq)  und  ist  so  ins  it.  rino 
und  ins  übrige  Europa  gedrungen.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen 6 
S.  48f)  fl.  —  Die  erste  Nachricht  von  einem  in  Indien  aus  Reis  be- 
reiteten Getränk,  also  dein  Arrak,  giebt  Megasthenes  bei  Strabo  XV, 
p.  To1,»:  otvöv  T€  t«P  ou  mveiv,  ÜAX'  öuöiai«;  pövov,  nivtiv  b'än-' 
6pvZr\<;  otvfi  Kpiöivou  (TuvTi6evTa<;.  —  S.  u.  Getreidcarteu. 
Reiseu,  s.  IIa  ndel. 

Reiten.  Es  kann  wohl  als  selbstverständlich  angesehn  werden, 
dass,  sobald  das  Pferd  (s.  d.)  iu  ein  näheres  Verhältnis  zum  Menschen 
getreten  war,  man  auch  den  Versuch  gemacht  haben  wird,  sich  auf 
seinen  Rücken  zu  schwingen.  Cberdiess  wird  die  Kunst  des  Reiteus 
bereits  in  den  ältesten  Gesängen  des  Rigveda  (V,  Gl,  2)  wie  in  den 
Gedichten  Homers  (Od.  V,  37 1 ,  II.  X,  ölo,  XV,  079)  vorausgesetzt. 
An  der  zuletzt  genannten  Stelle  ist  sogar  schon  von  einem  Kunstreiter 
die  Rede.  Archaeologisch  lässt  sich  in  Europa  das  Pferd  als  zum 
Reiten  benutzt  durch  die  schwedischen  Kelsenbilder  während  der 
Bronzezeit  nachweisen  (vgl.  0.  Montclius  Die  Kultur  Schwedens8 
S.  70  und  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  1,  4t>7).  Immerhin 


Digitized  by  Google 


Reiten  —  Koli«rion. 


669 


kann  man  von  einer  Priorität  des  Fahrens  vor  dem  Reiten  insofern 
sprechen,  als  sicherlieh  im  Krieg  die  Benützung;  des  Streitwagens 
(s.  d.)  der  Ausbildung  einer  Reiterei  lange  vorherging.  Über  das  all- 
mähliche Hervortreten  einer  solchen  in  der  Kriegsführung  Alteuropas 
s.  n.  H  c  e  r. 

Erst  das  stärkere  Hervortreten  der  Reiterei  wird  eine  eigentliche 
Reitkunst  und  damit  eine  besondere  Terminologie  derselben  hervorge- 
rufen haben,  die  in  den  idg.  Sprachen  weit  auseinander  geht:  griech. 
iTTTTEuu)  :  \TTTreuq,  iTmoq,  lat.  eqnitare  :  eques,  equo  cehi,  lit.  jöti,  altsl. 
jad({  :  W.  yd,  sei  t,  t/d'mi  »gehe',  gemeingerm.  ahd.  ritan,  agls.  rldan, 
altn.  riba,  allgemein  ,sieh  fortbewegen',  9€p€0*8ai,  dann  auch  ,zu 
Pferde'  =  ir.  riadaim  ,fahre',  aw.  barata  —  ^pepeTo  ,cr  ritt'  (gemein- 
iranisch,  vgl.  Horn  Grundriss  S.  i56  f.,  alt]),  ambdra-  ,Rciter,  woraus 
nach  Uhlcnbeck  sert.  a^eavdra-  id.  im  Ramayana).  Das  erste  idg. 
Volk,  welches  eine  eigentliche  Reiterei  bei  sich  ausbildete,  seheinen 
die  Ostiranier  gewesen  zu  sein,  die  hierbei  in  die  Schule  der  sie  um- 
schwärmenden turko-tatarischen  Reitervölker  gegangen  sein  werden 
(vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  54). 

Eine  besondere  Ausrüstung  des  Pferdes  oder  Reiters  war  in  der  ältesten 
Zeit  unbekannt.  Sattel,  Steigbügel,  Sporen,  H nfeiseu  (s.  s.  d.  d.) 
sind  späte  Kulturbcgriflfe.  Selbst  von  einer  Zäumnng  (s.  u.  Zaum) 
seheint  man  ursprünglich  nichts  gewusst  zu  haben.  S.  auch  n.  Pferd. 
Reiterei,  s.  H  e  e  r. 

Religion.  Dass  die  Verehrung  des  Himmels  und  der  von  ihm 
ausgehenden  und  mit  ihm  zusammenhängenden  Natiirmäehte  den  eigent- 
lichen Kern  der  altidg.  Religionen  bildet,  wird  von  ausgezeichneten 
Gewährsmänner  aus  den  verschiedensten  Teilen  des  idg.  Völkergebietes 
gemeldet,  von  Herodot  I,  KU  bezüglich  der  Perser:  dTäXMGtTct  pev 
Kai  vnoü<;  Kai  ßwpoüq  oük  £v  vöuiy  rcoieupevous  IbpücaOai,  dXXd  Kai 
Toio"i  TToieüöi  uiupinv  emcpepouai,  uiq  pev  epol  boKe'eiv,  6n  ouk  dv8pw- 
iroqpue'a^  evöpiaav  Touq  Qtoiiq  Kard  nep  o\  "EXXr|ve^  eTvai .  o\  be  vopi- 
ZovO\  A 1 1  pev  eVi  xä  uipnXÖTaTa  tujv  oupe'wv  dvaßaivovTeq  8uo*ia£ 
j-pbeiv,  t6v  kukXov  Ttdvia  toö  oupavoö  A(a  KaXe'ovTeq-  8üouo"i 
bk  f|Xiuj  Te  Kai  o"€Xr|vr)  koi  -fr)  Kai  rrupi  Kai  ubati  Kai  dve'poio'r  toü- 
xoiai  pev  bn.  poüvoiai  GuoutTi  dpxn8ev  (vgl.  dazu  IV,  59  über  die  ira 
nischen  oder  iranisierten  Skythen:  6eou?  pev  pouvou?  Toutfbe  IXdcncov- 
Tai,  'IffTinv  pev  pdXio*Ta,  dm  be  Axa  Te  Kai  f"n>,  vopiZovTes  tt|v  Tnv 
toö  Aiöq  eivai  Tuvaka),  von  Caesar  VI,  21  bezüglich  der  Germanen: 
Germani  multum  ab  hac  {Gallarum)  canmetudine  differunt.  nam 
neque  druides  habent,  qui  rebus  divinum  praesint,  neque  sacrificiut 
student.  deorum  numero  eos  solos  dueunt,  quos  cernunt  et  quorum 
aperte  opibus  iuvantur,  Solem  et  Vulcanum  et  Lunam,  reliquos 
ne  fama  quidem  aeeeperunt.  Denselben  Znstand  fanden  aber  auch 
noch  die  christlichen  Bekehrer  im  äussersten  Nordosten  unseres  Erdteils 


Digitized  by  Google 


CIO 


Religion. 


bei  Litauern  und  Preussen,  von  denen  Peter  von  Dusbarg  (Script, 
rer.  Pruss.  I,  53)  berichtet:  Errando  omnem  creaturam  pro  deo  colu- 
erunt,  scilicet  solem,  lunam  et  Stellas,  tonitrua,  volatilia,  quad- 
rupedix  etiam  usqtte  ad  bufonem,  obgleich  hier  noch  weitere  Gegen- 
stände der  Verehrung  genannt  werden,  wovon  unten  mehr  die  Rede 
sein  wird. 

Die  in  den  mitgeteilten  Nachrichten  enthaltenen  Spuren  altiudoger- 
manischen  Götterglaubens  sollen  nun  im  Folgenden  sachlich  und 
sprachlich  weiter  verfolgt  werden.  An  die  Spitze  seiner  Aufzählung 
der  von  den  Persern  verehrten  Götter  stellt  Herodot  töv  kukXov  Trdvra 
toö  oupavou,  den  ganzen  Unikreis  des  Himmel  s.  Dies  wird  der 
eigentliche  Sinn  der  idg.  Reihe:  scrt.  Dyäus,  griech.  Zeus,  lat.  Dies- 
piter,  Juppiter,  altu.  Tyr,  ahd.  Ziu  sein.  Eiu  ausreichender  Grund, 
mit  Bremer  (I.  F.  III,  301)  die  germanischen  Formen  (urgerm.  *  Tiicaz) 
von  den  übrigen  zu  trennen  und  mit  idg.  *deico  s  (lat.  deus,  lit. 
diiwas  etc.)  zu  verbinden,  liegt  kaum  vor  (vgl.  R.  Kögel  Gesch.  d. 
deutsch.  Lit.  I,  14*).  Aber  selbst  wenn  dies  der  Fall  sein  sollte, 
wllrde  die  ursprungliche  Bedeutung  des  germanischen  Götternamens 
immer  »Himmlischer'  oder  »Himmel'  bleiben,  da  auch  idg.  *deivo-s 
(:  *djeu-8),  wie  die  alte  linnische  Entlehnung  von  taivas,  estn.  taeicas, 
liv.  töras  , Himmer  aus  lit.  diPicas  ,Gott'  zeigt,  diese  Bedeutung  hatte. 
Am  klarsten  ist  die  appellativische  Grundbedeutung  , Himmel'  noch  im 
vedischen  Dydux  erhalten,  während  griech.  Ztuq  und  lat.  Juppiter  einer, 
altn.  Tyr,  ahd.  Ziu  andererseits  sich  zu  rciu  persönlich  gedachten 
Göttcrgcstalten  ausgewachsen  haben,  indem  die  klassischen  Wörter 
den  höchsten  Ilimmclsgott,  die  germanischeu  den  oberstcu  Kriegsgott 
bezeichnen.  Die  der  ganzen  Sippe  zu  Grunde  liegende  Wurzel  ist 
•scrt.  die  ,strahlen\  so  dass  idg.  *dyeu-s  zunächst  den  Himmel  als 
Träger  des  Tageslichts  (vgl.  auch  lat.  dies)  bezeichnete,  und  man  also 
sagen  kann,  dass  eine  der  ersten  höheren  Religionsvorstcllungcn  der 
Indogermanen  an  das  Li  cht  des  Tages  anknttpfte.  Eine  gewisse  Ehren- 
stellung vor  den  übrigen  Naturmächten  wird  dem  idg  *dyeu-s  durch 
den  Umstand  bezeugt,  dass  ihm  auf  drei  Sprachgebieten  das  alte  Wort 
für  Vater  (scrt.  Dyäus  pitd,  griech.  Ztvq  TTctTnp,  vgl.  auch  bei  Hesych 
AemdTupos*  Qtöq  irapd  Tupqpaioi«;,  lat.  Juppiter)  angehängt  wird,  wie 
auch  eiu  skythischer  Ztüq  TTcmaios  und  eiu  bithynischcr  Zeus  TTana^, 
TTaTmüüoq  genannt  werden  (vgl.  Kretschmer  Einleitung  S.  242). 

Als  Gattin  des  Vater  Himmels  wird,  so  sahen  wir  oben,  bei  den 
Skythen  die  Erde  gedacht.  Im  Rigveda  erscheint  neben  dem  Vater 
DydiiH  die  Mutter  I'rthivi  (=  agls.  folde),  ohne  dass  beide  „zu  leben- 
digerer Personifikation  und  zu  ausgeprägter  Geltung  im  Kultus"  gelangt 
wären,  was  auch  bei  anderen  Erdgöttinnen  wie  der  griech.  Gaia  (neben 
Uranos),  der  lat.  Tellus,  der  altn.  Jörü  nicht  oder  nur  in  geringem 
Masse  der  Fall  ist.    Im  Litauischen  ist  Z'emyna  (von  z'eme  ,Erde') 


Digitized  by  Google 


Religion. 


671 


ku  einer  allgemeinen  Segensgöttin  für  Flur  nud  Haus,  ebenso  wie  die 
germanische  Xerthus  „Terra  materu  (:  griech.  v^piepoi  ,die  Unter- 
irdischen), geworden.  Am  meisten  von  ihrem  begrifflichen  Ursprung 
hat  sich  die  thrakisch-griechische  XeucXn.  (:  lit.  z'tmv,  altsl.  zendya) 
entfernt.  Alle  diese  Erdgottheiten  sind  weiblich  aufgefasst;  doch  fehlt 
es  auch  nicht  an  männlichen  Enlgöttern  wie  sert.  Yästöshpati,  Ksht- 
trasya  pati,  lit.  Zemeluks,  Z'emininkas,  Z'Ptnepatis  u.  a. 

Kehren  wir  zu  dem  Himmel  selbst  zurück,  so  ist  unter  den  an  ihm 
sich  abspielenden  Naturerscheinungen  das  Gewitter  diejenige,  die 
das  Gerollt  des  primitiven  Menschen  am  meisten  erschüttert  und  daher 
zu  zahlreichen  Götterbildungen  geführt  hat.  Aus  dem  idg.  Wort  für 
Donner  sind  die  Bezeichnungen  des  germanischen  Donar-Thörr  und 
des  keltischen  *Tanaros  (neben  Tamms  aus  gemeinkeit.  Horanno-8 
, Donner'/  hervorgegangen.  Auch  lit.  Perkunas  bedeutet  , Donner'  und 
^Donnergott'  [Perkunas  deus  tonitrus  Ulis  est,  quem  caelo  tonante 
agricola  capite  detecto  et  succidiam  humeris  per  fundum  portans 
.  .  .  alloquitur,  vgl.  Job.  Lasicius  De  diis  Satnagitarum  8.  47)  und 
wird  dann  weiter  geradezu  für  dieteas  ,Gott'  gebraucht.  Über  die  Frage 
der  Deutung  und  Verwandtschaft  dieses  Götternamens  s.  u.  Gewitter. 
Wahrscheinlich  ist  seine  Verknüpfung  einerseits  mit  altsl.  perunä 
, Donnerkeil',  , Donnergott'  (vgl.  Prokop  B.  G.  III,  14:  6€Öv  piv  fdp 
eva,  t6v  Tfj<;  ö:0"TpaTrn.<;  bnuioup-röv,  cmavTiuv  xupiov  uövov  auTÖv  vojui- 
lovOi  eivan,  andererseits  mit  dem  altn.  mythologischen  Eigennamen 
Fjörgyn,  der  Mutter  Thors.  Geht  man,  was  jedenfalls  das  nächst- 
liegende ist,  für  die  ganze  Sippe  von  der  appellativischen  Grundbe- 
deutung , Donner'  altpr.  percunis}  aus,  so  ist  das  Verhältnis  von  Pjörgyn 
:  Thorr  dasselbe  wie  es  in  griech.  Urauos  :  Zeus,  oder  in  Gaia  :  Demeter 
vorliegt,  d.  h.  die  Väter  werden  in  den  Söhnen,  die  Mütter  in  den 
Töchtern,  die  Eltern  in  den  Kindern  neu  geboren.  Anders  wie  im 
Germanischen,  das  in  Ziu  und  Donar,  Tyr  und  Thorr,  oder  wie  im 
Indischen,  das  in  JJyäus  und  Indra  (ein  völlig  unerklärter  Götter- 
name)  die  beiden  Erscheinungen  der  Himmels-  und  der  Gewittermacht 
sorgfältig  aus  einander  hält,  hat  sich  der  griechische  Zeus  zum  Himmels- 
und Gewitlergott  entwickelt: 

Zeuq  b'  £Xax  oüpavöv  eupuv  Iv  aiöt'pi  Kai  v€(p^Xrjöt  (11.  XV,  VJ2), 
ihm  ward  also  der  im  Ätherglanz  prangende  und  der  iu  Wolken  gehüllte 
Himmel  zugleich  zu  teil.  Tu  erstem-  Hinsicht  heisst  er  iv  aiBepi  vauuv 
und  €0püoTTa  Zeü?  , Weitauge  Himmel'  (vgl.  J.  Schmidt  Pluralb.  S.  400), 
in  letzterer  vecpeXnjeptTa,  der  ,Wolkensammler',  TtpKoxtpauvo?,  der 
,Donnerfrohe'T  crrepoTTn/fepeTa,  der  ,Blitzcrreger",  KeXaiV€<pn<;,  der  ,Schwarz- 
umwölkte',  tpifbouTio?.  ^pißp€U€Tiiqt  der  ,Hochdonnernde',  ä(JT€pOTrr|Tn.s, 
der  ,Blit/eschleuderer',  dpfiKtpauvo^,  der  ,Stahlschwinger'  u.  s.  w. 
Ebenso  kennt  das  Pbrygische  einen  Zeu^  Bpovrwv  Kai  'AaTpäTTTuuv 
(Kretschmcr  S.  L'41). 


Digitized  by  Google 


672 


Religion. 


Übereinstimmend  werden  ferner  bei  Persern,  Germanen  und  Batten 
Sonne  und  Mond  als  Gegenstände  der  Verehrung  genannt.  Ihre 
idg.  Namen  s.  u.  diesen  Artikeln.  Eine  reiche  Mythenbildung  hat  sich 
im  Litauisch-Preussischen  (vgl.  das  Material  bei  Usener-Solmsen 
Götternamen  S.  85  ff.)  um  sie  angesetzt,  die  jedenfalls  beweist,  dass 
auch  auf  dem  Boden  höchst  primitiver  Religiousanschanungeu  sich  zur 
Erklärung  der  dem  Volke  rätselhaften  Naturvorgänge  ein  Mythus 
entwickeln  kann.  Teljawelik  ist  der  Schmied,  der  die  Sonne  ange- 
fertigt hat.  Das  Volk  verehrt  die  Sonne  und  einen  eisernen  Hammer 
von  seltener  Grösse.  Einst  sei  die  Sonne  mehrere  Monate  laug  unsicht- 
bar gewesen,  weil  sie  ein  sehr  mächtiger  König  in  einem  festen  Turm 
eingeschlossen  habe.  Da  hätten  ihr  die  Bilder  des  Tierkreises  mit 
jenem  eisernen  Hammer  Hilfe  gebracht  (vgl.  Usener  u.  SaulMe).  Die 
ermüdete  und  staubige  Sonne  nimmt  die  Mutter  des  Perknnas  in  einem 
Bade  auf,  um  sie  am  anderen  Tage  gewaschen  und  leuchtend  zu  ent- 
lassen (vgl.  a.  a.  0.  u.  Perkttna  tele).  Sonne  und  Mond  werden  in 
verschiedenen  Dainas  als  Ehegatten  und  zwar  als  schlechte  Ehegatten 
geschildert.  Der  Mond  trennt  sich  von  der  Sonne,  verliebt  sich  in  den 
Frühstem  (Auszrine)  und  wird  von  Perknnas  mit  dem  Schwerte  zer- 
hauen. Als  Töchter  der  Sonne  werden  die  Gestirne  bezeichnet,  deren 
Herr  unter  dem  Namen  Z'icaigz'dulas  (:  z'waigz'di  »Stern')  verehrt 
wird.  Bei  den  Germanen  lässt  sich  auch  nach  Caesar  ein  Dienst 
der  Gestirne  nachweisen.  Tacitus  Ann.  XIII,  55  nennt  einen  germa- 
nischen Mann  Namens  Boiocalns,  von  dem  es  heisst:  Solem  deinde 
aspicie'is  et  cetera  sidera  rocans  quasi  coram  interrogabat  etc.,  und 
noch  in.  VII.  Jahrhundert  predigt  der  heilige  Eligius  (nach  Golther 
Germ.  Myth.  S.  487)  unter  den  Franken:  Xullus  dominos  solem  et 
lunam  vocet  neque  per  eos  iuret.  Eine  vergöttlichte  Sonne  wird  im 
zweiten  Merseburger  Zauberspruch  genannt:  Sinthgunt  (,  Weggenossin', 
d.  h.  der  Mond?).  Sünna  era  suister.  Zu  irgendwie  bedentsamen  ver- 
geistigten und  persönlich  wirkenden  Göttern  und  Göttinnen  haben  es 
aber  Sonne  und  Mond  auf  germanischem  Boden  nicht  gebracht.  In 
etwas  höherem  Masse  ist  dies  bei  den  griechischen  "HXios,  Mrtvn,  und 
XeXrjvn  der  Fall;  doch  verharren  auch  sie  den  griechischen  Haupt- 
göttern gegenüber  in  mythisch  verhältnismässig  untergeordneter  Rolle. 
Endlich  kennt  auch  der  Kigveda  einen  Sonnen-  (Surya)  und  einen 
Mondgott  {Mds,  Candramas),  die  aber  ebenfalls  anderen  vedischen 
Gottheiten  gegenüber  wie  Indra,  Mitra,  Varuna  weit  zurücktreten. 
Bedeutsamer  ist  nur  die  Stellung  der  weiblichen  Personifikation  der 
Sonne,  Süryd,  durch  ihr  Verhältnis  zu  den  Acvin  und  ihre  in  jüngeren 
Teilen  des  Rigveda  besungene  Hochzeit  mit  Söma,  dem  späteren 
Mondgott,  ein  Mythus,  der  sieh  durch  die  Übereinstimmung  zunächst 
der  indischen  Acvin  mit  den  griechischen  Dioskuren  in  seinen  Grund- 
zügen als  proethnisch  erweist.    Beziehen  sich  diese  Götternamen,  wie 


Digitized  by  Google 


Religion. 


673 


man  nicht  bezweifeln  kann,  ursprünglich  auf  den  Morgen-  und  Abend- 
stern (anders  A.  Weber  Sitzungsb.  d.  kg).  Ak.  d.  W.  zu  Herlin  1898 
S.  565),  so  wird  in  der  Ursprache  ein  deutliches  Appellativuni  für  die- 
selben vorhanden  gewesen  sein,  vermutlich  ein  dem  lit.  amzrine  (s.  o.) 
entsprechendes  Wort,  dessen  Dual  Morgen-  und  Abendstern  (wdkarini) 
znsammengefasst  haben  könnte  (vgl.  sert.  dhani  ,Tag  und  Nacht', 
dyd'vd  , Himmel  und  Erde",  pitdrau  , Vater  und  Mutter'). 

Von  diesen  Sternen  wird  man  sich  Geschichten  erzählt  haben,  wie 
die  in  der  oben  genannten  litauischen  Daina,  in  welcher  der  mit  der 
Sonne  verehlichtc  Mond  sich  in  den  Frühstem  verliebt.  Ein  anderes 
jener  Lieder  lässt  den  Morgenstern  hinlaufen,  um  nach  der  Sounen- 
tochter  liebend  auszuschauen.  Heiden  Sternen  wird  mau  verschieden- 
artige Epitheta  gegeben  haben.  Weil  am  Himmel  erscheinend,  sind 
sie  „Söhne  des  Himmels",  griech.  Aiocftcoupoi  „Gottessöhne"  (wie  sie 
auch  in  der  lettischen  Sprache  heissen),  sie  sind  „rossebegabt"  oder  in 
theriomorpher  Auffassung  (s.  u.),  wie  man  auch  von  einem  „Sonuenrosse" 
sprach  (vgl.  Oldenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  73),  selbst  „Rosse" 
(sert.  aqvhidu  :  dgva-  , Pferd').  Sie  siud  aber  auch  „Hoten";  denn 
nach  einer  etwas  abweichenden  Fassung  des  Mythus  werden  sie  aus- 
geschickt, um  für  den  Mond  um  die  Sounenjungfrau  zu  freien.  Das 
thuen  die  lettischen  Gottessöhne,  das  die  indischen  Aqrindu  bei  der 
Hochzeit  der  Süryd  mit  dein  Monde  (Sorna).  Diese  Auffassung  der 
beiden  Sterne  als  Boten  oder  Werber  liegt  aber  mit  hoher  Wahr- 
scheinlichkeit auch  den  germanischen  Dioskuren  (vgl.  Müllenhoff  Z.  f. 
deutsches  Altertum  XII,  344  ff.,  Golther  Genn.  Mythologie  S.  214  ff., 
B.  Syraons  in  Pauls  Grundriss  III*,  677  ff.  u.  s.  w.)  und  ihrer  von 
Tacitus  Genn.  Cap.  43  berichteten  Benennung  Alcis  zu  Grunde.  Apud 
Nahanarvalos,  sagt  der  Geschichtsschreiber,  antiquae  religioni*  lucua 
ostendUur.  praexidet  sacerdos  muUebri  ornatti,  sed  deos  interpre- 
tatione  Romana  Caatorem  Pollucenique  memorant.  ea  vis  numini, 
nomen  A  l  c  i  s.  nulla  shnulacra,  nulluni  peregrinae  sttperstitionis 
vesfigium,  ut  fratres  tarnen,  ut  iuvenes  venerantur.  Das  hier  genannte 
Alcis  (ursprünglich  wohl  ein  germanischer  Dual  *Alki,  der  von  Tacitus 
als  Alcis  gefasst  und  in  unserer  Stelle  als  Genitiv  gedacht  wurde), 
um  dessen  Deutung  man  sich  bisher  vergeblich  bemüht  hat  (Müllenhoff 
Deutsche  A.-K.  IV,  488  denkt,  wie  J.  Grimm,  an  Zusammenhang  mit 
got.  alte  /Tempel',  was  schon  lautgeschichtlich  nicht  stimmt)  entspricht 
nämlich  auf  das  genauste  dem  litauischen  Aigis,  das  von  Lasicius  (De 
diis  Saniagitarum  etc.  S.  47)  als  angelus  summorum  deorum,  also 
auch  des  Mondes  und  der  Sonne  (  vgl.  lit.  algä  ,Lolin',  Aigis  , Lohn- 
mann', ,Botc'),  gedeutet  wird. 

So  hiesseu  denn  der  Morgen-  und  Abendstern  in  der  Sprache  der 
Urzeit  „Himmelssöhnc",  „Reisige"  und  „Boten",  Benennungen,  die  in  den 
Eiuzelsprachen  später  zur  Bezeichnung  rein  persönlich  wirkender  Wesen 

Schräder  RcnMexikon.  43 


Digitized  by  Google 


674 


Religion. 


verwendet  wurden.  Unter  die  Erscheinungsformen  der  Sonne  wird  von 
Herodot,  Caesar  und  den  baltischen  Gewährsmännern  auch  die  von 
ihnen  nicht  ausdrücklich  genannte  Morgenröte  mit  eingerechnet 
worden  sein.  Ihren  idg.  Namen  s.  u.  Morgen.  Als  Göttiu  erscheint 
sie  im  Litauisch-Prcussischen  (Ausca  —  lies  auszrä  —  dea  est  radiorum 
solis  cel  occumbentia{?)  vel  supra  horizontem  meendentis,  vgl.  Lasicius 
a.  a.  0.  S.  47),  ferner  im  Griechischen  ('Hwq)  in  untergeordneter,  im 
Indischen  (Ushas)  in  hervorragenderer  und  vielgepriesener  Stellung.  Falls 
agls.  Eostre  bei  Beda,  nach  der  der  Eosturmonath  benannt  sein  soll, 
eine  wirkliche  germanische  Göttin  war,  ist  hier  aus  der  Morgengottheit 
eine  Frübliugsgottheit  geworden,  wie  ähnlich  auch  Ushas  als  Neujahrs- 
gottheit gefeiert  wird  (vgl.  Hillebrandt  Ved.  Mytb.  II,  29). 

Neben  Sonne  und  Mond  steht  bei  Herodot  und  Caesar  das  Feuer. 
Auch  im  Litauisch-Preussisehen  wird  ihm  eiue  reiche  Verehrung  zu  teil 
(vgl.  Usener-Solmsen  a.  a.  0.).  Hier  fand  Hieronymus  von  Prag  gentetn, 
quae  aacrum  colebat  ignem  eumque  perpetuum  appellabat.  sacerdotes 
templi  materiam  ne  deficeret  ministrabant  (also  wie  die  Vestalinnen). 
Man  nannte  es  VgnU  azwentä  , heiliges  Feuer';  auch  von  einer  szwentä 
Ponyke  '  ponike)  »heilige  Herrin'  sprach  man,  wie  im  Indischen  der 
Feuergott  grha  pati-  ,Hcrr  des  Hauses'  und  im  Iranischen  der  Herd 
nmänö-paiti-  id.  genannt  wird.  Daneben  bestehen  zwei  Namen  für 
die  Göttin  des  Herdfeuers,  dessen  ausserordentliche  Verehrung  auch 
Herodot  hervorhob:  Polengabiu  (diia  ext,  cui  fori  lucentis  administratio 
credit ur)  und  Aspelennie  ,die  hinter  dem  Herd',  beide  zu  lit.  peleni 
.Feuerherd'  gehörig.  Dem  gegenüber  findet  man  im  Germanischen 
zwar  zahlreiche  heilige  Feuer,  aber  keine  Ansätze  zur  Bildung  eines 
Feuergotts  oder  einer  Göttin  des  Herdfeuers.  Dagegen  hat  sich  im 
Indischen  agni-  =  lit.  ugnis  zu  einer  der  hervorragendsten  vedischen 
Gottheiten  (Agni?  ausgewachsen,  und  im  Griechischen  und  Lateinischen 
ist  das  Hcrdfcuer  iiaür\-]'esta)  dort  zu  einer  appcllativisch  durchsich- 
tigen, hier  zu  einer  völlig  persönlichen  und  vom  römischen  Standpunkt 
nicht  mehr  durchsichtigen  Göttin  geworden.  S.  auch  u.  Herd  und 
u.  F  e  n  e  r. 

So  bleiben  von  Hiiumelsmächten  Wind  und  Wasser  übrig.  Ihre 
idg.  Namen  s.  n.  Wind  und  Fluss.  Beide  treten  personifiziert  im  Li- 
tauisch-Prcussischen  auf,  wo  ein  Wejopati«  ,Herr  des  Windes'  (lit. 
terji*.  tc:;ju8  ,Wind),  ein  Audros  ,Gott  der  Sturmflut  und  Windsbraut' 
dit.  riudra  .Flut  )  und  ein  Bangputy*,  Bangü  dieicditis  .Wellenbläser', 
.Welleugotf  (lit.  bangü  .Welle',  pucz'iü  »blase' >  begegnen.  Auch  der 
Higveda  kennt  zwei  Windgötter:  Väyu  (=  lit.  icejasj  und  Ydta  (  = 
ahd.  ic int),  von  denen  der  erstere  als  Naturphaenomen  bereits  verblasst 
ist.  Keiche  Verehrung  gemessen  die  Wasser  und  Flüsse.  Etymo- 
logischen Zusammenhang  mit  dein  feuchten  Element  (sei  t,  ap-  , Wasser') 
zeigen  dabei  die  Apsaras,  zu  freien  Persönlichkeiten  gewordene  weib- 


Digitized  by  Google 


Religion. 


675 


liebe  Wasser wesen,  das  Wasserkind  (apd'm  ndpdt)  u.  a.  Iu  nicht 
geringerer  Ehre  stehen  Quellen  und  Flüsse  bei  Griechen  und  Germanen 
(vgl.  J.  Grimm  Deutsche  Myth.  I3,  89).  Eine  deutliche  Verwendung 
eines  Appellativums  für  diese  Begriffe  zur  Bildung  eines  Götternamens 
oder  zu  Ansätzen  iu  dieser  Richtung  ist  aber  nicht  bekannt.  Aus  dem 
Lateinischen  ist  vielleicht  Neptunus  ,der  feuchte'  :  a\v.  naptö  ,feucht', 
altp.  Ncmaq  r\  Kpnvn.  im  tujv  öpwv  TTeptfibos  io*TOp€iTai  n  qp^pouaa  t<x  d<poba 
(Hes.)  hierherzustellen.  Ein  sicherer  Windgott  ist  sachlich  und 
sprachlich  der  griech.  AtoXo?  (*Fn.-io-Xo-q  :  sert.  väyü-,  lit.  teejas).  Das- 
selbe wäre  bei  dem  germanischen  Wödan-O'dinn  der  Fall,  wenn  dieses 
Wort  ohne  lautliche  Bedenken  zu  sert.  vd'ta-  =  ahd.  mint  gestellt  werden 
dürfte.  —  Zeigen  die  vorstehenden  Zusammenstellungen,  bei  denen 
nur  handgreifliche  Thatsacheu  gegeben,  und  jede  Spekulation  (mit  Aus- 
nahme des  Exkurses  über  den  Morgenstern)  vermieden  worden  ist,  in 
wie  weit  der  von  einwandfreien  Geschichtsschreibern  wie  Herodot 
uud  Caesar  altindogermanischen  Völkern  zugeschriebene  Naturdienst 
bei  diesen  und  bei  den  übrigen  Indogermanen  sprachlich  und  sachlich 
reflektiert,  so  belehren  sie  uns  zugleich  über  die  Auffassung,  welche 
die  Indogermanen  vor  ihrer  Trennung  von  ihren  Gottheiten  gehabt 
haben  müssen.  Es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  das»  dieselben  damals 
noch  nicht  als  Persönlichkeiten  gedacht  worden  sein  können,  wie 
wir  sie  in  historischen  Zeiten  bei  Indern  und  Griechen,  bei  Römern 
und  Germanen  kennen.  Die  sonst  unerklärliche  Thatsnche,  dass  ausser 
den  angeführten,  auf  appellativisch  noch  vollkommen  durchsichtigen 
Bezeichnungen  des  Himmels  und  der  von  ihm  ausgehenden  Naturkräfte 
beruhenden  unter  der  unübersehbaren  Zahl  der  Götternamen  der  idg. 
Völker  sich  nirgends  eine  Übereinstimmung  hat  erweisen  lassen,  und 
alle  hierauf  gerichteten  Versuche  (vgl.  Vf.  Sprachvergleichung  und 
Urgeschichte8  S.  »96 ff.)  sich  als  verfehlt  herausgestellt  haben,  findet 
ihre  einfache  Deutung  darin,  dass  es  eben  in  der  Urzeit  noch  keine 
persönlichen  Götter  gab,  und  in  Folge  dessen  auch  keine  Namen 
derselben,  die  sich  weiter  hätten  vererben  können.  In  agni-,  ignis, 
ugnis,  ognl  verehrte  man  in  der  Urzeit  die  geheimnisvolle  Kraft,  den  Teil 
des  Unendlichen,  der  dem  Menschen  im  Feuer  entgegentrat,  aber  noch 
keinen  persönlich  gedachten,  auch  ausserhalb  seiner  begrifflichen 
Sphäre  wirkenden  Gott  des  Feuers,  wie  er  uns  schon  im  vedischen 
Agni,  dem  weisen  und  grosscu  Priester  der  Menschheit,  entgegentritt. 
Ein  solcher  Götterglaube,  wie  er  hier  als  indogermanisch  angenommen 
wird  (so  schon  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte*  S.  600),  ist  nun, 
was  zuerst  Uscner  in  seinem  ausgezeichneten  Buche  Götternamen 
S.  277  ff.  klar  erkannt  hat,  in  weiten  Teilen  Europas  thatsäehlich  be- 
zeugt. In  diesem  Sinne  berichtet  Herodot  II,  52  von  den  Pelasgern: 
f6uov  bi  KoivTct  Tipörepov  o\  TTeXao"YOi  6eoio*i  dTreuxöjievoi,  ibq  ifut  £v 
Auubuivr]  oTba  ctKOucaq,  tTTwvuuin,v  be  oüb'  ouvo.ua  ^koioüvto  oubcvi  au- 


Digitized  by  Google 


67r, 


Religion. 


tüjv.  ou  f«P  iKr|KÖ€(Jdv  ituj,  in  diesem  Strabo  III,  p.  164  von  den 
keltischen  Kallaiken  jenseits  der  Pyrenäen:  Ivioi  bi  tou?  KaXXaiKOu? 
dGtou?  qpacrt,  rovq  bk  KcXTißnpaq  Kcri  Touq  Trpo^ßöppou?  tüuv  öjiöpiuv 
auroi?  ävujvuuiu  tivi  6eu>  [eüciv]  raiq  TravacXnvois  vuktujp  trpö  toiv 
ttuXuiv,  TTavoncious  T€  xop*u*iv  Ka\  Trawuxtfeiv,  und  auch  Theophrast 
(vgl.  Usener  a.  a.  0.)  kannte  einen  Thrakcrstamm,  die  Thoer  im  Athos- 
gebirge,  die  er  als  50€oi  ,göttcrlos*  bezeichnete.  So  opferten  auch  die 
Indogennanen  dem  Himmel,  der  Erde,  der  Sonne,  dem  Mond,  dem 
Feuer,  der  Morgenröte,  dem  Wind,  dem  Wasser;  aber  die  Namen, 
welche  diese  Gewalten  benannten,  fielen  mit  den  betreffenden  Appella- 
tiven noch  durchaus  zusammen.  Ein  Grieche  oder  Römer,  der  sie  bei 
ihrem  Götterdienst  belauscht  hatte,  würde  sie  unter  dein  Eiudruck  der 
lebensvollen  Gestalten  seines  Olymp  ebenfalls  ÄÖeoi  ,götterlos'  genannt 
haben.  Fast  gänzlich  unverändert  liegt  dieser  Zustand,  wie  wir  gesehn 
haben,  noch  in  der  litauisch-prenssischen  Mythologie  vor  uns,  und  das- 
selbe meint  offenbar  Miklosich,  wenn  er  Denkschr.  d.  Wiener  Ak.  phil.- 
hist.  Kl.  XXIV,  2<»  den  ältesten  Slaven  einen  „götterlosen"  Nalur- 
dienst  zuschreibt. 

Wenn  somit  der  Zusammenhang  zwischen  dem  Gott  und  seinem 
Natursubstrat  in  der  Urzeit  noch  der  denkbar  engste  gewesen  sein 
muss,  so  soll  doch  damit  nicht  gesagt  werden,  dass  nicht  schon  damals 
die  Phantasie  des  Menschen  damit  begonnen  habe,  sich  die  himmlischen 
Wesen  und  Dinge  nach  menschlicher  Analogie  zurecht  zu  legen. 
Man  darf  die  Begriffe  Personifikation  und  Herausbildung  eines  persön- 
lichen Gottes,  so  sehr  der  letztere  Vorgang  den  ersteren  voraussetzt,  nicht 
für  identisch  halten.  Das  Charakteristische  des  persönlichen  Gottes 
ist,  dass  er  auch  ausserhalb  der  Sphäre,  welcher  er  seine  begriffliche 
Entstehung  verdankt,  wirkend  gedacht  wird.  Personifikation  auf  niederen 
Entwicklungsstufen  heisst  nur,  eine  Erscheinung  als  ein  r  beseeltes  oder 
sich  selbstbewegendes,  lebendiges  Wesenu  auffassen  (vgl.  W.  Bender 
Mythologie  und  Metaphysik  Stuttgart  1899  S.  31).  Sobald  man  sich 
zu  dieser  Stufe  erhob,  musstc  es  naheliegen,  sich  das  Göttliche  in 
menschlichem  Bilde  vorzustellen.  So  sprach  mau  von  einem  „Vater" 
Himmel  und  (vielleicht)  von  einer  „Mutter"  Erde,  und  die  „Himm- 
lischen" (*deivos,  s.  o.  und  u.  Gott)  konnte  man  als  Söhne  und  Töchter 
jenes  Paares  auffassen,  je  nachdem  sie  männlichen  (z.  B.  Agni)  oder, 
was  seltner  der  Fall  war,  weiblichen  Geschlechts  (z.  B.  Ushas)  waren. 
Nach  menschlicher  Analogie  wird  man  sich  auch  die  Vorgänge  am 
Himmel  und  in  der  Natur  zurechtgelegt  haben,  die  mau  täglich  schaute 
und  in  ihrem  Zusammenhang  zu  begreifen  suchte.  Das  Verhältnis  von 
Sonne  und  Mond  wird  man  schon  in  der  Urzeit  so  oder  ähnlich  auf- 
gefasst  haben,  wie  es  in  dem  litauischen  Volkslied  (s.  o.)  noch  heute 
geschieht.  Wenn  der  Regen  nach  langer  Dürre  herniederströmte,  oder 
die  Morgenröte  nach  banger  Nacht  erschien,  so  mochte  man  sich  vor- 


Digitized  by  Google 


Religion. 


677 


stellen,  dass  ein  im  Gewitter  sich  offenbarendes  Wesen  die  von  einem 
Drachen  gefangenen  Wasser  (im  Veda  auf  die  irdischen  Flüsse  um- 
gedeutet, vgl.  Ohlenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  134  ff.)  befreit, 
oder  dass  der  „Vater"  Himmel  die  roten  „Küheu  d.  h.  die  Morgenröte 
aus  der  Gewalt  eines  scheusslieheu  Ungetüms  i  vgl.  die  dreiköpfigen 
Viqvarüpa,  Geryoneus,  Cacus)  erlöst  habe.  Wenn  das  befruchtende 
Nass  auf  die  Erde  herabtränfelte,  sagte  man  „der  Himmel  keltert"  (s. 
u.  Hegen)  u.  s.  w.  Dass  die  Natur  ein  nach  ewigen  Gesetzen  ge- 
ordnetes und  in  immer  wiederkehrender  Bewegung  begriffenes  Ganze 
darstelle,  ist  eine  viel  spätere  Vorstelluug,  die  bei  den  arischen  Völkern, 
Indern  und  Iraniern,  an  den  wahrscheinlich  aus  semitisch  sumerischem 
Knlturkreis  eingeführten  Gedanken  des  tfta  (s.  u.  Recht)  anknüpft. 
Mit  ihm  ziehen  neue,  ans  idg.  Mitteln  nicht  zu  deutende  Sonnen-  und 
Mondgötter,  Mitra  (aw.,  altp.  MiDra,  npers.  mihr  ,Sonnc')  und  Varuna 
(Mond:')  mit  den  Aditya  (den  Planeten?)  ein  und  rauben  den  alten 
idg.  einfältigen  Sürya  und  Mas  ihre  Kraft  und  ihren  Glanz  (vgl. 
Ohlenberg  a.  a.  0.  S.  18f>ff.,  194). 

Allein  die  Auffassung  der  Himmlischen  und  himmlischen  Vorgänge 
als  Menschen  und  nach  menschlichem  Muster  ist  nicht  die  eiuzige,  ja 
nicht  einmal  die  frühste  der  idg.  Urzeit.  Es  kann  nicht  bezweifelt 
werden,  dass  es  eine  Zeit  gegeben  haben  mnss,  in  der  die  Götter  als 
Tiere  aufgefasst  worden  sind.  „Der  Gott  ist  vielfach  Tier  oder  wird 
zum  Tier,  er  schwankt  zwischen  mcnsehengleichem  und  tierischen 
Wesen*  (Ohlenberg).  „Nun  aber  kann  nicht  im  entferntesten  davon 
die  Rede  sein,  dass  man  sich  Sonne  und  Mond  immer  nur  als  menschen- 
ähnliche Personen  gedacht  habe.  Die  Vorstellungen  waren  Uberhaupt 
noch  ganz  flüssig  ....  Jeder  legte  sich  die  Sache  zurecht,  wie  sie 
ihm  wahrscheinlich  war  und  suchte  nach  einem  passenden  sprachlichen 
Bilde  für  die  wunderbaren  Vorgänge  am  Himmel;  von  einem  festen 
System  war  auch  noch  nicht  entfernt  die  Rede.  Daher  schrak  man 
anfänglich  gar  nicht  davor  zurück,  sich  diese  Himmelsinäcbtc  auch 
als  Tiere  .  .  .  zu  denken"  (vgl.  E.  Siecke  Die  Urreligion  der  Indo- 
gennanen  Berlin  1897  S.  19  f.).  Noch  im  Veda  werden  wenigstens 
niedere  Gottheiten  gern  tiergestaltig  gedacht.  Aber  auch  die  höheren 
Götter  werden  mehrfach  wenigstens  als  die  Kinder  von  Tieren,  z.  B. 
die  Ayvins  als  Kinder  der  Stute,  bezeichnet.  Auch  sind  die  ver- 
schiedenen, den  Göttern  heiligen  Tiere,  wie  der  Adler  des  Indra,  oder 
die  Tiere,  unter  deren  Bild  und  Namen  die  Götter  gefeiert  werden, 
das  Ross  des  Agni,  der  Stier  des  Indra  u.  s.  w.,  nicht  zu  verkennende 
Spuren  dieser  einstigen  Vorstellungen,  die  ihre  genaue  Entsprechung 
auch  bei  den  europäischen  Indogermanen  finden.  Vgl.  E.  Meyer  Ge- 
schichte des  Altertums  II,  98:  ,.Noch  verbreiteter  fast  ist  die  An- 
schauung, dass  die  Götter  sich  in  Tiergestalt  offenbaren.  Weithin 
durch  Griechenland  verehrte  man  einen  Wolfsgott,  der  im  Peloponnea 


Digitized  by  Google 


678  Religion. 

zum  Zeus  geworden  ist,  während  der  Wolf  sonst  als  Manifestation  des 
Apollo  gilt.  Artemis  ist  in  Attika  nnd  ebenso  in  Arkadien,  wo  sie 
als  Stammmutter  des  Volkes  verehrt  wird,  eine  Bärin,  in  anderen 
Fällen  eine  Hirschkuh.  In  Argos  verehrt  man  Hera  ßodmts  als  Kuh, 
die  von  Zeus  in  Stiergestalt  begattet  wird  ....  In  den  zahlreichen 
rohen  Figuren  aus  Stein  und  Thon  in  Menschen-  und  Tiergestalt, 
welche  sich  iu  allen  Schichten  der  troischen  und  mykotischen  Kultur 
finden,  dürfen  wir  wohl  die  Götterbilder  dieser  Epoche  Griechenlands 
erkennen;  nicht  wenige  von  ihnen  werden  Hausfetischc  gewesen  sein" 
(8.  u.  Kunst).  Ähnliche  Erscheinungen  lassen  sich  auch  in  der  ger- 
manischen Mythologie  nachweisen  (s.  auch  u.  F  a  h  nc). 

Diese  doppelte  Auffassung  der  Götter  als  Menschen  und  als  Tiere 
findet  ihre  genaue  Entsprechung  bei  den  aus  Seelen  hervorge- 
gangenen dämonischen  oder  göttlichen  Wesen.  Hierauf  ist 
u.  Ahnenkult us  hingewiesen  worden,  der,  wie  an  dieser  Stelle  aus- 
führlich gezeigt  worden  ist,  eine  zweite  Schicht  altindogermanischer 
Religionsvorstcllungcn  bildet.  Schwieriger  aber  als  diese  Erkenntnis 
ist  es,  das  historische  Verhältnis  dieser  beiden  religionsgeschichtlichen 
Strata,  des  Seelen-  und  Himmelsglanbens,  zu  einander  festzustellen. 
Gegen  die  jetzt  weitverbreitete  Anschauung,  dass  alle  Götterverehrung 
aus  der  der  Ahnengeistcr  hervorgegangen  sei,  hat  sich  Usener  in  seinem 
oft  genannten  Buche  mit  grosser  Schärfe  gewendet:  „Auf  welcher  von 
beiden  Seiten  die  Vorstellung  mächtigerer  seelischer  Kräfte  ausser  uns 
zuerst  entstanden,  auf  welche  sie  übertragen  ist,  mag  entscheiden,  wer 
Fragen  löst  wie  die,  ob  das  Ei  oder  die  Henne  früher  war.  Ich 
denke,  es  giebt  eine  Quelle,  welche  ursprünglicher  ist  als  beide  Vor- 
stellungen, als  Götter  und  Seelen:  das  ist  der  im  Menschen  lebendige 
Geist,  der  die  wichtigste  Thatsachc  seines  Bewusstseins,  die  Beseeltheit, 
auf  das  unbekannte  anwendet  und  überträgt"  (S.  254).  Dies  ist  gewiss 
richtig,  bestehen  bleibt  doch  aber  auch  jetzt  noch  die  Frage,  ob  es 
nicht  für  eben  diesen  menschlichen  Geist  näher  lag,  die  Thatsache 
seines  Bewusstseins  auf  die  im  Traum  ihm  begegnende  Gestalt  eines 
Toten  als  auf  Erscheinungen  wie  Himmel  und  Erde,  Sonne  und  Mond, 
Morgenröte,  Gewitter  u.  s.  w.  zu  übertragen,  und  gewisse  Thatsachen 
des  ältesten  Kultes  (s.  u.  Opfer)  legen  immer  wieder  den  Gedanken 
nahe,  dass  aller  Götterdienst  vom  Totendienst  seinen  Ausgang  nahm. 

Von  unmittelbarerer  Wichtigkeit  für  unsere  Zwecke  als  diese  in  nie 
ganz  zu  durchdringende  Fernen  zurückführende  Frage  ist  die  weitere, 
ebenfalls  durch  Usener*  Untersuchungen  angeregte,  ob  der  Himmel  und 
die  mit  ihm  zusammenhängenden  Naturmächte  die  einzigen  Erschei- 
nungen waren,  an  denen  in  der  idg.  Urzeit  Belebung  und  Vergöttlichung 
hervortrat.  Schon  oben  ist  darauf  hingewiesen  worden,  dass  bei  den 
Litauern  und  Prcnssen  Peter  von  Dusburg  als  Götter  ausser  Sonne, 
Mond,  Sterne,  Gewitter,  Wassern  auch  Vögel,  Vierfüsslcr,  Haine  und 


Digitized  by  Google 


Religion. 


679 


Felder  kennt,  und  noch  anschaulicher  sagt  ein  Jesuitenmissionar  des 
XVII.  Jahrhunderts  (Usencr  S.  109):  Hi  varios  deos  habent,  alium 
caeli,  alium  terrae,  quibus  alii  subsunt,  uti  dii  pisdum,  agrorum, 
frumentorum,  hört or um,  pecorum,  equorum,  vaccarum  ac  stingularium 
necesititatum  proprio.*.  Es  werden  also  in  erster  Linie  die  Götter  des 
Himmels  nnd  der  Erde  genannt,  und  dann  mit  ausdrücklicher  Hervor- 
hebung der  Unterordnung  unter  diese  eine  unendliche  Zahl  Ver- 
göttlichungen von  Handlungen,  Zuständen  oder  sonstiger  dem  Menschen 
wichtiger  Begriffe.  So  giebt  es  in  der  litauisch-preussischeii  Mythologie 
einen  Priparszas  (lit.  parxza»  .Ferkel  ),  einen  Gott  »ler  Schweine, 
Eratinis  (lit.  e'ras  ,Lamnv),  einen  Gott  der  Schafe,  Karicaitist  (lit. 
ledrwe  ,Kuh'),  einen  Gott  der -Rinder,  Zallus  ist  ein  Gott  der  Fehde, 
Ligiczu*  ein  Gott  der  Eintracht  u.  8.  w.,  ja,  es  wird  ein  Gott  Pizius 
(lit.  pisti  ,coirc  cum  feminai,  ein  Gott  des  Coitus,  genannt,  dem  die 
Burschen  opfern,  wenn  sie  die  Braut  heimführen.  «Sittliche  nnd  geistige 
Begriffe  stehen  noch  in  den  ersten  Anfängen14.  Man  könnte  nun  ge- 
neigt sein,  derartige  Göttcrbildungcn  als  etwas  junges  nnd  als  eine 
spezielle  Ausgeburt  litauischer  Geistesarmut  und  Phantasielosigkeit  zu 
betrachten,  wenn  nicht  die  römischen,  in  den  Büchern  der  Pontitices, 
den  indigitamenta,  verzeichneten  Gottheiten  dieselbe  Erscheinung  zahl 
loser  aus  allen  Sphären  menschlicher  Kultur  und  menschlicher  Hand- 
lungen entnommenen  rSondergötteru  darböten.  Auch  bei  den  Römern 
gab  es  eine  spezielle  Göttin  der  Bienenzucht,  Mellonia  (vgl.  lit.  Iiir- 
buüis  ,Summer',  ein  Bienengott),  eine  Bubona  , Göttin  der  Rindvich- 
vichzucht',  eine  Epona  ,Göttin  der  Pferdezucht',  filr  den  Ackerbau 
einen  Vervactor  (der  erste  Umbrccher  des  Ackerbodens),  Heparator 
(der  zweite),  Imporcitor  (der  wirkliche  Pflüger*,  Insitor  (der  die  Saaten 
einstreut),  Obarator  (der  Überpflüger)  n.  s.  w.  Es  gab  einen  Dem 
ArctduA,  einen  Gott  der  Kasten,  eine  Dien  Fessonia,  eine  Gottheit 
der  Ermüdeten,  eine  Pellonia,  die  die  Feinde  vertreibt,  einen  Mutinus 
Tutinus  (ursprünglich  nur  Mutunus,  Mutimt*  :  mtito,  mutto  .penis'; 
vgl.  griech.  uuttöV  tö  -ruvatKeiov  Hes.'?),  einen  Gott  der  Befruchtung, 
und  eine  besondere  Gottheit  für  alle  Akte  des  Bcilagcrs  (vgl.  Preller 
Röm.  Mytb.  S.  572  ff.)  u.  s.  w.  Von  mehreren  dieser  Gottheiten  lässt 
sich  nachweisen,  dass  sie  auch  ausserhalb  der  indigitamenta  eine 
wichtige  Rolle  gespielt  haben.  Da  nun  die  gleiche  Erscheinung  von 
Usener  in  grossem  Umfang  auch  in  der  griechischen  Mythologie  (Ein- 
wendungen von  E.  Maass  vgl.  Deutsche  Litz.  1896  Nr.  11)  nachge- 
wiesen worden  ist,  und  dieselbe  auch  in  der  vedischen  (in  Götter- 
erscheinungen wie  Savitar  ,Gott  Anreger',  Traxhtar  ,Gott  Bildner', 
Brhaspati,  Brahmanaspati  ,Herr  des  Gebetes'.  Prajüpati  .Gott  der 
Nachkommenschaft  )  sowie  auch  in  der  germanischen,  keltischen,  thra- 
kischen  (s.  u.)  nicht  fehlt,  so  rechfertigt  sich  die  Frage,  ob  sich  das 
Göttliche  nicht  schon  in  der  idg.  Urzeit  ausser  in  den  bisher  be- 


Digitized  by  Google 


6*0 


Religion. 


ßprochenen  Himmelsmächten  uud  Naturgewalten  auch  in  einzelnen 
Handlungen  der  Menschen,  ihren  Beschäftigungen  und  Zuständen  mani- 
festierte. Zu  einer  bejahenden  Antwort  auf  diese  Frage  könnte  ausser 
der  handgreiflichen  sachlichen  Übereinstimmung  zwischen  Litauisch  und 
Italisch  auch  die  sprachliche  Beobachtung  einladen,  das*  das  Litauische 
und  Indische  übereinstimmend  und  in  weitem  Umfang  sich  zur  Bildung 
derartiger  Götternamen  der  Zusammensetzung  mit  dem  idg.  *poti- 
,IIerr'  bedienen.  Vgl.  lit.  Dimtttipatis  :  dimstis  ,Haus,  Hof,  Laük- 
patis  ,Flurenherr*,  Raugupatis  ,Herr  des  Sauerteigs'  gegenüber  sert. 
Annapati  ,Herr  der  Speise',  Vrajäpati  ,llerr  der  Nachkommenschaft' 
etc.  Allerdings  ist  Usener  S.  1 15  der  Ansicht,  dass  hier  gerade  ver- 
hältnismässig junge  Bildungen  vorlägen,  aber,  was  wenigstens  das 
Litauische  anbetrifft,  so  zeugt  die  Sprache  selbst  gegen  diese  An- 
schauung; denn  lit.  pats  bedeutet  sonst  in  der  Überlieferung  nur  ,selbst' 
und  , Ehemann'  und  bat  ausser  in  den  angeführten  Götternamen  nur 
uueh  in  dem  alten  Kompositum  iciiszpats  ,Gott',  d.  h.  , Herr  der  Sippe' 
die  idg.  Bedeutung  ,Herr'  —  sert.  pdti-  bewahrt.  Eine  Spur  dieser 
Bildung  von  Götternamen  Iässt  «ich  auch  im  lat.  söspes,  Sispes  (Sis- 
pitem  Junonem,  quam  rulgo  Soapitem  appellant,  Festus)  nachweisen, 
wenn  dies  von  Prcllwitz  (Beil.  z.  Progr.  des  kgl.  Gyinn.  zu  Bartenstein 
181)5  S.  10)  richtig  als  *#ue8ti-poti-s  (  vgl.  sert.  suasti-  »Wohlsein,  Heil, 
Segen')  ,Herr  des  Wohlseins'  gedeutet  worden  ist.  In  »Sispes  liegt  dann 
ein  alter  italischer,  später  von  Juno  attrabierter  „Sondergott "  vor.  Es 
erscheint  also  wohl  denkbar,  dass  schon  in  der  idg.  Urzeit  neben  den 
unter  der  Bezeichnung  *deivo-x  zusanmiengefassteu  Himmels-  und  Xatur- 
mäcbten  noch  andere,  in  anthropomorpher  Auffassung  als  *potejes  be- 
zeichnete Sondergötter  (etwa  ein  *ovi  poti  x  ,der  im  Gedeihen  der  Schafe', 
vgl.  lat.  ocis  oder  ein  *qara-poti-*  ,der  im  Krieg  sich  offenbarende',  vgl. 
lit.  ktiraa)  verehrt  wurden.  Auch  sonst  sind  etymologische  Zusammen- 
hänge zu  beachten.  So  müssen  im  ganzen  Norden  Europas,  von  den 
Kelten  bis  zu  den  Litauern  göttliche  Wesen  angerufen  worden  sein, 
die  „Geberhmenu  oder  vielleicht  auch  „Reichtum"  (got.  gabei,  vgl. 
die  litauische  Göttiu  Skalm,  appellativisch  »Ausgiebigkeit')  hi essen: 
kelt.  OUogabiae,  geriu.  Alagabiae,  lit.  Polengabia  etc.  (vgl.  v.  Grien- 
berger  Archiv  XVIII,  f>4,  R.  Much  Festgabe  für  Heinzel  S.  262).  Viel- 
fach wird  ihnen  das  idg.  Wort  für  Mutter  (vgl.  lit.  Matergabia,  auf 
niederrhein.  Inschriften:  Matronis  Gabiabux)  zur  Seite  gestellt,  eine 
Bildung  von  Götternamen,  die  im  Lettischen  (vgl.  Ddrsa  mäte  .Garten- 
mutter', l'lukka  mäte  ,Bluinenmutter',  Laukamaat  ,Feldmutter'  u.  g.  w.) 
ganz  an  Stelle  der  oben  erörterten  mit  -patis  ,Herr'  getreten  ist. 
Bemerkenswert  ist  auch  die  fast  völlige  Übereinstimmung  des  litau- 
ischen Gottes  Bentis  (e/ficit,  ut  duo  cel  plures  simul  iter  aliquo  in- 
atiüuint)  mit  der  thrakischen  Göttin  Bc'vbi?,  Btvbi?,  Mcvbi?,  aus  der 
sich  ein  vorhistorischer  Gott  „ Verbinder u  (got.  bindan)  zu  ergeben 


Digitized  by  Google 


Heligion. 


681 


scheint  (vgl.  Usener-Solmsen  S.  88,  W.  Tomaschek  Sitzuugsb.  d.  Wiener 
Ak.  pbil.-l.ist.  Kl.  CXXX,  47). 

So  denken  wir  uns  die  Welt  der  Indogermanen  von  einer  Fülle 
göttlicher  Wesen  belebt,  die  sieh  aber  sämtlich  noch  innerhalb  der- 
jenigen Sphäre  der  Natur  oder  Kultur  hielten,  der  sie  ihre  begriffliche 
Entstehung  verdankten.  Dass  sie  schon  damals  nicht  für  gleichwertig 
unter  einander  angesehn  wurden,  folgt  einmal  aus  der  verschiedenen 
Bedeutung  ihrer  ersten  Konzeption  und  wird  ausserdem  unzweideutig 
bezeugt  (s.  o.).  lu  dem  Vordergrund  der  Verehrung  müssen  die  grossen 
Naturmächte,  und  unter  ihnen  wieder  der  Himmel  {dyaüx),  gestauden 
haben,  die  Beobachtern  wie  Herodot  und  Caesar,  von  deren  Nachrichten 
wir  in  dieser  Skizze  der  idg.  Religion  ausgingen,  darum  am  meisten  in 
die  Augen  fielen.  Über  den  Gottesdienst,  den  man  diesen  Mächten 
darbrachte,  s.  u.  Opfer,  über  die  ältesten  K  u  1 1  o  b  j  e  k  t  e ,  in  denen 
in  fetischartiger  Auffassung  das  Göttliche  als  anwesend  betrachtet 
wurde,  s.  u.  Tempel,  über  den  nach  dem  obigen  selbst  verständigen 
Mangel  ethischen  Gehalts  in  dem  Wesen  der  idg.  Gottheiten  8. 
u.  Rech  t. 

Auf  die  Weiterentwicklung  dieser  Grundzüge  des  idg.  Götterglaubens 
bei  den  Einzelvölkern  kann  hier  nur  in  Kürze  hingewiesen  werden. 
Der  Hauptzug  ist,  wie  dies  Useuer  in  seinem  oft  genannten  Buche 
ausfuhrt,  auf  die  Herausbildung  persönlicher  Götter  gerichtet. 
Diese  Entwicklung  erfolgt  einerseits  aus  dem  Innern  der  Volksseele 
heraus.  Wie  auf  der  Erde  aus  der  grossen  Masse  der  nach  Ständen 
(8.  d.)  oder  Vermögen  (s.  u.  Reich  und  arm)  ursprünglich  nicht  oder 
wenig  geschiedenen  Menschen  einzelne  Individuen  als  Könige  oder 
Adelige  sich  emporheben  und  Macht  und  Reichtum  an  sich  reissen,  so  regt 
sich  das  Bestreben,  auch  einzelne  der  Gottheiten  konkreter,  individuelller, 
persönlicher  auszubilden.  In  einzelnen  Göttern  fliesseu  so  die  Macht- 
befugnisse verschiedener  zusammen.  Dazu  kommt,  dass  hundertfache 
neue  Seiten  uud  Aufgaben  der  Kultur  eines  himmlischen  Herrn  und 
Beschützers  bedürfen,  während  die  Bedeutung  der  Naturmächte,  je 
mehr  sich  der  Mcneeh  über  sie  erhebt,  zu  verblassen  anfängt.  Daneben 
lassen  sich  Einflüsse  von  aussen  nicht  verkennen.  Herodot  erzählt 
an  der  oben  angeführten  Stelle,  dass  die  Pelasgcr  die  Benennungen 
ihrer  ursprünglich  namenlosen  Götter  von  den  Ägyptern  empfangen 
und  später  den  Hellenen  überliefert  hätten.  So  wenig  richtig  diese 
Nachricht  in  dieser  Form  sein  kann,  und  so  wenig  sichere  orienta- 
lische Göttcrnamen  sich  in  der  griechischen  Mythologie  nachweisen 
lassen,  so  wird  man  doch  andererseits  nicht  bezweifeln  könuen,  dass 
die  persönliche  Ausgestaltung  der  griechischen  Gottheiten  vielfach  nach 
orientalischem  Vorbild  vor  sich  ging.  Auch  die  Perser  hatten  nach 
Herodot  II,  131  vou  den  Assyriern  und  Arabern  gelernt,  einer  per- 
sönlichen Gottheit,  der  Oüpavin,,  neben  ihren  alten  (namenlosen)  Göttern, 


Digitized  by  Google 


682 


Religion. 


dem  Himmel,  der  Sonne,  dem  Mond,  der  Erde,  dem  Feuer,  dem  Wasser, 
und  den  Winden  zu  opfern.  Ähnlich  ist  das  Verhältnis  der  Ger- 
manen zu  den  Römern  zu  beurteilen.  Die  germauischen  Gottheiten, 
welche  Caesar  vorfand,  haben  wir  oben  kennen  gelernt.  150  Jahre 
später  nennt  Tacitus  als  germanische  Götter  einen  Hercules,  Mars  und 
Mcrcurius,  die,  so  sehr  ihre  einheimischen  Xamen,  Donar  (,Donner), 
Zill  (»Himmel'),  Wotan  (vielleicht  ,Wind  )  auf  ihren  begrifflichen  Ur- 
sprung hinweisen,  und  so  wenig  wir  zu  entscheiden  vermögen,  wie 
viel  Xatursubstrat  in  germanischer  Auffassung  auch  zur  Zeit  des 
Tacitus  ihnen  noch  anhaftete,  doch  schon  die  Züge  persönlicher  Gott- 
heiten an  sich  tragen.  Der  Widerspruch  zwischen  Caesar  und  Tacitus 
verschwindet,  wenn  man  bedenkt,  dass  in  die  1V2  Jahrhunderte,  welche 
zwischen  den  beiden  Geschichtsschreibern  liegen,  die  innige  Berührung 
germanischen  Barbarentums  mit  römischer  Kultur,  germanischen  Natur- 
dienstes mit  den  ausgeprägten  Göttcrgestalten  Roms  fällt.  In  diesem 
Sinne  führt  auch  E.  Mogk  in  Pauls  Giundriss  III*,  333,  um  den  Über- 
gang seines  Windgotts  Wodan  zum  Träger  höherer  geistigen  Ent- 
wicklung zu  veranschaulichen  aus:  „Dieser  Entwicklungsprozess  mag 
in  der  Zeit  zwischen  Caesar  und  Tacitus  vor  sich  gegangen  sein.  Mau 
vergegenwärtige  sieh  das  Zeitalter  der  eisten  römischen  Kaiser,  die 
Feld-  und  Streifzüge  des  Drusus,  Tiberius,  Vnrns,  Germanicus.  ihre 
Gewaltherrschaft  in  den  germanischen  Ganen,  und  man  wird  den  ge- 
waltigen Hinflugs  römischer  Sitten  und  Geistes  erklärlich  finden".  Mit 
Unrecht  haben  dagegen  J.  Grimm  und  K.  Müllenhoff  (vgl.  Deutsche 
A.-K.  IV,  31)  die  Glaubwürdigkeit  des  Caesar  herabzudrücken  ver- 
sucht und  so  eines  der  wichtigsten,  in  seiner  Bedeutung  oben  ge- 
würdigten Zeugnisses  für  altidg.  Religionsanschauungen  sich  begeben. 
Endlich  wird,  um  das  allmähliche  Hervortreten  persönlicher  Götter  zu 
begreifen,  auch  auf  die  Einflüsse  der  mehr  und  mehr  aufkommenden 
Priesterse  haften  sowie  die  Anfänge  der  Dichtung  und  bildenden  Kunst, 
die  mit  einander  wetteiferten,  die  Gestalten  der  Unsterblichen  heraus- 
zuarbeiten und  auszuschmücken,  zu  verweisen  sein. 

Die  Zahl  solcher  Gottheiten,  welche  die  Alten  bei  den  Xordvölkera 
vorfauden,  ist  überall  eine  beschränkte.  Wie  bei  den  Germanen 
(Tacit.  Cap.  9),  ist  es  bei  den  Galliern  eine  Trias  von  Göttern,  die 
in  der  bekannten  Stelle  der  Pharsalia  (1,  445)  des  Lncanns  genannt 
wird : 

Teilt  at  es  horrensque  feris  altaribus  Nexus 
Et  Tara  nix  scythicae  non  mitior  ara  Dianae 
{Teutates,  in  den  Scholien  mit  Mercttriux  oder  Mars  erklärt,  ,der 
Volksgott'  :  ir.  tttath  ,Volk';  Esus,  d.  i.  Mars  oder  Mercuritts,  am 
wahrscheinlichsten  zu  got.  anxex  gehörig,  ,der  Geist",  s.  u.  Ahnen- 
kultus; Taranis  d.  i.  Juppiter  oder  Diespiter,  der  , Donner',  s.  u» 
Gewitter,  vgl.  auch  S.  Rcinach  Revue  Celtique  XVIII,  137).  Auch 


Digitized  by  Google 


Religion. 


683 


bei  den  Thrakern  werden  von  Herodot  V,  7  drei  Götter:  Ares,  Dio- 
nysos nnd  Artemis  genannt,  wozu  bei  den  Königen  —  ein  interessanter 
Beleg  für  den  gewiss  öfters  vorkommenden  Fall,  dass  besondere  Stände 
sich  besondere  Götter  schufen  —  noeh  ein  Hermes  hinzukam.  Neben 
diesen  Gottheiten  der  Interpretatio  graeca  oder  romana  treten  uns 
auf  allen  drei  Völkergebieten  in  der  inschriftlichen  oder  litterarischen 
Überlieferung  eine  grosse  Anzahl  einheimischer  Götternamen  entgegen, 
deren  etymologische  Deutung  trotz  aller  darauf  verwandten  Gelehr- 
samkeit äusserst  geringe  Fortschritte  gemacht  hat.  Vielleicht  käme 
man  weiter,  wenn  man  bei  derartigen  Gestalten  von  Göttern  oder 
Göttinnen  nicht  bloss  nach  Hypostasen  einiger  weniger  Hauptgötter 
forschte,  sondern  nicht  versäumte,  nach  Analogien  derjenigen  primitiven 
ßegriffsbildung  auszuschauen,  wie  sie  in  besonderer  Reinheit  uns  ;m 
Litauischen  entgegengetreten  ist.  Bemerkenswert  sind  jedenfalls  die 
mehrfachen  Übereinstimmungen,  die  sich  zwischen  Litauisch  und  Ger- 
manisch gezeigt  haben,  wofür  auf  lit.  Perkünas  —  ahn.  Fjörgyn, 
lit.  Aigis  —  germ.  Alcis  (s.o.),  lit.  Matergabia  —  germ.  Matronae  Gabiae 
(letzteres  auch  keltisch),  auf  dem  Gebiete  des  Ahnenknltus  (s.  d.) 
auf  lit.  kaükas  —  altn.  hugir,  lit.  tctles,  Yielona  —  nltn.  valr,  Yalr 
kyrja,  Valhöll  u.  a.  verwiesen  sei. 

Die  überaus  niedrige  Stufe,  die  nach  allem  obigen  die  Gottesvor- 
8tellungcn  der  Indogermanen  in  der  Urzeit  und  in  den  ältesten  histo- 
rischen Zeiten  einnahmen,  macht  es  von  vornherein  wahrscheinlich, 
dass  Wörter  für  den  Begriff  der  Religion,  sowohl  in  objektivem  Sinne 
als  eines  Gesamtausdmcks  für  die  bei  einem  Volke  herrschenden  reli- 
giösen Vorstellungen,  Satzungen  und  Gebräuche,  als  auch  in  subjek- 
tivem Sinne  als  einer  Bezeichnung  des  inneren  zwischen  dem  Menschen 
und  der  Gottheit  bestehenden  Verhältnisses  in  frühen  Epochen  nicht 
zu  erwarten  sind.  Die  Wörter  für  Religion  im  ersteren  Sinne  flicssen 
teilweis  mit  dem  Begriffe  des  Rechts  (s.  d.)  zusammen.  Zu  Ansätzen 
einer  Konzeption  des  subjektiven  Religionsbcgriffs  hat  es  eigentlich 
nur  das  Lateinische  mit  seinem  religio  gebracht.  Dieser  Ausdruck, 
abgeleitet  von  einem  aus  dem  überlieferten  religens  .gottesfürchtig' 
sich  ergebenden  *relegere  .sich  eifrig  und  besorgt  um  etwas  kümmern' 
(Gegensatz  neglegere)  bezeichnet  zunächst  etwa  , furchterfüllte  Bedenk- 
lichkeit', ,1c  scrupule'  (daher  religiosux  »abergläubisch'),  dann  ,chrfurehts- 
volle  Andacht',  ,ge  wissen  hafte,  heilige  Stimmnng'  u.  s.  w.  (vgl.  Pott 
Et.  F.  I*,  2U1,  Hreal  Diet.  Etym.  Lat.3  S.  157).  Wie  weit  aber  noch 
das  Altertum  von  der  Auffassung  entfernt  war,  die  wir  heute  mit  dem 
Worte  Religion  verbinden,  zeigen  die  Definitionen  von  religio  z.  B.  bei 
Cicero  Partit.  Orat.  2'J :  lustitia  erga  deos  religio  dicitur,  erga  parentes, 
pietas  oder  De  invent.  II,  53:  Religio  est,  quae  superioris  cuiusdam 
naturae,  quam  divinam  vocant,  curam  caerimoniamque  o/fert.  Au- 
gustin konnte  daher  mit  Recht  klagen,  die  lateinische  Sprache  — 


Digitized  by  Google 


684 


Religion  —  Khabarber. 


dasselbe  hätte  er  von  der  griechischen  sagen  können  —  habe  kein 
Wort  fUr  das  allgemeine  Verhältnis  des  Menschen  zu  Gott. 

Dem  Christentum  ist  Religion  in  objektivem  Sinuc  zunächst  gleich- 
bedeutend mit  dem  Gesetz  der  Kirche,  und  Religion  in  subjektivem 
Sinne  gleichbedeutend  mit  dem  Glauben  an  die  Wahrheit  dieses  Ge- 
setzes. Ereteres  wird  im  Deutschen  und  Slavischen  hauptsächlich 
durch  ahd.  eica  (altes  und  neues  Testament)  und  lern,  altsl.  zakonü 
und  ucenije,  letzterer  hauptsächlich  durch  ahd.  galauba,  altsl.  vera 
ausgedrückt.  —  S.  u.  Ahnenkult us,  Arzt,  Bestattung,  Eid, 
Erde,  Gewitter,  Gott,  Gottesurteil,  Himmel,  Krankheit, 
Los,  Mond,  Opfer,  Orakel,  Priester,  Recht,  Regen,  Rein- 
heit und  Unreinheit,  Sonne,  Sterne,  Tempel,  Totenreiche, 
Traum,  Zauber  und  Aberglauben  u.  a. 
Renntier,  s.  Hirsch. 

Kettig  (ftaphanus  mticus  LX  Er  ist  im  gemässigten  West- 
asien einheimisch  (vgl.  De  Candolle  Kulturpflanzen  S.  36  ff.;.  Von  dort 
muss  seine  Kultur  frühzeitig  nach  Ägypten  gelangt  sein,  wo  Herodot 
II,  125  ihn  als  Oupuain,  (neben  icpöfjuua  und  aicöpoba  .Zwiebeln'  nnd 
, Knoblauch')  als  uralte  Speise  der  Ägypter  voraussetzt.  Abbildungen 
von  Rettigen  sind  aus  dein  Tempel  von  Karnak  nachgewiesen  (vgl. 
Woenig  Die  Pflanzen  im  alten  Ägypten  S.  217;  Zweifel  hiergegeu 
werden  erhoben  von  Schweinfurth  Z.  f.  Ethnologie  Vcrh.  1801  S.  665). 
In  Griechenland  tritt  der  Rettig  als  volkstümliches  Nahrungsmittel  seit 
der  älteren  Komödie  auf.  Seine  Namen,  pctqmvi?  uud  ^owpavo?,  be- 
ruhen auf  Übertragung  älterer  Benennungen  der  Kohlrübe  (s.  u.  Kohl 
und  Rübe)  auf  die  neue  Frucht.  Die  Römer  haben  für  den  Rettig 
das  aus  dem  Griechischen  entlehnte  raphanus  und  das  einheimische 
rädir  (.Wurzel  ),  das  durch  die  Hinzufüguug  von  Syriaca  (Col.  11,3, 
16  u.  59)  uud  quae  Asst/rio  geinine  renit  {Col  10,  114)  noch  auf  die 
östliche  Herkunft  der  Pflanze  hinweist.  Schon  in  vorahd.  Zeit  wurde 
rädlv  als  retich,  rätih,  agls.  nedic  in  die  germanischen  Sprachen  und 
von  hier  in  die  slavischen  (altsl.  rüdüky)  aufgenommen.  Nach  Plinius 
Hist.  nat.  XIX,  83  kamen  damals  in  Deutschland  bereits  Rettige  von 
der  Grösse  neugeborener  Kinder  vor.  Radicex  nennt  das  Capit.  de 
villi»  LXX,  61.  Ngriech.  tö  fkmdvi,  alb.  rapane.  —  Vgl.  v.  Fischer- 
Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  113 f.    S.  u.  Garten,  Gartenbau. 

Rhabarber  (h'heum  palmatum  und  lihaponticum  LX  Er  ist 
in  den  Gebirgen  der  Tatarei.  besonders  am  Kuku-nör  und  oberen  Ho 
und  Kiang  einheimisch.  Die  wichtige  Arzneipflanze  wird  zuerst  von 
Dioskorides  (De  mat.  med.  III,  2)  unter  den  Namen  £ä  und  pfiov 
genannt.  Sie  wächst  nach  ihm  Iv  Totq  imep  Böairopov  TÖnoiq,  ftöcv 
KQi  KouÜeToti,  weswegen  sie  später  Rha  jyonticttm  oder  barbartim  ge- 
nannt wird.  Plin.  XXVII,  128  bietet  rhecoma.  G riech,  fyf\ov  (*^Fov),  £ä 
stammt  zunächst  aus  dem  persischen  reicend.    So  auch  arabisch  und 


Digitized  by  Google 


Rhabarber  —  Kühler. 


«>86 


türkisch,  woher  russ.  recenf,  scrb.  reced.  Vgl.  auch  pcrs.  rewend-i- 
cini  (^aßavTiTZivrj),  d.  Ii.  „China-Rhabarber".  Woher  der  persisch- 
arabische Name  kommt,  ist  unbekannt.  Im  inneren  Asien  scheint  er 
keine  Anknüpfung  zu  finden  (vgl.  W.  Tomaschek  Kritik  d.  ältesten 
Nachrichten  über  den  skyth.  Norden  I,  42).  Später  brachte  man  pä 
in  Verbindung  mit  der  gleichlautenden  Benennung  der  Wolga  ('Pä, 
tinn.  Hau,  Ratca).  Doch  kommt  die  Pflanze  nicht  an  ihren  Ufern  vor, 
wie  Amimanns  Marc.  XXII,  8,  28  fälschlich  behauptet,  mochte  aber 
von  dort  aus  in  den  Handel  gelangen.  Wie  bei  der  Seide  (s.  d.), 
dürfte  ein  zweiter  Handeisweg  zu  Schiff  von  China,  wo  der  Rhabarber 
seit  unvordenklichen  Zeiten  bekannt  war,  über  Indien  und  Arabien 
geführt  haben.  In  beiden  Fällen  waren  persisch-arabische  Stämme 
die  Vermittler  mit  dem  Westen.  —  Vgl.  Flückiger  Pharmakognosie* 
S.  376.    Andere  Heil-  und  Arzneipflanzen  s.  u.  Arzt. 

Richter.  Bezeichnungen  für  diesen  Stand  treten,  wenn  man 
unter  „Richter"  einen  Mann  versteht,  der  nicht  nur  gelegentlich,  sondern 
seinem  ausschliesslichen  Berufe  nach  Recht  spricht,  erst  bei  den  Einzel- 
völkern, und  auch  hier  erst  ganz  allmählich  hervor.  Ein  homerischer 
Ausdruck  für  den  Richter  ist  noch  nicht  vorhanden.  Horn.  öiKcttfTTÖXoq 
(nach  der  Analogie  von  lat.  iu-de  v  :  dicere  und  ahd.  eo-mgo  :  sagen 
vielleicht  nicht  =  bucctcr-TröXoq  ,der  die  Richtcrsprllche  handhabt',  da 
n^Xu)  sonst  nur  intransitiv  gebraucht  wird,  sondern  =  bnca-o*TTÖXo-<;  : 
£vv€7T€  aus  *4v-o*€ttc,  *o*£ttui  ,sage';  ähnlich  dem  Sinne  nach  Clemm 
Curt.  Stud.  VII,  95)  wird  nur  adjektivisch  verwendet:  uU?  'Axoidiv 
bnccuJrtöXoi  (II.  I,  238)  und  dvrip  bncacnTÖXoq  (Od.  XI,  186).  Als 
Schiedsrichter  wird  im  Epos  der  König  gedacht,  wie  es  Od.  XI,  568  ff. 
schildert 

£v0'  n  toi  Mivtua  ibov  Ai6<;  ätXaöv  möv 

XP00*€0V  0*KÜ.TTTpOV  €XOVTCl  Ö€UlO*T6  ÜO  VTO  V£*KUO*0*l, 

tiuevov  o\  bi  mv  any\  biKaq  eipowo  ävaiaa. 

Die  dem  Könige  hier/u  nötigen  Eigenschaften  werden  von  Hesiod 
Theog.  v.  81  ff.  geschildert.  Auch  die  Geronten  werden  in  der  be- 
kannten Gcrichtsscenc  auf  dem  .Schilde  des  Achilles  (II.  XVIII,  497  ff.) 
als  solche  gelegentliche  Schiedsrichter  dargestellt.  Ständige  Richter 
treten  in  Athen  zuerst  in  den  6  6eo*Mo6€Tm  hervor,  die  sehr  frühzeitig 
dem  König  beigeordnet  werden,  und  wie  fest  der  Gedanke  der  Recht- 
sprechung mit  dem  des  Königtums  verknüpft  ist,  zeigt  der  Umstand, 
dass,  als  im  Jahre  682  die  Leitung  des  Staates  dem  „Archon"  über- 
tragen ward,  bei  dem  fipxwv  ßaaiXeus  die  Leitung  der  religiösen  Feste 
und  der  Prozesse  blieb. 

Bei  den  italischen  Stämmen  begegnen  uns  zwei  gleichgcbildctc, 
aber  dem  Stamme  nach  ganz  verschiedene  Ausdrücke  für  den  Richter, 
nämlich  einerseits  das  schon  genannte  lat.  iä-dex  :  itls,  andererseits 
osk.  meddhis  (*med-dikes  ,iudices'),  pibbeiE  :  umbr.  mers  ,ius,  fas', 


Digitized  by  Google 


686 


Richter. 


*medos-dex,  hier  zur  Bezeichnung  der  obersten  Stadtbehörde  verwendet. 
Beide  Wörter  sind  offenbar  ursprünglich  ebenfalls  rein  adjektivisch 
und  occasioucll  verwendet  worden.  In  der  Königszeit  waltet  auch  in 
Rom  als  iudex  der  König,  allein  oder  mit  Zuziehung  einzelner  Senatoren 
(vgl.  Bernhöft  Staat  und  Recht  der  römischen  Königszeit  S.  119  f.). 
Von  der  königlichen  Gewalt  lösen  sich,  anfangs  auch  nur  für  den 
bestimmten  Fall,  einzelne  Gerichtskollegien  wie  die  duumeiri  perdu- 
ellionis  oder  die  quaestore*  parricidii  los.  Zu  ihnen  gesellt  sich  von 
sehr  früher  Zeit  an  ein  g  c  i  s  1 1  i  c  h  e  s  Element  der  Rechtsprechung, 
namentlich  in  der  Priesterschaft  der  pontifices.  Alle  diese  Leute  sind 
im  gegebenen  Falle  iudices\  ein  eigentlicher  berufsmässiger  Richter 
ist  erst  im  praetor  (für  eivile  Streitigkeiten)  anzuerkennen.  Das  Wort 
bat  ursprünglich  ganz  allgemein  , Anführer'  (*prae-itor ,  Vorausgänger'), 
auch  die  Konsuln  bezeichnet,  und  seine  iuridische  Bedeutung  erst  später 
erhalteu. 

Bei  den  Germanen  der  ältesten  Überlieferung  ruht  die  Recht- 
sprechung teils  bei  dem  concilium,  dem  Ding  der  Völkerschaftsgemeinde, 
wobei,  wie  immer,  der  König  oder  einer  der  Fürsten  das  erste  Wort, 
d.  h.  den  Urteilsvorschlag  gehabt  haben  wird  (Genn.  Cap.  11:  Mox 
rex  vel  prineeps,  prout  aetas  caique,  prout  nobilitas,  prout  decus 
bellorum,  prout  facundia  est,  audiuntur,  auetoritate  suadendi  magis 
quam  iubendi  potestate),  teils,  für  die  pagi  und  vici,  bei  dem  prineeps 
unter  Beistand  der  Hundertschaft  (Caesar  De  bell.  gall.  VI,  23:  Prin- 
cipe« regionum  atque  pagorum  inter  mos  ius  dicunt  controcersiasque 
minuunt,  Tacitns  Genn.  Cap.  12:  Eliguntur  in  iisdem  concüiis  et 
prineipes,  qui  iura  per  pagox  vicosque  reddunt;  centeni  singulis  ex 
plebe  comites  consilium  simul  et  auetorita*  adsunt).  Den  Priestern 
steht,  wie  im  Krieg  (Cap.  7),  so  auch  im  Frieden  (Cap.  11:  Silentium 
per  sacerdotes,  quibutt  tum  et  coercendi  ius  est,  imperatur)  eine  ge- 
wisse Strafgewalt  zu. 

Das  charakteristische  der  altgermanischen  Gerichtsverfassung  ist 
immer,  dass  „das  germanische  Urteil  ein  Urteil  der  Gerichtsgemeinde 
und  alles  was  dem  Vollwort  der  Gerichtsgemeinde  vorausging,  im 
Rechtssinn  nur  Urteilsvorschlag  waru.  Zur  Findung  dieses  Urtcilsvor- 
schlags  werden  von  dem  Vorsitzenden  Richter,  also  ursprünglich  vom 
König  oder  Fürsten,  frühzeitig  unter  einander  wieder  verschiedenartige 
Organe  ausgewählt,  die  bei  den  Franken  Rachincburgen,  sonst  im  Alt- 
hochdeutschen esago,  eteilo,  urteilo,  im  Angelsächsischen  witan  ,sa- 
pientes',  im  Isländischen  lögsögumadr  u.  s.  w.  (vgl.  näheres  bei  Brunner 
Deutsche  Rechtsgesehichte  S.  150  ff.  und  R.  Sehröder  Lehrb.  d.  d. 
Reehtsg.3  S.  44  ff.)  heisseu.  Derartige  Leute,  die  bei  einzelnen  Stämmen 
auch  direkt  aus  Volkswahl  hervorgingen,  dürfen  am  ehesten  als  eigent- 
liche Richter  bezeichnet  werden,  wie  sie  denn  auch  vielfach  iudices 
in  den  Gesetzen  beissen.    Andere  ahd.  Ausdrücke  für  den  Richter 


Digitized  by  Google 


Richter. 


687 


sind  sonäri,  *öneo  :  söna  »iudieium',  eigentl.  »Sübnung',  auf  die  schieds- 
richterliche Thätigkeit  des  Richters  (vgl.  oben  bei  Caesar:  controcer- 
sias  minuunt)  hinweisend,  und  scultheizo  ,eincr  der  eine  Verpflichtung 
anbefiehlt',  aber  auch  ,tribunus,  praefectus,  ceuturio',  indem  wohl  ur- 
sprünglich in  erster  Linie  der  Vorsteber  der  Hundertschaft  vom  Fürsten 
zum  Urteilsvorschlag  herangezogen  wurde. 

Die  Beteiligung  des  Priesters  an  der  Rechtsprechung,  die  wir  schon 
bei  Römern  und  Germanen  sich  zeigen  sahen,  hat  bei  den  festländischen 
Galliern  in  Folge  des  Einflusses  der  Druiden,  wie  es  scheint,  zu  einer 
völligen  Beseitigung  des  weltliehen  Elements  der  Rechtspflege  geführt 
(Caesar  VI,  13:  Nam  fere  de  omnibus  controiersiis  publicis  privatis- 
que  constituunt,  et  si  quod  est  admissttm  facinus,  si  caedes  facta, 
si  de  hereditates  si  de  finibus  controversia  est,  idetn  decemunt, 
praemia  poenasque  constituunt;  si  qui  aut  privatus  aut  populus 
eorum  decreto  non  stetit,  sacrificiix  interdicunt.    haec  poena  apud 
eos  est  gravissima).   Diese  richterliche  Bedeutung  des  Priesterstandes 
hat  vielleicht  einst  auch  bei  den  Inselkelten  gegolten,  und  Maine  Early 
Hist.  of  Institutions0  S.  32  ff.  bemüht  sich,  den  historischen  Zusammen- 
hang zwischen  den  altgallischeu  Druiden  und  den  irischen  Brehons, 
jener  Klasse  von  gesetzeskundigen  Mannern,  denen  wir  die  Brehon- 
Gesetzc  verdanken,  zu  erweisen.  „The  difference  between  the  Druids 
and  their  xuecessors,  the  Brehons,  tcould  in  that  case  be  mainly 
thw  :  the  Brehons  tcould  be  no  longer  priests.    All  sacerdotal  or 
religious  authority  must  have  paxsed,  on  the  conversion  of  the  lrish 
Celts,  to  the  Jribes  of  the  aaiuts  —  to  the  mixsionary  monastic 
societies  founded  at  all  points  of  the  islandu.   Doch  wird  vou  Caesar 
(I,  16)  bei  den  Aeduern  eine  höchste,  nicht  priesterliche  Obrigkeit, 
vergobretus,  genannt,  die  Gewalt  über  Leben  und  Tod  hat  und  durch 
ihren  Namen  (vergobretus  ans  kvmr.  guerg  »efiieax'  und  ir.  breth  »Ur- 
teil', brithem  .Richter";  vgl.  auch  ir.  bröth  »Gericht',  altgall.  Bratu- 
spantiuui,  korn.  brodit  »iudex)  auf  ihr  richterliches  Amt  hinweist.  Am 
nächsten  würden  dem  gall.  vergobretus  (»Rechtswirker')  die  oben  ge- 
nannten oskischen  meddiss  kommen. 

Bei  den  S  I  a  v  e  n  bedarf  die  Frage  des  allmählichen  Aufkommens 
besonderer  Richter,  die  vielfach  mit  Ableitungen  von  dem  gemein- 
slavischen  *xomIü  ,iudicium'  (altsl.  sndtt)  :  altsl.  xqdij,  russ.  xudija 
(woraus  lit.  südax  »Gericht',  südz'iä  »Richter';  einheimisch  lit.  icaltas 
, Richter',  »Dorfschulze  )  bezeichnet  werden,  noch  näherer  Aufklärung. 
Bei  den  Sudslaven  spielt  das  Haupt  des  Stammes  so  ziemlich  dieselbe 
Rolle,  wie  der  homerische  ßaaiXeu?  auch  in  judiziellcr  Beziehung.  Bei 
den  Küssen  steht  dem  Grossfürsten  auch  ein  Richteramt  zu,  das  er 
selbst  oder  durch  sein  Amtslcute  ausübt.  Daneben  blickt  die  souveräne 
Volksgerichtsbarkeit,  die  wir  von  den  Germanen  her  kennen,  in  den 
Gerichtsbezirken  der  Wersehaften  (von  altruss.  vira  »Wergcld'i  durch, 


Digitized  by  Google 


1 


68»  Richter. 

in  deren  Machtbereich  der  Grossfflrst  zunächst  nicht  einzugreifen  wagt. 
Sie  werden  von  einem  Richter  (wernik)  geleitet,  und  ordnen  in  erster 
Linie  die  Uber  die  Wergeldszahlungcn  entstandenen  Streitigkeiten  (vgl. 
Leist  Altarisches  Jus  civ.  II,  2 19  f.). 

Die  ältesten  Zustände  auf  dem  Gebiete  der  Rechtsprechung  wird 
man  nach  dem  obigen  s  o  zusammenfassen  können : 

1.  Berufsmässige  Richter  (Leute,  die  ausschliesslich  mit  der  Recht- 
sprechung zu  thun  gehabt  hättcu)  giebt  es  weder  in  vorhistorischen, 
noch  in  den  ältesten  historischen  Zeiten. 

2.  Die  Rechtsprechung  beruhte  in  der  Urzeit  auf  dem  Zusammen- 
wirken von  Kimig  (Stammeshanpt)  und  Volksgemeinde.  Vor  dieses 
Forum  kamen  aber,  indem  alles  übrige  der  Selbsthilfe  der  Sippen  oder 
der  Gerichtsbarkeit  der  Sippenversammlung  (s.  u.  S  i  p  p  e)  überlassen 
war,  nur  solche  Unthaten,  welche  den  Stamm  als  Ganzes  bedrohten 
(s.  u.  Verbrechen  und  Strafe).  Verhältnismässig  am  treusten  hat 
sich  dieser  Znstand  bei  den  Germanen  erhalten,  bei  denen  aber  schon 
in  der  ältesten  Überlieferung  vor  das  concilium  nicht  nur  scelera  und 
flagitia,  sondern  auch  leviora  delkta  gezogen  wurden,  beziehungsweise 
werden  konnten.  Dass  dieselben  Verhältnisse  aber  auch  im  Süden 
Europas  einmal  herrschten,  beweist  die  Gerichtsbarkeit  der  Makedonen 
(vgl.  Curt.  VI,  8,  25,  s.  die  Stelle  n.  König),  und  andere  auf  alte 
Volksgerichte  deutende  Spuren  bei  Akarnancn  und  Epiroten  (vgl.  Gilbert 
Jahrb.  f.  klass.  Phil.,  XXIII  Suppl.  S.  446).  Hinsichtlich  der  Inder 
sind  wir  leider  über  die  Rechtspflege  der  vedischen  Epoche  nicht 
unterrichtet.  Doch  ist  es  ans  allgemeinen  Gründen  (vgl.  Zimmer  Alt- 
ind.  Leben  S.  158  ff.)  nicht  unwahrscheinlich,  dass  das  Verhältnis  des 
indischen  rä'j-  zu  der  ttdmiti-  (, Stammversammlung')  auch  in  judizieller 
üinsicht  der  des  germanischen  re.r  (oder  der  principe*)  zu  dem  con- 
cilium entsprochen  habe.  Für  eine  ausgedehnte  Teilname  des  Volkes 
an  der  Rechtsprechung  zeugt  auch  der  Umstand,  dass  vedisch  sabhd', 
welches  ursprünglich  allerdings  nur  die  Sippenversammlung  s.  u. 
Sippe)  bezeichnet  haben  kann,  allmählich  die  Bedeutung  »Gerichtshof 
{aäbhya-,  sabhäsüd-  ,Richter  )  annimmt.  Später  ist  dann  der  König, 
immer  neben  weitgehender  Selbstgcrichtsbarkeit  der  Familien-,  Zunft- 
und  Kastenverbände,  der  oberste  Richter  und  überhaupt  Ausgangspunkt 
der  Rechtspflege,  freilich  unter  beständiger  Aufsicht  der  Brahmanen, 
die  nebenher  ihre  eigenen  geistlichen  Gerichte  haben. 

3.  Neben  der  Leitung  der  Volksgerichte  wird  dem  Stammeshaupt 
oder  König  auch  eine  gewisse  schiedsrichterliche  Thätigkeit  bei  Streitig- 
keiten der  Einzelnen  und  einzelnen  Sippen  zugestanden  haben  (s.  auch 
u.  Blutrache  und  König). 

4.  Wie  in  Indien,  mischen  sich  auch  in  Europa  mit  dem  Aufkommen 
von  Priestern  und  Priesterschaften  (s.  u.  Priester)  diese  in  die  welt- 
liche Rechtspflege,  die  sie  zuweilen  (wie  bei  den  festländischen  Kelten) 


Digitized  by  Google  [ 


Richter  —  Rind. 


689 


ganz  in  ihre  Hand  bekommen.    Durch  ihren  Einfluss  wird  mehr  und 
mehr  die  Auffassung  des  Rechts  als  einer  von  den  Göttern  gesetzten 
Ordnung  aufgekommen  sein.    S.  auch  u.  Recht. 
Riesen  und  Zwerge,  s.  Zwerge. 

Bind.  Es  ist  das  wichtigste,  an  Alter  vielleicht  nur  hinter  dem 
Schaf  (8.  d.)  zurückstehende  Haustier  der  Indogermauen.  Schon  in 
der  Ursprache  sind  besondere  Benennungen  für  die  beiden  Geschlechter 
des  Tieres  vorhanden.  Der  Stier  heisst:  sert.  ukshdn-,  aw.  uxsan-, 
got.  aühsa,  abd.  ohso  (auch  der  verschnittene),  kymr.  ych,  körn.  ohan. 
Die  Kuh:  sert.  gö'-,  aw.  gdo-,  armen,  kov,  griech.  ßoö$,  lat.  bös,  ir. 
bö  (bös  ,Rindvieh'  =  altn.  hussa  ,Kuh'j,  ahd.  chuo,  altsl.  govqdo.  Dazu 
sert.  »«cd'  =  lat.  vacca  ,Kuh',  ahd.  far,  agls.  fearr,  altn.  farre  ,Stier\ 
rahd.  verse  Junge  Kuh*  =  griech.  nöpi?,  nöpit?  ,Kalb,  junge  Kuh'  und 
altsl.  krava  =  lit.  kdrwt,  altpr.  curwis,  alb.  ka,  venet.  ceva\  vgl. 
KdpTTjv  t#|v  ßoöv.  KpfjTe?  Hes.  Auf  Entlehnung  aus  dem  Germanischen 
beruht:  altsl.  nuta  —  ahd.  nöz  ,Rind'.  Eine  urverwandte  Gleichung  für 
das  Kalb  scheint  in  griech.  txaXö?  =  lat.  vitulus  vorzuliegen,  wenn 
das  griechische  Wort  nicht  römischen  Ursprungs  ist.  Lat.  vitulus  wird 
,Jährling'  bedeuten  {:  griech.  Uto<;  ,Jalir',  vgl.  sert.  vatsd-  ,Kalb'). 
Dunkel  Bind  altpr.  klente  ,Kuh'  und  westgerm.  ahd.  hrind  ,Rind'  (vgl. 
Palander  Ahd.  Tiernamen  S.  138,  wo  weiteres). 

Alle  Indogenuanen  treten  mit  der  Zucht  des  Rindviehs  vertraut  in 
die  Geschichte  ein.  In  sprachlicher  Beziehung  zeigt  besonders  das 
Sanskrit  die  grosse  Bedeutung  der  Kuh.  Sert.  gdvishti-  ,Streben  nach 
Kühen'  ist  hier  gleich  , Kampf  gavydn-  grd'ma-  ,rinderbegehrendc 
Schar'  gleich  ,Heer',  gö'pati-  , Rinderherr'  gleich  ,Herr\  Aber  auch 
in  der  Ilias  (XX,  221)  wird  ßouKoX^ovxo  von  ßouKÖXo^  ,Rinderhirt'  (  = 
ir.  buaehaü,  kymr.  bugail?)  noch  allgemein  vom  Weiden  des  Viehs, 
hier  der  Stuten  gebraucht.  —  Ebenso  steht  die  Zucht  des  Rindviehs  in 
dem  Mittelpunkt  der  neol ithischen  Kultur  Alteuropas.  Nach 
Rütimeyer  Die  Fauna  der  Pfahlbauten  S.  130  ist  das  Rind  in  sämt- 
lichen Pfahlbauten  unbedingt  das  häufigste  Hauetier  und  Ubertrifft  au 
Häufigkeit  alle  übrigen  um  mindestens  das  doppelte.  Ebenso  gehört 
in  den  Ganggräbern  Vestergötlands  und  in  der  jüugeren  Steinzeit 
Dänemarks  das  Rind  zu  den  gewöhnlichen  Haustieren  (vgl.  Montelius 
Kultur  Schwedens*  S.  26,  S.  Müller  Nordische  Altertumsk.  S.  204). 
Auch  in  den  Pfahlbauten  der  Poebne  und  in  den  mykenischen  Gräbern 
ist  das  Hausrind  zu  Tage  getreten.  Bemerkenswert  ist  endlich,  dass 
das  Rind  den  häufigsten  Gegenstand  der  ersten  plastischen  Versuche 
unseres  Erdteils  bildet  (s.  u.  Kunst  und  vgl.  M.  Much  Kupferzeit4 
S.  337). 

Die  Kuh  ist  der  wichtigste  Wertmesser  der  Urzeit  (s.  u.  Geld), 
und  das  Wergeid  sowie  der  Kaufpreis  der  Braut  werden  in  Kühen 
festgesetzt  (s.  u.  Blutrache  und  u.  Brautkauf).    Im  Leben  ist  sie 

Schräder.  Reallexllcoti.  44 


Digitized  by  Google 


6W 


Kind. 


die  Milebspcnderin  (s.  u.  Milch,  Butter,  Käse),  sowie  das  eigentliche 
Last-  und  Zugtier  s.  u.  Wagen),  im  Tode  giebt  sie  ihr  Fleisch  zur 
Speise,  ihre  Haut  zu  Schilden  (s.  d.),  Bogensehnen  (s.  u.  Pfeil  und 
Bogen),  Schläuchen,  Riemen,  Kappen  u.  s.  w. 

Als  sicher  darf  angenommen  werden,  dass  an  der  Bildung  unserer 
Hnusrindrassen  das  in  Europa  einheimische  Wildrind,  in  erster  Linie 
der  Urusstier,  zum  mindesten  in  hervorragender  Weise  beteiligt  war 
(vgl.  A.  Xehring  Bos  primigenius  Z.  f.  Ethnologie  1888  Verband).  S.  222 
und  A.  Otto  Zur  Geschichte  der  ältesten  Haustiere  S.  61).  In  .sprachlicher 
Hiusicht  ist  hierbei  bemerkenswert,  dass  in  der  europäischen  Reihe 
altsl.  turü,  altpv.  tauris  — ,  altn.  pjörr  (neben  got.  stiur,  ahd.  stior, 
*teura-  :  *steura-,  vgl.  auch  aw.  staora-  , Zugvieh'?),  griech.  taupo?, 
lat.  taurus  (auch  ir.  tarbh,  altgall.  tarvos  .Stier?)  die  beiden  ersten 
Wörter  noch  den  Auerochs  oder  den  Wiesent  bezeichnen.  Solcher  Wild- 
rinder gab  es  in  Alteuropa  zwei  Arten,  der  Urusstier  (Bos  primi- 
genius),  durch  die  Länge  seiner  Hörner,  und  das  Wiesent  (Bos  Bison), 
durch  starke  Bemäbnung  und  zottigen  Haarwuchs  charakterisiert.  In 
historischer  Zeit  bewohnte  der  erstere  in  grösserer  Zahl  nur  noch  die 
westliche  Hälfte  Europas,  während  der  letztere  von  den  klassischen  Au- 
toren aus  Spanien,  Germanien,  Pannonien,  Thrakien,  Litauen  gemeldet 
wird  (vgl.  ().  Keller  Tiere  des  klassischen  Altertums  S.  53  IT.  und  den  er- 
schöpfenden Artikel  teisnnt  in  O.  Sehades  Ahd.  W.  Sp.  1 1 73 —  1 1 8f>).  Dass 
dieselben  aber  früher  viel  weiter  verbreitet  waren,  unterliegt  keinem 
Zweifel.  In  den  Schweizer  Pfahlbauten  zu  Robenbausen  und  Wauwyl 
linden  sich  die  Überreste  des  Auerochsen  und  Wiesent  neben  denen  des 
Hausrinds  (Rütitneycr  a.  a.  0.  S.  TO).  Der  eine  der  beiden  im  Grabe  zu 
Vaphio  bei  Amyclae  gefundenen  Goldheeher  ('E(pn.M-  'ApxaioXofiKii  1889 
T.  II)  stellt  eine  Jagd  auf  Auerochsen  (als  solche  an  ihren  grossen 
Hörnern  kenntlich)  mittelst  starker,  an  Bäumen  befestigter  Netze  dar. 

Da  die  klassischen  Autoren  in  historischer  Zeit  die  Tiere  nicht 
mehr  im  Süden  Europas  kennen,  so  ist  es  natürlich,  dass  sie  dieselben 
mit  nordeuropäischen  Xauicn  benennen.  So  sind  urns  (Caesar)  und 
rison,  bison  (seit  Seneea)  ins  Lateinische  (ßto"wv  bei  Pausanias)  ge- 
drungen. Ersteies  ist  das  gcmcingcrmnnischc  ahd.  ürf  agls.  ur,  altn. 
urr  und  stellt  sich  zu  seit,  usrd-  ,Stier',  eigentlich  ,rötlieh',  letzteres 
entspricht  «lern  ahd.  trimmt,  agls.  ireonevd,  altn.  visundr,  das  wahr- 
scheinlich in  den  Städtenanien  Yesontio  (Bcsancoii  in  Frankreich  i  und 
Yisontium  (in  Xordspanien  und  Pannonienj,  sowie,  mit  seiner  Stamm- 
silbe vis-  (:  lat.  visio  ,Gestank',  vom  Mosebusgeruch  des  Tieres V,  vgl. 
Palandcr  a.  a.  0.  S.  134)  in  altpr.  wis-siwibrs,  teis-sambris  .Auer- 
ochse wiederkehrt.  Das  altpreussische  Wort  ergäbe  sich  so  als  eine 
Zusammensetzung  aus  einem  unerweiterten  *riso-  .Wiesent'  [*viso-  : 
icisunt  wie  altsl.  volü  :  griech.  ßöXivGos  s.  u.)  und  altsl.  zqbrü  ,bos 
iubatus'  (lit.  stumbrax,  lett.  stumbrs,  vgl.  J.  Schmidt  Souantentheorie 


Digitized  by  Google 


Kind. 


«91 


S.  38),  das  frühzeitig  auch  ins  Byzantinische  (mgriech.  Eöußpoq,  Zoöu- 
irpo?)  eindrang  (anders  Fröhdc  B.  B.  XX,  208,  der  ahd.  teisunt  direkt 
dem  grieeh.  iov6o?  ,zottig'  gleichstellen  möchte).  Die  von  Aristoteles 
überlieferten  Benennungen  des  Wicsent  gricch.  ßövacrot;  und  paconisch 
povaTioq,  uövunro«;,  mövcutto?  (von  einigen  zu  ahd.  mann  .Mähne'  ge- 
stellt) sind  dunkel,  während  das  noch  später  bezeugte  ßöX-ivGo?  ,Wicsent' 
an  das  gemeinslavische,  altsl.  volü  ,Stier'  anzuknüpfen  fein  dürfte.  Ist 
etwa  die  mazedoniseh-thrakische  Stadt  "OXuv9o?  =  Vesontio  ? 

Es  scheint,  dass  die  erste  oder  die  auf  primitiver  Stufe  stehen  ge- 
bliebene Domestikation  des  Wildrindes  (Box  primigenius)  in  Folge 
noch  ungünstiger  Umstände,  wie  Hunger,  Kälte,  Inzucht,  Vernach- 
lässigung u.  s.  w.,  zunächst  kleine  und  unansehnliche  Rassen  hervor- 
brachte (vgl.  A.  Xehring  Z.  f.  Ethnologie  1889  Verhandl.  S.  373). 
Hierauf  wei.st  auch  die  Beschreibung,  welche  Tacitus  Genn.  Cap.  5 
(:  Pecorum  fecunda,  sed  plerumque  improcera.  ne  armenth  quidem 
suus  honor  auf  gloria  front  i*  von  dem  altgermanischen  Vieh,  und 
Herodot  IV,  29  (:  ÖOK€€i  bi  pot  Ka\  tö  ffvo^  tüuv  ßowv  tö  köXov  bid 
xauta  —  der  Kälte  —  ou  <pü€iv  Ke'pect  auTÖ8i)  von  den  skythisehen 
Rindern  entwirft.  Auch  das  Alpenvieh  war  nach  Plinius  VIII,  179 
sehr  klein,  aber  milchreich.  Dem  stelle  man  die  Schilderung  des  ums 
bei  Caesar  De  bell.  Gall.  VI,  28  gegenüber:  Iii  sunt  magnitudine  pauJo 
infra  elephantos,  specie  et  colore  et  figura  tauri.  magna  vis  eorum 
est  et  magna  celocita*  ....  amplitudo  cornuum  et  figura  et  species 
muHum  a  nastrorum  boum  Continus  differt.  Vgl.  auch  Tacitus  Ann. 
IV,  72:  (Germani),  quis  ingentium  helluarum  feraces  saltus  (nämlich 
urorum),  inodica  domi  armenta.  Über  neuenropäische  Rindvieh- 
rassen  in  historischer  Beleuchtung  vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  461  f. 

Eine  verhältnismässig  junge  Rindviehrasse  des  südlichen  Europa, 
namentlich  Italiens,  ist  der  Büffel.  Das  in  Indien  einheimische  Tier 
wird  zuerst  aus  Arachosien  und  zwar  durch  Aristoteles  (Hist.  anim. 
II,  2,  4,i  gemeldet.  Aber  erst  gegen  6<»0  nach  (Mir.  erscheint  es  unter 
der  Regierung  des  longohardisehen  Königs  Agilulf  (Paul.  Diac.  IV,  11) 
in  Italien.  Man  hat  vermutet,  dass  die  ersten  Büffel  ein  Geschenk 
des  Chans  der  Avaren  an  König  Agilulf  gewesen  sein.  Das  gricch. 
ßoußct\o£,  später  , Büffel  hat  ursprünglich  eine  Gazellcnart  (s.  u.  Anti- 
lope) bezeichnet  und  ist  erst  in  Italien,  zuerst  bei  Martial  (bubalus),  wohl 
wegen  des  Anklangs  an  ßoöq-Aox,  von  den  Auerochsen  und  Wieseuten 
der  germanischen  Wälder  gebraucht  (vgl.  Hin.  Hist.  nat.  VIII,  38),  später 
dann  auf  den  Büffel  angewendet  worden.  An  einen  direkten  Zu- 
sammenhang zwischen  ßoußaXo?  und  sert.  gavala-  ,wilder  Büffel'  kann 
nicht  gedacht  werden.  Das  gricch.-lat.  Wort  ist  dann  in  zahlreiche 
europäische  Sprachen  eingedrungen  :  altsl.  byvolü  ,Büffel',  magy.  bival, 
alb.  bual,  frz.  bufle,  mhd.  büffel,  engl.  buff.  Vgl.  V.  Hehn  a.  a.  0. 
S.  459,  0.  Keller  Tiere  des  klass.  Altert.  S.  03  f.  und  E.  Hahn  Die 


Digitized  by  Google 


092 


Rind  —  Roggen. 


Haustiere,  wo  S.  89  ff.  beachtenswerte  Vermutungen  über  den  Hergang 
der  ersten  Zähmung  des  Rindes,  die  mit  dem  Kultus  des  gehörnter» 
Mondes  in  Verbindung  gebracht  wird,  aufgestellt  werden.  —  S.  u. 
Viehzucht. 

Rindsleder,  s.  Rind. 

Bing,  s.  Schmuck. 

Ringgeld,  s.  Geld. 

Riten.  Eine  zusammenhängende  Darstellung  und  Deutung  der 
bei  den  einzelnen  feierlichen,  besonders  gottesdienstlichen  und  rechts- 
geschäftlichen Handlungen  in  der  ältesten  Zeit  üblichen  Gebräuche 
kann  noch  nicht  gegeben  werden.  Es  soll  daher  hier  nur  auf  eine 
Reihe  von  Artikeln  hingewiesen  werden,  in  denen  von  derartigem  ein- 
gehender die  Rede  ist.  8.  u.  Ahnenkultus,  Adoption,  Be- 
stattung, Dichtkunst  (Dichter),  Diebstahl,  Eid,  Fasten, 
Feuerzeug/  Freund  und  Feind,  Gottesurteil,  Gruss,  Haar- 
tracht, Heirat,  Keuschheit,  Los,  Nahrung)  Name  (Namen- 
gebung),  Opfer,  Orakel,  Rätsel,  Reinheit  und  Unreinheit, 
Regen,  Religion,  Tanz,  Tempel,  Zauber  und  Aberglanbe  u.  a. 
Vgl.  auch  K.  Weinhold  Zur  Geschichte  des  heidnischen  Ritus  (über 
rituelle  Nacktheit)  in  den  Abh.  d.  kgl.  Ak.  d.  W.  zu  Berlin  1896  phil.- 
hist.  Kl.  S.  1—50. 

Robbe,  s.  Seehund. 

Rock,  s.  Kleidung. 

Rocken,  s.  Spinnen. 

Roggen  ißecale  cereale  L.).  Er  ist  eine  den  Alten  der  guten 
Zeit  unbekannte  Getreideart  und  wird  erst  spät  und  nur  aus  den  den 
klassischen  Ländern  vorgelagerten  Gegenden  gemeldet.  So  berichtet 
Plinius  Hist.  nat.  XVIII,  141 :  Seeale  Taurini  sub  Alpibus  asiam  vocant, 
deterrimum,  sed  tantum  ad  arcendam  famem,  fecunda,  sed  gracili 
stipula,  nigritia  triste,  pondere  praeeipuum  ....  nascitur  quali- 
cunque  solo  cum  centesiino  grano,  und  Galenos  (VI,  514)  meldet  aus 
Thrakien  und  Mazedonien :  louüv  iv  Optier)  Kai  MaKcbovfa  -rroXXäq  äpoüpat 
6not6xaTOV  ixovGas  oü  pövov  tov  oräxuv  äXXä  Kai  tö  <puxöv  ÖXov  Tfj 
Trap'  fmtv  dv  'Aoia  xi<prj,  ttjv  TTpooritopiav  r^popnv  rjvriva  £x€l  rcap'  ^K€ivo»£ 
tois  ävöpumoi^,  Kai  uot  irdvtes  £q>ao*av  auiö  T€  tö  qnrrdv  ÖXov  Kai  xd 
OTT^pua  aüToü  KaXcTaeai  ßpiZav.  Von  den  beiden  hier  genannten  Namen 
des  Roggens  hat  man  das  taurinische  asia  gleich  einem  gallischen  *8asia 
genommen  und  es  dem  kymr.  haidd  ,hordeum',  bret.  heiz  ,orge'  sowie 
dem  sert.  sast/d-  ,Feldfrucht'  gleichgestellt  (vgl.  Meyer-Lübke  Z.  f.  rom. 
Phil.  X,  1 72,  wo  auch  ein  sp.  jaja  genannt  wird),  so  dass  in  dieser  Reihe 
ein  arisch-enropäischer  Name  für  eine  Getreideart  anzuerkennen  wäre, 
was  an  sich  nicht  sehr  wahrscheinlich  ist  (s.  u.  Ackerbau);  auch 
macht  hierbei  die  Annahme  eines  Übergangs  von  8  in  h  im  festlän- 
dischen Keltisch  Schwierigkeiten.   Bedeutungsvoller  für  die  Geschichte 


Digitized  by  Google 


Roggen  —  Kohr. 


693 


des  Roggens  ist  das  thrakische  ßp&a,  das  aas  einer  Grundform  wie 
•vrugjä  (vgl.  6.  Meyer  B.  B.  XX,  121,  Hirt  Beiträge  XXII,  235) 
-entstanden  nnd  in  die  Ii  tu- sla  vischen  und  germanischen  Sprachen  (altsl. 
rüil,  Iit.  rugj/s,  agls.  ryge,  woraus  kymr.  rhygen,  altn.  rügr,  woraus 
finn.  ruhis)  entlehnt  worden  ist.  Gegen  die  Annahme  der  Urverwandt- 
schaft spricht  die  Preisgabe  des  anlautenden  v  seitens  der  germanischen 
Sprachen.  So  ergiebt  sich  keine  geringe  Wahrscheinlichkeit  für  die 
Vermutung,  der  Roggen  sei  Uber  Thrakien  oder  von  Thrakien  den 
nordeuropäischen  Indogermanen  zugekommen.  Bedenkt  man  hierzu, 
dass  derselbe,  wie  er  dem  ganzen  semitisch-ägyptischen  Kulturkreis 
fremd  ist,  so  auch  in  prähistorischen  Schichten  Europas  nirgends 
gefunden  wurde,  so  wird  man  darüber  nicht  zweifelhaft  sein  können, 
dass  der  Roggen  nicht  zu  der  ältesten  Gruppe  europäischer  Ackerbau- 
pflanzen (s.  u.  Ackerbau)  gehört.  In  Deutschland  wird  Roggenbrot 
(panis  sigilutius)  zuerst  von  Venantius  Fortunatus  (Vita  Radegund. 
Cap.  15,  21)  genannt. 

Was  der  zuerst  von  Plinius  gebrauchte  Ausdruck  secale,  der  in  die 
romanischen  Sprachen  (it.  sigola,  frz.  seigle,  wal.  secdre),  ins  Alba- 
nesische  und  Neugriechische  (crrjKaXi)  übergegangen  ist,  bedeutet,  ist 
ungewiss.  Die  rom.  Sprachen  weisen  auf  eine  Grundform  *8#cdle, 
die  sich  kaum  mit  der  Annahme,  secale  sei  gleich  sicare  (,Sichelfrucht') 
verträgt.  Im  Edictnm  Diocletianum  begegnet  neben  ideale  (=  secale) 
noch  die  Bezeichnung  centenum,  nach  Isidor  Orig.  XVII,  3,  12  so 
genannt,  quod  in  plerisque  locis  iactus  seminis  eins  in  incrementum 
frugis  centesimum  renascaiur  (vgl.  auch  die  oben  mitgeteilte  Stelle 
des  Plinius).  Jenes  thrakische  ßpi£ct  aber  lebt  noch  im  Neugriechischen 
fort,  wo  es  ebenfalls  den  im  heutigen  Griechenland  nur  selten  und  nur 
seines  Strohs  wegen  gebauten  Roggen  bezeichnet  (Heldreich  Nutz- 
pflanzen S.  5  und  G.  Meyer  a.  a.  0.). 

Als  Stammpflanze  des  Roggens  betrachten  Körnicke  (K.  und 
Werner  Handbuch  des  Getreidebaus  I)  und  Ascherson  (Correspondenz- 
blatt  für  Anthropologie  1890  S.  134)  das  „in  Gebirgen  des  Mittcl- 
meergebiets  von  Marokko  und  Südspanien  bis  Serbien  und  bis  zum 
Kaukasus  und  auch  in  West-Central-Asien  vorkommende  ausdauernde 
Secale  montanum  Guss.u.  —  S.  u.  Getreidearten. 

Rohr.  Urverwandte  Ausdrücke  für  Rohr  und  Schilf  sind  in  den 
idg.  Sprachen  nicht  selten.  Vgl.  sert.  nadd-,  nadaka-,  griech.  vopGotE, 
vdpenE,  Ht.  nendre",  ferner  lat.  combretum  :  lit.  szweftdrai  und  got. 
raus  :  lat.  ruscus.  Die  idg.  Urheimat  (s.  d.)  scheint  also  reich  an 
derartigen  Gewächsen  gewesen  zu  sein. 

Nimmt  man  an,  dass  mit  jenen  Gleichungen  das  gewöhnliche  euro- 
päische Sumpf rohr  (Phragmites  communis)  gemeint  ist,  so  mussten 
die  Griechen  und  Römer  bei  ihrem  Vordringen  in  die  Mittelmeerländer 
auf  eine  edlere  Rohrart  (Arundo  donax  L.)  Stessen,  die  hier,  wie  in 


Digitized  by  Google 


694 


Rohr  —  Rose. 


Asien,  seit  unvordenklichen  Zeiten  wildwachsend  verbreitet  war.  Dass 
die  Hellenen  auf  die  Nützlichkeit  dieses  Rohres  zur  Herstellung  von 
Körben,  Schildhalteru,  Wagebalken,  Messruten,  musikalischen  Instru- 
menten und  dcrgl.  schon  in  vorhomerischer  Zeit  durch  die  Semiten 
aufmerksam  gemacht  wurden,  zeigt  der  Umstand,  dass  bereits  die 
homerische  Sprache  Wörter  wie  Kdv€Ov,  icdvciov  , Brotkorb'  oder  icavwv 
, Handhabe  des  Schildes',  auch  ,Spule'  aufweist  (später  bezeugt:  icdva- 
Öpov,  KdvaaTpov,  Kdvn,«;),  die  nur  als  Ableitungen  von  dem  gemein- 
semitischen  hebr.  qäneh,  bab.-assyr.  qanü  (sumerisch-akkadisch  gin) 
,Kohr'  verstanden  werden  können.  Erst  später  ist  (wohl  zufällig)  das 
dem  semitischen  Wort  direkt  entsprechende  Kdvva  ,Rohr',  ,Geflecht  aus 
Rohr'  (vgl.  auch  Kavri-tpöpoq  ,korbtragend)  Uberliefert.  Das  semitisch- 
griech.  Wort  gelangte  dann  weiter  nach  Italien,  wo  es  als  canna 
zuerst  bei  Vitruv  begegnet.  Merkwürdig  ist  aber,  dass  canna  in  Italien 
nicht  A rundo  donax,  sondern  das  gemeine  Rohr  bezeichnet,  während 
für  ersteres  arundo,  auch  arundo  Graeca  gilt.  Arundineta,  künstliche 
Rohrpflanzungen  sorgten  in  Italien  für  die  Weiterverbreitung  und  Er- 
haltung der  nützlichen  Kulturpflanze.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6 
S.  297. 

Kose.  Die  Zucker-  oder  Essigrose  (Rom  gallica  L.),  welche 
für  die  wichtigste  Stammart  unserer  vorzüglichsten  Gartenrosen,  auch 
für  die  der  Centifolie  (A\  centifolia  L.)  gilt,  ist  im  westlichen  Asien 
und  im  südlichen  Eu  ropa  einheimisch.  Gleichwohl  wird  die  Stätte 
ihrer  Ausbildung  und  Erziehung  zur  vielblättrigeu,  süssduftenden  Garten- 
blumc  nur  in  ersterem  gesucht  werden  müssen. 

Griech.  pöbov,  ßpöbov  (bei  Sappho)  =  Fpöbov  ist  ein  Lehnwort  aus 
westkleinasiatischem  oder  iranischetu  Kulturkreis:  armen,  vard,  vardeni 
,Rose'  (Rosa  centifolia  L.)  aus  npers.  gul  ~  altp.  *  tarda  (vgl.  aw.  varedd- 
, Pflanze).  Die  Bedeutung  der  Rose  daselbst  lagst  sich  durch  ältere 
direkte  historische  Zeugnisse  allerdings  nicht  belegen:  nur  die  häufige 
Benutzung  der  Blume  zur  Namenbildung  deutet  auf  sie  hin.  Vgl.  armen. 
Vardeni,  pehl.  Yartaki  als  Frauennamen,  und  mehrfache  altpersische 
Personennamen,  in  griechischer  Übersetzung  mit  (">obo-  gebildet  (vgl. 
Pape  Griech.  Eigcnn.  S.  1311  f.).  So  heisst  die  Gemahlin  des  Darius 
Hystaspes  bei  den  Griechen  PoboYoüvn..  die  von  Herodot  VII,  224 
0paTcrroovn  genannt  wird.  Auch  letzteres  ist  wohl  nur  eine  schlechte 
Wiedergabe  von  Fpabo-,  Fapbo-  (über  q>  =  F  vgl.  G.  Meyer  Griech.  Gr.3 
§  2o7;  (ppaTa-  wird  dem  pehl.  vartä  für  *vardä  entsprechen).  Über 
die  spätere  Rosenpracht  der  iranischen  Länder  vgl.  V.  Hehn  a.  u.  a.  0. 
S.  426.  Dem  semitisch-ägyptischen  Kulturkreis  ist  die  Königin  des 
Gartens  von  Haus  aus  fremd  geweseu.  Später  ist  das  armenisch-ira- 
nische Wort  auch  hier  eingedrungen:  arab.  ward,  aram.  vcardä,  kopU 
tert.  In  Babylonicu  war  aber  die  Rose  schon  zu  Herodots  Zeit  (I,  195) 
bekannt. 


Digitized  by  Google 


Rose. 


Das  griech.  £6bov  tritt  in  Zusammensetzungen  und  Ableitungen  (fk>bo- 
bäKTuXoq,  ßobötv  £Xaiov)  zwar  schon  bei  Homer  auf.  Da  aber  die 
Blume  selbst,  die  erst  bei  Arcbilochus  Frgm.  29  (pobn.<;  xe  KaXöv  fiv9oq) 
deutlicli  genannt  wird,  noch  unbekannt  zu  sein  scheint,  auch  Blumen- 
zucht der  homerischen  Welt  noch  fremd  ist,  so  dachten  sich,  wie 
V.  Hehn  S.  244  hervorhebt,  die  homerischen  Dichter  unter  pobov  viel- 
leicht „nur  etwas  unbestimmt  herrliches  der  Blumenwelt".  Namen  mit 
pobov  gebildet,  'Pobcicx,  'Pobömi,  begegnen  aber  schon  in  dein  home- 
rischen Hymnus  auf  Demeter. 

Der  Durchgangspunkt  der  Rosenzucht  für  Griechenland  scheinen  die 
nördlich  ihm  vorgelagerten  Länder,  Mazedonien  und  Thrakien,  ge- 
wesen zu  sein.  Aus  ersteren  werden  schon  von  Herodot  VIII,  K18  die 
ersten  gefüllten  (60  blättrigen)  Rosen  gemeldet:  o\  bfc  dmKOuevoi  iq 
äXXnv  xnv  ttv;  MaxeboviriS  oucriöav  niXctc,  tujv  Knrcwv  tujv  Xcyou^vujv  elvm 
Mibew  tou  Topbieuj,  £v  toio*i  (puexai  aÜTÖpaTct  |!>dba,  £v  £kcio*tov  £x<>v 
^£r|KOVTa  <pOXXa,  öburj  bfc  ÜTrepqttpovTa  tujv  äXXwv.  Aus  der  Gegend 
von  Philippi  erwähnt  Theophrast  VI,  6,  4  die  Centifolie:  £via  Yäp 
elvai  qjaöiv,  a  Kai  KaXoCtfi  etcaTOVTä<puXXcx.    nXciOTa  bfc  Tct  ToiaÜTa 

iOTl  TT€pi  OlXlTTTTOU?  *    OUTOl    fOLO  XaußdvOVT€<;    i*    TOU  TTaYfcdoU  q)UT6Ü- 

ouai  •  €K€i  fdp  Tiveiai  -roXXd.  Von  pierischen  Rosen  hatte  schon  Sappho 
iFrgm.  68 j  gesprochen.  Ein  eignes,  leider  dunkles  Wort  für  die  Blume 
(äßctTva)  war  bei  den  Mazedoniern  vorhanden.  In  Thrakien  liegt  ferner 
das  Rhodopegebirgc  (:  pobov),  und  die  nysäischen  Gefilde,  auf  denen 
nach  dem  oben  erwähnten  Hymnus  auf  Demeter  Pcrsephone  Rosen  und 
Lilien  pflückt,  sind  ebenda  zu  suchen. 

Von  Griechenland  ist  die  Roseuzucht.  wie  die  Entlehnung  des  lat. 
rösa  aus  pöbov  zeigt,  nach  Italien  übergegangen.  Schwierigkeit  macht 
bei  dieser  Annahme  das  s  des  lat.  Wortes;  doch  kann  mau  annehmen, 
dass  demselben  eine  mundartlich  entstellte  griechische  Form,  etwa  ein 
*po£ä  =  pobia  (sc.  KdXut)  oder  f>obta,  pobrj  .Rosenstrauch'  zu  Grunde 
liegt,  oder  dass  die  Bildung  von  rosa  zuerst  in  einem  oskisch-umhrischen 
Dialekt,  vielleicht  in  dem  durch  seine  Rosen  berühmten  Pacstuin,  statt- 
gefunden habe,  wo  der  Übergang  von  ti,  di  in  s  üblich  gewesen  sein 
kann  {Claudius  =  Clausus,  liantiae  =  Bansae,  vgl.  Keller  Lat.  Volks- 
et vm.  S.  312^. 

Von  Italien  aus  ist  lat.  rosa,  ohne  Zweifel  in  Zusammenhang  mit 
der  Rosenkultur,  nach  dem  Norden  Europas  gewandert:  ahd.  rösa, 
agls.  röse,  altsl.  roza  und  so  in  allen  Slavinen.  Die  Quantität  des 
hochdeutschen  Wortes  zeigt,  dass  dasselbe  erst  während  der  ahd.  Zeit 
aus  kirchlich-klösterlichem  rösa  (statt  lat.  rösa^  entlehnt  wurde  vgl. 
Kluge  Et.  \V.G).  liosae  werden  im  Capit.  de  villis  LXX.  2  genannt. 
Auch  in  diesen  erblickt  man  noch  immer  die  Jiosa  gallica  L.  der  Alten. 
Neue  Rosen  arten  entstanden  erst  durch  die  Bastardierung  dieser 
letzteren  mit  der  in  den  meisten  Teilen  Europas  einheimischen  Hunds* 


gle  I 


69ß 


Rose  —  Rubin. 


rose  oder  Hagebutte,  Rosa  canina  L.  (gemeingerm.  :  nibd.  hagedom, 
agls.  hagporn,  altn.  hagporn,  vgl.  auch  agls.  htope  =  ahd.  hiefeltra, 
hüffaldra,  hyffa  bei  der  heiligen  Hildegardig,  griech.  xuvötfßaTov,  lat. 
sentis  canis).  So  die  Damasccner  Rose  (Rosa  damascena  L.)  und  die 
Rosa  alba  L.  Dieselben  scheinen  aber  in  kein  hohes  Altertum  in 
Europa  zurückzugehen. 

Nicht  in  den  sprachlichen  Bereich  des  lat.  rosa  fällt  alb.  trendafil', 
das  vielmehr  dem  ngriech.  TpavtdcpuXXov  (toö  tXukoö,  von  dem  Glykos, 
der  aus  den  Rosen  bereitet  wird)  entspricht.  Noch  unaufgeklärte 
Namen  sind  altkorn.  breilu,  kambr.  breüa,  breilw  und  kambr.  ffuon 
irome). 

Die  den  vorstehenden  Ausführungen  zu  Grunde  liegende  Anschauung 
über  das  Verhältnis  von  armen,  vard,  npers.  gul,  griech.  fiöbov,  lat. 
rosa  dürfte  als  die  nach  Lage  der  Dinge  wahrscheinlichste  gelten  können; 
doch  fehlt  es  nicht  an  Gelehrten,  welche  in  den  genannten  Wörtern, 
denen  Mikkola  B.  B.  XXII,  244  ein  lit.  radästai  »Rosenstrauch'  (in 
Süd-Litauen,  sonst  »Dornenstrauch')  hinzufügen  möchte,  einen  urver- 
wandten Pflanzennamen  erblicken.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6 
S.  247  ff.  und  v.  Fischer- Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  34  ff.  S.  u.  Blumen, 
Blumenzucht. 

Rosmarin,  s.  Weihrauch. 

Rösten,  s.  Kochkunst,  Küche. 

Ross,  s.  Pferd. 

Rot.  Der  idg.  Ausdruck  für  diese  Farbe  liegt  in  der  Reihe 
sert.  rudhird-,  rö'hita-,  aw.  raoiöita-,  griech.  epuöpös,  lat.  ruber,  rüfus 
(rutilus,  russus),  got.  rauds,  ir.  rüad,  altsl.  rüdrü,  lit.  raudönas.  Es 
ist  der  verbreitetste  Farbenname  in  den  idg.  Sprachen.  Mit  dem  idg. 
Wort  für  Kupfer  (s.  d.) :  sert.  löhä-,  lat.  raudus  etc.  hängt  er,  falls  diese 
Wörter  von  auswärts  entlehnt  sein  sollten,  ursprünglich  nicht  zusammen. 
Wahrscheinlich  geht  die  zu  Grunde  liegende  Wurzel  reudhjrudh  auf 
ein  unerweitertes  reujrti  (z.  B.  sert.  ravi-  ,Sonne')  zurück,  das  eigentlich 
, leuchten',  »strahlen'  bedeutete.  Jedenfalls  sind  in  den  Einzelsprachen 
neue  Wörter  für  ,rot'  auf  diese  Weise  entstanden.  So  gemeinkeit. 
*dergos,  ir.  derc  ,tot'  :  alts.  torht,  ahd.  zoraht  ,hell'  und  aw.  suyra-, 
npers.  sut'x  ,rot'  :  sert.  qukrd-  .klar,  licht,  hell'.  Slavische  Wörter  für 
,rot',  die  eigentlich  ,vom  Wurm'  bedeuten,  s.  u.  Kermes.  Ebenso 
sind  kleinruss.  rumjdmjj,  cermjdnyj,  altpr.  urminan,  wormyan,  tear- 
mun  ,rot'  zu  beurteilen,  die  zu  altruss.  vermije  Mpxbtq,  *virm-  =  got. 
tcaürms,  lat.  vermis  gehören  (vgl.  J.  Zubaty  I.  F.  Vi,  155).  Russ. 
krasnyi  ,rot'  stellt  sich  zu  altsl.  krasa  .Schönheit'.  —  S.  u.  Farbe 
und  u.  Farbstoffe. 

Rötel,  8.  Farbstoffe. 

Rfibe,  s.  Kohl  und  Rübe. 

Rubin,  8.  Edelsteine. 


Digitized  by  Google 


Ruder,  Rudern  —  Sack. 


697 


Rudern,  Ruder.  Die  idg.  Bezeichung  für  diese  Begriffe  ergiebt 
sich  aus  der  Reihe  Bert,  aritra-  ,Ruder',  aritdr-  ,Ruderer',  griech.  tp4- 
tt|?,  Tpiripri^,  £pe-Tuös,  lat.  remus  (woraus  kymr.  rwyf,  körn,  ruif  etc., 
ahd.  riemo,  alb.  rem),  altlat.  tri-resmom,  gemeiugerm.  ahd.  ruodar, 
agls.  röbor,  altn.  reebe  ,Ruder',  rödr  ,das  Rudern',  mhd.  rüejen,  agls. 
röwan,  altn.  röa  ,rudern',  ir.  rdme  ,Ruder',  im-rat  ^proficiscuntur' 
(:  *räo  ,befahre  das  Meer'),  lit.  irti  ,rudern',  irklas  , Ruder'.  Abweichend 
Jat.  tonsa,  eigentl.  wohl  ,PfahP  (vgl.  tonsilla,  ein  Pfahl  am  Ufer,  an 
dem  die  Schiffe  angebunden  werden),  altn.  dr,  agls.  dr,  woraus  finn. 
etc.  airo  (unklar  ist  das  Verhältnis  zu  lit.  tcalras,  waira,  lett.  airis 
,Ruder',  vgl.  £.  Liden  Studien  zu  altiud.  und  vergl.  Sprachgeschichte 
S.  65),  gemeinsl.  *veslo-,  altsl.  veslo  , Ruder'  :  vesti  ,vehere',  serb. 
voziti,  alb.  vozit  ,rudern'.  —  S.  u.  Steuerruder  und  u.  Schiff, 
Schiffahrt. 

Rum,  s.  Zucker. 

Runen,  s.  Los  und  Schreiben  und  Lesen. 
Rundbau,  s.  Haus. 
Rüstung,  s.  Waffen. 


S. 

Saal,  s.  Haus. 

Saat,  säen,  Same,  s.  Ackerbau. 
S&bel,  8.  Schwert. 

Sachen-  und  Obligationenrecht,  s.  Recht. 

8ack.  Die  grosse  Bedeutung  des  Sackes  für  die  älteste  Handels- 
g  e  s  c  h  i  c  h  t  e  erhellt  aus  der  Thatsache,  dass  sich  bereits  im  alten 
Europa  auf  dem  Wege  der  Entlehnung  von  Volk  zu  Volk  eine  gemein- 
same Bezeichnung  dafür  festgesetzt  hat.  Dieselbe  geht  von  hebr.  s'aq 
, hären  Zeug,  Sack,  Trauerkleid '  aus,  das  in  griech.  OctKKO«;  (Aristoph.), 
Cükkiov,  crdKTaq,  lat.  saccus,  ir.  sac,  got.  sakkus  (ahd.  sac,  altn.  sekkr), 
altpr.  sagcka(Y),  russ.  sakü,  alb.  sak  (in  den  beiden  letzteren  Sprachen 
,Nctz  )  wiederkehrt.  Mit  dieser  Sprachreihe  ist  zunächst  vielleicht  der 
aus  Zeug  hergestellte  oder  aus  Ziegenhaaren  (s.  u.  Ziege)  gewobene 
Sack  gemeint.  Älter  sind  sackartige  Behälter  aus  Tierhaut,  für  die 
eine  urverwandte  Gleichung  in  tarentinisch  uoXröV  ö  ß&ioq  dOKÖt 
(Hes.),  abd.  bulga  ,lederner  Sack'  (got.  balgs  ,Schlauch),  gall.  bulga, 
ir.  bolg  ,Sack'  vorliegt.  Auf  finnischem  Boden  kennt  man  Säcke  aus 
Birkenrinde  (finn.  kontti,  estn.-liv.  kot't'  gegenüber  säkki).  —  S.  auch 
u.  Korb,  Kiste,  Gefässe. 


Digitized  by  Google 


698 


Saflor  -  Sftgc. 


Saflor  (Carthamus  tinctorivs  L.).  Die  Pflanze,  deren  Blumen 
einen  gelben  und  roten  Farbstoff  geben,  wird  schon  von  Aristoteles 
und  Theophrast  unter  dein  Namen  KvfjKoq  (lat.  cnecos  Plin.)  genannt, 
der  wobl  identisch  mit  KvnKÖ«;  =  scrt.  käftcana-  .golden',  ursprünglich 
,gelb'  bedeutete.  Die  Pflanze  seheint  von  Ägypten  eingeführt  zu  sein, 
wo  der  Saflor  durch  Gräberfunde  schon  in  trüber  Zeit  nachgewiesen 
ist.  Die  Mumienbinden  sind  mit  ihm  gefärbt  (vgl.  Wocnig  Die  Pflanzen 
im  alten  Ägypten  S.  351  f.).  Der  Anbau  der  Pflanze  in  grösserem 
Massstab  geht  in  Europa,  wie  der  des  Safrans  (s.  d.),  auf  die  Araber 
zurück,  von  denen  auch  der  heutige  Name  it.  asforo,  deutsch  saffior, 
engl,  safflow  etc.  stammt  (arab.  thfur  ,gelb').  —  S.  u.  Farbstoffe. 

Safran  (Crocus  satirns  L.).  Kr  findet  sich  wildwachsend  nach 
Engler  bei  V.  Helm  a.  u.  a.  ().  auf  den  Bergen  bei  Smyrna,  auf  Kreta, 
den  Kykladen.  auch  um  Athen.  Doch  wurden  die  Griechen  auf  die 
Pflanze,  deren  Duft  ebenso  wie  die  aus  ihren  Blüten  gewonnene  gelbe 
Farbe  die  Bewunderung  des  Altertums  erregte,  erst  durch  die  Semiten, 
wenn  auch  schon  in  vorhomerischer  Zeit,  aufmerksam  gemacht,  wie 
die  Entlehnung  des  griech.  KpÖKo<;  (kaum  urverwandt  mit  ir.  erüan, 
crön  ,red,  orange'  aus  *crocno-  aus  hebr.  karkfim  (vgl.  auch  armen. 
k'rk'um  aus  syr.  knrkt'md)  zeigt.  Das  Wort  scheint  aber  auch  im 
Semitischen  nicht  zu  wurzeln  und  könnte  mit  scrt.  kunkuma-  ,Safran" 
oder  mit  dem  Namen  des  safranberUhnitcn  Berges  Kwpuico«;  in  Cilieien 
irgendwie  zusammenhängen.  Schon  in  der  llias  (XIV,  848)  spricsst 
Krokus  neben  Lotos  und  Hyakinthos  unter  dem  Beilager  des  Zeus  mit 
der  Hera  hervor,  und  ebendaselbst  ist  KpoKÖntTtXo?  ,mit  safranfarbigem 
Gewände'  ein  stehendes  Beiwort  der  Eos. 

Von  Griechenland  kam  die  Blume  in  die  r  ö  m  i  s  c .h  c  n  Gärten  (laf. 
crocus  aus  griech.  KpÖKo;'/,  wo  sie  vou  Varro  1,  1  neben  Rosen, 
Lilien  und  Violen  genannt  wird.  Am  berühmtesten  aber  blieb  immer 
der  kleinasiatische  Safran,  der  cilicische,  lykische,  lydische.  Nach 
Nordeuropa  ist  die  Kultur  des  Safrans,  über  die  die  älteren  Quellen 
der  altdeutschen  Gartenflora  schweigen,  zunächst  nicht  vorgerückt, 
doch  wird  die  Pflanze  oder  die  aus  ihr  gewonnene  Substanz  auf 
Handelswegen  eingeführt  (vgl.  ahd.  krttogo,  agls.  cro/i  aus  lat.  crocu#)i 
und  genicsst  im  Mittelalter,  namentlich  auch  zu  Küchen-  und  medizi- 
nischen Zwecken,  ein  hohes  Ansehen.  Die  Verbreitung  der  Kultur 
des  Safrans,  zunächst  im  Umkreise  des  Mittelmeers,  verdankt  Europa 
den  Arabern,  auf  die  auch  der  neuere  Name  der  Pflanze,  mhd.  saf'rän, 
it.  za//erano  etc.  aus  arab.  äsfardn  zurückgebt.  Merkwürdig  ist 
altsl.  bozurü  .Safran',  das  auch  im  Albanesischen  vorkommt,  hier  aber 
,Mohn'  bedeutet.  —  Vgl.  Beekmann  Beyträge  II,  97  ff.  und  V.  Hehn 
Kulturpflanzen 0  S.  255  ff.  S.  ti.  Blumen,  B  1  u  m  e  n  z  u  c  h  t  und  n. 
Farbstoffe. 

Säge.    Die  feuersteinene  Säge  ist  ein  häufiges,  aus  den  ver- 


Digitized  by  Google 


Slige  —  Salz. 


699 


schiedensten  Teilen  Europas  zu  Tage  getretenes  Instrument  der  jüngeren 
Steinzeit,  an  dessen  Stelle  mit  dem  Metall  das  bronzene  Werkzeug 
tritt.  Mehrere  steinerne  Gussformeu  für  Bronze-Sägen  sind  in  Schweden 
und  Dänemark  gefunden  worden  (vgl.  0.  Montelius  Die  Kultur  Schwedens* 
S.  48  und  das  General-Register  der  Z.  f.  Ethn.  u.  Säge)  und  beweisen, 
dass  man  jene  Sägen  an  den  Fundstellen  seihst  oder  in  deren  Nähe 
herzustellen  verstand.  —  Auch  in  der  Überlieferung  des  klassischen 
Altertums  wird  die  Säge  als  eine  Erfindung  der  grauen  Vorzeit  ange- 
sehen, die  bald  dem  Dädalus,  bald  dessen  Neffen  Talus  oder  Perdix 
zugeschrieben  wird  (vgl.  Heckmann  Heyträge  II,  254  ff.  u.  SägemUhlen 
und  Hlümner  Terminologie  und  Technologie  II,  210  ff.).  Mancherlei 
Schwierigkeiten  macht  noch  die  Terminologie  der  Säge.  Sucht 
mau  nach  einer  vorhistorischen  Gleichung  für  diesen  Hegriff,  so  wird 
man  gut  tliun,  zur  Vcrgleichung  auch  die  Namen  der  Feile  heran- 
zuziehen, da  diese  mit  ihren  feineren  Zähnen  der  alten  Feuerstein-Säge 
entschieden  näher  kommt  als  die  eigentliche  Säge.  Thatsächlich  ver- 
einigt das  gemeinslavische  pila  (lit.  pielä)  die  Bedeutungen  , Feile  und 
,Säge'  in  sieh.  Unter  diesen  Umständen  würde  die  Gleichsetzung  von 
lat.  xerra  ,Säge'  (aus  +serzä)  mit  griech.  (Sivri  , Feile'  (aus  *sri  nd) 
keine  semasiologisehen  Schwierigkeiten  machen,  und  in  lautlicher  Be- 
ziehung könnte  auf  das  Verhältnis  von  ahd.  gemta  i*gherzdhih  : 
griech.  KpiOri  (*ghrz  dhä:  vgl.  Thurneysen  K.  Z.  XXX,  3nl)  verwiesen 
werden.  Kühner  schon  wäre  es,  das  gemeingerm.  ahd.  fihala,  f'iln, 
agls.  feol  (aber  altu.  pM?)  aus  *piq-la-,  *fihicala-  unter  der  Voraus- 
setzung mit  lit.  phiklas  ,Säge'  (altpr.  piuclan  »Sichel')  zu  vereinigen, 
dass  letzteres  aus  einem  ursprünglichen  *'piqhi-  mit  volksetymologischer 
Anlehnung  an  lit. piäuju  schneide'  enstanden  wäre.  Einzelsprachlich 
sind:  griech.  TTpiujv,  irpiOTri?  :  Trpieiv  <:alb.  pris  »verderbe',  urspr.  ver- 
schneide'?, vgl.  auch  altsl.  prionl  .Säge'  a.  d.  Griech.),  lat.  lima 
, Feile'  (dunkel),  gemeingerm.  ahd.  saga,  agls.  sagu,  altn.  ttög  (:  lat. 
secare  schneiden).  —  S.  u.  Werkzeuge. 
Sahne,  s.  Butter. 

Saiteninstrumente,  s.  Musikalische  Instrumente. 

Salat,  s.  Garten,  Gartenbau  (Lattich). 

Salbe,  s.  Butter. 

Salbei,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Salm,  s.  Lachs. 

Salz.  Es  ist  eine  physiologisch  tief  begründete  Thatsache,  dass 
Menschen  wie  Tiere,  welche  von  rein  oder  nahezu  reiner  animalischer 
Nahrung  leben,  der  Würze  des  Salzes  nicht  bedürfen,  dass  hingegen 
solche,  welche  nur  I'llanzen-  oder  gemischte  Kost  gemessen,  ein  un- 
bezwingliches  Bedürfnis  nach  derselben  empfinden.  Der  Grund  dieser 
Erscheinung  liegt  darin,  dass  der  hohe  Kaligehalt  der  pflanzlichen 
Nahrung  dem  Organismus  Mengen  des  in  ihm  vorhandenen  und  ihm 


Digitized  by  Google 


700 


Salz. 


notwendigen  Kochsalzes  entzieht,  ein  Verlnst,  der  dann  durch  Wieder- 
ersetzung von  aussen  gedeckt  werden  muss  (vgl.  M.  J.  Schleiden  a.  n. 
a.  0.  S.  5  ff.  und  G.  Bunge  Lehrbuch  der  physiol.  u.  pathol.  Chemie 
Leipzig  1887  S.  106  ff.)*  Auch  durch  historische  Zeugnisse  lässt  sich 
der  Nachweis  führen,  dass  nomadische  (also  im  wesentlichen  auf  rein 
tierische  Kost  angewiesene)  Völker  von  jeher  das  Salz  nicht  kannten 
oder,  wenn  sie  es  kannten,  verachteten.  So  berichtet  Sallust  lug.  89,  7 : 
Numidae  plerumque  lade  et  ferina  came  vescebantur  et  n  e  qu  e 
ealem  neque  alia  irritamenta  gulae  quaerebant.  Die  gleich- 
lautenden Nachrichten  über  Beduinenstämme  auf  der  arabischen  Halb- 
insel, die  Buschmänner  im  südlichen  Afrika,  über  Kirgisen  und  zahl- 
reiche sibirische  Völker  u.  s.  w.  vgl.  bei  Bunge  a.  a.  0.  Auch  in 
Europa  hatte  schon  Homer  (Od.  XI,  123)  von  Menschen  gehört,  die 
das  Salz  nicht  kannten 

oüb£  8'äXeöo*:  ucurrulvov  etbap  £bouo*i. 
Nach  Pausanias  1,  12  waren  es  die  Epiroten,  die  wie  wir  wissen, 
äusserst  lange  auf  primitiver  Kulturstufe  stehen  geblieben  sind. 

Unter  diesen  Umständen  kann  es  kein  Zufall  sein,  dass  eine  etymo- 
logisch übereinstimmende,  urverwandte  Benennung  des  Salzes  sich  nur 
im  Kreise  derjenigen  idg.  Völker  findet,  welche  eine  eben  solche 
Terminologie  des  Ackerbaus  (s.  d.)  aufzuweisen  haben,  nämlich  bei 
-den  europäischen  Indogermanen  mit  Einschluss  der  ihnen  sprachlich 
wie  kulturhistorisch  nahe  stehenden  Armenier.  Die  Gleichung,  um 
welche  es  sich  handelt,  ist:  griech.  äX?,  lat.  nal,  »allere  (=  *gald-ere, 
got.  saltan,  ahd.  salzan,  ir.  saillim),  got.  sali  (ahd.  sulza  ^Salzwasser'), 
ir.  salann  imil-chithen  gl.  salinarum),  kymr.  halan,  altsl.  *oll,  altpr. 
sal,  lett.  säls,  armen,  ak  (abweichend  nur  lit.  druskä  u.  alb.  kripe, 
beide  eigentl.  ,Krume').  Die  arischen  Sprachen  nehmen  an  dieser 
Sippe  nicht  teil.  Im  Awesta  und  Rigveda  wird  überhaupt  kein  Wort 
für  Salz  genannt:  erst  im  Atharvavcda  kommt  die  Bezeichnung  lavand- 
das  »feuchte'  (Seesalz),  im  Qatapathabrahmana  sdindhavd-  ,vom  Indus 
her'  (Steinsalz)  vor,  ohne  dass  das  Mineral  in  Indien  jemals  dieselbe 
Bedeutung  wie  in  Europa  erlangt  hätte.  Dies  könnte  auffallend  er- 
scheinen, da  doch  die  Inder  von  der  vedischen  Epoche  an  Ackerbau 
trieben  und  Pflanzcnnahrung  genossen.  Der  Grund  liegt  aber  darin, 
<lass  die  Rcisnahrung  dieser  Völker,  welche  sechsmal  weniger  Kali 
als  die  europäischen  Cerealien  enthält,  zum  Salzgenuss  in  weit  ge- 
ringerem Masse  wie  diese  einladet  (vgl.  Bunge  a.  a.  0.  S.  113  f.).  Aller- 
dings wird  der  Reis  (s.  d.)  noch  nicht  im  Rigveda,  sondern  erst  im 
Atharvavcda  erwähnt,  was  dann  auf  Zufall  beruhen  dürfte. 

Die  Frage  hinsichtlich  des  Alters  des  Salzes  bei  den  Indogermanen 
liegt  daher  ebenso  wie  die  hinsichtlich  des  Ackerbaus.  Es  ist  an  sich 
möglich,  dass  die  Arier  sowohl  an  jenen  agrarischen  Gleichungen  als  auch 
-an  der  Sprachreihe  äX;  u.  s.  w.  einmal  teil  genommen  und  beide  auf  einem 


Digitized  by  Google 


Salz. 


701 


durch  unwirtliche,  nicht  zum  Ackerban  einladende  Gegenden  führenden 
Zag  verloren  haben.  Es  ist  aber  auch  möglich,  dass  ein  intensiverer 
Ackerbau,  mit  ihm  die  Beachtung  des  Salzes  und  in  ihrer  Begleitung 
die  betreffenden  Termini  erst  bei  den  Europäern  aufgekommen  sind, 
nachdem  die  Arier  sich  von  ihnen  getrennt  hatten,  ü.  Ackerbau 
(s.  d.)  ist  gezeigt  worden,  dass  fttr  diesen  die  letztere  Ansicht  die 
wahrscheinlichere  ist,  und  das  gleiche  ist  daher  auch  für  das  erste 
Auftreten  des  Salzes  anzunehmen,  umsomehr,  als  auch  die  Überlieferung 
noch  auf  eine  Zeit  hinweist,  in  welcher  wenigstens  die  Speise  der 
Götter,  das  Tieropfer  (s.  u.  Opfer),  noch  der  Zuthat  der  erst  mit  dem 
Pflanzenopfer  aufgekommenen  Würze  des  Salzes  entbehrte.  Ein  direktes 
Zeugnis  hierfür  bietet  der  Komiker  Athenion  (Athen.  XIV  p.  661): 
Ö6ev  £ti  nett  vOv  tuiv  7rpÖT€pov  neuvn.u^vot 
xd  anAdYXva  Tot?  GeoTai  öirrukri  cpAori, 
&Aas  oü  TTpoaäYOVTes •  oü  rdp  fjtfav  ouö^ttuj 
ci?  xf|v  TOiaüxiiv  xpfio*,v  ££eupn.ji^voi. 
(vgl.  weiteres  bei  V.  Hehn  a.  u.  a.  0.  S.  31).  Ebenso  waren  bei  den 
Indern  (vgl.  Oldenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  41 3 s)  gesalzene  Speisen 
vom  Opfer  ausgeschlossen.  Es  scheint  sich  hier  also  wirklich  auch  von 
Europa  aus  der  Blick  in  eine  Zeit  zu  öffnen,  in  welcher  der  Genuss 
des  Salzes  noch  kein  Bedürfnis  war,  weil  mau  eben  ganz  überwiegend 
von  animalischer  Nahrung,  d.  h.  von  Viehzucht  lebte.  Der  Umstand, 
dass  die  Gleichung  griech.  äX;  n.  s.  w.  ein  sebr  altertümliches  Gepräge 
trägt  (idg.  (*8dld,  **alm-to,  vgl.  J.  Schmidt  Pluralbild.  S.  182)  lässt 
sich  gegen  diese  Anschauung  kaum  verwerten;  denn  das  Wort  könnte, 
was  auch  J.  Schmidt  S.  183  und  V.  Hehn  a.  u.  a.  0.  S.  24  hervorheben, 
in  anderer  Bedeutung  (etwa  in  der  von  , Würze'  z.  B.  des  Tranks, 
vgl.  lit.  8aldü8,  altsl.  sladükü  ,8Uss\  russ.  aoloda  ,Malz')  indoger- 
manisch, und  nur  in  der  Bedeutung  von  ,Salz'  europäisch  sein.  Als 
auf  ein  Analogon  hierfür  kann  mau  auf  iranische  Bezeichnungen  des 
Salzes,  kurd.  ^ö,  bei.  vdd  ,Salz'  verweisen,  die  aus  sert.  svdda-  ,Wohl- 
geschmack'  —  griech.  nbu«;  ,sU8s'  etc.  hervorgegangen  sind  (vgl.  Horn 
Grundriss  d.  npers.  Et.  S.  111).  Endlich  könnte  auch  die  ganze  Sippe 
aus  einer  voridg.  Sprache  stammen  und  in  idg.  Lautformen  umgestaltet 
worden  sein  (so  zuletzt  Brugmann  Grundriss  I,  1 2  S.  162). 

Fragt  man  nunmehr,  wo  und  wie  die  Indogcrmanen  Europas  zu- 
sammen mit  den  Armeniern  zu  einer  Zeit,  wo  sie  sich  ethno-  und 
geographisch  noch  sehr  nahe  standen,  die  erste  Bekanntschaft  mit  dem 
Kochsalz  gemacht  haben  werden,  so  wird  man  zuerst  an  eine  solche 
Lokalität  denken,  wo  die  Natur  selbst  das  Chlornatrium  in  grossen, 
vor  aller  Augen  liegenden  und  zum  Genüsse  fertigen  Massen  dem 
Menschen  darbietet.  In  denjenigen  Teilen  Europas  und  Asiens,  in 
denen  man  bisher  die  Heimat  der  Indogeruianen  oder  den  Schauplatz 
jener  europäischen  Kulturperiode  gesucht  hat,  kommen  hierfür  der 


Digitized  by  Google 


70l> 


Salz. 


Aralsee,  der  Norden  und  Osten  des  Kaspischcu  und  der  Nordwesten 
des  .Schwarzen  Meeres  in  Betracht.  Bringt  man  aber,  wie  es  oben 
geschehen  ist,  das  Hervortreten  des  Salzes  bei  den  Indogermanen  in 
Zusammenhang  mit  dem  Bekanntwerden  des  Ackerbaues,  so  scheiden 
naturgemäss  von  dieser  Rechnung  der  Aralsee  und  der  Kaspisee  aus, 
an  deren  .Steppenufern  sicherlich  niemals  der  Übergang  eines  Volkes 
zum  Ackerbau  stattfinden  konnte.  Es  bleibt  demnach  das  Schwarze 
Meer  übrig,  dessen  Limans  „reiche  Stätten  für  die  Salzgewinnung  dar- 
bieten14. „Unter  ihnen  sind  die  ergiebigsten  die  von  Odessa  aus  nach 
Südwesten  gelegenen  bessarabischeu  Limans.  Dort  zieht  sich  schon  im 
Juni  das  Wasser  von  den  Ufern  zurück  und  lässt  das  Salz  in  kleinen 
Krystallen  auf  den  Boden  fallen,  im  Juli  verstärkt  sich  dieser  Nieder- 
schlag nnd  wird  gegen  Ende  des  Monats  so  bedeutend,  dass  es  sich 
lohnt  mit  der  Salzerntc  zu  beginnen.  Die  Mächtigkeit  der  Salzschicht 
nimmt  nach  der  Tiefe  zu  und  wechselt  von  1  :  30  Centimeter.  In 
ergiebigen  Jahren  soll  man  aus  den  drei  bessarabischeu  Limans  über 
6  Millionen  Pud  (a  40  Pfund)  Salz  gewonnen  haben"  vgl.  F.  M.  v. 
Waldcek  Kussland  1,  93  f.).  Natürlich  hat  dieser  Salzreichtmu  auch 
im  Altertum  schon  bestanden,  was  ausserdem  von  Herodot  IV,  f>3  hin- 
sichtlich der  Mündung  des  Borysthenes  direkt  bezeugt  wird:  dXeq  T€ 
^tti  tu)  (JTÖuaTi  aÜToö  aÜTÖuaTot  TrriTvuvrai  <5tt\€toi.  Dass  di.s  Salz 
den  Indogermanen  im  Zusammenhang  mit  einem  Meer  zuerst  entgegen- 
trat, kann  man  auch  daraus  folgern,  dass  in  der  angeführten  Sippe 
mehrfach  dasselbe  Wort  Salz  und  Meer  (vgl.  griech.  ä\<;  und  kymr. 
heli  —  * sales)  bedeutet,  und  überhaupt  erst  innerhalb  der  europäischen 
Kulturgcmciuschaft  eine  übereinstimmende  Bezeichnung  des  Meeres 
(s.  d.)  auftritt.  Dieses  Meer  kann  nach  allem  obigen  nur  das  Sehwarze 
Meer  gewesen  sein.  Auf  keinen  Fall  kann  man  mit  H.  Hirt  (I.  F. 
I,  484),  der  die  Wörter  für  Salz  und  Meer  schon  als  indogermanisch 
ansieht,  an  die  Ostsee  denken,  da  deren  Wasser  viel  zu  süss  ist,  um 
natürliche  Niederschlüge  des  Kochsalzes  zu  erzeugen  oder  ein  primi- 
tives Volk  zur  Versiedung  des  Seewassers  anzuregen  (vgl.  V.  Hehn 
a.  u.  a.  O.  S.  77 1. 

Die  allmähliche  Ausbreitung  der  Indogermanen  in  Europa  musste 
dieselben  immer  weiter  von  dem  Salzreiebtum  des  Schwarzen  Meeres 
entfernen  und  bald  Mangel  an  der  nunmehr  zur  unentbehrlichen  Ge- 
wohnheit gewordenen  Würze  hervorrufen.  Eine  Zeit  lang  mochten 
Handelsbeziehungen  aushelfen.  So  wissen  wir,  dass  die  Thraker  Salz, 
das  nur  vom  Pontns  kommen  konnte,  gegen  Sklaven  eintauschten  (vgl. 
Suidas  unter  äXwvnrov).  Aber  mit  Recht  sagt  V.  Hehn  „Das  Salz 
war  von  Anbeginn  ein  Frachtgut  und  eine  relative  Sicherheit  des 
umliegenden  Landes  die  Bedingung  und  zugleich  die  Folge  seiner  Ver- 
breituug",  eine  Sicherheit,  die  nun  eben  im  ältesten  Europa  selten  zu 


Digitized  by  Google 


Salz. 


703 


finden  war.  Man  war  darauf  angewiesen,  sich  niebr  und  mehr  selbst 
das  notwendige  Gewürz  der  Ilalmfruelit  zu  verschaffen. 

In  einer  glücklichen  Lage  befanden  sich  in  dieser  Beziehung  die- 
jenigen Indogennaneu,  welche  in  Fühlung  mit  den»  südlichen  Meere 
traten.  Meer  und  .Salz  sind  Griechen  und  Kölnern  untrennbare  Hegriffe. 
Die  ältesten  Salinen,  welche  der  König  Aneus  anlegte,  waren  »Salz- 
teiche am  Meeresnfer,  zu  denen  von  den  Salinen  eine  via  salaria 
durch  römisches  Gebiet  führte  (vgl.  weiteres  bei  V.  Hehn  a.  u.  a.  0. 
S.  33  f.).  Schwieriger  war  die  Aufgabe  der  idg.  Nord  Völker,  welche, 
„da  die  Meeresküste  unter  einer  kälteren  Sonne  kein  Salz  lieferte", 
für  ihren  Salzbedarf  zunächst  auf  die  in  ihrem  Gebiet  nicht  seltenen 
Salzquellen  angewiesen  waren.  Wie  aber  sollte  man  aus  diesen  nicht 
gefaxten  Wassern  eine  einiger  Massen  kräftige  Soole  gewinnen?  Nach 
den  übereinstimmenden  Nachrichten  der  Kömer  geschah  dies  zunächst 
in  d  e  r  Weise,  dass  man  das  Salzwasser  über  in  Brand  gesetzte  Hölzer 
ausgoss,  denn  salzhaltige  Kuhle  oder  Asche  man  dann  als  Würze  der 
Nahrung  benutzte.  Die  hierfür  in  Betracht  kommenden  Zeugnisse  sind 
folgende:  Varro  De  re  rust.  I,  7,  S :  (Sciofa  erzählt):  In  Gallia  trans- 
alpiua  intus  ad  Rheniim  cum  exercitum  ducerem,   aliquot  regiones 

accessi,  tibi  nahm  nec  foHsicium  nec  maritimum  haberent,  sed 

ex  quibusdam  lignis  combustis,  carbonibun  salsis  pro  eo  uterentur, 
Pliuius  Hist.  nat.  XXXI,  :  Galliae  Germaniaeque  ardentibus 
lignis  aquam  salsam  infundunt  und  (40)  Hispaniae  (die  spanischen 
Kelten)  qiutdam  sui  parte  e  put  eis  hau  rinnt  muri  am  appellantes. 
Uli  quidem  et  Hanum  referre  arbitrantur.  quereus  optima,  ut  quae 
per  se  einer e  sincero  vim  satis  reddat,  alibi  cor  t/1  us  laudatur.  ita 
infuxt)  liquore  salso  arbor  etiam  in  salem  certitur.  Von  Salzquellen 
zwischen  Hermunduren  und  Chatten  (bei  dem  heutigen  Salzungen),  die 
von  den  Anwohnenden  als  eine  gnädige  Gabe  der  unsterblichen  Götter 
nngesehn  wurden,  und  von  wütenden  Kämpfen  der  genannten  Völker 
um  sie  berichtet  Tacitus  Ann.  XIII,  f>7 :  Eadem  aestate  int  er  Ilermun- 
duros  Chattosque  vertat  um  magno  prorlio,  dum  flumen  gignendo 
sale  fecund  um  et  conterminum  vi  trahunt,  super  libidinem  cuneta 
armis  agendi  religione  insitia,  „eos  maxime  locus  propinquare  caelo 
precesque  mortalium  a  deis  nuxquam  propius  audiri.  inde  indul- 
ge  nt  ia  n  u  m  i  n  u  m  ill  o  in  amne  illisque  sil vis  sale  m 
pro  venire,  non  ut  alias  apud  gentes  elurie  maris  arescente  unda, 
sed  super  ardentem  arborum  struem  fnsa  ex  contrariis  inter  se 
dementia,  igne  atque  aquis,  concretumu .  sed  bellum  Hermunduris 
prosperutn,  Chattis  exitiosius  fuit.  Ebenso  wurde  später  zwischen. 
Alemannen  und  Burgunden  um  Salzquellen  (bei  Hall  oder  Kissingen) 
gekämpft  i  Amm.  Marc.  XX VIII,  5). 

Allmählich  geht  man  zu  verbesserten  Methoden  der  Salzgewinnung 
über,   indem   man   Sinkwerke  mit   Bohrbrunnen   und   Pumpen  mit 


Digitized  by  Google 


704 


Salz. 


künstlicher  Abdampfung  der  so  gewonnenen  Soole  anzulegen  oder  in 
rein  bergmännischer  Weise  das  Salz  zu  graben  erlernt.  Die  Frage 
ist,  wann  nnd  durch  wen  diese  Fortschritte  gemacht  worden  sind. 
Ihre  Beantwortung  ist  an  die  Erklärung  des  merkwürdigen  Wortes 
hal,  hall  gebunden,  mit  dem  in  Deutschland  die  Salzquellen  und  Siede- 
stätten bezeichnet  werden  (während  die  Salzflüsse  wie  Saale,  Salzach  etc. 
mit  8  anlauten). 

Nach  der  einen,  in  neuerer  Zeit  namentlich  von  Hehn  und  Schleiden 
vertretenen  Ansicht  wäre  dies  hal  ein  Überrest  keltischer  Sprache 
in  Deutschland  (vgl.  oben  kymr.  halan).  Hiernach  hätten  die  Kelten 
zur  Zeit  ihres  Ostlich  gerichteten  Vordringens  im  Alpengebiet  häufige 
Salzsiedereien  und  Salzbergwerke  angelegt,  sei  es,  dass  sie,  in  allen 
Arten  des  Bergbaus  (s.  d.)  frühzeitig  erfahren,  diese  Kunst  aus  ihren 
westlicheren  Stammsitzen  mitbrachten,  wie  denn  spanische  Kelten  am 
Ebro  schon  zu  Catos  Zeit  (Hehn  S.  39)  Steinsalz  brachen,  sei  es,  dass 
sie  die  neue  Fertigkeit  von  südeuropäischen  Völkern  übernahmen; 
denn  schon  Aristoteles  weiss  von  Salzsiedereien  in  Illyricn  und  Epirus 
(Hehn  S.  43,  44)  zu  berichten.  Durch  keltische  Salzarbeitcr  sei  dann 
die  verbesserte  Methode  der  Salzgewinnung  auch  weiter  nach  dem 
nördlicheren  Deutschland  getragen  worden.  Zeugen  dieses  keltischen 
Einflusses  seien  Ortsnamen  wie  Reichenhall,  Hallstadt,  Hall  bei  Inns- 
bruck, Hall  am  Kocher  u.  s.  w.,  aber  auch  Halle  an  der  Saale,  ferner 
Wörter  und  Ausdrücke  wie  schon  ahd.  halhüs  ,salina',  mhd.  halgrdve 
,Hallgraf,  dialektisch  hall-asch  ,SalzschifF,  hall- fahrt  ,eine  Ladung 
Salz'  u.  a. 

Was  dieser  kulturhistorisch  sehr  ansprechenden  Meinung  im  Wege 
steht,  ist  vor  allein  der  Umstand,  dass  in  dem  festländischen  Keltisch 
bis  jetzt  der  Obergang  des  anlautenden  «  in  h  (hal  aus  sal-)  nicht 
nachweisbar  ist  (vgl.  Thurneysen  Kelto-Roinan.  S.  25).  Die  neueren 
Etymologen  (Kluge,  Panl,  neyne  u.  a.)  neigen  sich  daher  gegenwärtig 
mehr  der  Anschauung  zu,  dass  in  jenem  hall  nichts  als  unser  deutsches 
halle  zu  erblicken  sei,  das  freilich  auf  hochdeutschem  Boden  erst  im 
XIII./XIV.  Jahrhundert  und  in  der  Bedeutung  ,säulengetragener  Vor- 
bau' erscheint,  aber  durch  die  verwandten  Sprachen  (s.  u.  Haus)  als 
urgermamscher  Besitz  sicher  gestellt  ist.  Man  müsste  dann  annehmen, 
dass  der  oben  charakterisierte  Gebrauch  des  Wortes  hall  von  den 
germanischen,  speziell  bajuvarischen  Stämmen  ausging,  welche  am 
Ende  des  V.  Jahrhunderts  von  den  lange  zuvor  bestehenden  kelto- 
römischen  Salzwerken  von  Reichenhall  und  Hallstatt,  wie  die  Gräber- 
funde zeigen,  Besitz  ergreifen  (vgl.  Much  Die  Kupferzeit*  S.  269). 
Doch  bleibt  auch  hierbei  die  Schwierigkeit  bestehen,  dass  hal  immer 
die  Salzbrunnen  mit  den  Siedewerken,  nicht  aber  Salzsta  pelor te 
oder  Verkaufhallen  des  Salzes  bezeichnet,  womit  die  Uberlieferte  Be- 
deutung unseres  halle  ,porticus*  sich  jedenfalls  leichter  vereinigen  Hesse. 


Digitized  by  Google 


Salz  —  Sarg. 


70f> 


Das  letzte  Wort  in  dieser  Frage  dürfte  noch  nicht  gesprochen  sein.  — 
Vgl.  weiteres  üher  die  Geschichte  des  Salzes  in  Europa  bei  V.  Hehn 
Das  Salz*  (Herlin  1901)  nnd  M.  J.  Schleiden  Das  Salz,  seine  Geschichte, 
seine  Symbolik  und  seine  Bedeutung  im  Menschenleben  (Leipzig  1875). 

Samstag,  s.  Woche. 

Sandale,  s.  Schuhe. 

Sänger,  s.  Dichtkunst,  Dichter. 

Santelholz.  Man  versteht  hierunter  das  wohlriechende  Holz  von 
Santalum  album  L.,  das  auf  den  Sundainseln  und  in  Vorderindien 
einheimisch  ist.  Nach  dem  Pcriplus  raaris  erytbraei  (ed.  Fabricins  §  36) 
werden  die  hier  zuerst  genannten  HuXa  aavTäXiva  (M.  S. :  ffcrfaXtvo) 
aus  Barygaza  nach  persischen  Häfen  ausgeführt.  Griech.  advTaXov 
TZavbävn.  bei  Cosinus)  geht  durch  arab.  sandal  auf  sert.  condana- 
zurttck.  Viel  früher  würde  der  kostbare  Stoff  im  semitischen  Kultur- 
kreis  auftreten,  weun  das  biblische,  aus  Ophir  geholte  almuggim  (älgu- 
mim),  1  Kön.  10,  11,  2;  Chron.  9,  10  richtig  mit  Santelholz  übersetzt 
wird.  —  Vgl.  weiteres  bei  Flttckiger  Pharmakognosie*  S.  468  und 
Yule  and  Burnell  Hobson-Jobson  S.  597.    S.  u.  Aromata. 

Sapphir,  s.  Edelsteine. 

Sarg.  Hölzerne  (eichene)  Särge,  in  denen  die  Leichen  öfters 
von  einer  Kuh-  oder  Ochsenhaut  bedeckt  ruhten  (vgl.  Moutelius  Kultur 
Schwedens2  S.  59,  dazu  H.  Brunner  Der  Totcntcil  in  germ.  Hechten 
Z.  d.  Savigny-Stiftuug  f.  Rechtswegen.  XIX  germ.  Abt.  S.  135  f.)  treten 
im  Norden  Europas  erst  in  der  älteren  Bronzezeit  auf.  Bis  dahin 
werden  die  Leichen  ohne  diesen  Schutz  in  kleineren  oder  grösseren 
Kammern,  in  sogenannten  Riesenstuben,  in  Steinkisten,  in  Grabhügeln 
auf  aus  Steinen  hergestellten  trogförmigen  Lagern  u.  s.  w.  beigesetzt 
(vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  55ff.,  328  ff.,  bes.  S.  341  ff.). 
Von  einem  allgemeinen  Gebrauch  des  Sarges  kann  man  aber  auch  in 
der  Bronzezeit  nicht  sprechen,  und  noch  während  des  jüngeren  Eiscn- 
zcitalters  findet  man  Leichen  ohne  die  sichtbare  Spur  eines  solchen 
(vgl.  Moutelius  a.  a.  0.  S.  192). 

Auch  im  Süden  sind  Särge  ursprünglich  unbekannt.  Die  Mykenische 
Periode  kennt  sie  nicht,  und  es  ist  nur  ein  Festhalten  an  der  alten 
Sitte,  wenn  die  Lakonier  nach  Lykurgs  Anordnung  (Plut.  Lyk.  27) 
iv  «porvnctbi  Kai  <puXXoi£  ^Xaiaq  8€VT€q  to  adiua  TTepu-atcXXov.  Auch  die 
noch  später  übliche  dKcpopd  des  Toten  auf  offener  KXtvn.  weist  nach 
E.  Rohde  (Psyche  I*,  226 s)  auf  die  einstige  Unbckauntschaft  mit  Särgen 
hin.  Später  kommen,  wo  man  au  der  uralten  Sitte  des  Begraben» 
festhielt,  vielleicht  aus  der  Fremde  eingeführt,  hölzerne  und  thönerne 
Särge  vor.  Die  letzteren  lassen  sieh  auch  aus  Mitteleuropa,  aus  dem 
Grabfeld  von  Hallstatt  (v.  Sacken  S.  6),  nachweisen. 

Unter  diesen  Umständen  ist  ein  idg.  Ausdruck  für  den  Begriff  des 
Sarges  nicht  zu  erwarten.   Thatsächlich  gehen  die  einzelnen  Sprachen 

Schräder,  Reallexikon-  45 


Digitized  by  Google 


706 


Sarg  -  Sattel. 


in  seiner  Benennung,  soweit  nicht  Entlehnung  vorliegt,  weit  ausein- 
ander. Die  Griechen  gebrauchen:  aopö?,  eigeutl.  ,Cnifassung'  (vgl. 
lit.  ap-ttcäraa  ,Gebcgc),  auch  die  ,Totenurne',  XdpvaE.  eigentl.  »Kasten', 
tnitXo«;,  eigentl.  , Wanne',  die  Römer:  arca  ,Kiste',  loculm  (,Be- 
hältcrchen'),  capulus  (s.  u.  Bestattung)  u.  a.  Griech.  aapKoqpäfOS, 
lat.  aarcophagus  bezeichnet  ursprünglich  einen  Kalkstein,  von  dem  man 
glaubte,  dass  er  den  Leichnam  rasch  verzehre  (griech.  crdpE  und  qxrretv). 

Überaus  reich  an  Entlehnungen  aus  dem  Lateinischen  sind  die 
germanischen  Sprachen,  woraus  man  schliessen  kann,  dass  das 
Christentum  auf  eine  allgemeinere  Verbreitung  des  Sarges  hinwirkte. 
Vgl.  ahd.  saruh,  sarh  aus  sarcophagus,  Marcus,  agls.  cest,  eist  ,Sarg', 
cistian  »einsargen'  aus  lat.  cista.  mhd.  arke  aus  arca,  ahd.  sarh-sertni 
aus  scrlnium.  Einheimisch  oder  halbeinheimisch  sind:  got.  hwüftri 
,aopö?'  (eigentl.  ,  Wölbung',  vgl.  altu.  hvalf,  agls.  hteealf  ,gewölbt'), 
altn.  Ukkista  .Leiehenkiste',  agls.  J!»ri/Ä  (prüh?  =  lat.  truneus?,  vgl. 
sert.  vfksha-  ,Baum'  und  ,Sarg'i,  lic-beorg  (beide  Wörter  vgl.  bei 
Wright-Wülkcr  169,  11,  44,  31),  ahd.  Uhchar,  später  „Totenbauni", 
ndd.  dodenstock  u.  a. 

Zu  keinem  besonderen  Wort  für  Sarg  scheinen  es  die  östlichen 
Sprachen  gebracht  zu  haben:  in  altsl.  grobä  (eutl.  lit.  gräbas)  und 
jeiuer  Sippe  gehen  die  Bedeutungen  ,Grab'  und  ,Sarg'  durcheinander. 
S.  u.  Bestattung  und  u.  Friedhof. 

Sattel.  Die  Griechcu  und  Römer  ritten  auf  dem  nackten  Rücken 
des  Pferdes.  Vielleicht  dass  bei  den  Persern  zuerst  der  Gebrauch  von 
Satteldecken  (iqnirmov)  aufgekommen  ist,  was  man  aus  den  Worten 
des  Xcnophon  Cyropaed.  VIII,  19  schliessen  kann:  vöv  bl  tfTpuiuara 
nXciu)  £x°oo"iv  iix\  tü>v  Xixmjjv  f\  im  tüjv  euvüiv  ou  yäp  xr\$  nnreiaq 
oütujc  ÜLKJ7T€p  toö  uaXaicux;  KaGncreai  djrm^XovTai.  Aus  £<p(irmov  wurde 
lat.  ephippium  (zuerst  Cato  bei  Non.)  entlehnt.  Wann  aus  derartigen 
Satteldecken  sich  der  eigentliche  Sattel  (spätlat.  sella,  sedile)  entwickelt 
hat,  lüsst  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  ausmachen.  Sicher  ist  ein 
solcher  in  einer  Verordnung  des  Kaisers  Theodosius  vom  Jahre  385 
gemeint,  nach  welcher  derjenige,  der  Postpferde  nehmen  wollte,  keinen 
Sattel  (sella)  habeu  sollte,  der  mehr  als  00  Pfund  wöge.  —  Die 
Gennaneil  verachteten  noch  zur  Zeit  des  Caesar  den  Gebrauch  aller 
ephippia:  neque  eorum  moribun  turpius  quidquam  auf  inertins  habetur 
quam  ephippiis  uti  (De  bell.  Gall.  IV,  2).  Gleichwohl  muss  sich  in 
der  germanischen  Welt  schon  frühzeitig  unser  Wort  „Sattel",  wie  nhd. 
satul,  agls.  sadol,  altn.  södull  zeigen,  festgesetzt  haben,  das,  da  es 
kaum  direkt  aal*  got.  sitan  ,sitzen'  zurück  gehen  kann,  vielleicht  aus 
einer  östlichen  Sprache  (vgl.  altsl.  sedlo  ,Sattel  )  entlehnt  ist,  so  dass 
wir  wieder  in  die  Nähe  iranischer  Reitkunst  geführt  würden  (anders 
Noreeu  Abp'ss  d.  urgerni.  Lautl.  S.  200).  Altpr.  balgnan,  lit.  balnas 
sind  dunkel.  —  Vgl.  Beekmann  Beyträge  III,  90 ff.    S.  u.  Reiten. 


Digitized  by  Google 


Saturei  —  Schaf. 


707 


ttaturei,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Sau,  s.  Schwein. 

Sauerteig,  s.  Brot. 

Säule,  s.  Haus,  Strafe,  Tempel. 

Schabemesser,  s.  Messer. 

Schädelbecher,  s.  Gefässe. 

Schädelbildung,  s.  Körperbeschaffenheit  der  Idg. 

Schaf.  Der  idg.  Name  des  Tieres,  das  unzweifelhaft  zu  den 
ältesten  Hanstieren  der  Indogermanen  gezählt  werden  kann,  ist  sert. 
dvi-,  griech.  Öu;,  lat.  ovis,  ir.  öi,  ahd.  ou  (got.  ateistr,  agls.  eoteestre, 
abd.  ouwixt  ,Schafstair,  got.  ateipi,  agls.  eowode,  ahd.  outeiti  Schaf- 
herde'), lit.  awis,  altsl.  ovica.  Vgl.  daneben  sert.  ürd  ,Schaf,  ürana- 
,Widdcr,  Lamm',  Pamird.  tearr,  wiem,  griech.  dpr|v,  armen,  garn. 
Ausserdem  begegnen  auf  arischem  Gebiet  die  Gleichungen  sert. 
mtshd-  =  aw.  matea-,  auf  europäischem:  griech.  duvög,  lat.  agnus, 
ir.  uan,  altsl.  jagnq  ,Lamm'  und  griech.  lptq>os,  ir.  heirpp,  umbr.  eri- 
etu,  lat.  aries  , Widder',  lit.  €ras  ,Lamm',  altsl.  jarlcl  (mit  gleichbe- 
deutenden Bildungen  von  jarä  .Frühling'  kreuzend),  ferner  alb.  bet 
,Scbaf,  altsl.  baranü  , Widder',  vgl.  ßdpixoi*  <5pv€<;,  ßdpiov  npößcrrov 
Hcs.  Das  westgerm.  ahd.  sedf  entspricht  vielleicht  dem  sert.  chd'ga-, 
chagald-  ,Boek'  (anders  Uhlenbeck  Et.  W.  d.  altind.  Sprache  S.  94), 
das  gemeingerm.  got.  wiprus  ,äuvöY  (sonst  auch  ,Widder')  ist  so  viel 
wie  ,Jährling'  (:  griech.  F£ro?  ,Jahr').  Gemeingerm.  got.  lamb  und 
altpr.  cani8tian  ,Schaf  sind  dunkel.  Weiteres  aus  dem  germanischen 
Sprachgebiet,  abd.  ram  .unversebnittner',  hamal  ,verschnittner  Schaf- 
bock' (:  hamal  ,verstüramelt',  wie  frz.  mouton  :  lat.  mutüus),  ahd. 
stero  ,Schafboek',  Jcilbur  (agls.  cilfor-lamb)  ,Mntterlamm',  frisking  u.  a. 
vgl.  bei  Palander  Ahd.  Tiernamen  S.  121  ff. 

Schafzucht  ist  allen  Indogermanen  von  Beginn  ihrer  Überlieferung 
an  geläufig.  Einige  Völker  und  Landschaften  scheinen  von  ihr  ihren 
Namen  zu  haben.  So  die  gallischen  Caeracates  :  ir.  caera,  caerach 
,Schaf,  das  illyrische  Delmatia,  Dalmatia,  Delminium  :  alb.  del'me, 
del'e  ,Schaf  und  die  hochnordischen  Faroer  :  altn.  fair  desgl.  Auch 
in  der  Fauna  der  Pfahlbauten  der  Schweiz  wie  in  den  schwedischen 
und  dänischen  Ansiedlungen  der  jüngeren  Steinzeit,  in  den  Pfahlbauten 
der  Poebene,  sowie  in  der  Fauna  der  mykeniseben  Gräber  begegnet 
das  Schaf  als  Haustier. 

Die  Kunst,  die  Wolle  (s.  d.)  des  Schafes  zu  scheren,  ist  in  alten 
Zeiten  noch  unbekannt;  sie  wird  vielmehr  mit  den  Händen  ausge- 
rauft. Erst  um  das  Jahr  300  v.  Chr.,  wissen  wir  aus  gelegentlicher  Über- 
lieferung, kamen  die  ersten  Schafscherer  aus  Sizilien  nach  Italien  (s.  u. 
Schere).  Das  alte  Vcrbum,  welches  das  Ausraufen  der  Wolle  bezeichnet, 
ist  grieeb.  tt^kw  (verschieden  von  kcikuj)  =  lit.  p&szti.  Wie  nun  slav. 
runo  ,Vlics8'  :  rüvati  ,ausranfen'  gehört,  so  liegt  tt^kuj  zunächst  den 


Digitized  by  Google 


loa 


Schaf. 


griech.  tt^ko^  und  ttöko?  ,Vlic8s'  zu  Grande,  die  wiederum  identisch 
sowohl  mit  dem  lat.  pecus,  pecoris  wie  auch  mit  dem  obengenannten 
altn.  fter,  schwed.  fdr,  dän.  faar  (aus  *fthiz\  vgl.  J.  Schmidt  Plural- 
bildungen S.  53,  149)  sind.  Da  es  nun  unmöglich  sein  dürfte,  den 
idg.  Kollektivnamen  für  Vieh  sert.  prfc«-,  aw.  pasu-,  got.  faihu,  altpr. 
pecku  (auffallend  wegen  seines  k,  statt  sz),  lat.  *pecu-,  *pecu-i,  *pecu-d- 
(vgl.  J.  Schmidt  a.  a.  0.  S.  54)  von  jener  Sippe  zu  trennen,  um  so 
weniger,  als  auf  lateinischem  (pecora  und  peeudes  besonders  von  Schafen) 
und  iranischem  Gebiet  (kurd.  pez,  afgh.  psa,  osset.  fus  ,Schaf;  vgl. 
Horn  Grundriss.  d.  np.  Et.  S.  287)  eine  ursprünglichere  Bedeutung  ,Schaf 
deutlich  erhalten  ist,  so  ergiebt  sich  hieraus  die  Wahrscheinlichkeit, 
dass  der  Schafzucht  für  die  ältesten  Zeiten  eine  noch  grössere 
Bedeutung  als  der  Rindviehzucht  (s.  u.  Rind)  eingeräumt 
werden  muss,  dass  also  das  Schaf  vielleicht  das  erste  imd  älteste 
Haustier  der  Indogcrmanen  ist.  Dies  würde  zu  der  u.  Ackerbau  und 
u.  Viehzucht  ausgeführten  Ansicht,  dass  die  Iudogermanen  in  der 
ältest  erreichbaren  Zeit  Viehzüchter,  nicht  Ackerhaucr  waren,  auf  das 
beste  stimmen,  denn  im  allgemeinen  spielen  bei  nomadischen  Völkern 
die  Schafherden  eine  bedeutendere  Rolle  als  das  Rindvieh.  Dieser 
Zustand  tritt  uns  im  Osten  Europas  im  Altertum  noch  deutlich  ent- 
gegen. Die  Sakcn,  die  zusammen  mit  den  Skythen  die  Kulturzustände 
der  idg.  Urzeit  in  vieler  Beziehung  treu  bewahrt  haben,  werden  von 
deu  Alten  als  unXovöuoi  charakterisiert: 

HH^ovömoi  T€  Zdicai,  Y*verj  ZkuGou 
(Choerilus  b.  Strabo  VII  p.  3Ü.'{),  wie  denn  die  Terminologie  des  Schafes 
gerade  in  den  iranischen  Sprachen  eine  besonders  reiche  ist  (vgl.  die- 
selbe bei  Tomaschek  Centralas.  Stud.  II,  Schafwolle  war  im  Alter- 
tum einer  der  wichtigsten  Exportartikel  des  Pontus  (Tomaschek  Kritik 
d.  ältesten  Nachrichten  d.  skyth.  Nordens  1,  14). 

Die  Frage,  ob  das  Schaf  als  einheimisch  in  Europa  zu  betrachten 
ist  oder  nicht,  ist  noch  nicht  zum  Abschluss  gekommen.  Als  Stamm- 
vater unseres  Hausschafes  nimmt  man  gegenwärtig  Ovis  Argali  und 
Ovis  Musimon  an,  von  denen  das  letztere  noch  jetzt  auf  Sardinien  und 
Korsika  leben  und  früher  das  ganze  südliche  Europa  bewohnt  haben 
soll.  Wilde  Schafe  sind  ferner  in.  Europa  gleichzeitig  mit  dem  Mammut 
und  zur  Zeit  des  Löss  (in  Frankreich)  nachgewiesen  worden  (vgl. 
A.  Otto  Zur  Geschichte  unserer  ältesten  Haustiere  S.  65  ff.;.  —  Ur- 
verwandte Namen  für  das  Schaf  finden  sich,  wie  bei  den  lndogermanen, 
so  auch  bei  den  Semiten  und  Turko-Tataren,  während  die  Finnen  lauter 
entlehnte  Wörter  für  das  Tier  besitzen,  so  dass  sie,  nach  Ahlqvist 
Kultunv.  in  d.  westfinn.  Spr.  S.  12  ff.,  das  Tier  erst  bei  ihrem  Eintreffen 
an  der  Ostsee  kennen  gelernt  haben  werden.  In  Ägypten  wurde  Schaf- 
zucht schon  zur  Pyrauiidenzcit  eifrig  betrieben.  —  Vgl.  auch  E.  Hahn 
Die  Haustiere  S.  152  ff.   S.  u.  Viehzucht. 


Digitized  by  Google 


Schakal  —  Schere. 


709 


Schakal.  Das  Tier  ist  im  Altertum  Europa  fremd  gewesen. 
Allerdings  nennen  es  die  homerischen  Gedichte  unter  dem  Xamen  6w<;; 
doch  weist  dies  eben  nur  auf  den  kleinasiatischen  Ursprung  des  oder 
der  homerischen  Dichter  hin.  Das  Wort  9u>q  hat  man  mit  dem  phry- 
gischen  odo^*  Xukos  Hesych.  verglichen;  denn  gewisse  Schakalarten 
haben  grosse  Ähnlichkeiten  mit  dem  Wolfe,  und  in  den  semitischen 
Sprachen  ist  der  Bedeuttmgswechscl  von  Wolf  und  Schakal  (vgl.  F. 
Hommcl  Namen  der  Säugetiere  S.  401 1  direkt  belegt  (anders  Kretschmer 
Einleit.  S.  221).  Erst  in  der  Zeit  der  Völkerwanderung  ist  der  Schakal 
in  Griechenland  und  auf  einigen  ägäischen  Inseln  sowie  in  Dalmatien 
eingezogen.  Das  heutige  europäische  Wort  für  das  Tier  (ngriech.  TffcrräXi) 
ist  aus  orientalischen  Sprachen  entlehnt.  Bezüglich  derselben  kann  man 
zweifelhaft  sein,  ob  npers.  seyäl  und  sert.  qrgdM-  einen  urarischeu 
Namen  des  Schakals  erweisen,  oder  ob  sie  Entlehnungen  aus  dem 
Semitischen  darstellen  (vgl.  A.  Weber  Allg.  Monatsschrift  1853  S.  678 
und  P.  Horn  Grundriss  d.  np.  Et.  S.  175).  —  Im  allgemeinen  vgl. 
0.  Keller  Tiere  des  kl.  A.  S.  185  ff. 

Schale,  s.  Gefiisse. 

Schaltjahr,  s.  Jahr. 

Schändung,  ».  Notzucht. 

Scharfrichter,  s.  Strafe. 

Scharlach,  s.  Kermes. 

Schaufel.  Schon  in  der  Urzeit  muss  ein  schaufelartigcs  Gerät, 
mit  dem  man  das  Getreide  von  der  Spreu  reinigte,  vorhanden  gewesen 
sein.  S.  darüber  u.  Worfeln,  Wo rf schaufei.  In  einer  anderen 
Sprachreilie  geben  die  Bedeutungen  »Schaufel'  und  , Ruder'  in  einander 
über:  altsl.  lopata  »Schaufel'  (hieraus  lit.  lopetä,  in  Südlit.  .Schaufel', 
alb.  lopatt  »Schaufel,  Grabscheit,  Ruder'),  altpr.  lopto  ,Spatcn',  ir. 
*lupet-,  lue  .Steuerruder'.  Vgl.  griech.  nXd-rn.  GaXatfoia  (Ruder),  TTXäTti 
X€paoia  (Schaufel).  Andere  Wörter  wieder,  wie  griech.  aun.  und  näKcXXa 
(s.  u.  Hacke)  vereinigen  in  sieb  die  Bedeutungen  »Schaufel' und  , Hacke'. 
Westgerm.  ahd.  acücala,  agls.  seeofl  :  ahd.  scioban  .schieben'  (.womit 
man  etwas  bei  Seite  schiebt',  vgl.  grieeh.  Xiöxpov  .Schurfeiscn,  Spaten, 
Löffel'  nach  Prellwitz  :  lett.  lidu,  list  , roden').  Ans  dem  Deutschen 
lit.  8ziupeU.  —  S.  u.  Werkzeuge. 

Scheiterhaufen,  s.  Bestattung. 

Schenken,  s.  Gastfreundschaft. 

Schere.  Dieses  Werkzeug  fehlt  natürlich  dem  Steinalter,  und 
ist  auch  innerhalb  der  Bronzezeit  noch  nicht  nachgewiesen  worden 
(vgl.  0.  Montelius  Kultur  Schwedens*  S.  108),  sondern  tritt  erst  mit  dem 
Eiscnaltcr,  und  auch  hier  erst  in  der  sogenannten  La  Tene-Periode 
auf.  Eiserne  Scheren  aus  gallischen  sowie  rhein-  und  donauländischen 
Grabhügeln,  ferner  römische  Scheren  sind  bei  Lindenschmit  Altertümer 
III  (b.  d.  Index)  abgebildet.   Sie  bestehen  sämtlich,  wie  auch  die  des 


Digitized  by  Google 


710 


Schere  —  Schierling. 


nordischen  Eisenallers,  aus  einem  Stück  und  gleichen  unseren  Schaf- 
Bcheren. 

Auch  in  der  Überlieferung  und  Sprache  begegnet  die  Schere  spät. 
Griech.  yaXiZiu  von  tyaXi?,  tpaXioec  (:  ipdXXw  ,rupfen,  zapfen'  z.  B. 
fGeipav  ,das  Haar')  wird  zuerst  von  Anakreon  genannt.  Für  Italien  haben 
wir  die  bestimmte  Überlieferung  des  Varro  De  re  rast.  2, 11,  10:  Omnino 
tonsores  in  Italiam  primum  venisse  ex  Sicilia  dicunt  post  R.  c.  a. 
CCCCLIIII,  ut  scriptum  in  publico  Ardeae  in  litteris  exstat,  eosque 
adduxisse  P.  Ticinium  Menam.  Demnach  scheint  es,  dass  es  vor 
dem  Jahre  300  vor  Cbr.  in  Rom  überhaupt  keine  Scheren  (lat.  forfex 
aus  *forma-fex  »Gestalt,  Schönheit  machend',  wie  forceps  ,Zange'  aus 
*formi-ceps  :  formus  ,das  Heisse  fassend  ?)  gab.  Freilich  scheint  dem 
die  allerdings  späte  Überlieferung  des  Jo.  Lydns  De  mens.  I,  35:  öti 
€tt\  toö  Nounä  kci\  npö  toütou  o\  ndXai  \ep€i?  xak*a*?  vaMo^v  dXX' 
ob  öibripcuc  d7T€K€»povTO  zu  widersprechen.  Über  die  Schafschur  s.  u. 
Schaf. 

Die  nördlichen  Sprachen  stimmen  in  der  Benennung  der  Schere 
nicht  einmal  innerhalb  der  einzelnen  Sprachzweige  Uberciu.  Ahd.  sedri 
:  sceran  (Plural  wie  griech.  H>aXib€«;,  frz.  ciseaux,  engl,  scissor*  u.  s.  w., 
sert.  bhurijd,  Dual)  ist  weiter  nicht  verbreitet.  In  den  skandinavischen 
Sprachen  bedient  man  sich  des  alten  Wortes  mx  (s.  u.  Schwert) 
:  fdr8ax  ,Schafschere',  ullm.v  , Wollschere'  etc.,  wie  auch  im  Russischen 
der  Name  der  Schere  von  dem  Wort  für  Messer  noz'i  abgeleitet  wird. 
Vgl.  noch  bvn\f\  |idxaipa  bei  Pollux  =  yaAiq.  Lit.  z'lrkles,  iü  (:  z'ir-ti 
,streuend  auseinander  fahren  ),  altpr.  acrundus  , Schere'  (:  sert.  krntdti 
,zerschneidet  ?).  Natürlich  verstand  man  sich  darauf,  das  Haar  abzu- 
nehmen (s.  u.  Haartracht),  längst  bevor  man  die  Schere  kannte.  Man 
gebrauchte  ohne  Zweifel  dazu,  worauf  auch  das  obige  hinweist,  zuerst 
das  steinerne,  dann  das  metallene  Messer  (s.  d.)  —  S.  u.  WTerkzeuge. 

Scheffel,  s.  Mass,  Messen. 

Scheidung,  s.  Ehescheidung. 

Scheune,  s.  Stall  und  Scheune. 

Schicksal,  s.  Traum. 

Schiedsrichter,  s.  König. 

Schierling.  Die  Terminologie  dieser  berühmtesten  Giftpflanze 
zeigt  bis  jetzt  keine  Übereinstimmung,  man  müsste  denn  für  griech. 
xu»-v€io-v  und  lat.  ci-cü  ta  (vgl.  griech.  <pu>p  :  lat.  für)  Wurzelver- 
wandtschaft (sert.  cl-cä  ti  ,er  schärft  ?)  annehmen.  Andere  früh  be- 
zeugte oder  weitverbreitete  Namen  der  Pflanze  sind  ahd.  scarno, 
scerning,  sceriling  (gewöhnlich  zu  altn.  skarn  ,Mist'  gestellt),  agls. 
hymlic,  hymUac,  engl,  hemlock  (aus  agls.  Uac  ,Lauch'  und  einem  dunklet* 
Bestandteil  haumi-),  gemeinelav.  *omengü,  russ.  omegü,  poln.  omiqg 
(vgl.  walach.  iiaTfoöba,  )acrrKOÖTa),  lit.  maudal  u.  s.  w.  Ausführlich 
handelt  über  die  Geschichte,  Namen  und  geographische  Verbreitung^ 


Digitized  by  Google 


Schierling  —  Schiff,  Schiffahrt. 


711 


des  Schierlings  A.  Regel  im  Bulletin  de  la  soci6te  imperiale  des  natnra- 
listes  de  Moscou,  tome  LI,  annee  1876  Nr.  2,  Moscon  1876. 

Schiff,  Schiffahrt.  Der  idg.  Ausdruck  für  das  Schiff  liegt  in 
der  Reihe  sert.  näv-,  altp.  ndcii/d-  ,Flotille\  aw.  navdza-  .Schiffer', 
armen,  nav  (was  aber  auch  aus  dem  persischen  entlehnt  sein  kann), 
griech.  voö?,  lat.  ndvis,  ir.  nöi,  altn.  nör  und  naust  ,Schiffs8chuppen' 
(vgl.  auch  got.  nöta  ,Schiffshinterteir?).  Nicht  teil  an  diesen  Ent- 
sprechungen nimmt  also  nur  das  Litu-Slavische.  Die  Grundbedeutung 
des  Stammes  *ndr-  fasst  man  gewöhnlich  als  das  .schwimmende', 
,fliessende'  (:  lat.  ndre  ,schwimmen').  Wahrscheinlicher  ist  indessen, 
dass  *ndv~,  *ndto-  (vgl.  griech.  'Ex^-vnos  ,Habeschiff',  Name  eines 
Phaeaken,  und  s.  griech.  vnö?  u.  Tempel)  ursprünglich  nichts  als 
.Baumstamm'  bedeutet  habe,  wie  sert.  dd'ru-  ,Holz'  und  ,Kahn  oder 
altn.  askr  ,Esche'  und  }Schiff  zugleich  bezeichnet,  wofür  sieh  zahlreiche 
weitere  Beispiele  in  alten  und  neueren  Sprachen  finden  (vgl.  Vf.  Sprach- 
vergleichung und  Urgeschichte*  S.  403  f.  und  Liden  Stud.  z.  altind. 
und  vgl.  Sprachgesch.  S.  34).  Thatsächlich  scheint  diese  Grundbe- 
deutung »ausgehöhlter  Baumstamm'  noch  in  norwegischen  Dialekten 
(n6,  nü,  vgl.  Noreen  Urgerm.  Lautl.  S.  168)  erhalten  zu  sein.  Dass 
die  Fahrzeuge  der  Indogcrmanen  jedenfalls  noch  nichts  weiter  als  aus- 
gehöhlte Baumstämme  waren,  folgt  aus  ihrer  ältesten  Beschaffenheit  bei 
den  Einzelvölkern,  z.  B.  bei  den  Germanen  oder  Slavcn  (s.  «.). 

Ansscr  diesem  idg.  Namen  des  Schiffes,  ist  noch  der  Begriff 
des  Ruders  und  Ruderns  (s.  d.)  übereinstimmend  bei  den  Indo- 
germanen  benannt,  während  aus  den  Artikeln  Segel  und  Mast, 
Steuer,  Anker,  K  o  m  p  a  s  s  zu  ersehen  ist,  dass  diese  Fortschritte 
der  Schiffahrt  in  der  Urzeit  noch  nicht  gemacht  worden  sein  können. 

Es  ergiebt  sich  also,  dass  den  Indogcrmanen  zur  Fortbewegung  auf 
dein  Wasser  nur  der  von  Rudern  getriebene  Ein  bäum  zur  Verfügung 
stand,  und  man  kann  wohl  fragen,  ob  man  ihn  auch  bereits  auf  den 
Fluten  des  Meeres  (s.  d.)  zu  bewegen  verstanden  habe,  au  dessen 
Ufern  die  Indogermanen  oder  grosse  Teile  derselben  sassen,  ob  man 
sich  also  die  ältesten  Indogermanen  etwa  wie  die  alten  Germanen  vor- 
stellen darf,  die,  wie  unten  weiter  zu  zeigen  ist,  schon  in  frühen  Zeiten 
sich  in  ihren  gebrechlichen  Fahrzeugen  zu  Zwecken  des  Seeraubs  auf 
die  offene  See  hinaus  wagten,  ob  demzufolge  schon  die  ersten  Wan- 
derungen und  Ausbreitungen  der  Indogermanen  wie  zu  Lande,  so  auch 
zur  See  erfolgt  seiu  können.  Die  Bejahung  dieser  Fragen  durch 
H.  Hirt  (Schiffahrt  und  Wanderungen  zur  See  in  der  Urzeit  Europas, 
Beilage  z.  Allg.  Z.  1898  Nr.  öl)  giebt  zu  mancherlei  Bedenken  Anlass. 

Wo  immer  ein  Volk,  wenn  auch  neben  anderen  Beschäftigungen, 
Jahrhunderte  lang  dem  Gewerbe  der  Schiffahrt  obliegt,  wird  sich  un- 
fehlbar auch  eine  nautische  Terminologie  herausbilden.  Für  die 
charakteristischen  Merkmale  der  Seelandschaft,  für  das  Wetter  auf  See,  für 


Digitized  by  Google 


Schiff,  Schiffahrt. 


die  bedeutendsten  Seetiere,  für  die  Winde,  fttr  die  Himmelsgegenden, 
für  den  Fischfang,  für  Arten  und  Teile  der  Fahrzeuge  u.  s.  w.  werden 
feste  Namen  geschaffen  werden,  wie  dies  uns  handgreiflich  in  dem 
urgermanischen  Sprachschatz  unten  entgegen  treten  wird.  Wären  der- 
artige Wörter  nur  iu  einigem  Umfang  schon  in  der  idg.  Grundsprache 
vorhanden  gewesen,  so  würden,  wie  auf  dem  Gebiete  der  Viehzucht 
und  des  Ackerbaus,  die  Spuren  derselben  in  idg.  Gleichungen  vorliegen. 
Solche  fehlen  aber,  von  den  obigen  abgesehen,  nahezu  gänzlich.  Wenn 
dem  gegenüber  Hirt  a.  a.  0.  S.  3  sagt,  dass  aus  dem  Fehlen  von 
Wörtern  überhaupt  niemals  etwas  zu  erschliessen  sei,  so  ist  diese  Be- 
hauptung unrichtig,  wenn  es  sich,  wie  hier,  um  ganze  Kategorien  des 
Wortschatzes  handelt. 

Da/.u  kommt  nun,  dass,  wenn  man  den  Blick  auf  der  Gesamtheit 
der  idg.  Völker  ruhen  lässt,  der  kühne  Seefabrergeist.  welcher  einzelne 
derselben,  vor  allem  die  Griechen  und  Germauen,  zum  teil  auch  die 
Kelten  (vgl.  Caesar  De  bell.  Gull.  III,  13  über  die  Schiffe  der  Veneter) 
charakterisiert,  keineswegs  allen  eignet,  und  weder  die  Inder,  noch  die 
Iranier,  noch  die  Slaven,  noch  die  Litauer,  noch  die  Römer  mit  den 
ihnen  verwandten  italischen  Stämmen  von  Haus  aus  von  seinem  Hauche 
berührt  sind.  Besonders  bezeichnend  ist  dies  für  die  seit  uralten  Zeiten 
an  für  die  Schiffahrt  nicht  ungünstigen  Meeresküsten  angesessenen 
Kömer  und  Litauer.  Bei  diesen  Völkern  haben  wir  es  ausschliesslich 
mit  Viehzüchtern  und  Ackerbauern  zu  thun.  Kühne  Seefahrten  nach 
griechischem  oder  germanischem  Muster  sind  diesen  nur  auf  der  Scholle 
des  festen  Landes  sich  wohlfühlenden  Stämmen  fremd,  und  erst  spät 
durch  griechische  oder  deutsche  Einflüsse  (s.  u.)  lernt  man  es  auch 
hier  allmählich  sich  den  Fluten  des  Meeres  anzuvertrauen.  Eine  wie 
geringe  Rolle  die  Schiffahrt  gerade  bei  den  Litauern  spielt,  folgt  am 
besten  aus  der  Mythologie  derselben.  Unter  den  zahlreichen  Gottheiten, 
in  deren  Namen  sich  die  einzelnen  Sphären  menschlicher  Thätigkeit 
abspiegeln,  findet  sich  neben  unzähligen  Göttern  und  Göttinnen  des 
Ackerbaus  und  der  Viehzucht,  nur  ein  einziger  Gott  der  Schiffer, 
Gaidoutis  (vgl.  Usener  Götternamen  S.  90),  zu  dem  die  Fischer  um 
Glück  bei  dem  an  der  Ostseeküste  erst  späten  Häringsfang  beten. 

Stellt  man  dem  gegenüber  die  Bedeutung,  die  das  Schiff  des  trockenen 
Landes,  der  Wagen  (s.  d.),  von  jeher  bei  allen  Indogermanen  gehabt 
hat,  vergleicht  man  die  Fülle  seiner  urzeitlichen  Terminologie  mit  der 
Armut  derjenigen  des  Schiffes,  so  wird  man  trotz  des  Beifalls,  welchen 
die  Anschauungen  Hirts  auch  bei  Fr.  Ratzel  (Berichte  d.  phil.-hist.  Kl. 
d.  kgl.  sächs.  Ges.  d.  W.  zu  Leipzig  am  3.  Febr.  1900  S.  III)  ge- 
funden haben,  nicht  zweifelhaft  sein  können,  dass  die  ältesten  Wande- 
rungen der  Indogermanen  sich  eher  auf  dem  festen  Land  mittelst  des 
schwerfälligen  Wagens  als  zur  See  mittelst  des  hurtigen  Schiffes  voll- 
zogen haben.    Hieran  kann  auch  nichts  durch  die  au  sich  richtigen 


Digitized  by  Google 


Schiff,  Schiffahrt. 


713 


Beobachtungen  Hirts  geändert  werden,  dass  einerseits  mehrere  idg. 
Stämme  in  späteren  Epochen  ihrer  Wanderungen  über  nicht  bedeutende 
Meeresteile  uaeh  dem  gegenüberliegenden  Festland,  die  Thraker  nach 
Kleinasien,  lllyricr  nach  Unteritalien,  Kelten  nach  Britannien  über- 
setzen, und  wir  andererseits  /ahlreiche  nichtidg.,  an  günstigen 
Küsten  angesiedelte  Stämme  Alteuropas,  Iberer,  Ligurer,  Etrusker  u.  8.  w. 
frühzeitig  als  kühne  Seeräuber  und  Seefahrer  antreffen. 

Gerade  wenn  man  die  Urheimat  (s.  d.)  der  Indogermaneu  an  die 
nördlichen  Ufer  des  Schwarzen  Meeres  verlegt,  würde  diese  Lage  es 
durchaus  begreiflich  machen,  warum  die  Indogermanen  in  der  ältesten 
Zeit  sich  eher  auf  das  Land  als  auf  das  Meer  hingewiesen  sahen; 
denn  der  Nordrand  des  Pontus  Euxinus  ist  in  Folge  des  Mangels 
an  natürlichen  Häfen  und  durch  die  starke  Versandung  der  Flure- 
mündungen  (vgl.  Sievers  Europa  S.  2f>9)  durchaus  ungeeignet  für  die 
Entwicklung  seefahrender  Völker,  wie  denn  auch  keine  Nachricht  von 
skythisehen  oder  skolotischeu  See  Unternehmungen  zu  berichten  weiss. 
Etwas  anders  liegen  die  Dinge  an  der  Ostküste  des  Schwarzen  Meeres, 
wo  Strabo  XI,  p.  495  nichtindogermanische,  wohl  kaukasische  Seeräuber 
nennt.  Im  Allgemeinen  aber  galt  der  Pontus  im  Altertum  als  schwer 
befahrbar,  und  Eratosthenes  bei  Strabo  bemerkt  ausdrücklich:  tö  tto> 
Xouöv  out£  töv  Eü£€ivov  8app€lv  nva  ttXciv. 

Wie  man  nun  aber  auch  immer  das  älteste  Verhältnis  der  Indo- 
germanen zu  Meer  und  Schiffahrt  auffassen  möge,  das  ist  sicher,  dass  für 
Europa  eine  höhere  Entwicklung  der  Nautik  hauptsächlich  von 
zwei  Stellen  ausgegangen  ist,  einmal  von  der  mit  Griechen  besetzten 
östlichen  Hälfte  der  Balkanhalbinsel  und  der  ihr  vorgelagerten  Insel- 
welt des  ägäischen  Meeres,  das  andre  Mal  von  den  Küsten  der  Nord- 
und  Ostsee,  soweit  sie  von  unseren  germanischen  Vorfahren  besetzt 
waren.  Nimmt  man  an,  dass  die  Indogermanen  als  Hirten  und  Acker- 
bauer in  den  genannten  Gegenden  einwanderten,  so  inusste  die  überaus 
günstige  Beschaffenheit  der  neuen  Heimat  mit  ihren  zerklüfteten  Küsten 
und  ihren  vorgelagerten,  den  Schiffer  zu  sich  herüberlockenden  Inseln 
die  Versuchung  nahe  legen,  den  bis  jetzt  nur  auf  Flüssen  erprobten 
Xachen  auch  auf  dem  Meere  zu  versuchen,  und  die  neue  Ortlichkcit 
musste  so  zu  einer  Übungsschule  der  Schiffahrt  werden,  wie  sie  in 
gleicher  Vollkommenheit  kein  anderer  Teil  Europas,  das  im  allgemeinen 
nicht  ungünstig  für  die  Entwicklung  der  Schiffahrt  ist,  darbot  (vgl. 
Pe8chel  Völkerkunde,  Schiffahrt). 

Diese  Entwicklung  hat  sich  bei  den  Griechen  lange  vor  Homer 
vollzogen.  Als  die  homerische  Dichtung  anheilt,  steht  das  griechische 
Schiff  mit  seinen  wichtigsten  Bestandteilen  bereits  fertig  da.  Die 
Terminologie  desselben  zeigt  durchaus  keine  phönizischen  Einflüsse, 
und  weist  darauf  hin,  dass  die  griechischen  Küstenstämme  Seefahrer 
und  Seeräuber  geworden  waren,  lange  bevor  sie  die  Bekanntschaft 


Digitized  by  Google 


714 


Schiff,  Schiffahrt. 


des  pbönizisehen  Handelsmannes  machten  (vgl.  auch  Beloch  Griech. 
Gesch.  I,  73  und  Rhein.  Mus.  XLIX,  113).  Eher  könnte  man  für 
die  zahlreichen  Ausdrücke  der  griechischen  Nautik,  die  aus  griechischen 
Mitteln  undeutbar  scheinen  (wie  etwa  griech.  Ä<pXao*Tov  .Schiffszierat*, 
KapxricJjov  .Mastkopf'  u.  a.),  an  Herkunft  aus  den  Sprachen  jener  un- 
grieehisehen  Urbevölkerung  denken,  die  einst  von  Kleinasien  her  zu 
Schiffe  herübergekommen  zu  sein  scheint  (vgl.  Hirt  a.  a.  0.).  Ver- 
schiedene Arten  von  Fabrzeugeu  werden,  ausser  den  vne?  und  vf\€? 
<popTib€S  ,La8tschiffcn'  hei  Homer  noch  nicht  genannt;  doch  ist  wahr- 
scheinlich die  axtöin  des  Odysseus  (refx^br)  ,Tafel.  Brett  )  nicht  als 
blosses  Floss,  sondern  als  eine  bestimmte  Scbiffsgattnng  (Blockschiff, 
Prahm,  Anleger)  aufzufassen  (vgl.  Breiising  Nautik  der  Alten  S.  129  ff.). 
Die  Scliiffsarten  der  späteren  Zeit  haben  ihre  Namen  meistenteils 
von  Gefässarten,  wie  denn  griech.  fauXoq  »Lastschiff'  :  touXö?  .Melk- 
eimer', Kuußn.  :  KÜußiov  cTbo?  TTOTTipiou  xai  ttXoiou  (sert.  kumbhii-  ,Topt'), 
öxäcpoq  :  OKaqpri  ,Trog'  u.  s.  w.  gehören,  eine  Erscheinung,  die  auch 
auf  anderen  Sprachgebieten  (s.  u.)  wiederkehrt  und  bereits  auf  eine 
höhere  Stufe  des  Schiffsbaus  hinweist,  als  die  ist,  auf  der  man  das 
Schiff  einfach  als  „Baum"  bezeichnet.  Eine  sichere  Entlehnung  aus 
älterer  Zeit  stellt  nur  griech.  ßäpi?  (Aesch.)  dar,  das  aus  dem  ägyp- 
tischen bari-t  stammt. 

Auch  die  Römer  haben  eine  Reihe  einheimischer  Schiffstermini  auf- 
zuweisen: so  caudex  .eine  Art  von  Schiff"  (eigentl.  ,Stannn'  gegenüber 
alveus,  eigentl.  , Wanne  ),  velum  ,Segel\  mälus  ,Mast',  remuleum 
,Schlepptan\  sentlna  (=  griech.  ävtXo^V)  ,Schiffsbodcn"va88er',  rtidens 
,Seil',  carina  ,Kiel',  puppig  , Hinterteil'  u.  a.  Bald  aber  erscheint  die 
ganze  römische  Schiffahrt  in  griechischem  Kleide.  Aus  dem  Grie- 
chischen stammen  zahlreiche  Benennungen  von  Schiffsarten,  z.  B.  lat. 
scapha,  cumha  (s.  o.),  lembus  i  aus  griech.  Xepßoq,  dunkel),  cereürus 
(griech.  K^pKOupo?,  vielleicht  semitisch),  von  Bestandteilen  des  Schiffes, 
z.  B.  pröra  (griech.  Trpuipn.)  , Vorschiff,  apltistre  (äcpXaaxov)  ,Stevcn- 
knauf ,  aqea  (ätuid)  »Schiffsgang',  im  besondern  Namen  für  das  Zeug 
oder  die  Takelung  des  Schiffes,  z.  B.  carchesium  (Kapxnfftov)  ,Topp', 
artemo  (dpT€|iiuv)  .Vorsegel,  Vormast',  antenna  (*dvaxeTau^vr|)  ,Rahe', 
für  das  Rudergeschirr,  z.  B.  scalmux  (fficaXuös)  , Ruderdolle',  conttis 
(Kov-roq)  »Staken',  gubernum  i*xußepvov)  »Steuer',  für  das  Ankergeschirr: 
tincora  'dtKupa),  für  das  Ablaufen  und  Aufholen  des  Schiffes,  z.  B. 
scutula  (aicuTäXr))  .Rollbaum',  phalangae  (tpdXaYTai)  , Walzen',  ferner 
Ausdrücke  für  die  Bemannung  des  Schiffes,  z.  B.  nauta  (vaCnis)  ,Ma- 
trose',  pröreta  (irpujpdTTK)  ,Oberbotsmann',  nauclerus  (vauKXnpo?) 
»Schiffsherr',  gubemator  (KußepvrjTns)  ,Steuermann'  u.  8.  w.  Nicht  min- 
dere Beziehung  zum  Seewesen  zeigen  lat.  nausea  (vautfia)  »Seekrank- 
heit', malacia  (uaXotiaa)  »Windstille',  ncopulus  (o"kött£Xo?)  »Klippe'  und 
viele  andere.    Es  kann  also  nicht  bezweifelt  werden,  dass  die  Schiff- 


Digitized  by  Google 


Schiff,  Schiffahrt. 


71fr 


fahrt  der  europäischen  Küsten  deg  Mittelmcers  im  Altertum  unter  grie- 
chischer Führung  erwachsen  ist,  ein  Übergewicht  des  Griechentums, 
das  bis  in  späte,  ja  byzantinische  Zeiten  in  diesen  Gewässern  vorhält, 
wo  es  durch  den  Einbruch  der  Araber  eine  neue  Färbung  erhält. 

Wenden  wir  uns  nach  dem  Norden,  so  dürfen  ohne  Bedenken  als 
Mittelpunkt  der  ersten  germanischen  Weltstellung  die  Gestade  be- 
zeichnet werden,  welche  den  westlichen  Teil  der  Ostsee  und  den  öst- 
lichen Teil  der  Nordsee  umsäumen.  Von  hier  aus  müssen  schon  zur 
Zeit  der  ersten  Besiedelung  des  Landes  die  dänischen  Inseln  und  der 
südliche  Teil  Skandinaviens  besetzt  worden  sein  i ».  u.  U  r  h  e  i  m  a  t). 
Alles  was  wir  aus  sprachlichen  oder  sachlichen  Kriterien  für  jene 
älteste  germanische  Epoche  ersehlicssen  können,  zeigt,  dass  die  Ger- 
manen oder  grosse  Teile  derselben  im  Dunstkreis  jener  beiden  Meere 
zu  Seefahrern  erzogen  worden  sind. 

Der  Charakter  der  .Seelandschaft  erhält  sein  Gepräge  durch 
Wortreihen  wie  got.  sdites,  altn.  scer,  ahd.  seo  ,Meer,  See'  (got.  ,Land- 
sce'),,  altn.  haf,  agls.  Juef,  mhd.  hap  .Haflf,  got.  flödua,  alts.  flöd,  ahd. 
fluot  ,Flut'  ( =  griech.  7tAuut6s  ,scbiff bar' ),  got.  xcegs,  ahd.  icdc  ,Wogc', 
altn.  klif,  ahd.  clep  , Klippe',  altn.  rer,  agls.  tecer,  tearob,  ahd.  icarid 
,Meer,  Werder',  altn.  ey,  ahd.  ouica  ,Au,  Insel',  got.  stap,  a^Is.  steep, 
ahd.  stado  ,Stadcn,  Ufer',  altu.  höfn,  mhd.  habe,  habene,  hap  (vgl. 
ir.  cüan  aus  *copno-  nach  Kluge  Et.  W.6)  ,Hafen',  got.  haipi,  ahd. 
heida  , Heide',  altn.  mnd,  agls.  sund  ,Sund',  altn.  holmr,  agls.,  alts.  holm 
,Holm'  (agls.  auch  ,Meer  ),  altn.  rif,  ndl.  W/,,RitT,  dän.  marsk,  agls.  me- 
risc,  ndd.  marsch  , Marschland'  (Gegensatz  altfries.  gdst,  geext  ,der  hohe 
Sand-,  Weide-  und  Waldboden')  u.  s.  w.  Gemeinschaftliche  Wetter- 
bezeichnungen wie  in  den  Reihen:  altn.  stormr,  ahd.  stürm  ,Sturm', 
altn.  skür,  ahd.  «cür  »Schauer',  altn.  hagl,  ahd.  hagal  , Hagel',  und 
gemeinsame  Namen  der  Himmelsgegenden  (s.d.)  treten  auf.  Ur- 
germanische Tiernamen  der  nördlichen  Fauna  s.  u.  Möwe,  Schwan, 
Seehund,  Walfisch.  Die  grössere  Bedeutung  des  Fischfangs  (s.  d.) 
macht  sich  geltend  in  urgermanischen  Gleichungen  wie  altn.  öngu\l> 
ahd.  angul  , Angel',  got.  nati,  ahd.  nezzi  ,Netz\  altn.  vadr,  mhd.  wate 
, Zugnetz',  altn.  hrogn,  ahd.  rogan  , Rogen',  dän.  leeg,  mndd.  Uk  .Laich', 
ürgermanische,  zum  teil  auch  weiter  (bis  ins  Litu-Slavische)  verbreitete 
Fischnamen  s.  u.  Aal,  Barsch,  Iläring,  Lachs,  Stör.  Vgl.  noch 
ahd.  brahsina,  altschwed.  braxn  , Brassen'.  S.  auch  u.  Bernstein 
über  die  wertvollste  Gabe  der  Ost-  und  Nordsee.  Zu  dem  aus  der 
Urzeit  ererbten  Worte  altn.  nör  (s.  o.)  kommen  in  dem  nrgermanischen 
Sprachschatz  für  Schiffsarten  hinzu:  got.  skip,  ahd.  seif  (dunkel),  ferner 
altn.  kjöllj  agls.  ce'ol  (vgl.  Nennii  Hist.  Brilon.,  ed.  San  Martc  §  31: 
tres  ciulae  etc.),  ahd.  kiol  ,ein  grosses  Schiff  (wovon  altn.  kjölr,  agls. 
seipes  cele  ,rostrum  navis',  unser  kiel  zu  trennen  ist)  und  altn.  askr> 
ahd.  ask  (Lex  sal.:  ascus,  ascomanni  ,piratae),  eigentl.  , Esche'  (s.o.). 


Digitized  by  Google 


716 


Schiff,  Schiffahrt. 


Vgl.  auch  altn.  beit  =  agls.  btit  ,Boot'  (von  Liden  a.  a.  0.  S.  34  zu  altn. 
biti  ,Balkeu'  gestellt)  und  altn.  nökkve  =*  ahd.  nahho  (kaum  mit  nör 
zu  vereinigen)  .Nachen  \  Von  weiteren  auf  das  urgermanische  Schiff 
bezüglichen  Ausdrücken  seien  genannt:  altn.  bort»,  ahd.  bort  .Bord', 
altn.  popta,  ahd.  dofta  ,Riiderbank't  altn.  lekr,  agls.  hlec,  nhd.  lech 
,leckr,  altn.  stafn,  agls.  stefn,  umdd.  steven,  altfries.  stevene,  alts.  stamn 
,Steven',  altn.  skaut,  agls.  sc4ata,  ndl.  schoot-horn  .Schote',  altn.  stag, 
agls.  steeg,  inndd.  stach  ,Stag'  u.  s.  w.  S.  auch  u.  Steuer  und  u.  Segel 
und  Mast.  Der  Name  eines  urgermanischen  Seegeistes,  den  man 
sich  als  ein  fabelhaftes  Sceuugcheucr  dachte,  liegt  in  der  Reihe  altn. 
nykr.  agls.  nicor,  ahd.  nihhus,  medium  .Nix,  Nixe"  vor  {*niqim-,  *ni- 
qisi-  :*naqa-,  ahd.  naccho  .Nachen',  „Nachengottheit"?),  während  rein 
persönlich  gedachte  Seegottheiten  wie  die  auf  der  Insel  Walcheren  an 
der  Scheldemündung  verehrte  Göttin  Nehalennia  (vgl.  Kauffmann  Bei- 
träge XVI,  2101V. ),  sowie  die  nach  Tacitus  Germ.  Cap.  9)  von  einem 
Teil  der  Sueben  unter  dem  Symbol  eines  Schiffes  verehrte  Isis  schon 
auf  spätere  Entwicklungsstufen  mythologischer  Vorstellungen  (s.  u. 
Religion)  hinweisen. 

Aus  römischem  Kulturkreis,  auf  dessen  Einwirkung  man  öfters 
fälschlich  die  frühe  Blüte  altgenunniseher  Seetüchtigkeit  zurückgeführt 
hat  (vgl.  R.  Werner  Das  Seewesen  der  germanischen  Vorzeit,  Wetter- 
manns Monatsh.  Üct.  1882),  stammt  nur  der  eiserne  Anker  (s.  d.),  der 
den  alten  senhilstein  des  germanischen  Schiffes  verdrängt.  Einmal 
wird  von  den  Franken  und  Sachsen  erzählt,  dass  sie  in  Folge  des 
Verrates  des  Caransius  nach  römischem  Muster  Schiffe  zu  bauen  ge- 
lernt hätten  (Eumenii  panegyr.  Constantii  12). 

Die  urgerinanischen  Schiffe  waren  ausgehöhlte  Baumstämme,  Ein- 
bäume  oder  dug-outs.  Ausdrücklich  berichtet  Plinius  (Hist.  nat.  XVI, 
203),  dass  die  germanischen  Seeräuber  singulis  arboribus  cacatis  ihre 
Seefahrten  machten,  von  denen  einige  30  Menschen  trügen.  Vgl.  ferner 
Velleius  Patcreulus  II,  107  über  die  Schiffe  der  Nordalbinger):  Unus 
e  barbaris  aetate  senior,  corpore  exceüens,  dignitate,  quantum  osten- 
debat  cultus,  eminens,  carat um ,  ut  Ulis  mos  est,  ex  materia 
conscendit  alreuin  solusque  id  narigii  genus  temperans  ad  medium 
processit  fluminis.  Wirklieh  sind  solche  Einbäume,  zum  teil  von  ge- 
waltigen Verhältnissen,  im  Umkreis  der  Nordsee  wiederholt  gefunden 
worden.  So  das  im  V aaler  Moor  in  Holstein  ausgegrabene  Boot  von 
41'  Länge  und  das  bei  Brigg  (Lincolshire,  England)  entdeckte  prä- 
historische Schiff  von  48'  8"  Länge  vom  Stamm  einer  Eiche,  die  bis 
zu  ihren  ersten  Zweigen  an  50/  gemessen  haben  mag.  Höchst  primi- 
tive Schiffe,  die  (nach  Sidonius  Apoll.  Carm.  VII,  370)  aus  Ruten- 
geflechten mit  Fellen  bestanden  (vgl.  dazu  altgall.  curucis  Dat.  PI.,  ir. 
€ urach,  kymr.  vorwe  ,ein  hautbedecktes  aus  Zweigen  geflochtenes  Boot' 
bei  Stokes  Crkclt.  Sprachschatz  S.  93),  hatten  auch  die  Sachsen.  Eine 


Digitized  by  Google 


Schiff,  Schiffahrt. 


717 


höhere  Technik  verraten  dagegen  von  früher  Zeit  an  die  skandina- 
vischen Fahrzeuge,  soweit  sich  dieselhe  aus  den  der  Bronzezeit  an- 
gebörigen  Felsenhildern,  in  denen  ganze  Seeschlachten  dargestellt  werden, 
und  den  berühmten  Goldschiffchen  des  Kopenhagener  Museums  erkenueu 
lässt,  obwohl  alle  diese  Schiffe  noch  des  Mastes  und  der  Segel  ent- 
behren. Dasselbe  ist  bei  dem  Nydamer  Boot  (im  Kieler  Museum)  der 
Fall,  das  (nach  den  darin  gefundenen  Münzen)  der  zweiten  Hälfte  des 
III.  Jahrhunderts  angehört,  70'  lang  int  und  in  äusserst  trefflicher 
Weise  aus  Kiclboden,  Rippen  und  Planken  zusammengefugt  worden 
ist  (vgl.  Georg  H.  Bochmer  Prehistoric  naval  architecture  of  tue  north 
of  Europe,  Washington  18(J3). 

Mit  derartigen,  teils  besseren,  teils  schlechteren  Fahrzeugen  ausge- 
rüstet, treten  die  Germanen  in  die  Geschichte  ein.  Im  Jahre  12  v.Chr. 
findet  auf  der  Ems  eine  Seeschlacht  zwischen  der  Flotte  des  Drusus 
und  der  der  Bruktcrer  statt  (Strabo  VII,  p.  290).  Im  Jahre  47  n.  Chr. 
muss  der  römische  Feldherr  Cn.  Domitius  Corbulo  die  römischen  Tri- 
remen  den  Rhein  stromabwärts  schaffen,  um  den  Chauken  entgegen- 
zutreten, die  —  gewiss  nicht  zum  ersten  Male  —  mit  leichten  Fahr- 
zeugen die  reichen  Küsten  Galliens  plündern  (Tac.  Ann.  XI,  18).  Im 
Jahre  TO  u.  Chr.  zur  Zeit  des  Bataveraufstandes  unter  Claudius  Civilis 
tritt  eine  grosse  Flotte  barbarischer  Fahrzeuge,  die  je  30—40  Mann 
fassten,  den  Römern  in  der  Massmündung  entgegen  (Tac.  Ilist.  V,  23). 
Oder  blicken  wir  auf  die  Zeiten,  in  denen  die  Germanen  auf  der  ganzen 
Front  aus  Angegriffenen  zu  Angreifern  geworden,  in  immer  neuen 
Stössen  den  Süden  und  Westen  erschütterten,  denken  wir  an  die  Goten 
oder  die  Franken  oder  die  Vandalen,  überall  ist  es,  wie  bei  den  nörd- 
licheren Sachsen  oder  Normannen,  dasselbe  Geschlecht  verwegener, 
trotziger,  beutelustiger  ^Eschenfahrer",  das  uns  begegnet  (vgl.  W.  Wacker- 
nagel Gewerbe,  Handel  und  Schiffahrt  d.  Genn.,  Kl.  Schriften  I,  35  ff.). 

Diese  Ausbreitung  altgermaniscben  Seetahrertums  über  Europa  hat 
in  weiten  Teilen  desselben  seine  sichtbaren  Spuren  zurückgelassen.  Zu- 
nächst in  den  romanischen  Sprachen,  die  sich  in  hohem  Grade  von 
germanischen  nautischen  Tenuinis  durchsetzt  zeigen.  Aus  agls.  bdt  (s.  o) 
stammt  it.  batto,  sp.  batet,  frz.  batmu.  Ahd.  bort  ,Bord'  (s.  o.)  ist  in 
alle  romanischen  Sprachen  aufgenommen  worden  und  hat  hier  —  ein 
Zeichen  seines  alten  Bürgerrechts  auf  romanischem  Boden  —  zu  Wörtern 
wie  bordatura  ,Holzbeklcidung  eines  Schiffes',  daun  ,Band  zum  Ein- 
fassen eines  Kleides'  (von  bordare  ,das  Gerüst  eines  Schiffes  mit  Planken 
versehen'),  vielleicht  anch  zu  frz.  border,  broder  ,einfassen'  und  ,sticken', 
aborder  ,anreden\  eigeutl.  ,mit  einem  Schiff  herankommen'  geführt. 
Aus  agls.  stag  u.  s.  w.  (s.  o.)  stammt  frz.  Mai  und  entsprechend  in 
allen  romanischen  Sprachen,  aus  agls.  steata  u.  8.  w.  (s.  o.)  frz.  icoute, 
sp.  encota.  Alle  romanischen  Sprachen  haben  das  germ.  maxt  (ptg. 
mastro,  frz.  mdt)  übernommen.    Aus  altn.  mötu-nautr  ,Speisegenoss' 


Digitized  by  Google 


718 


Schiff.  Schiffahrt. 


ist  altfrz.  matenot  (woraus  unser  r Matrose")  abzuleiten  u.  s.  w.  Man 
wird  diese  iu  viel  höhcrem  Masse,  als  sich  aus  diesen  Beispielen  er- 
kennen lässt,  die  romanischen  Sprachen  beherrschende  Erscheinung 
nicht  anders  deuten  können,  als  dass  die  romanischen  Völker,  die  Erben 
der  auf  dem  Gebiete  der  Schiffahrt  gänzlich  vom  Griechentum  (s.  o.) 
abhängigen  römischen  Kultur,  während  des  anhebenden  Mittelalters 
durchaus  dem  Meere  fremd  blieben,  und  dass  sie  erst  mit  germa- 
nischem Blute  durchdrungen  und  an  germanischem  Vorbild 
sich  wieder  der  Pflege  der  Schiffahrt  zuwandten. 

Ebenso  wie  im  Westen  und  Süden  unseres  Erdteils,  hat  sich  auch 
im  fernen  Nordosten  die  gleiche  Ausströmung  germanischen  Seefahrer- 
geistes geltend  gemacht.  Dies  zeigt  sich  archäologisch  in  jenen  unter 
den  Namen  Scibsaetningar,  Stenskeppar  etc.  bekannten  schiffförmigen 
Begräbnisstätten,  die  sich  in  Schweden,  auf  Bornholm,  in  Jütlaud,  im 
nördlichen  Deutschland,  in  den  baltischen  Provinzen  Rnsslands,  in  Kur- 
land, Estland,  Livland  in  grosser  Anzahl  gefunden  haben  (vgl.  Boehmer 
a.  a.  O.  S.  558  ff.).  Zweifellos  sollen  sie  auf  dem  Lande  das  hölzerne 
Schiff  ersetzen,  auf  dem  und  mit  dem  nach  nordgermanischem  Brauch 
(s.  u.  Bestattung)  der  vornehme  Tote  verbrannt  zu  werden  pflegte. 
In  linguistischer  Hinsicht  sind  sowohl  die  finnischen  Sprachen  (vgl. 
Ahlqvist  Die  Kulturw.  d.  westfinnischen  Spr.  S.  161  ff.)  wie  auch  das  Li- 
tauische {sziepis,  bötas,  mdstas,  z'dglius,  styras,  kieU)  von  nautischen 
Germanismen  durchdrungen,  obwohl  es  im  einzelnen  schwer  zu  be- 
stimmen sein  wird,  wann  dieselben  eingedrungen  sind.  Einheimisch 
im  Litauischen  scheinen  wältis,  wälte  (ohne  Kiel;  eigentl.  ,Bauni, 
Baumstamm'  =  germ.  *toalpu-8,  ahd.  wald  u.  s.  w.  ,Wald',  vgl.  altpr. 
garian  ,Bauni'  —  lit.  glre  ,Wald',  lit.  mödis  ,Baum'  —  altpr.  median 
,Wald',  ahd.  tanna  .Tanne,  Eiche'  —  mhd.  tan  ,Wald\  sert.  cdna- 
,Baum',  ,Wald',  weiteres  bei  Liden  a.  a.  0.  S.  33)  und  laiwas  (m  i  t 
Kiel)  für  Bot  oder  Schiff  zu  sein.  Der  Einflnss  der  skandinavischen 
Waräger  wird  es  auch  gewesen  sein,  der  die  sla  vis  eben  Völker, 
deren  Einbäume  (jjiovöHuXa)  noch  Konstantin  Porphyrogeueta  (bei  Ka- 
ramsin  Geschichte  des  russ.  Reichs  I,  197)  beschreibt,  zuerst  auf  die 
Schiffahrt  hinwies.  Zum  Beweis  hierfür  genügt,  dass  die  skandinavische 
Sitte  der  Verbrennung  der  Toten  auf  einem  Schiff  nach  dem  Zeugnis 
des  Ihn  Fosslan  (ed.  Frähn)  auch  bei  den  heidnischen  Russen  wieder- 
kehrt. Germanische  Schiffsausdrücke  sind  indessen  in  älterer  Zeit  in 
den  slavischen  Sprachen  kaum  vorhanden,  wohl  aber  zahlreiche  grie- 
chische, wie  altsl.  korabll  ,Schiff'  aus  griech.  icäpaßo«;,  ngriech.  tcapäßi 
(vgl.  K.  Himly  Einiges  über  Schiffsnamen  Z.  f.  Völkerpsych.  u.  Sprachw. 
XII,  226),  russ.  paromü  ,Prahm'  aus  griech.  Tr^pcma,  altsl.  parusü 
,Segel'  aus  griech.  q>äpoq,  altsl.  anükira  ,Auker'  aus  griech.  drKupau.s.  w. 
Die  russischen  Schiffe,  mit  denen  Oleg  gegen  Byzanz  fuhr,  die  je  40 
Krieger  führten,  und  zu  deren  Segeln  je  30  Ellen  Leinwand  nötig 


Digitized  by  Google 


Schiff,  Schiffahrt. 


719 


waren  (Karanisin  a.  a.  0. 1,  381),  werden  das  Werk  griechischer  Sklaven 
gewesen  sein.  Einen  gewissen  Handelsverkehr  zu  Schiff  zwischen 
Griechen  nnd  Russen  setzen  auch  die  Friedensschlüsse  Olegs  und  Igors 
mit  den  Griechen  (911  und  945)  voraus.  Auf  das  allmähliche  Wachs- 
tum der  Schiffahrt  bei  den  Russen  werfen  die  Pravdas  in  sofern  ein 
Licht,  als  in  der  ältesten  derselben,  der  Pravda  Jaroslavs,  von  Schiffen 
überhaupt  nicht  die  Rede  ist,  die  durch  Jaroslavs  Söhue  erweiterte 
Pravda  nur  die  als  ladija  (vgl.  lit.  eldija,  magyar.  ladik)  bezeichnete 
Schiffs-  oder  Bootart  nennt,  deren  Diebstahl  mit  30  Rjesan  und  einer 
Busse  von  60  Rjesan  (dasselbe  kostet  ein  Paar  Enten  und  Gänse,  ein 
Paar  Kraniche  oder  ein  Schwan)  geahndet  wird,  während  die  Pravda 
des  Xlll.  Jahrhunderts  bereits  Seeschiffe,  Korbschiffe,  Barken  etc. 
unterscheidet  (vgl.  Ewers  Das  älteste  Recht  S.  155  ff.,  264  ff.,  308, 
331). 

Wenden  wir  uns  nach  dem  westlichen  Europa  zurück,  so  ist  hier, 
nachdem  durch  den  Abschluss  der  germanischen  Völkerwanderung  sich 
die  Völkerverhältnisse  konsolidiert  hatten,  eine  neue  Epoche  der  Schiff- 
fahrt angebrochen,  als  die  unter  germanischer  Führung  stehende  Nautik 
der  nördlichen  Meere  in  immer  höherem  Grade  der  durch  Griechen, 
Romaneu  und  Araber  entwickelten  Schiffahrt  des  Mittelraecrs  die 
Hand  zu  reichen  anfing,  und  so  die  Voraussetzungen  zu  einem  leben- 
digen Kulturaustausch  von  Süd  nach  Nord  und  von  Nord  nach  Süd 
gegeben  waren.  Dies  geschah  zuerst  in  dem  Zeitalter  der  Kreuzzüge, 
in  denen  die  frommen  Streiter  nicht  selten  auf  Flamänder  und  Bra- 
banter  Schiffen  nach  dem  gelobten  Lande  befördert  worden  waren, 
noch  mehr,  als  mit  dem  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts  die  seeberühmten 
Republiken  Genua  und  Venedig  einen  regelmässigen  Galeerendienst 
mit  den  Märkten  Brügge  und  Antwerpen,  die  auch  der  inzwischen  er- 
blühten deutschen  Hanse  offen  standen,  eingerichtet  hatten.  Zahllose 
nautische  Tennini,  teils  griechischen,  teils  romanischen,  teils  arabischen 
Ursprungs  beginnen  nun  sich  in  den  Sprachen  auch  der  nördlichen 
seefahrenden  Nationen  zu  verbreiten.  So  an  Bezeichnungen  für  neue 
Schiffsarten  das  aus  gricch.  tcörxn  »Muschel'  hervorgegangene  roma- 
nische concha,  cocca  ,Muschel,  Behälter,  Wanne',  dann  ,eine  Schiffsart', 
das  sich  im  Mittelalter  über  alle  Küsten  des  atlantischen  Ozeans,  der 
Nord-  und  Ostsee  (schon  ahd.  kocko)  zur  Bezeichnung  von  Handels- 
schiffen verbreitet,  ebenso  «las  aus  griecli.  ßäpiq  (s.  o.)  entwickelte  rom. 
barca,  unser  barke  und  mhd.  galie,  gale,  galeide,  galine,  zuletzt  aus 
gricch.  KdXov  JIolz',  , Fahrzeug'.  Aus  dem  Arabischen  stammt  z.  B. 
der  in  der  deutschen  Seemannssprache  gebräuchliche  Ausdruck  kal- 
fatern für  ein  Schiff  ausbessern  (frz.  calfater,  mgriech.  KaXaqxiTTiq  ,Schiffs- 
arbeiter',  arab.  qalaf),  aus  dem  Griechischen  die  Seeinannsbezcich- 
nungen  mantel,  eine  besondere  Art  von  Tauen  (vulgärlat.  amantes, 
griech.  \u<xvt€s)  und  xtropp,  z.  B.  ankerstropp  (lat.  struppus,  griech. 


Digitized  by  Google 


720 


Schiff,  Schiffahrt  -  Schild. 


öTpöcpos),  aus  dem  Romanischen  bat,  zuletzt  auf  den  Namen  des  be- 
rühmten römischen  Seebads  Bajae  zurückgehend  (vgl.  H.  Schuchardt 
Beiträge  XIX,  537  ff.)  u.  s.  w.  Vgl.  weiteres  hei  Vf.  Handelsgeschichte 
und  Warenkunde  I,  39  ff.  und  Die  Deutschen  und  das  Meer  (Wissensch. 
Beihefte  z.  Z.  d.  allg.  d.  Sprachvereins  XI.  Heft).  —  S.  u.  Anker, 
Lavieren,  Leuchtturm,  Lotse,  Magnet,  Ruder,  Segel  und 
Mast,  Steuer,  Fisch  (Fischfang). 

Schild.  Bis  tief  in  die  notorischen  Zeiten  werden  die  Schilde 
meist  aus  so  vergänglichen  Matcrialen  (wie  Holz,  Flechtwerk  und 
Leder)  hergestellt,  dass  ihre  Erhaltung  aus  frühen  urgeschichtlichen 
Epochen  nicht  erwartet  werden  kann.  Gleichwohl  zweifeln  die  Forscher 
(vgl.  z.B.  Montelius  Die  Kultur  Schwedens2  S.  22)  nicht  daran,  dass 
Schilde  schon  in  der  Steinzeit  Europas  als  Schutzwaffe,  und  zwar 
als  einzige  Schutzwaffe,  gebraucht  wurden.  Bronzene,  runde 
oder  rundliche  Schilde  siud  wiederholt,  wenn  auch  nicht  allzu  häufig, 
diesseits  der  Alpen  bis  nach  Schweden  und  Dänemark  gefunden  worden. 
Sie  sind  ohne  Zweifel  südlicher  Herkunft,  und  mehrere  von  ihnen  sind 
dadurch  gekennzeichnet,  dass  sie  ihrer  Beschaffenheit  nach  unmöglich 
zu  wirklichem  kriegerischen  Gebrauch  gedient  haben  können  (vgl. 
Montelius  a.  u.  a.  0.  S.  65  und  Lindenschmit  Altertümer  III,  7,  2). 
Häufig  sind  uns  dagegen,  namentlich  durch  die  nordischen  Moorfunde, 
wirkliehe  Sehilde  aus  dem  Eiaenzeitalter  erhalten.  „Sie  waren  rund, 
flach  und  au?  mehreren  gehobelten  dünnen  Brettern  zusammengesetzt. 
Die  Grösse  wechselt  von  60  cm.  bis  l,2;~>m.  Am  Rande  entlang  läuft 
zuweilen  ein  feiner  Beschlag  aus  Bronze,  hin  und  wieder  auch  aus 
Silber.  In  der  Mitte  ist  ein  Loch  für  die  Hand,  geschützt  wurde  die 
Hand  durch  einen  über  diesem  Loch  befestigten  Buckel  von  Eisen, 
Bronze,  Silber  oder  Holz".  Sie  entsprechen  also  in  ihrer  Gestalt  den 
rotunda  scuta,  die  Tacitus  Germ.  Gap.  43  als  gemeinsame  Eigen- 
tümlichkeit der  Ostgermanen  im  Gegensatz  zu  den  übrigen  Germanen, 
die  also  eckige  Schilde  trugen,  bezeichnet.  Auf  der  Marcus-Säule 
sind  in  den  Händen  der  Germauen  runde  u  n  d  sechseckige  Sehilde 
dargestellt. 

Wenn  das  hohe  Alter  des  hölzernen  oder  ledernen  Schildes  in  Europa 
nach  dein  obigen  durch  die  Prähistorie  nur  vermutet,  nicht  erwiesen 
werden  kann,  so  weist  auf  dasselbe  die  Sprachvergleichung  mit 
Sicherheit  hin.  Auf  Urverwandtschaft  beruht  die  kcltisehe  und  sla- 
visehe  Benenuung:  ir.  sciath  =-  altsl.  Mitü.  Die  Grundform  ist  *skeito- 
fsqeito-),  auf  der  auch  ahd.  seit,  altn.  skib  beruht,  die  ,Scheit",  ,Holz' 
bedeuten,  wie  auch  mhd.  bret  und  agls.  bord  die  Bedeutungen  , Brett' 
und  ,Schild'  vereinigen.  Vgl.  dazu  noch  die  Nachricht  des  Tacitus 
Ann.  II,  14:  Ne  scuta  quidem  (gernnt  Germani)  ferro  nervoque  /ir- 
mata,  sed  vhninum  te./tus  cel  tenues  et  fucatas  colore  tabulas. 
Vielleicht  ist  auch  lat.  seilt  um  aus  *skoito-m  (*tiqoito-m,  altpr.  *scaytan 


Digitized  by  Google 


Schild. 


