Reallexikon
der
indogermani.
altertumskun
Otto Schräder
1>
REALLEXIKON
DER
INDOGERMANISCHEN ALTERTUMSKUNDE.
«
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REALLEXIKON
DER
INDOGERMANISCHEN ALTERTUMSKUNDE.
GRUNDZÜGE
EINER
KULTUR- UND VÖLKERGESCHICHTE
ALTEUHOPAS
VON
O. SCHRÄDER.
UNtVERSlTY ■
STRASSBURG,
VERLAG VON KARL J. TRÜBNER
1901.
Alle Rechte, besonders da» der Übcrsctzuutr, vorbeualteu.
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Inhalt.
I. Vorrede p. VII— XL
II. Reallexikon S. 1—1006
III. Anhang S. 1007-1048
1. Nachträge und Berichtigungen . . . S. 1008—1026
2. Litteraturnachweise S. 1027—1046
3. Sprachennachweise (Abkürzungen) . S. 1047—1048
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Vorrede.
Durch Franz Bopp und die von ihm begründete Vergleichende
Grammatik ist festgestellt worden, dass die meisten Sprachen Europas,
nämlich das Griechische, das Lateiuische mit seiner romanischen Nach-
kommenschaft, das Keltische, Germanische, Litauische, Slavische und
Albancsische zusammen mit verschiedenen asiatischen Sprachen, dem
Indischen, Iranischen und Armenischen, eine Spracheinheit in histo-
rischem Sinne bilden. Die Verwandtschaft aller dieser Sprachen kann
also nur unter der Annahme verstanden werden, dass sie von einer
ihnen allen zu Grande liegenden (indogermanischen) U r s p r a c h e ab-
stammen, die von einem (indogermanischen) Urvolk gesprochen
worden sein muss. Diese Forderung eines indogermanischen Urvolks
aber eröffnet zugleich für die geschichtliche und kulturgeschicht-
liche Forschung einen weiten Ausblick. Denn es ist klar, dass, wie
etwa die griechische oder lateinische oder deutsche Grammatik nicht
ohne Kenntnis ihrer indogermanischen Vorgeschichte verstanden werden
kann, so auch die Geschichte der materiellen und geistigen Kultur
der indogermanischen Völker uns erst dann vollkommen deutlich werden
wird, wenn es gelingt, ihre Wurzeln in der indogermanischen Urzeit
aufzuspüren.
Für diejenigen wissenschaftlichen Bemühungen, welche auf die
Lösung dieser Aufgabe gerichtet sind, hat sich mehr und mehr
die Bezeichnung Indogermanische Altertumskunde festgesetzt,
deren Forschungsgebiet also die Zeiträume von den ersten nachweisbaren
Zusammenhängen der Indogermanen bis zum Anheben der ältesten
historischen Nachrichten bei den Einzelvölkern umfasst, und es fragt
eich zunächst, welche Mittel der Wissenschaft zur Verfügung stehn,
um in Epochen einzudringen, aus denen naturgemäss jede schriftliche
Kunde fehlt. Diese Mittel sind teils sprachliche, teils sachliche,
oder, wenn man lieber will, teils sachliche, teils sprachliche. Da
es aber zweifellos die Sprachwissenschaft gewesen ist, die sich
zuerst den hier gestellten Aufgaben widmete, so wird es gestattet
Bein, mit der Charakterisierung ihres Anteils an den Bestrebungen der
Indogermanischen Altertumskunde zu beginnen.
Indem die Vergleichende Sprachwissenschaft den Wortschatz der
indogermanischen Ursprache erschliesst, gelingt es ihr zugleich festzu-
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VIII
Vorrede.
stellen, welche Kultarbegriffe schon damals ihre sprachliche Ausbildung
gefunden hatten. Aus zwei urverwandten Gleichungen wie sert. ävi-,
griech. oI$, lat. ovis, ahd. ou, lit. atcls, altsl. ovlca und sert. ü'rnä, lat.
Idna, got. tculla, lit. toilna, altsl. rJtfna lernen wir, daas das Schaf
und seine Wolle dem Urvolk bereits bekannt waren, aus sert. däma-,
griech. bonos, lat. domus, altsl. domii und sert. dvä'rdu, griech. eupet,
lat. fores, got. daür, lit. ditrys, altsl. dviri, dass man schon damals
Hutten mit Thoren besass, aus einer Sprachreihe wie sert. rudhird-,
griech. £pu8pös, lat. ruber, got. rauds, ir. ruad, altsl. nJtfrw ersehen
wir, dass der Begriff des Rots, aus einer solchen wie sert. <*vdgura-,
griech. £icupö(, lat. socer, korn. hvigeren, got. swaihra, lit. szesziüras,
altsl. svekru, dass der des Schwiegerverhältnisses, aus einer
solchen wie sert. devd-t altlat. deivos, altn. tivar, lit. didicas, dass die
Vorstellung von himmlischen Wesen sprachliche Ausbildung ge-
funden und also in den Gedanken- und Kulturkreis der Urzeit bereits
eingetreten war u. s. w.
In der That sollte man meinen, dass Schlussfolgerungen wie die
hier angeführten so klar und unmittelbar überzeugend seien, dass
ein vernünftiger Zweifel an ihnen nicht gestattet wäre. Gleichwohl
sind in jüngster Zeit zwei Gelehrte, G. Kossinna (Z. des Vereins
für Volkskunde VI, 1 ff.) und P. Kretschmer (Einleitung in die
Geschichte der griechischen Sprache 1896, Cap. 2 und 3) ziemlich
gleichzeitig mit der zwar im Grunde auf der Verallgemeinerung eines
V. Hchnschen Gedankengauges (vgl. Vf. V. Hehn Ein Bild seines
Lebens und seiner Werke 1891 S. 56 ff.) beruhenden, aber in dieser
Verallgemeinerung neuen Behauptung hervorgetreten, dass alle der-
artigen Schlüsse, wie sie von A. Kuhn (Zur ältesten Geschichte der
indogermanischen Völker. Berlin 1845) bis auf die Gegenwart an-
standslos gezogen wurden, Trugschlüsse seien, und der vergleichenden
Sprachforschung für die Ermittlung der ursprünglichen Kult Urzustände
der Indogermanen nahezu jeglicher Wert abzusprechen sei. Da es sich
hierbei um Einwendungen zweier ebenso gelehrter wie scharfsinniger
Forscher handelt, wird es nötig sein, sich ausführlicher mit ihnen ab-
zufinden. „Wie alle Spracherscheinungen", so lässt sich etwa der
Gedankengang P. Kretschmers zusammenfassen, „haben sich auch die
sogenannten Kulturwörter Uber das idg. Sprachgebiet wellenförmig und
allmählich ausgebreitet. Eine „gemeinindogermanische* Gleichung wie
sert. yugdm, griech. Curöv, lat. iugum u. s. w. ,Joch' ist in dieser
Beziehuug prinzipiell nicht anders zu beurteilen, wie die Überein-
stimmung von sei t, pippali', griech. irenept, lat. piper u. s. w. ,Pfcffer',
die nachweislich erst in historischer Zeit und durch historische Vor-
gänge zu Stande gekommen ist. Da nun derartige Kulturwürter zu
ganz verschiedenen Zeiten, in ganz verschiedener Ausdehnung und
von ganz verschiedenen Ausgangspunkten aus sich verbreitet haben,
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Vorrede.
IX
so ist es unmöglich, durch Addition solcher Kulturwörterreihen ein
einheitliche» Bild „nrindogenuanischer" Kultur zu erhalten. Man ist
also nicht imstande, die Kulturvcrhältnisse einer bestimmten fernen
Periode der Urzeit zu ermitteln. Man muss daher damit aufhören,
„aus den blossen Wortgleichungen Kulturgeschichte herausdestillieren
zu wollen", und kann dies umsomehr, „als uns die Reste altindoger-
manischer Kultur selbst durch die Prähistorie in reicher Fülle vor die
Augen gerückt sind". Ganz ähnlich äussert sich Kossinna a. a. 0. S. 5:
„Hier (d. h. bei Fällen wie got. ulbandua aus lat. elephantus) wissen
wir nun, dass wir es mit Lehnworten zu thun haben. Sobald wir aber
zu älteren Zeiträumen hinaufsteigen, für das Germauische etwa zu
dem Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr., einer Zeit, deren Kultur-
znstand durch die Archäologie völlig klar gelegt worden ist, so fehlt
uns bis jetzt jede Möglichkeit, Lehnworte dieser Zeit mit den Mitteln
der Sprachforschung als solche zu erkennen. Wir kommen so zu der
(zweiten) Frage: Ist ein scheinbar urindogennanisches Wort nicht viel-
mehr ein Eigentum nur einer der idg. Einzelsprachen und in den
andern ein späteres, wenn auch immer noch vorhistorisches Lehn-
wort? Iii solchem Falle entfällt natürlich die Berechtigung, es der Ur-
zeit zuzuschreiben."
Beide Gelehrte stimmen also darin überein, dass sie gewisse
Sprachreihen, die man bisher „urverwandt" nannte, als „Lehn-
worte" bezeichnen, und da selbstverständlich eine kulturhistorisch
wichtige Gleichung, wie das oben genannte sert. ywgd- = gricch. Zutöv
nicht anders beurteilt werden knnu als eine solcher Bedeutung ent-
behrende Reihe (z. B. sert. djdmi, armen, acem, gricch. ötw, lat. <tgo,
ir. agat ,agant', altn. aka), da ferner (nach Kretschmcr 8. 23) auch
die Verbreitung lautlicher, formaler und syntaktischer Neuerungen nur
graduell verschieden von derjenigen lexikalischer Übereinstimmungen
war, so kann man sagen, dass für Kretschmcr und Kossinna sich die
ganze idg. Sprachverwandtschaft in eine unendliche Kette von Ent-
lehnungen auflöst. In der That lässt sich gegen eine derartige Anschauung
theoretisch nicht viel einwenden, ja, sie muss bis zu einem gewissen
Grade als selbstverständlich bezeichnet werden. Denn wie sollte man sich
die Entstehung einer Gleichung wie sert. pac, griech. -niaau), lat.
coquo, slav. pelq für .kochen' oder sert. *ir, griech. Kao*o*üio, lat. suo,
got. sittja, lit. siuicü für ,nähen' anders vorstellen als so, dass solche
Wörter an einer bestimmten Stelle des vorhistorischen Sprachgebiets
zuerst aufkamen und sich von da über das Übrige Sprachgebiet durch
Entlehnung von Individuum zu Individuum, von Stamm zu Stamm aus-
breiteten? Die Hauptfrage für die idg. Altertumskunde scheint mir
dabei, worauf ich schon vor längerer Zeit (vgl. a. a. 0. S. 59) hingewiesen
habe, „nicht die zu sein, ob hier Urverwandtschaft oder En t Ich nung
vorliegt — zwei in der That in jenen alten Zeiten in einander über-
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X Vorrede.
gebende Begriffe — , sondern ob wir uns die Entstehung solcher
Gleichungen noch in einer Zeit denken dürfen, in welcher die idg.
Völker bereits in ihren historischen Wohnsitzen angekommen waren,
oder ob wir sie in eine Epoche verlegen müssen, in welcher die idg.
Völker wie sprachlich so räumlich einander näher standen und keine
allophylen Elemente sich zwischen sie geschoben hatten". Da nun
P. Krctschmcr S. 22 ausdrücklich Gleichungen wie die oben genannten
als „prähistorische Termini" bezeichnet, und mit unzweideutigen
Worten zugiebt, dass zu der Zeit, da sie sich verbreiteten, „andere
sprachliche und ethnische Zustände, eine andere geographische Ver-
teilung der idg. Stämme bestand, als sie uns im Beginn der Geschichte
entgegentritt", da ferner auch Kossiuna lediglich von vorhistorischen
Lehnwörtern spricht, so scheint mir der ganze Gegensatz zwischen
der bisher üblichen Auffassung und derjenigen Krctschmers und Kossinnas
lediglich auf ein Spiel mit Worten oder höchstens auf eine Verschieden-
heit des Standpunkts der Beobachter hinauszulaufen, insofern man mit
dem Ausdruck „Entlehnung" mehr den Prozess der Entstehung der*
artiger Gleichungen, mit dem Ausdruck „Urverwandtschaft" aber mehr
das schliessliche Ergebnis, wie es sich von den historisch be-
zeugten Epochen aus darstellt, ins Auge fasst. In jedem Falle aber
bleibt, worauf alles ankommt, der aus solchen Gleichungen sich er-
gebende Schluss, dass die von ihnen bezeichneten Gegenstände oder
Begriffe schon in vorhistorischer Zeit bekannt oder lebendig gewesen
sein müssen, in seiner Bedeutung unangetastet. Ob ich z. B. mit H. Hirt
(Geogr. Z. herausg. von A. Hettner IV, 1898 S. 381 i so sage: „Aus
den historischen Zeiten führt uns die Sprachwissenschaft in die prä-
historischen zurück. Zu dem wenig (?) sicheren, was sie uns lehrt,
gehört, dass die Indogermancn im Besitz des Wagens waren.
Die Bezeichnungen für seine einzelnen Teile stimmen bis ins kleinste
überein", oder ob ich mich mit Krctschmcr S. 49 über denselben
Gegenstand so ausdrücke: „Ähnlich zeugen die gemeinindogermanischen
Wörter, als Lehnwörter betrachtet, für alte Kultnrbeziehungen zwischen
den idg. Stämmen. Wenn sich die Bezeichnungen des Wagens und
seiner einzelnen Teile, das Wort für Jahren' u. s. w\ in fast allen idg.
Sprachen decken, so wird es sehr wahrscheinlich, dass sich die Er-
findung des Wagens von einem Punkte ans (woblgcmerkt zu
einer Zeit, „da andere sprachliche und ethnische Zustände, eine andere
geographische Verteilung der idg. Stämme bestand, als sie uns im
Beginn der Geschichte entgegentritt" s. o.) über das ganze idg.
Gebiet verbreitet hat", — das, sollte ich meinen, länft im Wesen
der Sache auf ein und dasselbe hinaus.
Allein im Grunde folgert Krctschmer die angebliche Unfähigkeit
der Sprachvergleichung für kulturhistorische Zwecke weniger aus dem
Charakter der einzelnen Gleichungen, als aus dem Umstand, dass
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Vorrede.
XI
es nicht möglich sei, durch Addition derselben die Kultnrver-
hältnisse einer bestimmten fernen Periode der Urzeit zu er-
mitteln. Hierbei ist nun zuvörderst zu bemerken, dass genau dasselbe,
was hier von der Erschliessung einer uriiidogermauischcn Kultur durch
sprachverwandte Gleichungen gesagt wird, von der Erschliessung
einer urindogermanischen Grundsprache überhaupt gilt. „Be-
sonders ist dabei zu betonen1*, sagt K. B rag mann Grundriss I2, 24,
rdas8 die von uns konstruierten Grundformen zusammengenommen
keine Sprache ergeben, die von einer einzelnen geschlossenen Sprach-
genossenschaft in einem bestimmten Zeitpunkt gesprochen worden ist.
Diese Formen haben vielmehr verschiedenen Gegenden und verschiedenen
Zeitaltern angehört. Man kann sie zusammen nur in dem Sinn die
idg. Ursprache nennen, wie man etwa von der „deutschen Sprache"
auch dann redet, wenn man ihre ganze Entwicklung in christlicher
Zeit bis heute mit allen dialektischen Verzweigungen meint. In dieser, im
Lichte der Geschichte stehenden Entwicklung können wir für bestimmte
Zeitpunkte und bestimmte Gegenden die Sprache fixieren, z. B. für
ca. lOÜOn. Chr. die Sprache des südwestlichen Gebietes der Alemannen.
Für die uridg. Periode ist das unmöglich." Trotz dieser ohne
Zweifel richtigen Erwägungen nimmt Brugmann bekanntlich keinen An-
stoss, nicht nur einzelne urindogermanische Grundformen, sondern auch
ganze Paradigmata derselben zu erschliessen. Welche Logik würde es nun
sein, ein derartiges in Wirklichkeit ja allgemein geübtes Verfahren zwar
zu billigen, es aber auf der anderen Seite zu tadeln, wenn etwa
B. Delbrück am Schlüsse seiner Abhandlung über die idg. Ver-
wandtschaftsnamen eine „Übersicht über die Verwandtschaftsnamen
der idg. Urzeit* giebt, oder J. Schmidt in seiner Arbeit über die
Urheimat der Indogermancn (S. 22) die idg. Bezeichnungen der einzelnen
Jahreszeiten zusammenstellt, um so ein Bild der Jahreseinteilung des
„indogermanischen Urvolks" oder „unserer Urväter" zu gewinnen?
Mögen immerhin derartige Zusammenstellungen, deren hypothetischen
Charakter ja niemand verkennen wird, manches chronologisch uneben-
mässige enthalten, gegenüber der Bedeutung solcher prähistorischer
Hilfskonstruktionen für das Verständnis der historischen Zustände
werden wir über diese Mängel unserer Methode hinwegsehen, und wir
werden dies um so leichter können, als wir allen Grund zu der An-
nahme haben, dass die vorhistorische Kultur- wie Sprachentwicklung
der Indogcrmanen eine im ganzen gleicbmässige, stätige und langsame
gewesen sei. Um ein konkretes Beispiel zu gehrauchen: Ich gebe
ohne weiteres zu, dass die idg. Gleichungen für ,Rind', , Wagen',
Schwiegertochter', ^Schwiegervater' sich zu verschiedenen Zeiten bei
den Indogermanen festgesetzt haben können, verstehe aber erstens
nicht, inwiefern hierdurch etwas an der Erkenntnis geändert werden
sollte, dass Rind und Wagen ein schon proethnfecher Besitz der Indo-
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XII
Vorrede.
germanen sind, sowie dass in der idg. Familie das Schwiegerverhältnis
schon in vorhistorischer Zeit ausgebildet war, und würde zweitens
denjenigen nicht einer übermässigen Kühnheit beschuldigen, der (etwa
bei Besprechung urzeitlicher Hochzeitsbränche) mit der Möglichkeit
rechnete, dass schon die idg. Schwiegertochter auf rinderbespanntem
Wagen in das Haus des Schwiegervaters gefahren sei, also das gleich-
zeitige Vorhandensein von Rind und Wagen, Schwiegertochter und
Schwiegervater in der Urzeit annähme.
Wenn demnach d i e Itcdenken gegen die kulturgeschichtliche
Verwertbarkeit der Sprachvergleichung, die ans der Möglichkeit zeit-
licher Verschiedenheit der idg. Gleichungen abgeleitet werden könnten,
zu denjenigen überkritischen Einwänden gerechnet werden können, die
Kretschmer S. 99 als „in der Theorie unwiderleglich", „im gegebenen
Fall aber ganz und gar unwahrscheinlich" bezeichnet, so ist hier da-
gegen noch kurz die unleugbare Thatsache der räumlichen Ver-
schiedenheit, d. h. der verschiedenen geographischen Verbreitung
eben dieser Gleichungen zu erörtern. Man spricht von gern ein indo-
germanischen Gleichungen, an denen alle idg. Einzelsprachcn teil
haben, und von partiellen Gleichungen, bei denen dies nicht der
Fall ist, die also auf 2, 3. 4, f> u. s. w. Sprachen beschränkt sind. Bei
näherem Zusehen zeigt sich aber, dass im Grunde eigentlich n u r von
partiellen Gleichungen gesprochen werden kann, da die übereinstimmende
Benennung eines Kultnrbcgrifl's in wirklich allen idg. Sprachen zu
den grö3sten Seltenheiten gehört. Durch solche partiellen Überein-
stimmungen werden nun die idg. Kin/elsprachen in allen nur denk-
baren Gruppierungen und Verhältnissen mit einauder verbunden. Sic
sind häufig zwischen benachbarten Sprachen, z. B. zwischen Slavisch
und Germanisch, und zwischen wahrscheinlich ursprünglich be-
nachbarten Spracheu, z. B. zwischen Litu-Slavisch und Iranisch, sie
kehren aber in grosser Anzahl auch zwischen weit von einander ge-
lrennten Völkern wie Kelten und Indern, Litauern und Italikern (vgl.
Kretschmer Cap. V) wieder. Die uns interessierende Frage ist nun:
Haben an solchen partiellen Gleichungen auch die übrigen idg. Sprachen
einstmals teil gehabt und das betreffende Wort im Laufe der Zeit ver-
loren, oder war die Bezeichnung eines bestimmten Knlturbegriffs von
Anfang an auf einen grösseren oder geringeren Teil des vorhistorischen
Sprachgebiets beschränkt? Offenbar ist beides möglich und hat beide*
stattgefunden. Was aber im einzelnen Falle anzunehmen ist, wird sich
zwar zuweilen mit einiger Wahrscheinlichkeit, niemals mit unfehlbarer
Sicherheit entscheiden lassen. Die Sache läge anders, wenn wir über
die Art der Auflösung der idg. Sprach- und Völkergemeinschaft und
die aufs engste damit zusammenhängende Frage der engeren Ver-
wandtschaftsverhältnisse der idg. Völker besser unterrichtet wären, als
wir es in der That sind. So aber ist das einzig sichere, was wir in
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Vorred«.
XIII
dieser Beziehung wissen, immer noch lediglich die Thatsaehc einer
näheren Verwandtschaft zwischen Indem und Iraniern (Ariern), Litauern
und Slaven. .Speziell arische und litu-slavische Gleichungen (/.. B. sert.
so ma- = aw. haoma-) wird man daher nicht zur Erschliessung der idg.
Urzeit verwenden können. Aber auch wo zwei nicht näher verwandte
Volker, wie Slaven uud Germanen, oder Germanen und Kellen nach-
weisbar durch Jahrtausende lange Nachbarschaft mit einander ver-
bunden sind, wird man bei ausschliesslich auf diese Völker beschränkten
Gleichungen (z. B. bei got. gulp = altsl. zlato oder got. eisarn- — ir. tarn),
wenigstens zunächst, an einen relativ späten Kulturaustausch lediglich
zwischen diesen beiden Völkern zu denken haben. Alle übrigen Glei-
chungen, gemeinindogermanische wie partielle, wird man nach Lage der
Dinge in gleicherweise als „indogermanisch" bezeichnen müssen und
aus ihnen schliessen dürfen, dass der von ihnen bezeichnete Kultur-
begriff innerhalb des vorhistorischen Sprachgebiets der Indogermanen
in grösserer oder geringerer Ausdehnung seine sprachliche
Ausbildung gefunden hatte. Ks wird dabei für die Kulturgeschichte
darauf ankommen, alle etymologisch übereinstimmenden Bezeichnungen
eines bestimmten Kulturbegriffs zusammenzustellen. Finde ich z. B.,
dass die Milch (s. d.) einerseits übereinstimmend im Indischen und
Altpreussischen, andererseits im Griechischen und Lateinischen, drittens
im Keltischen und Germanischen u. s. w. benannt wird, oder dass für
den Begriff des Eides ( s. d.) urverwaudte Ausdrücke erstens im
Indischen, Griechischen, und Italischen, zweitens im Slavischen und
Armenischen, drittens im Keltischen und Germanischen bestehn, so
werden derartige partielle Gleichungen zusammengenommen dem
Vorhandensein einer gemeiuiudogermanischen Sprachleihe gleich-
kommen (s. auch die methodologische Erörterung der idg. Ziegennamen
u. Kupfer und Ziege). Einer besonderen Erwägung wird es dabei
bedürfen, wenn man ganze und grosse Gruppen bedeutungsverwandter
Übereinstimmungen (s. z. B. u. Ackerbau und u. Wald, Wald bäume)
auf bestimmte Sprachen beschränkt findet.
Wenn aus dem bisherigen hervorgeht, dass Glieder einzelner
Wortgleichungen im Laufe der Zeit verloren gegangen sein können,
so ist ein solcher Verlust natürlich auch bei ganzen Glcichuugen
möglich. Es geht also nicht an, ohne weiteres aus dem Fehleu der-
selben für bestimmte Begriffe negative Schlüsse auf die Kultur der
Urzeit zu ziehen. Eine so grosse Binsenweisheit dies ist, so schiessen
doch andererseits kategorische Behauptungen wie die Kretschmers
S. 68: „Damit ist dieses (nämlich dass man aus dem Fehleu des west-
idg. Namens des Salzes bei den Indoiraniern nicht schliessen dürfe,
dass diese das Salz nicht gekannt hätten) und jedes lexikalische
argumentum ex silentio ad absurdum geführt" oder die Hirts (Beilage
zur Allg. Z. 1898 Nr. 51 S. 3): „Und dann ist aus dem Fehleu von
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<
XIV Vorrede.
Worten überhaupt nie mal» etwas zn erschliesscn" über das Ziel
hinaus. Zunächst wird ein Unterschied zu machen sein, ob es sieh um das
Fehlen von Gleichungen für einen einzelnen Betriff oder für ganze
Begriffs kategoricn handelt, wie ein solches z. B. auf dem Gebiet
des Fischfangs (s. d.") gegenüber dem der Jagdtiere (s. u. Jagd),
auf «lern der Schiffahrt (s. d.) gegenüber dem des Wagenbaus
(s. u. Wagen), auf dem der Blumenzucht gegenüber dem Acker-
bau (8. s. d. d.) u. s. w. beobachtet werden kann. In allen diesen
Fällen würde es unmethodisch sein, wenn man das Fehlen oder die
Armut der Terminologie auf dem einen Gebiet gegenüber dem
auf dem andern herrschenden Reichtum lediglich aus dem Aus-
sterben einst vorhandener urverwandter Gleichungen erklären wollte.
Aber auch bei dem Fehleu urverwandter Ausdrücke für einzelne
Begriffe wird man immer die begleitenden Umstände in Erwägung
ziehn müssen. So nimmt z. B. Delbrück in seinen Verwand tschafts-
namen an, dass es ein idg. Wort für den Begriff der E h e und ein
solches für den des Witwers noch nicht gegeben habe und folgert
dies, ausser aus dem Fehlen urverwandter Gleichungen, in dem einen
Fall auch daraus „dass in den Einzelsprachen, welche sich auf einer
altertümlichen Stufe gehalten haben, kein derartiges Wort (wie „Ehe")
vorhanden sei", und in dem anderen auch daraus, „dass wir in den
meisten Einzelsprachen beobachten, wie neben das alte Wort für Witwe
ein jüngeres Wort für Witwer tritt". Ähnlich wird man das Fehlen
eines idg. Wortes für Fenster (s. d.) gegenüber dem Vorhandensein
eines solchen für Thür (s. d.) auch deshalb nicht für Zufall halten
ditrfen, weil die sprachliche Ausbildung dieses Begriffes in den Einzel-
sprachen Erscheinungen wie Entlehnung (z. B. lat. fenestra) und Kom-
position {-/.. B. got. atujadaürö) aufweist, die jüngeren Knlturbcgriffen
eigen zu sein pHegcn. Nun wird man zwar theoretisch auch jetzt noch
einwenden können: „Es ist aber dennoch möglich, dass Wörter für
Ehe, Witwer, Fenster in der Grundsprache vorhanden waren, unter-
gingen und durch andere ersetzt wurden", aber in praxi wird der
Sprachforscher, der weiss, dass es sich in allen diesen Dingen nicht
um Schlüsse von mathematischer Sicherheit, sondern nur um Wahr-
scheinlichkeitsrechnungen handeln kann, Uber solche akademische
Einwendungen zur Tagesordnung Übergehn. Für mich wenigstens liegt
bei diesem Punkte die Sache so, dass wenn ich für einen altertüm-
lichen Kulturbcgriff auf dem gesamten idg. Sprachgebiet nirgends
eine etymologische Übereinstimmung entdecken kann, ich es zunächst
für der Mühe wert halte zu fragen, welches der Grund dieser Er-
scheinung sein könne.
Die eigentlichen Schwierigkeiten in der Benutzung der Ergebnisse
der vergleichenden Sprachforschung für urgeschichtlicbe Zwecke liegen
demnach nicht auf dem Boden der bisher erörterten Möglichkeiten, sie
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Vorrede.
XV
sind vielmehr ganz vorwiegend auf sc masiologi schein Gebiet zu
suchen, d. h. in dem Umstand, dass die Feststellung der ursprünglichen
Bedeutung einer urverwandten Sprachleihe nicht immer mit rein
sprachlichen Mitteln möglich ist. Auf diese Schwierigkeit hat bereits
V. Hehn in den Kulturpflanzen und Hanstieren mit aller Deutlichkeit
hingewiesen und auch das Mittel zu ihrer Beseitigung, nämlich die
Notwendigkeit der Verbindung von Sprach- und Sach Forschung,
angegeben. Da über diesen Punkt unten ausführlicher zu handeln
sein wird, genüge hier die Bemerkung, dass es doch auch in scheinbar
verzweifelten Fällen oft nicht au rein sprachlichen Kriterien fehlt,
welche eine Entscheidung in diesem oder jenem Sinne nahe legeu. So
folgt aus der Gleichung sert. drva- = lat. equu* u. s. w. natürlich nicht,
dass das zahme Pferd bereits den Indogermanen bekannt gewesen
sein müsse. Bedenkt man aber, dass neben dieser Gleichung ein be-
sonderer urverwandter Ausdruck für das Fohlen, das Junge des
Pferdes griech. 7nüXo<; = got. fula) liegt, so wird, da eine solche Er-
scheinung bei wilden Tieren kaum nachweisbar ist, der Ansatz, dass
das Pferd schon in der Urzeit in ein gewisses Verhältnis zum Menschen
getreten war, näher als das Gegenteil liegen.
Es ist daher eine starke Übertreibung des Nichtigen, wenn
Kossinna, um seine Abneigung gegen die „linguistische Paläontologie"
(ein etwas anspruchsvoller Ausdruck, über dessen Berechtigung man
streiten kann) des weiteren zu begründen, a. a. 0. behauptet, dass
wir „nie mit einiger Sicherheit'1 feststellen könnten, was
ein Wort in der Urzeit bedeutet habe. Ein Beispiel sei die Un-
sicherheit des eigentlichen Sinnes der Metallnamen {z. B. sert. äi/as
oder griech. xoXkös) sogar noch in den ältesten Literaturdenkmälern.
Denn gesetzt auch den Fall, es Hesse sich die ursprüngliche Bedeutung
einer Gleichung wie seit, äifnn ~ lat. aes, got. alz {ob , Kupfer', ,Erz'
oder .Eisen ) nicht ermitteln, so würde doch auch dann die für die
Indogermanische Altertumskunde höchst bedeutsame Thatsache übrig
bleiben, dass die Indogermanen schon vor ihrer Trennung wenigstens
Uber ein X u t z m e t a 1 1 verfügten.
Es handelte sich bis jetzt um Kulturbegriffe, für die eine Be-
nennung sich nachweislich schon in vorhistorischer Zeit festgesetzt hat,
und um die Schlüsse, die sich hieraus ziehen oder nicht ziehen lassen.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass die Namengebung
der kulturhistorischen Begriffe überhaupt, auch wenn diese sich
nicht über den Bereich der Einzelvölker hinaus verfolgen lässt, von
ausserordentlicher Bedeutung für die kulturhistorische Erkenntnis ist.
Wenn die Sprache vor die Aufgabe gestellt ist, einen neuen Be-
griff zu bezeichnen, verfährt sie und ist, seit Menschen sprechen, in
der grossen Mehrheit der Fälle so verfahren, dass sie eine an diesem
Begriffe haftende, dem Sprechenden besonders charakteristisch er-
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XVI
Vorrede.
scheinende Vorstellung herausgreift und nach dieser den ganzen Be-
griff bezeichnet. Das idg. Wort für Mond (s. d.) bedeutet höchst
wahrscheinlich der „Messer", weil man schon in grauer Vorzeit die
Bedeutung der wechselnden Phasen dieses Gestirns als Zeitiuass er-
kannte. Als sich bei den Germanen die neue Schreibkunst verbreitete,
bezeichnete man das Schreiben als „Ritzen" (engl, tcrite), weil mau
die ältesten Buchstaben in Holztäfelchen einritzte. Mit Recht hebt
dabei Whitney Leben uud Wachstum der Sprache S. 144 hervor, dass
bei der hier in Frage stehenden Namengebung immer und überall der
Begriff dem Ausdruck vorangehe, und es ist von kulturhistorischer
Wichtigkeit hinzuzufügen, dass nicht schon das Vorhandensein einer
Erscheinung, sondern erst die Vorstellung von diesem Vorhandensein,
d. h. eben ihr lebendig gewordener Begriff zur Ausprägung einer Be-
zeichnung führt. Wenn es in der idg. Ursprache ein Wort für die
Witwe (s. d.), nicht aber für den Witwer gab, so liegt der Grund
dieser Thatsache natürlich nicht darin, dass damals nnr Frauen, die
ihre Männer, aber nicht Männer, die ihre Frauen verloren hatten, vor-
handen waren, sondern vielmehr darin, dass das Witwentum durch
gesellschaftliche Einrichtungen wie das Gesetz des Ledigbleibens der
Witwe oder das ihres Sterbens am Grabe des Mannes zu lebendiger
Vorstellung gelangt war, während der Mann, dem seine Frau gestorben
war, nach den damals herrschenden Begriffen noch auf gleicher Stufe
mit dem stand, der ein Kind oder auch ein Pferd oder eine Kuh
verloren hatte. Erst als in gefühlvolleren Zeiten auch der Begriff des
Witwers in der Vorstellung der Menschen lebendig geworden war, und
sich gegenüber anderen verwandten Erscheinungen deutlicher abgegrenzt
hatte, diäugte er nach einer sprachlichen Bezeichnung, die diesmal
meist durch Maskulinisierung des Femininums (lat. viduus : cidtta)
gewonnen wurde. „Jedes neuerworbene Teilchen von Erkenntnis und
Kraft", sagt Whitney a. a. 0. treffend, „legt der Geist vermittels der
Sprache als sicheren Besitz an, fährt immer fort nach neuer Erkenntnis
zu streben und grössere Herrschaft über seine Kräfte zu gewinnen, und
sichert den Gewinn in derselben Weise. Er arbeitet beständig unter
der Oberfläche der Sprache, ändert und verbessert die in den Worten
ausgedrückte Einteilung der Dinge, lcrnt'Bcgriffe, die einst nur an-
nähernd gefasst und ungeschickt gehandhabt wurden, besser beherrschen,
presst neue Erkenntnis in alte Ausdrücke — alles, im ganzen be-
trachtet, mit Hülfe der Sprache, und doch in jedem einzelnen Punkte
unabhängig von der Sprache". Es ist dasselbe, was ein anderer
Sprachforscher, Fr. Rückert, in seinem schönen Gedicht au die Sprache
so ausgedrückt hat:
„Da ich aus dem Schlaf erwachte.
Noch nicht wusste, dass ich dachte,
Gäbest Du mich selber mir.
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Vorrede.
XVII
Licssest mich die Welt erbeuten,
Lehrtest mich die Rätsel deuten,
Und mich spielen seihst mit Dir."
Was hier von dem einzelnen gesagt wird, gilt auch von einem
ganzen Volk in seiner kulturgeschichtlichen Entwicklung.
Indem der Sprachforscher diesem vielvcrschlungenen Weg der
Sprache im Hinblick auf ihren kulturhistorisch bedeutsamen Wortschatz
prüfend nachgeht, gelangt er dazu, die Vorstellungen zu ermitteln,
welche der sprachlichen Ausbildung der Begriffe zu Grunde gelegt
worden sind und durch die Zusammenstellung und Vergleichung der
Ideen, die für ein und dasselbe Objekt den Benennungsgrund hergaben,
sich der Erkenntnis des Objekts selbst zu nähern (vgl. auch Pott
Quinare und vigesimale Zählmethodc S. 226 ff.). Auf diesem Wege
lernen wir, dass der Eid (s. d.) teils als ,Selbstverfluchung', teils als
,Berührung' (sc. des Verderben bringen oder verderben sollenden
Gegenstands) aufgefasst wurde, oder dass der Begriff des Geldes
(8. d.) in den einen Sprachen durch Wörter für ,Vieh', in den anderen
durch solche für ,Pelzwcrk', ,Zeug\ »Schmuck u. dergl. ausgedrückt
wurde. Auf diesem Wege ermitteln wir, dass die Kunst des Lesens
(s. u. Schreiben und Lesen) als ein feierliches Verkündigen', als
»Erraten' oder als »Sammeln' (der Buchstaben) gedacht wurde, Vor-
stellungen, die sich aus dem Lesen der geheimnisvollen Zeichen des
Losorakels (s. u. Los) ohne weiteres erklären. Auf diesem Wege
ergiebt sich, dass der Gedanke der Keuschheit (s. d.) auf sakralem
Gebiete wurzelt (geschlechtlich rein für Kultuszwecke), oder dass der
der Freiheit (s. u. Stände) aus dem der Stammeszugehörigkeit hervor-
gegangen ist. Das Mittel der Namengebung beruht in allen diesen
Fällen auf den gewöhnlichsten Erscheinungen des Bedeutungs-
wandels der Sprache. Wenn das Schreiben (engl, tcrite) als , Ein-
ritzen' bezeichnet wird, so findet hier zunächst eine Einschränkung
der ursprünglichen Wortbedeutung durch das Hiuzutreten näher be-
stimmender Elemente (Einritzen zum Zwecke der Mitteilung au andere)
statt, wenn aber dann dasselbe Zeitwort für jede Art der schriftlichen
Mitteilung (nicht bloss für das durch Einritzen) gebraucht wird, geht
die Einschränkung durch das Ausscheiden determinierender Elemente
in eine Erweiterung der Wortbedeutung über. Eine andere Form
des Bedeutungswandels als dieser auf Determination beruhende ist der
durch Association in der Weise erfolgende, dass neue Begriffe an
bereits vorhandene augelehnt werden, sowie der auf einfache 15c-
deutungsübertragung hinauslaufende, bei der ein neuer Kulturbegriff
einfach nach der Ähnlichkeit benannt wird, die nach irgend einer
Seite zwischen ihm und schon bekannten Dingen statt findet. Ein Bet-
spiel für den ersteren Sprachvorgang ist die Ausbildung der indischen
Metallnamen, die durch Association mit dem schon idg. Namen des Kupfers
II
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XVIII
Vorrede.
(scrt. dyas — lat. aes) entstanden sind: scrt. hlranya- ,Gold', eigentl.
,gelbglänzeudes', rajatd- .Silber', eigentl. ,wei8sglänzendes', qyämd-
,Eiscn', eigentl. ,bläuliches' sc. äyas, Beispiele für die letztere Sprach-
erscheinung siud es, wenn anf germanischem Boden das spätere Glas
(s. d.) nach dem früheren Bernstein, oder bei den Griechen die spätere
Zitrone (s. d.) nach dem Holz der Zeder oder des Wachholders be-
nannt wird. Es liegt auf der Hand, von welcher Bedeutung, namentlich
in chronologischer Beziehung, auch derartige Beobachtungen für die
Kulturgeschichte werden könuen. Und so erweist sich denn das ge-
samte Gebiet des Bedeutungswandels der Sprache, soweit es sich um
kulturhistorische Begriffe handelt, als eine noch lange nicht erschöpfte
Fundgrube sachlicher und historischer Erkenntnis. Welch ein Stück
geschichtlicher Entwicklung liegt vor uns ausgebreitet, wenn wir sehen,
wie zahlreiche Benennungen der Mitgift (s. d.) eines Mädchens aus
alten Wörtern für den Kaufpreis desselben hervorgehu, oder wie die
ältesten Bezeichnungen des Gastfreunds is. u. Gastfreundschaft)
ursprünglich den , Feind' uud , Fremden' benannten, oder wie Wörter
für Schlüssel (s. d.i eigentlich , Nagel', oder solche für Brücke
(s. d.) eigentlich ,Fnrt' oder solche für Bogen (s. u. Pf eil und Bogen)
eigentlich ,Eibe' u. s. w. bedeuteten. Derartige Einzclbeobachtungen
liegen in ungezählten Wörterbüchern und anderen etymologischen Ar-
beiten in Hülle und Fülle zerstreut vor. Auf dem Boden der Idg.
Altertumskunde allein können sie zu fruchtbaren Erkennt-
nissen zusammengefasst und verarbeitet werden.
Nicht selten geschieht es nun aber, dass die Sprache zur Be-
zeichnung eines neuen Kulturbegriffs nicht den im Bisherigen ge-
schilderten Weg beschreitet, sondern dafür einen fix und fertig aus
der Fremde entlehnten Ausdruck sich aneignet. Wir kommeu damit
zu dem Fremdwort und seiner kulturhistorischen Bedeutung, über die
wir uns kurz fassen köuuen, da sie im allgemeinen (auch von Kretschmer
S. 49) anerkannt wird. Nur Kossinna erhebt auch hier wieder Ein-
wendungen: „Wir müssen uns", sagt er S. 5, „ebensowohl hüten, zu
viel Worte in die Urzeit hinaufzurücken, als zu wenig, und damit
kommen wir zu dem dritten sprachgcschichtlichen Bedenken, das sich
darauf gründet, dass wir keine Ahnung von dem Umfange des zweifel-
los sehr grossen Verlustes haben, den der urzeitlichc Sprachschatz
innerhalb jeder Eiuzclsprache erlitten hat. Jede aus der Fremde ein-
geführte, vielleicht recht unwesentliche Veränderung eines Gegenstands
konnte ein Urwort zum Aussterben bringen und ein Fremdwort dafür
einführen. Dieses Fremdwort nimmt dann der „linguistische Paläon-
tologe" zum Beweise einer Lücke im voraufliegenden Kulturleben,
während es thatsächiieh nicht in eine Lücke getreten ist, sondern
heimisches Gut verdrängt hat. So sind die Worte „Kupfer" und
„Pferd" spütröinisehe Lchnworte. Pferde gab es aber als Haustiere
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Vorrede.
XIX
bei den Germanen nachweislich schou in der jüngeren Steinzeit, und
das Kupfer wurde ihnen bereits am Ende der Steinzeit bekannt".
Wenn man dies liest, sollte man glauben, dass derartige Erwägungen, wie
sie hier angestellt werden, dem Sprachvergleicher Ins auf G. Kossinna un-
bekannt gewesen seien. Und doch habe ich selbst lange vor ihm zu wieder-
holten Malen (vgl. besonders Sprachvergleichung und Urgeschichte*
S. 203 ff. und meine Vorrede zur VI. Auflage von V. Hehns Kulturpflanzen
p. XIV ff.) ausführlich über die methodische Verwertung der Fremdwörter
gehandelt und dabei ausdrttcklich gerade auch auf die von Kossinna
angeführten Schwierigkeiten hingewiesen. An ebendenselben Stellen
habe ich aber auch gezeigt, dass „nicht alles aus der Sprache schliessen
können" nicht heisst „nichts aus der Sprache schliessen können", und
wenn Kossinna doch selbst sagt, dass „die Veränderung" eines Gegen-
stands die Einführung eines Fremdworts bedinge, so finde ich wiederum,
dass er dasselbe sagt wie ich auch. Denn was ist Geschichte und
geschichtliches Leben anders als „Veränderung"? Über eben diese
Veränderung der Kulturbegriffe aber erhalten wir durch das Fremd-
wort Aufschluss. Es ist zweifellos sicher, dass die Entlehnung des
deutseben Wortes „Pferd" aus lat. paraveredus (gerade dieses Beispiel
habe ich a. a. 0. gebraucht) nicht beweist, dass die Deutschen ihre
Pferde von den Römern erhielten. Es ist aber ebenso sicher, dass sie
auf die Übernahme einer besonderen Verwendung des Pferdes,
nämlich der des Postpferdes (s. u. Post) aus römisch-romanischem
Kulturgebiet hinweist. Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, was
besonders gegen die Schlussfolgerungen V. Hehns (s. u.) bemerkt werden
musste, dass die Entlehnung von lat. murtw aus griech. uupio<; nicht
beweist, dass die Myrte selbst aus Griechenland in Italien einwanderte,
wohl aber dass sie unter griechischem Einfluss daselbst angepflanzt,
verbreitet, verehrt wurde. Es ist selbstverständlich, dass die Deutschen
schon ehe sie ihr „kaufen" aus lat. caupo bildeten, kauften uud ver-
kauften, und doch eröffnet uns gerade diese Entlehnung (s. n. Kauf-
mann) ein so lebensvolles Bild des römisch germanischen Handelsver-
kehrs, wie keine Ausgrabung und kein Bericht eines antiken Schrift-
stellers es uns darbietet.
Und so steht es denn mit diesem Einwand gegen die Benutzung
der Sprachwissenschaft für kulturhistorische Zwecke wie mit allen
anderen. Sie haben ihre Berechtigung dem Forscher gegenüber, der
pingui Minerva das sprachliche Material handhabt uud etwa aus Ficks
Vergleichendem Wörterbuch ein Bild der Urzeit oder aus Saalfclds
Teusaurus Italograecus ein Bild der griechisch-römischen Beziehungen
rekonstruieren wollte. Sie verlieren ihre Bedeutung demjenigen gegen-
über, der sich wohl bewusst ist, dass jede sprachliche Gleichung, die
auf Urverwandtschaft ebenso wie die auf Entlehnung beruhende, ehe
sie als Baustein benutzt werden kann, einer sorgfältigen Prüfung hin-
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XX
Vorrede.
sichtlich ihrer Tragfähigkeit bedarf. Allgemeine auf jede einzelne
Thatsache passende Hegeln lassen sich hierfür bei der Mannigfaltigkeit
der zu bedenkenden Gesichtspunkte allerdings schwerlich aufstellen.
Jeder Fall hat gewissermassen seine eigene Methode. Über die Prin-
zipien der Sprachbenutzung für die Kulturgeschichte wird man daher
immer streiten können, wie man seit lange mit Vorliebe darüber ge-
stritten hat. In concreto zeigt sich glücklicher Weise, wie schon aus
dem obigen hervorgeht, dass eine Übereinstimmung, sobald man wenigstens
um Sachen, nicht um Worte streitet, in der Mehrzahl der Fälle nicht
allzu schwer zu erzielen ist. Und so stehen wir denn, trotz der ge-
machten Einwendungen, noch immer auf dem „veralteten" Standpunkt,
den J.Grimm einnahm, dass wir in der Geschichte der Sprache eine
der reichsten und lebendigsten Quellen kulturhistorischer Erkenntnis
erblicken und trösten uns über die Versuche, auch an dieser Wahr-
heit zu rütteln, mit den rcsignationsvollen Worten Goethes:
„Wenu sie den Stein der Weisen hätten,
der Weise maugclte dem Stcinu. —
Über eins aber kann in methodologischer Beziehung kein Zweifel
sein — und auf diesen Punkt habe ich, seitdem ich überhaupt auf
dem Gebiete der Idg. Altertumskunde arbeite, mit aller mir zu Gebote
stehenden Deutlichkeit hingewiesen1) — , nämlich darüber, dass diese
Prüfung der sprachlichen Thatsachen in engster Fühlung mit den auf
idg. Boden uns entgegentretenden Realien geschehen muss.
Die Sprachbetrachtung muss von Sac h bet rachtung be-
begleitet sein. Diese führt uns zunächst zu derjenigen Wissenschaft,
1) Vgl. K. ßrugmann über Sprachvergleichung und Urgeschichte1 im
Lit. Centraiblatt 1883 Nr. 39: „Der Vf. kommt zu dein Resultat, dass die
Sprachwissenschaft, auf ihre eigenen Mittel angewiesen, nicht im stände sei,
ein zuverlässiges Bild der vorhistorischen Kulturzust finde zu entwerfen; sie
müsse mehr als es bisher geschehen sei, die archäologische Paläontologie
und Geschichtsforschung zu Hülfe nehmen. Darin wird jeder dem Vf. bei-
stimmen können-, und Curt Wachs muth Einleitung in das Studium der alten
Geschichte Leipzig 1895 S. 320: „Auf die prinzipiellen Bedenken, die einer
einseitigen Verwendung der Sprachwissenschaft zu derartigen kulturgeschicht-
lichen Rückschlüssen entgegen stehn, machte dann aber mit gutem Grunde
O. Schräder aufmerksam : besonders hob er verschiedene, die ganze Be-
trachtungsweise empfindlich störende Möglichkeiten hervor, die im einzelnen
zu uroschränken schwer fällt So riet Schräder, mit der sprachlichen
Paläontologie die archäologische zu verbinden und glaubte durch diese
kombinierte Methode, die sowohl den indogermanischen Urechatz als die
.prähistorischen' Funde verwertet, die Kultur der Urzeit erschliessen zu
können, die er als die .steinzeitliche' der Schweizer Pfahlbauten definierte".
Ich erlaube mir auf diese beiden, leicht zu vermehrenden Zeugnisse, ein
älteres und ein jüngeres, über den wirklichen Charakter meiner Methode
hinzuweisen, da man es neuerdings bequem findet, mich als einseitigen
„linguistischen Paläontologen" hinzustellen, wovon gerade das Gegenteil
richtig ist.
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Vorrede.
XXI
welche mit Hacke und Spaten in die Tiefe der Erde steigt, um die
Zeugen vorgeschichtlicher .Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, leib-
haftig dem Auge bloßzulegen, der archäologischen Prähistorie.
Es ist eine erfreuliche Thatsache, dass dieser Forschungszweig aus
der Rolle des Aschenbrödels, die er den philologisch - historischen
Disziplinen gegenüber lange Zeit gespielt hat, sich durch die auf-
opferungsvolle Thätigkeit hervorragender Männer zu einer selbständigen
nnd geachteten Stellung mit eigener Methode und einer Reihe ge-
sicherter Resultate emporgeschwungen hat. Wie sollte da nicht auch
die Indogermanische Altertumskunde zur Aufhellung der vorhistorischen
Knlturverhältnisse der idg. Völker von ihren Ergebnissen Nutzen ziehn.
die in der That geeignet sind, wie es Kossinna gut ausdrückt, den oft
„hlas8euu sprachlichen Konstruktionen die „blühende Farbe der archäo-
logischen Realitäten44 zu verleihn? Dass die Indogermanen schon in
der Urzeit sich darauf verstanden, Gefässc (s. d.) zu formen, könnten
wir allein aus der Sprache lernen. Wie aber diese Gefässc beschaffen,
mit welchen Verzierungen sie geschmückt waren, ob man sie aus freier
Hand gestaltete, oder Bchon die Drehscheibe (s. u. Töpferscheibe) an-
zuwenden verstand u. s. w., kann uns nur die Prähistoiic lehren. Ja
so hoch ist die Schätzung eben dieser Wissenschaft in neuster Zeit
gestiegen, dass es eher notwendig erscheint, vor einer Überschätzung
ihres Wertes für die Indogermanische Altertumskunde zu warnen, als
ihre von keinem Kundigen mehr bezweifelte Bedeutung ausführlicher
darzulegen. Wir meinen hierbei nicht, dass die wissenschaftliche Be-
stimmung und Ausbeutung eines archäologischen Fundes kaum einer
geringeren Zahl von natürlich andersartigen Fehlerquellen wie irgend
eine sprachliche Gleichung ausgesetzt ist, wir wollen hier nur auf zwei,
<ler archäologischen Prähistorie ihrer Natur nach anhaftende Mängel
aufmerksam machen.
P. Kretschmer sagte, wie wir oben sahen, wir sollten der Sprach-
wissenschaft den Laufpass geben, da „uns die Reste altindogermanischer
Kultur selbst durch die Prähistorie in reicher Fülle vor die Augen
gerückt seien", und dasselbe ist die Meinung G. Kossinnas. Es fragt
sich dabei nur, was wir unter „ altindogermanischer Kultur" verstehen.
Nach Boeekh ist die „Knlturentwicklung der Völker" gleichbedeutend
mit der „geschichtlichen Betätigung des Geistes der Völker", und
fast scheint es, als ob die neueren diese „Bethätigung des Geistes der
Völker" nur in Töpfen und Krügen, in Dolchen und Schwertern u. s. w.
suchten. Denn wie hoch man auch immer den Wert der Prähistorie
anschlagen möge, zweifellos ist doch, was auch H. Hirt zu wieder-
holten Malen richtig hervorgehoben hat, dass ihre Erkenntnisse sich
auf verhältnismässig beschränkte Teile der urzeitlichen Kulturwelt be-
zichn. Wenn auch gewisse Ansiedelungen, wie namentlich die Schweizer
Pfahlbauten, ein ziemlich vollständiges Bild wenigstens der materiellen
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XXII
Vorrede.
Kultur ihrer Bewohner gestatten, so handelt es sich doch in der Mehrheit
der Fälle udi vereinzelte und versprengte Fundstücke oder um Gräber-
funde, d. h. um die Gaben, welche der unverbrannten oder verbrannten
Leiche bei der Beisetzung mitgegeben wurden, und die der Natur der
Sache nach einem beschränkten Kreis von Gegenständen entstammen.
Vor allem aber werden wir von der Prähistorie nie etwas Uber da«
Familien-, Staats- und Rechtsleben und nur weniges über die religiösen
Anschauungen der Urzeit erfahren oder zu erwarten haben, so dass
also die gesamte geistige und sittliche Entwicklung des vor-
historischen Menschen auf diesem Wege für uns in Dunkel gehüllt
bleibt. Gerade hier greift die Sprachvergleichung ergänzend ein, die
mit ihrem Licht alle Seiten der vorhistorischen Kultur beleuchtet, und
nur in diesem, nicht in einem die sachliche Forschung ausschliessenden
oder beschränkenden Sinne habe ich „Über den Gedanken einer Kultur-
geschichte der Indogermanen auf sprachwissenschaftlicher Grundlage"
Jena 1887) gesprochen, den Kretschmer (S. 50) als ein nUudinga,
V. Hehn freilich, dem Kretschmer wohl ein Stimmrecht in diesen
Fragen gestatten wird, als einen „schönen Entwurf, der der Erfüllung
harrt" ') bezeichnete. In der That sind Gleichungen wie sert. pdti- =
griech. ttöoi? für den Haus- und Familienvater, sert. rd'j- = lat. rix
für den Häuptling des Stammes, aw. kaend- = griech. ttoivii für die
Rache und ihre Loskanfung durch die Busse, sc«, deod- = lat. dem,
lit. diewas für gewisse himmclentstammte Wesen prähistorische Funde,
denen die archäologische Prähistorie selbst nichts ähnliches an die
Seite zu setzen hat.
Und noch ein zweiter Nachteil dieser letzteren Disziplin dem
sprachlichen Material gegenüber niuss hier angeschlossen werden. Man
mag Gleichungen wie die eben genannten für urverwandt oder als
uralte Lehnwörter ansehn, eines ist doch sicher, dass sie auf kultur-
historische Zusammenhänge zwischen indogermanischen Völkern
hinweisen. Der archäologische Fund an und für sich aber steht, in
je ältere Zeit er zurückgeht, umso mehr jenseits aller ethnischen Ver-
hältnisse, und, falls es nicht gelingt, eine Beziehung zu diesen herzu-
stellen, auch jenseits alles wirklich historischen Interesses.
Eine solche Beziehung habe ich anzubahnen versucht, indem ich
schon in der ersten Auflage von Sprachvergleichung und Urgeschichte
'1883) den Nachweis zu führen unternahm, dass die in den ältesten
1) V. Hehn au den Verfasser am 29. März 1887: „Sie habeu mir durch
Ihre akademische Rede wiederum ein angenehmes und wertvolles Geschenk
gemacht. Sie entwerfen darin den Grundriss, das Fachwerk einer künftigen
sprachwissenschaftlichen Kulturgeschichte und halten dem Forscher alle Ge-
Mchtspunkte vor, die er bei diesem Geschäft sich stellen kann oder muss.
Hin schöner Entwurf, der der Erfüllung harrt! Einzeln« Partien sind ja
schon mehr oder minder ausgeführt, nicht am wenigsten durch Sie selbst" u. s. w.
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Vorrede.
XXIII
Pfahlbauten der Schweiz zu Tage getretene Kultur der jüngeren Stein-
zeit sich im Grossen und Ganzen mit derjenigen Kulturstufe deckt,
welche wir auf linguistisch-historischem Weg als die der ältesten
europäischen Indogerroaneu erschließen konneu. Es zeigt sich, das»
die wichtigsten Bestandteile jener ältesten Pfahlbautenkultur, also z. B.
die daselbst nachgewiesenen Hausticrc oder Kulturpflanzen oder die
von den Pfahlhauern geübten Künste des Nähens, Spinnens, Webens
n. s. w. sich durch urverwandte Gleichungen belegen lassen, während
für Kulturgegenstände, die bisher in der ältesten Pfahlbautenzeit nicht
nachgewiesen werden konnten, also z. B. für Esel, Maultier und Katze
oder für den Roggen und Hanf auch die sprachlichen Belege in dem
Wörtcrscbatz der europäisch-indogermanischen Urzeit in der Kegel
vermisst werden <>. auch u. Kupfer und Steinzeit). Dasselbe wie
von der Kultur der ältesten Schweizer Pfahlbauten gilt aber von den
neolithiseben Ansiedlungen Europas Uberhaupt, und so gelangen wir
auf diesem Wege, auf dem ich unter den Archäologen z. B. bei
M. Much (Die Kupferzeit in Europa und ihr Verhältnis zur Kultur der
Indogermanen II. Auflage, Jena li<93), unter den Sprachforschern z. B.
bei W. Streit berg1) und H. Hirt») Zustimmung gefunden habe, zu
einem doppelten Ergebnis: einmal zu dem, dass die proelhnischeu Zu-
sammenhänge der Indogermanen in die neolithischc Zeit fallen, und
zweitens zu dem, dass der auch von allgemeineren Gesichtspunkten
aus nächstliegenden Annahme nichts im Wege steht, schon das neo-
lithische Europa sei in weiter Ausdehnung von Indogermanen bevölkert
gewesen3). Damit aber ist für den Linguisten und Prähistoriker eine
1) „Eine Thatsache von grosser Tragweite, auf di«; vor allem O. Schräder
hingewiesen hat, ist, dass die Kultur der jüngeren Steinzeit überraschende
Ähnlichkeit mit derjenigen zeigt, die wir aus sprachlichen Momenten für die
idg. Urzeit erschließen können", W. Streitberg Die Urheimat der Indoger-
manen Feuilleton d. Frankf. Zeitung vom 15. März 1893.
2) „Die gleiche Kulturstufe wie sie in den Schweizer Pfahlbauten vor-
liegt, müssen nach Ausweis der Sprache die Indogermaneu. zum mindesten
die Europäer, erreicht haben", H. Hirt Geogr. Z. heruusg. von A. Hettner IV,
1898 S. 374 (s. auch u. Kupfer und vgl. die Aum. auf S. XVIII).
3) Zu dem gleichen Resultat kommt auf Grund allgemeinerer Er-
wägungen auch P. Kretschmer S. 57; doch tadelt er den Weg, auf dem,
wie ich glaube, dasselbe allein beweisbar ist. Seine Einwendungen lassen
Bich an folgenden zwei Fällen zugleich deutlich machen und — widerlegen.
Der neolithischen Kultur war die Ziege als Haustier bekannt, die Gans als
solches unbekannt. Nun, meint Kretschmer, fehle gerade für die Ziege
ein gemeinindogermanisches Wort, während umgekehrt für die Gans (sert.
hamtsii- = griech. xnv u. 8. w.) ein solches vorhanden sei. Was nun aber
das erstere Beispiel anbetrifft, so sind für den Ziegenbock so viele partielle
Übereinstimmungen in den idg. Sprachen vorhanden {s. u. Ziege), dass mit
uns auch Uhlenbeck Beiträge XIX, 330 und Hirt in Hettners Geogr. Z. IV, 379
das Vorhandensein von Ausdrücken für dieses Tier in der idg. Ursprache
folgern (s. oben S. XI über die Verwertung partieller Gleichungen . Im
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XXIV
Vorrede.
gemeinsame ethnographische Basis gegeben, von welcher sie zur Er-
klärung der weiteren kulturgeschichtlichen Entwicklung unseres Erd-
teils zusammen ihren Ausgangspunkt nehmen könuen.
Die Notwendigkeit eines Zusammengehens von Sprach- und
Sachforschung auf dem Boden der Idg. Altertumskunde tritt mit be-
sonderer Deutlichkeit ferner bei den Versuchen hervor, über die Genesis
unserer Flora und Fauna Licht zu verbreiten, Versuche, die die
Sprachforschung zu engen Beruhrungen mit der botanischen und
zoologischen Paläontologie führen mussten. Ich kann hieran das
kurz schon oben genannte Buch V. Hehns Kulturpflanzen und Haus-
tiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien so-
wie in das übrige Europa (1. Auflage, Berlin 1870) anknüpfen. Wie
der Titel dieses Werkes andeutet, sollte in demselben der Nachweis
geführt werden, dass die wichtigsten Charakterpflanzen des Südens
zusammen mit einer Reihe von Haustieren erst in historischer Zeit
durch die Hand des Menschen aus dem Orient, gewöhnlich wie Hehn
annahm, aus Syrien oder den Pontusländern, nach Europa verpflanzt
und hier weiter verbreitet worden seien. Was den Verfasser zu dieser
Annahme einer grossartigen Orientalisiernng der europäischen Flora,
von der ich hier allein sprechen will, führte, war, abgesehen von
historischen Erwägungen, die Beobachtung, dass die sprachliche Ent-
lehnung auf dem Gebiet der Kulturpflanzen eine sehr umfangreiche ist.
Griech. Kdvvn. „das Rohr" ist aus dem Semitischen entlehnt, lat. murtu*
,die Myrte' aus dein Griechischen. Beweist dies nicht, dass auch von
den beiden Pflanzen die eine von den Semiten zu den Griechen, die
andere von den Griechen zu den Römern kam? Die philologische
Argumentation Hehns fand einstimmigen Beifall bei den Philologen.
Seitens der Naturforscher wurden Bedenken laut. So machte 0. Heer,
der bekannte Bearbeiter der Pflanzen der Schweizer Pfahlbauten, darauf
aufmerksam, dass Myrten-, Lorbeer- und Mastixblätter schon in den
ältesten Tuffen am Fuss des Aetna entdeckt worden seien, und dass
daher diese Pflanzen nicht in historischer Zeit in Italien eingeführt
worden sein könnten. V. Hehn antwortete in dem Vorwort zur II.
Auflage sehr kühl: „Ich habe Italien genommen wie es war, als in
historischer Zeit sich hier die erste höhere Kultur entwickelte; welche
Pflanzen es in einer früheren Erd-Epoche trug, ist mir gleichgiltig
Erst hätte Herr Professor Heer aufzeigen müssen, dass von den ältesten
Tuffen des Aetna oder den diluvialen Travcrtincn Toskanas iu der
zweiten Falle aber übersieht Kretsehiner , dass wir den archäologischen
Funden nicht allein die linguistischen, sondern die linguistisch historischen
Ergebnisse gegenüber stellen, und diese lehren uns eben, dass die Gans
(s. d.) in der idg. Urzeit noch kein Haustier gewesen sein kann, da sie es
auch in historischer Zeit in den ältesten Epochen der Einzclvölker noch
nicht ist.
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Vorrede.
XXV
Tbat ein ununterbrochener vegetativer Zusammenhang bis auf die Zeit
geht, wo die geschichtlichen Zeugnisse beginnen. Kann er diesen
Nachweis führen, so will ich gern einräumen, d a s s mich meine
historischen Mittel an diesem Punkte falsch beraten
haben." Naturforscher und Philologe hatten sich nicht überzeugt,
und doch gab und giebt es für beide keine besondere Wahrheit.
Als es sich daher darum handelte, nach dem Tode V. Hehns eine
Neubearbeitung des berühmten Buches zu veranstalten, schien es nötig,
nm diese und andere Streitfragen, welche sich an dasselbe knüpften,
wenn möglich zu schlichten, die Arbeit gemeinsam einem Naturforscher
nnd Philologen zu übertragen. Für den botanischen Teil wurde Prof.
A. En gl er, der Direktor des Berliner Botanischen Gartens, gewonnen.
Indem ich auf die Ausführungen dieses Gelehrten in dem Vorwort zu
der Neubearbeitung des Hehnscheu Werkes') verweise, hebe ich nur
hervor, dass es der heutigen Botanik allerdings möglich ist, den
von Helm vermissten Nachweis der vegetativen Kontinuität zwischen
früheren und der jetzigen Erdpoche im westlichen und südlichen Eu-
ropa zu führen. Engler schliesst: „Wir sind daher berechtigt, von
allen Pflanzen, welche am Ende der Tertiärperiode oder in der
lnterglacialperiode oder auch bald nach der Glacialperiode in Süd-
europa existierten, anzunehmen, dass sie ohne Zutbun des Menschen
dahin gelangt sindu. Dem Philologen blieb es übrig zu zeigen, dass
in der That V. Hehn aus sprachlichen Kriterien nicht selten zu viel
geschlossen habe, dass z. B. lat. murtus auch deswegen aus dem
Griechischen entlehnt sein könne, weil die Römer von den Griechen
die Verehrung der Myrte als des Baumes der Aphrodite übernahmen.
Das Gesamtresultat Hehns bleibt trotzdem bestehen, nur dass man in
recht vielen Fällen nicht eine Übertragung der Pflanze selbst aus dem
Orient nach Griechenland oder aus Griechenland nach Italien, sondern
nur die ihrer Kultur annehmen inuss.
Wenn so bei den im Hehnschen Buch behandelten Pflanzen durch
die gemeinsamen Überlegungen des Botanikers und Philologen, wie
ich hoffe, zuverlässigere Ergebnisse gewonnen worden sind, so steht die
gleiche Aufgabe auf zahlreichen anderen Gebieten de» Pflanzenreiches,
soweit es in den Dienst der idg. Völker getreten ist oder Beziehungen
zu ihrer Kultur gewonnen hat, noch bevor. So werden von Hehn die
Getrcidcarten, die Pflanzen des Gemüsegartens (mit Ausnahme der
Cucurbitaceen, Hülsenfrüchte und Zwiebelgewächse), die technisch ver-
wertbaren Pflanzen (mit Ausnahme des Flachses und Hanfes), die Heil-
and Zauberkräuter u. s. w. entweder gar nicht oder nur im Vorübcr-
1) V. Hehn Kulturpflanzen und Haustiere. VI. Aufl., neu herausge-
geben von O. Sehrader, mit botanischen Beiträgen von A. Kngler. Berlin
1894. Eine II Auflage dieser Neubearbeitung, die VII. des Buches, ist in
Vorbereitung.
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XXVI
Vorrede.
gehen behandelt. Über die Ursprünge und Verbreitungsgeschichte aller
dieser Pflanzen aber sind wir noch sehr wenig unterrichtet. Hier ist
also (ebenso wie auf dem Gebiete des Tierreichs) noch ein weites
Feld geraeinsamer Thätigkeit für Naturforscher und Philologen ge-
öffnet.
Es erübrigt, ein Wort über die Beziehungen der indogermanischen
Sprachwissenschaft zu derjenigen Wissenschaft zu sagen, welche den.
Menschen selbst, nicht als Eiiov ttoAitiköv, als Kulturträger, sondern
als Ztpov in naturwissenschaftlichem Sinne zu erforschen bestrebt ist,
zu der Anthropologie. Ich kann mich Uber diescu Punkt umso
kürzer fassen, als er von P. Krctschmer in seiner oft genannten Ein-
leitung in die Geschichte der griechischen Sprache 1896 Cap. II mit
ausgezeichneter anthropologischen Sachkenntnis und in dem gleichen
Sinne wie vorher von mir (Sprachvergleichung und Urgeschichte 8
Zur Methodik und Kritik der linguistisch-historischen Forschung Cap. I:
Die idg. Sprach- und Völkerverwandtschaft, und in der Aula 1895
S. 364 ff.) erschöpfend und richtig behandelt worden ist. Als die An-
thropologie sich der indogermanischen Frage zuzuwenden begann,
schien es einen Augenblick, als ob der ganze Hegriff des Indogenna-
nentums vor ihren Rassenkonstruktionen, in die er sich in keiner
Weise einfügen Hess, in sich zusammenbrechen werde. Indessen ist
das Gegenteil der Fall gewesen. Der Gedanke einer idg. Sprach-
und Völkereiuheit ist siegreich aus allen Anfechtungen hervorgegangen.
Keine der anthropologischen Hypothesen, auch nicht die auf die Ver-
schiedenheit des Baues des menschlichen Schädels gegründeten, haben
ein für die genealogischen Verhältnisse der Völker entscheidendes und
allgemein anerkanntes Merkmal ergeben. „Ein so sicheres Faktum",
sagt Kretscbmcr a. a. 0. mit Recht, „wie die idg. Sprachcinbcit, eine
so scharfe ethnische Abgrenzung wie dieselbe gegen die Nachbarvölker
erlaubt, bat keine der anthropologischen Theorien, die sich mit der
idg. Sprache beschäftigen, aufzuweisen vermocht. u So nützlich und
fruchtbringend daher auch die anthropologischen Untersuchungen für
die Naturgeschichte des Menschen sein mögen, für die Völkerkunde
im allgemeinen und für die Indogermanische Altertumskunde im be-
sonderen haben sie bis jetzt nur einen sekundären Wert erlangt (s.
näheres u. Körperbeschaffenheit und u. Urheimat der
Indogermanen).
Wir haben bis jetzt gesehen, dass die für das Verständnis der
i udogermanischen Sprachverwandtschaft notwendige Voraussetzung eines
indogermanischen Urvolks zu der Frage führte, ob es nicht möglich sei,
wie die Sprachentwicklung, so auch die Kulturentwicklung der Indoger-
manen bis in die Epoche dieses Urvolks zurückzuverfolgen. Wir haben
ferner gesehn, welche Mittel die Sprachwissenschaft selbst für die Erfüllung
dieser Aufgabe darbietet, Mittel, die jedoch vielfach nur dann zu mi-
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Vorrede.
XXVII
anfechtbaren Ergebnissen führen können, wenn die Sprachbetrachtung
sich mit sorgfältiger Sachbetrachtung verbindet. Diese Sachbetrachtnng
leitete ans zunächst zu eine Reihe unter einander nahverwandter Dis-
ziplinen, welche den Vorzug mit einander gemein haben, durch prä-
historische und paläontologische Funde mehr oder weniger direkt in
die Urzeit hinüberzufahren, andererseits aber auch den gemeinsamen
Nachteil besitzen, sich auf verhältnismässig beschränkte Teile der ur-
zeitlichen Kulturwelt zu beziehn. Die Indogermanische Altertumskunde
würde daher bei der Rekonstruktion ihres Hildes der Urzeit über ein
sehr lückenhaftes Material verfügen, wenn ihr nicht noch ein anderes
Mittel für ihre Zwecke zur Verfügung stände, das der Vergleiehung
der bei den idg. Völkern historisch bezeugten oder noch jetzt lebenden
Realien und Institutionen.
Diesen Weg zu wandeln hat uns V. Hehn gelehrt. Sein Aus-
gangspunkt dabei ist ein doppelter. Einmal werden auf das sorgfältigste
alle Nachrichten gesammelt, welche die Schriftsteller des Altertums
und Mittelalters uns Über die Sitten und Gebräuche der europäischen
Nordvölker, vor allem der Kelten, Germanen und Slaven hinterlassen
haben. Das andre Mal wird dieses tote Material belebt und vervoll-
ständigt dnreh die Erfahrungen, welche Hehn selbst, durch ein für
ihn selbst widerwärtiges, aber für die Wissenschaft heilsames Lebeus-
8chicksal in das Innere Russlands verschlagen (vgl. Vf. V. Hehn, ein
Bild seines Lebens und seiner Werke Berlin 1891 S. 23 ff.), bei diesem
rückständigen Zweige der idg. Völkerwelt gesammelt hatte. Diese Be-
deutung der Slaven für die Urgeschichte der Indogermanen wird Hehn
nicht müde, immer aufs neue hervorzuheben. Vgl. De moribus Ru-
thenorum S. 118: „Sie (die Russen) sind sehr alt, uralt uud haben
das älteste konservativ bewahrt und geben es nicht auf. An ihrer
Sprache, ihrer Familienverfassung, ihrer Religion,
ihren Sitten, ihrem Aberglauben, ihrem Erbrecht
u. s. w. lässt sich das frühste Altertum studieren", Italien II. Aufl.
S. 236: „Die Slaven bilden für den Kulturhistoriker eine
reiche, bisher noch so gut wie unberührte Fundgrube von Altertümern.
Selbst in den Gegenden um Moskau, also im Herzen Rnsslands, sowie
in Kleinrussland kann der aufmerksame, mit der Sprache bekannte
Beobachter tausendmal an Homer und das bei Homer
geschilderte Leben erinnert werden", Baltische Monats-
schrift Januar 1864: „Die Baltische Monatsschrift verdient es wohl
(viele Abonnenten) ; denn hat sie nicht auch in ihrer Art ein
wichtiges Amt zu verwalten, ist sie nicht auch, gleich ihrer be
rühmten Pariser Kollegin, eine Warte beider Welten? Der kleinen
baltischen nämlich und jener auswärts liegenden, ganz anders ge-
arteten, ungeheuer ausgedehnten byzantinisch-slavischen Welt, die mit
eignen Schriftzeichen schreibt, mit eigenen Kügelchen auf Draht-
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XXVIII
Vorrede.
Stäben rechnet, ihre Grütze so körnig isst, wie der Perser seinen Reis,
nnd sich mit dem Vor- und Vaternamen nennt, wie die Völker des
Altertums, der Welt u ran fänglicher Dorfgemeinsehaft,
stammartig wachsender, durch kein Prinzip der Per-
sönlichkeit sich auflösender Familie." Erst nachdem so
dem Kulturhistoriker auf dem schwankenden Boden der Urgeschichte
ein bös poi ttoö jtüj gegeben ist, wagt es Hehn, sich der glänzenderen
Kulturwelt des klassischen Altertums zu nähern und die beiden Fragen
aufzuwerfen: Wie sind einerseits Griechen und Römer aus den in jenen
Zeugnissen noch vorliegenden Anfängen idg. Kultur zu den viel-
bewunderten Völkern des Altertums geworden, und andererseits, welche
Überreste der Urzeit lassen sich auch bei ihnen noch nachweisen?
Die hier geschilderte Methode V. Hehns, über die Grenzen der
Überlieferung vorzudringen, kann man zugleich als neu und als —
uralt bezeichnen. Xcu ist sie gegenüber den bis auf ihn Üblichen
rein sprachlichen Rekonstruktionen der Urzeit, deren umfangreichste
in dem grossen Werk des Genfer Gelehrten A. Pietet Les origines
Indoeuropccnnes (1859 — 63) vorliegt. Uralt ist sie, wenn man bedenkt,
dass schon Thukydides in der Einleitung zu seinem Geschicbtswerk,
in der er ein Bild der griechischen Urzeit zu entwerfen unter-
nahm, diesen Weg einschlug. Besonders charakteristisch ist in dieser
Beziehung das V. Kapitel des ersten Buches, in dem der Geschichts-
schreiber zeigt, dass im ältesten Hellas fortwährende Raubzüge zwischen
den einzclneu Stämmen stattfanden, und dass diese Quelle des Erwerbs
damals für die Beteiligten noch nichts ehrenrühriges hatte. Den Be-
weis für diese Anschauung findet er einmal darin, dass der geschilderte
Zustand noch zu seinerzeit bei zurückgebliebenen Stämmen wie den
Ozolisehen Lokrern, den Ätolern und Akaruanen herrsche, das andre
Mal darin, dass man noch im ältesten Epos den angekommenen Fremd-
ling unbedenklich frage, ob er vielleicht ein Räuber sei, der über das
Meer gekommen wäre. TToXXd b' öv, fügt er Cap. VI hinzu, xm äXXa
Tiq äTTobei£€i€ tö iraXaidv 'EX\r)viKÖv öuoiörpoTTa tüj vöv ßapßapuaO
biarmujevov. „Auf viele andere Züge könnte man noch hinweisen, in
denen sich altgriechischer Brauch mit dem moderner Barbarenvölker
deckt."
Einiges bleibt zur näheren Charakterisierung der Quellen und
Methoden dieser Realien- und Institutionen verglcichung zu be-
merken übrig. Bei der ßeuutzung der Nachrichten, welche uns Griechen
und Römer über die Nordvölker Europas hinterlassen haben, vergesse man
nicht eine Erscheinung in Rechnung zu stellen, auf die Alexander Riese
in einem feinsinnigen Programm Die Idealisierung der Naturvölker des
Nordens in der griechischen und römischen Litteratur (Frankfurt a. M.
187ö) zuerst zusammenfassend hingewiesen hat, die Erscheinung nämlich,
dass die klassischen Autoren in schroffem Gegensatz zu einem in die
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Vorrede.
XXIX
Tiefe der Dinge steigenden Forscher wie Thukydides vielfach der
Meinnng waren, die uns auch in neueren Litteraturepochen gelegentlich
zu begegnen pflegt, das« Tugend, Glück, Wohlfahrt allein in den ein-
facheren Verhältnissen der Harbaren zu finden seien, deren Zustände
sie daher nicht selten in rosiger Verklärung schauten und schilderten.
Neben den antiken Nachrichten über die Nordvölker sind natürlich
auch, was von V. Hehn nicht immer geschehen ist, ihre einheimischen
Quellen zu Rate zu ziehn, die so relativ später Zeit sie angehören,
und so sehr sie schon unter südlichen Einflüssen stehen mögen, doch
reiche Fundgruben vorhistorischer Altertümer enthalten. Man denke
in dieser Beziehung etwa an Gesetzgebungen wie die irischen Brehon-
gesetze und die ältesten slavischen l'ravdas, oder an Dichtungen wie
den angelsächsischen Bcownlf und den altsächsischen llcliand u. s. w.
Unter den Völkern der Gegenwart erweisen sich ueben den
Russen, die Hehn bei seinen obigen Ausführungen besonders im Auge
hatte, für die Rekonstruktion der Urzeit, namentlich auf dem Gebiete
der Familie, der Sippe und des Stammes, auch die südslavischen
Verhältnisse von hervorragender Wichtigkeit, die daher sowohl Delbrück
in seiner Untersuchung über die Verwandtschaftsnamen wie auch der
Unterzeichnete in der zweiten Auflage von Sprachvergleichung und
Urgeschichte (1890) vielfach zur Vergleichung herangezogen hat. Dieser
Ansicht schliesst sich auch H. Hirt an, der in neuerer Zeit Bosnien
und die Herzegowina selbst bereist hat. „Bei den Südslaven ist bis
zum heutigen Tage eine Familien- und Wirtschaftsform, die zadruga,
lebendig geblieben, die sicher in sehr alten Zeiten wurzelt'' (Jahrb. f.
Nationalök. u. Stat. III. Folge, XV, 458), und „Hier lebt vor allem
noch die Familien- und Wirtschaftsform, die wir für die Urzeit voraus-
setzen dürfen. Mir ist in diesen Ländern das Bild jener Epoche, das
ich durch Studium gewonnen hatte, erst lebendig geworden" (Hettners
Geogr. Z. IV Jahrg. 1898 S. 387). Es ist zu wünschen, dass Hirt
seine Reisebcobachtungen auf diesem Gebiet bald der Öffentlichkeit
übergeben möge. In religiousgeschichtlieher Beziehung haben sich,
wie das hervorragende Buch H. Uscners Götternamen, Versuch einer
Lehre von der religiösen Begritfsbildung Bonn 1896 zeigt, vor allem
die litauischen Götternamen und Gottesvorstellungen als wichtig
für das Verständnis des ältesten idg. Glaubens erwiesen (s. u. Reli-
gion).
Der charakteristischste Punkt der Hehnschen Sachvergleiehung
ist immer das Bestreben, von den primitiven Kulturverhältnisseu der
Xord-Indogermancn aus einen Aus- und Einblick in die Kulturentwick-
lung des klassischen Altertums zu erhalten. Gerade umgekehrt ist der
Weg, den B. W. Leist in seinen Büchern Gracco-italischc Rechts-
geschichte (1884), Altarisches Jus gentium (1889), Altarisches Jus
civile I (1892), Altarisches Jus civile II (1896) einschlägt, um die
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XXX Vorrede.
vorhistorische Rechtsordnung der Griechen und Römer zu ermitteln
und auf dieser Grundlage das historische Recht der Griechen und
vor allem das der Römer zu verstehen. Aus dem Kreise der idg.
Völker greift er in dem eisten Werk die Griechen und Römer, in dem
zweiten die Inder, Griechen und Römer, also beliebige, d. h. nicht
durch nähere Verwandtschaf t mit einander verbundene, aber
sämtlich schon bei Anheben der Überlieferung auf verhältnismässig
hoher Kulturstufe stehende Völker heraus, um durch eine Vergleichung
ihrer Rechtsordnungen bis zu ihrem „Stammrecht" vorzudringen. Erst
in dem letzten der genannten Werke werden auch die Rcchtsbildungen
der Nordvölker vergleichend herangezogen, ohne auf die längst vorher
feststehenden Grundanschauungcn des Verfassers noch einen mass-
gebenden Einfluss ausüben zu können. Meine Bedenken gegen diese
Forsehungsweisc dqs Verfassers, die um so sicherer zu übertriebenen
Vorstellungen von dem religiösen, sittlichen und rechtlichen Leben
der Indogermaneu führen musste, als auch von den Ergebnissen der
Sprachforschung nicht selten ein unhistorischer Gebrauch gemacht
wird, habe ich zu verschiedenen Malen dargelegt (vgl. Sprachvcrgl.
und Urgeschichte* S. 202, 353 ff., Deutsche Litz. 1893 Nr. 10), und
sehe jetzt, dass ähnliche Einwendungen auch von anderen gemacht
werden. So äussert vom juristischen Standpunkt R. Lö n i n g in der
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtsw. V, 553 ff.: „Meist beiseite
gelassen hat der Vf. dagegen die rechtlichen Anfänge der übrigen
idg. Völker, insbesondere der Germanen, welche ihm dnreh ihre weniger
gefesteten sakralen Ordnungen in einem wesentlichen Gegensatz zu
Griechen und Italern stehend erscheinen. Dagegen lässt sich zwar
an sich nichts einwenden (V); doch ist andererseits zu beachten, dass
uns für kein Volk gerade die Urzustände so gut bezeugt sind, wie für
die Germanen, und dass gerade von hier aus die relativ
sichersten Schlüsse auf die idg. Rechtsanfänge über-
haupt und damit indirekt auch auf die der G r a e c o -
Italiker gezogen werden könne n.u So bemerkt E. Meyer
Geschichte des Altertums 11,45 von historischem Standpunkt, dass
die Untersuchungen Leists zwar im einzelnen sehr viel richtiges und
wertvolles enthielten (womit auch wir durchaus Ubereinstimmen), ihre
Grundgedanken aber sehr problematisch seien; denn die nachge-
wiesenen C b e r e i n s t i in m u n g e n beruhten weit mehr
auf Gleichheit der Kulturbedingungen als auf ver-
erbtem Gut. So glaubt Ol den b e rg Die Religion des Veda S. 464 8
vom Standpunkt der Religio nsge"Bch ich tc, dass Leist bei der Erklä-
ning gewisser indischer Hergänge viel zu weit in dem Bestreben
gehe, dieselben nach scharfen juristischen Begriffen
zu k o n s t r u i e r e n u. s. w. Gänzlich ablehnend gegen die Gedanken-
gänge Leists verhält sich offenbar R. v. I bering in seinem Werk Vor-
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Vorrede. XXXI
geschiente der Indoeuropäer1) (Leipzig 1894), in dem er, so oft sich
auch die Gelegenheit dazu bietet, die Leistscheu Forschungen — öfters
zu seinem Schaden — völlig ignoriert.
So glauben wir also, dass die Hehnsehe und Lcistsche Methode
sich feindlich einander gegenüberstehen wie Feuer und Wasser, und
eine prinzipielle Vermittlung zwischen ihnen nicht denkbar ist.
Anderer Meinung ist freilich P. v. Bradkc in einer Besprechung
des Leistschen Jus eivile I in dem Anzeiger für Indogerm. Sprach-
und Altertumskunde VI, 6 ff . „Mit Viktor Hehns Kulturpflanzen',"
heisst es am Schluss, „bilden die Leistischen Arbeiten die Grundlage
für die wissenschaftliche Erforschung des arischen (indogermanischen)
Altertums. Scheinbar sind die beiden Männer entgegengesetzte Wege
gegangen Doch widerspricht sich nichts, beides
z n s a m m e n c r g i e b t erst das rechte Bild". Ich glaube, dass
eine irreführendere Darstellung des vorliegenden Verhältnisses sich nicht
wohl denken lässt. Mau erwäge aus vielen nur folgende Punkte! Nach
V. Hehn hatten die Naturgewalten in der Urzeit noch keine menschlich-
persönliche Gestalt angenommen, und der Name Gottes bedeutete noch
Himmel. Nach Leist war schon in proetlmischcr Zeit Dyäus der
„schützende und strafende Leiter der Weltordnungu, die „regierende
Persönlichkeit", die „einerseits vorsorgende, ernährende, andererseits die
animad vertierende, strafende Macht". Nach Hehn beruht die idg.
Familienorganisation auf ausgesprochenem Patriarchentum. Leist, der
jeden patriarchalen Charakter der ältesten Familienordnung ausdrücklich
leugnet, geht von der sakralen Gleichstellung des Weibes mit dem
Manne (der pdtni mit dem päti-) im idg. Hauswesen aus. Nach Hehn
gehen die greisen Eltern in der Urzeit freiwillig in den Tod oder
werden gewaltsam erschlagen. Nach Leist gehörte schon in vorge-
schichtlicher Zeit die Ehrung der Eltern zu den neun „der Gottheit
entstammenden, von weisen Männern gesehenen" Geboten, durch die
das sittliche Leben des Crvolks geregelt war. Ich darf es dem
Leser überlassen, zu ermessen, welcher Art das aus derartigen Wider-
sprüchen zusammengesetzte Bild der idg. Urzeit sein würde2).
Gleichwohl ist auch so den Leistschen Werken ein bleibender
Wert auf dem Gebiete der Indogermanischen Altertumskunde gesichert.
Dieser liegt einmal in dem überaus reichen rechtsgeschichtlichcu
Material, das Leist mit grosser Gelehrsamkeit zusammengetragen hat,
das andre Mal darin, dass es Leist gewesen ist, der die vergleichende
1 Vgl. im übrigen meine Ansicht über diese» Buch in der Deutschen
Litz. 1895 Nr. 6.
2) Ganz leise giebt übrigens auch v. Bradke S. 14 zu, dass sich „mit
der kräftigeren Kinwirkung besonders der nordeuropaischen Tradition" auch
die (Leistsche) Auffassung des altarischen Kultrechts „mutmasslich ver-
schieben" werde.
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XXXT1
Vorrede.
Rechtswissenschaft zuerst auf den festen Boden des Indogernianeutuins
beschränkt hat.
Dieser zweite Punkt führt uns schliesslich zu dein Verhältnis
der Indogermanischen Altertumskunde zu derjenigen Wissensehaft,
welche man als Vergleichende Völkerkunde zu bezeichnen
pflegt, und als deren Tochter auch die Vergleichende Rechtswissenschaft
zu betrachten ist. Indem diese die Rcchtsiustitutionen aller möglicher
Völker des Erdbodens, namentlich auch die der sogenannten Natur-
völker, zum Gegenstand ihrer Betrachtung macht, hofft sie auf d c m
Wege der Analogie Belehrung über das Wesen und die Geschichte
des Rechts auch bei den idg. Völkern zu erlangen. Ob dieser Weg
zu dem gewünschten Ziele führen wird, wage ich nicht zu entscheiden.
Hervorheben aber möchte ich, dass die Indogermanische Altertums-
kunde ihm mit einem gewissen Misstranen gegenüber zu stelin alle Ursache
hat. Einen interessanten Beleg für die Gefahren, welche ihr von dort
drohen können, bietet die Geschichte der Theorie des sogenannten
Mut t e r rec h t s. Die Vergleichende Rechtswissenschaft beobachtete,
dass bei zahlreichen unzivilisierten, aber auch bei zivilisierteren Völkern
des Erdballs die Verwandtschaft und der Erbgang des Kindes nach
der Mutter, nicht nach dem Vater bestimmt werde, und da dieser Zu-
stand eine passende Mittelstufe zu bilden schien zwischen der als Ur-
zustand der Menschheit angenommenen Promiscuität der Geschlechter,,
bei der denn la recherche de paternitee zwar nicht „untersagt14 aber
unmöglich war, und der historischen Vaterfamilic, so verfiel man auf
den Gedanken, nach Spuren einer mutterrechtlichen Epoche auch bei
dan idg. Völkern zu suchen. In der That glaubte man solche nament-
lich bei den Germanen, z. B. in der vielbesprochenen Stelle von Tacitus
Germania: nororum filiis idem apud aminculum qui apud patrem
honor, gefunden zu haben; denn wo die Mutter der Ausgangspunkt
der Verwandtschaft für das Kind ist, steht demselben der Mutterbruder
unter den männlichen Verwandten am nächsten.
Dem gegenüber habe ich schon im Jahre 1886 in einer Be-
sprechung der Antiquarischen Briete J. Bachofens, des entschiedensten
Vertreters jener Mtitterrechtstheorie (Deutsche Litz. Nr. 27), hervor-
gehoben, dass die in der idg. Ursprache ausgebildeten Verwandt-
schaftsnanien auf das unzweideutigste Protest gegen die Annahme ein-
legen, dass die Indogermauen im Zustand des Mutterrechts gelebt
hätten. Seitdem ist durch eine Reihe von Untersuchungen, für welche
ich ausser auf B. Delbrücks Idg. Verwandtschaftsnamen (Leipzig
1889) auch auf den betreffenden Abschnitt der II. Auflage meines
Buches „Sprachvergleichung und Urgeschichte" (Jena 1800 S. ff.)
verweisen darf, die altindogermanische Familicnordnung derartig klar
gestellt worden, dass von Mutterrecht auf idg. Boden schlechterdings
keine Rede mehr sein kann. Dass das, was man bei idg. Völkern als
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Vorrcdn.
XXXTII
Spuren jenes Znstands in Anspruch genommen hat, in befriedigender
Weise anders erklärt werden kann, hat Delbrück in einem besonderen
Aufsatz (Das Mutterrecht bei den Indogcrmancn, Preuss. Jahrbücher
LXXIX Heft 1) gezeigt (näheres s. n. M u 1 1 e r r e c h t). Derartigen
Bestrebnngcn gegenüber ist es, wie schon hervorgehoben wurde, ein
nicht zu unterschätzendes Verdienst B. W. Leists, die Diskussion auf
„historisch- cohaerenten" Boden, d. h. eben auf idg. Gebiet beschränkt
zu haben, wie er denn auch mit uns die Herrschaft des sog. Mntter-
rechts in indogermanischer Vorzeit leugnet. Bemerkt muss übrigens
werden, dass die ethnologische Forschung (vgl. namentlich Grosse
Die Formen der Familie und d. F. der Wirtschaft Freiburg i. B.
und Leipzig 1896 S. 9 ff.) in neuster Zeit zu wesentlich anderen Vor-
stellungen über Ursache und Geschichte des Mutterrccbts wie früher
gekommen ist.
Grosse Vorteile auf anderen Gebieten erhofft H.Hirt aus
eiuer engen Verbindung von Indogermanischer Altertumskunde und
Vergleichender Ethnologie. „Bei unserer Aufgabe", sagt er in der
41. Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung 1890. „können wir die
Ethnologie oder Völkerkunde nicht mehr entbehren. Sic hat die mo-
dernen primitiven Völker untersucht und bei ihnen Zustände gefunden,
die man als allgemeine Entwicklungsstufen der Menschheit
ansehn darf. Das Ziel der Völkerkunde geht dahin, die noch jetzt
vorhandenen Kulturstufen der Menschheit in ein Entwicklungsystem zu
bringen, dadurch die Geschichte der Menschheit zu ergründen ....
Soviel stellt fest, dass uns die Völkerkunde oft genug ein Verständnis
der Zustände im eignen Hause ermöglicht hat. Für die Erschliessung
der Urzeit ist sie geradezu unentbehrlich." Und in den
Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik III. Folge, XV, 463
heisst es: „Die Anschauungen über die wirtschaftlichen Zustände
der Indogcrmancn haben sehr geschwankt. Die ältere Wissenschaft sah in
ihnen ein ideales Naturvolk, das den Ackerbau und die Viehzucht kannte.
V. Hehn bat dieser Ansicht den Todesstoss versetzt. Er, der russische Zu-
stände lange vor Augen gehabt hatte, suchte das kulturelle Niveau der
Indogermanen herabzudrücken In der neueren Zeit ist aber
die Ethnologie auf den Kampfplatz der Geister getreten, und ihre
Forschungen mussten auch die Ansichten über unsere Vorzeit ändern."
Auch wir sind der Meinung, dass die Vergleichende Ethnologie über
manche Institution, vorausgesetzt, dass dieselbe durch die im
obigen geschilderten, auf idg. Boden sich darbietenden
Mittel als indogermanisch erkannt worden ist, helleres Licht ver-
breiten kann, sind aber andererseits der Meinung, dass II. Hirt iu der
Hcrcintragung wirklicher oder vermeintlicher, von modernen Natur-
völkern abstrahierter Entwicklungsschemata in die Kulturgeschichte der
Schräder. RealWikoii. TU
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XXXIV
Vorrede.
Iudogernianen öfters zu weit geht1) (näheres s. u. Acker hau und be
sonders u. Viehzucht). Die Hauptsache wird immer die Erschliessung
des indogermanischen Altertums mit indogermanischen Mittein sein.
Was auf diesem, wie wir gesehn haben, an Ergebnissen und
Streitfragen reichen Arbeitsgebiet bis jetzt geleistet worden ist, soll das
vorliegende Reallcxikon der indogermanischen Altertums-
kunde zusammenfassen und weiter ausbauen.
Der feste Boden für die Anlage eines Reallexikons ist, wenn es
sich um die Altertumskunde eines einzelnen Volkes handelt, in den
historisch bezeugten Altertümern eben dieses Volkes gegeben. Nicht
so einfach lagen die Dinge bei dem gegenwärtigen Werk. Denn es
ging natürlich nicht an, bloss solche Gegenstände und Hegriffe dem
Wörterbuche einzuverleiben, für welche die Herkunft aus der idg. Ur-
zeit dem Verfasser feststand oder festzustehen schien. Hätte doch
alsdann häufig dasjenige als schon bekannt oder erwiesen vorausgesetzt
werden müssen, was erst ermittelt und erwiesen werden sollte. Gleich-
wohl war auch hier für die Auswahl der zu behandelnden Kultur-
erscheinungen nach einem schon gegebenen Ausgangspunkt zu
1) Ein Beispiel dafür, wie dieser Gelehrte auf dem genannten Wege
zuweilen in Widerspruch mit seinen eigenen, aus rein idg. Verhältnissen ab-
geleiteten Thesen gerät, ist das folgende. Die Vergleichende Ethnologie
lehrt nach Grosse a. a. O. S. 36, dass mit dem Ackerbau, den Hirt im Gegen-
sat/, zu Hehn als die ältest erreichbare Wirtschaftsform der Iudogermanen
erweisen möchte (vgl. I. F. V. 395 IT.), der wirtschaftliche Schwerpunkt von
der männlichen auf die weibliche Seite verlegt werde. Thatsächlich giebt
es altidg. Völker, z. B. die Germanen, bei denen der Frau oin Anteil an
diesem Erwerbszweig zugeschrieben wird (vgl. Tac. Germ. Cap. 15). „In-
folgedessen", lehrt nach Hirt die Ethnologie weiter, „finden wir bei allen
primitiven Gesellschaften, die sich vorwiegend auf den Ackerbau stützen,
eine matriarchalische Familienform oder doch die Spuren einer solchen."
Auch das scheint für die Germanen zuzutreffen, da Hirt die schon oben ge-
nannte Stelle aus Tacitus Germania: sororum filiis etc. trotz Delbrück nur
als „Spur einstigen Mutterrechts" auffassen zu dürfen glaubt (a. a. O. S. 400).
Demgegenüber spricht nun Hirt an einem anderen Orte (Hettners Geogr. Z.
IV, 383) ganz in Einverständnis mit uns die Ansicht aus, dass die Iudoger-
manen „zweifellos" Mutterrecht und Mutterfolge nicht gekannt hätten,
sondern vielmehr die Vaterfolge bei ihnen geherrscht habe. Demnach müssten
also die Germanen erst nach der Völkertrennung mutterrechtliche Gewohn-
heiten angenommen, und da Mutterrecht und Ackerbau nach Hirt auf das
engste ursächlich zusammenhängen, auch erst nach der Völkertrennung zum
Ackerbau übergegangen sein. So scheint mir also auf diesem Wege, gerade
das Gegenteil von dem bewiesen zu werden, wns bewiesen werden soll,
nämlich dass der Ackerbau lirindogermanisch sei.
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Vorrede.
XXXV
saclien. Dieser Hess sich in der Gesamtheit der auf alteuropä-
isehem Hoden historisch bezeugten Kulturzuständ e unschwer
finden. Auf diesem liegt, wenu nicht die Wurzeln, so doch der
Schwerpunkt der idg. Völker, und schon von vorhistorischer Zeit an
tritt uns die Gesittung der europäischen Indogermanen als eine im
Laufe der Zeit sich immer einheitlicher gestaltende Kulturgemcinschaft
entgegen, an der die Inder und Irauier, unter dem Druck der sie um-
gebenden Kulturen des Orients in ihrer idg. Eigenart frühzeitig unter-
gegangen, keinen Teil mehr haben. Auf diesen festen Boden der
historisch bezeugten Kultur Alteuropas stellt Bich also
das vorliegende Werk, löst dieselbe unter geeigneten Schlagwörtern
in ihre Grundbegriffe auf und sucht bei jedem derselben zu ermitteln,
ob und in wie weit die betreffenden Kulturerscheinungen indogermanisch
oder unindogermanisch sind, ob uud in wie weit sie ein gemeinsames
Erbe der idg. Vorzeit oder einen Neuerwerb der einzelnen Völker,
einen selbständigen oder von aussen entlehnten u. s. w., darstellen. Es
soll somit die Gesamtheit des alteuropäischen Kulturguts auf seine idg.
Provenienz hin geprüft werden. Neben der Geschichte des Kindes
und des Hundes, die, wie gezeigt wird, in die Urzeit zurückfuhrt,
wird z. B. auch die des Esels und Maultiers gegeben, bei der
solches nicht der Fall ist. Neben Wolle und Flachs werden auch
Baumwolle und Seide, neben Gerste und Hirse auch Roggen
und Reis, neben Axt und Spiess auch Helm und Panzer u. s. w.
behandelt. Indische und iranische Sprache und Kultur werden zur
Erklärung der europäischen Zustände überall herangezogen. Speziell
arische Kulturbegriffc aber, wie etwa unter den Pflanzen der Sorna
oder nnter den Getränken die Surft, sind, dem Plane des Buches ent-
sprechend, nicht als selbständige Artikel in das Wörterbuch aufge-
nommen worden. Das Ganze ist ein Versuch, einerseits von europä-
ischer Seite in das idg. Altertum vorzudringen, und andererseits von
diesem letzteren aus Licht über die älteste Kulturentwickluug unseres
Erdteils zu verbreiten. So versteht und rechtfertigt sich der Unter-
titel des vorliegenden Werkes: Grundzüge einer Kultur- und
Völkergeschichtc Alteuropa 8.
Es entspricht dem Grundgedanken eines Real lexi kons, eine mög-
lichste Zergliederung der kulturhistorischen Begriffe
vorzunehmen, die dann wieder unter höhere Einheiten znsammengefasst
wird. So werden z. B. die einzelnen Getreidearten und Ackerbau-
pflanzen in besonderen Artikeln behandelt, die ihrerseits wieder in
einen Gesamtartikcl Ackerbau zusammenlaufen. Ebenso verhält sich
die gesonderte Behandlung der einzelnen Waffen zu dem Gesamtartikel
Waffen, der einzelnen Werkzeuge zu dem Gesamtartikel Werk-
zeuge, der einzelnen Verwandtschaftsverhältnisse zu dem Artikel
Familie, die gesonderte Behandlung der einzelnen Verbrechen wie
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XXXVI
Vorrede.
Diebstahl, Ehebruch, Körperverletzung, Mord, Notzucht,
Raub zu dem Gesanitartikcl Ve r b r c c h c n u. s. w.
Doch ist dieses Prinzip der Zergliederung nicht auf die Spitze
getrieben worden. Vielmehr ist in einer Anzahl von Fällen aus prak-
tischen Gründen, nämlich dann, wenu die einzelne Erscheinung: erst
im Zusammenhang mit anderen ein grösseres Interesse erwecken zu
können schien, eine ganze Reihe von Gegenständen unter einem
Gattungsnamen oder in einem Gesamtartikel behandelt worden. So
finden sich z. B. die einzelneu Edelsteine u. Edelsteine, die einzelnen
Singvögel u. Singvögel, die einzelnen Gartenbanpflanzcn u. Garten-
bau, die einzelnen Wochentage n. Woche u. s. w. besprochen. Auf
diesem Wege ist das Buch zwar an Verweisungen, aber auch an
lesbaren Artikeln reicher und an sonst unvermeidbaren Wiederholungen
ärmer geworden.
In den allgemeineren Artikeln des Werkes wird natürlich die
Rekonstruktion eines einheitlichen Zustands auf dem betreffenden
Gebiete der vorhistorischen Kulturcntwicklung angestrebt, und —
wenigstens in der Theorie — wird die Zusammensetzung der in solchen
allgemeineren Artikeln erzielten Ergebnisse ein einheitliches Bild der
indogermanischen Urzeit ergeben. Doch soll bemerkt werden, dass
die Rekonstruktion vorgeschichtlicher Zustände, die bei dem dehn-
baren Charakter von Ausdrücken wie Urvolk. Urzeit, Ursprache immer
etwas fiktives behalten wird, in dem vorliegenden Werk weniger Selbst-
zweck als Hilfsmittel zur Erklärung der geschichtlichen Ver-
hältnisse sein soll, von denen es ausgeht. Wie auf dem Gebiete der
Grammatik die Erschliessung der idg. Ursprache nicht dazu dienen
soll, idg. Fabeln oder Zaubersprüche in ihrer uridg. Sprachform zu
ermitteln, sondern das Verständnis der geschichtlich überlieferten Sprach-
formen zu ermöglichen, so erhält auch die Indogermanische Altertums-
kunde ihren eigentlichen Wert nicht dadurch, dass sie die Gesittung
eines im Inneren Asiens oder Europas gedachten Urvolks erschlichst,
sondern dadurch, dass sie die Basis bildet, auf der das Verständnis
der historischen Kulturen der idg. Einzelvölker möglich wird.
Im allgemeinen begnügt sich das Werk damit, das erste Auf-
treten einer Kulturerschcinung festzustellen und ihre weitere Ge-
schichte den Altertumskunden der idg. Einzelvölker zu überlassen, für
die das Rcallexikon eine Einleitung und Ergänzung sein möchte.
Diesen Einzclwissenschaften fallt also eine doppelte Aufgabe zu. indem
sie der Idg. Altertumskunde einmal einen wichtigen Teil des Stoffes
(s. o.) zur Zusammenstellung des Bildes der idg. Urzeit zuzuführen,
das andre Mal auf der so geschaffenen Grundlage die kulturgeschichtliche
Weiterentwicklung der einzelnen idg. Völker darzustellen haben. Sehr
viel bleibt hier freilich noch zu thun übrig, und mir wenigstens ist bisher
nur eine solche vom Geist der Idg. Altertumskunde wahrhaft durch-
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Vorrede.
XXXVII
wehte Darstellung der Sonderentwicklung eines idg. Volkes bekannt
geworden. Es sind Iwan v. Müllers in 2. Auflage vorliegende Grie-
ebisebe Privataltertünier.
Der Charakter der in einem Rcallexikon der Idg. Altertumskunde
zu behandelnden Fragen bringt es mit sieh, dass in dasselbe ausser den
eigentlichen Kulturgegenständen und -begriffen auch solche Erschei-
nungen aufgenommen werden mussten, welche, ohne selbst Kultur-
erscheinungen zu sein, doch für die Kulturentwicklnng, die ursprüng-
liche Verbreitung, die Wanderungen der idg. Volker unseres Erdteils
u. s. w. irgendwie von Bedeutung sind oder zu sein scheinen. Dies
gilt besonders von den Tieren und Pflanzen, also auch den wilden,
bezüglich nicht domestizierten oder nicht kultivierten, die in ihren
hervorstechenderen Erscheinungen vollständig behandelt worden sind.
Aber auch für die Frage der Urheimat wichtige Begriffe wie Meer,
Schnee und Eis u. a. oder für die Zeitteilung und die Religions-
anschauungeu wesentliche Erscheinungen wie Sonne und Mond,
Wind und Sterne haben Aufnahme gefunden. Endlich ist unter
geeigneten Schlagwörtern auch über die auf die idg. Völker bezüg-
lichen anthropologischen Untersuchungen (s. u. Körperbcschaf fen-
heit der Iudogermanen) und über die Frage der Urheimat seihst
berichtet worden, über die man sich nach allem, was iu den letzten
Jahren darüber gesagt worden ist, gegenwärtig wohl mit einiger Zu-
versicht äussern darf.
Für die Auswahl der in diesem Reallexikon behandelten
kulturhistorischen Begriffe selbst lässt sich eine auf alle ein-
zelnen Fälle passende Regel nicht aufstellen. Im Grossen und Ganzen
kann man sagen, dass als selbständige Artikel solche Kulturcrschcinungen
aufgenommen worden sind, welche für das historische Altcnropa, dieses
etwa bis zu seiner Christianisierung gerechnet, eine Uber das einzelne
Volk hinausgehende, allgemeinere Bedeutung erlangt haben. An manche
Kategorien, z. B. an die auch kulturhistorisch hoch bedeutsame sprach-
liche Ausbildung der ethischen Begriffe habe ich mich nach Mass-
gabe der vorhandenen Vorarbeiten noch nicht oder nur ausnahmsweis
(s. z. B. u. K e u s c h h c i t) herangewagt ').
1) Bemerkenswert ist, dass die Bedeutung der Sprachwissenschaft für
derartige Untersuchungen auch Fr. Nietzsches scharfes Auge erkannte.
In einer Anmerkung zur ersten Abhandlung der Genealogie der Moral
(Leipzig 1895 S. 338 ) sagt er: „Ich nehme die Gelegenheit wahr, welche
diese Abhandlung mir giebt, um einen Wunsch öffentlich und förmlich aus-
zudrücken, der von mir bisher nur in gelegentlichem Gespräche mit Gelehrten
geäussert worden ist: das» nämlich irgend eine philosophische Fakultät sich
durch eine Reihe akademischer Preisausschrei billigen um die Förderung
moralhistorischer Studieu verdient machen möge; — vielleicht dient
dieses Buch dazu, einen kräftigen Anstoss gerade in solcher Richtung zu
geben. In Hinsicht auf eine Möglichkeit dieser Art sei die nachstehende
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xxxvm
Vorrede.
Über die Methode, die diesen Untersuchungen zu Grunde liegt,
brauche ich nach den obigen Ausführungen nichts mehr zu sagen. Sic
liegt in der Vereinigung von Sprach- und Sachvergleichnng, und es
ist eine mtlssige Frage, ob dieser oder jener der Ilauptantcil zufallt.
Die Sachlage ist eben ganz einfach die, dass auf den einen Gebieten
mehr sprachliehe, auf den anderen mehr sachliche Kriterien nutz-
bringend und entscheidend sein werden. Nach jeder von beiden Seiten
dürfte aber noch eine Bemerkung am Platze sein.
In sprachwissenschaftlicher Hinsicht soll hier zum ersten
Mal der kulturhistorische Wortschatz der altidg. Sprachen als
Ganzes sachlich und übersichtlich geordnet und sprachlich erklärt
werden. Dabei wird sieh zeigen, dass die Summe unseres Wissens
trotz der mehr als 60jährigen Arbeit, die seit Potts Etymologischen
Forschungen geleistet worden ist, noch immer eine verhältnismässig
nicht allzu grosse ist. Indessen dürfte die Hoffnung nicht unbegründet
sein, dass gerade der hier eingeschlagene Weg, die Terminologie der
einzelnen Kulturerscheinungen als Ganzes und unter sachlichen Gesichts-
punkten zu betrachten, zur Aufhellung manches bisher dunklen Bc-
standteils derselben führen wird; denn je besser wir die Dinge und
Begriffe, um die es sich handelt, verstehen lernen, umso besser werden
wir auch die Wörter versteht], die sie bezeichnen. Es sind daher
vielfach auch noch gänzlich unerklärte Benennungen der einzelnen
Kulturcrscheinungen als Material für die zukünftige Forschung ge-
geben worden. Dass dabei eine Vollständigkeit nicht erreicht werden
konnte, wird derjenige zu entschuldigen wissen, der sich vergegen-
wärtigt, wie mühevoll die Zusammenbringung einer solcheu kultur-
historischen Synonymik der idg. Sprachen ist, für die es fast völlig an
zusammenfassenden Vorarbeiten fehlt.
Grössere Schwierigkeiten aber noch als die sprachwissenschaftliche
Seite des Buches hat mir auf dem Gebiete der Sachvergleichung die
Ausbeutung der archäologisch-prähistorischen Forschung ge-
macht. Zwar darf ich sagen, dass ich mich redlich bemüht habe,
meine Anschanngen und Kenntnisse auf diesem Gebiete durch Reisen
und Lektüre, soweit es Mittel und Zeit gestatteten, zu vertiefen
und auszudehnen. Allein ich verkenne doch nicht, dass die selb-
ständige Verwertung der Funde, namentlich in knnstgeschichtlicher
Beziehung, einen Grad von Begabung und Schulung fordert, Uber den
ich leider nicht verfüge. Indessen kam es für mich glücklicher Weise
auf diese mehr kuustgcschichtliche Seite der Prähistorie weniger an.
Frage in Vorschlag gebracht; sie verdient ebenso die Aufmerksamkeit der
Philologen und Historiker als die der eigentlichen Philosophie-Gelehrten von
Beruf: „Welche Fingerzeige giebt die Sprachwissenschaft, ins-
besondere die etymologische Forschung, für die Entwicklungs-
geschichte der moralischen Begriffe ab".
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Vorrede.
XXXIX
Die im Mittelpunkt meiner Betrachtung stellende Frage war vielmehr
die: In welcher der von den Prähistorikern unterschiedenen Epochen
tritt dieser oder jener Kulturbegriff zuerst in unserem Erdteil auf?
Diese Frage habe ich bei der Durchmusterung unserer Museen und
Sammlungen vornehmlich im Auge gehabt und ihre Beantwortung
unter der sachkundigen und liebenswürdigen Leitung von Männern wie
M. Much in Wien, S. Müller in Kopenhagen, A. Goetze in Berlin,
Herrn Hcierli in Zürich vielfach gefundeu.
Es ist ein grosses und weitverzweigtes Arbeitsgebiet mit einer
kaum Ubersebbaren Fülle sprachlicher und sachlicher Li ttcratur, auf
dem sich die vorliegenden Untersuchungen bewegen, und ich bin in unserer
spezialisierenden Zeit auf den Einwand gefasst, dass der Plan des Buches
die Vereinigung mehrerer Arbeiter empfohlen hätte. Thatsächlich habe
ich diesen Gedanken längere Zeit erwogen, ihn aber aufgegeben, je
mehr ich sab, wie derartige gegenwärtig auf der Tagesordnung stehende
genossenschaftliche Unternehmungen, bei hervorragendem Wert im
einzelnen, doch allzu oft an den stärksten Widersprüchen in den
grundlegenden Anschauungen leiden und leiden müssen. Ich habe daher
selbst auf die Gefahr häufigerer Irrtümer im einzelnen hin an dem Vor-
teil einheitlicher Durchführung des Werkes festgehalten. Dass ich mir
dabei bewusst bin, zuweilen noch kaum mehr als Rubriken geboten
zu haben, die erst von der zukünftigen Forschung auszufüllen sein
werden, brauche ich nicht zu versichern. Die auf unserem Forschungs-
gebiete bisher geleistete Arbeit kann man mit einem grossen Neubau
vergleichen, dessen Fundamente gelegt sind, dessen Plan entworfen ist.
An zahlreichen Stellen ist das Werk rüstig emporgediehen. Oft aber
stockt die Arbeit; denn der Bau gehört nicht zu den offiziellen Bauten.
So ist es vielfach noch Stückwerk, das hier geboten wird.
Auf der anderen Seite sind es aber nun bald 25 Jahre, dass ich
mich, durch V. Hehns Kulturpflanzen dazu angeregt, zuerst den hier
behandelten Fragen zugewandt habe (Sprachwissenschaft und Kultur-
geschichte Im neuen Reich 1877 S. 361 ff.). Seitdem habe ich durch
eigene Arbeiten und durch die Neuherausgabe der linguistisch-histo-
rischen Schriften V. Hehns in fortdauernder Fühlung mit den Pro-
blemen der Idg. Altertumskunde gestanden. Als daher von dein um die
idg. Sprachwissenschaft so hoch verdienten Herrn Verleger der Wunsch
nach einem zusammenfassenden Werk über die Idg. Altertumskunde
ausgesprochen wurde, glaubte ich das Recht und die Pflicht zu haben,
mich dieser Aufgabe zu unterziehn und lege ihre Erfüllung in diesem
seit lange von mir geplanten Reallexikon der Indogermanischen Alter-
tumskunde der Öffentlichkeit hiermit vor.
Zu wärmstem Dank bin ich Herrn Prof. F. Kluge in Freiburg i. B.
verpflichtet, der das Unternehmen von Anfang bis zu Ende durch Rat
und That uuterstützt hat. Wie dieser, hat auch Herr Prof. Ca ppcll er
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XL
Vorrede.
in Jena die grosse Güte gehabt, eine Korrektur des Werkes zu lesen
und mich durch eine Reihe von Winken, namentlich auf indischem
und litauischem Gebiet, zu fördern. Herr Kollege Dr. II i Igen f cid in
Jena hat freundlichst die einheitliche Umschreibung des semitischen
Wortschatzes im Auge gehabt.
Der Druck des Buches hat nahezu zwei Jahre in Anspruch ge-
nommen, so dass eine Reihe von Nachträgen notwendig oder
wünschenswert geworden ist, die ich nicht zu übersehen bitte.
Jemi, den 18. Januar 1901.
O. Schräder.
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A.
Aal iAngn'dla fluriatilis). Lat. anguilla, lit. ungurßa (*angurias}
woran« tinn. ankerias), altpr. angurgix, russ. ugorl sind zweifellos erst
in den Einzelspraehen entstandene Diminutivbildungen aus einem idg.
Xamen der Schlange (lat. angin*, lit. angin, slav. *ongjü, *on*l — poln.
icoz, russ. uzü), so dass demnach der Aal so viel wie , kleine .Schlange'
ist. Ebenso ist ir. exc-ung eigentl. ,Snmpf sehlange' y-ung = lat. an-
gute), dann ,Aal', und wenn (bei Stokes Urkeltischer Sprachschatz
S. 319) ans kymr. y-slyicen, nlowen ,Aal' und bret. stlaonenn ,petite
anguille' mit Recht ein urkeltisches *s1angio- ,Aal* erschlossen wird, so
dürfte dies schwer von ahd. slango, altn. slange ,Schlange' getrennt
werden können. Unter diesen Umständen ist es wahrscheinlich, dass
auch griech. erxeXuq nnr eine Verkleinerungsform von griech.
.Schlange' ist, neben dem ein nasalischer Stamm *£yxi- (s. näheres n.
Schlange) bestanden haben wird. Bemerkenswert ist auch, dass
bei Homer die Aale noch nicht zu den Fischen gerechnet werden, wie
der Ausdruck dtx^ueq xe Kai ixöÜ€? (II. XXI, 203) zeigt. Ein anderer
griechischer Ausdruck ist uußnpis' Iyx6^?- MnOuiuvcrioi (Hcsych), mit.
dem einige in weniger wahrscheinlicher Weise die litn-slavischen Wörter
verbinden möchten. — Das gemeingerraanischc ahd. dl (*77o-; ob zu ahd.
aJant ,eine Fischart' ?), sowie korn..^/?/, arem.*/// (ZeussGr.Celt.2 S. 1074)
sind dunkel. — Von Wichtigkeit ist die nach dem obigen zu verneinende
Frage, ob der Aal schon in der Urzeit bekannt war, für die Bestim-
mung der Urheimat der Indogernianen (s. d.) deswegen, weil der
Fisch in den Stromgebieten des Kaspischen und Schwarzen Meeres
nach Brehms Tierlcben3, Fische S. 390 nicht vorkommt. S. auch u.
Fisch, Fischfang.
Abend. In der Benennung des Abends gehen die idg. Sprachen
in Gruppen auseinander. Es decken sich sert. döshä' , Abend. Dunkel'
und aw. daom-, griech. ra etfirepa, n. Icnre'pa und lat. resper, altsl.
recerä und lit. icäkaras. Die beiden letztgenannten Gleichungen
scheinen unter einander und mit dem ir. fescor, kymr. nvher, sowie
mit armen, gixer (,Xacht') zusammenzuhängen, ohne dass dieses Ver-
hältnis bis jetzt lautlich aufgeklärt wäre. — Die beiden gemein-
germanischen Gruppen ahd. dband, agls. '/'fen, altn. aptann (got.
xagqs, eigentl. ,Sinken der Sonne ) und altn. kreld .Abend', ahd.
Schräder. Renlle*1kon 1
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2
Abend — Abgaben.
chwilti-icerch , Abendarbeit', agls. cwyldseten , Abend' sind dunkel.
Ebenso altpr. bitai ,Abend', bitas-idin .Abendessen, Abendmahl'.
Eine umschreibende Bezeichnung ist hom. ßouXurö?, ßouXurövbe
,die Zeit zum Stierausspannen' wie sert. sam-gavd- ,die Zeit, wann
die Kühe zusammengetrieben werden', , Vormittag' oder ir. imbüarach
,beim Anbinden der Kühe', ,morgends' (Zimmer K. Z. XXX, 17).
Eigentlich die Abendmahlzeit meint die Gleichung alb. darke »Abend-
essen', , Abend' = griech. böpnov »Abendmahlzeit' (G. Meyer Et. W.
d. alb. Spr. S. 61). Neben darkf liegt alb. dreke »Mittagessen', ,Mittag-
zeit'. Es gleicht dies dem Verhältnis von sert. pitü-, aw. pitu- ,Nah-
ruug' einerseits zu lit. pittüs ,Mittag', andererseits zu sert. d-pitvd- und
abhi-pitvd- , Abend'. — Der späte zum Abend neigende Nachmittag
heisst im Griechischen beiXn., bdeAov n.uctp (Homer: r}w<;, ueaov rjuap,
betXn.). Vgl. Od. VII, 289, wo Aristarch beiXero t' ne'Xios statt bOaeio
las. Ein idg. Ausdruck für das Dunkel des Abends ist sert. rdjas-,
armen, erek (, Abend"), griech. £peßo<;. got. riqis. S. u. Zeitteilung.
Über Abend — Westen s. u. Himmelsgegenden.
Aberglaube, s. Zauber und Aberglaube.
Abgaben. Die älteste Form der Steuern oder öffentlichen Ab-
gaben besteht in der freiwilligen Darbringung von Naturalerzeug-
nissen an den Häuptling oder König des Stammes. Diesen Zustand
schildert Tacitus in der Germania (Cap. 15) mit vollkommener Deut-
lichkeit: Mos est ciritatibus ultra ac viritim conferre prineipibus vel
armentorum vel frugtim quod pro honore aeeeptum etiam necessitatibus
mbcenit (vgl. weiteres bei J. Grimm R. A. S. 245 ff.). Auch bei Homer
bestehen die Einkünfte der Könige noch aus freiwilligen Gaben (bujTivaij
des Volkes, wozu sich aber hier bereits die Qi^xiareq, ,gesetztc'
(:Tien.ui) Abgaben gesellen. Vgl. II. IX, 154:
€v b'<5vbp€£ vaiouai TroXüppnves, noXußoÖTai,
oT K€ i bwTivrjai 8€Öv ii>q Tiunffouat
Kai oi uttö Cicr|iTTpuj Xrrrapäq teXeouat 6e'uiO"Tas.
Endlieh bedeutet wahrscheinlich auch im Rigveda (nach H. Zimmer
Altindisches Leben S. 166) sert. ball- (.wohl: sert. bala- ,stark', wie
ahd. st iura ,Steuer' : ahd. stiuri ,stark', also etwa ,Stärkung') vor-
wiegend freiwillige Abgaben des Volkes an den König (anders W. Foy
Die königliche Gewalt S. HS). — Dass diese ältesten Abgaben ledig
lieh aus Naturalien bestanden, darauf weist auch ein alter slavi-
s eh er Ausdruck für Steuern, russ. obroki , deutlich hin, ein Wort,
das zu altsl. rekq ,sage' gehörig, eigentlich ,promissio' bedeutet, und
dann, weil eben die ältesten Steuern nichts als Naturalabgaben waren,
in zahlreichen slavisehen Sprachen die Bedeutung von ,Kost', ,Lcbens-
mittel' u. dergl. angeuoinmen hat (vgl. Ewers 1). älteste Recht d.
Russen S. 36 ff. >. Von Oleg «STD — 012) wird dann berichtet, dass er
die obroki. jetzt als regelmässige Abgabe verstanden, zuerst in Russ-
land eingeführt habe.
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Abgaben.
3
Wie Behr die idg. Stämme von Haus aus an Freiheit von be
stimmten Abgaben gewöhnt waren, dafür spricht auch der Umstand,
dass Darias, als er sein ungeheures Reich in 20 Satrapieen einteilt,
deren jeder er einen bestimmten Tribut auferlegt, er seinen Persern
gegenüber dies nicht zu thun wagt: drcX^a y<*P Tltpoai veuoviai xwpr|v
<Herod. III, 97).
Die Weiterentwicklung ist nun die, dass das, was ursprünglich
freiwillige Darbietung war, nach Erstarkung der königlichen Ge-
walt und bei Vermehrung der staatlichen Bedürfnisse von den Volks-
genossen geheischt (vgl. ahd. beta, mhd. bete, eigentl. , Bitte') und
ihnen auferlegt ward. Letzteres, die ,Umlage', bedeutet eigentlich
das lat. tribütum; vgl. Varro De lingua lat. V, 181: Tribütum dictum
a tribubus, qttod ea pecunia, quae populo imperata erat, tributim
a singulis pro portione census exigebatur (tribuere, eigentl. ,nach
Tribus verteilen', dann allgemein ,znerteilen'). — Dazu kommt dann
der unterworfenen Völkern auferlegte und meist durch Geiseln
(s. d.) gesicherte Zins, wie ihn schon die Germanen zur Zeit des
Tacitus fremden und besiegten Völkern gegenüber kannten. Vgl. Germ.
Cap. 43: Cotinos Gallica, Osos Pannonica lingua coarguii non esse
Germane»*, et quod tributa patiuntur. partem tributorum Sar-
matae, partem Quadi ut alienigenis imponunt. Altgermanische
Ausdrücke hierfür werden got. güd und gtistr von altn. gjalda, altndd.
g'eldan (woraus sehr früh altsl. zledq ,zahle', ,bUsse' entlehnt wurde),
,das was man zahlt' und altn. skattr (got. skatts; vgl. unser , Schätzung'
gewesen sein. Doch werden diese Wörter, namentlich das erstere (vgl.
got. kaisara-gild ,Kf\voo$), sehr früh auch für Steuern überhaupt ge-
braucht, für deren Bezeichnung noch agls. gombe, alts. gambra (Sit-
gambri, Gambrivii^) und agls. gafol, mlat. gabltun (=got. gabaur?)
in Betracht kommen. Der griechische Ausdruck für Tribut ist qxipoq
(:<pep€iv). Er wird zuerst von Herodot, und zwar im Gegensatz zu
büupa in Bezug auf feste, in Talenten (Geld) zu zahlende Abgaben
unterworfener Völker (III, 89 ff.), von Späteren dann ebenfalls im
Sinne von , Steuer' verwendet. Umgekehrt ist wohl altsl. danl (= lat.
dönum oder griech. bdvos) zunächst die freiwillige Abgabe, dann die
auferlegte Schätzung (vgl. Ewers a. a. 0.). Entlehnt aus lat. tribütum
sind in früher Zeit ahd. tribuz, agls. trifot, in späterer aus lat. censux
: ahd zins (altndd. Uns) nebst ir. eis ,Abgabe', ,Tribut', ein Beweis
dafür, wie schwer der römische Steuerdruck auf Germanien und Gallien
lastete (die historischen Zeugnisse hierfür vgl. bei A. Riese Das Rhei-
nische Germanien).
Allmählich mehren sich die Einnahmen des Staates , bezüglich
seines Beherrschers, durch Abgaben anderer Art, wie durcli Gerichts-
bussen (vgl. Tac. Germ. Cap. 12: Pars multae regi vel civitati . . . .
exolvitur und die altrömischc Prozessstcuer in Gestalt einer Viehbusse,
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4
Abgaben — Abort.
nach Moiumsen Rom. Gcscb. I7, 71) und, bei sich steigerndem Handels-
verkehr, durch Zölle (vectigalia), die auf die eingeführten Waren
gelegt wurden. Vielleicht hat der germanische Norden diese primitiven
Völkern ursprünglich fremde Einrichtung (vgl. Ewers a. a. 0. S. 188)
erst durch den Verkehr mit Rom kennen gelernt, worauf die Entlehnung
von ahd. zol, zolonäri, zollantuom, alts. toi, tolna, agls. toi, tolne,
tolnire aus lat. toloneum, tolonarius (diese wieder aus griech. TeXwvn,?
,publieanus' von reXn. , Abgaben') hinweist. Das Gotische hat hierfür
möta, möta-8tap8, mötäreis ,t£\o<z, tcXujviov, TcXuivn.?'. Das Wort
ist von hier aus auf hochdeutsches Gebiet (ahd. mtita) und zu allca
Slaven und Litauern (russ. myto .Zoll' u. s. w., lit. multa* desgl.) über-
gegangen. Woher es aber auf gotischem Boden stammt, ist noch
nicht ermittelt. — Mit Einführung des Christentums erscheint dann als
eine den Barbaren ganz neue Abgabe der Zehnte, griech. bcKdiri,
lat. deeima (ahd. dezemo aus dem Lat. entlehnt, ahd. zehando, altsl.
despjina daraus übersetzt), die Hauptsteuer, welche die Kirche der Ge-
meinde auferlegte. — 8. u. König und u. Stamm.
Abhärtung, s. Bad.
Abholung der Braut, s. Heirat.
Abort. Aus der Umfrage nach den geschlechtlich sittlichen Ver-
hältnissen der evangelischen Landbewohner im Deutschen Reiche, die
von der allgemeinen Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvercine ver-
anlasst wurde (I Band. Leipzig 1895, II Band, ebenda 1896), hat
sich ergeben, dass die Einrichtung der Abortc noch in weiten Teilen
unseres Vaterlandes (und wie mag es dann erst etwa in den Slaven-
ländern u. s. w. stchn?) eine nahezu unbekannte Sache ist, und dass
damit aufs engste die Natürlichkeit zusammenhängt, deren sich die
Landbewohner bei Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse in Wort
und That bedienen. Es zeigt sich also, dass eine Geschichte der
Aborte für die allgemeine Kulturgeschichte unseres Erdteils nicht ohne
Interesse wäre. Bis eine solche vorliegt, wird man vermuten dürfeu,
dass, so lange sich das Leben der Indogermanen in Dörfern (s.d.)
abspielte, BedUrfnishäuser gänzlich fehlten, und dass dieselben erst mit
den städtischen Niederlassungen und in den höheren Kreisen der Be-
völkerung allmählich aufkamen, zunächst von den Wohnungen getrennt,
am Düngerhaufen gelegen, und vielleicht für mehrere Häuser gemein-
sam (nur von deu Thebancm sagt Eubulos dv KdpKwijn Athen. X p.417d:
U€T& Tctüra 0»ißa? rjXGov, ou inv vuxö' öXnv xnv 8'n.u^pav bemvoöai Ka\
KOTrpiW £x*i ^ tt 1 Tai? eupai? eKaaxos, ou TrXn.pei ßpoTtu otk
€0*ti ueTZov äYctGöv), dann allmählich (in Deutschland zuerst an den
mittelalterlichen Burgen nachweisbar), in die Wohustätten hinciugezogen
(vgl. H.Göll Griech. Privataltert. S. 118, Weinhold Altn. Leben S. 228,
A. Schultz Das höfische Lehen im M.A. Iä, S. 107 f.).
In die Sprache der besseren Kreise führen auch die uns über-
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Abort — Abtreibung.
lieferten verhüllenden und meist sehr konform gebildeten Bezeichnungen
des Aborts, Wörter wie grieeh. 9äxo<;, eigentl. ,Sitz\ dirÖTraToq, omndna,
eigentl. , Fensterchen' (deutlicher kottpwv s. o.), lat. xclla familiarh,
ahn. heimilishtis (heimili ,homestead') ntldahüs, eigentl. , Fliedens-
haus', 8alerni (wir ,Saal'), agls. gangem ,Ganghaus', spätmhd. pr'wet
u. s. w.
In engem Zusammenhang mit den geschilderten Verhältnissen steht
offenbar auch der Umstand, dass die altindogermanischen Ausdrücke
für die Verrichtung der natürlichen Bedürfnisse und die dabei in Be-
tracht kommenden Körperteile (also Wortreihen wie sert. hddati —
griech. xiluj, alb. bjfa; sert. mehati = griech. öuixcuu, lat. mingo,
lit. m\szti, agls. migan; sert. pardate = griech. Tre'pboucu, ahd. firzu\
griech. öppo? = ahd. ars; sert. pdw- — griech. ttco?, lat. pttni*, mhd.
risel u. s. w.) sich mit der gleichen Treue wie die wichtigsten Kultur-
wörter erhalten haben. Diese Erscheinung wäre nicht denkbar, wenn
die heute uns geläufige verschleiernde Bezeichnung dieser Dinge in
frühen Zeiten in irgend welcher Ausdehnung üblich gewesen wäre. —
Bemerkt sei noch, dass auch das anf sehr ursprünglicher Stufe stehen
gebliebene armenische Bauernhaus der Anlage eines Aborts völlig
entbehrt (vgl. Mitteil. d. Wiener anthrop. Ges. XXII, 1541). S. u. Haus.
Abortus, s. Abtreibung der Leibesfrucht.
Absichtliche und unabsichtliche Tötung, s. M o r d.
Abtreibung der Leibesfrucht. Verbote gegen diese bei Kultur-
und Naturvölkern, in alter wie neuer Zeit häufig geübte Unsitte (vgl.
H. Ploss Das Weib S. 546 ff.) treten auf idg. Boden zuerst und sehr
früh bei den arischen Völkern hervor. Bereits der Vendidäd des
Awesta (vgl. Geiger Ostiran. Kultur 8. 337 f.) lehrt: „Wenn jemand
mit einem Mädchen Umgang hat .... und es schwanger macht, so soll
4as Mädchen nicht aus Scham vor den Leuten durch Wassertrinken
■oder durch pflanzliche Mittel seine Regeln künstlich hervorbringen.
Wenn das Mädchen dies thut, so ist das von ihm eine Kapitalsünde."
In gleicher Weise, erfahren wir dann weiter, sind schuldig der Mann,
der das Mädchen zur Fruchtabtreibung verführt, und die Alte, die die
Mittel (es wird namentlich Hanf genannt) bereitet bat. Auch in Indien
verurteilen schon die ältesten Rechtslehrer den künstlichen Abortus
{bhrünahatyä' /Tötung der Leibesfrucht ), indem sie den Schuldigen
aus seiner Kaste ausstossen. Vgl. Apastamba (1,9,24,8): „Likeicise
he (is called an Abhiqasta) who ha# destroyed an embryo of a (Bräh-
mana, even though its sex be) undistinguhhableü , Gautama (XXI, 9):
tcoman bekomes an outeast by procuring abortionu , Vasishtha
(XXVIII, 7): „Those versed in the sacred laic State that here are
4hree acts (only) which make tcomen outeasts and the destruetion
■of the fruit of their toomb.u — Ganz anders als in diesen sakralen Ge-
setzgebungen des Orients stehen die Dinge in E u r o p a.
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Abtreibung — Ackerbau.
In der guten griechischen nnd römischen Zeit haben Strafandrohungen
für die Abtreibung der Leibesfrucht nirgends bestanden, und erst sehr
spät fängt man in Rom an, der immer mehr um sich greifenden Un-
sitte mittelbar durch Verbot der Darreichung abtreibender Tränke
(Fr. 38. §5. D. XLVIII, 19 de poenis. Paullus Libro V Sententiarum :
Qui abortionisf aut amatorium poculum dant, etsi dolo non faciant,
tarnen quia maJi exempli res est, humiliores in metallum, hone-
stiores in imulam amissa parte bonorum relegantur) entgegenzu-
arbeiten. Auch bestraft man die Abtreibende, weil sie den Mann um
seine Kinder betrüge (Fr. 4. D. XLVII, 11. de extraord. criminibus.
Marcianus Libro I Regularum : Divus Severus et Antoninus rescripse-
runt, eam, quae data opera abegit, a Praeside in temporale exilium
dandam; indignnm enim videri potest, impune eam maritum liberis
frattdasse), also nicht wegen der Abtreibung selbst.
Erst die christliche Kirche hat die Abtreibung der Leibesfrucht dem
Morde gleichgestellt (vgl. Spangenberg Über das Verbrechen der Ab-
treibung der Leibesfrucht im neuen Archiv des Kriminalrechts II, 1 ff.).
Die älteste Bestimmung der germanischen Volksrechte (vgl.
Wilda Germ. Strafrecht S. 718 ff.) seheint auf einen Rechtssatz: Si
qui 8 mulieri ictu quolibet acorsum fecerit, XII sol. componat oder
ähnlich zu führen. Demnach würde nur, wer einer Schwangeren durch
Gewalt einen Abortus bewirkte, zu einer Busse verpflichtet gewesen
sein, während die Abtreibung durch dynamische Mittel (Tränke u. 8. w.)
und die Abtreibung durch die Mutter selbst ursprünglich nicht als Ver-
brechen angesehen worden wären (Spangenberg a. a. 0. S. 11 f.).
Obgleich so im ältesten Europa von einem Verbote der Fruchtabtrei-
bung nicht die Rede gewesen sein kann — was auch kaum denkbar
wäre in Zeiten, in denen den Eltern noch die Aussetzung des ge-
borenen Kindes (s. u. Aussetzungsrecht) freistand — , so wird
man doch annehmen dürfen, dass dieselbe innerhalb der Ehe bei den
altidg. Völkern selten ausgeübt wurde. Denn sie steht mit der überall
auf idg. Boden geltenden Anschauung in direktem Widerspruch, nach
welcher der Besitz zahlreicher Kinder, <l h. Söhne ein heisserflehtes
Glück der Eltern (s. u. Kinderreichtum) ist. S. u. Verbrechen.
Abtritt, s. Abort.
Achat, s. Edelsteine.
Achse. Der idg. Name dieses Wagenteils ist: sert. dksha-,
griech. ä£wv (vgl. <5ua£a, ctfi-aEa ,Wagen'), lat. axis, ahd. ahsa, agls.
eax, altu. öxull, altsl. osi, lit. aszls. S. u. Wagen.
Acht, s. Strafe.
Ackerbau. Dass der Ackerbau in Europa über die Sonderexistenz
der einzelnen idg. Völker hinausgeht, lässt sieh auf historischem, ar-
chäologischem und sprachwissenschaftlichem Wege erhärten. Alle Indo-
germanen Europas treten mit der Kenntnis desselben ausgerüstet aus dem
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Ackerbau.
7
Danke) der Urgeschichte hervor. Da dies für den Süden Innlänglich
bekannt ist, bedarf es nur der Belege für den Norden unseres Erdteils.
Schon Pytheas (Strabo IV p. 201 ) fand anf seiner Reise in dasNord-
meer im Zeitalter Alexanders des Grossen einen emsigen Anbau von
Brotfrucht (o1to<;) im keltischen Britannien vor (ausführlich darüber
Möllenhoff D. A. I, 393 ff.). Gegen Norden nahm der Landban zwar
allmählich au Bedeutung ab; aber auch hier nährten sich die Bewohner
noch von kc'txPO? ,Hirse' (nach Müllenhott's kaum nötiger Annahme
niissverständlich für Hafer). Ebenso rauss auch nach den Schilderungen
Caesars (De bell. gall. IV, 31, 2; 32, 1) jedenfalls an den Küsten des
Meeres ein nicht unbedeutender Ackerbau der Eingeborenen angenommen
werden, während der Schriftsteller von den Bewohnern des Binnen-
landes V, 14 berichtet: Inferiores plerique frumenta non aerunt.
Von dem Feldbau der Germanen im Zeitalter des Caesar und
Taeitus wird unten ausführlicher die Rede sein. Hier sei nur darauf
hingewiesen, dass auch die zahlreichen altgermanischen Lehnwörter im
Finnischen (Wörter wie finnisch akana , Streu' aus got. ahana, kakra
, Hafer' aus altschwed. hagre, laukka ,Lauch' aus altn. laukr, ruia
.Roggen' aus altn. rugr, liina , Flachs' aus altn. Im, tutmppu ,Hanf
aus altn. hampr, mallax ,MaIz' aus altn. malt, leipä ,Brot' aus got.
hlaifs, atra , Pflug' aus altn. ardr, Inuca , Tenne' aus altschwed. 16,
pelto ,Feld* aus ahd. feld, lanta ,Dünger' aus altn. hland, taina
, Pflanze' aus got. taina u. s. w.) vielfach in das Gebiet des Ackerbaues
gehören, woraus erbellt, dass unsere Vorfahren schon in den ersten
Jahrhunderten unserer Zeitrechnung auch auf diesem Gebiete einen
civilisatorischen Einfluss auf ihre Nachbarn ausgeübt haben müssen.
Die baltischen Aisten, die Vorfahren der heutigen Litauer, kennt
Taeitus bereits als fleissige Ackerbauer <Cap. 45: Frumenta ce-
teroaque fruetua patientiua quam pro solita Germanorum inertia la-
borant), und auch die ältesten Schilderungen der Slaven (XxXdßoi,
ZxXaßrivoi) aus dem VI. Jahrhundert wissen von deren Reichtum an
verschiedenen Bodenerzeugnissen zu berichten i vgl. Möllenhoff D. A. II,
3ö f.). Ackerbauer müssen endlich auch die thrakischeu Paeonier, die
in Pfahlbauten wohnten ig. n. Haus), gewesen sein, da sie Biertrinker
(s. u. B i e r) waren. Eine Zeit also, in welcher die europäischen Iudo-
germanen keinen Ackerbau gekannt hätten, lässt sich mit geschicht-
lichen Zeugnissen nicht belegen.
Als ein sicheres Ergebnis der prähistorischen Forschung kann
es ferner gelten, dass in Europa schon in einer Epoche, als noch keine
Metalle bekannt waren oder dieselben wenigstens nicht praktisch ver-
wertet wurden, also in der sogenannten Steinzeit, der Ackerbau neben
der Viehzucht die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz der damaligen
Bewohner Europas bildete. Dies gilt in besonders hohem Grade von
der vornehmlich über das südliche Mitteleuropa verbreiteten Pfahlbauten-
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Ackerbau.
kultur (vgl. Heer Die Pflanzen der Pfahlbauten S.4ff., Keller Berichte VII).
Aber auch im Norden Europas wird der Ackerbau von den besten
Sachkennern (vgl. u. a. Montelius Die Kultur Schwedens in vorchrist-
licher Zeit2 S. 26 f. und S. Müller Nordische Altertumskunde I, 206)
als schon im Steinzeitalter ausgeübt angesehn. Eine der Segnungen
des Ackerbaus noch entbehrende Kulturschicht ist daher in Europa
nur in den Denkmälern der sogenannten palaeolithischen Periode, zu
der in diesem Punkte auch die Kjökkenmöddinger Dänemarks zu
rechnen sind, an den Tag getreten.
Die Kette der Beweisführung aber für die Existenz eines vorhisto-
rischen Ackerbaus in Europa wird geschlossen durch den Umstand,
dass eine ziemlich vollständige, vorgeschichtliche Terminologie des
Ackerbaus sieh durch urverwandte Gleichungen aus dem Kreis der
europäisch - idg. Sprachen belegen lässt. Übereinstimmend benannt
sind die Begriffe:
Acker: griech. öVrpöq, lat. ager, got. akrs: vgl. auch griech. veiöc
, Brachland' = russ. nica , Acker'.
Pflügen: griech. äpöw, lat. arare, ir. airim, altsl. orati, lit. drti.
Pflug: griech. äpOTpov, lat. aratrum, ir. arathar, altn. ardr
— armen, araur; altsl. oralo, lit. (irllas. altn. arl.
Pflugschar: griech. öqmq, lat. vömis, ahd. waganso, altpr. wagnu.
Egge: griech. (Hes.) ö£ivn, lat. occa, occare, ahd. egjan, egida,
lit. aketi, dkeezios, altkorn. ocet.
Säen: lat. sero, kymr. heu, ir. sil ,Same', got. xaian, altsl. sejq,
lit m':ti.
Same: lat. seinen, ahd. sämo, altsl. seme^ altpr. semen, lit. xemti.
Korn : lat. gränum, got. kaum, altpr. syrne, altsl. zrüno.
Mähen (E r n t c) : griech. dpctiu, ahd. mäjan ; griech. dur|TÖ<; »Ernte*
= ahd. mM; vgl. auch lat. meto und ir. meithel, methel ,a
party of reapers', altkymr. medel id.; beachte ferner got. axans,
ahd. aran, altpr. assanis, altsl. jeseni ,Herbst': im Germanischen
erhaltene Grundbedeutung ,Erntezeit' (got. axneis »Tagelöhner ).
Sichel: griech. cxpim.. lat. sarpere, ir. xerr (K. Z. XXXV, 264),
altsl. snqyü, lett. sirpe.
Mahlen: griech. uuXn., lat. molere, ir. melhn, got. malan, altsl.
melja, lit. malti, alb. miel ,Mehl'.
Handmühle: got. qairnus, ir. br<l, lit. girna, altsl. irünüvü —
armen, erkan.
Sieb: lat. cribrum, ir. criathar, ahd. rttara.
Tenne: griech. äXw«;, *äXw/n., äXwn. = altschwed. U (s. o. tinn. luuva).
Worfeln: griech. vcikXov Xikvov Hes. = lit. neköjtt »schwinge Ge-
treide in einer Mulde'.
Ähre (Spreu): griech. äxvai, lat. acus, got. ahs, ahana.
Furche: lat. porca, ahd. ftt ruh, altbret. rev — armen, herki'i).
Beet: lat. lira, lit. lyst, altsl. Ifcha (mhd. leis ,Spur ).
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Ackerbau. 9
An diesen Aekerbnugleichungen, die sich leicht durch eine statt-
liche Reihe gemeinschaftlicher Benennungen für Fcldfrüchte verschiedener
Art <s. u.) vennehren Hessen, nehmen nun die arischen (indisch-ira-
nischen) Sprachen keinen Anteil, und so erhebt sich die für die Be-
urteilung der ältesten wirtschaftlichen Zustände der Indogermanen sehr
wichtige Frage, wie diese Thatsache zu erklären sei. Hierfür bieten
sich auf den ersten Blick zwei Möglichkeiten dar : entweder haben sich
jene Ackerbaugleichungeu von Anfang an auf die europäischen Sprachen
beschränkt, oder auch die arischen Sprachen haben sie einst besessen
und sie später aus bestimmten Gründen verloren. Für diese letztere
Möglichkeit tritt H. Hirt (I. F. 1, 474 ff., V, 395 ff., Jahrb. f. National-
ökonomie u. Statistik III. Folge, XV, 456 ff.) ein. Er nimmt an, dass die
Indogermanen schon in der ältesten erreichbaren Zeit den Acker bestellt
hätten, dass aber dann die Indo-Iranicr bei ihrer Loslösung von den
Europäern und ihren Wanderungen durch unfruchtbare Steppengebiete
den Ackerbau aufgegeben und damit auch die oben angeführten Wort-
reihen, die sie ursprünglich wie die Europäer besassen, eingebüsst hätten.
Allein bei näherer Betrachtung zeigt sich diese Auffassung als
nicht haltbar. Denn gerade in einer Reihe der wichtigsten Fälle ist
das Arische dennoch in gewissem Sinne an jenen Ackerbaugleichungeu
beteiligt, nämlich so, dass es ebenfalls das betreffende Wort besitzt,
doch nicht in agrarischem, sondern in einem allgemeinen, chronologisch
jenem sichtlich vorauf liegenden Sinne. So entspricht griech. ä-rpöq u. s.w.
dem sert. djra- .Trift', so lat. molere u. s. w. dem sert. mar /zer-
malmen', so lat. «erere u. s. w. einen» aus sert. präsita- ,dabin schiessend'
und anderen Wörtern (vgl. auch griech. i'riui, *si-semi) erschliessbaren
Zeitwort im allgemeinen Sinne von ,entsendcn', so scheint lat. yrduum
u. s. w. im sert. jir-nd-, /zerrieben', /zerfallen' wiederzukehren u. a. m.
Es ist daher (wofür in jüngster Zeit auch 0. Bremer Ethnographie
der germanischen Stämme in Pauls Grundriss III*, 758 eingetreten ist)
viel wahrscheinlicher, das in jenen europäischen Ackerbaugleichungen
Neuerungen (natürlich immernoch prähistorische) der Sprachbildung
vor uns liegen, d. h. dass Wortformen, die in allgemeiner Bedeutung
schon in der Ursprache vorhanden waren, an einer bestimmten Stelle
des damals noch beschränkteren und durch ununterbrochene Continuität
verbundenen vorhistorischen Sprachgebiets der europäischen Indoger-
manen einen besonderen, auf den Ackerbau bezüglichen Sinn annahmen,
um sich so in teils weiteren, teils engeren Kreisen zu den Nachbarn
fortzupflanzen. Die Einwendung H. Hirts (I. F. V, 396) gegen diese
Anschauung, dass nämlich die Annahme einer solchen ureuropäischen
„Knlturgemeinscbaft" auch die Annahme einer ureuropäischen „Sprach-
einheit" (gemeinsamer lautlicher oder grammatischer Neubildungen)
fordere, die thatsächlich nicht nachzuweisen scheint, ist nicht stich-
haltig. Mit Rücksicht z. B. auf die zahlreichen und alten Kulturwörtcr,
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Ackerbau.
die speeiell den Kelten und Germanen gemeinsam sind (vgl. z. B. F.
Kluge in Pauls Grundriss I2, 324 ff.), könnte man sehr wohl von einer
frühen keltisch-germanischen „Kulturgemeinschaft" sprechen, ohne
dass die Annahme einer keltisch-germanischen „Spracheinheit" irgend
wie berechtigt wäre.
Ist aber die hier gegebene Ausführung richtig, so muss vor der
Zeit, in welcher der hier geschilderte Sprachprozess sich abspielte, die
Viehzucht in noch höherem Grade als später bei den europäischen
Indogcrmanen den Schwerpunkt der Wirtschaft gebildet haben, oder,
mit anderen Worten, die Indogermanen der ältesten Zeit müssen auf
derjenigen Stufe der Wirtschaft gestanden haben, welche E. Grosse in
seinem Buche Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft
(Freiburg 1896) als die „der Viehzüchter" bezeichnet, während die
Europäer anfingen, zu der Form des „Niederen Ackerbaus" ttberzu-
gehn. Die Übrigen Gesichtspunkte, welche für die Richtigkeit dieser
Ansicht sprechen, sind u. Viehzucht zusammengestellt worden.
Dieses einfache Ergebnis, dass die Indogermanen Viehzüchter ge-
wesen seien, scheint aber wieder durch die Thatsache verwirrt zu
werden, dass es auch zwischen den europäischen und arischen Sprachen
doch nicht ganz an Übereinstimmungen fehlt, welche sich auf Landbau
und Feldfrüchte beziehn. Hierher gehören vor allem die beiden Reihen
sert. t/dva- ,Getreide, Gerste', aw. t/aca- (npers. jö ,Gerste', osset.
yeu, yau ,llirse', Pamird. yöqj ,Mehl), griech. Zeä, lit. jawal »Ge-
treide', ir. eörua , Gerste' und sert. pish, griech. mioow, lat. pinso, eine
Verbalwurzel, die in zahlreichen idg. Sprachen mit der Verarbeitung
des Getreides in engstem Zusammenhang steht (aw. pistra- ,Zcrstam-
pfung des Getreides', npers. pist ,farina tosta tritica', altn. fis ,Spreu',
altsl. phseno ,Mehl', altpr. som-pisinis ,grobes Brot"; s. auch u. Mahlen,
Mühle). Geringere geographische Verbreitung zeigen die Gleichungen
lit. dann ,Brot' = sert. dhrind' PI. , Getreidekörner' , aw. ddna-
(npers. ddne, Pamird. pinj-dänd , Hirse'); lit. dirwä , Furche', mittelndd.
terwe, tance , Weizen' = sert. du red , Hirse' ; griech. tcXctov , Furche' =
sert. karshu-, griech. öXupa ,Spelt' = sert. ttrcdrä, aw. urvard »Saat-
feld'. Nicht sicher ist die Übereinstimmung von griech. dX^iu , mahle'
(von anderen: uuXn. s. o. gestellt), armen, alam und npers. drd, hindi
dfd ,Mehl' (vgl. J. Schmidt Sonantentheorie S. 88 und Hübsehmann
Armen. Gr. I, 414). Als ungeeignet für Schlüsse auf die Urzeit er-
weist sich auch die Zusammenstellung von griech. euXmcct ,Pflug' (zu-
nächst wohl zu aüXa£, uuXaü, iuX£, fiXoE , Furche' gehörig) und seit.
vrka- ,Wolf, ,Pflug' (?). Vgl. v. Bradkc Methode S. 121 f. Das Vor-
handensein eines eigentlichen Ackerbaugerätes (wie europ. öpoxpov u. s.w.)
lässt sich durch eine europäisch-arische Reihe also nicht belegen.