721 


für  das  überlieferte  stayian  ,Schild')  hierher  zu  stellen,  und  dann  nicht 
mit  griech.  (Jköto?  ,Leder'  in  Verbindung  zu  bringen.  Ja,  sollte  die 
Zusammenstellung  von  griech:  d-o*mb-,  doms  und  lit.  skgd  as  ,Schild' 
(B.  B.  I,  337)  berechtigt  sein,  so  Hessen  sieh  unter  der  Annahme  einer 
idg.  Doppclwurzel  *8qit  {*8qeito-,  *sqoito-)>  und  *gqid  auch  diese  Wörter  an 
altir.  nciath,  altsl.  Stitü,  lat.  scütum  angliedern.  Sehr  nahe  läge  dann 
ferner  die  Verbalrcihc  scrt.  chid,  griech.  oxiZw,  lat.  scindo  (*sqhid)  neben 
ahd.  äceidan  (*sqhit),  so  dass  die  Grundbedeutung  der  ganzen  Sippe 
,abgespaltenes  Stück  Holz'  wäre.  Abseits  steht  das  gemeingermanische 
got.  skildus,  abd.  seilt  etc.,  das  eine  sichere  Erklärung  bis  jetzt  noch 
nicht  gefunden  hat  (vgl.  Ublenbeck  Et.  W.  d.  got.  Spr.).  Sehr  für 
einen  ursprünglichen  Zusammenhang  mit  skildus  zu  erwägen  ist  aber 
das  ir.  acell  ,a  shield,  buckler',  wobei  anzunehmen  wäre,  dass  im 
Irischen,  wie  ursprüngliches,  so  auch  das  aus  Idh  fsceldhus)  hervorge- 
gangene Id  zu  II  geworden  wäre  (vgl.  Brugmann  Grundriss  I8,  IS.  538). 
Als  Wurzel  von  got.  skildus,  ir.  scell  wäre  dann  die  von  lit.  skeliü 
,spalte'  (skiltls  abgeschnittene  Scheibe  )  anzunehmen,  so  dass  skildus 
dasselbe  wie  altsl.  stitü  u.  s.  w.  bedeutete.  —  Abgesehen  von  diesen  auf 
Urverwandtschaft  beruhenden,  allerdings  noch  nicht  durchweg  sicher 
gestellten  Gleichungen,  wird  der  Schild  in  den  Einzelsprachen  nach  dem 
Material  benannt,  aus  welchem  er  hergestellt  ist,  also  vornehmlich  ent- 
weder als  der  lederne  oder  als  der  hölzerne.  Zur  ersteren  Kate- 
gorie gehören:  griech.  (bom.)  <j&ko<;  (rcobnveKeq,  ducpißpOTov)  :  scrt. 
tvdc-  ,Haut,  Fell',  ßoüq,  ßiirv  (hom.)  ,Stier'  und  ,Schild',  ^ivö?  (hom.) 
.Haut'  und  ,Sehild\  n^Xxn  und  ndXun.  (Hesych) :  tt^Xmci  ,Soblc',  lat. pellti, 
zur  letzteren:  griech.  Gupeöt  (bei  späteren  Schriftstellern  und  meist 
auf  den  nordischen  Schild  angewendet)  :  9üpa  ,Thürbretf,  itea  :  \xia 
,Weide',  ir.  fern  (vgl.  fernog  ,Erle'),  ahd.  linta,  agls  lind,  eigentl. , Linde'. 
Als  ,Ele  cht  werk'  scheint  er  im  griech.  Y^ppov  (aus  *Y€po"o-v  =  altn. 
kiarr  .Gebüsch,  Gesträuch  )  bezeichnet  zu  sein,  das  Herodot,  Xenophon 
u.  a.  auch  für  einen  leichten,  mit  Rindaledcr  überzogenen  Schild, 
namentlich  der  Perser  gebrauchen  (vgl.  Laden  Studien  z.  altind.  u. 
vergl.  Spracbg.  S.  7  f.).  Derartige  aus  Flechtwerk  hergestellte  und 
mit  Leder  überzogene  Schilde  werden  auch  von  Caesar  De  bell.  Gall. 
II,  33  bei  den  Galliern  gemeldet.  Unerklärt  sind  griech.  (hom.)  Xm- 
tfrjtov,  lat.  clupewt,  clipeus  und  parma  (auch  spätgriech.  Träpur)  und 
bei  Hesych  Trdpun.  •  Optfiaov  öttXov  :  scrt.  gdrman-  .Leder,  Schild"?), 
altn.  targa,  törjuakjöldr  (vgl.  ahd.  zarga  ,Schutzvvehr'),  woraus  it. 
targa  etc.  und  ir.  target  ,Tartsche\  sowie  das  latino-barbarische  (vgl. 
Diefenbach  0.  E.  S.  294,  G.  Goetz  Thesaurus  I,  204)  ettra,  8cttra 
(:  ir.  sciath?). 

Wenn  nach  dem  bisherigen  der  Schild  als  eine  ureuropäische 
Schutzwaffe  zu  betrachten  ist,  so  bleibt  es  doch  auffallend,  dass  keiner 
der  europäischen  Schildnamen  bis  in  die  arischen  Sprachen  verfolgt 

Schräder.  Reallexikon.  46 


Digitized  by  Google 


722 


Schild  -  Schilf. 


werden  kann.  Im  Rigveda  fehlt  die  Erwähnung  des  Schildes  ganz 
und  gar.  Das  spätere  seit,  sphara-,  spharaka-  aber  erweist  sich  als 
Fremdwort  aus  dem  Persischen  (vgl.  aw.  spdra-,  npers.  siper  und  die 
Hesychische  Glosse  ffnapa-ßdpai  •  ol  Y€PP<>9Öpoi ;  von  hier  entlehnt  auch 
armen,  aspar). 

Im  übrigen  sei  hier  noch  auf  zwei  Punkte  aus  der  ältesten  Ge- 
schichte des  Schildes  hingewiesen.  Einmal  auf  die  bei  Germanen 
und  Kelten  bezeugte  Sitte,  die  Vorderseite  der  Schilde  mit  grellen 
Farben  zu  bemalen  (über  die  Germanen  vgl.  oben,  sowie  Tacitns  Germ. 
Cap.  6:  Scu'ta  lectissimis  coloribus  distinguunt  und  43:  (Hariis)  — 
nigra  acuta,  über  die  Kelten  E.  O'Curry  Manners  and  customs  I, 
CCCCLXX),  worin,  wie  man  annimmt,  die  Anfange  der  Familien  wappen 
bei  diesen  Völkern  wurzeln  (weiteres  bei  Möllenhoff  Deutsche  A.-K. 
IV,  168  f.).  Das  andere  mal  darauf,  dass  in  Italien  die  Sage  das 
Staunen  der  Römer  über  das  erste  Auftreten  metallener  Schilde  viel- 
leicht in  den  Mythen  festgehalten  hat,  die  sich  an  die  heiligen  ancüia 
(angeblich  aus  *amb  =  d^qn  und  caedo,  „au  beiden  Seiten  ausge- 
schnitten'') der  Salier  knüpfen.  „Ein  bronzener  Schild  fiel  vom  Himmel 
herab  und  wurde  durch  göttliche  Schickung  in  der  Regia  des  Numa 
gefunden.  Damit  das  Gottesgeschenk  nicht  von  Feinden  entwendet 
werde,  Hess  Numa  durch  den  schmiedekundigen  Mamurins  elf  ganz 
gleiche  Schilde  machen,  welche  mit  ihrem  Vorbilde  zur  Ausrüstung 
der  zwölf  Salier  dienten"  (vgl.  Marquardt  Röm.  Staatsverw.  III,  412, 
Heibig  Die  Italiker  in  d.  Pocbene  S.  78).  In  hohem  Grade  bemerkens- 
wert ist,  dass  wie  mehrere  der  oben  genanuten  nordischen  Rronze- 
schilde,  so  auch  die  ältesten  in  Griechenland  und  Italien  gefundenen 
nicht  zu  kriegerischen,  sondern,  wie  Heibig  (Horn.  Epos*  S.  314)  ver- 
mutet, zu  Votiv-  oder  Sepulkralzwecken  angefertigt  sind.  Über  die 
Herkunft  der  den  Ländern  nördlich  der  Alpen  entstammenden,  bronzenen 
Schilde  kann  man  also  nicht  zweifeln.  —  S.  u.  Waffen. 

Schildkröte.  Auf  Urverwandtschaft  beruhen  die  Bezeichnungen 
griech.  x^uS>  X^wvn..  aeol.  x^Mvi»  auch  xcXwvö^  (Hes.),  altsl.  zlly. 
ielüvl,  zelvi  (Ii*.  z'Mwe)  und  sert.  harmufa-  (letzteres  freilich  schlecht 
bezeugt).  Hierher  wird  auch  das  Corp.  gloss.  Lat.  IV,  184  (G.  Goetz 
Thes.  1,  498)  genannte  golaia  gehören:  testudo,  quam  vulgo  testudinem, 
alii  golaia m  dicunt.  Italienische  Dialekte  bieten  golola,  galora.  Vgl. 
noch  griech.  duü^,  £uüq.  Lat.  testudo  von  testa,  doch  ist  nicht  dieses, 
sondern  ein  volkstümliches  *törtüal  in  die  romanischen  Sprachen  über- 
gegangen: it.  tartaruga,  frz.  tortue  (engl,  turtle).  lr.  selige  gl. 
testudo  :  lit.  seleti  schleichen'  (K.  Z.  XXXV,  596),  korn.  melvioge* 
(vgl.  Zeuss  Gr.  Celt.s  p.  1076).  Lit.  gelezinis  warU  ,ciserncr  Frosch'. 
Arisch:  sert.  kaeydpa-  =  aw.  kasyapa-.  —  Vgl.  0.  Keller  Die  Schild- 
kröte im  Altertum.  Prag  1897. 
Schilf,  s.  Rohr. 


Digitized  by  Google 


Scbindel  —  Schleifstein. 


723 


Schindel,  s.  Ziegel. 
Schlacht,  s.  Krieg. 

Schlange.  Die  idg.  Sprachen  sind  reich  an  übereinstimmenden 
Benennungen  dieser  Tiere.  Am  verbreitetsten  unter  ihnen  ist  die 
freilich  noch  nicht  in  allen  Punkten  lautlich  klar  gestellte  Reihe:  scrt. 
dhi-,  aw.  azi-,  armen,  t£,  griech.  ?xi?>  ö<pi?,  £x,ovct  >Vippcr',  (mit  Na- 
salierung:) lat.  anguis,  ir.  esc  ung  , Sumpfschlange,  Aal',  mhd.  unke,  slav. 
onil  aus  *ongjü,  nsl.  vöi  u.  s.  w.,  lit.  angis  (s.  auch  u.  Aal).  Ferner 
entsprechen  sieh  scrt.  sdrpa-,  lat.  serpens,  alb.  g'arper  (vgl.  auch  griech. 
{■pmu),  sowie  lat.  nätrix,  ir.  nathir,  nuthrach,  kymr.  neidr,  got.  nadrs, 
ahd.  ndtara.  Über  ahd.  slango  s.  u.  Aal.  —  Da,  wie  im  Germauischen, 
die  Schlange  öfters  auch  unter  dem  Worte  „W  u  r  mu  verstanden  wird, 
so  seien  hier  zwei  vorgeschichtliche  Benennungen  dieses  Begriffes  hin- 
zugefügt :  lat.  vermis,  got.  waürms,  griech.  pd^cx;  »Holzwurm'  und 
scrt.  kfmi-}  ir.  cruim  (kymr.  pryf  etc.),  lit.  kirmeli,  altsl.  örüvl  (s. 
auch  u.  Kermes  und  n.  Ro t).  —  Über  idg.  Schlangendienst  s.  u. 
Ahnenkultus. 

Schlachtordnung,  s.  Heer. 

Schlauch,  s.  Fass,  Korb,  Sack,  Mass  (Messen). 
Schleie.    Der  Fisch  war,  ebenso  wie  der  ihm  nah  verwandte 
Karpfen  (s.  d.),  im  Altertum  nicht  bekannt  oder  nicht  beachtet.  Erst 
in  des  Ausouius  Mosella  v.  125: 

quis  non  et  virides,  volgi  solacia,  tincas 
norit 

tritt  tinca  ,Schleie'  auf,  in  dieser  Bedeutung  durch  die  romanischen 
Sprachen  (frz.  tauche  etc.)  und  durch  udl.  tinke  erwiesen.  Die  germano- 
ütu-slavischcn  Sprachen  verfügen  dagegen  über  einen  wenigstens  in 
der  Wurzelsilbe  identischen  Nameu  des  Fisches:  ahd.  slio,  agls.  »Ute, 
lit.  lynas,  altpr.  Unis,  slav.  *lini,  eech.  lih  u.  s.  w.  (mit  wechselnder 
Bedeutung),  mit  dem  Berneker  Die  preussisehe  Sprache  griech.  Xiveo^ 
,ein  Meerlisch'  vergleichen  möchte.  Vielleicht  ist  die  Wurzel  dieselbe, 
wie  die  in  dem  mhd.  »lim  ,8chleim'  steckende.  —  S.  n.  Fisch, 
Fischfang. 

Schleifstein.  Solche  zum  Schleifen  der  steinernen  Äxte,  Beile, 
Messer,  Sägen,  Sicheln,  Meissel  n.  s.  w.  unentbehrlichen  Werkzeuge 
sind  aus  der  Steinzeit  in  Menge  nachgewiesen.  Zum  teil  sind  sie 
durchlocht,  um  an  einem  Bande  getragen  zu  werden.  Eine  idg. 
Bezeichnung  hierfür  ist  in  der  Gleichung  scrt.  qäna-  =  griech.  kuivo«; 
(vgl.  Brugmann  Grundriss  I*,  1  S.  352)  erhalten;  allerdings  bedeutet 
das  griechische  Wort  nur  ,Spitzstein'  im  allgemeinen.  Näher  der  Be- 
deutung, entfernter  der  Bildung  nach  liegen  lat.  cös,  cö-t-is  Schleif- 
stein' und  das  gemeingerm.  altn.  hein,  agls.  hdn,  engl,  hone  id.  (vgl. 
Noreen  Urgerm.  Lautlehre  S.  215).  Die  Th  ätigkeit  des  Schleifens 
wird  durch  die  Gleichung  scrt.  eud  .wetzen'  (*kud,  *kved\  vgl.  Grass- 


Digitized  by  Google 


724  Schleifstein  —  Schlitten,  Schlittschuh. 

mann  Wörterbuch  zum  Rigv.)  =  ahd.  tcezzan  (*hicazzjan),  agls.  hicettanr 
altn.  hcetja  (*kvod)  aasgedrückt  worden  sein.  Einzelsprachlich: 
griech.  äicövn  (,spitzer  Stein',  vielleicht  =  armen,  yesan  ,  Wetzstein'), 
altpr.  glosto  ,Wetzstein',  lett.  galüds  id.  (lit.  galdsti  ,wetzen')  und 
tackelis,  lit.  tekilas,  lett.  tezils,  russ.  brusü  .Schleifstein'  (altsl.  brüs- 
nqti  ,radere').  —  S.  u.  Werkzeuge. 

Schleuder.  Bearbeitete  Steine,  welche  von  den  Urgeschichts- 
forschern  als  Schleudersteine  angesprochen  werden,  sind  in  den  Funden 
der  europäischen  Steinzeit  in  Menge  vorhanden.  Ob  sie  in  der  ältesten 
Zeit  aus  freier  Hand,  mit  Hilfe  eines  Stockes  („Stockschleuder")  oder 
der  eigentlichen  Schleuder  ^Bandschleuder")  geworfen  wurden,  ist 
unbekannt  (vgl.  Nilsson  Das  Steinalter3  S.  42 f.).  Von  den  idg.  Völkern 
wird  diese  Waffe  von  den  ältesten  bis  tief  in  die  historischen  Zeiten 
gefuhrt,  von  den  Indern  und  Iraniern  (sert.  rican-  ,Schlenderstein'  = 
aw.  dsan-',  vgl.  griech.  ökujv  ,Wurfspeer'),  ebenso  wie  von  den  home- 
rischen Griechen,  bei  denen  die  Lokrcr  „vertrauend  aof  die  wohlge- 
drehte Flocke  des  Schafes"  zu  Felde  ziehen  (II.  XIII,  716),  den 
Römern  und  Nordvölkern  (Uber  die  Kelten  und  Germanen  vgl.  0'  Curry 
Manners  and  customs  I,  CCCCLX  ff.).  Vielleicht  war  der  idg.  Name  für 
den  Schlenderstein  nicht  von  dem  des  Wurfhammers  (s.  u.  Hammer) 
verschieden.  Ein  gemeinsamer  Ausdruck  für  ein  schleudcrartiges  Werk- 
zeug fehlt  bis  jetzt.  Einzelsprachlich:  grieeb.  o*<pevb<Svn,  lat.  funda 
(wohl  eher  aus  dem  Griechischen  entlehnt  als  ihm  urverwandt),  germ.  • 
ahd.  slengira,  slinga,  geiueinsl.  altsl.  prasta  (vgl.  Miklosich  Et.  W.  u. 
porkü),  lit.  wllpsztyne'.  —  S.  u.  Waffen. 

Schlitten,  Schlittschuh.  Da  die  Indogcrmancn  den  Wagen 
(s.  d.)  kannten  und  in  einem  Klima  mit  Schnee  und  Eis  (s.  d.) 
lebten,  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass  sie  es  auch  verstanden  haben, 
den  Wagenkasten  im  Winter,  statt  auf  Räder,  auf  Kufen  zu  stellen. 
Doch  ist  eine  urverwandte  Bezeichnung  für  den  Schlitten  auch  in 
den  nördlichen  Sprachen,  wo  man  sie  erwarten  könnte,  noch  nicht 
gefunden  worden.  Die  Übereinstimmung  von  gemeinslav.  russ.  sani 
PI.  (lett.  sdnüs,  finn.  u.  s.  w.  saani)  mit  o*n,viKr|,  *(Tavi-Kr|  •  fiipoxo^ 
äua£a  (Schleife,  Schlitten)  bei  Hesych  wird  auf  Entlehnung  des  nor- 
dischen Worts  (serb.  sanfte,  saonice)  in  eine  südliche  Sprache  (vgl. 
auch  ngriech.  aavto;  alb.  saje  aus  bulg.  sanije)  beruhen.  Gemeingerm.: 
ahd.  slita,  engl,  sledge,  altn.  siede  :  agls.  slidan,  engl,  slide  dahin- 
gleiten'. Lit.  szläjo8,  altpr.  slajo.  Die  romanischen  Sprachen  haben 
ganz  verschiedenartige  Ausdrücke  :  it.  slitta  (aus  dem  Deutschen), 
treggia  (aus  lat.  trahea  ,SchIeife7),  frz.  traineau  (:  train),  sp.  rastro 
(aus  lat.  rastrum  ,  Hacke')  u.  a.  —  Die  eigentliche  Heimat  des  Schlittens, 
der  Schnee-  und  Schlittschuhe  ist  das  Gebiet  der  Finnen,  die  von 
Cassiodor  an  als  Skridifinnen  (:  ahd.  scritan,  scritiseuoh  ,peta8us') 
jSchreitfinneu'  (d.  h.  auf  Schneeschuhen  dahingleitend)  bezeichnet 


Digitized  by  Google 


Schlitten,  Schlittschuh  —  Schmied. 


725 


werden.  Näheres  bei  Ahlqvist  Kultnrwörter  S.  125  ff.  und  Mttllenhoff 
Deutsche  Altertumskunde  II,  40  ff.  Doch  verdient  bemerkt  zu  werden, 
■<la88  auch  in  Deutschland,  z.  B.  im  Provinzialmuseum  zu  Halle,  zu 
Emden  und  sonst,  knöcherne  Gegenstände  aufbewahrt  werden,  die  die 
«Urgeschichtsforscbcr  für  Schlittschuhe  halten. 

Schlüssel.  Bronzene  oder  eiserne  Schlüssel  scheinen  in  Mittel- 
and Nord-Europa  nicht  vor  Ausbreitung  der  römischen  Kultur  vor- 
zukommen (vgl.  Lindenschmit  Altertümer  II,  Undset  Das  erste  Auf- 
treten des  Eisens  in  Nordeuropa  und  General-Reg.  d.  Z.  f.  Ethn.).  Gleich- 
wohl rauss  man  schon  vor  dieser  Zeit  Mittel  gekannt  haben,  die  Thür 
(8.  d.)  des  Hauses,  die  für  gewöhnlich  der  Lichtöffnung  wegen  offen 
stand,  zn  verschliessen.  Auf  ein  solches  weist  die  Gleichung  griech. 
(hom.)  KXnt?  , Schlüssel'  (kXciuj,  KXnt£u>  ,8chlies8e'),  lat.  clävis  , Schlüssel', 
cldvus  ,Nagel'  (claudo  aus  *cldvi-dö,  eigentl.  ,ich  setze  einen  Nagel'), 
ir.  clöi  .Nägel',  inkymr.  cloeu  deutlich  hin.  Wahrscheinlich  ist  hierher 
auch  altsl.  Mjuti  (vgl.  dor.  KXdiS  .Schlüssel'  und  lit.  kliüti  ,haken 
bleiben') , Haken,  Schlüssel'  und  altfries.  slüta,  ahd.  sliozzan  ,schliessen' 
aus  *shlu-d  (davon  alts.  slutil,  ahd.  sluzzil)  zu  stellen.  Als  Grund- 
bedeutung von  *{8)klävi-  ergiebt  sich  also  die  eines  gebogenen,  haken« 
förmigen  Nagels,  dessen  man  sich  bediente,  sowohl  um  den  inneren 
Riegel  von  aussen  her  zuzustossen  wie  auch  zurückzuschieben.  That- 
sächlich  haben  sich  derartige,  dietrichförmige  Nägel,  wie  den  Vf.  Herr 
M.  Much  mündlich  belehrte,  in  prähistorischen  Ansiedlungen  gefunden, 
welche  dem  angegebenen  Zwecke  gedient  zu  haben  scheinen.  In  den- 
selben Zusammenhang  gehört  auch  das  dänische  nbgle,  eigentl.  .Nagel', 
dann  .Schlüssel'.  Lit.  räktas  .Schlüssel'  (dunkel).  Vgl.  noch  lat. 
pe88ulti8  , Riegel'  aus  griech.  ndo~aaXo<;  , Holznagel'. 

Schlüsselgewalt,  s.  Ehescheidung. 

Schmaus,  s.  Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 

Schmetterling.  Auf  vorgeschichtlichen  Zusammenhang  hat  viel- 
leicht das  gemeingerra.  agls.  flfealde,  mit  -r :  alts.  flfoldara,  ahd.  f\- 
faltra  etc.  nebst  lat.  päpilio  (*pl-pot-tlo-  :  *pä  pot-lion-,  vgl.  ir^touai 
»fliege',  Noreen  Urg.  Lautl.  S.  228)  Anspruch.  —  Die  übrige  Termi- 
nologie des  Tieres  vgl.  bei  Edlinger  Tiernamen  S.  95  und  Kluge  Et. 
W.8  unter  Falter  und  Schmetterling.  Sie  schwankt  zwischen  höchst 
poetischen  und  sehr  trivialen  Benennungen,  deren  Extreme  in  dem 
schönen  griech.  yuxn  (seit  Aristoteles  Hist.  anim.  V,  17,  4:  Kai  IkkI- 
TCTai  iE  aüTÜJV  Tmpurrä  Ziwa,  a;  KaXouuev  ij/uxä{)  und  dem  slavischen 
*metulif  ms«,  motyll  ,Schmetterling'  :  russ.  motylü  ,Mist'  (vgl.  Miklosich 
Et.  W.)  liegen.    „Seele"  und  „Mistling"  —  Griechen  und  Barbaren. 

Schmied.  Eine  idg.  Bezeichnung  des  Schmiedes  oder  Metall- 
arbeiters lässt  sich  nicht  nachweisen.  Hingegen  stimmen  die  Namen 
^desselben  in  den  Einzelsprachen  meist  durch  alle  Dialekte  Uberein. 
Im  Italischen:  lat.  faber,  picenisch  fdber  (forte  faber  F.  Bücheler 


Digitized  by  Google 


72G 


Schmied. 


Lex.  it.  p.  IX:  got.  gadaban  ,passen',  gadöfs  ,passend',  lit.  dablnti 
»schmücken',  altsl.  dobrü  ,gut',  also  „der  geeignete,  tüchtige  Mann"), 
im  Keltischen:  ir.  goba,  bret.  körn.  kymr.  gof  (vgl.  die  Eigennamen 
altgall.  Oobannitio,  ir.  Gobanus,  kymr.  Gouanon  wie  lat.  Fabricius, 
vielleicht:  lit.  gabenü  ,fortschaffcn,  befördern,  zu  Wege  bringen',  also 
vielleicht  der  „Förderer"),  im  Germanischen:  got.  smipa,  altn.  «miör, 
ahd.  smid  (:  griech.  ffuiXn.  ,Schnitzmesser',  cruivun.  , Hacke',  also  allgemein 
„der  Künstler",  wie  denn  altn.  smidr  sowohl  vom  Arbeiter  in  Holz 
wie  von  dem  in  Metall  gebraucht  wird).  Eine  gemeinschaftliche  Be- 
nennung haben  das  Altslovenische  und  Altpreussische  in  cütrl — tutri« 
(altpr.  autre  ,Schmiede').  Alle  diese  Wörter,  soweit  sie  etymologisch 
klar  sind,  bedeuten  also  nicht  speziell  den  Metallarbeiter,  soudern  all- 
gemein den  „geschickten  Mannu  (s.  auch  u.  Gewerbe)  und  haben 
sich  erst  nach  und  nach,  und  auch  nicht  vollständig,  auf  den  Schmied 
spezialisiert. 

Andere  Bezeichnungen  des  Schmiedes  in  den  Einzelsprachcn  sind: 
sert.  (Rigveda)  kdrmdrd-  (:  kar  ,machen'),  griech.  (Homer)  x^Xkcu?, 
später  auch  o*ibn.p€Ö<;,  ir.  cerd  (  =  lat.  cerdo  ,IIaudwerksmann'),  lit. 
kdlwix  (:  kdlti,  lat.  cellere  »schlagen'),  altsl.  kovadi  (:  kocati,  ahd. 
houwan  ,hauen'),  kuzntcl  (:  kuznl  ,res  c  metallo  euso  factae'),  medarl 
(:  midi  , Kupfer'),  poln.  rudnik  (:  ruda  , Eisen')  u.  a. 

Auch  die  Namen  der  dem  Schmied  notwendigen  Werkzeuge  und 
Vorrichtungen  gehen  weit  auseinander.  Der  Amboss  heisst:  griech. 
(Homer)  äkuiov  (eigentl.  ,Stein',  vgl.  aneb  sert.  d$man),  lat.  inem  (von 
cüdere),  ahd.  ana-böz  (:  ahd.  bözzan  .schlagen')  und  anafalz,  agls. 
anfilt,  mhd.  anehou,  dän.  ambolt,  altsl.  nakovalo  (:  kovati  , hauen  ),  lit. 
priekälaH,  altpr.  j)reicali#  (:  lit.  kdlti),  der  Blasebalg:  sert.  dhmdtds 
drtis  (an  dessen  Stelle  ursprunglich  die  Fittige  grosser  Vögel  stehen, 
vgl.  Rigveda  IX,  112,  2),  griech.  tpücra.  lat.  follis  (=  griech.  öaXXi? 
Hcs.),  der  Schmelzofen:  sert.  dhmdtdr-  (:  dham,  dhmd  , blasen'),  aw. 
saepa-  u.  a.  neben  dem  aus  dem  Semitischen  (hebr.  tannür)  entlehnten 
tanüra-  (npers.  tanür,  armen,  'tonir),  griech.  (homer.)  xoavoi  (:  x^w) 
u.  a.  S.  auch  u.  Ofen,  Zange,  Hammer,  für  welchen  letzteren 
Begriff  zwar  urverwandte  Gleichungen  bestehen,  die  aber  natürlich  nicht 
gerade  Schmiedehammer  zu  bezeichnen  brauchen. 

Es  zeigt  sich  also,  dass  die  Ausbildung  einer  Terminologie  des 
Schmiedes  und  seines  Handwerks  erst  den  Einzelsprachen  angehört. 
Dies  könnte  auffallend  erscheinen,  wenn  man  bedenkt,  dass  das  Hervor- 
treten des  Schmieds  und  seines  Gewerbes  aufs  engste  mit  dem  Hervor- 
treten der  Metalle  zusammenhängt,  und  dass,  wie  u.  Kupfer  gezeigt 
ist,  die  idg.  Urzeit  zwar  im  wesentlichen  auf  steinzeitlicher  Grundlage 
beruhte,  trotzdem  aber  das  Rohkupfer  in  ihr  bereits  bekannt  war,  und 
vielleicht  auch  schon  in  beschränktem  Masse  verarbeitet  wurde,  dass 
endlich  jedenfalls  die  Bronze  (s.  u.  Erz)  schon  in  den  ältesten  Epochen 


Digitized  by  Google 


Schmied. 


727 


gewisser  Einzelvölker  eine  technisch  wichtige  Rolle  spielte.  Diesen 
scheinbaren  Widerspruch  hat  M.  Much  Die  Kupferzeit  in  Europa8 
S.  353  durch  folgende  Ausführung  zu  beseitigen  versucht:  „Gerade 
der  Umstand,  dass  die  Terminologie  der  Schmiedekunst  in  der  arischen 
<idg.)  Urzeit  noch  nicht  zur  vollen  Ausbildung  gelangt  war,  stimmt 
wieder,  man  möchte  fast  sagen,  wunderbar  zutreffend,  mit  den  Ergeb- 
nissen der  Urgcschichtsforschung,  denen  zufolge,  wie  aus  den  Funden 
nachgewiesen  werden  konnte,  die  erste  Bearbeitung  des  Kupfers  nicht 
durch  Schmieden,  sondern  durch  Schmelzen  und  GiesBcn  in  Formen 
geschah.  Das  eigentliche  Schmieden  ist  offenbar  erst  durch  die  Ent- 
deckung des  Eisens  —  nicht  hervorgerufen,  aber  zur  vollen  Entwick- 
lung gelangt,  und  zwar  zu  derselben  Zeit,  als  es  auch  auf  die  Bronze 
eine  so  kunstvolle  Anwendung  erhielt  und  die  Arier  längst  in  Einzel- 
völker auseinander  gegangen  waren.  Die  anfängliche  Verarbeitung 
des  Kupfers  war  keine  so  einheitliche  Thätigkeit  wie  die  des  Eisens, 
das  mittels  des  Hammers  allein  seine  vollendete  Form  erhielt  oder  doch 
in  vielen  Fällen  erhalten  konnte.  Das  Schmelzen  des  Kupfers,  das 
Bilden  des  Modelles,  die  Erzeugung  der  Gussform,  das  Giessen,  das 
Aushämmern  der  Schneide  sind  sehr  verschiedene  Thätigkeiten,  und 
so  wie  sich  allgemeine  Begriffe  überhaupt  erst  in  vorgeschrittener 
Entwicklungsphase  einzustellen  pflegen,  konnte  sich  auch  für  diese 
Thätigkeiten  nicht  sobald  ein  zusammenfassender  Handwerksausdruck 
Huden,  und  so  mögen  noch  lange  Zeit  hindurch  die  von  verwandten 
Beschäftigungen  gewohnten  Ausdrücke  bei  der  Verarbeitung  des  Kupfers 
Anwendung  gefunden  haben." 

Es  ist  also  wahrscheinlich,  dass  ein  eigentliches  Schmiedehandwerk 
in  Europa  erst  durch  die  Bekanntschaft  mit  dem  Eisen  (s.  d.)  auf- 
gekommen ist,  wie  ja  auch  erst  dieses  Metall,  wenigstens  im  Norden, 
einen  tieferen  und  allgemeineren  Einfluss  auf  das  Leben  der  Menschen 
gewonnen  hat.  Am  frühsten  ist,  wie  zu  erwarten,  das  Vorhandensein 
eines  Standes  der  Schmiede  im  alten  Griechenland  anzunehmen,  wo 
Erz  und  Eisen  schon  in  vorhomerischer  Zeit  zusammengetroffen  waren. 
Am  unzweideutigsten  weist  auf  ihn  die  hinkende  Gestalt  seines  gött- 
lichen Patrons,  des  Hephästos,  hin,  der,  ursprünglich  wahrscheinlich 
ein  Sondergott  der  Feuerentzündung  ("Hqpa»o*TO<;  :  a<pa\,  nach  Preller- 
Robert  Griech.  Myth.'  S.  174),  wie  der  römische  Vulcanus  ein  solcher 
des  Fcuerglanzes  (sert.  vdreas-  ,Glanz'  \,  schon  vor  Homer  zu  einer  aus- 
geprägten, die  Schmiedezunft  behütenden  göttlichen  Persönlichkeit  sich 
entwickelt  hatte.  Der  ihm  anhaftende  Zug  der  Lahmheit  wäre  nach 
E.  Meyer  Geschichte  des  Altertums  II,  109  die  Folge  des  Umstauds, 
dass  Lahme,  die  nicht  Hirten  oder  Bauern  hätten  werden  können,  mit 
Vorliebe  zum  Schmiedehandwcrk  gegriffen  hätten. 

Mit  der  Ausbreitung  des  Eisens,  dessen  Wege  zum  teil  sich  noch 
verfolgen  lassen,  wird  dann  auch  das  Schmiedehandwerk  von  Stamm 


Digitized  by  Google  i 


728 


Schmied  —  Schmuck. 


zu  Stamm  gewandert  Bein.  Es  haftet  in  der  ältesten  Zeit,  gewöhnlich 
wohl  mit  Eisengruben  und  Eiseuschmelzeu  verbunden,  an  der  Tiefe 
des  Waldes.    So  schildert  es  schon  Hesiod  Theog.  v.  864  ff. 

(ib?)  oibnpo<;  önep  KpaTcpüJTaxds  iarxv 
oüpeot  iv  ßn,o*o*tjo"i,  bauaZöuevoc  Trupi  ktjX^uj 
tfjKCTO  €v  xöovl  bin,,  u<p'  'HcpmcfTou  TraXäuqai. 
In  solcher  Lage  wird  man  sich  auch  die  Schmiede  vorstellen  müssen, 
die  Herodot  I,  67,  68  beschreibt.  Besonders  aber  lassen  sich  derartige 
Waldschmieden  auf  keltischem  und  germanischem  Boden  nachweisen 
(vgl.  Beck  Gesch.  d.  Eisens  S.  620  ff.). 

Auf  gleichem  Wege  können  sich  mannigfaltige  mythische,  an  das 
wunderbare  Gewerbe  des  Meister  Schmieds  anknüpfende  Vorstellungen 
über  Europa  verbreitet  haben,  wenn  es  auch  nicht  ausgeschlossen  ist, 
dass  metallurgische  Sagenkreise  schon  an  dem  ersten  Auftreten  des 
Metalles  in  Gestalt  des  Kupfers  hafteten.  Auf  jeden  Fall  finden  wir 
über  unseren  Erdteil  bei  Anheben  der  Überlieferung  ein  dichtes  Netz 
vielfach  übereinstimmender  Schmiedesagen  ausgebreitet.  Zunächst  wäre 
auf  die  merkwürdigen  Übereinstimmungen  der  germanischen  Wieland- 
Völundrsage  mit  der  vom  griechischen  Hephästos  und  Dädalos,  dem 
Heros  der  Holzschnitzerei  und  Architektur,  zu  verweisen  (vgl.  zuletzt 
B.  Symons  in  Pauls  Grundriss  III8,  722  ff  ).  Im  Süden  wie  im  Norden 
wird  ferner  von  geheimnisvoll  und  unsichtbar  arbeitenden  Schmiede- 
meistern  erzählt,  denen  man  unbearbeitetes  Eiseu  hinlegt,  um  am 
folgenden  Tage  fertige  Schwerter  u.  s.  w.  in  Empfang  zu  nehmen. 
Hier  wie  dort  werden  Riesen  Kyklopen)  und  Zwerge  vornehmlich 
mit  der  Schmiedearbeit  in  Verbindung  gebracht.  Besonders  bemerkens- 
wert ist  die  griechische  Überlieferung  von  den  drei  Idäischen  Däum- 
lingen (  Ibaioi  bäKTuXoi)  in  dem  epischen  Fragment  der  Phoronis  (vgl. 
Schul,  zu  Apoll.  A.  I,  1126),  KlXuic  (:  lit.  Jcdlti,  s.  o.),  Aauvaueveuc 
(:  bduvnut  vom  Bezwingen  des  Metalls,  s.  o.  die  Stelle  des  Hesiod), 
"Akuwv  (jAmboss'j,  die  zuerst  das  Eisen  in  „den  waldigen  Thälern  des 
Gebirgs14  fanden,  es  ins  Feuer  trugen  und  herrliche  Werke  schufen,- 
in  so  fern,  als  auch  auf  germanischem  Boden  und  sonst  gerade  drei 
smitt  enteister,  drei  Schmiede  wiederkehren.  Jene  drei  Üänmlinge 
hei8sen  ronTe«;  , Zauberer',  wie  überall,  bei  Germanen,  Kelten,  Slaven 
u.  s.  w.  dem  Schmiedehandwerk  ein  zauberisches,  tückisches  und  trug- 
volles Element  eignet.  Derartige  Züge  Hessen  sich  unschwer  vermehren, 
ohne  dass  es  wohl  je  möglich  sein  wird,  die  einzelnen  Schichten 
solcher  Vorstellungsreihen,  das  etwa  uralt  ererbte  von  später  Zu- 
gewandertem zu  entwirren  und  zu  unterscheiden.  —  Vgl.  weiteres  bei 
Vf.  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte*  S.  225  ff. 

Schmuck.  Idg.  Gleichungen  hierfür  sind  sert.  manl-  .Perleu- 
ßchnur',  aw.  minu-  ,Gcschincide',  griech.  pdvvo?,  lat.  monile,  mellumf 
mittus  (*mento-),  altkclt.  pavidKii?,  ir.  muince,  altsl.  monisio,  gemein- 


Digitized  by  Google 


Schmuck. 


729 


gerni.  ahd.  menni,  aus  denen  man  ein  idg.  *moni-  ,Halsscbinuck'  (vgl. 
aneh  scrt.  mdnyd,  ir.  muin  ,Nacken',  ahd.  manu  , Mähne  )  folgern  darf, 
nnd  scrt.  nishkd-  ,goldner  Halsschmuck',  ahd.  nuaca  ,Spange',  ir.  nasc 
,Ring',  für  die  sich  eine  genaue  Grundbedeutung  nicht  angeben  lässt 
Bemerkenswert  ist  auch,  dass  ein  idg.  Wort  für  Muschel  in  scrt. 
$ankhd-,  griech.  köyxI  (köxXo?),  lett.  seze  (lat.  congius  ,ein  Hohlraass') 
vorliegt.  Ein  vorhistorischer  Name  für  einen  dem  Schmucke  dienenden 
Metalldraht  könnte  in  lat.  (oder  keltisch?,  vgl.  Diefenbach  0.  E.  S.  439 
und  Thurncysen  Kelto-rom.  S.  82)  vlriae  ,armilla,  bracchiale'  =  altn. 
virr  ,Spirale\  agls.  wir  ,gewundner  Schmuck',  ahd.  toiara  ,Golddraht' 
erhalten  sein. 

Dem  entspricht  es,  dass  auch  antiquarisch  und  schon  während  der 
jüngeren  Steinzeit  ein  starkes  Bedürfnis  nach  Schmuck  hervortritt. 
Getragen  wurden  vor  allem  Gehänge  von  den  durchbohrten  Zähnen 
der  wilden  und  der  Hanstiere,  des  Wolfes,  Bären,  Hirsches,  Hundes, 
Pferdes,  Schweines  u.  s.  w.  An  Häutigkeit  mit  dem  Zahuschmuck 
wetteifert  allerhand  Zierrat,  der  aus  gelochten  Scheiben  von  Muscheln 
hergestellt  ist,  die  zuweilen  auf  weitausgedehnte  Handelsbeziehungen 
hindeuten.  In  Lobositz  in  Böhmen  (s.  u.)  wurde  z.  B.  ein  Ziergehänge 
von  500  gelochten  Muschelscheiben  und  170  gebohrten  Hundezäbnen 
gefunden.  Dazu  kommen  Steinperlen  der  verschiedenartigsten  Gestalt, 
steinerne  Knöpfe,  allerhand  Anhängsel  aus  Bein  oder  Hirschhorn  u.  s.  w. 
Über  den  Bernsteiuschmuck  der  Steinzeit  s.  u.  Bernstein.  Das  Metall 
tritt  zuerst  in  der  Gestalt  des  Kupfers  auf.  In  dem  sonst  ganz  stein- 
zeitlichen Grabfeld  von  Lengyel  in  Ungarn  (vgl.  M.  Much  Kupferzeit2 
S.  49)  wurden  zwischen  Perlen  aus  Muschel-  und  Schneckenschalen 
kleine  kupferne  Perleu  gefunden,  und  im  nordwestlichen  Böhmen  traten 
ebenfalls  zur  Zeit  des  Ausgangs  der  Steinperiode  Knpfcrdrähtc  mit 
gebohrten  Hnndezähnen  zu  Tage  (vgl.  Neolithische  Schmucksachen  und 
Anmiete  in  Böhmen  Z.  f.  Ethnologie  1895  Verb.  S.  352  ff.). 

Dass  unter  diesen  prähistorischen  Anhängseln  viele  weniger  zum 
Schmuck  denn  als  Zaubermittel,  sei  es  zur  Abwehr  feindlicher  Mächte, 
sei  es  behufs  der  Zuleitung  aussermenschlicher  Potenzen,  etwa  der 
Stärke  des  Bären  oder  der  Schnelligkeit  des  Hirsches,  getragen  wurden, 
kann  nicht  bezweifelt  werden.  Auch  bei  den  alt  idg.  Völkern  spielt  der 
Gebrauch  solcher  Anmiete,  die  im  Indischen  mit  demselben  Wort  wie 
der  Halsschmuck  (scrt.  mani-;  vgl.  ferner  griech.  irepiaTTTO,  TrepiäMuara, 
auch  9uXa.KTn.p10v  und  TtpoßadKaviov  ,Mittel  gegen  das  Behexen'  (ßaa- 
Kcdvw),  lat.  amuletum  :  amoliri,  alln.  tau/r,  auch  ,Amulet' :  ahd.  zoubar 
,Zauber  )  benannt  werden,  noch  eine  bedeutende  Rolle.  In  Rom  hing 
man  sich  das  Wahrzeichen  männlicher  Kraft,  lat.  müto,  mutto,  davon 
mut(t)onium  ,AmnIet'  (vgl.  Useuer  Götternamen  S.  327,  G.  Goetz  The- 
saurus I,  723)  als  wirksames  Mittel  der  Übelabwehr  um.  Mit  Vorliebe 
wurden  auch  Pflanzen  und  Pflanzenteile  so  getragen.    Es  genügt  in 


Digitized  by  Google 


730 


Sehmuck. 


dieser  Hinsicht  auf  Ohlenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  513  ff.  und 
Welcker  Kl.  Schriften  III,  71  zu  verweisen. 

Mit  der  Einführung  der  Bronze  und  des  Goldes  in  die  Kulturcnt- 
wicklung  unseres  Erdteils  gewinnt  nunmehr,  auch  in  der  Mitte  und 
im  Norden  desselben,  das  Schmnckbedttrfnis  des  Menschen  eine  er- 
höhte und  verfeinerte  Befriedigung.  Diademe  und  Kopfringe,  Halsketten, 
Spiralen,  Zierscheiben,  Brustplatten,  Gürtelscheiben,  Verzierungen  von 
Ledergürteln  und  Kleidern,  Gürtel,  Haken,  Nadeln,  Armringe,  Arm- 
bänder, Fingerringe  aus  diesen  beiden  Metallen  u.  s.  w.  birgt  fast  ein  jedes 
unserer  Museen  in  reicher  Menge.  Doch  soll  hier  nur  auf  zwei  kultur- 
historisch besonders  wichtige  Begriffe,  auf  Spange  uud  Ring,  jedoch 
auch  in  diesem  Falle  unter  Ausschluss  der  kunstgeschichtliehen  Ge- 
sichtspunkte, des  näheren  eingegangen  werden. 

Die  Spange. 

Eine  vorhistorische  Bezeichnung  der  als  Spange  benutzten  Nadel 
scheint  in  griech.  (hom.)  TT€pövn,  =  armen,  heriun  .Pfriem,  Ahle'  (:  griech. 
Treipio,  altsl.  na-perjq  ,durclibolire)  vorzuliegen.  Das  ursprüngliche 
Material  wird  wie  bei  Pfriem  (s.  n.  Ahle)  und  Nadel  (s.  d.)  der  zu- 
gespitzte Tierknochen  gewesen  sein.  Daneben  muss  aber  auch  zum 
Zusammenhalten  des  Kleides  bis  in  späte  Zeiten  der  gewöhnliche 
Dorn  des  Strauches  gebraucht  worden  sein.  Noch  Taeitus  Germ. 
Cap.  17  berichtet,  dass  den  Germanen  als  tegnmen  ein  sagum  gedient 
habe,  ßbula  (die  also  die  alten  Deutschen  kannten)  aut,  si  desit, 
tipina  consertum.  Eine  lebendige  Illustration  bietet  das  ir.  delg,  das 
,Dorn*  und  ,Tnchnadel'  bedeutet;  vgl.  auch  körn,  delc  ,nionile'  uud 
altn.  ddlkr  ,the  pin  in  the  cloaks  of  the  ancients'.  Nicht  minder  lehr- 
reich aber  ist  das  irische  sei  ,a  Standard  of  value,  by  which  rents, 
fines,  stipends  and  priecs  were  determined'.  Dass  dieser  Standard  of 
value  von  Haus  aus  Spangen  waren,  die  man  als  Münze  brauchte, 
beweist  erstens  die  Übersetzung  von  s4t  mit  dem  eben  besprochenen 
delg  (vgl.  Windisch  I.  T.  S.  771  in  sei  argait  Hy.  5,  71),  zweitens 
das  mlat.,  aus  dem  Keltischen  stammende  sentis  ,fibula'  (Ac  ftuam  Hen- 
tern argenteam  pretiosamque  in  depositum  sibi  commendans  Vita 
St.  Brigidae  nach  Du  Cange).  Ir.  s4t  ,Spange'  kann  aber  etymolo- 
gisch nichts  anderes  als  lat.  sentis  ,Dorn*  sein.  Vgl.  noch  die  Reihe: 
lat.  spina,  spinn!  n  ,Dorn'  (it.  spillo,  frz.  4pingle  »Nadel'),  ahd.  spl- 
nula,  spenala  ,Nadel"  (entlehnt?),  gemeinsl.  *spiljat  poln.  s'pilka  »Steck- 
nadel* (eutl.  lit.  spilgä). 

Einzelsprachliche  Bezeichnungen  für  die  nunmehr  längst  aus 
Metall  hergestellte  Fibel  oder  Spange  sind:  griech.  (bomer.)  Tröpirn, 
(:  TröpKn.?  ,Ring',  vgl.  mhd.  rinke  :  ring),  ^vexn,  (:  dvirmi  oder  durch 
dieses  volksetymologisch  entstellt  aus  *ivzr\  =  lat.  sentis?),  ht.lfibula 
(:  altlat.  ficere  =  figere,  *f~tgue-bld-),  gemeingerm.  ahd.  spanga  etc. 


Digitized  by  Google 


Schmuck. 


73  t 


Vielleicht  lag  neben  spanga,  wie  inau  wegen  it.  spranga  (germ.  Lehn- 
wort?) vermuten  kann,  ein  germ.  *spra»ga  (vgl.  *spiuto,  ahd.  spioz 
:  *»priuta,  agls.  spriot),  so  das»  Vermittlung  der  germanischen  Sippe 
mit  den  Bildungen  aus  der  slavischen  Wurzel  preng  ,spaniien'  mög- 
lich wäre,  aus  der  zahlreiche  Benennungen  der  Spange  im  Slavischen 
(russ.  prjaiha  etc.)  abzuleiten  sind.  Über  die  verschiedenen  Typen  der 
Bronzenadel  hat  u.  a.  Nauc  Die  Bronzezeit  in  Oberlmiern  S.  152  ff., 
über  die  der  Fibula  oder  Sicherheitsnadel  0.  Tischler  Über  die  Formen 
der  Gewanduadel  (München  1881 )  gehandelt.  Die  Wanderung  der 
letzteren  von  Süden  nordwärts  hat  in  kurzen  Zügen  auch  Hörncs  Ge- 
schichte d.  bild.  Kunst  S.  310  dargestellt. 

Der  Ring. 

Es  ist  nicht  unmöglich,  dass  der  zum  Schmuck  getragene  Ring  bis 
in  die  jüngere  Steinzeit  zurückführt.  Wenigstens  sind  bei  den  stein- 
zeitlichen Leichen  von  Rössen  (Prov.  Sachsen)  und  sonst  Armringe  von 
einem  marmorartigen  Gestein  gefunden  worden.  Einzelne  sprachliche 
Gleichungen  für  den  Begriff  des  Ringes  wie  altpr.  grandis  ,Ring',  lit. 
grandi*  ,Armband',  ahd.  kränz;  ahd.  hinnc,  altn.  hringr  :  altsl.  krqgü 
, Kreis'  oder  :  grieeb.  KpiKO?  ,Riug';  lat.  dnulun  ,Ring'  (ünux  , Afterring'),  ir. 
änne  ,Ring'  (*acno-?,  vgl.  Stokes  Urkelt.  Sprachsch.  S.  16)  können  Uber 
das  Alter  des  Ringes  nichts  aussagen,  da  sie  ursprünglich  jede  kreisartige 
Erscheinung  hezeichnet  haben  werden.  Seine  eigentliche  Bedeutung  hat 
der  Ring  jedenfalls  erst  mit  dem  Aufkommen  des  Metalles  gefunden. 

Schon  bei  Homer  begegnen  £puaTa  ,Ohrringe',  öpno<i  »Halskette' 
(beide  :  cipw  , reihe  aneinander'),  To*8uiov  id.  (:  io*9uöq  ,Enge')  und  £Xik€^ 
jArmbänder'  (:  £XiE  ,gewunden  ).  Alle  diese  Schmucksachen  kommen 
auch  in  Mykenae  und  auf  archaischen  Bildwerken  vielfach  vor  (vgl. 
Schliemann  Mykenae  passim  und  Heibig  Horn.  Epos  *  S.  268).  Anders 
steht  es  mit  dem  Fingerring  (ffqppnjis.  baKTÜAios).  Obgleich  kostbare 
Siegelringe  (s.  auch  n.  Edelsteine)  ebenfalls  in  Mykenae  gefunden 
wurden,  wird  doch  bei  Homer,  was  schon  den  Alten  (vgl.  Plin.  Hist. 
nat.  XXX III,  12)  aufgefallen  war,  nirgends  des  Fingerrings  Erwähnung 
gethan,  so  dass  der  erste  in  Hellas  beglaubigte  Fingerring  der  des 
Polykrates  (Herod.  III,  41)  ist.  In  Lacedämon,  wo  auch  eisernes 
Barrengcld  kursierte,  hätte  man  nach  der  Notiz  des  Plinius  (XXXIII,  9) 
auch  eiserne  Fingerringe  in  Gebrauch  gehabt. 

In  Hissarlik  treten  alle  hier  in  Frage  stehenden  Schmucksachen, 
auch  Fingerringe  von  Gold  und  Bronze,  in  frühen  Schiebten  auf  (vgl. 
Schliemann  Ilios  passim)  In  den  Überresten  der  Pfahlbauten  der 
Poebne  sind  nach  Heibig  Die  Italiker  in  der  Poebne  weder  Arm-  und 
Halsbänder  noch  Ohr-  und  Fingerringe  gefunden  worden,  von  denen 
jedoch  die  beiden  ersteren  in  den  Pfahlbauten  des  Gardasees  nach- 
gewiesen sind.     Bronzene   Armbänder  (auch   ein   eisernes)  kamen 


Digitized  by  Google 


732 


Schmuck  —  Schnecke. 


bei  der  wahrscheinlich  in  den  Knltnrkreis  der  Nekropole  von  Alba 
Longa  führenden  Ausgrabung  bei  dem  Caput  aquae  Ferentinae  (Heibig 
a.  a.  0.  S.  91)  zu  Tage.  Arm-  und  Fingerringe  aus  Bronze,  einzelne 
auch  aus  Eisen,  sind  ferner  auf  dem  Begräbnisplatz  von  Villanova  * 
(ündset  Das  erste  Auftreten  des  Eisens  S.  3)  entdeckt  worden.  Sie 
fuhren  zu  dem  ferreux  anulus  #ine  gemma,  der  noch  in  später  Zeit 
als  eine  altrömische  Eigentümlichkeit  betrachtet  wurde,  die  bei  Tri- 
umphen, Verlobungen  u.  dgl.  in  Anwendung  gebracht  wurde,  so,  wie 
auch  die  oben  erwähnte  laconische  Sitte,  die  Erinnerung  an  eine  Zeit 
wahrend,  in  welcher  das  Eisen  noch  ein  kostbares  Metall  war.  Latei- 
nische Ausdrucke  für  ringartige  Schmuckstücke  sind  armilla  (:  armus 
»Schulter'),  brachiale  (:  brachium),  torquest  (:  torqueo),  »pinter  (aus 
gricch.  aqpiYKTnp  ,Arm-  und  Kopfband'). 

Der  gemein  germanische  Ausdruck  für  den  Begriff  des  Ringes  ist 
ahd.  bouc,  agls.  Mag,  altn.  baugr  (:  got.  biugan,  eigentl.  ,das  Ge-  l 
bogene',  vgl.  oben  griech.  £Xik€£),  sowohl  in  den  romanischen  Westen 
(prov.  baue*  , Armband',  altfrz.  bou),  wie  auch  in  den  slavischen  Osten 
(altsl.  bugü  , Armband  )  entlehnt.  Leider  sind  die  Nachrichten  der 
Römer  Uber  die  Bedeutung  des  Rings  bei  den  Germanen  sel-r  dürftig. 
Tacitus  Germ.  Cap.  15  berichtet,  dass  den  germanischen  principe* 
von  benachbarten  Stämmen  zum  Geschenke  electi  equi,  magna  arma, 
phalerae,  torquexque  geschickt  worden  seien,  und  Cap.  31  von  einem 
bei  den  Chatten  üblichen  eisernen  Ring:  Fortissimm  quisque  ferreum 
insuper  anulum  {ignominioxum  id  genti)  velut  vinculum  gextat,  do- 
nec  se  caede  hoxtis  abxolvat  (vgl.  dazu  K.  Möllenhoff  1).  A.-K.  IV,  416). 
Umso  reichlicher  wird  die  Bedeutung  des  Ringes  bei  den  Germanen 
durch  einheimische  litterarische  und  lexikalische  Zeugnisse  (ahn.  baug- 
eidr,  bauggildi  n.  s.  w.,  agls.  biaggeafa,  biag  hörd,  Magsele  u.  s.  w.), 
namentlich  auch  in  Hinsieht  auf  die  Benutzung  des  Ringes  als  Geld 
(s.  d.),  erhärtet.  Auf  die  uralte  Bekanntschaft  der  Germanen  mit  diesem 
Schmucke  weisen  auch  die  zahlreichen  Funde  verschiedenartigster 
Ringe  auf  dem  Beit  Urzeiten  von  Germanen  bewohnten  Gebiete  hin. 
Für  die  Länder  südlich  der  alten  Germanengrenze  ist  auf  die  Zusammen- 
stellungen von  Naue  Die  Bronzezeit  in  Oberbayern  S.  176 — 198  und 
für  das  Gräberfeld  von  Hallstatt  auf  von  Sacken  S.  68  ff.  zu  verweisen. 
—  S.  auch  u.  Erz,  Gold  und  Bernstein. 

Schnecke.  Auf  Urverwandtschaft  beruhen  lat.  Umax  =  slav. 
*8limakü,  russ.  sUmakü  u.  s.  w.  :  mhd.  »Um  ,Schleim'  (,die  schleimige'). 
Vgl.  auch  altpr.  slaix,  lit.  »liikas  »Regenwurm'.  Lat.  murex  =  griech. 
uua£  s.  u.  Purpur,  griech.  tcöxXoq,  KOxXia^  (unnasaliert :  kötxi  »Muschel') 
8.  u.  Schmuck.  Gemeingerm.  altn.  »nigell,  agls.  snatgel,  mhd.  stieget 
neben  ahd.  xnecko  :  Schweiz,  schnaacken  ,repere'  (wie  altn.  sndkr 
Schlange').  Korn,  melyen  (vgl.  weiteres  bei  Zeuss  Gr.  Celt.'  S.  1075). 
Lit.  »tralge,  sräige. 


Digitized  by  Google 


Schnee  und  Eis  —  Schreiben  und  Lesen. 


733 


Schnee  und  Eis.  Der  idg.  Ausdruck  für  ,Schuee'  und  ,scbneien' 
liegt  in  der  Reihe:  aw.  snaeidf  ,es  soll  schneien',  griech.  v€i<p€i,  viqpa 
Acc,  dtävvKpo?,  lat.  ninguit,  nix,  mir.  snechta,  got.  snaiws,  ahd. 
miwan,  lit.  sniigas,  snigti,  altsl.  snegü.  In  der  Bedeutung  ferner  stehend : 
scrt.  snih  ,feucht  werden',  ir.  snigid  ,tropft,  regnet'.  Auch  das  idg. 
Wort  für  Winter  (s.  d.)  wird  wiederholt  zur  Bezeichnung  des  Schnees 
gebraucht:  scrt.  himd-,  armen,  jiun,  griech.  xmjv.  Alleinstehend:  aw. 
vafra-  »Schnee'.  Für  den  Begriff  des  Eises  scheint  eine  urverwandte 
Gleichung  in  ahd.  is,  altn.  iss  =  aw.  i»i  vorzuliegen.  —  S.  u.  Urheimat. 

Schnepfe,  s.  Sumpfvögel. 

Schnurrbart,  s.  Haartracht. 

Schock,  s.  Zahlen. 

Schornstein,  s.  Ofen. 

Schrank,  s.  Kiste. 

Schreiben  uud  Lesen.  Diese  Künste  haben  sich  von  semiti- 
schem  Boden  aus  in  verhältnismässig  später  Zeit  auf  wenigstens  im 
Grossen  und  Ganzen  deutlichen  Wegen  über  Europa  verbreitet.  Un- 
gefähr im  X.  Jahrhundert  sind  die  phoenizischen  Buchstaben  (xd 
(poiviKrjta)  gleich  anderen  orientalischen  Handelsgütern,  wie  es  scheint, 
unabhängig  an  mehreren  Orten  von  den  Griechen  übernommen  und 
den  Bedürfnissen  ihrer  Sprache  entsprechend  verwendet  und  ergänzt 
worden  (vgl.  E.  Meyer  Geschichte  des  Altertums  II,  380  ff.).  Diese 
Sachlage  bekundet  im  wesentlichen  schon  Hcrodot  richtig,  weun  er 

V,  58  sagt:  0\  bk  <t>owiK€£  4o*r|YaYOV  bibaffwiXia  i<;  tou^ 

"EXXnvaq  Kai  bn,  Kai  YpaupaTa  ouk  £6vra  npiv  "EXXn.o*i,  ib?  £uoi  ook&iv, 
irpuna  uiv  toio*i  ko\  &Travr€?  xP^ovtai  OoiviKcq,  uerä  be  ^pövou  irpo- 
ßaivovro?  äua  ifj  <pu>vrj  pcrlßaXov  Kai  töv  ^uöfiöv  rdiv  Ypau^ä-rujv.  Mit 
den  Buchstaben  selbst  sind  auch  die  phoenizische  Anordnung  derselben 
und  ihre  phoenizischen  Namen  zu  den  Griechen  gekommen.  Diese 
Namen  ifiXtpa,  ßnra,  töMM«,  bAra  etc.  gegenüber  hebr.  'dlef,  bet, 
gimel,  ddlet  mit  auffallendem  Schluss-a)  sind  akrokephal  und  bezeich- 
nen Begriffe  wie  Rind,  Haus,  Kamel,  Thür,  Nagel,  Olive,  verschiedene 
Körperteile  u.  a.  (vgl.  H.  Lewy  Die  sem.  Fremdw.  S.  169  ff.).  Die 
Richtung  der  Schrift  war  linksläufig  oder  ßouo*Tpo<pnböv. 

Ob  es  schon  vor  den  <poivncr)ia  in  Griechenland,  vor  allem  während 
der  my kenischen  Epoche,  eine  Schrift  gegeben  habe,  ist  eine  Frage, 
die  durch  das  Buch  von  A.  J.  Evans  Cretan  pictographs  and  prae- 
phoenician  Script  (London,  New-York  1895)  in  FIuss  gekommen  ist.  Dieser 
Gelehrte  glaubt  in  den  schon  vor  ihm  beobachteten  schriftartigen 
Zeichen,  die  zahlreiche  Fundstücke  der  mykenischen  Epoche,  Steine, 
Gefasse,  Werkzeuge  etc.,  aufweisen,  ein  lineares  Schriftsystem  er- 
kennen zu  müssen,  was  mit  der  von  ihm  in  östlichen  Teilen  Kretas 
in  vormykenischer  und  mykenischer  Zeit  nachgewiesenen  Bilderschrift 


Digitized  by  Google 


734 


Schreiben  und  Lesen. 


in  engem  Zusammenhange  stüude.  Weitere  Aufschlüge  werden  von 
der  Zukunft  zu  hoffen  sein. 

Von  Griechenland  ist  das  phoenizisch-griechische  Alphabet  den  ita- 
lischen Stämmen  zugeführt  worden,  hei  denen  es  in  mannigfaltigen 
Verzweigungen  vorliegt.  Die  griechischen  Buchstabennamen  haben  die 
Römer  nicht  übernommen,  sondern  dafür  die  uns  noch  heute  geläufigen 
Bezeichnungen  geschaffen  (vgl.  Pauli-Wissowa  Realeneykl.  *  I,  2  S.  1625). 

Der  Begriff  des  Schreibens  wird  im  Griechischen  durch  Ypdq>€tv, 
im  Lateinischen  durch  scribere  ausgedrückt,  ersteres  (=  lett.  grebju, 
agls.  öeorfan,  mhd.  kerben)  eigentlich  »einritzen'  bedeutend,  letzteres 
noch  nicht  sicher  erklärt;  vielleicht  gehört  es:  griech.  o*Kdpi<po<; 
,Griffel\  o*Kapi<pdopat  , kratze  ein'  und  bezeichnet  also  im  wesentlichen 
das  gleiche  wie  Ypd<pe>v.  Das  Lesen  fasst  der  Grieche  als  „Wieder- 
erkennen" (dvcrfiYviuaKeiv)  der  im  Gedächtnis  lebenden  Buchstaben, 
der  Römer  als  „Sammeln"  der  Buchstaben  zu  einem  Wortbild  (legere). 
Das  Material,  auf  das  man  die  Zeichen  einritzt,  ist  nn  der  ältesten 
Stelle,  an  welcher  rpdcpeiv  in  der  Bedeutung  von  schreiben'  vorkommt, 
II.  VI,  168  f.: 

nöp€v  b'  öte  (Bellerophontes)  ar\\iaia  Xutpd, 
Ypdtyas  Iv  nivaKi  ktuktuj  6upoq>9öpa  TroXXd, 
zugleich  der  einzigen  Stelle,  wo  bei  Homer  von  Schreiben  Uberhaupt 
die  Rede  ist,  die  zusammenlegbare  Ilolztafel.  Ob  diese  bereits  iden- 
tisch war  mit  der  zuerst  von  Aescbylus  unter  dem  Namen  b^X-roc  (aus 
hehr,  delet  PI.  /fbUrflüger,  ,die  zwei  Kolumnen  einer  Blattseite')  ge- 
nannten, mit  Wachs  bezogenen  eigentlichen  Schreibtafel  (vgl.  auch 
Herodot  VII.  239),  lässt  sich  nicht  entscheiden.  Ebensowenig,  ob  die 
ffnuerra  Xutpd  schon  phoenizischc  Buchstaben  waren,  oder  etwa  einer 
vorphoenizischen  geheimen  Bilderschrift  (s.  o.)  angehörten.  Letzteres 
scheint  indessen  das  wahrscheinlichere,  da,  mag  mau  nun  über  die 
Benutzung  der  Schrift  für  die  Entstehung  der  homerischen  Gedichte 
denken  wie  man  will,  man  doch  nicht  in  Abrede  stellen  kann,  dass 
die  Unbekanntschaft  mit  derselben  bei  den  homerischen  Helden  selbst 
vorausgesetzt  wird.  Im  Lateinischen  weist  cödex  =  caudex  , Baum- 
stamm', ^Schreibtafel'  unzweideutig  auf  den  Gebrauch  des  Holzes  hin. 

Neben  dem  Einritzen  der  Buchstaben  mittelst  des  Messers  oder 
Meisseis  in  Holz,  Stein  und  Metall  niuss  aber  frühzeitig  ein  Aufmalen 
dcrselbeu  mit  Farbe  hergegangen  sein.  Nach  der  Überlieferung  wurde 
in  Griechenland  und  bei  barbarischen  Völkern  die  Haut  von  Ziegen  und 
Schafen,  in  Rom  die  von  Ochsen  als  uraltes  Schreibmaterial  benutzt. 
Vgl.  Herodot  V,  58:  Kai  Td$  ßißXou;  bicp9^pa<;  KaX^outfi  dirö  toü  na- 
XaioO  o\  "lwv€£,  Öti  Koxfe  iv  aitdvi  ßißXujv  dxP*OVTo  bi<p6€pr)CTi  arrentfi 
T€  ko\  oltrjO"i  und  Festus  cum  Pauli  epit.  ed.  0.  Müller  S.  56:  Clypeum 
antiqui  ob  rotunditatem  etiam  corium  bovis  appellarunt,  in  quo 
foedus  Gabinorum  cum  Romanis  fuerat  descriptum.  Auch  lat.  Utera, 


Digitized  by  Google 


Schreiben  und  Lesen. 


735 


inschr.  leitera  .Buchstabe'  weist  im  Gegensatz  zu  griech.  tpäuua  von 
Tpdqpu)  auf  den  Gebrauch  der  Farbe  hin,  da  man  es  kaum  von  lat. 
Unere  »beschmieren'  (vgl.  auch  lat.  linea  und  ir.  Ii  .Farbe',  kymr.  Hin 
,linea',  altbret.  linom,  gl.  litturara,  *U-no-)  trennen  kann.  Der  Ge- 
brauch des  Haste 8  endlich  wird  für  Italien  durch  lat.  Uber  aus  *luber 
(vgl.  lit.  lupü  ,8chäle')  ,Buch'  erhärtet,  das  im  Sinne  von  Bast  noch 
von  Virgil  (Georg.  II,  7t>)  gebraucht  wird  und  daher  kaum  mit  griech. 
bicpBlpa  (s.  o.)  etymologisch  verglichen  werden  darf. 

Die  Vorherrschaft  unter  den  verschiedenen  Schreibstoffen  hat  im 
klassischen  Altertum  der  aegyptische  Papyrus  (s.  d.)  errungen:  griech. 
ßußXo?,  ßtßXo<;,  als  ,Buch'  zuerst  bei  Aescbylus  und  Herodot,  lat.  Charta 
(schon  bei  Ennius)  aus  griech.  xäpTiK  (unerklärt).  Im  späteren  Alter- 
tum kommt  dann  erneut  das  Pergament,  die  Tierhaut  (TrepYaun.vn., 
pergamena,  nach  der  Stadt  Pergamum  benannt)  auf.  Zum  Schreiben 
bedient  man  sich  des  Rohres  (tcdtXauos  —  calamus),  das  auch  noch 
tief  im  Mittelalter  gebraucht  wird.  An  seine  Stelle  tritt  allmählich 
die  Schreibfeder  (penna),  deren  erste  Spur  im  V.Jahrhundert  auf- 
taucht. Von  Theoderich,  König  der  Ostrogothen,  wird  erzählt,  „dass 
er  in  den  zehn  Jahren  seiner  Regierung  nicht  einmal  gelernt  hätte, 
vier  Buchstaben  unter  seine  Verordnungen  zu  schreiben.  Er  habe  des- 
wegen ein  goldenes  Blech  gehabt,  worin  die  vier  Buchstaben  ausge- 
schnitten gewesen  wären;  dies  habe  er  aufs  Papier  gelegt,  und  dar- 
nach die  Buchstaben  mit  der  Feder  (penna)  gezogen"  (vgl.  Beckmann 
Beyträgc  z.  Geschichte  der  Erfindungen  IV,  289  ff.  „Schreibfedern"). 
—  S.  auch  u.  Tinte. 

Von  zahlreichen  Streitfragen  umgeben  erweist  sich  die  Geschichte 
der  Überführung  der  phoenizisch-grieehisch-italischen  Schriftzeicheu 
zu  den  nördlichen  Völkern  Europas.  Zwar  hinsichtlich  der  galli- 
schen Kelten  steht  es  durch  die  Überlieferung  fest,  dass  sie  unter  dem 
Eiufluss  der  griechischen  Bildung  Massilias  frühzeitig  das  griechische 
Alphabet  angenommen  hatten.  Von  den  Helvetiern  berichtet  Caesar 
De  bell.  Gall.  1,  29:  In  castris  llelvetiorum  tabulae  repertae  sunt 
litt  er  in  Graecis  conf  ectae  et  ad  Caesarem  relatae,  quibus  in 
tabulis  nominatim  ratio  confecta  erat,  qui  numerus  domo  exisset 
eorum,  qui  arma  ferre  ponsent,  et  item  separatim  pueri  senes  mu- 
lieresque.  Wahrscheinlich  ist  auch  die  Nachricht  des  Tacitus  Germ. 
Cap.  S-.Quidam  opinantur . . .  monumenta  et  tumulos  quosdam  Graecis 
litt  er  ix  inscriptos  in  confmio  Germaniae  Rhaetiaeque  adhuc  extare 
auf  keltische  Inschriften  in  griechischer  Schreibung  zu  bezichn  (vgl. 
W.  Luft  Studien  z.  d.  ältesten  germanischen  Alphabeten  S.  25  f.). 

Aber  östlich  von  den  Kelten  stehen  die  germanischen  Stämme 
mit  einem  auf  den  ersten  Blick  einheimischen,  in  den  nordischen,  go- 
tischen und  deutschen  Inschriften  nahezu  Ubereinstimmenden  Alphabet 
(Runenalphabet)  von  24  Zeichen,  deren  Benennungen,  akrokcphalisch 


Digitized  by  Google 


736 


Schreiben  und  Lesen. 


gebildet  wie  die  phoenizischen,  mit  Bedeutungen  wie  „Vieh",  „Ur", 
„Wagen"  (r£da),  „Hagel"  u.  s.  w.  ebenfalls,  soweit  sie  klar  sind,  im 
wesentlichen  übereinstimmen.    Die  gegenwärtig  über  die  Herkunft  und 
Entstehung  dieses  altgermanischen  Ruuenalphabets  herrschenden  An- 
sichten hat  E.  Sievers,  vor  allem  auf  Wimmers  Untersuchungen  ge- 
stutzt, in  Pauls  Grnndriss  I*,  257  zusammengefasst.    Demnach  sei  die 
Quelle  des  Runenalphabets  das  lateinische  Alphabet,  das  nicht  durch 
Zufall,  sondern  in  bewusster  Absicht  von  einem  einzigen,  bei  einem 
s'Jdgcrmanischen  Stamme  lebenden  Manne  für  germanische  Verhält- 
nisse umgebildet  worden  sei.    Von  hier  habe  sich  dasselbe  zu  anderen, 
naheverwandteu  Stämmen  verbreitet.    Die  Entlehnung  dieses  lateini- 
schen Alphabets  habe  im  2.-3.  nachristlichen  Jahrhundert  (nach  Sicvere 
vielleicht  noch  früher)  stattgefunden.    Indessen  lässt  sich  nicht  bezwei- 
feln, dass  diese  Darstellung  noch  keine  befriedigende  Erklärung  der 
vorliegenden  Thatsachen  schafft.    Die  Vorstellung  von  einem  „genialen 
praeeeptor  Germaniae",  wie  man  jenen  Mann  ernsthaft  genannt  hat, 
der  seinen  Deutschen  ein  Alphabet  zusammengesetzt  haben  soll,  dürfte 
jeder  kulturgeschichtlichen  Analogie  entbehren.    Dazu  kommt,  dass 
zahlreiche  Runenzeichen  sich  nur  gezwungen  oder  gar  nicht  aus  dem 
lateinischen  Alphabet  ableiten  lassen,  dass  in  letzterem  weder  die  Zahl, 
noch  die  Reihenfolge,  noch  die  Namen  der  altgennanischen  Runen  ein 
Vorbild  haben,  dass  mehrere  der  ältesten  Runeninschriften  linksläufig 
oder  ßouöTpoq>r|bdv  abgefasst  sind  n.  a.  Thatsüchlich  hat  es  denn  auch 
nicht  an  neueren  und  neusten  Hypothesen  gefehlt,  bestimmt  die  Wim- 
mersche  zu  ersetzen  oder  einzuschränken.    So  behauptet  R.  M.  Meyer 
in  den  Beiträgen  z.  Geschichte  d.  d.  Spr.  n.  Lit.  XXI,  162  ff.,  das» 
schon  vor  der  Runenschrift  nicht-alphabetische,  magische  Zeichen  bei 
den  Germanen  („Ur-runen")  bestanden  hätten,  die  teilweis  in  die  von 
den  Römern  entlehnten  Schreibrunen  aufgenommen  worden  seien.  So 
sucht  W.  Luft  a.  o.  a.  0.  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  die  germa- 
nischen Runen,  die  ursprünglich  nicht  als  Schriftzeichen,  sondern  als  . 
Eigentumsmarkcn  gebraucht  worden  seien,  schon  von  vorchristlicher 
Zeit  an  in  Jahrhunderte  langer  Entwicklung  von  den  Galliern  aus  deren 
griechischen  und  nordetruskischen  Alphabeten  Übernommen  worden 
wären.    So  hat  S.  Bugge  auf  der  nordischen  Philologenversammlung 
in  Christiania  (1898)  die  Hypothese  aufgestellt,  dass  an  der  Bildung 
des  germanischen  Runenalphabets,  das  seinen  Ausgang  bei  den  Goten 
genommen  habe,  ausser  dem  lateinischen  auch  kleinasiatische  Alpha- 
bete, namentlich  das  galatische  und  armenische,  beteiligt  seien.  Aus 
ersterem  stamme  z.  B.  der  Runenname  „Birke",  da  nur  hier  auf  kelti- 
schem Boden  das  griechische  ßnxa  wegen  ir.  bethe,  kymr.  bedtc  ,Birke' 
in  diesem  Sinne  missverstanden  werden  konnte.    Mit  einem  Schlage 
aber  alle  Schwierigkeiten,  wie  sie  oben  augedeutet  worden  sind,  zu 
beseitigen  hat  G.  Gundermann  in  einem  am  6.  Nov.  1897  in  Giesseu 


Digitized  by  Google 


Schreiben  und  Lesen. 


737 


gehaltenen  Vortrag  Uber  die  Beziehungen  der  klassischen  Volker  zu  den 
nordischen  ir.  Aussicht  gestellt  (vgl.  Litbl.  f.  gcrm.  und  rom.  Phil. 
1897  S.  430).  Er  glaubt  eine  Vorlage  entdeckt  zu  haben,  von  der  die 
Runenschrift  mit  allen  ihren  Eigentümlichkeiten  abstamme.  „Das  Runen- 
alphabet ist  bei  vielen  Völkern  in  weiten  Gebieten,  nicht  nur  in  ganz 
Nordeuropa  vom  äussersten  Westen  bis  weit  nach  dem  Osten  hin,  lange 
Zeit  in  Gebrauch  gewesen.  Den  Germanen  war  das  Runcnalphabet 
jedenfalls  schon  sehr  früh  bekannt,  sicher  vor  Beginn  der  ersten 
Lautverschiebung.  Die  Runennamen  mit  den  entsprechenden  An- 
lauten unterlagen  der  Lautverschiebung,  für  den  neuen  Laut  aber 
blieb  das  alte  Zeichen  in  Gebrauch.  So  wurde  z.  B.  für  k  das  gainma- 
ähnliche  Zeichen  (g),  für  g  das  chi-ähnliche  (gh).  für  d  das  theta- 
ähnlichc  (dh),  für  st  das  2<Z-Zeichen  nach  der  Verschiebung  verwendet. 
Wir  haben  also  in  solchen  Runen  zeichen  gleichsam  die  fossilen 
Reste  des  Lautstauds  vor  der  Verschiebung,  in  den  Runen n amen 
den  Lautstand  nach  der  Verschiebung.  Die  Namen  selbst,  deren  Her- 
leitung aus  dem  Gennanischen  mancherlei  Schwierigkeiten  macht,  finden 
wie  thyth,  aza,  uuinne,  manna,  laaz,  enguz  ihre  genaue  Entsprechung 
in  der  Quelle  des  Ruuenalphabets,  von  der  auch  die  merkwürdige 
Reihenfolge  ihre  Erklärung  zu  erwarten  hat".  Welches  jene  Quelle 
gewesen  sei,  lässt  sich,  da  die  in  dem  angeführten  Referat  ftlr  ..dem- 
nächst* in  Aussicht  gestellte  „vollständige  Untersuchung  mit  allein  Beweis- 
material" bis  jetzt  aussteht,  nicht  ermessen.  Es  scheint,  dass  Gunder- 
mann an  eines  der  ältesten  griechischen  Alphabete  denkt,  das  in  sehr 
früher  Zeit  vom  Süd-Osten  Europas  her  auf  ähnlichen  Wegen  wie  das 
Gold  und  die  Bronze  sich  nordwärts  fortgepflanzt  habe. 

Wie  alt  aber  auch  die  Runenschrift  sei,  zeitlich  noch  vor  ihr  würden 
die  in  Norwegen  und  Schweden  häutig  nachgewieseneu,  der  reinen 
Bronzezeit  angehörigen  Felsenbilder  (Hällruttningar),  bemannte 
Schiffe,  zweirädrige  Wagen  mit  Joch  und  zwei  Pferden,  Krieger  mit 
Schild,  Speer  und  Schwert,  Reiter  mit  Schild  und  Speer,  Figuren  mit 
emporgehobenen  Händen,  Fusssohlenpaare  u.  s.  w.  liegen,  vorausgesetzt 
dass  man  in  ihnen  eine  Art  Bilderschrift  erkennen  darf  (vgl.  S.  Müller 
Nordische  Alterturaskunde  I,  466  ff.,  0.  Montelius  Kultur  Schwedens 2 
S.  74  ff.).  Ob  alsdann  auch  diese  im  südöstlichen  Winkel  des  Mittel- 
meers eine  Anknüpfung  findet  (s.  o.),  ruuss  zu  entscheiden  ebenfalls 
der  Zukunft  überlassen  bleiben. 

Der  gemeingermanische  Name  der  Runenschrift,  zu  der  wir  zurück- 
kehren, ist  altn.,  agls.  rün,  ahd.  rüna.  Da  im  Gotischen  runa  die 
Bedeutung  von  ,Gehcimnis'  hat,  die  im  altir.  rün  wiederkehrt,  und 
auf  die  auch  das  griech.  i-pew-äw  , komme  (einem  Geheimnis)  auf  die 
Spur'  hinweist,  so  wird  man  von  dieser  auszugehen  und  anzunehmen 
haben,  dass  der  Gebrauch  der  Schriftzeichen  von  Anfang  an  als  etwas 
„geheimnisvolles"  angesehen  wurde,  was  sich  im  Folgenden  näher  er- 

Schräder  Rcallexikon.  47 


Digitized  by  Google 


738 


Schreiben  und  Lesen. 


klären  wird.  Der  gemeingermanische  Ausdruck  für  das  Schreiben 
dieser  Runen  ist  altu.  rita,  agls.,  alte,  tcritan,  ahd.  rizzan  (vgl.  auch 
got.  tcrits  ,Punkt,  Strich  ),  eigentl.  (wie  griech.  TP<i<pw)  .einritzen'. 
Das  älteste  Material  für  dieses  Einritzen  müssen  Buchenstäbchen  ge- 
liefert haben,  wie  aus  dem  geuieiugenu.  altn.  höh,  agls.  böc,  ahd.  buoh 
(got.  böka)  Sing.  , Buchstabe',  PI.  ,Bucb',  eigentl.  ,Buche'  (s.d.)  her- 
vorgeht. Erwägt  man  nun,  dass  Tacitus  Germ.  Cap.  10,  da,  wo  er 
von  den  altgermanischen  Baumlosen  berichtet  (s.  u.  Los),  ausdrücklich 
die  virga  arbori  f rugif erae  decisa  nennt,  worunter,  da  Obstbäume 
für  die  Zeit  des  Tacitus  auszuschlicsscu  sind,  eben  nur  Bäume  wie 
Buchen  etc.  verstanden  werden  könuen,  und  dass  auf  den  zerschnittenen 
Stäbchen  notae  quaedam  impresme  sich  befanden,  so  wird  man  es 
für  sehr  wahrscheinlich  ansehen  müssen,  dass  die  Runenzeichen  schon 
in  der  Zeit  des  Tacitus  bekannt  waren  und  besonders  bei  den  geheimnis- 
vollen Manipulationen  des  Losorakels  gebraucht  wurden.  Sehr  gut 
vertragen  sieh  mit  diesen  letzteren  auch  die  drei  Bezeichnungen,  welche 
die  germanischen  Sprachen  für  den  Begriff  des  Lesens  ausgebildet 
haben:  1.  got.  siggwan  ,canerc'  —  ,legcre\  2.  agls.  riedan  ,conicere'  — 
, legere',  3.  ahd.  lesan,  altn.  lisa  völligere'  —  , legere',  in  so  fern  das 
erste  die  feierliche  Verkündigung  des  Inhalts  der  Ruuen,  das  zweite 
das  Erraten  der  für  andre  dunklen  Zeichen,  das  dritte  das  Sammeln 
der  Runeii8täbehen  zum  Zwecke  des  Erratens  und  der  Verkündigung 
des  Erratenen  bezeichnen  wird  (vgl.  Vf.  Sprach vergl.  u.  Urgeschichte* 
S.  4Uö,  E.  Schröder  Z.  f.  d.  Altertum  XXXVII,  262).  Das  Gotische 
verwendet  statt  des  zu  erwartenden  *wreitan  ein  meljan  (mela  »Schrift') 
für  .schreiben',  eigentl.  .malen',  ,mit  einem  Mal  versehen',  was  man 
gewöhnlich  bereits  als  Bezeichnung  vorgeschrittener  Schreibkunst  auf 
Pergament  mit  Rohr  und  Tiute  auffasst.  Doch  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dass  nitljan  bereits  ein  sehr  alter  Ausdruck  für  schreiben'  ist,  da  auch 
altn.  fd,  fuda,  ngls.  fahan  :  ahd.  feh  ,bunt'  (vgl.  Sievers  a.  a.  0. 
S.  2">1)  vom  Schreiben  der  Runen  gebraucht  wird,  und  auch  lat.  pingere 
bei  Venantius  Fortunatus  (Carm.  VII,  18,  19  f.): 

Barbara  fraaineis  ping  atur  runa  tabellis 
Quodqve  papyrus  agit,  virgtda  plana  ralet 
80  verwendet  wird.   Auch  bei  den  Germanen  würde  also  ein  Einritzen 
und  Aufmalen  der  Schriftzeichen  Hand  in  Hand  gehen. 

Erst  in  Entlehnungen  wie  ahd.  scriban  aus  lat.  scribere  (über  agls. 
scrift  ,Bcichtc'  etc.  vgl.  H.  Zimmer  Z.  f.  d.  Altertum  XXXVI,  145), 
attarminza  ,Tinte'  aus  lat.  atramentum,  ahd.  libal  aus  lat.  Uber,  ahd. 
briaf , Brief,  Urkunde'  aus  lat.  brece  (vgl.  auch  lat.  epiatola  aus  griech. 
^möToXn.;  got.  aipistula)  tritt  der  Einfluss  der  neueren  südlichen 
Schreibweise  in  helles  Licht,  der  sich  ebenso  auch  im  Altirischen  (ir. 
scribaim  aus  neribo,  hghn  aus  lego,  lebor  aus  Uber  etc.)  zeigt. 

Eine  Bemerkung  bedarf  noch  die  litauisch-slavische  Welt.  Hier 


Digitized  by  Google 


Schreiben  und  Lesen  —  Schuhe. 


739 


zeigt  da8  altsl.  pitiq  .schreibe'  die  nach  dem  obigen  nicht  zu  erwar- 
tende Erscheinung,  das»  es  sowohl  im  Altpreussischen  {peisät  »schreiben', 
peisälei  „Schrift")  als  auch  bei  einem  Teil  der  Arier,  im  Altpersischen 
(ni-pig  schreiben')  wiederkehrt.  Soll  man  an  eine  uralte,  etwa  durch 
pontische  Skythen  vermittelte  Bekanntschaft  mit  iranischen  Schrift- 
zeichen in  Ost-Europa  denken?  Wahrscheinlicher  scheint,  dass  in  der 
idg.  Grundsprache  eine  gemeinsame  Wurzel  peik  ,bunt  machen',  da- 
durch ,schmücken'  etc.,  zu  der  auch  das  oben  genannte  ahd.  fih  (vgl. 
altsl.  plstrü  ,bunt')  und  sert.  pig  ,zubcreitcn,  schmücken,  gestalten", 
vielleicht  auch  (mit  medialem  Auslaut)  lat.  pingo  gehört,  vorhanden 
war,  das  selbständig  in  den  genannten  Sprachen  bei  Aufkommen  der 
Schrift  zur  Bezeichnung  derselben  verwendet  wurde.  Auch  weisen 
germanische  Entlohnungen  im  Altslavischen,  altsl.  buk}/  , Buchstabe', 
Plur.  »Schrift,  Buch',  bukcarl  ,Abecedarium'  und  (vielleicht)  altsl. 
küniga  ,littcra',  Plnr.  »liber',  lit.  knygos  ,Buch'  (aus  altn.  kenning 
,nota'?)  eher  auf  westliche  oder  nordwestliche  als  östliche  Einflüsse 
auf  diesem  Gebiete  hin.  Für  .lesen'  gebraucht  man  im  Litauischen 
skaityii,  im  Slavischcn  das  nah  damit  verwandte  citati,  deren  Grund- 
bedeutung .aufzählen,  aufrollen',  der  Gegensatz  etwa:  lat.  legere 
»sammeln  (der  Buchstaben)',  ,lcsen'  ist.  Lit.  raszaü  »schreibe'  (dunkel). 

Wie  die  meisten  europäischen  Sprachen,  verfügt  auch  das  Sanskrit 
über  zwei  verschiedene  Wurzeln  zur  Bezeichnung  des  Schreibens,  die 
eine  mit  der  Grundbedeutung  .einritzen'  (sert.  likh>,  die  andere  mit 
der  von  »bestreichen,  beschmieren'  (seit.  Up,  Upi-  ,das  Schreiben,  Schrift '). 
Die  indischen  Buchstaben  selbst  sind  wiederum  dem  altphönizisehen 
Alphabet  entnommen,  aus  dem  sie  iu  früherer  Zeit,  als  man  gewöhnlich 
annimmt,  vielleicht  in  ungefähr  gleicher  Zeit  wie  die  grieehischeu 
(vgl.  G.  Bühler  Indische  Palacographie  im  Grundriss  der  indoarischeu 
Philologie  und  Altertumskunde  I,  11,  S.  17  ff.),  entlehnt  wurden.  Auch 
sprachlich  würden  wir  von  arischem  auf  semitischen  Boden  geführt 
werden,  wenn  das  im  Indischen  neben  Upi-  bezeugte  prakr.  dipi-  als 
die  ältere,  durch  Up  , bestreichen'  vielleicht  entstellte  Form  anzusehen 
wäre,  die  daun  zusammen  mit  altp.  dipi  , Inschrift  aus  babyl.  duppu 
abzuleiten  ist  (vgl.  Jensen  Wiener  Z.  f.  d.  Kunde  d.  Morgenl.  VI,  218 
Anna.,  Hübschmann  K.  Z.  XXXVI,  2,  176).  So  sind  wir  wieder  an 
dem  semitischen  Ausgangspunkt  der  grossartigen  Kulturbcwegung  an- 
gekommen, welche  den  idg.  Völkern  das  brauchbare  Mittel  zur  schrift- 
lichen Festhaltung  ihrer  Gedanken  gab. 

Schreibfeder,  s.  Schreiben  und  Lesen. 

Schreibmaterial,  s.  Papyrus  und  Schreiben  und  Lesen. 

Schuhe.  Für  den  Schutz  der  Füsse  muss  schon  in  der  Urzeit 
gesorgt  gewesen  sein,  wie  einerseits  aus  der  Übereinstimmung  von 
armen,  bok,  altsl.  bosil,  Wt.bäsas  ,barfuss',  ahd.  bar,  allgcm.  ,nackt' 
<idg.  *bho8Ö~;  denn  der  Begriff  »barfuss'  ist  natürlich  nur  im  Gegensatz 


Digitized  by  Google 


740 


Schuhe  —  Schulden. 


zu  vorhandener  Fussbeklcidung  denkbar),  andererseits  aus  der  auf  Ur- 
verwandtschaft beruhenden,  über  ganz  Europa  verbreiteten  Gleichung: 
griech.  KpnTri«;,  lat.  carpisculum,  ir.  cairem,  kymr.  crydd  (*karp-jo-& 
»Schuhmacher'),  agls.  hrifeling,  lit.  kürpe,  altpr.  curpe  ,Schuh',  slav. 
*kürp-,  nsl.  krplje  (die  litu-slavischen  Wörter  mit  auffallendem  Vokal) 
hervorgeht.  Hierher  wird  auch  das  griech.,  erst  bei  Xenophon  Uber- 
lieferte Kopß-diivat  , Bauernschuhe  aus  rohem  Leder'  zu  stellen  sein, 
vielleicht  ein  Lehnwort  aus  einer  nichtgriechischen  idg.  Sprache,  die 
ir  in  ß  wandelte.  Gemeingermanisch  ist  die  Sippe  von  got.  sköhs, 
abd.  seuoh  (:  got.  skiwjan  ,gehen'),  gemeinkeltisch  die  von  ir.  cuaran, 
kymr.  curan  (*kou-rano-  :  lat.  cutis  wie  slav.  *8korlnl,  nsl.  skorna 
»Stiefel'  :  altsl.  skora  ,Rinde,  Haut,  Fell'?),  gemein  slavisch  altsl. 
crecij  (*6ervjü).  Mehrfach  werden  auch  Benennungen  der  Fussbe- 
kleidungcn  von  dem  Verbuni  lit.  aü-ti,  lat.  ind-uo,  ex-tio  gebildet, 
welches  im  Litauischen  den  speziellen  Sinn  von  ,Fusslappen  {aüia*) 
anlegen'  hat  :  aw.  aofha-  ,Schuh\  aofhrava-  ,Gamasche',  lit.  dtealas 
,Fussbekleidung'  etc.  Unsicher:  ir.  assa  ,Schuh'  aus  *paksajo-  = 
griech.  ndE-  ÜTröbn.pa  euuTTÖönrov  Hes.  (Stokes  Urkelt.  Sprachschatz 
S.  6).  Schuhfunde  aus  der  Vor-Eisenzeit  sind  aber  bis  jetzt  in 
Europa  nicht  nachgewiesen  worden,  was  in  der  leichten  Zerstörbarkeit 
des  Leders  oder  Bastes  (s.  u.  Linde)  seinen  Grund  haben  wird. 

Wie  auf  allen  Gebieten  der  Tracht,  ist  auch  auf  dem  des  Schuh- 
werks die  sprachliche  Entlehnung  eine  sebr  grosse.  Schon  die 
homerischen  Hymnen  bieten  advbaXov  aus  pers.  sandaL  Später  ist 
KÖ0opvo^  ,ein  hoher  Stiefel'  sicher  entlehnt  (aber  woher?).  Die  Römer 
haben  aus  dem  Griechischen  sandalium  (Terenz),  baxea  (Plautus)  aus 
rcdE  8.  o.,  cothurnus  (Liv.  Andr.),  crepida  (Oatull)  u.  auderes,  die  Ger- 
manen aus  dem  Lateinischen:  got.  sulja,  ahd.  sola  aus  lat.  solect  (:  griech. 
uXid  Hes.)  und  *sola  ,Sohle',  ahd.  mfieldri,  agls.  suftlere  aus  lat. 
xubtäldres,  sc.  calcei  ,bis  an  die  Knöchel  gehende  Schuhe'  (Isid.), 
ahd.  chelisa  aus  lat.  caliga  oder  calceus,  it.  calzo(?)t  ahd.  socf  agls. 
noc  ,Strumpf  und  ,Schuh'  ans  lat.  soccus  ,ein  leichter  Schuh'  (vgl. 
Hesych  auKXoi  *  ÜTrobrmata  «PptrfK»),  spätmhd.  stivel  .Stiefel'  aus  it. 
xtiväle  (mlat.  aestivale)  ,leichtcr  Sommerschuh'.  Ebenso  ist  der  Osten 
und  Südosten  Europas  voll  von  Entlehnungen  (rnss.  basmakü  aus  türk. 
batmakü,  serb.  papuc  ;Pautoffel'  aus  türk.  papudi,  ngriech.  tZcpßouXia 
u.  s.  w.  aus  dem  Arabischen),  Beispiele,  die  sich  leicht  vermehren 
Hessen.  —  S.  u.  Hose,  Kork  und  u.  Kleidung. 
Schuld,  8.  u.  Verbreeben. 

Schulden  (Schuldverhältnisse).  Hand  in  Hand  mit  dem 
Hervortreten  der  Stände  (s.  d.)  und  einer  schärferen  Ausbildung  der 
Gegensätze  von  Reich  und  arm  (s.  d.)  wächst  in  Europa  die  wirt- 
schaftliehe Bedeutung  der  Schuldvcrhältnisse.  Ansätze  zu  solchen 
mögen  in  die  Zeiten  vorhistorischer  Zusammen  hänge  der  idg.  Völker 


Digitized  by  Google 


Schulden. 


741 


zurückgeben,  und  u.  Verbrechen  (Schuld)  ist  auf  einige  sprachliche 
Übereinstimmungen  des  nördlichen  Europas  in  der  Terminologie  der 
Schnldverhältnisse  (abd.  sculda,  lit.  skolä  und  ir.  dligim,  got.  dulgs, 
altsl.  dlügü)  hingewiesen  worden.  Hierher  könnte  man  auch  die  engere 
Bedeutungsverwandtschaft  von  ir.  air-licim  ,ich  leihe'  und  dem  gemein- 
germ.  got.  leihvoan  (woraus  altsl.  lichva  ,  Wucher'),  ahd.  lihan  ,ein 
Darlebn  geben',  daneben  auch  ,ein  Darlehen  empfangen'  stellen,  die 
sich  auf  keltisch -germauischem  Boden  im  Gegensatz  zu  der  allgemeineren 
Bedeutung  von  sert.  ric,  griech.  Xtmuu,  lat.  linquo,  ir.  Uicim  ȟberlasse, 
lasse'  entwickelt  bat. 

Indessen  haben  aus  den  allgemeinen  Gründen,  die  sieb  aus  den 
schon  genannten  Artikeln  und  aus  dem  Abschnitt  Uber  Eigentum 
ergeben,  Schnldverhältnisse  ihre  eigentliche  Bedeutung  doch  wohl  erst 
auf  dem  Boden  der  Einzel  Völker  erlangt,  allerdings  bereits  in  vor- 
historischer Zeit.  Denn  als  die  Überlieferung  auhebt,  finden  wir  bereite 
überall  in  Europa,  im  Süden  wie  im  Norden,  einzelne  Klassen  der 
Bevölkerung  anderen  gegenüber  in  drückende  Schuld  und  wirtschaft- 
liche Abhängigkeit  verstrickt. 

Ein  Bild,  von  der  Art,  wie  man  sich  in  Zeiten,  in  denen  es  Metall- 
geld noch  nicht  giebt,  sondern  der  einzige  Wertmesser  die  Kuh  (s.  u. 
Geld)  ist,  solche  Schuldverhältnisse  innerhalb  einer  ursprünglich 
gleichen  und  freien  Bevölkerung  entstanden  denken  kann,  entrollen 

-die  altirischen  Zustände,  wie  sie  uns  die  Brehon-Gesetzc  schildern. 
Hier  pflegte  es  zu  geschehen,  dass  einzelne,  namentlich  die  Häuptlinge 
oder  rl's  (rix)  auf  dem  Wege  der  Beute  oder  sonst  zu  einer  grösseren 
Zahl  von  Kühen  kamen,  als  sie  für  sich  verwerten  konnten.  Sie  ver- 
fielen daher  auf  den  Gedanken,  diesen  Uberschuss  an  ärmere  Volks- 
genossen auszuleihen,  die  einiger  Kühe  zur  Ausübung  des  Ackerbaus 
dringend  bedurften.  Dieses  Verhältnis,  durch  welches  der  freie  Ire 
zum  eile  des  Reicheren  herabsank,  war  in  der  Regel  auf  7  Jahre 
berechnet,  nach  deren  Verlauf  das  entliehene  Vieh  dem  Entleiher  ge- 
hören sollte.  Während  dieser  Zeit  aber  war  er  verpflichtet,  dem  Eigen- 
tümer der  entliehenen  Kühe  nicht  nur  die  Kälber  derselben  auszuliefern, 
sondern  ihn  auch,  allein  oder  mit  Genossen,  auf  eine  gewisse  Zeit 
in  seinem  Hause  aufzunehmen  und  zu  bewirten  und  endlich  an  be- 
stimmten Tagen  ihm  mit  seiner  Hände  Arbeit  (bei  der  Ernte  oder  dem 
Bau  einer  Feste)  zu  dienen  (vgl.  Maine  Early  history  of  institutions6 
S.  158  ff.).  Es  liegt  auf  der  Hand,  in  wie  hohem  Grade  diese  Ver- 
hältnisse geeignet  waren,  in  Folge  von  Missbrauch  und  Unglück  all- 
mählich zu  einer  dauernden  Abhängigkeit  der  Zinsleutc  vom  Häuptling 
zu  führen,  und  nichts  steht  im  Wege,  die  Verschuldung,  in  der  wir  in 
Athen  das  Volk  den  Enpatriden,  in  Rom  den  Patriziern  gegenüber 

:  finden,  uns  in  ähnlicher  Weise  entstanden  zu  denken. 

Die  ältesten  Schuldverhältnisse  auf  idg.  Boden  werden  durch  den 


Digitized  by  Google 


■ 

742 


Schulden. 


Satz  charakterisiert,  dass  der  Schuldner  für  seine  Schuld  mit 
seinem  Leibe  haftet,  d.  h.  dass  der  Gläubiger  den  Schuldner, 
der  seine  durch  ein  Darlehen  oder  durch  Spielverlust  entstandene 
Schuld  nicht  bezahlt,  gebunden  in  sein  Haus  führen  darf,  um  ihn  dort 
festzuhalten,  bis  er  bezahlt,  oder  ihn,  wenn  er  das  nicht  thut,  in  die 
Sklaverei  zu  verkaufen.  So  ist  es  schon  im  Rigvcda.  In  dem  be- 
kannten Spielerlied  (X,  34)  klagt  der  unglückliche  Spieler: 

„Ich  weiss  auch  nicht,  wozu  ein  Spieler  gut  wär, 
so  wenig  als  ein  teurer  Gaul  im  Alter. 

Nach  seinein  Weibe  greifen  fremde  Hände, 
indess  mit  Würfeln  er  auf  Beute  auszieht. 

Der  Vater,  Bruder  und  die  Mutter  rufen: 

'wer  ist  der  Mensch?  Nur  fort  mit  ihm  in  Bauden"! 
(baddhd-  ,in  Banden';  vgl.  lat.  ne.vus :  necto,  eigentl.  .gebunden',  woher 
in  Übertragener  Bedeutung  nexum  „das  im  ältesten  Recht  vorkommende 
per  aes  et  libram  eingegangene  Darlehnsgeschäft,  bei  welchem  der 
Schuldner  sich  in  die  Schuldhaft  des  Gläubigers  eventuell  zu  liefern 
versprach").  In  Athen  wurde  die  Schuldknechtschaft  erst  durch 
Solon  (Plut.  Solon  Cap.  lf>)  abgeschafft,  und  «1er  Gesetzgeber  rühmt 
sich : 

öpou<;  dveiXov  TroXXaxrj  TTCTTirf öto^ 
(öpoi  sind  Schuldsteine,  die  auf  die  Verpfandung  eines  Grundstücks 
hinweisen  —  also  ein  schon  vorgerückteres  Stadium  der  Kultur  im  Ver- 
gleich zu  den  oben  geschilderten  altirischen  Verhaltnissen) 

7roXXoü<;  b'  'A6nva<;,  TraTpib'  ei?  öeÖKTiTov, 

ävnj<rf0v  TTpaö(?VTaq,  fiXXov  ^Kbncuus, 

äXXov  biKatuu£,  xoüq  b'  ävcrrKatr)?  ütto 

Xpnffjuöv  Xt-tovras  (vgl.  Bcrgk  Frgm.  36). 
Noch  anderthalb  Jahrhunderte  später  schreibt  in  R  o  in  die  dritte 
der  XII.  Tafeln  vor:  Aeris  confessi  [rebusque  iure)  iudivatis  XXX 
dies  iusti  stmto.  post  deinde  manu*  iniectio  esto.  in  ius  ducito.  ni 
iudicatum  facti  aut  quis  endo  eo  in  iure  vindicit  (s.  u.  Familie  am 
Schluss),  secum  ducito.  vincito  aut  nervo  aut  compedibus.  XV  pondo 
ne  tnaiore,  aut  si  volet,  minore  vincito.  si  volet,  suo  vivito.  ni  suo 
vivet,  [qui  eum  vinetum  habebit]  libras  farris  endo  dies  dato,  si 
volet,  plus  dato.  60  Tage  soll  so  der  Schuldner  in  Gewahrsam  ge- 
halten, aber  an  drei  Markttagen  unter  Verkündigung  des  Betrags  der 
Schuld  öffentlich  ausgestellt  werden.  Tertiis  autem  nundinU  capite 
poenas  dabant  aut  Irans  Tiberim  peregre  venum  ibant.  Waren 
mehrere  Gläubiger  vorhanden,  so  galt  der  Satz:  Tertiis  nundinis 
partis  secanto.  si  plus  minusve  secuerunt,  se  fraude  esto.  Ganz 
an  den  altvcdischen  Zustand  gemahut  das  Cap.  24  der  Germania: 
Aleam,  quod  mirere,  sobrii  inter  seria  exercent,  tanta  lucrandi  per- 
dendive  temeritate  ut,  cum  omnia  defecerunt,  extremo  ac  novissimo* 


Digitized  by  Google 


Schulden  —  Schwalbe. 


713 


iactu  de  l ibertat e  ac  de  corpore  contendant.   victus  toluntariam 

sercitutem  adit   servos  condicionis  htiius  per  commercia 

tradunt,  ut  se  quoque  pudore  victoriae  exolvant,  wozu  nur  zu  be- 
merken ist,  dass,  was  der  Schriftsteller  über  das  Freiwillige  dieses 
Knechtscbaftsverhältnisses  ausführt,  unzweifelhaft  iu  das  Gebiet  der 
Idealisierung  und  des  Romanhaften  seiner  Schrift  gehört.  Endlich 
kennt  auch  das  älteste  sl arische  Recht,  die  Pravda  des  XIII. 
Jahrhunderts,  für  bestimmte  Fälle  den  Verkauf  des  Schuldners  in  die 
Knechtschaft  (vgl.  Ewers  Das  älteste  Recht  d.  Russen  S.  328).  —  Diese 
demnach  bei  allen  idg.  Völkern  gleichmütig  begegnende  Härte  bei 
Eintreibung  von  Schuldforderungen,  die,  natürlich  in  der  ältesten 
Zeit  Uberall  dem  Gläubiger  selbst  zufallt  (vgl.  Paul  Collinet  Revue 
celtique  XVII,  333  ff.),  erklärt  sich  ohne  Schwierigkeit  aus  der  bis 
in  die  Urzeit  zurückgehenden  Auffassung,  dass  der  Leib  des 
Menschen  einen  bestimmten  Geldwert,  d.  h.  Wert  an  Kühen 
darstelle.  Es  ist  daher  nur  die  Folge  dieser  Auffassung,  wenn  in 
Ermanglung  von  anderen  Gütern  die  gemachten  Schulden  mit  dem 
Leibe  abzuzahlen  sind.  Die  äusserste,  in  Wirklichkeit  wohl  niemals 
gezogene  Konsequenz  dieser  Ideenverbindungen  liegt  in  dem  oben  an- 
geführten Satz  der  XII  Tafeln  vor:  Tertiis  nundinis  partis  secanto. 
si  plus  minusve  secuerunt,  se  fraude  esto. 

An  Ausdrücken  für  die  Hegriffe  , Schuld',  .schulden',  .borgen'  etc., 
soweit  sie  nicht  schon  im  obigen  oder  u.  Verbrechen  (Schuld)  ge- 
nannt worden  sind,  bleibt  zu  erwähnen:  gricch.  6-<peiXu>  ,ich  bin  schuldig' 
(Wurzel  <peX  vielleicht  —  ghel  iu  got.  gil-d  »Steuer',  ,Zins',  fragildan, 
s.  u.  Abgaben;  vgl.  auch  t^X6o<;-  xpio<;  He«.),  so  dass  öcpeiXw  soviel 
wie  ,ich  habe  zu  zahlen'  wäre.  Ferner:  lat.  dtheo  ans  *de-hibeo  ,ieh 
habe  etwas  von  jemandem',  ,ieh  schulde",  credo  =  ir.  cretim,  sert.  Qrad- 
dädhämi  , vertraue'  und  mtituus  .geborgt',  »geliehen',  mütuare,  nnltu- 
ari,  mtltuum  »Darlehn'  („die  Übereignung  einer  Quantität  vertretbarer 
Sachen  unter  der  Verpflichtung,  dass  der  Empfänger  eine  Quantität 
derselben  Gattung  und  Güte  dereinst  zurückerstatte"):  mtlnus,  eigentl. 
»Tauschgabe',  lit.  malnas  »Tausch'.  Vgl.  noch  ir.  fiach  »Schuld'  (*veik-, 
nach  Osthoff  I.  F.  VI,  40:  lat.  vkes,  vkissitudo,  ahd.  wehsal  wie  lat. 
mutuum).  Über  deutsch  „borgen"  s.  u.  Bürge.  Frühzeitig  wurde  durch 
Pfänder  und  Bürgen  (s.  d.>,  auf  germanischem  Boden  auch  durch 
Geiseln  (s.  d.)  Sicherheit  für  Übernommeue  Schulden  gegeben.  —  S. 
auch  u.  Zinsen. 

Schurz,  s.  Kleidung. 

Schussel,  s.  Gefässe. 

Schuster,  s.  Gewerbe,  Schuhe. 

Schutzhäuser,  s.  Gasthaus. 

Schwager,  Schwägerin,   s.  Schwieger-. 

Schwalbe,  8.  Singvögel. 


Digitized  by  Google 


711 


Schwan  —  Schwarz  und  weiss. 


Schwan.  Für  diesen  Vogel  Bind  zwei  urverwandte  Gleichungen 
vorbanden:  abd.  albiz,  elbiz,  agls.  ylfetu,  altn.  alpt  =  altsl.  lebedl 
(wohl  der  ,weisse'  :  griecb.  dX<pos,  lat.  albus)  und  ir.  ela,  kynir.  alarch, 
korn.  elerhc  =  lat.  olor  (vgl.  griecb.  i\ia  ,ein  Sumpfvogel')-  Die  Eigen- 
schaft der  einen  Schwanenart,  einen  singenden  Ton  auszustossen  (die 
andere  ist  stumm),  welche  auf  ihren  Zügen  aus  dem  hoben  europäischen 
Norden  auch  in  die  klassischen  Länder  kam,  ward  schon  von  den 
Alten,  seit  Homer  (II.  II,  459 ff.),  bemerkt;  doch  darf  griecb.  kukvo«; 
,Sebwan'  kaum  mit  lat.  canere  verbunden  werden.  Sicherer  ist  die 
Bedeutung  ,Töner'  für  abd.  stean,  agls.  swan,  altn.  svanr  :  lat.  sonare. 
Vgl.  über  den  Schwan  und  Scbwaneugesaug  Müllenhoff  1).  Altertumsk. 
I,  1  ff .    Ir.  geis  s.  u-  Gans,  lit.  gulb?  u.  Taube. 

Schwangerschaftsherechnnng,  s.  Mond,  Monat. 
Schwarz  und  weiss.  Idg.  Bezeichnungen  für  verschiedene  Licht- 
eiudrücke  sind  vielfach  vorhanden.  Für  Schwarz,  d.  h.  die  Ab- 
wesenheit jeglichen  Lichteffekts  auf  die  Netzhaut  des  Auges  gelten: 
sert.  Irshnd-,  altpr.  kirsnan,  altsl.  erünü  (lit.  ktrszas  ,weiss  und 
schwarz  gefleckt'?);  sert.  qyävd-  .schwarzbraun',  upers.  siydh,  osset.  sau, 
armen,  seac  ,schwarz'  (altpr.  sytean,  lit.  szytras,  altsl.  shü  .grau',  im 
Lit.  .weiss  wie  ein  Schimmel';  vgl.  Hübsehmann  Armen.  Gr.  S.  489);  sert. 
qyämd-  ,schwarz',  lit.  szhnas  ,asehgrau\  ,blaugrau'  (von  Ochsen):  sert. 
käla-  ,sehwarz'.  griecb.  kcXcuvö«;  desgl.,  lat.  cdligo  ,Duukelheit":  sert. 
malina-  .schwarz/  (:  mala-  ,Schmutz),  griecb.  uAaq,  lett.  mein*  (vgl. 
got.  stearts  :  lat.  sordes  und  abd.  salo  , schwarz,  schmutzig  );  8.  auch  u. 
Blau.  Dunkel  sind  lat.  niger  und  dter,  umbr.  atru.  Vgl.  noch  lit.  jtidas 
,schwarz'  =  ir.  odar  ,duukelgrau'(?).  Gemeinkclt.  *dubo-s,  ir.  dub  wird 
zugrieeh.  TinpXöq  ,bliud',  got.  daubs  ,tauh'  gestellt  (s.  auch  u.  Taube;. 

Nicht  weniger  zahlreich  sind  die  vorhistorischen  Bezeichnungen  für 
Weiss  die  gleichzeitige  Einwirkung  aller  Wellenaiten  auf  die  Netzhaut 
des  Auges),  die  meistens  aus  Wurzeln  mit  dem  Sinne  von  ,leuchten\ 
,strahlen'  hervorgegangen  sind.  Am  verbreitetsten  ist  sert.  rajatd-  und 
seine  Sippe,  Wörter,  die  aber  in  den  Einzelspracben  fast  durchaus  in 
die  Bedeutung  von  Silber  (s.  d.)  übergegangen  sind.  Vgl.  ferner: 
sert.  <;vttd-,  aw.  spaeta-  ,weiss'  {c,vetate  .leuchtet'  neben  <;cindate 
glänzt  ),  got.  hiceits;  griecb.  Xcukö?,  lit.  laükas  (,mit  Blässe  auf  der 
Stirn'),  ir.  luach  c  sert.  rttc,  lat.  luceo):  griecb.  qpavöq,  ir.  bdn  {*bhdno-s 
:  sert.  bhdnü-  ,Sehein);  griecb.  <paXö<;,  <poXio?,  lit.  bdlta*,  altsl.  belü; 
griecb.  äX<pöq  , weisser  Flecken',  lat.  albus.  Gemcinkeltiscb  :  *vindo-s, 
ir.  find.   Lat.  Candidus  (vgl.  accendo,  sert.  candrd-  , licht'). 

Zwischen  S  c  h  w  a  r  z  und  Weiss  steht  Grau.  Auch  für  diesen 
Begriff  finden  sich  mehrere  Gleichungen.  Einiges  hierher  gehörige  ist 
u.  Blau  angeführt  worden,  in  das  die  Wörter  für  Schwarz  und  Grau 
(s.  auch  oben)  mehrfach  übergehen.  Vgl.  noch  lat.  cdnus,  osk.  casnar 
,scuem'  (wie  mbd.  grise  ,Greis' ),  altn.  höss,  agls.  harn  ,grau';  lat.  rdvus 


Digitized  by  Google 


Schwarz  und  weis«  —  Schwein. 


745 


(*hrdcus)  ,graugelb',  ahd.  grdo,  grdtcea;  agls.  hör,  altn.  harr,  russ. 
seryj  (altsl.  serü  ,glaucus',  doch  s.  die  Nachtrage  'zu  H  ä  r  i  n  g).  — 
S.  u.  Farbe  und  Farbstoffe. 

Schwefel.  Die  Bekanntschaft  mit  ihm  geht  in  Europa  in  ziemlich 
frühe  Zeiten  zurück.  Im  Süden  bedienten  sich  schon  die  homerischen 
Griechen  seiner  als  eines  heiligen  Reinigungsmittels,  und  in  der  Ilias 
wie  in  der  Odyssee  wird  sein  Name  <6eeiov,  8e»ov,  Beciöuj  :  6üw  ,in 
Rauch  aufgehen  lassen')  mehrfach  genannt.  Im  äussersten  Norden 
Europas,  in  Bronzegräbern  der  kimbriseben  Halbinsel,  ist  wiederholt 
Schwefelkies  zusammen  mit  Flintstein  als  Bestandteile  eines  primitiven 
Feuerzeugs  (s.d.)  gefunden  worden  (vgl.  Z.  f.  Ethnologie,  Verhandl. 
XVIII,  241).  Auch  die  Terminologie  des  Schwefels  bietet  alter- 
tümliche Erscheinungen.  Die  gemeingermanischen  got.  swibh,  ahd. 
stcebal,  agls.  siceß,  schwed.  swafvel  führen  zusammen  mit  altwestphäl. 
swegel  und  oberpfälz.  schtceJfeJ  auf  eine  vorgermauische  Grundform 
*8velqh-,  dem  ein  abstufendes  *sulqlo-  zur  Seite  gestanden  haben  kann. 
Mit  letzterem  Hesse  sich  das  lat.  sulpur,  *sulpinis  (vgl.  J.  Schmidt 
Pluralb.  S.  173)  unter  Annahme  der  Herkunft  des  p  statt  q  aus  einem 
anderen  italischen  Dialekt  wohl  vereinigen  (vgl.  R.  Much  Z.  f.  deutsches 
Altert.  XLI1,  l(35j.  Eine  Entlehnung  des  lat.  sulpur,  sulfur  aus  einem 
augeblichen  sert.  gulvdri-  ,Schwefel'  hat  jedenfalls  wenig  Wahrschein- 
lichkeit. Neben  sulpur  bestand  in  Italien  noch  ein  zweiter  Ausdruck 
für  Schwefel:  sabin.  nar,  von  dem  der  schwefelhaltiges  Wasser  führende 
Fluss  Nar  seinen  Namen  haben  sollte  (vgl.  Büchelcr  Lex.  It.  XVII, 
G.  Goetz  Thesaurus  I,  725).  Der  einheimische  slavische  Name  des 
Schwefels,  der  nur  dem  Bulgarischen  und  Serbischen  fehlt,  ist  altsl. 
nera,  eigentl.  ,grau',  , blond'.  Aus  dem  Slavisehcn:  lit.  sierä  , Schwefel' 
und  alb.  sere  ,Teer,  Hölle',  aus  dem  Germanischen:  altsl.  zupelü, 
iuplü,  aus  dem  Lateinischen  (*slufur  für  sulpur)  alb.  sk'ufur  G.  Meyer 
Et.  W.).  Sachliches  bei  H.  Blünmer  Technologisches  (Schwefel,  Alaun 
und  Asphalt  im  Altertum),  Festschrift,  Zürich  1887  S.  22  ff. 

Schwein.  Der  europäische  Name  des  Hausschweins,  gricch.  u«; 
(dessen  Beziehungen  zu  Ov<;  noch  viel  umstritten  sind),  lat.  stis,  alb.  ftt, 
ahd.  ml  (neben  sietn,  vgl.  lat.  minus  ,vom  Schwein'),  altsl.  svinija, 
kelt.  *suceu-,  korn.  hoch  (vgl.  agls.  sttgu,  schwed.  sugga  etc.  und  aiiccr 
uq.  AdKwveq  lies.)  kehrt  auch  in  Asien  wieder:  aw.  hü-,  hü-kehrpa 
,in  Ebergcstalt'  (knrd.  xu\  afgh.  ytig  u.  s.  w.  vgl.  Horn  Grundriss  d. 
np.  Et.  S.  113),  sei  t.  sükard-  , wilder  Eber'.  Auf  Europa  beschränken 
sich  hingegen  lat.  porcus,  ir.  orc,  ahd.  farah,  lit.  parszas,  altsl.  pras? 
, Ferkel'  und  alb.  der  =  griech.  xoipoq  .Schwein'. 

In  Europa  wird  auf  allen  Völkergebieten  seit  Anfang  der  Über- 
lieferung Schweinezucht  eifrig  betrieben.  Die  germanischen  Gesetz- 
bücher nehmen  auf  sie  reichlich  Rücksicht  (vgl.  Anton  Geschichte  der 
teutschen  Landwirtschaft  I,  129),  und  schon  die  keltische  (vgl. 


Digitized  by  Google 


74G 


Schwein. 


W.  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  unter  *banvos,  ir.  banb,  *muccu, 
ir.  mucc  u.  8.  w.),  wie  die  germanische  Grundsprache  waren  reich 
an  Benennungen  für  das  Tier.  Zwei  genieiugcrmanische  Ausdrücke, 
hauptsächlich  für  das  geschnittene  Schwein  vgl.  bei  F.  Kluge  Et.  W.6 
unter  Geize,  gelt  (altn.  göltr,  ahd.  galza,  agls.  gilte  etc.)  und  Barch 
(altn.  börgr,  agls.  bearg,  ahd.  bartig  :  altsl.  braeü  ,Schöps').  Vgl. 
noch  weiteres  hei  H.  Palander  Ahd.  Ticrnamen  S.  152  ff.  Hingegen 
ist  Schweinezucht  Indern  und  Iraniern  durchaus  fremd.  Vgl.  auch 
Aelian  De  nat.  anim.  (Herch.)  III.  3:  uv  outc  ävpiov  outc  fjfitpov  Iv 
'lvbo?s  T€V6(T9ai  Xct€i  Kintfiaq.  Ebensowenig  wurde  sie  von  den  Turko- 
Tataren  (vgl.  Vämbery  Die  primitive  K.  d.  turko-tat.  V.  S.  199)  und  den 
meisten  Semiten,  vielleicht  mit  Ausnahme  der  Hahylonier  (  vgl.  Riehm 
Handwörterbuch  II*,  1462 1,  geübt.  Bei  den  Juden  tritt  Schweinezucht 
erst  zur  Römerzeit  auf.  Bekanntschaft  oder  Unbekanntschaft  mit  ihr 
ist  daher  ein  unterscheidendes  Merkmal  europäischer  und  vorderasiatischer 
Viehzucht  im  Altertum. 

In  Ägypten  ist  dagegen  das  Hausseh  wein  seit  Alters  bekannt  (vgl. 
Wiedeniann  Herodots  II.  Buch  S.  85),  obgleich  es  auch  hier,  wie  bei 
den  Semiten,  für  unrein  gehalten  wurde,  eine  in  ihrem  Ursprung  noch 
dunkle  Vorstellung,  die  einen  grossen  Teil  des  Orients  beherrscht. 

In  prähistorischen  Epochen  begegnet  das  Hausschwein  zunächst 
in  den  Pfahlbauten  der  Poebene  und  in  den  Mykenisehen  Gräbern. 
Was  die  Schweizer  Pfahlbauten  anbetrifft,  so  war  Rütimcyer  (Fauna 
der  Pfahlbauten  S.  119  ff.)  der  Ansicht,  „dass  in  den  ältesten  Pfahl- 
bauten das  Schwein  als  Haustier  fehle,  dass  es  aber  in  den  späteren 
Perioden  des  Steinalters  als  Haustier  und  zwar  in  immer  steigender 
Menge  auftrete".  Er  ging  dabei  von  der  Ansieht  aus,  dass  das  schon 
früher  auftretende  Torfschwein  eine  besondere  Spezies  des  wilden 
Schweines  darstelle,  eine  Ansicht,  die  sich  indessen  nicht  als  richtig 
erwiesen  hat  (worüber  unten).  Für  die  Bekanntschaft  der  Europäer 
mit  dem  Hausschwein  schon  während  der  jüngeren  Steinzeit  spricht 
jedenfalls  auch  d  e  r  Unistand,  dass  es  in  skandinavischen  Denkmälern 
dieser  Epoche,  z.  B.  in  den  Ganggräbern  Vestergöthnds  (vgl.  0.  Mon- 
telins  Kultur  Schwedens*  S.  26)  zusammen  mit  anderen  Haustieren 
sicher  nachgewiesen  ist. 

Überblickt  man  die  geschilderten  Verhältnisse,  so  erklären  sieh  die- 
selben am  besten  bei  der  Annahme,  dass  bei  den  ungetrennten  Indo- 
germanen  das  Schwein  noch  nicht  in  gezähmtem  Zustand  lebte,  und 
dass  es  in  diesen  erst  in  einer  Zeit  versetzt  wurde,  in  welcher  nur 
die  europäischen  Indogermanen  noch  in  kulturhistorischer  Gemein- 
schaft lebten.  Den  Schauplatz  derselben  müssen  wir  uns  im  Gegensatz 
zur  Steppe,  der  Urheimat  der  Indogermanen,  von  dichten  Waldungen 
bedeckt  denken  (s.  u.  Wahl  bäume  und  Urheimat),  namentlich  von 
Eichen-  und  Buchenforsten,  in  denen  das  Schwein  reichliche  Nahrung 


Digitized  by  Google 


Schwein  —  Schwere. 


747 


an  Eicheln  und  Bucheckern  finden  musste.  Ferner  scheint  es,  dass 
das  Schwein  in  einem  gewissen  Zusammenhang  mit  der  Pflege  des 
Ackerbaus  (s.  d.)  steht,  der  in  jener  Epoche  deutlicher  hervortritt. 
Wie  in  Ägypten  (Herod.  II,  14)  das  Schwein  zum  Eintreten  des  Saat- 
korns und  zum  Austreten  des  Getreides  benutzt  wird,  so  scheint  in  der 
ländlichen  Bildersprache  Alteuropas  der  Name  des  Tieres  zu  allerhand 
Benennungen  agrarischer  Begriffe  verwendet  worden  zu  sein.  Merk- 
würdig stimmt  das  oben  genannte  lat.  porcus  n.  s.  w.  mit  lat.  porca, 
altbret.  rec,  ahd.  furuh  , Ackerfurche'  tiberein  (armen,  herk  passt  wegen 
k  statt  8  weder  genau :  lat.  porcus,  lit.  parszas  junges  Schwein',  noch 
wegen  k  statt  g  genau  :  lat.  porca  , Ackerfurche  ).  Weiteres  s.  u.  Pflug. 
Vgl.  auch  Roscher  Nationalökonomie  des  Ackerbaus9  S.  596. 

Das  europäische  Haussehwein  wird  allgemein  von  dem  europäischen 
Wildschwein  abgeleitet,  und  zwar  umso  zuversichtlicher,  je  mehr 
man  neuerdings  in  dem  in  Alteuropa  neben  dein  Wildschwein  ge- 
fundenen „Torfschwein"  nicht  wie  bisher  eine  besondere,  zu  ausser- 
europäi8chen  Rassen  in  Beziehung  stehende  Species.  sondern  einen 
durch  primitive  Domestikation  verkümmerten  Abkömmling  des 
gemeinen  europäischen  Wildschweins  zu  erblicken  geneigt  ist  (vgl. 
A.  Otto  Z.  Geschichte  der  ältesten  Haustiere  S.  70,  77  und  A.  Nehring 
Über  das  sogenannte  Torfschwein  (Zeitschr.  f.  Ethnologie  1887,  Vcrh.  vom 
28.  April).  Auch  von  dieser  Seite  her  lässt  sich  also  gegen  die  Annahme, 
dass  die  Indogermanen  in  Europa  selbst  zur  Zähmung  des  Hausschweius 
übergegangen  sein,  keine  Einwendung  erheben.  Der  europäische  Name 
für  dat  Wildschwein  ist  lat.  aper  =  ahd.  ebur,  altsl.  vepri  (vgl.  Uhlcn- 
beck  Beiträge  XXIV,  243,  Palnnder  a.  a.  0.  S.  152).  Vgl.  noch  arisch 
sert.  vardhd-  =  aw.  vardza-.   Gricch.  kottpo?  s.  u.  Ziege. 

Eine  ausserordentlich  weitgehende  Entlehnung  hat  von  den  oben- 
genannten lit.  parszas  und  altsl.  prase,  russ.  porosja  aus  in  die 
finnischen  Sprachen  stattgefunden,  eine  Entlehnung,  die  sich  nicht 
nur  bis  in  das  mordv.  purhts,  purts  .Ferkel',  sondern  auch  bis  in  das 
wotjakische  pars,  wog.  pures,  ostj.  purys  ,Schwein'  erstreckt  (vgl. 
Thomsen  Beröringer  S.  206).  Dieselbe  weist  auf  frühzeitige  Über- 
nahme der  Schweinezucht  seitens  der  finnischen  Völker  von  osteuropä- 
ischen Indogermanen  hin.  Schon  der  Bericht  des  Wilhelm  de  Rnbruck 
(a.  1253)  sagt  von  den  im  übrigen  noch  äusserst  wilden  Mordvinen: 

Ultra  Tanaim  ad  aquilonem  sunt  silvae  maxumae  Habun- 

dant  apud  eos  porci,  me.l  et  cera,  pelles  pretiosae  et  falcones  (vgl. 
Tomaschek  Kritik  d.  ältesten  Nachr.  üher  d.  skyth.  Norden  II,  15). 
—  Vgl.  auch  Hahn  Die  Haustiere  S.  206  ff.    S.  u.  Viehzucht. 
Schweinskopf,  s.  Heer. 

Schwert.  Waffen,  die  als  S e  h  w e  r  t er  angesprochen  werden 
könnten,  fehlen  der  europäischen  Steinzeit.  An  ihrer  Stelle  steht  das 
feuersteinerne  Dolchmesser,  das  sich  in  seiner  Bildung  an  die 


Digitized  by  Google 


74K 


Schwert. 


steinerne  Lanzenspitze  (s.  u.  Spiess)  anschlichst.  Erst  mit  dem  Metall 
tritt  das  Schwert  auf,  doch  so.  dass  dasselbe,  nach  Ansicht  der 
Archäologen,  erst  aus  dein  metallenen  Dolch  hervorging,  der  seiner- 
seits wieder  dem  Feuerstein- Dolche  nachgebildet  ist  (vgl.  Xaue  Die 
Bronzezeit  in  Bayern,  Dolche  S.  68  ff.,  Schwerter  S.  84  ff.,  S.  Müller 
Nordische  Altertumskunde  I,  245).  Die  ältesten  Schwerter  bestehen 
aus  Kupfer  und  Bronze.  Von  der  Häufigkeit  der  letzteren  auch  im 
Norden  erhält  man  einen  Begriff,  wenn  man  bedenkt,  dass  das  Kopen- 
hagener Museum  allein  an  1000  Bronzeschwerter,  resp.  Reste  solcher 
enthält.  Eiserne  Schwerter  treten  mit  der  Hallstatt-  und  besonders 
in  der  La-Tene- Periode  auf. 

Stellen  wir  dem  die  historischen  und  linguistischen  Momente 
gegenüber,  welche  für  das  Alter  und  die  Geschichte  des  Schwertes 
in  Europa  bedeutsam  sind,  so  ist  dasselbe  in  G  r  i  e  c  Ii  e  n  1  a  u  d  schon 
<iem  homerischen  Helden  seine  wichtigste  und  angesehenste  Waffe.  Es 
ist  mit  einer  Ausnahme  (11.  XVIII,  34,  wo  aibnpo?  .Eisen*  im  Sinne 
von  Schwert  gebraucht  zu  sein  scheint)  durchaus  von  Bronze,  wie  auch 
die  in  Mykenae  ausgegrabenen  Schwerter  lediglieh  aus  diesem  Metall 
gefertigt  sind,  während  merkwürdiger  Weise  keiu  einziges  Schwert 
auf  dem  ganzen  Hügel  von  Hissarlik  bis  jetzt  zu  Tage  getreten  ist. 
Der  gewöhnliche  homerische  Ausdruck  für  das  Sehwert,  das  man  sich 
als  ziemlich  lang  und  zweischneidig,  sowie  zum  Hauen  uud  Stechen 
gleich  geeignet  vorzustellen  hat,  ist  Sitpoq,  äol.  dor.  aidq>os,  ein  Wort 
nicht  griechischer  Herkunft,  wenn  es  wenigstens  mit  Recht  aus  dem 
aram.-arab.  saipä,  snif  abgeleitet  wird,  das  seinerseits  wieder  aus 
dem  ägyptischen  liefet  .Schwert'  entlehnt  ist  (vgl.  Muss-Arnolt  Trans- 
actions  of  the  Americ.  phil.  assoc.  XXIII,  141,  Lcwy  Die  semit. 
Fremd w.  S.  176).  Andere  freilieh  stellen  £iq>o;  :  £i<pcu  .Eisen  am 
Hobel",  trennen  das  Wort  in  £-üpo<;  und  vergleichen  E  für  ko*  mit  sert. 
-9«s  »schneiden'  (vgl.  Brugmann  Grundriss  I*.  2  S.  867).  Für  die 
Jugend  des  Wortes  auf  griechischem  Boden  könnte  man  anführen, 
<lass  es  in  der  homerischen  Sprache  noch  ohne  Ableitungen  dasteht, 
und,  ganz  im  Gegensatz  zu  den  Wörtern  für  Lanze  (alxMH  und  £txc^), 
Eigennamen  ursprünglich  davon  nicht  gebildet  werden.  Neben  Elcpoq 
steht  bei  Homer  (pdcPravov  (aus  o*q)dx-avov  :  (J<päTTuu?)  und  dop  (s.  u.), 
bei  denen  ein  Bedeutungsunterschied  £i<po;  gegenüber  sich  kaum  nach- 
weisen lässt.  Mdxaipa  (:  näxomxi)  ist  hei  Homer  ausschliesslich  und 
später  noch  vorwiegend  nur  ein  Dolch  oder  Messer  znm  Schlachten, 
kein  Sehwert,  £YX*"ptomv  (nachhom.)  ist  der  Dolch  oder  das  kurze  Schwert, 
[üojKpaia  und  £onßma  für  ein  langes  und  breites  Schwert  (meistens  bei 
Barbarenvölkern)  sind  späte,  etymologisch  dunkle  Ausdrücke. 

In  Italien,  wo  in  den  Pfahlbauten  der  Poebene  bronzene  Schwerter, 
wenn  auch  nicht  häufig,  nachgewiesen  worden  sind  (vgl.  Heibig  Die 
Italiker  i.  d.  Poebene  S.  135,  Naue  a.  a.  0.  S.  82  f.),  heisst  dasselbe 


Digitized  by  Google 


Schwert. 


74» 


lateinisch,  neben  dem  uralten,  frühzeitig  auf  den  Gebrauch  der  Dichter 
beschränkten  ensis  (s.  u.),  gladius.  Auch  dieses  Wort  ist,  wie  griceh. 
£iqpos,  vielleicht  ein  Lehnwort,  nur  nicht  wie  wahrscheinlich  dieses  aus 
der  Sprache  eines  orientalischen  Kulturvolks,  sondern  aus  der 
keltischer  Nord  Völker,  die  Proben  ihrer  Fertigkeit  im  Schmiede- 
handwerk in  den  Denkmälern  der  La  Tene-Periode  hinterlassen  haben 
(s.  o.),  und  denen  von  den  klassischen  Schriftstellern  der  frühzeitige 
Gebrauch  eiserner,  sehr  langer,  zweischneidiger  Schwerter  (praelongi- 
ac  sine  mucronibus)  zugeschrieben  wird  (vgl.  die  Belege  bei  Holtzmaun 
Germ.  Altert.  S.  140  f.).  Dass  die  Gallierkriege  Veränderungen  in  der 
römischen  Bewaffnung  hervorriefen,  ist  sicher  (vgl.  Baumeister  Denk- 
mäler s.  u.  Waffen  III,  2047).  Was  das  Schwert  betrifft,  so  nahmen 
nach  dem  II.  punischen  Krieg  die  Römer  das  kurze,  zweischneidige, 
zugespitzte  spanische  Schwert  an.  Es  ist  daher  wohl  möglich,  dass 
vor  dieser  Zeit  gladius  der  Name  einer  der  keltischen  ähnlichen 
Waffe  war.  Die  keltischen  Namen  des  Schwertes,  ir.  claideb,  kymr. 
cleddyf,  bret.  clezeff  führen  auf  ein  urkeltisches  *Jcladebo-  ,Schwert' 
(neben  *kledo-,  kymr.  cledd  id.),  von  dem  man  lat.  gladius  nur  ungern 
wird  trennen  wollen.  Erweichung  des  Anlauts  (kl-  :  gl-)  findet  sich  im 
Lateinischen  bei  Lehnwörtern  wie  bei  urverwandten  Wörtern  (guber- 
nare,  gtimmi  aus  grieeh.  KußcpvnTTK,  k6|jui  gegenüber  gloria  von  clueo). 
Der  keltische  Wortausgang  -ebo-  aber  könnte  bei  Urverwandtschaft 
sich  kaum  in  lat.  -ius  spiegeln.  Wohl  aber  dürfte  dieser  Lautwandel 
sich  erklären,  wenu  man  annimmt,  dass  in  dem  keltischen  Dialekt, 
dem  gladius  entstammt,  das  b  von  -ebo-  frühzeitig  spirantischen  Cha- 
rakter (-ero-,  vgl.  kymr.  cleddyf)  angenommen  hatte.  Vgl.  noch  ir. 
faigin,  kymr.  gwain  und  lat.  vdgina,  beide  ,Scbcidc'  (Urverwandtschaft 
oder  Entlehnung  V). 

In  den  romanischen  Sprachen  ist  gladius  wiederum  durch  einen 
in  der  Kaiserzeit  in  Rom  sich  einbürgernden  und  aus  Griechenland  über- 
nommenen Ausdruck  für  ein  langes,  breites,  zweischneidiges  und  spitziges 
Schwert,  enrden.,  verdrängt  worden.  Dieses  Wort  (=  agls.  spada,  alts. 
spado,  nhd.  spaten)  hatte  in  der  Urzeit  ein  hölzernes  auf  die  Weberei 
(s.  u.  Weben)  bezügliches,  breites  Werkzeug,  den  Spatel,  bezeichnet,  und 
war  dann  nach  der  Ähnlichkeit  auf  eine  neue  Gattung  von  Schwertern 
übertragen  worden.  Ausser  in  die  romanischen  Sprachen  (sp.  espada, 
frz.  e'pe'e)  ist  dieses  o-TräGn— spatha  auch  ins  Slavische  (altsl.  spata) 
und  Albanesische  {späte)  eingedrungen. 

Ostwärts  der  Kelten  wird  der  seltene  Gebrauch  des  Schwertes  bei 
den  Germanen  ausdrücklich  von  Tacitus  Germ.  Cap.  6  hervorgehoben. 
Doch  werden  Schwerter  auch  bei  dem  germanischen  Schwerttauz 
(Cap.  24)  und  unter  den  Geschenken  des  Jünglings  an  die  Braut  (Cap.  18) 
genannt,  so  dass  sie  keine  ganz  ausnahmsweise  Waffe  gewesen  sein 
können.  Wir  werden  uns  dieselben  hauptsächlich  im  Besitz  von  Fürsten 


Digitized  by  Google 


750 


Schwort. 


und  Edlen  und  von  keltischer  Herkunft,  also  lang  (breves  gladii  als 
charakteristischer  Besitz  bei  den  Östlichen  Germanen  nach  Tacitus 
Germ.  Cap.  43;  vgl.  dazu  G.  Kossinua  I.  F.  VII,  280)  und  eisern 
denken  dürfen.  Die  Zeit,  wo  mau  auch  im  Norden  in  gewissen  Kultur- 
und  Handelszentren  bronzene  Schwerter  zu  giessen  verstanden  hatte, 
war  längst  vorüber.  In  sprachlicher  Hinsicht  verfügen  die  Germanen 
über  mehrere  gemeinsame  Benennungen  des  Schwertes:  1.  got.  hairus, 
alts.  heru,  agls.  heor,  altn.  hjörr.  Die  älteste  Bedeutung  des  Wortes 
wird  allgemein  Waffe  gewesen  sein,  wie  sert.  qüru-  , Waffe,  Speer,  Pfeil' 
zeigt.  2.  ahd.  »wert,  agls.  sweord,  altu.  scerd.  Vermutungen  über  die 
Herkunft  dieser  noch  nicht  sicher  erklärten  Sippe  s.  u.  Bohrer  und  u. 
Spcierling.  3.  ahd.  xahs,  agls.  seax,  altn.  tax,  auch  im  Namen  der 
fränkischen,  scrama-sa.ru^  (,Wundmesser',  vgl.  altn.  skr  am  a  , Wunde', 
„Schramme")  genannten  Waffe,  von  der  Lindenschmit  Altertümer  I  s.  d. 
Index  Abbildungen  giebt.  Das  Wort  gehört  zu  lat.  saxum  ,Stein' 
und  muss  demnach  in  vormetalliseher  Zeit  das  steinerne  Dolcbmesser 
bezeichnet  haben  (vgl.  dazu  aber  das  u.  Hammer  über  ahd.  hamar, 
ebenfalls  eigentl.  ,Steiu'  bemerkte).  Keine  dieser  Reihen  geht  in  der 
Bedeutung  Schwert  also  über  die  germanischen  Sprachen  hinaus.  Wohl 
ist  dies  aber  der  Fall  bei  einer  vierten  Gleichung:  got.  mt'kei*,  agls. 
mdee,  altn.  m&kir,  alts.  nuiki,  krimgot.  mycha,  an  der  das  Slavische 
(altsl.  miei),  Litauische  (mecius),  sowie  Finnische  [nüekka\  teil  nimmt. 
Doch  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  wir  es  hier  wiederum 
mit  einer  Entlehn ungsrei he  zu  thun  haben,  deren  Ausgangspunkt 
freilich  noch  nicht  ermittelt  worden  ist. 

Ein  weiterer  slavo-litauischer  Name  des  Schwertes,  der  auch  im 
Albancsischen  wiederkehrt,  ist  altsl.  korüda,  lit.  kdrdas,  alb.  koröe. 
Auch  er  ist  entlehnt,  und  zwar  aus  dem  iranischen  aw.  kareta-,  npers. 
etc.  kärd  , Messer',  so  dass  im  Slavischen  überhaupt  kein  genuiner 
Name  für  die  in  Frage  stehende  Waffe  sich  findet.  Einige  weitere 
nordeuropäische,  noch  nicht  sicher  erklärte  Schwertnamen  sind  ir.  colg 
(vgl.  Stokes  Urkelt.  Sprachsehatz  S.  81),  gemeiugerm.  altn.  brandr, 
agls.  brond,  ahd.  braut  »Schwert'  und  ,Sch wertschneide',  agls.  bill 
(s.  u.  Hacke),  altpr.  kalabias  u.  a. 

Überbliekt  man  das  hier  zusammengestellte  archäologische,  historische 
und  linguistische  Material,  so  muss  man  Bedenken  tragen,  das  Schwert 
bereits  der  idg.  Bewaffnung  zuzuerkennen.  Wohl  aber  dürfte  dieser 
Begriff  in  den  ältesteu  Epochen  der  meisten  Eiuzclvölker  (zugleich  mit 
der  Bronze)  bekannt  geworden  sein.  Einen  Einwand  hiergegen  könnte 
mau  der  unzweifelhaft  richtigen  Gleichung  sert.  asi-  =  lat.  ensis  ,Schwert' 
(griech.  äop  wird  davon  zu  trennen  sein)  entnehmen.  Prüft  man  aber 
die  Stellen,  an  denen  das  indische  Wort  im  Rigveda  gebraucht  wird 
(1,  162,  X,  79,  86,  89),  so  liegt  es  viel  näher,  dasselbe  mit  ,Messcr' 
als  mit  ,Schwert'  zu  übersetzen,  wie  denn  auch  H.  Zimmer  in  seiner 


Digitized  by  Google 


Schwert  -  Schwester. 


751 


Darstellung  der  altvedischen  Bewaffnung  (Altind.  Leben  S.  297  ff.)  die 
letztere  Waffe  überhaupt  nicht  erwähnt.  Dasselbe  gilt  von  der  Über- 
einstimmung des  thrakischen  cFKäXun.  mit  altn.  sktilm  ,a  short  sword', 
von  denen  das  erstere  von  Hesych  mit  uäxcupa  übersetzt  wird.  Es 
steht  daher  nichts  der  Annahme  entgegen,  dass  in  diesen  beiden 
Gleichungen  die  ursprüngliche  Benennung  eben  jenes  steinernen 
Dolch  messers  zu  erblicken  sei,  das,  wie  wir  sahen,  gleichsam 
die  „Zelle"  bildete,  aus  der  sich  sowohl  Dolch  wie  Sehwert  entwickelten, 
und  das  neben  Beil  und  Lanze  eine  häutige  Waffe  des  Nahkampfes 
während  der  europäischen  Steinzeit  war. 

Eine  zwischen  Dolch  und  Schwert  scharf  unterscheidende  Termino- 
logie findet  sich  nicht  in  allen  europäischen  Sprachen  mit  gleicher 
Schärfe  wie  etwa  im  Lateinischen  (wen  :  seco  ,sch neide'?,  pugio  :  ir. 
*og,  uigib  Dat.  IM.  ,Sehwertspitze?  neben  ensitt,  gladius,  spatha)  ausge- 
bildet, namentlich  nicht  in  den  nördlichen.  Hier  werden  gewöhnlich 
die  Wörter  für  Schwert  auch  für  den  Dolch  augewendet,  entweder 
ohne  weiteren  Zusatz  oder  mit  einem  solchen  wie  in  ahd.  halawert, 
müchilsicert  ,siea'  (Graft'  VI,  898).  Mit  Ausgang  des  Mittelalters  treten 
dann  in  Europa  zwei  neue  Wortsippen  zur  vorwiegenden  oder  aus- 
schliesslichen Bezeichnung  des  Dolches  auf:  nhd.  (legen,  engl,  dagger, 
it.  dagn,  frz.  dague  u.  s.  w.  (zuerst  als  mint,  dagua  belegt)  und  nhd. 
dolcfi,  ahn.  ddlkr,  dän.  u.  s.  w.  doli:,  böhm.  tulich,  frz.  doüeqhu  Dimi- 
nutivbildung  zu  ndl.  dol  ,l)e^en8toek",  das  irgendwie  zu  lat.  dolo  , Dolch' 
gehören  wird   vgl.  Kluge  Et.  W.6  u.  Degen  und  Dolch). 

Die  normale  Gestalt  des  alteuropäischeu  Schwertes,  mochte  dasselbe 
nun  lang  oder  kurz,  ein-  oder  zweischneidig,  zum  Stich  oder  zum  Hieb 
oder  zu  beiden  bestimmt  sein,  war  die  gerade.  Der  krumme  Säbel 
tritt  in  den  Gesichtskreis  der  Hellenen  mit  dem  persischen  Acinaces 
(TTepaiKov  2iq>oq,  töv  äkivciktiv  xaXoüai  Herod.  VII,  54),  heimisch  ist 
er  bei  ihnen  nie  geworden.  Im  Norden  werdeu  auf  dem  Monument  von 
Adamklissi  (ed.  Tocilesco;  die  barbarischen  Völker,  Daker  oder  Bastarnen 
(s.  u.  Hose  und  u.  Kleidung)  mit  riesigen,  mit  beiden  Händen  zu  regieren- 
den Siebelschwertern  dargestellt,  über  die  litterarische  Nachrichten 
zu  fehlen  seheinen,  man  müsste  denn,  was  Tacitus  II  ist.  I,  79  von  den 
Schwertern  des  sarmatiseheu  Volkes  der  Rhoxolani  igladii  quos  prae- 
longos  utraque  manu  gerunt)  erzählt,  hierauf  beziehen.  Auch  auf  der 
Marcus-Säule  findet  sich  keine  ähnliche  Waffe.  Die  hier  dargestellten 
Schwerter  sind  entweder  den  römischen  sehr  ähnlich  (Tafel  XXVI,  LXII), 
oder  sie  gleichen  einem  kurzen  leichtgekrümmten  Messer,  mit  dem  man 
baut  oder  sticht  (Tafel  XXXVII,  L  etc.).       S.  u.  Waffen. 

Schwester.  Ihr  idg.  Name  liegt  in  der  Reihe:  Bert,  svdsar-, 
aw.  xcanhar-,  armen,  k'oir,  lat.  soror,  ir.  siur,  got.  ntcistar,  lit.  #esü, 
altsl.  sestra.  Eine  Wurzelbedeutung  dieser  Sippe  ist  nicht  zu  ermitteln. 
Aus  weicht  das  Albanesisehc,  das  zur  Bezeichnung  der  Schwester  das 


Digitized  by  Google 


752  Schwester  —  Schwiegersclmften. 

alte  Wort  für  Mutter  (motre)  verwendet,  wie  mit  diesem  wohl  auch 
das  lett.  müsa  »Schwester*  (doch  lit.  mdxza  ,des  Ehemanns  Schwester', 
altpr.  moazo  ,Mnhme')  zu  verbinden  ist.  Delbrück  (Verwandtschafts- 
namen S.  465)  vermutet  ansprechend,  dass  mit  diesen  Wörtern  ursprüng- 
lich die  ältere  Schwester  bezeichnet  worden  sei.  Im  Griechischen 
ist  der  idg.  Name  der  Schwester  bis  auf  eine  Spur  untergegangen, 
die  in  den  Hesychischen  cop  (£u>p)  *  Gu-fdTTip,  dv€Miiö?  und  £op€q  •  Ttpoa- 
fiKovreq,  o"utt€V€i<;  erhalten  ist.  Wie  hora.  Kcttf itvirroq  den  Bruder  und 
die  Kinder  des  Bruders  bezeichnete,  so  mochte  cope?  ursprünglich 
»Schwestern',  dann  »Schwestern-,  Geschwisterkinder'  (dveijnoi)  bedeuten. 
Vgl.  lat.  consobrini  aus  *con-sosr-ini :  soror.  Diese  werden  unter  den 
irpoffnKOVTe?,  o*urf€V€i(;  gemeint  sein.  0uf<iTrip  aber  wird  irrtümlich 
für  docXqpn  stehn,  dem  gewöhnlichen  Ausdruck  für  Schwester  im 
Griechischen  (:  db€X<pöq  ,Bruder').  —  S.  u.  Familie. 

Schwieger-  (vatcr,  -mutter,  -tochter,  -söhn).  Durch  die 
Verheiratung  eines  Paares  entsteht  heut  zu  Tage  eine  Verschwägcrung 
zweier  Familien  in  der  Weise,  dass  die  Angehörigen  des  Mannes  der 
jungen  Frau  gegenüber  in  gleichem  Masse  für  verwandt  gelten  wie 
die  Angehörigen  der  Frau  dem  Manne  gegenüber.  Mit  „Schwieger- 
vater", beau-pere,  father-in-latc  n.  s.  w.  bezeichnet  eine  Frau  ebenso 
den  Vater  ihres  Mannes  wie  ein  Mann  den  Vatcr  seiner  Frau. 

Dem  gegenüber  ist  es  eine  für  das  Verständnis  der  alten  Familie 
bedeutsame  Erkenntnis  (vgl.  Delbrück  Verwandtschaftsnamen  S.  534  f., 
Vf.  Spraehvergl.  n.  Urgeschichte2  S.  542  ff.),  dass  es  in  der  Urzeit 
nicht  so  wie  heute  war,  dass  damals  vielmehr  Bezeichnungen  für  die 
Verschwägcrung  nur  hinsichtlich  des  Verhältnisses  der  jungen  Frau  zu 
den  Angehörigen  des  Mannes  ausgebildet  waren.  Dies  ergiebt  sich  aus 
folgenden  Tbatsachen:  Erstens  aus  den  idg.  Namen  des  Seh wieger- 
vaters  und  der  Schwiegermutter:  seit,  cetidura-  (in  den  Veden 
und  Brähmanas  nur  im  Sinne  von  Vater  des  Mannes),  c.vaeru- 
(schon  im  Rigveda  auch  für  die  Mutter  der  Frau),  aw.  .vi-axura-,  npers. 
%usru  (Horn  Grundr.  S.  108)  =  armen,  «kesrair  cigentl.  ,Mann  der 
Schwiegermutter',  skesur  (nur  für  die  Mutter  des  Mannes  gegen- 
über zoJcanc  ,Mutter  der  Frau',  aner  ,  Vater  der  Frau  ),  griech.  tKvpöq, 
€Kupn.  (nur  die  Eltern  des  Mannes  gegenüber  irevGcpöq  , Vater 
der  Frau'  :  sert.  bdndhu-  , Verwandter'),  lat.  socer,  soerus,  korn.  hvi- 
geren,  hveger,  got.  swaihra,  swaihrfi,  lit.  szeszittras  (nur  der  Vater 
des  Mannes  gegenüber  tUzwis  , Vater  der  Frau'  :  lat.  uxor,  *öhc- 
oder  :  agls.  6c  »Stiefvater'?),  altsl.  sveJcrü,  svekry  (nur  für  die 
Eltern  des  Mannes  gegenüber  tlstt,  tlsta,  russ.  testl,  teica),  alb. 
vjehet,  vjehefe  (aus  *svekra-  mit  auffallendem  k  ebenso  wie  altsl. 
svekrü).  Aus  der  Übereinstimmung  des  ältesten  Sanskrit,  Armenischen, 
Griechischen,  Litauischen  und  Slavischen  in  der  Verwendung  des  idg. 
Wortes  nur  für  die  Eltern  des  Mannes  ergiebt  sich,  dass  hier  der 


Digitized  by  Google 


Schwiegerschaften. 


753 


ursprüngliche  Zustaud  liegen  muss,  das«  *sce-kuro-  und  *8reUrü'-f 
($ta$ru-j  skesur,  aocrus,  svekry)  in  der  Urzeit  demnach  nur  den  Vater 
und  die  Mutter  des  Mannes  bezeichnet  hahen,  während  eine  tiberein- 
stimmende Bezeichnung  der  Eltern  der  Frau  nicht  nachweisbar  ist.  Eine 
etymologische  Erklärung  des  Stammes  *sce-hiro-  lässt  sich  nicht  mit 
Sicherheit  geben.  Vielleicht  enthält  er  den  Pronominalstamm  sve  und 
huro-  =  griech.  KÜpio^,  so  dass  der  Schwiegervater  soviel  wie  der 
,eigentliehe  Herr'  (nämlich  der  Schwiegertochter)  wäre. 

In  dieselbe  Richtung  weisen  die  übrigen  idg.  Gleichungen  für  Grade 
der  Verse hwägernng,  welche  sich  sämtlich  ausschliesslich  auf  das  Ver- 
hältnis der  Frau  zu  den  Verwandten  des  Mannes  beziehn.  Sie  be- 
zeichnen: 

1.  den  Schwager,  d.  i.  den  Bruder  des  Mannes:  sert.  d{cär- 
(si/tild-  ,Brader  der  Frau')  =  armen,  taigr,  griech.  bartp,  lat.  Ucir 
(alle  .Bruder  des  Mannes  ),  lit.  dewerls  {laigönas  ,Bruder  der  Frau', 
unerklärt  trotz  Liden  Studien  zur  altind.  u.  vergl.  Sprachgesch.  S.  36), 
altsl.  diverl  {mrl  , Bruder  der  Frau  ),  agls.  täcor,  ahd.  zeihhur  (mhd. 
sucAger  bedeutet  »Schwager',  ^Schwiegervater',  »Schwiegersohn'  und  ist 
noch  nicht  sicher  erklärt). 

2.  die  Schwägerin,  d.  i.  die  Schwester  des  Mannes:  griech.  YdXw?, 
TaXöws  =  lat.  glös,  altsl  zlfwa  (sristl  .Schwester  der  Frau  );  vgl. 
phryg.  ToXXapo?-  <DpuYiKÖv  övoua  (sc.  ffurfcvucöv),  x^Xapoq-  äbeX<poö 
Tuvri  Hes.  (sert.  ndndndar-,  armen,  tal,  nach  Bugge  K.  Z.  XXXII,  27 
aus  *cal  :  lat.  glös  etc.,  lit.  mtisza,  altpr.  moazo).  Eine  gemeinschaft- 
liehe Bezeichnung  für  die  Schwester  der  Frau  ist  nicht  vorhanden, 
lässt  sich  auch  nicht  aus  armen,  k'eni  und  lit.  swdine  folgern  (vgl. 
Hübschmann  Armen.  Gr.  I,  503). 

3.  die  Schwägerin,  d.i.  die  Frau  des  Bruders  des  Gatten:  sert. 
yü'tar-  —  griech.  *6ivaTT)p,  €ivaT€p€<;,  lat.  janitrtee*,  lit.  jeute,  inte 
(gvnti),  altsl.  jqtry  (armen,  ner  oder  ner  ,die  Frauen  zweier  Brüder 
oder  desselben  Mannes';  zweifelhaft,  ob  hierhergehörig,  vgl.  Hübsch- 
mann I,  47H). 

Der  idg.  Name  der  Schwiegertochter,  von  der  alle  bisher  ge- 
nannten Bezeichnungen  ausgehen,  oder  auf  die  sie  sich  beziehen,  liegt 
in  der  Reihe:  sert.  snuxha,  osset.  nost'ä,  armen,  nn,  griech.  vuö?, 
lat.  nurus,  ahd.  xnura,  altsl.  snächa,  alb.  nutse  (zweifelhaft,  ob  hierher- 
gehörigj.  Die  Grundform  ist  vielleicht  (wobei  allerdings  der  Ausfall 
des  u  unerklärt  bleibt)  *sunu-sä-  und  würde  dann  ,Sühnin'  bedeuten. 
Verloren  ist  das  Wort  im  Litauischen,  wo  marü  Junge  Frau'  dafür 
eingetreten  ist,  und  im  Keltischen,  wo  die  Schwiegertochter  koru. 
guhit  etc.  heisst. 

Im  ( M  irensat/.  hierzu  liisst  sieh  eine  vorhistorische  Benennung  für  den 
Schwiegersohn  ausser  in  den  Sprachen,  welche  unzweifelhaft  durch 
nähere  Verwandtschaft  mit  einander  verbunden  sind,  also  im  Arischen 

Schräder.  Kunlluxfkon. 


Digitized  by  Google 


754 


Schwiegerschaften  —  Seehund. 


und  Li t u -Sl avischen,  nicht  nachweisen.  Sein  Name  lautet:  scrt. 
jd'mdtar-  =  aw.  zdmdtar-  (vgl.  scrt.  jdmi-  , verwandt'),  armen,  hör, 
griech.  yctußpös  (*Yau-po-£  ,der  Hochzeiter'  :  töm^u),  vgl.  scrt.  vivdhya- 
, Eidam',  d.  i.  der  zum  vicdha-  , Hochzeit'  gehörige),  lat.  gener  (nach 
soc-er  :  genus,  gigno  ,der  Zeuger'),  koru.  dof  (:  mittelir.  ddm  ,Schar, 
Gefolge"),  ir.  cliamuin,  Gen.  demna,  agls.  äüum,  ahd.  eidttm  (:  agls. 
dp,  ahd.  eid  ,Eid',  .sponsus),  got.  megs,  altn.  mdgr  (.Schwager', 
,Sehwicger-sohn  und  -vatcr'j,  lit.  z'entas  —  altsl.  zetl  (wozu  vielleicht 
auch  alb.  dendtr  .Bräutigam'  gehört,  *gen  t).  Wenn  angesichts  dieser 
sprachlichen  Verhältnisse  Delbrück  a.  a.  0.  S.  f>36  dennoch  annimmt, 
dass  ein  Wort  für  Eidam  in  der  Ursprache  vorhanden  gewesen  sei, 
so  wird  man  ihm  hierin  nicht  folgen  können.  Denn  erstens  könnte 
im  besten  Falle  von  einer  Wurzelverwandtschaft  des  arischen  und 
griechischen,  des  lateinischen  und  litu-slavischcn  Wortes  (vgl.  zuletzt 
Rrugmann  Grundriss  I8,  1  8.  405  und  Uhlenbeck  Kurzgef.  Wörterbuch 
d.  altind.  Spr.  S.  99)  ohne  eine  deutliche  Übereinstimmung  in  der 
Wortbildung  die  Rede  sein,  und  zweitens  wird  man  doch  sagen 
müssen,  dass.  weun  in  der  Urzeit  bereits  eine  Bezeichnung  für  den 
Schwiegersohn,  ausgehend  also  von  den  Eltern  der  Frau,  bestanden 
hätte,  umgekehrt  auch  Benennungen  für  die  Verwandten  der  Frau, 
ausgehend  von  dem  Schwiegersohn,  in  der  Ursprache  zu  erwarten  wären. 
Dass  solche  aber  nicht  vorhanden  waren,  geht  aus  dem  obigen  hervor, 
und  ist  nicht  am  wenigsten  von  Delbrück  bewiesen  worden. 

Übrig  bleibt  an  vorhistorischen  Gleichungen  für  Verschwägeruugs- 
grade  zu  nennen  griech.  ri^Xtoi  •  o't  dbeXcpäq  fuvaiKaq  £o"xn.KOT£S>  cuAioi  • 
o*ÜYYcmßpoi  (Hesych),  ciXioveq  (o\  äbeXqpäs  *piMavT€q,  önotaußpoi  etc. 
Pollux)  =  altn.  »vilar  ,thc  husbands  of  two  Bisters'.  Erweist  sich  diese 
Zusammenstellung  als  lautlich  begründet,  so  wird  ihr  ursprünglicher 
Sinn  nach  allem  obigen  der  von  Brüdern  oder  Vettern  (Söhnen  von 
Brüdern)  gewesen  sein,  die  innerhalb  einer  und  derselben  Haus- 
gemeinschaft Schwestern  zu  Frauen  hatteu.  —  Die  sachliche  Be- 
deutung aller  dieser  Spracherscheinungen  s.  u.  Familie. 

Schwinge,  GetreideKchwinge,  s.  Worfeln. 

Schwitzbad,  s.  Bad. 

Schwur,  Schwören,  s.  Eid. 

See,  s.  Meer. 

Seehund.  Die  Küsten  des  Mittelmeers  waren  von  dem  Tiere 
einst  dicht  bevölkert,  wie  denn  schon  Homer  die  (puMcn.  (Phoca  uio- 
nachus)  nennt.  Der  Ursprung  des  Wortes  ist  dunkel.  Die  einen  deuten 
es  als  ^aufgedunsenes  Tier'  (scrt.  sphdtf-  , Mästung'),  die  anderen  als 
den  ,Fauclier'  (vgl.  Prellwitz  Et.  W.).  Die  Römer  haben  ein  um- 
schreibendes vitulus  marinti8  (neben  dem  entlehnten  phöca).  —  Im 
hohen  Norden  begegnen  wir  einem  gemeingermanisehen  Namen  der 
Robbe  altn.  seh;  agls.  seolh,  ahd.  selah.  Ob  und  welche  Beziehungen 


Digitized  by  Google 


Seehund  —  Segel  und  Mast. 


755 


etwa  zwischen  diesen  Wörtern  und  dem  griecli.  cf^Xaxoq  ,eine  Art 
Knorpelfisch'  vorhanden  sindT  ist  nicht  ausgemacht.  Als  Entlehnungen 
aus  agls.  hran,  hron  ,a  whale',  resp.  aus  einem  diesem  entsprechenden 
festländischen  Wort  sieht  Bezzenbergcr  hei  Stokes  Urkelt.  Sprachschatz 
S.  235  ir.  rön  ,phoca*  (kymr.  moel-ron)  und  lit.  ruinas  , Seehund'  an; 
doch  heisst  das  agls.  Wort  hran,  nicht,  wie  B.  schreibt,  hrdn  ^Remi- 
tier'.  Ndl.  rob  , Robbe',  nord.  kobbi  (kdpr)  Junger  Seehund'.  -  Über 
den  Seehund  im  Altertum  vgl.  0.  Keller  Tiere  des  kl.  A.  S.  196  ff. 

Seelenkult,  g.  Ahnenkult. 

See  raub,  s.  Raub. 

Segel  und  Mast.  Es  scheint  zunächst,  als  ob  in  lat.  malus  aus 
*mazdo-s  =  ahd.  mast,  agls.  mast,  altn.  mastr  (entlehnt  ins  romanische 
ptg.  meuttro,  pr.  mast,  frz.  mdt,  ins  russische  maita  und  lit.  mästas, 
vgl.  auch  tinn.  masto)  eine  urverwandte  Bezeichnung  dieses  Teiles  des 
Schiffes  vorläge.  Indessen  ist  altn.  mastr  statt  des  älteren  siglu-tri 
jScgelbaum'  erst  aus  Eugland  oder  Deutschland  eingeführt,  und  sowohl 
bei  lat.  mdlus  wie  ahd.  mast  ist  eine  allgemeinere  Bedeutung  ,Stangc", 
,Baum  neben  der  von  ,Mast'  noch  so  lebendig,  dass  nichts  im  Wege 
steht,  diese  als  die  ursprungliche  anzusetzen,  zumal  sie  in  dem  ir.  maide 
=  *mazdo-s  ,liguum,  baculus'  die  einzig  herrschende  ist;  denn  für  den 
Mast  gilt  in  den  keltischen  Sprachen  *verno-  (identisch  mit  *verno-, 
ir.  fern  ,Erle',  wie  bei  Homer  der  Mast  eiXdiivoq  :  eiXcim.  /Tanne'  ge- 
nannt wird).  Diese  Möglichkeit,  dass  Deutsch  und  Lateinisch  zufällig 
in  der  Verwendung  des  Stammes  *mazdo-  ,Stange'  zur  Bezeichnung  des 
Mastes  zusammengetroffen  seien,  wird  zur  Gewissheit,  wenn  es  sich  auf 
anderem  Wege  zeigen  lässt,  dass  Mast  und  Segel  erst  den  Epochen 
der  Einzelvölker  angehörige  Erfindungen  sind.  —  Das  Schiff  der 
Griechen  und  Römer  zwar  (griceh.  io*tö<;  ,Mast',  eigentl.  »Ständer': 
foTnm,  später  Katdpnov;  iötiov  ,Segel'  von  krröi;,  auch  Xctupoq,  eigentl. 
.  schlechtes  Kleid',  q>äpo?,  eigentl.  jedes  grosse  Stück  Zeug';  lat.  velum 
,Segel'  :  veho  , bewege  fort'  oder  besser  identisch  mit  velum  , Hülle  ; 
ausführlich  Über  die  lat.  Wörter  Liden  Stud.  z.  altind.  und  vergl. 
Sprachgeschichte  S.  21  ff.  s.  auch  u.  weben)  ist  vom  Beginn  der  über 
lieferung  an  mit  Mast  und  Segel  versehen.   Anders  steht  es  im  Nordeu. 

In  den  ältesten  Darstellungen  hochnordischer  Schiffe  der  Felsen- 
zeichnungen oder  Hällristningar,  welche  »ich  hauptsächlich  an  der 
Küste  von  Trondhjem  bis  Gotland  linden  und  nach  dem  Urteil  der 
zuverlässigsten  Forscher  der  nordischen  Bronzezeit  angehören,  hat  sich 
keine  sichere  Spur  von  Mast  und  Segel  gefunden.  Dasselbe  gilt  aber 
von  allen  älteren  in  Wirklichkeit  zu  Tage  getretenen  vorgeschichtlichen 
Fahrzeugen,  auch  von  dem  Nydamer  Boot  der  älteren  Eisenzeit,  so 
dass  der  Gebrauch  von  Segeln  mit  völliger  Bestimmtheit  erst  bei  den 
Wikinger  Schiffen,  z.  B.  bei  dem  in  der  Nähe  der  Farm  Gokstad  in 
Norwegen  aufgedeckten  Schiffe  nachgewiesen  werden  kann  (vgl.  0.  Mou- 


Digitized  by  Google 


756 


Segel  und  Mast. 


telins  Die  Kultur  Schwedens*  S.  72,  George  H.  Boehmcr  Prehistorie 
naval  architecture  of  the  Nortli  of  Europc,  Washington  1893  passiiu). 
Auch  Tacitns  Germ.  Cap.  44  (Forma  navium  eo  differt,  quod  utrim- 
que  prora  pnratam  Semper  appulsui  frontein  agit.  nec  v  elis 
minist  rant,  nec  remos  in  ordinem  lateribus  adiungunt,  solutum, 
ut  in  quibusdam  ftuminum,  et  mutabile,  ut  res  poscit,  hinc  vel  illinc 
remigium)  erzählt  von  dem  seetüchtigen  Volke  der  Snioneu,  den  heutigen 
Schweden,  das»  ihre  Fahrzeuge  nicht  durch  Segel  getrieben  wurden. 
Die  Erinnerung  an  diese  Zeit  scheint  die  Sage  in  der  Überlieferung 
festgehalten  zu  haben,  dass  den  Riesen  die  Kunst  des  Sögelns  noch 
unbekannt  gewesen  sei  (vgl.  Weinhold  Altn.  Leben  S.  129,  Möllenhoff 
D.  A.-K.  IV,  501). 

Auf  die  erste  Bekanntschaft  mit  dem  Segel  auf  germanischem  Boden 
weist  eine  Nachricht  des  Tacitus  (Hist.  V,  23)  aus  der  Zeit  des  Ba- 
taveraufstands  im  Jahre  70  n.  Chr.  unter  Claudius  Civilis  hin,  in 
welcher  erzählt  wird,  dass  die  Fahrzeuge  der  Barbaren  sagulis  versi- 
coloribus  haud  indecore  pro  telis  iuvabantur,  was  doch  nur  heissen 
kann,  dass  die  Germanen  ihre  bunten,  wollenen  Kriegsmäntel  zu  Segeln 
zusammengenäht  hatten,  deren  Gebrauch  man  also  kennen  musste. 
Aneh  scheint  eine  Nachricht  des  Plinius  (Hist.  nat.  XIX,  9)  darauf 
hinzudeuteu,  dass  die  germanischen  Frauen  defossne,  d.  h.  in  ihren 
unterirdischen  Webstuben  Segeltuch  webten.  Der  Gebrauch  der  Segel 
wird  daher  zuerst  bei  den  westlichen  Germanen  aufgekommen  sein, 
vielleicht  durch  Anregung  seitens  der  Kelten,  bei  denen  schon  Caesar 
(vgl.  De  bell.  Gall.  III,  13  die  Schilderung  der  venetischen  Schiffe: 
Pelles  pro  velis  alutaeque  tenuiter  conf ectae ,  hae  sire 
propter  Uni  iuopiam  atque  eins  inscientiam,  sive  eo,  quod  est  magis 
rer'udmile,  quod  tantas  tempestates  Oceani  tantosque  impetus  ventorutn 
sustineri  ac  tanta  onera  nacium  regi  celis  non  satis  commode  po«*e 
arbitrabantur)  die  Verwendung  derselben  an  den  Meeresküsten  vorfand.  • 
Er  wird  sich  bei  den  Germanen  nur  langsam  verbreitet  halten,  weil 
ihr  Nutzen  in  den  klippenreichen  Gewässern  der  germanischen  Küsten 
erst  allmählich  verstanden  wurde.  Leider  ist  der  allen  Germanen 
gemeinsame  Name  des  Segels  ahd.  xi'gal,  agls.  segel,  altn.  segl  (woraus 
altfrz.  xigler,  sigle,  lit.  £(glius,  finn.  seili)  noch  nicht  sicher  erklärt. 
Die  einen  möchten  ihn  au  die  oben  genannten  sagula  »Kriegsmäntel' 
anknüpfen,  die  andern  (vgl.  Strachau  Compensatory  lengthening  in  Irish 
S.  26)  mit  der  gcmeinkeltischen  Benennung  des  Segels  ir.  seöl,  kymr. 
hwtß  verbinden,  die  Stokes  B.  B.  XXIII,  62  indessen  auf  ein  ursprüng- 
liches *xjulä  :  griech.  üun.v,  sert.  syü'nmn-  .fläutchcn  ,  , Kinnen  zurück- 
führt und  in  Erinnerung  an  die  eben  angeführte  Nachricht  Caesars  vgl. 
auch  Dio  Cass.  XXXIX,  41  und  Strahn  IV.  p.  195)  als  Segel  aus 
Fellen  deuten  möchte,  die  dritten  (vgl.  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Alter- 
tum XXXVI,  50)  sehen  das  germanische  Wort  *segln-  für  urverwandt  , 


Digitized  by  Google 


Segel  und  Mast  —  Seide. 


757 


mit  griech.  ottXov  (*soqlo-)  ,Gerät',  auch  ,  Takelage'  an,  und  ganz 
neuerdings  endlich  (vgl.  Liden  a.  a.  0.  S.  24)  bat  man  germ.  *segla- 
als  ,abgC8chuittcnes  Stück'  (Zeug)  gedeutet  (vgl.  altu.  segi,  sigi,  alt- 
schwed.  saglii  ,abgeschnittenes  Stück',  , Hissen'  :  W.  sek,  lat.  secare). 
Alles  dies  ist  mehr  als  unsicher. 

Aus  den  Einzelspraehen  vgl.  an  Benennungen  des  Segels  noch 
brct.  goel,  korn.  guil,  entlehnt  aus  lat.  celum  (wie  auch  ir.  fial  Me- 
lanien', ahd.  wÜ-lahhan),  lit.  büre,  burys  PI.  (Liden  S.  24),  vielleicht 
urverwandt  mit  griech.  <päpos  (Grundbedeutung  alsdann  ,Stück  Zeug', 
doch  s.  u.  Flachs),  altel.  etc.  vetrilo  :  rrtrü  ,Wind'  und  partim, 
entlehnt  aus  griech.  yäpoq  (anders  Liden  a.  a.  0.  S.  24). 

Lange  Zeit  hat  sich  die  südliche  Schiffahrt  mit  einem  Mast  und 
einem  Segel  (Rahesegel)  an  demselben  begnügt,  bis  allmählich, 
wenigstens  bei  grösseren  Fahrzeugen,  noch  ein  kleinerer  Vormast 
ebenfalls  mit  einem  Rahcsegcl  (griech.  böXwv,  woraus  lat.  dolo,  griech. 
<ipTeuu>v,  woraus  lat.  artemo)  in  Gebrauch  kam.  Erst  mit  dem  Anfang 
des  Mittelalters  beginnt  ein  dritter  Mast  als  Hintcrmast  hinzuzu- 
treten, der  mit  einem  dreieckigen  Rutensegel  i it.  mezzana),  das  zunächst 
am  Vormast  aufgekommen  war,  versehen  wurde  (vgl.  Breusing  Nautik 
der  Alten  S.  84  ff.).  Noch  die  auf  den  Teppichen  von  Bayeux  darge- 
stellten Schiffe,  auf  denen  Wilhelm  der  Eroberer  im  Jahre  1066  nach 
England  fuhr,  zeigen  nur  einen  Mast  mit  einem  grossen  Rahesegel. 
Erst  dem  Zeitalter  der  Entdeckungen  gehört  die  Entwicklung  des 
im  ganzen  einfachen  antiken  uud  mittelalterlichen  Schiffes  zu  dem 
durch  einen  auf  einander  getürmten  Wald  von  Masten  und  Segeln 
charakterisierten  Ozeanschiff  an,  wie  es  bis  zur  Erfindung  des  Dampf- 
schiffes in  Gebrauch  war.  Es  ist  charakteristisch,  dass  die  Terminologie 
dieser  neuen  Betakelung  und  Besegelung  in  den  germanischen  Sprachen 
nur  im  Holländischen  und  Niederdeutschen,  meist  auch  im  Schwedischen 
und  Dänischen,  d.  h.  im  Bereiche  der  alten  Hanse,  nicht  aber  zugleich 
im  Englischen  übereinstimmt  (näheres  vgl.  bei  Vf.  Die  Deutschen  und 
das  Meer  Wissensch.  Beihefte  des  allg.  d.  Sprachvereins  Heft  XI  >.  — 
S.  u.  Schiff,  Schiffahrt. 

Seher,  Seherin,  s.  Orakel. 

Sehne,  s.  Körperteile  und  Pfeil  und  Bogen. 

Seide.  Wie  der  Nord- Westen  durch  den  Zinnhandel,  der  Norden 
durch  den  Bernstcinhandel,  der  Süden  durch  den  Handel  mit  Gewürzen 
und  Aromaten,  so  ist  der  äusserste  Osten  der  den  klassischen  Völkern 
bekaunteu  oitcouu^vn.  durch  den  Seidenhandcl  erschlossen  worden. 
In  China  geht  die  Bekanntschaft  mit  der  Zucht  des  Seiden wurnis 
(Phalaena  bombyx  mori)  nnd  die  Verarbeitung  seines  Gespinstes,  der 
Seide  (.v*F,  sse,  sz\  koreanisch  sir,  mong.  sirkek,  mandschurisch  sirgM)t 
nach  einheimischen  Nachrichten  bis  in  das  dritte  Jahrtausend  vor 
Christi  Geburt  zurück.    In  der  westlichen  Kulturwelt  aber  lässt  sich 


Digitized  by  Google 


75« 


Seide. 


die  Bekanntschaft  mit  dieser  ostasiatischen  Erfindung  nicht  vor  dem 
ersten  vorchristlichen  Jahrhundert  mit  Sicherheit  nachweisen.  Allerdings 
wusste  schon  Aristoteles  t  Hist.  anim.  V,  Cap.  17  bezgl.  19),  dass  es  einen 
Wurm  gebe,  der  einen  Kokon  (ßoußüiuov)  erzeuge,  welcher  von  einigen 
Frauen  {zuerst  sei  dies  auf  Kos  von  Pamphile,  der  Tochter  des  Plates, 
geschehen)  abgehaspelt  und  verwebt  werde.  Aber  die  neuere  Forschung 
hat  erwiesen,  dass  es  sich  hier  nicht  um  den  echten,  sich  lediglich 
von  den  Blättern  des  Maulheerbaums  nährenden  chinesischen  Sciden- 
wnrin,  sondern  um  einen  der  wilden  an  den  verschiedensten  Stellen 
der  Erde  und  auf  den  verschiedensten  Bäumen  vorkommenden  seide- 
spinnenden Warmer  handelt. 

Es  sind  vollkommen  durchsichtige  politische  Gründe,  welche  das  plötz- 
liche Erscheinen  chinesischer  Seide,  vielleicht  zusammen  mit  anderen 
ostasiatischen  Kulturgütern  (s.  u.  Pfirsich  und  Aprikose),  auf  den 
Märkten  des  römischen  Reiches  im  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  be- 
greiflich raachen.  In  dieser  Zeit  hatte  sich  in  Folge  der  langjährigen 
Entdeckungsreisen  eines  chinesischen  Generals  Tschaug-Kieu  nach  den 
Ländern  am  Oxns  und  Jaxartes  ein  lebhafter  Handelsverkehr  chine- 
sischer Karawanen  mit  den  'Ansi,  d.  h.  den  Parthern,  den  gefährlichen 
Nachbarn  des  römischen  Reiches,  angesponnen,  deren  Kauflente  wiederum 
in  weiter  Ausdehnung  die  anstossenden  Gebiete  durchzogen.  Im  nächsten 
Jahrhundert  halte  dann  ein  anderer  chinesischer  General  Pan-tschau 
die  Grenzen  des  himmlischen  Reiches  selbst  bis  zum  Kaspischen  Meere 
ausgnlel  ut,  so  dass  diese  und  das  Reich  der  Tat-Tsin,  d.  h.  das 
Imperium  Komanum  beinah  an  einander  stiessen. 

Wenige  Jahrzehnte  nach  den»  ersten  Erscheinen  der  Chinesen  auf 
den  östlichsten  Märkten  des  römischen  Reiches  ist  es  nun,  dass  in 
der  römischen  Litteratur  die  erste  dunkle  Kunde  von  einem  fabelhaften 
ostasiatischen  Volke  der  Seren  auftaucht,  welche  von  ihren  Bäumen 
ein  zartes  Gespinst,  das  8ericumor)piKov,  die  Seide  abkämmen.  Das 
Verhältnis  des  Völkernameus  Seres,  Xfjpeq  zu  ^ein  Appellati vnm  seri- 
cttWi-crripiKÖv  wird  man  sieh  gegenüber  den  oben  genannten  ostasiatischen 
Namen  der  Seide  nicht  anders  vorstellen  können  als  so,  dass  sericum- 
cnipiKÖv  direkt  einer  Form  wie  dem  mandschurischen  xirghe  entspricht, 
und  erst  aus  diesem  nach  dem  Muster  von  arabicum  :  Arabes,  indicum 
:  Jndi,  aethiopicum  :  Aethiopex  etc.  ein  Völkername  Seren  volksetymo- 
logisch  erschlossen  wurde.  Der  echte  und  eigentliche  Name  des  Seiden- 
lands taucht  erst  bei  dem  unbekannten  Verfasser  des  Pcriplus  maris 
erythraei  auf:  ^Jenseits  dieser  Gegend  (dem  schildkrotreichen  Chryse, 
der  heutigen  Halbinsel  Malakka)  bereits  ganz  nach  Norden  liegt  eine 
sehr  grosse  Binnenstadt,  Thinai  (0ivai)  genannt,  von  der  die  rohe  Seide, 
Seidengarn  und  Seidengewebe  (£piov  Kai  tö  \f\\xct  Kai  tö  öööviov  t6 
ZripiKÖv)  nach  Barygaza  über  Baktra  zu  Land  gebracht  werden  und 
ebenso  auch  nach  Limyrike  vermittels  des  Ganges.  Nach  diesem  Lande 


Digitized  by  Google 


Seide. 


kann  man  aber  nicht  leicht  gelangen;  denn  nur  vereinzelte  kebren  von 
ihm  zurück".  Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dass  in  dem  hier 
genannten  GTvai  die  erste  europäische  Erwähnung  des  heutigen  Ge- 
samtuamens  China  (arab.  Sin,  ind.  Cina)  vorliegt. 

Dass  die  chinesische  Seide  von  einem  Wurme  herrühre,  ist  dem 
klassischen  Altertum  lange  unbekannt  gewesen,  obgleich  schou  im 
ersten  nachchristlichen  Jahrhundert  ein  mazedonischer  Kaufmann  Mae« 
Titianos  zum  Einkauf  seidener  Stoffe  bis  nach  .Sera  nietropolis  (wahr- 
scheinlich Sin-gan-fu,  die  Hauptstadt  der  Provinz  Shensj)  seine  Agenten 
schickte.  Die  von  ihnen  zurückgelegte  Strasse  von  den  Euphratlündern 
bis  Baktrien  und  von  da  quer  durch  Centraiasien  (Serica)  ist  in  dem 
Werke  des  Ptolemäus  dargestellt.  Die  erste  Kenntnis  des  chinesischen 
Seidcnwurms  uud  seiner  Zucht  verrät  aber  erst  Tansanias  (VI,  26,  4)  in 
in  der  zweiten  Hälfte  des  II.  Jahrhunderts:  ^Dieses  Tierchen  (o"n.p  .der 
Seidenwurm',  wie  Zppc^  wohl  ebenfalls  aus  o*n.piKÖv  fälschlich  erschlossen) 
ist  doppelt  so  gross  wie  der  grösste  Käfer,  gleicht  sonst  aber  den  Spinnen, 
welche  an  den  Bäumen  weben;  wie  diese  hat  es  8  Füsse.  Diese 
Tiere  ernähren  die  Seren,  indem  sie  Hänser  errichten, 
welche  für  die  Winter-  wie  für  die  Sommerzeit  passend  sindu  u.  s.  w. 
Da  nach  chinesischen  Berichten  im  Jahre  1(56  n.  Chr.  eine  römische 
Gesandtschaft  des  Kaisers'  An-Tun  (M.  Aurclius  Antoninns  am  kaiser- 
liehen Hof  in  Loyang  erschien,  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass  Pnusanias 
seine  genauere  Kenntnis  ihren  Berichten  verdankte. 

Eine  zweite  Benennung  der  chinesischen  Seide,  namentlich  im  Osten 
des  imperinm  Romannm,  aber  auch  im  Albanesischen  (mmdafxt),  im 
Armenischen  (mefaks),  im  Syrischen  und  Arabischen  [dimaqü  aus 
*midaqx)  wiederkehrend,  ist  griech.  u^raEct,  u^TaEov,  ueraSiq  u.  s.  w. 
Der  Ursprung  des  Wortes  ist  noch  nicht  gefunden.  Es  begegnet  zuerst 
bei  dem  römischen  Dichter  Lucilins  (180— lOil  v.  Chr.)  iu  der  Form 
mata.ra  und  in  der  Bedeutung  ,Strfihucf,  , Faden',  ,Seil*,  in  der  es  auch 
in  den  romanischen  Sprachen  mit  Ausnahme  des  Walachischen  (nun. 
mejaxq  ,Seidc'>  gilt. 

Die  Seide,  weil  nur  auf  Handelswegcn  aus  weiter  Ferne  erreichbar, 
ist  im  ganzen  Altertum  ein  äusserst  kostbarer,  nur  dem  höchsten  Luxus 
erschwingbarer  Stoff  geblieben,  bis  unter  der  Regierung  des  Kaisers 
Justinian  '527 — 565)  Mönche  die  ersten  Seidenwürmer  aus  dem  Seiden- 
land Serinda  nach  Byzanz  brachten  (vgl.  Prokop  B.  G.  IV,  17).  Den 
Arabern,  die  eine  lebhafte  Seidenindustric  schon  aus  den  iranischen 
Ländern  mitbrachten,  ist  vor  allem  ihre  Verbreitung  über  Spanien, 
Sizilien,  Italien  n.  s.  w.  zu  danken. 

Wann  die  ersten  Seidenzeuge  nach  dem  Norden  Europas  gekommen 
sind,  lässt  sich  nicht  genau  ermitteln.  Alarich  soll  schon  im  Jahre  409 
bei  der  Schätzung,  die  er  der  Stadt  Rom  auferlegte,  auch  4000  seidene 
Gewänder  gefordert  haben.  In  Jütland  wurden  kostbare,  mit  Gold  und 


Digitized  by  Google 


Seide  —  Seife. 


Silber  gestickte  Seidenstoffe  in  einem  Fund,  der  aus  der  Zeit  um  950 
herrührt,  festgestellt  (vgl.  G.  Buschan  Präbist.  Gewebe,  Brauusehweig 
189V)  8.  29  Anm.).  Eine  frühe  Vermittlerrolle  zwischen  Orient  und 
Oceident  scheinen  hierbei  die  81a ven  gespielt  zu  haben,  deren  Bezugs- 
quelle seidener  Stoffe  vielleicht  nicht  nur  in  Byzanz  gelegen  war.  Bei 
den  Nordgermanen  (agls.  seolc,  altu.  silke,  die  auf  eine  Grundform  mit 
kurzem  e  :  *8ericum,  nicht  xtricum  hinweisen)  und  in  ganz  Osteuropa 
(lit.  szilkai,  altpr.  «ilkas,  altsl.  ielkü)  gilt  ein  Wort  für  Seide,  welches 
zunächst  wohl  aus  dem  Slavischen  stammt,  das  seinerseits  kaum  (des  l 
wegen)  aus  gricch.  onpiKÖv  (auch  hiess  die  Seide  in  Byzanz  ueTaEcü, 
sondern  eher  direkt  aus  einer  ostasiatischen  Sprache  entlehnt  hat. 
Bemerkenswert  ist  auch,  dass  die  Slaven  Uber  einen  einheimischen 
und  weit  verbreiteten  Ausdruck  für  Seide,  altsl.  svila,  verfügen,  der 
eigentlich  »Gewinde'  (vgl.  altsl.  viti  .winden  )  bedeutete.  Im  Westen 
herrschen  einerseits  die  aus  lat.  sericum  hervorgegangenen  ir.  xiric, 
ahd.  serih,  andererseits  die  dem  lateinischen  seta  ,Strähuc'  (genauer 
s('ta  Serien)  entstammenden  romanischen  Wörter  it.  nein,  sp.  seda,  frz. 
ttoie,  ahd.  sida  (auch  ir.  sita,  altruss.  sida  .  In  den  äussersten  Süd- 
osten ragt  ein  iranisches  Wort:  bulg.  ibrixim,  rum.  ibrixin  aus  npers. 
ebresum,  ebrexem  (vgl.  P.  Horn  Grundriss  S.  10,  Hübsehnianu  Annen. 
Gr.  8.  107)  herüber. 

Auch  Bezeichnungen  feiner  Gewebe  im  allgemeinen  werden  in  den 
nördlichen  Sprachen  für  8eide  im  besonderen  gebraucht.  So  namentlich 
das  bei  Germanen  uud  Slaven  verbreitete  ahd.  gotmreppi,  agls.  gode- 
weh,  altn.  godvefr,  altsl.  godotnbli  u.  s.  w.  Bezeichnet  es  .Gottes- 
gewebe', so  auf  den  frühzeitigen  Gebrauch  seidener  Gewänder  im  christ- 
lichen Kultus  hindeutend  (wie  etwa  ahd.  pfellöl  für  einen  mittelalter- 
lichen Seidenstoff  aus  lat.  pallium,  pallidum  .kirchliches  und  weltliches 
Prachtgewaud'  stammt),  oder  ist  der  Name  Gottes  erst  missbräuchlich 
in  ein  Wort  dunklen  Ursprungs  hineingetragen  worden?  Über  altsl. 
bracina  ,sericae  vestes'  etc.  s.  u.  Hose.    Dunkel :  ir.  xröl  .Seide'. 

Auf  die  grosse  Zahl  mittelalterlicher  Benennungen  seidener  Stoffe 
und  Gewänder,  die  teils  von  Byzanz,  teils  von  Persern  und  Arabern 
u.  s.  w.  ausgegangen  sind,  soll  hier  nicht  eingegangen  werden.  —  Vgl. 
E.  Pariset  Histoirc  de  la  soie  Paris  1802  und  Vf.  Haudelsgeschichte 
uud  Warenkunde  I,  22U  ff.  8.  auch  u.  Maulbeerbaum,  Gewebestoffe, 
Zimmet. 

Seife.  Die  erste  namentliche  Erwähnung  der  Seife,  und  zwar 
als  einer  gallischen  Erfindung,  geschieht  durch  Plinius  Uist-  nat.  XXVIII, 
191:  Prodext  et  xapo,  Gallorum  hoc  ineentum  rutilandis 
capilUit.  fit  e.r  xebo  et  cinere,  optimus  fagino  et  caprino  (s.  u. 
Ziege),  duobus  modix,  xpixsus  et  liquidum,  uterque  apud  Germanos 
maiore  in  um  tirix  quam  feminin.  Das  hier  genanute  lat.  sapo 
(wegen  der  Länge  des  Stammvokals  vgl.  attrito  xnpone  genas  pur- 


Digitized  by  Google 


Seite  -  Senf.  VßV*' > 

gare  menwnto  Poet.  lat.  min.  ed.  Baehrens  III,  114)  erweist  sich  aber '.iL-- 
als  eine  Entlehnung  nicht  aus  dem  Gallischen,  sondern  aus  dem  Ger- 
manischen, in  dem  zunächst  ahd.  seifa,  seifar  ,Schaum'  (vgl.  Mart. 
XIV,  2ü:  caustica  Teutonicos  accendit  sputna  capillos),  agls.  sdpe, 
(uruord.)-huu.  saippio  bestehen,  die  weiterhin  mit  lat.  sebum  ,Talg' 
urverwandt  sein  können.  Neben  urgerm.  *saipa-,  *saipia-  muss  ein 
nahverwandtes  *sdpa-  (vgl.  altn.  sdpa  und  Noreen  Abriss  der  urgerm. 
Lautl.  S.  214)  gelegen  haben.  Aus  diesem  stammt  lat.  stipo  (it.  sa- 
pone  etc.).  Einen  anderen  Weg  der  Erklärung  schlägt  Kretschmer 
Einleitung  S.  24  Anm.  2  ein,  indem  er  annimmt,  das  lateinische  Wort 
sei  von  den  festländischen  Vorfahren  der  Engländer  übernommen  worden, 
die  schon  vorPlinius  d  für  «/gesprochen  hätten(?).  Von  hier  stamme 
auch  das  nordische  sdpa. 

Wie  ans  dem  Germanischen  ins  Westfinnische,  ist  es  aus  dem  Latei- 
nischen ins  Griechische  ((Tdmuv)  und  aus  diesem  wieder  ins  Persische, 
Arabische,  Türkische  bis  ins  Ostfinnische  (mordv.  sapin  u.  s.  w.i  ge- 
wandert. Andere  nordische  Namen  der  Seife  sind:  altn.  laubr,  agls. 
Uador  :  gricch.  Xoüw,  lat.  larare,  wie  russ.  viyfo  (lit.  muHas),  poln. 
mydlo  :  russ.  myt'i  , waschen'. 

Wie  die  angeführte  Stelle  des  Plinius  zeigt,  wurde  die  Seife  von 
Galliern  und  Germanen  zunächst  zum  Rot  färben  der  Haare  ver- 
wendet, und  auch  Martialis  VIII,  33,  20  giebt  eine  spuma  Hataca 
als  Haarfärbemittel  an.  Bezeichnend  hierfür  ist  auch  das  agls.  tcelg, 
unser  „Talg*,  das  ganz  die  Bedeutung  von  , Farbe'  angenommen  hat. 
Es  müssen  der  Seife  also  allerhand  pflanzliche  Farbstoffe  /.ugemengt 
gewesen  sein,  worauf  auch  Ovid  De  arte  amandi  III,  1(»3  deutet: 
Femina  canitiem  Germanis  inficit  her  bin.  So  wurde  der  sdpo 
zunächst  auch  in  Rom  gebraucht,  bis  man  dann  auch  zum  Waschen 
nach  dem  Vorbilde  der  Nordländer  eigentliche  feste  Seife  (spissus  sapo) 
herzustellen  lernte.  Über  die  Mittel,  deren  man  sich  im  Süden  vor 
der  Erfindung  der  Seife  beim  Waschen  bediente,  das  Reiben  und 
Stampfen  der  Wäsche  in  reinem  Wasser,  die  Aschenlauge,  das  minera- 
lische Laugeusalz  (lat.  nitrum,  s.  u.  Soda),  alkalisches  Wasser, 
Urin,  verschiedene  Pflanzenatoffe  n.  s.  w.  hat  ausführlich  J.  Beckmann 
Beyträge  zur  Geschichte  der  Erfindungen  IV,  1  gehandelt. 
Seil,  s.  Strick. 

Selbsthilfe,  s.  Blutrache,  Körperverletzung,  Mord,  Recht, 
Strafe. 

Selbstmord,  s.  Alte  Leute. 
Selbst verflnehune,  s.  Eid. 
Sellerfe,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Senf.  Sinapis  alba  L.}  der  weisse  Senf,  ist  wahrscheinlich 
nur  in  Südeuropa,  Brassica  nigra  L.}  der  schwarze  Senf,  dagegen 
in  ganz  Europa,  ausser  in  Norwegen,  Schweden  und  Nordrussland, 


Digitized  by  Google 


762 


Senf  —  Sesatn. 


einheimisch  (nach  A.  Engler  bei  V.  Hehn  s.  n.).  —  Der  Senf  wird  als 
beissende  Substanz  schon  von  den  attischen  Komikern  erwähnt.  Sein 
älterer  Name  vottu  ist  wahrscheinlich  identisch  mit  lat.  ndpus  ^Steck- 
rübe'. Ähnlich  sind  in  den  deutschen  Dialekten  Sinapis  arvemis  und 
Baphanistruni  arrense  übereinstimmend  benannt  (vgl.  Pritzcl- Jessen 
Volksnamen  S.  378  u.  327).  Der  spätere,  hellenistische,  in  seinem 
Verhältnis  zu  vottu  aber  noch  unaufgeklärte  Name  ist  oivam,  oivctTru. 
Dieser  ist  ins  Lateinische  iginapi*,  Plantns)  und  in  die  germanischen 
Sprachen  (got.  sinap,  ahd.  senaf,  agls.  sünep)  übergegangen.  Ein- 
heiimsc  he  volkstümliche  Bezeichnungen  Nordeuropas,  wie  kymr.  cethtc, 
vedic,  ceddw,  agls.  cedelc,  lit.  garstytis,  altpr.  garkity,  poln.  gorczyca 
u.  a.,  sind  hierdurch  und  durch  it.  mostarda  etc.  ,Mostrich'  (mhd. 
mostert,  musthart)  von  lat.  mustum  ,Most',  mit  dem  der  Senf  an- 
gemacht wurde,  und  das  ebenfalls  eine  sehr  grosse  Verbreitung  in 
Europa  gefunden  hat,  eingeengt  worden.  Zu  bemerken  ist  noch,  dass 
im  Altertum  wie  im  Mittelalter  bis  ins  XVI.  Jahrhundert  nicht  nur 
der  Senfsamen  in  der  bekannten  Weise  verwendet,  sondern  auch  das 
Kraut  des  Senfes  als  Gemüse  oder  Salat  zur  Speise  diente. 

Im  Neugriechischen  heisst  nur  der  schwarze  Senf  ffivdm,  während 
der  weisse  Xaiydva  t bei  Diosk.  Xauiyavri  ,ein  wildes  Gemüse'  und 
dirpioßpoGßa,  all).  Vinaride  und  rrurr  e  barde  (ngriech.  ßpoOßot  ,grauer 
Senf)  genannt  wird.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen0  S.  206,  v.  Fischer- 
Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  10S. 

Scnkstein,  s.  Anker. 

Sense,  s.  Sichel  und  Sense. 

Sesam.  Sesamum  Orientale  und  indicum  L.,  dessen  Same  zur 
Bereitung  eines»  geschätzten  Öls  und  als  Würze  der  Speisen  im  Alter- 
tum diente,  und  noch  heute  im  Orient  und  in  Griechenland  dient,  soll 
nach  De  Candolle  Ursprung  der  Kulturpflanzen  S.  :">3l  ff.  auf  den 
Sundainscln  einheimisch  sein.  Seine  Kultur  tritt  in  Indien  schon  zur 
Zeit  des  Atharvaveda  auf,  wo  sie  neben  der  von  Reis,  Gerste  und 
Bohnen  genannt  wird.  Ebendaselbst  wird  das  Scsamöl  (taila-  :  tila- 
jScsam  )  schon  zu  Opferzwecken  verwendet  (vgl.  H.  Zimmer  Altind. 
Leben  S.  240  f.).  Von  Indien  muss  die  Pflanze  sehr  frühzeitig  in  die 
Euphratlünder  vorgedrungen  sein,  wo  sie  die  Stelle  des  Ölbaums 
(s.  d.)  vertrat.  Vgl.  Herodot  I,  193:  £k  bfc  KfeTXP°u  KCtl  o"n.ödjjou  öcrov 
ti  b^vbpov  u€Y0t6oq  xiv€Tai  ....  xptovrai  bfc  oubfcv  ^Xcuuj,  dXX'  4k  tüjv 
ariödpujv  TroieüvTcti.  Dagegen  lässt  sie  sich  weder  im  Alten  Testament, 
noch  auch  in  Ägypten  vor  Theophrast  nachweisen. 

In  Griechenland  begegnet  erderauov,  anaapov  (häufig  im  Plural)  zuerst 
im  VII.  Jahrhundert  bei  dem  Lyriker  Alknian  (Bergk  Frgni.  74 1: 

KXivai  u£v  ima  Kai  TÖaat  Tpancabai 

paKUJVibujv  äpiwv  £mo*T*'(pot<Jai 

Xivuj  T£  ffaadpiu  tc. 


Digitized  by  Google 


Sesam  —  Sichel  und  Sense. 


763 


Das  Wort  ist  semitischen  Ursprungs,  aus  arab.  stisim,  simsim,  PI. 
simäsim,  arain.  xümxema,  xuxmd  (vgl.  auch  arm.  susmay)  hervorge- 
gangen (vgl.  Muss-Arnolt  Trnnsaetions  XXIII,  111).  Im  Lateinischen 
wird  sesamitm  seit  Plautus  genannt.  Über  den  Anbau  der  Pflanze 
vgl.  Columella  De  re  inst.  II,  10,  18.  Nach  dem  Norden  ist  sie  nicht 
tibergegangen. 

Sessel,  s.  Hans  rat. 

Sesshaftigkeit,  s.  Ackerbau,  Garten  (Gartenbau),  Viehzucht. 
Seuche,  s.  Krankheit. 
Sexagesimalsystem,  s.  Zahlen. 

Sichel  und  Sense.  Wie  n.  Ackerbau  gezeigt  ist,  geht  ein 
gemeinsamer  Name  der  Sichel:  gricch.  äpTrn.  =  altsl.  srüpü  in  die 
europäische  Urgeschichte  zurück.  Ferner  dürfen  lat.  fahr  .Sichel' 
(dessen  bisherige  Verbindung  mit  lat.  fiecto  und  griech.  <pdtXKn.<;  »Schiffs- 
rippe' wenig  überzeugendes  hat)  und  lit.  datgk  .Sense'  mit  einander 
verglichen  werden  (St.  *dhalg  ;  ans  lat.  *folg-  wurde  im  Xom.  vor  s 
fale-,  von  wo  aus  das  c  nach  Analogie  von  Wörtern  wie  cal.r,  calcis 
in  die  übrigen  Casus  eindrang).  So  auch  Mikkola  B.  B.  XXV,  74. 
Weiterhin  werden  von  Zupitza  K.  Z.  XXXV,  2t>4  ir.  corrtln  und 
griech.  Kpuümov  ,Sichcr  (gricch.  Kapiro?  , Frucht',  lat.  carpo,  lit.  kirpti 
,init  der  Scheerc  schneiden',  sert.  krpdna-  ,Sehwert')  mit  einander 
verglichen.  Hinsichtlich  des  ahd.  sihhila,  agls.  sieol  zweifelt  mau,  ob 
Entlehnung  aus  lat.  .sfeula  oder  Urverwandtschaft  mit  lat.  xeges  etc. 
vorliegt  (für  ersteres  Kluge  in  Pauls  Grundriss  I*,  344,  für  letzteres 
Korccu  Urgenn.  Lautl.  S.  1 83). 

Werkzeuge,  welche  mit  Sicherheit  auf  das  Abmühen  des  Getreides 
zu  beziehen  wären,  sind  unseres  Wissens  aus  der  Steinzeit  noch  nicht 
bekannt  geworden.  Xur  im  .Mond-  und  Attersee,  dann  bei  Heichenhall 
sind  halbmondförmige  .Messer  zu  Tage  getreten  (Sammlung  des  Dr. 
M.  Much  in  Wien),  die  vielleicht  für  Sicheln  gelten  können.  Unver- 
kennbare Sicheln  treten  dagegen  mit  dem  Kupfer  (vgl.  Much  Die 
Kupferzeit2  S.  187)  und  in  Massen  mit  der  Bronze  auf  (vgl.  Lubbock 
Die  vorgeschich.  Zeit  S.  29,  41,  Montelius  Kultur  Schwedens*  8.  70^ 
Im  klassischen  Altertum  ist  ausser  der  halbkreisförmigen  Sichel  (griech. 
hom.  bpcndvri  :  bpen-uj  schneide'  neben  dein  Hesiodeischen  äpnr))  ein 
anderes  Erntewerkzeug  nicht  nachweisbar.  Mit  ihr  wird  das  Getreide 
nach  Varro  De  re  rust.  I,  50  entweder  unter  der  Ähre,  in  der  Mitte 
oder  am  Ende  des  Halmes  abgeschnitten.  Über  die  hiervon  abhängigen 
verschiedenen  Methoden  des  Dreschens  8.  d.  Bei  den  Galliern 
kennt  Plinins  XVIII,  29(>  eine  Art  Mähmaschine. 

Dagegen  tritt  im  Norden  frühzeitig  die  Sense  (ahd.  w'gansa,  altn. 
rigor,  agls.  »igde,  ndd.  sieht  :  lat.  seenre,  lit.  dafgh  s.  o.,  altsl.  kosa 
(ob  vielleicht  zu  nhd.  hacken,  W.  kok)  auf.  Man  darf  vermuten,  dass  dieses 
Werkzeug  zuerst  hei  dem  Geschäft  des  Heuers  und  auf  den  saftigen 


Digitized  by  Google 


764 


Sense  und  Sichel  —  Silber. 


dem  Süden  versagten  Wiesen  des  europäischen  Nordens  (s.u.  Futter 
kräuterj  aufkam,  und  von  hier  aus  auch  auf  die  Getreideernte  an- 
gewendet wurde.  Die  Abbildung  eines  angelsächsischen  Hauern  aus 
dem  VIII.  Jahrb.  'vgl.  Anton  Teutsche  Landwirtschaft  I,  98)  zeigt 
denselben  einerseits  mit  der  gezahnten  Getreidesiehcl,  andererseits  mit 
der  nicht  gezahnten  Grassense.  Bezeichnender  Weise  ist  altsl.  kosa 
ins  Neugriechische  (Komd),  ins  Albanesisebe  (kose)  und  ins  Magyarische 
(kasza)  entlehnt  worden.  —  S.  u.  Werkzeuge. 

Sieb.  Dies  bei  dem  Zustand  des  Mehls,  in  welchem  dieses 
aus  den  primitiven  HandmUhlcu  der  Urzeit  's.  u.  Mahlen,  Mühle) 
herauskommen  musste,  doppelt  notwendige  Werkzeug  war  schon  in 
vorhistorischer  Zeit  in  Europa  bekannt.  Vgl.  lat.  cribrum  =  ir.  cria- 
thar,  agls.  hrldder,  ahd.  rttara  :  griech.  Kpivw,  lat.  cemo  ,sichte'. 
Eine  gemeinschaftliche  Bezeichnung  des  Siebens  scheint  ferner  in  griech. 
0ctui  (*<«/?-),  att.  bidrruj,  all).  *o.v,  altsl.  sfjati  (sito  ,Sieb'i,  lit.  sijöti 
(sietas  .Sieb',  altpr.  aiduko  .Siebtopf';  vorzuliegen.  Westgerm.  ahd. 
sib,  agls.  sife  wird  zu  dem  gemeingerm.  ahd.  sihan,  agls.  seon,  ahn. 
sla  Reihen'  gestellt  und  bezieht  sich,  wenn  dies  richtig  ist,  zunächst 
auf  flüssige  Dinge.  Griechisch  noch  xr]\\a,  öXeupö-Tncriq  (dunkel),  kö(J- 
Ktvov  (:  k€0"kiov  ,Werg,  Abgang  des  Flachses  ),  icpnacpa  (dunkel). 

Die  ältesten  Siebe  werden  Siebtöpfe  gewesen  sein,  die  schon  in 
der  Steinzeit  nachgewiesen  wurden  und  z.  B.  aus  dem  nordwestlichen 
Böhmen  im  Wiener  naturbistorischeu  llofmnseum  zu  sehen  sind.  Sonst 
werden  Siebe  aus  Netz-  oder  Flechtwerk  (vgl.  lit.  retis  ,grobcs  Sieb' 
=  lat.  rite  ,Xctz  )  und  für  flüssige  Dinge  aus  Leinwand  und  Wolle 
verfertigt  worden  sein.  Die  Gallier  hatten  nach  Plinius  Hist.  nat. 
XVI II,  108  Siebe  aus  Pferdchaarcn  erfunden:  Cribrortim  gener a  Oalliae 
ex  saetis  equorum  int  euere.  —  S.  u.  Ackcrban  und  u.  Werkzeuge. 

Siedelting,  s.  Dorf. 

Sieg,  s.  Krieg. 

Siegelring,  s.  Edelsteine  und  King. 

Silber.  Ausserhalb  der  klassischen  Länder  treten  Silberfunde 
erst  nach  oder  während  der  Hallstattperiode,  also  gleichzeitig  mit  dem 
Eisen  (s.  d. ),  auf.  Eine  Ausnahme  hiervon  macht  nur  Spanien,  wo 
nach  den  Funden  der  Gebrüder  Siret  das  Silber  zusammeu  mit  Kupfer, 
Gold  und  Bronze  vorkommt  und  so  gewöhnlich  ist,  dass  es  ausser  zu 
Schmuck  auch  znm  Annieten  der  Dolchklingen  au  die  Hefte  etc.  ver- 
wendet wurde.  Über  den  Silbereichtum  der  Iberischen  Halbinsel  vgl. 
auch  Strabo  III,  p.  147  f.  In  Griechenland  sind  silberne  Vasen  schon  in 
Mykenac  an  den  Tag  gekommen,  wie  auch  der  Burghügel  von  Hissarlik 
bereits  in  der  II.  Stadt  Silber  in  Form  von  Gefässen  oder  Barren 
darbietet. 

Diesem  prähistorischen  Fundbestand  gegenüber  und  gegenüber  der 
in  diesem  Werk  vertretenen  Ansicht,  dass  das  einzige  der  idg.  Urzeit 


Digitized  by  Google 


Silber. 


bekannte  Metall  das  Kupfer  (s.  d.i  gewesen  sei,  fällt  es  auf,  dass 
scheinbar  eine  urverwandte  Bezeichnung  des  Silbers  in  den  idg.  Sprachen 
vorhanden  ist:  scrt.  rajata-,  aw.  erezata-,  armen,  arcaf  (mit  auf- 
fälligem Snftix,  für  das  man  lantgesetzlich  *-anf  nicht  -at*  erwarten 
sollte),  lat.  argentum,  ir.  argat.  Allein  eine  nähere  Betrachtung  dieser 
Reihe  macht  es  wahrscheinlich,  dass  ihre  Übereinstimmung  in  der  Be- 
deutung , Silber'  mehr  oder  weniger  auf  Zufall  beruht.  Im  Rigveda 
bezeichnet  rajatd-  (wie  darqatd-  , ansehnlich',  yajatd-  , verehrungs- 
würdig'), das  daselbst  nur  einmal  vorkommt,  nichts  anderes  als  ,weisslich", 
und  erst  in  einem  anderen  und  späteren  vedischen  Text  i  Taittiriya- 
samhitä  I,ö,  1,2)  wird  des  Silbers  mit  der  weitläufigen  Umschreibung 
rajatdih  hiranyam  , weibliches  Gold'  gedacht.  Erst  im  Atharvaveda 
tritt  dann  rajata-  in  der  substantivischen  Bedeutung  von  Silber  auf. 
Ähnliche  Verhältnisse  herrschen  im  äusserten  Westen  unseres  Sprach- 
gebiets. Am  frühsten  belegt  ist  der  keltische  Silbername  (ir.  argat, 
kymr.  ariant,  bret.  urckant,  korn.  arhanz)  in  den  altgallischen  Städte- 
namen Argento-ratum  iStrassburg»,  Argentomagus,  Argento  -  varia 
(Arzcnhcim),  Argento  dubrum  (dubrum  , Wasser  ).  Bedenkt  man  nun, 
dass  Silber  in  Gallien  nach  Diodorus  Siculus  (V,  27,  1)  überhaupt 
nicht  vorkam,  in  jedem  Falle  aber  »vgl.  Strabo  IV,  p.  191)  daselbst 
nur  selten  war,  so  kann  es  als  fast  sieher  angenommen  werden,  dass 
argento-  in  jenen  Ortsnamen  gar  nicht  ,Silber',  sondern  nur  , weiss", 
, licht'  bedeutet,  dass  also  ein  Argento-ratum  (:  ir.  rdth  , Königsburg') 
nichts  anderes  als  ,Weissenburg'  oder  , Lichtenfels',  ein  Argento- dubrum 
nichts  anderes  als  ,Weisswasser'  (vgl.  Weissensee)  u.  s.  w.  ausdrückt. 

Ks  hat  demnach  in  der  idg.  Grundsprache  ein  Adjektivum  *rg-nto- 
oder  *rg-)ito-  ,wcisslicir  bestanden,  welches  in  den  Einzelsprachen  auf 
das  Silber  angewendet  wurde,  als  dieses  auftrat,  genau  so,  wie  dies 
im  Griechischen  mit  dem  von  demselben  Stamme  gebildeten  <5p-ru-po<; 
(vgl.  scrt.  drjuna-,  lat.  arga  tus)  der  Fall  war.  Dabei  braucht  nicht 
geleugnet  zu  werden,  dass  die  Auswahl  gerade  dieses  Adjektivum» 
zur  Bezeichnung  des  Silbers  wenigstens  teilweis  auf  sachlichen  und 
geographischen  Zusammenhängen  beruht  oder  beruhen  kann. 

So  ist  das  wichtigste  Erzeugungsland  des  Silbers  im  gesamten  Vorder- 
asien Armenien  (vgl.  die  Belege  bei  Vf.  Sprachvergl.  u.  Urgescb.* 
S.  261  ff.).  Es  wäre  also  nicht  unmöglich,  dass  hier  das  idg.  Adjek- 
tivum Bich  zuerst  in  der  Bedeutung  »Silber*  (armen.  *argat  nach  der 
Lautverschiebung  arcat')  festsetzte  und  von  hier  nach  dem  silberarmen 
Iran  (nur  aw.  erezata-,  sonst  afgh.  spin  zar  »weisses  Gold',  npers.  sim, 
kurd.  ziw  aus  ngr.  äo"f)ui  .Silber',  eigcntl.  <5cm,uos  ,ungeprägt')  vordrang, 
in  d  e  r  Weise,  dass  es  ein  schon  früher  vorhandenes  iranisches  *erezata~, 
*arzata-  ,weiss'  zur  Übernahme  der  Bedeutung  , Silber'  veranlasste.  In 
ähnlicher  Weise  könnte  dann  wieder  das  iranische  Wort  massgebend 
für  die  Bedeutung  des  indischen  geworden  sein.    Bemerkenswert  ist, 


Digitized  by  Google 


Silber. 


dass  ungefähr  gleichzeitig  mit  dem  Silber  in  der  indischen  Litteratur 
das  Maultier  (agvatard  )  auftritt,  dessen  Herkunft  gleichfalls  (sachlich) 
auf  Armenien  zu  deuten  scheint  (vgl.  v.  Bradke  Zur  Methode  etc. 
S.  87).  Vorraussetzung  fdr  derartige  arnicniseh-iranisch-indische  Kultur- 
zusammenhänge ist  freilich  die  Annahme,  dass  das  Verbreitungsgebiet 
der  Armenier  frühzeitig  dem  der  Iranier  benachbart  war,  eine  An- 
nahme die  historisch  nicht  ganz  unbedenklich  ist  (vgl.  E.  Meyer  Ge- 
schichte des  Altertums  I,  296,  559,  II,  41  und  s.  u  Urheimat). 
Sicherer  ist  der  armeuische  Silbername,  in  anderer  Richtung  wandernd, 
in  kaukasische  Sprachen  (awarisch  aratz  u.  s.  w.)  eingedrungen,  viel- 
leicht als  Gegengabe  für  den  Namen  des  Eisens,  den  die  Armenier 
von  dort  empfingen  (s.  u.  Eisen).  Iu  ähnlicher  Weise  kann  man  Be- 
ziehungen der  keltischen  Silbernamen  zu  dem  lat.  argentum  (vgl. 
Adjektiva  wie  cru-entus,  sil-entus,  Substautiva  wie  ungu-entum,  flu* 
entum)  konstruieren,  wie  denn  auch  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altert. 
XLII,  104  annimmt,  „dass  ital.  argentom,  gall.  britt.  arganton,  mir. 
argenton  .weiss,  glänzend'  (was  Much  also  mit  uns  als  Grundbedeutung 
der  ganzen  Sippe  ansetzt)  im  Keltischen  unter  dem  Einfluss  des  Ita- 
lischen die  Bedeutung  ,Silber'  angenommen  hat-.  Der  Versuch  aber 
(v.  Bradke  a.  a.  0.),  auch  das  lat.  argentum  an  das  armenische  arcat' 
durch  thrakisch-illyrische  Vermittlung  (s.  u.  Esel  und  u.  Maultier), 
anzuknüpfen,  stösst  auf  die  Schwierigkeit,  dass  das  thrakische  Wort 
für  Silber  ganz  abweichend  lautet  (vgl.  axtipicr)'  ©pqnaoYi  dprüpia. 
Hesyeh).    Vgl.  noch  alb.  arg'unt  aus  lat.  argentum. 

Wenn  wir  demnach  für  Europa  über  die  Herkunft  des  Silbers  durch 
die  Sprache  zunächst  keinen  Aufschluss  erhalten,  so  führt  doch  die 
Tradition  in  Griechenland  in  höchst  bemerkenswerter  Weise  auf  einen 
schon  oben  hypothetisch  genannten  Ausgangspunkt  des  Silbers,  nämlich 
wiederum  in  die  Nähe  Armeniens,  an  die  Gestade  des  Pontus  Euxinus. 
Schon  Homer  (II.  II,  857)  keimt  die  politische  Stadt  'AXüßn,  „wo  das 
Silber  seinen  Ursprung  habe": 

TnXööev  il  'AXußrjs  Ö6ev  äpYopou  i<5x\  ttv^öXr). 

Aus  diesem  'AXußn.  (für  *ZaXüßn,)  hat  nun  V.  Hehn  die  nordeuro- 
päischen Namen  des  Silbers,  die  sich  keilförmig  in  die  vom  Stamme 
*VÖ "i  *t!J-  gebildeten  Silbernamen  einschieben,  got.  silubr,  altsl.  slrebro, 
lit.  siddbras,  preuss.  nirablan  abgeleitet.  Und  man  muss  sagen,  dass, 
wenn  auch  diese  Kombination  iu  lautlicher  Hinsicht  manche  Rätsel 
zurücklässt  (was  bei  unserer  Unbekanntschaft  mit  den  Zwischenstufen 
derartiger  Entlchnungsreihcn  kaum  zu  verwundern  ist),  sie  an  Ein- 
fachheit und  sachlicher  Überzeugungskraft  alle  anderen  Deutungsver- 
versuche (vgl.  F.  Hommel  Korrespondenz-Blatt  1879  Nr.  7  u.  8  und 
Archiv  f.  Anthrop.  XV  Suppl.  S.  162  ff.,  der  die  germano-balto-slavischen 
Wörter  mit  einem  ursemitischen  *nirpara  ,Silber'  verbinden  möchte, 
oder  vollends  W.  Bruinier  Korresspondenzblatt  1895  Nr.  ö,  der  zur 


Digitized  by  Google 


Silber  —  Singen. 


767 


Erklärung  von  slrebro  etc.  sogar  ein  japanisches  siro  ,weiss'  heran- 
zieht) bei  weitem  Übertrifft. 

Die  ältesten  historischen  Nachrichten  vom  Gebrauche  des  .Silbers 
in  Deutschland  geben  Caesar  (VI,  28),  der  von  dem  Vorhandensein 
silberbesch lageuer  Triukhörner  berichtet,  und  nach  ihm  Tacitus  iGerm. 
€ap.  »),  der  silberne  Gefässe  als  auswärtige  Geschenke  im  Besitz  der 
Vornehmen  kennt. 

Älter  als  bei  den  Indogermanen  Europas  und  Asiens  dürfte  das 
Silber  bei  den  semitischen  Völkern  sein,  die  einen  übereinstimmenden 
Namen  dafür  besitzen  (he.br.  Jcesef  ~  assyr.  kaspu,  neben  den  ab- 
abweichenden assyr.  mrpu  und  sumerisch  ku-babhar).  Bemerkenswert 
ist  ferner,  dass  im  Ägyptischen  (hat,  koptehat  .Silber',  eigentl.  .weiss'), 
wie  im  Assyrischen,  bei  Aufzählung  der  Metalle  und  anderer  Kostbar- 
keiten das  .Silber  nicht  selten  vor  dem  Golde  genannt  wird  (s.  darüber 
u.  Metall  e).  Häufig  wurde  das  Silber  in  der  alten  Welt  erst,  nach- 
dem den  Phöniziern  die  Ausbeutung  der  spanischen  Silbergruben  (s.  o.) 
gelungen  war.  Unter  dem  Eiufluss  dieser  neuen  in  die  Geschichte  ein- 
tretenden Silbermeugcn  nahm  das  griech.  äpYupiov,  wie  das  lat.  argentum, 
die  Bedeutung  von  ,Geld'  Uberhaupt  au.  Schon  oben  sind  die  silbernen 
Talente  von  Hissarlik  erwähnt  worden.  Zu  bemerken  bleibt,  dass 
die  Westfinnen,  die  das  Gold  und  das  Eisen  germanisch  benennen, 
einen  nicht  aus  dem  Germanischen  stammenden  und  weitverbreiteten 
Namen  für  das  Silber  (finnisch  hopea,  estn.  hohe,  weps.  hobed  u.  s.  w.) 
haben,  der  noch  nicht  sicher  erklärt  ist. 

Im  allgemeinen  darf  hinzugefügt  werden,  dass  gerade  für  die  Ge- 
schichte des  Silbers  von  der  zukünftigen  Forschung  in  sachlicher  und 
sprachlicher  Hinsicht  weitere  Aufklärung  erhofft  werden  muss.  —  S.  u. 
Metalle. 

Silphimn.  Die  in  Griechenland  seit  Sophokles  (Frgm.t  und 
Herodot  (IV,  169.)  als  aiXqpiov  (OtXTrov  Hes.),  in  Italien  seit  Plautus 
als  nirpe  wohlbekannte  und  als  Gewürz  wie  Arznei  hochgeschätzte 
Pflanze  hat  botanisch  noch  nicht  sicher  bestimmt  werden  können.  Der 
griechische  und  lateinische  Name  sind  offenbar  unabhängig  von  ein- 
ander aus  einer  orientalischen  Quelle  entlehnt,  die  man  in  hebr.  ttirpad 
,eine  Steppenpflanze'  gefunden  zu  haben  meint.  Wort  und  Sache  werden 
zunächst  auf  Cyrene  zurückgehn,  dessen  Reichtum  an  Silphium  berühmt 
war.  Orientalischen  Eindruck  machen  auch  ucrrubapis  ,Same,  Wurzel 
und  Stengel  des  Silphium'  sowie  uaaneTov  , Blatt  des  Silphium'. 

Als  das  echte  afrikanische  Silphium  immer  seltener  wurde,  identi- 
ficierten  die  Römer  ihr  laserpicium  (aus  *laser  serpiäum),  die  in 
Persien,  Medien  und  Armenien  vorkommende  Am  fötida  L.,  mit  dem 
Silphium.  Eine  Erklärung  des  lat.  laser,  lanar  steht  noch  aus.  —  S. 
u.  Aromata. 

Singen,  s.  Dichtkunst,  Dichter. 


Digitized  by  Google 


768 


Singvögel. 


Singvögel.  Unter  den  zu  dieser  (hier  im  weitesten  Sinne  ge- 
nommenen) Klasse  gehörigen  Vögeln  ist  bis  jetzt  für  einen  einzigen, 
den  Häher,  Übereinstimmung  zwischen  Asien  und  Europa  nachgewiesen 
worden,  indem  sert.  kiki-divi-,  kiki-  dem  griech.  <iaaa  und  alid.  hehara, 
agls.  higora  entspricht  (W.  kik,  altn.  hegre  ,Reiher'  s.  u.  Sumpf- 
v  ö  g  e  1). 

Alle  anderen  Entsprechungen  auf  diesem  Gebiet  beschränken  sich 
auf  Europa  und  beziehen  sich  auf  folgende  (alphabetisch  geordnete) 
Vögel : 

Amsel:  griech.  KÖiyixoq,  altsl.  äoäm;  lat.  merula  m&*mettula-}  ahd. 
amxel,  agls.  dsle  aus  *wä/o-(?).  Einzelsprachlich:  griech.  mxXtj, 
dor.  KixnXa  und  KÖffffucpoq,  geraeinkclt.  kymr.  mwyalch,  kom.  moelh, 
bret.  moualch  {*meisalko-  :  ahd.  meisa  ,Mcise7),  lit.  szwilpökas  : 
8zxcilpiü  ,pfeife'  und  szeie,  altpr.  seese.    S.  auch  u.  Drossel. 

Ha  eh  stelze:  lit.  kiele,  kyU,  lett.  zttaica,  griech.  KiXXoupo^,  letzteres 
von  einem  einfachen  *KiXXa  :  muj  bewegen',  griech.  Ki-ve-uu  ,bc- 

wege',  lat.  cito  ,schneir  (vgl.  anch  lat.  mota-ciUa'i)  durch  Anhängnug 
von  oupo- :  oupd  ,Schwanz'  gebildet  nach  der  Analogie  von  Bildungen 
wie  creioomrn?,  (Jeiffoupa,  (poivucoupo;,  wie  denn  der  Name  dieses 
Vogels  auf  zahlreichen  Sprachgebieten  von  dem  beständigen  Wippen 
seines  Schwänzchens  hergenommen  zu  werden  pflegt:  nordd.  wedehterz, 
wippsterz,  it.  codatremola,  quassacoda  u.  s.  w. 

Drossel:  lat.  turdus  (*turzdo-s)y  lit.  sträzdax.  altn.  pröstr  neben 
altn.  pröstle,  agls.  prysee,  ahd.  dröttca  (I Juice  per  ora  sonat,  dicunt 
quam  nomine  droscam,  Carmen  de  philomela).  Undeutlich  wie  das 
Verhältnis  der  drei  zuletzt  genannten  Wörter  zu  den  ersteren,  ist  auch 
das  der  slavischen  Ausdrücke  drozdü,  drozgü  zu  der  ganzen  Gruppe. 
Vgl.  noch  körn,  melhuet,  bret.  milfid,  *mel-svit,  woraus  frz.  maurfo 
und  mhd.  kranewitrogel  :  ahd.  chranateitu  ,Kraniehholz',  ,  Wachholder'. 
S.  auch  n.  Amsel. 

Elster:  altsl.  svraka,  lit.  szrirka,  altpr.  sarke.  Einzelsprachlich: 
lat.  pica  :  picus  ,Specht',  ahd.  agahtra,  agazza,  agls.  aguy  altndd. 
agaxtria. 

Finkc:  griech.  amTToq '  0"mvoq  (,Fink')  Hes.  vgl.  amha  .piepe', 
(JmEa  ,Fink  ),  agls.  finc,  ahd.  /Incho  (**pingo-  :  *pingo-,  vgl.  noch  it. 
pincione,  frz.  pinxon).  Einzel  sprach  lieh:  lat.  fringilla,  gcmeinsl. 
*velga,  altsl.  clüga  ,Goldtink'  (mit  stark  wechselnder  Bedeutung',  altpr. 
steibe,  lit.  sziube  (nihd.  zixec,  zise  .Zeisig'  und  stigliz  ,Sticglitz'  sind 
aus  den  slavischen  cech.  viiek  und  stehlic  entlehnt;  altpr.  singuris 
,Sticglitz). 

Krabe,  s.  Rabe. 

Habe  und  Krähe:  Charakteristisch  für  beide  Vögel  ist  zunächst 
der  Laut  qor  :  griech.  KÖpaE.  lat.  comm  griech.  Kopiuvn,  lat.  corni.r 
(ir.  erti  ,Krähe'),  ferner  qraq  :  lat.  cröcio,  altsl.  krakafi  ,kräeh/.cn' 


Digitized  by  Google 


Singvögel. 


7G9 


(vgl.  auch  altpr.  kracco,  lit.  krakia  ,Sehwarzspecbt'),  russ.  karkunü  (neben 
krukü)  ,Rabc',  altn.  hrafn,  abd.  hraban  <*kraq-no-\,  auch  als  qrag  : 
griech.  KpwZw,  abd.  hruoh,  altn.  hrökr,  als  graq  :  lat.  graculus  und 
als  grag  :  altn.  AtWäyi  gehört.  Vgl.  noch  altsl.  grajati,  lit.  gröti 
,kräehzcn'  =  abd.  kr  den,  wozu  ahd.  krdja,  krdwa,  agls.  crdwe  , Krähe' 
(ir.  grau-berla,  i.  ier/«  fiachda  ,lingua  corvina'?).  Der  .schwarze'  be- 
deutet altsl.  vranü  ,Rabc',  altpr.  warne  .Krähe',  warnis  .Rabe',  lit. 
warnas  (vgl.  sert.  vürna-  , Farbe'?),  wie  altsl.  galica,  russ.  galka, 
alb.  galt  , Dohle'  sich  :  serb.  galiti  se  .schwarz  worden'  stellt.  Vgl. 
noch  ahd.  täha,  lat.  monedula,  griech.  koKoiö?,  altpr.  kose  {coswarnis 
für  cohearnis  ^Saatkrähe'?),  lit.  kösas  , Dohle'.  Über  Beziehungen  des 
Rabengeschreis  zu  dem  Krähen  des  Haushahns  s.  u.  Hahn,  II  u  h  n. 
Über  den  Raben  als  heiligen  Vogel  des  Mithra,  Wodan,  Apollo  vgl. 
W.  Tomaschek  Kritik  d.  ältesten  Xachrichten  über  den  skythischen 
Norden  (Sitzungsb.  d.  kais.  Ak.  d.  W.  in  Wien  phil.-hist.  Kl.  CXVI, 
18  f.). 

Sperling:  griech.  ffirapdatov  öpveov  ^epepfcq  o*xpou6w  Hes.,  got. 
spanca,  ahd.  sparo:  griech.  cm^pfouXoq  •  öpviödpiov  ärpiov  Hes.,  altpr. 
spurglis,  spergla-wanag  ,Sperber'  („Sperlingshabicht").  Einzel- 
spr achlich:  griech.  aTpou0ö?  (von  einigen  :  lit.  strdzdas  , Drossel' 
gestellt),  \&t.  passer  (kaum  =  mbd.  spatz),  altsl.  vrabij  (vgl.  lit  ztoirblis), 
korn.  goluan,  kambr.  golfan,  arem.  golvan. 

Star:  lat.  sturnus,  ahd.  stdra,  altn.  stare;  griech.  tpdp,  alts.  sprdla(?). 
Einzelsprachlich:  altsl.  skvoriel  (woraus  alb.  zbordk  »Sperling'?). 

Stieglitz,  s.  Finke. 

Wiedehopf:  griech.  €rroi|i,  lat.  upupa  (vgl.  auch  altsl.  vüdodü  und 
npers.  püpü,  kurd.  papü  etc.,  alles  onomatopoietisch. 
Zeisig,  s.  Finke. 

Die  Beschränkung  fast  aller  dieser  Gleichungen  auf  die  europäischen 
Sprachen  findet  ihre  Entsprechung  in  der  Terminologie  der  Wald- 
bäume  (s.  d.),  die  den  Wohnsitz  der  meisten  der  genannten  Vögel 
bilden.  Merkwürdig  ist  auch,  das»  gerade  die  beiden  berühmtesten 
unserer  Sänger,  die  Nachtigall  und  die  Lerche,  keine  Spur  von 
Übereinstimmung  in  ihren  Namen,  auch  nicht  in  den  europäischen 
Sprachen  zeigen.  Ohne  Zweifel  war  das  Ohr  der  Indogermanen  noch 
zu  unempfindsam,  als  dass  der  Gesang  jener  den  gebildeten  Menschen 
durch  ihr  Lied  entzückenden  Vögel  den  damaligen  Hörer  zu  einer 
individuellen  Bezeichnung  hätte  anregen  können  (s.  auch  über  die 
sprachliche  Ausbildung  des  Begriffes  ,Gesang'  u.  Dichtkunst, 
Dichter). 

Die  Nachtigall  heisst  griech.  dnbwv  :  ddbw  ,siugc',  lat.  luscinia, 
im  ersten  Teil  dunkel,  im  zweiten:  canere,  ahd.  nahtigala  :  galan 
,singen',  altsl.  slavij,  altpr.  solowia  :  russ.  solocoj  ,isabellgelb'  (vgl. 
griech.  xta>pn?c  ünbwvi,  lit.  htksztiftgala  :  laksztyü  ,flattern'.  Wie  mau 

Schräder,  Reallexikon.  49 


Digitized  by  Google 


770 


Singvögel  —  Sippe. 


sieht,  erlischt  gegen  Osteuropa  hin  die  Beziehung:  zu  dem  Gesang  des 
Vogels  vollständig.  —  Die  Lerche,  die  von  den  Alten  weder  als 
Frühlingsbote,  noch  als  .Sängerin  gefeiert  wird,  hat  im  Griechischen 
einen  einheimischen  Namen:  KÖpuboq,  KOpubaXXöq  .Haubculerchc'  (vgl. 
griech.  KÖpuq  .Helm'  und  lit.  kudjjs  :  ktidas).  Die  Römer  dagegen  be- 
nennen den  Vogel  mit  einem  gallischen  Wort  alattda,  das  jedoch  in 
den  keltischen  Sprachen  selbst  noch  nicht  mit  .Sicherheit  nachgewiesen 
worden  ist.  Vgl.  noch  ahd.  Ivrahha*  agls.  Idwrice,  lit.  ict/turf/x  und 
treicersfts,  altpr.  ttencirsis,  altsl.  xkorranici.  —  Auch  fUr  die  Schwalbe 
fehlt  es  an  einem  gemeinsamen  Namen.  Sie  heisst  griech.  x^'bwv, 
lat.  hirundo  (die  früher  angenommene  Verwandtschaft  beider  Wörter 
ist  nicht  haltbar),  ahd.  sicalaica  ,s.  u.  Eisvogel),  kclt.  *canneh-, 
ir.  fttnnall,  kymr.  gwennaici  frz.  tanneau  .Kibit/.  Vi,  altsl.  lantovica 
:  lit.  lakxtyti  ,Hattern',  lit.  kregz'dt,  lett.  xirire,  cigentl.  ,Schweberin'. 

Die  Bedeutungskategorien,  denen  die  Namen  der  Singvögel,  soweit 
sie  etymologisch  klar  sind,  entstammen,  sind  demnach  sehr  verschieden. 
Es  kommen  hauptsächlich  in  Betracht:  1.  die  Farbe  (z.  B.  altpr. 
solairix  , Nachtigall  ,  cigentl.  ,die  gelbe  ;  vgl.  noch  griech.  x^wpiov 
, Ammer'  :  x^wp°S  £elb'  oder  altpr.  sineco,  russ.  xiniai  , Meise'  :  altsl. 
sinn  ,blau';  2.  der  Gesang,  indem  der  Vogel  entweder  als  Sänger, 
Pfeifer.  Zwitscherer  (griech.  än,bwv  , Nachtigall',  lit.  sztcilpökas  , Amsel', 
Omla  ,Fink  )  bezeichnet,  oder  sein  Name  onomatopoietiseh  gebildet 
wird  (griech.  KÖpa£  ,Rabe',  enoiy  , Wiedehopf);  :$.  Flug  und  Be- 
wegungen (lit.  lak.szthlgala  , Nachtigall',  cigentl.  .Flauerer',  altsl. 
laxtovica  ,Sehwalhc'  desgl.,  griech.  o"eio*OTruYiq  ,Baehstelze ');  4.  die 
Nahrung  (mhd.  kranewittogel;  vgl.  auch  ahd.  amero,  amerinc  , Ammer' 
:  ahd.  amar  ,Sommerdinkel\  russ.  ovssjanka  id.  :  ovi:stl  , Hafer').  Von 
diesen  Gesichtspunkten  aus  würde  also  die  Deutung  der  grossen  Mehr- 
zahl noch  dunkler  Singvögelnamen  zu  versuchen  scki.  —  Reichliches 
(freilich  vielfach  nicht  zuverlässiges  und  falsch  gedeutetes)  Material 
bei  v.  Edlinger  Erklärung  der  Tiernamen  Landshut  1K86. 

Sippe.  U.  Familie  ist  gezeigt  worden,  dass  wir  für  die  gesell- 
schaftliche Organisation  der  idg.  Urzeit  von  dem  Begriffe  der  Gross - 
familic  oder  Hausgemeinschaft  auszugehen  haben,  d.  h.  von  einer 
Anzahl  räumlich  verbundener,  nächstverwandter  Menschen,  welche  unter 
der  absoluten  Regierungsgcwalt  eines  Hausherrn  (*dem -s-poti)  standen, 
dem  zugleich  ein  unbeschränktes  Verwaltungsrecht  des  gemeinsamen 
Familiengutcs  zukam.  Verhältnismässig  am  reinsten  hat  sich  diese 
Familicngcstaltnng  in  Europa  bis  in  die  Gegenwart  bei  den  Südslaven 
erhalten,  und  es  wird  daher  gut  sein,  hier,  wo  die  Weiterentfaltung 
der  idg.  Familie  dargestellt  werden  soll,  den  Ausgangspunkt  bei  den- 
selben Völkern  zu  suchen. 

Die  Mittelstufe  zwischen  der  Hausgemeinschaft  (zadruga)  und  dem 
Stamm  (pfeme)  ist  bei  den  Südslaven  das  brat.stvo  „die  Brüderschaft" 


Digitized  by  Google 


Sippe. 


771 


<:  altsl.  bratü  .Bruder).  Ein  bratstvo  entstellt  (vgl.  für  das  folgende 
F.  Krauss  Sitte  und  Krauch  der  Südsl.  S.  32  IT.),  wenn  blutsverwandte 
Brüder  aus  einer  Hausgemeinschaft  ausscheiden,  aber  noch  unter  ein- 
ander auf  gleichem  Grund  und  Hoden  eine  politische  (territoriale)  und 
sakrale  (gemeinschaftlicher  Schutzheiliger)  Vereinigung  bilden.  Die 
einstige  Feldgemeinschaft  des  bratstvo  (S.  23)  beweist  das  noch  jetzt 
bestehende  gemeinsame  Eigentum  in  Bezug  auf  Kirche,  Friedhot', 
Weideplätze.  Mehl-  und  Stamptmühlen.  Jedes  br.  weist  eine  Stamm- 
sage  auf,  die  den  Urahn  verherrlicht.  Der  Name  des  br.  ist  von  dem 
Ahnherrn  desselben  abgeleitet  und  wird  dem  vollständigen  Namen  des 
Individuums  beigefügt. 

Die  Zahl  der  Mitglieder  eines  br.  schwankt  zwischen  30—800,  wo- 
bei jedoch  nur  die  waffenfähigen  Männer  gezählt  werden.  Diese 
kämpfen  in  der  Sehlacht  unter  einander  vereinigt.  Das  Haupt  des 
br.  wird  von  den  brätst  venici  gewählt.  Er  ist  Anführer  des  ^.-Kon- 
tingents im  Kriege,  im  Frieden  der  politische  Vertreter,  teilweis 
Kichter,  Leiter  der  öffentlichen  Versammlungen,  in  denen  nur  die  Haus- 
vorstitnde  Sitz  und  Stimme  haben.  Das  br.  bewohnt,  je  nach  seiner 
Seelenzahl,  ein  oder  mehrere  Dörfer  in  der  Regel  ausschliesslich.  Die 
bratstvenici  betrachten  sich  in  jeder  Weise  als  zusammengehörig.  Dies 
tritt  besonders  in  der  Ausübung  der  Blutrache  hervor.  Heiraten  inner 
halb  eines  br.  scheinen  ursprünglich  nicht  üblich  gewesen  zu  sein. 
Durch  eine  Heirat  werden  alle  bratstsvenici  des  jungen  Weibes  prija- 
telji  .Freunde'  des  br.  des  Mannes.  Die  Institution  des  br.  besteht 
gegenwärtig  nur  noch  in  der  Herzegovinn,  der  Crnagora  und  in  der 
Bocca  di  Cattaro.  In  der  Lika  hat  das  br.  jetzt  nur  noch  eiue  sakrale 
Bedeutung  als  eine  Geineinschaft  verwandter  Familien,  die  ein  und 
denselben  Schutzheiligen  verehren. 

Es  lässt  sich  nun  unschwer  zeigen,  dass  die  bei  den  Süd- 
slaven noch  heute  lebendigen  charakteristischen  Eigen- 
schaften des  bratstvo  im  ganzen  oder  vereinzelt  in  längst 
untergegangeneu,  ohne  Zweifel  dem  br.  ursprünglich  ent- 
sprechenden Bildungen  der  i  d  g.  V  ö  I  k  e  r  w  c  1 1  wieder- 
kehren. Dies  gilt  zunächst  von  der  germanischen  Sippe  (got.iribja, 
knaps,  ahd.  fara,  chunni  u.  s.  w,).  Die  germanische  Stammsage  (Tac. 
Germ.  Cap.  2)  denkt  sich  die  Gemeinschaft  der  Westgermanen  als  eine 
Fraternität:  aus  einer  ursprünglichen  Hausgemeinschaft  (der  des 
Mannus)  sind  drei  Brüder  ausgeschieden,  von  denen  die  Ingväonen,  Ist- 
väonen  und  Herminonen  sich  ableiten.  Wie  das  br.,  ist  die  Sippe  eine 
militärische  Einheit  (vgl.  Tacitus  Germ.  Cap.  7:  Xon  casus  nec  fortuita 
conglobatio  turmam  aut  cuneum  facit,  sed  familiae  et  propinquitates 
Die  agls.  moegh  kämpft  noch  nach  dem  Beowulf  v.  2887  (ed.  Heyne 
4.  Aufl.)  vereinigt  und  haftet  für  das  Verhalten  des  mag  im  Kriege. 
Die  Sippe  ist  ferner  eine  Wirtsc  h  aftsge  nossenschaft,  wie  es  Caesar 


Digitized  by  Google 


772 


Sippe. 


VI,  22  (Xeque  qttisquam  agri  modum  certurn  aut  ßnes  habet  proprios-, 
sed  magistratus  ac  principe«  in  anno*  singulos  gentibus  cognationi- 
busque  hominum,  qui  tum  una  coierunt,  quantum  et  quo  loco  visum 
est,  agri  attribuunt)  bezeugt.  AYic  die  bratstrenici,  nehmen  die  Sippen- 
genossen teil  an  der  Verfolgung  oder  Busse  im  Falle  der  Blutrache. 
Sie  führen  einen  gemeinsamen  Namen,  der  durch  das^uftix  inga 
von  dem  des  Stammvaters  der  Sippe  abgeleitet  ist  (altn.  Ylfingar,  agls. 
Wylfinga*,  mhd.  Wülßnge).  Gemeinsame  Stammsagen  erheben  diesen 
Stammvater  in  die  Reihe  der  Halbgötter  (Jordanis  Cap.  13:  Iam  pro- 
ceres  mos,  quortim  quasi  fortuna  vincebant,  non  puros  homines,  sed 
semideos,  id  est  ansis,  vocarerunt). 

Bei  den  klassischen  Völkern  ist  einerseits  von  den  griechischen 
Begriffen  epparpia  und  Y€'voq,  andererseits  von  der  lateinischen  gens  zu 
handeln.  Das  griech.  <ppcrrpia  =  altsl.  bratrlja  ,fratres'  ist  eine  Kollcktiv- 
bildung  von  dem  idg.  Worte  für  Bruder  und  bedeutet  also,  wie  das 
slav.  bratstvo,  eine  Vereinigung  von  Brüdern.  Daneben  liegt  ion. 
cppr|Tpr|,  von  q>pnrr|p  gebildet,  wie  Trdipa  , Familie'  von  Ttairip.  Diese 
(ppnrpn,  wird  bei  Homer  deutlich  als  die  Unterabteilung  des  <pöXov 
(entsprechend  dem  slav.  pleme)  bezeichnet  und  ist  ursprünglich  nichts 
als  eine  Gemeinschaft  von  Brüdern  gehöriger  Hausgemeinschaften 
(£o"riai).  „Nur  der",  sagt  Nestor  II.  IX,  63  „kann  den  jammervollen 
Bürgerkrieg  lieben,  der  ohne  qppnrpn,  (dqppnrwp)  und  ohne  iai'xa  (dv€0*- 
tios)  ist  oder  sie  verachtet"  (vgl.  got.  umibis  ,dvouo?').  Im  Kriege 
stehen  die  Mitglieder  der  Brüderschaft,  wie  die  südsl.  bratstrenici  oder 
die  germanische  Magschaft,  neben  einander: 

Kptv'  dvbpa<;  KCtTO  qpöXa,  Katd  <ppr|Tpa£, 
\bc,  qppriTpn  <PPUTpn.q>i  aPHT^I»  <pöXa  be  cpuXoiq, 
so  rät  der  reisige  Nestor  II.  II,  362  dem  Agamemnon;  Auch  hier 
müRsen  ursprünglich  die  <ppdtTop€<;  oder  (ppdrepe?  den  Satzungen  der 
Blutrache  handelnd  und  leidend  unterworfen  gewesen  sein.  Noch  das 
von  Dcmosthenes  'in  Macart.  p.  1061*)  herangezogene  Gesetz  (npo€iTT€Tv 
tüj  KTcivavxi  iv  dfopä  ^VTÖ?  äveipiÖTnjos.  o*uvbitÜK€iv  bi  Kai  dvcipiwv 
fratbas  Kai  YaMßpoi'S  Kai  TT€v6€pous  Kai  (ppdrepa?)  räumt  der  Phratrie 
trotz  der  damals  längst  eingetreteneu  Verschiebung  ihrer  Basis  ein 
bevorzugtes  Anklagerecht  in  Mordsachen  ein.  Bei  Homer  werden  die 
<ppr|Top€?  allerdings  nicht  ausdrücklich  als  Bluträcher  genannt,  sie 
werden  unter  den  Fc'toi  mitverstanden  sein,  die  neben  den  Kao*itvnxoi 
als  solche  genannt  werden.  Sicherlich  liegt  dieses  Ferai  (*aF€-Tä, 
s.u.Blutrache)  dem  kretischen  diaipia  zu  Grunde,  wie  im  Recht  von 
Gortyn  die  der  Phratrie  entsprechende  Unterabteilung  der  qpuXn.  heisst. 

Der  Gedanke,  dass  die  Phratrie  eine  auf  Blutsverwandtschaft 
beruhende  Organisation  sei,  ist  im  Verlauf  der  griechischen  Geschichte 
mehr  und  mehr  in  den  Hintergrund  getreten.  Deutlicher  hat  sich  der- 
selbe bei  den  revri  oder  Geschlechtern  erhalten,  von  denen  nach  dem 


Digitized  by  Google 


Sippe. 


773 


altattischcn  Schema  30  auf  die  Phratric  gerechnet  werden.  Diese  Ge- 
schlechter nennen  sich  fortdauernd  (mittels  des  Patronymsuffixes  -ibns, 
-idorisi  nach  dem  Manne,  von  dem  sie  wirklich  oder  angeblich  ab- 
stammen. Er  ist  der  gemeinsam  verehrte  Ahn  des  Geschlechtes.  So 
verehren  die  Alkmeoniden  den  Alkmeon,  die  Talthybiadeu  den  Tal- 
thybios  u.  s.  w.  Es  ist  nicht  leicht,  sprachlich  und  sachlich  das  Ver- 
hältnis von  fevo?  :  qppnipn  zu  beurteilen.  Man  kann  sagen,  dass  mit 
T^vo<;  eine  Anzahl  verwandter  Menschen  im  Hinblick  auf  die  gemein- 
schaftliche Aszendcnz,  mit  (ppnjpn,  im  Hinblick  auf  die  kollatcrale  Aus- 
dehnung bezeichnet  wurde.  In  T^voq  liegt  der  weitere  Begriff  vor: 
<puXr|  {südsl.  pleme),  qppnTpn  'südsl.  hratstvo)  und  TrdtTpa  (südsl.  zadruga) 
sind  ursprünglich  in  gleicher  Weise  t*'vn.  gewesen.  Je  mehr  nun,  so 
kann  mau  sich  die  Weiterentwicklung  dieser  Gedankenreihen  vor- 
stellen, fremde  Elemente  in  die  Phratric,  die  sich,  wie  an  mehreren 
Stellen  das  slavische  hratstvo  (s.  o.),  immer  mehr  zu  einer  bloss  sa- 
kralen und,  man  könnte  sagen,  standesamtlichen  Genossenschaft  um- 
bildete, eindraugen,  umso  mehr  beschränkte  sich  der  Hegriff  des  fivoq 
auf  die  in  der  Phratric  altansässigcn  Hausgemeinschaften,  ndTpai, 
Familien,  von  denen  eine  der  ganzen  Phratric  den  Namen  gab.  Man 
unterscheidet  nun  in  der  Phratrie  wirkliche  •ftwnjai  (auch  öuoväXaKTcq 
genannt  „solche  die  den  Seeleu  der  Verstorbenen  gemeinsam  Mileh- 
opfer  darbringen",  vgl.  sert.  sa-pinda  ,Klossgenosse  '?)  und  öpY€ti>V€<;, 
blosse  Kultgenossenschaftcn. 

Wie  aus  der  südslavisehcn  zadruga  das  hratstvo,  aus  der  germa- 
nischen Hausgemeinschaft  (s.  den  Stamm  *Mwa  u.  Familie)  die 
Sippe,  aus  der  griechischen  Trompet  die  <ppnxpr|,  so  ist  aus  der  römischen 
familia  (genauer  ans  der  Gruppe  von  Personen,  die  aus  dem  pater 
familias  und  den  sui  gebildet  wird)  die  gens  (*genti-  :  gigno,  gentts) 
erwachsen.  Das  Haus  umfasst  die  in  der  Gewalt  eines  lebenden  As- 
zendenten vereinigten  Freien,  das  Geschlecht  Freie,  welche  in  einer 
solchen  vereinigt  sein  würden,  wenn  keine  Todesfälle  eingetreten  wären 
(vgl.  Mommsen  Röm.  Staatsrecht  III,  1;  9ff.).  Das  Kennzeichen  des 
Geschlechts  ist  das  nomen  gentile,  der  Name  des  gemeinsamen  Ahn- 
herrn, der  ebenso  wie  der  Name  des  hratstvo  dem  Individuum  anhaftet: 
Qu.  Fahim  Quinti  ist  Quintus  aus  dem  Fabischen  Geschlecht  in  des 
Qu.  potestas.  Die  Gcschlechtsgenosscn  heissen  gentiles,  auch  patres 
, Hausväter'.  Von  der  Stärke  einer  gern,  wie  auch  von  ihrer  inneren 
Geschlossenheit  und  ihrer  Handlungsfähigkeit  nach  Aussen,  legt  der 
Kampf  und  Untergang  der  30(3  Fabicr  an  der  Cremera  ein  beredtes 
Zeugnis  ab.  Wie  durch  die  Gemeinschaft  des  Namens,  werden  die 
Gentilen  durch  gemeinsame  sacra  und  gemeinsame  Begräbnisse  (s.  n. 
Friedhof)  verbunden.  Ihr  gegenseitiges  Erbrecht  (XII  Tafeln:  si 
adgnatus  nec  escit,  gentiles  familiam  habento)  und  ihre  gegenseitige 
Unterstützungspflicht  in  sozialer  und  juristischer  Hinsicht  eröffnen  den 


Digitized  by  Google 


774 


Sippe. 


Blick  in  eine  Zeit,  wo  die  Gens  noch  in  Wirtschaftsgemeinschaft  lebte 
und  gemeinsam  für  den  Unterhalt  der  Genossen  sorgte,  über  den 
princep«  gentis  und  die  Strafgewalt  gegenüber  ihren  Mitgliedern  s.  u. 
(vgl.  Brunnenmeister  Das  Tötungsverbrechen  S.  92  ff.). 

Auch  bei  den  keltischen  Völkern  tritt  die  selbständige  Bedeutung 
des  Geschlechts  i*kenetlo-n,  ir.  eentl,  altkyinr.  cenetl)  auf  Schritt  und 
Tritt  hervor.  Für  die  Kymren  ist  hierfür  auf  Walter  Da8  alte  Wales 
JS.  1 35  ff.,  für  die  Iren  auf  Maine  Early  history  of  institutions  zu  ver- 
weisen. In  Freude  und  Leid,  beim  Spiel  und  beim  Krieg  tritt  die 
Gesehlechtsgenossensehaft  uuter  ihrem  Haupt  (kymr.  pencenedl)  ge- 
schlossen auf.  Vgl.  Girald.  Cambriae  descr.  Cap.  10:  Per  turhax  igitttr 
et  familia»  capite  sibi  praefecto  gentia  hu  tun  iuventu*  incedit,  solum 
armi*  et  otio  data,  patriaeqne  defensioni  promptissima.  Hierzu  nehme 
man,  was  noch  W.  Scott  im  Waverlcy  von  den  keltischen  Schotten  er- 
zählt iJioth  line*  teere  note  moring  foncard,  the  first  prepared  for 
instant  combat.  The  clans  of  which  it  teas  composed,  formed 
euch  a  »ort  of  separate  phalanx ,  narroic  in  front,  and  in 
depth  ten,  ticelve,  or  fifteen  fies,  aecording  to  the  strength  of  the 
folloicing),  um,  wie  bei  dem  slavischen  brat*ro,  fast  an  der  Sehwelle 
der  Gegenwart  auf  taeiteische  oder  homerische  Zustände  zu  treffen. 
Noch  erübrigt  es,  einen  Blick  auf  die  arischen  Verhältnisse  zu  werfen, 
für  die  die  iranischen  Zustände  besonders  lehrreich  sind.  Nach 
Heroilot  (I,  125)  zerfallen  die  Perser  in  zahlreiche  (nach  anderen 
Quellen  in  12)  fiwr]  (man  beachte  den  Gebrauch  des  Wortes  int  Sinne 
von  ,Stamm'),  wie  die  TTatfapTabai,  Mapäqnoi,  Mdamoi.  Diese  T*vrt 
teilen  sich  wieder  in  den  oben  erörterten  Begriff  der  <ppnrpr|,  das  hier 
noch  in  seiner  eigentlichsten  Bedeutung  gebraucht  ist.  Eine  solche 
<ppnrpr|  der  T7ao*apYäbai  waren  die  'Axcuuevibcu,  denen  die  Persischen 
Könige  entstammten.  In  der  Sprache  der  Keilinsehriften  heisst  eine 
solche  <ppr|Tpr|  rüh,  in  der  des  Awesta  rw-,  über  das  man  folgende 
Sätze  aus  W.  Geigers  Ostiraniseher  Kultur  Cap.  VII  vergleiche:  „Im 
ostiranischen  Staat  bildet  die  Familie  [nmdna-]  die  zu  Grunde  liegende 
Einheit  für  die  politische  Gliederung  des  Volkes.  Aus  einer  Anzahl 
verwandter  Familien  setzt  sich  das  Geschlecht  [vis-]  zusammen,  aus 
mehreren  Geschlechtern  der  Stamm  [zaMu-\  ....  Das  ostiranische 
Dorf  war  ein  Gcschlcchterdorf.  Es  bestand  aus  mehreren  Gehörten, 
deren  jedes  von  einer  Familie  bewohnt  war  ....  Die  Geschlechter 
oder  Vis  führen  ihre  Herkunft  auf  einen  allen  zugehörigen  Familien 
gemeinsamen  Ahnen  zurück.    Nach  seinem  Namen  benannte  sich  das 

ganze  Geschlecht   Auch  im  Kriege  bildet  die  Familie  die 

Einheit  des  Volkes  in  Waffen.  Familie  kämpft  neben  Familie, 
Geschlecht  neben  Geschlecht.'1 

Ganz  der  altirauischcn,  bei  Völkern  wie  den  Afghanen  bis  in  die 
Gegenwart  erhaltenen  Stammesverfassung  rauss  die  altindische  eut- 


Digitized  by  Google 


Sippe. 


775 


8prnchen  haben.  Zur  Zeit  der  Vcden  zerfällt  die  arische  Bevölkerung 
Indiens  in  eine  Anzahl  von  Stämmen  f  jdna-),  die  sich  wieder  in  v'tq  as 
—  aw.  vis-,  altp.  vid-  gliedern.  Als  deren  Unterabteilungen  wieder 
werden  grd'ma-  ,Dorf,  vrjäna-  ,Gemeinde",  jdnman-  , Verwandtschaft' 
bezeichnet.  Doch  ist  gerade  hier  die  Terminologie  besonders  flüssig, 
und  etwas  näheres  Uber  die  soziale  Gliederung  der  ältesten  Inder  er- 
fahren wir  nicht.  Mit  besonderer  Deutlichkeit  tritt  aber  auch  im  Rigveda 
die  Verwendung  der  verwandtschaftlichen  Verbände  als  Abteilungen 
des  Heeres  uns  entgegen,  wie  denn  Rigv.  X,  42,  10  die  kriegerischen 
Abteilungen  iura'-)  der  i/'c-  geradezu  als  mbandhacas  ,dureh  Verwandt- 
schaft verbunden'  bezeichnet  werden.  Vgl.  Zimmer  Altind.  Leben 
S.  lf>8  und  E.  .Senart  Les  castes  dans  l  inde  (Revue  des  deux  mondes 
T.  125  S.  333  ff.). 

Aus  dem  vorhergehenden  ergiebt  sich,  dass  eine  aus  dem  Familieu- 
verband  (Hausgenossenschaft,  Grossfamilie)  hervorgegangene  verwandt- 
schaftliehe Organisation  von  hoher  militärischer,  wirtschaftlicher  und 
religiöser  Bedeutung,  für  welche  man  am  besten  den  germanischen 
Namen  Sippe  gebrauchen  wird,  als  indogermanisch  anzusetzen  ist. 
Diese  allgemeine  Erkenntnis  wird  im  Folgenden  nach  verschiedenen 
Seiten  zu  vertiefen  sein,  indem  I.  über  den  der  idg.  Sippe  zu  Grunde 
liegenden  Verwandtschaftsgedanken;  11.  über  ihre  vorhistorischen 
Benennungen  und  «leren  Sinn;  III.  Uber  ihre  wirtschaftliche  Be- 
deutung; IV.  Uber  die  Regierungsgewalt  Uber  die  Sippe  und  die 
Sippenversammlnng  noch  besonders  gehandelt  werden  soll. 

I.  Der  der  idg.  Sippe  zu  Grunde  liegende  Vcrwandtschafts- 

g  e  d  a  n  k  e. 

In  seinem  Buche  Die  Formen  der  Familie  und  die  Formen  der 
Wirtschaft  (Freiburg  i.  B.  u.  Leipzig  1896)  erläutert  (S.  10  f.)  E.  Grosse 
den  Begriff  der  Sippe  in  folgender  Weise:  „Eine  Sippe  ist  eine  Gruppe 
von  Personen,  welche  sich  durch  gemeinsame  Abstammung  verbunden 
fühlen.  Während  sich  die  Sonderfamilie  und  die  Grossfamilie  nur  in 
einer  Linie  erstrecken,  breitet  sich  die  Sippe  flächenartig  auch  Uber 
die  Seitenlinien  und  ihre  Verzweigungen  aus.  Ihre  Ausdehnung  wird 
indessen  in  der  Regel  dadurch  eingeschränkt,  dass  man  die  väterliche 
und  die  mütterliche  Abstammung  nicht  zugleich,  sondern  nur  die  eine 
von  ihnen  beachtet.  Eine  Sippe,  welche  sich  allein  auf  die  Gemein- 
schaft des  väterlichen  Blutes  gründet,  welche  also  alle  Verwandten 
mütterlicher  Seite  ausschlicsst,  nennen  wir  eine  Vatersippe  .  .  .  . 
Eine  Sippe  dagegen,  welche  sich  auf  die  Gemeinschaft  des  mütter- 
lichen Blutes  gründet,  welche  also  die  Verwandtschaft  von  väterlicher 
Seite  nicht  berücksichtigt,  nennen  wir  eine  M  u  1 1  e  r  s  i  p  p  eu.  Über- 
tragen wir  dies  auf  die  Indogermanen,  so  liegt  auf  der  Hand,  dass 
die  idg.  Sippe  entweder  eine  vaterrechtliche  oder  eine  mutterrechtliche 


Digitized  by  Google 


776 


Sippe. 


gewesen  sein  muss.  Auf  keinen  Fall  kann  sie  beides  zugleich  ge- 
wesen sein,  denn  da  wir  oben  die  idg.  Sippe  als  eine  in  Krieg  und 
Frieden  räumlich  abgegrenzte  Gemeinschaft  von  Verwandten  kennen 
gelernt  haben,  so  ist  es  luce  darin*,  das»,  wenn  gleichzeitig  die 
väterliche  n  n  d  die  mütterliche  Verwandtschaft  massgebend  für  die 
Zugehörigkeit  zu  einer  Sippe  gewesen  wäre,  die  Geschlossenheit  der- 
selben auch  nicht  e  i  n  Mensehenalter  tiberdauert  hätte.  Da  nun  ferner 
ein  einziger  Blick  auf  Gestaltungen  wie  das  sttdslavischc  bratstvo  oder 
die  lateinische  gern  genügt,  um  zu  /.eigen,  das«  bei  den  Indogermancu 
von  einer  einseitigen  Berücksichtigung  der  mütterlichen  Verwandtschaft 
nicht  die  Rede  gewesen  sein  kann,  so  folgt  aus  alledem  mit  völliger 
Bestimmtheit,  dass  die  Indogermanen  in  Vatersippen  lebten.  Was 
bereits  Gierke  in  seiner  Rechtsgeschichte  der  deutschen  Genossenschaft 
Berlin  1868  und  Rosin  in  seiner  Schrift  Begriff  der  Sehwertmagen 
Breslau  1877  für  die  deutsche  Sippe  mit  Recht  angenommen  haben, 
dass  nämlich  „das  Prinzip  der  Magschaft  im  ältesten  Rechte  nicht  die 
Idee  der  unterschiedslosen  Blutsverwandtschaft,  die  nie  die  Einheit  des 
Geschlecht«  erhalten  könne,  gewesen  sei,  sondern  die  ans  der  Gestaltung 
der  Genossenschaft  mit  Notwendigkeit  sieh  ergebende  der  Agnation, 
der  Verwandtschaft  durch  Männer",  gilt  voll  und  ganz  auch  für 
die  idg.  Urzeit,  also  auch  für  die  Vorgeschichte  der  Inder,  Griechen 
u.  s.  w.  Da  aber  die  Sippe  nichts  anderes  als  die  erweiterte  Familie 
darstellt,  so  folgt  aus  dem  aguutischen  Aufbau  der  erstcren  auch  der 
agnatischc  Aufbau  der  letzteren,  und  u.  Familie  ist  gezeigt  worden, 
dass  die  sprachlichen  und  sonstigen  Thatsachcn  sich  ausschliesslich  mit 
dieser  Anschauung  vereinigen  lassen.  So  stützt  das  eine  das  andere.  — 
S.  auch  u.  Erbsehaft,  Seh wiegerschaf ten  und  Mutterrecht. 

II.  Die  vorhistorischen  Benennungen  der  idg.  Sippe. 

1.  sert.  r/c-,  altp.  r/7>-,  aw.  vis-,  gricch.  Fik  (in  TpixotiKC?,  vgl.  Od. 
XIX,  177:  Aiopi^e?  T€  Tp»xäiK€<;  und  Hcsiod  frgm.  VII:  irävtec,  b€ 
Tpixäi'icet  KaXeoviai,  ouveKa  Tpiao*f|v  "xdiav  dicäq  narpu.«;  £bäo"avro;  auch 
0pr|-FiK€<;,  0pr|iKe?V),  lat.  r/c«*,  altsl.  eist,  lit.  wtäxz-  (in  wiisz-pats 
^souveräner  Herr  ,  wiiszkelitt  ,Landstras«c'  und  wieszüti  ,zu  Gaste  sein  ), 
got.  teeihs,  ir.  fich  (korn.  gwic),  alb.  vise.  Die  ursprüngliche  Bedeutung  hat 
sich  am  treusten  im  Iranischen  (s.  o.)  erhalten.  In  den  europäischen 
Sprachen  ist  das  Wort  in  naturgemässer  Entwicklung  in  die  Bedeutung 
von  ,Geschlechtsdnrf,  ,Dorf  (s.  d.)  vielfach  umgeschlagen.  Das  auf 
einer  anderen  Ablautstufe  (gegenüber  *vlk-,  *veik  )  stehende  sert.  veqd- 
—  griech.  oko?  (vgl.  auch  altpr.  waispattin  , Hausfrau')  bezeichnet  mehr 
den  engeren  Begriff  ,Haus',  während  sert.  r/c-  (s.  o.)  und  gricch.  Fik- 
sieb  der  weiteren  Bedeutung  von  ,Stamm'  zu  nähern  scheinen.  Von 
Wichtigkeit  ist  ferner,  dass  von  dem  hier  behandelten  Stamme  auch 
eine  urzeitliche  Benennung  des  Geschlechts-  oder  Sippen  her  reu  in 


Digitized  by  Google 


Sippe. 


777 


aw.  ctepaiti-,  scrt.  vigpdti-  =  lit.  wiiszpats  (letzteres  jetzt  nur  von 
Gott  oder  einem  regierenden  Herrn  gebraucht),  id.  *vlk-poti-  vorliegt, 
die  in  ihrer  Bildung  also  genau  dem  u.  Familie  erörterten  *dem-x  poti- 
(b€0-TTÖTn.q/  .Herr  des  Hauses'  entspricht.  Die  dem  ganzen  Wortgesehleeht 
zu  Grunde  liegende  Vcrbalwurzel  ist  scrt.  r/c  .eintreten,  sich  nieder- 
lassen', so  dass  die  Sippe  als  die  gemeinschaftliche  N iederlassung 
verwandter  Mensehen  aufgefasst  ist. 

2.  Gcmeingerm.  got.  sibja,  ahd.  sippa  ,Sippe'  (vgl.  altn.  Sif  .Güttin 
<ler  Familie  und  Ehe  )  =  scrt.  sabhd'  , Versammlung*-,  Gemeindehaus 
(auch  .Spielhaus',  später  .Gerichtshof  ).  Got.  sibja  als  abgeleitet  von 
*sebd  —  scrt.  mbhä'  scheint  darauf  hinzuweisen,  dass  .Versammlung', 
,  Versammlungsort'  des  Geschlechts  die  ursprüngliche  Bedeutung  dieser 
Wörter  war  (s.  n.).  Vielleicht  gehören  auch  russ.  sjabr,  sjaber  .Nach- 
bar (eigentl.  .Sippengenosse',  vgl.  lat.  vicinus),  lit.  sebrast  .Gefährte, 
besonders  Teilnehmer  an  einem  Geschäft',  lett.  sebrs  .Freund'  etc.  hier- 
her (am  ausführlichsten  Uber  diese  Wörter  und  ihre  Entlehnung  ins 
Finnische  W.  Thomscn  Beröringer  S.  21.">f.  .  8.  auch  griech.  <piXo$ 
(aus  *0*<p-iXo-q?)  u.  Freund  und  Feind. 

3.  Eine  weitere  vorhistorische  Bezeichnung  der  Sippe  ergiebt  sich 
aus  der  Gleichung  lat.  pärl-icida),  parri-(cida)  aus  *pü*i  cida),  eigentl. 
,Sippenmördcr'  —  griech.  Tmo?  aus  *pdso-  »Verwandter*,  rcawTai  •  öuf 
Ycvtt?,  oineioi  lies,  und  langob.  fara  .generatio,  linea'  (Faul.  Diac.  II,  9): 
ahd.  (anal  .Junges",  .Nachkommenschaft',  altn.  fösull  ,fctus,  proles, 
8uboles"  von  lat.  pario  aus  *pasio.  Idg.  *pasd  .Sippe",  *päso-  ,/,ur 
Sippe  gehörig'.  Die  Vergleichnng  des  lateinischen  und  griechischen 
Wortes  stammt  von  Fröhde  B  B.  VIII,  164,  sie  ist  lautlich  einwand- 
frei und  kann  gegenwärtig  als  allgemein  angenommen  gelten  (vgl.  aus 
neuster  Zeit  K.  Brugmann  Grundriss  1*.  2  S.  801  und  G.  Meyer  (»riech. 
Gr.3  S.  3UU).  Sprachlieh  ganz  unmöglich  ist  die  Auffassung  des parri- 
cidium  als  .böse  Tötung',  ,argcr  Mord'  (vgl.  perdueliio,  periürus  etc.», 
obgleich  sie  noch  von  Mommsen  Strafrecht  S.  612  verteidigt  wird. 
Lat.  pdrkida  ist  also  der  , Sippenmörder',  d.  h.  ursprünglich,  der,  der 
einen  Sippeugcnosscn  ersehlagen  hat'.  Vgl.  darüber  Brunnenmeister 
Das  Tötuicrsverbrcchen  im  altröm.  Recht,  Leizig  1887  und  s.  u.  Mord 
und  Familie,  wo  in  ir.  fingal,  /ingalach,  ßngalcha  sachliche  und 
sprachliche  Analoga  zu  lat.  pdrictda,  pdricidium  beigebracht  sind. 
In  scmnsiologischer  Hinsieht  bleibt  zu  bemerken,  dass,  wenn  griech.  irr|ö$ 
auch  schon  bei  Homer;  den  aflinis  bezeichnet,  nach  den  obigen  Aus- 
führungen über  den  agnatischen  Charakter  der  idg.  Sippe  und  vor- 
historischen Verwandtschaft  überhaupt  hierin  eine  sekundäre  Bedeu- 
tungsentwicklung des  Wortes  vorliegen  muss.  Ganz  ebenso  ist  die  germa- 
nische Magschaft  ursprünglich  rein  agnatisch  gedacht,  und  doch  bedeutet 
got.  mig%y  altn.  mdgr  ^Schwiegersohn'.  Bei  der  altgermauischcn  fara 
schwanken  die  Ansichten,  ob  f'dra  oder  fära  anzusetzen  sei  (ersteres 


Digitized  by  Google 


778 


Sippe. 


nach  R.  Kögel  Z.  f.  deutsches  Altert.  XXXVII,  217  ff.,  letzteres  nach 
Henning  ebenda  S.  304  ff.).  Wahrscheinlich  ist  fdra  das  richtige.  Die 
Erklärung  aber  des  Wortes  durch  Henning  als  ., Fahrgenossenschaft" 
ifaran)  dürfte  an  Wahrscheinlichkeit  hinter  der  obigen  zurüekstehn, 
die  der  Übersetzung  von  fara  durch  generatio  gerecht  wird.  Selbst 
wenn  aber  mit  Kögel  gegen  Henning  altgcrmanisch  nicht  füra,  sondern 
fdra  jims  *fera  anzusetzen  wäre,  würde  doch  der  Hinweis  auf  Ablants- 
vorliältnissc  wie  ahd.  mägo  ,Mohn'  aus  *mego  =  griech.  ucikujv  oder 
ahd.  rtlba  aus  *rrha  —  lat.  rapa  ,Rübe'  die  Vergleichung  von  fara 
mit  griech .  nr\6<;  und  lat.  pdricida  rechtfertigen. 

4.  Dem  lat.  gen*,  St.  *genti-  entspricht  im  Indischen  unter  den 
Ableitungen  von  der  W.  jan  —  gigno  am  genauesten,  obgleich  in  der 
Wurzelsilbe  auf  anderer  Vokalstufe  stehend  fgnti-  :  *gnti-),  jdti-,  das, 
im  Rigveda  nicht  überliefert,  in  späterer  Zeit  der  technische  Ausdruck 
für  den  Begriff  der  Kaste  ist.  Hat  K.  Senart  in  der  Revue  des  deux 
niondes  (T.  121, 122, 125)  Recht,  diese  indischen  Kasten  mit  ihren  letzten 
Ausläufern  in  den  idg.  Sippen-  und  Familienverbänden  wurzeln  zu 
lassen,  so  würde  sich  eine  nicht  geringe  Wahrscheinlichkeit  dafür  er- 
geben, dass  lat.  geng,  srvt.jdti-  eine  schon  idg.  Bezeichnung  der  Sippe 
mit  ungefähr  gleichem  Sinne  wie  die  zuletzt  besprochene  Wortreihe 
darstellen. 

5.  Das  oft  genannte  südslavische  bratstco,  verglichen  mit  dem 
homerischen  (ppnjpri,  macht  es  wahrscheinlich,  dass  in  der  Urzeit  ein 
von  dem  idg.  Wort  für  Bruder  abgeleiteter  Ausdruck  für  Sippe  bestand, 
dessen  Form  sich  freilich  nicht  mit  Sicherheit  erschliessen  lässt.  Vgl. 
auch  ahd.  chnuot,  chnuosal  .Sippe'  :  griech.  tvuitös  ,consangineus", 
,  Bruder'. 

Mit  den  bisher  erörterten  Ausdrücken,  welche,  wie  gezeigt,  auf  die 
Grundbedeutungen  Niederlassung',  »Versammlung',  »Erzeugung'.  »Brüder- 
schaft' zurückgehen,  ist  aber  die  Zahl  alter  Bezeichnungen  der  Sippe 
nicht  erschöpft.  Da  die  letztere  im  wesentlichen  nichts  anderes  als 
die  auseinandergegangene  Familie,  die  Familie  aber  nichts  anderes  als 
die  zusammengebliebene  Sippe  ist,  so  liegt  es  auf  der  Hand,  dass  die 
Benennungen  beider  Begriffe  vielfach  in  eiuander  übergehen  mussteu. 
Schon  u.  Familie  ist  auf  eine  Reihe  von  Wörtern  wie  lat.  familia, 
slavisch  rodü,  ir.  ftne  n.  a.  verwiesen  worden,  die  sowohl  den  engeren 
wie  den  weiteren  Familienbegriff  bezeichnen.  Hier  könnte  noch  die 
weit  verbreitete  Reibe  von  sert.  ktila-  , Wohnsitz',  , Familie',  ^schlecht', 
lit.  kiltix(?),  lett.  zilts  »Geschlecht',  altsl.  celjadl  »Familie',  ir.  eland 
»Geschlecht,  Clan'  (unbekannter  Wurzelbedeutung)  genannt  werden.  Aus 
dem  Slavischen  wäre  etwa  noch  obistina  von  obü  ,circum'  und  iti  ,\rc\ 
also  eigentl.  .Versammlung',  aus  dem  Germanischen  das  spät  bezeugte 
gelihter  »Sippe,  Familie,  Zukunft,  Stand'  von  ahd.  Uhtar  ,matrix, 
Uterus'  anzuführen,  eine  Bildung,  die  insofern  bemerkenswert  ist,  als 


Digitized  by  Google 


Sippe. 


779 


sie  die  gemeinsame  Abstämmling  von  der  M  11 1 1  e  r  zum  Ausdruck 
bringt.    S.  auch  u.  Stamm. 

III.  Die  wirtschaftliche  Bedeutung  der  Sippe. 

In  seinem  oben  genannten  Buche  bat  E.  Grosse  lediglich  aus  der 
Beobachtung  der  noch  heute  bei  den  verschiedensten  Volkein  der  Erde 
herrschenden  Kultnrverhältuisse  nachgewiesen,  dass  auf  der  Stufe, 
welche  er  als  die  der  Viehzüchter  '„welche  die  Viehzucht  als  Hanpt- 
produktion  betreiben,  gleichviel  ob  sie  daneben  noch  Tiere  jagen  oder 
Pflanzen  sammeln  und  bauen14)  bezeichnet,  der  Begriff  der  Sippe  eine 
wichtige  Rolle  spielt  und  zwar  handelt  es  sich  dabei  fast  ausschliesslich 
um  Vatersippen;  „denn  nirgends  ist  das  vaterrecht  liehe  System  so 
einseitig  und  streng  ausgebildet  als  unter  den  Viehzüchtern".  Ihre 
hauptsächlichste  Bedeutung  findet  die  Sippe  hier  in  den  Zwecken  des 
Krieges,  der  Verteidigung  wie  des  Angriffs.  Zwar  ist  der  Grund  und 
Boden  —  während  das  Vieh  als  Sondereigentum  der  Familie  gehört  — 
in  dem  ganzen  Bereiche  der  Viehzucht  Gemeinbesitz  des  Stammes  oder 
der  Sippe.  Aber  da  derselbe  natürlich  nur  geringen  Wert  besitzt,  so 
tritt  die  Bedeutung  der  Sippe  als  einer  Wirtschaftsgemeinschaft 
im  Ganzen  noch  wenig  hervor.  Dies  ist  nun  in  hohem  Masse  der  Fall 
bei  derjenigen  Stufe,  welche  Grosse  die  der  niederen  Ackerbauer 
nennt.  Der  Boden  ist  auch  hier  Gemeineigentum  der  Sippe,  aber  er 
wird  nicht  nur  gemeinsam  verteidigt,  sondern  auch  gemeinsam  bear- 
beitet. Besonders  charakteristisch  ist  für  diese  Zustände  die  allmählich 
eintretende  Besserung  in  der  Stellung  der  Frau,  die  Grosse  zum  teil 
daher  ableitet,  dass  die  Frau  zu  dem  Geschäfte  des  Pflanzenbaus 
herangezogen  wird,  während  die  Viehzucht  ausschliessliche  Arbeit  der 
Männer  zu  sein  pflege.  Bei  den  niederen  Ackerbauern  finden  sich 
Vater-  wie  Muttersippen  in  gleicher  Weise  vertreten.  Ja,  es  scheint, 
dass  zuweilen  die  ersteren  aus  letzteren  hervorgegangen  sind. 

Die  Parallelen  für  die  Entwicklung  der  Indogermanen  sind  über- 
raschende, ü.  Viehzucht  nnd  u.  Ackerbau  ist  gezeigt  worden, 
dass  die  ungetrennten  Indogermanen  als  „Viehzüchter"  zu  bezeichnen 
sind.  Ein  agnatisches  Sippensystem  kommt  ihnen  also  schon  nach  den 
Regeln  der  vergleichenden  Kulturgeschichte  zu.  Ferner  geht  aus  dem 
obigen  hervor,  dass  die  militärische  Bedeutung  der  Sippe  bei  allen 
Indogermanen  zu  belegen  ist  und  zweifellos  in  der  fernsten  Urzeit 
wurzelt.  An  denselben  Stellen  ist  aber  auch  betont  worden,  dass  die 
europäischen  Indogermanen  noch  in  vorhistorischer  Zeit  dem  Acker- 
bau ein  grösseres  Gewicht  beigelegt  haben,  dass  sie  sich  also  der  Stufe 
genähert  haben,  welche  oben  als  die  der  niederen  Ackerbauer  be- 
zeichnet wurde.  So  tritt  uns  denn  auch  die  Sippe  als  eine  wirtschaft- 
liche Einheit  noch  an  vielen  Stellen  Europas  aufs  deutlichste  entgegen. 
Das  agnatische  Sippensystem  herrschte  natürlich  auch  unter  diesen 


Digitized  by  Google 


780 


Sippe. 


Verhältnissen  weiter.  Aber  sehr  frühzeitig-  macht  sich  doch  bei  den 
Einzelvölkern  eine  Berücksichtigung  auch  der  mütterlichen  Verwandt- 
schaft benierklieh.  S.  u.  Familie  und  Mutterrecht,  über  die  Be- 
ziehungen der  alteuropäischen  Frau  zur  Landwirtschaft  s.u.  Ackerbau. 

IV.  Die  Regierungsgewalt  über  die  idg.  Sippe  und  die 

S  i  p  p  e  n  v  e  r  s  a  m  m  1  u  n  g. 

Wir  haben  oben  in  idg.  *rik-poti-  den  ur/.eitlichen  Namen  des  idg. 
Geschlechtsherrn  kennen  gelernt,  der  in  seiner  Bildung  dein  idg.  *dem- 
s-poti-  .Herr  des  Hauses'  entspricht.  Es  würde  aber  irrig  sein,  aus 
diesem  Umstand  auch  auf  dieselbe  Regierungsgewalt  des  Sippen-  und 
des  Hausherrn  zu  schlicssen.  Im  Gegenteil  zeigt  sich,  dass  die  Stellung 
des  Geschlechtsherrn,  soweit  sich  dieselbe  noch  charakterisieren  lässt, 
kaum  eine  andere  als  die  eines  jjrimus  inter  pares  gewesen  ist.  Dies 
wird  namentlich  in  Hinblick  auf  die  südslavischen  und  römischen 
Verhältnisse  wahrscheinlich.  Das  Oberhaupt  des  bratstro  (glacar  : 
glaca  , Haupt',  starekina  ,der  alte'  etc.)  wird  von  den  bratxtvenici 
gemeinsam  gewählt.  Er  ist  befugt,  eine  allgemeine  Versammlung  aller 
bratateeiiici  einzuberufen,  in  der  er  den  Vorsitz  führt.  Er  ist  der  Ver- 
treter des  bratstvo  mich  innen  und  nach  aussen.  Im  Kriege  wird  ihm 
ein  Fahnenträger  beigegeben.  Eine  gewisse  richterliche  und  exekutive 
Gewalt  steht  ihm  zu  (vgl.  F.  S.  Krauss  a.  o.  a.  0.  S.  38).  Die 
eigentliche  Entscheidung  aber  über  die  Angelegenheiten  des  br.  fällen 
die  versammelten  Haudvorständc.  —  Auch  im  ältesten  Rom  muss  es 
ursprünglich  ein  Haupt  des  Geschlechtes  {vgl.  Mommscn  Röui.  Staats- 
recht III,  1;  17)  gegeben  haben,  das  seine  Wirksamkeit  verlor,  als  die 
gens  im  Staate  autging.  Aber  noch  in  historischer  Zeit  zeigt  sich  das 
Geschlecht  rso  durchaus  republikanisch  organisiert"  (vgl.  Ihering  nach 
Brunnenmeister  a.  a.  0.  S.  9ö»,  dass  die  Stellung  des  prineeps  gentis 
in  vorhistorischer  Zeit  kaum  eine  wesentlich  verschiedene  von  der  des 
südsl.  glacar  gewesen  sein  wird.  Den  Geutilen  kommt  noch  in 
historischer  Zeit  Strafgewalt  gegenüber  schuldigen  Genossen  zu.  die 
sich  am  schrotfsten  in  der  Ausstossung  des  Verbrechers  aus  der  Gens 
äussert.  Diese  Strafgewalt,  zusammen  mit  der  durch  sie  vorausge- 
setzten Strafgerichtsbarkeit,  kann  von  jeher  nur  bei  dem  Geschlecht 
selbst,  nicht  bei  dem  Vorsteher  desselben  geruht  haben. 

Vergleichend  verdient  bemerkt  zu  werden,  dass  auch  auf  der  Stufe 
der  „Viehzüchter"  (s.  o.)  die  einzelnen  patriarchalen  Familienhäupter 
ihrem  Schcikh  gegenüber,  der  nur  als  Feldherr  eine  wirkliche  Macht 
hat,  im  Frieden  eine  grosse  Selbständigkeit  gemessen  (vgl.  Grosse 
a.  a.  0.  S.  102  f.). 

Wir  sind  also  der  Meinung,  dass  in  der  idg.  Gesellschaftsordnung 
von  Haus  aus  z  w  e  i  entgegengesetzte  Regierungsprinzipien,  ein  m  o  - 
narchisch-patriarcliale8  und  ein  republikanisches  geherrscht 


Digitized  by  Google 


Sippe  —  Sommer. 


781 


haben,  ersteres  in  der  Hausgemeinschaft,  letzteres  in  der  .Sippe  geltend. 
Oder  mit  anderen  Worten:  wenn  aus  einer  bis  dahin  zusammenge- 
bliebenen Grossfamilie  ein  Teil  oder  Teile  ausschieden,  traten  die  neuen 
Häupter  derselben  zu  dem  Haupte  der  Stammfamilie  in  ein  mehr  neben- 
als  untergeordnetes  Verhältnis.  Die  Entscheidung  Uber  gemeinsame  An- 
gelegenheiten, die  Schlichtung  von  Streitigkeiten  innerhalb  der  Sippe, 
die  Bestrafung  schuldiger  Mitglieder  erfolgt,  soweit  die  patria  potestas 
der  einzelnen  Familienhäupter  dadurch  nicht  berührt  wird,  nunmehr  in 
der  unter  Leitung  des  Sippenherrn  stattfindenden  Sippenversammlung 
(*8ebhä).  Dem  Verhältnis  von  Sippenherrn  und  Sippenvcrsammlung 
entspricht  im  Stamme  das  von  König  (Stammcsherrn)  und  Volks- 
versammlung (Stammesversauimlung),  worüber  in  diesen  Artikeln 
ausführlicher  gehandelt  worden  ist.  —  S.  u.  Familie  und  Stamm. 
Sitte,  s.  Kecht. 

Sitze  der  Einzelvölker,  s.  Urheimat  der  Indogermanen. 

Sitzenbleiben  in  ungetrennten  Gütern,  s.  Familie. 

Skelettgräber,  s.  Bestattung. 

Seepter,  s.  Zepter. 

Sklave,  s.  Stände. 

Skulptur,  s.  Kunst. 

Smaragd,  s.  Edelsteine. 

Soda.  Von  der  Pottasche  lange  Zeit  nicht  geschieden,  wird  es 
zuerst  von  Hcrodot  (II,  86  bei  Beschreibung  der  Mumifikation)  als 
Xiipov  genannt.  Älter  ist  die  Form  viipov  ans  hebr.  neter  , Natron'. 
Lat.  nitrum  aus  dem  Griechischen. 

Sohle,  s.  Schuhe. 

Sohn.  Sein  idg.  Name  liegt  in  der  Reihe:  sert.  sünu-,  aw.  hunu-, 
griech.  Ou^,  got.  sumts,  Vit.  sunit/t,  altsl.  synü.  Das  Wort  ist  gebildet 
aus  der  Wurzel  m  und  bedeutet  ,der  geborene'  (vgl.  got.  haür  ,Sohn' 
:  gabairan  und  Delbrück  Verwandtschaftsnamen  S.  4f>3).  Ans  weicht 
das  Italische,  Keltische  und  Albanesische.  Ersteres  verwendet  gn&tus 
(vgl.  auch  gall.  Ari-gnätos,  Cintu-gnatos,  griech.  ArmÖYvnro«;,  Aiörvti- 
T00  :  <7*<7W0  und  filiuH  ,der  Säugling'  (vgl.  felare  .saugen',  femina). 
Das  Keltische  bietet  ir.  macc,  brit.  map  ans  *maqo-  =  got.  magu* 
,Knabe',  ,Knecht',  altn.  mögr  ,Sohn'  (andere  vergleichen  mit  den  ger- 
manischen Wörtern  kelt.  *magus  , Diener',  gall.  Magu-rix,  kyiur.  mau 
in  meu-dirif  ,scrvus  Dei',  vgl.  Stokes  Urkelt.  Sprachschatz  S.  198). 
Alb.  bir  ist  dunkel.  Auf  Wurzclverwandtschaft  beruht  die  Reihe:  seit. 
putrd-,  aw.  put)ra-  ,Sohn',  griech.  TTtxiq  (♦tto.Fk;),  lat.  puer,  altir.  aue 
{*pacio-s)  ,Knkel\  S.  u.  Familie  und  u.  Kind.  Über  die  Bedeutung 
des  Sohnes  der  Tochter  gegenüber  s.  u.  Adoption,  Ahncukultus, 
Aussetzungsrecht,  Kinderreichtum. 

Soldat,  s.  Heer. 

Sommer.    Der  idg.  Name  dieser  Jahreszeit  liegt  in  der  Reihe: 


Digitized  by  Google 


782 


Sommer  —  Speck. 


aw.  harn,  armen,  amarn,  ahd.  mmar,  agls.  stimor,  altn.  sumar,  ir. 
samsamrad,  kymr.  haut — haf.  Da  diese  Wörter  nicht  von  scrt.  samd- 
(griech.  öudq)  »gleich',  sdmä  Jahreshälfte'  (auch  ,Jahr)  getrennt  werden 
können,  so  scheinen  hier  die  Spuren  einer  Zeit  vor/.uliegeu,  in 
der  nur  Winter  und  Sommer  unterschieden  wurden,  also  eine  Zwei- 
teilung galt,  die  aber  noch  in  vorhistorischer  Zeit  durch  ein  gemein- 
sames Wort  für  Frühling  (s.  d.)  erweitert  wurde  (s.  u.  Jahreszeiten). 
Im  übrigen  wird  der  Sommer  einfach  als  die  ,heisse  Zeit'  bezeichnet: 
seit,  grishmd-,  griech.  0£poq  (=  scrt.  hdras-  ,Flammenglut),  lat.  aestas 
(:  scrt.  WA  ,brenucn'),  altpr.  dagis  (vgl.  lit.  degü  ,brennc',  sei  t,  ni-ddghd- 
,Hitze.  Sommer'),  Lit.  wasarä  ,Somrner',  das  in  anderen  Sprachen 
, Frühling'  bedeutet,  altsl.  Uto  (:  lit.  lytüs  , Regen'  oder  :  agls.  Liüa,  der 
zusammenfassenden  Benennung  des  Juni/Juli?;.  —  S.  u.  Zeitteilung. 

Solidereigentum,  s.  Eigentum. 

Sonnabend,  s.  Woche. 

Sonne.  Ihre  idg.  Bezeichnung  liegt  in  der  Reihe:  scrt.  süvar- 
(vgl.  auch  sü'rya-  und  scür,  aw.  hvar-),  griech.  dßeXio?  (kret.  Hes.) 
für  dFeXios,  neXio«;,  nAio?,  lat.  söl,  got.  sauil  X.  (neben  sunnö  F.  N., 
sugil  N.),  uikymr.  heul,  altpr.  sattle,  lit.  sdule.  Ferner  liegt  altsl. 
slünice.  Als  Wurzel  wird  man  scrt.  su  ,zeugen,  hervorbringen,  an- 
treiben, beleben'  ansehen  können,  so  dass  die  Sonne  das  , belebende' 
Wesen  wäre.  Den  armen.  Namen  der  Sonne  s.  u.  Mond.  Vgl.  noch 
alb.  djel  (G.  Meyer  Et.  W.).  S.  ferner  u.  Religion,  Sterne  und  u. 
Zeitteilung. 

Sonnenfinsternis,  g.  Sterne. 

Sonnenuhr,  s.  Stunde. 

Sonnenwende,  s.  Jahr. 

Sonntag,  s.  Woche. 

Spange,  s.  Schmuck. 

Spargel,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Spaten,  s.  Hacke. 

Specht.  Der  vorhistorische  Name  des  sagenberühmten  Mars- 
vogels liegt  in  lat.  picus  -  ahd.  spech,  specht  (:  griech.  ttoikiXo?,  lat. 
pictus  ,der  bunte ''fj.  Im  Sanskrit  begegnet  pikd-  , Kuckuck',  das  aber, 
wenn  man  picus  mit  ttoikiXo?  (scrt.  pecald-\  verknüpft,  wegen  seines 
Gutturals  nicht  hierher  gehören  kann.  Griech.  bpuo-KoXän"m.s  (Aristo- 
teles; ,Hol/schläger',  wie  altpr.  genix,  lit.  genys  :  geniit  ,Aste  ab- 
haun'.  Altpr.  kraeco,  lit.  krakitf  ,Schwarzspecht'  :  kdrkti  ,kräehzen". 
Weitere  Terminologie  des  Vogels  hei  v.  Edlinger  Tiernameu  S.  100.  — 
Ausführlich  über  den  Specht  0.  Keller  Tiere  des  kl.  A.  S.  277  ff. 

Speck.  Hierfür  finden  sich  mehrere  sehr  altertümliche  Bezeich- 
nungen: 1.  altgeno.  feusti  (vgl.  Kluge  Grundriss  I-,  832  >  —  scrt.  ptvas- 
,Fett,  Speck',  womit  man  auch  das  gemeingerm.  ahd.  spec,  agls.  spie, 
altn.  spik  {*sj)iwa-)  zu  vereinigen  sucht;  2.  lat.  lardum,  läridum  = 


Digitized  by  Google 


Spin-k  —  Speirliiitf. 


783 


griech.  Xäpivös  ,fett'  aus  *Xaa-pivoq  ilit.  lasziniai  ,SpcckV"j;  andere 
(wie  Osthoff)  suchen  das  lat.  Wort  mit  ahd.  flehte  elc.  (*tlais-?>  zu  ver- 
mitteln, dessen  Grundbedeutung  ,Scli\veineHci«eir  war  (s.  u.  fleisch). 
Sonst  wird  der  Speck  häufig  als  gesalzenes'  aufgefasst:  ir.  saill  [**aldi-)f 
altpr.  aal  tan  (mit  auffälligem  t,  s.  u.  Salz),  poln.  stnnina  :  x/ow?/  ,salzig* 
n.  a.  Vgl.  noch  griech.  OTtap  ,Talg'  und  »Speck'  :  sert.  stydyati  ,gc- 
rinnt(  ?).  Als  leidenschaftliche  Speck  csser  werden  besonders  die  Franken 
genannt  (vgl.  Epistula  Authimi  bei  V.  Hose  Anecdota  Cap.  XIV,  wo 
auch  hrado  , Schinken',  ahd.  bräto,  später  allgemein  ,Braten  genannt 
wirdi.  —  S.  u.  Seh  wein. 
Speer,  8.  Spiess. 

Speiche.  Die  Namen  für  diesen  Teil  des  Wagenrades  gehen  in 
den  idg.  Sprachen  völlig  auseinander:  sert.  am-  (:  ar  »einfügen),  griech. 
Kvrmn  (eigentl.  »Schienbein),  lat.  radius  (eigentl.  ,Stab>,  ahd.  speihha, 
agls.  spdee,  engl,  spukt  (vgl.  mhd.  spicher  .Nagel',  altn.  spik  »Holz- 
8t ecken ),  lit.  szpykis,  russ.  spica  eti  kolese  (aus  dem  Deutschen). 
Wahrscheinlich  hatte  das  idg.  Had  keine  Speichen.  —  S.  u.  Wagen. 

Speicher,  s.  Stall  und  Scheune. 

Speirling.  Theophrast  kennt  die  Morbus  dornest ica  L.  und  ihre 
Frucht  unter  dem  Namen  oin.»  6a.  ouov.  Vielleicht  erklärt  sieh  diese 
Sippe  aus  *öFm.,  *6Fiov  :  *6Fi-iuvo?,  oiujvö«;  .Vogel',  lat.  acis  (doch  s. 
eine  andere  Erklärung  der  zuletzt  genannten  Wörter  u.  Orakel;,  so 
dass  die  eigentliche  Bedeutung  »Vogelbeere'  (Sorbus  aueuparia  L.) 
wäre.  Lateinisch  heisst  der  Hanm  sorhus,  woraus  ngriech.  öoupßnä» 
alb.  stirbt,  auch  agls.  syrfe  (einheimisch  ewiebeam  »Vogelbeere',  niittel- 
engl.ff1)  opynharstre  ,sorbus';  s.  auch  u.  Mispel).  Eine  Erklärung  des 
lat.  Wortes  s.  unten. 

Eine  grosse  Holle  hat  der  Bauin  in  Deutschland  niemals  gepielt; 
doch  wird  sein  Anbau  schon  im  Capit.  de  villis  LXX,  77  (sorbarii) 
vorgeschrieben.  Er  führt  bei  uns  nicht,  wie  die  übrigen  Obstbäume 
(mit  Ausnahme  des  Apfels  ,  einen  lateinischen  Namen,  sondern  ist  mit 
einem  einheimischen  Wort  sporling,  spierling,  spirboum,  speirling  be- 
nannt. Hei  demselben  könnte  man  in  Erinnerung  an  unser  „  Vogel- 
beere u  zunächst  an  , Sperlingsbaum'  (ahd.  sparo  , Sperling)  denken; 
doch  würde  bei  einer  solchen  Auffassung  eher  ein  mhd.  oder  ahd. 
*spar  bou/it,  *sparo-boum  zu  erwarten  sein.  Der  Baum  heisst  aber 
mhd.  sperboum,  spirboum,  ahd.  spereboum.  Es  ist  daher  wahrschein- 
licher, dass  diesen  vielfach  umgedeuteten  Wörtern  (vgl.  auch  sperber- 
baum)  ein  ursprünglicher  Baumname  *spero  ,s<»rbus'  zu  Gruudc  liegt, 
der  vielleicht  völlig  identisch  mit  ahd.  sper,  agls.  spere.  altn.  spjör 
jSpecr'  ist.  Baumnamcu  werden  häutig  zur  Bezeichnung  für  Waffen  ver- 
wendet (s.  u.  Eiche,  Esche,  Tanne,  Spiess  etc.).  In  Überein- 
stimmung hiermit  hat  man  lat.  sorbus  (aus  *srerdhos)  zu  ahd.  steert, 
agls.  steeord  gestellt  und  für  letzteres  eine  ältere  Bedeutung  „höl- 


Digitized  by  Google 


784 


Spei  Hin  fr  —  Spiele. 


zerneu  Waffe  vermutet  (vgl.  got.  hatrus  ,Schwert'  =  scrt.  qäru-  , Waffe, 
Pfeil,  Speer  ). 

Sorbits  aucuparia  wird  gegenwärtig  im  Deutschen  ausser  mit  Vogel- 
beerbaum mit  dem  Ausdruck  „Eberesche"  bezeichnet.  Man  hat 
dieses  Wort  als  *aberesche  .falsche  Esche'  gedeutet;  doch  weisen  die 
Formen  ebresche,  eibrisch  etc.  eher  auf  ein  ursprüngliches  *ebariscf 
*ebrüsc  hin,  das  mit  ir.  ibar  ,Eibe',  aber  auch  ,Eberesche'  als  urver- 
wandt zusammenhängt.  —  Die  Slaven  bedienen  sich  zur  Bezeichnung 
der  Sorbus  aucuparia,  die  bei  ihnen  weit  verbreitet  ist,  aber  auch  zu 
derjenigen  der  Sorbus  domestica  häufig  der  Ableitungen  von  *rembü 
,bunt'  (russ.  rjabinä).  Ein  anderer  Ausdruck  ist  cech.  termucha,  russ. 
ceremcha  u.  s.  w.,  der  in  lit.  szermükszU  .Eberesche',  ja  in  frz.,  ptg. 
corme,  cormier,  cormeiro  wiederkehrt,  wenn  dieses,  wie  Bezzenberger 
bei  Stokes  Urkelt.  Sprachschatz  S.  91  annimmt,  aus  einem  keltischen 
Worte  stammt;  doch  deutet  Sehuchardt  Z.  f.  rom.  Phil.  XXIV,  412 
die  romanischen  Bezeichnungen  vielmehr  aus  griech.  KÖp.apo^  , Erdbeer- 
baum', indem  er  auch  sonst  eine  Verwechslung  zwischen  Sorbus  und 
Arbutus  nachweist.  Altpr.  karige  ,cbirboem'.  —  Vgl.  Koppen  Holz- 
gewächsc  I,  383 ff.    S.  u.  Wald,  Waldbäume. 

Speise,  Speiseverbote,  s.  Nahrung. 

Spelt,  s.  Weizen  und  Spelt. 

Sperber,  s.  Falkenjagd. 

Sperling,  s.  Singvögel. 

Spiegel.  Bei  Homer  noch  nicht  erwähnt,  tritt  er  unter  den  un- 
mittelbar durchsichtigen  Namen  bioirrpov  und  kötotttpov  zuerst  bei  den 
ältesten  Lyrikern  (Alkaios)  und  Tragikern  (Aeschylos)  hervor.  Es 
handelt  sich  dabei  zunächst  ausschliesslich  um  Metallspiegel,  da  gläserne 
Spiegel  (nach  Plinius  Hist.  nat.  XXXVI,  193  eine  Erfindung  der  Si- 
donier)  in  der  klassischen  Zeit  noch  nicht  genannt  werden.  Als  die 
Nordvölker  vom  Süden  her  (vgl.  ahd.  «piagal  aus  lat.  speculnm,  mlat. 
spfiglum)  die  Spiegel  kennen  lernten,  verglichen  sie  das  in  ihnen  ge- 
schaute Bild  mit  dem  Schatten  der  Wesen  und  Gegenstände  und 
nannten  das  wunderbare  Instrument  deshalb  „Schattenbehälter"  oder 
ähnlich.  So  ahd.  scü-kar  :  scüwo  ^Schatten',  wozu  auch  got.  skuggtea 
jSpiegcl',  ir.  xcathän  :  xcdth  ,Schatten'  und  scaterc  aus  sedth-dere 
(derc  ,Auge',  dercaim  .sehe').  Altsl.  zrücalo,  russ.  zerkalo  :  altsl. 
po-zvue-ati  ?contcmplaif,  Nachbildung  nach  speculnm;  hieraus  lit.  zer- 
kola*  neben  dem  deutschen  szpygelis).  Im  Mittelalter  herrscht  in 
weiter  Ausdehnung  ein  von  lat.  mirari  .schauen'  abgeleitetes  *mira- 
torium  :  it.  miradore  (neben  xpecchio),  frz.  miroir,  mitteleugl.  miror, 
mi/rrour,  engl,  mirror. 

Spiele.  Das  älteste  unter  ihnen  ist  in  der  idg.  Welt  das  Wttrfel- 
spiel.  Wie  es  schon  im  vedischen  Altertum  im  Mittelpunkt  der 
geselligen  Vergnügungen  steht  und  teilweis  mit  furchtbarer  Leidenschaft 


Digitized  by  Google 


Spiele  —  Spit*ss. 


betrieben  wird  (vgl.  Zimmer  Altiudisches  Leben  8.  283  ff.  und  im  bc- 
sondcru  das  .Spielerlied  Rigv.  X,  34,  übersetzt  bei  Oeldner  und  Kacgi 
Siebenzig  Lieder  LXV),  so  beliebtet  aueli  Tacilus  von  den  Germanen 
Cap.  24:  Ale  am,  quod  mirere,  sobrii  inter  seria  exercent,  tanta 
lucrandi  perdendhe  temeritute  ut,  cum  omnia  defecerunt,  extremo 
ac  novissimo  iactu  de  übertäte  ac  de  corpore  contendant.  victus 
voluntariam  Servitut em  adit  (das  weitere  8.  u.  Schulden  und  Stünde 
II  Freiheit  und  Unfreiheit).  Urverwandte  Gleichungen  für  die  Begriffe 
, Würfel'  und  .spielen'  liegen  in  sort.  akshd-  .Würfel'  =  lat.  älea  (aus 
*axlea)  .Würfelspiel'  und  vielleicht  in  sert.  gUthate"  .er  würfelt'  =  aglß. 
plega,  engl,  play  (vgl.  Fiele  I4,  39,  U.  Kögel  Geschichte  der  deutsehen 
Lit.  I,  S.  Iii  vor.  Auch  die  weitgehende  Übereinstimmung  in  der 
Bezeichnung  des  sehlechtesten  Wurfes  als  „Hund"  (lat.  canix,  grieeh. 
küuuv,  deutsch  „auf  den  Hund  kommen",  seit,  qcaghnin-  ,Spieler  von 
Profession',  eigentl.  .Hundstöter',  d.  h.  der  die  schlechten  Würfe  zu 
vermeiden  versteht)  ist  bemerkenswert  (vgl.  W.  Schulze  K.  Z.  XXVII, 
604). 

Ob  Würfel  schon  in  neolithiseher  Zeit,  was  nach  dem  obigen  er- 
wartet werden  könnte  (s.  u.  Kupfer  und  u.  Steinzeit),  nachgewiesen 
worden  sind,  ist  dem  Vf.  unbekannt.  Umso  häufiger  sind  Spielsteine 
von  Glas,  Bein  oder  Bernstein  in  späteren  Epochen  zu  Tage  getreten, 
die  auf  das  Vorhandensein  eines  Brettspiels  hinweisen,  dessen  Be- 
kanntschaft, wie  auch  die  Entlehnung  des  ahd.  zabal,  zabaUn,  inhd. 
zabel,  zabelen,  agls.  tüfl,  altn.  tafi,  tafla  aus  lat.  tabula,  tubuläre 
.Spielbrett'  und  ,auf  dem  Spielbrett  spielen'  zeigt,  vom  Süden  kam. 
Hier  wieder  weist  die  Herkunft  des  schon  homerischen  neaaö^  .Spiel- 
stein'  vielleicht  in  die  semitische  Welt  faus  aram.  pisd,  pissd  .Stein, 
Täfelchen'?;  vgl.  Lewy  Die  seinit.  Fremdw.  S.  159  f.).  Die  Erfindung 
aller  übrigen  Spiele,  auch  des  ebenfalls  schon  Homer  bekannten  Ball- 
spiels löqpaiprj  mriZciv)  nehmen  nach  der  Überlieferung  Herodots  I,  94 
die  Lyder  für  sich  in  Anspruch :  <pao*\  b*  au-roi  Aubo'i  Kai  xd?  narrviaq 
xd?  vuv  a<pio*i  T€  Kai  "EXXr)0"i  KaTeöTcwffaq  £wutuiv  ^Eeupnua  T€v^o*9ai 

 dE€upn.9f|vai  bf|  rfiv  töt€  (nämlich  zur  Zeit  einer  Hungersnot) 

Kat  Tiiiv  Kußuuv  Kai  tujv  daipaTaXinv  Kai  tf\q  aqpaipn?  Kai  tüjv  äXXwv 
Ttaffwv  TraiTvi€uuv  Td  tXbta  rrXr|v  ttco"o*o»v.  Zu  bestimmen,  was  hieran 
wahres  ist,  muss  der  zukünftigen  Forschung  überlassen  bleiben. 

Spiess.  Er  ist  schon  in  der  jüngeren  europäischen  Steinzeit,  im 
Krieg  und  auf  der  Jagd,  die  wichtigste  Augriffswaffe  gewesen.  Feuer- 
steinerne,  teilweis  mit  grosser  Kunst  gearbeitete,  von  Dolchen  (s.  u. 
Schwert)  nicht  immer  scharf  zu  scheidende  Lanzenspitzen  sind  in 
allen  Teilen  Europas  so  häufig  gefunden  worden,  dass  kein  Museum 
prähistorischer  Altertümer  derselben  entbehrt.  Auch  knöcherne 
Lanzenspitzen  kommen,  namentlich  im  Norden,  vor  (vgl.  Xilsson  Das 
Steinalter  S.  35).    An  die  Stelle  der  steinernen  Spitze  tritt  mit  dem 

Schräder,  ReiUexikoa  f,0 


Digitized  by  Google 


7.% 


Spiess. 


Metalle  die  bronzene  (über  deren  Typen  vgl.  z.  B.  Naue  Die  Bronze- 
zeit in  Oberbayern  S.  95  —  97)  und  eiserne,  welche  letztere  im  Hal- 
stätter  Gräberfelde  (vgl.  v.  Sacken  Das  Grabfeld  v.  H.  S.  35)  schon 
so  häufig  ist,  dass  sich  nur  selten  ein  Grab  männlichen  Charakters 
ohne  eine  oder  mehrere  eiserne  Lanzenspitzcu  fand. 

Nicht  weniger  tritt  das  hohe  Alter  und  die  hervorragende  Bedeutung 
des  Speeres  in  den  sprachlichen  und  geschichtlichen  Zeugnissen 
hervor.  Eine  sehr  grosse  Zahl  vorhistorischer,  wenn  auch  mehr  gruppen- 
weise als  allgemein  verbreiteter  Gleichungen  für  die  Begriffe  Spiess, 
Speer,  Lanze  lässt  sich  zusammenstellen.  Es  sind  folgende:  sert.  nthari 
(Bed.  unsicher),  griech.  dflrip  , Lanzenspitze';  grieeh.  atxun  desgl.,  lit. 
jhzmas  ,Bratspiess',  altpr.  ayami*  ,Spiess';  griech.  böpu,  aw.  dduru- 
(cigentl.  ,Eiche'  s.  u.i;  sert.  kunta-  .Speer',  lat.  rontus  ,Pikc',  ,Stange', 
griech.  kovtö?  ,Stange',  auch  ,Spiess';  sei  t,  calyä- , Pfeil-  oder  Speerspitze', 
griech.  kt\Xov  ,Gcschoss'.  Vgl.  auch :  sert.  cäatra-  ,Messer,  Dolch,  Schwert, 
Waffe",  griech.  K^ffTpoi;  ,eine  Art  Pfeil',  ir.  ceis  ^Spcer';  lat.  sab.  curis 
,Lanze'  (eine  Waffe,  nach  der  Quirinus  und  die  Quinten  benannt  sein 
sollen,  und  die  geradezu  als  Mars  verehrt  wurde),  ir.  curach  id. 
(Stokes  B.  B.  XXI,  124);  lat.  verti,  umbr.  berus  ,Spiess',  ir.  bir  ,Spiess, 
Stachel',  wie  lat.  hasta  mit  got.  gazds  ,Stachel'  verglichen  wird;  lat. 
«partig  ,Lanze  der  Bauern',  ahd.  (gemeing.)  spero  (s.  u.  Spcierling). 
Arisch:  sert.  rshfi-,  aw.  arsti-,  altp.  ariii-;  sert.  cü'la-f  aw.  aüra- 
(vgl.  (Jüpas  •  uaxaipaq  Hes.).  Auf  irgend  welchen  Zusammenhang  dürfte 
auch  die  Reihe  griech.  Xötxi,  lat.  lancea  (meist  von  keltischen  und 
iberischen  Waffen  gebraucht),  ir.  laigen  {*laginä  nach  Stokes),  altsl. 
Iqsta  hinweisen,  doch  ist  die  ratio  dieser  Verwandtschaft  noch  uner- 
mittelt.  Thurneysen  I.  F.  Anzeiger  VI,  193  möchte  lancea  :  ir.  do- 
Ucim  ,ich  werfe'  stellen.  Auf  welchen  sachlichen  Unterschieden  diese 
verschiedenartige  Terminologie  beruht,  lässt  sich  natürlich  nicht  mehr 
sagen. 

In  den  Einzelsprachen  wird  der  Spiess  wie  andere  Waffen  sehr 
häutig  nach  dem  Baume  benannt,  aus  dessen  Holz  sein  Schaft  ge- 
fertigt ist.  Vgl.  griech.  neben  böpu  (s.  o):  utXin.,  eigentl.  ,Esche', 
Kpdveia,  eigentl.  Jlartriegel',  arfaven.,  eigentl.  .Eiche'  (:  ahd.  eih),  ?YX°S> 
£YX€"1  0  °TXvrl  .zahmer',  dx  pöt?  , wilder  Birnbaum  ?),  lat.  ornus,  eigentl. 
, Bergesche',  fraxinus  eigentl.  , Esche',  ahn.  askr  desgl.  Griech.  Eucttöv 
:  Et'iu  ist  ebenso  wie  altu.  skafinn  :  xkafa  eigentl.  ,das  geglättete', 
d.  h.  der  geglättete  Schaft,  der,  wie  bei  den  Germanen  (Tacitus  Ann. 
II,  14),  oft  auch  allein,  d.  h.  ohne  steinerne  oder  metallene  Spitze, 
vorn  lediglich  durch  Feuer  gehärtet  {praeustum,  ^tukoutov)  als  Waffe 
des  gemeinen  Mannes  gedient  haben  wird.  Gewöhnlich  wird  der  Schaft 
der  alteuropäischen  Lanze  als  sehr  lang  geschildert,  wie  denn  das 
£tX°S  bei  Homer  {aaicpöv,  boXixööKiov,  ja  ^vbeKdirrixu  und  neXuüpiov  heisst, 
und  auch  die  Lanze  der  Nordvölker  von  den  Alten  als  enormis  oder 


Digitized  by  Google 


Spiess. 


787 


ingcns  bezeichnet  wird  (vgl.  auch  Müllenhoff  Deutsche  Altertumskunde 
IV,  165). 

Einzelsp  räch  lieh  und  ausserhalb  der  angegebenen  Zusammenhänge 
sind  noch  zu  nenucn:  lat.  pilum.  Das  Wort  wird  gewöhnlich  als 
identisch  mit  pilum  , Mörserkeule'  (:  pinso)  angesehen,  was  bei  der 
Gestalt  der  römischen  Pilen  (vgl.  Liudenschmit  Altertümer  1,  XI,  5j 
nicht  gerade  wahrscheinlich  ist.  Lat.  pilum  aus  *(s)peudom  könnte 
direkt  dem  gemeingerm.  *speuto-  (altn.  spjöt,  ahd.  spioz  ,Spiess)  ent- 
sprechen (zu  lat.  i  =  idg.  eu  vgl.  lat.  Uber  :  griech.  c-XeüG-epoq,  Brug- 
mann  Grundriss  I*.  1,  107,  l  aus  d  nach  bekannter  Lautneigung/. 
Ferner:  altsl.  kopije  und  sulica,  erateres  vielleicht  zu  griech.  kötttuj, 
letzteres  zu  altsl.  su,  su-nqti  ,stossen\  wie  auch  sert.  gü'-la-  (s.  o.<. 
gehörig. 

.Schliesslich  ist  noch  auf  eine  stattliche  Reihe  von  Speernamen  zn 
verweisen,  welche  die  Alten  ans  verschiedenen,  namentlich  aber  den 
nördlichen  Teilen  Europas  Uberliefern:  auf  die  fränkischen  <5rprwveq  (:  ahd. 
ango  7Staehel'),  die  keltisch-germanische  cateja  (:  ir.  cath  .Kampf  ),  dii' 
germ.  f'ramea  (Tacitus  Genn.  Cap.  G:  Haxtas  vel  ipsorum  vocabuh> 
fr  am  eaa  gerunt  angusto  et  brevi  ferro  \  das  Wort  spottet  trotz  Müllenhotf 
Deutsche  Altertumskunde  IV,  628  aller  Deutungsversuche;  ist  eine  An- 
knüpfung an  das  irische  von  Windisch  I.  T.  s.  v.  1  lorg  und  rammai  ge- 
nannte rama  .Eisen  am  Spaten'  möglich,  so  dass  framea  aus  *pramiä  ent- 
standen wäre?  vgl.  auch  ir.  laige  ,Spaten',  laigen  , Lanze'),  die  keltische 
mataris,  das  gaesum  u.  a.  (vgl.  die  betreffenden  A.  bei  L.  Diefenbach 
0.  E.  und  Holder  Altkelt.  Sprachsch.).  Unter  diesen  Namen  ist  keiner 
von  solcher  kulturhistorischer  Bedeutung  wie  das  altgallische  gaison, 
gaiso8  (raiadrai)  =  ir.  gae  ,Spcer',  gaide  .pilatus'  (urverwandt  mit 
griech.  xaicx;  ,Hirtenstab',  der  auch  zum  Werfen  diente,  und  mit  ahd. 
geisala,  altn.  geisl  ,Stock,  Geisel,  Peitsche').  Die  Ausgrabungen  am 
Neuenburger  See  in  der  Schweiz  (La  Tene)  haben  zahlreiche  jener 
altkeltischen  Eisenspiesse  an  den  Tag  gebracht.  Mit  den  Zügen  der 
Kelten  ist  dann  das  gallische  gaison  ins  Lateinische  (gaesum)  w  ie 
auch  ins  Griechische  (vaTaoO  eingedrungen.  Nicht  weniger  aber  hat 
es  sich  auf  dem  Wege  sehr  früher  Entlehnung  zu  den  östlichen  Nach- 
barn der  Kelten,  den  Germanen  (ahd.  ger,  agls.  gär,  altn.  geir,  auch 
in  Namen  Mario-,  Lanio-gaisos,  ahd.  Ger-hart,  Gir-trüt  etc.)  verbreitet. 
Allerdings  fehlt  ein  lautliches  Kriterium,  welches  mit  Bestimmtheit  auf 
Urverwandtschaft  oder  Entlehnung  der  germanischen  Wörter  mit  oder 
aus  den  keltischen  hinweisen.  Bedenkt  man  jedoch,  dass  das  Wort 
für  das  Eisen  (s.  d.)  selbst  aus  dem  Keltischen  ius  Germanische  ein- 
wanderte, so  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass  dasselbe  mit  der  Be- 
nennung des  eisernen  Speeres  der  Fall  gewesen  sei  (vgl.  Arbois  de 
Jubainville  De  la  civilisation  commune  aux  Celtes  et  aux  Germains 
Revue  archeol.  3  ser.  XVII,  191  IT.).  —  S.  u.  Waffen. 


Digitized  by  Google 


788 


Spinat  —  Spinnen,  Spindel,  Spinnwirte). 


Spinat.  Spinavea  oleracea  L.  ist  wildwachsend  noch  nicht  nach- 
gewiesen worden.  Man  vermutet,  dass  sie  eine  durch  Kultur  entstandene 
Abänderung  der  Spinacia  tetrandra  darstellt,  welche  im  Süden  des 
Kaukasus,  in  Turkestan,  Persien  und  Afghanistan  wildwachsend  auf- 
tritt (vgl.  De  Candolle  Ursprung  der  Kulturpflanzen  S.  124).  Die 
Pflanze  war  den  Alten  unbekannt.  Sie  erscheint  in  Europa  zuerst  bei 
Albertus  Magnus  (1193—1280)  unter  dem  Namen  spinachium.  Im 
Jahre  1351  kommt  sie  unter  den  Fastenspcieeu  der  Mönche  vor.  Ihre 
europäischen  Namen  gehen  mit  spinachium  auf  arab.  isfavdg,  pers. 
aspandh  zurück.  Ältere  Botaniker  bezeichnen  die  Pflanze  als  olus 
Hispanicum,  als  ob  sie  aus  Spanien  käme,  was  eine  missverstündliche 
Auffassung  des  Wortes  spinachium  sein  wird.  Wahrscheinlicher  ist, 
dass  der  Spinat  durch  Kreuzfahrer  nach  Europa  gebracht  wurde.  Hier 
verdrängte  Spinacia  oleracea  ältere  Spinatpflanzen  wie  Melde  und 
Amarant  (s.  u.  Garten,  Gartenbau),  Malve  (s.  d.)  und  Mangold 
(s.  u.  Beete).  —  Vgl.  Beckmann  Beytrüge  V,  116  und  v.  Fischer- Benzon 
Altd.  Gartenflora  S.  130. 

Spinne.  Sprachliche  Übereinstimmung,  die  auf  Urverwandtschaft 
hinwiese,  ist  in  der  Terminologie  dieses  Tieres  noch  nicht  gefunden 
worden,  da  lat.  ardnea  »Spinnwebe,  Spinne'  wohl  aus  griech.  dpdxvn., 
äpdxveiov  entlehnt,  nicht  ihm  urverwandt  ist.  Doch  sind  die  Namen 
des  Tieres,  als  von  alten  Zeitwörtern  für  Spinnen  uud  Weben  abge- 
leitet, kulturhistorisch  wertvoll.  S.  weiteres  u.  Spinnen  und  u. 
Weben. 

Spinnen,  Spindel,  Spinnwirtel.  Während  u.  Weben  gezeigt 
ist,  dass  dieser  Begriff  schon  in  der  Ursprache  mit  vollkommener  Deut- 
lichkeit sprachlich  ausgebildet  war,  hat  die  Terminologie  des  Spinnens 
in  den  idg.  Sprachen  überall  noch  eine  ältere  Grundbedeutung  ,drehen' 
oder  ,flcchtcn'  mit  grösserer  oder  geringerer  Entschiedenheit  bewahrt. 
Die  hierbei  in  Betracht  kommenden  Sprachreihen  sind  folgende:  1.  lat. 
torqueo  ,drehe'  —  alb.  tjef  ,spinne\  sert.  tarkü-,  Painird.  s-tarkh, 
griech.  äTpaiaos  ,Spindel\  2.  idg.  (*)»<?,  (s)nö,  (x)?iei,.  («)»•  (vgl.  ve, 
rö,  vei,  vi  ,webeu'  s.  d.),  ir.  sntim  ,flcchte',  got.  snörjö  ,Korb\  ahd. 
snuor  ,Band'  —  ir.  snim  .Spinnerei',  snimaire  , Spindel',  kymr.  nyddu 
,nere',  griech.  v€u>,  vt|6uj  u.  s.  w.,  lat.  neo,  nemen,  netus  .spinne1,  altsl. 
ni-tl  niMa  , Faden',  ir.  sndthe  desgl.,  sert.  ni-ri-  („gesponnenes")  .Schurz'. 
Auch  das  „Nähen"  muss  als  eine  Art  „flechten"  anfgefasst  worden 
sein,  wie  ahd.  ndan  ,nähen',  got.  (gemeingerm.)  nipla  ,Nadel\  ir. 
sndthat  desgl.  zeigen.  Denselben  Bedeutungsttbcrgang  weist  griech. 
pdTTTU)  ,nähe'  =  lit.  werpu  .spinne'  auf.  S.  u.  Nadel.  3.  lat.  erdtes 
,Geflecht',  griech.  KdpTaXo?,  got.  hatirds,  lit.  irätai  ,Gitter',  altpr.  korto 
,Gehege'  —  sert.  kart  ,spinne',  npers.  kartinah  »Spinngewebe',  Pamird. 
ert,  ir.  cert-le  ,glomus'.  4.  idg.  (s)pen,  lit.  pinü,  pinti  .flechten'  — 
got.    (gemeingerm.)   spinnan,  kymr.  cy-ffiniden  .Spinne',  ,Spinnge- 


Digitized  by  Google 


Spinnen,  Spindel,  Spinnwirtel. 


7H9 


webe'  {-fftn  aus  *spin,  *spen  nach  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz 
S.  299),  griecb.  nnviov  ,der  auf  die  Spule  gewickelte  Faden  des  Ein- 
schlags', lat.  pannus  ,Tuch',  got.  fana  desgl.,  altsl.  opona  »Vorhang'. 

Wie  man  sieht,  haftet  au  keiner  dieser  Reihen  die  Bedeutung  ,spinnen' 
ganz  ausschliesslich.  Gleichwohl  ist  sie  mit  mehreren  derselben,  vor 
allem  aber  mit  der  Wurzel  terq  (No.  1),  so  innig  verknüpft,  dass  man 
kein  Bedenken  tragen  darf,  als  Grundbedeutung  derselben  schon  für 
die  idg.  Urzeit  anzusetzen:  ,drehen',  .besonders  mit  der  Spindel  den 
Faden  drehen',  .spinnen'. 

Ein  idg.  Name  für  dieses  letztere  Werkzeug  ist  noch  nicht  mit 
Sicherheit  nachgewiesen  worden.  Auch  aus  der  übereinstimmenden 
Benennung  des  Wirteis,  sert.  vartana-,  nartulä,  lat.  verticillus,  altsl. 
vrHeno,  mhd.  wirtil,  ir.  fertas  wird  man  nicht  mit  Zuversicht  einen 
solchen  folgern  dürfen,  da  hier  einzelsprachliche  Bildungen  von  der 
W.  vert  ,drehen'  vorliegen  können.  Immerhin  scheinen  sert.  rartana-, 
altsl.  creteno,  mhd.  wirtil  i*wirtin-)  auch  auf  ursprünglicher  Suffixgleich- 
heit zu  beruhen.  In  jedem  Falle  aber  muss  man  den  Indogermanen, 
sobald  man  ihnen  die  Kunst  des  Spinnens  zuschreibt,  auch  die  Be- 
kanntschaft mit  der  Spindel  zusprechen,  da  erst  durch  die  Anwendung 
dieses  Werkzeugs  die  Thätigkeit  des  Flechtens  sich  zu  dem  des  Spin- 
nens erhebt. 

Dazu  kommt,  dass  sich  der  Spinnwirtel  als  eine  uralte  Erfindung 
des  Mcnsehengeistes  durch  die  Prähistorie  erweist.  Wie  in  Hissarlik 
in  allen  vorgeschichtlichen  Städten,  so  ist  der  thönerne  Spinnwirtel 
auch  in  Europa  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  der  Steinzeit,  in  den 
Terramarcn  der  Poebne,  bei  den  Ausgrabungen  auf  dem  Esquiliu  und 
in  der  albaner  Nekropole  in  Menge  gefunden  worden  (vgl.  Schliemann 
Ilios  Index  unter  Wirtel,  Lubbock  Die  vorgeschichtliche  Zeit  S.  186, 
Heibig  Die  Italiker  in  der  Poebne  S.  22,  8.i).  Nur  aus  dem  skandi- 
navischen Norden,  auch  nicht  aus  der  Bronzezeit,  wo  doch  bereits 
Gewebe  vorkommen,  scheinen  merkwürdiger  Weise  noch  keine  Spinn- 
wirtel bekannt  geworden  zu  sein. 

Dass  endlich,  wie  das  Weben,  so  das  Spinnen  bei  allen  idg.  Völkern 
von  Anfang  der  Ueberlieferung  an  bekannt  ist,  Uberall  als  eine  uralte, 
von  dem  Weibe  auszuübende  Kunst  angesehen  wird,  und  in  zahlreiche 
Züge  des  Glaubens,  des  Rechtes  und  der  Sitte  verwoben  ist,  braucht 
nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden.  Bezeichnend  ist,  dass,  wie  Peue- 
lope  in  der  Odyssee,  Lucretia  bei  Livius  (I,  57),  so  auch  das  paeonische 
Weib,  das  Hcrodot  V,  12  beschreibt,  das  Mädchen  also  eines  in  seiner 
Kulturcntwicklung  im  übrigen  rückständigen  Volkes  (s.  näheres  u 
Haus)  als  icXineoutfa  Xivov  und  o*Tpl<pouo*a  töv  äxpaicTOv  geschildert  wird. 

Noch  erübrigt,  die  Terminologie  des  Rockens  und  der  Spindel 
in  den  europäischen  Sprachen  idg.  Stammes  aufzuführen,  die  einige 
weitere  alte  Zeitwörter  für  ,Spinuen'  etc.  enthält.  Vgl.  griecb.  ityaKäxn. 


Digitized  by  Google 


700 


Spinnen,  Spindel,  Spinnwirtel  —  Staat. 


(lit.  lenktutce  , Haspel',  scrt.  lakufa-  ,Stock"?)  and  vnjpov  (von  vcuu) 
,Roeken' :  ÖTpaKTO?  (s.  o.),  o*<povbuXo<;  ( :  (Kpevbövn,  »Schleuder)  ».Spindel', 
auch  nXcncdTn.  wie  der  Rocken,  lat.  colus  (-.griech.  kXu>6uj  spinne'?; 
ans  mlat.  conucla,  frz.  quenouille  entlehnt:  ahd.  chonachla  ,Kunkel'  und 
ir.  cuicel)  ,Rocken' :  füms  (*dhoiso-  =  mndd.  disey  mengl.  distaf  Spinn- 
rocken', ,Flachsbündel  am  Spinnrocken')  und  verticilhts  (s.  o.)  ,Spindel'/ 
ahd.  roccho,  ahn.  rokkr  (ob  verwandt  mit  griech.  dpK-dvn,  , Faden', 
äpKuc  ,Netz',  dpdx-vn,  .Spinne'?) :  ahd.  spinain  (s.o.),  mhd.  wirtil  (s.  o.) 
,Spindel',  slav.  , Rocken'?  :  altsl.  prqslica  von  prqsti  ,nere'  vretena 
(s.  o.)  ,Spindel',  lit.  wiftdas  (von  wyti  , winden')  :  warpsti  (s.  o.)  und 
wirbalas  (eigentl.  ,Rute',  vgl.  nXcind-rn,).  Das  Spinnrad  wird  erst  als 
eine  Erfindung  des  XVI.  Jahrhunderts  angesehen.  S.  auch  u.  Flechten. 

Sporen.  Sie  werden  in  Griechenland  als  d-rrevTpibes  zuerst  von 
dein  attischen  Dichter  Pherekrates  (ältere  Komödie)  genannt :  toi?  Trofft 
Korrd  id?  Trrlpva;  01  \Tnreuovres  TtcpieboövTO  <t>epe»cpdTr|S  eTpnKcv  iv  AouXo- 
bibao*KdXw,  Pollux  X,  14.  Auch  \vüw\\t}  eigentl.  , Bremse'  kommt  (z.  B. 
Xcnoph.  Res  equ.  VIII,  5)  vor.    Lat.  calcar  :  calx  , Ferse'. 

Im  Norden  Europas  sind  bronzene  und  eiserne  Sporen  seit  der  La- 
Tene-Zcit  und  der  römischen  Periode  antiquarisch  nachweisbar.  Ihr 
Name  ist  keltisch:  ir.  cinteir,  bret.  quentr  (:  griech.  «'vrpov,  eigentl. 
,Staehef,  vgl.  Zcuss  Gr.  Celt. 8  S.  166,  Stokes  ürkelt.  Sprachschatz 
S.  78),  gemeingermanisch  :  ahd.  sporo,  agls.  spora,  engl,  spur,  altn. 
spore  'von  einer  W.  sper  ,mit  dem  Fusse  treten',  vgl.  Kluge  E.  W.6> 
und  ins  Keltische  (ir.  sbor  an  eich,  gl.  calcar,  kymr.  yspar,  yspardun 
,£pe>on')  wie  ins  Romanische  (it.  sperone  u.  s.  w.)  entlehnt.  Die  öst- 
lichen Sprachen  weisen  Bildungen  von  *penta,  altsl.  peta  , Ferse'  auf 
:  altsl.  pqtino,  lit.  pentinas.  —  Nach  Holtzmann  Germ.  Altert.  S.  147 
wurden  in  den  Gräbern  örters  einzelne  Sporen  gefunden,  wovon  aber 
sonst  nichts  bekannt  zu  sein  scheint.  —  S.  u.  Reiten. 

Spruch  (Zauberspruch),  s.  Dichtkunst. 

Staat.  Da»  idg.  Urvolk  zerfiel  in  Stämme  (s.  d.),  d.  h.  in 
verwandtschaftliche  oder  verwandtschaftlich  gedachte  Verbände,  die 
von  den  politisch-territorialen  Einheiten,  die  wir  heute  als  Staaten  be- 
zeichnen, noch  weit  entfernt  waren.  An  ihrer  Spitze  stand  ein  von 
der  Gesamtheit  erwählter  „Leiter",  *r£g-s  (s.  u.  König)  genannt,  ihm 
zur  Seite  die  Volksversammlung  (s.  d.).  Eine  Art  territorialen 
Mittelpunkt  der  im  übrigen  noch  kaum  sesshaften  Bevölkerung  bildete 
die  Burg  (s.  u.  Stadt),  in  die  die  Umwohner  zur  Zeit  der  Kriegsge- 
fahr ihre  Herden  flüchteten. 

An  diese  Burg  knüpft  der  griechische  Staatsgedanke  an.  Griech. 
TröXts,  eigentl.  ,Bnrg',  aber  schon  bei  Homer,  wie  namentlich  die  Ver- 
bindung ttöXi£  Kai  äötu  zeigt,  im  Sinne  von  ,Staat',  Staatsgebiet'  ge- 
braucht, hat  zu  den  bedeutsamen  Wörtern  TroXircia,  TroXnriq,  ttoXitikö^ 
u.  s.  w.  geführt. 


Digitized  by  Google 


Staat. 


791 


Ganz  im  Gegensatz  hierzu  ist  in  Koni  niemals  ein  Wort  für  Borg 
oder  Stadt  im  Sinne  von  Staat  verwendet  worden.  Der  römische 
Staatsgedanke  ging  nicht  von  territorialen,  sondern  von  personalen 
Vorstellungen  aus.  Die  Staatsgewalt  und  das  unter  ihr  zusammenge- 
fasste  Gebiet  heisst  imperium,  *endu-perium,  eigentlich  wohl  ,das 
Walten  (parare)  drinnen'  (endu),  ursprünglich  von  der  patria  potestas 
gesagt,  für  die  es  noch  später  gebraucht  wird,  nachher  auf  immer  weitere 
Machtsphären  Obertragen.  Ihm  zur  Seite*  steht  in  mannigfacher  An- 
wendung das  Adjektivum  publicus,  eigentlich  .dem  Volkshcer  (populus) 
gehörig'  (s.  u.  Volk),  lies  publica  könnte,  da  lat.  res  direkt  dem 
sert.  rä'-s  ,Gut,  Habe.  Besitz'  entspricht,  von  Haus  aus  soviel  wie 
»Eigentum  des  Volksheera'  sein,  wenn  nicht  die  Möglichkeit  vorläge, 
dass  lat.  res  (auch  allein  für  Staat  gebraucht)  mit  schon  abgcblasster 
Grundbedeutung  dem  griech.  irpäructTa  (to  TTcpcfiicä  TTpätnaTa  ,der 
Perserstaat')  nachgebildet  sei;  doch  würde  man  im  letzteren  Falle  im 
Lateinischen  den  Plural  erwarten.  Derselbe  Unterschied  zwischen 
Griechisch  und  Lateinisch  tritt  in  der  sprachlichen  Ausbildung  des 
Begriffes  ,Bürger'  (Staatsbürger)  hervor.  Während  das  Griechische 
hierfür  ttoXittv;,  d.  h.  die  Maskulinisierung  eines  ursprünglichen  *ttoXit(x 
jStadtschaft'  (vgl.  (rfpÖTn.q  , Landbewohner'  von  *d?pOTa  :  dtpö?)  ver- 
wendet, bezeichnet  lat.  civis  (s.  u.  Familie  III  Die  Benennungen 
der  idg.  Familie)  zunächst  den  »lieben  Hausgenossen'  und  ist,  wie  im- 
perium, später  auf  immer  weitere  Verbände  übertragen  worden. 

Ueber  die  Geschichte  des  deutschen  Wortes  „Reich"  (ahd.  rihhi), 
welche  für  die  Entwicklung  des  über  den  alten  Stammesstaat  hinaus- 
gehenden HerrschaftsbcgrifT8  bei  Kelten  und  Germanen  lehrreich 
ist,  ist  u.  König  gehandelt  worden.  Ganz  jung,  erst  nhd.  ist  unser 
„Staat",  über  dessen  Hervorgehen  aus  lat.  statu*,  frz.  itat  man  einiges 
in  Pauls  Deutschem  Wörterbuch  findet. 

Der  Staat  ist  also  ursprünglich  eine  Vereinigung  vou  Personen 
unter  derselben  Herrschaft,  und  erst  allmählich  gesellt  sich  zu  dieser 
Vorstellung  die  zweite,  dass  der  Staat  auch  eine  territoriale  Einheit 
darstelle.  Dieser  Entwicklungsgang  ist  in  zahlreichen  sprachlichen 
Spuren  verzeichnet. 

Zwar  kann  man  schon  bei  Homer  dvotE  Auxin,;  und  bei  Herodot 
<t>pirrhlS  ßatfiXcuq  sagen;  allein  das  ursprüngliche  und  in  gewissen  Ver- 
bindungen (z.  B.  rex  Macedonum)  immer  allein  übliche  ist  doch  wohl 
auch  in  den  klassischen  Sprachen  Aubuiv,  Mnbwv  u.  s.  w.  ßatfiXeO«;  ge- 
wesen. Dies  ist  jedenfalls  die  Regel  bei  den  germanischen  Titulaturen. 
Die  Könige  der  Merowinger  nennen  sich  in  den  Urkunden  (vgl.  die 
Belege  bei  Pardessus  Diplomata  etc.)  ausschliesslich  reges  Francorum, 
nicht  Franciae.  Der  erste  englische  König,  der  sich  .König  von  Eng- 
land' nannte,  war  König  Johann;  seine  Vorgänger  hatten  ,Jcinys  of 
the  English'  geheissen  (vgl.  Maine  Early  history0  S.  73).  Bekannt 


Digitized  by  Google 


792 


Staat  —  Stab. 


ist  anch,  dass  in  unseren  Ausdrücken  „König  von  Preussen",  „König 
von  Haiern u  u.  s.  w.  der  Ländername  ein  alter  Dativus  Pluralis  des 
Völkernamens  war,  nnd  dass  es  ursprünglich  „König  bei  den  Preussena 
(inhd.  ze  Burgonden)  liiess,  ganz  wie  schon  in  den  altpersischen  Keil- 
insehriften  %HäyaOiya  Parsäiy  , König  in  Persien",  d.  h.  wohl  eigentlich 
,iu  dem  Perser'  (vgl.  6  TTepOn,?  ,die  Perser')  bedeutet. 

Überhaupt  ist  die  Verwendung  des  Plurals  eines  Völkernamens  für 
das  Land,  in  dem  das  betreffende  Volk  wohnt,  ein  häufiger  und  offenbar 
uralter  Vorgang.  Wie  man  im  Griechischen  sagt:  ö  ttoiapd«;  ß&i  buk 
KiXtKuuv  ,der  Fluss  fliesst  durch  Cilicien',  eigcntl.  »durch  die  Cilicier', 
so  ist  ir.  Haid  Nom.  PI.  eigentlich  ,die  Männer  von  Ulster',  dann 
die  Landschaft  Ulster,  Lagin  ,die  Männer  von  Leiuster',  dann  die 
Provinz  Leinster,  im  Litauischen  heisst  Ltnkai  ,die  Polen'  und  .Polen- 
land', Prüsai  .die  Preusscn*  und  ,das  Preussenland'  (über  Prümja  etc. 
vgl.  A.  Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  317),  Wengrai  ,die  Ungarn* 
und  ,das  Ungarnland'.  Ebenso  ist  es  im  Slaviscben  (vgl.  Miklosich 
Vergl.  Gr.  III.  375);  doch  ist  mau  hier  vielfach  zu  einer  Differen- 
zierung des  Länder-  und  Völkernamens  in  der  Weise  vorgeschritten, 
dass  man  den  erstcreu  im  Nominativ  mit  der  leblose  Gegenstände 
charakterisierenden  Endung  -y  (=  Acc.  PI.)  versah.  So  poln.  Wlochy 
,Italia'  :  Wtosi  Jtali',  cech.  Uhry  .Hungaria'  :  Uhri  ,Hungari'.  Viel- 
leicht darf  man  die  griech.-lat.  Ländernamen  auf  -in,  -in  geradezu  als 
Kollectiva  zu  dem  Völkernamen  auffassen,  so  dass  0puT€in.  nichts  als 
eine  Gemeinschaft  von  <J>püy€q  ,Phrygern'  wäre,  wie  epparpia  :  qppdrrip 
eine  Gemeinschaft  von  Brüdern  bedeutet.  Vgl.  russ.  Busl  kollect. 
.Russi'  und  }Kussia'.  Siehe  auch  u.  Dorf.  —  In  dasselbe  Gebiet 
gehört  die  uralte  Angabe  der  Heimat  eines  Menschen  durch  Hinzu- 
fügung  des  Volkes,  nicht  des  Landes,  dem  er  angehört.  Es  heisst 
gricch.  Eevoqnüv  6  'AOnvaios,  wie  altp.  martiya  Fravarti*  näma  Mäda 
,der  Meder'  oder  Ylidama  näma  Parsa  ,der  Perser'  u.  s.  w.  — 
Endlieh  darf  als  charakteristisch  für  das  späte  Hervortreten  des 
territorialen  Charakters  eines  Staates  auch  auf  den  Mangel  alter  Wörter 
für  den  Hegriff  des  Vaterlandes  hingewiesen  werden.  In  alten 
Zeiten  sehnt  sich  der  Mensch  weniger  nach  dem  Lande,  in  dem  er 
geboren  wurde,  als  nach  dem  Stamme,  dem  er  angehört,  seiner 
Sippe,  seineu  Freunden.  So  wird  bei  Homer  ndTpn,  eigentl.  .Geschlecht' 
noch  oft  durchaus  im  Sinne  vou  Vaterland  gebraucht  (z.  B.  TnXö6i  Ttdipn?). 
Daneben  findet  sich  allerdings  bereits  Ttatpu;  "faia,  alu,  dpoupa  (das 
Land,  in  dem  die  rcdTpn.  wohnt)  und  auch  schon  substantivisch  (obwohl 
viel  seltner)  worrpti;  ,das  Vaterland".  Wahre  Heimatsliebe  Od.  IX,  27  etc. 
Ausdrücke  wie  deutsch  „Vaterland**  (zuerst  im  späten  Althochdeutsch) 
oder  lit.  tewü  z'eme,  tüwiszke  sind  wohl  sicher  erst  Nachbildungen  nach 
lat.  patria  <sc.  terra  .  —  S.  auch  n.  Volk. 
Stab,  s.  Zepter. 


Digitized  by  Google 


Stadt. 


793 


Stadt.  Der  Satz  aus  Tacitus'  Germania  Cap.  16:  Nullas  Ger- 
manorum  populis  urbes  habitari  mtix  notum  est  hat  ebenso  auch  von 
der  idg.  Urzeit  gegolten.  Die  idg.  Gleichung  scrt.  pur-  ,Stadt'  =  griech. 
itöXiq  desgl.,  lit.  pllis  .Schloss'  spricht  nur  scheinbar  hiergegen.  Die 
vedischc  pur-  war  (wie  Zimmer  Altindisches  Lehen  8.  143  nachge- 
wiesen hat)  „weiter  nichts  als  ein  Fleck  Lande»,  der  mit  ErdaufwUrfen 
(scrt.  deht-  =  griech.  xeixoq)  ringsum  geschützt  war".  Um  den  An- 
griff zu  erschweren,  wurden  solche  Hurgen  vielfach  auf  Anhöhen  an- 
gelegt. Als  Versebanzung  werden  auch  schon  steinerne  Mauern  und 
Barrikaden  aus  Pfählen  genannt.  Hierhin  brachten  die  Einwohner  in 
Zeiten  der  Not  ihren  Reichtum,  d.  h.  ihre  Rinderherden  zusammen. 
Ebenso  ist  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  griech.  ttöXk;  nicht  ,Stadt\ 
sondern  ,Hochstadt',  ,Bnrg'  gewesen,  in  welchem  Sinne  das  Wort  noch 
in  Athen  gebraucht  wurde  (vgl.  Thukyd.  II,  15:  KaXeixcu  bk  biä  rnv 
TTaXctiüv  TotÜTT)  KaTOiKr|0*iv  Kai  f|  üKpoTroXi^  uexpt  TOÜb€  £ti  Ott'  'A0r|vaiujv 
ttöXi?).  Es  ergiebt  sich  also,  dass  für  die  oben  angeführte  Gleichung 
die  ursprüngliche  Bedeutung  .Burg'  anzusetzen  ist,  Burg,  ohne  Zweifel 
ganz  in  dem  Sinuc  des  indischen  pur-,  d.  h.  nicht  als  dauernde  Wohn- 
stätte der  Menschen,  sondern  als  befestigte  Zufluchtsstätte  in  der 
Stunde  der  Gefahr.  Denn  derartige  Anlagen  lassen  sich  als  die  Keime 
zukünftiger  Stüdtcbildungen  noch  fast  bei  allen  idg.  Völkern  nach- 
weisen. 

Der  Name  der  südslavischcn  Burg,  des  Mittelpunktes  des  pleme 
(s.  u.  Stamm),  ist  grad.  Er  entspricht  dem  russ.  gorod  ,Stadt"  (z.  B. 
Nowgorod  .Neustadt'  .  Die  Grundbedeutung  ist  .Umzäunung'  (vgl.  lit. 
gardax  .ein  eingezäunter  Platz  zur  Einhegung  von  Thiercn).  Mit 
gorodiste  bezeichnet  mau  in  Russland,  namentlich  im  Süden,  häufig  auf- 
gefundene künstliche  Befestigungen,  die  Zug  für  Zug  jenen  altindischen 
pur-as  entsprechen  näheres  bei  Zimmer  a.  a.  O.  S.  146  f.).  Was  im 
Osten  Europas  russ.  gorodü  u.  s.  w.,  ist  bei  Kelten  und  Germanen 
die  Reihe  altkelt.  dünum  {Xovio-dünum  .Nowgorod'),  altir.  dun 
,Burg,  Stadt',  altn.  tun  .Eingehegtes,  Gehöft',  agls.  tun  (engl,  toten) 
jUmzäuntes.  Ort,  Stadt',  ahd.  zun.  Die  ursprüngliche  Beschaffenheit 
■eines  solchen  *dnnum  (lat.  oppidum)  beschreibt  hinsichtlich  der  bri- 
tannischen Kelten  Caesar  De  bell  Gall.  V.  21:  Ab  iis  (von  einigen 
britannischen  Völkern,!  cognoscit,  non  longe  ex  eo  loco  oppidum  Cassi- 
velauni  abtsxe  xilvix  paludibusque  munitum,  quo  mtix  magnus  homi- 
num  pecorüque  numerux  convenerit.  oppidum  autem  Uritanni  vocant, 
cum  silca*  impeditax  vallo  atque  foxxa  munierunt,  quo  ineurxionix 
Mxtium  titandae  cauxa  concenire  conxuerunt.  Bei  den  Kelten  des 
Festlands  waren  aus  diesen  oppida  schon  vor  Caesars  Zeit  eigentliche 
Städte  geworden.  Auch  hei  den  Germanen  lassen  sich  auf  ursprüng- 
lich keltischem  Boden  (vgl.  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altert.  XXXVI, 
1U9)  bereits  zur  Römerzeit  Ausätze  hierzu  nachweisen.    So  nennt 


Digitized  by  Google 


794  Stadt. 

Caesar  (IV,  19)  nppida  bei  den  Sueben,  ans  denen  sie  mit  Weib  und 
Kind  in  die  Wälder  auswandern.  Auch  das  castellum  bei  der  regia 
des  Maraboduus  (Ann.  II,  62)  scheint  dauernd  bewohnt  gewesen  zu 
sein,  da  sich  daselbst  lixae  ac  negotiatores  aufhalten.  Im  aligemeinen 
aber  wird  die  oben  angeführte  Nachricht  des  Tacitus  durch  zahlreiche 
ähnliche  (vgl.  Much  a.  a.  0.  S.  108,  Möllenhoff  Deutsche  Altertums- 
kunde IV,  280)  bestätigt,  und  noch  Ammianus  Marcellinus  XVI,  2,  12 
berichtet,  dass  die  Germanen:  ipsa  oppida  ut  circumdata  retiis  butta 
declinant.  Ein  zweiter  gemeingermanischer  Ausdruck  für  die  befestigte 
Zufluchtsstätte  des  flachen  Landes  ist  neben  dem  oben  erörterten 
*dümtm-  :  got.  baurgs,  ahd.  bürg  u.  s.  w.,  wohl  eher  zu  berg  als  zu 
bergen  gehörig.  Es  ist  später  der  gewöhnliche  Name  für  Stadt  (got. 
baürg*  ,trö\iq  )  geworden,  und  durch  das  spätlat.  burgus  (schon  im 
IV.  Jahrb.)  ins  Romanische  (it.  borgo)  und  selbst  in  den  Orient  (armen. 
burgn  ,Turm',  arab.  bürg  neben  syr.  purgä;  oder  beide  aus  griech. 
irupTO?*?)  gewandert.  Aus  dem  Keltischen  ist  noch  altgall.  -ratum  in 
Argento  ratum  (Strassburg),  ir.  rdth}  rdith  ,a  residence  surrounded  by 
an  carthen  rampart',  rig-rath  ,Königsburg'  zu  nennen.  Da  diese  Wörter 
etymologisch  dem  lat.  prdfum  entsprechen,  so  war  ihre  ursprüngliche 
Bedeutung  wohl  die  einer  durch  Rasenwälle  hergestellten  Befestigung. 

Endlich  setzt  auch  für  Italien  Th.  Mommsen  Röm.  Geschichte* 
S.  36  als  Mittelpunkt  der  Gaue  Versammlungsstätten  voraus,  die  nach 
ihm  teils  „Höhen"  [capitolium  :  caput),  teils  „Wehren*1  (arx  :  arceo) 
Messen.  Oppidum  selbst  scheint  entweder  ,das,  was  über  die  Ebene 
hinblickt'  (*ob-pedum  :  griech.  tt^oov)  oder  einfach  »Befestigung'  (vgl.  sert. 
pi-bdand-  .fest',  pdt-tana-  ,Stadt'  nach  Brugmann  Grnndriss  II,  löl) 
zu  bedeuten,  über  lat.  urbs  sind  die  Akten  noch  nicht  geschlossen; 
man  pflegt  es  zu  der  Wurzel  verdh  ^wachsen'  (vgl.  altp.  vardana- 
,Stadt)  zu  stellen,  und  als  .Wachstum'  zu  deuten,  was  dann  eher  auf 
die  Bevölkerung  (s.u.  Volk),  als  auf  die  Häuser  der  Stadt  ginge.  Es 
ergiebt  sich  also,  dass  die  Keime  altenropäischer  Städte  auf  jene 
meistens  auf  Anhöhen  angelegten  befestigten  Zufluchtsstätten  für  die 
gewöhnlich  offenen  Dorfansicdelungen  des  flachen  Landes  zurückzu- 
führen sind. 

Als  eine  zweite  Quelle  alter  Städtegründungen  in  Europa  treten  in 
späterer  Zeit  mehr  und  mehr  die  Bedürfnisse  des  sich  entwickelnden 
Handelsverkehrs  hervor  (s.  u.  Märkte). 

Die  allgemeine  kulturhistorische  Bedeutung  der  Stadt  hat  R.  v.  I bering 
in  seinem  Buche  Die  Vorgeschichte  der  Indoeuropäer  S.  U7fY.  in 
scharfen  Zügen  entworfen.  Er  erblickt  in  den  Städtegründungen  (ausser 
in  der  Einführung  des  Wein-  und  Obstbaus  8.  s.  d.  d.)  erstens  die 
eigentlichen  Ketten,  welche  den  Menschen  an  den  Boden,  den  er  be- 
wohnt, binden.  Er  sieht  zweitens  in  der  Stadt  den  Sitz  des  auf- 
blühenden Haudwerker-  und  Kaufmannstandes  (s.  u.  Gewerbe  und 


Digitized  by  Google 


Stadt  -  Stahl.  795 

u.  Kaufmann),  und  er  leitet  drittens  von  der  Stadt  die  Herkunft  feiner, 
den  bäurischen  entgegengesetzter  Umgangsformen  ab.  In  sprachlicher 
Beziehung  ist  hierbei  des  Gegensatzes  von  dxpeios  (:  dtpö?)  und  do"T6io<; 
(:  <5o"tu  ,Stadt'  =  sert.  vd'stu-  , Wohnstätte'),  sowie  von  lat.  rusticus 
(vgl.  mhd.  dörpel,  dörpare  .Tölpel')  und  urbanus,  urbanitas  zu  ge- 
denken, wobei  zu  beachten  ist,  dass  <So*tu  Athen,  die  urbs  Rom  ist. 
In  dem  mittelalterlichen  Europa  geht  hingegen  der  Begriff  der  „Höflich- 
keit", wie  der  Name  sagt  („Höflichkeit"  von  «Hol",  vgl.  auch  frz. 
courtois,  courtoisie,  engl,  courteous  etc.  :  curtis  ,Hof),  von  dem 
Zeremoniell  der  Fürsten  böte  aus,  dessen  Ursprung  Uber  Kon- 
stantinopel und  Persicn  hinaus  in  die  semitische  Welt  fuhrt.  Nach- 
zutragen bleibt  eine  im  Osten  Europas  weit  verbreitete  Benennung  der 
Stadt:  altsl.  mesto  (woraus  lit.  miUtas),  altpr.  maysta,  deren  Grund- 
bedeutung (vgl.  lett.  mitu,  mist  ,wohnen'),  wie  die  von  sert.  vA'*tu; 
griech.  äaru  :  sert.  von  ,wohncn',  ganz  allgemein  , Wohnstätte'  war.  — 
S.  auch  u.  Dorf  und  u.  Mauer. 

Stahl.  Die  ersten  Anfange  der  Kunst,  das  Eisen  zu  härten, 
werden  sich  mit  dem  Eisen  (s.  d.)  selbst  in  Europa  verbreitet  haben, 
da  Waffen  oder  Werkzeuge  aus  blossem  Eisen  kaum  branchbar  ge- 
wesen wären.  In  der  That  zeigen  aueh  die  ältesten  Eiscnfnnde  Europas 
nördlich  der  Alpen,  die  von  Hallstatt  (vgl.  v.  Sacken  Das  Grabfcld  v. 
H.  8.  118),  dass  man  sich  bereits  damals  darauf  verstand,  das  Eisen 
wenigstens  an  der  Oberfläche  zu  stählen.  Besondere  Benennungen  des 
Stahles  wird  es  damals  noch  nicht  gegeben  haben,  wie  man  denn 
noch  im  homerischen  Zeitalter  wohl  das  Ablöschen  des  Eisens  im  Wasser 
und  durch  Zaubermittel  (qpapuäacnuv)  kannte  (Od.  IX,  391),  einen  be- 
sonderen Namen  für  den  Stahl  neben  atbnpoq  , Eisen'  aber  nicht  hatte. 
Erst  in  nachhomerischer  Zeit  begegnet  dbdtua^  (bei  Hesiod:  bduivriui, 
eigentl.  unbezwingbar')  und  xä*uH>  (s.  u.  Eisen).  Hingegen  bieten  die 
germanischen  Sprachen  eine  gemeinsame  Benennung  des  Stahles  in  ahd. 
stahal,  agls.  style,  altn.  stdl  {*stahla-),  die  nicht  ganz  deutliche  Be- 
ziehungen zu  einem  altpr.  Ausdruck  panu  staclan  zu  haben  seheint. 
Dieser,  eine  Zusammensetzung  aus  panno  ,Feuer'  und  stach  ,Stock*, 
bedeutet  also  „Fcuerstock14.  So  hiess  im  alten  Ktlehenfeucrzcug  ein 
etwa  Iialbfüs8iger  Stahlstock,  der  fest  auf  den  Boden  des  mit  Zunder 
gefüllten  Kastens  gestemmt,  und  an  den  dann  mit  dem  bewegliehen 
Feuerstein  geschlagen  wurde  (Nesselmann  im  Thesaurus).  Der  eigent- 
liche Ausdruck  für  Stahl  im  Altpreusstsehcn  ist  ein  anderer,  playnis  = 
lit.  pUnan  (vgl.  altn.  fleinn  »Spitze,  Spiess  ). 

Vom  Süden  her  bricht  sich  dann  der  lateinische  Ausdruck  acies 
(ferri)  ,Stahl'  in  den  Ableitungen  *aciale,  *aciarium,  *acium  Bahn, 
der  in  den  romanischen  Sprachen  (it.  acciale,  acciajo,  frz.  acier  u.  s.  w.), 
im  Slavischen  (altsl.  ocell)  und  Althochdeutschen  (ecchil)  vorliegt. 
Reich  an  morgenländischen  Namen  des  Stahles  sind  die  slavischen 


Digitized  by  Google 


796 


Stahl  —  Stall  und  Scheune. 


Sprachen.  So  stammt  russ.  bulatü  aus  npers.  püldd  u.  s.  w.  (vgl. 
Sprachvergl.  u.  Urg.s  S.  294  und  Horn  Grundriss  S.  75),  serb.  6elik 
(alb.  tselikt  aus  türk.  celik,  russ.  charalugü  aus  dzag.  karaluk.  Ger- 
manischen Ursprungs  ist  russ.  stall.  —  S.  u.  Metalle. 

Stall  und  Scheune.  U.  Haus  und  u.  Unterirdische 
Wohnungen  ist  über  den  ältesten  Aufenthalt  der  Menschen  gehandelt 
worden.  Hier  soll  Uber  die  Räume  gesprochen  werden,  in  denen  das 
Vieh  und  die  Feldfrüchte  ursprünglich  untergebracht  wurden. 

Was  das  ersterc  betrifft,  so  wird  man  mit  der  Annahme  nicht  irren, 
das«  dasselbe  im  allgemeinen  im  Freien  in  Hürden  gehalten  wurde, 
für  die  urverwandte  Gleichungen  in  griech.  udvöpct  .Hürde,  Stall'  = 
sert.  mandurä  und  in  slav.  stadlo  ,Herde,  Stall'  —  lat.  stabulum  (W. 
stä,  eigentl.  .Standort',  vgl.  auch  ahd.  stal,  agls.  steall  und  die  Reihe 
ahd.  stuot,  altsl.  stado,  lit.  stödas,  s.  u.  Pferd)  vorzuliegen  scheinen. 
Während  der  härtesten  Kälte  werden  die  Mensehen  nicht  Anstoss  ge- 
nommen haben,  ihr  Vieh  in  ihren  eigenen  Wohnungen  unterzubringen. 
So  fand  es  Xenophon  bei  den  Armeniern  ( Anab.  IV,  5,  25),  zu  denen 
er  mitten  im  Winter  kam,  und  in  deren  unterirdischen  Behausungen 
er  Ziege,  Schafe,  Rinder  und  Geflügel  antraf.  Ein  äusserst  lebendiges 
Bild  dieses  Zusammenwolincns  von  Mensch  und  Vieh  unter  einem  Dach 
entwirft  ferner  Johan.  Lasicius  in  seiner  Schrift  De  (Iiis  Samagitaruin 
etc.  bezüglich  der  Litauer:  Mapolia  (.Hütten,  wie  sie  Nomaden  auf- 
bauen';, quae  turres  appellant,  xiirsnm  angusta,  atque  qua  fumus  et 
foetor  exeat,  aperta,  ex  tiguis,  asserilmx,  Stramine,  cortieibus  faciunt. 
in  his  kommen  cum  omni  peculio,  in  paeimento  tabulato  staute, 
habitant.  ita  paterfamiliax  omnia  sua  in  conspectu  habet,  et  feram 
noxiam  et  frigus  a  pecore  arcet,  ad  ostium  eubat,  deastro  foci 
(Polengabia,  s.  n.  Herd)  custodia  commissa,  ne  vel  ignis  damnum 
domicilio  det,  vel  prttnae  nocte  exfinguantur.  Lbi  crebro  accidit, 
ut  vel  sus  vel  canis  ex  olla  in  foco  staute  carnes  au  f erat  f  aut 
rostrum  aqua  f'ervente  laedaf  S.  45).  Aber  auch  von  den  Britten 
überliefert  Jornandes  Cap.  2:  l'irgeas  habitant  casas,  communia  tecta 
cum  pecore,  und  noch  Adam  von  Bremen  will  von  den  Bewohnern 
Islands  wissen  (IV,  35):  Solo  pecorum  fettt  vicunt  eorumque  vellere 
teguntur;  nullae  ibi  fruges,  minima  lignorum  copia,  propterea  in 
subterraneis  habitant  speluncis,  communi  tecto  et  strato 
gaudentes  cum  pecoribux  suis. 

Auch  die  Feldfrüchte  scheint  man  in  der  ältesten  Zeit  vielfach  nnter- 
irdweh  aufbewahrt  zu  haben.  Vgl.  Varro  De  re  rust.  I,  57:  Quidam 
granaria  habent  sub  terris,  speluncas,  quas  vocant  tfetpouq,  ut  in 
Cappadocia  ac  Thracia.  Dasselbe  berichtet  Tacitus  Germ.  Cap.  16 
von  den  Germanen. 

Als  man  dann  dazu  überging,  besondere  Räume  oberhalb  der  Erde 
für  die  Unterbringung  des  Viehs  und  der  Erträgnisse  des  Ackerbaus 


Digitized  by  Google 


Stall  und  Scheune. 


797 


einzurichten,  bot  sieh  hier/n  ein  doppelter  Weg  dar.  Man  konnte  die 
neuen  Räume  entweder  innerhalb  oder  ausserhalb  des  Wohnhauses 
anlegen.  Die  erstcre  Erscheinung  zeigen  das  altsächsischc  und  das 
pergamenische  Bauernhaus  (vgl.  Henning  Das  Deutsche  Haus  S.  26, 
136  ff.  und  Nissen  Pomp.  Studien),  deren  gemeinsame  Eigentümlichkeit 
in  der  Unterbringung  sowohl  der  Viehställe  wie  der  Getreidespeicher 
unter  einem  Dach  mit  der  Wohnung  des  Mensehen,  und  zwar  vor  der 
Herdstubc  des  alten  Hauses,  besteht.  Der  zwei  te  Weg  führte  zu  der  Er- 
richtung selbständiger  Gebäude  für  die  einzelnen  landwirtschaftlichen 
Zwecke.  So  kennt  bereits  das  alemannische  Gesetz  auf  einem  Herren- 
sitz folgende  Baulichkeiten  (vgl.  Anton  Geschichte  d.  teutschen  Land- 
wirtschaft S.  86):  mla  (.Saal  ),  das  Haus,  wo  der  Herr  wohnt  (neben 
dem  undeutlichen  domus  infra  curtem)  und  daneben  «curia  ,Viehstall' 
(alid.  »dura  :  scär  ^Wetterdach',  unser  „Scheuer",  auch  in  der  Lex 
Salica  XVI,  4:  tii  qui«  sutem  cum  porcis  auf  8 curia  cum  anima- 
Uhu*  incenderit  in  der  Bedeutung  von  Viehstall  gebraucht;  Lex 
Bajnv.:  parc,  ahd.  pferrih  , Umzäunung,  besonders  zur  Aufnahme  der 
Herde',  vgl.  Kluge  Et.  W.6  s.  v.  Pferch),  grania  .Kornboden'  cellaria 
,Kellerhaus',  stuba  .Badehaus'  (s.  u.  Bad  und  u.  Ofen),  ovile  ,Schaf- 
stall',  porcatoria  domus  ^Schweinestall'  (Lex  Salica:  sutis,  sudis), 
spicarium  .Speicher'.  Das  letztere  Wort  ist  spätlateinischen  Ursprungs, 
von  spica  ,Ähre'  gebildet  nach  dem  Muster  des  älteren  grdndrium  von 
grdnum  ,Korn',  wie  in  Italien  der  hölzerne  Speicher  (vgl.  Plinius 
XVIII,  301)  im  Gegensatz  zu  dem  steinernen  (horreum)  hiess.  Das 
Wort  ist  in  die  nördlichen  Sprachen  (ahd.  spihhari,  alts.  spikdri,  lit. 
szpykeri)  übergegangen  und  kommt  zuerst  in  der  Lex  Salica  XVI,  3 
vor:  Si  quin  spicario  aut  machalum  cum  annona  incenderit,  wobei 
zwischen  spiedrium  und  machalum  der  Unterschied  hervortritt,  daas 
ersteres  ein  horreum  cum  tecto,  letzteres  ein  horreum  sine  tecto  (Gl. 
Pitth.)  bezeichnet.  Auch  der  Ausdruck  machalum  wird  aus  dem  Ro- 
manisehen abgeleitet,  und  zwar  von  einem  lat.  *maculum  :  macula 
,bewachsner  Fleck,  Umzäunung,  Hürde'  (sp.  majada,  ptg.  malhada 
,Schaf8tall'  aus  *maculata,  vgl.  Körting  Lat.-rom.  W.  S.  464?).  Die 
schon  oben  bei  «curia  und  parc  hervorgetretene  Erscheinung,  dass  die 
Bezeichnungen  für  die  Unterkunft  des  Viehs  und  die  Bergung  der 
Feldfrüchte  vielfach  in  einander  Übergehn,  wiederholt  sich  hier  also 
und  findet  weitere  Belege  in  ahd.  stadal,  urverwandt  mit  dem  oben 
genannten  lat.  «tabulum,  altsl.  stadlo  , Herde,  Hürde,  Stall'  sowie  in 
ir.  cliath  ,Flecbtwcrk,  Hürde'  :  lit.  kletis  ^Speicher'  (altpr.  calene 
»Scheune'?),  altsl.  kUtl  Vorratskammer.  Vgl.  auch  got.  bansts  ,d7ro0r|Kr|', 
ahn.  bdsft,  agls.  bös  ,KuhstaH'.  Der  Ausgangspunkt  scheint  aber  in 
allen  Fällen  der  Unterkunftsort  für  das  Vieh  gewesen  zu  sein.  Sonst 
wären  aus  den  altgennanischen  Gesetzen  etwa  noch  die  bairischen 
Ausdrücke  scopar,  unser  „Schober*  (vgl.  bei  Graff  scoberes  ,avenae', 


Digitized  by  Google 


798  Stall  uud  Scheune  —  Stamm. 

andere  denken  an  ahd.  scoub,  agls.  scfaf,  altn.  skauf  ,Garbe')  und 
mita  (ndd.  mite  ,Miete'  ans  lat.  mita  »Heuschober'  bei  Colnmella)  zu 
nennen,  die  kleinere  oder  grössere,  mehr  oder  weniger  bedeckte  Korn- 
feimen  bezeichnen  (vgl.  Anton  a.  a.  0.  S.  88,  101  f.). 

Im  aligemeinen  wird  man  sich  diese  fränkisch-oberdeutschen  Höfe, 
die  mutatis  mutandis  sich  anch  bei  Leibeigenen  fanden,  als  mehr  oder 
weniger  dürftige  Nachahmungen  des  römischen  Bauernhofs  (hortus) 
vorzustellen  haben,  der  ebenfalls  in  das  Bauernhaus  (tugurium),  das 
freilich  in  seinen  den  Germanen  fremden  Dachräumen  auch  Getreide- 
böden, Futterkammern  und  dergl.  barg,  und  in  den  Gutshof  (coÄor*, 
hors)  zerfiel,  der  die  Viehställe  und  übrigen  Wirtschaftsgebäude  um- 
fasste  (vgl.  M.  Voigt  Die  rönüscbeu  Privataltertümer  Handb.  d.  klass. 
Altertumsw.  IV,  2  S.  772).  Über  die  Tenne  s.  u.  Dreschen, 
Dreschflegel.  —  S.  auch  u.  Ackerbau  und  u.  Viehzucht. 

Stamm.  Die  Indogermanen  der  Urzeit  lebten,  wie  u.  Familie 
und  Sippe  gezeigt  worden  ist,  in  Grossfamilien  (Hausgemeinschaften) 
und  Sippen  (Brüderschaften),  Familienverbänden,  die  sich  fast  in  völliger 
Ursprünglichkeit  in  dem  Felsenlande  der  Hcrcegovina  und  Crinagora, 
in  das  sich  Teile  der  SUdslaven  vor  den  sie  ringsum  bedrohenden  An- 
griffen gefluchtet  hatten,  erhalten  haben.  Die  Weiterentwicklung  des 
bratstvo  oder  der  Brüderschaft  stellt  hier  der  Stamm,  das  pleme,  dar, 
als  Wohnungsbeziik  Supa  genannt  (vgl.  Krauss  Sitte  und  Brauch  der 
Südsl.  S.  15  ff.,  S.  57  ff.).  Das  letzte  freie  pleme  der  Hercegovina 
war  das  der  Vasojeviß  (man  beachte  dieselbe  Namensbildung  wie  bei 
den  bratatva  u.  Sippe),  welches  10  bratstva,  56  Dörfer  und  4000 
Krieger  umfasste.  Die  einheitliche  Bildung  eines  südslavischen  Staates 
war  unmöglich,  solange  die  Macht  solcher  plentertet,  zwischen  denen 
blutige  Fehden  früher  an  der  Tagesordnung  waren,  ungebrochen  be- 
stand. Das  Stammeshaupt  heisst  glacar  plemensJci  oder  vojeoda,  als 
Vorsteher  des  Wohnungsbezirks  zu  pari. 

Den  politischen  und  religiösen  Mittelpunkt  der  iupa  bilden  eine  oder 
mehrere  Burgen. 

Die  Einwanderung  der  SUdslaven  im  Balkan  erfolgte  nach  solchen 
Stämmen.  So  zogen  die  Kroaten  am  Ende  des  V.  oder  Anfang  des 
VI.  Jahrhunderts  in  Dalmatien  und  im  südlichen  Paunonieu  in  12 
plemena  (in  den  lateinischen  Quellen  als  tribus  bezeichnet)  ein. 

Es  läs8t  sich  nun  nachweisen,  dass  eine  derartige  Organisation,  wie 
sie  sich  bei  den  Südslaven  abseits  vom  Strom  der  Weltgeschichte  fast 
unberührt  erhalten  hat,  einstmals  als  oberste  gesellschaftliche  Einheit 
auch  bei  den  übrigen  Indogermanen  vorbanden  gewesen  sein  muss.  Bei 
Kelten  und  Germanen  steht  oder  stand  auf  gleicher  Stufe  mit  dem 
südslav.  pleme  das,  was  die  Römer  übereinstimmend  als  pagus  be- 
zeichnen. Allerdings  ist  der  pagus  in  historischer  Zeit  ein  rein  ört- 
licher Unter  begriff  der  civitats  oder  Völkerschaft;  aber  es  fehlt  nicht 


Digitized  by  Google 


Stamm. 


799 


an  Spuren  einstiger  sehr  grosser  Selbständigkeit  und  Unabhängigkeit 
der  einzelnen  pagi,  welche  es  wahrscheinlich  machen,  dass  in  ihnen 
(nicht  in  der  cicitas)  die  „Zelle"  der  nordeuropäischen  Völkcrbildungeu 
•zu  suchen  ist.  So  kann  es  geschehen,  dass  sich  der  eine  der  vier 
helvetischen  Gaue,  der  pagus  Tigurinus,  auf  eigene  Faust  dem  Kimbern- 
kriege anschliesst,  und  in  dem  Kampf  mit  Armin  vermag  der  Gau 
seines  Oheims  Inguiomer  seine  Neutralität  zu  bewahren  (vgl.  Brunner 
Deutsche  Rcchtsgeschichte  I,  115).  Was  des  genaueren  ein  pagus  ist, 
vermag  die  etymologische  Erklärung  der  germanischen  Entsprechung 
des  lateinischen  Wortes,  die  in  got.  gawi,  ahd.  gouwi  vorliegt,  am 
besten  deutlich  zu  machen.  Von  den  bisherigen  Deutungsversuchcu 
(vgl.  Kögel  Z.  f.  deutsches  Altertum  XXXVII,  223,  Henning  ebenda 
XXXVI,  324)  scheint  nur  der  Feists  (Beiträge  XV,  547)  erwähnens- 
wert, welcher  got.  gawi  aus  einem  idg.  *ghawik-  :  lat.  vicus  ,Dorf 
erklären  möchte;  denn  da  der  pagus  nach  Tacitus  aus  einer  Anzahl 
von  vici  besteht,  so  wird  man  in  der  That  vermuten  dürfen,  dass  ein 
Begriff  wie  , Mehrheit  von  Dörfern'  iu  unserem  „Gau"  steckt.  Allein 
morphologisch  ist  der  Feistsehe  Versuch  ganz  unhaltbar.  Das  Kollektiv- 
präiix  ga-  tritt  im  Germanischen  an  den  mit  ia-  oder  sonst  weiter 
gebildeten  Stamm,  wie  z.  B.  got.  gasköhi,  gawaürdi,  gawaürki  zeigen. 
Eine  Bildung,  wie  das  von  Feist  geforderte  *gha-wlk-,  ist  unerhört. 
Kein  gawi,  sondern  ein  *gaioeihi  sollte  mau  im  Gotischen  erwarten. 
Gleichwohl  dürfte  an  dem  Ausgangspunkt  der  Erklärung  Feists  fest- 
zuhalten sein. 

Es  giebt  im  Griechischen  ein  bisher  wenig  beachtetes,  obwohl  weit 
verbreitetes  Wort  für  ,Dorf  und  die  in  dem  Dorfe  wohnende  Ver- 
wandtschaft, ,die  Dorfsippe',  welches  urgriechisch  *ovä,  *otiä  und 
danebeu  mit  Ablaut  *6vä  lautete.  Diese  Formen  ergeben  sich  aus 
att.  oin.  ,Dorf,  otnrry;  .Dorfbewohner'  (Sophokles)  und  den  Hesych- 
glossen  ürrri  ,KuVn\  oüar  <puAcu.  Kurcpiot,  was*  iä<;  Kioua?.  Ein  atiischer 
Demos  hiess  "Oa,  "On.,  Oir).  Vielleicht  gehört  auch  lakonisch  ujßd  ,Obe' 
(eine  Volksabteilung)  hierher.  Dieses  altgriechische  *ocä  ,Dorf  erklärt 
nun  das  germanische  Wort  ohne  weiteres.  Es  ist  ein  urgerm.  *ga-awia-m 
anzusetzen,  das,  wie  z.  B.  got.  gaumjan  »wahrnehmen'  aus  *ga  umjan 
von  slav.  umü  , Wahrnehmung'  hervorgegangen  ist,  unmittelbar  zu 
ahd.  gouwi,  got.  gawi  führen  musste.  Der  Sinn  uusercs  nhd.  gau  ist 
also  tliatsächlich  der  durch  die  sachliche  Betrachtung  des  pagus  ge- 
forderte, »Gemeinschaft  von  Dörfern  oder  Dorfsippen".  Eine  solche 
Gemeinschaft,  mit  politischer  Selbständigkeit  ausgestattet,  ist  aber  nichts 
anderes  als  das  südslavische  pleme,  der  alte  „Stamm-1.  Über  den  Gau 
als  Tausendschaft  s.  u.  Heer. 

Wir  übergehen  die  walisischen  Stämme  (kynir.  llwyth  =  ir.  slicht 
,Geschlecht',  vgl.  Stokes  Urkelt.  Sprachschatz  S.  320,»  und  die  irischen 
Clans  (ir.  dand),  deren  Verhältnis  gegenüber  den  u.  Sippe  hc- 


Digitized  by  Google  1 


K)0 


Stamm. 


sprochenen  Familienverbänden  ein  besonders  schwankendes  und  noeb 
der  Aufklärung  bedürftiges  zu  sein  scheint,  um  uns  zunächst  den 
arischen  Zuständen  zuzuwenden. 

Bei  den  alteu  Persern  folgt  nach  Herodot  I,  101,  125  auf  die 
<ppnrpn  (altpers.  r/1%)  als  oberste  Einheit  das  tivoq,  welcher  letztere 
Begriff  im  Awesta  in  nicht  ganz  durchsichtiger  Weise  in  zailtu-  und 
dayyii-  (altp.  dahyu-,  semasiologisch  kaum  mit  sert.  ddsyu-  .Feind, 
böser  Dämon,  Nicht- Arier,  Barbar,  Räuber'  vereinbar;  8.  u.  Ahnen- 
kultus) geschieden  wird,  so  dass  wir  also,  nach  den  Vorständen  dieser 
Gruppen  bezeichnet,  vier  Stufen:  nmdna-paiti-  (Familie),  vhpaiti- 
(Sippe),  zaiitupaiti-  (Stamm),  day>yupaiti-  (Land?)  vor  uns  hätten.  In 
der  Geschichte  treten  die  Perser,  wie  die  oben  genannten  12  kroatischen 
plemena,  als  aus  zwölf  Stämmen  zusammengesetzt  auf,  die  also  den 
Kern  der  altpersischen  Weltmonarchie  bilden.  Ein  Blick  auf  die  heutigen 
Afghanen  und  Kurden  lehrt,  dass  bei  diesen  Völkern  die  alte  Stamm- 
verfassuug  noch  jetzt  in  voller  Bititc  steht,  und  besonders  bei  den  letzteren 
keine  Neigung  vorhanden  ist,  eine  höhere  staatliche  Macht  darüber 
zu  errichten  (vgl.  Leist  Altarisches  Jus  eivile  I,  30,  II,  193).  Auch 
bei  den  Indern  tritt  uns  in  der  ältesten  Zeit  als  oberste  politische 
Einheit  der  Stamm  (jdna-)  entgegen,  die  Zusammenfassung  der  Sippen 
(ric-),  an  deren  Spitze  der  rd'jan-  oder  König  steht.  Wie  wir  es 
überall  gefunden  haben,  findet  auch  hier  zu  kriegerischen  Zwecken 
gern  eine  Vereinigung  mehrerer  Stämme  statt. 

Schwerer  lässt  sieh  die  einstmalige  selbständige  Existenz  des  Stammes 
bei  Griechen  und  Römern  erweisen,  eine  zu  erwartende  Erscheinung, 
da  die  alten  Familienvcrbände  schon  im  Anfang  der  Überlieferung 
durch  den  modernen  Staatsgedanken,  der  im  Staate  nur  Bürger,  keine 
Sippengenossen  anerkennt,  gelockert  worden  waren,  und  die  alte  Ter- 
minologie vielfach  in  ganz  neuem  Sinne  gebraucht  wird.  Gleichwohl 
lässt  sich,  namentlich  in  dem  grieeh.  möXov,  <pu\r|,  der  alte  idg. 
Stammesbegriff  noch  mit  ziemlicher  Deutlichkeit  erkennen.  Der  mit 
diesem  Namen  bezeichnete  Begriff  schliesst  sich  bei  Homer  an  die 
(ppnipn.,  die  Brüderschaft  oder  Sippe,  an.  Nach  Phretren  und  Phylen 
rät  Nestor  dem  Agamemnon  die  Griechen  aufzustellen,  woraus  sich 
das  q>üXov  als  geschlossene  militärische  Einheit,  wie  die  q)prjTpr|,  er- 
giebt.  Das  von  q>0Xov  abgeleitete  tpuXoms  bedeutet  ,Hecr'  im  all- 
gemeinen, dann  ,Sehlaehtgctümmer,  .Schlacht*.  Die  Rhodier  (11.  II,  668) 
wohnten  in  drei  Phylen  (xpixOd  bfc  djKn,8ev  KcrrcKpuXaböv).  Es  hatten 
sich  hier  also  drei  Stämme  zur  Besiedelung  von  Rhodas  verbunden. 
Überall  kehrt  bei  Doriern  wie  Ionicrn  eine  uralte  Einteilung  in  3,  4 
und  ö  Phylen  wieder,  und  dass  bei  Doriern  wie  Ioniern  dieselben 
Phylen  in  jeder  Einzelgemeinde  vorkommen,  beweist  nur,  dass  die 
Verschmelzung  der  einst  selbständigen  Phylen  stattgefunden  hatte, 
bevor  Dorier  oder  Ionier  in  Einzelgcmeinden  auseinandergingen.  Mit 


Digitized  by  Google 


Stamm. 


801 


Beeilt  bemerkt  auch  Leist  a.  a.  0.  II,  195:  „Wir  dürfen  uns  nicht 
Phratrien  und  Phylen  in  der  Weise  geschaffen  denken,  wie  spatere 
Zeiten  sich  die  Entwicklung  vorgestellt  haben :  dass  in  Zeiten,  wo  schon 
ein  zur  Polis  vereintes  Volk  da  war,  irgend  ein  Verfassung  gebender 
Herrscher  das  Volk  in  die  bis  dahin  noch  nicht  vorhandenen  Phratrien 
und  Phylen  abgeteilt  habe.  Sondern  umgekehrt.  Die  Phratrien  und 
Phylen  sind  die  speziell  griechische  Gestaltung  der  natürlich  gegebenen 
„Menschenvermehrung"  [besser  der  „idg.  Ordnung"].  Wie  stark  der 
der  Phylc  zu  Grunde  liegende  Verwandtschaftsgedanke  sich  hie  und 
da  noch  später  geltend  macht,  beweist  das  kretische  Gesetz  von  Gortyn, 
nach  welchem  in  Ermanglung  von  Verwandten  eiu  Phylengenosse  die 
Erbtochter  (s.d.)  zu  heiraten  verpflichtet  war.  In  Athen  werden 
q>uXoßa0iXdq  »Könige  der  Phylen'  genannt. 

Auch  im  ältesten  Rom  hat  sich  die  Überlieferung  erhalten,  dass  es 
durch  die  Verschmelzung  dreier  einst  selbständiger  Stämme,  die  hier 
mit  dem  etymologisch  noch  dunklen  Ausdruck  tribus  (umbr.  trifu, 
trefiper  Iguvina,  s.  u.  Dorf)  benannt  werden,  den  Ramnes,  Tities  und 
Luceres,  hervorgegangen  sei.  Als  älteste  Unterabteilung  des  tribus 
kann  man  Bich  nur  die  gens  denken.  Erwägt  man,  dass  der  Tribus 
im  militärischen  Sinne,  wie  der  germanische  pagus  (s.  u.  II  e  e  r),  als 
Tausendscbaft  gefasst  wurde,  und  dass  die  gens  (wie  die  der  Fabier) 
oft  aus  mehreren  Hunderten  von  Kriegern  bestehen  mochte,  so  haben 
wir  auch  in  dein  altrömischen  tribus,  dem  ein  tribunus  (vgl.  südsl. 
plemenski  :  plemen)  vorstand,  ein  ziemlich  getreues  Bild  des  altindo- 
germanischen, in  eine  beschränkte  Zahl  von  Sippen  geteilten  Stammes 
vor  uns.  Als  dann  die  staatsrechtliche  Bedeutung  der  gens  mehr  und 
mehr  erlosch,  wird  eine  neue,  aus  militärischen  Verhältnissen  hervor- 
gegangene Einteilung  des  tribus  in  Ourien  (curia,  ebenfalls  dunkel, 
aus  *coviria  :  rir  oder  :  quirix,  quiritis  ,  Hausherren  verband?)  und 
Decurien  aufgekommen  sein. 

Als  eine  urzeitliehe  Benennung  des  idg.  Stammeshegrifls  wird  man 
die  Reihe  umbr.  totaper  ,pro  urbc',  totar  Jiorinar  ,urbis  Igovinae', 
osk.  tujFto  MaiuepTivo  ,civitas  Mamertina',  lianme  tovtam  ,Bantiae 
populnm',  ir.  tuath,  got.  ßiuda  ,£9vo<;',  altpr.  tauto  ,Land'  (idg.  *teu-tä) 
ansehen  dürfen.  Allerdings  bezeichnen  diese  Wörter  in  historischer  Zeit 
die  Zusammenfassung  mehrerer  Stämme  zu  einer  Völkerschaft  oder 
cititax.  Da  sich  aber  ans  dem  Vorstehenden  (s.  auch  u.  König)  er- 
giebt,  dass  diese  letzteren  Begriffe  sich  erst  historisch  entwickelt  haben, 
so  wird  man  berechtigt  sein,  die  in  der  Ursprache  wurzelnde  Be- 
zeichnung der  relativ  weitesten  politischen  Einheit  der  flühhistorischen 
Zeit  auf  die  relativ  weiteste  politische  Einheit  der  vorhistorischen  Zeit 
zu  beziehen  und  anzunehmen,  dass  sich  das  idg.  *teu-td  ,Stamiii' 
mit  diesem  selbst  zur  Völkerschaft  und  ihrer  Bezeichnung  ausgewachsen 
habe.  Die  Reihe  gehört  zu  derselben  Wurzel  wie  lat.  tömentum  ,Stopf- 

Sch rader,  Reallexikon.  51 


Digitized  by  Google 


802 


Stamm  -  Stunde.. 


werk',  tumeo  ,strotze",  tötus  ,ganz',  scrt.  taviti  ,ist  stark',  grieeh.  TÜXoq 
,Wulst'  und  bezeichnet  also  ungefähr  dasselbe  wie  das  südsl.  pleme  : 
grieeh.  iriuirXnui,  lat.  compleo  .fülle'  oder  auch  (in  etwas  anderer 
Wenduug)  wie  das  grieeh.  q>GXov,  (puXn.  :  qpuoucu  („Fülle  des  Wachs- 
tums"). Zu  altpr.  tauto  ,Laud'  (auch  lit.  tauta  ,Oberland')  ist  zu  be- 
merken, da&s  hier  noch  eine  weitere  Entwicklung  der  Bedeutung  von 
der  Völkerschaft  zu  dem  von  ihr  bewohnten  Gebiet  stattgefunden  hat. 

Das  Verwandtschaftsverhältnis  des  Stammes  werden  von  jeher  Ab- 
leitungen von  der  Wurzel  jan  (lat.  gigno)  bezeichnet  haben.  Vgl.  oben 
scrt.  jdna-,  aw.  zafttu-,  grieeh.  ftvoq,  ahd.  chunni  (,genus,  geucratio, 
progeuics,  proles,  familia,  tribus,  gens,  natio,  stirps'),  Wörter,  die  aber 
eben  deshalb  auch  die  verwandtschaftliche  Zusammengehörigkeit  der 
Sippe  und  der  Grossfamilie  ausdrücken  konnten.  Auch  den  Plural 
vou  Ausdrücken  wie  idg.  vlk-  ,Sippe'  wird  man  für  die  Vereinigung 
mehrerer  Sippen  haben  gebrauchen  können.  Eine  scharfe  und  unbe- 
dingte Scheidung  ist  in  der  Terminologie  der  Familicnvcrbände  eben 
nicht  möglich. 

Über  die  Regierung  des  Stammes  s.  u.  Köllig  und  u.  Volksver- 
sammlung, über  die  Burg,  den  lokalen  Mittelpunkt  desselben,  s.  u. 
Stadt.  In  Stämmen,  wie  sie  hier  geschildert  worden  sind,  vor  allem 
in  der  Vereinigung  mehrerer,  muss  die  Ausbreitung  der  Indogermanen 
in  Europa,  ihre  Siedelung,  ihre  Verschmelzung  mit  Ureinwohnern,  ihr 
Auswachsen  zu  Völkerschaften  und  Völkern  erfolgt  sein.  —  S.  auch 
u.  Volk. 

Stammbaum,  Stammväter,  s.  Vorfahren. 

Stände.  Die  Unterscheidung  von  Freien,  Unfreien  und  Edelcn 
scheint  auf  den  ersten  Blick  in  der  indogermanischen  Welt  uralt  zu 
sein.  Als  die  Überlieferung  anhebt,  finden  wir  in  Indien  zwar  noch 
nicht  eigentliche  „Kasten",  über  deren  Ursprünge  aus  alten  Fainilicn- 
verbänden  neuerdings  E.  Senart  in  der  Revue  des  deux  moudes  T. 
121,  122,  125  ansprechende  Vermutungen  veröffentlicht  hat.  bezeugt; 
aber  Standesunterscbicde  sind  bereits  in  der  ältesten  vedischen  Litte- 
ratur  sicher  nachweisbar.  Gegenüber  stehen  sich  das  d'rya-  tdrna- 
nnd  das  da' na-  värna-,  ersteres  die  Rasse  (eigcntl.  , Farbe  )  der  in 
Indien  erobernd  eindringenden  Indogermanen,  letzteres  die  der  unter- 
liegenden Ureinwohner  bezeichnend.  Innerhalb  des  ä'rya-  värna-  hin- 
wiederum wird  die  grosse  Masse  des  Volkes  durch  die  v(c-as  gebildet, 
aus  der  sich  die  rä'jänas  die  ,prineipes'  oder  das  kshaträ-  die  »Gesamt- 
heit der  Herrschenden'  hervorheben.  Der  später  (neben  Kshatriya, 
Vaicya,  Güdra)  so  geläufige  Ausdruck  brähmand-  findet  sieh  im  Rig- 
veda  nur  selten.  Dafür  erscheint  brahmdn-  ,dcr  Beter',  wohl  sicher 
bereits  von  einem  Stand  von  Priestern  gebraucht.  Bei  den  Iraniern 
des  Awesta  werden  drei  Stände  (pütra-,  eigentl.  .Gewerbe")  unter- 
schieden: der  der  Priester  (dOravan-  =  scrt.  ätharcan-),  der  Krieger 


Digitized  by  Google 


Stande. 


803 


(ra&aestar-  =  scrt.  ratheshfhtlr-,  eigcntl.  ,auf  dem  Wagen  stehend  ) 
und  der  Ackerbauer  (vdstryö  ßuyqs),  wozu  gelegentlich  noch  der 
Gewerbetreibende  (hüiti)  hinzutritt.  Die  dienende  Klasse  wird  mit 
dem  Ausdruck  Vaisu  {wem-,  scrt.  vaic-ya-'?)  bezeichuet  (vgl.  W.  Geiger 
Ostiran.  Kultur  8.  403  ff.). 

Nicht  minder  früh  ist  ständische  Gliederung  in  Europa  bezeugt. 
Bei  Homer  zerfallen  die  Staatsbürger  in  die  beiden  Klassen  der  Edlen 
(äpio"Tn€?,  fipitfToi,  ££oxoi  dvbpiüv,  auch  mit  Betonung  ihres  Reichtums 
noXÜKXripoi  fivGpumot  genannt)  und  der  Gemeinfreien  (briuou  dvbpeq, 
auch  ÄKXripoi,  ot?  un;  ßioTo?  noXuq  €in).  Unter  den  Niehtbürgern  werden 
.Sklaven  (boöXoi,  bmi>e<;,  oIkt^s),  Beisassen  (jieTaväcrrai),  Tagelöhner 
(efjTC?)  und  die  brmtocpxoi  (Seher,  Baumeister,  Arzte,  Sänger,  Herolde) 
genannt,  die  aber  gelegentlich  auch  zu  dem  Stande  der  eigentlichen 
Bürger  gehören  können  (vgl.  Buchholz  Horn.  Realien  II,  1:  4).  Im  alten 
Rom  haben  wir  die  Gegensätze  von  Freien  (liberi)  und  Sklaven  (terri), 
und  von  Patriziern  einer-,  Clienten  und  Plebejern  andererseits.  Auch 
der  Norden  steht  nicht  zurück.  Bei  deu  festländischen  Galliern 
kennt  Caesar  (VI,  13  ff.)  die  beiden  Stände  {genera)  der  druides  und 
equites,  letztere  mit  ihren  zahlreichen  ambacti  und  dient  es  :  plebis 
paene  xervorum  loco  habetur.  Bei  den  Germanen  unterscheidet  Tacitus 
aufs  deutlichste  den  Adel  (nobilesi,  die  Freien  (ingenui),  die  Frei- 
gelasseneu {liberti)  und  Sklaven  (serci). 

Gleichwohl  scheint  es  bedenklieh,  eine  Gliederung  nach  Ständen, 
ausser  vielleicht  in  ihren  ersten  Anfängen  und  Vorbedingungen,  bereits 
für  die  idg.  Urzeit  anzusetzen.  Zunächst  fällt  in  der  Terminologie  der 
einschlagenden  Begriffe  die  Abwesenheit  jeder  weitergehenden  Über- 
einstimmung auf.  Die  wenigen  Spuren  einer  solchen  beschränken  sich, 
wie  sich  noch  zeigen  wird,  entweder  auf  geographisch  benachbarte 
Sprachen,  so  dass  der  Verdacht  eines  frühen  Kulturaustausches  nicht 
ausgeschlossen  ist,  oder  ihre  ursprüngliche  Bedeutung  lüsst  sich  als 
eine  noch  allgemeinere,  auf  Standesunterschiede  nicht  bezügliche  er- 
weisen. Bemerkenswert  ist,  dass  das  gleiche  von  der  sprachlichen 
Bezeichnung  der  Begriffe  Reich  und  arm  (s.  d.)  gilt,  die  aufs  engste 
mit  der  Entstehung  gesellschaftlicher  Gliederung  verknüpft  sind. 

Dazu  kommt  nun,  dass  es  auf  idg.  Boden  keineswegs  an  Stellen 
fehlt,  auf  denen  eine  ursprüngliche  Unterscheidung  von  Ständen  über- 
haupt nicht  nachzuweisen  ist,  oder  wo  dieselbe  noch  vor  unseren  Augen 
so  in  der  Entwicklung  begriffen  ist,  dass  wir  offenbar  einen  sieh  eben 
abspielenden,  nicht  seit  lange  abgespielten  Prozess  vor  uns  haben.  Bei 
den  Slavcn,  welche  die  politischen  uud  Gesellschnftsverhältnisse  der 
Urzeit  mit  oft  überraschender  Treue  bewahrt  haben,  fällt  den  Bericht- 
erstattern überall  die  schwache  Gliederung  in  Stände  auf.  „Nirgends 
vermochte  sieh  ein  eigentlicher  Adel  zu  bilden,  der  neben  Vermögen 
und  Bildung  dauernde  Übung  politischen  Anselms  besessen  hätte.  Bei 


Digitized  by  Google 


804 


Stände. 


den  Sudslaven  sind  alle  Adelstitel  unbekannt,  aber  auch  Russland  wie 
Polen  hatte  und  hat  keine  Aristokratie  im  abendländischen  Sinne" 
(Fr.  v.  Hellwald  Die  Welt  der  Slaven  S.  176).  Ebenso  äussert  sich 
V.  Hehn  De  moribus  Ruthenorum  S.  152:  „Aristokratie  im  echten  Sinn 

giebt  es  in  Russland  nicht   Aristokratie  ist  der  erste  Ansatz  zu 

politischer  Gestaltung;  bei  noch  höherer  Entwicklung  wird  diese  Form 
zerbrochen  oder  als  dienendes  Organ  in  das  System  eingefügt;  wo 
aber  nicht  einmal  Aristokratie  möglich  und  wirklich  ist,  da  ist  gar 
keine  politische  Anlage,  kein  staatenbildendes  Element  mehr,  sondern 
der  blosse  orientalische  Despotismus".  In  sprachlicher  Hinsicht  wird 
sich  zeigen,  dass  die  Termini  für  aristokratische  Rangunterschiede  u. 
dcrgl.  bei  den  Slaven  fast  durchaus  von  benachbarten  Völkern  entlehnt 
worden  sind. 

Nicht  minder  lehrreich,  wie  hier  der  Osten,  erweist  sich  für  unsere 
Frage  der  äusserste  Nord-Westen  unseres  Erdteils,  die  alten  irischen 
Verhältnisse,  wie  sie  uns  die  Hrehon-Gesetze  schildern.  In  äusserst 
lebendiger  Weise  wird  uns  hier  ein  Bild  vor  Augen  geführt,  wie  bei 
noch  äusserst  primitiven  Zuständen  unter  der  freien  Bevölkerung 
eines  Landes  schrittweise  Hörigkcitsvcrhältuisse  sich  herausbilden 
können,  die  uns  anderwärts  als  vollendete  Thatsache  entgegentreten. 

Für  die  Unbekanntschaft  der  Urzeit  mit  Sklaverei  kann  man  sich 
auf  direkte  Nachrichten  wie  die  des  Herodot  VI,  137:  oü  top  «Tvoi 
toötov  tov  xpövov  o*<pio*i  ku)  oubfc  toIöi  SXXoiOi  "EXXnöi  ouc^Tas  und 
andere  (Athenaeus  VI,  p.  267  e)  berufen,  die  man  nicht  ohne  weiteres  als 
die  «Folge  der  dichterischen  Vorstellung  von  einem  goldenen  Zeitalter" 
bezeichnen  kann  (Bttchsenschütz  Besitz  und  Erwerb  S.  105).  Und  zwar 
dies  um  so  weniger,  als  die  Griecheu  sehr  wohl  wussten,  dass  bei 
zurückgebliebenen  Stämmen  abseits  von  den  grossen  städtischen  Mittel- 
punkten, z.  B.  bei  Lokrern  und  Phociern,  Sklaven  noch  bis  in  späte 
Zeiten  nicht  gehalten  wurden:  eieioGai  -räp  *v  Tai?  oiiceiaKau;  bia- 
xov€iv  tou?  vtiuT^pou?  toi?  TTp€<TßuT€poi?  (Athenaeus  VI,  p.  264d.). 

Das  Problem  des  Ursprungs  der  Stände  scheint  also  in  die  Zeit 
nach  Auflösung  der  idg.  Gemeinschaft  zu  fallen,  d.  h.  in  die  Epoche, 
in  welcher  die  idg.  Völker  den  Weg  nach  ihren  historischen  Wohn- 
sitzen sich  bahnten  oder  innerhalb  derselben  sich  festsetzten.  Es  soll 
im  folgenden  versucht  werden,  die  Grundzüge  dieser  Entwicklung  fest- 
zustellen, wobei  zuerst  Uber  deu  Begriff  der  Freiheit,  dann  über  den 
der  Freiheit  und  Unfreiheit,  zuletzt  über  den  der  Freiheit  und  des 
Adels  gehandelt  werden  soll. 

I.  Freiheit. 

Die  Eigenschaft  des  frei  sein  wird  im  Griechischen  durch  dXeüÖepo?, 
im  Lateinischen  durch  Uber,  im  Germanischen  durch  got.  freis,  ahd. 
fri  ausgedrückt.  Es  ist  aber  gleich  zu  sagen,  dass  alle  drei  Ausdrücke 


Digitized  by  Google 


Stände. 


805 


keineswegs  nur  politisch  frei',  also  das  Freisein  gegenüber  der  Stellung 
des  Sklaven,  des  Rechtlosen,  des  Unterworfenen  bezeichnen.  Was  viel- 
mehr H.  Paul  in  seinem  Deutschen  Wörterbuch  von  dem  deutschen 
Worte  sagt,  dass  es  nämlich  ganz  im  allgemeinen  Sinne  die  Abwesenheit 
oder  Nichtberücksichtigung  eines  Zwanges  ausdrücke,  gilt  im  wesent- 
lichen auch  von  dem  griechischen  und  lateinischen  Worte.  Wie  man 
im  Deutschen  „freier  Wille",  „freie  Handu,  „freie  Meinung"  sagt,  so 
auch  im  Griechischen  £Xeü6€po£  Xtrros,  ^XtuSe'pa  dtopd,  im  Lateinischen 
liberum  tempus,  libera  custodia  n.  s.  w.  So  kommen  diese  Wörter 
schliesslich  dazu,  soviel  wie  ,los*,  ,ledig'  von  einer  Sache,  die  man 
gerne  los  ist,  zu  bezeichnen:  es  heisst  deutsch  „frei  von  Schmerzen", 
griech.  dX€Ö8€poq  TrrjuäTwv,  lat.  Uber  laborum. 

Gleichwohl  lügst  sich,  zunächst  ohne  Zuhilfenahme  der  Etymologie, 
zeigen,  dass  für  alle  drei  Wörter  von  der  Bedeutung  politisch  frei* 
auszugehen  ist,  oder,  vorsichtiger  ausgedrückt,  dass  dieselbe  auf  allen 
drei  Sprachgebieten  uralt  sei. 

In  den  homerischen  Gedichten  kommt  dXeußepo^  nur  in  diesem  Sinne, 
und  zwar  ausschliesslich  in  der  Verbindung  ^XeüOepov  n^uap  ,Tag  der 
Freiheit'  im  Gegensatz  zu  bouXiov  f|uap  ,Tag  der  Knechtschaft'  vor. 
Ausserdem  wird  noch  einmal  ein  Kpnjrip  dXcuOcpo?  genannt.  Das  VI.  Buch 
der  Ilias  schliesst  mit  den  Worten  des  Hcktor  au  Paris:  „Nun  lass  uns 
gehen!  Das  wollen  wir  später  mit  einander  ausmachen,  wenn  einst  Zeus 
uns  verstattet,  den  himmlischen  ewigen  Göttern  im  Palast  einen  Kpnrfip 
AcuGepoq  aufzustellen,  nachdem  wir  aus  Trojas  Gebiet  die  woblbcschienten 
Achäer  vertrieben  haben".  So  seltsam  der  Ausdruck  ist,  so  kann  mit 
ihm  dem  Zusammenhange  nach  nichts  anderes  als  ein  Misch krug  zu 
Ehren  der  wiedererlangten  Freiheit  gemeint  sein. 

Auf  römischem  Boden  liegt  der  früheste  Beleg  für  den  Gebrauch  des 
Wortes  Uber,  und  zwar  cbenfallls  in  dem  Sinne  von  politisch  frei',  in 
jenem  alten  Königsgesetz  des  Numa  vor,  welches  befiehlt:  Si  qui  ho- 
minem  liberum  dolo  »dem  morti  duit,  paricidas  esto,  d.  h.  nach  der 
wahrscheinlichsten  Erklärung:  „Wer  einen  freien  Bürger  mit  arger 
List  wissentlich  tötet,  soll  als  Sippenmörder  gelten".  Einen  noch  älteren 
Beweis  aber  für  das  Vorhandensein  von  Uber  »politisch  frei*  kann  man 
aus  «lern  Nebeneinanderliegen  von  Uber  ,frei'  und  Uberi  ,die  Kinder' 
entnehmen  (s.  u.l. 

Was  endlich  die  Germanen  anbetrifft,  so  ist  soviel  sicher,  dass  in 
allen  altgermanischen  Mundarten  unser  Wort  „frei"  zur  Bezeichnung  des 
Staudes  der  ingenui  gebraucht  wird.  Daneben  scheint  allerdings  eine 
bereits  vorgerücktere  Bedeutungsentwicklung  in  der  gemeingermanischen 
Zusammensetzung  von  got.  freihals  .Freiheit',  ahd.  frihals  ,liber'  vor- 
zuliegen; denn  wenn  diese  Wörter,  wie  man  allgemein  annimmt,  wirklich 
Frcihalsigkcit  und  Freihals  bedeuten,  so  würde  doch  wohl  ahd.  fri-hah 
nicht  einen  bezeichnen,  der  den  Hals  eines  Freien  hat,  sondern  viel- 


Digitized  by  Google 


806 


Stände. 


mehr  einen,  der  einen  freien,  d.  h.  nicht  durch  Ketten  (wie  beim  Kriegs- 
gefangenen) oder  sonst  beschwerten  Hals  hat.  Alsdann  würde  aber 
«frei"  in  dieser  alten  Zusammensetzung  nicht  mehr  in  rein  politischem 
Sinne  zu  nehmen  sein. 

Das  letzte  und  entscheidende  Wort  über  den  Hedeutungsausgang  der 
drei  Wörter  wird  daher  doch  die  Etymologie  zu  sprechen  haben. 

Unser  „frei",  von  dem  auszugehen  nützlich  sein  wird,  lautete  in  ur- 
germanischer Zeit  *frija-s,  welches  genau  dem  altindischen  priyd-s 
entspricht,  das  aber  ,lieb',  ,tener',  »erwünscht'  bedeutet.  Da  sich  nun 
unschwer  erweisen  lägst,  dass  diese  letztere  Bedeutung,  schon  wegen 
der  neben  gat.frei*  ,frei'  liegenden  frijtm  .lieben",  frijönds  , Freund", 
die  frühere,  auch  im  Germanischen  einstmals  vorhandene  war,  so  erhebt 
sich  die  Frage,  wie  ein  Wort,  das  ursprünglich  ,licb',  , Freund'  be- 
zeichnete, zu  dem  Sinne  von  .frei*  gelangt  sein  könne. 

Die  Antwort  hierauf  giebt  der  Hinweis  auf  das  schon  oben  genannte 
sert.  ä'rya-  ,der  Arier*.  Nach  der,  wie  es  scheint,  ganz  einwandfreien 
Deutung  Böhtlingk-Roths,  Zimmers  und  anderer  ist  jenes  ä'rya-  nun 
nichts  als  eine  Ableitung  von  aryd-  freundlich",  .hold',  ,treu',  ,froram' 
und  bezeichnet  also  einen,  der  zu  den  Freunden  gehört.  Im  Gegensatz 
zu  den  eingeborenen  ddsd-,  d(W-,  ddsyu-,  die  als  Sklaven  und  Skla- 
vinneu oder  Beischläferinnen  in  den  Häusern  der  Arier  auftreten,  kenn- 
zeichnet ä'rya-  die  erobernd  im  Pendjab  vordringenden  Indogermaneu 
und  fasst  nach  und  nach  die  drei  oberen  Stände  der  hrähmanä-,  ksha- 
triya-,  und  ta't<;ya-  zu  einer  Einheit  zusammen.  Es  ist  (etwa  neben 
dem  ähnliches  bedeutenden  jämi-  ,versippt*  im  Gegensatz  zu  djdmi- 
,unversippt",  vgl.  Ludwig  Rigv.  III,  207)  der  eigentliche  altindische 
Ausdruck  für  ,frei\  Wenn  der  Inder  sagen  will:  „er  ist  ein  freier 
Mann",  so  wählt  er  den  Ausdruck:  „er  ist  ein  Arier'*. 

So  versteht  man  nun  urgermanisches  *frija-tt,  unser  rfreiu  =  sert. 
pHyd-8  ,lieb  ohne  weiteres.  *Frijas  ist  an  Stelle  des  in  den  ger- 
manischen Spraeheu  verloren  gegangenen  aryd-,  ä'rya-  getreten  und 
bedeutete  zunächst  den  Freund  und  Verwandten,  dann  den  Volksge* 
nossen,  zuletzt  den  freien  Volksgenossen,  ganz  wie  in  Indien,  im  Gegen- 
satz zu  allophylen  und  verknechteten  Volksbestandteilen. 

Dieselbe  Entwicklung  hat  in  dem  benachbarten  Keltisch  statt- 
gefunden. Während  das  Irische  das  altindische  ä'rya-  oder  eine  Ab- 
leitung hiervon  dryaka-  in  Gestalt  von  aire,  airech  ,princeps',  dem 
Namen  für  eine  höhere  Stufe  der  Freiheit,  bewahrt  hat,  ist  in  den 
altkymrischen  Gesetzen  das  dein  indischen  priyd-  »lieb*  lautgesetzlich 
entsprechende  rhydd,  wie  im  Germanischen,  der  gewöhnliche  Ausdruck 
für  ,frei'.  Dieselben  Leute  heissen  auch  boneddig,  d.  h.  , Menschen,  die 
einen  Ursprung  (kymrisch  bonedd)  haben'.  Es  sind  die  echten  Kymren 
den  Nichtkymren  und  Fremden  gegenüber,  die  teils  als  Hörige,  teils 
als  Unfreie  auftreten.   Es  begegnet  uns  hier  also  dieselbe  Vorstellung, 


Digitized  by  Google 


Stände.  807 

nämlich  dass  nnr  der  zum  Stamme  gehörige  frei  sei,  in  einer  etwas 
anderen  sprachlichen  Konzeption,  die  auch  auf  altiranischcm  Boden 
wiederkehrt,  wo  frei  awestisch  teüta-,  npers.  äzäd  (vgl.  dZcmr  £Xeu- 
tepia  Trapd  TTc'pffaiq)  heisst,  d.  i.  als  von  zan  .gebären'  abgeleitet,  so 
viel  wie  lateinisch  in-genuus,  der  ,ein-gcborcne',  der  ,im  Stamme  ge- 
borene'. 

Im  Germanischen  aber,  zu  dem  wir  zurückkehren,  ist  der  Bedeutungs- 
übergang von  »Volksgenosse',  also  .Freund'  zu  ,frei'  auch  in  den 
Einzelsprachen  ein  ganz  geläutiger.  Ein  besonders  einleuchtendes 
Beispiel  hierfür  bietet  longobardisch  arimannus  (von  got.  harji*  ,Hcer'), 
eigentlich  ,Hcergenossc*,  dann,  weil  nur  der  freie  Mann  Heer-  oder 
Volksgenosse  ist  (denn  beide  Begriffe  decken  sich  in  jenen  Zeiten)  = 
,frei'.  Man  kann  sogar  tirimanna  mulier  und  feminae  arimannae 
sagen.  Ähnliches  gilt  aber  auch  von  JSa/icus,  Ripuarius,  Francas, 
über  die  auf  .1.  Grimms  Rechtsaltertümcr  verwiesen  werden  kann. 

Lässt  sich  nun  aus  den  bisherigen,  die  indisch-iranischen  und  keltisch- 
germanischen  Sprachen  betreffenden  Erwägungen  etwas  für  die  Be- 
urteilung der  beiden  südeuropäischen  Ausdrücke,  griechisch  ^X€u0epo<; 
und  lateinisch  Uber,  gewinnen? 

Griechisch  ^Xeoeepo«;  wurde  von  den  Alten  erklärt  wapd  tö  £\€ü- 
6civ  öttou  ^pa,  d.  h.  „frei  ist  wer  hingehen  kann,  wohin  es  ihm  gefällt", 
und  neuere  Etymologen,  z.  B.  G.  Curtius,  sind  ihnen,  indem  sie  auf 
die  Freizügigkeit  als  auf  ein  charakteristisches  Merkmal  namentlich 
der  germanischen  Freiheit  hinwiesen,  hierin  gefolgt.  Allein  abgesehen 
davon,  dass  es  für  einen  solchen  Ursprung  eines  Wortes  für  ,frei'  an 
jeder  Analogie  fehlt,  haftet  in  der  ältesten  Sprache  an  dem  Stamme 
4Au9-(nXu6ov,  £Xeuo*oucu,  tiXr|Xou6a),  der  nach  der  obigen  Annahme  in 
£Xeü6€po<;  vorläge,  und  der  von  dXe-(nX8ov)  vielleicht  lautlich  ganz  zu 
trennen  ist  (vgl.  Wackcrnagel  Delmungsgcsctz  S.  3),  gar  nicht  die  Be- 
deutung ,weggchn'  (abire),  sondern  die  Bedeutung  »ankommen'  (per- 
venire),  und  wenn  man  sich  nun  auch  zur  Not  vorstellen  kann,  dass 
,frei'  ein  Mann  ist,  der  hingehen  kann,  wohin  es  ihm  beliebt,  so  gilt 
das  gleiche  doch  nicht  von  einem  Manne,  der  ankommen  kann,  wo 
es  ihm  gefällt. 

Noch  viel  bedenklicher  scheint  die  von  anderen  beliebte  Verbindung 
von  itevQtpoq  mit  nhd.  „liederlich",  wobei  etwa  „frei"  in  Ausdrücken 
wie  „eine  freie  Person u  (von  einem  Mädchen  gesagt)  das  verknüpfende 
Band  bilden  würde;  denn  die  ältere  Bedeutung  des  deutschen  Wortes 
ist  ,minderwertig',  .schlecht'  —  man  sagt  mundartlich  noch  heute:  ^cs 
geht  mir  liederlich"  — ,  wobei  natürlich  jede  Möglichkeit  einer  Bc- 
deutungsvermittlung  fehlt. 

Vielmehr  dürfte  die  Erklärung  von  griechisch  ^Xeuöcpoq  ganz  wo 
anders,  um!  zwar  in  dem  schon  erörterten  Ideenkreis  zu  suchen  sein. 

Es  gab  in  der  indogermanischen  Grundsprache  einen  Stamm  *leudho-, 


Digitized  by  Google 


808 


Stünde. 


*leudhu-,  *leudhi-,  der  ,Volk',  , Volksgenosse',  , Mensch'  bedeutete.  Er 
ergebt  sieh  aus  altsl.  Ijudü  ,Volk',  ljudi  ,Mensch',  ahd.  Hut,  leod, 
agls.  Uod  ,VoIk',  mhd.  Hute,  agls.  Uode,  unser  „Leute".  Die  Wurzel 
dieses  Stammes  ist  in  got.  liudan  ,wachscn'  =  sert.  rtidh,  rtth  erhalten 
(s.  Analoga  u.  Stamm  und  u.  Volk).  Dieses  indogermanische  *leudho- 
,populus'  musste  nun  im  Griechischen  lautgesetzlich  zu  *d-Xeu0o-? 
werden,  und  wie  in  dieser  Sprache  ein  qpoßcpo;  .schrecklich'  neben  (pößcx; 
, Schrecken',  ein  bpocftpö;  ,tauig'  neben  bpöo*o?  ,Tau'  lag,  ebenso  darf 
man  annehmen,  lag  neben  *€-Xeu9o-?  ,Volk'  ein  4Xeü6epo£  ,zum  Volke 
gehörig',  dann  ,frei'.  Der  Akzent  wird  auch  hier  einst  auf  der  letzten 
Silbe  gestanden  haben,  und,  nachdem  der  Stutzpunkt  des  Adjektivums, 
das  Substantivum  *e-Xeu8o-<;  durch  andere  Wörter  für  Volk  verdrängt 
worden  war,  von  seiner  ursprünglichen  Stelle  verrückt  worden  sein. 

Eine  Unterstützung  findet  diese  Erklärung  weiterhin  darin,  dass 
sowohl  im  Germanischen  wie  auch  im  Slavischcn  von  eben  diesem 
Stamme  Heudho-  .Volk'  zweifellos  Wörter  für  ,frci*  gebildet  worden 
sind,  nämlich  einmal  burgundisch  lettdfo,  das  in  der  burgundischen 
Rechtsspiache  ganz  ähnlich  wie  das  oben  genannte  longobardische  ari- 
mannus  gebraucht  wird,  das  andere  Mal  altruss.  ljudini,  das  in  dem 
Gericht  des  Jaroslav  Wladimirowitsch,  einer  altrussischen  Rechtsquelle 
des  XIII.  Jahrhunderts,  ebenfalls  den  gemeinen  Freien  (dessen  Wergeid 
40  Grivnen  beträgt)  bezeichnet. 

So  bleibt  das  lat.  Uber  übrig,  Stamm  *leibro-,  Hoibro-  (altlat.  lieber- 
totem),  neben  dem  ein  oskischer  Stamm  *loufro-  (osk.  Lücfvrei* 
,Liberi\  lovfrlkonoss  ,ingenuos',  falisk.  loferta)  liegt.  Verbindet  man 
diese  Wörter,  wie  es  die  Mehrzahl  der  Sprachforscher  thut  (vgl.  zuletzt 
Hrugmann  Grundriss  1*.  1  S.  107,  197,  anders  Fick  Vergl.  W.  I4,  538), 
mit  griech.  dXeüetpo?,  so  würde  bereits  ein  graeco-italisches  *leudh(e)ro- 
,popularis',  .Volksgenosse',  ,frcier  Volksgenosse',  ,frei'  anzusetzen  sein. 
Man  könnte  vermuten,  dass  in  dem  schon  oben  angeführten  Königs- 
gesetz  des  Numa  die  für  Uber  vorausgesetzte  Bedeutung  von  ,popularis' 
noch  durchblicke,  so  dass  dann'  ganz  im  Sinne  der  Brunncnmeistcr- 
schen  Auffassung  des  römischen  Tötungsverbrechens  zu  übersetzen  wäre: 
„Wer  einen  Stammesgenossen  tötet,  soll  einem  Sippenmörder  gleich 
gelten"  (s.  u.  Blutrache,  Mord,  Sippe).  Sehr  gut  würde  sich  dann 
auch  das  Nebeneinanderliegen  von  Uberi  ,die  Freien'  und  liberi  ,die 
Kinder'  erklären.  Letzteres  bedeutete  alsdann  ursprünglich  die  ,im 
Stamme  geborenen',  die  »eigentlichen',  die  ,echtcn',  wofür  Analoga  u. 
Kind  und  u.  Ehelich  angegeben  sind. 

So  hat  sich  gezeigt,  dass  in  weiten  Teilen  der  idg.  Völkerwelt, 
vielleicht  in  allen,  mit  Ausnahme  des  litu-slavischen  Gebietes  (hier 
gelten  russ.  volinyj,  volinosti  ,frei,  Freiheit'  :  lat.  velle,  lit.  laiswan 
,frei'  :  griech.  Xnjma  , Wille',  \r\v  .wollen';  aus  dem  Slavischeu  entlehnt: 
lit.  ictünas  ,frei';  vgl.  jedoch  oben  russ.  ljudini),  der  Begriff  der 


Digitized  by  Google 


Stände. 


H09 


Freiheit  in  politischen  Verhältnissen  und  zwar  in  dem  Gegensatz 
/wischen  einer  stammhaften  und  nicht  stammhaften  Bevölkerungsschicht 
geboren  wurde.  Es  liegt  ja  auf  der  Hand,  dass,  wenn  alle  frei  sind, 
«die  Vorstellung  der  Freiheit  nicht  aufkommen  kann.  Den  günstigen 
Boden  zur  Perzeption  des  letzteren  Begriffes  boten  offenbar  in  Europa 
wie  in  Indien  allophyle  Volksbestandteile,  welche  den  Indogermanen 
bei  ihrer  Ausbreitung  entgegentraten,  und  die  von  ihnen  entweder 
(das  wird  das  ursprünglichste  gewesen  sein)  vertilgt  wurden  (s.  u. 
Opfer)  oder  in  mannigfaltige  Verhältnisse  der  Unfreiheit  ein- 
traten (vgl.  Vf.  Z.  f.  Soeiahvissenschaft  I  Band,  5.  Heft  1898). 

II.  Freiheit  und  Unfreiheit. 

Derartige  Vorgänge,  welche  sich  ursprünglich  zwischen  Indogermanen 
und  Nicht-lndogermanen  abspielten,  setzten  sich  später  auch  in  dem 
Verhältnis  von  Indogermanen  zu  Indogermanen,  ja,  in  dem  von  ver- 
schiedenen Stämmen  eines  und  desselben  idg.  Volkes  unter  einander 
fort.  So  sind  im  Peloponncs  vorher  eingesessene  Achäcr  zu  den  Heloten 
(eiXuiTH?  :  4X€iv  ,gefangen  nehmen'?)  der  Lacedämonier.  in  Thessalien 
vorher  eingesessene  Pcrrhäber  und  Magneten  zu  den  Penesten  (-ntviOTt]^ 
:  lat.  penes  ,iu  der  Gewalt  Jemandes  )  der  Thessalier  geworden  u.  s.  w. 
Unterwerfung  und  Gefangennahme  im  Krieg  wird  daher  auch  in  Europa 
überall  als  die  ursprünglichste  Quelle  der  Unfreiheit  zu  bezeichnen  sein. 
Dem  entspricht  es,  wenn  im  Griechischen  der  Sklave  als  aixuäXwros 
,der  mit  dem  Speer  erbeutete',  im  Lateinischen  als  sercus  (:  griech. 
*ipepo£  aus  *8ervero-  .Gefangenschaft'),  im  Kymrischen  als  caeth  (  = 
lat.  captus,  vgl.  auch  aitn.  haptr  , Leibeigener'),  im  Altslovenischen 
als  pUnlnikü  :  plenü  , Beute.  Gefangenschaft'  (vgl.  Ewers  Ältestes  Recht 
S.  157)  bezeichnet  wird. 

Hierzu  tritt  dann  als  eine  weitere  Ursache  der*  Sklaverei  mit  der 
Hebung  des  Verkehrs  der  Stämme  unter  einander  und  mit  fremden 
Kulturvölkern  der  Kauf,  bezüglich  Verkauf  von  Sklaven  hinzu.  Lange 
Zeit  werden  die  idg.  Völker  des  Mittelmeergebietes  sich  vorwiegend 
in  der  letzteren  Rolle  (d.  h.  als  Verkäufer  ihrer  Kriegsgefangenen) 
bewegt  halten.  So  schildert  schon  die  Ilias  (VII,  475)  die  Achäer  vor 
Troja,  wie  sie  von  den  (tyrrhenischen)  Lemniern  Wein  auch  gegen 
Sklaven  einkaufen.  Entsprechend  handeln  die  Thraker  ein  anderes 
Kulturgut,  das  Salz,  für  Sklaven  ein.  Vgl.  Suidas  unter  äXiuvnjov :  ot 
fäp  0päK€?  dvopctTroba  äXwv  änebibovTO.  Als  erster  griechischer  Staat, 
in  welchem  man  in  grösserem  Umfang  von  gekauften  Sklaven  (dpru- 
pujvnTOi  boüXoi)  Gebrauch  machte,  wird  Chios  (Athen.  VI,  p.  265b) 
genannt;  doch  sind  auch  schon  in  der  Odyssee  Eumaios  und  Eurykleia 
-durch  Laertes  Seeräubern  abgekauft  worden.  Gerade  in  Hinblick  aut 
<icn  Sklavenhandel  wird  sich  die  Auffassung  des  Sklaven  als  einer 
dem  Vieh  vergleichbaren  Ware  oder  Sache  herausgebildet  haben,  die 


Digitized  by  Google 


810 


Stände. 


anfänglich  in  Alteuropa  (s.  u.)  nicht  nahe  lag.  Sprachlich  spiegelt 
sie  sich  in  Ausdrücken  wie  scrt.  dcipada-  .Sklave  und  Sklavin',  eigentl. 
,zweifüssiges'  (sc.  Vieh),  griech.  dvbpdTrobov,  eigentl.  ,nicnschenfüssiges' 
(sc.  Vieh),  ahd.  manahouhit  .Sklave',  eigentl.  jmenschenhäuptiges'  i^sc. 
Vieh,  vgl.  mlat.  capitale  =  engl,  cattle),  lat.  maneipium  u.  a.  All- 
mählich strömten  in  Folge  des  immer  sich  steigernden  Bedarfs  an  Sklaven 
zunächst  in  den  grossen  Metropolen  Eingehorene  aller  Herren  Länder 
zusammen.  Griechen  und  Römer  nennen  in  Folge  dessen  gern  den 
einzelnen  Sklaven  nach  dem  Lande,  aus  dem  er  gekauft  war,  z.  B.  griech. 
Aqo<;,  r€Tn.S,  lat.  Dacux,  Sttrim  u.  s.  w.  Ähnlich  ist  es,  wenn  im 
Mittelalter  hei  neutschen  und  Romanen  der  Sklave  einfach  als  Slave 
bezeichnet  wird,  wahrscheinlich  weil  damals  hauptsächlich  Mensehen 
dieses  Volks  (altsl.  Xlot  hiinü)  durch  italisch-byzantinische  Vermittlung 
(griech.  'EtficXaßnvoi)  nach  dem  Westen  kamen.  Vgl.  noch  agls.  tcealh 
,Kelte'  und  »Sklave'. 

Ausser  durch  Gefangenschaft  iim  Krieg  oder  bei  Raubzügen)  und 
durch  Kauf  können  aber  fremde  Elemente  noch  auf  einem  dritten, 
mehr  freiwilligen  Weg  bei  einem  anderen  Stamme  in  den  Zustand  der 
Unfreiheit  gekommen  sein.  Es  muss  frühzeitig  geschehen  sein,  dass 
Leuten  eines  fremden  Stammes,  einzelnen  und  ganzen  Geschlechtern, 
die  aus  irgend  einem  Grunde  die  Heimat  verliessen  oder  verlassen 
mussten  («.  u.  Blutrache),  gestattet  wurde,  sich  bei  einem  andern 
Stamme  anzusiedeln.  Ein  solches  Verhältnis  kann  naturgemäss  nur 
als  ein  unfreies  gedacht  werden.  Charakteristisch  für  den  Zustand 
solcher  Leute  ist  der  der  altirischen  fuidirs,  wie  sie  die  Brehon-Gesetze 
schildern  (vgl.  Maine  Early  history  of  institutions0  S.  1 73).  In  den 
noch  nicht  aufgeteilten  Gebieten  des  Stammlands  von  den  Häuptlingen 
angesiedelt,  sind  sie  wirtschaftlich  und  rechtlich  von  diesen  abhängig 
und  tragen  zu  den*!!  Wachstum  an  Ansehn  und  Reichtum  ein  wesent- 
liches bei.  Ähnlich  wird  die  Geschichte  und  die  Lage  von  Bevölkerung»- 
schichten  wie  der  homerischen  ucTavdaiai  „der  Umsiedler"-  i  vgl.  hom. 
d-riuriToq  ueTavdaTTK),  vielleicht  auch  von  Bestandteilen  der  römischen 
plebes  zu  beurteilen  sein. 

Wenn  es  somit  zunächst  der  Gegensatz  von  E  i  n  h  e  i  m  i  s  e  h  und 
F  r  c  m  d  ist,  der  den  Unterschied  von  Frei  und  Unfrei  hervorruft,  so 
arbeitet  in  derselben  Richtung  der  mehr  und  mehr  sich  zuspitzende 
Gegensatz  von  Reich  und  arm  (s.  d.).  Auch  hier  sind  es  wiederum 
die  altirischen  Gesetze,  welche  ein  äusserst  lebendiges  Bild  entwerfeu, 
wie  innerhalb  einer  ursprünglich  im  wesentlichen  gleichen  und  freien 
Bevölkerung  und  auf  einer  Kulturstufe,  welche  die  Metalle  als  Wert- 
messer noch  nicht  kennt,  und  deren  einziger  Reichtum  der  Vichbesitz 
ist,  wirtschaftliche  und  dadurch  persönliche  Abhängigkeitsverhältnisse 
sich  herausbilden  können.  Näheres  hierüber  ist  u.  S  c  h  u  I  d  e  n  mit- 
geteilt worden.  Der  altirische  Name  für  einen  in  der  dort  geschilderten 


Digitized  by  Google 


Stände. 


811 


Weise  in  Abhängigkeit  geratenen  Volksgenossen  ist  ctfe  (von  Stokes 
Urkeltischer  Sprachschatz  mit  lat.  cactda  , Soldatemliener'  verglichen). 
Es  liegt  aber  auch  sehr  nahe,  das  gemeinkeltische  *ras«o-  (ir.  foss 
,Diener',  kymr.  gu-as  ,servus *),  ans  dem  die  Bezeichnung  des  mittel- 
alterlichen Begriffs  der  Vasallität  (mlat.  cassus,  cassallus,  it.  üussallo) 
entsprungen  ist,  auf  dieses  Verhältnis  zu  beziehen.  Eine  Erklärung 
des  keltischen  Wortstaiumcs  ist  aber  noch  nicht  gefunden  (die 
Vergleichung  mit  griech.  dffrö?  , Bürger'  bei  Brugmann  Grundriss 
I2,  2  S.  771  ist  inhaltlich  nicht  wahrscheinlich).  Auf  gleichem 
Wege,  wie  die  irischen,  werden  ferner  die  mannigfachen  Verhält- 
nisse der  Unfreiheit  entstanden  sein,  die  Caesar  bei  den  nächsten 
Verwandten  der  Iren,  bei  den  festländischen  Galliern,  vorfand,  die  der 
diente«,  obaerati  u.  s.  w.  Auch  die  Verschuldung  des  athenischen 
Demos  den  Eupatridcn  oder  die  der  Plebejer  den  Patricieru  gegenüber 
und  andere  Verhältnisse,  die  beim  Beginne  der  Überlieferung  uns  schon 
als  abgeschlossene,  sozialgesetzlicher  Heilung  dringend  bedürftige  That- 
sachen  entgegentreten,  können  aus  jenen  in  den  Brehon-Gesetzen  ge- 
schilderten Zuständen  Licht  erhalten.  Der  Schuldner,  auch  der  Schuldner 
im  Spiel  (s.  d.),  kann  im  ganzen  Altertum  zum  Sklaven  des  Gläubigers 
werden.  Charakteristisch  aber  für  den  Grundgedanken,  dass  der  dem 
Stamme  angehörige  frei  sei,  scheut  man  davor  zurück,  den  verschul- 
deten Volksgenossen  daheim  als  Sklaven  zu  verwenden,  sondern  man 
entledigt  sich  seiner  durch  Verkauf  in  die  Fremde.  In  Athen  wie  in 
Rom  ist  es  für  die  älteste  Zeit  undenkbar,  dass  ein  Athener  oder 
Römer  daheim  Sklave  sei.  Dieselben  Anschauungen  fand  Tacitus  auch 
bei  den  Germanen  hinsichtlich  der  dnreh  Spielschuld  leibeigen  ge- 
wordenen Stammesgenossen  (Genn.  Cap.  24 :  Servo«  condicionix  huius 
per  commercia  tradunt,  ut  se  quoque  pudore  victoriae  erolrant). 
Soviel  über  die  ältesten  Entstehnngsgründe  der  Unfreiheit!  —  Die 
Lage  der  Sklaven  muss  in  der  frühsten  Zeit  eine  günstige  gewesen 
sein,  um  so  günstiger,  je  primitiver  die  Kulturverhältnisse  wareu,  eine 
Erscheinung,  die  uns  auch  bei  sogenannten  Naturvölkern,  z.  B.  bei 
afrikanischen.  Ackerbau  treibenden  Negervölkern  entgegentritt,  die 
schon  bei  Ankunft  der  Europäer  sich  im  Besitz  eines  Sklavenstandes 
befanden.  Für  die  Indogcrmancn  Europas  wird  dieses  milde  Los  der 
Sklaven  bezeugt  durch  den  Bericht  des  Tacitus  über  die  Germanen 
und  den  (wohl  etwas  phantastischen)  des  Maurikios  über  die  Slavcn. 
Vgl.  Genn.  Cap.  20:  Dominum  nc  «ert-um  nullt«  educationüs  deliciis 
dignoscas:  int  er  eadem  pecora,  in  eadem  humo  deguntr  donec  aetas 
separet  ingenuo«,  virtu« ■  agnoteat  und  Cap.  25:  Verberare  «ercum  ac 
vineulis  et  opere  coercere  ramm  :  occidere  solent,  non  dixcipUna 
et  «everitate,  Med  impetu  et  ira,  ut  inimicum,  nisi  quod  impune  e«t, 
ferner  Maurikios  Cap.  5:  tou?  bk  övxaq  iv  Taiq  alxMaXujcriatq  nap' 
aCrroiS,  oük  dopiOTtu  xpovw,  ibq  td  Xomd  £9vn,,   iv  bouXciq  Kaxe'xoumv, 


Digitized  by  Google 


«12 


Stände. 


dXXd  (SnTÖv  öpi2ovT€?  aürotq  xpovov,  dv  tt)  Yvwurj  aüTuiv  iroioövTai,  €lr€ 
Qi\ovo\v  iv  toi?  tbioiq  ävaxuipnaai,  nerd  tivo?  ma8oü,  i\  udvoutfi  dKtuo*€ 
iXeOBepot  Kai  91X01.  Nicht  weniger  wird  den  heidnischen  Russen  darch 
den  Araber  Ibn  Dustab  (um  912  n.  Chr.,  vgl.  W.  Tbomsen  Ursprung 
d.  russ.  Staats  8.  26  f.)  bezeugt,  dass  sie  ihre  Sklaven  gut  hielten. 
Aber  auch  im  ältesten  Korn  kanu  nicht  von  jeher  die  Auffassung  be- 
standen haben,  dass  der  Sklave  nur  eine  Sache  sei.  Allein  schon  die 
Bestimmung  der  Zwölftafeln:  *S't  os  f regit  libero,  CCC,  servo,  CL 
poenam  subito  sestertiorum  beweist,  dass  der  Sklave  damals  als  eine 
Persönlichkeit  anfgefasst  wurde,  die  nur  geringer  als  der  Freie 
taxiert  wurde. 

Die  Gründe  dieser  geringen  Betonung  des  Standesunterschiedes 
zwischen  Frei  und  Unfrei  liegen  einerseits  in  den  allgemeinen  Kultur- 
zuständen, andererseits  in  den  besonderen  Rechtsverhältnissen  der  idg. 
Hausgemeinschaft.  Wo  die  Lebensführung  noch  eine  so  niedrige  ist, 
dass,  wie  es  in  den  Brehon-Gesetzen  geschieht,  der  Häuptling  als  Teil 
der  Leistungen  seines  cele  Unterhalt  an  dessen  Tisch  beanspruchen 
kann,  wo  es  noch  an  besonderen  Räumen  für  die  Dienerschaft  im 
Hause  (s.  d.)  fehlt,  und  alles,  mitunter  auch  das  Vieh  (s.  u.  Stall 
und  Scheune),  in  dem  einen  Herdraum  bei  Tag  und  Nacht  ver- 
sammelt ist,  ergicht  sich  der  Znstand,  wie  ihn  Tacitns  in  der  ersten 
der  angegebenen  Stellen  beschreibt,  von  selbst.  Wie  der  Sklave,  unter- 
stehen alle  übrigen  in  der  Familie  «ler  strengen  patria  potestas  des 
Hausherrn.  Wie  soll  da  eine  scharfe  Unterscheidung  von  Frei  und 
Unfrei  hervortreten?  Noch  im  ältesten  Rom  rauss  (nach  Mitteilungen 
F.  Knieps)  die  Stellung  der  Hauskinder  der  der  Sklaven  sehr  ähnlich 
gewesen  sein.  Über  beide  übte  der  Hausherr  seine  Gerichtsbarkeit 
aus,  beide  hatte  er  wegen  begangener  Delikte  zu  vertreten,  beide 
konnten  in  dem  peculium  sich  eine  Art  selbständigen  Vermögens  er- 
werben u.  s.  w. 

Für  diese  enge  Zusammengehörigkeit  des  Sklaveu  mit  der  Familie 
seines  Herren  beweisend  ist  endlich  die  bisher  noch  nicht  genannte 
grosse  Anzahl  der  Benennungen  des  Sklaven  oder  Unfreien  überhaupt, 
die  denselben  entweder  als  ,zura  Hause,  zur  Familie  gehörig' 
bezeichnen,  oder  in  denen  die  Bedeutungen  , Hauskind'  und  ,Sklavc' 
vielfach  in  einander  übergehen. 

Zu  der  ersteren  Kategorie  stellen  sich  im  Griechischen:  bmi*;, 
buuun.  , Knecht'  und  ,Magd'  (auch  kret.  uviba,  uvu/rai  ^Leibeigene  der 
Gemeinde',  mn-  aus  nm-,  dm-t),  dbpevibt^  •  boöXcu  :  böuoq  ,Haus', 
bcffTTÖTri?  , Hausherr',  ohc€u<;,  ohctlTnt  :  oTko?  (vgl.  Athen.  VI,  p.  267  b: 
biacplpeiv  b^  <pn°*1  XpüoiTmoq  bouXov  oWltov  bid  to  tou?  dTtcXeuG^poix; 
ii&v  boüXouc  £ti  elvat,  oiKt-Ta?  bk  rovq  prj  jf\$  ktt|0*€uj?  dqpei^vou?), 
boöXoq,  dor.  buiXo?,  das  von  Hesych  mit  olnia  glossiert  wird  und  wahr- 
scheinlich zunächst  selbst  ,Haus,  Hausgemeinschaft'   bedeutet  *  (vgl. 


Digitized  by  Google 


Stunde. 


813 


Johansson  I.  F.  III,  224  ff.),  im  Lateinischen:  famulus,  eigentl. 
,Hausbewohner'  (s.  u.  Familie),  im  Keltischen:  ir.  inailt  ,serva'  : 
ailt  ,Haus'  (Johansson  a.  a.  0.  S.328),  im  Germanischen:  agls.  hiwan 
PI.  »Diener,  ahd.  hiwiski  ,Familie  nnd  Hausgesinde'  etc.  :  *heiwa-  in 
got.  heiwa-frauja  ,Hansherr',  im  Slavischen:  altsl.  celjadinü  »Sklave' 
:  ieljadl  »Familie*,  seminü  ,mancipium'  :  klrnss.  semja  »Familie'  (vgl. 
auch  altpr.  seimim  .Gesinde')  a.  s.  \v. 

Hinsichtlich  der  zweiten  der  oben  genannten  beiden  Klassen  von 
Bezeichnungen  (vgl.  dazn  auch  J.  Grimm  D.  R.-A.  S.  228)  ist  zunächst 
auf  grieeb.  nai?  und  lat.  puer  zu  verweisen,  die  häufig  auch  im  Sinne 
von  »Sklave',  letzteres  namentlich  in  Eigennamen  (z.  B.  Marcipor  »Sklave 
des  Marcus'),  gebraucht  werden.  Nach  Püning  Hist.  nat.  XXXIII,  26 
(vgl.  auch  Val.  Max.  IV.  4,  11  hätten  die  ältesten  Römer  sich  nur 
einen  Sklaven,  den  sie  puer  nannten,  gehalten.  Von  wenigen  Sklaven 
wird  auch  für  die  altgriechischen  (Athenacus  VI,  p.  264c)  und  altger- 
manischen Verhältnisse  auszugehn  sein.  Vgl.  weiter:  got.  pius  »Knecht', 
piwi  , Dienerin',  ahd.  deo,  diu  (dionön),  wenn  es  richtig  zu  griech. 
T&CVOV  (s.  u.  K  i  n  d)  gestellt  wird  (anders  Uhlenbeck  Et.  \V.  d.  got. 
Sprache),  ir.  mog,  mug  »Sklave'  :  got.  magus  »Knabe',  maici  »Mädchen' 
(doch  können  die  germanischen  Wörter  auch  mit  ir.  macc  .Knabe, 
Sohn'  vereinigt  werden),  altsl.  rabü  »Sklave'  (womit  vielleicht  auch 
got.  arbaip8  .Arbeit'»  eigentl.  »Sklavenwerk'  verbunden  werden  darf): 
sert.  drbha-y  drbhaka-  »klein,  schwach,  Knabe',  gemeinst,  altsl.  chlapü, 
in  dem  die  Bedeutungen  »Knecht'  und  »Knabe'  schwanken,  altpr.  waix 
»Knecht',  wat/klis  »Sohn'  u.  a.  Ihren  Ausgangspunkt  wird  diese  Termino- 
logie in  den  Sklaven  k  i  n  d  e  rn  gehabt  haben,  für  die  ein  besonderes 
Wort  im  Griechischen  vorhanden  war  (aivbpiwv  ,bou\6»cbou\os'  Athenaeus 
VI,  p.  267  c). 

Schliesslich  ist  zu  bemerken,  dass  hie  und  da  auch  Wörter  für 
Mensch  (s.  u.  Mann)  dazu  dienen,  Unfreie  und  Halbfreie  zu  bezeichnen. 
So  altn.  7iian  X.  »maneipiunr  (vgl.  J.  Grimm  D.  R.-A.  S.  301),  longob. 
und  bair.  aldius,  aldio,  altio  (neben  dem  noch  unerklärten  niederd. 
Ausdruck  ^Litenu  ein  Mittelding  zwischen  Freien  und  Knechten  be- 
zeichnend) :  alts.  eldi  »Menschen'  (vgl.  unser  „Leute"  im  Sinne  von 
Dienstboten)»  phryg.  Ecm-cXcv  ßdpßapov  ävbpänobov  Hes.  :  lat.  homo, 
*hemö,  got.  guma  u.  a.  Sowohl  die  Wörter  fUr  Knabe  wie  die  ftir 
Mann  zeigen  aus  unten  zu  erörternden  Gründen  die  Neigung,  in  die 
Sphäre  des  Adels  aufzusteigen. 

Manches  bleibt  dunkel.  Z.  B.  das  gemeingerm.  got.  skalks  (vgl. 
ir.  scoloc  .colon  d'un  monastere'»  Mem.  de  la  soc.  de  Hngu.  VII,  291  f.?), 
das  von  Festus  bezeugte  *anculo-  »Sklave',  aneulare  (mit  ancilla  wohl 
zu  dem  Praenomen  Ancus  gehörig),  lit.  wirgas  »Unfreier,  Sklave'  (:  hom. 
omitöF€pYO€,  Demiurgen  auch  ein  attischer  Stand  neben  Eupatriden  nnd 
Georaoren?)  u.  a.  Über  die  Bedeutung  der  Sklavinnen  für  die  ehe- 


Digitized  by  Google 


814 


Stände. 


liehen  and  geschlechtlichen  Verhältnisse  der  altidg.  Völker  r.  u.  Bei- 
schläferin. 

III.  Freiheit  und  Adel. 

Es  wurde  schon  oben  darauf  hingewiesen,  dass  bei  den  Slaven 
niemals  eine  eigentliche  Aristokratie  sich  ausgebildet  hat,  und  dass 
fast  alle  slavischen  Namen  für  eine  solche  aus  der  Fremde  entlehnt 
sind.  Dies  gilt  von  ecch.  slechta,  poln.  slachta,  russ.  sljachta  aus 
ahd.  slahta  ,Geschlecht,  Herkunft'  (vgl.  auch  ir.  glicht  ,Geschlecht'), 
von  dem  höchsten  russ.  Adelstitel  knjazl  , Fürst'  aus  ahd.  kuning,  und 
auch  die  iu  der  slavischen  Welt  weit  verbreitete  Sippe  von  altsl.  hol- 
jarinü  .uniiß  e  magnatibus',  russ.  bojarinü,  poln.  bojar  u.  s.  w.  (auch 
alb.  bular)  ist  nicht  einheimischen,  sondern  fremden,  türkischen  Ur- 
sprungs (Miklosich  Türk.  El.  S.  30).  Dasselbe  ist  von  den  Litauern 
und  Letten  zu  sagen,  die  entweder  das  deutsche  Wort  „Adel"  oder 
das  polnische  bojar  (lit.  hajöran,  lett.  bajärs)  gebrauchen.  Gleichwohl 
lassen  sich  auch  bei  den  Slaven  wenigstens  Ansätze  zur  Bildung  eines 
eigenen  und  eigentlichen  Adelstands  nachweisen,  die  umso  lehrreicher 
sind,  als  sie  im  Keime  das  enthalten,  was  sich  bei  anderen  Indoger- 
manen  zu  voller  Blüte  entfaltet  hat.  Ober  die  Südslaven  äussert  sich 
in  dieser  Beziehung  F.  8.  Krauss  Sitte  und  Brauch  der  Südsl.  S.  30: 
„Den  ältesten  Adel  stellten  bei  den  Sfldslaven  die  engeren  Sippen  der 
iwpaixiy  bani  und  vojeode  vor.  Bei  seiner  Einwanderung  bestand  der 
grosse  Stamm  der  Kroaten  aus  zwölf  plemena  oder  rodovi  (Ge- 
schlechtersippen). In  jedem  pleme  war  eine  Familie,  aus  deren 
Mitte  nach  Volksbrauch  und  Gewohnheitsrecht  die  zupani 
und  bani  gewählt  wurden.  Diese  zwölf  bevorzugten  Familien 
bildeten  den  ältesten  kroatischen  Adelsstand,  und  noch  im  XIV.  Jahr- 
hundert wurde  nur  der  als  Adeliger  anerkannt,  der  seinen  Stammbaum 
von  einer  dieser  Familien  ableiten  konnte". 

Nun  waren  schon  in  der  idg.  Urzeit  in  Krieg  und  Frieden  Stammes- 
häupter, *reg  es  genannt,  vorhanden  's.  u.  K  ö  n  i  g).  Diese  wurden 
aus  der  Mitte  ihrer  Stammesgenossen,  vielleicht  auch  nur  der  Sippen- 
herrn, von  der  Volksversammlung  (s.  d.)  zunächst  frei  gewählt. 
Sehr  frühzeitig  aber  wird  sich  ein  dein  südslavischcn  ähnlicher  Zustand 
Uberall  herausgebildet  haben;  d.  h.  es  wird  der  Brauch  aufgekommen 
sein,  die  Stammeshäupter  aus  bestimmten  Familien  oder  Sippen  zu 
wählen.  So  war  es  bei  den  Persern  die  zum  Stamme  der  TTacrapTdbai 
gehörige  cppnipn  der  'Axaiiuevioai,  der  die  Könige  entstammten  (Herod. 
1,  125).  Die  Mitglieder  solcher  Familien  und  Sippen  Meissen  im  Alt- 
indischen  selbst  rajänas,  im  Germanischen  *kun-ingez,  d.  h.  zur 
Sippe  eines  *kuni-z  ,Gcschlechtshauptes'  (s.  u.  König)  gehörig.  All- 
mählich bildet  sich  so  die  Vorstellung  des  Geschlechts  in  technischem 
Sinne  aus.    Natürlich  gehört  jedermann  im  Stamme  einer  Familie  und 


Digitized  by  Google 


Stände. 


815 


Sippe  an.  Aber  ein  Geschlecht  in  engerem  Sinne  hat  doch  nur  der, 
dessen  Vorfahren  in  Folge  ihrer  Thaten  und  Stellungen  in  der  Er- 
innerung des  Volkes  leben.  Adelig  ist  daher,  wer  einem  solchen  Ge- 
schlecht angehört.  Dies  meinen  die  gricch.  Ausdrücke  eCrreveis  und 
cuiratpibai,  letzteres  wohl  zunächst  von  narpet  ,Geschlecht'  (^KaAoüvTO 

€UTTaTpibai  0\  aUTÖ    TÖ  <5(JTU  01K0ÖVT6?    KOI  |U€T€XOVT€£  ßaaiXiKOÖ 

•ftvouq  Et.  Magn.;  eÜTrcrrptbas  ^xäXouv  toü<;  i<  twv  dnKpavüjv  oikujv 
Dion.  Hai.  II,  8),  dies  auch  lat.  patriciux,  sei  es  nun,  dass  es  von 
einem  dem  griech.  ndipa  entsprechenden  lat.  *patra  ,Gesehlecht'  her- 
kommt, sei  es,  dass  es  von  pater  abgeleitet,  diejenigen  bezeichnet, 
die  wirkliche,  d.  h.  dem  Namen  nach  bekannte  Väter  haben.  So  er- 
klärt sich  auch  das  germanische  ahd.  ediling  :  ahd.  adal,  alts.  adali, 
altn.  adal  »Geschlecht,  bes.  edles'  neben  ahd.  uodal,  agls.  «toeZ,  got. 
(haim)-öpli  ,Erbsitz",  ,heimatliches  Gut'  etc.  Die  Grundbedeutung  des 
Stammworts  ist  einfach  ^Geschlecht'  :  noch  später  kann  das  Wort 
Adeling  so  viel  wie  ,Geschlechtsgenosse'  bedeuten  (vgl.  Brunner  Rechts- 
geschichte S.  104M).  Seine  Grundform  hat  urgerm.  *ap-dla-,  *6p-dla- 
gelautet.  Sie  schlicsst  sich  an  die  Sippe  des  Lallworts  got.  atta,  lat.  atta, 
griech.  dtra  u.  s.  w.  für  Vater  (s.  d.)  an,  die  sich  durch  die  idg.  Sprachen 
und  andre  hindurchzieht.  Solche  Lallwörter  haben  fortgesetzt  die  Neigung 
in  das  Getriebe  der  lautgesetzlich  geregelten  Sprache  Überzugelm.  Bei  lat. 
at-arus  oder  altsl.  ot-lcl  oder  ir.  aite  (letzteres  , Pflegevater  )  wird  ein  ono- 
mntopoietischer  Klang  schon  nicht  mehr  empfunden.  Diesen  Wörtern  ent- 
sprechend, wird  schon  in  der  Ursprache  neben  atta  ein  *ato-  und  *dto- 
(vgl.  sert.  tatä  und  td'ta-,  mannt  und  lit.  mortui  u.  s.  w.)  ,Vater'  vorhanden 
gewesen  sein,  das  durch  die  Lautverschiebung  zu  *apa-,  *öpa-  wurde, 
und  von  dem  dann  mit  dem  Suffix  lo-  die  obigen  *ap-da-  und  *öp-dla- 
,Gesehleeht'.  entsprechend  dem  griech.  Ticrrpa  ,Gcschlecht'  :  Trarrip, 
(ppnjpn.  :  WITTIP,  brattttco  :  braln  (vgl.  auch  lit.  teteiazke  .Erbe"  :  tewas 
.Vater',  nsl.  drdina  »Erbschaft'  :  dedü  ,Grossvater'),  gebildet  wurden. 

Allein,  um  adelig  zu  sein,  muss  man  in  alter  Zeit  nicht  nur  einem 
„Geschlecht*  angehören:  es  muss  auch  ein  reiches  Geschlecht  sein. 
Wir  haben  oben  gesehen,  wie  bei  den  alten  Iren  in  Folge  von  wirt- 
schaftlichen Verhältnissen  innerhalb  der  freien  Bevölkerung  des  Landes 
Abhängigkeitsverhältnisse  sich  bildeten.  Was  aber  den  einen  zum 
Hörigen  des  anderen  machte,  musste  zugleich  die  soziale  Stellung  dieses 
anderen  kräftigen  und  erhöhen.  So  wird  nach  der  Schilderung  der 
Brehon-Gesctze  der  reiche,  gemeinfreie  Bauer  zunächst  zum  bö-aire, 
d.  h.  -Kuhedclmannu,  und,  wenn  er  das  doppelte  des  Reichtums  eines 
aire-desa,  des  niedrigsten  Grades  des  wirklichen  Adels,  erreicht  und 
dasselbe  mehrere  Generationen  hindurch  bewahrt  hat.  so  wird  er  seihst 
(bezüglich  seine  Kinder)  ein  aire  desa,  tritt  also  in  den  wirklichen 
Adel  ein,  der  wiederum  hauptsächlich  nach  dem  Reichtum  der  einzelnen 
in  bestimmte  Grade  gegliedert  ist.    Maine  a.  a.  0.  S.  136  fügt  hinzu: 


Digitized  by  Google 


Stünde. 


The  primär  y  oiew  of  chieftaimhip  is  ecidently  that  it  Springs  from 
purity  or  dignity  of  blood,  but  noble  birth  is  regarded  as  naturally 
associated  tcith  taealth,  and  he  who  becomes  rieh  gradually  climbs 
to  a  position  indistinguishable  from  that  which  he  would  have  occu- 
pied,  if  he  had  been  nobly  born.  Und  so  wird  es  Uberall  gewesen 
sein.  An  den  keltischen  *rig-es  (ir.  ri  »König',  wober  ahd.  rihhi  .reich', 
,müchtig',  eigentl.  , königlich")  lernten  die  Germanen  vielleicht  zuerst 
den  Gegensatz  von  Reich  und  arm  (s.  d.  und  u.  König)  handgreiflich 
kennen.  Zu  den  attischen  Enpatriden  gehörten  nach  Dion.  Hai.  II,  8 
(s.  o.)  solche,  die  aus  vornehmen  Hausern  stammten  und  zugleich 
Xpn.uao*i  buvatoi  waren.  Griech.  cübcuuujv  ,reich'  wird  oft  (z.  B.  Herod. 
I,  133),  im  Gegensatz  zu  T^vn,?,  zugleich  für  ,  vornehm'  gebraucht.  Über 
homerisch  ttoXükXhpos  s.  o.  Scrt.  kshatrd-  , Herrschaft'  und  (kollect.) 
,die  Herrschenden*  (s.o.)  bedeutet  eigentlich  , Erwerb,  Besitz'  i:  griech. 
KTdouott,  KTfjua);  denn  Besitz  ist  Herrschaft. 

So  steigert  sich  der  wirtschaftliche  und  damit  der  gesellschaftliche 
Unterschied  zwischen  Edelen  und  Freien.  Mehr  und  mehr  befestigt 
sich  die  Vorstellung,  so  alt  sei  das  Geschlecht  der  ersteren,  dass  es 
an  das  der  unsterblichen  Götter  selbst  anknüpfe.  Ein  höheres 
Wergeid  und  andere  Vorzüge  werden  dem  Adel  nach  und  nach  zu- 
gebilligt. Unterschiede  in  der  Kleidung  und  Bewaffnung  treten  hervor. 
Alle  Vorteile  der  sich  steigernden  Civilisation  kommen  zunächst  dem 
Adel  zn  Gute.  Standesgefühl  und  .Standesstolz  bilden  sieh  aus,  denen 
Bezeichnungen  der  Edelen  als  der  „Besten"  (dpurroi,  dpio*Tfj€^)T  der 
„Hohen"  (kymr.  uchelwr,  von  uchel  ,hoeh',  agls.  brego  ,prinecps'  :  scrt. 
brhdt),  der  „Grossen"  'ir.  mal  , Edler'  aus  *mag-lo-f  wohl  :  griech. 
piraq  .gross')  u.  s.  w.  ihr  Dasein  verdanken. 

Adel  und  Königtum  sind  somit  zwei  Schösslinge,  einem  Stamme 
entsprossen.  Je  mehr  aber  das  letztere  erstarkt,  um  so  mehr  wird  e9 
die  Quelle  einer  neuen  Nobilität,  eines  Hof-,  Beamten-  und  König- 
adels. Die  Anfänge  dieser  Entwicklung  sind  für  den  Norden  Europas, 
auf  den  sich  die  folgende  Darstellung  beschränken  soll,  nachweisbar 
von  den  Kelten  ausgegangen. 

Schon  Caesar  fand  die  gallischen  Häuptlinge  (ausser  von  diente*) 
auch  von  soldurii  und  ambacti  umgeben.  Der  etymologische  Sinn 
des  ersteren  Wortes,  soldurii  (quorum  haec  est  condicio,  ut  omnibus 
in  ritae  commodis  una  cum  iis  fruantur,  quorum  se  amicitae  dedi- 
derint,  *i  quid  his  per  rim  accidat,  aut  eundem  casum  una  ferant 
aut  sibi  mortem  consciscant,  De  bell.  Gall.  III,  22),  ist  dunkel,  am- 
bactus  aber  (s.  u.  König)  ist  aus  ambi  (du<pi) — actus  :  lat.  agere 
entstanden,  und  bedeutet  nach  der  griechischen  Wiedergabe  mit  o*uu- 
TT6pupEpöuevo£  (Polybius  II,  17  von  den  Celtiberern:  nepi  bl  Täq  &m\- 
peia?  pcYiornv  tfrtoubnv  ^ttoioövto,  biet  to  Kai  <po߀puiTciTOv  Kai  buva- 
TuiTcrrov  elvai  Trap'  aüioiq  toötov,  TiXeicrrou?  fow  boter)  tou£ 


Digitized  by  Google 


Stunde. 


817 


ecpoTTCuovTa?  Kai  (TuuiT€ptcp€po^€ vou?  oiütüj)  soviel  wie  „die  nro 
Jemanden  aufgestellten  u,  »einen  trustis  oder  Schutz,  sein  Gefolge. 
Ganz  ebenso  sind  die  altirischcn  Häuptlinge  von  einem  ihrer  jedes- 
maligen Würde  entsprechenden,  bald  grosserem,  bald  kleineren  Gefolge 
(däm)  umgeben  (vgl.  O'Cnrry  Manners  and  custonis  I,  CCXXXV).  Dazu 
lese  man  die  anschauliche,  sich  auf  ganz  moderne  Zeiten  beziehende 
Schilderung  des  schottischen  „chief"  und  seines  ntaila  bei  W.  Scott 
Waverley  S.  114. 

In  allem  wesentlichen  dieselbe  Erscheinung  ist  der  germanische 
comitatus,  wie  ihn  Caesar  (VI,  23)  und  vor  allem  Tacitus  (Germania 
Cap.  13, 14)  schildern,  und  wie  er  namentlich  im  Beowulf  uns  lebensvoll 
entgegentritt  (näheres  bei  Mtlllenhoff  Deutsche  Altertumskunde  IV, 258 ff.). 
Die  Entlehnung  dieser  Einrichtung  von  keltischem  Boden  her  geht 
ausser  aus  den  sachlichen  Übereinstimmungen  vor  allem  aus  der  Über- 
nahme des  gallischen  ambactus  in  alle  germanischen  Sprachen  (got. 
andbahts  mit  Anlehnung  an  and-,  ahd  ambaht,  agls.  ambiht,  ombiht) 
hervor.  Über  eine  andere  politische  Bedeutung  des  Auftretens  der 
keltischen  ambacti  im  Verein  mit  den  keltischen  *rtg-e*  s.  u.  König. 
Den  besten  Aufschluss  über  die  Bedeutung  des  gallischen  Wortes  auf 
germanischem  Boden  giebt  der  Beowulf.  Ombihtas  heisaen  hier  die 
Hofbeamten  des  Königs,  seine  eaxlgesteallan  (auuirepupcpöncvot).  So 
wird  der  Strandwart,  der  zu  Ross  Wacht  auf  einem  Hügel  an  der 
SeekUste  hält,  v.  287  ein  ombiht  unforht  genannt.  Ein  zweiter  höherer 
Beamter,  eine  Art  Hofmarscball  war  VulfgÄr,  der  Vandalen-Fürst.  Auch 
er  wird  ombiht  genannt.  Ein  dritter  ombiht  scheint  Waffenhüter  (v.  673) 
gewesen  zu  sein.  So  erklärt  es  sich,  dass  Ableitungen  von  diesem 
gallischen  ambactus  (vom  got.  andbahti  ,biai<ov(a,  XeiTOupYia'  an)  in 
den  germanischen  Sprachen  bis  auf  den  heutigen  Tag  der  eigentliche 
Ausdruck  für  den  Begriff  des  „Amtes"  geworden  sind,  worunter  mau 
also  ursprünglich  d  i  e  Stellung  verstand,  welche  der  Gefolgsherr,  vor 
allem  der  König,  einem  Gefolgsmann  einräumte. 

Ausdrücklich  bemerkt  Tacitus  Cap.  13:  Gradus  quin  etiam  ipse 
comitatus  habet,  iudicio  eius  quem  sectantur,  und  es  kann  nicht 
zweifelhaft  sein,  dass  in  diesen  gradus  die  Ausätze  zu  den  Rangab- 
stufungen des  späteren  mittelalterlichen  Beamtentums  vor  uns  liegen. 
Ursprünglich  mögen  nur  Freie  und  Edele  in  das  Gefolge  eines  Fürsten 
oder  Königs  eingetreten  sein.  Bald  aber  werden  sich  zu  ihnen  auch 
Unfreie,  dann  natürlich  als  Freigelassene  gesellt  haben.  Schon  Tacitus 
Cap.  25  bemerkt,  dass  die  letzteren  in  Königsstaaten  häufig  Uber  die 
ingenui  ac  nobiles  emporstiegen.  In  dem  neuen  Verhältnis  kommt  es  eben 
mehr  und  mehr  nur  darauf  an,  wie  nahe  die  Stellung  des  einzelnen  zu  dem 
gemeinsamen  Herren  war.  Die  dauernde  Lebensgemeinschaft  der  Gefolg- 
schaften (ahd.  gasindi,  alts.  gisithi,  agls.  gesid)  in  Krieg  und  Frieden 
bringt  es  ferner  mit  sich,  dass  sie  unter  der  Fiction  eines  Verwandt- 

Schrader,  Re&Uexikon.  50 


Digitized  by  Google 


818 


Stünde. 


schaftsvcrhältnisscp,  der  alten  Grossfamilie,  aufgefasst  werden.  Das 
Gefolge  heisst  dalier  auch  agls.  mdegp,  meigas,  sibgedriht,  geede- 
Ungax  (ahd.  gatuling  , Vetter',  got.  gadiliggs  ,  Verwandter)  u.  8.  w.  So 
kann  es  uns  nicht  wundern,  dass  uns  hier  dieselbe  Erscheinung  ent- 
gegentritt, wie  wir  sie  oben  innerhalb  der  wirklichen  Familie  kennen 
lernten,  d.  Ii.  Wörter  für  Kind,  Knabe  und  dergl.  nehmen  die  Be- 
deutung von  Diener,  Diener  eines  Gefolgsherren  an,  durch  die  hindurch 
sie  dann  weiter  zu  höheren  Ehren  gelangen  können.  Vgl.  in  dieser 
Beziehung  engl,  knigkt  , Ritter'  :  nhd.  kriecht,  Grundbed.  ,Kind'  (agls. 
eniht  , Knabe,  Jüngling  ),  engl,  thane,  etwa  , Freiherr',  agls.  pegn  (Tenn. 
techn.  für  die  Gefolgsleute)  :  ahd.  degen,  Grundbed.  ,Kind'  (tIkvov; 
über  pius  , Knecht'  8.  o.),  nhd.  knappe  :  knabe. 

Ähnlich  nehmen  Wörter  mit  der  ursprünglichen  Bedeutung  von  ,Mann' 
(zunächst  in  rein  physischem  Sinne)  durch  die  Mittelstufe  ,Mann  des 
Gefolgsherrn,  Fürsten,  Königs'  hindurch  eine  mehr  oder  weniger  aristo- 
kratische Färbung  an.  Dies  gilt  zunächst  von  dem  ahd.  baro  ,Mann' 
(wohl  :  got.  barn  ,Kind'  etc.,  lit.  birnatt  , Knecht'  von  got.  bairan 
,(ge)bären'),  in  seiner  lateinisch-romanischen  Gestaltung  baro,  baronig, 
in  den  Volksrechten  zunächst  ebenfalls  .Manu'  (gelegentlich  auch  den 
unfreien)  bedeutend,  dann  durch  baro  im  Sinne  von  agls.  cyninges 
pegn  hindurch  zu  der  jetzt  üblichen  Bedeutung  von  „Baron"  gekommen 
(vgl.  R.  Kögel  Z.  f.  deutsches  Altert.  XXX11I,  20 f.».  Ebenso  dürfte 
die  Bedeutungsentwicklung  des  nnrdgerroanischen  agls.  eorl,  ultu.jarl, 
urnord.  eri-la-K  (altir.  ereil)  verlaufen  sein.  Der  eigentliche  Sinn  dieser 
Sippe  wird  auch  hier  ,Mann'  (geschlechtstüchtiger)  gewesen  sein  < :  griech. 
€pi-(po-?  Junger  Bock',  umbr.  eri-etu,  lat.  ari-en;  vgl.  aw.  armn-  ,Mann', 
grieeb.  fipanv  ,männlich'  :  sert.  rshabhd-  ,Stier',  ,der  edelste,  beste 
unter'  und  sert.  vfshan-  »männlich,  kräftig',  vrshantatna-  ,Mann,  Hengst, 
Stier'  etc.).  Weiter  ist  dann  das  Wort  durch  die  Verbindung  .Mann 
des  Königs'  (vgl.  agls.  eorl  lieöwulfes  v.  790,  wie  auch  mon  in  mon- 
dryhlen  ,Hcrr  der  Mannen'  so  gebraucht  wird)  zu  der  Bedeutung  ,Edeler , 
,Häuptling'  gekommen. 

Anhangsweise  sei  hier  noch  auf  den  häufigen  Gegensatz  von  agls. 
eorl  :  ceorl,  altn.  jarl  :  karl  hingewiesen.  Die  Grundform  von  agls. 
ceorl,  altn.  karl  ist  *ker  la-  und  *kar  la-  (wozu  auch  der  Eigenname 
,Karl',  ,Karl  der  Grosse',  woraus  altsl.  krall  ,König'  s.  u.  Kaiser  ge- 
hört). Überblickt  man  die  Bedeutungen  dieser  beiden  Stämme  bei 
Kluge  Et.  W.fi  s.  v.  Kerl,  so  scheint  es,  dass  auch  hier  von  ,Mann' 
auszugehen  ist,  wobei  es  aber  das  Wort  in  der  Scala  der  Standes- 
unterschiede und  ihrer  Bezeichnungen  nur  bis  zu  ,frcier  Mann'  (was 
natürlich  gelegentlich  auch  vom  Könige  gesagt  werden  kann)  gebracht 
bat.  Indessen  findet  bei  dieser  Annahme  die  ältest  überlieferte,  im 
finnischen  karilas  erhaltene  Bedeutung  ,alter  Mann'  keine  Erklärung, 
und  es  wäre  daher  immerhin  möglich,  dass  vielmehr  (mit  W.  Thomsen 


Digitized  by  Google 


Stande  —  Steigbügel. 


Über  den  Einfluss  der  germ.  Sprachen  auf  die  finnisch-lappischen 
S.  139)  von  einer  Grundbedeutung  , Alter'  (*ker-la-  :  griech.  t^P-wv) 
im  Sinne  von  slavisch  starosta,  stareßina  ,pater  farailias',  ,Hausvater' 
auszugehen  ist.  Alsdann  würde  vom  Standpunkt  des  Unfreien  oder 
der  Hauskinder  aus  betrachtet,  *kerla-,  *karla-  ein  Ehrenname  des 
Freien  sein,  während  dieselben  Wörter  von  höheren  Rangstufen  aus 
angeschen  (vgl.  z.  B.  engl,  churl  , Bauer',  , Tölpel',  nhd.  „Kerl"),  an 
BedeutuugswUrde  cinbüssten. 

über  weitere  in  letzter  Instanz  in  den  gradus  des  altgermanischen 
Gefolgswesens  wurzelnde  Beamtenstellungen  vgl.  Kluge  Et.  W.6  unter 
Wörtern  wie  „Graf",  „Marschall",  „Senescball-,  „Truchsess-. 

Einen  Abglanz  dieses  keltisch-germanischen  Gefolgschaftswesens  und 
Beamtentums,  und  zwar  in  seiner  skandinavischen  Gestaltung,  zeigen 
auch  die  altrussischen  Verhältnisse.  Zahlreiche  Benennungen  fürst- 
licher Beamte  in  den  altrussischen  Gesetzen  und  sonst,  Uber  deren 
Stellung  und  Funktionen  freilich  nähere  Nachrichten  fehlen,  erweisen 
sich  als  germanischen  Ursprungs.  Dies  gilt  von  altruss.  jabednikü 
(Älteste  russische  Pravda  II)  aus  dem  oben  behandelten  got.  andbahti, 
altn.  embcetti,  altschwed.  cembiti  ,Amt,  Dienst'  (auch  finn.  ammatti 
,munus,  opifieium'),  altruss.  gridinü  (ebenda),  gridl  »Leibwächter,  Ge- 
folgsmann' aus  altn.  grib  ,Wohuort,  Heimat  mit  dem  Nebeubegriff  des 
Dienstverhältnisses',  gridmabr  , Diener,  Mieter',  altschwed.  gripkttna 
,Dienstweib',  altruss.  tiunü,  tivunu  ,einc  Art  von  Amtsperson'  (in  der 
späteren  Pravda)  aus  altn.  pjönn  , Diener,  Sklave'  (vgl.  auch  lit.  ti- 
junas  .Amtmann').  Daneben  fehlt  es  nicht  an  einheimischen  Aus- 
drücken, die  indessen  aneb  nach  germanischem  Muster  gebildet  zu  sein 
scheinen.  Das  Gefolge  selbst  heisst  altruss.  druiina  (:  diwgü)  ,Freund- 
schaft',  die  Mitglieder  desselben  werden  als  „Männer"  (myii,  vgl. 
Ewers  Ältestes  Recht  S.  33)  oder  als  „ Knaben"  (otroki,  vgl.  Ewers 
S.  116)  bezeichnet.  Vielleicht  darf  man  die  Gründung  des  russischen 
Staates  durch  Rurik  und  seine  Brüder  geradezu  als  einen  jener  ger- 
manischeu Komitatszüge  betrachten,  von  denen  schon  Caesar  (VI,  23) 
erzählt. 

Star,  s.  Singvögel. 
Stehleu,  s.  Dieb,  Diebstahl. 

Steigbügel.  Die  erste  sichere  Erwähnung  der  Steigbügel,  zu 
deren  Ersatz  früher  an  Hecrstrassen  und  anderen  öffentlichen  Orten 
Steine  aufgestellt  waren,  findet  sich  in  des  Kaisers  Maurikios  Buch  von 
der  Kriegskunst  (Ende  des  VI.  Jahrh.):  xpfi.  ^X£lv  £^  T«?  oik\aq 
öxäXa«;  0ibn.pä{  büo.  Isidor  im  VII.  Jahrh.  neunt  scansuae,  ferrtim, 
per  quod  equus  scanditur  und  astraba,  tabella,  in  qua  pedes  requies- 
cunt.  Hiervon  ist  o*»cdXa  das  lateinische  scdla  ,Leiter'  (xXi|ua£,  wie 
ebenfalls  der  Steigbügel  im  Mgriechischen  genannt  wird),  astraba  (vgl. 
auch  G.  Goetz  Thesaurus  I,  107)  ist  vielleicht  =  sp.  estribo,  altfrz. 


Digitized  by  Google 


S20 


Steigbügel  —  Steinbau. 


estrief  ;  doch  leitet  Kluge  Et.  W.6  die  roman.  Wörter  aus  altndd.  *stigi'ep 
(inlat.  stripa),  alid.  stegareif  etc.  ,Stegreif  (ndl.  stijgbeugel)  ab.  Sicher 
entstammt  dem  Germanischen  das  im  XII.  Jahrb.  auftretende  sta/fa 
^Steigbügel'  (ans  ahd.  stapfa  ,Fnsstritt').  Dunkel  sind  lit.  Jcilpa  (auch 
,Schlinge  zum  Vogelfang')  und  altpr.  lingo  .Steigbügel*.  Altsl.  xtrümenl, 
eigentl.  ,Stangenleiter',  vgl.  oben  lat.  scdla, 

Funde  von  Steigbügeln  kommen  erst  während  der  jüngeren  Eisen- 
zeit vor  (vgl.  Montelins  Die  Kultur  Schwedens2  S.  112).  —  Vgl.  Beck- 
mann Beyträge  III,  102 ff.    S.  u.  Reiten. 

Steinbau.  Der  Gedanke,  den  Stein  zum  Hauen  zu  benutzen, 
begegnet  uns  in  Europa  früher  mit  Rücksiebt  auf  die  Wohnungeu  der 
Toten,  als  auf  die  der  Lebendigen.  Die  der  jüngeren  Steinzeit 
angehörigen,  unter  dem  Namen  Dolmen,  Rundgräber,  Htinenbetten  etc. 
bekannten,  aus  grossen  Steinen  gefügten  Grabstätten  lassen  sich  in 
Dänemark  und  auf  den  Inseln  Grossbritanniens,  an  den  nördlichen  und 
westlichen  Küsten  unseres  Erdteils  von  der  Weichsel  bis  nach  Frank- 
reich und  Portugal,  im  südlichen  Italien,  in  Thrakien  und  in  der  Krim 
nachweisen,  kehren  aber  auch  im  nördlichen  Afrika,  in  Palästina  und 
Indien  wieder.  Man  nimmt  an,  dass  ein  kulturhistorischer  Zusammen- 
hang zwischen  diesen  im  Grossen  und  ganzen  übereinstimmenden  Bauten 
bestehe.  Ihr  Verhältnis  zu  der  Kultur  der  Indogermanen  lässt  sich 
aber  noch  nicht  mit  Sicherheit  bestimmen.  Man  kann  zweifelhaft  sein, 
ob  man  in  ihnen  (wofür  ihre  merkwürdige  Verbreitung  an  der  Peri- 
pherie unseres  Erdteils  sprechen  könnte)  Grabanlagen  nicht-  oder  vor- 
indogermanischer Völker  Europas  zu  erblicken  habe,  die  teilweis,  wie 
in  Skandinavien,  auf  Indogermanen  übergingen,  oder  ob  erst  nach 
Ausbreitung  der  Indogermanen  der  Gebrauch  dieser  Steinkamraergräber 
vom  Morgculandc  her  längs  der  Nordküste  Afrikas  sich  nach  Europa 
und  bis  nach  Skandinavien  verbreitete,  wofür  man  ihr  verhältnismässig 
spätes  Auftreten  (nach  einigen  erst  am  Ende  der  jüngeren  Steinzeit» 
geltend  machen  könnte  (vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  68  ff., 
Hoernes  Geschichte  der  bildenden  Kunst  S.  241  ff.).  S.  auch  u.  Be- 
stattung. 

Wie  sich  dies  nun  aber  auch  verhalten  möge,  sicher  ist,  dass  die 
Kunst,  den  Stein  für  die  Erbauung  menschlicher  Wohnungen  zu 
verwerten,  im  Orient  bei  semitischen  Völkern  und  in  Ägypten  erfunden 
und  ausgebildet,  sich  erst  verhältnismässig  spät  von  dem  südöstlichen 
Winkel  des  Mittelmeers  aus  über  Europa  verbreitet  hat.  Das  indo- 
germanische und  ureuropäische  Wohnhaus  war  nichts  als  eine  aus- 
schliesslich aus  Holz,  Flechtwerk  und  Lehm  hergestellte,  mit  Stroh 
bedeckte  cinräuiuige  Hütte,  die  sich  an  vielen  Stellen  unseres  Erdteils 
bis  tief  in  die  historischen  Zeiten,  ja  zum  Teil  bis  in  die  Gegenwart 
erhalten  hat.  Die  historischen  und  sprachlichen  Belege  hierfür  s., 
ausser  u.  Haus,  besonders  u.  Dach  und  u.  Mauer. 


Digitized  by  Google 


Steinbau. 


821 


Am  frühsten  hat  sich  die  Steinbaukunst,  wie  natürlich,  in  den 
griechischen  Kulturcentren  festgesetzt.  Schon  Homer  kennt  die 
OdXauoi  EtaToto  Xiöoio  und  die  Kunst  des  Steinmetzen  (II.  XVI,  212: 
ti>S  b'  öt€  toixov  ävfjp  äpdpn,  ttukivoio"»  Xi8otaiv  buiparoi;  uvun,Xoio)  sehr 
wohl.  Niemand  wird  bezweifeln,  dass  die  durch  diese  erbauten  Anakten- 
häuser  (erst  später  lässt  sich  die  Steinbaukunst  an  den  Befestigungs- 
werken nachweisen,  s.  n.  Mauer  und  vgl.  Hclbig  Die  Italiker  in  der 
Poebene  S.  132  ff.)  bei  Homer  eine  freilich  nicht  erreichte  Nachahmung 
jener  gewaltigen  Fürstenbauten  in  Tiryns  und  Mykenae  darstellen,  die 
die  neuere  Forschung  blossgelegt  hat,  und  von  denen  noch  Euripides 
Herc.  für.  v.  945  wusste,  dass  sie  qpoivua  Kavövi,  nach  phönikischem 
(asiatischen)  Kanon,  gefügt  seien.  Hemerkenswert  aber  ist,  dass  die 
Terminologie  der  griechischen  Architektur  nur  geringe,  vielleicht  gar 
keine  Abhängigkeit  vom  Orient  verrät;  denn  die  hierfür  geltend  ge- 
machten Fälle,  die  Annahme  einer  Entlehnung  des  homerischen  pe'tapov 
,der  Saal'  (s.u.  Haus)  ans  hehr,  mdgür  .Aufenthaltsort,  Wohnung',  des 
hom.  X€0"x»l  (8*  Gasthaus)  aus  hebr.  lUkdh  , Zimmer',  des  hom.  tchuv 
,Säule"  aus  einem  erschlossenen  hebr.  *kijj6n  (eine  idg.  Etymologie  des 
griech.  Wortes  s.  u.  Haus)  können  nicht  als  sicher  angesehn  werden 
(  vgl.  zuletzt  Lewy  Die  semit.  Fremdw.  S.  93  ff.).  Zweifellos  ist  nur  da« 
schon  oben  genanute  koviuv  , Richtscheit'  eine  Ableitung  von  hebr.  qäneh 
,Rohr',  das  auch  selbst  ,Messrohr\  ,Ma«88tfth'  bedeutet;  doch  kommt 
<las  griechische  Wort  in  der  genannten  Hedentuug  erst  seit  den  Tra- 
gikern vor. 

In  viel  ausgedehnterer  Weise  haben,  wie  auf  anderen  Kulturgebieten, 
so  aueh  auf  dem  ihnen  zuerst  in  Grossgriechenland  entgegen  getretenen 
<icr  Steinbaukunst  die  Römer  von  griechischen  Termini  Gebrauch 
gemacht,  die  0.  Weise  Griech.  Wörter  in  der  lat.  Sprache  S.  193  ff. 
gesammelt  hat.  Einige  wichtigere  Beispiele  hierfür  sind  lat.  ammritt 
,das  Lineal  der  Zimmerleute'  aus  griech.  äuu£i{,  lat.  turris  ,der  steinerne 
Turm'  aus  griech.  Tüp><;,  lat.  calx  ,der  Mörtel'  aus  griech.  x<*X»E 
(s.  u.  Kalk),  lat.  camera  ,die  gewölbte  Decke'  aus  griech.  Kapdpa,  lat. 
balneum  ,das  steinerne  Bad  aus  griech.  ßaXavciov  u.  a.  Wohl  nicht 
mit  Unrecht  vermutet  Iliering  a.  u.  a.  0.  S.  136,  dass  die  Einäscherung 
der  Stadt  bei  Gelegenheit  des  gallischen  Einfalls  für  Rom  der  Anlass 
zum  Übergang  vom  Holzbau  zum  allgemeinen  Steinbau  gebildet 
habe.  Wie  gross  einst  die  Bedcutuug  des  ersteren  gewesen  sei,  folgt 
nach  dem  genannten  Gelehrten  auch  aus  der  Bestimmung  der  XII  Tafeln, 
welche  das  fremde  verbaute  Baumaterial  schlechthin  mit  tignum  ,Batken' 
identifiziert. 

Durch  die  Nähe  der  Griechen  (in  Massilia)  einer-,  der  Römer  anderer- 
seits werden  auch  die  festländischen  Kelten  frühzeitig  gelernt  haben, 
steinerne  Gebäude  namentlich  in  den  städtischen  Niederlassungen  zu 
errichten,  wie  denn  die  von  Caesar  De  bell.  Gall.  VII,  23  geschilderte, 


Digitized  by  Google 


Steinbau. 


aus  Holz  und  Steinen  zusammengefügte  gallische  Mauer  bereits  einen 
hohen  Grad  von  Geschicklichkeit  verrät.  Viel  später  ist  die  Knnst  des 
Steinbaas  zu  den  Germanen  vorgerückt.  Erst  als  die  Römer  am 
Rhein  und  an  der  Donau  festen  Fuss  gefasst  hatten,  und  steinerne 
Hauwerke  aller  Art,  Kastelle  und  Mauern,  Brücken  und  Brunnen,  Villen 
und  Paläste,  Wasserleitungen,  Bäder  und  Kanäle,  Theater  und  Arenen, 
Säulengänge  und  Triumphbogen  monumentale  Zeugnisse  der  römischen 
Macht  ablegten  (vgl.  die  Zusammenstellung  römischer  Bauten  in  den 
Rheinlanden  bei  C.  Riese  Das  rheinische  Germanien  Register  II  u. 
Bauten),  fingen  auch  die  germanischen  Stämme  an,  den  urzeitlichen 
Holzbau  allmählich  aufzugeben,  den,  wie  ihn  Tacitus  (Germ.  Cap.  16: 
Materia  ad  omnia  utuntur  in  formt)  schildert,  anch  noch  Hcrodian 
(VII,  2:  Ö0€v  EuXuiv  oöo"n?  ^Kievcia?,  0*uuTrr|YvuvT€<;  aÜTa  »cat  äpp.6- 
£ovt€?,  atcnvoiroiouvTCti)  und  Ammianus  Marcellinus  (XVIII,  2,  15: 
mepimenta  fragilium  penatium)  auf  deutschem  Boden  vorraussetzt,  und 
wie  er  selbst  im  Kirchenbau  (vgl.  M.  Heyne  a.  u.  a.  0.  S.  82)  noch 
in  späten  Jahrhunderten  nachweisbar  ist.  Dieser  Vorgang  hat  tiefe 
Spuren  in  dem  germanischen  Sprachschatz  zurückgelassen.  Beschränkt 
man  sich  auf  die  lateinischen  Lehnwörter  der  älteren  Zeit  (vgl.  F.  Kluge 
in  Pauls  Grnndriss  I*,  333  ff.),  so  sind  aus  dem  Lateinischen,  bezüglich 
Romanischen,  in  westgermanische  Sprachen  übergegangen  zunächst  zwei 
Bezeichnungen  der  steinernen  Mauer  in  märus  (ahd.  mtira)  und  vallum 
(alts.  wall,  agls.  iceall),  ferner  Bezeichnungen  für  Thor,  Schwelle, 
Säulenhalle,  Pfosten,  Säule  in  porta  (altudd.  porta,  mhd.  porze,  agls. 
port),  xolea  (agls.  st/ll),  porticus  (ahd.  pforzih,  agls.  portiä),  postis 
(ahd.  pfost,  agls.  post),  sttta  i.  e.  orr^Xri  (mndd.  stil),  ferner  Ausdrücke 
für  verschiedene  Teile  des  steinernen  Hauses  oder  selbständige  steinerne 
Gebäude,  für  die  Küche  in  coquina  (ahd.  chuhhina,  agls.  cyiene)  und 
culina  (agls.  cyln),  den  Keller  in  cellärium  (ahd.  chelldri),  die  Räucher- 
kammer in  carndrium  (nhd.  kerner),  den  Söller  oder  das  Ober- 
geschoss  (ahd.  tlfhtU,  agls.  uphtix),  das  aber  nach  römischem  Muster 
schon  dem  alten  einstöckigen  Holzhaus  gelegentlich  hinzugefügt  wurde 
(vgl.  M.  Heyne  S.  80  ff.),  in  söldrium  (ahd.  soldri,  agls.  solare),  den 
Fussboden  in  arina  (ahd.  erin  ,pavimentum')  und  astracum,  i.  e. 
öo*tpokov  (ahd.  extrih,  ndd.  astrak).  die  gewölbte  Decke  und  ein 
Zimmer  mit  solcher  in  camera  (ahd.  chamera),  für  Heizungsvorrich- 
tnngen  in  camhium  (ahd.  chemi),  clibanua  (agls.  cleofa,  altn.  klefe 
,Gemaeh  mit  Ofen  ),  *extufa,  extufare  (ahd.  stuba  ,Gcmaeh  mit  Ofen', 
agls.  fdofa  ,Bad  )  und  pensile  (ahd.  pfiesal,  agls.  pisle  ,Gemach  mit 
Ofen'),  endlich  Benennungen  für  allerhand  nicht  in  das  Gebiet  des 
Hausbaus  fallende  Baulichkeiten,  die  Wasserleitung  in  aquaeduetus 
(dial.  Schweiz,  alt,  hess.  aduyj,  den  Kanal  in  candlis  (ahd.  chanal), 
das  Kastell  in  casteUum  (altndd.  kastei,  agls.  castel),  den  Kerker  in 
carcer  (ahd.  charchdri,   vgl.  auch  got.  karkara),  das  Kloster  in 


Digitized  by  Google 


Steinbau  -  Steinbock. 


monasterium  (ahd.  munüttüri,  agls.  mymter)  und  claustrum  (ahd. 
Iclötttar,  vgl.  auch  agls.  clüstor  ,Schlo88'),  den  Palast  in  palätium  (abd. 
pfalanze,  agls.  palent),  die  Villa  in  rt/la  (ahd.  -teil  in  Ortsnamen, 
woher  anch  ahd.  teiläri  ,Weiler*  ebenfalls  in  Ortsnamen),  den  Turm 
in  turris  (agls.  torr),  den  Weiber  in  vivdrium  (ahd.  wiwdri).  Vgl. 
noch  im  einzeln  lat.  asphaltum  (agls.  spaldur),  calx  (ahd.  cäöJcä, 
agls.  cealc),  *plastrum  ,Gips'  (ahd.  pflastar),  puteus  , Brunnen'  (ahd. 
pfuzziy  agls.  pytt  ),  sarcophagus  (ahd.  *arÄ-),  sträta  sc.  ria  (ahd.  sträzza), 
tegula  (ahd.  ziagal,  agls.  fty/e)  u.  a.  Vgl.  alles  weitere  bei  M.  Heyne 
Das  deutsche  Wohnungswesen  S.  71  ff. 

Eine  Weiterführung  dieser  Reihen  nach  dem  Osten  Europas,  zu  den 
Litauern  und  Slavcn,  hat  wenigstens  in  älterer  Zeit  nicht  statt  ge- 
funden. Bei  diesen  Völkern  hat  sich  die  ureuropäisehe  Hütte  aus  Holz 
und  Flechtwerk  bis  in  die  spätesten  Zeiten  und  teilweis  bis  in  die 
Gegenwart  erhalten.  Über  die  litauischen  Häuser  berichtet  noch 
J.  Lasicius  De  diis  Samagitarum  S.  45:  Mapalia,  quae  turres  ap- 
pellant,  sursum  angusta,  atque  qua  fumus  et  foetor  exeat,  aperta, 
ex  tignis,  anseribus,  Stramine,  cortieibus  faciunt,  über  die  slavischen 
noch  Hclmold  II,  13:  Xec  in  comtruendis  aedifieiis  operosi  sunt, 
quin  potius  canas  de  virgultis  contexunt,  necessitati  tantum  consu- 
lentes  adversus  tempestates  et  plucias.  Aber  auch  heute  noch  wird 
iu  vielen  Gegenden  Russlands,  abgesehen  von  Kirchen  und  Klöstern, 
fast  ausschliesslich  mit  Holz  gebaut,  und  selbst  „das  russische  Moskau 
war  bis  1812  und  ist  zum  grossen  Teil  auch  noch  jetzt  ein  hölzenies 
Lager".  Die  späteren  Fremdwörter  der  slavischen  Sprachen  auf  dein 
Gebiete  des  Steinbans  weisen  teils  nach  dem  germanischen  Westen, 
teils  in  südlicher  Richtung,  nach  Byzanz  (vgl.  auch  Krck  Einleitung 
in  die  slav.  Litg.-  S.  144  ff.).  Im  einzelnen  s.  noch,  ausser  den  schon 
oben  genannten  Artikeln,  u.  Asphalt,  Kalk  (Mörtel),  Keller,  Kreide 
(Marmor),  Ofen,  Stall  und  Scheune,  Turm,  Ziegel.  —  Vgl.V.  Hehn 
Kulturpflanzen  und  Haustiere6  S.  135 ff.  (Steinbau)  und  R.  v.  Ihering 
Vorgeschichte  der  Iudoeuropäer  S.  126  ff.,  wo  der  Kulturgegensatz 
zwischen  dem  altscmitischen  Steinhaus  und  dem  altidg.  Holzhaus  in 
seiner  ganzen  Tragweite  erörtert  wird. 

Steinbock.  Eine  deutliche  Terminologie  hat  sich  für  das,  wie 
es  scheint,  auch  im  Altertum  und  in  prähistorischer  Zeit  nur  auf  die 
Alpen  und  vielleicht  die  Pyrenäen  beschränkte  und  mit  Gemse  (s.  u. 
Antilope)  und  Wildziege  (s.  u.  Ziege)  verwechselte  Tier  nicht  heraus- 
gebildet. Ein  spezieller,  wahrscheinlich  einer  Alpensprache  angehöriger 
Käme  begegnet  nur  bei  Plinius  Hist.  nat.  VIII,  214:  Sunt  caprae,  sunt 
rupicaprae,  sunt  ibices  ....  sed  illa  Alpes  .  .  .  mittunt.  Einige  be- 
ziehen auch  das  homerische  TEaXo?  (ISäXou  aitd?  äfpiou  II.  IV,  105)  auf 
den  Steinbock.  Über  Versuche  der  Deutung  dieses  Wortes  vgl.  Muss- 
Aruolt  Transactions  of  the  Am.  phil.  ass.  XX III,  94.   Über  deu  Stein- 


Digitized  by  Google 


8*4 


Steinbau  —  Steinzeit. 


bock  im  Altertam  bandelt  0.  Keller  Tiere  des  klassischen  Altertums 
S.  37  ff. 

Steingrätar,  Steinkisten,  Nteinkainmern,  s.  Bestattung, 
Steinbau. 

Steinigung,  s.  S  träfe. 

Steinwasen,  Steinwerkzeuge,  s.  Steinzeit,  Waffen,  Werk- 
zeuge. 

Steinzeit.  Die  Anwesenheit  des  Meusehen  in  Europa  lüsst  sich 
nur  bis  in  die  jüngste  geologische  Epoche  unseres  Erdteils,  in  die  so- 
genannte Diluvial-  oder  Quartärzeit,  verfolgen,  und  auch  hier  wieder 
nur  bis  ihre  jüngsten  Perioden,  d.  h.  bis  in  die  letzte  Zwischeneiszeit 
und  letzte  Eiszeit.  Die  damalige  Fauna  war  eine  andere  als  heute. 
Mammut  und  Rhinozeros,  Renntier  und  Ricsendamhirsch,  Höhlenlöwe  und 
Höhlenhyäne  bevölkerten  (wahrscheinlich  jedoch  nicht  gleichzeitig)  die 
Landschaft.  Auch  die  Ausdehnung  uuseres  Erdteils  war  von  der 
heutigen  verschieden.  Während  er  von  Nordasien  durch  eine  Kette 
von  Eis,  Meer  und  Seen,  die  sich  vom  Eismeer  bis  zum  Kaspischen 
See  erstreckten,  getrennt  wurde,  war  er  im  Südosten  durch  einen  breiten 
Landstreifen  mit  Kleinasien  und  SUdwestasien  verbunden.  Spuren  des 
Menschen  fehlen  aus  denjenigen  Teilen  Europas,  welche  damals  von 
ungeheuren  Gletschern  bedeckt  waren,  also  aus  Skandinavien,  Gross- 
britnnnicn  bis  auf  einen  schmalen  südlichen  Streifen),  Irland,  Nord- 
russlaud,  Norddeutschland  bis  an  den  Nordrand  der  Mittelgebirge,  dem 
Alpengebiet,  das  weit  Uber  den  Fuss  hinaus  vergletschert  war.  Sie 
sind  vorhanden  aus  Frankreich,  dem  südlichsten  England,  Spanien, 
Portngal,  Belgien,  aus  Mitteldeutschland,  Ostreich  und  Italien.  Der 
diluviale  oder  palüolithischc  Mensch  Europas  kannte  noch  keine  Vieh- 
zucht und  keinen  Ackerbau,  sondern  lebte  als  .läger  und  Fischer,  er 
kannte  uoch  keinen  Haus-  und  Hüttenbau,  sondern  lebte  in  Stationen 
unter  freiem  Himmel  oder  in  Höhlen  und  unter  überspringenden  Fels- 
abhängen.  Er  formte  noch  keine  Gefässe,  spann  und  webte  nicht  und 
verstand  die  zwar  ziemlich  zahlreichen,  aber  noch  wenig  von  einander 
differenzierten  Waffen  und  Werkzeuge,  die  er  aus  Stein,  Knochen  oder 
Horn  herzustellen  gelernt  hatte,  noch  nicht  zu  glätten  oder  sonst  zu 
verschönen.  Der  Beerdigung  seiner  Toten  widmete  er  noch  keine 
Sorgfalt,  kurz  er  zeigt  eine  Tiefe  der  Kultur,  der  gegenüber  ein  bei 
gewissen  Teilen  dieser  paläolithischen  Bevölkeruug  hervortretender 
Kunstsinn,  der  sich  in  Gravierungen  von  Tierbildern  auf  Knochenplatten 
und  Geweihstangen,  sowie  in  geschnitzten  Rundfiguren  (s.  u.  Kunst) 
bemerkbar  macht,  in  hohem  Grade  überrascht. 

Diesen  Zuständen  der  paläolithischen  Zeit  steht  das,  was  wir 
über  die  Kultur  der  Indogermancn  wissen,  schroff  uud  unvermittelt 
gegenüber.  Die  ältesten  europäischen  Indogermancn  lebten  von  Vieh- 
zucht und  Ackerbau  (s.  s.  d.  d.),  sie  bauten  Hütten  (s.  u.  Haus), 


Digitized  by  Google 


Steinzeit. 


8i5 


formten  Gefässc  (g.  d.),  spannen  und  webten  (s.  s.  d.  d.),  besasseu 
eine  Fülle  sprachlich  (und  also  auch  sachlich;  differenzierter  Waffen 
und  Werkzeuge  (s.  s.  d.  d.),  begruben  ihre  Toten  (s.  u.  Bestattung 
und  Ahnenkult  üb),  zeigten  aber  nirgends  eine  Spur  jenes  für  den 
paläolithischen  Menschen  so  charakteristischen  Kunstsinns. 

Hingegen  deckt  sich,  was  wir  durch  sprachliche  Gleichungen  oder 
sonst  als  indogermanisches  Kulturgut  erweisen  können,  im  wesentlichen 
mit  dem  der  auf  jene  paläolithische  Zeit  folgenden  ncolithischen 
Epoche,  speziell  mit  derjenigen  ihrer  Stufen,  auf  welcher  das  Kupfer 
(s.  d.)  bereits  dem  Menschen  bekannt  geworden  war.  Was  Fauna 
und  Flora,  Klima  und  Grenzen  unseres  Erdteils  anbetrifft,  fällt  diese 
Epoche  bereits  mit  der  Gegenwart  zusammen. 

Kulturhistorische  Übergänge  zwischen  jener  paläolithischen  und  dieser 
ncolithischen  Zeit  haben  sich  bis  jetzt  nicht  mit  Sicherheit  nachweisen 
lassen.  Am  ehesten  kann  man  als  solche  noch  die  namentlich  an  der 
dänische»  Ostseeküste  gefundenen  Kjökkenmüddingcr  ansehn,  in  denen 
von  Gaben  einer  höheren  Gesittung  die  Töpferei  und  der  Haushund 
erscheint.  Doch  ist  es  zweifelhaft,  ob  man  von  dieser  mecrangesesseneu 
Fischerbevölkerung  einen  Schluss  auf  die  allgemeine  Kultur  des  Landes 
ziehn  darf  (vgl.  über  die  vielerörterte  Frage  des  „Hiatus"  zwischen 
paläo-  und  neolithischer  Zeit  z.  B.  Hernes  Die  Urgeschichte  des  Menschen 
S.  22V  ff.  und  Krctschmer  Einleitung  in  die  Geschichte  d.  griech.  Spr. 
S.  53  ff.).  Als  das  wahrscheinlichste  dürfte  auch  jetzt  noch  gelten, 
dass  neue  Völker  die  Träger  und  Verbreiter  der  ncolithischen  Kultur 
in  Europa  gewesen  sind.  Es  läge  daher  nach  dem  obigen  die  Annahme 
nahe,  dass  die  Ausbreitung  der  lndogerniancn  und  die  der  ncolithischen 
Kultur  in  Europa  sich  nahezu  deckende  Begriffe  seien.  Man  könnte 
sich  alsdann  vorstellen,  dass  irgendwo,  vielleicht  an  der  Grenze  von 
Asien  und  Europa  (s.  u.  Urheimat),  sich  die  Völker-  und  Spracheinheit 
der  Jndogermanen  gebildet  habe  und  unter  den  ersten  Ausstrahlungen 
altorientalischer  Kulturen  (s.  auch  u.  Axt  und  Kupfer)  von  paläo- 
lithischen zu  ncolithischen  Zuständen  übergegangen  sei,  die  sie  bei  ihrer 
Ausdehnung  Uber  Europa  auf  schon  vorher  daselbst  ansässige  Völker, 
die  sich  als  Überreste  und  Nachkommen  des  hier  nachgewiesenen 
paläolithischen  Menschen  auffassen  Hessen,  verpflanzt  hätte.  Doch  muss 
hervorgehoben  werden,  dass  eine  solche  Auffassung  der  Dinge,  so 
wahrscheinlich  sie  an  und  für  sich  ist,  doch  keineswegs  als  wissen- 
schaftlich erwiesen  gelten  kann.  So  lange  Steine  nicht  reden  können, 
wird  es  immer  ungewiss  bleiben,  welchen  Völkern  die  einzelnen 
Stationen  der  Steinzeit  angehörten,  und  auch  die  allgemeineren  Fragen, 
ob  die  ncolit bische  Kultur  in  Europa  sich  durch  Wanderungen  oder 
Verkehr  verbreitete,  ob  sie  durch  natürliche  Weiterentwicklung  von 
innen  heraus  sich  entfaltete,  können  uoch  nicht  als  erledigt  gelten. 
Als  sicher  bleibt  daher  nur  der  eine  Satz  übrig,  dass  die  vor- 


Digitized  by  Google 


826 


Steinzeit  —  Sterne. 


historischen  Zusammenhange  der  Indogernianen  in 
neolit bischen  Znständen  wurzeln. 

Zu  Gunsten  der  Annahme  eines  östlichen  Ursprungs  der  neolithisehen 
Kultur  hat  man  gern  auf  gewisse  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  ge- 
fundene Artefakte,  Steinkeile,  Steinbeile,  Messer  aus  Nephrit  und 
Jadeit  verwiesen,  Mineralien,  von  denen  man  glaubte,  dass  sie  nur  in 
Asien  vorkämen,  so  dass  sie  von  dort  durch  Wanderungen  (der  Indo- 
gernianen; oder  Verkehr  nach  der  Schweiz  gekommen  sein  müssten. 
Vgl.  namentlich  M.  Müller  in  seinen  Biograph ies  of  words,  Appendix 
II:  the  original  home  of  Jade  (London  1888).  Doch  neigt  man  neuer- 
dings mehr  und  mehr  der  schon  von  A.  B.  Meier  Die  Jadeit-  und 
Nephritobjektc  aus  Asien,  Oeeanien  und  Afrika  (1883)  vertretenen 
Ansicht  zu,  nach  welcher  die  hier  in  Frage  kommenden  Steinarten 
auch  in  Kuropa  heimisch  seien,  und  nach  einer  mündlichen  Mitteilung 
des  bekannten  Züricher  Archäologen,  Herrn  Heierli,  würde  dies  dem- 
nächst auch  für  die  Alpen  selbst  erwiesen  weiden  können.  Dieser 
Punkt  wenigstens  würde  also  bei  der  Erörterung  der  Frage  nach  den 
Ursprüngen  der  neolithisehen  Kultur  auszuscheiden  sein. 

Stellvertretung  in  der  Ehe,  s.  Zeugungshclf er. 