Die Frage aber, welche entsteht, ist die: Wie lassen sich derartige
europäisch-arische Übereinstimmungen, wie sie in dem Vorstehenden
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Ackerbau.
11
mitgeteilt worden, erklären bei der oben begründeten Annahme, dass
die Wirtschaftsform der ältesten Indogermanen die von Nomaden und
Viehzüchtern gewesen sei?
Eine befriedigende Antwort hierauf kann man vielleicht dem an-
regenden Buch Eduard Hahns, Die Haustiere und ihre Beziehung zur
Wirtschaft des Menschen (Leipzig 1896) entnehmen. In demselben ist
der überzeugende Nachweis geführt worden, dass eine der ältesten Wirt-
schaftsformen der Erde, der Stufe des Viehzüchters wie des Ackerbauers
vorausgehend, der sogenannte Hackbau ist, der noch heute über weite
Teile des Erdballs verbreitet, noch in kein festes Verhältnis den Haustieren
gegenüber getreten ist, nicht mit dem Pfluge, sondern mit der Hacke
arbeitet und meistens Knollengewächse und Gemüse, aber auch bereits
Getreidegrüscr verwendet. Nach E. Hahu wäre dieser Hackbau nun
in unvordenklichen Zeiten auch in Europa und dem grössten Teile
Asiens verbreitet und seine hervorragendste Kulturpflanze der Hirse
gewesen. Ist diese Annahme begründet, so könnten in vorindo-
ger manisch er Zeit die Indogermanen ebenfalls auf dieser Stufe des
Hackbaues gestanden haben, und es stünde nichts im Wege, in jener
uralten Reihe sert. yäva- u. s. w., deren genauer Sinn sich bereits für
die Zeiten des Veda und Homers nicht mehr ermitteln lässt, ein Wort
für Hirse zu vermuten. Jedenfalls erweckt die Geschichte des Hirse
(s. d.) in mehrfacher Beziehung den Eiudruck, als ob diese Gctreidcart
die am frühsten in der idg. Welt angebaute wäre. Im Laufe der Zeit
zieht er sich mehr und mehr zurück, während die ebenfalls schon in
die Urgeschichte Europas zurückgehenden Getreidearten Gerste und
Weizen (s.s. d. d.) ihren Besitzstand erweitern, Roggen und Hafer
(8. s. d. d.) aber wohl überhaupt nicht zu der ältesten Schicht europäi-
scher Kulturpflanzen gehören. Merkwürdig ist auch, dass gerade der
Hirse dem semitisch-aegyptischen Kulturkrcis fremd zu sein scheint,
dem Gerste und Weizen sicher angehören. Bemerkenswert ist endlich,
wie oft innerhalb derselben Wortstämine, welche Cerealien bezeichnen,
die Bedeutung ,Hirsc' mit der von ,Gerste' und , Weizen' wechselt, so
dass es scheinen könnte, als ob die letzteren mehrfach nach dem ersteren
benannt wären. Vgl. oben sert. du red .Hirse' — mittelndd. terice
,Weizen', ferner griech. kc'txpo? ,Hirse' — Kdxpu? ,Gerstc', und auch
griech. Kpiön,, lat. hordeum, ahd. gersta lassen sich vielleicht mit npers.2«r(i
,Hirsc' (vgl. zuletzt P. Horn Grundriss der npers. Et. S. 146) verbinden.
Demnach darf man sich den wirtschaftlichen Entwicklungsgang
der Indogermanen vielleicht folgendermassen vorstellen. Aus jenen
europäisch-arischen Gleichungen des Landbaus blickt noch die primitive
Stufe des Hackbaus hervor, die in vorindogermanische Zeiten zu-
rückführt. Alsdann wurden die Indogermanen nach und nach mit den
wichtigsten Haustieren bekannt, und die Viehzucht bildete nunmehr
die wirtschaftliche Grundlage ihres Lebens. Daneben bliebeu Reste
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12 Ackerbau.
des alten Hackbaus bestehen und lieferten zu der in der Hauptsache
tierischen Nahrung der Indogermanen eine, wenn auch kleine, pflanz-
liche Beigabe, auf die auch der Nomade (vgl. Hahn a. a. 0. S. 407) nur
äusserst widerwillig verzichtet.
Daun begann bei den Vorfahren der europäischen Indogermanen der
eigentliche Ackerbau mit dem vielleicht schon vom Rind gezogenen
Pflug, mit Gerste und Weizen (neben dem uralten Hirse) aufzutreten.
Dabei ist man nicht genötigt, schon fdr damals an eine örtliche
Trennung der Europäer und Arier zu denken. Entsprechend einer ver-
schiedenartigen Beschaffenheit des Bodens könnte im Westen des idg.
Sprachgebiets der Ackerbau leicht Eingang gefunden haben, während
der Osten bei der älteren Viehzucht verharrte. Ja, wenu u. Urheimat
die ältesten Wohnsitze der Indogermanen mit Recht in das südliche
Russland verlegt worden sind, so sind dies dieselben Gegenden, in
denen eine derartige Zweiteilung der Bevölkerung uns thatsächlich in
historischer Zeit entgegentritt, nämlich die der Skythen in IkoOcu dpo-
Tfjpes (oder YtwpToi) jn (}en fruchtbaren Westlandschaften und in
lKu6cti voudbe? (oder ßao~i\€ioi i auf dem östlichen Steppenboden. Auch
ist es nicht richtig, in diesem Übergang eines Teiles der Indogermanen
zu den Anfängen des eigentlichen Ackerbaus, in denen, wie unten
noch weiter zu zeigen ist, die Europäer bis in die historischen Zeiten
verharrten, ohne weiteres ein Emporsteigen zu einer höheren Kultur-
stufe dem Viehzüchter gegenüber zu erblicken. Der niedere Ackerbau
in dein Sinne E.Grosses ist zunächst nur eine andere, keine höhere
Wirtschaftsstufe als die Viehzucht.
Nicht unwahrscheinlich ist, dass die Europäer zu diesem wirtschaft-
lichen Übergang ausser durch die Gunst ihres Bodens und durch ciuen
örtlichen Zwang, eine intensivere Bewirtschaftung desselben vorzu-
nehmen (8. u. Urheimat), noch durch auswärtige Anregungen, durch
die sie Pflug, Gerste und Weizen kennen lernten, veranlasst wurden,
und es läge nahe, hierbei an dieselben von semitischem Boden aus
gehenden, Uber Kleinasien und die Küsten des Schwarzen Meeres ver-
laufenden Einflüsse zu denken, welche vielleicht um dieselbe Zeit den
noch vereinigten Europäern die Bekanntschaft mit dem babylonischen
Scxagesimalsystem (s. u. Zahlen) vermittelt haben. Denkbar und
möglich wäre endlich auch, dass diejenigen idg. Stämme, aus denen
später die europäischen Völker hervorgingen, noch auf der Stufe der
Viehzüchter, denen überall und zu allen Zeiten aggressive Gelüste
gegen ackerbauende Nachbarn eigen gewesen sind (vgl. E. Grosse
Die Anfange der Kunst S. 38), sich eine ackerbauende Urbevölkerung
unterwarfen, und so selbst zu Ackerbauern oder zunächst zu Herren von
Ackerbauern wurden. Dieselbe Möglichkeit ist hinsichtlich des Ver-
hältnisses von Patriarchat (Viehzüchter) zu Matriarchat (Ackerbauer) u.
Familie am Schluss) und n. Mutterrecht angedeutet worden.
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Ackerbau.
13
Kehren wir von diesen mehr oder weniger kühnen nnd nicht eigentlich
beweisbaren Vermutungen zu dem altenropäischen Ackerbau selbst
zurück, so lässt sich derselbe durch folgende vier Sätze näher cha-
rakterisieren:
1) Esgiebtnoch kein Privateigentum an Grund und Boden.
2) Der Ackerbau wird als wilde Fcldgraswirtschaf t be-
trieben.
3) Er tritt an wirtschaftlicher Bedeutung noch hinter der
Viehzucht zurück und wird von der männlichen Bevölkerung
als eine unwürdige Beschäftigung empfunden.
4) In Folge dieser Umstände sind die Ansiedelungen der
Menschen noch wenig feste.
Die ältesten nnd entscheidenden Nachrichten über den deutschen
Ackerbau giebt Caesar De bell. gall. VI, 22: Neque quisquam agri
modum certum aut fines habet proprio* ; sed mag'mtratus ac ; principe*
in anno8 singulos gentibus cognationibusque hominum, qui tum una
coierunt, quantum et quo loco visum est, agri attribuunt atque anno
post alio tramire cogunt und IV, 1 von den Sueben: Sed privat i ac
separati agri apud eos nihil est, neque longius anno remanere uno
in loco incolendi causa licet. Hierzu tritt Tacitus Germ. Cap. 2G:
Agri pro numero cultorum ab unitersis in vices occupantur, quo*
mox inter ne secundum d ignat ionern partiuntur ; faeifitatem partiendi
camporum spatia praebent: arra per annos mutant, superest et ager.
Es geht hieraus hervor, dass zur Zeit Caesars der Grund und Boden
den einzelnen Familienverbänden (Sippen) gemeinsam gehörte, denen
er von den Häuptern der Stämme zugewiesen wurde. Eine weitere
Verteilnng und zeitweise Verlosung des Ackerbodens an die einzelnen-
Hausväter wird von Caesar noch nicht erwähnt, und wahrscheinlich
fand eine solche damals überhaupt noch nicht statt. Vielmehr ist zu
vermuten, dass durch die gemeinsame Arbeit der Sippe das Feld
gerodet — ein schweres Werk auf dem wnrzeldurchzogenen Waldboden
Alteuropas — , angebaut und abgeerntet wurde, worauf der Ertrag
unter die einzelnen verteilt wurde. Einen solchen Zustand schildert
wohl auch Diodorus Sic. V, 34 bei keltiberischen Stämmen : outoi xaö'
SKCtöTov fros bicupoO|U€voi tuv xwpav (unter die Familienvcrbände)
T€wpTOÖ(Ji, Kai tou? KctpiroiNj KOivoTroiouuevoi utTabiböaaiv £i<do*Tiu tö
uepo<; Kai ToTq voo^ptaau^voiq ti YewpYoiS OävaTOV tö TTpöo*Ttuov Te8€t-
xao-t. Vielleicht dürfen die in zahlreichen Gegenden Deutschlands,
Englands und Dänemarks nachgewiesenen Hochäcker, verlassene,
jetzt vielfach von Heide oder Wald überzogene Kulturen, als Überreste
jener gemeinsamen Feldarbeit alteuropäischer Sippen angesehen werden
(vgl. A. Hartmann Zur Hochäckerfrage, Oberbair. Archiv f. vaterl. Ge
schichte XXXV, 115 ff.)
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14
Ackerbau.
Eine etwas vorgerücktere Stufe der Feldgemeinschaft
schildert die Germania des Tacitus anderthalb Jahrhunderte nach
Caesar. Der Gruud und Bodeu gehört noch immer der Dorfachaft
(mit anderen Worten der Sippe) gemeinsam; doch rindet jetzt, indem
das Ackerland auf Grund periodischer Verlosungen unter die Hofbesitzer
verteilt wird, eine Sondenmtzung desselben durch die einzelnen Familien-
väter statt. Dies ist der Zustand, wie er sich in Russland in
vielen Gegenden bis in die Neuzeit erhalten hat. Das Ackerland ge-
hört der Dorfgemeinde und wird auf Grund periodischer Verteilungen
(1—20 Jahre) den einzelnen zur Nutzung zugewiesen (vgl. M. Kulischer
Z. f. Völkerpsycb. u. Sprachw. X, 370, E. de Laveleye Das Ureigentum,
deutsch v. Bücher S. 7 ff.). Dagegen tritt der Gedanke der Verlosung
bei den Südslaven noch zurück, von denen Krauss Sitte und Brauch
S. 23 berichtet: „Ein Stamm blutsverwandter Hausgemeinschaften nahm
einen grösseren Landstrich in Besitz und legte in der Umgebung ihrer
Hütten grosse gemeinsame Felder an, die sie als gemeinsames Eigentum
betrachteten und den Anordnungen des Vorstandes des brätst co ent-
sprechend bebauten. In der Hercegowina, Crinagora uud der Bocca
stehen diese alten Einrichtungen noch immer in Kraft."
Auch im alten Irland fehlt es nicht an Spuren des ehemaligen
Gesamteigentums der Feldmark und ihrer späteren Aufteilung (vgl.
Maine Early bist, of institutions lect. IV). und auch von den illyri-
sehen Stämmen wissen wir, dass bei ihnen alle acht Jahre eine Auf-
teilung des Landes stattfand. Vgl. Strabo VII p. 315: Xbiov bi tüjv
AaX|iaTtuuv tö biet ÖKTO€Tr|piboq x^pa^ dvabao*|uöv 7roi€io*Öai.
Indem die anfänglich periodische Verlosung des Ackerlandes seltener
und seltener stattfindet und allmählich ganz und gar aufhört, bildet
sich aus der Feldgemeinschaft nach und nach das Privateigentum an
Grund und Boden heraus, zu dem ein Ansatz schon früh in dem das
Haus umgebenden Garten (s. d.) vorhanden war.
Diese Entwicklung ist bei den klassischen Völkern schon im An-
fang ihrer Überlieferung zum Abschluss gekommen; doch fehlt es
nicht an Spuren des ursprünglichen Zustand». Besonders deutlich redet
in dieser Beziehung der in ganz Griechenland zur Bezeichnung des im erb-
lichen Privateigentum befindlichen Grundstücks übliche Ausdruck »cXnpoq
,Loos' (Homer: oueo? Kai icAripo«;) =- ir. chlr ,Tnfel, Brett', wie auch im La-
teinischen sorg nach Festus (ed. C. 0. Müller S. 21)7) et Patrimonium be-
zeichnete (vgl. auch lat. comortex). Die Gesetzgebung des Lykurg ist in
agrarischer Beziehung offenbar nichts als eine solche letztmalige Auftei-
lung des Grundbesitzes, „sie erklärt nach griechischer Art die Institution
durch einen einmaligen Willkürakt des Gesetzgebers" (vgl. E. Meyer
Geschichte des Altertums II, 298). Ol» im ältesten Rom noch direkte
Spuren des Bodeneigentums des Geschlechts vorhanden und nachweisbar
sind (vgl. Monimsen Staatsrecht 111,1; 24 ff.) oder nicht (E. Meyer
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Ackerbau.
15
a. a. O. S. 518 f.), mag dahin gestellt bleiben. Sicher ist nach dem
bisherigen auch das römische Privateigentum an Grund und Boden
erst das Ergebnis einer tausendjährigen Entwicklung.
Die Eingangs dieses Abschnittes angeführten Nachrichten lassen uns
zugleich einen Blick in die Art und Intensität des damaligen Acker-
bans werfen. Die ausdrückliche Überlieferung der Germania: Arm
per annos mutant in Verbindung mit der Schilderung des Horaz III, 24 :
melius
vivunt et rigidi Getae,
immetata quihtts iugera liberas
fruges et Cererem ferunt,
nec cultura placet longior annua
lässt es nach den Ausführungen G. Hanssens (Agrarhist. Abb. I, 123 ff.)
als sicher erseheinen, dass der alteuropäische Ackerbau eine extensive
und wilde Feldgraswirtschaft war, d.h. dass auf eine Aekerkultnr
von einem Jahr, während dessen nur Sommergetreide gesät wurde,
eine vieljährige Grasnutzung folgte, so dass immer nur der kleinste
Teil der ganzen Kulturflüche gleichzeitig unter dem Pfluge gehalten
wurde. Eine schlagmässige Einteilung der Felder (Zwei- oder Drei-
felderwirtschaft) war daher ebensowenig wie wahrscheinlich die Kunst
der Düngung (s. d.) damals bekannt.
Auch Uber das Verhältnis von Ackerbau und Viehzucht und die
Auffassung des ersteren Erwerbszweigs seitens der alten Bevölkerungen
lassen uns die Autoren nicht im Ungewissen. Am deutlichsten drückt
sich Caesar VI, 22 aus: Agrkulturae non student '„legen sie keinen
besonderen Wert"), maiorque pars eorum victus in lade, caseo, carne
consistit. Dazu vgl. Tacitus Germ. Cap. 14: Xec arare terram auf ex-
spectare anmim tarn facile persuaseris quam vocare hostem et vulnera
mereri. pigrum quin immo et iners tidetur sudore acquirere quodpossis
sanguine parare und Cap. 15: Delegata domus et penatium et agrorum
cura f eminis senibusque et infirmissimo cuiquee.r familia
gegenüber Cap. 5: Ke armentis quidem suus honor ant gloria frontis:
numern gaudent, eaeque solae et gratissimae opes sunt. Nicht
weniger klar tritt die Geringschätzung des Ackerbaus in der Schilde-
rung des Herodot bei den alten Thrakern hervor: öptöv clvcu k6X-
Xio~tov, THS &e epTotTnv d-rinÖTctTov (V, 6). Es zeigt sich also, wie
fest in der Bevölkerung Altcuropas noch die Vorliebe für die alt-
ererbte Wirtschaftsform der Viehzucht wurzelt, die da, wo sie rein auf-
tritt, „ein fast nie unterbrochener Feiertag" ist, und dem Menschen zur
Befriedigung kriegerischer Gelüste Zeit, Stimmung und Kraft übrig lässt.
Eines Wortes bedarf noch die von Tacitus hervorgehobene Heran-
ziehung der Frau zu den Arbeiten des Ackerbaus, wofür sich Zeug-
nisse auch in anderen Teilen Europas finden (vgl. II. Hirt in den
Jahrbüchern für Nationalökonomie u. Statistik, III. Folge, XV, 462).
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Ackerbau.
Jedoch können wir im Gegensatz zu H. Hirt in den europäischen Ver-
hältnissen für die ausserhalb Europas bezeugte, dort in Verbindung
mit dieser landwirtschaftlichen Thätigkeit der Frau stehende Hebung
ihrer socialen Stellung durch Einführung der Monogamie und vor allem
durch Gewährung eines Rechtes auf den von ihr bebauten
Boden (vgl. Grosse Die Formen der Familie 8. 159) keine sicheren
Spuren finden; denn gerade bei Germanen, Thrakern und Staren,
deren Frauen nach Massgabe der Zeugnisse an der Bestellung des
Ackers teilnehmen, herrscht noch Polygamie ('s. d.) in ausgedehntem
Masse, und die Teilnahme der Frau an «lern Eigentumsrecht des Bodens
(ß. u. Erbschaft II) muss für alteuropäische Zustände geradezu als
eine Unmöglichkeit angesehen werden.
Schwieriger ist es, sich über die Frage, bis zu welchem Grade der
Ansässigkeit die lndogermancn Europas in der Urzeit vorgeschritten
waren, ein bestimmtes Urteil zu bilden. Man hat früher viel von
einem Nomaden tum der ältesten Germanen und idg. Völker Europas
überhaupt gesprochen, und wenn die obeu angeführten Nachrichten
Caesars, nach denen die Germanen jährlich nicht nur ihre Felder,
sondern auch ihre Wohnungen gewechselt hätten (anders kann die
Stelle VI, 22 wegen des folgenden: eiua rei multas affemnt causa*
ne accuratius ad frigora atqne aestus ritandos aedißcent
nicht verstanden werden), riclitig sind, so würde allerdings kein Aus-
druck für die Lebensweise der alten Deutschen passender sein. Es
ist ein Verdienst R. Muchs in seinem Aufsatz: Waren die Germanen
Wanderhirten 'i (Z. f. deutsches Altertum XXXVI, 97 ff.) nachgewiesen
zu haben, dnss die Auffassung des grossen Römers eine irrige sein
muss, dass er zwei ganz verschiedene Dinge, jährlichen Flur- und
jährlichen Wohnungswechsel miteinander vermengte, und dass über-
haupt der Ausdruck „Nomadentum" auf die Verhältnisse Europas ans
geographischen und historischen Gründen nicht wohl angewendet werden
kann.
Auf der anderen Seite scheint freilich Much den Grad der An-
sässigkeit der ältesten europäischen lndogermancn zu überschätzen.
Caesar hätte in den von Much aufgedeckten Irrtum nicht verfallen
können, wenn die Germanen, die er doch schliesslich besser als wir
neueren kannte, auch nur annähernd so sesshaft wie sein eigenes Volk
gewesen wären. Bestellen bleibt auch die Nachricht des Strahn VII p. 291
hinsichtlich der Sueben: koivöv b' krriv äuaffi toi? rauTn to irepi Ta?
ueTavaaTdaeu; tupaplq (vgl. im übrigen die Kritik dieser Stelle bei
Much a. a. 0. 8. 117 f.), und dasselbe wird von den Slaven (Prokop.
B. G. III, 14: oucoöcri €v KaXußm? oucTpau; bieo'Knvriue'voi ttoXXüj miv
än ä\Xr|Xujv, dtueißovTeq bi ih<; tu ttoXXu töv Tfj <; i voiKn,CT£uj<;
^Kaoiov x&pov), dasselbe von den ältesten G riechen (Thnkyd. I, 2:
<paiv€Tat T«P n vuv 'EXXdq KaXouutvn, ou iröXai ßcßcnwt; oiicouM^vri. dXXd
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Ackerbau — Adoption.
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u€Tavao*Täo"eiq xe oOo*ai xct TTpöxcpa Kai £abiw<; £i<ao*TOi xrjv £aiml>v
äm>XeinovT€<;, ßtaZöuevoi üttö xivujv ct€i ttX€iövujv berichtet.
Es wird also im Norden wie im Süden, je früher, umso häutiger,
vorgekommen sein, dass ein Stamm seine Hütten abbrach, Weib und
Kind, Hausgeräte und Ackerfrüehtc auf die ochsenbespannten Wagen
lud, um mit seinen Herden an einer anderen Stelle sein Glück zu ver-
suchen, ohne dass man derartige ueTavaaidcreis noch auf gleiche Stufe
mit den ruhelosen und nur durch kurze Rasten unterbrochenen Wande-
rungen von Xomadenvölkcrn stellen dürfte. Dabei mögen örtliche
Unterschiede sehr früh hervorgetreten sein. Den Bewohnern der nur
mit grosser Mühe in den Seen und sonst errichteten Pfahlbauten < s. u.
Haus), z. B. den thrakischen Paeoniern wird man schon in der Stein-
zeit ein grösseres Mass von Sesshaftigkeit zuschreiben dürfen als den
Besiedlcrn des trockenen Landes.
Der höchste Grad der Sesshaftigkeit aber wird erst mit dem Aufblühn
des Garten- und Obstbaues (s.s. d. d.) erreicht, über die Geschichte
der einzelnen Feldfrüchte ist in besonderen Artikeln gehandelt worden.
S.u. Hirse, Gerste, Weizen und Spelt (Dinkel), Hafer, Roggen,
Reis, Flachs, Hanf, Hopfen, Erbse, Bohne, Linse, Zwiebel und
Lauch, Cucurbitaceen (Gurke, Kürbis, Melone), Kohl und Rübe,
Mohn, Möhre, Beete. Hierher gehören ferner die Artikel : D r e-
schen (Tenue), Düngung, Egge, Mahlen (Mühle), Pflug, Stall
und Scheune (.Speichen, Sichel und Sense, Sieb, Worfeln.
Adel, s. Stände.
Adler, s. Raubvögel.
Adoption. Dieser Rechtsbrauch, der dem Kinderlosen die Mög-
lichkeit „künstlicher Sohnescreierung" bietet und auch auf niedrigen
Kulturstufen weit verbreitet ist (vgl. Kohler Studien über künstliche
Verwandtschaft, Z. f. vergl. R. W. V, 415 ft'.), lässt sich ausser bei den
Römern (lat. adoptio, bezw. arrogatio, eigentl. ,Anwünschuug') auch bei
anderen idg. Völkern frühzeitig nachweisen. So in den indischen
Rechtsbüchern (z. B. bei Vasishtha Dharmagästra XV, 6: „f/e icho desires
to adopt u son, shall assemble his kinsmen, announce his inten-
tion to the kingt make burnt-offerings in the middle of the hou.se,
reciting the Vydhrtis and take 'as a son) a not remote kinsman,
just the märest among his retoticex" — der adoptierte Sohn heisst
datta- oder dattaka- ,der gegebene', auch krtrima- ,der künstlich
gefertigte'; vgl. ausführlich Jolly Recht und Sitte, Grundriss der
indo-ar. Phil. II, 71 ff.), bei den Griechen (r^vTt? Oetöv TiaTba
TroueaGai iQl\ri, ßaffiXewv ^vaviiov TTOieeo*8ai, Herodot VI, 57;
im Recht von Gortyn: äv<pavo*ts , Adoption', äuipaväucvos , Adoptivvater',
äu9avrös , Adoptierter' : äva<pouvo^i ,weise als mein auf), bei den
Germanen (got. frastisibja, entsprechend dem griech. uio6€0*ict : frasts
.Kind' und sibja Verwandtschaft', vgl. ahn. wtt-lddiny ,Adoption',
Schräder, Reallexikon. 2
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Adoption.
eigentl. .Einführung in die Familie oder das Vermögen'; von den bei der
Adoption üblichen Zeremonieu, onter denen auch das bei den Indern
vorkommende Scheren der Haare wiederkehrt: ahn. knesetja von der
Kniesetzung, altfränk. fathumjan, mlat. adfatimus : alts. fathmos ,Ariue
und Hände' von der Umarmung u. a.). Auch bei den Slaveu finden
sich schou in alten Schriftdenkmälern Wörter für Adoption, adoptieren,
Adoptivsohn. Der letztere heisst serb. und kroat. posinak, mit dem-
selben po- gebildet, das auch zur Bezeichnung der Stiefkinder (s. u.
Stief-) dient. „Die ältere Sprache", fügt Krauss Sitte und Brauch
der Süd8lavcn S. 595 hinzu, „kennt kein Wort für Adoptiv t o c h t e r. . . .
Dass man ein erwachsenes Mädchen etwa wie einen Burschen adop-
tieren würde, kommt nicht vor, weil es nach der Volksauffassung eiu-
fach sinnlos wäre". Ebenso wenig ist in den ausführlichen Bestim-
mungen des Gortynischen Rechts (vgl. Das Recht vou Gortyn von
F. Bttcheler u. E. Zitelmann S. 160 ff.) über Adoption oder in den
indischen Reehtssatzungen darüber von der Annahme von Mädchen
die Rede.
Ob die Adoptiou als ein schon idg. Rechtsbrauch anerkannt werden
darf, mag dahin gestellt bleiben, zumal ihre Terminologie in den Eiuzel-
sprachen so weit aus einander geht. Jedenfalls standen dem Indo-
gernianen zur Erzielung eines für die Weiterführung der Wirtschaft
und die Darbringung der Totensacra (s. u. Ahnenkultus) unentbehr-
lichen Sohnes bei Sohnlosigkeit der Frau noch andere und einfachere
Mittel zur Verfügung. S. u. Polygamie, Zeug ungs helfet- und
E r b t o c Ii t e r.
Als ihre älteste Form wird der dem Brautkauf entsprechende und in
Indien bezeugte Sohneskauf (vgl. Kohler Indisches Ehe- und Familien-
recht, Z. f. vergl. R.W. III, 423, Leist Altarisches Jus gentium S. 104).
als ihr ältestes Symbol die von Diodorus IV, 39 bei BarharenstAmtucn
vorgefundene, aber von Plinius Panegyr. Cap. 8 auch für das kaiser-
liche Rom bezeugte Nachahmung des wirklichen Geburtsakts
anzusehen sein.
Das Hecht, in Adoption zu geben oder zu nehmen, steht wie das
A ussctzuiigsrecht (s. d.) ursprünglich allein dem Vater zu.
Die Adoption ist ferner, wie dies schon aus dem obigen hervorgeht,
ein öffentlicher (in Gegenwart des Königs vorzunehmenden Akt der
Sippe und des Stammes. Auch bei den Germanen ging eine besonders
feierliche Art der Adoption im gttirethin.v, in der Volksversammlung
zugleich mit der Wchrhaftmachung vor sich ' vgl. Schröder Deutsche
Rcchtsgcschichtc* S. 0T>j. Recht deutlich tritt die Teilnahme der
Allgemeinheit au dem in Frage stehenden Vorgang auch bei den
irischen Mic Faesnut ,children of adoptiou' (fo-exxam .Schutz ) hervor.
Vgl. O'Curry Manners and custoins I. CLXV. Da es sich hierbei aber
vornehmlich um die Aufnahme erwachsener Fremder in ein fine
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Adoption — Affe.
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(.Verwandtschaft') durch die Vermittlung eines Haushalters handelt,
liegt hier mehr der Begriff der Arrogation als der Adoption vor.
S. u. Recht (Familienrecht).
Affe. Das gegenwärtig in Europa wild nur auf dem Felsen von
Gibraltar vorkommende Tier war vielleicht früher im Süden Europas
weiter verbreitet, worauf der Xame der Pithekusen oder ,Affcniuscln'
im Golf von Neapel hinweist. Auch ist gerade Italien nicht ohne alte
und, wie es scheint, einheimische Benennungen des Tieres. So be-
gegnet im Etrurischen dpiuo^ (Hesych), im Lateinischen dura, clusa (?),
cluna (vgl. Festus, ed. M. S. 55, 9, G. Goetz Thes. Gl. s. v. dura), während
lat. simia nach Kretschmcr K. Z. XXXIII, 563 identisch mit dem
griechischen Sklavennamen Simia, Imia? (raiuöq, lat. simus stumpf-
nasige wäre und ursprünglich ein volkstümlicher Scherzname des Affen
gewesen sei (s. ähnliches u. Hahn, Huhn).
In Griechenland kennt die homerische Sprache noch keine Bezeich-
nung des Tieres. Eine solche tritt als mönKoq vielmehr erst in zwei
Fabelfragmenten bei Archilochus auf. Vgl. Fragm. 89 (Bergk):
Tuerncos fjei 9n.pt wv dnoKpi8ei<;
uoövo? dv' ^axaTinv '
tuj b' dp' dXujTrnH KepbaXen, cruvr|VT€TO
ttukvöv Ixouaa vöov (s. auch u. Fuchs)
und Fragm. 91: xoinvbe, tu Tu9r|K€, Tnv mj-rnv Ixwv.
Das Wort ist noch unerklärt. Vielleicht darf man an eine Verstümme-
lung aus (Ka)Tri6nKOs denken: sert. kapi- ,Affe' (s. u.). Vgl. aber auch
Trn8u>v m0n,icos Hes.
Sehr viel später (zuerst bei Aristoteles) ist im Griechischen Kn,ßoq, Knrcoq
(auch K€ßXo<; Hes.), woraus lat. ctphus, nachweisbar. Diese Wörter gehören
zu einer Gruppe von Benennungen des Tieres (sert. kapi-, schon im
Rig- und Atharvaveda bezeugt, woraus durch iranische Vermittlung
armen kapik; ferner hebr. qOf und altägypt. qephi .der Affe des Landes
I'unt ), die zwar sicher unter einander zusammenhängen, deren Aus
gangspunkt aber noch nicht ermittelt ist. Der Austausch muss auf
den uralten Haudelswegen erfolgt sein, die Indien mit dem Wunder-
landc Ophir, dem ägyptischen funt im südlichen Arabien oder östlichen
Afrika verbanden. Das griechische ktitto? und lat. ctphus scheinen
dem Ägyptischen am nächsten zu liegen.
Frühzeitig erfuhren die Griechen auch von menschenartigen
Affen, und zwar durch den Karthager Hanno, welcher um 500 den
Kolonien an der Westküste Afrikas neue Maunschaften zuführte und
darüber einen Bericht verfasste, der ins Griechische übersetzt wurde:
'Ev b€ tuj uuxüj vf\<soq nv ^oncina xrj TTpujxrj X(u.vn.v lx°u0"a' KCtl ^v
TauTtj vr\oo<; nv iiipa, p€0*TT) dv9pumujv dtpiujv. ttoXu b£ TrXeiou? naav
TovaiKe?, bacreiai toi? ffujuacri, ot ipnr\vk<; exdXouv FoniHa; (nach
Möller für Toorallas, wie in der Sprache der Mandiugi - Neger die
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Affe — Ahle.
Orang-Utans heissen sollen). buuKOVTe? be ävbpa^ utv auXXaßciv ouk
i^buvr|9»mev, dXXd TTdvreq 4£6puYOV Kprmvoßdxai övt€? Ka\ toi? TT^rpoic
duuvöuevoi, fuvaiKa? bk Tpet?, a'i baKvouaai re Kai tfirapdirouaai tou?
drovra? ouk fj9€Xov £7T€0*8ai. dTroKT€ivavr€? ji^vroi aurdq ^Ecbelpauev
Kai iäq bopdq ^Kouiffauev €15 Kapxnböva (Müller Geogr. graeci min. 1, 13f.).
Noch viel später als Kfjßo? sind griech. umu», vielleicht mit Anlehnung
an uincioeai aus npers. ntaimdn ( vgl. auch ttlrk. majmun, alb. maimün,
ebenso südslavisch und ngriech.), die wieder mit sert. mayü- ,Affe' (Zimmer
Altind. Leben S. 85) irgendwie zusammenhängen könnten, und «pKom-
8nKos, k^pkuji^ : k^pko? ,8chwanz' bezeugt, über die Bedeutung des Afieu
bei Griechen und Römern vgl. Keller Tiere des kl. Altertums S. 1 ff.). —
Auf verschiedenen Wegen ist der Affe zu den Nordvölkern gelangt.
Hesych bietet die Glosse dßpdva^ • KcXtoi toü£ K6pKOTri6r^Kou{. Liest man
hierfür mit einer alten Emendation (Rcinesius) *dßßdva$, *dßdva$, so er-
hält man die germanische Grundform *apan-, altn. ape, ahd. affo. Die
Germanen würden demnach schon vor der ersten Lautverschiebung
den Namen des Affen von den Kelten empfangen haben, welche das
possierliche Tier frühzeitig etwa von Massilia her kennen lernen konnten.
Es mag öfters vorgekommen sein, was Cicero De div. I, 34 vom Könige
der Molosser berichtet, dass Harbarenhäuptlinge sich einen Affen zur
Kurzweil hielten. Eine weitere Verknüpfung des keltisch-germanischen
Stammes *aban-, *apan- ist bis jetzt nicht möglich, man müsste denn
auch hier unter Annahme eines Konsonantenschwundes im Anlaut an
Znsammenhang mit sert. kapi- etc. denken. Stokes B. B. XXIII, 60
zieht zur Vcrgleichung ir. abacc (*abanko-) ,Zwerg' heran.
Die Slaven haben das germanische Wort (altruss. opka), aber auch
das altgriechische (altsl. pitikü) und dazu einen orientalischen Ausdruck :
russ. obezüjana, lit. bezdziöne (volksetymologisch wohl durch bezdine
,der Hintere' beeinflusst ; vgl. das oben angeführte zweite Fragment des
Archilochus und lat. cluna aus dura : clünes) aus tttrk.-pers. ebuzini,
buzini. Im Germanischen begegnet noch ein mndl. »irnme, simminkel
,Affc' aus lat. simia (*8tmiuncula s. o.) und ein agls. sprinca ans lat. spinga
(spingion, sphinx , Affenarten ). Vgl. auch engl, monkei/j oberd. muonaff
aus ital. monna, mona ,Affe' (Madonna). Hauptsächlich Italiener sind
es noch heute, die mit Affen und anderen merkwürdigen Tieren in den
Städten und Dörfern des nördlichen Europas umherziehen.
Agnation, s. Familie.
Ahle. Spitzige ahlen- oder pfriemenartige Werkzeuge aus Horn,
Knochen oder Flint, vornehmlich wohl zum Durchbohren des Leders
gebraucht, sind aus der neolithischeu Periode und schon aus früherer
Zeit zahlreich an den Tag gekommen. Neben Dolch und Pfeil ist
ferner der Pfriem das älteste Werkzeug, das aus Metall (Kupfer und
Bronze) hergestellt wurde (vgl. M. Much, Kupferzeit * S. 186 f.). Der
idg. Name desselben ist sert. d'rd ,Ahle', ,Pfricm' — ahd. diu, lit. yla.
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Ahle — Ahnenkultus.
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altpr. yto (die beiden letzteren mit auffallendem Stammvocal); daueben
lat. m-bula = ßech. si-dlo, polu. szy-dlo : lat. suo, alid. siula ,Pfriem';
s. u. Nadel. Unaufgeklärt sind: griech. öireu?, mhd. pf Herne, agls.
prion, altn. prjönn (woraus ir. prin, gael. prine) und gemeiukelt. ir.
menad (*minaveto-). S. u. Werkzeuge.
Ahnenkultus. Bei allen Indogennauen findet sieb, wie auf an-
deren Völkergebieten, die Vorstellung, dass die Seelen der Verstorbenen
in ihren Gräbern oder ausserhalb derselben seitens ihrer Angehörigen
wiederholter Labung durch Speise und Trank bedürften. Insofern diese
Labung von den Mitgliedern der einzelnen Familien verbände den Seelen
der Abgeschiedenen der eigenen Sippe oder der eigenen Hausgemein-
schaft dargebracht wird, ist statt von einem Seelen kultus von einem
A Ii n e n d i e n s t zu reden, der sich dann wieder, wenn er sich auf
einzelne durch ihre Thaten besonders berühmte und darum als Schutz-
geister jener Familienverbände, später des Landes, welches sie bewohnen,
verehrte Vorfahren bezieht, zu einem uur auf höheren Stufen bezeugten
Heroenkultus erhebt. Bei der Aufzählung der Zeugnisse für diese
Anschauungen wird es gut sein, mit den nördlichen lndogermanen
zu beginnen, bei denen die ursprünglichen Verhältnisse sich naturgemäss
ungetrübter als bei den arischen und südeuropäischen Völkern erhalten
haben. Die hierher gehörigen Bräuche der alten Preussen und Litauer
fasst Johan. Lasieius De diis Samagitarum, Basileae 1615 S. 57 (dieser
Teil ist ein fast wörtlicher Abdruck der Schrift des Jan Maleeki über
die Opfer und den Gottesdienst der alten Preussen) folgendermassen
zusammen: Qui funus mortuo faciunt, nummos proiciunt in sepul-
crum, futurum mortui viaticum. panem quoque et lagenam cervisiae
plenam ad caput cadareHs in sepulcrum illati, ne anima vel
eitiat vel esuriat, collocant. uxor vero tarn Oriente quam occi-
dente sole super extineti coniugis sepulcrum sedens vel iacens
lamentatur diebus triginta. caeterum cognati celebrant convivia
die a funere tertio, sexto, nono et quadragesimo. ad quae
animam defuneti invitant precantes ante ianuam. tibi tacite assident
mensae, tamquam muH (vgl. lat. süicemium ,TotenmahT, wenn es
richtig mit silere »schweigen* verbunden wird), nec utuntur cultris
ministrantibus duäbus mulieHbus, sed absque cultris, eibumque hos-
pitibus apponentibu8. singuli vero de unoquoque ferculo aliquid infra
mensam abiciunt, quo animam pasci credunt eique potum effundunt.
Si quid forte decidat in terram de mensa, id non tollunt, sed
desertis, ut ipsi loquuntur, animis, quae null 09
habent vel cog natos vel amicos vivos, a quibus excipian-
tur convivio, relinquunt manducandum. peracto prandio surgit a
mensa sacHficulus et scopis domum verrens animas mortuorum cum
pulvere, tamquam pulices, haec dicens eicit: Edistis , inquit,
bibistis, animae, ite foras, ite foras. posthaec ineipiunt
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Ahnenkultus.
convicae inter se colloqui et certare poculis, mulieribus viris praebi*
bentibm et viris vicissim Ulis seque invicem osculantibus. In den von
ihm selbst herrührenden Teilen der genannten Schrift nennt Lasicius
(S. 48) dann noch einen Gott der Seelen Vielona (s. u.): Cui tum
oblatio ojfertur, cum mortui pascuntur. dari autem Uli solent frixae
placentulae quattuor loci« sibi oppositis paullulum discissae. eae
Sikies Vielonia pemixlos nominantur („Fladen, die dem V. wohlgefällig:
sind", vgl. Usener-Solmsen Götternamen S. 104) und (p. 51) eine zweite
Totengottheit Ezagulis (wörtl. ,der auf dem Feldrain liegende' d. h.
der Tote), von dem es heisst: Skierstuices (lit. sJcerstüwes ,Schlacht-
schmaus) festum est fareiminum, ad quod deum Ezagulis ita vocant:
Vielona velos atteik musmup und stala. Veni, inquit, cum mortuis
fareimina manduenturus (wörtlich: „V. im Totenreich, komm' zu uns
an den Tisch" ; vgl. Usener-Solmsen S. 90 und v. Grienbcrger Archiv f.
shiv. Phil. XVIII, 43 f.). Audi alte und vornehme litauische Familien
kannte Lasicius (S. 47), die besondere Familiengötter verehrten. Ihre
von ihm mitgeteilten Namen stellen, wie dies bei dem zuerst genannten
Simonaites sicher der Fall ist, wahrscheinlich die Personennamen
göttlich verehrter Ahnherren des Geschlechts dar (vgl. v. Grienbcrger
a. a. 0. S. 28 f.)
Auf sla vi schein Boden enthalten vor allem polnische Zeugnisse
(polnisch-lateinische Predigten des XV. Jahrh.; vgl. A. Brückner Archiv
f. slav. Phil. XIV, 18Hff.) wichtige Angaben über den Kult der Toten.
So wird von dem Vboze (altsl. ubozije ,das arme Männchen', entsprechend
den deutschen Wichten und Kobolden), das direkt den lat. mdnes,
,Geistcr der Verstorbenen* gleichgesetzt wird, berichtet : Daemonihus
sacrifkia offerunt, qttae dicuntur vbosthye, remanentes seu derelin-
quentes eis residuitates eiborum quinta feria post cenam, ferner:
(einige waschen die Schüsseln am Charfreitag nach der Mahlzeit nicht
ab) ad pascendum animas rel alias, quae dicuntur rbosthe u. s. w.
Eine andere Nachricht erzählt von Feuern, an denen sich die Ahnen-
seelen wärmen sollen: Cremare focos ardentes feria quarta magna
secundum ritum paganorum in cornmemorationem animarum suarum
cariorum. Eiu altslawischer Ausdruck für das Totcninahl war strata.
Vgl. Jordanis Cap. 49: Post quam talibus lamentis est defletus (At-
tila), st rat am super tumulum eins, quam appellant ipsi, ingenti
commessatione concelebrant, und in einer Urkunde vom .lahre 1090:
genus tibi, quod vulgo struva dicitur. Das Wort wird ein slavisches
Lehnwort im Hunnischen sein und bedeutet im Russischen, Polnischen
und Böhmischen ,Speise\ ,Mahl', im Altböhniisrhen auch , Leichenmahr
(vgl. Krek Einleitung 2 S. 4:*ö 1 und Miklosich Et. W. s. v. strara,
während Gabclentz-Loebc Glossar S. 171 und. R. Kögel Gesch. d. d.
Lit. I, 1, 48 das Wort als germanisch in Anspruch nehmen). — In
Deutsch lai/d wird im Iudiculus snperstitionuni et paganiaram das
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Ahncnkultu».
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sacrilegium ad sepulcra mortuorum verboten (die darin eingeschlossenen
dädsisas ,Totenzauberliedcr' seheinen nach Kögel a. a. 0. S. 52 den
Zweck gehabt zu haben, den Geist im Grabe festzubannen), und noch
ums Jahr 1000 eitert Burkhard von Worms gegen die oblationes, quae
in quibusdam lock ad sepulcra mortuorum fiunt. Von göttlicher Ver-
ehrung der Ahnenseelen weiss Jordanis Cap. 13: Iam proceres suos,
Quorum quasi fortuna vincebant, non puros homines, sed semideos,
id erf anses (s. u.), tocaverunt zu berichten (vgl. weiteres bei Golther
Handbuch der germanischeu Mythologie S. 90 ff. und E. Mogk Mythologie
in Pauls Grundriss III2, 249 ff. ). Noch heute setzt man, namentlich
in Tirol, „den armen Seelen, die an Allerheiligen aus dem Fegefeuer
geläutet werden, in ihrer Heimat Krapfen und Milch auf den Tisch,
was dann morgens Arme wegholen, wannt ihnen die Stube und bietet
ihnen in Lämpchen linderndes Oel ftir ihre Brandwunden1' (vgl. E. H.
Meyer Deutsche Volkskunde S. 275). — Wendet man sich zu Ariern
und Sttdenropäern, so werden in Indien die Vorfahren pitdras) mit
ihren auf der Erde zurückgebliebenen Verwandten, den näheren (sa-
phtrta-) und ferneren (samanödaka-) durch einen streng geregelten
Totendienst verbunden, der zwei Arten religiöser Handlungen aufweist,
das pindapitrjjajAa- ,das Klösseväteropfcr' (pinda- ,Kloss', daher sa-
pinda- ,der mit anderen Klösse darbringt', .Verwandter", , Agnat'; vgl.
oben die litauischen dem Vielona angenehmen Fladen) und die erdddha-,
ebenfalls Totenmahle, in gläubiger Gesinnung {yaddhü') dargebracht,
bei denen „einem oder mehreren Verstorbenen zu Gefallen Brahmanen
gespeist werden, und nach denen den Manen Wasser, Pinda s, Salbe,
Kleidung und wieder Wasser (daher samanödaka aus samana- ,zu-
sammen' und udaka- , Wasser ) dargebracht wirda (vgl. W. Caland Über
Totenvcrehrung bei einigen der idg. Völker, Amsterdam 1888, derselbe
Altindischer Ahnenkult, Leiden 1893). Die Bedeutung der ganzen In-
stitution ist eine ausserordentliche und hängt, wie sich noch weiter
zeigen wird, aufs innigste mit dem altindischen Ehe- und Erbrecht zu-
sammen. Die Anschauungen, auf denen dieser l'nsterblichkeitsglaube
und Totendienst beruht, sind sowohl was den Aufenthalt der Seelen
'nämlich im Himmel) wie auch die Formen der ihnen gespendeten Opfer
anbetrifft, schon in vedischer Zeit geläuterte. Doch fehlt es nicht an
Spuren eines älteren, mit dem oben geschilderten altpreussisehen u. s. w.
nahezu auf einer Stufe stehenden Seelcnglaubens, wie sie namentlich
in der Schilderung der Totenopfer bei Göbhila in den Grhyasütras
hervortreten. „Nichts", sagt Oldenburg Die Religion des Veda S. 5ä3,
„deutet hier auf himmlische Wohnungen der Seelen; die Gaben für sie
werden nicht durch das Opferfeuer nach oben gesandt. Sie werden in
die Erde gelegt: in der Erdtiefe oder auch auf der Erde, in der Nähe
der menschlichen Wohnung haust die Seele und wartet, dass die
Lebenden ihren Hunger stillen und sie kleiden. Sie kommt zum Mahle
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Ahnenkultus.
heran, setzt sieb an den Platz, den man für sie zugerichtet hat, oder
sehlüpft in das Wassergcfass; von der Speise, die man ihr giebt, ge-
niesst sie die Hitze und lässt die erkaltete Substanz liegen. Hat sie
ihr Teil empfangen, so achtet man darauf, dass der unheimliche Gast
nicht länger verweilt."
Nicht zurück an Bedeutung hinter dem indischen steht der römische
Totendienst mit seineu dei parentum, mdnes, pendtes, lemures, lärme,
lares. Von diesen nicht immer scharf geschiedenen Namen bezeichnete
mdnes (: altlat. mänus ,gut', mäne ,zu guter Stunde'; vgl. griech.
XpnaTOi, pdKctpes etc., tnhd. die guoten, holden in gleichem Sinne) im
allgemeinen die verklärten Geister der Verstorbenen, denen eine Be-
stattung zu teil geworden war, „während die lemures und larvae eher
für die Seelen derjenigen galten, welche iu Folge eines gewaltsamen
Todes oder begangener Sünden unstät umherirrten". Die lares im
besonderen sind die guten Sehutzgeistcr der Familie (lar familiaris),
denen bei jeder Gelegenheit Speise und Trank iu kleinen Schüsselchen
auf dem Herde dargebracht wurden. Diese Scheidung in gute und
böse Geister der Verstorbenen kann aber kaum etwas ursprüngliches
sein, da lares (läse*) und larva (Häsiia) offenbar aus demselben unten
ausführlich zu behandelnden Stamm HAs- hervorgegangen sind. Auch
fehlt es nicht an Stellen, an denen die Laren noch als böse und gierige
Geister der Unterwelt aufgefasst sind, zu denen man betet, dass sie
das Lebendige verschonen und sich an Bildern des Lebendigen ge-
nügen lassen möchten. Vgl. Festns ed. M. S. 237 (nach wahrscheinlicher
Ergänzung): Pilae efftgies viriles et muliebres e.r lana Compitalibus in
compitis suspenduntur, quod hunc diem festum esse deorttm inferorum
putant, eorum, quos vocant Lares, quibus tot pilae suspenduntur,
quot capita sunt sercorum, tot effigies, quot sunt liberi homines in
famiüa, collocantur, ut vi vis parcant, pilis et simtilacris content i.
Anders, aber nicht überzeugend über die ursprüngliche Bedeutung der
Laren urteilt neuerdings Wissowa in Roschers Ausf. Lexieon der griech.
und röm. Mythologie, wo im Gegensatz zu der Auffassung des klassischen
Altertums, z. B. der des Verrius Flaccus bei Festus Pauli S. 121 : Lares
animae esse putabantur hominum redactae in numerum deorum, die
Laren vielmehr als Flur- und Ortsgeister gedeutet werden.
Sehr merkwürdig haben sich die griechischen Verhältnisse ent-
wickelt, die bis auf ihre Behandlung durch E. Rohde in seinem Buche
Psyche, Seelenkult und Unsterblichkcitsglaube der Griechen Freiburg i.B.
1890 (2. Aufl. 1898) die Annahme eiues ursprünglichen Ahnenkultes bei den
idg. Völkern erschwerten. Nach der homerischen Anschauung führen die
Seelen der Entschlafenen im Hades ein der Oberwelt ganz und gar ent-
rücktes, schattenhaftes, körper- uud bewusstseinloses Dasein, so dass für
den Lebenden keine Veranlassung und keine Möglichkeit vorliegt, ihnen
mit Spenden und Opfern zu nahen. Trotzdem ragen auch in die homerische
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Ahnenkultus.
Zeit, wie Robde gezeigt hat, die Überreste eines einst stark ausgeprägten
griechischen Seelenglaubens hinein. Das einleuchtendste Beispiel hier-
für ist das Leichenbegängnis des Patroclus (II. XXIII, 164 ff.), das
stattfindet, nachdem in der vorhergehenden Nacht die Psyche des noch
unbcstattet liegenden Freundes den Achilleus an die sch leunige Er-
füllung seiner Bestattuugspflicht gemahnt hat:
noinaav bi ixupnv £KaTÖu7T€bov £v8a Kai Iv8a,
iv bk TTUprj uTia-rr) veKpöv 6€<Xav dxvüuevoi Kn.p.
ixoXXä be upia ufjXa kou ciXmoba«; Z\i\ia<; ßoö?
7tpöo"0€ TTupnq £bepöv T€ Kai äpq)€7Tov ^k b' dpa TrdvTWV
brjuov dXwv tKCtXuvpe vckuv u€fd0uuos 'AxtXXeuq
{<; iröbaq iK KtqpaXfj«;, nepi bk bpaxä aujuara vrjer
ev b'^TiOci ulXiroq Kai dXetcparo^ ducpupopfja^,
rrpö? X^x*a kXivujv * TriCupa? b" ^piaüxeva^ ittttou^
i<JOvn£v\u$ ^ve'ßaXXe TTuprj, uetaXa crrevaxiEwv.
Ivvia tu» yc ävaKTi TpaTrcCneq kuv€? fjaav
ko\ u*v tüjv dvcßaXXe mjprj buo bopoTounffa?,
buibtKa b€ Tpiuiwv uetaeuuujv uWa? £o~eXou<;
XaXKtu brjiöwv ■ KaKa bk q>pea\ unbeTo £pta.
In der That kann nach den Ausführungen Rohdcs ein Zweifel
darüber nicht bestehen, dass wir es hier mit der dem homerischen
Griechen selbst nur noch halb verständlichen Schilderung eines
regelrechten Totendienstes zu thim haben, durch den die Seele des
heimgegangenen Freundes mit Speise und Trank, aber auch mit
Blut von Tieren und Menschen erquickt werden soll. Nicht weniger
birgt das Totenopfer, das der Dichter der Hadesfahrt des Odysscus
diesen in der Unterwelt darbringen lässt, die Erinnerung an eine Zeit,
in der man derartige Spenden, wie sie hier geschildert werden (Weihe-
guss in die Grube aus Milch, Honig, Wein, Wasser, Blut des Widders
und Schafes u. s. w.), den Seelen zur Labung auf der Oberwelt dar-
brachte (Rohde* S. 49 ff.). Abgesehen von diesen und einigen anderen,
minder bedeutsamen Zügen ist der einstige Seelcnkult den homerischen
Griechen, also der kleinasiatischen Kulturwelt fremd geworden. Aber
im Mutterland, im festländischen Griechenland, muss jener Glaube nn
ein bewusstes und für die Menschen bedeutsames Weiterleben der
Psyche fortgewuchert haben. Auf ihn gehen (in der von Rohde näher
geschilderten Weise) die Vorstellung Hesiods von Menschen der Vorzeit,
deren Seelen nach dem Tode als „Dämonen" (baiuovcq s. u.) weiter-
leben, auf ihn der schou in der Gesetzgebung Drakons (Rohde s S. 146)
als Väterbrauch be/.eichncte Kult der Heroen (n.pu><; ,der geehrte',
: got. steers ,gcchrt'V), auf ihn endlich jener allgemeine sakrale
Totendienst (tci voui£6u€va, x^<*6ai Kai ^vaxiZctv) zurück, der noch in
der späten Ausbildung, in der er uns vorliegt, mancherlei Berührung
mit indischem, römischem, litauischem Ritual zeigt.
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26
Ahnenkultus.
Wenn es nach dem bisherigen als sieher gelten kann, dass schon
die Indogermanen ihren Verstorbenen Speise und Trank darbrachten,
so erheht sich jetzt die Frage, warum sie dies thaten. Ohne Zweifel
hielten sie es für die Ruhe und Wohlfahrt ihrer Toten für erforderlich.
Aber aus welchen Motiven heraus suchten sie ihnen diese Ruhe und
Wohlfahrt zu verschaffen? Leist in seinen Büchern Gräco-italische
Rechtsgeschichte, Alt arisches Jus gentium u. s. w. leitet den Totenkult
der idg. Völker ausschliesslich aus ihrer Liebe zu den Eltern, aus der
Pietät gegen die Parentcs ab. „Du sollst die Eltern ehren" ist für
ihn ein schon in der Urzeit klar erkanntes Sittengebot, das in dem
indogermanischen Sittencodex unmittelbar hinter dem „Du sollst die
Götter ehren" stand. Vergegenwärtigt man sich aber die wirklichen
Gesinnungen, welche nach unzweifelhaften Zeugnissen die Urzeit gegen
die Alten (s. n. Alte Leute», wenn sie hinfallig geworden waren,
vielfach hegte, bedenkt man den harten und rohen Geist, der noch in
der idg. Familienorganisation (s. u. Familie) herrschte, erwägt mau,
wie noch durch die frommen Lieder des Vcda die Angst vor den
Schaden stiftenden Seelen der „Väter", die man für rohe und harte
Wesen hält, hindurchklingt (vgl. Caland Ahnenkultns S. 1 76 ff., Ohlen-
berg a. a. 0. S. 568), so wird man bezweifeln müssen, dass die Iudo-
germanen schon in der Urzeit so pietätvoller Empfindungen fähig waren.
Viel wahrscheinlicher ist es daher, mit Forschern wie Caland ia. a. 0.),
Ihcring (Vorgeschichte der Indocuropäer S. f>9), Rohdc (Psyche* S. 20,
216 ff.) n. a. anzunehmen, dass, wie bei anderen Völkern, so auch bei
den Indogcrmaiien, nicht die Liebe zu, sondern die Furcht vor den
Toten den Kultus der Toten gezeitigt hat.
Bei allen primitiven Völkern ist der Glaube an die schädliche oder
förderliche Einwirkung Verstorbener tief eingewurzelt. Seinen natür-
lichen Ausgangspunkt mag dieser weit verbreitete Gespensterglaube vor
allein in den Erscheinungen des Schlafs und der Traumwelt gehabt
haben, in der die Psyche zu selbständigem Handeln den Körper ver-
licss, besonders in den sogenannten V I p t r ä u m e n, in denen unsicht-
bare Wesen, die nicht selten die Gestalten von Entschlafenen annahmen
(vgl. oben die Traumerscheinung der Psyche des Patroclus), den Träumer
beunruhigten, packten und würgten (vgl. E. H. Meyer Gerinanische My-
thologie S. 76 ff. und Golther a. a. 0. S. 75 ff.). .Solche schweifende
Gespenster an ihre Gräber zu bannen, durch Speise und Trank ihren
Hass zu zerstreuen, ihr Wohlwollen zu erlangen, muss der nächste,
rein selbstsüchtige Zweck des idg. Totendienstes gewesen sein, der hinter
dem aus ihm allmählich emporspriessenden Pietätsgedanken in milderen
Zeiten mehr und mehr zurücktrat. Also man ehrte die Toten zunächst,
weil man sie fürchtete. Aber auch so ist jener älteste Totendienst
für die religiöse Entwicklung der Indogcrmaiien von ausserordentlicher
Bedeutung geworden.
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Ahnenkultus. 27
Der Gedanke des überirdischen, geheimnisvoll die Geschicke des
Menschen umschwebenden mag in dieser primitiven Form zum ersten
Mal dem Indogermanen zum Bewusstsein gekommen sein, aus Seelen
zuerst Geister, zuletzt Götter geschaffen haben und so zu einer
Quelle der Religion geworden sein, die im Laufe der Entwicklung,
aber noch in idg. Crzeit, mit den Wassern aus einer zweiten Quelle
zusammentraf, die ihren Ursprung nicht im Tode, sondern im Leben,
im Leben der Natur und ihren tausendfachen Erscheinungen hatte
(s. u. Religion).
Dieser Entwicklungsgang liegt in der Sprachgeschichte deutlich
ausgeprägt vor uns.
Zunächst ist auf zwei schon idg. Reihen zu verweisen, deren Grund-
bedeutung sich als schädlicher, trügerischer Geist' ergiebt, ohne dasa
ein direkter Zusammenhang mit Toten oder Seelen Verstorbener sich
sprachlich erweisen Hesse. Es sind dies einerseits aw. druj- ,Gc-
speust', sert. drüh- ,Unhold', altn. draugr, alts. gidrog, ahd. gitroc
,Gespcnst' (vgl. auch agls. dredg ,larva mortui'; dazu auch ahd. troum
aus *draugmo- ,Traum', eigentl. /Trugbild'? ), ir. *druag, aur-drach
.Gespenst": sert. dnth .schädigen", ahd. friogan , betrügen' etc., anderer-
seits altn. dlfr, agls. aäf, mhd. (dp ,Elfe. gespenstiges Wesen, A 1 p,
Alpdrücken' = sert. rbhü-, vedischer Name dreier kunstreicher,
elbischer Wesen (vgl. K. Z. IV, 102 ff.), wenn diese Wörter richtig zu
griech. €X€(pcupo^ai , betrüge' gestellt werden. Die hier nur zu ver-
mutende Beziehung auf Toten- und Seclenwcsen liegt nun im Folgenden
klarer zu Tage. Ein gemeinsamer nordeuropäiseher Ausdruck für ein
den Menschen quälendes Nachtgespenst, den eben genannten Alp (griech.
&pid\Tn.S ,dcr Aufspringer', lat. inatbu*, lit. aituraras, vgl. Lasicius S. öl)
ist das genieingerm. mhd. mar M. F., altn. mara, agls. märe, mare,
ahd. mara F. ,Mahr", altsl. mora ,Hexe, Alp, Trud', ir. mor-[r]igain
gl. lamia, n Alpkönigin". Ganz wie nun im Indischen prfta- (aus pra
und itd- von / .geben' i ,dcr Heimgegangene', ,der tote' die Bedeutung
von jGespcust' angenommen hat, wie lit. Ezagulia ,der auf dem Feld-
rain liegende', ,der tote' zu der Bezeichnung einer Gottheit des Todes
geworden ist (s.o.), wie endlich das genieingerm. altn. valr, agls. icad
etc. ,der tote', bes. der auf dem Schlachtfeld (vgl. altn. ralkyrja, die
Jungfrau, die die Seelen der Gefallenen auswählt und nach ralhöll
geleitet) in dem ihm entsprechenden lit. iceUs (idg. *rol- : *n'l-; vgl.
auch *röl- in ahd. icuol , Verderben ) die geisterhaften Gestalten der
Gestorbenen, geisterhafte Wesen überhaupt, in Vielana den Totengott
selbst (vgl. v. G Hellberger a. a. 0. S. 45) bezeichnet, ebenso wird als
Grundform jener nordeuropäischen Sippe ein idg. *moro-, *mord (vgl.
sert. mdra- /Tod', bei den Buddhisten auch , Teufel', gallo-germ. Mori-
tuarusa = *mori marusa ,marc mortuum') ,der, die Tote': idg. mer
(lat. mnrior) anzusetzen sein. Auf gleicher Stufe wie der Bcdcutungs-
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Ahnenkultus.
Übergang von Toter zu Gespenst (Alp), steht auch der von Seele, Atem,
Hauch zu Kobold etc., wie er in der Gleichung got. hugs ,voü<;', altn.
hugr ,Seele' (mannahugir ,Mcnschenseelen, die in mancherlei Gestalt
auftreten') = lit. katikas ,ein zwerghafter Geist, Kobold, ungctauft ge-
storbenes Kind' etc. vorliegt (vgl. Mikkola in B. B.XXII, 240 und näheres
über kaükas bei v. Grienberger S.69 und A. Brückner a. a. 0. S. 187).
Beschränkt sich die bisher erörterte Terminologie auf die Bezeich-
nungen im Ganzen niederer Geisterwesen, so wird sicli nun zeigen, dass in
mehreren der idg. Einzclsprachen sogar Ausdrücke für die höchsten
Götter auf Seelenerscheinuugen und Totengeister zurückführen.
Bei den Kelten gab es eine Art unreiner Geister oder Mahren,
welche dusii Messen. Vgl. Augustiu. De eiv. Dei XV, 23: Quosdam dae-
mones, quos Dusio« Galli nuneupant, hanc asttidue immunditiam et
tentare et efficere plures talesque a^severant, Isid. Or. 8, 11, 103:
Saepe improbi existunt etiam mulieribus, et earum peragunt coneu-
bitum, quos daemones Galli du sios nuneupant, quia asndue hanc per-
agunt immunditiam. Dieses altgallische *duftio-x ^unreiner Geist' hängt
nun zweifellos zunächst mit lit. düsa* , Dunst', altsl. duchü ,Atem, Geist',
dum ,Sccle', dann weiter mit lit. dwase ,Atein, Geist', mhd. getwäs, Ge-
spenst' zusammen, so dass sich ein abstufender Stamm *dhtes-, *dhtos-,
*dhves; *dhu8- ergiebt. Mit Sicherheit darf hierher auch lat. ferälu, Fe-
rälia (*dhrendli-) gestellt werden, welches letztere also wörtlich ,Seelen-
fest' bedeutet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist aber auch griech. 8eö?
aus *e/€0*o-s ,Gott' hier anzuknüpfen (so jetzt auch K. Brugmann Grund-
riss I*, 1 , 310 u. a.), so dass selbst die Kollektivbezeichnung der olympischen
Götter in jenem uralten Vorstellungskreis von Mahren und anderen
Seelengeistern wurzelt. Man wird nicht einwenden wollen, dass, die
Richtigkeit der angeführten Zusammenstellung zugegeben, daraus nichts
besonderes zu folgern sei, da ja auch wir noch heute davon sprächen,
dass Gott ein „Geist" sei; denn es liegt natürlich auf der Hand, dass,
wenn 9eö? dem altgallischen dusios oder dem mhd. getwds u. 8. w.
gleich zu setzen ist, der ursprüngliche Bedeutungsinhalt des griech.
Wortes einst dem jener Wörter, nicht aber der geläuterten Auffassung
des Begriffes „Geist" in moderner Zeit entsprochen haben muss.
Diese hier für griech. Bcö? angesetzte Bedeutungsentwicklung von
Seele. Gespenst, Geist zu Gott gewinnt nun an Wahrscheinlichkeit
durch den Umstand, dass zwei weitere, religionsgeschichtlich äusserst
bedeutsame Bezeichnungen der Gottheit, nämlich das griech. bounwv
und das indische dsura- einen ganz ähnlichen Weg vom Grabe zum
Olympos zurückgelegt haben.
Griech. baiuujv bezeichnet bei Homer vorwiegend die unsterblichen
Götter (9€Ö?), dann das von ihnen geschickte Verhängnis, das Schicksal,
besonders Unglück, einmal auch den Tod oder einen Todesgott (toi
i>aiuova bwo*uu). Schon oben aber sahen wir, dass Hesiod baijaoveq
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Ahncnkultus.
29
im Sinne verklärter Menschenseelen gebraucht , und bei den
ältesten Tragikern (z. B. Aesch. Pers. v. 620) wird bai|iwv geradezu
von der Seele oder dem Schatten eines Verstorbenen (des Dariiis j ge-
sagt. Ist es nun nach dem oben (nach Rohde) über die Geschichte
des griechischen Seelenglaubens ausgeführten an sich nicht unwahr-
scheinlich, dass für die Bedeutungsentwicklung des griech. bcuuwv von
der im Mutterland, bei Hesiod und den Tragikern, wenngleich zufällig
später, bezeugten Bedeutung auszugehen sei, so wird dies durch die
etymologische Betrachtung des Wortes so gut wie sicher. Seine
bisherigen Deutungen aus alter und neuer Zeit t'von bar)uu>v ,kundig'
oder von baioficu ,teile zu' oder von sert. die .strahlen') wird niemand
für befriedigend halten. Bei ihnen ist man stillschweigend oder aus-
gesprochener Massen davon ausgegangen, dass -uuuv in bai-uuuv ein
Primärsuffix sein müsse. Wie aber ein Blick auf hom. barruuuiv ,Gast'
von baiTÜ? ,Mahl' oder auf &Kp€-uwv ,Ast' von diKpö? ,spitz' zeigt, ist
dies nicht der Fall: die Endung -uwv knnn ohne Zweifel auch als
Secundärsufifix angesehen werden. Es steht daher nichts im Wege, für
bcuniuv eine Grundform *bao>uwv anzusetzen, und den ersten Bestand-
teil dieses Wortes *bao*i- unter Annahme eines bekannten Lautwandels
(bdKpuiict : lacrima) dem lat. *lasi- {lärex, Idrium) ,Geist eines Ver-
storbenen' zu vergleichen. Wie baiTunÜJv einen bezeichnet, der mit
dem Mahle zusammenhängt, so ranss die Grundbedeutung von *baamujv
(bairnuv als Paroxytonon nach dem Muster ÖKfiujv etc., da es zwei-
silbige Oxytona auf -mnv, -novo? nicht giebt) die eines Wesens ge-
wesen sein, das mit Seelen der Verstorbenen zusammenhängt, dann
Seele eines Verstorbenen selbst. Da diese Seelen, wie genugsam ge-
zeigt worden ist, nützlich wie schädlich sein können, je nachdem man
sie behandelt, so liegt bei bcduwv schon im Keime jene doppelte Be-
deutungsbasis vor, die schliesslich zu den Extremen Gott und Teufel
geführt hat.
Auf indischem Boden wäre als vielleicht hierhergehörig die Gruppe von
däsa-, ddsd-, ddsyu- in Erwägung zu ziehn. Diese Wörter bezeichnen
im wesentlichen zweierlei: 1) den Menschen feindliche Dämonen, zu-
weilen in Gestalt Verstorbener (vgl. ddsyu- bei B. R.). 2) die
den Ariern feindlichen Barbarenstämmc , die Eingeborenen Indiens.
Geht man nun von der ersteren Bedeutung als der ursprünglicheren
aus, nimmt also an, dass die Eingeborenen Indiens — sie waren schwarz
und ,nasenlos', d. h. wohl stumpfnasig (vgl. Ohlenberg a. a. 0. S. 154)
von den weissen Ariern als »Gespenster' oder /Teufel' (vgl. etwa den
Ausdruck „roter Teufel" für Indianer) bezeichnet worden sein, so liegt
die Verknüpfung mit dem gräco-italischen *bacri-, last- nahe. Man
könnte von einem stammabstufenden idg. *dds, *das-ös — lat. lds}
Idsis, Idr, Idris ausgehen (vgl. Neue Lat. Formenlehre I8, 166), wovon
sich dann die Stämme *daso- (sert. däsa-), *da*i- (*bcto*i-jiuuv, bcuiuwv,
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Ahnenkultus.
lat. *lasi-, larium, scrt. ddsyu-) und ddm- (scrt. ddsd-\ vgl. auch lat.
*läsua = larva und Laterna ,larvarum dea' aus * Larverna , *Lasuerna,
G. Goetz Ind. schol. aestiv. Jeneus. 1887 S. VIII) uuschwer ableiten
Hessen. Die Grundbedeutung dieses idg. *dds, *das-ö8 wäre alsdann
schadender oder nützender Geist eines Verstorbenen' gewesen. Als
Wurzel empföhle sich scrt. das, ddsyati «Mangel leiden, schmachten',
<las nicht mit B. R. = griech. biw (für b€uw) gesetzt werden darf,
so dass von vornherein dem Worte der Sinn eines schmachtenden und
darum durch Speise und Trank zu labenden Wesens innewohnte.
Dieselbe Erscheinung einer Entwicklung in bonam et malam parfem
wie griech. baiuuuv zeigt das indische dsura-, das in der älteren vedischen
Sprache auch als Beiwort für Götter, in der jüngeren ausschliesslich
für götter feindliche Wesen gebraucht wird, auf iranischem Boden
aber die erhabenste Gottheit (Ahuramazda) bezeichnet (vgl. Oldcnberg
a. a. O. S. 162). Das Wort ist eine Ableitung von dsu-y dessen älteste
Bedeutung die des Lebenshauchs bei Mensch und Tier, also ,anima ist
(Oldenberg S. 524 f.). Ausserhalb Indiens kehrt das Wort in got. anses,
altn. d>sir ,Asen, Heroen, Halbgötter' (s. o.) wieder, in eine noch nie-
drigere Stufe der Seelen wesen aber führt das agls. e'se, das ganz für
Elfen (iaa gescot wie ylfa yescot ,IIexenschuss) gebraucht wird. ein.
Auch bei dieser Sippe lässt sich also die ganze Stufenleiter der Be-
deutungsentwicklung vou Seele bis Gott (oder Teufel) nachweisen.
Wenden wir uns zu der sachlichen Seite des ältesten Totenkultes
zurück, so lassen sich einzelne Züge desselben als mit Wahrschein-
lichkeit schon der Crzeit augehörig erweisen. Dies gilt vor allem von
den Zeiten, an denen Gaben an Speise und Trank den Toten darge-
bracht werden. Die Sitte der alten Preussen i s. o.), nach welcher die
Verwandten Totemnahle halten die a funere tertio, (sewto), nono (et
quadrageaimo) kehrt in den tpiTa tcai fvaia der Griechen, d. h. in den
Mahlzeiten, die dem Toten am III. und IX. Tage nach der Bestattung
an seinem Grabe aufgetragen wurden, und in der römischen Novemdial-
feicr wieder, während die Inder eine lOtägige Impuritätsfrist unter-
scheiden. Die 3(i Tage, während deren bei den Preussen (s. o.) die
Witwe an dem Grabe des Gatten früh und abends klagen muss, er-
innern an die athenischen TpiaKube?, die sich an die TpiTct xai fvetTa
nnschliessen. Bei den Deutschen erfahren wir von Gedächtnisfeiern
Verstorbener, die am III., VII. und XXX. Tage und am Jahrestage des
Todes stattfanden. Es ging bei ihnen mit Trinken und Singen wild
her, und den Geistlichen werden strenge Vorschriften hinsichtlich ihres
Verhaltens an diesen Festen gegeben t vgl. R. Kögel Gesch. d. d. Lit. I,
1, öö;. Auch allgemeine, dh. den ganzen Stamm betreffende Toten-
feste wie an den Anthesterien zu Athen oder die römischen Ferdlia
(s. o., weiterlebend in dem Allerseelentag der Katholiken) oder das
russische radunlci (angeblich von altsl. radd ,libens', weil die Toten
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Ahnenkultus.
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über die dargebrachten Gaben erfreut seien) werden schon für frühe
Zeiten anzunehmen sein (vgl. Caland a. a. 0. 8. 78 ff.). Au solchen Tagen
stand den Geistern die Welt offen. Zur Abwehr der unheimlichen
Gäste bestrich man in Griechenland die Thürpfosten mit Pech und
kaute Blätter von Weissdorn, wie in Indien die von der Verbrennung
heimkehrenden Verwandten Nimbablätter in den Mund nahmeu (vgl.
Rohde a. n. 0.- S. 237 3, Caland 8. 71).
In dem Zeremoniell selbst sei auf die merkwürdige Über-
einstimmung in dem Brauch hingewiesen, die Seelen nach geschehener
Bewirtung feierlich und ausdrücklich zu entlassen. So fegt bei den
alten Prcussen der sacrifieulus die Seelen wie die Flöhe hinaus:
„EduftiH* , sagt er, „bibistU, animae, ite foras, ite fora*!u, so bestand
in G r i e c h e n 1 a n d das Sprichwort : 6upaZe, Knpe? (alte Bezeichnung
für tpuxai) ,ouk It' 'Aveeorripia, so wurden in Rom an den Lemuricn
die Seelen hinausgetrieben mit den Worten: Manes exite paterni
(vgl. Rohde a. a. 0. S. 239 so bestand auch bei den Indern die
Vorschrift des Acvaläyana für das pindapitryajha- (Caland Totenver-
ehrung S. 6,i: „Darauf entlasse er (der Priester) die Pitaras mit den
Worten: „Gehet hin, ihr lieblichen Pitaras, auf den alten geheimnis-
vollen Wegen; gebet uus hier Reichtum und Glück und verleihet uns
reichen Besitz an Männern".
Die äussere Auffassung der Ahnenseelen wird in der Urzeit noch
eine verschiedenartige ebenso wie diejenige der aus Naturerscheinungen
entnommenen Gottheiten (s. u. Religion) gewesen sein. Man wird sich
die Seelen der Väter teils menschenähnlich als Zwerge und Riesen
(s. d.i, teils aber auch in Gestalt von Tieren vorgestellt haben. In
letzterer Beziehung scheint vor allem die durch ein geheimnisvolles
und plötzliches Nahen und Verschwinden charakteristische Sch lange
dazn gedient zu haben, unter ihrem Symbol den Seelen Verehrung
darzubringen. Uber die Litauer berichtet wiederum Lasicius S. 51 : A7w-
triunt etiom qutisi deos penates nigri coloris, obesos et quadrupedes (!)
quosdam serpentex, Giuoitos (lit. yytcäte ,Schlange) vocatox (vgl. dazu
Acneas Silvius bei Uscner-Solmsen Götteruamen S. 91 : Serpentes co-
ltbunt; pat er famiUas nutim quisque in angulo domus serpentem
habuit, cui eibum dedit et aacrificium fecit in foeno iacenti). Aber
auch bei den Hellenen erscheinen unterirdische Götter, Heroen, ja die
Seelen Verstorbener selbst gern unter dem Bilde göttlich verehrter
Schlangen (vgl. Rohdes Psyche passiin), ein Kultus, der auch in Indien
nicht fremd ist.
Die Stätten, an denen jene Totenopfer dargebracht wurden, waren,
wie sich aus den vorstehenden Zeugnissen ergiebt, teils die Gräber der
Verschiedenen selbst, teils aber auch andere Plätze, vor allem boten
die Mahlzeiten im Haus oder ausserhalb desselben Gelegenheit dar,
der Toten mit Speise und Trank zu gedenken. Dies zu erinnern ist
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Ahnenkultus.
wichtig, da die Annahme eines ausschliesslich auf den Grübern statt-
findenden Totendienstes schlecht zu den u. Ackerbau besprocheneu
häufigen Umsiedelungen der idg. .Stämme stimmen würde, welche die-
selben naturgemäss oft von den Gräbern ihrer Toten entfernen mussten.
Die Ausübung des Totenkultes haftete zunächst an der Verwandt-
schaft der Toten. In dieser Beziehung treten bei einigen der Einzelvölker
bestimmte Verwandten kreiste, bei den Indem die mpinda- (s. o. t, bei
den Griechen die dtx^T€i? oder »nächsten', bei den Römern die pro-
pinqui sobrino tenw* hervor. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch
schon in der Urzeit der Begriff einer solchen Nahverwandtschaft be-
stand, deren Mitgliedern die Totenopfer an die gemeinsamen Vorfahren
in erster Linie oblagen. Es waren dieselben Personen, denen, ausser
der Pflicht der Blutrache (s. d.), das Recht zu c r b e u i s. darüber
u. Erbschaft) zustand. Totenkult und Erbschaft treten daher in
innigstem Zusammenhang mit einander auf. In Indien sind Ausdrücke
wie Jemandes Erbe sein' und Jemandem das Totenmahl geben' (sei t.
däyddä- ,Tcilgenosse', ,Erbe' und sapintfa- »Teilnehmer am Opferkloss')
oft synonym. Dasselbe gilt von Griechenland, wo z. B. noch der Redner
Isaeus (VI, öl) sagen kann: „Was von beiden ist Recht, dass der Sohn
dieser Frau oder dieser Sohn der Schwester Philoktemons, welchen
er adoptiert hat, elvcu KXrjpovöuov Kai Im toi uvnuaTa h-vai x*OM*vov
Kai dvatioüvTa?" Aber auch bei den Germanen inuss die Vorstellung
geherrscht haben, dass Totenkult und Erbschaft identische Begriffe
seien. Sprachliche Belege hierfür sind die altnordischen Ausdrücke:
erfa 1) ,to honour with a funeral feast', 2) ,to inherit', erfd ,in-
heritance', erfda-öldr ,a funeral feast', erfi ,a wake', .funeral feast',
erfingi, erfi-vördr (agls. erfeweard) ,an heir', erfi-öl ,a wake, funeral
feast'.
Man ist daher berechtigt, von dem Personenkreis, in dem sich das
Eigentum vererbte, einen Schluss auf den Personenkreis zu ziehen, der
durch gemeinsame Totenopfer verbunden war. Dieser Personenkreis
ist u. Erbschaft näher bestimmt worden.
Es ist darnach wahrscheinlich, dass jeder einzelne seinen nächsten
drei Ahnen, Vater, Grossvatcr und Urgrossvatcr, die er oft noch per-
sönlich gekannt, und mit denen er in derselben Hausgemeinschaft (s. n.
Familie) noch oft zusammengelebt haben mochte, einen besonderen
Seelenkult darzubringen verpflichtet war, und dass er diejenigen als
„Nächstverwandte" betrachtete, die diese drei Ahnen ganz oder teil-
weise mit ihm gemein hatten (Brüder, Brudersöhne, Bruderenkel).
Männliche, durch Frauen vermittelte Verwandte, z. B. der Bruder
oder Vater der Mutter, wurden nur in der Sippe, in die sie von Haus
aus gehörten, mit Totenopfern geehrt. Frauen, wie sie ursprünglich
kein Eigentum besitzen und nicht erben konnten, können in der Urzeit
noch keine Totensacia empfangen haben, und Weiber überhaupt keine
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Ahnenkult us — Ahmt.
33
Vorfahren in technischem Sinne gewesen sein (vgl. Fustel de C'oulanges
La cite antique S. 94). Wo daher eine Beteiligung der Kognaten und
der Frauen im Ahnenkultns hervortritt, muss dies auf einer sekundären
Entwicklung beruhen (vgl. auch B. Delbrück bei 0. Lorenz Lehrbuch
der Genealogie S. 82 Üer von Leist in den oben genannten Büchern
schon für die Urzeit kognatisch konstruierte Kreis der Nahverwandt-
schaft (vgl. besonders Altarisehes Jus civile I, 232 ff.) kann in soweit
nicht für richtig gehalten werden.
Die Institution des Ahnenkultes lehrt uns endlich den überall auf
idg. Boden hervortretenden heissen Wunsch nach Söhnen (s. u. Kin-
derreichtum) erst ganz verstehen; denn der Sohn ist in jenen alten
Zeiten dem Vater nicht nur eine erwünschte Arbeitskraft in der Wirt-
schaft mehr, sondern eine unumgängliche Notwendigkeit, da der ein-
zelne erst dann sicher ist, Ruhe nach dem Tode zu finden, wenn er
einen Sohn hinterlässt, der seine Seele im Grabe mit Speise und Trank
erquickt. — S. auch u. Totenreiche und u. Religion.
Ahorn. Die Familie der Acerineac ist in vielen Arten durch
ganz Europa verbreitet. Zwei Reihen von Benennungen gehen über
die Einzelsprachcn hinaus. Es gelten einmal, hauptsächlich für den
Spitzahorn (Acer platanoides L.)\ maked. KXtvörpoxo? (Theophr.)
neben t^ivo^, f^ivoq (mit erweichtem Anlaut), altsl. klenft, lit. klemm,
altn. hlynr, ahd. linboum, nhd. lehne, lenne, altkoru. kelin. mlat. dentis,
das andere Mal, hauptsächlich für den Bergahorn (Acer Pseudo-Pla-
tanun L.)\ lat. acer, aceris aus *aceshf griech. (Hesyeh) ÄKacJToq, ahd.
dhorn, woraus das gcmcinsl. altsl. javorü ,Ahoru" und , Platane' entlehnt
ist. — Einzelsprachlich sind griech. Zvfia cigentl. ,Jochholzhaum': Ivföv
über Maultierjocbe aus Ahornholz vgl. Theophr. Hist. plant. V, 7, t>) und
o\pevbauvo<; (,der zitternde', vgl. sert. xpdndate ,er zittert', -uvo par-
ticipial?), lat. opulm ,FcldahornT (Acer cawpextre L.)t ahd. niazzoltra,
agls. mapuldr, engl, mapletree, altn. möpurr neben mömirr: ahd.
masar ,Maser' (vgl. über die germanischen Wörter Kluge Et. W.'; s. v.
Massholder und Maser). Vgl. noch deutseh dialektisch fiader, flader-
baum (: griech. irXcrravos?) — Das Holz des Baumes wurde schon im
Pfahlbau von Robenhausen (vgl. Heer Die Pflanzen der Pfahlb. S. öl)
zur Herstellung von Geschirren (vgl. mhd. mnser »Becher aus Ahorn-
holz', mlat. Hcyphi maserini und Venantius Fortunatus im ('arm. Pracf.,
das die Barbaren schildert, wie sie hinter Krügen aus Ahornholz sitzen)
verwendet. S. u. Platane und u. Wald, Waldbäume.
Ähre, s. Ackerbau.
Alabaster, s. Gyps.
Alant (Inula helenium /,.). Die Pflanze gehört dem mittelasiatisch-
europäischen Florengebiet an, fehlt aber in Europa dem höhern Norden
und Süden (vgl. Flückiger Pharmakognosie- S. 440 ff.). Sie wurde
im Altertum als Arzneipflanze gegen Husten, schweres Atmen, schwache
Schräder, Kcallextkoii. 3
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Alant — Aloi-.
Verdauung u. 8. w., aber auch als Genussniitte) sehr geschätzt (vgl.
Lenz Botanik S. 470) und darum auch angebaut. In ersterer Eigen-
schaft hat sie sich im altgermanischen Aberglauben festgesetzt und
wird bei den Angelsachsen als Mittel gegen eine Albkrankheit (celf-ddl
,Alpdrücken', das auch nach Dioskorides mit Alant geheilt wird) ge-
priesen (vgl. Hoops Alteugl. Pflanzern). S. 53). — Die Terminologie
der Pflanze bietet noch ungelöste Schwierigkeiten. Die einfachste Form
scheint in dem von Isidor überlieferten ala (Inula quam alam rustici ro-
cant) vorzuliegen. Das Verhältnis hierzu von einerseits ahd. alant, anderer-
seits griech. £\eviov (Diosk.) ist noch nicht aufgeklärt. Im Lateinischen
gilt inuhx, woneben ein dem griechischen Worte näher stehendes *eluna,
*iluna im Volksmunde vorhanden gewesen sein wird, aus dem agls. eolone,
elene stammt (vgl. auch frz. aunie aus *ilunata). Genieinslaviseh russ.
omanü (aus *o/o- jw, alamV"). Lit. debesgla*. Andere Heilpflanzen s. u.
A r z t.
Alaun. Dieses weitverbreitete Thonerdesalz wird zuerst von
Ilerodot als crruTTTripia sc. ff\ : (JTÜq>ai ,zusammcnzieben' genannt ( vgl.
ngriech. öTuipi?, serb. stipsa, alb. ntipe.s). Im Lateinischen gilt alü-
tnen , Alaun', ahhta ,mit A. behandeltes Leder". Das Wort gehört
etymologisch zu den nordeuropäischen Namen des Bieres: agls. ealu,
altn. öl, altpr. alu, lit. alü.s (finn. olut), die auf einen Stamm *alu-,
*alut- führen. Die adjektivische Grundbedeutung der ganzen Sippe
muss ,herb, süss-sauer' gewesen sein, die im Süden auf den Alaun,
im Norden auf das Bier (s. d.) bezogen wurde. Eine genaue Parallele
für diesen zunächst überraschenden Bedeutungswandel bietet slav. altsl.
kvasü, welches sowohl den Alaun (vgl. auch das aus dem Slavischen
entlehnte lit. kwö.sas , Alaun ) als auch das bekannte russische Bauern-
bier, den kwas leinen rohen säuerlichen Aufguss auf Getreide) be-
zeichnen kann. Von Italien aus int alümen , Alaun' in das übrige
Europa entlehnt worden: hieraus in sehr früher Zeit agls. celifne (?),
kvmr. elt/f etc., in späterer mhd. alfin, lit. alunas, poln. ahm, russ.
gähnt n etc. S. auch u. Leder.
Almosen, s. Fasten.
Aloe. Lignit m Aloe* *. Lignit m AgaUochi ist der botanische
Name verschiedener wohlriechender Hölzer, wie von Alol\v;jlon Agal-
foc/ium in Coehinehina, oder von Afjtiilltiria Agalhcha in Hinterindien
(vgl. R. Sigismund Die Aromata S. 39, Flückiger Pharmakognosie ~
S. l(J;"n. Dieses kostbare, im Orient schon im Alten Testament zu dem
berühmtesten Rauchwerk gehörige Holz begegnet in Europa erst bei
Dioskorides De mat. med. I, 21 i als dfdXXoxov, ein Wort, das man
trotz der auf der Hand liegenden Schwierigkeiten doch wohl mit hebr.
'ältälim oder 'tihälöt und seit, agaru, agunt 'eigentl. , nicht schwer'),
das in dem grossen Epos aus Asam den Indischen Königen zum Ge-
schenk gebracht wird, zusammenstellen müssen wird. Auf das dieser
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Aloö — A!raun.
35
Sippe zu Grunde liegende hinterindische Wort führt auch das portug.
aguila. das missverständlich zu dem botanischen Namen Aquilaria (frz.
boi* d'aigle. engl, eagle icood ,Adlerhol//) Anlass gegeben hat. — Hier-
mit gar nichts zu thun hatte ursprünglich die ebenfalls zuerst vonDiosko-
rides (De mat. med. 111,22) genannte Pflanze dXön., lat. tilöe (vgl. auch
altsl. alügttji, die ebenfalls aus dem Orient, und zwar hauptsächlich
aus dem Gebiete des roten Meeres und von der Ost- und Südküste
Afrikas stammt und durch ihreu bitteru Saft grosse Bedeutung für die
Ar/neikunde erlangte. Auch im Periplus maris erythraei wird wohl
■die § 28 aus Arabien ausgeführte dXdn, diese Pflanze oder ihren Saft
bezeichnen. Gewöhnlich wird auch griech. dXön., wie das oben ge-
nannte dTÖXXoxov, aus dem Orient abgeleitet, indem man annimmt,
dass ersteres direkt auf das Semitische, letzteres direkt auf das Indische
zurückgehe. Doch bezeichnen ja die orientalischen Wörter nur das
Lignum Agallochi. Vielleicht ist daher griech. dXön. *dXoJ:r| ein ein-
heimischer griechischer Name für irgend eine Pflanze mit bitterem Safte
(s. über den Stamm *alu- u. Alaun u. vgl. dXön, raXXiKn, ,Enziau') ge-
wesen und später auf die fremdländische Droge übertragen worden. Früh-
zeitig wurde dann allerdings der Ausdruck Aloe auch auf das Lignum
Agallochi (EuXaXon.) bezogen, wohl weil man fälschlich die Droge aus
diesem ableitete. Schon im Johannesevaug. XIX, 39 bringt Nieodemus
ein niruci auupvris Kai dXöri?. Im deutschen Mittelalter ist dann lign dloe
das geschätzteste Räuchermittel. Im grossen Saal der Gralburg steigt
rouch von lign dloe auf, um die Schmerzen des kranken Aufortas zu
mildem Parzival). Du blilendez lignum Aloe heisst die heilige Jung-
frau u. s. w. Vgl. 0. Schade Ahd. W. - S. 1389. S. u. Aromata.
Alp, Alpdrücken, s. Ahnenkultns.
Alraun (Mandragora vernali* Bert, und verwandte Arten). Die
in Südeuropa heimische Pflanze wurde von den Alten zunächst als
Schlafmittel und Narcoticum geschätzt. Vgl. Plinius Hist. nat. XXV,
150: Via somnifica pro viribus bibentium. Nach Frontinus (Stra-
tegematicon II, 5, 12) berauschte Maharhal die aufrührerischen Afrer
mit Wein, der mit Mandragoras gemischt war. Im Volksglauben galt
ferner die Pflanze als wirksames Apbrodisiacum, wie denn schon
Theophrast Hist. plant. IX, 8, 8, au einer Stelle, wo er allerdings Nach-
richten über die Tollkirsche oder ßelladnnua mit einmischt, vorschreibt,
beim Graben des uavbpcrröpai; solle man Xeteiv di<; TrXeicrra nepi d<ppo-
biaiujv. Endlich müsseu aber auch schon im klassischen Altertum die
menschenähnlich gebildeten Wurzeln der Mandragoras-Pflanze resp.
künstliche Präparate derselben beachtet gewesen sein. Aus einem Citat im
Codex Neapolitanus des Dioskorides erfahren wir, dass in der verlorenen
Schrift des Pseudo-Pythagoras über die Wirkungen der Pflanzen die Man-
dragoras-Wurzel, die auch Columella (De re rustica X, 19, 20) semihomo
nennt, als dvepumöuop<po<; bezeichnet wurde. Das Wort navbpcrröpcu; ist
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Alraun — Alte Leute.
dunkel (daraus alb. mandragurr, engl, mandrake und orientalische Wörter
wie armen, manragor etc.). Anzuklingen scheint der persische Name der
Pflanze merdum gijä ,Mcnschenpflanzc' (vgl. Lagarde Ges. Abh. S. 67).
Allmählich wurde das Netz des Aberglaubens, das sich um den Man-
dragora* spann, immer dichter, namentlich seitdem auf eine syrische
Wurzel Baaras bezügliche Vorstellungen, von der Josephus (De hello
iudaico VII, 6, 3) zuerst berichtete, die nur von einem Hund ge-
graben werden konnte n. s. w., damit verquickt wurden. — Der so ent-
standene Mandragoraskult ging nun auf verschiedenen Wegen in die
nördliche Welt über: einmal von Griechenland aus, auf eine andere
Solanacce der östlichen Karpathenländer, den Walkcnbaum (Scopolia
carniolica Jaeq.) übertragen zu den Rumänen, nach Galizien, Südwest-
Russland, Obersehlesien, Ostprcusscn, Kurland, das andre Mal von
Italien aus nach Deutschland. Hier war zu dieser Zeit der altheidnische
Glaube noch so lebendig, dass auf die südländischen, teils in männ-
licher, teils in weiblicher Gestalt erscheinenden Zauberfiguren ein alt-
deutsches Wort alruna übertragen wurde (,alle Geheimnisse kennend'),
das vorher altgermanische, weibliche Zauberwesen wie die Idise und
andere bezeichnet haben mochte. lu althochdeutschen Glossen giebt al-
rüna das lat. mandrogora — hebr. dudtYim wieder, welches Genesis XXX,
14 — 17 und Hob. Lied VII, 13 die Früchte des Mandragoras bezeichnet.
Da die Pflanze aber in Deutschland nicht einheimisch ist, traten an ihre
Stelle Präparate ans der Wurzel der Zaunrübe oder des Allermanns-
harnisch. Russische Namen bedeuten nach Nemnich Allgemeines Poly-
glottenlex. d. Natg. 1,535 soviel wie Zauberkrant oder Adamskopf. Vgl.
dazu die heilige Hildegard Phys. II, 102 (1 Cap. 56): mandragora
de terra, de qua Adam creatu* est etc. Litauisch begegnet kaükax
, Kobold, Heinzelmännchen, Alraun' (s. über das Wort u. Ahnen kultus).
— Vgl. Ascherson und andere in der Zeitschrift für Ethnologie 1891
Verhandl. 8. 726 tf. (hier auch die Litteratur über die ganze Frage).
Altar, s. Tempel.
Alte Lente. Von fast allen idg. Völkern besitzen wir Nachrichten,
nach denen es gestattet gewesen wäre, sich der Greise und Kranken, ja
selbst der hinfällig gewordenen Eltern durch Tötung oder Aussetzung zu
entledigen. Im Atharvaveda werden neben den Vätern, die begraben und
die verbrannt wurden, auch die ausgesetzten {uddhita-) angerufen (vgl.
Zimmer Altind. Leben S. 328). Über iranische Völker berichtet aus-
führlich Strabo XI p. 517. Hier heisst es von den Baktrieru: tou? dTreipn.-
kotckj oid v\pa<; f\ vöoov Zwvras TtapaßdXXeo6ai Tp€<poulvoic kuöi ^mnioes
npÖ£ toüto (der Hund ist bei den Iraniern heilig, Sagdtd , Hundeschau' ist
eine bei Leichenbegängnissen übliche Zeremonie, bei der man einen Hund
zu dem Toten hinführt), oöq £vTaq>ioujTd<; Ka\€to~6at rf) ncrrpuKji yXonTr). Erst
Alexander der Grosse habe den Brauch abgeschafft. Ferner heisst es von
den Kaspiera: tou? foviaq, ^Treibdv unip eßöopnKOVxa Ztx) ftfovdrtq Tirr-
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Alte Leute.
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X<ivuj(Jiv, £YKA€i(J9tvTaq XtuoKxovetaBm. Das, fügt der Schriftsteller hinzu,
sei noch ziemlich erträglich (dtveKTÖrepov) und gleiche dem auf der
Insel Keos herrschenden Brauch (tcou tlu Kdwv vöpiu TrapotTrXriaiov),
woraus wir also erfahren, dass selbst noch auf griechisch ein Boden
Rudimente der barbarischen Sitte bestanden haben müssen. Thatsüch-
lich berichtet Strahn noch an einer zweiten Stelle (p. 486), was von
anderen Autoren auf das beste bestätigt wird (vgl. Bröndsted Voyages
et Recherches dans la Grece S. 63 ff.), dass auf Keos ein Gesetz oder
eine Sitte (vöuos, voutuov) galt, die den über 60 Jahre alten gebot,
durch Gift zu sterben, damit sie den jüngeren den Lebensunterhalt
nicht verkürzten. — Im alten Rom gab es eine sprichwörtliche Redens-
art: Se.ragenarii de ponte. Schon die Alten waren über ihre Erklärung
verschiedener Meinung. Nach den einen wären in der Urzeit die
60 jährigen Greise wirklich von der Brücke («lern pons mblkius) in
den Tiber geworfen worden, wofür wieder verschiedene Veranlassungen
angegeben werden (vgl. namentlich Festus ed. C. 0. Mueller S. 334),
nach den anderen handelte es sich um ein Herabstossen der Greise von
den Stimmbrucken, eine Erklärung, die ganz wie ein Verlegenheits-
behclf gegenüber einer dem historischen Rom völlig unverständlichen
Einrichtung aussieht. Jedenfalls kann Cicero pro Sexto Roscio Cap. 3f>
('.Habeo etiam dicere, quem contra morem maiorum, minorem annis
LX, de ponte in Tiberhn deiecerif) an nichts anderes als an eine Volks-
sago von wirklicher Tötung der Greise gedacht haben (vgl. Oscu-
brüggeu Z. f. Altertumswissenschaft 1836 S. 1005 ff.), reinen Versuch,
das Herabstossen der Greise gerade von einer Brücke zu erklären,
macht Iheriug Vorgeschichte der Indoeuropäer S. 432. — Voll von
Zeugnissen ist das germanische Altertum, die J. Grimm Deutsche
R. A. S. 486 ff. gesammelt hat. Am ausführlichsten berichtet Prokop
B. G. II, 14 über die Hernler: oütc y<*P °wpua*0\)(5\\ outc voo-oucri
aÜTois ßiOTeuctv ilf\v äXX' drceibdv Tiq auTuiv f| fi. vöauj äXdm,,
^TTavcrfices oi ^tiv€T0, tou? aurrtvei«; aiTeloeat ön Taxidia II äv-
ÖpojTTuuv auröv ä<pavi£eiv. Dann wird der Hergang, bei dem der
Todesstoss selbst nicht von einem Blutsverwandten geführt werden
darf, ausführlich geschildert. Besonders häufig scheint der alte Brauch
bei Hungersnöten, die in der Urzeit natürlich nicht selten waren, in
Kraft getreten zu sein (vgl. auch Weinhold Altn. Leben S. 473). Das-
selbe wie von den Germanen gilt von den alten P reu ssen, von denen
Hartknoch Altes und neues Preussen S. 181 folgendes erzählt: „Dieses
aber ist das grösste und eine schröckliche Barbaries, dass sie ihre
lahme, blinde, alte oder kranke Knechte haben auff die Bäume zu
hengen pflegen, damit sie nicht dürfften uinbsonst sie mit Spciss uud
Trauck versorgen (vgl. dazu altn. grafgangamadi', ein Rechtsausdruck
für zu tötende Freigelassene, die verarmt wäre n). Ja, was noch
mehr ist, sie haben auch ihre eigene Eltern auf Anordnung des Waide-
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Alte Leute
wuti (Priesters), wenn sie alt worden oder sonst, in eine harte Kranck-
lieit gefallen waren, ersticket, damit sie keine unnöthige Unkosten auff
sie wenden dörfften" n. s. w.
Noch scheußlicheres erzählt Hcrodot von den Massageten (1, 216) und
den indischen Padäern (111,99), Völkern, von denen es indessen wahr-
scheinlicher ist, dass sie nicht zu deu Indogermanen (Ariern) gehörten.
Wohl kann man sich die Sehreeklichkeit solcher Bräuche gemildert
denken durch die Annahme, dass viele jener Greise und Kranken selbst
ihren Tod herbeigewünscht haben werden; denn auf primitiven Kultur-
stufen hängt der Mensch nicht wie heute am Leben, und Selbst-
mord kommt gerade bei deu Barbaren des Nordens häufig vor (vgl.
Weinhold und Hartkuoch a. a. 0.). Immerhin wird man nicht umhin
können, den Hauptgrund für die Hinschlachtung der alten und kranken
Leute in dem Wunsche der Ihrigen zu suchen, sie los zu werden.
Mögen auch die Schriftsteller vielfach einzelne Vorkommnisse dieser
Art fälschlich verallgemeinert haben, die unzweifelhafte Duldung der-
selben durch die Gesamtheit lässt das Gefühlsleben der ältesten Indo-
germanen noch als ein so stumpfes uud rohes erscheinen, dass es schon
aus diesem Grunde nicht angeht, indogermanische Institutionen, wie
den Ahnen kult us (s. d.) und andere aus einem Gefühle der Pietät
der Kinder gegen die Eltern zu erklären. Die harte Sinnesart dieser
primitiven Menschen wird man noch am ehesten verstehen, nicht aus
der geläuterten Empfindung der gebildeten Kreise des Altertums oder
der Neuzeit, auch nicht aus der Psychologie der Störche, die aus
Mitleid ihre kranken Genossen töten sollen (so Leist Altarisches Jus
civile I, 184), sondern aus der lieblosen Behandlung, die unsere heutigen
Bauern (wie immer wiederkehrende Prozesse zeigen) leider noch viel-
fach ihren in das Altenteil übergesiedelten Eltern angedeihen lassen.
Vgl. dazu E. H. Meyer Deutsche Volkskunde S. 184: „Die Klage der
Eltern Uber schlechte Behandlung seitens der Kinder ist in Deutschland
uralt, so dass das Alter nicht bloss wegen seiner körperlichen Ge-
brechen für eine wenig lebenswerte Zeit gilt. Fast möchte man diesem
Umstand die Mitschuld zuschieben an den verhältnismässig vielen
Selbstmorden, die noch im hohen Alter vorkommen." Auch schweize-
rische Ausdrücke wie Stinkähni, Pfuchähni, Pfuipfuchähni , d. h.
Pfuistinkurgrossvater u. a. würden nach Meyer auf die ursprüngliche
Verachtung der Hochbejahrten hinweisen. Eine auffallende Thatsache
ist es, dass von verschiedenen der ältesten Gesetzgeber, von Romnlus,
Solon u. n. berichtet wird, sie hätten Uberhaupt keine Strafe auf den
Vatermord gesetzt, und zwar deswegen, weil dieses Verbrechen in
ihren Augen eine Unmöglichkeit gewesen sei (vgl. Brunnenmeister Das
Tötungsverbrechen S. 190 f.). Diese Erklärung ist ebenso sinnig wie
unwahrscheinlich. Viel glaublicher ist, dass in die Zeiten der ältesten
Gesetzgebungen die Kechtsphärc der Familie und Sippe noch so stark
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Alte Leute — Amine.
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hereinragte, dass jede Handhabe für die gesetzliche Bestrafung des
Elternmordes fehlte. Beseitigung der Alten steht im Grunde auf einer
Stufe mit dem Aussetzt! ligsrccht (s. d ) den Kindern gegenüber.
War eine Familie oder Sippe übereingekommen (etwa in Zeiten der
Xot), sich der Alten zu entledigen, so gab es keine irdische Macht,
die sie daran hätte verhindern oder das geschehene strafen können.
S. u. Recht (Familicnrecht).
Alter für das Heiraten, s. II ei ratsalt er.
Amarant, s. Garten, Garten ha u.
Anibosg, s. Schmied.
Ameise. Der idg. Xame dieses Tieres führt auf eine nicht weiter
deutbare Grundform *morri- (vgl. .1. Schmidt Sonantentheorie S. 29 tf.,
teil weis anders Brugraann Grundriss 1 2, 2 S. 849, 80n), die sieh aus
aw. mao'tri- (npers. afgh. etc. mör, kurd. muri), altn. maurr, ndd.
miere (auch krimgot. miera), ir. moirb (kymr. mor, mt/r, bret. merien),
altsl. mraeija ergiebt. Daneben lag ein durch Umstellung aus *morth
entstandenes *vormi-, auf das griech. ßupuaE, ßöpuaE, sert. ramr'i (aus
*varmi- durch Anlehnung an sert. vdmiti ,cr speit") und vielleicht lat.
formlca (volksetymologisch nach ferre rnicas aus *vormica) führen.
Aus einer Verschränkung der beiden Stämme ist griech. pupjin,£, Mupuos
hervorgegangen. Noch nicht deutlich ist der Zusammenhang «lieser
Formen mit armen, mrjimn, osset. muljug, korn. menvionen, kymr.
tm/icion-yn (vgl. Stokes Urkelt. Spraehseh. S. 21;")). Altpr. sangig
könnte aus Hangis verschrieben sein und zu korn. sengan , Ameise'
gehören Stokes a. a. 0.1. Ahd. ameiza und lit. skruzde sind dunkel.
Amethyst, s. Edelsteine.
Amme. Wie es Tacitus Genn. Cap. 20 von den Germanen be-
richtet (tiua quemque mater uheribus alit, nec ancillis aut hutrieibus
deleguntur wie es im alten Rom im Gegeusatz zu dem später herr-
sehenden Brauch als gute Sitte der Vorfahren galt (vgl. Plutarch De
edueatione pueroruin Cap. f>, Tacit. Dial. Cap. 28 f.), so, darf man an-
nehmen, wird es auch bei den Indogcrmanen gewesen sein, d. h. die
Mutter wird die Kinder an der eigenen Brust genährt haben. Eine Än-
derung wird erst mit dem Aufkommen eines Sklavenstandes (s. u.
Stände» eingetreten sein, der allmählich anfing, den reicheren und
vornehmeren Frauen diese bequemen Vertreterinnen bei der Erfüllung
mütterlicher Pflichten zu stellen. So ist es schon bei Homer. Frauen
wie Hekabe oder Pcnelope stillen ihre Kinder noch selbst. Daneben
ist aber auch die (unfreie) Amme <Ti6nvn, Tpotpö?) eine häutige Er-
scheinung (vgl. Buchholz Realien 11,2; 24).
Als Benennungen der Amme werden entweder Lallwörter ver-
wendet, die zugleich auch die Mutter (auch Mutterbrust) und Gross-
mutter bezeichnen. So im Germanischen: ahd. altn. amma , Amme,
Mutter, Grossmuttcr', so griech. men, ,Amme, Muttcrbrust'. auch für
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Ainme — Auker.
Tn6n, ,Grossmntter' und ,Amme', so lat. mamma , Brust', , Mutter', ,Gross-
mutter', ,An»me'. Bemerkenswert ist, dass bei zahlreichen Naturvölkern
(vgl. Ploss Das Weib8 S. 394) gerade die Grossmütter als Aminen
auftreten, indem sie es verstehen, ihren alternden Brüsten hinrei-
chende Milchabsonderung zu entlocken. — Oder die Amme heisst
die ^äugende', , ernährende' wie im grieeh. TiBnvn, (wovon Tirön. nach
einigen Kurzform wäre) von 9fjo*0ai , melken', sert. dhdyati ,er saugt',
lat. ftlare u. s. w. i vgl. auch sert. dhätri- ,Amme, Pflegerin, Mutter",
npers. drfya. armen, dayeak, kurd. dain ,Ammc'), lat. nütri.r (axsa
m'itri.r .trockene Amme', .Wärterin ) : niitrio, russ. korntilica : kormü
, Nahrung' u. a. in.
Ammer, s. Singvögel.
Ammer, s. K irsc he.
Ampel, s. Lieht.
Ampfer. Pflanze mit altertümlicher, aber weit aus einander
gehender Terminologie. Griech. XdTraGov (schon von den Alten zu
XamiKÖ? .ausleerend', Xcmdo*o*uj ,führe ab' gestellt; hieraus lat. lapathnm
,Sauerampfcr' und hieraus wieder ahd. (huofhlettkha aus Haptka), lat.
rume.r, westgerm. ahd. ampfaro, agls. ompre (:ndl. amper ,sebarf,
bitter' etc., sert. amla- ,sauer", wie auch engl, sorrel, frz. Hurelle,
altfrz. sorel, dän. xyre auf ahd. stlr .sauer' zurückgehen), gcmeinsl. altsl.
tttavü, russ. scavelh lit. rükxztyne (rnkxztas , sauer ). Vgl. noch menua
bei der heiligen Ilildegardis für Humex obtusifollus L. [menuelwurz
in Grimms W.. *manhat).
Amsel, s. Singvögel.
Amt, s. S t ä n d e.
Amulet, s. Schmuck.
Auegange, s. Orakel.
Angel, s. Fisch, Fischfang.
Anis, s. Garte n, G arte n b a u.
Anker. In den ältesten Zeiten wurden die Schiffe entweder
auf das Festland hinaufgezogen (hom. tmKfcXacu), oder an dazu be-
stimmten Steinen (griech. XoYT-do*ia Aesch., vielleicht: ir. long ,Schiff',
woraus altn. lung id.?; vgl. auch Xo^Y-aoln. * vcibq Kai 'ifftiou fcpeiaua Hes.)
und Pfählen (ahd. ntarxtecho) mit Tauen festgebunden, oder endlich,
es wurden statt des Ankers schwere Steine (hom. eüvcu, ahd. senkil,
senkil xt ein) auf den Meeresboden herabgelassen.
Der eiserne Anker tritt erst mit griech. dfKupa (,der gekrümmte':
d'ficujv .Bug ) auf, zuerst bei Theognis v. 459: outoi o*üu<popöv l<5t\ T^vn,
via dvbp\ fepovTi' oü ^dp rnibaXiiy TTtiOetai, wq aKcrroq, oOb' dtKupai
?Xouaiv. Dieses Wort hat sieh dann zusammen mit der Sache durch
ganz Europa verbreitet, wie lat. ancora (Xacvius), ir. ingor, kymr.
angor, körn, ancar, bret. eor, ahd. anchar, agls. oncor (sehr früh),
altn. akkere (finn. arikuri), lit. iiikamx. altsl. ankim, ankam zeigen.
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Anker — Antilope.
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Vgl. daneben altsl. kotra, eigentl. , Katze' wie griech. YPÜTres* dxKupai (Hes.
ed. M. Schmidt IV, 2; 95), eigcntl. »Greife*. — Im Norden F^uropas hatten
schon die gallischen Vencter nach Caesar III, 13 ancorae pro funibus
ferreis catenis revinetae, die sie in vorröinischcr Zeit von Massilia
her kennen gelernt haben könnten. Auf germanischem Hoden wurde
ein eiserner Anker bei zwei grossen Booten im Nydamsinoor im süd-
lieheu Jittland zusammen mit römischen Müuzen des II. Jahrhunderts
n. Chr. Geb. gefunden (vgl. Montelius Die Kultur Schwedens8 S. 112).
Auch der Beowulf erwähnt den Anker mehrfach. Bei den Russen
fordert Oleg von dem griechischen Zaren als Schätzung Anker nebst
Tauwerk und Segeln, ein Zeichen, dass diese Dinge damals bei den
Russen selbst noch selten waren. S. u. Schiff, Schiffahrt.
Ansässigkeit, s. Ackerbau.
Aiithroponiorphisnius, s. Religion.
Anthropophagie, s. Opfer.
Antilope. Von Antilopenarten ist nur die S a i ga - A n t i 1 o p e
und die Gemse in Europa einheimisch.
Die erstere kommt jetzt nur in einem beschrankten Gebiet des süd-
lichen Russland zwischen Don und Wolga vor, war aber früher in der
ganzen Steppe und zur diluvialen Zeit sogar in dem ungeheuren Raum
vom südwestlichen Frankreich bis zum ostsibirischen Eismeer verbreitet
(vgl. F. Tb. KOppen Ausland 1891 S. 583).
Das Wohnungsgebiet der Gemse erstreckt sich über die Gebirge
Südeuropas von den Pyrenäen bis zu den Karpathen. Das Tier war
daher den Alten bekannt; doch warfen sie es sprachlich mit ähnlichen
Gebirgsbewohnern, wie dem Paseng, der wilden Ziege, dem Steinbock
u. a. zusammen: griech. cuE <5rpio<;, ärpoicpa, arrcrfpo«;, xmama, lat.
rupicapra, damma, capra. Eigentümlich dunkle Namen nennt Hesych :
vpivaBo?, aavvdq, iupK€<;, lopKe? (aus dein keltischen *jorkos, korn.
yorch etc.) neben dein mit dein keltischen Wort vielleicht urverwandten
£öp£. S. u. Hirsch und Steinbock, und vgl. Keller Tiere d. kl.
Altertums S. 49 ff. — Kinc spezielle Bezeichnung der Gemse tritt erst mit
ahd. gamiza, mhd. gamz auf, mit dem die romanischen it. camozza, frz.
chamoix irgendwie zusammenhängen, und das von neueren Etymologen
teils (vgl. Noreen Abriss der urgerm. Lautlehre S. 133, 152) zu griech.
K€udt£, Keudb-o? ,Reh, Hirsch. Antilopenart' gestellt, teils (vgl. R. Much
Z. f. d. Altertum XLII, l«8t, und zwar wahrscheinlicher, zusammen
mit den romanischen l'orinen von einem im V. Jahrb. bezeugten alpeu-
lateinischen Tiernamen camo.r (vgl. auch ahd. gamicin ,ibex' t abgeleitet
wird. — Frühzeitig mussten die Alten auch mit ausländische n An-
tilopenarten, vor allein mit den G a z e 1 1 e n Nordostafrikas und Arabiens,
Bekanntschaft machen. Für dieselben gebrauchten sie (zuerst Aeschylos)
den Ausdruck ßoüßaXiq, ßoüßaXoq, ein Wort, das, wie der Name sagt,
ursprünglich eine Rinderart bezeichnet haben muss. Eine solche Über-
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Antilopr — Apfelbaum.
tragnng verliert daß seltsame, das ihr auf den ersten Blick anhaftet,
wenn man sich die zahlreichen Fälle dieses Bedeutungswechsels aus
den semitischen Sprachen, namentlich dem Arabischen vergegenwärtigt
(vgl. F. Hommcl Xamen der Säugetiere S. 228, 436). Über die wei-
teren Geschicke des Wortes ßoußaXo? s. u. Rind (Büffel).
Ein anderer alter Name für eine Gazellenart im Griechischen ist öpuH
(in der Form opus vielleicht zuerst bei Herodot IV, 192). Man sucht
es aus orientalischen Sprachen (assyr. turahu .Steinbock') zu erklären
(vgl. Muss-Arnolt Transactions of the American Phil. Assoc. XXIII, 98
und Lewy Die scm. Fremd w. S. 3). — Erst in den romanischen Sprachen
(it. (jazzella u. s. w.) tritt das arabische gaztil auf.
Apfelbaum (Pirus Malus L.). In den ncolithischcn Stationen
Italiens, Ostreichs und der Schweiz haben sich teilweise in grosser
Menge Äpfel gefunden, die gewöhnlich in zwei oder drei Stücke zer-
schnitten waren, ohne Zweifel, um so gedörrt und für den Winterbedarf
zurückgelegt zu werden. Die grosse Mehrzahl dieser Apfelrestc gehört
dem w i 1 d e n Holzapfel [Pirus sihuitica MM.) an, der durch das
ganze zentrale Europa bis nach Norddeutsehland verbreitet ist. That-
sächlich nahmen noch die Germanen des Tacitus (Genn. Cap. 23) an
dem rohen Geschmack der agrestia ponm, die sie als Nahrungsmittel
verwandten, keinen Anstoss. Neben diesem wilden und kleinen Holz-
apfel haben sich aber in den genannten Pfahlbauten auch noch Über-
reste einer zweiten Apfelsorte gefunden, die bereits die Spuren von
Veredelung tragen soll t vgl. Heer Die Pflanzen der Pfahlbauten S. 24
und G. Buschan Vorgesch. Botanik S. 166 ff.).
Ein die nördlichen Länder Europas verbindender gemeinsamer Name
des Apfelbaums wird unten zu behandeln sein.
Schwierig ist die Frage zu beantworten, wann zuerst im Süden
unseres Erdteils der Knlturapfel bekannt wurde, besonders deshalb,
weil im Griechischen ufiXov , Apfel' zugleich als Gesamtbczcichnung für
alles Kernobst gebraucht wird. Indessen dürfte doch an den beiden
Homerstellen Od. VII, llf>ff. und XI, f)89, wo neben öxxvat, (ioicu,
auKai, ^Xatat die nn^ai, bezüglich die jjfjXa, ohne jeden weiteren Zusatz
gebraucht werden, unter den beiden letztgenannten Wörtern kaum
etwas anderes als unser Apfelbaum, bezügl. seine Früchte, zu verstehen
sein. Auch ist der Apfelbaum im Orient alt und kann daher leicht
von hier in Griechenland eingewandert sein. Es seheint, dass seine
Kultur sich in nördlich-südlicher Richtung, von den Pontusländern, auf
die als Ausgangspunkt der Äpfelkultur auch naturgesehichtliehe An-
zeichen hinweisen (vgl. Englcr in Hehns Kulturpflanzen 6 S. 594 und
Buschan a. a. 0. S. 173), bis nach Ägypten verbreitet hat. Einmal
stammt das syrische Wort für den Apfelbaum hazurd aus armen, wnjor,
.rncor , Apfel', xncori .Apfelbaum' (vgl. Hübschmann Armen. Gramm. I,
30;")). Das andere Mal dürfte nichts im Wege stehen, den ägyptischen
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Apfelbaum.
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Namen des Baumes d-p-h aus hebr. tappAüh abzuleiten. Freilich
ist nicht ganz sicher, ob die beiden zuletzt genannten Wörter wirklich
Pirus Malus bezeichnen. Auf keinen Fall könnte der Apfelbaum
in Ägypten, also am südlichen Ende seines Verbreitungsgebietes, eiue
grosse Bedeutung gehabt haben, da er weder auf Wandgemälden, noch
seine Früchte in Gräbern nachgewiesen sind (vgl. F. Hommel Aufsätze
und Abh. München 1892 S. 167, Buschan a. a. 0. S. 166).
Das lat. mälum kann zunächst ebensowohl für urverwandt mit,
als entlehnt aus dem griech. un>ov, dor. jiäXov gehalten werden. Da
indessen die romanischen Formen it. melo, mm. mer, rät. meil ebenso
wie auch alb. moh. auf ein vulgärlat. melum (vgl. auch melarius,
müarius in der Lex Salica) zurückführen, das doch nur aus ion.-att.
jjfiXov entlehnt sein kann, so liegt es näher, auch für lat. mälum an
Entlehnung aus dor. jjäXov zu denken. Jedenfalls ist Italien bald und
in viel höherem Grade wie Griechenland ein äpfelreiches Land ge-
worden. Columella zählt bereits 7 Sorten verschiedener Äpfel, Plinius,
der auch den Apfelwein erwähnt, deren noch mehr auf, während
Dioskorides erst zwei Sorten kennt. Besonders berühmt muss die
Äpfelkultur der Stadt Abella im fruchtreiclicn Campanien gewesen sein,
wie aus Vergilt» Aeneis VII, 740 (Scrvius):
et quo8 malif erat despectant moenia Abellae
hervorgeht. Die Wahrscheinlichkeit liegt auf der Hand, dass dieser
Städtename Abella auf irgend eine Weise mit der schon oben an-
gedeuteten nordeuropäischeu Bezeichnung des Apfelbaums, resp. Apfels
zusammenhängt, die auf eine Grundform *abela-, *ablu~ zurückgeht und
in ir. aball, uball, ubull, ahd. apful, agls. appel, altn. eple, lit. öbülan,
altpr. icobalne, woble, slav. jablfdo vorliegt. Es fragt sich nur, wie
dieser Zusammenhang des näheren zu denken ist. Man kann annehmen,
dass eine Bezeichnung wie (tnalum) Abellanum oder besser (malum
de) Abella zunächst ins Keltische und von hier aus, noch vor der
ersten Lautverschiebung (s. u. Affe), ins Germanische übergegangen
sei, aus dem es die Litauer und Slaven wiederum übernommen hätten.
Letztere könnten aber auch das Wort unmittelbar von den Kelten ent-
lehnt haben zu einer Zeit, „in welcher eine Berührung der Kelten und
Slavoletten an der unteren Donau statt fand" (Fick Vergl. W. I *, 349).
Möglich ist endlich aber auch, Abella als urverwandt mit den nord-
europäischeu Ausdrücken anzusehen und den Ort von der Frucht, nicht
die Frucht von dem Ort benannt sein zu lassen (vgl. R. Much Z. f.
österr. Gymn. 1896 S. 608). So sind in der Bibel Ortsnamen wie
Tappftah (s. o.) ganz gewöhnlich. Vgl. auch Ortsnamen wie nhd.
Affoltern, Affaltrach, ndl. Apeldoren, engl. Appledore: ahd. affbltra,
agls. apuldr , Apfelbaum'. Alsdann würde in Abella, ir. aball u.s.w.
eine vorhistorische, weit zurückgehende Bezeichnung des Apfels vor-
liegen, zunächst natürlich des wilden Holzapfels (s. <>.), die dann auch
anf veredelte Arten Ubertragen wurde.
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Apfelbaum Aromuta.
Mit voller Bestimmtheit lässt Bich, was den germanischen Namen
des Apfelbaumes betrifft, also nur sagen, dass derselbe nicht wie die
Benennungen der übrigen Obstbäume erst spät und direkt aus dem
Lateinischen hervorgegangen ist. In den altgermauischeu Rechtsquellen
ist in den ältesten Codd. der Lex Salica (cd. Hessels) Uberhaupt noch
nicht von Obstbäumen die Rede, und erst in den späteren Codd. und
der Lex Emendata werden der pomariu* domesticus (auch melariux,
mttarim) neben dem pemrius, pirariust wiederholt genannt, wie denn
auch in der Lex Baiuv. (Walter) XXI, f> und im Kdictum Rotharis 306
Äpfel und Hirnen vorkommen. Die zur Zeit Karls des Grossen ge-
bauten Apfelsorten zählt das Capit. de villis 70, 89 auf.
Zum Schluss sei bemerkt, dass auch die Finnen, die auf ihrem
Gebiete nur zwei kultivierte Fruchtbäume, den Apfel- und Kirschbaum,
kennen, für ersteren einen gemeinsamen Namen (finn. omena, liv. umär,
mordv. mar ) haben, der natürlich mit der oben erörterten nordeuro-
päiseheu Benennung nichts zu thun hat. S. u. Obstbau und
Bau m z u e Ii 1.
Aprikose, s. Pfirsich.
Architektur, s. Haus, Steinbau, Unterirdische Wohnungen.
Aristokratie, s. Stände.
Arm, s. Reich und arm.
Armband, s. Schmuck.
Armbrust, s. Pfeil und Bogen.
Aromata. Als Hermes (Od. V, f>8 ff.) im Auftrag der Götter
zu der Höhle der Kalypso kommt: tt]v b' €vbo9t xeruev doütfav.
mip piv in £o*x<*pocpiv ja^ra koUto, TnXöcfc b' öbpf|
K^bpou t' eikedToio Suou t* äva vntfov öbwbei
baiou^vujv.
Ans dieser Stelle erhellt, dass schon in homerischer Zeit in den Wohnungen
und Palästen einheimische Hölzer, um Wohlgeruch zu verbreiten, verbrannt
wurden. Genannt werden Kt'bpoq und öviov, die beide schon sprachlich auf
ihre Bestimmung, in Rauch aufzugchen, hinweisen. Über K€bpo^ s. in dieser
Beziehung u. Wach holder, 0uov (sachlich nicht genau bestimmbar)
gehört zweifellos zusammen mit 8u€a, 9ur|Xcu: griech. öuuj (bei Homer
nur im Sinne von Buutäw) — lat. sttf/io , lasse in Rauch aufgehen'. Zu
gleichem Zwecke werden Lorbeer, Myrte und Kypresse verwendet
worden sein. Eine andere Frage ist, ob in homerischer Zeit auch den
Göttern schon Rauch-, d. h. Wohlgeruchsopfer mit einheimischen
Stoffen dargebracht wurden, was von v. Fritze Die Rauchopfer bei den
Griechen (Berlin 1894) bejaht, von Stengel in seiner Besprechung
dieses Buches (Berliner Phil. Wochenschrift 1805 S. 118) verneint wird.
Wie sich dies nun auch verhalten möge, sicher ist jedenfalls, dass das
Wohlgeruehopfcr seine eigentliche Bedeutung erst geraume Zeit nach
Homer erlaugt hat, als durch gesteigerte Handelsbeziehungen und eine
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Aronmta — Arzt
bessere Bekanntschaft mit den orientalischen Kulten die kostbaren Wohl-
gerüche des Orients, allen voran Myrrhe, Weihrauch und Kassia, in
Griechenland und dadurch im übrigen Kuropa bekannt wurden. Wie
im Orient, loderten nun in Griechenland, wie der Astartc, so der Aphro-
dite ungeheure Massen der kostbaren Stoffe empor.
Während ferner Alteuropa Haar und Leib mit stinkender Butter
(s. d.) salbt, eine barbarische Sitte, die in Griechenland schon in vor-
homerischer Zeit die Gabe des Oelbanms (s. d.) verdrängt hatte, ist
es dem Orient gelungen, den fluchtigen Wohlgeruch der Pflnnzenstoffe
an Fette und Öle zu binden und süssdufteude Salben zu bereiten, von
denen eine dunkle Kunde schon zu den homerischen Griechen gedrungen
ist t vgl. V. Hehn Kulturpflanzen ü 8. lOil). Und mögen nun in Griechen-
land Gesetzgeber wie Solon und Lykurg den Verkauf oder Verbrauch sol-
cher Salbeu unter Strafe stellen (vgl. Athenaeus XV p.686f.), oder mögen
in Rom die Censoren in gleichem Sinne Edikte erlassen (Pliti. Hist.
nat. XIII, 24), bald ist im klassischen Süden, wenigstens in den höheren
Ständen, die Anwendung wohlriechender Salben ein fast tägliches Be-
dürfnis.
Der ausserordentliche und kostspielige Verbrauch orientalischer Par-
füms lenkte mehr und mehr die Aufmerksamkeit auch auf die im Süden
nicht selten einheimischen Pflanzenarten, welche zwar minder kostbare,
aber auch um so viel billigere Produkte lieferten. So ist es gekommen,
dass das Altertum über eine beträchtliche Anzahl von dpiÜLiaTa (das
Wort ist zuerst bei Xenophon und Theophrast überliefert und noch uner-
klärt) verfügte. Über die Geschichte derselben ist in besonderen Ar-
tikeln gehandelt worden : von Harzen u. Weihrauch, Myrrhe,
Balsam, Styrax, Bdellium, Galbanum, Gummi, Mastix (s. u.
Terebinthaceen Ladanum, an Teilen von Pflanzen u. Zimmet
(und Kassiai, Narde, Malabatbron, Kostus, Kalmus, Kyper-
blume, Alol4, Santelholz, Iris. S. auch u. Hose, Veilchen,
Safran und u. Gewürze. Im allgemeinen vgl. R. Sigismund Die
Aromata Leipzig 1884.
Arrak, s. Reis.
Arsenik. Dies im Altertum nur als Farbstoff bekannte Mineral
wird zuerst von Aristoteles als dpcreviKÖv, von Theophrast als dppevucöv,
lat. (Plin.). arrhenicum genannt. Das Wort scheint unter volkscty-
mologischer Anlehnung an äpanv aus syr. zarnikd, npers.-arab. zarnifi,
zarniq, zarni, zarna, armen, zaHk ,Arscnik' verstümmelt zu sein. Zu
(«runde liegt aw. zaranya-, npers. zar ,GoId', .goldig'.
Artischoke, s. Garten, Gartenbau.
Arzt. Die Wissenschaft des Arztes ist in langer Entwicklung
aus den Künsten der Zauberei und des Aberglaubens hervorgegangen,
die in der Volksmedizin noch heute eine wichtige Rolle spielen. Im
Rigveda, besonders aber im Atharvaveda werden zahlreiche Krankheiten
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Arzt.
aufgeführt, die ausser durch Pflanzen und Amulette (scrt. inani-) durch
-die Hersagung von Zaubersprüchen (scrt. mdntra-) geheilt werden. Diese
sollen die Dämonen verscheuchen und den feindlichen Zauber brechen,
welche als die eigentlichen Urheber der Krankheiten . gedacht sind
(vgl. A. Hillebrand Grundriss der indo-ar. Phil. III, 2; 181 ff.). Ent-
sprechend wird im Awesta neben urvarö-baemza- , Heilung durch
Pflanzen' und Jcaretu-baemza- , Heilung durchs Messer' ausdrücklich
ein mqdrö-baemza- »Heilung durch Zaubersprüche' unterschieden, und
noch bei Homer (Od. XIX, 4Ö7) wird das aus der Wunde des Odya-
seus strömende Blut durch Besprechung (<*Traoibnj gestillt. Ja, selbst
Piudar ueunt (Pyth. III, öl :
Touq ufcv uaXaicai«; ^Traotbats äuq>€Trujv,
Touq be Tipoaavea mvovraq, x\ "fuiou; ttcp&tttujv TrdvToOcv
<päpuaKCt, tou^ bfe touaw; £o"Tao"€v öp6oü?)
neben Tränken, Kräuterunischlägen und Schneiden noch deutlich als
Heilmittel die Beschwörung und zwar an erster Stelle (vgl. weiteres
bei Welekcr Epoden oder das Besprechen Kl. Sehr. III, 64 ff.). Auch
aus Italien haben wir reichliche Nachrichten über Zauberlieder im
Dienste der Heilknnst. Die Marser verbrachten Wunder incentionibiis
herbarumque succis medelarum (Gellius XVI, II). Von den Körnern
berichtet Plinius Hist. nat. XXVIII, 29: Carinina quaedam e.rstant
contra grandines contraque morborum genera, und derselbe Autor
XXVIII, 21 kennt ein Carmen au.illiare des Cato (s. u.) lu.vatis mem-
bris um! ein solches des M. Varrn gegen das Podagra (vgl. Welcker
a. a. 0. S. £6 l'.j. Am reichsten aber an Zeugnissen für das Bestehen
derartiger Zauberlieder (altn. galdr, agls. gealdor, ahd. galdar : ahd.
gahin .singen '. bigalan , beschwören', vgl. lat. incantaiio : cantare)
gegen alle nur denkbaren Krankheiten erweist sich die altgcrmanische
Littcratur (vgl. die Sammlung bei K. Kögel Geschichte d. d. Lit. I,
1 ; &2 ff.).
Von der Beschaffenheit dieser heilenden Zaubersprüche giebt uus der
eine der beiden Mcrseburgcr Heilsprüchc gegen die Fnssverrenkung
eines Rosses, verglichen mit einem ganz ähnlichen des Atharvavcda
(IV, 2 , der sich jedoch auf Menschen bezieht, eine lebendige Vorstcl-
tung (vgl. A. Kuhn K. Z. XIII, 41» ff.). Der erstere lautet mit pro-
saischer Einleitung: i.Phol und Wuodan fuhren zu Holze. Da ward dem
Rosse Balders sein Fuss verrenkt. Da besprach es Sindgund und Souuc,
ihre Schwester; da besprach es Wuodan, der sich wohl darauf verstand.
Sei es Beinverrenkung, sei es Blut Verrenkung, sei es Glied Verrenkung:)
Ih'U zi brna bluol zi bhutda,
lid zi geliden, xöse gtUmida trin.
In Indien lautet die entsprechende Formel:
Zusammen werde Mark mit Mark und auch zusammen Glied mit Glied,
Was Dir an Fleisch vergangen ist und auch der Knochen wachse Dir.
Mark mit Marke sei vereinigt, Haut und Haut erhebe sich!
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Arzt.
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Noch heute aber bannt man auf dem Balkan Krankheiten mit fol-
genden Worten: „Schweige X. X. (Name des Kranken)! weine nicht!
Wir werden ein Weib herrufen (so spricht die Bannerin selbst), fttnf-
fingrig, des Bannens kundig, um mit Gräsern uud Kräutern die Krank-
heit zu bannen, herauszutreiben, die Knochen zu setzen, die Knöchelchen
zu setzen, das Gehirn zu setzen" u. s. w. (vgl. Lübeck Die Krankheits-
dämonen der Balkanvölker Z. d. Vereins für Volksk. VIII, 382).
Anderer Art sind Zaubersprüche, wie der schon oben genannte des
Cato (De agricultura 160) gegen Luxation, in dem ganz unverständliche
mvstischc Wörter wie daries, dardaries, asiadaridex oder huat, hauat.
huat, ista, pisfa, xista u. s. w. sinnlos nebeneinander gestellt sind. Es
ist aber wahrscheinlich, dass in ihnen bereits Einflüsse aegyptischer
und babylonischer Magik vorliegen (vgl. Welckcr a. a. 0. 8. 78 f.).
Mit dem ersten Aufkommen der Schrift (s. u. Schreiben und
Lesen) scheint man auch in der schriftlich festgehaltenen Formel einen
wirksamen Gegenzauber gegen die Macht der Krankheit erblickt zu
haben. So heisst es im Lied von Sigrdrifa (Gering):
„Astrunen lerne, willst Arzt du werden
und wissen, wie Wunden man heilt,
in die Borke schneid' sie «lern Baum des Waldes,
der die Aste nach Osten neigt, u
und aus der griech. Überlieferung erfahren wir von einem cpdpuctKov,
das auf „Thrakischcu Täfclchenu '0prjo*o"cuq o*avio*iv) eingeritzt war
(Welckcr S. 6(5 .
Den mitgeteilten kulturhistorischen Thatsacheu entspricht die sprach-
liche Entwicklung, die einen häufigen Bedeutungsübergang von ,sprecbcn,
besprechen' zu , heilen', von , Beschwürer' zu ,Arzt' zeigt. Besonders
deutlich tritt derselbe in der slavischen Sippe von ba- = griech. <pnjii,
lat. fdri hervor. Vgl. altsl. bajati ,fabulari, incantare, mederV, balo-
ranije .medicina', bulg. baja «Zauberspruch', altsl. balistvn , Heil-
mittel', balocati .curare", rus*. dial. bachari ,Arzt. Auch in altsl.
eraci ,Arzf, vielleicht: altsl. rrücati .einen Laut von sieh geben1, und in
griech. föns : föoq ,Geheul, Wehklagen' vielleicht — sert. hdva- .Ruf gehen
die Bedeutungen »Zauberer', .Beschwörer', ,Arzt' durcheinander. Über ir.
Uaig ,Arzt', eigentl. , Besprechet s. u. Vgl. auch Ostholf B. B.XXIV, 124.
Das erste sachliche Moment briugt in diese Beschwörungen und
Zaubereien die daneben hergehende, allmählich immer mehr hervor-
tretende, wenn auch immer noch von einer Wolke des Aberglaubens
umgebene Verwendung pflanzlicher Stoffe: cantus et sapores.
Charakteristisch ist in dieser Beziehung die Bedeutungsentfaltung des
griech. <päpno.KOV, das (nach Ostholf a. a. 0. S. 149) zu lit. buriit, bärti
.Besprechungen, Zauberei treiben', burta , Zauber', bdrtas ,Loos' ge-
hört, demnach zunächst , Zaubermitter, dann , Heilmittel' und .Gift' be-
zeichnet; denn Giftpflanzen (seit, rishä-, aw. vi*«- ■-- griech. 'löq,
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Arzt.
lat. virus, ir. fi ,( üft') sind es besonders, von denen hergenommene
Heilmittel ab Gegengifte sich eines frühen und grossen Rufes erfreuen.
Vgl. aw. viscidra-, ein von einer Giftpflanze stammendes Heilmittel",
got. luhja-Ieisei ,<papno.Keia', ,Gift", ,Zaubermittcr {lubja- = altn. lyf
.Heilkraut', agls. lyf »Zauberei, Gift', ahd. luppi ,Gift, Zauberei',
ir. luib .Kraut, Strauch, Pflanze ). Vielleicht bedeutet auch gricch.
ldo|jai (iatpöq, inrr|p) ,hcilcn' ursprünglich ,mit Gift-, dh. Heil tränken
(iö?) versehen', dadurch , heilen' 'andere stellen das Wort zu icuvuu ,er-
(|uicke' — sert. ishanyäti ,treibt an' ; Bugge vergleicht altn. Eir, *ai*0
,dea nicdieinae). Lat. venemim ist zunächst der zauberische Licbestrank
(: lat. Venus), dann das .Gift', von dem er hergenommen sein wird.
Den ersten Anlass zu einer genaueren Kenntnis und Unterscheidung
der Pflanzen mit ihren nützlichen und schädlichen Wirkungen wird den
Indogcrmanen als einem Volke von Viehzüchtern (s. u. Ackerbau
und u. Viehzucht) die Rücksicht auf ihre Herden gegeben haben,
wie ja noch heute bei Schäfern und Hirten bessere botanische Kennt-
nisse als sonst im Volke sich finden. Allmählich aber wird sich bei
gewissen Personen ein besonderes Verständnis in der Unterscheidung
und Zubereitung heilkräftiger Kräuter herausgebildet haben. Diese be-
sondere ,Weishcit' im Hinblick auf die Heilkunde wird in drei idg.
Sprachen übereinstimmend durch Bildungen von einer Wurzel med : mPd
(vgl. griech. un.bo? ,Ratschlag', armen, mit ,Sinn' etc.) bezeichnet.
Hierher gehört im Awesta vi-mäaah- »ärztliche Behandlung', vi-mAday
,ärztliehc B. lernen', im Lateinischen mederi, mfdicus, mtdieina, im Grie-
chischen aber eine stattliche Reihe von Namen griechischer Gottheiten
der Heilkunde, die mit un.b- gebildet sind: Mnboq, Mnbeios, Mf|br|,
'AYaunbn. Mnb€ia, TTepiun&n u. a. (vgl. Usener Götternamen S. 160).
Dabei ist es bemerkenswert, dass wie auf griechischem, so auf ger-
manischem Boden, wo die Frauen als Seherinnen (s. u. Orakel) ge-
schätzt werden, ihnen auch eine besondere Einsicht in das Wesen der
Pflanzenkräfte zugeschrieben wird. Wie schon die llias XI, 741 eine
'Ayaunbri kennt,
f| TÖcra <pdpuaxa fjbn. öaa Tpeq>€i €Üpeia xöwv,
wie dann in der Medea der Typus der zauberischen und pflanzen-
kundigen Frau verkörpert erscheint (vgl. weiteres bei Welckcr Medea
oder die Kräutcrkundc bei den Frauen Kl. Sehr. III. 20 ff. ), so werden
die gleichen Eigenschaften bei den weisen Frauen der Germanen her-
vorgehoben, und schon Tncitus Genn. Gap. 7 konnte berichten: Ad
matreSy ad coniuges cnlnera ferunt, nec Wae numerare auf e.rigere
piagas parent.
Sehr früh treten bei den einzelnen Völkern auch bestimmte Pflanzen
hervor, die in besonders hohem Masse für heilkräftig gelten, und daher
als Panacee angesehen werden. So bei den Indem der lushtha- (vgl.
Webers Ind. Stud. IX, 42.J; s. auch n. Kostns\ so bei Homer das
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Arzt.
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fabelhafte uuüXu (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen ,! S. 107 f.) neben dem
qpdpuaKOv vn,Trev6€£ t' dxoXöv T€ (Od. IV, 220 t'.), so bei den Kelten die
alles heilende Mistel (s. d.) u. s. w. Haid finden wir Uber Europa
eine grosse Masse gemeinsamer Vorstellungen ausgebreitet, die sich
auf die Verwendbarkeit bestimmter Pflanzen zur Heilung gewisser
Krankheiten oder zur Erregung gewisser Kräfte, namentlich aphrodisi-
scher, beziehen, eine Übereinstimmung, die in den meisten Fällen aber
nicht auf gemeinsamem Erbe der Urzeit, sondern auf früher Entlehnung
des Nordens aus dem Süden beruht, wo Volksmedizin und wissenschaft-
liche Forschung zusammen ein dichtes Netz des auf die Heilkraft der
Pflanzen bezüglichen Glaubens und Aberglaubens gesponnen hatte.
Einige dieser Heilpflanzen sind in den Artikeln Alant, Alraun, Bal-
drian, Heifuss, Betonie, Drachenwnrz, Eberraute, Eibisch,
Eisenkraut, Hauslauch, Klette, Liebstöckel, Raute, Wermut
behandelt worden. Vgl. auch die u. Garten, Gartenbau genannten
Pflanzen.
Fragt man nach dem Teile der Heilkunst, welcher durch reiche Er-
fahrung zuerst eine gewisse rationelle Ausbildung erlangt hatte, so
wird man die Chirurgie zu nennen haben, soweit sie sieh auf die
Behandlung der im Krieg und Streit empfangenen Wunden bezog.
Wiederum stimmen hierbei Griechen und Germanen darin überein, dass
die Helden die Wunden, die sie schlagen, auch vielfach selbst zu heilen
verstehen. Ausgezeichnete Krieger und Wundärzte sind in der llias Po-
dalirius und Machann, die Söhne des Asklepios, der also hier schon
in Verbindung mit heilkundigen Heroen gebracht wird; aber auch
Achilles, dem der Keutaurc Chiron (II. XI, 832) die Kunst der n>ia
<päpua.Ka lehrte, versteht sich auf die Wundbehandlung, wie durch ihn
Patroclus. Endlich werden wir uns auch die übrigen inrpoi, die in
der llias < XIII, 213, XVI, 28) genannt werden, zugleich als wackere
Streiter vorstellen müssen (vgl. weiteres bei Welckcr Chiron der Phil-
lyride, und Wundheilkunst der Heroeu bei Homer Kl. Sehr. 111,3 und
27 ff.). Ganz ähnlich sehen wir auch die Helden des nordgermanischen
Altertums au sich und anderen Operationen vollziehen, die unseren
heutigen Chirurgen alle Ehre machen würden (vgl. Weinhold Altn.
Leben S. 390).
Deutlicher tritt uns ein eigentlicher Stand von Ärzten in der
Odyssee entgegen, in der die inrr|pes neben dem mcxvtk; und t6ktuuv
zu den ormioupfoi ,Leute, die für das ganze Volk nützliche Geschälte
betreiben' gerechnet werden. Doch hat auch in der llias der Olymp
schon in TTcuriuuv (Trairjujv .Lobgesang'; das Wort ist noch nicht be-
friedigend erklärt; doch s. u. Dichtkunst, Dichter) seinen Hausarzt.
Die Thätigkeit des Arztes wird ausser durch idoum s. o.) durch
äw'oMcu, dK€touat ,heile' ausgedrückt, eine Ableitung von uko? , Heil-
mittel' (vgl. ir. kaim , heile : ic ,Ileilung' aus *jak- = ök?i. Die
Schräder. Rcallexlkon. *
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Arzt.
Römer haben seit Überführung des griecb. Hcilgottes 'AatcXfinio? (8.0.)
nach Rom im Jahre 291 (lat. Aesculapiu*) auch auf diesem Gebiete
immer unter griechischen Einflüssen gestanden (vgl. 0. Weise Gricch.
Wörter in d. lat. Spr. S. 2<i6 ff.).
Im Norden Europas scheinen wichtige medizinische Einflüsse von
Gallien, der Heimat der heilkundigen Druiden, ausgegangen zu sein.
Im Irischen heisst der Arzt liaig, das man (vgl. Stokcs Urkelt. Sprach-
schatz S. 251, 248, K. Z. XXXV, 595) aus Vepagi- : scrt. lapati ,er
flüstert' als ,Besprecher" (s. o.) deutet. Von hier wäre dann das Wort
nach Ausfall des p im Keltischen und vor der ersten Lautverschie-
bung im Germanischen in letzteres eingedrungen, wo got. Ukeis ,Arzt',
lekinön, altn. 1d>kna, agls. Idcnian, ahd. lächinön ,heilen' begegnen.
Die Vorstellung des Zauberers und Besprechen tritt noch in mhd.
hichenen besprechen', lächentere .Beschwörer' hervor. Aus dem Ger-
manischen stammen weiter altsl. ttkü .Heilmittel', Irkari ,Arzt', leko-
vati, leciti , heilen' (vgl. auch lit. liekorius und finn. hMkari). Ein
einheimischer deutscher Ausdruck für .gesundmachen' ist ahd. heilen,
agls. hcelan: ahd. heil ,gesund\ .ganz' (= altsl. celü), wahrend lit. gyti
.gesund werden' und poln. gojiö .gesund machen' (klruss. höj .Arznei')
mit der W. scrt. jir , leben' iji z. B. in aw. ji-ti- ,Lcben') zusammen-
hängen und also eigentl. .lebenskräftig werden oder machen' bedeuten.
Im Gegensatz zu Europa haben es die Arier frühzeitig zu einer deut-
lichen gemeinsamen sprachlichen Ausbildung des Begriffes Arzt gebracht,
die in scrt. bhishdj- \bhtxhajd- , Arznei ) = aw. bafttaza- ,Arzt' und
.Arznei', npers. bhixk ,Arzt' (woraus armen, biiik) vorliegt.
Auf die weitere Geschichte der Medizin bei den idg. Völkern ist
hier nicht einzugchen. Erwähnt sei nur, dass mit dein Hervortreten
von Priestern (s. d.t und Priesterschaften diese in der Regel auch
die Heilung der Krankheiten au sich zu reissen streben. 80 ist es
im Zeitalter des Awesta (vgl. W. Geiger Ostiran. Kultur S. 391 ff.),
so, aber erst in naehhomerischer Zeit, in Griechenland, namentlich in
hellenistischer und römischer Zeit (vgl. J. v. Müller Privataltert.2
S. 201 ff.), so bei den keltischen Druiden (vgl. Caesar De bell. gall.
VI, 16) und anderwärts. Auch die christlichen Priester treten in den
bekehrten Ländern gern als öffentliche Ärzte auf (vgl. Wcinhold Altn.
Leben S. 395). Die Mittel, deren sie sich dabei bedienen, bleiben
aber im wesentlichen dieselben wie die oben geschilderten, und es
kommt wohl dabei vor, dass ein so hervorragend christlicher Terminus
wie ahd. segan (aus lat. signum) .Kreuzeszeichen' den Sinn von .Zauber',
,Zanbersegen zu Heilzwecken' annimmt.
Alle höhere Erkenntnis ist für den Norden Europas auf diesem
Gebiet von der spät-griechischen Arzneikunde ausgegangen. Nicht am
wenigsten spiegelt sich dies in dem Übergang des grieeh.-lat. äpxtctTpoq-
archiater. wie in der späteren Kaiserzeit am Hofe und sonst fest an-
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Arzt — Aussetzunjfsrt'cht.
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gestellte Ärzte hieben (vgl. Marquardt Privatleben II. 7T>2 ff.), die
auch an den fränkischen Königshöfen unter diesem Namen auftreten,
iu das Hoch- und Niederdeutsche (altndd. ercetere, mndl. arsatre,
ahd. arzdt .Arzt'; vgl. auch ahd. gi-arzinon, mhd. erzenen , heilen'
nach ahd. lächinön s.o.). Weiteres der Art ist von F. Kluge Et. W."
u. „Latwerge1*, „Lakritze11, „Büchse", „Pflaster" behandelt worden.
S. auch u. Hebamme und u. Krankheit.
Asphalt. Griech. q do"cpa\TO<; .Erdpech' wird zuerst von Herodot
erwähnt, bei dem (VI, 119) im Kissierland ein Brunnen genannt wird,
aus dem mau Erdpech, Salzlauelie und Erdöl schöpfte. Besonders
reich an ihm war die Umgebung des toten Meeres. Man deutet daher
äacpctXTos aus arab. tiifil .Bodensatz, Hefe, Kot' von tafala ,sich setzen',
wozu äcftpaXToq eine (semitische) Femininbildung sei (vgl. Lewy Sem.
Fremdw. S. 53). Lat. bitumen s.u. Fichte. Armen, nart, npers. na/t
.Erdharz, Erdpeeh, Erdöl' unbekannten Ursprungs. Vgl. dazu grieeh.
väqpea ,ein dickes Öl'.
Asyl, s. Tempel.
Auerhahn, s. Fasan.
Auerochs, s. Kind.
Aufzug, s. Webstuhl.
Anspielen, s. Orakel.
Aussatz, s. Krankheit.
Äusseres der Indogeriiianen, s. Körperbildung d. I.
Aussetzungsrecht. In der idg. Urzeit stand dem Hausvater das
Recht zu, hinsichtlich der ihm von seinem Weibe oder seinen Weibern
geborenen Kinder zu entscheiden, ob er sie durch Aufheben von dem
Erdboden anerkennen oder aussetzen und damit dem Untergang weihen
wollte. Dieser Zustand tritt bei den Einzelvölkern noch klar zu Tage.
Iu Griechenland hatte der pater famiUas freie Macht, einem
Kinde die Aufnahme in die Familie zu verweigern, und der £TxuTpio*uö<;
.das Aussetzen in thönernen Gelassen' war ein weit verbreiteter Brauch,
in Sparta, wo missgestalteten Kindem gegenüber sogar ein Aussetzungs-
zwang herrschte, beschränkt durch die Pflicht des Vaters, das Kind
vorher den irpeaßÜTatoi twv (du\€tujv zu zeigen (Plutareh Lykurg Cap. 16).
und nur in Theben ganz durch da« Gesetz beseitigt. Betroffen wurden von
der Aussetzung vornehmlich Mädchen. Vgl. Stobaeus Serm. LXXVII, 7 :
üiöv Tpcqpei tu; k&v ^evite ™S tuv TÜxq,
9uYaT€pa b' €KTi6r|cri, k' av fj TrXoüaioq.