Sterne.  Ihre  idg.  Gesamtbezeichnung  liegt  in  der  Reihe  sert. 
gtär-,  aw.  »rar-,  armen.  asü,  griech.  äo-rn.p,  ätfTpov,  lat.  Stella,  kymr. 
seren,  körn,  steren,  biet,  sterenn,  got.  stairnö,  altn.  stjarna,  ahd.  sterno. 
Daneben  scheinen,  statt  mit  st,  mit  t  anlautende  Formen  in  sert.  tA'ra* 
,Stcruc'  und  griech.  lipaq,  eigentl.  ,Stern'  (so  II.  XVIII,  485),  dann 
allgemein  .Wahrzeichen',  .Götterzeichen'  vorhanden  zu  sein.  Als  Wurzel 
der  ganzen  Sippe  siebt  man  ster  in  seit,  strnöti,  griech.  aropcvvvuui  an, 
so  dass  die  „Sterne"  so  viel  wie  ,die  tarn  Himmel)  hingestreuten'  sein 
würden.  Aus  weicht  das  Litu-Slavische  mit  der  Gleichung  lit.  iicaigzde' 
=  altsl.  zeezda  ,Stern'  (etymologisch  dunkel).  Idg.  Bezeichnungen  für 
einzelne  Gestirne  lassen  sich,  ausser  für  Sonne  und  Mond  (s.  s.  d.  d.) 
und  vielleicht  für  den  Bären,  der  schon  im  Rigveda  wie  bei  Homer 
mit  dem  idg.  Namen  dieses  Tieres  <scrt.  rksha-  =  griech.  äptcToc; 
bezeichnet  wird,  nicht  nachweisen.  Eine  eingehendere  Termiuologic 
der  einzelnen  Sternbilder  ist  erst  zu  erwarten,  nachdem  die  Anfänge 
astronomischer  und  astrologischer  Wissenschaft  gemacht  worden  sind. 
Diese  sind,  fern  von  idg.  Gebiet  und  unter  dem  Einfluss  eines  den 
Indogernianen  fremden  Gestirudienstes  erwachsen,  auf  mesopotamischem 
Boden  zu  suchen,  und  erst  spät  bat  sich  von  hier  eine  genauere  Kunde 
des  gestirnten  Himmels  bei  Griechen  und  Römern  sowie  im  übrigen 
Europa  verbreitet.  Dies  schlicsst  nicht  aus,  dass  man  sich  schou  in- 
der  idg.  Urzeit,  wie  andere  Himtnelserscheinungen,  so  auch  die  hervor- 
stechendsten Erscheinungen  des  Steruenmeers  nach  menschlicher  oder 
Boustiger  Analogie  zu  erklären  suchte.  Dies  ist  hinsichtlich  des  Morgen- 
und  Abendsterns  sowie  des  Verhältnisses  von  Sonne  und  Mond  u. 
Religion  näher  ausgeführt  worden,  wo  auf  gewisse  wohl  sicher  schon 


Digitized  by  Google 


Sterne  —  Steuerruder. 


S27 


in  proethnische  Zeit  zurückgehende  Vorstellungsrciheu  hingewiesen 
worden  ist.  Zwei  weitere  Himmclscrselieinungen,  die  die  Phantasie 
der  idg.  Völker  früh  beschäftigten,  sind  die  Milchst rasse  und  die 
Verfinsterung  von  Sonne  und  Mond.  Alte  und  volkstümliche  Namen 
der  ersteren  sind  im  Indischen  Aryamaus  Pfad,  im  Deutschen  Jringes- 
strdza  (bei  Widukind  von  Corvei),  mundartl.  kaupat  ,Kuhpfad',  „Hei-, 
Heerweg,  Heerstrassc,  Vroneldcnstract,  Wetter-,  Winterstrasse"  u.  s.  w., 
im  Litauischen  paükszcziü  kelias  .Vögelpfad'  u.  s.  w.  So  unsicher 
derartige  Deutungen  sind,  so  scheint  es  doch,  dass  man  frühzeitig  die 
Milchstrasse  als  Verbindungsweg  zwischen  Unterwelt  und  Himmel, 
als  Götter-  (sert.  pdnthänö  decayd'nd*)  und  Seelenpfade  (über  Sterne 
als  Seelen  vgl.  auch  Oldenhcrg  Religion  des  Vede  S.  »65)  aufgefasst 
hat  (näheres  bei  A.  Kuhn  K.  Z.  II,  311  ff.,  Pictet  Les  origines  II,  582, 
J.  Grimm  Deutsche  Mythologie  l3,  331).  Hinsichtlich  der  Sonnen- 
und  Mondfinsternis  ist  in  Indien  und  bei  den  Germanen  die  Vor- 
stellung weit  verbreitet,  dass  schreckliche  Dämonen,  im  Rigveda 
Svarbhänu  (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  351),  in  Skandinavien 
Wölfe,  vor  allem  der  grausige  Fcnrir  'vgl.  R.  Much  Festgabe  für 
Hcinzel  S.  218),  zeitweis  die  beiden  Gestirne  verschlingen. 

So  spät,  wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  sich  bei  den  Hellenen 
eine  nähere  Kenntnis  des  gestirnten  Himmels,  der  Planeten  (s.  auch 
u.  Woche),  des  Tierkreises  u.  s.  w.  verbreitete,  verfügt  doch  schon 
Homer  Uber  eine  ganze  Anzahl  von  Namen  einzelner  Sternbilder.  Auf 
dem  Schild  des  Achilles  (II.  XVIII,  483  ff.)  waren  abgebildet,  ausser 
Sounc  und  Mond,  die  Plejadcn,  die  Hyadcn,  Orion  und  der  Bär  (n> 
Kai  äua£av  ^mKXnffiv  KOtXloutfi).  Hierzu  treten  dann  noch  (Od.  V,  272) 
der  Bootes  und  dl.  XXII,  26  ff.)  der  Sirius  (als  Hund  des  Orion  be- 
zeichnet, aeipios  erst  bei  Hesiod),  ferner  (II.  XXII,  318,  XXIII,  226) 
Morgen-  und  Abendstern  (£wo~<pdpo<;,  tontpoq).  Die  hier  genannten  Namen 
sind  teils  mythologischer  Natur  ('Qpliuv  angeblich  ein  semitisches  Wort, 
vgl.  Lcwy  Die  semit.  Fremdw.  S.  243  f.),  teils  auf  Witterung«-  oder 
andere  Verhältnisse,  die  die  betreffenden  Gestirne  bringen  (s.  auch  u. 
Jahreszeiten),  bezüglich:  nXn/iäbc?  :  ttXcTv,  weil  ihr  Aufgang  den 
Beginn  der  Schiffahrt  verkündet,  'Ydbeq  :  uei,  weil  sie  den  Regen, 
Zeiptot  :  o~€ipÖ£,  heiss',  weil  er  die  tropische,  fieberhafte  Hitze  bringt. 
Kür  die  Erkenntnis  des  allmählichen  Hervortretens  der  Gestirnnamen 
bei  den  Nordvölkern  fehlt  es  noch  an  Material.  Einzelnes  vgl.  bei 
Vigfusson  An  Icclandic-English  Dictionary  s.  v.  ntjarna. 
Steuer,  s.  Abgabe. 

Steuerräder.  Die  Bezeichnungen  für  diesen  Teil  des  Schiffes 
stimmen  in  den  idg.  Sprachen  nicht  überein.  Sie  sind  hervorgegangen 
zunächst  aus  älteren  Namen  für  Ruder  und  Schaufel  (am  Ruder), 
von  denen  sich  die  älteste  Steuervorrichtung  nicht  unterschied;  denn 
im  ganzen  Altertum  und  Mittelalter  wurden  die  Schiffe  durch  Ruder 


Digitized  by  Google 


Steuerruder. 


(Remen)  gesteuert,  die  von  den  gewöhnlichen  nur  dnreb  ihre  grössere 
Länge  und  durch  die  Breite  des  Ruderblattes  verschieden  waren. 
Diese  Ruder  waren  au  der  rechten  Seite  des  Schiffes  hinten  lose  be- 
festigt, weshalb  in  allen  germanischen  Sprachen  diese  als  „Steuerbord" 
bezeichnet  wird,  wahrend  die  im  Rucken  des  mit  beiden  Händen  das 
Ruder  lenkenden  Steuermanns  liegende  „Backbord"  (agls.  ste'orbord — 
beeebord)  heisst.  Auch  die  romanischen  Völker  haben  diese  seit  Ein- 
führung des  festen  Steuerruders  am  Achtersteven  des  Schiffes  (im 
XIII.  Jahrhundert)  nicht  mehr  verständliche  Bezeichnung  übernommen 
(vgl.  frz.  tribord-bdbord,  it.  tribordo-babordo).  Bei  dem  einen  der 
altgermanischen  im  Wydamer  Moor  aufgefundenen  Fahrzeuge  ist  diese 
älteste  Steuervorrichtung  noch  gut  erhalten.  Sie  besteht  aus  nichts 
als  einem  grossen  kenlenartigen  Ruder  an  der  rechten  hintern  Schiff- 
seite, das  auch  zahlreiche  Abbildungen  von  Wikinger  Schiffen  so- 
wie das  bekannte  Schiff  von  Gokstad  aufweisen  (vgl.  G.  Boehmer 
Prehist.  naval  architecture  S.  590  ff.).  Bei  grossen  Seeschiffen  be- 
diente sich  das  klassische  Altertum  zweier  Steuerremen,  von  denen 
das  eine  auf  der  rechten,  das  andre  auf  der  linken  Seite  befestigt 
war.  Im  Norden  scheint  diese  Einrichtung  unbekannt  gewesen  zu 
sein;  doch  übte  man  auch  hier  (vgl.  Tacitus  Germ.  Cap.  44)  die  den 
Alten  wohlbekannte  Kunst,  in  engen  Fahrwassern  bald  am  Vorder-, 
bald  am  Hinterteile  des  Schiffes  yu  steuern  (vgl.  Breusing  Nautik  der 
Alten  S.  97  ff.,  Liebich  Beiträge  S.  i>24  ff.).  —  Mau  versteht  also, 
warum  das  Steuerruder  einfach  als  Ruder  etc  bezeichnet  werden 
konnte.  So  gehört  griech.  Trn,bäXiov  :  Trn,böv  , Ruder'  (eigentl.  ,fussartiges 
Ende  des  Ruders',  vgl.  lit.  pedd  , Fussspur'),  ir.  lue  aus  Hupet- :  altsl. 
lopata  »Schaufel',  alt»,  l'opate  ,Rnder',  nhd.  laffe  ,Ruderblatt'  (s.  u. 
Schaufel).  Daneben  liegt  ir.  Mi,  kymr.  Ilyic  (nach  Stokes  aus 
*lopujo-t  das  zu  got.  Ufa  ,Hand*  gestellt  wird  (vgl.  auch  baKTuXios*  toü 
irnbaXiou  änpÖTarov  Hes).  Ungern  wird  man  auch  die  Sippe  von 
gemeinsl.  *kürma,  altsl.  krüma,  russ.  korma  »Steuerruder,  Ruder'  von 
griech.  icopuöt  ,TrXdTrj',  ,Kumn/  trennen,  für  die  freilich  Miklosich  Et. 
W.  Entlehnung  aus  dem  Magyarischen  zu  vermuten  scheint.  Endlich 
wird  man  auch  für  das  gemeiugerm.  altn.  styri  (finn.  tyyry),  ahd. 
stiura,  agls.  ste'or  ,Steuer*  als  Grundbedeutung  ,pfahlartiges  Ruder' 
ansetzen  dürfen,  weun  es  richtig  mit  griech.  araupö«;  ,Pfahl',  got. 
staun,  altn.  staurr  verbunden  wird.  Ebenso  scheint  altn.  hjalm 
,Steuerruder",  agls.  helma  .Griff  des  St.'  dem  lit.  szalma  ,langer 
Balkcu'  zu  entsprechen  (anders  Hoops  Beiträge  XXII,  434). 

Eine  zweite  Reihe  von  Benennungen  des  Steuerruders  geht  aus 
früheren  Namen  der  Deichsel  (s.  d.)  hervor  in  leicht  verständlicher 
Begriffsübertragung:  die  Deichsel  giebt  dem  Wagen,  das  Steuer  dem 
Schiffe  seine  Richtung.  So  stellt  sich  griech.  *Kußepvov,  woraus  lat. 
gubernum,  KußcpvnTTis,  woraus  lat.  gubernator :  sert.  kubara-,  kübari' 


Digitized  by  Google 


Steuerruder  —  Stiel-. 


82fr 


, Deichsel',  alb.  temön,  serb.  timun,  usl.  Union,  it.  timone  »Steuerruder': 
lat.  temo;  vgl.  auch  sp.  ptg.  lerne  ^Steuer'  :  sp.  frz.  Union  , Deichsel' 
(Körting  Lat.-roni.  S.  453).  Es  wird  daher  gestattet  sein,  auch  griech. 
oi(<J)niov  (Horn.)  ,Steuer',  oY(<x}aK€f  rnioäXia  Hes.  mit  sei  t,  Ishd' , Deichsel' 
uod  der  im  Slavischcu  weit  verbreiteten  Sippe  von  nslov.,  kroat.,  serb., 
cecb.  oje  (*ojes-)  , Deichsel',  die  im  C'echischen  ebenfalls  ,Steuerruder' 
bedeuten  kann,  zu  verbinden  (vgl.  Liden  8t.  zur  altind.  u.  vergl. 
Sprachgesch.  S.  60  ff.).  Auch  andere  Übertragungen  kommen  vor.  So 
von  dem  Zaum  des  Pferdes  in  aux^viov,  auxnv,  dem  technischen  Aus- 
druck für  „den  inneren  oder  oberen  Teil  des  Ruderschaftes"  u.  a.  (vgL 
Breusing  a.  a.  0.  S.  104).  -  S.  u.  Schiff,  Schiffahrt. 

Stief-.  Da  unter  Witwe  gezeigt  ist,  dass  einer  solchen  in  der 
Urzeit  eine  Wiederverheiratnng  unmöglich  war,  so  kann  der  Begriff 
des  Stief  Verhältnisses  damals  nur  hinsichtlich  der  Kinder  eines  ver- 
witweten Vaters  gegenüber  der  fremden  Mutter  ausgebildet  gewesen 
sein.  Thatsächlich  liegt  in  griech.  nnjpuiä  —  armen,  mauru  aus 
*mdtruyd  ,Stiefmutter',  eine  vorhistorische  Benennung  der  Stief- 
mutter vor;  wenn  auch  agls.  mödrie  /Tante'  hierherzustellen  ist,  so 
muss  es  in  der  Bedeutung  ausgewichen  sein.  —  Bezeichnungen  des 
Stiefvaters  gehören  erst  den  Einzelsprachen  an:  sert.  tdta  yaviydn 
(spät),  griech.  ^TrtTrdTUjp  (spät),  armen,  yauray  —  griech.  ndTpiw? 
,Vaterebruder'  (iraTpiyös  »Stiefvater'),  der  in  der  alten  Familie  seinen 
verwaisten  Neffen  gegenüber  die  Stelle  des  Vaters  vertreten  haben 
wird  (später  hauru  »Stiefvater'  :  hair  .Vater',  nach  dem  Muster  von 
mauru  ,Sticfmuttcr'  :  niair  , Mutter  ),  lat.  titricus  ( :  nhd.  wieder,  *vitro- 
„der  mir  wieder  ein  Vater  ist"  ?,  vgl.  Brugmann  Grundriss  II,  180;  anders 
Prellwitz  B.  B.  XXIII,  69,  der  in  Analogie  zu  sert.  rimdtar-  ^Stief- 
mutter' an  ein  ursprüngliches  *ri(p)trku8  :  pater  denkt;  vgl.  noeb 
Cla88.  Rev.  XI,  93),  nrkelt.  *altravon-,  körn,  altrou  .Pflege-  und  Stief- 
vater' (:  lat.  alo'tf),  agls.  de  .vitrieus'  (vgl.  F.  Kluge  Fcstgruss  an 
Boehtlingk  S.  61).  Für  die  Stiefkinder  bestehn  Namen  wie  sert. 
dcaimdtura-  ,zwei  Mütter  habend'  (eine  leibliche  und  eine  Stiefmutter), 
griech.  irpötovoi  (d.  h.  Kinder  aus  erster  Ehe)  u.  a.  Zur  Bezeichnung 
des  ganzen  Stief  Verhältnisses  bedient  sich  das  Litu-Slavische 
der  Präposition  po  ,uach'  (z.  B.  lit.  pdmote  ^Stiefmutter' ),  die  häufig 
den  Sinn  des  unechten,  schlechten  hat,  wie  das  Lateinische  ähnlich 
das  Suffix  aster  [pat  rasier,  fiUasier)  verwendet.  Schon  im  Urger- 
manischen wurde  das  Stiefverhältnis  durch  *steuqo-,  *steupo-  (altnorw. 
stiüg-möder,  altschwed.  stiup-,  agls.  rttop-,  ahd.  stiof)  ausgedrückt, 
das  mit  ahd.  stiufen  Jemanden  seiner  Angehörigen  berauben'  zu  ver- 
binden ist,  so  dass  ahd.  stiof-kind  vielleicht  ein  Kind  bezeichnet,  das 
seines  wirklichen  Vaters  etc.  beraubt  ist.  Vgl.  noch  armen,  urju 
,Stiefsohn'  (dunkel),  lat.  noverca  ,ncue  Mutter'  (nach  einem  voraus- 
zusetzenden *materca),  privignus  ,Sticfsohn'  (:  prtvus  .abgesondert 


Digitized  by  Google 


«30 


Stief-  —  Stör. 


von',  s.  o.  stief?),  urkelt.  *lessomakvos,  ir.  les-mac  »Stiefsohn',  ferner 
körn,  eis  ,privignus'  (Vermutungen  bei  Stokes  Urkelt.  Sprachschatz 
S.  250 f.).  Vgl.  noch  G.  Goetz  Thesaurus  s.  v.  patreus  und  vitricus  — 
Delbrück  Vcrwandtschaftsuainen  S.  469—473. 

Stiefel,  s.  Schuh  e. 

Stieglitz,  s.  Singvögel. 

Stier,  s.  R  i  n  d. 

Stör.  Der  eigentliche  Stör  (Acipenser  sturio)  bewohnt  das  At- 
lantische und  das  Mittelländische  Meer,  die  Nord-  und  die  Ostsee 
nebst  den  dazu  gehörigen  Flussgebieten,  dagegen  fehlt  er  im  Schwarzen 
Meer  sowie  im  Donaugebiet  gänzlich,  während  umgekehrt  der  Sterlet, 
Scherg  und  Hausen,  alles  Störarten  im  weiteren  Sinn,  gerade  hier 
und  im  Kaspisee  heimisch  sind  (vgl.  Brehm  Tierleben,  Fische  S.  427  ff.). 
Trotz  dieser  weiten  Verbreitung  des  Fisches  in  Europa  findet  sich 
keine  Übereinstimmung  in  seinen  Namen,  es  sei  denn,  dass  man  Be- 
ziehungen des  westgermanischen  Ausdrucks  ahd.  sturio,  agls.  styrja 
zu  den  litu-slavischen  Wörtern  &\t&\.jesetrü}  lit.  asHras  neben  erszketras, 
altpr.  esketres)  annimmt. 

Welches  der  griechische  Name  für  die  in  Griechenland  einheimische 
Störart  gewesen  sei,  lässt  sich  nicht  sieber  ermitteln.  Einige  der  alten 
Gewährsmänner  glaubten  den  Stör  in  den  griech.  £XXoiy  und  raXeos 
zu  erkennen  (vgl.  Athenaeus  VII,  p.  294).  Doch  lernten  die  Griechen 
sehr  frühzeitig  auf  dem  Weg  des  Handels  mit  Salztischen  (rapixo?) 
auch  die  edleren  Störarten  des  Schwarzen  Meeres  kennen.  Schon 
Herodot  berichtet  IV,  53  von  diesem:  Knud  t€  uttdXa  dvdKavÖa,  xd 
dvTaiccrious  KaXeoutfi,  Ttapexciai  i<;  xapix€uffiv.  Auch  im  Istros  wurde 
der  dvTaicaToq  gefangen  und  von  den  anwohnenden  Skythen  in  halb- 
gesalzenem Zustand  gegessen.    Vgl.  Sopratos  bei  Athen.  III,  p.  119: 

db&ax'  dviaicaiov,  öv  xp&pei  U€Yaq 

"krrpos,  ZKu9ato*iv  fipivripov  fjbovnv. 
Welcher  Sprache  das  Wort  dvatcaio^  angehört,  lässt  sich  nicht  ermitteln. 

Die  Römer  haben  einen  eigenen,  also  nicht  (wie  bei  zahlreichen 
anderen  Fischen)  dem  Griechischen  entlehnten  Namen  für  den  Stör, 
acipenser,  auch  aquipenser  und  aeeipienser  geschrieben,  dnnkelen 
Ursprungs  (Versuch  einer  Erklärung  in  den  Götting.  gel.  Anz.  1874 
S.  072).  Pliniu8  IX,  59  sagt  von  dem  Fisch:  Apud  antiqtios piscium 

nobilissimus  habitus    aeeipenser  nullo   nunc  in 

honore  est,  quod  quidem  miror,  cum  sit  rarus  inventu.  quidam  eum 
tlopem  vocant  (s.  o.).  Hat  Martial  XIII,  91,  wenn  er  dem  gegen- 
über sagt: 

Ad  Palatinos  aeipensem  mittite  mensas: 

Ambrosia*  ornent  munera  rara  dapes, 
nicht  im  Gegensatz  zu  Plinius  eine  ausländische  Störart  im  Auge? 
In  die  romanischen  Sprachen  ist  auffälliger  Weise  das  vielgebrauchte 


Digitized  by  Google 


Stör  -  Strafe. 


831 


aeeipemer  nicht  übergegangen ;  man  bedient  sich  vielmehr  in  ihnen 
des  germanischen  Wortes  (frz.  esturgeon  etc.).  Auf  den  Stör  wird 
allgemein  auch  der  attilm  des  Plinius  bezogen  (IX,  44):  Attilus 
in  Pado  inertia  pinguescens  ad  mille  aliquando  libras,  catenato 
captus  hämo  nec  nisi  boum  iugis  extractu».  Mit  dem  gricch.  dxcXC^ 
hat  das  Wort  kaum  etwas  zu  thun. 

Die  nordeuropäischen  Namen  des  Störes  s.  oben.  Dazu  ahd.  htUo 
für  den  im  Mittelalter  hocbbcrübmtcn  Hausen  der  Donau;  vgl.  cech. 
tyz,  poln.  wyz  etc. 

Die  heute  geschätzteste  Gabe  des  Störs,  der  Kaviar,  war  im 
Altertum  so  gut  wie  unbekannt.  Die  einzige  Spur  desselben  findet 
sich  bei  dem  gelchrteu  Arzte  Diphilus,  Zeitgenossen  des  thrakiseben 
Königs  Lysiniachus  (Athen.  III,  p.  121):  tci  u^vtoi  tujv  IxQöujv  Kai  tujv 
Tapixujv  tbä  iravta  quöitctttci  büffcpGapTa,  näXXov  bk  tä  tujv  XitrapiuWpujv 
Kai  u€i£övuuv*  o*KXr)pÖT€pa  räp  nevci  Kai  dtbia(p€Ta.  Yiveiai  b€  eüöTopa 
fieö'  äXwv  aßeo*8£VTa  Kai  i ttotttti8^ vta.  Es  scheint,  dass  die  bei 
dem  heissen  Klima  Südeuropas  notwendige  starke  Salzung  den  Alten 
den  Geschmack  an  dieser  DelicateBse  verdarb  (vgl.  Uber  die  neuere 
Geschichte  des  Kaviars  den  Aufsatz  Kochlers  Tarichos  S.  410  ff.).  — 
S.  u.  Fisch,  Fischfang. 

Storch,  s.  Sumpfvögel. 

Strafe.  Der  Hegriff  der  Strafe,  wie  er  in  historischer  Zeit  uns 
entgegen  tritt,  d.  h.  eines  auf  gewisse  Handlungen  durch  die  öffentliche 
Gewalt  gesetzten  Cbcls.  hat  seine  Quellen  in  zwei  ganz  verschiedenen 
Erscheinungen  der  Urgeschichte.  Strafe  ist  erstens  gleich  Busse. 
Die  grosse  Mehrheit  der  von  uns  beute  als  Verbrechen  oder  Vergehen 
bezeichneten  Handlungen  unterliegt  in  der  Urzeit  noch  keinerlei  Ahndung 
von  seiten  der  Gemeinschaft  de«  Stammes.  Es  ist  lediglich  Sache  des 
Geschädigten  und  seiner  Sippe,  sich  an  dem  Schädiger  und  dessen 
Sippe  durch  Selbsthilfe  zu  rächen.  Dabei  kommt  frühzeitig  der  Ge- 
danke auf,  dass  man  sich  diese  Rache  durch  Geld  oder  Geldeswert 
abkaufen  lassen  könne.  So  entsteht  die  Busse  oder  im  Falle  einer 
Tötung  das  Wcrgeld.  Die  Festsetzung  dieser  Busse  beruht  ursprünglich 
ganz  auf  freier  Vereinigung.  Mit  der  Zeit  aber  bilden  sich  mehr  und 
mehr  feste  Sätze  aus,  die  sobald  der  Staat  den  Geschlechtern  die 
Selbsthilfe  aus  der  Hand  nimmt,  von  diesem  übernommen  werden  und 
so  zu  dem  Charakter  einer  Strafe  gelangen.  Der  idg.  Ausdruck  für 
Rache  und  die  durch  die  Busse  abgekaufte  Rache  ist  in  der  Gleichung 
aw.  lcaind-  =■  gricch.  ttoivu,  erhalten  (näheres  s.  u.  Blutrache,  wo 
hierher  auch  ir.  edin  ,cuienda'  und  altsl.  Tcazni  ,Strafe'  gezogen  sind). 
Unzweifelhaft  ist  hiermit  auch  lat.  poena  ,Justizstrafe'  („diejenige,  welche 
als  Korrektivmittet  gegen  die  Rechtsverletzung  verhängt  wird")  zu 
verbinden,  und  die  Frage  ist  nur,  ob  es  mit.  griech.  Troivn.  urverwandt 
oder  aus  ihm  entlehnt  sei.  Nach  den  speziell  lateinischen  Lautgesetzen 


Digitized  by  Google 


832 


Strafe. 


(nach  denen  p  nicbt  =  idg.  q  ist)  wäre  letzteres  der  Fall;  doch  ist 
die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  dass  poena,  pünio  (wie  etwa 
Iat.  bös  —  griech.  ßou?,  sert.  gö'-)  von  Hans  aus  ein  oskiseh-umbrisehes, 
dann  also  in  Italien  einheimisches  Wort  ist.  Von  semasiologischetn 
Standpunkt  ans  würde  sich  diese  Annahme  deswegen  empfehlen,  weil 
man  umgekehrt  nicht  recht  begriffe,  wie  die  Römer  darauf  gekommen 
sein  sollten,  die  Benennung  für  einen  der  Urzeit  so  geläufigen  Begriff 
wie  Busse  (ttoivh)  aus  der  Fremde  zu  entlehnen.  In  dieser  Bedeutung 
ist  das  Wort  schon  in  den  XII  Tafeln  (»i  iniuriam  faxit  altert, 
viyinti  quinque  aeris  poenae  sunto)  bezeugt.  Sicher  aus  lat.  poena. 
aber  erst  unter  kirchlichen  Einflüssen,  ist  ahd.  pfin,  später  pina, 
agis.  pin,  auch  ir.  pian  ,Strafe'  entlehnt  worden.  So  ist  schliesslich 
aus  einem  Wort  für  Privatbusse  ein  Ausdruck  für  Höllenstrafe  (Pein) 
hervorgegangen. 

Der  Bedeutungsübergang  von  Wörtern  für  Rache  oder  Busse  zu 
solchen  für  Strafe,  wie  er  in  der  eben  besprochenen  Sippe  vorliegt, 
wiederholt  sich  natürlich  in  den  Einzelsprachen. 

In  ersterer  Beziehung  ist  auf  das  griech.  lr\-^ia  ,Strafe'  zu  verweisen, 
welches  zu  sert.  yütdr-  ,Rächer',  yä  tanä  .Strafe'  zu  stellen  ist,  und 
demnach  selbst  ursprünglich  .Rache'  bedeutet.  Über  den  eigentlichen 
Sinn  von  lat.  tindicta  , Rache,  Strafe'  s.  u.  Familie.  Die  Busse t 
d.  h.  also  ursprünglich  die  abgekaufte,  dann  die  vom  Staate  über- 
nommene Rache,  wird  teils  als  „Festgesetztes"  (hom.  Gum,,  6unn.  :  -ri6r|ui > 
teils  als  „Besserung"  (gemeingerm.  ahd.  puoz,  puoza,  altn.  agls.  böt: 
got.  batiza  besser'),  d.  h.  Besserung  oder  Beilegung  der  bis  dahin 
bestehenden  Feindschaft  bezeichnet.  Ebenso  wird  im  Mittellateinischen 
emenda  für  Busse  gebraucht.  Charakteristisch  ist  auch  die  mittel- 
alterliche Verwendung  von  lat.  finis  im  Sinne  von  compositio  (,Ende 
der  Feindschaft'),  woher  mengl.,  engl,  fine  ,Geldbusse,  Strafe'  vgl. 
auch  J.  Grimm  R.-A.  S.  648  ff.).  Ferner  gehen  die  Benennungen  der 
Busse  nicht  selten  von  dem  „Schaden"  aus,  der  durch  sie  wieder  gut 
gemacht  werden  soll.  So  lat.  molta,  multa  (osk.  molta,  umbr.  mutd> 
,Strafe',  bes.  .Geldstrafe',  wenn  es  richtig  zu  sert  mrc-  , Beschädigung, 
Versehrung',  griech.  ßXdßn.  (vgl.  dßXoTtcV  dßXaße's  Kpnuq  lies.)  .Schaden", 
auch  »Schadenersatz'  gestellt  wird  (andere  vergleichen  lat.  promellere 
,litem  promovere',  kret.  noXiw  ,ich  streite  vor  Gericht  ).  Auch  lat. 
noxa  bedeutet  ,Schadenzufügung'  und  ^Schadenersatz.'  Sehr  lehrreich 
ist  ferner  lat.  damnum  (vgl.  Ritsehl  Op.  II,  709  ff.)  aus  *da  mno- 
:  dare  „das,  was  gegeben  wird",  , Ersatz-,  Buss-,  Strafgabe',  das  in 
dem  davon  abgeleiteten  damnare  den  verallgemeinerten  Sinn  jeder 
rechtlichen  Verurteilung  angenommen  hat.  Dunkel  bleiben  von  be- 
kannteren Ausdrücken  altsl.  globa  ,multa'  und  ir.  iric  ,Wcrgeld', 
,vindicta',  ,Bussc.'  Kann  das  letztere  aus  *enr-ic  entstanden  sein  und 
in  seinem  ersten  Teile  die  Tiefstufe  (*/ir-):  sert.  ndr-,  griech.  dvn.f> 


Digitized  by  Google 


Straff. 


S33 


,Mann',  ir.  ner-t  ,virtus'  darstellen  im  Sinne  etwa  von  agls.  were, 
mlat.  leudus  ,Mannesgeld',  .WergeM? 

Wenn  somit  in  der  Urzeit  der  Begriff"  der  Strafe  einerseits  noch  in 
dem  der  Rache  und  Busse  schlummerte,  wobei  es  bereits  als  ein  Schritt 
nach  vorwärts  angesehen  werden  darf,  dass  die  Tötung  der  bei 
gewissen  feindlichen  Handlungen  wie  Diebstahl  und  Ehebruch 
(s.  s.  d.  d.i  Ertappten  wahrscheinlich  nicht  die  Blutrache  der  be- 
troffenen Sippe  hervorrief,  so  wurden  doch  andererseits  schon  damals 
gewisse  Verbrechen  (s.  d.)  unterschieden,  welche  als  gegen  die 
Allgemeinheit  gerichtet,  auch  von  dieser  geahndet  werden  zu  müssen 
schienen.  Nach  allem,  was  wir  wissen  (s.  u.  Volksversammlung, 
König,  Richter,  Recht),  befand  in  diesen  Fällen  die  ganze  Gemeinde, 
von  dem  Haupt  des  Stammes  geleitet,  um  gegen  den  Missethäter, 
wenn  er  für  schuldig  gehalten  wurde,  die  offenbar  einzige 
Strafe,  über  welche  die  Urzeit  verfügte,  die  Todesstrafe 
zu  erkennen  und,  wenn  möglich,  sofort  selbst  zu  vollstrecken. 
Dass  in  der  That  die  Urzeit  als  einzige  Strafe  den  Tod  kannte,  geht 
namentlich  aus  den  ältesten  griechischen  Zuständen  mit  grosser  Deutlich- 
keit hervor.  Die  ersten  griechischen  Gesetzgeber,  Lykurgos  wie  Zaleukos 
und  Drakon,  erkennen  ausschliesslich  oder  fast  ausschliesslich  auf  Tod. 

Vgl.  Lycurg.  c.  Leoer.  §  6ö:  o'i  räp  dpxaioi  vopoÖ€iai  öjlioiu)? 

*7t\  Ttäai  xai  toi?  ^Xaxto-roiq  TTapavopn.uao-1  Gdvarov  wpiaav  elvai  Tnv 
Znuiav,  Plutarch  Solon  Cap.  XVII:  uict  räp  (von  Drakon  gesagt) 
öXrrou  b€iv  (denn  nach  Poll.  VIII,  42,  IX,  61  kannte  er  noch  Atimie  und 
Geldstrafen)  fmao*iv  üupio*TO  toi?  äpapTavoutfi  lr\\i\a  BavaTo?,  Zeuob. 
IV,  10:  ZäXeuKO?  rüp  AoKpoT?  üuÖTepov  £vouo9^tt|0"€v,  Stob.  Senn. 
XLVI,  41:  öti  Kai  ö  6ävccT0?  aÜTÖq  irapd  twv  Trpurrujq  bkaia  ö^vtujv 
ouk  wöTt  kocköv  ^TT(Tipr|6r),  äXX'  uü?  ?o~xctT0v  Kai  iv  qmpuaKOU  Xöyw 
KaTa  Tiiiv  ou  buvau^vwv  Tfj?  xaKin.?  £Xeu8€pw8f|vai  etc.  (vgl.  dies  und 
weiteres  bei  Hermann-Thal  heim  Lchrb.  d.  griech.  R.-A.  S.  122,  Gilbert 
Jahrb.  f.  klass.  Phil.  XXIII  Suppl.  S.  474). 

Als  sieher  kann  auch  gelten,  dass  die  Gemeinde  in  der  ältesten  Zeit 
das  gefällte  Urteil  selbst  vollstreckte.  So  thut  es  die  makedonische 
Lager-  oder  Volksgemeindc,  von  der  wir  einen  Schluss  auf  die  alt- 
griechische ziehen  dürfen  (vgl.  Gilbert  a.  a.  0.  S.  462  und  s.  n.).  So 
muss  auch  die  germanische  Volksversammlung  einstmals  selbst  Hand 
an  die  Vollstreckung  des  selbst  gefundenen  Urteils  gelegt  haben  (vgl. 
J.  Grimm  Deutsche  R.-A.  S.  882.).  Das  Amt  des  Henkers  ist  überall 
erst  ganz  allmählich  zu  einem  besonderen  und  der  Verachtung  preis- 
gegebenen geworden.  Zuerst  wird  das  Urteil  von  dem  Volke  selbst, 
auch  von  einzelnen  aus  demselben,  namentlich  einem  Blutsverwandten 
des  Missethäters  oder  des  Ermordeten  (vgl.  0.  Bcneke  Von  unehrlichen 
Leuten8  S.  168)  vollstreckt,  dann  in  geordneteren  Rechtszuständen 
mit  dieser  blutigen  Aufgabe  der  Gerichtsbote,  in  Rom  der  lictor  (wabr- 

8«br*dcr  Reatlexikon.  53 


Digitized  by  Google 


8.M 


Strafe. 


scheinlieh  ,der  Binder'  von  *ligere,  ligare),  bei  den  Deutschen  der 
Scherge  (ahd.  scario  ,Scharmeister',  aueh  wizinari)  betraut,  bis  dann 
die  Vollstreckung:  der  Hinrichtungen  in  der  Hand  von  Unfreien  und 
Knechten  zu  einem  ehrlosen  Handwerke  herabsinkt  (lat.  carnifex, 
deutsch  höher,  henk  er  u.  s.  w.).  Über  lat.  r  index  s.  u.  Familie. 
Auch  das  griechische  Wort  für  Scharfrichter,  brpio^  (seit  Aristoph.) 
,der  vom  hx^xoe,  bestellte',  kann  ursprünglich  kaum  etwas  verächtliches 
gehabt  haben. 

In  welcher  Weise  die  Todesstrafe  von  der  (lemeiinle 
an  dem  Schuldigen  ausgeführt  wurde,  lässt  sich  natürlich 
nicht  mehr  mit  Sicherheit  bestimmen.  Die  Aufregung  des  Augenblicks, 
wie  sie  das  Urteil  zeitigte,  wird  auch,  je  nach  den  Umständen  ver- 
schieden, die  Art  der  Vollstreckung  eingegeben  haben.  Immerhin 
lassen  sich  zwei,  im  Grunde  mit  einander  identische  Tötungsarten 
als  uralte  Betätigungen  jener  idg.  Volksjustiz  erweisen,  die  Steinigung 
und  Tot  peitsch  ung.  Die  erstere  scheint  die  regelmässige  Hinrichtungs- 
art der  makedonischen  Volksgemeindc  gewesen  zu  sein.  Vgl.  Curt.  VI,  1 1; 9 : 
Et  ceterh  quidem  placehat  Maeedonum  more  obrui  sa.ru,  VI,  11 ;  38: 
Otnnes  ergo  a  Xieomacho  nominati  more  patrio  dato  xigno  saxu 
obruti  xttnt.  „Ein  steinernes  Hemd  anziehen"  ist  der  volkstümliche, 
homerische  Ausdruck  für  Steinigung.  „Grosse  Furchthasen",  so  schilt 
Hector  den  Paris,  „sind  die  Trojaner", 

rj  T€  K€v  nbr) 

Xdivov  töo*o  x>TUJva  koküiv  €vex'  öo"öa  eoptaq  (II.  III,  57). 

Aber  auch  bei  den  Germanen  muss  das  lapidibus  obruere  (agls. 
hduan)  neben  dem  arboribu*  suspendere  und  caeno  ac  palude  viergere 
(Germ.  Cap.  12)  häufig  gewesen  sein.  So  wird  in  der  Vita  Ludgeri 
I,  26  von  der  auf  Befehl  des  Sachsenherzogs  Wittekind  vollzogenen 
Hinrichtung  eines  Pferdediebs  erzählt:  Ad  stipitem  ligatus  iactatis  in 
eum  sudibus  acutis  et  lapidibus  (necatus  est).  Dazu  vgl.  Gregor 
von  Tours  III,  36:  Caedentes  eum  pugnis,  sputisque  perungentex, 
rinetis  post  tergum  manibus  ad  columnam  lapidibus  obruunt  (nach 
Grimm  tt.-A.  S.  691  u.  694). 

Dieses  hier  zweimal  erwähnte  Anbinden  des  Delinquenten  au  eine 
Säule,  das  mit  Beziehung  auf  einen  Dieb  auch  im  Rigveda  genannt 
wird  (Zimmer  Altind.  Leben  S.  181),  leitet  bereits  über  zu  der  Hin- 
richtungsart, die  für  das  älteste  Korn  bezeugt  ist.  So  schildert 
Livius  I.  26  Prozess  und  Strafe  der  perduellio,  des  Landesverrates, 
folgendermaßen :  Duumviri  perduellionem  iudicent;  a  duumviris 
provocarit,  provocatione  certato:  si  vincent  (nämlich  die  duumviri), 
caput  obnubito,  infelici  arbori  reste  suspendito,  verberato  vel 
intra  pomerium  vel  extra  pomerium.  Ebenso  wird  die  Vestalin, 
die  das  heilige  Feuer  hat  verlöschen  lassen,  zu  Tode  gepeitscht  (Liv. 
XXVIII,  11),  und  dasselbe  geschieht,  und  zwar  durch  des  Pontifex 


Digitized  by  Google 


Straf«-. 


835 


mascimus  eigene  Hand,  mit  L.  Cantilius,  scriba  pontifici*,  qui  cum 
Floronia  stuprtim  fecerat  (Liv.  XXII,  57).  Vgl.  Ihcring  Vorgeschichte 
♦S.  74  ff.  In  diesen  Zusammenhang  gehört  es,  wenn  im  Scrt.  danda- 
(griech  .b€vbpov) , Stock'  zur  Bezeichnung  der  Strafe  Uberhaupt  geworden 
ist,  oder  wenn  die  römischen  Lictoren  das  Beil  (das  jüngere  Tötungs- 
mittel) in  einem  Bündel  von  Ruten  (dem  ältesten  Tötungsmittel)  trugen. 
Auch  das  griechische  o-KnrcTpov,  das  gelegentlich  (II.  II,  199,  265)  als 
Züchtigungsmittel  verwendet  wird,  mag  als  Symbol  der  königlichen 
Macht  mit  aus  dieser  uralten  Bedeutung  des  Stockes  für  die  Rechts- 
pflege entsprungen  sein.    S.  u.  Zepter. 

Die  Todesstrafe  wurde  in  der  Urzeit  nur  bei  solchen  Verbrechen 
vollstreckt,  die  in  unzweideutiger  Weise  die  Gemeinschaft  des  Stammes 
und  ihre  Schutzgeister  oder  Schutzgötter  verletzten.  So  kounte  sich 
unschwer  die  Auffassung  herausbilden,  dass  der  Tod  des  Verbrechers 
den  Zorn  der  letztercu  besänftigen  solle.  Dies  liegt  in  dem  lat.  Namen 
der  Todesstrafe,  supplicium,  ausgesprochen,  welcher  von  sub-placare 
herkommt  und  wörtlich  , Besänftigung'  bedeutet.  Unzweifelhaft  hat 
diese  Auffassung  bei  den  gallischen  Kelten  gegolten,  deren  Recht- 
sprechung ganz  iu  die  Hände  der  Druiden  übergegangen  war  (vgl. 
Caesar  De  bell.  Gall.  VI,  16:  Supplicia  eorum,  qui  in  furto  auf  in 
latrocinio  aut  aliqtta  no.via  sint  comprehemi,  gratiora  di$  immor- 
talihus  esse  arbitrantur),  aber  auch  bei  den  Germanen  finden  sich 
kaum  auders  zu  deutende  Spuren  einer  allmählich  auftauchenden  Vor- 
stellung der  Todesstrafe  als  eines  Opfertodes  des  Schuldigen  (vgl. 
Brnnner  Deutsche  Rcchtsgeschichte  I,  175  ff.). 

Der  Tod  war  die  einzige  Strafe  der  Urzeit.  Was  aber  geschah, 
wenn  man  eines  Ubelthäters,  dessen  Schuld  erwiesen  war,  nicht  hab- 
haft hatte  werden  können?  Die  Antwort  ist:  er  wurde  aus  der  Ge- 
meinschaft des  Stammes  ausgestossen  und  damit  dem  Tiere  des  Waldes 
gleichgesetzt,  «las  zu  vernichten  ein  verdienstliches  Werk  war.  Der 
idg.  Name  eines  solchen  Elenden  scheint  in  der  Reihe:  scrt.  (vedisoh) 
parävfj-  »Verbannter'  -  agls.  tcrecca,  alts.  irrellio,  ahd.  reccho,  altn. 
rekr  (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  185)  zu  liegen.  Der  altgcrmanische 
Begriff  der  F  r  i  e  d  1  o  s  i  g  k  c  i  t  oder  späteren  A  c  h  t  (ausführlich 
Brunner  a.  a.  0.  S.  166  ff.),  der  altrömische  der  Saccrtät  und  der 
aquae  et  ignix  interdictio  (vgl.  Ihering  Geist  des  römischen  Rechts  I3, 
279  ff.,  dazu  Brunneumeistcr  Tötungsverbrechen  S.  149  ff.)  sind  nur 
aus  derselben  idg.  Wurzel,  wenn  auch  in  etwas  verschiedener  Weise, 
abgeleitete  Erscheinungen.  Hierher  ist  auch  die  griechische  Atimie, 
die  wir  oben  bei  Drakon  neben  der  Todesstrafe  und  der  Geldstrafe 
(Busse)  festgehalten  fanden,  ihrem  ursprünglichen  Sinne  nach  zu  stellen. 
Gricch.  firiuoq  bedeutet  seiner  Etymologie  nach  (von  Tiurj  .Busse'  :  tiou, 
tivuj  =  scrt.  ci,  Tiuryv  tivciv  ,Busse  leisten',  dann,  das  was  einer  au 
Busse  wert  ist',  ,Preis',  ,Ehre\  entsprechend  xiffiq  u.  nuduj,  vgl.  slav. 


Digitized  by  Google 


Strafe. 


cena  ,Preis,  Ehre')  und  in  seinem  ^tatsächlichen  Gehrauch,  bei  Homer 
(Od.  XVI,  431)  und  später,  so  viel  wie  ,ohne  Busse',  ,ohne  Ersatz'. 
Noch  bei  Demosthenes  (IX,  42,  44)  wird  <S-nuos  Km  7roXeuio<;  toO 
brjuou  von  einem  gesagt,  der  ungestraft  getötet  werden  darf  (KaGapös 
ö  toötov  (iTTOKTcivas).   Griech.  dtTima  bezeichnet  also  ursprünglich  den 
Zustand,  in  dem  man  busslos  getötet  werden  darf.   Ein  ötimo?  ist  es,, 
der  in  den  Versen  der  Ilias  IX,  63  f.  geschildert  wird: 
äcppnjujp  a8€jii(jTos  dvecrriös  £<Jnv  ^K€ivo^, 
rcoXe'pou  IpotTai  Imbimiou  6kpuÖ€vto<;. 
Wie  nahe  i'ttr  den  Oermanen  die  Begriffe  der  Todesstrafe  und  der 
Friedlosigkeit  lagen,  dafür  ist  ein  schöner  Beweis  in  dem  Umstand 
enthalten,  dass  die  germanischen  Sprachen  vielfach  von  dem  gemein- 
germanisehen  Namen  für  einen  solchen  Friedlosen  (altn.  rargr,  agls. 
teearg,  alts.  tearag,  ahd.  warg,  mlat.  teargus;  vgl.  lit.  icargas  ,Elend', 
altpr.  warg*  ,schlecht',  altsl.  vragü  , Feind';  s.  auch  u.  Kau  b)  Aus- 
drücke für  Verdammung  u.  dcrgl.  ableiteten:  got.  ga-teargjan  ddupatt 
,KaTOKpivciv',  gateargeins  ,KaTäicpio*is  ,  teargipa  ,Kptua',  alts.  wargida 
,condemnatio',  agls.  teergüu  , Fluch,  Verdammnis,  Strafe'.    Vgl.  auch 
ahd.  fartribaner  icirdit  ,condemnabitur'  (Brunner  a.  a.  0.  I,  173 
Anm.  33). 

Aus  dem  vorstehenden  ergiebt  sich,  dass  eine  uns  heute  so  natürlich 
erscheinende  Straf art,  die  der  Freiheitsberaubung,  in  den  ältesten 
Strafsystemen  keinen  Platz  hatte.  Thatsächlich  lässt  sich  zeigen,  dass 
Gefängnisstrafen  bei  den  idg.  Völkern  Uberall  erst  spät  aufge- 
kommen sind,  worüber  für  die  Griechen  auf  Hermann-Thalheim  Lehr- 
buch d.  griech.  Rechtsaltertümer  S.  126,  für  die  Römer  auf  Rein 
Kriminalrecht  S.  914,  für  die  Germanen  auf  Wilda  Strafrecht  S.  519 
zu  verweisen  ist.  Dass  die  Deutschen  den  Begriff  des  Kerkers  oder 
Gefängnisses  erst  in  romanischen  Landen  kennen  gelernt  haben, 
dafür  liegt  ein  Hinweis  auch  in  der  sehr  frühen  Entlehnung  des  lat. 
carcer  (noch  unerklärt;  im  sizilischen  Griech.  Käpxapov)  in  die  ger- 
manischen Sprachen  (got.  karkara,  ahd.  charchdri,  agls.  carcern).  Vgl. 
auch  ir.  carcar.  Im  Slavischen  gebraucht  man  für  Gefängnis  altsl. 
tjurma  ,Turm'  (s.  d.)  und  temnica,  eigentl.  .Finsternis'  fauch  im  älteren 
Litauisch  temnyczid). 

Ihren  Ausgangspunkt  hat  die  Gefängnishaft  wahrscheinlich  an  der 
Schuldhaft  gefunden  (s.  darüber  n.  Schulden).  Eine  ihrer  ältesten 
Formen  mag  das  schon  im  Rigveda  geuanntc,  aber  auch  in  Europa 
früh  und  weit  verbreitete  Schlagen  in  den  Block  (  vgl.  Zimmer  a.  a.  0. 
S.  182)  gewesen  sein. 

Über  die  weitere  Geschichte  der  historisch  bezeugten  Strafarten  (vgL 
Hermann-Thalheim  a.  a.  0.  S.  120  ff.,  Rein  a.  a.  0.  S.  913  ff.,  Grimm 
D.  R.-A.  S.  680  ff.)  kann  hier  nicht  gehandelt  werden.  Einige  Ansätz« 
scheinen  nahe  zu  liegen.  So  dürfte  die  Stange,  der  Stamm,  die  Säule, 


Digitized  by  Google 


Strafe. 


837 


<lie  arbor  in  fei  ix,  an  welche  der  Missethäter  in  der  Urzeit  (s.  o.)  an- 
gebunden wurde,  um  zu  Tode  gesteinigt  oder  gepeitsebt  zu  werden, 
sich  weiter  entwickelt  haben  einerseits  zum  Kreuz  bei  den  Römern, 
an  das  der  Verbrecher  angeschlagen  wurde  (lat.  crur,  cruc-is  =  got. 
hrugga  ,Stab',  agls.  hrung  , Balken',  mhd.  runge  ,Wagenrunge vgl. 
griech.  erraupö?  , Pfahl',  dann  , Kreuz'  und  agls.  rod  »Stange,  Rute, 
Kreuz'),  andererseits  zu  dem  bei  den  Germanen  besonders  beliebten 
Tötungsmittel  des  Galgens  (got.  galga,  altn.  galge,  agls.  gealga,  ahd. 
galgo  —  lit.  z'alga  »Stange',  armen,  jalk  desgl.)  und  anderes  mehr. 

Im  Vorhergehenden  ist  vor  allem  das  Verhältnis  der  einzelnen 
Sippen  eines  Stammes  zu  einander  und  die  Strafgewalt  der  Stanimes- 
versaminlnng  über  den  einzelnen  ins  Auge  gefasst  worden.  Es 
kann  alter  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  auch  den  Sippen  verbänden 
eine  {weitgehende  Strafgerichtsbarkeit  gegen  ihre  Mitglieder  zustand 
(vgl.  sert.  sabhä'  zunächst  .Sippenversammlnng',  dann  »Gerichtshof). 
Wie  ans  dem  Stamm,  wird  man  aus  der  Sippe  wegen  schwerer  Ver- 
schuldung gegen  den  Familicnverband  haben  ausgestossen  werden 
können,  ein  dcppnTiup  (:  (ppnjprp  haben  werden  können.  Hier  in  dem 
engeren  Kreis  der  Sippe  wird  zuerst  der  Gedanke  aufgekommen  sein, 
dass  der  Mord,  zunächst  der  eines  Sippengenossen,  ein  die  Gottheit 
beleidigendes  und  todeswürdiges  Verbrechen  sei  (näheres  s.  u.  Mord). 

Es  erübrigt,  noch  auf  eine  Reihe  allgemeinerer  Ausdrücke  für  die 
Begriffe  Strafe  und  strafen  hinzuweisen,  die  in  den  vorstehenden  Er- 
örterungen keine  Erwähnung  gefunden  haben. 

Aus  den  klassischen  Sprachen  ist  noch  zu  nennen:  griech.  biKrj. 
das  in  der  nachhonierischen  Sprache  (bncr|v  btbövou,  ^mTtÖc'vai  i  auch  die 
Bedeutung  ,Strafe'  angenommen  hat,  während  es  in  homerischer  Zeit 
nur  ,Recht',  Jüchterspruch'  bezeichnet,  ferner  griech.  koXö&iv  und  lat. 
castigare,  erstercs  (noch  nicht  homerisch)  mit  der  Grundbedeutung  ver- 
stümmeln' (hom.  koXoüuj,  KÖXo<;,  *KoXab-  in  KoXdZuj  =  got.  halt»  ,lahm'?  i, 
letzteres  wohl  zu  sert.  qds  .strafen,  züchtigen,  herrschen'  (qä'tana- 
»Strafe,  Herrschaft  Uber')  gehörig.  Im  Germanischen  ist  allen  Mund- 
arten gemeinsam  die  Reihe:  got.  frmeeitan  ,£Kbuc€iv',  agls.  icitan,  ahd. 
icijan,  altn.  vita  (ahd.  teizi,  agls.  wite,  altn.  vite  ,poena,  supplicium', 
agls.  auch  , Busse').  Man  denkt  an  Zusammenhang  mit  lat.  video  ,sehe' 
und  verweist  auf  lat.  animadvertere  in  aliquem,  wie  auch  an  das 
Nebeneinanderlicgen  von  sert.  ci,  eiketi  »wahrnehmen'  und  sert.  ci, 
edijate  ,rächen'  (s.  o.)  zu  erinnern  wäre.  Westgermanisch  sind  ahd. 
haramscara  ,was  zur  Pein  auferlegt  (scara  »Auflage')  wird'  (vgl. 
J.  Grimm  a.  a.  0.  S.  681).  Ahd.  refsan  {rafsunga  »virga')  scheint 
eigentl.  »mit  der  Rute  züchtigen'  zu  bedeuten.  Mhd.  veime  »Verurteilung, 
Strafe'  und  mhd.  strafe  sind  junge,  auf  das  Hochdeutsch  beschränkte 
und  ganz  dunkle  Wörter.    Lit.  koraicöne,  kora  stammen  aus  dem 


Digitized  by  Google 


«38 


Strafe  —  Strasse. 


Slaviscben  (altsl.  Ar«r«  ,Streit',  karati  Strafen  ).  —  S.  u.  Verbreche« 
und  u.  Recht. 

Strasse.  Für  den  Begriff  des  Weges  finden  sich  iu  den  idg. 
Sprachen  zahlreiche  urverwandte  Gleichungen.  So  sei  t,  pdth-,  pathin-, 
pdnthdn-,  Nora,  pdnthäs,  auch  vedisch  pd'thas-,  altp.  pafti-,  a\v.  pa&~, 
armen,  hun  ,Furt,  Weg',  griech.  ndio?,  altsl.  pqti,  altpr.  pintis  (lat.  pons, 
ponti-,  osk.  pont-tram  haben  die  Bedeutung  ,Steg,  Brücke'  angenonimen). 
Noch  unaufgeklärt  ist  das  Verhältnis  des  westgermanischen  ahd.  pfad, 
agls.  peep,  engl,  path  zu  griech.  Trdxoq  (vgl.  F.  Kluge  Et.  W.°  s.  r. 
Pfad).  Ferner  stimmen  überein  lat.  vea,  via,  umbr.  vea,  osk.  vio,  viu 
mit  got.  icigx,  ahd.  icec  (vgl.  auch  lit.  tcez'd  ,  Wagenspur')  :  lat.  reho, 
sert.  vah  etc.  ,bcwegcn',  wie  Trdroq  mit  seiner  Sippe  zu  einer  Wurzel 
pent  ,gehen'  (ahd.  fendeo  , Fussgänger',  auch  got.  finpan,  ir.  e"taim 
, finden')  gehört.  Ausserdem  vgl.  lat.  callis  —  lit.  kelias,  griech.  k€'X- 
€u6o?  (:  sert.  car  ,sich  bewegen',  griech.  KtXoucu),  ir.  sit  —  got.  *inpsT 
ahd.  sind,  ir.  slige  =  mhd.  stich,  mhd.  stfc,  stec  =  altsl.  ttlgna  (:  griech. 
o*T€»xw,  got.  steiga;  vgl.  auch  alb.  steh  ,Weg'  :  got.  staiga).  In  wie 
weit  diese  Gleichungen  schon  in  der  Urzeit  eineu  künstlich  gebahnten 
Weg  bezeichneten,  lässt  sich  natürlich  nicht  sagen. 

Die  Geschichte  des  eigentlichen  Strassen baues  in  Europa  fasst  Isi- 
doras Orig.  XV,  IG  in  dem  Satze  zusammen:  Primi  autem  Poeni 
dicuntur  lapidibus  eins  atravisse,  postea  Romani  eaa  per  omnem  fere 
orbem  disposuerunt.  Zum  mindesten  neben  den  Puniern  werden  aber 
als  Förderer  des  Strassenwesens  auch  die  Perser,  die  Erfinder  oder 
Verbreiter  der  Posten  (s.  d.),  zu  nennen  sein,  deren  Einrichtung  überall 
gute  Landstrassen  voraussetzt.  Aus  dem  Persischen  stammt  denn  auch 
das  spätindischc  säht-  ,Landstrassc\  eigentl.  , Königsstrasse'  (:  npers. 
tsäh  , König'),  während  armen,  polotay  auf  griech.  TrXctT€Ta  zurückgeht. 

Das  alte  Griechenland  hat  es,  obwohl  schon  bei  Homer  Fahrstrassen 
(dfuid,  duaSiTÖ;,  Xao<pöpo£  öbö{)  genannt  werden,  wenigstens  im  Mutter- 
land, nicht  zu  Landstiassen  im  modernen  Sinne  gebracht,  ebenso  wenig 
wie  zu  Posteinrichtungen  (vgl.  näheres  bei  E.  Curtius  Zur  Geschichte 
des  Wegebaus  bei  den  Griechen  Berlin  IBää  und  s.  u.). 

Die  eigent  lichen  Lehrmeister  Europas  im  Strassen  bau  sind  daher 
erst  die  Römer  geworden.  Wenn  sie  auch  hierbei  mancherlei  von 
den  Griechen  entlehnt  haben  werden  (vgl.  lat.  platea  aus  griech.  irXct- 
Tcia  und  lat.  cripido  ,der  gemauerte  Grund'  aus  griech.  Kpn.m;  id.), 
so  schlugen  sie  doch  bald  eigenartige  Wege  ein.  Während  die  Griechen 
nicht  den  ganzen  Damm  der  Strasse  zu  planieren  und  fahrbar  zu 
machen  pflegten,  sondern  sich  damit  begnügten,  ausschliesslich  Geleise 
(ixvoq;  man  kann  Jemandem  dßXoßfe«;  txvo?  »glückliche  Reise'  wünschen) 
für  die  Wagenräder  mit  Ausweichestellen  (^ktpottcu)  anzulegen,  mauerten 
und  pflasterten  die  Römer  iu  der  bekannten,  Jahrtausende  überdauernden 
Weise  die  ganze  Strasse.  *Eo"Tpujo*av,  sagt  auch  Strahn  V,  p.  235,  (oi 


Digitized  by  Google 


Strasse  —  Streitwagen. 


839 


'Puiuatoi)  xai  Td?  Kaid  t#|v  x^pav  öbou?,  7rpoo*0e*VT€q  ^tocoirdq  T€  Xöqnuv 
xai  dTX^tfe»?  KOiXdbwv. 

So  ist  es  gekommen,  dass  fast  alle  Sprachen  des  nördlichen  und 
Überhaupt  die  des  neueren  Europa  die  römische  Bezeichnung  der  ge- 
pflasterten Strasse  {aträta,  sc.  via)  Übernommen  haben:  ir.  srdth,  ro- 
manisch it.  atrada,  sp.,  ptg.,  prov.  eatrada,  frz.  estre'e,  ahd.  sträza 
(noch  aus  atrMa,  nicht  xträda  entlehnt),  alt»,  strrfta,  altfries.  strfte, 
agls.  xtrtet,  ngriech.  erpora,  altruss.  atrata.  Aus  lat.  platea  stammt 
got.  platja.  wenn  so  für  das  überlieferte  plapja  ,TrXaT€ia'  gelesen 
werden  darf,  während  griech.  nXateta  sonst  von  LJItilas  mit  gotwö 
(altn.  gata,  ahd.  gazza  :  griech.  xä£w,  *ghad-jö  »entweiche  ?  vgl.  auch 
agls.  geat,  altn.  gat  ,Th(tr,  Loch  )  Übersetzt  wird. 

Die  mit  Kalksteinen  gemauerte  Strasse,  via  *calciata,  meint  sp.,  ptg. 
calzada,  prov.  camsada,  frz.  chauaaee,  die  durch  Felsen  oder  Wälder 
gebrochene  Strasse,  via  rupta,  frz.  ronte  (vgl.  altn.  braut  ,Strasse'  : 
ahd.  briozan  ,brechen).  Unaufgeklärt:  altsl.  tilica,  lit.  illycz'ia.  — 
S.  auch  u.  Brücke,  Steinbau  und  Gasthaus.  Vgl.  Vf.  Handels- 
geschichte  und  Warenkunde  I,  12  ff.  und  F.  Loewe  Die  geschichtliche 
Entwicklung  der  Landstrassen  Beilage  z.  Allg.  Z.  1899  Nr.  »5. 
Strassenheleuchtnng,  s.  Licht. 

Ntrauss.  Der  Vogel  wird  zuerst  von  Herodot  aus  Libyen  ge- 
meldet (IV,  175),  wo  eine  Völkerschaft  seine  Haut  als  Schutz  im  Kriege 
trage.  Der  von  ihm  gebrauchte  Ausdruck  öxpoöGoi;  KaTd-rato?  ist  auf- 
fallend, einmal  wegen  der  Wahl  des  doch  einen  kleinen  Vogel  bezeich- 
nenden Wortes  o*Tpoö0o?  (s.  u.  Singvögel),  und  was  soll  ferner  KOTdxaio^ 
(sonst  »unterirdisch')  hier  bedeuten  ?  Spätere  griech.  Namen  des  Stransses 
sind  öTpoG8os  n,  uetdXn.  (Xcnoph.  Anab.  I,  5,2),  arpovBoq  6  iv  Aißurj, 
<JTpou8oKdMnXo?.  In  Rom  nennt  schon  Plautus  Pers.  2,  2,  17  den  Vogel 
mit  dem  nach  griechischer  Analogie  gebildeten  passer  marinua  (vgl. 
auch  Festus  Pauli  ed.  M.  p.  222,  16).  Später  sind  atruthio  (vgl.  auch 
Goetz  Thea.  u.  aaida\  struthiocamelus.  Erstercs  ist  verhältnismässig 
früh  (vor  dem  VI.  Jahrb.)  in  Gestalt  von  ahd.  xtriiz  (auch  altsl.  atruaii), 
agls.  atryta  ins  Germanische  übergegangen.  Ob  man  schon  damals 
deu  Vogel  im  Norden  schauen  konnte,  oder  den  fremden  Namen  nur 
an  den  durch  den  Handel  verbreiteten  Federn  des  Tieres  erfuhr,  muss 
dahin  gestellt  bleiben.  Den  romanischen  Sprachen  liegt  teilweis  ein 
ort»  atruthio  ( „Vogel  Strauss")  zu  Grunde. 

Streichinstruinente,  s.  Musikalische  Instrumente. 

Streitwagen.  Die  Sitte,  das  Pferd  vor  den  leichtdahinfliegenden 
Streitwagen  zu  spannen,  welche  in  der  KriegsfUhrnng  älter  als  die 
Verwendung  und  Ausbildung  der  Reiterei  ist  (s.u.  Heer  und  Reiten), 
scheint  in  den  weiten  Ebenen  des  Euphrat  und  Tigris  aufgekommen 
zu  sein  und  sich  von  hier  bis  nach  Indien  und  Ostirnn,  aber  auch  bis 
Syrien  und  Ägypten  verbreitet  zu  haben  (vgl.  V.Hehn  Kulturpflanzen8 


Digitized  by  Google 


840 


Streitwagen  —  Strick. 


S.  19  ff.).  Auch  in  die  griechische  Welt  ist  dieselbe  frühzeitig  über- 
gegangen, und  wie  in  dem  homerischen  Zeitalter  der  Held  auf  dem 
Streitwagen  in  die  Schlacht  fährt,  so  sind  derartige  Gefährte  schon 
auf  den  lnykenischen  Grabstelcn  abgebildet.  Auf  Vorderasien  dürfte 
auch  das  zuerst  in  den  homerischen  Hymnen  überlieferte  gricch.  aar'\vx\ 
»Streitwagen'  zurückgeht! :  es  scheint  zu  ir.  cath,  ahd.  hadu  , Kampf 
zu  gehören  und  müsste  also  aus  einer  vorderasiatischen  Sprache  idg. 
Stammes  entlehnt  sein,  in  der  die  palatale  /-Reihe  in  Sibilanten  ver- 
wandelt wurde. 

Merkwürdig  ist  es  aber,  dass  die  gleiche  Kainpfcswcisc  auch  im 
äussersten  Nordwesten  unseres  Erdteils,  bei  den  keltischen  Briten, 
erscheint,  von  denen  Caesar  De  bell.  Gall.  IV,  33  berichtet:  Genus 
hoc  est  e.r  exsedis  pugnae.  primo  per  omnes  partes  perequitant  et 
tela  coniciunt  atque  ipso  terrore  equorum  et  strepitu  rotarum  ordines 
plerumque  perturbant,  et  cum  se  int  er  eqnitum  turmas  insinuarerunt7 
ex  es.sedis  desiliunt  et  pedibus  proeliantur.  auriyae  Interim  pan- 
intim e.r  proeJio  e.rcedunt  atque  ita  currus  collocant,  ut,  si  Uli  a 
multitudine  host  htm  premantur,  e.rpeditum  ad  suos  reeeptum  habeant. 
Vgl.  weiteres  bei  V.  Hehn  a.  a.  (>.  S.  48  f.  und  s.  über  essedum  und 
cocinnus  u.  Wagen.  Die  Frage  ist,  ob  diese  britische  Kainpfcswcisc 
unabhängig  von  der  orientalischen  cutstanden  zu  denken  sei. 

Der  Gebrauch  des  Streitwagens  inuss  in  Europa  einstmals  weiter 
verbreitet  gewesen  sein.  Über  die  Belgae  bestehen  in  dieser  Be- 
ziehung ausdrückliche  Nachrichten  (vgl.  L.  Diefenbach  0.  E.  unter 
covinnus).  Für  die  Gallier  weisen  Eigennamen  wie  Epo  redo  rir 
(Pferde- Wagen-König)  und  Redones  (:  reda,  s.  u.  Wagen)  auf  das 
gleiche  hin.  Bemerkenswert  ist  auch,  dass  auf  den  dem  Bronzealter 
angehörigen  Felsenbildern  Schwedens  allem  Anscheine  nach  ein  Streit- 
wagen, vor  welchem  Gefangene  geführt  werden,  abgebildet  ist  (vgl. 
0.  Montelius  Die  Kultur  Schwedens s  S.  74  Fig.  88  vom  Grabe  von 
Kivik,  Schonen  .  Von  grösster  Bedeutung  endlich  in  dieser  Frage 
sind  die  in  Wirklichkeit  in  Ungarn,  Frankreich,  Süddcutechland  ge- 
fundenen, grossen,  gespeichten  Bronzeräder,  die  grosse  Ähnlichkeit 
mit  den  Rädern  orientalischer  wie  griechischer  Streitwagen  verraten 
(vgl.  L.  Lindenschmit  Die  Altertümer  unserer  heidnischen  Vorzeit  III, 
4,  1). 

Nach  diesem  allen  ist  die  Vermutung  gestattet,  dass  der  Gehrauch 
der  Streitwagen  und  diese  selbst  zugleich  mit  der  Bronzekullur  oder 
wenigstens  in  ihren  Spuren  (s.  u.  Erz)  sich  vom  Süd-Osten  her  über 
Europa  —  natürlich  nur  für  Fürsten  und  Häuptlinge  —  verbreitet  und 
in  Britannien  als  ein  inane  ludibrium  der  Kriegführung  bis  in  histo- 
rische Zeiten  erhalten  haben. 

Strick.   Zahlreiche  Bezeichnungen  hierfür  sind  von  urverwandten 
Wurzeln  für  ,binden'  abgeleitet.  So  von  seit.  sä,  si  :  sert.  si'tu-  ,Baud, 


Digitized  by  Google 


Strick  —  Stunde. 


841 


Fessel',  grieeh.  'uidq,  luovid,  ahd.  seil  (got.  inmiljan),  xilo  , Riemen- 
werk', alts.  ttimOf  nltsl.  silo  u.  a.,  von  got.  bindan  :  grieeh.  m\G\xa, 
ahd.  bant,  got.  bandi  u.  a.  Zu  lit.  rezgii  ,8tricke'  gehört  sert.  r&jju- 
,Strick'  (von  anderen  =  ahd.  stric  gesetzt  )  zu  lit.  tc&rti  , einfädeln' :  lit. 
tcincP,  nltsl.  vrüvi  ,Strick\  zu  grieeh.  kXw6uj  .spinne'  vielleicht  grieeh. 
KdXwq  ,Tau'  und  altn.  hdls,  engl,  hohe,  haicae  , Halse'  (ein  nordger- 
inaniseher  Scemannsausdruek  i. 

Das  älteste  Material  für  die  Anfertigung  von  Stricken  bestand,  bevor 
der  Flachs  und  Hanf  (s.  s.  d.  d.)  bekannt  wurden,  und  noch  lange 
nachher  aus  Zweigen,  Hinsel)  und  Hast,  vor  allem  dem  der  Linde. 
Derartige  Stricke  sind  ans  den  Schweizer  Pfahlbauten  in  Menge  zu 
Tage  getreten  (vgl.  F.  Keller  Vierter  Pfahlbautenberielit  S.  17).  Aber 
auch  die  Sprache  legt  davon  ein  lebendiges  Zeugnis  ab.  So  stellt 
sich  grieeh.  ffndpTOv  ,Scil'  :  airdproq,  dem  Namen  für  mehrere  zum 
Flechten  geeignete  Stränehcr,  ahd.  trit,  mhd.  icide  (namentlich  der 
Strick  zum  Hängen),  nhd.  wiede  :  grieeh.  Uta  , Weide',  altpr.  wirbe 
,Seil"  :  altsl.  rrftba,  lit.  irirbas  (grieeh.  £dß-oo-<;)  ,Rute'.  Vielleicht 
hängt  auch  lat.  resti*  ,Scil'  in  lautlich  noch  aufzuklärender  Weise  mit 
altpr.  riste  ,Kute',  lit.  rf/kxztt  (lat.  *recsti-'S)  zusammen.  Vgl.  noch 
altsl.  rozga  ,Zweig'  :  dem  oben  genannten  lit.  rezgii  ,stricke'.  Von 
der  Bedeutung  , Binse'  (urkelt.  *joini-,  neuir.  aoin  —  lat.  junctis  aus 
*jünictts)  geht  grieeh.  o"xoivo$  (crxotvoTrXÖKO?  .Seiler')  aus,  mit  dem  nach 
Prellwitz  Et.  W.  auch  lat.  ftinis  , Strick'  und  lit.  geinu  (ein  Tau,  das 
die  Waldbienentänger  über  den  Baum  werfen)  zu  verbinden  wären. 
Der  slavischc  Name  der  Binse  (altsl.  sUije)  ist  direkt  vom  .binden' 
(vgl.  oben  sert.  .vi)  hergenommen.  Vgl.  auch  altsl.  rogozü  .papyrus, 
Charta,  t'unis',  russ.  rogozü  , Binse,  Matte'.  Für  die  Benutzung  des 
Lindenbastes  zu  Stricken  ist  auf  den  altdeutschen  Ausdruck  „Lind- 
sehleisseru  im  Sinne  von  Seiler  zu  verweisen.  Vgl.  auch  V.  Hehn  Kultur- 
pflanzen und  Haustiere S.  508. 

Strom,  s.  FI  118$. 

Strumpf,  s.  Hose  und  Schuhe. 

Stube,  Stubenofen,  s.  Ofen. 

Stuhl,  s.  Hausrat. 

Stumm,  s.  Krankheit. 

Stummer  Tauschhandel,  s.  Handel. 

Stunde.  Die  Einteilung  des  Tages  (s.  d.)  in  Stunden  ist  eine 
Erfindung  der  Babylonicr,  deren  Astronomen  zuerst  den  Begriff  der 
Doppelstunde  als  eines  von  der  Natur  gegebenen  Zeitmasses  heraus- 
fanden. Sie  war  das  Zwölftel  des  Gesamttages,  d.  h.  die  Zeit,  in 
welcher  sich  bei  der  scheinbaren  Drehung  der  Himmelskugel  der 
Ekliptik,  ein  Bild  des  Tierkreises,  vor  dem  nachts  beobachtenden 
Auge  vorübersehiebt,  1  jlt  Sterntag,  und  wird  unter  dem  Namen  akkad. 
Jcasbu,  assyr.  asla  auf  altassyrischen  Denkmälern  wiederholt  genannt 


Digitized  by  Google 


842 


Stunde  —  Sturm. 


(vgl.  ßilfinger  Die  babylonische  Doppelstunde  Progr.  Stuttgart  1888 
S.  5  und  Lehmann  Z.  f.  Ethnologie  1895  Verhandl.  S.  412).  Daneben 
mnss  aber  ebendaselbst  auch  die  Einteilung  des  Lichttages  allein  in 
12  Stunden  nnd  entsprechend  der  Nacht  in  ebensoviel  Teile,  also  dea 
Volltags  in  24  Stunden,  bekannt  gewesen  sein  (vgl.  ßilfinger  a.  a.  O. 
S.  26). 

Von  Babvlon  haben  die  Griechen,  wie  es  Herodot  II,  109  aus- 
drücklich  bezeugt,  die  Stundeneinteilung  des  Tages  übernommen:  ttöXov 
(n^v  Kai  tvuüuova  kou  toi  buu>0€Ka  uc'pca  if\$  nM^PI?  uapä  BaßuXwviiuv 
£ua8ov  o\  'EXXnvcs,  wobei  man  zweifelhaft  sein  kann,  ob  mit  fu^pa 
der  Volltag  oder  der  Lichttag  und  mit  buwb€KCt  ut'pect  die  Doppelstunde 
oder  die  einfache  Stunde  gemeint  sind.  Doch  weist  die  Verbindung 
mit  dem  woXos,  wahrscheinlich  der  ältesten  Bezeichnung  der  Sonnen- 
uhr im  Griechischen  (vgl.  Ideler  Lehrbuch  der  Chronologie  S.  97),  auf 
letzteres  hin.  Jedenfalls  berücksichtigte  die  Stnndeneinteilung,  wie  sie 
sich  im  griechischen  und  römischen  Altertum  und  später  in  der  mittel- 
alterlichen Zeitrechnung  einbürgerte,  den  Mitteln  der  Sonnenuhr  ent- 
sprechend, nur  den  Lichttag  von  Sonnenauf-  bis  Sonnenuntergang,  und 
erst  viel  später  (nach  Bekanntwerden  der  Wasseruhr)  wurde  die  Nacht, 
die  man  vordem  in  Nachtwachen  zerlegt  hatte,  in  ähnlicher  Weise 
eingeteilt.  Auch  waren  diese  12  Lichtstundcn  bis  ins  Mittelalter  nach 
Jahreszeit  und  Polhöhe  veränderlich  (tbpcti  KaipitcotO,  und  nur  die 
Astronomen  bedienten  sich  bei  ihren  Rechnungen  der  uipai  lo~r|U€pivcu 
oder  aequinoctiales.  Zur  Bezeichnung  der  Stunde  wurde  im  Griechischen 
das  uralte  ü»po  (lat.  höra)  verwendet,  ursprünglich  eine  Bezeichnung 
der  freundlichen  Jahreszeit  (s.  u.  Frühling),  dann  Uberhaupt  für  den 
Begriff  ,Zeit',  Zeitabschnitt'  gebraucht.  In  der  Bedeutung  .Stunde' 
ist  es  zuerst  bei  Aristoteles  Pol.  Ath.  Cap.  30  belegt.  Durch  Zu- 
sammensetzung mit  diesem  üipa  entsteht  tbpoXöfiov  (lat.  horologium, 
zuerst  bei  Varro  De  rc  rust.  III,  5.  17)  ,Uhr',  ,Sonnen-  und  Wasser- 
uhr' (griech.  KXeipübpa,  lat.  clepsydra),  das  in  sämtliche  romanische 
Sprachen  (it.  orolögio,  fr/,  horloge  u.  s.  w.)  und  auch  ins  Germanische 
(ahd.  orlei  neben  agls.  deegmeel)  Ubergegangen  ist. 

Der  Begriff  ,Stundc'  wird  in  den  nordischen  Sprachen  meist  durch 
einheimische  Bezeichnungen  in  der  ursprünglichen  Bedeutung  Zeit- 
raum' ausgedrückt.  Vgl.  gemeingerm.  ahd.  stunia,  altn.  stund  (in  der 
Bedeutung  ,hora'  erst  spätmhd.;  vgl.  auch  lit.  stundaa)  und  geineiu- 
slavisch  altsl.,  russ.  erntü.  Auf  den  engen  Zusammenhang  der  ,Stunde' 
mit  der  ,Uhr'  weist  mhd.  wr  (aus  höra)  ,Stundc',  später  ,Uhr  und 
russ.  casy  »Uhr',  Plural  von  casü  ,Stunde'  (vgl.  auch  wotjak.  tunttit 
,Uhr'  Plur.  :  tunti  ,Stunde'  ans  deutsch  stunde).  Über  Datierungen 
aus  dein  Läuten  der  Glocke  (s.  d.)  vgl.  Grotefend  Zeitteilung  I,  191.  — 
S.  u.  Tag  und  u.  Zeitteilung. 
Sturm,  s.  Wind. 


Digitized  by  Google 


Stute  —  Sumpfvögel. 


S43 


State,  s.  Pferd. 

Styrax.  Hierunter  versteht  man  das  Harz  des  gleichnamigen 
Baumes  (Styrax  ofßc'malis  L.  oder  Liquidamher  Orientalin  Ait.).  Der 
Baum  kommt  hauptsächlich  in  Südwest-Kleinasien  und  Xordsyrien  vor; 
doch  mnss  er  auch  auf  der  südlichen  Inselwelt  des  ägäischen  Meeres 
und  in  Griechenland  selbst  verbreitet  gewesen  sein.  Dies  wird  z.  B. 
von  dem  böotischen  Haliartus  ausdrücklich  überliefert  (vgl.  Hehn  Kultur- 
pflanzen6  S.  412 »,  and  noch  heute  findet  er  sich  am  attischen  Kephissos 
und  am  Fuss  des  Parnes  '  vgl.  Heldreich  Nutzpflanzen  S.  38).  Indessen 
bUsste  er  je  weiter  nach  Westen,  umso  mehr  die  Fähigkeit,  brauchbares 
Harz  zu  geben,  ein.  Am  wenigsten  galt  schon  im  Altertum  der  auf 
Kreta  gewonnene  (Pliu.  Hist.  nat.  XII,  125). 

Jedenfalls  führten  den  im  Altertum  sehr  häufig  zu  Räucherwerk 
(0"rvpaE  u>  ttX€io"tuj  xpAviai  euuiäucrn  oi  btiaioaiuov€<;,  Strabo  XII  p.  571), 
aber  auch  zu  Salben  etc.  gebrauchten  Styrax  die  Phönizier  in  Griechen- 
land ein,  wie  Herodot  (III,  107)  ausdrücklich  bezeugt.  Es  liegt  daher 
sehr  nahe,  für  griech.  öTÜpaE  phönizische  Herkunft  zu  vermuten,  und 
in  der  That  leiten  sowohl  Muss-Arnolt  Trnnsactions  XXIII,  117  wie  Lewy 
Die  semit.  Fremdw.  im  Griech.  S.  41,  einer  Vermutung  Lagardes 
folgend,  das  griech.  Wort  von  hebr.  söri,  dem  Namen  eines  Aromas, 
ab,  das  die  Ismaeliter  (Gen.  37,  25)  von  Gilead  nach  Ägypten  bringen. 
Indessen  kann  diese  Annahme  noch  nicht  als  lautlich  sicher  gestellt 
(o*t  =  sem.  *?)  gelten.  Auch  die  Wortbildung,  für  die  man  Anlehnung 
an  ein  einheimisches  crrupaE  , Lanzenschaft'  annehmen  müsste,  macht 
Schwierigkeiten.  Lateinisch  gilt  storax  (erst  bei  Solinus),  mit  beachtens- 
wertem Lautwandel  ans  griech.  o*Tupa£.  Nach  dem  Periplus  maris 
erythraei  wird  Styrax  in  dem  indo-skythischen  Barbarikon  (aus  Ägypten) 
und  in  Barygaza  eingeführt.  —  S.  u.  Aromata. 

Süden,  s.  Himmelsgegenden. 

Sahnopfer,  s.  Opfer. 

Suniach,  s.  Terebinthaceen. 

Snuipfvögel.  Aus  dieser  auch  als  Stelzvögel  oder  Watcr 
bezeichneten  Klasse  erfreuen  sich  mehrere  Arten  vorhistorischer  Namen. 
So  vor  allem  der  Kranich:  griech.  Y*'pavo£,  lat.  grüs,  kymr.  garan, 
agls.  cran,  lit.  gerice  (girsze  ,dcr  Reiher'-,  vgl.  auch  garnys  baltäsis 
,Storch',  garnys  juddsis  ,Reihcr  ),  altsl.  ieravi,  armen,  ki-unk.  Ferner 
das  Wasserhuhn:  ahd.  belihha,  lat.  fulica  und  der  Reiher:  lat. 
ardea,  griech.  dpwbiö^.  Im  Norden  besteben  für  letzteren  Vogel  je 
ein  gemeingermanischer  nnd  ein  gcmeinkeltischer  Name,  die  in  ihrem 
Konsonantismus  an  einander  anklingen:  germ.  *hraigra-,  *haigra-f 
*higra-  (mhd.  reiger,  agls.  hrägra;  ahd.  heigir\  altn.  hegre;  vgl. 
Noreen  Abriss  der  urgerm.  Lautl.  S.  221)  und  gemeinkeit.  *korgjo-j 
*korgsa  (korn.  cherhit  etc.,  vgl.  Stokes  Urkelt.  Sprachschatz).  Dagegen 
gehen  die  Bezeichnungen  des  sagenberühmtesten  Vogels  dieser  Klasse, 


Digitized  by  Google 


844 


Sumpfvögel  —  Tay. 


des  .Storches,  weit  auseinander:  griccb.  ireXapYÖs  (erst  seit  Aristoph. 
,der  seh  warzgraue' i,  lat.  cicönia  [cic-önia  :  gerin.  *higra  ,  ahn.  hegre 
oder  ä'Cön-ia  :  germ.  huon;  s.  u.  Hahn,  Huhn?:  die  pränestinische 
Form  cönia  spricht  für  letzteres),  gemcingerm.  ahd.  storah  etc.  (wegen 
der  Verschiedenheit  der  Bedeutungen  kaum  mit  griech.  TÖp-roq  .Geier'  zu 
verhinden;.  Das  germanische  Wort  ist  sowohl  nach  Westen  wie  nach 
Osten  {reu ändert  (korn,  #torc,  altsl.  atrftkü,  lit.  starkus).  Doch  fehlt 
es  weder  hier  noch  dort  an  einheimischen  Namen  (kambr.  gtcibon: 
lit.  gandras,  aus  einer  älteren  Benennung  für  Wildgans  entwickelt;  s. 
*ganda  u.  G  a  n  s).  Über  die  Nachrichten  der  Alten  vom  Storch  vgl. 
Lenz  Zoologie  der  Griechen  und  Krimer  S.  37ö.  über  die  Benutzung 
des  Kranichs  und  Storches  zu  Zucht-  und  Speisezwecken  s.  u.  Vieh- 
zucht. Wenig  Beachtung  hat  im  Altertum  der  grösste  Vogel  dieser 
Gattung,  die  Trappe,  gefunden,  die  den  klassischen  Ländern  im 
wesentlichen  fremd  war.  Xenophon  Anab.  I,  5,  2  nennt  sie  unter  dem 
Namen  um<;  aus  Arabien,  Plinius  Hist.  nat.  X,  57  berichtet:  Pro.rimae 
hin  (tetraonibus)  -sunt  qua*  Hixpania  nves  tarda»  appellat,  Graecia 
(oTtda<.  damuatas  in  eibis.  Im  Deutschen  erst  im  mhd.  trap,  trappe  zu 
belegen,  die  wohl  ans  dem  Slavischen  stammen  (Cech.  drop  etc.,  doch 
rnss.  drachra). 

Sehr  spät  erst  scheint  dcmKibitz  (mhd.  gibttz  :  russ.  cibisn\  lit. 
pempe,  altpi.  peenipe)  als  einer  besonderen  Individualität  Beachtung 
geschenkt  worden  zu  sein,  für  den  es  im  Altertum  einen  Namen  über- 
haupt nicht  giebt,  während  die  Schnepfe  (ahd.  snepfo,  mengl.  snipe 
und  agls.  snite,  lit.  sznrpe  unter  dem  Namen  o"KoXÖTra£,  do*KdXwip 
(vgl.  o*Kd\oi|>,  dcrndXaE  , Maulwurf;  denn  beide  bohren  in  den  Erdboden) 
schon  von  Griechen  und  Körnern  als  Delikatesse  geschätzt  war.  v 
Endlich  war  seit  Herodot  (11,67)  die  Aufmerksamkeit  der  Hellenen 
auf  den  in  Ägypten  als  heilig  verehrten  »ßt?  (ägy  pt.  hib'i)  gelenkt 
worden,  über  den  Wiedemann  Herodots  II.  Buch  S.  293  zu  ver- 
gleichen ist. 

Sunde,  s.  Verbrechen. 

Suppe,  s.  Brühe. 


T. 

Tag.  Bezeichnungen  hierfür  werden  übereinstimmend  durch  Ab- 
leitungen von  den  Wurzeln  dir  und  dt  .strahlen'  gebildet.  Zu  der 
erstereu  gehören:  sert,  divä  .bei  Tage',  dt/dvi,  dive'-dire  ,Tag  für  Tag', 
armen,  tiv,  lat.  dies,  ir.  dia  (in  diu  , heute',  mkyrar.  hediw),  zu  der 
letzteren:  sert.  dina-  ,Tag ,  lat.  (nün)-dinum,  peren  dinus  ,ttbermorgen', 


Digitized  by  Google 


T»vff.  845 

got.  sin-teins  ,täglieh',  altsl.  dinl,  lit.  dienä,  altpr.  deind.  Vgl.  noch  alb. 
diu  ,Tag'  aus  *dintt.  Noch  keine  Einstimmigkeit  herrscht  über  die 
Erklärung  des  griech.  fmepa,  riuap.  Die  einen  stellen  es  zu  armen,  aar 
,Tag',  das  alsdann  aus  *dmör  entstanden  sein  müsste  i  vgl.  Hübschiiiann 
Armen.  Gr.  S.  426),  die  andern  (vgl.  Prellwitz  Et.  \Y.)  deuten  es  aus 
*sdmar,  in  welchem  Falle  der  idg.  Name  des  8  o  m  m  e  r  s  <s.  d.),  ahd. 
sumar  u.  s.  w.  entsprechen  würde.  Ein  Analogon  zu  diesem  Bedeutungs- 
Ubcrgang  böte  das  Verhältnis  von  got.  dag»  :  altpr.  dagas  ,Sommer', 
lit.  dü gas  , Ernte',  sei  t,  ni-däghd-  , Hitze,  Sommer'  :  dah  ,brcunen  , 
womit  einige  (nach  dem  Verhältnis  von  scrt.  dcru-  , Träne'  :  got.  tagr 
,Zähre  )  auch  einen  Zusammenhang  des  arischen  scrt.  äfuin-,  aw.  azan- 
,Tag'  für  möglich  halten.  Die  idg.  Wörter  für  Tag  bezeichneten 
zunächst  nur  den  „hellen^  und  „warmen"  Teil  desselben,  während  die 
Zusammenfassung  von  Tag  und  Nacht  durch  Bezeichnungen 
der  letzteren  ausgedrückt  wurde. 

Dies  ergiebt  sich  aus  der  zweifellos  idg.  Sitte,  nach  Nächten  im 
Sinne  von  Gesamttagen,  nicht  nach  Tagen  zu  zählen,  wie  es  Tacitus 
von  den  Germanen  (Cap.  11:  Xec  dierum  mime  tum,  sed  noetium 
computant)  und  Caesar  von  den  Galliern  De  bell.  Gall.  VI,  18:  Spatia 
omni*  temporis  non  mtmero  dierum,  sed  noetium  ßniunt)  ausdrück- 
lich berichten.  Ebenso  ist  im  Awesta  die  Zählung  nach  Nächten  iysap-, 
/Japan  )  durchgeführt,  und  auch  im  Rigveda  begegnen  noch  Stellen 
wie  die:  „Lasst  uns  die  alten  Nächte  (Tage)  und  die  Herbste  (Jahre) 
feiern".  Im  Sanskrit  ist  dac-a-rdtrd-  :  rdtri  , Nacht'  ein  Zeitraum  von 
10  Tagen,  und  niqd-nicam  ,Nacht  für  Nacht'  bedeutet  soviel  wie  täglich. 
Überaus  häufig  begegnen  in  den  deutschen  RechtsaltertUmern  Frist- 
bestimmungen wie  sieben  nehte,  vierzehn  nacht,  zu  vierzehn  nechten, 
die  bis  ins  späteste  Mittelalter  gebräuchlich  sind.  Im  Englischen  sagt 
man  noch  heute  fort  night,  sennight.  Auch  die  Bezeichnung  des  Weih- 
nachtsfestes, mhd.  ze  wihen  nahten  (agls.  Mödranicht  bei  Beda  ,der 
Mütter  Nacht  )  gehört  in  diesen  Zusammenhang. 

Ihre  Erklärung  rindet  diese  Rechnung  nach  Nächten  in  dem  Umstand, 
das«  in  der  ältesten  Zeit  der  Mond  (s.  u.  Mond  und  Moiat)  der 
einzige  Zeitmesser  war,  dessen  einzelne  Phasen  eben  nur  in  der  Nacht 
beobachtet  und  bestimmt  werden  können.  Je  mehr  dann  in  dieser 
Beziehung  die  Sonne  hervortritt  (s.  u.  Jahr),  umsomehr  versehwindet 
die  Zählung  nach  Nächten,  und  wie  früher  der  Tag  durch  die  Nacht, 
so  wird  jetzi  die  Nacht  durch  den  Tag,  den  Lichttag  (ruat'pa,  dies), 
mit  bezeichnet. 

In  enger  Beziehung  zu  jener  Rechnung  nach  Nächten  steht  auch 
der  Umstand,  dass,  wenn  Tag  und  Nacht  in  alten  Zeiten  zusammen- 
'genannt  werden,  die  letztere  an  den  Anfang  gestellt  wird,  ähnlich  wie 
bei  der  Aufzählung  der  Jahreszeiten  (s.  d.)  der  Winter  den  Reigen 
führt.    Xox  ducere  dnem  videtur,  sagt  Tacitus  von  den  Germanen, 


Digitized  by  Google 


846  Tatf. 

dien  natales  et  memtium  et  annorum  initia  sie  obsertant,  ut  noctem 
dies  mbnequatur  Caesar  von  den  Kelten.  In  den  streng  formnlierten 
altpersischen  Keilinscliriften  heisst  es*  yxapavA  raufapaticä  ,bei  Nacht 
und  Tag'  (ebenso  altsl.  noAtedintje  ,nox  et  dies  ),  während  im  Sanskrit 
rätryahan-  , Nacht  und  Tag'  und  naktamdinam  ,bci  Nacht  und  Tag' 
mit  ahörätrd-,  aharnica-  wechseln.  Es  ist  daher  mir  die  Bewahrung 
des  Alten,  wenn  die  Griechen  (vgl.  Unger  Philologus  LI,  14  ff.)  den 
Anfang  des  Volltags  (vuxOriucpov  und  fmepovuKTiov)  auf  Sonnenuntergang 
setzten,  und  auch  die  Germanen,  wie  z.  B.  agls.  frigecefen  .Donnerstag 
Abend',  eigentl.  ,  Abend  /.um  Freitag'  zeigt,  Abend  und  Nacht  zum 
folgenden  Tage  zählten  (vgl.  F.  Kluge  Et.  W.6s.  v.  Fastnacht),  während 
es  der  Erklärung  bedarf,  warum  die  Römer  durch  Verlegung  des  Tages- 
anfangs auf  Mitternacht  den  ursprünglichen  Zustand  verlassen  haben. 

Was  die  weitere  Einteilung  der  Nacht  und  des  Tages  oder  des 
aus  beiden  zusammengesetzten  Volltages  anbetrifft,  so  geheu  einzelne 
allgemeinere  Ausdrücke  hierfür  (s.  u.  Abend  und  Morgen)  in  vorge- 
schichtliche Zeiten  zurück.  Neben  ihnen  wird  von  der  ältesten  Zeit 
an,  ähnlich  wie  bei  derjenigen  Terminologie,  aus  welcher  die  Mouats- 
namen  (s.  u.  Mond  und  Monat)  erwachsen  sind,  eine  bunte  Fülle 
verschiedenartiger  Bezeichnungen  bestanden  haben,  ohne  dass  dieselben 
in  irgend  ein  festes  System  der  Tagesteilung  gebracht  worden  waren. 
So  wird  es  Uberall  nahe  gelegen  haben,  den  „Mittag"  als  die  Mitte 
der  Zeit  zwischen  Sonnenaufgang  und  Sonnenuntergang:  sert.  madyähna-, 
griech.  p€0"niißpia.  lat.  meridien  (doch  wohl  aus  *medidies),  ahd.  mitti- 
tag  u.  s.  w.  hervorzuheben.  Eine  ähnliche  Zeitbestimmung,  aber  mit 
schwankender  Bedeutung  ist  das  gcmciugerin.  got.  undaürni-  (in 
undaürnimaU  , Frühstück'),  altn.  undorn  ,Mitte  zwischen  Mittag  und 
Abend',  agls.  andern  »Vormittag',  ahd.  tmtarn  , Mittag'  :  sert.  antär-, 
aw.  antare,  lat.  inter  .zwischen'.  Vor  allem  aber  sind  es,  wie  bei 
den  Monatsnamen,  die  beiden  Kategorien  natürlicher  Erscheinungen 
und  Lebensäusseriingen  sowie  menschlicher  Beschäftigungen 
und  Verrichtungen,  denen  die  Bezeichnungen  für  bestimmte  Ab- 
schnitte des  Tages  oder  der  Nacht  entuommen  werden.  Zu  der  ersteren 
Klasse  gehören  im  Griechischen  und  Lateinischen:  tiXiou  dvio*xovro?, 
f|Xiou  ünep  K€<paXn,s  löTau^vou,  rjXiou  et?  to  xdTiw  pt'novroq,  äpcpiXikn 
(Horn.  .Dämmerung  ),  dihiculum  »Morgengrauen*,  crepuseuhtm  »Abend- 
dämmerung, TTcpi  ctXeKTpuöviuv  lübds,  dXeKTpuövwv  dbövxujv,  vnb  töv 
üJböv  öpvi8a,  gallicinium  ,dcr  erste  Hahnenschrei',  conticinium,  conti- 
ettum  ,die  Zeit,  wo  die  Hähne  wieder  verstummt  sind'  (man  beachte 
die  wichtige  Rolle,  die  der  Hahn  als  Uhr  spielt)  u.  s.  w.,  zu  der 
zweiten:  6p9po?  ,die  Zeit  des  Aufstehens',  irepi  irpüuTOv  ünvov,  coneu- 
bia,  coneubium  ,Zeit  des  Schlafengehens',  Trept  Xüxvujv  d<pd£,  luminibus 
accenais,  prima  fax,  ä^opäc,  rrXr|9ouo*r|q,  ßouXurö?  (Horn.)  ,die  Zeit  des 
Stierausspaunens',  iv  vuktöc  duoXtüX?)  u.  s.  w.    Für  die  Griechen  ist 


Digitized  by  Google 


Tag  —  Tanz. 


847 


in  dieser  Beziehung  auf  Pollux  Ononi.  I,  08 — 72,  für  die  Römer  auf 
Macrobius  Sat.  I,  3  und  Ceusorinus  Cap.  24  zu  verweisen.  Auch  in  den 
nördlichen  Sprachen  waren  derartige  Ausdrücke  sicher  in  Menge  vor- 
handen; docli  fehlt  es  an  Sammlungen  (einiges  s.  u.  Abend). 

Eine  exakte  Einteilung  des  Tages  war  erst  nach  Einführung  der  in 
letzter  Linie  babylonischen  Stundenzählung  (s.  u.  Stunde»  und  der 
durch  sie  bedingten  Sonnenuhren  möglich.  Als  eine  Art  Vorläufer 
derselben  kann  man  es  ansehn,  wenn  gelegentlich  die  Zeit  des  Tages 
durch  die  Angabc  der  Länge  des  menschlichen  Schattens  bestimmt 
wird.  So  wird  bei  Aristophanes  Eccles.  v.  (352  einer  zum  beiirvov 
eingeladen,  ötciv  rj  bexanouv  tö  öTOixeiov,  und  in  den  älteren  Kalendern 
des  deutschen  Mittelalters  finden  sich  ganze  Tabellen  derartiger  Schatten- 
bestimmungen (vgl.  Grotcfend  Zeitrechnung  Is,  183).  —  S.  noch  u. 
Nacht  und  Zeitteilung. 

Tageseinteilung,  ».  Tag. 

Tanne,  s.  Fichte. 

Tante.  Eine  urverwandte  Bezeichnung  für  die  Schwestern  des 
Vaters  oder  der  Mutter  scheint  zu  fehlen,  da  agls.  mödrie  ,Mutter- 
schwester'  =  griech.  urjTpuid,  armen,  mauru,  wie  die  Bedeutungsüber- 
einstimmung der  beiden  letzteren  Wörter  zeigt,  ursprünglich  »Stiefmutter' 
(s.  u.  Stief-)  bedeutet  haben  dürfte.  In  den  Einzelsprachcn  werden 
die  Namen  der  Schwestern  Kpo?  Trarpöq  von  denen  Ttpd?  PHTpö?  meist 
scharf  geschieden.  So  in  lat.  amita  (vgl.  ir.  ammait  ,Anime'  etc.  und 
die  u.  Mutter  angeführten  ähnlichen  Lall  Wörter)  :  matertera  (Uber  die 
Bildung  vgl.  A.  Meillet  Mcmoires  de  la  soc.  linguist.  IX,  141),  agls. 
fabu,  altfries.  fethe  (wie  wohl  auch  ahd.  bona  als  Koseformeu  zu  fadar 
gehörig;  vgl.  F.  Kluge  Festgruss  f.  Böhtlingk  S.  60)  :  ahd.  muoma 
(Koseform  von  ahd.  muoter),  altsl.  strina  (:  utryj  .Vatersbruder')  :  teta, 
tetka.  Im  Griechischen  scheint  kein  deutlicher  Unterschied  zwischen 
Wörtern  wie  0€ia,  Tn.ei<;,  vävvn,  gemacht  worden  zu  sein,  und  auch  das 
Litauische  verwendet,  wenigstens  gegenwärtig,  tetä  in  beiderlei  Sinne. 
Vgl.  noch  aus  dem  Keltischen  korn.  modereb  (*mdtriqd)  ,Tante\  — 
S.  u.  Familie. 

Tanz.  Wie  der  Gesang  aus  der  leidenschaftlichen  Rede  (s.  u. 
Dichtkunst,  Dichter),  so  ist  der  Tanz  sachlich  und  sprachlich  aus 
der  pathetischen  und  leidenschaftlichen  Bewegung  hervorgegangen, 
doch  so,  dass  alle  einzelnen  idg.  Sprachen  auf  diesem  Wege  zu  ver- 
schiedenen Bezeichnungen  des  Tanzens  gelangt  sind.  Folgende 
Sprachreihen  werden  dies  veranschaulichen: 

sert.  rghäyati  ,er  bebt,  tobt'  —  griech.  öpx^at  ,tanzc'. 
lit.  z'Aras  ,eine  bestimmte  Art  des  Gehens'  —  griech.  xopös  ,Chor- 
tanz,  Reigen'. 

sert.  kü'rdati  ,er  springt,  hüpft',  mbd.  schirze  ,springe  lustig'  — 
griech.  aKotpiu  ,tanze'  (auch  ,hüpfe  ),  KopbaE  ,ein  Tanz'. 


Digitized  by  Google 


848 


Tan/. 


griech.  äXXoncu  springe',  lat.  salio  desgl.  —  lat.  salin  ,tanzc'. 
scrt.  re'jate  ,er  schwankt,  bebt',  lit.  Idigyti  ,wikl  umherlaufen',  got, 
Idikan  .springen,  hüpfen'  —  got.  Idiks  ,Tanz,  Tanzweise', 
scrt.  dhil  ,hin  und  herschütteln',  griech.  Güouai  .stürme  einher',  ahd. 

tümalön  ,tauineln'  —  ahd.  tümön  ,tanzen\ 
scrt.  rdnhate  .rinnt,  eilt',  ir.  lingid  ,er  springt',  leimm,  kymr.  Uam 

,Sprung'  —  kymr.  Itemmain  .saltare'. 
scrt.  rihkhati  ,er  bewegt  sich  langsam',  griech.  ^ixvoöa6ai-  KiveiöGar 

äaxnMOvujq  lies.  —  ir.  rincim  , tanze', 
aw.  sacäite  ,er  gehe  vorüber',  got.  skewjan  ,gehen',  ir.  scnchim 
,gehe  weg',  altsl.  skokü  .Sprung'  —  lit.  szökis  ,Tanz',  szökti 
,tnnzen'  (auch  ,springen'j. 
Was  man  aus  diesen  Tbatsaehen  wird  schliessen  dürfen,  ist,  dass 
man  in  der  Urzeit  noch  kein  Bedürfnis  empfunden  haben  kann,  den 
Begriff  der  feierlichen  oder  leidenschaftlichen  Bewegung  von  dem  des 
Tanzes  sprachlich  zu  unterscheiden,  wohl  aus  dem  einfachen  Grnnd, 
weil  man  den  die  Lokomotionsbewegungen  zu  Tanzbewegungen  er- 
hebenden Rhythmus,  der  sich  aus  gewissen  Arten  der  ersteren  mit 
innerer  Notwendigkeit  ergiebt,  noch  nicht  als  etwas  besonderes  auzu- 
sehn  gelernt  hatte  (vgl.  dazu  E.  Grosse  Anfange  der  Kunst  S.  213 
nach  Spencer).  Thatsächlich  müssen  auch  auf  dem  Gebiet  der  Einzcl- 
sprachen  dieselben  Ausdrücke  noch  lange  das  Gehen,  Hüpfen,  Springen 
und  Tanzen  bezeichnet  haben.  Wie  könnte  sonst  auf  römischem  Gebiet  der 
Name  der  altehrwürdigen  Salier,  die  doch  sicher  rhythmisch  hüpften  tripo- 
dare  :  -notiq,  nobö?,  doch  tripudiare?)  von  salio  nnd  nicht  von  salto 
abgeleitet  sein?  Aber  auch  andere  der  oben  angeführten  Wörter  für 
Tanzen  werden  zugleich  in  dem  allgemeineren  Sinne  gebraucht.  Eine 
deutliche  Erfassung  des  Begriffes  der  Tanzkunst  läge  dagegen  in  dem 
homerischen  ßnidpuiuv  ,Tänzcr'  vor,  wenn  es  richtig  Trapd  tö  iv  äp- 
novia  ßcuvciv  gedeutet  wird. 

Auf  die  Anfänge  der  Tanzkunst  bei  den  idg.  Völkern  materiell  und 
ausführlicher  einzugehen,  soll  bei  dem  Stand  der  Vorarbeiten  auf  diesem 
Gebiete  nicht  versucht  werden.  Immerhin  soll  wenigstens  auf  einige 
für  sie  charakteristischen  Punkte  hier  in  Kürze  hingewiesen  werden. 

1.  (das  Tanzlied).  In  engster  Verbindung  mit  der  rhythmischen 
Bewegung  tritt  seit  uralter  Zeit  der  Gesang,  d.  h.  das  rhythmisch 
gesprochene  Wort  (s.  u.  Dichtkunst,  Dichter)  auf.  Dies  geht  auch 
aus  einer  Reihe  von  Ausdrücken  wie  griech.  xopo?  («•  o.)  und  uoXnn 
(:  ueXTTw,  etymologisch  noch  uuerklärt),  gemeingerm.  got.  laiks,  altn. 
leikr,  agls.  l<ic,  ahd.  Jeih  (vgl.  R.  Kögel  Gesch.  d.  d.  Lit.  I,  1,  7  ff.), 
hervor,  in  deren  Bedeutung  Tanz  und  Lied  unauflöslich  verschmolzen 
sind.   Vgl.  dazu  auch  K.  Bücher  Arbeit  und  Rhythmus  S.  79  und  87. 

2.  (Religiöser  Tanz).  Unter  den  verschiedenen  Veranlassungen 
und  Zwecken,  aus  und  zu  denen  in  alter  Zeit  mit  Gesang  oder  Rezi- 


Digitized  by  Google 


Tanz. 


S49 


tation  verbundene  Tanze  stattfanden,  und  (Iber  die  in  Rücksicht  auf 
die  Germanen  die  Bedeutungsentfaltung  des  yot.  laiks  etc.  bei  Kögel 
a.  a.  0.  eine  gute  Übersicht  giebt,  scheiuen  die  des  Kultus,  namentlich 
desjenigen  der  Naturkräfte  und  Naturgottheiten  (s.u.  Religion),  sehr 
alt,  wenn  nicht  die  ältesten  zu  sein.  Als  ehrwürdige  Reste  gehören 
hierher  auf  römischem  Boden  das  Tanzlied  der  Arvalbrilder,  mit  dem 
diese  unter  Anrufung  der  Laren  und  des  Mars  den  eben  erstandenen 
Lenz  auf  der  Knie  festzubannen  suchen  (s.u.  Dichtkunst,  Dichter), 
und  die  Springprozessionen  der  Salier  mit  ihren  schon  den  Römern 
dunklen  Gesängen  {a.camenta  von  a.vare  , nominale'  :  äjo,  addgium), 
auf  germanischem  agls.  Reste  heidnischer  Flurgangshymnen  mit 
Opfern  und  (lebeten  um  Fruchtbarkeit  des  Ackerlandes  (vgl.  Kögel 
a.  a.  O.,  wo  weiteres  Uber  die  tief  in  die  christlichen  Zeiten  hinein- 
ragenden gottesdienstlichcn  Leiche  der  Germanen  mitgeteilt  und  S.  (5 
darauf  aufmerksam  gemacht  wird,  dass  abd.  piganc  :  begehen  —  noch 
heute  sagen  wir  -,ein  Fest  begehen11  —  mit  culttis  und  rittt*  glossiert 
wird),  auf  indischem  Tanzlieder,  wie  das  zu  den  Sonnenwendge- 
bräuchen gehörige,  von  Mädchen  mit  gefüllten  Wasscrkrügen  und  um 
ein  Feuer  getanztes: 

„Schön  duften  die  Kühe,  juchhe!  Hier  ist  süsser  Saft! 
Nach  Wohlgeruch  duften  die  Kühe!  Der  süsse  Saft! 
Die  Kühe  sind  Mütter  der  Butter!       n      „  „ 
Die  sollen  sich  mehren!  „      „  -, 

Die  Kühchen  die  wollen  wir  baden!     „  „  u, 

in  dem  Ohlenberg  Die  Religion  des  Vcda  S.  445,  507  einen  uralten 
Regenzauber  (Zauber  zur  Herbeiführung  des  Regens)  erblickt.  Schon 
auf  wesentlich  höherer  Stufe  stehen  die  Paeane,  Prozessionstänze, 
Prosodien  u.  s.  w.  der  Griechen  (vgl.  Flach  Der  Tanz  bei  den  Griechen 
S.  13  ff.).  Doch  wird  man  nicht  mit  der  Annahme  irren,  dass,  wenu 
noch  Pindar  den  Thebaiicrn  ein  hochberühmtes  Tanzlied  nach  einer 
Sonnenfinsternis  dichtet:  n Strahl  des  Helios,  was  ersannst  du.  allsicht- 
barer Vater  schnelleren  Lichts,  du  höchstes  Gestirn,  das  am  Tage  ver- 
borgen blieb"  n.  s.  w.,  hierin  auch  nur  eine  kunstvolle  Nachahmung 
im  Volke  lebender  averrunkischer  Tänze  und  Tanzreigen  vorliegen 
wird. 

3.  (Mimischer  Tanz.)  Nachahmungen  tierischer  und  menschlicher 
Bewegungen  bilden  bei  den  Naturvölkern  (vgl.  E.  Grosse a.a. O.  S.  11)8  ff.) 
einen  Lieblingsgegenstand  des  Tanzes,  und  auch  bei  den  idg.  Völkern 
sind  sie  früh  nachweisbar.  Im  besonderen  handelt  es  sieh  hier  um  die 
allerorts  bezeugten  Waffentänze,  in  so  weit  sie  eiue  Nachahmung 
wirklichen  Kampfes  sind.  Dies  gilt  von  dem  thrakiseben  Waffentanz, 
den  Xenophon  Anab.  VI,  1,  5  beschreibt:  ötvtcmio'uv  ttpwtov  uev  0pÜK€q 
xai  Tipdq  auXov  wpxntfavTO  o*uv  toi?  öttXoi^  kou  hXXovto  ut|fr)Xä  tc  Kai 
K0Ü<puj£  Kai  Taiq  uaxaipaiq  ^xPwvto  •  icXoq  bfc  ö  ?T€po?  töv  £t€pov  naiei, 

Schräder.  Rcallexikon.  54 


Digitized  by  Google 


Tjihz. 


d»5  Trdcftv  dbÖKti  •  ö  b'  eneae  t6xviku»s  kuj^  —  kok  6  uev  o*KuXeüo*as  Tä  önXa 
toö  iiipov  dErjei  äbwv  töv  XitoXkov  •  dXXoi  be  TUJV  0pClKd»V  TÖV  €T€pOV 
d£e'<pepov  ü><;  T£Övr|KÖTOt '  t^v  be  oöbev  ttcttovSiu^-  Ähnlich  tanzt  der 
Myser  an  derselben  Stelle  (u><;  buo  dvTiTaiTouevujv  umoüuevoq  wpxeiTO), 
und  auch  die  berühmte  spartanische  uuppixn,  war  ein  Scheingefecht  in 
kriegerischer  Rüstung  (Flach  S.  7),  während  der  Schwerttanz  der 
Germanen,  wenigstens  nach  der  Schilderung  des  Tacitus  (Germ.  Cap.  24: 
Genus  spectnvuloruin  unum  atque  in  omni  coefu  iflem.  midi  iure  neu, 
quibus  id  ludicruin  est,  inier  gladios  se  atque  in  festos  fronten*  saltu 
iaciunt.  exercitatio  nrtem  parorit,  ars  decorem,  non  in  quaestum 
tarnen  out  mercedem  :  quatnris  audacis  lascirioe  pretiunt  est  tioluptns 
xpectontium),  nicht  zu  den  mimischen,  sondern  zu  den  gymnastischen 
Tänzen  gehurt  zu  haben  scheint. 

Auch  Nachahmungen  anderer  Zustände  und  Ereignisse  treten  gern 
in  kriegerischem  Gewände  auf.  Dies  gilt  von  dem  zweifellos  uralten 
dramatischen  Tanzspiel,  das  in  Deutschland  den  Kampf  zwischen 
Sommer  und  Winter  (  Kögel  S.  11)  darstellt,  dies  von  dem  thessalischen 
Fruchttanz  (Kapiraia),  der  die  Schwierigkeiten  einer  ackerbauenden 
Bevölkerung  gegenüber  sie  umschwärmenden  Räubern  schildert  (Xenoph. 
Anab.  VI,  I,  8:  ö  be  Tpömx;  rf\<;  6p\r\aewq  nv,  ö  uev  7Tapaeeu€vo<;  toi  öuXa 
arceipei  Kai  Zeu-rnXaTeT  ttukvo  be  o*Tpe(p6uevo<;  üX  «poßouuevos,  Xnairrc 
be  TrpocrepxeTOU  •  ö  b'  e^eibdv  TrpotbnTai,  dTravTd  dpirdda?  Td  öirXa  Kai 
pdxeiai  upö  toö  Zeürous '  Kai  oOtoi  tout'  dnoiouv  ev  pu8uw  Tipö?  töv 
auXöv  Kai  TeXo?  ö  Xn,crrn.s  brjaa?  töv  dvbpa  tö  Zeöyo^  dTTayei  •  £"viot€ 
be  Kai  ö  ZeuYT|XdTr|5  töv  Xrjo*Tr|v  •  efra  rcapd  tou$  ßoö^  £eü£a{  ömcfw 
Tib  x€>P€  bebepevov  eXauvei).  Eine  Art  mimischen  Tanzes  wird  auch 
die  Darstellung  des  Kampfes  sein,  den  Oldenberg  a  a.  0.  S.  444  unter 
vedischen  Sonuenwcndgebräuchen  beschreibt:  „Man  schlägt  die  Trom- 
meln.   Der  Priester  schlägt  die  Erdpauke.    Die  Lärmmachcr  machen 

Lärm  Um  ein  weisses,  rundes  Fell  rauft  ein  Arier  mit  einem 

Cüdra;  der  (,'üdra  muss  es  loslassen  und  fortlaufen;  der  andre  schlägt 
ihn  mit  eben  jenem  Fell  nieder".  Da  es  sich  hier  nach  Oldenberg 
(S.  f><Jt>>  zugleich  um  eine  zauberische  Manipulation  handelt,  die  den 
Zweck  hat,  das  Sonnenlicht,  welches  in  dem  weissen  runden  Fell  dar- 
gestellt ist,  vor  dunklen  Mächten  zu  schützen,  so  würde  sich  hier  der 
mimische  mit  dem  religiösen  Tanz  eng  berühren.  Doch  sei  auf  die 
u.  Jahr  erwähnten  Zweifel  an  dem  gewöhnlich  angenommenen  hohen 
Alter  der  Sonnenwendfeiern  hingewiesen. 

Hinsicht  der  Nachahmung  tierischer  Bewegungen  sei  auf  die  zahl- 
reichen, von  Hesych  angeführten  Benennungen  griechischer  Tänze  ver- 
wiesen, die  von  Tieren  ihre  Namen  haben:  dXumn,E,  ye'pavoq,  fkavt 
u.  a. 

4.  (Entlehnungen  in  der  Terminologie  des  Tanzens.i  Die 
einzelnen  Arten  des  Tanzes  haben,  ähnlich  wie  die  Verschiedenheiten 


Digitized  by  Google 


Tanz  —  Tätowierung. 


851 


der  Tracht,  der  Haarfrisur  und  anderes,  die  Neigung  sieh  bei  den 
ein/einen  Völkern  als  nationale  Eigentümlichkeiten  festzusetzen, 
welche  gerade  deswegen  von  den  Nachbarn  gern  nachgeahmt  werden. 
Wir  brauchen  nur  an  unsern  „Schottischen",  unsere  „Polkau  und 
r  Franchise"  etc.  zu  denken,  um  zu  erkennen,  wie  gern  Nationaltänze 
wandern.  Damit  hängt  es  zusammen,  dass  schon  in  sehr  früher  Zeit 
auch  zahlreiche  Uczeichnungcii  des  Tanzes  und  Tanzens  selbst,  d.  h. 
des  bei  einem  bestimmten  Volke  üblichen  Tauzens  von  anderen 
Völkern  entlehnt  worden  sind.  Wie  das  Lateinische  schon  bei  Nacvius 
(chorux,  später  chorea)  das  griechische  x°pö<;  verwendet,  so  haben  die 
Goten  gewiss  bereits  in  den  ersten  Jahrhunderten  u.  Chr.  ihr  plinxjan 
ganzen'  aus  dem  altsl.  plqsati  id.  entlehnt,  während  die  Slaven  ihrer- 
seits das  germanische  leich  in  der  Gestalt  von  altsl.  likü  ,chorus',  liko- 
vatl  ,saltare'  übernommen  haben.  Vgl.  auch  russ.  tanecü,  tanolcü,  lit. 
tanetts  aus  deutsch  tanz.  Ahd.  xalzön,  agls.  xealtian  entstammt  dem 
Jat.  aaltare.  Weit  verbreitet  ist  auch  die  Reihe  von  griech.  ßaXXiZw 
(in  «Sizilien  und  Grossgriecheuland,  von  ßdXXouai  , werfe  mich  hin  und 
her  ),  lat.  ballare  (bei  Augustin)  ,tanzc',  altfrz.  baller,  während  der 
Ursprung  der  Gruppe  mhd.  tanzen,  it.  danzare  etc.  noch  nicht  fest- 
steht. Welche  Veränderungen  in  der  Tanzkunst  selbst  bei  den  einzelnen 
Völkern  von  derartigen  Entlehnungen  begleitet  waren,  lässt  sich  nicht, 
oder  wenigstens  noch  nicht  ermessen.    S.  u.  Kunst. 

Tätowierung.  Die  noch  heute  bei  zahlreichen  wilden  Völkern 
(vgl.  E.  Grosse  Anfänge  der  Kunst  S.  5.3  ff.)  herrschende  Sitte  der 
Kö rperbemalung  muss  einstmals  auch  in  weiten  Teilen  Europas  ver- 
breitet gewesen  sein.  Die  wichtigsten  Zeugnisse  hierfür  sind  die 
folgenden:  Für  die  Thraker  Herodot  V,  (5:  Kai  tö  piv  ^atixOm  €üt€W<; 
KCKprrai,  tö  b'  äcrriKTOv  äY€V€£  und  Athciiaeus  XII  p.  524:  (sagenhafte 
Entstehung  der  Tätowierung  bei  den  thrakischen  Frauen)  cü  bfc  YuvaiKe? 
auTutv  (der  Skythen)  Tot?  6paKwv  tüjv  npd?  ton^pav  Kai  dpKTOv  tüjv 
TTcpioixujv  YuvaiKaq  dn-oiKiXXov  Tot  o*diM<ua,  Trcpovaiq  Ypa<pnv  £veio*ai. 
Ö6ev  koXXoi?  £tco*iv  üaTcpov  ot  Oßpio-eeiaat  tüjv  0paKwv  YuvaiK€?  Ibiw? 
^n^€»H»avTO  Tnv  auuq>opdv,  TTpoaavaxpanjäuevai  Td  Xoitto  toö  XPWTÖ?, 
iV  ö  Tii?  üßpew?  Kai  xffo  aicrx^vn?  in'  aÜTOuq  xapaKTf)p  t\<;  nonaXiav 
KaTopi0ur)8€i?  KÖtfuou  irpotfiiYopia  Toüveiboq  ^aXetiurj  (auch  griech.  Vasen 
stellen  wiederholt  tätowierte  Thrakerinnen  dar),  für  die  Illyrier 
Strabo  VI,  p.  315:  'ldnob€<;  Kcrräo*TiKTOi  öuotuu?  toi?  äXXoi?  'IXXupncot?  Kai 
6pa£i,  für  Dacier  und  Sarmaten  Plinius  Hist.  mit.  XXII,  2:  InJinuut 
certe  aliix  aliae  faciem  in  populix  barbarorum  feminae  maresqin' 
etiam  apud  Dacox  et  Sarmatax  corpora  xua  inscribunt,  für  die  Ag:i- 
thy  rsen  Mela  II,  1 :  Agathyrxi  ora  artuxque  pingunt :  ut  quique  maiori- 
bux  praestant,  ita  magix  rel  minus,  ceterum  iisdem  omnes  notis,  et 
nie,  ut  ablui  nequeant,  für  die  ostger manischen  Harier  Tacitus 
Germ.  Cap.  43:  Harii—tincta  corpora,  für  die  Britannier  Caesar 


Digitized  by  Google 


852 


Tätowierung  —  Taube. 


De  bell.  Gall.  V,  14:  JSe  vitro  inficiunt  quod  caentleum  efficit  colorem. 
Plinius  a.  a.  0.:  Üimilte  plantagini  glastum  in  Gallia  coeatur,  ßri- 
tannorum  coniuges  nurusque  toto  corpore  oblitae  quibusdam  in 
werte  nudae  incedunt  Aethiopum  colorem  imitantes,  Mela  III,  6: 
(Britanni)  incertum  ob  deeorem,  an  quid  aliud,  vitro  corpora  infecti, 
für  die  Pikten  Isidor.  Hisp.  Orig.  XIX,  2;$,  7:  Nec  abest  genti  Pic- 
torum  notnen  a  corpore  (vgl.  dazu  V.  Hehn  Kulturpflanzen0  S.  ;")27), 
quod  minutis  opifex  actis  punette  et  exprexsus  natiri  graminte 
succuH  illudit,  ut  has  ad  sui  speeimen  cicatrices  ferat,  piette  artubun 
maculosa  nobilitas.  Vgl.  auch  die  Nachricht  des  Xeuophon  Anab. 
V,  4,  32)  über  die  politischen  Mossynökcn:  ttoikiXoix;  bk  xct  vwxa  Kai 

TOI  £uTTp00"Ö€V  TTUVia  ^ÖTlYUtV00<;. 

Aber  auch  die  archäologische  Forschung  weist  auf  die  früh 
in  Europa  geübte  Sitte  der  Tätowierung  hin,  namentlich  wenn  S.  Müller 
Nordische  Altertumskunde  Kecht  hat,  gewisse  schon  in  den  ältesten 
Männergräbern  der  Bronzezeit  gefundene  ahlenartige  Werkzeuge  als 
Tätowiernadeln  aufzufassen  (I,  201  ff.).  Aus  noch  früherer  Zeit,  aus 
neolithischen,  ja,  aus  palaeolithischen  Stationen  (vgl.  A.  Müller  Vorgeseh. 
Kulturbilder  S.  100,  Hörne»  Geschichte  der  bildenden  Kunst  S.  20  ff .:• 
sind  Farbenmörser  und  Farbsubstanzen  wie  Rötel.  Ocker  u.  dergl.  zu 
Tage  gekommen,  die  in  dieselbe  Richtung  zu  deuten  scheinen. 

Zweifelhaft  wird  man  nach  dem  obigen  sein  können,  ob  die  Indo- 
germanen  den  Gebrauch  der  Körperbenialung,  von  dem  wir  in  Indien 
und  Iran,  oder  bei  Griechen  und  Römern  keine  Spur  linden  (doch  macht 
auf  praemykenische  Körperbenialung  Wolters  in  den  Mitteilungen 
des  archäologischen  Instituts  in  Athen  1891  aufmerksam)  schon  aus 
der  Urheimat  mitbrachten,  oder  ob  nur  einzelne,  nördliche  und 
östliche  Stämme  sie  erst  in  ihren  historischen  Wohnsitzen,  wenn  auch 
immer  noch  in  sehr  früher  Zeit,  durch  die  Berührung  mit  niehtindo- 
genuauischen,  ureingesessenen  Bevölkerungen,  zu  denen  von  den  oben 
genannten  z.  B.  die  Pikten  is.  u.  Mutter  recht)  mit  Sicherheit  ge- 
hören, oder  auch  durch  auswärtige  Beziehungen  (vgl.  oben  die  Nach- 
richt des  Athenäus  über  den  Ursprung  der  thrakischen  Tätowierung) 
annahmen.  Dass  jedenfalls  die  älteste  idg.  Tracht  sowohl  bei  Männern 
wie  bei  Frauen,  genug  Stellen  des  Körpers  unbedeckt  Hess,  um  ge- 
eignete Flächen  für  die  Ausübung  der  barbarischen  Kunst  darzubieten, 
ist  u.  Kleidung  gezeigt  worden.  Rudimente  der  Körperbemaluug 
haben  sich  namentlich  bei  Matrosen,  Soldaten  u.  s.  w.  bekanntlich  bis 
in  die  Gegenwart  erhalten.  Vgl.  auch  F.  S.  Krauss  Uber  das  Täto- 
wieren bei  den  Südslaven  im  Globus  LIX,  72.  —  S.  u.  Kunst. 
Tau,  s.  Strick. 
Taub,  s.  Krankheit. 

Taube.   Ein  vorhistorischer  Name  des  Tieres  lässt  sich  bis  jetzt 
nicht  mit  Sicherheit  erweisen.  Seine  Terminologie,  so  weit  sie  durch- 


Digitized  by  Google 


Taube. 


853 


sichtig  ist,  bezeichnet  den  Vogel  meist  nach  der  Farbe,  entweder  als 
den  „seh wärzlichen",  „grauen"  oder  „blauen"  (griech.  TT€'X€ia  : 
mXiöq,  dazu  vielleicht  lat.  palumbus  und  altpr.  poalis;  im  Slavischen 
Ableitungen  von  aivü  und  xizü  ,grau';  gemeingerm.  got.  dubö  :  ir.  dub 
,niger';  lit.  larnzulu  :  sert.  krshnd-  ,sehwar//;  altsl.  golabl  :  altpr. 
golimban  .blaugran';  osset.  aysinaJc :  a\v.  ayjtaena-  .blanschwarz';  sert. 
kapota-  s.  n.),  oder,  aber  viel  seltener,  als  den  „weissen"  (armen. 
a/.aimi  :  griech.  dX<pÖ£,  lat.  albus  und  osset.  bahn,  balan,  lit.  balahdis 
:  lit.  bdlti  ,weiss  werden'  .  Dunkele  Ausdrücke  sind  u.  a.  griech.  <pdip 
(Aeschylus),  TrepuTrcpä  (Sophokles),  lit.  karwrtin,  altkorn.  eudon.  Über 
die  uralte  Auffassung  der  wilden  Taube  als  eines  Totenvogels  s.  u. 
Orakel.  Hierher  auch  got.  hniiwa-dubö  jpuYuV,  eigentl.  Reichen- 
taube'  und  vielleicht  hom.  yäoaa  ,Taube'  :  £ttc<pvov  (vgl.  Preller-Robert 
Griech.  Myth.'  S.  800  Anm.  3  Uber  die  T.  als  Attribut  der  Persephone). 

Die  Taubenzucht  ist  von  Mesopotamien  ausgegangen;  denn  bei 
<leu  Semiten  ist  das  Tier  tief  in  die  Kultur  wie  in  den  Kultus  ver- 
webt, während  bei  den  Ägyptern  die  Taube  zwar  auch  seit  den  ältesten 
Zeiten  auf  den  Gehöften  gehalten  wird,  in  religiöser  Beziehung  aber 
keine  Rolle  spielt  (vgl.  Wiedemann  Herodots  II.  Buch  S.  245 1.  Da- 
gegen wird  der  Taube  schon  in  den  vorsemitischen,,  sumerisch-akkadi- 
schen  Denkmälern  als  eines  Hausvogels  gedacht  („die  Krankheit  des 
Hauptes-  —  fliege  davon  —  „wie  eine  Taube  zu  ihrem  Schlage"; 
vgl.  F.  Hümmel  Die  vorsemit.  Kulturen  S.  4<>1,  402).  In  dem  kcil- 
inschriftlichcn  Sindflutbericht  werden,  gerade  wie  in  der  Bibel,  Taube 
und  Rabe,  als  Vertreter  der  zahmen  und  wilden  Vögel  ausgeschickt 
(vgl.  auch  Ihering  Vorgeschichte  S.  215  ff.).  Schon  im  Leviticus  5,  7; 
12,  0,  8  wird  die  Taube,  wobei  doch  auch  nur  an  die  Haustaube 
gedacht  werden  kann,  als  Opfertier  für  die  Armen  zugelassen.  Der 
Vogel  ist  der  semitischen  Göttin  des  Xaturlebens,  der  Zeugung  und 
•des  Todes,  assyr.  fstar,  kan.  'Astor,  'Ästoret,  griech.  Aufarte  heilig, 
mit  der  die  Griechen  ihre  Aphrodite  (ein  Wort,  das  vielleicht  selbst 
den  genannten  semitischen  Ausdrücken  entstammt)  identifizierten.  Als 
Symbol  der  Göttin  erscheint  er  schon  auf  Kunstwerken,  die  in  den 
mykenischen  Gräbern  gefunden  wurden  (vgl.  Schuchardt  Schliemanns 
Ausgrabungen  S.  226  und  Hehn  Kulturpflanzen"  S.  341),  und  es  ist  unter 
diesen  Umständen  wahrscheinlich,  dass  auch  die  Griechen  frühzeitig 
den  Vogel  als  Attribut  ihrer  Aphrodite  auffassten,  sowie,  nach  semi- 
tischem Vorbild,  wohl  überhaupt  in  ein  vertrauteres  Verhältnis  zu 
demselben  traten.  Hierauf  scheint  auch  das  dem  II.  XI,  632  ff.  be- 
schriebenen Becher  des  Nestor  zu  Grunde  liegende  Motiv,  nach  welchem 
Tauben  sich  vertraulich  dem  Trinkenden  nahen,  zu  deuten.  Auch 
dieses  homerische  Kunstwerk  hat  sein  Urbild  in  einem  mykenischen 
Goldbecher  (Helbig  Hom.  Epos*  S.  371»  gefunden. 

Alles  das  könnte  sich  noch  immer  auf  eine  halbgezährate,  in  Sehlägen 


Digitized  by  Google 


Tauba 


gehaltene,  graue  Taube  beziehen.  Die  weisse,  eigentliche  Haustaube, 
die  nach  neueren  Forschungen  von  der  in  Nordafrika,  Asien  uud 
Europa  verbreiteten  wilden  Columba  livki  L.  abstammt,  wäre,  weua 
wir  einer  von  Athenäus  (IX,  p.  394)  erhaltenen  Notiz  des  Charon  von 
Lampsacus  trauen  dürfen,  erst  nach  dem  Untergang  der  persischen 
Seemacht  am  Vorgebirge  Athos  in  Griechenland  erschienen.  Da  aber 
die  Perser  selbst  nach  Herodot  1,  138  weisse  Tauben  als  Sonncnfeinde 
nicht  in  ihrem  Lande  duldeten,  so  vermutet  Hehn  a.  a.  0.  8.  337  wohl 
mit  Recht,  da&s  dieselben,  als  eine  neue  in  den  Tempeln  der  Astarte- 
Apbrodite  allmählich  gezüchtete  Rasse,  von  den  Schiffen  anderer, 
vorderasiatischer  Völker,  etwa  der  Phönizier  gekommen  sein.  Aus- 
führlich über  die  Taube  im  Kult  der  Aphrodite  und  des  Zeus,  nament- 
lich auch  über  die  Dodonäischen  Tauben  u.  8.  w.  handelt  Lorcntz  Die 
Taube  im  Altertum  Programm,  Würzen  1886.  —  Von  den  Phöniziern 
könnte  die  weisse  Haustaube  auch  nach  dem  Tempel  von  Eryx  in  Sizilien 
gebracht  worden  und  so  nach  Italien  gekommen  sein.  In  diesem  Zu- 
sammenhang deutet  Hehn  a.  a.  0.  S.  337  das  lat.  columba  als  hervorge- 
gangen aus  dem  siziliotisehen  Griechisch,  wo  Wörter  wie  KÖXuußo?,  koXuu- 
ßds,  eigeutl.  der  .Taucher'  für  einen  weissen  Wasscrvogel  besteben  und 
auf  die  weisse  Haustaube  übertragen  worden  sein  konnten;  doch  sind 
die  Beziehungen  von  lat.  columba  zu  dem  obengenannten  altsl.  golqbi, 
altpr.  golimban  (vgl.  auch  lit.  gulM  ,Schwan')  noch  nicht  ermittelt. 

Von  Italien  ist  columba  in  das  keltische  Sprachgebiet  (ir.  colum, 
ßad-cholum  ,wilde  Taube'  u.  k.  w.i  und  wohl  in  einen  Teil  des  Ger- 
manischen fagls.  culufre,  engl,  culver)  entlehnt  worden,  obgleich  man 
die  germanischen  Wörter  neuerdings  (vgl.  Holthausen  I.  F.  X,  112) 
direkt  mit  altsl.  golqbi  etc.  zu  vermitteln  versucht  hat.  Übrigens  scheint 
es  lange  gedauert  zu  haben,  bis  im  Norden  die  Taube  zu  einem  eigent- 
lichen Nutzvogel  wurde.  In  der  Lex  Saliea  wird  ihrer  vielmehr  als 
eines  Lock-  und  Jagdvogels  gedacht,  in  welcher  Eigenschaft  sie 
schon  Aristoteles  Über  die  Tiere  IX,  8,  4  erwähnt.  Vgl.  L.  S.  VII: 
Si  qui8  turturem  de  trappa  furaverit  oder  si  quis  turturem  de  rete 
alterius,  auf  quamlibet  aviculam  de  quolibet  laqueo  vel  deeipula 
furatus  fuerit  (vgl.  auch  Oppian.  De  aueup.  III,  12).  Die  hierzu  ge- 
hörige Glosse  acfalla,  hac  falla,  haefala  ist  mannigfach  gedeutet 
worden.  Wir  möchten  darin  ahacfalla  ,Taubentallc'  erblicken,  zu  dem 
noch  unerklärten  got.  ahaku  ,Taube'  (vgl.  Uhlcnbeek  Et.  W.)  gehörig. 
Aber  selbst  in  dem  Capitulare  Karls  des  Grossen  de  villis  werden 
Tauben  nur  pro  dignitatis  causa  gehalten.  Vgl.  40:  Ut  umtnquisque 
iudex  per  Villau  nostras  singulare*  etlehas,  pavones,  fanianos,  enecast 
(anates),  columba 8,  perdices,  turtures  pro  dignitatis  causa 
omnimodis  semper  habeant.  In  der  altgermanischen  Poesie  spielen 
die  Tauben  noch  keine  Rolle. 

Wie  im  Westen  eine  wichtige  Entlehuuugsreihe  von  lat.  columba 


Digitized  by  Google 


Taube  —  Tempel. 


Ki5 


ausgeht,  so  eine  solche  im  Osten  von  sert.  kapö'ta-,  npers.  kapütar  : 
npers.  kabüd  ,blau'.  Das  persische  Wort  hat  dann  sein  inlautendes  p 
verloren  (pers.  kautar,  afgh.  keteter,  kurd.  kotir,  vgl.  Horn  Grnndriss 
d.  npers.  Et.  S.  187),  und  in  dieser  Gestalt  kehrt  es  in  Osteuropa  als 
altpr.  keutaris  »Ringeltaube'  wieder.  —  Zum  Schlnss  verweisen  wir 
auf  einige  bei  diesem  Vogel  sonst  seltene  onomatopoietischc  Benennungen 
wie  lat.  turtur,  griech.  Tpuyiuv,  alb.  vito,  ronian.  piccione  u.  a.  —  Eine 
neue  religionsgeschichtliche  Bedeutung  hat  die  Taube  durch  das 
Christentum  erhalten,  da  sie  im  neuen  Testament  als  Symbol  des  heiligen 
Geistes  betrachtet  wird.  Näheres  hierüber  vgl.  bei  V.  Hehn  a.  a.  0.  und 
E.  Hahn  Die  Haustiere  S.  .136  ff.  —  S.  auch  u.  Viehzucht. 

Taufe,  s.  Name,  Nanieugcbung. 

Tausch,  Tauschinittel,      Handel,  Geld. 

Tuuseiidschaft,  s.  Heer. 

Teer,  s.  Fichte. 

Teig,  s.  Brot. 

Teilung,  s.  Erbschaft. 

Teller.  Tcllerartige  Gefässe  sind  schon  in  prähistorischen  An- 
siedelungen Europas,  z.  B.  in  Hallstatt  (Sacken  S.  107),  besonders  aber 
in  verschiedenen  Schichten  des  Burghügcls  von  Hissarlick.  zahlreich 
nachweisbar  (vgl.  Schliemann  Ilios  S.  4ööff.)  und  auch  dem  klassischen 
Altertum  nicht  unbekannt.  Doch  können  sie  noch  nicht  dem  heutigen 
Zwecke,  auf  ihnen  zu  speisen,  gedient  haben.  Von  dem  ganzen  Alter- 
tum und  Mittelalter  gilt  vielmehr  der  homerische  Brauch:  oi  b'  in' 
öveiaö'  Itoiugi  TTpOKeiueva  x€'Pa?  TaXXov.  —  Die  Sitte,  dass  dem  ein- 
zelnen  beim  Mahle  ein  Teller  vorgesetzt  wird,  kommt  in  Europa  erst 
mit  dem  XVI.  Jahrhundert  zu  allgemeiner  Anwendung,  wie  es  scheint, 
von  Italien  eingeführt  (vgl.  Jakob  von  Falke  Aus  alter  und  neuer  Zeit 
S.  60).  Von  Italien  stammt  denn  auch  mhd.  teler  (it.  tagliere  ,An- 
richtcteller^  :  lat.  taliare  »schneiden  ),  das  eine  weite  Verbreitung  auch 
in  Osten  (polu.  talei;  russ.  tarelka,  lit.  toUriux,  torHiux  etc.)  gefunden 
bat.  Altpr.  (auch  lit.  diai.  und  ostpreuss.)  schitee  , Teller'  (aus  nhd. 
scheibeY).  Die  romanischen  Sprachen  bilden  Namen  von  *plattuxf 
*platus  jtiaeh'  (vgl.  Körting  Lat.-rom.  W.  s.  v.;  im  Index  u.  Teller  noch 
anderesj.  —  S.  u.  Gefässe  und  u.  Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 

Tempel.  Von  fast  allen  idg.  Völkern  besitzen  wir  unzweideutige 
Nachrichten,  dass  dieselben  in  der  ältesten  Zeit  noch  keine  von  Menschen- 
hand angefertigten  Gotteshäuser,  Altäre  und  Götterbilder  besassen, 
sondern,  dass  sie  den  Göttern  entweder  auf  Bergesspitzen  ihre 
Opfer  darbrachten,  wie  es  namentlich  von  den  Persern  (Herodot  I,  131) 
und  Griechen  (vgl.  J.  Wackernagel  Über  den  Ursprung  des  Brahma- 
nismus  S.  8  f.)  gemeldet  wird,  oder  dass  sie  das  überirdische  sich 
n  Hainen,  Bäumen  und  Baumstämmen  gegenwärtig  und  verkörpert 
vorstellten.    Von  diesem  letzteren  Punkt,  dem  Baumkultus  der  idg. 


Digitized  by  Google 


K<5 


Tempel. 


Völker,  als  dem  Ausgangspunkt  eigentlichen  Tenipcldienstes  soll  im 
folgendeu  ausführlicher  gehandelt  werden. 

Beginnen  wir  mit  den  litu-sla  visehen  Zeugnissen,  so  liegen  nach 
Miklosich  Die  christl.  Term.  d.  slav.  Spr.  (ÜcnksehrifTteu  der  Wiener 
Ak.  XXIV,  17)  keine  Anhaltspunkte  für  die  Annahme  vor,  dass  die 
ersten  Verkündiger  der  christlichen  Lehre  hei  den  Slaven  dem  Gottes- 
dienst gewidmete  Gebäude  vorgefunden  hätten.  Altslavischc  oder  alt- 
litauische  einh  e  im  i  sc  he  Bezeichnungen  des  Gotteshauses  sind  auch  nicht 
vorhanden.  Umso  mehr  zeigt  sich  die  Verehrung  heiliger  Bäume  und 
Haine  eingewurzelt,  und  noch  Hieronymus  von  Prag  konnte  aus  seiner 
litauischen  Missionsthätigkeit  im  XV.  Jahrhundert  (bei  Aencas  Silvias 
Scr.  rcr.  Pruss.  IV,  239)  berichten:  Mulierum  ingens  numerus  pforans 
atque  eiulans . .  .  sacrum  lucum  succisum  queritur  et  domum  dei 
ademptam,  in  qua  divinam  opem  petere  conmessent,  inde  plurias, 
inde  sole*  obfinuisse,  nescire  tarn,  quo  in  loco  deum  quaerant,  cui  domi- 
cilium  abstulerint.  Einzelne  heilige  Bäume  sind  die  Eiche  (Auinhts), 
die  Birke  (Birzülis >,  der  Hasel  [Luzdona),  der  Kirschbaum  (Kimis), 
der  Ahorn  [Kleirelis),  die  Eberesche  (tizermükszne)  u.  a.  Besondere 
Verehrung  gemessen  zusammengewachsene  Bäume  [Itumbuta.  Romore, 
wovon  ein  hochheiliger  Ort  in  Xadrauen  seinen  Namen  hat).  Es  giebt 
einen  Kichtenmann  f  l*uszditis)  und  zahlreiche  Wald-münner  und  -frauen 
(vgl.  Usener-Solmseu  Götternamen  S.  113).  Wie  in  Dodona  s.  n.), 
glaubt  man  auch  hier  in  dem  Rauschen  der  heiligen  Eichen  die  Zu- 
kunft verkündende  Stimme  der  Götter  zu  vernehmen:  Praee.reUentes 
arbores  ut  robora,  queren*,  deos  inhabitarc  di.re.ru  nt,  e.r  quibus 
seiscitantibus  responsa  reddi  audiebantur,  ob  id  nec  huiuscemodi 
arbores  caedebant,  sed  religiöse  ut  numinum  deos  colebant  (Lasicius 
De  moribus  Lituanorum). 

Die  klassische  Stelle  über  den  Baumkultus  der  Germanen  bietet 
Tacitus  in  der  Germania  Gap.  9:  Ceterum  nec  cohibere  parietibus 
deos,  neque  in  ullam  humani  oris  speciem  adsimulare  ex  magnitudine 
eoelestium  arbitrantur:  lucos  ac  nemora  consecrant,  deorumque, 
noniinibus  adpellant  secretum  illud,  quod  sola  reverentia  vident, 
wobei  nur  das  zu  bemerken  ist,  dass  die  Gründe,  welche  Tacitus  dieser 
Form  der  Gottesverehrung  unterschiebt,  weil  von  einem  religiös  sehr 
fortgeschrittenen  Standpunkt  aus  gedacht,  als  unhistorisch  zu  verwerfen 
sind.  Man  hat  natürlich  deswegen  keine  Tempel  und  Götterbilder, 
weil  man  sie  noch  nicht  kennt,  oder  wenn  man  sie  kennt,  sie  noch 
nicht  herzustellen  im  stände  ist.  Ausdrücklich  werden  von  Tacitus  ein 
castum  nemus  der  Ncrthus  Germ.  Cap.  40,  ein  lucus  Baduhennae 
Ann.  IV,  73  und  eine  silra  I/erculis  sacra  Ann.  II,  12  genannt.  Alles 
weitere  vgl.  bei  .).  Grimm  Deutsche  Mytb.  I3,  57  ff.,  Golthcr  Germ. 
Myth.  S.  51)0  ff.,  Mogk  in  Pauls  Grundriss  III*,  394  ff.  Von  einzelnen 
heiligen  Bäumen  werden  vor  allem  Eichen  genannt,  deren  eine  Boni- 


Digitized  by  Google 


Tempel. 


857 


fatius  bei  Geismar  fällt,  Gut  bezeugt  ist  aber  aueb  ein  heidnisch  ver- 
ehrter Birnbaum  (Grimm  a.  a.  0.  S.  67  in  Auxerre,  obgleich  diese 
Nacbriebt  vielleicht  schon  auf  keltisches  Gebiet  führt. 

Nach  alledem  versteht  man,  warum  in  den  germanischen  Sprachen 
die  Begriffe  Ilain  und  Tempel  vielfach  zusammen  fliessen.  Dies  gilt 
von  der  lleihe  got.  alhs,  agls.  ealh,  alts.  alah  ,  Tempel',  die  dein  altlit. 
elkas  .Hain',  lett.  elks  ,Götzc'  entspricht,  und  mit  der  0.  Hoffmann 
B.  B.  XXV.  106  auch  das  gricch.  dXöo?  (aus  *ctXKjo? '?)  ,Hain',  , heiliger 
Hain  vereinigen  möchte  (vgl.  auch  lit.  alksnis,  altpr.  als-kanke  ,Erle', 
so  dass  an  einen  Erlenhain  zu  denken  wäre?"»,  dies  von  den  bald  mit 
,lneus',  bald  mit  Janum,  delubrum'  glossierten  ahd.  haruc,  agls.  hearh, 
die  Xoreen  l'rgenn.  Lautlehre  S.  229  zusammen  mit  ahn.  hbrgr  ,Stcin- 
bnufen.  Tempel'  aus  lat.  carcer  (.Einfriedigung)  erklären  möchte  (oder 
vgl.  altpr.  karigt!,  Harare  ,ebirboem'.  ,  Eberesche'?),  dies  von  agls. 
hearu  .Hain'  (ahd.  paraicör't  , Priester  ),  das  zu  dem  gemeinslaviseheu 
borü  .Fichte,  Fichtenwald'  gehört,  während  in  dem  gemeingerm.  ahd. 
agls.  wih.  altn.  ve  ein  allgemeinerer  Name  für  das  „Heiligtum"  (got. 
irt'ihs  .heilig )  vorliegt. 

Der  erste  und  letzte  dieser  Ausdrücke  kennen  auch  für  den  späteren 
ans  Holz  oder  Stein  erbauten  Tempel  gebraucht  werden,  dessen  erste 
Spuren  sich  vielleicht  schon  bei  Tacitus  in  dem  templum  der  Tanfana, 
der  nach  Ann.  I.  öl  dem  Erdboden  gleich  gemacht  wird,  finden,  und 
für  den  später  zahlreiche  neue,  von  dem  menschlichen  Wohnhaus 
entlehnte  Bezeichnungen  wie  ahd.  hof,  ahd.  halla,  ml,  petapür,  peta- 
häs.  plOzluU,  ploxiarhux  Opferhaus  ,  got.  gudhi'i»  u.  s.  w.  (Grimm  S.  In) 
geprägt  werden.  Der  Altar  in  demselben  wird  einheimisch  mit  dem- 
selben Wort  wie  der  Tisch  got.  biuds,  agls.  biod,  iceobed  aus  *iriha- 
biuda  ,Teinpeltiseh  )  benannt:  ob  schon  für  die  heiligen  Haine  Altäre 
anzunehmen  sind,  steht,  da  die  altgerinauischen  Opferticre  nicht  wie 
bei  Griechen  und  Körnern  verbrannt  wurden,  dahin  (vgl.  Golther  a.  a.  0. 
S.  W  und  s.  n.  Opfer  .  Über  die  effigks  und  signa,  welche  nach 
Tacitus  Genn.  Gap.  7  (Hist.  IV,  22)  vor  der  Schlacht  aus  den  heiligen 
Hainen  geholt  wurden,  s.  u.  Fahne. 

Darf  ans  einer  Nachricht  wie  der  über  den  Tempel  der  Tanfana 
geschlossen  werden,  dass  die  Anfänge  eines  eigentlichen  Tempelbaus 
bei  den  Germanen  bis  in  die  ersten  nachchristlichen  Jahrhunderte 
zurüekgchn  dagegen  Müllenhoff  Deutsche  A.  K.  IV,  220,  der  auch  hier 
nur  einen  Teiupelbczirk  mit  Einfriedigung  und  Altar  annimmt),  so 
werden  wir  gewiss  nicht  irren,  dieselben,  wie  die  Anfänge  des  Stein- 
haus überhaupt  (s.  u.  Turm),  auf  Anregungen  seitens  der  gallischen 
Nachbarn  zurückzuführen.  Der  gemein  keltische  Name  des  Heilig- 
tums nemeton,  sowohl  allein  wie  in  zahlreichen  Zusammensetzungen, 
bpu  vc'utTOv  ,Erzheiligtum',  Medio-nemeton  , Heiligtum  der  Mitte',  Tasi- 
nemeton  .Heiligtum  des  Gottes  Tasis',  Yernemeton  .fanum  ingens'  etc. 


Digitized  by  Google 


Tempel. 


(vgl.  Diefenbach  Orig.  Europ.,  Holder  Altkeit.  Sprachschatz)  auf» 
beste  bezeugt,  bezeichnete  in  Caesars  Zeit  und  früher  wohl  sicher 
eine  von  Menschenhand  geschaffene  gottesdienstliche  Stätte.  Die  ur- 
sprünglichste Bedeutung  niuss  aber  auch  hier  die  eines  freien  natür- 
lichen Platzes  gewesen  sein,  wie  einerseits  die  Glossierung  des  are- 
morischen  nimed  mit  ,silva',  andererseits  die  etymologischen  Entsprach 
ungen  des  altgnll.  nemeto-n  zeigen.  Ausserbalb  des  keltischen  Rodens 
kehrt  dasselbe  namlieh  regelrecht  lautverschoben  iu  dem  altsächsischen 
ludicnhts  superstitionum  wieder,  wo  de  sacris  silrarum,  quae  nimidas 
vocant  gesprochen  wird;  ausserdem  bietet  die  Sprache  des  Awesta  in 
nemata-  ,Gras'  (npers.  nemed  ,Fil/.,  Teppich')  eine  sich  lautlich  vielleicht 
deckende,  semasiologisch  freilich  scheinbar  gänzlich  fern  liegende  Ent- 
sprechung. Bedenkt  man  jedoch,  dass  die  Perser  nach  Herodot  I,  132 
auf  zartem  Gras,  meistens  Klee,  ihre  Opfergaben  ausbreiteten,  und  dass 
diese  feuerlose  Opferung  wahrscheinlich  als  indogermanisch  (s.  u.  Opfer) 
anzusehen  ist,  so  liegt  es  nahe,  als  idg.  Grundbedeutung  der  ganzen 
Sippe  etwa  ein  , heilige  Waldwiese  zu  Opferzwecken'  anzusetzen. 

Im  übrigen  war  auch  bei  den  Kelten  die  Eiche  dem  höchsten  Gotte 
heilig  (KcXroi  <J€ßouai  juev  Aict,  äiakpa  oe  Atöq  KcXtiköv  üMJnXn.  opus, 
Maximus  Tyrius)  und  von  den  Druiden  berichtet  Plinius  XVI,  249: 
Iam  per  se  roborum  eligunt  lucos  nec  ulla  sacra  sine  eo  fronde 
conßciunt.    S.  auch  u.  Mistel. 

Ein  nicht  minder  eingewurzelter  Baumkultus  lässt  sich  im  Süden 
Europas  belegen.  Es  genügt  in  dieser  Beziehung  auf  die  uralte  Ver- 
ehrung hinzuweisen,  die  in  Griechenland  dem  Dodoneischen  Zeus,  in 
Rom  dem  Capitolinisclien  Jupiter  zu  teil  ward.  Jener  heisst  (pnjovaios 
und  lebt  in  der  Substanz  des  heiligen  Baumes:  arbor  numen  habet, 
wie  es  Silins  Italiens  einmal  ausdrückt.  Seine  Stimme  erschallt  aus 
dem  Kauschen  der  Eiche  (iic  bpuos  uijiikömoio  Od.  XIX,  297  .  Von 
diesem  erzählt  Livius  I,  10:  Spolia  ducis  hostium  cae*i  suspettsa 
. . . .  ferculo  gerem  (Romulus)  in  Capitolium  escendit,  ibique  ea  cum  ad 
quer  cum  pastoribus  s  a  er  am  deposuisset,  simul  cum  dono 
designacit  Iur  is  fines . . . .  haec  fempli  est  origo,  quod  primum  omnium 
Romae  sacratum  est.  Vgl.  auch  Fcstus  ed.  0.  Müller  S. 87 :  Fagutal 
sacellum  fovis,  in  quo  f'uit  fagus  arbor,  quae  Iuris  sacra  habebatur. 
Da  alle  auf  die  antike  Baumvcrehrung  bezüglichen  Nachrichten  in  den 
Schriften  von  0.  Bocttichcr  Über  den  Baumkultus  der  Hellenen  und 
Römer  (Berlin  1856)  und  Overbeck  Das  Kultnsobjckt  bei  den  Griechen 
in  seinen  ältesten  Gestaltungen  (Sitzungsberichte  d.  sächs.  Ges.  d.  W. 
1864  S.  121  tf.)  auf  das  vollständigste  gesammelt  vorliegen,  erübrigt, 
es,  die  Frage  zu  erörtern,  in  wie  fern  in  der  Terminologie  des 
klassischen  Tempels  noch  Spuren  jener  ältesten  Gottesverehrung  er- 
balteu  sind,  wobei  sich  die  Gelegenheit  bieten  wird,  auch  zahlreicher 
sachlicher  Gesichtspunkte  zu  gedenken. 


Digitized  by  Google 


Tempel. 


85!> 


Von  geringerer  Bedeutung  sind  in  dieser  Beziehung  Ausdrücke  wie 
griech.  lepöv  :  Upö?  ,heilig'  und  das  gcmeinitalische  lat.  fdnum  aus 
*fasnum,  umbr.  fesnafe  ,in  templnm',  osk.  ßisno,  fiisnim,  ßsnam  (ob 
:festus,  firiae?),  deren  Grundbedeutung  die  des  oben  genannten  ahd. 
wih  gewesen  ist.  Lat.  templum  (vgl.  contemplari)  scheint  zunächst 
das  Beobachtungsfeld  des  Augurs  am  Himmel  bezeichnet  zu  haben 
(vgl.  Vanicek  Et.  W.  I,  284  und  P.  Kretscbmer  K.  Z.  XXXVI,  266).  Der 
Altar  in  demselben  heisst  griech.  ßwuös  (:  ßaivw),  eigentl.  /Tritt',  lat. 
Ära  (umbr.  asaku  ,apud  aram',  osk.  aasas  ,arac),  eigentl.  ,H  c  i*  d' 
(s.  d.)  und  altare,  altaria  .die  Feuerstellc  auf  der  ara  (noch  uner- 
klärt). 

Als  von  höchster  kulturhistorischer  Wichtigkeit  aber  erweisen  sich 
das  lat.  delubrum  , Heiligtum'  und  das  griech.  vaö?  , Tempel'.  Das 
erstcre,  delubrum,  sc.  lignum  bedeutet,  als  von  lat.  Uber  ,Bast'  abge- 
leitet (so  auch  ßrugmann  Orundriss  1*,  1,  S.  107),  soviel  wie  ein  (zu 
Kultuszweckcn)  abgeschältes  Stück  Holz,  was  Festus  ed.  O.  Müller  S.  73 
mit  den  Worten  erläutert:  Delubrum  dicebant  fustem  delibratum, 
hoc  est  decorticatttm,  quem  venerabantur  pro  deo  (weiteres 
vgl.  bei  Boetticher  a.  a.  0.  8.  220  und  Overbeck  S.  149;.  Es  ergiebt 
sich  also,  dass  im  ältesten  Italien  nicht  nur  der  lebendige,  sondern 
auch  der  abgehauene  und  tote  Baum  Kultobjekt  sein  konnte,  und  es 
lässt  sich  unschwer  zeigen,  dass  dasselbe  auch  bei  allen  übrigen  idg. 
Völkern  der  Fall  war.  In  Indien  entspricht  der  sogenannte  „Opi'er- 
pfosten"  (yü'pa-),  über  den  Ohlenberg  Die  Religion  des  Veda  8.  256 
folgendes  mitteilt:  „Dem  Baumkultus  möchte  ich  es  zurechnen,  wenn 
man  beim  Tieropfer  dem  hölzernen  Pfahl,  an  welchen  das  Opfertier 
gebunden  wurde,  Verehrung  darbrachte;  der  Pfahl  repräsentiert  den 
in  ihm  enthaltenen  Baum  und  somit  ein  göttliches  Wesen.  Schon  beim 
Fällen  des  Baums  kam  —  wenn  auch  nicht  mit  besonderm  Gewicht  — 
die  Rücksicht  auf  das  geschädigte  Leben  zum  Ausdruck:  man  legte, 
wo  man  hinhauen  wollte,  eiuen  Grashalm  unter  mit  dem  Spruch:  „O 
Kraut,  beschütze  ihn",  und  sagte  zur  Axt:  -Axt,  verletzte  ihn  nicht"; 
auf  den  zurückbleibenden  Baumstumpf  goss  man  Opferbntter  mit  dem 
Spruch:  „Herr  des  Waldes,  wachse  mit  hundert  Asten,  mögen  wir  mit 
tausend  Ästen  wachsen".  Der  abgehauene  Pfahl  wurde  dann  gesalbt 
und  mit  einer  aus  Gras  geflochtenen  Binde  umwunden"  u.  s.  w.  Bei 
deu  Germanen  ist  auf  die  altsächsische  Innen  sä  nie  zu  verweiseu, 
von  der  es  Transl.  S.  Alexandr.  Pertz,  Mon.  Genn.  11,676  (vgl.  Mann- 
hardt Wald-  und  Feldkulte  I,  30»)  heisst:  Frondosis  arboribus  fonti- 
busque  venerationem  exhibebant  '.  truneum  quoque  ligni  non  parvae 
magnitudinis  in  alt  um  erectum  sub  diro  colebant,  patria  eum  lingua 
Jrminsul  appellantes,  quod  lat  ine  dicitur  universalis  cu/umna.  Ganz 
ähnliches  berichtet  aber  auch  der  Araber  Ihn  Fozlau  von  den  skandi- 
navisch-russischen Warägern  (vgl.  W.  Thomsen  Ursprung  d.  russ. 


Digitized  by  Google 


860 


Tempel. 


Staats  S.  3Mff.):  ^Sobald  ihre  Schiffe  an  diesen  Ankerplatz  gelangt 
sind,  geht  jeder  von  ihnen  ans  Land,  hat  Brot,  Fleisch,  Zwiebeln, 
Milch  und  berauschende  Getränke  bei  sich,  und  begiebt  sich  zu  einem 
aufgerichteten  hohen  Holz,  das  wie  ein  menschlich  Gesicht  hat 
(ein  schon  jüngerer  Zug,  der  sich  vielleicht  auch  beim  lat.  delubrum 
nachweisen  lässt;  eigentliche  Götterbilder  waren  nach  V:arro  noch  170 
Jahre  nach  Krbauung  Roms  unbekannt)  und  von  kleineren  Statuen 
umgeben  ist.  hinter  welchen  sich  noch  andere  hohe  Hölzer  aufgerichtet 
befinden.  Er  tritt  zu  der  grossen  hölzernen  Figur,  wirft  sich  vor  ihr 
zur  Erde  nieder  und  spricht:  rO  mein  Herr,  ich  bin  aus  fernem  Lande 
gekommen,  Mine  so  und  so  viel  Mädchen  mit  mir  und  von  Zobeln  so 
und  so  viel  Felle".  Dann  bittet  er  um  einen  guten  Käufer  und  legt 
ein  Geschenk  vor  der  Statue  nietler.  Ist  alles  nach  Wunsch  gegangen, 
„nimmt  er  eine  Anzahl  Kinder  und  Schafe,  schlachtet  sie,  giebt  einen 
Teil  des  Fleisches  an  die  Armen,  trägt  den  Rest  vor  jene  grosse 
Statue  und  vor  die  um  sie  herumstehenden  kleinen  und  hängt  die 
Köpfe  der  Rinder  und  Schafe  an  jenes  Holz  auf,  das  in 
der  Erde  aufgerichtet  steht".  Der  Kreis  schliefst  sich,  indem 
wir  nach  dem  Süden  Europas  zurückkehren,  und  auch  in  Griechenland 
(vgl.  Overbeck  S.  Jon,  bald  ein  EuXov  ouk  eiprao-uevov,  bald  ein  ö.fo.\ua 
EuXivov  fiuopqpov,  bald  ein  Trpe'uvov  aünxpu^,  ein  böpu,  eine  o*avi<;  u.  s.  w. 
als  Kultobjekte  wiederfinden.  Sie  sind  sämtlich  a  n  i  k  o  n  i  s  c  h  zu 
denken,  bis  auch  hier  aus  ihnen  allmählich  das  ßpcrctq  (sert.  murta- 
,FigurY)  ,das  Götterbild*  hervorgeht.  So  erweist  sich  neben  dem 
lebendigen  Baum  die  hölzerne  Säule,  deren  mannigfache  idg.  Benen- 
nungen n.  Haus  mitgeteilt  sind,  als  ein  zweifellos  schon  idg.  Knltobjekt. 

Die  bisherigen  Ausführungen  eröffnen  nun  auch  den  richtigen  Weg 
für  das  Verständnis  des  griech.  vaöq  .Tempel',  wie  er  schon  Sprach- 
vergleichung und  Urgeschichte*  S.  402  eingeschlagen  worden  ist, 
freilich  ohne  (ausser  bei  Beloch  Griech.  Geschichte  I,  ll.'J)  Beifall  zu 
finden.  Im  Gegenteil  ist  neuerdings  wieder  K.  Brugmann  Gmndriss 
I*,  1  S.  314  für  die  alte  Erklärung  des  griech.  vaö?  aus  vaiiu  <£vao*-o"a) 
,ich  wohne  (lesb.  vaoo^  aus  *vaa-Fo-)  eingetreten,  und  in  der  That 
dürfte  sich  hiergegen  von  lantgeschichtlichem  Standpunkt  aus  nichts 
entscheidendes  einwenden  lassen.  Anders  in  semasio logischer  Hin- 
sicht. Schon  aus  dem  obigen  ergiebt  sich,  dass  die  Bezeichnungen  des 
Tempels,  welche  denselben  nach  der  Analogie  der  menschlichen 
Wohnung  benennen,  jüngeren  Datums  sind,  und  alle  solche  Ausdrücke 
wie  -Hof",  nSaalu,  „Halle"  n.  s.  w.  (s.  o.)  sind  neben  einander  in 
sakralem  und  profanem  Sinne  gebräuchlich.  Dies  gilt  auch  von  dem 
lat.  aedea,  welches  alleinstehend  nur  in  nicht  misszu verstehendem 
Zusammenhang  für  Tempel  gebraucht  wird,  sonst  aber  ein  sacra  oder 
den  Genetiv  des  betreffenden  Götternaincns  (aedes  Minervae  u.  s.  w.) 
zu  sich  nehmen  inuss.   Anders  das  gemeingriech.  lesb.  vaöoq,  dor.  väöq, 


Digitized  by  Google 


Tempel. 


861 


ion.  vrjös,  att.  V€u0<;,  das  zweifellos  in  die  Urgeschichte  Griechenlands 
zurückgeht,  in  der  es,  wie  nun  genugsam  gezeigt  ist,  noch  keine 
Wohnungen  der  Götter  im  späteren  Sinne  gab,  und  auch  der  Baum 
selbst  weniger  als  Wohuung  des  Gottes,  denn  als  Gott  selbst  aufgefasst 
wurde.  In  historischer  Zeit  aber  bedeutet  das  Wort  niemals  etwas 
anderes  als  Tempel  eines  Gottes  oder  genauer  den  innersten  Kaum 
eines  solchen,  welcher  das  Bild  der  Gottheit  enthielt  tö  äbuTov.  ö 
öT|kö<5). 

Man  wird  daher  für  griech.  vaö?  einen  primitiveren  Bedeutuugsaus- 
gang  als  , Wohnung*  suchen  müssen,  und  dieser  bietet  sich  dar,  wenn 
man  bedenkt,  dass  *ndto-  .Tempel  Laut  für  Laut  dasselbe  wie  idg. 
*nrtio-  (=  sert.  näva-,  ndca,  griech.  -vno  q  in  dem  phäakischen  Eigen- 
namen 'Ex€vn,o<;  neben  seit,  tuh't-,  griech.  vaü?  u.  s.  w.)  ,Schifl"  ist,  und 
dass  die  beiden  Bedeutungen  ,T  e  in  p  e  1'  und  ,S  c  h  i  f  f  sich  ganz 
natürlich  in  einer  Grundbedeutung  ,Baum'  über  den  „Einbanm"  s.  u. 
Schiff,  Schiffahrti  vereinigen  lassen.  Wenn  es  einen  Zeus  e*vbevbpos, 
einen  Aiövutfos  €\bevbpoq,  eine  'EXe'vn.  bevbputq,  eine  "Apieuis  Kebpeöns 
gab,  wenn  der  älteste  Tempel  der  ephesischen  Artemis  sich  im  Stamme 
einer  Ulme  (Trpe'uvuj  evi  irreXens)  befand  u.  s.  w.,  was  liegt  da  näher, 
als  dass  auch  für  vnöq  selbst  von  einer  Grundbedeutung  , Baumstamm' 
auszugehen  sei?  Diese  an  sieh  wahrscheinliche  Kombination  würde 
znr  Gewissheit  erhoben  werden,  wenn  es  gelänge,  für  den  Stamm  *nävo- 
t  hat  säe  blieb  eine  einstige  Bedeutung  .Baumstamm'  nachzuweisen,  und 
wirklieh  scheint  eine  solche  in  dem  offenbar  uralten  Kultnamen  des 
Dodoneischen  Jupiter  Zeus  Ncuo?  vorzuliegen.  Die  schon  im  Altertum 
beliebten  Deutungen  dieses  rätselhaft  gewordenen  Namens  von  vtipös 
.feucht'  oder  von  vaü?  ,SehifT  (vgl.  0.  Gruppe  Griech.  Mylh.  I,  354) 
können  kaum  für  ernst  genommen  werden.  Zeus  Ndios  aber,  als  der 
„im  Baumstämme"  gefasste  (*ndcio-),  wäre  die  vollkommenste  Ent- 
sprechung zu  dem  schon  oben  genannten  Zeus  q>n.YOVcnos  und  bezeichnete 
den  dodoneischen  Gott  in  seiner  altertümlichsten  und  charakteristischsten 
Eigenschaft. 

Derselbe  Mangel  an  Gotteshäusern,  Gottesbildern  und  Altären  wie 
im  ältesten  Europa  tritt  uns  endlich  bei  den  arischen  Iudogermanen 
entgegen.  Hinsichtlich  der  alten  Perser  bezeugt  Herodot  I,  131  aus- 
drücklich, dass  sie  weder  äyäXuaTa,  noch  vnoi,  noch  ßuwoi  besessen 
hätten,  wofür  er  ähnliche  unhistorische  Gründe  wie  Tacitus  hinsichtlich 
der  Germanen  (s.  o.)  anführt.  Ihr  ältester  Opferplatz  war,  wie  wir 
schon  oben  sahen,  eine  Grasstreu,  auf  der  die  vorher  gekochten  Fleiseh- 
stücke  des  Opfertiers  niedergelegt  wurden.  Ebenso  wird  der  altindische 
Kultus  in  seiner  ursprünglichsten  Gestalt  beschaffen  gewesen  sein  (vgl. 
Ohlenberg  a.  a.  0.  S.  341  ff.),  eine  so  grosse  rituelle  Holle  auch  später 
die  im  Kultus  des  Agni  aufgekommene  Schichtung  des  Opferaltars 
spielt.   Hingegen  ist  der  durch  den  oben  erörterten  „Opferpfahlu  oder 


Digitized  by  Google 


«52 


Tempel. 


„Waldesherrnu  als  ursprünglich  vorhanden  erwiesene  Baumkultus  in 
Indien  im  allgemeinen  an  Bedeutung  zurückgetreten.  Vgl.  darüber 
Ohlenberg  a.  a.  0.  S.  255  und  s.  ti.  Waldbäume. 

Noch  aber  bedarf  die  grosse  Wichtigkeit  dieser  Art  der  Gottes- 
verehrung  für  die  alteuropäischen  Verhältnisse  einer  kurzen  Er- 
wäguug.  Wie  ist  es  denkbar,  dass  eine  der  grossen  himmlischen 
Mächte,  ja  der  Vater  Zeus  selbst  in  einem  lebendigen  oder  toten  Baume 
als  gegenwärtig  betrachtet  wurde?  Wir  möchten  glauben,  dass  der 
Ausgangspunkt  des  ganzen  Kultes  auch  hier,  wie  beim  Opfer  (s.  d.), 
nicht  in  der  Verehrung  der  Himmlischen,  sondern  in  dem  älteren 
Stadium  des  Ahnenkultus  und  Seelenglaubens  gesucht  werden  muss. 
Keine  Parallele  liegt  dem  Naturmenschen  näher  als  die  zwischen  dem 
Wachstum  und  Vergeben  des  Menschen  mit  denen  der  Pflanze  und  vor 
allem  des  Baumes  (vgl.  Mannhardt  Wald-  und  Feldkulte  I,  1,  Boettieher 
a.  a.  0.  S.  186i,  und  nichts  wäre  begreiflicher,  als  dass  man  in 
Bäumen  die  Seelen  der  Abgeschiedenen  erblickte  und  ihnen  in  dieser 
Gestalt  Verehrung  darbrachte.  Auch  der  Umstand,  dass  Schlangen 
(vgl.  Boettieher  S.  204)  mit  Vorliebe  als  Wächter  der  heiligen  Bäume 
genannt  werden,  würde  sich  daraus  erklären,  dass  die  Ahnenseelen 
(g.  u.  Ahnenkultus)  gern  in  der  Gestalt  dieser  Tiere  gedacht  werden. 
Der  in  diesem  Rahmen  entstandene  Kultus  könnte  dann  auf  die  spätere 
Stufe  einer  Verehrung  der  Naturmächte  (s.  u.  Religion)  übertrajgen 
worden  sein. 

Doch  bleibt  zu  bedenken,  dass  auch  die  unorganische  Natur,  vor 
allein  rohe  und  unbehauene  Steine,  wenn  auch  nicht  in  gleichem 
Masse  wie  die  Bäume,  so  doch  in  unzweideutiger  Weise  bei  Griechen 
(vgl.  Overbeck  S.  140  ff.  Uber  die  dpToi  Xiöoi),  Germanen  (vgl.  Golther 
a.  a.  O.  S.  604),  Litauern  (vgl.  L'sencr-Solmscn  S.  85  u.  ^lA-mo)  u.  s.  w. 
als  Knltobjekte  verehrt  werden,  wobei  an  irgend  eine  Analogie  mit 
der  menschlichen  Anima  kaum  gedacht  werden  kaun 

Aus  der  breiten  Schicht,  welche  die  Einführung  des  Christentums 
auch  in  sprachlicher  Beziehung  Uber  den  Überresten  des  Heidentums 
ausbreitete,  sei  hier  nur  des  frühesten  Eindringlings,  des  griech.  Kupia- 
xöv  ,Haus  des  Herren'  für  das  ebenfalls  noch  in  christlichem  Sinuc 
gebrauchte  vnö<;  gedacht,  das  durch  die  Vermittlung  des  gotischen, 
also  arianisehen  Glaubens  in  das  Germanische  (ahd.  chirihha,  altndd. 
kirika,  agls.  ciride)  und  durch  dieses  wieder  ins  Slavischc  (altsl.  erüky) 
einwanderte.  Weiteres  über  die  Terminologie  christlicher  Kirchen  und 
Gebäude  vgl.  bei  Räumer  Einwirkung  d.  Christentums  S.  303  ff.,  Mi- 
klosich  a.  a.  O.  S.  17.  Unter  den  vielen  neuen  Gaben,  welche  die 
christlichen  Kirchen  den  Heiden  brachten,  ist  von  nicht  geringer  kultur- 
historischer Bedeutung  das  Asylrecht  (ahd.  fridhof,  alts.  im  Heliand 
frld-hof  ,AsvT),  das  sie  von  den  Tempeln  der  Griechen  und  Römer 
übernahmen,  und  den  Schutzbedürftigen  darboten.    Näheres  hierüber 


Digitized  by  Google 


Tempel  —  TVrebinthaecun. 


H(j.3 


vgl.  bei  K.  Weinhold  Uber  die  deutschen  Fried-  und  Freistätten  Kiel 
1864,  Vermutungen  über  den  Ursprung  des  Asyl  rechts  im  Altertum 
bei  Leist  Altarischcs  Ius  gentium  S.  17  ff.  —  S.  u.  Religion. 
Tenne,  s.  Dreschen. 

Teppich.  Schon  bei  Homer  weiden  unter  der  Bezeichnung  tottti? 
Decken  genaunt,  welche  Uber  Sessel  und  Betten  ausgebreitet  werden. 
Das  Wort  ist,  wie  die  ebenfalls  schon  homerischen  pxibov  (s.  u.  Rose) 
und  ödvbaXov  (s.  u.  Sehn  Ii  e)  wahrscheinlich  eine  Entlehnung  aus 
iranischem  Kultnrkreis,  in  dem  eine  Wurzel  top  =  npers.  täften 
,drehen,  spinnen',  tdfte  ,Taffet',  tefne  ^Spinnengewebe'  etc.  (vgl.  To- 
maschek  Centralas.  Stud.  II,  142,  P.  Horu  Grundriss  S.  83)  vorhanden 
war.  Auch  werden  die  Perser  in  zahlreichen  Zcuguisscn  (gesammelt 
bei  Brissonius  De  regio  Persarum  priueipatu  1595  S.  223  ff.)  ausdrück- 
lich als  diejenigen  bezeichnet,  welche  zuerst  Teppiche  nicht  nur  Aber 
die  Geräte  ausbreiteten,  sondern  auch  an  den  Wänden  der  Wohnungen 
aufhingen.  Im  Gefolge  dieses  Brauches  ist  aus  griech.  Tdirris,  TdttrjTO? 
(daneben  bdm;)  lat.  tapeta  (schon  bei  Ennius),  tapete,  tapetum,  daraus 
wieder  ahd.  teppid  (neben  teppih)  entlehnt  worden. 

Terebinthaceen.  Von  Gewächsen  dieser  Familie  kommen  für 
das  südliche  Europa  in  Betracht:  die  Pistazie  (Pistacia  rem  L.)t 
der  Terpentin  bäum  (f.  terebinthus  L.),  der  Mastixstrauch  {P.  Len- 
tiscus  /,.),  der  Pe  r  r  ü  ck  c  n  bau  m  (Rhus  Cotinus)  und  der  8  um  ach 
(Rhus  Coriaria  LX 

Von  diesen  durch  ihren  grösseren  oder  geringeren  Harzreichtum 
ausgezeichneten  Gewächsen  ist  nur  die  Pistazie  nicht  im  südlichen 
Europa  einheimisch.  Sie  ist  am  Zerafschan,  in  Bactrien  und  Fcrghana 
wildwachsend  gefunden  worden.  Weniger  zuversichtlich  wird  ihr  spon- 
tanes Vorkommen  in  Syrien  behauptet.  Die  Bekanntschaft  der  Grie- 
chen mit  diesem  durch  seine  wohlschmeckenden  Nüsse  ausgezeichneten 
Baum  ist  eine  direkte  Folge  der  Kriegszüge  Alexanders  in  das  Hciniats- 
land  der  Pistazie.  Daher  konnte  schon  Tbeophrast  Hist.  plant.  IV, 
4,  7  Uber  sie  folgendes  berichten:  <pao"i  o'cfvai  xai  T€ppiv6ov,  oi 
b'  öpotov  T€p|iivBiu,  6  t6  ufcv  (püXXov  Kai  tou^  KXwva;  xai  T'äXXa 
fidvTa  ö)utoia  £x€l  T0  Tepuiv9u>,  töv  b£  Kapiröv  bid(popov  öuoiov  fäp 
Tai^  duurbaXat?.  elvat  t«P  K<*i  ^v  BdKTpon  Tf|V  Tc'puivSov  TauTriv  Kai 
KÖpua  cpe'pciv  nXtKa  duufbaXa  u.  s.  w.  Der  heutige  Name  der  Pistazie 
aber  tritt  erst  später  in  Griechenland  auf  und  weist  schon  durch  die 
Unsicherheit  seines  Anlauts  (quirdKiov,  (pindKiov,  ßiördKiov,  mördKiov, 
lat.  psittacium)  auf  fremden  Ursprung  hin,  der  wohl  in  dem  npers. 
pista,  phttan  , Pistazien wald'  (in  Fcrghana  p*ta  , Pistazie')  zu  suchen 
ist.  Vgl.  auch  alb.  frst/k,  altsl.  pistikü  ,Pistazicnnuss'  aus  arabo-pere. 
ftistaq,  knid.  fi/stiq  (aus  mffrdKtov?).  Viel  später  als  die  Kunde  von 
ihm  kam  der  Baum  selbst  nach  Europa,  und  zwar  gleich 
nach  Italien,  worüber  Plinius  XV,  91:  De  pistaeiis  et  ipso  nueum 


Digitized  by  Google 


861 


TerebinthaeetMi  —Testament. 


genere  in  suo  loco  retulimm.  et  haec  autem  idem  Vit  eil  im  in  Italiam 
primus  intulit  eodem  tempore,  ximulque  in  Hixpaniam  Flacvus  Pom- 
peius  eques  liomanm  qui  cum  eo  militabat.  Da  Vitellius  (zur  Zeit 
des  Kaisers  Tiberiiis  i  Legat  in  Syrien  gewesen  war,  wurde  der  Bauin 
also  von  liier  nach  Italien  eingeführt.  Sollte  hebr.  böfnim  >,Gcncs. 
43,  11),  welchem  assyrisch  bufnn  entspricht,  in  der  That  ,lJistnzien' 
bedeuten,  so  würde  sich  der  Haiini  auch  auf  semitischem  Gebiete  als 
sehr  alt  erweisen. 

Der  T  e  r  p  en  t  i  n  b  a  u  m.  dessen  Indigennt  im  südlichen  Kuropa 
(ebenso  wie  dasjenige  des  Mastixstrauches)  durch  Anftiiidung  fossiler 
Formen  in  Südfrankreich  erhärtet  wird,  tritt  bei  den  G riechen  seit 
Xcnophon,  der  T€puiv8ivov  xp»o>a  bei  den  Armeniern  fand  (Anab. 
IV,  4,  13),  unter  dem  Namen  T€p€ßiv6o^  (vgl.  tp€ßivöo<;),  TtpuivGos, 
TpeuiGo^  (vgl.  das  kyprische  Tp€pi6oöq)  auf.  Ob  das  Wort  einheimi- 
schen oder  fremden  Ursprungs  ist,  ist  noch  nicht  ermittelt.  Die 
Körner  haben  ihr  terebinthm  dem  Griechischen  entlehnt,  offenbar, 
weil  erst  auf  den  griechischen  Inselu  der  auch  in  Italien  heimische 
Baum  das  wertvolle  Terpentinöl  zu  liefern  anfing.  Überhaupt  erlangt 
er,  je  mehr  man  nach  Osten  vorwärtsschreitet,  eine  immer  grössere 
Bedeutung.  Die  Perser  werden  sprichwörtlich  als  „Terebintheuesser  ' 
bezeichnet,  und  im  Alten  Testament  sind  Terpeutinbaum  und  Kiche 
heilige  Bäume.  Hinsichtlich  der  übrigen  Terebinthacecn  genüge  die 
Aufzählung  ihrer  im  Griechischen  (teilweis  auch  im  Lateinischen)  an- 
scheinend heimischen  Namen: 

Mastixbaum:  griech.  o"xivo<;  (Hcrodot),  vgl.  alb.  xkind  (Heldreich), 
uaffiix»!  »das  Harz'  —  lat.  lentiscus  (eine  Erklärung  von  uao*Tixn.  und 
UnttHcus  s.  u.  Peitsche).  Gewöhnlich  wird  der  Mastix  auch  unter 
dem  Ausdruck  ^njivn,  (von  ptw  V)  verstanden  (vgl.  Sigismund  Aromata 
S.  20,  Lcwy  Die  sein.  Frcmdw.  S.  42). 

PerrUckenbauni:  griech.  KOKKUf ect  (Theophrast)  —  lat.  cotinus 
(aus  griech.  kötivo?,  das  aber  ,wildcr  Ölbaum'  bedeutet). 

Su  niach:  griech.  poüq  (Solon?,  :  poucrio?  .braunrot  '?)  —  lat. 
rhu*,  rhois,  roritt  (aus  dem  Griechischen,  da  der  Strauch  schon  im 
Altertum  für  die  Gerberei  wichtig  war,  weshalb  er  ngriech.  ßupcrnä  : 
ßupera  hei88t).  Eine  starke  Verbreitung  des  Strauches  namentlich  in 
Sizilien  erfolgte  durch  die  Araber  <  vgl.  it.  sommaco,  ngriech.  öouuöki 
neben  poübi  ,das  aus  den  Blättern  hergestellte  Pulver'  aus  arab. 
sumnuiq). 

Terpeiitiiibauiii,  s.  u.  T  e  r  e  b  i  n  t  h  a  c  e  e  n. 

Testament.  Die  ältesten  Krborduungeu  ergeben  sich,  man  konnte 
sagen,  mit  Naturnotwendigkeit  aus  der  Organisation  der  ältesten  Fanii  lie 
(8.  d.).  Ein  Herausgeben  des  Familieneigentums  aus  dem  Bereich  der 
Familie  erscheint  von  diesem  Standpunkte  ans  undenkbar.  Es  inusste 
daher  in  der  ältesten  Zeit  unmöglich  sein,  nach  freiem  Willen  über 


Digitized  by  Google 


Testament  —  Thon. 


SG5 


sein  Vermögen  zu  verfügen.  Das  wird  auch  durch  die  geschichtliche 
Überlieferung  bestätigt.  In  Attika  wurde  das  Testament  erst  durch 
Solon  eingeführt,  und  auch  jetzt  nur  in  dem  Fall,  dass  keine  legitimen 
Söhne  vorhanden  waren.  Vgl.  Demosth.  in  Lept.  p.  48*:  '0  u*v  ZöXujv 
£8nK€  vö^ov  lit'ivm  boövm  ict  ^auxoö  tu  äv  jiq  ßouXnrai,  läv  |un,  Traibe? 
ujo"i  tvncfioi.  In  Kreta  scheint  noch  zur  Zeit  der  Abfassung  des  Gor- 
tynischen  Rechts  die  Testierfreiheit  unbekannt  gewesen  zu  sein,  Gricch. 
bia9r|Kti  ,Testainent',  eigcntl. , Vertrag'.  In  Rom  gilt  zwar  schon  in  den 
XII  Tafeln  der  Satz:  /.7t  legassit,  ita  jus  esto\  dafür  aber,  dass  in 
vorlitterarischer  Zeit  das  Testament  {testamentum  .Zeugnisablegung', 
testh,  testari,  osk.  trlutaamentud  ,testamento'>  auch  hier  unbekannt 
war,  macht  Fustcl  de  Coulanges  La  cite  antique  13  S.  88  f.  wohl  mit 
Recht  den  sprachlichen  Ausdruck  heres  suus  et  necessnnus  und  Um- 
stände, wie  die  Erschwerung  des  Testierens  durch  die  Öffentlichkeit 
des  Verfahrens  (in  comitiis  calatix)  geltend.  Vgl.  auch  I bering  Geist 
des  römischen  Rechts  I3,  145  ff.  Von  den  Germanen  berichtet  Tacitus 
Germ.  Cap.  20  ausdrücklich:  Heredes  mecessoresque  sui  cuique  liberi, 
et  nulluni  testamentum,  und  es  stimmt  hiermit  überein,  dass 
die  ältesten  fränkischen  Gesetze  von  dem  letzteren  schweigen,  während 
die  Langobarden,  Goten,  Burgundcn,  Angelsachsen,  offenbar  unter 
römischem  Einfluss,  den  Gebrauch  der  Testamente  kennen.  Alte  Aus- 
drücke dafür  sind  langob.  thingare  (:langob.  thinx,  ahd.  dinc  /Volks- 
versammlung', vgl.  oben  die  comitia  calata)  und  agls.  cioyde  {:  got. 
qipan  jSagcn  ).    Vgl.  J.  Grimm  Rechtsaltertümer  S.  482. 

Ob  die  Testierfreiheit  im  Süden  nach  Zerfall  des  Familieneigentums, 
so  zu  sagen,  von  selbst,  oder  durch  auswärtige,  etwa  semitische 
Einflüsse  aufgekommen  sei,  steht  noch  dahin.  Vgl.  Leist  Altarisches 
Jus  civile  II,  171  f.  —  S.  u.  Erbschaft. 

Teufel,  s.  Totenreiche. 

Thal,  s.  Berg. 

Thon.  Der  idg.  Ausdruck  für  die  Arbeit  des  Töpfers  liegt  in 
der  Reihe:  sert.  dih  , bestreichen,  verkitten',  lat.  ßngo,  figulus,  (creta) 
pgularis,  got.  deigan  (digans  ,6o*TpdKivo?').  Einen  allgemeineren  Sinn 
hatte  die  Gleichung  gricch.  nXdiTui  (*irXaT-juj)  =  got.  faipan,  ahd. 
faldan,  ursprünglich  wohl  ,einen  Stoff  durch  Umbiegen  zusammen- 
oder  ineinauderlegen',  dann  im  Griechischen  (vgl.  Blümner  Terminologie 
und  Tcclm.  11,  2)  auf  das  Bilden  und  Formen  in  Thon  oder  anderen 
weichen  Stoffen  beschränkt. 

Eine  besondere  Bezeichnung  für  die  Thonerde,  insofern  sie  als 
Material  zur  Verarbeitung  dient,  wie  gricch.  K€pauo{,  «cpapi;  (:  Kepdwuut 
,mische'),  wird  in  der  Grundsprache  nicht  vorhanden  gewesen  sein. 
Die  Ausdrücke  der  Einzelsprachen  gehen  auf  Grundbedeutungen  wie 
Sumpf,  Kot,  Lehm  etc.  zurück,  oder  es  finden  Verwechslungen  mit 
verschiedenen  uud  zu  verschiedenen  Zwecken  gebrauchten  Erdarten 

Schräder.  Roallexlkon.  55 


Digitized  by  Google 


8<;t; 


Thon  -  Thron. 


statt.  Vgl.  •rricch.  Trn,X6q  ,'fhon'  —  Int.  palus,  sert.  pal rala-  ,Suin|»f ; 
über  griech.  äpf  iXoq  —  lat.  argilla  s.  u.  Ü  U  n  g  u  n  g  (Mergel).  Im 
Lateinischen  können  auch  Wörter  wie  Uttum,  humus,  pulvis  für  Thon- 
erde gebraucht  werden.  Oemeingerm.  ist  das  noch  unerklärte  got. 
pdhö,  ahd.  ddha  ,Thon',  agls.  pö,  altn.  pö  .Lehmhoden'  (*tankdn-; 
oh  mit  Wechsel  von  p  und  f  —  sert.  pdnka-  .Schlamin.  Kot,  Sumpf, 
vgl.  Norecn  L'rgorm.  Lautl.  S.  1(.*TV  .  Über  lit.  mölh  ,Lehm'  und 
,Thon'  s.  u.  Kreide,  über  slav.  glina  s.  u.  Leim.  —  S.  auch  11. 
Gefüsse  und  u.  Töpferscheibe. 

Thor,  Thür.  Der  idg.  Name  dieses  Teiles  des  Nauses  ist  sert. 
dur-  (mit  auffallendem  d  statt  dh),  aw.  drar- ,  altp.  durar-  (die 
neuiranischen  Formen  bei  Horn  Grund  riss  S.  120),  griech.  Güpct,  Int. 
/briw,  altsl.  rfpfrl,  lit.  c/<>r<y«,  got.  «toiir,  altir.  dorn*  'häufig  wegen  der 
beiden  ThUrHügel  im  Dual  oder  Plural  gebraucht:  lat.  forex,  got. 
daüröns,  ahd.  turi,  ebenso  im  Sanskrit).  Litu-slavisch  ist  altsl.  vrata, 
lit.  trat  tat,  altpr.  tearto  :  altsl.  ef/vi  .elaudo'.  Den  Thürpfosten  meint  die 
idg.  Gleichung  sert.  d'tä,  aw.  üiüya-,  lat.  antae  (altn.  Und,  Vorzimmer  ). 

Über  die  Beschaffenheit  der  ältesten  Ilansthürcn  geben  die  Haus- 
urnen  Italiens  und  Deutschlands  gute  Auskunft.  Diese  Thüren  sind 
entweder  einzuhängen  oder  vorzusetzen  und  werden  durch  einen  grossen 
riegelartigen  Stab  verschlossen.  Über  die  SchlicBsvorriehtung  s.  u. 
Schlüssel.  Oft  wird  aber  auch  die  Thür  nicht  wie  bei  den  Haus- 
urnen aus  einem  grossen  Brett,  sondern,  wie  bei  den  Bnrbarenhütten 
der  Marcussäule,  aus  Fl  echt  werk  bestanden  haben,  worauf  auch  die 
gemeingerm.  Sippe  von  got.  haürds  ,6upa',  altn.  hurb  desgl.,  agls.  hyrdel, 
ahd.  hurt  , Hürde'  <:  lat.  erdte*  , Flechtwerk')  führt.  Im  Bairischen  be- 
deutet hurd  noch  heute  eine  aus  Flechtwerk  hergestellte  Wand,  Thür 
und  dergl.  (vgl.  M.  Heyne  Das  deutsehe  Wohnungswesen  S.  15,  30  ff.). 

Das  Eindringen  des  Stein baues  in  die  Konstruktion  der  Tbüre 
und  Thorc  auch  im  Norden  beweisen  die  Entlehnungen  von  ahd. 
pforta,  philäri  (vgl.  agls.  p/7-  aus  lat.  pila),  pforzih  vgl.  agls. portic), 
pfosf  (ndl.  post)  aus  lat.  porta,  pildrium,  porticus,  postin.  Die  lat. 
Ausdrücke  porta,  porticus  selbst  sind  noch  nicht  sicher  erklärt.  Viel- 
leicht hat  R.  Meriugcr  Festgabe  für  Hcinzcl  S.  184  nicht  Un- 
recht, sie  mit  osk.  perca  (au*  *pert-ca),  lat.  pertica  ,Rute'  zu  ver- 
gleichen, so  das«  hier  ein  zweiter  sprachlicher  Beleg  für  die  gefloch- 
tene Thür  anzuerkennen  wäre.  Bemerkt  sei  noch,  dass  auf  der  Marcus- 
Säule  die  Thüren  der  Barbarenhutten  raeist  offen  stehen,  um  zugleich 
als  Lichtöffnung  zu  dienen.  -  S.  u.  Haus. 

Thron.  Der  gewöhnliche  Stuhl  des  Fürsten  verwandelt  sich 
allmählich  und  wohl  nicht  ohne  Nachahmung  orientalischer  Sitten  in 
den  prächtig  geschmückten  T  h  r  o  u  des  Königs  oder  anderer  autori- 
tativer Persönlichkeiten.  Bei  Homer  bezeichnet  Gpövoq  (vgl.  0pnvu? 
, Fussbank',  6pr|0ao"0ai  ,sich  setzen  )  noch  jeden  besseren,  namentlich 


Digitized  by  Google 


Thron  —  Tiger. 


»<>7 


höheren  Stuhl.  Später  wird  es  ganz  vorzugsweise  für  die  Sitzplätze 
der  Götter  und  hervorragender  Menschen  verwendet.  Schon  bei  den 
Tragikern  wird  Gpövoi  (Iv  Gpövoiq  fjo*8ai,  üKt\mpa  Kai  Öpövoi)  ganz  im 
Sinne  von  Königsherrschaft  gebraucht.  Dasselbe  ist  aber  auch  im 
Norden  der  Fall,  wo  z.  B.  der  Bcowulf  die  gleiche  Verwendung  von  brego- 
stöl  [:  agls.  brego  .Fürst  )  kennt  vgl.  weiteres  bei  J.  Grimm  D.-R.  S.  242). 
Noch  nicht  sicher  ist  der  Int.  Ausdruck  selln  cttrüli*  erklärt.  Die  Alten 
leiteten,  was  lautlich  wohl  angebt,  curulix  von  currus  ab,  so  dass  ur- 
sprünglich ein  augenfälliger  Sitz  auf  einem  Wagen  gemeint  gewesen  wäre 
(vgl.  näheres  bei  Monnnsen  Röm.  Gesch.  I7,  147).  Nach  Livius  I,  8  wäre 
Auch  die  sella  cur  Alis  mit  anderen  Insignieu  des  Königtums  von  den 
Etruskem  übernommen  worden.  —  S.  u.  König,  Krone,  Zepter. 

Thymian,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Tiegel,  s.  Gelasse. 

Tierfelle,  s.  Pelzkleider. 

Tiergart««,  s.  Jagd. 

Tieropfer,  s.  Opfer. 

Tierzahne,  s.  Schmuck. 

Tierwelt  der  Urzeit,  s.  Urheimat  der  Indogermanen. 

Tiger.  In  Europa  wurde  der  erste  Tiger  um  das  Jahr  300  v.  Chr. 
in  Athen  geschn.  Der  König  Seleukos  (Nicator)  hatte  ihn  den  Athenern 
zum  Geschenk  gemacht,  wie  die  Verse  des  Phileinon  in  der  Neaera 
besagen : 

UJ(JlT€p  l€\€UK0<;  b€Üp'  ?TT£Uipe  TnV  xitplV, 

fiv  tiboucv  fmei?  (Athen.  XIII,  p.  590). 
Uber  seine  griechisch-römische  Benennung  bemerkt  Varro,  der  erste 
r  ö in  i  s c  b  e  Autor,  der  des  Tigers  erwähnt :  Tigris  qui  est  tit  leo 
varius;  vocabulum  ex  lingua  Armenia;  nam  ibi  et  mgitta  et  quod  vehe- 
mentissimum  flumen  dicitur,  Tigris  (De  lingu.  Lat.  V,  20  p.  102),  nur  dass 
nicht  im  Armenischen,  sondern  im  Iranischen  (aw.  tiyri-,  Tirptv  KotXoööi 
tö  TÖEcuua  o\  Mnboi  etc.,  vgl.  Horn  Grundriss  S.  91)  das  fragliche 
Wort  ,Pfeil'  bedeutet.  Weiteres  Uber  den  Tiger  im  Altertum  vgl. 
bei  0.  Keller  Tiere  des  kl.  A.  S.  129  ff. 

In  Indien  wissen  die  Gesänge  des  Rigveda  noch  nichts  von  dem 
Tiger  zu  erzählen;  sein  Name  [vydghrd-)  begegnet  erst  im  Atharvavcda, 
<1.  h.  in  einem  Zeitraum,  in  welchem  sich  die  indische  Einwandrung 
schon  mehr  dem  Ganges  genähert  haben  muss;  denn  in  den  Rohr- 
und Graswäldern  Bengalens  ist  die  eigentliche  Heimat  des  Tigers. 
Auch  unter  den  Raubtieren  des  Awesta  geschieht  desselben  noch  keine 
Erwähnung.  Die  Landschaft  Hyrkanien,  von  deren  Tigerreichtum  die 
späteren  Schriftsteller  des  Altertums  besonders  viel  erzählen,  heisst 
damals  Vehrkana  , Wolfsland'.  Es  ist  daher  nicht  unwahrscheinlich, 
dass  der  Tiger  erst  in  verhältnismässig  später  Zeit  sich  von  Indien 
her  über  Teile  West-  und  Nordasiens  verbreitet  hat.    Im  Einklang 


Digitized  by  Google 


Tigvr  —  Torf. 


hiermit  hält  H.  Hübschmann  Armen.  Stud.  I,  14  (Armen.  Gr.  I,  242) 
das  armen,  cagr  durch  Vermittlung  des  npers.  babr  (aus  *bagr)  für 
entlehnt  aus  scrt.  vydghrä-. 

Tinte.  Mit  dem  Bekanntwerden  der  römischen  Schreibkunst  im 
Norden  Europas  drangen  auch  mehrere  lateinische  Bezeichnungen  der 
Tinte  (vgl.  über  ihre  Herstellung  im  Altertum  Blümner  Term.  u.  Techn. 

I,  326)  dahin  vor.  So  am  frühsten  ahd.  attarminza  aus  lat.  atra- 
mentum,  später  ndl.  inkt,  westf.  inket,  rheinprov.  inkes,  engl,  ink  aus 
griech.-lat.  encaustum  und  ahd.  tineta  (lit.  tinta)  aus  lat.  tineta,  it. 
sp.  tinta.  Die  einheimischen  Ausdrücke  wie  got.  stcartizl,  ir.  dub, 
ndd.  Mach,  russ.  cernila  etc.  sind  wohl  Übersetzungen  aus  griech.  ueXav 
(Tpaq)iKÖv).  Vgl.  noch  bei  Hesych  äXaßcr  pdXav  tb  Ypo<p<>M€v,  dXdßn  • 
äv9paK€<;.  —  S.  u.  Schreiben  und  Lesen. 

Tisch,  s.  Hausrat. 

Tischgeräte,  s.  Mahlzeiten  und  Trinkgelage. 

Tochter.  Ihr  idg.  Xame  liegt  in  der  Reihe:  scrt.  duhitdr-,  aw. 
duydar-,  armen,  dustr  (ustr  ,Sohn),  griech.  Girfdxrip,  got.  dauhtar, 
lit.  dukte,  altsl.  düsti.  Die  Wurzelbedeutung  des  Wortes  lässt  sieh 
nicht  mehr  ermitteln.  Eingebüsst  wurde  es  von  denselben  Sprachen, 
welche  auch  das  idg.  Wort  für  ,Sohn'  (s.  d.)  verloren  haben,  also 
vom  Italischen  (dafür  lat.  filia),  Keltischen  (ir.  ingen,  inschr.  ini-gena  : 
lat.  gigno,  griech.  dY-YÖvn.  ,Enkclin')  und  Albanesischen  {bil't,  bijt :  bir 
,Sohn .  —  S.  u.  Familie. 

Todesstrafe,  s.  Strafe. 

Tonne,  s.  Fass. 

Topas,  s.  Edelsteine. 

Töpferscheibe.    Ihre  erste  Erwähnung  findet  sich  bei  Homer 

II.  XVIII,  600: 

fcia  ndX'  ib?  öt€  xiq  rpoxöv  dpjicvov  ^v  iraXduntfi 

&öuevo<;  Kepcmeü^  TreipnocTai,  ai  K6  8^n.o*iv. 
Ihre  Erfindung  wurde  verschiedenen  Persönlichkeiten,  dem  Skythen 
Anacharsis,  dem  Korinthier  Hyperbios  u.  a.  zugeschrieben.  Zweifellos 
geht  sie  auf  den  Orient  zurück,  da  wir  auf  ägyptischen  Wandgemälden 
schon  in  sehr  früher  Zeit  die  Töpfer  an  der  Drehscheibe  arbeiten 
finden  (vgl.  Hehn  Kulturpflanzen 0  S.  545,  H.  Blümner  Term.  u.  Techn. 
II,  36  f.).  Ihre  Namen  (griech.  n.  Tpoxö?  :  Tpdxw,  lat.  rota)  bieten 
nichts  von  Interesse.  Sehr  spät  ist  aber  die  Töpferscheibe  in  den 
Norden  Europas  übergegangen,  da  die  Gefässe  der  jüngeren  Stein- 
und  Bronzezeit  sowie  die  der  Hallstattperiode  ohne  Anwendung  der 
Drehscheibe  hergestellt  worden  sind.  Erst  in  der  altgallischen,  vor- 
römischen  La-Tenc-Pcriode  treten  der  Töpferofen  und  die  Töpfer- 
scheibe auf.  Vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  159,  II,  112, 
Hörnes  Urgeschichte  -  S.  47, 146,  152.  —  S.  u.  Gefässe  und  u.  Thon. 
Torf.    Dieses  Brennmaterial  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  nord- 


Digitized  by  Google 


Torf  —  Totenreiche. 


869 


•europäischen  Meeresküsten,  wo  in  altn.  torf,  agls.  turf,  ndl.  turf  (ent- 
lehnt ins  lit.  türfos,  russ.  torfü)  eine  alte  Bezeichnung  für  dasselbe 
vorliegt,  die  im  Althochdeutschen  als  zurba  ,Rasen',  im  Sanskrit  als 
darbhä-  ,GrasbUscher  wiederkehrt.  Von  der  Nordseeküste  wird  es 
schon  durch  Plinius  Hist.  nat.  XVI,  1  gemeldet:  Captttm  manibus  Itttum 
rentis  magig  quam  aole  siccantes  terra  eibos  et  rigentia  aeptentrione 
viscera  sua  urunt.  Nach  der  Orkney ingsaga  hätte  das  Stechen  des 
Tortes  der  Jarl  Einar  gelehrt,  der  sich  im  IX.  Jahrhundert  die  Orkney- 
inseln, auf  denen  es  an  Brennholz,  fehlte,  unterwarf.  Vgl.  auch  das 
Lied  von  Rig  Str.  12  (Gering  Edda  S.  111).  Einheimische  litauische 
Ausdrücke  für  Torf  sind  kupstal  (kiiptttan  :  ahd.  hüfo,  eigentl.  ein  mit 
Gras  Überwachsener  Maulwurfhügel)  und  pelkios.  Letzteres,  im  Singular 
peWef  bedeutet  den  T  o  r  f  b  r  u  e  h  und  scheint  etymologisch  dem  got. 
filigri  , Versteck',  filhan  »verstecken,  begraben,  etwas  (dem  Erdboden) 
anvertrauen'  zu  entsprechen,  Dürfte  man  annehmen,  dass,  wie  auf 
dein  benachbarten  germanischen  Boden  (vgl.  S.  Müller  Nordische  Alter- 
tumskunde vgl.  den  Index  u.  Feld-  und  Moorfundc),  so  auch  bei  den 
Litauern  vor  allem  Moorboden  dazu  benutzt  wurde,  um  in  ihm  aller- 
hand Kostbarkeiten  zu  bergen,  so  dass  der  Torfbruch  geradezu  als 
n Versteck"  bezeichnet  werden  konnte? 

Toteinlsmus,  s.  Volk. 

Tutend ienst,  s.  Ahnenkultns. 

Totenfeste,  s.  Ahnenkultus  und  Zeitteilung. 

Totenrelche.  U.  A  Ii  n  e  n  k  u  1 1  u  s  ist  gezeigt  worden,  dass  man 
sieh  in  der  idg.  Urzeit  die  Seelen  der  Verstorbenen  in  der  Tiefe 
der  Erde  hausend  dachte,  von  wo  sie  zum  Nutzen,  wohl  aber  meist 
zum  Schaden  der  Lebenden  wiederkommen  können.  Es  liegt  in  der 
Natur  der  Sache,  dass  diese  Geister  der  Tiefe  allmählich  wie  die 
Mensehen  selbst  politische  Verbände  bilden,  Uber  die  besondere  Götter 
oder  Göttinnen  als  Könige  oder  Königinnen  herrsehen,  bei  den  Griechen 
"Albris,  bei  den  Skandinaviern  lieh  bei  den  Litauern  Yielona  (Welönis) 
u.  s.  w.  Dabei  ist  zu  bemerken,  dass  jedenfalls  die  beiden  ersten  dieser 
Namen  von  der  Örtlichkeit  des  Totenreiches  ihren  Ausgang  ge- 
nommen haben,  insofern  *d-Ftbä  (woraus  später  "Aibns  wie  veavia^  von 
*veavia  , Jugend')  ursprünglich  nichts  als  ,Ort  der  Unsichtbarkeit',  got. 
hat  ja,  altn.  hei  (später  dann  personifiziert),  agls.  hell,  ahd.  hella  (:  lat. 
celare)  ,Ort  der  Verbergung*  (vgl.  agls.  byrgan  , begraben',  byrgeU, 
altndd.  burgisli  ,sepulerum)  bedeutete. 

Ob  derartige  Totenreiche  schon  für  die  idg.  Urzeit  angesetzt  werden 
dürfen,  steht  dahiu.  Jedenfalls  haben  sich  alle  sprachlichen  Gleichungen, 
wie  griech.  K^pßcpoq  =  sert.  yircara-,  qabdla-  (Beiname  eines  indischen 
Totenhunds),  griech.  Tdptapo?  =  sert.  taldtala-  (später  Name  einer 
bestimmten  Hölle),  griech.  'Epueia^  =  sert.  ttärameyd-  (von  den  Hunden 
der  indischen  Totenwelt  gesagt ;,  griech.  Mivw<;  —  sert.  mdnu-  (vgl. 


Digitized  by  Google 


870 


Totenreiche. 


zuletzt  A.  Weber  Sitzungsb.  d.  kgl.  preuss.  Ak.  d.  VV.  phil.-hist.  Kl. 
XXXVII,  22)  u.  a.,  von  denen  man  früher  auf  das  Besteben  derartiger 
und  zwar  schon  sehr  ausgebildeter  idg.  Toten-  und  Höllenreicbe  ge- 
schlossen bat,  als  hinfällig  erwiesen. 

Als  eine  gemeinsame  Eigentümlichkeit  dieser  bei  den  Einzelvölkern 
allmählich  hervortretenden  chthonischen  Götter  darf  es  betrachtet  werden, 
dass  ihnen  zugleich  der  Schutz  über  die  in  der  Erde  geborgenen  Seelen 
der  Vorfahren  wie  die  Fürsorge  für  die  aus  dem  Schoss  der 
Erde  emporkeimende  Saat  anvertraut  wird.  Dies  gilt  nicht  nur 
von  dem  Süden  Europas  (vgl.  Rohde  Psyche  I*,  204  ff.),  sondern  ebenso 
auch  von  dem  Norden,  wo  z.  B.  bei  den  Litauern  Z'emyna  ,Erdgöttin' 
eine  Segensgottheit  für  Flur  und  Haus  darstellt,  der  zugleich  auch 
beim  Totenfest  geopfert  wird.  Im  Lettischen  entspricht  Semmes  tnate 
, Erdgüttin',  die  auch  als  Beschliesserin  des  Grabes  in  Klageliedern  an- 
gerufen wird.  Auch  dem  oben  genannten  Vielonn  bringt  man  Fladen, 
also  Erträgnisse  des  Ackerbaus,  au  den  Totenfesten  dar.  Vgl.  ferner 
Usener-Solmsen  Götternamen  S.  105  u.  Zemeluks,  Z'emininkas,  Z'fim- 
potfs  etc. 

Bei  den  Griechen  vereinigt  diese  beiden  Eigenschaften  der  Toten-  und 
Fruehtgöttin  in  hervorragender  Weise  die  sagenumwobene  Gestalt  der 
Perseplioneia.  Die  sie  umschlingenden  Mythen  gipfeln  in  den  beiden 
Akten  ihrer  Entführung  in  die  Unterwelt  und  ihrer  Rückkehr  zu  den 
Menschen,  das  kann  in  umgekehrter  Reihenfolge  nur  heissen,  des  Auf- 
spries.scns  und  des  Absterben s  der  Vegetation.  Es  ist  wahr- 
scheinlich, dass  auch  ihr  bis  jetzt  unerklärter  griechischer  Xame  (auf 
Vasen :  TTeppöqxma.  TTeppc'qraTTa,  17€ppe'(pao*o*a,  att.  TTtpto'tpaöffa,  <t>€po*£- 
<pao-o-a  etc.,  lak.  TTn.p€<p6v€ia,  epizeph.  TTnpi<pova,  Pind.  :  <t>epffe<pövrt 
u.  8.  w.,  vgl.  Preller-Robert  Griceh.  Myth.  S.  800  f.)  sich  in  diesem 
Zusammenhange  deuten  lässt. 

Sehr  einleuchtend  hat  W.  Mannhardt  Wald-  und  Feldkultc  II,  328 
den  Namen  der  italischen  Vertreterin  der  griechischen  Persephoneia, 
den  der  am  Soracte  verehrten  Göttin  Ferönia,  Färönia,  Ferönia  (vgl. 
diese  Formen  in  Roschers  Ausf.  Lexikon  d.  Myth.)  als  ,Spel tbringerin' 
(:  lat.  far,  farru,  osk.  far,  nmbr.  farsio  =  got.  barizeins  ,aus  Gerate", 
altsl.  brasino  ,Speisc',  idg.  *bhers-,  *bhors-,  *bhores-,  *bhr#-,  s.  n.)  ge- 
deutet. Dabei  würden  sich  die  Formen  Ferönia  und  Färönia  laut- 
gesetzlich (vgl.  Brugmaun  Grundriss  I*,  2  S.  815)  aus  *Ferrönia  (*bhers-) 
und  *Färrönia  (*bhrs-,  vgl.  auch  lat.  farina)  erklären,  während  für 
J'erönia  eiue  naheliegende  volksetymologische  Anknüpfung  an  Wörter 
wie  feriae,  ferälis  etc.  anzunehmen  wäre. 

Das  Gegenstück  zu  dieser  lat.  Ferönia,  der  ,Spcltbringerin'  oder 
,Speltbringung'  (d.  h.  der  Zeit  des  Aufspriessens  in  der  Natur)  bildet  nun 
d ie  griech.  Persephoneia  ,die  S  p  e  1 1 1  ö  t  c  r i  n'  oder  ,S  p  e  1 1 1  ö  t  u  n  g'  (d.  b.  die 
Zeit  des  Niedergangs  der  Vegetation,  des  regelmässigen  im  Herbst  oder 


Digitized  by  Google 


Totenreiche. 


871 


des  ausserordentlichen  bei  Misswachs  u.  dcrgl.).  Dnss  der  zweite  Teil 
des  griechischen  Wortes  zu  ^Trccpvov,  q>övo<;,  tpoveueu  gehört  und 
,Töterin'  (<pacraa,  s.  auch  u.  Taube)  oder  ,Tötung'  (<poveia,  -<povn) 
bedeutet,  ist  nicht  zu  bezweifeln,  der  erste  Teil  aber  (*<pep<Jo-)  ent- 
spricht genau  der  Mittelstufe  des  Stammes  des  idg.  .Speltnamens 
(*bherx-).  Ja,  derselbe  würde  sich  auch  selbständig  im  Griechischen 
nachweisen  lassen,  wenn  man  das  von  Hesycb  allerdings  ohne  Ethnikon 
überlieferte  «pnpov  *1  tüjv  äpxaiwv  6(ü»v  Tpocpn.  (vgl.  auch  <pr)pis* 
Tpoq)f|  Geuüv  bei  Arkadius)  als  aus  einer  dorischen  Mundart  übernommen 
auffasst  und  aus  *q>€po"o-v  deutet  (vgl.  lak.  TTriptcpövcia,  kret.  Anpd?  : 
Ae'ppa,  ?(per|pa  :  aeol.  &p9€ppa  etc.).  Über  den  Spelt  als  uralte  Haupt- 
speise der  südlichen  Länder  s.  u.  Weizen  und  Spelt.  Die  Ver- 
einigung einer  chthonischen  und  einer  Frühlingsgottheit  darf  endlich 
als  Ausgangspunkt  vielleicht  auch  für  die  altitalische  Gestalt  des  Mars 
angesehn  werden,  namentlich  wenn  die  neuerdings  versuchte  Deutung 
des  Salierliedes  durch  Th.  Birt,  nach  welcher  Mars  zusammen  mit  den 
Laren  angerufen  wird,  ^den  Frühling  nicht  in  die  Unterwelt  hinabsinken 
zu  lassen"  (s.  u.  Dichtkunst,  Dichter),  das  Richtige  trifft.  Eine 
befriedigende  Deutung  hat  dieser  Oöttername  (lat.  Marmor  neben  Afars, 
osk.  Mamers  u.  s.  w.)  leider  noch  nicht  gefunden. 

In  derartigen  Totenreichen  lebten  die  Seelen  der  Dahingeschiedenen 
zunächst  „Jenseits  von  Gut  und  Böse",  und  besondere  Lnstörter  für 
die  Braven  wie  das  griechische  Elysium  (zuerst  Od.  IV,  F>68ff.)  oder 
das  skandinavische  Valhall  (vgl.  Golthcr  Germ.  Mvtli.  S.  47f>)  und  beson- 
dere Straförter  für  die  Schlechten  wie  der  griechische  Tartaros  (vgl. 
auch  Od.  XI,  ö75  ff.)  sind  verhältnismässig  späte  und  nirgends  völlig 
durchgedrungene  Vorstellungen. 

Erst  mit  der  Einführung  des  Christentums  heftete  sich  an  das  alt- 
deutsche hella  der  Begriff  des  kirchlichen  gehenna-^Uvva,  also  des 
Ortes  der  Bestrafung  für  die  sündigen  Gestorbenen.  In  der  slavischeu 
Kirche  wird  dafür,  wohl  in  Nachahmung  des  ahd.  pech,  das  Wort  für 
Pech,  altsl.  plklü  verwendet  (vgl.  auch  ngricch.  mcftjct  und  alb.  pise 
,HölIe';.    Dazu  altpr.  pycuh  ,Teufel'  (oder  zu  lit.  ptktas  ,böse'V). 

Auch  der  Fürst  dieser  christlich-jüdischen  Hölle,  der  Teufel  selbst, 
fand  bei  seinem  Zuge  durch  Europa  überall  auf  dem  Boden  des  Heiden- 
tums erwachsene  und  vielfach  nachweislich  aus  Schaden  stiftenden 
Ahnenseelen  hervorgegangene  Wesensverwandte  vor,  mit  denen  er  ver- 
schmolz, und  mit  deren  Bezeichnungen  er  selbst  benannt  wurde.  Dies 
gilt  von  dem  neutestamcntliehen  bcuuujv,  bcttuöviov,  von  dem  altpr. 
cawx  (vgl.  lit.  kaükas),  von  dem  lit.  icelnias  (vgl.  lit.  icelen),  von  mlat. 
dus liiu.s  gl.  diabolus  (vgl.  altgall.  ditsii),  lauter  Benennungen  des 
Teufels,  Uber  deren  älteste  und  eigentliche  Bedeutung  u.  Ahncnkultus 
gehandelt  worden  ist.  Ein  noch  nicht  (sicher  erklärter  Ausdruck  für 
baimuv,  baiuövtov  ist  got.  sköhsl.    Wird  es  aber  mit  Recht  zu  got. 


Digitized  by  Google 


872 


Totenreiche  —  Traum. 


skiwjan  ,gehen',  ir.  scuchim  id.,  ro  gedieh,  sedig  ,es  ist  vorbei',  ,ist 
vergangen"  gestellt,  so  wird  der  ursprüngliche  Sinn  ,der  Dahingegange', 
,Verstorbcnc'  (vgl.  sert.  preta-  , Gespenst',  von  i  ,gehen',  eigentl.  eben- 
falls ,der  Dahingegangene  )  gewesen  sein.  Im  übrigen  vgl.  die  Ter- 
minologie des  Teufels  und  der  Hölle  bei  J.  Grimm  D.  Myth.  II s,  036  ff. 
761  ff.,  Raumer  Einwirkung  des  Christentums  S.  379  ff.,  414  ff.  und 
Miklosich  Christi.  Termin,  d.  slav.  Spr.  S.  41,  49.  —  S.  n.  Religion, 
Traum  und  n.  Ahnenkultus. 

Totschlag,  s.  Mord. 

Tracht,  s.  Kleidung. 

Trank,  s.  Nahrung. 

Trappe,  s.  Singvögel. 

Tranbe,  s.  Beerenobst  und  Wein. 

Trauerpflicht,  s.  Erbschaft. 

Traum.  In  der  allen  idg.  Sprachen  gemeinsamen  Reihe  sert. 
nvdpna-y  aw.  z'afna-,  armen,  k'uti,  grieeh.  (mvo?,  lat.  »omnus,  ir.  suan, 
alb.  g'ume,  altn.  svef'n,  lit.  säpnas,  altsl.  sitnü  vereinigen  sich  die  Be- 
deutungen ,Schlat"  und  ,Traum*  in  der  Weise,  dass  entweder,  wie  z.  B. 
im  Lateinischen,  nur  die  erstere,  oder,  wie  z.  B.  im  Litauischen,  nur 
die  letztere,  oder,  wie  z.  B.  im  Sanskrit  und  Germanischen  (altn.  svefn 
„Schlaf,  ,Traum  ,  agls.,  alts.  sweban  ,Traum')  alle  beide  herrschen. 
Somnus  und  insomnium  {—  grieeh.  ^vuttviov)  wird  daher  gewiss  schon 
als  idg.  Grundbedeutung  dieser  Sippe  auzusehn  sein.  Dagegen  hat  nur 
die  Bedeutung  .Traum'  oder  ,Traumgesieht'  die  ebenfalls  idg.,  aber 
weniger  verbreitete  Gleichung:  armen,  anurj,  grieeh.  övap,  övcipo^, 
äol.  övoipo?,  kret.  ävaipo?,  alb.  rfc/f>Y.  Ihr  wurzelhafter  »Sinn  ist  noch 
nicht  ermittelt  worden  (unglaublich  Prellwitz  Et.  W.  s.  v.  (map).  Kultur- 
historisch bedeutsamer  ist  daher  das  zwar  vereinzelte,  aber  offenbar 
uralte  ahd.  troum,  das  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  einerseits  zu  aw. 
druj , Gespenst',  sert.  dn'th- , Unhold',  altn.  draugr  (nur  von  Totenerschei- 
nungen gesagt),  ahd.  gitroc  ,Gespenst',  andererseits  zu  altp.  drauga- 
,L0ge',  ahd.  triogan  , trügen'  etc.  gestellt  und  gewöhnlich  als  »Trug- 
bild' gedeutet  wird.  Indessen  hat  W.  Uenzen  Über  die  Träume  in 
der  altn.  Sagalitteratur  Leipzig  1890  S.  11  ff.  gegen  diese  letztere  Auf- 
fassung begründete  Bedenken  geltend  gemacht.  Er  weist  mit  Recht 
darauf  hin,  dass  die  Auffassung  des  Traumes  als  eines  Trugbildes  zwar 
dem  modernen  Bewusstsein  geläufig  sei,  dass  aber  auf  primitiven 
Kulturstufen  die  Traumwelt  keine  Trugwelt,  sondern  vielmehr  eine 
höhere  Wirklichkeit  gewesen  sei.  Dieselbe  Anschauung  vertritt  auch 
E.  Rohde  Psyche  Is,  7  hinsichtlich  der  Hellenen:  ^Dass  die  Traum- 
erlebnisse ^tatsächliche  Vorgänge  sind,  nicht  leere  Einbildungen,  steht 
auch  für  Homer  noch  fest.  Nie  heisst  es  bei  ihm,  wie  doch  oft  bei 
späteren  Dichtern,  dass  der  Träumende  dies  und  jenes  zu  sehen 
„meinte";  was  er  im  Traume  wahrnimmt,  sind  wirkliche  Gestalten, 


Digitized  by  Google 


Traum. 


873 


-der  Götter  selbst  oder  eines  Traumdämons,  die  sie  absenden,  oder 
eines  flüchtigen  „Abbildes"  (Eidolonj,  das  sie  für  den  Augenblick  ent- 
stehen lassen ;  wie  das  Sehen  des  Träumenden  ein  realer  Vorgang  ist, 
so  das,  was  er  sieht,  ein  realer  Gegenstand.  So  ist  es  auch  ein  Wirk- 
liches, was  dem  Träumenden  erscheint  als  Gestalt  eines  jüngst  Ver- 
storbenen" u.  s.  w.  Unter  diesen  Umstünden  ist  es  viel  wahrschein- 
licher, mit  Henzen  ahd.  troum  semasiologisch  nicht  als  .Trugbild' 
(von  triogan'),  sondern  als  , Toten-  oder  Gespenstertraumerscheinung' 
(von  altn.  draugr,  agls.  dreag  ,larva  mortui',  *draug-ma-)  aufzufassen. 

Derartige  Seelen wesen  und  Traumerscheinungen  werden  nun,  als 
übersinnlichen  Sphären  angehörig,  überall  gern  als  Schicksal-,  meistens 
Unglückverkündend  angesehn.  Am  durchsichtigsten  sind  in  dieser  Be- 
ziehung die  altnordischen  Gestalten  der  Fylgja,  deren  Identität  mit 
der  menschlichen  Seele  aus  dem  statt  ihrer  gebrauchten  Ausdruck 
hugr  (Uenzen  S.  v56)  hervorgeht.  Sie  heissen  ,Folgcriuncn',  weil  sie 
dem  Menschen,  wie  im  Griechischen  die  Psyche,  als  sein  zweites  Ich, 
als  sein  cTbujAov  folgen  (Rohde  S.  (>).  Sie  erscheinen  dem  Träumenden 
als  Tiere,  und  wem  sie  erscheinen,  verkündigen  sie  sicheren  Untergang. 
Auf  griechischem  Hoden  ist  u.  Körperteile  (am  Schluss)  auf  die  Kn.peq 
als  ähnliehe.  Schieksalvcrkündende,  allerdings  ohne  direkten  Zusammen- 
hang mit  dem  Traum  gedachte  Seelenwesen  hingewiesen  worden.  In 
ein  neues  Lieht  scheint  aber  in  diesem  Zusammenhang  auch  die  nord- 
europäisohe  Gruppe  von  ahd.  mara,  mhd.  mar,  altn.  mara,  agls.  mxere, 
mare  .Mahr',  altsl.  mora  .Hexe,  Alp,  Trud',  ir.  mor[r\igain  gl.  lamia 
, Alpkönigin  zu  rücken.  U.  Ahnenkultus  sind  diese  Wörter  zu  der 
idg.  Wurzel  mer  .sterben'  gestellt  und  als  , Toter'  oder  ,Tote'  (, Toten- 
Erscheinung')  gedeutet  worden.  Ansprechender  aber  dürfte  sein,  sowohl 
in  sprachlicher  wie  in  sachlicher  Beziehung,  ihre  Verknüpfung  mit 
grieeh.  uöpoq  .Schicksal',  besonders  .unglückliches  Geschick',  auch 
persönlich  in  Möpoq  <s.  u.  i  gedacht,  und  mit  uoipa  (*morja-,  vgl.  agls. 
mare),  deren  ursprünglichster  Sinn  das  einein  jeden  einzelnen  Menschen 
beigegebene  Schicksal  (dann  auch  Moipct  als  Schicksals-  oder  Unglücks- 
göttin)  ist.  Da  ixöpoq  und  poipa  zu  Meipouai  .erhalte  Anteil'  (eTuaprai, 
W.  smerjmcr)  gehören,  so  würde  der  ursprüngliche  Sinn  des  idg. 
(x)moro-,  (s)mord  das  jedem  Menschen  .beigegebene'  (wie  oben  ihm 
.»folgende')  andere  Ich,  sein  eibwXov,  seine  Psyche  sein,  und  diese 
Wesen  hätten  sich  im  Norden  mehr  zu  Druckgcistern,  im  Süden 
aber  mehr  zu  Schicksalsgöttcrn  oder  -Göttinnen  entwickelt.  Die  enge 
Verbindung  aber  zwischen  Möpoq  und  Kn.p  mit  Begriffen  wie  Tod, 
Schlaf,  Traum  ist  im  Mythus  in  den  Worten  der  Theogonie  (v.  211  f.) 
festgehalten  worden : 

NuE  b*  £t€kc  o*Tirf€pöv  i€  Möpov  Kai  Kripa  nc'Xcuvav 
Kai  Gdvarov,  tc'kc  b  "Yttvov,  £tikt€  be  qpöXov  'Ovcipuuv. 

Wie  in  diesem  Anschauungskreise  die  Wurzeln  der  auch  bei  den 


Digitized  by  Google 


874 


Traum  —  Turm. 


idg.  Völkern  uralten  Trau  mdeuterei  und  des  Trauraorake  ls  liegen, 
braucht  nicht  weiter  verfolgt  zu  werden.  —  S.  u.  Abuenkultns, 
Religion,  T  o  t  e  n  r  e  i  c  h  e. 

Treber,  s.  Hier. 

Treue  eheliche,  s.  Ehebruch. 

Tribut,  s.  Abgaben. 

Trichter,  s.  Wein. 

Trinkgelage,  Trunksucht,  s.  Mahlzeiten  und  Trink  - 
g  e  I  a  g  <•. 

Triukhörner,  s.  H  orn. 
Trog,  h.  Fuss. 

Trommel,  Trompete,  s.  Musikalische  Instrumente. 

Trüffel  ( Tuber  ctbarium  Gibth.).  Die  Pflanze  wird  als  natur- 
gcschichtliche  Merkwürdigkeit  und  wegen  ihres  feinen  Geschmacks 
schon  im  Altertum  von  Thcophrast  an  viel  genannt  <  vgl.  Lenz  Botanik. 
S.  7(>f>).  Ihre  Namen,  gricch.  olbvov  neben  dem  dunklen  u6vov>  : 
oibduu  und  tüber  :  tumeo  bedeuten  »Schwellung.  Aus  tüber  stammen 
wahrscheinlich  sp.  trufa,  frz.  trtiffe,  aus  terrae  tüber  wahrscheinlich 
it.  tartufo  etc.  'vgl.  Körting  Lat.-rom.  W.  S.  740'),  das  in  neuerer 
Zeit  dadurch  eine  äusserst  wichtige  Kulturmission  übernommen  hat, 
dass  mit  ihm  die  von  Amerika  eingeführte  Kartoffel  (vgl.  Kluge 
Et.  W.';  ».  v.)  benannt  wurde. 

Truhe,  s.  Kiste. 

Tünchen,  s.  Kalk. 

Türkis,  s.  Edelsteine. 

Turm.  Fast  durch  ganz  Europa  zieht  sieh  für  diesen  Begriff 
eine  übereinstimmende  Benennung:  gricch.  TÜpffi?,  Tuppi«;  (Pind.),  lat. 
turri«,  gcmcinkelt.  *turi-,  *turet-  (ir.  tuir,  turid),  agls.  torr  (neben 
ntypel  :  steap  ,hoeh'i,  ahd.  turri,  furra,  ndid.  turn,  türm;  vgl.  auch 
linn.  torni.  Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dnss,  wie  auf  allen 
Gebieten  des  Steinbans,  auch  hier  eine  grosse  Entlehnungsreihe  vor- 
liegt: das  lateinische  Wort  stammt  aus  dem  Griechischen  (woher  aber 
Tüpcris?),  die  germanischen  sind  zeitlich  verschiedene  Entlehnungen  aus 
dem  Lateinischen,  resp.  Romanischen,  wobei  die  tnhd.  Formen  türm, 
turn  vielleicht  auf  Beeinflussung  durch  das  gcmeinsl.  altsl.  tremü  aus 
griech.  T^pcuvov  beruliu.  Unsicher  ist  noch  das  Verhältnis  der  kel- 
tischen zu  den  lat.  Wörtern.  Schon  vor  der  Wirkung  des  römischen 
Einflusses  scheinen  aber  die  Germanen,  worauf  got.  keJikn  ,Ttupxo?', 
,dvü)Taiov'  aus  altgall.  celicnon  (inschriftl.),  das  etymologisch  zu  griech. 
KoX-ujvri<;,  lat.  col-umna  gehören  wird,  hinweist,  eine  Art  Turmbau  von 
Gallien  her  kenneu  gelernt  zu  haben.  So  wird  denn  auch  schon  von 
Tacitus  Hist.  IV,  (>f>  berichtet,  dass  die  Seherin  Veleda  (vgl.  ir.  fili, 
Gen.  filed,  *relet-  ,Seher,  Dichter  )  im  Bruktercrland  in  einem  hohen 
Turm  (edita  in  turri)  ihre  Weissagungen  erteilt  habe.     Über  die 


i 


Digitized  by  Google 


Turm  —  Ungeziefer. 


875 


*  frühesten  mittelalterlichen  Türme  vgl.  M.  Heyne  Das  deutsche  Woh- 
nungswesen S.  133  ft'.,  über  griech.  nup^o?  s.  u.  Stadt  (Burg).  —  S. 
auch  u.  Mauer  und  Stein  hau. 


U. 

Uhr,  ».  Stunde. 

Ulme.  Dieser  europäische  Waldbaum  ist  in  den  nordeuropäisehen 
Sprachen  und  im  Latein  übereinstimmend  benannt:  lat.  ulmus,  ir.  lern, 
leamh,  kymr.  llwyf,  ahd.  elm-boum,  altn.  dlmr,  russ  ilemü  (*el-,  *ol-, 
*/-).  Nicht  sicher  ist  die  von  Bugge  K.  Z.  XXX11,  39  empfohlene 
Gleichung:  griech.  nreXect  —  armen,  t  eli  ,Ulme'  (lat.  tilia  ,Linde'?). 
Vgl.  noch  gemeinst.  *berstü,  altsl.  bri-rtü  (auch  , Birke')  und  lit.  tcinkszna, 
poln.  wiqz,  altpr.  teimino.  —  S.  u.  Wald,  Wald  bäume. 

Unehelich,  s.  Ehelich  und  unehelich. 

Unfreiheit,  s.  Stände. 

Ungesäuertes  Brot,  s.  Brot. 

Ungeziefer.  Bei  den  primitiven  Wohnnngsverhältnissen  der  idg. 
Urzeit  (s.  u.  Unterirdische  Wohnungen  und  u.  Haus)  musste  die 
durch  das  Ungeziefer  veranlasste  Not,  besonders  im  Winter,  eine  grosse 
sein.  Thatsächlich  treten  auch  in  den  idg.  Sprachen  einzelne  Arten 
desselben  frühzeitig  hervor.  Weit  verbreitet  ist  zunächst  ein  Wort, 
welches  das  Ei  der  Laus  bezeichnet:  griech.  kovi^,  kovio-o?,  agls. 
Anita,  mhd.  niz,  alb.  ihni\  wahrscheinlich  ist  hierher  auch  das  litu- 
slavischc  *gnindd  (lit.  glinda,  poln.  gnida  etc.)  und  vielleicht  auch 
das  lat.  lens,  lendi*  (etwa  aus  *cnend-,  *nend-  und  mit  Dissimilation 
*lend-)  zu  stellen.  Zwei  weitere  Gleichungen  in  der  Terminologie  des 
Tieres  sind  ahd.  Iiis  etc.  =  urkelt.  *loceft-  (altkymr.  leu-eseticc  ,von 
L.  zerfressen',  nkymr.  Heuen,  korn.  loicen,  bret.  Ionen,  während  im 
Irisehen  das  Tier  etaig,  eigentl.  ,Kleidertier'  heisst)  und  npers.  rffle 
=  sert.  likshd'  ,Lauseei'.  Vgl.  noch  die  einzelsprachlichen  griech. 
<p6eip  (:<pÖ€ipujV'),  lat.  pedis,  pfdieuht*,  alb.  mor,  altsl.  vtUl  (daraus 
altpr.  buscher  in  Nesselmanns  Thesaurus  Nachtr.;  urverwandt  mit  lit. 
utis  ,Laus*V). 

Auch  in  den  Benennungen  des  Flohs  zeigen  sich  weitgehende  Zu- 
sammenhänge. Auf  eine  Grundform  *blusd  führen  armen,  ta,  afghan. 
vruia  (uriran.  *bruM),  lit.  bin  sä,  altsl.  blücha  zurück.  Aus  dieser 
ist  durch  Mctathcsis  des  *  und  l  *bsuld  =  griech.  ipuXXa  {*bsulja) 
entstanden  (vgl.  J.  Schmidt  Sonantentheorie  S.  29');  aber  auch  alb. 
pl'ext  faus  *pleuxt)  und  lat.  püle.r  (*psül-ejr;  der  Anlaut  ps  ist  in 
echt  lateinischen  Wörtern  unbekannt)  wird  man  nur  ungern  hiervon 
trennen,  obgleich  die  ratio  des  Zusammenhangs  noch  nicht  klar  ist. 


Digitized  by  Google 


876  Ungeziefer  —  Unterirdische  Wohnungen.  , 

Hingegen  wird  ahd.  flöh,  agls.  fleah  wohl  von  den  bisher  genannten 
Wörtern  zu  sondern  und  zu  ahd.  fliohan,  got.  pliuhan  („der  flüchtige") 
zu  stellen  sein.  Zweifelhaft:  ir.  dergnaf  ,Floh'  =  griech.  o*ep<pos 
,Iusekt'  (Znpitza  B.  B.  XXV,  100). 

Ganz  auseinandergehend  und  meist  dunkel  sind  hingegeu  die  Naineu 
der  Wanze:  griech.  xopi«;,  lat.  cime.v  \ all),  k'imk),  ahd.  tcantlüs  (wie 
cech.  stenice,  all),  stenitxe  , Wanze':  xtena  Wand  und  alb.  K0ei  ,  Wanze': 
K0€?  ,Maucr),  lit.  bläke  (vgl.  lat.  blatta,  s.  u.  Purpur?),  russ.  klopü. 
Rätselhafte  keltische  Namen  für  ptilex  und  eimex  vgl.  hei  Zeus«  Gr. 
Celt.*  S.  1076. 

Unglflckstagc,  s.  Woche. 

Unnatürliche  Laster,  s.  Knabenliebe. 

Unsterblichkeit,  s.  Ahnenkultus,  Toteureiche. 

Unterirdische  Wohnungen.  Nachrichten  über  in  den  Erdboden 
eingegrabene  Wohnungen  und  Vorratskammern  sind  hinsichtlich  zahl- 
reicher idg.  Völker  Vorderasiens  und  Kuropas  überliefert.  Vgl.  Vitruv. 
De  arch'itcet.  II,  1,0  hinsichtlich  der  Phryger:  Phryges  vero,  qui 
campest  ribus  loci*  sunt  habitantes,  propter  iuopiam  silrarum  egentes 
materia  eligunt  tnmulos  naturales  eosque  medios  fosxura  distinentes 
et  itinera  perfodientes  dilafant  spatia  qnantum  natura  loci  patitur. 
insuper  autem  xtipitex  int  er  se  religantes  mefas  efficiunt,  quas  ha- 
rundinibus  et  sarmentis  tegente*  e.raggerant  xupra  habUationes  e 
terra  maximos  grumos.  ita  hie  nies  calidi.ssimax,  aextatex  frigid  issi- 
mos  efficiunt  tectorum  rationes,  Xenoph.  Anab.  IV,  5,  2f>  hinsichtlich 
der  Armenier:  ai  b'  ohciai  ifaav  Karäfeioi,  tö  ü€v  o"röua  ujffrcep 
<ppeaToq,  kqtuü  b  eüpeiar  a't  be  €io*oboi  joxc,  uev  ÜTro£irpoi£  öpuKTai, 
o\  be  ävSpumoi  Kaießaivov  im  KXinaxo«;-  iv  be  Tai?  otKtai?  n.aav  alre?, 
ole«;,  ßöeq,  öpviöeq,  Kai  id  eioföva  toutujv  Tä  be  KTn.vn.  Trävxa  x«Xüj  evbov 
erpe'cpovTO,  Tacitus  Germ.  Cap.  16  hinsichtlich  der  Germanen:  Soltnt 
et  subt erraneo8  specus  aperire  eosque  multo  insuper  fhno  onerant, 
subfugium  hiemix  et  reeept  acutum  frugibux,  quia  rigorem  frigorum 
eiux  modi  locis  molliunt,  et  si  quando  hostis  advenit,  aperta  popu- 
latur,  abdita  autem  et  defosxa  aut  ignorantur  auf  eo  ipso  fallunt 
quod  quaerenda  sunt,  dazu  Plinius  Hist.  nat.  XIX,  8:  In  Gemtania 
autem  defossae  atque  sub  terra  id  opus  (texendi)  agunt.  Das 
Winterleben  der  Skythen  schildert  in  idyllischer  Weise  Vergil  Georg. 
III,  376  ff.: 

Ipsi  in  defossis  speeubus  secura  sub  alta 

otia  agunt  terra,  congestaque  robora  totasque 

adrolvere  focis  ulmos  ignique  dedere. 

Jlic  noctem  ludo  dueunt  et  pocula  laeti 

fermento  atque  acidis  imitantur  vitea  sorbis, 
was  mit  prosaischen  Worten  Mela  II,  1,  10:  ...  ob  saeva  hiemis  ad- 
modum  assiduae,  demersis  in  humum  xedibus,  specus  aut  mffossa 


Digitized  by  Google 


Unterirdische  Wohnungen. 


877 


(Sarthae)  hahitant  bestätigt.  Vgl.  dazu  auch  Strabo  V,  p.  244:  "E<popo<; 
be  to?<;  Kiuuepiois  TTpocJo»K6iüJV  q>ntft  aÜToüq  iv  Kaia-fcion;  oi>dai<; 
oiK€iv,  &s  KaXoöai  dpYtXXa?.  Aber  nueli  im  G riech i scheu  waren 
noch  Namen  fllr  solche  unterirdische  Wohnungen  YVTTai,  fimäpia, 
(pujXeoi,  TpujfXai.  annXaiaj  und  Nachrichten  über  dieselben  vorhanden 
(vgl.  J.  v.  Müller,  Privataltertümer 8  S.  8). 

Für  das  hohe  Alter  derartiger  Siedeluugen  auf  idg.  Hoden  spricht 
auch  der  Umstand,  dass  mehrfach  Benennuugen  des  Hauses  aus  Wör- 
tern für  Graben  oder  Grube  hervorgegangen  sind.  Wie  der  eigent- 
liche ahd.  Name  für  die  unterirdische  Wohnung  tunc  (noch  in  neuerer 
Zeit  heissen  so  kcllerartige  Weberwerkstätten  in  Süddeutschland;  da- 
neben hoch-  und  ndd.  screuna,  »creona  ,hypogaenm  textrinum  gynae- 
cenm',  fr/.,  escrene.  icraigne,  vgl.  M.  Heyne  D.  deutsehe  Wohnungs- 
wesen S.  46,  Müllenhoff  Deutsche  A.-K.  IV,  290)  zu  griech.  Taqpos 
,Grab' ,  TÖt<ppo<;  , Graben' ,  Qämm  , begrabe'  (s.  u.  Ucstattu  n  g) 
gehört  und  nichts  mit  ahd.  tunga  .stercoratio'  zu  thun  hat ,  so 
stellt  sich  die  germanische  Sippe  von  ahn.  Kofi  , Hütte',  agls.  co/'a 
,Gemach',  mhd.  kobe  ,Stall',  ,Kofen',  ahd.  chubisi  , Hütte'  (*kufa-, 
*kuba-)1  wie  Sprachvergl.  und  Urgesch.8  S.  493  gezeigt  ist  (ebenso 
jetzt  P.  Krctschmcr  a.  u.  a.  0.),  etymologisch  zu  dem  schon  oben  ge- 
nannten griech.  rwra  ,n  Kaxd  yh>  otKncrt^',  jKaXiißr)',  ,6aXdMn'  (altsl. 
Zupüte  ,cumulus',  ,sepulcrum'?).  Auf  die  Bedeutung  der  altgermani- 
schen  Wörter,  die  charakteristischer  Weise  (s.  oben  über  die  Armenier 
und  u.  Stall  und  Scheune)  zugleich  auch  Unterkunftsörter  für  das 
Vieh  bezeichnen,  als  Ausdrücke  für  die  menschliche  Wohnung  weisen 
auch  agls.  cofgodu,  cofgodax  ,penates,  lares',  mhd.  kobolt  , Kobold* 
(aus  *kuba-walda-),  Bezeichnungen  für  die  im  Hause  waltenden  Dä- 
monen, hin.  Desgleichen  ist  der  iranische  Name  des  Hauses  npers. 
ked,  Pamird.  ket,  ctd  (auch  in  die  finnischen  Sprachen  entlehnt:  finn. 
kota,  estn.  koda,  mordv.  kud)  aus  aw.  kata-  »Graben,  Grabstätte'  her- 
vorgegangen, und  auch  sert.  gt'hd-  ,Haus  wird  am  besten  und  nächsten 
zu  aw.  gereda-  , Höhle,  Grube'  gestellt  (vgl.  dazu  P.  Kretschmer  An- 
zeiger f.  deutsches  Altert.  XXV,  38ti). 

Endlich  lassen  sich  auch  prähistorische  Spuren  solcher  unter- 
irdischen Behausungen  in  Europa  nachweisen,  und  zwar  in  den  so- 
genannten Mardcllen  oder  Trichtergruben,  die  in  Deutschland,  na- 
mentlich in  Süd-Baiern,  Frankreich,  England,  der  Schweiz  und  sonst  zu 
Tage  getreten  sind  (vgl.  Wackernagel  in  Haupts  Z.  VII,  132,  F.  S. 
Hartmann  Z.  f.  Ethnologie  1881  XIII,  237  ff.  und  M.  Much  Über  prä- 
historische Bauart  und  Ornamentierung  der  menschlichen  Wohnungen 
in  den  Mittl.  der  Wiener  antbrop.  Ges.  VII,  318  ff.).  Es  sind  kessel- 
artige Ausbuchtungen  mit  einer  Tiefe  von  2—4  und  eiuem  Durch- 
messer von.  11—15  Meter,  die  als  Unterbau  menschlicher  Wohnungen 
dienten,  und  über  denen  man  sich  wahrscheinlich  noch  eine  rundliche 


Digitized  by  Google 


«78 


Unterirdische  Wohnungen  — 


Urheimat  der  Jndogernmnen. 


Hütte  aus  Reisig  und  Lehm  zu  denken  hat.  Von  besonderem  Interesse 
sind  die  innerhalb  der  sogenannten  Türkenschanze  bei  Lengyel  (Ungarn) 
von  M.  Wosinsky  und  dem  Grafen  Alex.  Apponyi  gefundenen  unter- 
irdischen, in  den  festen  Löss  eingegrabenen  Wohnungen,  in  sofern  die 
daneben  liegenden  Gräber  mit  Heigaben  der  Skelette  aus  Thon- 
gefässen,  Steinwerkzeugen  und  kupfernen  Halsperlen  eine  annähernde 
Bestimmung  der  Zeit  (Ausgang  der  Steinzeit)  gestatten.  Auf  dem 
Grunde  der  Höhlungen  selbst  fanden  sich  Reste  von  Thongeschirren, 
Webergewichten  und  Überbleibsel  der  Herde.  Über  das  Fortleben 
solcher  unterirdischer  Wohnungen  in  Teilen  des  neueren  Europa  vgl. 
V.  Hehn  Kulturpflanzen  und  Haustiere  r>  S.  517  f.  —  S.  u.  Haus. 

Unterkleid,  s.  Kleidung. 

Unterricht,  s.  Erzieh  u  n  g. 

Unterwelt,  s.  T  o  t  e  n  r  e  i  c  h  e. 

Unthaten,  s.  Verbrechen. 

Unzucht,  s.  Beischläferin,  Ehebruch,  Keuschheit, 
K  n  a  b  e  n  I  i  c  b  e,  Notzucht. 

Ureinwohner  Europas,  s.  Hebamme  (C ouvade),  Körper- 
besch  äffen  h  eit,  M  u  1 1  e r  r  e  ch  t,  Urheimat. 

Urheimat  der  Indogerinanen.  Die  Geschichte  dieses  Problems 
bis  zum  Jahre  1889  ist  in  des  Vf. 's  Buch  Sprachvergleichung  und  Ur- 
geschichte* Jena  1890  S.  1—23,  111—148  dargestellt  worden.  Seit- 
dem ist  die  Frage  von  den  verschiedensten  Seiten,  von  Sprach-  und 
Geschichtsforschern,  von  Anthropologen  und  Geographen,  deren  Ar- 
beiten, soweit  sie  die  Frage  als  Ganzes  behandeln,  am  Schlnss  dieses 
Artikels  znsammengefasst  oder,  soweit  sie  einzelne  Teile  derselben  be- 
treffen, in  demselben  namhaft  gemacht  werden  sollen,  aufs  neue  er- 
örtert worden.  Und  so  sehr  die  meisten  dieser  Forscher  für  den 
oberflächlichen  Blick  auch  jetzt  noch  in  ihren  Methoden  und  Ergeb- 
nissen auseinander  zu  gehen  scheinen,  lässt  sich,  wie  wir  glauben, 
doch  bei  näherer  Betrachtung  nicht  verkennen,  dass  sich  allmählich 
eine  Einigung  vorbereitet,  und  zwar  eine  solche,  die  sich  in  der 
Richtung  auf  das  in  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  2  S.  (>15— 640 
erzielte  Resultat  bewegt,  nach  dem  die  ältest  erreichbaren  Wohn- 
sitze der  Indogerinanen  an  der  Grenze  Asiens  und  Europas, 
in  dem  Steppengebiet  des  südlichen  Russland  zu  suchen 
seien. 

Jeder  Versuch,  die  Urheimat  der  Indogerinanen  zu  ermitteln,  muss 
—  Uber  diesen  Punkt  dürfte  Übereinstimmung  erzielt  sein  —  davon 
ausgeh n,  zunächst  die  Stammsitze  der  idg.  Einzel  Völker  zu  be- 
stimmen und  hierdurch  und  durch  Ausscheidung  derjenigen  Länder, 
welche  unzweifelhaft  nicht  zu  den  ältesten  Wohnsitzen  der  Indo- 
germauen  gehört  haben  können,  ein  früheres  und  engeres  Verbreitungs- 
gebiet der  Indogermaneu  als  das  der  frühsten  historischen  Zeit  zu 


Digitized  by  Google 


Urheimat  der  Jiidugernianen. 