Aus dem ältesten Rom haben wir Kunde von einem dem Romulus
zugeschriebenen Gesetz, von dem Dion. Hai. II, IT) berichtet: eiq äväfKqv
KaTe'o*Tn,o"€ (sc. ö 'PuJuuXoq ) toüs oiKnropas aÜTqs (sc. tqs TTÖXeuu?) cmaaav
äpp€va f€vedv ^KTp€<peiv Kai ÖUYOTepujv Tag TrpwTOYÖvoug, ctTTOKTivvuvai
bi Uqb€V TUJV T€VVUU(L1^VUJV V€U)T6pOV Tpi€TOÜS. TrXf|V €ITI T^VOlTO TTCtlblOV
äväTTqpov ft. T€pa<; €u6u<; öittö YOvq<; ■ Tauta b' oök €KuuXuo*ev tiaiOevai
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52
Aussetzungsrecht.
tou? Y€ivaptvouq ^mbeiEavtaq TrpÖTepov tt€VT£ üvbpäo*i toi? iTTi^fa
oiKOütfi. Es erbellt also, dass vor Roinulus uneingeschränkte Kinder-
nussetzung gegolten hat, die nun durch die Bestimmung eingeengt
wurde, dass man erstens alle Knaben und die erstgeborene Tochter
aufziehen mtlsse, zweitens aber auch die später geborenen Mädchen
nicht vor dem dritten Jahre töten dürfe, und drittens endlich die
portenta und prodigia vor ihrer Tötung einem Rate von 5 Nachbarn zu
zeigen habe (vgl. M. Voigt Leges Regiae S. 57(5 ff.). Es scheint aber, dass
diese zur Hebung der Bcvölkcruugsmenge des jungen Staates erlassenen
Bestimmungen später wieder ihre Kraft verloren haben; denn die XII Tat'.,
die die Beseitigung der Missgeburten anordneten, haben wahrscheinlich
keine Beschränkung der Aussetzung enthalten, und Neugeborene, Knaben
wie Mädchen, wurden während der Republik ungestraft ausgesetzt, bis die
Jurisprudenz der mittleren Kaiserzeit endlich darin eine strafbare That er-
blickte (vgl. Brunnenmeister Tötungsverbrechen S. 148). — Über die Sitte
des liberos tollere, suseipere, reeipere vgl. M. Voigt a. a. O. S. 577 4e.
Voll von Zeugnissen für den Brauch der Kinderaussetzung ist das
germanische Altertum (vgl. J. Grimm R.-A. S. 455 ff.). Die entgegen-
stehende Nachricht des Tacitus Germ. Cap. 19: Xumentm liberorum
finire auf quemquam ex agnatis necare flagitium habetur ist nach
dem Zusammenhang, in dem sie steht {plusque ibi boni mores valent
quam alibi bonae leges), dahin aufzufassen, dass ein gesetzliches
Verbot der Kindcraussetznng bei den Germanen nicht bestand. Aber
auch für ein flagitium könnte sie höchstens bei den rheinischen, fort-
geschritteneren Germanen gehalten worden sein. Beschränkt wurde
die Tötung der Neugeborenen durch die Sitte, jedes Kind, das irgend
welche Nahrung erhalten hatte, zu schonen und (wie bei Griechen und
Römern) vorwiegend Mädchen auszusetzen (vgl. Weinhold Deutsche
Frauen I*, 91 ff.). Das Aufheben oder Aufhcbenlassen des auerkannten
Kindes durch den Vater ist auch auf germanischem Boden gut bezeugt
(vgl. J. Grimm a. a. 0.).
Es erübrigt, der alten Prelis sen zu gedenken, von denen Hartknoch
S. 17s erzählt: „Was die Kinder, die in wehrendem Ehestand ehrlich
gezeuget waren, betriff, die konten die alten Prcussen nach dem Ge-
brauch fast aller heydnischcr Völcker, den auch der vortreffliche Philo-
sophus Aristoteles selbst [Polit. IV, 16 § 10] etlicher massen approbiret,
entweder aufferziehen oder wegwerffenu u. s. w. Dass man auch hier
vorwiegend Mädchen „weggeworfen" haben wird, erhellt aus der grossen
Wertschätzung der Knaben bei den alten Preussen, die nach Hartknoch
soweit ging, dass man eine verheiratete Frau so lauge Jungtrau nannte,
bis sie einen Knaben geboren hatte.
Aus den bisherigen Ausführungen folgt, dass das Recht der Kinder-,
vor allem der Mädclicuaussetzung einmal auch auf arischem Boden
ausgeübt worden sein muss, und thatsächlich findet sich an mehreren
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Aussetzungsrecht — Auster.
53
vedischen Stellen, z. B. TaittirTya-Saridtitä 6, f>, 1U, 3 ein Satz, welcher
lantet: tasmdt striyarii pardst/anfi, nt pumansam haranti, und den
man Ubersetzt hat: „Deshalb setzt man ein Mädchen aus, einen Knaben
hebt man auf (tollunt)". Hiergegen hat neuerdings 0. Böhtlingk Z. d.
D. Morgenl. Ges. XLIV, 494 ff. Einspruch erhoben: „Eine solche Bar-
barei", sagt er, „den alten Indern zuzutrauen, hei mir schwer, und dann
dachte ich, dass die Sache an und für sich sehr unwahrscheinlich sei, da
man ohne Mädchen das höchste Glück eines Inders, die Erzeugung eines
Sohnes, nicht erreichen kannu. Er tibersetzt sodann: „Einen Sohn hebt
man bei seiner Geburt vor Freude in die Höhe, ein Mädchen legt man
bei Seite <übcrgiebt es sogleich der Wärterin)". Bedenkt man aber,
dass noch in späterer Zeit in Indien dem Vater oder den Eltern das
Recht zusteht, den Sohn wegzugeben, zu verkaufen oder zu Verstössen
(vgl. Vasishtha's Dharmacastra XV, 2: (Therefore) the father and
the mother have power to give, to aell. and to abandon their xori),
bedenkt man ferner, dass das vedische Altertum die Anschauung durch-
zieht, dass der Besitz von Mädchen „ein Jammer" sei, und dass die
Aussetzung von Greisen (s. n. Alte Leute) im Veda bezeugt ist, er-
wägt man weiter, dass die von Böhtlingk als Barbarei verabscheute
Sitte der Kinderaussetzung sich bei Griechen und Römern bis tief in
die historischen Zeiten erhalten hat, und dass es sich bei dieser Aus-
setzung selbstverständlich mit wenigen, verkrüppelte Kinder betreffen-
den Ausnahmen) nur um ein kann, nicht um ein m u s s handelt, so
dürfte es schwer werden, die ältere, sprachlich einwandfreie Über-
setzung der angeführten Stelle aufzugeben. S. u. Recht (Familienreeht).
Aussteuer, s. Mitgift.
Ausstossung aus dein Stamm, s. Strafe.
Auster. An den nördlichen und östlichen Küsten .Unlands, auf
Nord-Fünen und -Seeland haben sich aus den letzten Epochen der
älteren Steinzeit die Spuren einer Bevölkerung erhalten, deren Dasein
aufs engste mit der Verbreitung und dem Genuss der Auster verknüpft
war. Uugehenere Muschelhaufen aus den Schalen der Auster, aber
auch aus Miesmuscheln, Herzmuscheln. Strandschnecken u. s. w. be-
stehend, und am häutigsten mit dem dänischen Ausdruck Kjökken-
möddinger ,Küchenabfälle' bezeichnet, sind als Zeugen der Mahlzeiten
jener prähistorischen Mensehen noch heute vorhanden. Ähnliche Er-
scheinungen siud an französischen und portugiesischen Küsten und
ausserhalb Europas zu Tage getreten vgl. S. Müller Nordische Alter-
tumskunde I, 3 ff.). Ein Zusammenhang dieser pulaeolithischen ,Austern-
freunde', welche, ausser dem Hund, noch keine Haustiere kannten, noch
nichts vom Ackerbau verstanden, und nur wenige rohe Steingeräte
kannten, mit den Indogermanen lüsst sich bis jetzt durch nichts wahr-
scheinlich machen. Im Gegenteil scheint es, dass die Indogerniancn Euro-
pas erst spät und vom mittelländischen Meere her auf den Gcuuss des
Tieres aufmerksam wurden und besondere Xanten für dasselbe annahmen.
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Auster — Axt.
Wie die Totengaben in den mykenischcn Gräbern uns lebren (vgl.
Tsuntas 'Eq>n.u. 'Apx. 1891 S. 40), wurde die Auster in Griechenland
früh als Nahrung gebraucht, und auch in der llias (XVI, 747) ist be-
reits von einem Taucher die Rede, der Austern, Tnöea ( : Qr\OaaQai
,saugen', weil sich die Tiere am Felsen fcstsaugeu) fischt. Das ge-
bräuchlichere Wort <5crrp€ov (: öctc'ov ,Knochen', .Scbalknochentier) tritt
erst später auf, und ist mit zahlreichen griechischen Ausdrücken des
Fischfangs (s. d.) früh (seit Ennius) als ostrea, ostreum nach Italien
gewandert, wo der kostbare Leckerbissen bald in besonderen Austern-
parks (ostrearum vicarium) gepflegt wurde.
Wie aus der lateinischen, so sind auch aus den nordeuropäischen
Sprachen alte und einheimische Benennungen der Ostrea edulis nicht
bekannt. Das Tier wird sich noch unter anderen Muscheltieren (vgl.
altn. siel, agls. scyll, engl, shell, altsl. skolika , Muschel'; ir. slice
bei Zeuss Gr. Celt.s 8. 215) verborgen gehalten haben. Erst der
Handel mit den romanischen Völkern in christlicher Zeit wird die kel-
tischen und germanischen Stämme auf den bis dahin kaum beachteten
und ungehobenen Schatz ihrer eigenen Meere aufmerksam gemacht
haben, ein Verkehr, aus dem erst besondere nordische Namen des
Tieres wie agls. östre, ndl. Oester, korn. estren, arem. histr, histrenn
etc. (Zeuss Gr. C.'elt.* S. 1074), sämtlich aus ostrea etc. entlehnt,
hervorgegangen sind.
Avunculat, s. Oheim (Mutterbruder k
Axt. Die Begriffe Axt und Beil lassen sich weder sachlich noch
sprachlich scharf unterscheiden, so dass sie hier zusammen behandelt
werden. Dieselben gehören, im Norden zumeist aus Klint, doch auch
aus anderem Gestein, in den Schweizer Pfahlbauten zunächst aus Ser-
pentin, Diorit und Saussnrit, dann aus selteneren Gesteinen wie Nephrit
und Jadeit hergestellt und zum Teil mit grosser Kunst verfertigt, zu
den häutigsten Waffen und Werkzeugen der neolithiseben Periode. Über
ihre verschiedenartigen Typen kann mau sich etwa aus 0. Montelius
Anti(|iütcs Suedoises S. 4 ff'., aus L. Lindcnschmit (Sohn) Das römisch-
germanische Ontral-Muscum Tafel IL und A. Müller Vorgeschichtliche
kulturbilder aus der Höhlen- und älteren Pfahlbautenzeit Tafel VII
orientieren.
Natürlich konnten derartige Artefakte nur da hergestellt werden,
wo geeignetes Gestein sich in ausreichender Menge vorfand, und so
haben schon in neolithischer Zeit an verschiedenen Stellen Massenwerk-
stätten für Steiusacheu bestanden, deren Erzeugnisse durch den Handel
oft in weite Ferne geführt wurden. In Deutschland z. B. müssen der-
artige Werkstätten für Feuersteinbeile etc. sich auf Rügen und in
dessen Umgebung befunden haben (vgl. A. Götze ('her neolithiseben
Handel in der Festschrift für Bastian S. 347 f.). Allmählich tritt an
die Stelle des Steins das Metall, zuerst in gewissen Gegenden wie iu
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Axt.
55
den Pfahlbauten des Mondsees, das reine Kupier, dann Bronze und
Eisen, doch so, dass im Süden wie im Norden steinerne Artefakte noch
in die Bronzezeit hereinragen (vgl. Heibig Die Italiker in der Poebene
S. 18, Montelius Die Kultur Sehwedens* S. 52). Als sicher darf an-
gesehen werden, dass zahlreiche dieser metallenen Äxte und Beile auch
diesseits der Alpen in loco hergestellt worden sind, also nicht auf
Import vom Süden oder Osten beruhen, wie auch die besten Sachkenner
darin übereinstimmen, dass gerade die ältesten metallenen Artefakte
dieser Art in ihrer Form sich noch an die steinernen anschlicssen.
Die Zahl der etymologischen Gleichungen auf dem Gebiet der idg.
Axt- und Beilnamcn, durch welche die Bekanntschaft der idg. Urzeit
mit diesen Waffen und Werkzeugen erhärtet wird, ist keine geringe.
Die interessanteste unter ihnen ist die von sert. parorii- — griech. ttc'Xcku?,
vor allem deswegen, weil sie im babylon.assyr. pilakku und sumerischen
balag wiederzukehren scheint (vgl. F. llommel Archiv f. Anthrop. XV,
1**4, S. 1(54, J. Schmidt Urheimat S. 9, P. Kretschmcr Einleitung
S. H»r»ff.i. Ist dieses Verhältnis nicht ein reiner Zufall, so würde
man in dem indisch-griechischen Wort, das im Indogermanischen eine
befriedigende Erklärung noch nicht gefunden hat < bei Stokes Urkclt.
Sprachschatz wird an ir. lec , Stein aus *plec- gedacht), am wahr-
scheinlichsten ein schon idg. Lehnwort aus mesopotamischem Kulturkrcis
erblicken müssen, und da nun auch ein idg. Wort für Kupfer: sert.
lohd-, pehl. röd, altsl. rnda, lat. raudus, altn. raudi im Sumerischen
urud ,Kupfer*) wiederzukehren scheint, so läge die Vermutung nahe,
dass die Indogermanen oder Teile derselben schon in ihrer Urheimat
das Kupfer vom Euphrat her zuerst am Beile kennen lernten.
An eine direkte Nachbarschaft idg. Sprachgebiets mit Mesopotamien
brauchte man deshalb nicht zu denken, da auch sonst Axt- und Beil-
namen ungeheure Wanderungen zurückgelegt haben. So npers. teber,
das ausser in das Armenische (tapur), ins Slavisehe t russ. toporü , ins
Angelsächsische 'tapor). und weiter ins Finnische tappara), ( cre-
missische, Ungarische n. s. w. eingedrungen ist. S. weiteres u. Kupfer.
Von sonstigen vorhistorischen Gleichungen fllr Axt und Beil be-
schränken sich auf Europa: griech. öiivn., lat. ancia, got. aqizi <ahd.
acchns u. s.w.); ferner lat. securis, altsl. sekyra .Hacke', seeivo ,Axt'
»: lat. Sfcare); ahd. barta, altsl. brady, ahd. dehsala, altsl. tesla
<: sert. takxh .zimmern', auch in sert. takshani-, aw. taia-, lit. teszlyczid;
vgl. auch ir. tdl); ahd. bilud, altn. bilda, ir. Mail, kymr. bict/ell, alt-
körn, bahell {doch vgl. F. Kluge, Et. W.« S. v. Beik Auf Wurzel-
verwandtschaft könnte sert. seddh-iti- und altpr. tredigo, lit. icedegd
beruhen *svedh \. Aus einer Umdeutung aus altgall. ridubium, ridtirium
,6iK€XXa' (= altfrz. vouge) würde nach Kluge in Pauls Grundriss I-, .H4(i
agls. icidubill ,Axt' zu erklären sein.
Als Waffen sind Axt und Beil bei den europäischen Indogermanen
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5G
Axt — Bad.
in historischer Zeit, wenigstens im Süden, gäuzlieh in den Hintergrund
getreten. In der Ilias wird nur erwähnt, dass der Troer Peisandros
eine Streitaxt unterhalb des Schildes trug (XIII, 611), und dass bei dem
Kampf um die Schilfe (XV, 711 ) auch dHivai und 7reX€K€iq geschwungen
wurden. Im Norden dagegen war die Streitaxt bei den germanischen
Stämmen, bei Dänen und Norwegern (vgl. Vlgfusson Dict. s. v. <kv) und
namentlich bei den Franken, wo sie nach diesem Volke francisca hiess,
eine beliebte Waffe. Vgl. die verschiedenen Axtformen ans frünkisch-
alamannischen Gräbern bei Lindenschmit Altertümer l, H. 2, T. 7 und
über den Gebrauch der Streitaxt im Walthari-Lied R. Kögel Gesch. d.
d. Lit. I, 2 S. 314. Ob auch im Hildebrandlicd die Streitäxte klingen
istaimbort vhludun), als die Helden aufeinander stürzen, ist fraglieh.
Mit stein hat dieses staintbort kaum etwas zu thun, so dass man in
dieser Stelle nicht aus der Urzeit erhaltene Steinäxte erblicken darf,
die Helden wie Hildebrand und seinem Sohne schlecht anstehen würden.
S. i>. Waffen und u. Werkzeuge.
B.
Bach, s. Flu ss.
Bachstelze, s. Singvögel.
Backen, Backwerk, s. Brot.
Backofen, s. Ofen.
Backstein, s. Ziegel.
Bäcker, s. Gewerbe.
Bad. Der Begriff des Waschens und Badens wird in dem euro-
päisch armenischen Teile des idg Sprachgebiets durch die Wurzel lor.
In ausgedrückt: griech. Xoüuj, lat. lato, luo, armen, log-ana-m .bade
mich". Aus dem Keltischen gehören hierher altgall. lautro .balneo".
ir. hithur , Badewanne , aus dem Germanisehen altn. laitdr, agls. Wador
jScife' und vielleicht altn. laug , warmes Bad\ agls. leah, ahd. longa
, Lauge'. Neben dem verbalen \ovw-larare scheint ein substantivisches
*laro- in ir. In .Wasser' zu liegen, ähnlich wie das gemeingerm. ahd.
teascan .waschen' aus *tcaf-sla- : got. imtö , Wasser' entstanden sein
dürfte. Germano-slavischc Beziehungen zeigt die Gruppe von gemein-
germ. ahd. bad, badön und altsl. banja .Bad', banjati , baden, waschen',
gennano-preussische die von gemeingerm. got. Jncahan ,vittt€iv', ptrahl
,XouTpöv' und altpr. tica.rtan .Badequast'. Zu den Ariern hinüber reicht
die Reihe griech. vi£uj, vinnu, ir. nigim, sei t, nij, «loch wird das .sich
waschen' im Indischen durch die Winzeln snt't und plu init ä) ausge
drückt, die in Kuropa .schwimmen' (lat. ndre) und .spülen' ' griech.
ttXüvwj bedeuten.
Wenn so das Reinlichkeitsbedürfnis der Urzeit durch die Sprache
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Bad.
57
hinlänglich sicher gestellt ist, so wird zur Befriedigung desselben das
Baden in den Flüssen der Urheimat noch ausgereicht haben. So fanden
es die klassischen Berichterstatter bei den europäischen Xord Völkern,
besonders bei den Germanen, und an den verweichlichenden Badeluxus
des Südens gewöhnt, verfehlen sie nicht, deu beobachteten Brauch als
Zeichen der körperlichen Abhürtung des unverdorbenen Naturvolks
hinzustellen. Vgl. Caesar De bell. gall. IV, 1: Atque in eam se con-
metudinem adduxerunt, ut loch frigid issimis lavarentur in
fiuminibus, VI. 21: In /luminibus perhtuntur, Herodian VII, 2, 6:
€io"\ bi Kai npo? tö vrixecreai Y€Yuuvao*|U€vot ctTe uövuj XouTpüj toi<;
TTotauoi? xpwfacvoi. Nach Dio Cass. LXXI, 20 weigern sich die
Marcomannen und Quadcn auch deshalb in Städten zu wohnen, weil
sie dann auf das ihnen gewohnte Baden verzichten müssten. Ja, es
wird mehrfach berichtet, dass im hohen Norden die kleinen Kinder
vom Mutterleibe weg in das eiskalte Wasser der Ströme eingetaucht
worden seien (s. die Stellen und über ihre Deutung u. Name, Namen-
gebungi.
Wenn Tacitus Germ. Cap. 22 dem gegenüber meldet : Statim e somno,
quem plerumque in diem extrahunt. hwantur, saepiu* calida, ut
apud qtios plurimum hiems occupat, so kann hier nur ein gelegent-
liches Waschen mit warmem Wasser, nicht ein regelmässiges Baden
in Badestuben gemeint sein, die erst später aufkommen (s. u.'i. Auch
bei Aquae Sextiac erfreuen sich die Kimbern (nach Plnt. Marius Cap. 19)
vor der Schlacht - in den heissen Quellen dieser Gegend, und die warmen
Brunnen von Wiesbaden (Aquae Muttiacae <, Baden-Baden (aquae cali-
dae\ u. s. w. sind gewiss schon in vorrömischer Zeit bekannt und be-
nutzt gewesen.
Wie bei den Nordvölkern, ist auch in homerischer Zeit das
kalte Baden im FIuss oder im Meere, tö ijJuxpoAouTeiv, an dem die
Spartaner immer fest hielten, die oft belegbare Regel. Das warme
Bad in der Badewanne (doäMivöo?, vgl. über das Wort Lewy Die
semit. Fremdw. S. löf)1; es ist vielleicht nicht einheimisch) gilt noch
mehr als ausserordentliches Stärkungsmittel nach Anstrengungen aller
Art, Jagd, Reisen u. s. w. Doch ist, zweifellos unter orientalischem
Einfluss, ein Badezimmer schon in den Fürstenpalüstcn der mykenischen
Epoche vorhanden vgl. J. v. Müller Privataltertümer* S. 16. 48. 133).
In nachhomeriseher Zeit tritt dann der Begriff der öffentlichen Bade-
stube ißaXaveiov. seit Aristoph.; wenn einheimisch, kaum: sert. jalä-,
.Wasser', eher: «lern früh bezeugten ßdAavoq .Zapfen, Rieger, also .was
mit einem ß. verschliessbar) hervor, der zusammen mit seiuem grie-
chischen Namen zu den Römern ibalneae, baineu ni, balineum) übergeht,
die in früherer Zeit seltner und nur zur Reinigung, nicht zum Vergnügen
in der neben der Küche gelegenen lavatrina gebadet hatten. Vgl. Seneea
Epist. 86: Xam, ut aiunt, qui priscos mores Crbh t radiderunt ,bracchia
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58
Bad — Baldrian.
et vrura cotidie abluebant, quae acilicet sorde* opere cotdegerant ; ceterum
tnti mindinift lavabantur. Wie dann überall, wo Römer ihr Heini aufschlu-
gen, die Anlage von Thermen und Hadern zur unabweisbaren Notwendig-
keit wird i vgl. die Stelleu bei A. Riese Da« rheinische Germanien in der
antiken Literatur, passim , ist bekannt. Es hat somit nichts auffallendes,
dass die Einrichtung von Badestuben vom Rhein und der Donau her lang-
sam nach Osten und Norden vordrang, wo zunächst ein einfacher geschlos-
sener Raum, der durch einen Ofen mit Steinmantel geheizt wurde, die
Stelle der kunstvollen römischen Anlagen vertrat. Dieser Kulturprocess
knüpft an die Wortreihe von ahd. stttba, agls. altn. stofa, lit. stubd,
altsl. iatüba an, die im Romanischen wurzelt (s. näheres u. 0 f e if,,
und zunächst ,Bndestube', dann , heizbares Zimmer überhaupt' bezeichnet.
Auf den gleichen Kultureinfluss wird auch die Entlehnung von ahd.
labon , waschen', dann , erquicken, erfrischen', agls. gelafian aus lat.
laciire. waschen' zurückgehen. Denselben Bedeutungsübergang wie xtuba
zeigt lit. pirti.s , Badestube' von perüi ,Jem. baden", eigentlich .mit dem
Badequast schlagen' altsl. pera ,schlage, wasche' , das, wie übrigens
auch die vorige Reihe, ins Finnische und diesem verwandte Sprachen
eingedrungen ist, wo es ausser für Badestube auch für Rtutehstube,
Stube des Gesindes, Stube mit Ofen u. s. w. gebraucht wird (vgl. W.
Thonisen Beröringer S. 208i. Im Mordvinischen und Wogulischen gilt
das russische Wort für Badestube, biiita (vgl. Ahlqvist Kulturw. S. 121).
Eine reiche Littcratur über die nordeuropäische Badestnbe findet sich
bei R. Mcriuger Mitteil. d. Wiener anthrop. Gesellschaft XXIII. Hiß ff.
Der slavische Osten, wo der Gebrauch der Badestuben noch heute
als lebendige Volkssittc herrscht, wird zugleich als die eigentliche
Heimat einer Abart des Warmbads, des Schwitz- oder Dampfbads
(russ. ptira .Dampf , pariti , baden ) angesehen. Es ist nicht unmöglich,
dass der Ursprung derselben diesmal nicht nach Westen, sondern
weit nach Osten weist. Von den Skvthen erzählt Herodot IV, 75,
nachdem er vorher des in Skvthien und Thrakien wachsenden Hanfes
(s.d./ gedacht hat, folgendes: laom.? wv ot Zicü8at Trjq Kavväßio? tö
o*7Tt'pua tneav XußuKXi, ÜTTobüvoucn Otto jovq 7uXoug, kui erreiTev emßäXXoudi
tö orrtpua im tov<; biaquivta«; XiGou? tu) rcopi • tö U BuMiäTai tmßaXXö-
)atvov Kai ÜTuiöa rrapexeTai TOO*aörnv, u>aT€ 'EXXnviKn. oubeuia (5v uiv
TTupin äTTOKpaTn.ö€i€. oi be IxuScn aruMtvoi tv) Trupin. wpuovTai • toötö ffqn
ävTi XouTpoö eöTiv*ou füp bf) Xoövtcu übaTi tö TTapärrav tö o*wua.
Ein weiterer altslavischcr Ausdruck für , baden , .Bad' lautet altsl.
kopati, Lo/udi. Er ist noch unerklärt. — Über das Bad im Ritual
s.u. Reinheit und Unreinheit, über Reinigungsmittel s. u. Seife.
Baldrian i Yalerhineae). Die hierher gehörigen Pflanzen galten
schon im Altertum als sehr heilkräftig und wurden als Nardcn (grieeh.
vdpbo<;, lat. nardus , also mit dem indischen Namen der Xardus india
oder Spica Xardi. des Rhi/oms von Xurdostnchy* Jatttmausi (s. u.
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Baldrian — Balsam.
59
Xardc), bezeichnet, das durch den Handel eingeführt, die Aufmerk-
samkeit auf minder wertvolle Arten Vorderasieus und Europas lenken
mochte. 80 keunt Dioskorides De mat. med. I Cap. 7 f. eine öpeivf)
vdpboq in Cilicien und Syrien, eine dfpia vdpbog, die am Pontus vor-
kam und wohl mit ihrem pontisehen Namen <poü hiess, und eine KcX-
TiKfj vdpbo«; in Istrien und in den ligurisehen Alpen, in der Landes-
sprache (TaXiouTKa genannt (woraus die deutschen salunk, seling u. dergl.).
Im Mittelalter kommt dann für die durch den grössten Teil des Nordens
der alten Welt verbreitete Valeriana officinalu L. der den klassi-
schen Sprachen noch fremde Ausdruck Valeriana auf, kaum eine
echte romanische Bildung (etwa von valere), sondern eher aus einer
nordischen Namensform wie schwed. Vandelrot , norw. Vendelrod,
dän. Velaudsurt verstümmelt und umgedeutet, die man als ,Wielands-
wurz' deuten möchte, da Schmiede wie Wieland von jeher auch als
Arzte und Zauberer angesehen werden. Ähnlich hat man versucht,
mhd. baldridn, lit. baldrijöns aus dem Namen des gütigen Gottes
Balder herzuleiten, der anderen Pflanzennameu (z. B. altn. baldrs-brd
.Balders Braue' — Kamille) sicher zu Grunde liegt. Andere deuten wieder
das deutsche Baldrian aus Valeriana. Eine sichere Erklärung aller
dieser Namen ist noch nicht gefunden. Die heilige Hildegard (um 1160)
nennt die Pflanze denemarcha (nach Dänemark), ein Ausdruck, der
auch sonst noch vorkommt. Im Slavischen bezeichnet *odoleml ausser
anderen Pflanzen auch den Baldrian, z. B. im eech. odolen. Vgl.
Flückiger Pharmakognosie 2 S. 4'A'd f. Andere Heilpflanzen s. u. Arzt.
Ballspiel, s. Spiele.
Balsam (das Harz des Balmmodendron Gileadenxe). Der Baum
wird von den Alten seit Theophrast (IX, (5) als in Syrien und Palä-
stina, aber nur in angebautem Zustand (ärpiov be oüb*v eivai ßdXaapov
oübaiioö;, heimisch bezeichnet, dem erst Spätere, wie Strabo, das Land
der Sabäer, oder wie Dioskorides, Aegypten hinzufügen, das später als
das erste Balsamland galt; doch nennt der Periplus maris erythräi,
der doch den Export aus beiden Ländern ausführlich schildert, den
Balsam überhaupt nicht. — Was seine Namen anbetrifft, so nimmt man
an, dass hebr. bds'dm = arab. baxdm (im Hohenlied V, 1) den Balsam-
strauch sicher bezeichne. Daneben lindet sich box'em ,Balsamstaudc,
Wohlgeruch, wohlriechende StoftV. Da nun Plinius Hist. nat. XU,
117 erzählt: Ale.randro Magno rex ibi in Judaea — aber
wann? — ) gereute toto die aestivo unam concham 'balxant'n impleri
iuxtum erat, und, wie gesagt, die Bekanntschaft mit dem Balsam im Abend-
land erst seit Theophrast auftaucht, wird man annehmen dürfen, dass erst
in Folge der Kriegszüge Alexanders der Balsam sowie nähere Kunde von
ihm nach Europa kam. Dass griech. ßdXtfcmov auch ßdXo"äuov) aus hebr.
bds'äm entlehnt ist, wird man für wahrscheinlich ansehen müssen, ob-
gleich der Einschub des X vor 0* lautgeschichtlich noch unerklärt ist.
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60
Balsam — Bar.
— Die Römer sahen den jüdischen Balsamstrauch durch die Triumph-
züge des Pompejus und dann des Vcspasian in natura (vgl. Plinius
a. a. 0.)- Das Wort balsamum aus ßdXaauov begegnet zuerst bei
Vergil. Hauptsächlich durch die Kirche ist dann das griech.-lat. Wort,
das bald sehr verschiedenartige aromatische Mischungen zu bezeichnen
anfing, in die nördlichen Sprachen (altsl. balüsamü, ahd. bahamo u. s. w.)
übergegangen. Die Goten haben balsan, das in seinem Ausgang dem
aus griech. ßdXtfauov rückentlehntcn arab. balasan, armen, balasan
naher als dem gricch.-lat. Worte zu stehen scheint. Neben balasan,
palasan hat das Armenische noch einen zweiten Ausdruck für Haisam
aprxam, aprasam, der zu syrisch äpurxmd, pursmä stimmt (vgl.
Hübschmann Armen. Gr. I, 107). Ob eine Vermittlung dieser Wörter
mit griech. ßdXcfauov möglieh sei, dürfte schwer zu entscheiden sein.
8. u. Aroma ta.
Bank, s. Hausrat.
Banner, s. Fahne.
Bär. Der idg. Name dieses Raubtieres liegt in der Reihe: griech.
öpKTO?, lat. ursiix, sert. fkxfta-, aw. aresa-, Pamird. yurx, armen, arj.
Ob alb. ari und ir. art, kymr. arth hierher gehören, ist zweifelhaft. Die
germano-litu-slavischen Sprachen haben das Wort eingebtisst, was in
diesem Falle mit der religiös-dämonischen Bedeutung, welche man dem
Tier an vielen Orten beimass (vgl. Keller Tiere d. kl. Altert. S. 1011),
zusammenhängen könnte, die den eigentlichen Namen des Bären zu
nennen verbot. Für denselben ist im Gennanischen ahd. bero, agls.
bera, altn. björn eingetreten, der ,braune' (vgl. lit. beras ,braun'), wie
denn in der altdeutschen Tiersage „Braun" geradezu der Name des
Bären ist. Die Slaven haben altsl. meeikü. meeika, vielleicht der , blö-
kende' (sert. mdkaka-), daneben altsl. medrrdü, eigentlich , Honigesser'
und russ. mixka (lit. meszkä), eigentl. ,Michelchcn'. Ganz allein steht lit.-
preuss. loktfx- clokix. Griechische Sagen erzählen von der Aufsäugung
ausgesetzter Kinder, z. B. der Atalante oder des Alexandras, Sohnes des
Priamos, durch Bärinnen, wie gleiches von Wölfinnen und Hündinneu be-
richtet wird (vgl. Keller a. a. 0. S. 108 und s. u. Hund und u. Wolf).
Der Bär war ursprünglich in allen waldigen und gebirgigen Teilen
Europas und Vorderasiens (Keller a. a. O.) verbreitet. Aber auch im
europäischen Steppengebiet war er früher, wo der Baumwuchs daselbst
reicher war, mehr nach Süden zu Hause als jetzt. Noch gegenwärtig
kommt er z. B. im „Honiglandu der Baschkiren und im Gouvernement
Sitnbirsk vor (vgl. A. Nehring Tundren und Steppen S. 101 und Z.
der Gesellsch. für Erdkunde zu Berlin XXVI, 314). Man kann also
nicht mit J. Schmidt Urheimat S. 22 den Umstand, dass die Indoger-
manen den Bären kannten, gegen die Annahme geltend machen (s. u.
Urheimat), dieselben hätten ihre ursprünglichen Wohnsitze im süd-
lichen Russland gehabt. So auch P. Kretschnier Einleitung S. 58.
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Barsch — Baumwolle.
61
Harsch (Perca fiuviatilis L.). Die Noinenclatur dieses in fast
allen Flüssen, Seen und Teicben Europas einheimischen und aueh
schon in den Schweizer Pfahlbauten (vgl. Rütimeyer Fauna S. 114)
nachgewiesenen Fisches geht fast gänzlich auseinander : griech. Trepicn
(seit Aristoteles; wohl zu 7repKvö? ,bunt', s. u. Forelle), woraus lat.
perca entlehnt. Ohne Zusammenhang hiermit gemeingerm. ahd. bemieh,
agls. bwrs, schwed. abbore (,der borstige' : nhd. bürste, barste) und
die nicht weiter deutbare Gruppe von altpr. ansegln, lit. ez'egys (neben
eszerys), poln. jazdz {*jazg-). Vgl. noch russ. okunl etc. : altsl. oko
,Auge' (von den grossen Augen des Tieres, wie unser Kaulbarsch :
mhd. TctUe ,Kugel i und ht. pükys , Kaulbarsch'. S. u. Fisch , Fischfang.
Bart, s. Haartracht.
Bast, s. Strick.
Bastard, s. Ehelich und unehelich.
Baukunst, s. Steinbau.
Bäume, s. Wald, Waldbäume.
Baumkultus, s. Tempel.
Baumwolle {Gossypium herbaceum). Die erste Nachricht Uber
Wolle tragende Bäume giebt Herodot III, 106 aus Indien: „Die wild-
wachsenden Bäume", sagt er, „tragen als Frucht eine Wolle, welche
die der Schafe an Schönheit und Güte übertrifft. Die Wolle dieser
Bäume verwenden die Inder auch zu Kleidungsstücken". Nach dem-
selben Schriftsteller (VII, 65) war das indische Hiltskorps des Xerxes
in Baumwolle (etuerra dirö EüXwv) gekleidet. Ausserhalb Indiens lässt
sich die Kultur der Baumwolle in der Geschichte des höheren Alter-
tums dagegen nirgends, weder in Aegypten, noch in Palästina, noch in
Syrien nachweisen (vgl. die Belege hierfür bei Vf. Handelsgeschichte
und Warenkunde I, 191 ff.).
Auch über die indische Baumwolle wurde erst durch die Erobe-
rungszüge Alexanders des Grossen und von dessen Begleitern, Ncar-
chos (daQnji o£ Ivboi Xivc'rj xptovrou, KCtTOtnep X€Y€i Nc'apxo^, Xivou toö
ötto tüjv b^vbp€wv, UTTCp OTUJV pOl f^br] X^Xcktcu. TO be Xivov T0ÜT0 f|
XapTrpÖT€pov Tfjv XP°lHv doriv äXXou Xivou uavTO? f| pdXave^ airroi eövTeq
XapTTpöiepov tö Xivov q>cuv€0"8ai ttoi€ouo*i, Arrian. Ilist. ind. Cap. 16),
Aristobulos (vgl. Strabo XV p. 694) und Onesikritos (vgl. Senilis ad
Verg. Aen. I, 649) nähere und direkte Kunde verbreitet. Auf Grund
derselben handelt dann Theophrast (Hist. plant. IV, 4, 8) näher von
der Staude, von welcher die Inder ihre Kleider machen, und die sie
wie die Weinstöckc iu Reihen auf den Feldern pflanzen (il ujv b£ tä
ipcrna noiouffi to pev <püXXov öpoiov €x€i Tfj auKaptvuj, tö b€ öXov <puTÖv
TOI? KUVOpÖbOt«; öpOlOV. (pUT€UOUO*l bi dv toi? nebioiq aÖTÖ k(xt' öpxou?,
bi' ö Kai TTÖppiwSev äcpopwai öpireXot <paivovTcu). Ausser Indien nennt
Theophrast (IV, 7, 7 u. 8) aber noch zwei Stellen, an denen Bauin wollö
vorkomme, nämlich die am Eingang des Persischen Golfs gelegene
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€2
Baumwolle.
Insel Tylos und Arabien (ohne nähere geographische Bestimmung:).
Hieran schlieft sieh dann zunächst die Erwähnung- Oberägyptens durch
Plinius Hist. nat. XIX, 14: Superior para Aegypti in Arabiam rer-
gens gignit fruticem quem aliqui goMxypion rocant, plures xi/lon et
ideo lina inde facta .rylina. Vergegenwärtigt mau sich nun, das« die
Linie Indien-Tylos-Arabien-Aegyptcn eine der ältesten und befahrensten
Handelsstrassen der alten Welt bildet, so liegt die Annahme nahe, die
Bauinwollenkultur habe sich auf diesem Wege von Ost nach West ver-
breitet. Diese Annahme wUrde au Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn
mau mit A. v. Kremer (Semitische Kulturcntlehnungen Ausland 1875
S. 06) den altindischen Namen der Baumwolle, sert. kdrpäsa- mit
Sicherheit in dem altarabischen kursufa, kursuf, und in dem aegypt.-
lat. gosst/pium wiederfinden dürfte, für welches letztere Parthey (Vocab.
Copt. 567) auch ein Kopcrimov anführt. Andere, wie S. Fraenkcl (Aram.
Fremdw. im Arab. S. 145) sehen freilich das arabische Wort ans
gossypium für entlehnt an.
Was Tylos, das jetzige Bahrein, betrifft, so wird man, worauf den Vf.
Prof. Völlers aufmerksam macht, es nur als Transithafen des Baumwollen-
handels zu betrachten haben. Es wird bei den alten Arabern auch
für indisches Holz, Panzer u. s. w. als Einfuhrstclle genannt. In jedem
Falle liegt es nahe, den Namen dieser Insel mit dem sert. tula- »Baum-
wolle' zu vergleichen.
Sicherer als auf dem Seeweg ist das indische kdrpd*a- auf dem
Landweg westwärts gewandert. Es kehrt wieder in npers. kirpäs,
armen, kerpas, arab. kirbäs, hebr. karpa* (Esther 1, 6). aram. karpas
u. s. \v., griech. KdpTrao*o^ i spät), lat. carbasus (zuerst Ennius 560 Vahl.).
Es scheint aber, dass die auf Handelswegen von Indien her verbreiteten
Stoffe, welche jene Namen trugen, zunächst nicht als etwas neues er-
kannt wurden; denn die angeführten Wörter bezeichnen meistens teils
feinere, teils gröbere Linneufabrikate im Lateinischen besonders Segel,
zuweilen Kleider). Kaum zu verstehen ist die Nachricht des Plinius
Hist. nat. XIX, 10: Et ab hin /lispania citerior habet splendorem Uni
praeeipua torrentU in quo politur natura, qui adlnit Tarraconem.
et tenuitas mira ibi primum carba*!* repertis. Erst spät werden
griech.-lat. Käpixaao^-carbams unzweifelhaft auch von baumwollenen
Fabrikaten gebraucht. Dasselbe ist der Fall mit einer Keihe anderer
Wörter wie aivbuüv, ßücraoq, dGövn,, öGdviov (für Baumwolle namentlich
im Periplus maris erythraei gebraucht: vgl. § 41: TroXuqpöpo? . . . .
Kapndcrou Kai tujv iE aÜTfjq 'Ivbixwv 69oviujv), welche ursprünglich
durchweg (ausländische) linnenc Stoffe bezeichnet hatten (s. u. Flachs).
Im Ganzen zeigt sich so, dass die Baumwolle im Altertum wenig be-
achtet wurde, und wohl häufiger Stoffe aus ihr benutzt, denn als solche
erkannt wurden. Erst durch die Araber hat die Kultur der Baum-
wolle eine weitere Verbreitung gefunden. Unter Harun al Raschid wurde
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Baumwolle — Beer«nol>st.
63
dieselbe in Babylonien einheimisch. Im XII. Jahrhundert finden wir
sie durch Araber betrieben in Sieilien, an den Küsten von Andalusien,
in Aegypten, in Palästina bei Gaza und an der Tigrismündung bei
Bassora. Dieser Thätigkeit der Araber und den aus ihr hervorgehen-
den Handelsbeziehungen entspricht die Verbreitung des arab. qufn
.Baumwolle', dessen Ursprung noch nicht aufgeklart ist, das aber ganz
sieher nichts mit hehr, betonet (s. u. Flachs) zu thuu hat. Das arabische
Wort liegt in span. al-godon, ital. cotone, frz. coton, unsernv kattun,
mlat. cotonum, coto, russ. kntnja. rum. kutnie u. s. w. vor.
Herrscht dieses Wort mehr im Westen Europas, so regiert im
Osten ein byzantinisch-orientalischer Ausdruck für Baumwolle. In ihm
scheinen zwei verschiedene Bestandteile zusammen geschmolzen zu sein,
einmal eiu orientalisches, noch nicht sicher erklärtes Wort: pehl.jw/ro-
bak '.Baum, der Wolle trägt zur Bekleidung ), npers. panha. osset.
bambag, armen, bambak .Baumwolle*, und zweitens ein gricch. ßonßüiuov,
eigentlich das Gespinnst des ßöußuE, der wilden Seidenraupe s. u. Seide)
bezeichnend (lat. bombyeinae testen). Die so vereinigten Wortreihen
bambag-bombi/cium gingen ins Slavische (russ. bunuiga etc.). Neu-
griechische ' ßoußciKiov etc.), Türkische, Albauesische. Magyarische, ins
Mittellateinisehe ibomba.v. bombi.t u. s. w.) und auch ins Romanische
(ital. bambagio) über. — Vgl. Kitter Die geographische Verbreitung der
Baumwolle und ihr Verhältnis zur Industrie der Völker alter uud neuer
Zeit Abb. d. Ak. d. W. Berlin 1851s H. Brandes Über die antiken
Xameu und die geographische Verbreitung der Baumwolle im Altertum
(V. Jahresbericht des Vereins von Freunden der Erdkunde in Leipzig.
1866), V f. Handels ge schichte u n d Wa renk u n d c I, ff.
S. u. G e w e b e s t o f f e.
Baumzncht, s. Obstbau und Baumzucht.
Bauopfer, s. Opfer.
Bdellium (das Harz des Balmmodendron Mukul Hook in Indien).
Dieses Aroma kommt, auch uach dem Periplus maris erythraei § 41),
aus Indien. Ausser in Indien kennt Plinius (XII, 35) den BnujM noch
in Baktrien, Arabien, Medien und Babylonien. Die griech. Bcnennuug des
Harzes ßbeXXiov (erst bei Diosk. i, daneben ßbe'XXa (Peripl.), ßboXxöv, uübeX-
kov (maldacon, Plin.), aus der lat. bdellium , bedelUum, bidellium entlehnt
wurde, stammt zunächst aus dem hebr. bedolah, das man wieder auf
ein jüdisches maddlaka- -vgl. oben ndtbeXKOv) zurückführt. Näheres
vgl. bei Muss-Arnolt Trausactions of tbe Am. Phil. Assoc. XXIII, 11")
und Lewy D. sein. Fremdw. 8. 45. 8. u. Aromata.
Beamte, s. Stände.
Becher, Becken, s. Gcfässe.
Beerenobst. Dass in der Urzeit die wilden Beeren des Waldes
gegessen wurden, wie in dem goldenen Zeitalter des Ovid:
arbuteos fetus montanaque fraga legebant
contaque et in dttri* haerentitt mora rubetix.
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Beerenobst — Beet.
und wie noch heute, ist selbstverständlich. Das gemeiugermanische
Wort für Beere: got. -basi, ahd. beri pflegt zu der indischen Wurzel
bhas ,kauen' gestellt zu werden, so dass es soviel wie jEssbares' be-
deuten würde. Urverwandte Gleichungen für den Begriff , Beere' liegen
in seit, drdkshd .Weintraube' — ir. derc , Beere', in lat. frägum (s.u.)
= gricch. pd£ (*srag-) oder = agls. streatc-berie ,straw-berry' i*sraghtro-,
**trau~a-) und lat. Ava (*ögva) — lit. uga, altsl. jagoda vor. Von be-
stimmten Beeren bestehen nur für die Brombeere (Rubus sp.) vor-
geschichtliche Ausdrücke in griech. pöpov, uüjpov, lat. mörum, ir. nierenn,
armen, mor, mori, moreni und in dak. uavTeia, alb. man, mand. Mehrere
dieser Wörter sind später auf die ähnlichen Früchte des im Süden Europas
e i n g e f ü h r t e n M a u 1 b c c r b a u m s (s. d.) übertragen worden. Es liegt
nahe, an die zuletzt genannte Gruppe auch das griechische, schon bei
Homer (aber wohl in der Bedeutung , Dornstrauch") bezeugte ßdroq an-
zuknüpfen, worunter Theophrast (Hist. plant. III, 18, 4) die Brombeere ver-
steht. Das Thrakische, zu dem das Dakische gehört, wird nämlich durch
einen Wechsel von m mit b namentlich in der Umgebung von n cha-
rakterisiert (vgl. Kretschmer Einleitung S. 230). Im Lateinischen sagt
man für Brombeere sentix und rubus, im Mittelalter cepris, wovon
ahd. brämberi : brämo ,Dorn' eine Übersetzung sein könnte. Vgl. auch
poln. ostrega u. s. w. : altsl. ostrü ,Stachel' und gemeinkeit. ir. driss
,Brombeer- und Dornstranch'. Lit. gehcüge, altsl. kqpina , rubus'.
Ganz unbekannt scheint im griechischen Altertum die Erdbeere
(Fragaria vesca L.) gewesen zu sein, für die erst im XI. Jahrb. ciu
griechischer Name ((ppdouXe ans frägum) besteht. Hingegen bezeich-
neten sie die Römer wohl als Beere schlechtweg i frägum, s. o.), ganz
wie in gleichem Sinne in zahlreichen slavischen Sprachen jagoda (vgl.
Nemnich Allg. Polyglottenlex. d. Natg. S. 1 650 1 verwendet wird. Über
ahd. erdperi s. u. Erdbeerbaum.
Schon bei der Himbeere (Rubus idaeush.) ist es zweifelhaft, ob sie
überhaupt einen eigenen klassischen Namen hatte (vielleicht ßcero«; ibata)
oder mit der Brombeere vermengt wurde. Dagegen begegnen im Norden
für sie ziemlich alte Namen, die mehrfach von Tieren herrühren. So
ahd. hint-beri, agls. hindberie fauch .Erdbeere ) von ahd. hinta, Hirsch-
kuh' und lit. aicite, aieecz'ios von awis .Schaf; vgl. auch klruss. jezyna
ii. 8. w. (aber .Brombeere') von altsl. jezl ,lgel\ Vgl. noch für Himbeere
die slavischen Ausdrücke malina (z. B. poln.j und sunka (z. B. weiss-
russ.), letzteres vielleicht: altpr. sunis ,Hund'.
Erst am Ausgang des Mittelalters oder noch später treten in Europa die
Johannis- und Stachel beere hervor. Vgl. v. Fischer- Bcnzon Bo-
tanisches Centralblatt LX1 V, 321,360, 401 ff. - In der Flora der Schweizer
Pfahlbauten sind Himbeeren und Brombeeren, in Kobenhausen auch
Erdbeeren nachgewiesen worden (vgl. Heer Die Pflanzen der Pfahl-
bauten S. 28 f.).
Beet, s. Ackerbau.
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Beete — Beischläferin.
«5
Beete Beta vulgaris L.). Die Pflanze ist an den Küsten der gauzen
Mittelmeerregion einheimisch (vgl. De Candolle Kulturpflanzen S. 73),
aber, wie es scheint, erst verhältnismässig spät in Kultur genommen
worden. Ihre Geschichte in Europa lässt sich noch ziemlich deutlich
übersehen. Die im Süden geltenden, nicht weiter deutbaren Namen
sind griech. tۚtXov, o*ۆt\ov (Aristoph., Thcophr.) und lat. beta (Colu-
niella, Flinius). Beide sind, unzweifelhaft mit der Kultur der Pflanze,
in den Norden Europas, ersteres in die sla vischen, letzteres in die
germanischen Sprachen Übergegangen. Griech. aeöxXov (ngriech. td
<T€0"KouXa, o*60*icXa und aeuxouXa, all), sefktti führte zu dem gemein-
slavischen altsl. sreklü, lit. swiklas, lat. beta (auch im Capit. de villis
7U, 48 genannt) zu ahd. bieza, mhd. bieze, agls. bete, engl, beet (vgl.
aber auch russ. botva und serb. bitta, blitva). Die deutsche Bezeichnung
mangold, mhd. mangolt ist noch nicht aufgeklärt. S. u. Ackerbau.
Befestigung, s. Mauer.
Begräbnis, s. Bestattung.
Beheizung, s. Ofen.
Beifuss (Artemisia vulgaris L.) Die in den meisten Teilen Eu-
ropas einheimische Pflanze, griech.-lat. äpT€uio~ia, artemisia, wurde im
Altertum als Mittel gegen Ermüdung für Fusswanderer geschätzt. Vgl.
Plin. Hist. nat. XXVI, 150: ArtemUtiam et eleliftphacum alligatas
qui habeat viator negatur lassitudinem sentire. Nicht weniger ist sie
als Schutz gegen Zauberinittel geachtet. Vgl. Apulejus Barbarns ed.
Ackermann S. 165: Fugat et daemonia in domo posita et prohihet
mala medicamenta et avertit oculos malorum hominum. Die Wert-
schätzung des Beifusses nach den beiden genannten Seiten kehrt,
offenbar aus dem Süden übernommen, genau bei den Germanen wieder.
Vgl. J. Grimm D. M. II3, UM und Hoops Altengl. Pflanzcnu. S. 47.
Auch bezieht sich der ahd. Name bi-fuoz wahrscheinlich auf den er-
wähnten Glauben, dass Beifuss an das Bein gebunden oder in den Schuh
gethan, vor Ermattung schütze. Agls. mucgicyrt, engl, mugwort, poln.
etc. bylica ( : byti ,wachsen\ Pflanze Kai' &oxnv), lit. kireziai. Andere
Heilpflanzen s. u. Arzt.
Beigabe der Toten, s. Bestattung.
Beil, s. Axt.
Beinkleid, s. Hose.
Beinschiene, s. Panzer.
Beischläferin. Die idg. Urzeit lebte in Polygamie (s. d.).
Neben einer Hauptfrau konnte der Mann noch mehrere Nebenfrauen
besitzen, die von ihm wie die erstere durch Kauf erworben (s. u. Braut-
kauf) und ihm feierlich „zugeführt" worden sein werden f's. u. Heirat).
Ausserdem finden wir nach den u. Polygamie zusammengestellten Nach-
richten in den Häusern mehrerer altidg. Volker neben der Ehefrau
oder neben den Ehefrauen noch zahlreiche Kebsweiber vor. Doch
Schräder, Kcallcxikon. iS
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Beischläferin.
dürfte es zweifelhaft sein, ob dieser letztere Zustand bereits als indo-
germanisch angesetzt werden darf. Eine vorhistorische Bezeichnung
für den Begriff der Beischläferin lässt sich bis auf eine unten zu
nennende Übereinstimmung der keltisch-germanischen Sprachen nicht
nachweisen, und aus inneren Gründen ist es wahrscheinlich, dass erst,
nachdem auf den einzelnen Völkergebieten sich ein Gegensatz von
herrschenden und beherrschten Volksbestandteilen herausgebildet hatte
(s. u. Stände), Frauen und Mädchen aus den letzteren dem Herren
als Beischläferinnen zu dienen anfingen.
Es stimmt hiermit überein, dass in den Einzelsprachen die Konku-
bine nicht selten mit Wörtern bezeichnet wird, welche zugleich die
,Sklavin' bedeuten. Dies gilt, wie von dem altindischen däsf- ,Däsa-
frau', dann ,Sklavin' und , Beischläferin', von dem gemeingerm. ahd.
kebisa, chebis ,Kebsweib', das in agls. öefes, fyfea ,Konkubinc' und
,Magd' und im altn. kefser Masc. ,Sklave' bedeutet. Sollte die neuer-
dings versuchte Verknüpfung der germ. Wörter mit ir. bi ,Weib' (vgl.
Liden B. B. XXI, 96 f., 114) richtig sein, so würde als Grandbedeu-
tung wohl »unterworfenes Weib' angesetzt werdcu müssen. Ähnlich
wird altn. man Neutr. ,Sklavc' auch im Sinne von ,Sklavin' und
.Konkubine gebraucht'. Auch das gricch. iraXXaKi? (Homer), TraXXaKn.,
iräXXaH ,Kebswcib' ist hierher zu stellen, wenn es richtig mit altsl.
ölocekü ,Mensch', clovedica ,Magd' verbunden wird. Alsdann wäre
das hebr. pUege* , Nebenweib', , Kebse', woraus andere das griechische
Wort entlehnt sein lassen, entweder fern zu halten oder seinerseits als
aus dem Griechischen übernommen anzusehen (vgl. H. Lewy Die semit.
Fremdw. im Griech. S. 66 f.). Vgl. endlich noch bei Hesych dbjitvibc?
(, Bettgenossinnen' : griech. bc'nviov ,Bctt') • boüXcti, altschwed. sloeki-
frilla ( : sloeki ,ancilla pigra') und ahd. lazza, eigcutl. die Frau oder
Tochter eines Lassen oder Liten, d. h. eines unfreien Landsiedlers.
Wie das Loos der Sklaven und Sklavinnen in ältester Zeit überhaupt
ein erträgliches war (s. u. Stände), so wird auch die Stellung dieser
Kebsweiber und ihrer Kinder zur eigentlichen Familie damals eine
festere und unbeanstandetere gewesen sein, als wir uns heute, wo wir
auch für den Mann die Forderung ehelicher Treue (s. u. Ehebruch)
erheben, vorzustellen vermögen.
Dafür fehlte damals die geschäftliche Ausbeutung des geschlecht-
lichen Verkehrs, wie sie sich erst mit dem Aufkommen städtischer
Ansiedlungen ausbilden kann. Erst jetzt werden Wörter wie griech.
TTÖpvn (Aristoph.) ,Hurc\ iropveiov .Bordell' : TiepvTiui .verkaufe' oder
wie lat. meretrix : mereri vom Gewerbe, oder wie lat. fornicatrix
{'.fornix .unterirdisches Gewölbe'), prostihulum (weil sie vor den
Thüren der Lnpanarien stehen) und altn. portkona (cigentl. , Thorweib'),
vom Aufenthaltsort der Huren hergenommen, möglich. Charakteristisch
auf diesem Gebiete der Terminologie sind ferner die zahlreichen Ent-
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Beischläferin.
67
lehnungen, welche teilweis schon in früher Zeit von Volk zu Volk
stattgefunden haben.
So stammt armen, pornik ,Hurer, Hure' aus griech. iropviKÖ«;, lat. pelex
aus griech. irdXXaE (oder aus dem phoenikischen Wort'?). Lat. meretrix
ist in das Irische (mertrech) und Angelsächsische (miltestre), ein ro-
manisches *pütdna (ital. puttana) in das Altnordische (püta) und Nieder-
deutsche (mndd. püte) entlehnt worden. Das gemeingerm. ahd. huora,
altn. höra, das in eiuer ähnlichen Bedeutung in einem wahrscheinlich
altgallischen Wort Carisa (,vetus lena percallida' etc., ,lena vetus et
litigosa', ,ancilla dolosa', ,Tropvoßoo"KÖ?', vgl. G. Goetz Thes. Gloss.
I, 1, 183, Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 330) wiederkehrt und zu
lat. cärus ,lieb' (vgl. ir. druth ,a harlot' = ahd. trüt ,geliebt' und
altn. fridla, ahd. friudüa im Sinne von ,Konkubine') zu stellen ist,
ward in lautlich noch nicht völlig aufgeklärter Weise vom Slavischen
(kurüca) und Litauischen ikurwa) übernommen. Merkwürdig ist auch
das Verhältnis von lit. ke~ksze zu dem oben behandelten altn. kefser
u. s. w„ das sich doch wohl auch durch Entlehnung des litauischen
Wortes (aus dem Skandinavischen?) erklären wird. Ganz einsam scheint
das auf das Gotische beschränkte kalki ,Hure', kalkinaxsus ,Hurerei*
dazustehen. Erwägt man jedoch, dass das oben genannte griech. naMcncn;,
wenn die Verbindung mit altsl. clovekü richtig ist, in Sprachen (z. B.
auch in dem dem Gotischen benachbarten Thrakisch), die anlautendes
q nicht in p verwandeln, *kallaki- oder ähnlich gelautet haben mttsste,
so läge in Ermanglung einer besseren die Vermutung nahe, dass got.
kalki eine Entlehnung aus einer solchen Sprache sei. Die Finnen
haben sogar drei Bezeichnungen des Freudenmädchens (huora, portto
aus altn. portkona s. o. und kurva) von ihren Nachbarn entlehnt, und
auch die Turko-Tataren bedienen sich zur Bezeichnung dieses Begriffs x
persischer Lehnwörter (vgl. Vambery Primitive Kultur S. 72). — Aus
den Einzelsprachen sind ferner noch für die Begriffe , Beischläferin',
,Hure' etc. etwa zu nennen: griech. tcdcKJa, xaexaupa, Kao~aXßd£ (»caöiupiov,
Kcttfaupiov, Bordell'; vgl. H. Schmidt Synonymik II, 412 ff., etymologisch
dunkel) und Xancds (von einigen als aus *TXan<d<; zu got. gaplaihan
,liebkosen' gestellt), lat. scortum (eigcntl. ,Fcll'), lupa (eigcutl. , Wölfin' ;
vgl. weiteres bei Becker-Göll Gallus III, 89 ff. i, gerra. ahd. ella, gella,
altn. elja (: lat. alius ,die andere'?), zdtre, zdturra, lantgengja, altn.
skcekja u. a. (reichhaltige Sammlung bei Weinhold Deutsche Frauen II 2,
16). altpr. manga ( : ir. meng ,Trug', griech. udpravov ,Trugmittel', lat.
mango ,Aufputzer', vgl. E. Berneker Die preussisehe Spr. S. 306). Eine
höchst merkwürdige Bezeichnung bietet das Altslovenische mit obnoznja
,concubina' : noga ,Fuss', das eine Entsprechung iu fiun. jalkacaimo
,Fussweib', ,Kebse' findet (vgl. Ahlqvist Kulturw. S. 215). Schlief iu
alten Zeiten die Kebse im Gegensatz zu der Gattin (griech. dXoxo?.
altsl. salozl ,BeiIiegerin') etwa nicht an der Seite, sondern zu den
Füssen ihres Gebieters? — S. auch n. Ehelich und unehelich.
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68
Beize — Bergbau.
Beize, 8. Falkenjagd.
Beleuchtung, 8. Licht.
Beinaliing des Korpers, s. Tätowierung.
Berg (Gebirge). Diese für die Beurteilung der Topographie de*
Urlandes der Indogennanen nicht unwichtigen Begriffe werden für die
Urzeit belegt durch die beiden Gleichungen : scrt. giri-, aw. gairi-
= altsl. gora, lit. glre (,Wald', altpr. garian ,Baum') und altpcrs.
kaufa-, aw. kaofa- ,Berg' = lit. köpos ,Nehrung' (ein Dünenstreifen
wie /.wischen dem Kurischen Haff und der Ostsee). Vgl. auch ahd. berg,
got. bairgahei .Bergland', ir. bri ,Berg', armen, berj ,Höhe', aw. bare-
zah- desgl. (scrt. brhdnt- ,hoch'). Auf die arischen Sprachen be-
schränkt sich scrt. pdrvata-, aw. paurvatd- (griech. ttcipoto s. u.
Grenze), auf Europa : lat. collis, lit. kdlnas, got. hallus (vgl. lat.
culmen, griech. KoXwvöq) : lat. excellere und lat. mons, kymr. mynydd
,Berg' etc. (Stokcs), griech. noöaai (*mont-) eigentl. ,Bergbewohnerinnen'
(J. Waekernagel i. Für den Begriff des Thaies besteht nur die Gleichung
got. dal ~ altsl. doln, welches letztere aber nur ,Loch, Grube' be-
deutet (vgl. auch griech. 6öXo? , Kuppeldach' (Wölbung = umgedrehte
Höhlung). Im übrigen gehen die Einzelsprachen mit Ausdrücken wie
griech. värni ,Waldthal' (vgl. npo-vurn-riq ,vorwärts geneigt'), lit. lankü,
lenke (vgl. lit. lefkkti ,beugcn'), lat. callis (vgl. ir. fdl ,Gehege'?) u. a.
gänzlich auseinander. 8. u. Urheimat.
Bergbau. Wann, wo und von wem in Europa zuerst den Metallen
in deu Schoss der Erde nachgegangen worden sei, lässt sich noch nicht
mit genügender Deutlichkeit übersehen. Die homerischen Gedichte
enthalten weder ein Wort für Bergwerk, noch irgend eine Hindeutung
auf die Bekanntschaft mit einem solchen. Erst bei Herodot tritt u£ra\Xov
, Bergwerk' (später , Metair, seit Lucrez auch in lat. metallum bezeugt)
hervor, dessen ursprünglicher Sinn, da es auch für Salzbergwerk,
Steinbruch u. dergl. gebraucht wird, ganz allgemein ,Grubc' gewesen
sein dürfte, und dessen Herkunft gerade deshalb wohl eine einheimische
sein wird, wenn eine haltbare Erklärung (mau hat u. a. an griech.
naiiiu .suche', .Snchstellc' gedacht) des Wortes auch noch nicht ge-
funden ist.
Im allgemeinen werden schon im Altertum die Phoenicier mit
grosser Bestimmtheit als diejenigen bezeichnet, welche im Bereiche
ihrer Ansiedelungen und Faktoreien Bergwerke eröffneten. So berichtet
Herodot VI, 47 von Thasos: clbov bk Kai oOtö? tu (ac'xoXXa Taöia,
Kai MGtKptl) nv aÜTÜüv 0ujufjao*iu)TaTa töl o'i <t>oiviKec dveöpov o\ n€T&
0döou KTiffavTC? tuv vf)o"ov TauTn.v, nri^ vöv im tou 0äo*ou toutou toö
<t>oiviKO£ tö ouvojia £o"x€. iä fitraXXa ra <t>oivixiKä TaCrra idix rr\q 0do"ou
M€Ta£u Alvüpujv T6 x^pou KaAeoue'vou Kai Koivupwv, ävriov bk XauoöpnT-
Kr\q, oüpoq ucy« dvetfTpauu^vov ev xrj Znrrjai. Auch zahlreiche Orts-
namen des Mittelnieergebiets weisen auf diese civilisatorischc Thätigkcit
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Bergbau.
69
•der Phoenicier hin. So T€u^o*n. auf Cypcrn (oder im Lande der Brut-
tier?), aus dem der Taphierftirst iMentes schon Od. I, 184 Kupfer (gegen
Eisen) holt, : hebr. t eines ,das Zerfliessen' (,SchmclzhUtte), so die beiden
benachbarten Kykladeninseln le'pupcw; und I(<pvoq (hier nach Herodot
III, 57 Gold- und Silberbergwerke) : hebr. sAraf schmelzen' und säfän
,Schatz', so das lakonische Vorgebirge Tcdvapov : hebr. tannür (auch
aw. tanilra-, armen, t'onir) ,fornax, clibanus' (vgl. Lewy Die scui.
Fremdw. im Griech. s. v.) u. a.
Indessen ist es doch fraglich, ob die Phoenicier an den genannten
Orten und sonst wirklich als die eigentlichen Eröffner des Bergbaus
und nicht vielmehr nur als Verbessercr und Organisatoren eines schon
vorher den Eingeborenen bekannten primitiven Bergwerksbetriebs auf-
zufassen sind. Es hat sich immer deutlicher gezeigt (vgl. namentlich
R. Andree Die Metalle bei den Naturvölkern Leipzig 1884), dass
metallurgische Keuntnisse keineswegs nur auf höheren Kulturstufen
uns begegnen. Das bestätigt auch die Überlieferung des Altertums.
Alle die Gebirgsvölker im Süden des Pontus bis zum Kaspischen Meere
hin, die Chalyber, Tibarener, Moscher u. a., welche nicht zum ge-
ringsten Teil Vorderasien und Griechenland mit Nutz- und Edelmetallen
versorgten (vgl. z. B. Hcsekicl XXVII, 13: ,Javan, Thubal d. h. Tiba-
rener und Mesech, d. h. Moscher haben mit Dir gehandelt und haben
Dir leibeigene Leute und Erz auf Deine Märkte gebracht' oder Xenoph.
Anab. V, 5,1: 6 ßioc r\v roiq n\€io"TOi£ auiiwv, d. h. den Chalybeu dnö
o*ibnp€ta?), können wir uns nach allem, was wir wissen, kulturgeschicht-
lich nur wenig fortgeschritten vorstellen. Andere Stämme können in
Europa selbst in metallreichcu Gebirgsgegenden schon frühzeitig als
Bergleute thätig gewesen sein und sind es gewesen, wenn wir den
neueren Untersuchungen der Urgeschichtsforscher glauben dürfen.
Namentlich hat M. Much Die Kupferzeit in Europa - S. 248 ff. auf der
Mitterberg-Alpe bei Bischofshofen im Herzogtum Salzburg und auf der
Kelchalpe bei Kitzbühel in Tirol ausgedehnte Stätten uralten Kupfer-
bergbaues nachgewiesen, die er uach den daselbst gemachten Funden
für gleichzeitig mit den dem Ausgang der jüngeren Steinzeit
angehörigen Pfahlbauten des Atter-, Mond- und Trauusees hält. Von
dort hätten die Bewohner dieser Stationen das Metall für ihre kupfernen
Beile, Dolche, Pfriemen, Angelhaken, Spiralen u. s. w. geholt, wie un-
weit jener Mitterberger Gruben auf dem „Götschenberg" auch eine der-
selben Zeit angehörige Werkstatt für steinerne Waffen und Werkzeuge
sich befunden habe (s. u. Axt). Gleiche oder ähnliche Kupfergruben
aber seien ausser in den Alpen selbst in Irland, England und vor allem
auf der iberischen Halbinsel entdeckt worden i vgl. Much a. a. 0.
S. 282).
Es ist daher durchaus nicht unwahrscheinlich, dass, als die Phoenicier
zuerst ihre Faktoreien in diesem metallreichsten Lande Alteuropas
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TO
Bergbau.
aufschlugen, sie auch hier bereits durch die Eingeborenen eröffnete
Gruben vorfanden. Auch scheint dies aus dem Berichte des Diodorus
V, 35 zu folgen, der erzählt, dass die Phoenicier bei ihrer Ankunft
in Spanien grosse Mengen fertigen Silbers von den Bewohnern, die
den Wert des Metalls nicht gekaunt hätten, für kleine Gegengabe
kauften, wenngleich allerdings der Schriftsteller das Vorhandensein
uusgeschmolzenen Metalls nicht aus einer metallurgischen Thätigkeit
der alten Iberer, sondern aus fabelhaften Naturereignissen (vgl. auch
StraboIII p. 147) erklärt. Unter Leitung erst der Karthager, dann der
Römer, die in älterer Zeit ausschliesslich auf etrurischen und griechi-
schen Bergbau angewiesen gewesen zu sein scheinen, bat sich dann die
Blüte des spanischen Bergbaus entwickelt (vgl. Roloff Über den Bergbau
und die Metallurgie des alten Spaniens in Gehlens Journal für Chemie,
Physik und Mineralogie IX, 608 ff.). Aus dem Iberischen sind denn
auch eine Reihe auf den Bergbau bezüglicher Termini, wie arrugia
,Goldstollen', balux .Goldklumpen' (vgl. Diefenbach Origines Europ.
S. 240) ins Lateinische eingedrungen, zu denen auch lat. cuniculu*
gehört, das in der Doppelbedeutung ,Kaninchen' und ,vom Kaninchen
gewühlte Höhle', dann ,Mine' sicher schon iberisch war (s. u. Kaninchen).
Ähnlich wie die ersten Beziehungen der Phoenicier zu den Iberern
werden auch die der Phoenicier zu den britannischen Kelten hin-
sichtlich der Gewinnung des Zinnes gewesen sein, d. h. auch hier werden
uralte, vorphoenicische Anfänge des Bergbaus anzunehmen sein. Aber
auch die Kelten des Festlandes müssen, sicherlich schon in vorrömischer
Zeit, geschickte Bergleute gewesen sein. Vgl. Caesar De bell. gall.
VII, 22 von den Biturigen: Apud eos magnae sunt ferrariae atque
o/nne genus cu niculornm notum atque uxitatum est (dazu vgl.
Diod. V, 27 und Strabo IV p. 191). Bemerkenswert ist auch, dass
die gemeinkeltische Bezeichnung des rohen Metalls ir. mtin, mianach,
kymr. micyn in dem Sinne von Bergwerk (frz. mine, ital. mina) in die
romanischen Sprachen übergegangen ist. Wie hoch freilich das Alter
dieses altgallischen Bergbaus anzusetzen ist, lässt sich nicht ermessen.
Ostlich des Rheins und nördlich der Donau scheint es (auch in
Skandinavien) an sicheren litterarischen oder archäologischen Spuren
vorhistorischen Bergbaus zu fehlen. Tacitus Germ. Cap. 5 sagt aus-
drücklich: Argentum et aurum propitüne an irati dii negaverint,
dubito. nec tarnen affirmaterim nullam Germaniae venam argentum
aurumve gignere; quis enirn scrutatus eat>, und kennt nur im
Osten an den vorderen Karpathen ein gallisches Sklavenvolk der Ger-
manen, die Cotini, die, quo magis pudeat, et ferrum effodiunt (Cap. 43).
Das Metall, welches in diesen Teilen Europas in vorhistorischer Zeit
erscheint, muss daher von vornherein als auf Import beruhend auf-
gefasst werden.
Über das Alter und die Reihenfolge des Bekanntwerdens der ein-
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Bernstein.
71
zelnen Metalle in Europa ist in besonderen Artikeln gehandelt worden,
in denen auch näheres Aber ihre Fundstätten gesagt ist. 8. auch u.
Metalle.
Bernstein. Harzige, dem Bernstein ähnliche Körper kommen
ausser an der norddeutschen Meeresküste noch in vielen anderen Teilen
Europas und ausserhalb desselben, i. B. in Oberitalien, Sicilien, Ru-
mänien, Böhmen, am Libanon u. s. w. in natürlichem Zustand vor. Doch
hat die Chemie den Nachweis geführt, dass der echte, durch einen er-
heblichen Gehalt von Bernsteinsäure und andere Eigenschaften charak-
terisierte Succinit ausschliesslich nördlicher Herkunft ist. Wo daher
aus diesem hergestellte Objekte in prähistorischen Funden begegnen,
weisen dieselben auf den Norden Europas als ihren Ausgangspunkt
hin. Artefakte aus säurefreiem oder -armem Bernstein sind aus frühen
Epochen so gut wie nicht nachgewiesen worden.
Im Orient hat der Bernstein (Succinit) in alter Zeit niemals eine
hervorragende Rolle gespielt, abgesehen von den Gräbern des Kaukasus
zu Koban und Samthawro. in denen Virchow das Vorhandensein von
Bernstein nachgewiesen hat. Doch gehören dieselben erst der ver-
hältnismässig späten Hallstatt-Zeit an.
Man hat es also bei dem Bernstein mit einer eminent
europäischen Kulturerscheinung zu thun. Im Norden Europas
hat man nun nach Massgabe der Funde zwei grosse Bernsteingebiete
zu unterscheiden : ein ostbaltisches (Samland) und ein westbal-
tisehes, von der Westküste der kimbrischen Halbinsel, also von der
Nordsee ausgehend und sich über die Küstenländer der westlichen
Ostsee (das Gebiet links der Oder bis über die Elbmündung, Schleswig-
Holstein, Schweden und Dänemark) erstreckend. In diesen beiden
Gruppen bildet der Hernstein den hervorragendsten .Schmuck der jüngeren
Steinzeit, während derselbe in den steinzeitlichen Pfahlbauten der
Schweiz nnr äusserst selten, in der neolithischen Epoche Oberitaliens
gar nicht nachzuweisen ist. Der Bernstein ist also kein gemeinsamer
Besitz der europäischen jüngeren Steinzeit, ein Umstand, der mit anderen
(s. n. Salz) gegen die Annahme H. Hirts (I. F. I, 464 ff.) in die Wag-
schale fällt, dass die Urheimat der Indogermanen, denen auch ein ge-
meinsames Wort für den Bernstein fehlt, an der Ostsee zu suchen sei,
wenigstens sobald man die älteste erreichbare Kultur der Indogermanen
für identisch mit der in unserm Erdteil aufgedeckten neolithischen
Kulturperiode hält (s. darüber n. Steinzeit, Metalle, Kupfer ). Da«
angegebene Verhältnis ändert sich nun. sobald das Gold und die
Bronze in Europa auftreten. In demselben Masse, in welchem diese
beiden Metalle nach dem Norden vordringen, beginnt der Bernstein in
dem Bereich des Westbalticums zu verschwinden und dafür in Mittel-
und Sfldeuropa aufzutreten, wo er bereits in den Schachtgräberu von
Mykenae (in grosser Menge) und in den Pfahlbauten der Poebne, beide
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72
Bernstein.
der reinen Brouzezeit angehörig, vorkommt, nud sich iu seiner Bedeu-
tung als Schmuekmittel bis in die Eisenzeit (vgl. die zahlreichen Bern-
steinfundc aus dem Grüberfeld von Hallstatt und in den Xekropolen
von Villanova) erhält. Die Ursachen dieses Umschwungs liegen klar zu
Tage. Es kann nicht wohl bezweifelt werden, dass es der Austausch des
Benisteins gegen Gold und Bronze war, welcher denselben dem Norden
entführte oder wenigstens als »Schmuckmittel ihm entfremdete und dem
Süden zubrachte. In letzterem sind seine Geschicke fernerhin schwan-
kende gewesen. Die Griechen der klassischen Zeit verwarfen die Ver-
wendung des Bernsteins im Kunstgewerbe, und dasselbe ist der Fall
überall, wo griechischer Einfluss vorherrschte, bis dann in dem Anfang
der römischen Kaiserzeit aus unten näher zu erörternden Gründen das
leuchtende Harz wieder in aufsteigendem Masse zu Ansehen kam. So
ist es geschehen, dass die griechischen Autoren des Bernsteins nur
gelegentlich als einer seltsamen Naturerscheinung gedenken, und dass
der lat. Name des Bernsteins (xAcinum », obwohl doch die Sache selbst
seit Alters in Italien bekannt war, von älteren Autoren wie Plautus,
Tercnz, Cato gar nicht genannt, sondern erst von Plinius erwähnt
wird (erst von Vergil das gricch. electron). Ob dieses sücinum eine
einheimische Bildung von sücus .Saft' sei (man wusste im Süden früh-
zeitig, dass der Bernstein eine Ausschwitzung von Bäumen sei), oder
ob man iu ihm ein Fremdwort (s. u.) zu erblicken habe, lässt sich
nicht entscheiden.
An Handelswcgen, welche von dem westbaltischen Bernsteingebiet
nach dein Süden führten, lassen sich drei unterscheiden. 1. Der durch
Mülleuhoff (Deutsche Altertumskunde I) ermittelte Seeweg aus der
Nordsee durch den Ocean, eröffnet von den Pboeuiciern und in ihren
Geleisen noch von Pvthcas von Massilia befahren. Jedenfalls sind es
Phoenicier, die bei Homer (Od. XV, 459; als Händler mit Bernstein-
schmuck 'jjXtKTpov) erscheinen. Leider hat auch dieser ältestüberliefcrte
Name des Bernsteins noch keine sichere Erklärung gefunden, Wahr-
scheinlich kann er aber nicht von ö rjXexTpoq ,Goidsilbcr' und r)XeKTwp
,Sonne' getrennt werden. Andere dagegen haben an eine Ableitung
von ötXtKiu ,wchre ab" gedacht, als ob der Bernstein von Anfang an als
<puXaKTr|piov oder Amulet aufgefasst worden wäre, in welchem Sinne
er später gebraucht wird. 'J. Ein westlicher Land w c g von
der Nordsceküste entweder quer durch Gallien direkt zur Rhone oder
durch die Rheinlande erst zum Oberlauf des Stromes und dann einer-
seits zur Rhone, andererseits nach Ligurien und zum Po führend.
Diese Strasse scheint zuerst in den schon von Aeschylus ( Plin. XXXVII,
31) und Enripides genannten Mythen vom Flusse Eridanos (Rhone, dann
Po), den auch llesiod schon nennt, hervorzutreten, an dessen Ufern die
Heliaden in Pappeln verwandelt Thräuen vergiessen, die sich in Bern-
stein umsetzen. Doch äussert sich Herodot (III, llöi sehr skeptisch
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Hornstein.
73
gegenüber der Existenz eines solchen Flusses, der sich nach ihm in das
Nordmeer ergiesst (Rhein*?). Nur das sei gewiss, dass der Bernstein
wie das Zinn vom änssersten Norden Europas kamen. Genauere Kunde
über diese Bernsteinstrasse hat dann Pytheas auf seiner Nordlandsfahrt
gewonnen, die sich in dem Bericht des Diodorus Siculus V, 23 erhalten
hat : Tfj? ZKueiaq tt\<; vrxkp luv TaXatiav KaxavTiKpu vf\o6q £0"n TreXcrpa
KöTct töv üuKeavov n. TrpocraYopeuoucvn. BaaiXeia. ei? TctÜTnv ö kXüöuuv
^KßdXXei bcu^Xe? tö KaXounevov nXeKipov, oübauoö be Tfj? oiKouuevrj«;
q>aivö)H€vov to rdp nXexTpov öuvdYeiai u€v ev ttj TTpoetpnuevn.
vntfoj, koui&tcu b€ uttö twv dTXiopiujv npö? Tn.v dvTiTrcpa? rjTreipov, bi*
f|? cpepeiai Trpö? tou? Ka6' r|uä? töttou? Ka9öti npoeipriTai. Es ist
aber in dem vorhergehenden Kapitel vom Zinnhaudcl von der gallischen
Nordküste zur Rhone die Rede s. u. Zinn). Vgl. dazu Plinius Hist,
nat. XXXVII. 35: Pytheas Guionibus {Gutonibus\ Müllenhoft*: Teutonia)
GermanUie genti accoli aestuarium oceani Metuonidis (Meconomon ;
Mhff.: Mentonomon) nomine spatio stadiorum sex milium, ab hoc diei
nacigatione abesse insuJam Abalum, Mo (electrum ) per ver fluctibus
adcehi et esse concreti maris purgamentum, incolas pro Vujno ad
ignern uti eo proximisque Teutonis vendere. huic et Timaeus (der
Gewährsmann des Diodorus s. o.) credidit, sed insulam Basiliam rocavit.
Dass das Ligurerland, wo nach Theophrast (De lapid. 4? 53) auch
einheimischer Bernstein gegraben worden wäre, ein wichtiger Depot-
platz des Bernsteinhandels war, scheint auch aus einer bisher noch
nicht genannten griech.-lat. Benennung des Bernsteins hervorzugehen:
Xirupiov, dann volksetymologisch verdreht, XuYKOÜptov, Xirrroöpiov, liyte
rius, langurium, lagurium etc., vorausgesetzt, was keineswegs sicher
ist, dass diese Deutung des Wortes als Bernstein und als ,ligurische'
(Ware) das richtige trifft. Endlich lässt sich auch an der Hand der
Funde, die aber im Rheingebiet erst der Hallstatt- und La Tenepcriode
anzugehören scheinen, die angegebene Strasse verfolgen, wenn auch
nicht so deutlich, wie dies bei dem ohne Zweifel ältesten und be-
deutendsten Weg des Bernsteinhandels, 3. dem östlichen Landweg,
oder der Elbstrasse der Fall ist.
Diese lässt sich nach Maßgabe der Funde als von der Elbmündung
zunächst bis Böhmen und Mähren führend erweisen, während der weitere
Verlauf nach dem Süden bei dem Umstand, dass in Ungarn und Xieder-
österreich ältere Bernsteinfunde fehlen, noch nicht feststeht. Nach Plinius
XXXVII, 43 wäre der Bernstein von den Germanen nach Pannonien
und von da durch die Vcneter ans adriatische Meer gebracht worden,
wo noch zur Zeit des Plinius Bauern weiber Bernsteinschmuck als
Halsbänder trugen. Hier wäre Rhein- und Elbstrasse zusammenge-
troffen. Doch vermutet Orshausen s. u.), dass dieser von Plinius ge-
nannte Weg nur für die Römerzeit gegolten habe und früher nicht
sowohl durch Pannonien als durch Xoricum (vgl. die Bernsteinfunde der
allerdings verhältnismässig späten llallstätter Ansiedelung) geführt habe.
74
Bernstein.
Auf der Elb8tras.se, an die Olshauscn auch den Eridnnosmvthus auzu-
knüpfen geneigt ist, lügst sich schliesslich am deutlichsten das Vorrücken
gewisser Goldspiralen aus den südlichen Ländern in der Richtung auf die
kimbrische Halbinsel (zum Eintausch des Bernsteins) verfolgen, auf der sie
am zahlreichsten an der Westküste Jütlands, dem wichtigsten Ursprungsort
des westbaltischen Bernsteins (vgl. S. Müller a. ti. a. 0. S. 323), nachge-
wiesen sind. Auf einer der beiden zuletzt genannten Strassen ist der ger-
manische, an der Nordseeküste geltende Name des Bernsteins glfsum,
glaesum (agls. glcere) den Römern bekannt geworden. Das Wort kommt
zuerst bei Plinius XXXVII, 42 vor : Certum est gigni in insulig
septentrionalis oceani et ab Germanis appellari glaesum, itaque et
ab nostris ob id unam insular um Glaesariam appellatam Germa'
nico Caesare res ibi gereute classibus Austeraviam a barbaris dh'tam
(vgl. auch IV, 97). und wird dann von Tacitus, der nur das Samland
als Bernsteinland kennt (Genn. Cap. 45), irrtümlich auf den Bern-
stein der Ostsee angewendet. Glemim steht in Ablaut zu der gemein-
germ. Sippe ahd. glas, altn. gier (vgl. auch ir. glain, gloin ,Glas',
,Krystall' aus *gla*-in-), die, da das Glas im Norden eine verhältnis-
mässig junge Erscheinung ist, ebenfalls ursprünglich »Bernstein' bedeutet
haben muss (». u. Glas). In unserem Worte „Glas" wäre also
der uralte germanische Name des Bernsteins erhalten. Der
dabei anzunehmende Bedeutungswandel wiederholt sich in mehreren
nordöstlichen Sprachen (vgl. Ii v. el'mas .Bernstein', tinn. helmi ,Glasperle';
russ. jantarh magy. gyantdr , Bernstein', gydnta ,Harz', öeremissisch
janddr ,Glas',). S. auch über skythiseh sualhternieum u. Glas.
Noch offen ist die Frage, wann zuerst der Bernstein des Ostbalti-
cums, also der samländischc Bernstein, in die Kulturgeschichte Europas
eintritt. Für den frühen Znsammenhang des Südens, ja schon der
griechischen Pontusstüdte, namentlich Olbias, mit Ostpreussen hat man
sich früher auf eine Reihe von Münzfunden aus der Zeit vor Kaiser
Angnstus im Küstengebiet der Ostsee berufen. Doch haben sich die-
t selben bei näherer Untersuchung (vgl. Olshauscn Zeitschrift f. Ethno-
logie 1891, Verhandl., S. 223) als hierfür nicht beweisfällig herausge-
stellt. Günstiger für die Annahme frühzeitiger Verbindung Ostprcusseus
mit Italien wäre es, wenn sich die Entlehnung des ital. ausom in das
lit. duksas 's. darüber u. Gold) über allen Zweifel erheben Hesse.
Doeh ist zu bemerken, dass dieses sonst überall in Znsammenhang mit
dem Bernsteiuhandel auftretende Metall gerade in Ostpreussen vor der
römischen Kaiserzeit nicht gefunden worden ist. Ebensowenig reichen
ältere Brouzefunde ostwärts über das Gebiet des heutigen Mecklenburg
hinaus. Auch zeigt sich von den (im Uhrigen dunklen; baltischen Be-
nennungen des Bernsteins (lit. gintäras, altpr. gentars, woraus russ.
jantari s. o.) nicht wie von germ. glesum irgend eine Spur im Süden.
Sichere Kunde des ostbaltischen Bernsteinlandes beweist daher erst
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£ 1
Bernstein. V ^ 75- \ (>
,
Tacitus Germ. Cap. 45, wo er von den gentes Aestuorum, d. h. von
den Litauern und Preussen folgendes erzählt: Sed et mare scrutantur,
ac soH omnium sucinum, quod ipsi glaesum (s. u.) vocant, inter vada
atque in ipso litore legunt. nec quae natura quaeve ratio gignat, ut
barbaris quaesitum compertumre; diu quin etiam inter cetera eiecta-
menta maris iacebat, donec luxuria nostra dedit nomen. ipsis in
nullo usu : rude legitur, informe perfertur, pretiumque mirantes
accipiunt. Auch in diesem Bericht mischt sich freilich, ganz abgesehen
von der Annahme des Schriftstellers, dass glimm ein Bernsteinname
der Aestuer sei, Wahres und Falsches. Thatsächlich wurde auch in
Ostpreussen der Bernstein seit uralter Zeit als Schmuekgegenstand
verwendet (s. o.)> Handelsartikel mag er dagegen hier erst kurze
Zeit vor Tacitus geworden sein. Man bringt damit in Verbindung den
schon oben angezogenen Bericht des Plinius XXXV II, 42 — 45 von der
Reise eines römischen Ritters unter Nero nacb dem Bernstcinlande :
DC M. p. fere a Carnunto Pannoniae abesse litus id Germaniae,
ejr quo invehitur (sucinum), percognitum est nuper. vidit eques R.
ad id comparandum missus ab Juliano curante gladiatorium munus
Neronis prineipis, quin et commercia exereuit et litora peragrarit,
tanta copia inrecta ut etc. Allerdings ist hier nur von der Küste
Germaniens die Rede; aber die ungeheuere Menge des heimgebrachten
Bernsteins dürfte auf eine neue Bezugsquelle desselben hinweisen.
Umgekehrt werden nun auch grosse und reiche Funde ans der römischen
Periode an der östlichen Bernsteinküstc häufig (vgl. S. Müller a. a. 0.
8. 326).
Die Bezeichnungen des Bernsteins in den europäischen Sprachen
sind im Vorstehenden mitgeteilt worden; doch bleibt noch einiges zu
erwähnen übrig. Zunächst ein skythisches sacrium (Plin. XXXVII,
40), das einerseits an lat. xtlcinum (s. o.) und lit. sakal Man,
Gummi', andererseits an aegypt. sacal (Plin.; im Aegyptischcn selbst
hat sich keine Benennung des Bernsteins gefunden) anklingt. Im Ger-
manischen hat neben glesum-glas noch ein zweiter alter Name des
Bernsteins bestanden: nordfries. reaf, altn. rafr, schwed. raf, dän. rav,
der aber bis jetzt jeder Erklärung spottet. Neuere germanische Namen
sind mhd. agetstein, eitsteht, wohl identisch mit ahd. agatstein ,Achat',
,Magnet' (denn auch der Bernstein zieht an), nnd nhd. bernstein ,B renn-
stein' (aus dem niederd. bortisten, in einem norwegischen Ausfuhr-
verbot anno 1316: brenmtsstein; vgl. Jacob a. u. a 0. S. 362; klruss.
burxtyn).
In den keltischen Sprachen bestehen neben vielfachen Entlehnungen
aus lat. electrum und rom. ambra (s. u.) einige einheimische, aber
noch ganz dunkle Bernsteinnaroen, wie kymr. gwefr (*vebr-) und bret.
goularz, die eine eigene Untersuchung verdienten. Vielleicht weisen
sie im Zusammenhang mit gewissen archäologischen Thatsachcn auf
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Bernstein — Bestattung.
das Bestehen eines dritten nordischen Bernsteinreichs, eines britan-
nischen, hin.
In den romanischen Sprachen hat weder lat. aücintim, noch electrum
Fuss gefasst. Der Bernstein heisst hier vielmehr ital. ambra, sp. pg.
ambar, al-ambar, frz. ambre (inhd. amber, ämer), entlehnt aus arab.
anbar, ursprünglich ciu animalisches harziges Produkt (der Nierensteiu)
vom Pottfisch, während der eigentliche arabische Ausdruck für den bal-
tischen Bernstein kahrubd ist. Doch führen diese Ausdrücke bereits
zu den von K. G. Jacob (Xeue Studien den Bernstein im Orient be-
treffend, Z. d. D. Morgenl. Oes. XLIII, 353 ff.) behandelten mittel-
alterlichen Beziehungen der Araber zu den Erzeugnissen des hohen
Nordens.
Vgl. F. Wald mann Der Bernstein im Altertum, Fellin 1883 und
besonders Olshausen Über den alten Bernsteinhandel der kimbrischen
Halbinsel und seine Beziehungen zu den Goldfunden (Zeitschrift für
Ethnologie, Verhandlungen 1890 S. 270 ff. und 1891 S. 286 ff.), wo
auch die ungemein grosse Litteratur über die Bernsteinfrage verzeichnet
ist. Zuletzt: P. Moldenhaucr Das Gold des Nordens. Ein Rückblick
auf die Geschichte des Bernsteins, Danzig 1894, S. Müller Nordische
Altertumskunde I, 316 ff. und II. Blümner Artikel Bernstein in Pauli-
Wissowas Realeneyklopädie.
Beryll, s. Edelsteine.
Beschwörung, s. Arzt, Dichtkunst, Eid, Priester, Religion.
Besitz, s. Eigentum.
Bestattung. Eine Zeit, in welcher man den Toten noch keine
pietätvolle Fürsorge zuwandte, sondern sie nur flüchtig an dem Platze
verscharrte, auf dein man hauste, liegt in der palaeolithischcn
Epoche unseres Erdteils vor (vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde
I, 22 ff., 368 f.), die (s. u. Steinzeit) keinerlei Beziehung zu Iudo-
germaneutum und indogermanischer Kultur zeigt.
Solange wir Indogermauen kennen, ehren sie ihre Toten mit einer
dauernden Wohnung, und seit grauer Vorzeit bis auf den heutigen Tag
ringen bei ihnen zwei Formen der Bestattung, Begraben und Ver-
brennen, mit abwechselndem Glück um die Vorherrschaft. Ihnen gegen-
über treten audere Bräuche, wie der von den Zoroastricrn und den
persischen Magiern (Herod. I, 140) geübte, die Toten Hunden, Vögeln
und reissenden Tieren zum Frasse auszusetzen, oder die Sitte meeran-
wohnender Germanen, die Leiche im Kahn auf das offene Meer hinaus-
treiben zu lassen, an Bedeutung gänzlich zurück.
Die Hauptfrage ist daher, ob das angegebene schwankende Ver-
hältnis zwischen Verbrennen und Begraben von jeher dasselbe bei den
Indogermauen gewesen sei, oder ob sich für das eine oder das andere
ein historisches prius erweisen lasse. — Das homerische Griechenland
kennt nur den Leichenbrand, zu dem als eiu notwendiger Bestandteil aber
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Bestattung.
77
die Beisetzung der Urne mit dem verbrannten Gebein des Verstorbenen
im Hügel gehört; 6änr€iv ,begraben' wird daher auch gebraucht, wo
Kactv ^brennen' gemeint ist. Anders aber ist es in dem vor homerischen
Hellas gewesen, in das uns die Ausgrabungen in Mykcnae, Tiryns,
in Attika und sonst einen Blick verstattet haben. In den Schachten,
Kammern und Gewölben, welche hier zu Tage getreten sind, wurden
die Toten unverbrannt und teilweis in mttniificiertcm Znstand beigesetzt,
wenn sich auch Spuren einer teilweisen Verbrennung der Leichen ge-
funden haben, die aber wohl von dem im Grabe selbst vollzogenen
Opferbrand herrührten, dessen heissc Asche über den Leichnam ge-
schüttet wurde (vgl. Schliemann Mykenac passim und dazu Naue Die
Bronzezeit in Obcrbayern S. 50 1 sowie Olshansen Zeitschrift für Eth-
nologie 1892 Verh. S. 129 ff. über Leichenverbrennung, S. 163 ff. über
Teilverbrennung). Unter diesen Umständen gewinnt es den Anschein,
dass, wenn im historischen Griechenland Begraben und Verbrennen
neben einander vorkommen, (vgl. Göll Privataltert. S. 157, Rohde
Psyche II*, 225*), eben dieser erstere Brauch als der ursprünglichere
anzusehen ist (vgl. auch Mau Artikel Bestattung in Pauli- Wissowas
Realencyklopädie und A. Engelbrecht Erläut. z. hom. Sitte der Toten-
bestattung, Festschrift f. 0. Benndorf. Wien 1898 S. 1 ff.).
Es stimmt hiermit ttberein, dass im alten Rom eine feste Uber-
lieferung bestand, nach welcher dem „Brennalter" das Begraben vorauf-
ging. Vgl. Plinius Hist. nat. VII, 187: Ipsum cremare apud Romanos
non fnit ceteri* instituti', terra condebantur et tarnen multae
familiae prisco» servavere ritus, sicut in Cornelia nemo ante Sullam
dictatorem traditur crematus (vgl. auch Cicero De leg. II, 22, 56).
Auf dasselbe weisen verschiedene alte Bräuche, wie vor allem der, bei
der Verbrennung von Leichen ein Glied des Körpers abzuschneiden,
und besonders zu begraben, und endlich stimmen hiermit auch die Er-
gebnisse der Ausgrabungen in so fern ttberein, als die vor nicht langer
Zeit aufgedeckte Nekropole an der Porta Esquilina in ihrer untersten
Schicht in Felsen gehauene Grabkaramern mit unverbrannten Leichen
enthielt (vgl. Marquardt Privatleben I, 330 ff.). Aber auch die Sitte
des Verbrennens muss in Rom und Latium sehr alt sein. Zwar bestand
eine alte lex regia (vgl. M. Voigt Legcs regiae S. 627) über den
Kaiserschnitt, welche lautete: Xegat lex regia midierem, quae prae-
gnanx mortua sit, humari, antequam partus ei excidatur. die also
Beerdigung voraussetzt; aber schon von Numa (Plutarch Cap. 22) wird
berichtet, dass er die Verbrennung seines Leichnams verboten hätte,
wonach diese Bestattungsart jedenfalls bekannt gewesen sein muss. Die
XII Tafeln (ed. Sehoell) lassen beides zu, wie die Bestimmungen der
tabula X zeigen: 1. hominem mortuum in urbe ne sepelito neve
urito (vgl. Cicero De leg. II, 23, 58), 2. hoc plus ne facito : rogum
a*cea ne polito, 8., 9. neve aurum addito. cui atiro deuten iuneti
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7«
Bestattung.
£*cunt, ast im cum Mo sepeliet uretve, se fraude esto etc. Aschen-
urnen zeigt auch bereits die zweite Bodenschicht des oben genannten
Gräberfelds am esquilinischen Thore ebenso wie die Nekropole von
Alba Longa (über die näheres bei Heibig Die Italiker in der Poebene,
passim). Indem wir einige Angaben über die nördlicheren Teile Ita-
liens für das spätere zurückstellen, wenden wir uns unmittelbar den
idg. Völkern Nordeuropas zu.
Bei Kelten und Germanen kennen die ältesten römischen Au-
toren nur den Leichenbrand. Vgl. für die Gallier Caesar De bell,
gall. VI, 19: Funera sunt pro cultu Gallorum magnifica et sump-
tuosa; omniaque, quae vivis cordi fuisse arbitrantur, in ignem in-
ferunt, etiam animalia, ac paulo supra hanc memoriam serci et
clientes, quos ab iis dilectos esse constabat, iustis funeribus confectis
una cremabantur (vgl. dazu über die späteren irischen Zustände 0'
Curry Manners and customs I, CCCXIX (F.), für die Germanen
Tacitus Germ. Cap. 27 : Funerum nulla ambitio : id solum observatur,
ut corpora clarorum virorum certis lignis crementur. struem rogi
nec restibus nec odoribus cumulant : sua cuique arma, quorundam
igni et equus adicitur. sepulcrum caespes erigit. Diese Nachricht
des Tacitus wird bestätigt sowohl durch reichliche litterarischc Zeug-
nisse (gesammelt von J. Grimm Über das Verbrennen der Leicheu Kl.
Sehr. II, 211 ff.), namentlich aus dem skandinavischen Norden, wie
.auch durch zahlreiche Gräberfunde mit verbrannten Leichenresten. Die
metallischen Beigaben dieser letzteren bestehen aus Bronze und Eisen.
Aber vor ihnen liegen auf demselben Boden ältere Gräber, Dolmen,
Ganggräber und Steinkisten (s. auch u. Steinbau) mit unverbrannten
Leichen, die nach ihren Beigaben entweder in die Steinzeit oder eine
ältere Epoche der Bronzezeit gehören. War man nun früher der Mei-
nung, dass diese Verschiedenheiten der Bestattungsarten und der zu
den Totenbeigaben verwendeten Stoffe auf einem Wechsel der Bevöl-
kerung in den nordgermanischen Landen beruhten, so mehren sich in
neuerer Zeit die Anzeichen dafür, dass in deu angeführten Erscheinungen
nicht ein plötzlicher, durch neue Einwanderungen veranlasster Umschwung
aller Lebensverhältnisse sich offenbart, sondern vielmehr ein ganz all-
mählicher Übergang derselben Bevölkerung vom Begraben zum Ver-
brennen, vom Stein zur Bronze. So begegnen an vielen Orten zuerst
.grosse Steinkisten von Manneslänge mit der unverbramiten Leiche,
dann treten ebenso grosse Kisten auf, die aber nur ein kleines Häuflein
verbrannter Knochen enthalten, und erst nach und nach werden die
Gräber kleiner, dem neuen Bedürfnisse der Leichenverbrennung ange-
paßt (ähnliches ans Assarlik in Karien und den hom. Epen bei Engel-
brecht a. a. O. S. 4). Sind diese Anschauungen begründet (vgl. namentlich
0. Montelius Archiv f. Anthropologie XVII, IM ff.), so ist zugleich der
Nachweis geliefert, dass auch bei den Germanen die Leichen in der
ältesten Zeit begraben und nicht verbrannt wurden.
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Bestattung.
79
Der Osten Europas trägt vorläufig zur Entscheidung unserer Frage
nichts wesentliches bei. Die Nachrichten über die litu-preussischcn
nnd Ria vischen Stämme kenneu beide Bestattuugsarten. Vgl. z. B. den
Friedensvergleich zwischen dem deutschen Orden und den Preussen vom
Jahre 1249: Promiserunt quod ipsi et heredes eorum in mortui»
combur endis vel subterrandis cum equis sive hombiibus vel cum
armis seu vestibus vel quibuscumque aliis preciosis rebus vel etiam
in aliis quibuscumque ritus gentilium de cetero non servabunt. Wei-
teres vgl. bei V. Hehn Kulturpflanzen und Haustiere0 S. 521 ff. und
Krek Einleitung in die slav. Litg. s S. 424 ff. Eine ausführliche Be-
schreibung der Bestattungsbräuche bei den heidnischeu Russen, bei
denen sich Slavisches mit Ostskandiuavischem mischt, findet sich bei
dem Araber Ihn Fozlan bei Frähn S. 13. Ganz wie im skandinavischen
Norden wird hier der tote Häuptling in ein Schiff gesetzt und mit ihm
verbrannt. Hinwiederum nennt ein anderer, und zwar einer der
ältesten arabischen Schriftsteller Uber Russland, Ibn Dustali (um 912
n. Chr.), ausdrücklich das Begraben, indem er berichtet: „Stirbt ein
hervorragender Mann, so machen sie ihm ein Grab in Gestalt eines
grossen Hauses, legen ihn hinein, und mit ihm zusammen legen sie
in dasselbe Grab seine Kleider sowie die goldenen Armbänder, die er
getragen, ferner einen Vorrat Lebensmittel und Gefässe mit Getränken
und Geld. Endlich legen sie das Lieblingsweib des Verstorbenen
lebendig in das Grab, sehliessen den Zugang, und die Frau stirbt so
darin" (vgl. W. Thonisen Der Ursprung des russischen Staates S. 28).
Auch dies aber wird nur ein Wiederhall skandinavischen Brauches
sein; denn anch in Norwegen stossen wir in der jüngeren Eisenzeit
auf stattliche gezimmerte Holzkammern, in denen Leichen teils auf
gestopften Kissen lagen, teils auf Stühlen sassen (vgl. 0. Montelius
Die Kultnr Schwedens* S. 193). Ebenso wie die Russen, kennen die
Thraker beide Bcstattuugsweisen (vgl. Herodot V, 8: Tcwpcu bl toicti
eübaiuoo*i auxüjv eicri a'i'be • ipei? ufcv nu^pa«; TTpotiG^aai töv voepöv,
Kai navTOia a<pd£avT€? Ipn/icx cöujxoüvtcu, irpoicXaüaavT€<; ttpüjtov • Ittcitcv
be edirrouai KaxaKauaavie? fi. <5\Xuj<; rri KpüipavTes, xwua bk
Xcavies dtYiwva Ti9eio"i iraviolov), während die ausführliche Beschreibung
des Leichenbegängnisses eines skythischen Königs bei Herodot (IV, 71,
72) lediglich Beerdigung voraussetzt. Mit den von Herodot beschrie-
benen thrakischen Grabhügeln scheinen aber die zahlreichen in Thrakien
selbst und den angrenzenden Ländern sowie in der Troas und Phrygien
sich findenden Tumuli identisch zu sein, von denen freilich bis jetzt nur
einer (bei Bos-üjük, dem antiken Lamuna in Phrygien) genauer unter-
sucht, in acht Schichten der troischen Keramik entsprechende Thon-
waren, Tierknochen von Rindern, Ziegen, Damhirschen, zuletzt auch
menschliche Gebeine, vermutlich von geopferten Sklaven enthielt. Bis
zu dem Verstorbeneu selbst, dessen Überreste jedenfalls nicht in einer
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80
Bestattung.
Grabkamincr lagen, ist man aber noch nicht vorgedrungen (vgl. P.
Kretschmer Einleitung S. 174 ff.).
So bleiben die arischen Verhältnisse knrz zu bedenken. Die Perser
begruben, wie Herodot I, 140 (KcrraKripuKJavTe«; bn. u»v töv v6cuv TTCpffat
TTi KpuTTTOuai) ausdrücklich hervorhebt, ihre Toten. Auch im Awcsta
wird Totenbegrabung neben Totenverbrennung (bei anderen Stämmen) ge-
nannt. Auf die Gebräuche der Magier und der Anhänger Zoroasters wurde
schon oben hingewiesen (vgl. auch W. Geiger Ostiran. Kultur S. 262 ff.).
Die vedischen Zustände fasst Oldenberg Die Religion des Veda S. 570
folgendermassen zusammen: „Die Verbrennung war die normale, aber
keineswegs allgemein durchgeführte Bestattungsform des ve-
dischen Zeitalters Der Rigveda (X, 15, 14) spricht von den
Toten — und zwar nicht etwa gemeinem Volk, Nichtariern u. s. w., sondern
den in Himmelsfreuden lebenden frommen Vorfahren — ,die vom Feuer
verbrannt und die nicht vom Feuer verbrannt sind', und neben diese
Stelle setzt der Atharvaveda (XVIII, 2, 34) einen Vers, in welchem
ähnlich, aber mit konkreterer Wendung Agni angerufen wird : ,Die Be-
grabenen und die Weggeworfenen, die Verbrannten und die Ausge-
stellten: die alle führe herbei ,Agni, die Väter, dass sie vom Opfer
essen'u (über die uddhitäh , Ausgestellten' s. u. Alte Leute). In den
Ritualtexten wurde nach Oldenberg das Begraben nicht berücksichtigt
(vgl. auch Zimmer Altind. Leben S. 401 ff.).
Überblickt man die im bisherigen aufgeführten Thatsachen, so ergiebt
sich, besonders im Hiublick auf die altgriechischen, altrömischen und
altgermanischen Zustände, der Schluss, dass die Indogermancn in
ältester Zeit ihre Toten begraben haben. Ein idg. Ausdruck
für die Bezeichnung der Beisetzung der Leiche oder des Ortes, wo dies
geschieht, ist bis jetzt nicht gefunden worden. Am weitesten geht die
Übereinstimmung in der Reihe von altpr. kopts, enkopts ,begraben', lit.
ktipas »Grabhügel', lett. kapu mdte ,Grabesgöttin' (Usener-Solmsen Götter-
namen S. 107), gricch. KäiT€T0<; ,Grab' (vgl. .11. XXIV, 795 ff.), ,Grubc',
lat. capuhts ,Sarg' ; doch bedeuten lit. kapöti, altsl. kopati nur .hacken'
oder ,grabcn' (begraben : lit. pakattti, russ. choroniti u. s. w.). Sehr alter-
tümlich ist lat. sepelio. wenn es richtig mit seit, »apary ,dienen, hul-
digen, ehren' verglichen wird. Das lat. Vcrbum hätte dann seinen
Ursprung im Totendienst, wie auch lat. fünus .Leichenbegängnis', das
man dem griech. Ooivn. ,Mahl', ,Opfermahl' etymologisch gleichsetzen
kann, sich ursprünglich auf das Totenmahl isiUcernium > bezogen haben
könnte. Auch das gricch. 9<mTu>, rdqpoq ist noch nicht sicher erklärt.
Vf. hat ahd. tunc ,Grube\ , unterirdische Wohnung' herangezogen (so
jetzt auch F. Kluge Et. W. c s. v. Dung), und man könnte auch an den
awestischen Ausdruck dayma- denken, der (nach E. Wilhelms Mittei-
lung) im persischen Wörterbuch mit ,Haus, in dem man die Feueran-
beter begräbt", erklärt, im Pehlevi durch a*tndän .Knochenbchältcr'
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Bestattung.
81
wiedergegeben wird, und im Awesta den Platz der Aussetzung der
Leichen bezeichnet. Die idg. Grundform aller drei Wörter wäre dann
*dhnkh-. Auf keinen Fall geht Bcctttu), wie J. Grimm a. a. 0. S. 223
glaubte, ursprunglich auf das Verbrennen (scrt. tap, lat. tepeo, griech.
T€<ppa »Asche'), und auch aw. dayma- kann nicht mit W. Geiger
a. a. 0. S. 268 zu aw. daiaiti = scrt. dähati ,er verbrennt' gezogen
werden. Im Gotischen wird griech. Sännu durch ganawiströn ( : naus
»Toter, woraus wahrscheinlich altsl. navi /Toter', altpr. nowis .Rumpf
entlehnt sind, = aw. mmi-, griech. Wicuq , Leiche'; vgl. jedoch 0. Hoffmann
B. 13. XXV, 107) und filhan (ga-flh, UM-filh .Begräbnis', filigri , Höhle')
Ubersetzt. Die Grundbedeutung des letzteren Ausdrucks ist Kpuirrctv.
Ein Etymon ist noch nicht gefunden (doch s. u. Torf), ebenso wenig
für got. aurahi ,Grabeshöh)e'. Vgl. noch für ,Grab' das gemeingerm. got.
Mahr, run. Maina {Mamidd ,ich begrub ), agls. Mdw, alts. Meo, ahd.
Meo ,Grabhögel', »Grabstein', ,Grabdenkmal', ferner altndd. burgisli, agls.
byrgel* ,Grabhligel' : agls. byrgan »begraben' und ahd. grab = altsl.
grobü ,Grab, Sarg' : got. graban »graben (nicht , begraben'). Ein ge-
meingerm. Name des Scheiterhaufens scheint nicht nachweisbar
(nordische Bezeichnungen bei Weinhold Altn. Leben S. 481, agls. ba>l
und dd = griech. od6os »Brand', scrt. t'dhas- »Brennholz', mbd. rdz
.Scheiterhaufen', eigentl. »Gewebe', vgl. F. Kluge Et. W.G s. v. Ross2
u. a.).
Zu der Zeit, als sich die Indogermanen Uber Europa verbreiteten
und nach Ankunft in ihren Stammsitzen herrschte also bei ihnen die
Gewohnheit, ihre Toten in Felsenhöhlen, Steingräbern oder Grabhügeln
un verbrannt beizusetzen, eine Sitte, die später nach und nach durch
den Leiche nbrand zwar nicht beseitigt, wohl aber, hier mehr, dort
weniger, eingeschränkt wurde. Es knüpfen sich hieran die drei Fragen,
wann diese neue Bestattungsweise zuerst aufgekommen sein möge,
welche Gedanken ihr zu Grunde liegen, und ob sich der Aus-
gangspunkt bestimmen lasse, von wo die neue Sitte ihren Zug durch
Europa antrat.
In chronologischer Beziehung haben schon die obigen Ausführungen ge-
zeigt, dass der Leichenbrand in unserem Erdteil erst aufgekommen sein
kann, nachdem der Gebrauch der Bronze (s. u. Erz) sich in demselben
verbreitet hatte. Nur ausnahmsweise lassen sich Spuren desselben in der
Steinzeit, wie es scheint, namentlich in Thüringen, nachweisen (vgl. Ols-
hansen a.a.O. S. 163). Ganz aber wie im skandinavischen Norden im
Beginn des Bronzealters noch in Steinkisten oder Baumsärgen begraben
wurde, ebenso ist in Mitteleuropa, wie die Untersuchungen der Hügel-
gräber zwischen Ammer- und Staffelsee und in der Nähe des Starn-
bergergees (vgl. J. Naue Die Bronzezeit in Oberbayern) gezeigt haben,
die Leichenbegrabung (hier meist in gewölbartig gebauten Grabhügeln )
während der älteren Bronzezeit noch in ausnahmslosem Gebrauch, und
Schräder, Reallexikon. 6
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82
Bestattung.
erst während der jüngeren Bronzezeit wird die Verbrennung der Leiclien
zur Regel, die aber noch immer der Ausnahmen nicht entbehrt. Zur Zeit
des ersten Auftretens des Eisens finden sich beide Bestattungsarten in ver-
schiedenem Verhältnis beieinander. Das berühmte Gräberfeld von Hall-
statt weist 455 Brandgräber und 525 Beerdigungen auf, wozu dann noch 13
Fälle einer teil weisen, auch in Oberbayern nachweisbaren Verbrennung
kommen. Zugleich aber erhellt aus den völlig gleichen Beigaben, dass
ein zeitlicher Unterschied zwischen beiden Arten der Bestattung nicht
bestand (vgl. v. Sacken Das Grabfeld von Hallstatt S. 16). In Ober-
italien auf dem Begräbnisplatz von Villanova (unweit Bolognas), der
ebenfalls der ältesten Eisenzeit angehört, stiess man auf 14 Skeletgräber
zwischen 193 Urnengräbcru, während bei den in der Nähe gelegenen
und ungefähr gleichzeitigen Gräberfunden bei Schloss Marzabotto sich
das Verhältnis von Skelet- und Brandgräbern hinsichtlich der ersteren
günstiger stellte (vgl. Undset Das erste Auftreten des Eisens in Nord-
Europa). Wohin man blickt, überall kein plötzlicher Bruch, sondern
ein allmähliches Aufkommen der neuen Bestattungsart.
Welche Gedanken mögen sie ins Leben gerufen haben?
Auf diese Frage hat neuerdings E. Rohde eine geistreiche und vielleicht
richtige Antwort gegeben.
U. Ahnenkultus ist gezeigt worden, dass in der Urzeit und bis tief
in die historischen Zeiten die Auffassung herrschte, dass auch nach
dem Tode des Menschen seine Seele noch in der Nähe des toten Leibes
hause, und durch ihr Wiedererscheinen leicht den Lebenden gefähr-
lich werden könnte. Man hält es daher für notwendig, diese Seele
von Zeit zu Zeit mit Speise und Trank zu laben. Auch giebt mau
dem Leichnam Schmuck, Waffen, Werkzeuge, Gefässe mit allerhand
Lehensmitteln, knrz die verschiedensten Gaben mit, wie sie schon in
der Steinzeit regelmässig gefunden werden. Auf demselben Gedanken
beruht der Brauch, der sich aber, namentlich im Norden, erst aus ver-
hältnismässig später Zeit belegen lässt (vgl. S. Müller a. a. O. 418), an
dem Grabe des Verstorbenen Pferde, Hunde, Diener und vor allem die
Frau oder eine der Frauen des Dahingeschiedenen is. u. Witwe)
zu schlachten. Das Weib hat der Lust des Verstorbenen im Lebeu
gedient, sie soll es auch im Tode thun. So thut man alles, um die
Seele des Toten, die noch in unheimlicher Nähe weilt, zufrieden zu
stellen. Wie nuu, meint Rohde (Psyche I *, 31 ff.), wenn man in dem
Feuer das taugliche Mittel gefunden zu haben glaubte, um eine schnelle
und gänzliche Abtrennung der Seele von dem Laude der Lebenden
zu bewirken? „Schneller als Feuer kann nichts den sichtbaren Doppcl-
gänger der Psyche verzehren: ist dies geschehen, und sind auch die
liebsten Besitztümer des Verstorbenen im Feuer vernichtet, so hält kein
Haft die Seele mehr im Diesseits fest. So sorgt man durch Verbrennung
des Leibes für die Toten, die nun nicht mehr rastlos umherschweifen,
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Bestattung'.
83
mehr noch für die Lebenden, denen die Seelen, in die Erdtiefe ver-
bannt, nie mehr begegnen können." Zu derselben Auffassung ist nach
Rohde, aber unabhängig von ihm, auch S. Müller in seiner oft genannten
nordischen Altertumskunde I, 363 ff. gekommen.
Was sich gegen diese Erklärungen, die die ältere Deutung J. Grimms
(a. o. a. 0.) aus einer angeblichen Opferung der Gestorbenen an die
Gottheit ersetzen sollen, einwenden lässt, ist, dass, wenn der Leichen-
brand den Toten von allem Irdischen scheiden soll, man nicht recht
versteht, warum man auch bei der Leichenverbrennung damit fortfuhr,
die Seelen mit Speise und Trank zu laben, und an Totenbeigaben wie
früher festhielt. Mau müsste alsdann annehmen, dass der altehrwürdige
Brauch, auch nachdem er sinnlos geworden war, noch festgehalten wurde,
und dass das, was früher zum wirklichen Gebrauch des Toten bestimmt
war, jetzt mehr als Andenken und Liebeszeichen für denselben aufge-
fasst ward. Thatsächlich scheinen in der jüngeren Bronzezeit die
Totengaben, die damals noch nicht auf den Scheiterhaufen gelegt
wurden, ärmlicher und willkürlicher als früher zu sein. Abermals eine
neue Phase des Glaubens bezeichnete dann die Vorstellung, dass die
Totengaben, zusammen mit dem Toten verbrannt, ihm in das bessere
Jenseits folgten und dort ihm nützlich wären (vgl. S. Müller a. a. 0.
S. 416 ff.).
Naturgemäss wird man auf diesem Gebiete sich in einander schie-
bender und über einander schichtender Vorstellungen niemals über
mehr oder weniger wahrscheinliche Vermutungen hinauskommen.
Dass die Gewohnheit, die Toten zu verbrennen, statt zu begraben,
Uberall da, wo sie begegnet, neu entstanden sei, wird man für wenig
wahrscheinlich halten. Unzweifelhaft liegt auch hier die weltweite
Wanderung eines Brauches von Volk zu Volk vor, dessen Ausgaugs-
pnnkt sich noch ahnen lässt. Wir haben oben gesehen, dass der
Leichcubrand in den Fusstapfen der ihm geraume Zeit voraufgegangenen
Bronze auftritt, deren Ursprünge (s. u. Erz) aller Wahrscheinlichkeit
nach in den Euphrat- und Tigrislandschaften zu suchen siud. Sollte nicht
auch der Lcichenbraud von hier seinen Ausgang genommen haben?
Im Jahre 1887 sind in Babylonien die beiden Trttmmerstätten Surghul
und El Hibba im Lande der Chaldäer eingehend untersucht worden,
wobei ungeheuere Nekropolen als geineinsame Ruheplätze der Reste
im Feuer verbrannter Leichen zu Tage getreten sind (vgl. R. Koldewey
in der Zeitschrift für Assyriologic II, 403 ff.). Es ist, als ob der Mensch
hier eine Schule der Leichenverbrennung durchgemacht habe. Leichen
findeu sich, die gänzlich eingeäschert sind, Leichen, die nur zum Teil
verkohlt sind, Leichen, die kaum eine Spur der Verbrennung tragen.
Man kann „Leicbengräber" und „Ascheugräber" unterscheiden; bei deu
erstereu sind die Reste der Verbrennung auf ihrem Platze unberührt
liegen geblieben, bei den letzteren in besondere Gefässe gesammelt worden.
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84
Bestattung — Beutel.
Auch Beigaben aller Art finden sieb, sowohl solche, die mit dem
Toten verbrannt wurden, als anch solche, die nachher an dem Grabe
oder in den Totenhäusera — denn anch solche sind nachgewiesen —
niedergelegt worden. Wenn wir es demnach in Surghul und El Hibba
zweifellos mit den Ruinen altbabylonischer Feuernekropolen zn
tbun haben, so ist der Leichenbrand doch kaum eine semitische
Erfindung. Altsemitischer Brandl ist vielmehr das Begräbnis der Toten,
wie es sich bei Hebräern, Phoeniziern und Arabern findet, die mit dem
Babylonisch-Assyrischen auch das Wort hebr. qdbar ,begraben' gemein
haben. Fritz Hommel (brieflich) ist daher der Meinung, dass das Ver-
brennen der Toten eine Einrichtung der Sumerer sei, auf die (s. u.
Erz) wohl auch die Erfindung der in jenen Nekropolen vielfach nach-
gewiesenen Bronze zurückgeht.
In Europa hat sich der Leichenbrand neben dem Begräbnis wie in
der älteren Eisenzeit (s. o.), so später erhalten, bis die christliche Kirche,
die dem alten Testament ihre Vorliebe für das Begräbnis verdankte,
sowohl der Verbrennung wie auch der Bestattung in Hügeln u. dergl.
statt auf dem gottgeweihten Kirchhof ein Ende machte. — S. noch
u. Friedhof und u. Sarg.
Betonie. Betonica ofßcinalis L. ist eine schon von Griechen
und Römern geschätzte Heil- und Zauberpflanze. Bereits im Altertum
war eine (fälschlich) dem Leibarzt des Augustus, Antonius Musa, zuge-
schriebene Abhandlung De herba Vettonica vorhanden, in der die
Pflanze als Heilmittel gegen 47 Krankheiten empfohlen wurde. Über
den Namen griech. ßcrroviKn. (Diosk.), lat. vettonica äussert sich
Plinius XXV, 84: Vettones in Ilixpania eam quae Vettonica
dicitur in Gallia, in Italia autem serratula, a Graecis cestros
aut p8ychrotrophon} ante cunetas laudatisaima. Der Ausgangs-
punkt des Wortes ist also wohl im Altgallischen, wo auch der Mistel-
abcrglaube (s. u. Mistel) wurzelt, zu suchen.
In Deutschland begegnet die vittonica in den zwei Inventaren kaiser-
licher Gärten vom Jahre 812. Ein agls. Kräuterbuch (vgl. HoopsAlt-
engl. Pflanzenn. S. 45) beschreibt die Wirkungen der bitönke genau
mit den Worten des Dioskorides. Bei der heiligen Hildegard heisst
die Pflanze, wie auch in lat. Glossen pandonia, deutsch bathenia,
beides, wie auch die neueren batänie, battunie, patönig u. s. w. Ver-
stümmlungen aus bettonica. Vgl. noch agls. biscopwyrt und nhd. pfaffen-
blume (Pritzel und Jessen Deutsche Volksn. S. 388). Poln. etc. buktcka
,Betonie' : buk ,Buche' (vgl. Miklosich Et. W. d. slavischen Spr.). —
Andere Heilpflanzen s. u. Arzt.
Bett, s. Hausrat.
Bettler, s. Reich und arm.
Beute, 8. Krieg.
Beutel, s. Geldbeutel.
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Bewaffnung — Biene, Bienenzucht.
Bewaffnung, s. Waffen.
Bezahlnngsmittel, s. Geld.
Biber. Er war schon den Indogermanen bekannt und ursprüng-
lich über fast ganz Europa verbreitet. Auch in der südrussischen Steppe
(s. u. Urheimat» kam er noch im Anfang des vorigen Jahrhunderts
in den Gouvernements Simbirsk und Kasan vor (vgl. A. Nehring Tun-
dren und Steppen S. 105 und Z. d. Gesellsch. f. Erdkunde zu Berlin
XXVI, 322). Sein idg. Name lautet aw. bawri- (scrt. bdbhru- ,braun',
^grosser Ichneumon'), tat. fiber (das späte beber aus dem Germanischen),
korn. befer, ahd. bibar (bibarizzi, bibartcurz ,castoreum'), lit. böbrtts,
altsl. bebrü. Im Litauischen besteht noch däbras. Ob es zu lat. faber
,Künstler', got. gadöfs ,schicklich', lit. dabinü ,schmttckc' oder zu kelt.
ir. dobar ,Wasser', ir. dobrän ,fiber\ ,Otter', dobor-chti ,Wasserhund'
= Otter, Biber (vgl. noch altpr. dobringe ,rivus) gehört, ist zweifel-
haft. Nach dem Tiere sind auf keltischem wie germanischem Boden
zahlreiche Orte benannt: Bibrax, Bibracte, Biberach, Bibrich etc.
Nur in Griechenland fehlt Wort und Sache. Zuerst berichtet Herodot
(IV, 109) aus dem Lande der nordpontischen Budinen von Kdorope?.
Auch kennt er bereits den Gebrauch des Bibergeils zu niedicinischen
Zwecken (ol öpxi€? auroiffi eiffi xPH^MOi i$ üo*T€p^uiv äicccriv). Nach
ihm nennt Aristoteles Hist. anim. VIII, 7, 5 den tcctö"ru>p neben dem
XdTa£, von dem er erzählt, dass er Nachts ans Ufer gehe und mit den
Zähnen Stämme abschneide. Aus eigener Anschauung scheint er das
Tier aber nicht zu kennen. Unter diesen Umständen wird Käffrwp ein
Fremdwort sein. Schwerlich wird man es an öeremiss. (budinisch)
yundur, yondyr , Biber' (vgl. Tomaschek Kritik der ältesten Nachrichten
über den skythischen Norden II, 26) anknüpfen können. Wahrscheinlich
beruht KäoTwp , Biber' vielmehr auf einer Verwechslung mit scrt. kastüri
(in Tibet kosterah) ,Moschu stier*. Veranlassung zu derselben gab
dann die Ähnlichkeit des stark duftenden Bibergeils mit dem aroma-
tischen Beutel des Moschustieres, von dessen Bekanntschaft bei den
Alten freilich sonst keine Spuren vorhanden sind. Erst bei dem Kirchen-
vater Hieronymus Contra Jovinianum lib. 2 findet sich lmincus (woraus
it. musco u. s. w.). Vgl. Beckmann Beiträge V, 49.
Biene, Bienenzucht. Der idg. Rauschtrank war der aus Honig
hergestellte Met: scrt. mddhu- ,Süssigkeit, Honig' (auch der Sorna),
aw. madu- .Honig' (npers. mei ,Wein'), mada- ,Rauschtrank' (das
aber auch dem scrt. mada- id. entsprechen kann), griech. p^8u ,Wein',
H^6r| ,Trunkenheit', ahd. mMo, mitu, altn. mjödr (spätlat. medus) ,Mct",
ir. mid ,Met', korn. med ,sicera' (ir. mesce aus *medce ,Trunkenheit'i,
altsl. medü, altpr. meddo , Honig', lit. midüs ,Mef, medüs , Honig' (s.
auch u. Opfer, Mahlzeiten und Trinkgelage, Nahrung). Daneben
besteht für den Honig ein auf das Armenische und mehrere europäische
Sprachen beschränkter Ausdruck: armen, melr, grieeb. uc'Xi (dazu
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86
Biene, Bienenzucht.
ßXrrnu ,zeidcle' ans *mlittö), lat. mel, got. milip, ir. mil, alb. mjaV.
Für das Wachs giebt es die Gleichungen griech. tcripö;, lat. cera,
lit. köris und ahd. wahs, altsl. voskü, lit. tcäszkas (doch sind die beiden
letzteren Wörter vielleicht dem Germanischen entlehnt).
Es kann also nicht bezweifelt werden, dass der Honig in der Ur-
heimat der Indogermanen bekannt war, und dass daselbst demnach auch
die Biene zu Hause gewesen sein muss. Wenn kein sicherer gemein-
samer Name für das Tier besteht, so kann dies darin seinen Grund
haben, dass die Indogermanen nur den Honig der wilden, d. h. noch
nicht in von Menschen angebotenen Wohnungen angesiedelten Biene
kannten und verwendeten und daher dem Insekt selbst noch weiter
keine Beachtung schenkten, dessen Name daher vielfach mit dem ähn-
licher Tiere wie Hummel oder Wespe zusammenfliesst. Dies gilt von
sert. bambhara- ,Biene" (Lex.) : griech. Trcuxppnbuiv ,eine Wespenart', von
ahd. treno, agls. dran .Drohne, Hummel' : griech. T€v8pn,vn ,eine Art
Wespe oder Hummel', Tcvepnbwv, dvepnbwv, lak. Opwvaf ,Drohne', dv-
epnvn. ,Waldbiene', von griech. Kn.<pnv ,Drohne', das von einigen mit
altsl. capü ,Bicne' (*kfph-) verglichen wird, vielleicht aber eher zu
ahd. humbal jHnmmel' zu stellen ist (*kmbh- :*kmbh-; vgl. wegen des
/ : ahd. himil : got. himins). Auf Wurzel verwand tschaft beruht die
Reibe : ahd. bini und bia, altpr. bitte, lit. bitis, ir. bech. Ein freilich
noch nicht aufgeklärter Zusammenhang wird auch stattfinden zwischen
lat. apiß, gall. am(p)ella ,Bienensug' (eine Pflanze) und ahd. imbi
, Bienenschwarm' (während P. Horn Grundriss d. npers. Et. S. 254 ff.
das lat. Wort mit npers. eng ,Biene' zu vermitteln versucht; von ahd.
imbi ist griech. duTtiq ,Stecbmttcke' der Bedeutung wegen wohl fern
zu halten). Griech. .ucXiaaa ,Biene' und alb. mjal'tse id. sind in gleicher
Weise von den oben genannten Wörtern für Honig abgeleitet. Ono-
matopoetisch sind sert. bhramard- , Biene' : nhd. brummen (vgl. auch
P. Horn a. a. 0.), griech. ßoußuXn. ,eine Bienenart', ßoußuXiö? , Hummel' :
ßouß&u (Uber ßÖMßu£ s. u. Seide), altsl. büceht u. a. m. Vgl. noch
lit. kamäne .Erdbienc", altpr. camus , Hummel'.
Die Honigbiene kommt spontan in dem grössten Teil Europas, na-
mentlich auch im südliehen Russland (s. u. Urheimat), vor, wo östlich
von dem Mittellauf der Wolga, zwischen Orcnburg und Perm das
„Honiglandu der heutigen Baschkiren, grösstenteils Steppengebiet sich
erstreckt (vgl. über dasselbe F. W. Gross Das neue Ausland I Jahrg.
H. 17 — 19). In Asien ist die Honigbiene dagegen nur in einer schmalen
Zone zu Hause, die von West nach Ost über Kleinasien. Syrien, Nord-
arabien, Pcrsiei), Afghanistan, das Himalayagebirge, Tibet und China
läuft. Als nicht ursprünglich ist sie nachgewiesen worden in Turkestan,
also in den Oxns- und Jaxartesländern, wo von J. G. Rhode an (vgl.
Vf. Sprachvergleichung und Urgeschichte8 S. 10 1 bis heute die Ursitze
der Indogermanen von zahlreichen Gelehrten gesucht worden sind, und
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Bieue, Bienenzucht.
87
jenseits des Ural, in Sibirien, wo sie jetzt zwar verbreitet, aber erst
seit dem Jahre 1775 eingeführt worden ist (vgl. Fr. T h. Koppen
Ein neuer tiergeographischer Beitrag zur Frage Uber die Urheimat
der Indoeuropäer und Ugrotinnen Ausland 1890 Nr. 51). Den Mittel-
punkt der beachtenswerten Ausführungen dieses Naturforschers bildet
die merkwürdige Übereinstimmung des oben besprochenen idg. *medhu-
lnit der finnisch-ugrischen Benennung des Honigs, finn. m€si. St. niete-,
mordv. med, cer. wi/, syrj. ma, ostj. mag, wog. mau, ung. m&z, eine
Übereinstimmung, die auch nach W. Thomsen Über den Einflnss d.
gerra. Sprachen S. 2, Beröringer S. 200 nicht auf späterer Entlehnung
des Finnischen aus einer idg. Einzelsprache bernhen kann, so dass
hier in der That ein gemeinsamer, prähistorischer Besitz der Indoger-
tnanen und Finnen vorzuliegen scheint.
Eigentliche Bienenzucht ist erst nach Trennung des idg. Urvolks
aufgekommen, im Norden Europas zunächst die wilde Waldbieneuzucht
an Zeidelbäumen, im Süden die zahme Bienenzucht in Bienenstücken,
die dann allmählich auch nach dem Norden vorgedrungen ist. Bei
Homer lässt sich noch keine Spur derselben nachweisen. Erst iu der
hesiodeischen Theogonie, wo auch die Arbeitsbienen (ueXiCHJai) und
Drohnen (Kn.<pfjv€q) zuerst unterschieden werden, treten die künstlichen
Bienenkörbe, die 0\xr\vr\ und aiußXoi ( : ahd. seim , Honigseim', altn.
hunangsaeimr ,Wabe'? vgl. Pott Beitr. z. vergl. Sprachf. II, 277)
hervor. Wie alt iui Norden, auf keltischem und germanischem Boden,
die Waldbienenzucht sei, lässt sich nicht sagen. Nachrichten wie die
des Strabo IV, p. 201 über das bochnordische Thüle: nap' ol? bi ohoq
kcu mcXi -f«TV€Tai ko.1 tö TTÖjua ^vt€ö9£v oder die des Plinius Hist.
nat. XI, 33, nach der man in Germanien eine Wabe (mhd. räze,
das schon in der Reichenauer Glossenhandsehrift als frata mellis be-
zeugt ist) von 8 Fuss Länge gefunden habe, können sich natürlich
auch auf das Erzeugnis wilder Bienen beziehen. Jedenfalls nehmen
aber die leges barbarorum von Anfang an sowohl auf die Zeidelwcide,
wie auch auf die Bienenzucht in ordentlichen Bienenhäusern eingehende
Rücksicht (vgl. darüber Anton Deutsche Landwirtschaft I, 163 ff.), über
den westgerra. Ausdruck ahd. bia-bröt, agls. beö-bredd s. u. Brot, Uber
die Verwendung des Honigs zum Bier s. d. Auch die Slavenlande,
in denen ebenso wie iu dem benachbarten Litauen sich das Honig-
sammeln in den Wäldern bis in die Gegenwart erhalten hat (vgl. V.
Hehn Kulturpflanzen6 S. 565), zeichneten sich schon nach dem Bericht
Abraham Jakobsens vom Jahre 973 durch Überfluss au Korn, Fleisch,
Honig und Fischen aus. Wein und starkes Getränk wurden ans Honig
bereitet.
Die Bezeichnungen der Bienenkörbe in den nordischen Sprachen
gehen vielfach von der Grundbedeutung ,Trog, Tonne' aus. So bedeutet
ahd. biutta .Backtrog' uud .Bienenkorb', agls. hyf, engl, hire ist =
Biene, Bienenzucht — Bier.
lat. cüpa, litu-slavisch atcilgs-ulej beruhen auf Urverwandtschaft mit
lat. alceun ,Trog', auch »Bienenkorb'. Dem gegenüber entspricht altpr.
drawine .Beute', .wilder Bienenkorb', lit. drawi* , Waldbienenstock'
dem got. triu ,Baum' (*tretoa-). Dunkel sind ahd. zidal iu zidaldri,
zidaheeida und russ. bortl , Waldbienenstock ' {*berti : agls. bord , Brett,
Tafel' etc.?».
Zwei noch nicht aufgeklärte Bezeichnungen des Honigs sind ahd.
honang und altsl. strüdü. Die kulturhistorische Bedeutung des Honigs
als des hervorragendsten Versttssungsmittels der Speisen und Getränke
ist im Altertum und Mittelalter eine ausserordentliche, bis sie durch
den allmählich auf kommenden Zucker (s. d.) eingeschränkt wird. —
Allgemeines Uber Bienen und Bienenzucht s. bei E. Hahn Die Haus-
tiere S. 379 ff.
Bier. Mit dem Übergang der Indogermanen Europas zum Acker-
bau (8. d.) und dem Anbau der wichtigsten Getreidearten waren die
Voraussetzungen für die Herstellung eines bierartigen Getränkes an
Stelle des urzeitlichen Metes (s. u. Biene) gegeben- Ob die ersten
Anfange eines solchen bereits in die Zeit vorhistorischer Zusammen-
hänge zurückgehen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Immerhin
weisen Gleichungen wie gemeingenn. ahd. briuwan, agls. breötcan,
altn. brttgga ,brauen' : thrak.-phryg. ßpöxov .gebrautes', ßpoüro^ • Ik
tcpiGwv rcöuct Hes. (vgl. auch lat. de-fru-tu-m ,eingekochter Most'), ferner
anscheinend urverwandte Ausdrücke für Treber und Hefe : ahd.
trebir, isl. draf, agls. dreef (*dhrap~) neben ahd. trestir, agls. d&rstan,
ahd. truonna, agls. drösn (*dhraq-8) = lat. fraces ,Oelhefen' (vgl. auch
alb. drä ,Bodengatz des Öls' aus *dragd, altn. dregg aus *dragja,
altpr. dragios, altsl. droidija : *dhragh-?) sowie auch agls. beorma
, Bärme' = alb. brum »Sauerteig*, lat. fermentum ,Hefe, Gährungsmittcl,
Bier' (s. auch u. Brot) darauf hin. Vgl. auch die auf den germauisch-
slavischen Norden beschränkte Übereinstimmung von agls. ealu, ealod,
altn. öl, lit. a1ü8 (woraus finn. olut) .Bier', altsl. olü ,Bier', ,sicera',
altpr. alu ,Met', St. *alut- (das Etymon s. u. Alaun). — Waren aber von
den Indogermanen in vorhistorischer Zeit Anfänge der Bierbereitung
gemacht worden, so hatten jedenfalls Griechen und Römer, in ihrer
neuen Heimat mit dem Weine bekannt geworden, dieselben längst
vergessen, ganz ähulich, wie die schon in der Urzeit bekannte Butter
(s. d.) im Süden hinter der Gabe des Ölbaums (s. d.) zurückgetreten
ist. Doch haben sie uns zahlreiche Nachrichten hinterlassen, welche
von der Bekanntschaft mit einem aus Getreide hergestellten Trank im
ganzen übrigen Europa und dem angrenzenden Kleinasien sowie im
alten Aegypten zeugen. Die wichtigsten derselben nebst den betreffen-
den Namen des Bieres in den einzelnen Ländern sind folgende:
Die älteste Kunde von dem Genuss eines „Bräusa bei Phrygern und
Thrakern giebt der parische Dichter Archilochus (Athen. X p. 447):
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Bier.
89
üj<JTT€p bi* aüXoC ßpürov fj 0prjiE ävfjp
f| <ppüE eßpu£€, Kußba b' r^v 7rov€UMtvrj
(vgl. dazu Vf. K. Z. N. F. X, 5, 470 f.; s. auch n.).
Das in diesen Versen zuerst erwähnte ßpürov ,Bräu' wurde schon er-
klärt. Die auf Pfählen wohnenden Paeonier tranken nach Hekatacus
(b. Athen. 1. c.) ebenfalls ßpürov &tt6 twv Kpi8€u>v, dazu Trapaßitiv dirö
K^rxpou (Hirse) Kai kovuCti? (d- h. mit Zuthat de« stark duftenden
Krautes icovüZn.). Iu Illyrien und Pannonien wurde ein Bräu
getrunken, das die Römer sabaja, sabajum nannten; später tritt in
diesen Gegenden ein zuerst im Maximaltarif des Diocletian (ed. Blümner
S. 70) genanntes camum-Ka^ov auf. Von den drei zuletzt genannten
Ausdrücken scheint nur bei dem illyrisch-pannonischen sabaja (vgl. die
Stellen bei V. Hehn a. u. a. O. S. 145) eine Anknüpfung möglich zu
sein, insofern es nahe liegt, mit ihm den Namen des thrakisch-phry-
gischen Dionysos, Sabazios, zu verbinden. Setzt man mit Kretschmer
Einleitung S. 195 als echte Namensform dieses Gottes Savadios an,
so steht nichts im Wege, auch in sabaja b als Vertreter vou v auf-
zufassen (*saraia-). In diesem Falle könnte mau scrt. sacd- , Kelterung'
heranziehen : sabaja wäre »gekeltertes', Sabazios ,Gott der Kelteruug'
(vgl. u. altgall. Braciaca ,Gott des Malzes ). Wohl gleichfalls eine
nordische Bezeichnung des Bieres ist das von Aristoteles (b. Athen. 1. c.)
in seiner verlorenen Schrift rapi niQx\$ genannte rrivov, an slav. pico
,Getränk, Bier', altpr. piwis ,Bier (s. u.) erinucrnd. Die Bekanntschaft
der alten Deutschen mit dem braunen Tranke bezeugt Tacitus
Germ. Cap. 23: Potui humor ex kordeo auf frumento, in quandam
similüudinem vini corruptus, wobei man unter frumentum nach ital.
formentOy altfrz. frument, frz. froment am wahrscheinlichsten Weizen
zu verstehen haben wird. Ein altgermanischer Name für das Bier wird
aber von den Römern nicht Uberliefert. Überaus häufig sind ferner die
Nachrichten der Alten Uber das keltische Bier, deren älteste in dem
bei Strabo (IV, p. 201 > aufbewahrten Bericht des Pytheas hinsichtlich
der brittiscbcn Kelten enthalten ist: Tiap' oi? b€ Oito? Kai p^Xi (s. u.)
tWvtTai Kai tö Tröua £vTeu0ev £x*iv. Der altgallische Name des
Getränkes lautete KÖpua, KoOpm; er ist noch in ir. cuirm etc. erhalten.
Ein zweiter weitverbreiteter keltischer Name des Bieres liegt in ir. lind,
kymr. llynn vor = Hendu, noch unaufgeklärt. In Zusammenhang
aber mit KÖpua, Koöpm steht offenbar das von Plinius XXII, 164 aus
Spanien gemeldete cerea, das in Gallien nach demselben Autor cer-
vesia (so mlat. u. rom.) lautete. Vgl. noch Plinitks XIV, 149: Est et
occidentis populis sua ebrietas fruge madida pluribus modln per
Gallias Hispaniasque, nominibus aliis sed ratione eadem. Hispa-
niae iam et vetustatem f er re ea gener a docuerunt.
Wie der Gebrauch des Bieres im Osten zu Thrakern, Phrygern und
Armeuiern 's. u.j übergeht, so lässt er sich im Westen von Spanien
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Bier.
hinüber nach Afrika verfolgen. Im alten Ägypten war Bier neben
dem Wein der Vornehmen das gewöhnliche Volksgetränk ; doch gehört
der von den Alten für das ägyptische Bier gebranchte Ausdruck ZvQoq
kaum dem Ägyptischen an, welches das Bier vielmehr hekt nennt,
sondern entstammt eher dem Griechischen selbst (Zöeo? ,Bier' : Cuun.
Sauerteig'; vgl. oben lat. fermentiim). Sehr interessante Nachrichten
Uber die ägyptische Bierbrauerei aus der Ptolemäerzcit enthält der Auf-
satz Karl Wesselys Zythos und Zythera (XIII Jahresb. d. k. k. Staats-
gymnasiums in Hernais. Wien 1887).
Hinsichtlich der Beschaffenheit des ältesten europäischen Bieres
muss man den Gedanken an unser modernes Getränk ziemlich bei Seite
lassen. Zunächst fehlte ihm der Hopfen. Uber diese KulturpHauze
ist in einem besonderen Artikel gehandelt worden, in dem gezeigt
worden ist, dass der Anbau und die Verwendung des Hopfens beim
Bierbrauen sich erst im Mittelalter durch slavische Vermittlung von
finnischen und tatarischen Völkern her in Europa verbreitet hat. Sollte
es lautgeschichtlich gestattet sein, die germanische Sippe von ahd. bior,
agls. beör, altn. bjdrr, in der man früher vielfach eine einheimische
Weiterbildung aus agls. beö, altn. btjgg ,Gerste' erblickte, mit E. Kuhn
(K. Z. XXXV, 313 f.) als verhältnismässig späte Entlehnuug aus altsl.
piro, *pires-, altpr. pittis ,Bicr' aufzufassen, so läge die sachlich an-
sprechende Möglichkeit vor, in agls. beör u. s. w. einen Ausdruck für
das gehopfte, in agls. eaht u. s. w. einen solchen für das ungehopfte
Bier anzuerkennen. Ein Gegensatz zwischen beiden Wörtern tritt schon
im Alvismäl hervor: öl heitir med mönnum, en med Asum björr,
und noch die heutigen Engländer unterscheiden so zwischen beer und
die. Ein agls. Synonym von ealu ist mcatan, schott. Stents ,Bicr' :
engl, sieeet ,süss". Indessen ist der Hopfen in Europa vielleicht nicht
das erste Ingredienz gewesen, welches man verwendete, um dem Biere
einen aromatischen und bitterlichen Geschmack zu geben. Schon oben
lernten wir bei den Paeonicrn die icovuZn, kennen. In Aegypten ver-
wendete man hierzu nach Columella X, 1 14 (vgl. Wessely S. 39) siser [Sium
Sisarum L.\, Assyria radix (Rettig) und Wolfsbohne (Lupinus hir-
sutus und angufitifblius L.). Für Europa könnte man auch an Eichen-
rinde, Fichtensprossen, Schafgarbe u. dgl. als Bieringredienzen denken
(vgl. O'Cnrry Manners and cnstoms of the ancient Irish I, CCCLXXIII).
Zweitens hat sich die Kunst des Mälzens offenbar erst ganz allmählich
in Europa entwickelt. In der ältesten Zeit wird man das gequollene
Getreide unmittelbar' zur Bierbereituug benutzt haben. So kommt es,
dass bei den Armeniern nach Xenophons Anabasis (IV, 5, 26) in den
KpaTn.p€£ noch die Gerstenkörner herumschwammen (^vfiöav bk Kai au-
tcTi ai xptBai iaoxciXci?), so dass man beim Trinken Rohrhairae an-
wendete, um die Körner nicht in den Mund zu bekommen. Auf das
gleiche scheinen die oben genannten Verse des Archilochus anzuspielen:
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Bier.
91
„Gleichwie der Thraker oder Phrvger durchs Rohr sein Bräu hinnnter-
gurgelt, also mit vorgeneigtem Kopf" u. 8. w. Doch wurde bei den
Kelten nach Pogidonius (bei Athen. IV p. 152) das Bier bereits aus
xuaeoi und bei den Germanen und anderen Völkern aus Hörnern (g. u.
Horn) getrunken. Heute wurde jenes alteuropäische Bier zubereitet,
und morgen schon vertilgt. So beschreibt es Lasicius De diis Sania-
gitarum S. 44 bei den Litauern : Cercisia in va*h er cortieibus facti»,
positis intus saxis fercidis, ex aqua, frumento, lupulo, una nocte
cocta protinus faecex aeeipit posteroque die bibitur („eine nette Art,
den Darm zu reinigen", fügt der Schriftsteller hinzu). Die Kunst, das Bier
baltbar zu machen, wäre nach Plinius a. o. a. 0. in Spanien erfunden
worden. Auch mnsste die unvollkommene Malzbereitung nur einen
geringen Zuckergehalt des Bieres liefern. Die alten Völker
griffen daher, um das Getränk zu versüssen, zu dem altgewohnten
Honig, so dass dieses älteste Bier am besten als ein Übergangsgetränk
vom Met zum eigentlichen Biere aus Malz und Hopfen aufgefasst werden
kann. Zu dem schon oben genannten Zeugnis des Pytheas hierfür
kommt noch das bei Diodorus Sicnlus V, 2G: biÖTrcp xüüv TaXaTuiv ol
TOUTUUV TUÜV KapTTtÜV (TOÖ 01V0U) 0*TeplÖXÖli€VOl 7rÖliCl KOTa(jK€ud£0U0~lV
Ik Tf)£ KpiOfjq tö TrpoffaYopcuoiievov 2ü8oq, Kai xä «npia ttXOvovtc?
tuj toutujv OTTOTrXüpaTi xpwvTat, und das des Posidonius (a. a. 0.): irapd
bk TO»? U1T0be€ÖT^p0»? ZÜBO$ TTÜpiVOV U€TOl li€'XlTO? 40*K€Ua0*U€V0V.
Da die Fortschritte der Bierbrauerei also ausser an die Einführung
des Hopfens wesentlich an die Fortschritte in der Kunst des Malzens
gebunden sind, so sei hier noch das Hervortreten dieses Begriffes in
den nordeuropäischen Sprachen kurz erörtert. Der gemeinkeltische
Name des Malzes ist altir. braich, korn. bräg, kymr. brag (vgl. auch
altkorn. bracaut, gl. mulsnm) = *mraci-, das auch in dem von Plinius
XVIII, 62 genannten altgallischen bracem (Gl. : braces) ,eine Speltart' (lat.
Hcandala) vorliegt. Die Grundbedeutung wird frux madida (*mraci- : lit.
mafkti ,einweichen') sein. Nach Holders altkeltischem Sprachschatz
wäre mit diesem Wort auch ein altgallischer Beiname des Mars: Braci-
äca (C. I. L. VII, 176: Deo Marti Braciacae) als ,Gott des Malzes'
zu verbinden, wozu man das Epigramm des Kaisers Julian auf den
keltischen Gersten-Bacchus (bei Hehn a. u. a. O. S. 147) vergleiche. Im
Mittellateinischen ist bracium dann der gewöhnliche Ausdruck für Malz,
und auch die romanischen altfr. brau ,Malz', braver, altsp. bramr
,brauen' beruhen in letzter Instanz auf dieser keltischen Sippe. Nach
einigen wären aus derselben zur Zeit des Aufenthalts keltischer Stämme
an der untern Donau auch die slavo-litauischen Ausdrücke russ. braga
,Getränk von Gerste und Hirse', klruss. braha .Art Dünnbier" etc., lit.
brögas ,Schlempe" entlehnt worden.
Auch die Germanen haben ein gemeinsames Wort für das Malz:
ahd. malz, agls. mealt, altn. malt : altsl. mladü .zart' (vgl. russ. molodl
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32
Bier — Birnbaum.
,Bierwürzc). Dasselbe ist in die meisten Slavinen (poln. mloto etc.).
ins Altpreussische (pitcamaltan), ins Finnische {mallas) und ins Magya-
rische (maldta) übergegangen. Ebenso ist ein einheimischer slavischer
Name des Malzes: russ. solodü etc., von *sladü, altsl. sladükü ,dulcis',
in zahlreiche östliche Sprachen entlehnt worden. Es lässt sich also
in Europa hinsichtlich der Bekanntschaft der Völker mit dem Malze
eine deutliche, von Westen nach Osten, von den gallischen Getreide-
gefilden nach den Linden Waldungen des Ostens verlaufende Kultur-
Strömung feststellen.
Die Herstellung des Bieres ist in alten Zeiten überall an die einzelnen
Haushaltungen gebunden gewesen, und war hier, wie alles häusliche
Werk, vornehmlich Sache der Frauen. Besondere Braustätten (mansum
cum molendino et cum podeUa ad braciare) treten erst spät auf
(Anton Geschichte d. deutschen Landw. I, 408). — Vgl. V. Hehn
Kulturpflanzen6 S. 141 ff. S. auch u. Nahrung (Getränke).
Bilsenkraut, s. Farnkraut.
Bimstein. Griech. Kio-ffriptq, Kto-npi? (dunkel), lat. pümex ( : spüma
»Schaum', ,Schaumstein'?), woraus abd. bumiz, agls. pümicstdn , Bim-
stein'. Er diente schon im Altertum zum Polieren verschiedener Mine-
ralien (vgl. Lenz Mineralogie S. 19).
Binse, s. Strick und Licht.
Birke, lietula alba L. ist einer der wenigen Waldbäume, deren
Benennung von Europa aus sich bis in die arischen Sprachen verfolgen
lässt : ahd. birihha, altsl. breza, lit. htrias, altpr. berse, scrt. bhürja-,
osset. barse. Die Wurzel ist wahrscheinlich scrt. bhrdj .glänzen*, so
dass die glänzende Weissbirke gemeint ist, die nur in nördlichen
Klimaten gedeiht.
Im Süden Europas verschwindet der Baum und mit ihm sein Name.