879 


gewinnen.  Erst  nachdem  dies  geschehen  ist,  wird  die  Frage  aufzu- 
weiten sein,  oh  und  welche  Mittel  wir  besitzen,  um  die  eigentliche 
Urheimat  der  Indogerniancn,  d.  h.  diejenigen  Gebiete  zu  bestimmen, 
welche  das  Urvolk  mit  einer  noch  im  wesentlichen  einheitlichen,  gegen- 
seitiges Verständnis  ermöglichenden  Sprache  bewohnte.  Indem  wir 
uns  der  ersteren  dieser  beiden  Aufgaben  zuwenden,  werden  wir  gut 
thun,  uns  hei  der  Besprechung  der  idg.  Einzelvölker  an  diejenige 
Gruppierung  derselben  anzuschlicssen,  welche  durch  gewisse  Eigenarten 
ihrer  Sprachen  bereits  für  die  idg.  Urzeit  wahrscheinlich  gemacht  wird. 
Nach  der  verschiedenen  Behandlung  der  idg.  Gutturallaute,  der  k-  und 
g-Laute,  zerfallen  nämlich  die  idg.  Sprachen  in  2  Gruppen,  die  man 
sich  alsCentum-  und  Satcnisprachen  zu  bezeichnen  gewöhnt  hat, 
weil  die  eine  Gruppe  in  dem  Zahlwort  für  100,  wie  in  allen  ent- 
sprechenden Fällen,  einen  Vcrschlusslaut  dat.  centum),  die  andere 
einen  Sibilanten  (sert.  catdm)  aufweist.  Zu  der  ersteren  dieser  Gruppen 
gehören  das  Griechische,  Italische,  Keltische  und  Germa- 
nische, zu  der  letzteren  das  Indische,  Iranische,  Armenische, 
Phrygische,  Tbrakische,  Illyrisch-Albanesische  und  Sla- 
visch-Litauische.  Mit  Recht  nimmt  man  an,  dass  diese  Unter- 
schiede auf  dialektische  Verschiedenheiten  schon  der  idg.  Grundsprache 
zurückweisen.  Vergegenwärtigt  man  sich  nun  auf  der  Landkarte  die 
geographische  Lage,  welche  die  Völker,  die  jene  Sprachen  sprechen 
oder  gesprochen  haben,  in  historischer  Zeit  einnehmen,  so  wird  man 
aus  derselben  den  Schluss  zu  ziehen  haben,  dass  in  der  relativen 
Lage  der  beiden  Völkergruppen  zu  einander  bei  allen  Verschiebungen 
im  einzelnen  doch  im  Grossen  und  Ganzen  keine  allzugrosseu  Ver- 
änderungen eingetreten  sind.  So  wie  in  historischer  Zeit,  wird  daher 
auch  in  vorhistorischer  die  Stellung  der  Centumvölker  gegenüber  den 
Satcmvölkern  gewesen  sein,  d.  h.  die  ersteren  werden  mehr  im  Westen, 
die  letzteren  mehr  im  Osten  des  hypothetischen  Urlands  gewohnt  haben. 

Wir  beginnen  mit  den  letzteren,  den  S  a  t  e  m  -  Vö  I  k  c  r  n. 

Unter  den  von  ihnen  besetzten  Ländern  scheidet  zunächst  ohne 
weiteres  Indien  von  der  ursprünglichen  Verbreitungssphäre  der  Indo- 
gerniancn aus.  Die  Inder  sind  allen  übrigen  Indogermanen  gegenüber 
durch  eine  engere  Verwandtschaft  mit  den  nordwestlich  von  ihnen 
angesessenen  Iranicrn  verbunden,  die  sich  ausser  in  zahlreichen  ge- 
meinsamen Zügen  der  Sprache,  der  Sitte  und  der  Religion  auch  in 
der  Führung  des  gemeinsamen  Namens  Arier  (s.  über  denselben  u. 
Stände)  äussert.  Da  nun  nicht  der  geringste  Anhalt  dafür  vorliegt, 
dass  die  Iranier  aus  Indien  gekommen  sein  könnten,  die  Inder  aber 
noch  zur  Zeit  der  Gesänge  des  Rigveda  im  Vorrücken  von  Nord- 
Westen  nach  Süd-Osten,  vom  Indus,  an  dem  ihre  Hauptsitze  lagen, 
gegen  das  Meer  und  den  Ganges  begriffen  sind,  eine  Vorwärtsbewe- 
gung, die  sich  besonders  deutlich  auch  in  der  altindischen  Zählung 


Digitized  by  Google 


SSO 


Urheimat  der  lndogermanen. 


der  Jahre,  erst  naeli  Wintern,  dann  nach  Herbsten,  zuletzt  nach  Regen- 
zeiten abspiegelt  (s.  n.  Jahr),  so  wird  gegenwärtig  wohl  von  niemandem 
mehr  bezweifelt,  dass  Iran  einstmals  auch  die  Heimat  der  Inder  ge- 
wesen ist.  Ihre  Einwanderung  in  Indien  kann  nur  entlaug  dem  Kabul 
erfolgt  sein.  Begleiten  wir  dessen  Laut'  aufwärts,  so  gelangen  wir 
an  den  Paropamisus  oder  Hindukuscb,  nördlich  dessen  im  Stromgebiet 
des  Oxus  und  Jaxartes  die  alten  Provinzen  .Sogdiana  und  Baetricn 
liegen,  von  wo  aus,  was  sieh  auch  geschichtlich  wahrscheinlich  machen 
lässt,  erst  Medien  und  Persien  von  Ariern  besiedelt  wurden.  Zu  beiden 
Seiten  des  Hindukusch  lag  also  die  Urheimat  der  Arier  (vgl.  näheres 
bei  W.  Geiger  Museon  1884).  Vielleicht  lassen  sich  aber  ihre  ältesten 
Stammsitze  noch  weiter  verfolgen. 

Am  Nordrand  Irans  stösst  eine  sesshafte  und  nomadische  Bevölke- 
rung zusammen.  Zu  dieser  letzteren  gehören  erstens  die  Saken,  die 
Bewohner  der  grossen  kirgisisch-turknienischcu  Steppe,  die  sich  vom 
Kaspischen  Meer  bis  jenseits  des  Jaxartes  erstreckt.  An  diese  schliefen 
sich  die  von  Üarius  als  „Saken  jenseits  des  Meeres*  bezeichneten 
Völker.  Es  sind  die  von  den  Griechen  als  Skythen  im  engeren  Sinne 
benannten  Skoloten,  zu  denen  auch  die  zwischen  Don  und  Wolga 
sitzenden  Saunmiuten  oder  Sarmaten  gehören,  die  vom  VIII.  Jahr- 
hundert an  die  Nordktlsten  des  Schwarzen  Meeres  bewohnten.  Vorher 
hatten  hier  die  Kimmericr  gesessen,  die  von  den  Skythen  vertrieben, 
etwa  vom  Jahre  700  an  Kleinasien  überfluteten.  Die  Eigennamen 
aller  dieser  Völker,  auch  die  der  Kimnierier,  tragen  iranisches  Gepräge. 
Hat  man  mit  Recht  hieraus  gefolgert,  dass  sie,  was  auch  durch  histo- 
rische Kombinationen  wahrscheinlich  gemacht  werden  kann ,  selbst 
Iranier  waren,  so  lassen  sich,  da  eher  ein  Übergang  von  einer  no- 
madischen Bevölkerung  zu  einer  sesshaften,  als  der  umgekehrte  Ent- 
wicklungsgang anzunehmen  ist.  die  ältesten  Stammsitze  der  Arier  bis 
in  das  nordkaspische  Steppengebiet,  ja  bis  in  das  europäische  Süd- 
Russland  nördlich  des  Schwarzen  Meeres  zurückführen.  Schon  im 
Altertum  (vgl.  Ainmianus  Marc.  XXXI,  2,  20)  war  die  Meinung  ver- 
breitet, dass  die  Perser  originitux  Skythen  seien  (vgl.  E.  Meyer  I, 
513  ff.,  Vf.  S.  628  ff.,  H.  Hirt  -)  S.  657,  P.  Kretsehmer  S.  Go,  0.  Bremer 
S.  757  Anm.). 

Ebensowenig  wie  Indien,  kann  Kleinasien  altes  Stauimgebiet  der 
lndogermanen  gewesen  sein.  Es  handelt  sich  hier  im  wesentlichen 
um  die  Phryger  und  Armenier,  da  die  übrigen  Kleinasiaten,  die 
westlicheren  Knrer  und  Lydcr  sowie  die  östlicheren  Lyker,  Pisiden, 
Kiliker,  Kappadoker  u.  s.  w.  nach  den  neusten  Forschungen  P.  Kretsch- 
mers  eine  den  idg.  Phrygern  und  den  lndogermanen  überhaupt  gegen- 
über allophyle,  unter  sich  verwandtschaftlich  verbundene  Sprachfamilie 
bilden,  die,  worauf  unten  zurückzukommen  sein  wird,  einstmals  auch 
über  die  Inseln  des  ägäischen  Meeres  und  den  Süden  der  Balkau- 


Digitized  by  Google 


l'iheiinat  der  Indog<- miauen 


SSI 


halbinsel  verbreitet  war.  Hinsichtlich  des  Armenischen  und  Phrygischcn 
kommen  für  uns  zwei  gegenwärtig  wohl  allgemein  anerkannte  Sätze 
(vgl.  II.  Hübsch  mann  K.Z.  XXIII.  Armenische  Studien  1.  1*83.  Armen. 
Grammatik  I,  1897,  A.  Fick  Spracheinheit  etc.,  B.  Ii.  IV,  f>0.  Vf.  in  V.  Hehns 
Kulturpflanzen ,;  S.  533,  H.  Hirt  Herl.  phil.  Wochenschritt  180;")  Sp.  1 143, 
Kretsehmer  S.  217  ff. i  in  Betracht,  nämlich  erstens  der  schon  oben 
hervorgehobene,  dass  die  beiden  Sprachen  Satem  Sprachen  sind,  und 
zweitens,  dass  sie  in  Folge  der  reichlichen  Entwicklung  des  e  und  l 
und  der  Anteilnahme  an  gewissen  charakteristischen  Bestandteilen  des 
europäischen  Wortschatzes  (armen,  a).  ,Salz\  oror  .Mag',  meir  , Honig", 
jukn  , Fisch  )  zu  den  europäischen,  und  nicht,  wie  man  früher  glaubte, 
den  asiatischen  Gliedern  der  Satem  -  Sprachen  gehören.  Hiermit 
stimmt  nun  die  Überlieferung  des  Altertums  aufs  beste  tiberein,  in  so- 
fern sie  ausdrücklich  die  Armenier  als  Abkömmlinge  der  Phryger,  und 
diese  wieder  als  einen  nach  Asien  Ubergesiedelten  Stamm  der  Thraker 
bezeichnet.  Vgl.  namentlich  Hcrodot  VII,  73:  o'i  be  OpOyeq,  tue;  Ma- 
K€6öv€<;  Xifovai,  tKaXeovro  BpiTe?  xpövov  Öo"ov  Eupumrpoi  tövTe^  aüv- 
oikoi  ntfav  Mcuceböoi,  ^tTaßdvie?  bk  i<;  ttjv  'Aainv  ä\xa  Trj  xwpfl  Kai 
To  oövopa  peTfe'ßaXov  i<;  Qpvfaq.  'Apuc'vioi  be  KctTcmep  <t>pÜTts  ^aeffä- 
Xoto,  tdvru;  Opufüjv  öttoikoi. 

So  hat  sich  also  —  in  kaum  näher  zu  bestimmender  Zeit  —  ein 
breiter  Strom  von  Indogermancn  vom  Norden  der  Balkanhalbinsel, 
den  westlichen  Gestaden  des  Schwarzen  Meeres  aus  tief  nach  Klein- 
asien bis  nach  Armenien  ergossen,  wo  das  allophyle  Volk  der  'AXa- 
pöbioi  (assyr.  Vrartu)  noch  lange  Armenier  und  Iranier  getrennt  zu 
haben  scheint  (E.  Meyer  I,  #  247  f.).  Den  Norden  der  Balkanhalbinsel 
selbst  finden  wir  im  Altertum  im  Osten  von  den  Thrakern  (vgl.  über 
ihre  Sprache  A.  Fick  Spracheinheit  S.  278,  W.  Tomaschek  im  1 30.  Bande 
der  Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  G.  Meyer  B.  B.  XX,  1  IG  ff., 
P.  Kretsehmer  S.  217  ff.),  im  Westen  von  den  Illyrieru,  den  Vor- 
fahren der  heutigen  Albanesen  (vgl.  G.Meyer  B.  B.  VIII.  18ö—  19f», 
Etymologisches  Wörterbuch  des  Albauesisehen  18!H  und  Lautlehre  der 
idg.  Bestandteile  d.  A.  im  12ö.  Band  der  Sitzungsberichte  der  Wiener 
Akademie),  besetzt.  Von  ihnen  sind  die  Thraker,  die  Hcrodot  V.  3 
das  grösste  aller  Völker  nennt,  einst  weit  über  den  Istros  nordwärts 
verbreitet  gewesen,  da  kein  Grund  vorliegt,  der  Überlieferung  des 
Altertums  (vgl.  Strahn  VI,  p.  303,  30f>)  zumisstrauen,  nach  welcher  die 
Gcten  gleichsprachig  mit  den  Thrakern,  und  die  Üaker  gleichsprachig 
mit  den  Geten  gewesen  seien.  Was  die  Illyrier,  das  westlichste  der 
Satem- Völker,  anbetrifft,  so  ist  sicher,  dass  sie  sich  —  wahrscheinlich 
über  das  Meer  —  in  Japygern  und  Messapiern  '  Vgl.  Kretsehmer  S.  272  ff.) 
nach  der  Osthälfte  Italiens  ausgebreitet  haben,  während  die  ethnogra- 
phische und  linguistische  Stellung  der  Vene t er,  welche  nördlich  des 
Adriatischen  Meeres  die  Balkan-   und  Apennin-Halbinsel  verbinden, 

Schräder,  lieallexikon.  56 


Digitized  by  Google 


Urheimat  der  Imlogermnucn. 


noch  niclit  hinlänglich  aufgeklärt  int  (vgl.  Pauli  Die  Venctcr  und  ihre 
Schriftdenkmäler  Leipzig  1891,  dazu  G.  Meyer  in  der  Herl.  Phil.  W. 
vom  27/2  und  Ö/3  181)2,  R.  Thurneysen  in  der  W.  f.  klass.  Phil,  vom 
1  €5/3  1892  und  P.  Kretschmer  S.  26<i  ff.}. 

Somit  bleiben  von  den  Satcm -Völkern  nur  noch  die  durch  eine 
engere  Verwandtschaft  gleich  den  Ariern  mit  einander  verbundenen 
slavisch-litauischen  Slämuie  übrig.  Als  Herodot  am  Schwarzen 
Meere  weilte,  erfuhr  er  (IV,  17):  „Über  den  Xku6q:i  dpotnpe^,  welche 
das  Korn  zum  Verkauf  anbauen,  wohnen  die  Neupoi.  Von  diesen 
gegen  den  Nordwind  hinauf  erstreckt  sich,  soviel  man  weiss,  eine 
menschenleere  Wüstenei",  und  (IV,  öl):  „Der  Tyras  entspringt  im 
Skythenlande  und  der  neurisehen  Landschaft  (Neup\<;  w".  In  diesen 
hier,  also  im  Quellgebiet  des  Dnjester,  genannten  Neuren.  ein  Wort, 
das  in  zahlreichen  slnvischen  Fluss-  (Ncr,  Naicw,  Nur,  Nitrcc-  und 
Ortsnamen  (Nurfl  am  Nurec,  davon  Xurlska  zemlja,  Nurjaninn)  wieder- 
kehrt (vgl.  W.  Tomaschek  Kritik  der  ältesten  Nachrichten  Uber  den 
akythischen  Norden  II  im  117.  Hand  der  Sitzungsb.  d.  Wiener  Ak. 
S.  3  ff.)  hat  man  seit  SafaWk  die  ältesten  Slavcn  erkannt,  deren  frühste 
Wohnsitze  später  Müllenhotf  Deutsche  A  K.  II,  89  folgendermassen 
bestimmt  hat:  „Nach  alledem  als  Resultat  der  bisherigen  Untersu- 
chungen können  wir  hinstellen,  dass  die  Slaven  in  den  ältesten  uns 
bekannten  Zeiten  von  den  Karpaten  und  dem  oberen  Laufe  der 
Weichsel  um  die  grosse  Sumpfregion  herum  nördlich  bis  an  die 
Waldaihöhen,  dann  ostwärts  gegen  die  Finnen  bis  in   den  ersten, 

obersten  Hereich  der  Wolga  und  des  Dons  verbreitet  waren  

Die  älteste  und  eigentliche  Heimat  der  Slaven  war  demnach  das  Gebiet 
des  mittleren  und  oberen  Dnjeprs,  mit  Ausnahme  der  nordwestlichen 
Landschaften  über  den  Sümpfen,  dagegen  mit  Einschluss  der  Striche 
westlich  gegen  die  Karpaten  und  Weichsel,  ein  vollständiges  Binncn- 
und  Flachland,  nach  allen  Seiten  hin  vom  Meere  abgeschlossen"  u.s.  w. 
Nördlich  der  Slaven  bis  zur  Ostsee  treffen  wir  seit  unvordenklicher 
Zeit  ihre  nächsten  Verwandten,  die  litauisch-preussischen  Stämme 
oder  die  Aestni,  wie  sie  bei  den  Alten  hiessen,  an.  Nach  A.  Bezzen- 
berger  (Hulletin  de  l'Academie  Imperiale  des  Sciences  de  St.-Peters- 
bourg,  Nouvclle  Serie  IV  (XXXVI),  f)01)  Hessen  sich  Angehörige  des 
litauischen  Stammes  schon  vor  ungefähr  f>00<>  Jahren  ostwärts  vom 
Knrisehen  Haff  durch  prähistorisch  -  linguistische  Kombinationen  nach- 
weisen. In  östlicher  Richtung  müssen  sie  früh  bis  Kurland  und  Sud- 
livland  verbreitet  gewesen  sein,  wo  sie,  wie  die  engen  Berührungen 
des  litauischen  und  firnischen  Sprachschatzes  (vgl.  Thonisen  Beröringer 
S.  144  t  zeigen,  mit  den  damals  noch  in  geringerem  Mass  gegliederten 
und  weniger  versprengten  Finnen  zusammenstiessen,  die  überhaupt  im 
mittelrussisehcn  Waldgebiet  für  das  Indogerinanentum  eine  Grenzscheide 
gegen  Nord-Europa  und  Nord-Asien  bildeten. 


Digitized  by  Google 


Urhoirnnt  der  Indo^eriiianeii.  88:J 

Damit  sind  die  Sa  tem -Völker  oder  Ost -I  ndogennan  en  erledigt, 
hinsichtlich  deren  sich  folgendes  vorläufiges  Resultat  ergieht.  Erwägt 
man,  dass  die  grosse  Masse  der  Slaven  und  Litauer  noch  heute  nord- 
wärts des  Schwarzen  Meeres  sitzt,  und  bedenkt  man,  dass  Phivger  und 
Armenier  sich  nachweislich  erst  von  den  an  den  westlichen  Gestaden 
desselben  Meeres  bis  hoch  nach  Norden  über  die  Donau  angesiedelten 
Thrakern,  den  nahen  Stammgcnossen  der  Illvrier  (Albanesen),  losgelöst 
haben,  so  wird  man  als  ein  unzweifelhaftes  früheres  Verbreitungs- 
zentrum aller  dieser  Völker  -  ganz  allgemein  gesprochen  —  die  (le- 
genden östlich  der  Karpaten  und  nördlich  des  Schwarzen  Meeres  be- 
zeichnen können  (so  auch  H.  Hirt  *j  S.  658 'i.  Dürfen  Skythen  und 
Sarmaten  (s.  o.)  als  zurückgebliebene  Reste  des  arischen  Stammes  auf- 
getaut werden,  so  würden  auch  dessen  Ursprünge  hierher  zurückzu- 
führen sein. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  den  Centum -Vö I kern  oder  West i nd«»- 
germanen,  also  den  Kelten  und  Germanen  im  Westen  und  Norden, 
den  Römern  und  Griechen  im  Süden  Europas  zu,  so  ist  hier 
zunächst  einer  Argumentation  zu  gedenken ,  die  auf  dasselbe  Ziel 
gerichtet,  wie  es  hier  verfolgt  wird,  nämlich  auf  die  möglichste  Ein- 
schränkung der  für  eine  ursprüngliche  Verbreitungssphäre  der  Indo- 
germanen  in  Betracht  kommenden  Länder,  auf  die  Entstehungs- 
geschichte unseres  Erdteils  zurückgegriffen  hat.  Es  ist  bekannt 
(s.  auch  u.  Steinzeit  ,  dass  die  Erdepoche,  in  der  wir  gegenwärtig 
leben,  durch  ein  starkes  Herabsinken  der  Temperatur  eingeleitet  wurde, 
die  zu  einer  oder  mehreren  Eiszeiten  mit  weitgehenden  Vergletschc- 
rnngen  führte.  „Eine  Inlandcismasse  von  300  bis  1000  m  Dicke", 
so  beschreibt  F.  Ratzel  a.  u.  a.  0.  S.  40  f.  deu  damaligen  Zustand 

unseres  Erdteils,   „bedeckte  das  nördliche  und  mittlere  Russland  

Weiter  im  Westen  war  die  ganze  skandinavische  Halbinsel,  Gross- 
hritaunien  bis  auf  einen  schmalen  güdlichen  Streifen,  Irland,  der  Raum, 
den  heute  Nord-  und  Ostsee  einnehmen,  damit  natürlich  die  Inseln 
beider  Meere  und  die  eimbrische  Halbinsel  mit  Eis  bedeckt.  Ausser- 
dem zog  sieh  von  Russland  her  das  Inlandeis  slidwestwärts  bis  zur 
Rhcinmüudung,  so  dass  Norddeutschland  mit  Eis  bis  an  den  Nordrand 
der  Mittelgebirge  bedeckt  war.  In  Mitteleuropa  waren  die  Alpen  Iiis 
über  den  Fuss  hinaus  vergletschert;  aber  schon  die  Verglctscherung 
der  Karpaten  war  viel  geringer.  Verhältnismässig  beschränkt  waren  die 
Gletscher  süd-  und  mitteleuropäischer  Gebirge."  Aus  diesen  im  Grossen 
und  Ganzen,  wie  es  scheint,  nicht  anzufechtenden  Thatsachen  hat  nun 
P.  Kretsclnuer  S.  60  folgenden  scheinbar  naheliegenden  Schluss  gezogen: 
„Im  europäischen  Norden  sind  es  die  skandinavischen  Länder  und  das 
nördliche  und  östliche  Deutschland,  welche  mit  Sicherheit  (für  das 
frühste  Verbreitungsgebiet  der  Indogermanen)  in  Wegfall  kommen. 
Denn  diese  Gebiete  waren  in  der  Diluvialzeit  unter  Gletschern  und 


Digitized  by  Google 


884 


Urheimat  der  Indogermanen. 


Inlandeis  begraben  nnd  so  gut  wie  unbewohnbar.    Dazu  stimmt  die 
von  Penck  hervorgehobene  Thatsaehe,  dass  die  in  Deutschland  zu  Tage 
gekommenen  Reste  des  paläolithischen  Menschen  alle  auf  Gebiete  ent- 
fallen, welche  in  der  letzten  Glaeialperiode  nicht  vergletschert  oder 
vereist  waren.    Mit  ziemlicher  Sicherheit  können  wir  aus  einem  ähn- 
lichen Grunde  die  Apenninhalbinsel  eliminieren.  Nach  den  Ergebnissen 
der  Geologie  war  das  ganze  Alpengebiet  in  der  Glacialzeit  so  völlig 
vereist,  dass  nur  die  höchsten  Gipfel  noch  aus  der  alles  bedeckeuden 
Eisschicht  hervorragten;  die  Alpen  waren  also  damals  in  weit  höherem 
Masse  eine  Völkerscheide  als  in  historischer  Zeit.    Es  folgt  daraus, 
dass  die  idg.  Italikcr  in  der  paläolithischen  Epoche  nördlich  der  Alpen 
gesessen  habeu  müssen."    Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  auf  diesem 
Wege  auch  die  nach  dem  obigen  von  den  Litauern  und  teilweis  auch 
die  von  den  Slaven  besetzten  Gebiete  für  die  älteste  Ausdehnung  der 
Indogcrmanen  nicht  in  Betracht  kommen  können.    Allein  so  einfach 
diese  ganze  Schlussfolgernng  klingt,  und  so  sehr  sich  im  folgenden  durch 
andere  Überlegungen  herausstellen  wird,  dass  thatsächlieh  das  nörd- 
liche Europa  ursprünglich  nicht  von  Indogermanen  besetzt  gewesen 
sein  kaun,  so  lassen  sich  doch  ernste  Bedenken  gegen  die  obige  Be- 
weisführung Kretschmers  nicht  unterdrücken.    Sie  liegen  in  den  un- 
geheuren Zeiträumen,  durch  welche  jene  diluvialen  Vergletscherungcn 
von  der  historischen  Zeit,  bezüglich  von  derjenigen  Zeit  getrennt  sind, 
bis  zu  der  wir  die  Indogermanen  zurückverfolgen  können.  Wir  haben 
keinen  Grund,  was  zuletzt  von  0.  Bremer  S.  756  näher  ausgeführt 
worden  ist,  die  Einheit  der  Indogermanen,  d.  h.  die  Epoche,  in  welcher 
noch  ein  sprachlicher  Austausch  der  einzelnen  Stämme  möglich  war, 
weiter  als  bis  in  das  dritte  Jahrtausend  vor  Christo  zurückzuverlegeu, 
während  der  Ausgang  der  Eiszeit  sich  jeder  chronologischen  Fixierung 
entzieht,  sicher  aber  auf  ungezählte  Jahrtausende  vor  unserer  Zeit- 
rechnung zurückgeht.    Mit  Recht  bemerkt    in  einem  etwas  anderen 
Zusammenhang)  schon  V.  Hehn  Das  Salz*  S.  21:    „Von  den  Natur- 
forschern lässt  sich  keine  Aufklärung  darüber  (nämlich  über  die  Aus- 
dehnung des  Kaspischen  Meeres  zur  Zeit  der  indogermanischen  Wan- 
derung) erwarten,  denn  diese  besitzen  im  besten  Falle  nur  eine  relative 
Chronologie,  d.  h.  sie  können  wohl  die  Reihenfolge  gewisser  geologi- 
scher Ereignisse  bestimmen,  nicht  aber  ihre  absolute  Zeitdauer  oder 
ihr  Zusammentreffen  mit  Wendepunkten  der  Menschengeschichte.  Indess, 
wie  früh  mau  auch  die  indoeuropäische  Wanderung  ausetze,  —  die 
Naturvorgänge,  die  unserer  Erde  ihre  jetzige  jüngste  Gestalt  gaben, 
müssen  doch  nach  viel  läugercu  Zeiträumen  bemessen  werden."  Warum, 
so  müssen  wir  fragen,  könnte  daher  nicht  das,  was  wir  indogerma- 
nische Sprach-,  Völker    und  Kulturcinhcit  nennen,  sich  erst  nach 
Rückgang  des  Eises  aus  Nord-  und  Mitteleuropa  und  nach  Einwaude- 


Digitized  by  Google 


Urheimat  der  Imlogermanen. 


885 


rnng  des  Menschen  in  diese  Gebiete  an  der  Nordsee,  Ostsee,  in  Skan- 
dinavien oder  sonstwo  gebildet  haben? 

Vorsichtiger  ist  es  daher,  von  dieser  Hereinziehung  geologischer 
Erdepochen  in  die  Urheimatsfrage  abzusehen.  Ein  sicherer  Weg,  um 
zu  einer  näheren  Bestimmung  der  für  die  älteste  Ausbreitung  der 
Indogermanen  in  Europa  in  Betracht  kommenden  Räume  zu  gelangen, 
bietet  sich  dagegen  dar,  wenn  man  sein  Augenmerk  auf  die  teilweis 
noch  in  historischer  Zeit  von  unzweifelhaft  nichtindogermanischen 
Völkern  besetzten  Gebiete  lenkt.  Solche  nicht  indogermanische  Völker 
finden  sich  im  Nordwesten,  Westen  und  Süden  uuseres  Erdteils  (s.  auch 
u.  Körperbesch  affenheit  der  Idg.).  In  Britannien  gehören  hierher 
die  Pikten.  Frankreich  südlich  von  der  Loire  und  die  gesamte 
Pyrenäenhalbinsel  hielten  oder  halten  die  Iberer,  die  Vorfahren  der 
heutigen  Basken,  besetzt.  An  sie  schliesscn  sich  in  den  Westalpeu 
lind  tief  nach  Italien  hinein  die  Ligurer.  Eins  von  diesen  beiden 
Völkern  oder  beide  sitzen  auch  auf  den  Inseln  des  westlichen  Mittel- 
meeres, auf  Korsika,  Sardinien,  Sizilien.  An  die  Ligurer  grenzen  in 
Italien  die  in  ihrer  linguistischen  und  ethnographischen  Verwandtschaft 
noch  immer  rätselhaften  Etrnskcr,  von  denen  ein  Teil,  die  Räter, 
in  das  Alpengebiet  versprengt  oder  darin  zurückgeblieben  war.  Im 
Süden  der  Balkanhalbinsel  und  auf  den  Inseln  des  ägäischen  Meeres 
sind  in  der  Vorgeschichte  Angehörige  jener  allophylen  Völkergruppe 
anzunehmen,  die  einst  vor  dem  Einbruch  der  Phryger  und  Armenier 
(s.  o.)  ganz  Kleinasien  einnahmen  vgl.  E.  Meyer  II,  34,  Ratzel  S.  122, 
Kretschmer  S.  401).  Der  nichtindogermanischc  Charakter  aller  dieser 
Sprachen  und  Völker  ergiebt  sich  teils  aus  der  ausdrücklichen  Über- 
lieferung des  Altertums,  teils  aus  sprachlichen  in  vereinzelten  Wörtern, 
namentlich  aber  in  der  Bildung  von  Orts-  und  Personennamen  liegenden 
Anhaltspunkten,  teils  endlich  aus  einigen  in  jenen  Gebieten  verbreiteten 
ursprünglich  ohne  Zweifel  nichtindogermauisehen  Sitten  und  Gebräuehen 
wie  dem  Mutterrecht  oder  dem  Mannerkindbett  (s.  n.  Name,  Namen- 
gebung;  Mutter  recht;  Hebamme).  Nimmt  man  nun  an,  dass  alle 
diese  Stämme  uud  Völker,  bevor  sie  von  den  andringenden  Indo- 
germanen in  das  Gebirge  und  an  die  Meeresküsten  zurückgetrieben 
wurden,  unzweifelhaft  viel  weiter  verbreitet  waren,  als  sich  heute 
noch  feststellen  lässt,  so  zeigt  sieh,  dass  der  ganze  Süden  und  Westen 
unseres  Erdteils  von  einem  breiten  Gürtel  nichtiudogermanischer  Völ- 
kerschaften umschlungen  wurde,  nördlich  und  östlich  dessen  wir  also 
die  ursprüngliche  Verbreitungssphäre  der  Ccntum  Völker  zu  suchen 
haben. 

Hinsichtlich  der  Stammsitze  dieser  letzteren  lässt  sich  im  Einzelnen 
folgendes  sagen.  Allgemeine  Übereinstimmung  herrscht  zunächst  dar- 
über, dass  die  Griechen  von  Epirus,  dem  uralten  Stammsitz  des 
Dodonäischen  Zeus,  einem  Gebiet,  das  schon  Aristoteles  als  die  dpxoia 


Digitized  by  Google 


886 


Urheimat  <k-r  Indogermanen. 


'EXXd?  bezeichnete,  ausgegangen  sind,  nud  dass  in  den  Makcdoncn  ein 
im  Norden  zurückgebliebener  griechischer  Stamm  anzuerkennen  ist. 
Da  die  Griechen  als  ein  Centum-Volk  nach  dem  Obigen  einstmals  in 
räumlicher  Berührung  mit  den  übrigen  Centnm -Völkern  gestanden  haben 
müssen,  so  spricht  alles  dafür,  dass  sie  von  Nord -Westen  her  in  Epirus 
eingewandert  sind,  und  der  angegebene  Zusammenhang  durch  nach- 
rückende oder  besser  von  Nord  -  Osten  her  einschwenkende  Illyrier 
zerrissen  worden  ist ,  von  deren  Vermischung  mit  den  Hellenen  in 
Epirus  und  den  angrenzenden  Landschaften  noch  zahlreiche  Spuren 
zeugen  (vgl.  E.  Meyer  11, 64  ff.,  H.  Hirt s)  S.  l>56,  P.  Kretschmer  S.  254  ff., 
0.  Bremer  S.  757  f.,  F.  Ratzel  S.  84). 

Wie  die  Griechen,  sind  zweifellos  auch  die  indogermanischen  Italiker» 
die  Umbrer,  Osker  und  Latin  er,  von  dem  Norden  der  von  ihnen 
besetzten  Halbinsel  ausgegangen.  Über  Italien  hinaus  weist  ausser 
ihrer  Zugehörigkeit  zu  den  Indogcrnianen  im  allgemeinen,  die  engere 
Sprachverwandtschaft  im  besonderen,  durch  die  sie  mit  den  Kelten 
verbunden  sind,  und  die  sich,  abgesehen  von  mehreren  engeren  Über- 
einstimmungen des  Wortschatzes,  auf  einigen  wichtigen  Gebieten  der 
Formenbildung  (vgl.  zuletzt  Brugmann  Grundriss  I  25)  äussert.  Da 
nun  für  Italien  ^der  Eintritt  von  Nordosten  her  der  natürliche  ist", 
da  es  auf  dieser  Seite  sich  am  zugänglichsten  erweist,  die  Wege  nach 
dieser  Ecke  aber  von  der  Donau  herkommeu"  (Ratzel  S.  84),  so  ist 
es  das  nächstliegende,  die  Berührung  zwischen  Italikern  und  Kelten 
an  diesem  Flnss  zu  lokalisieren  (vgl.  auch  Hirt  ')  S.  (i55). 

Hiermit  wenden  wir  uns  zu  den  Kelten  selbst  und  ihren  uralten 
Nebenbuhlern  um  die  Herrschaft  in  Central-  und  West-Europa,  den 
Germanen.  Zunächst  kann  man  Uber  das  Verhältnis  dieser  beiden 
Völker  zu  einander  im  allgemeinen  sagen,  dass,  in  je  früherer  Zeit 
man  ihre  Stellungen  beobachtet,  um  so  mehr  sich  das  Gebiet  der  Ger- 
manen in  der  Richtung  auf  die  Gestade,  welche  den  östlichen  Teil 
der  Nordsee  und  den  westlichen  Teil  der  Ostsee  umsäumen,  einschränkt, 
und  die  Kelten  an  ihre  Stelle  treten.  Noch  im  II.  Jahrhundert  v.Chr. 
war  von  ihnen  ganz  Süddeutschland  besetzt,  indem  den  Raum  zwischen 
Bodensee  und  Main  die  Helvctier  einnahmen.  An  sie  schlössen  sich 
in  Böhmen  die  Boji  (Tac.  Germ.  Cap.  28),  und  noch  weiter  östlich 
zog  sich  in  den  Cotini  (Cap.  43),  den  Teurisci,  den  schwer  genauer 
zu  lokalisierenden  Volcae  Tectosages  u.  a.  eine  Kette  gallischer  Völker 
bis  zu  den  Karpaten  (Bremer  S.  771  f.).  Wie  im  Süden,  waren  auch 
im  Nordwesten  die  Wohnsitze  der  Germanen  je  früher  um  so  mehr  durch 
Kelten  eingeengt.  Im  III.  oder  IV.  Jahrhundert  reichten  die  Germanen 
in  Norddeutschland  nicht  weiter  als  bis  zur  Weser,  wie  denn  bei  den 
Kelten  selbst  noch  die  Tradition  lebte,  dass  jedenfalls  die  Belger  von 
jenseits  des  Rheines  hergekommen  seien  (Caesar  De  bell.  Gall.  II,  4), 
und  die  Namen  aller  Nebenflüsse,  welche  von  rechts  in  den  Rheia 


Digitized  by  Google 


Urheimat  der  Indogcrinanen. 


887 


münden,  nach  Möllenhoffs  Untersuchungen  Deutsche  A.-K.  II,  207  ff. 
sich  als  keltisch  erwiesen  haben.  Es  scheint  aber,  dass  man  an  der 
Hand  der  Orts-,  besonders  der  Flussnamen,  auf  ndd.  -apa,  -epe,  -pe 
(z.  B.  Wörpe  bei  Bremen),  hochd.  -affa,  -eff,  fe  <z.  B.  Walfe,  Zufluss 
der  unteren  Wcrra),  in  denen  man  ein  keltisches  aba  (ir.  abann  ,Flnss) 
oder  *apd  —  lat.  aqua  .Wasser'  wiedergefunden  hat,  die  Ostgrenze 
der  Kelten  noch  weiter  östlich  bis  zu  einer  Linie  Lüneburger  Heide — 
Hildesheini — Güttingen — Eisenach — Thüringer  Wald  vorschieben  muss. 
Ja,  auch  in  Thüringen  selbst  (vgl.  namentlich  die  „Finne":  kelt.  penna 
,Kopf  )  und  im  Königreich  »Sachsen  {Fergunna  , Erzgebirge'  aus  keltisch 
*I'erkunia,  d.  i.  Hercyma)  glaubt  man  alte  Stammsitze  der  Kelten 
annehmen  zu  müssen  (Bremer  S.  774 ff.;  vgl.  dazu  G.  Kossinna  Bei- 
träge XX,  297  ff.  nnd  Z.  des  Vereins  für  Volkskunde  VI,  1  ff.;.  Als 
älteste  kontinentale  Stammsitze  der  Germanen  ergeben  sich  somit  die 
Landschaften  zwischen  dem  Unter-  und  Mittellauf  der  Elbe  und  Oder, 
also  Mecklenburg  und  Teile  von  Pommern  und  Brandenburg.  Hier/u 
treten  dann  noch  nordwärts  Schleswig-Holstein,  .lütland,  die  dünischen 
Inseln  und  Süd-Schweden,  die  wenigstens  von  germanischem  Stand- 
punkt aus,  nicht  von  der  Urheimat  der  Germanen  ausgeschlossen 
werden  können  (so  auch  Kossinna  Z.  d.  Vereins  für  Volkskunde  VI.  14 
und  H.Hirt  Neue  Jahrbücher  für  das  klassische  Altertum  etc.  II,  f>71; 
s.  ferner  u.  Schiff,  Schiffahrt),  da  ein  und  dieselbe  Bevölkerung 
seit  der  jüngeren  Steinzeit  hier  als  ansässig  nachweisbar  ist  (s.  auch 
u.  Bestattung  und  u.  Erz).  Als  uoch  offen  muss  hingegen  die  Frage 
der  ältesten  östlichen  Ausdehnung  der  Germanen  jenseits  der  Oder 
bezeichnet  werden.  Die  ostgenuauischen  Völker,  welche  schon  im 
II.  Jahrhundert  v.  Chr.  in  den  Bastarnen  an  der  unteren  Donau  er- 
scheinen und  zur  Zeit  des  Tacitus  namentlich  in  den  Gutones  noch 
über  die  Weichsel  hin  verbreitet  waren,  sieht  man  neuerdings  vielfach 
als  erst  später  in  diese  östlichen  Wohnsitze  eiugerückt  an,  indem  man 
entweder  annimmt,  dieselben  seien,  wie  es  schon  die  von  Jordanes 
bewahrte  Wandersage  der  Goten  will,  von  Skandinavien  herüberge- 
kommen (90  Kossina  I.  F.  VII,  276,  dem  Hirt  a.  a.  (.).  beistimmt),  oder 
dieselben  hätten  einst  vor  den  anglof riesischen  und  swebischen  Stämmeu 
an  der  unteren  Elbe  gesessen  <so  Bremer  S.  786).  Näherer  Aufklärung 
bedarf  auch  noch  die  Bestimmung  der  Lokalität,  in  welcher  eine  der 
wichtigsten  vorhistorischen  Völker-  und  Sprachberührungen,  die  germa- 
nischer Völkerschaften  mit  dem  finnischen  Stamme  (vgl.  W.  Thomsen 
Über  den  Einfluss  der  germanischen  Sprachen  auf  die  finnisch-lappischen 
Halle  1870)  stattfand.  Thomsen  setzt  in  seinem  späteren  Werk  Bcrö- 
ringer  etc.  S.  151  diese  germanisch  -  finnischen  Beziehungen  zeitlich 
später  als  die  oben  genannten  baltisch-finnischen  an,  nnd  meint  in  der 
ersteren  Schrift  S.  122,  dass  „dasjenige  Volk  oder  diejenigen  Völker 
der  germanischen  Klasse,  von  deren  Sprache  sich  so  manche  Spuren 


Digitized  by  Google 


888 


Urheimat  der  Indogermanen. 


in  dein  finnischen  Stamme  finden,  in  Mittelrussland  oder  eher  in  den 
jetzigen  Ostseeprovinzen  in  der  unmittelbaren  Nähe  der  Finnen  gewohnt 
haben  müssen'*  (vgl.  dazn  Bezzenbcrger  a.  o.  a.  0.).  Es  scheint,  dass 
diese  Fragen  bei  den  neuesten  Behandlungen  der  ältesten  germanischen 
Stammsitze  nicht  genügend  berücksichtigt  worden  sind.  Überaus 
schwierig  ist  es  endlich,  bei  der  schon  aus  dem  Obigen  sich  ergeben- 
den ungeheuren  Verbreitung  der  Kelten  in  Europa  den  Ausgangspunkt 
dieses  idg.  Stammes  zu  bestimmen.  Thatsächlich  scheint  es,  dass  der 
Schwerpunkt  ihrer  Verbreitung,  in  je  frühere  Zeit  man  zurückgeht, 
sich  von  dem  linken  auf  das  rechte  Rheinufer  verschiebt,  so  dass  man 
neuerdings  (vgl.  Bremer  S.  777,  dessen  Ausführungen  über  keltische 
Wohnsitze  noch  östlich  der  Weichsel,  ja  im  südlichen  Rnssland  wir  im 
übrigen  nicht  folgen  können)  wieder  dazu  neigt,  die  von  den  Alten 
(Caesar  De  bell.  Gall.  VI,  24,  Taeitus  Genn.  Cap.  28)  überlieferten 
Nachrichten  über  keltische  Kolonien,  die  über  den  Rhein  nach  Deutsch- 
land n.  f.  w.  geschickt  worden  seien,  und  im  besonderen  den  von 
Livius  V,  34  berichteten  Zug  des  Scgovesus.  dem  durch  das  Los  der 
Hereynische  Wald  zuertcilt  worden  sei,  für  reine  Kombination  aus  dein 
historischen  Kclteuzug  nach  Italien  im  Anfang  des  IV.  Jahrhunderts 
zu  halten.  „Man  wussteu,  sagt  Breiner  a.  a.  0.,  „in  Gallien  von  früheren 
Sitzen  in  Deutschland,  und  weil  die  italischen  Kelten  aus  Gallien  ge- 
kommen, so  leitete  man  gleichzeitig  auch  die  süddeutschen  Kelten  aus 
dem  vermeintlichen  Stammsitz  in  Gallien  ab."  (Siebt  man  dies  zu  und 
vergegenwärtigt  man  sich  zugleich,  was  oben  über  engere  Berührungen 
der  Kelten  und  Italiker  an  der  mittleren  Donau  auseinander  ge- 
setzt wurde,  so  wird  man  am  wahrscheinlichsten  diesen  Fluss  als  die 
Basis  der  keltischen  Verbreitung  ansehen  müssen,  von  der  aus  sie  nach 
Ungarn,  Böhmen,  das  südliche  und  mittlere  Deutschland,  das  Rhein- 
gebiet, nach  Gallien  u.s.  w.  übergingen  (vgl.  11.  Hirt  *)  S.  Gf>4,  Kossiuna 
Z.  d.  V.  f.  Volkskunde  VI,  8). 

Überblicken  wir  die  bisherigen  Ausführungen,  so  ergiebt  sich,  dass 
von  einer  früheren  Verbreitungssphäre  der  Indogcrmancn  in  Asien: 
Indien  und  Kleinasien,  in  Europa:  Mitte  und  Süden  der  Balkan- 
halbinsel, die  Apennin-  und  I'yrenäenhalbinsel,  wahrscheinlich  der 
ganze  Westen  Frankreichs  und  die  britannischen  Inseln  auszuschließen 
sind.  Verbreitet  finden  wir  die  ludogermanen  dagegen  im  Norden 
und  in  der  Mitte  unseres  Erdteils,  östlich  in  dem  russischen  Wald- 
gebiet bis  zu  der  oben  bezeichneten  Finnengrenzc,  während  südlieh  des- 
selben im  Steppengebiet  ein  nicht  allzu  breiter  Streifen  arischer  Stämme 
wahrscheinlich  in  ununterbrochener  Ausdehnung  weithinein  nach  Asien, 
bis  in  die  ostiranischeu  Länder  reichte  (ähnlich  Kretschmer  S.  63  und 
K.  Brngniann  Grundriss  I2,  22). 

Nun  kann  nicht  bezweifelt  werden  und  ist  niemals  bezweifelt  worden, 
dass  ein  derartig  umfangreiches  Gebiet  sich  nicht  mit  d  e  m  decken 


Digitized  by  Google 


Urheimat  der  Indogcrmancn. 


889 


kann,  was  wir  als  Urheimat  der  Indogcrmanen  im  engeren  Sinne 
bezeichnen,  d.  h.  mit  demjenigen  Terrain,  auf  welchem  die  Indoger- 
inanen,  durch  allophylc  Völker  noch  ununterbrochen,  eine  im  wesent- 
lichen einheitliche,  gegenseitiges  Verständnis  ermöglichende  Sprache 
redeten,  und  es  erhebt  sieh  nunmehr  die  Frage,  ob  wir  Mittel  und 
Wege  besitzen,  um  zu  diesem  engeren  und  eigentlichen  Urlami  der 
Indogerniauen  vorzudringen  Um  eine  Antwort  hierauf  zu  geben,  wird 
es  notwendig  sein,  die  bisher  in  der  Urheimatstrage  vorgebrachten 
Beweise  und  Gesichtspunkte,  soweit  dieselben  heut  zu  Tage  noch  als 
diskutierter  bezeichnet  werden  können  (im  übrigen  vgl.  Sprachver- 
gleichung und  Urgeschichte2  a.  a.  0.),  einer  erneuten  Prüfung  zu  unter- 
ziehen. Dieselben  gehören  teils  der  Linguistik,  teils  der  Anthro- 
pologie an,  und  sollen  in  dieser  Reihenfolge  besprochen  werden. 
Vorher  aber  ist  einiger  allgemeinerer,  ausserhalb  der  genaunten 
beiden  Wissensgebiete  liegender,  nicht  unwichtiger  Erwägungen  zu 
gedenken. 

Wir  beginnen  mit  dein  von  K.  G.  Latham  (Sprachvergleichung  und 
Urgeschichte*  S.  118  ff*.),  dem  ersten  der  mit  Entschiedenheit  für  den 
europäischen  Ursprung  der  Indogcrmancn  eintretenden  Forscher,  in 
diesem  Sinne  vorgebrachten  Argumente,  dass,  da  die  Wahrscheinlich- 
keit dafür  spreche,  dass  die  kleinere  Klasse  dem  Verbreitungsgebiet 
der  grösseren  entstamme,  da  auch  in  der  Naturwissenschaft  die  Spezies 
von  der  Area  des  Genus  und  nicht  das  Genus  von  der  Area  der 
Spezies  abgeleitet  zu  werden  pflege,  da  ferner  nicht  das  Germanische 
aus  dein  Englischen  und  nicht  das  Finnische  aus  dem  Magyarischen, 
sondern  umgekehrt  hervorgehe,  auch  der  Ausgangspunkt  des  Sanskrit 
in  Europa  gesucht  werden  müsse.  -Wenn  wir  zwei  Zweige  dersclbcu 
Sprachklasse  besitzen,  die  getrennt  von  einander  sind,  und  von  denen 
einer  ein  grösseres  Gebiet  hat  und  mehr  Varietäten  zeigt,  während 
der  andere  geringem  Umfang  und  grössere  Homogenität  besitzt,  so  ist 
anzunehmen,  dass  der  letztere  von  dem  erstem  abstammt,  und  nicht 
umgekehrt."  Thatsaehlieh  wird  man  dieser  Argumentation  Lathams 
-eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  nicht  absprechen  können,  die  nmso 
grösser  ist.  seitdem  feststeht,  dass  auch  Kleinasien  seine  idg.  Be- 
völkerung von  Europa  her  erhalten  hat  (s.  o.),  so  dass  also  bei  der 
Annahme  einer  asiatischen  Urheimat  nur  die  Arier  (Inder  und  Iranier) 
als  im  Osten,  in  der  ursprünglichen  Heimat  zurückgeblieben  an- 
gesehn  werdcu  könnten.  Dies  ist  auch  die  Ansiebt  H.  Ilirts  *)  S.  658  f., 
während  .1.  Schmidt  a.  u.  a.  0.  S.  10  die  Erwägungen  Lathams,  freilich 
-ohne  Angabc  von  Gründen,  als  „völlig  hinfällig"  bezeichnet. 

Eine  wichtige  Rolle  haben  ferner  in  der  Urheimatsfrage,  und  zwar 
•diesmal  zu  Gunsten  der  asiatischen  Hypothese,  die  Schlüsse  gespielt, 
die  man  ans  gewissen  historischen  Völkereinbrüchen  in  Europa  auf 
eine  bestimmte  vorhistorische  Wanderrichtung  der  Indogerniauen 


Digitized  by  Google 


890 


Urheimat  der  Indogermanen. 


gezogen  bat.  Wie  die  Hunnen.  Magyaren,  Mongolen  aus  Asien  in  Europa 
eingebrochen  sind,  so  muss  sich,  so  folgerte  man,  auch  die  Ausbrei- 
tung der  Indogcrniancn  in  ost- westlicher  Richtung  bewegt  haben.  „Alle 
übrigen  Wanderungen",  so  verspottet  V.  Hehn  die  europäische  Hypothese, 
„gingen  von  Ost  nach  West  und  brachten  neue  Lebensformen,  auch  wohl 
Zerstörung  ins  Abendland,  nur  die  älteste  und  grösste  ging  in  umge- 
kehrter Richtung  und  Überschwemmte  Steppen  und  Wilsten,  Gebirge  und 
Sonnenländer  in  unermesslicher  Ausdehnung".  Gegenwärtig  wird  man 
die  Vorstellung,  als  ob  die  Indogermanen,  gleichsam  von  einem  be- 
stimmten Wanderiingsziel  magnetisch  angezogen,  sich  ausschliesslich 
in  einer  und  derselben  Richtung  bewegt  hätten,  als  auf- 
gegeben betrachten  dürfen.  Was  wir  vielmehr  fiuden,  ist,  dass  Wan- 
derungen der  idg.  Völker  von  der  ältesten  Zeit  an  nach  allen  Rich- 
tungen sich  nachweisen  lassen.  Die  Inder  wanderten  nach  Süden, 
die  Phryger  und  Armenier  nach  Osten,  die  Germanen  nach  Westen 
und  Süden,  die  Kelten  nach  den  obigen  Ausführungen  nach  Norden 
und  Westen.  Die  ausserordentliche  Expansion  der  Slaven  vom  II.  bis 
VII.  Jahrhundert  ist  westlich  und  südlich  gerichtet,  der  später  eine 
nördliche  und  östliche  folgt  u.  s.  w.  Mit  viel  grösserem  Recht  als  die 
Analogien  historischer  Völkereinbrüehc  kann  man  für  eine  im  Grossen 
und  Ganzen  in  Europa  nach  Westen  uud  Süden  gerichtete  Ausbreitung 
der  Indogermanen  die  Beobachtung  geltend  machen,  dass  nur  noch  im 
Westen  und  Süden  n  i  c  h  t  i  n d  o g e  r  in  a n  i  sc  h  e  Völkerttbcrreste  bis  in 
die  historischen  Zeiten  hineinragen  (s.  o.).  so  dass  man  hieraus  den  Schluss- 
ziehen  kaun,  die  Amalgamationskraft  der  Indogermanen  allophylen 
Völkerbestandteilen  gegenüber,  die  (s.  u.  Stände)  wahrscheinlich  einst- 
mals in  ganz  Europa  verbreitet  waren,  habe  mit  der  Ausbreitung  in 
den  genannten  Richtungen  allmählich  nachgelassen.  Erwägt  man  nun 
andererseits,  dass  die  asiatischen  Indogernianeu,  Inder  und  lranier, 
Phryger  und  Armenier  unter  dem  Druck  der  sie  umgebenden  Kulturen 
uud  Völker  des  Orients  in  ihrer  idg.  Eigenart  frühzeitig  zu  Gruude 
gegangen  sind,  so  dass  sie  mit  ihren  europäischen  Vettern  kaum  noch, 
etwas  anderes  als  die  Sprache  gemeinsam  zu  haben  scheiuen,  so  er- 
hält man  auch  von  dieser  Seite  den  Eindruck,  dass  es  sich,  wie  sicher 
bei  Armeniern  und  Phrygern,  so  auch  bei  den  Ariern  um  ostwärts- 
verschlagene, nicht  seit  Urzeiten  dort  stammangesessene  Völker  handelt. 
So  scheint  vor  dem  prüfenden  Blick  sich  das  Verbreitungsgebiet  der 
Indogermanen  in  Europa  ostwärts,  in  Asien  westwärts  zurückzuziehen. 

Auf  dasselbe  Ergebuis  führt  eine  andere  Argumentation,  die  unter 
den  nunmehr  zu  besprechenden  linguistischen  an  erster  Stelle  ge- 
nannt werden  möge,  eine  Argumentation,  die  ursprünglich  dazu  be- 
stimmt, den  asiatischen  Ursprung  der  Indogermanen  zu  erweisen,, 
bei  näherer  Betrachtung  viel  eher  gegen  denselben  verwertet  werden 
muss.    Man  hat  bekanntlich  gesagt:   .Je  näher  ein  Volk  seinem  ur- 


Urheimat  der  Indogermanen. 


891 


sprüuglicheu  Ausgangspunkt  geblieben  ist,  nm  so  weniger  hat  sieb  seine 
Sprache  durch  Berührung  mit  allophylen  Elementen,  durch  die  Ent- 
fernung von  den  ursprünglichen  Klima-  und  Bodenverhältnissen  u.  s.  w. 
verändert.  Da  nun  das  Altindische  und  Altiranischc  die  ältesten 
Sprachformen  auf  idg.  Boden  aufweisen,  so  muss  die  Urheimat  der  Indo- 
germanen  in  der  Nähe  Indiens  und  Irans  gesucht  werden."  Es  kann 
aber  nicht  bezweifelt  werden,  dass  diese  Schlussfolgernng  eine  falsche 
ist.  Denn  einmal  hat  die  neuere  Sprachforschung  längst  erkannt,  dnss 
wenigstens  auf  dem  Gebiete  des  Vokalismus  die  europäischen  und  nicht 
die  arischen  Sprachen  den  ältesten  Zustand  bewahrt  haben,  und 
zweitens  hat  man  sich  klar  gemacht,  dass,  wenn  man  die  Altertttmlich- 
keit  der  einzelnen  idg.  Sprachen  gegen  einander  abwägen  will,  dies 
nur  unter  Zugrundelegung  einer  gleichzeitigen  Sprachperiode  ge- 
schehen kann.  „Thut  man  dies  für  die  Gegenwart",  so  führt  W.  Streit- 
berg a.  u.  a.  0.  mit  Recht  aus.  „so  kann  kein  Zweifel  bestehen,  dass 
von  allen  heute  noch  existierenden  idg.  Dialekten  keiner  in  seinem 
Laut-  und  Fomicnsystem  das  Litauische  an  Altcrtümlichkcit  über- 
trifft oder  auch  nur  erreicht   Namentlich  fällt  ein  Umstand 

schwer  ins  Gewicht,  zu  dessen  Würdigung  uns  erst  die  Untersuchungen 
der  letzten  Jahre  befähigt  haben.  Das  Litauische  ist  nämlich  die 
einzige  idg.  Sprache,  die  die  alten  Unterschiede  der  idg.  Akzent- 
qualität, die  Differenz  zwischen  Zirkumflex  und  Akut,  uns  allen  aus 
der  griechischen  Grammatik  geläufig,  bis  auf  den  heutigen  Tag  intakt 

erhalten  hat   Der  tiefe  Eindruck,  den  diese  Thatsaehc  auf 

jeden  Unbefangenen  machen  muss,  wird  noch  verstärkt,  wenn  man  sich 
vergegenwärtigt,  dass  nur  noch  in  den  ältesten  Teilen  des  ältesten 
idg.  Sprachdenkmals,  des  Rigveda.  Spuren  der  alten  Akzentunterschiede 
vorkommen,  während  schon  in  den  jüngeren  Partien  desselben  Werkes 
die  Differenz  im  Untergang  begriffen  erscheint. u  Wenn  es  also  richtig 
ist,  dass  die  Altertümlichkeit  einer  Sprache  zusammenhängt  mit  dem 
Verbleiben  des  betreffenden  Volkes  in  der  Nähe  seiner  Stammsitze 
(Einwendungen  dagegen  bei  J.  Schmidt  S.  18),  so  muss  die  Urheimat 
der  lndogcrmanen  nicht  allzuweit  von  den  Wohnsitzeu  der  Litauer, 
also  jedenfalls  im  östlichen  Europa,  gesucht  werden. 

Ausführlicher  ist  über  eine  zweite  Gruppe  der  linguistischen  Argu- 
mente, nämlich  über  die  Bemühungen  zu  berichten,  die  darauf  hinaus 
laufen,  aus  vermutlichen  verwandtschaftlichen  oder  nachbar- 
lichen Beziehungen  der  lndogcrmanen  zu  anderen  Sprach- 
st Ammen  das  Urland  der  ersteren  zu  ermitteln.  Es  handelt  sich 
hierbei  um  die  Semiten  und  um  die  Finne  n.  Zwar  ist,  was  die 
ersteren  betrifft,  die  lange  Zeit  bei  zahlreichen  für  Asien  als  Urheimat 
der  Indogermanen  eintretenden  Gelehrten  fest  eingewurzelte  Vorstellung 
einer  Urverwandtschaft  zwischen  Semiten  und  lndogcrmanen  jetzt  wohl 
allgemein  und  endgültig  fallen  gelassen  worden.  Allein  noch  bis  in  die 


Digitized  by  Google 


892 


Urheimat  der  lndo<rennanen. 


neueste  Zeit  hat  man  vorhistorische  Berührungen  der  beiden  Sprach- 
stämme daraus  zu  folgern  sich  bemüht,  dass  man  nachzuweisen  ver- 
suchte, es  seien  schon  in  urindogermanischer  Zeit  semitische  Kultur- 
wörter und  semitisches  Kulturgut  in  das  Indogermanische  eingedrungen. 
Zunächst  hat  Fritz  Hommel  (Die  Namen  der  Säugetiere  S.  224,  290, 
414  f.,  Korrespondenzblatt  d.  d.  Gesellsch.  f.  Anthropologie,  Ethno- 
graphie und  Urgeschichte  1879  S.  (50,  Archiv  f.  Anthropologie  XV, 
1884  S.  164)  eine  Anzahl  angeblich  semitisch-indogermanischer  Kultur- 
wörtcr  zusammengestellt,  von  denen  freilich  nur  zwei,  und  zwar  nicht 
eigentlich  auf  semitischem,  sondern  auf  sumerisch-akkadischem  Boden, 
also  in  der  Spruche  der  nichtsemitischen  Ureinwohner  Babyloniens 
wurzelnde  Entsprechungen,  nämlich  sumer.  balag,  babylon.-assyr.  pi- 
lakku  =  seit,  paraqti-,  griech.  tt€\€ku<;  ,Bcil'  und  sumer.  urud  =  sert. 
löhi-,  lat.  randnn  , Kupfer'  etc.  sich  als  vielleicht  stichhaltig  erwiesen 
haben.  An  diese  anknüpfend  hat  dann  .1.  Schmidt  in  seiner  Schrift 
über  die  Urheimat  der  Indogermanen  (s.  u.)  einen  neuen  Weg  in  der- 
selben Richtung  eingeschlagen.  Er  weist  nach,  dass  «las  alte  idg. 
Dezimalsystem  bei  den  Indogermanen  Europas  durch  die  Einwirkungen 
eines  Duodezimal-  oder  Scxngesimalsystems  •  näheres  s.  u.  Zahlern 
durchbrochen  worden  sei,  und  dass  diese  Einwirkungen  nur  von  Babv- 
lonien  ausgegangen  sein  könnten.  Hieraus  folge,  dass  die  älteste  Ver- 
breitnngssphäre  der  europäischen  Indogermanen  einstmals  in  der  Nähe 
Babyloniens  gelegen  haben  müsse.  Allein  dieser  Schluss  ist  von  den 
meisten  Kritikern,  auch  von  solchen,  die  in  der  Sache  selbst  durch  die 
scharfsinnigen  Ausführungen  der  genannten  Schrift  überzeugt  worden 
sind,  als  nicht  stichhaltig  bezeichnet  worden  (vgl.  F.  Müller  Ausland 
1891  S.  441,  II.  Hirt«)  S.  468,  W.  Streitberg  I,  P.  Kretschmer  S.  58  ff.), 
und  in  der  That  versteht  man  nicht,  warum,  wenn  doch  .1.  Schmidt 
selbst  hervorhebt,  dass  jener  babylonische  KultureinHuss  auf  dem  Ge- 
biete des  Zahleuwesens  sich  bis  zu  den  Syrjänen  im  Norden  Europas, 
ja  bis  zu  den  Chinesen  im  äussersten  Osten  Asiens  erstreckt,  derselbe 
nicht  auch  die  europäischen  Indogermanen  in  Europa,  sei  es 
zur  Zeit  noch  bestehender  vorhistorischer  Zusammenhänge  (s.  u.),  sei 
es  erst  in  den  Stammsitzen  der  Einzelvölker  getroffen  haben  könne. 
Zu  betonen  ist  auch,  dass  die  Spuren  des  babylonischen  Sexagesimal- 
systems sich  nur  bei  den  europäischen  Indogermanen,  nicht  aber  bei 
den  Ariern,  die  in  historischer  Zeit  in  der  Nähe  Mesopotamiens  sitzen, 
finden,  während  jene  beiden  sumerisch-akkadischen  Kulturwörter  sich 
auch  bei  den  Ariern  (sert.  parayi-  .Heil",  löhd-  ,Kupfcr'i  nachweisen 
lassen,  so  dass  man  also  wird  schliessen  müssen,  beide  Kulturüber- 
tragungen  hätten  zu  verschiedener  Zeit  und  bei  verschiedenen  Völker- 
stellungcn  stattgefunden  (Vermutungen  hierüber  vgl.  bei  Kretschmer 
S.  61,  106  f.).  Endlieh  wird  man,  was  die  Übernahme  des  sumero- 
akkadischen,  nicht  semitischen  Kupfer-  und  Beilnamcns  in  das  Indo- 


Urheiiunt  der  Iu<lo;rcriiiancii. 


H93 


germanische  anbetrifft  (sumerisch  ttrudtt  , Kupfer'  kommt  im  Semitischen 
Überhaupt  nicht  von,  auch  bedenken  müssen,  dass,  die  gerade  von 
F.  Hommel  behauptete  nordasiatische  Herkunft  der  Sumero- Akkadcr 
vorausgesetzt,  die  Entlehnung  in  das  Indogermanische  auch  von  anderer 
Richtung  her  als  von  Babvlonicn  erfolgt  sein  könnte  s.  auch  u.  Axt 
und  u.  K upf er).  -Man  sieht  also,  wie  unsicher  alles  wird,  sobald  man 
aus  den  hier  geschilderten  Verhältnissen  geographische  Schlüsse  auf 
die  Urheimat  der  Indogermanen  ziehen  will. 

Während  die  Frage  nach  einer  etwaigeu  Urverwandtschaft  der  Indo- 
germanen n ml  Semiten  als  in  negativem  Sinne  erledigt  angesehen 
werden  kann,  bilden  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  zwischen 
Indogermanen  nnd  Finnen  ein  in  voller  Erörterung  begriffenes  Problem. 
Namentlich  ist  neuerdings  der  bekannte  englische  Sprachforseher 
Henry  Sweet  in  Weiterführung  des  Gedankengangs  von  Männern  wie 
N.  Anderson  (Studien  zur  Vergleichnng  der  Indogermanischen  und 
Finnisch-ugrischen  Sprachen),  Donner  (Vergleichendes  Wörterbuch  der 
Finnischen  Sprachen)  u.  a.  mit  grosser  Entschiedenheit  für  den  gemein- 
samen Ursprung  des  idg.  und  finnisch-ugrischen  Spraehzweigs  einge- 
treten. Er  weist  The  history  of  language  London  1900  S.  11 2  ff. 
auf  die  in  die  Augen  springende  Übereinstimmung  beider  Sprach- 
gebiete in  der  Pronoininalbildung,  den  Personal-,  den  Casusendungen 
u.  s.  w.  bin,  um  schliesslich  sein  Endergebnis  so  zu  formulieren:  „//* 
all  these  and  many  other  resemblances  that  might  be  adduced  do 
not  prove  the  common  origin  <>f  Aryan  and  l'grian,  and  if  tee 
assume  that  the  Ugrians  borroteed  not  only  a  great  parf  of  their 
vocabulary,  bttt  also  many  of  their  dericatire  syllables.  together  teith 
at  least  the  personal  endings  of  their  verbs  front  Aryan,  then  the 
whole  fabric  of  comparative  philology  falls  to  the  gmund,  and  ice 
are  no  longer  justi/ied  in  inferring  from  the  similarity  of  the  in- 
ßections  in  Greek,  Latin,  and  Sanskrit  that  these  languages  have  a 
common  origin.-  Trotzdem  wird  mau  sagen  müssen,  dass  bis  jetzt 
der  „Franz  Boppu  noch  nicht  erstanden  ist,  der  mit  gleich  gründlichen 
Kenntnissen  auf  idg.  wie  finnischem  Gebiet  ausgestattet,  durch  eine 
methodische  und  erschöpfende  Vergleichung  die  Berechtigung  einer 
derartigen  zuversichtlichen  Auffassung  erwiesen  hätte.  Ähnlich  liegen 
die  Dinge  auf  dem  Gebiete  des  Wortschatzes.  Der  finnische  Wort- 
schatz wimmelt  von  idg.  Bestandteilen,  von  denen  die  meisten  indessen 
nachweislich  aus  Entlehnungen  von  idg.  Einzel  Völkern,  Germanen, 
Balten,  Slaven,  Ariern  herrühren.  Gleichwohl  bleibt  eiue  Anzahl  idg.- 
finnischer  Wortübereinstinimungen  übrig,  von  denen  selbst  W.  Thomsen, 
ohue  Zweifel  der  beste  und  vorsichtigste  Kenner  dieser  Verhältnisse, 
meint,  dass  sie  „vielleicht  auf  eine  Stammverwandtschaft  des  Finnischen 
mit  den  indogermanischen  Sprachen  hinweisen  könnten"  ^Cber  den 
Einfluss  der  germ.  Spr.  S.  2).    Als  Beispiele  führt  er  an  finn.  mesi 


Digitized  by  Google 


894 


Urheimat  der  Indnvrcrmatien. 


(St.  med-  oder  met-)  Jlonig',  niortlw.  med..  eer.  my,  syrj.  »w,  ostj. 
mag,  wog.  w«w.  ung.  «ite  =  idg.  *medhu-  (g.  u.  Biene,  Kienen« 
zu  cht);  tinn.  rtw  (Stamm  red-  oder  ref-)  , Wasser',  moidw.  iced,  cer. 
Kit,  r//f,  syrj.  ro\  wog.  r/7,  ung.  r/2  —  seit,  udtfn-,  grieeb.  übuup, 
altsl.  rorfrt,  got.  icatö;  tinn.  nimi  .Name',  niortlw.  lern,  cer.  /wi,  ///m, 
syrj.  wiw/,  ostj.  //<?m,  wog.  ntf-m,  ung.  w/;r  =  sei  t,  na  man-  u.  8.  w. 
(s.  n.  Name,  Xamcngcbungi.  Andere  Fälle  «lieser  Art  sind  tinn. 
ciioxi  ,Jahr',  weps.  wos.  ostj.  6t  =  idg.  *ret-,  *ut-,  *veton-  (s.  n.  .Jahr); 
tinn.  «a?i<t  .Wort'  etc.  (Donner  II,  f>6,  Sweet  S.  114)  =  sert.  svana-, 
lat.  Monu«;  tinn.  äyi/ci,  ung.  /////  etc.  , Fisch'  =  lat.  squahi*  ,cine  Art 
Haifisch',  altn.  /ir////%  agls.  Ä/rtp/,  ahd.  wal,  altpr.  fai/w  ,Wels'  (vgl. 
J.  Hoops  Englische  Studien  XXVIII,  1  und  s.  u.  Wels  und  Walfisch) 
etc.  Hei  mehreren  dieser  Wortühereinstiminiingen  könnte  man,  insofern 
sie  Kultnrbegriffe  bezeichnen,  statt  au  Urverwandtschaft  auch  an  vor- 
historische Nachbarschaft  von  Finnen  und  Indogermanen  und  an 
Entlehnung  des  einen  Sprachstamms  aus  dem  anderen  denken,  wie 
denn  dasselbe  L.  v.  Schröder  aus  der  grossen  Übereinstimmung  idg. 
und  finnisch-ugrischer  Hochzeitsbräuche  (s.  u.  Heirat)  gefolgert  hat. 
So  mehren  sich  von  verschiedenen  Seiten  her  die  Anzeichen,  die  auf 
uralte  vorhistorische  Zusammenhänge  zwischen  Finnen  und  Indoger- 
manen hinweisen.  Je  mehr  sie  sich  bewahrheiten,  ein  umso  stärkeres 
Argument  sind  sie  für  die  uralte  Anwesenheit  der  Indogermanen  im 
Osten  unseres  Erdteils,  da  kein  Grund  vorliegt,  die  Ursitze  des  finnisch- 
ugrischen  Stammes  anderswo  als  in  der  russischen  Waldregion  zwischen 
der  Wolga  bis  jenseits  des  Ural  zu  suchen  (vgl.  Fr.  Th.  Koppen  Aus- 
land Jahrgang  ß.'J,  Nr.  fil  gegen  AI.  Castren,  der  in  seinen  kleineren 
Schriften,  heransgegeb.  von  A.  Schiefncr  V,  107— 122  die  Urheimat 
der  Finnen  in  die  Nähe  des  Sajanischen  Gebirges  und  des  Altai  ver- 
legt hatte). 

Einen  bedeutenden  Anteil  an  der  Erörterung  der  Heimatsfrage  haben 
endlich  diejenigen  linguistischen  Erwägungen  gehabt,  welche  durch 
Erschliessung  der  von  dein  Urvolk  bereits  sprachlich  ausgeprägten  Be- 
griffe etwas  Uber  das  Klima,  die  Bodenbesehaf  fenheit,  die  Fauna 
und  Flora  des  Urlandes  und  damit  über  seine  geographische  Lage 
zu  ermitteln  suchten.  Zusammenfassend  kann  gleich  hier  bemerkt 
werden,  dass  im  (tanzen  wenig  bedeutsames  oder  sicheres  durch  der- 
artige Mittel  festgestellt  werden  konnte.  Was  wir  auf  diesem  Wege 
erfahren,  ist,  dass  die  Indogermanen  in  einem  gemässigten  Klima 
lebten,  in  dem  sie  den  Winter  (s.  d.)  mit  Schnee  und  Eis  (s.  d.) 
kannten  und  drei  Jahreszeiten,  Winter,  Frühling  und  Sommer,  noch 
früher  wohl  nur  zwei,  Sommer  und  Winter  (s.  u.  Jahreszeiten),  unter- 
schieden. Auch  Flüsse  und  Berge  (s.s.  d.d.),  über  deren  nähere 
Beschaffenheit  wir  natürlich  aus  der  Sprache  nichts  erfahren,  waren 
ihnen  bekannt.    Alles  das  passt,  wie  J.  Schmidt  S.  20  mit  Recht  her- 


Digitized  by  Google 


Urheimat  der  Indo^-riiianeti. 


895 


verhebt,  auf  ganz  Europa-Asien  mit  Ausnahme  etwa  der  südlichsten 
Striche,  die,  wie  wir  sahen,  Uberhaupt  nicht  für  das  Urland  in  Be- 
tracht kommen.  Wichtiger  ist,  dass  offenbar  ein  Meer  (s.  d.)  im  vor- 
historischen Gesichtskreis  einiger,  wenn  nicht,  da  die  Sprachreihe 
von  lat.  mare  und  seiner  Sippe  uralten  Charakter  tragt  i  vgl.  H.  Hirt l) 
S.  47.")  f.),  aller  idg.  Völker  gelegen  war.  Wenig  Anhaltspunkte  bietet 
auch  die  linguistisch  erschlicssbare  Fauna  des  Urlands,  umso  weniger, 
weil  ein  Zweifel  darüber  nicht  mehr  gestattet  ist,  dass  es  nicht  an- 
geht, aus  dem  Fehlen  gewisser  Tiere  in  derselben  Schlüsse  auf  die 
Lage  des  Urlands  zu  ziehen,  wie  dies  Benfey  aus  dem  Mangel  eines 
idg.  Löwen-  und  Tigernaniens  versuchte.  Liegt  es  doch  auf  der  Hand, 
dass  ein  solcher  sich  auch  bei  der  Annahme  erklären  würde,  dass  die 
lndogermanen  einstmals  in  einem  Lande  mit  Löwen  und  Tigern  lebten 
und  Bezeichnungen  für  sie  besnssen,  die  sie  jedoch  einbüssen  mussten, 
als  sie  die  beiden  Raubtiere  aus  dein  Gesichtskreis  verloren  (s.  u. 
Löwe  und  u.  Tiger).  Dasselbe  gilt  von  allen  ähnlichen  Fällen.  Im 
einzelnen  finden  sieh  urverwandte  Bezeichnungen,  was  die  Säugetiere 
betrifft,  unter  den  Raubtieren  für  Hund,  Wolf,  Bilr,  Fischotter, 
Igel,  Fuchs  (V;,  Luchs,  Iltis,  Marder  ts.  die  beiden  letzteren  u. 
Wiesel),  unter  den  Nagern  für  Maus,  Hase,  Biber,  Eichhörn- 
chen fV),  unter  den  Einhufern  für  das  Pferd,  unter  den  Zweihufern 
oder  Wiederkäuern  für  Rind,  Schaf,  Ziege,  Hirsch,  unter  den 
Vielhnfem  für  das  Schwein  (s.s.  d.d.).  Das  urverwandte  Sprachgut 
auf  dem  Gebiete  der  Vögel  s.  u.  Raub-,  Sing-,  Sumpfvögel,  Gans, 
Ente,  Halm  Huhn),  Seh wan,  Specht,  Wachtel,  Eisvogel,  Falke 
(Falkenjagd),  Fasan,  auf  dem  der  Fische  u.  Fisch  (Fischfang), 
Walfisch,  Wels.  S.  ferner  u.  Ameise,  Fliege,  Käfer,  Krebs, 
Kröte  (Frosch  ,  Schildkröte,  Schlange,  Schnecke,  Schmetter- 
ling. Ungeziefer  (Floh,  Laus)  u.  a.  Indem  auf  einzelnes  dieser  Art  unten 
zurückzukommen  sein  wird,  lässt  sich  hier  schon  soviel  sagen,  dass 
keines  der  genannten  Tiere  einen  sicheren  Aufschluss  über  die  Lage 
der  idg.  Urheimat  darbietet  Nur  die  Biene  (s.  d.)  macht  vielleicht 
eine  Ausnahme,  wenn  mau  auf  ihr  Vorhandensein  im  Urland  mit  Sicher- 
heit ans  dem  Umstand  schliessen  darf,  dass  die  lndogermanen  den 
Honig  und  Honigtrank,  den  Met  (s.u.  Biene,  Bienenzucht),  kannten. 
Zufolge  der  a.  a.  0.  nach  Fr.  Th.  Koppen  (Ausland  1890  X.  51)  ge- 
schilderten ursprünglichen  Verbreitung  dieses  Insekts  würde  die  Ur- 
heimat der  lndogermanen  nicht  in  den  Oxus-  und  Jaxartesländern  und 
nicht  in  der  Region  jenseits  des  Ural  gesucht  werden  dürfen.  So 
bleibt  die  Flora  des  Urlands,  insofern  sie  sich  in  der  Sprache  spiegelt, 
kurz  zu  bedenken.  U.  Wald,  Wald  bäume  ist  gezeigt  worden,  dass 
eine  übereinstimmende  Terminologie  dieser  letzteren  sich  im  aligemeinen 
auf  Europa  beschränkt,  dass  aber  doch  auch  die  arischen  Sprachen 
an  einer  Reihe  dieser  Baumnair.en  teil  haben  oder  hatten.  Näheres 


Digitized  by  Google 


896 


Urheimat  der  hidogermamn. 


hierüber  wird  unten  zu  sagen  sein.  Im  einzelnen  bat  man  von  jeher 
die  Namen  der  Buche  (s.  d.»  zu  geographischen  Schlüssen  verwertet. 
Die  Ostgrenzc  dieses  Baumes  deckt  sicli  mit  einer  Linie,  die  mau 
sieb  etwa  von  Königsberg;  nach  der  Krim  gezogen  denkt.  Da  nun 
bloss  die  Ccutumvölker  in  griceb.  (pnjös  rausgewichen  in  die  Bedeu- 
tung  .Speiseeiche'),  lat.  fägus,  abd.  buohha  eine  gemeinschaftliche  Be- 
nennung dieses  Baumes  besitzen,  so  scheint  dieselbe  den  Ausblick  in 
eine  Zeit  zu  gewähren,  in  der  die  Satemvölker  östlich,  die  Centuiu- 
völker  westlich  der  bezeichneten  Buchengrenze  süssen.  Da  aber  der 
angeführte  Buchenname  durch  die  im  Vergleich  zu  allen  Übrigen  Baum- 
namen auffallende  Durchsichtigkeit  seiner  Bildung  (von  griech.  cpattlv 
»speisen')  einen  verhältnismässig  jungen  Eindruck  macht,  so  liegt  der 
Schluss  nahe,  auch  die  Centunivölker  hätten  einstmals  östlich  der  be- 
zeichneten Buehengrenzc  gesessen  und  bei  Überschreitung  derselben 
die  Bezeichnung  ..Speisebaum"  t'ilr  die  Buche  neu  gesebalTen  (vgl. 
Hirt  »)  S.  AHii,  2)  S.  651,  Streitberg  II;  anders  Krctsehmer  S.  04'. 

Wesentlich  kürzer  können  wir  uns  über  den  Anteil  der  Anthropo- 
logie an  der  Erörterung  der  Heimatsfragc  fassen.  So  verheissnn-s- 
voll  es  erschien,  als  gegenüber  den  oft  unsicheren,  ja  nachweislich 
falschen  Deduktionen  der  Philologen  und  Sprachforscher  eine  Wissen- 
schaft auf  dem  Plane  erschien,  die  an  der  Hand  eingehender,  bisher 
in  der  ganzen  indogermanischen  Frage  vernachlässigten  Beobachtung 
der  körperlichen  Beschaffenheit  der  idg.  Völker  auch  das  Rätsel 
ihrer  Herkunft  zu  lösen  unternahm,  so  deutlich  muss  mau  es  aus- 
sprechen, dass  sich  diese  Hoffnungen  als  trügerisch  erwiesen  haben. 
Alle  Versuche,  aus  angeblichen  Rasseneigeuschaften  den  Ausgangspunkt 
der  idg.  Völker  zu  bestimmen,  scheitert  an  der  einfachen  Thatsache, 
dass  die  Indogermauen  keine  Basse  in  anthropologischem  Siune  sind 
oder  in  uns  erreichbarer  und  erschliessbarer  Zeit  waren.  Selbst  wenn 
wir  also  auch  —  wovon  wir.  so  scheint  es.  noch  weit  entfernt  sind  — 
in  Europa-Asien  distinkte  Rassen  scharf  und  reinlieh  unterscheiden 
könnten,  wenn  wir  genau  wüssteu,  unter  welchen  rmstäuden  und  in 
welchen  Gegenden  ihre  Rassennicrkmale  entstanden  wären,  würde  dies 
alles  für  die  Frage  der  Urheimat  der  Indogennancii  bedeutungslos  sein, 
weil  uns  jene  Rassenf  ragen  ebenso  wie  die  oben  erörterten  geolo- 
gischen Probleme  in  unendlicher  Zeiten  Ferne  zurückführen,  wäh- 
rend das,  was  wir  idg.  Urvolk  und  idg.  Urheimat  nennen,  fast  schon 
an  der  Schwelle  der  Geschichte  liegt.  Dieser  Gedanke  ist  mit  aller 
nur  wünschenswerten  Deutlichkeit  neuerdings  auch  von  F.  Ratzel,  den 
gewiss  niemand  der  Abneigung  gegen  anthropologische  Forschung  be- 
schuldigen wird,  a.  u.  a.  (>.  ausgesprochen  worden.  Nachdem  derselbe 
zu  zeigen  versucht  hat,  dass  im  diluvialen  Europa,  das  damals  von 
Norden  her  durch  Vcrgletscherung,  von  Nordosten  und  Südosten  her 
durch  grosse  Meercsausbuchtungen  eingeengt,  im  Süden  aber  noch  mit 


Digitized  by  Google 


Urheimat  der  Indo<reriimiHMi. 


Westasien  nn<l  Xordafrika  landt'est  verbunden  gewesen  sei.  zunächst 
über  den  bilden,  wie  auch  Uber  Xordafrika  und  Westasien,  eine  helle 
Ahsehattierung  der  längst  in  den  südlicheren  Teilen  von  Afrika  und 
Asien  heimischen  dunklen  Völker  sich  ausschreitet  habe,  dass  dann 
in  dem  allmählich  eisfrei  gewordenen  Mittel-  und  Nonleuropa,  in  dem 
►Steppengebiet  Südostenropas  und  in  dem  nunmehr  mit  Europa  land- 
fest verbundenen  Xordwcstasien  die  »blonde,  hochgewachsene  Kolonial- 
Varietät  der  weissen  Kasse"  aufgewachsen  sei,  und  dass  endlich  in 
den  Zusammcnfluss  beider,  besonders  nach  Ost-  und  .Mitteleuropa,  sich 
Abkömmlinge  einer  dritten,  der  mongolischen  Hasse,  dazwischen  ge- 
schoben hätten,  fährt  er  S.  144  ganz  in  unserem  Sinne  folgcndermassen 
fort:  „Mit  dieser  Rassenentwicklung,  die  tief  in  eine  viele  Jahrzehn- 
tansende  hinter  uns  liegende  geologische  Vergangenheit  hineingreift,  kann 
die  Ausbreitung  der  arischen  U\.  h.  indogermanischen)  Sprachen  in  Europa 
und  Asien  nur  insofern  in  Verbindung  gebracht  werden,  als  diese 
Sprachen,  als  sie  sich  entwickelten,  die  Kassen  vorfanden,  die  im 
qnartären  Europa  sich  festgesetzt  hatten.  Ans  ihnen  bildete  sich  eine 
neue  Völker  Verwandtschaft  (d.  h.  eben  die  indogermanische 
durch  die  uralten  Prozesse  des  Verkehrs,  der  Eroberuug,  der  Koloni- 
sation, der  Verschmelzung  und  auch  der  Ausrottung   Von  einer 

„arischen  Rasse"  kann  also  nicht  gesprochen  werden/  Im 
Einklang  hiermit  ist  auf  anderem  Wege  u.  Körpcrbcsehaffenheit 
der  Indogermaneu  darauf  hingewiesen  worden,  dass  nach  allem, 
was  wir  wissen,  die  Indogermanen  hinsichtlich  ihres  Schädelbaues,  der 
in  der  Rassenbestiraraung  der  Völker  eine  so  wichtige  Rolle  gespielt 
hat,  schon  in  der  Urzeit  differenziert  gewesen  sein  müssen.  Auch  die 
Komplexion  und  die  Statur  werden  nicht  mehr  ganz  einheitlich  ge- 
wesen sein.  Gleichwohl  ist  es  wahrscheinlich,  dass  bei  der  Rassen- 
mischung, aus  der  das  idg.  Urvolk  hervorging,  grosse  und  blonde 
Menschen  einen  Hauptbestandteil  bildeten,  nur  dass  eben  diese  beiden 
Eigenschaften  nicht  als  ausschliesslich  Indogermanen  charakterisierend 
betrachtet  werden  dürfen.  Darauf  hatte  aber  lange  vor  Penka,  dessen 
ganze  Ansicht  über  den  skandinavischen  Ursprung  der  Indogermanen  i  vgl. 
Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  S.  142  f.  )  auf  dem  verhängnisvollen 
Irrtum  beruht,  dass  die  Indogermanen  eine  distinkte  Rasse  gebildet 
hätten,  schon  V.Hehn  Kulturpflanzen''  S.  f>ll  rein  aus  ethnologischen 
Erwägungen  hingewiesen:  „In  welchem  von  beiden  Typen  aber,  dein 
dunklen  oder  hellen,  dürfen  wir  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  das 
Abbild  der  Urzeit  erkennen?  Alles  spricht  dafür,  dass  diejenigen 
Stämme,  die  in  historischer  Isolierung  am  wenigsten  von  der  ursprüng- 
lichen Lebensweise  sich  entfernt  hatten,  nämlich  die  nordischen,  auch 
die  leiblichen  Stammeszeichen  am  treuesten  bewahrt  hatten.  Wo  sie 
seitdem  der  südlichen  Natur  und  Lebensform  sich  genähert  oder  mit 
der  dunkleren  Rasse  sich  gemischt  haben,  da  hat  allemal  die  letztere 

Schräder,  Hcallexfkon.  57 


Digitized  by  Google 


t'rhoiinat  der  Iiidogerinam'ii. 


die  Oberhand  gewonnen. u  Um  aber  zu  solchen  grossen  und  blonden 
Volkern  zu  gelangen,  brauchen  wir  nicht  mit  Pcnka  in  den  hohen 
Norden  unseres  Erdteils  emporzusteigen.  Sie  werden  ebenso  vgl. 
schon  Ilerodot  IV,  108)  aus  seinem  Osten  gemeldet. 

Es  wird  also  doch  der  Philologe  und  Historiker  und  nicht  der  An- 
thropologe sein,  der  das  entscheidende  Wort  (Iber  die  Urheimat  der 
Indogermauen  zu  sprechen  hat. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  den  V  erlauf  unserer  bisherigen  Darstellung, 
so  wird  man  dreierlei  sagen  können:  1.  dass  alle  zu  Gunsten  der  asia- 
tischen Herkunft  der  Indogermauen  vorgebrachten  Gründe  sich  als  nicht 
stichhaltig  erwiesen  haben,  2.  dass  zahlreiche  Gesichtspunkte  auf  den 
Osten  unseres  Erdteils  als  Ausgangspunkt  der  Indogermauen  hin- 
weisen, und  3.  dass  es  nichts  giebt,  was  gegen  die  Richtigkeit  dieser 
letzteren  Annahme  spräche.  That.sächlich  dürften  sich  mit  einer  solchen 
vorläufigen  und  allgemeinen  Fassung  unseres  Ergebnisses,  abgesehen 
etwa  von  .).  Schmidt,  alle  diejenigen  einverstanden  erklären  können, 
welche  in  neuerer  Zeit  sich  eingehender  mit  unserem  Problem  be- 
schäftigt haben,  im  besonderen  Hirt,  Streitberg,  Bremer,  auch  wohl 
Krctschmer.  Offen  bleibt  dabei  zunächst,  ob  wir  uns  die  Urheimat 
mehr  im  Nordosten,  im  russischen  Waldgebiet  bis  zur  Ostsee,  oder 
mehr  im  Südosten,  im  südrussischen  Steppengebiet  bis  zum  Schwarzen 
Meer  zu  denken  haben. 

Die  Entscheidung  über  diese  letzte  Frage  hängt  lediglich  davon  ab, 
welche  Wirtschaftsform  wir  dem  Urvolk  zuzuschreiben,  oder,  kon- 
kret gesprochen,  ob  wir  es  uns  als  Viehzüchter  in  der  Steppe  oder 
als  Ackerbauer  im  Waldland  zu  denken  haben.  Über  diesen  Zu- 
sammenhang zwischen  Wohngebiet  und  Wirtschaftsform  hat  neuerdings 
Fr.  Ratzel  in  seiner  u.  genaunten  Schrift  ausführlich  gehandelt,  aus 
der  wir  einige  charakteristische  Sätze  herausheben:  „Wo  Wald  und 
Steppe  aneinander  grenzen,  da  treffen  auch  immer  iu  der  alten  Welt 
wandernde  Hirtenvölker  mit  Jägern  und  Ackerbauern  zusammen.  Wald 
ist  in  der  nördlichen  gemässigten  Zone  der  Boden  des  Ackerbaues, 
die  Steppe  ist  der  Boden  des  Nomadismus.u  „Der  Wald  ist  das  Zu- 
fluchts-  und  Schutzgebiet  für  Völker,  deren  Herden  den  Siegern  zur 
Beute  gefallen  waren,  und  die  zu  schwach  geworden  sind,  um  die 
offene  Steppe  zu  halten."  „Zwischen  Steppenländern  und  Waldläudern 
liegen  die  Gebiete  des  Überganges.  .  .  .  Für  die  Entwicklung  der 
Kultur  sind  diese  Übergangsgebiete  von  der  grössteu  Wichtigkeit.  Das 
Völkcrleben  der  Steppe  befreundet  sich  in  ihnen  mit  dem  Wald,  und 
die  Waldinseln  halten  es  fest  und  vermitteln  den  Übergang  vom 
Hirtentum  zum  Ackerbau."  -Ja,  auch  in  Europa  tragen  die  Anfänge 
der  Arier  Merkmale  des  Notnadcntums,  d.  h.  der  Steppe.  Kann  es 
unter  diesen  Umständen  erlaubt  sein,  die  Steppen  Europas  und  euro- 
päischer Nachbarländer  bei  der  Frage  nach  dem  Ursprung  der  Be- 


Digitized  by  Google 


Urheimat  der  Indogcrmanen. 


völkerung  Europas  zu  vernachlässigen  ?a  Was  lässt  sich  nun  also 
über  die  älteste  Wirtschaftsform  der Indogermanen  ermitteln? 
Das  Ergebnis  kann  in  folgende  zwei  in  den  Artikeln  Viehzucht  und 
Ackerbau  ausführlich  begründete  Sätze  zusammengefasst  werden: 
1.  Die  Indogcrmanen  waren  in  der  ältesten  uns  erreichbaren  Zeit 
Viehzüchter.  L\  Noch  in  vorhistorischer  Zeit  gingen  die  europäischen 
Indogcrmanen,  einschliesslich  der  später  nach  Klcinasien  ausgewanderten 
Phryger  und  Armenier,  zu  einem  primitiven  Ackerbau  Uber,  der  aber 
noch  lange  die  Spuren  des  einstigen  Hirtenlebeus  nicht  verleugnen 
kann.  Der  Schluss  auf  die  Lage  der  Urheimat  ergiebt  sich  nun  von 
selbst:  Die  Indogermanen  wohnten  als  Viehzüchter  in  der  Steppe,  in 
deren  Übergaugsgebieten  die  Europäer  dem  Ackerbau  sich  zuwandten. 

Diese,  wie  uns  scheint,  einfache  und  schlagende  Kombination  wird 
nun  in  ihrem  Wert  wesentlich  erhöht  durch  den  Umstand,  dass  der 
von  uns  für  die  Urzeit  angenommene  Vorgang  der  Umwandlung  eines 
Teiles  der  Indogcrmanen  aus  Viehzüchtern  zu  Ackerbauern  sich  in 
denselben  (legenden  gleichsam  vor  unseren  Augen  wiederholt.  Als 
Ilcrodot  am  Schwarzen  Meere  verweilte,  erfuhr  er  (IV,  17  ff.),  dass 
unfern  von  dem  an  der  Mündung  des  Dujepr  gelegenen  Emporions  die 
Kallipiden  und  nördlich  von  ihnen  die  Alazoncn  wohnten,  beides  Völker, 
die  sonst  wie  die  Skythen  lebten,  aber  Getreide  säten  und  sich  davon 
nährten,  auch  Zwiebeln,  Knoblauch,  Linsen  und  Hirse  bauten.  Noch 
weiter  nördlich  sassen  die  „l'flüger-Skythen"  (ZkuGcu  dpoTf|p€?),  die 
sogar  zum  Zwecke  der  Ausfuhr  Getreidebau  trieben.  Uberschritt  man 
den  Dnjepr,  so  stiess  man  zunächst  auf  das  „Waldlaudu  (üXcua,  skyth. 
'Aßucn,  :  lat.  ahies  ,Tanne'  nach  Kretschmer  S.  214 4),  in  dessen  Nähe 
die  „Landbauer-Skythen  u  (Iicüeai  teiuptoi)  wohnten,  die  sich  ostwärts 
3  Tagereisen  bis  zur  Samura,  nordwärts  1 1  Tagfahrten  auf  dem  Dnjepr 
erstreckten.  Ostlich  von  diesen  „Landbauer-Skythen"  traf  man  dann 
auf  die  „Nomaden-Skythen",  denen  Säen  und  Pflügen  eine  unbekannte 
Sache  war.  So  sehen  wir  also,  wie  die  Macht  der  Örtlichkeit  ein 
und  dasselbe  Volk  in  Hirten  und  Ackerbauer  spaltet,  kurz  dasselbe 
Schauspiel  aut'  derselben  Bühne,  das  wir  oben  für  die  idg.  Urzeit  er- 
schlossen. 

Was  gegen  diese  Stcppeuheiiuat  der  Indogermanen,  für  die  in  neuerer 
Zeit  auch  E.  Meyer,  Fr.  Seiler  und  0.  Bremer  mit  voller  Entschieden- 
heit eingetreten  sind,  eingewendet  worden  ist.  lässt  sich,  wie  wir 
glauben,  unschwer  widerlegen.  Man  hat  gesagt  (vgl.  H.  Hirt  1  >  S.  476): 
„Die  Steppe  ist  baumlos.  Da  nun  eine  Reihe  von  Baumnamen  sich  als 
idg.  erweisen  und  an  ihnen  auch  die  arischen  Sprachen  teilnehmen, 
können  die  Indogermanen  nicht  in  der  Steppe  gewohnt  haben."  Allein 
der  Vordersatz,  auf  dem  sich  dieser  Schluss  aufbaut,  ist  unrichtig. 
Durch  neuere,  im  besondern  russische  Untersuchungen  (vgl.  darüber 
A.  Nehriug  Die  geographische  Verbreitung  der  Säugetiere  in  dem 


Digitized  by  Google 


:kk) 


Urheimat  der  Iiidogcrmam'n. 


Tschernoscm-Gcbiete  des  rechten  Wolga-Ufers  sowie  in  den  angrenzen- 
den Gebieten,  Z.  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  XXVI.  Band 
Nr.  4  und  Fr.  Ratzel  a.  u.  a.  0.  S.  57)  wissen  wir.  dass  im  südlichen 
Russland,  namentlich  an  den  Flnsslänfen,  Wahl  und  Steppe  so  viel- 
fach in  einander  greifen,  dass  es  ein  Wunder  wäre,  wenn  die  in  der 
letzteren  wandernden  Indogermanen  nicht  Namen  der  Waldbäume  in 
ihrer  Sprache  ausgebildet  haben  sollten.  Über  einen  gewissen  Holz- 
vorrat müssen  auch  die  Skythen,  selbst  die  in  nomadischen  Verhält- 
nissen verharreuden,  verfügt  haben,  wie  allein  schon  ihre  Bekanntschart 
mit  dem  Wagenbau  (s.  u.  Wagen)  beweist.  Auch  bleibt  die  That- 
saehc  bestehen,  dass  die  grössere  Zahl  der  gemeinsamen  Baumnamen 
auf  die  europäischen  Sprachen  beschränkt  ist.  Da  dieselben,  mit  Aus- 
nahme der  Buche  (s.  o.),  gegenüber  den  sicher  europäisch-arischen 
Bezeichnungen  für  Bäume  (sert.  hhürja-,  ahd.  birihha  u.  s.  w.  .Birke": 
sert.  bhräj  .glänzen',  sert.  pita-dru-,  griceh.  ttitu?  , Fichte'  :  sert.  pi, 
päyate  ,schwelleiv,  aw.  vaeti ,  griceh.  it^a  , Weide'  :  seit,  rtiyati,  lat. 
rieo)  wurzelhaft  dunkel  sind,  liegt  die  Vermutung  nahe,  sie  mochten 
nicht  von  den  Europäern  neugebildet,  sondern  aus  allophylcn  Sprachen 
in  das  Indogermanische  übertragen  worden  sein  (vgl.  auch  Kretschmer 
S.  66). 

Man  bat  ferner  eingewendet  (vgl.  .1.  Schmidt  S.  22\,  dass  der  Bär 
is.  c!.),  den  die  Indogermanen  sicher  kannten,  kein  Steppentier  sei: 
aber  auch  dies  ist  irrig;  denn  es  hat  sich  herausgestellt,  was  eben 
mit  der  sporadischen  Bewaldung  des  Steppengebietes  zusammenhängt, 
dass  das  Tier  daselbst  recht  wohl  zu  Hanse  ist  i  vgl.  Kretschmer  S.  58V 

Auch  für  den  Aal  (s.d.)  hat  man  einen  urverwandten  Ausdruck  er- 
*chlicsscn  wollen  (Hirt  S.  484,  i\  S.  664)  und  darauf  hingewiesen, 
dass  dieser  Fisch  in  den  Zuflüssen  des  Schwarzen  Meeres,  das  man 
nach  dem  obigen  unter  der  Reibe  lat.  mare,  got.  tnarei  u.  s.  w.  (s.  auch 
u.  Salz)  natürlich  verstehen  innss,  nicht  vorkomme.  Allein  die  be- 
treffende Wortreihe,  griech.  £yx€Xu<;  nnd  seine  Sippe,  stellt,  womit 
auch  J.  Schmidt  S.  19  übereinstimmt,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
nichts  als  eine  erst  in  den  Einzelsprachen  entstandene  Verkleinerungs- 
form eines  idg.  Wortes  für  Schlange  (Aal  =  kleine  Schlange)  dar. 
Unrichtig  ist  es  ferner,  wenn  Schmidt,  Hirt.  Streitberg  die  Biene  von 
der  Steppe  ausschliessen  wollen,  die  in  derselben  (s.u.  Biene,  Bienen- 
zucht) zweifellos  heimisch  ist,  und  endlich  treten  auch  die  drei 
Jahreszeiten,  welche  schon  die  Indogermanen  unterschieden,  Winter, 
Sommer  und  die  kurze  Übergangszeit  des  Frühlings,  deutlich  in  der- 
selben hervor  (vgl.  darüber  Kretschmer  S.  66  f.). 

So  verlegen  wir  also  die  Urheimat  der  Indogermanen  in  das  Steppen- 
gebiet des  südlichen  Russland,  wobei  es  wenig  darauf  ankommt,  ob 
man  zu  dem  europäischen  Teil  desselben  noch  einen  grosseren  oder 
kleineren  des  asiatischen  Steppengebietes  hinzurechnet.    Nur  mnss  man 


Digitized  by  Google 


Urheimat  der  Indogermaneu. 


901 


sich  klar  machen,  was  unter  „Urheimat  der  Indogernianen"  besonnener 
Weise  zu  verstehen  ist.  Wie  wir  glauben,  nichts  als  die  älteste  Ver- 
hrciTiuigssphärc  derselben,  die  wir  noch  mit  unseren  Mittel u  erschlicssen 
können.  Ob  die  idg.  Völkereinheit  auch  in  der  Steppe  entstanden 
ist,  ist  eine  ganz  audere  Frage,  die  vom  Standpunkt  unseres  gegen- 
wärtigen Wissens  aus  nicht  einmal  ohne  Weiteres  bejaht  werden  kann. 
Denn  Spuren  von  paläolit Iiisehen  Menschen,  aus  denen  doch  eiumal 
auch  die  Indogermaneu  hervorgegangen  sein  müssen  (s.  u.  Steinzeit), 
fehlen  bis  jetzt  im  Steppengebiet.  Vgl.  Fr.  Katze!  S.  47:  „Gar  keinen 
Beweis  dafür  gieht  es,  dass  das  südrussische  Steppengebiet  vor  der 
Bildung  der  Schwarzerde  von  Menschen  bewohnt  wurde.  Man  kennt 
keine  paläolitbischen  Funde  aus  diesem  Gebiet  zwischen  Kasan,  dem 
Schwarzen  Meer  und  dem  Kaspisce.  In  den  ältesten  Absätzen  des 
damals  noch  vergrösserten  Kaspisehen  und  Politischen  Beckens  findet 
mau  massenhaft  Keste  von  Mammut,  Khiuoceros,  Bos  primigenius  u.  a.. 
.aber  keine  Spur  von  Menschen.*  Es  könnte  daher  wohl  als 
möglich  bezeichnet  werden,  namentlich  wenn  die  oben  besprochene 
Urverwandtschaft  der  Finnen  und  Indogermaneu  sich  bewahrheiten 
sollte,  dass  die  Indogermaneu  —  vielleicht  als  Jäger,  wie  die  Finnen  — 
einstmals  nördlich  des  Steppengebietes  wohnten  und  südwärts  gedrängt, 
zur  Viehzucht  und  zum  Hirtcnleben  übergingen.  Der  Ursprung  unserer 
Hanstierrasseu  (s.  namentlich  u.  Hund,  Pferd.  Kind,  Schwein) 
scheint,  je  mehr  die  Wissenschaft  sieh  in  ihn  versenkt,  auch  von 
Europa  her  verstanden  werden  zu  können.  Allein  hüten  wir  uns,  in 
diese  Fragen  näher  einzugehen,  die.  wenigstens  gegenwärtig,  einer 
wissenschaftlichen  Behandlung  unzugänglich  sind.  Ihnen  gegenüber 
steht  die,  wie  wir  glauben,  sichere  Erkenntnis,  dass  die  Indo- 
ge miauen  in  einer  gewissen  Epoche  ihrer  vorhistorischen 
Entwicklung  in  der  südrussisehen  Steppe  sassen,  und  in 
derselben  ein  Teil  von  ihnen  zum  Ackerbau  überging. 

Die  Ausbreitung  der  Indogernianen  von  diesem  Zentrum  aus  wird 
teils  durch  allmähliches  Wachstum  und  räumliche  Ausdehnung  des 
Volkes,  teils  durch  Wanderungen  einzelner  oder  vereinigter  Stämme 
erfolgt  sein.  Erwägt  man,  worauf  schon  oben  hingewiesen  wurde, 
dass  die  höchstwahrscheinlich  schon  in  der  Urheimat  embryonisch  vor- 
handene Spaltung  der  Indogernianen  in  westliche  Centum-  und  östliche 
•Satcm- Völker  so  im  Grossen  und  Ganzen  noch  in  der  geschichtlichen 
Zeit  andauert,  so  wird  man  es  wahrscheinlich  finden  müssen,  dass 
grosse  Verschiebungen  in  der  Stellung  der  einzelnen  Völker  zu  einander 
<lureh  ihre  Ausbreitung  nicht  veranlasst  worden  sind,  und  die  Annahme 
vorhistorischer  Völkerberührungen  wie  die  neuerdings  von  Kretschmer 
»S.  124  ft".  angenommene  zwischen  Kelten  und  Indem  hat  von  vornherein 
wenig  Wahrscheinlichkeit.  Hinsichtlich  des  Weges  ihrer  Ausbreitung 
und  Wanderungen  machen  eigentlich  nur  die  Centuin-Völker  Schwierig- 


Digitized  by  Google 


00l> 


Urheimat  der  Indogermanen  —  Urochse. 


keiteu.  Lange  werden  sie  in  unmittelbarer  Berührung  mit  den  euro- 
päischen Satem-Völkern  östlich  der  Karpaten  und  westlieh  der  oben 
bezeichneten  Buchcngrenze  gesessen  haben.  Dann  werden  sich  die 
Vorfahren  der  kriechen.  Italer  und  Kelten  längs  der  Donau  nach 
Ungarn  gewendet  haben,  das  „immer  eine  Pforte  für  den  Übergang 
aus  dem  politischen  Gebiet  nach  Inneneuropa"  gewesen  ist,  und  in 
den  Teilen  zwischen  Donau,  Theiss  und  nordöstlichen  Karpaten  den 
Charakter  der  alten  Steppenheiuiat  wiederspiegelte.  Von  der  Donau 
mögen  sich  frUli  die  Griechen  durch  die  Thälcr  der  Sau,  Drina  und 
Morawa  abgezweigt  haben,  während  die  Italiker  und  Kelten  an  der 
mittleren  Donau  in  benachbarten  Wohnsitzen  bei  einander  blieben.  Die 
Vorfahren  der  Germanen,  die  ältere  verwandtschaftliche  Beziehungen 
zu  den  Litu-Slaven  als  zu  den  Kelten,  mit  denen  sie  erst  später  wieder 
zusnmmenstiessen,  zu  zeigen  scheinen  (vgl.  Kretsehmer  S.  108  110), 
denken  wir  uns  aus  dem  Gebiet  des  Dnjestr  zunächst  in  das  der 
Weichsel  und  dann  weiter  in  das  der  Oder  und  Elbe  Ubergegangen.  In 
chronologischer  Hinsicht  fallen  die  vorhistorischen  Zusammenhänge 
der  Indogermanen.  wie  u.  Kupfer  und  Steinzeit  gezeigt  ist  (vgl. 
auch  Streitberg  III),  archäologisch  gesprochen,  in  die  neolithischc  Zeit. 
Als  die  Bronze  (s.  n.  Erz)  in  Europa  auftrat,  traf  sie  die  Indoger- 
manen bereits  als  Ein/.elvölker  und  in  ihren  ältesten  Stammsitzen  oder 
deren  Xähe.  Da  nun  die  Archäologen  dieses  Ereignis  auf  den  Anfang 
oder  die  Mitte  des  II.  Jahrtausends  vor  Chr.  festsetzen,  inuss  die  Aus- 
breitung der  Indogermanen  in  unserem  Erdteil  geraume  Zeit  früher 
stattgefunden  haben.  —  Vgl.  .1.  Schmidt  Die  Urheimat  der  Indo- 
germanen und  das  europäische  Zahlsystem,  Abb.  d.  kgl.  preuss.  Ak.  d. 
W.  zu  Berlin,  philos.histor.  Abh.  1890  II.  II.  Hirt1  Die  Urheimat 
der  Indogermanen  I.  F.  1  (1802),  8  Die  Urheimat  und  die  Wanderungen 
der  Indogermanen,  Gcogr.  Z.  hcrausg.  von  A.  Hcttner  I  (1895),  W. 
Streitberg  Die  Urheimat  der  Indogermanen  Frankf.  Z.  vom  8.,  1U.  u. 
15.  März  1893  (I,  II,  III).  E.  Meyer  Geschichte  des  Altertums  II 
(1893),  40  ff.,  F.Seiler  Die  Heimat  der  Indogermanen  Hamburg  1894 
(Virchow- Wattenbach),  P.  Kretschmer  Einleitung  in  die  Geschichte 
der  griechischen  Sprache  Göttingen  1896.  O.  Bremer  Ethnographie 
der  germanischen  Stämme  in  Pauls  Grundriss  III2.  735  ff.,  Fr.  Ratzel 
Der  Ursprung  und  die  Wanderungen  der  Völker  geographisch  betrachtet: 
11.  Geographische  Prüfung  der  Thatsachcn  Uber  den  Ursprung  der 
Völker  Europas,  aus  den  Berichten  der  phil.-hist.  Kl.  d.  kgl.  sächs. 
Ges.  d.  W.  zu  Leipzig,  Sitzung  vom  3.  Febr.  1900.  Weitere  Litteratur 
zitieren  H.  Hirt  I.  F.  1,  46« 1  und  K.  Brugmann  Grundriss  I2,  22 l.  Vgl. 
noch  J.  W.  Bruinier  Die  Heimat  der  Indogermanen  und  die  Möglichkeit 
ihrer  Feststellung,  Jahresb.  d.  Vereins  für  Erdkunde  zu  Metz,  Sitzung 
vom  29.  Okt.  1890. 

Urochse,  s.  Rind. 


Digitized  by  Google 


Vasall  —  Veilchen. 


903 


V. 

Vasall,  8.  Stände. 

Vater.  Das  idg.  Wort  liierfllr  ist  scrt.  pitär-,  altp.  a\v.  pitar-, 
griech.  Trcrrrip,  lat.  pater,  ir.  athir,  got.  fadar,  annen.  hair.  Das  Wort 
fehlt  also  lediglich  im  Litu-Slaviseben  und  Albanesischcn.  Eine  Grundbe- 
deutung dieser  uralten  Bezeichnung  des  Vaters  lässt  sich  nicht  mit  Sicher- 
heit ermitteln.  Vielleicht  ist  sie  nichts  als  eine  organische  Umbildung  eines 
der  /ahlreichen  Lall-  oder  Kinderwörter,  die  sich  zur  Bezeichnung  des 
Vaters  und  der  Mutter  in  allen  Sprachen  der  Welt  finden.  Solche  Aus- 
drücke auf  idg.  Hoden,  wo  sie  im  Litu-Slavischen  und  Alhanesisehen 
das  alte  Wort  für  Vater  ganz  verdrängt  haben,  sind:  scrt.  tatd-,  tätd-, 
griech.  Tidu-Tra  Vok.,  arm  <  Anrede  eines  jüngeren  an  einen  Alten),  lat. 
atta  (Vater,  Grossvater,  Alter),  tata,  germ.  got.  atta,  ahd.  foto,  lit. 
tM-ift,  teicas,  altpr.  thetift  ,Grossvater',  theicis  , Vatersbruder',  tdtes, 
towia  , Vater",  altsl.  otlci,  all».  at.  tatr,  kelt.  korn.  tat  u.  n.  S.  auch 
u.  Mutter  und  u.  Stände  III.  Möglich  ist  aber  auch,  dass  scrt.  pitiir- 
n.  s.  w.  zu  derselben  Wurzel  wie  scrt.  pdti-,  griech.  -noaiq  (scrt.  pä 
,schützenj  gehört,  oder  an  dieselbe  angelehnt  worden  ist.  Über  die 
Stellung  des  Vaters  in  der  idg.  Familie  s.  d.   S.  auch  u.  Vorfahren. 

Vatersbruder,  s.  Oheim. 

Vater  Himmel  und  Mutter  Knie,  s.  Religion. 
Vaterland,  s.  Staat. 

Vegetabilische  Nahrung,  s.  Ackerbau,  Nahrung,  Opfer, 
S  a  1  z. 

Veilchen.  Viola  odorata  L.  ist  nach  Lenz  Botanik  S.  GJU 
wildwachsend  in  Griechenland  und  namentlich  in  Italien  verbreitet; 
doch  giebt  Heldreich  Die  Nutzpflanzen  Griechenlands  S.  49  in  ersterem 
als  wildwachsend  nur  die  der  Viola  odorata  verwandte  I'.  Thexsala 
Hoiss,  et  Sprun.  zu.  Der  griechische  und  lateinische  Name  der  Blume 
Tov  (schon  Od.  V,  72,  daneben  io€ibn.£  und  iöcuj)  und  vio-la  erweisen 
sieh  als  urverwandt  (s.  auch  u.  Hyaeint hei.  Welche  Vcilchcngattnng 
diese  Gleichung  ursprünglich  bezeichnet  hat,  liisst  sich  aber  nicht  sagen. 
Lat.  riola  drang,  wahrscheinlich  gleichzeitig  mit  der  Viola  odorata, 
die  in  Deutschland  nicht  einheimisch,  sondern  nur  verwildert  zu  sein 
scheint,  in  den  Norden,  wo  es  früh  mhd.  als  viol.  viel,  russ.  /ialka, 
cech.  fiala  etc.  erscheint.  Von  der  Kulturpflanze  aus  wurde  dann 
das  einheimische  wilde  Veilchen  (Viola  vanina  „Hundsveilchen4* )  be- 
nannt. 

Als  Veilchen  bezeichneten  die  Alten  noch  einige  andere,  ihm 
ähnliche,  aber  verschiedenen  Gattungen  ungehörige  Blumen,  wie  die 
Levkoje,  Matthiona  incana  L.  (griech.  XtuKÖv  Tov,  lat.  ciola  alba, 
pallen*.  leuconium)  und  den  Goldlack,  Cheirantus  Cheiri  L.  (griech. 


Digitized  by  Google 


904 


Veilchen  —  Verbrechen. 


XcuKÖiov  unAivov,  lat.  viola  lutea).  Beide  Blumen  sind  in  Griechen- 
land und  dem  ganzen  südlichen  Europa  einheimisch  (vgl.  A.  Engler 
bei  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  254).  Beide  werden  sicher  in  Deutsch- 
land erst  im  XVI.  Jahrhundert  genannt  (vgl.  v.  Fiseher-Benzon  Altd. 
Gartenflora  S.  41).  Orientalische  Namen  des  Veilchens  vgl.  bei  Horn 
Grundriss  der  npers.  Et.  S.  53  und  Hübsehmann  Armen.  Gr.  I,  191. 
—  S.  u.  Blumen,  Blumenzucht. 

Verbannung,  s.  Strafe. 

Verbeugung,  s.  Gruss. 

Verbrechen.  Für  diesen  Begriff  lindet  sich  eine  sichere  idg. 
Bezeichnung  in  der  Gleichung  seit,  ä'gax-  —  griech.  dvoc  {ändga*  = 
ava-pte).  Es  handelt  sich  darum,  die  eigentliche  Bedeutung  dieses 
Ausdrucks  für  die  Urzeit  festzustellen.  Unter  „Verbrechen"  oder  „Ver- 
gehen" verstehen  >vir  Handlungen,  die  von  dem  Strafgesetzbuch,  also 
von  der  öffentlichen  Gewalt,  mit  einer  grösseren  oder  geringeren  Strafe 
bedroht  werden,  während  wir  den  Ausdruck  „Sünde"  anwenden,  wenn 
wir  hervorheben  wollen,  dass  diese  Handlungen  oder  auch  andere, 
von  den  weltlichen  Gesetzen  nicht  verbotene,  gegen  den  Willen  der 
Gottheit  Verstössen.  Nun  ist  bei  der  Einzclbesprechung  einer  Reihe 
solcher  Handlungen  is.  u.  Mord,  Raub,  Körperverletzung, 
Notzucht;  gezeigt  worden,  dass  dieselben  in  der  ältesten  Zeit  noch 
nicht  von  »1er  Allgemeinheit  geahndet  wurden,  dass  vielmehr  ihre  Ver- 
folgung lediglich  der  Selbsthilfe  des  einzelucn,  bezüglich  seiner  Sippe 
oblag.  Aber  auch  eine  Verletzung  irgend  welcher  göttlicher  oder 
sittlicher  Gebote  kann  man  in  ihnen  ursprünglich  kaum  erblickt  haben, 
wie  dies  aus  der  ältesten  Beurteilung  fies  Mordes  oder  des  Raubes 
deutlich  genug  hervorgeht. 

Dabei  soll  nicht  geleugnet  werden,  dass  gewisse  Handlungen,  auch 
wenn  sie  keiner  Bestrafung  von  seiteu  der  Allgemeinheit  unterlagen, 
doch  frühzeitig  als  unrecht  und  ehrenrührig  angesebu  wurden.  Dies  gilt 
namentlich  vom  Diebstahl  (s.  d.i.  in  dessen  Heimlichkeit  das  Anstössige 
lag,  und  für  den  schon  in  der  Grundsprache  eine  deutliche  Terminologie 
bestand.  Diese  Auffassung  äussert  sich  darin,  dass  die  Tötung  des 
Diebes  keine  Blutrache  seitens  der  betroffenen  Familie  hervorzurufen 
pflegte,  eine  Gewohnheit,  die  in  dem  allmählich  sieb  entwickelnden 
Rechtsstaat  zu  dem  Satze  führte,  dass  man  den  (auf  der  That  er- 
griffenen) Dieb  straflos  töten  dürfe.  Ähnlich  werden  sich  die  Dinge 
hinsichtlich  der  Beurteilung  des  Ehebruchs  (s.  d.)  entwickelt  haben. 

Die  eigentliche  Quelle  des  Verbrechensbegritfes  aber  ist  auf  einem 
anderen  Gebiete  zu  suchen,  auf  das  die  Gleichung  sert.  ä'gas-  —  griech. 
otToq  selbst  hinführt.  Zwar  ist  aus  dem  vedischen  Gebrauch  des 
Wortes  nicht  viel  zu  cntnehiueu.  In  den  Hymnen  des  Rigveda  be- 
zeichnet ä'gas-  (neben  e'nax-  =  aw.  aenah-)  jedes  schwere  Vergehen 
gegen  Götter  oder  Menschen  (z.  B.  1,  185,  8  „Was  immer  für  Frevel 


» 


Digitized  by  Google 


Verbrechen. 


;><>:, 


wir  an  den  Göttern  begangen  haben,  an  dem  Freunde  oder  dem 
Stammeshaupte,  dessen  Sühne  sei  dieses  Lied").  Deutlicher  aber 
redet  das  griechische  (rro?-  Untersucht  man,  mit  Rücksicht  auf  welche 
Handlungen  in  der  älteren  Litteratur,  hei  den  Tragikern  und  bei 
Herodot  (hei  Homer  ist  es  nicht  bezeugt),  das  Wort  gehraucht  wird, 
so  ergieht  sich  folgendes:  Ein  äfo<;  ist  der  Landesverrat,  den 
Polyneikes,  der  deshalb  unbeerdigt  liegen  bleiben  soll,  gegen  Theben 
begangen  hat  i  Aeseh.  Sept.  v.  1  t.H  7  ff. :  <3yo<s  °^  Kai  öavibv  kcktö;- 
<X€tcu  öeiüv  uaTpiiuujv,  ou?  dripdaa^  öbt  o*TpriT€un  ^ttoktöv  dußaXibv 
rjpei  ttöXiv;  also  Polyneikes  ist  im  Leben  ein  äfo?  gewesen  und  soll 
es  auch  im  Tode  sein).  Ein  äto<;  ist  ferner  der  Köuigsinord,  der 
an  Agamemnon  nach  der  Weissagung  der  Kassandra  begangen  werden 
wird  Acseh.  Again.  v.  1 240  ff.:  Kass.:  'A-rautuvovöq  oi  <pr\n'  iitoytOQai 
uöpov.  Chor:  Tivoq  TTpo?  ävbpöq  toOt*  &fo$  TropöuvtTai; ).  In  diesen 
Zusammenhang  eines  gewaltsamen  Eingriffs  in  die  Hefugnissc  des 
Königs  oder  Stammhauptes  weist  auch  die  Nachricht  des  Herodot 
(VI,  f>t))  nach  welcher  die  spartanischen  Könige  den  Krieg  erklären 
dürfen,  gegen  wen  sie  wollen.  Kein  Spartaner  darf  sie  daran  ver- 
hindern. Wer  es  doch  thut.  aexöv  cv  tüi  dtti  ivixtoQai.  Nicht 
minder  begebt  ein  äfo?  und  wird  dadurch  selbst  zum  <5rfO?«  wer  den 
Vater  tötet  (Soph.  Oed.  rex  v.  1426,  wo  Kreon  den  Oedipus  so  be- 
zeichnet ,  oder  wer  die  Toten  unbeerdigt  lässt  Soph.  Ant.  v.  256 ff.: 
nur  eine  Hand  voll  Staub  war  auf  den  Toten  geworfen,  Xeurn.  b',  äfoq 
<p€Ü  fovToq  uj<;.  errnv  KÖviq  ,  oder  wer  das  Asylrecht  der  Götter  nicht 
achtet    Hei  od.  V,  To  hinsichtlieh  der  Alkmneouiden  s. 

Die  angeführten  Heispiele  reichen  aus.  um  zu  zeigen,  dass  im 
Griechischen  unter  dfoq  eine  Handlung  verstanden  wird,  die  gegen  die 
Allgemeinheit  des  Stammes,  deren  Haupt  und  die  sie 
schirmenden  Gottheiten  gerichtet  ist.  Dies  wird  auch  der  eigent- 
liche Sinn  der  idg.  Gleichung  seit,  ä'ijas-  —  griech.  äfoq  gewesen  sein. 
Es  wird  dieser  Ausdruck  diejenigen  Verbrechen  umfasst  haben,  welche 
in  den  germanischen  Sprachen  mit  ahd.  firina,  agls.  firen,  got.  fairina 
(*f'air-  :  lat.  per-  in  perirlro,  perperam,  griech.  TTt'pa,  TT€pav,  etwa 
,was  darüber  hinausgeht,  das  Ungeheure  ?»  oder  als  ^Mciuthaten" 
(alid.  mein,  agls.  iniin,  altn.  mein,  etwa  :  sert.  mdi/a  .Wunderkraft, 
List,  Trug,  Gaukelei  V)  bezeichnet  werden,  d.  Ii.  als  schwere  Friedens- 
brüche, die  dem  Missethäler  ,,dic  Gesamtheit  der  Volksgenossen 
/um  Feinde  macht".  Es  sind  diejenigen  Verbrechen,  mit  Rücksieht 
auf  die  sich  zuerst  der  Hegriff  der  öffentlichen  Strafe  ,s.  d.i  aus- 
bildete. Dabei  wird  ein  gewisser  sakraler  Schimmer  das  d'gas-  — 
wohl  von  Anfang  au  umgeben  haben.  Wer  ein  solches  begeht,  be- 
leidigt zugleich  die  höheren  Mächte,  die  über  dem  Stamme  walten, 
mag  man  sich  nun  unter  ihnen  für  die  Urzeit  Geister  oder  Götter  vor- 
stellen.   Hieran!  weist  auch  der  frühzeitig  bezeugte  Opfertod  (s.  u. 


Digitized  by  Google 


9M 


Verbrechen. 


Opfer  und  Strafe)  des  Missethütcrs  hin.    Der  Kreis  der  unter  den 

Betriff  des  (Ygaa  ätoq  fallenden  Handlungen  wird  niemals  ein  fest 

abgeschlossener,  sondern  ein  nach  und  nach  sich  erweiternder  gewesen 
sein.  Landesverrat  (lat.  perduellio),  Feigheit  vor  dein  Feinde  (ahd. 
herixliz),  Königsinord  werden  frühzeitige  Typen  des  ältesten  Ver- 
breehensbegritfes  gewesen  sein.  Hei  der  Furcht,  welche  die  Indoger- 
inauen  (s.  u.  Ahuenkultus  vor  den  Sehaden  stiftenden  Seelen  der 
Verstorbenen  empfanden,  wird  auch  die  Vernachlässigung  der  <lic  Buhe 

der  Ahgese.hiedencn  verbürgenden  Bestattungsgebräuche  als  agas  

üfoq  empfunden  und  behnndelt  worden  sein.  Ein  gewöhnlicher  Mord 
oder  Totschlag  wurde  dagegen,  wie  schon  oben  bemerkt,  ursprünglich 
nicht  hierher  gestellt;  wohl  aber  deuten  mehrere  Spuren  darauf  hin, 
dass  sehr  früh,  wenn  auch  wahrscheinlich  noch  nicht  in  der  Urzeit  (s.  u. 
Alte  Leute),  die  Tötung  des  nahen  Verwandten,  vor  allem  die  der 
Eltern  als  ein  Greuel  aufgefasst  wurde,  der  die  Götter  des  Stammes 
und  so  den  ganzen  Stamm  empörte  s.  auch  u.  Mord  . 

Eine  That  wie  der  Mord  eines  nicht  versippten  Mannes,  eine  Körper- 
verletzung, ein  Kaub,  eine  Notzucht  und  dergl.  wurden  ursprünirlieh 
von  Seiten  des  Geschädigten  wie  des  Schädigers  lediglich  als  eine 
r  V  e  r  p  f  1  i  c  h  t  u  n  ^  sc.  zur  Busse  aufgefasst.  Fnser  deutsches  Wort 
-Schuld",  das  in  allen  germanischen  Sprachen,  in  denen  es  vorkommt 
(ahd.  »arid,  Hculda,  alts.  «arid,  a«;ls.  xcyld).  ganz  wie  seit,  njd-, 
neben  .Geldschuld1  auch  .Verschuldung'  (in  sittlicher  Beziehung  be- 
deutet, kann,  als  von  got.  .skal,  »kulnn,  »ktrida,  «ktrid«  abgeleitet, 
nichts  anderes  als  ein  „Sollen",  d.  h.  ein  «büssen  sollen"  bezeichnet 
haben.  Indem  nun  die  bisher  »1er  l'rivatrache  anheimgegebenen  Thaten 
allmählich  von  der  Jurisdiktion  des  Staates  übernommen  wurden,  ent- 
wickelte sich  aus  der  «Verpflichtung  zur  Busse"  allmählich  einerseits 
die  Auffassung  derselben  als  einer  vom  Staat  verhängten  Strafe, 
andererseits  die  Beurteilung  derjenigen  Handlungen,  welche  eine  solche 
«Verpflichtung  zur  Busse-  herbeiführten,  als  V  e  r  1)  r  e  c  h  e  n.  Diese 
Entwicklung  spiegelt  sich  in  dem  lat.  »relus,  wenn  es  richtig  zu  got. 
skal,  »kuhin  gestellt  wird  (andere  denken  an  Verknüpfung  mit  sert. 
»khdlate  ,er  strauchelt',  griech.  acpdXAouat ).  Ganz  analog  wurde  aber 
auch  das  mehr  und  mehr  hervortretende  Verhältnis  von  Gläubiger  und 
Schuldner  (s.  u.  Schulden)  aufgefasst.  Der  eine  soll  bezahlen  'der 
Schuldner),  der  andere  soll  empfangen  (der  Gläubiger).  Das  Ver- 
hältnis beider  wird  daher  ebenfalls  durch  „Schuld1'  (vgl.  auch  lit.  xkolä 
.Geldschuld';  bezeichnet,  und  zwar  so,  dass  dieses  Wort  bis  in  späte 
Zeiten  ein  zweiseitiges,  das  Verhältnis  des  Gläubigers  zum  Schuldner 
und  umgekehrt  bezeichnendes  ist  (skand.  »kuldanautr,  sctddavmahr, 
»kyldtic/her,  mlid.  schiddeniere  ,GIäubiger',  noch  bei  Geliert,  neben  got. 
skida,  faihu-»kiria  u.  s.  w.  Schuldner' i.  Endlich  kann  die  Bedeutung 
«Verpflichtung  zur  Busse*  auch  verallgemeinert  zu  der  von  „Pflicht* 


Digitized  by  Google 


Verbrechen. 


907 


überhaupt  werden  (vgl.  altpr.  .skallisnan  , Pflicht',  got.  skulds  ,waa 
erlanbt  ist,  sich  ziemt'). 

Die  hier  geschilderte  Bedeutungscntwicklung  wiederholt  sich  min 
bei  zwei  weitereu  Wortstämmen,  von  denen  der  erstere  von  einer  idg. 
Wurzel  dhelgh  gebildet  ist,  deren  Grundbedeutung  ungefähr  dieselbe 
wie  die  des  got.  skulan  gewesen  sein  muss.  Hierher  gehört  zunächst 
ir.  dliged  .Pflicht,  Gesetz,  Recht".  Diesem  dliged  aus  *dligelo-m 
entspricht  aber  genau  ein  lat.  *jlägUom  , Recht'  (*dhfgheto-),  das  sich 
mit  Sicherheit  ans  fiägitare  ,sein  Recht  geltend  macheu',  ,fordern' 
folgern  lässt.  Von  *fldgito-  aber  ist  auch  fiägitium  abgeleitet,  ganz 
wie  8celu8,  eigentlich  Verpflichtung'  (zur  Kussel,  dann  ,Schuld',  , Ver- 
brechen'^ ,Schandthat'.  In  Beziehung  auf  die  Schuldverhältniasc  stellt 
ir.  dligim  ,ich  habe  Anspruch  auf  etwas'  (dligim  dit-su  ,1  am  thy 
creditor)  die  Seite  des  Gläubigers  dar,  während  kymr.  dien,  dyleu, 
korn.  dylly  ,schuldig  sein',  bret.  die  .Schuld"  und  got.  dulgs  »Schuld' 
{dulga-haitja  ,Gläubiger),  altsl.  dlftgü  id.  die  Partei  des  Schuldners 
charakterisieren.  Auf  die  Verpflichtung  zur  Busse  neben  der  zur 
Zurückzahlung  scheinen  endlich  im  Germanischen  altn.  dolg  .Feind- 
seligkeit', ahd.  folg  , Wunde'  etc.  hinzuweisen  (vgl.  seit,  rtt'ira- 
,Wergeld'  .Feindschaft'  und  dazu  Uhlenbeck  Et.  W.  d.  got.  Spr. 
S.  3f>). 

Sehr  verwandte  Erscheinungen  zeigt  zweitens  der  griech.  (Nominal-) 
Stamm  xpn  i*ghrf-).  Er  entspricht  inhaltlich  dem  got.  skal,  griech.  xpioq 
dem  ahd.  ftculda,  sowohl  in  der  Bedeutung  von  ,Geldschuld'  wie  in  dem 
Sinne  von  .abzubüssender  Schuld'.  Griech.  Kixpnm  bedeutet  Darleihen", 
,borgen',  im  Med.  ,entleihcn',  xPI^TtK  ist  der  (Gläubiger  und) , Wucherer'. 
Ans  dem  letzteren  Wort  (xputf-TnO  'asst  8'ch  cn>  ity-  Stamm  *ghre's  cr- 
schlicsscn,  der  auch  in  XP^°S>  XP€»°?»  XP€lJU?  aus  *XPnff-l0*S  vorliegen 
kann.  Aus  ihm  würde  sich  das  bis  jetzt  etymologisch  dunkle  altsl.  grechil 
,Sünde'  erklären,  das  dann  in  seiner  Bcdeutungsentwicklung  ein  Seiten- 
stück  zu  lat.  8celu8  und  fiägitium  wäre.  Das  Wort  ist  in  allen  Slavinen 
verbreitet  und  geht  sicher  in  heidnische  Zeit  zurück.  Erst  durch  das 
Christentum  ist  es  dann  ins  Litauische  (grPkas)  und  Altpreussische 
(grikan)  u.  s.  w.  entlehnt  worden  (vgl.  Miklosich  Christi.  Term.  in 
den  slav.  Spr.  S.  4.')}.  Dabei  soll,  was  die  weitverzweigte  griech.  Sippe 
betrifft,  nicht  gesagt  werden,  dass  sich  dieselbe  ausschliesslich 
durch  Ansctzuug  eines  Stammes  XPH  , Verpflichtung'  erklärt.  Vielmehr 
ist  es  wahrscheinlich,  dass  hiermit  noch  andere  Stämme  zusammen- 
geschmolzen sind,  deren  Entwirrung  hier  nicht  versucht  werden  soll. 

So  hat  sich  für  die  Entwicklungsgeschichte  des  Begriffes  »Verbrechen' 
ein  doppeltes  ergeben:  einmal  ein  uralter,  nicht  weiter  auflösbarer 
Ausdruck  zur  Bezeichnung  der  gegen  die  Gemeinschaft  des  Volkes, 
seines  Hauptes  und  seiner  Götter  gerichteten  Handlungen,  und  zweitens 
ein  stark  hervortretender  Zug,  Wörter  für  »Vergehen'  und  .Verbrechen' 


Digitized  by  Google 


I 


908  Verbrechen  —  Verwandtenehe. 

aus  älteren  Bedeutungen  .Verpflichtung  zur  Busse'  hervorgehen  zu 
lassen.  Wie  aber  kommt,  was  den  erstercn  dieser  beiden  Begriffe 
anbetrifft,  der  Mensch  Überhaupt  dazu,  etwas  zu  begehen,  was  als 
d'gas-  —  äfoq  bezeichnet  werden  kann?  Für  die  Beantwortung  dieser 
Frage  dürfte  noch  folgende  sprachliche  Reihe  von  Bedeutung  sein. 
Die  Griechen  fassten  das  Verbrechen  auf  als  hervorgegangen  aus  Ver- 
blendung des  Geistes.  Diese  Verblendung  (dann  auch  der  in  der 
Verblendung  begangene  Frevel,  das  daraus  hervorgegangene  Schuld- 
bewußtsein u.  s.  w.)  heisst  griech.  äjr\,  aüorra  (Pind.)  :  ddiu  , betören', 
und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  dieses  Wort  (aus  *d-afn-tä) 
mit  ahd.  mnta,  «untea,  altndd.  xundia,  agls.  #ynnt  altn.  synd  .Sünde' 
und  lat.  sons,  sontis  .schuldig'  verglichen  werden  kann  (vgl.  näheres 
in  K.  Z.  X.  F.  X,  407  ff.  und  bei  F.  Kluge  Et.  W.«  v.  Sünde).  Als- 
dann wäre  auch  für  das  Germanische  und  Lateinische  die  Bedeutungs- 
entwicklung Verblendung-Schuld  Sünde  anzunehmen.  Vgl.  dem  gegen- 
über die  Auffassung  der  Sünde  und  Schuld  im  vedisehen  Altertum 
nach  Ohlenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  287  ff.  — -  S.  u.  Recht. 

Verbrennen  der  Leichen,  s.  Bestattung. 

Veredelung  der  Obstbäume,  s.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Vererbung,  s.  Erbschaft. 

Vergehen,  s.  Verbrechen. 

Verheiratung,  s.  Heirat. 

Verhüllung  der  Braut,  s.  Heirat. 

Verkauf,  s.  Handel. 

Verkehr,  s.  Handel,  Kaufmann,  Markt. 
Verknechtung,  s.  Schulden,  Stände. 
Verlohn  ng,  \ eriuählung,  s.  Heirat. 
Vermögen,  s.  Eigentum. 
Versammlung,  s.  Volksversammlung. 
Verschneiden  der  Tiere,  s.  Viehzucht. 
Verstorbenen,  Kult  der,  s.  Ahnenkultus. 
Verstossung,  s.  Strafe. 

Verwandtenehe.  Hinsichtlich  der  Heiratsverbote  wegen  Bluts- 
nähe  herrschen  bei  den  idg.  V  ölkern  äusserst  verschiedene  Verhältnisse. 
Gar  keine  Sehen  zeigen  in  dieser  Beziehung  die  alten  I  r  a  n  i  e  r ,  bei 
denen  die  Ehe  zwischen  Blutsverwandten  jeder  Art,  ja  zwischen  Eltern 
und  Kindein  und  zwischen  Geschwistern  durch  die  griechischen  Bericht- 
erstatter gut  bezeugt  wird  (vgl.  A.  Rapp  Z.  d.  Deutschen  Morgenl. 
Ges.  XX,  112).  Doch  hat  es  sich  als  ein  Irrtum  herausgestellt,  dass 
das  Awesta  die  Verwandtenehe  geradezu  als  ein  heiliges  Werk  empföhle 
(vgl.  H.  Hübschmann  über  aw.  yicarfradafto-  Z.  d.  Deutschen  Morgenl. 
Ges.  XLlll,  ;J08ft\).  Hervorzuheben  ist,  dass  Herodot  III,  31,  freilich 
im  Widerspruch  mit  anderen  Gewährsmännern,  die  Geschwisterehe  sehr 
bestimmt  als  eine  Neuerung  des  Kambyses  bezeichnet  (oubauu>s  dwöetfav 


Digitized  by  Google 


WrwaiidtenHie. 


irpÖTcpov  tijo"i  äbeA<p£rjöt  (JuvoiK^ew  TTcptfcu).  Verhältnismässig  nahe 
den  lranicru  stehen  die  G  r  i  e  e  Ii  e  n.  Die  Ehe  /wischen  Aszendenten 
und  Deszendenten  gilt  hier  natürlich,  wie  schon  das  Heispiel  des 
Oedipus  zeigt,  als  ein  Greuel.  Aber  hinsichtlich  der  Geschwister  ist 
die  Ehe  mit  der  Halbschwester  väterlicherseits  erlaubt.  Auch  heiratet 
im  Epos  Diomedes  seiner  Mutter  Schwester,  Alkinoos  seines  Bruders 
Tochter.  Hesiod  in  den  Werken  und  Tagen  v.  700  giebt  dem  Manne 
den  Rat: 

Tnv  b€  uccXiCTra  fautlv  rjnq  aeSev  ^Y'füöi  vaiti, 
was,  da  in  alter  Zeit  die  Verwandten  nahe  bei  einander  wohnen,  als 
eine  Empfehlung  der  Vcrwandtenelie  aufgefasst  werden  darf.  Hierzu 
stimmt  der  lat.  Ausdruck  affhiis,  affinitas  , Verschwägerter,  Versehwä- 
gerung',  eigentlich  aber  .Greuziiachbar,  Grenznachbarschaft'  (s.  auch 
u.  Sippe  II).  Merkwürdig  und  wie  ein  Nachhall  verklungeucr  An- 
schauungen klingt  im  Gegensatz  hierzu  die  von  Acschylus  in  den 
Hiketides  benutzte  Sage  von  den  Töchtern  des  Danaos,  die  vor  der 
Ehe  mit  ihren  Vettern  (Vatersbrudersöhnen)  als  vor  einem  sündigen, 
von  der  Themis  versagten  Hund  fliehen  (vgl.  Leist  Altar.  Jus  gent. 
S.  395).  Ein  Heispiel  eigentlicher  Geschw  isterehe  bietet  nur  der  Mythus 
in  dem  Hund  des  Zeus  und  der  Hcrc. 

Alte  und  weitgehende  Verbote  gegen  Verwandtenheiraten  finden 
sich  dagegen  bei  Indem  und  Römern.  Bei  erstcren  werden  in  den 
Grhyasütras  (vgl.  .).  Jolly  Grundriss  der  indo-ar.  Phil.  Recht  und  Sitte 
S.  62  f.)  Ehen  mit  einer  sagötrd  oder  namdnapravard  verboten,  d.  h. 
mit  einem  Mädchen,  das  dem  gleichen  Geschlecht  (götra)  wie  der 
Mann  angehört  oder  dieselben  Ahnen  wie  dieser  hat,  in  einigen  auch 
ausserdem  noch  mit  einer  mpindd  der  Mutter.  Wie  schon  hier,  tritt, 
namentlich  in  den  Dharmasütras.  ein  Unterschied  zwischen  väter- 
licher und  mütterlicher  Verwandtseh  alt  in  so  fern  hervor,  als 
die  Verbote  bezüglich  der  erstcren  weiter  gellend  als  bezüglich  der 
letzteren  sind.  So  lehrt  Gantama  IV,  1  ff.  ed.  Bühler):  A  marriage 
(may  be  contracted)  between  persans  icho  have  not  the  mute  Pra- 
varas,  (and)  icho  are  not  related  within  six  degrees  on  the  father's 
side,  (nor)  teitkin  four  degrees  on  the  mother's  side.  Zusammenfassend 
bemerkt  Jolly:  „Die  verbotenen  Grade  werden  genauer  dahin  definiert, 
dass  darunter  Verwandtschaft  bis  ins  V.  Glied  mütterlicherseits 
und  bis  ins  VII.  väterlicherseits  zu  verstehen  sein  soll". 

Bei  den  Römern  waren  von  Haus  aus  ausser  den  Ehen  zwischen 
Aszendenten  und  Deszendenten  und  zwischen  Geschwistern  auch  die 
Ehen  mit  Geschwistern  der  Aszendenten  (z.  B.  zwischen  Oheim  und 
Nichte),  zwischen  Geschwisterkindern  und  wahrscheinlich  auch  zwischen 
Geschwistcrkindeskindern,  also  in  der  Verwandtschaft  sobrino  tenus, 
untersagt.  Doch  ist  es  nicht  üblich  ans  der  gern  heraus  zu  heiraten 
(enubere). 


Digitized  by  Google 


910 


Verwandtcnelic?. 


Die  ursprünglichen  Zustände  der  nord europäischen  Indogermanen 
lassen  sich  wegen  des  frühzeitigen  Eindringens  der  kirchlichen  Ehe- 
verbote (vgl.  über  dieselben  E.  Loeniug  Geschichte  des  deutschen 
Kirchenreehts  II,  542  IT.)  schwer  mit  Sicherheit  ermitteln.  Von  den 
Kelten  in  Wales  (vgl.  F.  Walter  Das  alte  Wales  S.  420)  berichtet 
Girald.  de  Illaudab.  Waliae  c.  6:  Crimen  atttem  incestus  adeo  apud 
omnes  tarn  minores  in  populo  quam  etiain  minore«  enormifer  incaluit; 
quod  in  quarto  gradu  et  quinto  passim,  in  tertio  quoque  plerumque, 
qttod  non  est  timor  J)ei  ante  oeuios  eorum,  consangineas  ducere 
nec  cerecundantur  nec  nereniur.  Noch  weiter  gingen  nach  Hartknoch 
Altes  und  nenes  Prenssen  8.  177  die  Litauer  und  Altpreussen, 
die,  ausser  mit  der  leiblichen  Mutter,  mit  jeder  Verwandten  eine  Ehe 
eingehen  konnten.  Ja.  auch  seine  Stiefmütter,  d.  Ii.  die  vom  Vater 
hinterlassenen  Weiber,  durfte  der  Sohn  heiraten.  Über  die  ältesten 
Germanen  ist  aus  heidnisch-römischen  Quellen  nichts  bekannt.  Die 
Heirat  des  Arminiiis  mit  der  Tochter  seines  Vatersbruders  (Tacitus 
Ann.  1,57)  beruht  auf  Kaub,  und  kann  für  die  Beurteilung  der  regel- 
mässigen Verhältnisse  nicht  massgebend  sein.  Später  zeigt  sich  überall 
schon  christlich-römischer  Einfluss  (vgl.  Weiuhold  Deutsche  Frauen 
I8,  359  ff.).  Der  Widerstand  der  Bevölkerung  gegen  den  letzteren 
(vgl.  auch  Löning  a.  a.  0.)  macht  es  wahrscheinlich,  dass  jedenfalls  in 
der  der  Bekehrung  der  Germanen  unmittelbar  vorangehenden  Zeit 
weitergehende  Ehehindernisse  wegen  Blutsnähe  nicht  bestanden.  Dies 
geht  auch  aus  der  Antwort  des  Papstes  Gregor  an  Augustinus  (Beda 
Hist.  ecel.  I  Cap.  27)  hervor:  Quia  vero  sunt  multi  in  Anglorum 
gente,  qui,  dum  adhuc  in  infedilitate  essent,  Jitdc  nefando  coniugio 
dicuntur  admhrti.  Besonders  beliebt  scheinen  auch  hier  Ehen  mit 
Stiefmüttern  gewesen  zu  sein  (vgl.  F.  Roedcr  Die  Familie  bei  den 
Angelsachsen,  Studien  zur  engl.  Phil.  IV,  40 i.  Klar  liegen  schliesslich 
die  südslavischen  Verhältnisse.  Es  ist  hier  nicht  üblich,  ein 
Mädchen  aus  demselben  bratstvo  ,Sippe'  geschweige  also  aus  derselben 
zadruga  Jlausgenossenschaft  )  heim  zu  führen.  Ehen  iunerhalb  des- 
selben pleme  ,Stamm'  sind  hingegen  häutig  (vgl.  Krauss  Sitte  und 
Brauch  der  Südsl.  passim ). 

Diese  ausserordentliche  Verschiedenheit  der  bei  den  einzelnen  idg. 
Völkern  historisch  bezeugten  Verhältnisse  lässt  es  beinah  unmöglich 
erscheinen,  zu  einer  sicheren  Rekonstruktion  des  indogermanischen 
Zustands  vorzudringen.  Gleichwohl  wird  folgendes  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit gesagt  werden  können.  Was  zunächst  die  Gründe 
derartiger  Verbote  gegen  Verwandtenehen  anlangt,  so  ist  hervorzuheben, 
dass  nirgends  im  gesamten  Altertum  auf  etwaige  schädliche 
Folgen  für  den  aus  ihnen  hervorgehenden  Nachwuchs  hingewiesen 
wird.  Plutarch  (Quacst.  Rom.  108)  äussert  eine  ganze  Reihe  von  Ver- 
mutungen über  die  Ursachen  der  römischen,  den  Griechen  im  allge- 


Digitized  by  Google 


Verwandtemhe. 


911 


meinen  fremden  Scheu  vor  Blutsnähe  hei  Heiraten,  ohne  dabei  irgend 
welcher  physisch  oder  psychisch  verderblicher  Wirkungen  der  Vcr- 
wandtenht'iratcn  auch  nur  mit  einem  Worte  zu  gedenken.  Der  erste 
Hinweis  auf  solche  scheint  sich  vielmehr  erst  in  dem  oben  genannten 
Schreiben  Papst  Gregors  1.  an  Augustinus,  den  Missionar  der  Angel- 
sachsen, zu  finden:  Quaedam  terrena  lex  in  Romana  repnblka  per- 
mittit,  nt  xiee  f'ratri»  et  sorori*  neu  duorttm  fratrum  germanorum 
rel  duarum  sovorum  filius  et  filia  misceantur  (also  Consobrinencheu, 
die  ursprunglich  verboten,  in  Horn  seit  dem  zweiten  panischen  Kriege 
nachweisbar  sind).  Sed  experimento  didieimu«  ex  tali 
coniugio  sobolem  non  posse  suecrescere  (vgl.  Löning 
a.  a.  0.  S.  f>56).  Nimmt  man  hierzu,  dass  die  neuere  Forschung  (vgl. 
darüber  Wilken  Die  Ehe  zwischen  Blutsverwandten  Globus  LIX,  8,  20, 35, 
dazu  O.  Lorenz  Handbuch  der  Genealogie  S.  468  ff.  über  den  Begriff 
der  Inzucht)  irgend  welche  schädlichen  Einflüsse  von  Verwandten- 
heiraten überhaupt  in  Abrede  stellt,  so  ergiebt  sich,  dass  die  Verbote 
derselben  nicht  aus  einer  angeblichen  Beobachtung  ungünstiger  Wir- 
kungen abgeleitet  werden  können. 

Die  ersten  Ursachen  derartiger  Hei rats verböte  werden  vielmehr  auf 
indogermanischem  wie  auf  anderen  Völkergebieten  nicht  in  physio- 
logischen, sondern  in  sozialen  Verhältnissen  und  Gewohnheiten  liegen. 
U.  Brautkauf  ist  gezeigt  worden,  dass  die  indogermanische  Ehe  auf 
<lem  (thatsächlichen)  Kaufe  des  Mädchens  beruhte,  und  diese  Sitte 
des  Brautkaufs  setzt  weiterhin,  auf  welchem  Wege  sie  sich  auch  immer 
•entwickelt  haben  möge,  bei  den  Indogermanen  Exogamie,  d.  h.  die 
Gewohnheit  voraus,  seine  Frau  oder  seine  Frauen  nicht  innerhalb  der 
nächsten  Verwandtenkreise  zu  suchen;  denn  man  kann  natürlich  nicht 
von  denjenigen  ein  Mädchen  kaufen  oder  seine  Tochter  an  diejenigen 
verkaufen,  mit  denen  man  durch  gemeinsames  Eigentum  (s.  d.)  ver- 
bunden ist.  Auf  eine  solche  Exogamie  wenigstens  der  idg.  Grossfamilie 
(s.  u.  Familie)  scheinen  nun  die  indischen  und  römischen  Bräuche 
hinzudeuten.  Es  wäre  demnach  lediglich  ans  wirtschaftlichen  Gründen 
nicht  üblich  oder  nicht  gestattet  gewesen,  innerhalb  der  Grossfamilie 
oder  der  Nahverwandtschaft  zu  heiraten.  Diese  Grossfarailie  oder  Nah- 
verwandtscliaft  war  ursprünglich  rein  agna  tisch  aufgebaut.  Es 
konnte  also  einer  wohl  die  Tochter  seines  Mutterbruders,  nicht  aber 
<lie  seines  Vatersbruders  heiraten,  und  es  wäre  möglich,  dass  in  der 
bei  den  indischen  Eheverboten  hervortretenden  stärkeren  Betonung1 
der  väterlichen  Verwandtschaft  ein  „Überbleibsel"  jenes  ältesten  Zu- 
stands  zu  erblicken  sei.  Später  hätte  dann  eine  Verschiebung  in  einer 
doppelten  Kiehtting  stattgefunden.  Nach  Anerkennung  der  durch  Weiber 
vermittelten  Verwandtschaft  wäre  bei  Indern  und  Römern  das  für  den 
Kreis  der  väterlichen  Verwandten  ursprüngliche  Heiratsverbot  in  gleicher 
oder  geringerer  Ausdehnung  auch  auf  die  mütterlichen  übertragen 


Digitized  by  Google 


912 


Verwandtcnehc  —  Verwandtschaft. 


worden.  Umgekehrt  wäre  bei  anderen  Indogcrmanen  mit  der  all- 
mählichen Lockerung  der  ältesten  Familienbanrie  die  in  der  L'r/.eit 
den  mütterlichen  Verwandten  gegenüber  bestehende  Freiheit  der  Wahl 
auch  auf  die  väterlichen  übergegangen,  Halt  erst  machend  an  der 
Grenze  der  aus  der  < irossfamilie  nach  und  nach  hervorgegangenen 
S  o  n  d  e  r  f  a  m  i  1  i  e  ,  also  bei  Eltern  und  Geschwistern.  Wenn  die 
Iranier,  wohl  nur  in  ihren  herrschenden  Geschlechtern,  auch  diese 
Sehranke  überspringen,  so  wird  dies  auf  späterer  Neuerung  beruhen. 
Ähnliche*  finden  wir  im  alten  Ägypten  (s.  o.).  Anders  zu  beurteilen 
wird  es  sein,  wenn  in  idg.  Mythen  mehrlach  der  Gesehwistcrehe  ge- 
dacht wird.  Im  Griechischen  ist  Zeus  Bruder  und  tiatte  der  Ilere, 
im  Rigveda  X,  10)  streitet  Yania,  der  Verwerfer  der  Geschwisterehe, 
mit  Yaini  ihrer  Anhäugerin,  die  Krida  kennt  die  Verbindung  Xiörös 
und  seiner  Schwester.  Möglich  dass  hier  dunkele,  von  der  Sage  fort- 
getragene Erinnerungen  an  vorindngeriiianische,  auf  ewig  verschleierte 
Zeiten  zu  uns  herüberklingen. 

Dass  über  rite  mittelalterliche  Welt  riureh  die  christliche  Kirche 
weitgehende  Eheverbote  verbreitet  wurden,  ist  schon  oben  hervorge- 
hoben worden.  Ausser  der  teils  durch  jüdisches,  teils  durch  römisches 
Beispiel  veranlassten  Untersagung  der  Ehen  zwischen  Blutsverwandten, 
Verschwägerten  und  Adoptiv verwandten  tritt  hier  aber  eine  ganz  ne ue 
Klasse  von  Heiratsverboten  hervor.  Durch  die  Einführung  des 
Christentums  mit  den  Sakramenten  der  Taufe  und  Firmung  ward  eine 
bis  dabin  unerhörte  Art  geistlicher  Verwandtschaft,  die  Patenschaft, 
erzeugt  (vgl.  lat.  compater,  eigentl.  ,Mitvater\  das  in  die  nördlichen 
Sprachen  teils  entlehnt:  agls.  cumpwder,  altsl.  kümolrü.  kumri,  altpr. 
komaters,  lit.  ktlma*,  teils  in  ihnen  übersetzt:  ahd.  gifataro^  oder  sonst 
verdeutlicht  wurde:  ahd.  yota.  mhd.  göte  aus  agls.  godfmder.  god-sib, 
altn.  gubsifjar;  daneben  mhd.  pf'etter  aus  *patrinus,  pate  ans  pater). 
Auf  dieses  Verhältnis  wurden  nun  die  kirchlichen  Eheverbote  ausge- 
dehnt, so  dass  es  eine  Zeit  gab,  in  der  weder  die  Paten  eines  Menschen, 
noch  deren  Kinder  eine  Ehe  unter  ciuander  eingehen  durften. 

Alte  Ausdrücke  für  den  Begriff  der  Blutschande  sind  selten. 
Ihm  nahe  kommt  das  griech.  atua  €uq>u\iov  (Oed.  Rex  v.  140(>'.  das 
an  agls.  sib-leger  (vgl.  Rocder  a.  a.  0.  8.  42)  erinnert.  Im  Lateinischen 
gilt  incetttus,  eigentl.  , Verunreinigung'  r.  lat.  castus  ,rein',  s.  u.  Keusch- 
heit), das  als  Rechtsansdruck  zunächst  die  Unzucht  mit  Vestnlinnen 
bezeichnete,  und  erst  sekundär  auf  die  Blutschande  augewendet  wurde 
(vgl.  Brunnenmeister  Tötnngsverbrechen  S.  89).  In  agls.  Glossen  (Wright- 
Wülker  I,  420)  wird  lat.  inetrtum  mit  dem  einheimischen  hdaned  wieder- 
gegeben, das  aber  ganz  allgemein  ,coitus',  den  ehelichen  und  ausser- 
ehelichen,  auch  deu  Ehebruch  bezeichnet  (vgl.  Bosworth  An  Anglo-Saxon 
Dictionary  s.  v.). 

Verwandtschaft,  s.  Familie,  Schwiegerschaften,  Sippe. 


Digitized  by  Google 


Vetter  und  Cousine  —  Viehzucht.  913 

Vetter  und  Cousine.  Vorhistorische  Bezeichnungen  für  diesen 
Verwandtschaftsbegriff  lassen  sich  nicht  nachweisen.  Man  wird  mit 
Delbrück  Verwandtsehaftsnamen  S.  Ö06  anzunehmen  habeu,  dass  Vettern 
und  Cousinen  sich  in  der  ür/cit  als  Brüder  und  Schwestern  bezeich- 
neten, wie  das  noch  heute  im  Litauischen  und  Slavischen  der  Fall  ist. 
Auch  dieser  Verwandtschaftsbegriff  wird  wie  alle  anderen  (s.  u.  Famil  ie) 
ursprünglich  rein  agnatisch  gedacht  sein  und  das  umfasst  haben,  was 
die  Römer  fratrex  et  xororex  patrueles  <ex  fratribus  natos  et  natax) 
nannten.  Mit  dem  Aufkommen  des  Kognationsgcdankens  bilden  sich 
Ausdrücke  wie  lat.  xobrinux,  consobrinux,  eigentlich  die  Kinder  von 
Schwestern  (sobrinus  —  *sosrinus  :  soror),  dann  aber  auch  von  „Ge- 
schwistern14 (Bruder  und  Schwester)  bezeichnend.  Ebenso  muss  der 
ursprüngliche  Sinn  von  agls.,  alts.  xweor,  suiri  gewesen  sein,  die  con- 
sobrinm  bedeuten  und  kaum  von  dem  idg.  Worte  für  Schwester 
getrennt  werden  können  (doch  vgl.  auch  agls.  stceör  ,socer').  Die 
patrueles  werden  im  Agls.  fwderan  sunan,  mhd.  ceterensun,  nhd. 
endlich  „Vettern u  genannt:  ahd.  fetiro  ,patruus'  wie  lit.  dedi,  dedzius 
, Vetter'  :  dtdis  »Vaters  Bruder'.  Griech.  dvennö?  , Vetter'  s.  u.  Enkel. 
Scrt.  bhrä'trcya-  (=  aw.  brdtuirya-  ,Brndcrssobn').  Vgl.  Delbrück 
a.  a.  O.  S.  506  ff.    S.  u.  Familie. 

Viehstall,  s.  Stall  und  Scheune. 

Viehzucht.  Ein  urverwandter  Kollektivnamc  für  den  Begriff 
der  Herdentiere  liegt  in  scrt.  pd$u-  =  ahd.  fihu  u.  s.  w.  vor,  der,  wie 
u.  Schaf  gezeigt  worden  ist,  wahrscheinlich  aus  einer  sehr  alten  Be- 
nennung dieses  Haustieres  hervorgegangen  ist.  Die  Herde  heisst  scrt. 
qdrdha-  =  got.  hairda  (altsl.  creda  aus  *qerdäf  lit.  kerdztus  ,Hirt"). 
Auf  vorhistorische  Ansätze  zur  Bezeichnung  des  Grossviehs  gegen- 
über dem  Kleinvieh  scheinen  lat.  armentum  =  altn.  jörmuni  ,Rind, 
Pferd'  und  griech.  urjKov,  altn.  xrnale,  ahd.  xmala-nöz  , Kleinvieh'  (ir. 
mily  allgem.  ,Ticr)  hinzuweisen.  Die  zur  Benennung  der  gezähmten 
Tiere  gebrauchte  Wurzel  ist  die  in  scrt.  damdyati  =  lat.  domare 
steckende,  von  der  zahlreiche  Xamen  verschiedener  Haustiere  (vgl. 
npers.  ddm  , Haustier',  griech.  bäuaXiq,  oaudXr)  ,Kalb',  ir.  dam  ,Oehse", 
alb.  dem  ,Rind',  Junger  Stier',  urkclt.  *damato-8,  kymr.  dafad  , Schaf 
u.  a.)  abgeleitet  sind.  Besondere  Wurzeln  habeu  sich  schon  in  der 
Urzeit  für  die  Bezeichnung  des  männlichen  iers  in  scrt.  rxhabhd-, 
griech.  dppnv,  rerx  in  scrt.  rfxhan-,  lat.  rerrex,  lit.  icetxzix)  und  des 
weiblichen  Tieres  idhe  in  scrt.  dhhiü-  —  aw.  daenu-  , Milchkuh',  ir. 
dinu  ,agna\  alb.  deU  ,Sehaf  etc.)  festgesetzt.  Namen  der  Jungen 
wurden  wohl  schon  damals  von  dem  Stamme  *vet-  ,Jahr'  gebildet: 
scrt.  vatxd;  lat.  titulux  ,Kalb',  got.  wiprus  i  vgl.  daneben  griech.  x»- 
papo?,  xipeupa,  altn.  gymbr  .einjähriges  Lamm'  :  x*wwv  , Winter'  und 
urkelt.  *gabro-,  ir.  gabar  ,Geiss'  aus  *gamro-  :  gam  id.).  Zur  Be- 
zeichnung des  unfruchtbaren  Tiers  diente  die  Wurzel  ster  (lat. 

Schräder,  RealJexikon.  58 


Digitized  by  Google 


91-1  Viehzucht. 

steril  is)  :  scrt.  xtari'  ,uuf  nicht  bare  Kuh",  kriech.  öTtipa  ßoö?,  ahd. 
sti:ro  .Widder',  nlid.  stärke,  all),  st  Jen  .Lamm'.  Für  die  uralte  Kunst 
der  Verse hncidung  (s.  u.)  findet  sich  die  Gleichung  scrt.  vddhri- 
=  grieeh.  iBpiq,  eBpiq  •  tfTrdbujv,  TO.uiut,  eüvoüxoq  Hes. 

Nimmt  man  nun  hinzu,  das«  eine  grosse  Anzahl  u  r  v  e  r  w a  n  d  t  e  r  H  a u s- 
tiema  mcii  sieh  über  Europa  hinaus  bis  zu  den  ansehen  Indogerniauen 
erstreckt,  während  die  prähistorische  Terminologie  des  Ackerbaus 
(s.  d.)  sich  auf  die  Europäer  beschränkt  und  in  verschiedenen  Punkten 
den  Eindruck  der  Neuerung  macht,  so  wird,  rein  sprachlich  betrachtet, 
der  Ansatz  naheliegen,  dass  die  Indogermancu  in  der  ältesten  uns  er- 
reichbaren Zeit  Viehzüchter  und  nicht  Ackerbauer  gewesen  seien. 

Dieser  Ansatz  wird  nun  durch  eine  ganze  Heilte  auf  verschiedenen 
Kulturgebieten  gemachter  Beobachtungen  bestätigt,  die  hier  in  Kürze 
zusammengefaßt  werden  sollen.  U.  Ackerbau  ist  gezeigt  worden, 
dass  es  zwar,  was  die  europäischen  Indogermancn  anbetrifft,  unrichtig 
ist,  im  Hinblick  auf  sie  von  einem  bis  an,  ja  bis  in  die  geschichtliehe 
Zeit  reichenden  N  o  m  a  d  e  n  t  u  m  derselben  zu  sprechen,  dass  aber 
andererseits  zahlreiche  Spuren  vorhanden  sind,  die,  in  je  frühere 
Epochen  wir  zurückgehen,  für  ein  umso  stärkeres  Überwiegen  der 
Viehzucht  vor  dem  Ackerbau  Zeugnis  ablegen.  Besonders  charakte- 
ristisch ist  in  dieser  Beziehung  die  Ve  r  a  c  h  t  u  n  g,  der  die  Bestellung 
des  Ackers  in  früh  historischen  Zeiten  noch  ausgesetzt  ist,  eine  Er- 
scheinung, auf  die  auch  die  ethnologische  Forschung  bei  denjenigen 
nomadischen  Völkern  hinweist,  die  neben  der  Hauptbeschäftigung  der 
Viehzucht  einen  gewissen  Grad  von  Landwirtschaft  zeigen.  Vgl. 
E.  Grosse  Die  Formen  der  Familie  und  die  Formen  der  Wirtschaft 
S.  00:  „Von  vielen  Stämmen  wird  hier  (in  Afrika)  auch  Ackerbau  ge- 
trieben; aber  die  Pflanzenkultur  gilt  ihnen  neben  der  Viehzucht  als  eine 
niedrige,  nebensächliche,  b  e  i  n  a  h  e  unw  ü  r  d  i  g  e  B  e  s  c  h  ä  f  t  i  g  u  n  g.  Das 
gleiche  Verhältnis  tritt  bei  den  Katfern  und  ihren  benachbarten  Ver- 
wandten hervor.  Auch  sie  mögen  die  Früchte  des  Feldes  nicht  ent- 
behren, aber  die  Feldarbeit  ist  ihnen  verächtlich  und  verhasst:  ihr 
Herz  hängt  allein  an  den  Herden,  welche  den  Mittelpunkt  ihres  ganzen 
Lebens  bilden."  Wichtig  ist  auch,  dass  die  älteste  Landwirtschaft, 
die  wir  archäologisch  in  Europa  belegen  können,  die  der  Schweizer 
Pfahlbauer,  noch  unverkennbar  den  Stempel  einstigen  Hirtenlebens 
an  sich  trägt,  wenn  ihrej  Beurteilung  durch  Fr.  Ratzel  Geographische 
Prüfung  der  Thatsacben  über  den  Ursprung  der  Völker  Europas,  Be- 
richte der  phil.-hist.  Kl.  d.  kgl.  sächs.  Ges.  d.  W.  zu  Leipzig,  Sitzung 
vom  3.  Febr.  1900  S.  103  das  richtige  trifft:  „Die  ältesten  Pfahlbauer 
sind  Hirten,  die  alle  unsere  wichtigsten  Haustiere  ausser  dem  Pferd 
besassen,  und  denen  der  Ackerbau  nur  einen  kleinen  Teil  der  Nah- 
rungs-  und  Kleiderstoffe  (Flachs)  liefern  konute.  Die  Herden,  die  Jagd, 
der  Fischfang  waren  ergiebigere  Quellen:  trotz  der  festen  Siedclungeu 


Digitized  by  Google 


Viehzucht. 


915 


ein  nur  locker  mit  seinem  Boden  verbundene«  Volk."  Ähn- 
lieh urteilt  Uber  die  Dürftigkeit  des  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  zu 
Tage  getretenen  Ackerbaues  auch  Hürues  Die  Urgeschichte  des  Men- 
schen S.  241. 

In  dieselbe  Richtung  weist,  was  u.  Nahrung  und  u.  Opfer,  welches 
letztere  zuverlässige  Schlüsse  auf  die  älteste  Ernährungsweise  der  Indo- 
gerniancn  gestattet,  ausgeführt  worden  ist.  Es  ergiebt  sich  hieraus, 
dass  die  Nahrung  der  ältesten  Indogerinanen  ganz  vorwiegend  eine 
animalische  war  und  der  Würze  des  Salzes  (s.d.)  noch  entbehrte, 
letzteres  ein  Funkt,  der  aus  zwingeuden  physiologischen  Gründen  auf 
ein  Volk  von  Viehzüchtern  schliesseu  lässt.  Auch  was  u.  Pclzkleider 
über  die  älteste  Felltracht  der  Indogerinanen,  u.  Kürperteile  über 
deren  sorgfältige  sprachliche  Unterscheidung,  die  nur  durch  reichliches 
Schlachten  und  Opfern  der  Haustiere  gewonnen  worden  sein  kann,  u. 
Geld  Über  die  Herdentiere  als  einzigen  Reichtum  und  Wertmesser  der 
Idg.  mitgeteilt  worden  ist,  darf  in  diesem  Sinne  verwertet  werden. 

Endlieh  entspricht  auch,  was  sich  über  die  Familien-  und  gesell- 
schaftliche Organisation  der  Idg.  aus  den  bei  den  Einzel  Völkern 
bewahrten  Überbleibseln  derselben  ermitteln  lässt,  genau  dem,  was  wir 
auf  Grund  der  ethnologischen  Forschung  von  einem  Volk  von  Vieh- 
züchtern (Grosse  a.  a.  0.  S.  89— 132)  erwarten  dürfen.  Man  vergleiche 
in  dieser  Beziehung,  was  über  den  agnatischen  Charakter  der  idg. 
Verwandtschaft  u.  Familie  und  u.  Sippe  (dazu  Grosse  S.  120),  über 
die  Wertschätzung  der  verwandtschaftlichen  Beziehungen  u.  Vorfahren 
(Grosse  S.  123),  über  den  Kauf  der  Frau  u.  Brautkauf  (Grosse 
S.  104),  Über  die  Verachtung  der  Töchter  den  Söhnen  gegenüber  u. 
Aussetzungsrech t  und  u.  Familie  (Grosse  S.  110),  über  die  ver- 
schiedene Beurteilung  des  Ehebruchs  und  die  Leichtigkeit  oder  Schwie- 
rigkeit der  Scheidung  bei  Mann  und  Weib  u.  Ehebruch  und  u. 
Ehescheidung  (Grosse  S.  112,  114),  über  die  Vererbung  der  Witwe 
und  die  inangelnde  Erbfolge  der  Frauen  u.  Witwe,  Verwandten- 
heirat, Erbschaft  (Grosse  S.  1 15  f.,  122),  über  die  schlechte  Be- 
handlung der  Alten  u.  Alte  Leute  (Grosse  S.  122)  gesagt  worden 
ist,  Parallelen,  die  sich  unschwer  vermehren  Hessen  und  in  dieser  An- 
zahl und  in  diesem  organischen  Zusammenhang  in  keiner  der  von 
Grosse  geschilderten  übrigen  Wirtschaftsformen  wiederkehren.  Wenn 
daneben  auch  das,  was  Grosse  als  Familie  der  niederen  Ackerbauer 
(S.  133—185»}  bezeichnet,  namentlich  in  der  Ausgestaltung  der  bei  den 
Viehzüchtern  vorwiegend  kriegerischen  Bedeutung  der  Sippe  (s.d.) 
zu  einer  Besitz-,  Wohuungs-  und  Wirtschaftsgemeinschaft  in  den 
idg.  Verhältnissen  genaue  Entsprechung  findet,  so  erklärt  sich  dies,  was 
hier  nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden  braucht  (s.  n.  Ackerbau), 
daraus,  dass  eben  die  europäischen  Indogerinanen  noch  in  vorhistori- 


Digitized  by  Google 


916 


Viehzucht. 


scher  Zeit  von  nahezu  ausschliesslicher  Viehzucht  zu  einem  gewissen 
Grad  von  Ackerbau  Ubergegangen  sind. 

Vor  dieser  Zeit  aber  liegt  —  und  wir  halten  dies  für  eins  der 
sichersten  Ergebnisse  der  Vereinigung  linguistischer  und  historischer 
Forschung  —  das  Hirtentum  der  Indogermanen.  Wir  bevor- 
zugen diese  Bezeichnung  vor  dem  Ausdruck  Nomaden  tu  in,  weil  der 
letztere  auf  zu  viel  verschiedenartige  Verhältnisse  angewendet  zu 
werden  pflegt,  und  daher  leicht  zu  Missverständnisseu  führt.  Jeden- 
falls dürfen  wir  bei  der  eigenartigen  Stellung,  die  das  Pferd  (s.  d.) 
in  dor  idg.  Urzeit  eingenommen  hat,  in  den  Indogermanen  keine  so- 
genannten Reiternomaden  erblicken,  die  blitzschnell  sich  über  weite 
Gebiete  erobernd  ausbreiten.  Im  Gegeilteil  scheint  den  Idg.  schon  in 
der  Urzeit  ein  gewisser  Grad  von  Ansessigkeit,  der  auch  bei  heutigen 
viehzüchtenden  Völkern  vorkommt  (Grosse  S.  90),  von  Anfang  an  zu- 
geschrieben werden  zu  müssen  (s.  auch  u.  Haus). 

Zu  einer  wesentlich  anderen  Vorstellung  von  der  ältesten  Wirtschafts- 
form der  Indogermanen,  als  sie  oben  im  Einklang  mit  den  Anschauungen 
V.  Hehns,  R.  v.  lherings  (Vorgeschichte  der  Indoeuropäer),  E.  Meyers  (Ge- 
schichte des  Altertums)  u.  a.  dargestellt  wurde,  ist  H.  Hirt  (I.  F.  V,  395  ff., 
Jahrbücher  für  Nationalökonomie  und  Statistik  III.  Folge  XV,  462,  Sonn- 
tagsbeilage zu  Nr.  41  und  42  der  Vossischen  Zeitung  1896,  Geograph. 
Zeitschrift,  herausg.  von  A.  Hettner  IV.  Jahrg.  1898  S.  369  ff.)  gelangt. 
Er  tadelt  zunächst  die  im  Altertum  wie  in  der  Neuzeit  weitverbreitete 
Ansicht,  nach  welcher  der  Mensch  zuerst  Jäger  und  Fischer,  dann 
Viehzüchter,  zuletzt  Ackerbauer  gewesen  sei,  um  dem  gegenüber,  vor- 
nehmlich an  der  Hand  des  Hahnschen  Baches  Die  Haustiere  und  ihre 
Beziehungen  zur  Wirtschaft  des  Menschen  Leipzig  1896,  seinerseits 
folgende  Schemata  der  wirtschaftlichen  Entwicklung  der  Menschheit 
aufzustellen : 

I.  Jagd  auf  Seiten  des  Mannes  verbunden  mit  Pflan/cnsainmeln 
der  Frau. 

II.  Jagd  des  Mannes,  Pflanzenbau  der  Frau:  niederer  Ackerbau. 

III.  Pflanzenbau  der  Frau  und  Zähmung  der  Tiere:  niederer  Acker- 
bau und  Viehzucht. 

IV.  Das  Vieh  wird  zum  Ackerbau  verwendet :  höherer  Ackerbau. 

V.  Die  reine  Viehzucht  ist  eine  Seitenart,  die  nicht  notwendig  in 
der  natürlichen  Entwicklung  durchlaufen  zu  werden  braucht  u.  s.  w. 

Die  Indogermanen  nun  seien  schon  in  der  Urzeit  auf  der  vierten 
dieser  Stufen,  der  des  höheren  Ackerbaus,  angekommen,  und  zwar 
folge  dies  —  darin  liegt  der  Kernpunkt  der  Hirtschcn  Ausführungen 
—  aus  dem  Umstand,  dass  schon  dem  Urvolk  die  Bekanntschaft  mit 
dem  Pflug,  dem  Rind  und  dem  Wagen  zugeschrieben  werden  müsse. 
Hiervon  scheidet  der  erstere  Punkt  natürlich  als  nicht  beweiskräftig  aus; 
denn  bei  einer  Gleichung  wie  griech.  apoipov  =  lat.  aratrum  u.  s.  w. 


Digitized  by  Google 


Viehzucht. 


917 


ist  ja  eben  die  Streitfrage  die,  ob  an  ihr  einstmals  auch  die  arischen 
Indogermanen  teil  hatten,  oder  ob  sie  nur  auf  die  Europäer  beschränkt 
war.  Anders  steht  es  mit  Rind  und  Wagen  (s. s.  d.d.),  von  denen 
mit  Hirt  angenommen  werden  muss,  dass  sie  in  die  fernste  Epoche 
der  idg.  Urzeit  zurückgehn,  wenngleich,  wie  wir  schon  oben  sahen, 
sich  auch  bei  den  Indogermanen  noch  Sporen  eines  Znstandes  finden, 
in  dem  das  Schaf  (s.  d.),  wenigstens  als  Herdentier,  eiue  wichtigere 
Rolle  als  das  Rind  spielte.  Hinsichtlieh  des  letzteren  meint  nun  Hirt: 
„Überall,  wo  wir  das  Rind  finden,  treffen  wir  auch 
sess hafte  Menschen,  die  sich  feste  Häuser  errichten  und  die 
(labe  der  Demeter  baue  n.  Das  Rind  ist  ausgesprochener  Massen 
Zugtier.  Es  zieht  den  Wagen  und  den  Pflug  und  geniesst  daher  den 
höchsten  Schutz  und  die  höchste  Bewertung."  Und  bezüglich  des 
Wagens  fügt  er  hinzu :  „Welchen  Zwecken  kann  Uberhaupt 
d  c  r  Wagen  dienen,  wenn  nicht  dem  Ackerbau,  um  die 
Früchte  des  Feldes  einzufahren?  Die  eigentlichen  Xomadenvölker  be- 
sitzen ihn  fast  gar  nicht,  sie  können  auch  ohne  ihn  bestehn."  Leider 
scheitert  nun  aber  diese  Beweisführung  an  dem  Hinblick  auf  ein 
Volk,  dessen  Kulturverhältnisse  ethnisch  wie  chronologisch  brauch- 
barere Analogien  für  die  Beurteilung  idg.  Zustände  enthalten  als  die 
bochasiatischcr  Hirten,  bei  denen  das  Rind  so  gut  wie  keine  Rolle 
spielen  soll  (wie  steht  es  aber  mit  den  afrikanischen  Viehzüchtern?), 
an  dem  Hinblick  auf  die  nordpontischen  Skythen.  Zweifellos  waren 
diese  in  ihrer  grossen  Mehrheit  Viehzüchter  und  Nomaden  (Zwovreq 
un.  dir'  dpöiou,  dXX'  änö  ktuWidv,  Hcrod.  IV,  46),  und  zweifellos  hatte 
Rind  und  Wagen  bei  ihnen  eine  hervorragende  Bedeutung.  Eiue  Be- 
schreibung des  skythischen  Rindes  giebt  Herodot  IV,  29.  Andere 
Nachrichten  lehren,  dass  es  als  Opfertier  gebraucht  wurde  und  zur 
Speise  diente  (IV,  61),  sowie  an  den  Wagen  gespannt  wurde  (IV,  69). 
Dieser  selbst  war  ein  unentbehrliches  Gerät,  nicht  um  Ackerbaufrüchte 
einzufahren,  sondern  um  der  Bevölkerung  zur  Zeit  der  Wanderungen 
als  Wohnung  zu  dienen. 

Ebensowenig  vermögen  wir  den  Ausführungen  Hirts  darüber  zu 
folgen,  dass  bei  den  Indogermanen,  wie  bei  gewissen  modernen  Natur- 
völkern, sich  eine  uralte  Arbeitsteilung  zwischen  Mann  und  Frau  in 
der  Weise  erkennen  lasse ,  dass  die  Viehzucht  das  Geschäft  der 
ersteren,  Pflanzensammeln  und  Ackerbau  das  der  letzteren  gewesen 
sei.  Denn  gerade  die  für  die  Frau  günstigen  Folgen,  die  sich  aus 
einem  derartigen  Eingreifen  in  das  Wirtschaftsleben  nach  den  Lehren 
der  Völkerkunde  zu  ergeben  pflegen,  Steigerung  ihrer  Stellung,  Anrecht 
am  Boden,  Mutterrecht  und  Matriarchat  lassen  sich  bei  der  idg.  Frau 
nicht  nachweisen  (b.  u.  Ackerbau,  Familie,  Erbschaft,  Mutter- 
recht:.  Wo  wir  anf  idg.  Boden  die  Frau  am  Ackerbau  teilnehmen 
sehen,  vermögen  wir  darin  nichts  anderes  zu  erblicken  als  die  Auf- 


Digitized  by  Google 


918 


Viehzucht. 


halsung  eines  den  Männern  verhassten  Geschäfts  auf  die  Schultern  des 
Weibes. 

So  sehen  wir  also  keinen  Grund,  die  oben  gegebene  Schilderung  der 
iiitesten  wirtschaftlichen  Entwicklung  der  Indogenuanen  zu  Gunsten 
der  Ilirtschen  Auffassung  fallen  zu  lassen,  und  zwar  umsoweniger,  als 
diese  Schilderung  nicht  (wie  doch  im  letzten  Grunde  die  Hirtsche)  auf 
irgend  welcher  vorgefassten  Meinung  von  der  Notwendigkeit  gewisser 
schematicher,  so  oder  so  gestalteter  Entwicklungsstufen  der  gesamten 
Menschheit  beruht,  sondern  lediglich  aus  Kriterien,  die  i  n  n  e  r  h  a  1  b 
der  K u 1 1 u  r v c r h ä  1 1 n i sse  der  Indogernianen  liegen,  ge- 
wonnen worden  ist.  Wenn  aber  Grosse  a.  a.  <).  S.  29  die  Lehren  der 
Völkerkunde  über  das  Verhältnis  von  Viehzucht  und  Ackerbau  dahin 
znsammenfa8st :  „Manche  Viehzüchter  sind  ohne  Zweifel  vormals  Acker- 
bauer gewesen .  während  umgekehrt  zahlreiche  andere 
Völker,  die  sich  einst  hauptsächlich  durch  Vieh- 
zucht nährten,  im  Laufe  der  Zeit  den  zuerst  nur 
nebenbei  betriebenen  Ackerbau  zur  herrschenden 
P  r  o  d  u  k  t  i  o  n  s  f  o  r  m  ausgebildet  haben",  so  sieht  man, 
dass  auch  von  Seiten  der  Völkerkunde  gegen  die  Anschauung  eines 
allmählichen  Übergangs  der  europäischen  Indogernianen  von  der  Vieh- 
zucht zum  Ackerbau  nichts  eingewendet  werden  kann. 

Von  «ton  im  Altertum  und  Mittelalter  in  Europa  verbreiteten  llaustiereu 
können  als  vorhistorischer  Erwerb  Rind,  Schaf,  Ziege,  Hund,  Pferd 
und  Schwein  angesehen  werden.  Dabei  erblicken  wir  in  dem  Schaf 
das  älteste,  in  dein  Schwein  ein  auf  die  Kulturgemeinschaft  der  Euro- 
päer beschränktes  Haustier.  Später  eingeführt  sind  Esel,  Maultier, 
Katze,  Kaninchen  und  sämtliches  Geflügel:  Gaus,  Ente,  Hahn 
(Huhn),  Taube,  Fasan,  Pfau,  Perlhuhn  (s.  s.  d.  d.).  Von  Insekten 
ist  früh  die  Biene  (s.d.),  und  in  sehr  später  Zeit  die  Seidenraupe 
(a.  u.  Seide)  in  den  Dienst  des  Menschen  getreten.  Den  angegebenen 
Kreis  von  Tieren  hatte  das  Altertum,  was  das  Geflügel  anbetrifft, 
in  sofern  noch  erweitert,  als  in  Rom  auch  Vögel  wie  Kranich,  Storch, 
Schwan,  turdus,  perdi.r,  coturnic  in  Zucht  und  Pflege  genommen 
wurden.  Dieselben  oder  ähnliche  Vögel  erscheinen  als  Haustiere  auch 
noch  in  den  legibus  Barbarorum  (vgl.  z.  B.  Leges  Aleniannorum  in 
den  Monumcntis  30,  4:  Si  grus  (Gl.  kranach)  f'uerit  furata  aut  occisa, 
3  solidos  solrat.  si  auca  (Gl.  gan*\  fuerit  involata  aut  occisa,  novemgel- 
donsolcat.  aneta  (fEnte  ),  gariola  (,Häher  ),  ciconia  (»Schwan'?),  corvus, 
cornkla,  columba  et  croerola  (, Wannenweihe',  crecerelle'?)  et  cauha 
(,Gauch  ),  ut  aliu  similia,  requirantur),  verschwinden  dann  aber,  wohl 
hauptsächlich  unter  den  Speiseverboten  der  Kirche,  die  z.  B.  den 
Genuss  von  Störchen  ausdrücklich  untersagten.  In  dem  Capitulare  Karls 
des  Grossen  de  villis  werden  noch  perdices  als  dignitati*  causa  zu 
halten  erwähnt. 


Digitized  by  Google 


Viehzucht. 


919 


Anhangsweise  seien  hier  noch  die  wichtigsten  linguistischen  und 
historischen  Thatsachen  über  die  schon  nach  dein  obigen  uralte  Kunst  der 
Ve rsch  11  ei dung  der  Haustiere  /um  Zwecke  ihrer  besseren  Mast  oder 
Züchtung  gegeben.  Urverwandte  Gleichungen  für  verschnittene  Tiere 
liegen  vielleicht  in  lat.  canterius  :  ahd.  hengist  (s.  u.  Pferd)  und  in 
lat.  cüpus,  cdpo  (s.  u.)  :  altsl.  skopie)  , Verschnittener'  vor.  Beson- 
ders aber  gehen  nicht  wenige  Xnmen  von  verschnittenen  Tieren  auf 
Verba  für  .schneiden'  etc.  zurück,  die  auf  den  betreffenden  Sprach- 
gebieten, wo  jene  Xamen  bestehen,  nicht  mehr  vorhanden  sind,  und 
daher  ein  hohes  Alter  jener  Ausdrücke  erweisen.  So  gehört  kelt. 
*molto-s  , Hammer,  ir.  malt  , Widder'  :  russ.  ntoliti  , verschneiden', 
kelt.  *lüno  s,  ir.  hin  , Hammel,  Schöps'  :  sei  t,  hind'ti  .schneiden".  Vgl. 
auch  lat.  eastrare  :  sert.  <;as  schneiden'.  Das  gemeingcrm.  ahd.  barug, 
agls.  bearh,  altn.  börgr  »geschnittenes  Schwein'  *bhar-ku-)  dürfte 
nebst  altsl.  bravü  (*bor-cü)  ,Schöps,  geschnittener  Eber'  zu  aw.  bar 
»schneiden',  griech.  (pdpw  »spalte,  zerstückle'  und  das  aus  filmischem 
ruuna  »Wallach'  erschliessbare  germanische  *runa  (mndd.  rthie,  westph. 
ruine,  schwäb.  raun  »Wallach  i  zu  seit,  ru,  rata  //.erschlagen,  zer- 
schmettern' zu  stellen  sein.  Vgl.  noch  all),  frei'}  .verschneiden'  =  lat. 
trüdo  »stossc'  (wie  griech.  6Xa6ia<;,  6Xißia<;  »Eunuch'  von  6Xäw,  6Xtßw 
»zerdrücke").  —  Dass  bei  Homer  die  Kunst  der  Verschucidtiug  i später 
6ct€uv€iv  »verschneiden',  TÖuioq  »geschnitten',  Touia?  »Verschnittener') 
bekannt  war,  folgt  aus  den  ufjXa  cvopxa  (II.  XXIII,  147).  d.  Ii.  solchen 
Schafböcken,  die  noch  im  Besitz  der  Hoden  (griech.  öpxi?  ~  aw. 
erezi-,  all),  herde)  sind.  Eine  ausführliche  Erörterung  derselben  und 
ihrer  Folgen  findet  sich  in  Xcnopbons  Cyropädie  VN,  5,  02.  Die  rö- 
mischen landwirtschaftlichen  Schriftsteller  kennen  die  Vcrschncidung 
bei  Pferden,  Lämmern,  Schweinen  und  Hähnen.  Vgl.  die  Stellen  im 
Lexicon  rusticum  der  Gcsncrschen  Ausgabe  der  Scriptores  rei  rustieae 
und  Festus  ed.  0.  M.  S.  4(5:  Vantherius  hoc  distal  ab  equo  quo  muialis 
a  cerre,  capo  a  gallo,  berbix  ab  artete.  Ein  spätlateinischer  (Vege- 
tius)  Ausdruck  für  Wallach  ist  spado  (aus  griech.  tfirdbiuv  »Verschnit- 
tener' :  aTTdw  »ziehe  heraus'),  der  auch  in  das  Lateinische  der  Lex 
Salica  (spadus,  spadare)  übergegangen  ist,  während  ein  altgermani- 
scher  Ausdruck  für  verschneiden  in  ahd.  urfur  »eastratus',  agls.  äff/ran 
»castrare',  got.  *u*fürjan  (ob  :  ahd.  fiur,  griech.  Tröp,  eigentl.  »aus- 
brennen'V)  vorliegt.  Besonders  häufig  beziehen  sich  die  Xachrichten 
Uber  das  Verschneiden  der  Tiere,  namentlich  der  Pferde,  auf  die  in 
nomadischen  Zuständen  verharrenden  Skythen  und  Sarmateu.  Vgl. 
Strabo  VII,  p.  ;J12:  ibiov  b€  toö  Xkuöikoü  ko\  toö  XapuaTtxoü  itavTÖq 
(lÖvou?  tö  Toüq  i'ttttou?  ^kts'uvciv  €U7T£i9€ia^  xdpiv,  Aiiiiniaiius  Marc 
XVII,  12,  2:  equorum  plurimi  e.r  usu  castrati,  Vegetius:  Equus  llu- 
niscus.  Noch  in  später  Zeit  weisen  Ausdrücke  wie  unser  r Wallach" 
oder  „Schöps"      altsl.  skopiti  »kastrieren'  s.  o.   oder  wie  frz.  hongre, 


Digitized  by  Google 


920 


Viehzucht  -  Volk. 


eigentl.  , Ungar'  auf  den  Osten  Europas  als  auf  eine  Lieblingsstätte 
der  Kastration  hin  (weiteres  bei  Pott  Beiträge  zur  vergl.  Spraehf.  II, 
Klage  Et.  W.6  s.  n.  Wallach). 

Über  die  Verwendung  der  tierischen  Produkte  s.  u.  Fleisch,  Milch, 
Butter.  Käse,  Düngung,  Wolle,  Horn,  Felltracht,  Uber  die 
Unterbringung  der  Herden  u.  Stall  und  Scheune,  über  ihre  Ernäh- 
rung u.  Futterkräuter. 

Vielweiberei,  s.  Polygamie. 

Volk  (Völkcrschaf tsbildung.  Völkcrnamen).  Verschiedene 
Gedanken  liegen  der  sprachlichen  Ausbildung  dieses  Begriffes  in  den 
idg.  Sprachen  zu  Grunde.  Häufig  geht  dieselbe  von  der  Vorstellung 
der  Fülle  oder  des  strotzenden  Wachstums  eines  Volksorganismus 
aus,  wie  sie  in  lat.  plebes  =  griech.  TrXf|6oq  :  iriMirXrjui,  in  griech. 
cpöXov,  <puXr|  :  tpuoum,  in  ahd.  Hut  =  altsl.  ljudü  :  sert.  ruh,  got.  liudan 
,waehseu',  in  osk.  touto,  umbr.  totam  —  ir.  tüath,  got.  piuda,  altpr. 
tauto  (letzteres  ,Land')  :  lat.  tümeo  ,strotze',  sei  t,  taviti  ,ist  stark'  u.  a. 
anzuerkennen  ist  (vgl.  auch  V.  Hehn  Kulturpflanzen 6  S.  »2»).  Nicht 
minder  häulig  ist  die  Auffassung  des  Volks  als  einer  auf  Verwandt- 
schaft beruhenden  Gemeinschaft  von  Menschen.  So  müssen  die  Li- 
tauer, wenn  sie  deu  Begriff  des  Volkes,  wofür  sie  sonst  einfach  zmönes 
,Menschen'  (z.  B.  lietüwininkai  zmönen)  sagen ,  genauer  bezeichnen 
wollen,  sieh  des  Ausdrucks  hnonia  gimini  »Verwandtschaft'  oder  ,Ge- 
schlecht'  der  Menschen  bedienen.  Hierher  sind  ferner  Wörter  wie 
lat.  ndtio,  umbr.  natine  ,nationc,  gente'  :  gndtux,  gens,  altsl.  narodü  : 
rodü  ,Sippe,  Geschlecht',  griech.  -r*vo<ä  (z.  B.  tö  Awpncdv  Y^voq),  sert. 
jdna-  u.  s.  w.  zu  stellen.  Auch  die  Übereinstimmung  der  Sprache 
(daher  altsl.  jqzykü,  eigeutl.  , Zunge'  =  Volk)  uud  des  Namens  (daher 
Bert,  nd'nia  d'ryam  ,das  Volk  der  Arier',  lat.  nomen  Bomanum,  omne 
nomen  Aetolorum  etc.)  gelten  als  charakteristisch  für  den  Volksbcgriff. 
Indem  mehrcres  wie  griech.  ^6vo?  (z.  B.  'Axctiwv  £6vo$)  oder  altpr. 
rtm.s/jf  ,Volk'  (vielleicht  eigentl.  ,Zeitgenossenschaft',  vgl.  lit.  dmüas 
.Lebensdauer  des  Menscheir)  noch  näherer  Aufklärung  harrt,  ist  schliess- 
lich als  auf  eine  wichtige  Quelle  von  Bezeichnungen  des  Volkes  auf 
eine  Reihe  von  Ausdrücken  mit  der  ursprünglichen  Bedeutung  ,Heer', 
,Heereshanfen*  hinzuweisen.  Am  deutlichsten  liegt  dieser  Bedeutungs- 
ubergang in  dem  gemeingerm.  ahd.  folc  (vgl.  noch  unser  „Fussvolku), 
agls.  folc,  altn.  foll\  alle  eigeutl.  ,Heercsabtcilung'  (,cuneus',  vgl.  auch 
in  ejcercitu  Baiotcariornm  —  in  Baiern,  Schröder  Deutsche  Rechts- 
geschichte 3  S.  lf>),  da«  in  diesem  Sinne  auch  ins  Altslowenischc  (plükü 
jKricgsschar  )  übergegangen  ist.  Ganz  ähnlich  erklärt  sieh  das  griech. 
bn;uo<;  ,popiilus',  ,civitas',  dann  lokal  , regio  a  populo  habitata'  =  ir. 
dam  »Gefolgschaft,  Schar',  so  dass  hier  Volk  uud  Heer  als  Gefolgschaft 
eines  Herzogs  aufgefasst  sind.  Auch  für  das  nritalische  *poplo-,  lat. 
populus  (neben  ptiblkus),  umbr.  poplom  ist  wegen  des  Ausdrucks  ma- 


Digitized  by  Google 


Volk. 


921 


girier  popttli  »Diktator'  (vgl.  Mommscn  Römisches  Staatsrecht  III,  1 ;  3*) 
und  wegen  populari  (vgl.  unser  „verheeren u  :  „Heer")  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  eine  Grundbedeutung  ,Hecr'  anzusetzen.  Sucht 
man  die  eigentliche  Heimat  des  Wortes  auf  umhrisch-oskischem  Boden, 
so  Hesse  sich  vielleicht  an  eine  Verbindung  des  italischen  *poplo-  (aus 
*qoqlo)  mit  sert.  cakrd-  (*qeq!o-)  denken,  das  ausser  ,Rad'  namentlich 
auch  eine  ,radförmige  Aufstellung  des  Heeres'  etc.  bedeutet  (vgl.  dazu 
Bartholomac  I.  F.  X,  1,2).  Schliesslich  dürfte  auch  griech.  Xaö? 
.Kriegsvolk,  Volk,  Untertanen'  in  einen  verwandten  Oedankenkreis 
fuhren.  Griech.  *läros  scheint  zu  demselben  Stamm  wie  lat.  hierum 
,Gcwinn',  altsl.  lovt't  ,Fang',  got.  Idun  ,Lobn'  zu  gehören  und  würde 
dann  dasselbe  wie  das  von  ihm  abgeleitete  Xeia,  Arfta,  nämlich  , Beute', 
dann  .die  auf  Beute  ausziehende  Schar'  '  vgl.  lit.  lüras  »Krieg'  und 
.Heer')  bezeichnen  (vgl.  auch  sert.  sdtvan-  , Krieger' :  san  .gewinnen'?). 

Die  zuletzt  erörterten  Fälle  gewähren  zugleich  einigen  Anhalt,  wie 
wir  uns.  wenigstens  teilweis,  die  Ausbreitung  der  Indogermanen  zu 
denken  haben.  Das  idg.  Urvolk  lebte  in  teils  engeren,  teils  weiteren 
Familienvcrbänden,  die  u.  Familie  (Grossfamilie),  Sippe  und  Stamm 
ausführlich  geschildert  worden  sind.  Die  Weiterentwicklung  ist  nun 
d  i  e,  dass  sich  mehrere  solcher  Stämme  zu  kriegerischen  Unterneh- 
mungen vereinigen  oder  von  machtvollen  Persönlichkeiten  (s.  u.  König) 
vereinigt  werden.  Indem  diese  Stämme  auch  nach  Erledigung  des 
Zweckes,  der  sie  zusammenführte,  bei  einander  bleiben,  entsteht  ein 
neuer  über  den  Stamm  hinausführender  Begriff,  den  wir  als  den  der 
Völkerschaft  bezeichnen  können.  Den  Vortrab  des  südslavischen 
Einwanderungszuges  bildeten  nach  Krauss  Sitte  und  Brauch  der  Süd- 
slaven S.  18  die  Kroaten,  die  gegen  das  Ende  des  V.  und  am  Anfang 
des  VI.  Jahrhunderts  mit  zwölf  „tribus"  in  Dalmatien  und  im  südlichen 
Pannonicn  einrückten,  wobei  das  lateinische  tribus  dem  einheimischen 
pleme,  d.  b.  Stamm  entspricht.  Auf  ähnliche  Vorgänge  wird  es  zurück- 
zuführen sein,  wenn  die  Dorier  im  Epos  TpixäFiKe«;  .die  dreigauigeu' 
heissen,  wenn  bei  den  Kelten  Völkernamen  wie  Tri-corii  und  Petro-corii 
,dic  drei-  und  vierheerigen'  (vgl.  got.  harjis  ,Heer)  vorkommen,  wenn 
in  Rom  die  X  Stämme  Raumes.  Titics,  Lnceres  begegnen  oder  Achilles 
über  die  Mupyiböves,  "EXXnv€<;  und  'Axaioi  herrscht  (vgl.  H.  Hirt  Bei- 
träge XVIII,  öli*1).  Diese  Entwicklung  hat  noch  in  der  Urzeit  be- 
gonnen, bat  ihre  eigentliche  Bedeutung  aber  erst  nach  Auflösung  der 
idg.  Zusammenhänge  auf  dem  Boden  der  Einzelvölker  gefunden,  wo 
die  selbständige  Existenz  der  Stämme,  wenigstens  im  Norden,  noch 
mehrfach  nachweisbar  ist  (s.  u.  König  und  u.  Stamm).  Einen  Be- 
weis hierfür  liefert  auch  die  beachtenswerte  Thatsache,  dass  vorhisto- 
rische Völkernamen  sich  nur  ausnahmsweise  und  unter  besonderen 
Umständen  bei  den  Indogermanen  feststellen  lassen.  Eine  solche  Aus- 
nahme bilden  die  Veneti  (jahd.Whida)  ^  gall.  Veneti,  Venelli  ~  Veneti 


Digitized  by  Google 


922 


Volk. 


in  Oberitalien,  eine  vorhistorische  Sprachreihe,  die  nach  R.  Much» 
wahrscheinlicher  Annahme  zu  ahd.  teini  , Freund',  ir.  fine  ,Stanun'  etc. 
gehörig,  soviel  wie  , Freunde',  ,Stnmmgenosscn'  bezeichnet  und  damit 
ein  europäisches  Gegcustück  zu  den  asiatischen  „Ariern1*  (s.  n.  Stände) 
bildet.  Es  wird  also,  was  zu  dem  obigen  aufs  beste  stimmt,  schon  in 
der  Urzeit  Vereinigungen  von  Stämmen  gegeben  haben,  die  sich  .Freunde1* 
nannten,  eine  zunächst  rein  appcllativischc  Bezeichnung,  die  später  den 
Charakter  von  Völkernamen  annahm.  Abgesehen  hiervon  zeigen  sich 
Spuren  von  Urverwandtschaft  namentlich  zwischen  Kelten  und  Ger- 
manen {Jirigantes-Burgundionett,  KaÜKOi-( 'hauet,  Corii-Harii),  die  auch 
sonst  auf  Staats-  und  völkerrechtlichem  Gebiet  mehrfache  engere  Be- 
rührungen aufweisen  (s.  u.  Eid,  Geisel,  König,  Recht,  Stände).  Im 
allgemeinen  aber  darf  man  sagen,  dass  die  Bildung  der  Völkernamcn 
der  Geschichte  der  Einzel  Völker  angehört,  wobei  freilich  eine  Eini- 
gung Uber  Ursprung  und  Bedeutung  derselben  (vgl.  die  Kontroverse 
zwischen  R.  Much  Beiträge  XVII,  1,  XX,  1  ff.  und  Kossinua  I.  F.  VII, 
284  f.,  ;502ff.  einerseits,  H.  Hirt  Beiträge  XVIII,  öl  1  ff.,  XXI,  12»  ff. 
andererseits)  nur  selten  bis  jetzt  erreicht  worden  ist.  Auf  einige  kultur- 
historisch wichtige  Gesichtspunkte  macht  Kossinua  a.  a.  0.  aufmerksam. 
Er  weist  darauf  hin  '  vgl.  dazu  Vf.  Vom  neuen  Reich  Berlin  18ik>  S.  2f»), 
dass  primitive  Völker  nur  sich  und  ihrer  Sprache  Daseinsberechtigung 
zuzugestehen  pflegen.  Nicht  nur  die  Griechen  und  Römer  nennen  die 
anderen  Völker  „Barbaren11  (ßdpßapoi-/«/röari).  d.  h.  ,Stammler*  (vgl. 
sert.  barbara-  ,stammelud',  »Nicht-Arier',  slov.  brbrati,  serb.  brbljati 
,plappern')  oder  „Brüllcr"  (vgl.  kypr.  ßpoüx€To^  '  ßdpßotpoq.  ßoVrpotxov 
b€  Kuupioi  Hes.,  vgl.  ßpuxdouai  , brülle  ).  Auch  die  Slaven  nennen  die 
Deutschen  nenüci  .stumm',  und  die  Litauer  haben  ein  Sprichwort:  „Er 
ist  wie  ein  Deutscher,  er  verstellt  das  Wort  vernünftiger  Leute  nicht''. 
Umgekehrt  bezeichnet  sich  der  Albanesc  als  xKipetä'r,  d.  h.  .der  Ver- 
stehende' (alb.  xkipöit  aus  lat.  excipere),  wie  nach  Möllenhoff  D.  A.-K. 
II,  106  auch  Slovene  soviel  wie  der  , verständlich  Redende*  bedeuten 
würde  doch  vgl.  Miklosich  Et.  VV.  S.  308).  Von  diesem  beschrankten 
Standpunkt  aus  stellen  sich  dann  gern  Spottnamen  für  die  Nachbarn 
ein,  die  Much  a.  a.  0.  in  grossem  Umfang  unter  den  altgermauischeu 
Völkernanien  nachweisen  zu  können  glaubt  (vgl.  aber  dazu  die  Kritik 
Hirts).  Ein  verhältnismässig  sicherer  Fall  dieser  Art  dürfte  im 
altpr.  mixskai  ,auf  deutsch'  vorliegen,  das  auf  ein  *mik-iska-8 
, deutsch*  und  *Mika«  , Deutscher'  mit  Zuversicht  schliessen  lässt.  Bei 
der  geringen  Meinung,  die,  wie  wir  sahen,  unsere  östlichen  Nach- 
barn von  uns  haben,  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass  dieses  altpr. 
Mika»  , Deutscher'  nichts  anderes  sei  als  das  lit.  Mika*  (für  Mikeli*) 
,Michcl',  so  dass  der  auch  in  Deutschland  weit  verbreitete  Spitz- 
name unseres  Volkes  (vgl.  „deutscher  Michel",  Grimm  W.  B.  VI 
Sp.  2Hi8  f.  wie  im  Englischen  John  Bull)  zu  dem  deutschen  National- 


Digitized  by  Google 


Volk  —  Volksversammlung. 


923 


namen  im  Altpreussischen  geworden  wäre.  Altpr.  mixskai  biesse  also 
eigentlich  „auf  michelsch",  *mikhtkas  vielleicht  ironisch  nach  thiudisc 
(Vf.  a.  a.  0.  S.  24/25).  Des  weiteren  ziehen  Much  und  Kossinua  Tier- 
namen zur  Erklärung  von  Völkernamen  heran.  Beispiele  sind  die 
italischen  Vitah  (vgl.  vitulus  .Kalb'),  die  Meentes  (vgl.  pieus  Specht'), 
die  Hirpini  (vgl.  hirpus  ,Wolf),  die  slavischen  Warnaci  („Krähen") 
u.  a.,  eine  Erscheinung,  die  auch  in  vedischen  Volksuamcu  <Matsi/a 
, Fisch',  Aja  ,Ziegc'  u.  a.)  wiederkehrt  (vgl.  Ohlenberg  Die  Religion 
des  Veda  S.  85).  Ist  hier  an  eine  Ableitung  von  etwaigen  Stammes- 
göttern,  die  als  Tiere  aufgefasst  wurden  (s.  u.  Fahne  und  Religion) 
oder  an  eine  Art  von  Tot  e  in  i  sm  us  zu  denken,  wie  ihn  die  ethno- 
graphische Forschung  hei  zahlreichen  Völkern  nachweist? 

Die  Völkernamen  gehören  also  im  wesentlichen  den  Einzelsprachen 
an.  Die  indogermanischen  Stämme  selbst  werden,  wie  dies  noch  heute 
im  Sttdslnvischen  der  Fall  ist  (vgl.  Krauss  a.  a.  0.  8. 36:  Herne  Knezevit, 
PI.  Budisavljecic  u.  s.  w.),  einfach  nach  dem  wirkliehen  oder  eingebil- 
deten Stammvater  benannt  worden  sein.  Auch  die  vielbesprochenen 
germanischen  Jxtaeones  und  Inguaeonex  (von  einigen  mit  griech.  'Axouoi 
verglichen V,  s.  auch  u.  Birnbaum),  werden  nichts  als  mittels  des 
die  Abstammung  bezeichnenden  Suffixes  -ejon  aus  -e"ijon{ :  lat.  -ejus, 
griech.  -r\io<;)  gebildete  Ableitungen  von  den  Namen  derartiger  Ahn- 
herrn des  Stammes  sein. 

Wie  es  nun  gekommen  ist,  dass  Gruppen  derartiger  idg.  Stämme 
und  Stanunesverbindnngen  sich  so  gegen  einander  abgrenzten  und  von 
einander  unterschieden,  dass  schliesslich  diejenigen  Sprach-  und  Völker- 
einheiten sich  bildeten,  die  wir  als  Griechen,  Italer,  Germanen,  Slavcn 
n.  s.  w.  bezeichnen,  ist  eius  der  schwierigsten  Probleme  der  idg.  Spraeh- 
und  Völkerwisseuschaft.  Offenbar  haben  die  verschiedenartigsten  Fak- 
toren, Vermischung  mit  Ureinwohnern,  Ausrottung  von  Ubergangs- 
stämmen, Wanderungen  und  geographische  Isolierung  u.  s.  w.  in  dieser 
Richtung  gewirkt.  Dabei  ist  das  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit 
bei  den  durch  solche  Spracheinheit  verbundenen  Stämmen,  die  meist 
in  blutiger  Fehde  mit  einander  liegen,  ein  äusserst  geringes.  Erst 
eine  Folge  geschichtlicher  und  kulturgeschichtlicher  Vorgänge  ist  es, 
wenn  solche  durch  engere  Verwandtschaft  verbundenen  Stämme,  Stammes- 
verbindungen  und  Völkerschaften  sich  des  ihnen  aufgeprägten  gemein- 
samen Stempels  bewusst  werden,  ein  Nationalitätsbewusstsein 
und  damit  häufig  gemeinsame  Namen  wie  "EXXnve?  oder  „Deutsche11  auf- 
kommen. Zuletzt  haben  Uber  diese  Fragen  vom  griechischen  Stand- 
punkt P.  Kretschmer  Einleitung  in  die  griech.  Sprache  S.  410  ff.,  vom 
germanischen  O.  Bremer  in  Pauls  Grundriss  III  *,  762  ff.  ausführlicher 
gehandelt.  —  S.  auch  u.  Stamm  und  Staat. 

Volksversammlung.    Die  Ausführungen  u.  König  (s.  die  Zn- 
sammenfassung seiner  Befugnisse  Nr.  2)  lehren,  dass  in  der  idg.  Urzeit, 


Digitized  by  Google 


924 


Volksversammlung. 


wie  es  schon  Mommsen  Römische  Geschichte  I7,  72  richtig  erkannte, 
„die  eigentliche  und  let/.te  Trägerin  der  Idee  des  souveränen  Staates" 
die  Volksversammlung,  d.  h.  die  Staramesgenieinde  gewesen  ist. 
Durch  das  allmähliche  Anwachsen  der  königlichen  Gewalt  einer-,  und 
der  Ausbildung  eines  Adelstaudcs  (s.  u.  Stände)  andererseits  wurde 
diese  Bedeutung  des  versammelten  Volks  hei  den  Einzclvölkera  in  ver- 
schiedener Weise  eingeschränkt,  was  hier  nicht  weiter  verfolgt  werden 
soll.  Vielleicht  haben  schon  in  der  Urzeit  in  der  Stamm  es  Versammlung 
nur  die  Sippenhäupter,  in  der  Sippen  Versammlung  nur  die  Vorstände 
der  ein/einen  Grossfamilicn  —  denn  diese  beiden  Arten  von  Versamm- 
lungen mtlssen  nach  der  alten  Stammesverfassung  der  Indogermanen 
unterschieden  werden  —  eine  eigentliche  Stimme  gehabt,  und  die 
übrigen  sind  mir  dazu  da  gewesen,  um  ihren  Beifall  (etwa  durch 
Waffenlärm  und  Stampfen  mit  den  Füssen,  wie  bei  Germanen  und 
Kelten,  vgl.  Tac.  Genn.  Cap.  11,  Hist.  V,  17,  Caesar  De  bell.  Call.  VII, 
21 ;  altn.  vdpnatak  ,armorum  apprehensio  )  oder  ihr  Missfallen  (etwa 
durch  Murren,  vgl.  Tac.  Genn.  Cap.  11)  zu  erkennen  zu  geben. 

Die  idg.  Bezeichnungen  für  die  beiden  eben  genannten  Versamm- 
lungen liegen  in  den  Gleichungen:  sert.  sabhä'  , Versammlung  der  Dorf- 
gemeinde' —  urgerm.  *seba,  wovon  got.  sibja,  eigentl.  ,was  zu  eiuer  sol- 
chen Versammlung  gehört',  ,Sippe'  für  die  Sippenversammlung  und 
sert.  sdmana-  , Festversammlung'  (vgl.  Zimmer  Altindisches  Leben  S.  177) 
—  ir.  ttumain  .Bezeichnung  bestimmter  Feste  am  1.  Mai  und  nament- 
lich des  grossen  Festes  von  Tara  am  1.  November'  (vgl.  Stokes  Urkelt. 
Sprachschatz  S.  293)  für  die  Stamincsversammluug.  Die  Einzel- 
sp rächen  bieten  im  Ganzen  wenig  von  Interesse,  da  der  Begriff 
der  Volksversammlung  in  ihnen  meistens  durch  Wörter  ausgedrückt 
wird,  die  in  ganz  durchsichtiger  Weise  und  ohne  weitere  Zusammen- 
hänge soviel  wie  , Zusammenkunft'  und  ähnliches  bedeuten.  So  griech. 
öVfopd  :  dtYcipuj  ,sammle',  dAict,  nXtaia  :  ä\r\q  .versammelt',  und  dor. 
drre'XXa  (nach  Prellwitz  :  griech.  T€Xo?  ,Schar',  ir.  cland,  kymr.  plant 
jStamm"?),  während  ^KtcXnaia  :  KaXeTv,  lat.  calare,  classis  ,die  zur  Ab- 
stimmung berufene.  Menge'  soviel  wie  ,Anfgebot'  bedeuten  wird.  So 
ferner  lat.  contio  aus  *coventio,  comitium  (  vgl  sert.  sdm  iti-)  und  con- 
cilium,  Ausdrücke,  für  die  in  der  älteren  Zeit  ein  Bedeutungsunter- 
schied schwerlich  festzustellen  ist  (vgl.  Bernhöft  Staat  und  Recht  S.  151), 
so  auch  das  gemeingerm.  got.  mapl,  agls.  mdedel,  ahd.  inahal,  mlat. 
malluft,  mallum  :  got.  gamötjan  »begegnen'  (vgl.  auch  agls.  gemdt), 
während  altn.  ping,  agls.  ebenso,  ahd.  dinc,  langob.  thinx,  gairethinx 
(vgl.  Marx  Thinxus  in  römischen  Inschriften)  vielleicht  zu  got.  peihs 
,Zeit'  (=  lat.  tempu*?)  gehört  und  die  certi  dien  bezeichnet,  an  denen 
nach  Tacitus  Germ.  Cap.  11  die  germanischen  Volksversammlungen 
stattfanden.  So  endlich  auch  altsl.  suborü,  sübrannije  :  berq,  brati 
,legere',  also  ,0-uXXoth',  während  altsl.  reste,  altpr.  trayte  mit  altsl. 


Digitized  by  Google 


Volksversammlung  —  Vorfahren. 


'.»L'5 


te  2  (Miklosich)  ,sageu'  zu  verbinden  sind  und  eigentlich  , Besprechung' 
bedeuten.  Zahlreiche  Benennungen  für  die  auf  altirischem  Boden  be- 
stehenden mannigfaltigen  Versammlungen  des  Volkes  und  Adels  bietet 
O  Curry  Manners  and  customs  I,  CCLII.  Eine  derselben  (ir.  dal  = 
kymr.  datl)  ist  urkeltisch,  lässt  sich  aber  vorläufig  nicht  weiter  ver- 
folgen. Vgl.  noch  sert.  vid  dtha-  :  got.  teitöp  ,Gesetz'  (?).  —  Über  den 
Zusammenhang  der  alten  Volksversammlungen  mit  Schmausen  und 
Festen  s.  n.  Mahlzeiten  und  Trinkgelage,  Uber  ihre  Bedeutung 
als  Märkte  s.  d.    Über  ihre  richterlichen  Funktionen  s.  u.  Recht. 

Vorfahren.  Die  hohe  Bedeutung  des  Ahnenkultes  (s.d.)  auf 
idg.  Boden,  die  einem  jeden  die  besondere  SeelcnpHege  seiner  drei 
nächsten  und  die  allgemeine  seiner  weiteren  Vorfahren  zur  Pflicht 
machte,  und  die  damit  verbundene,  auf  dem  Gebiet  des  Rechts  (s.  u. 
Blutrache)  wie  des  Besitzes  (s.  u.  Erbschaft)  bedeutungsvolle  Vor- 
stellung einer  Nahverwandtschaft  (s.  u.  Familie)  musste  in  alten  Zeiten 
einem  jeden  die  genaue  Kenntnis  seiner  Ahnen  als  eine  äusserst  wich- 
tige Aufgabe  erscheinen  lassen,  zu  deren  Bewältigung  er  in  Ermange- 
lung der  Schrift  lediglich  auf  die  Kraft  seines  Gedächtnisses  angewiesen 
war.  So  berichtet  aus  dem  alten  Wales  (vgl.  F.  Walter  S.  33'*)  Gi- 
raldus  Cambriae  descr.  Cap.  17:  Genealogiam  quoque  generis  stii 
etiam  de  populo  quilibet  observat,  et  non  Holum  avox,  atacos, 
sed  usque  ad  sextam  vel  septimam,  et  ultra  proeul  generationem 
memoriter  et  promte  genus  enarrant  in  hunc  modum,  Rems 
fi litis  Gruffini,  filii  liest,  filii  Theodori,  filii  Aeneae,  filii  Oeni,  filii 
Hoeli,  ßlii  Cadelli,  filii  Roderici  Magni  et  sie  deineeps.  Ebenso  er- 
freuen sich  die  homerischen  Helden  daran,  ihre  Vorfahren  aufzuzählen, 
wofür,  statt  auf  vieles  andere,  auf  das  Gespräch  zwischen  Glaukos  und 
Diomcdcs  (II.  VI,  1 19  ff.)  verwiesen  sei.  Ohne  Besinnen  führt  der 
erstere  mitten  im  Gewühle  der  Schlacht  seine  väterlichen  Ahnen  bis 
zum  Urgrossvatcr  (Sisyphos)  auf,  und  Diomcdcs  erinnert  sich  sofort, 
das«  sein  eigener  Grossvater  (Oineus)  mit  dem  des  Glaukos  (Bellero- 
phon) einstmals  in  gastfreundschaftlinhem  Verhältnis  stand.  Aus  dem 
Germanischen  ist  z.  B.  an  die  vielen  und  grossen  Genealogien  der 
Sachsencbronik  zu  denken.  Erleichtert  wurde  das  Festhalten  so  hoch- 
hinaufgehender  und  weitverzweigter  verwandtschaftlicher  Beziehungen 
dadurch,  dass  in  alter  Zeit  (s.  u.  Familie  und  Sippe)  nur  die 
mäunliche  Ascendenz  beachtet  wurde,  und  „somit  die  Ahnentafel  mit 
der  Berücksichtigung  von  Vätern  und  Müttern  mehr  oder  weniger 
gegenstandlos  wurde".  Vgl.  darüber  0.  Lorenz  Handbuch  der  Genea- 
logie S.  81  ff.,  der  gegen  die  Annahme  eines  kognatischen  Familien- 
begriffes bei  den  Indogennancn  mit  Recht  den  Zweifel  ausspricht, 
„ob  überhaupt  einer  agnatischen  und  kognatiseben  Eutwickelung  des 
Familienbegriffes  das  menschliche  Gedächtnis  Stand  zu  halten  ver- 
möchte, solange  es  nicht  durch  Schriftkunde  unterstützt  wird.  Die 


Digitized  by  Google 


926 


Vorfahren  —  Waehholder. 


Ahnentafel  ist  wahrscheinlich  ohne  Schrifttum  etwas  gar  nicht  denk- 
baresu. 

Die  idg.  Bezeichnung:  des  Begriffes  , Vorfahren'  liegt  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  in  dem  Plural  des  Wortes  für  ,  Vater'  :  sert.  pitdras 
—  grieeh.  Traiepes,  lat.  patres  w.  s.  w.  Auch  gricch.  yoveis  und  parentes 
werden  so,  oft  aber  auch  mit  Beschränkung  auf  den  Drei  v äterkreis 
gebraucht.  Vgl.  Isaens  VIII,  32:  yovci?  eicFi  junrnp  KCtl  Traifip  Kai 
ttotttto^  koü  Tn8n,  KQi  toutujv  un.Tr|p  Kai  iraTrip'  4k€ivoi  -fäp  äpxn  TOÖ 
Tcvou?  eio-iv  und  Fcstus  cd.  0.  M.  S.  221:  Parens  vulgo  pater  et 
mater  appellatur\  sed  iuris  prudentes  avos  et  pro  mos,  arias  et 
proacias  parentum  nomine  appellari  dicunt  (s.  auch  u.  Name). 
Als  „Drittväter"  sucht  Kaegi  Die  Neunzahl  bei  den  Ostariern  (Phil. 
Abh.  für  Schweizer-Sidler  S.  öä/öti81)  auch  das  Hesyehischc  TpiTOTtd- 
topeq  (TpiTOTTotTpetq)  •  o\  bt  Touq  irpoTräTopa?  ansprechend  zu  deuten. 
Vgl.  auch  agis.  pridde  fivder  ,Urgrossvater'.  —  S.  u.  Eltern  und 
Grosscltcrn. 

Vorhalle,  s.  Haus. 

Vormittag,  s.  Morgen,  Tag. 


W. 

Wabe,  s.  Biene,  Bienenzucht. 

Waehholder  (.Juniperus).  Vorhistorische  Bezeichnungen  dieses 
Strauches  oder  Baumes  liegen  einerseits  in  gemeinsl.  altsl.  smrtc't 
»Waehholder',  smreta  .Zeder',  klruss.  smräka  , Fichte'  u.  s.  w.,  *smerk- 
=  grieeh.  äpK-€u8o<;  ,Cypressenwachholder'  (Juniperus  phoenicia  L.>, 
*snirk-  (vgl.  in  lautlicher  Hinsicht  lit.  smirdeti  .stinken',  lat.  merda, 
grieeh.  öpba  ,Schinntz'),  andererseits  in  lat.  jüni-perus  =  schwed.  en 
aus  *joini-  (vgl.  Stokes  Urkelt.  Sprachschatz  S.  336)  vor.  —  Auch 
grieeh.  Keöpoq  bezeichnete  von  Haus  aus  Wachholdcrarten  und  wurde 
erst  später  auch  auf  die  syrische  Zeder  (i\  iv  Zupia  Kebpoq  Theophr., 
Pinns  Cedrns  L.)  übertragen.  Schon  bei  Homer  wird  das  Wachholder- 
hof (s.  u.  A  r  <>  m  a  t  a)  zur  Räucherung  gebraucht,  und  es  ist  wahr- 
scheinlich, dass  grieeh.  xebpo?  als  zu  altsl.  cadü  .Rauch'  aus  *kedü 
gehörig,  selbst  so  viel  wie  ,Rauchholz'  bedeutet.  Jedenfalls  liegt  diese 
Bedeutung  dem  preussisch-litauischen  Namen  des  Wachholders,  altpr. 
kadagis,  lit.  kadagtfs  (vgl.  auch  das  hieraus  entlehnte  nhd.  kattikbaum) 
zu  Grunde,  die  von  altsl.  kaditi  ,räuchera'  (von  *kadü  neben  cadü) 
abgeleitet  wird  (Lewy  Die  semit.  Fremdw.  S.  35  denkt  dagegen  für 
gricch.  K€bpo£  an  Entlehnung  aus  hebr.  qäfar  ,räuchern',  arab.  qafara 
/lüften';  s.  auch  u.  Zitrone).  —  Noch  unerklärt  sind:  ahd.  tcehhaltar 
und  slav.  jalortcl , Wachholder'  nnd  , Fichte'.  —  Über  die  Terminologie 


Digitized  by  Google 


Wachholder  —  Wage  und  Gewicht. 


927 


der  südlichen  Wachholderarten  vgl.  noch  Fraas  Synopsis  8.  258  und 
Lenz  Botanik  S.  3öf>  ff. 

Wachs,  s.  Biene,  Bienenzucht. 

Wachskerze,  s.  Licht. 

Wachstafeln,  s.  Schreiben  und  Lesen. 

Wachtel.  Ein  idg.  Name  des  Vogels  liegt  in  seit,  värtikü, 
Pamird.  wolch,  griech.  öpTuL  Wenn  im  Lateinischen  die  Form  coc- 
tumir  vgl.  Keil  Graiumatici  Lat.  VII,  108^  für  coturnix  Gewähr  hat, 
so  lässt  sich  dieselbe  vielleicht  mit  ahd.  teaht-ala  vergleichen  (doch 
agls.  wyhtfil,  nicht  *hwyhtel).  Nach  Keller  Lat.  Volkset.  S.  50  wäre 
coturnix  ans  coeturnix  alsdann  durch  volkstümliche  Angleichung  an 
cnttirnus  entstanden  wegen  der  stark  bewehrten  Füssc  des  wie  der 
Haushahn  zu  Wettkämpfen  benutzten  Vogels.  Neben  wahtala  liegt  im 
Ahd.  quahtela.  quattufa,  quattala,  in  den  Reichenauer  Gl.:  quaecola, 
deren  Beziehungen  zu  it.  quaglia,  frz.  quaille  (auch  agls.  quayle)  noch 
nicht  klar  gestellt  sind.  —  Ganz  abweichend  heisst  das  Tier  in  Ost- 
en r  o  p  a.  In  allen  Slavinen  begegnet  *perpera ,  *perperica  ,die 
Hntternde'  (Miklosieh):  russ.  perperü  etc.,  alt pr.  per(n)palo.  lAt.pittpela 
(vgl.  Lcskieu  Bildung  der  Nomina  S.  201 ).  Vgl.  noch  alb.  dmh  aus 
lat.  tetraonem  (s.  u.  Fasan),  agls.  ersc-hen  (einmal  bei  Wright-Wülcker 
380,  19:  edtHc-heii)  und  korn.  rinc,  kambr.  rhinc.  —  Über  die  Wachtel 
im  Altertum  vgl.  Lenz  Zoologie  vS.  347  ff. 

Waffen.  Die  idg.  Urzeit  entbehrte  mit  Ausnahme  des  Schildes 
noch  gänzlich  der  Schut/.waffen,  also  vor  allem  des  Helmes  und 
Panzers.  An  Angriffswaffen  führte  dieselbe:  Pfeil  und  Bogen, 
den  Dolch  (s.  u.  Schwert),  Spiess,  Axt  (und  Beil),  Hammer, 
Keule  und  vielleicht  die  Schleuder.  Über  alle  diese  Waffen  ist  in 
besonderen  Artikeln  gehandelt  worden.  —  Zusammenfassende  Ausdrücke 
wie  griech.  öttXov,  öttXo  (bei  Homer:  ,Handwerkzeug',  .Schiffsgerät', 
,Kriegszeug '),  lat.  arma  (:  armus  , Schulter',  zunächst  ,Üefensivwaffen'; 
Gegensatz  :  Uda).  gemeingerm.  got.  icepn,  ahd.  wäfan  (kaum  mit 
griech.  örrXov  vereinbar)  und  got.  Harten,  ahd.  »aro  (entlehnt  ins  lit. 
azoncai,  altpr.  mneis\  lit.  giilklai  (:  ginh  , wehre  )  n.  a.  gehören  den 
Kinzclsprachen  an. 

Waffentänze,  s.  Tanz. 

Wage  und  Gewicht.  Mit  dem  Aufkommen  des  King-  und  Barrcu- 
geldes  an  Stelle  der  früher  ausschliesslichen  Zahlungen  in  Vieh  (s.  n. 
Geldi  musste  auch  die  Kenntnis  der  Wage,  auf  der  «las  Metall,  bevor 
es  als  Münze  geprägt  wurde,  zugewogen  ward,  sich  in  Kuropa  von 
Volk  zu  Volk  verbreiten.  Da  diese  Benutzung  des  Metallcs  bis  in  die 
sogenannte  Bronzezeit  (s.  u.  Krz)  zurückgeht  vgl.  auch  die  Zusammen- 
stellung der  Funde  von  Wagen  hei  M.Much  Mittl.  d.  Wiener  Anthrop. 
Ges.  IX  %  so  versteht  man,  dass  auf  den  einzelnen  Sprachgebieten  alte 
meist   über  alle  Mundarten  sich  erstreckende,  aber  noch  nicht  indo- 


Digitized  by  Google 


Wage  und  Gewicht. 


germanische  Namen  der  Wage  uud  des  Gewichts  vorhauden  sind. 
Auch  dass  bei  so  bedeutsamen  Handelsbegriffen  die  sprachliche  Ent- 
lehnung von  Volk  zu  Volk  eine  grosse  Rolle  spielt,  ist  von  vornherein 
zu  erwarten. 

Die  wichtigere  Terminologie  der  Wage  uud  des  Gewichtes  in  den 
Einzelsprachen  ist  die  folgende:  Griechisch  :  (homerisch)  TdXavrov 
,Wage'  und  »Gewicht*,  wie  denn  häufig  in  denselben  Woitstämmen 
beide  Bedeutungen  bei  einander  liegen.  Das  Wort  gehört  zusammen 
mit  TaXäffdai,  xXnvai  ,ertragen',  TdXapo?  ,Tragkorb'  u.  a.  zu  lat.  follo 
,ich  hebe  auf  und  sert.  tul,  das  erstens  ,aufhcben',  zweitens  ,dureh 
Aufheben  eines  Dinges  ein  Gewicht  bestimmen,  wägen,  abwägen'  be- 
deutet (vgl.  auch  sert.  tulä'  ,Wage').  Die  Grundbedeutung  von  rdXavrov 
dürfte  daher  „Hebung"  (sc.  der  zu  wiegenden  Massei  sein.  Vgl.  noch 
aus  nachliomerischcr  Zeit  für  ,Wagc' :  TpüTdvn.  (cigentl.  ,das  Züngelchen' 
a.  d.  VV.),  o*Ta8pö^  (bei  Homer  ,Gcwieht'i  und  Zutö?,  eigentl.  , Wage- 
balken' (Zirröv  ,Joch').  Gricch.  uvd  ,Minc'  s.  u.  Geld.  Im  Lateinischen 
ist  ein  sehr  alter  Name  der  Wage  und  des  Gewichtes  (Pfundes)  libra, 
uritalisch,  wie  die  griechische  Entlehnung  daraus,  sizilianisch  X'upa 
zeigt,  *lißra.  Eine  sichere  etymologische  Erklärung  dieses  Wortes 
ist  noch  nicht  gefunden.  Vielleicht  darf  man  in  Analogie  zu  dem 
gemeingerm.  ahd.  icäga,  agls.  tcdzg,  ahn.  tag  :  got.  gateigan  , bewegen'  von 
einem  idg.  leith  ,sich  bewegen'  (vgl.  got.  af-leipan  ,sich  fort  bewegen'  etc.) 
ausgehen,  so  dass  die  Grundbedeutung  sowohl  von  lat.  libra  wie  von  ahd 
wäga  „Bewegung"  (sc.  der  zu  wiegenden  Masse)  sein  würde;  denu 
wenn  man  im  Neuhochdeutschen  z.  B.  sagt:  „ein  Brot  wiegt  drei  Pfuud", 
so  bedeutet  dies  etymologisch  nichts  anderes  als  „ein  Brot  setzt  drei 
Pfund  in  Bewegung",  nämlich  durch  „Hebung"  (vgl.  oben  grieeh.  t6l 
XavTov  und  dazu  Paul  Deutsches  W.  s.  v.  wägen).  Umgekehrt  würde  lat. 
pondus  ,Ge\vicht'  :  pendere,  eigentl.  ,häugen  lassen',  pendere  .hängen' 
das  „Niedersinken"  des  Gewichtes  zum  Ausdruck  bringen.  Vgl. 
im  Lateinischen  noch  für  , Wagschale'  lun.r  (it.  bilancia,  sp.  balanza, 
frz.  balance  ,Wage'  aus  *bi~latix),  eigentl.  »Schüssel'  (gricch.  XotKdvn,  id.) 
und  für  ,Wagc'  die  beiden  aus  dem  Griechischen  enl lehnten  trutina 
(Tputdvri)  und  stattra  (0-TctTn.p  ,ein  Gewicht',  vgl.  oben  OTaQ^oq).  Aus 
den  germanischen  Sprachen  ist  die  wichtigste,  gemeingerm.  Reihe 
ahd.  wäga  etc.  bereits  genannt.  Vgl.  noch  ahn.  xkdl  (engl,  scale) 
,Wage',  eigentl.  ,Schalc'  (ahd.  scala,  vgl.  lat.  lanx)  und  die  «ehr  frühen 
Entlehnungen  got.  pund,  ahd.  pfunt,  agls.  pund  aus  lat.  pondo,  agls. 
punder,  mndd.  punder  aus  lat.  2)ondtt8.  Es  bleiben  das  ahsl.  rrxii 
und  das  lit.  xwaHis  ,Wage',  letzteres  ebenso  wie  lit.  xicäras  auch 
jGcwicht'  (Pfund)  zu  nennen  (lit.  sicareziai  auch  die  Steine  am  Netze, 
welche  es  hinabziehen).  Beide  dürften  in  ihrer  Grundbedeutung  dem 
lat.  pondus  am  nächsten  stehen,  in  so  fem  sich  ersteres  an  ahsl.  rintti 
,hangen',  cislü  ,pcdens'  etc.  anlehnt,  letzteres  mit  ahd.  aicar,  agls. 


Digitized  by  Google 


Wage  und  Gewicht  —  Wagen. 


929 


stccer,  altn.  scärr  ,schwer'  (lit.  vweriü  ,wägc)  zu  verbinden  ist.  Aus  dem 
Nordiselien  entlehnt:  altsl.  skalca,  nkaly  ,Wage'.  Agls.  heolor  (dunkel). 

Ein  merkwürdiger  in  ganz  Nord-Ost- Kuropa  geltender  Ausdruck  ist: 
dän.  Immer  (ndd.  besemer),  schwed.  besman,  lit.  bezmtnax,  russ. 
bezmentf,  poln.  bezmian,  eech.  prezmen  (Archiv  f.  slav.  Phil.  VII,  Ki(>). 
Er  ist  wahrscheinlich  turko-tatarischen  Ursprungs  und  geht  auf  türk. 
bat  man  , Pfund'  :  bat  »untergehen,  sinken'  zurück  (vgl.  Vämbery  Primi- 
tive Kultur  8.  110).  —  Weiteres  vgl.  bei  Vf.  Handelsgeschichte  und 
Warenkunde  I,  lööff. 

Wagen.  Die  Kunst  des  Wagenbaues  kann  als  eine  schon  indo- 
germanische betrachtet  werden.  Dies  folgt  trotz  Kretschmer  Einleitung 
8.  21  mit  Bestimmtheit  aus  der  grossen  Zahl  urverwandter  Bezeich- 
nungen für  die  einzelnen  Teile  des  Wagens,  wofür  auf  die  Artikel 
Achse,  Deichsel,  Felge,  Joch,  Zaum  (Zügel),  Lünse,  Nabe, 
Rad  zu  verweisen  ist.  Hinzu  kommt  für  die  Verbindung  der  Zugtiere 
mit  dem  Wagen  die  weitere  Gleichung  (vgl.  zuletzt  Uhlenbeek  Et.  W. 
d.  altind.  Spr.)  sert.  gdmyä,  aw.  simä-  ,Jochbalken',  npers.  sim  ,Kummet' 
=  armen.  samik  ,zwei  Hölzer,  die  durch  die  beiden  Löcher  des  Jochs 
gesteckt  und  unten  durch  einen  Strick  zusammengehalten  werden', 
griech.  Knuö<;  ,eiu  kummetartiger  Gegenstand',  urgerm.  *hama-,  ndl. 
haarn,  westph.  harne,  mittelengl.  harne  etc.  ,Kummet'  (hieraus  altsl. 
chomatü,  woraus  wieder  mhd.  komat).  Vgl.  noch  mhd.  litüise  =  russ. 
ljusjna  ,Wagenleiste,  Runge'  (Kluge  Et.  W.6  v.  Leuchse).  Der  Wagen 
selbst  wird  in  der  Urzeit  mit  einer  Bildung  aus  der  Wurzel  sert.  vah 
=  lat.  veho  ,bewegen'  benannt  worden  sein  :  sert.  vä'hana-,  griech. 
6xr)MO,  öxo<;,  ahd.  wagan,  altsl.  eozü,  lit.  iceümas  (altpr.  teessis 
,Schlitten'),  ir.  fen  aus  *vegn-. 

Bei  der  geringen  Festigkeit  der  idg.  Siedehingen  (s.  u.  Ackerbau 
und  n.  Viehzucht)  und  der  sich  hieraus  ergebenden  Häufigkeit  der 
Wanderungen  war  der  Wagen,  um  Hab  uud  Gut  in  sich  aufzunehmen 
und  den  Wandernden  für  kürzere  oder  längere  Zeit  als  Wohnung  zu 
dienen  —  ein  Zug,  der  bei  den  in  nomadischen  Verhältnissen  ver- 
harrenden Skythen  und  Sarmaten  (vgl.  Vf.  a.  u.  a.  0.  S.  17)  am 
schärfsten  hervortritt  —  eine  durch  die  Not  gebotene  Erfindung,  durch 
die  sich  die  Indogermancn  ebenso  von  den  Völkern  finnischer  (vgl. 
Ahlqvist  Kulturwörter  S.  125),  wie  turko-tatariseher  Herkunft  ('vgl. 
Vämbery  Primitive  Kultur  S.  128)  unterschieden,  die  beide  den  Wagen 
in  der  ältesten  Zeit  nicht  kannten.  Der  Wagen,  kann  man  sagen, 
vertritt  bei  den  Indogermaneu,  den  Bewohnern  der  westlichsten  Steppen- 
gebiete (s.  ti.  Urheimat),  das  Kamel  der  nomadischen  Bevölkerungen 
der  östlichen  Steppcnländer. 

Der  Wagen  der  Urzeit  wird  sich  von  demjenigen,  den  die  Römer  als 
plaustrum  (aus  *plaux-strum  :  ploximum  , Wagenkasten  ?)  bezeichneten, 
und  den  sie  gerade  den  nördlichen  Völkern  zuschrieben  (Scythae  quortim 

Schräder,  Keallexikon.  59 


Digitized  by  Google 


WO 


Wagen. 


planst  ra  rogas  rite  trahunt  domus,  Horaz,  domus  pl  austritt 
impositae,  Plinius  von  den  Kimbern,  üarmatis  in  plaustro  equoque 
vitentibus,  Tacitus)  nicht  wesentlich  unterschieden  haben.  Die  Räder 
an  diesem  Wagen  waren  nicht  gespeicht  (über  das  Auseinandergehen 
der  idg.  Sprachen  in  der  Bezeichnung  dieses  Begriffs  s.  u.  Speiche), 
sondern  waren  tympana,  Scheiben,  die  mit  der  Axe  zusammenhingen. 
Wegen  des  ungeheuren  Lärms,  den  sie  erregten,  werden  sie  stridentia 
phtustra  (vgl.  Vcrgils  Georg.  IV,  2(52)  genannt.  Vgl.  dazu  V.  Hehn 
Kulturpflanzen ,!  S.  51 4 f.  Ganz  ähnlich  wird  der  von  Kindern  gezogene 
barbarische  Wahren  gewesen  sein,  der  auf  der  Siegessäule  des  Marc 
Aurel  abgebildet  ist. 

Überreste  hölzerner  Wagen  sind  aus  frllheu  prähistorischen  Schichten, 
was  bei  der  leichten  Zerstörbarkeit  des  Holzes  nicht  auffallend  ist,  so 
gut  wie  nicht  auf  uns  gekommen.  Vielleicht  dass  aus  den  nördlichen 
Mooren,  die  ihre  das  Holz  konservierende  Kraft  an  Schiffen,  Särgen, 
Waffen  und  dergl.  gezeigt  haben,  gelegentlich  auch  ein  Wagen  der 
Urzeit  zu  Tage  gefördert  weiden  wird.  Hingegen  treten  mit  der 
Bronze  im  mittleren  und  nördlichen  Kuropa  nicht  selten  ans  diesem 
Netall  gegossene  oder  mit  ihm  belegte,  gespeiebte  Wagenräder  oder 
ganze  Wagen  auf.  Über  die  grösseren,  auf  wirklichen  Gebrauch  hin- 
weisenden Bronzeräder  s.  u.  Streitwagen.  Vgl.  über  Funde,  ganzer 
mit  Bronze  beschlagener  Wagen  aus  der  älteren  Eisenzeit  auch  S.  Müller 
Nordische  Altertumskunde  II,  44  ff.  Fast  noch  merkwürdiger  sind  aber 
die  bronzenen  Miniaturwagen,  über  die  Virehow  Zeitschrift  für  Ethno- 
logie V.  Verhandl.  S.  198  ff.  (vgl.  auch  XIV,  43  ff.)  gchaudelt  bat,  und 
die  er  in  die  drei  Gruppen  von  „Kesselwagen44  (d.  h.  Wagen,  die  einen 
Kessel  tragen),  „Plattenwagen  mit  darauf  stehenden  Figuren"  und 
„Eiuaxige  Deichselwagen  mit  Stier  und  Vögelköpfen"  zerlegt.  Man  ist 
wohl  allgemein  einig,  dass  es  sich  hier  um  Gegenstände  de«  Kultus 
handelt;  aber  Uber  die  Zeit,  der  sie  angehören  und  die  Frage  ihrer 
Herkunft  gehen  die  Meinungen  weit  auseinander.  Auffällig  erinnern 
an  den  eben  genannten  Typus  der  Kesselwagen  die  Verse  Homers 
(II.  XVIII,  373  ff.): 

 Tpmobaq  y«P  £eiKoo*i  TrdvTa^  freuxev  ( Hephästos) 

£öTdu€vai  nepi  toixov  ivOTaQtoq  uetdpoio, 
Xpuffea  Ö€  o*q>'  utto  kukXcx  dicäffTiu  nuöuevi  6n>€V. 

Kehren  wir  zu  dem  Wagen  der  Urzeit  zurück,  so  wurde  derselbe 
damals  ausschliesslich  von  dem  Rind  (s.  d.)  gezogen,  das  noch  im 
Rigveda  geradezu  als  anadvdh-  ,den  Lastwagen  ziehend'  bezeichnet 
wird.  „Der  Ochsenwagen",  bemerkt  V.  Hehn  mit  Recht,  „erscheint 
bei  religiösen  und  politischen  Feierlichkeiten  als  Rest  uralter  Tradition 
in  einer  im  übrigen  veränderten  Zeit".  Der  von  Kühen  gezogene 
Wagen  der  Nerthus  bei  Tacitns,  der  Ochsenwagen  der  merovingischen 
Könige,  der  mit  Ochsen  bespannte  Wagen  der  argivischen  Herapriesterinn 


Digitized  by  Google 


931 


bei  Ilerodot  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen0  S.  38  f.)  legen  hiervon 
Zeugnis  ab.  Erst  viel  später,  und  zuerst,  nach  orientalischem  Vorbild, 
am  Streitwagen  (s.d.)  ist  das  Pferd  (s.  d.)  als  Zugtier  benutzt 
worden. 

In  der  Geschichte  der  Weiterentwicklung  des  urzeitlichen  Last- 
wagens zum  Streit-,  Renn-,  Reise-  und  Staatswagen  lassen  sich  in 
Europa  zwei  in  der  Sprache  sich  spiegelnde  Kulturströmungen  unter- 
scheiden: eine  ältere,  vom  keltischen  Westen  und  eine  jüngere,  vom 
sla vischen  Osten  ausgehende.  Aus  der  Sprache  der  Pferde  und  Wagen 
liebenden  Kelten  ist  eine  grosse  Anzahl  von  Benennungen  für  Fuhr- 
werke aller  Art  ins  Lateinische  und  durch  dieses  wieder  in  zahlreiche 
andere  Sprachen  Europas  übergegangen.  Es  sind  folgende:  1.  kelt. 
*karso-s  (ir.  carr,  kymr.  ebenso;  urverwandt  mit  lat.  currus?,  vgl. 
auch  KapapÜ£?•  o\  Zku9iko\  oTkoi.  £vioi  b€  tä^f  Karrjpeic  duä£a<;  Hes.)  : 
lat.  carrus,  ahd.  charro,  alb.  küre,  ngriech.  Kdppov  und  in  allen  ro- 
manischen Sprachen,  frz.  char  u.  s.  w.  Hiervon  abgeleitet:  lat.  carrüca, 
mlat.  carrucium,  it.  carroccio,  carozza,  frz.  carrosse,  ahd.  carruh, 
altsl.  krükyga,  ngriech.  KapÖTia,  alb.  karotse  und  mlat.  carratum, 
carreda,  it.  carrata,  sp.  carrada  etc.,  russ.  poln.  kareta  etc.,  lit. 
kareta,  nhd.  karrete\  2.  altgall.  r&da,  vgl.  auch  Eporedia,  Redones, 
Eporedorix  (ir.  dd-riad  ,bigae',  urverwandt,  mit  abd.  reita,  auch 
,currus')  :  lat.  reda  ,Postkutsche'  (Uber  para-ve-redus  s.  u.  Pferd); 
3.  altgall.  carpentum,  vgl.  auch  altgall.  Carpentoracte,  brit.  KapßavTÖ- 
p»tov  (ir.  carpat) :  lat.  carpentum  ,Staatswagen';  4.  altgall.  petorritum 
,Vierrad'  (kymr.  petguar  ,vier',  ir.  roth  ,Rad'  :  lat.  petorritum  ,ein 
Reisewagen';  5.  ir.  »essrech,  sessrach  ,Lastwageu'  :  lat.  serräcum  ,ein 
Last-  und  bäurischer  Reisewagen';  6.  und  7.  zwei  Bezeichnungen  des 
gallischen  Streitwagens  essedum  (kelt.  *in-sed  on  ,worin  man  sitzt') 
und  covinnus  (-*vinnus  :  ir.  fen  aus  *vegn-,  s.  o.).  Auch  lat.  benna, 
combennones  wird  eine  ursprünglich  altgallische  Benennung  einer 
Wagenart  sein  (kymr.  ben  , Karre,  Wagen').  S.  auch  lat.  cantus  u. 
Feig  e. 

Andererseits  findet  viel  später  und  schon  an  und  jenseits  der  Grenze 
der  Neuzeit  eine  starke  Beeinflussung  des  europäischen  Fuhrwesens 
dureh  den  slavischen  Osten  statt.  Hierauf  weisen  die  Entlehnungen 
von  nhd.  kalesche,  it.  calesse,  valesso,  sp.  calesa,  frz.  calrche  aus 
Sech,  kolem  (:  altsi.  kolo  ,Rad'),  von  nhd.  kutsche,  engl,  coach,  it. 
coccio,  frz.  coche,  alb.  kotM  aus  poln.  kocz,  klruss.  kocyja,  cech.  koc 
(ung.  koesi,  angeblich  nach  einer  ungarischen  Ortschaft  ;  nach  anderen 
freilich  wurzele  die  Sippe  im  Romanischen,  vgl.  Körting  Lat.-rom.  W. 
unter  *cocca  =  concha  .Muschel  ),  von  nhd.  (ganz  spät)  droschke  aus 
poln.  dorozka,  russ.  droiki  (:  russ.  drogi  ,einc  Art  Wagen',  s.  u.  Rad). 
Erst  mit  dieser  östlichen  Strömung  scheint  in  Europa  der  seit  dem 
Untergang  des  Altertums  ganz  zurückgetretene  Gebrauch  von  Kutschen 


Digitized  by  Google 


;>32 


Wagen  -  Waid. 


wieder  aufgekommen  zu  sein.  Noch  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert 
ritten  Männer  und  Frauen,  Weltliche  und  Geistliche  bei  allen  denjenigen 
Gelegenheiten,  bei  denen  man  sich  heute  des  Wagens  bedient  (vgl. 
Beckmann  Beyträge  I,  418 ff.  „Kutschen-4). 

Noch  zu  erwähnen  bleiben  aus  der  Terminologie  des  Wagens:  griceh. 
äpuaxa  (:  lat.  armentum  »Gespann'),  äuaEa  (s.  u.  Achse),  äirrjvri  (vgl. 
Trnva  •  äTrnvn.  lies.),  bitppoq  (:  (pe'pw,  also  eigentl.  ,Zwciträger')  , Wagen- 
stuhl, Rennwagen',  KaTrävn.  ,eine  thessalischc  Wagenart'  (vgl.  ir.  eapp 
, Fuhrwerk,  Bahre'),  lat.  arvera  (:  arca)  ,ein  Lastwagen',  cisium  , Reise-', 
pilentum  ,Staatswagcn*  (beide  wohl  fremder  Herkunft)  u.  a.  —  Vgl. 
näheres  bei  Vf.  Haudelsgeschichtc  und  Warenkunde  I,  17  ff.  und  s.u. 
Schlitten,  Schlittschuhe. 

Wahnsinn,  s.  Krankheit. 

Wahrheit,  Schwören  bei  ihr,  s.  Eid. 

Wahrsager,  Wahrsagung,  s.  Los,  Orakel,  Priester,  Zauber 
und  Aberglaube. 

Waid  (Isatis  tinetoria  £.).  Ein  urverwandter  Name  der  in 
Europa  einheimischen  Pflanze  liegt  in  lat.  vitrum  (ablautend)  :  ahd. 
iceit,  agls.  tedd.  Auch  got.  teizdila  und  griech.  Icrdn?  (erst  bei  Dios- 
korides)  werden  hiermit  zusammenhängen;  doch  ist  das  nähere  lautliche 
Verhältnis  dieser  Wörter  zu  einander  noch  nicht  ermittelt.  Die  Pflanze 
wurde  im  Süden,  durch  die  Einführung  des  Indigo  (s.  d.)  entbehrlich 
gemacht,  wenig  angebaut.  Anders  in  Deutschland,  wo  icaisdo  (vgl. 
got.  wizdila)  schon  im  Capitulare  Karls  des  Grossen  de  villis  43  als 
neben  Flachs,  Wolle,  Färberöte  u.  s.  w.  in  die  Weiberhäuser  zu  liefern 
genannt  wird.  Von  deutschem  Boden  ist  denn  auch  das  Wort  (*waida-) 
einerseits  in  die  romanischen  Sprachen  (it.  guado,  frz.  guede),  anderer- 
seits in  das  Slavischc  (fech.  vejt,  russ.  vajda  etc.  neben  den  ein- 
heimischen poln.  uret,  sinilo,  letzteres  zu  altsl.  sinl  ,blau')  Uberge' 
gangen.  Ein  gallisches  glastum  (vgl.  ir.  glasin  ,Waid'  und  dazu 
0 'Carry  Manners  and  customs  I,  CCCC1II  f.)  nennt  Plinius  Mist.  nat. 
XXII,  2.  Da  lat.  citrum  nach  der  Ähnlichkeit  der  Farbe  auch  die 
Bedeutung  ,Glas'  angenommen  hat,  so  wird  man  für  das  keltische 
Wort  an  Zusammenhang  mit  ahd.  glas,  agls.  glais,  altn.  gier  (s.  näheres 
u.  Glas  und  u.  Blau)  zu  denken  haben.  Im  Litauischen  heisst  der 
Waid  vieles  PI.  zu  mele  , blaue  Farbe'  (Kurschat:  me'lys  PI.  ,blauer 
Färbestoff'),  wovon  Meletele  und  ähnlich  ,dcr  Gott  über  die  Farben- 
kräuter, damit  sie  ihre  Marginnen,  d.  h.  Kittel  färben',  wie  in  Srutis 
ein  Gott  der  grünen  Farbe  (srutä  , Mist  jauche?)  verehrt  wurde.  Zu 
beiden  beteten  diejenigen,  die  in  den  Wäldern  Farbenstoffc  zum  Färben 
der  Wolle  sammelten  (vgl.  Uscncr-Solmsen  Götternamen  S.  9f>,  101). — 
Über  die  Benutzung  des  Waids  zum  Bemalen  der  Körpers  s.  u. 
Tätowierung.  Übrigens  kennt  Dioskorides  die  Pflanze  auch  als  zu 
Heilzwecken  dienlich  (vgl.  Lenz  Botanik  S.  618  und  v.  Fischer-Beuzon 
S.  Hl).  —  S.  u.  Farbstoffe. 