Indessen gehört vielleicht lat. fraxinus, farnus hierher, das aber die
Bedeutung , Esche' angenommen hat. Lautlich fast identisch mit dem
genannten idg. Namen der Birke ist auch alb. bred-di, St. breü, das
aber ,Tanne' bedeutet. Diese Zusammenstellung wird weniger unwahr-
scheinlich, wenn man bedenkt, dass die Birke auf albanischem Gebiete
so gut wie fehlt (der sehr seltene alb. Name b'Utszt ist aus dem Ro-
manischen entlehnt, die Bulgaren haben gar keine Bezeichnung des
Baumes; vgl. Krek Einleitung in die slav. Litg.s S. 136 x), und wenn
man Bedcutungswcchsel wie ahd. linta , Linde' — griech. £XöVrn , Fichte'
(s. u. Linde) und ahd. forha, erst ,Eiche', dann ,Föhre\ ferner ahd.
tanna, erst ,Eiche', dann ,Taune' (s. u. Eiche) in Betracht zieht. Lat.
betitln, betulla entstammt dem Keltischen (ir. bethe, kynir. bedw), wie
denn Plinius XVI, 75 die Birke geradezu als einen gallischen Baum
bezeichnet. S. u. Wald, Wald bäume.
Birnbaum (Pirus communis L.) Obwohl griech. öyxvt1 ,edler
Birnbaum', , Birne' noch in der Ilias fehlt und erst in den jüngeren
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Birnbaum.
93
Teilen der Odyssee vorkommt (vgl. z. B. o"Td? dp' üttö ß\u>9pnv örxvnv Od.
XXIV, 234; s. auch u. Apfelbaum), so muss doch das Wort, natürlich
in der Bedeutung ,wilder Birnbaum', als seit Urzeiten heimisch im
Griechischen angesehen werden; denn es steht in Ablautsverhältnis zu
dx-pd?, äx-epbot »wilder Birnbaum' (ngriech. dxXctbnd) und wahrscheinlich
auch zu £tx-o* »Lanze a. d. Holz d. wilden Birnbaums', .Lanze'. Die
Mittelstufe *engh- dürfte dem urslav. *cezü »Ulme' (poln. wiqz ,Rüster',
serb. vjaz »Ulme' u. s. w.» alb. vt&, vidi ,Ulme') entsprechen. Eine dritte
altgriechische Benennung des Birnbaums ist &mo<; (ngriech. dmbnd),
das auf Urverwandtschaft mit lat. pirus (*pisos : *apisos) zu beruhen
scheint. Auch im Albanesischen giebt es neben dem entlehnten goritse
,wilder Birnbaum' (aus slav. *gorinica : gorü ,Berg', ngriech. YKOpiTZnd)
ein einheiulisches darde .edler Birnbaum', darddn .Bauer' = Birnen-
züchter. Man bringt mit letzterem Wort den Volksnamen der Dardaner
in Beziehung, wie man auch die griechischen 'Axcuoi und die germa-
nischen Ingvaeones von dx-pdq, *en§h- hat ableiten wollen (vgl. Jo-
hansson B. B. XVIII, 28). Übrigens wurde auch Apia, die alte Bezeich-
nung des Peloponneses, von den Alten als Birnenland gedeutet.
Alle« das scheint auf ein altes Indigenat des Baumes in Europa hin-
zudeuten, wie denn auch in den Schweizer Pfahlbauten neben Äpfeln
wilde Birnen in Wangen und Robenhausen, freilich in spärlicher Zahl
(vgl. G. Bnschan Vorgesch. Botanik S. 175), gefunden wurden. Noch
heute verstehen slavische Völker aus den Früchten des wilden Birn-
baums ein angenehmes Getränk zu bereiten. — Aus semitischem Gebiet
und aus dem alten Ägypten erfahren wir im Gegensatz zu der Ge-
schichte des Apfelbaums (s. d.) von einer Kultur birne nichts. Die
älteste Kultur des Baumes wird sich daher auf Griechenland und die
kleinasiatisch-pontischen Gegenden (s. u.) beschränkt haben. — Nach
dem nördlichen Europa scheint die Kultur der Birne nach Ausweis
der Sprache von zwei Seiten vorgedrungen zu sein. Einmal vom
römischen Süden her: lat. pirus, das auch in den keltischen Sprachen
erscheint, ist in die germanischen Sprachen (agls. peru, ahd. bira) Uber-
gegangen. Der Anlaut des hochdeutschen Wortes (vgl. dagegen pflaume
aus pränus) könnte auf eine ziemlich späte Zeit der Entlehnung (nicht
vor dem 9. Jahrh.) hindeuten. Bedenkt man aber, dass Birnbäume
schon in den legibus barbarorum (s. d. Belege u. Apfelbaum) nicht selten
genannt werden, so wird man es wahrscheinlicher finden, dass ahd.
bira sein b, p (statt pf) irgend einer volksetymologischen Anlehnung
des Wortes, vielleicht an got. bairan etc. .tragen' verdankt (vgl. F.
Kluge Et. W.6 8. v.). Hingegen weisen die osteuropäischen Be-
nennungen des Birnbaums lit. gruszia, kriäuszia, altpr. kraust/, altsl.
grusa, die sich an kurd. koresi, kureH anknüpfen lassen, in die
iranische, pontisch-kaspische Welt. Hier ist noch jetzt der Kaukasus
ein Hauptverbreitungsgebiet der Pirtis communis (vgl. Köppen Holz-
gewächse I S. 396 ff.). S. u. Obstbau und Baumzucht.
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Bittopfer — Blau.
Bittopfer, s. Opfer.
Blasebalg, 8. Schmied.
Blau. Eine zusammenfassende Bezeichnung für diese Farbe
ist in der idg. Grundsprache nicht nachweisbar. Hingegen scheiuen
schon in vorhistorischer Zeit zahlreiche Ausdrücke für verschiedene
Abtönungen derselben wie schwarz-blau, grau-blau, blass-bau, hell-blau
u. s. w., jedesmal wohl im Hinblick auf bestimmte Erscheinungen,
Wesen oder Gegenstände dieser Färbung vorhanden gewesen zu sein,
die sich in den Einzelsprachen nachher in verschiedener Weise in
allgemeinerem Sinne fixierten. Derartige Sprachreihen sind: 1. für
schwarz-blau : sert. malina- ,dunkelfarbig, grau, schwarz', griech.
u^Xou;, lett. wein* ,schwarz' — lit. melynas ,blau', ,blauer Fleck',
altpr. meine ,blauer Fleck'. Da offenbar auch urkelt. *melino-8 (kymr.
melyn) ,gclblich' hierher gehört, so könnte man annehmen, dass diese
Bezeichnung, wie noch im Litauischen und Altpreussischen, zuuäehst
diejenige schwer defiuierbare Färbung bezeichnete, wie sie bei heftigen
Schlägen und Stössen am Körper hervorgebracht zu werden pflegt.
2. für grau-blau : sert. palitd- ,grau', griech. ttoXiö? id. (lat. pallidux,
ahd. fafa ,fahl', altsl. plavä ,weiss', lit. paheas .blassgelb') — griech.
7T€Xiö^, ireXibvö«;, n€\Xö<; ,grau-blau'. Vielleicht hatte man bei dieser
Farbenbezeiclmung zunächst die grau-blaue Feldtaube (griech. TieXcia)
im Auge, wie dies auch bei altpr. goUmban, npers. kabild ,blau',
aw. aymena-, npers. yexin ,blauschwarz' der Fall gewesen ist, die
in verschiedenen Spracheu eben diesem Tiere den Namen gegeben
haben (s. u. Taube). Vgl. noch lit. illas ,grau' (ir. gel , weiss'?) —
lett. si'ls ,blau'. 3. für blass-blau. Einen derartigen Sinn werden
die Ableitungen von einer idg. Wurzel ghlas gehabt haben, die im
Keltischen als *glas-to- (ir. glast«, kymr. glas) vorliegt und eine Sammel-
bezeichnung für verschiedene blasse Farben, grün, blau, gelb etc. ab-
giebt. Durch Zusammensetzung mit dub ,schwarz' entsteht ir. dub-
glasa, kymr. dulas, bret. duglas ,caeruleus'; doch wird auch das
einfache glas mit eaerula (aber auch mit viridis) glossiert. Mit Ab-
leitungen von dieser Wurzel werden der Bernstein (lat.-genn.
glesumjy das Glas (ahd. glas, altn. gier, ir. glain aus *glas-in) und
der Waid (lat.-gall. glast um) benannt. 4. für hellblau : sert. ketti-
,Helle', altn. heip .klarer Himmel', ahd. heitar ,hell' — lat. *caesus
(*caet-tu-x) in caesissimus (Varro), caesius , he 11 blau' (von anderen
mit lit. skäistas, skaidrus ,hell, glänzend' verglichen, wobei das Be-
deutungsverhältnis dasselbe bleibt). Vgl. auch griech. xXauxö; (tXauiaäuu
,blickc mit funkelnden Augen ), das bei Homer nur ,licht, glänzend'
bedeutet, später aber (wie auch das daraus entlehnte lat. glaueus) im
Sinne von , he II blau' bezeugt ist, und altsl. sinqti .erglänzen' —
altsl. sinl ,lividus', bulg. sin ,blau' etc. (vgl. auch altpr. sineco, russ.
sinica ,Meise'). Unsicher ist die Zusammenstellung von lat. fldvus
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Blau - Blei.
1)5
,blond', ir. bld ,gelb' (Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 187) — ahd. bläo,
altn. blär ,blau' (aber auch ,lividus', ,flavus )? da lat. flävus auch zu
fulvus ,gelb' gehören kann. Über ahd. bldo s. u. Blei.
Gehen die bisher besprochenen Ausdrücke wohl ausschliesslich auf
Wurzeln oder Stämme zurück, die von Anfang an der Bezeichnung
einer Farbeunuance oder eines Lichteindruckes dienten, so fehlt es
auch nicht an Bezeichnungen des Blau, die von Gegenständen direkt
abgeleitet sind, welche eine bläuliche Färbung zeigen. Poetischer Natur
sind Ausdrücke wie hom. tfcpo€ibr|£ „luftartig' (vom Meere gesagt),
dAmöpqpupoq .dunkelblau wie das Meer' «von Wolle und Gewändern),
io€t? ,violenfarbig* (vom Eisen), iobvccpn? ,dunkel wie Violen' (von der
Wolle der Widder des Polyphein), iocibn.«; ,violenartig' (von der Färbung
des Meeres). Der Sprache des gewöhnlichen Lebens gehört das seltene
icraTiubn? ,blau wie Waid' an. Ebenso das gewöhnliche Wort für blau
im Lateinischen : caeruleus aus *caeluleus : caelum ,Himiuel'. Lat.
Hindus, Ittor, liveo können von lit. slywa, altsl. sliva , Pflaume' (s.d.)
abgeleitet sein, so dass mit limdus ,bleifarbig, bläulich, blau' ur-
sprünglich die Farbe der wilden Schlehe gemeint wäre (vgl. auch nsl. sliv
,bläulich'). Ähnlich ist alb. kdtttre ,blau* eine Weiterbildung von lat.
caltha. calta, caltum, das verschiedene blaue, aber auch gelbliche Blumen
bezeichnet (vgl. G. Meyer Et. W. S. 170, G. Goetz Thes. Gloss. I, 170).
Hierher wäre auch das vielbesprochene homerische KuavoO? zu stellen,
als von kuüvo? abgeleitet. Da aber dieses letztere Wort etymologisch
und seinem Sinne nach noch unerklärt ist, so fehlt die Möglichkeit, den
Ausgangspunkt dieser Farbenbezeichnung zu bestimmen. In nach-
homeriseber Zeit wurde Kuavo? sicher im Sinne des ägyptischen chesbet
, Lasurstein, Ultramarin, Kupferlasur, Bergblau' (vgl. Lepsius Die Metalle
in den ägypt. Inschriften Abb. d. Berl. Ak. d. W. phil.-hist. Kl. 1871
S. 117), also im Sinne einer eminent blauen Farbe gebraucht. So
erklärt sich das späte r\ Kuavo<; ,Kornblurae' u. anderes. Für das ho-
merische Kuavoö? ist aber anzumerken, dass es niemals von unzweifel-
haft blauen Gegenständen (vielmehr von Augenbrauen, Haar und Bart,
Wolken, dunklen heranziehenden Schaaren u. s. w.) gebraucht zu werden
scheint. — S. weiteres u. Farbe.
Blei. In Mittel- und Nordeuropa tritt das Blei erst in der Hall-
statt-Periode auf. In Hallstatt selbst kommt das Metall in Gestalt von
dünnen Stäbchen oder Draht zu verschiedenen Gebrauchszwecken, nicht
aber zu selbständigen Geräten verarbeitet vor (v. Sacken S. 119). In
dieselbe Zeit gehören die zahlreichen bleiernen Reiterfigürchen der
Tumuli von Kosegg in Kärnten. Eine Zusammenstellung nördlicher
Blcifunde vgl. in der Zeitschrift für Ethnologie, Verhandlungen XV,
1883 S. 107 ff. Dagegen findet sich das Metall im Süden Europas
schon in Mykenae (Schliemann S. 87), also in der reinen Bronzezeit,
während es auf dem Grabhügel von Hissarlik in allen Schichten vor-
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Blei.
kommt. Einen bleiernen ringartigen Gegenstand der III. Stadt versucht
Schliemann (Ilios S. 563) als Haarschmuck zu deuten.
Über die Herkunft des Bleies in Europa giebt die Sprache einige
Andeutungen. Dieselben weisen auf den Westen unseres Erdteils, auf
die bleireichen Landschaften Spaniens, Galliens und Britanniens (vgl.
BlOmner Terminologie u. Techn. IV, 88 ff.). Auf ersteres führt der alt-
griechische Bleiname, der in den verschiedenartigsten, schon hierdurch
das Fremdwort verratenden Formen: uöXißoc (Horn.), uöXußot, uöXußbot
(in uoXußbcuvri Horn.), rhod. ßöXißo^ (in TrepißoXißüjam), epidaur. ßoXiuo^
auftritt. Geht man, wogegen nichts im Wege steht, von der zuletzt
genannten Bildung ßöXuioq aus, von welcher juöXißo? durch Umstellung,
ßöXißo? durch Verschränkung mit letzterem abzuleiten wäre (vgl. J.
Schmidt Sonantentheorie S. 28 IT.), so entspricht dieselbe dem baskischen
Namen des Bleis bertin, berunez ,von Blei' ziemlich genau, namentlich
wenu man an phönikisehe Vermittlung des Wortes denkt. Jedenfalls
waren die Griechen, bevor die Bleiglanzlager des Lauriongebirges aus-
gebeutet wurden, auf den Import des Metalles angewiesen. Die Be-
wohner der lusitauischen Landschaft Medubriga werden ausdrücklich
Plumbari (Pliu. IV, 118) genannt. Vgl. auch die Stadt MoXußbivn. im
Gebiet der Mastarner bei den Säulen des Hercules.
Der Charakter des Bleies als eines alten Handelsartikels scheint
sich auch in dem lat. plumbum auszusprechen. Das Metall wurde
seit den frühesten Zeiten in der Form von Ziegeln, Kuchen oder Barren
verschickt. Solche Bleiziegeln mit der Aufschrift tehf, tehfi, fehfu
(kopt. ,Blei') kommen schon im alten Ägypten vor. Namentlich aber
sind aus späterer Zeit in Spanien, Frankreich und England solche
Bleikuchen, mit Stempeln und den Namen römischer Kaiser u. 8. w.
versehen, in Menge gefunden worden (vgl. K. B. Hofmann Das Blei bei den
Völkern des Altertums Berlin 1885 S. 10). Es liegt daher der Gedanke
nahe, dass lat. plumbum, welches an andere idg. Bleinamen keine An-
knüpfung findet, selbst ursprünglich nichts als .Ziegel', , Barren' bedeutet
habe (vgl. roman. grana ,Kern' = Scharlach, cnnnella .Röhrchen' =
Zimmt) und so auf Urverwandtschaft mit griech. TrX(v0o<;, Ziegelstein'
beruhe {*plndho-, vgl. lat. lumbus : altsl. ledrija, ahd. lentin\ über
griech. Xi = n G. Meyer Gr. 3 S. 68). Auf eine ursprünglich in Be-
ziehung auf die Metalle inditferente Bedeutung von lat. plumbum kann
man auch aus der Bezeichnung pl. album ,Zinn', pl. nigrum ,Blei'
schliessen.
Wiederum vom Westen, diesmal von Gallien, ausgegangen dürfte auch
die Reihe ir. luaide (Houdio-) = mhd. lot, ndl. lood, agls. leäd ,Blei'
(vgl. auch lit. liüd?. ,Bleilot'i sein; allerdings fehlt ein Kriterium, welches
zwingend auf die Annahme von Urverwandtschaft oder früher Entleh-
nung hinwiese. Doch spricht die kulturhistorische Gesamtlage mit
Notwendigkeit für letztere. Auf den keltischen Westen wiese auch
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Blei — Blumen, Blumenzucht.
97
das gemeingerm. ahd. bliu, bliuwes, altn. bly ,Blci' (*blhca-), wenn es
richtig von R. Much Z. f. deutsches Altert. XLII, H53 aus einem keltischen,
dem gemeingcrni. ahd. bldo, altn. Mar ,blau' (*bldwa-) entsprechenden
*blevo~ (*bliDO~) ,blau' gedeutet wird, das freilich im Keltischen selbst
nicht zu belegen ist (anders Persson B. B. XIX, 273, wo für ahd. bldo
ein lit. Mainas ,licht, klar' herangezogen wird). Jedenfalls liegt für
ahd. bliu ,Blei' an einen ursprünglichen Farbennamen zu denken wegen
des Suffixes vo- (vgl. Kluge Stammbildungslehre - S. 90) nahe (vgl. auch
Braune Beiträge XXIV, 195).
Im Osten, in der litu-slavischen Welt, tritt eine schon beim Latei-
nischen beobachtete Erscheinung auf, die noch weiter östlich an Häufig-
keit zunimmt, nämlich d i e, dass die Bezeichnungen fltr das Blei und
das diesem äusserlich ähnliche Zinn mit einander verwechselt werden,
resp. nur ein Name für beide Metalle existiert. So gemeinsl. altsl.
oloco, altpr. aheis ,Blei' : lit. alwas ,Zinn' neben russ. xvintcü, lit.
szteinas ,Blci' (beide dunkel, und in beiden Fällen scheint das litauische
Wort ans dem slavischen entlehnt zu sein). Das Westfinnische hat für
beide Metalle, Blei wie Zinn, nur entlehnte Ausdrücke, während das
mordvinische kivä und das Seremissisehe vulna wiederum beide Me-
talle bezeichnet, und das Syrjänische ez{& sogar noch das Silber in
sich begreift (vgl. Ahlqvist Kulturw. S. 72).
Im Orient begegnen bei den Ariern wie Semiten alte, aber ebenfalls
nicht weiter anknüpfbare Namen für das Blei : sert. stm- (Atharva-
veda), aw. sru- (npers. stirb etc.; vgl. Horn Grundriss S. 161); hebr.
oferet, bab.-assyr. abdru (sum. abar; vgl. Hommel Vorsem. Kulturen
S. 409 f.). Vgl. weiteres bei Vf. Sprachvergl. und Urgeschichte *
S. 317 f. — S. u. Metalle.
Blind, s. Krankheit.
Blitz, s. Gewitter.
Block, s. Strafe.
Blond, 8. Farbe.
Blondheit der Indogermaneti, s. K örpcrbcscb äffen hei t d. I.
Blumen, Blumenzucht. Von allem, was Feld und Garten her-
vorbringt, ist die Pflege der Blumen die letzte Errungenschaft der eu-
ropäischen Menschheit. Der Realismus der Urzeit hat noch kein Verhältnis
gefunden zu diesen Lieblingen der Dichter und Frauen, wie ihr Ohr auch
dem Gesänge der Lerche oder der Nachtigall (s. u. Singvögel) ver-
schlossen war. Das hat sich erst geändert, als die Blumend Ufte des
wohlgeruchschwangeren Orients nach Europa herüberwehton, und das
Verhältnis des Menschcu zur Natur, wenigstens in den höheren Kreisen,
ein sentinicntalischcs zu werden anfing.
Noch bei Homer findet sich keiue Spur von Blumenzucht. Einzelne
Blumen, Xeipiov in Xeipiöci?, Kpöico«;, u6kiv8o<;, iov, (iöbov in (fobobdK-
tuXo? und (ioböcn;, — fast ausschliesslich fremde Namen — werden
Schräder. Roallexilcon. 7
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98
Blumen, Blumenzucht — Blutrache.
zwar genannt; aber an den Stellen, wie in der Beschreibung der
Gärten des Alkinoos, an denen wir eine Erwähnung ihrer Kultur er-
warteten, schweigt der Sänger (vgl. E. Buchholz Die hom. Realien II,
111 ff.). Erst nachdem der Homer noch unbekannte und zweifellos
dem Orient, vor allem Ägypten, entstammende Gebrauch der Kränze
bei Gelagen und zur Ehrung von Lebenden wie Toten (vgl. Wönig
Die Pflanzen Ägyptens* S. 234 ff. und Lenz Botanik S. 154 ff.) aufge-
kommen war, wird man von einer Blumistik der Griechen sprechen
können (vgl. J. v. Müller Privataltert.8 S. 239). Grossgriechenland ist
auch hier das Vorbild für Italien gewesen, wie die Entlehnungen von
lat. struppus aus griech. tfTpöqpoq, von coröna aus griech. Kopwvrj,
KOpuuviq (vgl. Plinius XXI, 3: Tenuioribus ntebantur antiqui, strop-
po8 appellantes; das gewöhnliche Wort fUr , Kranz', griech. o*T6<pavo?,
ist merkwürdiger Weise nicht ins Lateinische übergegangen, KOpuivn
ist in der Bedeutung , Kranz' erst spät, o*Tpö<pos gar nicht überliefert),
von rosa, liliutn, crocus, narcissus, irls, ht/acinthua u. s. w. zeigen.
Immer aber ist der Kreis der antiken Blumenkultur ein verhältnismässig
beschränkter gewesen (vgl. auch Becker-Güll Gallus. III, 75 ff.). Als
solcher hat er seinen Eingang in die Gärten der christlichen Klöster
und nach ihrem Muster in das Capitnlarc Karls des Grossen de villis
vel curtis Imperatoris (LXX) und in die deutschen Banerngärtcn ge-
funden. Doch wird bezweifelt (vgl. A. Kerner Die Flora der Banern-
gärtcn in Deutschland, in den Verband], des zool.-bot. Vereins in Wien
V, 7t) 1), ob Karl der Grosse, wenn er in seinem Capitularc z. B. den
Anbau der Lilie an erster Stelle vorschreibt, dazu durch irgendwelche
ästhetische und nicht vielmehr durch praktische Rücksichten, d. h. in
diesem Falle durch den Umstand bestimmt wurde, dass die Blumen-
blätter der weissen Lilie als Hauptbestandteil eines als Volksmittel be-
rühmten Öles benutzt wurden. Vgl. besonders von Fischcr-Benzon
Deutsche Gartcnfiora 1 ;. Zierpflanzen S. 33 ff.
Von einzelnen Blumen sind behandelt worden: Hyacinthe, Iris,
Lilie. Narcisse, Nelke, Rose, Safran, Veilchen. — S. auch
u. Garten, Gartenbau.
Blutrache. Die SUhuung gewollter oder ungewollter Tötung —
denn beide Begriffe werden ursprünglich nicht geschieden s.u. Mord) —
liegt in alter Zeit nicht dem Staat oder der Gemeinde, sondern aus-
schliesslich der Sippe (s. d.) ob, die für den erschlagenen Genossen
gegen den Thäter und dessen Sippe auftritt. Dieser Znstand lässt sich
bei allen Indogermanen teils in lebendigem, zuweilen bis in die Gegen-
wart hereinragendem Brauch, teils in mehr oder weniger deutlichen
Spuren einstiger Gepflogenheit nachweisen.
Die Ih> in eri sehe Anschauung schildern die Verse der Odyssee
(XXIV, -133 ff.):
Xiüßii -füp Töbe t t(TTi kcm to-aouevoiai TTut>fc'o*6ai,
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Blutrache. 99
€i br\ un. Traibwv T€ Ka<Jirvr|TUJV re tpovnaq
TicröueB'.
Trauernd geht (II. XIII, 643 ff.) der König Pylaimenes hinter der
Leiche des erschlagenen Sohnes her:
TT O l V T\ b' OUTNJ TTCU&d? dflTVCTO T€0Vr|U»TO?.
Aber die ttoivu. braucht nicht der Tod des Mörders zu sein. Es ziemt
sich vielmehr, an seiner Statt die dargebotene Sühnsuminc anzunehmen:
tccri u^v Ti? tc Kao*iTvrjToio <povno<;
Troivf|v f| ou Traiböq tbitaTO T€Övnü>TO<;,
Kai {)' 6 ufcv iv bn,uiu u€V€i aÜTOÜ, ttöXX' öttot 10*015?
Tou bi t' ^prjtueTai Kpabin, Kai Öimos dfiivujp
rroivnv bcEauevou (11. IX, 632 ff.).
Ilias XVIII, 497 ff. wird auf dem Schilde des Achilleus der Streit
zweier Männer geschildert:
bÜO <5vbp€£ £v£tK€OV €tV€Ka ITOIVIK
dvbpö? ärtoq>8iu€vou* 6 uev euxcxo Trävr' ätroboövai,
bn,uw TTi<pau(7K(juv , 6 b' ävaiv€TO unbtv £Xeo*8ai.
Man ist geteilter Meinung, ob hier zu tibersetzen sei: „Der eine er-
klärte, alles gegeben zu haben, der andere aber leugnete, irgend etwas
empfangen zu haben", so dass an dieser Stelle nichts als eine ge-
wöhnliche Schuldklage vorläge, oder ob vielmehr wiederzugeben sei:
„Der eine gelobte alles zu geben, der andere aber weigerte sich, etwas
zu nehmen", so dass hier die viel bedeutsamere Verhandlung vor Ge-
ronten und einem Schiedsrichter uffTuip) anzunehmen sei, ob in einer
bestimmten Mordsache Blutrache oder Composition stattfinden solle (vgl.
A. Hofmeister Z. f. vcrgl. Rechtsw. II, 443 ff. u. Delbrück Vgl. Syntax
II, 472».
Nach befriedigter Rache oder Einigung über die rroivn. soll Friede
und Freundschaft herrschen. So befiehlt es Zeus (Od. XXIV, 4*2):
tneibn, uvn.0"Tf|pa<; eTiöaro bxoq 'Obuaacuq.
ÖpKIÜ TTlOTOt TÜ|4ÖVT6<;, Ö UCV ßa(TlXtU€TUJ aW\,
f|U€?q b' au TTatbiuv T€ xao"rfvr|TUJV T€ cpövoio
^KXr|0"iv Be'wpev * toi b äXXr)Xou? cpiXeövTwv
w<; t6 Ttupo^" ttXoütoi; bc Kai eipnvr) aXiq e'OTUJ.
Oft nach geschehener lilutlhat flieht der Mörder in die Fremde., um
der Rache seiner Feinde zu entgehen. Vgl. Od. XV. 272 f.:
OUTU) TOI Kü'l 6TUJV iK TTUTpiboq, Övbpa KCtTOKTCt^
£ucpuXov rroXXoi be KamYvnToi Tt tTüi tc
"Apfo? äv' iTTTToßÖTOV, utYa be KpaTtouOiv Axaiüüv.
twv ÜTraXeuäuevoq OävaTov xa'i Kfipa ue'Xuivuv
(peüru), €7T€i vü uoi aicTa kot' dvGpujTrouq üXdXn.o"0ai.
Zug für Zug entsprechen die germanischen Verhältnisse: Suscii>ere
tarn inhnicitias seit pati'is seit propinqul quam amicitias necesse est',
nec implacahiles dttrant : Ivitur enim etiam homicnUum certo armen-
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100
Blutrache.
forum ac pecorum numero recipitque satisfactionem unkersa domus
(Tac. Germ. Cnp. 21). Der durcb die ßlutthat zwischen zwei Sippeu
geschaffene Zustand ist die Fehde, mlat. faida, ahd. fehida, agls.
fdehd> wörtlich }inimicitia : ahd. fech, agls. fäh i*poiko-8 = ir. öech
.Feind'). Die satisf actio besteht in dem Wergeid: ahd. weragelt, agls.
teer-, weregild : got. icair ,Mann', daneben agls. leödgeld, altn. mann-
gjöld etc. Domus ist ,Sippe'. Die Höhe des Wergclds ist bereits, wie aus
,certtts} hervorgeht, staatlich festgesetzt (s. u.). Auch bei den Germanen soll
nach feierlicher Aussöhnung wieder Friede uud Freundschaft herrschen.
Auch hier flieht der Totschläger für einige Zeit aus dem Lande oder
meidet wenigstens den Anblick seiner Gegner (tenetur occisor summo-
pere praeeavere, ne se suorum sie ingerat adversariorum conspectui,
ut propter suam praesentiam offendantur, sed a domo et ecclesia et
a via, in quibus adversarios suos esxe deprehenderit, non superse-
deat cum proximis declinare; vgl. Wilda Das Strafrecht der Germanen
S. 181 aus einer schonischen Rechtssanimlung, ü hersetzt von dem Erz-
bischof Andreas Suncscn 1204 — 1215).
.Wenn aber auf griechischem und germanischem Gebiet, ebenso
wie auch auf keltischem (genus super omnia diligunt, et damna
sanguinis atque decoris acriter uJciscuntur : vindicis enim animi sunt
et irae cruentae, nec solum novas et recentes iniurias, verum etiam
reteres et antiquas velut instantes vindicare parat i\ vgl. GiraidusCanibriae
descr. Cap. 17 nach Walter Das alte Wales S. 138 *), das einstige Be-
stehen der Blutrache sich im wesentlichen nur aus alten Denkmälern
nachweisen lässt, kann dieselbe im Osten Europas, wo so viel urzeit-
liches sich bis heute erhalten hat, bei den sla vi sehen Völkern (vgl.
Miklosich Die Blutrache bei den Slavcn, Denkschr. d. k. Ak. d. W. zu
Wien, phil.-hist. Cl. XXXVI, 127 ff.), vielfach bis an die Schwelle der
Gegenwart verfolgt werden. Mitgeteilt seien hier die wichtigsten Sätze
aus den auf Montenegro bezüglichen Nachrichten, wo die Blut-
rache erst im Jahre 1855 durch ein Gesetz des Fürsten Danilo erstickt
worden sein soll: „Die Blutrache wird als das einzige Mittel zur Auf-
rcchterhaltung der Gerechtigkeit angeschen. Sie wird geübt für Tot-
schlag, Verwundung, Schimpf, und gilt als eine religiöse, heilige Pflicht
vor allem gegen den Getöteten, dann wohl auch gegen dessen Sippe.
Zur Rache verpflichtet ist jedes männliche Glied der Sippe. Vor allen
ist der älteste Sohn des Getöteten berufen Rache zu üben ; ist ein Sohn
nicht da, so liegt die Pflicht dem ältesten Bruder des zu Rächenden
ob. Stirbt der von der Blutrache Verfolgte, so vererbt sich seine
Pflicht zur Busse auf das ihm nächste Haupt, so dass nicht selten erst
die Söhne oder Enkel die Streitigkeiten ihrer Väter und Grossväter
ausfechten. Man trachtet vor allem den Totschläger zu töten, und
wenn dies nicht möglich ist, seinen nächsten Verwandten, Bruder, Vater,
Sohn. In der Wut ist der Rächer vor allem darauf bedacht, sich eines
Blutrache.
101
Teiles des Körpers seines Opfers zu bemächtigen, des Kopfes, der
Zunge, der Ohren (man vergleiche hier das von Rohde Psyche I *, 322 ff.
Aber den griechischen Brauch des uao*xaM£€iv beigebrachte, nach dem
der Mörder dem Ermordeten einzelne Glieder abschnitt und an einer
Schnur um seinen Nacken hing). Der Totschläger flieht in der ersten
Zeit nach dem Totschlag in einen anderen Distrikt. Nur in der Sühne,
welche die Zahlung des Blutgelds und eine fUr den Schuldigen demü-
tigende Ceremonie in sich schliesst, erreicht die Blutrache ihr unblutiges
Ende. Sie erstreckt sich auf die ganze Sippe. Nur die Sippe, nicht
einzelne Mitglieder derselben, kann Frieden schliessen." — Aus der
altslavischen f erminologie der Blutrache (vgl. bei Miklosich S. 140 ff.)
sei hier auf das weitverbreitete altsl. vrailda (: altsl. vragi ,Feind' =
altpr. warg* »schlecht', altn. vargr) verwiesen, das inhaltlich genau dem
oben genannten ahd. ffhida entspricht. Doch bedeutet das Wort nicht
nur , Feindschaft' und /Totschlag', sondern auch die ,Busse' für den
letzteren, ganz wie dies bei altkymr. galanas erst »Totschlag', dann
, Wergeid' und bei mgriech. tpövo?, ähnlich auch bei homerisch noivn.
,Rache' und , Busse' der Fall ist. Ferner wird im Slavischen zur Be-
zeichnung des durch Blutrache zu sühnenden Totschlags häutig von den
beiden Wörtern altsl. glava ,Kopf und l'rüvi ,Blut' (vgl. auch alb. gdk
,BInt, Blutrache') Gebrauch gemacht. ,Rache' ist mistl, , Friede' mirü.
Ebenso wie bei den Südslaven, ist bei den Albanesen, geschützt
durch die Abgeschlossenheit ihres Landes, die Blutrache „so alt wie
das Volk, das dieses Land bewohnt" (Miklosich S. 163 ff.) und steht
heute daselbst noch in voller Blüte.
So ergiebt sich, dass innerhalb Europas die hier in Frage stehende
Institution nur im alten Rom nicht nachzuweisen ist. Doch haben sich
Spuren ihres einstmaligen Vorhandenseins auch hier erhalten: Sane in
Numae legibus, berichtet Servius in Verg. Ecl. IV, 43, cautum est,
ttt #i quin impnidens occidisset hominem, pro capite occisi \ag\natis eius
in [conc]ione offerret arietem\ — oblatus homicidam crimine homicidii
possit exsolcere. Aus dem Umstand aber, dass im Falle einer im-
prudenten (culposen) Tötung an die Verwandten des Getöteten ein
Widder in Stellvertretung des Thäters uud als Sühnopfer zu entrichten
war, ist zu folgern, dass im Falle einer prudenten (dolosen) Tötung
die älteste lateinische Rechtsordnung die Auslieferung des Mörders
selbst an die Agnaten des Ermordeten behufs Tötung, d. h. Opferung
vorschrieb. In einer solchen Bestimmung, wie sie notwendig vorausge-
setzt werden rouss, tritt aber die uralte Idee der Blutrache deutlich zu
Tage (vgl. M. Voigt Leges Rcgiae S. 618 ff.).
Eine zweite Spur einstiger Übung der Blutrache im ältesten Rom
ist in der Wortgruppe von lat. vindicta, rindicare u. s. w. (s. u.
Familie) enthalten, deren ursprünglicher Sinu an die Begriffe »Sippen-
recht', ,Sippenrache' nahe heran kam.
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102
Blutrache.
Es ist merkwürdig, dass gerade unter diesem Namen (ital. Vendetta
u. s. w.) die Blutrache im Mittelalter bei den romanischen Völkern
wieder hervortritt, wie sie auf Korsika und in Sardinien noch heute
herrscht. Miklosich a. a. 0. S. 172 ist geneigt, dies auf den Einfluss
der in den Süden Europas einbrechenden germanischen Völker zurück-
zuführen. Wahrscheinlicher ist aber, dass in gebirgigen und unwirt-
lichen Gegenden Italiens und der benachbarten Inseln, in die der Arm
und Einfluss des römischen Rechts nicht reichte, die alte Glnt des
Hasses und der Leidenschaft weiter glomm, bis sie später nach Zerfall
des römischen Staates zu neuen Flammen angefacht wurde. Wie
lange z. B. auf germanischem Boden neben im übrigen gefestigten
Rechtszuständen die urgermanisclien Gewohnheiten der Blutrache weiter
wucherten, zeigt aufs deutlichste die Schrift P. Frauenstädts Blutrache
und Totschlagsühne im Deutschen Mittelalter (Leipzig 1881).
Wendet man sich zu den arischen Indogermanen, so kann das einstige
Bestehen der Blutrache bei den Indern durch den sicheren Nachweis
ihrer Bekanntschaft mit dem Wergeid als zweifellos angenommen
werden. In der Maitrayaniya Samhitä liest man I, 113, 13 (nach Roth
Das Wergeid im Veda Z. d. D. Morgenl. G. XLI, 072 ff.): „Einen
Männermord unter (an) den Göttern begeht, wer das Feuer (den Agni)
vertilgt (auslöscht). Nun ist die Abfindung für den Mann ein Hundert
(gataddyö rirö). Indem die hierbei üblichen Panktiversc 100 Silben
zählen, büsst er hierdurch den Göttern ab für den (erschlagenen) Mann."
Hierzu eine Ergänzung rindet sich im TAndya Brähmana 16, 1, 12. 13:
„Der Opferlohn, den er zu geben hat, besteht in 112 Kühen. Denn wer
den Sorna zerdrückt, der erschlägt einen Mann aus der Zahl der Götter.
Die hundert (Kühe) sind die Mannbusse (väiram), die er den
Göttern hinauszahlt" u.s.w. Der hier unzweideutig beschriebene Ge-
brauch des Wergeides lässt sich nun auch bis in die späteren Gesetzes-
sammlungen (vgl. G. Bühler Das Wergeid in Indien Festgruss an Roth
S. 44 ff.) deutlich verfolgen. Von besonderem Interesse sind hierbei
die Angaben ßaudhäyanns (1, 18, 18 — 1, 19, 6), insofern hier, als Teil
des Königsrechts, die Zahlung des Wergeids als eine rein weltliche
Institution dargestellt wird: „Brahmanen-Mord oder Tötung, begangen
durch einen Brahnmnen wird durch Brandmarkung und Verbannung
bestraft. Der Mord oder die Tötung eines Mannes gleichen oder nie-
deren Standes, begangen durch einen Kshatriya, Vaicja oder Qttdra,
wird je nach ihrem Vermögen durch passende Strafen geahndet, nämlich
für den Mord oder die. Tötung eines Kshatriya soll man dem Könige
1000 Kühe und einen Bullen zahlen zur Entfernung der Feindschaft,
desgleichen für einen Vaicra 100 Kühe und einen Bullen, desgleichen
für einen Cüdra 10 Kühe und einen Bullen, desgleichen unter ge
wohnlichen Umständen für eine Frau die letztere Busse." An-
genommen muss werden, dass der König die Kühe der Familie des
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Blutrache.
103
Erschlagenen herausgiebt, während er den Bollen für sich behält, ganz
wie nach germanischem Recht bei gerichtlich abgeschlossenen Sühne-
verträgen (s. u.) dem König oder dem Volk ein fredus zufällt.
Bei den übrigen smrtikäras werden dann die ursprünglich rein pri-
vaten oder staatlichen Geldbusscu für Tötung mehr und mehr Teile
des geistlichen Rechts (prdyagcitta-).
Aber auch im modernen Indien ist die Bekanntschaft mit dem Wer-
geid nicht ganz erloschen (vgl. ausser Btthler a. a. O. Jolly Recht
und Sitte S. 131). Ein neuerer Name für dasselbe lautet mund-kati
(mundakdti), eigentlich ,Kopfabschncidung', was an die obengenannten
Bezeichnungen des Wergeids, altkymr. galanas, und mgrieeb. q>övo? er-
innert. Endlich werden auch im Awesta Mordthaten durch Geldbussen
(vgl. bei Justi metöcinanh-), zuweilen auch durch die Darbringuug
junger Mädchen inäiriänanh-) gebüsst. Vgl. W. Geiger Ostiran. Kultur
S. 452. Ebendaselbst vgl. Uber die Blutrache der Afghanen, die
noch heute in voller Blüte steht.
Nach alledem kann es nicht bezweifelt werden, das» die Blutrache
als eine indogermanische Institution zu betrachten ist, um so
mehr, da sich auch ein Teil ihrer Terminologie als indogermanisch
erweist. Das Verbum, welches ursprünglich die Ausübung der Rache,
sowohl die blutige, wie auch die durch Busse herbeigeführte bezeich-
nete, war sert. ci, cuyate ,strafeti, rächen', aw. ci, grieeh. tivoucu,
TivuMai, -rivw ,sich eine Busse entrichten lassen, strafen, eine Busse
entrichten'. Das dazu gehörige Substantivum ist aw. kaend- »Strafe,
Rache' (npers. kin »Feindschaft, Hass, Zorn ) = grieeh. Trotvn. , Blutrache'
und , Wergeid'.
Zweifellos sind aber zu grieeh. Troivn. auch lit. kainn ,Wcrt, Preis' und
altsl. cena ,Preis' zu stellen, da eben das Wergeid den Wert des
Menschen, seinen Preis zum Ausdruck bringt. Nimmt man nun an, dass
neben den Wurzelformen *qi- (in tivuj) und *qoi- (in Troivrp noch eine
Hochstute *qö(i)- lag, so lassen sich noch zwei weitere überaus wichtige
Rechtstermini hier anschliessen. Ks ist dies einmal das irische edin
gl. emeuda i. e. ,damni reparatio', ,satisfacti<> de iure lacso vel de in-
iuria illata' {edin aus *cd-ni-, wie tdid ,Dieb' aus *td-ti- : tdi , stehlen';
vgl. Stokes lrish Glosses S. 47 und 156) und zweitens das altsl. kozni
,Strafe', .die schwere staatliche Strafe, z. B. für Mord'; vgl. Ewers
Ältestes Recht der Russen S. 214 (ka-zni- aus +qö(i)-sni- : serb. kajati
,ulcisei'; vgl. Miklosieh Et. W. u. ka-, altsl. kajati se .bereuen', cigcntl.
,sich strafen ). Über die Entwicklung des Begriffs der Strafe aus dem
des Wergeids oder der Busse s. u. Strafe.
Zweifelhafter ist es, ob neben dem idg. Ausdruck aw. kaend- =
grieeh. Troivrj, welcher ,Rache' und , Busse' bedeutete, noch ein beson-
derer und ausschliesslicher Name für das Wergeid vorhanden war.
Einen solchen hat man (vgl. L. v. Sehröder Indogermanisches Wergeid,
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104
Blutrache.
Festgruss an Roth S. 49 ff.) aus sert. väira- {väira-diya-y räira-yätana-)
agls. wer-, were-gild (s. o.) und altruss. vira ersch Hessen wollen. Letz-
teres Wort bezeichnet sowohl in der Chronik Nestors wie auch im ältesten
russischen Rechtsbuch, der Pravda Russkaja (hier in der adjektivischen
Form vimoje), die zur Sühnung eines Totschlags an den Fürsten zu
zahlende Leistung. Indessen ruht auf dem altrussischen und nur hier
bezeugten Worte der Verdacht skandinavischer Entlehnung, und auch
das wahre Verhältnis des schon von Roth mit einander verglichenen
agls. wer-, were- und sert. väira- ist schwer zu ermitteln. Sicher ist
jedenfalls, dass beide zu dem altidg. Worte für Mann (lat. vir) gehören.
Wenn also die Institution der Blutrache und ihrer Ablösung durch
ein Wcrgcld als indogermanisch anzusehen ist, so kann man doch über
das Alter einzelner charakteristischer Züge dieser Institution zweifel-
haft sein. War schon in der Urzeit eine Instanz, etwa das Schieds-
richtertuni des Königs (s. d.), vorhanden, vor dem die beiden feindlichen
Sippen sich einigen konnten, ob Zahlung einer Busse stattfinden oder
der Rache freier Lauf gelassen werden sollte? War schon damals
die Höhe des Wergclds festgesetzt oder durch Gebrauch fest geworden,
eine Annahme, auf welche die Übereinstimmung des indischen Wergclds
von 100 Kühen für den erschlagenen Mann mit germanischen und
slavischcn Sätzen (vgl. Roth und Schröder a. a. 0.) führen könnte?
u. 8. w.
Als wahrscheinlich darf gelten, dass schon in der Urzeit die unmittel-
bare Tötung des Vollbringe« gewisser Gewalttaten (s. u. Diebstahl
und u. Ehebruch) nicht die Blutrache der geschädigten Sippe her-
vorrief, dass also der Begriff der straf- oder besser stthnelosen Tötung
als Ansatz einer eigentlichen Rechtsordnung sich bereits auszubilden
begonnen hatte. Doch wird mau sich hüten müssen, derartige Begriffe
und Gewohnheiten als schon in alten Zeiten durchaus fest geworden
anzusehen.
Ihren Ursprung haben die Einrichtungen der Blutrache in dem nicht
weiter ableitbaren Rache- und Schutzbedürfnis des Menschen. Die Be-
friedigung des letzteren fand der Indogerraane ausschliesslich oder
vorwiegend — die Gemeinschaft des Stammes richtete sich mehr
gegen den Kriegsfeind — in der Vereinigung der Sippe (s. d.). Bei
ihr haftet daher die Verpflichtung, den Sippengenossen zu schützen.
Innerhalb dieses weiteren Begriffs fällt wieder in erster Linie die
Pflicht der Rache gewissen nächsten Verwandten des Erschlagenen zu.
Bei Homer werden als solche die Söhne und Enkel, der Vater, die
Brüder und die £tcu genannt. Leider ist letzteres ein nicht mit Sicher-
heit übersetzbarer Ausdruck. Er wird zu o*Fe(*o*F€Tä-) gehören und so
viel wie , Angehörige' bedeuten. Von Affinen als Bluträchern ist nirgends
die Rede. Einmal (II. XV, 554) wird ein dveiyiö? genannt. Es gilt dies
von Mclanippos, dem Sohne des Hiketaon, in seinem Verhältnis zu
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Blutrache.
105
Dolops, dein Sohne des Lampos. Nun waren Hiketaon und Lampos
(II. XX, 238) Brtlder, so dass wir es also mit Brndersöhnen zu tbnn
haben. Es werden demnach von Homer nur agnatische Verwandte
als Bluträcher genannt.
In bestem Einklang hiermit steht die oben angeführte Stelle der
Oesetzgebung Xumas, nach welcher der Widder den Agnaten des
Erschlagenen zu übergeben war. Freilich beruht die Lesung agnati*
auf einer Verbesserung der sinnlosen Worte et natix, die aber gegen-
wärtig wohl von allen Rechtshistorikern angenommen ist. Eine Aus-
nahme macht wohl nur Leist Graeco-italische Rechtsgcschichte S. 349 f.,
indem er cognatis, nicht agnutix lesen will. Zu dieser Auffassung
gelangt er, weil er spätere Grundsätze des römischen Rechts Uber An-
klagerecht, bzw. Anklagepflicht nächster kognatiseher Verwandten (vgl.
namentlich Glück-Leist Commentar V, 65 ff.) in direkte Beziehung zu
der auch von ihm für Roms Urzeit angenommenen Blutrache setzt.
Aus einer idg. Pflicht zur Blutrache innerhalb des Kognatenkreises
(xobrino tenus) sei später ein bevorzugtes Anklagerecht derselben Ver-
wandten geworden. Allein von sachverständiger Seite wird einge-
wendet, dass der von Leist eonstruierte Zusammenhang kaum haltbar
sei. In der früheren Zeit seien bei dem Verfahren wegen parricidium
die Anklagen gar nicht von Verwandten oder überhaupt von Privat-,
sondern von Magistratspersonen (den quaextorex parricidii) erhoben
worden. Privatkläger seien erst denkbar nach Einsetzung der quae-
stionex perpetuae (149 v. Chr.), die ursprünglich für privatrechtliche
Ansprüche eingerichtet, es allmählich auch mit dem Strafrechte zu
thun bekommen hätten. Bei diesen hätte im allgemeinen jeder als
Kläger auftreten können, nur nicht ursprünglich die Frauen, und die
von Leist in dem oben angegebenen Sinne ausgelegten Stellen der
Rechtsquellen bezögen sich auf nichts anderes, als dass ausnahmsweise
auch Frauen als Nächstangehörige das Recht (nicht die Pflicht) zu
klagen haben sollten. Ähnliches gelte von den ursprünglich ebenfalls
zur Klage nicht zugelassenen Soldaten. „Eine Verpflichtung von Kog-
naten, den Tod des Familiengenosscn zu rächen, die nach Leist schon
der prähistorischen Zeit angehören soll, ist in den römischen Reehts-
quelleu nirgends zu entdecken."
Viel eher könnte man geneigt sein, mit Brunnenmeister Tötungsver-
brechen S. 163 die freilich auch erst spät hervortretende Anschauung,
denjenigen für erb unwürdig zu erklären, der es unterlassen hat, den
Mord des Erblassers zu verfolgen (vgl. z. B. Pauli Sent. rec. HI, 5 § 2:
Honextati enim lieredix conrenit, qualemcunque mortem textatorix in-
ultam non praetermittere), als einen Nachhall uralter Anschauungen
aufzufassen. Der Eibgang aber ruht in Rom auf agnatischer
Grundlage.
Die indischen und germanischen Quellen tragen zur Charakterisierung
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Blutrache — Bohne.
der ältesten Faniiliengenossensehaft der Blutrache direkt nichts bei.
Die älteste russische Pravda (vgl. Ewers a. a. 0. S. 264) aber bestimmt:
„Erschlägt der Mann einen Mann, so räche der Bruder den Bruder,
oder der Sohn den Vater, oder der Vater den Sohn, oder der Bruder-
sohu, oder der Schwestersohn." Au letzter Stelle ist hier also als
Blnträcher ein kognatischer Verwandter (aus der Anchistic rcpd^ narpö?)
genannt oder wahrscheinlich angefügt worden. Wenn so die unmittel-
baren, auf die Ausübung der Blutrache bezüglichen Nachrichten die Frage,
ob in der Urzeit die Verpflichtung zur Rache nur bei aguatischen oder
auch bei kognatischen Nahverwandten ruhte, nicht mit voller Evidenz in
ersterem Sinuc entscheiden könuen, so geschieht dies durch die von nie-
mandem geleugnete Verbindung, in der die Pflicht zu rächen mit dem Recht
zu erben auftritt. Dass hier eine Nahverwandtschaft nur durch ag-
natisch verbundene Personen, nämlich durch Männer, welche den gleichen
Vater, Grossvater oder Urgrossvater mit einander gemein hatten, in
der Urzeit gebildet wurde, ist n. Erbschaft gezeigt worden.
Die Bedeutung der Blutrache beginnt zu schwinden, je mehr der
Begriff des Staates (s. d.) in Europa hervortritt. Dieser Prozcss ist
bei den einzelnen Völkern in verschiedener Weise und zu verschiedener Zeit
vor sich gegangen. Iu Attika hat vor Drakon der Arcopag alle Blutprocesse
entschieden (vgl. Gilbert Die Entwicklungsgeschichte der athenischen Blut-
gerichtsbarkeit Jahrb. f. klass. Phil. XXIII Suppl. S. 485 IT.). Das römische
Recht, sahen wir, hatte schon vor aller Überlieferung die Privatrache
überwunden. Im Norden zeigt sich dagegen die Blutrache in gewissem
Sinne in die Verfassung der civitas eingegliedert. Es steht bei den
Germanen der gekränkten Sippe frei, entweder den Weg der Fehde
zu beschreiten oder auf privatem Wege die Busse zu erwirken oder
die letztere bei dem concilium einzuklagen (vgl. Brunuer Deutsche
Rcchtsgesehichte I, 160). Bei den Slaven endlich hielt noch der
russische Fürst Vladimir dem Drängeu der Bischöfe gegenüber, die ihn
ermahnten, die sich mehrenden Mordthaten von Staatswegen zu be-
strafen, es für Unrecht (grechü), solches zu thun und das Wergeid (vira)
zu beseitigen (vgl. Ewers a. a. 0. S. 213). Hier im Norden Europas
hat vor allem die christliche Kirche durch die Begründung des Gottes-
friedens (treuga dei), durch die Eröffnung von Asylen fs. u. Tempel},
durch eine straffe Bussdisziplin u. s. w. energisch und erfolgreich die
überall noch vorgefundene Einrichtung der Blutrache bekämpft. S. auch
u. Körperverletzung uud u. Recht (Straf recht ).
Blutschande, s. Verwandtenehc.
Blntsfreanclschaft, s. Freuud und Feind.
Boden, s. Eigentum.
Bodenkultur, s. Ackerbau.
Bogen, s. Pfeil und Bogen.
Bohne. Auf keinen Fall kann unsere heutige Gartenbohne
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Bohne.
107
(Phaseolus vulgaris L.) in alten Zeiten bekannt gewesen sein, da sie
nachweislich erst ans Amerika bei nns eingeführt worden ist. Es bleibt
daher nur die Geschichte der sogenannten Saubohne (Vicia Faba L.f
Faba vulgaris Meh.) zn bestimmen übrig.
Die archäologische und historische Überlieferung weist auf ein hohes
Alter ihres Anbaues in Europa hin. Aus ncolithischcu Stationen ist
derselbe in Italien, Spanien und Ungarn nachgewiesen worden, während
er in der Schweiz allerdings erst in den der Bronzezeit angehörigen
Pfahlbauten zu belegen ist (vgl. Buschan Vorgesch. Bot. S. 21 H). Auch
Homer (II. XIII, 589) kennt bereits die kügujoi ueXotvöxpoe^, die dunkel-
farbigen Bohnen, die auch in Hissarlik (vgl. Wittmack Berichte d. D.
bot. Ges. 1886) gefunden wurden. Nicht weniger muss in Italien, wo
die Pfahlbauten der I'oebcne ebenfalls Faba tulgari* aufweisen, die
Bohne ein wichtiges nnd beliebtes Nahrungsmittel der älteren latei-
nischen Zeit gewesen sein, was ausser durch vieles andere (vgl. Heibig
Die Italiker in der Poebene S. TO), durch die alten Bauernuamen der Fabii,
des Modius Fabidiua, des Mettim Fufetiutt bewiesen wird. Von den
Kelten, wenigstens den oberitalischen, berichtet IMinius Hist. nat. XVIII,
101 : Panko et Galliae quidem, praeeipue Aquitania utitur; sed et
Circumpadana Italia addita faba, sine qua nihil conficiunt.
Nach demselben Autor (IV, 97) nannten die römischen Soldaten die Insel
Bureana, das heutige Borknru, Fabaria, a frugis multitudine sponte
procenientis. Waren es dennoch angebaute Bohnen, da an wilde kaum
gedacht werden kann? Eine andere Insel der Nordsee hiess vielleicht (vgl.
Plinius I. c. IV, 94) wirklich Jiaunonia (altn. bann , Bohne ). Die LexSnlica
enthält schon in den ältesten Codices 1 u. 2 (Hessels) XXIX, 7 die
Straf bestimmnng: Si quis in napina, in fauaria, in pissaria vel in
lenticlaria in furtum ingrexsm fuerit, etc. Über Bohnenfunde in
Deutschland, allerdings erst aus der Eisenzeit, vgl. Buschan a. a. 0. —
Auch die Sprache weist auf ein hohes Alter der Bohne bei den idg.
Völkern. Wie die Arier durch die Übereinstimmung von sert. md'sha-
— npers. mäs, Pamird. ma% (letzteres freilich , Erbse ) verbunden werden,
so herrscht in Europa die Gleichung : lat. faba (woraus durch Ver-
mittlung eines brit. *ßbi- entlehnt ir. seib^ = altpr. babo, altsl. bobü
,Bohne'. Auch lit. pupä gehört hierher, dürfte aber erst durch finnische
Vermittlung aus dem Slavischcn übernommen sein (vgl. Kretsehmer
Einleit. S. 146). Hingegen lässt sich ahd. böna, altn. baun vorläufig
nicht mit faba vermitteln. Alleinstehend: griech. kuciuos, miavo? : kucu>
,schwelle'. Alb. baih ,Saubohne' s. u. Linse. Die slaviscbe, ihrem
Ursprung nach noch unerklärte Gruppe von altsl. grachü umfasst mit fc
ihren Entlehnungen (alb. grosr, ngrieeh. fpaxos, tttrk. gray) zwar alle
Arten von Hülsenfrüchten, scheint aber doch vorwiegend , Bohne' zu
bedeuten.
Nach alledem kann mau es als wahrscheinlich ansehen, dass die
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Iiis
Bohne — Braun.
Saubohne, die anch indem ägyptisch-semitischen Kulturkreis von
ältester Zeit an bekannt, obwohl bei den Ägyptern (ähnlich in Indien;
vgl. L. v. Schröder Pythagoras S. 35) als Speise aus religiösen Gründen
verabscheut ist, zu den ältesten Ackerbaufrachten der europäischen
Indogermanen gehört. Als Stamnipflanze der Saubohne sieht mau Vicia
narbonensis an, die in den Mittelmecrländcrn und im Orient bis Meso-
potamien hin wildwachsend verbreitet ist.
Zu erwähnen bleibt, dass von den Griechen neben der Saubohne auch
eine Dolichosart (Dolichoa melanophthalmoa D. C.) angebaut wurde:
böXixo^ (Thcophr.), tfuiXaS Ktinaia und (patfioXo^ (Diose.), letzteres von
dem schon früher bezeugten <pdo*n>os abgeleitet. Hieraus entlehnt lat.
phaseluft, faseolu*, phaxiolu*. Dieselbe Pflanze meint auch griech. Xößia
(vgl. v. Fischer-Benzon S. 98), zu Xoßoi »Schotenhülsen*, X^ßiveoq ,eine
Schotenart' (lat. legthnen?) gehörig. Auch dieses Wort hat eine weite
Wanderung, und zwar in östlicher Richtung, angetreten, wie kurd.
lobia, npers. tübiya, anneu. lovias. lubia, syr. lubjd etc. zeigen (vgl.
Löw Aram. Pfianzenn. S. 234, Ilübschmann Armen. Gr. I, 267). S. u.
Hülsenfrüchte und u. Ackerbau.
Bohrer. Steinerne Werkzeuge zum Durchbohren des Holzes sind
in der neolitbischen Zeit, ja schon in den voraufgehenden Perioden, an
vielen Orten und in Menge zu Tage getreten. Ein idg. Name derselben
ist griech. ihom.) Te'pcTpov = ir. tarathar; vgl. auch lat. terebra. Man
beachte noch die Gleichungen lat. forare = ahd. borön und lit. grp&ü
,bohre', altpr. gransti* , Bohrer', lett. grtsnis ,DrilIbohrcr' = mhd. krinc
,Kreis' (Bohrloch). Das Slavische verwendet für den Begriff des Bohrens
meist die Wurzel vert, altsl. vrütiti etc., für den Bohrer das gemeinsl.
altsl. tscrtidlü (*8verd- : ahd. xicert, agls. xiceord, altn. sverd ,Schwert'?).
Gemeingermanisch ist die Zusammensetzung ahd. naga-ber aus *naba-
ger, agls. nafo-gär, altndd. nabugSr, altn. nafarr (finnisch napa-
Jcaira), wörtlich ,Gcreiscu zum bohren der Nabe'. Gemeinkeltisch:
*al'i-"dlo # ,Bohrcr' (kymr. ebil »terebrum'; vgl. lat. aculeus nach Stokes
Urkelt. Sprachschatz S. 5). — S. u. Werkzeuge.
Boot, s. Schiff, Schiffahrt.
Borgen, s. Schulden.
Braten, s. Kochkunst.
Brauen, s. Bier.
Braun. Ein idg. Name dieser Farbe ist in der Benennung des
Bibers (s. d.) erhalten. Als Farbenadjektivum ist das Wort (idg. *bhe-
bhr-u ) noch in sert. babhrit- ,braun' und (ohne Reduplikation) in dem
gemeingerm., auch ins Romanische, Litauische und Slavische entlehnten
ahd. briln, altn. brünn bewahrt. Vgl. auch griech. q>puvn, ,Kröte' (die
jbraunc ). Die reduplikatiousloscn Stammstufen bher- und bher- scheinen
in ahd. bero ,Bär' (,Meister Braun') und in lit. beras .braun' (nur von
Pferden) vorzuliegen. Die Einzclsprachen benennen das Braun entweder
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Braun — Brautkuuf.
10!»
im Hinblick auf das Schwarz (z. B. griech. dpcpvivo? : öpqpvri Finsternis',
lat. fuscus : lat. furvus ,kohlschwarz' ans *fus-to-s; über ir. donn etc.
vgl. Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 152), oder auf das Rot (lit. riidas :
raudönas ,rot'), oder das Gelb (lat. badius : ir. buide ,gelb', ahd. elo
aus lat. helcus). Altai, ttmaglü ,fuscus' scheint soviel wie ,dürr, ver-
brannt' zu sein (vgl. Miklosich Et. W.). S. noch u. Gelb, Schwarz
und Weiss, und u. Farbe.
Braut, Bräutigam s. Heirat.
Brautkauf. Die idg. Ehe beruht auf dem Kaufe des Weibes.
Von dem alten Griechenland berichtet Aristoteles Polit. II, 5, 11 aus-
drücklich: toÜ£ Top dpxcuous vöpout Xiav airXoC^ elvai Kai ßapßapiKOÜ;:
£(Tibripo<poGvxö T€ xdp o\ "EXXn,V€q Kai xd^ xuvaiKaq duuvoüvxo.
Diese Angabc wird noch durch die homerischen Gedichte bestätigt.
Hier wird eine Jungfrau dX<peo*ißoia genannt, weil sie den Eltern einen
guten Preis in Gestalt von Rindern einbringt. Zuweilen werden nam-
hafte, dTTCiptoia £bva, dem Vater des Mädchens dargebracht. Vgl. z. B.
II. XI, 244:
TTpOde' *KOXÖV ßOÜS bÜJK€V, ^TTClXa bfc X»*»' Ü1T€0"Tr|,
aifaq öpoö Kai öi?, xd o'i äarrcxa Troinaivovxo.
Nicht weniger deutlich ist die Kaufehe bei den alten Thrakern
bezeugt. Vgl. Herodot V, (>: lüveovxai xd? YuvaiKaq irapd xüjv tovcwv
Xpimdxaiv uttä^wv und Xcuophon Anab. VII, 2, 38: Zoi bt, u> Eevoqpoiv
(sagt der Thrakerfürst Seuthes), Kai 0uYax€'pa buiaui Kai eixiq o*oi fem
6urdxr|p, iüvr|0*opai OpaKiiy vöuui. Ebenso ist es bei deu Litauern.
Vgl. Michalonis Lituaui De moribus Tartarorum, Lituanorum et Mo-
schorum fragmina ed. Grasser Basiliae 1615 S. 28: Quemadmoduni et
in nostra olim gente solvebatur parentibm pro npomis pretium, quod
krieno (,Kaufpreis' : sert. krind'mi, lett. kreens, kreena näuda ,ein
Geschenk an die Braut') a Samagitis vocatur. Bei den Slaven gab
nach der Chronik Nestors Vladimir (980 — 101») den byzantinischen
Kaisern Basilius und Konstantin für die Hand ihrer Schwester Anna
als ceno , Kaufpreis' (s. u.) Cherson, und Jaroslav (1019 — 1054) erhielt
von Kaziinir von Polen für seine Schwester Maria als veno 800 Menschen,
die Boleslav vordem gefangen genommen hatte (vgl. Krek Analecta
Gracciensia S. 187). Bei den Sudslaven herrscht der Brauch des Braut-
kaufs teilweis noch heute (vgl. Krauss Sitte und Brauch der SUdslavcn
S. 272 ff.).
Auch bei den Germanen erfolgte die Eheschliessung durch Frauen-
kauf, und die Geschenke, welche nach Tacitus Genn. Cap. 18 (dotem non
tueor marito, sed uxori maritus offerf : boves et frenatum equum
et scutum mm framea gladioque) der Mann der Frau nach Billigung
durch die Eltern und Sippe der Braut darbringt, können kaum etwas
anderes als der Kaufpreis für das Mädchen (/» haec munera uxor
aeeipitur) sein. Noch in den späteren Volksrechten heisst ^erheiraten'
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Brautkauf.
uxorem emere, feminam vendere, die , Braut' pttella empta, die Ver-
lobung' mercatio u. s. \v. (Brunner Deutsche Rechtsgcscbichte I, 74).
über die altiri sehen Verbältnisse vgl. 0 'Curry Manners and customs
I, CLXXIIff. Hier gebt bereits nur ein Teil der Geschenke des
Bräutigams an den Vater des Mädchens oder das Haupt ihrer Sippe,
während das übrige der jungen Frau gehört. S. auch über ir. tindscra
,Kaufpreis eines Mädchens' bei Windisch Irische Texte Wb. s. v.
Endlich hat auch im vedischen Altertum der Frauenkauf gegolten.
Vasishtha (Dbarmacästra I, 36; vgl. auch Apastamba II, 6, 12) nennt
eine Vedastelle, nach welcher der Bräutigam au den Vater 100 Kühe
(vgl. oben ^kotov ßou<;) nebst einem Wagen zu zahlen habe. An anderen
Stellen ist von einer Frau die Rede, die mit anderen Männern ver-
kehrt, obschon ihr Gatte sie gekauft habe, und Rigveda I, 109, 2
werden die reichen Geschenke des Tochtermanns erwähnt (vgl. Jolly
Grundriss der indo-ar. Phil. II, 8; 52, Zimmer Altindisches Leben S. 310).
Doch lehnen sich später die Smrtis gegen jede Art des Frauenkaufs
auf, der höchstens den Vaicva und QQdra gestattet sein soll.
So ist nur bei den Römern der Kauf des Mädchens gegenüber
anderen Formen der Eheschliessung, namentlich der rein sakralen con-
farreatio, ganz zurückgetreten ; doch dürfte nicht zweifelhaft sein, dass
in der symbolischen Handlung der coemptio auch hier eine Erinnerung
an den ursprünglichen Zustand bewahrt ist (vgl. Leist Altarisches Jus
gentium S. 128 ff.).
Zweifellos ist der Kauf des Mädchens ursprünglich ein Kauf ihrer
Person gewesen und hat nicht etwa (wie später bei den Germanen)
nur die Erwerbung des Schutzrechts (s. u.) über dasselbe bedeutet.
Bemerkenswert ist die Übereinstimmung des Kaufpreises von 100 Kühen
mit der gleichen Höhe des Wergeides des Mannes (s. u. Blutrache).
Der idg. Name des Kaufpreises einer Frau ist erhalten in dem
grieeb. ebvov, &bvov (bei Homer fast immer von den Geschenken an die
Braut oder an ihre Eltern gebraucht), agls. icentuma , Kaufpreis der
Braut', bnrgund. wittemo (<juod maritu* dedit'\, ahd. trhlamo ,dos',
altsl. veno (vgl. Pedersen I. F. V, 67) ,dos' („es wird urspr. den für
die Braut ihrer Familie bezahlten Preis bedeutet haben, eine Mitgift
erhielt die Braut in alter Zeit nicht", Miklosich Et. W.; vgl.
auch Kiek a. a. O.i. Die Sippe gehört zu der Wurzel redh.red
, heimführen' (s. u. Heirat) und bedeutet also den Preis, den man
für die Hcimflilirung «ler Braut zahlte. Ferner sind zu nennen neben
dein schon oben erwähnten lit. krieno , Kaufpreis' (vgl. auch lit. kraitis
jBrautsehatz', .Mitgift > : longob. iurta lahd. nrieta, ein idg. Wort für
,Lohn, Bezahlung, Preis"; s. u. Lohn) und altn. tintndr, ein spezifisch
germanischer Ausdruck für das Loskaufen des Mädchens aus der ,lland'
f altn. wundj des Vaters, schliesslich seit, ytlkä- ,money given to the
parents of the bride' (vgl. Indische Stud. V, 407 und Jolly a. a. 0.
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Brautraub — Brot.
111
S. 52) ,Kaufpreis' : russ. suliti »versprechen", posulü ,Geschenk zur
Bestechung', lit. stilyti, also eigentlich , Angebot'. — S. u. Ehe, Mit-
gift, Raubehe.
Brautraub, s. Raubehe.
Brautwerber, s. Heirat.
Brei. Eine uralte Benutzung des Mchles der Getreidearten ist
•die zum Brei, wovon Spuren sich mehrfach in prähistorischen Gefässen
gefunden haben (vgl. z. B. Heibig Die Italiker in der Poebene S. 17).
Eine idg. Gleichung für diese Speise liegt in griech. ttöXto? (Alkman
neben dem dunklen £tvo$ id.) = lat. puls vor. Nach Plinius Hiat.
nat. XVIII, 83 (pulte autem, non parte vixtese longo tempore Roma-
nos manifestum) wäre der Brei sogar älter als das Brot, wobei jedoch
an ein späteres vervollkommnetes, namentlich gesäuertes Backwerk (s.
u. Brot) zu denken sein wird. Auch bei den Germauen war nach
Plinius XVIII, 149 (quippe quum Germaniae populi serant eam
(avenam) neque alia pulte vivant) die Grütze (ahd. gruzzi, altn.
grautr) eine sehr beliebte Speise. Über ähnliche altindische Gerichte,
namentlich den karambhd- vgl. Zimmer Altind. Leben S. 268 f. — S.
n. Nahrung.
Brief, s. Schreiben und Lesen.
Brombeere, s. Beerenobst.
Bronze, s. Erz.
Brot. Die Prähistorie weist auf ein hohes Alter des Brotes in
Europa hin. In den Schweizer Pfahlbauten siud verschiedene Brot-
arten, und zwar sehon in den ältesten Stationen (Wangen, Robenhausen),
zu Tage getreten, die von 0. Heer (Die Pflanzen der Pfahlbauten S. 9)
ausführlich beschrieben werden. Sie bestellen teils ans Weizen, teils
ans Hirse: „Bei dem gewöhnlichen Weizenbrot wurden die Körner
stark gerieben, dann mit Wasser ein Teig angemacht, und dieser auf
einen heissen Stein gelegt und wahrscheinlich mit Asche zugedeckt . . .
Es waren diese Brote rundlich, aber ganz nieder; sie hatten nur eine
Höhe von 15 — 25 mm, bekamen also mehr die Form von Kuchen oder
Zelten, wie man in manchen Gegenden solche flache Brote nennt".
Schwieriger ist es, das Alter des Brotes in Europa auf sprach-
lichem Woge festzustellen. Es handelt sich dabei namentlich um die
Reihe: lat. l/biim, gemeingerm. got. hhiiß, gemeinsl. altsl. chtebä.
Trotz allem, was in neuerer Zeit über das Verhältnis dieser Wörter
zu einander gesagt worden ist (vgl. Kozlovsky Archiv f. slav. Sprachen
XI. :;, ZW, Liden BB. XV, 3, 514, Pedersen I. F. V, 5u, L'hlenbeck
Et. W. S. To}, ist ein sicheres Ergebnis noch nicht erzielt. Am wahr-
scheinlichsten dürfte immerhin die Ausety.ung eines ureuropnischen
Stammes *kltloibho- got. hliiij's, Hhleihho- lat. libnm, altsl. vh b'-bft ,
*khlihho- nihd. U;be.-kuocht' im Sinne von Brotkuclien* sein. Auch
sonst treten Übereinstimmungen in der Terminologie der Brotbere?tung
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112
Brot.
in den europäischen Sprachen hervor. Vgl. besonders ahd. bahhan,
agls. bacan = grieeh. <pujyu) (phryg. ߀KÖ^ ,Brot, Herod. II, 2?). 8.
weiteres u. Kochkunst, Küche. Vgl. ferner gemeingerm. ahd.
knetan = altsl. gnedq, altpr. gnode ,Teigtrog\ , Backtrog' und urkelt.
*tais-to- (ir. Mi«, kymr. toes) ,Teig' = urslav. *tMo- (russ. testo n. s. w.)
id. (daneben ahd. deismo, agls. p&sma »Sauerteig').
Einzel sprachliche Bezeichnungen des Brotes sind: griech. äpxo^
(dunkel), rrupvov ( : Trupöq , Weizen'), uciZa ( : uäereru) , knete ), lat. pdnis
(ipaacor; ir. ain-chut , Brotkorb', *ain- aus *p(1ni-?)% gemeinkeit. ir.
bairgen (vgl. lat. feretum ,Opferkuchen'), altpr. sompisenis ,grobes
Brot' ( : altsl. pUeno ,<5\<piTov'), geit» (: altsl. zito , Frucht', ,Getreidc),
lit. duno ( = sei t, dhdnd' PI. ,Getreidekürner' ; daneben lit. Hipas und lett.
klaips, die mit den oben genannten altsl. chUhü, got. hlaifs zusammen-
hängen). Auch diese einzelsprachlichen Bildungen machen teihveis den
Eindruck hohen Alters.
Endlich kann mau für die frühe Bekanntschaft Europas mit dem
Brot oder Brotkuchen noch geltend machen, dass, wie im griechischen
und römischen Heidentum (vgl. Lobeck De placentis sacris I und II,
Regimonti Boruss. 1828), so auch im germanischen, heiliges Back-
werk in verschiedenen Gestalten gebacken wurde. In dieser Beziehung
braucht nur an das im Indiculus superstitionum et paganiarum genannte
«imuUicrum de conxparsa farina oder an den agls. solnwnath (potest
dici memis placentarum, quas in eo diis suis offerebant bei Beda)
erinnert zu werden. Bekanntlich haben unsere Bretzeln, Hörnchen,
Stollen, Krapfen, Kipfel u. s. w. bis heute eine Erinnerung an dieses
heidnische Backwerk bewahrt.
Wir sahen oben, dass eine charakteristische Eigentümlichkeit jener
ältesten Brote der Schweizer Pfahlbauten ihre Niedrigkeit war, die
schon J. Lubbock (Die vorgesch. Zeit3 S. 207) auf den Gedanken
brachte, dass sie ohne Hefe hergestellt worden sein möchten. Sieber
sind die dem Pfahlbau des Mondsees entnommenen und im Privat-
besitz des Dr. M. Much (Wien) befindlichen Brote ohne dieselbe an-
gefertigt.
Und in der T hat scheint es, dass sich die Kunst, dem Teige durch
Zusatz von Hefe oder Sauerteig leichtere Verdaulichkeit und grösseren
Wohlgeschmack zu geben, in Europa erst verhältnismässig spät verbreitet
hat. Über die griechischen Verhältnisse vgl. den lehrreichen Aufsatz
von 0. Benndorf Altgriechisches Brot (Souderabdrnck aus Eranos
Vindobonensis S. 4). Benndorf nimmt an, dass die Bekanntschaft mit
dem Sauerteig in Ägypten aufkam und erst in historischer Zeit von
dort zu den Griechen gelangte. In Italien ward der Flamen Dialis
angehalten, farinam fermento imbutam zu vermeiden (vgl. Heibig Die
Italiker in der Poebenc S. 72 nach Gellius und Fcstus), eine unzweifel-
hafte Erinnerung an eine Zeit, in welcher es noch kein gesäuertes
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Brot.
113
Brot gab. Am thrakischen Fürstenhof des Seuthes (Xcnoph. Anal». VI 1, 21 )
linden wir allerdings bereits grosse gesäuerte Brote (dptot Zuuitcu),
die an die FleischstUcke angeheftet waren, im Gebrauch; doch mag
dies auf griechischem Einfluss beruhen.
Nachdem die Säuerung des Brotes in Europa bekannt geworden war,
bedienten sich Griechen und Römer (vgl. Klllmncr Terminologie und
Technologie I, T>8) zur Herstellung des Sauerteig», wie es bei wein-
banenden Völkern zu erwarten ist, vorwiegend des Mostes, der mit
Hirse zusammengeknetet wurde. Es musste daher den Alten autfallen,
wenn sie es anderswo, wie in Gallien nnd Spanien, anders fanden:
Galliae et Hispaniae frumento in potum resoluto (quibus diximu*
generibus) xpuma ita concreto pro fermento utunfur, quo de causa
/error Uli« quam ceteris panis ert (Plin. Hist. nat. XVIII, 68 1. Aus
diesen Worten folgt, dass man sich in den bierbrauenden Ländern
Gallien nnd Spanien der Hefe des Bieres zur Anfertigung des
Sauerteigs bediente, eine Kunst, die den ceteri, worunter nur die übrigen
Barbaren des Nordens, also auch die Germanen verstanden werden
können, damals noch nicht geläufig war. Deren Brot war demnach
damals noch ungesäuert, schwer uud unverdaulich. Nichts andern als
diese spuma concreto frumenti in potum resoluti des Püning, also
,Bier', , Bierhefe' kann nun ursprünglich die Gleichung ahd. brat, agls.
bready altn. brau >) — ßpoöro? • KpiBwv nopa lies, und phryg.-thrak.
ßpürov .Bier' : ahd. briuwan (s. u. Bier) bedeutet haben. Aus der
Bedeutung ^lefc' hat sich dann die von ,Sauerteig' entwickelt, wie in
agls. beorma , Bärme, Hefe' : alb. brum, lat. fermentum ,Sauerteig'
und in griech. ZöBo? ,Bicr' : Zupö? ,fenncntumT (vgl. auch lat. ju*
,Brtthe' : üt. jüsze schlechte Suppe von Sauerteig ). Von dem gallisch-
romanischen Westen ging dann in der germanischen Welt die Fest-
setzung des Stammes *brauda- in der Bedeutung ,Brot . .gesäuertes
Brot' aus. Im Althochdeutschen hat bröf vom Anheben der Überlie-
ferung an die feste Bedeutung von panis. Im Angelsächsischen aber
tritt briod als besonderes Wort (s. u.) nnd in der Bedeutung von Brot
(dpio?) und Bissen Brot (ipuiuiov) erst im X. Jahrhundert auf. Der
gewöhnliche Ausdruck ist durchaus Mdf, wie auch die zahlreichen
uud wichtigen Komposita mit diesem Stamme hldford, hUefdige n. s. w.
zeigen. In der altskandinavischcn Poesie endlich gilt ausschliesslich
hleifr, und erst ganz spät begegnet auch hier braud (dän. bröd).
Seine uralte Bedeutung ,Gcbrautcs\ , Brühe' aber scheint das Wort in
der altgermanischen Zusammensetzung ahd. biabröt = agls. beobread
bewahrt zu haben, mit der die alten Bienenzüchter wohl nicht das
heutige , Bienenbrot' als vielmehr den sauersüssen Futterbrei der Bicnen-
larven bezeichneten (näheres s. bei Vf. Festgabe für Sicvers S. 9 f.).
Ein alleinstehendes Wort für Sauerteig ist noch got. betet (: got. baitrs
,bitter' oder: ahd. ungibiUöt br6t ,azymus panis'?).
Schräder, Hcallexlkon. ^
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114
Brot — Brücke.
So hat sich gezeigt, dass der ungesäuerte, in der Asche des Herdes
gebackeue Brotkuchen in Europa eine uralte, wahrscheinlich Uber die
Sonderexistenz der Einzelvölker hinausgehende Erfindung ist, die all-
mählich durch die hinzukommende Kunst der Säuerung vervollkommnet
wurde. Grössere Schmackhaftigkeit wird dem Brot von den Griechen
frühzeitig (vgl. Alkman Frgm. 74, Bergk) auch durch das Hinzuhacken
von Mohnkörneru, Leinsaat, Sesamkörnera und dergl. gegeben. Sie
sind es auch, die durch die Anwendung feineren Mehles und durch
die Hinzuthat von Eiern, Milch, Öl, Honig u. s. w. nach und nach
feineres Backwerk herzustellen lernen. Bei ihnen gehen die Römer in
die Schule, wie die zahlreichen Entlehnungen des Lateinischen aus dem
Griechischen auf dem Gebiete der Kunstbäckerei (z. B. lat. maxsa aus
griech. uä£a, placenta , Kuchen' aus irXaKOÖ?, spira .Bretzel' aus antipa
u. s. w.; vgl. O. Weise Die griech. W. in der lat. Sprache S. 169 f.)
zeigen. Ganz neu und spät endlich ist die Benutzung der Butter
zur Gewinnung eines feinen Gebäckes. Da der Buttergenuss dem
klassischen Altertum fremd war, kann diese zukunftsreiche Erfindung
nur da gemacht worden sein, wo römische und barbarische Bäckerei
zusammen trafen. Mehrere Anzeichen deuten darauf hin, dass dies in
der Gegend des Niederrheins geschehen sei. Vgl. Plinius Hist. nat.
XVIII, 105: Quid am ex ovis auf lade subigunt, butyro vero gentes
pacatae, ad operix pistorii genera transeunie cura. Von Nieder-
deutschland aus hat sich auch das lateinische Wort ^Butter" in Deutsch-
land verbreitet (s.u. Butter). Von hier könnte auch die Reihe: */b-
catia ,KuchenJ (: lat. focux ,Herd', it. focaccia), ahd. fohanza, altsl.
pogaca u. s. w. ausgegangen sein. Vornehmlich die gemeingerm. Sippe
von ahd. kuoliho, engl, cake etc., die ursprunglich ihrer Bedeutung
nach nicht wesentlich von got. hldifs verschieden gewesen sein wird
(vgl. das Grimmsche Wb. unter Kuchem, dient dazu, nunmehr das
feinere Backwerk zu bezeichnen. Eine Vermutung Uber die Herkunft
dieser Wörter vgl. bei Vf. a. a. 0. S. G3. — S. u. Nahrung.
Brücke. Die Wege des Handels und Verkehrs werden in alten
Zeiten nicht am wenigsten durch Furten bestimmt, die der Reisende
durchwaten niuss (lat. radum, altn. vadt agls. wa>d, ahd. teat : lat.
vadere, ahd. icatan; lit. brastd, bradä, altpr. braut, brasta, braste,
altsl. brodü ,Furt* : lit. bredü, altsl. bredq ,ich wate'; ir. dth ,Furt' :
sert. yd'mi ,gehe ). An ihre Stelle tritt später die kunstvoll gebaute
BrUcke, deren Bezeichnungen daher mehrfach aus denen der Furt
hervorgehen. So in ahd. furt, agls. ford (: farari), gall. -ritum aus
*pritum (in Augusto-ritum) ,Furt' : aw. peretu-, npers. pul ,Brttcke'
(vgl. noch griech. nöpo? ,Furt', thrak. -para in Eigennamen und lat.
portus ,Hafen\ altn. fjördr , Bucht'). Ferner in sert. tirthd- /Tränke',
,Furt' : lit. Ulfas , Brücke', das seinerseits in die finnischen Sprachen
(fiuu. silta) eingedrungen ist (vgl. W. Thonisen Beröringer S. 232).
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Brücke — Bruder.
115
Sprachliche Übereinstimmung in Form und Bedeutung, wie im Arischen
zwischen sert. setu- ,Brückc' und aw. hafitti-, os*et. xed id., zeigt
sich in Europa nur zwischen Kelten und Germanen: altgall. -briva
(Samaro-brica ete.) , Brücke' ist = altn. brti und bryggja, ahd. brucca.
Die Grundbedeutung ist wohl in slav. *brec-hw (altsl. brüvtno) , Balken'
erhalten. Dass die Gallier zu Caesars Zeit grössere Flüsse noch
nicht zu überbrücken verstanden, zeigt Caesar De bell. Gall. I, 13, wo
die Helvetier durch die über den Arar geschlagene Brücke der Römer
aufs äusserste überrascht werden, da sie selbst den Fluss auf Kähnen
und Flössen kaum in 20 Tagen hätten überschreiten können.
Nicht geringere Schwierigkeiten wie die Flüsse setzten dem Verkehre
die Sümpfe und feuchten Niederungeu entgegen, von denen wir uns
das alte Europa in hohem Masse durchzogen denken müssen (vgl.
Tacitus Germ. Cap. 5: auf silzis horrido mit palttdihm foeda). Die
Deiche und Knüppeldämme, durch die man hiergegen die Wege zu
sichern suchte, heissen im Griechischen x&pupai, ein Wort, das erst
später fseit Herodot) auch den Sinn von ,Brttcke' annimmt. Seine
schwankende Lautgestalt (lak. bi<poüpa, theb. ß^pupa) könnte auf aus-
ländischen Ursprung hinweisen. In diesem Sinne hat man versucht,
griech. T&pupa an ein semitisches g$Mr (syr. geird, arab. gisr) , Brücke'
anzuknüpfen, sowie den alt-böotischen Stamm der r"€<pupcuoi als , Brücken-
bauer' zu deuten und aus hebr. Gtxuri (vgl. 'AqppobiTrj — 'Axtöret)
,ein Volk in Syrien am Fusse des Hermon, wo sich eine noch jetzt
gangbare Brücke über den Jordan befindet', herzuleiten (vgl. Lewy
Die semit. Fremdw. im Griechischen S. 250 und Muss-Arnolt Semitic
words S. 75). Ein idg. Wort dagegen, das man mit griech. flyvpu.
verglichen hat, ist armen, kamurj ,Brückc', eine Zusammenstellung,
die indessen auch als unsicher bezeichnet werden muss (vgl. Hübsch-
mann Armen. Gr. I, 457).
Genau dieselbe Bedeutung wie griech. Y^pupa hat ursprünglich das
altsl. mostä , Brücke' gehabt. Es bezeichnete von Haus aus nicht die
künstlichen Wege Uber Bäche und Flüsse, sondern vielmehr mit Holz
belegte Wege, vermittelst derer man über die reichlich vorhandenen
Sümpfe gelangen konnte (vgl. Ewers Ältestes Recht der Russen S. 65). Es
steht zu vermuten, dass altsl. mostä (vgl. auch nm. jwmontü ,Fussboden')
nichts als eine alte Entlehnung ans dem germanischen ahd. meist dar-
stellt, dessen älteste Bedeutung (s. u. Segel und Mast) ,Stange' war
(vgl. wegen des o altsl. skotü aus got. skatts und in sachlicher Hin-
sicht mndd. specke ,Knüppelbrücke' : ahd. spahho »Reisig'; F. Kluge
Et. W.' 8. v. Specke). Eine viel jüngere Entlehnung ist alsdann die
von russ. maita etc. in der Bedeutung von ,Mast'. über lat. pons
8. o. Strasse. Alb. ure , Brücke' ist dunkel.
Bruder. Sein idg. Name liegt in der Reihe: sert. bhrd'tar-,
aw. brdtar-, armen, elbair, griech. (ppnjrtp ' äbeAq>ö<; Hes., lat. f räter,
116
Bruder — Buche.
ir. brdthir, got. brö])ar, lit. broterelis (daneben die Koseform brölis),
altpr. brote, brdti, altsl. bratrü. Eine Wurzelbedeutung dieser Sippe
ist uicht mit Sicherheit zu ermitteln. Gewöhnlich denkt man an die
W. bher (gricch. cp^pw), so dass bhrä'tar- soviel wie .Träger', ,Erhaltcr',
nämlich der Schwester wäre, was aber natürlich ganz unsicher ist. Aus
weicht nur das Albancsische mit dem dunklen veid, via', doch ist auch im
Griechischen (ppnrnp im Sinne von Bruder nicht mehr «blich. An seine
Stelle sind getreten äbeAcpö?, lak. db€Xiq>n.p : beXcpü«; ,dcr demselben
Mutterleihe entsprossene' (vgl. auch öuofaaTiop, äfäatoptq- <5tbe\<pol
bibufioi, 6Tdo*Toup, sert. xödara- = sa + ttdarä- , Hauch', osset. tinsuicär
,Bruder' = än + suicär ,Mutterleib'). die noch nicht sicher erklärten
aiiTOKao*rfvnros, KaaiYvnTos, Käo*i<; i vgl. Delbrück, Verwandtschaftsnamen
S. 46ßf.) und tvoütö?, vielleicht = ir. gndth, also cigentl. .Bekannter'.
S. u. Familie.
Bruderschaft, s. Sippe.
Brühe, s. Fleisch.
Brunne, s. Panzer.
Brunnen. Wie es Tacitus von den Germanen berichtet (Germ.
Cap. 16: Colunt discreti ac diversi, ut fons, ut campu*, ut nemus
placuit), wie Caesar von den Galliern ( VI, 30: Ut sunt fere domiciUa
Gallorum, qui vitandi aestus causa plerumque silvartim ac fluminum
petunt propinquitatex), so werden auch schon in der Urzeit die idg.
Dorfsippen (s. u. Dorf) darnach getrachtet haben, sich in der Nähe
des Wassers anzusiedeln. Quelle und Brunnen sind in diesen Zeiten
noch sich deckende Begriffe, die daher auch in der weit verbreiteten
Gleichung: armen, afbiur ,Quclle', griech. cppe'ap, (ppcaTO? {*bhrern-)
, Brunnen', got. brunna ,Trn.rn\ tipra (*t<i-aith-brevant-) .Quelle',
,n well' in einander übergehen.
Der gegrabene und gefasste Brunnen ist ein jüngerer Kultur-
erwerh, über dessen Ausbreitung in Europa die Sprache noch einiges
Licht verbreitet. Im Westen herrscht das (selbst dunkle) lat. puteus
, Brunnen', das ausser ins Albancsische (pus)f ins Altirischc (cuit/ie),
Kyrurische (peten), ins Althochdeutsche {pfuzzi .Brunnen', später ,Pfütze )
und Angelsächsische {pytt , Brunnen', engl, pit .Grube ) entlehnt wurde.
Im Nord-Osten ging von skandinavischem Boden altn. heida ,well,
spring' (: got. kalds ,kalt' wie lit. szaltlnis .kalter Brunnen' : szaltas
,kalt' und altsl. studenlcl , Brunnen' : stynqti ,erkalten'j in das Sla-
vische (altsl. llad^zl ,puteus') und Finnische (kaltio) über. Vgl. noch
die alleinstehenden sert. avatd- .Brunnen' (= lett. ateiits id.?) und ütsa-
, Quelle, Bronnen' » beide vedisch), aw. cdt- .Brunnen' und altpr. apus
, Brunnen, Quelle' (: ape ,Fluss, Wasser').
Buch, Buchstabe, s. Schreiben und Lesen.
Buche, Rotbuche. {Fagux sylratka L.). Das ahd. buohha,
agls. böetrto, altn. bök — älteste Form erhalten in Silva Bdceni*
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Buche, Rotbuche.
117
,Buchenwnld' bei Caesar De bell. Gall. VI, 10 (Harz, Rhön?; vgl. R.
Much Stammsitze S. 21) — ist identisch mit lat. fügus und griecb. <pnTÖ?,
welches letztere aber eine Art Eiche, vielleicht auch ,Kastanie'
(s. d.) bedeutet. Eiue weitere Spur des Wortes kann sich in dem
Namen des phrygischen Zeus Bcrrcuoc erhalten haben, der dann so-
viel wie der , Buchen-' oder ,Eichengott' bedeutete (vgl. Torp, I. F.
V, 193). Die Wurzel des Wortes erblickt man in griech. 9crreiv ,esseu',
so dags ein Baum mit essbaren Fruchten (Bucheckern, Eicheln, Kasta-
nien? gemeint wäre. Da nun die vorhistorische Bedeutung dieser Wort-
reihe durch die Übereinstimmung der germanischen Sprachen mit der
lateinischen als ,Buche' feststeht, so erhellt, dass die Griechen von ihr
abgewichen sind. Je weiter man in Griechenland von Norden nach
Sflden vorschreitet, umso seltener wird die Buche, die noch am thes-
salisehen Olymp und am Pindns häufig ist (vgl. Heldreich Nutzpflanzen
S. 18), und neuerdings auch in Aetolien nachgewiesen worden sein soll
(vgl. Heldrcich bei Virchow Korresp.-Bl. der Anthr. Ges. 1893 S. 76).
Es lag daher für die Griechen nahe, das altererbte <pn.TÖ<; auf ähnliche
Bäume mit essbareu Früchten, Quercus Aegilops L. oder Castanea
vulgaris Lam. zu übertragen.
Der eigentliche (seltene) Name der Rotbuche ist im Griechischen
öEun. bei Theophrast III, 10, 1, der aber die Sache auch nur sehr
von der Ferne kennt (vgl. Lenz Botanik S. 409). Das Wort scheint
mit alb. ah (*aska-) .Buche' und lit. esc ulus id. übereinzustimmen, so
dass hier ein zweiter idg. Bnchenname (vgl. Pedersen I. F. V, 44) vor-
liegen könnte. Doch vgl. altn. askr ,Esche' und dSun. ,Lanzc' bei Ar-
chilochus. Lanzenschäfte aber sind kaum je aus dein weichen Holz der
Buche gemacht worden, so das die Grundbedeutung der ganzen Sippe
doch wohl eine andere als Buche gewesen ist.
„Die nordöstliche Vegetationslinie der Buche beginnt im südlichsten
Teile Norwegens, berührt die schwedische Westküste von Gothenburg,
geht an der Ostküste nur bis Kalmar und durchschneidet fast gerad-
linig den Kontinent vom frischen Haff bei Königsberg aus über Polen
bis Podolien, und bis sie jenseits der Steppen in der Krim und am
Kaukasus sich wieder fortsetzt1' (Grisebach). Dem entspricht es, dass
die Finnen keinen eigenen Namen für den Baum haben, sondern ihn
saksan tammi ,dentsche Eiche' nennen. Ebenso, dass die Slavcn die
Bezeichnung der Buche (buky) aus dem Deutschen entlehnt haben;
auch werden im Grossrussischen keine Ortsnamen von diesem Baum-
namen gebildet, nnd die kleinrussischcn sind auf Gallizien beschränkt.
Die Litauer, deren Gebiet nur zum kleinsten Teil in die oben be-
zeichnete Buchengrenze fallt, haben für die Rotbuche skirp-xtaa (: lat.
carp-inust .Hainbuche', altpr. »kerptu* ,R(ister'), für die Hainbuche
{Carpinus Betuhis L.)f deren Verbreitungsgebiet früher in östlicher
Richtung sich weit über das der Rotbuche hinaus erstreckte (vgl.
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Buche — Buchöbaum.
Köppen Holzgewächse II, 176), skroblüs, das an gcmeinsl. *grabrü,
rass. grabä ,Weissbucbe' (vgl. auch altpr. icosigrabi* ,spilboem') an-
klingt.
Gegen Nord- Westen war nach Caesar De hello Gall. V, 12 die
Rotbuche noch nicht (Iber den Kanal vorgedrungen (materia cuiusque
genervt ut in Gallia est praeter fagum et abietem). Ein einheimischer
keltischer Name des Baumes ist bis jetzt nicht bekannt geworden (ir.
faighe aus fdgus). Vgl. auch frz. hetre aus mhd. heister Junge Buche',
dessen Stammsilbe heis- man in der Silva Caesia zwischen Ruhr und
Lippe (altndd. Hesiwald; vgl. oben S. Bdcenis) wiederzufinden meint.
In Kleinasien setzt sich die Verbreitung der Buche südlich des
Schwarzen Meeres in einer schmalen Zone bis zum Kaukasus fort.
Nach Strabo XII p. 572 hätten die Myscr ihren Namen von einem an-
geblichen lydiseben uuerdq, uöcroq ,Buche' erhalten. Auf dem Ida hat
Virchow (a. o. a. 0.) thatsächlich den Baum nachgewiesen. — S. u.
Wald, Waldbäume und u. Urheimat.
Bnchsbaum (Bu.rus sempercirens L.). Er ist nach Ausweis
fossiler, in Italien und Frankreich gemachter Funde in Südeuropa ein-
heimisch. Gegenwärtig ist der Buchsbaum als wildwachsender Strauch
oder als Bäumchen verbreitet: im nordwestlichen Himalaja, in Afgha-
nistan, im nordöstlichen Persicn, in Ghilan und im persischen Talyscb,
ferner in der Küstenzone des westlichen Transkaukasien und an der
Küste des Schwarzen Meeres, in Karien und Bithynicn, bei Konstau-
tiuopel, in Macedonien, auf dem thessalischen Olymp und im Pindus,
in Albanien, auf den dalmatinischen Inseln, in Istrien, im mittleren
und nördlichen Italien, in Südtyrol, der Westschweiz, den Seealpen,
der Dauphinc, weiter auf den Pyrenäen und in Katalonien, schliesslich
auch bei Beifort und im Elsass, in Oberbaden, im Moselthal und in
der englischen Grafschaft Surrey (nach A. Engler bei V. Hehn s. u.).
Im Altertum wird der Buchsbaum genannt auf dem Cytorusgcbirge
in Paphlagonien (Theophr. Hist. pl. III, 15, 5 : ou n. irXeiOTT) yivctcu),
auf dem Berecyntus-Gebirge in Phrygien (Plin. Hist. nat. XVI, 71:
buxus plurima Berecyntio tractu), auf dem macedonischen Olymp
(Theoph. 1. c. : ou uetaXn), auf der Insel Kyrnos = Korsika (Theophr.
1. c. u€Y»o"Tn. Kai KaXXtffTTi) und auf den Pyrenäen (Plinius Hist. nat. XVI,
70 und 71, wo auch eine gallische Art genannt wird: buxus Pyrenaeis
montibm plurima). Es ergiebt sich also, dass die Verbreitung des
Buchsbaums im Altertum, soweit man dies aus den natnrgemäss lücken-
haften Nachrichten der Alten erkennen kann, so ziemlich dieselbe wie
in der Neuzeit war.
Der Name des Buchsbaums (griech. ttuEo?) wird schon bei Homer
genannt: das Joch am Wagen des Priamos ist ttuEivo? ,aus Buchsbaum-
holz' (II. XXIV, 269). Das Wort selbst aber ist noch unerklärt. Die
einen haben an Verbindung mit tt€ukii ,Fichtc', die andern an tttuckxu)
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BuchsbRum. 119
,falte, schichte, füge', die dritten an miica , dicht, fest', ttukvö^
(itü£os ,das feste Holz') gedacht. Natürlich ist aber auch ein aus-
wärtiger Ursprung des griechischen Wortes, unter Einfügung in die
griechischen Lautverhältnisse, nicht ausgeschlossen, und zwar umso
weniger, als man in Griechenland nicht das verkrüppelte Holz des
Pindos und Olympos, sondern das auf Handelswegen eingeführte bessere
vom Schwarzen Meer und Kaukasos verarbeitet haben wird. Man hat
in dieser Beziehung an das kaukasische bsa, bxakali ,Buchsbaum' er-
innert. Interessante Zahlen Uber die bedeutende Ausfuhr des Buchs-
baumholzes aus den genannten Gegenden in neuester Zeit giebt Koppen
Holzgewächse II, 6.
Das lat. buxus (vgl. auch den Ortsnamen Buxentum an der Luka-
nischen Küste = gricch. TTuSou?) ist offenbar aus ttu2o<; entlehnt. Die
Übernahme wird sich aus der wichtigen Rolle erklären, die das Buchs-
baumholz in der Technik des Drechslers und Zimmermannes spielte,
welche die Latiner von den Griechen übernahmen, so dass sie erst durch
diese auf die kulturhistorische Bedeutung des einheimischen, dann durch
Anpflanzung weiter verbreiteten Bäumchens aufmerksam wurden. Auf
diesem Wege hat das griech. -lateinische Wort, das auch jeden aus
Buchsbaumholz verfertigten Gegenstand bezeichnet (wie Flöten, Kreisel,
Kämme, Schreibtafeln), eine ungeheure Verbreitung in dem Norden
Europas gefunden. Vgl. z. B. griech. irüEi? »Büchse aus Bnehsbaum-
holz', vulgärlat. buxis, ahd. buhsa, slav. puxika , Flinte, Kanone' auch
litauisch, albanesisch, magyarisch). Vgl. lerner ans dem Romanischen frz.
boite .Schachtel', boisseau ,Scheffel', frz. boussole ,Kompass' u. s. w.,
aus dem Albanesisehen boxt »Spindel', ,Achse', wie irüEivot örpcttcroi
schon bei Hippokrates und im Edictuni Dioclctiani genannt werden.
Von grossem Interesse ist die Bedeutungsentwicklung des lat. buxus
auch als Pflanzen name in den romanischen Sprachen. It. bosso. frz.
buis = buxus bedeutet ,Buchsbauin'; davon abgeleitet ist it. buscione,
prov. boixsons, frz. buisson , Gebüsch'. Neben buxus muss aber auch ein
*buscus (vgl. Romania V, 169) bestanden haben, das zu it. boaco, frz.
bot* ,Wald, Holz' (wohl auch zn ahd. buttc , Busch') geführt hat. Dieser
Bedeutungswandel wird verständlich, wenn man bedenkt, dass auf ge-
wissen Teilen des romanischen Bodens, wie in der Westschweiz, den
Seealpen und der Dauphinc (s. oben) der Buchsbaum Jeden Gedanken
an Einschleppung zurückweisend" ganze Bergabhänge bedeckt.
In Deutschland endlich und England, wo der Buchsbaum wohl fast
ausschliesslich durch Kultur sich verbreitet bat, kehrt natürlich eben-
falls das lat. buxus wieder : ahd. buhxboum (zuerst von der heiligen
Hildegard genannt) und agls. box, adj. bixen (nach Hoops Über die
alteng!. Pflanzenn. S. 7b" in der Zeit von 450 — 600 aufgenommen).
Eine eigenartige Benennung des Buchsbaums s. noch u. Dattel-
palme. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen« S. 324 ff.
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120 Buckelig — Bürge, Bürgschaft.
Buckelig, s. Krankheit.
Büffel, 8. Rind.
Kuhleriii, s. Beischläferin.
Bunt, s. Farbe.
Burg, 8. Stadt.
Bürge, Bürgschaft. Mehrere idg. Sprachen besitzen ein gemein-
sames Wort für den Begriff der Sach- und Pcrsonenhaftung. Es ent-
spricht das gemeingerm. got. teadi, ahd. icetti ,Pfand' dem lat. vas,
*cadi- (auch prae*, *prae~cids) , Bürge', tadimönium, Bürgschaft' und
dem lit. icaddju ,ich löse (ein Pfand) aus". Da aber, wie allgemein ange-
nommen wird, auch griech. äeGXov, ü9Xov (*äF€Ö-Xo-) .Kampfpreis, Ein-
satz bei Wettspielen' hierherzustellen ist, so könnte auch im Griechischen
die ursprüngliche Bedeutung der ganzen Sippe wurzeln, was um so
wahrscheinlicher ist, als irgendwie geregelte Schuldverhältnisse, bei
denen Bürgen und Pfänder hauptsächlich zur Verwendung kommen,
zwar sehr frühen, aber doch wohl noch nicht indogermanischen Zeiten
angehören (s. u. Schulden). Der älteste Fall einer Bürgschaft liegt
Od. VIII, 344 ff. vor. Poseidon verspricht, dass Ares die verwirkte
Busse für den Ehebruch (uoixoVfpia) dem Hephästos zahlen solle. Hierauf
sagt dieser: beiXcti toi bciXiwv *a\ ^TTucu dYTv<fco*8ai („für Tauge-
nichtse sich Bürgschaft leisten lassen, taugt nichts"). „Wie sollte ich
Dich binden, wenn jener (Ares) seiner Schuld und den Bauden ent-
flöhe Vu Es zeigt sich also, dass damals dem Bürgen gegenüber genau
dasselbe Verfahren wie dem Schuldner gegenüber stattfinden konnte: die
manum iniectio und domum deduetio des römischen Rechts. Viel-
leicht bedeutet griech. £rfuoq, *dv-tuio-<; (von f\)\a • xtipe's re tecu
ttöo€£ Kai toi XoiTTct. lies.) selbst soviel wie einer „an den man
Hand anlegen kannu, ganz, ähnlich, wie im Skandiuavischeu taki ,ZiU-
griffsmann' soviel wie Bürge ist (vgl. Amira in Pauls Grundriss II, 2-
1Q4\. Übrigens steckt ein Wort für Hand auch in der ältesten sla;
vischen Benennung des Bürgen, altsl. porqktl (schon in der Pravda
Jaroslaws bei Ewers Ältestes Recht S. 269). Da aber po ursprünglich
,nach' (auch im Sinne des unechten, schlechten) bedeutet, so wird po-
rqka : rqkü ,Hand' soviel wie ,Naehhand" (»zweite Hand': die erste
ist der Schuldner selbst) sein.
Zu nennen sind noch folgende Benennungen des Bürgen: sert. pra-
tibhit- ^Stellvertreter oder lagnaka- , haftbar' (ddhi- »niedergelegtes',
,Pfand', auch bandha- , Bindung ), ahd. burigo (altn. ä byrgjast ,sich
verbürgen': Grundbedeutung scheint , Fürsorge, Acht haben' gewesen
zu sein; Pfand: ahd. pfant, altfries. pand, noch dunkel; doch vgl.
Kluge Et. W.ü), altir. aitire, aittire, eteriux ,Bürgc, Bürgschaft', lit.
Itiida* .Bürge' beide dunkel).
Von eiuer besonderen Art der Bürgschaft ist u. Geisel gehandelt
worden. — S. u. Recht (Sachen- und Obligationcnrccht).
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Bürger — Buttrr.
121
Kärger, 8. Staat.
Busse, s. Strafe.
Butter. Schon in der idg. Urzeit wurden die fetten Bestandteile
der Milch (s. d.) von den molkigen und quarkigen sprachlich unter-
schieden. Über die beiden letzteren s. u. Käse. Für die ersteren
von Bedeutung sind die beiden Reihen: sert. ajt/a- »Opferbutter',
aiijana- »Salbe', lat. unguentum ,Salbe', altpr. anetan , Butter', ahd.
anchoj alem. anke , Butter', ir. imb, korn. amenen »Butter' etc. (Zcuss Gr.
C. - p. 1079) und sert. mrpis- »ausgelassene Butter', kypr. Acpo? »Butter',
i\ixoq ' £Xaiov, ore'ap (lies.), agls. sealf ,Salbe', alb. galp .Butter'. Die
Grundbedeutung dieser beiden Sippen ist offenbar nicht , Butter zum
Genuss*, sondern »Salbe zum Einreiben des Körpers', namentlich der
Haare, ein Gebrauch, den schon Hekatäus bei den thrakischen Paeo-
niern (Athen. X, p. 447 : dXei<povTai i\a\w üttö faXaKio^) erwähnt, und
den noch Sidonius Apollinaris (XII) bei den Burgundionen vorfand:
Quod Burgundio cantat esculenttts
Infundens acido coniam butyro.
Eine Spur, dass auch die Griechen, bevor sie die Bekanntschaft mit
dem Ol und ausländischen Parfüms machten» sich zum Salben des Fettes
der Milch bedienten, s. u. Myrrhe. Ausserdem vgl. slav. maslo »Butter'
und »Salbe' (mazl »Salbe', mazati »schmieren' : griech. pe-uaT-u€vn.» ua*r-
€u? etc.). Allein stehend und dunkel: lit. Hwientas »Butter'. — Erst
nach der Trennung des Urvolks sind dann die Einzelvölker zur eigent-
lichen Butterbereitung für den G e n u s s des Menschen vorge-
schritten. Dies geschah in Europa wie in Asien.
Schon im vedischen Indien ist Butter {ghrtä-) eine beliebte Speise
der Götter und Menschen (vgl. Zimmer Altindisches Leben S. 272),
und im Periplus maris erythraei ed. Fabricius § 14 und 41 ist sogar
von der Ausführung indischer Butter nach den Häfen des roten
Meeres die Rede (ein ausreichender Grund» an den angegebenen Stellen
ßouuopo? ,eine indische Getreideart' für das überlieferte ßoüiupov zu
lesen, ist trotz Fabricius S. 130 nicht vorhanden). Ein gemeinsamer
iranischer Name für das Butteröl ist aw. rttoyna-, kurd. rün u. s.w.
(Horn Grundriss S. 140); auch gehörte fXatov öttö toXokto? nach des
Polyaenos Angabc zu den täglichen Lieferungen an die Hofhaltung des
Grosskönigs. — In Europa sind Griechen und R ö m e r in der
Heimat des Ölbaums immer unbekannt mit dem Genuss der Butter
geblieben, die ihnen bis in die Zeiten des Galenos lediglich als Arznei-
mittel diente. Umso auffallender musste es ihnen sein, dass zahlreiche
nördliche Völker ihnen als ßouTupoqporroi entgegen traten.
Die erste Nachricht über Butterbereitung und zwar aus Stutenmilch
giebt Herodot IV, 2 von den Skythen: dTredv bi du^XEuJO-i tö fä\u,
^0*x€avT€? i$ EüXiva drrnia KoiXa Kai TrepiöTiSavieq Katct xä dirnia
Toüq rucpXouq bove'ouöi tö taXa, Kai tö uev qutou ^TTiCTäpevov dnapüöavTeq
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122
Butter.
riT€ÖvTat eTvat TiuiuiT€pov, tö b' uTTiaidnevov 6<jaov toö iripov. Ähnliches
berichtet dann Hippokrates (De morbis Hb. IV, 20), der auch das Wort
ßouxupov (worüber unten) zuerst nennt: — uicm-ep o\ lKu9at ttoi^oucfi 4k
toö \7iTr€iou TdXaKTO^ • ^yx^ovtcs fäp tö fä\a i$ HuXa KOTXa tfcioucri •
tö bi Tapaaaöfi€vov äq>p€ei Kai oiaKpivcTai, Kai tö u€v iriov, ößouTupov
KaX4ouo*i, ^nmoXriq öiiaTcrrai ^Xacppöv iov ' tö b£ ßapü Kai naxu k&tu)
fcrrotTai, 8 Kai aTtoKpivovT€? Hn.pcuvouo*i. Als Butteresser werden dann weiter
die Thraker von Anaxandrides (bei Athen. IV, 131 b) bei Schilderung
eines thrakischen Hochzeitsmahles und die keltischen Lusitanier (bei
Strabo III p. 155) bezeichnet. Ein noch unerklärtes phrygisches
niK^piov wird als Name der Butter von Hippokrates überliefert (vgl.
V. Hehn a. u. a. 0. S. 154). Am ausführlichsten aber berichtet Plinius
XXVIII, 133 Über die Butterbereituug der Nordländer: E lade fit
et butyrum, barbarorum gentium lautwnmu» eibus et qui divite* a
plebe discernat, plurimum e bubulo, et inde nomen, pinguissimum ex
oeibus. fit et ex caprino etc. (das folgende kann hier tibergangen
werden, zumal es von sachlichen Unrichtigkeiten voll ist). Das» Plinius
hier mit den barbarae gentes die Germanen oder wenigstens auch
die Germanen meint, wird man kaum bezweifeln können. In der That
scheint es, dass von diesen Völkern frühzeitig Fortschritte in der
Butterbereitung gemacht wurden. Hierfür spricht auch der Umstand,
dass in der germanischen Welt eine übereinstimmende Bezeichnung des
Butterfasses sich findet: altn. kirna, agls. cirne, engl, churn, auch
niederdeutsch und bis ins Hessische verbreitet (auch ins Finnische —
kirnu — entlehnt). Vielleicht liegt, worauf zuerst Martiny a. u. a. 0.
aufmerksam gemacht hat, hier eine Übertragung, bezüglich Ableitung
(*kimjön) von dem u. Mühle (s. d.) besprochenen nordenropäischen
Namen der Handmühlc: got. -qairnus, altn. keern (daneben aber auch
mit k statt g:mhd. kurn, kiirne\ vgl. Norcen Abriss d. urg. Lautlehre
S. 145) vor. Dass oberpfälzisch kern und isl. kjarna ,Milchrahm' bedeuten,
lande eine Entsprechung darin, dass umgekehrt Schweiz, buder (doch
kaum von ahd. butera , Butter' zu trennen) das ,Bnttcrfass' bezeichnet.
Das tertium comparationis zwischen Handmühle und Butterfass läge dabei
in der Ähnlichkeit zwischen dem Mahlen und Zerstampfen des Getreides
einer- und dem Quirlen und Stossen der Milch andererseits. In diesem Zu-
sammenbang erschiene auch das altpr. girnoyici* »Quirl' : lit. gtrnos , Mühle'
beachtenswert. — Die ältesten Gefässe und Werkzeuge der Butterung
werden der zu diesem Zweck bis in die Neuzeit gebrauchte thönerne
Bnttertopf und Quirl, welcher letztere einen urverwandten europäischen
Namen trägt (ahd. dwiril, griech. Topiivn; lat. trua), gewesen sein. Wie
weit derartige Vorrichtungen, die ja auch bereits zum Herstellen der zum
Salben (s. o.) gebrauchten Butter gedient haben können, in die Vorge-
schichte Europas zurückgehen, wird sich schwer sagen lassen. Doch sind
in den Schweizer Pfahlbauten der Steinzeit quirlartige Hölzer, die als
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Butter.
123
Bntterrührstöcke und Töpfe, die als Buttertöpfe angesprochen werden
können, gefunden worden (vgl. Martiny a. n. a. 0. S. 32). Endlich
darf man für die grössere Beachtung, welche die Nordvölker im Gegen-
satz zu Griechen und Römern der Behandlung der Milch widmeten,
auch den Umstand geltend machen, dass hei jenen weitverbreitete und
uralte Bezeichnungen für den Begriff des Rahms oder der Sahne
bestehen (gemeingerm. mhd. roum, agls. riam, altn. rjöme neben mhd.
sane ,Sahne', senno .Hirt'; rnss. smetana und so in allen Slavinen:
altsl. mqsti ,turbare', nsl. mesti , Butter rühren', lit. mentüre, altpr.
mandiwelis , Quirl', sert. mdnthati ,rührt'; lit. griejü »schöpfe den Rahm
ab', grietini ,Sabnc', ob : sert. ghr-td- , Butter', ir. ger-t , Milch' ?),
während die südlichen Völker sich mit Umschreibungen (wie griech.
to Traxü toö YäkaKTOS, lat. flos lactix) behelfen.
Nach der Angabe des Plinius (s. o.) bildete die Butter die Licbliugs-
speise der reichen Leute, d. h. solcher, deren Viehstand gross genug
war, um Milch für die Butterbereitiing übrig zu lassen. Ähnliches
finden wir im alten Irland, wo ebenfalls sehr frühzeitig die Butter be-
kannt, aber als Speise für eine bevorzugte Klasse der Bevölkerung
(Aire) reserviert ist (vgl. O'Cnrry Manners and customs I, 367 u. III
passim, s. d. Index unter butter). Als allgemeine Volksnahrung hin-
gegen wird die Butter, namentlich in Mittel- und Oberdeutschland, erst
viel später gebräuchlich (vgl. Martiny a. n. a. 0. S. 21 ff.).
Was die Beschaffenheit der ältesten Butter anbetrifft, so niuss man,
ähnlich wie beim Bier (s. d.), von ungern heutigen Begriffen absehen.
So galt in älteren Zeiten der ranzige Geschmack der Butter für
eineu Vorzug, den man sich durch langjähriges künstliches Aufbewahren
derselben zu verschaffen wusste (vgl. Martiny S. 7 d. Anhangs).
Wenn nach dem obigen den germanischen Völkern in der Geschichte
der Butterbereitung eine selbständige Rolle zufällt, so muss es befremd-
lich erscheinen, das» gleichwohl in einigen derselben das lateinisch-
romanische butyruni, butururn, butur, ital. burro, altfr. bure festen
Fuss gefasst hat (vgl. agls. butere, altfries. bntera, ahd. butera). In
irgend einer Richtung der Buttcrbereitung oder Butterbenutzung müssen
demnach romanische Völker eleu deutsehen vorbildlich gewesen sein.
S. darüber n. Brot.
In dem Quellwort des lat. butyrum, in griech. ßoüxupov bei Hippo-
krates (s. o.) hat mau vergeblich ein skythisches oder osteuropäisches
Wort gesucht. Griech. ßoiiiupov in der angeführten Stelle des H. (tö
mov ö ß. KdA^ouoi) bedeutet aber offenbar nichts anderes als ,Kuhquark',
sei es, dass man so einen originalen skythischen Ausdruck übersetzte
(vgl. etwa ahd. chuo-xmero ,Butter'), sei es, dass die griechischen
Hirten die wenige Butter, welche sie zu Heilzwecken gewannen, wirk-
lich so nannten, weil die fetten und quarkigen Bestandteile der Milch
eben von ihnen nicht scharf geschieden wurden (so jetzt auch Olck,
124
Butter — Dach.
Artikel Butter in Pauli- Wissowas Realencyklopädie). Über griech. xupö?
«. n. Käse.
Erwähnt sei noch, das« die romanischen Sprachen nur teilweis das
lat. butyrum aufweisen, das Kumänische, Spanische und Portugiesische
hingegen einen anderen Ausdruck manticä, manteca, manteiga fllr die
Butter besitzen. Man stellt diese Wörter zu lat. mantica ,Mantelsack'
und vermutet, dass der Bedeutungsübergang sich aus dem Umstaud
erkläre, dass die Butter in „sackartigen Schläuchen zubereitet wurde".
— Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 153 ff. und B. Martiny Kirne u.
Girbc [d. h. Stand- und Schwingbutterfass] Berlin 1894. S. u. Nahrung.
o
S. unter K und Z.
D.
Dach. Dieser Teil des Hauses wird in zahlreichen idg. Sprachen
übereinstimmend, jedoch ohne Gemeinsamkeit der Wortbildung, durch
Ableitungen von der Wurzel (*)teg »bedecken' (lat. tego) bezeichnet:
griech. o-r^ro?, <Tt^t»1, tc'to?, lat. tectum, ahd. dah, agls. pwk, altn.
pak, lit. stogas (gcmeinkclt. *fegos-, das aber ,Haus' bedeutet; vgl.
auch lat. tugurium , Hütte*). Das Dach ist also, wie natürlich, ,das
deckende', ebenso in russ. krovü ,Dach' : kryti ,deckeu\ Eine keltisch-
germanische Gleichung ist ir. crö, kymr. crate aus *krdpo- = agls. hröf,
altfrics. hröf, engl. roof. Alleinstehend und dunkel: altsl. stri'cha.
Sprache und Überlieferung zeigen in gleicher Weise, dass das Dach
de« alteuropäischen Hauses ans Stroh oder Schilfrohr bestand. Lat.
culmen ,Dach' ist eins mit culmus ,Halm', griech. dpoqpn. ,Daclf eins
mit dpo<pos ,Rohr* (beide : ^pttpw .bedecke'; vgl. auch altn. rdfr ,Dach').
Wie Ovid (Fast. VI. 261) es vom ältesten Tempel der Vesta berichtet:
quae nunc aere cides, stipula tum tecta viderett,
wie in Sardes, das einen Schluss auch auf hellenische Häuser gestatten
wird, noch zur Zeit des ionischen Aufstandes (Herod. V, 101), selbst
die steinernen Häuser Dächer aus Rohr hatten, so wird bei deu Nord-
volkern das Strohdach als gemeinsame Eigentümlichkeit derselben von
zahlreichen Schriftstellern hervorgehoben. Vgl. Caesar De bell. gall. V, 43:
Casae, quae inore Gallien stramentis mint tectae, Vitruvius II. 1, 4:
Ad hunc diem aedifeia constitttuntur . . in Gallia, Hhpania, Lusi-
tania, Aquitania scandttli* robusteis aut stramentix, Strabo IV p. 197
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Dnch — Dachs.
125
(von den Belgern): öpo<pov ttoXüv dmßäXXovT€£ (nämlich auf ihre Hütten),
Plinius Hist. nat. XVI, 15ti: Teyulo earum (haruudinum) domus sua*
septentrionales popuU operiuut durantque aeiis tecta talia und XVIII,
206: Ubi stipula domos coutegnnt, quam longissimam Servitut, Sym-
machus Oratio II, 2 (Panegyricus auf Valentian): Quälern te, iuhospita
regio, nuper imeuimus? ignaram tefuatatü urbium nc tirgeis domi-
bus et tectis herbidis indecoram. Auch die Barbarenhütten auf der
Antoninus-Säule und mehrere der in Italien und Deutsehland gefundenen
Hausurnen (s. u. Hau*) /.eigen deutlich das alte Strohdach. Daneben
mag man sich noch anderer Mittel der Bedachung bedient haben, wie
z. B. ir. dethe ,Daeh' : cliath xrates auf Flechtwerk hinweist, oder wie
man in Skandinavien Birkenrinde verwendete. Über die Schindel s. u.
Ziegel. Als sicher darf gelten, dass das alte Dach, in welchem wir
uns frühzeitig das Rauchloch (griech. KanvobÖKr)), bezügl. die Licht-
öffnung (s. u. Fenster) zu denken haben, noch nicht durch eine
Zwischendecke von «lein einzigen Raum des ursprünglichen Hauses,
der Herdstätte, getrennt war. Dieser Zustand hat sich bei den Ger-
manen lange erhalten. Nach alemannischen) Recht hat das Neugeborene
gelebt, wenn es die Augen geöffnet und das Dach und die vier
Wände erblickt hat. Got. hröt ,Dach' (neben agls. hrost) bedeutet
nach Hennig Das deutsche Haus S. 122 noch heute als „Rota technisch
einen bis unters Dach offenen Raum. Über die steinerne, gewölbte
Decke, die der Ausdruck griech. Kaudpa (: lat. camur ,gewölbt'; vgl.
auch griech. K|u-€X€6pov, n€'Xa6pov .Dach') bezeichnet, und ihren Über-
gang nach dem Norden s. u. Stein bau. — S. u. Haus.
Dachs. Das Tier ist in Mittel- und Westeuropa nach Ausweis
der Funde schon seit der älteren Diluvialzeit vorhanden. Im Süden
scheint es dagegen im Altertum unbekannt gewesen zn sein.
Nur bei Aristoteles begegnet ein vereinzeltes Tpöxo? (der , Läufer' in
der Runde, , Dreher '), das man auf den Dachs deutet. Ein einheimischer
lat. Ausdruck fehlt. Alte uud einheimische, aber untereinander unver-
wandte Namen des Tieres bestehen dagegen bei Kelten, Germanen,
Slaven und Litauern. Der urkeltischc Name ist *brocvos, ir. brocc etc.,
vielleicht so viel wie der .spitzige' bedeutend (Thurneysen Kclto-ro-
manisehes S. 50). Es kehrt in gallischen Ortsnamen wie Jirocomago, liroc-
comaza wieder und ist von keltischem Boden ins Angelsächsische (brocc)
nnd Dänische (brock) gedrungen. Bedeutsam ist ahd. dahs (ebenfalls in
Ortsnamen w ic altndd. Thahshem). Es gehört vielleicht zu der idg. Wurzel
teks (vgl. griech. t€ktujv) und wäre dann soviel wie der , Baumeister,
Künstler'. Vom Deutschen ist das Wort sehr früh ins Lateinische ge-
wandert: schon Marcellus Empiricus im IV. Jahrh. verschreibt eine Dosis
adipix taxoninae. Aus dem lat. ta.ro (= germ. *pahson-) sind die roman.
it. tasso, frz. taisson hervorgegangen. Merkwürdig aber ist, dass schon
100 Jahre v. Chr. bei Afranius (Isidor XX, 24) ein gallisches tiurea
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126
Dachs — Dattelpalme.
,Dachsf ett'(V) : Gallum sagatum pingui postum taxea vorkommt, von
dem sich in den keltischen Sprachen aber keine Spur findet. Slavisch ist
jazvü \jazta , Höhle', litu-preussisch obszrits, wöbsdus, nach Miklosich
Et. W. zu W. gerf slav. zlrq jvorare" gehörig (lett. öpsis). Im Norden
der Balkanhalbinsel bestehen alb. vjiduh , Dachs' oder ,Hamster', rum.
tiezurä (: alb. med- ,stehlen'?). Neuere Namen des Tieres sind engl.
badger, frz. blaireau ,Kornhändler', it. grajo (= agraria*?), wcstphäl.
etc. griewel ,Gräber'. Slav. borsük stammt ans dein Türkischen.
Damm, s. Brücke.
Dämonen, s. Ahnenkultus und Religion.
Dampfbad, s. Bad.
Damwild, 8. Hirsch.
Dank, Dankopfer, s. Opfer.
Darlehen, s. Schulden.
Dattelpalme. Die Verbreitung der Phoenix daetylifera L. ist
nach Engler (bei V. Hehn s. u.) auf ihrem heutigen Areal von den
Canaren, wo schon der numidische König Juba (Plin. Hist. nat. VI, 205)
fruchtbare Dattelpalmen in Menge vorfand, bis nach dem Pendschab
bereits in vorhistorischen Zeiten, und nicht durch das Zuthun des
Menscheu, erfolgt. Auf diesem Gebiet tritt in den alten Kulturstaaten
des Orients, im Osten ebenso wie im Westen, die Bekanntschaft mit
der Dattelpalme in frühen Epochen uns entgegeu. Auf den assy-
rischen Denkmälern begegnet der Banm unter dem angeblich sume-
risch-akkadischen Namen mumqqan (,himmelhäuptig'; vgl. hebr. tämär
cigentl. ,die schlanke'). „Das Musuqqanholz wird in Bauten bei Niniveh
und Babylon verwendet und erscheint, wenn es Tributgegenstand ist,
lediglich als solcher eines besiegten babylonischen, näher sttdbabylo-
nischen Machthabers. Ein Hain von Musnqqanbäumen wird vom
Assyrerkönig vor der südbabylonischen Stadt Sapt vernichtet, durch
Umbaun der Stämme. Dagegen erscheint das Musuqqanholz niemals
als ein Tributgegenstand westlicher syrisch-palästinischer Völker und
wird niemals als ein in Westasien, von den Assyrern etwa auf dem
Libanon und Amanos gefällter Baum bezeichnet" (E. Schräder). Aus
Assyrien hat bereits Herodot, 1, 193, wenn auch noch in sagenhafter Ge-
stalt, Kunde von der Sitte erhalten, die weiblichen Dattelpalmen mit
den Rispen der mäunlichen zu befruchten (cloi bi ffept (poivtK€? tt€<puköt€?
dvd iräv tö rabiov, o\ nXeuve? atrrwv KapTtotpöpoi, die tujv kgu o*ma koi
otvov Kai u^Xi iroieövTaf tou? ctuk€€wv Tpönov öepaTrcuouai td Te äXXa,
xal 90ivikiov, tou? ?po*evac "EXXnvcq KaXfoutfi, toutujv töv Kapiröv
TTcptb^oucfi Trjtfi ßaXavn.<pöpoio*i tuiv <potviKu>v iva TTCTraivn, tftpi 6 t|mv
Tnv ßdXavov tobuvwv Kai uf| dnopp^ri ö Kapnöt toö tpoiviKO^). Vgl.
noch armen, armav ,Dattel' aus npers. xurmä (Hübschmann Armen.
Gr. I, III).
Auch in Ägypten lässt sich der Anfang der Dattelpalmenkultur bis
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Dattelpalme.
127
in die X. und XI. Dynastie znrückverfolgcn (am , Dattelpalme', bäner
,Dattel', bau ,Palmeuzweig'). Man hat vermutet, das« der in dieser
Zeit aufkommende Handelsverkehr zwischen Ägypten und dem Lande
Paut (im südlichen Arabien oder an der afrikanischen SomalikUste)
den Baum nach Ägypten brachte. Ein Landschaftsbild aus letztge-
nannter Gegend in der Tempelhalle von Der-el-Baharic zeigt ein auf
Pfählen errichtetes Dorf zwischen Dattelpalmen und Weihrauchbäumen.
Andere nehmen dagegen für Ägypten einen einheimischen Ursprung
der Dattelkultur an.
Nördlich des südmediterranen Areals der Dattelpalme, in dem
grössten Teile Griechenlands und Italiens, hat sich der Baum wohl
nur auf dem Wege der Anpflanzung verbreitet. Er hat hier die Fähig-
keit, wohlschmeckende Früchte hervorzubringen, fast gänzlich einge-
büßt und ist in den genannten Ländern daher zu den Zier-, nicht
zu den Nutzpflanzen zu rechnen.
Die erste Erwähnung des Palmcnbaums in Griechenland ge-
schieht Od. VI, 162 ff. Der weitgewanderte Odysseus hat ihn auf
Delos, und zwar nur hier, gesehen und vergleicht seinen schlanken
"Wuchs (s. oben hebr. tdmdr) der Gestalt der Nausikaa:
Ar)Xiu br\ TTOie toTov 'AttöXXwvo^ Tiapä ßumuj
(poiviKoq veov fpvo? dvepxöpevov ^vöntfa.
Der hier gebrauchte Ausdruck cpoivtE ist offenbar identisch mit
<t>oivt£ ,dcr Phoenicier' und deutet auf die östliche Herkunft des
Baumes hin. Ob man ihn schon in mykenischer Zeit in Griechenland
selbst kannte, muss dahin gestellt bleiben, da die zahlreichen Abbil-
dungen desselben auf Kunstwerken dieser Periode orientalische Land-
schaftsmotive sein köuuen. In später Zeit bat sich im Griechischen
das oben genannte ägyptische bau eingebürgert und zu griech. ßa?£,
ßatov geführt. Auf Kreta heisst noch jetzt der Palmenbaum cpoivucnä
nnd ßana, während der gewöhnliche Ausdruck Kouppabna türkischen
L'rsprungs ist, wie denn die meisten älteren Palmen im heutigen
Griechenland aus der Türkenzeit stammen sollen (Heldrcich Nutz-
pflanzen S. 11).
Das Lateinische hat einen einheimischen Namen für den Palm-
baum, palma. Die Annahme, dass dieses Wort eine Entlehnung aus
hebr. tdmtir und aus dem Städtenamen Tadmor-Palmyra sei, in dem
man irrtümlich ein ,Palmenstadt' erkennen wollte, darf jetzt wohl
als allgemein aufgegeben gelten. Palma ist vielmehr der echte latei-
nische Name für die in Südeuropa einheimische Zwergpalme (Chamaerops
humilis) und wohl identisch mit lat. palma (= ahd. folma) ,Hand',
indem man eine Ähnlichkeit zwischen den fächerartigen Blättern der
Zwergpalme mit einer flachen Hand (s. u. über bctKTuXo?) heraus-
fand. Dieser Ausdruck wurde dann später auch auf Phoenix daety-
lifera im Volkgmund angewendet. Die erste Nachricht von einem
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128
Dattelpalme.
Palmcnbaum in Italien, mul zwar in Antinni, bezieht sich auf das Jahr
291 v. Chr. (vgl. V. Hehn a. u. a. 0. 8. 209). — Eine weitere Ver-
breitung an den Küsten des Mittelmccrs, vor allem in Spanien, hat die
Palme erst durch die Araber gefunden.
Wie aber der Kaum gelbst vom fernen Osten nach Griechenland und
Italien gebracht worden war, so wohl auch die Sitte, seine Zweige als
Symbol des Sieges und der Freude zu verwenden, eine Sitte, die schon im
Alten Testament begegnet, in Griechenland zuerst von Pindar, in
Italien zuerst aus dem Jahre 29.*, als von den Griechen entlehnt (vgl. auch
lat. spddix ,Palmzwcig' aus gricch. cmäbiE abgerissener Zweig ), ge-
meldet wird. Ihren Übergang in das mittelalterliche und christliche
Europa hat sie durch die Palmeu gefunden, die nach dem Johanncs-
Kvangelium dem in Jerusalem einziehenden Heiland gestreut wurden.
Durch den „Palmsonntag" erst ist wohl der lateinische Name des Baumes
im Norden (vgl. ahd. pidma u. s. w.) bekannt geworden. Nur das
Gotische hat einen eigenen, noch völlig rätselhaften Namen des Haunies
(peikabagmsL Nach R. Much Deutsche Stammsitze § 33 bedeutete das
Wort eigentlich »Feigenbaum', fUr den die Goten aber einen beson-
deren Ausdruck {xmuhkabagmx) hatten. Der erste Teil des Wortes
peika- wäre nach ihm durch Vermittlung der Kelten 'bei denen das
Wort aber gar nicht bezeugt ist) aus lat. ficus entlehnt.
Bald verfiel man an verschiedenen Stellen auf den Gedanken, statt der
teuren und schwer erhältlichen Palmenzweigc, die in Italien der Palmen-
hain von Bordigbera für die Zwecke der Kirche liefert, andere, meist
immergrüne Gewächse zu benutzen. So heisst im Neugriechischen der Lor-
beer ßaind, weil er am Palmsonntag (iopri] xd>v ßatwv) verwendet wird.
Im kaukasischen Kussisch nennt man den Buchsbaum Kaickassaja
pal'ma ,kaukasischc Palme', und derselbe Name für dieselbe Pflanze
(palm, palmenherg etc.) kommt auch in verschiedenen deutschen Mund-
arten vor. Im Litauischen bedeutet icerbo, cigentl. »Weidenrute' auch
, Palmblatt' oder ,Palmenzweig', werbt! nedele ist der Palmsonntag.
Vgl. dazu E. H. .Meyer Deutsche Volkskunde S. 257: „Zum Palm-
sonntag werden in der Kirche die Palmen geweiht, Weidenzweige
oder lange Stangen, (dien mit Buchs- und Lebensbaum ge-
schmückt."
Da die Dattelpalme, wie schon oben bemerkt, im südlichen Europa
im allgemeinen ihre Früchte nicht zur Reife bringt 'Dattelpalmen
mit leidlichen Früchten befanden sich nach Pausanias IX, 19, ö in
Aulis vor dein Tempel der Artemis), so musste der Handel mit orien-
talischen Datteln bald bedeutend werden. Der Name der Frucht ist
zunächst gleich dem des Baumes: griech. <poivi£, lat. palma. Später
kommen andere Renenuungcn auf: für eine nussförmige Art griech.
KapuwTÖq, icapudms, lat. caryöta, caryötin und das in die modernen
Sprachen übergegangene griech. bdiauXo?, lat. daetylu* , Dattel'.
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Dattelpalme — Dichtkunst.
129
Noch zweifelt man, ob hier ein einheimischer Name für eine linger
ähnliche Dattelart (bdtKTuXoq , Finger' ; vgl. Plin. Hist. nat. XIII, 46:
daetylui, praelonga gracilitate cttnatU interim) vorliegt, oder oh
bäKTuXoq eine Entlehnung aus aram. diqlä, syr. deqhl, arab. daqal
,Palme' (arab. ,eine Sorte Datteln) darstellt. In Verbindung mit dem
letztgenannten Wort sucht man auch die Hcsyehischen Glossen croöicXar
qxnviKoßäXavoi und o*ouK(X)o-ßdXavo? • tö auio <t>oiviKe? zu bringen. —
Vgl. Th. Fischer in Petennanns Mitteilungen, Ergäuzungshcft Nr. 64
und V. Hehn Kulturpflanzen ü S. 262 ff.
Daune, s. G a n s.
Deichsel. Eine etymologische Übereinstimmung für diesen Teil
des Wagens scheint in lat. temo = ahd. dihsala (neben zeotar ,Zittcr',
eigentl. ,Seil': ahd. ziohan), agls. pixl, altn. pisl vorzuliegen. Wurzel
tenx-, germ. *piys-. Andere deutcu lat. temo aus +tem-mö und ver-
gleichen altpr. teansis ,Deicbsel' (vgl. Osthoff I. F. VIII, .">7 ff.). In
diesem Fall wäre ahd. dihsala zu trennen und könnte etwa an altsl.
twü (s. u. Eibe) angeschlossen werden, so dass die Deichseln ur-
sprünglich aus Eibeuholz verfertigt worden wäreu. Eine zweite
Gleichung ist sert. ishd', aw. isa- (hdmisa-) ,Deichsel' = nsl. etc. oje
^Deichsel', »Deichselstange' (Uber griech. oinE s. u. Steuerruder).
Einzelsprachlich sind: sert. dhur-, prdüga-, griech. i^uuöq (: Ipvw) ,Zug-
holz', lit. dyselys, russ. dyttzlo (aus dem Deutschen). S. u. Wagen.
Delikte, s. Verbrechen.
Delphin, s. Wal.
Dezimalsystem, s. Zahlen.
Diadem, s. Krone.
Diamant, s. Edelsteine.
Dichtkunst, Dichter. So deutlich der Begriff des gesproche-
nen Wortes in idg. Gleichungen wie sert. vdcas-, aw. vacah- =
griech. Itioq (vgl. auch sert. väk, i'ücds = lat. vöx, griech. ÖV) und
lat. terbum = got. icaürd, altpr. icirds (vgl. auch griech. etpuj ,ich
sage') hervortritt, umso weniger ausgebildet muss die Terminologie des
Gesanges in der idg. Grundsprache gewesen sein. Die Bezeichnungen
der Einzclsprachcn hierfür sind fast ausschliesslich (eine nach Form
und Bedeutung übereinstimmende Bezeichnung des Begriffes ,Lied'
scheint nur in der Gleichung sert. arid-: rc ,singcn' = armen, erg
vorzuliegen) ans Wörtern hervorgegangen, welche ursprünglich ver-
schiedene Arten des Sprechens oder Schreiens ausdrückten. Im
Griechischen gehört tietbw ,ich singe' , doibri ,Gesang', doiböq
,Sänger': ir. faed ,Sehrei, Ton', kymr. gicaedd ,cry, shout' hierher.
Vgl. auch die Gruppe von griech. übuu, aubri, seit, rddati, die jede Art
stimmlichen Ausdrucks bezeichnet. Im Lateinischen entspricht zwar
cano ,singe' dem ir. canim, welches dasselbe bedeutet; aber sowohl
die Bcdcutungseutfaltung des Wortes im Lateinischen selbst, wie auch
Schräder, RpnllejclWmi. !>
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130
Dichtkunst, Dichter.
das neben cano - canim liegende got. hunu ,Halm' machen es sicher,
dass die Grundbedeutung der ganzen Sippe »einen vernehmlichen Ton
von sich geben', gewesen ist. Im Germanischen finden sich fflr
Singen vor allem zwei Reihen: got. siggican und ahd. galan. Das
erstere bedeutet ausser ,äetbeiv' auch ,äva-pYvujo'K€iv', d. h. ,vorlesen,
und das dazu gehörige Hauptwort saggtes (iübr) und dväfvujat?) ent-
spricht als urverwandt dein gricch. öuqprj (*nonghd-) ,die Stimme', vor-
nehmlich die der Götter, also die laute, gewaltige Stimme, so dass
ein Zweifel darüber nicht bestehen kann, dass unser ,singen' ursprüng-
lich bedeutete ,mit vernehmlicher Stimme etwas vortragen', ungefähr
dasselbe wie got. spillön ,btn.Y€io"9ai, dKtp^pciv, cüaYTeXUtaritar, wenn es
(vonFröhde B. B. XIX, 241) richtig mit lat. -pellare, appellare ver-
glichen wird. Der zweite Ausdruck, altn. gala, agls. ahd. galan ,singen'
hängt aufs engste mit unseren Wörtern „gell", „gellen" (ahd. gellan
,laut tönen', ,schreien') zusammen, wird wie lat. cano ebenfalls von
den Stimmen allerhand Vögel, des Hahnes, Kuckucks, Raben etc. ge-
braucht, und hat daher zweifellos eine ähnliche Grundbedeutung wie
dieses gehabt. Noch nicht sicher ist got. Hupft n ,singen', ,iyä\Xeiv'
von ahd. liod u. s. w. ,Lied' erklärt. Die einen vergleichen ir. luad
,Gespräch\ ,Rede' (idg. *leu-to- : *Ieu-do-), andere (vgl. R. Kögel Gesch.
d. d. Lit. I, 1, 7) gehen von der Bedeutung ,Tauzlied" {Hm-to-, cigentl.
,Lösung' : griech. Xüu> .löse) aus. Das Sla vi sc he verfügt für Singen
über altsl. pi>ti, pojq. Eine sichere Anknüpfung in den verwandten
Sprachen ist noch nicht gefunden. Vielleicht könnte man an griech.
7ramu>v »feierlicher Gesang zu Ehren des Apollo' denken, fflr welches
dann von einem Stamm *pai-cd- ,Rccitation, Gesang' ( vgl. etwa gricch.
örrdijuv .Gefährte' : *#aqd- ,Folguug" : eTroucti) auszugehen wäre. Für
die Grundbedeutung von altsl. pHi .singen' ist wichtig, dass es eben-
falls von dem Gesänge des Hahues (pftelinü) gebraucht wird, und dass
mau z B. im Bulgarischen kniga peja .ein Buch lesen' (vgl. oben
got. siggtcan) sagen kaum Litauisch giedu ,ich singe' endlich
{gaidi/s ,Hahn) wird gewiss mit Recht als wurzelverwandt mit altsl.
gajati ,krächzen' sowie mit sert. gd. gd'yati ,singen, in singendem Tone
sprechen' angesehen, während altpr. grimons ,gesungen', grimikan
,Lied' zu agls. ceorm, ahd. karmen .Wehklagen' gestellt wird.
Was man aus dem Bisherigen wird schliessen dürfen, ist, dass iu der
Urzeit noch kein Bedürfnis bestanden haben kann, ,Wort' und .Schrei'
sprachlich von .Gesang' zu unterscheiden, ähnlich wie dies hinsichtlich
der Begriffe ,Gehen' und , Hüpfen' im Unterschied von ,Tanzen' der
Fall gewesen ist (s. u. Tanz). Immerhin werden die verschiedenen
cinzclspraehlichen Bezeichnungen des Singens gemeinsam durch die
Betonung des pathetischen, lauten oder geschreiartigen Sprechens cha-
rakterisiert, so dass also die Sprachbetrachtung zu demselben Ergebnis
gelangt, zu dem mau bereits auf dem Wege sachlicher Erwägungen
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Dichtkunst, Dichter.
131
gekommen war, nämlich dem, dass der menschliche Gesang im wesent-
lichen eine Entwicklung der menschlichen Rede darstellt. So äussert
H. Spencer (nach E. Grosse Die Anlange der Kunst 8. 268) die An-
sicht, „dass die stimmlicheu Eigentümlichkeiten, welche die Erregung
des Gefühls an/eigen, genau dieselben seien, welche den Gesang von
der gewöhnlichen Rede unterscheiden: — nämlich die Stärke (lotidnessr
die Qualität oder der Timbre; die starke Abweichung von einem mitt-
leren Niveau der Höhe; die Weite der Intervalle und der ausseror-
dentlich schnelle Wechsel". Der Gesang sei daher durch die Ausprä-
gung \emphasising) und Verstärkung dieser Eigenschaften entstanden.
Dazu vgl. Billroth Wer ist musikalisch ? (Deutsche Rundschau Jahrg.
1894/95, IV, 454:) „Und doch ist meiner Überzeugung nach der Ge-
sang aus der Sprache hervorgegangen Bei sehr lautem Sprechen,
beim öffentlichen lauten Gebet der Priester erwies es sich als besonders
wirksam auf die Zuhörer, den Stimmton bald zu lieben, bald zu senken ;
vielleicht war dies Anfangs nicht beabsichtigt und ergab sich von
selbst als Folge der Anstrengung und Ermüdung der Kehlkopfmuskeln.
Die meisten Menschen endigen einen Satz in tieferem Ton als sie be-
gonnen haben (Tonfall, Cadenz). Zum Hervorheben einzelner, besonders
wichtiger Worte und Sätze wurde die Stimme in eine höhere Tonlage
gehoben; es gelang dadurch besser, die Aufmerksamkeit der Hörer zu
fesseln als durch rein monotones Sprechen .... Stärkere Betonung
ist zugleich unabsichtliche Tonerhöhung; doch geht der Vortragende
auch oft bewusst in eine höhere Tonlage über; der Reduer benutzt
absichtlich verschiedene Tonhöhen; seine Sprache ist neben der Klang-
gebärde zugleich Tonsprache. Beim gewöhnlichen Sprechen bleiben
wir etwa innerhalb einer Quint; beim erregten Sprechen benutzen wir
wohl eine Octav. — Die genannten Hilfsmittel des Ausdrucks wurden
wohl besonders von den Priestern, deu Sehern, den Propheten ....
benutzt; sie erwiesen sich eben nützlich für die Erreichung der ange-
strebten Wirkungen. Von einem derartigen pathetischen Sprechen zum
halb singenden Recitieren ist ein leicht gethaner Schritt, schliesslich
ein kaum wahrnehmbarer Übergang."
Menschlicher Rede in dem hier gemeinten Sinne wohnt ein gewisser,
natürlich noch gänzlich freier Rhythmus mit Naturnotwendigkeit inne,
wofür man sich auf Erscheinungen der Tierwelt, wie das Krähen
des Hahnes oder den Ruf des Kuckucks (vgl. Billroth a. a. 0. I, 114)
berufen kann. Eine Veranlassung, den Ausgangspunkt desselben mit
K. Bücher (Arbeit und Rhythmus Abh. d. Kgl. Sächs. Ges. d. W. XXXIX)
in den die rhythmischen Bewegungen gewisser Handwerke und Mani-
pulationen begleitenden Arbeitsliedern der Menschen zu suchen, liegt
daher nicht vor, wenn es auch nach dem von Bücher beigebrachten
Material nicht geleugnet werden soll, dass das Arbeitslied auf die Aus-
bildung bestimmter Rhythmen von Einfluss gewesen sein kann, eine
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Dichtkunst, Dichter.
Richtung, in der dauu weiter und vor allem die unten zu besprechende Ver-
bindung von Wort und Tanz wirkte. Wir sind also der Meinung, dass
der pathetisch und darum auch rhythmisch gesprochene Satz die älteste
dichterische Form der Indogermanen gewesen sei, während die Aus-
bildung eigentlicher musikalischer und zu Melodien verbundener Töne,
des Gesanges im heutigen Sinne (s. auch u. Singvögel), noch nicht
begonnen hatte oder noch in den Anfängen stand.
Dem so gesprochenen Wort wird bei allen idg. Völkern eine zauber-
hafte Kraft zugeschrieben, durch die man Uber die Ausscnwelt Gewalt
zu erhalten sich vorstellt. Nicht die Absicht einer aesthetisehen,
sondern vielmehr die einer praktischen Wirkung ist es daher gewesen,
welche die ohne Zweifel älteste Gattung idg. Poesie, den Zauber-
spruch oder das Zauberlied, hervorgerufen hat. Man wendet sie
an, wenn es gilt, feindliche Krankheitsgeister zu vertreiben (s. u. Arzt),
oder wenn mau die Toten in ihren Gräbern festbannen will (s. u.
Ahnenkult), wenn man die Zukunft aus zusammen gelegten Baum-
stäbchen (s. u. Los) erraten möchte, oder wenn man einen Fluch im
Falle der Lüge auf sich herabschwört (s. u. Eid), wenn man Uber-
irdische Mächte zur Annahme eines Opfers (s. d.) zwingen möchte,
und in zahlreichen anderen Fällen. Ein idg. Ausdruck für den Begriff
eines solchen Zauberspruchs scheint in der Gleichung sert. brdhman- =
lat. flämen erhalten, worüber näheres u. Priester mitgeteilt ist.
Andere, einzelsprachliche Bezeichnuugen s. u. Arzt. Zu erörtern bleibt
das lat. Carmen, das in der Bedeutung »Zauberspruch' z. B. in den
XII Tafeln vorliegend, nach und nach zur Bezeichnung jedes poetischen
Erzeugnisses geworden ist. Da die Erklärung des Wortes aus kan-
nten (:cano) lautlich wohl ausgeschlossen ist, bleibt die Möglichkeit
einer doppelten Auffassung bestehen. Man kann das Wort einmal an
Casmena, den Namen der in dem uralten Hain vor dem Capenischen
Thore singenden Nymphen, anknüpfen, in welchem Falle sich carmen
unschwer ans einem neben *cas-men liegenden *casimen (vgl. iegmen :
tegimen) erklären würde. Alsdann entspräche *casmen genau dem
vedischen eds-man- ,Lob, Preis' (der Götter, auf höherer Rcligions-
stufe), und die sich dabei ergebende Schwierigkeit wäre nur die, dass
sert. qdsman-, wenn = carmen, von sert. $am ,hcrsagcn, reciticren'
(= lat. censeo) getrennt werden müsste. Neuere Etymologen ziehen
daher vor, lat. carmen mit seit, kdrti- ,Sängcr' gricch. xfipu£ , Herold'
(,einer der mit vernehmlicher Stimme etwas verkündet ) zu ver-
binden. Die alsdann zu Grunde liegende Wurzel qar dürfte von qor,
der Namen der Krähe und des Raben (s. u. Singvögel) entstammen,
nicht zu trennen sein. Wie sich dies nun auch verhalten möge, jeden-
falls scheinen noch andere Wörter als lat. carmen aus dem Gebiet der
Zauberei allmählich in höhere Regionen empor gestiegen zu sein. So sert.
sd'-man- ,Gesang, gesungenes Lied*, wenn es von Osthoff (B. B. XXIV,
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Dichtkunst, Dichter.
133
160) richtig mit griech. otun, ,Lied, Gesang* etc. und altu. seidr
,Zaubcr', lit. saitas ,Zeichendeuterei' (s. auch u. Orakel) verglichen
■wird. Vgl. bei demselben auch das Verhältnis von altu. bragr »Dich-
tung, Dichtkunst' : ir. bricht ,Zauber'.
Von jeher hat das rhythmisch gesprochene Wort eine enge Verbin-
dung mit dem rhythmisch bewegten Gang, dem Tanz, geschlossen. So
entsteht das Tanzlied oder der Reigen, dessen erste Anfänge, wie
das Zauberlied selbst, aufs engste mit dein Dienste der Geister oder
Götter verknüpft sind.
Ein uralter Rest dieser Art von Dichtung, an Ursprllnglichkeit des
Inhalts nur mit den ältesten Partien des Veda vergleichbar, liegt uns
in dem römischen Arvallied vor. Wenn der Frühling gekommen ist,
und die junge Saat emporspriesst — so werden wir uns mit Th. Birt
Das Arvallied in Wölfflins Archiv XI, 149 ff. den ursprünglichen
Verlauf der Feier denken dürfen — , zieht eine Sippe blutsverwandter
Menschen, eine Brüderschaft [f rat res), die im Besitze eines besonders
wirksamen Ackersegens oder Ackerzaubers ist (s. auch u. Priester),
hinaus auf die Flur, um die Lascs, d. h. die Geister der verstorbenen
Väter (s. u. Ahnenkultus), und den Mars, der in diesem alten Liede
ganz wie die griechische Persephone teils als Frühlings-, teils als
Totengott, im Ganzen aber als ein wilder und schwer zu sättigender
Dämon erscheint (s. auch u. To t e u r c i c h e), anzuflehen, den eben
erstandenen Frühling nicht wieder in die Unterwelt hinabsinken zu
lassen. Sic tanzen und recitiereu dazu (carmen descindentes tripo-
daverunt):
„Helft uns, Lasen!"