Digitized  by  Google 


Waise  -  Wal,  Walfisch. 


033 


Waise.  Für  diesen  Begriff  Hegt  eine  vorhistorische  Benennung  in 
grieeh.  öpqmvö?,  lat.  orbus,  armen,  orb  vor,  eine  Gleichung,  an  der  auch 
das  gemeingermani8che  got.  arlri  ,Erbc',  vgl.  altir.  comarpi  ,Miterben' 
(arbi  eigentl.  .verwaistes  Gut')  teil  zu  nehmen  scheint  (s.  u.  Erbschaft). 
Lautlich  deckt  sich  auch  das  indische  ärbha-  ,klein',  ,schwach',  Jung' 
mit  dieser  Sippe,  doch  ist  die  Bedeutungsvermittlung  schwer.  Got. 
widutcairna  ,Waise'  :  widuicö  , Witwe'  von  derselben  indischen  W. 
r.idh  ,leer  werden',  zu  der  vielleicht  auch  ahd.  teeiso  etc.  , Waisenkind' 
gehört.  Altsl.  sirü  (dunkel).  Eine  schöne  Bezeichnung  des  Gegenteils 
von  einer  Waise,  nämlich  eines  Kindes,  das  beide  Eltern  noch  am 
Leben  hat  —  ein  Begriff,  der  sonst  in  den  idg.  Sprachen  keinen  nomi- 
nalen Ausdruck  gefunden  hat  —  bietet  das  gricch.  äu<pt9aXn.s  (II. 
XXII,  496),  wörtlich  ,anf  beiden  Seiten  umbluht'. 

Wal,  Walfisch.  Unter  den  Walen  des  Mittelmecrs  wird  der 
sagenumwobene  Delphin,  der  Liebling  der  Götter  und  Menschen, 
schon  in  der  homerischen  Dichtung  genannt.  Sein  griechischer  Name 
beXqnq  (aol.  ßlXquvc;)  gehört  zu  beXqm?  ,Mutterschoss',  bedeutet  aber 
wohl  weniger  ,Bauchfisch'  als  ,gewölbter  Fisch*  (vgl.  AcXtpoi,  böot. 
BeXqxri  ,Wölbungeu'  :  tXdtpu  , Höhle',  f^aq>upö?  .bohl,  gewölbt').  Sehr 
frühzeitig  übernahmen  die  Römer  den  griechischen  Namen  des  Tieres 
(delphinus),  auf  das  sie  durch  den  griechischen  Kult  des  Apollo, 
welchem  das  Tier  heilig  war,  aufmerksam  gemacht  werden  mochten. 
Vgl.  O.  Keller  Tiere  des  kl.  A.  S.  217  ff.  Im  Ahd.  begegnet  für  del- 
phinus  :  lueruncin;  dem  entsprechend  ir.  mucc  mora,  korn.  morhoch 
, Meerschwein'  (vgl.  griech.  b^Xqxxü  , Ferkel'  :  beX<pi?  , Delphin'). 

Von  anderen  Walen  (KfjTO?  =  lat.  xquatns,  xquatina  ,eine  Art  von 
Haifisch')  nennt  Aristoteles  ausser  dem  Delphin  die  qpuncaiva  ,den 
Tümmler'  (vgl.  <pwKt]  , Robbe'),  die  (pdXoiva  (Jeder  Wal  grösser  als 
der  Delphin',  woraus  lat.  balaeua;  über  die  Etymologie  s.  u.  Wels) 
und  den  uucttoioitos,  bei  dem  vielleicht  die  erste  Kunde  der  gewaltigen 
Riesen  der  offenen  Meere  durchschimmert  (vgl.  Carl  J.  Suudevall  Die 
Tierarten  des  Aristoteles  S.  84  ff.).  Bessere  Kenntnis  derselben,  wie  es 
scheint,  aus  den  Berichten  über  die  Seefahrt  Nearchs  in  das  arabische 
Meer  verrät  Plinius  Hist.  nat.  IX,  4:  Plurima  autem  et  meurima 
animalia  in  Indico  muri,  e.r  quibus  ballaenae  quaternum  iugerum, 
pristes  duvenuni  eubitorum  etc..  8:  Ma.rimum  animal  in  Indico 
mari  printi*  et  ballaena  est,  in  Gallico  oceano  physeter  (<puo"r|Tnp 
:  (puerdw)  ingentitt  columnae  modo  se  attollens  altiorque  navium  celis 
diluviem  quandam  eruetans,  12:  Ballaenae  et  in  nostra  maria 
penetrant  etc.  Vgl.  dazu  Juvenal  X.  14:  Quauto  delphinis  balaena 
Britannica  maior  und  Ausonitis  Mosel la  144: 

Talis  Atlantiaco  qtumdam  balaena  profundo, 

Cum  cento  motuce  xno  tellurix  ad  oras 

l'eUitur. 


Digitized  by  Google 


Wal,  Walfisch  -  Wald,  Waldbäume. 


Höchst  interessante,  wenn  aneh  znm  teil  märchenhaft  aiisgesponnene 
Nachrichten,  sieht  Oppian  in  seinen  Halieutica  V,  46  ff.  über  den  Fang: 
riesiger  Cetaccen,  wahrscheinlich  einer  Gattung  des  sog.  Zahnwales. 
Ks  liegt  hier  schon  ein  ganz  deutliches  Bild  der  heutigen  Waltisch- 
fängerci  vor  uns.  Wenn  das  Tier  aus  dem  offenen  Ozean  in  die  Nähe 
der  Küste  verschlagen  worden  ist,  macht  sich  ein  Heer  von  Fischern 
zu  seinem  Fange  auf.  Ein  Köder  wird  an  einem  starken  Widerhaken, 
an  dem  eine  ungeheure  Leine  angebunden  ist,  befestigt  und  dem  Wale 
vorgeworfen.  Dieser  beisst  sich  in  demselben  fest  und  flicht  von 
Schmerz  gepeinigt,  indem  die  Leine  abrollt,  in  die  Tiefe  des  Meeres. 
Aber  an  der  Leine  befestigte  aufgeblasene  Schläuche  (in  Wirklichkeit 
wohl  die  Atemnot  des  Tieres)  ziehen  den  widerstrebenden  Wal  all- 
mählich wieder  an  die  ObcrHäche  des  Meeres,  und  nun  beginnt  aus 
allen  Böten  und  mit  allen  möglichen  Waffen  ein  Kampf  gegen  das 
Ungeheuer,  bis  es  demselben  erlegen  an  das  Cfcr  geschleppt  wird. 

Gestrandete  Wale  mögen  sehr  frühzeitig  auch  der  germanischen 
Welt  die  Kenntnis  des  nordischen  Ungetüms  verschafft  haben,  worauf  das 
gemeingermanische  altn.  hvalr,  agls.  fite cel  (neben  krön,  Uran),  ahd.  ttal 
i*heala-)  hinweist.  Das  Wort  bedeutete  ursprünglich  den  grössten  den  Ger- 
manen bekannten  Flusstisch,  den  Wels,  und  wurde  schon  in  urgermani- 
scher Zeit  auf  den  Waltisch  übertragen  (näheres  8.  u.  Wels).  In  der  nordi- 
schen Gesetzgebung  sind  bereits  sorgfältige  Bestimmungen  (Iber  den  Wal- 
tischfang, zu  dem  Gesellschaften  von  Fischern  sich  selbst  in  das  offene 
Meer  hinauswagen,  getroffen  worden  (vgl.  Weinhold  Aitn.  Leben  S.  71). 

Wald,  Waldbäume.  Eine  idg.  Gleichung  für  den  Begriff  des 
Waldes  ist  vielleicht  in  dem  gemeingerm.  ahd.  teald,  agls.  iceald,  altn. 
eöllr  anzuerkennen,  dem  sert.  väti-  (aus  *ndti-),  vilta-  (aus  *vatta  ) 
,Garten,  Baumgarten'  (Uber  lit.  wdltis  ,Kahn'  s.  u.  Schiff.  Schiff- 
fahrt)  und  gricch.  dXo*o?  (aus  *Fa\TFo<;)  verglichen  wird,  welches 
letztere  aber  andere  vielmehr  mit  dein  altsl.  Usü  ,Wald'  verbinden. 
Auch  die  Gleichstellung  von  griech.  üXn,  mit  lat.  silm,  das  von  anderen 
dem  griech.  e'Xo?  ,feuehte  Niederung'  gleich  gesetzt  wird  {*ftehvd,  *silh  a), 
ist  nicht  ohne  lautliehe  Bedenken.  Vgl.  noch  ir.  eaill  ,Wald'  =  ahd. 
holz  ,Wald,  Gehölz'  uud  ir.  fid  —  ahd.  witu  ,Baum,  Holz,  Wald'  (s. 
auch  u.  Grenze).  Eine  alte  und  namentlich  in  den  germanischen 
Sprachen,  verbreitete  Art,  den  Begriff  des  Waldes  uud  Waldgebirges 
(s.  u.  Berg)  zum  Ausdruck  zu  bringen,  ist  die  kollektive  Verwendung 
eines  einzelneu  Baumnamens.  So  sagt  man  im  Deutschen  der  tann  : 
die  tanne,  der  oder  da»  buevh,  das  esch,  das  tup  u.  s.  w.  So  erklärt 
sich  auch  agls.  bearu,  altn.  börr  ,Wald'  :  altsl.  borü  , Fichte',  das 
auch  selbst  ,Wald'  bedeuten  kann,  und  got.  fairgum  ,Gebirge,  Gebirgs- 
wald'  :  lat.  quere us  („Eichicht").  Auch  uralte  geographische  Eigen- 
namen wie  tiilra  llercynia  :  quercus,  *perqu-,  ahd.  forha,  S.  Baeenis 
:  ahd.  buohha,  <S.  Caesia  :  mhd.  heister  junge  Buche'  u.  a.  sind  so  zu 


Digitized  by  Google 


Wald,  Waldbäume. 


385 


beurteilen  (vgl.  Vf.  Sprachvergl.  u.  Urgesch.*  S.  402  Aum.,  H.  Hirt 
I.  F.  I,  480;  doch  s.  über  Hercynia  u.  Eiche  und  den  Nachtrag  hierzu). 

Von  einzelnen  Waldbäumen  ist  in  besonderen  Artikeln  gehandelt 
worden  Ober  Ahorn,  Birke,  Buche,  Eibe,  Eiche,  Erle, 
Esche,  Espe  (Pappel),  Fichte  (Föhre,  Kiefer,  Lärche,  Tanne), 
Hasel,  Holunder,  Kornelkirsche  (Hartriegel ),  Linde, 
Speicrling  (Eberesche),  Ulme  und  Weide.  Die  in  der  Terminologie 
dieser  Waldbäume  nachgewiesenen  Gleichungen  zeigen  die  Überein- 
stimmende Erscheinung,  dass  die  meisten  derselben  sich  auf  die  euro- 
päischen Sprachen  beschränken  und  nur  an  wenigen  die  Arier  teil- 
nehmen. Als  arisch  -  europäisch  erweisen  sich  nur  die  Namen  der 
Birke  (sert.  hhürja-,  lit.  Herzas,  altsl.  breza,  deutsch  birke),  der  Weide 
(aw.  vaeti-,  ahd.  trida,  griech.  hia,  lat.  ritex)  und  einer  Fichtenart 
(sert.  pitu-ddru  ,  griech.  tcitu^i.  Einen  beiden  Gruppen  der  Indoger- 
manen  gemeinsamen  Baumnamen  wird  man  mit  II.  Hirt  I.  F.  I,  482 
auch  aus  der  Gleichung  sert.  dhdncnn-  .Bogen'  =  ahd.  tanna  , Eiche' 
und  /Tanne'  (Vf.  a.  a.  0.  .'i22  Anm.)  folgern  dürfen,  während  die 
Grundbedeutung  des  von  allen  Baumnamen  wohl  am  weitesten  ver- 
breiteten Stammes  dru-  (s.  u.  Eiche)  sich  trotz  Hirt  a.  a.  0.  S.  478 
nicht  mit  Sicherheit  ermitteln  lässt. 

Hinsichtlich  der  Erklärung  dieser  Erscheinung,  welche  mancherlei 
Verwandtes  mit  der  u.  Ackerbau  dargestellten  geographischen  Ver- 
breitung ureuropäischer  Ackcrbauglcichungen  zeigt,  wird  es  das  Vor- 
sichtigste sein,  die  Thatsachen  ganz  so  zu  nehmen,  wie  sie  liegen,  und 
zu  konstatieren,  das  in  der  ältesten  Zeit,  bis  in  welche  wir  die  Indo- 
germanen  zurUckvcrfolgcn  können,  die  westlicheren  Glieder  derselben 
durch  eine  ausgebildete  Terminologie  der  Waldbäume  verbunden  wurden, 
welche  nur  in  einzelnen  Fällen  bis  zu  den  östlichen  Stämmen  herüber- 
reicht. Sind  u.  Urheimat  die  ältest  erreichbaren  Wohnsitze  der 
Indogennaneu  richtig  in  das  südliche  Russland  verlegt  worden,  wo 
waldreiehe  Strecken  oft  unmittelbar  mit  waldlosem  oder  waldarmctn 
Steppenboden  abwechseln,  so  würde  das  geschilderte  Verhältnis  hier 
seine  natürliche,  geographische  Voraussetzung  finden. 

Schwieriger  ist  es,  noch  einen  Schritt  weiter  zu  gehen  und  die 
Frage  entscheiden  zu  wollen,  ob,  wie  es  H.  Hirt  a.  a.  0.  annimmt, 
auch  die  Arier  einst  au  jenen  europäischen  Baumnamen  teil  gehabt 
und  sie  auf  ihren  Zügen,  etwa  durch  die  nordkaspischen  Steppen,  ver- 
loren haben,  oder  ob  in  jenen  gemeinsamen  Baumnamen  der  Europäer 
ein  wenn  auch  noch  in  vorhistorische  Zeit  fallender  Neuerwerb  der- 
selben anzuerkennen  ist. 

Gegen  diese  letztere  Ansicht  kann  man  mit  Recht  geltend  machen, 
dass  die  Namen  wilder  Bäume  nicht  so  leicht  wie  Bezeichnungen 
kulturhistorischer  Erscheinungen  iz.  B.  für  Fortschritte  auf  dem  Ge- 
biet des   Ackerbaus  u.  a.)  neu   geschaffen   werden   und   wie  diese 


Digitized  by  Google 


Wald,  Waldbäume  -  Walnuss. 


von  Stamm  zu  Stamm  wandern.  Doch  wäre  es  wobl  denkbar,  das« 
jene  europäischen  Baumnamen,  die  sich  nur  ganz  ausnahmsweise  (wie 
z.  B.  grieeh.  <pnTÖq,  lat.  fdgutt,  ahd.  buohha  von  grieeb.  (pcrrciv  ,csscn') 
von  idg.  Wurzeln  ableiten  lassen,  Benennungen  einer  voridg.  einge- 
sessenen Urbevölkerung  entstammten,  die  von  den  in  ein  dichteres 
Waldgebict  vorrückenden  Europäern  übernommen  und  ihrer  Sprache 
angepasst  wurden,  ein  Vorgang,  mit  dem  vielleicht  öfters  gerechnet 
werden  muss,  als  man  gewöhnlich  annimmt  (s.  auch  u.  Salz). 

Zu  bedenken  ist  ferner  in  religionsgesehiehtlicher  Beziehung  f's.  u. 
Tempel),  dass  bei  den  europäischen  Indogermancn  der  Kultus  heiliger 
Bäume  viel  deutlicher  als  hei  den  Ariern  hervortritt,  ohne  freilich  auch 
bei  den  letzteren  gewisser  auf  eine  hohe  Altertümlichkeit  hinweisender 
Spuren  zu  entbehren.  —  S.  u.  Urheimat. 

Wall,  s.  Mauer. 

Wallach,  s.  Viehzucht. 

WalmiSH.  Iuglans  regia  L.  wird  von  den  Botanikern  als  ein- 
heimisch sowohl  in  Asien  wie  auch  im  südliehen  Europa  angesehen. 
Auf  der  Balkauhalbinscl  ist  sie  in  Epirus  zusammen  mit  der  Ross- 
kastanie (s.  u.  Kastanie)  uuzweifelhaft  nachgewiesen  worden,  und  für 
ihr  Indigenat  auch  weiter  westlich  spricht  der  Umstand,  dass  schon 
in  den  qnaternären  Tuffen  der  Pronvenee  sieh  Blattreste  des  heutigeu 
Walnußbaumes  finden. 

Es  stimmt  hiermit  überein,  dass  bereits  Thcophrast  Hist.  plant.  III, 
2;  3,  4,  III,  3;  1  die  Kapua  sowohl  in  wildem  (in  Mazedonien)  wie 
auch  veredeltem  Zustand  kennt.  Dass  aber  Kapüct  der  Walnussbauui 
ist,  folgt  einerseits  daraus,  dass  auch  im  heutigen  Griechisch  Kapubn.6, 
KapObia  diesen  Baum  bezeichnet,  andererseits  aber  die  für  die  Deutung 
von  xapua  allenfalls  noch  in  Betracht  kommenden,  nächstverwandten 
Kastanie  und  Hasclnuss  andere  Namen  (Atd<;  ßdXavo?  und  'HpaicXe- 
ujTiKti  Kapua)  bei  Thcophrast  führen.  Auch  in  dem  Griechisch  der 
Glossen  des  C.  Gl.  L.  III  wird  die  Walnuss  als  Kapuob€vbpov  (cario- 
dendo,  cariodendron  etc.  >  mehrfach  bezeichnet  (vgl.  G.  Goctz  The- 
saurus I,  748  s.  u.  nucarius).  Genannt  wird  das  grieeh.,  unzweifelhaft 
einheimische  Kctpuov  zuerst  bei  Xcnophon  Anab.  V,  4,  2i>  in  Anwendung 
auf  politische  Früchte  (Kdpua  tü  uXarca  ouk  £x°VTa  bia<punv  oübeuJav). 
Mau  streitet  hier  seit  Alters,  ob  damit  Kastanien,  Wal-  oder  Haselnüsse 
gemeint  sind.  Natürlich  schliesst  das  Indigenat  des  Baumes  in  Griechen- 
land nicht  aus,  dass  man  gern  auch  zu  den  auf  Handelswegen  einge- 
führten Nüssen  griff,  die  in  besonderer  Güte  die  politischen  Länder 
hervorbrachten.  Ein  Name,  unter  dem  diese  in  den  Handel  kamen, 
war  Kctpuov  ßaaiXiKÖv  (vgl.  BlUmner  Maximaltarif  d.  Diocletian  S.  92). 

In  Italien,  wo  die  Walnuss  iuglans  heisst,  eine  Nachbildung  nach 
grieeb.  Aid<;  ßäXavo^  , Kastanie',  bei  Varro  und  Cicero  (nicht  bei  Cato) 
überliefert,  lässt  sich  ein  bestimmter  historischer  Anhalt  für  die  Frage 


Digitized  by  Google 


Walnuss  —  Wau. 


937 


•des  Indigenats  des  Baumes  auf  der  Apcnninhalhiusel  nicht  gewinnen. 
.Später  bci8st  der  Baum  (wie  auch  alb.  are  mit  für  Walnuss  gebraucht 
wird)  einfach  arbor  nucarius,  noquarius,  die  Frucht  nur  grandis 
(KOpua  U€t6Xti),  nux  und  nux  Gallica.  Letzteres,  das  wohl  auf  einen 
besonders  eifrigen  Anbau  des  Baumes  in  dem  romanisierten  Gallien 
sehliessen  lässt,  ist  das  Vorbild  zu  den  germanischen  agls.  wealhhnutu, 
altn.  calhnot  (vgl.  ralid.  wälhisch  nuz)  geworden.  Vgl.  daneben  mndl. 
noker  aus  nuedrius  (Kluge  in  Pauls  Gruudriss  I*,  341).  Im  Russischen 
gilt  „griechische4*  oder  „walachisehe"  Nuss  neben  dem  einfachen  „Nuss" 
(orjech).  Vgl.  Koppen  Holzgewächse  II,  03.  Den  Anbau  von  nucarii 
befiehlt  das  Capit.  de  villis  LXX,  88,  die  heilige  Hildegard  bietet  das 
Wort  nussbaum.  Für  die  auf  südlichen  Boden  übergangenen  Germanen 
schreibt  das  Gesetz  auch  den  Schutz  der  Nnssbäumc  vor.  So  lautet 
bei  den  Langobarden  das  Kdictum  Rothari  301 :  Si  qua  castenea, 
nuce,  pero  auf  melum  inciderit,  conponat  xolido  uno. 

In  Asien  ist  der  Walnnssbaum  einheimisch  im  nordwestlichen  Iiima- 
laya, in  ßeludschistan,  im  östlichen  Afghanistan,  in  Nordpersien,  Trans- 
kaukasien.  Armenien  und  Kleinasien,  nicht  aber  in  den  semitischen 
Ländern.  Es  erhellt  daraus,  dass  in  der  vorderasiatischen  Namenkettc 
des  \Valnussbaume8  armen,  angoiz,  osset.  ängozt'i,  georg.  nigozi,  hebr. 
"fgöz  u.  s.  w.  (vgl.  Hübschmann  Z.  d.  Deutschen  Morgenländischen  G. 
46  (1892)  S.  23<>,  Armen.  Gr.  S.  393)  das  semitische  Wort  eine  Ent- 
lehnung aus  dem  Norden  sein  mnss.  —  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen'1 
S.  379  ff.  und  v.  Fischer-Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  lf>9.  S.u.  Obstbau 
und  Baumzucht. 

Wand,  s.  Mauer. 

Wanderungen  der  Indogermanen,  s.  Urheimat  der  Idg. 

Wanne,  s.  Worfeln. 

Wanze,  s.  Ungeziefer. 

Wappen,  s.  Schild. 

Ware,  Wareiltausch,  s.  Handel. 

Warmbad,  s.  Bad. 

Waschen,  s.  Bad. 

Waschmittel,  s.  Seife. 

Wasser,  s.  Fluss. 

Wasserhuhn,  s.  Sumpfvögel. 

Wassermühle,  s.  Mahlen,  Mühle. 

Wasseruhren,  s.  Stunde. 

Wasserweihe,  k.  Name,  Namengebuug. 

Wau.  fieaeda  luteola  L.  ist  eine  alte  schon  in  den  Schweizer 
Pfahlbauten  (vgl.  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  37)  zum  Gelb- 
farben benutzte  Pflanze.  Ein  griechischer  Name  fehlt.  Lat.  lü-tuni 
(vgl.  gricch.  x^w-po-S  ,gelb',  lat.  lü  ridttK  ,blassgelb'  >.  Genn.  *tcalda 
(engl,  icehl  neben  nhd.  teau,  icaude,  iciede)  ging  wie  die  germanische 


Digitized  by  Google 


938  Wau  —  Weben,  Webstuhl. 

Benennung  des  Waids  (s.  d.)  in  die  romanischen  Sprachen  (sp. 
gualda,  frz.  gaude)  Uber.  —  S.  n.  Farbstoffe. 

Weben,  Webstuhl.  Für  den  Betriff  des  Webens  ziehen  sich 
durch  die  idg.  Sprachen  mehrere  auf  Urverwandtschaft  beruhende 
Reihen:  1.  W.  vehh  (veph)  :  sert.  ürna-  rä'bhi-  ,Spinne\  cigcntl.  »Woll- 
weberin', a\v.  ubdaena-  ,gewebt',  npers.  baffen  ,weben',  nfgh.  udal 
desgl.  n.  8.  w.  (vgl.  Horn  Grundriss  S.  39),  gricch.  iKpcuvu),  ü<pn.  u.s.  w., 
alb.'rcw  ,\vcbe'  aus  *cebh-nh  ( vgl.  G.  Meyer  Kerl.  Phil.  W.  1891  Nr.  18), 
ahd.  ireban,  altn.  iv/Vi  u.  s.  w.,  2.  W.  re,  cei,  vi  :  sei  t,  ,weben', 
Mit  ,Kinschlag',  ümtl  .Flachs',  rdy-ati  ,er  webt',  gricch.  rj-rpiov  ,Aufzug', 
d-uu-Toq  .Wolle',  lit.  tcö-ran  ,Spinnc',  ahd.  tcä  t,  altn.  rd-d  ,Gewand' 
ingewebtesa),  lat.  rt  lum  , Hülle,  Tuch'  (?  s.  n.),  altsl.  «tf-roy  ,liciato- 
rium',  sü-vito  , Leinwand',  *-ci/a  ,Seide",  3.  gricch.  örroum  .webe', 
ävriov  ,Teil  des  Webstuhls'  (btäZouai,  biaaua,  üo>ia),  alb.  ent  ,webcn' 
(vgl.  G.  Meyer  a.  a.  0.),  sert.  ät-ka-.  aw.  aft-ka-  ,Gewand'  (.ge- 
wobenes). —  Lat.  tej-o  (te.rtor,  tela,  mtbtemen  etc.)  ,\vcbe'  hat  ur- 
sprünglich ,künstlich  verfertigen*  (sert.  taksh)  bedeutet,  altsl.  tükati 
(([-tukü  , Aufzug',  tükalij  , Weber  )  gehört  zu  tük-nati  , einstecken',  gricch. 
xpcKuu  .webe',  Kepni?  ,Schifl'chen',  tepöten,  , Einschlag'  (womit  vielleicht 
slav.  kros-no  ,Wehstuhr  zu  verbinden  ist)  hat  ursprünglich  .das  Ge- 
webe festschlagen'  bedeutet.  Dunkel  sind  lit.  dusti  , weben',  aud  htiax 
,Gewebe'  und  ir.  figim  ,webe':  doch  hat  E.  Liden  Studien  zur  altind. 
u.  vcrgl.  Sprachgeschichte  S.  20  ff.  neuerdings  versucht,  das  irische, 
übrigens  gcmeiukeltische  Wort  (vgl.  altkymr.  gueig  ,textrix',  neukymr. 
gvoe.  ,tela,  tegmen',  giten  ,to  weave',  korn.  guiat  ,tela'  etc.)  an  sert. 
tdgurd'  , Fangstrick',  , Fangnetz',  lat.  vefum  und  vexülum  (*veknlo-  : 
reg;  s.  auch  n.  Segel  und  Mast),  nindd.  icocke,  icocken  ,eolus\ 
nthd.  teicke  , Docht',  ahd.  icickeli  ,Wollwickel'  u.  anderes  anzuknüpfen. 

Die  Kunst  des  Webcns  ist  aus  der  iiltcren  des  Flechtens  hervor- 
gegangen (vgl.  näheres  bei  Vf.  Handelsgeschichtc  und  Warenkunde  I, 
172  fl'.),  und  in  der  als  2.  aufgeführten  Sprachreihe,  zu  welcher  auch 
lat.  vieo,  lit.  tcyti,  altsl.  riti  .drehen'  zu  stellen  sind,  blickt  diese 
älteste  Vorstufe  der  Weberei  noch  besonders  deutlich  hervor.  Auf  der 
anderen  Seite  ergeben  aber  doch  Sprachreihcn  wie  die  u.  1.  und  3.  an- 
geführten, dass  der  Begriff  des  Webens,  als  von  dem  des  Flcehteus 
(s.  d.)  unterschieden,  schon  in  der  idg.  Ursprache  sprachlich  aus- 
gebildet war.  Da  nun  die  beiden  genanuteu  Künste  sich  lediglich 
dadurch  unterscheiden,  dass  das  Flechten  aus  freier  Hand,  das  Weben 
aber  mit  Zuhilfenahme  eines  wenn  auch  primitiven  Apparates  des 
Webstuhls)  ausgeführt  wird,  so  ergiebt  sich  die  Notwendigkeit,  schon 
für  die  idg.  Urzeit  das  Vorhandensein  eines  einfachen  Webstuhls  oder 
Webcapparats  anzunehmen.  Im  Philologus  XXXV,  385  ff.  hat  Ahrens 
aus  der  Vergleichung  des  gräco-i talischen  und  altnordischen 
Webstuhls  die  Grundzüge  eines  solchen  ältesten  Webeapparats  zu  re- 


Digitized  by  Google 


Weben.  Webstuhl. 


Mi* 


konstruieren  versucht.  Demnach  hätte  derselbe  aufrecht  gestanden, 
und  der  Webende  wäre  stehend  vor  ihm  thätig  gewesen  (vgl.  gricch. 
\(Ttö?  , Webstuhl',  lit.  xtä-klen,  altn.  vef-stadr  desgl.,  sert.  sthavi-  iL.) 
,  Weber',  alle  zu  W.  sthd  ,stehcn'  gehörig'.  Zu  den  weiteren  Eigentüm- 
lichkeiten des  ursprünglichen  Webstuhls  hätte  ferner  die  Spannung 
der  Kette  durch  Webesteine,  das  Weben  nach  aufwärts  und  das  Dicht- 
schlagen des  Gewebes  mit  dem  im  Griechischen  cnräGn,  genannten 
Werkzeug  gehört.  Ein  urverwandter  Name  des  Webstuhls  ist  indessen 
bis  jetzt,  abgesehen  von  einigen  Spuren  eines  solchen,  in  den  idg. 
Sprachen  nicht  nachgewiesen  worden.  Die  wichtigste  Terminologie 
der  beiden  Hauptteile  desselben,  des  Aufzugs  und  Einschlags,  ist 
die  folgende:  griech.  o"rr|MUJV  :  Kpöxn.  (s.  o.),  nrtviov  (s.  u.  Spinnen), 
deputpn,  (Sobdvn.  (vgl.  lit.  iceriii  icerti  »einfädeln'?)  u.  aM  lat.  stdmen 
(vielleicht  urverwandt  mit  OTrtuujv)  :  sub-tt'men,  trdma  (spät)  aus  *tramt- 
mrt,  germanisch  ahd.  warf,  agls.  teearp,  altn.  varp  (:got.  wairpan 
, werfen'?),  vgl.  auch  mhd.  zettel  von  ahd.  zetten  .ausbreiten'  :  ahd. 
tcefel,  agls.  wefl,  teeft,  altn.  veptr  von  treban  (s.  o.),  slavisch  altsl. 
qtüku  (s.  o.)  :  kliikü  und  kqdelJ  (vgl.  Miklosich  Et.  W.  v.  kondrt), 
lit.  ap-metal  (von  metü  ,Garn  aufbringen',  vgl.  griech.  uiToq  .Faden") 
:  ataudal  von  austi  (s.  o.). 

Das  hohe  Alter  der  Webekunst  bei  den  Völkerschaften  unseres  Erd- 
teils, das  sich  so  aus  linguistischen  Anzeichen  ergiebt,  findet  seine 
Bestätigung  durch  die  Ergebnisse  der  Prähistorie.  Schon  in  den 
Schweizer  Pfahlbauten  der  Steinzeit  sind  zahlreiche  Gewebestücke  zu 
Tage  getreten,  die  nicht  ohne  Zuhilfenahme  eines  Webstuhls  hergestellt 
worden  sein  können  (vgl.  F.  Keller  Pfahlbautenberiehtc  Nr.  IV,  Flachs- 
industrie auf  den  Pfahlbauten).  In  Mittel-  und  Nordeuropa  sind  Gc- 
webereste  allerdings  erst  seit  der  Bronzezeit  nachgewiesen  worden  (vgl. 
G.  Buscha!]  Über  prähistorische  Gewebe  und  Gespinnste  Braunschweig 
1889);  aber  Funde  von  thönernen  Webegewichten  und  anderer  zur 
Weberei  nötiger  Utensilien  machen  es  wahrscheinlich,  dass  die  Anfänge 
der  Webekunst  auch  hier  in  das  ncolithischc  Zeitalter  zu  rück- 
geh n  (vgl.  Bnschau  a.  a.  O.  S.  23),  weun,  je  weiter  nördlich,  auch 
die  uralte  Felltracht  (s.  u.  Pelzkleider)  sieh  umso  länger  erhalten 
hat.  Was  das  Material  der  ältesten  Webekunst  anbetrifft,  so  herrscht 
im  Süden  (in  der  Schweiz)  der  Flachs,  im  Norden  die  Wolle.  Doch 
sind  einerseits  Überreste  linnener  Gewebe  vereinzelt  auch  im  Norden 
schon  während  der  Bronzezeit  gefunden  worden  (für  Dänemark  vgl. 
0.  Montelius  Die  Kultur  Schwedens  *  S.  i>3,  für  Schleswig -Holstein, 
Buschan  a.  a.  0.  S.  16  Anin.),  und  andererseits  hängt  die  Erhal- 
tung wollener  Stoffe  so  sehr  von  besonders  günstigen  Verhältnissen, 
wie  der  Konservierung  durch  Eichenrinde  (bei  den  nordischen  Moor- 
leichen) oder  der  Dnrchtränkuug  mit  Salzwasser  (wie  bei  den  Woll- 
funden des  hallstatter  Salzbcrgs)  ab,  dass  man  aus  dem  Fehlen  von 


Digitized  by  Google 


040 


Weben,  Webstuhl  —  Weihrauch. 


Wollgewebcn  z.  B.  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  uicht  ohne  weiteres 
auf  die  Unbekanntsehaft  der  Bewohner  mit  denselben  schliessen  darf. 
—  8.  u.  Gewebestoffe,  Kleidung  und  Spinnen. 

Weg,  s.  Strasse. 

Weg  der  (iötter,  s.  Steine. 

Weginasse,  s.  Mass,  Messen. 

Weib,  s.  Frau. 

Weichsel,  s.  Kirsche. 

Weide.  Die  in  unzähligen  Arten  durch  Europa  und  Asien  ver- 
breitete Gattung  Salix  war  den  Indogenuanen  schon  in  der  ältesten 
Zeit  bekannt,  wie  die  Reihe:  a\v.  raeti-,  parsi  tcid,  npers.  bid,  gricch. 
Iria  (auch  oiffuct),  lat.  vitex,  altpr.  witwan,  lit.  wytis  .Weidenrute', 
z'il-icitis  , Weide',  ahd.  irida  beweist. 

Die  Wurzel  liegt  in  der  Reihe  sert.  vdyati,  lat.  rieo,  lit.  tcyti,  altsl. 
ritt  (s.  u.  Weben)  und  bezeichnet  den  Baum  oder  Strauch  als  zur 
Herstellung  von  Stricken  (s.  d.)  und  anderen  Geflechten  geeignet. 
Nach  Asien  hinüber  reicht  auch  ahd.  felawa  , Weide',  das  aber  dort 
die  Bedeutung  .Erle'  (osset.  fürte,  fartee)  hat.  Auf  Europa  beschränkt 
sich  arkad.  €\bcr|  •  hia  Hcs..  lat.  salix,  ir.  sail,  saileach,  ahd.  salaha 
Salweide'.  Vgl.  auch  die  Reihe:  gricch.  pdßbo?,  ftaßbtfw,  lat.  cerbina, 
terbera,  verberare,  nltsl.  rrüba  , Weide',  lit.  icirbas  ,Gerte'.  Allein- 
stehend und  dunkel:  lit.  (jUsnin  (altpr.  ylossix),  karklas  und  blinde, 
blende,  letzteres  .Salweide'.  —  S.  u.  Wald,  Waldbäuine. 

Weidwerk,  s.  .lagd. 

Weihe,  s.  Falke,  Falkenjagd. 

Weiher,  s.  Fisch,  Fischfang. 

Weihnachten,  s.  Mond  und  Monat,  Zeitteilung  (Feste). 

Weihrauch.  Der  Weihrauchbaum,  dessen  Harz  deu  Weihrauch 
bildet,  kommt  in  verschiedenen  Abarten,  und  zwar  als  BosicelUa  ser- 
rata  von  der  Küste  von  Koromandel  bis  ins  Innere  von  Indien,  sowie 
als  BottweUia  papyrifera  auf  der  Ostküste  Afrikas,  im  Lande  der 
beutigen  Somalis  vor.  Aber  auch  das  südliche  Arabien,  im  Altertum 
das  Hauptausfuhrland  des  Weihrauchs  (s.  u.),  wird  mit  zu  der  natür- 
lichen Heimat  des  Baumes  zu  rechnen  sein.  Der  arabische  Geograph 
Abulfeda  bezeichnet  in  seiner  Descriptio  Arabiae  die  Gegenden  von 
Marbat  und  Mahnah  als  das  eigentliche  Vaterland  des  Weihrauchs, 
den  moderne  Reisende  allerdings  noch  nicht  in  Arabien  aufgefunden 
zu  haben  scheinen,  und  auch  die  Römer  (Plin.  Hist.  nat.  XII,  f>ö) 
bei  ihren  arabischen  Kriegszügen  dort  nicht  zu  Gesicht  bekommen 
hatten. 

Die  ältesten  Nachrichten  über  den  Gebrauch  des  Weihrauchs  führen 
nach  Ägypten,  wo  schon  im  alten  Reich  Weihrauch  und  Myrrhe  zu 
deu  Erfordernissen  des  Kultus  gehörte.  Sanehkara,  der  letzte  König 
der  XI.  Dynastie,  sendet  eine  Expedition  durch  die  Wüste  ans  rote 


Digitized  by  Google 


Weihrauch. 


941 


Meer,  um  dort  die  von  den  Eingeborenen  eingetauschten  Spezereien 
des  Wcihrauchlandes  Punt  in  Empfang  zu  nehmen.  Die  berühmte 
Königin  der  XVIII.  Dynastie,  Hatscpsu,  rüstet  dann  eine  Seefahrt  in 
jenes  Land  selbst,  unter  dessen  Namen  die  einen  nur  die  östlichen, 
die  anderen  nur  die  westlichen,  die  dritten  —  am  wahrscheinlichsten 
—  die  östlichen  wie  die  westlichen  Distrikte  um  Bnb-el-Mandcb  und 
den  Golf  von  Aden,  also  El- Jemen,  Hadramaut  und  die  Somaliländer 
verstehen.  Unter  den  Wunderprodukten  des  Landes,  welche  die  Skulp- 
turen des  Tempels  von  Der-el-bahart  darstellen,  Pardeln,  Affen,  Giraffen 
etc.,  nehmen  Massen  von  Weihrauch  und  auf  die  ägyptischen  Schiffe 
verfrachtete  Weihrauchbäume  eine  hervorragende  Stellung  ein. 

Auf  semitischem  Boden  wird  der  Weihrauch  hehr,  leböndh,  PI.  le- 
bdnöt,  phönik.  Ibnt,  aram.  leböntd,  lebüntd,  arab.  lubdn  :  Idban  ,weiss 
sein'  (wohl  nach  der  lnilchweisscu  Farbe  des  Saftes  des  Weihrauch- 
banms)  in  den  jüdischen  Opfcrvorschrifteu  der  vorexilischen  Zeit  noch 
nicht  erwähnt,  sondern  erst  bei  Jeremias  6,  20,  und  zwar  als  ein  Pro- 
dukt des  fernen  Arabiens  genannt.  Man  vermutet  daher,  dass  erst  im 
VII.  Jahrhundert  die  Sitte  des  Weihrauchopfers  im  Kulte  des  Jahwe 
wie  auch  im  phönikischen  Götterdienst  aufgekommen  sei,  doch  wohl 
durch  babylonisch-assyrische  Einflüsse,  wie  denn  Herodot  I,  183  von 
einem  jährlich  wiederkehrenden  grossen  Weihrauchopfer  in  Babylon 
berichtet.  Allerdings  fehlt  es  für  Mesopotamien  an  älteren  einheimi- 
schen Nachrichten,  und  auch  die  eben  genannte  westsemitische  Be- 
zeichnung des  Weibrauchs  konnte  bis  jetzt  in  den  babylonisch-assyri- 
schen Denkmälern  nicht  nachgewiesen  werden.  Auch  Akklimatious- 
versuchc  wurden  innerhalb  des  Bannkreises  der  semitischen  Kultur, 
in  den  auch  die  Perser  (vgl.  das  Weihrauehopfer  des  Datis  auf  Dclos 
bei  Herodot  VI,  07)  bald  eintraten,  mit  dem  Baume  vorgenommen.  So 
stand  in  Sardes  ein  berühmter  Weihrauchbaum :  Xam  et  Asiae  reges 
serendi  curam  habuerunt  I  Plinius  Hist.  nat.  XII,  57).  Auch  im  Hohen- 
liede  4,  6  ist  bereits  von  einem  Weihrauchhügel  in  den  Gärten  Sa- 
lomos  die  Rede. 

Nach  Griechenland  kam  der  Weihrauch  durch  semitisch-phöui- 
kische  Vermittlung,  wie  schon  der  Name  Xtßavoq  für  das  Harz  und  für 
den  Baum,  Xißavunö?  für  das  Harz,  zeigt  (XißavuuTÖq  aus  einem  phönik. 
lebönat).  Dass  dies  in  dem  homerischen  Zeitalter  noch  nicht  der  Fall 
war,  wird  von  den  Alten  selbst  hervorgehoben.  Die  ersten  Schrift- 
steller, welche  des  Weihrauchs  gedenken,  sind  vielmehr  die  Tragiker, 
z.  B.  Euripides  Baccb.  v.  144.  Wahrscheinlich  ist,  dass,  wie  bei  den 
Semiten,  das  Weihrauchopfer  zunächst  an  den  Kult  der  Astarte  an- 
knüpfte, dasselbe  auch  in  Griechenland  zuerst  im  Dienst  der  Aphro- 
dite Eingang  fand,  die  man  zumeist 

o*uupvr|S  t'  dKpnTOu  0uo*tat?  Xißdvou  xe  Buwbouq 
sich  günstig  stimmte  (Empedokles  bei  Athen.  XII,  p.  510).   —  In 


Digitized  by  Google 


942 


Weihrauch. 


Italien  ist  der  Weihrauch  schon  zu  Catos  und  Plautus'  Zeit  eine  be- 
kannte Sache,  ja  bereits  im  Jahre  296  v.  Chr.  wurde  nach  Livius  X, 
23  zur  Abwendung  der  Prodigien  Wein  und  Weibrauch  verteilt.  Be- 
merkenswert aber  ist,  dass  die  Römer  von  den  Griechen,  denen  sie 
doch  unzweifelhaft  die  Bekanntschaft  mit  dem  später  allbeliebten 
Känclienrerk  verdankten,  nicht  das  gewöhnliche  Xtßavo^  übernahmen, 
sondern  ihr  ttU  turis  (nach  rüs,  rüris)  aus  dem  selteneren,  aber  im 
Griechischen  einheimischen  8üoq  bildeten,  das  schon  bei  Homer  inlän- 
disches Räucherwerk  bezeichnet  hatte.  In  den  romanischen  iSprachen 
fand  weder  dieses  tun,  noch  das  ganz  späte  libanus  Verbreitung,  viel- 
mehr that  dies  ein  volkstümliches  *incen*um,  das  zu  it.  incenso,  frz. 
encens  (auch  korn.  eneoix,  arem.  esance)  führte.  —  Als  Heimat  des 
Weihrauchs  werden  von  den  klassischen  Autoren,  wie  häufig  in  ähn- 
lichen Fällen,  die  exportierenden  Länder  angesehn.  Euripidcs  an 
der  oben  genannten  Stelle  nennt  Syrien,  andere  Phönikien.  Herodot  III, 
107  berichtet,  dass  der  Weihrauch  zusammen  mit  auupvn,,  Kctoin,,  Kivvd- 
uwuov  und  Xr|bavov  nur  in  Arabien  wachse  und  erzählt,  wie  man  mit 
Storax  die  das  kostbare  Gut  bewachenden  Schlangen  vertreiben  müsse, 
eine  Verbindung  von  Schlangen  mit  Weihranch  und  anderen  Aromata, 
die  schon  in  einer  altägyptischen  Erzählung  von  den  märchenhaften 
Abenteuern  eines  Seemanns  auf  der  Weihrauchinsel  Pa-Anch,  dem 
Panchaia  der  Alten,  dem  heutigen  Sokotra  (vgl.  E.  Glaser  a.  u.  a.  0.), 
vorkommt.  Gleichwohl  wird  von  Herodot  auch  der  Ausläufer  des  öst- 
lichen Gebirges  Ägyptens  (II,  8)  als  AißavwTOtpöpos  bezeichnet.  Zuerst 
nennt  Theophrast  (Hist.  plant.  IX,  4,  2  ff.)  die  von  den  Späteren  dann 
in  dieser  Eigenschaft  fest  gehaltene  Landschaft  Saba,  also  wohl  den 
Mittelpunkt  des  oben  genannten  Landes  Puut,  als  Hanptcrzeugungs- 
ort  des  Weihrauchs  und  beschreibt  ausführlich  den  Handel,  der  mit 
ihm  im  Tempel  des  Sonnengottes  getrieben  wird.  Die  zuverlässigste 
Nachricht  über  den  Weihrauchhandel  der  römischen  Kaiserzeit  erhalten 
wir  dann  durch  den  Periplus  maris  erythraei.  Hiernach  wird  Weih- 
rauch exportiert  einerseits  aus  ostafrikanischen  Stationen,  andererseits 
und  besonders  aus  der  südarabischen  Metropolis  IdßßctBot  und  dem 
sachalitischen  Golf.  Indischen  Weihrauch  scheint  der  Verfasser 
nicht  zu  kennen;  im  Gegenteil  nehmen  indische  Schiffe  in  Mötfxot  Xiun.v, 
dem  Stapelplatz  des  sachalitiscbcn  Weihrauchs,  solchen  gegen  Baum- 
wolle, Getreide  und  Sesamöl  in  Empfang.  Wohl  aber  wird  indischer 
Weihrauch  von  Dioskorides  genannt  (De  mat.  med.  Cap.  81).  Vgl. 
Lassen  Ind.  Altertk.  *  S.  335  ff.  Eine  Bezeichnung  desselben  sert. 
kunduru-  ,IIarz  der  Boswellia  thurifera'  ist  ins  Neupersische  (kundur) 
und  Armenische  (kndruk)  entlehnt  worden  (vgl.  Hübschmann  Armen. 
Gr.  I,  172). 

Ein  neuer  und  ungeheurer  Bezirk  für  den  Gebrauch  des  Weihrauchs 
eröffnete  sich,  nachdem  die  christliche  Kirche,  die  zuerst  die  turifi- 


Digitized  by  Google 


Weihrauch  -  Wein. 


913 


catio  als  heidnisch  verworfen  hatte  (vgl.  August i  Die  heiligen  Hand- 
lungen der  Christen  VII,  219  ff.),  die  Räucherung  mit  ihm,  teils  aus 
dem  jüdischen,  teils  aus  dem  römischen  Kult,  in  welchem  der  Weih- 
rauch auch  bei  Beerdigungen  frühzeitig  Verwendung  gefunden  hatte 
(vgl.  Plinius  XII,  83),  in  die  Zahl  ihrer  geheiligten  Gebräuche  auf- 
genommen hatte.  In  sprachlicher  Beziehung  ging  aber  nur  das  griech. 
Xißavo«;  in  das  Altslavische  (liranü)  Uber.  Die  Germanen  bildeten  ein 
eigenes  Wort  (ahd.  teihrouch,  alts.  icihröc).  Einige  vermuten,  dass  in 
ahd.  zinsera  ,Rauehfass'  (mit  zinseru  in  henti  thaz  hüs  rouhenti, 
Otfried)  das  lat.  *incen8ttm,  *incensarium  (s.  o.)  stecke;  doch  ist  es 
wahrscheinlicher,  dass  das  Wort  mit  der  Sippe  von  nhd.  zünden,  zunder 
verwandt  ist.  Die  Litauer  haben  kodylax  ,Raucbwerk'  (s.  u.  Wach- 
holder).  Vgl.  noch  agls.  curmmbor  aus  dem  dunklen  mlat.  eozymbrium. 

Der  starke  Verbrauch  des  teuren  Harzes  musste  bald  die  Aufmerk- 
samkeit auf  Surrogate  lenken.  Als  ein  solches  bot  sich  die  Wurzel 
des  in  Griechenland  und  Italien  einheimischen  Rosmarins  (Kosma- 
rinuft  officinalis  L.)  dar.  Diese  Pflanze,  die  bei  den  Römern  rös>  rös 
maris  und  marinus  heisst,  wird  schon  von  Dioskorides  Xißavum?  ge- 
nannt, und  in  den  Glossarien  wird  XißaviuTÖq  mit  rosniarinus  und  tun 
übersetzt.  Xcmnich  nennt  ein  frz.  encemier  und  ein  deutsches  „Weih- 
rauchswunr  als  Xamen  der  Pflanze.  Der  Anbau  von  rosmarinus  wird 
daher  schon  im  Capitulare  Karls  des  Grossen  (LXX,  13)  vorgeschrieben. 
Das  lateinische  Wort  ist,  zum  Teil  unter  volkstümlichen  Umdeutungcn 
(vgl.  engl,  rosemary),  in  die  germanischen  und  slavischen  Sprachen 
übergegangen.  Vgl.  v.  Fischer-Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  136.  —  Zur 
Geschichte  des  Weihrauchs  vgl.  It.  Sigismund  Die  Aromata  u.  s.  w., 
Leipzig  1884,  Hase  Zur  Geschichte  des  Weihrauchs  Paläologus 
p.  76  ff.,  II.  v.  Fritze  Die  Rauchopfer  bei  den  Griechen,  Berlin  1894, 
E.  Glaser  Das  Weihrauchland  und  Sokotra,  Beilage  zur  Allg.  Zeitung 
1899  Nr.  120,  121.  —  S.  u.  Aromata. 

Wein.  Bei  der  Geschichte  des  Weines  muss  man,  wie  bei  an- 
deren Kulturpflanzen,  scharf  zwischen  dem  wilden  und  dem  kultivierten 
Weinstock  unterscheiden.  Es  kann  aber  nach  Massgabe  zahlreicher 
paläontologischcr  Funde  und  sorgfältiger  Beobachtung  des  heutigen 
Vorkommens  des  wilden  Weinstocks  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  dass 
Vit  in  cinifera  /,.  lange  v  o  r  Ausbreitung  der  Weinkultur  in  ganz  Süd- 
europa  und  einem  Teile  Mitteleuropas  einheimisch  war  (vgl.  A.  Englcr 
bei  V.  Hehn  a.  u.  a.  O. 

Versucht  man  nun  die  Frage  zu  beantworten,  wo  am  ersten  im 
Bereich  der  alten  Welt  die  Kultur  des  Weinstocks  und  die  Erzeu- 
gung des  Weines  aufgekommen  sein  könne,  so  wird  man  passend  hier- 
für zunächst  diejenigen  Gegenden  ins  Auge  fassen,  wo  die  Natur  selbst 
<lem  Menschen  in  der  Zeitigung  der  Früchte  am  weitesten  entgegen- 
gekommen war.    „Ganz  insbesondere11,  sagt  in  dieser  Beziehung  A.  de 


Digitized  by  Google 


I 


944  Wein. 

Candolle  Ursprung  der  Kulturpflanzen  S.  236,  „in  Poutus,  in  Arnicnienr 
im  Süden  des  Kaukasus  und  des  Kaspisees  bietet  die  Hebe  den  An- 
blick einer  wildwachsenden  Liane,  welche  hohe  Bäume  Überzieht  und 
ohne  Schnitt  oder  irgend  welche  Kultur  eine  Menge  von 
Früchten  hervorbringt."  Einen  grossen  Teil  der  hier  bezeichneten 
Gegenden  hielten  im  Altertum  die  Armenier  und  andere  der  europäi- 
schen Abteilung  der  Indogermanen  näher  als  der  arischen  stehende 
.Stämme  Kleinasiens  besetzt,  und  in  der  That  scheint  es,  dass  von 
ihnen  aus  die  Kultur  und  der  Name  des  Weines  einerseits  zu  den 
Westsemiten,  andererseits  zu  den  Bevölkerungen  der  Balkanhalbinsel 
übergegangen  sind.  Der  armenische  Name  des  Weines  lautet  gini 
(auch  in  kaukasische  Sprachen  wie  mingrcl.  geini,  georg.  yvino  etc. 
entlehnt),  das  zunächst  aus  *geni  und  weiterhin  aus  *voinio-  hervor- 
gegangen ist  (vgl.  armen,  gitem  =  griech.  olba,  Httbschmaini  Armen. 
Gr.  1,  434).  Letzteres  selbst  wird  eine  Ableitung  von  der  in  lat.  rieo, 
vimen  steckenden  Wurzel  ret,  vi  ,sich  winden'  sein,  zu  der  auch  griech. 
üirrv,  uiöv  ii)v  äuttcXov,  ütöv  dvabevbpdba  (lies.),  lat.  rttis  , Wein- 
stock', aber  auch  zahlreiche  Benennungen  der  Weide  (s.  d.i  gehören. 
Ebenso  vereinigt  das  slavische  loza  die  Bedeutungen  , Weinrebe' 
und  , Weide'  in  sich.  Demnach  würde  armen.  *coino-  (wovon  *voinio-) 
ursprünglich  den  Sinn  von  »rankendes  Gewächs',  ,Wciustock'  gehabt 
haben,  und  dann,  als  man  gelernt  hatte,  aus  den  Früchten  desselben 
ein  berauschendes  Getränk  herzustellen,  würde  eine  Ableitung  davon 
den  Wein  als  Getränk  bezeichnet  haben.  Auch  *coino-  selbst  mochte 
so  gebraucht  werden  (vgl.  etwa  griech.  oivn.  .Weinstock',  später  ,Wein' 
oder  moderne  Ausdrücke  wie  „ein  Korn",  „ein  Kümmel",  „ein  Fass  voll 
Reben"  u.  a.).  Auf  iranischem  Boden  erlischt  das  Wort.  Hier  gelten 
vielmehr  Bezeichnungen  wie  npers.  mei,  pchl.  mai  =  sert.  mädhu- 
(s.  u.  Biene)  oder  osset.  san  —  sert.  r^and-  (s.  u.  Hanf).  Im  Lydischeu 
biess  der  Wein  nuüXaE  (Hesych). 

Aus  diesem  armen.  +voino-,  *coinio-  oder  auch  aus  einem  konformen 
phrygisch-thrakischen  Wort  (thrak.  fdvoq  ,Wehr  bei  Suid.  I,  1,  1071 
verschrieben  für  *tciivos  =  *voino-sY)  sind  nun  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  durch  frühe  Entlehnung  hervorgegangen  auf  der  einen  Seite 
das  westsemitische  *icainu,  arab.-äthiop.  tcain,  hcbr.jtijin  ans  *wmn  (über 
assyr.  inu  vgl.  F.  Hommcl  Z.  d.  Deutschen  Morgen!.  Ges.  1889  S.  653  ff., 
P.  Jensen  Z.  f.  Assyriologie  I,  187),  auf  der  anderen  das  altillyrische 
*vainä  =  alb.  vem  und  das  altgriechischc  FoTvo?,  otvo?.  Denn  auch 
andere  Thatsachen  weisen  für  die  Herkunft  der  griechischen  Wein- 
kultur mit  grosser  Deutlichkeit  in  die  thrakischc  und  kleinasiatische 
Welt.  Schon  in  den  ältesten  Nachrichten  werden  uns  die  Thraker 
als  ebenso  grosse  Bier-  wie  Weintrinker  geschildert  (s.  u.  Bier  und 
u.  Mahlzeiten  und  Trinkgelage).  Wie  schon  V.Hehn  a.  u.  a.  0. 
S.  552  erkannte,  hat  Semele,  ZeuAn.  ,die  Erdgöttin'  ( :  griech.  xaM<" 


Digitized  by  Google 


Wein. 


etc.,  s.  u.  Erde),  die  Mutter  des  herrlichen  Dionysos,  ihren  Ursprung 
im  Thrakerland,  und  das  gleiche  hat  P.  Kretschmer  (aus  der  Anoinia 
S.  19,  Einleitung  S.  212,  240  ff.)  für  den  „Himmelssolm"  Dionysos  seihst 
wahrscheinlich  gemacht,  der  von  den  Thrakern  in  uralten  Heiligtümern 
verehrt  wurde  (s.  auch  u.  Esel).  Jedenfalls  war  der  Wein  lange 
schon  vor  Homer  ein  Lebensbedürfnis  der  Hellenen  geworden,  und 
sicher  wurde  ihm  in  den  Köuigsburgen  von  Mykenae  und  Tiryns 
ebenso  wie  von  den  homerischen  Helden  zugesprochen.  Traubenkerne 
wurden  in  Tiryns  gefunden,  Niederschläge  von  Wein  oder  Essig  in 
einem  Thongefass  von  Mykenae  erkannt. 

Auch  in  Italien  geht  die  Bekanntschaft  mit  dem  Weine  als  einem 
Getränk  vor  jede  historische  Kunde  zurück,  wenn  auch  die  Opfer- 
satzung der  ältesten  Zeit,  nicht  mit  Wein,  sondern  mit  Milch  (s.  d.) 
zu  libiercu  (Plin.  Hist.  uat.  XIV,  88),  noch  die  Erinnerung  an  eine 
Epoche,  in  der  es  noch  keinen  Wein  gab,  zu  bewahren  scheint.  Aber 
woher  hatte  man  die  Kunst,  die  auch  hier  einheimische  und  schon 
in  der  Flora  der  oberitalienischen  Pfahlbauten  nachgewiesene  Vitis 
vinifera  zu  veredeln  und  ihren  Saft  zu  keltern,  kennen  gelernt?  Nicht 
wahrscheinlich  ist  es,  dass  erst  die  griechische  Kolonisation  den  Wein- 
bau nach  der  Apenniuhalbinscl  gebracht  habe.  Weinfeste  finden  sich 
schon  in  dem  in  vorgriechische  Zeit  zurückgehenden  Festkalender  der 
römischen  Gemeinde,  die  Terminologie  der  Weinkultur  im  Griechischen 
und  Lateinischen  geht  wie  griech.  tpanlw  ,keltcre',  TponeTov  ,Kelter', 
yXcukoc  ,Mo8t',  xpu£  ,Hefe'  gegenüber  lat.  torquere,  torcular,  mustum, 
defrutum,  lora  u.  a.  zeigen,  ganz  auseinander,  und  es  fehlt  auch  nicht 
an  direkten  Spuren  dafür,  dass  die  Griechen  bei  ihrer  ersten  Ankunft 
in  Italien  den  )  Weinbau  daselbst  bereits  vorfanden  (vgl.  P.  Weise  Über 
den  Weinbau  der  Römer  Progr.  Hamburg  1897  S.  4  ff.).  Vielleicht 
ist  der  gemeinitalische  Name  des  Weines,  lat.  vinum  (vgl.  über  das 
Wort  zuletzt  Planta  Osk.-urabr.  Gr.  I,  279),  daher  ganz  wie  griech. 
ohoq  zu  beurteilen  und  für  eine  uralte  Entlehnung  aus  einer  uord- 
balkanischen  Sprache  anzuschn.  Es  wäre  denkbar,  dass  das  Wort 
ursprünglich  *voenum  (—  armen.  *toino-  *voinio  )  gelautet  hätte  und 
dann  durch  das  daneben  liegende  ritis  ,  Weinstock'  (s.  o.)  in  vinum 
umgewandelt  worden  wäre.  Dass  der  Norden  der  Balkan  halbinsel  zu- 
sammen mit  Griechenland  und  Italien  einen  frühen  Bezirk  antiker 
Weinkultur  bildete,  scheint  auch  durch  eiue  zweite,  ungefähr  auf  die- 
selben Völker  wie  die  Sippe  von  griech.  o?vo$  beschränkte  Benennung 
des  Weines,  namentlich  des  ungemischten,  wahrscheinlich  gemacht  zu 
werden,  durch  die  Reihe:  thrak.  ZiXm,  nmked.  KaXi9o<;,  griech.  xaXiq  und 
einem  vielleicht  ans  lat.  Falernus  ager  erschliessbaren  sab.  *fali  ,Wein', 
eine  Entsprechung,  die  aber  in  sehr  alte  Zeit  zurückgehen  müsste. 

Ganz  ausserhalb  aller  bisher  in  Asien  oder  Europa  genannten  Wein- 

Scbrader,  Keallexikon.  G0 


Digitized  by  Google 


9-M 


Wein. 


namen  stellt  der  altägyptische  Name  des  Weines  arp,  der  als  4'pms 
schon  bei  Sappho  erscheint. 

Die  Vermittlung  der  für  unseru  Krdteil  nach  den»  obigen  als  armo- 
nisch-thrakiseh  vermuteten  Kulturgabe  des  Weins  nach  dem  Norden 
Europas  haben  dann  die  Römer  übernommen.    Zunächst  war  es 
der  Wimische  Kaufmann,  der  den  fertigen  berauschenden  Trank  und 
damit  seineu  lateinischen  Namen  (s.  u.)  den  Barbaren  zuführte.  Wie 
gierig  sie  ihn  aufnahmen,  lehrt  eine  Gallien  betreffende  Stelle  des  Dio- 
dorus  Sieulus  V,  20, 3  (aus  Posidonius) :  ttoXXo!  tu»v  'ItoXikwv  ^uiröpwv  . . . 
oid  ufcv  tiüv  ttXwtüuv  ttotciuuiv  ttAoiok;,  biet  bi  Tf)?  iT€bidbo£  xwpa<; 
äud£ai£  KouiEovTeq  töv  oivov.  . . .  btbövte^  oivou  tcepduiov  dvnXaußdvouai 
naiba.    Andererseits  sträubten  sich  noch  zu  Casars  Zeit  die  Servier 
wie  die  Sueben  gegen  das  gefährliche  Geschenk,  von  welchem  sie  die 
Verweichlichung  ihrer  rauhen  Sitten  fürchteten  (De  bell.  Gall.  II,  15, 
IV,  2).    Dann  folgte  dem  Händler  mit  Wein  (s.  auch  über  die  Ent- 
stehung der  Sippe  von  ahd.  choufan  etc.  .kaufen'  aus  lat.  caupo 
, Händler  mit  Wein'  u.  Kaufmann)  der  Weinbau  selbst,  wo  immer 
die  römische  Herrschaft  festen  Fuss  fasste,  in  Spanien  und  im  süd- 
lichen Gallien  (Massilia)  wohl  schon  auf  von  Griechen,  ja  Phöniziern 
gemachte  Anfänge  stossend.    Schon  bei  Plinius  und  Columclla  treten 
die  Weinsorten  hervor,  die  wir  jetzt  als  Burgunder-  oder  Bordeaux- 
weine verehren.    Im  vollen  Glanz  ihrer  rebengeschmückten  Ufer  rauscht 
die  Mosel  in  des  Ansonius  gleichnamigem  Gedieht  dahin: 
et  tirides  Baccho  colles  et  amoena  ftuenta 
subter  labentis  tacito  rumore  Mosellae. 
Von  Anfang  au  freilich  hatte  Korn  mit  argwöhnischem  Auge  die 
Blüte  des  Weinbaus  in  den  Provinzen  beobachtet,  und  schon  im  Jahre 
129  v.  Chr.  muss  nach  Cicero  De  republica  3,  9,  16  eine  Verordnung 
bestanden  haben,  welche  den  Öl-  und  Weinbau  in  den  transalpini- 
schen Gegenden  einschränkte  oder  einzuschränken  versuchte.  Erst 
Kaiser  Probus  hob  dieselbe  auf  {GalUs  omnibus  et  Ilispanis  ac  Brit- 
tanis  hinc  permmt,  ut  viten  haberent  vinumque  conficerent,  Fl.  Vopisc. 
Prob.  18)  und  entfesselte  damit  ganz  die  Kräfte,  die  in  diesem  jung- 
fräulichen Boden  ruhten.    Dass  die  Römer  auch  den  Germanen  Lehrer 
des  Weinbaues  geworden  sind,  würde  allein  aus  zahlreichen  sprach- 
lichen Entlehnungen  in  seiner  Terminologie  folgen.    Vgl.  ahd.  tcinzuril 
aus  lat.  vinitor,  ahd.  windemön  aus  lat.  vindemiae,  teindema  (Gl.), 
vindemiare,  ahd.  most,  agls.  muitt  aus  lat.  mustum,  ahd.  Hrra  aus 
lat.  lorea,  ahd.  pflockön,  mhd.  pflücken,  agls.  ploccian  aus  vulgär- 
lat.  *pUüccare,  it.  piluccare  ,Traubcn  abbeeren',  ahd.  prSssa,  fressa 
,Weinpressc',  agls.  pertte  aus  lat.  pressa,  ahd.  kelketron  ,Kelter"  aus 
lat.  cakatörium,  agls.  toreul  aus  lat.  torculum,  ahd.  trahtäri,  agls. 
tracter  »Trichter  aus  lat.  trdjectörium,  ahd.  chelldri  aus  spätlat.  cel- 
lärium  u.  a.    Auch  zahlreiche  Gefässnamen  (s.  u.  Gefässc)  sind  in 


Digitized  by  Google 


Wein  —  Weizen  und  Spelt. 


947 


offenbarem  Zusammenhang:  mit  dem  Weinhandel  und  der  Weinkultur 
aus  dem  Lateinischen  übernommen  worden.  Es  kann  daher  nicht 
zweifelhaft  sein,  dass  die  uordenropäischen  Namen  des  Weines  selbst, 
wie  es  wohl  auch  von  allen  Gelehrten  angenommen  wird,  also  ir.  fin, 
got.  teein,  altsl.  vino,  lit.  u-ijnas  Entlehnungen  aus  dem  Lateinischen 
darstellen,  obwohl  ein  zwingender  lautlicher  Gesichtspunkt  für  diese 
Annahme  allerdings  fehlt. 

Der  gleichen  Verbreitung  erfreut  sich  der  lateinische  Name  des 
Essigs,  acetum,  der  in  ir.  acat,  got.  akeit  (vgl.  im  Keichenauer  Glossar: 
acitabulum  quasi  achiti-ferum),  ahd.  ezzih,  altsl.  ocltü,  lit.  üksosas  vor- 
liegt. Die  Lex  Salica  setzt  den  Weinbau  bereits  als  etwas  bekanntes 
voraus  (vgl.  die  Stelleu  mit  den  Ausdrucken  vindemiare,  vinitor,  vinea, 
vinum  in  der  Ausgabe  der  Lex  von  Hessels).  In  Baiern  werden  Wein- 
berge an  der  Donau  680  genannt,  in  Schwaben  erwähnt  sie  zuerst 
eine  Urkunde  aus  den  Jahren  716 — 720  (vgl.  v.  Inama-Sternegg  Deutsche 
Wirtschaftsgeschichte  I,  171).  Ausführliche  Bestimmungen  über  die 
Bewirtschaftung  der  Weinberge  enthält  das  Capit.  de  villis  VIII  und 
LXII.  Bekanntlich  hat  der  Weinbau  in  Deutschland  seit  dem  Mittel- 
alter sich  weit  nach  Norden  auszudehnen  angefangen,  von  wo  er  in 
neuerer  Zeit  wieder  südwärts  zurückgegangen  ist.  Vgl.  Uber  diese 
Bewegung  J.  B.  Nordhoff  Der  vormalige  Weinbau  in  Norddeutschland. 
2.  Ausg.  Münster  1883.  Im  allgemeinen  vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen0 
S.  65 ff.  —  S.  auch  u.  Nahrung  (Getränke). 
Weise  Frauen,  s.  Arzt,  Orakel. 
Weiss,  8.  Schwarz  und  Weiss. 

Weissagung,  s.  Los,  Orakel,  Zauber  uud  Aberglauben. 
Weizen  und  Spelt.  Die  Weizensorten  mit  freien  Samen  (Tri- 
ticum vulgare  Villars,  Tr.  turgidum  L.,  Tr.  durum  Desfontaines  etc.) 
stehen  sich  untereinander  und  den  durch  eingeschlossene  Samen 
charakterisierten  Sorten  (Spelz,  Triticum  Spelta  L.,  Emmer,  Tr.  di- 
coccum  Schrank,  Einkorn,  Tr.  monococcum  L.)  so  nahe,  dass  eine 
scharfe  sprachliche  Unterscheidung  derselben  in  frühen  Zeiten  nicht 
zu  erwarten  ist.  Aber  auch  die  Beschreibungen  und  Angaben  der 
Alten  hinsichtlich  der  von  ihnen  gebauten  Weizen-  oder  Speltsorten 
sind  so  ungenau  und  vieldeutig,  dass  eine  Äusserung  wie  die  des 
Dioskorides  II,  111,  nach  welcher  Ztxä  von  doppelter  Art  sei  (än\f\ 
und  öikokko<j),  woraus  sich  Einkorn  und  Emmcr  deutlich  erkennen 
lassen,  zu  den  grössten  Seltenheiten  gehört. 

Die  hier  aufgezählten  Weizen-  oder  Speltarteu  lassen  sich  nun  im 
Umkreis  des  Mittelmeers  durch  prähistorische  Funde  bis  in  ein  hohes 
Altertum,  in  Europa  bis  in  die  Denkmäler  der  jüngeren  Steinzeit  zu- 
rückführen. So  ist  im  alten  Ägypten  Triticum  vulgare  und  Tr. 
dicoccum  (vgl.  Schweinfurth  Z.  f.  Ethnologie  XXIII,  654),  in  Troja 
Tr.  durum,  car.  trojanum  (vgl.  Schliemann  Ilios  S.  361),  in  den  Ita- 


Digitized  by  Google 


<«4S 


Weizen  und  Spelt. 


lieuiscben  Pfahlbauten  Tr.  vulgare  nebst  Tr.  turgidum  (vgl.  Heibig: 
Pfahlbauten  der  Pocbne  S.  16),  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  Tr.  vul- 
gare antiquorum,  eine  kleinkörnige  Weizenart,  Tr.  turgidum  (?),  Tr. 
dicoccum  und  monococcum  (vgl.  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten 
und  De  Candolle  Ursprung  der  Kulturpflanzen)  nachgewiesen  worden 
u.  s.  w.  Aber  auch  Getreidefunde  der  skandinavischen  Steinzeit  (vgl. 
S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  206)  enthalten  Weizenkürner, 
deren  nähere  Beschaffenheit  freilich  noch  nicht  ermittelt  worden  ist. 
Eine  Ausnahme  macht  nur  der  ans  heute  geläufige  Anbau  von  Triticum 
Spelta,  der  bis  jetzt  nirgends  weder  in  Asien,  noch  in  Europa  prä- 
historisch nachgewiesen  werden  konnte  (vgl.  näheres  bei  G.  Buschan 
Vorgesch.  Botanik  S.  1  ff.). 

Wendet  man  sich  der  Terminologie  und  geschichtlichen  Be- 
glaubigung der  Weizen-  und  Speltartcn  zu,  so  sind  zunächst  folgende 
urverwandte  Gleichungen  mit  der  vorwiegenden  Bedeutung  ,Weizen' 
zu  nennen:  armen,  corean  =  ir.  tuirend  (*stor-),  lat.  simila,  simildgo 
=  grieeb.  luaAiq,  \jaaXtd  und  griech.  (Horn.)  nupö?  (öTrupö?  Hes.,  vgl. 
griech.  irupvov  ,Brot')  =  lit.  purai,  lett.  puhri  ,Wintcrweizen ',  altsl. 
pyro  ,Spelt',  aber  auch  ,railium',  nsl.  pira  ,Spelt\  Was  diese  letztere 
Gleichung  anbetrifft,  so  ist  anzumerken,  dass  im  Altpreussischen  pure 
»Trespe'  {Bromus  sterilis)  bedeutet  und  in  neuslavischen  Dialekten 
(vgl.  Miklosich  Et.  W.)  das  Wort  vielfach  in  dem  Sinne  von  ,Quecke" 
{Triticum  repens,  ein  Unkraut)  etc.  überliefert  ist.  Man  könnte  daher 
zweifelhaft  sein,  ob  für  die  ganze  Sippe  nicht  von  den  letzteren  Be- 
deutungen auszugehen  ist.  Bedenkt  man  jedoch,  dass  gerade  in  den 
älteren  Sprachperioden  dieselbe  überwiegend  eine  kultivierte 
Getreideart  bezeichnet,  und  andererseits,  dass  nach  einer  ganz  allgemein 
verbreiteten,  selbst  noch  hei  Theophrast  herrschenden  Ansicht  (vgl. 
v.  Fischer- Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  162,  166),  Gerste  und  Weizen  in 
Unkräuter  wie  Wildhafer  oder  Taumellolch  etc.  Ubergingen,  ein  Aber- 
glaube, der  sich  sehr  wohl  in  jener  oben  angeführten  Bedetitungs- 
veränderung  spiegeln  könnte,  so  wird  man  die  Gleichung  griech.  Tiupös, 
lit.  purai  u.  s.  w.  für  den  Schluss,  dass  schon  in  der  europäischen  Ur- 
geschichte eine  kultivierte  Weizen-  oder  Speltart  vorhanden  war, 
immerhin  für  verwertbar  halten. 

Im  übrigen  wird  der  Weizen  vielfach  nach  der  Weisse  des  Mehles 
benannt,  das  er  giebt.  So  alb.  bard  , Weizen'  und  .weiss',  kymr.  gtee- 
nith,  bret.  giciniz  , Weizen'  :  gwenn  ,wciss'  (anders  Zupitza  Gutturale 
S.  97),  got.  hwaiteis  :  hweits  (vgl.  sert.  qeitrd-,  evetd-).  Eine  Ent- 
lehnung aus  diesem  germanischen  Wort  stellt  lit.  kicieeziel  ,Weizen' 
dar.  Nach  einer  Ansicht  G.  Meyers  (Alb.  Stud.  III,  51  A.  2)  würde 
auch  das  griech.  (homer.)  o*Tto<;  hierherzustellen  sein,  insofern  es  eine 
sehr  frühzeitige  Entlehnung  aus  einer  nördlichen  Sprache  sein  könnte, 
in  der  idg.  k  (sert.  geetd-)  durch  o*  wiedergegeben  wurde.  Bemerkens- 


Digitized  by  Google 


Weizen  und  Spelt. 


<U9 


wert  ist  in  diesem  Zusammenhang,  dass  schon  Herodot  (IV,  17)  von 
mehreren  Stämmen  des  südlichen  Russlands,  des  für  Europa  wichtigsten 
Weizenlandcs  der  Gegenwart,  von  den  KaXXinibai,  den  'AXaZüjvc?  und 
den  Ztcü6ai  dporfipe?  berichtet,  dass  sie  Weizen  bauten,  die  letzteren 
ausschliesslich  Im  7Tpn.o*i  ,zuni  Verkauf. 

.Sinnverwandt  mit  einander  sind  ferner  griech.  dXciaTo,  öXeupov  :  dX&o 
,mahle',  lat.  triticum  :  tero,  uud  altsl.  ptieno,  plsenka  ,Weizeu',  nsl. 
pseno  ,Dinkel'  :  scrt.  pi-sh  /zerreiben',  die  also  sämtlich  etwa  ,Mahl- 
f nicht'  bedeuten.  Vgl.  noch  mitlelndd.  terwe,  tarwe  , Weizen*  =  scrt. 
dii'rrd  , Hirse'  sowie  das  von  Hesych  bezeugte  tavböunv  aus  npers. 
gendum,  scrt.  gödhü'ma-  (vgl.  Horn  Grundriss  d.  npers.  Et.  S.  209), 
das  zuerst  auf  den  Einfluss  des  indischen  Weizenreichtums  hinzuweisen 
scheint. 

Mit  ,Spelt'  werden  in  der  Regel  in  den  klassischen  Sprachen  die 
folgenden  vier  Ausdrücke  Ubersetzt:  griech.  Zeid,  Zed  und  öXupct  (beide 
schon  von  Homer  als  Pferdefuttcr  neben  Gerste  genannt),  lat.  fär  und 
ador,  adoreum.  Indessen  ist  es  nach  dem  Obigen  und  aus  anderen 
Gründen  (vgl.  G.  Buschan  a.  a.  0.)  wahrscheinlich,  dass  diese  Wörter 
nicht  unser  Tritictim  Spelta,  sondern  eher  Einkorn  und  Emmer  be- 
zeichneten. Alle  vier  Ausdrücke  kehren  in  agrarischem  Sinne  in  den 
verwandten  Sprachen  wieder,  doch  mit  abweichender  Bedeutung,  so 
dass  die  Feststellung  des  ursprünglichen  Sinnes,  der  vielleicht  nur 
allgemein  ,Feldfrncht'  war,  nicht  möglich  ist.  Über  griech.  Ztid  = 
scrt.  ydva-  u.  s.  w.  und  öXupa  =  scrt.  uredrd  .Saatfeld'  s.  u.  Acker- 
bau. Lat.  fär,  nach  der  Überlieferung  (vgl.  Heibig  Die  Italiker  in 
der  Pocbne  S.  64,  65)  die  älteste  Halmfrucht  der  Römer,  entspricht 
dem  got.  barizeins.  agls.  bete  ,Gerstc',  altsl.  brasino  , Mehlspeise'  (über 
griech.  <J>epo~e<pdo*o*a  s.  u.  Totenreiche),  lat.  ador  dem  got.  atisk 
,Saatfeld'.  Vgl.  noch  als  Bezeichnungen  für  Speltarten  altgall.  (?)  arinca, 
von  Püning  Hist.  nat.  XXII,  121  mit  öXupa  identifiziert  (:  griech.  dpöuj, 
lat.  arare,  ir.  airim?),  und  griech.  xupn,  das  mit  ahd.  dinkil  ,Diukel' 
zusammenhängen  könnte. 

Im  Ausgang  des  III.  Jahrhunderts  n.  Chr.  tritt  dann  in  einem  grossen 
Teil  Europas  für  eine  Speltart  ein  bis  dahin  unbekannter  Ausdruck, 
lat.  spelta,  unser  „Spelz"  auf.  Das  Wort  begegnet  zuerst  im  Edictum 
Diocletiani.  Vgl.  dazu  Hieronym.  in  Ezcch.  I,  4,  9 :  Qua*  nos  vel  far 
tel  gentili  Italiae  Pannoniaeque  sernione  spicam  speit amque  dt- 
eimus.  Im  Corpus  Gloss.  III,  357,  2  wird  es  durch  öXupa  übersetzt 
und  im  Breviarium  Karls  des  Grossen  vom  Jahre  812  (vgl.  v.  Fisctaer- 
Benzon  Altd.  Gartennora  S.  164)  neben  annöna  und  frumentum  /Weizen' 
genannt.  Es  beherrscht  die  romanischen  (it.  spelda,  frz.  e'peatdre) 
und  germanischen  Sprachen  fahu.  spelza  neben  spelta,  agls.  speit). 
Sein  Ursprung  ist  noch  nicht  sicher  ermittelt;  doch  scheint  es  nicht 
unmöglich,  das  so  spät  auftretende  und  darum  kaum  im  Latein  wur- 


Digitized  by  Google 


Weizen  und  Spelt  —  Wels. 


zclnde  Wort  als  germanisch  in  Anspruch  zu  nehmen,  indem  man  unser 
Spelz,  ndd.  speit  aus  *speldo-  dem  lat.  polten  aus  *gpelden-  (vgl. 

aus  *saldere)  ,fcines  Mehl'  gleichsetzt.  Lat.  spelta  wäre  dann 
eins  der  am  frühsten  in  den  römischen  Provinzen  eingedrungenen  bar- 
barischen Wörter.  Neben  spelta  wird  im  Edict.  Diocl.  noch  scandula 
für  eine  Speltart  genannt.  Es  scheint  im  Spanischen  escanda  (Nemnich 
S.  1494)  erhalten  zu  sein. 

Überblickt  man  die  hier  zusammengestellten  Thatsachen,  so  erhellt, 
dass  Weizen-  und  Speltarten  seit  uralter  Zeit  über  Europa  verbreitet 
gewesen  sein  müssen,  wie  denn  auch  nach  Tacitus  Germ.  Cap.  23 
(s.  u.  Bier)  Weizen  (frtttnentum)  schon  im  ersten  Jahrhundert  nach 
Christo  in  Deutschland  angebaut  worden  sein  niuss.  Welche  Arten 
im  einzelnen  am  frühesten  in  Kultur  genommen  worden  sind,  lässt  sich 
nicht  mehr  ermitteln.  Nur  eins  dürfte  in  negativer  Hinsicht  nicht 
unwahrscheinlich  sein.  Kombiniert  man  die  Thatsache,  dass  Tritictim 
Spelta  weder  für  das  prähistorische  noch  für  das  historische  Altertum 
sich  mit  Sicherheit  hat  nachweisen  lassen,  mit  dem  Umstand,  dass, 
wie  wir  sahen,  vom  dritten  nachchristlichen  Jahrhundert  au  eiu  neuer 
Speltname  in  Europa  auftritt,  so  liegt  der  Schluss  nahe,  dass  mit 
letzterem  auch  eine  neue,  vielleicht  im  Norden  zuerst  aufgekommene 
Speltsorte,  eben  unser  Tritictim  Spelta,  gemeint  sei. 

Über  die  Urheimat  und  wilde  Stammform  des  Weizens  wissen  wir, 
wie  bei  anderen  Getreidearten,  nichts  sicheres.  Möglich  oder  wahr- 
scheinlich ist,  dass  die  Kultur  des  Weizens  wie  der  Gerste  in  dem 
Zweistromland  aufkam,  und  von  hier  schon  in  der  Epoche  der  ur- 
europäischen Kulturgerneinschat't  den  Indogermanen  Europas  zukam, 
durch  die  sie  über  Europa  verbreitet  wurde  (vgl.  auch  G.  Buschan 
a.  a.  0.  S.  32  ff.). 

Bemerkt  sei  noch,  dass  man  in  neuerer  Zeit  eine  andere  Gruppierung 
der  Weizen-  und  Speltarten,  als  sie  oben  nach  De  Candolle  gegeben 
ist,  versucht  wurde.  Körnickc  Handbuch  des  Getreidebaus  I  sieht 
nämlich  das  Einkorn,  Triticum  monococcutn,  als  eine  selbständige 
Art  an,  dem  er  Tr.  vulgare,  auf  das  sämtliche  übrige  Weizen-  und 
Speltformen  zurückgingen,  gegenüberstellt,  und  Aschcrson  Korrespon- 
denzblatt f.  Anthrop.  1890  S.  134  fügt  hinzu:  „Betrachtet  man  auch 
Tr.  monococcum  als  eine  Form  der  Gesamtart  Tr.  vulgare,  so  wäre 
die  Abstammung  der  letzteren  von  der  im  Orient,  in  Griechenland, 
Serbien  und  der  Krim  bis  Mesopotamien  wildwachsenden  Stamm- 
form des  Tr.  monococcum,  welche  unter  verschiedenen  Namen  als 
eigene  Art  aufgestellt  wurde,  erwiesen."  —  S.  n.  Ackerbau. 

Wels.  Für  diesen  in  den  meisten  grossen  Flüssen  Europas,  vor 
allem  aber  in  denen  des  südlichen  Russlands  einheimischen  Fisch  liegt 
eine  urverwandte  Gleichung  in  altpr.  Kalis  =  nihd.  weh  aus  *hcalis- 
vor.   Zu  demselben  germanischen  Stamm  *hvalis-,  *hvala-  gehört  aber 


Digitized  by  Google 


Wels. 


951 


anch  der  gemeingermaniscbe  Name  des  Walfischs  (s.  <1.):  ahd.  wal, 
agls.  hwcel,  altn.  hvalr,  wie  denn  auch  der  Wels  selbst  in  zahlreichen 
Gegenden  Deutschlands  weller,  tcaller,  tcallerfisch  gegenüber  ahd. 
icelira  , Walfisch'  heisst  (vgl.  C.  Gesner  Hist.  anim.  Tiguri  1T>58  IV, 
1050).  Da  nun  die  ursprüngliche  Bedeutung  der  ganzen  Wortsippe 
durch  altpr.  kalis  ,Wels'  feststeht,  so  folgt  hieraus,  dass  die  Germanen 
in  vorhistorischen  Zeiten  mit  dem  Wels  bekannt,  den  Namen  dieses 
Fisches  auf  den  Walfisch  Ubertragen  haben,  nachdem  sie  in  Berührung 
mit  dein  Nordmeer  und  seiner  Tierwelt  gekommen  waren.  Eine  solche 
Übertragung  lag  nahe  genug.  Der  Wels  ist  der  grösste  der  europä- 
ischen Flussfische  und  erreicht  in  der  Donau,  wo  er  am  häufigsten 
vorkommt,  „bei  einer  Dicke,  dass  ihn  kaum  zwei  Männer  umspannen 
können,  nicht  selten  eine  Länge  von  3  m  und  ein  Gewicht  von  200  bis 
250  kgu  (vgl.  Brehms  Tierleben5,  Fische  S.  236).  Schon  Plinius  Hist. 
nat.  IX,  45  ist  Uber  die  beträchtliche  Schwere  des  deutschen  Welses 
(8Üunt8)  erstaunt:  l*raecipue  in  Moeno  Germaniae  amne  protelis 
bonm  et  in  Danuvio  marri*  extrahitur  porculo  marino  simillimus. 

Derselbe  Vorgang  wie  im  Norden  lässt  sich  aber  im  Süden  Europas 
nachweisen.  Mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  darf  zu  der  oben  angeführten 
Gleichung  altpr.  kalis  =  mhd.  weh  auch  das  lateinische  squalns  ge- 
stellt werden,  das  in  den  Wörterbüchern  mit  ,Mcersaufisch'  (vgl.  bei 
Plinius  porculw  marinus)  wiedergegeben  wird  und  nach  den  Angaben 
bei  Plinius  Hist.  nat.  IX,  78  (vgl.  J.  Hoops  Englische  Stud.  XXVIII,  1) 
sicher  einen  haifischartigen  Fisch  bezeichnet.  Die  Germanen  übertrugen 
also  den  alten  Namen  des  Welses  auf  den  Walfisch,  die  Römer  auf 
eine  Haifischart.  Unsicherer  ist,  ob  auch  das  griech.  (pdXaivct  , Wal- 
fisch' hierher  gestellt  werden  darf.  Sehr  merkwürdig  aber  ist  es, 
worauf  Hoops  a.  a.  O.  aufmerksam  macht,  dass  die  idg.  Reihe  altpr. 
kalis,  mhd.  weis,  lat.  squalus  in  den  finnisch-ugrischen  Sprachen 
bis  zu  dem  tungusischen  Stamm  der  Lamutcn  in  Sibirien  als  kala, 
kalim  , Fisch',  bezw.  , Walfisch'  wiederkehrt,  so  dass  hier  ein  Fall 
jener  auf  Urentlehnung  (oder  Urverwandtschaft?)  beruhenden  idg.- 
finnischen  Entsprechungen  vorzuliegen  scheint,  auf  die  u.  Urheimat 
hingewiesen  worden  ist. 

Uber  einen  weiteren  gemeinschaftlichen  Namen  des  Fisches  verfügt 
das  Litauiseb-Slavische  in  lit.  szämas,  lett.  sams  =  russ.  samü,  der 
sich  vor  der  Hand  nicht  weiter  verfolgen  lässt.  Leskien  Die  Bildung 
der  Nomina  im  Litauischen  S.  176  bemerkt  dazu:  „Zur  Annahme  einer 
Entlehnung  aus  dem  Slavischcn  liegt  kein  Grund  vor,  aufgefallen  ist 
mir  eine  gewisse  Ähnlichkeit  des  finnischen  Wortes  säkiü  (estn.  *ägä).u 

Dass  in  den  altgriechischen  Flüssen  Welse  vorkamen,  muss  bezweifelt 
werden.  Wenn  daher  griech.  öiXoupo<;,  das  zuerst  von  Sopatros  dem 
napujbös,  der  zur  Zeit  Alexanders  des  Grossen  lebte,  genannt  wird 
(vgl.  Athen.  VI  p.  230: 

Gtmpöv  o*  i  X  o  u  p  o  v  äpfupoGq  mva£  fywv), 


Digitized  by  Google 


052 


Wels  —  Werkzeug. 


diesen  Fisch  bedeutete,  so  wird  es  ein  von  Norden  her  eingedrungener 
Fischnanie  sein  (vgl.  korn.  selli,  arem.  ttili  ,Aal';  über  -oupo^  in 
Tiernamen  vgl.  Vf.  B.  B.  XV,  127  ff.).  Aus  dem  Griechischen  haben 
die  Römer  ihr  siluriiH  (zuerst  bei  Lucilius)  übernommen.  Auch  seine 
Bedeutung  steht  nicht  Uberall  fest.  Als  wahrscheinlich  wird  man  es 
ansehen  dürfen,  das»,  wie  Plinius  (s.  o.)>  so  Ausonius  in  der  Mosella 
v.  135  ff.  unter  silaru»  den  Wels  versteht,  obgleich  man  auch  hier  an 
den  Stör  gedacht  hat: 

TaliH  Atlantiaco  quondam  balaena  profunda 
Cum  vento  viotuve  suo  tellurvs  ad  ora 
Pellifur,  exeluxum  fundit  mare,  magnaque  surgunt 
Aequora  vicinique  timent  decrescere  montes  .  .  . 
Nie  tarnen,  hic  nostrae  mitis  balaena  Mosellae 
Exitio  proeul  ext  magnusque  honor  additus  amni. 
Ausdrücklich  wird  also  hier  der  in  dem  germanischen  Stamm  *hvala- 
und  seiner  Bedeutuugsentwicklung  sich  abspiegelnde  Vergleich  zwischen 
Wels  und  Walfisch  gezogen.    Je  mehr  dieser  Stamm  aber  im  Germa- 
nischen zur  Bezeichnung  des  letzteren  verwendet  wurde,  um  so  mehr 
stellte  sich  das  Bedürfnis  heraus,  neue  Namen  für  den  Wels  zu  schaffen. 
Ein  solcher  ist  das  namentlich  an  der  Donau  herrschende  schaid, 
schaiden,  ahd.  seeida,  vgl.  auch  engl,  sheath-fixh,  wohl  der  .Scheiden- 
fisch',  a  figura  raginae,  praesertim  gladii  equentri*,  quae  latior  initio, 
paulatim  in  angmtum  desinit  (C.  Gesner  1.  c).    Dunkel  ist  das  von 
Nemnich  Polyglottenlex.  der  Naturg.  s.  v.  silurus  genannte  schwed.- 
dän.  malle,  mall  ,Wcls'.  —  S.  u.  Fisch,  Fischfang. 
Weltord innig,  s.  Religion. 
Werbung,  s.  Heirat. 
Wergeid,  s.  Blutrache,  Strafe. 

Werkzeug  (Gerätschaften).  Wo  sich  in  Europa  Spuren  des 
Menschen  finden,  begegnen  auch  Überreste  von  Werkzeugen,  die  auf 
paläolithischer  Stufe  freilich  noch  von  primitivster  Beschaffenheit 
sind,  und  meist  von  einander  schwer  unterscheidbarc  Typen  aufweisen, 
von  deuen  sich  nur  im  allgemeinen  sagen  lässt,  ob  sie  mehr  zum 
Schneiden  oder  Bohren,  zum  Schaben  oder  Sägen  u.  s.  w.  dienten. 
Erst  in  der  jüngeren  Steinzeit,  die  gerade  hierdurch  nicht  am 
wenigsten  charakterisiert  wird,  treten  ausgebildete  und  durch  Schleifung 
künstlich  verschönte  Typen  des  Werkzeugs  hervor,  für  die  Arbeit  in 
Holz  z.  B.  Messer,  Säge,  Bohrer,  Hammer,  Meissel,  Axt  und  Beil  nebst 
dem  für  die  Schärfung  dieser  Werkzeuge  unentbehrlichen  Schleifstein, 
für  die  Bearbeitung  der  Felle  etc.  Schabmesser,  Pfrieme  und  Nadel, 
für  den  Ackerbau  und  die  Behandlung  der  Cerealien  die  steinerne 
Pflugschar,  Siebtöpfe,  Handmühlen,  für  die  Verarbeitung  der  Gespinst- 
pflanzen (jedoch  noch  nicht  im  Norden  nachweisbar)   der  Spinnwirtel 


Digitized  by  Google 


Werkzeug  —  Wermut. 


953 


u.  s.  w.  Dabei  ist  zu  bedenken,  dass  natürlich  nur  solche  Werkzeuge 
sich  bis  in  die  Gegenwart  erhalten  konnten,  welche  aus  Stein,  Knochen 
oder  Horn  hergestellt  waren,  während  die  zweifellos  ebenfalls  vor- 
handenen Artefakte  aus  Holz  nur  unter  besonderen  Umständen  und 
ansnahmsweis  dem  Untergang  entronnen  sind.  Auch  durch  i  d  g. 
Gleichungen  lässt  sich  eine  Anzahl  der  wichtigsten  Werkzeuge  als 
schon  in  vorhistorischer  Zeit  zu  begrifflicher  und  sprachlicher  Aus- 
bildung gelangt  nachweisen.  Derartige  Wortreihen  sind:  sert.  Ishurd- 
=  grieeh.  Eupöv  ,Messer';  griech.  ^ivrj  =  lat.  serra  ,Säge'  (oder  , Feile'); 
griech.  te'peTpov  =  ir.  tarathar  , Bohrer';  lat.  matteus  =  altsl.  malj 
»Hammer*;  sert.  paragü-  =  griech.  tt€\€ku<;  ,Axt,  Beil';  sert.  qdna-  = 
griech.  kwvo?  »Schleifstein';  sert.  ä'rd  =  ahd.  dla  ,Ahle,  Pfriem,  Nadel'; 
armen,  araur  =  griech.  fipoipov  ,Pflug';  griech.  ß<pvi?  =  altpr.  wagnis 
,Pflugschar';  lat.  cribrum  =  ahd.  ritara  ,Sieb';  armen,  erkan  =  lit. 
girna  .Handmühle';  griech.  äpirrj  =  altsl.  sräpü  ,Sichel'  u.  a.  m.  Im 
allgemeinen  lässt  sich,  soweit  man  das  bis  jetzt  vorliegende  Material  über- 
sehen kann,  die  Kegel  aufstellen,  dass  diejenigen  Werkzeuge  und  Geräte, 
für  die  idg.  Gleichungen  bestehen,  auch  in  deu  Funden  der  jüngeren  Stein- 
zeit nachweisbar  oder  in  dieser  Epoche  mit  Sicherheit  vorauszusetzen 
sind,  dass  hingegen  Werkzeuge  wie  z.  B.  die  Schere  oder  Zange,  welche 
erst  auf  viel  späteren  Kulturstufen  auftreten,  auch  in  ihrer  Terminologie 
über  die  Einzelsprachen  hinausgehender  Übereinstimmungen  entbehren 
(s.  n.  Kupfer  und  u.  Steinzeit).  —  In  besonderen  Artikeln  ist 
gehandelt  worden  über  Ahle  (Pfrieme),  Axt  (Beil),  Bohrer,  Hacke 
(Spaten),  Hammer,  Meissel,  Messer  (über  das  Rasiermesser  s.  auch 
u.  Haartracht),  Nadel,  Nagel  (s.  auch  u.  Schlüssel),  Säge 
Feile),  Schaufel,  Schere,  Schleifstein,  Zange.  Ackerbau- 
werkzeuge und  -geräte  s.  u.  Dreschen  (Dreschflegel),  Egge,  Pflug, 
Mahlen-  Mühle,  Sichel  und  Sense,  Sieb,  Worfeln  (Getreide- 
schwinge), über  den  Quirl  und  das  Buttcrfass  s.  u.  Butter,  Uber 
Spinnwirtcl,  Rocken  und  Webstuhl  u.  Spinnen  und  u.  Weben,  über 
Essgeräte  u.  Gabel,  Löffel,  Teller,  Mahlzeiten  und 
T  r  i  n  k  g  e  1  a  g  e. 

Wermut.  Unter  dem  Namen  äiyivGiov  (Xenoph.,  Theophr.),  do*- 
7Tiv0iov,  woraus  lat.  (Plaut.)  absinthium,  wurden  von  den  Alten  mehrere 
Arten  der  Gattung  Artemma  zu  Heilzwecken  verwendet.  Doch  kommt 
in  Griechenland  A.  Abainthium  L.,  unser  Wermut,  nicht  vor,  an  dessen 
«Stelle  vielmehr  A.  arborescem  L.  (ngricch.  x\  äi|N(pr|ä,  ö>iona,  kret. 
maaibna)  steht.  Im  Norden  Europas  gelten  für  das  ersterc  alte,  weit- 
verbreitete, aber  dunkle  Namen.  So  westgerm.  ahd.  teermuota,  agls. 
icermöd  (uermodae,  G.  Goetz  Thes.  Gl.  s.  v.  absinthium),  in  allen 
Slavinen  altsl.  pelynü  (vgl.  auch  lit.  pelinos  und  alb.  pel'iri).  Eine 
weite  Ausdehnung  im  mittelalterlichen  Europa  hat  auch  der  Gebrauch 
des  zuerst  bei  dem  griechischen  Arzte  Anthimus  ed.  V.  Rose  (Anfang 


Digitized  by  Google 


954 


Wermut  —  Wiesel. 


d.  VI.  Jahrh.)  überlieferten  aloxinum  , Wermut'  (Cap.  15:  Cervisa  bi- 
bendo  rel  medus  rel  aloxinum  quam  maxime  omnibus  congruum 
est)  gefunden,  das  seinerseits  von  einigen  als  eine  Verstümmlung  au» 
griech.  dXön.  öEivn?  (?)  angesehn  wird.  Aloxinum  kehrt  wieder  im 
Romanischen  als  frz.  aluine,  sp.  alosna  (vgl.  auch  absentius  id  est 
alosanus  bei  0.  Goetz  a.  a.  0.)  und  im  Deutschen  als  abd.  alahsan, 
ndl.  ahem.  Aus  der  angeführten  Stelle  des  Anthimus  folgt  zugleich, 
dass  im  VI.  Jahrhundert,  wohl  bei  den  Franken  oder  Goten,  deren 
Speisesitten  A.  in  seiner  observatio  eiborum  vornehmlich  vor  Augen 
hatte,  auch  ein  beliebtes  berauschendes  Getränk  mit  Zusatz  von 
Wermut  (Wermutwein)  hergestellt  worden  sein  muss.  —  Andere  Artemisia- 
Arten  s.  n.  Beifusa,  andere  Heilpflanzen  u.  Arzt. 
Werwolf,  s.  Wolf. 

Wespe  (Hummel).  Für  diese  Tiere  bestehen  in  den  idg.  Sprachen 
zwei  weitverbreitete  übereinstimmende  Namen:  1.  belmM  gramz  , Biene, 
Wespe,  Hornisse',  lat.  respa,  altsl.  vosa,  lit.  wapsa,  altpr.  wobxe,  bret. 
guohi,  ahd.  wafsa,  agls.  tcajfa,  wa*ps  {*wafs-  =  *cops-  :  abd.  tce'ban 
, weben',  wabo  ,Wabe'V  —  die  Form  wespe  beruht  auf  Entlehnung 
ans  lat.  vespa  und  liegt  vielleicht  schon  bei  Gregor  von  Tours  De 
vit.  patr.  X,  1  (D.  C):  Examen  mirdbilium  atque  saevarum  ums- 
carum,  quas  vulgo  Vespas  tocant,  vor);  2.  lat.  cräbro  {*crfisro), 
altsl.  srü.senl  ,Hornisse',  srilm  ,Wcspc',  altpr.  sirsüis,  lit.  szirszü, 
xzirszlys,  szirkszlys  , Wespe',  kymr.  creyr-yn  , Wespe'  (*kre*ro),  ahd. 
hornaz,  agls.  hyrnet  (*hurznut;  vgl.  ralat.  furdones,  fmslones).  Griech. 
a<pr|E  ist  dunkel.  —  S.  auch  u.  Biene,  Bienenzucht. 

Westen,  s.  Himmelsgegenden. 

Wetzen,  s.  Schleifstein. 

Wicke,  s.  Futterkränter. 

Widder,  s  Schaf. 

Wiedehopf,  s.  Singvögel. 

Wiederverheiratung  der  Witwe,  s.  Witwe. 

Wiese,  s.  Flitterkräuter. 

Wiesel  (Marder,  Iltis,  Frettchen).  Die  hier  zusammenge- 
faßten Tierarten  werden  sprachlich  nicht  scharf  von  einander  ge- 
schieden. Auf  Urverwandtschaft  beruhen  folgende  Gleichungen:  1.  sert. 
ka$ikä'  =  lit.  sz^szkas  ,Wicscl,  resp.  , Iltis'  (letzteres  mit  auffallendem. 
hz  =  sert.  Ar).  2.  lit.  szermu  =  ahd.  harmo  »Wiesel'.  Wahrscheinlieb 
reicht  aber  diese  Wortreihe  noch  weiter,  da  ein  in  Graubünden  be- 
zeugtes rhätorom.  karmuin  , Wiesel'  auf  ein  lateinisches  oder  keltisches 
*carmo  (vgl.  W.  Meyer-Lübekc  Z.  f.  rom.  Phil.  1895  S.  97)  hinweist. 
3.  griech.  fa\r\  , Wiesel'  —  kymr.  bele  ,Marder'  (frz.  beletfe  .Wiesel  ), 
aus  dem  dann  deutsch  hille,  bilchmaus,  ahd.  pilih,  altsl.  plüchü  ent- 
lehnt sind.  Nach  anderen  (vgl.  Johansson  K.  Z.  XXX,  351)  beruhten 
die  kelto-germanischcn  Wörter  auf  Urverwandtschaft  mit  lat.  felesT 


Digitized  by  Google 


Wiesel. 


955 


das  aber  anf  ursprüngliches  fade»  hinzuweisen  scheint.  4.  griech. 
ailXoupot,  afXoupo?  (*ä-FiaXo-)  ,wilde  Katze',  ,  Wiesel'  =  ahd.  wisüat 
agls.  toesle  (unsicher).    Vgl.  Vf.  B.  B.  XV,  128  ff. 

Ein  weiterer  grosser  Teil  der  Terminologie  der  hier  in  Frage  stehen- 
den Tiere,  namentlich  des  Wiesels,  erklärt  sich  aus  einem  über  ganz 
Europa  verbreiteten  Märchen,  welches  von  der  Verwandlung  eines 
Wiesels  in  eine  schöne  junge  Frau  berichtete,  und  dessen  erste  litte- 
rarischen Spuren  sich  in  Griechenland  schon  im  V.  'IV.  Jahrhundert 
v.  Chr.  finden  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  587  nnd  E.  Rohde 
Rhein.  Mus.  XLII1,  303  ff.).  Daher  kommt  es,  dass  das  Wiesel,  dessen 
eigentlichen  Namen  man  wegen  der  dämonischen  Eigenschaften,  die 
dem  Tiere  innewohnten  (vgl.  P.  Schwarz  Progr.  Celle  1888  S.  42  ff.), 
nicht  gern  auszusprechen  wagte,  nur  andeutungsweise  „Schönchen", 
„Frauchen"  und  mit  zahlreichen  weiblichen  Verwandtschaftsnamen  be- 
zeichnet wird.  So  erklären  sich  it.  donnola,  ngriech.  vuuqpÜTöct,  dän. 
den  kjönne  ,pulchra',  altengl.  fairy,  sp.  comadreja  eigentlich  ,Gc- 
vatterin',  slav.  nevestüka  , Braut,  junge  Frau',  bret.  kaerell  :  kaer 
,schön,  bask.  andereigerra  :  andren  ,Frau',  zigeun.  bori  , Braut'  und 
,Marder',  ung.  menget  :  meng  ,Schwiegertochter'  (vgl.  V  Hehn  a.  a.  0. 
8.  588).  Über  Namen  des  Wiesels,  die  auf  das  lat.  belUda  zurück- 
gehn,  und  alb.  bükl'eze  :  alb.  bukur  ,schön'  vgl.  Flechia  Archiv,  glott. 
II,  47  ff.  und  G.  Meyer  Et.  W.  d.  alb.  Spr.  S.  51.  Unter  diesen  Um- 
ständen ist  es  wahrscheinlich,  dass  auch  das  altpr.  momea,  momeo 
,Wic8cF  (von  Berneker  Die  preuss.  Spr.  S.  308  zu  lit.  mdias  ,klein' 
gestellt)  nichts  als  eine  Ableitung  von  altpr.  moazo  ,der  Mutter  Schwester', 
lit.  mösza  ,des  Mannes  Schwester'  ist,  und  dass  ahd.  mardar,  agls. 
mearTi,  altn.  mörhr  (ins  mlat.  martus  und  in  die  romanischen  Spra- 
chen übergegangen)  sich  aus  lit.  martl  , Braut,  Schwiegertochter'  er- 
klärt. Ebensoweuig  lassen  sich  die  Beziehungen  von  griech.  fa\r\  : 
fdXioq,  yoXöu)?,  lat.  glös,  phryg.  "fcXctpo^  , Schwester  des  Mannes'  ver- 
kennen. 

Auch  so  bleibt  noch  ein  beträchtlicher  Rest  nicht  oder  ungenügend 
erklärter  Namen  in  der  Uberaus  reichen  Terminologie  des  Wiesels  und 
der  ihm  verwandten  Tiere  übrig.  Aus  dem  Keltischen:  ir.  ness,  eds, 
korn.  louennan  , Wiesel'  (vgl.  Zeuss  Gr.  Celt. 2  S.  1075),  aus  dem  Ger- 
manischen: ahd.  illit-iso,  illit-who  (:  wisila?)  , Iltis',  aus  dem  Slavi- 
schen:  Utsa,  lasica  , Wiesel',  kuna,  kunica  =  lit.  kiaune  ,Mardcr'  (vgl. 
griech.  Kauvdiais  »ein  orientalischer  Pelz',  s.  u.  Pelzkleider),  aus  dem 
Litauischen:  äebenksztin  ,braunes  Wiesel',  aus  dem  Altpreussischen : 
naricie  ,Iltis'  (vgl.  Berneker  a.  a.  0.  S.  309),  aus  dem  Griechischen: 
Ticti?  (kTiboq;  K-ribeoq),  aus  dein  Lateinischen:  faeles  , Katze,  Marder, 
Iltis'  (:  lit.  dailüs  ,zierlich,  nett'?,  doch  s.  oben),  maeles  ,Marder'. 
Über  tiverra  , Frettchen',  eine  Wieselart,  die  man  namentlich  in  Spa- 
nien zur  Bekämpfung  der  Kaninchen  gebrauchte  (vgl.  V.  Hehn  a.  a.  0. 


Digitized  by  Google 


Wiesel  -  Wind,  Wiudnamen. 


S.  446),  8.  u.  Eichhörnchen.  Im  späten  Latein  (Isidor)  tritt  furo 
(von  für  .Dieb")  auf,  woher  die  romanischen  Diminutiva  frz.  füret, 
nhd.  frettchen  (auch  furio  Thea.  I,  478).  Eine  andere  Ableitung  von 
demselben  Wort  scheint  in  der  angelsächs.  Glosse  ferunculus.  merth 
(d.  i.  ,Mardcr')  vorzuliegen  (0.  Keller  Lat.  Volkset.  S.  46).  —  Im 
griechischen  und  römischen  Altertum  vertritt  das  Wiesel  mit  seinen  Unter- 
arten die  Stelle  der  noch  fehlenden  Hauskatze.  S.  darüber  u.  Katze 
und  vgl.  V.  Hehn  a.  a.  0.  S.  448  f.  sowie  B.  Placzek  Wiesel  und  Katze 
Brünn  1888.  Lat.  mmtela  , Wiesel'  bedeutet  wohl  geradezu  ,Mausedieb' 
(-tela  :  sert.  tdyu   ,Dieb').    Anders  0.  Keller  Lat.  Volkset.  S.  46. 

Wiesent,  s.  Rind. 

Wildpark,  s.  Jagd. 

Wlldpret,  s.  Jagd,  Nahrung,  Opfer. 

Wind,  Wiudnamen.  Zwei  idg.  mit  einander  stammverwandte 
Gleichungen  für  den  Begriff  des  Windes  sind  sert.  vä'ta-  =  lat.  ventus, 
got.  teinds  und  sert.  vaijü  =  lit.  teeja*  :  sert.  vdf  griech.  ötiui,  altsl. 
vejati,  got.  tcaitin  , wehen'.  Hingegen  lassen  sich  bestimmte  Namen 
für  einzelne  Winde  mit  Ausnahme  einer  vorhistorischen  Benennung 
des  Nordwinds:  lat.  Caurtut  ,N.-W.-Wind'  =  altsl.  severü  ,boreas',  lit. 
szidure  »Norden'  (so  auch  K.  Brugmann  Grundriss  I  1;  210;  Grund- 
formen: hmro-  und  keuro-,  auf  {s)küro-  führt  das  gemeingerm.  ahd. 
scür  .Schauer',  got.  »küret  windix;  vgl.  ir.  ei'ia  .Winter',  kymr.  caicad 
etc.  ,Schauer)  nicht  durch  idg.  Gleichungen  belegen  und  scheinen  erst 
in  den  Einzelsprachen  aufgekommen  zu  sein. 

Bei  Homer  (Od.  V,  295  f.)  werden  bereits  die  vier  Hauptwinde  in 
der  uns  geläufigen,  dem  Gang  der  Sonne  folgenden  Anordnung: 

Zuv  b'  EGpöt  te  Nöto?  t'  ctt€0*ov  Ze*(pupöc  T€  buo*af|<; 

Kai  Bopcr}?  ai6pTiTtv^TTi?  M^Ta  KÖpa  KuXivbwv. 
genannt.  Hiervon  ist  eupo?  der  Süd-Ost-Wind  (*eüapos  :  euw  ,senge'), 
vöto^  der  Südwind  (vgl.  voT€pö<;  ,nass'  und  ahd.  naz,  idg.  not  :  nod, 
wie  altsl.  jugil  .Südwind,  Süd'  :  griech.  orpö?  ,fencht'),  Zcqwpoq  der 
Westwind  (:  Eöqpo?  .Westen,  Dunkel';  eine  Etymologie  s.  u.  Mond 
und  Monat)  und  ßopen?  der  Nordwind  (:  sert.  giri-  ,Wald'  etc.,  ,der 
vom  Berge  kommende').  Später  treten  hinzu  Windnamen  wie  dTmXuu- 
ttjs  ^Ostwind'  (ö  övcuoq  ö  Ü  ävaxoXÜJv  ttv^wv),  Xuj»,  ein  S.-W.-Wind 
(:  Xu|/  »Flüssigkeit',  Xetßuu  ,trüufele  ),  Kanaan,  ein  N.-O.-Wind  (:  lat. 
caecus  ,blind,  finster',  weil  er  finsteres  Wetter  bringt?)  u.a.m.  Den 
vier  homerischen  Winden  entsprechen  die  vier  lateinischen  Haupt- 
wiude:  volturnus  i ;:  voltnr  , Geier' ,  wegen  seiner  Schnelligkeit  ?)  ,S.-0.- 
Wind'  (ein  Ausdruck  für  den  eigentlichen  Ostwind  ist  in  der  ältesten 
Zeit  weder  im  Griechischen  noch  im  Lateinischen  vorhanden),  auster 
,Südwind'  (vgl.  griech.  auo<;  ,trocken),  favöniu«  ,Westwind'  (:  favere 
wie  ahd.  teunnheint ;  das  lat.  Wort  ist  in  ahd.  föno,  föna  ,Föhn'  ent- 
lehnt), aquilo  »Nordwind'  (:  aquilus  .dunkel',  vgl.  oben  griech.  koikio? 


Digitized  by  Google 


Wind,  Windnamen. 


957 


und  osk.  Akudunniad  ,Aquilonia' ;  auch  aquila  , Adler',  der  .dunkle'?). 
Mit  der  Einwirkung  der  griechischen  Nautik  (s.  u.  Schiff,  Schiff- 
fahrt) dringen  dann  die  griechischen  Windnamen  teurus,  zephyrus, 
caecias,  euronotm  u.  8.  w.)  in  Rom  ein.  auch  werden  neue  entweder 
nach  griechischem  Muster  (z.  B.  subsolanus  nach  dTrnXiurm.«;)  oder  aus 
eigner  Anschauung  (z.  B.  septentrio)  gebildet  (vgl.  0.  Weise  Griech. 
Wörter  in  der  lat.  Spr.  S.  213  f.). 

Dabei  ist  hinsichtlich  der  antiken  Bezeichnungen  der  Zwischenrich- 
tungen zu  bemerken,  dass  die  Alten  von  der  Linie  Ost-West  (Auf-  uud 
Untergang  der  Sonne),  nicht  wie  wir  von  der  Linie  Nord(Polhöhe)-Süd 
ausgingen  und  demzufolge  nicht,  wie  wir,  von  einem  Süd -Ost -Wind 
u.  s.  w.,  sondern  von  einem  Ost-Slid-Wind  (euronotm)  etc.  sprachen. 
Durch  Einschaltung  vou  vier  Mittelrichtungen  erhielt  man  zunächst 
8  Winde,  die  auf  einem  noch  erhaltenen  8  eckigen  Tempel  der  Winde 
in  Athen  als  Bildsäulen  dargestellt  waren.  Vgl.  darüber  Vitruvius  De 
architectura  I,  6,  der  auch  die  Namen  dieser  8  Winde  hinzufügt: 
Itaque  sunt  conlocati  int  er  Solanum  et  austrum  ab  Oriente  hiberno 
eurus,  inier  austrum  et  f avonium  ab  occidente  hiberno  africus, 
int  er  f avonium  et  sept  entrionem  caurus,  quem  plures  vocant 
corum,  inter  septentrionem  et  Solanum  aquilo.  Von  dieser  Acht- 
teilung schritt  man  im  Altertum  nicht  durch  nochmalige  Halbierung 
zu  einer  Sechszehnteilung,  sondern  mau  ersetzte  die  Achtteilung  durch 
eiue  Zwölfteilung,  deren  Spuren  bis  auf  Aristoteles  zurückgehn  (vgl. 
A.  Breusing  Nautik  der  Alten  S.  2b).  Auf  dieser  antiken  Zwölfteilung 
beruht  zweifellos  auch  die  Einteilung,  welche  Karl  der  Grosse  mit  den 
deutschen  Winden  vornahm,  und  über  die  Einhard  Vita  Cap.  29  be- 
richtet: Item  ventos  duodeeim  propriis  appellationibus  insignivit, 
cum  prius  non  amplius  quam  vix  quatuor  ventorum  vocabula  pos- 

sent  inceniri   Ventis  cero  hoc  modo  nomina  imposuit,  ut  Sub- 

solanum  vocaret  Ostroniuuint ,  Eurum  Ostsundroni ,  Euro- 
austrum Sundostroni,  Austrum  Sundroni,  Austroaf'rkum  Sun- 
duuestroni,  Africum  Uuestsundroni ,  Zephyrum  l'uestroni, 
Chorum  Vuestnordronit  Circium  Norduuestroni,  Septemtrio- 
nem  Nordroni,  Aquilonem  Xordostroni,  Vulturnum  Ostnord- 
roni.  Hierzu  bemerkt  Graff  Sprachschatz  I,  626,  wo  zugleich  eine 
die  12  Abteilungen  des  Himmels  darstellende  Zeichnung  des  IX.  Jahr- 
hunderts abgebildet  ist,  folgendes:  „Die  diesen  Windnameu  zu  Grunde 
liegende  Einteilung  der  Himmelsgegenden  weicht  von  der  heutigen  ab. 
Es  ist  nämlich  die  Gegend  zwischen  Süden  uud  Osten  nicht  durch 
Südost  und  dann  wieder  durch  Südsüdost  und  Ostsüdost  näher  be- 
zeichnet, sondern  nur  in  2  Teile  geteilt,  in  Südost  und  Oststtd;  auf 
ähnliche  Weise  auch  die  Gegend  zwischen  Süden  und  Westen,  Norden 
und  Osten,  Norden  und  Westen/  Welches  die  deutschen  Windnamen 
vor  Karl  dem  Grossen  waren,  lässt  sich  nicht  sagen.  Im  allgemeinen 


Digitized  by  Google 


958 


Wind,  Windnamen  —  Witwe,  Witwer. 


fehlt  es  den  germanischen  und  nördlichen  Sprachen  Ubcrhanpt  durch- 
aus an  alten  und  primären  Ausdrücken  auf  diesem  Gebiete.  Eine 
Ausnahrae  macht  nur  das  auch  ins  Romanische  entlehnte  ahd.  bixa, 
mhd.  bise  fllr  Nordwind  (frz.  btee).  Spätere  mittelalterliche  Entleh- 
nungen von  Windnamen  ans  dem  Arabischen  und  Griechischen  vgl. 
bei  Vf.  Handelsgeschichte  und  Warenk.  I,  53.  —  Über  die  religions- 
geschichtlichc  Bedeutung  des  Windes  s.  u.  Religion. 
Windhund,  s.  Jagd. 

Winter.  Die  idg.  Benennung  dieser  Jahreszeit  liegt  in  der 
Reihe:  scrt.  hemantd-  ,Winter',  hä'man  ,im  W.',  himä,  hinid-  (auch 
,Kühlung,  Külte'),  aw.  zydo,  zima-  (auch  ,FroBt'),  zayana-,  armen,  jmern 
(jiun  ,Sehnec),  griech.  X€i"wv,  lat.  hiems  (beide  auch  »Unwetter'  etc., 
griech.  x»wv  ,Schnee  ),  ir.  gam,  altsl.  zima,  lit.  ziemä,  alb.  dimen, 
germ.  in  der  Lex  Salica  in  gimus  ,einjähriges  Vieh'.  Der  Verbreitung 
dieser  Benennung  des  Winters  kommt  kein  zweiter  Name  einer  Jahres- 
zeit in  den  idg.  Sprachen  gleich.  Aus  weicht  das  Germanische  mit 
got.  wintrus  etc.,  das  vielleicht  zu  altgall.  vindo-  ,weiss'  ( Vindo-bona 
etc.),  ir.  find  gehört  und  die  ,weisse  Jahreszeit'  bezeichnet.  —  S.  auch  u. 
Schnee  und  Eis,  Jahr,  Jahreszeiten,  Zeitteilung  und  Urheimat. 

Wintersonnenwende,  s.  Jahr. 

Winzer,  s.  Wein. 

Wirtel,  s.  Spinneu. 

Wirtshaas,  s.  Gasthaus. 

Wirtschaftsform,  älteste,  s.  Ackerbau,  Viehzucht. 
Wittum,  s.  Mitgift. 

Witwe,  Witwer.  Die  idg.  Benennung  des  ersteren  Begriffes 
liegt  in  der  Reihe  scrt.  vidhdvd,  lat.  ridua,  ir.  fedb,  got.  widuwö, 
altpr.  widdewü,  altsl.  vldova.  Abweichend:  griech.  xnpn  (hom.) :  xnP°S 
»verwaist'  (vgl.  lat.  heris  ,Erbe'),  wie  lit.  szeirys,  szeirP  :  altsl.  sirü 
,orbus'  oder  agls.  Uf  :  lifan  ,die  verlassene'.  Dunkel:  lit.  naszlys, 
naszli  und  armen,  airi.  Ein  Wort  für  den  Witwer  hat  ursprünglich 
nicht  bestanden.  Die  Bezeichnungen  dieses  Begriffs  in  den  Einzel- 
sprachen,  wie  ahd.  icüuwo,  mhd.  tciticare,  altsl.  vldoclcl,  lat.  viduus, 
erweisen  sich  als  Neubildungen  von  dem  Worte  für  Witwe  (vgl.  B.  Del- 
brück Verwandtschaftsnamen  S.  442  ff.). 

Der  Grund  dieser  Erscheinung  liegt  offenbar  in  dem  Charakter  der 
vorhistorischen  Ehe  (s.  d.),  in  der  die  Frau  dem  Manne  gegenüber 
noch  eine  so  untergeordnete  Stellung  einnahm,  dass  der  Begriff  des 
Witwers  in  der  Urzeit  nicht  aufkommen  konnte.  Der  einer  Frau  be- 
raubte Mann  hatte  entweder  noch  andere  oder  konnte  sich  durch  Kauf 
leicht  in  den  Besitz  einer  solchen  setzen.  Charakteristische  Anschauungen 
des  Witwers  auf  primitiven  Kulturstufen  berichtet  Krauss  Sitte  und 
Brauch  der  Südslaven  S.  627  ff. 

Umgekehrt  kann  es  als  sicher  gelten,  dass  die  Wiederverheiratung 


Digitized  by  Google 


Witwe,  Witwer  —  Woche. 


9.™ 


•der  Witwe  in  der  Urzeit  nicht  gestattet  war.  Ein  solches  Verbot  hat 
wahrscheinlich  im  alten  Indien  (vgl.  Delbrück  a.  a.  0.  S.  553  ff.),  sicher 
•bei  den  westgermanischen  Stämmen  (in  quibm  tantum  virgines  nuhunt, 
Tac.  Germ.  Cap.  19)  und  im  alteu  Griechenland  (irpöicpov  bi  KaetcTTn- 
xet  Tai?  TuvaiEiv  im  ävbpi  dnoeavövTt  xiP^eiv,  Pans.  II,  21,  7)  be- 
standen, und  spätere  Erschwerungen  der  Wiederverheiratung  einer 
Witwe,  wie  sie  z.  B.  die  Lex  Salica  Tit.  XLVII  enthält,  dürfen  als 
Überbleibsel  jenes  ältesten  Zustandes  angesehen  werden,  der  offenbar 
darin  seinen  Grund  hat,  dass  die  Frau  zu  dem  Familiengut  des  Mannes 
gehört,  ans  dem  sie  gekauft  ist.  Noch  weiter  geht  es,  wenn  bei  ver- 
schiedenen nord-  und  osteuropäischen  Völkern,  wie  Skythen,  Thrakern, 
Slaveu,  aber  auch  Herulern,  die  auch  im  Atharvaveda  als  uralt  be- 
zeichnete Sitte  herrschte,  dass  die  Frau  oder  die  Lieblingsfrau  zu- 
sammen mit  dem  Manne  starb,  indem  sie  sich  an  dem  Grabe  des 
Gatten  erhängte  oder  mit  ihm,  wie  Brunhild  mit  Siegfried,  auf  einem 
Scheiterhaufen  verbrannt  wurde  (vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen  6  S.  520  ff., 
H.  Zimmer  Altind.  Leben  S.  329,  K.  Möllenhoff  Deutsche  A.-K.  IV,  313). 
Aber  auch  von  griechischen  Frauen  (vgl.  Pausanias  IV,  2,  7)  wird  nicht 
selten  berichtet,  dass  sie  sich  am  Grabe  ihrer  vorher  gestorbenen 
Männer  entleibten.  Die  hierbei  zu  Grunde  liegende  Anschauung  ist 
die,  dass  die  Frau  dem  Manne  auch  im  Jenseits  die  Freuden  bereiten 
will  oder  soll,  die  sie  ihm  im  Diesseits  bereitet  hat  (s.  auch  u.  Be- 
stattung). Wo  die  Frau  am  Leben  blieb,  wird  sie  in  der  Gross- 
familie des  Mannes,  zu  der  sie  nach  dem  obigen  gehörte,  und  unter 
dem  Schutz  seiner  Verwandten  ihr  Dasein  weiter  gefristet  haben.  Oft 
scheint  es  in  der  Urzeit  vorgekommen  zu  sein,  dass  der  Sohn  die  von 
seinem  Vater  hinterlassenen  Weiber  als  die  scinigeu  übernahm  (s.  u. 
Verwandtenheirat).  —  S.  auch  u.  Familie. 

Witweiiverbrennung,  g.  Bestattung,  Witwe. 

Woche.  Der  Urspruug  der  siebentägigen  Woche  und  die  Her- 
kunft der  Wochentagsnameu  sind  noch  nicht  völlig  aufgeklärt.  Während 
man  früher  allgemein  der  Meinung  war,  dass  ihre  Heimat  an  den  Ufern 
des  Enphrat  zu  suchen  sei  (vgl.  E.  Schiader  Der  babylonische  Ursprung 
der  7tägigen  Woche  in  den  Theo].  Stud.  und  Krit.  1874  S.  343  ff.  und 
derselbe  Die  Keilinschriftcn  und  das  alte  Testament8  S.  18  ff.),  sind 
neuerdings  von  P.  Jensen  Die  siebentägige  Woche  in  Babylon  und 
Niniveh  in  Kluges  Z.  f.  deutsche  Wortf.  I,  150  ff.  Bedenken  gegen 
diese  Annahme  geltend  gemacht  worden.  Nach  diesem  Gelehrten  steht 
vielmehr  nur  folgendes  fest:  Neben  einer  bis  ins  dritte  Jahrtausend 
zurückgehenden  Zählung  nach  Tagfünften  findet  sich  in  alterer  und 
jüngerer  Zeit  die  Einheit  von  7  Tagen  als  eine  beliebte  Zcitgrösse, 
ohne  dass  es  deswegen  erlaubt  wäre,  von  einer  assyrisch-babylonischen 
Woche  von  7  Tagen  zu  sprechen.  Näher  schon  kommt  diesem  Begriff 
die  aus  späterer  Zeit  und  zwar  als  ursprünglich  babylonisch  feststehende 


Digitized  by  Google 


Woche. 


Thatsache,  dass  der  je  7.,  14.,  21.  und  28.  Tag  des  30tägigcn  Monats 
ah?  „böse  Tage",  an  denen  man  gewisse  Dinge  nicht  thuen,  wohl  aber 
bestimmte  Opfer  darbringen  soll,  abseits  von  den  Übrigen  Monatstagen  * 
stehen.  Doch  macht  die  Zählung  dieser  Tage  vor  dem  Schlnss  de* 
Monats  halt  und  setzt  erst  mit  dem  Beginn  des  neuen  wieder  ein.  über 
den  einzelnen  Monat  hinaus  greift  nur  die  Feier  des  19ten  Tages,  in- 
sofern dieser  addiert  mit  der  Tageszahl  des  vorangehenden  Monats 
(19  +  30)  die  Zahl  49  =  7  X  7  ergiebt.  Ausserdem  wird  als  besonders 
wichtig  ein  Tag  namens  mbattu  erwähnt,  der,  wie  ausdrücklich 
hervorgehoben  wird,  „der  Beruhigung  des  Herzeus"  (der  Götter)  ge- 
widmet ist.  Wann  und  wie  oft  er  aber  gefeiert  wurde,  ist  unbekannt. 
Auch  von  einer  Benennung  der  7  zwischen  jenen  „bösen  Tagen"  lie- 
genden Tage  nach  den  Planeten,  deren  altassyrische  Reihenfolge 
(Mond,  Sonne,  Jupiter,  Venus,  Saturn,  Mcrcur,  Mars)  eiue  andere  ist, 
als  die  den  späteren  Wochentagnamen  zu  Grunde  liegende,  wissen  wir 
nichts;  doch  hat  allerdings  jeder  Tag  im  Monat  seine  Gottheit  oder 
sein  Götterpaar.  Was  wir  also  in  Assyrien  und  Babylonicn  finden, 
sind  Ansätze  zur  Woche,  d.  h.  zu  einem  7tägigcn  „ohne  Rücksicht 
auf  Monat-  und  Sonnenjahr  ununterbrochen  weiterrollenden"  Zeitraum, 
nicht  die  Woche  selbst. 

Wohl  aber  ist  die  7tägigc  Woche  bei  den  Israeliten  (vgl.  Th.  Nöl- 
deke  Die  Namen  der  Wochentage  bei  den  Semiten  Z.  f.  deutsche 
Wortf.  I,  161  ff.)  uralt,  und  auch  die  regelmässig  wiederkehrende  Feier 
des  Sabbats  oder  Ruhetages  wird  bereits  im  Dckalog  vorgeschrieben. 
Unbekannt  ist  dagegen  auch  hier  die  planctarische  Bezeichnung  der 
Wochentage,  deren  Benennung  vielmehr,  wenn  man  aus  dem  Neuen  Testa- 
ment und  dem  altrabbinischen  Sprachgebrauch  auf  das  Alte  Testament 
schlicssen  darf,  einfach  auf  Zählung  vom  Sabbat  au  beruht,  welches 
Wort  zugleich  im  Sinne  von  Woche  gebraucht  wird:  „einer  in  der 
Woche"  =  Sonntag,  „2  in  der  Woche"  —  Montag,  „3  nach  dem  Sabbat" 
Dienstag  u.  8.  w.  —  Unter  diesen  Umständen  ist  Jensen  geneigt,  unsere 
Woche  für  lediglich  jüdischen  oder  doch  westsemitischen  Ursprungs 
zu  halten,  während  Nöldckc  trotz  des  Umstände«,  dass  die  7tägige, 
Monat  und  Sonnenjahr  durchkreuzende  Woche  in  assyrisch-babyloni- 
schen Denkmälern  nicht  nachweisbar  sei.  aus  allgemeinen  Gründen  an 
ihrer  babylonischen  Herkunft  testhält ;  denn  das  Herausgreifen  gerade 
von  7  Tagen  könne  nur  auf  der  Heiligkeit  dieser  Zahl  beruhen,  und 
nur  in  Babylon  seien  die  7  Planeten  als  Götter  verehrt  worden.  Dieser 
Kontroverse  gegenüber  kann  es  als  ein  gesichertes  Ergebnis  der  vor 
stehenden  Untersuchungen,  mit  denen  auch  die  Arbeit  A.  Thumbs  Die 
Namen  der  Wochentage  im  Griechischen  (ebenda  S.  l(>3ff.)  zu  ver- 
binden ist,  betrachtet  werden,  dass  jedenfalls  die  planctarische  Be- 
zeichnung der  Wochentage  etwas  spätes  ist.  „Es  spricht  nichts  da- 
gegen, dass  die  Wochentagsnamen  erst  um  die  Zeit  eingeführt  worden 


Digitized  by  Google 


Woche. 


%1 


sind,  in  der  sie  zuerst  erscheinen,  möglicherweise  unter  chaldäiseher 
Flagge,  als  ein  ganz  spätes  postumes  Erzeugnis  des  Babyloniertuins, 
und  ferner  nichts  dagegen,  dass  dies  statt  in  Assyrien  oder  Babylon 
zuerst  am  Mittelmeer  geschah." 

Wenden  wir  uns  nunmehr  den  idg.  Völkern  Europas  zu,  so  hatten 
diese  aus  der  Urzeit  (s.u.  Mond,  Monat)  eine  Zweiteilung  des  reinen 
und  ungebundenen  Mondmonats  mitgebracht.  Von  dieser  waren  die 
Griechen  zu  einer  Zerlegung  des  30tägigen  Monats  in  3  Dekaden,  die 
Römer  zu  einer  8tägigen  Woche  (nundinum)  fortgeschritten,  die  sich 
bis  in  die  Kaiserzeit  erhalten  hat.  Aber  auch  Spuren  einer  septenalen 
Zeitteilung  lassen  sich,  namentlich  bei  den  Griechen,  nachweisen,  in- 
sofern nicht  nur  schon  bei  Homer  Zeiträume  von  7  Jahren  und  7  Tagen 
mehrfach  nachweisbar  sind,  sondern  auch,  bereits  bei  Hesiod,  der 
(1.  und)  7.  Tag  des  Monats  dem  Apollo  heilig  ist  (näheres  bei  A.  Thumb 
a.  a.  0.  8.  164).  Gleichwohl  kann  nicht  bezweifelt  werden,  daas  die 
7  tilgige  Woche  dem  klassischen  Altertum  immer  fremd  gewesen  ist. 
Auf  griechischem  Sprachgebiet  erscheint  sie,  wie  natürlich,  zuerst 
bei  den  griechisch  redenden  Juden,  doch  so,  dass  sie  und  vor  allem 
ihr  7ter  Tag,  der  Sabbat,  schon  im  ersten  Jahrhundert  nach  Chr. 
diesen  Kreis  längst  überschritten  hat.  Vgl.  Philo«  De  opificio  mundi 
§  43:  TiuäTcn  bk  Kai  (n,  £ßboudq)  Trapä  Töiq  boKtuwiaTOiq  twv  'EXXnvwv 
xai  ßapßäpujv  und  Joscphus  gegen  Apion  II,  39,  2:  oub'  £ötiv  ou  ttöXu; 
'EXXnvwv  oübnTiaoöv,  oübfc  ßdpßapov  ovbi  €v  ZQvoq,  £v8a  an.  tö  jr\q  ^ßo- 
udbo?,  nv  dptoöu€v  fmet«;,  tö  ZQo<;  oü  biaTT€<poiTnK€.  Auch  iu  Rom  er- 
regte der  dies  sabbati  frühzeitig  die  Aufmerksamkeit  der  Bevölkerung; 
und  es  gab  Römer,  die  ohne  selbst  dem  Judentum  anzugehören,  aus 
abergläubischen  Rücksichten  sich  der  Heilighaltung  des  Sabbats  an- 
schlössen.   Vgl.  Horaz  Sat.  I,  IX,  69: 

hodle  tricesima  sab b ata:  vin'tu 
Cttrtis  Iudaeis  oppedere'i 
Hauptsächlich  aber  ist  die  Rechnung  nach  Wochen  in  Rom  uicht  durch 
die  Juden,  sondern  durch  die  chaldäischen  Astrologen  verbreitet  wor- 
den, die  von  früher  Zeit  an  und  in  grosser  Menge  im  römischen  Reiche 
und  seiner  Hauptstadt  lebten  (vgl.  V.  G.  Gundermann  Die  Namen  der 
Wochentage  bei  den  Römern  Z.  f.  deutsche  Wortforsch.  I,  175  ff.). 
Dies  folgt  einerseits  aus  der  in  diesen  Kreisen  (s.  o.)  inzwischen  auf- 
gekommenen und  nach  Rom  übertragenen  Bezeichnung  der  Wochentage 
nach  den  Planeten,  deren  Reihenfolge  sich  ans  Oassius  Dio  XXXVII,  19 
als  Kpövos  \Saturnu8),  "HXio^  (»>/),  l€Xn.vn,  {Tmim),  "Apr|?  {Mars), 
'Epur\q  (Mercurius),  Ztdq  (Juppiter),  'AtppobvTn.  (Venus)  ergiebt  (Thumb 
S.  169),  andrerseits  aus  dem  in  Rom  bis  ins  dritte  Jahrhundert  üblichen, 
den  Juden  ebenfalls  fremden  Beginn  der  Woche  mit  dem  dies  Saturni. 
Wie  der  Gebrauch  der  meisten  romanischen  Sprachen  zeigt  (s.  u.),  hat 
die  planetarische  Bezeichnung  der  Wochentage  auch  bei  den  Bevölke- 

Sch  rader,  Keallexikon.  61 


Digitized  by  Google 


962 


Woche. 


rangen  der  römischen  Provinzen  Wurzel  geschlagen,  während  im 
griechischen  Orient  und  in  der  Littcratur  des  Christentums  die  jüdische 
Zälilwcise  trotz  frühzeitiger,  aber  bald  wieder  erloschener  Ansätze  zur 
Einführung  der  Planetcnnanien  weiter  spipsste.  Eine  Neuerung  hierbei 
ist  die  Ersetzung  der  ttpwtti  tfaßßdTou  für  Sonntag  durch  Kupiaicrj, 
dies  dominicus,  mit  dem  später  die  Woche  begann.  Dieselbe  Ver- 
schiebung des  Wochenaniangs  vom  dies  Saturni  auf  den  dies  Solis 
war  im  IV.  Jahrb.  auch  im  heidnischen  Rom  eingetreten,  aber  nicht 
durch  christlichen  Einfluss,  sondern,  wie  Gundermann  a.  a.  Ü.  8.  180 
nachweist,  in  Folge  der  Bedeutung,  die  im  IL—  IV.  Jahrhundert  der 
orientalische  Sounendicnst  im  römischen  Reiche  ausübte.  Zu  bemerken 
bleibt  noch  in  sprachlicher  Beziehung  der  eigentümliche  Gebrauch, 
den  mau  im  christlichen  Latein  von  dem  Worte  feria  machte,  das 
eigentlich  >Feier'  bedeutend,  in  der  Zählung  der  Wochentage  für 
,Tag'  verwendet  wurde:  Montag  —  feria  secunda,  Dienstag  =  feria 
tertia  u.  s.  w.  (so  auch  ptg.  secunda  feira,  terca  feira  etc.).  Ideler 
in  seinem  Lehrbuch  der  Chronologie  I,  341  erklärt  dies  so,  dass  die 
ersten  Christen  ausser  dem  Sonntag  noch  den  Mittwoch  und  Freitag 
als  Tage  des  Gebets  und  der  Fastcu  angeschen  (s.  auch  u.)  und  als 
feria  quarta  und  f.  se.rta  bezeichnet  hätten,  was  dann  auch  ein  feria 
secunda  u.  s.  w.  nach  sich  gezogen  hätte  (anders  Gundermann  S.  186). 

Aus  dem  romanisierten  Gallien  und  dem  römischen  Germanien,  wo 
besonders  häutig  bildliche  Darstellungen  der  Wochengötter  von  Kpövo^ — 
A^pobim,  sich  gefunden  haben  (Gundermann  S.  178),  ist  dann  die 
siebentägige  Woche  noch  in  vorchristlicher  Zeit  weiter  östlich  vorge- 
drungen, indem  bei  den  Germanen  für  die  römischen  l'lanetennamen 
einheimische  Götternamen  eintraten,  so  dass  durch  diesen  Vorgang  eines 
der  schönsten  Zeugnisse  unseres  heidnischen  Altertums  erhalten  ist. 
Gespalten  zeigen  sich  die  keltischen  Stämme,  insofern  die  britan- 
nischen Mundarten  die  römischen  Wochentage  noch  zur  Zeit  der  Römer- 
berrschaft  (also  vor  410  v.  Chr.)  übernahmen  und  daher  die  Plancten- 
namen  zeigen,  während  die  irisch-gälisehen  Namen  schon  deutlich 
christlichen  Einfluss  verraten  (vgl.  R.  Thurneysen  Die  Namen  der 
Wochentage  in  den  keltischen  Dialekten,  Z.  f.  deutsche  Wortforsch. 
],  186  ff.).  Die  Slavcn  (und  durch  sie  die  Litauer)  endlich  haben 
ebenfalls  die  Woche  erst  mit  dem  Christentum  empfangen,  wie  denn 
auch  ihre  Benennungen  der  Wochentage  ganz  auf  der  jüdischen  und 
christlichen  Zählmcthode  beruhen. 

Von  den  Benennungen  der  Woche  sind  griech.  ^ßboudq  (auch 
,Sabbat";  s.  o.),  woraus  lat.  hebdomas,  und  lat.  sejrtimana,  woraus  ir. 
sechtman,  altkorn.  seithun  (nach  ir.  sec/it,  britannisch  seith  ,sieben') 
und  alb.  jart,  Nachbildungen  nach  hebr.  säbüa  (vgl.  auch  sert.  sap- 
tdha-,  npers.  haftah).  Zu  den  Germanen  ist  das  lateinische  Wort  nicht 
übergegangen.    Hier  herrseht  vielmehr  die  gemeingerm.  etymologisch 


Digitized  by  Google 


Woche. 


063 


noch  unerklärte  Bezeichnung  got.  teikö  (griech.  iv  Tfj  TÖßei  Tm£  i(pr\- 
pepicii;  cojtoö),  altn.  vika,  alul.  teehha.  Vielleicht  bezeichnete  es  schon 
vor  der  Bekanntschaft  der  Germanen  mit  der  siebentägigen  Woche 
eine  Unterabteilung  des  Monats.  Eine  einheimische  Bildung  ist  auch 
das  kymr.  icythnos,  eigentl.  ,acht  Nächte'.  Wie  die  Kelten,  haben 
auch  die  Slaveu  keine  einheitliche  Benennung.  Sie  gebrauchen  für 
,Woclie'  entweder  die  Bezeichnung  des  Sonntags  altsl.  nedelja  (so 
auch  lit.  nede'Ua  »Sonntag*  und  ,Wocbe)  oder  den  Ausdruck  *tüdlnl 
(nsl.  tjeden  u.  8.  w.)  ,hie  dies",  d.  h.  ,derselbe  nach  einer  Woche 
wiederkehrende  Tag'.  Merkwürdig  ist  das  altpr.  mwaite  , Woche'  in 
poxsisawaite  , Mittwoch'  (:  altpr.  possi-,  lit.  puft-  ,halb'j.  Ob  es  eine  Ver- 
stümmlung aus  griech.  adßßaiov,  aaßa-rra  ist,  das  im  Neuen  Testament 
und  später  ,Sabbat'  wie  .Woche*  bedeutet  (vgl.  Thuinba.  a.  0.  S.  168)  ? 

Die  Namen  der  Woche u tage,  die  sich  nach  dem  bisherigen  meist 
ohne  weiteres  verstehen,  sind  in  den  europäischen  Sprachen  die  folgenden 
(vgl.  im  allgemeinen  J.  Grimm  Deutsche  Mytb.  P,  111  ff.  und  Roesler 
Über  die  Namen  der  Wochentage  Wien  1865;  im  einzelnen  über  die 
griechischen  A.  Thumb  a.  a.  0.,  über  die  lateinischen  V.  G.  Gunder- 
mann a.  a.  0.,  über  die  romanischen  W.  Meyer-Lttbke  Z.  f.  deutsche 
Wortforsch.  I,  192  ff.,  über  die  keltischen  R.  Thurneysen  a.  a.  0., 
über  die  albanesischen  A.  Thumb  Z.  f.  deutsche  Wortforsch.  I,  173  ff., 
über  die  deutschen  F.  Kluge  Die  deutschen  Namen  der  Wochentage, 
Wissensch.  Beihefte  z.  Z.  d.  allg.  deutschen  Sprachvereins  II.  VIII, 
1895,  über  die  slavischen  Miklosich  Die  christl.  Term.  d.  slav.  Sprachen 
Denkschriften  d.  kaiserl.  Ak.  d.  W.  phil.-hist.  Kl.  XXIV,  19,  Wien 
1876): 

Sonntag:  Griech.  rmepet  'HXiou,  lat.  dies  Solig,  mkymr.  dyic  sul, 
bret.  diqcul,  dimh  alb.  (ditt)  e  djel'e  (djef  ,Sonne),  alul.  sunnün-tag, 
agls.  mnnandeeg  —  griech.  ttpuutti  ffaßßdTOu,  uia  o*aßßäru)v,  KupictKn. 
(schon  früher  0€ßaffTr|  auf  ägyptischen  Papyri  zu  Ehren  der  kaiser- 
lichen Majestät),  lat.  dies  dominiem  (it.  domenica,  frz.  dimanehe),  ir. 
dommuh,  altn.  drdttensdagr,  ahd.  (Notker)  fröntag  ,Tag  des  Herrn'. 
Im  Slavo  Litauischen  gilt  altsl.  nedelja,  altpr.  nadele,  lit.  nedele  ,Tag 
des  Xichtstlmens'.  -  (Jan/,  vereinzelt  ist  noch  die  Bezeichnung  lat. 
octarus  dies   I.  Tag  der  neuen  Woche  =  VIII.  der  alten). 

Montag:  Griech.  npepci  IcXfjvn.«;,  '«it.  dies  Lunae  (frz.  lundi,  it. 
lunedi),  ir.  Juan,  mkymr.  dyw  Run,  bret.  dillun,  alb.  (ditt)  e  htm 
(hu»  .Mond'  i.  ahd.  mänatag,  agls.  mönanda'g,  «!tn.  mdnadagr,  daneben 
nhd.  dial.  guotemtag,  gutentag,  eigentl.  .guter'  (vgl.  unser  , blauer') 
Montag.  —  Griech.  oeuitpa  öaßßdTOu.  lat.  feria  secunda  (ptg.  segunda 
feira).  —  Im  Slavo-Litauischcn  Nachsonntag"  :  altsl.  ponedilikü, 
altpr.  ponadele,  lit.  panedielis.  Hier  beginnt  die  slavische  Woche. 
Vgl.  noch  friaul.  prindi,  eigentl.  , erster  Tag'. 


Digitized  by  Google 


Woche. 


Dienstag:  Griech.  fiuc'pa  "Apeuj?,  lat.  dies  Martin  (frz.  mardi, 
it.  marti),  ir.  mairt,  mkymr.  rfyir  mawrth,  bret.  demeurz,  alb.  marte, 
germ.  1.  alem.  zistag,  agls.  thresdag,  altn.  tysdagr  ,Ziu-Tag'  2.  ndd. 
dingsdag,  ndl.  dinxendag,  wahrscheinlich  :  dem  inschriftlich  über- 
lieferten (Mars)  Tinxus  ,Gott  der  Volksversammlung*?  (vgl.  longob. 
fAiiu-  .Volksversammlung'  und  arab.  jVm/h  aldguma  ,Tag  der  Ver- 
sammlung' für  Freitag).  —  Griech.  Tpim.  craßßdxou,  lat.  feria  tertia 
(ptg.  ferca  f.).  —  Slavo-Litauisch  „der  andere^  :  altsl.  rütorinikü,  lit. 
utdrninkas,  schwäb.  aftermeentig  (dazu  Much  a.  u.  a.  0.  8.  253).  — 
Dunkel:  bair.  erchtag,  eritac,  irchtag,  iritag  (vgl.  zuletzt  R.  Much 
Festgabe  für  Heinzcl  S.  196)  und  altpr.  icissaseydis.  —  Wie  die 
Tpirri  toiapevou  und  die  Tpixn  dm  Mko.  des  Monats  von  den  alten 
Athenern  mit  Scheu  gemieden  wurde,  so  galt  und  gilt  der  Dienstag  in 
der  griechischen  Welt  für  einen  Ungltlckstag  (vgl.  A.  Thumb  a.  a.  O. 
8.  171,  172).    S.  u.  Freitag. 

Mittwoch:  Griech.  fmepet  'Epnou,  lat.  dies  Mercurii  (frz.  mercredi, 
it.  mercoledi),  mkymr.  dyw  merehyr,  bret.  demercher,  alb.  merkür, 
agls.  wödnesdceg  .Wodanstag'  —  griech.  xexdpTii  öaßßärou,  lat.  feria 
quarta  (ptg.  quarta  f.)  —  lat.  media  hebdomas,  tosk.  mezzedima  etc., 
ahd.  mittawecha,  altsl.  sreda,  eigeutl.  ,Herz,  Mitte',  lit.  seredü,  altpr. 
possisatcaite  (s.  o.).  Hier  zeigt  sich  im  Slavo-Litauisehcn  deutscher 
Einflii8s,  da  der  Mittwoch  im  Slavischcn  nicht  die  Mitte  der  Woche 
ist  (s.  u.  Montag).  —  Ir.  ett-öin,  eigeutl.  ,erstes  Fasten'  (s.  u.  Frei- 
tag). —  Vgl.  noch  aus  deutschen  Mundarten  bair.  after-ertag,  ndd. 
güdensdag  (  =  Wodanstag?)  und  alem.  gütemtag  (, guter  Mittwoch  ?». 

Donnerstag:  Griech.  nu^pet  Aiö<;,  lat.  dies  Iovis  (frz.  jeudi,  it. 
gioredi),  mkymr.  dyw  ieu,  bret.  diziou,  ahd.  donarestag,  agls.  punres- 
d&g,  altn.  pörsdagr  ,Tag  des  Donar'.  —  Griech.  maurn.  tou  tfaßßd- 
tou,  lat.  feria  qttinta  (ptg.  quinta  f.),  mhd.  pfinztag  (aus  Tre'uTTTn).  — 
.Slavo-Litauisch:  -,dcr  vierte^  :  altsl.  cetvrütükü,  lit.  kettcePgas,  altpr- 
keticirtice.  —  Ir.  darddin,  eigentl.  ,(Tag)  zwischen  den  Fasten',  d.  h. 
zwischen  Mittwoch  und  Freitag.  —  Alb.  ernte  ist  dunkel  (vgl.  A.  Thumb 
a,  a.  O.  8.  175). 

Freitag:  Griech.  rme'pa  'Aqppob'Tri?,  lat.  dies  Veneris  (frz.  vendredi, 
it.  cenerdi),  mkymr.  dyw  gwener,  bret.  derguener,  ahd.  friatag,  agls. 
frigedwg,  altn.  frjddagr  ,Tag  der  Freia'.  —  Griech.  TrpotfdßßctTa  und 
napaaKeuri  /Tag  der  Vorbereitung'.  —  Lat.  feria  se.vta  (ptg.  se.rta  f.  i. 

—  Slavo-Litauisch  „der  fünfteu  :  altsl.  petükü,  altpr.  pentinx,  lit. 
petnyczia.  —  Ir.  öin  didin,  eigentl.  ,letztes  Fasten'  (s.  u.  Mittwoch), 
sardin.  logudor.  kendhura  =  cena  pura,  agls.  isl.  föstudagr  »Fasttag'. 

—  Alb.  pr f. inte,  ob  :  mbreme  , Abend'  im  Sinne  von  , Vorabend',  , Feier- 
abend', wie  im  rabbinischen  Sprachgebrauch  und  bei  den  christlichen 
Syrern  der  Freitag  als  Tag  vor  dem  Sabbat  bezeichnet  wird?  — 


Digitized  by  Google 


Woche  -  Wolf. 


965 


Dunkel :  alid.  pherintac.  —  Zum  Unglückstag  ist  der  Freitag  als  Tag 
der  Passion  im  westlichen  Europa  geworden  (s.  u.  Dienstag;. 

Sonnabend:  Griceh.  nu^pcc  Kpövou,  lat.  dies  Satumi,  ir.  sathorn, 
sathamn,  nikynir.  dyw  sadtcrn,  bret.  desadorn,  agls.  saternesdng, 
altfries.  mterdei,  westphäl.  süterdag.  —  Oriech.  adßßaxov  aus  hcbr. 
«abbat,  lat.  dies  sabbati  (it.  sabbato,  sp.  ptg.  Habado,  rnm.  sämbfltil, 
frz.  samedi,  weitere  Formen  mit  m  bei  Meyer-Lübke  a.  a.  0.  S.  192), 
got.  sabbatö  dags,  ahd.  sambaztag,  altsl.  sabota,  lit.  mhatä,  altpr.  saba 
tico,  alb.  htunr  (doch  vgl.  A.  Tliumb  a.  a.  0.  S.  174).  Die  nasa- 
lierten Formen  scheinen  in  den  Orient  zu  fuhren,  wo  bei  den  christ- 
lichen Abessyniern  sambata  und  upers.  xamba  (Xüldckc  a.  a.  O.  8.  1(53) 
begegnen.  Über  abend  in  nhd.  Sonnabend  vgl.  Kluge  S.  97  und  Gunder- 
mann S.  184  (s.  auch  u.  Freitag).  —  Vgl.  noch  altn.  laugadagr  und 
piättdagr  ,Badetag'. 

S.  u.  Monat  und  Zeitteilung. 

Wohngrube«,  s.  Unterirdische  Wohnungen. 

Wohnsitze  der  Indogerniaiien,  s.  Urheimat  der  Idg. 

Wohnung,  s.  Haus  und  Unterirdische  Wohnungen. 

Wohnungseinrichtung,  s.  Hausrat. 

Wolf.  Der  idg.  Name  des  Tieres  ist  sert.  vi-ka-,  aw.  vehrka-, 
armen,  gail,  griech.  Aüko<;,  lat.  lupus,  got.  iculfs,  alb.  ulk,  altsl.  vlükü, 
lit.  icilkas,  altpr.  wilkis.  Die  Zugehörigkeit  des  griech.  Xuxoq  und 
lat.  lupus  ist  nicht  ganz  sicher.  Kine  schon  idg.  Femininbildung  ist 
sert.  tvki  =  altn.  ylgr.  Abweichend  benennen  die  keltischen  Sprachen 
das  Tier:  ir.  cü  allaid,  eigcntl.  , wilder  Hund',  kymr.  Med,  bleid,  körn. 
Weit,  bret.  bled,  ir.  bled,  *bledo-  (  =  lat.  belhia  aus  beldua'S),  also 
eigentl.  , Ungetüm',  daher  auch  , Walfisch'  und  ,Hirsch'.  Vgl.  noch  sab. 
hirpus,  irpus  (s.  u.)  und  altn.  vargr,  eigentl.  ,der  Cbeltbäter'  (s.  u. 
Strafe).  —  Wie  kein  zweites  Raubtier  ist  der  Wolf  mit  der  Sagen- 
und  Anschaunngswelt  der  Indogerniaiien  verwachsen.  Schon  in  der 
Urzeit  müssen  häufig  Personennamen  mit  seiner  idg.  Benennung  ge- 
bildet worden  sein,  vermutlich  um  dem  betreffenden  Menschen  gleich 
bei  seiner  Geburt  die  Eigenschaften  des  Tieres  anzuwüuschcn.  Vgl. 
sert.  Yrkakarman,  Yrkabandhu,  Yrka,  griech.  AuKÖopxoq,  Auk6<ppujv, 
Aükos,  serb.  Vukovoj,  \'uk,  ahd.  Wolfarn,  Wolfbado,  Wolfo  u.  s.  w. 
Wölfe  (d.  h.  wohl  ursprünglich  so  genannte  Menschen)  werden  wieder- 
holt als  Führer  idg.  Scharen  zu  neuen  Wohnsitzen  genannt.  Vgl. 
Festus  Pauli  ed.  C.  0.  Müller  S.  106:  Jrpini  appellati  lupi,  quem 
irpum  dicunt  Samnites;  eum  enim  ducem  secuti  agros  occupavere 
und  Paul.  Diaconus  Hist.  Langel).  IV,  39:  Ei  lupus  adeenien*  comes 
itineris  ei  duetor  effectus  est.  Eine  Wölfin  säugt  die  ausgesetzten 
Gründer  Roms,  Romulus  und  Rcmus,  wie  ähnliches  von  Hündinnen 
und  Bärinnen  erzählt  wird  (s.  n.  Hund  und  u.  Wolf;.  In  ganz 
Europa,  besonders  aber  bei  Germanen  und  Slaven,  ist  die  Vorstellung 


Digitized  by  Google 


Wolf  —  Worfeln,  Worfschaufel. 


verbreitet,  dass  Menschen  durch  das  Anlegen  von  Wolfsgcwändcru 
sich  in  das  Raubtier  selbst  verwandeln  können,  die  finstere  und  Sagen- 
reiche Gestalt  des  Werwolfes:  ahd.  (als  Eigenname)  Weriicolf,  agls. 
tcerewulf  (mlat.  guerulfus;  nach  neuerer  Deutung:  got.  waxjan  ,kleiden', 
, Kleiderwolf',  vgl.  westphäl.  etc.  büksemcolf  »Hoseuwolf),  altn.  vargulf, 
gemeinsl.  altsl.  vliikodlakü  u.  s.  w.  (angeblich  »Wolfspelz'  :  serb.  dlaka, 
altceeh.  tlak  , Haare;  doch  bezeichnet  Miklosich  Et.  W.  S.  300  -dlakü 
als  dunkel),  das  in  die  ganze  Balkanhalbinsel  (ngriech.  ßoupKÖXaKac, 
ßpouKÖXatca^,  alb.  vurvoldk,  rum.  tdreolac)  eingedrungen  ist.  Die  erste 
Kunde  der  ganzen  Erscheinung  giebt  aus  hohem  Norden  Herodot  IV,  105: 
XtYOVTai  fap  ott6  Zku8&uv  Kai  'EXXhvujv  tujv  iv  ttj  ZKu9iKr)  tcaTOiKT|- 
uevuuv  \hq  Iteo?  ^KäöTOu  &tto£  twv  Ncupuiv  ^Kaöro?  Xoko^  y»v€tcu  nu^pas 
öXrras  Ka\  aütiq  ömerw      tujutö  KorriffTctTat. 

Wolle.  Ihre  idg.  Benennung  liegt  in  der  Reihe  seit,  ü'rnü,  lat. 
cellus,  lit.  wilna,  altel.  vlüna,  got.  ttulla,  kymr.  gulan,  armen,  gelman. 
Vielleicht  gehören  auch  griech.  Xävoq  und  lat.  Idna  hierher.  Griech. 
Ipiov  ist  zu  £pi-<po-q  (s.  u.  Schaf;  zu  stellen,  über  die  älteste  Art, 
die  Wolle  zu  gewinnen,  s.  u.  Schaf,  über  ihre  Verwendung  zu  Kleidern 
und  ihr  Verhältnis  dem  Flachs  gegenübeu  s.  u.  Kleidung,  Weben, 
Gewebestoffe. 

Worfeln,  Worfschaufel.  Um  das  gedroschene  Getreide  von  der 
Spreu  zu  sondern,  wird  dasselbe  bei  massigem  Wind  mit  einem  dazu 
geeigneten  Werkzeug  (der  Worf  sc  Ii  auf  cl)  in  die  Luft  geworfen,  wo- 
durch die  schwereren  von  den  leichteren  Bestandteilen  sich  sondern. 
Vgl.  schon  Homer  11.  V,  499  ff.: 

um;  ö'  <5v€mo£  äxva?  «pope'ct  icpdq  kot'  d\wd? 

dvbpwv  Xikmuüvtujv,  ötc  tc  Eav8r)  Arjunrrip 

KplVIJ  fcTT€lY0U^VU)V  dV€|UU)V  KCtpTTOV  T6  KOI  <5xvaS ' 

cd  b"  UTToXeuKaivovTai  äxupmai. 

Die  Worfscbaufel  war  damals,  wie  Od.  XI,  127  ff.,  XXIII,  27ö  zeigt, 
ein  ruderäh n liebes  Werkzeug. 

Eine  solche  Thätigkeit  muss  nun  auch  schon  zur  Zeit  des  ältesten 
europäischen  Ackerbaus  ausgeübt  worden  sein,  wie  die  Gleichungen 
griech.  vekXov  •  tö  Xikvov  Hcs.  —  lit.  nekdju  (Htekoju)  schwinge  Ge- 
treide in  einer  Mulde'  (womit  Zupitza  Gutturale  S.  97  auch  kymr.  nithio, 
biet,  niza  »Futterschwingc',  , worfeln'  vereinigen  möchte)  und  griech. 
Xikuö?,  Xikvov  =  lett.  Ukaha  »Worfscbaufel'  zeigen.  Nach  J.  Schmidt 
Sonanteuth.  S.  108 1  würde  aber  nur  die  letztere  Reihe  die  mit  der  Worf- 
scbaufel vorgenommene  Reinigung  des  Getreides  ausdrucken,  während 
die  erstcre  auf  das  Schütteln  der  Körner  in  einem  Hachen  Korbe  ginge. 
Vgl.  noch  griech.  tttüov,  tttc'ov  »Worfschaufel'  :  aiid.  fatejan  »Getreide 
reinigen'  (seit,  pu  »reinigen  ).  Endlich  scheint  auch  ahd.  icantut  »Gc- 
treideschwinge'  nicht  auf  Entlehnung  aus,  sondern  auf  Urverwandt- 
schaft mit  lat.  caunus,  Grundform  *tant  no  zu  beruhen,  die  in  Ver- 


Digitized  by  Google 


Worfel,  Worfeihaufel  -  Zahlen.  967 

bindung  zu  bringen  ist  mit  got.  tcinpjan,  dmcinpjan  ,Xncuäv'  und  lat. 
ventilare,  ventilabrum  :  tentus  (vgl.  Noreen  Abriss  d.  urgerm.  Laut!. 
S.  173).  Vgl.  nocb  ah<L  winda  ,ventilabrum',  tcintdn  ,vcntilare'  :  tcint 
und  lit.  icetan,  wetyti  , worfeln',  serb.  vijati  :  altsl.  vejati  ,wehen', 
lit.  wejas  .Wind'  etc.  Got.  winpi-skaürö  ,Worfsebaufel\  —  S.  n. 
Ackerbau  und  u.  Werkzeuge. 

Wort,  s.  Dichtung. 

Wucher,  s.  Schulden. 

Wunde,  s.  Krankheit. 

Wtindenbehandlimg,  s.  Arzt. 

Würfel,  s.  Spiel. 

Wurfspeer,  s.  Spiels. 

Wurm,  s.  Schlange. 


z. 

Zahlen.  Schon  in  der  idg.  Grundsprache  war  ein  dezimales 
Zahlensystem  bis  Tausend  ausgebildet  (vgl.  K.  Brugmann  Gruudriss 
II,  2,  1  S.  463  ff.).  Auch  für  die  letztere  Zahl  bestehen  zwei  urver- 
wandte, allerdings  geographisch  nicht  weit  verbreitete  Gleichungen  in 
sert.  m-hdftra-,  aw.  ha-zawra-  =  lesb.  xlXXiot,  dor.  xnX»o»>  >0"'  X^iXioi 
und  got.  pürnindi  =  altsl.  tysqsta,  altpr.  tüttimtons,  lit.  tükxtantis.  Die 
Grundbedeutung  der  germanisch-litu-slavischen  Wörter  ist  soviel  wie 
,Vielhundertheit'  (vgl.  sert.  tavds-  ,stark,  Stärke',  *tüs-  und  das  idg. 
Wort  für  Hundert,  got.  hund  etc.).  Ir.  müe  ist  wahrscheinlich  (wie 
armen,  hazar  aus  dem  Iranischen)  aus  dem  lat.  mille  entlehnt,  das 
selbst  noch  nicht  sicher  erklärt  ist  (:  griech.  utipioi  ,unzahlige',  /zehn- 
tausend'?, während  I.  F.  X,  217  sogar  an  die  Möglichkeit  einer  Ver- 
bindung mit  griech.  x»Xioi  gedacht  wird). 

Natürlich  ist  die  Ausbildung  dieses  idg.  Zehnersystems  auch  erst  der 
Abschluss  einer  jahrtausendelangen,  in  vorindogerinaiiische  Zeit  fallen- 
den Entwicklung,  auf  deren  einzelne  Phasen  die  sprachliche  Analyse 
der  idg.  Grundzahlen  vielleicht  noch  einiges  Licht  fallen  lässt.  So 
ist  es  merkwürdig,  dass  das  Zahlwort  für  8:  sert.  auhfdti,  ashfd', 
griech.  öktuü,  lat.  oetö,  got.  ahtdu  eine  deutliche  Dualbildung  (,2  Vierer') 
darstellt  und  so  den  Blick  in  eine  Zeit  zu  eröffnen  scheint,  in  der  die 
Grundzahlen  nur  innerhalb  einer  Tetrade  (1 — 4)  sprachlich  ausgebildet 
waren.  Die  sert.  ndca,  lat.  nocem,  got.  niun  als  ,nene  Zahl'  (vgl. 
sert.  ndca-,  lat.  novus,  got.  niujis  .neu  )  anfgefasst,  würde  dann  einen 
weiteren  Schritt  in  der  Entwicklung  des  zu  einer  gewissen  Zeit  viel- 
leicht mit  der  Doppeltetrade  (8)  abgeschlossenen  Zahlsysteius  bezeichnen. 


Digitized  by  Google 


Zahlen. 


Seinen  Abschluss  und  eigentlichen  Charakter  aber  erhielt  dasselbe  durch 
die  in  den  Mittelpunkt  der  Zählung  tretende  Berücksichtigung  der 
Iland  mit  ihren  fünf  oder  der  beiden  Hunde  mit  ihren  zehn  Fingern. 
Einerseits  scheint  das  idg.  Wort  für  5:  sert.  pdilca,  griech.  tt£vt€,  lat. 
quinque,  got.  fimf  (idg.  *penqe)  der  gemeingerm.  Bezeichnung  des 
Fingers,  got.  ftggrs  etc.,  zu  entsprechen  (vgl.  auch  sert.  paiikti-,  altn.  fimt, 
altsl.  pqtl  jFünfheit'  :  ahd.  füxt,  altsl.  pesti  .Faust';  auch  lit.  kiimste, 
altpr.  kuntis  , Faust',  vgl.  Brugmann  Grundriss  I*,  1,410),  andererseits 
dürften  sowohl  das  idg.  Wort  für  10:  sert.  ddqa,  griech.  b€ica,  lat. 
decem,  got.  taihnn,  (sert.  deu-dt-,  griech.  bimq,  altsl.  dex^ti,  lit.  de- 
azimtw,  eigentl.  ,Zehnheit')  wie  auch  das  für  100:  sert.  catdm,  griech. 
£-kot6v,  lat.  centum,  got.  hund  (idg.  Hmto  m  aus  *dkrrtt-,  also  eigentl. 
,Zehnheit',  sc.  von  Zehnern)  in  letzter  Instanz  auf  ein  uraltes  *(d)kmt-f 
*dkomt-  in  der  Bedeutung  ,Hand'  =  got.  handus  (lautlich  am  genaue- 
sten entsprechend  :  griech.  -Kovxa  in  Trcvrrj-KOVTCt  öO,  d.  h.  f>  Zehner  oder 
5  Paare  von  Händen)  zurückgehn  (  vgl.  Zupitza  Gutturale  S.  183).  Dass 
im  übrigen  aus  dieser  schon  in  voridg.  Zeit  zur  Herrschaft  gelangten 
dezimalen  Zähliucthode  nach  Fingern  und  Händen  keine  Schlüsse  auf 
eine  höhere  geistige  Beanlagung  der  idg.  Völker  gezogen  werden  dürfen, 
geht  aus  dem  Umstand  hervor,  dass  auch  gänzlich  unkultivierte  Völker- 
stämnic  (vgl.  darrtber  F.  A.  Pott  Die  quinarc  und  vigesiinale  Zähl- 
methode  bei  Völkern  aller  Weltteile  Halle  1847  S.  104  ff.)  sich  streng 
dezimaler  Zählweise  bedienen. 

Diese  dezimale  Zählmethode  liegt  nun  bei  keinem  der  idg.  Völker 
Europas  in  völliger  Reinheit  mehr  vor,  vielmehr  wird  sie,  hier  mehr, 
dort  weniger,  durch  zwei  andere  Zählweisen,  eine  vigcsimale  und 
eine  duodczimalc,  durchbrochen. 

Die  erstere  lässt  sich,  abgeselm  von  Spuren  im  Dänischen  'tresind- 
styve  ,60'  =  3X  20,  firesindstiive  .80"  =  4  X  20)  und  Albanesischen 
(dä-zet  ,40',  tre-zet  ,00',  katerzit  ,80'  :  zet  ,20'),  vor  allem  auf  dem 
keltischen  Sprachgebiet,  und  zwar  ebenso  im  kymrischcn  wie  im 
gaelischen  Zweige  (ir.  da  fichit  ,40'  =  2X20,  tri  fichit  ,60'  =  3x20) 
desselben  nachweisen,  wodurch  auch  gewisse  Zahlen  des  Französischen 
{quatre-vingts  ,80'  =  4X20)  offenbar  beeinflusst  worden  sind.  Da 
nun  eine  solche  Rechnung  nach  Zwanzigern  sonst  im  Indogermanischen 
fremd  ist,  wohl  «aber  im  Baskischen  (vgl.  Pott  a.  a.  0.  S.  08)  der 
Bildung  der  Zehner  zu  Grunde  liegt,  so  hat  mau  vermutet,  dass  im 
Keltischen  und  sonst  Einflüsse  nicht-  oder  vorindogermanischer  Sprachen 
und  Zählweiscn  vorliegen  möchten.  Doch  bleibt  zu  bedenken,  dass, 
wie  im  Deutschen  die  Zählung  nach  „Stiegen",  ,20  Stück'  (krimgot. 
stega),  im  Englischen  nach  score  ,20',  eigentl.  .Kerbe'  zeigt,  die  ein- 
zelnen Sprachen  wohl  auch  unabhängig  von  einander  zu  derartigen 
vigesimalen  Zählungen  gelangen  konnten. 

In  jeder  Hinsicht  bedeutsamer  zeigt  sieh  die  Durchkreuzung  des  alt- 


Digitized  by  Google 


Zahlen. 


indogermanischen  Zehnersystems  durch  eine  d  u  o  d  e  z  i  m  a  1  e ,  bezüg- 
lich s  e  x  a  g  e  s  i  in  a  1  e  Rechnungsweise.  In  allen  europäischen  Spra- 
chen mit  Ausnahme  des  Litu-Slavischcn  begegnet  die  überraschende 
Erscheinung,  dass  die  Zehner  bis  ,60'  (einschliesslich)  nach  einem  an- 
deren Prinzip  gebildet  sind  als  von  ,00'  ab.  Im  Griechischen,  Kelti- 
schen und  wahrscheinlich  auch  im  Lateinischen  geschieht  dies  dadurch, 
dass  bis  zu  dem  Abschnitt  bei  ,60'  die  Kardinalzahlen,  von  da  ab  die 
Ordinalzahlen  verwendet  werden  (vgl.  griech.  7T€VTnKOVTa,  ££r|K0VTa  : 
£ßbour|KOVTct,  ÖYOor|KOVTa,  ir.  cöica,  sesca  :  .sechtmoga,  ochtmoga,  lat. 
quinqudginta,  sexdginta  :  septudginta  aus  *septumdginta,  oetöginta, 
octudginta,  nondginta),  im  Germanischen  dadurch,  dass  von  70  ab  ein 
anderer  Ausdruck  für  die  Zehner  als  vorher  eintritt  (vgl.  got.  fimftiqjm, 
mthxtigjuH  :  sibttntehund,  ahtdutehund).  Auf  dein  letzteren  Sprach- 
gebiet wird  auch  bei  den  Zahlen  10  —  20  nach  der  12  dadurch  ein 
Einschnitt  herbeigeführt,  dass  den  Zahlen  11  und  12,  got.  aiulif,  ttcalif, 
eine  ganz  andere  Bildung  wie  den  folgenden  (fidtcörtaihun,  ßmftaihun) 
zu  Grunde  liegt.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  das  -lif  von  ain-, 
twalif,  dessen  eigentliche  Bedeutung  noch  nicht  feststeht,  etymologisch 
dein  lit.  -lika  in  tcienii-lika  ,11'  etc.  entspricht,  mit  dem  aber  hier 
alle  Zahlen  von  11 — 19  gebildet  sind. 

Wie  in  der  Zahlen  b  i  1  d  u  n  g,  so  zeigen  sich  auch  in  dem  Zahlen- 
ge  brau  eh  überall  die  unverkennbaren  Spuren  duodezimaler  oder 
sexagesimaler  Zahlungsart.  Schon  in  der  I  1  i  a  s  treten  uns  bei  zahl- 
reichen Zählungen  die  Zahlen  60  und  12  (statt  f>0  und  10)  bedeutsam 
entgegen:  mit  je  60  Schiffen  sind  Menelaos  und  die  Arkader  zu  Felde 
gezogen,  je  12  Schiffe  führen  Aiax  und  Odysseus,  je  12  Mann  die 
♦Schiffe  der  Böoter  (vgl.  II.  Hirt  Vom  Zählen  und  den  Zahlen  in  Nord  und 
Süd  LXXXVII  B.,  261  II.  S.  372  ff.).  Bekannt  sind  ferner  die  360 
Schweine  des  Eumäus  (Od.  XIV,  13  ff.).  Im  ältesten  K  o  in  erscheinen 
6  Geier  dem  Remus,  12  dem  Romulns,  sexcenti  und  sexdginta  sind 
im  Lateinischen  runde  Zahlen  (vgl.  WMfflins  Archiv  IX,  177  ff.).  Bei 
den  Ger  m  a  n  e  n  hat  der  Stamm  *hund-  ganz  überwiegend  die  Be- 
deutung des  G  r  o  s  s  Ii  u  n  d  c  r  t  (120  =  2  X  60  oder  12  X  10)  ange- 
nommen, während  das  dezimale  Hundert  durch  besondere  Ausdrücke 
(got.  taihuntrhund,  altn.  tiutiu,  agls.  hundteontig,  ahd.  zehatizue)  be- 
zeichnet wird.  Ein  eigentlicher  Ausdruck  für  das  Grosshundert  liegt 
in  dein  tualepti  der  Lex  Saliea  =  altn.  tylpt  ,Zwölfheit'  vor,  im  Alt- 
nordischen unterscheidet  man  zwischen  tölfreett  hundrad  =  120  und 
tirdett  hundrad  =  100,  Ulfilas  übersetzt  das  griechische  TT€VTaKOO*ioi? 
db€\<pot?  mit  fimfhundam  taihuntewjam  bröpre,  d.  h.  mit  T>00  Brüdern 
in  dezimaler  Zählung  (ohne  taihuntticjam  wären  es  5X120  -  600) 
«.  s.  w.  (vgl.  F.  Kluge  in  Pauls  Grundriss  I  *,  490). 

Fragt  man  nach  der  Herkunft  dieser  innerhalb  des  idg.  Dezimal- 
systems fremdartigen  Erscheinung,  so  herrscht  allgemeine  Cbercinstim- 


Digitized  by  Google 


970 


Zahlen. 


mung  wohl  darüber,  dass  mau  es  im  Süden  wie  im  Norden  unseres 
Erdteils  mit  frühzeitigen  direkteu  oder  indirekten  Einflüssen  des  alt- 
babylonischen Rechensystems  zu  thun  hat,  das  auf  der  Zahl  ,60',  dem 
oüaaoq  oder  Schock,  als  Ausgangs-  und  Mittelpunkt  beruhte.  Näheres 
hierüber  ist  U.Zeitteilung  gesagt  worden,  in  der  die  eigentliche  Be- 
deutung der  Zahl  ,60'  wurzelt.  Nur  darüber  gehen  die  Meinungeft 
auseinander,  wann  und  wo  die  europäischen  Völker  zuerst  in  den 
Bereich  dieses  altbabylonischen  Rechnungssystems  eingetreten  sind. 
J.  Schmidt,  der  in  seiner  Schrift  Die  Urheimat  der  Indogermanen  und 
das  europäische  Zahlsystem  (Berlin  1890)  die  ganze  Frage  am  ein- 
gehendsten behandelt  hat,  äussert  sich  darüber  mit  grosser  Zurück- 
haltung: „Unbeantwortet  bleibt  auch  die  Frage,  ob  alle  Europäer  ge- 
meinsam diese  Einwirkung  erlitten  haben,  oder  ob  mehrere  zeitlich 
und  örtlich  verschiedene  Stösse  erfolgt  sind.  Im  Wechsel  zwischen 
Kardinalzahl  und  Ordinalzahl,  zwischen  cEnKOVTa,  se.ragitita,  air.  ftesca 
und  dßbOMHKOVTa,  *septumaginta,  air.  sechtmoga,  stimmen  die  südeuro- 
päischen Sprachen,  jedesfalls  das  Griechische  und  Keltische,  so  voll- 
kommen ttberein,  dass  wir  ihn  nur  einem  gemeinsamen*  Anstosse  zu- 
schreiben dürfen."  An  dieser  Bilduugsweise  der  Zehner  könnten  einst- 
mals auch  die  Germanen,  ja  selbst  die  Litauer  und  Slaven  teil  gehabt 
haben.  „Andererseits",  fährt  J.  Schmidt  fort,  „ist  bei  der  thatsüch- 
lichen  Verschiedenheit  der  germanischen  Zählweise  (s.  o.)  von  der  süd- 
europüischen  ebensowohl  möglich,  dass  die  Germanen  und  Litauer, 
deren  Verbindung  zu  dieser  Zeit  durch  die  Gleichheit  des  got.  -Hf 
und  des  lit.  -lika  bezeugt  wird,  schon  ausser  allem  Zusammenhange 
mit  den  Südeuropäern  waren,  als  sie  den  babylonischen  Eiuthiss  er- 
fuhren, dieser  also  an  zwei  verschiedeneu  Orten  und  zu  verschiedenen 
Zeiten  auf  nachmals  europäische  Völker  gewirkt  hat"  (S.  o2  f.).  Nur 
das  sei  ausgeschlossen  (S.  f>0),  dass  die  Germanen,  bei  denen  die  60 
so  tief  eingegriffen  habe  wie  nirgendwo  sonst  auf  indogermanischem 
Gebiete,  den  Anstoss  hierzu  erst  in  ihren  historischen  Sitzen 
westlich  der  Weichsel  durch  Vermittlung  der  Südeuropfier  erhalten 
hätten.  Bedenkt  man  jedoch,  dass  gerade  hier  eine  der  bedeutsamsten 
Ausstrahlungen  altbabylonischer  Kultur,  die  Bekanntschaft  mit  der 
Bronze  (s.  u.  Erz),  die  Germanen  erreichte,  so  wird  auch  die  Mög- 
lichkeit, dass  die  Germanen  erst  in  ihren  Stammsitzen,  wenn  auch  in 
sehr  früher  Zeit,  gewisse  Züge  der  althabylonischen  Sexagesimaliech- 
nung  ihrem  ursprünglichen  Dezimalsystem  einverleibten,  als  nicht  völlig 
ausgeschlossen  ange>ehn  werden  müssen  (s.  auch  u.  Urheimat..). 

Die  weitgehende  Durchkreuzung  des  altindogcrmanischen  Dezimal- 
systems durch  eine  von  Aussen  entlehnte  duodezimale  Rechnungsweise 
wurde  vielleicht  dadurch  gefördert,  dass  schon  in  der  idg.  Urzeit  zwei 
in  diese  letztere  sieh  fügende  Zahlen,  die  ,3'  und  die  ,9',  eine  beson- 
dere Hedetitnng  erlangt  hatten.    Vor  allem  tritt  ihre  Heiligkeit  in  den 


Digitized  by  Google 


Zahlen  —  Zange. 


971 


Fristbestimmungen  des  Totendienstes  (s.  u.  Ahnenkultus)  hervor  und 
beruht  wahrscheinlich  auf  dem  u.  Erbschaft  und  Vorfahren  erörterten 
Gedanken  eines  Dreiahnenkreises,  d.h.  der  Vorstellung,  dass  jeder 
einzelne  seinen  nächsten  drei  Ahnen  gegeuüber  zu  einem  besonderen 
Kult  verpflichtet  sei,  und  die  von  diesen  drei  Ahnen  abstammenden 
Personen  einen  engeren  verwandtschaftlichen  Verband  bildeten.  Alles 
nähere  hierüber  vgl.  bei  A.  Kaegi  Die  Neunzahl  bei  den  Ostariern 
(Piniol.  Abb.  f.  H.  Schweizer-Sidler),  dazu  K.  Weinhold  Die  mystische 
Neunzahl  bei  den  Deutschen  (Abh.  d.  kgl.  Ak.  d.  W.  zu  Berlin  1897). 
Über  die  für  die  Zeiteinteilung  bedeutungsvoll  gewordene  Zahl  ,7'  s. 
u.  Woche. 

Für  den  Begriff  der  Zahl  selbst  liegt  eine  urverwandte  Bezeichnung 
in  der  Reihe  griech.  d-pi-0|uö<;  »Zahl',  vn.-pi-TO-<;  »unzählbar',  ir.  comai- 
rem  gl.  computatio,  dorimu  ,enumero',  kymr.  rhif  ,numerus',  agls. 
W-m  ,Zahr,  alts.  un-rim  .Unzahl'  vor,  deren  Grundbedeutung,  wie 
ahd.  rf-ro  , Reihe,  Reihenfolge,  Zahl'  zeigt,  , Aufzählung',  ,Reihe'  war. 
Dieselbe  Vorstellung  liegt  dem  lit.  gkaityti  {skaitlius  ,Zahl')  =  altsl. 
cisti,  citati  (dinlo  »Zahl)  ,zählen',  auch  .lesen'  (s.  u.  Schreiben  und 
Lesen)  zu  Grunde,  und  wird  auch  in  altpr.  girbin  ,Zahl'  =  altsl. 
zrebijl  ,Los'  (vgl.  lat.  sorg  :  serere)  anzuerkennen  sein.  Auch  das  Ver- 
hältnis von  got.  rapjö  ,äpi9uöV  und  ^oyo?'  (=  ahd.  redia,  reda 
Rechenschaft,  Rede'  etc.)  wird  auf  Urverwandtschaft  mit  lat.  ratio 
»Rechenschaft,  Rede,  Zahl*  beruhen,  da  die  Annahme  der  Entlehnung 
namentlich  durch  das  neben  rapjö  liegende  got.  garapjan  ,dpi6,ueTv' 
und  *rap-  ,Zahl'  in  altn.  hundrad  ,100*  (s.  o.)  erschwert  wird.  Noch 
ganz  unaufgeklärt  ist  ahd.  zala  ,Zahl'  (=  agls.  talu  »Sprache,  Erzäh- 
lung'). Ist  vielleicht  zala  zu  altsl.  dolnl,  lit.  dÜna  zu  stellen  und 
bedeutete  ursprünglich,  wie  diese,  ,tlaolie  Hand',  so  dass  ahd.  zal/m 
etwa  soviel  wie  griech.  ireuTrctZeiv  wäre,  das  ursprünglich  (:  newe, 
7T€UTre)  das  Zählen  an  den  5  Fingern,  dann  (schon  bei  Homer)  das 
Zählen  überhaupt  bezeichnete?  Semasiologisch  undeutlich  ist  die  Be- 
ziehung von  lat.  numerus  ,Zahl'  zu  griech.  vduos,  lat.  nummua  (s.  u. 
Geld).  Sert.  samkhyä'  ,Zahl'  (:  khyä'ti  ,er  schaut'),  eigcntl.  wohl  ,Zu- 
saramensebauung'»  »Zusammenreehnung'.  später  ganayati  .er  zählt',  ga- 
nita-  »Rechnung-,  »Arithmetik'  von  gami-  »Schar'.  —  Über  die  Ge- 
schichte der  Zahlzeichen  vgl.  G.  Gundermann  Die  Zahlzeichen 
Programm  Gicsscn  1899. 

Zähne  als  Schmuck,  s.  S  e  h  m  u  c  k. 

Zange.  Dieser  Gegenstand  fehlt  der  europäischen  Steinzeit.  Erst 
mit  der  Bronze  begegnen  kleine  zangenartige  Werkzeuge,  die  die  Ur- 
geschiclitsfoi scher  indessen  mit  Recht  nur  als  Pincctten  bezeichnen 
(vgl.  darüber  z.  B.  Xaue  Die  Bronzezeit  in  Ober  -  Bayern  S.  118  f.). 
Eigentliche  eiserne  Zangen  treten  im  mittleren  und  nördlichen 
Europa  erst  mit  der  Hallstatt-  und  La  Tene-Epoche  auf. 


Digitized  by  Google 


972 


Zange  -  Zauber  und  Aberglaube. 


Die  Namen  der  Z  a  n  g  c  iu  deu  idg.  Sprachen  zeigen  keiue  Spur 
vorhistorischer  Verwandtschaft.  Indessen  stimmt  ihre  Terminologie  im 
Gegensat/  zu  der  noch  später  in  Europa  erscheinender  Kulturobjekte 
wie  z.  B.  der  Schere  (s.  d.)  wenigstens  innerhalb  der  einzelnen 
Sprachzweige,  wie  dem  germanischen  und  slavischen,  überein.  Griccb. 
(hom.)  TTUpdrfpn.  <  ,Feucrfasscriu),  lat.  forceps  (s.  u.  Schere),  ir.  ten- 
chor  :  ten  , Feuer',  gemeiugerm.  ahd.  zanga,  agls.  tonge,  altn.  töng 
(:scrt.  dang  ,bcissen',  vgl.  frz.  mordache  ,Zange'  aus  lat.  morda.r), 
gemeinst,  altsl.  klesta,  altpr.  raple*  =  lit.  re~ples  {beide  dunkel).  — 
S.  u.  W  e  r  k  z  c  u  g  e. 

Zauber  und  Aberglaube.  Die  ungeheure  und  verschiedenartige 
Masse  der  unter  diesen  Bezeichnungen  znsammengefassten  Vorstellungen 
und  Gebräuche  kann  man  nur  dann  richtig  verstehen,  wenn  es  gelingt, 
das  Verhältnis  von  Aberglaube  und  Zauberei  zu  den  nahe  verwandten 
Begriffen  des  Glaubens  und  des  Kultus  festzustellen.  In  dieser  Be- 
ziehung sagt  vom  altindischen  Standpunkt  Oldeuberg  Die  Religion  des 
Vcda  S.  470 f.  folgendes:  „Kein  Zweifel,  dass  lange  ehe  man  erhabene, 
das  Gute  und  Rechte  schützende  Götter  zu  verehren  angefangen  hatte, 
man  schädliche  Geister  durch  Wasser  und  Feuer,  durch  Lärm  und 
Schläge  von  sich  fern  hielt,  den  Feind  vernichtete  durch  Vernichtung 
seiues  Bildes  oder  seiner  abgeschnittenen  Haare,  Regen  herbeizanberte 
durch  Herstellung  eines  Abbildes  vou  Regen  und  Wasserreichtum.  Auf 
den  niedrigsten  Kulturstufen  ist  begreiflicher  Weise  der  Kultus  des 
Opfers  und  der  Anbetung  —  soweit  er  schon  vorhanden  ist  —  mit 
dem  Betrieb  der  Zauberei  auf  das  engste  und  festeste  verbunden;  der 
Priester  ist  zugleich  Zauberer;  ja  er  ist  mehr  dieses  als  jenes.  Aber 
der  spätere  Verlauf  der  Dinge  inuss  zwei  Sphären  auseinander  ziehen, 
von  welchen  die  eine,  in  der  Bahn  mächtiger  geschichtlicher  Strö- 
mungen sich  bewegend,  durch  die  fortschreitende  Gcdankcuentwick- 
lung  und  nicht  am  wenigsten  durch  die  Ethisierung  des  religiösen 
Wesens  immer  höher  emporgehoben  wird,  die  andre  unbeweglich  ver- 
harrend sich  mit  dem  Charakter  der  Unkultur  uud  Zurückgebliebcnbeit 
bekleidet.  Ist  diese  Trennung  von  Kultus  und  Zauberei,  man  kann 
annähernd  auch  sagen,  von  Glauben  und  „Aberglauben",  schon  in  der 
vedisehen  Zeit  vorhanden?",  eine  Frage,  die  verneint  wird,  indem  0. 
zeigt,  wie  das  vedische  Opferritual  „von  Anfang  bis  Ende  von  Zauber- 
gebräuchen durchsetzt  ist".  Dazu  vgl.  J.  Grimm  Deutsche  Mytho- 
logie II3,  983  ff.  vom  germanischen  Standpunkt  aus:  „Wunder  geht 
mit  rechten  Dingen,  Zauber  mit  unrechten  zu,  jenes  ist  geheuer,  dieses 
ungeheuer.  Unmittelbar  aus  den  heiligsten,  das  gesamte  Wissen  des 
Heidentums  in  sich  begreifenden  Geschäften,  Gottesdienst  und  Dicht- 
kunst, muss  zugleich  aller  Zauberei  Ursprung  geleitet  werden  

So  bei  allen  Völkern,  auch  bei  unsern  Vorfahren:  neben  dem  Götter- 
kultus Übungen  finstrer  Zauberei,  als  Ausnahme,  nicht  als  Gegensatz. 


Digitized  by  Google 


Zauber  und  Aberglaube. 


973 


Die  alten  Deutschen  kannten  Zauber  und  Zauberer,  und  auf  dieser 
Grundlage  ruhen  zuerst  alle  nachher  entsprungenen  Vorstellungen. 
Schürfen  und  verwickeln  musste  sich  aber  die  Ansicht,  seit  nach  Ein- 
führung des  Christentums  alle  Begriffe  und  Bräuche  der  Heiden  für 
Trug  und  sündhaftes  Blendwerk  erklärt  wurden."  Vgl.  ferner  E.  Riesa 
in  Pauly-Wissowas  Realencyklopädie  I,  30  für  Griechen  und  Römer: 
„Aberglaube,  von  den  Griechen  gefasst  als  beiaibauiovia,  d.  h.  als  die 
Furcht  vor  höheren  Wesen,  Geistern  oder  Göttern.  Die  Römer  brauchen 
dafür  mperstitio,  gewöhnlich  erklärt  als  „Übcrscbuss"  über  den  Glauben 
des  Volkes,  richtiger  als  „Überbleibsel"  (von  superstex).  In  Wahrheit 
berücksichtigen  beide  Namen  nur  je  eine  Seite  des  Aberglaubens, 
dessen  volle  Definition  erst  durch  beide  zusammen  ausgedrückt  werden 
kanu.  Aberglaube  ist  die  aus  dem  Gebiet  lebendigen  religiösen  Be- 
wusstseins  herabgesunkene  und  gewissermassen  erstarrte  Vorstellung 
vom  Übersinnlichen  und  seine  KnltUbung  (im  Zauber). u 

So  ergiebt  sich  demnach  allseitige  Übereinstimmung  darüber,  dass 
Zauber  und  Aberglaube  schon  auf  dem  Bodeu  der  alten  heidnischen 
Religionen  wucherten,  ja  dass  diese  mit  jenen  einem  gemeinsamen 
Stamme  entsprossen  sind,  der  der  Zauberei  ähnlicher  als  dem  Kultus 
war.  So  innig  durchdringen  sich  die  beiden  in  der  ältesten  Zeit,  dass 
eine  reinliche  Scheidung  der  in  das  eine  oder  andere  Gebiet  gehörigen 
Handlungen  nicht  möglich  ist.  Gleichwohl  dürfte  als  ein  wichtiges 
Kriterium  hierfür  in  zahlreichen  Fällen  die  Art  der  Einwirkung  auf 
das  Überirdische  anzuerkennen  sein:  Zauberei  sucht  mehr  direkt,  der 
Kultus  mehr  indirekt  auf  das  Übersinnliche  Einfluss  zu  gewinnen.  Wenn 
jemand  am  Morgen  ein  Feuer  entzündet,  um  dadurch  die  Gehurt  der 
neuen  Sonne  zu  erleichtern ,  wenn  er  einen  Krankheitsdämon  mit 
einem  Spruch  zu  vertreiben  versucht,  oder  wenn  er  einen  Fluch  im 
Falle  des  Meineids  auf  sich  herabschwört,  so  begeht  er  in  allen  diesen 
Fällen  Akte  der  Zauberei,  wenn  er  sich  aber  mit  Opfern  und  Gebeten 
an  die  Götter  wendet,  um  dadurch  einen  Einfluss  auf  ihren  im  übrigen 
freien  Willen  zu  erlangen,  damit  sie  die  Sonne  scheinen  lassen  oder 
ihn  gesund  machen  oder  ihn  bestrafen,  weun  er  falsch  geschworen 
haben  sollte,  so  sind  derartige  Handlungen  als  kultliche  oder  reli- 
giöse zu  bezeichnen. 

Was  das  i  d  g.  U  r  v  o  1  k  betrifft,  so  ist  u.  Opfer  gezeigt  worden, 
dass  bereits  damals  die  „Himmlischen"  (*deicos},  wahrscheinlich  nach 
der  Analogie  des  Totendienstes,  mit  Speise  und  Trank  gestärkt  wurden, 
damit  sie  kräftige  und  willfährige  Freunde  des  Menschen  würden,  so 
dass  man  also  schon  für  die  idg.  Urzeit  von  einem  gewissen  religiösen 
Kultus  reden  kann.  Dieser  erstickt  aber  fast  noch  unter  einer  grossen 
Zahl  zauberischer  oder  vorwiegend  zauberischer  Handlungen, 
wofür  es  genügt,  auf  die  Artikel  Dichtkunst,  Arzt,  Hebamme, 
Eid,  Gottesurteil,  Los,  Orakel,  Priester,  Tempel,  Schreiben 


Digitized  by  Google 


974 


Zauber  und  Aberglaube. 


und  Lesen  zu  verweisen.  S.  auch  u.  Fasten,  Keuschheit,  Bad, 
Reinheit  und  Unreinheit,  Schmuck  fAraulet)  u.  a.  Auch  an 
idg.  Gleichungen  fllr  zauberische  Begriffe  fehlt  es  nicht.  Eine  idg. 
Bezeichnung  für  den  Zauberspruch  liegt  in  sert.  brdhman  —  lat.  fldmen 
(näheres  s.  u.  Priester)  vor.  Auf  einen  idg.  Ausdruck  namentlich 
für  den  Divinationszauber  weist  griech.  olxoq  —  lit.  #aita#.  altn.  seibr, 
inkymr.  hut  etc.  (näheres  s.  u.  Orakel)  hin.  Auch  in  den  Sprach- 
reihen: sert  krtyä'  , Handlung'  —  ,Behexung,  Zauber',  ,Hexe',  lit.  keras 
, Zauber'  (vgl.  A.  Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  162).  kereti  Jemanden 
durch  einen  bösen  Blick  etc.  bezaubern',  altsl.  carü  »Zauber'  :  sert. 
krnöti  ,cr  macht'  (vgl.  Osthoff  Allerhand  Zauber  etymologisch  be- 
leuchtet, B.  B.  XXIV,  109;  s.  auch  u.)  und  griech.  <pdpuaicov  ,Zauber- 
mittel',  lit.  buriü,  bürti  ,zaubern'  etc.  (vgl.  Osthoff  a.  a.  0.  S.  149), 
womit  auch  der  von  Lasicius  (s.  u.  Orakel)  genannte  Name  litauischer 
Losdeuter,  Burti,  zu  verbinden  ist,  dürfte  indogermanisches  Sprachgut 
enthalten. 

Indem  in  sachlicher  Beziehung  auf  das  reiche  von  Ohlenberg, 
J.  Grimm  (vgl.  dazu  auch  Golther  Handbuch  der  germ.  Mythologie 
S.  641  ff.)  und  Riess  beigebrachte  Material  verwiesen  wird,  soll  hier 
noch  die  Terminologie  des  Zauberns  in  den  Einzelsprachen 
nach  begrifflichen  Kategorien  geordnet  zusammengestellt  werden. 

Wie  schon  die  eben  angeführte  Reihe  von  sert.  krtyä'  , Hexerei'  : 
kar  »machen '  zeigt,  gehen  Ausdrücke  für  ,zaubern'  häufig  aus  solchen 
für  ,m  achc  ir ,  ,t  h  u  e  n'  hervor,  wobei  weniger  mit  .1.  Grimm  an  ein 
„verkehrtes"  als  vielmehr  an  ein  „Thuen  kot'  Öoxnv11,  ein  feierliches 
Thun  zu  denken  sein  dürfte.  Hierher  gehören  aus  dem  Altnordischen 
görningar  ,sorcerics,  witchcraft',  eigentlich  ,a  doing,  deed,  act'  :  göra, 
ahd.  garaicen  ,thuu,  bereiten',  aus  dem  Altslovenischen  po-tvorü  ,Zauber' 
:  tvoriti  ,thun',  eigentl.  ,Anthuung\  aus  dem  Romanischen  die  weit 
verzweigte  Sippe  von  mlat.  factum  ,sortilcgium',  it.  fatturaf  altfrz. 
faiture  , Hexerei,  Zauberei",  mlat.  facturari  ,fasciuari',  it.  fatturare 
altfrz.  faiturUr  , Zauberer',  ferner  die  Ableitungen  von  lat.  facticiux  : 
sp.  hechizo  , Zauber,  Zaubermittel,  Amulet,  Götze'  (Grimm  S.  984, 
Osthoff  S.  1 1 1 ).  Es  ist  bezeichnend  für  das  enge  Verhältnis  von  Zauber 
und  Kultus,  dass  auch  das  Opfer  als  ein  Thuen  schlechthin  bezeichnet 
werden  kann  (s.  u.  Opfer  und  vgl.  J.  Grimm  I3,  36**).  Hierher 
gehört  es  auch,  wenn  die  Sippe  von  agls.  wicca  ,Zauberer',  tekee 
,saga.  incantatrix,  venefiea',  agls.  wiccian  ,zaubern',  tclgol  ,divinatorin8, 
tciglian  .wahrsagen'  u.  s.  w.  mit  Recht  von  Osthoff  (S.  184)  zu  ahd. 
irihen  ,wcihen"  (vgl.  lat.  rictima  ,Opferticr')  gestellt  wird. 

Am  weitaus  häutigsten  aber  ist  ,zaubern'  soviel  wie  »besprechen', 
wobei  die  betreffenden  Ausdrücke  entweder  bei  der  Bezeichnung  des 
lediglich  durch  Besprechung,  Gesang,  Sprache  überhaupt  ausgeübten 
Zaubers  stehen  bleiben  oder  zur  Benennung  des  Zaubers  im  a  1 1 g e - 


Digitized  by  Google 


Zauber  und  Aberglaube. 


975 


meinen  sieh  entwickeln  können:  Griech.  ^rciubos  , Zauberer',  £mpbri 
Zauberformel'  :  dir^buj  ,ich  singe  dazu',  ßcto"Kmvuj  ,ich  beschrcie,  behexe', 
ßacTKavta  »Behexung',  ßaaxäviov  ,Mittel  gegen  Behexung'  :  ßä£w  ,rede, 
spreche',  tön?  »Zauberer',  TonTeuw  , bezaubere' :  fooq  ,Geheul,  Wehklage'. 
Lateinisch:  fascinum,  fascinare  :  lat.  färi  sprechen'  oder  (nach  Ost- 
hoff S.  125)  aus  ßdujtcavov  mit  Anlehnung  an  färi  Übernommen  (be- 
achtenswert ausser  der  Bedeutung  , Behexung'  die  von  ,niännlichcs  Glied' 
als  Mittel  gegen  Behexung;  s.  dazu  Uber  lat.  mutönium  u.  Schmuck), 
ferner  cantio  »Zauberformel',  cantare,  incantare >  u.  s.  w .  (Osthoff  S.  1 23;, 
tarnten  (frz.  charme  ,Zauber),  aus  mlat.  carminare  :  ahd.  carminön  etc. 
,bezaubern'.  Slavisch:  *vels-}  altsl.  vlüsnqti  ,balbutire',  vlüchvü  ,vates', 
vlü.sba  ,magia',  russ.  volchvovatl  .zaubern',  colchitü  »Zauberer'  (Miklosich 
Et.  W.),  altsl.  bajati  ,fabulari,  incantare,  mederi',  serb.  bajati  ,zanbern', 
altsl.  balija  »Zauberer'  etc.  :  griech.  q>n.M»,  lat.  färi  (s.  auch  u.  Arzt). 
Litauisch:  icardyti  »besprechen,  zaubern'  :  wardatt  ,Name',  ap~2ade'ti 
id.  :  Kadett  ,sagen',  faweti  ,besprechen',  lett.  satcit  ,zauhern,  hexen'  : 
altsl.  zova  ,rufe',  aw.  zacaiti  , flucht,  verwünscht',  armen.  n-zov-Jc 
,Fluch'  etc.  (vgl  Osthoff  S.  177  ff.).  Germanisch:  ahd.  galan,  bigalan, 
bigalön  ,singen,  incantare',  gahtar  »Zaubergesang',  galdri,  gahtardri 
»Zauberer'  und  ähnlich  in  allen  germanischen  Sprachen  (s.  u.  Dicht- 
kunst und  vgl.  Osthoff  S.  122  f.).  Agls.  spUll  (vgl.  E.  Schröder  Z.  f. 
d.  A.  XXXVII,  251,  Kluge  Pauls  Grundriss  Is,  382,  Osthoff  S.  125f.). 
hat  erst  ganz  spät  die  Bedeutung  ,Zauber'  angenommen.  Im  Indischen 
«ntsprechend  abhi-gdyati  »incantat'. 

Auf  das  engste  hängt  ferner  die  Zauberei  auch  sprachlich  mit 
Pflanzenkunde  und  Weissagcrci  zusammen.  Im  Lateinischen  ist 
venificus  aus  *venenificun  der  Zauberer  und  Mischer  vou  Gift-  und 
sonstigen  Pflanzensäften,  eigentlich  der  , Bereiter  von  Liebest ränken' 
(lat.  renenum  :  lat.  Venu*,  sert.  vänax-  »Verlangen,  Lust').  Im  Grie- 
chischen umfasst  qpäpfjctKOV  (s.  o.)  die  Bedeutungen  von  Zaubenuittel, 
Gift  und  Arznei.  Das  davon  abgeleitete  (papuaKeia  giebt  das  got. 
lubjaleisei  wieder  \  lubja-:  altn.  lyb  , Heilkraut',  agls.  lyf , Zauber,  Gift', 
ahd.  luppi  ,Gift,  Zauberei';  s.  u.  Arzt),  im  Indischen  entsprechend: 
O'shddi-,  anxhadä-,  ganz  wie  griech.  (pdppaKov.  Auch  als  Loswerfer 
wird  der  Zauberer  bezeichnet,  wie  lat.  sortilegux  mlat.  sortiüriujf,  frz. 
sortier)  und  ahd.  hliozdri  zeigen.  In  denselben  Gedankenkreis  gehört 
ahd.  zoubar,  das  (s.  u.  Farbstoffe)  eigentlich  , Mennig'  bedeutet,  d.  h. 
die  rote  Zauberfarbc,  mit  der  die  Runen  in  die  Lostäfelehen  einge- 
tragen wurden.  Wie  Weissager,  Zauberer  und  Priester  schliesslich  als 
die  , Wissenden'  bezeichnet  werden,  darüber  s.  u.  Orakel  und  Priester. 
Ein  weiterer  hierher  gehöriger  Fall  ist  lit.  zynys  ,Zauberer\  Zynauti 
»zaubern'  :  lit.  zinüti  , wissen*  (vgl.  A.  Leskien  Bildung  der  Nomina 
iz>.  2iM>).  Vgl.  auch  bei  Miklosich  Et.  W.  unter  vid-  :  nsl.  cescec 
»Zauberer-,  slovak.  testik  id.  und  anderes.    Einen  merkwürdigen  Be- 


Digitized  by  Google 


976 


Zauber  und  Aberglaube  —  Zeitteilung. 


deutungsübergang  von  , Bettler'  zu  ,Zaubercr'  s.  u.  Reich  und  arm.  — 
Mancherlei  bleibt  dunkel.  So  griech.  (hom.}  SeX-fio  ,bczanberu',  ir. 
bricht  .Zauberformel',  das  von  Osthoff  S.  11 3  ff.  zu  dein  oben  mit  lat. 
/tarnen  verglichenen  sert.  brdhman-  gestellt  wird  {bricht  ans  *mrktu- 
etwa  :  gemeingerm.  agls.  mearc,  *mrl-  »Zeichen*,  wie  mhd.  Hegen  Zauber- 
formel' aus  lat.  stignum'i),  abd.  goukaldri  , Zauberer,  Taschenspieler', 
youggolon  .Zauberei  treiben'  (vgl.  J.  Grimm  II3,  9f»0,  F.  Klnge  Et.  W.G 
s.  v.  Gaukler)  u.  a.  —  S.  u.  Religion. 

Zaum  (Zügel).  Eine  idg.  Gleichung  hierfür  liegt  vielleicht  in  griech. 
fjvia  Neutr.  PI.,  dann  n  f)via,  dor.  üvia  aus  *ctv(Tiä  —  sert.  ndsya,  naxyü 
,dcr  dem  Zugvieh  durch  die  Nase  gezogene  Zügel'  vor  (vgl.  Brugmann 
Grundriss  1%  1,  421).  Hiermit  zu  verbinden  durfte  dann  auch  ir.  esi 
,Zflgel'  sein,  das  von  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  IG  mit  lat. 
awa  .Handhabe'  verbunden  wird.  Vgl.  ferner  griech.  eüXnpa,  aüXnpa, 
ößXnpa  =  lat.  lörum  (*p/Vro-  :  *rUro ■).  Auf  Urverwandtschaft  scheint 
auch  die  freilich  lautlich  noch  nicht  aufgeklärte  Gruppe  von  lit.  briz- 
giltut,  altpr.  briMgelan,  altsl.  brüzda,  agls.  brigdel,  brigdif,  ahd.  brittil 
zu  beruhen,  zu  der  möglicher  Weise  auch  lat.  frenum  gehört  (vgl. 
Kluge  and  Lutz  English  Etymology  S.  2X,  wo  für  die  germanischen 
Wörter  an  Zusammenhang  mit  agls.  bregdan  .ziehen'  gedacht  wird). 
Aus  dem  Germanischen  (*brida-)  stammen  it.  brida,  frz.  bride,  aus 
dem  Lateinischen  (fn'num)  ir.  srtan,  kymr.  ffrwyn  und  alb.  />?»*, 
aus  dem  Griechischen  (xaXivöq)  das  spätindische  khalina-.  Gemein- 
germanisch ahd.  zoum,  altn.  taunir  und  ahd.  zugil,  altn.  tygell,  beide 
:  ahd.  ziohan  ,ziehen'  gehörig,  wie  russ.  povödja  PI.  :  altsl.  vedq,  lit. 
paicäde  :  icedh  ,führe'.  Vgl.  noch  ir.  glomar  ,Zaum'  (:  lat.  glomm 
.Knüiiel?)  nnd  altpr.  nolingo  ,Zügel'  (:  lit.  lenkiü,  Unkti  , biegen", 
jlcnkcn  V).  —  Zweifelhaft  ist,  ob  wie  beim  Fahren  (s.  u.  Wagen),  so 
auch  beim  Reiten  (s.  d.)  Zaum  und  Zügel  frühzeitig  verwendet 
wurden.  Auf  der  Marcus-Säule  (z.  B.  auf  Tafel  XV  und  XXXVII) 
sind  mehrfach  Barbarenreiter  dargestellt,  die  sich  auf  den  Hals  des 
Pferdes  vorlegend  und  mit  den  Schenkeln  sich  anklammernd  ohne 
Sattel  nnd  Steigbügel,  aber  auch  ohne  Zaum  und  Zügel  reiten.  Me- 
tallene Pferdegebisse  treten  im  Norden  Europas  mit  der  Bronze  auf 
(vgl.  das  Generalregister  d.  Z.  f.  Ethnologie). 

Zaun,  8.  Mauer. 

Zeder,  s.  Wach  holder. 

Zeitteilung.  Der  älteste  Zeitmesser  der  idg.  Völker  war  der 
Mond,  nach  dessen  Umlauf  natürliche  Monate  unterschieden  wurden. 
Eine  Eingliederung  derselben  in  den  jährlichen  Umlauf  der  Sonne 
hatte  noch  nicht  stattgefunden,  weshalb  es  Benennungen  der  einzelnen 
Monate  noch  nicht  gab.  Der  Monat  zertiel  nach  Neumond  und  Voll- 
mond in  zwei  Hälften,  und  es  wurde,  da  der  Mond  nur  des  Nachts 
sichtbar  war,  nach  Nächten,  nicht  nach  Tagen  gerechnet.  —  An  Jahres- 


Digitized  by  Google 


Zeitteilung. 


!>77 


zeiten  unterschied  man  ursprünglich  nur  Winter  und  Sonnner,  da- 
neben früh  eine  kurze  Übergangszeit  des  Frühlings.  Ihre  Zusammen- 
fassung bezeichnete  man  als  eine  „Vergangenheit"  feetos-);  doch  war 
es  bei  Zählungen  üblicher,  nach  einzelnen  Jahreszeiten,  am  häufigsten 
wohl  nach  Wintern,  zu  rechnen. 

Im  Laufe  der  Zeit  kam,  noch  in  vorgeschichtlichen  Zusammenhängen, 
besonders  aber  bei  den  Eiuzelvölkern,  eine  Fülle  teils  weiterer,  teils 
engerer  Zeitbestimmungen  auf,  die  sich  später  als  Benennungen  von 
Jahreszeiten  oder  als  Monatsnamen  oder  auch  als  Benennungen  von 
Teilen  des  Tages  und  der  Nacht  festsetzten. 

Alle  exaktere  Zeitteilung  ist  für  die  Völker  Europas  vom  Orient, 
im  besonderen  von  Babylon  ausgegangen.  Hier  hatte  man  in  den 
scheinbaren  Umlauf  der  Sonne  frühzeitig  12  Mondmouate  eingerechnet, 
und  darnach  die  Sonnenbahn,  deren  Aequinoctial-  und  Solstitialpunkte 
man  zu  erkennen  gelernt  hatte,  in  12  Tierkreis-Bilder  zerlegt,  die 
ihrerseits  wieder  der  ungefähren  Zahl  der  Tage  des  Monats  entsprechend 
in  30  Teile  geteilt  wurden.  So  war  man  zu  einem  Jahr  von  12 
namentlich  beuannten  Monaten  mit  360  Tagen  gekommen,  die  durch 
Schaltvorrichtungen  mit  dem  wirkliehen  Umlauf  der  Sonne  in  Einklang 
gebracht  wurden.  Hier  hatte  man  als  eiu  von  der  Natur  gegebenes 
Zeitmass  den  Begriff  der  Doppelstunde  (=  J/it  der  Ekliptik,  1  Tier- 
kreisbild) erfasst,  und  war,  indem  man  diesen  Begriff  des  Vis  Volltags 
mit  dem  auf  ljli0  des  Äquators  berechneten  Durchmesser  der  Sonne 
in  Beziehung  setzte,  zu  der  Zahl  60  gekommen,  die  dem  ganzen 
Rechnungssystem  der  Babylonier  zu  Grunde  liegt  (s.  u.  Zahlen).  Hier 
war  man  wahrscheinlich  auch  zuerst  als  auf  eine  Unterabteilung  des 
Monats  auf  die  Unterscheidung  siebentägiger,  später  im  Jahre  fort- 
laufender Wochen  verfallen,  deren  letzter  Tag  —  eine  Einrichtung  von 
ungeheurer  sozialer  Bedeutung  —  als  Ruhetag  gefeiert  wurde.  —  Zu 
sehr  verschiedenen  Zeiten  haben  diese  Erfindungen  und  Erkenntnisse 
ihren  Weg  uach  Europa  gefunden,  zuerst  und  teilweise  noch  in  vor- 
historischer Zeit  das  360tägige  Jahr  mit  seinen  12  nun  auch  in  Europa 
zu  namentlich  benannten  Individuen  werdenden  Monaten,  viel  später  die 
7  tägige  Woche  und  die  Stunde.  —  S.  näheres  u.  Jahr,  Jahres- 
zeiten, Frühling,  Sommer,  Herbst,  Winter,  Mond  und 
Monat,  Woche,  Tag,  Abend,  Morgen,  Nacht,  Stunde. 

Aufs  engste  verknüpft  mit  der  Zeitteilung  eines  Volkes  ist  aber 
der  Begriff  der  F  estc,  die  es  feiert.  In  den  idg.  Sprachen  wird 
dieser  letztere  meist  durch  Ausdrücke  bezeichnet,  welche  ursprünglich 
ho  viel  wie  geordnete  Zeit'  oder  »geordnete  Zeiten'  bezeichneten.  Ein  ein- 
leuchtendes Beispiel  hierfür  ist  griech.  £opxq,  ion.  öpxq  ,Fcst'  =  sert.  vratd- 
,Satzuug,  Gottesdienst',  aw.  urvdta-  ,Cbercinkuntt,  Gesetz".  Inhaltlich  ent- 
sprechend begegnet  im  Awesta  ydirya  ratdvo  Jährliche  Zeiten',  d.  h. 
jFestc'.und  der  Stamm  ratu-  (idg.  *retu  )  kehrt  in  ablautender  Form  imsert. 

Schräder  Reallezikon.  f>2 


Digitized  by  Google 


97* 


Zeitteilung. 


rtt't-  (idg-  *rtu-)  .bestimmte  Zeit,  Regel,  Ordnung'  wieder.  Aber  atieh 
nach  Europa  lässt  sieh  das  Wort  verfolgen,  wenn  die  zu  *ret-,  *rt~ 
gehörige  Hochstufe  *r£t-  in  gemeiukelt.  *l?to-s  tir.  lith  etc.)  ,Fest, 
Festtag',  vielleicht  auch  in  grieeb.  Xei-Touptia,  eigentl.  *XnT-oup-fia  Jeder 
öfTentliebc  (Fcstcs)-Anfwand'  anerkannt  werden  darf.  Nacli  E.  Windisch 
Berichte  der  kgl.  sächs.  Ges.  d.  W.  phil.-hist.  Kl.  imS  S.  242  würde 
auch  w.f'Hl,  k\ nir.  gicyl,  die  von  den  kirchlichen,  auf  bestimmte  Tage 
fallenden  Festen  gebraucht  werden,  seine  Entsprechung  in  seit,  zelä 
,Zeit,  Zeitpunkt'  (kelt.  *ceHi  i  finden.  Ebenso  fli essen  in  slavisch  godü, 
godina  (vgl.  Miklosich  Et.  W.  s.  v.  ged),  sowie  in  den  germanischen 
ahd.  zit  i  inhd.  hochztt ;  vgl.  sei  t,  mahüvmta-,  eigentl.  ,grosses  Fest', 
jXainc  einer  Sonnenwendfeier' ...  und  ahd.  it  mdl  ^ollemnis',  it  inäli 
jsolleninitas',  agls.  i'dmcele  (vgl.  ahd.  it  ,iterunr  und  got.  weis)  die 
Bedeutungen  ,geordnete  Zeit'  und  .Fest'  in  einander.  Noch  nicht 
sieher  erklärt  ist  das  gemeingcrni.  got.  </«//»•  ^op-rn.',  ahd.  tuld 
(:  griech.  9aXid  ,Festschmaus  beim  Opfer'?,  sert.  dhrti-  ,Festhaltcn'?). 
Zu  ahd.  uoba  , Feier'  vgl.  sert.  dpas-  , (religiöses)  Werk'  und  lat.  opm, 
operari  ,opfern'.  Über  lat.  feriae,  festux  s.  u.  Eine  idg.  Gleichung 
ftlr  ,Fcstversammlung'  (griech.  TTavrprupt?)  scheint  in  sert.  mimana- 
(vgl.  Zimmer  Altindisches  Leben  S.  177)  —  ir.  xamain,  namentlich  ,die 
Zeit  des  heidnischen  Festes  von  Tara  am  1.  Nov.'  erhalten  zu  sein 
(s.  u.  Volksversammlung). 

Welches  nun  in  der  idg.  Urzeit  jene  .Jährlichen  Festzeiten",  jene 
certi  dies,  von  denen  Tacitus  im  Hinblick  auf  die  Germanen  wieder- 
holt (vgl.  Genn.  Cap.  0  und  11,  auch  Cap.  30:  stato  tempore  vom 
Feste  der  Scmnonen)  spricht,  gewesen  seien,  ist  eine  Frage,  die,  so- 
lange das  Studium  einer  vergleichenden  Heortologie  bei  den  idg. 
Völkern  trotz  der  reichen  vorhandenen  Materialien  noch  in  seinen  An- 
fängeu  steht,  kaum  mit  Sicherheit  beantwortet  werden  kann.  Es  wird 
noch  eine  geraume  Zeit  allgemeiner  uud  besonderer  Erwägungen  be- 
dürfen, ehe  es  gelingen  wird,  durch  die  Fülle  der  in  historischen 
Epochen  belegten,  auf  Gottesverehrung  und  Beschäftigungen  der 
Menschen  bezüglichen  Feste  zu  dem  ältesten  idg.  Zustand  hindurch- 
zudringen. 

Als  aufgegeben  darf  wohl  schon  jetzt  die  seit  J.  Grimm  von  zahl- 
reichen Forschern  vertretene  Anschauung  bezeichnet  werden,  als  ob 
die  vier  sogenannten  Jahrespunkte,  vor  allein  die  winterliche  und 
und  sommerliche  Sonnenwende,  als  älteste  Festeszeiten  zu 
betrachten  sein.  Thatsäehlieh  lassen  sieh  bei  Griechen  und  Römern, 
von  zweifelhaften  Spuren  abgesehen  (vgl.  z.  B.  in  Rom  das  Fest  der 
Angeronalia,  das  Mommscn  als  Feier  des  kürzesten  Tages  auffasst; 
doch  vgl.  Pauly-Wri8SOwa  Realencykl.  s.  v.),  derartige  Feste  nicht  nach- 
weisen, und  dasselbe  ist  bei  den  Germauen  der  Fall,  nachdem  die 
Auffassung  des  Julfestes  als  eines  Wintersonnenwendfestes,  wie  sie 


Digitized  by  Google 


Zeitteilung. 


979 


schon  Beda  (menses  Giuli  a  conversione  solis  in  auetum  diei,  quia 
units  eorum  praecedit,  alius  stibsequitur,  nomina  aeeipiunt)  vertrat, 
zusammen  mit  der  alten  Deutung:  dieses  Wortes  aus  altn.  hvel,  agls. 
hweol  ,Rad'  ( „Sonnenrad u)  sieh  als  Innfällig  erwiesen  hat  (s.  u.  Mond 
und  Monat  und  vgl.  Mogk  in  Pauls  Grundriss  III*,  301,  sowie  A.  Tille 
Ynle  and  Christmas  London  1800  S.  147 >.  Auch  verstünde  man  nicht, 
wie  eine  an  sich  so  gleichgültige  Erscheinung  wie  die  des  kürzesten 
oder  längsten  Tages,  vorausgesetzt  dass  sie  in  jener  frühen  Zeit  Uber- 
haupt chronologisch  feststellbar  war,  die  Gemüter  der  Menschen  hätte 
bewegen  oder  erregen  sollen.  Etwas  anderes  ist  es  natürlich  in  den 
nördlichsten  Breiten,  in  denen  (nach  der  Schilderung  Prokops  B.  G.  II,  15) 
die  Bewohner  Thüles  (Islauds),  nachdem  sie  35  Tage  ohne  Sonnenlieht 
gewesen  waren,  Boten  auf  die  höchsten  Spitzen  der  Berge  schickten, 
um  auszuschauen,  ob  die  Sonne  nicht  bald  zurückkehre.  Ward  dann 
gemeldet,  dass  dies  in  5  Tagen  der  Fall  sein  werde,  avir]  6ouXiTcu<; 
f|  u€f  iajr]  tüjv  £opTÜJv  toiiv.  Aber  mit  Recht  bemerkt  A.  Tille  a.  a.  0. 
S.  170  hierzu:  That  in  a  region  of  such  northerly  expanse  such  a 
vustom  should  evolve  w  almost  as  natural  as  it  is  impossible  that  it 
should  arise  in  a  region  in  ich  ich  the  sun  neter  stays  for  forty-eight 
hottrs  beloic  the  horizon.  Therefore  it  can  scarcely  be  said  to  contri- 
bitte  anything  to  our  general  knowledge  of  the  Germanic  division 
of  the  year,  and  ice  hace  rather  to  regard  it  as  a  singular  enriosity 
than  a.s  a  fad  connected  by  the  Unk  of  tradition  with  the  common 
stock  of  Germanic  lore.  Auf  die  Frage  des  Alters  der  in  Indien 
nachgewiesenen  Spuren  von  Sonnenwendfesten  (vgl.  A.  Hillebrandt 
Roman.  Forschungen  V,  200  ff.)  soll  hier  nicht  eingegangen  werden. 

Näher  liegt  es  nach  dem  oben  über  die  Grundzüge  der  idg.  Zeit- 
teilung mitgeteilten  an  die  Hauptphasen  des  M  o  n  d  1  i  e  Ii  t  s,  Neu-  und 
Vollmond,  als  an  idg.  Festeszeiten  anzuknüpfen.  Die  Neu-  und  Voll- 
mondsopfer  gehören  in  Indien  sicherlich  zu  den  regclmässigsten  und 
altertümlichsten  Darbietungen  an  die  Götter  (vgl.  Zimmer  a.  a.  0. 
8.  3<i4.  Ohlenberg  Die  Religion  des  Veda  S.  441  ff.:  Üher  das  Ritual 
A.  Hillchrandt  Das  altindische  Neu-  und  Vollmondsopfer  Jena  188*0, 
und  auch  in  Griechenland  waren  die  Feiertage  seit  ältester  Zeit  an 
bestimmte  Monderscheinnngeu.  namentlich  an  den  Vollmond,  geknüpft 
(vgl.  A.  Mommsen  Heortologie  S.  2).  Bei  den  Germanen  wird  man 
die  certi  dies,  cum  auf  incohatur  luna  auf  impletur  (Tac.  Germ. 
Cap.  II),  an  denen  die  Volksversammlungen  stattfanden,  und  die  sie 
fttr  das  auspicatissimum  initium  agendis  rebus  hielten,  auf  gleiche 
Stufe  stellen  dürfen  mit  den  certi  dies  (Gap.  0),  an  denen  sie  dem 
Mercurius  humanis  quoque  hostiis  Ware  fas  habent,  und  anzunehmen 
haben,  dass  auch  hier  die  hauptsächlichsten  Opferfeste  an  Neu-  und 
Vollmondstagen  abgehalten  wurden,  und  ursprünglich  wohl  in  der  Nacht 
selbst.  Auch  die  festa  Germanis  nox  ac  solennibus  epulis  ludicraf  von 


Digitized  by  Google 


f»so 


Zeitteilung. 


der  Tacitus  Ann.  I,  50  hinsichtlich  der  Marser  berichtet,  war  wohl 
eine  Vollmondsnacht  (iuvit  nox  «ideribus  iüustris). 

Sicherlich  wird  eine  beschrankte  Zahl  solcher  Neu-  oder  Vollmonds- 
tage frühzeitig  eine  besondere  Bedeutting  erlangt  haben,  and  nach  dem 
oben  Uber  die  älteste  Zwei-,  bezüglich  Dreiteilung  des  idg.  Jahres 
bemerkten  könnte  man  von  vornherein  auf  zwei  oder  drei  idg.  Haupt- 
feste  raten.  In  Wirklichkeit  sind  es  drei  besonders  hervorstechende 
Festzeiten,  die  uns  bei  mehreren  idg.  Völkern  entgegentreten.  In  Indien 
wird  der  Jabreslanf  durch  3  um  je  4  Monate  von  einander  entfernte 
Feste  an  den  Vollmondstagen  um  den  Beginn  des  Frühlings,  der 
Regenzeit,  der  kühlen  Jahreszeit  gegliedert  (vgl.  Oldenberg  a.  a.  0. 
8.  439).  Bei  den  Nordgermauen  werden  in  der  Heiniskringla  drei 
grosse  Opferzeiten  unterschieden  :  um  Winters  Anfang,  d.  h.  Mitte 
October  („für  ein  gutes  Jahr"),  zu  Mittwinter,  d.  h.  Mitte  Januar 
(„für  das  Wachstum  der  Erde"),  zu  Sommersanfang,  d.  h.  Mitte  April 
i^für  Beute  und  Sieg"),  und  ungefähr  stimmen  hiermit  die  Termine 
der  drei  einzigen  ihrer  Datierung  nach  uns  bekannten  altgermanischen 
Feste  überein,  nämlich  des  schon  oben  genannten  Marserfestes,  das 
nach  den  von  Tacitus  geschilderten  Umständen  (vgl.  A.  Tille  a.  a.  0. 
8.  24  ff.)  in  der  ersten  Hälfte  des  Novembers  gefeiert  worden  seiu 
muss,  des  grosseu  Opferfestes  in  Seeland  (Thietmar  von  Merseburg  I,  9 : 
post  novem  annos  mense  J  a  nuar  io  post  hoc  tempus,  quo  nos 
Theophaniam  domini  celebramus)  und  der  nicht  minder  bedeutsamen 
Festesfeier  von  Upsala  (Adam  von  Bremen  IV,  27,  Schol.  137:  Hoc 
merificium  fit  circa  aequinoctium  vemale).  Über  die  Spuren 
dreier  Hauptfeste  bei  den  Slaven  vgl.  Krek  Einleitung  in  die  slavische 
Litteraturgeschichte 8  8.  415. 

U.  Opfer  ist  es  wahrscheinlich  gemacht  worden,  dass  aller  Kultus 
in  erster  Linie  und  noch  früher  als  in  der  Verehrung  der  Natur  und 
ihrer  Erscheinungen  im  Dienste  der  Toten  wurzelt.  Ein  grosses  Toten- 
fest lässt  sich  denn  auch  in  weitgehender  Übereinstimmung  bei  fast 
allen  idg.  Völkern  während  der  winterlichen  Hälfte  des  Jahres  nach- 
weisen. In  Indien  war  mit  der  dritten  der  drei  Jahresfeiern,  der  in 
der  kühlen  Jahreszeit,  ein  grosses  Totenopfer  verbunden.  In  Griechen- 
land entsprechen  die  Anthesterien,  in  Rom  die  Feralia.  beide  im 
Februar  gefeiert.  Bei  den  Germanen  wurde  in  der  „dnnkelenu,  der 
Julzeit,  die  der  „hellen14,  der  Osternzeit  gegenüber  steht  (s.  n. 
Mond  und  Monat  und  u.  Religiom  mit  mannigfachen  Bräuchen 
der  Verstorbenen  gedacht  (vgl.  E.  Mogk  in  Pauls  Grundriss  I8,  391 ; 
anders  freilich  A.  Tille  a.  a.  O.  S.  107  ff.).  Von  Bedeutung  in  diesem 
Zusammenhang  ist  auch  ein  weit  verbreiteter  slavischer  Name  des 
Weihnachtsfestes  rttss.  korocunü  ,Christabcnd',  bulg.  kracun  u.  s.  w. 
, Weihnachten',  das  in  weissruss.  korocun  aber  , Krampf  und  ,  vorzeitigen 
Tod'  sowie  den  , Dämon,  der  das  Leben  verkürzt'  bedeutet.  Schou 


Digitized  by  Google 


Zeitteilung  —  Zell. 


»Hl 


Miklosich  bemerkt  im  Et.  W.  im  Hinblick  auf  diese  Bedeutungsent- 
wicklung: „Vielleicht  war  karaiun  'also  das  Wcilinacbtsfest)  ursprüng- 
lich eine  Totenfeier". 

Dafür  dass  die  Feste  in  letzter  Linie  im  Totendienste  ihren  Ursprung 
haben,  darf  man  sich  vielleicht  auch  auf  das  lat.  feriae,  ft'siae  (Festus) 
, Feier,  Fest'  berufen.  Man  wird  dieses  Wort  nur  ungern  von  dem  u. 
Ahnenkult us  besprochenen  ferdlia  (s.  o.)  trennen  wollen,  das  daselbst 
aus  *dhvesAlia  (vgl.  mhd.  getwds  ,Gespenst';  hergeleitet  und  als 
,Seelenfest'  gedeutet  worden  ist.  So  kann  auch  feftiae  ans  *dhve#iae 
zunächst  /.Totenfeier'  und  dann  , Feier'  überhaupt  bedeutet  haben,  und 
ebenso  kann  festus  iaus  *dhres-tu-8,  vgl.  ius-tu-s  :  iüs)  zunächst  ,auf 
Seelen  bezüglich',  dann  ,festlich'  überhaupt  sein,  Bedcutungsübcrgänge, 
die  gerade  auf  römischem  Boden  bei  der  ausserordentlichen  Wichtig- 
keit des  Totendienstes  daselbst  nichts  befremdendes  haben  können. 

Längst  aber  waren  die  Zeiten,  in  denen  die  Totenfeste  in  dem  Mittel- 
punkt der  idg.  Volksfeiern  gestanden  hatten,  vorüber,  als  die  Rücksicht 
auf  den  im  Süden  allmählich  ausgebildeten  religiösen  Festcyklus  die 
ersten  Ansätze  zur  Herstellung  eines  auch  die  bürgerliche  Zeitteilung 
regelnden  Kalenders  ins  Leben  rief.  Ein  Priester  oder  eine  Priesterin 
gab  in  Griechenland  dem  laufenden  Kalenderjahr  vielfach  seinen  Namen 
(vgl.  K.  F.  Hermann  Gottesdienst).  Altertümer  8.  289).  Die  griechischen 
Monate  sind  nach  den  gottesdienstlichen  Festen  benannt,  die  in  sie  fielen 
(s.  u.  Mond  und  Monat).  Das  älteste  Kalendarium  (fmcpoXöfiov,  iq>r\- 
M€pi£),  das  wir  besitzen,  der  ßauernkalender  des  Hesiod,  teilt  im  Hin- 
blick auf  rcligionsgeschichtliche  Ereiguisse,  die  freilich  nur  ausnahms- 
weise namhaft  gemacht  werden,  die  Tage  des  Monats  in  gute  und 
böse : 

TTpdfTOV  £vn.  T£TpÜ<J  T€  KO.\  £ßb6|Ur|  ICpÖV  fjuctp  * 

Tij  y«P  'ArtöXXiova  xpvöäopa  Ttivcrro  AnTui  (V.  770  f.) 
oder:     tv^tttck;  b'  d£aX&xo*8ai,  dirci  xa^™>  tc  koi  aivai. 
iv  TTCjiTTTTj  y<*P  <paü*tv  'Eptvüas  d)i<pnToXeu€iv 
"OpKOv  tcivöm€VOV  töv  "Epi?  Wk€  m^i'  ^KiöpKOi?  (v.  802  ff.). 
In  K  o  m  wurde  die  Einführung  der  dies  faxti  und  nefasti  dem 
Numa  Pompilius  (Liv.  1,  19)  zugeschrieben,  worin  ihr  Zusammenhang 
mit  religiösen  Institutionen  ausgesprochen  liegt.  Nur  den  patrizischen 
Priestern  waren  zuerst  diese  Tage  bekannt.    Aber  auch  der  älteste 
gallische  Kalender,  der  Druideukalender  von  Coligny  (s.  näheres  u. 
Mond,  Monat),  zeigt  hinter  den  Zahlen  der  Tage  entweder  ein  D  (ir. 
die,  dia  ,Tag')  oder  ein  N  {jn-nocht  ,Nacht'),  die  zweifellos  angeben 
sollen,  ob  nur  der  Tag  oder  die  Nacht  für  gewisse  religiöse  Ver- 
richtungen geeignet  sei.   Auch  dieser  Kalender  wurde  also  im  Hinblick 
auf  religiöse  Feiern  zusammengestellt. 

Zelt.    Ein  Zustand,  in  welchem  die  Indogcrmanen,  wie  andere 
viehzuchtende  und  nomadische  Völker,  z.  B.  die  Turko-Tataren  (vgl. 


Digitized  by  Google 


982 


Zelt  —  Zepter. 


Vambery  Die  primitive  Kultur  des  turko  -  tatarischen  Volkes  8.  74)7 
lediglich  in  Zelten  gewohnt  hätten,  lässt  sich  weder  sprachlich  noch 
sachlich  direkt  erschlicssen.  Im  Gegenteil  ist  bereits  für  die  idg.  Ur- 
zeit ein  primitiver  Haus-  uud  Hüttenbau  (s.  u.  Haus)  nachweisbar.  Die 
einzige  Spur  dafür,  dass  auch  die  Indogermanen,  wenn  auch  in  vor- 
indogermanischer Zeit,  sich  des  Zeltes  bedienten,  liegt  in  der  a.  a.  O. 
hervorgehobenen  Thatsache  des  Kund  bans  der  ältesten  idg.  Woh- 
nungen, der  sich  am  ungezwungensten  aus  der  Annahme  einer  früheren 
Zeltkonstruktion  erklärt.  Denn  mit  Recht  hat  wohl  O.  Montelius  Zur 
ältesten  Geschichte  des  Wohnhauses  in  Europa,  speziell  im  Norden 
(Archiv  für  Anthropologie  XXIII,  4öl  fl'.},  folgende  drei  Entwicklungs- 
stufen der  ältesten  menschlichen,  speziell  auch  indogermanischen  Woh- 
nung angenommen:  1.  „Das  runde  oder  beinahe  runde  konische  Zelt 
mit  einem  Holzgerüst,  das  mit  Tierhäuten,  Gewebe  oder  dergl.  bedeckt 
ist.  2.  Ein  rundes  Gebäude  von  gleicher  Form  wie  das  vorbenanute 
Zelt,  entweder  ganz  von  Holz  oder  von  Holz  mit  einer  übcrlage  von 
Rinde,  Rasen  oder  dergl.  3.  Ein  rundes  Gebäude,  welches  sieh  von 
dem  vorbenannten  dadurch  unterscheidet,  dass  es  nicht  vollständig 
konisch  ist,  sondern  dass  das  konische  oder  gerundete  Dach  auf  einem 
senkrechten  Unterbau,  eiuer  kreisrunden  Wand  ruht.  Diese  Wand,  an- 
fänglich sehr  niedrig,  nimmt  allmählich  an  Höhe  zn,  bis  sie  grösser 
wird  als  das  Dach." 

Es  stimmt  hiermit  Uberein,  dass  urverwandte  Gleichungen  für  den 
Begriff  des  Zeltes  fehlen,  und  auch  alte  und  einheimische  Ausdrücke 
hierfür,  wenigstens  in  den  nördlichen  Sprachen,  nicht  vorhanden 
zu  sein  scheinen.  Im  Griechischen  heisst  das  Zelt  o*Knvn,  dor.  cfKavd, 
gewöhnlich  zu  o*iaä  ^Schatten'  (also  etwa  , Schattenraum')  gestellt,  wäh- 
rend tcXioia  (:  tcXivw»  mehr  eine  primitive  Hütte,  Lagerhütte  und  dergl. 
bezeichnet.  Im  Lateinischen  gilt  tentörium  (:  tendo),  etwa  Ausspan- 
nung', sc.  der  Leinwand  (daneben  auch  papilio,  eigentl.  .Schmetterling', 
„Pavillon").  Aus  einem  vulgürlat.  *tenda  sind  ahd.  zrlt,  gizelty  agls. 
geteld  durch  Entlehnung  hervorgegangen.  Einheimisch:  got.  hleipra 
,öKr)vfV,  urverwandt  mit  kKujici  (s.  u.  Haus).  Im  Osten  Europas  (altsl. 
catorä,  mtlrü,  russ.  «aterü,  poln.  xzatra,  lit.  szietra  u.  s.  w.)  herrscht 
eiu  orientalischer  Ausdruck  —  npers.  Hader  ,Zelt.  Frauenschleier',  der 
nach  Miklosich  Die  türkischen  Elemente  S.  34  wiederum  aus  sert. 
chattra-  ,Sonnenschirm'  (vgl.  griech.  o*Knvn.  :  o*Kiä)  hervorgegangen  wäre. 

Zepter.  Schon  in  homerischer  Zeit  erscheint  das  aKnnrpov  (o*Kd- 
tttov,  o"Kr|TTiov  -  lat.  sedpus,  ahd.  scaf-t  neben  aicimuv  =  Int.  seipio 
,Stab  )  als  uraltes  Symbol  der  königliehen  Würde.  Die  Könige  heissen 
aKrrirroöxoi,  und  schon  damals  kann  man  sagen:  dem  „Zepter",  d.  h. 
der  Gewalt  jemandes  unterworfen  sein  und  ähnliches.  Daneben  dauert 
die  ursprüngliche  Bedeutung  ,Stab'  z.  B.  o"Kf)nrpov  des  Bettlers)  fort. 
Das  älteste  Zepter  scheint  aber  nicht  der  verhältnismässig  kurze,  ver- 


Digitized  by  Google 


Zepter  —  Zeuge. 


H83 


gchiedentlieh  geschmückte  Stah,  sondern  ein  einfaclierer,  lanzcnschaft- 
ähnlicher  Gegenstand  gewesen  zu  sein.  Nach  Tansanias  IX,  4<»,  6 
verehrten  die  Chaeronenser  das  Zepter  des  Agamemnon  mit  göttlichen 
Ehren:  touto  ouv  tö  (Tk^tttpov  o*€ßouo*i  oöpu  övouuZovtc«;.  Desgleichen 
erzählt  Justinus  XLIII,  3  von  den  Anfängen  Roms:  Per  ea  tidhuc 
tempora  reges  hast  an  pro  diademate  habebant,  quas  Graeci  seeptra 
direre,  und  auch  der  lateinische  Ausdruck  contus  ,Stange,  Pike',  den 
die  Autoren  auf  den  germanischen  Königsstab  (vgl.  .).  Grimm  K.-A. 
S.  241)  anwenden,  deutet  auf  gleiches  Inn.  In  den  germanischen 
Sprachen  wird  xceptrum  durch  ahd.  chuninegerta,  agls.  cynegeard 
verdeutlicht,  ahd.  gerta,  got.  gazd*  ,K€VTpov*  ist  aber  =  lat.  haxta. 

So  ergiebt  sich  der  lanzenschal'tähnliche  Stab  als  ein  sehr  altes  Kenn- 
zeichen herrschaftlicher  Würde  in  Europa,  Uber  dessen  weitere  Ur- 
sprünge nachzudenken  zu  keinem  Ziele  führen  kann  (doch  s.  u.  Strafe). 
Bemerkenswert  aber  ist,  dass  weder  das  indische,  noch  das  ostiranische 
Altertum  (die  persischen  Könige  führen  Zepter  wie  die  semitischen 
Fürsten)  dem  o*Kf|7tTpov  etwas  ähnliches  an  die  Seite  zu  stellen  hat. 

Die  weitere  künstlerische  Ausgestaltung  des  Zepters  ist  sichtbar 
unter  orientalischen  Einflüssen  erfolgt.  Von  den  Babyloniern  berichtet 
Herodot  I,  195:  a<ppn.Yiba  oc  €Kao"TO<;  Kai  o*Kn,TTxpov  x^porcotajov  * 
in  £Kä0Tu>  bi  o"Kn.TrTpiy  ftreffTi  TT€TTOin.u€vov  n.  unXov  n  £öbov  f)  KplVOV 
f\  aicTÖ?  f|  dXXo  tu  Dieses  mit  dem  Adler  geschmückte  o*Kn.nTpov 
kehrt  nun  bei  den  Griechen,  und  zwar  schon  zur  Zeit  der  Tragiker 
(vgl.  Soph.  frgm.  7(>6:  ö  o*Kr|TTToßduu>v  ateroq,  küujv  Aio£)  wieder,  und 
auch  die  römischen  Könige  (nnd  später  die  triumphierenden  Imperatoren) 
führten  es,  angeblich  von  den  Etrnskern  übernommen.  Vgl.  Dionys. 
Halic.  111,61,  nach  dem  die  Etrnskcr  dem  Tar<|uinius  Priscus  dieselben 
OOpßoXa  ttj5  riYEMOvia^  übertrngen,  ol?  £köo*uouv  autoi  Touq  aq)tTcpou? 
ßaaiXciq,  0"r&pavöv  T€  xpwftov  Kai  öpövov  £Xe<pävnvov  Kai  o*Kf|TTTpov 
d€TÖv  {\ov  in\  rf\<;  K€(paXf\<;  etc.  Vgl.  weiteres  hei  C.  Fr.  Hermann 
De  seeptri  regii  antiquitate  et  origine  Gottingae  18öl.  —  S.  u.  König. 

Zeuge.  Die  Bezeichnungen  hierfür  sind  in  weitem  Umfang  über- 
einstimmend hergenommen  von  der  Wurzel  cid  :  seit,  vettar-,  griech. 
foiwp  (II.  XVIII,  f>01 :  im  io"ropt  raipap  ikioQax,  nach  anderen  freilich 
hier  .Richter  )  neben  ibuioi  (iböouq  •  xouq  udp-rupaq  oüxwq  ZöXwv.  Phot.), 
got.  tceiticöds  neben  agls.  gewita,  ahd.  giteizo,  altu.  vitni,  ir.  fiadu 
Zeuge',  fiadnixse  ,Zeugnis'  \  *veidön-\  slav.  poln.  xeiadek,  klruss.  s'cidoJc 
(lit.  entl.  swietkas),  so  dass  hiemach  der  Zeuge  soviel  ist  wie  der, 
„welcher  weiss  oder  gesehen  hat".  Indessen  sind  diese  Bildungen  von 
der  überall  in  lebendigem  Gebrauch  erhaltenen  Wurzel  vid  so  ver- 
schieden, dass  es  missiieh  ist,  aus  ihnen  auf  ein  schon  idg.  Wort  für 
,Zeuge'  mit  Sicherheit  zu  schliessen,  obwohl  allerdings  Wörter  wie  got. 
teeitwöds  und  griech.  ibuToi  (von  einem  alten  Particip.  Perf.  Act.)  mor- 
phologisch einen  sehr  altertümlichen  Eindruck  machen.   Eine  zweite, 


Digitized  by  Google 


9S1 


Zeuge  —  Zeugrun  «rshelft-r. 


ähnlieh  zu  beurteilende  Reihe  ist  sert.  jfidtdr-  :  jhd  ,  wissen',  griech. 
tvu)0"Tr)p  :  yitvujctkuj.  Vgl.  auch  ahd.  urchundo  Pestis'  :  kennan. 
Ein zcls prachli ch  sind:  sert.  sdkshin-  ,Zusc:hauer',  dtgya-,  anubhd- 
vin-  , Anwesender',  griech.  udprus,  päpxupo«;,  kret.  (Gortyn.)  pairup 
( :  lat.  me-mor  ia?)  ,dcr  sich  erinnernde',  lat.  testis  aus  *ter#-ti-. 

Über  dieses  letztere  Wort  hat  ausführlich  F.  Skutsch  B.  B.  XXIII' 
lOOtY.  gehandelt.  Aus  osk.  tristaamentud  ,testamento'  und  einem  in- 
sehriftlich  aus  derselben  Sprache  bezeugten,  mit  akkatus  —  *advukatus 
,advoeatus'  verbundenen  tritus,  das  daher  selbst  dem  lat.  lentis  ent- 
sprechen wird,  folgert  er  ein  uritalisches  *tris  tu-s,  das  er  (vgl.  ir. 
tress-  ,dritte'  aus  *tri8-to-)  als  »dritter  Mann'  deutet.  „TenUs  war  ur- 
sprünglich, wer  zu  den  zwei  Parteien  hinzukam  (wie  auch  arbiter 
»Schiedsrichter'  eigentlich  ,der  hinzukommende'  sei)  und  so  Augcn- 
nnd  Ohrenzeuge  desjenigen  wurde,  was  zwischen  den  Parteien  vorging. 
In  solchem  Sinn  steht  testis  noch  häufig  bei  Plautus"  u.  s.  w.  —  Übrig 
bleibt  lit.  liüdyju  , bezeuge',  Uüdininka*  , Zeuge'.  Wenn  der  Wurzel- 
vokal (lit.  tu  woraus  entstanden?)  klar  wäre  und  sich  ftlgtc,  könnte 
man  es  zu  got.  Indja  ,Trpöo*umov',  ahd.  anthttti  .Antlitz'  stellen  und 
mit  griech.  Xeuo*o*w  ,ich  sehe'  verbinden,  für  das  durch  die  von 
Grammatikern  bezeugten  Formen  Xeüauj,  IXeucra  ein  ursprüngliches 
*X€u9juu  wahrscheinlich  gemacht  wird.  —  S.  u.  Recht  (Gerichtsver- 
fahren). 

Zeugmigshelfcr.  Bei  mehreren  idg.  Völkern  herrscht  die  Sitte, 
dass  dem  Manne,  welcher  selbst  mit  seiner  Frau  oder  seinen  Frauen 
Kinder  zu  erzeugen  nicht  im  stände  ist,  behufs  Fortsetzung  des  Ge- 
schlechts das  Recht  zusteht,  sich  dies  durch  einen  anderen,  den  Bruder 
oder  einen  nahen  Verwandten,  besorgen  zu  lassen  mit  der  Wirkung, 
dass  das  so  erzeugte  Kind  als  das  seinige  gilt.  Hierher  ist  der  indische 
Niyoga  (vgl.  Leist  Altarischcs  Jus  gent.  S.  105)  zu  stellen,  bei  dem 
der  Bruder,  dann  der  nächste  Sapinda  u.  s.  w.  als  Zcugungshclfer 
thätig  ist.  Hierher  das  Solonische  Gesetz,  nach  welchem  die  mit  einem 
zeugungsunfähigen  Manne  verheiratete  Erbtochter  einem  anderen  aus 
der  Anchistic  zur  Zeugung  eine«  Kindes  beigesellt  wurde,  während 
Lykurg  noch  weitergehend  überhaupt  unvermögenden  Männern  er- 
laubte, ihre  Weiber  jüngeren  und  kraftvolleren  zu  überlassen  (Plutarch 
Solon  20,  Lykurg  15,  vgl.  auch  E.  Meyer  Geschichte  des  Altertums  II, 
00).  Spuren  dieses  Brauches  finden  sich  auch  bei  den  alten  Prcussen  (vgl. 
Hartknoch  S.  177)  und  in  den  deutschen  Bauernweistümeru  (J.  Grimm 
R.-A.  S.  444  f.  i,  in  denen  dem  Manne,  „der  sinen  echten  wive  oer 
frowelik  recht  niet  gedoin  kondc",  aufgegeben  wird,  seine  Frau  zu 
einem  der  Nachbarn  ( =  Verwandte;  vgl.  griech.  TTpoo*nKOvxe?)  zu  tragen, 
damit  er  ihr  helfe.  Diese  Zeugungshilfe  deckt  sich  nicht  mit  dem  auf 
andern  Völkergebieten  bezeugten  Levirat,  bei  welchem  nach  dem 
Tode  des  kinderlos  verstorbenen  Mannes  der  Bruder  (levir)  gehalten 


Digitized  by  Google 


Zeugungslu-lfer  —  Ziege. 


985 


ist,  der  Witwe  „Samen  zu  erwecken".  Doch  kommt  auch  diese  Form 
•der  Zeugungshilfe  wenigstens  bei  den  Indern  vor,  vielleicht  schon 
Rigveda  X,  40:  „Wer  schafft  euch  zu  Bette  wie  die  Witwe  den 
Schwager,  die  Frau  den  Mann  an  gemeinsamer  Stätte ?~ 

Der  der  Zeugungshilfe  zu  Grunde  liegende  Oedanke,  dass  der  ge- 
schlechtliche Umgang  der  Ehefrau  mit  anderen  (wohl  nur  Verwandten) 
nichts  anstössiges  habe,  wenn  er  mit  Wissen  des  Mannes  und  wohl, 
wie  bei  den  Indern,  nach  Billigung  der  Familie  des  Mannes  erfolgt, 
sieht  sehr  altertümlich  au«  und  dürfte  als  idg.  zu  betrachten  sein.  — 
S.  u.  Ehe  und  Keuschheit. 

Zichorie,  s.  Garten,  Gartenbau. 

Ziege.  Zur  Bezeichnung  dieses  Tieres  sind  zahlreiche  Glei- 
chungen in  den  idg.  Sprachen  vorhanden.  1.  sert.  ajä-  —  lit.  ozgs, 
dazu  seit,  ajina-  ,Fell'  =  altsl.  uz'nio,  azno,  jazno  .corium  detractum". 
2.  armen,  ugts  -=  gricch.  cn£,  dazu  aw.  izuenu-,  izuena-  ,aus  Fell, 
ledern'.  Vielleicht  hängen  beide  Reihen  unter  einander  zusammen. 
Wenn  auch  urkelt.  *agos-  (ir.  ug  .i.  bö,  ug  allaid  .cervus'  u.  8.  w.,  vgl. 
Stokes  Urkelt.  Sprachschatz  S.  7)  mit  seit,  njd-  zu  verbinden  sein 
sollte,  ist  es  in  der  Bedeutung  vielfach  ausgewichen.  3.  lat.  haedus 
=  got.  gutta.  4.  agls.  hdecin,  hecen,  mndl.  hoekijn  —  altsl.  kozu,  alb. 
leb-  (vgl.  G.  Meyer  Etyni.  W.  d.  alb.  Spr.  S.  185).  Ausserdem  sind 
zwei  weit  verbreitete  Reihen  zu  nennen,  deren  Grundbedeutung  in- 
dessen vielleicht  nicht  speziell  .Ziegenbock',  sondern  ,Bock',  d.  h. 
»männliches  Tier'  im  allgemeinen  war;  doch  überwiegt  jedenfalls  die 
ersterc  Bedeutung  bei  weitem:  1.  aw.  biizu-  Ziegenbock',  npers.  buz 
buj  , Ziege,  Bock',  parsi  bozineh,  kurd.  bizin,  zigeun.  buzni,  buznin 
, Ziege'  (die  Formen  mit  n  aus  *bhugno-?),  armen,  buc  ,Lamm',  ge- 
meingerm.  ahd.  boc.  agls.  buccu  (*bhugno-),  ir.  bocc,  kymr.  bweh 
»Ziegenbock'  (vgl.  Uhlenbcck  Beiträge  XIX,  329,  Johansson  K.  Z. 
XXVI,  302),  2.  parsi  cupes,  npers.  cupiä  ,Bock',  lat.  cuper,  keit. 
Hupero-H,  kymr.  euer  ,Bock',  altn.  hufr  .Ziegenbock'  —  griech.  xd- 
Ttpo?  ,Eber'  (vgl.  Uhlenbcck  a.  a.  0.  S.  330).  Alb.  bi  ,Ziege*  gehört 
entweder  zu  dem  oben  genannten  sert.  ujd-  (alsdann  aus  *udi)  oder 
zu  ahd.  zigu,  das  ans  *dighd  entstanden  sein  kann.  Andere  freilich 
(vgl.  Kluge  Et.  W.fi)  möchten  das  ahd.  Wort  durch  die  Annahme  einer 
Umstellung  aus  ahd.  geiz  —  got.  guits  erklären.  Beachte  noch  lako- 
nisch bila'  aii  Hesych.  Für  die  junge  Ziege  ist  noch  ein  ahd.  kizzi, 
altn.  kid  etc.  zu  nennen  (vgl.  darüber  Palander  Ahd.  Tiernamen  S.  118) 
Die  angeführten  sprachlichen  Übereinstimmungen,  zusammengehalten 
mit  der  Thatsachc,  dass  die  Ziege  als  Haustier  schon  den  ältesten 
Indern,  Iraniern,  Griechen,  Römern,  Germanen  (s.  u.)  bekannt  war,  und 
dass  sie  in  derselben  Eigenschaft  bereits  in  der  neolithischen  Fauna 
Europas,  der  Schweiz,  (hier  sogar  häufiger  als  das  Schaf)  ebenso  wie 
in  Dänemark  und  Schweden  (vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde 


Digitized  by  Google 


<*6 


Ziege. 


I,  205),  ferner  in  den  Pfahlbauten  der  Poebne  ebenso  wie  in  den  My- 
kenischen  Gräbern  begegnet,  machen  es  sicher,  dass  auch  die  Ziege 
zu  dem  ältesten  Bestand  der  Indogcrmanen  an  Haustieren  zu  zählen 
sei.  Wenn  dieselbe  eine  grössere  volkswirtschaftliche  Bedeutnug  auch 
mehr  im  bergigen  Süden  und  höchsten  Norden  (Uber  Skandinavien  vgl. 
Weinhold  Altn.  Leben  S.  43)  gewonnen  haben  mag,  so  kann  ihre 
Zucht  doch  auch  in  den  flacheren  Mittclländcrn  unseres  Krdteils  nicht 
unbekannt  gewesen  sein.  Ein  indirekter  Beweis  hierfür  ergiebt  sich 
aus  der  u.  Seife  mitgeteilten  Nachricht  des  Plinius  (XXVIII,  191), 
nach  der  die  Gallier  die  beste  Seife  aus  Ziegenfett  herstellten,  fall» 
an  der  angegebenen  Stelle  mit  Recht  caprino  (nicht  carpineo  :  car- 
pinus  , Hainbuche*)  gelesen  wird,  ein  direkter  aus  dem  bei  Flav.  Vop. 
Aurel.  X  bewahrten  Bericht,  nach  dem  Aurelian  von  seinen  Kriegszügen 
gegen  nordische  Barbaren  (Franken,  Goten,  Sarmaten)  dito  milia  cac- 
curum,  equas  mitte,  ocium  decem  milia  und  caprearum  quindeeim 
milia  in  priratam  villam  Valeriani  zusammen  getrieben  habe.  Auch 
in  der  Lex  Salica  V:  De  furtis  capraruin  wird  der  Ziegendiebstahl 
behandelt.  Dabei  enthalten  die  von  Kern  in  der  Ausgabe  von  Hessels 
behandelten  Malb.  Glossen  ausser  schon  genannten  Namen  der  Ziege 
wie  haper  (altn.  hafr)  und  buccu*  'letzteres  nur  in  der  Lex  Emend.) 
noch  weitere  Terminologie  des  Tieres  aus  den  germanischen  Sprachen, 
die  auch  an  alten  Kosenamen  für  dasselbe  (vgl.  Kluge  Et.  \V.fi  u.  Hitte, 
Hippe,  Kitze)  reich  sind. 

Auf  den  Orient  zurück  geht  die  Kunst,  Ziegenhaare  zu  Zeugen  oder 
anderen  Dingen,  wie  Decken,  Segel  u.  s.  w.  zu  verweben.  Derartige 
Stoffe  treten  im  klassischen  Altertum  unter  der  Bezeichnung  k€Xikio- 
cilicia  auf,  welche  Hesyeh  und  Suidas  mit  tü  iK  Tpixwv  cfuvTiöe^va 
glossieren.  Über  den  Ursprung  dieser  Benennung  berichtet  Varro  De 
re  rnstica  II,  11:  Tondentur  (caprae)  quod  magni*  villi*  *unt,  in 
magna  parte  Phrygiae;  ttnde  (ilicia  et  cetera  ein*  genervt  ferri  sö- 
hnt. *ed  quod  pritnum  ea  tomura  in  C ilicia  sit  inxtituta,  nomen 
id  Cilica*  adiecisse  dicunt.  Vgl.  auch  G.  Goctz  Thes.  I,  224:  coactile 
mXurröv,  genu*  eilieii.  Hängt  mit  cilicium  <ir.  cilicc)  auch  ahd.  gliza 
,camisia'  (Graft' IV,  291)  zusammen?  Weiteres  vgl.  bei  Vf.  Handels- 
gesch.  u.  Warenk.  I,  215.    S.  auch  u.  Sack. 

Die  europäische  Hausziege  wird  von  Capra  aegagrus,  der  Bezoar- 
ziege  oder  dem  Paseng,  abgeleitet,  die  heute  noch,  ausser  in  Mittel- 
und  Westasien,  auch  auf  mehreren  Inseln  des  mittelländischen  Meere* 
und  vielleicht  auf  den  höheren  Gebirgen  Griechenlands  vorkommt. 
Doch  ist  es  überall  schwer,  die  wilde  Ziege  (s.  auch  u.  Steinbock 
und  vgl.  0.  Keller  Tiere  des  klassischen  Altertums  S.  38)  und  nur  ver- 
wilderte Tiere  von  einander  zu  unterscheiden.  Wie  das  Schaf  is.  d.)r 
lebte  die  Ziege  in  wildem  Zustand  zur  Zeit  des  Löss  in  Frankreich 
und  zusammen  mit  dem  Mammut  im  übrigen  Europa  (vgl.  A.  Otto  Z.  Ge- 


Digitized  by  Google 


Zu'gi'  —  Zievel. 


987 


schichte  der  ältesten  Haustiere  S.  69).  Urverwandte  Namen  für  die 
Ziege  besitzen  auch  die  semitischen  Sprachen,  während  sowohl  die 
finnischen  wie  die  turko-tatarischen  lauter  Entlehnungen  aus  den  idg. 
Sprachen  aufweisen  (vgl.  Ahlqvist  Die  Kulturw.  in  den  westf.  Sprachen 
S.  15,  Vämbery  Die  primitive  Knltnr  des  turko-tat.  Volkes  S.  197, 
G.  Meyer  Et.  W.  d.  all>.  Spr.  u.  kets,  kats).  Wie  bei  deu  Semiten,  ist 
auch  in  Ägypten  die  Ziege  seit  ältester  Zeit  als  Haustier  bekannt.  — 
Vgl.  Hahn  Die  Haustiere  S.  139  und  s.  u.  Viehzucht. 

Ziegel.  Seine  Geschichte  führt  in  die  Ebenen  des  Euphrat  und 
Tigris,  wo  der  Mangel  an  Bauholz  und  zum  Bauen  geeigneten  Gesteins 
schon  in  vorsemitischer,  sumeroakkadiseber  Zeit  die  Erfindung  des  an 
der  Luft  gedörrten  oder  im  Ofen  gebrannten  Ziegelsteins  veranlasste 
(ausführliches  hierüber  Ihering  Vorgeschichte  der  Indoeuropäer  S.  126 ff.). 
Dieselbe  hat  sich  von  hieraus  dann  sehr  frühzeitig  über  ganz  Vorder- 
asien verbreitet.  Auch  in  Sardes  (Herodot  V,  101)  waren  die  besseren 
Häuser  aus  Ziegelsteinen  erbaut.  Die  Semiten  verfügen  über  eine  ge- 
meinsame Benennung  des  Ziegelsteins  (hebr.  lebhendh,  assyr.  libittu). 
Ein  anderer  assyrischer  Ausdruck  agurru  ist  ins  Armenische,  Persische 
und  Arabische  gedrungen  (vgl.  Muss-Arnolt  Scmitic  words  Transactions 
of  the  American  phil.  association  XXIII,  70).  Auch  im  Awesta  werden 
schon  Ziegelsteine  (aw.  istya,  npere.  yßt\  vgl.  auch  sert.  ishtaktl) 
genannt. 

Ebenso  werden  die  Griechen  frühzeitig  Bekanntschaft  mit  dem  Ziegel- 
steinbau gemacht  haben.  Merkwürdig  ist  in  dieser  Beziehung  ein  Vers 
der  Ilias  V,  387: 

XaAKe'uj  b'  iv  Kepdjju»  b€b€T0  TpiOKaibtKa  ufjvaq, 
wozu  der  Scholiast  bemerkt:  o»  t<*P  Kunpioi  tö  b€0"uiwxr|piov  Ke'pauov 
KaXoGai.  Es  scheint  also  ein  gefängnisartiger  Bau  aus  Ziegelsteinen 
(griech.  «pauoq,  Kepauiq)  gemeint  zu  sein.  Doch  möchten  Muss-Arnolt 
a.  a.  O.  und  H.  Lewy  Die  semit.  Eremdw.  S.  137  das  in  der  Ilias  ge- 
nannte K^pauo{  aus  hebr.  herem  .Gefängnis'  ableiten  (?).  Später  als 
K€*pauo;  ist  ttXivBo?  , Ziegel'  (s.  u.  Blei),  das  erst  von  Herodot  an  ge- 
nannt wird.  Das  griechische  Wort  ist  dann  in  die  osteuropäische 
Welt  (altsl.  plinüta,  lit.  plytü  neben  altsl.  keramida  aus  griech.  K€pa- 
uw;)  übergegangen.  Der  Westen  erweist  sieh  als  von  Rom  abhängig, 
wo  ebenfalls  einheimische  Ausdrücke  für  den  Ziegel,  later  (dunkel) 
und  tegula  (:  tego)  »Dachziegel'  bestehn.  Aus  letzterem  oder  vielmehr 
aus  einer  volkstümlichen  Form  *tegula  stammen  ahd.  ziagal,  agls. 
tlgol,  ttgele,  wohl  daraufhindeutend,  dass  es  zuerst  D  a  c  h  ziegel  waren, 
welche  im  Norden  Eingang  fanden.  Vorher  wurde,  ebenfalls  unter 
römischem  Kulturcinfiuss,  statt  deren  die  hölzerne  Schindel  (griech. 
(XKivbaXuöq,  daraus  (?)  lat.  scandttla,  mlat.  geindula,  woher  wieder 
ahd.  scintala  und  altsl.  skqdelil)  verwendet.  Diese  letztere  Art  der 
Bedachung  hielt  sich  sehr  lange,  und  noch  spätere  Vokabularien  gebeu 


Digitized  by  Google 


988 


Ziegel  —  Zintmet. 


]at.  tegitla  dnrcli  scindula  w  ieder  (vgl.M.  Heyne  D.  deutsche  Wohnungs- 
wesen S.  89).  Das  Gotische  besitzt  ein  besonderes  Wort  für  den  Ziegel 
skalja,  ,Ktpaiioq\  also  ebenfalls  , Dachziegel',  entweder  zu  griech.  <tk«:XXiu 
,ich  trockne'  gehörig  oder  (nach  Uhlenbeck  Et.  W.  d.  got.  Spr)  mit  ahd. 
Hcala  »Schale',  .Hülse',  altsl.  skolika  .Muschel'  (vgl.  altn.  skilja  ,spalten\ 
got.  skilja  , Fleischer  )  zu  verbinden.  —  Dass  die  Römer  bei  den  Ger- 
manen keinen  Ziegelbau  vorfanden,  überliefern  die  enteren  mit  deut- 
lichen Worten.  Vgl.  Tae.  Germ.  Cap.  16:  Ne  caementorum  qtiidem 
apud  Ufos  aut  tegularum  usus  und  Herodian.  VII,  2,  4:  XiOuuv  U€V 
fap  nap'  aÜTOiq  (repnavoiq)  f)  ttXivSujv  ötttüjv  ffudvis,  über  Schindel- 
bedachung Vitrnvius  II,  1,  4:  Ad  hunc  diem  .  .  aedißeia  constituun- 
tur  .  .  in  Gallia,  Ilispania,  Lusitania,  Aquifania,  scandulis  ro- 
busteis aut  stramentis. 

Die  Kinnen  sind  in  der  Beuennung  des  Ziegels  teils  von  den  Ger- 
manen (finn.  tiili),  teils  von  den  Slaven  (weps.  kirpits  aus  russ.  kir- 
pivü,  letzteres  ein  türkisches  Wort)  abhängig.  —  S.  n.  Dach  und  u. 
Stein  bau. 

Zimmergeräte,  s.  Hansrat. 

Zimmermann,  s.  Haus,  (Je werbe. 

Zimniet.  Man  versteht  hierunter  die  aromatische  Rinde  des 
Laurus  Cinnamomum  und  verwandter  Laurineen.  Zimmetartcn  werden 
unter  den  Namen  Kao*irj  und  tavvupwiuov  in  Europa  zuerst  von  Herodot 
III,  107,  110,  III  genannt.  Er  hat  gehört,  dass  sie  zusammen  mit 
Weihrauch,  Myrrhe  und  Lad  an  um  (s.  s.  d.d.)  in  Arabien  vor- 
kommen. Die  Kaffin  wachs«'  hier  in  einem  Sumpf,  das  Kivvduwuov 
aber  schleppten  Vögel  anderswoher  in  ihre  Nester.  Woher,  das  wisse 
man  nicht,  am  wahrscheinlichsten  sei,  dass  es  aus  den  Gegenden 
stamme,  «iv  roTffi  ö  Aiövuffoq  tTpdqm,,  d.  i.  aus  Äthiopien  (vgl.  III,  97). 
Nachdem  sodann  Aristoteles  die  Geschichte  von  dieser  Art  der  Zimmet- 
gewinnung.  und  zwar  durch  einen  Vogel  Kinnaiuomum,  wiederholt  hat, 
betont  Theophrast  (IX,  4,  2),  dass  die  Kaffia,  wie  das  Kivvdu.ujjiov,  ttj 
tu»v  'Apdßuuv  x«PPOvr|ffuj  irepi  T€  Xaßd  Kai  'AbpapÜTa  etc.  wüchsen.  Die 
nächste  Nachricht  erhalten  wir  dann  durch  Strabo  (XV,  p.  ü95)  au» 
dem  Bericht  des  Onesikritos  über  Indien:  txeiv  bfc  ko\  Kivvduwuov  Kai 
vdpbov  Kai  Td  fiXXa  äpuüuaTa  rnv  vötiov  tuv  'IvbiKnv  öu.oiw<;  üjffncp 
tuv  'Apaßiav  Kai  Tf|V  Ai6iomav  tfxouffdv  ti  ^uqptiptis  ilKeivan;  Kaid  tou? 
r)Xiou?.  Es  lohnt  sich  mm  nicht,  die  Angaben  der  Alten  über  die 
Heimat  des  Zimmets  weiter  zu  verfolgen.  Fast  einstimmig  werden  in 
ihnen  das  südliche  Arabien  und  das  östliche  Afrika  als  die  eigentlichen 
Zimmetländer  bezeichnet.  Namentlich  tritt  die  Ostspitze  Afrikas  immer 
deutlicher  als  regio  cinnamomifera  hervor.  Indien  w  ird  als  Ursprungs- 
stätte des  Zimmets  erst  ganz  spät  (bei  Isidorus  Hispalensis)  wieder 
erwähnt.  Als  bemerkenswert  hervorgehoben  sei  nur  noch  der  Umstand, 
dass  der  so  wohl  unterrichtete  Verfasser  des  Pcriplns  maris  erythraei 


Digitized  by  Google 


Ztmm«'t. 


den  Ausdruck  Ktvvduwuov  nicht  zu  kennen  scheint,  die  Kaao*ia  aber 
ausschliesslich  aus  Ostafrika,  namentlich  von  dem  Vorgebirge  Aroinata 
(§  12),  und  zwar  in  ö  verschiedenen  Spezies,  exportieren  lässt.  Auch 
Indien  wird  hierbei  nicht  genannt;  nur  der  im  Periplus  unmittelbar 
hinter  Kaacria  (§  8)  geuannte  Ausdruck  bouaica  (*bFaKa)  könnte,  wenn 
ihm  sert.  tvaca-  ,Zimmetbaum,  Cassiarinde'  (B.  K.),  Siühala  -  tvaca 
jZimmet  von  Taprobane'  entspricht,  auf  dieses  Land  hindeuten. 

Im  Ganzen  scheinen  so  die  Dinge,  was  die  Heimatsfrage  des  Zimmets 
betrifft,  ähnlich  wie  bei  Weihrauch  und  Myrrhe  zu  liegen,  auch  was 
die  sprachliche  Seite  derselben  anlaugt;  denn  ebenso  wie  die  grie- 
chischen Namen  der  genannten  beiden  Aroinata  aus  dem  Semitischen 
entlehnt  sind,  ebenso  sind  auch  »caoia  und  Kivvduumov  ohne  jeden 
Zweifel  aus  derselben  Sprache  übernommen  worden.  Und  zwar  stammt 
tcao"ia  ans  hebr.  qesiaJi,  Kivvduujuov  aber,  im  zweiten  Teil  wohl  mit  An- 
lehnung an  das  seiner  näheren  Bedeutung  nach  unbestimmbare,  erst 
bei  Theophrast  belegbare  duuuuov  ,ein  Aroma'  (aus  aram.  Uemämä, 
vgl.  Low  Aram.  Pflauzeun.  S.  169),  aus  hebr.  qinndmön  i  vgl.  Herodot 
III,  111:  Krfp9ea  tci  f|U€i£  and  <l>omKU)V  uaöövieq  Kivväfuuuov  KaAcouev). 
Endlich  entspricht  auch  das  von  Dioskorides  genannte  kittu*  ,Zimmct' 
dem  hebr.  qiddäh  id. 

Indessen  zeigt  sich  doch  in  sofern  ein  Unterschied,  als  die  semitischen 
Namen  des  Zimmets  nach  Ansicht  der  Fachgelehrten  nicht,  wie  die 
des  Weihrauchs  und  der  Myrrhe,  von  einheimischen  Stämmen  ab- 
geleitet werden  können  und  daher  über  das  semitische  Gebiet  hinaus- 
zuweisen scheinen.  Dazu  kommt  nun,  dass  Dr.  Carl  Schumann  in  einer 
sehr  gediegenen  Arbeit  Kritische  Untersuchungen  über  die  Zimtländer 
(Ergänzungsheft  Nr.  73  zu  Pctermanns  Mitteilungen  1883)  den  Nachweis 
zu  führen  versucht  hat,  dass  Zimmetarten  in  Ostafrika  und  Südarabien 
weder  jemals  gewachsen  sind,  noch  auch  ihren  natürlichen  Existenz- 
bedingungen nach  gewachsen  sein  können.  Das  Vaterland  der  Zimmet- 
arten ist  nach  ihm  vielmehr  das  äusserstc  Ostasien:  Japan,  China,  die 
Philippinen,  Java,  Sumatra,  Ceylon  und  der  Osten  Ostindiens.  Iudcm 
nun  Schumann  zeigt,  dass  der  Zimmct  Ceylons,  des  alten  Taprobane, 
des  Hauptzimmetlandes  der  neueren  Zeit,  von  dem  man  noch  am  ehesten 
den  von  den  Völkern  des  Altertums  gebrauchten  Zimmet  herleiten 
möchte,  erst  in  verhältnismässig  sehr  später  Zeit  Uberhaupt  bekannt 
wird,  kommt  er  zu  dem  Schlüsse,  dass  nur  China  den  kostbareu  Stoff 
geliefert  haben  könne,  den  wir  seit  dem  hohen  Altertum  in  den  Häfen 
des  roten  Meeres  antreffen.  Diese  Ansicht  sucht  Schumann  auch  durch 
eine  etymologische  Kombination  wahrscheinlich  zu  machen.  Als  ein 
Exportartikel  des  Landes  Puut  wird  in  den  ägyptischen  Inschriften 
khisi-t  angeführt,  das  man  wohl  mit  Recht  mit  ,Zimmet'  oder  ,Cassia' 
übersetzt.  Dieses  khisi-t  scheint  nun  einerseits  mit  qesiah-Kaaoia  (vgl. 
auch  griech.  Ti&ip  ,eine  Spezies  Cassia'  im  Periplus  maris  erytbraei), 


Digitized  by  Google 


990 


Zimnu-t  —  Zinn. 


andererseits  mit  chiuesisch-japanischem  kei  ~  Laurus  Cassia,  Cinna- 
niomum  nromaticum,  kei  xi  =  ,Cassiarinde',  ,Cinnaniomum\  ,Cas»ia 
'nach  v.  d.  Gabelentz)  zusammenzuhängen.  Andere  haben  dagegen 
qhinämön-K\vva\iu))XO\  mit  einem  malaiischen  kdjü-mänU  (vgl.  Muss- 
Araolt  Transaetions  S.  116,  Lcwy  Die  semit.  Fremdw.  S.  37  )  verglichen. 
So  wenig  wahrscheinlich  nun  das  Erscheinen  chinesischer  Waren  auf 
den  Märkten  des  alten  Ägyptens  u.  s.  w.  in  so  früher  Zeit  (s.  dazu  u. 
Malahathron,  Seide,  Pfirsich  uud  Aprikose)  an  und  für  sich  ist, 
so  wird  man  doch  Kombinationen  wie  die  vorstehenden  jedenfalls  so 
lange  beachten  müssen,  als  Zimmetarten  nicht  in  Ostafrika  oder  Süd- 
arabien selbst  nachgewiesen  worden  sind. 

Die  Verbreitung  des  Zimmets  in  Europa  erfolgte  auf  den  ge- 
wohnten Wegen,  die  durch  die  Sprache  beleuchtet  werden:  Aus  dem 
Griechischen  stammt  lat.  casia  (Plautus)  und  cinnamomum,  mlat.  cy- 
namonium,  cinamonium.  Hieraus  ahd.  ainamin,  mhd.  zinemin,  zin~ 
ment.  Daneben  begegnet  mhd.  kanel  aus  dem  Romanischen  (it.  can- 
nella  .Zimmct',  eigentl.  , Röhrchen').  Zu  griech.  Kaacria  vgl.  altsl. 
kajsnija. 

Bei  den  arabischen  Geographen  treten  dann  China  uud  Japan  als 
Zimmet  exportierende  Länder  direkt  hervor.  Aus  dieser  Zeit  stammt 
der  Ausdruck  där  «im,  pers.  dar6iny  serb.  darein,  wörtlich  „China- 
bäum"  (vgl.  unser  „Apfelsine",  mundartl.  appeldeaine,  frz.  pomme  de 
Sine,  engl,  china  orange).  Was  den  Gebrauch  des  Zimmets  an- 
betrifft, so  wird  er  im  Altertum  zum  Räuchern,  zu  Ölen  und  Salben 
(in  Ägypten  anch  zur  ßalsamieruug  der  Mumien),  zum  Gewürz  beim 
Wein,  zu  Medikamenten,  aber,  soweit  nachweisbar,  noch  nicht  als  Zu- 
that  zu  Speisen  gebraucht.  In  dieser  letzteren  Eigenschaft  tritt  er 
erst  im  Mittelalter  auf.  Die  erste  Nachricht  hierüber  aus  dem  IX. 
Jahrb.  meldet,  dass  die  Klosterköche  von  St.  Gallen  Fische  damit 
würzten  (vgl.  Schumann  a.  a.  0.  S.  24 1.  —  Vgl.  auch  W.  Tomaschek 
in  Pauly-Wissowas  Rcalencyklopädic  u.  dpwuaTO<pöpo<;  x^pa.  S.  u. 
Aromata. 

Zink,  s.  Messing. 

Zinn.  Als  Fundstätten  des  Zinns,  dieses  für  die  Herstellung 
der  Bronze  unentbehrlichen  Metalls,  kommen  in  Europa  seit  alters  zwei 
Örtlichkeiten  in  Betracht,  die  beide  im  äussersten  Westen  unseres  Erd- 
teils liegen.  Es  ist  dies  einmal  der  nördliche  Teil  Lnsitaniens. 
Vgl.  Diodorus  V,  38,  4  (aus  Poscidonius) :  Tiverai  bfc  Kai  Kaao-iT€po?  iv 
7roKXoi?  TÖTtoiq  Ttis  Ißnptas»  °uk  Ö  ^7Ti7ToXf|<;  eüpiaKÖuevos,  üj?  iv  rdiq 
io*TOpioi?  Tive<;  Tc6puXr|xaaiv,  dXX'  dpuTTÖucvo?  Kai  xwveuöucvo?  öuoiuj<; 
äpYupuj  T£  Kai  XPu0*lP '  uncpdvuj  fdp  ttk  tuiv  Auffixavüjv  x^paq  &*ti 
pe'taXXa  iroXXd  toö  Kao*o*iWpou  .  .  .  und  Strabo  III,  p.  147  (aus  der- 
selben Quelle):  Y€vvdo*9ai  (töv  Kao~aiT€pov)  b'  fv  T€  toi?  uirfep  tou?  Au- 
anavouq  ßapßdpoiq  Kai  tv  bk  toi?  'ApTdßpoi?,  ot  ttk  AucJitaviaq 


Digitized  by  Google 


Zinn. 


«KU 


OaraTot  npo?  äpKTOv  Kai  buffiv  elo*iv,  ^Eavöeiv  qpntfiv  (TTocfeibumos)  thv 
fi\v  dpfupip,  KcrrriTepiu,  XPu°"uj  XtUKip  (dpTupouiYns  Tdp  £o"tiv).  Tn.v  be 
Tfjv  TauTnv  (pepeiv  Touq  Ttoxauouq  etc.  Es  ist  dies  zweitens  die  süd- 
westliche Küste  Englands  im  heutigen  Cornwall.  wie  es  Caesar  De  bell. 
Call.  V,  12:  Xascitur  ibi  plumhum  album  in  mediterranneift  regt- 
onibiis  unzweideutig  ausspricht.  Doch  ist  diese  letztere  Erkenntnis 
verhältnismässig  jung.  Lange  Zeit  glaubte  mau  vielmehr,  dass  das 
Zinn  nicht  in  England  selbst,  sondern  auf  einer  ihm  vorgelagerten  Insel- 
gruppe gewonnen  werde,  die  teils  Kassiteridcn  (zuerst  von  Herodot 
III.  115),  teils  Oestrymnidcn  (von  Avienus»  genannt  werden,  Namen, 
unter  denen  wahrscheinlich  die  (>  Meileu  von  der  Westküste  von  Corn- 
wall entfernten  Scillyinseln  zu  verstehen  sind.  Dieser  Glaube  war 
daher  entstanden,  dass  die  Eingeborenen  Englands  ihre  Metallschätze 
auch  später  noch  auf  Kähnen  oder  Wagen  (zur  Zeit  der  Ebbe)  an  be- 
nachbarte Küsten  und  Eilande  brachten,  um  sie  gegen  Salz,  Thon- 
und  Esswaren  an  fremde  Kauflente  zu  verhandeln.  Vgl.  Diodorus  V,  22: 
tr\q  fäp  BpCTTCtviKfte  KctTÜ  tö  dKpuirripiov  tö  KaXouuevov  BeXeptov  ol 
kotoikouvtc?  (piAöüevoi  T€  biaqpepövxujs  eio"i  Kai  btd  Trjv  tu»v  Ee'vwv  £p- 
Tiopujv  emuiEiav  e^nM^PWuevoi  Ta£  dfujfd^.  outoi  töv  Kuo"0"iTepov  Kaxa- 
<JK6ud£ouo"i,  qpiXoT€xva)q  dpraZopevoi  xfjv  <p^pouo*av  aüidv  fr\v.  avrr\  be 
ueipiubri^  oüo*a  bia<pud<;  fyei  Yeu>bet<;,  ev  a\<;  töv  nöpov  KaiepTalöpevoi 
xa\  TrigavTe?  Kaeaipouffiv.  d7TOTUTTOÖVT€?  b'ei<;  daTpaTdXwv  pu6pouq  (ein 
grosser  Zinnbarren  72  kg  schwer  wurde  in  Falmouth,  Cornwall  im 
Hafen  aufgetischt,  vgl.  Olshausen  a.  n.  a.  O.i  Kopi£ouo*v  t\q  nva  vrjo*ov 
7rpOKeipevnv  pev  BpetTaviKfjs,  övopa£opevr|V  be  "Iktiv  •  koto  tdp  xd<; 
dpmureiq  äva£npaivop€vou  toü  uetaEu  töttou,  raiq  dpd£at(  eiq  touttiv 
KO\xilovO\  batpiXf)  töv  Kao"öiT€pov.  Vgl.  dazu  Strabo  III,  p.  175 :  ulraXXa 
be  exovie?  KaTme'pou  Ka\  poXtßbou  Ke'papov  dvxi  toutujv  Kai  tu>v  b€p- 
pdTuuv  biaXXdiTOVTai  Kai  äXa?  Kai  xaXKuüpaTa  irpö?  toü?  dpTrdpou^  und 
Pliuius  Hist.  nat.  IV,  104:  Timaeus  hütoricus  a  Britannia  introrsum 
w  dient  m  navigatione  abe*xe  dicit  insulam  Mictim,  in  qua  candi- 
dttm  phitubum  proveniat.  ad  eam  Britanno*  tiiilihu*  navigih  corio 
circunwutis  nacigare. 

Ausser  in  Spanien  und  Britannien  hat  man  vorhistorische  Zinngruben 
auch  im  Fichtelgebirge  zu  erweisen  versucht  (vgl.  Corrcspondenzbl. 
XV,  1884,  Nr.  3,  Beilage  z.  Allg.  Z.  181«»  Nr.  106  und  117).  Doch  sind 
<lie  Untersuchungen  darüber  noch  nicht  zum  Abschluss  gekommen. 

Eine  Zusammenstellung  der  bis  zum  Jahre  1883  im  mittleren  und 
nördlichen  Europa  gemachten  Zinnfundc  giebt  Olshausen  Z.  f.  Ethnologie 
Vcrhandl.  XV,  8ti  ff.  Es  geht  aus  derselben  hervor,  dass  das  Metall 
schon  während  der  Bronzezeit,  aber  in  äusserst  geringen  Mengen,  bei 
uns  vorkommt.  Von  besonderem  Interesse  sind  in  dieser  Beziehung 
Ausgrabungen  von  Hügelgräbern  auf  der  Insel  Atnrum.  die  eine  zinnerne 
Dolch-  oder  Pfeilspitze,  das  Mittelstück  eines  kleinen  Spatels,  ein 


Digitized  by  Google 


im 


Zinn. 


Zinnklümpchen,  eine  Nadel  und  eine  Spiralscheibe,  alle  von  Zinn,  an 
den  Tag  brachten.  Sonst  erscheint  das  Metall  in  Gestalt  von  Stiften, 
Spiralen,  Ringen  (Hallstatt ,  und,  was  für  die  folgende  sprachliche 
Betrachtung  wichtig  ist,  in  Form  dünner  Stäbchen,  namentlich  in 
der  Schweiz.  Im  Ganzen  aber  ist  das  Zinn  so  selten,  dass  man  nicht 
daran  denken  kann,  es  sei  diesseits  der  Alpen  zur  selbständigen  Her- 
stellung der  Bronze  verwendet  worden,  deren  fertige  Mischung  viel- 
mehr eingeführt  worden  sein  muss. 

Der  Eintausch  der  iberischen  und  britannischen  Zinnschätze,  zu  denen 
wir  zurückkehren,  lag,  wie  es  auch  die  bei  Plinitis  VII,  198  be- 
wahrte Überlieferung:  Plumbum  ex  Casxiteride  inmla  primu*  ad- 
portavit  Midacritus  (d.  h.  der  phönizische  Mclkart)  richtig  hervorhebt, 
in  den  Händen  der  Phönizier,  die  sowohl  selbst  bis  zu  den  genannten 
Bezugsquellen  des  unentbehrlichen  Metalls  fuhren,  wie  dasselbe  auch 
von  den  Tartessiern,  deren  Schiffe  ebenfalls  früh  an  den  europäischen 
Küsten  des  Atlantischen  Ozeans  verkehrten,  übernahmen.  Tartessos 
wurde  daher  auch  selbst  von  den  ältesten  Griechen  als  Heimat  des 
Zinnes  angesehn  (vgl.  E.  Meyer  Geschichte  des  Altertums  II,  090  ff.;. 
Neben  diesem  Seeweg  hat  frühzeitig  auch  ein  Landweg  des  Zinuhandcls 
bestanden,  der  quer  durch  Gallien  nach  der  Mündung  der  Rhone  lief. 
Vgl.  Diodorus  Siculus  V,  22:  ivrevQev  (d.  h.  von  der  Insel  Ictis,  s.  o.) 
b'  o\  £uTropoi  irapd  tu>v  ^fXwptwv  üjvoüvtcu  Kai  biaKoui£ouo~i  d<;  Tf)v 
TaXaTiav.  tö  b£  TeXcuTaTov  neCrj  btd  xf|?  TaXaTia?  7rop€u0evT€?  nu^pa«; 

TplttKOVTa,    KCtTdYOUai    ^TTl  TUIV    ITTTttJUV  TCt  (pOpTlCt   TTpÖ£  TT|V  fcKßoXqV 

toO  'Pobovoö  Troxapoö. 

Wie  früh  man  aber  auch  die  Tarschischfahrten  der  Phönizier  an- 
setzen möge,  kaum  reicht  doch  ihr  Alter  aus,  um  das  Vorhandensein 
des  Zinns  in  den  ältesten  Bronzen  des  Orients,  denen  Ägyptens  und 
vor  allem  des  Zweistroralandes  zu  erklären,  wo  die  Erfindung  der 
Bronze  (s.  u.  Erz/  wahrscheinlich  ihre  Heimat  hat.  Nach  der  Her- 
kunft dieser  Zinnmassen  ist  daher  seit  lange  geforscht  worden  (vgl. 
v.  Baer  Archiv  f.  Anthropologie  IX,  265,  Winckler  Orient.  Forsch.  I,  169, 
W.  Tomaschek  Mitteil.  d.  Wiener  anthrop.  Ges.  XVIII,  8),  ohne  dass 
man  bisher  zu  einem  völlig  befriedigenden  Ergebnis  gekommen  wäre. 
Eine  gut  bezeugte  Nachricht  (Strabo  XV,  p.  724:  o\  bk  Apd-fTöi 
7T€po*i£ovTeq  t'  <5XXa  KctTd  töv  ßiov  oivou  auotviloufft,  Tivciai  be  nap' 
aÜTOiq  KCtTTiT6po<j)  nennt  die  Landschaft  Drangiana  als  zinureieh,  und 
auch  sonst  weist  Tomaschek  a.  a.  0.  zahlreiche  Zinngruben  und  be- 
trächtliche Zinnindustrie  auf  iranischem  Boden  nach.  Ob  unser  Metall 
aber  schon  im  Awcsta  genannt  wird,  ist  unsicher,  da  die  Bedeutung 
des  früher  so  gedeuteten  aonya-  nicht  feststeht  (vgl.  Horn  Grundriss 
d.  npers.  Et.  S.  287).  An  dem  e  u  r  o  p  ä  i  sc  b  e  u  Ursprung  auch  des 
ältesten  vorderasiatischen  Zinnes  hält  dagegen  W.  Max  Müller  in  einem 
Aufsatz  über  das  Zinn  bei  den  alten  Ägyptern  (Oriental.  Litteratur- 
Zeitung,  II.  Jahrg.  Nr.  9)  fest. 


Digitized  by  Google 


Zinn. 


Einige  weitere  Anhaltspunkte  für  die  Geschichte  der  Zinngewinnung 
ergeben  sich  aus  den  Name  n  des  Metalles,  obgleich  diese  freilich 
vielfach  noch  selbst  der  Aufklärung  bedtlrfeu.  Sic  lassen  sich  in 
folgenden  Gruppen  zusammenlassen:  1.  Die  grössten  Schwierigkeiten 
bietet  gleich  der  in  Europa  am  frühsten  bezeugte,  das  griechische, 
schon  homerische  KacKJiT€po<;  (auf  die  Ilias  beschränkt  und  zu  Ver- 
zierungen von  Panzern,  Schilden,  Wagen,  auch  zu  Beinschienen  ver- 
wendet). Aufzugeben  ist  zunächst  die  Anschauung,  als  ob  das  Wort 
aus  den  semitischen  Sprachen  erklärt  werden  könne,  die  nichts  ver- 
gleichbares bieten.  Die  von  Oppert  und  Lenormant  angeführten  assyr. 
kdaazatira  und  akkadisch  id-kasdurii  haben  sich  nicht  haltbar  er- 
wiesen (vgl.  Jensen  bei  II.  Lewy  Die  sem.  Freiudw.  im  Griech.  S.  6U). 
Unleugbar  ist  natürlich  der  Zusammenhang  von  Kaaaiiepo?  mit  den 
oben  genannten  KatfffiTepibeq.  Leitet  man,  was  immer  das  nächst- 
liegende bleiben  wird,  letzteres  aus  ersterem  ab,  so  ist  damit  für  die 
Erklärung  von  Kacröiiepo?  nichts  gewonnen.  Doch  hat  man  neuerdings 
mehrfach  das  Verhältnis  umzudrehen  und  Kaaauepoq  aus  Kaöatiepibes 
zu  deuten  versucht  (vgl.  S.  Rcinach  Revue  areheol.  XX,  262).  Sprachlich 
wäre  dies  nur  denkbar,  wenn  man  für  den  Namen  der  Zinninseln  von 
einer  kürzeren  Bildung  wie  *Kao"o*i-T€p€q  ausginge,  für  die  man  ver- 
schiedene, freilich  nicht  sehr  überzeugende  Ableitungen  aus  den  kel- 
tischen Sprachen  vorgeschlagen  hat  (vgl.  Holder  Altkeltischer  Sprach- 
schatz I,  828  ff.).  Alsdann  wäre  das  Verhältnis  von  Kaöo*iT€poq  (wovon 
Kao*o*iiepib€?  neu  gebildet  wäre)  zu  einem  solchen  *Koto"<n-T€p€<;  etwa 
dem  von  griech.  x<*Xuiy  :  XdXußeq  (s.  u.  Eisen)  oder  auch  dem  von 
ngriech.  KaXdi  ,Zinn'  (s.  weiteres  u.)  zu  dem  Städteuamen  Qualah  auf 
Malakka  zu  vergleichen.  Unmittelbar  überzeugend  ist  dies  alles  nicht, 
ebensowenig  wie  die  andererseits  versuchte  Verknüpfung  des  griechischen 
Wortes  mit  ähnlich  klingenden  idg.  Metallnamcn,  sert.  kanail-,  kämya- 
, metallenes  Gefäss,  Metall,  Messing',  altpr.  caasoye  ,Messing'  etc. 
Welches  nun  auch  immer  der  Ursprung  von  griech.  icaaöiT€po<;  sei, 
jedenfalls  ist  das  Wort  von  griechischem  Boden  aus  sehr  weit  gewandert. 
Es  kehrt  nicht  nur  in  den  slavischen  Sprachen  (altsl.  kositerü),  sondern 
auch  im  Orient,  im  Arabischen  {qazdir,  daher  kesdir  in  zahlreichen 
afrikanischen  Idiomen)  und  im  Sanskrit  (kastira-)  wieder,  wie  denn 
Zinn  (auch  yavaneshfa-,  eigentl.  ,den  Joniern  lieb')  im  Periplus  maris 
erythraei  §  49  ausdrücklich  als  Einfuhrartikel  in  Indien  bezeichnet 
wird.  Doch  ist  auch  eiu  vedischer  Name  iträpu-,  dunkel)  für  das 
Metall  bereits  vorhanden. 

2.  Eine  bemerkenswerte  Erscheinung  in  der  Terminologie  des 
Zinnes  ist  ferner  der  Umstand,  dass  in  ihr  Wörter  für  das  chemisch 
doch  ganz  verschiedene  Blei  (s.  d.)  mit  solchen  für  Zinn  zusammen- 
fliessen,  was  in  der  äusseren  Ähnlichkeit  der  beiden  Metalle,  vielleicht 
auch  in  ihrem  gemeinsamen  westlichen  Ursprung  seiuen  Grund  haben 

Schräder.  Keallexikon.  M 


Digitized  by  Google 


994 


Zinn. 


wird.  Dies  ist  schon  im  Alt-Ägyptischen  der  Fall,  wo  W.  Max  Müller 
a.  a.  O.  in  dht'i  hs  »weisses  Blei'  den  bis  jetzt  fehlenden  Namen  de« 
Zinnes  nachgewiesen  hat.  Im  Lateinischen  ist  plumhum  nigrum  TBlei', 
plumhum  album  oder  candidum  ,Zinn',  Verbindungen,  die,  wenn  die 
n.  Blei  gegebene  Erklärung  von  lat.  plumhum  richtig  ist,  soviel  wie 
»schwarzer*  und  ,weisser  Barren'  bedeuten.  Besonders  häufig  ist  die 
Erscheinung  im  Osten  Europas,  /.  B.  in  altsl.  olnto,  altpr.  alwis 
,Blci'  gegenüber  lit.  alwan  ,Ziun'.  Eine  Erklärung  dieser  Sippe  ist 
aber  noch  nicht  gefunden,  da  die  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte1 
S.  306  vorgeschlagene  Auffassung  derselben  als  Entlehnung  aus  lat. 
(plumhum)  album  (so  auch  Hirt  Beitrage  XXIII,  3f>f>)  aus  lautlichen 
Gründen  kaum  möglich  ist  (vgl.  E.  Lidcn  Studien  zur  altind.  u.  vergl. 
Sprachgeschichte  S.  94).  Auch  ob  das  Verhältnis  der  litu-slavischen 
Wörter  auf  Entlehnung  des  Litauischen  aus  dem  Slavischen  oder  auf 
Urverwandtschaft  beruht,  ist  noch  nicht  ausgemacht. 

3.  Bei  der  grossen  Bedeutung,  die  der  Westen  Europas  für  die 
Frage  nach  der  Herkunft  des  Zinnes  hat,  werden  dort  geltende  alte 
Namen  desselben  von  besonderem  Interesse  sein.  Ein  solcher  liegt  in 
ir.  cred  ,Zinn',  auch  in  creduma  , Bronze'  (d.  h.  Zinn  und  Kupfer)  vor. 
Darf  man  das  scheinbar  seltene  Wort  auf  ein  ursprüngliches  *creido- 
(oder  *crando,  *crendo-'i)  zurückführen,  so  dürfte  es  in  Beziehung  zu 
dem  baskischen  Namen  des  Metalles  cirraida  (vgl.  urraida  ,Kupfer) 
stehen.  Ist  diese  Zusammenstellung  richtig,  so  würde  also  im  Umkreis 
Lusitaniens  wie  in  dem  der  Kassiteridcn  (s.  o.)  derselbe  Ausdruck  für 
das  Zinn  gegolten  haben. 

4.  Der  häufigere  keltische  Name  des  Zinns  liegt  in  kymr.  yxtaen, 
bret.  xten  aus  *ntagnum  vor  (vgl.  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz 
S.  312).  Ihr  Verhältnis  zu  lat.  stagnum,  ntannum  (wober  frz.  etain, 
it.  stagno  etc.)  steht  noch  nicht  fest.  Man  hat  an  Entlehnung  des 
lat.  Wortes  aus  dem  Keltischen  (so  Stokes  j  und  umgekehrt  gedacht. 
Bemerkenswert  und  für  ersteres  sprechend  ist  der  Umstand,  dass 
Plinius  Hist.  nat.  XXXIV,  162  die  Verzinnung  als  eine  gallische 
Erfindung  betrachtet  (album  incoquitur  aerin  operibus  Galliartim  in- 
rento).  Iu  dem  Bronzealter  der  Schweiz  haben  sieh  dunkle  Thon- 
gefässe  mit  dünnem  Belag  von  Zinnstreifen  gefunden,  vielleicht  die 
Anfänge  jener  Kunst  (vgl.  Olshausen  a.  a.  0.  S.  100  ff.). 

5.  Der  oben  angeführte  archäologische  Nachweis,  dass  das  Zinn  in 
dünnen  Metallstäbchen  in  den  Handel  kam,  macht  die  Erklärung  der 
germanischen  Zinnnamen  altn.,  agls.  tin,  ahd.  zin  (auch  ins  Polnische, 
Litauische  und  die  meisten  westfinnischen  Sprachen  entlehut)  aus  *tina- 
als  einer  Nebenform  von  *taina-  (got.  tains,  altn.  teinn,  agls.  tan, 
ahd.  zein)  ,Zwcig',  .dünnes  Metallstäbchen'  etc.  sachlich  ansprechend. 

6.  Gänzlich  unaufgeklärt  ist  altpr.  starTcis  (starstis?)  ,Zinn'  und  die 
im  Süden  wurzelnde  Sippe  von  it.  peltro,  altfrz.  peautre,  engl,  peteter 
(daneben  mit  *  altfrz.  espeautre  etc.). 


Digitized  by  Google 


Zinn  —  Zinsen. 


995 


7.  Die  wichtigste  vorderasiatische  Gruppe  von  Zi  immunen  liegt 
in  akkad.  anna,  naga,  assyr.  anaku,  hehr.  dndk,  arab.  dnuk,  äthiop. 
näk,  sert.  ndga-,  armen,  anag.  kopt.  bais-neg  (W.  M.  Müller  a.  a.  0.) 
vor.  Weiteres  vgl.  hei  Vf.  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  * 
S.  317. 

Alle  Bezugsquellen  des  Zinnes  aber,  mochten  sie  nun  in  Europa 
oder  Asien  liegen,  traten  an  Bedeutung  zurück,  als  sich  vom  frühen 
Mittelalter  an  die  ungeheuren  Zinnschätze  Hinte rindiens  dem  Welt- 
handel eröffneten.  Auch  diese  Begebenheit  hat  sich  in  der  Sprache 
allgespiegelt,  insofern  der  Stadtname  Qualah  auf  Malakka,  ein  Centrai- 
punkt des  ostasiatischen  Handels  und  Hauptstapelort  des  Zinnes  (vgl. 
Tomaschek  a.  a.  0.  8.  10  und  Litteraturbl.  f.  Orient.  Phil.  I,  125) 
sich  als  ein  neuer  Name  des  Zinnes  selbst  in  ungeheurer  Ausdehnung 
über  den  Orient  (Sprachvergl.  u.  Urgcseh.*  S.  317.  wo  armen,  klajek 
nachzutragen)  und  bis  in  den  Südosten  Europas  (ngriech.  tcaXäi,  alb. 
kaldj,  bulg.  kalaj)  verbreitet  hat.  —  S.  u.  Metalle. 

Zinnober.  Dieses  mineralische  Färbemittel  wird  unter  dem 
Namen  lowäßctpi  zuerst  von  Theophrast  erwähnt,  dem  zu  folge  es  in 
Spanien  und  in  Kolchis  gewonnen  wurde.  Nach  Theophrast  nahm  das 
Wort  vielfach  die  Bedeutung  eines  anderen  (vegetabilischen)  Färbe- 
mittels, des  sogenannten  Drachenbluts  von  der  Insel  Socotra  (vgl. 
Flückiger  Pharmakognosie  *  S.  99  ff.)  an  (vgl.  z.  B.  Periplus  maris 
erythraci  ed.  Fabricius  §  30:  t»v€Tcti  b'  Iv  aürrj  xai  wvväßapi  tö  Xcyö- 
uevov  'IvbiKÖv,  öttö  tu)v  b^vbpwv  u>?  bäicpu  o-uvcrröuevov  >,  während  der 
Zinnober  uuter  den  Ausdrücken  griech.  fiuuiov  und  lat.  minium  (s.  u. 
Farbstoffe)  mit  verstanden  wurde.  Die  Herkunft  des  unzweifelhaft 
fremden  griech.  Kivvdßapi  (TiTfäßctpi)  ist  nicht  sicher.  Man  denkt  an 
ein  npers.  zingafr  (vgl.  Prellwitz  Et.  W.  d.  griech.  Spr.)  oder  an  ein 
nabatäisches  qunäbirä  ,Graphit'  (vgl.  H.  Jansen  Wochenschr.  f.  klass. 
Phil.  1895  S.  1067).  Lat.  cinnabari  (aus  dem  Griechischen)  kehrt  in 
der  Bedeutung  Zinnober  in  den  romanischen  Sprachen  (frz.  cinabre  etc.) 
und  auch  im  Mhd.  (zinober)  wieder.  Ausführlich  handelt  über  die 
Geschichte  des  Zinnobers  O.  Schade  im  Ahd.  W.  Über  griech.  crdvbuS 
vgl.  Blümner  Terminologie  und  Technologie  I,  245  und  die  Z.  d.  deutschen 
morgenl.  Ges.  1889  S.  386.  —  S.  u.  Farbstoffe. 
Zins,  s.  Abgaben. 

Zinsen.  In  ein  wie  hohes  Alter  geht  bei  den  idg.  Völkern  die 
Bekanntschaft  mit  den  Zinsen  zurück?  Diese  Frage  ist  von  I bering 
Vorgeschichte  der  Indoeuropäer  S.  238  ff.  ausführlich  behandelt  worden. 
Er  gelangt  zu  dem  Ergebnis,  dass  Zinszahlungen  erst  nach  dem  Be- 
kanntwerden des  metallenen  Geldes  und  im  Handelsverkehr  aufgekommen 
seien.  Die  Zinsen  seien  eine  babylonische  Erfindung,  alle  anderen 
Volker  verdankten  ihre  Bekanntschaft  damit  den  Babyloniern.  Sie 
seien  ursprünglich  gedacht  als  Anteil  am  Handelsgewinn  eines  über- 


Digitized  by  Google 


Zinsen. 


seeischen  Unternehmens,  seien  aber  dann  wegen  der  Schwierigkeit 
der  Kontrolierung  dieses  Gewinnes  als  Quote  vom  eingeschossenen 
Kapital  fest  fixiert  worden.  Vordem  habe  es  nur  Gefälligkeitsdarlelm 
(Iat.  mutuum)  gegeben,  die  ihrer  Natur  nach  zinslos  seien. 

Indessen  lässt  sich  doch  wahrscheinlich  machen,  dass  so  gross  auch 
immer  der  Einfluss  des  Handels  auf  die  Ausbildung  der  Zinsen  in  ihrer 
heutigen  Gestalt  gewesen  sein  mag,  die  Naturaldarlehen  des  gewöhn- 
lichen Lebens  schon  in  Zeiten,  in  denen  es  Geldverkehr  noch  nicht 
oder  so  gut  wie  nicht  gab,  in  der  Absicht  gemacht  wurden,  das  aus- 
geliehene Gut  iu  vergrössertem  Massstab  wieder  zu  erhalten,  dass  dem- 
nach Zinsen  in  diesem  Sinne  so  alt  wie  die  Schuldverhältnisse  selbst 
sind.  Schon  Hesiod  giebt  Werke  und  Tage  v.  349  ff.  für  die  Getrcide- 
anleihc  den  Rat: 

€u  ufcv  u€Tpt?a6m  Tropd  y€itovo<;,  eu  b'  dirobouvai, 

aurdi  Tiu  uetpuj,  Kai  XuYiov,  ai  ice  büvnai, 

Oü?  av  xpnftwv  *al  öo*T€pov  äpxiov  €Üprj<;. 
Von  grossem  Interesse  ist  ferner  in  dieser  Beziehung  die  altrussische 
Pravda  des  XIII.  Jahrhunderts.  In  ihr  wird  hinsichtlich  des  Zinses 
bestimmt  (vgl.  Ewers  Ältestes  Recht  der  Russen  S.  323):  „Wenn 
jemand  Marder  auf  Zinsen  giebt,  oder  Honig  auf  Zugabe  (nattavü), 
oder  Getreide  auf  Übermass  (prisopü),  so  stellt  er  Zeugen,  wie  er 
dies  mit  ihm  ausgemacht  hat,  so  empfange  eru.  Es  wird  also  Marder- 
geld (s.  u.  Geld)  auf  Zinsen,  die  monatlich  oder  dritteljährlich  be- 
zahlt werden  (Ewers  ibid.),  ausgeliehen.  Daneben  besteht  aber  auch 
für  Naturaldarlehen  die  alte  Form  der  ,Zugabe'  oder  des  ,Übermasses'. 
Auch  bei  den  germanischen  Völkern  muss  früh  ein  Modus  bestanden 
haben,  ausgeliehenes  Gut  mit  Gewinn  zurückzuerhalten,  da  für  diesen 
Gewinn  ein  gemeingertnanischcr  Ausdruck  in  got.  wökrs  ,töko?',  »hd. 
wiiohhar  , Ertrag,  Frucht,  Gewinn*  besteht.  Die  sehr  unklare  Äusserung 
des  Tacitus  Genn.  Cap.  26:  Faenus  agitare  et  in  usuras  extendere 
Ujnotum;  ideoque  inagis  sercatur  quam  si  tetitum  esset,  kann,  wenn 
überhaupt,  nur  so  verstanden  werden,  dass  den  Germanen  wucherische 
Vermehrung  des  Kapitals  wie  in  Rom  unbekannt  war.  Als  eine  Art 
von  Zinsen  dürfen  auch  die  Kälber,  die  Bewirtung  und  die  Arbeit 
augeseheu  werden,  welche  nach  den  irischen  Brehon-Gcsetzen  (s.  u. 
Schulden)  die  saer  stock  tenants  und  daer  stock  tenants  ihren  Herrn 
für  die  ihnen  auf  7  Jahre  geliehenen  Kühe  zu  liefern  oder  zu  leisten 
haben. 

Der  Begriff  der  Zinsen  wird  in  den  idg.  Sprachen  meistens  durch 
.Wachstum'  (vegetabilisches  und  tierisches)  ausgedrückt,  was  zu  der 
durch  die  oben  besprochene  ,Zugabe'  (der  ältesteu  Form  des  Zinses) 
veranlassten  Vermehrung  des  ausgeliehenen  Kapitals  aufs  beste  passt. 
Hierher  gehört  sert.  erddhi-  .Zinseu'  :  vardh  , wachsen',  vdrddhusha- 
,Wuchcrer'  und  russ.  rostü  :  altsl.  raxtq  ,wachse'.    Auch  got.  wökrs 


Digitized  by  Google 


Zinsen  —  Zitrone. 


997 


<lürfte  in  letzter  Instanz  mit  got.  tcahsjan  zu  verbinden  seiu  (vgl. 
XJhlenbeck  Et.  W.).  Vgl.  ferner  griccb.  töko?  ,das  Gebären',  ,die 
Nachkommenschaft',  der  ,Zhis'  und  lat.  faenus,  fenus  :  fetus,  ßtura, 
fficundu*.  Anderer  Herkunft  sind  griecb.  bdvos,  cigcntl.  ,Gabe'  (,Zu- 
gabe'  V)  und  Iptov,  letzteres  in  dem  Sinne,  in  dem  man  heut  zu  Tage 
von  einem  „arbeitenden  Kapital"  spricht  (oder  direkt  auf  die  als  Zins 
geleistete  Arbeit  (s.  o.)  bezüglich,  wie  auch  töko?  konkret  das  als 
Zins  zu  liefernde  Kalb  der  geliehenen  Kuh  bezeichnen  köunte)?  —  S. 
u.  Schulden. 

Zitrone.  Die  Heimat  der  Agrumi-Arten  ist  in  Ostindien  oder 
noch  weiter  östlich  iu  Cocbinchina  und  dem  südlichen  China  zu  suchen. 
Hieraus  erhellt,  dass  Vertreter  dieser  Gattung  in  Europa  erst  bekannt 
werden  konnten,  nachdem  die  Eroberungszüge  Alexanders  des  Grossen 
den  Blick  nach  dem  fernen  Wunderland  geöffnet  oder  freier  gemacht 
hatten.  In  der  That  ist  es  erst  Theophrast,  welcher  die  frühste  Kenntnis 
einer  Agrumi-Art  verrät.  Oiov  r\  T€  Mrjbia  x^pa  Kai  TTcpai?,  sagt  er 
Hist.  plant.  IV,  4,  2,  dXXa  t€  €\€i  ttXsuu  Kai  tö  nnXov  tö  un,biKÖv  F|  tö 
ir€po"iKÖv  KaXoüuevov  ....  tö  bi  unXov  oük  €0"6i€Tai  nev,  cuoömov  b€ 
Trdvu  Kai  tö  (puXXov  toö  btvbpou  •  k'  &v  t\<;  i^dua  T€Örj  tö  unXov  ökotto 
biarripei.  xpftftuov  b'  ^Tteibdv  Tuxrj  tu;  nemuKw«;  (pdpuaKOV  Kai  Trpö? 
aTÖuaToq  euwbiav  .  .  .  <plpci  bi  m  ufiXa  Tiäaav  üjpav  Ta  uev  ?dp  depfj- 

pnrai  Td  be  dvG€i  rd  bk  ^kttettci  aircipcTai  bi  Kai  eiq  öcTTpaKa 

biaT«Tpn,M^va  KaGdrap  Kai  o\  (poivoceq.  Der  hier  gemeinte  Baum  ist  nach 
allgemeiner  Annahme  Citrus  medica  Cedra  ,die  Zitronatzitrone',  nicht, 
was  wir  heute  Zitrone  (=  Limone  s.  u.)  nennen.  Persischer  oder 
modischer  Apfel  hiess  der  Baum,  sei  es,  weil  man  seine  Früchte  über 
diese  Länder  bezog,  sei  es,  weil  die  Kultur  des  Baumes  selbst  schon 
damals  nach  ihnen  vorgedrungen  war. 

Im  Occidcnt  erfolgte  die  Aupflauzung  der  Zitronatzitrone  erat 
geraume  Zeit  nach  der  ersten  Bekanntschaft  mit  den  eingeführten 
Früchten,  die  als  sehr  selten  auch  in  einem  Fragment  des  Komikers 
Antiphancs  (Ausgang  d.  IV.  Jahrh.)  erwähnt  werden.  Nachdem  Plinius 
Hist.  nat.  XII,  16  dann  von  vergeblichen  Versuchen,  den  Baum  in 
Italien  zu  akklimatisieren  gesprochen  hat,  schildert  der  im  ersten 
Drittel  des  HI.  nachchristlichen  Jahrhunderts  lebende  Florentinus  (Geop. 
X,  7)  die  Kultur  des  Zitronenbaumes  in  der  heutigen  Weise.  Aus  uoch 
späterer  Zeit  Anden  sich  ausführliche  Mitteilungen  über  diesen  Gegen- 
stand bei  Palladius  De  re  rustica  IV,  10.  Dass  noch  zur  Zeit  des 
Diocletian  citria  ,Zitronen  etwas  seltenes  waren,  geht  auch  daraus 
hervor,  dass  in  dem  nach  ihm  benannten  Tarif  dieselben  einzeln 
(nicht  wie  bei  anderen  Fruchtarten  in  grösserer  Stückzahl)  und  zu 
hohen  Preisen  (16—24  Denare  das  Stück)  aufgeführt  werden  (vgl. 
Jilümner  Maximaltarif  S.  98). 


Digitized  by  Google 


Zitrone  —  Zucker. 


Das  lat.  citrus,  malum  citreum,  citrium  (daraus  griech.  KiTpov, 
KiTpiov  ,Zitronatfrucht',  KiTpea  ,Zitronatbaum',  ngrieeh.  KtTpna,  KiTpov, 
alb.  kitre)  wird  aus  einer  volkstümlichen  Verwechslung  mit  griech. 
K€bpoq  (K€bpöpri^ov  bei  Dioskorides),  woraus  lat.  citrun,  erklärt,  dem 
Namen  zunächst  von  einheimischen  Wachholderartcn  (s.  d.),  dann 
von  Pinns  Cedrus  L.  oder  auch  von  der  ebenfalls  stark  duftenden 
fremdländischen  Thuja,  deren  Holz  zu  denselben  Zwecken  wie  die 
Früchte  und  Blätter  des  Zitronenbaumes,  nämlich  zum  Konservieren  von 
Kleidern  u.  s.  w.  gebraucht  wurde. 

Erst  der  Epoche  der  Araber  gehört  die  Verbreitung  der  Limone 
und  der  Pomeranze  (Orange)  in  Europa  an.  In  beiden  Fällen  zeigt 
die  Sprache  den  Weg  an,  auf  welchem  diese  Agrumi-Arteu  aus  Ost- 
indien zu  uns  gekommen  sind.  Vgl.  sert.  nimbüka-  ,der  Zitronen- 
baum', npers.  limün,  arab.  laimiin,  it.  limone,  ngrieeh.  Xeiuovrjä, 
alb.  leimone  (auch  russ.  etc.  Umonü)  und  sert.  ndranga-  ,Orange', 
npers.  ndrang,  armen,  narinj,  ngrieeh.  vepaviZnd  (bulg.  nerandze),  alb. 
naränts,  it.  arancio,  melarancio,  frz.  orange.  Ausserhalb  des  Rahmens 
dieses  Buches  fällt  in  zeitlicher  Beziehung  die* Einführung  der  Apfel- 
sine {Citrun  aurantium  dulcei,  die  bekanntlich  erst  1548  durch  die 
Portugiesen  aus  dem  südlichen  China  zunächst  nach  Lissabon  kam.  — 
Vgl.  V.  Helm  Kulturpflanzen 0  S.  426  ff.  Nach  einer  Schrift  von  Loret 
Le  cedraticr  dans  l'antiquite  Paris  1881  S.  22  (bei  Lewy  Die  semit. 
Frcmdw.  S.  35)  käme  der  Zitronatbanm  in  Ägypten  schon  im  XV. 
Jahrb.  v.  Chr.  vor.  (?)  —  S.  u.  Obstbau  und  Baumzucht. 

Zitwer  lladi.r  Zedoaria),  eine  dem  Ingwer  s.  d.)  ähnliche 
Wurzel  aus  Ostindien,  von  den  Molukken  etc.  Er  wird  erst  durch 
die  Araber  in  Europa  verbreitet:  arab.  yadtedr,  zadwär  (vgl.  aber 
Freytag  Lex  arab. -lat.  I,  203;,  daraus  mlat.  zedoarium,  zeduarium,  ahd. 
citawar,  ziticar,  sp.  zedoaria,  klruss.  ct/tear  u.  s.  w. ;  s.  auch  u.  Pfeffer. 

Zobel,  s.  Pelzkleider. 

Zoll,  s.  Abgaben. 

Zopf,  s.  Haartracht. 

Zucker.  Als  mutmassliche  Heimat  des  Zuckerrohrs  (Sacharum 
officinarum  L.),  das  freilich  in  wildem  Zustand  noch  nirgends  un- 
zweifelhaft nachgewiesen  wurde,  ist  das  nordöstliche  Indien,  besonders 
Bengalen,  vielleicht  zusammen  mit  Hinterindien  und  dem  Indischen 
Archipel  anzusehn.  In  sehr  alten  indischen  Quellen,  noch  nicht  im 
Rigveda,  wohl  aber  in  der  Väjasaneyi-Samhitä  XXV,  1  und  im  Atharva- 
v£da  I,  34,  5  (in  einein  Liebeszauber;  wird  denn  auch  die  Pflanze 
{ikshu-i  bereits  genannt,  ohne  dass  es  möglich  wäre,  aus  diesen  Stellen 
zu  entscheiden,  ob  es  sich  um  wildes  oder  angebautes  Zuckerrohr 
handelt.  Als  sicher  darf  man  annehmen,  dass  seine  ursprüngliche 
Verwendung  im  Kauen  und  Aussaugen  des  Rohres  bestand.  Fester, 
durch  Eindicken  des  ausgepressten  Saftes  und  Konzentricrnng  des 


Digitized  by  Google 


Zucker. 


Zuckersyrups  gewonnener  Zucker  tritt  zuerst  unter  tiein  Worte  $(ir- 
Ä'rtrrf,  eigentlich  ,Gries,  Kies,  Stein',  dann  .Sandzucker'  auf.  Der 
Ausdruck  kommt  bereits  im  Mahäbhurata  vor,  ein  Umstand,  der  aber 
bei  der  eigentümlichen  Entstehungsgeschichte  dieses  Gedichtes  kaum 
zu  chronologischen  Bestimmungen  verwendet  werden  kann. 

In  Europa  taucht  die  erste  Kunde  von  dem  indischen  Zuckerrohr 
bei  den  Begleitern  Alexanders  des  Grossen.  Xcarchos  und  Oncsikritos, 
in  d  e  r  Form  auf,  dass  es  in  Indien  Bohre  gilbe,  die  ohne  Bienen 
Honig  hervorbrächten  (vgl.  Strabo  XV,  p.  (394:  eipn«  b€  Kai  —  Neap- 
X0?  —  TTepi  tüjv  KuXduujv  öti  ttoioGci  ncXt  ueXiffaüjv  ixr\  ovkjüjv).  Im 
ersten  Jahrhundert  nach  Christus  ist  dann  auf  einmal  die  eben  er- 
wähnte indische  Bezeichnung  des  festen  Zuckers,  sert.  qdrkart),  in  den 
Formen  von  crdKxapi,  adKxapov,  saccharum  in  der  griechisch-römischen 
Welt  vorhanden  und  wird  ziemlich  gleichzeitig  von  drei  Autoren,  dem 
unbekannten  Verfasser  des  Periplus  maris  erythraci,  von  Dioskorides 
und  Plinius  gebraucht.  Diese  drei  Stellen  lauten:  Peripl.  ed.  Fabrieius 
§14:  ilapT'xlimx  be  <Juvn8uj<;  Kai  änö  tüjv  £o*uj  töttujv  th<; 'ApiaKÜ.«;  kui 
BapuTa£ujv  €Ü;  raÖTa  Ta  toö  Ttt'pav  eunöpia  -re'vn,  TTpoxwpoövTa  ämb  tüjv 

TÖTTUJV  TOÜTUJV  ....  KOI  U€'Xl    TO  KaXdpiVOV  TO  XCYÖpeVOV  O  OL  K  X  a  P  l  , 

Diosk.  II,  104:  KaXcnrai  be  ti  Kai  adKxapov,  eibo?  öv  ue'XtTO«;  ev  'Ivbia 
Kai  ttj  eübaiuovi  'Apaßia  TreTnrrÖTO?,  eüptO'KÖpevov  im  tüjv  KaXüpujv, 
öuoiov  rrj  o*uo*Tdo"ei  dXoi  Kai  Gpauöuevov  ünip  toi?  öboöai  KaGdrrep  o\ 
äXe?  '  £o*ti  be  eÜKoiXiov,  eiKJTÖpaxov,  bieOev  übaTi  Kai  TroBev.  üxpeXoüv 
küo*tiv  KCKaKUjp^vrjv  Kai  vetppoOV  KaGaipei  be  Kai  Ta  Tdq  KÖpa?  emtfKO- 
toüvto  ^mxpiöpevov,  Plinius  Hist.  nat.  XII,  32:  Saccharon  et  Arabia 
fert,  sed  laudntius  India.  est  autem  mel  in  harundinibus  collectum, 
cummium  modo  candidum,  dentibus  fragile,  amplimmum  nueut  abel- 
lanae  maguitudine,  ad  medicinae  tantum  usum.  Bedenkt  man,  dass 
der  ausgezeichnet  unterrichtete  Verfasser  des  Periplus  ausdrücklich 
sein  (TdKxapi  mit  dem  ixiki  tö  KaXdpivov  (vgl.  oben  bei  Ncarch  KaXduwv 
öti  ttoioOöi  pe'Xi)  identifiziert,  und  dass  das  dem  gricch.  (JdKxapov  zu 
Grunde  liegende  indische  qdrkard  (pali  sakkarä)  nachweislich  ausser 
Kies,  Gries  etc.  doch  nur  ,Zucker'  bedeutet,  so  scheint  kein  genügen- 
der Anlass  vorzuliegen,  unter  dem  gricch .-lat.  Wort  etwas  anderes 
als  festen,  indischen  Zucker,  etwa,  wie  viele  gewollt  haben,  den  Ta- 
baschir,  die  im  Orient  mediziuisch  wichtige  Konkretion  des  Bambus- 
rohres, oder  eine  Art  Mauna  zu  verstehen.  Dass  als  Herkunftsort  des 
ödKxapov  von  Dioskorides  und  Plinius  (nicht  im  Periplus;  ausser  Indien 
auch  Arabien  genannt  wird,  ist  ohne  Bedeutung,  da  in  der  antiken 
Handelsgeschichte  nichts  häufiger  als  eine  Verwechslung  von  Produ- 
zenten und  Zwischenhändlern  ist.  Wohl  aber  lernen  wir  aus  den  au- 
geführten Stellen,  dass  der  Zucker  im  Altertum  als  Genussmittel  noch 
keine  Rolle  gespielt  haben  kann,  sondern,  wie  alles  seltene,  z.  B.  lange 
Zeit  der  Pfeffer  (s.  d.),  lediglich  zu  medizinischen  Zwecken  verwendet 
wurde. 


Digitized  by  Google 


1000 


Zucker  —  Zwerge  und  Riesen. 


Erst  durch  die  Araber  ist  die  Kultur  des  Zuckerrohrs  im  Mittelalter 
nach  Ägypten,  Sizilien  und  dem  Süden  Spaniens  verbreitet  worden, 
und  erst  durch  die  Kreuzzüge  und  den  Handel  mit  den  italienischen 
Städten  ist  der  Zucker,  deu  seit  Urzeiten  gebräuchlichen  Honig  (s.u. 
Biene,  Bienenzucht)  zurückdrängend,  als  Versüssungsmittel  in  die 
breitesten  Schichten  eingedrungen.  Der  heute  in  ganz  Europa  geltende 
Name  des  Zuckers,  mhd.  zucket  u.  s.  w.  geht  denn  auch  zunächst  auf 
it.  zucchero  zurück,  das  wieder  aus  arab.  sukkar,  assukkar  (sp.  azticar), 
von  npers.  sakar,  prakr.  sakkara,  sert.  gdrkard  stammt  (vgl.  daneben 
frz.  ftueve  candis  etc.  »Kandiszucker'  aus  arab.  qand  .Zuckerrohr  ).  — 
Vgl.  De  Candolle  Ursprung  der  Kulturpflanzen  S.  191  ff.  und  E.  0. 
v.  Lippmann  Geschichte  des  Zuckers  Leipzig  1890. 

Zugabe,  s.  Zinsen. 

Zügel,  s.  Zaum. 

Zweifelderwlrtschaft,  s.  Ackerbau. 

Zwerge  and  Riesen.  Der  Glaube  an  überirdische  Wesen,  welche 
an  Grösse  entweder  weit  das  menschliche  Mass  übertreffen  (Giganten, 
Titauen,  Riesen),  oder  weit  hinter  ihm  zurückbleiben  (Dactylen,  Pyg- 
maeen,  Zwerge,  Elfen)  ist  bei  den  idg.  Völkern  Europas  in  grosser 
Ausdehnung  verbreitet.  Es  handelt  sich  hier  darum  zu  untersuchen, 
ob  und  in  wie  fern  sich  diese  Vorstellungen  von  Zwergen  und  Riesen 
mit  den  u.  Ahnenkultus  und  Religion  geschilderten  ältesten 
Religionsvorstellungen  der  Indogermanen  vermitteln  lassen.  In  dieser 
Beziehung  kann  es  nicht  bezweifelt  werden,  dass  die  Gestalt  des 
Zwerges  in  dem  Seclcnglauben  der  Indogermanen  wurzelt.  Von 
hoher  Bedeutung  ist  hier  zunächst  die  schon  idg.  Reihe  agls.  (elf, 
altn.  lilfr  ,Elfe'  =  sert.  rbhü-,  dem  Namen  gewisser  kunstreicher  Genien 
des  vedischen  Altertums,  eine  Gleichung,  deren  Grundbedeutung,  wie 
ihr  Zusammenhang  mit  griech.  d-Xtqp-cupoucu  ,täusche'  und  ö-Xo<p-wioq 
»tückisch,  ränkevoll'  zeigt,  die  eines  übersinnlichen,  trügerischen  Wesens 
war.  Dass  damit  im  letzten  Grunde  die  menschliche  vom  Leibe  los- 
gelöstc  und  ein  selbständiges  Dasein  führende  Seele  gemeint  war,  geht 
aus  der  Natur  der  germanischen  Elfen  (vgl.  W.  Grimm  Kleinere 
Schriften  I,  405  ff.)  mit  aller  nur  wünschenswerten  Deutlichkeit  hervor. 
Wie  die  Seelen,  müssen  die  Elfen  mit  irdischer  Speise,  die  der  Würze 
des  Salzes  (s.  d.)  noch  entbehrt,  mit  Milch,  Brot  und  Käse  gelabt 
werden  (Grimm  S.  456),  wie  die  Seelen,  haben  die  Elfen  (wenigstens 
die  schwarzen  Elfen)  ihre  Wohnung  in  der  Tiefe  der  Erde  (Grimm 
S.  454),  wo  sie,  wie  die  Toten  (s.  u.  Totenreiche),  grosse  Genossen- 
schaften unter  Königen  oder  Königinnen  bilden  (Gr.  S.  457),  wie  die 
Seelen,  sind  die  Elfen  dem  Menschen,  je  nachdem  sie  behandelt  werden, 
bald  freundlich,  bald  feindlich  gesinnt  (Gr.  S.  466  ff.).  Die  Toten  ge- 
hören den  Elfen  an,  „und  sie  feiern  daher  das  Absterben  eine» 
Menschen  wie  ein  Fest  mit  Tanz  und  Musik u  (Gr.  S.  476  l    Wie  die 


Digitized  by  Google 


Zwerge  und  Riesi'n. 


1001 


Seelen,  tiberfallen  sie  als  Alp  (mlid.  alp  =  agls.  ielf  i  den  Schlafenden, 
um  ihn  mit  aufregenden  Tränmen  zu  quälen  (Gr.  S.  440,  476).  An 
Gestalt  sind  sie  klein  (Gr.  S.  413),  wie  auch  in  Griechenland  die 
Psyche  auf  altertümlichen  Bildwerken  als  kleines  beflügeltes  Wesen 
erscheint,  und  die  Inder  (s.u.  Körperteile  am  Schluss)  den  Glauben 
haben,  dass  die  Seele  als  ein  nur  daumengrosses  Geschöpf  im  Herzen 
des  Menschen  wohne.  Die  indischen  Rbhu's,  deren  im  Veda  hervor- 
tretende Dreizahl  kein  ursprünglicher  Gedanke  sein  kann  (vgl.  A.  Kuhn 
K.  Z.  IV,  103),  haben  sich  von  dieser  Grundlage  primitiver  Vorstellungen 
bereits  weit  entfernt,  indem  bei  ihnen  besondere  die  auch  den  Elfen 
eignende  Gabe  hoher  Geschicklichkeit  und  Kunstfertigkeit  sich  geltend 
gemacht  hat  vgl.  Oldcnberg  Die  Religion  des  Veda  S.  235 1.  Auch 
bei  ihnen  aber  weist  auf  das  alte  Substrat  des  Scclenglaubens  die 
Überlieferung  zurück,  dass  sie  einstmals  sterbliche  Menschen  gewesen 
sein.  Wie  die  Elfen,  werden  auch  sie  zum  Genüsse  irdischen  Trankes 
eingeladen,  und  wie  diese  werden  sie  unter  einem  König  i i-bhukshdn- 
,Elfenkönig' i  bei  einander  lebend  gedacht   vgl.  A.  Kuhn  a.  a.  O.i. 

Die  gleiche  Bedentnngsentwieklung  wie  die  eben  besprochene  Sippe 
hat  das  ebenfalls  gcmcingerni.  mhd.  twerc,  gettrerc,  agls.  direorh, 
altn.  dvergr,  unser  „Zwerg"  durchgemacht,  wenn  diese  Wörter  mit 
Recht  von  Noreen  Abriss  der  urgerm.  Lautlehre  S.  132  und  F.  Kluge 
Et.  W."  s.  v.  Zwerg  zu  altn.  draugr,  alts.  gidrog,  mhd.  getroc  »Ge- 
spenst', agls.  dredg  ,larva  mortui',  sert.  druh  ,durch  Betrug  schädigen'  etc. 
(s.  u.  Ahnen kul tust  gestellt  werden.  Über  damit  zusammenhängende 
Traumerscheinungen  s.  n.  Traum. 

Was  die  Elfen  und  Zwerge  bei  den  Germanen,  sind  bei  den  Litauern 
und  Preussen  die  Kaukai,  von  denen  Lasicius  De  (Iiis  Samagitarum 
S.  öl  berichtet:  Sunt  lemures.  quon  Ftussi  Vboze  (,arme  Männchen', 
,  Wichtelmännchen')  appellant,  harbatuli  (daher  auch  Barzdükai  ,bärtige'), 
altitudine  ttniu*  palmi  e.rtensi,  iis  qui  Mos  esse  credunt,  contpicui, 
«Iii*  minime;  his  eibi  omni*  edulii  apponuntttr,  quod  nm  fiai,  ea 
sunt  opinione,  ut  ideo  xttas  fortuua*,  id  quod  accidit,  amittant.  An 
anderer  Stelle  werden  sie  zusammen  mit  den  Eithuari  {ditwaras), 
d.  h.  den  Alp-  oder  Druekgcistcrn  als  Götter  der  Litauer  bezeichnet 
(vgl.  Usencr  Götternamcn  S.  92).  Ihre  Bezeichnung  kaukai  (s.  ausser 
u.  Ahncnkultus  auch  u.  Alraun)  entspricht  etymologisch  wohl  dem 
gemeingerm.  got.  hug*  ,voüs',  altn.  hugr>  agls.  hyge  ,Sinn,  Gedanke', 
so  dass  also  auch  hier  der  Zusammenhang  zwischen  Zwergen  und 
Ahncnscclen  klar  zu  Tage  liegt.  Im  Altnordischen  sind  mannahugir 
die  Menschenseelen,  die  meist  in  Gestalt  von  Tieren  dem  Schlafenden 
im  Traum  erscheinen  (vgl.  Golther  Germ.  Mythologie  S.  84  f.). 

Die  übrigen  Bezeichnungen  des  Zwerges  in  den  europäischen  Sprachen 
bieten  geringeres  Interesse.  Ein  Lall-  und  Kinderwort  scheint  griech. 
vetvvos,  lat.  nänus  :  v^vvo?,  vdvvo?  f Oheim',  Wvva,  vävvn.  ,Tantc',  also 


Digitized  by  Google 


1002 


Zwerge  und  Rioscn. 


etwa  ,Onkelchen  zu  sein.  Unmittelbar  klar  sind:  griech.  ttutucuos  : 
TruTMH  , Faust',  baKTiiXio?  Ober  die  Idäiscben  Daktylen  s.  u.  Schmied) 
:  baicruXos  , Finger',  altpr.  parstuck  :  lit.  pirszta*  .Finger*.  Aus  dem 
Lateinischen  vgl.  pumilio,  pusilio  etc.  (pumilio,  nanu*,  agls.  duerh 
G.  Goctz  Thesaurus  I,  530).  Im  Osten  Europas  ist  weitverbreitet  russ. 
karlo,  cech.  karte,  lit.  karlä  u.  s.  w.  ,Zwerg'.  Es  ist  wahrscheinlich 
eine  Entlehnung  aus  der  germanischen  Sippe  „Kerl"  etc.  (s.  u.  Stände), 
das  in  der  Zusammensetzung  mit  tomte-  ,Haus'  (schwed.  tomtekarl, 
vgl.  Goltber  a.  a.  0.  S.  141 s)  auch  auf  germanischem  Hoden  ,Zwerg' 
bedeutet. 

Wenn  die  Gestalten  der  Zwerge  somit  aus  dem  Seelenglaubcn  unserer 
Vorfahren  hervorgegangen  sind,  so  haben  sich  die  der  Riesen 
zweifellos  von  denselben  Natur-  und  Himmelsgewalten  losgelöst,  in 
denen  der  Glaube  an  die  unsterblichen  Götter  selbst  wurzelt.  Das 
Feuer,  das  Wasser,  die  Winde,  die  Erde  mit  ihren  Bergen  haben 
namentlich  bei  Griechen  und  Germanen  und  im  engen  Anschluss  an 
die  physikalische  Beschaffenheit  der  Heimat  dieser  Völker  den  Riesen 
ihren  Ursprung  gegeben.  Sie  stehen  darum  den  Göttern,  die  da,  wo 
sie  in  die  Erscheinung  treten  —  man  denke  an  den  riesenhaften  in- 
dischen Indra  oder  den  griechischen  Ares,  der  7  Plcthrcn  mit  seinem 
Leibe  deckt  —  selbst  als  Riesen  geschildert  werden,  sehr  nahe  und 
werden  in  Griechenland  wie  im  Norden  als  mit  ihnen  um  die  Welt- 
herrschaft ringend  gedacht.  Was  ihre  Namen  (vgl.  Prcller-Robert 
Griech.  Myth.  I,  passim  und  K.  Weinhold  Die  Riesen  des  germanischen 
Mythus,  Sitzungsb.  d.  phil.-hist.  KI.  d.  kais.  Ak.  d.  W.  zu  Wien  XXVI, 
22ö  ff.  )  betrifft,  so  erinnern  dieselben,  soweit  sie  etymologisch  durchsichtig 
sind  und  sich  nicht  einfach  mit  dem  der  betreffenden  Naturerscheinung 
decken  i  vgl.  z.  B.  die  3  Kyklopen  Brontes:  ßpovtn.,  Steropes  :  o*Teporcr), 
Argen  :  dprifc,  wie  es  auch  einen  Zeus  dp-plS  gab,  oder  die  nordischen 
Riesen  Eid,  eigentl.  .Feuer",  Logt,  eigentl.  ,Lohe',  Käri,  eigentl.  ,Luft', 
Jbkull,  eigentl.  ,Eisfeld'  u.  s.  w.  i,  auffallend  an  eine  Gruppe  göttlicher 
aus  der  litauischen  Mythologie  bekannter  Wesen,  welche  letztere 
sieh  also  auch  hier  für  das  Verständnis  der  Religionsanschauungen  der 
Übrigen  idg.  Völker  in  hohem  Masse  fruchtbar  erweist.  Man  stelle, 
um  sich  dies  deutlich  zu  machen,  litauische  Götternamen  wie  Bang- 
putys  ,Wellenblässer',  Batlbi*  ,Brüller',  Bildükai  PI.  , Polterer',  Dreb- 
kulys  ,Stösser',  Z'embery*  ,Erdbestreuer'  (vgl.  Usenera.a.O.)  griechischen 
Gigantcnnamen  wie  Enkelado*  ,der  Tobende',  Porphyrion  ,dcr  Wogende', 
Polybotes  ,der  Brüller',  Pallas  ,der  Schüttler'  oder  nordischen  Riesen- 
namen wie  Ymir  ,der  Schallende',  Beli  ,der  Brüllende',  Thiassi  ,der 
Brausende'  (nach  Weinhokl ;  ,der  Fresser'  nach  Mogk  in  Pauls  Grundrisa 
III2,  311)  u.  s.  w.  gegenüber. 

Die  einzelsprachlichen  Bezeichnungen  des  Begriffes  ,Riese'  gehen, 
wie  natürlich,  auf  die  übermenschliche  Gestalt  oder  die  übergrossen 


Digitized  by  Google 


Zwerge  und  Riesen 


Zwiebel  und  Lauch. 


1003 


physischen  Kräfte  dieser  Wesen.  Griech.  xiTävcq  wird  am  wahrschein- 
lichsten mit  TiTdivw  .spanne  aus',  TtTavo?  ,Gliederspannung'  verbunden, 
wie  agls.  ent  ,Ricse'  :  baiersch  enzerixch  ,ungehcuer  gross'  und  kymr. 
caicr,  korn.  caur  ,gigas'  :  kelt.  *kunos  —  kymr.  cwn  Modi  t  vgl. 
R.  Much  Festgabe  für  Hcinzel  S.  209.»  gehört.  Lit.  mllzinax  ,Riese' 
ist  der  geschwollene'  (vgl.  lett.  milzu,  milzt  .schwellen  *.  Ahd.  risi, 
alts.  wrixil  entspricht  dem  scrt.  crshan-,  ahd.  durix,  agls.  oyrx,  altn. 
purx  dem  scrt.  turä-,  beide  bedeuten  also  soviel  wie  ,die  starken'. 
Agls.  eoton,  alts.  etan,  altn.  jötunn  (dazu  die  Etionex  mit  Menschen- 
antlitz und  Tierleibern  Tac.  Germ.  Cap.  46?)  wird  zu  got.  Hau  ,essen' 
gestellt  und  als  ,edax'  gedeutet.  Daneben  kommt  es  vor,  dass  Be- 
nennungen des  Riesen  aus  V  ö  I  k  e  r  n  a  m  en  hervorgehn.  So  mhd. 
hiune  aus  dem  Namen  der  Hunnen  i  vgl.  R.  Much  a.  a.  0.  S.  210,  Mogk 
a.  a.  0.  S.  300,  anders  Kluge  Et.  W."  s.  v.  Hüne  ,  und  so  das  in  den 
slavischcn  Sprachen  verbreitete  ceeh.  obr  etc.  ,Riesc'  aus  dem  Namen 
der  türkischen  Avaren.  Griech.  kukXuj^  bedeutet  ,Radange'  wie  der 
Vater  Zeus  selbst  bei  Homer  cüpuoTro.  ,Weitauge'  genannt  wird.  Rta?, 
tiTavTO?  hat  noch  keine  befriedigende  Deutung  gefunden. 

Mit  S  e  c  1  e  n  e  r  s  c  h  e  i  n  n  n  g  e  n  zeigen  die  Riesen  selten  Berührung. 
Doch  soll  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  sowohl  bei  den 
Germanen  wie  bei  den  Griechen  gewisse  Riesen  auch  als  Druckgeister 
oder  Alpe  und  umgekehrt  auftreten.  Bei  den  erstcren  ist  auf  die  Ge- 
stalt des  „Troll"  :  altn.  troll,  mhd.  trolle  :  got.  trudan  ,treten'  (vgl. 
lit.  Spirükx  ,Gespenst'  :  spirti  ,mit  dem  Fusse  stossen '  >  und  die  des 
„Schratt"  :  altn.  skratti  ,malus  genius,  gigas",  ahd.  xeraz,  xerat,  xerato 
,Scbratt',  auch  slavisch  poln.  xkrzot,  nsl.  xkrat  etc.  zu  verweisen 
(vgl.  Mogk  a.  a.  0.  S.  300  und  J.  Grimm  Deutsche  Myth.  I3,  447/. 
Bei  den  Griechen  ist  Ephialtex  (Preller-Robert  S.  71 1  ein  berühmter 
Riese  und  zugleich  der  gebräuchlichste  griechische  Name  des  Alps 
(vgl.  \V.  H.  Roscher  Ephialtes,  eine  pathologisch-mythologische  Ab- 
handlung über  die  Alpträume  und  Alpdämonen  des  klassischen  Alter- 
tums, XX.  Band  der  Abb.  d.  phil.-hist.  Klasse  der  kgl.  sächs.  Ges.  d.  W. 
2.  Heft  S.  48  f.  i.  Auch  das  riesige  Ungeheuer  Typhon,  Typhoeus 
(Preller-Robert  S.  63;  von  xütpoq  , feuriger  Dampf  scheint  dem  Alp 
Tiphys  iTi<pu?  ans  *Tu<puqj  nahe  zu  stehen  '  vgl.  Roscher  a.  a.  O. 
S.  55 f.).  —  S.  u.  Religion. 

Zwiebel  und  Lauch.  Es  kommen  hier  als  Hauptarten  zunächst 
in  Betracht:  1.  die  Zwiebel  (AlUum  Cepa  L.\,  wildwachsend  aus 
Beludschistan,  Afghanistan,  Labore  und  vom  Thianschan  gemeldet; 
2.  der  Knoblauch  (Alliutn  sativum  L.\,  wildwachsend  nur  in  der 
Songarei  bekannt  nach  A.  Engler  bei  V.  Hehn  s.  u.  i.  Hierzu  treten 
dann  noch  eine  Anzahl  von  Laue  harten,  die  auch  in  Europa  ein- 
heimisch sind. 

Der  Anbau  von  Zwiebeln  und  Knoblauch  geht  in  der  Ugyptisch- 


Digitized  by  Google 


1004 


Zwiebel  und  Lauch 


semitischen  Welt  in  das  höchste  historisch  erreichbare  Altertum 
zurück  (vgl.  Wocnig  Die  Pflanzen  im  alten  Ägypten  S.  192  ff.  t,  so 
dass  also  die  genannten  Pflanzen  schon  in  sehr  früher  Zeit  aus  ihrer 
fernen  östlichen  Heimat  an  der  Hand  des  Menschen  ihre  weite  Wande- 
rung angetreten  haben  müssen.  Ein  Name  des  Knoblauchs  (hehr,  tum, 
arab.  tum,  pun.  crouu,  assyr.  sümu  ?i  scheint  ursemitisch  zu  sein.  Vgl. 
auch  ägypt.  bassal,  bu*ml  ,Z\vieber  =  hebr.  b?*dltm.  Aber  auch  in 
Griechenland  und  Italien  ist  der  Anbau  von  Zwiebelgewächsen 
von  Anbeginn  der  Überlieferung  bezeugt. 

Wir  geben  zunächst  eine  Zusammenstellung  der  wichtigsten  von 
Griechen  und  Römern  gebauten  Arten  unter  HinzufUgung  der  in 
dem  Capitulare  Karls  des  Grossen  de  villis,  als  dem  ältest  erreichbaren 
Zeugnisse  deutschen  Gartenbaus,  erwähnten  Sorten  mach  v.  Fischer- 
Benzon  Altd.  Gartcnfl.  S.  137  ff.  :  1.  AUium  Cepa  L.,  Zwiebel, 
Sommerzwiebel:  griech.  schon  bei  Homer,  wo  II.  XI,  630  die  Zwiebel 
als  TTOTiL  övjjov  , Beiessen  zum  Mischtrank'  bezeichnet  wird  i  tcpöuuov, 
lat.  cepa,  Capit. :  uniones  lat.  unio  bei  Columella*  und  ascalonicas 
cepas.  Von  einer  ascalonisehen  Zwiebel  spricht  schon  Theophrast 
(VII,  4,  7  u.  8»;  es  ist  aber  nicht  ausgemacht,  dass  dies  oder  die 
ascalonicae  cepae  des  Capit.  identisch  seien  mit  dem,  was  wir  heute 
Schalotte  oder  Eschlauch  eine  durch  Kultur  entstandene  Abart  des 
AUium  Cepa  L.  nennen.  L\  AUium  mticum  L.,  Knoblauch: 
griech.  OKÖpooov  'Herodot,  Aristoph.,  Theophrast),  lat.  allium,  Capit. 
alia.  Über  die  Perlzwiebel  oder  Bocambole  vgl.  De  Candolle  Kultur- 
pflanzen S.  89  und  v.  Fischer-Benzon  1.  c. 

Hierzu  kommt  dann  noch  3.  das  für  eine  Varietät  des  in  der  Mittel- 
meerregion  einheimischen  l'orrttm  Ampeloprasum  L.  angesehene  AUium 
Porrum  L.,  der  Porree  oder  Lauch:  griech.  npacrov  (Aristoph., 
Theophrast.  aber  als  wahrscheinliches  Stammwort  von  npatfiai  »Garten- 
beete' schon  für  die  homerische  Zeit  vorauszusetzen»,  lat.  poriwm, 
Capit.  porroH  und  4.  der  in  Europa  einheimische  Schnittlauch, 
AUium  Schoenopramim  L.\  in  Griechenland  unbekannt,  lat.  porrum 
sectirum  Plin.),  Capit.:  britlas  (vgl.  brittola  bei  G.  Goctz  Thesaurus 
I,  152»  =  „Brisslauch"  (prieslauch  bei  der  heiligen  Hildegardis,  ahd. 
snitilouh  \. 

Auch  in  den  nördlichen  Teilen  Europas  treten  Zwiebelge- 
wächse sehr  frühzeitig"  auf.  Bei  den  Thrakern  dienen  Zwiebeln  als 
Hochzeitsgeschenkc  (Athen.  IV.  p.  131).  Kpouuuot  und  aicöpoba  werden 
von  den  skythischen  Alazonen  angebaut  (Herod.  IV,  17).  In  der  Edda 
(Lied  v.  Sigrdrifa  8)  kommt  Lauch,  ganz  wie  bei  Homer  die  Zwiebel 
(s.  o.),  als  Beigabe  zum  Trank  vor,  doch  nicht,  wie  bei  Homer,  zur 
Würze,  sondern  um  das  Getränk,  vor  Verrat  zu  schützen. 

Aber  im  prähistorischen  Europa  ist  der  Anbau  von 
Zwiebelgewächsen  bis  jetzt  vollkommen  nnbezeugt. 


Digitized  by  Google 


Zwiebel  und  Lauch. 


1005 


Wciidct  mau  sich  zur  Untersuchung  der  T  e  r  m  i  n  o  1  o  g  i  e  der 
Zwiebelgewächse,  so  bietet  diese  noch  sehr  viele  linguistische  Rätsel 
und  Unklarheiten  dar.  Einer  sehr  ausgebreiteten  Verwandtschaft  er- 
freut sich  das  homerische  Kpöuuov  aus  *Kpouuo*ov  ,Z\viebel'  (vgl.  die 
korinthische  Ortschaft  Kpepuwv,  Kpouuwv),  das  mit  agls.  hrqmsan, 
engl,  ramson,  deutsch  mundartl.  rams,  ramsei,  raniser  etc.,  lit.  ker- 
mitsze,  russ.  ceremsa,  ceremica,  ir.  creamh  übereinstimmt.  Alle  diese 
Wörter  bezeichnen  aber  eine  einheimische  wilde  Knoblauchart  (Allium 
ursinum  L.),  so  dass  also  hier  der  deutliche  Fall  vorliegt,  dass  die 
Helleneu  bei  dem  Bekanntwerden  mit  dem  orientalischen  Allium 
Cepa  auf  dieses  die  altererbte  Benennung  einer  wilden  Art  übertrugen. 
Griech.  ffKÖpobov  wird  mit  alb.  huötre,  ebenfalls  —  Allium  sativum 
verglichen. 

Noch  unaufgeklärt  ist  das  Verhältnis  von  lat.  cepe,  caepe  , Zwiebel' 
:  arkad.  icäma'  td  ffKÖpooa.  Ktpuvnrai  (KÄma  oder  Kama?),  womit  mau 
neuerdings  auch  ir.  cainnen  .Zwiebel,  Lauch',  kynir.  cenin  (*kapi-> 
zusammengestellt  hat.  Ebenfalls  dunkel  sind  die  Beziehungen  vou 
griech.  npdtfov  :  lat.  porrum  , Lauch'  und  von  griech.  ßo\ßö{  ,Zwiebel' 
(vgl.  auch  TcAfi?,  *'Ö0S»  -160?  , Kerne  im  Knoblauch') :  lat.  bulbus  (vgl. 
den  Eigennamen  Bulbus).  In  beiden  Fällen  hat  man  sich  bald  für 
Urverwandtschaft,  bald  für  Entlehnung  des  lat.  Wortes  aus  dem 
Griechischen  entschieden. 

Aber  auch  an  unzweifelhaften  Entlehnungen  fehlt  es  auf  dem 
Gebiet  der  Benennungen  zwiebelartiger  Gewächse  nicht.  Deutlich  tritt 
zunächst  eine  sUd-uördliche  Strömung  hervor.  Aus  lat.  cepa, 
caepulla  entlehnt,  resp.  umgebildet  sind  ir.  -ciap  in  folt-chiap  (folt 
,Haar  ),  agls.  eipe  (eipae,  G.  Goetz  Thcs.  I,  200),  ahd.  zwibollo,  cech. 
celmle,  cibule  etc.,  alb.  k'ept.  Aus  lat.  unio  (s.  u.)  stammt  agls.  ynne, 
ynneleac,  aus  lat.  porrum  :  ahd.  pforro,  agls.  porr,  alb.  por,  aus 
griech.  TTpdoov  :  altsl.  prazü.  Von  deutschem  Boden  zu  den  Slaven, 
also  vou  West  nach  Ost  gewandert  ist  ahd.  louh,  agls.  Uac,  altn. 
laukr  (dessen  Beziehungen  zu  ir.  lus,  *luksu  , Kraut,  Pflanze'  zweifel- 
haft sind),  altsl.  luku  , Zwiebel,  Lauch'  lit.  lukai,  nun.  laukka  .  Ein 
ostasiatisches  Wort  endlich  scheint  lit.  sicogünas  , Zwiebel'  aus  turko- 
tat.  sogan  id.  zu  sein.  Zwiebel  und  Knoblauch  werden  von  H.  Väm- 
bery  bei  diesen  Völkern,  was  bei  ihren  ursprünglichen  Wohnsitzen 
und  dem  Ausgangspunkte  jener  Pflanzen  s.  o.  •  auch  begreiflich  scheint, 
für  uralt  angeschn  (vgl.  Primitive  Kultur  S.  220). 

Es  bleiben  noch  folgende,  mit  mehr  oder  weniger  Sicherheit  deut- 
bare Bezeichnungen  der  Einzelsprac.hcu  zu  erwähnen  übrig:  griech. 
TnÖuov,  TnOuMi?  »eine  Art  Winterzwiebd',  vielleicht  =  „Erdrauch", 
wie  auch  griech.  6üpo^,  klruss.  dymki  ,Zwiebelgattungen' :  altsl.  dymü 
, Rauch'  zu  gehören  scheinen  (aber  thtciov?),  lat.  allium,  alium  :  lat. 
halare,  anhilare.  altsl.  qr.hati,  so  dass  lat.  *anslum  ,stinkendes  Kraut' 


Digitized  by  Google 


100« 


Zwiebel  und  Lauch  —  Zwölften. 


bezeichnete,  ferner  unio,  wie  Stnkes  (Irish  gl.  8G2i  vermutet,  ein  kel- 
tisches Wort  :  ir.  uinneamain  fgl.  ccpe,  onion;,  gael.  uinnean,  kvmr. 
icyiuryn-in  i*oinnio\  doch  dürfte  das  u  von  lat.  unio  =  agls.  ynne 
kurz  sein  und  nicht  auf  oi  zurückgehe),  ahd.  chlobolouch  ,gcspaltner 
Lauch'  :  mhd.  klieben  «wahrscheinlich  bedeutete  aber  schon  chlobo 
allein,  worauf  agls.  clufe,  engl,  clove  ,Zehe  des  Knoblauchs'  hinweist, 
die  in  Frage  stehende  Pflanze),  ferner  bolle,  identisch  mit  ahd.  bolla 
,Knospe,  kugelartigcs  Gefäss',  altsl.  cesnükü,  cesnici  :  cesati  ,pectere' 
(vgl.  ahd.  chlobolouh). 

Ganz  dunkel  sind:  griech.  idbaXov,  &f\\<;>  uuttös  in  uuttwtö«;  (vgl. 
kypr.  |iOTTO<paTia  ,Knoblauchbrciesserci'),  o*KiXXa,  lat.  ulpicum,  palla- 
cana,  ahd.  sttrio,  sttrro  (etwa  ,die  syrische',  vgl.  o.  eepa  ascatonica, 
got.  Saür  ,Surus  ?)  u.  a. 

Überblickt  man  die  hier  geschilderten  Verhältnisse,  so  dürfte  für 
die  geschichtliche  Entwicklung  derselben  sich  folgendes  Bild  oder 
dürften  wenigstens  folgende  einzelne  Züge  eines  solcheu  sich  mit  einiger 
Deutlichkeit  ergeben.  Bekannt  waren  in  der  Urzeit  Laucharten,  von 
denen  mehrere  einheimisch  in  Europa  sind.  Ein  Anbau  derselben  fand 
aber  noch  nicht  statt.  Somit  konnten  auch  in  den  Bereich  der  ältesten 
Indogennanen  Europas  die  dem  fernen  Orient  angehörigen  Allium  Cepa 
und  Allium  sativum  noch  nicht  getreten  sein,  die  erst  die  einzelnen 
idg.  Völker  durch  verschiedene  Kulturströmuugen  kennen  lernten.  Am 
deutlichsten  liegt  die  Geschichte  der  Zwiebel  vor  uns.  Wie  die 
Griechen  sich  sprachlich  verhielten,  als  dieselbe  in  vorhomerischer  Zeit 
in  Griechenland  bekannt  wurde,  ist  oben  geschildert  worden.  Von 
Griechenland  übernahmen  vielleicht  die  Römer  ihr  c€pe  {  —  ion.  *Krpna, 
arkad.  KÖtmct  :  Kf|7ros,  KäTtoq  ,Garten'?),  das  dann  weiter  nach  dem 
Norden  wanderte.  In  einer  anderen  Kulturströmung  liegt  lit.  swogünas. 
—  Vgl.  V.  Hehn  Kulturpflanzen6  S.  189  ff.  S.  u.  Ackerbau. 
Zwillinge,  s.  Kind. 
Zwölften,  die,  s.  Jahr. 


Digitized  by  Google 


Anhang-. 


1.  Nachträge  und  Berichtigungen. 

2.  Literaturverzeichnis. 

3.  Sprachennachweise. 


1008  Abgaben  —  Ackerbau. 


l.  Nachträge  und  Berichtigungen. 


Abgaben.  8.  3.  Wie  ir.  eis  aus  lat.  cemus,  so  ist  nach  H.  Zimmer 
K.  Z.  XXXVI,  443  ir.  ctiin  ,Steuer,  Abgabe'  durch  britannische  Ver- 
mittlung aus  lat.  canön  entlehnt,  das  „in  der  Kaiserzeit  die  in  den 
Provinzen  hauptsächlich  von  den  kaiserlichen  Domänen  eingehenden 
Pachten  und  festgesetzten  Abgaben  in  die  kaiserliche  Privatkasse"  be- 
zeichnete.   S.  auch  den  Nachtrag  zu  Blutrache. 

Abort.  S.  4.  Doch  verbot  religiöse  Scheu  schon  den  ältesten 
Griechen  sich  bei  der  Verrichtung  der  natürlichen  Bedürfnisse  vor  dem 
Tagcshimmcl  zu  entblössen.  So  schärft  Hesiod  Werke  und  Tage  v.  727 
seinen  Landsleuten  ein: 

\xx\h'  ävr'  r^Xiou  TCTpanudvo«;  öpOöq  öuixttv  * 
aOxdp         K€  burj,  uc|uvr|U€vo£.       t'  äviövia. 
unr'  dv  bb<\>  unr'  iKiöq  öboö  Trpoßdbnv  oüptiarj?, 
unb'  dTT0Yuuvu)6€i<;  •  uaicdpujv  toi  vukt€<;  laaiv  ■ 
££6uevo<;  b'  öre  Qe\o<;  dvn.p,  TteTrvuueva  €tbu>s, 
f\  öft  n-pö?  toTxov  TieXdcra^  eüepicdoq  aOXnq, 
eine  Stelle,  aus  der  zugleich  die  Unbckanntschaft  mit  dem  Abort  in 
damaliger  Zeit  folgt  (vgl.  dazu  Uscner  Götteruameu  S.  179y).  —  Über 
die  Verhältnisse  der  Stadt  Rom  handelt  ausführlich  Becker-Göll  int 
Gallus  II,  279.  Neben  dem  hier  besprochenenen  Idtrina  (nach  Nouius 
aus  *lavatrina)  wurden  auch  das  etym.  dunkle  culhia,  sonst  .Küche' 
(die  neben  der  latrina  lag)  und  conclavi*  im  Sinne  von  Abort  ge- 
braucht (vgl.  G.  Goetz  Thesaurus  I,  292,  249).  —  Charakteristisch  für 
die  altgcrmanischen  Verbältnisse  ist  vielleicht  die  Glossierung  von  lat. 
latrina  mit  ahd.  feltyanch,  feldgang,  veltganc  (auch  cloaca  feldganc), 
eigentl.  ,Gang  auf  das  Feld";  doch  ist  zu  bedenken,  dass  gang  auch 
von  dem  zum  wirklichen  Abort  führenden  Gang  gebraucht  wird.  Andere 
teilweis  humoristische  Bezeichnungen  sind  ahd.  xprdchüs,  stcäxcamere, 
sagarari  (^  secreta  in  Anlehnung  an  xaerarium).    Vgl.  M.  Heyne 
Das  deutsche  Wohnungswesen  S.  97,  181). 

Ackerbau.  S.  13.  Vgl.  V.  Hehn  De  moribns  Rnthenorum  S.  152: 
„Das  neue  Prinzip  (die  Feldmark  als  Gesamteigentum),  dass  eine  ge- 
wisse Nation  angeblich  in  die  Welt  gebracht  hat,  erweist  sich  als  ein 
uraltes,  von  anderen  längst  überschrittenes,  das  sich  nur  hier  im  Eise 
(der  Stabilität)  erhalten  hatu  (folgen  die  auch  von  uns  behandelten 
Stellen  der  antiken  Schriftsteller). 


Digitized  by  Google 


Adoption  —  Ahnenkultus.  1009 

Adoption.  S.  17.  Ausführlich  über  eine  germanische  Schein- 
adoption zum  Zwecke  der  Emancipation  des  Adoptierten  handelt 
Scherer  Anzeiger  für  deutsches  Altertum  VI,  87  ff.  Besonders  cha- 
rakteristisch ist  ein  von  Paulus  Diaconus  berichteter  Fall:  Karl  Martcll 
schickt  seinen  Sohn  Pippin  zu  dem  Langobardenkönig:  Liudprand,  ut 
eius  iuxta  morem  capillum  smeiperet.  Liudprand  thut  das,  wird  so 
Pippins  Vater  (qui  eiutt  caesariem  incidens  ei  pater  effectm  est)  und 
schickt  ihn  reich  beschenkt  seinem  wirklichen  Vater  (genitori)  zurück. 
Scherer  erblickt  in  dieser  Schcinadoptiou  die  allgemeine  Form  der 
Emancipation  von  der  patria  potestas,  die  in  der  frühsten  germanischen 
Periode  nicht  weniger  streng  als  bei  den  Römern  gewesen  sei.  Die 
Sitte  der  Haarabschneidung  (vgl.  auch  die  capillatoriae  der  Lex 
Salica)  stellt  er  in  Parallele  zu  dem  kecfünta-  der  luder  und  der  Haar- 
kürzung bei  der  griechischen  Ephebcuweihe  (s.  auch  u.  Haartracht). 
—  Als  Auszeichnung  kommt  die  Adoption  im  Beownlf  (v.  948,  1176, 
1480)  vor,  wo  Beowulf  von  Hygeläc,  der  selbst  Kinder  hat,  adop- 
tiert wird. 

Ahnenkultus.  S.21.  Mit  der  hier  geschilderten  baltischen  Sitte,  die 
vom  Tisch  auf  die  Erde  fallenden  Speisen  nicht  aufzuheben,  sondern  den 
Ahncnseelen  zu  überlassen,  stimmt  auf  das  genauste  der  griechische 
Brauch.  Vgl.  üseuer  Göttemamen  S.  2498:  „Aristoteles  (fr.  180  R.) 
bei  Diog.  Laert.  8,  34  t6  b£  TreaövTa  ottö  xpatr^n?  nn.  ävaiptiaeai . . 
'ApiffTotpdvriq  bi  tujv  fipujwv  tpnatv  etvai  toi  mirrovra,  Xcyujv  iv  toi$ 
"Hpujo-t  (fr.  2  Bergk  p.  1070)  'pno*  itvtaQ'  ärr'  äv  ivrix;  ttk  rpaixi- 
ZrjS  Kaicm^oV,  Athen.  X,  427e  rdiq  bfe  xextXeuTriKÖai  tujv  qnXujv  ctTT€- 
v€|iov  Tä  iriuTOVTa  Tf\q  xpotprjs  dtnd  tujv  TpaTreZuiv  mit  Verweisung  auf 
Euripides  fr.  664,  wozu  Nauck  die  Parodien  der  Komiker  anführtu.  — 
S.  26.  Da  den  Alpträumen  eine  gewisse  mytheubildcude  Kraft  zu- 
geschrieben worden  ist,  hätte  der  Name  L.  Laistners  (Das  Rätsel  der 
Sphinx,  Grundzüge  einer  Mytheugeschiehte  Berlin  1889)  nicht  unge- 
nannt bleiben  sollen,  der  zuerst,  wenn  auch  in  übertreibender  Weise, 
auf  eine  solche  hinwies.  Da  die  Alpträume  eine  Folge  von  Sauerstoff- 
mangel des  Blutes  zu  sein  pflegen,  und  dieser  wieder  durch  den  Auf- 
etathalt in  ungesunden,  kohlendunst-schwangcren  Räumen  herbeigeführt 
wird  (vgl.  Höfler  im  Centralblatt  für  Anthropologie  etc.  V,  1),  so  er- 
hellt, dass  die  Bedeutung  dieser  Traumerscheinungen  in  der  Urzeit  bei 
den  damaligen  Wohnungsverhältnissen  (s.  u.  Haus  und  u.  Unter- 
irdische Wohnungen)  eine  ungleich  grössere  als  in  der  Gegenwart 
sein  niusstc.  Über  den  Alptraum  im  klassischen  Altertum  vgl.  W. 
H.  Roscher  Ephialtes,  eine  pathologisch -mythologische  Abhandlung 
über  die  Alpträume  und  Alpdäinonen  des  klassischen  Altertums  im 
XX.  B.  der  Abb.  d.  phil.-hist.  Kl.  der  kgl.  sächs.  Gesellschaft  d.  W. 
1900.  Besonders  charakteristisch  für  den  Zusammenhang  der  Alp- 
träume mit  Totenerscheinungen  ist  der  von  Plinius  Hist.  nat.  XVIII,  118 

Schräder,  Reallexikon.  64 


Digitized  by  Google 


1010 


Ahnenkultus  —  Baldrian. 


(Roscher  S.  28)  aufbewahrte  Aberglaube,  demzufolge  die  animae  mor- 
tuorum  in  Holmen  süssen,  aus  deren  Genuss  sie  aufsteigen,  um  den 
Schläfer  zu  quälen.  —  Ein  lettischer  Name  des  Alps  ist  mils,  wahr- 
scheinlich :  meist  ,verwirrt  reden,  phantasieren'.  S.  auch  u.  Zwerge 
und  Riesen.  —  S.  27.  Zu  den  beiden  Reihen  aw.  dnij\  sert.  drwÄ-, 
altn.  draugr  etc.  und  ahd.  mara,  altsl.  mora  etc.  ist  auf  die  Aus- 
führungen u.  Traum  zu  verweisen.  Für  die  letztere  Gleichung  ist 
hier  eine  andere,  uns  jetzt  wahrscheinlicher  scheinende  Erklärung  vor- 
geschlagen worden.  Die  Litteratur  Uber  die  bisherigen  unglaubwürdigen 
Deutungen  des  deutschen  „Mahr"  findet  sich  bei  Roscher  S.  59.  — 
S.  28.  Das  Stanimverbum  der  Reihe  lit.  dtcasö,  dtcasiä  (dwüje), 
dü#a#,  altsl.  duchü  u.  s.  w.  liegt  in  lit.  dicesiü,  dwe*sti  ,hauchen  vor 
(vgl.  Lcskien  Bildung  der  Nomina  S.  271,  311).  Die  wohl  zuerst  von 
Holder  Altkeltischer  Sprachschatz  befürwortete  Verbindung  dieser  Wörter 
mit  altgall.  dusio-s  tadelt  Roscher  S.  65 801  mit  Unrecht  und  denkt 
seinerseits  für  dusios  au  eine  Ableitung  von  sert.  dus~,  griech.  büq- 
ctc.(r).  Das  griech.  Geö?  verknüpft  auch  Kretschmer  Einleitung  S.  81 
mit  lit.  dteüse. 

Ainnie.    S.  40.    Vgl.  noch  lit.  iindyict  :  itndau  ,säuge'. 

Arzt.    S.  57.    Z.  1  v.  u.  1.  iöq. 

Aussetzungsrecht.  S.  53.  In  einer  ausführlichen  Erörterung 
über  die  Frage:  Pflegten  die  Inder  Töchter  auszusetzen?  hält  0.  Böht- 
lingk  in  den  Berichten  der  phil.-hist.  Klasse  der  kgl.  sächs.  Gesellschaft 
d.  W.  zu  Leipzig  (Sitzung  vom  15.  Dez.  1900)  an  seiner  im  Texte 
mitgeteilten  Auflassung  der  betreffenden  Vcda-Stelle  fest.  Doch  gibt 
er  S.  424  zu,  dass  das  pardsyanti  auf  einen  „Gestus  bei  der  Geburt 
eines  Mädchens"  als  „symbolische  Veretossnng"  desselben  gedeutet 
werden  könne.  Auch  gegen  die  von  Zimmer  angenommene  gelegent- 
liche Aussetzung  alter  Leute  in  vedischer  Zeit  verhält  sich  ßöhtlingk 
skeptisch.  Bemerkt  sei  hier  nur,  dass  der  idg.  Charakter  beider 
Bräuche  von  europäischer  Seite  her  so  gut  bezeugt  ist,  dass  man  auf 
die  vedischen  Belegstellen  nötigen  Falls  verzichten  kann.  —  Für  die 
Kelten  werde  ich  in  der  Revue  celtique  1901  S.  135  f.  auf  das  Buch 
von  Leinster  aufmerksam  gemacht,  wo  sich  eine  Erzählung  findet, 
wie  Cairpre  Cincaitt  seine  Kinder  aussetzen  lässt. 

Baldrian.  S.  59.  Vgl.  noch  C.  Hartwich  Über  alte  deutsche 
Heilpflanzen  in  der  Schweiz  (Wochenschrift  für  Chemie  und  Pharmacic). 
Die  Bezeichnung  der  h.  Hildegard  denemarcha  kehrt  namentlich  in 
der  Schweiz  wieder.  In  Graubünden  heisst  die  Pflanze  „Damniarga" 
und  „Tammarken",  im  Entlibuch  „Tannmark"  u.  s.  w.  Eine  Beziehung 
zu  Dänemark  enthält  auch  der  Name  „Dania  maioru  bei  Tabernae- 
montanus;  doch  ist  ganz  zweifelhaft,  ob  sie  von  Haus  aus  in  dem  Worte 
liegt. 


Digitized  by  Google 


Balsam  —  Beischläferin. 


1011 


Balsam.  S.  59.  Vgl,  G.  Schweinfurth  Über  Balsam  und  Myrrhe 
(Berichte  der  Pharraaceutischen  Gesellschaft  III,  218  ff.).  Hiernach  liegt 
die  eigentliche  Heimat  der  Balsamstaude,  die  besser  als  Commiphora 
Opobahamum  Engl,  bestimmt  wird,  in  tingefähr  denselben  Gegenden, 
wie  die  der  Myrrhe  und  des  Weihrauchs,  nämlich  in  den  Küstenstrichen 
des  südlichen  Arabiens  und  den  ihnen  gegenüberliegenden  Strecken 
Afrikas.  „Ich  fand  den  Balsamstrauch",  sagt  Schweinfurth  S.  222, 
„den  mau  unter  Umständen  vielleicht  ein  Bäumchen  nennen  könnte, 
im  südlichen  Nubien  auch  landeinwärts  vom  Roten  Meere  gen  Westen 
weit  verbreitet,  bis  245  km  von  Suakin  entfernt,  am  Gebil  Kuurch.  Im 
tieferen  Binnenland  scheint  er  durchaus  zu  fehlen.  Während  Weih- 
rauch- und  Myrrhenbäume  die  mittleren  Berglandschaf ten  zwischen  1000 
und  1600  m  bevorzugen,  ist  der  Balsamstrauch  in  Arabien  und  Nubien 
nur  auf  die  Küstenflächc,  die  Vorhügelregion  und  die  unterste  Gebirgs- 
stufe  bis  600  m  Meereshöhe  beschränkt.  Nur  im  Somallandc  fand  ihn 
Hildebrandt  in  Höhen  von  1100  bis  1600  m.  Der  Strauch  gedeiht  nur 
auf  steinigem  oder  felsig  zerklüftetem  Boden,  nicht  auf  Sand  und  noch 
weniger  auf  salzhaltigem  Terrain  des  Küstenlandes,  obwohl  er  sich 
auch  auf  Korallenfels  vorfindet".  Aus  diesem  Ursprungsland  des 
Balsams  muss  also  die  Pflanze  frühzeitig  nach  dem  für  ihre  Kultur 
günstigen  Jordanthal  versetzt  worden  sein.  —  Über  die,  wie  wir 
glauben,  irrtümliche  Annahme  Schweinfurths,  dass  Balsam  mit  hehr. 
mör  identisch  sei,  s.  u.  Myrrhe.  —  Was  die  Bezeichnungen  des  Bal- 
sams anbetrifft,  so  ist  im  Hebräischen  dreierlei  zu  unterscheiden: 
1.  bdsdm,  nur  im  Hohenlied  5,  1:  „Ich  pflückte  meine  Myrrhe  samt 
meinem  Balsam,  arab.  baidm,  2.  betem,  nur  Exod.  30,  23:  „Du 
aber  nimm  Wohlgcrüche  {bif&mtm  PI.)  von  der  besten  Sorte,  flüssige 
Myrrhe  (mör)  500  (nämlich  Sekel)  und  Zimmt  des  Wohlgeruches  (besem) 
halb  so  viel,  250  (Sekel),  und  Rohr  des  Wohlgeruchs  (box'em,  gemeint 
soll  Kalmus  sein)  250  (Sekel)",  3.  das  sehr  häufige  bösem,  das  Keine 
Pflanze,  2.  einen  angenehmen  Duft,  3.  wohlriechende  Stoffe  im  all- 
gemeinen bezeichnet.  Der  Plural  bexdmim  kann  von  allen  3  Formen 
abgeleitet  werden.  —  Mit  uns  sieht  auch  K.  Völlers  Z.  d.  deutschen 
Morgcnl.  Ges.  L,  295  griech.  ßdXaauov  für  entlehnt  aus  hebr.  bdsdm, 
arab.  baxdm,  und  arab.  balasdn  für  rückentlehnt  aus  dem  Griechischen 
an,  während  Schweinfurth  S.  224  für  die  zuletztgenannten  Wörter  irr- 
tümlich das  umgekehrte  Verhältnis  behauptet. 

Beerenobst.  S.  64.  Ausser  ugricch.  (ppdouXct  gilt  für  Erd- 
beere noch  xaMCUKÖuapov  (iKÖuapo?  ,Erdbecrbaum')  und  xaiMa,tc^Pa- 
oov  (:K^pao*ov  ,Kirsche')-    Vgl.  G.  Meyer  Et.  W.  S.  194. 

Beifuss.  S.  65.  Lit.  kiecJiai  stellt  Lcskien  Bildung  der  Nomina 
S.  302:  kie'tas  .hart'. 

Beischläferin.  S.  66.  Charakteristisch  für  den  Bedeutungs- 
übergang ,Sklavin'  —  .Beischläferin,  Hure'  ist  auch  das  agls.  cicene, 


Digitized  by  Google 


1012 


Beischläferin  —  Blau. 


ctcyne  (engl,  quean),  das  ursprünglich  ,Weib'  im  allgemeinsten  Sinne 
bezeichnete,  dann  im  Gegensatz  zu  cw4n  , Ehefrau'  (engl,  queen)  zu 
der  Bedeutung  ,Weih  aus  niederem  Stande',  »Sklavin'  und  ,prostitnte' 
herabsank.  „Wir  erhalten  damit  den  Hinweis,  dass  ursprünglich  auch 
bei  den  Angelsachsen  die  Dirnen  sich  aus  den  Sklavinnen,  d.  h. 
entweder  den  unterjochten  Bewohnern  des  Landes,  also  keltischen 
Frauen,  oder  Kriegsgefangenen,  also  fremden  Weibern  rekrutierten, 
da  sich  freie  Frauen,  ehe  soziale  Missstände  die  Stellung  der  Gemein- 
freien  gedrückt  hatten,  zu  solchem  Geschäfte  nicht  hergaben^  (vgl. 
Roeder  Studien  z.  engl.  Phil.  IV,  155).  —  Neben  altn.  portkona  ueuut 
Roedcr  a.  a.  0.  S.  156  f.  auch  ein  agls.  port-cicene,  dessen  erster  Be- 
standteil hier  mit  altfrz.  bordel  ,Bordell'  verglichen  wird.  Selbständige 
agls.  Ausdrücke  für  lupanar  sind  miltestran  hu*  und  forligerhua  : 
forliger  ,adultera'.  —  S.  66  Z.  19  v.  u.  1.  statt  Hesych:  Etymologicum 
magnum.  —  S.  67.  Eiu  einheimischer  lettischer  Ausdruck  für  meretrix 
ist  inauka,  nach  Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  231 :  lit.  maükti 
,strcifen'.  —  Mancherlei  hierhergehöriges  enthält  auch  eiu  Aufsatz  von 
0.  Richter  über  griech.  bcOTTÖTri?  in  K.  Z.  XXXVI,  119,  wo  /..  B. 
Anm.6  eine  neue  Erklärung  von  griech.  TraXXaKn.  versucht  wird. 

Berg  (Gebirge).  S.  68.  Hier  hätte  auf  den  Artikel  Tempel 
verwiesen  werden  sollen,  in  dem  von  dem  Höhenkultus  der  Indo« 
germanen  die  Rede  ist. 

Bestattung.  S.  79.  Z.  5  v.  u.  lies  Lamunia.  Vgl.  jetzt  A.  Körte 
Ein  altphrygischcr  Tumulus  bei  Bos-öjük  (Lamunia)  in  den  Mitteilungen 
des  kais.  deutschen  arch.  Inst.  Athenische  Abt.  XXIV,  1  ff.  Es  er- 
giebt  sich  hieraus,  dass  die  früher  von  Körte  gehegte  und  von 
Krct8chmer  a.  a.  0.  wiedergegebene  Vermutung,  dass  der  eigentliche 
Herr  des  Tumulus  noch  unter  der  Mitte  der  Hügelsohle  in  einer  Grube 
liege,  sich  nicht  bestätigt  hat.  Nach  Abtragung  des  Hügels  haben 
sich  keine  Spuren  einer  solchen  Grube  gezeigt. 

Biene,  Bienenzucht.  S.  86.  Eine  einleuchtende  Erklärung  de» 
ahd.  impi,  das  ursprünglich  wahrscheinlich  nur  »Schwann'  {impi  piano 
, Bienenschwann')  bedeutete,  hat  Liden  Studien  zur  altind.  und  vergl. 
Sprachgeschichte  S.  71  f.  gegeben.  Er  trennt  das  Wort  sowohl  von 
griech.  £jimq  wie  von  lat.  apis  und  stellt  es  zu  ir.  imbed,  immed, 
altkymr.  immet  ,copia,  multitudo'  aus  Hmbeto-. 

Blau.  S.  95.  Nachzutragen  ist  lat.  venetus  ,blau',  bei  Goetz  The- 
saurus I,  399,  419  ausser  mit  tiolacium  (:viola)  auch  mit  KaXXd'ivo? 
(von  KäXXma  ,Hahnenkamm'),  einmal  auch  mit  agls.  geolu  ,gelb'  über- 
setzt. Ein  Versuch,  dieses  Wort  etymologisch  zu  erklären,  scheint 
nicht  gemacht  worden  zu  sein.  Man  könnte  an  das  gallische  seebe- 
rühnite  Volk  der  Veneti  denken.  Vegetius  De  rc  militari  III,  37  be- 
richtet nämlich  folgendes:  Ne  tarnen  e.rploratoriae  naves  (die  den 
Libumerschiffen  beigegeben  zu  werden  pflegen)  candore  prodantur, 


Digitized  by  Google 


Blau  —  Brautkauf. 


1013 


folore  Veneto  (qui  marinis  ext  fluctibus  similht)  vela  tinguntur,  et 
cunes  :  cera  etiam,  qua  unguere  aolent  naves,  inficitur.  nautae  quo- 
que  cel  milites  Venetam  v entern  induunt,  ut  non  solum  per  noctem, 
sed  etiam  per  diem  facilim  lateant  explorantes.  Es  zeigt  sich  also, 
dass  unser  „Marineblan"  schon  im  Altertum  bekannt  war,  und  man 
könnte  vermuten,  dass  es  ursprünglich  bei  den  Venetern  aufgekommen 
•wäre,  so  dass  color  Venetus  eigentlich  ,venetische  Farbe'  Iiiesse. 

Blei.  S.  95.  Auch  in  der  Schweiz  wurde  Blei,  wie  die  im 
Züricher  Museum  aufbewahrten  Bleikiumpen  von  Wollishofen  zeigen, 
schon  während  der  reinen  Bronzezeit  aufgefunden. 

Blutrache.  8.  101.  Charakteristisch  für  den  eugeu  Zusammen- 
bang zwischen  Totenkult  und  Blutrache  scheint  auch  das  lat.  parentare 
1.  Jemandem  die  Totenopfer  darbringen;  2.  ihn  rächen.  —  S.  103. 
Wie  verhält  sich  das  im  Text  besprochene  ir.  edin  ,emenda' :  ir.  edin 
,Gesetz',  »Abgabe',  ,Tribut',  das  Zimmer  K.  Z.  XXXVI,  440 ff.  aus 
lat.  canön  (in  der  Kaiserzeit)  , Abgaben  der  kaiserlichen  Domänen  in 
die  kaiserliche  Privatkasse'  ableitet?  Sind  sie  identisch,  was  sema- 
siologisch  unwahrscheinlich,  wäre  die  Verbindung  des  ersteren  Wortes 
mit  griech.  Troivrj  natürlich  hinfällig. 

Brautkauf.  S.  109.  Vgl.  für  die  Germanen  noch  die  beiden 
Stellen  Prokop  B.  G.  IV,  20,  wo  von  der  Verlobung  des  Radiger, 
Sohnes  des  Königs  der  Warner,  mit  einer  anglischen  Königstochter 
die  Rede  ist:  uj  bn.  ö  irarrip  irape^vou  KÖpnc,  T^vou?  Bptrna«;.  £|ivn.- 
o-T€uo*€  tä.uov,  nöTT€p  äb€X<pd<;  ßaciXcO?  f|v  TÖxe  *Ayt»Xwv  toö  £8vou<;, 
XpnMoia  ueraXa  tu)  tt\<;  uvn.o"r£iaq  aurrj  bebujKUjq  Xöyuj  und 
Gnom.  Ex.  82—8.1: 

Cyning  sceal  mid  ciape  eteene  gebiegan, 
bünum  and  be'agum  .... 
„Ein  König  soll  eine  Frau  durch  Brautkauf  (oder  .mit  Vieh'?)  er- 
kaufen, mit  Bechern  und  Baugen"  (Rocder  Studien  z.  engl.  Phil.  IV,  27). 
-  S.  110.  Wichtig  für  die  Geschichte  des  Brautkaufs  bei  den  Indern 
ist  noch  Joseph  Dahlmann  Das  Mabäbhärata  als  Epos  und  Rechtsbuch 
Berlin  189ö  S.  248 ff.:  Es  zeigt  sich,  dass  unter  den  Eheformen  des  in- 
dischen Rechts  der  Gebrauch  des  Kaufes  nur  in  der  Ehe  der  Rshi  (draha-) 
und  in  der  der  Asura  (dsura-)  aufbewahrt  ist,  welche  letztere  daher 
auch  qaulka-  (von  cu/fca-  .Kaufpreis')  hiess.  Die  erstere  Eheform 
galt,  indem  man  die  bei  ihr  übliche  Kuhgabe  lediglich  als  Geschenk 
(arhanam)  auffasste,  als  dharmya,  die  zweite,  eben  wegen  des  Braut- 
kaufs, als  adharmya.  Wie  verbreitet  aber  das  Kaufen  der  Frauen 
trotz  des  Einspruchs  der  Juristen  im  alten  Indien  gewesen  sein  muss, 
beweist  der  Umstand,  „dass  der  theoretische  Aufbau  des  Rechts  oft 
im  Kampf  mit  der  geltenden  Praxis  liegt".  So  verwirft  Manu  III,  25 
einerseits  die  Asura-Ehc,  gestattet  aber  andererseits  VIII,  204  aus- 
drücklich, dass  der  Brautkauf  noch  nach  Erlegung  des  Kaufpreises 


Digitized  by  Google 


1014 


Brautkauf  —  Ehe. 


rückgängig  gemacht  werden  könne,  falls  eine  bessere  Partie  zu  gleichem 
Preise  zn  haben  wäre,  und  (IX,  97),  dass,  wenn  der  gulkada  (Käufer) 
nach  Erlegung  des  Kaufpreises  und  vor  Realisierung  der  Ehe  sterbe, 
der  Bruder  des  Verstorbenen  das  Mädchen  bei  Zustimmung  des  letzteren 
haben  solle  u.  s.  w.  —  Wichtig  für  die  keltischen  Verhältnisse  sind 
die  Bestimmungen  der  altirischen  Gesetze.  Vgl.  Ancient  laws  and  In- 
stitutes of  Ireland  II,  346,  III,  314,  IV,  62  (Revue  celtique  1901  S.  136). 

Brunnen.  S.  116.  Beachte  noch  gricch.  Kpnvn.  =  alb.  krua 
,Quelle'  (vgl.  G.  Meyer  Et.  W.  S.  207). 

Bürge.  8.  120.  Zu  lit.  Ididas  bemerkt  Leskien  Bildung  der 
Nomina  S.  186:  „wenn  nicht  etwa  fremd,  zu  leidiu,  Uisti  ,lassen\ 

Butter.  S.  122.  Vgl.  noch  lit.  bröksztas  ,Butterfass'  :  broszkiü, 
brökszti  , buttern',  eigentl.  ,stampfcn'  (Leskien  Bildung  der  Nomina 
8.  536). 

Dach.  8.  125.  Vgl.  noch  Seneca  De  provid.  IV,  14:  {Oermanos 
dico  et  quiequid  circa  Istrum  vagarum  gentium  occursat)  imbrem 
culmo  aut  fronde  defendunt.  —  Weiteres  über  das  altgermanische 
Dach  bei  M.  Heyne  Das  deutsche  Wohnungswesen  8.  26  f. 

Dichtkunst,  Dichter.  S.  133.  Ganz  anders  wie  Kögel  urteilt 
freilich  über  das  Gotische  Weihnachtsspiel  Carl  Kraus  in  den  Beiträgen 
XX,  224  ft\  Er  bemüht  sich  zu  zeigen,  „dass  der  Hymnus  weder  ger- 
manische Wörter  noch  germanische  Götter  enthält,  dass  er  sich  viel- 
mehr vollkommen  in  den  Rahmen  des  byzantinischen  Hofzeremonieila 
einfügt  und  sich  von  den  sonst  überlieferten  Akklamationen  in  keiner 
Weise  unterscheidet".  —  S.  134.  Die  Sitte  mit  Gesang  in  die  Schlacht 
zu  rücken  ist  besonders  bei  Kelten  und  Germanen  bezeugt.  Vgl.  hin- 
sichtlich der  Gallier  Liv.  XXXVIII,  17,  4:  Cantus  inchoantium  proe- 
lium  et  ululatus  et  tripudia,  hinsichtlich  der  Germanen  Tacitus  Hist. 
II,  22:  Cantu  trtici  et  more  patrio  nudis  corporibus  super  humeras 
scuta  quatientium,  Ann.  IV,  47:  Simul  in  ferocissimos,  qui  ante 
vaUum,  more  gentis,  cum  carminibus  et  tripudiis  persultabant ,  Germ. 
Cap.  3 :  Fuisse  apud  eos  et  Herculem  memorant,  primumque  omnium 
virorum  fortium  ituri  in  proelia  canunt.  sunt  Ulis  haec  quoque  car- 
mina,  quorum  relatu,  quem  barditum  vocant,  accendunt  animos  etc. 

Dorf.  8.  143.  Im  Litauischen  ist  bezeichnend,  dass  das  Suffix 
•ena-,  mit  dem  sonst  Verwandtschaftsnamen  gebildet  werden  (brolönas 
Bradersohn',  seserenas  »Schwesternsohn',  tetenas  :  tetä  ,Tantc',  in  den 
häufigen  litauischen  Dorfnamen  auf  -Snai,  den  Pluralen  der  Einwohner- 
namen  (Bitenai,  Piktupe'nai,  Stalupi>nai  u.  s.  w.),  wiederkehrt  (vgl. 
Leskien  Die  Bildung  der  Nomina  S.  388  f.). 

Ehe.  S.  154.  Andere  agls.  Bezeichnungen  für  den  Begriff  der 
Ehe  sind  ausser  den  im  Text  genannten  aw  (eigentl.  .Gesetz')  sin-seipe 
(eigentl.  »dauernder  Zustand'),  heemed-seipe  (hwmed  ,coitus')  noch  sin- 


Digitized  by  Google 


Ehe  —  Eiche. 


1015 


rtkden,  cigentl.  ,perpetua  conditio',  sin-hitc-scipe  (*hiw-  .Familie'),  sam- 
icist,  eigentl.  ,das  Zusammensein',  Juhned-gemdna,  hcemed-ping  u.  a. 
(vgl.  Roeder  Studien  z.  engl.  Phil.  IV,  61  ff.). 

Ehebruch.  S.  156.  Treffend  äussert  sich  über  diesen  Gegen- 
stand auch  Roeder  Die  Familie  bei  den  Angelsachsen  (Studien  z.  engl. 
Phil.  IV,  133 ff.):  „Wie  die  Fassung  der  älteren  Gesetze  zeigt,  ver- 
steht man  ursprünglich  unter  Ehebruch  nur  die  Untreue  der 
verheirateten  Frau.  Sie  allein  kann  die  Ehe  brechen,  indem  sie 
sich  einem  anderen  als  ihrem  Ehemann  überlässt,  während  von  ihrem 

Gatten  keine  strenge  Enthaltsamkeit  verlangt  wird   Man  sieht 

im  Ehebruch  zunächst  nicht  einen  sittlichen  Fehler,  sondern  die  Ver- 
letzung eines  persönlichen  Rechts".  Über  den  in  flagranti  ertappten 
Ehebrecher  bestimmen  Aelfreds  Gesetze  42,  7:  „Und  jemand  darf 
fechten,  ohne  Fehde  [auf  sich  zu  laden],  wenn  er  einen  anderen  trifft 
bei  seinem  ehelichen  Weibe,  bei  verschlossenen  Thürcn  oder  unter  einer 
Decke",  wozu,  ganz  wie  im  griechischen  Recht  (vgl.  im  Text  S.  157), 
hinzugefügt  wird,  „oder  bei  seiner  ehelich  geborenen  Tochter  oder  bei 
seiner  ehelich  geborenen  Schwester  oder  bei  seiner  Mutter,  die  seinem 
Vater  zum  ehelichen  Weibe  angetraut  worden  war".  Ist  der  Ehe- 
brecher geschont  worden,  so  soll  er  sich  von  dem  geschädigten 
Ehemann  durch  eine  Geldbnssc  loskaufen,  der  er  nach  Acdclbcrbts 
Gesetzen  31,  falls  es  sich  um  den  Ehebruch  eines  Freien  mit  dem 
Weibe  eines  Freien  handele  noch  eine  andere,  von  ihm  zu 
kaufende  Frau  und  die  Kosten  ihrer  Heimfuhrung  hinzuzufügen 
bat.  Strafbestimmungen  für  die  einbrechende  Frau  fehlen  in  den 
ältesten  Gesetzen,  vielleicht  weil  ihre  Behandlung  als  Privatangelegen- 
heit des  Mannes  betrachtet  wurde.  Cnuts  Ges.  II,  53  droht  der 
schuldigen  Frau  mit  Vermögensverlust  und  Verstümmlung  (Verlust  von 
Nase  und  Ohren). 

Ehelich  und  unehelich.  S.  160.  Vgl.  noch  bei  G.  Goctz  The- 
saurus 1,677:  manser  I  vel  manzyr)  ,filius  meretricis',  manzir  ,de  scorto 
natus'  aus  hebr.  mamztr  ,der  unehelich  Uk  nöpvn.;)  geborene'  (vgl. 
Rocnsch  Rhein.  Mus.  XXX,  454). 

Ehescheidung.  S.  161.  Angelsächsische  Ausdrücke  für  divortium 
sind  noch  hiw-geflit,  hhegeeid,  beide  cigentl.  , Ehestreit'  und  hiw- 
dsyndrung  ,Ehc-Absondrung'  (Roeder  Studien  z.  engl.  Phil.  IV,  138). 

Eibe.  S.  163.  Vgl.  neue  Beobachtungen  Uber  die  Eibe,  be- 
sonders in  der  deutschen  Volkskunde.  Nach  einem  Vortrag  des  Prof. 
Dr.  Conwcntz  in  der  anthrop.  Sect.  der  Naturforschenden  Gesellschaft 
in  Danzig  am  22.  Febr.  1899.  Sonderabdruck  aus  Nr.  23706  der 
„Danziger  Zeitung". 

Eiche.  S.  164.  Vgl.  zu  Hercynia  auch  Kossinna  Z.  des  V.  f. 
Volkskunde  VI,  6  und  I.  F.  VII,  284.  Auch  er  lehnt,  wie  Much,  den 
Zusammenhang  von  kelt.  *PerJcünia — Hercynia  mit  lat.  quercus  und 


Digitized  by  Google 


101« 


Eiche  —  Erdbeerbaum. 


alid.  forha  ab.  Germ.  *Fergunia  (got.  fairguni,  ahd.  Virgunnia)  sei 
eine  Entlehnung  aus  *Perkunia  (s.  auch  u.  Urheimat  S.  887). 
Kretschmer  wieder  sieht  in  Hercynia  eine  Entlehnung  aus  einem  ger- 
manischen *Perlunia.  Vgl.  ganz  neuerdings  Beiträge  XXVI,  281  ff. 

Eichborn.  S.  165.  Ausführlich  über  die  litu-slavischen  Be- 
zeichnungen des  Tieres,  denen  noch  lit.  tcaiiceris,  toaiwaras,  waitcarys 
,das  Männchen  von  Iltis,  Marder,  Eichhorn,  Rch(j)  und  anderen  Tieren' 
hinzuzufügen  sind,  handelt  Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  267.  Er 
hält,  wie  auch  Much  (im  Text),  einen  Zusammenhang  dieser  Wörter 
mit  den  germauiseben  Eichhörncbcnnamen  für  möglich  (agls.  dc-teer-n). 
Vielleicht  liegt  daun  den  letzteren  ein  ursprüngliches  *vai-ver-n-  (—  slav. 
*ve-vera  in  veverica)  zu  Grunde,  in  dessen  ersten  Bestandteil  das  Wort 
für  Eiche  hineingetragen  worden  wäre.  Alsdann  würde  ganz  Nord- 
europa durch  einen  gemeinsamen  Namen  des  Tieres  verbunden  sein. 

Eidechse.  S.  170.  Weitere  Namen:  armen,  molez  (vgl.  Bugge 
I.  F.  I,  442),  alb.  hardje  aus  lat.  lacerta,  mgriech.  xapooöv  Zwov  öuoiov 
KpoKobeiXw  aus  arab.  hirdaun  ,die  grosse  syrische,  erdfarbene  Eidechse' 
(beides  bei  G.  Meyer  Et.  W.  S.  147)  —  Lit.  driiias  wird  von  Leskien 
Bildung  der  Noniiua  S.  184  zu  drpz'as  .Streifen'  gestellt.  J 

Eisen.  S.  1 73  ff.  Auf  dem  Deutschen  Authropologcn-Kougress 
in  Halle  im  Jahre  1900  hat,  wie  ich  aus  Zeitungsnachrichten  ersehe 
(Berliner  Tageblatt  Nr.  495  3.  Beiblatt)  0.  Montelius  über  Die  Anfänge 
der  Eisenzeit  in  unserem  Kulturkreis  gesprochen.  Demnach  nimmt 
dieser  Korscher  ein  früheres  Auftreten  des  Eisens  im  Norden  an,  als 
es  im  Text  geschehen  ist.  „In  der  fünften  Periode  der  Bronzezeit 
finden  wir  iu  Mecklenburg  eiserne  Schmucksachen.  In  einem  Grabe 
auf  Bornholm,  das  dem  XII.  Jahrhundert  v.  Chr.  (!)  angehört,  fand 
man  ein  kleines  EiscnstUckchcn".  Doch  handelt  es  sich  hier  um  ganz 
vereinzelte  Erscheinungen:  „freilich  ist  dieses  erste  Auftreten  noch 
nicht  identisch  mit  der  Periode,  deren  Kultur  auf  dem  Gebrauch  des 
Eisens  begründet  istu.  In  eine  solche  führt  aber  offenbar  die  im  Text 
besprochene  Übernahme  des  keltischen  Wortes  in  die  germanischen 
Sprachen.  Umgekehrt  scheint  Montelius  das  erste  Erscheinen  des 
Metalles  im  Orient  später  als  S.  Müller  anzusetzen:  „Sicher  ist,  dass 
uns  kein  Stück  begegnet  in  Asien,  Ägypten  oder  in  Südosteuropa,  das 
älter  ist  als  das  XIV. (!)  vorchristliche  Jahrhundert".  —  Zu  den  Aus- 
führungen auf  S.  177  stimmt  es,  dass  auf  idg.  Boden  das  Eisen  zuerst 
in  Phrygien  und  in  der  Troas  auftritt.  Eisenfunde  sind  in  den  prä- 
historischen Schichten  von  Troja  und  in  dem  phrygischen  Grabhügel 
von  Bos-öjük  gemacht  worden  (vgl.  darüber  Körte  in  den  Mttl.  des 
kais.  deutschen  Inst.  Athen.  Abt.  XXIV,  19  f.). 

Erdbeerbaum.  Aus  altgriech.  KÖuapoq,  ngriech.  Koü^iapov,  kou- 
papiri  ist  durch  Konfusion  mit  KouKOUfiäpt  ,Gefäss"  etc.  ngriech.  kou- 
Kouuäpo,  alb.  lulumare  (nebcu  mare  aus  Kouuapid)  ,Erdbecrbaum' 


Digitized  by  Google 


Erdbeerbaum  —  Fichte. 


1017 


hervorgegangen  (vgl.  G.  Meyer  Et.  W.  S.  194).  S.  auch  u.  Speirling 
am  Schluss. 

Erz.  S.  199.  Die  neueste  Arbeit  auf  dem  Gebiet  der  Bronze- 
frage ist  die  ohne  Zweifel  hochbedeutsame  Abhandlung  von  0.  Mon- 
telius  Die  Chronologie  der  ältesten  Bronzezeit  in  Nord-Deutschland 
und  Skandinavien  im  XXV.  und  XXVI.  Band  des  Archivs  für  Anthro- 
pologie. 

Familie.  S.  215.  Zu  ahd.  munt  s.  den  Nachtrag  zu  Stände.  — 
S.  222.  Ausführlich  Uber  das  lautliche  Verhältnis  von  scrt.  ddriipati- : 
griech.  beonÖTns  spricht  0.  Richter  K.  Z.  XXXVI,  111  ff.,  dessen 
weitere  Versuche,  Beziehungen  von  betfTrÖTris  zu  scrt.  jd's-pati-,  altsl. 
gon-podi  und  lat.  hospes  (s.  u.  Gasthaus  S.  275)  herzustellen  allzu 
kompliziert  sind.  Doch  ersehe  ich  aus  dieser  Arbeit,  dass  erstens,  wie 
für  griech.  betfTTÖTiK,  so  atieh  für  scrt.  ddriipati-  nach  Pischel  Vcd. 
Stud.  2,  105  als  historisch  nicht  die  Bedeutung  »Hausherr',  sondern 
,Gebieter,  Gewalthaber*  anzusetzen  ist,  und  dass  zweitens,  was  altsl. 
gospodi  betrifft,  schon  von  Prellwitz  im  Festgruss  für  Friedländer 
S.  398  ein  Versuch  gemacht  worden  ist,  die  Media  des  slavischen 
Wortes  mit  der  Tenuis  von  seit,  pdti-  zu  vermitteln  und  zwar  aus 
dem  Wechsel  von  Tenuis  und  Media  im  Auslaut  eines  konsonantischen 
Stammes  *pot-,  auf  den  scrt.  pdt-ni  und  griech.  ttötvici  hinwiesen.  — 
Wie  erklärt  sich  die  Tennis  in  altcech.  hospota  für  sonstiges  hospoda  ? 

Farbe.  S.  230.  Vgl.  die  Fülle  verschiedener  Farbennuancen, 
die  schon  im  Althochdeutschen  bei  den  Pferden  unterschieden  werden: 
apfulgrd-ro*  ,Orauschimmel  mit  apfclrunden  Flecken',  blanc-ros  ,weiss- 
lielies  Pferd*  (agls.  blanca  ^Schimmel',  altn.  blaklcr),  blas-ros  , Pferd 
mit  weissem  Seitenfleck'  (mndd.  blasen  hengst  , Pferd  mit  Blässe  ),  bleih- 
ros  ,weissliehes  Pferd',  brün  (ag  ros)  ,brauncs  Pferd'  (auch  brüning), 
fizzilfehros  .Pferd  mit  weissen  Fussgelenken',  gelo(ros)  ,gelbes  Pferd', 
röt-ros  ,rotes  Pferd',  sicarz ros  ,schwarzes  Pferd',  icirzbrün(ros)  »braun- 
rotes Pferd',  wiz  ros  .weisses  Pferd  (nach  Palander  Die  althoch- 
deutschen Tieruameu  S.  82  f.). 

Fenster.  S.  239.  Als  eine  Mittelstufe  zwischen  der  Dachluke 
(lat.  textudo,  vgl.  auch  die  Übersetzung  von  lat.  inpluvium  durch  ahd. 
röchloch)  und  dem  eigentlichen  Fenster  sind  im  altgcrmauischen  Haus 
gewisse  dicht  unter  der  Stelle,  wo  das  Gebälk  des  Daches  aufsitzt, 
angebrachte  Lichtöffnungen.  —  Engl,  teindote,  mitteleng!,  toindoge  etc. 
«ind  als  Entlehnungen  aus  dem  Nordischen  zu  betrachten,  wo  schwed. 
cindoga  noch  heute  »Dachluekc*  bedeutet  (vgl.  M.  Heyne  Deutsches 
Wohnungswesen  S.  29). 

Fichte.  S.  241.  Zu  lat.  abies  s.  u.  Urheimat  der  Indo- 
gc  i  m  a  n  c  n  S.  899. 


Digitized  by  Google 


1018 


Freund  und  Feind  —  Glocke. 


Freund  und  Feind.  S.  256.  Zu  dem  über  Blutsfreundscbaft 
gesagten  vgl.  Herodot  IV,  70:  "OpKia  bi  iroieövxai  Iku8cu  u>Ö€  irpds 
Touq  äv  TToieuüVTar  iq  küXikci  p€YäXnv  Kepauivnv  olvov  ^TX^vres  alua 
auuuiairoiiai  tüjv  *rä  öpKia  touvou^vujv,  Tu^avTe?  ütt^oti  (,mit  einer 
Mistel'?  oder  für  ÖTT^crn  ,mit  einer  Schusterahle'?)  f\  ^miauövTes  pa- 
XOttpn.  ffpiKpov  toö  acuparoq  Kai  Inencv  aTroßä^avTe«;  tfjv  KÜXtKOt 
ÖKivaK€a  Kai  olcrtou?  Kai  adrrapiv  Kai  aKÖvriov  Intav  bk  xaÜTa  iroirV- 
o*u>o*i,  KaTCuxiuvTai  ttoXXci  koi  £ttcit£v  äTromvoum  aüTOi  T€  o\  tö  öpKiov 
Ttoieuuevoi  Kai  tüjv  £ttop^vujv  oi  irXeicrrou  ä£ioi. 

Fuchs.  S.  259.  Ob  ßaaadpa  (vgl.  Lagardc  Ges.  Abh.  S.  278)  ein. 
thrakisches  Wort,  ist  zweifelhaft  (vgl.  G.  Meyer  B.  B.  XX,  120). 

Gasthaus.  S.  275.  Zu  altsl.  gospodl  vgl.  den  Nachtrag  zu 
Familie. 

Gefasse.  S.  276.  Auch  auf  dem  Anthropologenkongress  zu  Halle 
(1900)  ist  über  diese  Eindrücke  von  Fingernägeln  auf  prähistorischen  Thon- 
gefässen  verhandelt  worden  (vgl.  Beilage  zur  Allg.  Z.  1900  Nr.  226). 

Gerste.  S.  289.  Hordeum  he.castichum  oder  tetrastichum  ist 
von  Körte  auch  in  dem  altphrygischen  Tumulus  bei  Bos-öjük  (La- 
munia)  nachgewiesen  worden  (a.  u.  Bestattung  Nachtrag  a.  O. 
S.  16).  —  Altfrz.  baillarc,  ballarc,  woraus  mittelengl.  bterlic,  barli, 
engl,  barley  ,Gerste',  scheinen  auf  ein  lat.  balearicum  (,von  den  Balc- 
aren')  zurückzugehn  (vgl.  Thomas  Romania  XXVIII,  171  und  F.  Kluge 
in  Gröbers  Z.  f.  rom.  Philologie  1900  S.  427  f.). 

Glocke.  S.  298.  Vgl.  jetzt  Wölfflin  im  Archiv  für  lat.  Lexiko- 
graphie XI,  537  ff.  Nach  ihm  hat  die  campana  (schon  bezeugt  in 
einem  Brief  des  karthagischen  Diakons  Ferrandus  an  den  Severinbio- 
graphen Eugippins  um  515)  ihren  Namen  von  dem  aex  Campanum, 
einer  Bronzemischung,  die  nach  Plinius  Hist.  nat.  XXXIV,  95  den 
obersten  Platz  behauptete.  S.  Uber  „Bronze"  aus  aex  Brundixium  u. 
Erz.  Zu  Grunde  liege  (vasä)  Campana,  das  dann  als  Femininum  (vgl. 
lat.  folia  :  frz.  la  feuille)  gefasst  worden  sei.  Auch  für  nöla  hält 
W.  an  der  Ableitung  von  Nöla  (aber  Xölanux)  fest  (vgl.  Cato  Agr. 
135,  2:  vasa  ahenea  Captine,  Nolae).  Mlat.  clocca  ist  zuerst  in  der 
Vita  Columbae  des  Adamnanus  (um  695)  nachweisbar:  Media  nocte 
pulsata  personale  clocca  fextinux  xnrgenx  ad  ecclexiam  pergit 
(III,  31).  Die  Glocke  verdrängte  im  Gebrauch  der  Klöster  das  hölzerne 
Schlagbrett,  das  noch  jetzt  im  Orient  verwendet  wird.  In  Irland 
scheint  der  Glocke  frühzeitig  eine  gewisse  rechtliche  Bedeutung  zuge- 
kommen zu  sein,  insofern  in  bestimmten  Fällen  die  Jurisdiction  der 
Kirche  soweit  galt,  als  die  Glocke  des  Glockenturms  (cloictige)  gehört 
wurde.  Vgl.  hierüber  und  Uber  die  Glocke  bei  den  Angelsachsen 
(micel  belle  —  campana,  litel  belle  =  tintinnabulum',  agls.  belle,  engl. 
bell  unerklärt)  F.  M.  Padelford  Old  English  musical  terms  S.  56  ff.  — 


Digitized  by  Google 


Glocke  —  Hopfen. 


101» 


Neben  russ.  kolokolü  noch  lit.  kankolas  .Glocke',  nicht  aus  ersterem 
entlehnt  (vgl.  Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  470,  ebenda  S.  170  über 
lit.  tcafpas). 

Gruss.  S.  313.  Weitere  Terminologie  des  ,küssens'  bei  Joban- 
sonn  K.  Z.  XXXVI,  355. 

Hamster.    S.  327.    Vgl.  noch  lit.  szalczia*. 

Häring.  S.  334.  In  meinem  Nachwort  zur  II.  Auflage  von 
V.  Hehns  Salz  (1901)  habe  ich  für  alid.  häring,  agls.  Heering  die  Ab- 
leitung von  einem  germanischen  Stamme  *hero-  =  altsl.  aerü  ,graublau', 
sert.  $drd-  ,bunt,  scheckig'  (idg.  *kiro-)  vorgeschlagen  und  unser 
„Häring"  als  den  »graublauen'  sc.  Fisch  gedeutet.  Fiscbnamen  werden 
nicht  selten  von  der  Färbung  der  betreffenden  Tiere  hergenommen. 
S.  u.  Barsch  und  u.  Forelle. 

Heuschrecke.    S.  369.    Lit.  ü6gaa  vielleicht:  tiöü  ,hiare\ 

Hirsch.  S.  372.  Weitere  Belege  für  die  Auffassung  der  Cer- 
viden  als  der  ,bunten'  oder  ,gefleckten'  Tiere  bringt  Lidcn  Studien 
zur  altind.  nnd  vergl.  Sprachgeschichte  S.  68,  95  f.  in  seit.  £ta-  ,bunt' 
und  ,Hirsch',  röhi-  ,eine  Art  Gazelle',  röhita-  ,eine  bestimmte  Hirsch- 
art' :  rö'hita-  ,rot',  mittelir.  braichem  ,Hirsch'  :  brecc  ,bunt,  gefleckt', 
alb.  dreri,  geg.  dreni  ,Hirsch',  drenze  ,Hirschkuh',  die  er  ansprechend 
mit  griech.  (hom.)  6pöva  vergleicht,  das  nach  dem  Schol.  zu  Theoer. 
2,  59  im  Thessalischen  ircTrouciXueva  £u>a  bedeutet.  Auch  die  Hesych- 
glosse  (a)pavi?  (für  *bpdvi^)  •  IXctqpo;  möchte  er  nach  dem  Vorgang  von 
M.  Schmidt  mit  dem  albanesischcn  Worte  verbinden.  Wie  wir,  sucht 
Liden  ferner  ahd.  reh  als  das  , bunte'  Tier  zu  deuten,  indem  er  das 
Wort  für  wurzelverwandt  mit  lit.  rahbas  »gesprenkelt,  graubunt',  rat- 
na-8  bunt  etc.  ansieht;  doch  scheint  mir  die  im  Text  gegebene  Er- 
klärung ansprechender  zu  sein.  Vgl.  über  die  deutschen  Worte  „Hinde" 
und  „Reh"  auch  Uhlenbeck  Beiträge  XXVI,  299,  306. 

Höheiikultus,  s.  Tempel. 

Hopfen.  S.  377.  Wichtig  C.  0.  Cech  Über  die  geographische 
Verbreitung  des  Hopfens  im  Altertum  1882.  Auch  hier  wird,  mit  teil- 
weis neuen  Gründen,  die  Ansicht  vertreten,  dass  die  Verwendung  des 
Hopfens  zur  Bierbrauerei  bei  den  Slaven,  namentlich  bei  den  Russen, 
aufgekommen  und  von  den  Westslavcn  zu  den  Deutschen  verpflanzt 
worden  sei.  Vgl.  besonders  S.  61 :  „Nach  den  Schriften  des  russischen 
Geschichtsschreibers  Nestor  unterliegt  es  nicht  dem  geringsten  Zweifel, 
dass  der  Hopfen  in  Russland  bereits  zu  einer  Zeit  nicht  nur  allgemein, 
sondern  sogar  spruchwörtlich  bekannt  war,  wo  Strabo  (849)  in  seinem 
Werke  ,Hortulus'  des  Hopfens  gar  nicht  erwähnt,  diese  Pflanze  ihm 
demnach  auch  nicht  einmal  dem  Namen  nach  bekannt  sein  konnte. 
Diese  Überzeugung  drängt  sich  uns  aus  einem  alten  Denkmale  der 
Geschichte  Russlands  auf,  nach  welchem  der  russische  Czar  Wladimir 


Digitized  by  Google 


1020 


Hopfen  —  Kleidung. 


im  Jahre  985  in  ein  Friedenstraktat  mit  den  Bulgaren  folgenden  höchst 

charakteristischen  Passus  aufnehmen  liess:  „  und  die  Balgaren 

beschlossen,  es  wird  so  lange  Frieden  mit  uns  geben,  bis  der  Stein 
zu  schwimmen  und  der  Hopfen  unterzusinken  beginnt".  Die  sprüch- 
wörtliche Anführung  einer  nur  beim  Bierbrauen  wahrnehmbaren  Eigen- 
schaft des  Hopfens  in  einer  Staatsurkunde,  die  von  zwei  kriegführenden 
Nationen  des  Ostens  vor  neunhundert  Jahren  vereinbart  worden  ist, 
beweist  zur  Genüge,  dass  der  Hopfen  schon  zu  jener  Zeit  den  Russen 
und  Bulgaren  nicht  nur  sehr  gut  bekannt  sein  niusste,  sondern  dass 
man  bei  der  schon  damals  in  Russland  allgemein  verbreiteten  Be- 
reitungsweise der  „braga"  (Hausbier)  hinreichend  Gelegenheit  hatte, 
den  Hopfen  auf  dem  Getreideabsud  schwimmen  zu  sehn".  —  Agls. 
feldicop  deutet  F.  Kluge  in  An  English  miscellany  presentend  to  Dr. 
Furnivall  in  honour  of  bis  seventy-fifth  birthday  Oxford  1901  aus  *feldu- 
hopp(o).  —  Das  im  Texte  angeführte  bradigabo  bezeichnet  nach 
♦Steinmeyer  Althochdeutsche  Glossen  IV,  245 4&  den  wilden  Hopfen. 

Hose.  S.  381.  Vgl.  aber  Prokop  B.  G.  III,  14  über  die  Kleidung 
der  Slaven  (XxXctßnvoi  Kai  "Avtou)  :  Tivfcq  bk.  oübfc  xiT^va  ou0^  Tpißui- 
viov  ?x°uo*iv,  dXXä  ^idvaq  Td<;  ävaEupiba?  i vapuotfäuevoi  M^xpi 
1<Z  td  atbota,  oütw  br\  i<;  o"ujußoXr|v  toi?  £vavTtot<;  KaöiffTavTat.  S.  auch 
den  Nachtrag  zu  Kleidung. 

Kamin.  S.  407.  Brugmann  Gruudriss  I3,  2,  772  deutet  ir.  c(r 
aus  *q£srä  und  stellt  es  zn  altsl.  cesati  , kämmen'. 

Kaninchen.    S.  407.    Z.  3  v.  u.  lies  Pyrenäen-Halbinsel. 

Keuschheit.  S.  424.  Wichtig  für  einen  auch  in  die  idg.  Völ- 
kerwelt hereinragenden  Phallusdienst  sind  die  Grabphalli,  d.  h. 
steinerne  phallusähnliche  Aufsätze  der  phrygischen  Tumuli  (vgl.  A.  Körte 
Ein  altphrygischcr  Tumulus  bei  Bos-öjük  (Lnmuuia*  in  den  Mtl.  d. 
kais.  deutschen  arch.  Inst.  Athen.  Abt.  XXIV,  7  ff.).  Körte  vermutet, 
dass  hier,  wie  in  anderen  Fällen,  auf  das  Grab  gesetzt  worden  sei, 
was  eigentlich  i  n  dasselbe  gehöre,  das  Symbol  der  Zeugungskraft,  wie 
Nahrung,  Kleidung  u.  s.  w.  dazu  bestimmt,  den  Toten  im  Grabe  vor 
Mangel  zu  schützen,  und  so  in  demselben  festzuhalten.  —  S.  426.  Für 
ahd.  cfnUki  , keusch'  weist  Kögel  Gesch.  d.  deutschen  Lit.  I,  2,  516 
eine  Nebenform  scüslri  nach,  die  vielleicht  mit  ahd.  *scioh  „scheu', 
sciuhen  ,scheuen'  verbunden  werden  darf. 

Kleidung.  S.  437.  Ganz  neuerdings  ist  eine  wohlerhaltcne 
Mannesleiche  im  Scemoor  zwischen  Damendorf  und  Eckernförde  (Schles- 
wig-Holstein) gefunden  worden.  „Die  Leiche  lag  unbekleidet  etwa 
1  Meter  tief  im  Moor  in  der  Stellung  eines  Schlafenden,  den  Kopf 
auf  den  einen  Arm  gelegt.  Cber  dem  Körper  lag  ein  grosser  Mantel 
und  zu  seinen  Füssen  in  ein  Bündel  zusammengewickelt  die  Hose, 
zwei  Fussbinden  und  ein  Lcdergürtel,  sowie  zwei  Lederschuhe  .... 


Digitized  by  Google 


Kleidung  —  Krankheit. 


1021 


Der  Mantel  besteht  aus  einem  dunkelbraun  gefärbten  Wollcnstoff  mit 
einem  kunstvollen  rautenförmigen  Drellmuster.  Er  ist  l3/4  m  lang  wie 
breit,  aber  stark  verschlissen  und  mit  mehreren  grossen  Flicken  ver- 
sehen. Die  Hose  ist  heller  gefärbt.  Die  Fussbinden,  etwa  10  cm 
breit  und  über  1  m  lang,  sind  nach  der  Weise  unserer  Strümpfe  gewebt 
und  der  Form  des  Fusses  angepasst.  Der  Gürtel  ist  von  Leder,  wie 
auch  die  Schuhe,  welche  in  besonders  kunstreicher  Weise  aus  ciuem 
Stück  Rindsleder  gearbeitet  sind"  (Historische  Vietcljahrschrift,  herausg. 
v.  G.  Secliger  IV.  Jahrgang  11)01,  1.  Heft  Nachrichten  und  Notizen 
II,  151).  Das  Vorhandensein  der  Hose  (s.  d.)  weist  diese  Leiche  in 
eine  spätere  Zeit  als  die  im  Text  besprochenen. 

Kochkunst,  Küche.  S.  440.  Vgl.  noch  lit.  sriubä  ,Snppe'  : 
sriübti  ,schlUrfeu'. 

Körperbeschalfenhcit  der  Indogermaiteii.  S.  403.  Bemerkens- 
wert ist,  dass  dem  Griechen  mit  dem  Begriff  der  Schönheit  bei 
Männern  wie  Frauen  und  Kindern  der  der  Grösse  unauflöslich  ver- 
knüpft scheint.  Wie  auf  geistigem  Gebiet  KaXö?  Kai  dfa9ö<;,  so  sind 
auf  körperlichem  Ka\ö<g  (tüetbtfc)  Kai  acta?  stehende  Verbindungen. 
Z.  B.  Od.  I,  301 : 

Kai  o*u,  <piXoq,  \iä\a  rdp  o"  6pöw  KaXov  tc  uetav  t€, 
oder  Od.  XV,  418  (Tuvn.): 

KaXri  T€  uetdXn.  te  Kai  aYXad  £pta  ibuta, 
oder  Od.  VI,  152  (von  Nausikaa): 

'ApT€'uiM  ae  £tu>  re,  Aidq  Kouprj  uetdXoio, 

elböq  t€  p^T€Öö?  T6  cpurjv  T'&yxiOta  dtenau, 
oder  Herod.  I,  12:  rraibiov  nifa  xe  Kai  eueib^,  VII,  12:  £bÖK€e  ö 
Z^p£n.S  fivbpa  oi  £möTdvxa  ji€fav  T€  Kai  eueib^a  emeiv  u.  s.  w.  (vgl.  Stein 
zu  Herodot  I,  12).  Bei  allen  Völkern  aber  wird  das  Schönheitsideal 
von  den  herrschenden  Ständen  hergenommen,  und  diese  wieder  pflegen 
die  relativ  unvermischtesten  zu  sein.  —  S.  464  Z.  8  v.  o.  lies  Pyrenäen- 
Halbinsel. 

Körperteile.  S.  467.  Ein  slavo-lit.  Wort  für  Niere  ist  lit.  Inkstaa, 
altpr.  inxcze,  altsl.  isto  ,reu,  tcsticulus',  obistije  ,renes'.  Fick  K.  Z. 
XXI,  11  f.  vergleicht  auch  lat.  exta  und  griech.  l^Kaia  ,Eingeweide'. 
—  Ein  keltisch-arisches  Wort  für  Arm  (Vorderarm)  scheint  in  sert. 
döshdn-  ,Vorderarm',  aw.  daosa-  ,Schulter',  ir.  doe  (*dousen-)  ,Arm' 
vorzuliegen  (vgl.  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  335).  —  S.  468 
lit.  dttna,  altsl.  dlana  ,flache  Hand'  s.  u.  Zahlen. 

Krankheit.  S.  473.  Lit.  lUjä  ,Krankheit'  wird  von  Bezzenberger 
B.  B.  IV,  332  zu  griech.  Xoiyö?  ,Tod,  Verderben,  Pest'  gestellt.  — 
S.  475.  Vgl.  noch  lit.  druggs  ,Fieber'  :  russ.  droil  »Zittern,  Schauer', 
altsl.  drügnqti  gittern'  (Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  293).  —  S.  479. 
Ein  wichtiges  Heilungsmittel  gegen  alle  möglichen  Krankheiten  und 
die  sie  verursachenden  Dämonen  ist  bei  fast  allen  idg.  Völkern  der 


Digitized  by  Google 


Krankheit  —  Ofen. 


menschliche  oder  tierische  Urin,  besonders  der  der  Kuh,  der  in  den 
sakralen  Rcinigungszcrcmonien  der  Iranier  und  Inder  daher  eine  wichtige 
Rolle  spielt.  Vgl.  E.  Wilhelm  On  the  use  of  beef's  urine  aecording 
to  the  preeepts  of  the  Avesta  and  on  similar  custonis  with  other 
nations,  Bombay  1889,  eine  Arbeit,  die  auch  sonst  für  das  Verständnis 
der  Krankheitsformen  und  ihrer  Heilung  in  alten  Zeiten  von  Wichtig- 
keit ist.  Vgl.  endlich  nach  Höfler  Medizinischer  Dämonismus  im  Centrai- 
blatt für  Anthropologie  V,  1  ff.  und  Kraukheitsdämonen  im  Archiv  f. 
Religionsw.  II,  86.   S.  auch  den  Nachtrag  zu  Wolf. 

Kackuck.  S.  483.  Beachte  noch  litu-slavisch,  lit.  geguzi  (neben 
geg?),  lett.  dseguse,  altpr.  geguse  Voc,  russ.  Zegozulja,  ßech.  iezhule, 
*zeglzulja  (vgl.  Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  199,  265j. 

Los.    S.  507.    Über  altsl.  zrtbij  ,Los'  s.  u.  Zahlen. 

Möwe.  S.  559.  Altpr.  starnite  :  agls.  stern,  altn.  perna  ,See- 
schwalbe'  nach  Berncker  Die  preuss.  Spr.  S.  323.  In  Nesselmanns 
Thesaurus  steht  aber  starnite  ,Möwe'. 

Musikalische  Instrumente.  S.  503.  Nachzutragen  lit.  kailkies 
,ein  guitarrenartiges  Instrument',  ,Zither,  Harfe',  das  einerseits  mit  finn. 
kantete  ,cithara  Finnorum  primitiva,  quinque  chordis  instrueta  et  digitis 
tractanda',  andererseits  vielleicht  auch  mit  dem  im  Text  genannten 
altsl.  gqsll  (*gondslh)  zu  verbindeu  ist.  Doch  ist  der  Ursprung  dieser 
Sippe  und  das  nähere  Verhältnis  ihrer  Glieder  zu  einander  noch  nicht 
ermittelt  (ausführlich  darüber  Thomsen  Beröringer  S.  178  ff.).  —  Vgl. 
noch  F.  M.  Padelford  Old  English  musical  terms  Bonn  1899,  wo  eine 
Einleitung  über  die  Musik  der  Angeisachsen  und  eine  alphabetische 
Aufzählung  der  altenglischen,  sich  auf  die  Musik  beziehenden  Aus- 
drücke gegeben  wird. 

Mutterreeht.  8.  565.  Hierher  gehört  auch  die  Nachricht  des 
Strabo  III,  p.  165  über  die  iberischen  Kantabrer:  olov  tö  Trapd  tou; 
KavTdßpoi?  tou?  ävbpa?  bibövai  rat?  fuvaiEl  irpouca  [kcu]  tö  Tä?  6uyo- 
T€pa?  K\npovö|iOu<;  äTroAemeo*6ai  tou^  t€  äbcXqwüs  Otto  toutujv  dxbiboa- 
6ai  YovaiEiv.  T^p  ""va  tuvaiKOtcpcmav.  Dazu  sagt  Gerland  im 
Grundriss  für  romanische  Philologie  I,  315:  „Das  Weib  hat  bei  den 
Basken  dieselben  Rechte  wie  der  Mann,  auch  in  Handel  und  Verkehr; 
in  einigen  Gegenden  herrschte  nach  Cordier  sogar  die  Sitte  der  Ver- 
erbung durch  die  ältest  geborene  Tochter,  die  ihren  Geschwistern 
Unterhaltsgelder  geben  musste"  (nach  II.  Hirt  in  Hettnere  Geogr.  Z. 
IV,  383). 

Nessel.    S.  581.    Vgl.  noch  lit.  (tilgt  (Leskien  Bildung  d.  N. 

S.  268). 

Ofen.  S.  592.  Zu  altpr.  umpnis  ,Backofen',  umno-de  »Back- 
haus' stellt  Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  452  auch  lit.  ublas  ,ein 
Teil  des  Hauses',  ablade  ,der  Teil  des  Hauses,  wo  der  Backofen  stehf . 


Digitized  by  Google 


Ofen  —  Schlüssel. 


1023 


Mit  dem  altpr.  Wort  verbindet  J.  Schmidt  K.  Z.  XXII,  191  griech. 
tnvös,  das  dann  aber  von  dem  indischen  und  germanischen  Ausdruck 
getrennt  werden  müsstc. 

Ölbaum,  S.  f>88.  Dieser  Artikel  müsste  nach  der  in  diesem- 
Werk  sonst  befolgten  alphabetischen  Reihenfolge  zwischen  Öhr  und 
Oleander  stelin. 

Opfer.  S.  602.  Über  altindogermanische  und  alteuropäische 
Opfertiere  handelt  auch  H.  Hirt  in  Hcttners  Geogr.  Z.  IV,  378  f. 

Orakel.  S.  609.  Zu  griech.  uctvTiq  s.  den  Nachtrag  zu  Stände. 

Pferd.  S.  622  f.  Über  die  hier  besprochenen  litu-slavischen 
Wörter  für  ,Pferd'  hat  schon  Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  276  f. 
ausführlich  gehandelt.  Er  sieht  die  ganze  Sippe  für  entlehnt  aus  dem 
Finnischen  an.  —  Zu  lat.  mannus  vgl.  noch  G.  Goetz  Thesaurus  I,  677 : 
equus  brecior  est,  quem  vulgo  brunkum  (ahd.  brütiing,  vgl.  Palander 
Ahd.  Tiernamen  S.  94)  tocant,  mannt*  ßoupixois  (d.  i.  burricus  ,eine 
Art  kleiner  Pferde'  :  burru*  ,rot').   S.  noch  den  Nachtrag  zu  Farbe. 

Ratsei.    S.  648.    Vgl.  noch  lett.  mima  :  minti  ,deuken'. 

Rebhuhn.  S.  654.  Vgl.  noch  altsl.  jarefil,  jerebi  ,perdix',  die 
Miklosich  Et.  W.  ebenfalls  zu  *rembü  ,bunt'  stellt,  eine  Ableitung  die 
von  Leskien  Bildung  der  Nomina  S.  269  namentlich  für  den  Fall  be- 
zweifelt wird,  dass  lett.  irbe  (mescha-irbe  »Haselhuhn',  lauka-irbe 
»Feldhuhn')  zu  der  Sippe  gehören  sollte.  Hier,  sowie  bei  Miklosich  a.  a.O., 
weiteres  über  die  Terminologie  von  Hasel-,  Birk-,  Schneehuhn. 

Rechts  und  links.  S.  664.  Nach  einer  Mitteilung  Cappellers 
bedeutet  in  der  indischen  Erotik  das  Zucken  des  rechten  Armes  und 
Auges  beim  Manne,  das  des  linken  beim  Weibe  Glück. 

Religion.  S.  672.  Nach  Kaufl'manu  Beiträge  XV,  209  wäre 
Sünna  im  zweiten  Merseburger  Iieilspruch  nicht  die  »Sonne',  sondern 
entspräche  dem  altn.  Syn,  dem  Namen  einer  untergeordneten  Gottheit.  — 
S.  684.  Keltische  Ausdrücke  für  den  Begriff'  der  Religion  sind  ir. 
crabud  ,Glaube  =  kymr.  crefydd  .religio'  (vgl.  Stokes  Urkcltischer 
Sprachschatz  S.  97). 

Rind.  S.  690.  Auch  etymologisch  erweist  sich  das  Rind  als 
Zugtier,  wenn  lit.  jdutis  ,Ochs'  von  Fick  l4,  114  richtig  mit  lat. 
jungo  etc.  verbunden  wird  (s.  auch  u.  Wagen). 

Schiff,  Schiffahrt.  S.  718.  Lit.  lahcas  ,BotT  ist  nach  Thomsen 
Berör.  S.  193  aus  dem  Finnischen  (estn.  laew,  suom.  laiva)  entlehnt. 

Schlitten,  Schlittschuh.  S.  724.  Altpr.  weissi*  »Schlitten', 
eigentl.  »Wagen*  :  lat.  veho  etc.  (s.  u.  Wagen). 

Schlüssel.  S.  725.  Das  im  Text  als  dunkel  bezeichnete  lit. 
räkta*  {üiraktas  und  ülraktis  »Verschluss')  wird  von  Leskien  Bildung 
der  Nomina  S.  532  zu  räkti  ^aufpicken',  ät  rakas  »offen'  gestellt,  von 


Digitized  by  Google 


1024 


Schlüssel  —  Stunde. 


Osthoff  I.  F.  VIII,  56  mit  ahd.  rigil  »Querholz  zum  Verschliessen'  ver- 
glichen. 

Schmetterling.  8.  725.  Die  Bezeichnung  des  Sehmetterlings  als 
„Seele"  (vyuxri)  scheint  einen  tiefen  Grund  zu  haben;  denn  im  Deutscheu 
ist  die  Auflassung  der  Elbe,  die  zweifellos  Scclenweseu  sind  (s.  u.  Zwerge 
und  Riesen),  als  Schmetterlinge  ganz  gewöhnlich.  Vgl.  W.  Grimm 
KI.  Schriften  I,  477:  „Seltsam,  dass  man  den  Alp  auch  mit  blossen 
Gedanken  aus  Zorn  und  Hass  andern  zuschicken  kaun;  dann  kriecht 
er  als  ein  kleiner  weisser  Schmetterling  aus  den  zusammengewachsenen 
Augenbrauen  des  Menschen  hervor,  fliegt  und  setzt  sich  auf  die  Brust 
des  Schlafenden.  Zu  diesem  Glauben  stimmt  vollkommen,  dass  (nach 
Stalder)  in  der  Schweiz  Toggeli  beides  zugleich  den  Alp  und  den 
Schmetterling  bedeutet"  und  J.  Grimm  Deutsche  Mythologie  I3,  431: 
„Der  Alp  soll  oft  als  Schmetterling  erscheinen  und  in  den  Hexeu- 
prozessen  heissen  Elbe  bald  die  kriechenden  Raupen,  bald  die  Puppen, 
bald  die  entfliegenden  Insekten.  Auch  die  Benennung  der  guten  holden 
und  der  bösen  Dinger  teilen  sie  mit  den  Geistern  selbst1*. 

Schwein.  S.  74f>.  Die  griech.  Form  öö^  wird  von  einigen  mit 
lett.  zäka  aus  *kiti-ka  (vgl.  lit.  kiaüle  »Schwein)  verglichen. 

Schwieger-.  S.  752.  Die  hier  aufgestellte  Regel,  nach  der  es 
in  der  idg.  Grundsprache  Ausdrucke  für  die  Versch Wägern ng  eines 
jungen  Mannes  mit  den  Angehörigen  seiner  Frau  nicht  gegeben  habe, 
würde  eine  Ausnahme  durch  die  Gleichung  sert.  sydld-  =  altsl.  mri, 
beide  , Bruder  der  Frau'  erleiden  (vgl.  Brngmann  Grundriss  I8,  204), 
wenn  dieselbe  lautlich  einiger  Massen  gesichert  wäre.  Wahrscheinlicher 
ist  es  aber,  dass  sert.  sydla-  von  sert.  sä,  sydti  ,bindeu'  abzuleiten  ist 
und  ein  Seitenstück  zu  sert.  bdndhu-  , Verwandter',  griech.  rcevöepös 
,Vater  der  Frau'  :  got.  bindan  darstellt  (vgl.  üblenbeck  Kurgef.  et. 
W.  d.  altind.  Spr.  S.  352).  —  Über  lit.  anyta  s.  u.  Grosseltern. 
Das  Wort  kann  auch  »Schwester  des  Mannes'  und  (auffälliger  Weise) 
zuweilen  auch  »Schwiegertochter'  bedeuten  (vgl.  Leskien  Bildung  der 
Nomina  im  Lit.  S.  572  f.). 

Singvögel.  8.  770.  Zu  lit.  kregzdö,  kregMinga  »Schwalbe* 
(auch  blezdingt  , Hausschwalbe')  vgl.  noch  altpr.  krixsticuo  , Erd- 
schwalbe'. 

Stande.  S.  818.  Für  den  Gedanken  an  ein  zwischen  dem  Gelblgs- 
herrn  und  den  Gefolgsleuten  bestehendes  Verwandtschaftsverhältnis  cha- 
rakteristisch ist  auch  die  Bezeichnung  des  ersteren  als  mund-boro  »Vor- 
mund'  (vgl.  Scherer  Anzeiger  für  deutsches  Altertum  IV,  95).  Was  den 
ersten  Bestandteil  dieses  Wortes,  ahd.  munt,  altfries.  mund  »Schutz, 
Vormundschaft',  agls.  mund,  auch  »Königsschutz',  »Königsfriede'  an- 
betrifft, so  hat  ganz  neuerdings  H.  Osthoff  im  historisch-philosophischen 
Verein  zu  Heidelberg  (vgl.  Heidelb.  Tageblatt  vom  28.  Jan.  1901 
Nr.  3)  den  Vorsuch  gemacht,  es  von  dem  danebeuliegeuden  ahd.  munt 


Digitized  by  Google 


Stände  -  Viehzucht. 


1025 


,Hand*  =  lat.  nianus,  womit  es  bisher  zusammengestellt  wurde  (s.  auch 
u.  Familie  S.  215)  loszulösen  und  mit  got.  mundön  ,betrachten', 
mundrei  ,Ziel',  ahd.  muntön  ,schtttzen,  verteidigen'  etc.  zu  verknüpfen. 
Die  Grundbedeutung  von  munt  wäre  dann  »fürsorglicher  Schutz'.  Auch 
griech.  ndvru;  ,Seher'  (s.  u.  Orakel  S.  609)  sucht  Osthoff  hier  an- 
zuschliessen. 

Strafe.  S.  832.  Anf  einen  merkwürdigen  irischen  Ausdruck  für 
, Busse'  macht  Zimmer  K.  Z.  XXXVI,  421  ff.  aufmerksam.  Hier  be- 
zeichnet eneclann  die  Gcnugthuung  (Bosse),  die  jemand  von  einem 
anderen  wegen  angethanen  Schimpfes  fordern  kann.  Das  Wort  bedeutet 
eigentlich  ,Gesicbtsplatte'  (ir.  enech  ,Gesicht',  lann  »Platte')  und  beruht 
auf  dem  litterarisch  nachweisbaren  Brauch,  den  einem  Fürsten  ange- 
thanen Schimpf  mit  einer  dessen  Gesicht  bedeckenden  Goldplatte  zu 
sühnen. 

Suppe,  s.  nicht  Brühe,  sondern  Kochkunst,  Küche. 

Taube.  S.  855.  Vgl.  noch  lit.  JcurkUUs  »Turteltaube'  :  kttfkti 
,quarren'  neben  purplilis  id.  :  purpti  ,sich  aufblähen'. 

Tempel.  S.  855.  Über  den  Höhenkultus  der  idg.  Völker 
vgl.  noch  F.  v.  Andrian  Der  Höhenkultus  asiatischer  und  europäischer 
Völker  Wien  1891,  R.  Beer  Heilige  Höhen  der  alten  Griechen  und 
Römer  Wien  1891  (nach  Üsener  Götternamen  S.  181 18). 

Urheimat  der  Indogermanen.  S.  881.  Über  die  engeren  kultur- 
historischen Zusammenhänge  zwischen  Thrakern,  Phrygern  und  Tro- 
janern bandelt  Kretschmer  Einleitung  S.  172  ff.  Vgl.  dazu  auch  A.  Körte 
a.  d.  im  Nachtrag  zu  Bestattung  a.  0.  S.  43.  Hier  wird  auch 
darauf  hingewiesen,  dass  Virchow  in  den  Verhandlungen  der  Berliner 
anthropologischen  Gesellschaft  1896  S.  126  die  Schädel  des  altphry- 
gischen  Grabhügels  von  Bos-öjük  einer  Bevölkerung  zuweist,  die  den 
heutigen  Armeniern  verwandt  gewesen  sei,  worin  K.  eine  Bestätigung 
der  im  Text  angeführten  Angaben  des  Herodot  erblickt.  —  S.  891. 
über  die  Altertümlichkeit  des  heutigen  Russischen  äussert  V.  Hehn 
De  moribus  Ruthenorum  S.  116:  „Die  russische  Sprache  ist  nicht,  wie 
Lamansky  behauptet,  auf  gleicher  Stufe  mit  dem  Mittelhochdeutschen, 
welches  schon  ganz  modern  ist,  sondern  mit  Ullilas,  ja  in  mancher 
Beziehung  noch  älter  als  dieser.  Das  Russische  steht  etwa  mit  dem 
Latein  auf  gleichem  Niveau,  das  Griechische  ist  schon  viel  jünger". 

Viehzucht.  S.  919.  (Verschncidung.)  Als  auf  ein  Analogon 
zu  „Wallach"  etc.  weist  Kluge  in  seiner  Zeitschrift  für  deutsche  Wort- 
forschung I,  350  auf  ahd.  prüz  ,burdo  ex  equo  et  asina',  ,mauuu8', 
eigen tl.  ,Preusse'  hin. 

Schräder.  ReiUexikon.  65 


Digitized  by  Google 


1026 


Weizen  und  Spelt  —  Wolf. 


Weizen  und  Spelt.  S.  947.  Triticum  vulgare  ist  auch  im  alt- 
phrygischen  Tuniulus  von  Bos-öjük  (Lamunia)  gefunden  worden.  Vgl. 
A.  Körte  a.  d.  im  Nachtrag  zu  Bestattung  a.  0.  S.  16. 

Wolf.  S.  966.  Für  den  engen  Zusammenbang  des  Werwolf- 
glaubens  mit  der  „Kynauthropie"  der  Griechen  tritt  W.  H.  Roscher  in 
Beiner  Abhandlung  Das  von  der  „Kynanthropic"  handelnde  Fragment  des 
Marcellus  von  Side  in  den  Abhandlungen  der  phil.-hist.  Klasse  der 
königl.  sächs.  Ges.  d.  W.  XVII,  3  (1896)  ein.  Demnach  hätte  man 
eich  die  Seelen  der  Verstorbenen,  insofern  sie  als  bösartig  gedacht 
wurden  (s.  u.  Ahnenkultus),  gern  als  Hunde  oder  Wölfe  vorgestellt, 
und  eine  im  Süden  wie  im  Norden  häufige  Krankheits-  oder  Wahn- 
sinnsform  habe  darin  bestanden,  dass  man  sich  in  derartige  als  jene 
beiden  Tiere  gedachten  Toteugeister  verwandelt  wähnte.  Bemerkt  sei 
noch,  dass  Roscher  in  dieser  Abhandlung  S.  11 88  auch  über  die  zahl- 
reichen von  Tieren  entlehnten  Krankheitsbezeichnungen  im 
Griechischen  spricht,  auf  die  von  uns  u.  Krankheit  S.  477  kurz 
hingewiesen  wurde. 


Digitized  by  Google 


2.  Litteraturnach weise  *), 


Abhandlung  en)  der  königlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zuBer- 
I  i  n.  Berlin. 

„      der  könig).  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften.  München. 
„      der  königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Gotting  en 
Göttingen. 

„      der  königl.  s Ach sisc]h en  Gesellschaft  der  Wissenschaften.  Leipzig. 
Abraham  Jakobsens  Bericht  über  die  Slavenländer  vom  Jahre  973  in 
den  Geschichtsschreibern  der  deutschen  Vorzeit.  II.  Gesamtausg. 
B,  XXXIII. 

Adamklissi,  Monument  von,  s.  Monument  von  Ad. 

Ahlqvist  A.  Die  Kulturwörter  der  westfinnischen  Sprächet!,  ein  Beitrag  zu 

der  alteren  Kulturgeschichte  der  Finnen,  deutsche  umgearbeitete 

Ausgabe,  Helsingfors  1875. 
AI  lg  (e  meine)  Monatsschrift  für  Wissenschaft  und  Litteratur.  Braunschweig 

1853. 

Altpr(eusflische)  Monatsschrift.  Königsberg. 

Analecta  Graeciensia,  Festschrift  zur  42.  Versammlung  deutscher  Philo- 
logen und  Schulmänner  in  Wien  1893. 

Anderson  N.  Studien  zur  Vergleichung  der  indogermanischen  und  finnisch- 
ugrischen  Sprachen.   Dorpat  1879. 

Ann(ali)  de  11'  instituto  di  corrispondenza  archeologica.  Roma. 

Anton  K.  G.  Geschichte  der  deutschen  (teutscheu)  Landwirtschaft  von  den 
Ältesten  Zeiten  bis  zu  Ende  des  XV.  Jahrh.  I— III.  Görlitz  1799— 
1802. 

Antonia us-Sftule,  s.  Marcus-Säule. 

Anzeiger  für  deutsches  Altertum,  s.  Zeitschrift  f.  d.  A. 
Äpastamba,  s.  Bühler. 

Archiv  für  Anthropologie,  Zeitschrift  für  Naturgeschichte  und  Urge- 
schichte des  Menschen.  Braunschweig. 

Archiv  für  lateinische  Lexikographie  und  Grammatik,  herausg.  von 
E.  Wölfflin.  Leipzig. 

Archiv  für  slavische  Philologie,  herausg.  von  V.  Jagi£.  Berlin. 

Archiv(io)  glo ttopogico  italiano.   Roma.   Torino.  Firenze. 

Ark(iv)  för  nordisk  filologi.   Christiania.  Lund. 


*)  1.  Ausgeschlossen  sind  (von  einer  Anzahl  von  Übersetzungen  ab- 

fesehn)  die  Werke  des  Altertums  und  des  Mittelalters,  sowie  von  neueren 
eröffentlichungen  diejenigen,  welche  bereits  im  Text  überall  bibliographisch 
hinreichend  genau  bezeichnet  worden  sind. 

2.  Die  im  Text  gebrauchten  Abkürzungen  sind  hier  nur  dann 
wiederholt,  wenn  ihre  Beziehung  auf  den  oben  gegebenen  vollständigeren 
Tit<il  nicht  unmittelbar  einleuchtend  war. 


Digitized  by  Google 


1028 


Literaturnachweise. 


Augusti  J.  Chr.  W.  Dio  heiligen  Handlungen  der  Christen,  Band  IV— X 
der  Denkwürdigkeiten  aus  der  christlichen  Archäologie.  Leipzig 
1817-1830. 

Aula,  die,  Wochenblatt  für  die  Gebildeten  aller  Stände.   I.  (und  letzter) 

Jahrgang.   München  1895. 
Ausland,  das,  eine  Wochenschrift  für  Erd-  und  Völkerkunde,  bis  1893. 

Stuttgart  (zuletzt). 

Ausland,  neues,  das,  Wochenschrift  für  Erd-  und  Völkerkunde.  I.  Jahr- 
gang 1894.  Leipzig. 

Bachofen  J.  J.  Antiquarische  Briefe,  vornehmlich  zur  Kenntnis  der 
ältesten  Verwandtschaftsbegriffe.   Strassburg  1881. 

Bacraeister  A.    Keltische  Briefe.   Strassburg  1874. 

BaudhAyana,  s.  Bühler. 

Baumeister  A.   Denkmäler  des  klassischen  Altertums.   I— III.  München 

und  Leipzig  1885-1888. 
Baunack  J.  und  Th.    Studien  auf  dem  Gebiete  des  Griechischen  und  der 

arischen  Sprachen.   I.  Leipzig  1886. 
B.  B.  =  Beiträge  zur  Kunde  der  indogermanischen  Sprachen,  herausg.  von 

Dr.  A.  Bezzenberger  (und  Dr.  W.  Prell  witz).  Göttingen. 
Beck  L.   Die  Geschieht«  des  Eisens  in  technischer  und  kulturgeschichtlicher 

Beziehung.   Abt.  1.  Von  den  ältesten  Zeiten  bis  um  das  Jahr  1500 

n.  Chr.    Abt.  2.  Das  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert.  Braunschweig 

1884.  1895. 

Becker-Göll  Gallus=G.  oder  römische  Scencn  aus  der  Zeit  des  Augustus 
von  W.  A.  Becker,  neu  bearbeitet  von  H.  Göll.    I.— III.   1880  -83. 

Beckmann.  Beiträge  (Beyträge)  zur  Geschichte  der  Erfindungen.  I.— V. 
Leipzig  1788—1805. 

Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung.  München. 

Beiträge  =  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur, 
herausg.  von  11.  Paul,  W.  Braune.  E.  Sievers.  Halle. 

Beiträge  zur  vergleichenden  Sprachforschung  auf  dem  Gebiete 
der  arischen,  keltischen  und  slavischen  Sprachen.  I.— VIII:  Berlin. 

Beloch  J.   Griechische  Geschichte  I.   Strassburg  1893. 

ß  e  n  e  k  e  0.  Von  unehrlichen  Leuten.  Culturltistorische  Studien  und  Ge- 
schichten aus  vergangenen  Tagen  deutscher  Gewerbe  und  Dienste. 
II.  Aufl.   Berlin  1888. 

Benndorf,  s.  Monument  von  Adamklissi. 

Berg-  und  Hüttenmännische  Zeitung.  Leipzig. 

Berger  H.    Die  geographischen  Fragmente  des  Eratosthenes.  Leipzig  1880. 

Bergk  Th.   Beiträge  zur  griechischen  Monatskunde.   Giessen  1845. 

Berichte  der  deutschen  botanischen  Gesellschaft.  Berlin. 
,      der  pharmaceutischen  Gesellschaft.  Berlin. 
„      über  die  Verhandlungen  der  königl.  sächsischen  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  zu  Leipzig.  Leipzig. 

Berliner  Philologische  Wochenschrift,  herausg.  von  Chr.  Belger  und 
0.  Seyffert.  Berlin. 

Berneker  E.  Die  preussische  Sprache.  Texte.  Grammatik,  Etymologisches 
Wörterbuch.   Strassburg  1896. 

Bernhöft  F.   Staat  und  Recht  der  römischen  Königszeit.  Stuttgart  1882. 

Blümner  H.  Die  gewerbliche  Thätigkoit  der  Völker  des  klassischen  Alter- 
tums, in  den  Preisschrifton  der  F.  Jablonowskischen  Ges.,  hist.-nat.- 
ök.  Soct.  IX.   Leipzig  1869. 


Digitized  by  Google 


Literaturnachweise. 


Blümner  H.  Technologie  und  Terminologie  der  Gewerbe  und  Künste  bei 
Griechen  und  Römern.   I— IV.   Leipzig  1875-1884. 

Böhmer  G.  H.  Prehistoric  naval  architecture  of  the  north  of  Europe. 
Washington  1893. 

B  o  8  w  o  r  t  h  J.  An  Anglo-saxon  dir.tionary  edited  and  enlarged  by  T.  N. 
Toller.   Oxford  1893. 

Botanisches  Centraiblatt.  Referierendes  Organ  für  das  Gesamtgebiet 
der  Botanik.   Cassel  1880  ff. 

B.  R.  =  Sanskrit-Wörterbuch  von  Otto  Böhtlingk  und  Rudolph  Roth.  I— VII. 
St.  Petersburg  1856-1875. 

B  r  a  d  k  e  P.  v.  Über  Methode  und  Ergebnisse  der  arischen  (indogerma- 
nischen) Altertumswissenschaft.  Historisch-kritische  Studien.  Giessen 
1890. 

Breal  M.  et  Bailly  A.  Dictionnaire  etymologique  latin.  Troisierae  edition. 
Paris  1891. 

Brehm  Alfred,  Ed m.  Tierleben.  Allgemeine  Kunde  des  Tierreichs.  Dritte 
gänzlich  neubearbeitete  Auflage  von  Peschuel-Lösche.  I— X.  Leipzig 
und  Wien  1890-  93. 

Bremer  O.  Ethnographie  der  germanischen  Stämme  im  Grundriss  der  ger- 
manischen Philologie  III2,  735  ff. 

Breusing  A.   Die  Nautik  der  Alten.   Bremen  188«. 

Brissonii  Barnabae  De  regio  Persarum  principatu  libri  tres.  Pnrisiis  1595. 
Broendsted  P.  O.   Voyages  et  recherches  dans  la  Grece,  ouvrage  en  VIII 

livraisons.   l«r«  1.    Paris  1826. 
Brugmann  K.  und  Delbrück  B.  Grundriss  der  vergleichenden  Grammatik 

der  indogermanischen  Sprachen.    I,  1  und  I,  2  von  K.  B.  Zweite 

Bearbeitung.   Strassburg  1897;  II.  von  K.  B.  Strassburg  1889—1892; 

III— V  (Vergleichende  Syntnx)  vou  B.  D.,  Strassburg  1893,  1897, 

1900. 

Bruckner  W.   Die  Sprache  der  Langoborden.   Strassburg  1895  (=  Quellen 

und  Forschungen  LXXV). 
Brückner  A.   Die  sla vischen  Fremdwörter  im  Litauischen.   Weimar  1877. 
Brunnenmeister  E.   Das  Tötungsverbrechen  im  altrömischen  Recht. 

Leipzig  1887. 

Brunner  H.   Deutsche  Rechtsgeschichte.   I.  II.    Leipzig  1887,  1892. 
Bücheler  F.   Lexicon  Italicum.    Bonnae  1881. 

Büchel  er  F.  und  Zitelmann  E.  Das  Recht  von  Gortyn.  Frankfurt  a.  M. 
1885. 

Bücher  K.   Arbeit  und  Rhythmus  in  den  Abh.  d.  königl.  sächsischen  Ges. 

d.  W.  phil.-hist.  KI.  XVII.  1896. 
Buch  holz  E.   Die  homerischen  Realien.   I— III.   Leipzig  1871—1884. 
Büchsenschütz  B.   Die  Hauptstätten  des  Gewerbfleisses  im  klassischen 

Altertum,  in  den  Preisschriften  der  F.  Jablonowskischen  Ges.  hist.- 

nat.-ök.  Sect.  VIII.   Leipzig  1869. 
Bühler  G.   The  sacred  laws  of  the  Aryas  as  taught  in  the  schools  of 

Apa9tamba,  Gautama,  Vasish$ha  and  Baudhayana,  trans- 

lated  by  G.  B.  I,  II.  Oxford  1879  (=  the  sacred  books  of  the  East 

ed.  by  M.  Müller  II,  XIV). 
Buschan  G.   Vorgeschichtliche  Botanik  der  Kultur-  und  Nutzpflanzen  der 

alten  Welt  auf  Grund  prähistorischer  Funde.    Breslau  1895. 
Burnell,  s.  Yule. 

Candolle  Alphonse  de.  Der  Ursprung  der  Culturpflanzen,  übersetzt  von 
Dr.  E.  Goetze.   Leipzig  1884. 


Digitized  by  Google  1 


1030  Litteraturnachwei8e. 

Castren  M.  Alex.   Kleinere  Schriften.   Im  Auftrag  der  kais.  Ak.  d.  W. 

herausg.  von  A.  Schiefner.   St.  Petersburg  1862. 
Classical  review,  the.  London. 

Cluverius  Phil.   Germania  antiqua.  Libb.  III.  Adiecta  sunt  Vindelicia  et 

Noricum.  Lugd.  Bat.  1616  (citiert  nach  der  Ausgabe  von  1663). 
Corp(us)  Glo88(ariorum)  Lat(inorum),  ed.  G.  Goetz  fauch  C.  Gl.  L.). 
Corres pondenz-blatt ,  s.  Korrespondenz -bl. 

Corssen  W.  P.  Über  Aussprache.  Vokalismus  und  Betonung  der  lateinischen 
Sprache.   2.  Ausgabe.    I.  II.   Leipzig  1868.  1870. 

Curtius'  Studien  zur  griechischen  und  lateinischen  Grammatik.  Leipzig 
1868  -78. 

Curtius  E.    Zur  Geschichte  des  Wegebaus  bei  den  Griechen.   Berlin  1855 

(in  den  Abh.  d.  kgl.  Ak.  d.  VV.  zu  Berlin  1854). 
Curtius  G.    Grundzüge  der  griechischen  Etymologie.   4.  Auflage.  Leipzig 

1873  (5.  ebenda  1879). 
Paremberg  et  Saglio.  Dictionnaire  des  antiquites  grecques  et  romaines 

sous  la  direetion  de  M.  M.  Ch.  D.  et  Edm.  S.   Paris  1878  ff. 
Delbrück  B.    Die  indogermanischen  Verwandtschaftsnamen.    Ein  Beitrag 

zur  vergleichenden  Altertumskunde.    Leipzig  1889  (in  den  Abh.  d. 

k.  sächs.  Ges.  d.  W.  phil.-hist.  Kl.  XI,  5). 
„      V(er)gl.  Syntax  =  Vergleichende  Syntax,  s.  Brugmann  K.  und 

Delbrück  B.  Grundriss  etc. 
Delitzsch  F.    Wo  lag  das  Paradies?    Eine  biblisch-assyriologische  Studie. 

Leipzig  1881. 

Denkschriften  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien* 
Deutsch e  Litz.  =  Deutsche  Litteraturzeitung.   Berlin.  Leipzig. 
Deutsche  Rundschau,  herausg.  von  Julius  Rodenberg.  Berlin. 
Diefenbach  L.    Origines  Europeae.    Die  alten  Völker  Europas  mit  ihren 

Sippen  und  Nachbarn.    Frankfurt  a.  M.  1861. 
Diez  F.  Etymologisches  Wörterbuch  der  romanischen  Sprachen.  5.  Ausgabe. 

Bonn  1887. 

Donner  O.   Vergleichendes  Wörterbuch  der  finnisch-ugrischen  Sprachen. 

1.  II.   Helsingfors  1874.  1876. 

D  (u)  C  (a  n  g  e)  =  Glossarium  mediae  et  infimae  latinitatis.  Editio  nova  a 
L.  Favre  I— VIII.    Niort  1883-87. 

Edlinger  A.  v.  Erklärung  der  Tiernamen  aus  allen  Sprachgebieten.  Lands- 
hut 1886. 

Engler  A.  s.  V.  Hehn  Kulturpflanzen  u.  s.w. 

Englische  Studien,  herausg.  von  Dr.  E.  Kolbing.  Heilbronn. 

'Eq>nn€pl<;  dpxaioXoYiKri.,  'Aenvnou 

Eranos  Vindobnnensis.   Wien  1893. 

Ergänzungshefte  zu  Petermanns  Geographischen  Mitteilungen.  Gotha« 
Ewers  J.  Ph.  G.   Das  älteste  Recht  der  Russen  in  seiner  geschichtlichen 

Entwicklung  dargestellt.    Dorpat  und  Hamburg  1826. 
Falke  J.  v.   Aus  alter  und  neuer  Zeit.  Neue  Studien  zu  Kultur  und  Kunst. 

2.  Auflage.    Berlin  1895. 

Festgabe  (-schrift)  für  H ei n ze  1  =  Abhandlungen  zur  germanischen  Philo- 
logie, Festg.  für  R.  H.   Halle  a./S.  1898. 

Festgabe  für  Sievers  =  Philologische  Studien,  Festg.  f.  E.  S.  Z.  1.  OcW 
1896.  Halle  a./S.  1896. 

Festgruss  an  Otto  von  Böhtlingk  zum  Doktor- Jubiläum  3.  Febr.  1888 
von  seinen  Freunden.    Stuttgart  1888. 


Digitized  by  Google 


Literaturnachweise. 


Festgrusa  an  Rudolf  von  Roth  zum  Doktor-Jubilaum  24.  Aug.  1893  von 

seinen  Freunden  und  Schülern.   Stuttgart  1893. 
Festschrift  für  Adolf  Bastian,  z.  s.  70.  Geburtstage  26.  Juni  1896.  Berlin 

1896. 

Festschrift  für  Otto  Benndorf,  z.  s.  60.  Geburtstage  gewidmet  von 
Schülern,  Freunden  und  Fachgeuossen.   Wien  1898. 

F  i  c  k  A.  Die  griechischen  Personennamen  nach  ihrer  Bildung  erklärt,  mit 
den  Namensystemen  verwandter  Sprachen  verglichen  und  syste- 
matisch geordnet.  Güttingen  1874.  2.  AuH.  hcarb.  von  F.  Bechtel 
und  A.  Fick.  Göttingen  1894. 
„  Die  ehemalige  Spracheinheit  der  Indogermanen  Kuropas.  Göttingen 
1873. 

„  Vergl.  W.4  =  Vergleichendes  Wörterbuch  der  indogermanischen 
Sprachen  von  A.  Fick.  4.  Aufl.  bearbeitet  von  A.  Bezzenberger, 
A.  Fick  und  Wh.  Stokes.  I.  Teil  von  A.  Fick,  Göttingen  1890. 
II.  Teil  (Urkeltischer  Sprachschatz)  von  Wh.  Stokes  und 
A.  Bezzenberger.   Göttingen  1894. 

Fischer  F.  C.  J.  Die  Probenächte  der  deutschen  Bauernmädchen,  wort- 
getreu nach  der  Ausgabe  von  1780.    Leipzig  1890. 

Fischer-B enzon  It.  v.  Altdeutsche  Gartenfiora.  Untersuchungen  über 
die  Nutzpflanzen  des  deutschen  Mittelalters,  ihre  Wanderung  und 
ihre  Vorgeschichte  im  klassischen  Altertum.   Kiel  und  Leipzig  1894. 

Flach  H.    Der  Tanz  bei  den  Griechen.   Berlin  1880  (Virchow-HoltzendorfT). 

Fleckeisens  Jahrb.,  s.  Jahrbücher  f.  klass.  Philologie. 

Flückiger  F.  A.  Pharmakognosie  des  Pflanzenreiches.  2.  Auflage.  Berlin 
1883. 

Foy  W.  Die  königliche  Gewalt  nach  den  altindischen  Rechtshüchern,  den 
Dharmasütren  und  älteren  Dhannacästren.    Leipzig  1895. 

Fraas  C.  Synopsis  plantarum  Horae  classicae  oder  übersichtliche  Darstellung 
der  in  den  klassischen  Schriften  der  Griechen  und  Römer  vor- 
kommenden Pflanzen.    München  1845. 

Frähn  Chr.  Mart.  v.  Ibn-Foszlans  Berichte  über  die  Russen  älterer  Zeit. 
Petersburg  1823. 

Fränkel  S.   Die  aramäischen  Fremdwörter  im  Arabischen.   Leiden  1886. 

Freiburger  Festgrus»,  ein  an  H.  Osthoff  zum  14.  Aug.  1894. 

Frey  tag  G.  W.    Lexikon  Arabico-latinum.   I— IV.   Halis  S.  1830—37. 

Fritze  H.  v.    Die  Rauchopfer  bei  den  Griechen.    Berlin  1894. 

Fröhner.  La  colonne  Trajane,  reproduite  en  Photographie.  Paris  1869— 74. 

Furtwängler  Adf.  Intermezzi.  Kunstgeschichtliche  Studien.  Leipzig  1896. 

FusteldeCoulanges.  La  cite  antique.  Ktude  sur  le  culte,  le  droit,  les 
institutions  de  la  Grece  et  de  Rome  13.  ed.    Paris  1890. 

Gabel entz  G.  v.  d.  Die  Verwandtschaft  des  Baskischen  mit  den  Berber- 
sprachen Nord-Afrikas  nachgewiesen  von  G.  v.  G.  Herausgegeben 
nach  dem  hinterlassenen  Manuscript  durch  A.  C.  Graf  von  Schulen- 
burg.   Braunschweig  1894. 

Gabelen  tz-Loebe.  Glossarium  der  gotischen  Sprache  von  II.  C.  v.  d.  G. 
und  Dr.  J.  L.    Leipzig  1843. 

Gautama,  s.  Bühler. 

Gehlens  (A.  F.)   Journal  für  die  Chemie  und  Physik.  Berlin. 

Geiger  L.   Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Menschheit.   Stuttgart  1871. 

Geldner  und  Kaegi.    Siebenzig  Lieder  des  Rigveda,  übersetzt  von  K.  G. 

und  A.  K.   Mit  Beiträgen  von  K.  Roth.   Tübingen  1875. 
Geographische  Zeitschrift,  herausg.  von  A.  Hettner.  Leipzig. 


Digitized  by  Google 


1082  Literaturnachweise. 

Gering  H.  Die  Edda.  Die  Lieder  der  sogenannten  älteren  Edda,  übersetzt 
und  erläutert  von  H.  G.   Leipzig  und  Wien  1892. 

Germ(ania)  Vierteljahrschrift  für  deutsche  Altertumskunde  1856—1892. 
Stuttgart. 

Gesner  C.   Historiae  animalium  lib.  IV.  de  piscium  et  aquatiliura  anima- 

llum  natura.  Tigur.  1558. 
Ginzrot  Joh.  Chr.    Die  Wägen  und  Fuhrwerke  der  Griechen  und  anderer 

alter  Völker,  nebst  der  Bespannung,  Zäumung  u.  Verzierung.   I.  II. 

München  1817. 

Globus.  Illustrierte  Zeitschrift  für  Länder-  und  Völkerkunde.  Braun- 
schweig. 

Glück-Leist  Coimnentar  =  Ausführliche  Erläuterung  der  Pandekten  nach 
Hellfeld,  ein  Commentar,  begründet  von  Chr.  Fr.  v.  Glück,  fort- 
gesetzt (u.  a.)  von  B.  W.  Leist. 

Goell  H.  H.  Griechische  Privataltertümer  in  Griechenland  in  Monographien 
dargestellt.    IV  Altgriechenland.   Leipzig  1870. 
n      8.  auch  Becker-Goell. 

G  o  e  t  z  G.  Thes(aurus)  Gl(ossarum)  emendatarum  (Corpus  Glossariorum 
Latlnorura  Vol.  VI,  fasc.  I,  II  Vol.  VII,  fasc.  I).    Lipsiae  1899-1901. 

Goldschmidt  L.  Handbuch  des  Handelsrechts.  Dritte  völlig  umgearbeitete 
Auflage.    B.  I.    Abt.  1.   Lief.  1.   Stuttgart  1891. 

Golther  W.   Handbuch  der  germanischen  Mythologie.   Leipzig  1895. 

Göttingische  Gelehrte  Anzeigen  von  der  königl.  Ges.  d.  W.  und  der 
Georg-Aug.  Univ.  Göttingen. 

Graff  E.  G.  Althochdeutscher  Sprachschatz  oder  Wörterbuch  der  althoch- 
deutschen Sprache.    I— VI.   Berlin  1834-42. 

Grassin  an  n  H.    Wörterbuch  zum  Rig-Veda.   Leipzig  1878. 
.      Deutsche  Ptianzennamen.   Stettin  1870. 

Griese  b  ach  A.  Die  Vegetation  der  Erde  nach  ihrer  klimatischen  An- 
ordnung.   I.  II.    Leipzig  1872. 

Grill  Jul.  100  Lieder  des  Atharvaveda  übersetzt  und  mit  textkrit.  und 
sachl.  Erläuterungen  versehn.   2.  Aufl.   Stuttgart  1888. 

Grimm  J.   D.  M3.  =  Deutsche  Mythologie.  3.  Ausg.   I.  II.   Göttingen  1854. 
Kleinere  Schriften.   I— VIII.  •  Berlin  1864  ff. 
„      R.  A.  =  Deutsche  Rechtsaltertümer.   Göttingen  1828. 
„      W.  (D.  W.)  =  Deutsches  Wörterbuch.  Leipzig. 

Grimm  W.   Kleinere  Schriften.   I— IV.   Berlin.   Gütersloh  1881—87. 

Grosse  E.   Die  Formen  der  Familie  und  die  Formen  der  Wirtschaft  Frei- 
burg und  Leipzig  1896. 
„      Die  Anfänge  der  Kunst  ebenda  1894. 

Grotefend  H.    Zeitrechnung  des  deutschen  Mittelalters  und  der  Neuzeit. 

1.  Hannover  1891. 

Grundriss  der  germanischen  Philologie,  herausgegeben  von  H.  Paul. 

2.  Auflage.  Strassburg. 

Grundriss  der  indo-arischen  Philologie  und  Altertumskunde,  begründet 
von  G.  Bühlcr,  fortgesetzt  von  F.  Kielhorn.  Strassburg. 

Gruppe  O.     Griechische  Mythologie  und  Religionsgeschichte.  I.Hälfte. 

München  1897  (in  I.  v.  Mülleis  Handbuch  der  klassischen  Alter- 
tuinsw.  V,  2,  1). 

„      Die  griechischen  Kulte  und  Mythen  in  ihren  Beziehungen  zu  den 
orientalischen  Religionen.  I.  Einleitung.   Leipzig  1887. 
Hahn  E.    Die  Haustiere  und  ihre  Beziehung  zur  Wirtschaft  des  Menschen. 
Eine  geographische  Studie.    Leipzig  1896. 


Digitized  by  Google 


Litteraturnachweise. 


1033 


Haussen  G.    Agrarhistorische  Abhandlungen.    I.  II.   Leipzig  1880,  1884. 
Hartknoch  Chph.   Alte«  und  neues  Preussen  oder  preussische  Historie. 

1.  II.   Frankfurt  und  Leipzig  1684. 
Haupts  Z.  s.  Zeitschrift  für  deutsches  Altertum. 

Heer  0.  Die  PHanzen  der  Pfahlbauten  (Separatabdruck  aus  dem  Neujahre- 
blatt  der  Naturforsch.  Oesellschaft  auf  das  Jahr  1866). 

Hehn  V.  Kulturpflanzen  und  Haustiere  in  ihrem  Übergang  aus  Asien  nach 
Griechenland  und  Italien  sowie  in  das  übrige  Europa.  6.  Auflage 
neu  herausg.  von  O.  Schräder.  Mit  botauischen  Beiträgen  von 
A.  Engler.  Berlin  1894. 
„  De  moribus  Ruthenorum.  Zur  Charakteristik  der  russischen  Volks- 
seele. Tagebuchblätter  aus  den  Jahren  1857—1873,  herausg.  von 
Th.  Schiemann.  Stuttgart  1892. 
„  Das  Salz.  Eine  kulturhistorische  Studie.  2.  Aufl.  mit  einem  Nach- 
wort von  0.  Schräder.    Berlin  1901. 

Heibig  W.    Die  Italiker  in  der  Poebne.    Leipzig  1879. 
„      Das  homerische  Epos.   2.  Aufl.    Leipzig  1887. 

Heldreich  Th.  v.  Die  Nutzpflanzen  Griechenlands.  Mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  neugriechischen  und  pelasgischen  Vulgarnamen. 
Athen  1862. 

Hellwald  F.  v.   Die  Welt  der  Slaven.    Berlin  1890. 

„  Die  menschliche  Familie  nach  ihrer  Entstehung  und  natürlichen 
Entwicklung  in  den  Darwinistischen  Schriften.  II.  Folge.  X.  XI. 
Leipzig  1887-89. 

Henning  R.  Das  deutsche  Haus  in  seiner  historischen  Entwicklung  (in 
Quellen  und  Forschungen  XLVIl.   Strassburg  1882). 

Herrn  an  n  •  Th  a  11»  ei  in.  Lehrbuch  der  griechischen  Rechtsaltertümer  von 
Dr.  K.  F.  H.  Dritte  vermehrte  und  verbesserte  Auflage  von 
Th.  Thnlheim.  Freiburg  i./B.  (Lehrbuch  der  griechischen  Antiqui- 
täten II). 

Hermann  K.  F.    Lehrbuch  der  gottesdienstlichen  Altertümer  der  Griechen. 

2.  Auflage  bearbeitet  von  Dr.  K.  B.  Stark.    Heidelberg  1858. 
Hermen.    Zeitschrift  für  klassische  Philologie.  Berlin. 

Herzog  R.    Koische  Forschungen  und  Funde.   Leipzig  1899. 

Heyne  M.   Das  Deutsche  Wohnungswesen  von  den  ältesten  geschichtlichen 

Zeiten  bis  zum  XVI.  Jahrhundert.    Leipzig  1899. 
He  yd  W.    Geschichte  des  Levantehandels  im  Mittelalter.   I.  II.  Stuttgart 

1879. 

Hillebrandt  A.    Vedische  Mythologie.    II.    Breslau  1899. 

Hirsch  A.    Handbuch  der  historisch-geographischen  Pathologie.  Zweite 

vollst,  neue  Bearbeitung.    I— III.    Stuttgart  1881  —  1886. 
Hobson-Jobson,  s.  Yule  and  Burnell. 
Holder  A.    AlMeltischer  Sprachschatz.    Leipzig  1896  ff. 
Holtzmanu  A.   Germanische  Altertümer,  herausg.  von  A.  Holder.  Leipzig 

1873. 

H  o  m  m  e  I  F.  Die  Namen  der  Säugetiere  bei  den  südsemitischen  Völkern. 
Leipzig  1879. 

„  Aufsätze  und  Abhandlungen  arabistisch-semitologischen  Inhalts. 
München  1892. 

„      Die  vorsemitischen  Kulturen  iu  Aegypten  und  Babylonien  (die 
semitischen  Völker  und  Sprachen  als  erster  Versuch  einer  Ency- 
klopädie  der  semitischen  Sprach-  und  Altertumswissenschaft  I,  2).- 
Leipzig  1882. 


Digitized  by  Google 


1034 


Litteraturnachweise. 


Hoops  J.    Über  die  altenglischen  Pflanzennamen.  Diss.  Freiburg i./B.  1889. 

Horn  P.   Grundriss  der  neupersischen  Etymologie.   Strassburg  1893. 

Hörnes  M.    Die  Urgeschichte  des  Menschen  nach  dem  heutigen  Stande  der 
Wissenschaft.    Wien.   Pest.   Leipzig  1892. 
„      Urgeschichte  der  Menschheit.   2.  Aufl.1).    Leipzig  1897. 

Hostmann  Chr.   Über  altgermanische  Landwirtschaft.  Göttingen  1855.  Dias. 

Hübschmann  H.    Armen(ische)  Gr(ammatik).   I.  Teil.   Armenische  Ety- 
mologie.   Leipzig  1897. 
„      Armenische  Studien.    I.    Leipzig  1883. 

Hu  Usch  F.  Griechische  und  römische  Metrologie.  Berlin  1862.  (2.  Bear- 
beitung ibid.  1882). 

Jahrbuch  der  kaiserlich-königlichen  geologischen  Reichsanstalt.  Wien. 

„       des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung.  Norden. 
Jahrbücher  und  Jahresberichte  des  Vereins  für  mecklenburgische 
Geschichte  und  Altertumskunde.  Schwerin. 
„      für  Nationalökonomie  und  Statistik,  gegründet  von  B.  Hilde- 
brand.   Dritte  Folge.  Jena. 
„      für  klassische  Philologie,  herausg.  von  A.  Fleckeisen.  Leipzig. 
Nebst  den  Supplementbänden  hierzu. 
Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  klassischen  Altertumswissenschaft, 

begründet  von  C.  Hursinn.  Berlin. 
Ibn-Foszlan,  s.  Frahn. 

Ideler  L.   Lehrbuch  der  Chronologie.   Berlin  18'U. 

I.  F.  =  Indogermanische  Forschungen,  Zeitschrift  für  indogermanische  Sprach- 
und  Altertumskunde,  herausg.  von  K.  Brugmann  und  W.  Streitberg. 

I.  F.  A  n  z  e  i  g  e  r  =  Beiblatt  zum  vorstehenden,  herausg.  von  W.  Streitberg. 
Strassburg. 

Ihering  R.  v.  Vorgeschichte  der  Indoeuropaer.  Aus  dem  Nachlass  heraus- 
gegeben.   Leipzig  1894. 
„      Geist  des  römischen  Rechts  auf  den  verschiedenen  Stufen  seiner 
Entwicklung.    I.  II,  1,  2  Leipzig  1877—83.  III,  1  ibid.  1888.  4.  verb. 
Aufl.  (zuweilen  nach  der  3.  Aufl.  citiert). 
,      Der  Zweck  im  Recht.    I.  II.    Leipzig  1877.  1883. 
Imhoof-Blumer  (nicht  *Blümer)  und  Otto  Keller.   Tier-  und  Pflanzen- 
bilder auf  Münzen  und  Gemmen  des  klassischen  Altertums.  Leipzig- 
1889. 

Inama-Sternegg  K.  Th.  v.  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte.  I.  Leipzig- 
1879. 

Indische  Studien.   Beiträge  für  die  Kunde  des  indischen  Altertums, 

herausg.  von  Dr.  A.  Weber.    I— XV.    Berlin.  Leipzig. 
Jolly  J.   Recht  und  Sitte  im  Grundriss  der  indo-arischen  Philologie.  II. 
„      The  Institutes  of  Vishnu,  translated  by  J.  Oxford  1880  (=  Sacred 
books  of  the  Hast  VII). 
J  o  1  y  (nicht  Molly).    Der  Mensch  vor  der  Zeit  der  Metalle.    Leipzig  1880. 

(Internationale  wissenschaftliche  Bibliothek.) 
Journal,  the  of  Hellenic  studies.  London. 

a  ,    of  philology.   London  and  Cambridge. 

J  u  8 1  i  F.   Handbuch  der  Zendsprache.   Leipzig  1864. 

„      Iranisches  Namenbuch.   Marburg  1895. 
Kaegi  A.    Der  Rigveda,  die  älteste  Literatur  der  Inder.    Zweite  umge- 
arbeitete und  erweiterte  Aufl.    Leipzig  1881. 


1)  Wenn  bloss  „ Urgeschichte*  citiert  wird,  ist  dieses  Buch  gemeint. 


Digitized  by  Google 


Literaturnachweise. 


1035 


Kaegi  A.  Die  Neunzahl  bei  den  Ostariern.  Kulturhistorische  Analekten 
(Separatabdruck  aus  den  philologischen  Abh.  f.  H.  Schweizer-Sidler). 
,  Alter  und  Herkunft  des  germanischen  Gottesurteils.  Zur  ver- 
gleichenden Rechtsgoschichte  (Separatabdr.  aus  der  Festschrift  zur 
Be^rtissung'  der  39.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schul- 
männer in  Zürich.   September  1887). 

Karamsin  N.  Geschichte  des  russischen  Reichs.  Nach  der  2.  Orig.  Ausgabe 
übersetzt.   I— VIII.  Riga  1820-26.    IX-XI.  Leipzig  1827-1833. 

Keller  F.  Pfahlbautenberichte  I— VIII  in  den  Mitteilungen  der  antiqua- 
rischen Gesellschaft  in  Zürich  (IX.  Bericht  von  Heierli  ebenda 
B.  XXII). 

Keller  0.   Lateinische  Volksetymologie  und  Verwandtes.   Leipzig  1891. 
„      Tiere  des  klassischen  Altertums  in  kulturhistorischer  Beziehung. 

Innsbruck  1887. 
,      s.  auch  Imhoof-Blumer. 
Kluge  F.    Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  Sprache.   6.  ver- 
besserte und  vermehrte  Auflage.   Strassburg  1899. 
Angelsächsisches  Lesebuch,  zusammengestellt  und  mit  Glossar  ver- 
sehn.   Halle  1888. 

„  Nominale  Stammbildungslehre  der  altgermanischen  Dialekte.  2.  Aufl. 
Halle  1899. 

„  and  F.  Lutz.  English  etymology.  A  solect  glossary  serving  as  an 
introduetion  to  the  historv  of  the  English  language.  Strassburg 
1898. 

„  Zeitschrift  für  deutsche  Wortforschung,  herausg.  v.  F.  K.  Strassburg. 
Koch  K.   Die  Bäume  und  Sträucher  des  alten  Griechenlands.   2.  Auflage. 

Berlin  1884. 
•Kochler,  lies  Köhler  s.  d. 

K  o  e  g  e  I  R.  Geschichte  der  deutschen  Litteratur  bis  zum  Ausgange  des 
Mittelalters.    I,  1.  Strassburg  1894.   I,  2.  Strassburg  1897. 

Köhler.   T4pixo<;  ou  recherches  sur  les  pecheries  de  Russie  meridionale. 

Petersbourg  1832  in  Nouv.  Mein,  de  l'academie  imperiale  Ser.  VI,  T.  I. 

Kopp  H.   Geschichte  der  Chemie.   I— IV.   Braunschweig  1843-47. 

Koeppen  Fried.  Th.  Geographische  Verbreitung  der  Holzgewächse  des 
europäischen  Russlands  und  des  Kaukasus.  I.  II.  St.  Petersburg 
1888.  1889  (Beitrage  zur  Kenntnis  des  russischen  Reiches;  3.  Folge 
V.  VI). 

Körnicke  F.  und  Werner  H.  Handbuch  des  Getreidebaus.  I.  II.  Bonn 
1885. 

Korrespondenzblatt  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie  und 

Urgeschichte.  München. 
Körting  G.    Lateinisch  romanisches  Wörterbuch.    Paderborn  1891. 
Kr  au  ss  F.  S.   Sitte  und  Brauch  der  Stidslaven.   Wien  1885. 
K  r  e  k  G.   Einleitung  in  die  slavische  Literaturgeschichte.  Akademische 

Vorlesungen,  Studien  und  kritische  Streifzüge.   2.  Aufl.  Graz  1887. 
Kretschmer  P.   Einleitung  in  die  Geschichte  der  griechischen  Sprache. 

Göttingen  1896. 

,  Aus  der  Anomia.  Archäol.  Beiträge  Carl  Robert  dargebracht 
Berlin  1890. 

Krug  Ph.    Zur  Münzkunde  Russlands,  herausg.  v.  d.  kalserl.  Ak.  d.  W. 

St.  Petersburg  1805. 
Kuhn  A.   Die  Herabkunft  des  Feuers  und  de*  Göttertranks.   Ein  Beitrag 

zur  vergleichenden  Mythologie  der  Indogermanen.   Berlin  1869. 


Digitized  by  Google 


1086 


Literaturnachweise. 


Kurschat  =  Wörterbuch  der  litauischen  Sprache  von  F.  K.  I.  Teil  (Deutsch- 
litt.  W.)  Halle  1870.   11.  Teil  (Littauisch-deutach.  W.)  Hallo  1883. 

K.  Z.  =  Zeitschrift  für  vergleichende  Sprachforschung  auf  dem  Gebiete  der 
indogermaniochen  Sprachen.  I— XXV  herausg.  von  A.  Kuhn,  XXV  ff. 
von  E.  Kuhn  und  J.  Schmidt.   Berlin  und  Gütersloh. 

Lagarde  P.  A.  de.   Gesammelte  Abhandlungen.   Leipzig  1866. 
„      Mitteilungen  I— IV.   Göttingen  1884—1891. 

„      Armenische  Studien  in  den  Abhandlungen  der  königl.  Ges.  d.  W. 

zu  Göttingen  XXII. 
Landwirtschaftliche  Jahrbücher,  Z.  für  wissenschaftliche  Landwirt- 
schaft und  Archiv  des  kgl.  preuss.  Landes-Oeconomie-Collegiums, 

herausg.  von  Nathusius  und  Thiel.  Berlin. 
L  a  s  i  c  i  u  s.   De  diis  Samagitarum  caeterorumque  Sarmatarum  et  falsorum 

Christianorum.  It.  de  religione  Armeniorum,  s.  Michaion is  Lituani 

fragm.   Basil.  1615. 
Lassen  Chr.   Indische  Altertumskunde.   I,  1,  2.   Zweite  verbesserte  und 

sehr  vermehrte  Auflage.   Leipzig  1866,  67.   II  ib.  1874. 
Laveleye  E.  de.  Das  Ureigentum.  Autorisierte  deutsche  Ausgabe,  herausg. 

und  vervollständigt  von  K.  Bücher.    Leipzig  1879. 
Lehman  K.  Verlobung  und  Hochzeit  nach  den  nordgermanischen  Rechten 

des  früheren  Mittelalters.    München  1882. 
Leist  B.  W.   Graeco-italische  Rechtsgeschichte.    Jena  1884. 
„      Altarisches  Jus  gentium.   Jena  1889. 
„      Altarisches  Jus  civilo  I.  Abteilung.   Jena  1892. 

n  »  «»II'»  n  1896. 

.      s.  Glück-Leist. 
Lenz  H.  O    Zoologie  der  alten  Griechen  und  Körner,  deutsch  in  Auszügen 

aus  deren  Schriften  nebst  Anmerkungen.   Gotha  1856. 
„      Botanik  der  alten  Griecheu  und  Römer  etc.    Gotha  1859. 
„      Mineralogie  der  alten  Griechen  und  Römer  etc.   Gotha  1861. 
Leskien  A.   Bildung  der  Nomina  iin  Litauischen  in  den  Abh.  d.  k.  sächs. 

Ges.  d.  W.  phil.-hist.  Kl.  XII,  3.    Leipzig  181*1. 
Leumann  J.  und  E.  &  J.  Etymologisches  Wörterbuch  der  Sanskrit-Sprache. 

Bogen  1—7  (unvollständig).  Straasburg. 
Lewy  H.    Die  semitischen  Fremdwörter  im  Griechischen.    Berlin  1895. 
CTden  E.    Studien  zur  altindischen  und  vergleichenden  Sprachgeschichte. 

Upsaia.   Leipzig  1900. 
Lieblein  J.   Handel  und  Schiffahrt  auf  dem  roten  Meere  in  alten  Zeiten. 

Nach  ägyptischen  Quellen,  herausg.  von  der  Ges.  d.  W.  zu  Christi- 

ania  1886. 

Liebrecht  F.   Zur  Volkskunde.    Alte  und  neue  Aufsätze.  Heilbronn  1879. 
Linde nschmlt  L.    Die  Altertümer  unserer  heidnischen  Vorzeit.   I.  II.  III. 
Mainz  1864-1881. 

„      Die  Altertümer  der  merovingischen  Zeit.   Braunschschweig  1880 — 

1889  (=  Handbuch  der  deutschen  Altertumskunde  in  3  Teilen). 
„      L.  (Sohn).    Das  römisch-germanische  Centrai-Museum  in  bildlichen 
Darstellungen  aus  seinen  Sammlungen  herausg.    Mainz  1889. 
Literatur blatt  für  germanische  und  romanische  Philologie,  herausg.  von 
0.  Behaghel  und  F.  Neumanu.  Leipzig. 
.      für  orientalische  Philologie,  herausg.  von  E.  Kuhn.  I— IV.  Leipzig. 
L  o  b  e  c  k  Chr.  A.   Aglaophamus  sive  de  theologiae  mysticae  .Graecorum 

causis  libri  III.    I.  II.    Regimontii  Pruss.  1829. 
Löning  E.   Geschichte  des  deutschen  Kirchenrechts.  I.II.  Strassburg  1878. 


Digitized  by  Google 


Litteraturnachweise. 


1037 


Lorenz  0.  Lehrbuch  der  gesamten  wissenschaftlichen  Genealogie.  Berlin 
1898. 

Low  J.   Aramäische  Pflanzennamen.   Leipzig  1881. 

Lubbock  J.  Die  vorgeschichtliche  Zeit.  Nach  der  3.  Ausgabe  aus  dem 
Englischen  von  A.  Passow.  Mit  einleitendem  Vorwort  von  R.  Virchow. 
I.  II.    Jena  1874. 

Ludwig  A.   Der  Rigveda  oder  die  heiligen  Hymnen  der  Brähmana.  Zum 

ersten  Mal  übersetzt  von  A.  L.   I— VI.    Prag  1876—88. 
Luft  W.   Studien  zu  den  ältesten  germanischen  Alphabeten.  Gütersloh  1898. 
Maine  H.  S.  Lectures  on  the  early  history  of  institutions.  6  ed.  London  1893. 
Mannhardt  W.    Wald-  und  Feldkulte.    1.  II.    Berlin  1875.  1877. 
Manu  ed.  Bühler  =  The  law»  of  Manu  translated  with  ex tr acta  from  seven 

commentaries  by  G.  Bühler  (=  Sacred  books  of  the  East  ed.  bv 

M.  Müller.    XXV).   Oxford  1886. 
Marcussäule,  die,  herausg.  von  E.  Petersen,  A.  v.  Domaschewski,  G.  Cal- 

derini.    München  1896. 
Marquardt  J.    Das  Privatloben  der  Römer.   I.  11.    Leipzig  1879.  1882. 

(=  Handbuch  der  römischen  Altertümer  von  J.  Marquardt  und 

Th.  Mommsen  VII). 
„      Römische  Staatsverwaltung  I— III.   Leipzig  1873—78.  =  Handbuch 

IV— VI  (2.  Autlage  des  Privatlebens  v.  Mau  1886,  der  Staatsverwaltung 

Leipzig  1881-85). 

Martiny  B.  Kirne  und  Girbe.  Ein  Beitrag  zur  Kulturgeschichte,  besonders 
zur  Geschichte  der  Milchwirtschaft.    Berlin  1894. 

Memoires  de  la  soci6te  de  linguistique  de  Paris.  Paris. 

Meyer  E.   Geschichte  des  Altertums.    I.  II.   Stuttgart  1884,  1893. 

Meyer  E.  H.  F.   Geschichte  der  Botanik.  I-IV.   Königsberg  1814-1857. 

Meyer  E.  H.   Deutsche  Volkskunde.   Strassburg  1898. 

„      Gerraanische  Mythologie  (=  Lehrbücher  der  germanischeu  Philo- 
logie I).   Berlin  1891. 

Meyer  G.  Albanesische  Studien.  8  Hefte.  Wien  1883.  84.  92  (in  den  Sitzungs- 
berichten der  phil.-hist.  Kl.  der  kais.  Ak.  d.  W.  B.  104.  107.  125). 
„      Etymologisches  Wörterbuch  der  albanesischen  Sprache.  Strassburg 
1891. 

B      Gr.3  oder  Griech.  Gr.s  =  Griechische  Grammatik.  8.  Auflage.  1896. 
Leipzig. 

•      Türkische  Studien.  I.  Wien  1893  (in  den  Sitzungsb.  der  phil.-hisU 
Kl.  d.  kais.  Ak.  d.  W.  B.  128). 
Michalonis  Lituani  de  moribus  Tartarorum,  Lituanorum  et  Moschorum 
fragmina  X  et  Johan.  Lasicii  Poioni  de  diis  Samagitarunt  etc.  (s.  u. 
Lasicius).  Nunc  priraum  per  Jac.  Grasserum  C.  P.  ex  manuscripto 
autheutico  edita.   Basileae  1615. 
Miklosich  F.  Etymologisches  Wörterbuch  der  slavischen  Sprachen.  Wien  1886. 
,      Vergleichende  Grammatik  der  slavischen  Sprachen.   I— IV.  Wien 
1862-1874. 

,      Die  Blutrache  bei  den  Slaven  in  den  Denkschriften  der  phil.-hist. 

Kl.  d.  Wiener  Ak.  d.  W.  XXXVI.   Wien  1888. 
,      Die  christliche  Terminologie  der  slavischen  Sprachen.  Denkschr. 

XXIV.   Wien  1876. 
,      Die  Fremdwörter  in  den  slavischen  Sprachen.  Denkschr.  XV.  1867. 
„      Die  slavischen  Monatsnamen.    Denkschr.  XVII.  1868. 
,      Die  türkischen  Elemente  in  den  süd-ost-  und  o«t -europäischen 

Sprachen.   I.  II.   DenkBchr.  XXXIV,  XXXV.   1884.  85. 


Digitized  by  Google 


1038 


Literaturnachweise. 


Mitteilungen  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien.  Wien. 

„      des  kaiserlich  deutschen  archaeologischen  Instituts.  Athenische  Ab- 
teilung. Athen. 
„      der  geographischen  Gesellschaft  in  Jena.  Jena. 
Mogk  E.    Mythologie  im  Grundriss  der  germanischen  Philologie,  herausg. 

von*  H.  Faul.   2.  Aufl.    III,  230  ff. 
Mommsen  Aug.    Heortologie.    Antiquarische  Untersuchungen  über  die 

städtischen  Feste  der  Athener.  1864. 
Mommsen  Th.    Kömische  Geschichte.  I.  6.  u.  7.  Aufl.    Berlin  1381. 
„       Römische  Forschungen.   I.  II.   Berlin  1864.  1879. 
„      Römisches  Staatsrecht.  3  Bünde  in  Marquardt  und  Mommsens  Hand- 
buch der  römischen  Altertümer.    Leipzig  1871—1888.   (I.  II.  1,  2 
2.  Aufl.  1876,  1877;  I.  II.  3.  Aufl.  1887). 
„      Römisches  Strafrecht.    Leipzig  1899  (=  Syst.  Handbuch  d.  deutschen 
Rechtsw.  herausg.  von  Binding  I,  4). 
Montelius  O.    Antiquites  suedoises.    Stockholm  1873. 

„      Die  Kultur  Schwedens  in  vorchristlicher  Zeit.   Übersetzt  von  Carl 
Appel  nach  der  vom  Verfasser  umgearbeiteten  2.  Aufl.   Berlin  188n. 
Monument,  das  von  Adamklissi.    Herausg.  von  G.  Tocilesco,  O.  Benn- 
dorf, G.  Niemann.    Wien  1895. 
Movers  F.  C.    Die  Phoenicier.  I.  Bonn  1841.   II,  1,  2,  3.  Berlin  1849.  1850. 

1856  (II,  3  auch  u.  d.  T.  Das  phoenicische  Altertum,  III,  1:  Handel 
und  Schiffahrt). 

Much  M.  Die  Kupferzeit  in  Europa  und  ihr  Verhältnis  zur  Kultur  der  Indo- 
germanen.  2.  vollständig  umgearbeitete  und  bedeutend  vermehrte 
Auflage.   Jena  1893. 

Much  R.  Deutsche  Stammsitze.  Ein  Beitrag  zur  ältesten  Geschichte  Deutach- 
lands. Halle  1892  (in  den  Beiträgen  zur  Geschichte  d.  deutsch.  Spr. 
und  Lit.  XVII). 

Mtillenhoff  K.    Deutsche  Altertumskunde.   I— IV.   Berlin  1870—1900. 

Müller  A.  Vorgeschichtliche  Kulturbilder  aus  der  Höhlen-  und  älteren  Pfahl- 
bautenzoit.    Bühl  1892. 

Müller  I.  v.  Die  griechischen  l'rivataltertümer.  2.  umgearbeitete  und  sehr 
vermehrte  Auflage.  München  1893  (=  Handbuch  der  klassischen 
Altertumswissenschaft  in  systematischer  Darstellung,  herausg.  von 
Dr.  I.  v.  Müller,  IV,  1,  2). 

Müller  K.  O.  Geschichte  hellenischer  Stämme  und  Städte.  II,  1  und  2  Die 
Dorier.    Breslau  1824. 

Müller-Deecke  Etrusker  =  Die  Etrusker  von  K.  O.  Müller,  neubearbeitet 
von  W.  Deecke.    I.  II.   Stuttgart  1877. 

Müller  M.  Biographies  of  words  and  the  home  of  the  Aryas.  London  1888. 
„  Indien  in  seiner  weltgeschichtlichen  Bedeutung.  (India  what  can 
it  teach  us?).  Vorlesungen.  Vom  Vf.  autorisierte  Übersetzung  von 
C.  Cappeller.    Leipzig  1884. 

Müller  S.  Nordische  Altertumskunde.  Nach  Funden  und  Denkmälern  aus 
Dänemark  und  Schleswig.  Deutsche  Ausgabe  unter  Mitwirkung 
de»  Verfassers  besorgt  von  Dr.  O.  L.  Jiriczek.  I.  (Steinzeit,  Bronze- 
zeit) Strassburg  1897.    II.  (Eisenzeit)  ibid.  1898. 

Museon.   Rovue  internationale.  Louvain- 

Muss-Arnolt  W.   Semitic  words  in  Greek  and  |Latin  extracted  from  the 
Transactions  of  the  American  philological  association  XXIII.  1892. 
„      Semitic  and  otber  glosses  to  Kluges  Et.  W.  der  deutschen  Sprache. 
Baltimore  1890  (deprinted  from  the  Modern  language  notes  V,  8). 


Digitized  by  Google 


Littcraturnachweise. 


1039 


Nachrichten  von  der  königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  und  der 
Georg-Augusts-Universität.  Güttingen. 

Nature.   A  weekly  illustrated  journal  of  science.   London  and  New-York. 

Naue  J.  Die  Bronzezeit  in  Oberbayern.  Ergebnisse  der  Ausgrabungen  und 
Untersuchungen  von  Hügelgräbern  der  Bronzezeit  zwischen  Ammer- 
und Staffelsee  und  in  der  Nähe  des  Starnberger  Sees.  München 
1894. 

N  e  h  r  i  n  g  A.  Über  Tundren  und  Steppen  der  Jetzt-  und  Vorzeit  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  ihrer  Fauna.    Berlin  1890. 

Nemnich  Phil.  Andr.  Allgemeines  Polyglottenlexikon  der  Naturgeschichte. 

Hamburg  und  Leipzig  1773  f.  (darin  Wörterbücher  der  Naturge- 
schichte in  der  deutschen,  holländischen  u.  s.  w.  Sprache). 

N osselmann  G.  H.  F.  Thesaurus  linguae  prussicae.  Der  preussische  Vo- 
cabelvorrat.    Berlin  1873. 

Nestor.  Russische  A n n a  1  e n  in  ihrer  slavonischen  Grundsprache  verglichen, 
übersetzt  und  erklärt  von  A.  L.  S  c  h  1  ö  z  e  r.  I— V.  Göttingen 
1802-1809. 

Neue  F.  Formenlehre  der  lat.  Sprache.  2.  umgearbeitete  und  erweiterte 
Auti.  I.  II.  Berlin  1877.  1875  (3.  gänzlich  neubearbeitete  Aufl.  von 
C.  Wagner.    II.  III.   Berlin  1892.  97). 

Neue  Jahrbücher  für  Philologie  und  Paedagogik,  herausg.  von  J.  Chr. 
Jahn.  Leipzig. 

Neues  Archiv  des  Kriminalrechts.  I.— XIV.  Halle  1817— 1834,  Neue  Folge 
1834  -1854. 

Neuraann-Partsch.  Physikalische  Geographie  von  Griechenland  mit  be- 
sonderer Rücksicht  auf  das  Altertum.    Breslau  1885. 

N  i  1 8  s  o  n  S.  Das  Steinalter  oder  die  Ureinwohner  des  Skandinavischen 
Nordens,  übersetzt  von  J.  Mestorf.   Hamburg  1868. 

Nissen  H.  Pompejanische  Studien  zur  Städtckunde  des  Altertums.  Leipzig 
1877. 

Nord  und  Süd.  Eine  deutsche  Monatsschrift,  herausg.  von  P.  Lindau. 
Berlin. 

Noreen  A.   Abriss  der  urgermanischen  Lautlehre.   Strasburg  1894. 

Oberbay erisches  Archiv  für  vaterländische  Geschichte.  München. 

O' Curry  E.   On  the  manners  and  customs  of  the  ancient  Irish.   A  series 

of  lectures  edited  with  an  introduetion,  appendices  etc.  by  W. 

Sullivan  I.— III.    London  1878. 
Oldenberg  H.    Die  Religion  dea  Veda.    Berlin  1894. 

Orientalistische  Littcratur-Zeitung,  herausg.  von  Peiser.  I.  Berlin  1898. 

Otto  A.   Zur  Geschichte  der  ältesten  Haustiere.   Breslau  1890. 

Palander  H.  Die  althochdeutschen  Tiernamen.  I.  Die  Namen  der  Säuge- 
tiere.   Darmstadt  1899. 

Pape  W.  Wörterbuch  der  griechischen  Eigennamen.  3.  Aufl.  neubearbeitet 
von  Benseier.    Braunschweig  1863—70. 

Pardessus  J.  M.  Collection  de  lois  maritimes  anterieures  au  XVIII«  siecle. 
I.  II.   Paris  1828.  1831.    III.    Paris  1834. 

Parthey  G.    Vocabularium  coptico-latinum  et  latino-copticum.  Berol.  1844. 

Pauli  C.  Die  Veneter  und  ihre  Schriftdenkmäler.  Leipzig  1891  (=  Alt- 
italische Forschungen  III). 

Pauls  Grundriss  — -  Gruudriss  der  germanischen  Philologie,  herausg.  von 
H.  Paul.   2.  Auflage. 

Pauly  A.  Real-Encyklopädie  der  klassischen  Altertumswissenschaft.  Stutt- 
gart 1839  ff. 


Digitized  by  Google  : 


1040 


Literaturnachweise. 


Pauly-Wissowa').  Dasselbe.  Neue  Bearbeitung:,  herausg.  von  R.  Wissowa. 