{Enos Loses iuvate)
„Lasse, o Mars, nicht den Frühling in die Unterwelt hinabsinken"
(Xecel verre Marmar sins ineurrere in pleores, so nach Th. Birt
a. a. 0.; Mommsen liest dagegen und Ubersetzt: Neve lue rue, Mar-
mar, sins ineurrere in pleore*: „Nicht Sterben und Verderben, Mars,
lass einstürmen auf Mehrere"),
„Sei gesättigt, wilder Mars"
(Satur fu, fere Mars) u. 8. w.
Ähnlich werden wir uns mit R. Kögel a. a. 0. S. 31 die altger-
manischen Flurzüge und Umgänge an hohen Festen, über die wir
reichliche Nachrichten haben, und bei denen Tanz und Gesang eben-
falls verbunden auftreten, vorzustellen haben. Vielleicht darf mau in
dem dreimaligen triumpe, mit welchem das Arvallied schliesst, oder
in den wiederholten Interjektionen (heia, nana), die in das von Kögel
S. 34 ff. rekonstruierte gotische (heidnische) Weihnachtsspiel einge-
streut sind, oder in Kriegsrufen wie dem vielleicht schon indogerma-
nischen sert. arare, griech. äXaXd, altsl. ole etc. den ersten Ansatz
zur Ausbildung musikalischer, über die gewöhnliche Recitationsweise
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134 Dichtkunst, Dichter.
sich erhebender Töne erblicken. Vgl. Rillroth a. a. 0.: „Zu den ur-
sprünglichen „Klanggebärden" gehören vor allem auch die An- und
Ansrnt'e, die Interjektionen. Mehr oder weniger langdauerndc Töne
werden stark und wiederholt ausgcstossen als klang-mimischer Ausdruck
eines Empfindungszustandes. Dies war Anfangs wohl ein reflektorischer
Vorgang wie der Schrei des neugeborenen Kindes, wurde aber bald
zu einem bewusst angewandten nützlichen Ansdrucksmittel."
Auch sonst zeigt gerade die in Verbindung mit dem Kultus auf-
tretende Poesie der idg. Völker mancherlei Berührungen, namentlich
zwischen Indern und Germanen. So kehrt bei beiden Völkern eine
bestimmte Form des Rätselspiels (s. u. Rätsel) wieder, deren Zweck
die Aufklärung der Festversammlung über die jedesmalige Kultnshand-
lung zu sein scheint (vgl. R. Kögel a. a. 0. 8. 64). Dasselbe gilt
von einer im Vcda wie in der Edda nachgewiesenen Form der Ver-
bindung von Prosa und strophisch geordneten Versen (Kögel S. 97),
die ähnlichen Absichten gedient zu haben scheint. Doch dürfte es,
wenigstens zunächst, geratener sein, in derartigen Übereinstimmungen
lieber parallele durch das allmähliche Aufkommen von Priesterständen
(s. u. Priester) bedingte Entwicklungen als gemeinsames Erbe der
idg. Urzeit zn erblicken.
Auch wie weit (Ins rhythmisch gesprochene Wort und seine Verbin-
dung mit dem Tanz in das profane Lehen eingriff, lässt sich vor der
Hand nicht entscheiden. Möglich oder wahrscheinlich, dass die Hcim-
führung der Braut (s. n. Heirat) unter derartigen Reigen erfolgte,
möglich oder wahrscheinlich, dass man so in die Schlacht rückte oder
so die Totcnklage anstimmte.
Seit R. Westphals bekannter Abhandlung Zur vergleichenden Metrik
der idg. Völker (K. Z. IX, 437 ff.) hat man sich mehrfach bemüht,
sogar die metrische Form zn erschlicssen, in welche die älteste Poesie
der Indogermanen ihre Erzeugnisse kleidete (weitere Littcratur s. Sprach-
vergleichung und Urgeschichte* S. 40 ff.). Auf diese Fragen soll hier
nicht eingegangen werden. Im ganzen scheint es nach dem obigen
wenig wahrscheinlich, dass die Rhythmen, in denen sich die ältesten
poetischen Formen bewegten, schon so gefestigt waren, dass sie von
Einzelvölkern bis in die historischen Zeiten hätten fortgetragen werden
können.
Wie nun auch immer die älteste idg. Dichtung beschaffen war, jeden-
falls kann ihren Erzeugnissen gegenüber noch nicht von einer kunst-
oder berufsmässigen Ausbildung des Dichterhandwerks gesprochen werden.
Erst auf dem Boden der Einzelvölker tritt eine solche hervor, und es
stellt sich zum ersten Mal das Bedürfnis ein, das Dichten als eine
bewusst ausgeübte Thätigkcit zn bezeichnen. Die Ausdrücke, die man
hierfür wählt, sind, wie begreiflich, dem Handwerk des täglichen Lebens
entnommen. Man webt Lieder (sert. rtit/nti arlcdm ,cr webt einen
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Dwhtkm^t, Dichter.
13
Gesang'; auch griech. ücpaivciv und agls. tcefan (icordcraft) werden
ähnlich gebraucht; vgl. ferner alts. agls. fitt , Gedicht', cigcntl. , Faden',
altn. pdttr desgl.), man näht Lieder (griech. üjivo? — sert. syü'man-
,Band, Naht'; vgl. auch griech. ßanTeiv doibnv, fknj/iubdq, lat. varmina
texere), man zimmert welche (sert. takfth, griech. T€KTaiv€08ai doibn.v),
man schmiedet welche (altn. IjAdasmidr) u. s. w.
Mehr und mehr haftet nun die neue Kunst an bestimmten Persön-
lichkeiten oder Verbänden von Persönlichkeiten, in denen die Hegriffe
Säuger und Dichter noch in eins znsainmenfliessen. Von besonderer
Bedeutung für die Heranbildung derartiger Persönlichkeiten erweist
sich die Uberall erstarkende Macht des Königtums (s. u. König) und
die Herausbildung eines Adels (8. u. Stände). Dem Könige wie den
Edlen liegt es daran, dass ihre und ihrer Vorfahren Thatcn den Volks-
genossen in frischem Andenken erhalten werden, ja, ihre Macht und
ihr Einfluss stützt sich ausser auf ihren grösseren Reichtum, darauf,
dass dies geschieht. Der Sänger, dessen Lied daher einen hymnisch-
epischen Charakter erhält, bildet nunmehr eine stehende Figur an den
Hofhaltungen der Könige. Im vedischen Indien begegnen fast in
jedem Stamm Sängerfamilien, die in der Umgebung des Königs weilen
und seinen Ruhm besingen (vgl. Zimmer Altindisches Leben S. H>8).
Nicht weniger treffen wir den doiböq in der Odyssee an den Fürsten-
höfen von Seheria und auf Ithaka an. In Rom mag mit der Ein-
richtung des Königtums auch die Gestalt des Sängers verschwunden
sein i über lat. tdtes s. n.). Vielleicht wäre es nicht zu kühn, in jenen
alten Tischliedern, welche noch beim Beginn der Republik zum Preise
der Vorfahren bei Flötenspiel oder Saitenklang von Knaben oder den
Teilnehmern des Gastmahls selbst gesungen wurden (vgl. Teuffei Litg. s
§ 82, ;V), Überreste einer einst bestehenden höfischen Dichtung zu er-
blicken. Sie wurden auf Nnma zurückgeführt, und waren schon Jahr-
hunderte vor Cicero bis auf die Thatsache, dass sie einst bestanden
hatten, vergessen.
Hingegen blüht die Kunst der ßüpboi und ouerrets wiederum bei
den Galliern mach Poscidonius bei Strabo IV p. 197). Die ersteren
werden als uuvr|Tai Kai Troinjai, die zweiten als icponoiot Kai <puo*io\öfOi
bezeichnet. Beides aber sind gemeinkeltische Bezeichnungen des Dichters
und Propheten, von denen die erst er e (ir. hard, vgl. auch altgall. bardo-
cttcullux ,die Mantcltracht' des Barden) etymologisch noch nicht sicher
erklärt ist (Stokes im ürkeltischen Sprachschatz denkt an Zusammen-
hang mit altpr. gerdaut , reden"; vgl. oben über griech. deibuj), die
zweite ixr.fdith .Dichter', kymr. gtcaitd ,carmen, poema encomiasticHin"),
ausser zu lat. täten (s. u.), zu agls. icdp ,Stimme, Gesang', altn. 6dr
,Gesang, Poesie' (vgl. auch ahd. teuot ,Wut) gehört. Eine d ritte ge-
mein keltische Bezeichnung des Dichters und Weisen liegt in ir. fili,
Gen. filed, *celet- vor, das in dem Namen der Seherin im Bruktercrlande,
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Dichtkunst, Dichter.
Veleda (Tae. Germ. Cap. 8), wiederzukehren scheint. Dass auch diese
altgallischen Sänger vornehmlich an den Höfen der Kimige und Adeligen
lebten, geht schon aus dem Umstand hervor, dass sie von demselben
Poseidonius (bei Athenaeus VI p. 246) als napaffiToi , Leute, die
an der Tafel anderer leben", bezeichnet werden. Auf inselkcltischem
Boden kehrt der altirische rfg-faith ,vates regius' (vgl. sert. räjarshi-)
noch als stehende Person in dem Gefolge des Clanhäuptlings im
Wnverly W. Scotts wieder. Vgl. weiteres Uber die altgallischen ßdpbot
und oudTti? bei L. Diefenbach Origincs Europ. und Holder Altkcl-
tischer Sprachschatz s. v. Bardus. — Auf gleicher Stufe mit ihnen
steht der Sänger au den Hofhaltungen der altgermanischcu Könige,
der im Westgermanischen übereinstimmend ahd. scopf, scof, agls. »cop
genannt wird. Vielleicht gehört das Wort (vgl. Kögel a. a. 0. S. 141)
zu got. gaskapjan ,schaffen, machen', und würde demnach soviel wie
griech. Troir|Tr|q : noi^uu bedeuten. Nach anderen wäre der westgerma-
nische Name des Sängers mit ahd. scopf Judibriimi' zu verbinden, was
zwar lautlich ansprechender, aber semasiologisch doch bedenklich er-
scheint. Vgl. noch altn. skald : ir. *ctlt Erzählung' (V).
Was alle diese Sänger und Dichter, mögen sie nun vor griechischen,
gallischen oder germanischen Königen ihre Kunst zeigen, gemeinsam
haben, ist, dass sie ihren rentierenden Gesang mit einem Saitenin-
strument (griech. KiBdpa, altgall. crotta, germ. harpa) begleiten, uud
es liegt nahe zu vermuten, dass dieser melodramatische Vortrag in
hohem Grade geeignet gewesen sein muss, die musikalische Empfindung
der barbarischen Hörer zu erwecken, und auf ihren bisherigen „Gesang",
der mit Rücksicht auf die Nordvölker - und ähnlich wird es ursprünglich
im Süden gewesen sein — dem Gekreische krächzender Vögel, rasseln-
dem Fuhrwerk oder dem Gebell von Hunden von den Berichterstattern
verglichen wird (vgl. die wichtigsten Stellen bei F. A. Specht Gast-
mähler u. Trinkgelage bei den Deutschen S. 24), veredelnd einzu-
wirken. Näheres über die Geschichte der Harfe s. u. Musikalische
Instrti nie nte.
Eine deutliche Scheidung zwischen Sänger und Dichter tritt, wie
natürlich, zuerst in Griechenland hervor, wo iu der Zeit nach Hcsiod
und Pindar nonyrrjs ,der Macher' (von Liedern) für den letzteren ge-
braucht zu werden anlangt. Bei den Römern hätte nach F. Marx
Die Beziehungen der klassischen Völker des Altertums zu dem keltisch-
germanischen Norden (Sonderabdruck a. d. Beilage z. Allg. Zeit. 1897,
No. 1(32, 163, S. 17) ein einheimischer Ausdruck weder für den Sänger
noch für den Dichter bestanden, da nach ihm das lat. vdte* eine frühe
Entlehnung von keltischem Boden her (vgl. oben ir. faith, *vdti-)
sei, der noch später namhafte Dichter und Geschichtschreiber (Cornelius
Gallus, Varro, Vergil, Catull, Trogus, Nepos) den Römern geschenkt
habe. Als die Umstände aber erheischt hätten, einen einheimischen
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Dichter — Dieb.
137
Namen für den Dichter zu prägen, sei man auf lat. scriba ,Sehreiber'
verfallen, „ein ungemein lebendiges Zeugnis dafür, dass die römische
Poesie im Gegensatz zu der Poesie der Griechen und anderer Völker
das Erzeugnis eines tintenklecksenden Säcuiums gewesen ist". Den
.Sieg habe dann das griechische poeta davongetragen. Ein lautge-
schichtlicher Anhalt dafür, dass lat. vdtes dem Gallischen entnommen
sei, lässt sich aber nicht gewinnen.
Ganz spät hat sich im deutschen tihtön aus lat. dictare eine Be-
zeichnung poetischer Produktion entwickelt. Im Litauischen und 81a-
vischeu giebt es, wie vielleicht im ältesten Lateinischen, keine alten
Ausdrücke für Sänger oder Dichter. Will man den letzteren Begriff
7.. B. im Litauischen bezeichnen, so muss man noch heute sagen : ,einer,
der Lieder machen kann'.
Dieb, Diebstahl. Urverwandte Gleichungen hierfür sind: sert.
stenä-, tdyü- ,Dieb', stdydt- ,heimlich', aw. tdya- , Diebstahl', taya-
,heimlich , altsl. tatt ,Dieb', taiti ,hehlcn\ taj ,heimlicir, ir. tdid
.Dieb' (vgl. noch griech. Tniäw .beraube' und lat. mustrla aus *mus-
ste-la , Wiesel', eigentl. ,Mausedieb') ; ferner: griech. kX^tttw, lat. clepere,
got. hlifan (altpr. aukliptas »verborgen', ir. cliiaim ,Betrug) und griech.
<pu>p .Dieb = lat. für (furtim , heimlich ). Allein stehen die noch un-
erklärten gemeingerm. got. piufs ,Dieb', piubi , Diebstahl' {piubjö
,heimlich ) und got. stilan ,stehlen', armen, gol ,l)ieb' {galt ,heimlich'),
altsl. kradq, krdsti ,stehlen' (poln. kradmo ,furtim ) und lit. wagiii,
icökti.
Es ergiebt sich also, dass schon in der Urzeit der Begriff des Dieb-
stahls, d. i. des heimlichen Nehmens, sprachlich abgegrenzt war
gegenüber dem gewaltsamen Nehmen, dem Kaub (s. d.), und dem
rechtmässigen Nehmen (got. nima, lat. enio .nehme, kaufe', lit.
iwm, altsl. imq, griech. v€pw, das in icXr|po-vdpos soviel wie ,der das
Los nimmt', ,Erbe' bedeuten könnte; doch s. u. Erbschaft).
Den auf offener That ertappten Dieb war in den ältesten Gesetz-
gebungen, namentlich wenn er des Nachts kam oder sich zur Wehre
setzte, zu töten erlaubt. Vgl. für die Griechen: Demosth. Kcrra
TmoKpdxous (Reiske) p. 735: |IdXwv] vöuov eitfnvetKev, ei pc'v ti? h€0'
fmepav uuep TrevTrjKOVTa bpaxuäs kX^tttoi, ä7TaYluYU.v rcpdq tou? tvbeica
€?vat, ci b€ Tiq vuktwp önoöv kXctttoi toötov Ö€lvai KOI dTTOKTClVai
Kai Tpöjaai buuKOVTa, für die Römer die Bestimmung der XII Tafeln
(VIII, 11, 12 Schöll): Si nox (bei Nacht) furtum faxsit, si im occisit,
iure caesus esto. Luci . . si se telo defendit endoque plorato
(d. h. er soll durch Schreien seine That kund geben; vgl. auch
Gell. Noct. Att. XI, 18, 8: Ex ceteris autem manifest is furibus liberos
nerberari addicique iusserunt — sc. decemviri — ei cui furtum fac-
tum esset, si modo id luci fecissent neque se telo defendissent), für
die Germanen: Hakon Gulath. (vgl. Wilda 8. 889): „In drei Fällen kann
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Dieb — Diebstahl.
man einen Mann töten .... Der andre Fall ist, wenn ein Mann einen
andern in seiner Wohnung antrifft, der ein Bündel von seinen Sachen
und Kleidern trägt; dann mag er ihn töten, wenn er will, und gehe
dann zu seinen Nachbarn, zeige ihnen den Getöteten und nütze ihres
Zeugnisses beim Pfeilgericht. Der dritte Fall ist, wenn ein Mann
jemanden auf seinem Felde oder in seinem Stalle findet, der seinem
Vieh Hände angelegt hat, um es fortzuführen ; dann mag er ihn töten"
n. s. w. (Im übrigen zeigt sich auch hier die Beschränkung des
Tötnngsrcchtes auf den nächtlichen, sich wehrenden und namentlich
auf den das Haus untergrabenden Dieb: vgl. Wilda Straf recht S. 889 ff. )"T
für die Slaven: „Wenn ein Russe etwas bei einem Christen oder ein
Christ bei einem Russen stiehlt, und wird in dem Augenblick ertappt,
da er den Diebstahl verübt, von dem, der die Sache verloren hat, —
wenn der sich stellt (wehrt), welcher den Diebstahl verübte, und ge-
tötet wird, so soll sein Tod nicht gesucht werden" (Friedensschlüsse
Olegs und Igors 911/945 mit den Griechen, bei Ewers Ältestes Recht
der Russen S. 147). „Wenn man einen Hausherrn erschlägt im Gemache,
oder bei dem Pferde, oder bei dem Rinde, oder bei einem Kuhdieb-
stahle, so erschlägt man ihn an Hundes statt." „Wenn man einen
Dieb erschlägt auf seinem Hofe, entweder bei dem Gemache, oder bei
dem Stalle, so ist derselbe ersehlagen. Wenn man ihn bis zum Lichte
hält, so führe man ihn an den Fürstenhof" u. s. w. (Russ. Pravda,
Erweiterung durch Jaroslavs Söhne 20 u. Hl, Ewers S. 305 ff.).
Derartige Rechtssätze können für die Urzeit nur so verstanden
werden, dass die Tötung eines auf frischer That ertappten Diebes
nicht die Blutrache (s. d.) der betreffenden Sippe hervorzurufen
pflegte. Andererseits wird derselben, falls der Dieb geschont worden
war, ein Loskaufen der Rache möglich gewesen sein. — Aber auch,
wenn der Dieb mit seiner Beute den Verfolgen), Freunden und Nach-
barn des Betroffenen, die auf seinen Hilferuf herbeigeeilt waren, ent-
wischt war, scheint sich schon in vorhistorischer Zeit ein feierliches
Verfahren festgesetzt zu haben, des Thäters und des gestohlenen
Gutes habhaft zu werden, die Haussuchung. Übereinstimmend zieht
sich durch das griechische, römische und nordgermanische
Altertum ein Brauch, nach dem es dem Bestohlencn gestattet war,
nackt oder leicht bekleidet (entweder um kein Gut einschmuggeln zu
können oder — wahrscheinlicher — um die friedliche Absicht zu erkennen
zu geben) mit einem oder mehreren Zeugen in das Hans des Be-
schuldigten einzudringen, um dort nach dem gestohlenen Gegenstand zu
suchen. Vgl. Plato Leg. XII p. 954: q>u>pdv b£ fiv iQi\ri tu; ti Trap*
ÖTUJOÜv, tuhvö? f| x»TU)viaKOv Ix^v älwOioq Ttpoouöffa? toö? voinpoix;
Öcou? f\ uf)v ^AmZctv €Üpno*€tv outuj eptupäv. ö b£ Trap6X€Tui rnv olKtav,
xd T€ o*€0~n.uctO"u^va Kai rd äanuavra, «pujpäv n. s. w. (dazu vgl. Aristoph.
Nubes 497 — 99 und die Scholien zu 499). Im römischen Altertum
Diebstahl — Distel.
1.19
entspricht die der historischen Zeit schon nicht mehr verständliche Furto-
rum quaestio cum lance et licio. Vgl. Festus ed. M. p. 117: Lance
et licio dicebatur apud antiquos, quin qui furtum ibat quaerere in
domo aliena licio [i. e. consuti genus, quo necessariae partes tegerentur]
cinetus intrabat lancemque ante oculon tenebat, propter matrum fa-
miliae aut virginum praesentiam (die Schüssel vielmehr wohl, um
anzudeuten, dass man etwas holen will). Vgl. weiteres bei Schoell
Legis XII tab. rel. S. 147. Bei den Nordgermanen vergleicht sich
die Vornahme des ransak , Haussuchung' (rann ,domus' = got. razn):
„Beide (der Bestohlene mit einem andern) sollen oben los, d. i. bar-
haupt sein und losgegürtet und barfnss, die Hosen ans Knie zu-
rückgebunden nnd so eingehn und in den Häusern suchen" (Grimm
R.-A. S. (i40). Endlich hat sich auch bei den Slaven in dem soge-
nannten svod ein ähnliches, wenn auch in anderer Richtung entwickeltes
Sucliverfabren erhalten (vgl. Bcrnhöft Staat nnd Recht der römischen
Königszeit S. 248 und besonders Leist a. n. a. 0. II, 241). Aber
auch abgesehen hiervon, ist die Übereinstimmung zwischen den grie-
chisch-römischen und altnordischen Vorschriften so in die Augen
springend, dass man mit den hervorragendsten Forschern wie .1. Grimm,
R. v. Ihering (Geist im römischen Keclit II ', lf><) Anm. 208; u. a.
nicht daran wird zweifeln können, dass hier ein schon indogermani-
scher Rechtsbrauch vorliegt. Vieles an demselben bleibt freilich
noch dunkel. Was geschab in der Urzeit, wenn der Verdächtige die
Haussuchung verweigerte? Was mit dein durch die Haussuchung ent-
larvten Dieb? Wurde er, wie im römischen Recht, gerade so be-
handelt, als wenn er auf der That ergriffen worden wäre (vgl. Gellius
Noct. Att. XI, 18, 0 : Ea qnoque furta quae per lancem liciumque
coneepta exsent, proinde nc si manifest a forent, tindicaierunt)? Was
geschah, wenn der des Diebstahls Beschuldigte den fraglichen Gegen-
stand rechtmässig zu besitzen oder erworben zu haben behauptete V u. s. w.
Das sind Fragen, die sich gegenwärtig noch nicht mit Sicherheit be-
antworten lassen. — Vgl. weiteres bei Leist Graeco-italische R. G.
S. 302fT., Altarisches Jus civile I, 401 ff. (das furtum), II, 237 ff. S. u.
Verbrechen, Strafe und Recht.
Diener, s. Stände.
Dienstag, s. Woche.
Dienstleistung gegen Lohn, s. Lohn.
DIU, s. Garten, Gartenbau.
Dinkel, s. Weizen und Spelt.
Distel. Pflanze mit auseinandergehender Terminologie : griech.
dKavOa (: W. ak ,scbarf sein', lat. acte*), lat. Carduus (: crirere
,kratzen', namentlich Wolle?), gemeingerman. ahd. distila, altn. pistell
(neben got. teiga deina , slavisch nsl. oxet, poln. oset u. s. w. (: *os-,
altsl. ostrü , acutus', vgl. äx-avOai, und ceeh. bodldk u. s. w. (: altsl.
boda ,steche'i, lit. ttsnis. S. auch n. Gartenbau (Artischoke).
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140
Docht — Dolmetscher.
Docht, s. Licht.
Dohle, s. Singvögel (Rabe).
Dolch, s. Schwert.
Dolmetscher. Diese Person, die sich mit der des Mäklers
nahe berührt, tritt erst auf höheren Stufen des Handels (s. d.) und
Völkerverkehre deutlicher hervor. Bei den Griechen gebraucht zuerst
Herodot den Ausdruck £punv€u$ im Sinne vou Dolmetscher, und zwar
vornehmlich mit Rücksicht auf ägyptische Verhältnisse. Der König
Psammetich hat Jonier und Karer im Nildelta angesiedelt und vertraut
ihnen ägyptische Knaben an, damit sie Griechisch lernen. Aus diesen
Knaben geht dann die Kaste der Dolmetscher (II, IM, 164) hervor,
deren Dienste Herodot selbst (II, 125) gebraucht. Aber auch die poli-
tischen Skythen (IV, 24) verkehrten mit den „Kahlköpfen" und an-
deren östlichen Völkern durch £punv€i£. V o r Herodot wird das Wort
von Pindar und Aeschylus im Sinuc von , Ausleger, Erklärer' ange-
wendet. Es gehört zu lat. sermo, serm/mari und hat mit 'Epunq (der
Dolmetscher etwa als .Mann des Handelsgottcs) kaum etwas zu thun.
Eher scheint lat. interpre*, Interpret -ix von Anfang an den Ver-
mittler im Völker- und Handelsverkehr bezeichnet zu haben. Seine eigent-
liche Ücdeutuug ist Zwischenhändler' im Krieg (Liv. XXI, 12 : Se
pacis eitiK interpretein fore poUicetur) und Frieden (bei Handelsge-
schäften u. dergl.; vgl. M. Breal Dict. Ktym. lat. 3 S. 136). Es wird
zu got. frafri ,Siun, Verstand', fraftjan verstehen' (vgl. Uhlcnbcck
Et. W. S. 46) gehören, so dass die Grundbedeutung von *inter-pret-
wäre ,ciner der das Verstäuduis zwischen zwei Parteien vermittelt'
(mit lat. pretium ans *prekium = lit. prekiä , Preis' hängt es alsdann
nicht zusammen). Derartige Zwischenpersonen werden als KfjpuE und
YpauuaTeüq schon in dem ersten Handelsvertrag zwischen Rom und
Karthago (Polyb. III, 22) genannt. Später wird besonders auch der
upöEevoq die Handelsgeschäfte zwischen seinen Laudsleutcn und den
Einheimischen sprachlich uud sachlich vermittelt haben (daher lat.
proxenita aus griech. TrpoEevnrite »Makler', proxenHicum aus npo-
üevrjTiKÖv ^Maklerlohn'). Immer aber ist im Altertum wie im Mittel-
alter (s. u.) der Orient und der Verkehr mit ihm der Ausgangspunkt
des Doimctscherwesens gewesen. Wie in Ägypten, scheint es auch in
Lykien (Arrians Anab. IV, 3, 7) einen Stand von Dolmetschern gegeben
zu haben, in Dioskurias am schwarzen Meer klangen 300 Sprachen
durcheinander, zu deren Verständnis die Römer 130 Dolmetscher
brauchten u. s. w.
Nördlich der Alpen begegnet bei den Angelsachsen eine alte und
einheimische Bezeichnung für den Begriff des Dolmetschers in wealh-
8töd, vielleicht ,ciuer der die Welschen (agls. Wealh) versteht' (stöd : nhd.
„ verstehen" '?); in jedem Fall ist sie im Verkehr zwischen Kelten und Ger-
manen erwachsen. Die späteren europäischen Namen weisen sämtlich
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Dorf.
141
auf den Orient. Aus dein Persisch- Arftbiseben («imsrir ,proxeneta',
hinter amicos dnos mediator , Freytag Lex. arab.-lat. II, 3ö3 u) stammt
das mlat. sensalis »Mäkler', ebendaher (arab. targumdn) die weitver-
breitete Sippe von mlat. dragtunanus, Span, dragoman u. s. w., die
auch in der volkstümlichen Gestalt des länder- und spraehenkundigen
Pilgers Tragemnnt, Trougemunt (XI. Jalirh.) sich fortsetzt. Erst im XIII.
Jahrhundert wurde unser dolmetsch aus den slavischen Sprachen (altsh
th'imacl u. s. w.) aufgenommen, in denen das Wort nach Miklosich
Et. \V. zu dem ältesten türkischen Lehngut (nordtttrk. tihnadZ, magy.
tolmdcx) gehört. In noch nicht aufgeklärtem Zusammenhang hiermit und
wohl auch mit arab. taryumrin (mlat. auch tureimanus, venetian.
crueimanmt neben tolomacius), wird auch altsl. tlükü ,intcrpretatio'
stehen, woher lit. tidkaa , Dolmetsch', altn. tttlkr ,an interpreter',
,spokesman', mhd. tolke. Jedenfalls haftet im Osten Europas und
nach Asien hinübergreifend die Vorstellung des Dolmetschertunis an
Lautkomplexen wie terg, telm (*ttVm), telk (tülk), und man ist ver-
sucht, mit ihnen auch die ganz allein stehende slavisch-albanesische
Bezeichnung des Marktes, altsl. trügü aus *tergü (Torgau), alb. t?-ege
(altillyr. Tergexte .Triest') irgendwie zuverbindeu. — Vgl. den (freilich
etwas phantastischen) Aufsatz von A. Peez Dolmetscher und Dolmetscher-
Städte »Beilage zur Allg. Z. 1887 Xo. 184, 185) und L. Goldschmidt
Handbuch des Handelsrechts 1, l3 S. 22 f.
Donner, Donnerkeil, s. Gewitter.
Donnerstag, s. Woche.
Dorf. Die Ausbreitung und erste Siedelung der Indogermanen
in Europa erfolgte in der Gestalt von Dörfern und zwar von Ge-
sehlechtsdörfcrn, d. h. solchen Niederlassungen, in denen ganze
Sippen (s.d.) oder Teile einer solchen zusammensassen. Diese beiden
Sätze sind im folgenden näher zu begründen.
Dass der Begriff des Dorfes in Europa bis in die jüngere Steinzeit
zurückverfolgt werden kann, geht aus den Pfahldörfern hervor, die
von dieser Epoche an durch die Bronzezeit bis in die geschichtlichen
Zeiten in weiten Teilen Europas (und teilweis auf zweifellos indoge-
manischem Boden) sich finden. Hierüber ist u. Haus gehandelt
worden. Als Ganze betrachtet, stellen diese Dörfer Rechtecke von sehr
verschiedenem Umfange dar. So misst der Pfahlbau von Wangen am
Untersee (Bodensee) 700 Schritt in die Länge (parallel mit dem Ufer),
120 in die Breite. Die Zahl seiner Pfähle betrug 30—40,000, während
Robenhausen weit über 100 000 Pfähle aufweist. Der Pfahlbau von
Niederwyl erreicht dagegen nur eine Länge von etwa 12 und eine
Breite von 9 m. Die oberitalienischen, meist auf dem Lande errich-
teten Pfahlbauten „liegen durchweg in der Nähe von Flüssen oder
Bächen und bilden Oblonge, deren Schenkel nach den Himmelsge-
genden orientiert sind." Ihr Flächeninhalt scheint zwischen drei und
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142
Dorf.
vier Hektaren zu schwanken, doch giebt es auch kleinere und grössere
Niederlassungen bis zu 10 Hektaren (vgl. Heibig Die Italiker in der
Poebene S. 1 1 f.). Diese letzteren Dörfer sind mit einem Graben und
einem Erdwalle umgeben. Neben diesen im Wasser oder auf dem
Festlande auf Pfähleu errichteten Ansiedelungen inuss es aber in dem
prähistorischen Alteuropa auch Niederlassungen in Wohngruben oder
Wohnmulden (s. u. Unterirdische Wohnungen) gegeben haben,
deren dicht nebeneinander liegende Beste ebenfalls auf einstige Dörfer
hinweisen. Endlich kann es auch an oberirdischen, nicht auf Pfählen
errichteten eigentlichen Httttendörfern auf ebener Erde nicht gefehlt
haben, die aber bei der Leichtigkeit ihres Baus spurlos verschwunden
sind. Doch lassen die aufgefundenen vereinigten Wohnstätten der
Toten (s. u. Friedhof) vielfach auf in der Nähe befindliche gemein-
same Wohnstätten der Lebenden schliesscu.
Noch deutlicher reden die historischen Nachrichten. Für das
älteste Griechenland wird die ursprüngliche Dorfsiedcluug ausdrück-
lich von Thukydides 1, 10 (KaTct Kiouaq tu/ naXatui jf\q 'EXXdbo<; Tpömy
oiKio"6€io"Tis) bezeugt. Noch spät wohnten die in ihrer Entwicklung
zurückgebliebenen Ätoler in weit auseinander gelegenen, unbefestig-
ten Dörfern (Thuk. III, 94). Zahlreiche griechische Städte sind nach-
weislich aus der Zusammenzieliuug (o*uvoiKKJuöq) mehrerer Dorfge-
meinden entstanden. Ebenso ist in Italien das Dorf die älteste
Form der Besiedclung gewesen, die sich am längsten bei den sabelli-
sehen Stämmen erhalten hat (vgl. näheres bei E. Meyer Geschichte des
Altertums II, 20f>, ölT, 519).
Dasselbe gilt von dem Norden Europas. Der Begriff cicus ,Dorf ist
dem Caesar wie dem Tacitus in Beziehung auf die Germanen eiu völlig
geläufiger (vgl. die Belege bei R. Much Z. f. deutsches Altert. XXXVI,
110). Auch die bekannte Stelle bei Tac. Germ. Cap. 16 : Colunt dhcreti
ac dicersi, ut foiu*, ut campus, ut nemtus placuit, vicos locant non
in nostrum niorem coneris et cohaerentibu» aedifieiis : suam quis-
que domum spatio circumdat, xice adtertus casus ignis remedium
vice inncitin aedißcandi kann sich nach den Ausführungen des ge-
nannten Gelehrten kaum, wie man früher geglaubt hat, auf ein System
von Einzel h öfen bezichen. Die Worte colunt discreti u. s. w. werden
vielmehr der zerstreuten Lage der ganzen cid innerhalb des Landes
gelten (vgl. oben über die Aetoler). Innerhalb des einzelnen cicus
wohnten dann die Germanen in der in dem weiteren Verlauf der Stelle
angegebenen Weise, wie denn eiu scharfer Gegensatz zwischen Dorf und
Einzelhof für die Germanen nicht durchführbar ist.
Ähnlich steht es mit den Kelten. Von den italischen sagt Poly-
bius 11, 17, dass sie Kaxct Kuina? äTeixiffTOu? wohnten. Bei den Hel-
vetiern nennt Caesar (I, 5) gegen 12 Städte und 400 Dörfer. Dabei
weist die Stelle VI, 30 : Sed hoc quoque factum ext, quod aedificio
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Dorf.
143
circumdato silva, ut sunt fere dnmicitia Gallorum, qui ri-
tandi aestus causa plerumque silvarum ac fiuminum petunt propin-
quitates darauf liin, das« auch liier die Häuser oft weit von einander
werden getrennt gewesen sein.
Mit gleicher Sicherheit lüsst sich der Nachweis führen, das» jene idg.
Dörfer Geschlc chts- oder Sippendörfer waren. Dies geht aus der
Sprache ebenso wie aus den geschichtlichen Überbleibseln jenes ursprung-
lichen Zustaudes hervor. U. Sippe (s.d.) ist gezeigt worden, dass der
idg. Name für diesen Begriff v)k- (sei t, r/» lautete. Die hierher gehörigen
europäischen Wörter Jat. rh-us, gut. weih*, altsl. visi, körn, gteie, all).
vixe) bedeuten nun fast ganz übereinstimmend das ,Dorf, so dass dieser
Begriff für die älteste Zeit nicht anders denn als Niederlassung
einer V e r w a n d t s c h a f t aufgefasst werden kann. Eine zweite,
auf Europa beschränkte, freilich nicht völlig sichere Gleichung : grieeh.
Kump (*Kwiun.) = got. haims, lit. Leinas, altpr. caymis scheint das Dorf
als Hast ort (grieeh. K€iuai »liege', altsl. pokoji ,Ruhe) zu bezeichnen.
Der gleiche Bedeutungsubergang vom Verwandtschaftlichen zum Terri-
torialen wie in seit, tue-, lat. ricus u. s. w. kehrt ttlr einen engeren oder
weiteren Kreis der Verwandtschaft naturgemäss oft in Europa wieder.
So finden sich in Attika zahlreiche Dörfer (Fhilaidai, Paionidai, Jonidai,
Titakidai, Semaehidai, Lakiadai u. s. w., gebildet mit dem patronymischen
Suffix -ibn,-, vgl. 'Axptibri^), die nach den adligen Geschlechtern benannt
sind, die dort ihren Sitz hatten (vgl. E. Meyer a. a. 0. II, 30(>). Ebenso
haben in Rom (nach Mommsen R. G. I7, &">) die ältesten Patrizicr-
familien wie die Aemilii, Coraelii, Fabii u. s. w. (das lateinische pa-
tronymisebe Suffix ist •//>-) den aus alten Geschlechterbezirken umge-
bildeten Landquartieren (tribus rustkae) ihre Namen gegeben. Im
Germanischen entspricht dem griechischen Suffix -tbr|- (lat. -io-) in-
haltlich genau -inga- (unga) : agls. Hredling ist der Sohn des Jlredel,
ahn. Ylfingar, agls. Wylfingas, mhd. Wülfing* bezeichnet die Sippe
der Wultinga, Abkömmlinge des Wulf, wie im Slavischen serb. Yukovic,
öech. Ylkovk, polu. Wilkowk die Nachkommen des serb. Vuk, cech.
Mk, poln. ll"/7A- znsnmmenfasst. Ganz gewöhnlich werden nun im
Gerinanischen (vgl. z. B. agls. Centingas, Idumingas und die deutschen
Ortsnamen auf -ingen) die mit jenem Suffix -inga- gebildeten Namen
für die Insassen eines Landes oder einer Stadt und für Land und
Stadt selbst verwendet (weiteres vgl. bei Kluge Nominale Stauunbildungs-
lehre* S. 14 f.). Ebenso werden die alten Bezeichnungen der Sippe
ahd. fara und agls. ma>gd häufig in territorialer Anwendung gebraucht
(vgl. Brunner D. R. G. I, 84 und E. H. Meyer Deutsche Volkskunde
S. 1 ff. über Haufendorf und Sippendorf). Über die slavischen Ver-
hältnisse endlich äussert sich Krek (Einl. in d. slav. Litg. s S. löT) :
„Den gemeinschaftlichen Namen erhielten die Mitglieder der Sippe
(Dorfscbaft) nach dem Ahnherrn (s. o.), beziehungsweise Ältesten (stanj-
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144
Dorf — Dreiahnenkri'is.
sina, starosta), dessen Name noch dadurch an Anselm und Bedeutung:
gewann, dass er zugleich den von der betreffenden Sippe be-
wohnten Ort, sobald dieser eine grössere Ansiedlung repräsentierte,
charakteristisch bezeichnete."
In wieweit im Süden Europas noch in den Anfängen historischer
Zeit Dorf und Sippe sich deckten, ist schwer zu sagen. Überall wo
Städte gegründet werden oder aus o*uvoikio"uö<; hervorgehn, sprengt
die Rücksicht auf den Ort die alteu verwandtschaftlichen Verbände.
Immerhin f'asste aber noch Aristoteles (Polit. I, 1 § 7) die Dorfgemeinde
als die natürliche Erweiterung der Familie auf: n. b' U ttXciövwv
oIkiwv Kotvwvict TTpoÜTn xpntows £veicev un. £<pn.M«'pou Kwun. * udXiffTa b'
£oik€ kotä cpücriv f) Kiuun, dnoiKia oliaaq eTvai, oüq KaXoGffi nve? 6uo-
TaXaierac.
Treuer sind, wie schon aus den obigen Zeugnissen hervorgeht, die
ursprünglichen Verhältnisse bei Germanen und Slaven bewahrt worden.
In Niederdeutschland haben sich Gesehlechtsdörfer bis in das XVI. Jahr-
hundert erhalten (weiteres bei Brunner a. a. 0.). Das südslavische
bratstvo (,Sippe ) bewohnt nach F. S. Krauss (Sitte und Brauch der
Südsl. S. 39) je nach seiner Scelenzahl ein oder auch mehrere Dörfer
ganz ausschliesslich. Daneben „giebt es auch solche bratstca, die mir
aus einigen Häusern eines Dorfes gebildet sind, doch wissen die Mit-
glieder eines jeden Hauses sehr wohl, welchem bratstvo sie angehören,
mögen in demselben Dorfe auch mehrere bratstva vorhanden sein".
Über die Bedeutung des Dorfes, bezüglich der Sippe, als einer Acker-
baugenossensc haf t s. u. Ackerbau. Ackerdorf scheint auch die
Grundbedeutung des keltisch-germanischen kymr. tref ,Dorf ' (vgl. Attre-
bates), ahd. dorf, agls. porp ,Dorf (got. paitrp ,Acker') gewesen zu
sein. Die weitere Verzweigung dieser Reihe (lat. turba ,Schar'?, lat.
trihm, umbr. trifu /feil der Gemeindeflur' ?) steht noch nicht fest.
So erweist sich für die europäischen Indogermanen das Sippen -
dorf als ein gemeinsamer und urzeitlicher Besitz. Aber auch im alten
Indien spielt sich das Leben in Dörfern ab, und auch hier sind grä'ma-
,Dorf und jdnman- »Verwandtschaft' nahezu identische Begriffe. S. u.
S t a d t.
Drache, s. Greif.
Drachen w ii rz (Armn Dracunculu* L.). Die wegen ihrer Zauber-
und Heilkräfte, namentlich bei Schlangen biss, gepriesene Pflanze wird
bei Theophrast und Dioskorides unter dem Namen bpaKÖvnov genannt.
Sie ist in Sttdeuropa einheimisch. Dieser oder einer verwandten Arum-
art wird die Pflanze dragantea, dragontea entsprechen, deren Anbau
das Capitulare Karls des Grossen (LXX, 18) anordnet. Vgl. v. Fischer-
Benzon Altd. Gartenflora S. 51 ff. — Andere Heilpflanzen s. u. Arzt.
Drehscheibe, s. Töpferscheibe.
Dreiahnenkreis, s. Erbschaft, Vorfahren.
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Dreifelderwirtschaft — Dreschen, Dreschflegel.
145
Dreifelderwirtschaft, 8. Ackerbau.
Dreschen, Dreschflegel. In dein alten Europa gab es zwei
Hauptarten, die Körner des Getreides von den Halmen zu befreien:
das Ausdrescben 1. durch Tiere, 2. durch den Stock oder Flegel.
Dreschmaschinen scheinen, als eine karthagische Erfindung (vgl. lat.
plostellum Punicum), in grösserem Massstab nur in Italien gebräuchlich
gewesen zu sein (vgl. BlUmucr Terminologie u. Tecbu. I, 5). Das
Dreschen durch Tiere ist im Süden seit der ältesten Zeit nachweis-
bar. Vgl. 11. XX, 495, wo das öteißciv der Rosse des Achilleus mit
dem Tpi߀'n€vcu verglichen wird:
ib? b* ÖT€ ti<; ZeüEn. ßöaq äpereva? eüpuueTumpuq
Tpiße'uevai Kpt Xeiwöv €ÜKTiu€vn. iv äXwrj,
^ipqpa T€ XCTTT* IftVOVTO ßOUJV ÜTTÖ TTÖCTO"' dpl)LlUKUJV.
Aber auch im Norden kann diese Weise des Dreschens nicht unbekannt
gewesen sein. Hierauf weist zunächst die Sprache mit Deutlichkeit
hin. Das geineingerm. got. priskan, agls. perscan, abd. dreskan, das
an sich Uber die altgcrmaniscbe Dreschweise natürlich nichts aussagen
würde, ist in die romanischen Sprachen entlehnt worden, wo es (vgl.
Kai. trescare, altfrz. tresche) die Bedeutung ,mit den Füssen trampeln',
,tanzen angenommen hat. Offeubar lässt sich dieser Bedeutungsüber-
gang nur erklären, wenn man von der trampelnden Bewegung des Viehs
beim Dreschen, nicht aber von der ruhenden Stellung des mit dem Dresch-
flegel arbeitenden Mannes ausgeht. Wenn daher in L. Wisigotb (W.) VIII,
4, 10 die Bestimmung enthalten ist, dass man nicht eines anderen
Vieh auf den Dreschplatz führen solle, so ist kein Grund vorhanden,
dies mit Anton (Geschichte der deutschen Landw. I, 101) ohne weiteres
als Ausfluss südlicher Sitte aufzufassen. Vielleicht lässt sich got. priskan,
agls. perscan mit dem homerischen Tp'ißw, mit dem es also sachlich
identisch ist, auch etymologisch (*ferzg-, woraus perscan, priskan =
griech. Tpißuu wie abd. gersta = griech. xplGri) vereinigen, wodurch dann
für dieses Zeitwort die Ansetzung der schon in ureuropäischer Zeit neben
einander liegenden Bedeutungen ,zcrreiben', ,durch die Hufe der Tiere
zerreiben', ,dreschen' möglich würde.
Das Dreschen des Getreides mit Stöcken oder Knütteln (lat. baculis
excutere, fustibus hindere, perticis flagellare) wurde in Italien geübt,
wenu es sich nur um die abgesebu ittenen Ähren, nicht um das
Getreide mit den Halmen handelte (vgl. Blümner 1. c. S. 7). Denselben
Gebrauch hatte schon Pytbeas nach Strabo bei den britischen Kelten
vorgefunden. Es ist in dieser unten mitgeteilten Nachricht ausdrücklich
vom kötttciv , schlagen' der ffraxues , Ähren' die Rede, und dass nur
solche, nicht das Getreide mit dem Halm gemeint sind, geht aus einer
aus derselben Quelle fliessenden Nachricht des Diodorus (s. u.) mit
Sicherheit hervor (vgl. Müllenhoff I). A. I, 393 f.).
Der Gebrauch, das Getreide mit dem Halm in gleicher Weise zu
Schräder, Reallexikon. 10
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146
Dreschen, Dreschflegel — Düngung.
behandeln, ist in Europa erst mit der Erfindung des heutigen Dresch-
flegels aufgekommen. Die Bezeichnung desselben, lat. fiageUum, tritt
in diesem Sinne zuerst bei St. Hieronymus Jesai. IX, 28 auf (vgl. Du
Cange) und hat dann von Italien aus eine ausserordentliche Verbreitung
in Europa erlangt (ahd. flegil, agls. fligel, ir. srogelh kymr. frowyU).
Der Dreschflegel wird dann die uralte Benutzung des Viehs zum Aus-
treten des Getreides mehr und mehr verdrängt haben, und so ist es
nicht verwunderlich, dass das ursprunglich nur diese bezeichnende
germanische Zeitwort allmählich auch die mit dem Dreschflegel aus-
geübte Thätigkeit bezeichnete (darum ahd. driscil ,flagelluin*, engl.
thrash in der Bedeutung .prügeln"; vgl. griech. dXoäv in demselben
Sinne). Vgl. noch gemeinsl. allst, mlatiti »dreschen' : mlatü , Hammer',
altsl. vrüchq, vrexti id. (in Teilen des slavischen Gebietes auch vom
Austreten des Getreides durch Vieh gebraucht) — lat. rirro, ahd. icirru
,verwirre' und lit. sprägilas , Dreschflegel' : spragit ,prasselc' (kuliü
,drescbe).
Auf das Vorhandensein eines für das Ausdreschen des Getreides be-
stimmten Platzes, also der Tenne, schon in der europäischen Urzeit
weist die Gleichung altschwed. lö (finn. luura) = griech. *d-XujFn,, dXwn.,
äXuj? davon dXoduu) deutlich hin. Diese Tennen (griech. auch bivos,
lat. Area) waren im Süden im Freien gelegen. Im Norden machte
sich frühzeitig ihre Unterbringung in hölzernen Gebäuden zum Schutze
des Getreides gegen die feuchte Witterung nötig. So fand es schon
Pytheas in Britannien nach Strabo IV p. 201: töv be o*ixov, ^K€ibn xou?
f)Xiou£ ouk €xouo*i KaGapou^, iv obcoi? uexdXoiq köttxouom ctuykoui-
o"8€vxwv beupo xwv axaxuujv. a'i fdp äXuuq <5xPn°*Toi Yivovxai bid tö dvr|Xiov
Kai rouq öußpou«;. Dazu vgl. Diodorus V, 21 : xnv xc auvaYuJTnv xüjv
(Jixikwv KapTruiv iroioüvxai xouq o"xdxo<; auioü? dTTOxepvovxe? Kai
en.o*aupiZovT€<; eiq xdq Kaxacrre'-fous oucnaeic. Auf solche Häuser (aus
Tannenholz) weist vielleicht ahd. tenni (Reichenauer Gl.: danea) hin,
wenn es richtig von ahd. tanna ,Tanne' abgeleitet wird. Xoch nicht
sicher ist auch die Reihe: ahd. driscuviU, agls. persetcold, altn.
prrakuldr erklärt, die offenbar eine Ableitung von got. priakan , dreschen'
ist, aber ,Thürschwelle' bedeutet, nach J. Grimm (D. W. u. Drisehaufel),
weil früher am Eingange des Hauses auf der Diele gedroschen worden
sei (vgl. auch Inama-Sternegg Deutsche Wirtschaftsgesch. I, 130). Vgl.
nach altpr. plonis ,Tenne' : lit. plönas ,flach', lat. plänm (ir. tdr ,Bodeu,
Estrich' = altn. flrirr, agls. flur ,Flur'). Gemeinsl. altsl. gumino ,Tenne'
(dunkel), lit. klojimas : klöju »breite Getreide aus'. — S. u. Ackerbau.
Drohtie, s. Biene, Bienenzucht.
Drossel, s. Singvögel.
Düngung. Wenn der Charakter der ältesten europäischen Land-
wirtschaft n. Ackerbau richtig aufgefasst worden ist, so ist es nicht
sehr wahrscheinlich, dass man bereits damals die Kunst, durch Anweu-
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Dünger.
147
dung des Düngers dein Acker neue Kraft zuzuführen, gekannt oder
vou ilir in grösserem Massstabe Gebrauch gemacht habe.
Die Sprache kann für die Bestimmung des Alters der Düngung keine
Dienste leisten; denn wenn auch urverwandte Gleichungen für den
Begriff ,Mist' etc., sei es auf weiten Teilen des idg. Gebietes (wie sert.
ytkrt-, griech. <JKiI)p, altn. nkam oder kymr. tail ,Misf = griech. nXo?
,8tercu8 liquatum '), sei es innerhalb ein/einer Sprachgebiete (wie ge-
meingerm. got. maihstus, ahd. mint, agls. meox : lit. mieziu , miste'
oder ahd., agls., altn. gor) sich Huden, so sageu dieselben natürlich
doch nichts darüber aus, ob man den Mist schon damals zu kulturellen
Zweeken zu verwenden gelernt hatte.
Als Spur einer Zeit, in welcher es im Süden Europas noch keine
Düngung des Ackere gegeben hätte, pflegt man seit Plinius die Sage
vom König Augias zu betrachten. Vgl. Hist. nat. XVII, 60: Augeax
ret in Graecia e.rcogitasfte (sc. stercorationem) traditur, divulgasse
zero Ifercule* in Italia, qnae regi wo Stercuto Fauni filio ob hoc
incentum inmortalitatem tribuit. Hei Hesiod wird zwar die Düngung
nicht genannt; aber die Odyssee thut ihrer z. B. in der Erzählung von
dem treuen Huude Argos (XVII, 296 ff.) bereits Erwähnung:
br\ töt€ k€it' dn66€0"Toq dnoixouevoio ovokto?,
tv TToXXrj KÖTrpuj, fj oi TrpOTropoiÖe eupäiuv
f|UtÖVUJV T€ ßOUJV T€ ÖXt? K€XOT, 6<pp' &V äfOICV
buw€S 'Obuo*o*n>; T^pevo? K07Tpn,o*ovTe<;.
Bei Archilochus (vgl. Plut. Vit. Marii Cap. 21) findet sich sogar schon
eine Anspielung auf Knochendünger. Auch in Italien ist das stercorare
von Anfang der Überlieferung an eine geschätzte und viel besprochene
Kunst (vgl. die Stellen bei Lenz Botanik S. 53 ff.i.
Frühzeitig muss auch bei den keltischen Stämmen Galliens und
Britanniens eine Düngung der Äcker, und zwar vornehmlich durch
Mergel, gettbt worden sein, der aber auch in Griechenland uicht unbe-
kannt war (vgl. Plinius Hist. nat. XVII, 42). Auch das Wort marga (ur-
verwandt vielleicht mit griech. äpt-iXoq ,weisse Thonerde'; daraus mlat.
margila, ital. marga, ahd. mergih wird von Plinius als keltisch in
Anspruch genommen (über die neukeltischen Formen vgl. Thumeysen
Kelto-rom. S. 107). Schon vor Plinius aber hatte Scrofa bei Varro (De re
rust. 1, 7, 8) gefunden, dass in Gallia transalpiua nahe dem Rhein Can-
dida fossicia creta gedüngt werde, wie nach Plinius (a. a. 0. § 47)
bei Aeduern und Pictonen mit Kalk. Hinsichtlich der Germauen
besitzen wir eine einzige, die Ubier betreffende Nachricht. Vgl. Plin.
Hist. nat. XVII, 47: Ubios gentium solo* novimus, qui fertilisximum
agrum colentes quacumque terra infra pedes treu effossa et pedali
crassitudine iniecta laetißcent. Es ist also eine ähnliche Methode wie
bei den Kelten, und zweifellos von den früh civilisierten Ubiern von
dort entlehnt. Von den übrigen Germanen erfahren wir nichts. Spätere
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148
Düngung — Ebenholz.
Ausdrücke für Dünger sind im Germanischen, abgesehen von den schon
oben genannten ahd. mist und gor : ahd. dornt, dost, tost ,coenum",
,fimus' und ahd. deisc (Graff V, 231), ferner altn. tad (woraus finn.
tade'), tedja ,düngen\ dessen hochdeutsche Entsprechung, ahd. zettan
aber nur .streuen', nicht speziell ,düngen' bedeutet. Über ahd. tunga
,stercoratio' in seinem Verhältnis zu ahd. ttinc 8. u. Unterirdische
Wohnungen. Ebenda über die germanische Sitte, die Winterwohnung
durch Aufhäufnug von Mist auf dieselbe vor Kälte zu schützen.
Die oben aus allgemeinen Gründen ausgesprochene Annahme, das»
dem ältesten europäischen Ackerbau die Düngung der Äcker noch
nicht bekannt gewesen sei, lässt sieh also durch positive Nachrichten
über einen solchen Zustand bei idg. Volkern nicht belegen. Zu be-
denken ist auch, dass Heer Die Pflanzen der Pfahlbanteu S. 7 die
Düngung schon für den steinzeitlichen Ackerbau für wahrscheinlich hält:
„Auf der Pfahlbaute Bobenhausen wurde neuerdings 6 Fuss tief unter
dem Torf ein Lager verkohlten Ziegendüngers gefunden; an einer an-
deren Stelle war er un verkohlt, und die zahlreichen dazwischen liegen-
den Zweige der Weisstanne zeigen uns, dass dieses Material zur
Streuung verwendet worden ist; nahe dabei muss ein Schafstall ge-
standen haben, zu dessen Streue Laubblätter gedient haben, die nun
zwischen den Schafbohnen liegen. Selbst die zahlreichen Puppen-
Hülsen der Fliegen, welche sich im Dünger eingenistet hatten, blieben
erhalten und sagen uns, dass man diesen Dünger längere Zeit im Stalle
liegen Hess, daher ohne Zweifel für die Düngung der Felder
aufbewahrt hat." Doch sind keine späteren Funde gemacht worden,
welche diese Ansicht Heers bestätigten. — S. u. Ackerbau.
Duodezimalsystem, s. Zahlen.
E.
Ebbe, 8. Meer.
Ebenholz (von Bäumen der Gattung Diospyros aus Afrika und
Indien stammend). In Ägypten bildet es unter dem hieroglyphischen
Namen heben einen wichtigen Handelsartikel mit dem Lande Punt (s.
u. Affe, Dattelpalme, Weihrauch). Unter den Griechen berichtet
zuerst Herodot (III, 97, 114), dass die an Ägypten grenzenden Neger
den £ß€vo<; als Tribut dem Perserkönig Dariiis steuerten. Das griechische
Wort wird unmittelbar dem Ägyptischen entlehnt sein. Das Ebenholz
muss aber auch in Griechenland selbst früh verwendet worden sein,
da Pausanias (I, 42, 5, VIII, 53, 11) altertümliche Eöava aus diesem
Material kennt. Übrigens drang das ägyptische Wort auch zu den
Semiten, wo es hebr. höbnim lautet. Nach Ezcch. XXVII, 15 bezog
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Ebenholx — Edelsteine.
149
Tyrus Ebenholz vom Volke Deddn, das auch Elfenbein liefert. — Den
indischen Ebenholzbaum nennt zuerst Theophrast (IV, 4, 6), und
noch nach dem Periplus maris erythräi (§ 36) werden qpdXaTTC? £ßt-
vivai aus Barygaza nach persischen Häfen ausgeführt. Ein dem ägypt.-
griech. heben — Ißcvo? entsprechender Sanskritnnmc des Ebenholzes
ist nicht bekannt. Die arabisch-persisch-hindostanische Bezeichnung
desselben, hbnus etc., ist eine Entlehnung ans dem Griechischen (vgl.
Pott Z. f. d. Kunde des Morgenl. V, 74). Lat. ebenu* (seit Vergil).
Hieraus ahd. ebenus u. s. w. — Vgl. Lieblein Handel und Schiffahrt
auf dem roten Meer S. 71 ff.
Eber, s. Schwein.
Eberesche, s. Speierling.
Eberraute ( Artemma Abrotanum L.). Diese schon im Altertum
geschätzte Heilpflanze heisst griech. dßpöxovov, woraus lat. abrotomim,
«las auch im Capitularc Karls des Grossen de villis LXX, 7 begegnet. Die
erst ziemlich spät überlieferten deutschen Namen der Pflanze eberraute,
eberreis, aberzicurz, aeberreixs u. s. w. (vgl. Pritzel u. Jessen Volksnamen
S. 41) sind volksetymologische Verdrehungen aus abrotonum. Die heilige
Hildegard hat xtagwurts. Gegen Osten scheint die Pflanze auch reli-
giöse Beziehungen zu erhalten: jenseits der Donau begegnen „Herrgott-
hölzel", slavisch „Gotteshölzehcn" etc. (Nemnich Polyglottenlexikon I,
466). Wo ist die Pflanze einheimisch? — Andere Heilpflanzen s. u. Arzt.
Edele, s. Stände.
Edelsteine. Kostbare Steine fandeu die ihnen gebührende Wert-
schätzung zuerst in den Enphrat-Tigrisländern, wo zahlreiche edle,
freilich kaum näher bestimmbare Steinarten schon bei der Urbevölke-
rung dieser Gegenden, den Sumerern, genannt werden (vgl. F. Hommel
Vorsemit. Kulturen S. 411). Nach Herodots Bericht über Babylon
(I, 195) besass jeder Einwohner daselbst o*q>pr|Y»ba ,cinen Siegelring'
und ein OtcnnTpov x^pOTrofarov. Hier in Mesopotamien nmss daher auch
die Steinschncidekunst frühzeitig erfunden worden sein (vgl. Movers
Phoenicier II, 3, 266 ff.). Die Edelsteine selbst sind hierher auf den
weitverzweigten Wegen des babylonischen Handels zum teil aus weiter
Entfernung, aus Vorderasien, Ägypten, vor allem aber aus Indien zu
sammengeströmt, das im ganzen Altertum als Haupterzeugungsort der
Edelsteine galt, wie dies schon Ktesias Ind. Cap. 5 : Trcpi tu>v öpuiv
tu>v M£YäXu>v, iE tLv if\ tc aapbw öpuo*o*€T<xi Kai oi övux€? Kai a\ äXXai
tfcppaTibt? berichtet. Doch erfahren wir aus Indien selbst erst sehr
spät direktes über die dortigen Edelsteine, auf deren Studium die Aus-
bildung der Medizin mit ihrem Glauben an heilkräftige Wirkungen der
Steine die Aufmerksamkeit lenkte (vgl. R. Garbe Die indischeu Mine-
ralien Leipzig 1882).
Von Babylonien aus ist die Verwendung der Ganz- und Halbedelsteine
zu maunigfachem Schmuck, namentlich auch zu Siegelringen, in sehr
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150
Edeteteine.
früher Zeit zu den Israeliten gedrungen (vgl. Riehms Bibellexikon 2 Art.
Edelsteine). Über den pbönizischen Handel mit den südlichen Euphrat-
ländern sagt der Prophet Ezechiel XXVII, 16: „Aram handelte mit Dir
(Tyrns) wegen Deiner vielen Waren mit Karfunkeln, Purpur und
Buntstickerei; Byssns und Korallen und Rubinen brachten sie in
Deinen Verkehr" (vgl. Movers a. a. 0. S. 258). Auch in Mykenae
haben die Ausgrabungen .Schliemanns Schieber von Achat, Gemmen von
Sardouyx und Amethyst, ebenso wie kostbare Siegelringe an den Tag
gebracht.
Bei Homer ist indessen von Edelsteinen noch nicht die Rede, und
erst in der späteren Littcratur, von Herodot an, begegnen uns ihre
Xameu, die sich naturgemäss als vielfach entlehnt, meistens aus dein
•Semitischen, später auch direkt aus dem Indischen erweisen (s. u.).
Ein besonderes Wort für Edelstein ist im Griechischen nicht vorhanden.
Man sagt dafür \iBo<; ,Stein' oder aqppcrns, eigentlich .Ringstein'. Eine
Erklärung für dieses letztere Wort ist noch nicht gefunden worden.
Es liegt nach dem obigen nahe, in ihm eine Entlehnung aus babylo-
nischem Kulturkreis zu vermuten, wie aus diesem die indisch-persische
Bezeichnung des Siegelrings und Siegels, sert. mudrä, altpers. *mudrdt
npers. muhr aus assyr. mmaru, mumrü ,Sehrifturkunde in der Form
einer Stein- oder Metallplatte', ursprünglich wohl ebenfalls ,Siegelring'
stammt (vgl. II. Hübschmann K. Z. XXXVI, 176).
In Rom ist weder bei Plautus noch hei Terenz etwas Uber Edel-
steine zu finden. Allerdings hätten der Sage nach die Sabiner schon
zur Zeit des Romulus (vgl. Liv. I, 11) annuli yemmati getragen,
wahrscheinlicher aber berichtet Plinius Hist. nat. XXXVII, 85 aus-
drücklich, dass erst Scipio Africanus sich eines Ringes mit geschnittenem
Steine bedient habe. — Von Südenropa ging der Gebrauch der Edel-
steine auf dem gewohnten Wege in die mittelalterliche Welt über, bis
später auch direkte Verbindungen mit den östlichen Erzeugungsländern
sieh eröffneten. Die früheste sprachliche Entlehnung der germanischen
Sprachen aus dem Latein auf diesem Gebiete dürfte ahd. gimma, agls.
gimm etc. aus lat. gemrna, der (noch dnnklen) Gesamtbenennung der
Edelsteine sein. Das Wort kommt wiederholt schon in der Edda vor
(altn. gim, gimrtein), wo es z. B. von Völund (Wieland) heisst:
„In Gold fasst' er glänzende Steine".
Eine alte einheimische Bezeichnung des Edelsteins ist altn. jark-
nasteinn, agls. eorclanstdn (: got. -airkns ,rein ). Entlehnt wiederum
aus dem Lateinischen ist die Bezeichnung des Abdrucks des Siegel-
rings, des Siegels: got. sigljö, mhd. sigel (ahd. inMgili), agls. sigel
aus lat. sigiüum (: Signum). Es scheint, dass im alten Völkerverkehr
Siegel und Siegelringe eine wichtige Rolle spielten, worüber wir hin-
sichtlich der russisch-byzantinischen Beziehungen einiges durch Ewers
Ältestes Recht der Russen S. 184 f. wissen. Hiernach führten die
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Edelsteine.
151
russischen Gesandten goldene, die Großhändler silberne Siegelringe
zu ihrer Beglaubigung bei sich, an deren Stelle später (seit der Ur-
kunde Igors) geschriebene Pässe traten. Auch fertige Siegel übersehiekte
man sich zu gleichen Zwecken. — Zusammen mit den kostbaren Steinen
selbst wanderte eine Fülle des Aberglaubens, der zumeist an die an-
gebliehen medizinischen Kräfte der wertvollen und neuen in die Kultur-
geschichte eintretenden Korper anknüpfte, die für umso heilsamer
galten, je kostbarer sie waren. Unentbehrlich für die Geschichte der
Edelsteine im Altertum und Mittelalter sind in dieser Beziehung die
Artikel in den Nachträgen von 0. Schadcs Ahd. WA — Nach diesen
Vorbemerkungen soll hier in alphabetischer Reihenfolge die freilich
noch mehrfach etymologisch dunkle Terminologie von 14 wichtigen
Edel- und Halbedelsteinen gegeben werden:
1. Achat. Griech. dxänis (Theophr.), tat. achates (Plin.), frz.
agate. Angeblich nach dem Flusse Achates in Sicilien benannt; «loch
versucht H. Lewy Die semit. Fremdw. S. 56 eine Erklärung aus dem
Semitischen. Fundorte ausser Sicilien: Kreta, Indien, Phrygien, Ägypten,
Kypros, Oeta, Parnassos, Lesbos, Messenien, Rhodus, Persien (nach
Blümner Term. u. Tcchn. III, 260).
2. Amethyst. Griech. dueeuo-roq, dut8uo-o<; (Pinto, Theophr.),
lat. amethyntus (Ovid), mhd. ametiate. Von ueeüw, Weil der Stein
gegen Trunkenheit schützen soll? Oder von djLi€8uo"o<; = oivumö?
,weinfarbig' (vgl. Blümner a. a. 0. S. 251)? Noch andere denken an
ein arab. yamast , Amethyst' (vgl. Muss-Arnolt Scmitie Words S. 139,
Lewy a. a. O. S. 58). Fundorte: Indien, Arabien, Armenien, Ägypten,
Galatien. Eine Art Amethyst bezeichnete im Altertum auch griech.
üdKiv6o<; (Diosk.), lat. hyacinthus <Plin.), woraus mhd. jachant {vgl.
O. Schade a. a. 0.).
3. Beryll. Griech. ßfjpuXXo^ (Dion. Perieg.), lat. beryllus. (Pro-
pere). Aus sert. raifjärya-, präkr. reluriya ,dcr Beryll' (nach P. W.;
aber das ,Katzcnauge' nach R. Garbe Die indischen Mineralien S. 85;
vgl. auch M. Müller India what can it teach us? S. 267), pcrs.-arab.
billattr, biliar. Das Wort hat reiche Verbreitung im Deutschen und
Romanischen gefunden: mhd. berille. barille, daher auch nhd. brille
(weil man zu den ersten Augengläsern — um 1300 — den Beryll
verwendete, dem schon die Alten Heilkraft bei kranken Augen zu-
schrieben), rom. *beryllare, ital. brillare .glänzen' etc., barelle , Brillen-
gläser'. Fundorte: Indien, Pontus ^Ural).
4. Diamant. Griech. dodiict«; (Plato), urspr. ,Stahl' (s. d.), lat.
adamag (Vergil), woraus die romanischen diamante etc. Im Mittelalter
nahm das Wort auch die Bedeutung »Magnet ' (s. d.) an: prov. adi-
mam etc. Im Osten Europas gelten aus dem Arabisch-Türkischen
(almdts = dbdua?) entlehnte Formen: russ. ahnazü u. s. w. Fundorte:
Indien, Ural. Im Hebräischen heisst der Diamant samir, woraus nach
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152
Edelsteine.
einigen griech. ouxp'u;- äuuou elbo?, fj cfurixovTai 01 o*icXr|poi twv XiGinv.
Hcs. (,Di.iwaiitpiilvcr'?) entlehnt sein soll.
5. Jaspis. Griech. \aam<; (Pinto), lat. iaspis (Vergil), ital. dia-
spro etc. Ans hebr. jtUepeh. Fundorte: Indien, Kypros, Persien, K as-
pisches Meer, Pontus, Phrygien, Kappadokien.
6. Karneol uSard). Griech. adpbiov (Plato), aapbüj (Ktesias s. o.),
lat. sarda, sardius (Plin.). Man leitet das Wort in der Regel von dein
Städtenamen Sardes ab. Lewy Die semit. Freuidw. S. 57 f. sucht hin-
gegen semitischen Ursprung wahrscheinlich zu machen. Fundorte:
Sardes, Babylon, Paros, Assos, Indien, Arabien, Epiros, Ägypten.
7. Krystall. Griech. KpuöTaXXo«; (schon bei Homer, aber nur in
der Bedeutung ,Eis\ vgl. Kpuo? , Kälte', später — bei Theophr. — ,Berg-
krystall"; vgl. sachlich hebr. qerah ebenfalls ,Eis' und .Kiystall*), lat.
cryxtallum (Vergil), and. chrixtalla. Fundorte: Indien, Kleinasien,
Alpen etc.
8. Onyx. Griech. övuE, dvuxiov (Ktesias 8. o., Theophr.), lat. onyx
(Catull), ital. onice, nichetto u. s. w. Man hat versucht, das Wort an
ein assyr. unqu ,Ring' oder an ein ägypt. anak anzuknüpfen (vgl. Muss-
Arnolt Semitic words S. 139). Plinius dachte an Identität mit griech.
övuE .Nagel', da der Onyx eine ähnliche Weisse wie der menschliche
Nagel zeige (vgl. Blümner a. a. 0. III, 265). Fundorte: Indien, Arabien,
Armenien, Galatien.
9. Opal. Lat. opalus (Plin.), griech. öirdXXiov (Orph. lapid.). Ans
sert. ttpala- , Stein' (nach Lassen Ind. Altertumskunde ), das auch unter
den Synonymen für .Edelstein' (Garbe S. 70) vorkommt. Fundort:
Indien nach Plinius, was schwerlich richtig; vgl. Blümner a. a. 0.
III, 245).
10. Rubin. Griech. <ävepa£ (Aristot.), lat. carbunculm (aus dem
Griech. Ubersetzt), mhd. Karbunkel. Fundorte: Indien, Afrika. Im
Mittelalter gilt mhd. balas, frz. balaU, prov. balach, ital. balascio,
mlat. balascus, so genannt nach dem Chanat Badakshan (Balascban)
östlich von Samarkand. Vgl. Heyd Levantehandel S. 583. „The
mountains of Iiadakhshdn have given their name to the Badakhshi
ruby, vulgnrJy called al-Balakhsh", lbn Batuta (nach Yulc and Bnrnell
Hobson-Jobson S. 39).
11. Sapphir. Griech. ödnqpcipo«; (Theophr.), lat. sapphirus (Plin.).
Aus hebr. sappir, syr. mpild (weiteres bei Mnss-Amolt a. a. 0. S. 139),
dem auch armen, mpila entstammt. Indessen bezeichnete das klassische
Wort nach allgemeiner Annahme das, was wir Lasurstein nennen:
ital. azzurro, mhd. hUur, Idzftr aus pers. lazeard, arab. Idzuward.
Wie die Alten den ihnen ebenfalls bekannten Sapphir bezeichneten,
steht nicht fest. Fundort des Lapi* laztdi: Medien (wohin er aus
Tibet kam, wo noch heute Lasurstein gefunden wird, Blttmner III, 275).
12. Smaragd. Griech. o*udpccfbo<; (Hcrodot), lat. xmaragdus (Lucrez),
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Edelsteine — Egge.
153
ital. smeraldo etc., ahd. smaragd (gelehrt). Vgl. auch armen, zmruxt,
npers. zumttrrud. Man denkt für o*udpaYbo? an Entlehnung aus hebr.
bäreqet ,Sniaragd\ indem man annimmt, dass ein aus bareqet hervor-
gegangenes Vapcrrboq durch Anlehnung an crudu) ,putze' oder cruaperr^u)
.erdröhne' zu audparbo? geworden Bei (vgl. Muss-Arnolt S. 139, Lewy
S. 57). Indisch marakata- ,Smaragd' ist ein Lehnwort aus dem
Griechischen. Fundorte: Skythien (Ural, Altai), Baktrien, Ägypten.
13. Topas. Griech. tottoEiov (Agatharchides), lat. topazon (Plin.),
nach den Alten auf einer Insel Topazus gefunden, worunter man ge-
wöhnlich Ceylon versteht, wo noch heute Topase vorkommen. Nach
Plinius aber lag sie im roten Meer und hatte ihren Namen von einem
„troglodvtisehen" Verbum TOirdZciv ,suchen' (vgl. Blümner a. a. 0.
III, 238).
14. Türkis. Wie der den Alten sicher bekannte Stein im Altertum
geheissen habe, steht nicht fest. Mhd. turkoys, türkis, fr/., tourquoixe,
prov. spau. turquesa ,aus der Türkei', d. h. vom Osten.
Noch ein Wort bleibt über den Probierstein, den lydischen Stein
(Aubict Xi8oq) der Alten zu sagen. Er heisst griech. ßderavo^, das schon
bei Theognis und Pindar, also früher als alle Edelsteinnamen begegnet.
Das Wort ist ausländischen Ursprungs verdächtig. Lewy a. a. 0. S. 61
leitet es aus hebr. päz gediegenes Gold', päzaz ,Gold und Silber rei-
nigen' ab. Anders Muss-Arnolt S. 146. Vgl. auch sert pdsMna- ,Stein',
»Probierstein' (aus ßdo*avoq*?i.
Egge. Ein unserer Egge ähnliches Werkzeug zum Ebenen des
aufgepflügten Erdreichs muss schon zur Zeit des vorhistorischen Acker-
baus der europäischen Indogermanen in Gebrauch gewesen sein, wie
die Gleichung Int. occare, occa, ahd. egida, agls. egepe, lit. aketi,
akeezios, altpr. aketes, altkorn. ocet, kymr. oged, eggen', ,Egge' lehrt.
Die nordeuropäischen Sprachen stimmen auch in der Suffixhildung des
Hauptworts überein. Nur im Slavischcn und Griechischen erlischt die
Reihe bis auf eine in letzterem von Hesych bewahrte Spur: öEiva •
ipxaXeiöv ti y£u>pyiköv, crtbnpoöq fO|iq)ou? £x°v> eXKÖuevov üttö ßouüv.
In der That scheint in Griechenland die Egge ziemlich ungebräuchlich
gewesen zu sein. Bei Hesiod W. u. T. 469 folgt dem Säenden viel-
mehr ein Sklave mit der Schaufel (6 eTnaKCKpeu«; Hes.) zum Bedecken
des Samens.
Eine zweite, aber auf das Lateinische und Germanische beschränkte
Gleichung dürfte in lat. hirpex, irpex = altn. herfe, nschwed. harf,
engl, harrote ,Egge' vorliegen {*kherq- : *khorq-). Das lateinische
Wort wäre dann wegen seines p als oskisch-samnitisches Lehnwort
anzusehen. Für den Lautwandel erc : irc vgl. auch ircutt, stircus,
Mirquriux, commercium (Stolz Lat. Gr.* S. 256). Bei den Galliern
nennt Plinius VIII, 173 die Egge: Semen protinus iniciunt erat es-
que dentatas mpertrahunt, und auch in der Lex Salica XXXIV, 2
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154
Egge — Ehe.
wird sie bereits erwähnt: 67 qtiis per dliena messe postquam levaverit
irpicem traxerit etc. (Cod. 1 Hessels).
Im Osten Europas, in den slavischen Sprachen und im Albancsischcn,
gilt für Egge russ. berona etc., alb. braue (vgl. auch ngricch. aßdpva),
das G. Meyer Et. W. S. 44 für ein frühzeitiges Lehnwort aus dem
Iranischen (npers. barn ,Egge') hält. — S. u. Ackerbau.
Ehe. Eine vorhistorische Bezeichnung für diesen Begriff lässt
sich nicht nachweisen. Ja, es scheint, dass noch in den älteren Pe-
rioden der Einzclsprachen Wörter, die das eheliche Verbundensein von
Mann und Frau wie im lat. coniugium oder im deutschen „Ehe", be-
zeichnen, nicht vorhanden waren. Noch Aristoteles im ersten Buche
der Politik (Cap. 3) bemerkt, dass ein treffender Ausdruck für ,Ehe'
fehle: dvwvuuov t«P *1 Tuvcmcds *m ävbpdq Ovltvlxq.
In den Einzelspraehen macht man zur Benennung dieses Begriffs am
häutigsten Gebrauch von Wörtern, welche eigentlich ,Eheschlies8ung'y
, Hochzeit' bedeuten. Vgl. z. B. sert. vkahä- (vgl. rahatü- .Brautzug'),
griech. tam*1! (: täuos)i das Aristoteles a. d. o. Stelle in Ermangelung
eines treffenderen Ausdrucks gebraucht, lat. miptiae (»Verhüllung),
lit. teenezimea .Trauung' (tcenczinwoin/ste .Ehestand ). Weiteres s. u.
Heirat. Anderer Art sind Ausdrücke wie sert. janitni- und lat.
matrimöninm, eigcntl. »Gattinnen-', bezw. , Mutterschaft' (daher in ma-
trimonium ire etc.). Spät erst hat ahd. eica, agls. d>w, cigentl. .Ge-
setz' die heutige Bedeutung angenommen (vgl. J. Grimm K.-A. S. 41 T)r
wie auch dän. und schwed. ägteskab, äktenskap ,matrimonium' von
(Igte, ekta (aus unserem echt, £-haft) junge Wörter sind. Altnordisch ist
hjü-skapr (: *hhra-, s. u.), eigentl. ,Hausmaiinschaft\ agls. sin-xeipe,
eigcntl. .Dauerschaft', hdmed-seipe u. a. Dunkel : altsl. brakü .Ehe'.
Auch Namen für das Ehepaar, die Gatten, sind in alter Zeit
nicht vorhanden, da Ausdrücke wie griech. o"ü£u£ (seit Euripides), lat.
coniux (in älterer Zeit fast nur bei Dichtern), altsl. sqprqgü, [xüprqzl
,Joch ), ir. cele (,Genosse'), ahd. gimahalo, gimahala (: ahd. mahal »Ver-
sammlung. Kontrakt, Ehevertrag'; vgl. auch ahd. gimahhidi bei Graff
IV, 639 .Ehepaar' und ,eins der beiden Gatten', Kollektivbildung: agls.
gemaca, genuecca ,Gatte', eigentl. ,was zusammen passt', Plur. ,Ehc-
gatten) verhältnismässig jungen Sprachschichten angehören. Eine merk-
würdige Bezeichnung ist ir. hinamain ,a married conple", wovon W-
namna* ,eoniugium' (vgl. Windisch J. T. s. v.l, von Stokcs Urkeltischer
Sprachschatz S. 293 ans *lan-mmmn ,volle Vereinigung' gedeutet.
Es kann also in der Urzeit noch kaum das Bedürfnis empfunden
worden sein, die dauernde Gemeinschaft von Mann und Weib sprachlich
zum Ausdruck zu britigen. Den Grund dieser Erscheinung findet
B. Delbrück Verwandtschaftsnamen S. 440 ohne Zweifel mit Recht
darin, nda«is die Stellung des Mannes zur Frau und die der Frau zum
Manne nach alter Meinung zwei so verschiedene Dinge waren, das»
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Ehe.
155
man nicht darauf kommen konnte, Mann und Frau durch das gleiche
Wort zu bezeichnen". Einen analogen Fall B. u. Eltern.
Am nächsten der idg. Auffassung des Verhältnisses von Mann und
Frau dürfte das indische patitcd- ,Ehc', d. h. ,Gattcnschaft' kommen,
welchem die ureprachliche Bezeichnung des Hausherrn und Ehemannes:
scrt. pdti- ,Gebieter, Herr, Gatte', ddmpati- , Hausherr' ddrhpati- .Haus-
herr und Hausfrau', aw. paiti-, griech. Tiöcriq ,Gatte' (beöirÖTris = scrt.
ddrhpati-', anders Pischel in P. G. Ved. Studien II, 307), got. fap*t brüp-
faps ,Herr der Braut oder jungen Frau', lit. päis ,Gatte, Ehemann' (vgl.
noch lat. pot-estas, compo(t)8 etc.) zu Grunde liegt. Das Wort wird mit
Wahrscheinlichkeit von scrt. pd ,schützen' abgeleitet, so dass scrt. pdti-
ctc. soviel wie der , Beschützer" (ursprünglich vielleicht , Beschützung')
wäre. Neben diesem idg. *pöti- lag — entsprechend dem Verhältnis von
ahd. frö, got. frauja ,Herr' feigentl. ,der erste' = scrt. pu'rra- id.) : ahd.
,frouica (*fraujön-) , Herrin' — ein idg. *putni- : scrt. pdtni, aw. -pattni-
Ehetran, Herrin', griech. i Horn.) nörvia, ein ehrendes Beiwort für Frauen,
iTÖTVia Mn,Tn,p .Frau Mutter', auch be'ffTroivct vgl. b€0"Tnvaq" fovaiKaq . 0ea-
aaXoi Hes.; anders jedoch J. Schmidt, s. u. Frau). Da man für die Urzeit
unzweifelhaft von polygamischen Verhältnissen auszugehen hat | s. u. P o I y-
gamie), so wird *pötni- ursprünglich die erste oder Lieblingsfrau des
Mannes, die in Indien beim Opfer allein als seine Genossin erscheint, be-
zeichnet haben, ein Begriff, der sonst im Sanskrit durch mdhishi (die ge-
waltige') bezeichnet wird. Viel verbreiteter für die Benennung der Ehefrau
ist aber die Sippe von scrt. jdni-, -jdni-, gnd'-, aw. ynd-, jtni-, armen.
kin, griech. tuvtj, ßavet (vgl. uväonai .ich beweibe mich' und <i-|ivä-^ouq•
rouq ^ytövous >von demselben Weibe' lies.), ir. ben, Gen. mnd, got.
qinö und qenx, altsl. zena, altpr. genna, die, mag sie nun mit lat.
gigno, scrt. jan .gebären' etc., was wegen der Gutturalverhältnisse
(g : g) Schwierigkeiten macht, zu verbinden sein oder nicht, doch in
jedem Falle die Ehefrau nach ihrer geschlechtlichen Seite, also als
,Weib' schlechthin, bezeichnet (vgl. noch avr.Jaüi' .Geschlecht', lit. gentis
,Verwandter', die im Anlaut zu griech. yvvy\, altsl. zena u. s. w. stimmen,
und auch schwer von lat. gigno, scrt. jan loszulösen sein dürften).
Auf vorhistorischen Zusammenhang dürfen als Namen der Ehefrau
vielleicht noch Anspruch erheben: griech. <5\oxoq = altsl. sqlogü ,con-
sore tori' und lat. u.ror , Eheweib' : lit. mzicis .Vater des Eheweibs' (*6ksc-;
vgl. lat. für : griech. <pwp ,Dieb'). — In den Einzelsprachen werden, ab-
gesehen von den schon angeführten Ausdrücken, Ehemann und Ehefrau
häutig kurz als Mann (s. d.) u. Fran (s. d.) bezeichnet, wie es bei ruvn,
und seiner Sippe sicher schon in der Urzeit der Fall war. Bemerkens-
wertere Bezeichnungen anderer Art vgl. die Sammlung bei Delbrück
a. a. 0. S. 408 — 440) sind aus dem Sanskrit: bhdrtar- und bhd'ryd , Er-
halter' und ,zn erhaltende' (letzteres im Sinne von .Ehefrau' früher bezeugt
als ersteres), ans dem Griechischen: bä\iap (Horn., irgendwie zu böuo<;,
1 'i * #
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156
Ehe — Ehebruch.
kaum: scrt. därd ,Weib' gehörig) und öap (Houi., dunkel), aus dem Latei-
nischen: marita ,die mit eiueni mäs versehene' und darnach gebildet
maritus, mulier (dunkel; im Plural der .Stand der Ehefrauen ), aus dem
Germanischen: ahd. hitco , Gatte', hiica ,Gattin', hiun ,bcide Gatten'
(: got. heitca- ,Haus', also eigentl. .familiäres'), agls. auch sin-hiwan und got.
aba , Ehemann' (dunkel), aus dem A 1 ba u es i scheu: bür desgl. (dunkel),
aus dem Litauischen: möte .Ehefrau' (s. u. Mutter) u. a. — über den
Eingang einer Ehe s. u. Brautkauf, Heirat, Raubehe, über die Stellung
des Mannes und der Frau in der Ehe s. u. Familie. S. auch hin-
sichtlich der ältesten ehelichen Verhältnisse die Artikel: Abtreibuug
der Leibesfrucht, Adoption, Alte Leute, Amme, Äusserungs-
recht, Beischläferin, Ehebruch, Ehelich und unehelich, Ehe-
scheidung, Erbtochter, Frau, Heiratsalter, Junggeselle,
Mann, Mitgift, Mutterrecht, Polyandrie, Polygamie, Ver-
wandtenehe, Witwe, Zeugungshelfcr.
Ehebruch. Die bezüglich der Reinhaltung der Ehe in der älteren
Zeit herrschende Anschauung ist die, dass dem Ehemann mit Neben-
frauen und Kebsen ein uneingeschränkter Geschlechtsverkehr frei steht,
dass hingegen die Ehefrau an die strengste eheliche Treue gebunden
ist. Bricht sie diese, so trifft sie zusammen mit dem Ehebrecher, wenn er
auf frischer That ertappt ward, der Tod. Am reinsten ist dieser
Standpunkt in der römischen Rechtsauffassung aufbewahrt, über die
sich Cato bei Gell. X, 23 so äussert: In adulterio uxorem tuam si
prehendissis, sine in dich impune necares : Hin te, si adulterares sice
tu adulterarere, digito non änderet contingere, neque jus est. Dazu
vgl. fr. 24 pr. ad. 1. Jul. de Adult XL VIII, 5: Marito quoque adulterum
uxoris sitae occidere permittitur etc. Ebenso war es bei einem grossen
Teil der alten Germanen. So berichtet Bonifatius von den Sachsen
(Monum. Moguntinn ed. Phil. Jaffe S. 172): Kam in antiqua Saxonia,
si virgo paternam domum cum adulterio maculacerit vel si mulier
maritata, perdito foedere matrimonii, adult erium perpetraverit, ali-
quando cogunt eam, proprio manu per laqueum suspensatn, vitam
finire; et super bustum illiux, incense et concrematae, corruptorem
eitt8 suspendunt, und die L. Wisigoth. (W.) III, 4, 4 bestimmte: 67 ad-
ulterum cum adultera maritus vel sponsus occiderit, pro homicida non
teneatur. Auch nach südslavischcm Gewohnheitsrecht darf der gekränkte
Mann den Buhlen und die Ehebrecherin auf der Stelle töten (vgl. Krauss
Sitte und Brauch der Südsl. S. 511, 566 1. Das Anrecht des Mannes
hingegen auf unbehinderten Geschlechtsgenuss mit anderen Frauen er-
giebt sich aus der Abwesenheit jeder ihn beschränkenden Bestimmung
und aus deu thatsächlich bestehenden Gebräuchen (s. u. Polygamie
und Beischläferin).
Eine Milderung dieser urzeitlichen Anschauungen trat in der Weise
ein, dass man zwar an dein Recht der Tötung des Buhlen noch fest-
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Ehebruch.
157
hielt, hingegen das Leben der Frau zu schonen anfing, indem man
sieb damit begnügte, Uber sie den moralischen Tod, die Atimie, zu
verhangen. So ist es bei Indern nnd Griechen. Über die ersteren
stehen uns ans vedischer Zeit freilich keine sicheren Nachrichten zu
Gebote. Aber noch in den Rechtsbttchern wird der, welcher eines
andern Weib entführt, oder der, welcher verbotenen Umgang mit eines
andern Mannes Weib hat, zu den „Angrcifeina, bezw. „Mördern" ge-
rechnet, deren man sich durch straflose Tötung erwehren kann (vgl.
Leist Altar. Jus gent. S. H01*>. Die Ehebrecherin verstösst mnn, reicht
ihr nur die notdürftigste Nahrung, seheert ihr das Haar, kleidet sie
schlecht nnd hält sie zur niedrigsten Sklavenarbeit an (vgl. Jolly Über
die Stellung der Frauen bei den alten Indern § 12, Sitzungsb. d. phil.-
hist. Kl. d. Münchener Ak. 1876). Doch kommt auch die Todesstrafe
der Ehebrecherin noch vor (Jolly Recht und Sitte S. 66). Ebenso war
es in Griechenland. Noch das athenische Recht der späteren Zeit
bestimmte, dass man den Mann straflos töten dürfe, den man bei seiner
Frau, bei seiner Mutter, bei seiner Schwester, »einer Tochter oder auch bei
seiner Kebse (f]v öv ^tt' £XeuG€poiq Trmoiv Z\r)) findet (vgl. Leist Graeco-
ital. Rechtsgeschichte S. 299). Der gekränkte Mann der Ehefrau fordert
seine tbva (s. u. Braut kauf) zurück (Od. VIII, 318). Die Ehe-
brecherin trifft die Atimie (ctTiuuiv rnv Toiau-rnv Yuvanca Kai töv ßiov
auTfj dßiujTOv Trapacnceuä&juv). In Kyme in Kleinasien wurde sie auf
einem Stein zur Schau gestellt und auf einem Esel sitzend durch
die Stadt geführt (vgl. Hermann Lehrbuch der grieeh. Rechtsaltertttmer,
dritte Aufl. von Th. Thalhcim S. 18). Ganz ähnlich wie in Indien
und Griechenland war die Bestrafung der Ehebrecherin auch bei den Gc r-
manen, welche Taeitns schildert: Accisin crinibux (vgl. oben über
die Inder), nudatam, coram propinquix e.rpeUit domo maritus ac per
omnem vicum rerbere agit (Germ. Cap. 19). Dazu vgl. Bonifatius
a. o. a. 0.: AUqnando, congregato e.cercitu femineo, fiagellatam eam
mulieres per pago.s circumquaqne d nennt, virgis cedentes et ce*ti-
menta eiwt obscidentes iu,rta cingulum etc.
Eine Milderung des Schicksals des Buhlen stellt es dar, wenn in ge-
wissen Teilen des griechischen Gebietes dem Ehebrecher gesetzlich
eine Frist gegeben ist, sich durch ebenfalls gesetzlich bestimmte Privat-
bnsse von der Privatrache des betroffenen Mannes los zu kaufen. In
diesem Sinne bestimmte das gortynische Recht: „Wenn er mit der
Freiin ehebrechend gefasst wird in Vaters oder in Bruders oder in
Mannes Haus, so wird er 100 Statereu erlegen Er (der
Geschädigte) soll aber vorher ankündigen vor 3 Zeugen den Verwandten
des darin Gefasstcn, ihn auszulösen binnen 5 Tagen .... Wenn er
aber sich nicht auslöst, soll es bei denen, welche fassten, stehen, mit
ihm zu verfahren, wie sie wollen" (II, 21 — 35; vgl. dazu Das Recht
von Gortyn von F. Bttcheler nnd E. Zitelmann S. 101 ff.). Die Frei-
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158
Ehebruch.
hcit des Mannes in geschlechtlicher Beziehung; war, soweit er nicht
in einen fremden Bezirk einbrach, in Indien und Griechenland ebenso
wie in Rom und bei den Germanen gewahrt. Im einzelnen Fall mochte
natürlich der Einfluss der Ehefrau dem Manne frühzeitig Beschränkung
auferlegen. Ein homerisches Beispiel dieser Art bietet Laertes (Od. I,
433), der den Umgang mit Eurykleia meidet, weil er den Zorn der Gattin
fürchtet. Andererseits (z. ß. II. V, 69 ff.) werden Frauen gelobt, weil
sie den v60o<; des Mannes wie ihre eigenen Kinder aufziehen.
Die grundsätzliche Gleichstellung des Mannes mit der Frau aber
findet sich erst bei christlichen Schriftstellern ausgesprochen (vgl.
darüber Marquardt Privatleben der Römer S. 65. Anm. 1).
Eine vorhistorische Bezeichnung des Begriffes ,Ehebruclf, , Ehe-
brecher' (auch agis. ceic-bryce) etc. bat sich bis jetzt nicht nachweisen
lassen. Auch wird man eine solche kaum erwarten können. Wenn es richtig
ist (s. u. Ehe), dass ein sprachlicher Ausdruck für das dauernde eheliche
Zusammenleben von Mann und Weib in der Urzeit nicht bestand, so wird
man noch weniger annehmen dürfen, das» eine deutliche Bezeichnung für
den Einbruch in dieses Verhältnis vorhanden war. Die einzelsprach-
lichen Bezeichnungen des Ehebruchs sind aus verschiedenen Quellen
hervorgegangen. Im Indischen sagt man dafür strisamgrahana- ,Frauen-
ergreifung". Der älteste lateinische Ausdruck scheint nach der griechischen
Übersetzung mit <p9opct o*umctToq (bei Dion. II, 25) etwa violatio corporis
(vgl. M. Voigt Leg. Reg. S. 570 3S) gewesen zu sein. Erst später löst sich
aus dem weiteren Begriff des Jttuprum das adulterium (entlehnt ins ir.
adaltras, Zenas Gr. C. 8 p. 787) ab. Ob dieses Wort, wie schon die Alten
meinten, wirklich mit alter zusammenhängt („sich mit einem andern ab-
gebeua), ist sehr zweifelhaft. Natürlich konnte das Wort nach den
obigen Angaben nur das Vergehen einer Ehefrau mit einem andern Manne,
nicht aber das Vergehen eines Ehemannes mit einer anderen Frau, die
nicht Ehefrau war, bezeichnen (vgl. auch Rein Criminalrecht 8. 836). Im
Griechischen bedeutet uotxö«; (: öjaixtu) , harne', sert. mehati ,mingit',
,seiuen effundit') ganz wie im Germanisehen ahd. huor, altn. hör (vgl.
got. hörn .MOtxöV, ,TTÖpvos') unterschiedslos ,Ehcbrecher', , Ehebruch' wie
auch jede andere Art ausserehelichen Beischlafs. Vgl. noch ahd. ubar-
ligida ,adulterium', ubarligan ,stuprare', agls. forligex , Ehebrecherin' :
forlicgan, eigentl. ,die sich verliegt'. Im Slavischen schafft man Bil-
dungen von ljubü ,lieb' : altel. ljuby ,amor', ,adulterium', ,scortatio',
oder man bedieut sich des Stammes smil- (lit. smailüs ,geil') : altsl.
smillnoje ,adnlterium' ete. Im Armenischen bedeutet tun ,Hund' und
^Ehebrecher' (mal .ehebrechen'), offenbar weil das Tier wie im Indischen
für den Inbegriff der Schamlosigkeit gilt.
Nach alledem ist es wenig wahrscheinlich, dass mau schon in der
Urzeit den Ehebruch, etwa wie den Diebstahl (s. d.), als eiu deutlich
von anderen feindlichen Handlungen unterschiedenes Verbrechen cm-
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Ehebruch — Ehelich und unehelich.
159
pfiiudeii habe. Als das eigentlich unrechte bei einem Ehebruch wird
man nicht die Ausübung des Heischlafs mit der Ehefrau, über dessen
Bedeutung (s. u. Gastfreundschaft u. Zeugungshelfer , man in
der Urzeit andere Vorstellungen wie heute hatte, aufgefasst haben,
sondern den Einbruch in ein fremdes Gebiet, das von dem Hausherrn
nicht gestattete ..Ackern auf fremdem Felde11. Ebenso wie den
Ehebrecher, tötete man den Buhlen, den man bei der Schwester, Tochter
und wohl überhaupt bei einer der Frauen der Hausgemeinschaft fand.
8. u. Kecht und u. Verbrechen.
Ehehindernis, s. Verwandtenheirat.
Ehelich und unehelich. Ob in der Urzeit zwischen den vom
Hausvater t*poti ) mit der Hauptfrau (*potnl-) und den Xebenfrauen
{*geiui-, *gna-) gezeugten Kindern (s. u. Ehe) Unterschiede gemacht
wurden, lässt sich kaum sagen. Sicherlich fehlt jede Spur einer ur-
zeitlichen Terminologie für die Begriffe, welche wir heute mit ziemlich
jungen Ausdrücken als ehelich und unehelich bezeichnen. Es scheint,
dass erst mit dem Aufkommen eines Sklavcnstandcs, das, wie u.
Stände gezeigt ist, chronologisch in die frühesten Epochen der
Einzel Völker fällt, erst mit der Zeit, in welcher zahlreiche Weiber
nnterjochter oder sonst unfrei gewordener Volksbestandteile als Skla-
vinnen und Beischläferinnen (s. d.) in den Häusern der Indoger-
manen zu leben anfingen, Unterscheidungen wie die hier in Frage
stehende notwendig wurden.
Bei den Griechen steht sich, von Homer an, -p/riaio«; und VÖ605
gegenüber. Erstercs, aus *xvr|T-io-q : sei t, jüäti- , Verwandter' (vgl. auch
griech. tviutös (Blutsverwandter', got. knöpft, ahd. chnuot ,Gcschlecht)
bezeichnet den ,ini Geschlecht geborenen', ganz wie der eheliche
Sohn ahd. adalerbo, altn. adalborinn (vgl. J. Grimm R.-A. S. 475) :
uilal »Geschlecht' heisst. Auch lat. liberi und ahd. kind sind von Haus
aus nur die ehelichen, d. h. eben stammhaften Kinder <s. näheres n.
Kind und u. Stände). Cber kriech, vöeoq weiss man nur soviel, dass
es mit dem von Hesych bewahrten vuöö? ,heimlich" zusammenhängt.
Es ist der heimlich geborene Sohn ganz wie altn. laun-barn und Imm-
getinn (a ,secret, sccretly begotten child i. Vgl. auch sert. güdhaja-
»heimlich geboren' (meist von ehebrecherischem Umgang; aurasa- ,ehelich'
von üras- ,Brnst' .[eigner] Leib'; in der vedischen Sprache scheint von
derartigen Ausdrücken nur kunidri-putra- ,Jungfraunsohn' zu begegnen).
Reich an Bezeichnungen, welche dies „heimlich" geboren oder erzeugt
werden sinnlich veranschaulichen, sind die germanischen Sprachen. Am
verbreitetsten ist altn. homungr, agls. hornungmmu, fries. horning,
nach J. Grimm ,der im Horn iangulus) geborene', , Winkelkind'. Dazu
altn. bdtttinqr ,im Stalle (fniss) geboren', hrimngr ,im Walde geboren',
mhd. banchart .Bankert'. ,auf der Bank gezeugt'. Auch das über die
ganze mittelalterliche Welt verbreitete, halb romanische, halb germa-
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160
Ehelich uml unehelich — Ehescheidung.
nische altfrz. bmtard, mhd. bastart scheint einen ähnlichen Ursprung
zu haben (vgl. Kluge Et. W." s. v.). Nicht umschreibende Bezeich-
nungen sind z. B. ahd. lebhkind, altn. frillu-barn, frillu-borinn (: fridla
,amiea'), py-barn, py-borinn (: py ,Sklavin') u. a. Vgl. noch agls. döc
,unehelicbes Kind' (dunkel). Dabei beachte man die häufige Verwen-
dung des Suffixes {iiinga- (auch in ahd. huoriling, Jcebütiling, altn.
skeptingr u. a.), welches sonst der Bezeichnung der Familienzugehörig-
keit dient (vgl. F. Kluge Stammbildungslehre2 S. 12), und also darauf
hinweist, dass die Bastarde mit zu der Familie gerechnet wurden.
Je fester bei den idg. Völkern Europas sich die monogamische Ehe
setzte, umso mehr musste jedes von einem Ehemann nicht mit der einen
Ehefrau erzeugte Kind als unehelich betrachtet werden. Hierbei werden
zahlreiche rechtliche nnd sprachliche Unterscheidungen gemacht. So
unterscheidet man bei den Nordgermanen zwischen Kindern, die aus
offenem Konkubinat mit einer Freien, aus heimlichem Umgang mit einer
Freien und aus Beischlaf mit einer Unfreien hervorgegangen sind (vgl.
Ainira in Pauls Grundriss II, 2, S. 14l>i. Im Lateinischen ist tiothm
(aus griech. vö6o?) der von einem gewissen Vater mit einer Bei-
schläferin erzeugte, spurius (unerklärt; ob zu dem spät bezeugten
spurium aus griech. tfTropd »weibliches Geschlechtsglied ?i der von
einem ungewissen Vater mit einer Buhldirne erzeugte Sohn u. s. w. S.
u. Beischläferin.
Ehelosigkeit, s. Junggeselle.
Ehemann, Ehefrau, s. Ehe, Mann, Frau.
Ehepaar, s. Ehe.
Ehescheidung. Wo die Ehe auf dem Kaufe des Weibes beruht,
pflegt Ehescheidung für den Mann eine Leichtigkeit, für die Frau eine
Unmöglichkeit zu sein (vgl. E. Grosse Die Formen der Familie und
der Wirtschaft S. 114 f.). Ebenso muss es bei den Indogerinanen, bei
denen die Sitte des ßrautkaufs (s. d.) herrschte, gewesen sein, und
die Spuren dieses einstigen Znstandes lassen sich bei den einzelnen
Völkern noch mit grosser Deutlichkeit nachweisen.
Am klarsten liegen die Verhältnisse in den germanischen Volks-
rechten (vgl. Löning Geschichte des deutschen Kirchenrechts II, 617 ff.).
Die Scheidung der Ehe kann hier uur vom Manne ausgehen. Er tötet
oder verstösst die im Ehebruch (s.d.) ergriffene Frau, aber er kann
sein Weib auch ohne Grund entlassen, nur dass er dann zu einem
Schadenersatz verpflichtet ist, ursprünglich aber nicht der Fran, sondern
ihren Verwandten gegenüber. Umgekehrt kann die Ehe unter keinen Um-
ständen von der Frau oder deren Verwandten einseitig gelöst werden,
auch nicht bei Untreue, Krankheit, Impotenz oder Verweigerung der
ehelichen Pflicht von Seite des Mannes. Die Lex. Burg. (W.) XXXIV, 1
bestimmte: Si qua midier maritum sttum, etti legitime iuneta est, di-
miserit, necetur in luto (vgl. auch Weinhold Deutsche Frauen II2, 43 ff.).
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Khvscheidiihg.
161
Altgermanisehe Ausdrucke für Scheidung sind got. af statu* , Abstand'
oder af satein* ^Absetzung', ahd. danatrip, sceitunga, agls. hiw-gedäl,
eigentl. .Eheteilung' u. a. (vgl. J. Grimm R.-A. S. 453).
Überaus konform sind die ältesten römischen Zustünde. Über
Romulus berichtet Plutarch Cap. 22: l8nK€ be Kai vöuou? Tivdq, u>v
aepobpo? uev dativ 6 yuvoiki an. bibou? dTroXei7T€iv fivbpa, yu-
vaka b€ biboüq €KßaXetv im q>apuaK€ia, tc'kvujv P| KXeibwv ünoßoXrj
(Interpunktion nach Ihcring Vorgeschichte der Indoeuropäer S. 420;
anders mit den meisten M. Voigt a. u. a. 0. S. 587 ff.) Kai uoixtuöeToav.
cl b' dXXw? ti^ dTTOTT^MHiaixo, jf\<; ovaiaq auToü tö pev tf\$ -fovatKÖ?
€?vai, rd b€ Tt\q Armnipoq \epöv KcXeücuv (vgl. auch Dion. II, 25 und
dazu M. Voigt Leg. Reg. S. 580 ff.). Es ergiebt sich hieraus, dass
auch im ältesten Rom die Frau niemals den Mann verlassen durfte,
hingegen der Mann die Frau bei schwerem Vergehen {wohl nach
Abhaltung eines iudicium domesticum) Verstössen, sie aber auch ohne
Grund entlassen konnte, in welch letzterem Falle er freilich — und
hier zeigt sich das römische Recht von Anfang an frauenfreund-
licher als das germanische — mit seinem ganzen Vermögen büsste.
Als Gründe strafloser oder besser bussloser Verstossung werden in
unserer Stelle geltend gemacht Ehebruch, Versuch des Giftmords,
Unterschiebung von Kindern und Schlüsseln* (nach Ihcring). Was das
letztere bedeuten soll, ist nicht ganz klar; doch spielen die Schlüssel
beim altrömischen divortium (dem ,sich aus einander wenden'; älter
wohl repudium, ursprünglich nur vom Manne gesagt) auch sonst eine
Rolle. Claves adimere ist ein Ausdruck der XII Tafeln für e.rigere,
&cßaXetv (vgl. Schoell S. 125), ein anderer (nach Büehelers Vermutung
in Fleckeisens Jahrb. CV, 566): haete (,gehe') foras, midier, beide also
nur vom Maune in Beziehung auf die Frau gebraucht. Weiteres s. bei
Marquardt Privatleben I, 67 f. und unten. Beiläufig sei bemerkt, dass auch
in den germanischen Rechten die Rückgabe oder Wegnahme der Schlüssel
als Zeichen der Scheidung gelten (vgl. H. Brunner Z. d. Savigny-Stiftuug
Germ. Abt. XIX, 138 f.. Amira in Pauls Grund riss II, 2, 142).
Milder ist der Stand der Dinge in Athen (vgl. J. Müller Privataltcrt. 2
S. 152). Doch ist auch hier noch die Ehescheidung (dTTÖTrcuHnq, dtro-
Xcujn;) dem Ehemann ungleich leichter gemacht als der Frau. Der
Mann konnte ohne weiteres die Frau Verstössen, nur niusste er die Mitgift
herausgeben und event. für den Unterhalt der Verstossenen sorgen.
Die Frau hatte hingegen eine wohl begründete schriftliche Klage bei
dem Archon einzubringen. Auch nach dem gortyuischen Recht war
eine Scheidung von Seiten der Frau möglich, wie schon der hier ge-
brauchte Ausdruck biOKpiveöOai ,sich scheiden' zeigt (vgl. Büchclcr und
Zitelmann Das Recht v. Gortyn S. 118 47 ff.).
Eine wirkliche Gleichstellung des Mannes und der Frau wurde
erst durch das spätere römische Recht (vgl. Löning a. a. 0. S. 613 f.)
Schräder, Rcallexlkon.
11
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162
Ehescheidung — Eibe.
angebahnt , nach dein ausser durch gegenseitige Übereinstimmung
der Ehegatten die Lösung der Ehe möglich war „durch einseitige
Scheidung aus einem rechtmässigen Grunde, der in einem Vergehen
des andern Ehegatten bestand" (Ehebruch bleibt indessen, nur wenn
von der Frau begangen, Scheidungsgrund). Von hier ans hat sich diese
Auffassung allmählich in Europa weiter Bahn gebrochen. — In der Ur-
zeit war demnach die Frau mit ehernen Banden an den Mann gekettet,
und die Vermutung liegt nahe, dass die wiederholte Anführung von
Giftmordversuchen (<papuaKeia s. o.) oder anderen Lebcnsnachstellungen
seitens der Frau als rechtsgiltiger Scheidungsgrund für den Mann in
diesen Verhältnissen ihre Ursachen hat. In Rom sollen im Jahre 329
v. Chr. 190 Matronen ihre Männer vergiftet haben (Marquardt S. 67
a. a. 0.), auch in den germanischen Volksrechten ist oft von Nachstellung
der Frau nach dem Leben des Mannes die Hede (vgl. Löning a. a. O.
S. 021), und wenn Caesar De bell. gall. VI, 19 von den Galliern er-
zählt, dass wenn ein vornehmer Familienvater in verdächtiger Weise
gestorben sei, gegen seine Weiber wie gegen Sklavinnen eine Unter-
suchung angestrengt werde, so werden auch hier ähnliche Ursachen
und ähnliche Wirkungen vorliegen, d. h. die Unauflöslichkeit ihrer
Ehe wird der Frau oft den Giftbecher für den Mann in die Hand ge-
zwungen haben.
Sehr schwierig ist es, sich über die Ausübung des tyägä- ,der Ver-
stossung des Weibes' im ältesten Indien ein sicheres Urteil zu bilden,
wofür auf Jolly Recht und Sitte S. 04 ff. verwiesen sei. Auch reichen
unsere Nachrichten über die alteuropäischen Verhältnisse aus, um, wie
es oben geschehen ist, den indogermanischen Zustand zu rekonstruiren.
Ein fester Terminus für die in der Urzeit demnach allein mögliche
Verstossung der Frau durch den Mann wird damals noch nicht vor-
handen gewesen sein. Die gewöhnlichen Ausdrücke für , verjagen' n. s. w.,
vielleicht Formeln, wie die oben genannte altrömische: „Weib, gehe
hinaus!'', werden hingereicht haben, um den natürlich nur die Familie
des Verstosscnden und die Sippe der Verstossenen angehenden Akt zu
bezeichnen. Ein noch dunkler altsl. Ausdruck für die verstosseue
Gattin ist potlpega, nur dass man als ersten Bestandteil das idg. Wort
für den Ehemann (,*;;o/i-, 8. u. Ehe) vermuten kann.
Eheverbote, s. Verwandten che.
Ehrfurchtserwei.snng, s. Gruss.
Elbe. Die europäische Ostgrenze von Taxus baccata L. ent-
spricht im grossen und ganzen der der Buche (s. d.). „Die Grenz-
linie ihrer Verbreitung verläuft von den Alands-Inseln durch den
westlichsten Teil Estlands und Livlands, steil nach Süden, ferner
durch das Gouvernement Grodno. Wolhvnien. Podolicn und Bessarabien(9).
Jenseits der Steppe wächst sie in den Gebirgen der Krim und des Kau-
kasus" (Köppen Holzgewächse II, 378). Der Baum ist wegen der vor-
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Eibe - Eibisch.
trefflichen Beschaffenheit seines Holzes für Schnitz werk aller Art in
Europa sehr frühzeitig geschätzt gewesen, und schon in den Mitesten
Pfahlhauten der Schweiz wie auch in denen Österreichs (vgl. Much
Kupferzeit* S. 342) haben sich Bogen, Messer, Kämme, Fassungen von
Feuersteinsägeu u. s. w. aus Eibenholz gefunden. Diese Verwertung
des Baumes spiegelt sich auch in der Sprache ab.
Lateinisch heisst der Baum ta.rus, das sich mit dem griech. xö£ov
, Bogen' in der Weise vereinigt, dass beide zu der idg. Wurzel teks
,kün$tlich verfertigen' gehören i griech. t€ktu>v, altsl. tesati ,hauen'; s.
auch u. Dachs). Die Grundbedeutung von töEov taxus wäre demnach
etwa ,Schnitzholz*. Ebenso bedeutet altn. yr und ir. ibhar, ibar, jubar
,Eibe' und .Bogen'. Vgl. noch schwäb. aip , Armbrust* und nhd. eiben-
8chiitze. Wie ta.rttx : teks, so gehört griech. (J\\\\o<;, ufto? ,Taxus-
baum' mit crimiXri ,Schnitzmesser' zu einer Wurzel stnei .künstlich ver-
fertigen' (nhd. geschmeide, schmieden).
Auch als Gift bäum fand die Eibe frtlh Beachtung. Vgl. Caesar De
bell. gall. VI, 31 : Catuvoleux, re.r dimidiae partis Ebu ronum (letzteres
: dem oben genannteu ir. ibharY) ta.ro, cuiux magna in Oalli/t Ger-
maniaque copia est, se exanimarit.
Die Terminologie der Eibe bietet noch manche Dunkelheiten.
Durch ganz Nordeuropa zieht sich ein gemeinsamer Ausdruck, der im
Osten aber in andere Bedeutungen ausweicht : ir. eo, kymr. yv, korn.
hicen, hret. ivin, ahd. iwa neben iha, agls. iw neben eoh — mlat. ivus,
frz. if — altpr. invis ,Eibe', lit. jewä , Faulbaum', slav. im ,Weide'.
»So viel man bis jetzt sehen kann, scheint die Sippe im Germanischen
zu wurzeln (ahd. iha, Schweiz, ige, alts. ich, agls. eoh im grammatischen
Wechsel zu agls. iw, ahd. iwa, *t qo- : *iqö-). Dann aber mtlsste das
keltische uud slavischc Wort aus dein Deutschen stammen, was auch
seltsam wäre. Merkwürdig ist ferner, dass das Slavischc, obgleich es
nur teil weis (s. o.) in das Verbreitungsgebiet der Eibe fällt, doch einen
gemeinsamen Namen des Baumes, tisü, aufweist. Dieser kann seines
Vokales wegen nicht mit lat. tn.cus zusammenhängen, vielleicht liegt er
aber dem ahd. dihxala, lat. temo {Heicsmo-) , Deichsel' zu Grunde,
wenn man die Deichsel (s. d.) als aus Eibenholz gefertigt auffasst. Lit.
iglius ,Eibe' : altsl. jel.d)la ,Tanne'. S. u. Wald, Waldbäume.
Eiblsfh (Althaea officinalh L.). Die Pflanze war ein schon im
Altertum hochgeschätztes Heilkraut, daher von Theophrast an (uebcu
uotXäxn ärrpia) äX8aia : äXGiu, äXGcuvuj ,hcile' genannt. Später tritt
das griech.-lat. X§\OKO$-hibiscum (dunklen Ursprungs) auf, das zugleich
wohl mit der Verwendung der Pflanze ins Deutsche (ahd. ibisca, mhd.
tbische ,Eibi8ch') überging. Die romanischen Sprachen bedienen sich
einer Znsammensetzung von malva und ibiscum : it. malva-vischio,
frz. guimauve = *ivimauve etc. In diesen Kreis gehört auch das
< wohl verschriebene) mismalvas des Capitulare LXX,50. Ebenso benennen
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164
Eiche — Eichhorn.
die Slaven die Pflanze meistenteils nach der Malve (tslezü), wie man
auch im Deutschen weiszpapel und grote pepele (». u. Malve; sagt.
Der Eibisch soll iu ganz Europa mit Ausnahme des Ostens und Nordens
vorkommen (vgl. v. Fischer-Benzou Altd. Gartenfl. S. 63). - Andere Heil-
pflanzen 8. u. Arzt.
Eiche. Für die Gattung Quercus giebt es drei Reihen sprach-
licher Übereinstimmungen, die sich sämtlich auf Europa beschränken.
Erstens: lat. quercus = ahd. forha urspr. ,Eichc' (vgl. ahd. vereh-
eih, longob. fereha), dann ,Föbrc\ Mit ahd. forha hängt ferner got.
falrguni »Gebirge' zusammen, cigcntl. ,Eicbwald' (ahd. Virgunnüi, der
Virgunt, die Böhmen umfassenden Gebirge*, und, wenn lat. querem
mit H. Hirt I. F. I, 479 f. als aus *perqu (vgl. lat. quinque : griech.
tt€vt€, sert. ptiilca) entstanden anzusehen ist, auch die Hercynia silca
der Alten (urspr. die Alpen, incl. des deutschen Mittelgebirges, dann,
als seit Herodot für erstere die Bezeichnung Alpe« sich ausbreitet,
Schwarzwald, Odenwald, Spessart, Thüringer-, Frankenwald u. 8. w.,
keltisch Hercynia aus *perqunia\ anders R. Much Festschr. f. Heinzel
S. 205 ff.). Über lit. Perkünas und sert. Parjdnya, die nach Hirt a. a. 0.
,Eichcngott' bedeuten würden, s. u. Gewitter und Religion. Zweitens
(für die Frucht der Eiche, die Eichel): griech. ßdXavo? = lat. glam,
altsl. ieladi (armen, kaiin ,Eichel', kalni ,Eiche'). Drittens: ahd. eih
(auf Island ,Baum') = griech. alriXunii ,species roboris', cuYavdn. ,der
(eichene) Speer', alyi? ,der (eichene) Schild des Juppiter', lat. aesculus
aus *aeg-8culus.
Eine vierte ausserordentlich weit verbreitete Sippe geht zwar über
die Grenzen Europas hinaus; doch lässt sich kaum mit Sicherheit ent-
scheiden, welche der drei in ihr wiederkehrenden Bedeutungen ,Baum',
,Eiche', ,Fichte', die ursprüngliche ist: sert. aw. dru- ,Baum', altsl.
drüvo ,Holz', alb. dru ,Holz, Baum', griech. opü? ,Eiche' (ahd. trog
,hölzerucs Gefäss') — altsl. drevo (*derto-) ,Holz', got. tritt {*drevo-)
,Baum', lit. derwä ,Kieuholz', mhd. zirbe, zirbel ,Zirbelfichte', altn. tyrr
, Föhre' (ndl. teer, altn. tjara) — sert. dä'ru- ,Holz', deca-däru- ,Fichte',
aw. däuru- ,Holz' (griech. böpu ,Speer'), Auupiq ,Holzlaud', maked.
bdpuXXo? ,Eiche', ir. dairy daur ,Eiche', lat. larLr {*darix) ,Lärchef.
Im Slavischen heisst die Eiche dabü = ahd. zimbar ,BauhoIz\ Lat.
röbur und lit. duhtlas sind dunkel. Griech. <pr|TÖ? s. u. Buche. —
S. auch u. Wald, Wald bäume. Über die Eiche im Kultus s. u. Tempel.
Eichelnahrung, 8. Obstbau und Baumzucht.
Eichhorn. Das Tierchen wird früher in der lateinischen Ent-
lehnung seiürus (Varro) als in dem griech. Original OKioupoq (Oppian)
genannt. Die Stelle bei Oppian Cyn. II, 586 lautet:
X€ITTU) KOtl Xdt0"lOV T^VO? OUTlbaVOlO 0*K10ÜpOU,
ö<; (Set vu toi Oc'pous ucadTOii <pXoY€prjcn Iv äipai?
oüpn.v dvT€'XX€i Ok£tt<x<; auiopöqpoio ^Xdepou.
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Eichhorn — Kid.
165
Wie aus diesen Versen hervorgeht, deuteten die Alten ihr aicioupos
als das Tier, das sich mit dem Schwanz (oüpä) Schatten (tfKiä) zuwedelt;
doch liegen diese Bestandteile kaum von Hans aus in dein Wort, das
vielleicht aus einem dem ahd. .setri ,schneH' entsprechenden griech. Wort
volksetyniologisch verstümmelt ist. Auch die germanischen Ausdrücke
ahd. eihhorn, agls. deweorna, altn. ikome (aber eik , Eiche') haben wohl
von Haus aus nichts mit eiche — der gewöhnliche Aufenthalt des Tieres
sind vielmehr Nadelwälder — und sicher nichts mit hörn zu thun.
Wir haben wohl eine Diminutivbilduug, vielleicht von einem einfachen
Adjektiv wie *aikva-, *ikva- (: sert. t'j ,sich bewegen') mit der Bedeu-
tung schnell', .behend' vor uns (anders R. Much Z. f. deutsches Altert.
XLII, 166; vgl. auch H. Palander Die ahd. Tiernamen S. 66).
Slavisch heisst das Tier altsl. veterica (altpr. iceware, lit. wowert).
Hieraus wird, als auf den Wegen des Pelzhandels entlehnt, lat. viverra
, Frettchen' erklärt, das einmal bei Plinius vorkommt. Vielleicht erweist
sich das slavische Wort durch Vergleichung mit den keltischen ir.
feoragh »Eichhörnchen', kymr. gveywer, bret. gwiber (^vecer-) id. als
vorhistorisch. Vgl. noch slav. belka : belü ,wci8s\
Im äussersten Nord- Osten Europas gilt das Fell des Eichhörnchens
als Geld oder Tauschmittel. Russ. belka ist eine Art alter Münze,
in mehreren ural-altaisehen Sprachen werden die russischen Kopeken
mit Namen des Eichhörnchens benannt. Im Wogulischen heisst der
Rubel set-Hn = 100 Eichhörnchen. Schliesslich ist auf russ. vekm
jEichhörnchen' zu verweisen, das ebenfalls in» Altrussisehen eine Art
Tauschmittel bezeichnet und für orientalischen Ursprungs gehalten wird
(vgl. Miklosich Et. W.). S. u. Geld.
Eid. Die Bekanntschaft der Indogermancn mit diesem für die
Religions- und Rechtsgeschichte gleich wichtigen Begriff wird durch
die Gleichung sert. am (vgl. Aufrecht Rhein. Mus. XL, 160) =
griech. öjivuui, ital. omn- (osk. urtam lüsd paam omhnfajvt quasi pro-
raissum solvit, quod voverat, pälign. omnitu ecue elusuist votum hoc
«olutum est iussu Uraniae; vgl. Büchclcr Lex. lt. XVIII) erwiesen.
Hierzn treten ergänzend die slavisch-armenische Reihe : altsl. rota ,Eid'
= armen, erdnum ,schwöre' (osset. ard ,Eid') und die keltisch-germa-
nische: ir. öeth = gemeingerm. got. aips. Auch aus gemciukelt. ir. luige
,Eid' : got. liugan »heiraten' (vgl. ahd. eidum ,Schwiegersohn' : ahd.
eid) scheint sich eine alte Bezeichnung unseres Begriffes folgern zu
lassen. Die Wurzelbedeutung aller dieser Wörter ist noch nicht sicher
ermittelt (zu ir. öeth, got. aips vgl. Osthoff B. B. XXIV, 199\
Deutlicher legt das Ei nzclspr achliche von der Natur des ältesten
Eides Zeugnis ab.
Schwören ist zunächst soviel wie fluchen, sich verfluchen für den
Fall, dass man die Unwahrheit sagen oder etwas Versprochenes nicht
thun sollte. Dies zeigen sert. capdtha-, cäpana-, $aptd~ , Fluch, Schwur' :
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Wi Eid.
sert. $ap ,fluchen', Med. ,sicb fluchen', ,scbwören' und altsl. Jcl^ti, altpr.
llantit ,fluchen', altsl. Mqti schwören' (vgl. auch lat. ea-aecrari :
sacramentum, engl, oath ,Schwur\ ,Fluch', steear ,fluchen, schwören';
weiteres bei Osthoff a. a. 0.). Diese Selbstverwünschuug wird mit
feierlicher und pathetischer Stimme ganz wie ein Zauberspmch (s. u.
Dichtkunst, Dichter) vorgetragen. Hiervon scheint die gemein-
germ. Sippe von got. atearan, sicör ,schwörcn' hergenommen zu sein,
deren Grundbedeutung (vgl. auch altn. scara »antworten', agls. and-
sicaru , Antwort') wohl war ,mit lauter, halbsingender Stimme etwas
äussern". Etymologisch vergleicht sich sert. svdra-, tsvdrä- »Ton, Schall,
Stimme' und urkelt. *xuerö ,singe' (ir. »ibrase gl. modulabor, sirecht
,Melodie', auch lat. *u*urru*\ vgl. Stokes ürkelt. Sprachschatz S. 323).
Dabei ist es wesentlich, dass man einen Gegenstand berührt, der
einem im Falle des Trugs Verderben bringen oder Verderben leiden
soll (s. u.). Schwören ist daher auch soviel wie berühren, wie ir. tong,
kymr. tyngu ,schwörc' : lat. tango und altsl. prisqga .Eid', prisqgati
,schwören' : pris^gnqti , berühren' (vgl. Miklosich Denkschr. d. Wiener
Ak. phil.-hist. Kl. XXIV, 44) zeigen. Auf die Bedeutung des Eides
als eines Rechtsmittels weist lat. iiirare, iiiramentum, ius iürandum
: ins hin :>. u. Recht), und auch schwed. lag ,Gesetz' kann schlechthin für
,Eid" gebraucht werden. Noch keine sichere Erklärung hat das griech.
ÖpKoq ,Eid' gefunden. Es bezeichnet zunächst den Gegenstand, bei
dem man schwört (Xtuyös übwp öo"T€ mc'tkJto? öpKO? TTAei), und ist
vielleicht ebenfalls mit dem oben genannten sert. sear ,töncn, besingen'
(cFop-KO-?) zu verbinden, während es andere mit £pKoq vereinigen uud
als »Schränke* deuten möchten, „durch die man gehalten sei, etwas zu
thun". Für die letztere Auffassung könnte man sich auf alb. be .Eid*
= altsl. beda ,Not. Zwang' berufen.
Wenden wir uns zu den historischen Nachrichten, so ist der ger-
manische Eid auf einer sehr primitiven Stufe stehen geblieben, wenn
derselbe von Amira in Pauls Grundriss II, 2, 193 richtig charakterisiert
wird: „Der Eid ist Gewährleistung für die Verlässigkeit des eigenen Wortes
durch Einsatz eines Gutes für dessen Wahrheit. Diese Gewährleistung
geschieht durch formelhaftes, ursprünglich zauberisches Reden, das
„Schwören". Dass dabei die Gottheit angerufen („beschworen") werde,
ist dem heidnischen Eide nicht wesentlich. Es geschieht nur dann, weun
der Verlust des eingesetzten Gutes bei „Meineid" gerade durch die
Gottheit bewirkt werden soll. Auch in diesem Falle ist aber dem Heidentum
die Vorstellung fremd, dass die Gottheit als Schützerin der Wahrheit den
falschen Eid bestrafen werde. Man pflegte ebenso wie eine Gottheit,
und öfter noch, Sachen zu „beschwören", z. Ii. die eigenen Waffen,
das eigene Schiff, das eigene Ross. Dort wie hier soll das Leben des
Schwörenden eingesetzt sein, dort die Gottheit, hier die Waffe, das
Schiff, das Ross ihm den Tod bringen, wenn der Eid falsch ist." Vgl.
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Eid.
167
näheres bei Vigfnsson Corpus Poetieum Boreale I, 422 ff. Als Beispiel
eines altgermanisehen Eides sei der in der Völundarkvipa von Völund
(Wieland) geforderte angeführt:
„Erst sollst Du mir alle Eide schwören
bei des Schiffes Bord und des Schildes Rand,
bei der Schneide des Schwerts und dem Schenkel des Rosses,
dass du Völunds Gattin nicht Weh bereitest (Gering).
Auch den indischen Eid behandelt Oldenberg Die Religion des
Veda S. ;>20 mehr unter dem Gesichtspunkt der Zauberei als unter
dem der Religion: „Der Eid ist ein Fluch, den man gegen sich selbst
richtet, sofern man sein Wort brechen wird oder sofern man die Un-
wahrheit gesagt hat. Man setzt sein Leben, der Seinigen Leben, seine
Lebensgüter im Diesseits und Jenseits — eventuell auch irgend welche
bestimmte unter diesen Gütern — für die Wahrheit seines Wortes ein;
mit der Formel, welche das Unglück auf die eigene Person herabruft,
können sich Geberden oder symbolische Akte verbinden, in welchen
eich ein die feindlichen Mächte herbeiziehender Zauber darstellt."
Unter diesen tritt besonders der Gestus des sich selbst Berührens
hervor, durch den die bösen Mächte auf das Haupt des Schwörenden
gelenkt werden sollen. Nach der späteren Littcratur soll der Kshatriya
bei seinem Wagen, seinem Reiltier, seinen Waffen schwören. Dabei
soll er diese Dinge berühren und sagen: „Mögen sie für mich nutzlos
werden". Nur der Brahmane soll bei der Wahrheit (mtydm) den Eid
leisten, worin Oldenberg a. a. Ü. S. Ö2U6 mit Recht „eine relativ
moderne Vergeistignng des Eides" erblickt. Als Zeuge wird zwar schon
in einem alten vedischen Vers der Gott Varuna angerufen: aber diese
Anteilnahme der Himmlischen ist doch weit davon entfernt, einen
wesentlichen Bestandteil des altindischen Eides auszumachen.
Anders bei Griechen und Römern, deren Eide schon in der ältesten
historischen Zeit eine geläuterte Gestalt zeigen. Bei beiden Völkern
müssen die Götter angerufen werden, sowohl um als Zeugen des aus-
gestossenen Fluches gegenwärtig zu sein, als auch, um ihn im Falle des
Meineids zn vollstrecken. So schwört man bei Homer z. B. II. XIX, 258:
ujtu» vOv Zeu; rrpurra, Scdiv imaToq Kai äpio"roq,
Vf\ tc Kai 'HAio^ Kai 'Epivucs, a't'8' Otto fdxav
dv6pujTrou? Tivimai, önq K^mopKov ö\iooar).
€i bi ti xdivb' dmopKov, ^uoi 9c oi fiXf€a boicv
TToXXa udX', ö<xaa biboüffiv öti? o*<p' äXmyrai öuöaaa?,
oder II. III, 276, wo Agamemnon sagt:
Zeu TTöVrep, "IbnGcv M€Öewv, KÜbiCic, ucfiöie,
'HcXiöq 6', irdvr ^qpopdq Kai Ttavt* ^ttokouci^,
Kai TTotapoi Kai Tala, Kai oi uTre'vcpOe KauövTa^
dvOputmous tivuo"0ov, öti^ K^mopKOv dpöo*o*rj,
Üp€l? UÖpTUpOl &JT€, (pu\da0*£T€ b' ÖpKia TTKJTd,
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168
Eid.
und die Achaeer im Hiublick auf den beim Eidopfer ausgegossenen
Wein hinzufügen:
Zeö Kubicrre u£tio-t€, Koü dedvaTot Geoi dXXoi,
ÖTTTTÖTepot irpötepoi ünep öpKia rnmnveiav,
iLbe* o"q>' dtK^cpaXoq xaMO°l? 0€ot uu? öbe olvoq,
auTÜ»v Kai TeKe'uuv, äXoxoi b' äXXouJi bapeiev.
Auch Berührungen seitens der Schwörenden sind bei den Griechen
von Homer an ganz gewöhnlich. So soll II. XXIII, 580 ff. Archilochos
dem Mcnclaos schwören, dass er ihn beim Wagenrcnneu niciit vor-
sätzlich übervorteilt habe. Er soll dabei vor sein Gespann treten, die
Peitsche in die Hand nehmen, die Pferde berühren und bei Poseidon
den Eid leisten. Der zu Grunde liegende Gedanke ist gewiss auch
hier, dass im Falle des Meineids Unheil auf die Häupter der Pferde
herabgeleitet werden soll, oder dass sie ihrem Besitzer Verderben bringen
mögen. Auch bei seinen Waffen, seiner Lanze, seinem Schwert schwört
der griechische Held wie der germanische und indische und in dem
gleichen Sinne (vgl. Sittl Gebärden der Griechen und Römer S. 139*). —
Nicht weniger wird in den alt-römischen Eidesfonuulierungen
Jupiter ständig als Zeuge und Vollstrecker der von den Göttern ver-
hängten Strafe des Eidbruches herbeigerufen. Vgl. z. B. Liv. I, 24, 8:
Jitppiter popuhim Romanum sie ferito, ut ego hunc porcum hic
hodie feriain tantoque magix ferito, quanto magis pote* pollesque.
Indessen ist gerade auf römischem Boden eine weitaus ältere Eides-
formel bezeugt. Aus Anlass der Handelsverträge zwischen Karthagern
und Kömern teilt Polybius III. 25, 6 ff. (vgl. dazu C. Wunderer Philo-
logus N. F. X, 1^0 ff.) die Eide mit, welche dabei gesprochen wurden:
Töv be öpKov öuvueiv e*bei toioötov, Kapxnbovious uev tou<; 6eouq tou$
iraTpujous, 'Pwuaiouq be im uev tujv TTpamnv öuvenKiwv biä Xi9ujv
(so die besten Handschriften) Kard n TraXaiöv iQoq, im be toutujv
töv vApnv Kai 'EvudXtov. fern be tö bid Xi6u>v toioötov Xaßibv elq
Tf)v X€'Pa Xi6ov 6 TTOioüuevos Td öpKia irepi tujv o*uv6r|Ka»vt direibdv
ö|aöo"»i bripoo'ia matei, Xerei Tabe ■ eöopKOÖvri uev uot ein, t' draSd * el
b' dXXw^ biavor|8eir|v ti f| npdEaiui, rrdvTiuv tujv äXXwv o'wZoue'vuiv e*v
Tai^ ibiai? iraTpiöiv, iv toi? ibioi£ vöuoi«;, im tüüv ibiwv ßiiuv, Upwv,
Tdcpuuv, etuj udvo? dKrre'aoiui oütu)? öbe Xiöo? vuv. Kai
Tauf eirtduv ^iuTei töv X(6ov eK th? xopö?. Es werden hier also
aufs deutlichste zwei römische Eidesformeln unterschieden, eine jüngere
m i t Anrufung der Götter (des Mars und Quirinus) und eine ältere,
ohne solche, tö bid Xi9ujv genannt. Der Schwörende nimmt einen
Stein in die Hand und erklärt, er wolle so wie dieser Stein fortge-
schleudert werden (e"KTreo"oiui), wenn er sein Wort breche, d. h. er ruft
im Falle seines Meineides das schwerste Geschick, welches jemanden
in alten Zeiten treffen kann, auf sich herab, die Ausstossung aus dem
Stamm ts. u. Strafe). Noch nicht völlig aufgeklärt ist der Zusammen-
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Eid — Eidechse.
109
hang, in dem diese letztere Art des Schwüre» mit der von Cicero an
bezeugten Wendung Iocem lapidem iurare (vgl. Wunderer a. a. 0.)
steht. Charakteristisch bleibt jedenfalls für die von Polybius über-
lieferte Eidesformel biet XiGurv, dass „hier der Gedanke, der Meineidige
werde von Zeuss getroffen, noch ganz fehlt". — So ergiebt sich der
älteste Eid auf idg. Boden als ein Fluch, den man für den Fall des
Meineides gegen sich selbst ausspricht, als ein Zauber, den man gegen
sich selbst herbeiruft. Man berührt dabei sieh selber oder einen anderen
Gegenstand in dem Gedanken, dass das Berührte, wenn man falsch
schwöre, dem Verderben ausgesetzt sein oder Verderben bringen solle.
Auch andere symbolische Handlungen dieser Art (Steinwurf, Tötung
eines Opfertieres, Trankausgiessung) nimmt man dabei vor. Die Götter
aber ruft man noch nicht als Zeugen oder Vollstrecker des
Eides an, ans dem einfachen Grunde, weil man sie noch nicht als
ethische Persönlichkeiten und vor allem noch nicht als Hüter ewiger
Wahrheit kennt (s. u. Religion).
Der Eid tritt, wie aus dem obigen hervorgeht, bei den idg. Völkern vor-
nehmlich bei Vertragsabschlüssen mit anderen Völkern und Stämmen
hervor. Dies gilt auch von den Slaven, bei denen schon in dem Ver-
trag des Oleg vom Jahre 911 zwischen Griechen und Russen bestimmt
wird, dass jeder nach seinem Glauben schwören solle (vgl. Ewers Das
älteste Recht der Russen S. 132). Auch als juristisches Beweismittel
wird der Eid früh benutzt worden sein. Als solches schreibt ihn
bereits das Gesetzbuch des Manu ( VIII, 109 f. cd. Bühler) vor: nIf
two {parties) dispute about matters for tthich wo witnesses are acai-
lable, and the \judge\ is u nable to really asce.rtain the truth, he
may cause it to be dhcocered even by an oath. Both by the great
sagen and the gods oaths have been täken for the purpose of (deci-
dlng doubtful) matters; and Vasishfha even swore an oath before
king (Sudd*), the son of Pijavana." Doch scheint es, dass hier der
Eid mit einem andern uralten Beweismittel, dem Gottesurteil (s.d.),
zusammenflicsst. Über die bei einigen idg. Völkern begegnende Sitte,
auf einen Ring den Eid zu leisten, und über Ringfunde dieser Art
vgl. den Aufsatz Die Eid- und Schwurringe bei den arischen Völkern
Olobus XIII, 329, XIV, 176 ff. (über den altn. baug-eidr vgl. auch
Vigfusson a. a. 0.). Einen Vergleich zwischen dem Eid der idg. Völker
mit dem der Juden zieht Leist Gräeoitalische Rechtsgeschichte S. 74 f.
(vgl. auch S. 227 ff.), dem wir nur zum Teil folgen können.
Eidechse. Tier mit reicher, aber noch vielfach dunkler, keine
Spur von Verwandtschaft verratender Terminologie. Griech. aaüpa,
tfaupoq (: aouXö? friedlich'?), -rriYTa^ (lies. : sert. pingala- ,brannf), dt-
<jKdXu)ßo?, 0*KaXoßujTr|q, ku)Xu»tti^ (: ku»Xov .Glied' V), x«MS; Zifvis, burvi?;
lat. steüio {'.Stella, etwa ,gestirnt'V oder aus *ster-lio mit altsl. ja-
Merü .Eidechse', altpr. e-stureyto id. vereinbar?!, lacerta (: lacertus
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Eidechse — Eigentum.
,Muskel"?), scincus', ahd. egi-dehsa (weiteres bei Kluge Et. W.6), agls.
efeta (engl, netet aus an eict); lit. drüz'as. Dunkle keltische Namen
vgl. bei Zeuss Gr. Celt. 8 p. 1075. Auf Entlehnung beruht die Reihe:
hehr, sab ,eine Eidcchsenart', gricch Or\\\> ,giftige Sehlange' und .eine
Eideehsenart', lat. seps, alb. sapl ,Eidechse' (vgl. G. Meyer Et. W.
S. 399 und Lewy Semit. Fremdw. S. 14). Eiu iouisch-griechiseher
Name der Eidechse war nach Herodot II, 69 KpoKÖbeiXo? (: KpÖKO?
,Sairan' nach der Farbe'?.», mit dem die Hellenen aber das Krokodil
benannten, als es ihnen in Ägypten bekannt wurde. Die Ägypter hätten
nach Herodot die Tiere x<*uyai genannt; doch ist der altägyptische
Name meshu. Über xaucuXeiov, ebenfalls eine Eidechsenart, vgl. Lewy
a. a. 0. S. 14. — Als die Kunde von Krokodilen, Flusspferden und von
anderen ausländischen und im Wasser lebenden Ungeheuern zu den
germanischen Völkern drang, benanuten die letzteren sie mit einem
gemeingerm. Ausdruck ahd. nihhus, agls. nicor, altn. nykr ,Nix', der
in der germanischen Urzeit einen märchenhafteu Seegeist in tierischer
Gestalt bezeichnet hatte.
Eigenname, s. Name.
Eigentum. Da der Grund und Hoden (sert. btidhnä- = grieclu
iru8nnv, 'at- fundus, ahd. bodam), wie u. Ackerbau gezeigt ist, bei
einzelnen idg. Völkern noch bis tief in die historischen Zeiten der
Sippe, bezüglich dem Stamm nngehört hat, so kann sich der Begriff
des Sondereigentums bei den Indogennanen nicht an der „liegenden",
sondern nur an der „fahrendeu" Habe (sert. dräcina- : dru , laufen',
lat. res möbilea, griech. äqxxvn.? : <pavepd ,res immobiles', nihd. varnde
guot, Ines, drivanda and dreganda; vgl. J. Grimm R.-A. 8. 564),
vor allem also an dem Viehstande, entwickelt haben. In sehr charakte-
ristischer Weise ist denn auch die älteste technische Benennung des
Privat Vermögens im Lateinischen peeiinia ,Vichstand' und familia
,Häuslerschaft', beide zusammen oder jedes für sich (vgl. Mommsen
Staatsrecht III, 1 S. 22). Auch das Haus wird in der ältesten Zeit, wie bei
den Germanen (vgl. Much Z. f. deutsches Altert. XXXVI, 121), mit zur
„Fahrnis" gerechnet worden sein, nicht weil es gefahren wurde, sondern
wegen seiner leichten, schnellen Abbruch gestattenden Bauart. Endlich
lässt sich anch auf rechtsgeschichtlichem Wege zeigen, dass es ur-
sprünglich einen Eigentumsbegriff hinsichtlich des Grund und Bodens
nicht gegeben hat; denn die ältesten Formen des Eigentuinsprozesses
haben sich sichtlich an Fahrnis entwickelt, und sind von hier erst auf
den Liegenschaftsprozess übertragen worden (vgl. Leist Altar. Ins civ.
II, 297).
Aber auch hinsichtlich der fahrenden Habe muss für die Ur-
zeit der Begriff des Sondereigentums mit Einschränkung verstanden
werden. U. Familie ist ausführlich dargethan worden, dass wir für die
idg. Urzeit nicht von der Sonder-, vielmehr von der Grossfamilic oder
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Eigentum.
171
Hausgemeinschaft auszugeben haben. In einer solchen aber, mögen
wir uns nun nach Indien (vgl. Jolly Recht und Sitte S. 76) oder zu
den südlichen Slaven (vgl. Kranes Sitte u. Brauch der Stiels!.) wenden, wo
diese Hausgemeinschaften noch lebendig sind, gehört die ganze Habe
nicht dem einzelnen, sondern der Gesamtheit der Familienglicder,
wenigstens der männlichen, an. Ebenso muss es in der idg. Urzeit
gewesen sein. Das Vieh, die Wirtschaftsgeräte, der Wirtschaftsertrag,
kurz alle Habe (sert. r£-, rd- ,Gut, Schatz, Reichtum' = lat. res »Be-
sitztum, Vermögen', z. B. in rem auger e\ sert. dpnas- ,Ertrag, Besitz,
Habe' = griech. ftpvoq, ftpevot Reichlicher Vorrat') muss Gesamt-
eigentum gewesen sein, über das der jedesmalige *poti- des Hauses
(s. u. F a m i 1 i e) ein in der ältesten Zeit wohl wenig beschränktes
Verwaltungsrecht übte. Wirkliches Privateigentum werden in der
Urzeit daher nur Dinge wie für den Mann die Kleider und Waffen (mhd.
hergeica>te}, für die Frauen die Kleider und der Schmuck (mhd. frauen-
rade) gewesen sein, ein Besitz, der in der Urzeit Uberhaupt nicht
vererbt, sondern nach uraltem Brauch <s. n. Bestattung) dem Toten
ins Grab mitgegeben wurde. Aus diesem mit dem Toten begrabenen
oder verbrannten Fahrnis ist das hervorgegangen, was in den germa-
nischen Rechten als Tot enteil (dead mann part) bezeichnet wird,
und in christlichen Zeiten sich zu dem der Kirche gebührenden Seel-
gerät oder Seelschatz umgestaltete (vgl. H. Brunner Das Totenteil in
germanischen Rechten Z. d. Savigny-Stiftung XIX, 107 ff. Genn. Abt.). —
Substantivische Bezeichnungen für die Begriffe des Eigentums und
Eigentümers waren in der Grundsprache offenbar nicht vorhanden (vgl.
auch Bernhöft Z. f. vergl. Rcchtsw. I, 10). Will man in der ältesten
Zeit sein Eigentumsrecht an etwas geltend machen, so bedient man sich
der Fürwörter. Man sagt im Indischen mamedam, mamdyam ,dies,
dieser ist mein', im Lateinischen aio hanc rem meam esae, im Sla-
vischen: ,cs ist das mehlige' (Ewers Ältestes Recht d. Russen S. 260).
Am ältesten wird der Gebrauch des Fronominalstamnies *8co~, *sevo-
in diesem Sinne 6ein. Derselbe war in der Urzeit nicht, wie später,
auf die dritte Person beschränkt und bedeutete ganz allgemein ,eigen',
eigentümlich'. Man konnte damals sagen: aio hanc rem hu am esse
im Sinne von „Ich behaupte, das» die Sache mein (oder unser* Eigen-
tum ist" (vgl. weiteres bei B. Delbrück Vgl. Synt. I, 486 ff.). Daher kommt
es, dass von diesem Stamme *sco- zahlreiche Wörter für Eigentum in den
Einzelsprachen gebildet worden sind. Vgl. sert. gram »Eigentum', xvümin-
,Eigentümer, scatca-, srdmya-, svdmitca- »Eigentumsrecht' (während
der Begriff des Besitzes durch Ableitungen von der Wurzel bhuj
,genie8sen' ausgedrückt wird), lat. mum «Eigentum, Besitz', got. swes
,ouöict, ßio^' (ahd. xudx). Das Rechtssubjekt, dem durch das Pro-
nomen *8co- etwas als Eigentum zugewiesen wird, kann nach dem
obigen nur die Familie oder Sippe gewesen sein. Ein noch deutlicherer
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172
Eigentum.
Hinweis auf dieselbe liegt in dein uralten lateinischen Terminus tech-
niciiB des Eigentunisprozesses, in vindkare, vor. Schon Leist (Altari-
sches Ius civile II, 298) bemerkt, dass der im Vindicationsprozess
übliche Ausdruck meum est ursprünglich nicht meinen könne: „es ge-
hört exelusiv mir, sondern: es gehört zur Hausgemeinschaft".
Dieser Gedanke aber ist unmittelbar in lat. vindkare ausgesprochen,
wenn der erste Bestandteil dieses Wortes (s. ausführlicher u. Familie)
daselbst richtig mit ir. fine, Grossfamilie' identifiziert worden ist. Vindkare
bedeutet alsdann geradezu „etwas als zur Hausgemeinschaft gehörig
bezeichnen**. Vgl. auch altn. ödal, ahd. nodal »Eigentum' : altn. adal,
ahd. adal .Geschlecht' (s. u. Stände).
Was die Benennungen des Eigentümers anbetrifft, so bemerkt
J. Grimm R.-A. S. 491 hinsichtlich der Germanen folgendes: „Be-
merkenswert scheint, dass der altdeutschen Sprache substantivische
Ausdrucke für dominus im Sinne von Eigentümer mangeln, sie muss
sich der Participicn uigands, eikanti, eigandi oder habands, habenti
bedienen Frau ja und heriro, herro bezeichnen stets dominus
(Gebieter) im Gegensatz zu servus, und wir dürfen wohl heute sagen
„der Herr des Ackers, des Pferdes" {le propriitaire du champ, du
cheval), nicht aber ahd. heriro des acchares, les hrosses.u Ähnlich
werden im Griechischen Wörter wie b€0*7TÖrriq oder Kupio?, im La-
teinischen dominus (wovon das ganz junge dominium , Eigentum') im
Sinuc von Eigentümer (einer Sache) eine verhältnismässig späte Stufe
der Bedeutungsentwicklung darstellen; doch werden im Griechischen
betfTTÖTriq schon bei den Tragikern und im Lateinischen dominus schon
bei Cicero auch in diesem Sinne gebraucht. Die idg. Ansdrucksweise wird
in Participien, wie dem oben genannten got. aigands von aigan zu
suchen sein, das sich durch Vcrgleichung mit sert. fqe ,habe zu eigen',
iqdnd- ,besitzend, herrschend', i$ä' , Vermögen, Macht' als idg. erweist.
Vgl. auch got. aigin ja inrdpxovTa', ahd. eikan und got. dihts, ahd.
eht ,Habe, Besitz' (osk. eituuam .pecuniam' aus *eictuam?).
Wo Hausgemeinschaften, in denen nach dem obigen also alles Gut
allen gemeinsam ist, von den Berichterstattern alter oder neuerer Zeit
geschildert werden, wird von ihnen wiederholt hervorgehoben, dass in
solchen Kulturverhältnissen die uns so natürlich erscheinenden Gegen-
sätze von Reich und Arm weniger hervortreten. So äussert E. de La-
veleye Das Ureigeutum S. 383 hinsichtlich der südslavischen Haus-
kommnniouen: „Die sozialen Lasten und die Zufälle des Lebens treffen
eine Familiengenossenschaft weniger schwer, als einen einzelnen Haus-
stand. Wenn einer der Männer zur Armee einberufen, von einer
schweren Krankheit betroffen oder sonst zeitweise an der Arbeit ge-
hindert wird, so verrichten die übrigen seine Geschäfte, und die Ge-
meinschaft sorgt für seine Bedürfnisse in der Hoffnung auf Gegen-
seitigkeit Jeder ist Miteigentümer eines Grundstücks und
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Kigentuui
- Eisen.
173
wirtschaftet so nur mit eigenem Produktivkapital. Es giebt also weder
endemischen Pauperismus noch zufällige Dürftigkeit. u Ebenso wird
hinsichtlich der alten Slaven (der liani) in Helinoldi Chron. Slav. II,
12 (vgl. Krek Einleitung- S. 361) hervurgehohen: Xeque enim aliquis
egenu« auf mendicus apttd eos tdiquando reperhis ettt, und auch von
den Spartanern, bei denen die von Lykurg nicht geschaffene, sondern
festgehaltene Gleichheit, Geschlossenheit und Unveräusserlichkeit des
Grundbesitzes in mancher Beziehung ähnliche Bcsitzverhältnisse wie in
jenen slavischen Hauskoinraunionen hervorgerufen hatte, berichtet Plutarch
(Lyk. 24): „Es gab keinen Reichtum und keine Armut, wohl aber
Gleichheit im Wohlstande und Gedeihen in der Einfachheit." Auch
wenn man von derartigen Schilderungen die zweifellos idealisierenden
und Ubertreibenden Züge in Abrechnung bringt, bleibt doch soviel be-
stehen, dass eine gewisse soziale und wirtschaftliche Gleichheit
als charakteristisch für den Begriff der Eamilicngenossenschaft anzusehen
ist. Ein gleicher Zustand darf daher auch für die idg. Urzeit voraus-
gesetzt werden, und ein solcher Ansatz findet darin eine Unterstützung,
dass eine deutliche Terminologie für die Begriffe Reich und Ar m
(s. d.) in der idg. Grundsprache nicht nachweisbar ist. Weiteres hier-
über s. u. Stände.
Da-ss die Frauen au dem gemeinsamen Fumiliengnt nicht teilnahmen,
geht schon aus dem bisherigen hervor. Näheres s. u. Erbschaft.
Die wichtigsten Rechtsverhältnisse, die sich aus der Bewegung des
Eigentums ergeben, und die Frage ihres Alters auf idg. Boden sind
u. Handel (Kauf, Verkauf, Tausch), Lohn und Schulden behandelt
worden. Über Vergehen gegen das Eigentum s. u. Diebstahl und
Raub.
Eimer, s. Gefässc.
Einbauiii, s. Schiff, Schiffahrt.
Einkorn, s. Weizen und Spelt.
Einschlag, s. Webstuhl.
Einzelhof, s. Dorf.
Eis, s. Schnee und Eis.
Eisen. Ausserhalb der beiden klassischen Länder begegnet das
Eisen in Europa am frühesten auf zwei berühmten, weit von einander
entfernten Fundstellen: auf dem Gräberfeld von Hallstatt im Salz-
kammergut und in dem bei dem kleinen Dorfe Marin am Nordende
des Neucnburger Sees entdeckten Pfahlbau, La T£ne (,die Untiefe')
genannt. Die ersterc Fundstätte ist ohne Zweifel die zeitlich frühere,
wie schon die reichlichen Brouzcsacben zeigen, die neben und mit
dem Eisen in Hallstatt auftreten. So fanden sich in 538 Gräbern
mit beerdigten Leichen 18 Waffen, 37 Geräte und 1543 Schmuck-
sachen aus Bronze gegenüber 165 Waffen und 42 Geräten aus Eisen,
in den Brandgräbern kamen auf 455 Gräber 91 Waffen, 55 Geräte,
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171
Eisen.
1735 Schmuckstücke aus Bronze gegenüber 348 Waffen und 43 Ge-
räten aus Eisen. Aus letztcrem Metall gefertigt sind fast alle Klingen
der Schwerter, Messer und Dolche, ferner zahlreiche Keile, Äxte und
Spicssc, auch Nägel, während es im Gegensatz zur Bronze nur selten
zu Schmuckgegenständen verwendet wurde. Über die Nationalität der
Anwohner dieses ältesten in Europa nachweisbaren Salzbergwerks ist
man noch nicht einig. Während der verdienstvolle Bearbeiter der
Hallstätter Funde, Freiherr von Sacken (Das Grabfeld v. H. Wien 1868),
sich für Kelten, speziell für die in dieser Gegend nachgewiesenen
norischen Taurisker entschied, ist man neuerdings mit Rücksicht auf die
frühzeitigen Beziehungen, welche zwischen dem Grabfeld von Hallstatt
und den ältesten italischen Eisenfunden bei Villanova unweit Bologua
(vgl. Undset Das erste Auftreten des Eisens in Nord-Europa S. 1 ff.)
einerseits, den altgriechischen Ausgrabungen von Olympia (vgl.
Hörnes im Ausland 1891 S. 281 ff.) andererseits bestehen, geneigt, das
Gräberfeld von Hallstatt, wenigstens in seinen Anfängen, in eine vor-
keltische Epoche zu rücken.
Umso klarer sieht man in diesem Punkte bei den westeuropäischen
Eisenf nuden von La Tene (vgl. Hörnes Urgeschichte der Menschheit5
S. 147 ff.)- Es ist uiemals bezweifelt worden, dass dieselben einem kel-
tischen Stamme angehören und aus der Epoche vor der Eroberung Galliens
durch Rom stammen. Die gefundenen Waffenstücke entsprechen den anf
dem alten Schlachtfeld von Alesia an den Tag gekommenen, und zahlreiche
Nachrichten (s. n. Bergbau) belehren uns, dass die Kelten schon in vor-
römisehcr Zeit in den Künsten des Bergbaues, vor allem dem auf Eisen,
wohlerfahren gewesen sein müssen. Woher freilich die Kelten die erste
Anregung zur- Ausbildung einer nationalen Eisentechnik empfingen, ob
durch griechiseh-niassaliotisehe, oder durch früh italische Einflüsse
(vgl. bei Plinius Hist. nat. XII, ö die Sage vom Aufenthalt eines hel-
vetischen Bürgers, Helico, in Rom fabrüem ob artem), ist ungewiss.
Der gemeinkeltische Name des Eisens ist ir. tarn, kymr. haiam,
körn, hoem, arem. hoiam. Er führt auf ein ursprüngliches *is-amo~,
(erhalten in dem burgundischen Eigennamen Isarno-dori : Orfus haud
longe a vico, etti vetusta paganitas ob celebritatem clawmramque
forfisximam mperxlitiofättsimi templi Gallica lingua J. i. e. ferrei
oxtii indidif nomen. V. S. Eugendi Abb. mon. S. Claudii in Bur-
gundiai, und ist vielleicht eine Weiterbildung aus einem ursprünglichen
das nichts als eine andere Ablautstufe des altindogermanischen
Wortes für Kupfer: sert. Ayas-, lat. aes, got. atz sein könnte. Die Kelten
würden also das neue Metall, als es ihneu bekannt wurde, mit einer Ab-
leitung von dem uralten, sonst bei ihnen ausgestorbenen Kupfernamen be-
nannt haben. Anders freilich R. Much Z. f. deutsches Altert. XLII, 164,
der das keltische Wort mit Berufung auf ahd. »fäkal, altpr. stakla (s. u.
Stahl) = aw. stax-ra- .stark, fest' mit sert. iskird- ,erfrischcnd, kraftig,
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KiMMl.
175
munter', griech. iepö^ »kräftig', , heilig' verknüpfen möchte, deren Be-
deutung aber doch eine andere als die des iranischen Wortes ist.
Noch verdient hervorgehoben zu werden, dass ein Beweis für die
wichtige Rolle, welche das Eisen in der keltischen Kulturgeschichte
spielte, dem Umstand entnommen werden kann, dass überaus häutig
der Stamm *te arno- in allen keltischen Sprachen zur Bildung von
Eigennamen verwendet wird. Vgl. altgall. Ixerninu* (ein Begleiter S.
Patricks), abret. Cat-ihermut, Plebs Iloiernin. kvmr. u. arein. Haiarn,
Hoiarmcoet, Cathoiurn u. s. w. (Zeuss Gr. Cclt. * p. lOti und Stokes
Crkelt. Sprachschatz S. 25).
Dieses altgallische *i8-arno- ist nun in einer Zeit, in der das inter-
vokale # noch erhalten war, und zusammen mit mehreren altkeltischen
Benennungen für Gegenstände der Eisenmanufaktur (s. u. Panzer und
u. Spiess), in die germanischen Spracheu eingedrungen, wo es zu got.
ei*amy agls. hern, altn. imnt (selten), ahd. ixarn geführt hat (vgl.
weiteres über die germanischen Formen bei R. Much a. a. <).). An Ur-
verwandtschaft der keltisch-germanischen Ausdrücke ist aus allgemeinen
Gründen, und weil das Suffix -arno- (vgl. Brugmann Grund riss II, 138)
im Gerinanischen nicht gebräuchlich ist, schwerlich zu denken. Wann
dieser Entlehnungsprozess sich abspielte, lässt sich des genauem nicht
sagen. Die Archäologen (vgl. Montelius Die Kultur Schwedens S. 88)
rücken das erste Auftreten des Eisens im Norden in das V. Jahrhun-
dert v. Chr. und bringen es mit dem späteren Teil der Hallstatt-Periode
in Verbindung. An diesen schliesst sich dann die La Tene-Periode,
die ihren Einfluss weit Uber keltischen Boden hinaus bis hoch nach
Skandinavien (vgl. über die ältesten dänischen Eisenfnnde in den
Brandgräbcm von Bornholm S. Müller Nordische Altcrtuinsk. II, 16 ff.)
-äussert. In dieser Zeit, etwa in dem Zeitalter Alexanders des
Grossen, werden sich die keltischen Wörter für Eisen im Gerinanischen
festgesetzt haben. Nach Tacitus Germ. Cap. (i zwar wäre Eisen in
Deutschland noch zu seiner Zeit nicht in Cberfluss vorhanden gewesen
{ne ferrum quidem mperettt). Aber es werden doch von ihm selbst so
viele ganz oder teilweis eiserne Gegenstände genannt, Schwerter in
verschiedenen Gestalten. Lanzen, frameae, Panzer, Helme, Ringe u. s. w.,
dass die Verwendung dieses Metallcs, natürlich im Vergleich mit Rom
in bescheidenen Grenzeu, immerhin eine nicht unbedeutende gewesen
sein mnss.
Wenn so die Geschichte des Eisens im Westen und in der Mitte
des nördlichen Europas ziemlich deutlich vor uns liegt, so ist dies in
geringerem Masse hinsichtlich des Ostens der Fall. Der lituslavischc
Sprachzweig wird durch eine gemeinsame Benennung des Eisens ver-
bunden : lit. geleiis, altpr. gefao, altsl. ieUzo, die jedenfalls nichts mit
<len keltisch-germanischen Ausdrücken zu thun hat. Gewöhnlich werden
die genannten Wörter mit dem griech. xö-Xkö? , Kupfer, Erz' verbunden.
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Eisen.
Ist (lies richtig (es wird bezweifelt von Kretschuier Einleitung: S. 187 f.)y
so würde hier ein ähnlicher Bedeutungsübergang wie im Keltischen
(s. o.) vorliegen: ein altes Wort für Kupfer hätte sich später im Sinne
von Eisen festgesetzt. Über die Seite, von der her die Slaven und
Litauer, bei denen noch zur Zeit des Tacitus (Genn. Cap. 45) das Eisen
selten war, das neue Metall empfingen, wissen wir nichts sicheres.
Man kann an einen frühen Handel mit den politischen Gricchenstädten
(s. u.) oder an iranische Einflüsse denken. Jedenfalls war bei den den
Iraniern stammverwandten Skvthen schon zu Herodots Zeit das Eisen
eine bekannte Sache, so dass der Kriegsgott bei ihnen unter den»
Bilde eines eisernen Säbels (aibripeo? aKiväKnq) verehrt wurde (Herod.
IV, 62). Noch weiter östlich, in der finnischen Welt, begegnen sich
sprachlich germanische und iranische Einflüsse. Die Westfinnen haben
für Eisen tfinn. rauta) einen altnordischen Ausdruck (altu. raudi, ur-
sprünglich ebenfalls ,Kupfer' s. d.), die ostfinnischen Idiome (ostjak.
karte u. s. w.) bedienen sich eines iranischen Lehnwortes (aw. kareta-,
eigentl. ,Mcsscr'; s. u. Schwert).
Nicht weniger als für den Norden Europas lässt sich aber ein verhältnis-
mässig spätes Auftreten des Eisens für den Süden unseres Erdteils
erhärten. Und zwar sind es, was zunächst die Balkanhalbinsel be-
trifft, folgende Gesichtspunkte, welche in dieser Frage entscheidend ins
Gewicht fallen: 1. Die mykenischen Funde gehören dem Bronze-
alter an; einige eiserne Messer und Schlüssel sind allerdings gefunden
worden, werden aber von Schliemann mit Rücksicht auf ihre Form
(Mykenac S. 83) in eine wesentlich spätere Zeit gesetzt. Älter dürften
einige eiserne nach Schliemann in der Unterstadt entdeckte Ringe
(vgl. Schuchardt Ausgrabungen S. 332) sein, wie sie von den Lacc-
dämoniern (Plin. Hist. uat. XXXIII, 9) getragen wurden. Auf jeden
Fall zeigt sich aber, dass das Eisen innerhalb der mykenischen Periode
äusserst selten gewesen ist. 2. Das homerische Zeitalter selbst
befindet sich in einer Art Übergangsperiode von der Bronze zum
Eisen. Als aus letzterem Metall gefertigt werden in der Ilias bezeichnet:
eine Keule, ein Messer, eine Pfeilspitze, eine Axt, eiue Achse und
Thore, in der Odyssee: eine Axt und Fesseln. Dazu vgl. den Vers
der Odyssee (XVI, 294) auTÖ? fäp £cpAK£Tai ävbpa o*tbn,po<;, was sich
auf eiserne Waffcu zu beziehen scheint, und die Stelle der Ilias XXIII,
825 ff., an der Achilleus einen rohen Eisenklumpen als Preis aussetzt:
£H€i |iiv Kai tt^vt€ TTepiTrXou^vou? eviauTOuq
Xpcumevos • ou uev f&p oi aTeußouevös o"ibr|pou
rcoiunv oüb' äpoxfip eio" i$ ttöXiv, äAXä irap&ei.
Im übrigen sind alle Waffen und Werkzeuge noch als aus Erz herge-
stellt gedacht. Auf die Frage, ob in den einzelneu Teilen der Ilias und
Odyssee oder in dem Verhältnis der beiden Gedichte zu einander eine
fortschreitende Verwendung des Eisens nachgewiesen werden könne,
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■
Eisen.
sei hier nicht eingegangen. Sie scheint nach der Untersuchung von F. B.
Jevons (Journal of Hcllcnic studies VIII, 25 ff.) nicht bejaht werden zu
können. 3. Dein vorhergehenden entsprechend erweist sich xa^K<>S
dem o*ibnpo? gegenüber als ein älterer Bestandteil der griechischen
Sprache. Der älteste Name des Schmiedes, xalKtvq, und der Schmiede,
XccXiceiuv, ist von xa*xo-> nicht von o*ibn.po- gebildet. Schon in home-
rischer Zeit entspriessen dem enteren eine Menge Ableitungen (xdX-
Kco^, xaXK€io?, xaXxeOc, xa^Keuw, xa^Kciuv, xaXKn.io£, xaXKnpn.?), während
neben ffibnpoq nur oibnpeoq vorkommt. Personennamen werden, was
die Nutzmetalle anbetrifft, im wesentlichen nur von xa^KÖq gebildet.
4. Die Alten scheinen nach den Worten des Hesiod (vgl. auch Lucrez
V, 1285 ff.), nach denen die Menschen des dritten Zeitalters:
XoXkuj b' eipTdCovTO- ue'Xaq b' oük faxe aibn.poq,
selbst noch eine Ahnung von dem einstigen Bestehen eines reinen Bronze-
alters gehabt zu haben, und eine ganz bestimmte Tradition bezüglich der
Herkunft des Eisens hat sich in Griechenland erhalten, deren erste
Spur sich in dem epischen Fragment der Phoronis (vgl. Schol. zu Apoll.
Arg. I, 1126) findet:
vEv8a YÖnrcq,
'Iba Toi <t>püf€S ävbp£<; öp€0"T€poi oba' Ivatov,
KeXuu;, Aanvcuaeveui; T€ uera? xai ÜTiepßioq "Akuujv,
EÜTräXauot 6€päTT0VT€? öp€iri? 'AbpnaT€tn?,
o'i TrpüJTOt T€'xvn.v TroXuunrioq 'Hqpaiffxoio
Eupov iv oüpeinai vdrrai? löevTot cxibtipov
'E? iröp t' Tjv€TKav koi dpiTTpeTti? £pfoy £bei£av.
Seitdem wird der phrygischc Ida als Erzeugnngsstätte des Eisens oft
genannt.
Das griech. cribnpos selbst ist noch nicht sicher erklärt. Man hat
es ans idg. Wurzeln zu deuten versucht (o*ibn.poq .das ausgeschmolzene' :
sert. xnid-itd- geschmolzen', svedani- ,eiseme Pfanne ), man hat es
an nordkleinasiatiselie (libn., Iibnvn: vgl. II. Bnumhofer, Fernschau,
Aarau 1886 p. 59) oder an Ivkischc (Iibapoüq, Iibnpoüq) Ortsnamen
anzuknüpfen versucht u. s. w. Am wahrscheinlichsten bleibt seine
Verbindung mit dem von Tomaschek (Z. t'. o. Phil. I, 125) beige-
brachten kaukasischen (udischen) zido , Eisen'. Aus der Nachbar-
schaft des Kaukasus ist jedenfalls das griechische (nach homerische)
XäXuip ,der Stahl', eigentlich ,der Chalyber' ausgegangen, wie denn
die mbr|pOT€KT0V6q XdXu߀? schon von Aeschylus Prom. 715 genannt
werden (weiteres s. u. Bergbau). Ebenso ist vom Kaukasus das
armenische Wort für Eisen abgeleitet: erlaf (nach arcaf ,Silbcr )
von georgisch rkina ,Eisen', lasisch erkina desgl., rkina ,Mcsser\
Zu weniger Bemerkungen bieten die Verhältnisse der Apennin halb-
inselAnlass. In den Pfahlbauten der Poebene wurde noch kein Eisen
gefunden. Der ältesten Eiseufundc auf italischem Boden in der Um-
Schrader. Reallexikon. 1-
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178
Eisen.
gebung von Bologna ist schon oben Erwähnung gethan; docb wissen
wir nicht, welchem Volke sie angehören. Im alten Korn niuss zwar
schon zur Königszeit das Eisen häufig gewesen sein, da Porsina bei
dem Friedenssehluss den Römern den Gebrauch des Eisens ausser zu
Ackerbauzwecken verbot (ne ferro nisi in agri cultu uteretur; vgl.
Pliuius XXXIV, 139); doch fehlt es nicht an deutlichen Spuren, dass
auch auf römischem Boden der Gebrauch des Erzes dem des Eisens
voraufging. Vor allem schliesscn die Kultussatzungeu den Gebrauch
des Eisens überall ursprünglich aus. In ehernem Siebe musste die
Vestalin das Feuer in den Tempel tragen (vgl. Festus Pauli ed. C. 0. Müller
p. 106: Ignis Vestae si quando int erstinet us esset, virgines rer-
beribus afßciebantur a pontifice, quibus mos erat tabulam felicis
materiae tamdiu terebrare, quousque eueeptum ignem cribro aeneo
virgo in aedem ferret), mit eherne m Messer musste sich der
Flamen Dialis rasieren, mit ehernem Pflug musste bei Städtegrün-
dungen der Umriss einer Niederlassung gezogen werdeu (vgl. die
Belege hierfür und weiteres bei Heibig Die Italiker in der Poebene
S. HO f.).
Dem zu Folge wird auch das lateinische Wort für Eisen, ferrum,
wenigstens in diesem Sinne, verhältnismässig jung auf lateinischem
Boden sein. Man hat für ferrum (das aus *fers-o-m, *bhers-o-m ent-
standen sein kann) an Verbindung mit einem unten zu nennenden sumerisch-
semitischen Namen des Eisens gedacht, oder es zu dem innerhalb des
Germanischen ganz allein stehenden agls. bnvs, engl, braus .Erz' ge-
stellt (vgl. oben lit. geleüs , Eisen' : griech. x^Xkö^ ,Erz'). Eine sichere
Entscheidung kann aber bis jetzt nicht getroffen werden.
Als völlig dunkel bleibt von europäischen Eisennamen auch noch
albanesisch hekur zu nennen (Vermutungen über dasselbe bei
G. Meyer Et. W. S. 150).
Auch bei den arischen Indogermaucn, den Indern und Iraniem, tritt
das Eisen zweifellos erst nach der Bronze auf. Die erste sichere
Bezeichnung desselben in den vedischen Schriften ist qytimd-, qydmdm
dyas, wörtlich «dunkelblaues Erz', so dass also das spätere Eisen vom
Standpunkt der früheren Bronze ans benannt ist. Die iranischen Namen
unseres Metalles : npers. dhen, pehl. Asin, kurd. hdsin gegenüber afgh.
öspana, öspina, osset. äfsdn, Pamird. spiu (vgl. Horn Grundriss d.
npers. Et. S. 14) haben noch keine Erklärung gefunden, doch scheinen
sie alt und einheimisch zu sein.
Im Gegensatz zu den Indogcrmanen verfügen die Semiten in hebr.
barzeh syr. parzld, assyr. parzillu Uber eine uralte gemeinschaftliche
Benennung des Eisens, die auch im Sumerischen (barza) wiederkehrt;
aber auch antiquarisch lässt sich die Bekanntschaft mit dem Metalle
in den Euphrat- und Tigrisländern bis ins dritte vorchristliche Jahr-
tausend zurückführen, wenu es zu einer Verdrängung des Kupfersund
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Eisen — Eisvogel.
179
der Bronze durch das Eisen auch hier erst spät gekommen ist (vgl.
S. Müller Nordische Altertumskunde II, 5). Ebenso hnt in Ägypten
das Eisen erst sehr spät eine praktische Bedeutung erlangt, obgleich es
(unter dem Namen men und mit dem Zeichen des Kupfers determiniert)
schon im alten Reiche bekannt war. Vielfach wird es (im Gegen-
satz zu der roten Bronze durch blaue Farbe kenntlich) auf den Denk-
mälern von semitischen .Völkern her eingeführt (vgl. E. Keyer Alt-
orientalische Metallurgie Z. d. D. Morgenl. Oes. XXXVIII, 149 fl'.). —
S. n. Erz, Kupfer, Metalle, .Schmied, Stahl.
Eisenkraut ( Verbena ofßcinalis L.). Es wnrde in Griechenland
und Italien als Zauber-, Heil- und Glückspflanze betrachtet und in
letzterem zu den Pflanzen gerechnet, welche cerbenae oder mgmina
genannt, bei feierlichen Gelegenheiten benutzt zu werden pflegten. Vgl.
Plinius Hist. nat. XXV, 105: Nulla tarnen Romanos nobilitatis plus
habet quam frier a botane. aliqui aristerion, nostri verbenacam
vocant. haec est quam legatos ferre ad hostes indicammus. hac
Joris mensa verritur, domus purgantur lustranturque utra-
que genera plant ae) sortiuntur Galli et praecinunt responsa, sed
Magi utique circa hanc insaniunt, hac perunetos inpetrare quae
relint, febres obigere, amicitias conciliare nullique non morbo nieder i.
colligi debere circa canis ortum ita ne luna aut sol conspiciat, faris
ante et melle terrae ad piamentuni datix, circumscriptam ferro
effodi sin ist ra manu etc. In Nordeuropa, bei Germanen und »Slaven,
wird die Pflanze vom Eisen her benannt: ysena (heilige Hildegard),
isinchlete, isenarre, isere, iiserenbart, isenbart, isenhart (vgl. v. Fischer-
Beuzon Altd. Gartenfl. S. 78), slavisch ebenso mit Ableitungen von
zeUzo ,Eisen' (Ncmnich IV, 1553). Diese Namenbildung hat ihr Vor-
bild im klassischen Altertum, wo Dioskorides neben rcepitfTepcwv ütttio?
und zahlreichen anderen Bezeichnungen auch den Ausdruck ffibtipm?
(Lenz Botanik 8. 530) überliefert (vgl. oben das ferro effodi bei PI.).
Die Pflanze scheint in ganz Europa einheimisch zu sein. — Andere Heil-
und Zauberpflanzen s. u. Arzt.
Eisvogel. Der griech. Name des schon von Homer (II. IX, 509:
unrrip öXkuövo? TToXuirevGfc'oq oTtov ixovöa)
genannten schönen und sagenumwobenen Vogels, dXKurnv, üXkuijuv wird
von einigen Etymologen mit dem gleichbedeutenden lat. alcedo und
einem ganz vereinzelten ahd. alacra ,dohfugal', ,tuhhari', ,mcrgulus'
(bei Graft) verglichen. Nach anderen entspräche dem griech. üXkucuv
vielmehr ahd. swalawa, agls. swealwe, altn. srala {*scalgvön-) ,Schwalbe',
was lautlich korrekt und sachlich wohl angängig wäre, weil der Eis-
vogel und gewisse «Schwalbenarten (Uferschwalbe, Erdschwalbe) in der
Art ihr Nest in den Erdboden einzugraben manches Verwandte haben;
doch ist bei dieser Annahme das Verhältnis von lat. alcedo : dXKuwv dunkel.
Die im kl. Altertum über den Vogel verbreiteten Nachrichten vgl. bei
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180
Elch. Elentier — Elfenbein, Elefant.
Aristoteles Hist. anim. V, 8; 2, 3, 4, VIII, 5; 7, IX, 15 u. Lenz Zoologie
d. Griechen und Römer S. 313 f. Vgl. noch griech. KnpöXoq ,daa
Männchen des Eisvogels'.
Elch, Elentter, s. Hirsch.
Elektron, s. Metalle.
Elfenbein, Elefant. Griech. ^<paq wird bei Homer, Hesiod
and Pindar, ebenso wie daslat. ebur, nur in dem Sinne von Elfenbein
gebraucht, das also frühzeitig und auf weit ausgedehnten Handelswegen
nach Griechenland und Italien gebracht worden sein muss. Die Heimat
des Elefanten ist Afrika und Indien; doch müssen auch in Syrien
zur Zeit der Züge Dhutmcs III dahin zahlreiche wilde Elefanten ge-
lebt haben, von deren Jagd, ebenso wie von Tributleistungcn der Ru-
tennu (Assyrier) an Elfenbein, altägyptische Denkmäler in Wort und
Bild mehrfach berichten. Auch auf dem berühmten Obelisk Salma-
nassars des II. sind doppclhöckrige Kamele, Affen, ein Rhinoceros,
ein Elefant und ein Jaekochsc als Tribut dargestellt, den das Land
Musri (das östliche Gcbirgsland) schickt (vgl. E. Meyer Geschichte des
Altertums I §§ 220, 338).
Sehr frühzeitig ist daher der kostbare Stoff in dem klcinasiatischen
Kulturkreis und in den semitischen Ländern nachzuweisen. In der III.
Stadt von Ilios sind, ebenso wie in Mykenae, sehr verschiedenartige
Gegenstände aus Elfenbein gefunden worden. Auf mäonische und
karische Elfenbeinfärberei deuten die Verse der Ilias IV, 141 f.:
ö' öt€ "ris ^X^tpavra Yuvfj qpoiviKi uicuvrj
Mrjoviq i\i Kdeipa, iraprpov £|4M€vai ittttouv.
tberall in semitischen Landen ist, wie auch in der Odyssee, die Incmsta-
tiou der Wände und Thttren, wie mit Metallen, so mit Elfenbein üblich,
das die Schiffe Salomons aus Ophir, die ägyptischen aus dem Lande
Pnnt holen (vgl. Heibig Horn. Epos* S. 110 f., 425). - Unter diesen Um-
ständen ist es an sich wahrscheinlich, dass i\iyaq-ebur Entlehnungen sind.
Wohl unzweifelhaft ist lat. ebur (nach Analogie von jecur, femur) an
ägypt. rfft, äbu , Elefant, Elfenbein', kopt. €ßou, £ßu anzuknüpfen. Aber
auch griech. ^X-^<pa? (wobei i\ = dem arabischen Artikel gesetzt wird),
hebr. senhabbim ,Elfcnbein' (ärra£ Xet^ sonst nur xt'n ,dcns' oder
qarnöt seti ,cornua dentis'; vgl. lat. dens Indiens) und sert. ibha-
,Elefant' (vedisch mrgd- hastin- ,bchandetcs Tier ) sucht man gewöhn-
lich mit dem ägyptischen Wort zu verbinden, indem man in der an-
geführten Sippe ein ähnliches Handelswort wie das n. Affe behandelte
griech. Kf\noq erblickt. S. auch u. Ebenholz und vgl. J. Lieblein
Handel und Schiffahrt auf dem roten Meere in alten Zeiten, nach
ägyptischen Quellen, Christiania 1886 S. 69 f. Was dieser sachlich
sehr ansprechenden Erklärung des griech. IXlcpas im Wege steht, ist,
dass man zwar begreift, wie im Lande Punt, wenn dessen Kern nach
Lieblein das südliche Arabien war, der arabische Artikel vor ein ägyp-
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Elfenbein — Elefant.
181
tiscbes Wort gesetzt werden konnte (£\-«pas), man aber nicht recht
versteht, wie dieses Wort durch die Vermittlnng anderer semitischer
Stämme hindurch, die bekanntlich den arabischen Artikel al, hat nicht
kenneu, in dieser speziell arabischen Form zu den Griechen kommen
konnte. Immerhin scheint die angeführte Erklärung noch einleuchtender
als der Versuch l~k{<pa<; 0 griech. dXcpöi;, lat. albus .weiss'?) aus dem
Griechischen zu deuten oder es unter Hinweis auf got. ulbandus (s. u.)
als einen uridg. Tiernamen zu fassen.
Das Tier selbst nennt unter den Griechen zuerst Herodot in Äthio-
pien III, 114), dann wird es von Aristoteles ausfuhrlich beschrieben.
Die Römer sahen die ersten Elefanten im tarcutinischen Krieg und
benannten sie bös Lüca (Lucrez V. 1300 ff.), weil zunächst in Lukanien
gesehen (Isidor. Hisp. Orig. XII, 2: Hos boves Lucanos vocabant
müiqui Romani, boves quin nullum animal grandius videbant, Lu-
canos quia in Lucania Mos primus Pyrrhus in proelio obiecit Ro-
manist, dann nach dem Griechischen elephantus. Allerdings bestreitet
Bücheler Rhein. Mus. XL, 149 diese Deutung von bös Lüca und sieht
darin mit Berufung auf Horazens:
sive elephans albus volgi converteret ora
bös louca , weisse Kuh'. Doch sind weisse Elefanten eine so grosse Selten-
heit, dass sie kaum je als Quelle der Namengebung gegolten haben
können. Bei Horaz begegnet noch der dunkle Ausdruck barrus (: sert.
edrana-, väru- ,Elefant'?).
Ausserhalb der klassischen Länder Europas ist frühzeitig in
Spanien Elfenbein in Gestalt von Knöpfen, Ferien und Armbändern ge-
funden worden (vgl. Much Kupferzeit* S. 125), was bei der Nähe Afrikas
leicht verständlich ist. In Mitteleuropa weist das Gräberfeld von Hall-
statt 6 eiserne Schwerter mit elfenbeinernen Knäufen auf (vgl. v. Sacken
Grabfeld v. H. S. 30). Das Tier selbst sahen die Kelten und Alpen-
völker zuerst bei dem Zuge Hannibals (218 v. Chr.), der 40 Elefanten
mit sich führte, dann in den Kämpfen gegen Doinitius Ahenobarbus
ungefähr ein Jahrhundert später (vgl. H. Gaidoz Les Celtes et les ele-
phants Revue celtique II, 486). Ob und wie sie es damals benannten, ist
nicht bekannt. In ihrer späteren Terminologie des Tieres gehen die
keltischen und germanischen Sprachen auf das lat. elephas, elephantis
(*elpant-) zurück : korn. oliphans etc. (Zeuss Gr. Celt.* S. 1075), agls.
elpend, ylpend, ahd. Helfant (helfantbein). Über got. ulbandus, altsl.
vellbqdü s. u. Kamel. Höchst merkwürdige Benennungen des Elefanten
zeigen die östlichen und nördlichen idg. Sprachen Europas. In
allen Slavinen gilt das ganz rätselhafte slonü, im Litauischen szlapts,
tzlajus, szlejus, für die man an Zusammenhang mit sert. qll-pada-
»Elephantiasis' denken könnte. Im Skandinavischen heisst das Tier
fill, dän. ß (ßlsbein, filabein), das sich durch slavische Dialekte und
durch das Neupersisch (pil, fil; ebenso Kurdisch, Ossetisch, Armenisch,
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1*2
Elle — Enkel.
Albanesiscb, Arabisch) bis ins Indische (scrt pilü-) und Assyrische (piru
»Elefant', sinni- ptri ,Elfenbcin') verfolgen lässt. Hesych bietet mp{ao*a<;
für Elefant. Ohne Zweifel haben wir auch hier ein weitverzweigtes
Handclswort vor uns, das für Europa seinen Ausgangspunkt in Byzanz
gehabt haben wird. Vgl. auch Yulc and Burncll Hobson-Jobson S. 794 ff.
Elle, 8. Mass, Messen.
Elster, s. Singvögel.
Eltern. Eine vorhistorische Bezeichnung für diesen Begriff ist
nicht nachgewiesen. Wahrscheinlich war eine solche in der Urzeit
Überhaupt nicht vorhanden, da die ganz verschiedenartige Stellung,
welche Vater und Mutter den Kindern gegenüber einnahmen, die Aus-
bildung einer zusammenfassenden Bezeichnung für dieselben verhindern
mochte. Siehe Uber die sprachliche Ausbildung des Begriffs ,Gatten' u.
Ehe. Das Übergewicht der Stellung des Vaters in der alten Familie
wird durch eine ganze Reihe c i n z c 1 sprachlicher Benennungen des
Elternpaares bewiesen : so durch got. fadrein n., altn. faderni und
fedgen, alles zu got. fadar gehörige Kollektivnamcn für Vater und
Mutter, griech. iraiepe?, lat. patres, lit. teteal, alle im Sinne von pater
et mater, scrt. pitdrd ebenso (aber auch mdtdrd und mdtdrd pitärau;
vgl. Delbrück Verwandtschaftsnamen S. 452). .Ohne besonderes Inter-
esse sind Bildungen wie griech. toktic?, tov€??, lat. parentes, got. bertis-
jös (: hairan) ,die Erzeuger', oder wie ahd. eltiron ,die älteren' u. s. w. —
S. u. Familie.
Elternmord, s. Alte Leute.
Emmer, s. Weizen und Spelt.
Endivie, s. Garten, Gartenbau.
Enkel. Der idg. Name dieses Verwandtschaftsgrades liegt in
der Reihe: scrt. ndpdt-, n&ptar- ,Abkömmling Uberhaupt, Sohn, im bes.
Enkel' (in der älteren Sprache vorzugsweise in der allgemeinen, in der
späteren nur in der Bedeutung ,Enker gebraucht), ndpti »Tochter',
»Enkelin, aw. Nom. napd, Gen. naptö ,Enkel', ebenso altpers. und in den
neuiran. Sprachen (npers. netedde u. s. w., vgl. Horn Grundr. S. 234),
napti- ,Enkelin', napti- .Verwandtschaft', griech. dvevjjio? (♦d-ven-njo-?),
wörtlich »einer, der mit anderen zusammen zu einer *nepti- gehört',
,Mit-Enkel', »Geschwisterkind' (Enkel sind untereinander Geschwister-
kinder), Wnobes (an ttou? angelehnt) ,Brut', »Abkömmlinge', veönrpai
(für *vcKOTpat)* uiüjv 8irraT€'p€s Hes., lat. nepög, nepötis »Enkel', später
auch ,Neffe' {nepös »Verschwender' scheint ein Lehnwort aus dem Etrus-
kischen zu sein), neptw ,Enkelin', ,Nichte', germanisch agls. nefa .Enkel',
,Neffe', altn. nefe »Verwandter', ahd. neto, mhd. neve ,Schwcster8ohn',
auch (seltener) »Brudersohn*, auch ,Oheim', dann allgemein »Verwandter',
altn. nipt, ahd. nift, mhd. niftel ,Schwestertocliter, Nichte', got. nipju
,Vetter', altn. nidr .Abkömmling' (*niptjo-, vgl. oben dvev^ioq), lit. (alt)
nepoti* ,Enkel', neptis »Enkelin', altsl. netiji .Neffe', nestera (*nep-Mtera?)
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Enkel — Epheu.
183
,Nichtc', ir. nice, Gen. niath ,Schwestersohn', necJit .Nichte', alb. mbese
,Enkcliu, Nichte' (aus *nepotiä nach H. Pedersen B. B. XX, 228—38,
der auch alb. nip ,Enkcl, Neffe' für urverwandt mit dem lateinischen
Worte hält). Die Bedeutung ,Enkel', ,Enkelin' ist demnach auf meh-
reren Sprachgebieten nachweislich die ältere und muss als die urzeit-
liche angesetzt werden. Über den Übergang des Wortes in die Be-
deutung von Neffe s. d. Neben ,Enkel' staud schon in der Urzeit
die allgemeinere Bedeutung ,A b k ö m m 1 i n g', wie in der Asccndenz
die Wörter für Grossvater wohl ursprünglich ,Ahn' bezeichneten (s.
u. Gross eitern). Weiteres lässt sich Uber die Herkunft des idg.
*nepöt- nicht sagen (die Annahme einer Grundbedeutung ,Waise', die
Leumanu Festgruss an Böhtlingk S. 77 vorschlägt, ist unwahrscheinlich;
ebenso der Versuch von Prcllwitz, in *ne-pötes die »Nicht-Herren* zu
erblicken). Den , kleinen Ahn' scheinen ahd. eninchili und altsl. vä-
nukä (woraus lit. anukas) : ahd. ano zu meinen. Ahd. diehter »Enkel'
stellt sich zu sert. tue- „Nachkommenschaft'. Altir. aue s. u. Sohn,
armen, t'orn ist dunkel. Die übrigen Namen des Enkels und Urenkels
wie sert. ptiutra-, prapdutra- (: putrd ,Sohn'), ahd. ferner griech.
uiuüvöq u. 8. w. bieten nichts von Interesse. — S. u. Familie.
Entbindung, s. Hebamme und Mond und Monat.
Entführung, s. Kaubehe.
Enthaitang, s. Keuschheit.
Ente. Der idg. Name des Vogels steckt in griech. vf\<saa, lat.
anatt, ahd. anut, altsl. qtl, lit. dntin, sert. dti-. Altkorn, hoet etc. kann
damit nicht vereinigt werden. Dafür dass die Ente nicht als idg.
Haustier betrachtet werden kann, sind dieselben Erwägungen wie die
u. Gans angestellten massgebend. Übrigens hat gegeuüber der Gans
die Ente im Altertum wie im Mittelalter eine untergeordnete Kollc ge-
spielt. Ihr Ahnherr ist die in Europa einheimische wilde Ente (Anas
boschas L.). Eigentümliche Namen hat das Germanische. Engl, duck,
agls. düke ist der »Taucher', nhd. enterich, ahd. antrahho eine Zu-
sammensetzung von ente und einem dem engl, drake , Enterich' ent-
sprechenden Wort. Weiteres vgl. bei Kluge Et. W.". Im Südosten Eu-
ropas gilt für Gans und Ente alb. pate , Gans', slov., bulg., serb. patka
,Ente' (aber auch span. pato, pata ,Gans', früher ,Eute'), wohl orien-
talischer Herkunft (pers. bat ,Entc', arab. bat ,Ente, Gans' u. 8. w.).
Vgl. E. Hahn Die Haustiere S. 286 ff. - S. auch u. Viehzucht.
Enzian {Gentiana lutea LX Diese Alpenpflanze wird zuerst von
Dioskorides III, 3 als T€vnavn. genannt, angeblich nach einem illyrischen
König Gcntis, der sie zuerst gefunden habe.
Epbeu (Hedera Ilelijr L.). Griech. Kxaaoq (Homer) aus *xi8jo-?
und lat. hedera werden auf Urverwandtschaft beruhen. Ahd. ebahewi,
ebatei, agls. ifig (*iba-; weiteres bei Kluge Et. W.,;) ist dunkel. Ebenso
die in den slavischen Sprachen weit verbreiteten altsl. bljustl und
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Epheu - Erbschaft.
brmljanü. Iui europäischen Russland beschränkt sich übrigens der
Epheu auf den westlichen Rand, auf die Krim uud den Kaukasus.
Gemeinkeltisch: ir. eidenn, kymr. eiddew, korn. idhio, das Stokes ürkelt.
Sprachsch. aus *(p)edenno- deutet und zu griech. TT^orj ,Fu8sfe8sel' stellt.
Eppich, 8. Garten-, Gartenbau.
Erbrechen, s. Krankheit.
Erbschaft. Die Bezeichnungen hierfür gehen in den idg. Sprachen
weit auseinander. Griechisch gilt KXrjpo-vöuo?, lcXripovoueiv, KXr|povo-
ueTaBou. Über den ersten Bestandteil des Wortes, KXfjpoq ,Ackerlos',
s. u. Ackerbau, in -vöpos scheint vepw in der Bedeutung ,regieren',
»verwalten' vorzuliegen, so dass KXrjpo-vöuos eigentlich ,Losverwalter'
wäre «oder ist Wuw hier, wie in got. niman, »nehmen', KXn.povöuoq ,Los-
nehmer', ,Erbe"?). Übrigens sind die genannten Ausdrücke in juristisch-
technischem Sinne kaum sehr alt (Dcmosthenes, Isacus). Das Gesetz
von Gortyn hat sie nicht. ,l)ic Erbschaft erhalten' wird hier durch
to xPHMOTa £xnv> Xavxävnv, änoXavxävriv und dva»Xfj6ai ausgedrückt.
Das lateinische Wort ist heres, heredis. Es gehört zu griech. xfipos
, verwaist', und Tieren bezeichnet also einen, der ein verwaistes Gut an-
tritt. Zu bemerken ist, dass auch das griech. xnpoq in der homerischen
Ableitung xnpurtrvK ei»e Beziehung zur Erbschaft angenommen hat:
II. V, 158 werden unter xnpwo-Tai solche (Verwandte) verstanden, welche
in Ermangelung von Söhnen den Besitz eines Verstorbenen teilen.
Wenden wir uns in den Norden, und zunächt in die litu-slavische
Welt, so begegnet altpr. waldüns ,der Erbe', waldisnan ,das Erbe' :
lit. paiceldeti ,ererben\ eigentl. ,regicren, besitzen, an sich bringen'
(vgl. lit. icaldaü .regiere', das man aus dem germanischen got. tealdan etc.
entlehnt sein lüsst, und oben den KXrjpo-vöpo?). Im übrigen wird .Erbschaft'
häufig mit Ableitungen von Wörtern für Vater und Grossvater ^Väter-
liches') bezeichnet (vgl. lat. patrimönium : pater). So lit. tetconls
,Erbe", tewiszke ,das Ei be' : te'icas , Vater', nsl. dedina »Erbschaft' : altel.
dedü , Grossvater' etc. Russ. zadnica ist ,Hinterlassensehaft', altsl.
bastina ,das Erbe' türkischen Ursprungs. Ein g e m e i n s I a v i s c h e r Aus-
druck für ,erben' und ,Erbe' ist demnach nicht vorhanden. Im Litauischen
bürgern sich mehr und mehr die deutschen arwüti, drwas ein. Eine
einzige Übereinstimmung besteht auf idg. Gebiet, und zwar zwischen
Germanisch und Keltisch, insofern das gemeingerm. got. arbi ,dasErbe',
arbeis, arbi mtmja ,der Erbe', das (vgl. oben lat. heres) zu lat. orbus,
griech. öptpavö? ,verwaist' gestellt werden mnss, im Irischen (altir. com-
arpi jMiterben' = ahd. ganarbo ,cohaeres') wiederkehrt. Da aber bei
ausschliesslich keltisch-germanischen Entsprechungen, namentlich auf dem
Gebiet des Rechts- und Staatswesens (8. u. Eid, König, Geisel etc.),
der Verdacht einer Entlehnung sehr nahe liegt, so kann man aus jener
Übereinstimmung keinen Schluss auf die Urzeit ziehen. Im Gegenteil
machen es die allgemeinen Besitzverhältnisse derselben («. u. Eigcn-
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Erbschaft.
185
tum) wahrscheinlich, dass es damals überhaupt kein Wort für ,crben'
gegeben hat. Natürlich musste es, sobald der Eigentunisbegriff den
Indogermanen aufgegangen war, auch eine Nachfolge im Eigentum
gehen. Solange die Verhältnisse aber so einfache waren, dass diese
Nachfolge ohne jede gesetzliche Bestimmung nach uralter Gewohnheit
gleichsam von selbst vor sich ging, solange die Erben, ohue dass eine
Behörde oder dergl. davon Kenntnis nahm, gleichsam in die Hinter-
lassenschaft eines Mannes , hineinwuchsen', lag ein Bedürfnis zur Prä-
gung eines Wortes für ,erben' nicht vor; denn Wörter werden ge-
schaffen, nicht schon, wenn die betreffende Sache, welche sie später
bezeichnen, vorhanden ist, sondern erst, wenn die Vorstellung von dieser
♦Sache im Volke lebendig wird. Die Vorstellung des Erbens aber konnte
bei den Indogermanen umso weniger lebendig werden, als wir uns
dieselben, wie u. Familie gezeigt ist, in Grossfamilien oder Hausge-
meinschaften lebend vorstellen müssen, bei denen das gesamte Eigen-
tum als Gemeinbesitz aller betrachtet wird. Der Tod des einzelnen
vermehrt daher wohl den Auteil der übrigen, aber ein eigentliches
Erben findet nicht statt. Es ist daher kein Zufall, dass gerade im
Osten Europas, wo sich die ursprünglichen Verhältnisse am längsten
«rhalten haben, die älteste Gesetzgebung (vgl. darüber Ewers Das
Recht der Russen S. 260) jeder Verordnung über Erbrecht entbehrt,
wie ja auch kein gemeinslavischer Ausdruck sich dafür findet (vgl.
auch Krek Einleitung in die slavischc Litg. 8 S. 165).
Freilich musste auch bei den Indogermanen gelegentlich eine Aus-
einandersetzung über Vermögensverhältnisse stattfinden, und zwar im
Falle der Teilung einer Hausgemeinschaft, sei es, dass dieselbe
durch überzahl der Mitglieder oder durch andere Gründe veranlasst war.
Alsdann trat natürlich auch eine Teilung des Vermögens ein, für die
das Verbum sert. ddyate = griech. betfoueu, vgl. altsl. delü (südsl. dijela,
dijeliti bezeichnet spezifisch die Teilung einer Hausgenossenschaft) galt
<das Verhältnis von got. dails ,Teil' u*. s. w. hierzu ist dunkel). Später ist
dieses Zeitwort der terminus technicus für den Begriff jeder Erbteilung.
Hinsichtlich der Art der Teilung einer solchen Hausgemeinschaft
stehen sich bei den slavischen Völkern zwei verschiedene Anschauungen
gegenüber. Über die russischen Dorfgemeinschaften berichtet E. de
Laveleye Das ürcigentum S. 19: „Weun nach einem Sterbefall eine
Teilung stattfindet, was jetzt weniger selten ist als früher, so geschieht
dieselbe nicht nach dem Verwandtschaftsgrade, sondern nach der An-
zahl der erwachsenen männlichen Personen, welche das Haus be-
wohnen." Anders bei den Südslaven. Hier wird nach Krauss Sitte
und Brauch der Südsl. S. 120 „bei der Teilung einer Hausgemeinschaft
die Fiction aufrecht erhalten, als lebten die Söhne des Mannes, der
das Heimwesen ursprünglich gegründet; demnach wird die Teilung
nach Gliedern (in stipites) oder Zweiglinien und nicht nach der An-
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186
Erbschaft.
zahl der Köpfe (in capita), selbstverständlich sind damit die
mann liehen Mitglieder gemeint, regelrecht vorgenommen". Es
wird sieh weiter unten zeigen, das* der letztere Brauch das ursprüng-
liche bewahrt.
Wenn nach dem bisherigen von einer gesetzlichen Regelung de»
Erbgnngs weder in der Urzeit noch in den frühesten historischen
Epochen die Rede sein kann, so erweist sich doch eine vergleichende
Betraclitnng der ältesten Erbsysteme der Einzelvölker als von ausser-
ordentlicher Bedeutung nicht nur für das Verständnis der ursprünglichen
Knltnrverhältnisse der Indogermanen (die Stellung ihrer Frauen u. s. w.)
im allgemeinen, sondern auch für das ihrer ältesten Familicnorganisatioa
im besonderen. Denn es wird sich zeigen, dass in jenen ersten Erb-
schaftssatxungen der Einzelvölker die auf anderen Gebieten teilweis ver-
wischten Vorstellungen aufs treueste bewahrt worden sind, welche die
Urzeit von Familie und Verwandtschaft hatte, (leradc hier bietet sich
die Möglichkeit, das namentlich auf sprachlichem Wege über den
ältesten Ausbau der idg. Familie (s. d.) ermittelte sachlich zu prüfen
und zu befestigen. Und zwar dürften sich ans der Vergleichung der
einzelnen Erbrechte folgende fünf Sätze als Kernpunkte aller erbrecht-
lichcn Bestimmungen ergeben:
I. Es gab ursprünglich keine Tcstameute.
II. Frauen konnten nicht erben.
III. Männer konnten nicht durch Frauen erben.
IV. Männer erbten also nur durch Männer, und zwar zuerst die
Söhne, unter denen das väterliche Gut geteilt wurde, die Enkel und
Urenkel, dann die Brüder mit ihren Söhnen und Enkeln, dann die
Valersbrüder mit ihren Söhnen und Enkeln, dann die Grossvatersbrüder
mit ihren Söhnen und Enkeln.
V. Wenn ein Mann nur Töchter hatte, konnte er eine derselben
zur „Erbtoehteru machen und sie einem (ursprünglich vielleicht den
nächsten Verwandten angehörigen) Manne unter der Bedingung zur
Frau geben, dass der erzeugte Sohn als Nachfolger und Erbe des-
mütterlichen Grossvaters gelte.
I. Es gab ursprünglich keine Testamente.
Noch in den älteren Epochen der Einzelvölker war die mündliche
oder schriftliche Xicdcrlegung des letzten Willens, wie zahlreiche
Zeugnisse hervorheben, eine unbekannte Sache. Näheres darüber s. u.
Testament.
II. Frauen konnten nicht erben.
Schon aus den obigen Angaben geht hervor, dass bei der Teilung
einer slavischen Hansgemeinschaft die Frauen leer ausgingen. Ganz
undenkbar ist es ferner für das Begriffsvermögen des Volkes, dass
ein aus einer Hausgemeinschaft herausheiratendes Mädchen nach dem
Tode des Vaters an ihre Brüder irgendwelche Erbschaftsausprüche
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Erbschaft.
187
hinsichtlich des väterlichen Vermögens stellen könnte. Nur auf das
Mitgebrachte der Mntter steht der Tochter ein Erbanspruch zu. Einen
für die ursprünglichen Anschauungen höchst lehrreichen Vorfall dieser
Art erzählt Krauss a. a. O. S. 286 ff. Die Witwe hat ein Anrecht
darauf, in der Hausgemeinschaft ihres verstorbenen Mannes Wohnung
und Unterhalt zu finden. Scheidet sie aus derselben aus, so „erbt sie
nicht das Geringste von ihrem Manne. Sie kann nur die mitgebrachte
Aussteuer (Wüsche und Schmuckgegenstände) mitnehmen; selbst die
Geschenke, die sie von ihrem ersten Manne erhalten, mnss sie der
Hausgemeinschaft zurückgeben" (Krauss S. 579 f.). Dieser uns hier
noch in der Gegenwart entgegentretende Zustand lässt sich nun teils
mit grösserer, teils mit geringerer Deutlichkeit noch in den Erbrechten
der verwandten Völker nachweisen. Hei den Indern äussert sich mit
Bestimmtheit Baudhäyana Dhanna-sntrn 11, 2, 3, 44 ff. Uber die Erbun-
fähigkeit der Frauen: Women do not poxsexx independence 451 Now
they quote also (the folloicing verxe) : /Vheir father protectx ithem)
in childhood, their huxband protectx (themt in youth, and tbeir xonx
protect ithem) in old age; a tcoman is never fit for independence
46). The Veda declarex : ,Therefore icomen are conxidered to be
destitute of xtrength and of a portion (ddya- : baioficu s. o.j. Vgl.
dazu Äpastamba II, 6, 14; 2 ff., der die Witwe gar nicht erwähnt
und die Tochter erst hinter den Sapindns (s. u.) einschiebt, und
für beide die betreffenden Noten Bühlers. Auch Jolly Sitte und Recht
S. 86 gelangt zu dem Schluss, dass die Erbfähigkeit der Frauen ein
sekundäres und darum viel umstrittenes Prinzip der altindischen Erb-
ordnnng sei. Nach griechischem Recht konnten in Attika die weib-
lichen Familienglieder nur auf Unterhalt und Ausstattung aus dem
Hausvermögen, nie auf eigenen Besitz Anspruch machen (vgl.
Thalheim Rechtsaltert. S. 56t, während in Gortyn galt: „Wenn einer
stirbt, sollen die Häuser in der Stadt und was in den Häusern drin
ist, denen kein Häusler inwohnt, der auf der Stelle haust, und das
Triftvieh und starkfüssige, was nicht eines Häuslers ist, bei den Söhnen
stehen; das andre Vermögen aber all sollen sie teilen schön (bcrrcBOat
KctAö^), und sollen bekommen die Söhne, so viele sind, zwei Teile
jeder, die Töchter aber, so viele sind, einen Teil jede" (Das Recht
von Gortyn von F. BUcbcler und E. Zitclmnnn, IV 32 ff.). Alles echte
Eigentum also, ebenso wie das Vieh, gehört ausschliesslich den Söhnen,
während hinsichtlich des übrigen eine Milderung des noch deutlich
durchblickenden ursprünglichen Zustandes zu Gunsten der Töchter ein-
getreten ist.
Überaus ähnliche Erscheinungen zeigt das altgermanisehe Recht.
Die skandinavische und deutsche Erbfolge stimmen darin überein, dass
der Landbesitz bei den Männern bleibt. Vgl Lex Salica ed. Hessels
Cod. I, LVI1II, 5: De terra vero nulla in midiere hereditax perti-
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Erbschaft.
nebit, sed ad virilem sexum qui fratres fuerint tota terra perteneunt =
Lex emend. LXII, 6: De terra vero Salica nulla portio hereditatis
mulieri veniat, sed ad virilem sexum tota terrae hereditas perveniat.
Hinsichtlich der fahrenden Habe aber ist nur der Norden auf dem
urzeitlichen Standpunkt, wie er durch den Satz: ,,Der Mann geht zum
Erbe, das Weib davon" ausgedrückt wird, stehen geblieben, und
erst später zeigt sich (ganz wie in Gortyu) auch dort die Milderung,
dass die Töchter auf den halben Teil der Söhne gesetzt werden. Im
deutscheu Recht hingegen nehmen Söhne und Töchter am Fahrnis mit
gleichen Quoten teil (vgl. J. Grimm R.-A. S. 407, 472 f.).
Der allmähliche Sieg des Erbrechts der Frauen im mittelalterlichen
Europa wird, ausser auf die fortschreitende Milderung der Sitten, nicht
am wenigsten auf den Einfluss des römischen Rechte zurückzufahren
sein, das schon in seiner ältest erreichbaren Gestalt die (unverheiratete)
Tochter dem Sohne, die (unverheiratete) Schwester dem Bruder im
Erbgange gleich gestellt hatte. Weiterhin aber waren die Agnatiunen
nicht zu der legitima hereditas zugelassen. Vgl. Gai. III, 23: Item
feminae agnatae, quaecunque comanguineorum gradum excedunt,
nihil iuris ex lege habent und Ulpian tit. XXVI, 6: Ad feminas ultra
comanguineorum gradum legitima hereditas non pertinet\ itaque
soror fratri sororive legitima heres fit. Es liegt vom vergleichenden
Standpunkt nahe, diese Zurücksetzung der Frauen als Kachhall einer
Zeit zu betrachten, in der es überhaupt kein Intestaterbrecht der
Frauen in Rom gab. Doch erblicken die Mehrzahl der Juristen darin umge-
kehrt eine spätere Neuerung (vgl. Rein Privatrecht S. 386). Unzweifel-
haft hat sich das älteste Eigentums- und Erbrecht der Frau zuerst hin-
sichtlich des Schmuckes und der Mitgift der Mutter entwickelt,
wie es auch Baudhäyana (a. o. a. 0. 43) hervorhebt: The daughters shall
obtain the Ornaments of their mother, (as many as are) presented
aecording to the custom {of the caste), or anything ehe (that may
be given [by the matemal grandfather) aecording to custom. Es ist
das, was im indischen Recht strhdhana- ,Frauengut' (Jollv S. 87 ff.),
im deutschen gerdde heisst. Dass aber in der Urzeit der Begriff der
dös noch unbekannt war, ist u. Mitgift gezeigt worden, und der wenige
Schmuck, den die Frau in der Urzeit besass, wird ihr zum grössten
Teil ins Grab nachgefolgt sein (s. u. Bestattung und u. Eigeutum).
III. Männer konuten nicht durch Frauen erben.
Die Richtigkeit dieses Satzes lüsst sich nicht so direkt, aber mit
nicht geringerer Sicherheit wie der vorige erweisen.
U. Familie ist auf anderem Wege gezeigt wordeu, dass der Ver-
wandtschaftsbegriff der idg. Urzeit der agna tische war, dass ein
ego weder die Verwandten seiner Frau als mit sich verschwägert,
noch die Kinder dieses ego die Verwandten ihrer Mutter als mit sich
verwandt betrachteten.
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Erbschaft.
Wenn dem aber so war, so muss von einem Standpunkt ans, welcher
in den ältesten Erbbcstinimnngen nichts als den Ausfhiss der ältesten
Familienorganisation erblickt, es von vornherein als ausgemacht gelten,
dass auch der Erbgang bei den idg. Völkern in den ältesten Zeiten
agnatisch geordnet war. Findet sieh daher bei einem der idg. Völker
ein so gestaltetes Erbrecht in ungetrübter Reinheit vor, so wird es au
sich wahrscheinlich sein, dass hier der ursprüngliche Zustand bewahrt
wurde. Dies ist nun thatsächlieh der Fall im römischen Recht, dessen
Erbgesetz nach den XI 1 Tafeln lautete: Si intestato moritur cui mus
heres nec escit, agnatux projeimux familiam habet o. Die Wahrschein-
lichkeit aber dafür, dass in diesem kurzen Satze wirklich das älteste
des alten enthalten ist, würde sich steigern, wenn es gelänge, in den
Erbbestimmungen der übrigen idg. Völker die Überreste jenes ursprüng-
lichen Zustandes wiederzufinden. Dies soll im folgenden versucht
werden. In den indischen Rechtsbüchern wird die Frage, von wem
das Erbe angetreten werde, wenn keine Söhne daseien, regelmässig
beantwortet: „Von dem nächsten Sapinda". Vgl. z. H. Apastamba II,
14; 2: On failure of xonx the nearext Sapinda (takex the inheritance).
Welcher Verwandtenkreis wird nun mit diesem Worte bezeichnet? Die
ausführlichste Definition desselben giebt Baudhäyana I, 5, 11; 9:
Moreover, the great-grandfather, the grandfather, the father, oneself,
the uterine brotherx, the xon by a wife of equal carte, the grand-
xon, (and) the greatgrandson — these they call Sapinda «,
but not the (great-grandson's)8on. Überblickt man diese Verwandten,
so werden nur Männer genannt, die durch Mänucr verwandt sind. Zwar
ist es aus unten noch anzuführenden Gründen so gut wie sicher, dass
zu den Brüdern, dem (iross- und Urgrossvatcr auch deren Söhne und
Enkel gehören. Diese liegen iinplicite in den genannten Personen
darin. Schwcstcrsöhnc aber können nach dieser Definition schlechter-
dings nicht zu den Sapindas gehört haben; denn es hätte alsdann
irgend eine Beziehung auf sie genommen werden müssen. Dass aber
der grand-xon nur der Sohn des Sohnes, nicht der der Tochter gewesen
sein kaun, folgt aus dem bei den Indern in voller Blüte stehenden
Institut der Erbtochter fs. d.) mit Sicherheit. Würde doch dasselbe
jedes vernünftigen Sinnes entbehren, wenn jeder Tochtersohn (dauhi-
tra-) Erbe des mütterlichen Grossvaters gewesen wäre und nicht erst
durch einen besonderen Akt zu einem solchen, zum ptttrikd-putra- hätte
gemacht werden müssen. „Wenn keine Sapindas da sind", fährt
Baudhäyana fort, „geht das Erbe an die Sakulyas". Zu dem letzteren
Wort bemerkt der Commentator Govinda : If a partkidar relMionxhip
ix knoten, they are called Sapindas', and if {the fact) only ix known
that relationship exists, Sakulyas. Herne the Sapindas are aho
Sakulyas. Ist dies richtig, so würden die Sapindas den römischen
agnati (mit nachweisbarem Gradus), die Sakulyas aber den römischen
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290
Erbschaft.
gentile* (Agnaten mit nicht nachweisbarem Gradust entsprechen, auf
die in Ermangelung der crateren auch in Rom die Erbschaft Uberging
(XII Tafeln: Si adgnatus nec escit, gentiles familiam habento). That-
sächlich deckt sich begrifflich sert. m-kulya- : küla- , Wohnsitz, Fa-
milie, Geschlecht' (mau vergleicht lit. keltis, lett. zilts »Geschlecht',
altsl. celjadl , Familie", ir. cland .Geschlecht, Clan') genau mit dem
lat. gentili* : gens.
Der so ermittelte Sinn des Wortes Sapinda ergiebt sich aber auch
aus dem Gebrauch, den Gautama und sein Commentator Haradatta von
demselben macht. Bei Gelegenheit seiner Darstellung der Lehre von
der Unreinheit bei dem Tode eines Verwandten (vgl. auch Delbrück
Verwaudtschaftsnamen 8. 570 f.) zählt der erstere (XIV, 15; 19/20)
folgende drei verschiedene Arten von Verwandten auf: 1. den sapinda- f
2. den asapinda-, 3. den yönisambandha-. Das Wort asapinda ,Nicht-
Sapinda' erklärt Haradatta mit Samänödaka i. e. ,,a kinsman bearhig
the same family name, but more than six degrees removed" (vgl.
oben Sakulya), das Wort yönisambandha mit „the maternal grand-
father, a maternal aunt's sons and their sons etc., the fathers of
wives and the rest". Der Herausgeber G. Bühler fügt hinzu: „The
latter term (yönisambandha- : yö'ni- .Mutterleib', ,vulva')f for tcJiich
fa person related through a female would be a more exaet
rendering (than the one given above, nämlich ,a relative by marriage ),
includes, therefore. thoxe persona, icho, aecording to the terminology
of Manu and Yäjnacalkya, are called Bhinnagotrasapindas, Bdnd-
havas, or Bandhus". Ist das aber richtig, so bleibt für die Sapindas
nur die Bedeutung übrig: „ein Verwandtenkreis von Männern, die
innerhalb eines bestimmten Kreises durch Männer verwandt sind".
Nun finden sich allerdings vor den Sakulyas, bezüglich an Stelle
derselben, gelegentlich die Sapindas der Mutter oder die Bandhus ein-
geschoben, sowohl als solche, welche die Totensacra darbringen ( vgl.
Gautama XV, 10; 13), als auch als solche, welche die Erbschaft an-
treten (vgl. The Institutes of Vishuu, trauslatcd by .1. Jolly XVII, 20; 10,
dazu den Commentator Vishnu's Nandapandita). Unzweifelhaft hat man
es hier aber mit nichts anderem zu thun als dem auf idg. Völkergebiet
überall wiederkehrenden Versuch, der allmählich erkannten Verwandt-
schaft durch die Frauen gerecht zu werden. Zu dieser Überzeugung
ist auch Jolly Sitte und Recht gekommen, indem er S. 86 hervorhebt :
„Die Beteiligung der Kognaten an der Successiou ist offenbar
ein mindestens ebenso sekundäres Prinzip wie die Beteiligung
der Frauenu. Cbcr die heutigen Verhältnisse des Pendjab aber fügt
er hinzu : „Das Gewohnheitsrecht des Pendjab stimmt auch hier
wieder mehrfach mit den Smrtis überein, obschon ihm der Zusammen-
hang des Erbrechts mit den Totenopfern fremd ist. Die Erbfolge
ist streng agnatisch geordnet, nach Parentelen und mit nnbe-
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Erbschaft.
191
-dingtem Rcpräsentationsrccht; nie geht das Familiengut aus dem got
(götra-) hinaus.4'
Es ergiebt sieh also, das» das indische dem römischen Erbrecht sehr
nahe steht nnd beide auf eine ihnen zu Gruudc liegende agnatischc
Organisation der idg. Familie hinweisen.
In höherem Grade dagegen als bei den Indern wird der Satz „Männer
erben nur durch Männer'' bei den Griechen durch Berücksichtigung
kognatischer Verwandten durchbrochen. Zwar können auch hier die
Söhne von Töchtern im allgemeinen als Erben nicht in Betracht gekommen
sein: sie müssen vielmehr erst durch das Institut des Erbtöchtertums
künstlich zu solchen gemacht werden. Aber deutlich rücken in dem
Gesetz von Gortyn (V, 10 ff.) in dem Fall, dass der Verstorbene keine
Kinder, keine Enkel uud keine Urenkel hinterlässt, auch Brüder des
Verstorbenen mit Kindern und Kindeskindern nicht vorhanden sind,
die Schwestern mit ihren Kindern und Kindeskindern in die Erbschaft
ein. Wie in diesen Dingen die Verhältnisse in Attika lagcu, muss hier
unbestimmt gelassen werden: denn leider ist die Hauptstelle, auf die
sich unsere Kenntnis des attischen Erbgangs stützt (Demosth. in Ma-
cartatum p. 1007], seit alters und in vielen Punkten so sehr umstritten,
dass sie hier nicht erörtert werden kann. Ganz klar ist nur die an
dieser Stelle enthaltene Angabe Uber die Heranziehung der mütter-
lichen Verwandten: iäv be un. ukJi npö«; naTpos uexpi ävenmiiv ttcuoujv
(Vettern zweiten Grades, semnd com*/»«), tou^ rcpö^ toö dv-
bpöq KUTtt T'aÜTO Kupiou? €ivat. Das würde indisch ausgedruckt heisseu:
„Wenn keine Sapindas von väterlicher Seite vorhanden sind, erst dann
erben die Sapindas der Mutter" oder mit anderen Worten : „Erst wenn
nicht einmal ein Enkel meines Grossvatersbruders lebt, kommen die
Verwandten meiner Mutter au die Reihe in der Erbschaft."
Ob diese Einschiebung der mütterlichen Verwandten auch in Kreta
stattfand, lässt sich uicht sagen. Nach dem Gesetze von Gortyn (V, 23)
sollen, wenn auch keine Enkel von Schwestern da sind, die dmßäX-
Xovt€? (olq k' tTTißüXXei öttö k' ei ) erben. Man kann leider nicht mit Be-
stimmtheit sagen, was das für Leute sind.
Für die germanischen Verhältnisse sind wir in der frühesten Zeit
lediglich auf die Angabe des Tacitus Genn. Cap. 20 angewiesen, welche
lautet: Heredes tarnen (d. h. trotz der im Vorhergehenden besprochenen
Vorzugsstellung des Mutterbruders) successoresque sui cuique liberi et
nullitm testamentum. si liberi non sunt, proximus gradutt in pox-
xet&ione fratres, patrui, avuneuli. Dass unter den liberi nur Söhne
zu verstehen sind, ist nach dem Früheren sicher. Über die Erbschaft
der Töchtersöhne ist aus den Worten des Schriftstellers nichts zu ent-
nehmen. Sehr wichtig aber ist, dass hinter den fratre* (und offenbar
ihren Söhnen und Enkeln) die Schwestern mit ihrem Nachwuchs
fehlen. So schliessen sich an die fratrett unmittelbar die patrui
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lf-2
Erbschaft.
(olfenbar wiederum mit Söhnen und Enkeln) an. Wären nun hinter den
patrui noch die magni patrui (mit Sühnen und Enkeln) genannt, so
würde das so gewonnene Bild des altgermanischen Erbgangs in allem
wesentlichen dem oben als ursprünglich angenommenen entsprechen.
Statt dessen erscheinen hinter den patrui gleich die aruneuli, wodurch
bei den Germanen ein um eine Stufe früheres Heranziehen der
mütterlichen Verwandten, als wir es bei Indern ausnahmsweise und
Griechen wohl regelmässig fanden, bezeugt wird.
So scheint sich folgender Zustand für die Beurteilung des Alters
der frühesten Erbbestimmnngen bei den idg. Völkern zu ergeben: Geht
man von dem agnatischen Prinzip des Erbrechts der 12 Tafeln aus,
so kann die bei den übrigen Völkern teils mehr, teils weniger hervor-
tretende auffällige Zurücksetzung der durch Frauen vermittelten Ver-
wandten im Erbgang ohne Schwierigkeiten aufgefasst werden als
beruhend auf der allmählichen Durchbrechung des agnatischen Familien-
gedankeii8 durch die Bcrüeksiehtiguiig der durch Weiber vermittelten
Verwandtschaft. Wollte man aber annehmen, dass von vornherein bei
den Indogcrmanen Kognaten zur Erbschaft zugelassen worden seien,
so würde sowohl jene nun genugsam erörterte Zurücksetzung derselben,
wie auch vor allem der ganze Grundgedanke des römischen Erbrechts
dunkel sein.
IV. Männer erbten also nur durch Männer.
In welcher Weise aber erbten Männer durch Männer? Zuerst
ist von den Söhnen zu sprechen. Drei Bestimmungen finden sich in
dieser Beziehung in den ältesten Erbrechten der Indogcrmanen: Ent-
weder soll der Erstgeborene das ganze Gut des Vaters erben, oder
er soll einen Vorzugsteil erhalten, oder die Söhne sollen alle zu gleichen
Teilen erben. Bei den indischen Rcchtslehrern linden sieh alle drei
Modi angegeben. Vgl. Gautama XXV11I, 1 ): After the father's death
let the sons diride his estate 3) Or the whole (estate may go) to the
first born; (and) he xhall support the reut) as a father Oi, 10) Or
let the eldest hare two shares, And the rest one each, Baudhavaua II,
2, B; 2 ff. : The Veda (says) ,Manu divided his estate anwng his sons.
(A father may, therefore, diride his property) equally among all,
without {making any) differenve. Or the eldest may reeeice the most
e.rcellent chatte!. (For) the Veda says .Therefore, they distinguish
the eldest by (an additional share of the) property'. Or the eldest
may reeeice {in excess) one part out of ten; (And) the other (sonn)
xhall reeeice equal shares, Apastaniba II, 6, 14; 1 : He should, du ring
his lifetime, diride his wealth equally amongst his sons 6) Some de
clnre, that the eldest son alone inherits 7) In some countries gold,
(or) black cattle, (or) black produce of the earth is the share of the
eldest. Im allgemeinen befürworten diese indischen Juristen die Teilung,
bezüglich die gleichmäßige Teilung unter Söhnen. Gautama a. a. 0.
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Erbschaft.
193
v. 4 hebt hervor: Hut in partition there is an increa.se of spiritual
merit. und Apastamba (a. a. 0. v. 13) polemisiert (ohne ihn zu nennen)
gegen die Heranziehung der zweiten von Baudhäyana angeführten
Vedastclle, die die Bevorzugung des Erstgeborenen empfiehlt, da sie
nicht beweiskräftig sei (vgl. Bühlcr Sacred Books 11, XX ff...
In Griechenland wurde seit Anfang der i'berlieferung das väter-
liche Gut gleichmässig unter die Söhne verteilt. Ho geschah es bei
den Göttern, als die Welt zwischen Zeus, Poseidon und Hades geteilt
wurde (II. XV, 189: xpix9« be Trdvra bibaoxav, so bei den Menschen
(Od. XIV, 209: toi b€ Zwnv ^bäaavxo rcatbeq Ü7rep6uuoi Kai im
KXiipou? ^ßdXovTot, so schrieb es auch das spätere Gesetz vor: äiravTa«;
Touq Tvnffiou«; iaonoipou? €?vai tüjv naTpiywv (Is. VI, 25 p. 60). Gleich-
wohl schimmert eine gewisse Bevorzugung des Erstgeborenen bei Homer
(II. XV, 204 : oio*6' d>s TTp€0"ßuTCpoio"iv 'Eptvuc? atev £ttovt(ii) und später
(vgl. Thalheim Griech. R.-A. 8. 54 ') noch durch. In Rom fällt das
Erbe den Kindern zu gleichen Teilen zu. Bei den Slaven fehlt in
den ältesten Aufzeichnungen, wie oben bemerkt, jede Bestimmung über
den Erbgang. Erst das Gericht {sydü) des .laroslav Wladimirowitsch
(XIII. Jahrh.) schreibt vor: „Wenn jemand sterbend das Haus (domü)
unter seine Kinder verteilt, so bleibt es dabei. Hinwiederum stirbt
er ohne alle Bestimmung, dann (gehört es) allen Kindern" (Ewers
S. 326).
Für die Germanen lässt die oben angeführte Stelle der Germania
(Cap. 20 ) auf gleiche Verteilung der Erbschaft unter die Kinder schliessen.
Daneben aber heisst es in derselben Schrift über die Tencterer (Cap. 32):
Inter familiam et penatex et iura successionum equi traduntur : ex-
eipit ßius, non ut cetera, maximutt natu, sed prout ferox hello
et melior. Es scheint also, dass bei den Tcncterern, und wahrscheinlich
auch noch in anderen Teilen Germaniens, das Recht der Erstgeburt
herrschte.
Über das Verhältnis der so geschilderten Erbmodi zu einander dürfte
nach dem bisherigen ein Zweifel nicht möglich sein. Wenn der Erst-
geborene mit der Verpflichtung, die übrigen wie ein Vater zu unterhalten,
alles erbt, dann findet eben eine Erhtcilnng Überhaupt nicht
statt. Die Hausgemeinschaft bleibt bestehen. Mit der Re-
giernngsgewalt (s. u. Familie) geht das unbeschränkte Verwaltungsrecht
über das Eigentum der Familie auf den ältesten Sohn über. Dies war
sozusagen der normale Zustand der idg. Urzeit. Fand aber eine
Teilung statt, was, je mehr im Laufe der Zeit die Sonderfamilie an die
Stelle der Grossfamilie trat, immer mehr das gewöhnliche wurde, so wurde
das Vermögen an die Söhne, bezüglich an die Stämme einstiger Söhne
(s. o.) im ganzen glcichmässig verteilt. Ehrengeschenke an den Altesten
(sert. jyäijthfhya-, griech. npecrßeiov) waren dabei nicht ausgeschlossen.
Hinsichtlich der weiteren Regelung des Erbgangs bei den Einzel-
Schratler. ReaUexikon. 1'*
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194
Erbschaft.
Völkern tritt uns auf indischem und griechischem Oehiet der Begriff
einer Nah Verwandtschaft entgegen, wie er in der indischen Sapinda-
Familic und in dem griechischen Kreis der 'Arxiffte»? oder Nächsten,
der Verwandtschaft nc'xp« ctve^nuv Trcubwv vorliegt. Unzweifelhaft (s. o.)
umfasste der indische Ausdruck solche (männliche und durch Männer
vermittelte) Verwandte, welche einen gemeinsamen Vater, Gross- oder
Urgrossvater hatten. Die Grenze der Nahverwandtschaft bildete also mir
gegenüber der Enkel meines Grossvaterbruders. Denselben Verwandten
meint aber bei den Definitionen der Anchistie wahrscheinlich auch das
griech. dv€vjnaboö<; (= dv€i|;ioö Ttaiq), also , Vetter II. Grades, second
couän' (demnach nicht wie sonst den Sohn meines Vetters, den Enkel
meines Oheims, den first couxin once rewored). Dies scheint namentlich
aus dem Gortynischen Erbrecht zu folgen, nach dem (ganz wie bei den
Indern s. o.) die Dcscendenten eines Verstorbenen bis zum Urenkel
(nicht Ururenkel), die Nachkommen seines Bruders nur bis zum Enkel
(nicht Urenkel) erben. Aus dieser Dreistufigkeit der Deseendenz, die
natürlich auf einer Dreistufigkeit der Ascendeuz basiert, mit einem
Worte aus der Vorstellung eines Dreiahnenkreises (s. auch u. Vor-
fahren) ergiebt sich aber als ältester Modus des Erbgangs der oben
aufgestellte Satz von selbst, nach dem zuerst die männlichen Dcscen-
denten eines Verstorbenen bis zum Urenkel, dann die Brüder, dann die
Oheime (patrui), dann die Grossoheime (magni patrui) mit Söhnen
und Enkeln erbten (so auch B. Delbrück Preuss. Jahrb. LXX1X, 21).
Eine derartige schenmtische und abstrakte Verwandtschaftsberech-
nung muss sich aus ganz bestimmten, konkreten Verhältnissen der
Urzeit ableiten lassen. Solche bieten die Zustäude der idg. Hausge-
nos8enschaft dar. „Der Umfang der Gesaiutfauiilie", berichtet Jolly
von der indischen Hausgeuosscuschaft (a. a. 0. S. 79) „war und ist
häufig ein sehr bedeutender. Nicht bloss Eltern und Kinder, Brüder
und Stiefbrüder leben in Vennögensgemeinschaft, sondern dieselbe kann
sich auch auf Ascendenten, Deseendcnten und Seitenverwandte aus
mehreren Generationen erstrecken. Bei der Sitte der frühen Heiraten
konnte der paterfamilias noch in jungen Jahren zum Grossvater werden
und häufig auch zum Urgrossvater avancieren". Auch in den arme-
nischen Hausgemeinschaften (vgl. Barchudarian bei Leist Jus civile
I, 498) leben oft sehr zahlreiche verheiratete, also mit Kindern (Ur-
enkeln) versehene Enkel beieinander. Etwas weniger ausgedehnt,
wenigstens heut zu Tage, ist die Verwandtschaft der s 1 a v i s c h e u
Hausgemeinschaft („selbstverständlich nur in männlicher Linie"; vgl.
Krauss a. a. 0. S. 75).
Da auch für die idg. Urzeit ein verhältnismässig frühes Heirats-
alter (s. d.) anzunehmen sein wird, so steht der Annahme nichts im
Wege, dass die gewöhnliche Ausdehnung der idg. Hausgemeinschaft
dieselbe wie bei Indern und Armeniern gewesen sein wird, dass also
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Erbschaft.
195
auch hier noch oft Urgrossvater und Urenkel mit einander gelebt haben
werden. Versetzt man sich auf den Standpunkt eines solchen Urenkels
einer solchen Hausgemeinschaft, so konnte derselbe durch räumliche
Gemeinschaft mit Vater, Gross- und Urgrossvater, mit Brüdern, Oheimen
(patrui) und Vettern, mit Grossoheimen, deren Söhnen und Enkeln
(dv€H»iaboö?), kurz mit demjenigen Kreis von Verwandten verbunden
sein, welcher schematisch mit der Zahl 3 nach Analogie der direkten
Dcsccndenz (Vater, Gross-, Urgrossvater : Sohn, Enkel, Urenkel) aus-
gebaut, in der indischen Sapindafamilie und bei den griechischen
Anchisteis vorliegt. Hier wird daher auch der sehr einfache Ursprung
dieser Nahverwandtschaft liegen. In der Urzeit war man mit ihr durch
Gemeinsamkeit des Eigentums verbunden, in der späteren Zeit, wo die
Sonderfamilie die Hausgemeinschaft überwog, vererbte sich das Vermögen
innerhalb derselben.
An der gleichen Nahverwandtschaft haftete die Pflicht, die Totenopfer
darzubringen (s. u. A h n e n k u 1 t u s) und weiter die Pflicht, den er-
schlagenen Blutsverwandten zu rächen (s. u. Blutrache). Auch das
heisst in die Urzeit Übertragen nichts anderes als: Die Mitglieder einer
Hausgemeinschaft sind in Totenkult und Blutrache solidarisch verbunden.
Hausgemeinschaft und Nahverwandtschaft sind in der Urzeit identische
Begriffe. Der letztere überdauert an Erbschaft, Animaverehrung und
Blutrache gebunden den ersteren, nimmt aber, von dem realen Boden
der alten Hausgemeinschaft losgelöst, allmählich einen rein fictiveu
Charakter an.
Aus dem Bisherigen wird es wahrscheinlich, dass auch im römischen
Erbrecht, das ja im übrigen die Grundzüge der idg. Familienorganisation
so treu bewahrt hat, der Begriff einer solchen Xahver wandt schaff
einmal lebendig gewesen ist. Es läge die Vermutung nahe, dass die
Agnaten mit nachweisbarein Gradns ursprünglich = den indischen Sa-
pindas, d. h. = denjenigen Agnaten gewesen seien, welche von dem
gleichen Vater, Gross- oder Urgrossvater abstammten (s. o.). Einen
ähnlichen Gedanken hat M. Voigt Jus naturale III, 1163 ausgesprochen,
indem er annimmt, die Agitation (gegenüber der Gentilität) umfasse
die civilen Verwandten bis zu und mit dem VI. Grade. In den uns
überlieferten Rechtszustunden ist hinsichtlich des Erbrechts von einer
solchen Nahverwandtschaft nicht die Rede, wohl aber begegnet sie uns
auffallender Weise, nicht in der Agnaten-, sondern in der Kognaten-
familie sobrino tenus (s. über xobrtnus u. Vetter; das Wort ist wohl
auch hier, wie dvetyiabou?, in dem Sinne von Enkel des Gross
oheims gebraucht). Diese Kognatenfatnilic tritt in der angegebenen
Begrenzung namentlich auf ZAvei für die indogermanische Altertums-
kunde wichtigen Gebieten, nämlich in Beziehung auf die Eheverbote
und auf die Trau erpf licht bei dem Tode eines Verwandten hervor
(über die angebliche Beteiligung der Kognaten an der Verfolgung von
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1%
Erbschalt — Erbse.
Mordsachen 8. n. Blutrache). Über den erstereu Punkt ist u. Ver-
wandtenheirat gehandelt worden. Den Entwicklungsgang hinsichtlich
des zweiten würde man sich vielleicht so vorstellen können: Die Dar-
bringung der Totensacra (Bestattung, Totenbesänftigung, Animaver-
ehrnng) haftete, ebenso wie der Erbgaug, von Urzeiten her an der
Agnatenfainilie, innerhalb deren es in vorhistorischer Zeit eine (damals
natürlich agnatische) Nahverwandtschaft sobriuo tenua gab. Zu einer
gewissen Zeit wurden nun zur Ausübung der aktuelle Intercsscu nicht
berührenden Trauerp flicht die Kognaten in gleicher Ausdehnung
(aobrino tenua) herangezogen, nachdem mehr und mehr der Gedanke
einer Verwandtschaft durch Weiber an Buden gewonnen hatte. In
diesem nenen Kreise blieb der alte Begriff der Xahverwandtsehaft
erhalten, während hinsichtlich des Erbgangs und des Kultes der Toten
(aus noch zu ermittelnden Gründen) eine neue Berechnung der Verwandt-
schaft, nach Gradus oder Zeugungen eingeführt wurde.
V. Über das Institut der Erbtochter s. d. — 8. auch u. Recht
(Familienrecht).
Erbse. Es handelt sich hier 1. um die Garten- und Felderbse
(Fixum sativum und P. arvenae /,.), 2. um die Kichererbse {Oker
arietinum L.). Von diesen ist nur die Gartenerbse in prähistorischen
Schichten Europas, aus neolithischer Zeit nur in den Schweizer Pfahl-
bauten von Mooscedorf und Lüscherz (vgl. Bnschan Vorbist. Botanik
S. 200), nachweisbar. Auch in Hissarlik kommt sie vor (vgl. Wittmack
Berichte der D. bot. G. 1886), ist aber, im Gegensatz zu Bohne und
Linse, dem ganzen ägy ptisch-semitischen Kulturkrcis fremd. —
Eine urverwandte Bezeichnung der Erbse scheint in der Reihe : armen.
aiaern, lat. cicer, altpr. keckers, griech. (ice)Kpiös vorzuliegen. Man hätte
von einem Stamme keqro- auszugehen und teils vorwärts (armen, gittern),
teils rückwärts (altpr. kecker* ) wirkende Assimilation der Gutturale
anzunehmen. Alsdann würde als Grundbedeutung dieser Sippe aber
kaum, worauf man durch lat. cicer und griech. Kpiöq (Theophr.) ge-
führt werden könnte, , Kichererbse' angesetzt werden dürfen, da es
wahrscheinlich ist, dass der K icher sich in Europa erst spät vom Süden
her verbreitet hat, wofür auch auf die starke Entlehnung aus lat. cicer
: ahd. kiehftrra, chihhira, mengl. (hiebe, chikpea* PI., alb. kikerr (neben
dem dunklen moduh) zu verweisen ist. Vgl. noch cicer Kalkum in
dem Capitulare Karls des («rossen. Doch kann, wie schon angedeutet,
die Reihe: armen, siaehi, lat. cicer u. s. w. nicht als eine über
allen Zweifel erhabene gelten (vgl. auch Hübschmnim Armen. Gr. I,
490).
Nicht sicher erklärt sind auch die meisten andern Benennungen der
Erbse in den europäischen Sprachen. Griech. €p^ßiv8o<; (vgl. auch
(idßiv9ot Hes.), schon bei Homer (ungewiss ob Kichcr- oder Gartenerbse
bezeichnend), gehört offenbar am nächsten zu öpoßos ,Erbsc' oder
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Erbse — Erbtochter.
197
,Erwenwicke* (Ervum Ervilia L.) und deckt sieh vielleicht mit lat.
ervum {*eregvo~, *erogvo-, vgl. K. Z. XXXII, 825). Xoch nicht klar
aber ist das Verhältnis, in dem die germanischen Ausdrücke ahd. aratceiz,
ariciz, agls. earfe, altn. ertr PI. zu den südlichen Wörtern stehen. Auf
keinen Fall können sie direkt aus ^ßiv8o<; oder ervu m entlehnt sein.
Die einen halten daher ariciz für urverwandt mit lat. ervum, das dann
von öpoßoq zu trennen wäre, andere suchen es mit gricch. äpaKog, dem
Namen einer Hülsenfrucht zu vermitteln. Auch hinsichtlich der griechisch-
lateinischen Gleichung inffoq, mo*o"os, mo*ov = lat. pinutn (Piao wie
Cicero : cicer) : idg. püt, lat. pinso /Verstössen' schwankt man, ob
Urverwandtschaft oder Entlehnung des Lateinischen aus dem West-
griechischen vorliegt. Die Bedeutung dieser Wörter dürfte ,Felderbse'
gewesen sein, da der von Plinius XVIII, 123 f. dieser Erbsenart zu-
geschriebene unebne und eckige Samen auf /*. arvense, nicht sativum
hinweist (vgl. weiteres bei Fischer-Benzon Altd. Gartenfl. S. 95). Lat.
ptsum ist in alle keltischen Sprachen (ir. pls u. s. w.: vgl. auch agls.
pise) entlehnt worden. Vgl. noch griech. -fcpiveo^ und tlXivdof £p€ßtv0O£
Hes. : lit. z'irnis ,Erbse' •:?)■
Hinsichtlich der Spontanität und Urheimat der Kichererbse weiss
man durchaus nichts sicheres. Für die Gartenerbse hält man den Ur-
sprung aus Pisum arvense, das wildwachsend namentlich in Hecken
und Gebirgswäldern Nord- und Mittelitaliens verbreitet ist, für wahr-
scheinlich (vgl. A. Eugler bei V. Hehn KultnrpÜanzen6 S. 215). — S.
n. Hülsenfrüchte.
Erbtochter. Bei Indern und Griechen findet sich übereinstimmend
der Rech tsbrauch, das» es einem söhneloscn Vater verstattet ist, sieh
durch seine Tochter, bezüglich eine seiner Töchter einen Sohn und
Erben erzeugen zu lasseu. Das Mädchen wird also unter der Be-
dingung verheiratet, dass der von ihr zu gebärende Knabe als Sohn
des mütterlichen Grossvaters zu gelten habe. Die betreffende Tochter
(Erbtochter) heisst im Indischen putrikd, von putrd- ,Sohn', im
Griechischen att. dmKXn,pos (nach M. Schmidt Hes. IV, 2 S. 52 auch
auToirdmuv, £mbiKO£, £(pebpO£), kret. naTpuauiKO^. Hierbei ergiebt sich
für Inder und Griechen der bemerkenswerte Unterschied, dass bei den
letzteren ein naher Verwandter (zunächst die Brüder des Vaters und
deren Söhne) gebunden ist, das Mädchen zu heiraten, während bei den
Indern von einer solchen Beschränkung nicht die Rede ist. Es liegt
nahe (mit Leist Altarisches Jus gentium S. 108), in dem griechischen
Brauche hier das altertümliche und ursprüngliche zu erblicken. Indessen
dürfte dieser Punkt noch weiterer Erwägung bedürfen, namentlich auch
mit Rücksicht auf die Frage, ob und in wie weit in der Urzeit eine
Ehe zwisebeu Blutsverwandten (s. u. Verwandtenheirat) möglich
war.
Jedenfalls muss bei den Südslaveu, bei denen noch heute das
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198
Erbtochter — Erdbeerbauni.
Institut der Erbtöchter sehr bedeutungsvoll ist, der Erbtochtcrruann
(domazet) durchaus einem anderen brätst co angehören als die Erb-
tochter {blagarica .Gutsbesitzerin', vgl. oben griech. dmKXr|po<;), in deren
bratstco er erst durch den Vater des Mädchens eingekauft werden
muss vgl. Krauss Sitte u. Brauch der Stldsl. S. 41 u. 460 ff.). Dabei
geht der Zuname der Familie des Weibes allmählich auf den Erb-
tochtermann und seine Kinder über, was an eine vereinzelte römische
Nachricht über den Gebrauch des praenomen Numerius in der Fabischen
gens erinnert : Numerik sola tantum modo patricia familia usa est Fabia,
ideircu guod trecentis sex apud Cremeram flumen eaesis, qui unus
e.c ea Stirpe exstiterat, dueta in matrimonium uxore filia Xumerii
Otacilii Malecentani sub e*o pacto ut quem primum filium
sustulissetf ei materni avi praenomen imponeret, obtempe-
raiit (De praenominibus im Anhang zu Valerius Maximus, vgl. auch
Festus p. 170). Bachofen Antiqu. Br. II, K>3 bemerkt hierzu scharf-
sinnig: „Durch ausdrücklichen Ehepaet behält Otacilius die erste
männliche Geburt seiner Tochter sich vor. PutrikAputra des Maleven-
faners wird der von Fabius mit der Tochter desselben erzielte Sohn".
Wenn es somit wahrscheinlich ist, dass das Institut der Erbtochtcr
mit seinen Wurzeln in die idg. Urzeit zurückgeht, so wird dasselbe
nach dem u. Erbschaft ausgeführten seineu eigentlichen Ursprung
jedoch nicht in erster Linie in dem Wunsche haben, einen Erben zu
besitzen. Neben der Adoption (s. d.) und der Ze u g u n gs h i 1 f e
(s. u. Zeugungshclfer) wird die Erzielung eines Sohnes durch die
„Erbtochter" vielmehr ein weiteres Mittel gewesen sein, zunächst, um
in den ersehnten Besitz eines fflr die Darbringung der Totensacra
unentbehrlichen Sohnes zu gelangen (s. u. Ahnenknltus). Es ist zu
vermuten, dass in diesem Verhältnis der Urzeit zuerst der Begriff eines
Schwiegersohnes aufging (s. u. Sc h wieg er-), ohne jedoch damals
schon zu einer scharfen sprachlichen Bezeichnung zu gelangen. —
S. u. Erbschaft und u. Recht (Familienrecht).
Erdbeerbauni (Arbutus unedo L.). Ein im Mittelmecrgcbiet
zweifellos einheimisches Bäumchen, dessen erdbeerartige Früchte den
klassischen Dichtern als Speise der Urzeit galten. Die griechischen
Namen desselben, KÖuapo<;, KÖnopoq, Kduapo«;, ngriech. Kouuapnä decken
sich mit ahd. hemera ,Nieswurz', altsl. deiner! ,Gift', iemerica ,helle-
borus', klruss. cemer ,uausea'. Nieswurz wird daher die ursprüngliche
Bedeutung des altcuropäischen Pflanzennamens sein, der auf den Erd-
beerbauni übertragen wurde, da man auch dessen Früchten eine be-
täubende Wirkung zuschrieb. Die Früchte heissen griech. uiucukuXo:
(dunkel). Lat. arbutus hat vielleicht mit arbor, arbustum nichts zu
thun, sondern gehört zu alts. erda ,Bicnenkraut', Melisse', das auch
dein ahd. ert-beri »Erdbeere' zu Grunde liegen könnte (so Kluge Et. W.r';
anders 0. Böhtlingk I. F. VII, 272, der mit Berufung auf russ. zemlja-
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Erdbeere — Erz.
199
nika : zemlja und schwed. jordbär an der Verbindung des deutscheu
Wortes mit „Erde" festhält). — Vgl. V. Helm Kulturpflanzen0 8. 395 ff.
Erdbeere, s. Beerenobst.
Erde. Der idg. Ausdruck hierfür liegt in der lantgesehichtlich
noch nicht völlig durchsichtigen Reihe: seit kshd'x, Gen. gmä*t jmds,
kahmd*, aw. zä, Gen. zento Eupers, zemi), gricch. x&wv, x6°v°S>
Xauai, lat. humus, lit. z'eme, altsl. zemlja. Die Wurzelbedeutung ist
noch nicht ermittelt. Einige denken an scrt. kshämate ,geduldig er-
tragen' und vergleichen griech. TaXd(To*ai : lat. tellus. Weitere Gleichungen
sind scrt. prthirt = agls. fohle und got. airpa, ahd. erda und ero,
altn. jöree = griech. £paCc ,nuf die Erde'. Einzelsprachlich und dunkel:
griech. ia\a, Tn und das italische lat. terra, osk. teer-, terom ,territoriuin'.
Über die Erde in religionsgeschichtlicher Hinsicht s. u. Religion.
Erle (Gattung Alnus). Dieser europäische Waldbaum wird Uber-
einstimmend im Lateinischen, Gerinanischen und Lituslavischen benannt:
lat. alnus (*al#nus), ahd. elira, agls. alor, altn. o7r (vgl. auch altn.
ilxtre, jülstr ,Weidc'V), got. *alixa, woraus span. alita .Erle', lit. elkxnis
(vgl. auch altpr. ahkanke), altsl. jelicha. Griechisch heisst der Raum
KXfjOpri, das mit nhd. ludere, ludern , Alpeneric* {Betitln nana) über-
einstimmt, keltisch *rerno- in gall. Yernodubrum .Erlenwasser' (Plin.)
= ir. fem. fernog, körn, t/tcern, gicernen (fr/, cerue). S. u. Wald,
Wald bä n me.
Ernte, s. Ackerbau.
Erz (Bronze). In dem Artikel Kupfer (s. auch u. .Steinzeit)
sind die Gesichtspunkte zusammengestellt worden, welche zu der An-
nahme fahren, dnss die Kultur der idg. Urzeit auf steinzeitlicher (nco-
lithischcr) Grundlage beruhte, dass aber das Metall in Gestalt des
Kupfers bereits damals bekannt war und wahrscheinlich auch schon
zu einer Reihe von Artefakten wie dem Dolehmesser, dem Beil, dem
Pfriem auf dem Wege des Gusses verarbeitet wurde. In dem Artikel
Eisen ist ferner gezeigt worden, dass dieses Metall erst verhältnis-
mässig spät in unserem Erdteil auftritt: im Süden in dem Zeitraum,
der zwischen der Mykotischen Periode und dem Homerischen Zeitaller
liegt, im Norden erst mit der Hallstatt- und La Tcne- Periode, d. h.
kaum vor dem ;">.— 4. Jahrhundert v. Chr. Zwischen diesen beiden
Epochen liegt nun das, was die Archäologen als Erz- oder Bronze -
alter Europas bezeichnen, d. h. eine Zeit, aus welcher im wesentlichen
nur bronzene Waffen, Geräte und Schmuckgegenständc an den Tag
getreten sind. Diese Erscheinung zeigt sich in ganz Europa, mit kürzerer
Dauer in Griechenland und Italien, mit längerer in Ungarn und der
Schweiz, in der norddeutschen Tiefebene, in Dänemark, .Schweden und
Grossbritannien.
Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, dass die Indogcimanen
Europas bereits ethnisch differenziert und im wesentlichen in ihren
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Erz.
Stammsitzen angekommen wareu, als die Bronze bei ihnen auftrat.
Andererseits ist aber auch die Annahme ausgeschlossen, dass etwa die
einzelnen Völker Europas selbständig und unabhängig von einauder
auf die Herstellung der Bronze verfallen seien. Gerade diejenigen Länder,
in denen die Bronzezeit sich am reichsten entwickelt zeigt, Dänemark
und Schweden, sind nicht nur für das zur Herstellung der Bronze
nötige Zinn s.d.), sondern auch für den Hauptbestandteil der Erzes,
das Kupfer, in alter Zeit ganz auf den Import angewiesen gewesen.
Dazu kommt, dass die Bronze gerade in älterer Zeit in einem ziemlich
konstanten, auf einen einheitlichen Ursprung hinweisenden Verhältnis
von 9% Kupfer zu 1 % Zinn in Europa auftritt, und dass endlich auch
die Formen und Verzierungen der bronzenen Gegenstände mit grösserer
oder geringerer Deutlichkeit auf ethnische Zusammenhänge hindeuten. Es
kann daher nicht zweifelhaft sein, dass diese Brouzekultur in einer sehr
frühen Zeit — die Archäologen pflegen die Mitte des zweiten Jahrtausends
für den Beginn dieses Prozesses anzusetzen — von einem gemein-
samen Ausgangspunkt aus sich über Europa verbreitete.
Dieser Ausgangspunkt scheint noch mit einiger Wahrscheinlichkeit
ermittelt werden zu können. Er führt weit über die Grenzen Europas
hinaus, in d i e Länder, von denen auch andere hochwichtige Erfin-
dungen der Menschheit, wie die Schrift (s. u. Schreiben uud Lesen)
und die Zeitteilung (s. d.), ausgegangen sind, nach Mesopotamien.
Während in den Sprachen aller anderen Völker, bei denen wir alte
Bronzen auftreten sehen, bei den Indogermauen ('s. u.>, wie auch bei
Semiten (hebr. nthoxet etc.) und Ägyptern (yomt) besondere Namen
für die Bronze nicht bestehen, sondern die letztere in den Benennungen
des Kupfers mit enthalten ist, bietet allein das Sumerisch-A kka-
dische, die Sprache der Urbewohner der Euphratländer, neben urtidu
, Kupfer' (s. u. Kupfer) eine ausdrückliche Benennung der
Bronze zabar 'eigentl. ,feuerrot glänzend'; vgl. 1\ Jensen Z. f. Assyrio*
logic I, 2f>f>) dar, die als aus Kupfer (urudu) und Zinn (anna, urspr.
annay, vgl. assyr. andku, hebr. 'anal; arab. drntk, äthiop. ntlk, sert.
nüga-y armen, anny) gemischt geschildert wird. Dazu ist uns in der
akkadisch-sumcrischcn Littcratur ein bilinguer magischer Hymnus au
den Feuergott Gibil erhalten, in welchem dieser geradezu als der
„Mischer von Kupfer und Zinn", d. h. doch wohl als der Erfinder
dieser Mischung gepriesen wird (vgl. F. Lcnonnant Les noms de l'airain
et du cuivre, Transactious of the Society of Biblical Archacology VI,
34ü und F. Hommel Die vorsemit. Kulturen S. 277, 409). Zu derselben
Ansicht, wie sie vom Vf. schon in der ersten Auflage von Sprachver-
gleichung und Urgeschichte (1883) ausgesprochen wurde, ist später
auch W. Tomaschck in einem Aufsatz Die Zinngcwinnuiig und Bronzc-
bereitung in Asien (Mitteil. d. Wiener anthrop. Ges. 1888 Xr. 1) ge-
kommen. Auch er nimmt an, dass die Sumero-Akkader, Assyrer und
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Erz.
201
Chcta die ersten Lehrmeister der Bronzemischung gewesen seien. Das
Kupfer hätten diese Kulturvölker teils aus den Gebirgen der kauka-
sischen und kuschiti8chen Aborigincr, teils aus Mäkan in Arabien, das
Zinn aus dem metallreicheu Laude Midian bezogen. Auch an die Zinn-
grnben des Paropamisus (Strabo XV p. 724) und andere Zinnquellen
des iranischen Ländergebiets (vgl. Toinaschek a. a. 0.) wird man für
die Zeit denken dürfen, ehe die Phoenicicr ihre Handelsfahrten bis
zum Wcstland Tarsis ausdehnten (vgl. v. Haer Archiv für Anthropo-
logie IX, 265 1. Wie Tomaschek, entscheidet sich auch M. Hoernes
Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa (Wien 1898) S. 306 für
das Zweiströmeland als älteste Heimat des Bronzegusses und der Bronzc-
giesser.
Auf welchem W ege die Bronze von hier Uber Vorderasien und Europa
bis hoch in dessen Norden sich verbreitete, und welche Zwischen-
stationen der Bronzeerzeugung dabei bestanden, ist noch in vieler
Beziehung dunkel und soll hier nicht weitläufiger erörtert werden.
Und noch ein anderer Punkt bedarf mehrfacher weiterer Aufklärung,
nämlich der. wie gross der Anteil war, den namentlich die Völker
nördlich der Alpen an der Erzeugung der auf ihrem Gebiete gefundenen
Bronzesachcn hatten. Hat man es bei ihnen vorwiegend mit Produkten
einer einheimischen, mit fremdem Material und nach fremden Vorbildern,
aber doch auch wieder mit selbständigen Ideen der Forinengebung und
Ornamentik arbeitenden Industrie oder vorwiegend mit eingeführten
Waren zu thunV Diese Frage hat die Forseher, seit 0. J. Thomsen
sein Dreitcilnngssystem (Stein-, Bronze-, Eisenalter) aufstellte, bewegt,
und die aura popularis hat sich bald mehr (wie in der Gegenwart)
der ersteren, bald mehr der letzteren Anschauung zugeneigt (vgl. über
diesen wissenschaftlichen »Streit zuletzt Sophus Müller Nordische Alter-
tumskunde I, 217 ft'.). Als sicher darf angenommen werden, dass jeden-
falls ein beträchtlicher Teil der nördlichen Bronzesachen in loco her-
gestellt worden ist. Die Zweifler hieran müssen verstummen vor den sich
mehrenden Funden an Gussformen, Gusszapfen, Geräten zur Metall-
arbeit u. s. w., welche auf dem bezeichneten Gebiete zu Tage getreten sind.
Nach Montclius (Die Kultur Schwedens S. 49) sind z. B. in Dänemark
und Schweden bis zum Jahre 1885 je lf> Gussformen für Äxte, Messer,
Sägen und Armbänder gefunden worden, und nach S. Müller (a. a. 0.
8. 451) sind zu Ende des Jahres 1895 bei Haag, Thorsager (Jütland)
wiederum Fragmente zahlreicher Thonformen zu Schwertern. Speer-
spitzen, Celten u. s. w. entdeckt worden. Auch das Züricher National-
museum bietet sowohl aus der Ostschweiz (namentlich aus dem Pfahl-
bau Wolli8hofen bei Zürich) wie auch aus der Westschweiz eine
reichhaltige Sammlung von Gussformen für Messer, Nadeln, Beile,
Hämmer, Lanzen dar, wenn dieselben auch dem Anfang der Bronze-
periode noch zu fehlen und ganzen Gattungeu von Artefakten (z. B.
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Erz.
jeder, auch der einfachsten Art von Bechern) gegenüber zu versagen
scheinen. Endlich sähe man, wenn u. Kupfer mit Recht angenommen
worden ist. dass bereits die urzeitlichen Indogermanen gewisse kupferne
Gegenstände auf dem Wege des Metallgusses herstellen konnten, auch
nicht eiu, warum sie beim Bekanntwerden der Bronze diese Thätigkeit
nicht fortgesetzt nnd weiter ausgebildet haben sollten.
Auf der anderen Seite wird man es denjenigen, die die Urgeschichte
unseres Erdteils nicht nur von dem doch immerhin einseitigen .Stand-
punkt der Bronzefiage betrachten, nicht verübeln dürfen, wenn sie
zögern, den von zahlreichen Archäologen behaupteten einheimischen
Ursprung auch solcher Brouzcsachen für wahrscheinlich zu halten,
welche den Stempel einer höheren technischen Vollendung in Form und
Ornamentik an sich tragen. Auch hat man nicht mit Unrecht darauf
hingewiesen, dass die Keramik der betreffenden Völker nicht gleichen
Schritt halte mit der sich zu immer grösserer Schönheit entfaltenden
Bronzefabrikation, und dass mau doch, wo diese in gleicher Weise blühe,
wenigstens Anfänge auch der Architektur und Plastik erwarten müsse.
Statt dessen müssen die Leute, welche jene kunstreichen Dinge schufen,
in so leicht gezimmerten Hütten gewohnt haben, dass keine Spur ihres
einstigen Daseins auf uns gekommen ist, von deren primitiver Gestalt
aber vielleicht die Hansurnen (s. u. Hans; uns noch eine Vorstellung
machen können ivgl. Montclius a. a. 0. S. 52, S. Müller a. a. 0. S. 401).
Statt dessen müssen die Leute, die über eine meisterhafte Ornamen-
tierung des Bronzegusses verfügten, in ihre Felsen Bilder enigemeisselt
haben (vgl. S. Müller a. a. 0. S. 464 ff., Montelius a. a. O. passinn,
die eine äusserst primitive Stufe künstlerischen Könnens und Empfindens
verraten.
Auf keinen Fall dürfte «las Bekanntwerden der Bronze bei den nörd-
lichen Völkern eine neue Aera kulturgeschichtlicher Entwicklung ein-
geleitet haben, wie sie später das Auftreten des Eisens verursacht hat.
Wie sich in diesen Fragen nun auch die wissenschaftliche Meinung
endgiltig festsetzen möge, als in hohem Grade wahrscheinlich kann
schon jetzt gelten, dass der Magnet, welcher die Bronze von dem Süden
nach dem Norden lockte, der einzige Tauschwert der nördlichen
Lander in jener Zeit, der Bernstein (s. d.) war. Zuerst ist diese
Kulturströmung vom Norden nach der Balkanhalbinsel und in den
mykenischen Kulturkreis gerichtet, später — die Archaeologen sprechen
dann von einem jüngeren Bronzealtcr — wendet sie sich Italien zu.
Je mehr dann der Gebrauch des Eisens im Süden zunimmt, und je
mehr die Völkerverhältnisse nordwärts der Alpen, vor allem durch
den grossen östlichen Vorstoss der Kelten, sich ändern, verringert sich
die Ausfuhr südlicher Bronze nordwärts, und das Eisenzeitalter steht
vor der Thür.
Als den Indogermanen Europas nach der Zeit ihrer geographischen
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Erz.
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Trennung, aber, was die Nordvölker und im besonderen die Germanen
betrifft, noch in ihren ältesten historischen Stamm-
sitzen die Bronze bekannt wurde, kam für dieselbe, wie schon oben
bemerkt wurde, kein neuer Name auf. Man benannte vielmehr das
Mischmetall mit der alten, aus der Urzeit ererbten Benennung des
Kupfers weiter, wie dies bei lat. ae* und got. aiz, die beide , Kupfer'
wie ,Erz' bezeichnen, der Fall ist. Auch Wörter, wie griech. xa^0S
und agis. braes, beide ,Bronzc', die vielleicht auf Urverwandtschaft mit
anderen Wörtern in der Bedeutung .Eisen' (s. d.) beruhen, müssen
nach dem Bisherigen von Haus aus ,Kupfer' oder allgemein ,Mctall'
bezeichnet haben.
Später kommen daun im Norden Europas neue Namen speziell
für die Bronze auf. Es sind hier zu nennen erstens ir. cred-uma,
eine Zusammensetzung aus ir. crnl ,Zinn' und umae , Kupfer'. Auf
hoch- und niederdeutsches Sprachgebiet beschränkt sich ahd. aruz,
aruzi, erezi, nhd. erz (auch in Ortsnamen, vgl. Aruzapah, Arizperc,
Arizgreßi, Arizgruoba: aus dem Deutschen: estn. Ürt*, ung. ercz) und
altndd. arut. Das Wort ist noch nicht sicher erklärt. Die einen ver-
gleichen griech. dpbi? .Pfeilspitze' (Kick Vergl. W. * 1, 306), andere denken
an alb. arint* .Stahl' (G. Meyer Et. W. S. 14); auch den Namen der
durch seine Waffenfabriken berühmten elrurischen Stadt Arretium (vgl.
Liv. XXVIII, 4f>, IG: Arretini MMM — sc. poliäti — scutorum, galea*
totidem, pila gaesa hasta* longa*, millium quinquaginta sununam
pari cuiusque generis numero expleturos, securis rutra falces alce-
olos mala*, quantum in XL longa* nates opus e*set) hat man (vgl.
Vf. V. Hehn Ein Bild seines Lebens und seines Wirkens S. 42*) zur
Erklärung von arut- aruzi (=ae* Arn'tium oder de Arretio) heran-
gezogen.
Im Mittelalter bereitet sich dann ein bis dahin gänzlich unbekannter
Name des Kupfererzes vor, der in Neueuropa den Sieg über alle älteren
Ausdrücke davon getragen hat: it. bronzo, frz. bronze, span. bronce,
mgriech. (jirpouvio?, russ. bronza, alb. brunt* u. s. w. Frühere Er-
klärungsversuche dieser schwierigen Sippe vgl. bei Körting Lat.-rom.
W. unter *brunitiu*. Eine neue Erklärung bat kürzlieh Berthelot in
einem Aufsatz Sur le noni du bronze chez les alchimistes grecs Revue
archcologique 1888 p. 294; aufgestellt, indem er als älteste Form des
Wortes aus alchimistischen Schriften ein mgriech. ßpovintfiov erweist.
Dieses erkläre sich aus einem Int. ae* lintndisium oder Brundisinum
(so jetzt auch F. Kluge Et. W.,; s. v. Bronze), da in Brundisium nach
Plin. XXXIII, 130, XXXIV, 160 berühmte Bronzefabriken gewesen
zu sein schienen. Wäre diese Erklärung sicher, so böte sie eine schöne
Parallele zu ahd. aruzi aus ae* Arretium. Doch macht K. B. Hofmann
in der Berg- und Hüttenm. Zeitung 1890 Nr. 30 nicht unbegründete
Bedenken gegen sie geltend. Er selbst möchte das Wort bronze wegen
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Erz — Esche.
der Bedeutung der persischen und arabischen ßronzefabrikation lieber
an npers. birinj, parsi barinz ,Kupfer, Messing:', kurd. pirinjok (armen.
plinj, kaukas. xpilendzi , Kupfer', vgl. Sprachvergl. u. Urgcsch.2 S. 280)
anknüpfen, was man übrigens schon vor ihm versucht hatte. Auch
das geht aber lautlich kaum an.
Über das erste Auftreten der Bronze bei den arischen Indoger-
mancn, den Indern und Iranicrn, ist hier nicht 7.11 handeln. Vgl. für
die erstcren Vf. Sprachvergleichung und Urgeschichte* »S. 272 ff. nebst
den hieran anschliessenden Kontroversen (v. Bradke Methode und Er-
gebnisse passim und Guttingische Gelehrte Anzeigen 1890 Nr. 23 S. 919,
Vf. Wochenschrift für klassische Philologie 1890 8. 7 ff . des Sonderab-
drucks), für die letzteren W. Toinaschck a. o. a. 0. — 8. n. Eisen,
Kupfer. Metalle, Schmied.
Erziehung. Eine planmäßige erzieherische Einwirkung auf die
Jugend durch andere Personen als die Eltern findet in Europa zuerst
in der Weise statt, dass Greise oder doch ältere und erfahrene
Männer vornehmen Jüuglingen als Begleiter und Lehrer beigegeben
werden. Eine solche Gestalt ist in der Ilias (IX, 432 f.) Phoinix, der
etpdTTwv des Achilleus. Aus der Heimat vertrieben, ist er von Peleus
freundlich in Phtbia aufgenommen und mit Land und Leuten beschenkt
worden. Schon dem Knaben hat er das Fleisch vorgeschnitten und
den Becher gehalten. Vor allem aber ist er berufen, den Jüngling zu
lehren
fiüOwv T£ (SqTfjp* £|U€vai TrprjKTf}pä Tt £pfujv.
Besonders reich an Beispielen ist das germanische Altertum, wofür
es genügt, auf „Meister Hildebrand", den Waffenmeister und Erzieher
Theoderichs, auf Starcatherus am dänischen, auf Hagen am bnrgun-
dischen Hofe zu verweisen. Aber auch von den Römern berichtet
Plinius Ep. VIII, 14, 4: Erat autem antiquitus institutum, ut a ma-
ioribus natu non auribm modo, verum etiam oculis disceremus. quae
facienda mo.r ijm ac per rices quatdam tradenda minor ibus habe-
rem us.
Tritt in den u. Alte Leute geschilderten Verhältnissen die rohe
Verachtung des primitiven Menschen gegen die physische Schwäche
der Greise hervor, so bricht sich hier bei diesen ersten Typen des
Lehrers und Erziehers wie bei anderen erst nach der Völker-
trennung hervortretenden Persönlichkeiten, dem Priester, Richter,
Dichter (s. s. d. d.), Gesandten (vgl. griech. TTpetfßcuTris, eigentl. ,der
Alte' 1 mehr und mehr die Anerkennung und Bewunderung der mit dem
Alter verbundenen grösseren Erfahrung und Weisheit Bahn.
Esche (Fraxinus excehior L.). Dieser europäische Waldbaum
zeigt in seiner Terminologie weitgehende Übereinstimmung: lat. ornus
(*6si-nu s) ,Bergesche\ ir. huinmus, kytur. onnen, bret. ounnen {*onnd,
*osn('i), lit. tish, altpr. woatis, russ. jaseni, cecü. Jasen. Auch das
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Escho — Esi'l.
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Griechische scheint eiue Spur des Worte« in ax€p-wi? »Pappel' (-wert =
lit. s. u. Espe) bewahrt zu haben. Keiner stehen altn. axkr,
ahd. axe (s. u. Buche) und armen. hacti ,Esche' aus askhio- (vgl.
Hübschmann Armen. Gr. I, 465). Lat. fraxinus s. u. Birke. Gricch.
HcXin. , Esche' wird als „aschgraue1' gedeutet (lit. xme/u.s).
Das Holz des Baumes wurde frühzeitig für allerhand Werkzeuge
und Waffen sehr geschätzt, wie denn schon im Pfahlbau von Roben-
hausen eine Keule aus Eschenholz als Griff eines Steinbeils entdeckt
wurde (vgl. Heer Pflanzen der Pfahlbauten S. 40). Besonders häutig
wird aber der Speer kurz als „Esche" bezeichnet. So altn. axkr, grieeh.
u€Xir| (öEün.), lat. ornux, fra.iimix. S. u. Wald, Waldbäume.
Esel. Die Bekanntschaft mit diesem Tiere geht in die Urzeit
aller derjenigen Völkerstämme zurück, «leren Ursprünge mit Sicherheit
in Asien gesucht werden dürfen. Dies gilt von den Semiten (urs.
*ätihiu, *hinuh'u) und Turko-Tataren (e*el; e*ik). Aber auch die
arischen Indogernianen zeigen eine wohl urverwandte Gleichung:
aw. yara- (kurd. ker, afgh. yar u. s. w.) = skrt. khara- (in der spät.
Lit.), und jedenfalls ist zur Zeit ihrer ältesten Denkmäler der Esel
(ved. gardabhd-, raxabha-) schon ein gewöhnliches Haustier. Ebenso
erseheint er als solches im ältesten Ägypten.
Anders liegen die Dinge, sobald wir Europa betreten. Dass der
Esel nicht zu den hier heimischen Tieren gehört, beweist schon der
Umstand, dass er in keiner prähistorischen Schicht gefunden wurde
(Uber Italien s. unten). In den homerischen Gedichten wird sein Xamc
an einer einzigen Stelle (II. XI, 558) genannt, an der der Telanionier
Aias mit einem weidenden Esel verglichen wird, der trotz der Schläge
der Knaben in ein Saatfeld einbricht. Schon diese Vergleichung eines
berühmten Helden mit dem von uns so verachteten Tiere macht es
wahrscheinlich, dass die Auflassung desselben damals eine andere als
heute war. Thatsächlich scheint es, dass die ersten Esel in Griechen-
land nicht als eigentliche Haustiere, sondern eher als Zuchttiere zur
Erzeugung der bei Homer ganz gewöhnlichen Maultiere (fmiovo?, s. u.
Maultier) gebraucht worden seien. So lautet das UTste Fragment des
Archiloehus (ed. Bergk):
H be oi o"ä6n.
uuo*€i f övou TTpinve'oq
KnXwvoq tTrXn.UMup€v OTpurnepaTou.
Die Phokäer hatten nach Hesyeh ein besonderes Wort für die övou?
in' öxtiav TreuTTOpivou?, nämlich uuxXöq (vgl. uükXoi' oi Xuyvoi koi
dxtuTou und uuttö?- -fuvaiKÖi; aiboiov: sert. muc ,semen profundere'
wie sert. ntsabha- ,Esel' : rcisa- ,Same ). Auch Simonides von
Amorgos spricht von der Geneigtheit des Esels zu epta d<ppobio*ia u. s. w.
Die erste sichere Erwähnung des Esels als eines Haustiers in unserem
Sinne findet sich bei Tyrtäus Frgm. 6:
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E<el — Espe.
ujcnrep övoi inetaXoii; fixötcri Teipöiucvoi
bccmoffuvoicrt <pepovT€<; etc.
In nahem Zusammenhang mit dieser aphrodisischen Bedeutung, welche
der Esel im ältesten Griechenland hatte, vielleicht auch mit einer nörd-
lichen Herkunft des Tieres (s. unten) steht die Rolle, welche dasselbe
im Dionysosdienst in Verbindung mit Bakchos und Scilenos, von Reben
umgeben, auf antiken Münzen (namentlich makedonischen) und Gemmen
spielt (vgl. Tier- und PHanzenbilder auf Münzen und Gemmen des kl.
A. v. lmhof-Blümer n. 0. Keller; s. auch u. Wein). Schwierig ist
die Erklärung des Wortes övoq. Aufgegeben ist wohl seine Ableitung
von hebr. \1t6n .Eselin'. Die von Eick und Prell witz vertretene Gleich-
stellung mit lat. onus .Last', an sich wohl denkbar und durch ein
Analogon (s. u.) zu stützen, würde an dem über den ältesten Charakter
des gricch. Esels oben gesagten scheitern. Am wahrscheinlichsten ist
noch, d.*iss övo$ und lat. asinus auf eine gemeinsame Grundform *asnas
zurückgehen, deren Herkunft im Norden der Balkauhalbinsel zu suchen
sein würde. Vielleicht ist weiter eine Verknüpfung mit armen, es ,Esel'
möglich (vgl. oben turko-tat. ex'ek, es'ik und sumerisch an«», ansi).
Wort und Sache wären dann von südpontischen Indogermanen her,
die auch die Maultiererzeugung erfunden hatten (s. u. Maultier), in
sehr früher Zeit nach Griechenland und Italien gewandert. Nördlich
des Pontus kamen keine Esel mehr vor (vgl. die Stellen bei V. Hehn
Kulturpflanzen G S. 562 f.). Auch in Italien würde dann der Esel sehr
früh erschienen sein; doch ist die Frage, ob er bereits in den Pfahl-
bauten der Poebene vorkam, noch unerledigt (vgl. W. Heibig Die
Italiker in der Poebene S. 15).
Von Italien wanderte das lat. asinus mit den Warenzügen der Kanf-
leute, später auch in biblischen Legenden und dcrgl. in den ganzen
Norden Europas, zu Kelten (ir. assan — woraus agls. assa, engl, ass —
kymr. asyn, korn. asen, bret. azen), zu Germanen (got. asilus aus
asinus, nicht asellus, ahd. esil), zu Slaven und Litauern (altsl. osllü,
altpr. asilis, lit. Asilas, alle zunächst aus dem Germanischen). In ebenso
alte Zeit (I — II Jahrh.) geht wohl die Entlehnung von ahd. soum ,Last
eiues Saumtiers', ,Last- und Saumtier', agls. sMm aus vulgärlat. sauma
,Packsattel' {aä^a) zurück (prov. sauma ,Lasttier ). Daneben ahd.
saumdri, agls. s&amtre : mlat. sagmariu*, it. somaro ,Esel' (wie
ngriech. Youäpi, alb. gomdr ,EseP : tömo? ,Last'). Dass hier Wort- und
Sachentlehnung überall dasselbe ist, kann nicht bezweifelt werden.
Als die Heimat wilder Eselarten sieht man die semitischen Wüsteu-
länder und die Steppen des centralen Asiens an ; doch soll der Stamm-
vater des jetzigen europäischen Hausesels der afrikanische Stcppen-
escl sein (vgl. Brehms Tierleben Säugetiere IIP, 59 ff.). S. u. Viehzucht.
Espe (Populus tremtda L.). Ein in allen kälteren Ländern
Europas einheimischer Bamn. Seine Namen im Germanischen (ahd.
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Espe — Fahne.
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aspa, ahn. ösp), Litauischen (altpr. abse, lett. apsa, lit. apuszi*, sonst
drebuU : drebü gittere ) und Slavischcn (altsl. osina, bulg., serb. jasika,
öech. osika aHS *ai>sika-) scheinen auf Urverwandtschaft zu beruhen,
deren ratio indessen noch nicht sicher ermittelt ist (germ. *asp- : litu-
slav. *aps). Andere vergleichen ahd. aspa mit lat. arbor (aus *azbor).
Im Süden verschwindet die Espe. An ihre Stelle treten Pappel-
arten, die Silberpappel (Populus alba L.) und die Schwarzpappel (P.
nigra /..): griech. (schou bei Homer) aiYetpoq (: seit, ej ,sich bewegen';
vgl. grieeh. atYiXunjj und alfaven, u. Eiche und oben lit. drebuU) und
<ix*pu»is (s. u. Esche), lat. populus. Ob diese Räume auch im Norden
Europas einheimisch sind, muss dahin gestellt bleiben. Für das euro-
päische Russland wird ein spontanes Vorkommen derselben von Köppen
Holzgewäehse II. 333 ff. angenommen.
Auf der andern Seite könnte der Umstand, dass für P. alba schon
im Ahd. ein noch jetzt dialektisch lebendes albüri, arbar (aus it. al-
bero : arbor oder albus) vorkommt, und dass im Mhd. papel, popel
aus lat. pöpulux auftritt, darauf deuten, dass, wie nachweisbar die
italienische oder Pyramidenpappel, eine Varietät von P. nigra, erst im
vorigen Jahrhundert von Italien aus zu uns gekommen ist, so früher
auch andere Pappclartcu durch südliche Einflüsse im Norden aufkamen
oder wenigstens durch dieselben dort weiter verbreitet wurden. Auch
der slavischc Ausdruck für P. alba, altsl. topoll, poln. topola u. 8. w. sieht
wie eine durch Dissimilation (vgl. agls. tapor , Kerze' aus lat. papt/rus ;
s. u. Licht) verursachte Verstümmelung aus pöpulus aus. Doch fehlt
es auch im Deutseben nicht an einheimischen Benennungen für Pappel-
arten, von denen belle, bellweide, belzboum (ahd. bellizboum) und sar-
baum, sarbuche etc. die häufigsten sind (vgl. Pritzcl und Jessen Volks-
namen S. 300 ff.). Slavisch gilt für P. nigra : russ. osokorl, poln. sokora
and altsl. jagnedu, serb. jagned (dunkel). S. u. Wald, Wald bäume.
Esse, s. Ofen.
Essgerate, s. Mahlzeiten und Trinkgelage.
Essig, s. Wein.
Etikette, s. Gruss.
Enle, s. Raubvögel.
F.
Fackel, s. Licht.
Fahne. Ein Anhalt dafür, dass bestimmte Feldzeichen, unter
denen vereinigt die einzelnen Sippen (s. u. Heer* hätten kämpfen
können, schon der Urzeit bekannt gewesen seien, hat sich bis jetzt
nicht ergeben. Doch geht der Oebiauch der Fahnen bei den meisten
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Fuhne.
idg. Völker» in die früheste Zeit ihrer Überlieferung zurück. Die
Inder und Iranier haben sogar in seit, drapsd- = an*, drafxa- ein
gemeinsames Wort für diesen Begriff, und ihre Bedeutung in der
Sehlacht kann durch Stellen des Rigveda wie des Awcsta in gleicher
Weise belegt werden (vgl. Zimmer Altind. Leben S. 294 und W. Geiger
Ostiran. Kultur S. \\V>).
In Europa sind die (1 riechen bis in späte Zeiten unbekannt mit
diesem äusseren Kennzeichen taktischer Gliederung des Heeres geblieben.
Hingegen findet sich bei Römern und Germanen in merkwürdiger
Übereinstimmung die Sitte, unter gewissen auf Stangen getragenen
Bildern (signa, effigies) in die Schlacht zu rücken. Vgl. für die
ersteren Pliuius Hist. uat. X, 16: liomanu eam (aquUam) legionibus
C. Marius in secundn comulatu suo proprie dicarit. Erat et antea
prima cum quattuor «Iiis : lupi, minotanri, eqtii, aprique singuhs
ordines anteibant etc. In den Bereich volksetyinologischer Wortdeutnngen
ist dagegen wohl die Überlieferung des IMutareh Rom. **> und anderer
zu verweisen, nach der die ältesten Fahnen lleubündel an Stangen
getragen gewesen wären, eine Sitte, die dem lat. manipulits, eigentl.
,eine Hand voll' sc. Heu seinen Namen gegeben habe: dKdo"rns (Hundert-
schaft) bi dvrjp üt(pnTeiTO, xoptou Kai üXn.<S äTxaXic-a kovtuj TT£piK€iuevr|v
dvt'xwv uavinXa xauTa Aomvoi KaXoöai. Immerhin kommt ein solcher
Ersatz der eigentlichen Fahne auch in neuerer Zeit, z. B. bei Bauern-
aufständen gelegentlich vor.
Über die Germanen berichtet Taeitus Germ. Cap. 7: Effigiesque
et signa quaedam detracta lucis in proelium ferunt. Mit Recht ver-
mutet man, dass unter den signa Dinge wie die Lanze des Wodan,
unter den effigies (ganz wie in Rom) vornehmlieh Tierbildcr, Bär und
Bock des Donar u. s. w. zu verstehen seien. Dabei ist daran zu er-
innern, dass die idg. Götter (s. u. Religion) in der ältesten Zeit ge-
radezu als Tiere verehrt werden konnten. Der altgennanische Name
für solche Feldzeichen war ahd., alts. cumbal, agls. cumbol, cumbnr
{heorocumbol .Sehwertzeichen', eoforcumhol ,Eberzeichcn'). Dazu gehört
auch ahd. cumpurie ,tribus", d. h. die Sippe oder der Stamm, der unter
einer gemeinsamen effigies kämpft. Darf vielleicht das ganze ans *chunni-
bara-m ,das von der .Sippe geführte' gedeutet werden? Von germa-
nischem Boden aus sind dann sowohl in westlicher zu K o m a n e n wie
in östlicher Richtung r/.uSlavcn) Beeinflussungen in der Bezeichnung
der Fahne ausgegangen. Sowohl das westgermanische ahd. gnndfano,
agls. güpfana, eigentl. .Kampftuch' Cgot. fana ,Tueh', also zuerst
deutlich auf diesen Stoff als Hauptbestandteil des Feldzeichens hinweisend)
wie auch das germ.-mlat. bandum (rexillum quod bandum appellant
bei Raul. Diac. — got. bandwö .Zeichen , , Symbol' : bindan .binden',
eigentl. ,Band': vgl. u. griech. TcuvioO sind in die romanischen Sprachen
(frz. gon fahrt, it. gonfahne und frz. banniere, it. bandiera) überge-
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Fahiw.
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209
ganzen. Von germanischem Boden scheint auch das Jat. tüfa (schon
bei Vegetius III, 5 bezeugt) ,genus vexilli apud Romanos ex confertis
plumarum globis' zu stammen. Vgl. agls. pttf, sige-püf .Siegfahne'
{püf : altn. ßöfi, lit. tabtt ,Filz'?). Dagegen aus dem lat. «^n«o>
entlehnt: agls. segn .Feldzeichen'. Auf der andern Seite hat got.
hrugga »Stange' (Fahnenstange) zu altsl. chorqgy .Fahne' und hat alt-
schwed. stang, altn. stüng ,Stange, Fahne' zu altruss. stagä , Fahne'
geführt. Daneben besteht ein einheimisches gemeinsl. *porporü, altsl.
praporü, das Miklosich Et. W. zu per- Riegen' (»flatterndes* = Fahne)
stellen möchte.
Auch in der a 1 1 ga 1 1 i s c h e n Kriegsführung spielen Feldzeichen,
über deren Beschaffenheit wir freilich nichts wissen, eine wichtige
Rolle. Nach Caesar De bell. gall. VII, 2 eroffnen im Jahre öl die
Carnuten die Feindseligkeiten collatis militaribus signis, quo more
eorum gravixsima cuerimonia continetur, ne facto initio belli ab re-
liquix deserantur. Eine irische Bezeichnung der Fahne ist merge
(*mergiA). was an altn. merki .Kennzeichen' und ebenfalls , Fahne' er-
innert. Vgl. noch ir. brat ach , Fahne' : brat ..Mantel' (wie oben ahd.
fano i.
Einer Bemerkung bedarf noch die Fahne des Schiffes, die Flagge.
Im Gegensatz zu dem altgriechischcn Landheer (s. o.), hat die griechische
Flotte unzweifelhaft von ihr Gebrauch gemacht. Vgl. Poll. On. I, <H):
t6 bk ÜKpct tti? TTpüuvn,<; dtcpXaöTa KaXtvrai, wv tviö«; EüXov öpööv nin-
•picv, ö KaXouOi aiuXiba (,Flaggeustock ) * ou tö £k ue'aou Kpeuäuevov
fruKoc, toi via (.Flagge, Wimpel', eigentl. .Band') övonaZeTai. Signal-
und Nationalflaggen hicssen schon in guter Zeit o*r)M€ia (vgl. Brcusing
Nautik S. 87 i. Indessen ist es zweifelhaft, ob mit diesen Ausdrücken
Flaggen im eigentlichen Sinne, d. h. grosse am Hinterteil des Schiffes
oder auf der Spitze des Mastes befestigte, viereckige Fahnen gemeint
sind, oder nicht vielmehr das, was die heutigen Seeleute als „Flüger4
(sehr kleine Fahnen am Mastbanm zur Kenntlichmachung der Wind-
richtung, aber auch zur Bezeichnung der Nationalität ) und „Wimpel4'
(lange, schmale Fahnen zum Schaugepränge etc.; ahd. ichnpal noch
.Schleier ) bezeichnen. Nur solche Fahnen sind an den mittelalterlichen
Schiffen, wie sie die ältesten Stadtsiegel etc. zur Darstellung bringen,
nachweisbar. Die heutige Flagge tritt erst spät (etwa im Zeitalter
der Entdeckungen) auf, im Französischen unter dem Namen pavülon
aus lat. päpilio (von den auf grossen Schiffen errichteten Pavillons,
auf denen die Fahne aufgesteckt wurde? oder direkt von dein flatternden
Schmetterling?), in den germanischen Sprachen unter dem noch dunklen
Worte dän. flag, engl, flag n. s. w. Vorläufer unserer Flaggen waren
anch die Standarten (it. stendardo, mhd. »tanthart), die in früheren
Zeiten auf dem Verdecke des Schiffes aufgepflanzt wurden. Vgl.
Lappenberg Z. d. Ver. f. hamb. Geschichte III, 1(j4. — S. u. Heer.
Schräder, RwUlcxIkon. M
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ilO KahrsJrassc — Falke. Falkenjagd.
Fahrstrasse, s. Strasse.
Fahrzeuge, s. Schiff, Sehlitten. Streitwagen, Wagen.
Falke. Falkenjagd. Die ersten historischen Nachrichten Uber
die Benutzung von Raubvögeln zu Jagdzweeken geben Ktesias {lud.
Cap. 11) und Aristoteles (Hist. aniiu. IX, 3G, 4) aus Indien, bezüglich
Thrakien. Den Griechen und Römern war die Kunst. Jagdvögcl
auf kleineres Wild Stessen zu lassen, in der guten Zeit unbekannt.
Die einzige Art, den itpa£ zur Jagd zu benutzen, ist die von Oppian
'lEeuiiKÜ III, f> geschilderte, nach welcher Habicht oder Falke an einen
Baum angebunden, dazu dient, die auf dem Baume sitzenden Vögel
vor Schreck starr zu machen. Erst im IV. oder V. Jahrhundert n. Chr.,
bei Julius Firuücus Maternus und (ajus Sollius Apollinaris Sidonius,
ist die Falkenjagd unzweifelhaft eine bekannte Sache. Dass es ger-
manische Völker waren, welche dieselbe nach Italien und in andere
romanische Länder verpflanzten, macht die Sprache wahrscheinlich.
Ans dem ahd. xparicäri (eigentl. ,Sperlingsadler', aperuarius Lex. Sal.)
stammen : it. xparavtere, fr/, eperrier, aus altn. geirfalki (Falco iV
landivus) ,Sperfalkc' : it. ger falco, span. gerifalte, prov. girfalc, frz.
gerfaut, aus ahd. smirl, nhd. xchmerl .ein Zwergfalke* : it. smerlo,
prov. esmirle, it. smeriglione, aus nihil, luoder .Lockspeise : it. logoro,
frz. leurre. Auch mlat. falco. it. falcoue, frz. faueon (nur im Ru-
mänischen nicht bezeugt) leitet man nicht mehr wie früher von lat.
fal.v ^Sichel* i ebensowenig wie griech. äpTrn, .Lämmergeier' von tipim,
,Sichel) ab, sondern man siebt auch hier in den romanischen Namen
Entlehnung, und zwar aus ahd. fakho, altn. fulki i letzteres spät bezeugt),
die man ihrerseits entweder zu nhd. fallen (aeeipitres praedax perse-
quuntur, falcones ab alto feruntur) stellt oder als die „fahlenu (oberd.
faleh) Vögel erklären möchte. Jedenfalls wird Faho auch als Eigenname
in mehreren altgerm. Dialekten verwendet, wodurch das Indigcnat des
Wortes auf germanischem Boden weiter erhärtet wird.
Woher die Germanen die neue Jagdweise, die weder Caesar, noch
Tacitus, noch Plinius bei ihnen kenneu, die aber sowohl in den legibus
Barbarorum, wenigstens in den späteren >si qtün aeeeptrem de. arborem
furaverit der Lex. Sal. könnte noch auf die oben geschilderte Oppi-
anischc Jagdweise gehen, doch Lex. Alem. hat bereits: aeeeptorqui aucam
mordet), wie auch bei den nordischen Germanen (vgl. Weiuhold Altn.
Leben S. 64 ff.) bezeugt ist, dürfte schwer zu sagen sein. Kaum vom
Westen, von den Kelten her, auf welche die Bedeutung dieses Volke«
auf andern Gebieten des Jagdsportes hinweisen könnte (s. u. Jagd).
Hier ist erst im X. Jahrhundert, in wallisischen Rcchtsqucllen die Jagd
mit Habicht, Falke und Sperber, und zwar ganz in der späteren mittel-
alterlichen Weise, zu belegen, und altkymr. hebauc, altir. sebocc , Habicht'
sind nicht, wie man früher gemeint hat, die Quelle von, sondern
Entlehnung aus agls. heafoc, engl, hawk <ahd. habuh, altn. haukr,
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Falko, Falkenjagd.
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finn. hacukka). Wahrscheinlicher ist es, dass die ersten Stürme der
Völkerwanderung die Falkenjagd aus dem Innern Asiens nach dem
Oceident herüber brachten. In Tnrkestan, dem Stammland der Türken,
bei denen diese Jagdweise, wie es scheint, seit ältester Zeit bekannt
ist (vgl. Vambery Primitive Kultur S. 1U0), sind die edelsten Falken-
und Habichtsarten noch heute einheimisch. Auch kann man sich die
Jagd mit Vögeln eher auf der unendlichen Steppe als in dem hegrcit/ten
Waldland Europas entstanden denken. Jedenfalls ist von dort aus
die slavische Welt und, durch persische Vermittlung, Byzanz be-
einflusst worden. Schon in sehr früher Zeit ist das türkische karagu,
kergu .Sperber' in sämtliche slavische Sprachen eingedrungen: altsl.
kraguj, bulg. kargo, russ. (lautlich auffallend) krtignj u. 8. w. (vgl. Mi-
klosich Türk. Eiern. S. 91). Vgl. noch russ. sari/cii Fnh-n Buten ans
nordtürk. stireca ,Jagdfalkc'.
Unter den byzantinischen Ausdrücken für Jagdvögcl, die das Orueo-
sophion, resp. Hierakosophion des Kaisers Michael angiebt, sind ein-
heimisch: iepa£ .Habicht", TTeTpiuiq ,Edcl-, Tauben- und Wanderfalke'
und ÖEuTmpiov , Sperber'; drei Ausdrücke aber sind orientalischen Ur-
sprung: nämlich lä^avoc, aus türk. zagen , Weihe' oder ans arab.-pers.
«dhin, Pamird. idin, kurd. x/n .Königsfalke', o-irrKOÜpiov ans npers.
xonkur ,Gcrfalke' und TZoupäjctov ,Sorrak, Falco candican* wohl aus
npers. cary, Painird. fxdr, txdrgh.
In Europa wuchs die Bedeutung der Falkenjagd immer mehr, so dass sie
im VI. Jahrhundert auf verschiedenen Kirchenversanimlungen der Geist-
lichkeit verboten werden musste. Ihren Höhepunkt erreichte sie aber im
XII. und XIII. Jahrhundert, in dem Friedrich II. ein eigenes Werk Über sie
schrieb. Auch damals noch kamen neue Verbesserungen auf diesem Ge-
biet ans dem Orient. So wird z. B. im Buche des Kaisers Friedrich
die Erfindung der Falkenhaube icapella) als eine arabische bezeichnet.
Einen sprachlichen Beleg aber für diese spätorientalischcu Bezie-
hungen bietet mint, xaeer, it. xagro, frz., span. xaere, mhd. xaekerx .der
-Sackcrfalk". Die Meinung, dass diese verhältnismässig spät bezeugte
Sippe nichts sei als das lat. xaeer , heilig , eine Übersetzung von »epa£,
kann jetzt wohl als aufgegeben gelten. Auch nhd. icie , Weihe' ist von
ahd. wiho , heilig' zu trennen, und auch in WpaE ist, wie Hcsychs ßci-
pa«s lehrt, tepö? .heilig' = sert. ixhira- erst volkstümlich hineinge-
tragen worden. Die oben genannte Sippe von mlat. xaeer etc. ist
vielmehr eine Entlehnung aus dem arab. .saqr (vgl. auch npers. xikere
,Jagdhabicht ), das vielleicht seinerseits wieder aus türk. txehakir entstellt
ist. Slav. sokolit und lit. xakalax .Falke' (ob : sert. qakunä- , Vogel ?)
sind von xaeer fern zu halten.
Mit der Erfindung des Schiesspulvers beginnt der Verfall der Falken-
jagd. Die Namen der Jagdvögel werden nun zum Teil auf die neuen
Sebiesswaffen übertragen: vgl. it. falconetto , Feldschlange' moxchetto,
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Falke, Falkenjagd.
eigontl. .der Sperber", terzeruolo eigentl. ,das Männchen des Habichts',
xagro, eigentl. ,Sackerfalk', alles zugleich Ausdrücke fflr Schicsswaffen.
Zu erwähnen bleiben einige weitere Be/.eiclinungcn des Habichts,
des ältesten Jagdvogels, die im Bisherigen keine Besprechung gefunden
haben.
Weit verbreitet ist das lat. aeeipiter. Es wird gewöhnlich aus *aeu-
piter (vgl. lat. acu-pediux .schnellfüssig' und grieeh. TTtToucti ,flicge'}
hergeleitet und als der ,schuellflicgciide' vgl. o. grieeh. öEim-re'piov
,Habicht', schon in der Septuagintai gedeutet. Neuerdings * vgl. Holt-
hausen I. F. V, 274) aber hat man an eine Grundform *aci-piter (aeo~
: got. ahakx /Taube' und lat. petere ,auf etwas losgehen' / gedacht und
das Wort etwa als „Taubenstdsser' aufgefasst, ganz wie das schon
oben genannte ahd. habuh von Uhlenbeck Beiträge XXI, 08 auf eine
Grundform Hapo-ghno- (*kupo- Jlulm* in sert. kapiftjala- , Haselhuhn'
etc., -ghno- — sert. -ghna- /.. B. in brahma-ghna- .Brahmanentöter'i zu-
rückgeführt und als „Hühnertöteru aufgefasst worden ist (doch vgl.
auch mlat. capux, das schon allein .Habicht" bedeutet, und russ. kobezü.
das man ebenfalls zur Erklärung von ahd. habuh herangezogen hat i.
Wie nun auch immer das zweifellos durch lat. aeeipere beeinflusste
lat. aeeipiter entstanden zn denken sei, jedenfalls ist dasselbe durch
die Rücksichtnahme auf dasselbe Verbum noch weiter beeinflusst worden.
Daher zunächst lat. aeeeptor < schon bei Lucilius). — Ans aeeeptor oder
volksmässig uoch weiter entstelltem *auceptor (: atteeps) gingen die
romanischen Formen span. azor, prov. auxtor, frz. autour, it. astore
hervor. Vielleicht hatte auf ihre Bildung auch das zuerst von Firmicus
Maternus gebrauchte astur .Sperber' EinHuss (Axtir ein röm. Gladia-
torenname, vgl. 0. Keller Lat. Volkset. S. 314), duukelcn Ursprung«
und kaum zu dein Aristotelischen darepiaq ,eitie Art Raubvogel" ge-
hörig. Die slavischen altsl. jaxtrebü .Habicht" (nach Miklosich : slovak.
jaxtriti .scharf blicken'; haben mit aeeipiter, mit dem noch all», kift
,Sperbcr' und ngr. Suprcpi .epervier' zu verbinden ist. nichts zu thun.
Im Litauischen heisst der Habicht wtinagax. Nach .1. Grimm Is. u.
S. ;")()), dem V. Hehn (s. n. S. ">83 ) hierin folgt, läfrc eine Entlehnung
aus dem Gennauischeu vor. Hier bedeute ahd. iranuo-wi:ho einen
kleinen für heilig gehaltenen Raubvogel, dem Wannen (Int. rannux) an
den Häusern errichtet würden, um darin zu nisten. Wort und Sitte
stammten aus Italien, wo letztere schon (olumclla VIII, 8 und riiuius
X, 100 erwähnten. Wer indessen diese Nachrichten der Alten prüft ,
nach denen der tinuneulux von tiua ,Gcfäss') in den Columbarien ge-
rade zum Schutz gegen den Habicht gehalten wurde, wird die ange-
gebene Erklärung für lit. teauagax nicht glaublich finden. Eher könnte
man für dasselbe an ir. fang, fähig ,Geier' denken.
Vgl. Beckmann Beyträge II, 2 S. 2f>7 ff., Hammcr-Pnrgstal I
Falknerklee Wien 1840 (das türkische Falkenbuch, das byzantinische Hie-
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Familie.
213
rakosophion, Kaiser Maximilians Buch über die Falkncrei), J.Grimm
Geschichte d. deutschen Sprache S. 43 ff., V. Hehn Kulturpflanzen*
S. 362 ff., Baist Z. f. deutsches A. 1883, F. Kluge Et. W.« s. v. Falke.
Familie. Aus den idg. Verwandtschaftsnamen ergiebt sieb, dass
für die engste Fainilienzusanimengehörigkeit, für Vater, Mutter, Sohn,
Tochter, Bruder, Schwester (s. s. d. d.) urzeitliche Benennungen
vorhanden waren. Ausserdem gab es ein Wort für den Bruder des
Vaters (s.u. Oheim, fUr den Grossvater und Enkel (s.s. d.d.). Was
die Heiratsverwandtschaft anbetrifft, so gab es eine Bezeichnung für
die Schwiegertochter und für ihre Beziehungen zu den Verwandten
des Mannes, also für dessen Vater. Mutter, Bruder. Schwester. Auch
ein zusammenfassender Name für die Frauen von Brüdern war vor-
handen s. u. Schwieger-). Hingegen lassen sich keine urzeitlichen
Bezeichnungen für die Beziehungen des jungen Mannes zu den Ange-
hörigen seiner Frau und wohl auch keine für den Begriff des Schwieger-
sohnes selbst nachweisen. Der Schluss, der aus diesen Thatsaeheu
gezogen werden inuss, ist zunächst der, dnss der Gedanke der
Affinität im heutigen Sinne der Urzeit noch nicht aufge-
gangen sein kann. „Die Sippe der Frau mochte schon damals
als eine „befreundete" griech. Kr|be(JTr|<; Jeder durch Heirat Verwandte,
»Schwiegersohn. Schwiegervater. Schwager', Kubenöve«;' oi Kaiä im-
irauiav oiiceioi Hes., Knbeuua , Verschwägerung' — während im Gesetz
von Gortyn KabcffTcts Blutsverwandte von Männern und namentlich
von Frauen bezeichnet — : Knbeioq, Kr)bio"TO£ .lieb', südsl. prijateljstimi
,die ganze Verwandtschaft der Frau' : altsl. prijatell .Freund", mhd.
criuntftchaft , Verschwägerung, Freundschaft') gelten; aber als durch
Verwandtschaft betrachtete man sich noch nicht mit ihr verbunden.
Mit der Ehe trat ein Weib aus dem Kreis ihrer Anverwandten in
den des Mannes über, was sie aber mit diesem vereinigte, zerriss
zugleich ihre bisherigen Familienbandc, knüpfte nicht neue zwischen
ihrer und des Mannes Sippe an. Das Weib verschwand, so zu sagen,
im Hause des Ehemanns" (Sprachvergleichung und Urgeschichte8).
Wenn aber Jemand den Bruder seiner Frau nicht als Verwandten
betrachtet, so ist es von vornherein nicht wahrscheinlich, dass seine
Kinder den Bruder ihrer Mutter als solchen ansehen werden, und
thatsächlich können indogermanische Namen für lediglich durch Frauen,
vermittelte Verwandtschaf tsbeziehungen, im besonderen für den Mutter-
bruder (s. u. Oheim), nicht nachgewiesen werden. Wie die Affinen,
werden daher auch die Kognaten nur im allgemeinen als „Freunde"
oder „Verbundene" bezeichnet worden sein, wie denn Bildungen von
der Wurzel bhendh .binden' im griech. irevBepö? den Schwiegervater,
(des Mannes), im sert. bändhu- vorwiegend den Kognaten, namentlich
den Mutterbruder (vgl. Jolly Sitte u. Recht S. 85 f.) bezeichnen. Nimmt
man hierzu, dass die aus der Erweiterung der Familie schon in »1er
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Familie
Urzeit hervorgegangene Sippe (s. d.) als agrarische und militärische
Einheit schlechterdings nicht verstanden werden kann, wenn man für
die Zugehörigkeit zu einer solchen Sippe ausser der Verwandtschaft
durch Männer auch noch die verwandtschaftlichen Beziehungen durch
die Frauen massgebend sein lassen wollte, so ergiebt sich aus alledem,
dass der Familienhegriff der idg. Urzeit ein durchaus ag-
natischer gewesen sein muss.
Zu diesem Ergebnis war F. Bernhöft, freilich ohne seine Meinung,
was erst durch die Sprachvergleichung möglich war, eigentlich beweisen
zu können, schon im Jahre 1882 gelangt, indem er (Staat und Recht
der römischen Königszeit S. 202 1 sehr richtig sagt: „Das Prinzip der
Verwandtschaft im Mannesstamme ist schon in der gemeinschaftlichen
Vorzeit der Indogermanen durchgedrungen. Die Annahme, als ob ur-
sprünglich noch Verwandtschaft im Weiberstamme gegolten hätte, und
hieraus sich bei jedem einzelnen Volke das agnatische Prinzip mehr
oder weniger rein entwickelt hätte, ist zu verwerfen''. Leider ist er
später, namentlich in einem Aufsatz Ehe- und Erbrecht der griechischen
Heroenzeit (Z. f. vergl. Rechtsw. XI, 321 ff.), aus nicht ausreichenden
Grlluden von dieser richtigen Erkenntnis wieder abgewichen. Hingegen
hat R. Schröder in der zweiten Auflage seiner Deutschen Rechtsge-
selnchtc (1894) S. 02 {dritte Aufl. S. 63) den in Sprachvergleichung
und Urgeschichte2 vertretenen Standpunkt ohne Einschränkung ange-
nommen: ,,Der Aufbau der arischen [indogermanischen] Familie war
ein durchaus agnatischer, die Blutsfreundc von mütterlicher Seite
wurden nicht als Verwandte, sondern nur als Freunde angesehen."
Dasselbe thut 0. Lorenz in seinem Handbuch der Genealogie (Berlin
1*98) S. 81 ff., der auf diesem Wege zugleich die Erscheinung erklärt
sieht, dass „die Genealogien der alten Völker in der Asccndenz innner
nur die väterliche Reihe berücksichtigen". Die Einwendungen Leists
(Altar. Jus civile I. 205 f.) gegen diese immer mehr durchdringenden
Anschauungen von dem Charakter der ältesten Familie sind nicht stich-
haltig. Er weist darauf hin, „dass die alte Sprache nicht einmal ein
Wort für Agnation habe", ohne zu bedenken, dass in einer Zeit, in
der es nur eine Art der Verwandtschaft, die agnatisetie, gab, natürlich
jedes Wort, welches Verwandter, Verwandtschaft u. s. w. bezeichnete,
ausschliesslich in diesem Sinne gemeint war. Gegensätze wie lat. og-
twtu* und cognatus, sert. sapintfa- und bdndhu-, deutsch Germagen
und Spindelmagen gehören erst den Einzelsprachen an.
Wenn er dann ferner zu Gunsten eines ursprünglich kognatischen
Familiengedankeus auf „die hohe Wichtigkeit des Avunculats, die bis
zu den Germanen reiche" und auf die „bei Griechen wie Indern be-
stehende Erbberechtigung npö? unjpös" hinweist, so ergiebt" sich die
geringe Tragweite dieser Argumente ans den Ausführungen u. Oheim
und Erbschaft.
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Familie.
215
Hiernach bleibt das Wesen der indogermanischen Familie noch
nach einer dreifachen Seite zu bestimmen. Es ist erstens über die
Stellung des Hausherrn der Frau und den Kindern gegenüber und über
die der beiden letzteren selbst zu handeln. Es ist zweitens die Aus-
dehnung der Familie in der Urzeit zu bestimmen, und es sind drittens
die ältesten Bezeichnungen des Familieubegriffes zu erörtern.
1. Die Stel lung des Hausherrn zu Frau und Kindern u. s. w.
An der Spitze der idg. Familie steht der Vater s. d.i, der der
Frau und dem ganzen Hause gegenüber als „Herr" \*pofi-, s. u. Ehe)
bezeichnet wird. Er hat die Fron durch Kauf (s. u. Brautkaiifj in
seine -Hand" gebracht, wie die Vergleichung von ahd. munt, altn. alts.
agls. wund ,innndiuiu' mit lat. manu* in waneipium, mainuitix/tio,
u.vor in wann u. s. w. zeigt, eine wohl schon idg. Ausdrucksweisc,
die ursprünglich ohne Zweifel auf jedes fainilien- wie sachcnrechtliche
Eigentumsverhältnis angewendet wurde (vgl. K. Sehröder a. a. O. S. 58).