I.  Stuttgart  1894  ff. 
Penka  K.   Origines  Ariacae.   Wien  und  Teschen  1883. 

,      I3ie  Herkunft  der  Arier.   Wien  und  Tcschen  1886. 
Petermanns  Mitteilungen,  Ergänzungshefte,  s.  Ergänzungshefte. 
Petersen,  s.  Marcus-Säule. 
Pfahlbautenberichte,  s.  Keller  F. 
Philologische  Studien,  s.  Festgabe  für  8ievers. 
Philologus,  Zeitschrift  für  das  klassische  Altertum.  Göttingen. 
Pictet  A.   Le«  origines  Indo-Europeennes  ou  les  Aryas  primitifs.  Essai  de 

paleontologie  linguistique.  I.  Paris  1869  II.  ibid.  1863. 
Pischel  und  Geldner.   Vedische  Studien.   2  Bde.   Stuttgart  1889.  97. 
Planta  v.   Grammatik  der  oskisch-umbrischen  Dialekte.    I.  II.  Strasburg 

1892.  1897. 

Ploss  H.  Das  Weib  in  der  Natur-  und  Völkerkunde.  Anthropologische  Studien. 

3.  umgearb.  und  stark  vermehrte  Auflage  von  Max  Bartels.  Leipzig 
1891. 

Pott  A.  F.  Etymologische  Forschungen  auf  dem  Gebiet  der  indogermanischen 
Sprachen.   2.  Aull.    I— VI.   Lemgo  und  Detmold  1859—76. 
„      Die  quinare  und  vegesimale  Zählmethode  bei  Völkern  aller  Welt- 
teile.  Halle  1847. 

Preller  L.  Römische  Mythologie.  Berlin  1858  (3.  Aufl.  I.  II.  ibid.  1881.  1883). 
Preller-Robert.    Griechische  Mythologie.  4.  Aufl.  Theogonie  und  Götter 

von  L.  P.,  bearbeitet  von  Carl  Robert.   Berlin  1894. 
Prellwitz  W.  Et.  W.  =  Etymologisches  Wörterbuch  der  griechischen  Sprache. 

Göttingen  1892.  >  , 

Pritzel  G.  und  Jessen  C.  Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen.  Neuer 

Beitrag  zum  deutschen  Sprachschatz.   Hannover  1882. 
Preussische  Jahrbücher.  Berlin. 

Quellen  und  Forschungen  zur  Sprach-  und  Kulturgeschichte  der  ger- 
manischen Völker.  Strassburg. 

Raum  er  R.  v.  Die  Einwirkung  des  Christentums  auf  die  ahd.  Sprache. 
Stuttgart  1846. 

Rein  W.  Das  Kriminalrccht  der  Römer  von  Romulus  bis  auf  Justinianua. 
Leipzig  1844. 

,      Das  Privatrecht  und  der  Civilprozess  der  Römer  von  der  ältesten 

Zeit  bis  auf  Justinianus.    Leipzig  1868. 
Revue  archeologique  (antiquite  et  moyenäge)  publiee  sous  la  direction 

de  M.  M.  A.  Bertrand  et  G.  Perrot.    III.  Serie.  Paris. 
Revue  celtique.    I— VI,  dirigee  par  H.  Gaidoz,  VII  sqq.  par  d'Arbois  de 

Jubainville.  Paris. 
Revue  des  deux  mondes.  Paris. 

Rheinisches  Museum  für  Philologie,  Geschichte  und  griechische  Philo- 
sophie. Bonn. 

Rheinisches  Museum  für  Jurisprudenz.   Bonn  und  Göttingen. 
Ridgeway  W.  The  origin  of  metallic  currencv  and  weight  Standards.  Cam- 
bridge 1892. 

R  i  e  h  m  E.  C.  A.   Handwörterbuch  des  biblischen  Altertums  für  gebildete 

Bibelleser,  herausg.  von  R.   2.  Auflage  von  F.  Baethgen  1899. 
Riese  A.  Das  rheinische  Germanien  in  der  antiken  Litteratur.  Leipzig  1892. 
Ritschi  F.    Opuscula  philologica.    I-IV.    Lipsiae  1866-1878. 

1)  Versehentlich  ist  im  Text  ein  paar  Mal  *PauIi-  gedruckt. 


Digitized  by  Google 


Literaturnachweise. 


1041 


R  o  v  d  e  r  F.    Die  Familie  bei  den  Angelsachsen  in  den  Studien  zur  eng 
Machen  Philologie,  herausg,  von  L.  Morsbach  IV. 

RohdeE.  Psyche.  Seelencult  und  Unsterblichkeitsglauhe  der  Griechen.  2.  ver- 
besserte Auflage.    I.  II.    Freiburg  i.  B.  1898. 

Komania.  Recueil  trimestriel  consacre  ä  l'etude  des  langue*  et  des  littera- 
tures  romane*.  Paris. 

Romanische  Forschungen.  Organ  für  romanische  Sprachen  und  Mittel- 
latein von  K.  Vollmöller.  V.  (zugleich  Festschrift  für  K.  Hofmann). 
Erlangen. 

Rosenbaum  J.  Geschichte  der  Lustseuche  im  Altertum.  2.  Abdruck. 
Halle  1846. 

Roscher  W.  Nationalökonomie  des  Ackerbaus  und  der  verwandten  Ur- 
produktionen. 11.  Auflage.  Stuttgart  1885  (=  System  der  Volks- 
wirtschaft II.). 

Roscher  W.  H.  Ausführliches  Lexikon  der  griechischen  und  römischen 
Mythologie.   Leipzig  1884  ff. 

R  o  s  i  n  H.  Der  Begriff  der  Schwertmagen  in  den  Rechtebüchern  und  ver- 
wandten Quellen  des  deutschen  Mittelalters.    Breslau  1877. 

Rossbach  A.   Untersuchungen  über  die  römische  Ehe.    Stuttgart  1853. 

R  ü  t  i  m  e  y  e  r  L.  Die  Fauna  der  Pfahlbauten  der  Schweiz  1861  (in  den 
Denkschriften  der  schweizerischen  naturforschenden  Gesellschaft  zu 
Basel?). 

Saalfeld  A.    Italograeca.    Kulturgeschichtliche  Studie  auf  sprachwissensch. 

Grundlage  gewonnen.    1.  u.  2.  Heft.   Hannover  1882. 
Sacken  E.  v.    Das  Grabfeld  von  Hallstatt  in  Oberösterreich  und  dessen 

Altertümer.    Wien  18G8. 
Schade  O.  Altdeutsches  Wörterbuch.  2.  umgearbeitete  und  vermehrte  Aufl. 

Halle  1872-82. 

Schlietnann  H.    Bios.   Stadt  und  Land  der  Trojaner.   Forschungen  und 

Entdeckungen  in  der  Troas  und  besonders  auf  der  Baustelle  von 

Troja.    Leipzig  1881. 
„      Mykenae.    Bericht  über  meine  Forschungen  und  Entdeckungen  in 

Mykenae  und  Tiryns.    Mit  einer  Vorrede  von  W.  E.  Gladstone. 

Leipzig  1881. 
Schlözer1)  Annalen,  s.  Nestor. 

Schmidt  J.  H.  H.  Synonymik  der  griechischen  Sprache.  I— III.  Leipzig 
1876-79. 

Schmidt  J.  Die  Pluralbildungen  der  indogermanischen  Neutra.  Weimar 
1889. 

„      Kritik  der  Sonantentheorie.    Eine  sprachwissenschaftliche  Unter- 
suchung.  Weimar  1895. 
„      Die  Urheimat  der  Indogermanen  uud  das  europaische  Zahlsystem. 
Berlin  1890  (in  den  Abh.  der  kgl.  preuss.  Ak.  d.  W.  zu  Berlin). 
Schmidt  W.  A.  Forschungen  auf  dem  Gebiete  des  Altertums.  I.  Berlin  1842. 
Schräder  E.  Die  Keilinschriften  und  das  alte  Testament.  2.  umgearbeitete 

und  sehr  vermehrte  Auflage.    Glessen  1883. 
Schräder  0.    Linguistischhistorische  Forschungen  zur  Handelsgeschichte 
und  Warenkunde.    I.  Jena  1886. 
„      V.  Hehn.   Ein  Bild  seines  Lebens  und  seiner  Werke.   Berlin  1891. 
„      Vom  neuen  Reich  („Deutsches  Reich  und  deutscher  Kaiser",  „Die 


1)  Auf  S.  651  ist  fälschlich  »Schlösser  gedruckt. 
Schräder,  Reaüexikon.  66 


Digitized  by  Google 


1042 


Literaturnachweise. 


Deutschen  und  das  Meer").  Zwei  sprachlich-geschichtliche  Vorträge. 
Bertin  1896. 

Schräder  O.  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte.  Linguistisch  historische 
Heiträge  zur  Erforschung  des  indogermanischen  Altertums.  2.  voll- 
ständig umgearbeitete  und  beträchtlich  vermehrte  Auflage.  Jena 
1890. 

„      s.  u.  Hehn  V. 
Schröder  L.  v.    Die  Hochzeitsbranche  der  Ksten  und  einiger  anderer 

finnisch-ugrischer  Völkerschaften  in  Vergleichung  mit  denen  der 

indogermanischen  Völker.   Berlin  1888. 
„       Pythagoras  und  die  Inder.   Eine  Untersuchung  über  Herkunft  und 

Abstammung  der  pythagoreischen  Lehren.    Leipzig  1884. 
Schröder  R.    Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte.  2.  wesentlich  um- 
gearbeitete Autlage.    Leipzig  1894  CJ.  189«.). 
Schuchardt  C.    Schliemanns  Ausgrabungen  in  Troja,  Tirvns.  Mykeuae, 

Orchomcnos,  Ithaka  im  Lichte  der  heutigen  Wissenschaft  dargestellt. 

2.  vermehrte  Aullage.   Leipzig  1891. 
Schultz  A.  Das  höfische  Leben  zur  Zeit  der  Minnesinger.  I.  II.  Zweite  Aufl. 

Leipzig  1889. 

Schulze  W.   Quaestiones  epicae.   Gueterslohae  1892. 

Schwarz  P.    Mensch  und  Tier  im  Aberglauben.    Progr.  Celle  1888. 

Schwegler  A.    Römische  Geschichte.    I.  1,  2.    2.  unveränderte  Auflage. 

Tübingen  1*67.  1869. 
Schweizer-Sldler  H.  Grammatik  der  lateinischen  Sprache,  bearbeitet  von 

H.  Schw.-S.  und  A.  Surber.  I.  2.  gänzlich  umgearbeitete  Aufl.  etc. 

Halle  a./S.  1888. 
Scott  W.   Waverley  or  'tis  sixty  years  since.  Edinburgh. 
Scriptores  rerum  Prussicarum.    Die  Geschichtsquellen  der  preußischen 

Vorzeit  bis  zum  Untergang  der  Ordensherrschaft.    I— V.  Leipzig 

1861-74. 

Seelmann  E.  Die  Aussprache  des  Latein  nach  physiologisch-historischen 
Grundsätzen.    Heilbronn  1885. 

Siegfried-Stade  Wb.  =  Hebräisches  Wörterbuch  zum  alten  Testament,  be- 
arbeitet von  Carl  Siegfried  und  B.  Stade.    Leipzig  1893. 

Sievers  W.  Europa.  Eine  allgemeine  Landeskunde  von  A.  Phiiippson 
und  L.  Neuinann,  herausg.  von  W.  S.    Leipzig  und  Wien  1894. 

Sigismund  R.  Die  Aromata  in  ihrer  Bedeutung  für  Religion,  Sitte,  Ge- 
bräuche, Handel  und  Geographie  des  Altertums.    Leipzig  1884. 

Sittl  C.    Die  Gebärden  der  Griechen  und  Römer.  Leipzig  1890. 

Sitzungsberichte  der  kgl.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  München. 

„      der  kgl.  preussischen  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
„      der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien. 
Smith  George.    Chaldäische  Genesis.    Keilinschriftliche  Berichte  über 
Schöpfung,  Sündenfall,  Sintflut  u.  s.  w.    Autorisierte  Übersetzung 
von  H.  Delitzsch.  Nebst  Erläuterungen  und  fortgesetzten  Forschungen 
von  Dr.  F.  Delitzsch.   Leipzig  1876. 
Solmsen,  s.  Usener. 

Specht  F.  A.  Gastmähler  und  Trinkgelage  bei  den  Deutschen.  Stuttgart 
1887. 

Spencer  H.  The  principlcs  of  sociology  (--■=  System  of  synthetic  philosophy 

VI).    I.  II.   Londou  and  Edinburgh  1877-82. 
Spiegel  F.    Die  arische  Periode  und  ihre  Zustände.   Leipzig  1887. 


Digitized  by  Google 


Literaturnachweise. 


1043 


Starcke  C.  N.  Die  primitive  Familie  in  ihrer  Entstehung  und  Entwicklung. 

Leipzig  1888  {—  Internationale  wissenschaftliche  Bibliothek  LXV1). 
Stein  hausens  Zeitschrift  für  Kulturgeschichte.  Berlin. 
Steinmeyer  Ahd.  Gl. —  Die  ahd.  Glosse»  gesammelt  und  bearbeitet  von 

E.  Steinmeyer  und  E.  Sievern.    1— IV.    Berlin  1879—1898. 
Stengel  P.    Di«  griechischen  Kultusaltertümer.    2.  Aufl.    Müncheu  1898 

(=  Handbuch  dor  klassischen  Altertumswissenschaft,  herausg.  von 

I.  v.  Müller  V,  3). 

Stephanus  Henr.   Thesaurus  graecae  Iinguae  ab  H.  St.  construetus.  I— 

VIII.    Parisiis  1831-56. 
Stieler  C.  v.    Der  deutschen  Sprache  Stammbaum  und  Fortwachs  oder 

Deutscher  Sprachschatz.   Nürnberg  1691. 
Stokes.   Urkeltischer  Sprachschatz,  s.  Fick  Vgl.  W.* 

Stolz  F.  Lateinische  Grammatik.  2.  Auflage.  München  1898  (im  Handbuch 
der  klassischen  Altertumswissenschaft,  herausg.  von  I.  v.  Müller  I,  2). 

Strachau  J.  The  compensntory  lengthening  of  vowels  in  Irish.  Philological 
society  (?). 

Studniczka  F.  Beitrüge  zur  Geschichte  der  altgriechischen  Tracht.  Ab- 
handlungen des  archäologisch-epigraphischen  Seminars  der  Uni- 
versität Wien,  herausg.  von  O.  Benndorf  und  E.  Bormann.  Wien 

Sundevall  Carl  J.  Die  Tierarten  des  Aristoteles,  deutsch.  Stockholm  1863. 
Sweet  H.   The  history  of  language.   London  1900. 
Taal-  en  letterbodc  (De).  Haarlem. 

Teuf  fei  W.  S.  Geschichte  der  römischen  Literatur.  3.  Auflage.  Leipzig 
1875. 

Thalheim,  s.  Hermann-Thalheim. 
Thes.,  s.  Goetz  G. 

Thomsen  W.  Berttringer  mcllem  de  finske  og  de  baltiske  (litauisk-lettiske) 
Sprog.  En  sproghistorik  l'ndersogelse.  K»benhavn  1890. 
Über  den  Einfluss  der  germanischen  Sprachen  auf  die  finnisch- 
lappischen.  Eine  sprachgeschichtliche  Untersuchung  aus  dem  Dän- 
ischen übersetzt  von  E.  Sievors.  Halle  1870. 
n  Der  Ursprung  des  russischen  Staates.  Drei  Vorlesungen.  Vom  Verf. 
durchgesehene  deutsche  Ausgabe  von  L.  Bornemann.   Gotha  1879. 

Thurueysen  R.  Keltoromanisches.  Die  keltischen  Etymologien  im  etymo- 
logischen Wörterbuch  der  romanischen  Sprachen  von  F.  Diez.  Halle 
1884. 

Tille  A.  Yule  and  Christmas,  their  place  in  the  Germanic  year.  London 
1899. 

Tischler  O.  Über  die  Formen  der  Gewandnadelu.  München  1881  (Abdruck 
aus  der  Zeitschrift  für  Anthropologie  und  Urgeschichte  Bayerns  IV, 
1.  2). 

Tomaschek  W.   Centralasiatische  Studien.    I  (Sogdiana),  II  (die  Pamir- 
Dialekte).   Wien  1877.  1880. 
„      Kritik  der  ältesten  Nachrichten  über  den  skythischen  Norden  I.  II. 
(in  den  Sitzungsb.  d.  kais.  Ak.  d.  W.  in  Wien  phil.-hist.  Kl.  CXVI, 
CXVII  Wien  1888). 

Töppfcr  J.    Attische  Genealogie.    Berlin  1889. 

Trajansilule,  s.  Fröhner. 

Transacti ons  ol  the  society  of  bihlical  archaeology.  London. 
Uhlenbeck  C.  C.  Kurzgefnsstes  etymologisches  Wörterbuch  der  gotischen 
Sprache.   Amsterdam  1896. 


Digitized  by  Google 


1044  Literaturnachweise. 

Uhlenbeck  C.  C.  Kurzgefasstes  etymologisches  Wörterbuch  der  altindischen 

Sprache.    Amsterdam  1898/99. 
Umfrage,  8.  Verhältnisse  geschlechtlich  sittliche. 
Undset.    Das  erste  Auftreten  des  Eisens  in  Nord-Europa.  Hamburg  1892. 
U  n  g  e  r  G.  Fr.    Zeitrechnung  der  Griechen  und  Römer  im  Handbuch  der 

klassischen  Altertumswissenschaft,   herausg.  von  I.  v.  Müller.  I. 

2.  Auflage.   München  1892. 
Usener  H.  (-Solmaen)  Götternamen.  Versuch  einer  Lehre  von  der  religiösen 

Begriffsbildung.   Bonn  189«. 
Vämbery  H.  Die  primitive  Kultur  des  turko-tatarischen  Volkes.  Auf  Grund 

sprachlicher  Forschungen.   Leipzig  1879. 
Vani&ek  A.  Griechisch-lateinische*  etymologisches  Wörterbuch.  I.II.  Leipzig 

1877. 

Vasishtha,  s.  Bühler  G. 

Veckenstedt  Edm.  Geschichte  der  griechischen  Farbenlehre.  Paderborn 
1888. 

Verhältnisse  geschlechtlich  sittliche  =  Die  geschlechtlich  sittlichen 
Verhältnisse  der  evangelischen  Landbewohner  im  deutschen  Reich 
dargestellt  auf  Grund  der  von  der  allgemeinen  Konferenz  der 
deutschen  Sittlichkeitsvereine  veranstalteten  Umfrage.  I.  Ostdeutsch- 
land 1.  bearbeitet  von  H.  Wittenberg  2.  von  E.  HückstädL  Leipzig 
1895.  II.  West-,  Mittel-  und  Süddeutschland,  bearbeitet  von  1 1  Special- 
Referenten,  red.  und  mit  Vorwort  und  Schlusswort  versebn  von 
Pastor  C.  Wagner.   Leipzig  1896. 

Verhandlungen  des  I.  deutschen  Geographentags  zu  Berlin.   Berlin  1882. 
„      der  44.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  in 
Dresden.    Leipzig  1897. 

Vigfusson  G.   An  Icclandic-English  dictionary.    Oxford  1874. 

.  Corpus  poeticum  boreale.  The  poetry  of  the  old  Northern  tongue 
from  the  earliest  times  to  the  13.  Century  edited  etc.  by  G.  V.  and 
York  Powell.    I.  II.   Oxford  1883. 

Vishnu,  s.  Jolly. 

Voigt  M.  Drei  epigraphische  Constitutionen  Constantins  des  Grossen  u.  s.  w. 
Leipzig  1860. 

B  Das  jus  naturale  aequum  et  bonum  und  jus  gentium  der  Römer 
I—IV.    Leipzig  1866-75. 

Über  die  leges  regiae  I.  II.  in  den  Abhandlungen  der  kgl.  sächsischen 

Gesellschaft  d.  W.  VII. 
„      Privataltertümer  und  Kulturgeschichte  in  den  römischen  Staats-, 

Kriegs-  und  Privatalterttiroern,  bearb.  von  H.  Schiller  und  M.  Voigt 

=  Handbuch  der  klassischen  Altertumswissenschaft,  herausg.  von 

I.  v.  Müller  IV,  2.    2.  Aufl.    München  1893. 
Wackernagel  J.   Das  Dehnungsgesetz  der  griechischen  Composita.  Basel 

1889  (Gratulationsschritt  d.  Univ.  Basel  f.  ü.  Baseler  Gymnasium  b. 

s.  300jährigen  Jubiläum). 
„      Über  den  Ursprung  des  Brahmanismus.  Basel  1877  (—  Öffentl.  Vor- 
träge in  der  Schweiz  IV). 
Wackernagel  W.   Kleinere  Schriften.    I— III.    Leipzig  1872—74. 
Wagner  C,  s.  Verhältnisse  geschlechtlich  sittliche. 
Wal  deck  Russland  =  Friedrich  Meyer  von  Waldeck.    Russland.  Einrich 

tungen,  Sitten  und  Gebräuche.   I.  II.  Leipzig  1884.  1886. 
Walter  F.    Das  alte  Wales.  Ein  Beitrag  zur  Völker-  Rechts-  und  Kircheu- 

geschichte.   Bonn  1869. 


Digitized  by  Google 


Literaturnachweise. 


1046 


Weher  A.   Zwei  vedische  Texte  über  Omina  und  Portenta  in  den  Abb. 
der  legi.  Ak.  d.  W.  zu  Berlin  1858. 
,      Indische  Streifen.   1.  II.   Berlin  1868.  69.   III.  Leipzig  1879. 
„      8.  auch  Indische  Studien. 
Wein  hold  C.   Altnordisches  Leben.   Berlin  1856. 

„      Die  deutschen  Frauen  in  dem  Mittelalter.  I.  II.   2.  Auflage.  Wien 
1882. 

Über  die  deutschen  Fried-  und  Freistatten.    Kiel  1864  (in  den 
Schriften  der  Universität  Kiel). 
„      Über  die  deutsche  Jahrteilung.   Kiel  1862  (in  den  Schriften  der 

Universität  Kiel). 
»      Die  deutschen  Monatsnamen.   Halle  1869(?). 

Weise  0.  Die  griechischen  Wörter  im  Latein.  Leipzig  1882  (in  den  Preis- 
schriften der  F.  Jablonowskischen  Gesellschaft  zu  Leipzig  XXIII). 

Wclcker  F.  G.   Kleine  Schriften.   1-V.   Bonn  1844-67. 

Wiedemann  A.  Herodots  zweites  Buch  mit  sachlichen  Erläuterungen. 
Leipzig  1890. 

Wiener  Zeitschrift  für  die  Kunde  des  Morgenlands.   Wien  1887 ff. 

Wilamowitz  U.  v.  Homerische  Untersuchungen.  Berlin  1884  (in  den  philo- 
logischen Untersuchungen,  herausg.  von  A.  Kiessling  und  U.  v. 
W.M.). 

Wilda  G.  E.   Geschichte  des  deutschen  Strafrechts  I  (das  Strafrecht  der 

Germanen).   Halle  1842. 
W  i  u  c  k  1  o  r  H.   Altorientalische  Forschungen.   I.   Leipzig  1893. 
Windisch.   Irische  Texte  mit  Wörterbuch.   Leipzig  1880. 
Wissowa.s.  Pauly-Wissowa. 
Wochenschrift  für  klassische  Philologie.  Berlin. 
Wölfflins  Archiv,  s.  Archiv  für  lateinische  Lexikographie. 
Wönig  Fr.    Die  Pflanzen  im  alten  Ägypten.    Ihre  Heimat,  Geschichte, 
Kultur  und  ihre  mannigfache  Verwendung  im  sozialen  Leben,  in 
Kultus,  Sitten  und  Gebrauchen,  Medizin,  Kunst.   Leipzig  1886. 
W  r  i  g  h  t  -  W  ü  1  c  k  e  r.   Anglo-Saxon  and  old  English  vocabularies  by  Th. 

Wright.   Second  edition,  edited  and  coUated  by  R.  P.  Wülcker  I 
(vocabularies).   London  1884.   II.  (indiceu)  ibid.  1884. 
Wuudt  W.   Ethik.   Eine  Untersuchung  der  Thatsachen  und  Gesetze  des 

sittlichen  Lebens.   Stuttgart  1892. 
Yule  H.  and  Burneil  A.  C.  Hobson-Jobson:  being  a  glossary  of  Anglo- 
Indian  colloquial  words  and  phrases  and  of  kindred  terms.  Ety- 
mological,  historical,  geographica!  and  discursive.    London  1886. 
ZeussJ.  Casp.    Gr.  c(elt.)s  =  Grammatica  celtica.   Editio  altera.  Curavit 
H.  Ebel.   Berolini  1871. 
„       Die  Deutschen  und  die  Nachbarstämme.    München  1837. 
Zeitschrift  der  deutschen  morgenländischen  Gesellschaft.  Leipzig. 
„      der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin.  Berlin. 
„      der  Savigny-Stiftung  für  Rechtsgeschichte.  Romauistische  und  ger- 
manistische Abteilung.  Weimar. 
„      des  Vereins  für  hamburgische  Geschichte.   Neue  Folge.  Hamburg. 
„      des  Vereins  für  Volkskunde  (Neue  Folge  der  Z.  f.  Völkerpsychologie 

und  Sprachwissenschaft)  Berlin  1890  ff. 
„      für  Assyriologio  und  verwandte  Gebiete.    Leipzig  und  Weimar. 
„      für  deutsches  Altertum  und  deutsche  Litteratur  nebst  Anzeiger. 

Berlin  (s.  Haupts  Z.). 
„      für  deutsche  Philologie.  Halle. 


Digitized  by  Google 


1046 


Literaturnachweise. 


Zeitschrift  für  deutsche  Wortforschung.   Straasburg  1900. 
,      für  die  Altertumswissenschaft.   Giessen  1834  ff. 

für  die  gesamte  Strafsrechtswissenschaft.  Berlin,  Leipzig,  Wien 
1881  ff. 

„  für  die  Kunde  des  Morgenlands.  I— VIII.  Göttingen,  Bonn  1837  ff. 
„      für  die  österreichischen  Gymnasien.  Wien. 

„  für  Ethnologie.  Organ  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthropologie, 
Ethnologie  und  Urgeschichte,  zusammen  mit  den  Verhandlungen 
dieser  Gesellschaft.  Berlin. 

,      für  keltische  Philologie.  Halle, 

»      für  orientalische  *)Philologie  (richtig:  Litte  raturblatt  f.o.  Ph.s.d.). 
,      für  romanische  Philologie.  Halle. 
„      für  Socialwissenschaft.    Berlin  1898  ff. 
„      für  vergleichende  Rechtswissenschaft.  Stuttgart. 
„      für  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft.   Berlin  1860—1890. 
Zimmer  H.   Altindisches  Leben.  Die  Kultur  der  vedischen  Arier,  nach  den 

Sarahitä  dargestellt.   Berlin  1879. 
Zupitza  E.  Die  germanischen  Gutturale.  Berlin  1896  (=  Schriften  der  ger- 
manischen Philologie,  herausg.  v.  Rödiger). 


Digitized  by  Google 


3-  Sprachennachweise. 


aegypt.  =  aegyptiscb. 
aeol.  =  aeolisch. 
aigh(an).  —  afghanisch, 
agls.  =  angelsächsisch, 
ahd.  =  althochdeutsch. 
akk(ad).  =  akkadisch. 
akymr.  =  altkymrisch. 
alb.  =  albanesisch. 
alem.  =  alemannisch, 
alt.  =  altaisch. 
altaegypt.  =  altaegyp- 
tisch. 

altbret.  =  altbretonisch. 

altcech.  =  nltcechisch. 

altengl.  =  altenglisch. 

altfränk.  =  altfränkisch. 

altfries.  =  altfriesisch. 

altfrfz).  =  altfranzösisch. 

altgall.  =  altgallisch. 

altgerm.=  altgennanisch. 

altgutu.  =  altgutnisch. 

altidg.  —-  altindogerma- 
nisch. 

altir.  =  altirisch. 

altkelt.  =  altkeltisch. 

altkorn.  =  altkornisch. 

aitkymr.  =  altkymrisch. 

altlat.  =  altlateinisch. 

altn.  =  altnordisch. 

altndd.  =  altnieder- 
deutsch. 

altp(ers).  =  altpersisch. 

altpr.  =  altpreussisch. 

altruss.  =  altrussisch. 

alts.  =  altsächsisch. 

altachwed.  =  altschwe- 
disch. 

altsl.  =  altslovenisch. 
altsp.  =  altspanisch, 
alttamul.  — -  alttamulisch. 
altwestphäl.  =  altwest- 

phälisch. 
arab.  =  arabisch, 
arain.  =  aramäisch, 
arem.  —  aremorisch. 
arkad.  =  arkadisch. 
arm(en.)  =  armenisch. 
ass(yr).  =  assyrisch. 


äthiop.  =  äthiopisch. 

att.  —  attisch. 

aw.  =  awestisch. 

bab(ylon).  =  babylonisch. 

bair.  =  bairisch. 

bask.  =  baskisch. 

bei.  =  belüCt  (balüei). 

böhm.  =  böhmisch. 

böot.  =  böotisch. 

brit.  =  britannisch. 

buchar.  =  bucharisch. 

bulg.  =  bulgarisch. 

burgund.  =  burgundisch. 

byzant(in).  -byzantinisch. 

cag.(dzag.)  =  cagataisch. 

cech.  =  ccchisch. 

cer(enns8).=ciM"enH8sisch. 

6uv(asch).  =  cuvnschisch. 

dak.  =  dakisch. 

dän  =  dänisch. 

delph.  =  delphiseh. 

dor.  =  dorisch. 

dzag.  s.  cag. 

engl.  =  englisch. 

npidaur.  =  epidaurisch. 

epizeph.  =  epizephyrisch. 

falisk.  =  faliskisch. 

Ann.  =  finnisch. 

fränk.  =  fränkisch. 

friaul.  =  friaulisch. 

fries.  =  friesisch. 

frz.  =  französisch. 

gael.  =  gaelisch. 

gal).  =  gallisch. 

gemeing(erm).  =  gemein- 
germanisch. 

gemeinkeit.  =  gemein- 
keltisch. 

gemeinsKav).  =  gemcin- 
slavisch. 

georg.  =  georgisch. 

germ.  =  germanisch. 

got.  =  gotisch. 

griech.  =  griechisch. 

gutn.  =  gutnisch. 

hebr.  =  hebräisch. 

henneberg.  =  henneber- 
gisch. 


hess.  =  hessisch. 

hind.  =s  hindi. 

hochd.  =  hochdeutsch. 

hom.  —  homerisch. 

idg.  =  indogermanisch. 

illyr.  =  illyrisch. 

ind.  =  indisch. 

ion.  =  ionisch. 

ir.  =  irisch. 

isl.  =  isländisch. 

it(al).  =  italienisch. 

ital.  =  italisch. 

kambr.  =  kambrisch. 

kan.  =  kanaanitisch. 

kaukas.  =  kaukasisch. 

kelt.  =  keltisch. 

kirgis.  =  kirgisisch. 

klruss.  =  kleinrussisch. 

kopt.  =  koptisch. 

korn.  =  kornisch. 

kret.  =  kretisch. 

krimgot.  =  krimgotisch. 

kroat.  =  kroatisch. 

kurd.  =  kurdisch. 

kymr.  =  kymrisch. 

kypr.  =  kyprisch. 

lak.  =  lakonisch. 

langob.  oder  longob.  = 
longobardisch. 

lapp.  =  lappisch. 

lat.  =  lateinisch. 

lesb.  =  leabisch. 

lett  =  lettisch. 

lit.  =  litauisch. 

liv.  =  livisch. 

magy(ar).  =  magyarisch. 

maked.  ==  makedonisch. 

mazend.  =  mazendera- 
nisch. 

md.  =  mitteldeutsch. 

megar.  =  megarisch. 

mengl.  =  mittelenglisch. 

messap.  =  messapisch. 

mfränk.=mittelfränkisch. 

mgriech.  =  mittelgrie- 
chisch. 

rohd— mittelhochdeutsch. 

raingrel.  =  mingrelisch. 


Digitized  by  Google 


104« 


Sprachennach  weise. 


mir.  =  mittelirisch. 
mittelengl.  =  mitteleng- 
lisch. 

tnittelir.  =  inittulirisch. 

mittelndd.=  mittelnieder- 
deutsch. 

!nkymr.=mittelkymrisch. 

mlat.  =  mittellateinisch. 

mnd(d).  =  mittelnieder- 
deutsch. 

mndl.  =  mittolniederläu- 
disch. 

mong.  =  mongolisch. 

mordv.  =  mordvinisch. 

ndd.  =  niederdeutsch. 

ndl.  =  niederländisch. 

neuisl.  =  neuisländisch. 

neukymr.=  neukymrisch. 

neunorw.  =  neunorwe- 
gisch. 

neuschwed.  =  neuschwe- 
disch. 

ngr(iech).  =  neugrie- 
chisch. 

nhd.  =  neuhochdeutsch. 

niederd.  =  niederdeutsch. 

niederrhein.  =  nieder- 
rheinisch. 

nir.  =  neuirisch. 

nkymr.  =  neukymrisch. 

nord.  =  nordisch  (skandi- 
navisch). 

nordd.  =  norddeutsch. 

nordeurop.  =  nordeuro- 
pilisch. 

nordfinn.  =  nordfinnisch. 

nordfries.  =  nordfriesisch. 

nordit.  =  norditalieuisch 

nordtürk.  =  nordtürkisch. 

norw(eg).  =  norwegisch. 

npers.  =  neupersisch. 

nschwed.  =  neuschwe- 
disch. 

nserb.  =  neuserbisch 

nsl(ov).  =  neuslovenisch. 

oberd.  =  oberdeutsch. 

oberpfälz.  —  oberpfal- 
zisch. 

obersorb.  =  obersorbisch. 


osk.  =  oskisch. 
osm.  =  osmanisch. 
osset.  =  ossetisch. 
I  ostj(ak).  =  ostjakiBch. 
ostprcusa.=08tpreu*sisch. 
östreich.  =  östreichisch. 
pälign.  =  pälignisch. 
Pamird.  =  Pamirdialekte 
pehl.  =  pehlevi. 
penn.  =  permisch, 
pers.  =  persisch, 
pfalz.  =  pfälzisch. 
Pg-,  ».  P(0g. 

phoeniz.  =  phoenizisch. 

phryg.  =  phrygisch. 

polab.  =  polabisch. 

poln.  —  polnisch. 

portug.  =  portugiesisch. 

prAkr.  =  prakrit. 

pr(ov).  =  provenzalisch. 

p(t)g.  =  portugiesisch. 

puu.  =  punisch. 

rät.,  rhätorom.  =  rhätoro- 
manisch. 

rheiuprov.=  rheinprovin- 
zisch. 

rhod.  =  rhodisch. 

rom(an).  =  romanisch. 

rum(än).  =  rumänisch. 

russ.  —  russisch. 

ruth.  =  ruthenisch. 

sab(in).  =  sabinisch. 

salfränk.  =  salfraukisch. 

sardin.  =  sardinisch. 

schott.  =  schottisch. 

schwäb.  =  schwäbisch. 

schwed.  =  schwedisch. 

Schweiz.  =  schweizerisch. 

sert.  =  sauscrit  (altin- 
disch). 
!  serb.  =  serbisch. 
|  sicil.  =  sicilisch. 

Biebenbürg.  =  siebenbür- 
gisch. 

skand.  =  skandinavisch. 

skyth.  —  skythisih. 
I  slav.  =  slavisch. 
I  slov.  =  sloveuisch. 

slovak.  =  slovakisch. 


sp(au).  —  spanisch. 

spätahd.  =  spätalthoch- 
deutsch. 

spätmhd.  =  sputmittel- 
hochdeutsch. 

spät-lat.  =  spätlatcinisch. 

süds).  =  südslavisch. 

sum(er).  =  sumerisch. 

syr.  =  syrisch. 

syrj.  =  syrjänisch. 

tamul.  =  tamulisch. 

tat.  =  tatarisch. 

theb.  =  thebanisch. 

thrak.  =  thrakisch. 

tosk.  =  toskanisch. 

türk.  =  türkisch. 

turkO'tat.  =  turko-tata- 
risch. 

uig.  =  uigurisch. 

umbr.  =  umbrisch. 

ung.  =  ungarisch. 

urgerm.  —  urgermanisch. 

urir.  =  uririsch. 

uriran.  =  uriranisch. 

urkelt.  =  urkeltisch. 

urnord.  =  umordisch. 

ursem.  =  ursemitisch. 

urslav.  =  urslavisch. 

ved.  =  vedisch. 

venet.  =  venetisch. 

venez.  =  venezianisch. 

vog.,  s.  wog. 

volsk.  =  volskisch. 

vorgerm.  =  vorgerma- 
nisch. 

votjak.,  s.  wotj. 
i  vulgär-lat.  =  vulgärla- 
teinisch. 

wal(ach).  =  walachisch. 

w(eis8)russ.  =  weiss- 
russisch. 

weps.  —  wepsisch. 

westph(äl).  =  westphä- 
lisch. 

westsem.  =  wostsemitisch. 
westsl.  =  westslavisch. 
wog.  —  wogulisch, 
wotj.  =  wotjakisch. 
zigeun.  =  zigeunerisch. 


UnlverailUts-Buclidruckcrei  von  Carl  Georg!  in  Bonn. 


f  Gf  'HL 


«  UNiVt-RaiTY  )  D^izedby Google 


Neuere  Werke  aus  dem  Verlag  von 
Karl  J.  Trübner  in  Strassburg 

mdccccii. 


Durch  die  meisten  Buch- 
handlungen des  In-  und 
Auslandes  zu  beziehen. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


3ettfct)rift 

für 

Seutfd)e  SSortforfdjimg 

^erouSgcgcben  bott 

jfrteödcb  toluge. 


©r|"ter  SBonb.  S\  VI,  374  ©eiten,  mit  bem  ©ilbmö  Don  ftebor  99ecf).  1901. 
3ttjciter  Sanb.  8°.  IV,  348  Seiten,  mit  bem  SBtlbniS  bon  ff.  Söetnholb.  1902. 
dritter  ©anb.   ©rfteä  imb  jmciteä  £eft.  Unter  ber  treffe, 
^reiö  bed  ©anbc«,  geheftet  2R.  10.—,  in  fcolbfrana  aebunbrn  3ft.  12.50. 

SßölfflinS  „  Ard)io  für  lateinifdjc  ^erjfogra^ie"  ift  baä  Vorbilb,  bent 
unjere  3eitfcr)rtft  nacheifern  wirb,  Selche  Aufgaben  bie  neuere  SBortforfchung 
3U  löjen  ^at,  tft  auf  bem  germanifebnt  Sprachgebiet  burch  grofjarttge 
Unternehmungen,  roie  ba§  ©rimmfebe  SBörterbuch,  ba3  New  English 
Dictionary.  baS  nieberlänbifche  unb  ba§  fc^toebifc^e  Sörterbuch  üeran* 
fchaulidjt  unb  burch  ^ermann  ^aulS  befannten  Auffafc  „über  bie  Auf* 
gaben  ber  roiffcnfrf)aftttrt)eii  £erifographieH  begrünbet  mürben.  Auch  bie  93c* 
richte,  welche  ber  Öffentlichfeit  über  bie  Vorbereitungen  beä  Thesaurus  linguao 
Latinae  unterbreitet  werben,  jeigen  ber  bcutfdjen  Sprachforfchung,  bajj  mir 
jefct,  roo  ba«  ©rimmfdje  SHörtcrbuch  feinem  Abfd)lu&  naht,  für  unfer 
geliebte«  £eutfch  QicU  unb  Aufgaben  ber  SSortforfchung  ermeitern  unb  Oer* 
tiefen  müffen,  wenn  mir  bem  Thesaurus  linguae  Latinae  nachstreben  mollen. 
Unfer  neue«  Unternehmen  will  ben  altbewährten  ^^rf^riften  feinen 
Abbruch  trjun,  and)  nidjt  bie  Qaty  ber  allgemein  germaniftifä^en  3rfld)s 
btätter  üermchren.  63  min  eine  Sainmelftättc  fein,  in  bem  bie  Nachträge 
unb  Berichtigungen  51t  unfern  großen  2Börterbü(hern  eine  Unterfunft  finben 
bi£  511  einer  rnbgültigcn  Aufarbeitung.  (5$  min  burch  Älärung  über 
Söefen  unb  Inhalt  ber  SBortforfchung  bie  großen  Aufgaben  ber  gufunft 
oorbereiten  unb  einleiten.  (58  will  ber  ©egenwart  bienen,  inbem  cd 
burch  ernfthafte  ©injelarbeit  ba3  Verftänbntä  ber  3Rutter* 
fpracbe  belebt  unb  oertieft. 

2öir  benbfichtigen,  bie  @Jefd)irf)te  ber  beutfa)cn  Sörterbüchcr  in  unfern 
Vereid)  51t  Rieben,  wichtige  Spradjaueflen  neu  p  brurfen  unb  Sammlungen 
&utn  bcutfd)en  SBortfchafe  untcr5ubringen.  Aber  mir  monen  ^gleich 
burch  mortgeographifche  unb  wortgefchicbtliche  Auffeile  unb  burch  Heinere 
Mitteilungen  anregen,  burch  3citfchriftcnfchau  aHe  beutfch*fprachliche  Arbeit 
buchen  unb  über  neue  (Srfcheinungcn  berichten.  —  .ßuglcich  ftellen  mir  unfere 
3citfchrift  in  ben  £icnft  ber  ftnehgenoffen,  inbem  mir  immer  9iaum  für 
„Umfragen"  jur  Verfügung  ftellen :  mir  roollen  ben  Mitarbeitern  am  ®rimm* 
frhen  23ürterbuch,  bem  großen  SBenferfchen  Unternehmen  u.  A.  bie  Möglich* 
feit  eröffnen,  oorhanbenc  Süden  in  Sammlungen  51t  ergäben  ober 
Ungenauigfeiten  richtig  ju  ftellen.  28ir  hoffen,  auch  gelegentlich  einsclne 
3prad)erfcheinungen  burch  taten  bilblich  üeranfd)aulid)en  $u  fönnen. 


Digitized  by  Google 


4 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


SBörterlmd)  bcr  beutf^en  ©flradje 

von 

fticbvicb  Ikluge, 

l'rofcffor  an  brt  Uniuerfität  3reil>ura  t.  Br. 

Sechste  öfrbfffcttc  unb  ttermtfyrte  VluRaac. 

üep.  8».  XXVI,  510  6.  1899.  $rei3  brofdncrt  OTf.  8.—,  in  ^albfranj  gebunbcn  «DK.  to- 
ll) or  bem  @rf  deinen  bcr  erfteit  Auflage  Don  filugBS  ctgmolugtliliem 
KHnicrluuf|  ^at  e$  eine  lejifalifche  ^Bearbeitung  her  (Situmologie  unfereS  mobemen 
6prad)icf)a&e8  ittd>t  gegeben.  $er  ©rfolg  ber  feit  bem  3aljre  1884  erfdjtenenen  fünf 
Zuflogen  unb  bic  Anerfennung,  welche  bem  ©udje  ju  Seil  geworben,  fyaUn  gezeigt, 
roie  rid)tig  ber  ©ebanfe  war,  bie  (Srgebniffc  be8  anjie^eitbften  unb  wertoollften  Steiles 
bei  roif fenfdjaftlichen  SEÖortforfdjung :  ben  über  bie  Snifteljung  unb  ©efdjtdjte  ber  einzelnen 
Söörter  unfereS  €5prachfd)at}e3,  in  fnapper  lejifalifrfjer  £)arftetlung  jufammenjufaffcn. 

35er  Jöerfaffer  hat  es  fidj  jur  Aufgabe  gemadjt,  5°rBl  un0  23ebeutung  jebeS 
iBorteS  bis  ju  feiner  Duelle  5U  oerfolgen,  bie  ©ejictjungen  gu  ben  Ilajfifdjen  Sprachen 
in  gleichem  flJcajje  betonenb  wie  baS  SBerwanbtfdjaftSoerhältniS  ju  ben  übrigen 
germanijdjen  unb  ben  romanifdjen  (Spraken;  aud)  bie  entfernteren  orientalifdjen,  fowie 
bie  tettiföea  unb  bie  flabifd)en  Sprachen  finb  in  allen  gäflen  herangezogen,  wo  bie 
ftorfdwng  eine  ^erwanbtfdjaft  feftjufteflen  oermog.  ©ine  aUgemeine  Ginleitung  behanbelt 
bie  ©efdjid)te  ber  beutfdjen  ©prad)e  in  ihren  Umviffcn. 

j£>ie  oorliegenbe  neue  Auflage,  bie  auf  jeber  Seite  iöefferungen  ober  3u)äÖc  auf* 
weift,  b,äU  an  bem  früheren  Programm  beS  SSerfeS  feft,  ftrebt  aber  mieberum  nach 
einer  Vertiefung  unb  Erweiterung  ber  wortgefd)id)t(id)en  Probleme  unb  ift  aud)  bie?« 
mal  bemüht,  ben  neueften  ^ortfdjiitten  ber  eiomologiidjen  SBortforfdjung  gebührenbe 
Siedjnuug  5U  tragen;  fie  unterfdjeibet  ftcf>  oon  ben  früheren  Auflagen  befouberS  burdj 
fprad)wiffenfd)aftlid)e  92ad)weife  unb  Quellenangaben,  fowie  burdj  Aufnahme  mancher 
jüngerer  üöorte,  beren  ©cfdjtdjte  in  ben  übrigen  SBörterbüdjern  wenig  berüdftd)tigt  ift, 
unb  burdj  umfänglicheres  ^ugte^en  ber  beutjd)cn  SJfunbarten.  AuS  ben  erften  33u<h» 
ftaben  feien  nur  bie  folgenben  Söörter,  jum  XetI  92eufd)öpfungcn  untere«  SahrlmnbertS, 
angeführt,  bie  neu  aufgenommen  worben  finb:  allerbingS,  Alrfanjler,  AnfangSgrünbe. 
Angelegenheit,  Stnfdjaulidjfeit,  anftatt,  anzüglich,  Afd)enbröbel,  Afdjermittmoch,  aus» 
mergeln,  öegeifterung,  beherzigen,  beläftigen,  bemitleiben,  befeitigen,  Söcwcggrunb,  bewerf« 
ftelligen,  bilbfam,  bisweilen,  SSlamagc,  93üttner,  CShtift,  Sljriftbaum,  (Shriftfinbchen ; 
au§  bcm  ©urfjftaben  St  nennen  wir:  Äabadje,  Äampe8,  Äammerfätjdjen,  tfanapee, 
ßannengiefjer,  ßänfterlein,  Kanter,  Äaper2,  Ääpfer,  Äartätfdje,  Äafecnjammer  u.  f.  w. 
Am  beften  aber  oeranfchaulichen  einige  3°hfai  bie  Seroottftänbigung  beS  SBcrfeS  feit 
feinem  erften  (£rfdjeinen :  bie  3^1)1  ber  ©tichmortc  hat  fidj  oon  ber  erften  $ur  fedjSten  Auflage 
oermehrt  im  93uchftabcn  51 :  oon  130  auf  280,  33:  oon  387  auf  520,  2):  oon  137 
auf  200,  ©:  oon  100  auf  160,  g:  oon  236  auf  329,  ®:  oon  280  auf  330,  ft: 
oon  300  auf  440,  $:  oon  180  auf  236. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  STRASSBURG. 


5 


Soeben  erschien: 


3tottx>elfd>- 


Duetten  unb  SBortf  djafc  ber  ©aimerfyradje 
unb  ber  uerroattbten  ©efjctmfpradjeu 


^rofcffot  an  ber  Untocrfität  Svciburg  i.  33. 


I. 

Stottoelfdje«  Oueüenbud). 

®r.  8».  XVI,  495  @.  1901.  ^reiö  2K.  14  -. 


Seit  3loe  valkmanto  groftcm  3öerf  über  baä  bcutfcfje  (Gaunertum  t>at  bie 
(£rforfd)ung  beö  ^Hotroclfd)  beinahe  oöüig  geruht.  Unb  bod)  »erlangt  bic  Öauner^ 
fpradje  enblid)  einmal  nach  einer  fpracf)ioiffcnfä)aftlid)en  unb  philologifdjen  Xuxfy 
arbeitung,  bic  fic  bei  9foc:£aQcmant  nitfjt  oöllig  finbcn  tonnte.  Der  iöcrfaffer 
beö  neuen  SKerfcS  oernuu  jubem  über  ein  roeit  umfangreicheres  Material,  fo  bafc 
fein  2Berf  in  jroci  Öänben  erfdjeint.  $er  I.  33anb  ift  ein  rotroelfcbeä  GueUenbud), 
ber  II.  Sanb  ein  rotroelfrfics  2üörtcrbud).  Gine  Ginleitung  $um  II.  33anbe  be* 
bonbelt  Sau  unb  G5efcr)id>te  ber  bcutfcbcn  Wef>eimfpracb,cn.  35er  I.  Sanb  erneuert 


fdjlüffe  über  bic  beutfd)e  Sjoltefpradje ;  oor  allem  fei  hingeroiefen  auf  bie  (intberfung 
lebenber  Ärämcrfprachen,  rooburd)  bie  beutfd)e  Volfsfunbe  neue  Slnregungen  erhält. 
35er  in  Vorbereitung  bcfinblidjc  II.  33anb  toirb  in  bem  rotroelfdjen  Söörtcrbucfc 
td)  ber  £ilfc  oon  s#rof.  Guting  in  Strafeburg  unb  ^Jrof.  ^ifdjel  in  £afle  er» 
reuen,  bie  ben  jubenbeutfeben  unb  ben  jigeunerifcfjen  33eftanbteilen  ber  CJauner- 
prache  if>re  Slufmcrtfamfeit  roibmen  roerben. 


8«.   XV,  128  3.    VJOO.   %hm  brofehrrt  Ji  2.50,  in  tfeimuaub  flcbuubcn  JL  3.50. 

Diese  Festschrift  zum  Gutcnbergjubiläum  besteht  der  Hauptsache  nach 
aus  einem  Wörterbuch  aller  Fach  ausdrücke  des  Druckereigewerbes  in  wissen- 
schaftlicher Bearbeitung  auf  Grund  älterer  Fachwerke  (Hornschuch,  Vietor, 
Schmatz,  Pater,  Krnesti  u.  A.);  vorauf  geht  eine  Einleitung,  worin  der  F.influss 
der  lateinischen  Gelehrtensprachc  auf  die  Entwickelung  der  Druckersprache 
Wandlungen  einzelner  Ausdrücke,  Entstellungen  und  Missdeutungen,  dialektische 
Schreibungen  nachgewiesen  werden  und  auf  die  zahlreichen  humoristischen 
z.  T.  derben  Ausdrücke  aufmerksam  gemacht  wird. 


Die  imitfdje  Dnidurfpradjc 


oon 


Dr.  ftciiuitfrj  ftlcn.> 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


griebrtd)  ftiuflc 

^TofeRot  an  bet  HnioerRWt  f$mburfl  i.  St. 


8«.  XII,  13G  e.  1895.  (Seiftet  m.  2.50,  in  Sctnroanb  gebunben  9R.  3.50. 

^nljalt:  I.  Über  bie  ©tiibentfnforadie  (Stubenten  unb  ^tbtUfter.  — 
Ertmfenlitanet.  —  Slntife  Elemente.  —  $Burfd)ifofe  3oologte.  —  33ibltfa>tf>eo[ogtfd)e 
9iad>flänge.  —  3m  Sann  be$  Stotroelfd).  —  ftranjofifoy  (Jtnflüffe.  —  ©ramma» 
tifebe  ©igenart.  —  Urfprung  unb  Verbreitung.  —  II.  SBorterbudj  ber  @tubeutcn* 
fpradje. 

«Beim  Lesen  dieses  Buches  fühlt  man  sich  oft  von  einem  Hauche  frischen, 
fröhlichen  Studentenlcbens  berührt,  und  selbst  das  anscheinend  so  trockene 
Wörterbuch  reizt  durch  seinen  manchmal  recht  humoristischen  Inhalt  zu  einem 
herzlichen  Lachen.  Es  war  in  der  That  eine  dankbare,  freilich  auch  recht 
schwierige  Aufgabe,  das  für  die  ältere  Zeit  so  spärliche  und  vielfach  sehr  ver- 
steckte Material  zu  sammeln  und  daraus  in  grossen  Zügen  eine  Geschichte  der 
deutschen  Studentensprache  zu  entwerfen,  die  um  so  grösseren  Dank  verdient, 
als  sie  nicht  nur  der  erste  umfassende  und  auf  wirklichem  Quellenstudium  be- 
ruhende Versuch  der  Art  ist,  sondern  auch  mit  grossem  Geschick  sich  auf 
jenem  Grenzgebiet  zwischen  populärer  und  streng  wissenschaftlicher  Dar- 
stellung bewegt,  das  einzuhalten  nicht  jedem  Gelehrten  gegeben  ist.  Gerade 
auf  diesem  Gebiet  hat  sich  Kluge  durch  sein  musterhaftes  etymologisches 
Wörterbuch  grosse  Verdienste  erworben;  denselben  Weg  betritt  er  jetzt  mit 
gleichem  Erfolg  auch  in  der  vorliegenden  Schrift,  die  ihre  Entstehung  zumeist 
den  Arbeiten  zu  jenem  anderen  Werke  verdankt.  .  .  .> 

Liter.  Ccntralblatt  TS95  Nr.  28. 

«Prof.  Kluge  hat  mit  vielem  Flcissc,  wie  die  zahlreich  eingestreuten  Be- 
legstellen beweisen,  sowie  gestützt  auf  eine  ausgedehnte  Lektüre  und  auf  eigene 
Beobachtung  die  Sprache  der  Studenten  in  alter  und  neuer  Zeit  nach  ihrem 
Ursprung  und  ihrer  Verbreitung  dargestellt  und  seiner  Abhandlung  ein  reich- 
haltiges Wörterbuch  der  Studentensprache  beigegeben.  Ist  das  Buch  als  Bei- 
trag zur  deutschen  Sprachgeschichte  und  Lexikographie  von  grossem  Werte, 
•  so  ist  es  auch  für  den  Akademiker,  der  die  eigenartige  Sprache  seines  Standes 
nach  ihrer  Entstehung  und  Geschichte  kennen  und  verstehen  lernen  will,  ein 
interessantes  Buch  und  besonders  zu  Dedikationszwecken  geeignet,  wofür  wir 
es  bestens  empfohlen  haben  wollen.»        Akad.  Monatshefte  1895  *>■  26.  Mai. 

«Eine  der  liebenswürdigsten  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  deutschen 
Sprachwissenschaft  ist  diese  neueste  Arbeit  des  durch  sein  mustergültiges 
etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  Sprache  bekannten  Germanisten. 
Streng  wissenschaftlich  und  dabei  so  gemeinverständlich  geschrieben,  dass 

Jedermann  sie  mit  wahrem  Genüsse  lesen  kann,  wird  sie  in  den  Kreisen  derer 
)esondcre  Freude  bereiten,  die  selbst  eine  fröhliche  Studentenzeit  verlebt 
haben  und  nun  beim  Lesen  dieses  anziehenden  Büchleins  aus  den  schnurrigen, 
sonderbaren  Ausdrücken  der  studentischen  Kunstsprache  alte,  liebe  Gestalten 
der  goldenen  Jugend  in  der  Erinnerung  wieder  auftauchen  sehen.  Wer  hätte 
sich  nicht  manchmal  schon  gefragt,  woher  diese  närrischen  Wörter  stammen 
mögen?  Eine  fast  erschöpfende  Antwort  giebt  uns  Kluges  Buch,  eine  Antwort, 
die  uns  zugleich  ein  ganzes  Stück  Kulturgeschichte  vor  Augen  führt.  Wir 
sehen,  wie  im  16.  und  17.  Jahrhundert  die  alte  lateinische  Gelehrtensprache, 
im  18.  Jahrhundert  das  Französische  Einlluss  gewinnen,  wie  die  Sprache  der 
Bibel  und  das  Rotwelsch  oder  die  Gaunersprache  viele  Beisteuern  liefern, 
wie  aber  vieles  auch  frei  erfunden  oder  in  frühlicher  Keckheit  umgeformt, 
verstümmelt,  in  anderer  Bedeutung  gebraucht  wird.  Mancher  seltsame  Aus- 
druck, der  in  die  Schriftsprache  übergegangen  ist,  erhält  hieraus  seine  Erklärung.» 

Zeitschrift  des  allgemeinen  deutschen  Sprachvereins  1S96  Nr.  f. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


7 


Sonderabdrücke  aus  der  zweiten  Auflage 

von 

„Pauls  Grundriss  der  germanischen  Philologie". 

AMIRA,  K.  vM  Grundriss  des  germanischen  Rechts.  Mit 

Register.    Der  zweiten  verbesserten  Auflage  zweiter  Abdruck. 

VI,  184  S.    1901.  M,  4.—,  in  Lwd.  gbd.  M.  5—. 

„Das  umfangreiche  Material  ist  mit  Umsicht  und  Gewissenhaftigkeit 
zusammengestellt,  mit  Geschick  und  Einsicht  verwerthet,  weil  vorzugs- 
weise nur  das  wichtigste  und  Entscheidendste  ausgewählt  wurde;  selbst 
die  Schlussfolgcrungcn  aus  jahrelangen  Forschungen  sind  öfters  in  einen 
Satz  zusammengedrängt.  Die  neueren,  rechtshistorischen  Forschungen 
sind  nach  Gebühr  berücksichtigt  .  .  .  Die  Darstellung  ist  klar,  gleich 
anregend,  wie  wissenschaftlich  verständlich  sowohl  in  der  Wiedergabe 
der  bereits  vorliegenden,  wie  der  eigenen  neuen  Ergebnisse  .  .  .  ." 

Deutscher  Rcichsanzcigcr  iSyi  Nr.  IQ4. 

BEHAGHEL,  OTTO,  Geschichte  der  deutschen  Sprache.  Mit 

einer  Karte.    IV  und  S.  650—  780  und  9  S.  Register.  1898. 

M.  4.  ,  in  Lwd.  gbd.  M.  5.--. 
,,.  .  .  .Wie  die  bisherigen  Arbeiten  dieses  Gelehrten,  so  zeichnet  sich 
auch  diese  neueste  durch  die  psychologisch-historische  Behandlung  ihres 
Gegenstandes  aus;  sie  kann  sehr  wohl  als  Typus  der  sprachgeschicht- 
lichen Darstellung  gelten,  wie  sie  die  wesentlich  psychologisch  basierte 
neuere  Sprachforschung  fordert,  und  veranschaulicht  aufs  glücklichste 
die  von  Paul  aufgestellten  Theoricen.  Wer  sich  mit  den  Problemen  und 
der  ganzen  Disciplin  der  neueren  Sprachwissenschaft  an  einem  bestimmten 
Sprachobject  bekannt  machen  will,  kann  diesander HanddcrBehaghcrschcn 
Arbeit  mit  ihrem  jedem  Germanisten  geläufigen  oder  doch  fasslichen 
Material  verhältnismässig  mühelos  erreichen  .  .  ." 

Zeitschrift  f.  d.  Realschnhcescn  X  V,  6, 

BRANDL,  A.,  Geschichte  der  englischen  Literatur. 

(In  Vorbereitung.) 

BREMER,  O.,  Ethnographie  der  germanischen  Stämme.  XII. 

216  S.    Mit  6  Karten.    1900.    M.  6.—,  in  Ldw.  gbd.  M.  7.-  . 

,,  .  .  .  Ein  Vorzug  der  Schrift  Bremers  ist  die  klare  Anordnung 
und  harmonische  Durcharbeitung,  wodurch  sie  sich  vor  weitschichtigeren 
Arbeiten,  wie  Möllenhoffs  deutscher  Altertumskunde,  auszeichnet.  Er 
bietet  im  Beginne  eines  jeden  Abschnittes  ein  sehr  reiches  Literatur- 
verzeichnis, welches  jedem,  der  sich  weiter  in  die  Sache  vertiefen  will, 
zum  Führer  dienen  kann.  Namentlich  viele  zweifelhafte  Fragen  mit 
schwieriger  Auslegung  treten  im  Verlaufe  der  Arbeit  hervor,  wo  man 
sich  mit  einem  non  liquet  begnügen  muss,  und  nicht  immer  entscheidet 
sich  der  Verfasser  in  der  einen  oder  anderen  Richtung,  sondern  stellt 
die  widersprechenden  Ansichten  einfach  einander  gegenüber  ....  Wir 
wollen  schliesslich  darauf  hinweisen,  dass  Bremers  Arbeit  in  der  ersten 
Auflage  des  Pani  schen  Grundrisses  nicht  enthalten  war,  dass  daher  alle, 
welche  die  erste  Auflage  noch  benutzen,  gut  thun  werden,  den  Sonder- 
abdruck sich  zur  Ergänzung  zu  beschaffen  ..."     Glolnts  K/01,  Nr.  10. 

JELLINGHAUS,  HERMANN,  Geschichte  der  mittelnieder- 
deutschen Literatur.    IV,  56  S.    1902.  M.  1.50. 


Digitized  by  Google 


8  Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  m  Strassburo. 


KLUGE,  FRIEDRICH,  Vorgeschichte  der  altgermanischen 
Dialekte.  Mit  einem  Anhang:  Geschichte  der  gotischen  Sprache. 
XI  und  S.   323—5»7  und   10  S.   Register.    1897.    M.  4.50, 

in  Lwd.  gbd.  M.  5.50. 
,,Mit  Meisterschaft  hat  Kluge  die  noch  schwerere  Aufgabe  gelöst, 
die  „Vorgeschichte  der  altgermanischcn  Dialekte"  d.  h.  die  aus  der  Sprach- 
vergleichung erschlossene  älteste  (vorhistorische)  Gestalt  der  germanischen 
Sprache  auf  100  Seiten  so  darzustellen,  dass  neben  den  als  sicher  zu  be- 
trachtenden Ergebnissen  der  bisherigen  Forschung  auch  noch  schwebende 
Kragen  und  künftige  Aufgaben  berührt  werden." 

L.  Tobler,  Utteraturblatt  f.  xerm.  u.  rom.  PkÜologie  1890  S.  13$. 

KLUGE.  FRIEDRICH,  Geschichte  der  englischen  Sprache. 

Mit  Beiträgen  von  D.  Behrens  und  E.  Eincnkel  und  mit  einer 
Karte.   IV  und  (I.  Band)  S.  926—1148  und  14  S.  Register.  1899. 

M.  5.50,  in  Ldw.  gebd.  M.  6.50. 
,,  .  .  .  Der  Geschichte  der  englischen  Sprache  ist  mit  Recht  ein 
erheblicher  Raum  überlassen  worden.  Kluge  bespricht  zunächst  die 
Einwirkung  fremder  Sprachen,  namentlich  des  Skandinavischen  (über  die 
Stellung  des  Französischen  in  England  und  die  Elemente,  die  es  der 
heimischen  Sprache  zugeführt  hat,  handelt  die  beigegebene  Erörterung 
von  Behrens  eingehender)  und  die  Schriftsprache  und  verfolgt  dann 
im  Einzelnen  die  Entwicklung  der  Laute  und  Flexionen  durch  die  alt- 
und  mittelenglischc  Periode  bis  zur  Zeit  Shakespeare  s.  Kluge  s  Arbeit, 
welche  die  Resultate  der  Studien  Anderer  bequem  zugänglich  macht 
und  mit  einer  Fülle  eigener  Bemerkungen  verbindet,  verdient  volle  An- 
erkennung. Dankenswerth  ist  es,  dass  Einenkel  eine  Syntax  beige- 
steuert hat,  welche  hauptsächlich  auf  der  Sprache  des  14.  Jahrhunderts 
beruht  .  .  ."  Uterar.  Centraiblatt  1892.  Ar.  8. 

KOEGEL.  RUDOLF,  und  WILHELM  BRUCKNER,  Ge- 
schichte der  althoch-  und  altniederdeutschen  Literatur. 

IV,  132  S.  1901.  M.  3.—,  in  Lwd.  gbd.  M.  4.—  . 

LUICK,  K.,  Englische  Metrik,  a)  Heimische  Metra. 

(In  Vorbereitung.) 

MOGK,  EUGEN,  Germanische  Mythologie.  VI,  177  S.  1898. 

M.  4.50. 

„  .  .  Hier  haben  wir  es  mit  einer  Leistung  ersten  Ranges  zu  thun. 
Bei  gründlichster  Sprachkenntnis  nichts  von  philologischer  Einseitigkeit, 
bei  festen  Grundanschauungen  nichts  von  Liebhaberei  für  dieses  oder 
jenes  Erklärungsprinzip,  überall  vielmehr  tiefes  kritisches  Erfassen  der 
Mythologemc  unter  psychologischem  — oder  richtiger  anthropologischem  — 
Gesichtspunkte,  überall  strenge  geschichtliche  und  morphologische  Sich- 
tung .  .  .  Auch  in  der  Auswertung  der  Literatur,  wie  in  der  Gliederung 
und  Darstellung  des  Stoffes  zeigt  sich  die  Meisterschaft  des  seinen  Ge- 
genstand völlig  beherrschenden  Gelehrten  .  .  ." 

Zeitschrift  f.  d.  Kealschulwcsen  XVII,  10. 

MOGK,  EUGEN,  Geschichte  der  norwegisch-isländischen 
Literatur.  (Unter  der  Presse.) 

NOREEN,  ADOLF,  Geschichte  der  nordischen  Sprachen. 

IV  u.S.  518— 649  u.  7  S.  Register.  1898.  M.  4.— ,  in  Lwd.  gbd.  M.  5.—. 

«Noreen's  Behandlung  des  Nordischen  kann  als  epochemachend  für 
die  nordischen  Studien  bezeichnet  werden.  Zum  ersten  Mal  wird  hier  eine 
Geschichte  des  Nordischen  gegeben,  welche  nicht  nur  die  Literatur- 
sprachen berücksichtigt,  sondern  auch  die  Periode  des  Gemeinnordischen  ^ 
auf  Grundlage  der  Runeninschriften  behandelt.  Noreen's  Darstellung 
zeichnet  sich  durch  genauestes  Eingehen  auf  zeitliche  und  locale  Unter- 
schiede aus  und  liefert  eine  Fülle  neuer  Resultate.  > 

Lilerar.  Ccntralblall  1S90,  Ar.  9. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburc;. 


PAUL,  HERMANN,  Geschichte  der  germanischen  Philologie. 

IV  und  S.  9—158  und  23  S.  Register.    1897.  M.  4.^. 

„Die  besonders  in  der  neueren  Zeit  immer  massenhafter  heran- 
flutende germanistische  Literatur  zum  Zwecke  einer  geschichtlichen  Dar- 
stellung zu  verarbeiten,  war  keine  leichte  und  wahrlich  auch  keine  ver- 
lockende Aufgabe.  Paul  hat  diese  Aufgabe  mit  einer  Geschicklichkeit 
bewältigt,  die  sich  nur  aus  einer  sichern  und  in  den  Kern  der  Dinge 
eindringenden  kritischen  Beherrschung  des  gewaltigen  Stoffes  ergeben 
konnte;  er  hat  nicht  nur  Ordnung  und  Obersicht  geschafft,  sondern  auch 
trotz  der  bio-  und  bibliographischen  Fülle,  der  nicht  aus  dem  Wege  zu 
gehen  war,  eine  Darstellung  gegeben,  die  nicht  nur  lesbar,  sondern  durch 
ihren  pragmatischen  Aufbau  mitunter  sogar  fesselnd,  überall  aber  klar 
und  lehrreich  ist."  Zeitschrift  f.  d.  Rtalschulutsnt  XV,  6. 

PAUL  HERMANN,  Methodenlehre  der  germanischen  Philo- 
logie.   IV  und  S.  159—247.    1897.  M.  2.—. 

„Die  Methodenlehre  ist  eine  wahre  Schatzkammer  feinsinniger 
Beobachtungen  und  Erfahrungen.  .  ." 

Zeitschrift  f.  vergl.  Literaturgeschichte  N.  F.  fland  V,  Heft 

PAUL,  HERMANN,  Deutsche  Metrik.        (In  Vorbereitung.) 

SCHÜCK,  H.,  Geschichte  der  schwedisch  dänischen  Lite- 
ratur. (In  Vorbereitung.) 

SIEBS.  THEODOR,  Geschichte  der  friesischen  Literatur. 

IV,  34  S.   1902.  M.  1.— . 

SIEVERS,  E.,  Altgermanische  Metrik.    Neu  bearbeitet  von 
Friedrich  Kauffmann.  (In  Vorbereitung.) 

SYMONS,  B.,  Germanische  Heldensage.  Mit  Register.  VI,  137  S. 
1898.  M.  3.50. 

«  .  .  Die  Darstellung  des  Verfassers  zeugt  überall  von  besonnener 
und  eindringender  Kritik  und  wird  gewiss  einen  ebenso  nutzbringenden 
als  anregenden  Studicnbchclf  abgeben.  .  .» 

Zeitschrift  für  das  Rcalschdtcesen  XV,  6. 

VOGT,  FRIEDRICH,  Geschichte  der  mittelhochdeutschen 
Literatur.  IV,  202  S.   1902.  M.  4.50,  in  Lwd.  gebd.  M.  5.50. 

te  WINKEL,  JAN,  Geschichte  der  niederländischen  Sprache. 

Mit  einer  Karte.  IV  und  S.  781—925  und  6  S.  Register.  1898. 

M.  5.—. 

„J.  te  Winkel  hat  eine  Geschichte  der  niederländischen  Sprache 
geliefert,  die  sehr  geeignet  scheint,  in  ein  den  meisten  Germanisten 
fernstehendes  Gebiet  einzuführen:  besonders  ist  die  Entwickelung  der 
Schriftsprache  ins  Auge  gefasst,  ihre  verschiedenen  Dialektbestandtcile, 
die  Orthographie,  der  Einfluss  fremder  Sprachen.  Der  grammatische 
Abriss  behandelt  zwar  die  Lautlehre  nur  kurz,  geht  aber  ausser  auf  die 
Flexion  auch  auf  die  Wortbildung  und  den  Wortschatz  nach  Herkunft 
und  Bedcutungscntwickelung  ein."       Literar.  Centraiblatt  l8yi  Nr.  S. 

te  WINKEL,  JAN,  Geschichte  der  niederländischen  Literatur. 

IV,  102  S.  1902.  M.  2.50,  in  Lwd.  gebd.  M.  3.50. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


DEUTSCHE  GEAMMATIK 

GOTISCH,  ALT-,  MITTEL-  UND  NEUHOCHDEUTSCH 

VON 

W.  WILMANNS 

ord.  Profesior  der  deutschen  Sprache  und  Lttteratur  an  der  Unirertttlt  Bonn. 

Erste  Abteilung:  Lautlehre.  Zweite  verbesserte  Auflage.  Gr.  8°. 
XX,  425  S.  1897.  M.  8.—,  in  Halbfranz  gebunden  M.  10. — . 

Aus  dem  Vorwort  zur  zweiten  Auflage: 
, .Diese  zweite  Auflage  weicht  von  der  ersten  ziemlich  stark 
ab,  kaum  ein  Paragraph  ist  unverändert  geblieben,  manche 
ganz  neu  gestaltet.  Bald  gab  die  Form,  bald  der  Inhalt  den 
Anlass,  bald  eigene  Erwägungen  des  Verfassers,  bald  die  Ar- 
beiten anderer.  Auch  der  Umfang  des  Buches  ist  um  einige 
Bogen  [sechs]  gewachsen,  besonders  dadurch,  dass  sehr  viel 
mehr  Beispiele  für  die  einzelnen  Lauterschcinun  gen  ange- 
führt sind  " 

Zweite  Abteilung:  Wortbildung.   Zweite  Auflage.  Gr.  8°.  XVI, 
671  S.  1899.  M.  12.50,  in  Halbfranz  gebunden  M.  15.— 

Die  zweite  Auflage  beider  Abteilungen  ist,  was  die  Zahl  der  Exemplare 
betrifft,  eine  erhöhte,  um  auf  eine  lanije  Reiht:  von  Jahren  hinaus  die  Not- 
wendigkeit eines  Neudruck*  oder  einer  neuen  Bearbeitung  auszuschliessen  und 
dadurch  die  Kanter  vor  allzu  schnellem  Veralten  des  Werkes  zu  .schützen. 

Das  Werk  wird  in  vier  Abteilungen  erscheinen :  Lautlehre, 
Wortbildung,  Flexion,  Syntax.  Eine  fünfte,  die  Geschichte  der  deutschen 
Sprache,  wird  sich  vielleicht  anschliessen. 


„.  .  .  Es  ist  sehr  erfreulich,  dass  wir  nun  ein  Buch  haben  werden, 
welches  wir  mit  gutem  Gewissen  demjenigen  empfehlen  können,  der  sich  in 
das  Studium  der  deutschen  Sprachgeschichte  einarbeiten  will,  ohne  die  Mög- 
lichkeit zu  haben,  eine  gute  Vorlesung  über  deutsche  Grammatik  zu  hören:  in 
Wilrranns  wird  er  hierzu  einen  zuverlässigen,  auf  der  Höhe  der  jetzigen 
Forschung  stehenden  Führer  finden.  Aber  auch  dem  Studierenden,  der  schon 
deutsche  Grammatik  gehört  hat.  wird  das  Buch  gute  Dienste  leisten  zur  Wieder- 
holung und  zur  Ergänzung  der  etwa  in  der  Vorlesung  zu  kurz  gekommenen 
Partien.  Jedoch  auch  der  Fachmann  darf  die  Grammatik  von  W.  nicht  unbe- 
rücksichtigt lassen.  Denn  alle  in  Betracht  kommenden  Fragen  sind  hier  mit 
selbständigem  Urteil  und  unter  voller  Beherrschung  der  Literatur  erörtert. 
Und  nicht  selten  werden  Schlüsse  gezogen,  die  von  der  gewöhnlichen  Auffassung 
abweichen  und  zum  Mindesten  zur  eingehenden  Erwägung  auffordern,  so  dass 
niemand  ohne  vielfache  Anregung  diese  Lautlehre  aus  der  Hand  legen  wird. 
Besonders  reich  an  neuen  Auffassungen  ist  uns  die  Lehre  von  den  Konsonanten 
erschienen.  Aber  auch  die  übrigen  Teile,  unter  denen  die  bisher  weniger  oft 
in  Grammatiken  dargestellte  Lehre  vom  Wortaccent  hervorzuheben  wäre,  ver- 
dienen Beachtung  .  .  ."  II'.  Z?.,  Uterarisches  Centr alblall  rSgj  Nr.  40 


Drgitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg.  i  t 


Soeben  erschien 


NEUHOCHDEUTSCHE  METRIK. 


EIN  HANDBUCH 

VON 

DR  J.  MINOR, 

O.  Ö.  PROFESSOR  AN  DBR  0NIVBR8ITÄT  WIEN. 


ZWEITE,  UMGEARBEITETE  AUFLAGE. 


8».  XIV,  537  Seiten.    1902.   M.  10  —,  in  Leinwand  gebd.  M.  u. 


Urteile  der  Presse  über  die  erste  Auflage. 

€  .  .  .  Eine  systematische  und  umfassende  Behandlung  der  neuhoch- 
deutschen Metrik  zu  liefern  hat  Minor  im  vorliegenden  Werke  unternommen. 
Und  wir  dürfen  sagen,  dass  er  seiner  Aufgabe  in  vorzüglicher  Weise  gerecht 
geworden  ist.  Nicht  zwar,  dass  wir  mit  seinen  Resultaten  überall  einverstanden 
wären  und  in  ihnen  Abschliessendes  erblicken  könnten.  Das  beansprucht  er 
aber  auch  selbst  nicht,  sondern  wünscht,  dass  sein  Buch  zu  weiteren  Unter- 
suchungen anregen  möge.  Und  gerade  in  dieser  Hinsicht  erwarten  wir  davon 
die  fruchtbarsten  Wirkungen.  Denn  M.  hat  für  die  nhd.  Metrik  einen  festen 
Boden  geliefert,  von  dem  aus  sie  weiter  gebaut  werden  kann.  Ganz  besonders 
die  Grundfragen:  Rhythmus,  Quantität,  Accent  und  Takt  hat  er  in  eingehender 
und  vorurteilsfreier  Weise  unter  Berücksichtigung  früherer  Ansichten  allseitig 
untersucht  und  erwogen.  Eine  Fülle  neuer  und  treffender  Beobachtungen 
treten  da  zu  Tage.  Die  Quantität  im  nhd.  Verse,  d.  h.  die  wirkliche,  nicht 
mit  dem  Accent  verwechselte,  ist  unseres  Wissens  noch  nirgends  so  objectiv 
untersucht  worden.  Aus  dieser  gründlichen  Würdigung  der  Elemente  ergeben 
sich  denn  auch  für  die  Beurteilung  des  Versbaus  wichtige  Resultate.  .  .  Mit 
dem  Ausdruck  des  Dankes  für  reiche  Belehrung  wünschen  wir,  dass  das  Buch 
zum  Aufblühen  des  wissenschaftlichen  Betriebes  der  neuhochdeutschen  Metrik 
Veranlassung  geben  möge.        IV.  B.  im  Liferar.  Cenlralblatt.    1894,  Ar.  18. 

<  .  .  .  Eine  reiche  Fülle  des  Stoffes  bietet  und  bewältigt  Minor,  er 
schildert  ebenso  die  geschichtliche  Entwicklung  auch  der  auswärtigen  Formen 
in  Deutschland,  wie  er  das  Originaldeutschc  der  alten  und  neuen  Zeit  ge- 
schmackvoll würdigt.  Und  ineine  ganz  besondere  Freude  sei  noch  ausgesprochen 
über  die  ganz  vortreffliche  Darstellung  des  sogenannten  Knittelverses,  jener 
freien  Behandlung  der  durch  den  Reim  verbundenen  Zeilen  mit  vier  Hebungen, 
die  von  zwei  unsrer  grössten  Dichter  in  zwei  ihrer  herrlichsten  Werke  so  volks- 
tümlich, wie  kunstverständig  verwertet  sind,  von  Goethe  im  ,,Faust",von  Schiller 
in  „Wallcnsteins  Lager".  Gerade  hier  zeigt  sich  die  Meisterschaft  des  Ver- 
fassers in  der  Darlegung,  wie  der  innere  Sinn  das  Massgebende  ist  und  aus 
dem  lebendigen  Gefühl  des  Dichters  der  Rhythmus  in  seiner  Mannigfaltigkeit 
sich  entwickelt,  wie  Freiheit  und  Ordnung  innigst  zusammenwirken.» 

M.  Carrüre  in  der  Beilage  zur  AUgem.  Zeitung  1894,  Nr.  104. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


ENGLISH  ETYMOLOGY. 

A  SELECT  GLOSSARY 
SERVING  AS  AN  INTRODUCTION  TO  THE  HISTORY 
OF  THE  ENGLISH  LANGUAGE 

BY 

F.  KLUGE  and  F.  LUTZ. 

8°.  VIII,  234  S.  1898.  Broschirt  M.  4. — ,  in  Leinwand  geb.  M.  4.50. 

PREFACE. 

Our  primer  of  English  Etymology  is  meant  to  serve  as  an  introduction 
to  the  study  of  the  historical  grammar  of  English.  However  manifold  the  ad- 
vantagcs  which  the  Student  may  dcrive  from  Professor  Skeat's  EtymologicaJ 
Dictionary,  it  cannot  be  denied  that  it  does  not  commend  itsclf  as  a  book  foi 
beginners.  Though  it  is  a  work  of  deep  research,  brilliant  sagacity,  and  admi- 
rable  completeness,  the  linguistic  laws  underlying  the  various  changes  of  form 
and  nieaning  are  not  brought  out  clearly  enough  to  be  easily  grasped  by  the 
uninitiatcd.  We  thercfore  propose  to  furnish  the  Student  with  a  small  and 
concisc  book  enabling  him  to  gct  an  insight  into  the  main  linguistic  phenomena 
We  arc  greatly  indehted  to  Professor  Skcat,  of  whose  cxcelient  work  we  have 
made  ample  u.se,  drawing  from  it  a  grcat  dcal  of  matcrial,  which  we  hereby 
thankfully  acknowledge.  As  our  aim  has  of  course  not  becn  to  produce  a  book 
in  any  way  comparable  to  our  predecessor's  work  in  fulness  of  detail  and 
general  completeness,  we  have  confined  ourselves  to  merely  selecting  all  words 
the  history  of  which  bears  on  the  dcvelopment  of  the  language  at  targe.  We 
have,  thercfore,  in  the  first  place,  traced  back  to  the  oldcr  periods  loanwords 
of  Seandinavian,  French  and  Latin  origin  and  such  genuine  English  words  as 
may  aftbrd  matter  for  linguistic  investigation.  In  this  way  we  hope  to  have 
pro'vided  a  basis  for  every  historical  grammar  of  English,  e.g.  for  Sweet's 
History  of  English  Sounds. 

lf  we  may  be  allowed  to  give  a  hint  as  to  the  use  of  our  little  book, 
we  should  advise  the  leachcr  to  make  it  a  point  to  always  deal  with  a  whole 
group  of  words  at  a  time.  Special  interest  attaches  for  instance  to  words  ol 
early  Christian  origin,  to  the  names  of  festivals  and  the  days  of  the  week; 
besides  these  the  names  of  the  various  parts  of  the  house  and  of  the  matcrials 
used  in  building,  the  words  for  cattle  and  the  various  kinds  of  meat,  for  eating 
and  drinking,  etc.  might  be  made  the  subject  of  a  suggestive  discussion.  On 
treating  etymology  in  this  way,  the  teacher  will  have  the  advantage  of  Con- 
verting a  lesson  on  the  growth  of  the  English  language  into  an  inquiry  into 
the  history  of  the  Anglo-Saxon  race,  thus  lending  to  a  naturally  dry  subject  a 
fresh  charm  and  a  deeper  meaning. 

In  conclusion,  our  best  thanks  are  due  to  Professor  W.  Franz  of  Tübingen 
University,  who  has  placed  many  words  and  etymologies  at  our  disposal  and 
assisted  us  in  various  other  ways. 

LIST  OF  ABBREVIATIONS. 
acc.  =  accusative  case,  adj.  ^  adjective,  adv.  =  adverb,  bret.  =  Breton, 
celt.  =  Celtic,  conj.  =  conjunetion,  CORN.  =  Cornish,  cp.  =  compare,  Cymr. 
=  Cymric  (Welsh),  Dan.  =  Danish,  dat.  =  dative  case,  der(iv).  =  derived, 
derivative,  dimin.  =  diminutive,  DU.  =  Dutch,  E.  =  modern  English,  f.  (fem.)  =» 
feminine,  frequent.  —  frequentative,  FR.  =  French,  fries.  =  Friesic,  G.  = 
modern  German,  Gacl.  —  Gaclic,  gen.  =  genitive  case,  goth.  =  Gothic, 
GR.  —  Greck,  Icel.  =  Icelandic,  inf.  —  infiniüve  mood,  inll.  =  inflected,  interj. 
interjection,  ir  =  Irish,  ital.  =  Italian,  lat.  =  Latin,  LG.  =  Low  German, 
lit.  =  literally,  MTH.  =  Lithuanian,  m.  =  masculine,  ME.  =  Middle  English. 
MHG.  =  Middle  High  German,  n.  (neutr.)  =  neuter.  nom.  =  nominative,  obl.  = 
oblique  case,  odu.  =  Old  Dutch,  ofr.  =  Old  French,  ohc.  =  Old  High 
German,  oir.  =  Old  Irish,  on.  =  Old  Norse,  onfr.  c=  Old  North  French, 
orig.  =  original,  originally,  osax.  =  Old  Saxon,  OSLOV.  =  Old  Slovenian, 
pl.  =s  plural,  p.  p.  =  past  participle,  prob.  =  probably,  pron.  =  pronoun, 
prop.  =  properly,  prov.  =  Provencal,  prt.  =  preterite,  past  tense,  RUSS.  ^ 
Russian,  sb.  =  Substantive,  skr.  =  Sanskrit,  span.  =  Spanish,  superl.  = 
Superlative,  swed.  =  Swedish,  teut.  ^  Teutonic,  vb.  =  verb. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassblrg. 


'3 


©ebrauth  läd)erltd)er,  auftöfciger,  oft  unanftänbigcr  SBortc  unö  Mebemsarten 
toon  ©eiten  etifllifd)  fpredienter  Seutfcfcer. 

Gin  bumoriftifc$€r  ©ottrag  gehalten  im  Sonboner  bcutfdjcii  Sltbenäum 

OOII 

O'Clarus  Hiebslac,  Esq.,  M.  A. 

Fellow  of  the  German  Athenaeum  in  London  etc. 

3ttit  einem  Slnljang  Über  beutfthe  Familiennamen  in  (Jnglaub,  3?erljaltnngärcge(n 
in  englifd)er  @e|eüfd)aft,  Zitd,  ftnrcbe,  33ricfabrencn,  englijchc  ttufüqungeii. 

Sterte  Auflage. 

80.  X,  156  3.  1896.  8W.  2.—. 
„In  der  Form  eines  humoristischen  Vortrags  wird  hier  eine  willkommene 
Belehrung  Allen  geboten,  die  sich  mit  England  in  irgend  einer  Weise  be- 
schäftigen, sei  es  sprachlich,  brieflich,  geschäftlich  oder  in  persönlichem  Um- 
gang. Das  Hauptgewicht  ist  auf  die  Sprachschnitzer  gelegt,  d.  h.  auf  die  Kenn- 
zeichen lächerlicher,  anstössiger,  oft  unanständiger  Worte  und  Redensarten,  die 
von  englisch  sprechenden  Deutschen  gebraucht  werden.  Derlei  findet  man  in 
keiner  Grammatik;  nur  längerer,  mit  grosser  Aufmerksamkeit  verbundener  Auf- 
enthalt in  England  kann  über  die  Schwierigkeiten  in  diesem  Punkte  hinweg- 
helfen. Um  so  dankenswerther  ist  die  Anleitung  dazu  in  dem  vorliegenden 
Wcrkchen.  Dasselbe  enthält  aber  auch  noch  eine  willkommene  Zugabe:  eine 
Studie  über  deutsche  Familiennamen  in  England,  Vcrhaltungsmassregeln  in  der 
englischen  Gesellschaft,  Titel,  Anrede  und  Briefadressen,  sowie  ein  Verzcichniss 
der  gebräuchlichsten  englischen  Abkürzungen,  lauter  Dinge,  in  denen  sich  der 
Deutsche  nicht  leicht  zurecht  findet  und  über  die  er  sonst  nirgends  die  Be- 
lehrung so  nahe  beisammen  hat  wie  in  diesem  Büchlein.  Möge  auch  dessen 
dritte  Auflage  recht  viel  benützt  werden."    Frankfurter  Zeitung  iSSfi  AV.  234. 


€ngü|d?e  (ßrammettif  imt>  Übungsbud? 

für  fyöbm  Schulen 

»on 

profeffor  Dr.  H.  3laum 

Cbcrlfhrer  am  Vtjicum  4»  Strafeburg. 

I.  Abteilung:  ©rammotif.   11.  Abteilung:  Übungsbuch 
dritte  tierbefferte  unb  uermebrte  Auflage. 
80.   x,  243  3.  1896,  gebunben  ÜJt.  2.50. 

Die  bekannte  Blaum'sche  Grammatik  erscheint  hier  in  der  dritten  Auf- 
lage und  hat  damit  den  Nachweis  ihrer  praktischen  Verwendbarkeit  erbracht. 
Das  Bestreben  des  Verfassers  war  auch  bei  dieser  neuen  Auflage,  den  Schülern 
der  höheren  Lehranstalten  eine  englische  Grammatik  zu  bieten,  in  welcher  der 
grammatische  Stoff  in  möglichster  Kürze  und  unter  Berücksichtigung  der  als 
bekannt  vorausgesetzten  Erscheinungen  des  Französischen  (oder  Lateinischen) 
und  Deutschen  zusammengestellt  sei,  um  gleich  von  Anfang  an,  nach  Einübung 
der  einfachsten  Ausspracheregeln,  zusammenhängende  Lektüre  betreiben  zu 
können.  Diese  Methode  wird  sich  gewiss  bei  etwas  reiferen  Schülern  empfehlen, 
die  schon  an  der  einen  oder  anderen,  oder  an  mehreren  der  oben  erwähnten 
Sprachen  grammatisch  vorbereitet  und  geschult  sind.  Insbesondere  wird  man 
sich  in  den  obersten  Klassen  der  Gymnasien  dieser  Grammatik  mit  Vorteil 
bedienen  können,  weil  das,  was  darin  aus  Formenlehre  und  Syntax  geboten 
ist,  völlig  ausreicht,  um  das  Verständnis  aller  etwa  in  Frage  kommenden  eng- 
lischen Schriftsteller  zu  ermöglichen.  .  .  . 

Papier,  Druck,  Einband,  kurz  die  ganze  äussere  Form  des  Buches  verdient 
alles  Lob,  und  es  kann  auch  aus  diesem  Grunde  angelegentlich  empfohlen  werden. 

Südwestdtutsche  Schulblätter  iS<X>  Ar.  (Richard  Mollueide.) 


Digitized  by  Google 


14 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


Abriss 

der 

urgermanischen  Lautlehre 

mit  besonderer  Rücksicht  auf  die 

nordischen  Sprachen 

xum 

Gebrauch  bei  akademischen  Vorlesungen 

von 

Adolf  Noreen. 

Vom  Verfasser  selbst  besorgte  Bearbeitung  nach  dem  schwedischen  Original. 
8°.    XII,  278  S.    1894.    M.  5.—. 

«Schon  die  schwedische  Ausgabe,  die  vor  mehreren  Jahren  erschienen 
ist,  hat  in  diesem  Blatte  warme  Anerkennung  gefunden.  In  noch  höherem 
Masse  verdient  die  deutsche  Bearbeitung  das  jener  gespendete  Lob.  Sie  ist 
eine  überraschend  reichhaltige,  übersichtlich  angeordnete  und  fast  durchweg 
zuverlässige  Darstellung  eines  der  wichtigsten  Kapitel  der  germanischen  Gram- 
matik. Die  umfangreichen  und  sorgfältigen  Litcraturangabcn  sind  besonders 
dankenswert;  man  wird  kaum  eine  Stelle  von  einiger  Bedeutung  vermissen. 
Ausführliche  Wortregister  erhöhen  die  Brauchbarkeit.  Schon  die  altisländische 
Grammatik  in  Braune's  Sammlung  und  die  Geschichte  der  altnordischen  Sprache 
in  Paul's  Grundriss,  beides  Musterleistungen,  haben  das  grosse  Talent  Noreen's 
für  die  Bewältigung  spröder  Stoffmassen  gezeigt.  Dieselbe  Begabung  bewährt 
sich  auch  in  dem  neuen  Werke.  Es  zerfällt  in  zwei  grosse  Abschnitte,  die 
Sonanten  und  Konsonanten  überschrieben  sind.  Jedem  dieser  Teile  geht  ein 
kurzer  Überblick  über  den  idg.  Lautstand  voraus,  der  mit  Hilfe  des  Indischen, 
des  Griechischen  und  des  Lateinischen  erschlossen  wird.  Dann  folgen  die 
urgermanischen  Lautgesetze.  Den  Beschluss  macht  jedesmal  ein  umfängliches 
Kapitel,  das  die  Spuren  idg.  Lautgesetze  im  Germanischen  verfolgt.  .  .  . 

Ref.  bemerkt  noch,  dass  die  urgerm.  Lautlehre  ein  im  hohen  Grade 
empfehlenswertes  Buch  ist,  dem  ein  voller  Erfolg  im  Interesse  der  germanischen 
Grammatik  lebhaft  gewünscht  werden  muss.  ...»    Liter.  Ctntralblatt  1894  AV.  35. 


TEXTE     UND    UNTERSUCHUNGEN    ZUR  ALTGER- 
MANISCHEN RELIGIONSGESCHICHTE. 

Texte:  I.  Band. 

Aus  der  Schule  des  Wulfila.  Avxenti  Dorostorensis  epistvla 
de  fidc  vita  et  obitv  Wulfilae  im  Zusammenhang  der  Dissertatio 
Maximini  contra  Ambrosivm.  Herausgegeben  von  Friedrich 
Kauf f mann.  Mit  einer  Schrifttafel  in  Heliogravüre.  40.  LXV, 
135  S.    1899.  M.  16.—. 

Unter  der  Presse: 
Texte:  II.  Band. 

Die  Skeireinsbruchstücke.  Herausgegeben  von  Dr.  Ernst 
Dietrich.    4°.    ca.  10  Bogen. 

Untersuchungen:  I.  Band. 
Der  ßalder-Mythus.  Von  Friedr.  Kauffmann.  8°.  ca.  2oBogen. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassbur«. 


»5 


Soeben  erschien: 

Handschriften  proben 

des  sechzehnten  Jahrhunderts 
nach  Strassburger  Originalen 

herausgegeben  von 

Llc  Dr.  Johannes  Ficker    und      Dr.  Otto  Winckelmann 

Professor  an  der  Universität  Strasburg.  Archivar  der  Stadt  Strasburg. 

Zwei  Bände  Klcinfolio.    102  Tafeln  in  Lichtdruck  mit  Text. 
Erster  Band:  Tafel  1—46.    Zur  politischen  Geschichte.  1902. 
Preis  in  Mappe  M.  40. — ;  in  elegantem  Halbfranzband  M.  45. — . 

Bekanntlich  ist  die  Handschriftenkunde  der  neueren  Zeit  ein  Gebiet,  das 
so  gut  wie  gar  nicht  bis  jetzt  gepflegt  worden  ist.  Es  fehlt  vor  Allem  an  einer 
umfassenden  Sammlung  zuverlässiger  Proben,  wie  die  Paläographie  des  Mittel- 
alters eine  ganze  Reihe  aufzuweisen  hat.  In  Deutschland  ist  kaum  ein  Ansatz 
hierzu  gemacht  worden  und  in  den  grossen  ausserdeutschen  paläographischen 
Veröffentlichungen  ist  nur  vereinzelt  und  in  verschwindendem  Umfange  die 
Neuzeit  berücksichtigt.  Am  dringendsten  ist  das  Bedürfnis  für  das  Jahrhundert 
des  Humanismus,  der  Reformation  und  Gegenreformation.  Der  individuelle 
Charakter  der  Handschriften  in  diesem  Jahrhundert  der  Persönlichkeiten  stellt 
dem  Leser  oft  die  schwierigsten  Aufgaben.  Nicht  anders  lässt  die  Vcrstrcutheit 
des  Materials  gerade  in  diesem  Zeitalter  besonders  häufig  den  Forscher,  den 
Bibliothekar  und  Archivar  nach  sicherer  Unterlage  verlangen,  um  den  Ursprung 
namenloser  Schriftstücke  festzustellen.  Und  welche  handschriftliche  Fülle  harrt 
noch  der  Sichtung  und  der  Veröffentlichung! 

Das  vorliegende  Werk  will  hier  eine  sichere  Grundlage  schaffen.  Es 
bietet  auf  Grund  photographischcr  Aufnahmen  die  Handschriftenproben  eines 
ganzen  Jahrhunderts,  aller  der  Persönlichkeiten,  die  in  der  reichen  Strassburger 
Geschichte  dieser  Zeit  hervorgetreten  sind,  auf  allen  Gebieten  des  geistigen 
Lebens,  in  Politik  und  Verwaltung,  in  Kirche  und  Schule,  in  litterarischer  und 
künstlerischer  Arbeit,  dazu  aber  die  Proben  der  charakteristischen  Hände  aus 
der  städtischen  und  bischöflichen  Kanzlei,  der  Kanzler,  der  Sekretäre,  der 
Schreiber.  Die  drei  Strassburger  Archive  haben  hierfür  reichen  Stoff  geliefert, 
verschiedene  auswärtige  Bibliotheken  und  Archive  sind  zur  Ergänzung  heran- 

§ezogen  worden.  —  Die  Lichtdrucke  sind  von  J.  Krämer  in  Kehl  mit  grösstcr 
orgfalt  hergestellt.  Zum  genauen  Studieren  der  Handschrift  ist  jeder  Tafel 
eine  buchstäblich  getreue  Transscription  gegenübergestellt.  Einleitende  Be- 
merkungen orientieren,  wo  es  nötig  und  wo  es  möglich  ist,  über  die  Persönlich- 
keit und  über  die  Bedeutung  des  ausgewählten  Schriftstücks. 

Für  historische,  theologische  und  germanische  Seminare,  für  Biblio- 
theken und  Archive,  für  jeden  Forscher  und  Freund  der  Geschichte,  ins- 
besondere der  Vergangenheit  dieses  Landes  und  dieser  Stadt,  wird  das 
Werk  unentbehrlich  sein.  Es  wird  in  der  Wiedergabe  der  Handschriften  die 
Persönlichkeiten  der  Gegenwart  viel  näher  bringen  und  wird  der  Geschichte 
jener  grossen  Zeit  die  förderlichsten  Dienste  erweisen. 


1.  Leisarraga's 

Baskische  Bücher  von  1571 

(Neues  Testament,  Kalender  und  Abc) 

im  genauen  Abdruck  herausgegeben 

von 

TH.  LDJ8CHMAM  und  H.  8CHUCHASDT. 

Mit  Unterstellung  der  Kail.  Akademie  der  Wissenschaften  tu  Wien. 

16".    87  Bogen.    1900.    In  Ganzleinwand  geb.  M.  25.—. 

Pic  wichtigsten  und  umfangreichsten  baskischen  Sprachdenkmäler  werden  hier  tum  ersten 
Male  nach  wissenschaftlichen  Grundsäuen  veröffentlicht.   Eine  ausführliche  Einleitung  ist  beigegeben. 


Digitized  by  Google 


16 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


NORDISCHE 

ALTERTUMSKUNDE 

NACH  FUNDEN  UND  DENKMÄLERN  AUS  DÄNEMARK  UND  SCHLESWIG 

GEMEIN FASSLICH  DARGESTELLT 


D*.SOPHUS  MÜLLER 

Direktor  am  Nationalznuscum  ru  Kopenhagen. 


DEUTSCHE  AUSGABE 

UNTER  MITWIRKUNG  DES  VERFASSERS  BESORGT 


DR  OTTO  LUITPOLD  JIRICZEK 

Privaulojctiten  der  germanischen  Philologie  an  der  Univerthat  Rretlaa. 


1! 


L  Band:  Steinzeit,  Bronzezeit.  Mit  253  Abbildungen  im  Text, 
2  Tafeln  und  einer  Karte.  8°.  XII,  472  S.  1897.  Broschirt  M.  10.— , 
in  Leinwand  geb.  M.  Ii. — . 

Band:  Eisenzeit.  Mit  189  Abbildungen  im  Text  und  2  Tafeln. 
8°  VI,  324  S.  1S98.  Broschirt  M.  7.—,  in  Leinwand  geb.  M.  8.—. 

Inhalt:  I.  Steinzeit.  I.  Wohnplätze  der  älteren  Steinzeit. 
2.  Altertümer  aus  der  Zeit  der  Muschelhaufen.  3.  Chronologie  der  älteren 
Steinzeit.  4.  Die  Periode  zwischen  der  Zeit  der  Muschelhaufen  und  der 

Steingräber.  5.  Die  kleineren  Stein- 
gräber, Rundgräber  und  Hünenbetten. 
6.  Die  grossen  Steingräber  oder  Riesen- 
stuben. 7.  Das  Inncrc  der  Steingräber, 
Begräbnisbräuche  und  Grabbeigaben. 
8.  Die  jüngsten  Gräber  der  Steinzeit: 
Kisten-  und  Einzelgräber.  9.  Das  Stu- 
dium der  Steingräber,  eine  historische 
Übersicht.  10.  Altertümer  aus  der  jün- 
geren Steinzeit.  11.  Kunst  und  Religion. 
12.  Das  Studium  der  Steinaltertümer, 
eine  historische  Übersicht.  13.  Herstel- 
lungstechnik der  Geräte  und  Waffen. 
14.  Wohnplätze,  Lebensweise  etc. 

II.  Bronzezeit.  1.  Aufkommen  und 
Entwickelung  des  Studiums  der  Bronze- 
zeit. —  Die  ältere  Bronzezeit: 
2.  Ältere  Formen  aus  Männergräbern, 
Waffen  und  Schmuck.  3.  Toilettegerät- 
n.  Hand.  Abb.  89.  Altgermanischer  sil-  Schäften.  4.  Männer-  und  Frauen- 
semer  "2™™*^ er^imwT™"**' trachtcn-  Fe,d_  und  Moorfunde.  5.  Die 

älteste  Ornamentik  im  Norden  und  ihr 
Ursprung.  6.  Die  älteste  Bronzezeit  in  Europa.  7.  Beginn  der  nor- 
dischen Bronzezeit  und  Bedeutung  des  Bernsteinhandels.  8.  Grab- 
hügel und  Gräber.  9.  Der  spätere  Abschnitt  der  älteren  Bronzezeit. 
10.  Die  Leichenverbrennung,  Ursprung,  Verbreitung  und  Bedeutung 
des  Brauches.  —  Die  jüngere  Bronzezeit:  11.  Einteilung,  Zeitbe- 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Stra-^sburg. 


17 


Sophus  Müller,  Nordische  Altertumskunde  (Fortsetzung). 
Stimmung  und  Funde.  12.  Gräber  und  Grabbeigaben.  13.  Feld-  und  Moor- 
funde etc.  14.  Innere  Zustände,  Handwerk  und  Ackerbau,  Kunst  und 
Religion. 

III.    DIE   EISENZEIT.  Die 
ältere  Eisenzeit.    1.  Beginn  der 
Eisenzeit  in  Europa.  2.  Die  vorrömi- 
sche Eisenzeit.  Eine  fremde  Gruppe. 
3.  Zwei  nordische  Gruppen.  4.  Die 
Zeit.  Altertümer  und  Indu- 
strie. 5.  Gräber  und  Grabfunde  aus  der 
römischen  Zeit.  6.  Die 
Völkerwanderungszeit. 
Fremde  und  nordische 
Elemente.  7.  Die  Grab- 
funde aus  der  Völker- 
wanderungszeit. 8.  Die 
grossen  Moorfunde  aus 
der  Völkerwanderungs- 
zeit. 9.  Die  Goldhörner  und  der 
Silbcrkessel.  Opferfunde  aus  der 
I  isenzeit.    —   Die  jüngere 
Eisenzeit.  10.  Die  nachrömi- 
sche Zeit.    11.  Die  Tierorna- 
mentik  im    Norden.    12.  Die 
Vikingerzeit.    13.  Gräber,  Be- 
stattungsarten, Gedenksteine. 
14.  Handwerk,  Kunst  und  Reli- 
gion. Schlussbetrachtung :  Mittel, 
Ziel  und  Methode.    Sach-  und 
Autoren-Register.  —  Orts-  und 
Fundstätten-Register. 

«  .  .  .  S.  Müllers  Alterthums- 
kunde  ist  ebenso  wissenschaftlich 
wie  leicht  verständlich.  Es  ist 
freudig  zu  begrüssen,  dass  dieses 
Werk  in  dcutscherSprache  erscheint, 
und  O.  Jiriczek  war  eine  vortrefflich 
n<  te  Kraft,  sich  dieser  Aufgabe 
der  Uebersctzung  zu  unterziehen  . . . 

Die  verschiedenen  Anschauungen 
der  Gelehrten  über  einzelne  Er- 
scheinungen werden  in  objektiver 
Weise  dargelegt,  wodurch  in  das 
Werk  zugleich  eine  Geschichte  der 
nordischen  Archäologie  verwebt  ist. 
Dabei  hat  M.  jederzeit  seine  Blicke 
auf  die  Parallelerscheinungcn  und 
die  Forschung  bei  anderen  Völkern 
gerichtet  und  dadurch  den  Werth 
seines  Werkes  über  die  Grenzen 
der  nordischen  Archäologie  erwei- 
tert. Besondere  Anerkennung  ver- 
dient auch  die  klare  und  scharfe  Er- 
klärung technischer  Ausdrücke. . .  .> 
Literar.  Cnttralblalt  1897,  Nr.  2. 


I.  Bund.  Abb.  107.  Schwert  und  Dolche  aas 
der  iiitesten  Bronzezeit. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburc 


firutfdje  Bnlhahunitt. 

SBon 

J?lo retTor  öcr  ijrrrrunirJjrii  ÄUertum«hunöt  an  btr  Hmotrflllt  Irriburg  L  8t. 

9RU  17  Stbbilbungcn  unb  einer  Äarte. 

8°.  VIII,  362  S.  1898.  SPteil  brofebirt  3K.  6.—,  in  £einroanb  gebunben  9t  6.50. 

3nbalt:  I.  £>orf  unb  %lux;  II.  Da«  §auö;  III.  flörperbefdjaffenbeit  unb 
2radbt;  IV.  Sitte  unb  93raudj;  V.  2>ie  SJolföjpradje  unb  bie  sJJiunbarten;  VL  S)ie 
3Joltabid,tung;  VII.  Sage  unb  ^Jtärc^en. 

Aus  dem  Vorwort : 

«Dieses  Buch  bietet  sich  dem  wachsenden  Betriebe  der  deutschen  Volks- 
kunde als  Führer  an.  Nicht  nur  fühlen  die  Germanisten,  dass  dieser  Zweig  ihrer 
Wissenschaft  zu  seinem  Gedeihen  noch  weiterer  besonnener  Pflege  und  Leitung 
bedarf,  sondern  auch  viele  Gebildete,  von  unseren  höchsten  Beamten  bis  zu 


Probe  der  Abbildungen. 

tJtg.  11.  5Der  ©ööbof  in  Cbcrricb  bei  ?frciburg  t.  9. 


den  bescheidensten  Dorfschullehrern  herab,  namentlich  alle  die  Männer,  die 
berufen  sind,  dem  Volk  zu  raten  und  zu  helfen,  und  wiederum  dessen  Hilfe 
in  Anspruch  nehmen,  ja  alle  wahren  Volksfreunde  empfinden  immer  dringlicher 
die  Pflicht  einer  genaueren  Bekanntsc  haft  mit  den  Zuständen  und  Anschauungen 
des  gemeinen  Mannes.  Das  hat  auch  die  zahlreiche  Zuhörerschaft  meiner 
akademischen  Vorlesungen  über  deutsche  Volkskunde  in  Freiburg  bezeugt, 
aus  denen  das  Buch  hervorgegangen  ist.  Denn  unser  «Volk»  im  engeren  Sinne 
des  Wortes  ist,  wie  unser  Gesamtvolk,  am  Ende  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
eine  ganz  andere  Macht  geworden,  als  es  je  zuvor  war,  und  es  ist  in  der  ge- 
waltigsten Umwälzung  begriffen.  Und  mitten  hinein  tritt  die  Volkskunde,  indem 
sie  das  Alte  liebevoll  der  Erinnerung  bewahrt  und  aus  Älterem  erklärt  und 
zugleich  aufmerksam  die  Vorbereitung  und  Wendung  zum  Neuen  nachweist. 
Die  Volkskunde  hat  eine  wissenschaftliche  und  zugleich  eine  soziale  Aufgabe. 

Kuriositäten,  wie  sie  viele  zusammenhangslos  aulhäufen,  können  der  Volks- 
kunde diensam  sein,  machen  sie  aber  nicht  aus;  nicht  in  allerhand  Überlebsein 


Fortsetzung  »iehe  nAchit*  Seit«. 


VERLAG  VON  KARL  J.  TRÜBNER  IN  STRASSBURG. 


WltW,  Cf.       StUtfdje  »oU«funi>e  (Fortsetzung). 

der  Vergangenheit  steckt  ihr  Hauptreiz.  Über  die  Bücher  hinweg  erfasst  sie 
zunächst  mit  ihren  eigenen  Augen  und  Ohren  die  lebendige  Gegenwart  und 
alle  deren  Volksäusscrungen,  mögen  sie  alt  oder  neu,  hässlich  oder  schön, 
dumm  oder  sinnig  sein.  Im  Wirrsal  der  Erscheinungen  sucht  sie  das  Gesetz 
oder  den  Zusammenhang,  der  denn  doch  zu  allertiefst  in  der  Volksseele  ruht  und 
dort  seine  Deutung  findet.  Und  weil  die  Gegenwart  so  viel  Unverstandenes, 
Entstelltes  und  Halbverschollcnes  mit  sich  schleppt,  bemüht  sich  die  Volks- 
kunde nun  auch  in  die  aufklärende  Vergangenheit  einzudringen.  Da  thut  sich 
allmählich  ein  mächtiger  Hintergrund  hinter  unseren  Zuständen  auf,  wie  noch 
unser  alter  Wald  hinter  den  modernen  Rübenfeldcrn  steht.  Man  wird  begreifen, 
warum  meine  Darstellung  durchweg  die  Zustände  der  letzten  Hälfte  unseres 
Jahrhunderts  wiederspiegelt,  aber  hier  und  da  bei  längst  vergangenen  Zeiten 
ruhig  verweilt.   .   .  .>   

Amtliche  Empfehlungen: 

Vom  Kaiser!.  Oberschulrat  für  Elsass-Lothringen  wurde  das  Werk  gleich 
bei  Erscheinen  (am  6.  Dezember  1897,1  den  Kreis  sc  hilmspektoren  und  Lehrer- 
bildungsanstalten zum  Studium  empfohlen. 

Der  Grossherzogl.  Badische  Oberschulrat  hat  laut  Schreiben  v.  12.  Januar 
1898  im  Schulverordnungsblatt  auf  das  Werk  empfehlend  aufmerksam  gemacht. 

Das  Königlich  Sächsische  Ministerium  des  Kultus  und  öffentlichen  Unter- 
richts hat  laut  Schreiben  v.  22.  Februar  1898  die  Bezirksschulinspektoren  aut 
das  Werk  aufmerksam  gemacht. 

Das  Grossherzogl.  Hessische  Ministerium  des  Innern.  Abteilung  für  Schul- 
angelegenhciten,  hat  durch  Erlass  vom  28.  Januar  1898  das  Werk  den  Gro.ss- 
herzoglichen  Direktionen  der  Gymnasien,  Realgymnasien,  Realschulen,  höheren 
Mädchenschulen,  Schullehrerseminaricn  u.  Grossherzogl.  Kreisschulkommissionen  zur 
Anschaffung  für  ihre  Bibliotheken  empfohlen. 


Urteile  der  Presse. 

«...  Was  Volkskunde  Ist,  darüber  fehlte  bisher  jede  unpassendere  Auf- 
klärung. Der  Inhalt  und  Umfang  des  Begriffes  ist  keineswegs  bloss  Laien  fremd. 
Auch  diejenigen,  die  den  aufblühenden  Studien  der  Volkskunde  näher  stehen, 
wissen  nicht  immer,  was  den  Inhalt  derselben  ausmacht  .  .  . 

So  erscheint  nun  zu  guter  Stunde  ein  wirklicher  Führer  auf  dem  neuen 
Boden,  ein  Leitfaden  für  jeden,  der  den  Zauber  der  Volkskunde  erfahren  hat 
oder  erfahren  will,  für  den  Lernbegierigen  sowohl  wie  für  jeden  Freund  des 
Volkes.  Bisher  fehlte  jede  Orientierung,  wie  sie  uns  jetzt  Prof.  Elard  Hugo 
Meyer  in  einem  stattlichen  Bändchen  bietet.  Der  Verfasser,  von  mythologischen 
Forschungen  her  seit  lange  mit  Volksüberlieferungen  und  Volkssitten  vertraut 
—  der  angesehenste  unter  unsern  Mythologcn  —  hat  seit  Jahren  das  Werk 
vorbereitet,  das  er  uns  jetzt  als  reiche  Frucht  langjähriger  Sammelarbeit  vor- 
legt ...  Es  ist  ein  unermesslich  grosses  Gebiet,  durch  das  uns  das  Buch  führt. 
Es  ist  frische,  grüne  Weide,  die  seltsamerweise  dem  grossen  Schwärm  der  Ger- 
manisten unbemerkt  geblieben  ist.    Ein  fast  ganz  intaktes  Arbeitsgebiet .  .  . 

Das  Buch  ist  nicht  bloss  eine  wissenschaftliche,  es  ist  auch  eine  nationale 
That».  Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung  1897  Nr.  286. 

«Wer  sich  durch  diese  Zeilen  Lust  machen  Hesse,  Meyers  Buch  selbst 
in  die  Hand  zu  nehmen,  würde  es  nicht  bereuen.  Es  ist  natürlich  wissen- 
schaftlich zuverlässig  gearbeitet,  ausserdem  aber  ungewöhnlich  fliessend  ge- 
schrieben und,  was  uns  am  meisten  wiegt,  von  einer  ganz  prächtigen  Auf- 
fassung der  Dinge  belebt.  Wie  oft  muss  man  sonst  bei  Arbeiten  aus  diesem 
Gebiete  den  schönen  Stoff  bedauern,  der  in  die  unrechten  Hände  gekommen 
ist.  Hier  ist  er  in  den  richtigen.  Als  ein  deutliches  Beispiel  für  die  bewusst 
geschmackvolle,  im  besten  Sinne  feine  Behandlung  des  Stoffes  ist  uns  die  Ver- 
wendung und  die  Art  der  Wiedergabe  der  Mundart  erschienen . . .  Das  Buch 
enthält  auch  eine  Menge  Fragen  und  benutzt  sie,  den  Leser  zum  Mitlcben  zu 
zwingen,  der  Verfasser  nennt  es  selbst  im  Vorwort  einen  in  die  erzählende 
Form  gegossenen  Fragebogen.  ...»  Die  Grenzboten  1898  Nr.  13. 


Digitized  by  Google 


ao  Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


im 

imimrijntm  IJaljrfjunörrt 

oon 

Jßlarb  tmgo  flDe\>er, 

^rofeffot  btt  flrtmcnifAfn  Stttrtwntlun&t  an  bet  Urivrrfitdt  ßwttwrfl  i.  Cr. 
8°.  IX,  028  3.  1900.  $retö  brofdnrt  uK  12.-,  in  fcinwaub  gebuuben  u«  13.-  . 

3m  2lnjd)lu&  a,n  bie  „Deutfdje  JBotfgfuubc"  bietet  b>r  ber  iöerfnffa 
ein  fein  auSflefütjrteä  ©tn$etbilb  öon  bem  ©olfäleben  im  QJrofjfycrjofltum  $aben 
auf  ©runb  non  jahrelangen  forgfnltigen  Hebungen. 

0nl)ßlt:  Einleitung.  I.  Staphel:  ©eburt,  laufe  unb  Äinbtjcit:  ÄinblcS» 
brunneu  unb  Hebamme.  Stord).  $cbamme.  Äinbäbab.  <ß,aten.  Haufe.  Äinbcrtranfbcüen. 
Siegern  unb  Äinbcrlicbcr.  Äinbererjictjuna.  U.  Staphel:  25 ie  3ugcnb:  Sugcnbfpiele. 
3ugcitbfcfte.  Sdmlleben.  (Srfte  Kommunion  unb  Konfirmation,  ougenbarbeiten.  Birten  - 
leben.  «Pftnoftfcft.  III.  Staphel:  Siebe  unb  ^odjjeit:  8icbcäfprad)e,  «oratel  unb 
.jauber.  Spinnftube.  Solfögefang.  2anj.  ftenfterlcn.  ftefte  ber  jungen  Ceute.  Sünbclü* 
tag.  frxftnadjt.  Sd)eibenfd)Iagen.  Cftereierlauf.  97laifefte.  Qobanniäfeuer.  Ätrdjrocüj. 
§od)jcitfciern  in  ben  oerfdnebenen  Sanbfdjaften.  ©erbung.  Scfdiau.  Scrfprud).  8er. 
fünbigung.  Ginlabung,  Äränjcte  unb  Sd)ftppcunrfd)e.  Srautroagen.  ^>od)jeitötrad)t 
SWorgenfuppc.  £>od)jcit3jug.  Irauung.  länje.  2Hal)I.  Äranjabnabme.  9iad)feier.  SRitrfblicf. 
IV.  flapiu::  bäuSlidjc  Sc ben:  Steingüter  unb  Joof guter.  Stnerbcnredtf  unb 

fieibgebing.  ©ermbc.  Waldung.  Xaglöbner.  4>anbn*rfcr  unb  $>duficrcr.  Sauart.  Süd)eret. 
Sdjutj  unb  Sdjmutf.  Stufridjtung.  ©arten.  Sdjroangerfdjaft,  92ieberfunft  unb  SluS» 
fegnung.  V.  Staphel:  Sei  ber  Arbeit:  Stall.  $ferbejud)t.  JRinbcrjudtf.  Sicbpatrone. 
Qübner.  Sienen.  Vcfcrbau.  pflügen.  Säen.  ftlurumgänge.  <5rntc.  üDrefdjen.  §anf  unb 
ftlad)3.  SBcinbau.  ©abarbeiten.  Sergbau.  ftlö&crci.  2rifdjcrci.  ©djtoarjroalbinbuftrie. 
§aufterbanbel.  VI.  Staphel :  3ur  ftcftjeit:  2lnbreaänad)t.  3mifd)en  ben  3abe*n. 
<&briftnad)t.  Oobannid  b.  @o.  lag.  9leuiabrönad)t.  $reifömge.  flJlariä  Ciditmefc. 
Slafiuä'  unb  9lgan)etag.  frafdjing.  Cftcrn.  SOTaitag.  $tmmclfal)tt,  $reifaltigfcit  unb 
ftronlcidjnam.  ^obanniS  b.  I.  lag.  Jttrd)tt>cib.  ÜWartini.  llnglürfötage.  SDlonb  unb 
Eingang.  Sterne.  9JUId){tra&e  unb  Regenbogen.  VII.  Staphel:  2)aS  Serl)ältni8 
ber  Sauern  ju  Äirdje  unb  Staat:  SDic  ftirdje.  $ulbiamteit  unb  ©taube,  ftwbliaV 
feit,  $auöanbad)tcn.  Srubcricfiaften  unb  ^üngling&nereine.  Seten  unb  Soften.  Si;alU 
fahrten.  SJlifnoncn  unb  Crben.  ©eiftlicbfeit.  Sehen.  Salpctrer.  Saucrnmoral.  Semnte. 
9?ad)barn.  ©ciioficnirfjafid'  unb  ©emeinberum.  VIII.  Staphel:  Srantbeit  unb  lob: 
SÖarsen  unb  Sommcrfproffen.  Srud).  Sdjrätte.  ftcren.  $erenbanner.  SBabrfageret. 
Sijmpatbicboftoren.  Heilmittel.  Säber.  Snmpatbie.  3auberbüd)er.  Äird)c.  Sorjcidjen 
be3  lobcS.  £a3  Sterben.  Ccicbcneinflcibung.  CcidKnroacbc.  ficidjenaniage.  Seerbigung. 
ßcicbcnmabl.  CciAcn-  ober  lotenbrett.  lotengcbädjtniä.  IX.  Äapitel:  9iürffd)au. 
sJtad)trägc  unb  Serid)tigungen.  SRegifter. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER.  in  Strassburg. 


2  1 


WÖRTERBUCH 


DER 


BF. ARBEITET  VON 


E.  MARTIN  und  H.  LIENHART 

IM  AUFTRAGE  DER  LANDESVERWALTUNG  VON  ELSASS  LOTHRINGEN. 

Erster  Band.  Lex.-8°.  XVI,  800  S.  1899.    Broschirt  M.  20. — , 
in  Halbfranz  gebunden  M.  22.50. 
Der  II.  (Schluss-)Band  ist  in  Vorbereitung.  Er  wird  in  etwa  5 — 6  Lieferungen 

ä  M.  4. —  erscheinen. 

Dieses  Wörterbuch  ist  die  Frucht  jahrelangen  Sammeleifers  und 
angestrengter  wissenschaftlicher  Thätigkeit.  Es  soll  nach  dem  Vor- 
bild des  schweizerischen  Idiotikons  den  Sprachschatz  der  heutigen 
elsässischen  Mundarten,  soweit  diese  sich  zurück  verfolgen  lassen, 
zusammenfassen  und  nach  dem  gegenwärtigen  Stand  der  Sprach- 
wissenschaft erklären.  Dabei  wird  die  Eigentümlichkeit  des  elsäs- 
sischen Volkes  in  Sitte  und  Glauben,  wie  sie  sich  in  Redensarten, 
Sprichwörtern,  Volks-  und  Kinderreimen  kund  gibt,  so  weit  als 
möglich  zur  Darstellung  gebracht  werden.  Das  sprachliche  Gebiet 
wurde  nach  den  Bezirksgrenzen  von  Ober-  und  Untcrclsass  abgesteckt. 

«Das  grossangelegte  Werk  macht  einen  ausgezeichneten  Eindruck  und 
ist  hinter  der  Aufgabe,  die  es  sich  stellte,  und  den  Erwartungen,  die  man  ihm 
entgegenbrachte,  nicht  zurückgeblieben.  .  .  .  Eine  so  ergiebige  grammatische 
Fundgrube  wie  das  schweizerische  Idiotikon  konnte  es  unter  keinen  Umständen 
werden.  Bei  dieser  Sachlage  thaten  die  Bearbeiter  wohl  daran,  «die  Eigen- 
tümlichkeit  des  elsässischen  Volkes  in  Sitte  und  Glauben,  wie  sie  sich  in 
Redensarten,  Sprichwörtern,  Volks-  und  Kinderreimen  kundgibt,  so  weit  als 
möglich  zur  Darstellung»  zu  bringen.  In  diesem  litterarischen  und  kultur- 
geschichtlichen, völkerpsychologischen  Inhalte  liegt  das  Schwergewicht  des 
Werkes.  .  .  .  Wir  zweifeln  nicht,  dass  das  elsässiscne  Wörterbuch  seinen  Platz 
in  der  ersten  Reihe  unserer  Mundartenwerke  einnehmen  wird.  ...» 

Deutsekt  Litteraturzettung  1897  Nr.  50. 

«...  Das  elsässische  Wörterbuch  ist  keine  Aufspeicherung  sprach- 
wissenschaftlicher Raritäten.  Es  ist  eine  lebensvolle  Darstellung  dessen,  wie 
das  Volk  spricht.  In  schlichten  Sätzen,  in  Fragen  und  Antworten,  in  Anekdoten 
und  Geschichtchen  kommt  der  natürliche  Gedankenkreis  des  Volkes  zu  unmittel- 
barer Geltung.  Die  Kinderspiele  und  die  Freuden  der  Spinnstuben  treten  mit 
ihrem  FormeTapparat  auf.  Die  Mehrzahl  der  Artikel  spiegeln  das  eigentliche 
Volksleben  wieder  und  gewähren  dadurch  einen  wahren  Genuss.  Wenn  man 
Artikel  wie  Esel  oder  Puchs  liest,  wird  man  bald  verstehen  lernen,  dass  in 
deren  Schlichtheit  und  Schmucklosigkeit  der  Erforscher  deutschen  Volkstums 
eine  sehr  wertvolle  Quelle  für  das  Elsass  findet .  .»  Strassb.  Post  1897  Nr.  344. 

«Cela  dit*.  je  n'ai  plus  qu'ä  fdliciter  les  auteurs  de  leur  intelligente  ini- 
tiative,  de  l  exactitude  et  de  la  richesse  de  leur  documentation,  des  ingdnieuses 
dispositions  de  plan  et  de  typographie  qui  leur  ont  permis  de  faire  tenir  sous 
un  volume  relativement  restreint  une  Enorme  varidtd  de  citations  et  d'infor- 
n-.ations.  Ce  n'est  point  ici  seulcment  un  rdpertoire  de  mots:  c'est,  sous  chaque 
mot,  les  principales  locutions  oü  il  entre.  les  usages  locaux,  proverbes,  faedties, 
devinettes.  randonndes  et  rondes  enfantines  dont  il  dveille  l'dcho  lointain  au 
cteur  de  l'homme  mür  .  >  V.  Henry,  Revue  critüpie,  31  Janv.  1898. 

*  que  j'al  en  portefcuille  une  jraramairc  ei  un  vocabulaire  'In  dialcctc  de  Colmar 


Digitized  by  Google 


22 


GESCHICHTE 

DER 

DEUTSCHEN  LITTERATÜR 

BIS  ZUM  AUSGANGE  DES  MITTELALTERS 

VON 

RUDOLF  KOEGEL 

ord.  Professor  fQr  deutsche  Sprache  und  Littcratur  an  der  Univertitlt  Batel. 

Erster  Band:  Bis  zur  Mitte  des  elften  Jahrhunderts. 

Erster  Teil:  Die  stabreimende  Dichtung  und  die  gotische  Prosa. 
8°.  XXIII,  343  S.  1894.  M.  10.— 

Ergänzungsheft  zu  Band  I:  Die  altsächsische  Genesis.  Ein  Bei- 
trag zur  Geschichte  der  altdeutschen  Dichtung  und  Verskunst. 
8«\    X,  71  S.    1895.  M.  1.80 

Zweiter  Teil:  Die  endreimende  Dichtung  und  die  Prosa  der  alt- 
hochdeutschen Zeit.    8°.    XX,  652  S.    1897.  M.  16  — 
Die  drei  Teile  des  I.  Bandes  zusammen  in  einem  Band  in  Halbfranz 

gebunden  M.  31.50. 

Urteile  der  Presse. 

«  .  .  .  .  Koegel  hat  eine  Arbeit  unternommen,  die  schon  wegen  ihre» 
grossen  Zieles  dankbar  begrüsst  werden  muss.  Denn  es  kann  die  Forschung 
auf  dem  Gebiete  der  altdeutschen  Literaturgeschichte  nur  wirksamst  unter- 
stützen, wenn  jemand  den  ganzen  vorhandenen  Bestand  von  Thatsachen  und 
Ansichten  genau  durchprüft  und  verzeichnet,  dann  aber  auch  an  allen  schwie- 
rigen Punkten  mit  eigener  Untersuchung  einsetzt.  Beides  hat  K.  in  dem  vor- 
liegenden ersten  Bande  für  die  älteste  Zeit  deutschen  Geisteslebens  gethan. 
Er  beherrscht  da«  bekannte  Material  vollständig,  er  hat  nichts  aufgenommen 
oder  fortgelassen,  ohne  sich  darüber  sorgfältig  Rechenschaft  zu  geben.  Kein 
Stein  auf  dem  Wege  ist  von  ihm  unumgewendet  verblieben.  K.  hat  aber  auch 
den  Stoff  vermehrt,  einmal  indem  er  selbständig  alle  Hilfsquellen  (z.  B.  die 
Sammlungen  der  Capitularien,  Concilbeschlüsse  u.  s.  w.)  durchgearbeitet,  neue 
Zeugnisse  den  alten  beigefügt,  die  alten  berichtigt  hat,  ferner  dadurch,  dass 
er  aus  dem  Bereiche  der  übrigen  germanischen  Litterarurcn  herangezogen  hat, 
was  irgend  Ausbeute  für  die  Aulhellung  der  ältesten  deutschen  Poesie  ver- 
sprach. In  allen  diesen  Dingen  schreitet  er  auf  den  Pfaden  Karl  Möllenhoffs, 
dessen  Grösse  kein  anderes  Buch  als  eben  das  seine  besser  würdigen  lehrt. ...» 

Anton  E.  Schonbach,  Oesterreich.  Literaturblatt  1894  Nr.  18. 

«Koegel  bietet  Meistern  wie  Jüngern  der  Germanistik  eine  reiche,  will- 
kommene Gabe  mit  seinem  Werke;  vor  allem  aber  sei  es  der  Aufmerksamkeit 
der  Lehrer  des  Deutschen  an  höheren  Schulen  empfohlen,  für  die  es  ein 
unentbehrliches  Hilfsmittel  werden  wird  durch  seinen  eigenen  Inhalt,  durch 
die  wohlausgcwählten  bibliographischen  Fingerzeige  und  nicht  zum  wenigsten 
durch  die  Art  und  Weise,  wie  es  den  kleinsten  Fragmenten  ein  vielseitiges 
Interesse  abzugewinnen  und  sie  in  grossem  geschichtlichen  Zusammenhang  zu 
stellen  versteht.  Wie  es  mit  warmer  Teilnahme  für  den  Gegenstand  gearbeitet 
ist.  wird  es  gewiss  auch,  wie  der  Verfasser  wünscht,  Freude  an  der  nationalen 
Wissenschaft  wecken  und  mittelbar  auch  zur  Belebung  des  deutschen  Literatur- 
unterrichts in  wissenschaftlich-nationalem  Sinne  beilragen.» 

Beilage  zur  Allgcm.  Zeitung  1894  Nr.  282. 

«_  Vorliegendes  Buch  ....  nimmt  neben  dem  Werke  Möllenhoffs  viel- 
leicht den  vornehmsten  Rang  ein.  Es  bietet  den  gesamten  Stoff  in  feiner 
philologischer  Läuterung,  dessen  eine  Literaturgeschichte  unserer  ältesten 
Zeiten  bedarf,  um  sich  zum  allseitig  willkommenen  Buche  abzuklären.  Dies 
hohe  Verdienst  darf  man  schon  heute  Rudolf  Koegel  bewundernd  zuerkennen. 
Dass  das  schwerwiegende  Werk  seiner  selten  vergeblich  bohrenden  Forschung 
und  mühseligen  Combinationen  und  Schlussfolgerungen  würdig  ausgestattet  ist, 
bedarf  keiner  Versicherung.  Und  so  möge  unsere  Germanistik  des  neuen  Ehren- 
preises froh  und  froher  werden.»  Blätter/.  Itter.  Untcrh.  1894  Nt.  48. 

Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strasburg. 


©efd)td)te 

bei 

Cftti}ltf(f)ett  fitttratur 

oon 

Bcrn^orb  ten  UrtitR. 

Crfter  SJanb:  ©t*     ©icltfö  Auftreten.  3toeite  oerbeff  erte  unb  oermeljrte 
91  uf  läge,  herausgegeben  oon 9Uoi8 SBranbl,  ^rofeffor  an  ber  Unioerfttät  93erlin. 

8°.  XX,  620  S.  1899.    »rofdjirt  «K.  4.60,  in  fieinroanb  gebunben  2R.  5.50, 

in  ^olbfronj  geb.  3Ji.  6.50. 

3«  4  alt:  h  »urt.  «or  ber  «TOberung.  II.  Bitd).  Sie  überoonMe't.  m.  8u4.  Son  Cnort  Ml 
Itter).  IV.  8ud).  fcSorfpiel  bec  SRcfoimattoit  unb  ber  Stenaiftance.  Hntjang. 

fjroeiter  93anb:  8i8  gar  Deformation,   herausgegeben  oon  9(Iotd  Oranbl. 

8°.   XV  u.  647  ©.   1893.   3R.  8.—,  in  Seinroanb  geb.  3R.  9.—, 
in  $albfranj  geb.  9Jt.  10.—. 

3nl)Qlt:  IV.  Bu<$.  Borfpiel  btr  {Reformation  unb  ber  Stenaiffance  töortfttuna)    V.  Cu4. 
fiancofier  unb  Dort.  VI-  Cu($.  Sie  Stenaiffance  bt»  *u  Surreij'8  tob. 

daraus  etnseln :  bie  2.  £älfte.   8°.   XV  u.  6.  353—647.    1893.   SW.  5.— 

Die  Bearbeitung  der  zwei  weiteren  Bände  hat  Herr  Professor 
Dr.  Alois  Brandl  übernommen. 

Urteile  der  Presse. 

«...  Be;  allen  Einzelheiten,  die  zur  Sprache  kommen,  bleibt  der  Blick 
des  Verfassers  stets  auf  das  Allgemeine  gerichtet,  und  seine  Gründlichkeit  hindert 
ihn  nicht,  klar,  geistvoll  und  fesselnd  zu  sein.  Der  gefällige,  leicht  verständ- 
liche Ausdruck,  die  häufig  eingelegten,  auch  formell  tadellosen  Uebersetzungen 
altenglischer  Gedichte  verleihen  dem  Buche  einen  Schmuck,  der  bei  Schriften 
gelehrten  Inhaltes  nur  zu  oft  vermisst  wird.  Kurz,  die  englische  Litteratur  bis 
Wiclif  hat  in  diesem  ersten  Bande  eine  reife,  des  grossen  Gegenstandes 
würdige  Darstellung  gefunden,  und  sicher  wird  sich  das  Buch  in  weitesten 
Kreisen  Freunde  erwerben  und  der  Literatur  dieses  so  reich  begabten  germa- 
nischen Volksstammes  neue  Verehrer  zuführen.»    Lit.  Centraiblatt  1877  Nr.  jj. 

«Die  Fortsetzung  zeigt  alle  die  glänzenden  Eigenschaften  des  ersten 
Bandes  nach  meiner  Ansicht  noch  in  erhöhtem  Masse;  gründliche  Gelehrsam- 
keit, weiten  Blick,  eindringenden  Scharfsinn,  feines  ästhetisches  Gefühl  und 
geschmackvolle  Darstellung.»  Deutsche  Lüteraturzeituttg  1889  Nr.  19. 

«Bernhard  ten  Brink" s  Literaturgeschichte  ist  ohne  Zweifel  das  gross- 
artigste Werk,  das  je  einem  englischen  Philologen  gelungen  ist.  Mehr  noch : 
es  ist  eine  so  meisterhafte  Leistung,  dass  es  jedem  Litteraturhistoriker  zum 
Muster  dienen  kann.  Und  dieses  Urtheil  hat  seine  volle  Kraft  trotz  der 
unvollendeten  Gestalt  des  Werkes.  Wäre  es  dem  Verfasser  vergönnt  gewesen, 
es  in  derselben  Weise  zu  Ende  zu  bringen,  so  würde  es  leicht  die  hervor- 
ragendste unter  allen  Gesammtlitteraturgcschichten  geworden  sein  ...» 

Museum  1893  Nr.  7. 

«ten  Brink  hat  uns  auch  mit  diesem  Buche  durch  die  fesselnde 
Form  der  Darstellung  und  durch  die  erstaunliche  Fülle  des  Inhalts  in  unaus- 
gesetzter Spannung  gehalten.  Der  wissenschaftliche  Wert  des  Buches  ist  über 
jede  Besprechung  erhaben  ;  auch  dieser  Band  wird,  wie  der  erste,  dem  Studenten 
eine  sichere  Grundlage  für  litterarische  Arbeiten  bieten;  aber  hervorgehoben 
muss  noch  einmal  werden,  dass  wir  hiermit  nicht  nur  ein  fachmännisch  ge- 
lehrtes, sondern  auch  ein  glänzend  geschriebenes  Werk  besitzen,  das  jeder 
Gebildete  mit  wahrem  Genuss  studieren  wird.»  Grenzboten  1889  S.  517. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  IN  StrassburG. 


Geschichte 

der  neuern 

französischen  Litteratur 

(XVI.-XIX.  Jahrhundert). 
Ein  Handbuch 

von 

Heinrich  Morf. 


Erstes  Buch:  Das  Zeitalter  der  Renaissance. 
8°.  X,  246  S.  1898.  Broschirt  M.  2.50,  in  Leinwand  gebunden  M.  3  — . 

Inhalt:  Einleitung :  Mittelalterliche  und  humanistische  Weltan- 
schauung. —  I.  Kapitel:  Am  Ausgang  des  Mittelalters.  (Die  Zeit  Lud- 
wigs XII.,  1498 — 1515  )  —  II.  Kapitel:  Die  Anfänge  der  Rcnaissance- 
littcratur.  (Die  Zeit  Franz'  I.,  1 51 5 — 1548.)  Einleitung.  Die  Prosa.  Die 
Dichtung.  1.  Die  Lyrik.  2.  Die  Epik.  3.  Die  Dramatik.  —  III.  Kapitel: 
Höhezeit  und  Niedergang  der  Rcnaissancelitteratur.  (Die  Zeit  der  letzten 
Valois  und  Heinrichs  IV.,  1547 — 1610.)  Einleitung.  Die  Prosa.  Die 
Dichtung.  I.  Die  Lyrik.  2.  Die  Epik.  3.  Die  Dramatik.  —  Bibliogra- 
phische Anmerkungen. 

Aus  dem  Vorwort:  „Es  soll  hier  die  Geschichte  des  neuern  franzö- 
sischen Schrifttums  in  vier  Büchern,  deren  jedes  einen  solchen  Band  füllen  wird, 
erzählt  werden.  Der  zweite  Band  mag  die  Litteratur  des  Klassizismus,  der 
dritte  Band  diejenige  der  Aufklärungszeit,  der  vierte  die  Litteratur  unseres 
Jahrhunderts  schildern.  Die  Arbeit  ist  von  langer  Hand  vorbereitet  und  zum 
grossen  Teil  im  Manuskript  abgeschlossen. 

Dieses  Handbuch  will  den  Bedürfnissen  der  Lehrer  und  Studierenden  des 
Faches  und  den  Wünschen  der  gebildeten  Laien  zugleich  dienen." .... 

Die  Betlage  zur  Alldem.  Zeitung  urteilt  in  Nr.  10  von  1899  ,,  .  .  .  Der 
vielverzweigten  und  komplizierten  Aufgabe  der  Literaturgeschichte  ist  Morf 
in  vollem  Masse  gerecht  geworden.  Er  versteht  es  ebenso  sehr,  die  Geschichte 
der  einzelnen  literarischen  Gattungen  von  ihren  ersten  bescheidenen  Keimen 
bis  zur  BlÜthe  und  zum  Verwelken  zu  verfolgen,  als  die  literarischen  Persön- 
lichkeiten mit  ihren  Eigentümlichkeiten  und  Besonderheiten  lebenswahr  zu 
schildern.  Dabei  vergisst  er  auch  nie,  auf  die  kulturhistorischen  Strömungen 
hinzuweisen,  welche  die  Literatur  nach  dieser  oder  jener  Richtung  getrieben 
haben.  Sein  ästhetisches  Urteil  ist  nicht  von  irgend  einer  aprioristischen 
Stellungnahme  bedingt,  sondern  beruht  auf  gründlicher,  verständnissvoller  Wür- 
digung aller  massgebenden  Kaktoren.  Endlich  genügt  die  Form,  in  welche 
Morf  seine  Erzählung  kleidet,  allen  ästhetischen  Ansprüchen.  .  .  . 

Wer  diesen  ersten  Band  gelesen,  wird  das  Erscheinen  der  folgenden  mit 
Ungeduld  erwarten.  Die  Erzählung  der  literarischen  Geschehnisse  schreitet 
rasch  vorwärts  und  ist  fesselnd  geschrieben.  Die  literarischen  Persönlichkeiten 
treten  lebenswahr  und  plastisch  hervor.  Einige  Beschreibungen  kann  man 
geradezu  Kabinetsstückchen  nennen.  Morf  besitzt  überhaupt  die  Gabe  der 
prägnanten  Charakterisirung.  Ein  paar  Worte  genügen  ihm,  um  ein  lebens- 
volles Bild  hervorzuzaubern.  .  .  . 

Morfs  Literaturgeschichte  ist  eine  ganz  hervorragende  Leistung.  Wenn 
sich  die  folgenden  Bände  —  wie  es  übrigens  zu  erwarten  ist  —  auf  der  Höhe 
des  ersten  halten,  werden  wir  in  dieser  französischen  Literaturgeschichte  ein 
Werk  begrüssen  können,  das  sich  der  italienischen  Literaturgeschichte  Gaspary's 
ebenbürtig  an  die  Seite  stellen  wird . . 

Der  II.  Band  ist  unter  der  Presse. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassbdrc. 


25 


(ßcfdjktjte 

ber 

3taltenifcfyen  Citeratur 

Hfcolf  (Saspan?. 

(Srfter  Sanb :  Die  italienifrhe  Literatur  im  Mittelalter. 

8°.  550  e.    1885.   <R  9.—,  in  .^albfrcmj  gebunben  9R.  IL— 

gn^alt:  Ginleitung.  —  Die  3icilianifd>e  Diehterfcbule.  —  ^ortfefcung  ber 
[prifc^en  Dichtung  in  3Kittelitalten.  —  &mt>o  ©uiniccfli  von  Bologna.  — 
Die  franjöf.  9utterbid)tung  in  Cberitalicn.  —  ftcligiöfe  unb  moraltfthe 
^oeftc  in  Dberitalicn.  —  Die  religiöfe  ii'nru*  in  Umbricn.  —  Die  sJkofa 
im  13.  3abrb,.  —  Die  aUegorifcb-bibaftifdje  Dichtung  unb  bie  philofopb. 
2nru*  ber  neuen  florentinifchcn  Schule.  —  Dante.  —  Die  Gomöbie.  — 
Da$  14.  ;\ahrhunbert.  —  Petrarca.  —  Petrarca  «  Gan^oniere.  —  9lnhang 
bibliographifcher  u.  frit.  33cmerfungen.  —  9tcgiftcr. 

^weiter  SBonb:  Die  iittlienifd>e  fiiternlnr  ber  9ien<iiffaitce$eit. 

8°.  704  S.  1888.  3W.  12.—,  in  .$albfr<mj  gebunben  Dt.  14.—. 
Inhalt:  Boccaccio.  —  Die  Gptgonen  ber  gronen  Florentiner.  —  Die  £umaniften 
beä  15.  3a^r^l,n^erts-  —  ®*c  1'ulgärfpradK  im  15.  ^ahrh.  unb  ihre 
Literatur.  —  ^olifliano  unb  2orcnjo  b6  Gebiet.  —  Die  9utterbicbtung. 
s}>ulct  unb  ^ojarbo.  Neapel,  ^ontano  unb  Sanna$aro.  —  sJHacdnaoe£li 
u.  Wuicciarbini.  —  SBcmbo.  —  9lriofto.  —  Gaftigltone.  —  ^ierro  Stretino. 
—  Die  i'nrtt  im  16.  ^afyrjjunbert.  —  Da*  .ftclbengebicbt  im  16.  $a\)X> 
Rimbert.  —  Die  Sragöbie.  —  Die  flomöbie.  —  Anhang  bibliograplj.  u. 
Iritifcher  23cmerfungen. 

„Jeder  der  sich  fortan  mit  der  hier  behandelten  Periode  der  italienischen 
Litteratur  beschäftigen  will,  wird  Gaspary's  Arbeit  211  seinem  Ausgangspunkte 
zu  machen  haben.  Das  Werk  ist  aber  nicht  nur  ein  streng  wissenschaftliches 
für  Fachleute  bestimmtes,  sondern  gewährt  nebenbei  durch  seine  anziehende 
Darstellungsweise  auch  einen  ästhetischen  Genuss;  es  wird  daher  auch  in 
weiteren  Kreisen  Verbreitung  finden."  Deutscht'  L.t/craturzeituug. 

„Eine  sehr  tüchtige  wissenschaftliche  Arbeit.  Empfiehlt  sich  das  Buch 
einem  grösseren  Publikum  durch  seinen  leicht  verständlichen  geschmackvollen 
Ausdruck,  so  findet  auch  der  Gelehrte  in  den  im  Anhange  gegebenen  reichen 
Anmerkungen  die  bibliographischen  Nachweise  und  die  kritische  Begründung 
bei  schwierigen  zweifelhaften  Punkten."  Literarisches  Centraiblatt. 

„Die  Darstellung  von  dem  in  die  Anmerkungen  verwiesenen  Ballast  be- 
freit, schreitet  festen  aber  elastischen  Schrittes  vorwärts;  sie  führt  in  die  Mitte 
der  Thatsachen  und  der  an  diese  sich  knüpfenden  Fragen,  aber  ohne  gelehrte 
oder  schulmeisterliche  Pedanteric,  sodass  der  Genuss  des  Lesens  sich  mit  dem 
Nutzen  des  Lernens  zugleich  und  von  selber  darbietet.      Allgemeine  Zeitung. 

„All'  opera  dcl  Gaspary,  che  raecoglie  abbastanza  bene  i  risultati  dcgli 
studi  piü  recenti,  auguriamo,  perchd  ci  parebbe  utile  ä  dotti  e  agli  indotti,  una 
edizione  italiana."  Rivista  critica  della  letteratura  italiana. 

„Prof.  Gaspary's  history  of  Italian  literature  promises  to  be  the  ideal  of 
a  thoroughly  useful  introduetion,  occupying  a  middle  position  between  an  ex- 
haustive  work  on  the  subjeet  and  a  studentt  mamial.  The  arr~nn?»  of  Pciiaio. 
and  Dante  are  very  clear  and  instruetive,  but  peiiiaj>a  the  most  interesting 
part  of  the  book  is  the  pirture  of  the  early  struggles  of  Italy  to  acquire  a 
national  language  and  literature."  The  Saturday  Review. 

Die  ivortje^ung  biefeä  2ScrfeS  hat  £err  Dr.  ffiicharb  SÖenbrincr  (^rcölau) 

übernommen:  ihm  jinfr  von  per  ('Kittin  Peo  tierftorbenen  ^erfaijcro  Die  lUnuvocitcn, 

fonu-it  )idi  folche  im  Oiactilnffo  porfemben,  auogehnnpigt  iporpen. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TR 


waas 


IN  Strassburg. 


GRUNDRISS 

ROMANISCHEN  PHILOLOGIE 

UNTER  MITWIRKUNG  VON 

G  BA1ST,  TU.  BRAGA,  H   BRESSLAU.  T.  CASIN1,  J.  CORNL',  C.  DECL'RTINS,  W.  DEECKE, 
TH  GÄRTNER,    M  GAST  KR,    G.  GERLAND,  K  KLUGE,  GUST.  MEYKR,  W  MKYER-LUBKE, 
C  MICHAELIS  UE  VASCON CELLOS,  A.  MOREL  EATJO,  ER.  D'OVIDIO,  A.  SCHULTZ.  W.SCHUM. 
CH.  SEYBOLD,  E   STENGEL,  A    STIMMING,  H  SUCHIER,  H.  TIKTIN,  A  TODLER, 

\V.  WINDELBAND.  E  WINDISCH 

HERAUSGEGEBEN 
ron 

GUSTAV  GRÖBER 

o.  ö.  Professor  der  romanischen  Philologie  an  der  Universität  Strassburg. 

I.  Band.   Lex.-B°.    XII,  853  S.  mit  4  Tafeln  und  13  Karten.  1888. 

Broschiert  Jl  14. — ;  in  Halhfram  geb.  Jt  16. 

TL  Band.    1.  Abteilung.  Lex. -8'.  VIII,  1286  S.   100a.      Broschiert  JL  20. — ;  in  Halbfrani  geb.  JL  23. — . 

II.  Band.   2.  Abteilung.  Lex. -8*.  VIII,  406  S.  1897.      Broschiert  JL  8.—  ;  in  Halbfrani  geb.  JL  10.—  . 

II.  Band.  3.  Abteilung.  Lex. -8°.  V1IL  603  S.  1901.      Broschiert  JL  «o. — ;  in  Halbfrani  geb.  JL  ta  — 

Inhalt : 

I.  Band. 

I.  EINFÜHRUNO  IN  DIE  ROMANISCHE  PHILOLOGIE. 

1.  GESCHICHTE  DER  ROMANISCHEN  PHILOLOGIE  von  G.  GrSbtr. 
a.  AUFGABE    UND   GLIEDERUNG    DER   ROMANISCHEN  PHILOLOGIE  von 
G.  GrSbtr. 

II.  ANLEITUNG  ZUR  PHILOLOGISCHEN  FORSCHUNO. 

1.  DIE  QUELLEN  DER  ROMANISCHEN  PHILOLOGIE,  a.  Die  schriftlichen  Quellen 
mit  4  Tafeln  von  W.  Schum.    b.  Die  mündlichen  Quellen  von  G.  GrSbtr. 

a.  DIE  BEHANDLUNG  DER  QUELLEN,  a.  Methodik  und  Aufgaben  der  sprach- 
wissenschaftlichen Forschung  von  G.  GrSbtr.  b.  Methodik  der  philologischen 
Forschung  von  A.  Tobltr. 

III.  DARSTELLUNO  DER  ROMANISCHEN  PHILOLOGIE. 

1.  Abschnitt:  ROMANISCHE  SPRACHWISSENSCHAFT. 

a.  Die  vorromanischen  Volkssprachen  der  romanischen  Linder.  1.  Keltische 
Sprache  von  E.  Wmdisch.  2.  Die  Basken  und  die  Iberer  von  G.  Gcland 
3.  Die  italischen  Sprachen  von  W.  Dttckt.  4.  Die  lateinische  Sprache  in  den 
romanischen  Landern  von  W.  Mtytr.  5.  Romanen  und  Germanen  in  ihren 
Wechselbeziehungen  von  F.  Klug*.  6.  Die  arabische  Sprache  in  den  romani- 
schen Ländern  von  Ch.  StyboU.  7.  Die  nichtlateinischen  Elemente  im  Rumä- 
nischen von  M.  Gastcr. 

b.  Die  romanischen  Sprachen:  1.  Ihre  Einteilung  und  äussere  Geschichte  von 
G.  GrSbtr  (mit  einer  Karte),  a.  Die  rumänische  Sprache  von  H.  Tüttim.  3.  Die 
rätoromanischen  Mundarten  von  Th.  Gartntr.  4.  Die  italienische  Sprache  von 
Fr.  d'Ovtdxo  und  W.  Mtytr.  5.  Die  frani.  u.  provencal.  Sprache  und  ihre 
Mundarten  von  H.  Smchitr  (mit  ta  Karten).  6.  Das  Katalanische  von  A.  Mord- 
Fatio.  7.  Die  spanische  Sprache  von  G.  Baut.  8.  Die  portugiesische  Sprache 
von  jf.  Cor nm.  9.  Die  lateinischen  Elemente  im  Albanesischen  von  Gust.  Mtytr. 

II.  Bd.,  1.  Abt. 

a.  Abschnitt    LEHRE  VON  DER  ROMANISCHEN  SPRACHKUNST.  Romanisch« 

Verslehre  von  E.  Sttngtt. 
3.  Abschnitt:  ROMANISCHE  L LITERATURGESCHICHTE. 

a.  Übersicht  Ober  die  lateinische  Litteratur  von  der  Mitte  des  6.  Jahrhunderts 
bis  1350  von  G.  GrSbtr. 

b.  Die  Liiteraturcn  der  romanischen  Völker: 

1.  Französische  Litteratur  von  G.  GrSbtr. 

IL  Bd.,  a.  Abt. 

2.  Provencalische  Litteratur  von  A.  Stint/Hing. 

3.  Katalanische  Litteratur  von  A.  Mortl-Fatto. 

4.  Portugiesische  Litteratur  von  C.  Michaiiis  dt  Vatctnctths  und  Th.  Braga. 

5.  Spanische  Litteratur  von  G.  Batst. 

IL  Bd.,  3-  Abt. 

6.  Italienische  Litteratur  von  T.  Catimi. 

7.  Rätoromanische  Litteratui  von  C.  Dtcnrtins. 

8.  Rumänische  Litteratur  von  M.  Gasttr. 

IV.  GRENZWISSENSCHAFTEN. 

1.  GESCHICHTE  DER  ROMANISCHEN  VÖLKER  von  H.  Bnttlau. 

1.  CL'LTURGESCHICHTE  DER  ROMANISCHEN  VÖLKER  von  A.  Schmitt. 

3.  KUNSTGESCHICHTE  DER  ROMANISCHEN  VÖLKER: 

Bildende  K(in»tc  von  A.  Schutts. 

4.  DIE  WISSENSCHAFTEN  IN  DEN  ROMANISCHEN  LÄNDERN  von  W.  Wiudtlband. 
NAMEN-,  SACH-  UND  WORTVERZEICHNIS  in  jedem  Band. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


27 


Soeben  erschien: 

Nachgelassene  Schriften 

des  Grafen  Gobineau 

herausgegeben  von 
Ludwig  Schemann. 


Dichterische  Werke: 

1. 

Alexandre  le  Mac^donien. 

Tragödie  en  cinq  acte*. 
Zweite  Auflage. 


Kl.  8«.    XXVI,    101  S.    1902.   M.  2.- 


Durch  das  Vertrauen  der  Erben  Gobincaus  zur  Vollstreckung  seines 
litterarischen  Testamentes,  insbesondere  auch  zur  Herausgabe  seiner  nach- 
gelassenen Schriften  berufen,  beginne  ich  diese  letztere  für  jetzt  mit  der  Ver- 
öffentlichung der  Tragödie:  «Alexandre  le  Mac^donien».  Die  ferneren  Werke 
teils  gleichfalls  dichterische  (einige  poetische  Erzählungen  und  Gedanken- 
dichtungen, auch  Bruchstücke  einer  Uebersetzung  des  «Kusch-Nameh»),  teils 
historische  und  politische  (Einleitungen  zu  den  Renaissancescenen,  Aufsätze 
über  die  Ethnographie  Frankreichs  und  über  «Europa  und  Russland»,  Auf- 
zeichnungen und  Betrachtungen  zum  deutsch-französischen  Kriege  1870/71,  ein 
grösseres  Werk  über  die  dritte  Republik  u.  A.),  leider  zum  Theil  Fragment  ge- 
blieben, sollen  sich  mit  der  Zeit  in  zwangloser  Folge  anschliessen. 

L.  SchemaHH. 


Aus  der  Vorrede  zur  zweiten  Auflage. 

Schon  nach  wenig  mehr  als  Jahresfrist  ist  es  mir  vergönnt,  den  „Alexandre" 
zum  zweiten  Male  hinausgehen  zu  lassen.  Die  mancherlei  Beurteilungen  und 
Kundgebungen,  die  mir  teils  auf  öffentlichem,  teils  auf  privatem  Wege  zuge- 
gangen sind,  beweisen  zur  Genüge,  dass  das  Werk  in  der  Hauptsache  durch- 
aus auf  die  richtige  Würdigung  bei  den  Deutschen  getroffen  ist,  und  dass  sehr 
schnell  immer  mehrere  die  an  sich  für  unsere  Landsleute  so  wundersam  ab- 
schreckende Schale  des  Alexandriners  durchbrochen  haben,  um  mit  Freuden 
hier  Blut  von  unserem  Blute,  Geist  von  unserem  Geiste  zu  erkennen. 


Digitized  by  Google 


28 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


Unter  der  Presse: 


Altitalienische  Chrestomathie 


herausgegeben 

von 

DR.  PAOLO  SAVJ-LOPEZ 

Priratdozcnt  an  der  Universität  Strassburg. 


8°.    ca.  12  Bogen. 


Einem  doppelten  Zweck  soll  dieses  Werk  dienen:  zunächst  soll  es  ein 
Bild  geben  von  der  ältesten  italienischen  Litteratur  vor  dem  Zeitalter  Dantes, 
dann  aber  zuverlässiges  Material  liefern  zu  wissenschaftlichen  Übungen  in 
Seminarien  über  die  Entwickclung  der  italienischen  Sprache  und  über  die 
ersten  mundartlichen  Denkmäler  in  den  verschiedenen  Provinzen  Italiens.  Der 
Verfasser  wird  sich  bemühen,  nur  Texte  in  sicherer  Redaktion  herauszugeben, 
in  einem  Gesamtumfang,  der  für  die  Lektüre  während  eines  bis  zwei  Semestern 
ausreicht,  beginnend  mit  den  ältesten  Urkunden,  dann  Proben  von  Dichtung 
und  Prosa  zur  Veranschaulichung  der  zeitlichen  und  örtlichen  Entwickclung 
der  Sprache.  Die  Texte  sind  chronologisch  geordnet  und  reichen  bis  zum 
Entstehen  des  dolce  stil  nuovo,  also  bis  zum  Zeitalter  Dantes  —  Dante 
selbst  ausgeschlossen. 

Beim  Abdruck  der  Texte  wird  der  Verfasser  die  verschiedenen  wissen- 
schaftlichen Methoden  anwenden,  um  den  Leser  mit  einer  jeden  vertraut  zu 
machen.  Zum  Teil  wird  er  die  Texte  in  kritischer  Bearbeitung  mit  Varianten 
und  Apparat  herausgeben ;  zum  Teil  in  diplomatischer,  oder  nichtdiplomatischer 
Abschrift  (mit  Worttrennung,  Auflösung  der  Abkürzungen  etc.).  Alle  Stücke 
sind  von  einer  kurzen  Bibliographie  begleitet;  am  Schlüsse  befindet  sich  ein 
italienisch  - deutsches  Glossar. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


29 


Soeben  erschien: 

KURZE 

VERGLEICHENDE  GRAMMATIK 

DER 

INDOGERMANISCHEN  SPRACHEN. 

Auf  Grund  des  fünfbändigen  „Grundrisses  der  vergleichenden 
Grammatik  der  indogermanischen  Sprachen  von  K.  Brugmann 

und  B.  Delbrück"  verfasst 

VON 

KARL  BRUGMANN. 

ERSTE  LIEFERUNG: 
EINLEITUNG  UND  LAUTLEHRE. 
Gr.  8<\    VI,  280  S.    1902.    M.  7.—,  in  Leinwand  geb.  M.  8.— 


Der  Verfasser  spricht  sich  auf  dem  Umschlag  der  ersten  Lieferung  über 
sein  Werk  folgendermassen  aus: 

Über  den  Zweck  dieses  Buches  und  über  verschiedene  Gesichtspunkte, 
die  bei  seiner  Abfassung  für  mich  massgebend  gewesen  sind,  wird  ein  Vor- 
wort orientieren,  welches  der  Schlusslieferung  beigegeben  wird.  Für  jetzt 
möchte  ich  nur  Folgendes  bemerken. 

Diese  kurze  vergleichende  Grammatik,  welche,  wie  der  'Grundriss*, 
Lautlehre,  Formenlehre  und  Syntax  umfasst,  wird  gegen  45  Bogen  stark 
werden,  und  ich  hoffe  sie  im  Laufe  dieses  Jahres  im  Manuskript  beendigen 
zu  können,  sodass  die  Schlusslieferung  voraussichtlich  im  Frühjahr  1903  er- 
scheinen würde. 

Die  Schlusslicferung  wird  ausser  den  erforderlichen  Indices  auch  eine 
Erklärung  der  in  dem  Buch  für  Litcraturverweisungcn  usw.  gebrauchten  Ab- 
kürzungen bringen.  Einstweilen  mag  für  die  vor  1897  erschienene  Literatur 
das  im  'Grundriss'  Bd.  i*  p.  XXVII — XL  gegebene  Verzeichnis  der  Abkürz- 
ungen aushelfen,  da  die  Abkürzungsweise  dieselbe  ist. 

Die  Literaturverweise  mussten,  abgesehen  von  der  Einleitung,  die  haupt- 
sächlich zusammenfassende  Arbeiten  nennt,  auf  das  allcrnotwendigste  beschränkt 
werden.  Wo  sich,  was  besonders  bei  strittigen  Fragen  der  Fall  ist,  Hinweise 
auf  den  'Grundriss*  und  auf  meine  "Griechische  Grammatik*  rinden,  gelten 
diese  meistens  in  erster  Linie  der  dort  angegebenen  Literatur  über  die  be- 
treffende Frage. 

Ist  schon  die  vorliegende  Lautlehre  nicht  lediglich  ein  Auszug  aus  der 
Lautlehre  des  'Grundrisses',  so  wird  die  Lehre  von  den  Wortformen  diesen 
Charakter  noch  viel  weniger  zeigen  gegenüber  den  entsprechenden,  in  den 
Jahren  1889  bis  1892  erschienenen  Teilen  des  grösseren  Werkes.  Selbstver- 
ständlich mussten  und  müssen  die  Fortschritte,  die  unsere  Wissenschaft  auch 
in  den  letzten  Jahren  wieder  gemacht  hat,  dieser  kürzeren  Darstellung  nach 
Möglichkeit  zu  gute  kommen. 


Digitized  by  Google 


> 

3o  Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburo. 


GRUNDRISS 

I)KR 

VERGLEICHENDEN  GRAMMATIK 

DER 

INDOGERMANISCHEN  SPRACHEN. 

KURZGEFASSTE  DARSTELLUNG 

der  Geschichte  des  Altindischen,  Altiranischen  (Avcstischen  und  Altpersischen) 
Altarmenischen,  Altgriechischen,  Albanesischcn,  Lateinischen,  Umbrisch-Sara- 
nitischen,  Altirischen,  Gotischen,  Althochdeutschen,  Litauischen  und  Altkirchen- 

slavischen 

von  KARL  BRKiMAXN  und  BERTHOLD  DELBRÜCK 

ord.  Prorettor  der  indogermanischen  Spr»ch-  ord.  Profettor  de»  Sanikril  und  der  vergleichen- 

wittenschaft  in  Leiptlg.  den  Sprachkunde  in  Jena. 

I.  Bd.:  EINLEITUNG  UND  LAUTLEHRE  von  Karl  Brugmann, 
Zweite  Bearbeitung,  i.  Hälfte  (§  1—694).  Gr.  8°.  XL. 
628  S.    1897.  M.  16.—. 

—  —    2.  Hälfte  (§  695—1084  und  Wortindex  zum  1.  Band).  Gr.  8°. 

IX  u.  S.  623—1098.'  1897.  M  \2.—. 

Die  beiden  Hälften  des  I.  Bandes  zusammen  in  einen  Band 

in  Halbfranz  geb.  M.  31.— 

II.  Bd.:  WORTBILDUNGSLEHRE  (Stammbildungs-  und  Flexions- 

lehre) von  Karl  Brugmann.  1.  Hälfte.  Vorbemerkungen. 
Nominalcomposita.  Rcduplicierte  Nominalbildungen.  Nomina 
mit  stammbildenden  Suffixen.  Wurzclnomina.  Gr.  8°.  XIV, 
462  S.    1888.  M.  12.—. 

—  —    2.  Hälfte,  1.  Lief.:  Zahlwortbildung,  Casusbildung  der  Nomina 

(Nominaldcklination),  Pronomina.  Gr.  8°.  384  S.  1891.  M.io.— . 
■--    —    2.  Hälfte,  2.  (Schluss-)  Lief.  Gr.  8°.  XII,  592 S.  1892.  M.  14.—. 

Die  drei  Teile  des  II.  Bandes  zusammen  in  einen  Band  in 

Halbfranz  geb.  M.  40.  — . 
INDICES  (Wort-,  Sach-  und  Autorenindex)  von  Karl  Brugmann. 

Gr.  8°.  V,  236  S.  1893.     M.  6.  —  ,  in  Halbfranz  geb.  8.50. 

III.  Bd.:  SYNTAX  von  B.  Delbrück.  1.  Teil.  Gr.  8°.  VIII,  774  S. 

1893.  M.  20. — ,  in  Halbfranz  geb.  M.  23. — . 

IV.  Bd.:  —       2.  Teil.  Gr.  8°.  XVII,  560  S.    1897.  M.  15.—, 

in  Halbfranz  geb.  M.  18.—. 

V.  Bd.:       —  3.  (Schluss-)  Teil.  Mit  Indiccs  (Sach-,  Wort-  und  Autoren- 

Index)  zu  den  drei  Teilen  der  Syntax  von  C.  Cappel ler. 
Gr.  8°.  XX,  606  S.  1900.    M.  15  — ,  in  Halbfranz  geb.  M.  18.—. 

(I.  Band)  „  . . .  Der  Brugmannsche  Grundriss  wird  auch  in  der  zweiten  Auflage, 
die  wir  als  neues  glänzendes  Zeugnis  der  unermüdlichen  Arbeits-  und  Schaffenskraft 
seines  Verfassers,  zugleich  aber  auch  seines  weittragenden  und  scharfen  Blickes 
in  alle  Weiten  und  Tiefen  unserer  Wissenschaft  und  seines  sichern  und  un- 
parteiischen Urteils  in  den  schier  zahllosen  Problemen  und  Streitfragen  der 
Indogermanistik  begrüssen,  wo  möglich  in  noch  höherem  Grade,  wie  in  der 
ersten,  ein  Markstein  in  der  Geschichte  der  indogermanischen  Sprachwissen- 
schaft sein,  als  welchen  ich  ihn  mit  vollem  Fug  und  Recht  in  der  im  Jahr- 
gang 1887  Nf-  3  veröffentlichten  Besprechung  bezeichnet  habe." 

Ar.  Stolz,  Neue  philologische  Rundschau  1897  Nr.  21. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


3« 


GRUNDFRAGEN 

DER 

SPRACHFORSCHUNG 

MIT  RÜCKSICHT 
AUF  W.  WUNDTS  SPRACHPSYCHOLOGIE  ERÖRTERT 

VON 

B.  DELBRÜCK. 


8°.  VII,  180  S.    iooi.    M.  4. 


Aus  dem  Vorwort. 

Die  Schrift,  welche  ich  hiermit  dem  Wohlwollen  des  Publikums  empfehlen 
möchte,  beginnt  mit  einem  Abschnitt,  der  einem  Philosophen  vielleicht  sehr 
elementar  vorkommen  mag,  von  dem  ich  aber  hoffe,  dass  er  den  übrigen 
Lesern  willkommen  sein  wird,  nämlich  einer  kurzgefassten  vergleichenden 
Darstellung  der  Hcrbart'schen  und  der  Wundt'schen  Psychologie.  Eine  solche 
Auseinandersetzung  schien  mir  unerlässlich,  weil  niemand  die  Meinungsver- 
schiedenheit zwischen  Steinthal  oder  Paul  einerseits  und  Wundt  andererseits 
wirklich  verstehen  kann,  der  sie  nicht  bis  in  ihre  in  der  psychologischen  Grund- 
auffassung liegenden  Wurzeln  verfolgt.  An  diese  grundlegende  Darstellung 
schliesst  sich  der  bei  weitem  umfänglichere  Teil  der  vorliegenden  Schrift:  die 
Auseinandersetzung  eines  Sprachforschers  mit  den  Wundt'schen  Theorien  über 
die  wichtigsten  Probleme  des  Sprachlebens.  Dass  es  dabei  nicht  ohne  viel- 
fachen Widerspruch  abgehen  kann,  wird  derjenige  selbstverständlich  finden, 
der  sich  gegenwärtig  hält,  dass  ein  Philosoph  und  ein  Historiker  infolge  der 
überlieferten  Verschiedenheit  ihrer  Arbeitsgewohnheiten  sich  demselben  Stoff 
gegenüber  immer  verschieden  verhalten  werden.  Dazu  kommt  im  vorliegenden 
Falle,  dass  ein  Unternehmen  wie  das  Wundt'sche  einer  Fülle  von  stoßlichen 
Schwierigkeiten  ausgesetzt  ist,  die  sich  wohl  von  niemand  ganz  überwinden 
lassen.  Die  Sprachforschung  ist  ein  ungeheures  Gebiet,  auf  dem  unablässig 
gearbeitet  wird.  Wie  wäre  es  zu  vermeiden,  dass  jemand,  der  den  ganzen 
Kreis  der  dahin  gehörigen  Probleme  durchmessen  will,  sich  gelegentlich  im 
einzelnen  vergreift  oder  hinter  dem  jetzigen  Stande  der  Forschung  zurückt 
bleibt?  Habe  ich  demnach  Wundt  bei  aller  aufrichtigen  Wertschätzung  nich- 
selten  entgegentreten  müssen,  so  hat  sich  doch,  wie  man  hoffentlich  bald 
gewahr  werden  wird,  meine  Kritik  nie  auf  gleichgültige  Einzelheiten,  sondern 
immer  nur  auf  Punkte  von  principieller  Wichtigkeit  gerichtet. 

Inhalt : 

I.  Kapitel:  1.  Einleitung,  2.  Vcrgleichung  der  Herbart'schcn  und  der 
Wundt'schen  Psychologie,  3.  Das  sprachliche  Material.  —  II.  Kapitel:  Die  Ge- 
berdensprache.  —  III.  Kapitel:  Der  Ursprung  der  Lautsprache.  —  IV.  Kapitel: 
Der  Lautwandel.  —  V.  Kapitel:  Wurzeln,  Zusammensetzung.  —  VI.  Kapitel: 
Wortarten  und  Wortformen,  Kasus,  Relativum.  —  VII.  Kapitel:  Der  Satz  und 
seine  Gliederung.  —  VIII.  Kapitel:  Der  Bedeutungswandel,  Rückblick.  — 
Litteraturangaben.  —  Index. 


Digitized  by  Google 


52 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


INDOGERMANISCHE  FORSCHUNGEN 

ZEITSCHRIFT 

FÜR 

IND0GKRIAKI8CHE  SPRACH-  UND  ALTERTUMSKUNDE 

HERAUSGEGEBEN 
von 

KARL  BRUGMANN        «na      WILHELM  STREITBERG 

MIT  DEM  BEIBLATT 

ANZEIGER  FÜR  INDOGERMANISCHE  SPRACH-  UND  ALTERTUISKUNDK 

REDIGIERT  VON 

WILHELM  STREITBERG 
•     I.— XII.  Band  1891— 1901.    XIII.  Band  unter  der  Presse. 
Preis  jeden  Bandes  M.  16. — ,  in  Halbfranz  geb.  M.  18. — . 

Die  Original-Arbeiten  erscheinen  in  den  Indogermanischen  Forsch- 
ungen; die  kritischen  Besprechungen,  eine  referierende  Zeitschriftenschau, 
eine  ausführliche  Bibliographie  sowie  Pcrsonalmittcilungen  von  allgemeinerem 
Interesse  werden  als  «Anzeiger  für  indogermanische  Sprach-  und  Alter- 
tumskunde» beigegeben. 

Die  Zeitschrift  erscheint  in  Heften  von  5  Bogen  8°.  Fünf  Hefte  bilden 
einen  Band.  Der  Anzeiger  ist  besonders  paginiert  und  erscheint  in  3  Heften, 
die  zusammen  den  Umfang  von  ungefähr  15  Bogen  haben;  dieses  Beiblatt  ist 
nicht  einzeln  käuflich.  Zeitschrift  und  Anzeiger  erhalten  am  Schluss  die  er- 
forderlichen Register. 


In  Vorbereitung: 

Die 

Indogermanische  Sprachwissenschaft. 


Ihre  Methode,  Probleme,  Geschichte. 


Von 

Wilhelm  Streitberg, 

a  o.  Prt>fc<sor  der  indogermanischen  Sprach»U»cn»ch»f«  in  Muriner  i.  W. 


Das  Werk  ist  für  weitere  Kreise  berechnet  und  zugleich  als  eine  Art 
Vorschule  zu  Brugmann's  Grundriss  der  vergleichenden  Grammatik 
der  indogermanischen  Sprachen  gedacht.  Die  Methode  und  die  Auf- 
gaben der  indogermanischen  Sprachforschung,  deren  Kenntnis  dieser  beim 
Leser  voraussetzt,  sollen  hier  in  gemeinverständlicher  Form  dargestellt,  erklärt 
und  begründet  werden.  Das  Buch  will  dazu  beitragen,  das  Verständnis  für  die 
Bedeutung  der  jungen  Wissenschaft  bei  allen  auf  unseren  Gymnasien  philologisch 
Geschulten  zu  wecken  und  zu  fördern. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


33 


REALLEXIKON 

DER 

INDOGERMANISCHES  ALTERTUMSKUNDE. 

GRUNDZÜUE 

EINER 

KULTUR-  UNÜ  VÖLKERGESOHICHTE  ALTEUROPAS 

VON 

O.  SCHRÄDER, 

o.   Profe»Hor  an  Ucr  Universität  Jena. 


Lex.  8°.    XL,  1048  S.    1901.    Broschirt  M.  27.—,  in  Halbfranz  geb.  M.  30.—. 


Die  indogermanische  Altertumskunde  will  die  Ursprünge  der  Civili- 
sation  der  indogermanischen  Völker  an  der  Hand  der  Sprache  und  der 
Altertümer,  sowohl  der  prähistorischen  wie  der  geschichtlichen,  ermitteln. 
Was  auf  diesem  an  Ergebnissen  und  Streitfragen  reichen  Arbeitsgebiet  bis 
jetzt  geleistet  worden  ist,  soll  das  vorliegende  Reallcxikon  deridg. 
Altertumskunde  zusammenfassen  und  weiter  ausbauen.  Zu  diesem 
Zwecke  stellt  sich  das  Werk  auf  den  Boden  der  historisch  bezeugten 
Kultur  Alteuropas,  wo  die  Wurzeln  und  der  Schwerpunkt  der  idg.  Völker 
liegen,  löst  dieselbe  unter  geeigneten  Schlagwörtern  in  ihre  Grundbegriffe 
auf  und  sucht  bei  jedem  derselben  zu  ermitteln,  ob  und  in  wie  weit  die 
betreffenden  Kulturerscheinungen  ein  gemeinsames  Erbe  der  idg.  Vorzeit 
oder  einen  Neuerwerb  der  einzelnen  Völker,  einen  selbständigen  oder  von 
aussen  entlehnten,  darstellen.  So  kann  das  Reallcxikon  zugleich  als  Grund- 
züge einer  Kultur-  und  Völkergeschichte  Alteuropas  bezeichnet 
werden,  indem  die  Rekonstruktion  vorgeschichtlicher  Zustände  nicht  so- 
wohl Selbstzweck,  als  Hilfsmittel  zum  Verständnis  der  geschichtlichen  Ver- 
hältnisse sein  soll.  Im  allgemeinen  begnügt  sich  das  Werk  damit,  das 
erste  Auftreten  einer  Kulturcrscheinung  festzustellen  und  ihre  weitere 
Geschichte  den  Altertumskunden  der  idg.  Einzelvölker  zu  überlassen,  für 
die  das  Rcallexikon  eine  Einleitung  und  Ergänzung  sein  möchte.  Ein 
besonderer  Nachdruck  ist  auf  die  Terminologie  der  einzelnen  Kultur- 
begriffe gelegt  worden,  da  es  die  Absicht  des  Werkes  ist,  den  kultur- 
historischen Wortschatz  der  idg.  Sprachen,  was  hier  zum  ersten  Mal  ver- 
sucht wird,  als  Ganzes  sachlich  und  übersichtlich  zu  ordnen,  sowie  sprachlich 
zu  erklären.  Dabei  sind  ausser  den  eigentlichen  Kulturbegriffen  auch 
solche  Begriffe  als  selbständige  Artikel  in  das  Reallcxikon  aufgenommen 
worden,  welche  für  die  Kulturcntwicklung,  die  Wanderungen,  die  Rassen- 
zugehörigkeit der  idg.  Völker  sowie  für  die  Urheimatsfrage,  die  einer 
erneuten  Prüfung  unterzogen  wird,  irgendwie  von  Bedeutung  sein  können. 


Digitized  by  Google 


34 


Verlag  von  KARL  J.  TRUBNER  in  Strassburg. 


GRUNDRISS 

DER 

INDO-ARISCHEN  PHILOLOGIE 

UND 

ALTERTUMSKUNDE 

Begründet  von 

GEORG  BÜHLER, 

fortgesellt  von 

F.  KIELHORN, 

Professor  de«  Sanskrit  an  der  Universität  Göltingen 


In  diesem  Werk  soll  zum  ersten  Mal  der  Versuch  gemacht  werden,  einen 
Gesamtüberblick  über  die  einzelnen  Gebiete  der  indo-arischen  Philologie  und 
Altertumskunde  in  knapper  und  systematischer  Darstellung  zu  geben.  Die 
Mehrzahl  der  Gegenstände  wird  damit  überhaupt  zum  ersten  Mal  eine  zu- 
sammenhängende abgerundete  Behandlung  erfahren;  deshalb  darf  von  dem 
Werk  reicher  Gewinn  für  die  Wissenschaft  selbst  erhofft  werden,  trotzdem  es 
in  erster  Linie  für  Lernende  bestimmt  ist. 

Gegen  dreissig  Gelehrte  aus  Deutschland,  Österreich.  England,  Holland, 
Indien  und  Amerika  haben  sich  vereinigt,  um  diese  Aufgabe  zu  lösen,  wobei 
ein  Teil  der  Mitarbeiter  ihre  Beiträge  deutsch,  die  übrigen  sie  englisch  ab- 
fassen werden.  (Siehe  nachfolgenden  Plan.} 

Besteht  schon  in  der  räumlichen  Entfernung  vieler  Mitarbeiter  eine 
grössere  Schwierigkeit  als  bei  anderen  ähnlichen  Unternehmungen,  so  schien  es 
auch  geboten,  die  Unzuträglichkeit  der  meisten  Sammelwerke,  welche  durch 
den  unberechenbaren  Ablieferungstermin  der  einzelnen  Beiträge  entsteht,  da- 
durch zu  vermeiden,  dass  die  einzelnen  Abschnitte  gleich  nach  ihrer  Ab- 
lieferung einzeln  gedruckt  und  ausgegeben  werden. 

Der  Subskriptionspreis  des  ganzen  Werkes  beträgt  durchschnittlich  65  Pf. 
pro  Druckbogen  von  16  Seiten;  der  Treis  der  einzelnen  Hefte  durchschnittlich 
80  Pf.  pro  Druckbogen.  Auch  für  die  Tafeln  und  Karten  wird  den  Subskribenten 
eine  durchschnittliche  Ermässigung  von  20%  auf  den  Einzelpreis  zugesichert. 
Ober  die  Einteilung  des  Werkes  giebt  der  nachfolgende  Plan  Auskunft. 

Band  L  Allgemeines  und  Sprache. 

1)  *a.  Georg  Bühlcr.    1837— 1898.    Von  Jul.  Jolly.  Mit  einem  Bildnis  Bühlcrs 

in  Heliogravüre.  Subskr.-Preis  M.  2. — ,  Einzel-Preis  M.  2.50. 
b.  Geschichte  der  indo-arischen  Philologie  und  Altertumskunde  von  Ernst 
Kuhn. 

2)  Urgeschichte  der  indo-arischen  Sprachen  von  R.  Mcringtr. 

3)  a.  Die  indischen  Systeme  der  Grammatik,  Phonetik  und  Etymologie  von 

Ii.  Liebich. 

*b.  Die  indischen  Wörterbücher  (Koäa)  von  Tk.  Zachariae.    Mit  Indiccs. 
Subskr.-Preis  M.  2.20,  Einzel-Preis  M.  2.70. 

4)  Grammatik  der  vedischen  Dialekte  von  A.  A.  Maaioncll  (engl.) 

5)  Grammatik  des  klassischen  Sanskrit  der  Grammatiker,  der  Litteratur  und 

der  Inschriften  sowie  der  Mischdialekte  (epischer  und  nordbuddhistischer) 
von  H.  Lüders. 

*6)  Vedische  und  Sanskrit-Syntax  von  J.  S.  Speyer.   Mit  Indices. 
Subskr.-Preis  M.  4.25,  Einzel-Preis  M.  5.25. 
7)  Paligrammatiker,  Paligrammatik  von  O.  Franke. 

Fortsctiung  siehe  nächste  Seite. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


35 


Grundriss  der  indo-arischen  Philologie  (Fortsetzung). 

•8)  Grammatik  der  Prakritsprachcn  von  R.  Pisckel.    Mit  Indices. 

Subskr.-Preis  M.  17.50,  Einzel-Preis  M.  ai.50. 
9)  Grammatik  und  Littcratur  des  tertiären  Prakrits  von  Indien  von  G.A.  Grierson 
(englisch). 

*io)  Litteratur  und  Sprache  der  Singhalesen  von  IVilh.  Geifer.   Mit  Indices. 

Subskr.-Preis  M.  4.—,  Einzel-Preis  M.  5.—. 
*")  Indische  Paläographie  (mit  17  Tafeln)  von  G.  Bühler. 

Subskr.-Preis  M.  15.— ,  Einzel-Preis  M.  18. so. 

Band  II.   Litteratur  und  Geschichte. 

1)  Vedische  Litteratur  (Sruti). 

a.  Die  drei  Veden  von  K.  Geldner. 

*b.  The  Atharva-Veda  and  the  Gopatha-Brähmana  by  M.  Bloomfield  (englisch). 

Mit  Indices.    Subskr.-Preis  M.  5.40,  Einzel-Preis  M.  6.40. 

2)  Epische  Litteratur  und  Klassische  Litteratur  (einschliesslich  der  Poetik 

und  der  Metrik)  von  H.  Jacobi. 

3)  Quellen  der  indischen  Geschichte. 

a.  Litterarische  Werke  und  Inschriften  von  F.  Kielhorn  (engl.). 
*b)  Indian  Coins  (with  5  platcs)  by  E.  J.  Rapson  (engl.).    Mit  Indices. 

Subskr.-Preis  M.  5.20,  Einzelpreis  M.  6.20. 

4)  Geographie  von  M.  A.  Stein. 

5)  Ethnographie  von  A.  Baines  (engl.). 

6)  Staatsaltertümer  f  von  J.  Jolly  und 

7)  Privataltertümer  (     Sir  R.  West  (englisch). 

♦8)  Recht  und  Sitte  (cinschliessl.  der  einheimischen  Littcratur)  von  J.  Joüy. 

Mit  Indices.    Subskr.-Preis  M.  6.80,  Einzel-Preis  M.  8.30. 
9)  Politische  Geschichte  bis  zur  muhammed.  Eroberung  von  J.  F.  Fleet  (engl.). 

Band  III.   Religion,  weltl.  Wissenschaften  und  Kunst. 

i)  *a.  Vedic  Mythology  by  A.  A.  Macdonell  (engl.).    Mit  Indices. 

Subskr.-Preis  M.  8.20,  Einzel-Preis    M.  9.70. 
b.  Epische  Mythologie  von  Af.  Winternitz. 
*2)  Ritual-Litteratur,  Vedische  Opfer  und  Zauber  von  A.  Hillebrandt. 

Subskr.-Preis  M.  8.—,  Einzelpreis  M.  9.50. 
3)  Vedänta  und  Mimämsä  von  G.  Thibaut. 
*4)  Sämkhya  und  Yoga  von  R.  Garbe.    Mit  Indices.    Subskr.-Preis  M.  2.70, 

Einzelpreis  M.  3.20. 

5)  Nyäya  und  Vateesika  von  A.  Venis  (engl.). 

6)  Vaisnavas,  Saivas,    |  l  R  Q  Bhandarkar 
Sauras,  Sänapatas,   \  Bhaktimärga  {     u  ,^„uJ^!\ 
Skändas,  Säktas,      (                     |  (englisch). 

7)  Jaina  von  E.  Leumann. 

*8)  Manual  of  Indian  Buddhism  by  //.  Kern  (engl.).  Mit  Indices. 

Subskr.-Preis  M.  6.10,  Einzel-Preis  M.  7.60. 
♦9)  Astronomie,  Astrologie  und  Mathematik  von  G.  Thibaut. 

Subskr.-Preis  M.  3.50,  Einzel-Preis  M.  4.—. 
*  10)  Medizin  von  7.  Jolly.  Mit  Indices.  Subskr.-Preis  M.  6.—,  Einzel-Preis  M.  7.—. 

Auf  Grund"  dieser  Arbeit  wurde  Professor  J.  Jolly  zum  Ehrendoctor  der  medicinischen 
Facultat  der  Universität  Göttinnen  ernannt. 

11)  Bildende  Kunst  (mit  Illustrationen)  von  J.  Burgess  (engl.). 

12)  Musik. 


NB.  Die  mit  *  bezeichneten  Hefte  sind  bereits  erschienen. 

«Auch  dieirm  vierten  in  der  Reihenfolge  der  Grundrisse  möchte  man,  allen  jenen  lur  Be- 
herzigung, die  im  Zeitalter  derselben  ihre  philologische  Laufbahn  antreten,  das  Wort  mit  auf  den 
Weg  geben:  Was  du  ererbt  von  deinen  Vatem  hast,  erwirb  es,  um  es  tu  besitzen  I  Diese  Grundrisse 
haben  wie  die  Janusbildcr  zwei  Gesichter,  die  nach  entgegengesetzten  Seiten  schauen:  rückwärts  und 
vorwärts.  Durch  die  Arbeiten  der  vorangegangenen  Geschlechter,  die  sie  zusammenfassen,  legen  sie 
Zeugnis»  ab  von  der  geistigen  Energie,  die  sich  allmählich  auf  den  verschiedenen  Einzclgcbieten, 
welche  in  ihrem  inneren  und  äusseren  Zusammenschiuss  die  jedesmalige  Philologie  ausmachen,  auf- 
gespeichert hat.  Unter  diesem  Gesichtspunkt  bedeuten  sie  zugleich  deren  Reiferklärung  gewisser- 
nassen  durch  den  spontanen  Act  des  Unternehmens  als  solchen,  durch  das  in  Voraussicht  seiner 
Durchführbarkeit  geplante  Werk  selber.  Die  kommenden  Geschlechter  aber,  die  es  gebrauchen, 
werden  in  ihm  eine  gesicherte  Grundlage  ihrer  Arbeiten  finden,  und  stehen  deshalb  nicht  bloss  bleibend 
in  Dankesschuld,  sondern  tragen  auch  die  ernste  Verpflichtung,  ihrerseits  die  Summe  der  bereits  vor- 
handenen Energie  zu  vermehren,  der  Forschung  immer  neue  Wege  zu  eröffnen,  günstigere  Aussichts- 
punkte zu  erschliesscn  Mit  dem  ersten  Hefte  hat  «ich  der  indo-arische  Grundriss  vor- 
trefflich inauguriert.    Wünschen  wir  dem  kühnen  Unternehmen  einen  gleich  vortrefflichen  Fortgang». 

Littrar.  CtntralbUlt  1S96  Nr.  j6. 


Digitized  by  Google 


36 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


•  GRUNDRISS 

OER 

IRANISCHEN  PHILOLOGIE 

UNTER  MITWIRKUNG  VON 

CHR.   BARTHOLOM AE,  C  H.  ETHE,  C.  F.  GELDNER,  P.  HORN, 
A.  V.  W.  JACKSON,  F.  JUSTI.  W  MILLER,  TH.  NÖLPEKE,  C.  SALEMANN,  A.  SOCIN, 

F.  H.  WEISSBACH  und  E.  W.  WEST 

HERAUSGEGEBEN 
von 

WILH.  GEIGER  und  ERNST  KUHN. 


Inhalt: 

I.  Band.  i.  Abt. 

I.  Abschnitt.  SPRACHGESCHICHTE. 

1 )  Vorgeschichte  deri ranischen  Sprachen  Prof.  Dr.  Chr.  Bartkotomae. 

2)  Awestasprache  und  Altpersisch  Prof.  Dr.  Chr.  Bartkolomae. 

3)  Mittelpcrsisch  Akademiker  Dr.  C.  Salematm. 

I.  Band.  2.  Abt. 

4)  Ncupcrsischc  Schriftsprache  Privatdozent  Dr.  P.  Horn. 

5)  Die  übrigen  modernen  Sprachen  und  Dialekte. 

B.  BlTCh    !  ™  D'-  Geiger. 

C.  Kurdisch  Prof.  Dr.  A.  Socin. 

D.  Kleinere  Dialekte  und  Dialekt- 
gruppen a)  Allgemeines,  b)  Pamir- 
dialekte, c)  Kaspische  Dialekte 
(Mazandarüni,  etc.)  d)  Dialekte  in 

Persien.  Prof.  Dr.  IV.  Geiger. 

II.  Band. 

II.  Abschnitt.  LITTERATUR. 

1)  Awestalitteratur  Prof.  Dr.  K.  F.  Geldner. 

2)  Die  Altpersischen  Inschriften  Dr.  F.  H.  Weissbach. 

3)  Pahlavilitteratur  Dr.  E.  IV.  West. 

Mit  einem  Anhang  Uber  die  neupersische  Littcratur  der  Parsi. 

4)  Das  iranische  Nationalepos  Prof.  Dr.  Th.  Söldeke. 

5)  Neupersische  Littcratur  Prof.  Dr.  C.  II.  Ethc. 

III.  Abschnitt.  GESCHICHTE  UND  KULTUR. 

1)  Geographie  von  Iran  Trof.  Dr.  //'.  Geiger. 

2)  Geschichte  Irans  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zum  Ausgang 
der  Säsäniden  Prof.  Dr.  /'.  Justi. 

3)  Geschichte  Irans  in  islamitischer  Zeit  Privatdozent  Dr.  P.  Horn. 

4)  Nachweisung  einer  Auswahl  von  Karten  für  die  geographischen 
und  geschichtlichen  Theile  des  Grundrisses.    Von  F.  Justi. 

5)  Die  iranische  Religion  Prof.  Dr.  A.  V.  IV.  Jackson. 
GESCHICHTE  DER  IRANISCHEN  PHILOLOGIE  Prof.  Dr.  E.  Kuhn. 
Anhang:  Ossetisch  Dr.  IV.  Müler. 

Bis  jetzt  sind  erschienen: 

I.  Band,  1.  Abteil.,  Lex.  8".  VIII,  332  S.  1901.  M.  17.— 
I.      »     2.       >       Lex.  8".  VI,  535  S.  1901.  M.  27.— 
II.     »      1.  bis  4.  Lieferung  a  M.  8.—. 

Die  Schlusslieferung  des  zweiten  Bandes  ist  unter  der  Presse. 

Nöldeke,  Theodor,  Das  iranische  Na tionalepos  (Separatabdruck)  Lex.  8». 

82  S.    M.  4.50. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  IN  StRassburc. 


37 


BERNEKER.  DR.  ERICH,  DIE  PREUSSISCHE  SPRACHE. 

Texte,  Grammatik,  Etymologisches  Wörterbuch.  8°.  X,  333  S 

1896.  M.  8.- 

t  ...  Es  war  wirklich  schon  an  der  Zeit,  Ncssclmann's  «Sprache 
der  alten  Prcusscn»  durch  ein  dem  heutigen  Stand  der  Wissenschaft 
mehr  entsprechendes  Buch  zu  ersetzen  und  Berneker  hat  seine  Aufgabe 
im  Ganzen  mit  Glück  gelost.  Es  wäre  überflüssig,  den  grossen  Fortschritt, 
welchen  Bernekers  Grammatik  gegen  Ncssielmann  bedeutet,  besonders 
hervorzuheben:  wir  machen  in  dieser  Beziehung  auf  seine  Akzentlehre 
aufmerksam,  welcher  es  gelungen  ist,  nach  Fortunatow's  Vorgang  ein 
wirklich  unerwartetes  Licht  auf  das  Preussische  zu  werfen. 

Anzeiger  f.  indogerm.  Sprach-  u.  Altertumskunde.  Vif.  Hand,  3.  Heft. 

BRUCKNER,  W.,  DIE  SPRACHE  DER  LANGOBARDEN 

(Quellen   und   Forschungen,    Heft  LXXV.)    8°.  XVI,   338  S. 

1895.  M.  8  — 

«Eine  sehr  gründliche  und  gediegene  Arbeit,  die  der  Schule,  aus 
der  sie  hervorgegangen,  alle  Ehre  macht.  Die  vorliegende  Arbeit  erfüllt 
ihren  Zweck  nach  allen  Seiten,  sie  zeugt  von  guten  Kenntnissen  und  glück- 
licher Verwertung  derselben  für  die  Grammatik  wie  für  das  Wörterbuch 
und  die  Namenkunde.  Viel  unbekanntes  Matertal  ist  beigebracht  und  richtig 
gedeutet;  weniges  Dunkele  wird  wohl  auch  fernerhin  dunkel  bleiben.» 
Kluge,  l.itteraturblatt  für  germ.  und  roman.  Philologie.  I8Q$,  Nr.  12. 


BÜHLER,  GEORG,  ON  THE  ORIGIN  OF  THE  INDIAN 

Brahma  Alphabet.  Sccond  revised  Edition  of  Indian  Studies 
No.  III.  Together  with  two  Appendiccs,  on  the  Origin  of  the 
Kharosthi  Alphabet  and  of  the  so-called  Lctter-Numcrals  of  the 
Brahmi.  With  three  plates.   Gr.  8°.  XIII,  124  S.  1898.  M.  5. — 


CAPPELLER,  CARL,  SANSKRIT-WÖRTERBUCH.  Nach 

den  Petersburger  Wörterbüchern  bearbeitet.  Lcx.-8°.  VIII,  541  S. 

1887.  M.  15. — ,  in  Halbfranz  geb.  M.  17.— 

«Der  Verf.  sucht  mit  seinem  Werk  einen  doppelten  Zweck  zu  er- 
reichen. Einerseits  will  er  zu  Böhtling^s  Chrestomathie  und  einigen 
andern  wichtigern  Texten  ...  ein  Spezialwörterbuch  liefern,  das  für  die 
ersten  Jahre  des  Sanskrit-Studiums  genügen  soll,  und  hiermit  kommt 
er  einem  entschiedenen  Bedürfnis  von  Lehrenden  und  Lernenden  ent- 
gegen. Anderseits  will  er  aber  auch  dem  vergleichenden  Sprachforscher 
das  für  seine  Zwecke  dienliche  Material  in  möglichst  bequemer  Weise 
an  die  Hand  geben  .  .  .  Bei  der  Verfolgung  dieses  Doppclzweckcs  zeigt 
der  Verf.  überall  die  grösste  Sorgfalt  und  Umsicht,  und  die  gediegene 
Arbeit  verdient  in  jeder  Hinsicht  volle  Anerkennung  .  .  .> 

Deutsche  Litteraturzeitung  iSSj  Nr.  16. 

HÜBSCHMANN,  H.,  PERSISCHE  STUDIEN.    8°.    286  S. 

1895.  M.  10.— 

«Der  erste  Theil  bringt  eine  stattliche  Anzahl  von  Nachtragen  und 
Verbesserungen  zu  Horn's  Grundriss  der  neupersischen  Etymologie.  Dem 
über  dieses  Buch  gefällten  durchaus  sachlichen  Urtheile  pflichtet  Ref. 
vollkommen  bei;  trotz  gewisser  ihr  anhaftender  Mangel  ist  Horn's  Arbeit 
von  grossem  Nutzen  und  wird  anregend  wirken.  Ja,  sie  hat  dies  bereits 
grthan;  denn  auf  ihr  beruht  zum  grossen  Theile  die  «neupersische  Laut- 
lehre», welche  die  zweite  Hälfte  des  Hübschmannschen  Buches  füllt 
Diese  «Lautlehre»  ist  ausserordentlich  reich  an  Kinzelergcbnissen,  ohne 
Zweifel  wird  sie  auf  lange  Zeit  hinaus  die  feste  Grundlage  für  die  fernere 
wissenschaftliche  Erforschung  der  neupersischen  Sprache  bilden.  Der 
Verf.  hat  (und  dies  ist  vielleicht  das  Hauptverdienst  unseres  Buches)  die 
Grundlagen  für  eine  geschichtliche  Betrachtung  der  persischen  Sprache 
und  ihrer  Lntwickclung  geschaffen.»   Literarisches  Centraiblatt  iSo<  Ar.  ?.?. 


Digitized  by  Google 


38 


VtRLAG  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


HUTH,  DR.  GEORG,  GESCHICHTE  DES  BUDDHISMUS 

in  der  Mongolei.     Aus  dem  Tibetischen  des  Jigs-med  nam- 

mk'a  herausgegeben,  übersetzt  und  erläutert. 

I.  Teil:  Vorrede,  Text,  kritische  Anmerkungen.     Gr.  8°.  X, 

296  S.  1892.  M.  20. — 

II.  Teil:  Uebersetzung.    Nachträge  zum  ersten  Teil.    Gr.  8°. 

XXXII,  456  S.    1896.  M.  30— 

«Man  darf  behaupten,  dass  mit  der  Uebertragung  dieses  bedeu- 
tenden historischen  Werkes,  das  ein  hoher  geistlicher  Würdenträger  1S18 
verfasste,  unsrer  Wissenschaft  neue  Bahnen  und  Ziele  gewiesen  werden 
in  philologischer  wie  historischer  Beziehung,  dass  hier  bisher  unbekannte 
und  vertiefte  Erkenntni.squellen  für  die  gesamte  Cultur  der  Völker  Inner- 
asiens  im  reichsten  Mas.se  zum  erstenmal  erschlossen  werden.» 

Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung.    iSyö.    Nr.  238. 


JENSEN,  P.,  HITTITER  UND  ARMENIER.   Mit  10  lithogra- 
phischen Schrifttafeln  und  einer  Übersichtskarte.  Gr.  8°.  XXVI, 

255  S.  1898.  M.  25.— 

Inhalt:  I.  Das  Volk  und  das  Land  der  Hatio-Hayk'.  —  II.  Die  hatisch- 
armenischen  Inschriften.  A.  Liste  der  bekannten  Inschriften.  B.  Trans- 
scriptions- und  Übersetzungsversuche.  —  III.  Das  hatisch-armenischc 
Schriftsystem.  A.  Die  Schriftzeichen  und  ihre  Verwendung.  Mit  einem 
Anhang  B.  Das  ägyptische  Vorbild  des  hatischen  Schriftsystems. 
C.  Palacoarmcnischer  Ursprung  der  hatischen  Schrift.  IV.  Die  Sprache  der 
Haticr  und  das  Armenische.  A.  Grammatisches.  B.  Lexikalisches.  C.  Der 
Lautbestand  der  hatischen  Sprache  im  Verhältnis  zu  dem  des  Indo- 
germanischen und  des  Armenischen.  —  V.  Zur  hatisch-armenischen  Reli- 
gion A.  Hatische  Guttcrzcichen.  B.  Hatische  Götternamen.  C.  Hatische 
Götter.  D.  Einfluss  des  syrischen  Cultus  auf  den  der  Haticr.  E.  Die 
Religion  der  Haticr  und  die  der  Armenier.  •  VI.  Zur  hatisch-armenischen 
Geschichte.  ---  Nachträge.  Verzeichnisse. 


LUICK,   K.,   UNTERSUCHUNGEN    ZUR  ENGLISCHEN 

Lautgcschichtc.    8°.    XVIII,  334  S.    1896.  M.  9.— 

«Der  Verfasser  hat  schon  durch  kleinere  Arbeiten  seine  hervor- 
ragende Befähigung  für  lautgcschichtlichc  Untersuchungen  bewiesen; 
durch  diese  neueste  Leitung  thut  er  es  in  verstärktem  Masse.  In  vielen 
Dingen  stimmt  man  ihm  sofort  zu  .  .  .  Wir  erkennen  freudig  an,  dass 
jede  Seite  von  gediegenem  Wissen  und  grossem  Scharfsinne  zeugt,  Vieles 
von  neuen  Standpunkten  aus  behandelt  ist  und  sichere  Ergebnisse  in 
stattlicher  Fülle  gewonnen  worden  sind.» 

Literarisches  Centrai  Hat  t  iS<X>  .\'r.  4?. 


von  PLANTA,  R.,  GRAMMATIK  DER  OSKISCH-UMBRI- 

schen  Dialekte. 

I.  Band:  Einleitung  und  Lautlehre.  8°.  VIII,  600S.  1892.  M.  15.-- 
II.  Band:  Formenlehre,  Syntax,  Sammlung  der  Inschriften  und 
Glossen,  Anhang,  Glossar.  8°.  XX,  765  S.  1897.  M.  20.-- 
« Nachdem  die  Sprachwissenschaft  die  oskisch-umbrischen  Dialekte 
längere  Zeit  ziemlich  abseits  hat  liegen  lassen,  herrscht  jetzt  auf  diesem 
Forschungsgebiet  wieder  ein  erfreulich  reges  Leben.  Fast  gleichzeitig 
sind  drei  grössere  Arbeiten  ersc  hienen,  die  sich  mit  der  Lautgeschichte 
dieser  Mundarten  beschäftigen.  Davon  ist  die  umfassendste  und  bedeu- 
tendste das  uns  vorliegende  Buch  eines  jungen  Schweizers.  .  .  .  Wir 
behalten  uns  vor,  auf  das  Werk  nach  Erscheinen  des  zweiten  Bandes 
etwas  ausfuhrlicher  zurückzukommen.  Für  jetzt  sei  nur  noch  bemerkt, 
dass  wir  es  mit  einer  auf  gründlichstem  Studium  beruhenden,  durchaus 
soliden  und  in  manchen  Beziehungen  geradezu  musterhaften  Arbeit  zu 
thun  haben,  die  als  ein  die  gesammte  bisherige  Forschung  zusammen- 
fassendes Handbuch  für  jeden,  der  sich  mit  den  altitalischcn  Sprachen 
beschäftigt,  unentbehrlich  sein  wird.»  Lit«vart«  hex  Cm(raWt,tt  1W  .\Y.  10. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburo 


39 


SAMMLUNG  INDOGERMANISCHER  WÖRTERBÜCHER: 

I.  Hübschmann,  H.,  Etymologie  und  Lautlehre  der  osseti- 
schen Sprache.    8°.    VIII,  151  S.    1887.  M.  4.— 

II.  Feist,  Dr.  S.,  Grundriss  der  gotischen  Etymologie.  8°. 
XVI,  167  S.    1888.  M.  5.— 

III.  Meyer,  Gustav,  Etymologisches  Wörterbuch  der  albancsi- 
schcn  Sprache.    8°.    XV,  526  S.    1891.  M.  12. — 

IV.  Horn,  Paul,  Grundriss  der  neupersischen  Etymologie.  8°. 
XXV,  386  S.    1893  M.  15.— 

V.  Leumann,  E.  u.  J.,  Etymologisches  Sanskrit  Wörterbuch. 

(In  Vorbereitung.) 


SCHUCHARDT,  H,  ROMANISCHES  UND  KELTISCHES. 

Gesammelte  Aufsätze.  8°.  VIII,  408  S.  1886.  M.  7.  50,  geb.  M.  8.50 
Inhaltsverzeichniss:  I.  Pompci  und  seine  Wandinschrificn.  — 
II.  Virgil  im  Mittelalter.  —  III.  Boccaccio.  —  III.  Die  Geschichte  von  den 
drei  Ringen.  —  V.  Aridst.  —  VI.  Camoens.  —  VII.  Zu  Caldcrons  Jubel- 
feier. —  VIII.  Goethe  und  Calderon  —  IX.  G.  G.  Belli  und  die  römische 
Satire.  —  X.  Eine  portugiesische  Dorfgeschichte.  —  XI.  Lorenzo  Stecchetti. 
—  XII.  Reim  und  Rhythmus  im  Deutschen  und  Romanischen.  — 
XIII.  Liebesmetaphern.  —  XIV.  Das  Französische  im  neuen  Deutschen 
Reich.  —  XV.  Eine  Diezstiftung.  —  XVI.  Französisch  und  Englisch.  — 
XVII.  Keltische  Briefe.  —  Anmerkungen. 


WIEDEMANN,    O.,    HANDBUCH  DER  LITAUISCHEN 

Sprache.  Grammatik.  Texte.  Wörterbuch.  8°.  XVI,  354  S.  1896. 

M.  9.— 

»Seit  langen  Jahren  schon  hat  jeder,  der  Vorlesungen  über  litauische 
Sprache  zu  halten  gezwungen  ist,  den  Mangel  eines  passenden  Handbuches 
aufs  Schmerzlichste  empfunden.  .  .  .  Wiedemann,  der  verdiente  Ver- 
fasser der  scharfsinnigen  Monographie  über  das  litauische  Präteritum,  darf 
des  Dankes  bei  Lehrer  wie  Schüler  gewiss  sein  .  .  .  Ein  ausführliches 
Wörterbuch  macht  den  Bcschluss,  so  dass  der  Band  Alles  umfasst,  was 
der  Anfänger  nöthig  hat.  ...»  Liter ar,  Cenlralblatt  /Syj  AV.  6. 


KARST.    JOSEF,    HISTORISCHE    GRAMMATIK  DES 

Kilikisch-Armcnischcn.    8°.   XXIII,  444  S.   Mit  2  Tafeln.  1901. 

M.  15.— 

«.  .  .  M.  J.  Karst  ne  pouvait  que  faire  ceuvre  eminemment  utile;  le 
travail  a  ete"  fait  avec  un  soin  extreme;  quant  ä  la  methode,  il  suffit 
pour  en  garantir  la  correction  de  rappeler  que  l'auteur  est  le  digne  eMeve 
de  M.  Hübschmann  ä  qui  l'ouvrage  est  dedic  ....  Son  ouvrage  marque 
un  progres  important  ....  Kcvue  entufue  iyo/.  Av.  J5. 


WREDE,   FERD.,    UBER  DIE  SPRACHE  DER  WAN- 

dalcn.  Ein  Beitrag  zur  germanischen  Namen-  u.  Dialektforschung. 
(Quellen  u.  Forschungen,  Heft  LIX.)  8".  VI,  119  S.  1886.   M.  3  — 

 ÜBER  DIE  SPRACHE  DER  OSTGOTEN  IN  ITALIEN. 

(Quellen  u.  Forschungen,  Heft  LXVIII.)  8a.  VII,  208  S.  1891.  M  4-  - 


Digitized  by  Google 


I 


40  Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  L\-  Strassburo 


UNTERSUCHUNGEN 

ZUR 

GRIECHISCHEN  LAUT-  UND  VERSLEHRE 

VON 

FELIX  SOLMSEN, 

a.  o.  Professor  der  indogermanischen  Sprachwissenschaft  an  der  Universität  Bonn. 

8«.    IX,  322  S.  1901.    M.  8.— 

.  .  .  Das  Buch  von  Solmsen  bildet  eine  wertvolle  Ergänzung  zu  den 
„Quaestiones  epicae",  an  die  es  sich  in  wesentlichen  Stücken  teils  berichtigend, 
teils  ergänzend  anschliesst.  Es  beruht  auf  ausgedehnter  Kenntnis  der  griechischen 
Dialekte  und  behandelt  die  schwierigen  Fragen  der  Laut-  und  Verslehre  mit 
grosser  Gründlichkeit  und  Sorgfalt.  Es  ist  reich  an  neuen  und  anregenden 
Gedanken  und  Vorschlägen  und  nimmt  auch  dar  wo  man  nicht  ohne  weiteres 
beistimmen  kann,  das  Interesse  des  Lesers  in  Anspruch. 

Berliner  philologisch*  Wochetischrift  1902.    No.  6. 


STUDIEN 

ZUR 

LATEINISCHEN  LAUTGESCHICHTE 

VON 

FELIX  SOLMSEN. 

8".    VIII,  208  S.    1894.    M.  5.50. 

„Drei  Aufsätze  und  drei  Excurse  bilden  den  Inhalt  der  Schrift :  I.  Der 
Wandel  von  v»V  in  vö-  und  von  vö-  in  vö-  im  Wortanlaut;  II.  Der  Wandel  von 
que-  in  cö;  III.  Der  Schwund  des  v  zwischen  Vocalen.  Sodann:  1)  Weiteres 
zur  Bildung  der  2.  Sg.  Imp.  Act.  der  unthematischen  Verba  im  Lateinischen; 
2)  Der  Plur.  Ind.  Präs.  und  das  Präteritum  des  Vcrbums  „wollen"  im  West- 
germanischen; 3)  Reste  der  indogermanischen  Flexion  von  dieus  im  Lateinischen 
und  Verwandtes.    Sach-  und  Wortregister  bilden  den  Schluss  .  .  . 

Die  von  Sachkenntnis  und  Methode  zeugende  Schrift  bedeutet  einen 
wesentlichen  Fortschritt  auf  dem  viclumstrittcncn  Gebiet." 

Littrar.  Centraiblatt  1895  Nr.  20. 

„Lange  Zeit  ist  das  Lateinische  von  den  Sprachvergleichern  etwas  stief- 
mütterlich behandelt  worden  und  infolge  dessen  in  viel  höherem  Grade  als 
das  Griechische  der  Tummelplatz  für  einen  Dilettantismus  geblieben,  der  blosse 
Einfälle  und  willkürliche,  durch  keine  Analogien  gestützte  oder  zu  stützende 
Behauptungen  für  Wissenschaft  ausgibt.  Erst  in  den  letzten  drei  Jahren  ist 
von  verschiedenen  Seiten  auch  dieses  Gebiet  energisch  und  mit  grossem  Er- 
folge in  Angriff  genommen  worden.  Den  Forschungen  von  F.  Skutsch,  den 
Arbeiten  von  Parodi  gesellen  sich  als  Drittes  die  Untersuchungen  von  Solmsen 
bei,  die  in  trefflicher  Vereinigung  sprachwissenschaftlicher  und  philologischer  1 
Kenntnisse,  in  feinsinniger  Scheidung  dessen,  was  einzelsprachlichc  Entwicklung 
ist,  von  dem,  was  in  die  Urzeit  hinaufreicht,  in  strenger  Beobachtung  der 
historischen  Folge  überlieferter  Formen  als  eine  vorzügliche  Leistung  bezeichnet 
werden  dürfen  .  .  ."  Zeitschrift  f.  d.  österr.  Gymnasien  iSyj.    Heft  l. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  ra  Strassbürg. 


4» 


DIE  GRIECHISCHE  SPRACHE 

im 

Zeitalter  des  Hellenismus 

Beiträge  zur  Geschichte  und  Beurteilung  der  koivo,. 

Von 

Albert  Thumb 

a.  o.  Professor  an  der  Universität  Freiburg  i.  B. 
8».  VIII,  273  S.  1901.    M.  7.-. 

Die  Erforschung  der  hellenistischen  Sprache  oder  tcoivn.  hat  in  den  letzten 
Jahren  einen  erfreulichen  Aufschwung  genommen,  der  sowohl  der  biblischen 
wie  der  profanen  Graecität  zu  gut  gekommen  ist.  Dabei  ist  aber  auch  recht 
fühlbar  geworden,  wie  vieles  noch  auf  diesem  erst  durch  die  Inschriften  und 
Tapyri  recht  erschlossenen  Gebiet  zu  thun  ist,  bis  wir  die  Geschichte  der 
griechischen  Sprache  von  Alexander  dem  Grossen  bis  zum  Ausgang  des  Alter- 
tums völlig  überschauen.  Das  vorliegende  Buch  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt, 
die  Probleme  und  Desiderata  der  Koiv^forschung  zu  skizzieren  sowie  einige 
Kapitel  aus  der  Geschichte  der  icoivn,  auf  Grund  des  bisher  Geleisteten  zu  be- 
handeln oder  teilweise  durch  eigene  Untersuchungen,  die  jedoch  nur  den 
Charakter  von  Stichproben  aus  dem  reichen  Qucllenmaterial  haben,  weiterzu- 
führen. Der  Verfasser  hielt  es  für  seine  besondere  Aufgabe,  die  innigen  Be- 
ziehungen zwischen  der  tcoivn,  und  dem  Neugriechischen  überall  zu  betonen 
und  dadurch  für  die  Forschung  methodische  Grundsätze  aufzustellen,  deren 
Befolgung  für  die  weitere  gedeihliche  Arbeit  auf  diesem  Gebiet  unerläßlich  ist. 
Das  Buch  wendet  sich  an  alle,  welche  der  Geschichte  der  griechischen  Sprache 
Interesse  entgegenbringen,  besonders  auch  an  die  Theologen,  welche  die  Bibel- 
forschung in  engste  Fühlung  zu  den  erörterten  Problemen  bringt;  indem  der 
Verfasser  den  heutigen  Stand  der  icoivn,forschung  zusammen fasst  und  dazu 
Stellung  nimmt,  hofft  er  nicht  nur  das  erwachte  Interesse  an  diesen  Fragen 
rege  zu  erhalten,  sondern  auch  in  weiteren  Kreisen  neues  Interesse  für  den 
Gegenstand  zu  gewinnen.  Die  Darstellung  gliedert  sich  in  folgende  6  Kapitel: 
I.  Begriff  der  icorvn,  und  Methoden  der  Forschung.  II.  Der  Untergang  der  alten 
Dialekte.  III.  Dialektreste  in  der  tcoivn..  IV.  Der  Einfluss  nichtgriechischer  Völker 
auf  die  Entwicklung  der  hellenistischen  Sprache.  V.  Dialektische  Differenzierung 
der  koivtj;  die  Stellung  der  biblischen  Graecität  innerhalb  derselben.  VI.  Ursprung 
und  Wesen  der  koiv^.  —  Beigefügt  ist  ein  grammatisches  und  ein  Wortregister. 


THUMB,  DR.  ALBERT,  HANDBUCH  DER  NEUGRIECHI- 

schen  Volkssprache.  Grammatik,  Texte  und  Glossar.  8°.  XXV, 

240  S.  mit  einer  lithogr.  Schrifttafel.  1895.  M.  6. — ,  geb.  M.  7.— 

cEndlich  einmal  eine  brauchbare  Grammatik  der  neugriechischen 
Volkssprache,  ein  Buch,  das  nicht  jenes  aus  allen  möglichen  Formen  zu- 
sammengebraute Kauderwelsch  der  Zeitungen  und  Bücher,  sondern  die 
in  gesetzmäßiger  Entwicklung  entstandene  lebendige  Sprache  der  Gegen- 
wart lehrt!  Th.  hat  es  verstanden,  den  wichtigsten  Sprachstoff  auf  sehr 
knappem  Räume  mitzuteilen,  indem  er  sich  auf  die  Verzeichnung  der 
Thatsachen  mit  den  unentbehrlichsten  Erklärungen  beschränkte  .  .  . 
Hundertmal  bin  ich  nach  einem  praktischen  Handbuch  der  neugriechischen 
Volkssprache  gefragt  worden,  und  stets  war  ich  in  Verlegenheit,  was  ich 
den  Leuten  eigentlich  nennen  sollte;  die  gleiche  Verlegenheit  drückte 
mich  jedesmal,  wenn  ich  eine  Vorlesung  über  neugriechische  Grammatik 
hielt  und  den  Zuhörern  zur  Vereinfachung  und  Erleichterung  des  Unter- 
richts etwas  Gedrucktes  in  die  Hand  geben  wollte.  Wer  die  Not  so  an 
eigenster  Haut  gefühlt  hat,  wird  dem  Verfasser  für  seine  schöne  Arbeit 
doppelt  dankbar  sein  .  .  .»  Byzantinische  Zeitschrift  iSfS  S.  220 


Digitized  by  Google 


42 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER.  in  Strassburg. 


ANONYMUS  ARGENTINENSIS 

FRAGMENTE 

ZUR 

GESCHICHTE  DES  PERIKLEISCHEN  ATHEN 

AUS  EINEM 

STRASSBURGER  PAPYRUS 

HERAUSGEGEBEN  UND  ERLÄUTERT 
VON 

BRUNO  KEIL 

MIT  ZWEI  TAFELN  IN  LICHTDRUCK.    8°.    XII,  34 1   S.   19OI.  M.  10.—. 

Inhalt:  I.  Der  Papyrus  und  seine  Erhaltung.  —  II.  Lesungen  und  Ergänzungen.  — 
III.  Geschichtliche  Prüfung  und  Werthung.  —  IV.  Der  Epitomator  und  seine  Vorlage. 

Beilagen.  I.  Zur  athenischen  Marincverwaltung.  —  II.  Zum  athenischen  Gerichts- 
wesen. —  III.  Ueber  einige  Werthverhaltnisse  au(  griechischen  Inschriften.  —  IV.  Die  Be- 
richte über  den  thcmistokleischen  Mauerbau.  —  V.  Zur  Niketempelinschrift. 

Register. 

Das  Papyrusblatt,  oder  richtiger,  die  rechte  Hälfte  eines  Blattes,  die  hier 
veröffentlicht  ist,  lässt  nur  von  der  Hälfte  der  26  Zeilen  eine  Ergänzung  zu, 
und  was  darin  neues  steht,  ist  I..  dass  der  Schatz  von  Delos  in  der  Höhe  von 
über  5000  Talenten  auf  Antrag  des  Perikles  im  J.  450/49  nach  Athen  überführt, 
bald  darauf  dem  Rath  die  Sorge  für  die  Flotte  übertragen  und  der  Bau  von 
100  neuen  Schiffen  beschlossen  worden  ist;  2.  dass  wahrscheinlich  457  56  eine 
Baukommission  für  die  Burg  eingesetzt  ist.  Hiervon  ist  aber  schon  ein  Theil 
Kombination. 

Wenn  daraus  ein  so  stattliches  Buch  gemacht  ist,  so  muss  der  Heraus- 
geber das  Beste  dazu  gethan  haben;  und  in  der  That,  wenn  dies  Buch  den 
grössten  Fortschritt  darstellt,  den  unser  Verständniss  der  Pentekontaetie  seit 
dem,  was  die  aristotelische  Politie  unmittelbar  oder  mittelbar  brachte,  gemacht 
hat,  so  danken  wir  das  nicht  dem  Strassburgcr  Anonymus,  sondern  dem  Strass- 
burger  Professor.  Darin  liegt  weiter,  dass  er  vielerlei  bringt,  was  seine  Heraus- 
geberpflicht  nicht  forderte,  dass  wir  aber  sehr  bedauern  müssen,  nicht  auch  die 
Exkurse  zu  lesen,  die  er  schliesslich  unterdrückt  hat.  Der  Leser  hat  den  Ein- 
druck, dass  hier  ein  Mann  redet,  der  in  der  litterarischen  und  der  monumentalen 
Ueberlieferung  glcichermaassen  zu  Hause  ist,  die  Redner  und  Historiker,  die 
Steine  und  die  indirekte  Ueberlieferung  souverän  beherrscht,  der  sich  vor 
mühseligen  Rechnungen  ebenso  wenig  scheut  wie  vor  dem  Fluge  der  Hypothese, 
aber  der  durch  eins  gehemmt  wird,  durch  die  Uebcrfüllc  seines  Wissens  und 
seiner  Gedanken.  Ein  solches  Buch  bedarf  und  verträgt  eigentlich  keine  An- 
zeige. Es  zwingt  der  Wissenschaft  ihre  nächste  Thätigkeit  auf;  sie  muss  es 
gemessen  und  verdauen.  So  sei  nur  auf  eine  Anzahl  Punkte  beispielsweise 
verwiesen,  die  vielleicht  nur  zufällig  dem  Ref.  besonders  wichtig  erscheinen. 
Die  Baugeschichte,  Befestigung  und  Entfestigung  der  Burg  scheint  definitiv* 
festgestellt,  wobei  die  auswärtige  und  innere  Politik  Licht  eben  sowohl  giebt 
als  empfängt.  Die  Geschichte  der  athenischen  Flotte  ist  ganz  ungemein  ge- 
fördert. Ebenso  die  Münzgeschichte  der  hellenistischen  Zeit.  Das  Zeitmaass 
der  Plaidoycrs  vor  den  athenischen  Gerichtshöfen  ist  in  geistreicher  Weise  für 
die  erhaltenen  Reden  verwerthet.  Das  für  die  Erklärung  des  Thukydides, 
Aristoteles,  der  Inschriften  sehr  viel  abfällt,  braucht  kaum  gesagt  zu  werden: 
der  Verf.  weiss  eben,  dass  ..das  Heil  unserer  Wissenschaft  in  der  Interpretation 
beruht";  sein  Schlusswort  zeigt  in  sehr  beherzigenswerthen  Worten,  wie  das, 
was  manchen  als  Kärrnerarbeit  der  ancilla  historuic  erscheint,  die  wahrhaft 
königliche,  weil  dauernd  fruchtende  Kunst  ist. 

Deutsche  Litteraturzatung  lyor  AV.  4$  (U.  v.  Wilamawitz-Moelkudorß). 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


43 


GRIECHISCHE 

GESCHICHTE 

VON 

JULIUS  BELOCH. 

Erster  Band:  Bis  auf  die  sophistische  Bewegung  und  den 
peloponnesischen  Krieg. 

Gr.  8°.  XII,  637  S.  1893.  Broschirt  M.  7.50,  in  Halbfranz  geb.  M.  9.50 

Zweiter  Band:  Bis  auf  Aristoteles  und  die  Eroberung  Asiens 

Mit  Gesamtregistcr  und  einer  Karte. 

Gr.  8°.  XIII,  720  S.  1897.  Brosch.  M.  9.—,  in  Halbfranz  geb.  M.  11.—. 
I.  u.  II.  Band  complet  in  2  Halbfranzbände  gebunden  M.  20.—. 

«...  Wir  haben  hier  ein  Buch  vor  uns,  das  unbedingt  zu  den  bedeut- 
samsten Erscheinungen  der  geschichtlichen  Litteratur  der  letzten  Zeit  zu  rechnen 
ist.  Beloch  betont  selbst,  dass  er  das  Gebäude  fast  überall  von  den  Grund- 
lagen neu  aufgeführt  habe  und  manche  Gebiete,  wie  die  Wirtschaftsgeschichte, 
bei  ihm  zum  er  stenmal  zu  ihrem  Recht  kommen;  ebenso,  dass  er  kein  Neben- 
einander von  Sondergeschichten  (athenische,  spartanische  u.  s.  w.)  biete, 
sondern  die  Entwicketung  der  ganzen  hellenischen  Nation  von  einheitlichen 
Gesichtspunkten  zu  erfassen  suche.  Dabei  hüte  er  sich,  ein  Phantasicgcmäldc 
der  ältesten  Zeit  zu  entwerfen,  und  richte  seine  Absicht  vielmehr  darauf,  nur 
das  mitzuteilen,  was  wir  auf  Grund  des  archäologischen  Befundes,  des  homer. 
Epos,  der  sprachgeschichtlichen  Forschung  mit  Sicherheit  zu  erkennen  ver- 
mögen. Man  wird  nicht  bestreiten  können,  dass  alle  diese  Züge,  in  denen 
Beloch  selbst  die  charakteristischen  Merkmale  seiner  Art  zu  forschen  und  zu 
arbeiten  erblickt,  wirklich  in  dem  Buche  hervortreten. 

....  Wir  hoffen,  dass  das  gediegene  Werk  den  Absatz  findet,  den  es  ver- 
dient, und  wüssten  denen,  welche  sich  in  verhältnismässiger  Kürze  über  den 
jetzigen  ungefähren  Stand  unseres  Wissens  von  griechischer  Geschichte  unter- 
richten wollen,  nichts  Besseres  als  Beloch  zu  empfehlen.  In  2  Bänden  wird 
der  ganze  Stoff  völlig  bewältigt  werden  und  zwar  so,  dass  neben  einem  an- 
ziehend, manchmal  glänzend  geschriebenen  Text,  zahlreiche  Anmerkungen 
hergehen,  die  alle  wesentlichen  Quellen-  uud  Litteraturnachweise  darbieten  .  .  .  . 
Die  Ausstattung  des  Werkes  ist  vorzüglich;  der  Preis  von  7  M.  50  Pfg.  für 
40  Bogen  ein  überaus  massiger.» 

Prof.  G.  Fgelhaaf,  Würlt.  Korrespcmdcvzblatt  f.  Gelehrten-  u.  Realschulen,  1S94  Heft  /. 

«Der  eigentliche  Vorzug  des  Werkes  liegt  auf  dem  Gebiete  der  Dar- 
stellung d  er  wirtschaftlichen  und  socialen  Grundlagen  des  Lebens, 
in  denen  B.  die  materiellen  Grundlagen  erkennt,  auf  denen  sich  die  gross- 
artigen Umwälzungen,  auch  der  geistigen  und  politischen  Entwickclung  voll- 
zogen. Da  B.  gerade  in  dieser  Beziehung  das  Material  beherrscht,  wie  nicht 
leicht  ein  anderer  Forscher,  so  durfte  man  hierin  von  seiner  Darstellung  Aus- 
führliches und  Vorzügliches  erwarten  ....  Glanzpunkte  sind  der  VII.  Abschnitt: 
Die  Umwälzung  im  WiiUsch.nltsleben  (vom  7.  zum  6.  Jahrh.)  und  der  XII.  : 
Der  wirtschaftliche  Aufschwung  nach  den  Perserkriegen  ....  Uebcr  die  Be- 
völkerungsvcrhältnissc,  über  die  Getreideeinfuhr,  über  das  Aufhören  der 
Natural-  und  den  Beginn  der  Geldwirtschaft,  die  Erträgnisse  der  Industrie  und 
des  Handels,  über  Zinsen,  Arbeitslöhne  etc.  erhalten  wir  die  eingehendsten 
Aufschlüsse  und  wundern  uns,  wie  diese  wichtigen  Dinge  bei  der  Dar- 
stellung der  griechischen  Geschichte  bisher  unberücksichtigt 
bleiben  konnten.  .  .  .  Die  Form  der  Darstellung  ist  eine  ausserordentlich 
gewandte  und  fliessende.  >    Bl.  f.  d.  Gymnasialschulwcscn,  XXX.  Jalir^.  S.  671. 


Digitized  by  Google 


44 

<  


VERLAG  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


GESCHICHTE 

PER 

GRIECHISCHEN  PLASTIK 

VON 

MAXIME  COLLIGNON 

aiToLHO  d«s  Institut«,  i»«ork*«o*  AN  t>«R  vmvtmult  im  nma. 


Erster  Band :  Anfänge.  —  Früharchaische  Kunst.  —  Reifer  Archaismus. 
—  Die  grossen  Meister  des  V.  Jahrhunderts.  Ins  Deutsche  über- 
tragen und  mit  Anmerkungen  begleitet  von  Eduard  Thraemer, 
a.  o.  Professor  an  der  Universität  Strassburg.  Mit  12  Tafeln  in 
Chromolithographie  oder  Heliogravüre  und  2S1  Abbildungen  im 
Text.  Lex.  8°.  XV,  592  S.  1897.  Broschirt  M.  20.—,  in  eleg. 
Halbfranzband  M.  25. — . 

Zweiter  Band:  Der  Einfluss  der  grossen  Meister  des  V.Jahrhunderts.  — 
Das  IV.  Jahrhundert.  —  Die  hellenistische  Zeit.  —  Die  griechische 
Kunst  unter  römischer  Herrschaft.  Ins  Deutsche  übertragen  von 
Fritz  Baumgarten,  Professor  am  Gymnasium  zu  Freiburg  i.  B. 
Mit  12  Tafeln  in  Chromolithographie  oder  Heliogravüre  und  377 
Abbildungen  im  Text.  Lex.  8°.  XII,  763  S.  1898.  Broschirt 
M.  24. — ,  in  cleg.  Halbfranzband  M.  30. — . 

Urteile  der  Presse. 

„Collignon's  Histoire  de  la  sculpture  grecque  ...  hat  mit  Recht  überall 
eine  sehr  günstige  Aufnahme  gefunden.  Der  Verf.  steht  von  vorn  herein  aul 
dem  Boden,  der  durch  die  umwälzenden  Entdeckungen  der  letzten  Jahrzehnte 
geschaffen  ist,  und  betrachtet  von  diesem  neu  gewonnenen  Standpunkte  aus 
auch  die  älteren  Thatsachcn  und  Forschungsergebnisse.  Er  beherrscht  die 
einschlägige  Literatur,  in  der  die  deutsche  Forschung  einen  bedeutenden  Plati 
einnimmt,  und  weiss  die  Streitfragen  oder  die  Thatsachen  in  geschmackvoller 
Form  und  ohne  ermüdende  Breite  darzustellen.  Eine  grosse  Anzahl  gut  aus- 
geführter Textillustrationen,  nach  zum  grössten  Teil  neu  angefertigten  Zeich- 
nungen, dient  dem  Texte  zu  anschaulicher  Belebung  und  bietet  eine  vornehme 
Zierde  des  Buches,  sehr  verschieden  von  jenen  oft  nichtssagenden  Umrissen, 
welchen  wir  in  ähnlichen  Büchern  so  oft  begegnen.  So  war  es  ein  glücklicher 
Gedanke,  Collignon's  Werk  dem  deutschen  Publikum,  nicht  blos  dem  gelehr- 
ten, durch  eine  deutsche  Uebersetzung  näher  zu  bringen.  Der  Uebersetzer, 
Dr.  Ed.  Thraemer,  hat  seine  nicht  ganz  einfache  Aufgabe  vortrefflich  gelöst: 
die  Darstellung  liest  sich  sehr  gut  und  man  wird  nicht  leicht  daran  erinnert, 
dass  man  eine  Uebersetzung  vor  sich  hat.  Hier  und  da  ist  ein  leichtes  that- 
sächlichesVersehcn  stillschweigend  berichtigt,  anderswo  durch  einen  (als  solcher 
bezeichneten)  Zusatz  ein  Hinweis  auf  entgegenstehende  Auffassungen,  auf 
neuerdings  bekannt  gewordene  Thatsachcn,  auf  neu  erschienene  Literatur  ge- 
geben ...  Im  Ganzen  jedoch  handelt  es  sich  um  eine  Uebersetzung,  nicht  um 
eine  durchgehende  Bearbeitung  des  Originalwcrkes,  so  dass  der  Leser  überall 
Collignon's  Auffassungen  ohne  fremde  Acndcrungen  kennen  lernt  .... 

fs.  Liter.  Ctnlralblatt  1894-  Nr.  53. 

„  ...  Es  mag  ja  betrübend  sein,  dass  gegenüber  der  Fülle  von  Einzel- 
forschungen die  deutsche  Archäologie  die  Aufgabe  ungelöst  lässt,  einmal  das 
Facit  aus  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Forschung  zu  ziehen  (Overbeck's  viel 
verbreitetes  Buch  hätte  dazu  einer  weit  durchgreifenderen  Umarbeitung  bedurft); 
man  wird  auch  vielen  Ansichten  und  Aufstellungen  C.'s  nicht  beipflichten  (wie 
könnte  das  in  dem  Fluss  der  Forschungen  und  Meinungen  anders  sein?);  da« 
aber  wird  sich  nicht  ableugnen  lassen,  dass  C.'s  Buch  von  allen  vorhandenen 

Kommune  liehe  n&chite  Seit* 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburc. 


-15 


der 


Collignon,  Geschichte  der  griechischen  Plastik  (Fortsetzung). 

Darstellungen  der  griechischen  Plastik  am  meisten  den  Anforderungen  der 
Gegenwart  entspricht,  am  besten  über  den  Stand  der  Forschung  orientirt  und 
sich  am  besten  liest.  Wenn  C.  von  der  deutschen  Forschung  einen  sehr 
ausgiebigen  Gebrauc  h  macht  und  ganz  vorzugsweise  auf  deutsche  Arbeiten  ver- 
weist, so  kann  uns  das  ja  nur  freuen;  es  ist  ein  Beweis  mehr  dafür,  das  • 
wenigstens  auf  diesem  Gebiete  keine  nationalen  Schranken  bestehen,  sondern 
überall  gemeinsame  Arbeit  herrscht  .  .  .  Die  Ausstattung  des  Buches  ist  der 
der  Originalausgabc  durchaus  ebenbürtig,  und  trotzdem  ist,  ein  seltener  Fal , 
Preis  nicht  unerheblich  geringer.  .  .  '*       Litcrar.  CentraUdalt  lSi)j  Nr.  44. 

,,Das  vorliegende 
Werk  bedarf  nach  den 
in  diesen  Blättern  zu- 
letzt Band  33  (1897) 
S.  498  f.  gegebenen 
Ausführungen  für  die 
Bibliotheken  der  Gym- 
nasien und  Gymna- 
siallehrer keiner  Em- 
pfehlung mehr,  doch  ist 
es  erfreulich,  die  Ver- 
breitung desselben  an 
baycrischcnGymnasien 
bereits  feststellen  zu 
können,  und  erwünscht, 
nochmals  der  Hoffnung 
Ausdruck  zu  verleihen, 
dass  durch  die  Anschaf- 
fung desselben  die  qual- 
volle Leetüre  von  Over- 
becks bekanntem 
Buche  immer  seltener 
wird.  Denn  es  bleibt  für 
jeden  billig  und  unab- 
häng;  1  urtheilenden  Ar- 
chäologen die  That- 
sache  bestehen,  dass 
die  deutsche  archäolo- 
gische Literatur  eine  so 
sachgemäss,  klar  und 
anregend  geschriebene 
Darstellung  der  griechi- 
schen Sculptur  nicht 
aufzuweisen  hat  und 
deshalb  gernedasdurch 
die  Freigebigkeit  des 
Verlegers  und  die  ge- 
wissenhafte Mühewal- 
tung des  Uebcrsetzcrs 
in  seinem  Werte  er- 
höhte Buch  des  franzö- 
sischen Gelehrten 
Collignon  in  deutscher 
Uebcrtragung  entge- 
gennimmt .  .  ." 
Heinrich  Ludwig  Urlichs,  München, 
Blätter für  das  bayr.  Gynmasialu/esen  1897  Htft  II\l2. 

„  .  .  .  Schon  die  vier  bisher  erschienenen  Lieferungen  lassen  die  Wahr- 
heit des  [in  der  Ankündigung]  Gesagten  deutlich  erkennen;  der  Herr  Verfasser 
zeigt  sich  über  das  grosse  Gebiet,  das  von  der  Kunstgeschichte  eingenommen 
wird,  wohl  unterrichtet,  er  weiss  einen  festen  Standpunkt  innerhalb  der  noch 
auf-  und  abwogenden  Meinungen  zu  gewinnen  und,  was  er  bietet,  mit  solcher 
Liebenswürdigkeit  vorzutragen,  dass  der  Leser  sich  von  ihm  gern  durch  das 
Labyrinth  der  verschiedenen  Ansichten  hindurchgeleitcn  lässt .  .  .  Dem  Buche  ist 
weite  Verbreitung  zu  wünschen."     Zeitschrift  f.  d.  Gytnnasialwesen  tSQJ  Nr.  10. 


Probe  der  Abbildungen. 


II.  Band,  Fig.  235.  Dionysos.  Marmorkopf  aus  den 
Caracallathermen.  (Britisches  Museum.) 


46 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


3uc 

fEnalgJte  irer  H$>trMidjketf. 

Gute  ©rörtcnmg  ber  ©runbprobleme  bcr  5Pfnloiopf)te 

oon 

Bfto  lie&mann. 

dritte  oerbefierte  unb  öermefjrte  Auflage. 
8°.  X;  722  6.  1900.  -  «Preis :  brofeftirt  3».  12.-,  gebunben  2H.  14.- 
3nbalt:  SBorroort  jur  britten  Auflage.  —  ^rolegomena. 

(vrftcr  SJ1  htdittt ft :  Rux  (Srfcnntuifsfrittf  unb  IranSfccnbentalpbilo» 
fopbie.  —  ^bealtdmuS  unb  SRccdtömuä. —  Ucber  bic  'ißbänomcnalüät  beä  JRaumed. — 
Ünfaang.  —  ytaumcfmiaficriflif  unb  SRaumbcbucIton.  —  lieber  fubiectioe,  obiectioe  unb 
abfolute  Reit.  —  lieber  rclalioc  unb  abjolutc  ©ctoegung.  —  Rm  Ibeorie  b*3  Siebend. 
CSrficd  fiopttel.  Id.  3n>citcö  Äapitcl.  —  $ic  ßogif  bcr  Xfyarjachcn  ober  Gaufalüät  unb 
3citfolgc.  —  3>ic  ÜJlctamorpbofcn  be3  9lpriori. 

3>octtcr  Slbfönitt:  Rur  Waturpbilof opbjc  unb  9Jf ndjologte.  SJorbc« 
tradrtungeu.  ©rfle  «Mebttarton.  Id.  ^roette  97lcbitarton.  —  Heber  ben  ptjilofoprjifdKrt 
SBcrtb,  bcr  matbemariferjen  9iolunoiffenfdiaft.  —  Ginige  SBortc  über  ba3  9(tom.  — 
^latontemuS  unb  $anointömu3.  £a3  Problem  bc3  fiebenS.  —  SIpborißmcn  jut 
ftoemogonie.  («Dlntbologte  unb  ^Jl)>Iofoplne.  Mtorifcbe  3n"fd>enbcmcrfung.  Siebenten, 
©cogonie.  Gaufalüät  unb  Ideologie.  Gioige  ^alingcncftc.  3b«cnorbnung  im  llnioer< 
fum.)  — .  lieber  ben  Snftmct.  —  2>ie  Sln'ociation  ber  SB  orftcUungcn.  —  lieber  bic  ©ritten^ 
abftracter  begriffe.  -  üJlcnfdwn=  unb  Ibicrocrftanb.  —  ©ebirn  unb  ©eift.  —  2>ic  ©inbeit 
ber  9iotur. 

dritter  »bfdjnttt:  Rur  Mbetif  unb  Gtljif.  -  3beal  unb  SBir«id)feit.  - 
£a§  äftbcrifcfce  Obcal.  -  2>a3  etböcbc  Obcal. 


(Betranken  untr  Stfjatfarfjen. 


Wilo|opl>ifd)C  Wanbluiißcn,  SMoriSmcn  unb  Stobien 

oon 

J0fto  Xiefratantt. 

Grfter  33anb:  8°  XI,  470  ©.    1899.    9Jt.  9.—. 

^nbalt.  1.  fteft:  Die  Birten  ber  9iotf)n>cnbtflfctt.  3Jie  ntcdjomicnc  9iaturcrflärung. 
3bec  unb  Gntelecftie.  —  2.  $eft:  ©ebanfen  über  «Jfatur  unb  sJJaturcrtcnntni&.  1.  «Ratur 
im  Ungemeinen,  2.  ©efeije  unb  Äräftc,  3.  2>ic  Sltomiflif,  4.  Crganifche  Uialur  unb  Icleo« 
logic,  5.  2;ie  Waturbcfcclung  unb  bcr  ©eift.  ©rblim.  —  3.  $cft:  3)ic  ©Uber  bcr 
^bnntaftc.   2)a§  3citbcroußtfctn.   2!ic  Spradjfäljigtcit.   ^jnd)oIogifd)c  MpboriSmcn. 

3roeiter  Sanb,  1.  £>eft:  8°.  90  ©.    1901.    9W.  2.—. 
Inhalt:  ©eift  bcr  XranäicenbentalpbÜoi'opbic. 

2.  #cft.  8°.  S.  91-234.  1901.  «Dl.  3.-. 
^nbalt :  ©runbriß  bcr  Jtritijcben  «Dcctapbnftf. 
3.  ^Kfft.   8°.   S.  2.r»-302.   1902.   ÜK.  3.- 
3n()Qlt:  Irilologic  bcö  ?(kfnmi*mu3.   ©ebanfen  über  Sdjönljeit  unb  ftunfl. 

Das  Werk  enthält  eine  planmässig  und  methodisch  angeordnete  Sammlung 
philosophischer  Schriften,  die  sich  auf  dem  Faden  einer  charakteristisch-be- 
stimmten Weltauffassung  aneinanderreihen,  und  zwar  derjenigen  philosophischen 
Weltauffassung,  die  in  des  Verfassers  früherem  Werke  «Analysis  der  Wirklich- 
keit» ihre  wissenschaftliche  Begründung  erhalten  hat.  Nach  Vollendung  des 
zweiten  Bandes,  der  wie  der  erste  in  einzelnen  Heften  erscheint,  wird  sich 
die  Sammlung  über  sämtliche  Gebiete  der  Philosophie  hinerstrecken. 


Digitized  by  Google 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


47 


Soeben  erwarb  ich  das  Verlagsrecht  der 

Zeitschrift  für  Assyriologie 

und  verwandte  Gebiete 

in  Verbindung  mit  J.  Oppert  in  Paris,  E.  Schräder  in  Berlin  und  anderen 

herausgegeben  von 

Carl  Bezold  in  Heidelberg. 

Die  Zeitschrift  für  Assyriologie  erscheint  in  Heften  von  je  mindestens 
5  Bogen.    8».    Vier  Hefte  bilden  einen  Band.    Preis  pro  Band  M.  18.— . 

Der  XVI.  Band  ist  unter  der  Presse.    Das  erste  soeben  erschienene 
Heft  enthält: 

Oppert,  J.,  Sogdianus,  König  der  Perser. 

Schlössinger,  M.,  Ibn  Kaisän's  Commentar  zur  Mo'allaqa  des  'Amr 
ibn  Kultüm  nach  einer  Berliner  Handschrift. 

Nöldeke,  Th.,  Ein  neuer  Tigrc-Text. 

Kahle,  P.,  Fragmente  des  samaritanischen  Pcntateuchtargums,  heraus- 
gegeben und  erläutert. 

Littmann,  E.,  Aus  den  abessinischen  Klöstern  in  Jerusalem. 

Sprechsaal:  Mitteilungen  von  P.  Jensen. 

Bibliographie. 

Für  die  weiteren  Hefte  des  Bandes  sind  in  Aussicht  genommen  die 
Artikel: 

Virollcaud,    Ch.,    Presages    tires   des   eclipses  de  Soleil    et  de 
l  obscurcissement  du  Soleil  ou  du  ciel  (par  les  nuages). 

Myhrman,  D.W.,  Die  Labartu-Texte.  Babylonische  Beschwörungs- 
formeln nebst  Zauberverfahren  gegen  die  Dämonin  Labartu. 

Rossini,  Conti  C,  Canti  popolari  tigrai. 

Gottheil,  R.,  AChristian  Bahira  legend.  Translation  of  the  Arabic  text. 

Roupp,  N.,  Ergebnisse  der  Collation  einer  unbekannten  äthiopischen 
Handschrift  der  4  Bücher  der  Könige.  Mit  vier  Lichtdrucktafeln. 

Becker,  C.  H.,  Studien  zur  Omajjadengeschichte.  II. 

ferner   Abhandlungen    von   Proff.    P.   Jensen  und  H.  Zimmern, 
Sprechsaalbeiträge  von  Prof.  C.  Brockel  mann  und  anderen. 


Digitized  by  Google 


4« 


Verlag  von  KARL  J.  TRÜBNER  in  Strassburg. 


Soeben  erschienen: 

BECKER,  DR.  C.  H.,  Beiträge  zur  Geschichte  Ägyptens 
unter  dem  Islam.    Erstes  Heft.    8°.    VI,  80  S.       AI.  2.50. 

FRANKE,  OTTO,  Geschichte  und  Kritik  der  einheimischen 
Pali-Grammatik  und  Lexikographie.  8°.  VI,  99  S.  M.  4. — . 

GERMANISTISCHE  ABHANDLUNGEN,  Hermann  Paul  zum 
17.  März  1902  dargebracht  von  Andreas  Heusler,  Johannes  Hoops, 
Emil  Koeppel,  Friedrich  von  der  Leven,  Franz  Muncker,  Friedrich 
Panzer,  Emil  Sulger-Gebing,  Ludwig  Sütterlin,  Albert  Thumb, 
Roman  Woerncr,  Paul  Zimmermann.  8°.  IV,  332  S.    M.  8.—. 

Mieraus  als  Sonderabdrücke: 

HEUSLER,  A.,  Die  Lieder  der  Lücke  im  Codex  Regius  der 
Edda.    8°.   98  S.  M.  2.50. 

THUMB,  A.,  Die  germanischen  Elemente  des  Neu- 
griechischen.  8°.   34  S.  M.  1. — . 

SIEBS,  TH.,  Geschichte  der  friesischen  Literatur.  (Sonder- 
abdruck aus  Paul's  Grundriss  der  germanischen  Philologie.  Zweite 
Auflage.)    Lex.   8°.    IV,  34  S.  M.  1.— . 

KLINGLER,  DR.  OSKAR,  Die  Comedie-Italienne  in  Paris 
nach  der  Sammlung  von  Gherardi.  Mit  vier  Abbildungen 
im  Text  und  einer  Tafel.    8°.    VIII,  236  S.  M.  4  —  • 

Cifbmonn,  fttto,  ©ebanfen  unb  "Hjatjacfjcit.  ^UoioplM"d)e  Slbljanblungen, 
?lpf)ori3men  unb  <3tubien.  3,üe'ter  33onb,  britteS  .*pcft:  Xrilogic  be3 
^efftnü^itiuS.  ©cbanfen  über  (Scnönfycit  unb  ttunft.  8°.  3.  235—362. 

<m.  3.-. 

SCHÖNFELD,  DR.  E.  DAGOBERT,  Der  isländische  Bauern- 
hof und  sein  Betrieb  zur  Sagazeit.  (Quellen  und  Forsch- 
ungen zur  Sprach-  und  Kulturgeschichte  der  germanischen  Völker, 
Heft  91.)    8°.    XVI,  286  S.  M.  8.—. 


Unter  der  Presse: 

BÜRGER,  OTTO,  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Teuerdank. 
(Quellen  und  Forschungen  zur  Sprach-  und  Culturgcschichte  der 
germanischen  Völker,  Heft  92.)    8°.    ca.  10  Bogen. 

BERNEKER ,  DR.  ERICH  (a.  o.  Professor  an  der  deutschen 
Universität  Prag),  Slavische  Chrestomathie  mit  Glossaren. 
8°.  ca.  30  Bogen. 

FRANKE,  OTTO,  Pali  und  Sanskrit.    8°.    ca.  10  Bogen. 

ALEXANDER  GIL's  Logonomia  Angli ca.  Neudruck  der  Aus- 
gabe von  1621,  besorgt  von  Dr.  O.  L.  Jiriczck  (Quellen 
und  Forschungen  zur  Sprach-  und  Kulturgeschichte  der  germani- 
schen Völker,  Heft  90.)  8°.  ca.  16  Bogen. 

LANGKAVEL,  DR.  MARTHA,  Die  französischen  Über- 
tragungen von  Goethes  Faust.    Ein  Beitrag  zur  Geschichte% 
französischer  Übersetzungskunst.    8°.    ca.  10  Bogen. 

MISTAKES  IN  ENGLISH.  made  by  Foreigners  studying  the 
Language.  Part  I.  Faulty  Scntcnces.  Part  II.  Corrections. 
By  J.  T.  Gradon  B.  A.   Kl.  8°.    ca.  3  Bogen,    geb.  M.  1.— . 


Digitized  by  Google 


Digitized  by  Google 


ANTHROPOLOGY  UZRktil 

This  publication  is  due  on  che  LAST  DATE 
and  HOUR  stamped  below. 


V  r- 


JAN  0  1978 


DE^1Q  T980  , 

MAR  2  5  1981 

~~ SEP  2  2  1931 


4