Die Frau ist dadurch mit allem, was sie hervorbringt, das Eigentum
des .Mannes geworden. Ihre Sippe gilt dem Manne noch nicht als eine
ihm verwandtschaftlich verbundene (s. o.). Auf demselben Wege des
Kaufs kann er sich eine zweite und dritte Frau (s. u. Polygamie)
erwerben: ausserdem kann er sich (was aber wohl erst nach Aufkommen
eines Sklaveustandes üblich wird) zur Befriedigung seiner Lust eine
unbestimmte Zahl von Kebsen (s. u. Beischläferin) halten, während
der Ehebruch (s. d.) der Frau bis in späte Zeiten mit dein Tode
geahndet wird. Er kann die Frau Verstössen, die ihrerseits mit un-
auflöslichen Banden (s. u. Ehescheidung) an den Mann gebunden ist.
Ist er selbst nicht im Stande, sich den erflehten Sohn, der dereinst
für die Ruhe seiner Seele (s. u. Ahnenknltus) sorgen soll, zu er-
zeugen, so kann er dies bei seinem Weibe durch einen Zeugungs-
helfer (s.d.) besorgen lassen, wie er gelegentlich auch nicht ansteht,
seine Frau einem besonders geehrten Freund (s. i^ Gastfreundschaft)
zur Verfügung zu stellen. So ungleichartig war die Stellung von
Mann und Frau, dass die sprachliche Ausbildung von Begriffen wie
Ehe (s. d.), Gatten (s. u. Ehe), Eltern (s. d.) in der Urzeit noch
unmöglich gewesen zu sein scheint. Auch ein Wort für den Witwer
fehlte in der Ursprache noch, aus dem einfachen Grunde, weil ein
Mann, der seine Frau eingebüsst hatte, ein bedeutungsloser Begriff war,
etwa wie ein Mann, der eine Kuh oder dergleichen verloren hatte (s. u.
Witwe.
Niedrig wie die Stellung des Eheweibes ist natürlich auch die der
Frau überhaupt gewesen. Erst ganz allmählich wird sie auf idg. Boden
zum Eigentum und zur Erbschaft fs. s. d. d. zugelassen. Bei den
Mahlzeiten (s. u. Mahlzeiten und Trinkgelage.'! speisen
die Weiber getrennt von den Männern und erhalten, was diese übrig
lassen. Töchter zu haben, gilt allen altidg. Völkern für ein Jammer, von
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216
Familie.
dem man sieh häufig durch Aussetzung derselben befreit (s. u. Aus-
setzungsrecht). Zur Jungfrau herangewachsen, ist das Mädchen
ein Tauschobjekt für den Vater, der sie verheiratet, ohne nach ihrem
Willen zu fragen (s. u. Heirat). Als Weib ist sie, wie wir sahen,
Eigentum des Mannes, und auch das Los der Witwe (s. d.) ist bis
tief in die historischen Zeiten ein klägliches geblieben. Der allgemeine
Satz der Völkerkunde (vgl. E. Grosse Die Formen der Familie und
d. F. d. Wirtschaft S. 171, 181), dass Frauenkauf und Vaterfolge überall
zunächst mit einer niedrigen Stellung des Weibes verbunden sind, be-
wahrheitet sich also durchaus auch auf idg. Boden, und es ist schwer
zu begreifen, wie Leist in seinen Huchem Altarisches Jus gentium und
Altarisches Jus civile (passim» zu der Vorstellung von einer parcutal-
rechtlicheu Stellung der idg. Frau dem Manne gegenüber gelangen
konnte. Die Opfcrgemeinsehaft der Ehegatten, wie sie uns bei Indern
und Körnern entgegentritt, kann man fllr eine frühzeitige Gleichstellung
der Frau mit dem Manne den oben angeführten Thatsacheu gegenüber
nicht geltend machen; denn es steht nichts im Wege, worauf Fustel
de Coulanges La eite antique schon längst hingewiesen hat, die Frau
auch hierbei ursprünglich nicht als eine dem Manne gleichberechtigte
Teilnehmerin am Opfer, sondern als seine Dienerin und Gchilfiu
aufzufassen. Auch fehlt es weder in Italien noch in Indien an Opfern,
bei denen die Anwesenheit der Frau streng untersagt ist, Erscheinungen,
die man nach dem obigen als surmeah eines Zustandcs auffassen muss,
in dem die Frau überhaupt nicht zum Opfer zugelassen war. Dies gilt
bei den Römern von dem Marsopfer pro boum valetudine 'Cato De re
rust. 83: Mulier ad rem dirinam ne ad-sit nere videat qtiomodo fit),
in Indien von der Pravargya-Zeremonie („wenn die Pravargya-Zeremonie
vollzogen wird, verhüllt die Gattin des Opfcrveranstalters das Haupt",
Catapath. Hrälim.). Vgl. Henrici Jordani vind. serm. lat. nntiquissimi
Regimontii 1882. Über die ursprüngliche Bedeutung des neben idg.
*poti- liegenden *potni- s. u. E h c.
Gleichwohl wird das Los der Frau frühzeitig durch die Anteilnahme
der Sippe, welcher sie angehörte, gemildert worden sein. Umso länger
und schroffer tritt die ganze Strenge der väterlichen Gewalt den
Kindern gegenüber zu Tage. Über die Inder äussert in dieser Be-
ziehung Jolly a. a. O. S. 78: „Xach Xärada I, 32—42 herrscht der
Hausvater (grhin-) über seine Familie wie ein König über seine ünter-
thanen, ein Lehrer über seine Schüler. Seine Frauen und Diener sind
ihm unbedingten Gehorsam schuldig, und selbst seine Söhne bleiben
abhängig von ihm, so lange er lebt, selbst wenn sie mit 16 Jahren
volljährig geworden sind .... Über die Söhne kann er unbedingt
verfügen, sie verschenken, verkaufen oder Verstössen (Vas. 15, 2); doch
wird der Verkauf schon Ap. 2, 13, 1 1 verboten Der Erwerb
der Söhne gehört im allgemeinen dem Vater, sie stehen in dieser Hinsicht
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Familie.
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mit Sklaven und Fraueu auf gleicher Stufe (Närada 5, 41)." Für das
alte Gallien haben wir den kurzen, aber bedeutsamen Satz des Caesar
De bell. gall. VI, 19: Viri in tuorex, xicut in liherox, ritae necis-
que hahent potestatem. Dasselbe galt bei den alten Preussen (nach
Hartknoch Das alte und neue Preussen S. 208). Über die alt ger-
manischen Zustände berichtet R. Schröder a. a. 0. S. 64: „Von
der ausserordentlichen Strenge, mit der die Gewalt des Hausherrn
(*poti-) in der idg. Zeit ausgestattet gewesen sein mnss, haben sich
in den germanischen Rechten noch manche, zum Teil bis in das Mittel-
alter vcrfolgbarc Spuren erhalten [vgl. auch Brauner 1). Rechtsg. I, 75].
Die Töchter unterlagen, teilweise noch in der fränkischen Zeit, dem
unbedingten Heiratszwange des Vaters. In Fällen der Not konnte man
Frau und Kinder in die Knechtschaft verkaufen. [Tac. ann. IV, 72].
Beide waren der strengsten Zucht- und Strafgewalt des Hausherrn
unterworfen Man hat die Wchrhaftmachung der Sühne
mehrfach für einen die väterliche Gewalt aufhebenden Emanzipations-
akt erklärt. Aber indem Tacitus [Germ. Cap. \;\: Haec apud ilhx
toga, hie primus iueentae honos; ante hoc domnx parx videntur, mox
rei publieae\ den Akt mit der Anlegung der toga ririlix bei den Römern
gleichstellte (bei den Germanen bestand die Ablegung der Kinder-
tracht in dem Scheren der bis dahin unverkürzt getragenen Haare),
gab er zu verstehen, dass es sich nur um die Einräumung der poli-
tischen Selbständigkeit, keineswegs aber um die Entlassung aus der
patria potestas handelte4. Im Griechischen weist der Umstand,
dass b€0*TTÖTn.s (s. u.). das ursprünglich nichts anderes wie idg. *poti-
bedeutete, allmählich den Sinn von ,unumschränkter Herrscher', z. B.
vom Perserkönig gesagt, angenommen hat, auf die Fülle der Macht
hin, über welche der Hausherr einst auch in Hellas gebot. Später
geheint sich dieselbe gerade hier verringert zu haben, und die familicn-
reehtliche Mündigkeit trat wenigstens in Athen gleichzeitig mit der
bürgerlichen (2 Jahre nach erfolgter Mannbarkeit) ein. Nur in solchen
Fällen, in denen die Hausgemeinschaft unaufgelöst blieb (s. u.), wird
die väterliche Gewalt fortgewirkt haben (vgl. Jevons Kin and cnstom
Journal of philology XVI, 1ÜÜ flf., wo überhaupt wertvolles Material
ftlr die Annahme einer grösseren Bedeutung der patria potextas in
Griechenland beigebracht wird). Auf uraltem idg. Rechtsboden aber
befinden wir uns wieder in Rom. Auch hier hat dem Vater das volle
Verfügnngsrecht über seine Kinder zugestanden. Er durfte sie aussetzen,
verkaufen, töten (vgl. die Belege hierfür und für die späteren Ein-
schränkungen bei Marquardt Privatleben I, Erst mit dem Tode
des Vaters erlischt seine Gewalt über die Kinder. Es kann daher nicht
bezweifelt werden, dass, sobald man das Wesen und nicht die Form
der Sache ins Auge fasst, der altrömische Begriff der patria potextas,
ebenso wie der der Agnat ion (s. o.), nicht, wie Leist Altar. Jus eivile I, 77
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Familie.
meint ..partikularrechtliches, lateinisch-römisches ius civile", sondern,
wenn auch in seinen letzten Konsequenzen erst in Rom juristisch aus-
gebaut (s. n.), uraltes gemeinsames Besitztum der idg. Völker (Jus
gentium! ist.
II. Die Ausdehnung der indogermanischen Familie.
Bei den idg. Völkern begegnen uns in Geschichte und Gegenwart
zwei Formen der Familie, die wir mit E. Grosse (s. o.) als die Sondcr-
familic und die Grossfamilie bezeichnen können. Bei der ersteren
tritt der Sohn mit seiner Verheiratung aus dem väterlichen Hause aus,
entzündet ein eigenes Herdfener und führt eine eigene Wirtschaft, bei
der letzteren bleiben die Söhne auch nach ihrer Verheiratung und oft
auch nach dem Tode des Vaters in dem väterlichen Erbe sitzen und
bilden eine Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft. Auch Delbrück hebt
(Verwandtschaftsnamen 8. 4) diese Verschiedenheit hervor und fügt
hinzu: „Es liegt, wie mir scheint, kein Grund zu der Annahme vor,
dass diese Verhältnisse in der Urzeit einförmiger gewesen sein, als
diejenigen, die wir jetzt beobachten". Indessen wird man doch zu-
geben müssen, dass die beiden genannten Formen der Familie zwei
so verschiedene soziale und wirtschaftliche Ordnungen darstellen, dass
sie zwar, wie es thatsächlich der Fall ist, die eine als untergehendes,
die andere als aufsprießendes Gebilde, bei gewissen Einzelvölkern eine
Zeit lang neben einander gelegen haben, aber nicht neben einander
entstanden sein können. Die Frage lüsst sich daher nicht umgehen,
welche der beiden Familienformen die ältere sei. Es lässt sich aber
unschwer wahrscheinlich machen, dass für die idg. Urzeit die
Form der Grossfamilie anzusetzen, und auf idg. Boden also-
Uberall die Sonderfamilie aus der Grossfamilie hervorgegangen ist.
Die Form der Hausgemeinschaft tritt uns unter den idg. Völkern
mit besonderer Deutlichkeit in Asien bei Indern und Armeniern, in
Europa bei Slavcn und Kelten entgegen. Die bei den drei zuerst ge-
nannten Völkern in dieser Beziehung herrschenden Zustände sollen zu-
nächst in einigen charakteristischen Zügen dargestellt werden. ,,Die
indische Gesamtfamilie", sagt .lolly Sitte und Recht S. 76, „beruht auf
der Gemeinsamkeit der Wohnung, der Mahlzeiten, des Gottesdienstes
und des Eigentums. Die gemeinsame Bereitung der Nahrung und das
Znsammen8pei8cn ist das sichtbarste äussere Zeichen der Zusammen-
gehörigkeit, und die Mitglieder der Familie werden daher geradezu
als die Gesamtheit der ekapükena vasatäw, d. h. ..gemeinsam kochenden'4
bezeichnet Der Patriarch, der an der Spitze der Familie
stand, konnte in der Regel zu einer Teilung des Vermögens nicht ge-
zwungen werden, und so musste bis zu seinem Tode die Zahl der mit
ihm in Gütergemeinschaft lebenden Familicnglieder stetig anschwellen,
zumal, da jeder männliche Descendent schon in jugendlichem Alter
eine Schwiegertochter in das Haus brachte Starb der pater
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Familie.
219
familias, ohne selbst eine Teilung vorgenommen zu haben, so ging
seine Würde auf seinen ältesten Sohn über, der entweder geradezu als
der Erbe, oder wenigstens als der Haushaltungsvorstand betrachtet
wurde, der wie ein Vater für seine jüngeren Brüder und Verwandten
sorgen sollte". Von der a r m e n i s e h e n Hausgemeinschaft berichtet
Dr. Barchudarian »bei Leist Altarisehes .Ins eivile I, 497 1: „Das Haus
bildet eine festgeschlossene Geineinschaft, und zwar wird diese nicht
dadurch gelost, dass die Söhne heiraten und ein eigenes Haus gründeu.
Vielmehr geht die absolute Herrschaft des Haushalters fort auf die
von den Söhnen und Enkeln gegründeten Familien. Alles lebt zu-
sammen nach dem keinen Widerspruch duldenden Willen des Hansherrn.
Die Verfügungen desselben sind unwidersprechlich. Was die Söhne
erwerben, kommt iu die gemeinsame Kasse, aus der die zum Hause
gehörigen Frauen ernährt werden. Es gilt noch ganz der Satz, dasa
die Mädchen keine Mitgift erhalten: sie werden mit Kleidern und Schmuck
ausgestattet. Sie treten durch die Verheiratung ans dem Hause aus.
Stirbt der Hausherr, so wird der älteste Sohn der Beherrscher des
Hauswesens, und so noch ferner in der dritten Generation". Die süd-
slavische Hausgemeinschaft (zadrugai endlich besteht nach der
Schilderung von Kranss Sitte und Brauch der Südslaven S. 64 ff. aus
einer Vereinigung von an Zahl bis zu 150—70 Mitgliedern, die unter
einander Blutsverwandte 2 — 3 Grades „selbstverständlich nur in
männlicher Linie" sind. Sie wohnen in demselben Gehöft, besitzen ein
gemeinsames Vermögen und sind unter einander gleichberechtigt. An
der Spitze steht ein Hausverweser idomac'in), der zwar die gemein-
schaftlichen Angelegenheiten leitet, aber nicht Eigentümer des Familien-
vermögens ist, das, wie schon bemerkt, sämtlichen männlichen er-
wachsenen Hausgenosseu gemeinschaftlich gehört. Hausverweser wird
der verständigste Familienvater. Eine eigentliche Wahl findet aber
selten statt. Häufig folgt vielmehr der Sohn oder Bruder (vgl. S. 81).
Die Hansgcmciuschaft wohnt so, dass (las eigentliche Haus {ogniMije
,die Feuerstätte ) allein von dem Hausverweser und seiner Familie be-
wohnt wird, um das sich dann in hufeisenförmigem Halbkreis die Woh-
nungen der übrigen Mitglieder (nur Schlafkammern) herumgruppieren.
Die Mahlzeiten werden von den Männern gemeinsam eingenommen.
Bei den Kelten lässt sich die Hausgemeinschaft schon in den alt-
irischen Brchongesetzcn nachweisen. Vgl. darüber Maine Lectnres on
the early history of institutions4 S. 71» ff.
Der entscheidende Umstand nun dafür, dass die so weit verbreitete
Institution der Grossfamilie nicht eine Neuerung der genannten Völker,
sondern vielmehr schon für die idg. Urzeit vorauszusetzen ist, liegt
darin, dass auch bei denjenigen Völkern, bei denen im übrigen die
Sonderfamilic die herrschende Regel bildet, doch die unverkennbaren
Überbleibsel des ursprünglichen Zustands sieh finden.
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220
Familie.
Dies gilt besonders vom alten Rom. Hier erzählt Plutareh von
M. Crassus (I): f|v TinnjiKoö Kai epiaußiKOÜ TtaTpo?- dTpdqpn. b'iv okia
jaiKpä ji€Tot buoTv dbeX<pujv Ka\ Tolq dbeXqpou; aüroü Tuvalus nffav, £ti
tujv Yoveuuv Juüvtujv Kai TidvT€<; im jr\v aürnv dqpoixuuv TpdTrcEav. Ferner
erwähnt Valerius Maximum von der Familie der Aelier (IV, 8) : Qttid
Aelia familia, quam loctipleal Sedecitn eodem tempore Aelii fuerunt,
quibus una domuncula erat . ... et unus in agro Vejente fundua,
minus multo cultores dexiderans, quam dominox habebat (dazu vgl.
Plutareh Acm. Paul. V: nffav T«p ^KKaibeKa aurrtvci?, ATXiot TidvTeq
— also Agnaten — • oiKibiov be Trdvu |uiKpöv nv aüioi? Kai xwpibiov
Iv n.P><€i TTäcri uiav foriav veuoutfi neid Traibuiv ttoXXwv Kai Tuvamiüv .
Oft scheint in solchen Hausgemeinschaften einer der älteren Frauen
die Beaufsichtigung aller Kinder zugefallen zu sein (Tacit. Dial. Cap.
28). Nicht unpassend bringt M. Voigt Leges Kegiae 8. f>98 mit diesem
Zusammemvohnen mehrerer Familien auf engem Kaum und der sich
hieraus ergebenden Notwendigkeit der Unterordnung aller tlbrigeu
Frauen unter den Willen der mater familiax den strengen Satz einer
lex Rnmuli in Verbindung: Si nuru* xoertti obambulaxsit („mit ihr
hadert"), «st oll« plorasxit, xaern Dich parentum extod. Stellt man
zu diesen sieh so ergebenden Zügen einer altrömischen Hausgemeinschaft,
dem Zusammenwohncn mehrerer Generationen, den gemeinsamen Mahl-
zeiten, der gemeinsamen Kindererziehung, die in Rom selbstverständlichen
des gemeinsamen Gottesdienstes (der Laren und Penaten) und der ge-
meinsamen Abhängigkeit von der patrin potextax, so hat man in den
römischen Verhältnissen das ziemlich getreue Ebenbild der idg. Gcsamt-
familie vor sich.
Auch in Griechenland tritt uns die alte Form der Hausgemein-
schaft noch in Poesie und Wirklichkeit entgegen. Homerische Beispiele
bieten das Haus des Priamos in Troja und das mythische des Aiolos
(Od. X, 5). Charakteristisch ist auch, dass der homerische Held sein
Weib nicht in sein eigenes, sondern in das des Vaters führt. Vgl.
II. IX, 147, wo Agamemnon dem Achilleus seine Tochter anbietet:
<piXnv dvdebvov dxeaOuj npöq okov TT n X f\ o q. Besondere zwang in
Sparta die Unteilbarkeit des KXnpo? mehrere Brttder vereinigt in dem
ungeteilten Erbe sitzen zu bleiben. Aber auch in Athen müssen solche
Fälle noch in späterer Zeit häufig vorgekommen sein (vgl. besonders
F. B. Jcvons a. a. 0. S. 102 ff...
über die Germanen stehen uns ans der ältesten Zeit keine Nach-
richten zur Verfügung; doch sind die späteren Rechtsqucllcn reich an
Beispielen der Hausgemeinderschaft und des Ganerbcntums (vgl. R.
Schröder Deutsche Rechtsgeschichte* s. Index v. und Brunner Deutsche
Rechtsgeschichte S. 79).
Wenn nach dem Bisherigen demnach die agna tisch aufgebaute
Grossfamilie als indogermanisch anzusetzen ist, so ergiebt sich näheres
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über ihre Ausdehnung und soziale Bedeutung aus den u. Erbschaft
angestellten Erörterungen Uber den Begriff einer idg. Xahverwandt-
schaft. Es hat sich daselbst gezeigt, dass diese abstrakte Vorstellung
in den konkreten Verhältnissen der idg. agnatischen Hausgemeinschaft
wurzeln muss, die sieh oft vom Urgrossvater bis zum Urenkel mit den
dazu gehörigen Seitenverwandten erstreckt haben wird. Die besonderen
Rechte und Pflichten, namentlich die des Ahnenkultes, der Blut-
rache s. s. d. d.i und der Nachfolge im Erbe, welche später mit jener
Xa.h Verwandtschaft verknüpft sind, werden daher von Haus aus
an den einzelnen Hausgenossen sc haften gehaftet haben, die noch
mit Rücksicht auf die in ihnen herrschenden Regierung*- und Eigen-
tumsverhältnisse eine kurze Besprechung nötig machen.
Es liegt in der oben geschilderten Xatnr der väterlichen Gewalt,
dass sich dieselbe über alle Mitglieder der Hausgenossenschaft in ihrer
gauzen Strenge erstreckte und erst mit dem Tode des Patcrfamilias
erlosch. Doch ist dabei zu bedenken, dass es sieh hier um Zeiten
handelt, in denen ein starres Recht noch nicht regiert, und alle Ordnung
von der naturgemäss mannigfachen Schwankungen unterworfenen Sitte
abhängt. Es wird daher auch vorgekommen sein, dass gelegentlich
der Paterfaniilias, der nicht mehr durch die Kraft seines Armes oder
seines Geistes die Hausgemeinschaft regieren konnte, von dem auf-
strebenden Sohne, der im Falle des Todes und des Zusammeubleibcns
der Verwandten der gegebene Nachfolger war, entthront und, wie
Laertes in der Odyssee, auf das Altenteil gesetzt wurde, wenn er nicht
zu noch schlimmerem Los verurteilt wurde (s. u. Alte Leute und
vgl. Ihering Vorgeschichte S. f>;V. Wir müssen uns alle dies? urzeit-
lieben Verbältnisse in einem gewissen Fluss begriffen und nicht von
römischen Juristen ausgeklügelt vorstellen. Wenn in der südslavischen
zmlrnya •>. o. an Stelle der sonst überall begegnenden strengen und
monarchischen väterlichen Gewalt ein mehr genossenschaftlich und
demokratisch geleitetes Hauswesen uns entgegentritt, so wird man
nicht irren, in diesem Zuge eine Neuerung der slavischcn Stämme zu er-
blicken, und auch nicht aller: d»*nn schon der russische Hausälteste verfügt
über eine weit grössere Regierungsgewalt als der südslavischc domtuHn.
Das Eigentum der idg. Hausgenossenschaft {rehörte allen männlichen
Mitgliedern derselben gemeinschaftlich. Es könnte scheinen, als ob
dieser Satz dem von der unumschränkten Gewalt des l'aterfamilias
widerspräche. Und dem wäre so, wenn mau eben für die Urzeit mit
schürf geschliffenen juristischen Begriffen rechnen dürfte. So wird man
das Verhältnis am besten so ausdrücken: «las Eigentum wurde von
den Familienmitgliedern als Gesamteigcntum betrachtet, über das ein
schrankenloses Verwalfnngsrecht dem Paterfamilias zustand. Der Ge-
danke, dass er dieses Gut an Fremde weggeben könnte, lag
aber dem Familiensinne dieser Zeit fern.
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222
Familie.
Im römischen Recht hat eine leise Verschiebung dahin stattgefunden,
dass der Paterfamilias nun wirklich Eigentümer des Familicngntes ge-
worden ist. Ob ihn auch das Volk in der ältesten Zeit als solchen
ansah, mag dahin gestellt bleiben. Die Spur einer Epoche, wo auch
in Rom das Eigentum als Familiengut aufgefasst wurde, liegt in lat.
vindkare (s. u.i vor.
III. Die Henennurigen der idg. Familie.
Der oder ein idg. Name der Familie ergiebt sich mit Sicherheit aus
der Gleichung: sert. däihpati- .Hausherr' = griech. b€o*TTÖTn<; is. o.).
Diese Wörter sind aus einem idg. *dem-s-poti- hervorgegangen, das
*poti- des *dem- = sert. dam ,Haus* i^Gen. PI. damä'm), aw. dam-,
armen, tun (vgl. Hübschmanu Armen. Gr. S. 498 ? bedeutet. In vollerer
Form liegt jenes *dem- in dem ebenfalls schon indogermanischen : sert.
damd-, griech. böuos, lat. domus, altsl. domö, sowie wohl auch in
aw. nmrtna- aus *damdna- (vgl. auch altpers. mäniya-, npers. man
und lit. nämai?) vor, die last alle, wie idg. *dem-f im Griechischen
und Litauischen namentlich im Plural, zugleich im Sinne von ,Familie'
gebraucht werden können. Im Laufe der Zeit sind dann an die Stelle
des alten Wortes vielfach neue Ausdrücke für Familie getreten, die
zum Teil ebenfalls von dem Haus, der Wohnstätte ausgehen. Dies gilt
von sert. grhd- (grhdpati- ,Hausherr) = aw. gereda- ,Höhle, unter-
irdische Behausung' (s. n. Unterirdische Wohnungen), für griech.
o?ko£, oix€T€ia (vgl. Aristoteles Politik I, 2, 6: f) u£v ouv €l? nätfav fmlpav
<Juv€0"TnKma Koivwvia koto <püo*iv o 1 k ö ? dffnv, ou? ö jn%v Xapuüvba?
KaXei ö^octittuou?, 'Emuevibris bi 6 Kpn.? öuoicänous : ktitto? ,Hufe,
Garten'), für ahd. htU (wie auch noch für nhd. „Haus") u. a. Recht
eigentlich die in einem Haushalt vereinigte Mannschaft, namentlich
auch in ihrer Verwendung im Kriege (s. u. Heer), meint das urkel-
tische Kompositum *tego-8lougo-» : ir. teglach Jlausgenossensehaft', alt-
kymr. telu .Haushalt. Familie', kom. feiln gl. familia : ir. teg, tech
,Haus' nnd slug .Schar, Zug, Heer' (vgl. Zcuss Gr. Celt.* p. 140,
Stokes L'rkclt. Sprachschatz S. 321). Etwas verwickelter ist die Be-
deutungsgescliichte von lat. familia. Das uritalische Wort (vgl. nmbr.
famediax) ist zunächst eine Ableitung von osk. famel, lat. famulus,
die, wie osk. faamat ,er wohnt' zeigt, ursprünglich »Hausbewohner'
bedeutet haben müssen. Zu vergleichen ist wahrscheinlich sert. dhd'man-
jWohnstättc, Heimat, bes. die Stelle des heiligen Feuers, die An-
gehörigen, zusammengehörige Schar'. Der eigentliche Sinn von familia
ist demnach , Hausbewohnerschaft', paterfamilias (vgl. oben idg. *dem s-
poti-) ist der Vater oder Herr der Hausbewohuerschaft. In der historisch
bezeugten Sprache bedeutet aber familia zuerst nur das Haus vermögen
und das Gesinde, und erst später wird es, aber doch wohl in An-
knüpfung an die etymologische Bedeutung des Wortes, als Complex-
begrifl für einen Teil der Geschlechtsgenossen und für das Geschlecht
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Familie.
223 •
selbst gebraucht (vgl. M. Breal Diet. ctym. lat. S. 84, Mommscn Röm.
Staatsrecht III, 1: 102, Ii. Delbrück bei Leist Altar. Jus. eiv. II, HWS;
nur wenige haben andere Erklärungen für lat. famil'm versucht und es
z. Ii. dem lit. gimint .Verwandtschaft' gleich setzen wollen). In pater-
familias ist die ursprüngliche Bedeutung von fanülia immer bewahrt
geblieben.
Anderer Herkunft ist der germanische Stamm *hiica-, *hiwa- in got.
heiwa-frauja , Hansherr', agls. hi-r4d , Familie', ahd. hi-rät .Vermählung',
hiteuiki , Hausgesinde' , Familie', altn. hyxke , Familie', agls. hlican
, Diener', ahd. hitco , Gatte, Hausgenosse', hiica .Gattin' u. s. w. Derselbe
entspricht genau dem scrt. $ivd-, cei-a- ,lieb'. Die Hausgenossen sind
also als die .Lieben', die , Freunde' bezeichnet. Auch lat. ciris .Bürger'
wird hierhergehören. Von derselben Wurzel, aber mit anderem Suffix
ist wohl auch die weit verbreitete litu-slavische Sippe *sei-mi- abge-
leitet : altsl. semija ,persona", semija .mancipia', seminü ,mancipium',
klrnss. semja , Familie', russ. aem'tja ,Mann und Weib', .Familie", xemi-
janinü ,Oberhanpt der Familie', altpr. Heimins, lit. szeimyna ,Gesinde'
u. s. w. (vgl. Miklosich Et. W.). Die Grundbedeutung ist immer ,die
Lieben', ,Ve r e i n der Lieben' (Uber die Stellung der Sklaven
g. u. Stände).
Endlich werden auch Wörter, die ganz allgemein Verwandtschaft'
bedeuten, für die Hausgemeinschaft gebraucht. So scrt.jViV (:jdnas-)
mjds-pdti- , Familienvater', so gricch. Ttcrrpa .die unter der Gewalt eines
ircmip stehende Vereinigung', so slavisch rodü ,partus, generatio, gens'
(vgl. Ewere Ältestes Recht d. Russen S. 12 und Krauss a. a. 0. S. 73:
„In der Hcrcegovina, Cmagora und der Bocca nennen die Mädchen,
so lange sie im Elternhause weilen, dasselbe dorn, und, nachdem sie
ausgeheiratet, rod, das neue Heim dagegen dorn").
Da die Hausgemeinschaften sich im Verlauf der natürlichen Ent-
wicklung zu Sippen und die Sippen zu Stämmen erweitern, die
sich von einem und demselben (hier natürlich toten) Stammvater wie die
Hausgemeinschaft ableiten, so ist es begreiflich, dass namentlich die-
jenigen Bezeichnungen der Grossfamilie, die dieselbe als .Freundschaft'
oder .Verwandtschaft' bezeichnen, auch für die weiteren Begriffe ge-
braucht werden können (s. u. Sippe und Stamm).
Es dürfte hier der geeignete Ort sein, in ausführlicherer Erörterung
auf eine Gruppe bisher noch nicht zusammengestellter Wörter einzu-
gehen, die. wenn richtig mit einander verglichen, in hohem Masse
geeignet sind, den Charakter der einstigen Grossfamilie namentlich
mit Rücksicht auf das vorhistorische Rom noch näher zu be-
stimmen.
Es handelt sich um die Gruppe: lat. vindex, tindicere, tindiciae,
mndicta, vindicare, vindicatio : ir. fine ,Grossfaniilie\ Joint family'
(Sept> aus *eenio- und altgall. ]'eni-vdru8 .seiner Familie wert', ir.
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. 224
Familie.
fin-gal ,Mord ei lies Familiengenossen' *veni-)y ahd. aus *ceni-
,\vcr zur Familie gehört', »Freund'.
Die lateinische Wortsippe tritt uns schon in der ältesten Überlieferung
in einer dreifachen Bedeutung entgegen. Wer nach der ersten der
XII Tafeln in ius vocatur, muss unter allen Umständen Folge leisten,
es sei denn das» er an seiner Stelle einen r index stellt, und das Gesetz
bestimmt: Asxiduo (d. h. dem reichen Manne) r index as^iduun esto,
proletario iam civi quin rolet vindex esto. In der dritten Tafel werden
sodann die Schuldverhältnisse abgehandelt. Nach Ablauf der 3<t dies
itusti kanu der Gläubiger die Hand an den Schuldner legen und ihn
vor den Richter führen. Xi iudicata m f'aeit auf quis endo eo in iure
vindicit, secum ducito, d. h. der Gläubiger kann den Schuldner mit
nach Hause nehmen und dort gefesselt in Gewahrsam halten, wenn
nicht der Schuldner sich einen vindex verschafft. Vindex sein (vindi-
cere) bedeutet also zunächst „vor Gericht für Jemanden eintretend
Ein deutsches sich genau deckendes Hauptwort ist für die Übersetzung
des spezitisch römischen Rcebtsbegriffes vindex natürlich nicht vor-
handen. Am nächsten würde unser „Bürge* kommen, doch nicht in
dem rein juristischen Sinne, nach dem der Bürge neben einen andern
tritt, wohl aber in dem Sinne, in dem etwa Schiller das Wort in der
„Bürgschaft- gebraucht: „So muss er statt Deiner erblassen, und Dir
ist die Strafe erlassen."
Eine zweite für das altrömische Rechtsleben nicht minder wichtige
Bedeutung der lateinischen Wortsippe liegt vor in dem von vindex
abgeleiteten vindicare ,eine Person und Sache als sein Eigentum in
Anspruch nehmen'. Hierzu stellen sich das ebenfalls schon in den XII
Tafeln bezeugte eiudicia. vindiciae ,der vom Praetor für die Dauer
eines Rechtsstreits einem der streitenden Teile zugesprochene Besitz
des Streitobjekts', ,die Eigcntumsklage und das Streitobjekt selbst',
sowie vindicatio .Verfolgung eines Anspruchs' und ebenfalls ,Eigentnins-
kluge*.
Drittens heisst vindex , Rächer . vindicare , rächen , rindicta .Rache .
Dass auch diese Bedeutung, und zwar ursprünglich in dem technischen
Sinne der im historischen Rom erloschenen Blutrache, sehr alt ist,
dürfte aus einer merkwürdigen Stelle des Tiinummus ■ v. 642 ff. i ge-
folgert werden können. Der junge Lysiteles macht hier dem leicht-
sinnigen Lesbonicus die heftigsten Vorwürfe: „Haben Dir", sagt er,
„Deine Vorfahren deshalb den guten Ruf hinterlassen, damit Du das
durch ihre Tüchtigkeit erworbene schimpflich verdürbest,
Atque honori posterorttm tuorum ut vindex /ieren?u,
eine Stelle, die Ritsehl 'Opnse. II, :r2i)) ohne Zweifel richtig mit den
Worten Ubersetzt: , .damit Du zum Henker (vindex} würdest au der
Ehre Deiner Kinder". Die Bedeutung , Henker' aber setzt eine frühere
Bedeutung ,Bluträchcr' voraus: denn aus einer solchen ergiebt sieh
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Familie.
22; >
der Sinn von , Henker' ohne weiteres, wenn man bedenkt, dass die
ursprünglich auf Selbst-, beziehungsweise Familienhilfe beruhende In-
stitution der Blutrache in Rom wie anderwärts vom Staate übernommen
wurde, so dass der die nuumchr als Strafe, nicht als Rache gedachte
Tötung des Schuldigen vollziehende Beamte, dessen Gewerbe in der
ältesten Zeit nirgends etwas verächtliches hatte (s. u. Strafe), sehr
wohl als ,Bluträcher' (vindex) bezeichnet werden konnte.
Zur etymologischen Erklärung unserer Wortsippe sind bis jetzt
im wesentlichen drei Versuche gemacht worden. Den Alten schien es
sicher, und unseren Juristen scheint es sicher, dass der erste Teil des
Wortes vindex den Akkusativ von vis .Gewalt' enthalte, eine Auf-
fassung, die K. 0. Müller (Rhein. Museum für Jurisprudenz V, 190)
näher zu begründen versucht hat. Zu deu Formen des Viudicatious-
prozesses gehört es nämlich, dass beide Parteien, die um einen Sklaven
oder ein anderes Gut streiten, einen Stab, eine festuca in der Hand
haben, die auch selbst vindicta genannt wird, mit dieser den streitigen
Gegenstand berühren, und, wenn es sich z. B. um einen Sklaven
handelt, nach einander sagen: Nunc ego hominem ex iure Quiritium
meum esse aio secundum suam causam sicut dixi. Ecce tibi vin-
dktam imposni. Da nun an Stelle der festuca nach Gaius (lnstitutiones
IV, 16. ehemals eine hasta als signum quoddam iusti dominii stand,
auch der Vorgang von den Alten selbst durch in iure manum comerere
bezeichnet wurde (vgl. Gellius Noct. Att. XX, 10), so meint K. 0. Müller,
dass dieser Brauch die symbolisch bewahrte Erinnerung an eine Zeit
darstelle, in der man um sein Eigentum nur mit den Waffen stritt.
Vin-dicia ist ihm daher nichts anderes als das „an den Tag legen von
Gewalt, wenn der Gegner der Forderung nicht nachgeben will".
Gleich hier kann hervorgehoben werden, dass es seltsam erscheint,
wenn die lateinische Sprache, vor die Aufgabe gestellt, die Inanspruch-
nahme eines Eigentums auf dem Wege des Rechts auszudrücken, dafür
kein anderes Mittel gehabt haben sollte, als auf die Gewalt hinzu-
weisen. Auch hat sich die neuere Sprachforschung mit jener Erklärung
nicht zufrieden gegeben, sondern zwei weitere Deutungen versucht.
Zunächst hat W. Corssen (Aussprache und Voe. IIS, 272 f.) vindex
aus *veno-dex hergeleitet, den ersten Bestandteil des Wortes, *ceno-
zu sert. van ,gern haben', ,wünschen' gestellt, und vindex als den
gedeutet, „der sein Begehren ausspricht", „einen Rechtsauspruch erhebt".
Ferner hat M. Breal (Mein, de la soc. de liugu. II, 318), ohne zu
bemerken, dass seine Erklärung schon in dem Etymologicon des alten
Vossius sich verzeichnet findet, für vindex ein *veno-dex angesetzt,
dieses *veno- in veneo, vendere, venumdare, also in einem alten *venum
,der Preis' wiederzufinden geglaubt und demzufolge vindex als den er-
klärt, „der den Preis nennt4', was soviel heissen soll als „un honune
qui de'clare donner cautiona.
Schräder. Rcallcxikon. 15
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2-Jtt
Familie.
Alle drei Erklärunge 11 finden sieh hei Pott (Et. F. II, 4\ 141 und
520ttV.t besprochen, der aher seihst zu einer festen Entscheidung nicht
kommt. Es lässt sich zeigeu. dass alle drei Deutungen nicht haltbar
sind.
Allerdings lassen sich formelle Bedenken — und auch schwerlich
mehr als solche — nur gegen die Herleitung unserer Sippe ans rim
dicere geltend machen. Da rindicare und rindiciae offenbar Ablei-
tungen aus rinde.r sind, wie iüdtcare und iii dictum von iüde.r, so
wäre die Annahme einer alten Zusammenrückung eigentlich nur für
das einmalige s. o.i rindicere nahe liegend. Hiervon könnte rindicta
gebildet sein. Wie aber rinde.r selbst direkt aus einer Zusammen-.
Schiebung von rhu und der entstanden, oder indirekt ans rindicere
abgeleitet sein sollte, ist sprachgesebiclillich scliwer einzusehen.
Der entscheidende Gesichtspunkt liegt aber auf dem Gebiete der
Bedeutungslehre. Alle drei Erklärungen kranken nämlich an dem-
selben Fehler, dass sie immer nur eine Seite des oben als dreispaltig
erwiesenen Bedeutnngskerns unserer Sippe erklären. Hie kann man
von der Bedeutung ..Gewalt an den Tag legen", angenommen dass sie
der Ausgangspunkt für die Terminologie des Vindicntionspro/.csscs ge-
wesen sei. ohne gewaltsame Sprünge zu der Bedeutung .für Jemanden
als Bürge eintreten" gelangen? Wo ist die Brücke, auf der man von
„ein Begehren aussprechen" zu „ Hache üben" oder von .eine Kaution
stellen" zu sein ..Eigentumsrecht geltend machen' hinüberkommeii
könnte?
In der That ist den älteren Etymologen diese Discrepanz der Be-
deutungen so gross erschienen, dass sie für unsere Sippe zwei ganz
verschiedene Stamniverba, ein rindicare und ein rendicare annahmeu.
Da dies gegenwärtig niemand befürworten wird, zumal wir wissen,
dass rindicare überall die ältere, rendicare die jüngere Schreibung
ist, so musri derjenige, welcher eine neue Erklärung vorzuschlagen be-
absichtigt, vor allem sein Augenmerk darauf richten, hinter jeuer
historischen Dreispaltigkeit des Bedeutuugskernes eine vorhistorische
Einheit nachzuweisen. Oder mit anderen Worten: der Begriff, den der
erste Bestandteil von cin-de.r enthält, nmss ein derartiger sein, dass
der feierliche Hinweis auf ihn, wie er in -de.c : deico. beiKVuui ausge-
sprochen ist — in beiden Sprachen sind mit dieser Wurzel schon
juristische Vorstellungen verknüpft — , den Gedanken des für Jemanden
als Bürge Eintretens, der Inanspruchnahme eines Eigentums
und des Rächens hervorrufen kann.
Ein solcher Begriff ist nur einmal vorhanden. Es ist die alte idg.
Familie, d. h. die in mehreren Generationen bei einander bleibende
G rossf ami I i e. Die Mitglieder einer solchen Familiensippe sind unter
einander solidarisch verbunden, indem sie in jeder Weise für einander
einstehen, einander schützen und rächen. Ein Sondereigentum des ein-
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Familie.
227
zelnen ist noch nicht vorhanden. Es picht lediglich ein Gesamteigentum
der einzelnen Hausgemeinschaften, das zunächst nur aus fahrender Habe
besteht.
Dass diese altidg. Grossfamilie auch auf römischem Hoden noch
lehendig war, geht aus dem obigen zur Genüge hervor. Sollte sich
daher in dem ersten Bestandteil von vin de.r ein alter idg. Ausdruck
für den Begriff der Grossfamilie wieder finden lassen, so würde dies
die Möglichkeit eröffnen, einen Ausweg aus den obwaltenden Schwierig-
keiten zu finden.
Und in der That lässt sich ein solches Wort nachweisen, und zwar
in denjenigen Sprachen, an die man sich zur Aufhellung des lateinischen
Wortschatzes nächst dem Lateinischen selbst in erster Linie zu wenden
berechtigt ist, im Keltischen und Germanischen.
Es picht einen gemeinkeltischen Stamm *renio-, welcher in ir. [ine
vorliegt, das genau den auf altirischem Boden noch lebendigen Betriff
der Grossfamilie, Joint fmnihf oder Sept bezeichnet. Finechas ist das
gemeinsame der Familie gehörige Eigentum, Erbschaft, Nachfolge, Itecht
der Familie u. s. w. Daneben findet sich ein Stamm *ceni- für das Mitglied
einer Grossfamilie, der in altgall. Veni-cdrus ,seiner Familie wert' und
in ir. /in gal .Mord eines Familiengenossen', (in- gal ach ,one who has
killed a tribesman', [in-galcha ,parricidalia arnia* (vgl. lat. pdricida
,Sippcnmörder' u. Sippe vorliegt. Aus dem Germanischen aber gehört
hierher ahd. iciiri aus *reni-s. eigentlich ,wer zur Familie gehört',
, Freund . .Lieber , vgl. Maine Lccturcs ou the early history of insti-
tutious" S. lOö, II. d'Arbois de Jubainvillc Mem. de la soc. lingu. VII,
21)4, Wiudisch Irische Texte Wörterb. s. v., Stokcs Urkeltischer Sprach-
schatz S. 27" i.
Hier ist also das lat. rinde.r anzugliedern. Es ist ein echtes Kom-
positum, aus *reni deics entstanden und bezeichnet einen „der auf die
Familie hinweist", etwa vor dem Könige 's.d.;, dessen Amt vielleicht schon
in der Urzeit ein schiedsrichterliches war. Dieser Hinweis auf die Familie
kann in einem dreifachen Sinne erfolgen. Erstens in dem, dass man Je-
manden als zu den *reni- gehörig hinstellt, wodurch man für ihn eintritt,
ihn schützt, verteidigt, für ihn bürgt (vgl. hinsichtlich der alt-
kymrischen Familicnverbände Gualter Mapcs De nugis curialium Dist. II.
Cap. 22 p. di> bei Walter Das alte Wales S. 135 Anm. 1: Ut moris
est. radein *e off'ert pro iurene tota cognatio, et rarere iudicio xisti .
Zweitens in dem Sinne, dass man eine Person oder eine Sache als den
*reni und damit sich selber gehörig bezeichnet, wodurch man dieselben
als sein Eigentum beansprucht. So bedeutet rindicare geradezu
etwas als zur Hausgemeinschaft gehörig bezeichnen (s. u. Eigentum und
vgl. Leist Altar. Jus civ. II, 2W). Es ist die licchtstörmel ah mrum esse
e.r iure Qttiritium in der Sprache einer früheren Kulturstufe. Drittens
endlich ist *reni-deics einer, der auf die Familie hinweist in dem
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228
Familie — Farbe.
Sinne, dass er die Verfolgung eiuer Unthat als Sache der *veni- hinstellt,
wodurch er die Familien- oder Blutrache proklamiert. Vindicia
nud vindicta sind die Substantivierungen des in vindex zunächst parti-
cipial gedachten Begriffs und bedeuten ursprünglich ganz allgemein
Einweisung auf die Familiensippe', »Geltendmachung des Sippenrechts'
u. s. w. Vindicere, wenn richtig überliefert, kann in formeller Be-
ziehung eine Zusanimenrückung aus *cenim dicere sein. Als Grund-
bedeutung des Stammes *veni kann man, mit Corssen an die Sanskrit-
wurzel van ,gcrn haben' anknüpfend, und in Analogie zu dem oben
besprochenen Stamme *hitca- , Familie', einen Begriff wie , Freundschaft'
oder »Freunde' ansetzen.
Auf die Weiterentwicklung der idg. Familie kann und soll
hier nur in einigen ihrer Hauptzüge hingewiesen werden. Je fester die
Ansiedelungen uud je stabiler die Wobnnngsverhältnisse der Menschen
werden, je mehr wird die agnatische Struktur der idg. Familie durch
die Berücksichtigung der Verwandtschaft mit der Mutter durchbrochen.
Die Heiratsverwandtschaft und der Kognationsgcdankc treten jetzt
hervor. Die wichtigste Rolle bei diesen Vorgängen spielt naturgemäss
der Mutterbruder (s. u. Oheim). Er bildet gleichsam die Brücke
zwischen der Vater- und Mutterfamilie. Namen für ihn kommen daher
nunmehr in den Einzelsprachcn auf. Besonders angesehen gestaltet
sich seine Stellung bei den Germanen: So-rorum filii*, sagt Tacitus
Germ. Cap. 20, idem apud avunculum qui apud patrem honor. Doch
geht bei der Erbschaft s. d.) der patruua noch immer dem avunculus
vor. Nicht ausgeschlossen ist auch die Möglichkeit, dass auf das Her-
vortreten des Kognationsgcdankeus der Einfluss des Mutter rechts (s. d.)
vorindogermanischer Bevölkerungsschichten mit von Bedeutung gewesen
ist. Je enger aber die Beziehungen der in ein fremdes Haus eingetretenen
Frau und ihrer Kinder zu ihrer heimatlichen Sippe sich gestalten, desto
grösser wird der Einfluss dieser letzteren auf die Gestaltung der Stellung
der Frau in dem Hause des Mannes sein. In der allmählichen An-
näherung der väterlichen und mütterlichen Verwandtschaft liegt daher
auch ein Hauptgrund für die allmähliche Steigerung der Würde der
Frau. Der durch den Kultus und die Priesterschaften geförderte Ge-
danke, dass Mann und Frau Glieder eines Leibes seien, wirkt in der-
selben Richtung. Die Monogamie schreitet siegreich vorwärts Wörter
für die Begriffe Ehe. Gatten, Eltern werden jetzt möglich. Gleichzeitig
führen wirtschaftliche, soziale und politische Umwälzungen auf weiten
Völkergcbicteu die Sprengung der alten verwandtschaftlichen Verbände
herbei: an die Stelle der Sippe uud der Grossfamilic treten Staat uud
Sonderfamilie. — S. u. Ehe, Sippe, Stamm. Staat, Volk.
Familienbegräbnis, s. Friedhof.
Familienrecht, s. Recht.
Farbe. Obgleich es sicher ist, dass man schon in der Urzeit
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Farbe.
229
tod Farben Gebrauch gemacht hat (8. u. Farbstoffe und Täto-
wierung), so ist doch eine idg. Bezeichnung für den Begriff der Farbe
nicht ermittelt worden. Auf das Arische beschränkt sieb sert. ranga-
= npers. reng (armen, erang), auf das Litn-Slavise he altpr. icoapix =
altsl. capü\ doch ist in beiden Fällen auch ein Entlehnuugsvcrhältnis
nicht ausgeschlossen. Die einzelsprachlichen Bezeichnungen fassen
die Farbe meist als Hülle oder Haut auf: so sert. vörna- (auch , Kaste )
: rar , bedecken', lat. color : oeeuhre, gricch. xpwua : xpw? ,Haut'
vgl. auch tinn. karva , Farbe', eigentl. ,Hnar>. Die germanischen
.Sprachen verfugen Uber keinen durch alle Mundarten durchgehenden
Ausdruek. Ahd. sind die beiden noch dunkelen faratca (faro, farawtr
,farbig) und zdica {zehön .färben'), im Altnordischen bedeutet steinn
,Stein' auch , Farbe' (Steina ,färbcn ). Im Keltischen (vgl. ir. Ii , Farbe,
Glanz', kyinr. llitc ,color', koru. liu id.) und im Slavischcn (vgl. Mi-
klosich Et. W. g. v. kram) scheinen Wörter für Farbe aus solchen
für Glanz, bezügl. Schönheit hervorgegangen zu sein. Das Litauische
hat von zwei Seiten her entlehnt, einmal aus dem Germanischen (lit.
pancas, vgl. auch cech. barva etc.), das andere Mal nus dein Slavischen
{krösaa, s. o.). So weist alles darauf hin, dass ein Wort für Farbe
in der Urzeit überhaupt nicht vorhanden war, eine Erklärung, die
in den Untersuchungen von H. Magnus über den Farbensinn der Natur-
völker <Preycr Sammlung physiol. Abhandl. II) ihre Entsprechung findet.
„Die Auffassung der Farbe", heisst es daselbst S. 14 f., „als eines ab-
strakten Begriffes, wie wir sie bei eivilisierten Nationen finden, dürfte
der Mehrzahl der in unserem Interesse untersuchten Volksstämme fehlen.
Es scheint so, als ob die philosophische Isolierung, die Ablösung des
Abstraktum, der Farbe, von dem Konkretum. dem gefärbten Gegenstand,
für eine grosse Anzahl der Naturvölker eine viel zu schwierige geistige
Operation sei, und sie deshalb lieber darauf verzichten, die Vorstellung
der Farbe begrifflich und sprachlich selbständig zu entwickeln und es
vorziehen, den Begriff „Farbe11 mit anderen ihrer geistigen Sphäre
adäquateren und bequemeren Vorstellungen zu verschmelzen". Dasselbe
werden also die fndogermanen gethan haben.
Was nun die Unterscheidung der einzelnen Farben selbst anbe-
trifft, so wird man, wenn man ermitteln will, wie es hiermit in der idg.
Urzeit bestellt war, sich auch auf diesem Gebiet am besten zu einem
derjenigen idg. Völker wenden, die in ihrer kulturgeschichtlichen Ent-
wicklung hinter anderen zurückgeblieben sind; denn es liegt an sich
auf der Hand und wird durch das folgende bestätigt, dass exakte
Terminologien, wie wir sie etwa gegenüber den Farben des Spektrums
gegenwärtig besitzen, nur das Ergebnis einer langen sprachlichen und
kulturgeschichtlichen Entwicklung sein können. Von grossem Interesse
ist in dieser Beziehung, was .1. Schmidt (Kritik d. Sonantentheorie) über
die Farbcnbezeichnnngen der Litauer mitteilt: „Der Farbensinn der
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2.T0
Farbe.
Litauer-, sagt er 8. 37, „steht nämlich noch auf der Stufe der Natur-
völker. Bei mehreren Farben sind sie noch nicht wie die Kulturvölker
zu allgemeinen Bezeichnungen aufgestiegen, sondern bei den
ein/.clnen Tönen stehen geblieben. Für ,grau' haben sie nicht weniger
als vier oder fünf einfache Worte: pilkas (nur von Wolle und Gänsen1»,
szirmax, «zincas (nur von Pferden , szhnass (nur von Rindvieh), ziltts
i. Haare des Menschen und des Viehs ausser (Jansen, Pferden, Rindvieh);
für ,braun' beras nur von Pferden, sonst rndas oder das deutsche
britinas; für ,rot' ztilas nur vom Rindvieh, sonst raudöncs; für ,sch\varz'
dicfflax nur vom Rindvieh, sonst jüdas\ für ,bunt' mdrgas (Rindvieh,
Hunde}, azUtkutajf (Hühner), raiba geguze bnnter Kukuk, rahias
graubunt gestreift 'Erbsen, Katzen u. a. vierfüssige Tiere, Kröten),
dagld kiatile schwarz und weiss geflecktes Schwein".
Ahnlich wird die Farbenterminologie der idg. Urzeit beschaffen ge-
wesen seiu, wie sich aus der Besprechung der einzelnen Farben de»
näheren ergiebt. D. h. für die unendliche Menge der in der Natur
uns entgegentretenden Farbentöne wird schon damals eine grosse Zahl
von Bezeichnungen, jedesmal wohl in Beziehung auf ein bestimmtes,
diese Färbung tragendes Objekt (oder Gruppen solcher), zahme und
wilde Tiere, Pflanzen, Mineralien u. s. w. vorhanden gewesen sein,
während zusammenfassende oder allgemeine Bezeichnungen erst in ihrer
Ausbildung begriffen waren. Um ein konkretes Beispiel zu wählen,
ist früher ein Ausdruck für die gelblich-grüne Färbung der jungen Saat
als für unsere zusammen fassenden Begriffe Gelb und Grün vorhanden
gewesen (s. n. Gelb). Oft sind freilich jene idg. Wörter für einzelne
Farbentönc in den historischen Sprachperioden nicht mehr als solche,
sondern ausschliesslich oder teilweis als appellativischc Benennungen
der Dinge, deren Färbung sie einst bezeichneten, vorhanden, wie wenn
sert. pfqni- — grieeh. ttcpkvö^ ,bunt, gefleckt* (sert. auch ,buntc Kuh',
gricch. TrpOK0t£, rrpöE ,rehartige Tiere ) im Keltisch-Germanischen nur in
dem Namen der getüpfelten Forelle (ir. earc, ahd. forhana) vorliegt,
oder wie ein idg. *bhe-bhru~ ,braun wie ein Biber' wohl schon in der
Grundsprache selbst zur Bezeichnung dieses Tieres (s. u. Biber) ver-
wendet wurde. Auch sind viele dieser ursprünglichen Ausdrücke für
bestimmte Farbenuuancen in späterer Zeit in ihrer Bedeutung weit
auseinander gegangen, so dass auf diesem Gebiete vielfach der Anschein
völliger Willkür des Bedeutungswandels hervorgerufen wird. Beispiels-
weise kann so der Stamm *melino- ( s. u. B 1 a u i in der Urzeit der
spezielle Ausdruck für diejenige kaum definierbare Farbennuauee ge-
wesen sein, welche bei einer ins Bläuliche, Gelbliche, Schwärzliche u. s. w.
schillernden Beule oder bei einem reifenden Geschwür hervortritt, und
dieser Stamm kann dann in den Einzelsprachen zur Bezeichnung teil»
des Blau, teils des Gelb, teils des Schwarz verwendet worden sein.
Eine zusammenfassende Bezeichnung hat sich offenbar zuerst für
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Farbe.
231
de« Begriff des Rot ausgebildet, Ansätze zu einer solchen waren aber
schon in vorhistorischer Zeit auch für Gelb, Schwarz und Weiss
vorhanden. Viel später erst haben sich allgemeine Bezeichnungen für
Grün und Blau festgesetzt.
Auch dieser Zustand ist von H. Magnus a. o a. 0. als der bei
Naturvölkern, so zu sagen, normale nachgewiesen worden. -Stets",
heisst es S. 34 bei der Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse,
„sind die sprachlichen Ausdrücke für die langwelligen Farben (Rot
und Gelb) viel schärfer ausgeprägt als wie für die kurzwelligen Farben
(Grün und Blau i. Der sprachliche Ausdruck für Rot ist am schärfsten
entwickelt, dann folgt der für Gelb, dann der für Grün, und schliesslich
der für Blau". Den Grund dieser Erscheinung sucht Magnus in einer
„grösseren Energie in der Empfindung rlcr langwelligen Farben- und
in einer «ausgesprochenen Gleichgültigkeit gegen die Farben kurzer
Wellenlänge"; doch soll hier nicht versucht werden, auf diese mehr
physiologischen Fragen einzugehen. Bemerkt sei nur noch, dass es
gerade die vier Farben Rot, Gelb, Weiss, Schwarz sind, welche mich
in der Tätowierung der meisten Naturvölker, und zwar in der ange-
gebenen Reihenfolge, am meistcu beliebt sind (vgl. darüber E. Grosse
Die Anfange der Kunst S. 58 ff.).
Hinsichtlich der Herkunft der idg. Farbenbeueunuiigen ist hervor-
zuheben, dass die uns heute geläutigste Art, neue Farbcnnnmen zu
bilden, nämlich nach Gegenstünden, welche die betreffende Farbe
tragen, Bildungen wie „citronengelb", „ehokoladenbraun*, grieeh. Trpd-
Oivos , lauchgrün', lat. cerrinutt , hirschbraun* u. s. w. verhältnismässig
jnng sind. Das älteste, worauf wir zurückgehen könneu, sind bestimmte
Wurzeln oder Stämme für bestimmte Farbentöne oder Farben: *Mte-
bhrti- .braun wie ein Biber', perle- ,getüpfelt wie ein Reh oder eine
Forelle', *ghel-, *ghel (lat. hehttn) ,gelblich grün wie die junge Saat',
*reudh ,rot' (wie Kupfer?) u. 8. w. Eine weitere Auflösung oder Zurück-
führung derartiger Wurzeln auf allgemeinere Begriffe (Leuchten, Brennen
u. s. w.), wie sie namentlich von 0. Weise Die Farbcnbczeichnuugen der
Jndogermanen B. B. II, 273 ff. versucht worden ist, führt selten zu
einem gesicherten Resultat. Einzelnes s. bei den verschiedenen Farben.
In Beziehung auf ihre Stammbild ung werden die Farbenbezeich-
nungen der einzelnen Sprachen mehrfach durch das gleiche Suffix zu-
sammengehalten. Dies gilt namentlich von dem Suffix -ro-, das obwohl
auch in anderen Sprachen (vgl. sert. sydvä-, grieeh. iruppös aus *TrupFo-,
altsl. plarü) in dieser Funktion nachweisbar, im Lateinischen und Ger-
manischen das reguläre Farbensuffix geworden ist, wie lat. heltux,
furrux, rdeux, fldeus u. s. w., ahd. gelo, sah, grdo, bldo u. 8. w. zeigen.
Ein zweites weitverbreitetes Farbensuffix ist -ro- : sert. härita- .gelb',
dsita ,sehwarz', rohita- ,rötlich', lit. gel-ta-s ,gclb', bdlta-s ,weisslich\
rüs ta s , bräunlich' (vgl. auch die slaviseh-gcrnianischcn Wörter für
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Farbe — Färberröte.
,Gold' : altsl. zlato, got. gulp, eigentl. das ,gelbe' nnd 8. lat. caeriun n.
Blau). — Weiteres vgl. bei F. Kluge Nom. Stammbildungsl. 2 S. 90.
Auch die Entlehnung spielt aus begreiflichen Gründen seit Alters
eine grosse Rolle in der Terminologie der Farben; denn es liegt auf
der Hand, dass Handel und Verkehr Gegenstände mit bis dahin nicht
gesehener Färbung und damit auch die Bezeichnungen für letztere von
Volk zu Volk verbreiten inusste. Auch hier zeigt sich in Rom der
griechische Einflnss (vgl. 0. Weise Griech. Wörter im Lat. S. 205), in
besonders hohem Masse aber sind in dieser Beziehung die romanischen
Sprachen von den germanischen abhängig, denen Farbenbezeichnungen
wie frz. bleu, blaue, brun, gris etc. ursprünglich angehören. Auch
frz. blond scheint aus dem Germanischen (vulgärlat. blundus = sert.
bradhnä- ,rötlich, falb ) zu stammen. Eine andere weitgehende Ent-
lehnungsreihe für die Nuance des Blond ist lat. rmftwt (: rtttilus, ruber'?),
woraus ngriech. £oöo"o~0£, altsl. rusü, alb. rus, ndl. rostt.
An Litteratur über die Farbenbezeichnungen sind ausser den schon
erwähnten Schriften von Magnus und Weise noch zu nennen: L. Geiger
Über den Farbensinn der Urzeit (Zur Entwicklungsgeschichte d. Mensch-
heit 1871 S. 45), W. Jordan Die Farben bei Homeros Nene Jahrb. f.
Philologie CX1II (1876) S. 161 ff., A. Bacmeister Keltische Briefe 1874
S. 112 IT., Pole Oolour blinduess in relation to the homeric expressions
for colour, Nature 1878 S. 224, H. Schmidt Synonymik der griechischen
Sprache III, 1879 S. 1 — 54, Gr an t Allen Der Farbensinn Leipzig 1880,
Edm. Veckenstedt Geschichte d. griech. Farbenl. 1888. Im Ganzen
kann man sagen, dass die früher, namentlich durch Geigers Aufsätze
zur Herrschaft gelangte Meinung, als ob durch die Etymologie und
Beobachtung der Farbenwörter in den ältesten Literaturdenkmälern,
in der Bibel, im Rigveda, bei Homer n. s. w. eine Entwicklung des
Farbensinnes selbst bei den Menschen im allgemeinen und bei den
Indogcrmanen im besonderen erwiesen werden könnte, gegenwärtig nur
noch wenige Anhänger zählt. Fruchtbarer für das Verständnis der
Farben bezeichnungen und ihrer Geschichte scheint der im obigen be-
tonte Gesichtspunkt, dass auch auf diesem Gebiete wie auf anderen
eine fortschreitende Entwicklung von der Bezeichnung der einzelnen
Erscheinung zu der Ausprägung von Gattungsbegriffen anzuerkennen
ist. Am notwendigsten aber wäre für das historische Verständnis der
Farhenterminologic, auch für die Nordvölker ähnlich reiche und sorg-
fältige Sammlungen anzulegen, wie dies von H. Schmidt a. a. 0. für
das Griechische gesehen ist. — An einzelnen Farben ist gehandelt
worden über Blau, Braun, Gelb, Grün, Rot, Schwarz und Weiss.
Färberrote (Iiubia tinetoria L.). Die Pflanze ist in Südeuropa
einheimisch und zeigt keine Spur Ubereinstimmender Benennung. Griech.
<pu6pobavov (Diosk.), lat. rubia (Plin.), mint, icarenfia (so auch im
Capitularc de villis LXX, 65), woher frz. garance, deutsch krapp
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Farbstoffe — Farnkraut.
233
(andere Namen bei Pritzel und Jessen Deutsche Volksnamen S. 342),
cecb. marena, poln. niarzana, russ. marena (an warentia anklingend ;
vgl. auch den serb. Monatsnamen maren neben bulg. broAt u. 8. w.
(altsl. brostl ,purpnra'). — Vgl. Beckmann Bey träge IV, 41 ff.
Farbstoffe. Dass solche schon in der Urzeit bekannt waren
und benutzt wurden, ist sehr wahrscheinlich, zumal die Sitte der
Tätowierung (s. d.) im iiitesten Europa bei Indogermanen und
Nicbt-Indogcrmanen weit verbreitet war. Eines der ältesten Färbe-
mittel zur Erzeugung der auf niedrigen Kulturstufen besonders be-
liebten roten Farbe (vgl. grieeh. pe'Zw , färbe' = seit, raj, ranj,
rajyati ,sich färben", .rot sein') wird der natürliche Rötel (grieeh.
HiXtos; uiXTo-rcdpnos bei Homer von Schiffen gesagt) gewesen sein.
Die Alten (Herod. IV, 191, VII, 69, Plin. VI, 190) wissen von ver-
schiedenen, allerdings nichtindogermanisehen, Völkern zu berichten,
die ihren Leib mit Rötel bemalten. In den Steinstationen Europas sind
wiederholt Funde von Rötel und Ocker gemacht worden (vgl. A. Müller
Vorgesch. Knlturbilder S. 100), die zum Teil bis weit in die palaeo-
litbisehe Zeit zurückgehen (vgl. Hörnes Urgeschichte der bildenden
Kunst S. 21). Vielleicht liegt auch ein gemeinsamer Name des Rötels
in lat. minium (miniare) = grieeh. äuuiov aus *ävfiiov (allerdings erst
bei Dioskorides) vor, wenn man das lateinische Wort durch Umstellung
aus *inmium entstanden sein lässt. Zweifellos war dieses letztere ur-
sprünglich ein Sammelname für verschiedene mineralische rotfärbende
Stoffe und ist erst später auf den Mennig, ein künstliches Produkt aus
gebranntem Hleiweiss, und auf den Zinnober übertragen worden (vgl.
Blümner Term. n. Techn. IV, 478 ff.). Auch das mit Mennig erklärte
agls. teafor = ahd. zoubar wird eine Rötelart gewesen sein, mit der
die Zauberrnnen eingeritzt und die linneucn Gewänder der germanischen
Frauen (vgl. Tac. Genn. Cnp. 16) gefärbt wurden.
Nicht minder früh werden als Farbstoffe auch Kohle, Kreide,
Gyps u. s. w. gebraucht worden sein. In besonderen Artikeln sind
bebandelt worden: aus dem Mineralreich der Zinnober, aus dem
Pflanzenreich: Färberröte, Indigo, Saflor. Safran, Waid, Wau,
aus dem Tierreich: Kermes und Purpur.
Farnkraut. Es wird in fast allen Sprachen als Feder kraut
bezeichnet: grieeh. Trr€pi<; : impöv .Feder'; dazu lit. impdrtis, russ.
paporott, altgall. ratis aus *pratix, ir. raith, breton. raden. Ahd. rarn,
varm, agls. fearn : sert. parnd- .Flügel, Feder'. — Aus weicht lat.
fiüjtj das zu der germanoslavischen Benennung des Bilsenkrautes:
ahd. bilisa, agls. beolene, russ. befand, poln. bielun zu gehören scheint.
Im deutschen und sla vischen Altertum wurden der Pflanze Zauberkräfte
zugeschrieben. Sie bannt den Teufel, und ihr Same macht unsichtbar
<J. Grimm Deutsehe Myth. II8, 1160 f., Krck Einleitung in d. slav.
Litg.* S. 662). Im klassischen Altertum lässt sich ein solcher Glaube
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23»
Fasan.
nicht nachweisen, doch weiden Farnarten als Arznei verwendet (vgL
Lenz Botanik S. 738 ff.).
Fasan. Er wird von Aristophanes Nub. 108 f.:
ouk av not töv Aiövutfov, ei boiris T* MOi
tou? (pao*iavoÜ£ ou? Tp€q>€i Aeurropaq
als Luxusvogcl in Athen genannt und wurde, worauf der Name <pao*tavö<;
weist, vom Flusse Phasis her daselbst eingeführt. Daneben bestand
eine wohl direkt aus Medien stammende Benennung des Tieres Tetapo?,
TaTÜpas; denn aus Medien wurden nach der ausdrücklichen Über-
lieferung des Athcnaeus Fasanen bis in das griechische Ägypten aus-
geführt (vgl. Hehn Kulturpflanzen 6 S. 355). Die Römer, in deren
Aviarien und Parks der Vogel eine hervorragende Rolle spielte, nannten
ihn nach den Griechen phdsidnux (frz. faisan, engl, pheamnt). Auch
iu Deutschland war der fasdn schon im frühen Mittelalter, z. B. in
den Kapitularien Karls des Grossen, ein beliebter Speise- und Ziervogel
der Vornehmen.
Das oben genannte modische T€Totpo<;, Tarupa«; = npers. tederv , Fasan'
schlicsst sich etymologisch an griech. T€Tpdwv • öpvi? ttoiö? Hes. (vgL
fat.tetrao .Auerhahn ), t£Tpa£, Tt'ipiE, TeTpdbwv, retpaiov ,Aucrbahn'(?),
altn. pidu-rr , Auerhahn', sowie an slav. tetrevl, lit. teterwa, tttericinas
(daraus fiun. tetri, tedri), altpr. tataricis an, welche ,Trappe, Auer-
hahn, Birkhahn und Haselhuhn' bedeuten. Alle diese Ausdrücke gehen
zusammen mit seit, tittiri- , Rebhuhn' auf ein idg. *tetero- ,ein ti-ttr-
Rchrciendcr Vogel' (griech. TCTpdZuu, lat. tetrinnire) zurück, das dann
in den Einzclsprachen auf verschiedene, verwandte oder einander ähn-
liche Vogelarten übertragen wurde. Bemerkenswert ist, dass neben jenem
idg. *tetero- ein reduplikationsloses finnisches perm. tar, votjak. tur liegt.
Die Bedeutung , Fasan' hat «las Wort ausser im Medischeu (und
Griechischen) nur noch im Slavischcn, aus dem schon Abraham Jakobsen
folgendes berichtet: „Ferner ist da ein Waldhuhn, das auf Slavisch
tetm heisst. Sein Fleisch schmeckt vortrefflich. Es lasst seine Stimme
vom Gipfel der Bäume erschallen auf eine Meile Entfernung und weiter
zu hören. Man hat zwei Arten von diesen Vögeln, schwarze (Auer-
hahn) und farbig gezeichnete, die schöner als Pfauc sind (vgl. Abraham
Jakobsens Bericht über die Slavenländer vom Jahre 973 in den Gc-
ßchichtschreibern der deutschen Vorzeit 2. Gesamtausg. B. 33). Mit der
letzteren Art kann wohl nur der Fasan gemeint sein.
Andere Ausdrücke für den Auerhahn, die hier angeschlossen werden
mögen, sind zunächst ahd. orre-huon, vgl. altn. orre , Birkhuhn'. Das
zu Grunde liegende *orro- aus urgerm. *urzon- entspricht dem sert. rfshan-
,brünstig, zeugungskräftig'. Wie hier an die Brunst des Auerhahns iu
der Balz gedacht ist, so haben die Litauer und Slaven deu gleichen
Zustand vor Augen, wenn sie den Vogel nach seiner Taubheit während
des Balzens benennen: lit. kurtinyg ,taub' und ,Auerhahn', altsl. gluchn
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Fasten — Fuss. 235
,taub', russ. gluchdrl etc. ,Auerhahn'. Lett. medeius, mednis ,Auerhahn',
altpr. medenix taunci* (für tatanci* s. o.) : altpr. median /Wald'. — Vgl.
ausser V. Hehn a. a. 0. noch E. Hahn Die Haustiere S. 321 ff.
Fasten. Als das Christentum sich Uber Europa ausbreitete, und
als Werke, durch die man sich den Himmel erwerben könne, Almosen-
geben (aus griech. lat. £X€nuoo*üvTi entlehnt : ir. altnsan, ahd. alamuo-
mny agls. (elmense, altn. ölmutta; ihm nachgebildet: got. aruiaiö, altsl.
milostyni) und Fasten forderte, fand es den letzteren Begriff bereits
im Heidentum ausgebildet vor. In Griechenland war die vnaTeia ,das
Nicht-Essen' (von vncFTu; aus *>ieed-ti-s : £bw ,esse ) an gewissen Festen,
namentlich an denen der Demeter und besonders von Frauen ausgeübt,
wohl bekannt (vgl. K. F. Hermann Gottesdienst). Altert. 2 s. Index von
Fasten). Auch scheint man, wie in Indien und Iran, ein dreitägiges
Fasten nach dem Tode eines Anverwandten geübt zu haben (vgl. Kaegi
Die Neunzahl Abb. f. Sehwei/.er-Sidler S. Gl 4C). Ahnliches gilt von dem
lat. ieiänium (*edi-üno- ,der Speise entbehrend' ??). Dass aber auch schon
im germanischen Heidentum aus religiösen Gründen gefastet wurde,
macht der Umstand wahrscheinlich, dass sich eine einheitliche und
einheimische Bezeichnung dafür (got. fastan, altn. faata, agls. fastan,
ahd. fasten) in allen Mundarten findet. Durch deutsche Glaubensboten
ist dann das Wort, dessen Grundbedeutung wohl festhalten' (got. fastan)
sc. an einer religiösen Vorschrift ist, in christlicher Zeit in den ganzen
Osten Europas (altsl. postti, altpr. paxtauton, Ht. pastininkas, tinn.
paasto) getragen worden. Vgl. noch ir. troscaim ,ieh faste', nach Stokes
Urkeltischer Sprachschatz S. 139 aus Hrudskö: got. m-ßriutan .be-
lästigen', altsl. trudü »Mühsal'.
Nicht unwahrscheinlich ist, dass, wie andere kultliche Observanzen
so auch die des Fastens in ein sehr hohes Altertum zurückgeht, und
aus dem Gebiete des Göttcrglaubens noch in das des Zaubers und
Dämonenkultes hinüberführt. Scheint es doch, dass der erste und
eigentliche Zweck des Fastens d e r gewesen ist, den dem Menschen
auflauernden Geistern an und durch Speise und Trank keinen Eintritt
in das Innere des menschlichen Leibes zu gewähren. Als ein zweiter
Gedanke hätte sich dann hieran der angeschlossen, von der für Geister
oder Götter bestimmten Speise nichts gleichsam für sich vorauszunehmen
(vgl. Oldenberg Die Religion des Veda Index s. v. Fasten). — S. u.
Riten. Über Speiseverbote s. u. Nahrung.
Fass. Hölzerne Fässer oder Tonnen waren im klassischen Alter-
tum nicht gebräuchlich. Der Wein wurde in thönernen, teilweis in
die Erde eingelassenen Gefässen (niBoi) oder in Schläuchen aufbewahrt.
Eigentliche Fässer werden zuerst aus den waldreichen, dem Alpcn-
gebiet angehörigen Gegenden des eis- und transalpinischen Galliens und
lllyriens gemeldet. Hier waren hölzerne Fässer grösser als Häuser in
Gebrauch. Die Einwohner von Massilia und der aquitanischen Stadt
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23fi
Fass — Feige-
Uxellodunum verteidigten sieh, indem sie mit Teer und Pech gefüllte
Fässer (cilpa) auf die angreifenden Römer wälzten. Bei Aqnileja haute
sich der Kaiser Maximinius im Jahre 238 eine Brücke aus Weinfässern
u. s. w. (s. d. Belege hei V. Hehn Kulturpflanzen * S. 558 ff.).
Auf keltischem oder romanischem Boden wurzeln denn auch zahl-
reiche Benennungen des Fasses in den Sprachen des nördlichen Europas,
wo dieser Behälter durch die hier herrschende Bierbrauerei eine neue
und ausserordentliche Bedeutung gewann. Schon im Jahre 600 traf
der heilige Columbanus auf Sucven, die ans einem Fass, das 26 modii
enthielt, ihrem Wodan opferten (s. Du Cange u. cupa). Keltischen
Ursprungs tir. tunna\ scheinen ahd. tunna, agls. *unne zu sein. Auf
eine viel frühere Entlehnung aber weist altschwed. pyn (mit Lautver-
schiebung; vgl. Kluge Et. \V.S s. v. Tonne, anders Et. W.6). Aus lat.
cilpa (: griech. kutt-€XXov , Becher';, resp. cöpa (Corp. GIors. Lat. V.5841)
stammen : ahd. kuofa, alts. cöpa (vgl. auch die Sippe von lat. ctippa,
ahd. köpf, Becher' und von mlat. cupella, prov. cuhel, ahd. -kubil, agls.
cyfel und cyf ,Fass', lit. kübilas, altsl. kübilu), aus mlat. doga, *döga
(von griech. boxn .Behälter') : mhd. dttge .Fassdaubc', cech. duha, slov.
doga, alb. doge, aus lat. *butijt, *butina (von griech. ßurivn. • Xdruvo?
fj ä}xiq Hes.) : ahd. butin, agls. byden, alb. but .Tonne', altsl. bütarl
,Fass (im Germanischen und Romanischen wechseln die Bedeutungen
,Fass' und .Schlauch', vgl. agls. bytt .Schlauch', span. bota, frz. botte
,Weinfass'>. Wo wurzelt die Sippe von it. barrile, frz. baril. engl.
barrel, alb. biiril, altsl. barilo ,Fass" (*barr-)Y
Neben diesen weitverzweigten Entlehnnngsreihen treten in den ger-
manischen und slavischcn Sprachen auch einheimische, ursprünglich
wohl auf thöneme Gefässe bezügliche Bildungen auf. So gemein-
germ. ahd. faz, agls. feet, altn. fat : lit. pudas .Topf (*pod- : *p6d-)
nnd altsl. dehj ,Fnss\ bulg. delca .grosser irdner Topf : lat. dolium,
urspr. jthönemer Behälter". Auf Herstellung aber aus Holz weist mit
Sicherheit das gemeingerm. ahd. troc, altn. trog aus *dru-ko- : griech.
bpü-£ (s. u. Eiche). — S. auch u. Gefässe.
Fauna der Urzeit, s. Urheimat der Indogermanen.
Feder, s. Schreiben und Lesen.
Fehde, s. Blutrache.
Feier, s. Mond und Monat, Zeitteilung.
Feige. Durch palaeontologische Thatsachen steht es fest, dass
Ficu* carica L. schon in der Quartär- oder Diluvialperiode auch im
westlichen Teil des Mittclmeergebietes verbreitet war, ja sogar nord-
wärts von den Grenzen der heutigen Mediterranflora in Westeuropa
vorkam. In den tertiären Ablagerungen Europas fehlt hingegen der
Typus der Ficu* carica, und da nach dem Urteil der Botaniker dieser
Typus in Westasien und Ostafrika Uberhaupt reicher als in Europa
entwickelt ist, so ist es wahrscheinlich, dass die europäische Feige aus
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Ff ige.
237
dem Osten stammt. Nur ist festzuhalten, das» diese Ausbreitung des
Baumes von Ost nach West ohne Z u t h u n des Menschen und zu
einer Zeit erfolgt ist, in welcher derselbe noch nicht Kulturpflanze war.
Die Entstehung der Ess- oder Kulturteige hängt aufs engste mit dem
Prozess der sogenannten Kaprifikation zusammen, durch welchen
die Übertragung des Blütenstaubes der männlichen Pflanze, d. h. eben
des Kaprificus (griech. eptveöq) auf die weiblichen Stöcke, die so zur
Befrachtung gelangen, getördert wird.
Diese Erfind uug der Kaprifikation scheint von den Semiten gemacht
worden zu sein. Bereits bei Arnos VII, 14 begegnet der Ausdruck
böles iiqmhn , Jemand, der an der Sykomore eine Operation besorgt
ähnlich derjenigen, die am Feigenbäume üblich ist'. Die Benennungen
des Knltnrfeigcnbaumes ti nu hebr., aratn., vgl. auch assyr. tittü) und der
Feige balattu (hebr., arab., aethiop.) sind mehreren semitischen Sprachen
gemeinsam, Nach der Ansicht eines hervorragenden Semitisten (Lagarde)
wäre die Bezeichnung ti'nu innerhalb der semitischen Sprachen von dem
südöstlichen Arabien ausgegangen, wo auch nach Ansicht der Botaniker
die Entstehung der Fcigcukultur zu suchen wäre. Vielleicht ist auch
der ägyptische Name des Feigenbaumes, der in den Denkmälern von
der XII Dynastie an abgebildet erscheint, von dem semitischen ableitbar
(vgl. F. Hommel Aufs. u. Abh. S. 105).
Von den Semiten wurde die Kultur des Feigenbaumes zusammen
mit der Kunst der Kaprifikation zu den Helleneu gebracht. Aus
dem Umstand, dass die Feigen (aÖKOv, (TuK€n, böot. tökov) nur in
späteren Teilen der Odyssee (Niederfahrt in die Unterwelt, Gärten des
Alcinoos, Garten des Laertes), dann bei Archilochus genannt werden,
hat man geschlossen, dass dies erst zur Zeit der ausklagenden Dichtung
Homers geschehen sei. Doch bleibt zu erwägen, dass schon in der
Ilias der Name des wilden Feigenbaumes vorkommt, epivcöq (: £pi<po?,
vgl. messen. Tpdro<; , d. h. .Bocksbamu', eine Benennung, deren Ursprung
man sich schwur anders als im Gegensatz zu dem frUchtetragenden
Feigenbaum erfolgt vorstellen kann vgl. lat. atprif'icu* : ficus\ der
also zur Zeit der Bildung dieses Wortes schon bekannt gewesen sein
müsste. Das griech. o*ökov, tökov ist schwer zu erklären, vielleicht ist
es eines Stammes mit griech. o*€KOÜct, erneua, aueuq , Gurke", die sieh
durch die Verglcichung mit altsl. tyky .Kürbis' (idg. Heek-) als vor-
historisch erweisen fs. u. Cucurbitaceen), so dass man die Früchte
erst der wilden, dann der veredelten Feige nach der in die Augen
fallenden Ähnlichkeit als „Gurken" bezeichnet hätte. An Zusammen-
hang mit armen, t'uz .Feige', ist aus lautlichen Gründen kaum zu
denken (vgl. auch Bartholomae \V. f. klass. Phil. 1895 S. 590). —
Während die von den Semiten eingeführte und verbreitete Kaprifikation
iu Griechenland, Nordafrika, Südportugal, SUdspanien, Sicilien herrscht,
fehlt sie in Italien. Man hat hieraus geschlossen, dass die Einführung
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Feige — Fenster.
der Kulturfcigc nach Italien nicht von den griechischen Kolonien aus-
gegangen sei. sondern seitens der östlichen Völker unmittelbar durch
Setzlinge erfolgt sei. Jedenfalls kann lat. fieus nicht au* griech. aÖKOV
entlehnt sein. Oh es ans hehr, paggim ,halbreife Teigen' (svr. paggd,
arah. fagtj, figg,, wofür man auf das Analogon von lat. cottana aus hehr.
qätön verweisen kötinte. erklärt werden darf, ist zweifelhaft.
Das nördliche Europa gebraucht zur Bezeichnung der natürlich
auf Handelswegen eingeführten Frucht im allgemeinen Entlehnungen
aus lat. fielt* (russ. pigrtt .Quitte' ans ahd. fitja weicht in der Bedeu-
tung ausj. Ein eigentlicher Obstbaum konnte die Feige des Klimas
wegen im Norden nicht werden. Immerhin wird sie in dem Capitularc
de villis LXX, 87 (nicht aber in den zwei Oarteninventarcn Karls des
Grossen vom Jahre 812) erwähnt. In hohem Grade merkwürdig ist
der gotiseh-slavische Xame der Feige, got. smakka, umakkabagintt, altsl.
smoky. Auch er harrt noch einer befriedigenden Erklärung. Auf keinen
Fall kann er mit griech. cröxov irgendwie zusammenhängen. — Vgl.
V. Hehn Kulturpflanzen u. Haustiere" S. 94 ff. und vor allem Graf zu
Solms- La ubach Die Herkunft, Domestikation und Verbreitung des ge-
wöhnlichen Feigenbaumes (Abb. d. k. Ges. d. W. zu Göttingen XXVIII
(1882). — 8. u. Obstbau und Baumzucht.
Felle, s. Säge.
Feind, s. Freund und Feind.
Feldgemeinschaft, s. Ackerbau.
Feldgraswirtschaft, s. Ackerbau.
Feldzeichen, s. Fahne.
Felge. Eine urverwandte Gleichung für den Rand des Hades
ist griech. Tiuq - lat. vittts. Die Grundbedeutung ist Weide (griech.
\jia>, wie auch ahd. felga, agls. feig, engl, feüy mit ahd. feloica
, Weide1 zu verbinden sein dürfte {*felgua). Lit. skrytis, altpr. scritai/le
,Radfelgc' wird, wie lett. ski-ituUs, ursprünglich das ganze Kad be-
zeichnen und zu ahd. scritan, altn. skrida ^kriechen' (Grundbedeutung:
,sicli bewegen', lit. skreti .rotieren' i gehören (s. die idg. Xamen dieses
Wagenteils u. H ad i. Den eigentlichen Radreifen meint griech. tmciöw-
Tpov : aiÜTpov .Kad'. Lat. eantits ist ein gallisches Wort, das sich
vielleicht aus biet, comhet an rot ,cant de rotte' {*kambiton) erklärt.
Scrt. tn'»mi-} lat. orbis rotarum, orbile. — S. u. Wagen.
Fell, Felltracht, s. Pclzkleider.
Felsen, s. Berg.
Felsenbilder, s. Kunst und Schreiben und Lesen.
Fenchel, s. Garten, Gartenbau.
Fenster. Im Gegensatz zu der Thür <s. d.) ist das Fenster,
wenn man tiarunter den modernen Begriff, d. h. die regelmässige, mit
Glas oder Glimmer verschlossene W a n d Öffnung zum Durchlassen des
Lichtes und der Luft versteht, wie sie auch im klassischen Altertum,
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Fenster — Feuer.
239
namentlich für die Obergeschosse der Wohnungen, schon vorhanden
war, eine verhältnismässig j u n ge K u 1 1 u r e r s e Ii e i n u n g. An ihrer Stelle
steht im Norden Europas noch in später Zeit die offene Dachluke,
die ebensowohl dein Durehlass des Herdrauches wie der Luft und des
Lichtes dient und im Notfall mit einem Brett verschlossen wird. Auf
Island waren diese Dachluken (altn. Ijöre ,LiehtöfTnung' : 1}<U , Licht )
mit der durchsichtigen Haut des neugeborenen Kalbes geschlossen, die
daselbst noch gegenwärtig statt des Fensterglases verwendet werden
soll. Auch die Hausurnen Deutschlands und Italiens, die, wie u. Haus
gezeigt ist, ein treues Bild des alteuropäischen Hauses gewähren, ent-
behren der Fenster, zeigen aber mehrmals die uralten Lichtöffnungen
im Dache. Alte einheimische Namen für diese letzteren, die später auf
das eigentliche Fenster übertragen wurden, sind geineinsl. okno : altsl.
oko ,Auge' (woher finn. alckuna , Fenster' und ähnlich in zahlreichen
finnischen Sprachen), altn. cind-nnga, engl, icindoic (altir. fvindeng'?),
got. augadaürö, ahd. augatora, agls. tgPyrel ,Augenloch' u. a. Vgl.
noch altfries. andern , Fenster', eigentl. .Atcmloeh' (Heiträge XIV, 232 .
Dunkel ist lit. längas {langafis, Rauehloch) altpr. lanrto, lett. longa.
Langsam bricht sich das eigentliche, mit Glas geschlossene Fenster
vom .Süden her seine Bahn nach dein Norden, überall, wie der Ofen
(s. d.), einen gewaltigen Eintlnss auf die Umgestaltung des ursprüng-
lichen Hausbaues ausübend. Diesen Vorgang bezeichnet die Entlehnungs-
reihe von lat. f'enestra (schon bei Plautus: vielleicht aus einem zu er-
schliessenden griech. *(pavno*Tpa; der überlieferte griechische Name ist
8upi<;, ÖTrrj), ir. xeinistir, kyinr. ffenestyr, korn. fenester, bret. fenestr,
ahd. reustar, ndl. venster. Im Finnischen und Lappischen wird das
Glasfenster mit dem deutschen Namen des Glases (klasi, last) benannt. —
S. u. Haus.
Ferkel, s. Schwein.
Fessel, s. Kette.
Fest, s. Mond und Monat. Zeitteilung.
Fe.stiinar, s. Stadt und Mauer.
Fetischismus, s. Keligion.
Feuer. Idg. Bezeichnungen dieses Elementes sind : sert. agni-,
lat. lg nh, lit. ugn'is, altsl. ognt: griech. Tiöp. uinbr. pir, ahd. fnir,
armen, hnr: got. fön, altn. fnne, altpr. panno. Vgl. noch ir. aed
, Feuer : sert. r'dhas-, aw. aeuma- , Brennholz/, ahd. elf , Scheiterhaufen'
(:scit. idh ,anzünden ) und die einzelspraelilichen: ir. tene, tened, korn.
tauet .Feuer' (: seit. tapf lat. ttpeoY), aw. dtar- (npers. dAer, kurd.
dür n. s. w.i , Feuer' (vgl. armen, airem .zünde an' von *air , Feuer )
und die rätselhaften von einigen als Entlehnungen aus dem Iranischen
betrachteten frech, vatra, poln. iratra etc. , Feuer, Herd', alb. rafrr
jFeuerstelle' i weiteres bei Miklosieb Et. W. und (J. Meyer Et. W. d.
alb. Spr. S. 4<i4f.i. (.'her die rcligiousgcschichtliclic Bedeutung dieses
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240
Feuerstätte — Feuerzeug.
Elementes (den vedisehen Feuergott Agni, die litauische L'yn'm szwentä
und die Feuergüttin Pontjke, die lateinische Herdgöttin Vesta u. a.)
8. u. Religion und u. Herd.
Feuerstätte, s. Herd.
Feuerzeug. Die älteste und alltägliche Art, neues Feuer zu ent-
flammen, bestand darin, das» man die sorgfältig bewahrte Glut der
Herdasche anblies (.lebendig machte1; vgl. altn. kveykja ,anzünden' :
ahd. quek .lebendig ), oder, wenn dieselbe erloschen war, sich von einem
Nachbar frisches Feuer holte. So ist es bis tief in die klassische Zeit,
vielleicht immer bei Griechen und Römern gewesen. Vgl. Od. V, 488 ff.:
üj<; b' öi€ Ttq baXöv OTrobirj ^V€Kpuu/€ peXaivrj
dtpoö en' döxaTifis, & un ^apet Y*iTOV€<; äXXoi,
0TT6pua Ttupo? tfwZuuv, tvet pn. Troeev äXXo0€v aüoi,
(ix; 'Obutfeus <püXXoio*i KaXOipaTO.
Nur ausnahmsweise, und namentlich zur Entzündung heiliger Feuer,
bediente man sich eines primitiven und für den jedesmaligen Gebrauch
besonders hergestellten Feuerzeugs. Übereinstimmend findet sich bei
Indern, Griechen, Römern und Germanen die Sitte, Feuer zu den an-
gegebenen heiligen Zwecken in der Weise zu gewinnen, dass man einen
Stab aus hartem Holz in einen andern Stab, eine Scheibe oder Tafel
aus weicherem Holz ciubohrt und darin so lange herumdreht, bis durch
diese Reibung Feuer herausspringt (vgl. die Belege bei A. Kuhn Die
Herabkunft des Feuers S. 30 ff. und M. Planck Die Feuerzeuge der
Griechen und Römer, Progr. Stuttgart 1884).
Vorgeschichtliche Bezeichnungen für den Begriff des Feuerzeuges
sind unter diesen Umständen nicht zu erwarten. In Indien, wo früh-
zeitig eine Verbesserung des oben geschilderten Urfeuerzeuges auftritt
(vgl. R. Roth Z. d. Deutschen Morgenl. Ges. XLIII, 590 ff.), heisst der
Rührstab pramantha-, die Reibhölzer — es sind hier zwei — arani-i
eine zusammenfassende Benennung scheint nicht zu bestehen. Im
Griechischen heissen die beiden Hölzer nupeia (vgl. den hom. Hymnus auf
Hermes v. 108 ff.). Lat. if/nifabutum meint zunächst die Steinfeuer-
zeuge (s. u.). In der Urzeit wird das alte Wort für Bohrer (s. d.)
hingereicht haben, um auch den Feuerbohrer zu bezeichnen. So wird
griech. Ttpeipov neben Tpimavov gebraucht, so lat. terebrare, bei Fcstus
ed. 0. Müller S. 100 von den Vestalinuen gesagt, die das erloschene
Feuer des Tempels aus einer tabula felicis materiae hervorlocken. Die
rührende oder drehende Bewegung des Feueranzünders wird durch
sert. manth, wovon pra-mantha- * vgl. altn. möndull Jiguum teres, quo
mola rrusatilis manu circumagitur ), mit bezeichnet worden sein.
Wo FI int vorhanden war, wird auch dieser frühzeitig zur Erzeugung
neuen Feuers gedient haben. Besonders häufig wird diese Art der
Feuergewinnung auf römischem Boden erwähnt (vgl. Planck a. a. 0.
S. 16). Unter den Griechen nennt sie zuerst Sophokles Philokt.
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Feuerzeug — Fiedel.
•241
v. i?9ß ' : dXX tv 7TeTpoi0i rceTpov dtapißtov uöXii; €<pr)v' acpaviov TTÖp).
Als Feucrfünger und Fcuerbewahrer diente u. a. der früh in Europa
beachtete Schwefel, mit dein man wohl auch die Steine bestrich (Planck.
S. 10). S. u. Schwefel, wo auch auf vorhistorische Feuerzeug- und
Schwefelkiesfunde hingewiesen worden ist.
Fibel, s. Schmuck.
Fichte. Da in der Sprache die Namen für Fichte, Kiefer
und Tanne nicht scharf unterschieden werden, so müssen die Abietineae
hier zusammen behandelt werden. Eine Reihe übereinstimmender
Namen geht Über den Hoden Europas hinaus: sert. pi'ta-dru-, pita-
ddru-. pitn d(iru-} Pamird. /hV, griech. ttitu?. lat. pinus (s. u. Pinie und
vgl. \at. pitu ita ,Schleim der Bäume' etc., .Schnupfen). Daneben besteht
ein urverwandter Name des Baumharzes: sert. jatu- .Lack, Gummi',
agls. ewidu, ahd. chuti »Kitt*, ,Lciin', lat. bittlmen ,Erdpech\
Auf Europa beschränkt sich: griech. TreuKn, altpr. peuse, lit. puxzis,
ahd. /iuhta, ir. ochtach {*pultd). Ebenso der gemeinsame Name des
Peches: griech. Trio*o*ct, lat. pi.r, altsl. ptklü (ahd. peh aus lat. pteem
vermutlich mit der römischen Kunst der Weinbereitung und Weinbe-
handlnng entlehnt). Vgl. noch agls. c<'n, ahd. chien (nhd. kiefer aus
kien föhre) : altir. hi gl. piv (griech. ßüvn. • Treikn, Hes.V), während
andere für das germanische Wort an Verwandtschaft mit altsl. sosna
,abies' (aus *zosna : *kizn -= ahd. chien) denken (vgl. H. Pederscn
I. F. V, 60). Gleichungen von geringerer Ausdehnung sind lat. abies,
griech. äßiv eXdinv, o'i bc ttcukiiv (lies.) und slav. borii , Fichte',
, Fichtenwald', agls. bearu, altn. börr .Wald' (eigentl. .Fichtenwald').
Als ein urzeitlichcr Bauraname darf auch ahd. tanna in Anspruch ge-
nommen werden, das dem sert. dhdnvun- .Bogen' genau entspricht
(vgl. altn. dlmr , Bogen aus Ulmenholz', altn. yr und griech. töEov
,Bogen aus Eibenholz ' doch wird man mit Rücksicht auf die Eigen-
schaft des Holzes der Tanne vielleicht eher mit II. Hirt I. F. I, 4*2
von der für ahd. tanna neben ,Tanue' bestehenden Bedeutung .Eiche'
auszugehen haben. Griech. eXam, s. u. Linde, all», breO-di , Tanne'
u. Birke, ahd. forha und mhd. zirbe, zirhel .Pinns cembra L.' (altn.
tyrvidr , Kienholz', ndl. teer, agls. teoro, altn. tjuru. ,Tccr ) — lit. derirü
,Kienholz', lett. dartra ,Teer' u. Eiche, altsl. jela .Tanne' u. Eibe,
bulg. smircu, klruss. smruku etc. .Tanne', .Fichte' u. Wach holder.
Kymr. syb-icydd .Föhre' (*soqo-vidu-) ist Jlarzbaum' : altsl. gokii, lit.
sakai .Harz'.
Dunkel ist slavisch *chcoja (poln. choju , Kienbaum' etc.); vgl. lit.
skujü .Tannen- oder Fichtennadel'. Aus dem Lateinischen (Iuris ---
ir. dair, daur, Gen. äurac.h .Eiche ) entlehnt ist mhd. larche .Lärche'
(Pinns lariv L.). — S. u. Wald, Wald bäume.
Fieber, s. Krankheit.
Fiedel, s. Musikalisehe Instrumente.
Schräder. Rcallcxlkon. IG
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Filz - Fisch, FUchfan».
Filz. Dieser ltegriff erweist sieh als vorhistorisch durch die
Gleichung lat. pilleus {*pildeu#; vgl. lat. aallere aus *mldere\ agls.
feit, ahd. filz \*peldo-\, altsl. plüsti {*peld-ti ). Die Zugehörigkeit von
gricch. ttiXos ist unsicher, Germano baltisch ist: ahn. ptifi , Filz', pöfa-
hettir ,Filzhütc' : lit. titba, ttibis, altpr. tubo ,Filz'. Wahrscheinlich
sind aher die litu-preussisehen Formen aus dem Nordischen entlehnt.
In sehr früher Zeit wurde von den Slavcn, noch bevor sie ihre Wohn-
sitze westwärts ausgedehnt hatten, aus der Sprache turko- tatarischer
Völker, welche noch heute Meister der Filzbereitung sind, das gemeinst,
altsl. klobuk üt eech. klobuk u. s. w. ,Filz" übernommen, und zwar aus
türk. kalpak .Mütze', so dass also Kopfbedeckungen in dem damaligen
türkiseh-slavischcn Handel eine bedeutende Rolle gespielt haben müssen.
Dasselbe Wort ist ein Jahrtausend später noch einmal von den osma-
niseheu Türken entlehnt worden: seil), kalpak. ngriech. KaXTidia u. s. w.
(vgl. Miklosich Türk. Elemente S. 1). Aus <lcm germanischen Worte
stammt mlat. filtrum ,Filz" ihal. feltro, frz. feutre), neben dem ein
ebenfalls auf germanischer Grundlage beruhendes fu/tnim (daraus wieder
ahd. fulter) bestand. — S. u. Kopfbedeckung.
Fingerring, s. Schmuck.
Finke, s. Singvögel.
Fisch, Fischfang. Die Kenntnis und Übung des Fischfangs
lässt sich in unserem Kidteil, wenigstens in dem Alpengebiet uud
nördlich desselben, bis in die entferntesten Zeiten zurück verfolgen.
Bildliche Darstellungen verschiedener Fischartcu, des Hechtes, der
Forelle, des Aales u. a. haben sich auf Knochen oder SchicferplatJen der
palaeolit Iiis eben Epoche eingraviert gefunden. In den Höhlen von
Mcntone wurden 50 verschiedene Fischarten nachgewiesen u. s. w. Die
Kjökkenmöddinger oder Muschelhaufen Dänemarks zeigen zwischen den
Schalen von Austern und verschiedenen Muschelartcn eine Menge
Fischgräten von Schollen, Dorsch, Häring und Aal. Der grosse Umfang
der Fischerei in neol ithisc her Zeit ist zweifellos. In den Schweizer
Pfahlbauten (vgl. Rütimeyer Fauna d. l'f. S. 114) lassen sich 9 ver-
schiedene Gattungen von Fischen, z. H. Aal, Harsch, Hecht, Karpfen,
Lachs, unterscheiden. „Im Mondsee", sagt M. Much (brieflich), „fand
ich Fischreste und eine kupferne Fischangel, die wie die meisten stein-
zeitlichen Fischangeln noch des Widerhakens entbehrt, und es ist nicht
ausgeschlossen, dass auch hier bearbeitete Knochenstücke als Fisch-
angeln dienten." Auch in den steinzeitlichen Niederlassungen Däne-
marks und Schwedens sind verschiedene Fischereigeräte, Angelhaken
ans Knochen (hier m i t Widcrkaken), Harpunen, Stechgabeln und Reste
von Netzen, die auch in Robenhausen begegnen, gefunden worden
(vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde I, 148, Montelius Kultur
Schwedens* S. 25).
Anders könnten die Verhältnisse südlich der Alpen gelegen haben.
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Fisch, Fisclitang.
243
In den Pfahlbauten der Poebcnc sind, obgleich diese Stationen erst
der Bronzezeit angehören, keinerlei Fischgräten, Angelhaken und dergl.
aufgetaucht (vgl. Heibig Die Italiker in der Poehne S. lf>). und dasselbe
ist nach der ausdrücklichen Versicherung von Tstintas ( EqpTm. dpx-
1801 8. 39 ff.) bei den ungefähr derselben Epoche Angehörigen Über-
resten von Tiryns und Mykenae der Fall.
Von dieser kurzen Übersicht Uber die prähistorischen Verhältnisse
Kuropas, soweit sie sich in den Funden darstellen, wenden wir uns der
Terminologie des Fischfangs in den idg. Sprachen zu. Es ist eine
längst beobachtete Thatsache, das* es in den idg. Sprachen für den
Begriff des Fisches keine sich von Europa bis in das arische Gebiet
erstreckende Gleichung giebt vgl. lat. pincis, ir. iasc, got. fisks; armen.
jukn, lit. iuic'ts, altpr. zukam gegen Uber sert. mätxya-, aw. masya- \
dunkel: griech. ixOuq, und altsl. ri/ba, ersteres von einigen mit Armen, jukn
verglichen), und dass für einzelne Fischarten überhaupt keiue sicheren
Gleichungen bestehen (einzelnes zweifelhafte vgl. bei O. Weise Die
griech. Wörter im Latein S. III, dazu Sprachvergl. und Urgeschichte*
S. HiG). S. auch u. Aal. Eine deutliche Ausnahme machen nur die
germanischen und litu-slavischcn Sprachen mit einer Reihe von gemein-
samen Fisehnamcn (altpr. lasasno, lit. lasziszä, russ. lo*08iy ahd. Iah*
,Lachs"; altpr. linis, lit. lynas, cecli. IIA, ahd. slto ,Sehleic'; Altpr. kalis,
mhd. icels ,Wels).
Was die Fischereigeräte betrifft, so wird in Europa an mehreren
Stellen von dem Stamme *onko- { — sert. aükd- , Haken, Biegung, Bug'
: ac »biegen, krümmen') Gebrauch gemacht, um Wörter für Angel
davon abzuleiten. So in griech. afKitfTpov und in dem gemeingerm.
ahd. angul, altn. öngull. Im Lateinischen heisst der Angelhaken htimux,
das vielleicht mit ahd. hämo id. (vgl. lat. habeo = got. haban) urver-
wandt ist, wie vielleicht auch got. nati ,Netz' mit lat. nassa »Fisch-
reuse, Netz' zusammenhängt (doch s. u. Nessel; sonst heisst das Netz:
lat. rete = lit. ritt* , Bastsieb", griech. tfoprrjvn., äu<pißAn.o-Tpov, lit. tiil-
klas, mdrszka; meszkere .Angel* u. s. w.i.
Es fragt sich nun, wie diese auffallende Armut der idg. Sprachen an
Übereinstimmungen in der Terminologie des Fischfangs zu erklären sei.
Zwei Deutungen sind denkbar. Entweder man sagt: es ist selbst-
verständlich, dass die Indogermanen Fischfang getrieben und Fische
gegessen haben. Nur war ihr Gesehmacksinn noch so wenig ent-
wickelt, dass sie zwischen einzelnen Fischgattungen sprachlich nicht
unterschieden (so etwa II. Hirt I. F. Anzeiger VIII, 59). Oder man nimmt
an, dass die Indogermanen in der Zeit, als Europäer und Arier noch
eine Kultureinheit bildeten, thatsächlich keinen Fischfang kannten und
keine Fische assen. Gegen die erstere Erklärung lässt sich einwenden,
dass sie einmal die auch in der Terminologie der Fischerei gerät e
bestehende Anuut ausser Betracht lässt, und man das andere Mal nicht
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244
Fisch, Fischl'nn;?.
versteht, warum die Indogernianen, die doch für sehr viel unansehnlichere
Tiere wie Floh und Laus, Ameise und Fliege u. s. w. bestimmte Namen
hatten, nicht im Stande gewesen sein sollten, die, wenn nicht (für die
damaligen Indogermauen) durch den Geschmack, so doch durch Farbe,
Grösse und Gestalt so verschiedenen Fischarten verschieden /u benennen,
wenn sie dieselben praktisch verwerteten. Nimmt man nun hinzu,
dass weder im Awesta, noch im Rigveda (vgl. Zimmer Altind. Leben
S. 26) des Fischfangs mit einem Worte Erwähnung geschieht, wie
auch die arische Periode keine gemeinsamen Fischnamcn ausgebildet
hat, und dass auch durch das homerische Zeitalter, das im übrigen
gewerbsmässigen Fischfang bereits kennt (vgl. J. v. Müller Privataltcrt.2
S. 121 5), noch die Erinnerung an eine Zeit hindurchzublicken scheint,
in der der griechische Held ebensowenig Fische ass, wie ritt, schrieb
oder Suppe kochte (vgl. v. Wilainowitz Horn. Unters. S. 292. Tsuntas
a. a. 0.), so wird man die oben angeführte zweite Deutung für die
wahrscheinlichere halten müssen. Thatsächlich wird uns von gewissen
Völkern, z. Ii. den britannischen Kaledoniern noch aus später Zeit be-
richtet, dass sie sieh alles Fischgenusses enthielten (vgl. Dio Cass. Epit.
LXXVI, 12: tüjv t«P ixöüujv dtTreipiuv kcu rxTrXeTwv övtwv ou fcöovTai ..
Warum könnte es also nicht ebenso bei den Indogernianen gewesen
sein ? Auch abergläubische Speiseverbote könnten dabei mitgewirkt haben.
Demnach würde man sich im Hinblick auf das oben geschilderte
hohe Alter des Fischfangs in weiten Teilen Europas den kulturge-
schichtlichen Entwicklungsgang auf diesem Gebiete etwa so vorzustellen
haben.
Die Indogermauen waren zur Zeit des Kulturzusammenhangs zwischen
Europäern und Ariern im wesentlichen ein Volk von Viehzüchtern (s. u.
Ackerbau und u. Viehzucht), das den Fischfang und Fischgennss
nicht kannte. Der Schauplatz dieser Epoche ist an der Grenze Asiens
und Europas zu suchen s. u. Urheimat . Je mehr nun die West-
imlogennanen sich über Europa ausdehnten, ein Prozess, der sich mit
dein Beginn oder im Verlauf der neolithischcn Periode abspielte, um
so mehr wandten sich die sich allmählich immer stärker differenzierenden
idg. Völker, vielleicht durch das Heispiel urangesessener Stämme au-
geregt, dem Fischfänge zu. Es besteht also in dieser Beziehung un-
zweifelhaft einKnlturgegensatz etwa zwischen den Menschen der Schweizer
Pfahlbauten oder denen der jüngeren Skandinavischen Steinzeit und den
ältesten Indogernianen: aber man darf daraus nicht schlicssen, dass
die Schweizer oder Skandinavische Bevölkerung jener Epochen keine
indogermanische gewesen sein könne; denn nach der hier vorgetragenen
Auffassung können die genannten Stationen jünger als die älteste
Stufe der idg. Kulturentwicklung sein.
Den Völkern irn südlichen Europa, zunächst den Griechen, ist eine
eigentliche Blüte des Fischfangs erst erwachsen, nachdem sie mit Meer
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Fisch, Fischfang. 245
nnd Schiffahrt (s. d.) inniger vertraut geworden waren. Der Fischer
heisst nun (von Homer an) äXieü«;, d. i. ,der Seemann'. Phoenizische
oder sonst orientalische Einflüsse lassen sich dabei, wenigstens sprach-
lich, nicht nachweisen. Nur der wichtige Thuntisch (6üvvo<;), der grösstc
essbare Seetisch des Mittclmeers, weist vielleicht auf die semitischen
Sprachen (hebr. tannin .grosses Wassertier, Waltisch, Haifisch'» hin
(vgl. Lewy Semit. Fremdw. S. 14). In allem, was sich auf das Meer,
also auch auf den Fischfang bezieht, hat dann Hellas seinen vollen
Kultureinfluss auf Italien ausgeübt. Die Fischkost (lat. obmnium aus
griech. öiyuüviov» findet nun auch hier immer stärkeren Eingang. Weit-
aus die meisten römischen Fischnaineu sind aus dem Griechischen ent-
weder entlehnt oder Ubersetzt (vgl. ( ). Weise a. a. 0. S. 110 ff.). Als
eine ganz neue Errungenschaft der Kultur aber tritt bei den klassischen
Völkern die künstliche Fischzucht in den dazu hergerichteten
Teichen ■ griech. A^vn.,* lat. piacina, r/eärium) auf. So berichtet z. B.
Diodorus Siculus XIII, 82 von Agrigeut: fjv b£ Kai Xiuvri küt' Ikcivov
töv xpövov ^kto? Tf|^ TTÖXtujq xt»PO*oir|Toq, £xouo"a Tr|v rapiutTpov
öTabiuuv ^TTTä, tö bt ßdöo? eiKOCTi ttiixwv «i? *1V ^TTarou^vwv übanuv
£<piXoT€xvn.O"av nXrjGoq i x 9 u uj v tv aÜTfj TroirjO"ai ttcivtoujuv eiq Täq
bn.uoo~ia£ £o"ruko*€i£, ue8' d»v o"uvbi€Tpißov kükvoi Kai töjv <5XXluv öpvcuuv
ttoXu TtXnOoq. In dieser Richtung wird denn auch der Norden Europas
auf dem Gebiete der Fischerei vornehmlich Anregung erfahren haben,
wovon die Entlehnung des ahd. irhcitri, altnd. ichceri , Weiher, Fisch-
teich' aus lat. riedrium Zeugnis ablegt. Im übrigen sind die Spuren
römischer Gesittung im Norden auf diesem Felde nicht allzu viele, wie
nicht zu verwundern, da nach den obigen Ausführungen die Nordvölker
lange vor ihrer Berührung mit Rom zum Fischfang und Fisch-
gennss übergegangen waren. Konnte doch schon J'osidonius (Athen.
IV, p. 152) von den Kelten berichten: TTpoo"<pepovTai be Kai ix^ö? °i'Tf-
Ttapd xoüq TTOTauoü? oiKOuvieq Kai Trapä Tr)v dvxö«; Kai xn;v iKTÖq 9d-
Xatfaav, Kai toutou? bi ötttou? neO' dXujv Kai ö£ou<; Kai kujjivou. Auf
germanischem Boden macht sich die grössere Bedeutung des Fisch-
fangs geltend in den schon urgermanischen Wörtern „Angel", „Netz-
<s. o.), „ Wateu = Zugnetz laltn. vatir »Angelleine ), „Rogen" (ahd. rogan),
„Laich" und in zahlreichen gemeinsamen Fischnamen wie -Stör" (s. ü.\
„Brassen^ (altachwed. braxn), „Barsch" (s.d.), „Lachs" (s. o.), „Aal"
(s.d.; und auderen. über die Bedeutung des Fischfangs und des Fisch-
genusses im skandinavischen Norden vgl. Weinbold Altn. Leben S. 68 ff.
Es sind daher nur wenige und nicht weit verbreitete Lehnwörter aus der
lat. Sprache, wenigstens bei den kontinentalen Germanen, auf dem Ge-
biete der Fischerei nachweisbar, z. B. ahd. pescen ,mit dem Köder
fangen' aus lat. pisedre, mhd. pfnlsen, ndl. pohen (vgl. Kluge in Pauls
Grundriss I *, 343) aus lat. jmhdre, ahd. lempfrida ,Lamprete' aus lat.
lamprita. Stärkere Ausbeute liefert das Angelsächsische mit afetne
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24f,
Fisch, Fischfang — Flachs.
aus lat. obxönium, lopust, lopestre , Hummer' aus lat. locttsia, lopostra
(Corp. Gloss. Lat. V, 390 ,9), truht ,Forelle' aus lat. trücta, träglian
,Zugnerz' aus trdgula, drdkgnett ,Schleppnetz' aus trAgum, cocc , Muschel'
aus cocca für concha, östre , Auster' aus ostrea (vgl. F. Kluge Grund-
riss l*, 333 ff. i. Umgekehrt sind aber nach Eröffnung der nördlichen
FiKchgrttnde auch barbarische Fischnainen i m S U d e n e i n gc w a n d e r t.
So in sehr früher Zeit das keltische exox ,Lacbs', später das germanische
(iringus .Häring'. Eine ganze Reihe barbarischer Fischnamen wie
nlaum (ahd. alosa, wohl keltischer Herkunft), tinca (vgl. ndl. Unke),
rtdo, salmo (s. u. Lachs), fario (s. u. Forelle) gebraucht Ausonius
in seiner Mosella. Eine uugcheure Steigerung des Fischgenusses und
damit verbunden eine genauere Unterscheidung der einzelnen Fisch-
arten in sachlicher nnd sprachlicher Beziehung musstc im mittelalter-
lichen Europa durch die Aufnahme des Fisches unter die kirchlich
gestatteten Fastenspeisen hervorgerufen werden.
Von einzelnen Fischarten sind behandelt worden: Aal, Barsch,
Forelle, Haifisch, Häring, Hecht, Karpfen, Lachs, Schleie,
Stör, Wels. S. auch n. Anstcr, Krebs (Hümmer^ Walfisch. —
S. u. Schiff, Schiffahrt.
Fischotter. Der idg. Name des Tieres ist sert. udrd-, aw.
udra-, griech. übpo? GWasserschlange', ^vubpiq .Otter*), ahd. ottar, lit.
üdra, altsl. rydra 'idg. *udro : sert. uddn-, griech. übiup etc. , Wasser',
also ,das Wassertier'). * Lat. lutra ist dunkel trotz 0. Keller (Lat.
Volksctym. S. 47 ». der das Wort durch Anlehnung an ein nicht vor-
handenes Hutor ,Wäscher' erklärt. Keltische Namen s. u. Biber.
Flachs (Linum angustifolium Huds., I Arnim unitathsimum). Dass
die Indogermanen Europas mit der Kenntnis des Leinbans und einer
primitiven Liunenindustrie 's. u. Flechten, Spinnen und Weben)
schon in vorgeschichtlichen Zeiten ausgerüstet waren, lässt sich sowohl
durch sprachliche wie geschichtliche (archäologische) Thatsacheu wahr-
scheinlich machen.
Der den europäischen Indogermanen gemeinsame Name dea
Flachses ist: griech. Xivov, schon bei Homer mit den Bedeutungen von
jAngelschnur, Spinnfaden, Netz, Bettlaken', daneben Xi-T-i, Xt-r-a ,linnenc
Decke', lat. linum ,Lein' neben lin-t-eum ,Leinwand', ir. lin, kymr. //in,
korn., bret. litt ,Lein', ir. lin ,Netz', daneben kymr. lliain, korn., bret.
lien , Leinen' (aus */*-«-«»-?: vgl. Rhys Revue celtiqne VII, 241), ahd.
lin, daneben gemeingerm. *hin-j6-: ahd. Htm, altn. lina, agls. line , Leine',
lit. linai, slav. llnü , Flachs'. Allerdings hat es nicht an Gelehrten
gefehlt, welche diese Sippe auf verhältnismässig später Entlehnung be-
ruhen lassen wollten und das lat. Wort linum aus dem Griechischen
wo Xivov bei attischen Komikern begegnet), das kelt. lin, germ. /fw,
slavo-lit. linü, linai aus dem Lateinischen ableiteten. Allein wenn
auch diese Annahme bei den angeführten Wörtern als lantgeachiehtlich.
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Flachs.
•247
möglich bezeichnet werden muss, so hängen doch mit denselben so viele
von ihnen nicht oder nur gewaltsam zu trennende, keine Spur von Erbor-
gong zeigende Benennungen aus Lein hergestellter Gegenstünde (vgl.
namentlich grieeh. Am und lat. linteum) zusammen, dass die Anschauung,
es hatten schon in vorhistorischer Zeit in den Sprachen der europäischen
Indogermanen Ableitungen von einer Wurzel II (vgl. etwa sert. li-na-8 in-
liegend', grieeh. Xeioq .glatt ) bestanden, welche den Flachs und primitive
Gespinnste und Gewebe aus demselben bezeichneten, durchaus als die
wahrscheinlichere bezeichnet werden mnss. Oder mit anderen Worten:
die angeführte Sprachreihe ist wie jene ureuropäischen Ackerbau-
gleichungen zu beurteilen, von denen u. Ackerbau gehandelt worden
ist. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne Glieder derselben,
etwa lit. l'tnai und slav. llnü, die in ihren Sprachen ableitungslos da-
stehen, dennoch erst später entlehnt sind. Auch auf den einzelnen
Sprachgebieten lassen sich sehr alte Bezeichnungen derselben Kultur-
pflanze nachweisen. So gemeingerm. altn. hörr — ahd. haro und west-
germ. abd. flaha. agls. fleax, das vielleicht Beziehungen zu altsl. poslonl,
poln. ploskon ,Hanf' hat. So ferner gemeinslavisch altsl. platino für
Leinwand (vgl. ir. dm loit find ,/wei weisse Mäntel' V). — Wendet man
sich zu den archäologisch-historischen Anhaltspunkten für das
Alter des Flachses in Europa, so wurde derselbe in rohem wie in verar-
beitetem Zustand in den Schweizer Pfahldörfern, in Mooseedorf, Wangen
und Robenhausen gefunden, so dass darüber kein Zweifel bestehen
kann, dass die Pflanze schon zu der Zeit, als im wesentlichen nur
Steinwaffen in der Schweiz gebraucht wurden, bereits angebaut und
verarbeitet wurde. Ebenso ist er in dem Pfahlbau des Laibacher Moors
(neolithi8che Zeit) und in den Pfahlbauten der Pocbeuc frühe Bronze-
zeit) nachgewiesen worden.
Hingegen fehlt jede Spur des Flachses in der Skandinavischen Stein-
zeit, wie sich hier überhaupt bis jetzt die Künste des Spinnens und
Webcns nicht belegen lassen. Doch wird man derartige Dinge mit
grosser Vorsicht beurteilen, wenn man bedenkt, dass erst im Jahre 1894
unzweifelhaft nachgewiesene Getreidekörner (vgl. S. Müller Nordische
Altertumskunde I, 20b f.) den Beweis erbracht haben, dass im Norden
ein Landbau ähnlichen Umfanges wie in der Schweiz betrieben
wurde.
Dass im homerischen Griechenland der Flachs auch an Ort und
Stelle gewonnen, nicht etwa, wie man vermutet hat, lediglich aus dem
Orient eingeführt wurde, darauf weist der Umstand hin, dass bei Homer
die Parze (II. XX, 128) den verhängnisvollen Schicksalsfaden Xivuj „mit
Flachs" spinnt; denn man hat mit Recht bezweifelt, dass es möglieh
sei, bei einer so altertümlichen Vorstellung an „einen verhältnismässig
jungen semitischen Importartikel11 zu denken. Auch auf die Anfertigung
linnener Gewandungen (ÖGövn.) verstand man sich bereits damals vgl.
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24h
Flachs.
11. XVIII, 51>6, Od. VII, 105 ff.); denn dass an den angeführten Stellen
nur solche gemeint sein können, beweist die dabei erwähnte, nur in
der Linnenindustrie übliche Appretur mit Öl (s. näheres u. Ölbaum).
Für Italien ist es beachtenswert, „dass sich in der primitiven Kultur-
schicht auf dem Esquilin hürnene Utensilien gefunden haben, welche
nach der übereinstimmenden Annahme aller Palacethnologen zum Aus-
kommen des Flachses dienten". Vgl. \\\ Heibig Die Italiker in der
Pocbenc 8. 07, wo ausführlich die Frage erörtert wird, in wie weit
der Flachsbau oder die linnene Tracht italischer Völkerschaften auf
Überlieferung aus der Urzeit oder auf überseeischen Einflüssen beruhe.
Aus Gallien und Oermanien meldet Plinius Hist. nat. XIX, 8
eine eifrig betriebene Liunenindustrie, namentlich zur Herstellung von
Segeltuch: Itane et GaUiae cementur hoc (Uni) reditu? . . . Cadurci,
Caleti, Jinteni, Jiiturigen ultumique hominum existimati Morini, immo
vero Galliae unicerme rela texunt, iam quidem et trannrhenani honten,
nec pulchriorem aliam vestem eorum feminae novere .... in Ger-
mania autem defossae atque sah terra id opus agunt. In Überein-
stimmung hiermit spricht auch Tacitus Cap. IT von linei amictm der
germanischen Frauen. Die Lex Salica nennt den Flachsbau schon in
ihren ältesten Codices. Vgl. Cod. 1-4 (Hessels) XVII. 8: Si quis de
can/po alieno Uno furaverit, et enm in caballo aut in carro porta-
verit. Ein wichtiges Produkt dieser altgermanischen Linuenindustrie ist
das am Leib anliegende Hemd, das von germanischem Boden in die
romanische und keltische Welt überging (s. u. Hemd). Nun haben ja
allerdings wichtige römische Kulturentlehnungen auch schon in vor-
pliniauischer und vortaciteischer Zeit seitens der Germanen stattgefunden;
aber dieselben scheinen doch mehr der Art gewesen zu sein, wie sie
durch kriegerische Berührung oder auf dem Wege des Handels geschehen
konnten. Dass schon damals die kulturhistorischen Bedingungen dafür
gegeben waren, dass Horn die Lehrmeistern! Deutschlands im Anbau
einer der wichtigsten Kulturpflanzen, wie dies später auf dem Gebiete
des Obst- und Gemüsebaus der Fall war, werden konnte, für diese
Anschauung würde durchaus ein Analogon fehlen.
Somit glauben wir, dass die Meinung, nach welcher ein primitiver
Leinbau mit zu dem gemeinsamen Erbe aller europäischen Indogermancn
aus ferner Urzeit (s. u. Ackerbau) gehört, eine wohl begründete ist.
Ob dabei die Vorfahren der europäischen Völker selbständig auf don
Anbau des Flachses vcrfielcu, oder ob dieser ihnen in Zusammenhängen
zukam, die zuletzt vielleicht auf babylonischen Boden (s. u.) führen,
wird sich nicht entscheiden lassen. Das Problem ist hier dasselbe, wie
es uns bei andern Kulturpflanzen, vor allem bei der Geschichte der
Gerste und des Weizens 'S. s. d. d.), entgegentritt.
Die älteste in Europa angebaute Art war nicht unser heutiger Flachs
(Linum UHitatixximum), sondern das wildwachsend im ganzen Mittel-
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Flachs — Flasche.
24'J
meergebict, von den kanarischen Inseln bis nach Palästina und zu den
Kankasusländern einheimische Linum angimtlfolium. Man nimmt an,
dass Linum usitatmimum, das zuerst in altägyptiseben Gräbern nach-
weisbar ist, aus diesem hervorgegangen sei.
Wenn somit die Griechen und Römer mit uralter Kenntnis und Be-
nutzung des Flachses ausgerüstet in ihre historische Heimat einzogen,
so steht es doch andererseits nicht minder fest, dass sie, und vor allem
die Bewohner des für Flachsbau wenig geeigneten Hellas, wie auf
anderen Gebieten, so auf diesem unter den Einiluss der semitischen
Länder wie auch Ägyptens gerieten, in denen Flachsbau und Linnen-
industrie seit ältester Zeit blühten, und welche Fabrikate hervorbrachten,
mit denen sich die Gewebe der Urzeit nicht messen konnten. Eine
ganze Reibe griechischer Namen linnener GcwehcstotTc oder Kleidungs-
stücke, die aus dem Semitischen entlehnt sind, legt denn auch Zeugnis
von dem Einflusa des Orients auf den Occident in dieser Hinsicht ab.
So die schon homerischen xituüv lat. c)tuniva) aus hebr. betonet, arain.
kittdnäf syr. ketänä, ass. kitinnn .Lein, Linnen', 68övr| aus hebr. eftin
und cpdpo«; (lat. sup-parus) aus ügypt. päilr (nach anderen auch aus dem
»Semitischen aus späterer Zeit ßuooo^ aus hebr. bü* und <pujo*o"ujv ,grobc
Leinwand' aus köpf, qnuic (hierogl. pg, pk) u. a. Ein Zusammenhang
aber zwischen Ägypten und den semitischen Ländern auf diesem Gebiete
ergiebt sich aus den beiden gemeinsamen Benennungen des Flachses
(ägypt. pe.st, hebr. peset, pun. <poio*T in iepa-cpoiOT Diosk.i und der
Leinwand (ägypt. sx, stn sx , königliches xes'f hebr. ses). Da Linum
angustifoliuni in Ägypten nicht gefunden wird, sondern gleich das nach
dem obigen aus diesem hervorgegangene L. usitatissiitium, wird es nahe
liegen, Ägypten hieibei als den empfangenden Teil zu betrachten.
Zu erwähnen bleibt noch, dass wie im Orient, so auch in Europa
Leinsaat gelegentlich als Speise gedient hat. Die älteste Erwähnung
davon findet sich bei Alkman (VII. Jahrh ); doch sind schon im Pfahl-
bau von Robenhausen mit Leinsamen imprägnierte Brote gefunden
worden.
S. auch u. Hanf, Gewebestoffe, Panzer, Segel, Papier, Geld.
— Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen*5 S. IGOff., G. Buschan Vorgeschichtliche
Botanik S. 234 ff.
Flagge, s. Fahne.
Flasche. Flaschenartige Gefässe ans Thon, Holz, auch Glas
waren schon im Altertum bekannt. Ihre eigentliche Bedeutung aber
haben sie erst erlangt, nachdem man angefangen hatte, Wein, Bier und
andere Getränke in sie abzuziehen und sie dann mit Kork (s. d.) zu
verspunden. Nach Beckmann Bey träge II, 4Hi> ist diese Sitte aber nicht
vor dem XV. Jahrhundert in Europa durchgedrungen.
In der Terminologie der Flasche herrschen wie bei anderen Gcfass-
.arten weitverzweigte Enllehnungsrcihen. So gricch. \ätuvo<;. lat. logoe-
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250 Klasche — Fleisch.
na, lagellum, laguucula, ahd. lägella, altsl. lagtica, lagunü und ralat.
flasco (aus vasculum'?), it. fiattco etc., ahd. fiasca (und in allen ger-
manischen Sprachen), altsl. ploxkra (etc.), alb. plotxkf. Das Übliche
Wort für .Flasche' in den romanischen Sprachen ist jedoch frz. bouteiUe,
u. s. w. (:frz. .Weinfass). — S. u. Fass und n. Gefässe.
Flechten. Eine idg. Bezeichnung dieser Kunst liegt in der Reihe:
griech. ttX^kuj, lat. pleeto. ahd. flihtu, altsl. pletq, plesti\ vgl. sert.
prarna- .Geflecht, Korb'. — S. n. Spinnen nnd u. Weben.
Flechtwerk, s. Dach, Mauer, Thür, Haus.
Fledermaus. Ihre etymologisch nicht zusammenhängenden Namen
sind mehrfach von Wörtern für Abend oder Nacht hergenommen. So
lat. vexper tüio, griech. vuirrcpu;, altsl. netopyrl neben nopotyrl (*neto-
: *nokt- ,Nacht' nach Miklosich Et. W.), agls. cwyld-hrepe ,die Abend-
schnelle'. Andere Sprachen legen in ihre Benennungen den Begriff
,Maus' oder ,Rattc'. So ahd. flSdarmus (fledaremustro) ,Flattcrmaus',
das im Ahd. und Mhd. auch Nachtfalter', .papilio', , Motte' und noch
jetzt z. B. in der Pfalz nur .Schmetterling' (vgl. auch polab. netiipdr
^Schmetterling') bedeutet. Entsprechend: agls. hreape-, hre'remüs, engl,
dial. reremouse, russ. letutsaja mytsi, poln. latomyxz, frz. chautesouris
,kahle Maus', prov. rata-pennada .fliegende Ratte'. Eine dritte Namcns-
quelle ist die leder- oder speckartige Flugbaut des Tieres. Vgl. west-
phäl. leterxpecht .Lcderspccht', lit. szikxznöxparnis ,Lederflügler', pfülz.
speckmaus, mcngl. backe (engl, bat ?) : engl, bacon ,Speck* u. a. Weiteres
vgl. bei v. Edlinger Tiernamen Landshut 1886 (reichhaltig, doch mit
Vorsicht zu benutzen) nnd H. Palandcr Die ahd. Tiernainen 1899 S. 22.
Flegel, s. Dreschen, Dreschflegel.
Fleisch. Hierfür bestehen zwei idg. Gleichungen: einmal sert.
kravf*- = griech. xpea^, wie die Verwandtschaft mit lat. cruor, altsl.
kräv't, ir. erü ,Blut', ahd. rö ,roh* zeigt, ursprünglich das rohe Fleisch,
das andere Mal sert. mariisä-, armen, min, altpr. memo, lit. miesd,
altsl. meso, alb. mit, got. mimz, vermutlich das zubereitete Fleisch
bezeichnend. Lat. caro, carni* gehört zn ir. cama .Fleisch', und wird
ursprünglich, wie die Bedeutungsentwicklung in den übrigen italischen
Sprachen (umbr. karu, osk. carneis ,pars, partis') zeigt, den Fleisch-
anteil des einzelnen bei den gemeinsamen Mahlzeiten gemeint haben.
Die germanische Sippe von ahd. fleisc bezeichnete von Haus aus speziell
das Schweinefleisch (altn. flexc). Daneben altn. kjöt »Fleisch'. Vgl.
noch thrak. t^vra ja »epea (Lagarde Ges. Abb. S. 279).
Von dem Genuss des rohen (sert. dmd-, armen, htm, griech. wuoq, ir.
6m) Fleisches wird auf idg. Boden selten berichtet. So erzählt Pomp.
Mela III, 3, 28 von den Germanen: Vicht ita a*peri incultique, ut
cruda etiam carne tescantur aut recenti aut cum rigentem in ipsis
peeudum ferarumque enrii», manibus pedibusque subigendo renova-
verinit, und auch nach der Helgakviöa Hundingsbana II, 7, 8 hat Helgi
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Fleisch — Flnh.
mit seinen Helden am Strande rohes Fleisch genossen. Doch wird im
ersten Wikingergesetz diese Speise ausdrücklich verboten : „Viele Menschen
hegen die Sitte, rohes Fleisch in ihre Kleider zu wickeln und so zu
sieden, wie sie es heissen: aber das ist mehr eine Wolfs- als eine
Menschensitte14 (vgl. Weinhold Altn. Leben S. 148). Bei den Indern
werden nur Dämonen und Zanberer als kravyd'd ,rohes Fleisch essend'
bezeichnet.
Die älteste und beliebteste Art, das Fleisch herzurichten, wird das
Braten am Spiesse Uber dem offenen Feuer gewesen sein. So ist es
zur Zeit des Rigvcda (vgl. Zimmer Altind. Leben S. 271), und nur diese
Art der Fleischbcreitnng kennen die homerischen Gedichte. Auch Varro
De lingua lat. V, 31, (28) bemerkt: Hanc (carnem) primo assam („ge-
braten am Feuer14), secundo elixam („gesotten"), tertio e iure uti coe-
pisse natura docet, und auch bei dem von Posidonius (Athen. IV, p. 151)
geschilderten keltischen Oastinahl wird das Fleisch genossen : outci in'
dvepctKiJuv f| ößeXiOKuuv; doch wird daneben, wie übrigens auch im Rigveda,
gekochtes Fleisch (*pla ttoXXü übern) genannt.
Als eine Delikatesse wird anch das Mark 'sert. majjan- — aw.
mazga-, altsl. mozgü, altpr. mmgeno, ahd. marg; ausweichend: griech.
uucXöq, lat. medullo) der Knochen 'sert. aathi-, asthän- — aw. axt-,
asti-, asta-, griech. öcrrcov, lat. om, alb. ast) gegolten haben. Es wird
noch bei Homer (11. XXII, 501) als besonders nahrhafte Kinderspeise
genannt, und ist von jeher bei allen fleischessenden Völkern beliebt
gewesen. So bemerkt Rütimeyer von den Schweizer Pfahlbaucrn in
Kellers III Pfahlbautenbericht S. VII Anm. 1): „Ein durchgehendes Merk-
mal des Küchcmnoders ist, dass alle Knochen, die Mark oder essbaren
Inhalt haben, geizig bis auf diesen ärmlichen Inhalt ausgebeutet sind.u
Der idg. Name der Fleischbrühe liegt in der Gleichung sert. gtis-,
yüshdn-, lat. Jw«, altsl. jitcha (woraus \\t. jüxze, jukä ,schlechte Suppe').
Nach dem obigen ist vielleicht damit weniger eigentliche Bouillon als
vielmehr der aus dem am Feuer gebratenen Fleisch ausbrodelnde Saft
gemeint gewesen. — S. u. Kochkunst und n. Nahrung.
Flieder, s. Holunder.
Flora der Urzeit, s. Urheimat der Indogermanen.
Fliege. Urverwandt: griech. muio (*mu*ia) = lit. mttse, altpr.
muao, altsl. miiiica', dazu lat. mus-ca. Man denkt an eine Wurzel mu
,summen', vor der man auch das germ. *muci- ('altn. mg, ahd. mucca,
agls. mydg, engl, midge) und das alb. mi-ze ableitet. Andere sehen
in *mu«-ia eine Verkleinerung des idg. Wortes für ,Maus\ „weil die
Fliegen wie die Mäuse von den Lebensmitteln stehlen14 (H. Pedersen
I. F. V, 34). Ferner vergleicht sich lat. culex und ir. cuil, kymr.
cylion, korn. kelionen. — Griech. kuivuü^ ,Mttckc' (: küüvo? ?spitzer
Zapfen'?), ahd. ftioga etc. von fliegen.
Floh, s. Ungeziefer.
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Flüte - Forelle.
Flöte, s. Musikalische Instrumente.
Fluch, s. Eid.
Fluss. Mehrere Gleichungen hierfür leiten mich von der Wurzel
sreii<sru (sert. xru, grieeh. pe'w ,flicsse) ab. So seit, -srava in yiri-
sratd ,Bergstrom', grieeh. pon. <*sroiä), lit. griotee (vgl. auch altsl.
ostrovü .Insel), so grieeh. pcüua, ir. sruaim, ahd. stroum, so sert. srotaa-,
altp. raittah-, npers. ivirf (vgl. auch ir. «rw/A , Fluss' und armen, r/rte
.Kanal aus *sruti:s wie npers. Joi, jö , Kanal' : altp. yaucayä-, sert.
yavya ,in Strömen' *. Andere Entsprechungen sind: sert. aw. r/p-,
altpr. lit. M/>e; lat. r/y?<r/. got. ahica, ahd. ommy/ (/n der Bedeutung
, Insel' vgl. oben altsl. onfron't) : sert. timbu- , Wasser', gall. nw6e ,rivo',
inter nm/>e.<f ,inter rivos': ir. «bann, aub , Fluss' (über die wird west-
deutschen Orts- und Flussnamen auf -apa, -nfa, -äff« vgl. Möllenhoff
D. A.-K. 11, ff.\ lat. <i/n»j* \*abni-). In den meisten dieser Reihen
wechselt die allgemeine Bedeutung .Wasser' mit der von .Fluss'.
Uralte Bezeichnungen hierfür stecken zweifellos auch in einer grossen
Zahl von Kigennamen asiatischer wie europäischer Flüsse. So gehört
der makedonische XTpüuuuv und vielleicht der alte Xanie des Tiber,
Jithiiö. zu dem oben angeführten idg. *xreu-men .Strom". Lateinisch-
keltisch Dihmrius, ahd. Tuonouua, slav. Dunavü verbinden sieh mit
aw. (länu- , Fluss', osset. don , Wasser'. Auch der Name des grössten
Stromes Ost-Kuropas, der Wolga, welcher bei Ptolemacus 'Pä d. h.
'PaFa = mordv. J'aira, Hau lautet ("Oapo? bei llerodot kann hieraus
verhört worden sein, vgl. Möllenhoff L). A.-K. II, 70), wird von einein
idg. Stamme herrühren, der den Fluss *srovd (s. o.j nannte, eine
Wertform, die in finnischem Munde lautgesetzlich zu Jiatca weiden
musstc. Diese Erklärung wird um so wahrscheinlicher, wenn man be-
denkt, dass auch die Türken denselben Strom „grosser Flnssu (adel,
ideh nennen. Eine systematische Erforschung der altcuropäisehen
Fluss- und Oebirgsnamen würde wichtige Beiträge zur Geschichte der
Wohnsitze und Wanderungen der Indogermancn in unserem Erdteil
liefern. — Über Flnsskultus s. u. Religion. S. auch u. Urheimat.
Flusspferd. Die innoi o'i noTriuioi, später InrTTOTTÖTauoi werden
zuerst von llerodot (II, 71) beschrieben. Das Tier selbst wurde in
Europa erst in Rom gelegentlich der Spiele 'so z. B. im Jahre 58 v.
Chr.) gesehen. Ausführlich berichtet Uber das ägyptische Niclpferd.
A. Wiedcmann Zweites Buch des Hcrodot S. vJOOff. — S. auch u.
Eidechse (Krokodil).
Fohlen, s. Pferd.
Föhre, s. Fichte.
Forelle. Der Fisch wird von den Alten erst sehr spät genannt,
und zwar als salar in der Mosclla des Ausonius:
purpureisque salar stellatus tergora guttis.
über die Herkunft des Wortes lässt sieh nur sagen, dass es offenbar
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Forelle - Frau.
253
mit dem von Plinins IX, (58 genannten, in Aquitanien bevorzugten
sal mo (s. u. Lachs) und dem ebendaselbst erwähnten, in Ebusus auf
den spanischen Pithyusen geschätzten sal-pa zusammenhängt und iberisch-
gallischen Ursprungs sein wird.
Bei demselben Ausonius begegnet für eine Art Lnchsforclle der Aus-
druck fario, den K. Much Z. f. deutsches A. XL1I, 106 aus dem Deutschen
(vgl. ahd. faro , Farbe', ,der farbige' s. n.) herleiten möchte. Später
nennt Isidor, llisp. Orig. XII, 0 den Fisch trutta oder trueta : tarii
a rarietate, auas rulga truetas (al. f ruf tax) racant. Das Wort, das
im Romanischen Wurzel geschlagen hat it. trata, frz. frühe), scheint
aus dem Griechischen entlehnt zu sein, wo rpuuKTTiq ursprünglich zwar
einen Seetisch, im Mittelalter aber die Forelle bezeichnet (aus Tpunans
: alb. traft* , Forelle' neben korän). Den irischen und westgerm.
Ausdruck ir. eure aus *( p)erko- und ahd. forhana (agls. trüht, engl.
traut aus trueta, vgl. auch korn. trud) deutet man als den ge-
sprenkelten' Fisch : griech. TitpKVÖ«; ,hunt' 'vgl. auch griech. TT€pKn,
, Barsch' und oben varii bei Isidor), wie auch slavischc und weitere
keltische Namen des Fisches z. B. russ. pestruska .Forelle' von peatryj
,bunt', russ. rjabü, rjabecü von *rembü ,bunt', kymr. brithyll, korn.
breithil, bret. brezell von *mrkta- ,bunt* (altkymr. brith) abgeleitet
werden. Lit. margöji laszhzdite ,bunter Lachs'. Altn. aurridi, dän.
örred (vgl. Müllenhoff D. A.-K. I, 34). - S. u. Fisch, Fischfang.
Frau. Der idg. Xamc für das Weib als Geschlechtswcsen, zu-
gleich aber auch für dasselbe als Frau des Mannes, als Ehefrau, griech.
Yuvn und seine Sippe, ist u. E h e mitgeteilt worden, wo auch über
sert. pdtni — griech. ttötviö eigentlich .Herrin', der idg. Benennung
wahrscheinlich der ersten oder Lieblingsfrau des Mannes, gesprochen
worden ist. Eine dritte idg. Gleichung liegt vielleicht in seit, priyä'
.Gattin" — alts. fri, agls. frea ,\Veib' vor, deren Grundbedeutung als-
dann die .liebe' wäre. Aus den Einzelsprachcn sei für den Begriff
eines weiblichen Wesens noch folgendes genanut. Arisch : seit, stri'
= aw. tttri- 'dunkel1, sert. nd'ri = aw. ndirikd- ': mir- ,Mann\ also
.Maninil' . Lateinisch: /V-mhi/i .die säugende' : griech. OrjcraaBai,
6n,o*cmtvr| (als Trägerin des weiblichen Geschlechts gegenüber mulier
als Trägerin des weiblichen Charakters, nach Delbrück Vcrwandtsehafts-
namen). Germanisch: ahd. »dp, agls. tri/': ahd. iti* ,niatrona', alts.
idh', agls. ide* ,feinina cuiusvis Status et aetatis' 'beide dunkel): altfries.
fümne »Mädchen, Magd, verheiratete Frau', agls. fa?'mne .Jungfrau.,
junge Frau', alts. fernen (von einer schwangeren Frau gesagt), altn.
feima , Mädchen', fehnenn ,schaiuhaft". .1. Schmidt Sonantenth. S. 105
stellt diese Wörter zu aw. paeman- .Milch der Weiber', npers. pinö,
.saure Milch' und bemerkt dazu: „Auf der niedrigsten Entwicklungsstufe
schätzt der Mensch am Weibe nur die Geschleehtsfunktionen und benennt
es danach. Höhere Gesittung erkennt aber die Blüte des Weibes
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Frau — Freier.
gerade in dein Zustande der Unbertthrtlieit und deutet den alten ur-
sprünglich rein sexuellen, durch Isolierung aber unverständlich gewor-
denen Namen in diesem Sinne um. So ist das germanische Wort [zu dem
J. Schmidt übrigens auch griceh. bfo-Troiva aus *b€0*-rcoiuvia «teilt],
welches ursprünglich die Milch habende bedeutete, zunächst zu allge-
meiner Bezeichnung des Weibes, dann zur Bezeichnung des Weibes in
seiner Blüte als Jungfrau geworden". Auch altsl. dem Jungfrau'
(devistco Jungfräulichkeit'; habe ursprünglich ,die säugende' (vgl. oben
lat. fe-mina und griech. 8n.-\uq), bezeichnet. Über ahd. fromm etc. s. u.
Ehe. Litauisch: möte ,Frau' s. u. Mutter, imonü : imü , Mensch'
(,Mcii8chin). Alle diese Wörter, mit Ausnahme etwa von lat. femina
und lit. zmonä können regelmässig oder doch gelegentlich und in be-
sonderer Anwendung (lat. mulieres .Stand der Ehefrauen') auch für Ehe-
frau gebraucht werden (vgl. Delbrück a. a. 0. S. 408 — 440).
Zur Hervorhebung dieses letzteren Begriffes, wenn man die legitima
uxor im Gegensatz zu Nebenweibern und Kebsen (s. u. Beischläferin)
stellen will, bedienen sich die Einzelspraehen verschiedener Mittel, von
denen hier besonders auf die griechischen hingewiesen sei. Im Epos
kann man das blosse äXoxo? , Bettgenossin' (so auch agls. gebedda) zur
Bezeichnung der Ehrenstellung des Weibes gebrauchen (vgl. Delbrück
a.a.O. S. 421). Gewöhnlich bedient man sich aber einer Hinzufügung
wie uvn.o*Tn, ,die regelmässig gefreite' (vgl. agls. bexceddod icif) oder
Koupibir) lanch von Männern: xoupibio; ttöo*i^). Der letztere Ausdruck
ist noch nicht sicher gedeutet (vgl. die Zusammenstellung der Erklärungen
in Seilers Ilomcrlexikon). Wahrscheinlich ist aber von icoGpo£, Koiipn.
in den Bedeutungen ,frcier Jüngling', , freie Jungfrau' auszugehen,
so dass sich eiue Parallele zu dem agls. fHo-lic wif ,frcigcborcnc ,
d. h. rechtmässige Gattin (vgl. F. Roeder Familie bei den Angelsachsen
Stud. z. engl. Phil. IV, 72) ergäbe. Ebenso ist agls. riht cedel-ctcbi
Jegitinie (d. h. einem Geschlecht augehörige - Gattin' aufzufassen is. auch
u. Ehelich und Unehelich.'. Auf einer anderen Anschauung beruht
das bei den Tragikern (Oed. R. v. 930) bezeugte TtavieXriS böuiap,
eigentlich eine Frau, bei deren IleimfUhrung alle Ceremonien erfüllt
worden sind.
Bezeichnungen für den Begriff der Jungfrau s. noch u. Kind und
Keuschheit, für den der Braut n. Heirat. Über die Stellung des
Weibes in der ältesten Zeit s. u. Familie, über Frauen als Ärzte u.
Arzt, als Seherinnen u. Orakel.
Frauenkauf, s. Brautkauf.
Frauenraub, s. Raubehe.
Frauenschniuck, s. Eigentum und Schmuck.
Frauentracht, s. Kleidung.
Frei, s. Stände.
Freier, s. Heirat.
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Freiheitsstrafe - Freund und Feind.
255
Freiheitsstrafe, s. Strafe.
Freitag, s. Woche. Wochentage.
Fremd, Fremde, s. Freund und Feind.
Frettchen, s. Wiesel.
Freudenmädchen, g. Beischläferin.
Freund und Feind. Für den ersteren Begriff finden sich weit
verbreitet Ableitungen von der Wurzel sert. pri »erfreuen' : sert. priyd-
,lieb, Freund', got. frijönds, ahd. friunt (got. frijön »lieben), altsl.
prijateü , Freund' u. a. Eine ähnliche Participialbildung wie das ger-
manische Wort ist ir. cara, Gen. curat .Freund' von caraim ,ich liebe'
: lat. cäriiH. Überaus häufig werden ferner dieselben Stamme, welche
den Freund bezeichnen, zugleich für diejenigen gebraucht, welche
einem engeren oder weiteren Verwandtschaftsverband (Familie,
Sippe, Stamm) angehören, und umgekehrt, da in der ältesten Zeit nur
derjenige als Freund betrachtet wird, welcher mit dem Sprechenden
yu einer derartigen Gemeinschaft gehört. Hierher stellen sieh ahd.
teini , Freund' : ir. fine ,Grossfamilie', coibnes »Verwandtschaft' etc.
(näheres s. u. F a m i 1 i c), hierher griech. <pi\o<;, wenn es in den
Studien auf dein Gebiete des Griechischen und der arischen Sprachen
von J. u. Tb. Haunack I, 25 mit Recht aus *oq> 1X0-5 gedeutet und
von idg. Hebhä .Sippe' (s. d.) abgeleitet wird, hierher lat. eich ,Mit-
bürger" (oft so viel wie , Freund ) : germ. *hica- (got. heiwafrauja
jllnusherr") , Hausgemeinschaft', eigentl. ,das liebe' = sert. ricä- »freund-
lich'), hierher vielleicht auch altsl. drugü .Freund', lit. draugas , Ge-
nosse : got. driugan .Kriegsdienste thun", altgall. drungos (vgl. Stokes
Urkeltischer Sprachschatz S. 157) »Truppe', d. h. nach idg. und gerade
bei den Kelten fortlebender Anschauung (s. u. Sippe und u. Heer) die
auf v c r w a n d t s c h a f 1 1 i c h c r Gliederung beruhende A bteilung des Heeres.
Vielleicht gehört auch das bis jetzt nicht befriedigend gedeutete lat.
amicus in diesen Zusammenhang. Ks fügt sich ohne weiteres zu einem
aus sert. nma .heimwärts , amit't ,von Hause', anul'tya- , Hausgenosse'
erschliessbaren idg. *«md .Haus', *amo~ .zum Hause gehörig", von
welchem lat. nmicus (vgl. lat. umbil/cus : griech. dutpaXöq) abgeleitet
wäre {amäre »Jemanden als zum Hause gehörig betrachten, lieben';
anders Uhlenbeck Et. Wr. d. altind. Spr. s. v. dmasi. Auch unser
„Freundschaft" und das slavischc prijateli wird vielfach im Sinne von
Verwandtschaft' und »Verwandter' gebraucht.
Wenn demnach in der ältesten Zeit Freundschaft und Blutsverwandt-
schaft identische Begriffe sind, so versteht man, warum, wenn später
nicht verwandte Männer Freundschaft zu schlicssen sich anschickten,
dies unter dem Symbol des in einander rinnenden Blutes der
beiden zukünftigen Freunde geschah. Dies ist bei der Ceremonie der alt-
germanischen Blutsverbrüderung der Fall, auf die in einem Brnnhildc-
lied der Edda (Vigfusson Corpus Poet. Bor. I, 308 .1 angespielt wird:
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25G
Freuint und 1'eind — Krii-dliof.
J'finiemberest thon that. clearly, Gunnar'i hau: ye tiraiu {Sigurd and
thy.self) did Jet your blood run together in the footprint (mcearing
hrotherhood), und die auch Saxo Lib. I p. 40 (Vllaj im Hinblick auf
Vertragsabschlüsse beschreibt: Siqtiidem ictttri foedn* eeteres vestigia
mm mtttiti sanguinis anpersione perfundere con/tuecerant, amicitiarum
pignuH aJterni vruorh commercio firmaturi. Das eigentliche und
charakteristische Wort für eine so beschworene Blutsfrenndschaft
scheint ahn. eidsibja .Vcrsippung durch Eid' gewesen zu sein (Vig-
fusson I, 424 . Auch Walthari und Hagen hatten ein solches cruen-
titHt pactum geschlossen (vgl. Kogel Gesch. d. d. Lit. I, 2, 298).
Den Gegensatz zu dem Freund, d. h. dem Verwandten oder Ein-
heimischen bildet die u. Gastfreundschaft näher besprochene idg.
Reihe von lat. hostis, got. gast*, altsl. gosti, eigentl. .der Fremde', im
Lateinischen auch der feindliche Fremde : ,der Kriegsfeind'. Eine keltisch-
germanische Gleichung für den Begriff des Feindes ist ir. oech — ahd.
gif eh, agls. gefda, engl, foe \*pniko-. vgl. lit. piltati .böse). Einzel-
sprachliches, soweit es nicht ohne weiteres klar ist, : got. ftjands, ahd.
pant :*scrt. phy ,sehmähen. höhnen', .der höhnende', ir. ndme, näma,
nach Stokes a. a. O. S. 192 .der nehmende' : got. nintanf?), griech.
bn.io<; feindlich' : baiw ,vcrbrenne', .der verheerende'. — S. auch u.
Stande und vgl. über die Begriffe Fremd und Einheimisch Vf. Handels-
geschichte und Warenkunde I, Off.
Friede, s. Krieg.
Friedhof. U. Bestattung ist vor allein über das historische
Verhältnis des Begraben» und des Verbrennen» der Toten auf idg.
Boden gehandelt worden. Hier soll über den Ort gesprochen werden,
an dem die Leichen oder ihre verbrannten Überreste in den ältesten
Zeiten beigesetzt wurden.
Bei Griechen wie Hörnern giebt es vereinzelte und beinahe märchen-
haft klingende Nachrichten, nach denen in grauer Vorzeit die Toten
im Innern des Hauses, in der Gegend der uralten Kullusstätte des
Herdes begraben worden seien : vgl. E. Rolide Psyche I -. 228 1, und in
der älteren Steinzeit des westlichen Europas, vor allem in Portugal,
will man Anzeichen gefunden haben, die auf dieselbe Gewohnheit hin-
wiesen (vgl. 8. Müller Nordische Altertumskunde I, 2.T).
Deutlicher sind die Überlieferungen, welche auf die aus dem engen
Zusammenleben der Familien und Sippen bei den idg. Völkern sieh
ohne weiteres ergebende Sitte hinweisen, die gemeinsamen Toten der
bald engeren, bald weiteren Verwandtschaften auch gemeinsam zu be-
statten. Im alten Rom hatte jede gen*, d. b. Sippe s. d.) ihren ge-
meinsamen Begräbnisplatz Uepulcnun >. und wenn eine Familie ans der-
selben ausschied, machte sieh die Errichtung einer neuen Begräbnisstätte
notwendig vgl. Marquardt Privatleben S. ;>fvV). In Attika lässt sich
die Grabgemeinschaft der Mitglieder eines -re'voq s. u. Sippe.i zwar
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Friedhof.
257
nicht mehr nachweisen; aber Gruppen verwandtschaftlich verbundener
oTkoi oder Hausgemeinschaften verfügten auch hier ( vgl. Kohde a. a. 0.
S. 229 s) Ober gemeinsame Gräber (uvnua tcoivöv). Hei den Nord-
germanen redet der Ausdruck cetthtiugar ,Geschlcchtshüger (: cett ,Fa-
milie', .Geschlecht') eine deutliche Sprache. Auch die Prähistorie
bezeugt das Vorkommen gemeinsanier Begräbnisstätten, sei es in Massen-
gräbern, sei es in Einzelgräbern auf gemeinsamen Plätzen, iu Europa bis zu-
rück in die jüngere Steinzeit und ältere Bronzezeit. So äussert 8. M Uli er
a. a. 0. S. 65: „Die Idee gemeinsamer ßegräbnisplätze ist keineswegs
modern oder auch nur verhältnismässig späten Ursprungs. Schon die
kleinen Kammern sind ja nicht zur Aufnahme einer einzelnen Leiche,
sondern zur Ruhestätte für mehrere bestimmt. Die grösseren Kammern,
Riesenstnben, bezeichnen nur einen Fortschritt in derselben Richtung:
sie sind grosse Beinhäuser, welche die Überreste zahlreicher Individuen
bergen, und auch diese Stuben werden wieder durch Anbau anderer
Kammern und Seitenstuben erweitert u, und S. 105: „Man findet oft
Skelette von vielen Individuen in diesen Gräbern, nicht selten 20 — 30,
bisweilen aber auch mehr, so z. B. befanden sich in einer ganz aus-
gefüllten Kiescnstube bei Borrcby (Seeland) gegen 70 und in einem
schwedischen Grab über 100a (vgl. auch Montelius Kultur Schwedens*
S. 34. 79; .... „Auch dieser Umstand bekräftigt, dass die Grab-
stube längere Zeiten als gemeinsame Begräbnisstätte für einen gewissen
Kreis von Menschen, ein Geschlecht oder eine Familie, benutzt
worden ist." Noch entschiedener argumentiert .1. Naue (Die Bronze-
zeit in Oberbayern S. 58) hinsichtlich der Hügelgräber zwischen
Ammer- und Staffelsee zu Gunsten von Sippengräberu: „Da sich nun aber
bei einigen Gruppen in oft geringer Entfernung zwei bis drei Friedhöfe
vorfinden, und jeder Friedhof (im Gegensatz zu den oft weit ausge-
dehnten Friedhöfen der Hallstattzeit) wie eine grosse gemeinsame Grab-
stätte erscheint, so glaube ich annehmen zu sollen, dass in einem
Friedhof stets nur die Angehörigen einer Gemeinde oder Sippe
bestattet worden sind, und dass der zweite oder dritte unweit davon
errichtete für die Augehörigen anderer Sippen bestimmt war."
So durfte sich das gemeinsame Sippengrab oder der gemeinsame
Sippenfriedhof als ein uralter Besitz der europäischen Iudogennancu er-
geben, und noch heute wird bei den Südslaven (vgl. Krauss Sitte u. Brauch
S. 40) der Friedhof, ebenso wie die Weideplätze, als gemeinsames
Eigentum eines jeden bratstvo, d. h. eben einer jeden Sippe angesehen.
Nach Lockerung oder Auflösung der alten Sippenverbändc bildete die
Kirche einen neuen Sammelpunkt für die Toten mit ihrer Lehre, dass nur
der ewige Seligkeit erhoffen könne, dessen Gebeine auf geweihtem Raum
innerhalb oder im Umkreis des Gotteshauses ruhten. So entstand der
G ottesac ker, griech. Kouinjrjpiov, lat. coemeterlum, ein Wort, das sieli
in weiter Ausdehnung über das mittelalterliche Kuropa verbreitet hat
Schräder. Kcalle-xikon. 17
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Friedhof - Fuchs.
(vgl. z. B. frz. cimeti&re, engl, cemetery und fast bei allen Slaven:
altsl. kumitira, poln. cmentarz, kroat. cimiter n. 8. w.). Einheimische
Bildungen: ahd. frithof .eingefriedigter Platz bei der Kirche', agls. lic-
tün, cigentl. .Leichenzaun', altsl. grobhüca : grobu ,Grab'. lit. kapinte
: käpax ,GrabhUgel', älter : mogilä, ein merkwürdiges Wort, das in
weiten Teilen des östlichen Europas (altsl. mogyla und gomila .tuinnlus',
alb. mäguTt und gamul'e .Hügel' u. s. w.; vgl. Miklosich Et. W. und
G. Meyer Et. W. d. alb. Spr. S. 118) gilt und auf litauischem Boden
sogar als mythische Persönlichkeit: Magila ,die Dienerin der Todes-
göttin Giltine erscheint. — S. u. Bestattung u. Sarg.
Frisuren, s. Haartracht.
Frosch, s. Kröte.
Frühling. Der idg. Name für diese Jahreszeit liegt in der
Reihe: scrt. raxar-, rasantd-, aw. vahhri, armen, garun, griech. £ap,
lat. ver, akymr. guiannuin gl. verc, korn. gnaintoin gl. ver. altn. vdrf
altsl. veana, lit. waxarü (.Sommer', pdwasaris „Ansommer", ,FrUhling ).
Die Wurzel ist scrt. vas .aufleuchten', die auch für Bildungeu zur Be-
zeichnung des Morgens (s. d.) verwendet worden ist. Abweichend:
westgerm. ahd. lenzo, agls. leiteten, wahrscheinlich aus *langi-tini-
ahd. lengizin) ,hmgcr Tag', Jangtägig' (seit, dhia-, lit. dienä .Tag' 's
also die Jahreszeit, welche die langen Tage bringt (vgl. R. Kögel Bei-
träge XVI, öl«»., anschliessend an die Julzeit, ,die dunkle' Zeit (s. u.
Mond und Monat;. Ir. errach , Frühling' (dnnkel), altsl. jarü id. =
got. jer ,Jahr\ — S. u. Jahreszeiten und u. Zeitteilung.
Fuchs. Die homerische Dichtung, Hesiod und die Hymnen nennen
das Tier, welches doch in Europa einheimisch ist, noch nicht. Es
scheint daher, dass damals die bekannten geistigen Eigenschaften des-
selben noch nicht erkannt worden waren. Erst mit dem Parier Archi-
loehos tritt der Fuchs in die griech. Litteratur ein, und zwar gleich im
Gewand einer Fabel und gleich mit den Attributen K€pba\e'o<; und
ttukvöv fyouffa vöov. Das eine Fragmeut, in dem der Fuchs zusammen
mit dem Affen genannt wird, s. unter diesem. Ein zweites Fragment
des Archilochus lautet:
alvöq ti? äv9pumiuv 6b€ "
di? dp' dXujimE Kai€TÖ<; Euvumnv
£juiiEav.
Es fragt sich, von welchem Volke den internationalen Fabclstoffen
die Schlauheit des Fuchses als charakteristisches Moment eingefügt
worden sei. In Indien, der Urheimat der Ticrfabel, ist dies nicht ge-
schehen, da hier der Schakal die im Occideut dem Fuchs zugewiesene
Rolle des schlausten Tieres spielt. Dagegen hat schon in den von
George Smith in der chaldäischen Genesis (1876) herausgegebenen
keilinschriftlichen Fragmenten einer babylonischen Tiersage der Fuchs,
der schon den Urscmiteu bekannt und von ihnen benannt (*ta'labu
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Fuchs - Fürst.
259
, Fuchs ) war, dieselbe Rolle des listigen und heuchlerischen Tieres wie
im Occident gespielt. Es sind also vielleicht Semiten gewesen, welche
dem Fuchs seinen Charakter und seine Stellung in der Tierfabel an-
wiesen. Grosse Schwierigkeiten macht die richtige Beurteilung des
Wortes dXumnE, neben dem ein späteres äXuüTTÖ? liegt. Auf der einen
Seite vergleichen sich armen, alt es aus *alöpeku- und sert. Ifipäcä-
,Schakal' aus *laupfko-, npers. röbäh, osset. robax u. s. w. , Fuchs'
(also arisch au der Wurzelsilbe gegenüber griech. -armen. 6). Auf der
andern Seite ist aber auch lit. lape , Fuchs', und sind auch die kelti-
schen Formen arem. lonarn, körn, louuern (Zenas Gr. Cclt. 2 S. 827) aus
Huperno- zu bedenken. Eine Erklärung dieser Schwierigkeiten ist
noch nicht gefunden. Züge man noch das altsl. lisü , Fuchs', das aus
*lipm entstanden sein könnte, heran, so würden drei verschiedene
Vokale, wovon zwei mit Ablaut, in dem Stamme des Fuchsnamens
vertreten sein: lap- (lit. läpe i : löp- (griech. dXumnE, armen, aives),
lup- (arem. louarn) : laup- (sert. löpa<;ii-) und endlich Up- (altsl.
lisü). Noch nicht sicher gedeutet ist auch got. faühö , Fuchs', ahd.
foha, altn. fön , Füchsin' neben ahd. fuhs, engl. fo.r. Die einen denken
an Zusammenhang mit sert. pitecha- .Schwan/.', so dass das germa-
nische Wort das ^geschwänzte' Tier bezeichnete. Andere ziehen zur
Erklärung das griech. (lakonische) qjoöai • dXiUTT€K€<; Hes. heran (lak.
<poüai - att. *<pöcrai aus *phukjai oder *phiikhjai, vgl. Vf. Ii. B. XV, 135).
Zuletzt hat über diese Wörter Uhlenbeck Beiträge XXII, 538 gehandelt,
der sich für die erstere dieser beiden Möglichkeiten entscheidet. Aus
späterer Zeit ist in Griechenland eine reiche Terminologie des Tieres vor-
handen, die die Popularität dess'elbcn bekundet: Xdp7rouptq ,Leuchtschwanz.
(Brandfuchs), o*Ka<puupr| ,Gräber (: o~Kaq>eü<;), Ktpacpog (daneben o*Kipa<po^
^avouptripa', vgl. lat. vulpinari und altn. fox , Betrug ), KÖXoupi? (:altn.
skollr , Fuchs'?), KÖ9oupo? , Schädiger' (d-o"Kn6n.s?)- Der letzte Be-
standteil -oupa, dor. -wpa, -oupiq .Schwanz' wird in den meisten Fällen
volk8etyniologisch in die betreffenden Wörter hineingetragen worden
sein. Alb. skil'r , Fuchs' ist aus ngr. cjküXos, atcüXa ,IIund, Mündin
(vgl. den zoologischen Namen Canis Vulpes), cigeutl. junger Hund
entlehnt. Ebenso dürfte lat. vulpes aus *crolpes zu ahd. weif, agls»
htoelp, ahn. hvelpr junger Hund', ,Junges von wilden Tieren' (W.
ktelpjb) gehören, während H. Hirt Beiträge XXII, 230 doch wieder
für lat. vulpes an Znsammenhang mit got. wulfs ,WolP denkt. Finno-
germanisch ist finn. repo, altn. refr. ; aber wo ist der Ausgangspunkt
des Wortes zu suchen? Die Franzosen benennen das Tier mit dem
altdeutschen Fabelnamen desselben renard, d. i. reginhart ,Reinhart'.
Vgl. noch thrak. ßctaadpa , Fuchs'. — Über den Fuchs im Altertum
handelt 0. Keller Tiere des kl. Altert. S. 178 ff.
Forche, s. Ackerbau.
Fürst, s. König.
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260
Furt — Gabel.
Fort, 8. Brücke.
Fuss, s. Mass, Messen.
Fassfall, 8. Gruss.
Fassvolk, s. Heer.
Fatterkräater. Ihr Anbau ist auf den einzelnen Kulturgebieten
Europas erst spät erfolgt, namentlich im Norden, wo die Natur
durch reichliche Wiesen und Matten aus erster Hand dem Vieh
seine Nahrung darbot. Speciell der Kleebau hat sich erst im XVII.
Jahrhundert Uber Mitteleuropa von Flandern her verbreitet; doch war
die Pflanze selbst, wie ihre Terminologie (westgerm. ahd. chleo, agls.
cläfre, cläfre gegenüber isl. »märt, norweg. smeere, gemeinslav. russ.
djatlina, *dentela, lit. dobilal) zeigt, schon früher bekannt und benannt.
Zeitiger inusste man im Süden, dem das saftige Grün der Wiesen
versagt ist, auf anderweitige Fütterung des Viehs bedacht sein. Zu
diesem Zweck ging man entweder zu der dem Norden fremden Laub-
fütterung Uber, oder man fing an, sich auf den Anbau ausländischer
oder einheimischer Futterpflanzen zu verlegen. Zwei derselben, die
Luzerne und der Cytisus sind in besonderen Artikeln behandelt
worden. Aber auch Kleearten (griech Aujtös, lat. trifolium), ferner
der Bock8homklee (Trigonella foenum Graecum L.), griech. if\ki<;,
ßouK^paq, lat. siliqua und die Lupine sind wenigstens im späteren
Altertum als Futterpflanzen angebaut worden. Von Italien aus wird
sich auch der Anbau der Futterwicke (Vicia sativa L.) über Eu-
ropa verbreitet haben, worauf die Entlehnung von lat. vicia iu kymr.
gtcyy, ahd. wicka (vgl. auch ugricch. 6 ßivcoq, alb. vik) hinweist. In
Italien wird der Anbau der Wicke zuerst bei Cato De re rust. Cap.
27,37 genannt (vgl. Lenz Botanik S. 718 ff., V. Hehn Kulturpflanzen0
S. 395, Xeutuanu-Partseh Physikalische Geographie Griechenlands
S. 404 ff.). — S. u. Viehzucht.
G.
Gabel. Der Gebrauch der Gabel als eines Speise Werkzeugs
ist iu ganz Alt-Europa unbekannt. Derselbe kommt, wie Beckmann Bey-
träge V, 286 ff. ausführlich nachgewiesen hat, in grösserem Umfang
erst im XV. und XVI. Jahrhundert, von Italien ausgehend, auf, wo
übrigens, ebenso wie in Griechenland, schon im Altertum die Gabel
auch zu Küchenzwecken, z. B. zum Herausholen des Fleisches aus
dein Topfe (griech. Kpeäxpa) gebraucht worden war. Das neue In-
strument wird überall mit Namen bezeichnet, welche ursprünglich
grössere gabelförmige Werkzeuge, wie die Heu- und Mistgabel, be-
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Gabel — Gans.
2G1
nannt hatten, and die zuweilen Aber die Grenzen der Einzelsprachen
hinausgehen. So entspricht ahd. gabala, agls. geaftd dem ir. gabul,
nkymr. gafl ,Gabel', ,gegabelter Ast' (vgl. auch lat. gabaius ,Galgen',
gabelförmiges Holz'). Im Litauischen wird szakä, cigentl. ,Ast', für
alle Arten von Gabeln gebraucht. Im Slavischen gilt *vidla-, altsl.
vilics etc. (ob : ahd. witu, ir. fid ,Holz, Baum': „aus Holz"?). Die
romanischen Sprachen und das Albanesische (vgl. Körting Lat.-rom.
W. S. 349 und G. Meyer Et. W. S. 114) bedieneu sich mannigfacher
Ableitungen von lat. furca (auch altndd. furka, agls. force). das nebst
dem gleiches bedeutenden fuscina noch nicht erklärt ist. Vgl. noch
griech. Tplmvct, TpivaH »dreizackige Gabel'. Als Kriegswerkzeug
wird die Gabel bei Kelten und Germanen erwähnt (vgl. O'Curry Man-
ners and custoras I, CCCCILVI). — S. u. Mahlzeiten und Trink-
gelage.
Galhanum. Das im Altertum, namentlich in der Arzneikunde,
gebrauchte Harz einer Pflanze, die von Theophrast (IX, 7, 2) als in
Syrien heimisch bezeichnet wird und travag genannt wurde. Der grie-
chische Name xaXßdvn. stammt aus dein Semitischen < hehr, hetbinäh ,ein
zum Räuchern bestimmter Stoff"). Lat. galbanum. — S. u. Aromata.
Galgen, s. Strafe.
Galmei, s. Messing.
Ganggräber, s. Bestattung.
(»ans. Der idg. Name des Tieres liegt in der Reihe: sert.
hathsü-, griech. xnv, lat. anser, ahd. gatut, altsl. gqst (aus dem Ger-
manischen?), lit £qsi8 (woraus finn. hanhi), altpr. sansy, ir. güs; doch
ist das letztere Wort in die Bedeutung ,Schwan' ausgewichen, während
ir. gid ,Gans' (s. u.) wahrscheinlich nicht hierher gehört. Mir. goss ist aus
dem Angelsächsischen entlehnt. Armen, sag ,Gans' ist noch unerklärt.
Der Vogel war also schon den Indogerinanen bekannt, doch kann an
eine Zähmung desselben in der Urzeit nicht wohl gedacht werden, so-
wohl aus allgemeinen Gründen (s. u. Viehzucht), wie auch deshalb,
weil die Gans in den ältesten Epochen der idg. Überlieferung, bei den
Indern des Rigveda, den Iraniern des Awesta und den Griechen der
Ilias, soweit man nach dem Schweigen der betreffenden Dichtungen
urteilen kann, noch nicht als Haustier gehalten wurde. Vor allem aber
sind in den neolithischen Denkmälern Europas noch nirgends Spuren der
zahmen Gans (und Ente) gefunden worden. Immerhin wird in Europa
die Gans der erste Vogel gewesen sein, der sich an den Menschen ge-
wöhnte. Schon in der Odyssee (XIX, 536 ff. ) hat Peuclope eine Herde
von 20 Gänsen, die sie aber mehr zu ihrer Freude als des Nutzens
wegen zu halten scheint, wie denn überhaupt im griechisch-römischen
Altertum der Vogel zunächst für ein anmutiges und wachsames Tier
galt. Vgl. näheres bei 0. Keller Tiere des klassischen Altertums
S. 286 ff'.
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262
Gans.
Auch im Norden tritt uns die Gans am frühesten als ein von einer
gewissen Verehrung umgebenes Luxustier entgegen, indem Caesar De
hell. gall. V, 12 von den keltischen Briten berichtet: Leporem et galr
linam et unserem gustare fas non putant, haec tarnen alunt animi
voluptatisque causa. Anders diesseits des Kanals. Hier muss bei
den Morinern eine ausgiebige Gänsezucht bestanden haben, und grosse
Gänseherden wurden von dort bis nach Rom getrieben. Vgl. Plinius
Hist. nat. X, 53: Mirum in hac alite a Morinis usque Romam pedi-
bus venire. Fessi proferuntur ad primos, ita ceteri stipatione na-
t uralt propellunt eos. Noch mehr geschätzt als diese keltischen
zahmen Gänse war aber bei den Römern eine kleine, weisse, germa-
nische Wildgans, deren Daunen (altn. dunn) zur Herstellung von
Kissen, Pfuhlen, Polstern aller Art aus Deutschland eingeführt wurden,
Kulturbegriffe, deren lateinische Namen dann wieder in die germani-
schen Spracheu übergingen (wie z. B. lat. pulvinar, pulvinus iu ahd.
pfultco, pfuliwi .Pfühl', spät.-lat. coxinus, it. eujeino in ahd. kussin
, Kissen'; vgl. auch ahd. pflüma, agls. phimfedere, ir. dum ,Flaum,
Feder', altkymr. plumauc , Kissen' aus lat. plüma). Die Nachricht des
Plinius a. a. 0. hierüber lautet: Mollior {pluma anserum), quae cor-
pori proxima, et e Germania laudatissima. Candidi ibi, verum
minores, gantae cocantur. Pretium plumae eorum in libras de-
narii quini. et inde crimina plerumque auxiliorum praefectis a
rigili statione ad haec aueupia dimissis cohortibus totis; eoque deli-
ciae processere, ut sine hoc instrumenta durare iam ne virorum qui-
dem cervices possint. Das vou Plinius genannte ganta, das auch
(neben anser) bei Venant. Fortunatus Carm. VII, 4, 11 : Aut Mosa dulce
sonans, quo grus, ganta anser olorque est vorkommt und prov. ganta,
altfrz. gante lautet, ist au» westphäl. gante, ndl. gent, vorgerm. *ghan-da
(vgl. ahd. gan-azzo ,Gänserich', gan ot ,Scbwan\ gandra ,Gänserieh'),
also vom Niederrhein her entlehnt worden. Hierzu würde ir. ged
,Gans' gut stimmen; doch ist man neuerdings wegen des neben ir. gid
liegenden kymr. gicydd geneigter, beide Formen auf ein ursprüng-
liches *gegdil (Stokes Urkeltischcr Sprachschatz S. 109) zurückzuführen.
Vgl. noch ir. gigrann ,Gans' bei Zeuss Gr. Celt. * S. 21: spätlat. gin-
gritus, gingrire, vom .Schnattern der Gäuse gesagt, und altn. gagl
,Schueegans': ndl. gagelen ,schuattern'.
In den Leges barbarorum (Lex Salica T. VII), wie auch in den
Kapitularien Karls des Grossen bilden Gans und Huhu das eigentliche
Hausgeflügel andern Vögeln gegenüber, die mehr der Zierde wegen
gehalten werden. 8. noch u. Ente und über den Gebrauch der Gänse-
feder zum Schreiben u. Schreiben und Lesen. Von wo aus die
Gans erst als Luxus-, dann als Nutzvogel sich bei den europäischen
Völkern verbreitet hat, ist kaum zu sagen. Bemerkenswert ist, dass
die Gänsezucht im alten Ägypten eine grosse Bedeutung erlangt hat
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Garten, Gartenbau.
263
(vgl. Wiedemann Herodots II Buch S. 310), während sie hei den Se-
miten fehlt, ein Umstand, der sehr {regen die Annahme E. Hahns Die
Haustiere 8. 275 ins Gewieht fällt, dass ihr Ausgangspunkt in Buby-
lonien zu suchen sei. — 8. u. Viehzucht.
(«arten, Gartenbau. Bei dem u. Ackerbau geschilderten
Charakter der ältesten europäischen Landwirtschaft ist ein regelmässiger
Betrieb des Gartenbaus von vornherein ausgeschlossen. In der That
konnte noch Tacitns von den Germanen (Cap. 20) ausdrücklich berichten:
Nec enim cum ubertate et ampUtudine soli labore contenduiit, ut
pomaria conserant et prata neparent et hortos rigent: sola terrae
neyes imperatur. Entsprechend erkannte bereits Thukydidcs ( 1, 2),
dass die ältesten Hellenen nur in soweit jhr Land bebauten ' veuÖMevoi
xct aÜTÜJv), als zum Leben nötig war, ohne Reicht linier zu sammeln,
ohue Baumpflanzungen anzulegen (oub€ fr\v (puxeuovrcs). Auch die Denk-
mäler der neolithischeu Epoche unseres Erdteils haben zwar vielerlei
vom Ackerbau der damaligen Menschen, aber so gut wie nichts von
einem Gartenbau derselben zu erzählen. „Kür die Steinzeit oder Pfahl-
bauten", sagt 0. Heer Die Pflanzen der Pfahlbauten S. 22, „lassen
sich mit Ausnahme der Erbsen keine Gemüsepflanzen mit voller
Sicherheit nachweisen; „von den Kohlarten, Rüben, von Kraut
und all den verschiedenen Gemüsen, welche jetzt in der Küche eine
grosse Rolle spielen, ist uns noch keine Spur zugekommen". Trotzdem ist
vielleicht schon in der Urzeit die Wohnstätte der einzelnen Hausge-
meinschaften, wie bei den Germanen (vgl. Tacitns Germ. Cap. 10:
tiuam quisque domum xpatio cirvumdat), mit einem umfriedigten Platz
umgeben gewesen, auf dem man gelegentlich auch einige Hülsen-
früchte (s. d.), den Mohn, etwas Flachs (s. s. d. d.) und andere schon
in vorhistorischer Zeit bekannt gewordene Kulturpflanzen baute. Vor-
historische Gleichungen hierfür werden sein: griech. Knjros .Garten' =
ahd. huoba ,Hufe vgl. auch all), köpfte und ir. cep ,Garten aus
*keppo-n, *kepno-x'i\ davon zu trennen : gemeiugerm. ahd. hof, *kupo-n)
und lat. hortus »Garten vgl. aber Plin. Hist. nat. XIX, f>0: In XJI tabulis
legum nostrarum nusquam nominatur villa, Kemper in signi/iattione
ea hortus, in horti rero heredium), cohar* .Einzäunung, Hof =
altn. gardr .eingehegter Hol", got. gards .Haus' (vgl. lat. hortus
,villa's griech. xöpxo? ,Gras, Futter, Hofplatz', ir. gort ,seges', hibgort
,Gemüsegarten" (lit. zardis , Rossgarten', allpr. xardi« .Zaun : altsl. zrädl
,8tange'; lit. gdrda-s .Hürde", altsl. gradü .Stadt' aus «lein Deutschen).
Auch aw. dvara- ,Hof — lat. forum ,Vorhof" (.Marktplatz'), lit. dicilras
,Hof, altsl. dcortl (auch ,Haus ) deuten auf einen in der Urzeit vor der
Thür (griech öupa, lat. foren) befindlichen und umschlossenen Raum
hin. Vgl. noch ahd. hag etc. = altgall. caium .Einhegung'.
Nicht unwahrscheinlich ist, dass von dieser llofstätte bei den Einzel-
völkern der Begriff des Eigentums s. d.) an Grundbesitz allmählich aus-
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Garten, Gartenbau.
gegangen ist. Im Deutseben jedenfalls fasste der Ausdruck „Hufeu nach
und nach alle Rechte, die der einzelne Genosse der Dorfschaft oder
Bauernschaft iubezug auf Grund und Boden besass ( vgl. Brunner D.
Rechtsg. I, 62), zusammen, und nach der römischen Legende hat Ro-
mulus jedem Bürger ein Erbgut oder Gartengrundstück (heredium s. o.)
gegeben, worin Monimseti Röm. Staatsrecht III, 1; 23 wohl mit Recht
eine Andeutung über die Entstehung des Privateigentums in Rom er-
blickt (anders freilich E. Meyer Gesch. d. A. II, 519).
Gartenbau von einiger Bedeutung, Obstbau, Blumenzucht und
Gemüsebau ist bei den idg. Völkern also erst nach Ankunft in ihren
historischen Wohnsitzen und auch hier erst nach geraumer Zeit auf-
gekommen. Indem bezüglich der beiden ersteren Punkte auf die be-
treffenden Artikel verwiesen wird, soll hier nur von den Pflanzen des
Gemüse- oder Küchengartens gehandelt werden. Noch bei Homer
ist die Zahl derselben eine ziemlich beschränkte. Es werden genannt:
^p^ßtvGot , Erbsen', kucuioi ,ButTbohnen , Kpöuuov, Zwiebel', irpdaov
,Lauclf (wohl zu erschliessen ans Trpacrim »Gemüsebeete') und unKUJV
,Mohn". Allmählich aber wächst die Zahl der angebauten Gewürz-
pflanzen, Gemüse und vSalate ins ungemessene. Ja, man kann sagen,
dass die Verwendung derselben im Altertum eine mannigfaltigere und
intensivere als in neueren Zeitläuften war. Der Grund dieser Erscheinuug
liegt darin, dass dieselben auf der einen Seite moderne Volksnahrungs-
mittel, wie die Kartoffel, und damals noch nicht oder nur wenig be-
kannte orientalische Gewürze, wie den Pfeffer (s.d.), ersetzen nmssten,
auf der andern Seite aber an ihnen die Vorstellung von gewissen,
ihnen innewohnenden Heilkräften haftete, in deren Aufzählung die
Alten, von Hippokrates bis Apieius, sich nicht genug thun können (vgl.
darüber namentlich Chr. Th. Schlich Gemüse und Salate der Alten in
gesunden und kranken Tagen, 2 Hefte Rastatt 1853, 54). Besonders
gefiel sieli der naive Sinn des Altertums darin, die Wirkung gewisser
Pflanzen, wie namentlich der Rau ke (Brassica eruca), auf die Erregung
des männlichen Geschlechtstriebes (Columella X, 105 f.: E.vcitet ut
Yentri türdos eruca maritos) empfehlend hervorzuheben (vgl. auch
Beckmann Bey träge V, 107 ff. ^Küchengewäehsc"). — Die Beeinflussung
des germanischen Nordens durch den römischen Gemüsegarten,
der seinerseits zunächst von Griechenland, dann direkt vom Orient,
namentlich von Syrien, abhängig ist (mnlta Syrorum olera), geht in
ihren Anfängen in frühe Zeit zurück. Sprachlich spiegelt sie sich in der
sehr alten Entlehnung des \&\.hortus, ortus (so häutig in der Lex Salica)
in die germanischen Sprachen: got. aurtja ,Gärtncr', aürtigards ,Gartcn',
ahd. orzön ,exeolcrc*, agls. ortgeard, engl, orchard (vgl. Kluge Frci-
burger Fcstgruss an II. OsthotT 1894). Auch lat. planta ging früh-
zeitig ins Germanische über: ahd. pflanza, agls. plante (auch ir. cland),
dazu ahd. pflanzön, agls. plantian aus lat. plantare; ebenso \M. fruetus
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Garten, Gartenbau.
265
: ahd. fruht, altfries. frucht. Ihren Höhepunkt aber erreichte diese Kultur-
strömung erst in christlicher Zeit durch die Küchengärten der Klöster,
namentlich der Benediktinermönche (vgl. den Entwurf eines Kloster-
gartens im ^Bauriss des Klosters St. Gallen vom Jahre 820u). Diese
wnrden dann wieder vorbildlich ftir die Anordnungen auch der weltlichen
Behörden (vgl. das Capitulare Karls des Grossen de villi« Cap. LXX), wie
für die Anlage der Gärten der Bevölkerung. So ist es gekommen,
dass die deutschen Bauerngärten bis in dieses Jahrhundert hinein im
ganzen einheitlich noch den Charakter repräsentieren, welchen die ersten
nach antikem Muster auf deutschem Boden gegründeten Gärten hatten
(ausführlich hierüber K. v. Fischer Benzon Altd. Gartcnflora Kiel 1H94).
Im Einzelnen werden die Einflüsse, welche auf diesem Gebiet in Europa
geherrscht haben, sich am besten in der nachfolgenden Tabelle über-
sehen lassen, welche an einer Reihe wichtiger Gartenpflanzen einerseits
die sprachliche Abhängigkeit Italiens von Griechenland, andererseits
die des europäischen Nordens vom Süden zur Anschauung bringen soll.
Die zahlreichen hier zur Sprache kommenden Entlehnungsreihen lehren
dasselbe, worauf vom Vf. schon in der Einleitung zur <>. Auflage von
V. Hehns Kulturpflanzen und Haustieren S. XVI hingewiesen wurde,
nämlich, dass die Entlehnung eines Pflanzen namens keineswegs auch
die Annahme einer Entlehnung der Pf 1 a nze selbst bediugt, sondern dass
sie nur, wo es sieh um eine Kulturpflanze handelt, auf die Richtung hinzu-
deuten pflegt, ans der die Anregung zur ersten In-K nltur-Xahnie der
betreffenden Pflanze erfolgte. Die Entlehnung z. B. von ahd. hittuh
aus lat. lacttlca f.Xr. 20) wird von der Entlehnung der Pflanze selbst
begleitet gewesen sein, während z. B. lat. foeniculum (Nr. 10) auf
eiue einheimische wilde und dann kultivierte Fenchelart übertragen
worden sein wird. Welche von beiden Möglichkeiten jedesmal vorliegt,
kann nur durch die Naturwissenschaft und etwaige gese hiebt liehe Nach-
richten erwiesen werden.
Der erste Ursprung der hier zu nennenden Pflanzennamen ist in
einigen Fällen deutlich: griech. eüZwuov .Rauke' mag wirklich , Brüh-
würze' iZumöq .Brühe') und griech. KOpiavvov .Koriander' wirklich
,Wanzenkraut' (tcöpis .Wanze ) bedeutet haben. Ir den meisten Fällen
aber ist er in völliges Dunkel gehüllt, und es hat keine grosse Über-
zeugungskraft, etwa <5vn0ov ,Dill' als , duftendes' (: fiveuo? .Hauch )
oder udpaGov , Fenchel' als .hochgewachsenes' (: ßXwGpoq ,hoch', *mrödh-
ro-s) oder tf^Xivov , Eppich' als .Ringblume' (: ij/eXiov .Armband ) zu
deuten.
Von derartigen Erklärungsversuchen ist daher hier abgesehen
worden.
1. A marant (Amarantus Blitum L.). Spinatpflanze. Heimat: Süd-
europa und östliche Mittelmeerländer. Griech. (Theophr.) ßXrrov f viel-
leicht urverwandt mit ahd. mnlda, mhd. melde ,GartenmeIde ), woraus
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Garten. Gartenbau.
lat. (Plaut.) Mittun, Capit. hlidas. Ahd. sfnr, «füre. Vgl. auch G. Goetz
Thes. 1, 146. Später verdrängt durch den eigentlichen Spinat (s. d.).
2. Anis (Pimpinella Anisum LX Arznei- und Gewürzpflanze.
Heimat: Orient. Griech. (Diosk.) fivtaov {: ävnOov, s. u. Dill), woraus
lat. i'Cato) anisum, Cap. anesum (Thes. I, 71), inhd. awf«, russ. anisü, bulg.
anason. Anis und Koriander wurden aut der griechischen Insel Therasia
bereits vorhistorisch nachgewiesen (vgl. M. Much Kupferzeit* S. 146).
3. A rtise hoke {Cynara Scolymnus LX Die echte Artischoke,
die im Altertum als Heil- und Nahrungsmittel diente, stammt nach
De Candollc Ursprung der Kulturpfl. S. 115 von der in Südeuropa
einheimischen C. Cardtinculus ab. Die Geschichte der Artischoke be-
handelt ausser Schlich a. a. O. S. 20 ff", und von Fiseher-Benzon a. a. 0.
S. 121 f. noch Beckmann Beytrüge II, IDön0. Griech tcuväpa (Athen.),
woraus lat. (Col.) cinara. Vgl. ferner griech. (Epicharm., Theophr.)
KCXKTO^t woraus lat. (Plin.) cactu». Lat. Carduus, Cap. cardones(t)
(Thes. I, 182: cardus, agls. thistil). Der moderne Ausdruck artischoke,
nordit. articioeco geht zuletzt auf arab. al-harsaf zurück.
4. Beete {Beta vulgaris L.) s. d.
.">. Bohne s. d.
6. Dill {Anethum graveolens L.). Heimat: Südeuropa. Heil- und
Gewürzpflanze. Griech. (Aristoph.) ävr|8ov (Herod. : ävnöov; 8. auch o.
u. Anis), woraus lat. (Verg.) anethum, Cap. anetum. Ahd. tilli, altsl.
koprä.
7. Endivie Cichorium Endivia LX S'alatpflanze. Nach De Can-
dolle a. a. 0. S. 120 1F. eine Varietät des in der Mittelmecrregion wild-
wachsenden Cichorium pumilum Jaquin. Griech. (Epicharm.) Glpic,,
woraus lat. (Varro) seris. Lat. (Plin.) intubus (Thes. I, Ö6f>: indivia), das
nach Lagarde (vgl. Muss-Arnolt Semitic and other glosses to Kluges
Et. \V. S. 2öi aus den arab. landab stammt. Im Deutschen ist endivie
erst spät. In den romanischen Sprachen gilt neben endivia : it. scariola,
frz. scarole aus lat. escarius .zur Speise dienend'.
5. Eppich (Sellerie; Apium graveolens LX Im Altertum
Gemüse- und Schinuckpflanze. Heimat: gemässigtes und südliches Europa.
Griech. (Homer, bei dem nur an die wilde Pflanze gedacht werden
kann; Theophr.) a^Xivov, woraus lat. (Apul.i selinum. Lat. apium,
Cap. apium, woraus ahd. ep/i, altmfrk. eppi. nindl. eppe, eeeh., poln.
opich.
9. Erbse s. d.
10. Fenchel (Anethum Foeniculum L). Heil- und Gewürzpflanze.
Heimat: Europa. Griech. (Epicharm., Theophr.) udpctöov, udpaOpov,
woraus lat. (Ovid) marathrus und altsl. molotnl, sowie alb. mardj.
Lat. foeniculum, Cap. fenkulum, woraus ahd. f'enahhal, finahhal, mndl.
venekel (Thes. I, 44.5 : finkulus, agls. finugl >. Vgl. noch altsl. moracl
, Fenchel' (G. Meyer Et. \V. d. alb. Sprache S. 2f>9> und altpr. kamato.
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Garten, Gartenbau.
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11. Kaper (Capparix Spinosa L.). Gemüse- und Gewürzpflanze.
Heimat: Südeuropa. Griecli. (Theophr.) KotTTTtapis, woraus lat. < l'lautiis)
capparix (Thes. I, 178).
12. Kerbel {Anthrixcus Cere folium). Gemüsepflanze. Heimat: Süd-
östl. Kurland, Westasien. Lat. iCol., Plin.) euere folium, chaerephyllon,
Cap. cer folium {Thea. I, 201. 21(5) aus einem nicht nachweisbaren
griech. *xaip€<puXXov. Aus dem Lateinischen oder Romanisehen icerfu-
lum) alid. kervola, kervul, mndl. ke'rvele, agls. cerfille, slav. *kerculie1,
russ. kervell u. s. w. Eine andere Kerbelart ist griech. (Aristoph.,
Theophr.) crKävbiE, woraus lat. (Plin.) xcandix. Vgl. Schlich a. a. O. S. 40.
13. K ich er s. u. Erbse.
14. Cichorie {Cichorium Inft/bus L.). Heilmittel und Genusspflanzc.
Heimat: Europa. Griech. Kixwpn, Kixwpiov (Theophr.), woraus lat. (Hör.,
Pliu.i cicöreum, cichöreiim. Daneben lat. intubux erraticus .wilde
Endivie' und xolsequium. So im Capitulare. Ahd. xunnewirbel (bei
der heiligen Hildegard) und ftintlope.
15. Kohl, s. u. Kohl und Rühe.
16. Koriander (Coriandrum sativum £.). Gewürzpflanze. Heimat:
Orient, Südeuropa. Griech. (Aristoph. xoptavvov, Kopiavbpov, KoXiavbpov,
woraus lat. (; Plaut.) coriandrum, coliandrum, Cap. coriandrum, ahd.
chullantar, agls. cellendre, polu. koledra, russ. koriandrü. S. u. Anis.
17. Kresse (Lepidium sativum L.\ Gartenkresse . Heil- und Salat-
pflanze. Heimat: Persien und Kleinasien. Griech. Aristoph., Theophr.)
KUpbauov. Lat. (Col., Plin.) nasturcium, Cap. nasturtittm. Thes. I, 727:
crissonus, er. ortenxi» etc., ahd. krexso (Thes. : crexxa), agls. ccerse,
nsl. kres, kresa. Altgall. beruht Sri. berle), ir. biror, bilor, kymr.
berwr etc. , Brunnenkresse' (vgl. Stokes Urkclt. Sprachschatz S. 170).
1H. Kümmel, s. d.
19. Kürbis, s. u. Cucurbitaceen.
20. Lattich (Salat; Lactuca Scariola L.). Heimat: Südeuropa,
Westasien. Griech. (Herod.) 6pTba£, att. epibctKivn., nach Miklosich
Et. W. ius Slavische (altsl. brüdokva, russ. bredocka etc.) entlehnt.
Lat. lactuca, Cap. lactuca» (Thes.'I, (519: /. agls. pupistil), woraus ahd.
lattuh, agls. leahtric, slav. Hoktjuka, altsl. loMika, auch lit. und alba-
nesieh. In letzterer Sprache noch maruV , ngrieeb. j*apoü\i, türk. marul
etc. (vgl. G. Meyer Et. W. S. 2(51). — Mhd. salat aus it. salata,
insalata. Das Einmachen von Salatpflanzcn wurde schon im Altertum
in ausgedehntester Weise geübt (Schlich a. a. 0. S. 14). Vgl. auch lat.
composita (Apicius) im Deutschen u. Kohl und Rübe.
21. Linse, s. d.
22. Mal ve, s. d.
23. Mai ran (Origanum Majorana L.:. Gewürzpflanze. Heimat:
Nordafrika. Griech. (Theophr.; äudpcocoq, woraus lat. (Col.) arnaracus,
das volksctymologisch verstümmelt, zu mlat. majorana, it. mougiorana,
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26*
Garteti, Gartenbau.
mhd. meigramme, poln, maioran u. 8. w. führte. Ausserdem griech.
(Diosk.) tfduumxov, woraus lat. (Col.) sampsucum.
24. Melde (Atriplex hortensis L.). Spinatpflanze. Heimat: Süd-
europa. Griech. (Theoplir.) dbpd(pofu?, dvbpdqpaEiq, dxpd<paEu<;, woraus
mit volkstümlicher Verdrehung lat. (Col.) atriplex, Cap. adripiaa. Über
nhd. melde s. u. Amarant.
25. Minze (Gattung). Griech. (Theophr.) |wv9oq, -n., -ov, woraus
lat. (Col.) menta, Cap. mentam, ahd. minza (munza), agls. minte,
altsl. meta, auch lit. und alb. (mentf, mindere). Bachminze (Mentha
aquatica L.): griech. (Theophr.) o*io*üußpiov, woraus (Plin.) sisimbrium,
Cap. ebenso. Arten und Namen sind hier besonders schwer zu unter-
scheiden (8. auch u. Pol ei).
26. Mohn, s. d.
27. Möhre, s. d.
28. Pastinake (Pastinaca satira L.). Wurzelgemüse. Heimat:
Mittel- und Südeuropa. Griech. (Diosk.) 4Xa<p6ßoo*Kov, woraus lat. (Plin.)
elaphoboscon. Lat. (Varro, Col.) niner (Diosk. : oiaapov). Nach Plinius
XIX, 90 Hess sich Tiberius siser von der Burg Gelduba am Rhein
kommen; doch kann swer hier auch die Zuekerwurzcl \Sium SUaron
L.) meinen. It. noch paxtinaca, Cap. pastinacas, ahd. pestinaca,
pe8tinac, russ. pastemakü etc.
29. Petersilie iApium Petroselinum L.). Heimat: Südeuropa,
Algerien, Libanon. Griech. (Diosk.) 7T€Tpoo*eAivov, woher lat. (Plin.)
petroselinum, Cap. petreselinum, ahd. pedaraiUi, russ. petrtiäka,
auch lit.
30. Pfebc, s. u. Cucurbitaceen.
31. Pilz 'Gattung). Griech. ßioXirns (Geopon.), woraus lat. (Plin.)
boletus, ahd. buliz, agls. bulot, westph. bülte, russ. dial. blieü. Ein-
heimisch im Slavischcn: rnss. gribü etc., lit. yrgbas.
32. Polci (Menta Pulegium L.). Gemüse- und;Arzncipflanze. Griech.
(Aristoph.) ßXiixwv (dor. rXdxwv), woran» mit volkstümlicher Anlehnung
an pillex ,Flbh' — in Deutschland ist Polei thatsächlich als Mittel gegen
Flöhe gebraucht worden — : lat. puleium, ptlleginm ivgl. Keller Lat.
'Volksetym. S. 64) hervorging. Cap. puledium, ahd. polei, russ. polej,
auch lit.
33. Porree, s. u. Zwiebel und Lauch.
34. Quendel (Thymus Serpyllum L.K Heimat: Südeuropa. Griech.
(Aristoph.) gpiruXXov, lat. (Cato) serpullum. S. u. Saturci.
3ö. Rauke Eruca satica L). Heimat: Südeuropa. Griech.
(Theophr.) eüZumov. Lat. erüca (Thes. I, 399: auch uruca; vvenerem
incendem*, s. o.), Cap. eruca alba. Erst nhd. rauke, poln. ruka etc.
36. Rettig, s. d.
37. Salbei (Sai via officinali* L.\. Gewürz- und Heilpflanze. Griech.
(Theophr.) dXeXio*<paKO<; vielleicht nicht unser Salbei). Lat. (Plin.)
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Garten, Gartenbau — Gastfreundschaft.
269
aalcia, Cap. salviam, woraus ahd. salbeia, selba (heilige Hildegard),
russ. s~alfej.
38. Saturei (Satureja hortensis L. und S. Thytnbra L.). Heimat:
Erstere in Italien, letztere in Griechenland und Italien. Grieth.
(Nicand.) KoviXn., woraus lat. (Plaut.) cunila, ahd. quenala, agls. cunüe
(auf für Quendel und Thymian). Griech. (Theophr.) Gujißpov, Öuußpa,
woher lat (Verg.) thymbra. Lat. satureja, Cap. satureiam, ahd. satereia
(Heilige Hildegard).
39. Senf, 8. d.
40. Spargel (Asparagus officinalbt L.). Heimat: Europa, West-
asien. Griech. (Theophr.) dandpcrros, das auch junger Trieb' überhaupt
bedeutet, wird von einigen als urverwandt mit aw. spareya- ,Sprosse,
Zinke am Pfeil', lit. spürgas ,Knoten am Baum' angesehen (so Prellwitz
Et. W.), von anderen als Lehnwort aus iranischem Sprachgebiet be-
trachtet (so G. Meyer Türk. Stud. I, 28). Von den Alten wurden ver-
schiedene Spargelarten gebaut. Der dairdpato^ des Theophrast ist der
spitzblättrige Spargel (A. acutifolius L.). Über eine deutsche Spargel-
art vgl. Pliniu8 Hist. nat. XIX, 145: Est et aliud genus incultius as-
parago, mitius corruda (wilder Spargel), passim etiam in montibus
nascen8, refertis superioris Germaniae campis. Aus daTrapcnroq : lat.
(Cato) asparagus und (erst) inhd. spargel.
41. Thymian {Thymus vulgaris L.). Heimat: Südeuropa. Griech.
Guuov, woraus lat. (Verg.) thymum.
über Heilpflanzen s. auch u. Arzt.
Gasse, s. Strasse.
Gastfreundschaft. In der Urzeit wird nur d c r als Freund und
als in Schutz.- und Rechtsgemeinschaft stehend angesehen, welcher
demselben Stamm, noch früher vielleicht nur derselben Sippe, angehört
(s. u. Freund und Feind und u. Stände). Der Fremde ist rechtlos.
Diese Anschauung hat bis tief in die historischen Zeiten gegolten, und
ist eigentlich erst durch die neue Weltanschauung des Christentums
überwunden worden. Nach germanischem Recht hat der Ausländer kein
Wergeid, und seinen Verwandten steht keine Befugnis zu, rechtliche
Genugthuung für seine Ermordung zu fordern. Der Totschläger des
Fremden wird nicht friedlos und laudflüchtig, und erst ganz allmählich
gleichen sich unter den nächststchenden Stämmen die Rechtsverhältnisse
aus (vgl. J. Grimm R.-A. S. 397 ff.). Ebenso ist im Süden in rechtlicher
Beziehung der Fremde immer der d-riunro«; utravaarris geblieben, der
er in homerischer Zeit war, uud in Athen wie in Rom bedarf er des
einheimischen Muntwalts vor dem Richter.
Dieser finstere und engbegrenzte Horizont wird nun frühzeitig durch
den an ihm aufgehenden Stern des Gast rechts erhellt, d. h. durch
die in der Brust der Menschen erwachende Satzung, welche befiehlt,
den Fremden, der an sich|natürlich immer ausserhalb der Rechtssphäre
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270
Gastfreundschaft.
des Stammes stehen bleibt, dennoch zu schonen, ja ihn aufzunehmen,
zu pflegen,- zu beschützen. Diese Forderung der Menschlichkeit lässt
sich in Europa sehr früh und in sehr weiter Ausdehnung nachweisen.
Schon bei Homer ist der £tvo<;. wie der utujxö? ,Bettler' und kern.?
.der Bittflehende', in gewissem Sinne heilig, und steht unter dem be-
sonderen Schutze des Zeus Hvioq. Nicht weniger lässt sieh auf ita-
lischem Boden die Unvcrletzliehkeit des Gastes durch zahlreiche Züge
der Geschichte und Sage feststellen vgl. Leist Graeeo-it. Kcchtsg.
S. 211 ff.).
Aber auch in den roheren Verhältnissen der nördlichen Indoger-
manen wird die Sitte der Gastfreundschaft als im weitesten Umfang
herrschend von den antiken Schriftstellern bezeugt. So berichtet von den
Ccltiheriern Diodorns Siculns V. .'54: Txpoq b* Touq Eevou? ^meutet?
kcu qptXdvGpumoi . touq rdp tTTibn,un.aavTa<; £evous änavT€q dEioüat rcap'
auTOtq 7TOieio"0ai t&? KaiaXuatiq Kai irp6? dXXr|Xou<; äuiXXwvTai rrepi Tf\q
(ptXoStvia? (vgl. auch Diefenbach Origines Europ. S. 172), von den
Germanen Caesar De bell. gall. VI, 23: Jfospitem riolare fax non
putant; qui qnaque de causa ad eox renerunt, ab iniuria prohibent,
miwtofi liabeut, hixque omni um domus patent rictusque communicatur
und Tacitus Germ. Cap. 21 : Convieiibux et hospitiix non alia gern
effuxiux induhjet. quemeunque mortalium arcere tecto nefax habetur etc.
(s. u.), von den Slaven Maurikios Strateg. XI, f>: eial b£ xolc, imH
vouu€VOtq aÜTOiq tjmot, Kai <ptXo<ppovoüu€voi aÜToüi; biao*uu£ouo"iv £k töttou
€l<; töttov, ou av blumai, di? €Tte bi' d^Xciav toö ÜTTobexou^vou tfuußtj
töv &vov ßXaßnvai, ttöXcuov Kivei kot' outöv ö toötov Trapa6^u€voq,
o*€ßa; f|Yoö^i€voq xr|v toö &vou 6cbiKr|0"iv (vgl. Krek Einleit. in d. gl.
Litg. * S. 357*). Die Letten haben sogar einen eigenen Gott der Gast-
freundschaft unter dem Namen Ceroklix (ille hoxpitalitatix deu8f cui ex
omnibux exculentix prima* buccax, primo* ex pocuUntis haust tis stulta
libabat plebex) geschaffen (vgl. Usener Götternamen S. 10ßu Bei den
Nordgermanen finden sich Spuren, dass hier der Gastgeber dem
Fremden sogar Frau oder Tochter für die Nacht zur Verfügung stellte,
eine Sitte, die noch aus der Gegenwart von mehreren Naturvölkern ge-
meldet wird (vgl. Weinhold Deutsche Frauen II2, 199 f.).
Diese weite Verbreitung und dieses hohe Alter der Gastfreundschaft
bei den idg. Völkern haben Leist a. a. 0. (vgl. auch Altar. Jus civile
1,354 ff.) zu der Annahme geführt, dass hier eine bereits indogerma-
nische I ustitution anzuerkennen sei, wofür er sich auch auf sprachliche
Beweisgründe berufen zu können glaubt. „Dass wir es auch in Betreff
des italischen Verhältnisses (der Gastfreundschaft)", heisst es S. 214,
„mit einer uralten Institution zu thun haben, beweist die Sprache ....
Es leidet keinen Zweifel, dass das lat. hosti* dasselbe Wort ist, wie
unser deutsches Gast. Mit demselben Worte werden auch immer bei
germanischeu wie italischen Stämmen gleichartige Gedanken verbunden
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Gastfreundschaft.
371
gewesen sein". Allein gerade in der Sprache liegt das Bedenkliche
der Leistsehen Anschauung. Ohne Zweifel ist lat. hostis, fostis .Fremder,
Kriegsfeind' identisch mit got. gaats ,E€vo^' (gasti-göds ,qnXö£€vos',
gaxti-godei ,<piXo£€via'), ahd. gast .Fremder, Fremdling, feindlich kommen-
der Fremder. Gast', sowie mit altsl. goutt .Gast faltruas. anch im .Sinne
von ,Grosskaufmami'): aber in dem lateinischen Worte ist niemals die
in den nordischen Sprachen hervortretende freundliche Gesinnung
gegen den Fremden zum Ausdruck gekommen. Diese liegt vielmehr
erst vor in dem Compositum hoxpes aus *kosti-pets (vgl. sert. titithi-
pati- ,hospes* ', eigentl. ,Hcrr und Schützer des Fremden', , Bewirtender',
dann auch .Bewirteter'. Man kann also nur sagen, dass in der angeführten
Gleichung ein Wort für Fremder im feindlichen Sinne allmählich zu
der Bedeutung von Fremder im freundlichen Sinne gekommen, dem-
nach in sein Gegenteil umgeschlagen ist, ähnlich wie etwa alte WOrter
für den Kaufpreis eines Mädchens in jüngeren Zeiten zur Bezeichnung
ihrer Mitgift s.d.) verwendet worden sind. Dieselbe Entwicklung bat
aber auch das griechische Hvoq (vielleicht aus *ghx-envo-s und mit
dem eben besprochenen *gho8-ti- zusammenhängend) durchgemacht. Nach
Plutarch Arist. Cap. 10 nannten die Lacedämonier die Barharen und
besonders die Ferser Eevoi und eine Hesvchische Glosse lautet: Ee'voi • ol
troXeuiot • o» bfe tou<j TTVpcraq (vgl. K. Brugmann in Curtius Stud. V, 226 ff.).
Und wiederum entspricht in völlig übereinstimmender Weise ir. oech, oegi,
Gen. oeged ,Gast , öigedaht ,hospitalitas', wenn als Grundform *poiko-s
anzusetzen ist, dem ahd. gi-ft% agls. fdh .feindlich', ahd. pfihida, agls.
fiehd .Feindschaft, Fehde' 's. u. Blutrache), wenn dagegen von
*poigho-s auszugehen ist. dem altn. feigr, agls. feege, ahd. feigi, deren
ursprüngliche Bedeutung ,dem Tode verfallen' (moribundus) gewesen
ist. In beiden Fällen wird also der Gast ursprünglich als ein feind-
liches oder für den Untergang bestimmtes Wesen bezeichnet.
Nimmt man hierzu, dass es an Resten einstiger dHevia bei den idg.
Völkern Europas auch in der historischen Überlieferung nicht fehlt,
dass Horaz (Carm. III, 4, 33) die Britannen hospitibus feros nennt,
dass der Araber Ibn-Fozlan (bei Frähn S. 51) von den heidnischen
Russen sagt, dass kein Fremder ihr Gebiet betreten habe, ohne augen-
blicklieh das Leben zu verlieren, dass die pontischen Skythen (Strabo
V, p. 300) von besonderer Grausamkeit gegen alle Fremden waren, ja
dass noch die Lacedämonier, die soviele Spuren urzeitlicher Vorstel-
lungen und Gebräuche bewahrt haben, in dem Rufe feindseliger Ge-
sinnung gegen die Fremden standen, dass Eratosthenes (vgl. H. Berger
Die geogr. Frgm. des E. 1880 S. 49) fand, dass die Sitte der Ecvn.-
Xaöia allen Barbaren gemeinsam sei, so werden diese sprachlichen und
sachlichen Zeugnisse zu der Annahme führen müssen, die Indoger-
manen seien gegen den Fremdling noch lediglich von
feindlicher Gesinnung erfüllt gewesen.
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272
Gastfreundechart.
Auf welche Weise dann, allerdings in sehr früher Zeit, aber doch
immer erat auf dem Boden der Einzelvölker, und auch hier nicht gleich-
massig bei allen Stämmen, sondern zunächst wohl nur an gewissen Kult ur-
ccntren, der humane Gedanke des Gastrechts sich Bahn gebrochen
hat, lässt sich noch wahrscheinlich machen. Es kann kaum bezweifelt
werden, das« dies im engsten Anschluss an einen mehr und mehr auf-
kommenden Verkehr und die durch denselben hervorgerufeneu Handels-
beziehungen der Völker geschehen ist. Wo Gastfreundschaft begegnet,
begegnet auch Austausch von Gastgeschenken. Bei Homer wird die
Gastfreundschaft selbst, ebenso wie das Darbieten von Gastgeschenken
(£€ivn.iov), die erwidert werden müssen, als eine Pflicht der e^i?
bezeichnet (11. XI, 779, Od. IX, 268). Dabei wird durchaus nach dem
Grundsatz „Gleiches um Gleiches" verfahren (II. VI, 232 ff.), und so
reiche und mannigfaltige Gaben werden (Od. XXIV, 273 ff.) dem Gast-
freund dargebracht, dass sie unter dem Gesichtspunkt der Not-
wendigkeit ihrer Erwiderung angesehen, vielmehr einem
Handelsgeschäft als einer Gabe der Freundschaft gleichen. Nicht weniger
hebt Tacitus a. o. a. 0. ausdrücklich hervor: Abeunti si quid popos-
cerit, concedere moris et poscendi eadem faeüttas, und die Hävamälen
(Str. 40) lehren:
„So gastfrei ist keiner und zum Geben geneigt,
dass er Geschenke verschmäht,
oder so wenig auf Erwerb bedacht,
dass er Gegengabe hasst" u. s. w. (Gering)
(vgl. auch Wciuhold Altn. Leben S. 448 und Deutsche Frauen II*, 201).
Ein eigentliches freies Schenken in modernem Sinne hat es in der Ur-
zeit vielleicht überhaupt nicht gegeben. R. M. Meyer in einem geistvollen
Aufsatz Zur Geschichte des Schenken* (in Steinhauscm» Z. f. Kultur-
geschichte V, 18 ff.) unterscheidet drei „Grundformen des Schenkens"
in der Urzeit: die Gabe auf Widerruf (das „Leihen": „was der Manu
[in der Urzeit] Frau oder Kindern schenkt, das bleibt ja thatsächlich
immer sein Eigentum", besser: „ Familieneigentum u, über das er das
Verfügungsrecht hat; s. u. Eigentum und u. Familie), die Gabe auf
Gegenschenkung und die Pflichtgabe (s. z. B. u. Abgaben). Zu der
zweiten Art würde das Gastgeschenk gehören, und treffend sagt
Meyer a.a.O. S. 23: „Von solcher Art sind fast alle „Geschenke", die
die „kindlich überströmende Freundlichkeit" der Naturvölker Fremden
entgegenbringt. Sie schenken, was sie haben, aber sie erwarten Gegen-
geschenke als etwas Selbstverständliches^. So ist auch das Gastge-
schenk eine Art von Handel, und wir möchten glauben, dass der
Wunsch und das Bedürfnis solchen Handels den Boden für das all-
mähliche Aufkommen einer gastfreundlichen Gesinnung geebnet hat.
Oder, um es mit den Worten Iherings (a. u. a. 0. S. 412) auszu-
drücken: „Das Motiv, welches die Gastfreundschaft im Altertum ins
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r.nstfivundsch;il'l — (iastlmu 273
Leben gerufen und sie zu dem gemacht bat, was sie ward, war nicht
ethischer, sondern praktischer Art, nicht das uneigennützige der
Menschenliebe, sondern das egoistische der Ermöglichung eines ge-
sicherten Handelsverkehrs; ohne den gesicherten Rechtsschutz würe
ein internationaler Handelsverkehr zur Zeit der Rechtlosigkeit des
Fremden unmöglich gewesen". Zweifellos ist auf die Form und Ge-
staltung der Gastfreundschaft in den südlichen Ländern der Eintiuss
der Phönizier von Wichtigkeit gewesen, wofür man bloss an die Über-
einstimmung des (TunßoXov der Griechen und der texseva hospitalut
der Römer mit dem chirs arlichot ,Scherbc der Gastfreundschaft' der
Punier (Plaut. Poen.) zu erinnern braucht. Dnss aber, wie Ihering glaubt,
der Begriff der Gastfreundschaft in Kuropa überhaupt erst mit dem
Erscheinen der Phönizier daselbst aufgekommen sei, ist wenig wahr-
scheinlich. Er war vorhanden, ehe noch ein Phönizier nach Griechen-
land, Italien oder sonstwobin in Europa seinen Fuss setzte. — Vgl.
Vf. Handelsgesehichte und Warenkunde I, 4 ff., R. v. Ihering Deutsche
Rundschau 1886/87 B. III April-Juni 1*87: Die Gastfreundschaft im
Altertum 8. 4ö7 ff., S. 420 ff. (Widerspruch hiergegen bei Goldschmidt
Handbuch des Handelsrechts Is, 1 S. 34, teilweise Zustimmung bei
Wundt Ethik8 8. 231;. — 8. auch u. Gasthaus.
Gast haus. In homerischer Zeit wird von einem Manne namens
Axylos aus Arisbe in Thrakien (II. VI, \h\ berichtet:
oupveicq ßiÖTOio, cpiXos b' fjv äv8pumoto*i •
Trdviaq y«P cpiX€€(JK€v, öbw £m ouaa vaiwv.
Natürlich ist aber hier nur eine ausgedehnte Gastfreundschaft, kein
Gasthausbetrieb gemeint, wie ihn viel später in Italien Grossgrundbe-
sitzer an den Landstrassen in nahe von ihren Gütern gelegenen und
von Pächtern oder Sklaven bewirtschafteten Tnberncn ausübten. Im
übrigen werden bei Homer zwei Stätten genannt, an denen der Fremd-
ling für die Nacht sein Haupt niederlegen kann, die Schmiede und
die X€<Jxn- 8o sagt Od. XVIII, 328 f. die ungetreue Magd Melantho
zum Bettler Odysseus:
oub' £6eX€iq eübeiv xaXicn.iov böuov tXfldiv,
rje ttou iq Xe'crxiv, dXX' tvOübe ttöXX' «fopeuei? etc.
Vgl. dazu Hesiod Werke und Tage v. 493 f.
Trüp' b i'9i xüXkciov 6ÜÜKOV küi ^TraX^a X€0"xnv
a>pr) xemepirj. öttötc Kpüo? avt'pa? fpfuuv
i'öxavei,
und v. fiOuf.:
eXu'i? b' oük äfa8n, Kexpnutvov ävbpa »contoi
n/itvov tv Xeaxrj, tiL \xr\ ßto<; äpKio«; ein,.
Hinsichtlich der Sehmiede wird man, wie es im deutschen Mittel-
alter nachweisbar ist, an gemeinsame, allen offen stehende Räume
denken müssen, in denen der einzelne seinen Bedarf an Schmiedearbeit
Schräder. Reallexlkon 18
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274
Gasthaus.
selbst herstellte (s. auch u. Schmied;, und die zugleich cineu warmen
Aufenthalt für die Nacht darboten. Bezüglich der Ua%r\ gehen die
Meinungen noch auseinander. Die einen leiten das Wort aus dein
hebr. luikdli ,Zelle am Temper, ,Zimmer im Schloss', ^Speisesaal' (vgl.
1. San». 9, 22: „Samuel aber nahm Saul und seinen Knaben und führte
sie in die Esslaube, und setzte sie oben an unter die, so geladen
waren, deren waren bei 30 Mann"), andere halten es für echt griechisch
und stellen es entweder zu Xex ,liegen' (Xexoq .Bett'), *Xex-o"ica, oder zu
X^rw , spreche , wie denn das Wort bei Herodot ,Gespräch', bei Aeschylns
und Sophokles , Versammlung' bedeutet. Wie sich dies nun auch ver-
halten möge, jedenfalls muss in den obigen Zeugnissen Xeaxn ein Ort
gewesen sein, wo man nächtigen, sein. (Jehl verthun, sich behaglich
aufhalten konnte, eine Herberge, eine Kneipe. Für die Entlehnung
aus dem Semitischen kann mau anführen, dass, wie aus dem späteren
hervorgehen wird, häufig Ausdrücke für den Begriff' der Herberge sich
als Wanderwörter erweisen.
Zur Zeit der ältesten griechischen Tragiker sind dann, wenigstens
in Athen, eigentliche Gasthäuser zur Aufnahme von Fremden (Travbo-
K€tov, KaTafuVfiov, KaiaXuau;) bekannt. Vgl. z. B. Acsch. Chocph. v.
660 ff.:
t£xuv6 b', ko\ vuktö? äpu' ^nciteTcn
0"kot€ivöv, uipa b'inuöpovq KaBitvai
äfxupav iv bÖMOiai iravbÖKOig Ee'vwv.
Ebenso wie aus dem homerischen Griechenland, sind aus dein ger-
manischen Norden Züge ausgedehntester Gastfreundschaft bekannt.
Auch hier bestanden an grossen Höfen mit reichlichem Frcmdenzufluss
besondere „Gasthäuser" (altn. gesta-hüs, ahd. gasthus, agls. gext-hüa).
Auch legten in den Bergen Norwegens und Islands menschenfreundliche
Männer in bestimmten Entfernungen „Schutzhäuseru {xä>Ut-hux : sa>Ia
,bliss, happiness'i als Untcrknnftsstätten für Heisende an (vgl. Weinhold
Ahn. Leben S. 369 ff., M. Heyne Wohnungswesen S. 38. 147 81 1.
Eigentliche, d. h. dem Erwerb dienende (Tasthäuser lernten «lic
germanischen Völker aber wohl erst nach und durch ihre Berührung mit
Italien kennen. Gasthäuser idecerxoria) und Ausspannen \stnhultt) sind
hier seit dem II. Jahrhundert v. Chr. nachweisbar. Ihre Bedeutung
wuchs, je mehr (nach orientalischem Vorbild i Poststrassen (s. u. Tost)
sich über das römische Reich auszudehnen anfingen. Diese waren in
Positionen und stationes (auch mutatione* und ciritates .Hauptpost-
stationen ) eingeteilt, und häufige Posthäuser oder wansiones boten
den Reisenden geräumige und bequeme Gelegenheit zur Unterkunft. Zu-
gleich hatten aber diese mamione* auch eine militärische Bedeutung,
insofern liier den marschierenden Truppen ihre Rationen zugemessen
und ihr Sold ausgezahlt wurde (vgl. Ginzrot Die Wagen und Fuhrwerke
der Griechen und Römer I. 307*. Die germanische Sippe ahd. heri-
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Gasthaus — Gazelle.
275
berga, spätagls. herebeorga, altn. herbergi (auch in die nun. Sprachen :
it., altsp. albergo u. s. w. entlehnt) mit ihrer doppelten Bedeutung
»Heerlager' und .Wirtshaus' dürfte daher eine Art von Verdeutschung
des Jat. mansio darstellen.
Im (Ihrigen liegt den meisten Benennungen de» Wirtshauses in den
germanischen Sprachen das gemeingermanische Wort alid. sal .Haus,
Saal, Halle, meistens nur einen Saal enthaltendes Gebäude', alts. seli
»Gebäude, nur aus einein grossen Saal bestehend', agls. seh, salor, $<vl
, Halle, Palast', altn. sah zu Grunde. Hierzu got. saljan »einkehren'
und einerseits nhd. saii-hus, xelihiU, alts. seli-hüs, das andere Mal got.
salipica .KorrriXuMa', alts. xelitha, ahd. selida ,mansio' (altsl. selitvo »Woh-
nung' aus dem Deutschen?/. Auch mit xtaps »Stätte' wird von Ultilas
tccrraXuna gelegentlich i Luc. II. 1) Übersetzt. Erst spät wurde aus dein
Lateinischen ahd. tacerna. tarerhns, altn. tafernishü*. ahd. tacernari
,caupo' Übernommen. Unaufgeklärt ist bis jetzt altn. inni, agls. /■»».
Recht deutlich knüpft auch bei den Slaven das jüngere Gasthaus-
wesen an die Bedingungen der älteren Gastfreundschaft an. Die ein-
heimischen Ausdrücke, altsl. gospoda, £ceh. hospoda u. s. w. , Herberge'
(daraus lit. gaspadä) gehören zu dem in allen Slavinen verbreiteten
altsl. gospodl ,IIerr' 'meist nur von Gott gesagt), das aus *gosti-poti-
entstanden, ursprünglich genau dasselbe wie lat. hoxpes aus *ho*tipeta
[hospitium) bedeutet haben muss. Der dabei zu Grunde liegende Ge-
danke ist wohl der, dass der in eine Hausgemeinschaft eintretende
Fremde (daher lit. uiexzeti »zu Gaste sein' von wiesz- = griech. oko?»
lat. ticus; lit. tciöxzpats ,Herr', von Gott und dem König gesagt, s. u.
Sippe) für die Zeit seines Aufenthaltes daselbst denselben Schutz wie
die Hausangchörigcn von Seiten des Hausherrn lidg. *poti-\ s. n. Ehe)
genicsst, der dadurch also zum *gosti-poti- , Herren des Fremden' wird.
Altsl. gospoda i*gosti-potd) wird eigentlich »Herrschaft über deu Fremden'
bedeuten. Charakteristisch hierfür ist auch, dass nach agls. Recht (vgl.
F. Rocder Familie bei den Angelsachsen S. X31) der Hausherr für den
Fremdling, dem Gastfreundschaft gewährt ward, rechtlich verantwortlich
ist. Auffällig bleibt in lautlicher Beziehung die inlautende Media des
altsl. gospodl, gospoda gegenüber dem lat. hospes, hospitis. R. Much
Festschrift für Heinzcl S. 213 sucht diese Schwierigkeit durch Annahme
einer Entlehnung des slavischen Wortes aus dem Germanischen (*gasti-
faps, *gasti-fadis) zu beseitigen. Auch an Entlehnungen, namentlich
aus dem Osten/ sind die slavischen Sprachen reich: z. B. russ. chanCt
»Gasthaus', nun. hau, ngriech. x<*vi aus türk. yan. — Weiteres vgl. bei
Vf. Handelsgeschichte und Warenkunde I, 2* ff.
Gastmähler und Trinkgelage, s. Mahlzeiten n. Trinkgelage.
Gatten, s. Ehe.
Gau, s. König, Sippe, Stamm.
Gazelle, s. Antilope.
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27«
Gebück, s. Brot,
liebet, 8. Opfer.
Gebirge, s. Berg.
Gebnrt, s. Hebamme, Mond und Monat (Schwangerschnfts-
berechnung), Reinheit und Unreinheit.
Gedicht, s. Dichtkunst.
Gefängnis, Gefängnisstrafe, s. Strafe.
Gelasse. Die Ausübung der Töpferei geht unzweifelhaft in die
neolithische Epoche unseres Erdteils, ja über dieselbe hinaus, in die
Zeit der Kjökkenmöddinger zurück, in denen grosse thönerne Kruken
(noch ohne Henkel) und kleine ovale Schalen gefunden wurden (vgl.
S. Müller Nordische Alfertumsk. I, .*>*). Hingegen sind der palaeo-
lithischcn Zeit Thongcfässc irgend welcher Art nach Mortillet und
('artaihac höchstwahrscheinlich abzusprechen vgl. X. Jolly Der Mensch
vor der Zeit der Metalle S. 3(>W. Auch M. Much äussert sich darüber
«brieflich): „Die Nachrichten von dem Funde von Thongefässcn in
mauimnt- oder renntierzeitlicheu Schichten sind mit äusserster Vorsicht
aufzunehmen. In zweifellos uugcstörtcu Schichten dieser Zeit ist
nirgends Thongeschirr vorgekommen" ebenso M. Hörnes Urgeschichte
des Menschen S. 37).
Noch ohne Benutzung der Drehscheibe s. u. Töpferscheibe; und
ohne Kenntnis des Töpfendens entfaltete das jüngere Steinzeitalter in
der Herstellung und Ornamentierung seiner ftefässe dennoch bereits
das Streben nach Schmuck und Schönheit. Die mit den Fingern ein-
gedrückten Vertiefungen sollen auf die Hände von Frauen hinweisen,
denen, wie inau annimmt, damals die Ausübung der Töpferei obgelegen
habe. Als besonders hierfür beweisend sieht man einen schon vor
längerer Zeit bei Coreelettes am Neuenburgersec gefundenen Thon-
seherben au, der fünf deutliche Fingereindrücke zeigt, aus denen Koll-
mann auf dem Anthropologenkongrcss in Lindau drtlW) nach Zeitungs-
berichten eine ganze .Töpferin von Coreelettes" zu rekonstruieren unter-
nommen hat. Auch an Mannigfaltigkeit der Gefäss formen, an Töpfen,
Krügen, Bechern, Schalen, Schüsseln u. s. w., die man bereits mit
Henkeln auszustatten versteht, fehlt es schon damals nicht. Eine
Übersieht über die (Jefässformen frühester Zeit erhält man z. B. aus
L. Liudenschmit Das römisch-germanische Centraimuseum Tafel L (für
den Norden vgl. S. Müller a. a. O. S. 152).
Neben dem Thon wurde auch Holz frühzeitig zur Herstellung
von Gefässen benutzt, und schon die Schweizer Pfahlbauten weisen,
wie in beschränktcrem Masse auch die nordischen Altertümer i vgl.
S. Müller a. a. 0. S. liW., Schalen und Schüsseln, Löffel und Kellen
ans Holz auf.
Im allgemeinen werden die Thongcfässc der jüugeren Steinzeit da,
wo sie gefunden werden, auch hergestellt worden sein, wenngleich sieh
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Gettsse. 277
Spuren eines mit ihnen getriebenen Handels, z.B. von Thüringen aus
(vgl. A. Goetze Über ncolithisehen Handel, Festschrift f. Bastian S. 345 f.),
schon damals finden.
Im Gegensatz zu der paläolithischen Zeit und, wie auf anderen Kultur-
gebieten (s. u. Ackerbau, Viehzucht, Waffen, Bestattung), im
Einklang mit dem oben geschilderten Charakter der neolithisehen Epoche
muss nun auch für die Kultur der Indogermanen die Bekanntschaft
mit der Töpferei vorausgesetzt werden, die. abgesehen von der Reihe
sert. dih »bestreichen, kitten', npers. dt'g ,Topf, lat. figulus /Töpfer',
got. deigan ,aus Thon formen' etc., aus einer beträchtlichen Zahl ur-
verwandter Gleichungen für verschiedene Gefässarten zu folgern
ist. Es sind vornehmlich folgende: 1. sert. carü- , Kessel, Topf, griech.
KC'pvoq* dTfeia K€paued Hes., ir. core, kymr. pair »Kessel', altn. hverr
id., altsl. cara »Schale'; 2. sert. ukhd-, ukhd' .Kochtopf, Pfanne', lat.
aula, olla, au.rilla ,Topf, griech. iTrvöq, got. ai'thm (s. u. Ofen):
3. sert. dmatra- ,Gefäss, Krug', armen, antdn .Gefäss', griech. dui^
,Topf. duvtov .Üpferschalc' (nach anderen: lat. mnguin), lat. ama
, Eimer' (s. u.>; 4. sert. karpara- »Schale' = griech. KdXTTn.» koeXtti^ »Krug',
lat. caJpar »Weinfass =ir. cilorn .ureeus" odcr=altsl. trepti »Scherbe', ahd.
scirbi ,Scherbe, Topf; 5. sert. kumbhä- ,Topf, aw. xumba- = griech.
Konßo^ id. (oder ~ nhd. Humpen i)\ 0. sert. kahi<;a- /Topf, Krug', griech.
küXiE, lat. calix; 7. sert. göla- .Kugel, kugelförmiger Krug', griech. YcmXöq
»Melkeimer', lat. gauhts »ein dickleibiges Trinkgefäss', ir. guala .Kessel';
8. aw. takta- »Schale, Tasse', lat. texta jedes irdene Geschirr'; 9.
griech. möos ,grosser Krug', lat. fidelia ,irdenes Gefäss, Topf, altn.
bfoa »Butterfass'; 10. griech. XcKdvr,. dor. XotKdvr, »Schüssel', , Becken'
(Xr|Ku9o^ ,FIäschcheir), lat. lana- Schüssel", altsl. lakütü ,irdner Krug";
11. griech. üpxn ,irdenes Gefäss', lat. urceus ,Krug' (s. u.), altsl. vrüci
id.; 12. griech. TraTdvn,, lat. patina (oder entlehnt?) »Schüssel', ir. an
(*pat>id) ,ein Trinkgefäss'; 13. griech. x^Tpa ,Topf, thrak. ZeTpcact id.;
14. Altpr. kiosi , Becher', altsl. cam id.; 15) Ir. ballan »Trinkgefäss',
altn. bolli ,Opferschalc', agls. bolla »Topf, Napf, Krug' (oder Entleh-
nung seitens des Irischen?; u. a. Für den Begriff des Henkels be-
steht die Gleichung: sert. aiim- in ama-dhri'- »Kochtopf, lat. ansa
»Grift", lit. qsä , Henkel, altpr. ansix , Haken'. Was die genannten
Gleichungen für Gefässarten selbst betrifft, so erhellt, dass innerhalb
der einzelnen Reihen die Bedeutungen so sehr in einander fliessen, dass
die Ansetzuug einer festen urzeitlichen Bedeutung nur selten möglich
ist. Auch heute wird ja sprachlich nicht scharf zwischen Begriffen
■wie Napf, Schale, Schüssel, Becken u. s. w. unterschieden. Merk-
würdig ist, wie häutig in den idg. Sprachen neben Gefässnaineu stamm-
gleiche Ausdrücke für Kopf und Schädel liegen. So neben altn.
hverr , Kessel' (s. o.) got. lucairnei .Schädel", neben sert. kö'ra- .Be-
hälter' (Eimer, Kiste etc.) lit. klduniv .Schädel , neben altn. kolir ,Kopf
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278 Gelüsse.
kolla ,Topf. Seit, kapdla- ist »Schale' und »Schädel', altpr. kerpetis
»Schädel' scheint zu seit, karpara- »Schale' zu gehören. Aber auch
in jüngeren Sprachperioden ist frz. tete ,Kopf aus lat. testa, und ist
mhd. köpf (s. u.) aus lat. cuppa , Becher' hervorgegangen. Der (irund
dieser Erscheinung liegt zunächst in der Ähnlichkeit des Kopfes mit
einein Gefüss. Das« sich aber diese beiden Hegriffe in der Phantasie
der Sprechenden so nahe rückten, mag darin begründet sein, dass bis
in ziemlich späte Zeit auch bei idg. Völkern der Schädel des er-
schlagenen Feindes als Trinkgefäss diente. So berichtet Livius XXIII,
24 von den oberitaliscben Bojern: Purgato inde capite (des gefallenen
römischen Konsuls Postumius), ut mos iis est, calcam auro caela-
rere idque merunt ras iis erat, quo sollemnihit* libarent poculumque
ideni saeerdotibtts ac tetapli antistitilnts. So fertigt auch Wieland
aus den Köpfen von Xidungs Söhnen Trinkbecher, und (Judrun reicht
dein Atli den Trank in den Schädeln seiner Kinder. Bemerkt darf
in diesem Zusammenhang auch das in den Funden hervortretende Be-
streben werden, gewissen Gefässforinen die Ähnlichkeit mit einem
menschlichen Antlitz zu verleiben, wie es am deutlichsten in den so-
genannten Gesichtsuruen (vgl. Undset Das erste Auftreten d. Eisens
in Xordcuropa S. 113 ff.) sich zeigt.
Xoeh grösser aber als die Zahl der urverwandten Entsprechungen
ist auf dem Gebiete der Gcl'ässnamen diejenige der auf Entlehnung
beruhenden, ,1a, es giebt vielleicht kein zweites Bereich der Kultur-
geschichte, dessen Terminologie eine gleiche Fülle entlehnten Gutes
aufwiese. Der Grund dieser Erscheinung liegt offenbar in dein Um-
stand, dass die Gcfassc in dem Handel der Völker eine wichtige
Holle spielten, indem sie einerseits als Bergung der Ware, andererseits
gleichzeitig als Gemäss (s. u. Mass, Messen) dienten.
Dieser bedeutsame Kulturaustausch ist an der Hand einiger weit-
verbreiteter Entlehnungsreilien zu charakterisieren: Es stammen:
Aus p Ii o e u i z. - Ii c b r. kad , Eimer* : griech. tcäboq i Arehiloehns)
.ein grösseres Gefüss zum Aufbewahren des Weines, Eimer', lat. cadtts
( Plant.), agls. veed ,Xachen'(V), altsl. kadi und in allen Slavincn. auch
lit. (vgl. auch gricch. ßticoq bei Herod. .irdenes Gefäss für Wein',
jCTrüuvoq aita fywv' Hes. aus syr. büqä)\ aus hebr. qnbba'at, assyr. qa-
hu'tu , Kelch, Becher' : griech. ToßaGov ipüßXiov (Hos.), lat. gabata
(Mart.), ahd. gebiza.
Aus gri cch. dmpopeüq (äuqpupopcus) , Weinkrug' : hü.amphora (Xacv.),
anipulla (Plaut.), ahd. aaibar (einibar), agls. ömbor, altsl. qborti, altpr.
wumbaris , Eimer'; aus griech. bio*KO<; »Schüssel', ,Teller" : lat. dincus
(Plaut., aber hier nur , Wurfscheibe', später .Schüssel'), ahd. tisc, agls.
disc »Schüsser; aus griech. KdxKaßo^, KaKKäßn ,Topf : lat. eaccabus, ahd.
(mit Suffixwechsel) kahhahr, aus griech. TrVrctvov : lat. tfgula, ahd. tegal,
agls. tigle, tigele, altn. digull (mit Anlehnung an got. deigan s. o.). Xoeh
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(icfHsse — Geisel.
27<>
dunkel sind die Lautverhältnisse in der Reihe: griech. Kpwaaöq {*Kpu)Kjo-j
,Krng', ir. crocean gl. olla, ahd. kruog fliehen agls. crocca, altn.
krukka .Krug ;.
Ans lat. catinus .Schüssel' (scrt. kafhina-'f) : got. katils, ahd. chezziL
altn. k et Uly altsl. kotlü .Kessel', lit. kdtilas- ans lat. e«//./' (s. o.j : ahd.
chelih, alts. fct?/*Ä\ agls. c«/if, altn. krilkr, altsl. kalezi (und entsprechend
in den meisten Slaviuen); ans lat. urceus (s. o., vgl. auch lat. urna aus
*urcua) : got. atirkje Gen. Flur.; aus mlat. bicdrium von lat. ha rar
(Fcstusi oder griech. ßucoq (s. o.) : ahd. hehhdri, altndd. hikeri. ndl.
beAvr, altn. bikarr: ans mlat. cm/j/m (ital. roppa) : ahd. c/iojv/', vhu/th,
agls. co/i/i, nippe, altn. Äo/^i- fs». o.i. Endlich maclien sich im mittel-
alterlichen Europa anch arabische Einflüsse in Reihen wie it. tazza,
sp., pg. taza, pr. tassa, fr/, fasse aus arab. fassah .Napf oder it. ca-
raffa, sp. garrafa, fr/.. Karaffe aus arab. girdf geltend.
Weiteres vgl. bei Lewy Die somit. Fremdw. S. 93 ff'., Muss-Arnolt
Semitic words ( vessels) S. 97 ff., (). Weise Die griech. W. im Lat.
S. 174 ff., F. Kluge Die lat. Lehnwörter der altgerm. Sprachen (in
Panls Grundr. I2, 333 ff.). Vgl. ferner Vf. llamlelsgcsch. u. Warenkunde
I, löl ff. — S. auch n. Fass, Flasche, Teller, Töpferscheibe.
Geflügel, Geflügelzucht, s. Hahn, Huhn und Viehzucht.
(Gefolgschaft, s. Stände.
Geier, s. Raubvögel.
Geige, s. Musikalische Instrumente.
Geisel (obses). Die Anfrechterhaltnng von Vertrauen /.wischen
verschiedenen Stämmen ist in alten Zeiten nur durch die Gestellung
von (Geiseln möglich, wozu mit Vorliebe adlige Jünglinge und besonders
gern auch Jungfrauen gefordert werden (Tacitus Genn. Cap. 8:
Captirifate, quam lange impatientius feminarum mar um nomine ti-
ment, adeo ut e/peacius obligentur anhni ciritatum, quibus int er
obsides puellae quoque nobiles imperantur; dazu vergleiche die
Geschichte der Römerin Cloclia Liv. I, 13). Auch darauf ist man be-
dacht, besonders nahe Verwandte des durch Geiseln zu bindenden
auszuwählen (Tac. Germ. Cap. 20 n Quidam sanvtiorem artioremque
httne ne*cum sanguinis — es ist vom .Mutterbruder und Schwestersöhnen
die Rede — arbitrantur et in aeeipiendis obsidibus magis e.riguntf
tanquam et animum firmius et domum latius teneant). Namentlich
bei Eroberungen ist es nicht anders möglich, «las eroberte Land fest-
zuhalten. So bilden an den altirischen Königshöfen (man denke auch
an den Hof des Attila mit Hagen, Walther und Hildegunde) die Geiseln
unterworfener Stämme, die keine Waffen tragen dürfen, und wenn sie
verfallen sind, in Fesseln gehalten werden, einen stehenden Teil des
königlichen Gefolges (vgl. O'Curry .Manneis and eustoms of old Ircland
I, CCCLI). Königtum und Geiselschaft treten hier in engster
Verbindung auf.
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Geisel — Gelb.
Bedenkt man dies, so liegt die Annahme nahe, das urkeltische Wort
l'ür Geisel {*geislo-, *geistlo- : ir. gfaU, kymr. gteystyl, korn. guistet),
welches sonst nur im Germanischen wiederkehrt (ahd. ghal, agls. gi*el.
altn. gid), möchte zu derselben Zeit und unter denselben Umstünden
von keltischem auf germanischen Boden wie das keltische Wort für
König (s. d.) verpflanzt worden sein, Bemerkenswert ist dabei, das«
sowohl das keltische wie auch das germanische Wort häufig in Eigen-
nanicn vorkommt (vgl. altgall. Co-gestlu*, altkorn. Ana-gttisl, Med-
guistyl, mhd. Ghelher, agls. Eadgih = altn. Audih). Kluge vermutet
daher, dass die Geiseln öfters in dem Stamme, bei dem sie vcrgeiselt
waren, gebliehen sein und sich verheiratet haben möchten, so dass
ihren Kindern derartige Xamen gegeben werden konnten.
Die Grundbedeutung des keltisch-germanischen Ausdrucks ist unbe-
kannt. Lat. obses (*ob-xed-\ scheint den, der am (feindlichen Lager)
sitzt, griech. öun,poq 'öuoö und dpapiaicuj ?) den (dem Feinde) verbun-
denen zu bezeichnen. Altsl. tali (vgl. Ewers Ältestes Recht der Russen
S. 225 1 ist dunkel. — Eine besondere und wohl spätere Art der Geisel-
schaft ist die Schuldgeiselschaft (s. n. Schulden'.
Geisel {fiagellum\ s. Peitsche.
Geisterglaube, s. Ahnenkultus.
Gell). Der Bezeichnung dieser Farbe dienen am häutigsten Bil-
dungen von den beiden Wurzeln ghel und (diel, deren Ableitungen sich
nicht immer scharf von einander trennen lassen. Zu ihnen gehören:
sert. hart-, hart na-, harit-, hdrita- ,gelb, gelblieh, auch grünlieh', aw.
zairita , zairina- ,gelblich, grün', griech. x^iupö; ,gclbgrün', lat. helcus,
gdrus, fulnts, ahd. geh, altn. gulr, lit. z"dlias ,grün', gelta* ,gelb\
altsl. zelenü ,grün', zh'du ,gelb*. Die idg. Grundbedeutung dieser
Wurzeln und Stämme inuss also ursprünglich diejenige Nuance von
Gelb gewesen sein, welche im Spectrum dem Grün am nächsten liegt,
in konkreter Hinsicht das Gelbgrünc der jungen Saat und sonstigen
Pflanzenwelt (vgl. griech. x^°1 ,Gras', x^o䣀iv ? keimen', altsl. zelije,
,olera', phryg. ZikKia , Gemüse' u. a.). Aber auch zahlreiche Wörter
für Gold (s. d. i siud von diesen Wurzeln gebildet, deren Ableitungen
die früh hervortretende Neigung zeigen, sich zu allgemeinen und zu-
sammenfassenden Benennungen des Gelb zu erheben.
Andere vorhistorische Bezeichnungen für Farbennuancen, innerhalb
derer in den Einzelsprachen die Bedeutung ,Gclb' hervortritt, sind
griech. Kiftyös ans *Kip-Fo <; , hellgelb' 'besonders vom Wein, dunkler als
XeuKÖq oivoq, heller als ni\a<; oivo^i = lit. xzirteas, szihnax .blaugrau'
und ir. blä .i. buidhe (,gelb ) — lat. flätux, ahd. bläo ,caeruleus, lividus,
flavus'. Die Grundbedeutung dieser beiden Reihen wäre dann etwa
die des ir. glas«, einer Bezeichnung für einen blassen, ins Gelbliche,
Bläuliche oder Grünliche schimmernden Farbenton (s. u. Blau:. Doch
ist zu bemerken, dass für ahd. bldo und für lat. flavus <*f/-vo- : ftdrux)
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Gell) - GeH.
2H1
auch andere Deutungen möglieh sind. Einzelspraehliehes: grieeh. Eavöö?
(wohl verwandt mit £ou6ö?i, der allgemeine Ausdruck für die gelbe
Farbe, nuppö? aus *7rup-Fo-<; : iröp .Feuer', unXivo«; /piittengelb' Kpö-
kivo<; .safraufarbig', Bäipivot (nach dem Kraut 6at|iia), 0€iu)bn.<; .schwefel-
gelb'. ÜJXPO? ,blassgelb\ lat. U'tteus von lütum ,Wau', lüridus (: lü-
tit-mfi u. a. — 8. u. Farbe und Farbstoffe.
Geld. Der älteste Wertmesser der idg. Völker sind die Herden-
tiere, und unter ihnen vor allem die Milchkuh.
In vedischcr Zeit sind Kinder und Rosse, doch auch Schafe das
üblichste Zahlungsmittel. In Kühen ist der Preis eines jungen Mäd-
chens, in Kühen das Wergeid (s. u. Brautkauf und u. Blutrache)
festgesetzt. Entsprechend wird im Awesta nach grossen und kleinen
Herdentieren das Honorar abgestuft, das Ärzten und Priestern gezahlt
wird.
Ebenso liegen die Verhältnisse in Europa. Bei Homer wird ganz
überwiegend nach Rindern gerechnet. Die eherne Rüstung des Dio-
medes ist 1), die goldene des Glaukos 100 Rinder wert (II. VI, 23(5),
ein Dreifnss 'II. XXIII, 7o3j kostet 12 Rinder, jede Quaste an der
Aegis der Göttin Athene (11. II, 44*/ 100. Eine kunstverständige
Sklavin (II. XXIII, 7o:>, wird auf 4 Rinder geschätzt, die Eurykleia
aber bezahlt Laertes mit einem Werte von 20 (Od. I, 431), der Königs-
sohn Lykaon (II. XXI, 70) bringt dem Achilleus eine Hekatombe
UKciTÖußn aus *iKctTov-ß/ x] : ßoü<;) ein. Die heiratsfähige Jungfrau heisst
äX<p€0"ißoiu, weil sie den Eltern viele Rinder d. h. einen guten Kauf-
preis einbringt. Hinsichtlich Italiens genügt es, auf die sprachliche
Entwicklung von lat. peettnia .Geld' s. auch n Eigentum) ans pecus
,Vieh' und darauf hinzuweisen, dass erst in der Lex Aternia Tarpeia
A'ie bisherigen Bussen von Rindern und Schafen in Zahlungen in Kupfer
umgesetzt wurden. Vgl. Festus ed. O. Müller S. 237: I'ecul a t un
furtum publicum dici coeptum est a pecore, quin ab eo inithtm eins
fraudis esse coepit (vgl. longob. fi-gang »Diebstahl /, siquidem ante
ttex aut argentum signatnm ob delicta poena grarixxima erat duarum
oeium et XXX bovuni (wohl umgekehrt: zweier Rinder und von 30
Schafen) qtiae peettdex, postquam aere. xignato titi coepit 1\
R., Tarpeia lege cautuni est, ut bo* ceiitusibtts, oris deettsibux aesti-
maretur.
Auch in den altirischen Brchongesetzen sind alle Strafen. Abgaben,
Zinsen, Rückerstattungen u. s. w. in Vieh, namentlich in Milchkühen aus-
gerechnet, und alle Unterschiede zwischen Reich und Arm, Frei und
Unfrei (s. u. Stände) werden durch grösseren oder geringeren Vieh-
besitz bestimmt. Den Germanen sind nach Tacitus Germ. Cap. 5
ihre Herden der einzige und liebste Besitz. Die Gerichtsbussen sind
«lahcr auch hier in Vieh, Pferden und Rindern festgesetzt Cap. 12:
4>quorum pecorumque numero cotivicti multantun. Unter den Ge-
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2K-2
Gold.
schenken, die der llräutigam der Braut macht Cap. 18), befinden sich
Rinder und ein aufgezäumtes Ross. Auch bei den Hachsen und Friesen
( Lex Fris. Add. tit. 1 1 W. : equam rel quamlibet aliam pecunlam) tritt
das let/.tere als Zahlungsmittel gleichwie in Indien stark hervor, Ganz
wie in Rom wird l»ei den Germanen das altidg. Wort für Vieh : got.
faihu u. s. w. = lat. pecus im Sinne von Geld verwendet. UIHlas über-
setzt damit xPÜuaTa, Kirjuaia (vgl. lat. pecülium) und dpfüpiov 'vgl.
lat. preunia), faihu-frikei ist .Habsucht", faihu- frik* »habsüchtig', faihu-
gairnei > fttihngeinh faihngeiran desgl., faihu-gtitraürki ist ,Gcldgc-
schäft', faihu-skula .Schuldner', faihu-praihns , Reichtum', /ilufaihus
, reichhaltig' i ttoXuttoikiXo«; : xPHMöTa exovie? ,die reichen' sind pal faihu
gahabandan* (vgl. ir. bö-aire ,Knhedelmnnn', ein einfacher 1 lauer,
der reich an Vieh geworden ist;-. Ähnlieh ist die Entwicklung des
engl, fee aus agls. f'eoh. Ahd. fater/io, agls. fa'derlng-feoh bedeuten
, Vatervieh' d. i. väterliches Erbgut u. s. w.
Zweifellos ist auch bei den Slaven in der ältesten Zeit das Vieh
das beliebteste und verbreiteiste Zahlmittel gewesen. Am deutlichsten
spiegelt sich dies in dem Gebrauch des wahrscheinlich aus dem Ger-
manischen (got. skatts, ahd. xcaz ,Geld, Vermögen', altfries. **•«?»*, Vieh'
und ,GehO entlehnten altslawischen *kotü ab. Vgl. darüber Miklosicb
Et. \V. s. v.: „altsl. skotü , pecus', .peeunia' : in alter Zeit spielte Vieh
die Rolle des Geldes; bnlg. skot ,Vieh', cech. xkot, skotak , Kuhhirt',
klruss. skotni/ca ' skotiniva) ^Schatzkammer', rnss. xkot .Vieh", alt auch
,Geld'w etc.
Frühzeitig ist aber in diesen (iegenden das Viehgeld durch ei»
anderes Tausch- und Zahlmittel, das Pelzwerk, eingeschränkt oder
ergänzt worden. Im älteren Russisch heisst das Geld (neben skot) auch
kann, kunii (vgl. bv/ant. TOÜva .vestis pellieca', mint, guuna, frz. gönne,
engl, goten), was eigentlich .Marder' bedeutet: ebenso kommen tulka und
rekm, eigentlich Xamen des Eichh örnchens (s. d. >, als Henennungen von
Geld vor. In gewissen Teilen Russlands, namentlich in Nowgorod und
Pskov, wurden Marder-Schnauzen (mordkh, Stiruläppchen von Eich-
hörnchen (lobki\ und andere Pel/stüekehen als Kleingeld verwendet
(vgl. Nestor, übers, v. A. 1,. v. Seblözcr III, 8f>>. Doch wird solches
Pelzgehl, Marder und Rjcsan irezan} : altsl. rtzati »schneiden', .ab-
geschnittene PelzstUckchcn'i. erst in der jüngeren Pravda des XIII.
Jahrhunderts genannt, während in der ältesten Reehtsaufzeiehnung nur
von .«kotti .pecunia' und yrirna (s. darüber u.) die Rede ist vgl.
Ewers Ältestes Recht d. Russen). Man wird daher nicht irren, wenn
man diesen Gebrauch des Pelzgehles bei den slawischen Völkern als
einen verhältnismässig jungen, von ihren finnischen Nachbarn über-
nommenen auflasst, bei welchen letzteren er uralt ist (vgl. AhUjvist
Knlturw. in den wcsth'un. Sprachen S. 18Hff. i.
Die bisherige Übersicht hat eine Vorstellung von der Altertümlich-
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Grift
283
keit und weiten Verbreitung der Herdentiere als Zahlungsmittel bei
den idg. Völkern gegeben (vgl. schon Chr. Crusius Comnientarius de
orginibus pecuniae a peeore ante lmiuiiiiuii signatnin Petropoli 1748 und
aus neuerer Zeit \V. Kidgcway The origin of uietallic currency and
weight Standards Cambridge 18H2). Zugleich liegt hierin ein einwand-
freier Beweis für die doiuinicrendc wirtschaftliche Bedeutung
«ler Viehzucht im indogermanischen Altertum. Es werden
meist recht hohe Viehpreise genannt. .Ja, der Satz, von H'<» Kühen als
Mannbusse darf vielleicht als schon idg. angesehen werden (s. u. Blut-
rache). S. auch u. Opfer (Hekatomben i. Alles <lies weist auf einen
reichen llerdenbcsitz hin, bei dem das einzelne Stück nicht sonderlichen
Wert hatte. Vgl. Taeitus Genn. Cap. f>: Xe ttrmentis quidem suus honar
auf gloria front is : n u me.ro ga u den f. Neben ausgedehntem Herdenbe-
sitz aber kann, namentlich unter primitiven Kulturverhältnissen, ein irgend-
wie bedeutsamer Ackerbau (s. d.? schwerlich betrieben worden sein.
Andere nichtmetallische Zahlmittcl kommen, abgesehen von den»
oben besprochenen slavischen I'el/.geld, den Herdentieren gegenüber bei
den idg. Völkern weniger in Betracht. Doch verdienen eine Bemerkung
die Gewandstoffe, vor allem die Leinwund, die, wie bei zahlreichen
Naturvölkern, eo auch in Kuropa liier und da als Tauschmittel ver-
wendet werden. So sind bei den Germanen die Abgaben des Sklaven
an seinen Herrn in Getreide, Vieh und Zeug festgesetzt i vgl. Taeitus
Germ. Cap. 25: Frumenti modum dominus (tut pecoris auf restis
ttt colono iniungit), und im Chron. Slav. Helm. Krug Z. .Münzkunde
Russlands S. Nf>, wo weiteres): AVr est in comparandis rebus con-
suetudo nummorum, sed quirquid in foro mercari rolueris. panno
lineo comparahis. Uber den Sklaven als Wertmesser s. u. Stände.
Während so im ältesten Europa lange Zeit der Austausch der Herden-
tiere die wohl einzige Grundlage alles Handelsverkehrs bildete, bereitete
sieh in den Kulturstaaten des Orients, in Ägypten, bei den Phöniziern,
in Assyrien und Babylonien allmählich ein neuer, durch Teilbarkeit,
Transport- und Aufbewahruugsfähigkcit geeigneterer Wertmesser vor,
der seinen Siegeslauf auch über Kuropa auszudehnen bestimmt war,
das Metall. Ks sind dabei zwei Kpochcn zu unterscheiden, eine
Epoche des gewogenen und eine des gemürzten Metalls. In die
erstere fällt das früheste griechische Altertum. Es liegen hier zwei
Kulturstufen deutlich neben einander, die indogermanische des Vieh-
gelds und die in ihren Anfängen immer noch in vorhistorische Zeiten
zurückgehende des gewogenen Gehles. Für Erz und funkelndes Eisen
kaufen die Griechen den Wein von den Lenmiern (II. VII, 473). In
den Schatzkammern der Fürsten liegen als MtunXia, die im gegebenen
Kall zweifellos auch als Tauschmittel dienen sollen:
xaXKÖq T€ xpufföfj T€ TToXÜKunjös T€ öibr|po<; (Jh VI, 47).
Die metallische Wei teinheit bildet das von dem späteren scharf zu
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Geld.
scheidende) Gold- Talent, honi. idXavrov (riuiTdXavTov), da» — charak-
teristisch für den innigen Zusammenhang zwischen Geld und Gewicht —
einerseits .Wage' (11. VIII, 69). andererseits eine damit gewogene Metall-
masse bezeichnet. Es ist (nach llidgcway) nicht unwahrscheinlich, dass
dieses Goldtalent in einem festen Verhältnis zu dem alteren Viehgeld
stand, und ein Goldtalent dem Werte eines Ochsen oder einer Milchkuh
entsprach. Auch kann man annehmen, dass Ausdrücke wie die ölten
angegebenen ^KOtTÖußoiov, tvveotßoiov u. s. w. schon bei Homer nicht eigent-
lich 100 oder 9 Kühe, sondern nur ihren metallischen Wert, 100 oder
9 Talente meinten. Mit Hecht fasst Pausauias III, 12 die Zahlungs-
verhiiltnissc der heroischen Zeit in die Worte zusammen: dptüpou ydp
ouk nv TToi TÖTt oubfc xpvöov vöuio"ua, KaTa tpöttov be £n töv dpxaiov
dvTtbibotfav ßo0$ Kai dvbpdaoba Kai dp^öv töv öptupov Kai xpufföv.
Direkt dem Orient entstammt die allerdings erst bei Herodot bezeugte
Benennung eines Teiles des Talents, der Mine (gricch. Mve'a, nvä), einer
Gcwichtshcstimmung, die über ganz Vorderasien bis Ägypten und Indien
(assyr. manu, hebr. manch, ägypt. mn, sert. manä ') gilt und auch ins
Lateinische (mlna* übernommen ward. Auf alten Harren verkehr weist
griech. ößoXöq, büof. ößtXös, delph. öbeXö?, att. biwßeXia, kret. öboXKai
(später der sechste Teil der Drachme), das von oßeXöq, megar. öbcXö«;
.eiserner Stab' nicht getrennt werden kann. Thatsäehlieh wird von
eisernem Stabgeld in Lakonieu berichtet. Endlieh haben die Aus-
grabungen Schliemanns in Mykenac (Mykcnac S. 165, Fig. 220, S. 401,
Fig. 529, S. 40'li auch Kinggeld zu Tage gefördert, das noch weiter-
hin zu erwähnen sein wird. Es sind goldene gewundene Spiralen ans
vierkantig ausgchäinmertem oder gewundenem Draht.
Im Gegensatz zu den Kulturstaatcn des Orients und zu Griechenland,
in denen hauptsächlich die Edelmetalle, Gold und Silber, den Wert-
messer abgaben, bildete in Italien in älterer Zeit ausschliesslich das
Kupfer, in rohem Zustand (aes rtule, raudm ,das Kupferstück, mit
dem bei der Mancipatio der Käufer au die Wage schlug ) oder in
Barren neben der peeänia (s. o.) den alten Wertmesser. Auf den Ge-
brauch der Wage weist der Ausdruck pendere für /zahlen' und die alte
Formel des rechtmässigen Kaufes: per ae# et libram. Erst im Jahre
268 v. Chr. tritt das Silber an die Seite der Kupfcrwähruug.
Naturgemäss haben die Mctallverhältnissc des Orients und der süd-
enropäischen Länder frühzeitig ihre Spuren auch in dem X o r d e n
unseres Erdteils hinterlassen. Von besonderer Wichtigkeit sind hier
die sogenannten Sehatzfundc der dänischen und schwedischen Moore
und Torfstrecken (vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde I, 425 ff.).
Neben mannigfachen Gerätschaften aus Bronze wurden hier kleine
Stangen und Barren desselben Metalls gefunden, die offenbar als
Zahlungsmittel dienend hier für bessere Zeiten verborgen werden sollten.
Nicht minder bedeutsam sind verwandte Funde von Bruchstücken
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<lt'l(l.
mannigfaltiger Bronzesachen, die absichtlich die kreuz und «|iier zer-
broehen worden sind. »Diese weitgehende Zcrbrcehung, die uns in einer
Reihe von Funden entgegentritt, scheint nur die Erklärung zuzulassen,
dassdie Bronzefragmente als Bezahlimgsmittel gedient hahen, ähnlich
wie in den späteren Zeiten des Altertums zerbrochene Schmucksachen,
Gefässe u. s. w. aus Silber und Goldu. Das letztere tritt von der-
selben Zeit an wie die Bronze am häutigsten in Spiralringen auf. »Sie
sind in bedeutender Anzahl in kleineren, ringförmig gerollten Bruch-
stücken zu Tage gekommen, und ebenso findet man häutig fast voll-
ständige Ringe, von denen ein kleines Stück abgeschlagen ist . . . .
Die Verstümmelung der schönen Ringe ist unzweifelhaft erfolgt, um
Bczahlnngsmittel aufzubringen1*. Iber diese Goldspiraleu, neben
denen auch solche aus Bronze sich Huden, bat am ausführlichsten M. Much
(Bange und Ringe Mitteil. d. anthrop. Gesellschaft in Wien IX, H9 ff.)
gehandelt und sie in Kuropa von Mykenac s. u.) nach Siebenbürgen
und Ungarn und weiter durch Nieder- und Oberösterreich, Böhmen,
Sachsen, Brandenburg. Mecklenburg, Schleswig- Holstein bis in die
skandinavischen Länder verfolgt (s. auch u. Bernstein und Göhl).
Der Gebrauch dieses Ringgelds dauert bis tief in die Eisenzeit an, und
liegt daher auch in zahlreichen literarischen Zeugnissen beglaubigt vor uns.
Ausführlicher ist über die Bedeutung des Rings bei den Nordvölkern
u. Schmuck gesprochen worden, wozu derselbe natürlich ebenso wie
zur Bezahlung verwendet wurde. Hinsichtlich seiner Verwendung als
Geld äussert das Vigfussonschc Lexikon über altn. baugr agls. beag,
ahd. boitc, bouga): In olden times, before minted gold nr xilrer came
into une. the metah nere rolled up in xpiral-formed rings, and piecex
cut off and ireighed teere, used ax a medium of puument', he nee in
old timex bn tt gr xitnplt/ itteanx tiioneg. used in the poetx in num-
Iterlexs Compounds. Ebenso deutlich ist dieser Gehrauch bei anderen
Germanen, z. B. bei den Angelsachsen, nachweisbar, bei denen aus-
drücklich hervorgehoben wird, wie der Mann seine Frau btinttm and
Magum ,mit Bechern und Bangen' kauft (vgl. F. Boeder Die Familie
bei den Angelsachsen S. 27 . Der Verlobnngsring, den ursprünglich
nur der Mann an die Hand des Mädchens steckt, dürfte, wenn altger-
manisch vgl. J. Grimm R.-A. S. 117 f., 432), kaum etwas anderes wie
der symbolisch angedeutete Kaufpreis (s. u. Braut kauf sein.
Ganz entsprechend dem altn. baugr ist die Bedeutungsentwicklung
des altsl. grit'tna gewesen, das (: griia ,x^r], iuba — sert. grivcY
,Nackcn) ursprünglich einen Halsschmuck, dann auch Armband be-
zeichnet und schliesslich, wie baugr, die Bedeutung von ,drachtuat
moneta, pecunia annimmt.
Eine vereinzelte Nachricht eisernen Barrcngeldes aus Britannien
enthält Caesar De bell. gall. V, 12: Utuntur auf aere mit talis
ferreix ad certnm pondtts examhuttis pro nummo.
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28T>
Geld.
In welcher Form aber auch immer das Metallgeld in dieser Epoche
auftrat, es muss Uberall von der Wage begleitet gewesen sein, die
daher von der Bronzezeit ab auch den nördlichen Indogerinanen be-
kannt gewesen sein muss. Näheres darüber 8. u. Wage und Gc-
w i c h t.
Auch diese Kulturstufe des gewogenen (leides wird im Laufe der
Zeit allmählich durch den dritten und letzten Sehritt in der Ent-
wicklung der Zahlungsmittel überwunden, durch die Münze. Gegen-
über dem Familien- und Sippenstaat, in dem mit Vieh oder Mctallge-
wicht bezahlt wird, ist es nunmehr der moderne (politische) Staat, der
für Gewicht und Korn des Geldes die Bürgschaft Ubernimmt und dies
mit seinem Stempel bezeugt. Die Erfindung dieses neuesten und end-
giltigen Tauschmittels führt in die Hauptstadt des handclskuudigen
Lydervolkes, wie es Herodot I, 94 ausdrücklich bezeugt: Trpurroi bfe
dv8pumu)v tüjv fipeTq ibpev vöpio*pa XPU0*0U K°d dpfupou Koij/d/jevoi
dXpntfavTo, Trpüjioi bi Kai KairriXoi ^t^vovto. Wann in Griechenland
selbst der Gebrauch des gewogenen Geldes der von Asien herüber-
dringenden Münze gewichen ist. soll hier nicht untersucht werden. Das
älteste Gepräge der attischen und euböischen Münzen scheint ein Stier
gewesen zu sein, wie denn das Geld in Athen in frühester Zeit ge-
radezu ßoöq (vgl. Pollux IX. 61: tö rcaXaiöv bfc toöt' nv 'AGnvaiOK;
vöuuTua Kai dKaXeiTO ßoö?, öti ßouv efycv £vT€T\mwp^vov) geheissen
hätte, beides doch wohl in der Erinnerung an und im Zusammenhang
mit dem homerischen Wertmesser des Stieres oder der Milchkuh. Im
Übrigen sind die griechischen Münzen auch sonst vielfach nach ihrem
Gepräge benannt, wie Münzbenennungen wie ctTKupa, KÖpn, tXaöE,
utXiacra, mTrop u. s. w. zeigen. Überhaupt treten bei den griechischen
MUnznamcn uns schon im Altertum im wesentlichen dieselben Kate-
gorien der Namengebung wie noch heute oder im Mittelalter entgegen:
nach dem Metalle (z. B. xpuo*oö<;, äp-rupoq • ö 0"TaTn.p, (Jibdpeoq).
nach dem Herkunftsort (z. B. 'laXütfia, AiYetvaTov, KuEucrivoi), nach
Personen (/.. B. OiXmTreioi. 'AXeäEdvbpeioO u. s. w. Östlichen Ursprungs
sind Müuziiameu wie bapciKÖq, bavdKn., 0"tfXos vgl. arrXui , Ohrgehänge ,
denn ausländische Münzen werden zu allen Zeiten gern als Schmuck
getragen). Auch grieeh. bpaxun, ist man geneigt, auf die hebräische
und phönizische Form für den Dareikos, darktmön zurückzuführen (vgl.
Lcwy Semit. Fremdw. S. 118).
In Italien versahen zuerst die Deeemviru. zweifellos nach grie-
chischem Vorbild, das Kupfer mit einem Wertzeichen und schufen so
die Münze. Das Grossstück derselben, lat. as, Stamm *a8si-, ist
sprachlich leider noch immer dunkel. Ein neuerer und nicht unebener
Erklärungsversuch (vgl. Kidgeway a. a. 0. S. 354 ff.) knüpft das AYort
an das lautlieb nahe liegende lat. asser ,Kute, Stab' vgl. vömis : vömer\
an, so dass das römische As ähnlich wie der griechische Oholos (s. o.) zu
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2*7
beurteilen wäre. Als Gesamtbenennung der Münze j;ilt nummus, aus
dem Grossgriechischen entlehnt, wo vöuog. eigentlich .Satzunu;' die Be-
deutung einer festgesetzten Münzeinheit (vgl. grieeh. vöuitfua) ange-
nominen haben inuss (vgl. in den Tafeln von lleraklea: be»ca vöpuj«;
dpTupiu»). In späterer Zeit beschränkt sich uummns auf die Bezeich-
nung des sextertins, und zur Benennung der .Münze wird iseit Ovid)
moneta verwendet, von Juno Moneta, in «leren Tempel nach Einführung
der Silberwährung ''i'WliSr eine Münzstätte errichtet worden war. Im
übrigen bieten die lateinischen Mllnzuamen. die einheimischen, wie die
aus dem Griechischen entlehnten, nichts von besonderem Interesse.
Verhältnismässig spät begegnen die klassischen Münzen im Norden
unseres Erdteils. Funde von Geldsorten aus älterer Zeit sind äusserst
selten und öfters zweifelhaft. Nach Ophausen Z. f. Ethnologie 1 81*1
Verhandl. 8. hJ'J'A ff. über die im Küstengebiet der Ostsee gefundenen
Münzen ans der Zeit v o r Kaiser Augnstus kann ein irgend erheblicher
Verkehr zwischen Nord und Süd vor Christi Geburt durch Münzfundc
nicht erwiesen werden. Auch nach Montelius sind die ältesten schwe-
dischen M linzen r ö mische Den a r e . während der eisten zwei
Jahrhunderte n. Chr. geprägt. Zur Zeit des Tacitus war römisches
Geld nur in den dem Imperium Homannm angrenzenden Gebieten in
Kurs. Vgl. Genn. Cap. .">: Quamquam pro.rimi ob uxum rommercio-
rum aururn et argentum in pretio habent forma sque quasdam nos-
trae pecuniae agnoscunt atque eligunt : inferiores ximpliciux et anti-
quius permntatione mercium utuntur wozu auch die Stufe des
gewogenen Geldes gerechnet sein wird), pecuniam probant reterem
et diu not am, xerratox bigatoxque. argentum quoque magix quam
an mm sequuntin\ nuUa affectione animi. xed quin numerus argent-
eorum facUior usui est promixcua ac vilia mercantibux. Von dieser
Zeit an wird sich das römische moneta allmählich bei den Germanen
verbreitet haben : abd. muni$, muni^a, altndd. munita, mndl. mönte,
agls. mt/net (vgl. auch ir. monadh' hoc nomisma Stokes Irish gl. p. 1»>0
und lit. maneta, poln. moneta >. Doch begegnen auch sehr frühzeitig und
in weitester Verbreitung einheimische Münznamen, die sieh vielleicht
vorher auf nicht gemünztes Geld bezogen haben. So vor allem got.
xkilliggx, altn. xkillingr, ahd. xcilling. am wahrscheinlichsten: got.
skilja .Fleischer', altn. skilja ,spaltcn, scheiden' gehörig, und vielleicht
ursprünglich ein Name des oben besprochenen Bruchgeldes der Bronze-
zeit (vgl. auch Strabo HI p. lf>f> von den Lusitaniern: dvfi bi vomi<J-
uerros o'i Xiav €v ßdGci (popxiwv duoißrj xpwviat f| toO dptupou eXd-
o*paTo<; dTTOT€MVOVT€<; biböaai). Noch nicht sicher gedeutet ist auch die
weitverbreitete Sippe von ahd. phennig, phantinr, phending. agls. pening,
pending, altn. penningr, *pan-ing. Nach dem Muster dieser beiden
Wörter wird das westgermanische ahd. vheimring, agls. cdxering ge-
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28*
Gold - Geldbeutel.
bildet sein, das deutlich auf römische Kaisermünzen hindeutet. Die
Stelle des Hildebrandlieds:
ttuaut her do ar arme
mittut a im bottyn
chei.su ringu(m ) gitä u ,
so huo se der chttuiug gap,
Iliineo t ruht tu
seheint mit M. Much a. a. 0. S. 117 auf eine Sitte hinzuweisen, nach
der man die römiseheu Kaiserliugc anfangs in das alte Spiralgoldgeld
umgeschlagen hätte. Speziell gotisch ist das dunkele kiutu.t .Kobpdv-
Tn.<;\ , Heller', speziell hochdeutsch der Gebrauch des Wortes geld, gelt
(: got. gild ,q)öpo? ) im Sinne von pevunia.
Wichtig für die ältesten germanisch-slaviscben Beziehungen ist der
Umstand, dass die meisten der eben genannten Ausdrücke von den
slavischen Sprachen (altsl. ttkletzt aus got. skilliggx, altsl. pinegit (lit.
piniugai) aus *p<tuiugf altsl. cefa ,oliolus' aus got. kinttift) früh Uhcr-
nommen worden sind.
Eigene Münzprägungen sind seitens der Xordvölker zuerst von den
Kelten, und zwar schon während der La Tene-Periode, in Nachahmung
massaliotischer und makedonischer Münzen vorgenommen worden. Auch
in den auf deutschem Hoden vielfach gefundenen ..Regenbogenschüssel-
chen" sieht man Münzen keltischen Ursprungs. In Deutschland haben
erst die fränkischen Könige Gold mit ihrem Hilde geprägt. Theoderich
liess teilweis noch mit dem Hilde de* Kaisers Zeno und Anastasius
münzen. — Vgl. weiteres bei Vf. Handelsgcschichte und Warenkunde I.
111 — 137. S. u. Handel, Kaufmann, Mass Messen;, Metalle,
Wage und Gewicht.
Geldbeutel. Die älteste Vorrichtung, Metallgeld dauernd bei sieb
zu führen, ist, abgesehen von allerlei Formen des Schmucks, in denen
man dasselbe tragt (über den Spiralring s. u. G e 1 d), der von der
Bronzezeit ab in Europa nachweisbare S a m in c 1 r i n g , an dem man
die Geldringe aufreiht, etwa wie heut zu Tage Schlüssel an einem
Schlüsselbund (vgl. darüber M. Much Mitteil. d. anthrop. Ges. z. Wien
IX, HD, wo auch Abbildungen dieser Sammelringe zu linden sind). Sehr
schön lassen sich dieselben /.. B. an dem im Züricher Nationalmnseum
aufbewahrten Ringgcld des Pfahlhaus von Wollishofen reine Bronze-
zeit studieren.
Mit dem gemünzten Geld tritt dann auch der eigentliche Geldbeutel
auf, dessen Benennungen sich natürlich von Wörtern für Beutel, Tasche.
Sack u. s. w. nicht scharf scheiden lassen. Im Griechischen gilt ßct\-
i\ dvTiov (Aristoph.) neben kürzerem dpu-ßaXXoi, äpu-ßaXiba (lies.) und
udpo*iTTO<;, uapcrimov, papaumov, näpamnoq, beide dunkel, letzteres
vielleicht ausländischer Herkunft. Bemerkenswert sind aus Hesycb
noch kuvoöxo? cigentl. .Hundsfell' und Ötfxca, eigentl. , Hodensack'. Das
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Geldbeutel — Gerste.
289
Lateinische hat meist ans dem Griechischen entlehnt, wie marsüpium
(Plant.) aus uapnumov und paseeolus (Plaut.) aus <pdo"KUjXoq( <pdo~K<xXo£
,lederner Kentel' zeigen. Zweifelhaft ist das Verhältnis von crumtna :
griech. Ypuu^a ,ßeutel', Tasche'. Urverwandt sind lat. follU ,Schlauch,
Geldbeutel' und griech. OaXXiq, edXXnca (uacli Hesych .ßaXdvnov', ,udp-
oimo? ucocpoO, *dhl-ni-. Iin Germanischen sind zwei Reihen weit
verbreitet: got. pugg ,ßaXdvxiov', sAtn.pungr ,Lederschlaueh, Geldbeutel',
ahd. seazpfung (ruman. punga, ragriech, ttoöyycO und ahd. phoso ,mar-
#upium', agls. posa, altn. posi. Für letzteres könnte mau in Erinnerung
hd unser „Geldkatze" an Zusammenhang mit dem für die Benennung
der Katze (s. d.) weit verbreiteten Stamm pus- denken. — Weiteres vgl.
bei Vf. Handelsgeschichtc und Warenkunde I, 140 f.
Gemahl, s. Ehe.
Gemeindeversammlung, s. Volksversammlung.
Gemse, s. Antilope.
Gemüse, s. Garten, Gartenbau.
Gerätschaften, s. Werkzeuge.
Gerben, s. Leder.
Gerichtsverfahren, s. Recht.
Gerste (Hordeum). An urverwandten Gleichungen für diese Ge-
treideart finden sich ahd. gersta = lat. hordeum fghrsdh-) und vielleicht
griech. Kpi8r| (*ghrzdh-), hom. icpi (aus *tcpl8-). Möglicher Weise setzt
sich diese Reihe sogar nach Asien hinein fort, wo alsdann armen, gart
,Gerete', upers. zurd ,Art Hirse', pchl. jurtäk ,Getreide' etc. heran-
zuziehen sein würden (vgl. P. Horn Grundriss d. npers. Et. S. 146,
Hübschmann Armen. Gramm. I, 432). Daneben vgl. alb. el'p-bi .Gerste'
= griech. dXqpt, fiX<ptxov id. Ein weiteres germanisches Wort für Gerste
mit idg. Verwandtschaft (got. barizeins etc.) ». u. Weizen und Spelt,
die wichtige Gleichung sert. ydea- = griech. Ceid etc. s. u. Ackerbau.
Dunkel sind lit. mUHai = altpr. moasix und altsl. jqclmy ,Gerste'.
Im alten Griechenland war Gerste als Brei (ttöXto? = lat. pufo) oder
Fladen (udZa) genossen, das wichtigste Volksnahrungsmittel, so dass
schon Homer die äX<pvra das Mark der Männer nennt. Auch als Pferde-
fntter diente sie bereits damals. Plinius (Hist. nat. XVIII, 72) be-
zeichnet die Gerste geradezu als antiquissimum in eibh hordeum,
woraus sich ihre Anwendung bei alten Opfergebräuchen erklärt. Aus
dem alten Deutschland meldet sie Tacitus (Germ. Cap. 23: Potui umor
ex hordeo; s. u. Bier). Ein gotisches, aus ihr hergestelltes National-
gericht, dem griech. <5X<piTa und dem lat. polenta (vgl. griech. TidXn.
,feine8 Mehl', altpr. pelwo, lit. pelai, altsl. pleva, lat. palea, sert. pa-
Id'va- .Spreu') sachlich entsprechend, hiess nach Anthinins cd. Rose
Cap. 64 fenea, das wohl zu lit. penas .Nahrung' (penn gittere') und
lat. penus , Vorrat' zu stellen ist. Nimmt man hierzu, dass Gerste, und
zwar in 3 Varietäten (//. he.rastichum sanetum, IL he.taxtichuni densuw,
Schräder, Reallexikon. 19
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290
Gerste — Geschwister.
H. dutichum L.), schon in den Schweizer Pfahlbauten gefunden, und
dass sie wie in zahlreichen anderen neolithischen Stationen Süd- und
Mitteleuropas, jetzt auch (in der Form der sechszeiligen Gerste) in der
nordischen Steinzeit nachgewiesen wurde (vgl. S. Müller Nordische
A.-K. 1, 126), so wird man nicht anstehen, in ihr eine der ältesten Acker-
baupflanzen Europas zu erkennen. Im höhereu Norden bildet sie da-
selbst noch jetzt die eigentliche Brotfrucht, weshalb sie in Nordfries-
land, Helgoland, Jeverland u. s. w. schlechthin Korn genannt wird. In
Mitteleuropa verdrängt sie in dieser Eigenschaft allmählich der Roggen,
im Süden schon im Altertum der Weizen. Die wilde Stammform der
Gerste {Hordeum spontanum) soll nach dem Handbuch des Getreide-
baus von Körnicke und Werner I, 129 ff. vom Kaukasus bis Persien
gefunden werden. Hier müsste also diese Getreideart, deren Anbau
sich auch bis in die ältesten Perioden der ägyptischeu und semitischen
Geschichte zurückverfolgen lässt, zuerst in Kultur genommen worden
sein. — Vgl. G. Buschan Vorgeschichtliche Botanik S. 35 ff. S. auch
n. Ackerbau und u. Getreidearten.
Gesamteigentum, s. Eigentum.
Gesang, s. Dichtkunst, Dichter.
Geschlecht, s. Familie, Sippe, Stamm.
Geschlechterdorf, s. Dorf.
Geschlechtsuuigang, s. Keuschheit, Knabenliebe.
Geschmeide, s. Schmuck.
Geschwister. Wollte man in alter Zeit Bruder und Schwester
in ihrem Verhältnis zu einander mit einem Ausdruck zusammenfassen,
so scheint man sich dazu des Duals oder Plurals des Wortes für Bruder
bedient zu haben: sert. bhrd'tarau, griech. dbeKq>oi, lat. frdtres (vgl.
das analoge Verhältnis u. Eltern). Im Germanischen liegt in unserem
gehöhter : ahd. lehtar ,uterus' (,die von demselben Mutterleib') ein
früher, freilich in dieser Bedeutung nur vorauszusetzender, nicht wirk-
lich bezeugter Ausdruck für den Begriff »Geschwister' vor (vgl. Kluge
Et. W.6 S. 139); ausserdem waren sowohl zur Zusammenfassung der
Brüder (got. bröpraham, ahd. gibruoder PI.), wie auch zu der der
Schwestern (ahd. giswester, altndd. gisustruon) Gollectiva vorhanden,
von denen die letzteren in nicht ganz aufgeklärter Weise allmählich
auch gebraucht wurden, um Brüder und Schwestern zu be-
zeichnen (mhd. gesicester F. PI. ,Schwesternpaar', gestowter, gexwisterde
N. .Geschwister'). Vgl. auch altn. systken Neutr. Plur. , Bruder und
Schwester' (gebildet wie fepgen , Vater und Mutter', moepgen ,Mutter und
Sohn'), sowie lat. consobrinus ,Geschwisterkind' (s. u. Vetter und Kou-
sine) und griech. £ope( * dveunoi (s. u. Schwester), alles Ausdrücke, die
in letzer Instanz auf das idg. Wort für Schwester zurückgehen. Im
Litauischen kann man für Geschwister (Bruder und Schwester) nur
sagen: brölis bei sesü. Vgl. Delbrück Verwandtschaftsnamen S. 469.
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Geschwisterehe — Gewerbe.
291
Geschwisterehe, s. Verwandtenehe.
Gesetz, 8. Recht.
Gespensterglaube, s. Ahnenkultus.
Gestirne, s. Sterne.
Getränke, s. Nahrang.
Getreidearten. Die Älteste Getreideart auf idg. Boden ist viel-
leicht der Hirse. Jedenfalls gehören dieser sowie Gerste- und Weizen-
arten schon dem ältesten Ackerbau (s. d.) der europäischen Indo-
gennanen an. Erst später hat sich der Anbau des Roggens Uber ge-
wisse Teile Europas verbreitet, während die Geschichte des Hafers
sich noch nicht klar übersehen läset. Der Reis ist im Altertum niemals
angebaut worden. Alle die genannten Getreidearten sind in besonderen
Artikeln behandelt worden. Über den amerikanischen Mais und den
ostasiatischen, erst im späteren Mittelalter nach Europa gelangten
Buchweizen vgl. V. Hehn Kulturpflanzen und Haustiere6 S. 491, 494.
Gewalt väterliche, s. Familie.
Gewandnadel, s. Schmuck.
Gewebestoffe. Den Indogernianen stand zur Ausübung der ihnen
bekannten Kunst des Webens (s. d.) zunächst die Wolle ihrer Schafe
zur Verfügung. Ausserdem war bei den europäischen Indogermanen
schon in ferner Urzeit der Flachs, bei den Ariern der Hanf bekannt,
welcher letztere in Europa sich erst später, wenn auch (im Norden)
immer noch in vorhistorischer Zeit verbreitet hat. Die erste Erwähnung
der indischen Baumwolle geschieht durch Herodot, die erste Bekannt-
schaft der Römer mit der chinesischen Seide erfolgte im ersten Jahrh.
v. Chr. Über diese Gewebestoffe ist in besonderen Artikeln gehandelt
worden. Minder wichtige animalische, vegetabilische und mineralische
Gewebestoffe vgl. bei Vf. Handelsgeschichte und Warenkunde I, 214 ff.
Gewerbe. Dass schon in der Urzeit eine Reihe technischer Fertig-
keiten, wie Flechten, Spinnen, Weben, Nähen (s. u. Nadel),
die Kochkunst, die Herstellung von Waffen und Werkzeugen,
von Schmuck, die Töpferei (s. u. Gef ässe) u. s. w. betrieben wurden,
zeigen die betreffenden Abschnitte. Die hier zu behandelnde Frage ist
daher nur die, ob und in wie weit bereits damals eine Arbeitsteilung
stattgefunden hatte, und ob man also von urzeitlichen Gewerben zu
sprechen ein Recht hat.
Als die Überlieferung anhebt, finden wir bei den arischen wie süd-
europäischen Indogermanen die ersten Ansätze eines eigentlichen Hand-
werks bezeugt, Ansätze, die aber ein deutliches Licht auf eine Zeit
fallen lassen, in der von getrennten Gewerben so gut wie noch keine
Rede sein konnte. Diese Kulturstufe scheint dann bei den ältesten
Germanen im wesentlichen noch vorzuliegen.
Das vedische Altertum kennt im Grunde nur zwei Gewerbe, das
des Holzarbeiters (tdkshan-, tdahfar-) und das des Metallarbeiters (kdr-
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292
Gewerbe.
mära-). Nach Ausbildung des brabmanischen Staatewesens liegt dann-
eine vollständig eingetretene Arbeitsteilung mit kastenartig betriebenett
Handwerken und KOnsten vor (vgl. H. Zimmer Altind. Leben S. 245 ff.).
Auch bei Homer werden nur wenige entwickelte Gewerbe genannt.
So das des t^ktujv, Uber den unten noch mehr zu sagen sein wird,
das den xa^uc* (^s Schmiedes, des (Tkutotöuos, des Riemers und
Schuhmachers, des Kepaucüq, des Tapfere. Auch »1er äXieu? .Fischer V
7Top8|i€Üq .Fährmann' und vctüniq .Schiffer' werden genannt. Alle diese
Leute zählen zu den bnuiouptoi, den Menschen, die für das Volk arbeiten,,
zu denen auch die Seher, Arzte, Sänger und Herolde gerechnet werden
(vgl. A. Riedenaucr Handwerk und Handwerker in den homerische»
Zeiten, Erlangen 1873). Im ältesten Rom hatte nach der Überlieferung
(Plutarch Numa 17) schon der König Numa Handwcrkskollegien ein-
gerichtet, zu denen die ctuXnTai (tibicines oder Flötenspieler), die XPU*
aoxöoi (aurifices oder Goldschmiede), die t^ktovc? (fabri tignarii oder
Zimraerleute), die ßaq>€i<; (tinetore* oder Färber), die ckutotöuoi (sit-
tores oder Schuster), die o*kutoo^€i? {coriarii oder Gerber), die xÄ^-
K€i? (fabri aerarii oder Kupferschmiede) und xepa^tq (figuli oder
Töpfer) gehören (vgl. E. Wezel De opificio opifieibusque apud veteres
Romanos, Berlin, Progr. 1871). Wie man sieht, werden weder bei
Homer noch in den Zünften des Numa eine ganze Reihe von Gewerb-
treibenden genannt, die uns heute für eine Gemeinschaft von Menschen,
unentbehrlich erscheinen, der S c h n e i d e r , Weber, Fleischer,
Müller, Bäcker, Koch u. s. w. Alle diese Gewerbe müssen also noch
am Hause gehaftet haben und werden hier, abgesehen etwa von dem
Geschäft des Schlachtens, in das Bereich der Frauen gefallen sein.
Dass die Künste des Spinnens, Webens und Kleidennachens bis in.
späte Zeiten im Altertum hei Hoch und Niedrig den Frauen des Hauses
oblagen, bedarf keiner Belege; aber auch die Thätigkeit des Backens
wurde von ihnen lange Zeit ausschliesslich ausgeübt, wie dies Plinius
Hist. nat. XVIII, 107 ausdrücklich hervorhebt: PUtores Romae non
fuere ad Perskum usque bellum annis ab urbe condüa super DLXXX.
Ipsi panem faciebant Quirites. mulierumque id opus maxime erat,
sicut etiam nunc in plurimix gentium. Eine sprachliche Illustration
hierzu bietet der agls. Ehrenname der Hansfrau hlmf-dige (neben hldford
, Hausherr', d. i. ,Brot-wart), welches wahrscheinlich (vgl. got. deigan.
agls. daige) soviel wie ,Teigmacherin, Bäckerin' bedeutet.
Auch die dürftigen Anfänge gewerblicher Arbeitsteilung, die wir in
Indien und im Süden Europas treffen, scheinen nun im eigentlichen Ger-
manien der ersten Römerzeit noch gänzlich zu fehlen (vgl. W. Wacker-
nagel Gewerbe, Handel und Schiffahrt der Germanen Kl. Sehr. I, 35 ff.).
Der freie Germane arbeitet überhaupt höchst ungern: Delegata domus
et penatium et agrorum cum feminin senibusque et infirmissimo cui-
qtte ex familia, ipsi hehent. mira direrxitate tiaturae, cum idem hö-
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Gewerbe.
miines sie ament inertiam et oderint quietem (Germ. Cap. 15). Auch
-die wenigen Sklaven des Hauses scheinen noch nicht, wie später, zu
bestimmten Handwerken angehalten worden zu sein: Ceteris servis non
An nogtrum morem discriptis per familiam minüteriis utuntur (Tac.
£ertu. 25). Erst unter dem Einfluss der Kultur Roms, wo im Laufe
der Jahrhundertc das Handwerk, einst Sache des freien Mannes, mehr
'Und mehr zur Sklavenarbeit geworden war, treten dann auch auf den
grösseren Edelhöfen der Germanen bestimmte Gewerbesklaven auf. Vgl.
z. B. Lex Burgund. (W.) 21, 2: Quicunque vero sercum sttum aurificem,
argentarium, ferrarium, fabrum aerarium, sartorem vel sutorem in
publico attributum artißeium exercere permiserit. et id, quod ad
.facienda opera a quocunque suseepit, fortasse everterit, dominus eins
<tut pro eodem satisfaciat auf servi ipsius, si maluerit, faciat cessi-
*onem. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch die zahl-
reichen Entlehnungen römischer Handwerkerbenennungen in die germa-
nischen Sprachen: monitdrius in ahd. munijjdri, alts. muniteri,
mqlindrius in ahd. mulindri, ceüdrius in ahd. kelldri u. s. w., Wörter,
von denen das namentlich in den westgermanischen Sprachen an Stelle
.älterer Bildungen mittelst des Suffixes -ja-n (ahd. zimbardri ,Zimmerer'
gegenüber got. timrja etc.) verbreitete Suffix ahd. -dri, agls. •e're aus
lat. drius seinen Ausgangspunkt genommen hat. Auch lat. Handwerker-
bezeichuungen wie xütor ,Scbuster' (ahd. sutdri, agls. mtere) oder
ftUlo , Walker' (agls. fulUre, mndl. volre) sind durch dasselbe umge-
staltet worden (vgl. näheres bei F. Kluge Stammbildungslehre * S. 5 ff.).
Gleichwohl bedürfen diese Ausführungen hinsichtlich der altgerma-
nischen Verhältnisse eine Ergänzung. Eine Gewerbebezeichnung muss
sicher als urgermanisch angesetzt werden : got. -smipay altn. smi&r,
agls. smip, ahd. smid. Indessen haben diese Wörter ursprünglich nicht
die heutige, spezielle Bedeutung gehabt, die vielmehr erst durch Zu-
sammensetzungen wie got. aizasmipa, ahd. trsmid, chaltsmid erreicht
wird, sondern bezeichneten, etymologisch zu griech. o*ui-Xn. ,Schnitz-
messer', etc. gehörig, ganz allgemein den kunstverständigen Mann,
mochte derselbe nun in Holz, Metall oder anderem Stoff arbeiten.
Näher ist über diese Wörter u. Schmied gehandelt worden. Hier
sollen sie nur dazu dienen, das Verständnis für die einzige schon indo-
germanische Gewerbebenennung sert. tdkshan- = griech. t£ktu>v vor-
zubereiten. Da eine Verbalwurzel t€kt = sert. taksh im Griechischen
nicht vorhanden ist, auch das Suffix -dn-, -an- = -wv, -ov- als unmittel-
bar von der Vcrbalwurzel nomina agentis bildend, weder im Griechi-
schen noch im Sanskrit lebendig genannt werden kann, so hat man
zweifellos eine urzeitliche Bildung vor sich. Sert. taksh bedeutet
,behauen, schneiden, schnitzen, bearbeiten, gestalten', bezeichnet
also die verschiedensten Arten handwerklicher Thätigkeit, spezialisiert
Jiegt es in altsl. tesati ,haueu' und lat. texo ,webe? vor (s. auch u.
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294
Gewerbe — Gewitter.
Dachs und Axt). Das Snbstantivnm wird im Veda (s. o.) nur von»
Ziramermannsarbeit gebraucht, griech. t^ktwv aber bezeichnet bei Homer
noch Steinhauer wie Zimmermann, Schiffbauer wie Wagner, Horndreher
wie Elfenbeinschnitzer. Die idg. Bedeutung der Gleichung sert. tdkshan-
= griech. tIktwv wird also eine ganz ähnliche wie die des urgerma-
nischen ahd. 8tnid gewesen sein, etwa ,der geschickte Mann', ,Kunst-
arbeiter', nur ist das indisch-griechische Wort nicht wie das germanische
später auch auf Metallarbeit angewendet worden, für die vielmehr schon
im Veda (kdrmdra-) und bei Homer (xaXKEut) besondere Wörter auf-
gekommen sind. Ganz gleich sind auch lat. faber und ir. cerd ,aera-
rius, figulus, poeta' = lat. cerdo (griech. Kepbocovri wie t€ktoo*uvt|) zu
beurteilen. Auf jeden Fall erhellt, dass schon in der Urzeit besonders
geschickte Männer vorhanden gewesen und als solche aus der grossen
Menge sprachlich hervorgehoben worden sein müssen, die eine grössere
Fertigkeit als andere, sei es nun im Zimmern einer Hütte oder im
Glätten eines Steinwerkzeuges oder in ähnlichem erlangt hatten. In-
sofern kann man sagen, dass die ersten Anfänge der Gewerbebildung
in die Urzeit zurückgehen.
Unsicherer ist eine zweite urverwandte, doch auf Europa beschränkte
Gewerbebeucnnung: griech. iroiunv = lit. piemü ,Hirt' zu beurteilen.
Dass zu einer Zeit, in der alle Hirten oder vorwiegend Hirten waren,
das Hüten des Viehs als ein bestimmtes Gewerbe betrachtet worden,
sein sollte, ist wenig wahrscheinlich. Doch könnte man vielleicht sich
vorstellen, dass die Vorfahren der europäischen Indogermanen, bei
denen der Ackerbau (s. d.) schon in der Urzeit eine grössere Be-
deutung erlangt hatte, so, d. h. als „Hirten", reine Hirten (voudoeq) ihre
östlichen, arischen Nachbarn bezeichneten, die ihrerseits vielleicht die
Westindogennanen „Furchenzieher" (sert. krshfdycu, vou der speziell
arischen Wurzel lar*h , Furchen ziehn') nannten (vgl. Iku8oi äpcnf|p€<;
oder tewpToi neben den Zkuöoi vojudbc?).
In besonderen Artikeln ist über das Hervortreten des Arztes,
Dichters, Erziehers (s. u. Erziehung), Kaufmanns, Königs,
Priesters, Richters und Schmieds gehandelt worden.
Gewitter. Für die Erscheinung des Donners liegt eine weit-
verbreitete Sprachreihe in sert. standyati ,es donnert', stanayitmi-
.Donner', lat. tonat, tonitru, agls. punian = tonare, punor, ahd. donar
vor. Aus ihr ist der gemeingermanische Name des Donnergottes: ahd.
Donar, altnd. Thu nar, altn. Thörr hervorgegangen. Die Grundbedeutung
der ganzen Sippe ist ,laut tönen', .lauter Schair (vgl. sert. standtha-
, Gebrüll', tanayitnü- ,donnernd, rauschend'). Auch das Keltische nimmt
mit einem inschriftlich bezeugten *Tanaras \ Jovi Optima Maximo
Tanaro\ vgl. R. Much Der germanische Himmelsgott, Festschrift für
Hcinzel S. 227) an der angegebenen Reihe teil.
Die häutigere Bezeichnung der keltischen Donnergottheit ist aber in.
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Gewitter.
dem von Lncan (Pharsalica I, 446) bezeugten Taranis enthalten, das
durch inschriftliche Formen wie Tapovoou CDat.), Taranucm, Taranu-
enus (Tgl. Reinach Revne Ccltique XVIII, 137 und Much a. a. 0.) weiter
bestätigt wird. Die Grundlage dieser Götternamen bildet der gemein-
keltische Ausdruck für den Donner *toranno-s (ir. torann, kymr. ta-
rann, korn. taran). Taranu-cn-us (vgl. ir. centl ,Gesehlecht', cinim
,ich entspringe ) wird soviel wie ,Sohn des Donners' bezeichnen, wie
im Litauischen Perkuna tele ,niatcr fulminis atque tonitruf ist.
Der letztere Ausdruck führt zu der im Osten Europas geltenden
Bezeichnung des Donners: lit. perkünas ,Donner, Donnergott', perkti-
nyja , Gewitter', lett. perkuns, altpr. percuni* ,Donner\ womit höchst-
wahrscheinlich auch russ. perunü .Donnerkeil', , Donnergott', klruss.
perun , Blitzstrahl* u. s. w. zusammenhängen, obwohl der Ausfall des k
im Slavischen, bezüglich der Eintritt dieses Lautes im Litauischen noch
unerklärt ist. Gewöhnlich stellt man lit. perkünas zu dem altnordischen
Namen der Mutter Thors Fjörgyn, wohl auch zu dem des vedischen
Regen- und Gewittergottes Parjdnya-, und verbindet alle diese Wörter
mit lat. quercus, ahd. forha ,Eiche, Föhre', so dass sich eine Grund-
bedeutung .Eichengott' ergiebt (vgl. H. Hirt I. F. I, 479 ff.). Anderer
Ansicht ist R. Much n. a. 0., der das lit. perkünas und russ. perunü
für Entlehnungen ans einem gerin. *Perküno.s, *Feryünaz, *Ferhünaz
ausicht, das er als ,der sehr hohe' (vgl. lat. per- in permagnus ~ kelt.
er- und kymr. cwn ,Höhe') deutet. Bei beiden Erklärungen wäre in lit.
perkuna*, altpr. percunis u. s. w. die Benennung der Wettererscheinung
aus dem Eigeunamcn eiues Gottes hervorgegangen, was an sich nicht
unmöglich, jedoch im Hinblick auf die auf germanischem und keltischem
Boden deutlich verfolgbaren Vorgänge der Bedeutungsentwicklung nicht
gerade wahrscheinlich ist. Vielleicht ist daher für die litauisch-slavischen
Wörter doch einfach von der Bedeutung , Donner', ,Gewitter' auszu-
gehen, und die Anklänge an «lic verwandten Sprachen (von mehr kann,
was das sert. Parjdnya- betrifft, auch aus lautlichen Gründen nicht
gesprochen werden; vgl. Kretschmer Einleitung S. 82, K. Brugmann
Grundriss I8, 514, R. Mnch a. a. 0.) beruhen auf Zufall.
Von weiteren urverwandten Bezeichnungen des Donners sei noch auf
die Gleichungen altsl. gromü = griech. ßpovrn. (: 0pö|jo? ,Getön', vgl.
Z€u? u«|iißp€u.£nic ,der hochdonnernde Zeus*) und got. peihico, vielleicht
=■ altsl. tqca .finstere Wolke, Sturzregen' verwiesen.
Wenn somit für den Donner verschiedene urzeitliche Benennungen
bestehen, so ist dies bei dem Blitze nicht der Fall. Es scheint, dass
in der ältesten Zeit die Begriffe des Blitzes und des Feuers, des
himmlischen und des irdischen Feuers, noch zusammengefallen sind.
Nach uralter Anschauung (vgl. A. Kuhn Die Herabkunft des Feuers)
entsteht das Feuer in der Wolke gerade so wie auf der Erde, nämlich
dnreh Reibung bestimmter Hölzer (s. u. Feuerzeug'), und lodert dann
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Gewitter — Glas.
im Blitze zur Erde oder wird von mythischen Wesen wie dem indischeu
Mätaricvan oder dem griechischen Prometheus dahin gebracht. Dem-
entsprechend ist sert. agni- im Veda oft mit ,Blitz' zu Ubersetzen.
Ebenso wird griech. nvp und <pw$ (<pdi^ u€"ra Ik Aiö<;, Xen. Auab. III, 1, 12)
gebraucht. Vgl. ferner sert. vidyu-t- ,Blitz' : die ,strahlcn', lat. f'ulmen,
fulgitr (vielleicht verwandt mit ahd. blic) : fulgeo, griech. cpXöE , Flamme',
(pXerw jleuchte', got. lauhmuni ,äo*TpaTTfV, dan. lyn7 altschwed. lygn-
elder ,Blitzfeuer' : lat. lux ,Licht', alt». Hörne ,Strahl', abd. louc
,Lohe' u. s. w.
Nicht selten wird auch der Blitz als Keil oder Waffe (Axt, Hammer)
bezeichnet, der zur Erde ans der Gewitterwolke herniedertahrt. So in
sert. dqani-, dgman- (vgl. lit. Perkuno akmu bei J. Grimm Über die
Namen des Donners Kl. Sehr. I, 425) und vdjra-, so in griech. Kepau-
vö? (: sert. qdru- ,WaftV, got. hairus ,Schwert'), so in altsl. mlünija,
russ. mohiija ,Blitz' (vgl. auch altpr. mealde und kynir. mellt id. ?) :
altn. mjölnir ,Thor8 Hammer', d. i. der Blitz, in deutschen Ausdrücken
wie donnerkeil, donneraxt (vgl. Grimms W.) u. s. w.
Feste und selbständige Göttergestalten haben sich aus den Bezeich-
nungen des Blitzes nur selten und nicht so deutlich wie aus denen
des Donners entwickelt. Vgl. Usencr Götternamen (Uber einen make-
donischen Keraunos S. 286) und R. Much a. a. 0. S. 231 ff. (über Er-
scheinungen ans der germanischen Mythologie \ — S. u. Religion.
Gewohnheitsrecht, s. Recht.
Gewürze. Schon in vorhistorischer Zeit war in Europa das Salz
i s. d. i bekannt. Ausserdem standen frühzeitig zahlreiche Gewürzpflanzen
zur Verfügung. S. über dieselben u. Garten, Gartenbau und u.
Zwiebel und Lauch. Von aussereuropäischen Gewürzen sind der
Kümmel, Pfeffer, Ingwer, das Silphium, die Muskatnuss und
die Nelke bebandelt worden. — S. auch u. Nahrung.
Gift, s. Arzt.
Glas. Die Bereitung des Glases geht im Orient, namentlich in
Ägypten, in sehr frühe Zeiten zurück, und schon in den Grabkammern
der IV. und V. Dynastie haben sich Abbildungen des Glasblasens ge-
funden. Von hier haben ohne Zweifel die Phoenizier die Fabrikation
des Glases, die aber auch in Assyrien sehr alt ist, übernommen (vgl.
Blttmner Termin, nnd Techn. IV, 379 ff.).
Nach Europa wurde das Glas zuerst in Form von Perlen und
Kugeln, noch nicht in Gestalt von Gefässen ausgeführt. Die eretcren
haben sich in weisser und blauer Farbe schon in den mykenischen
Gräbern gefunden, während selbst Homer noch nichts von Glas ge-
fässen zu berichten weiss, und solche erst von Aristophanes aus-
drücklich erwähnt werden (vgl. Blümner a. a. 0). Überhaupt zuerst
genannt wird das Glas von Herodot als Xtöoq x^n ,gegossener Stein',
wofür später üaXo? eintritt, das zwar auch schou bei Herodot vor-
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Glas — Glocke.
kommt, hier aber noch -ein natürliches, aus der Erde gegrabenes
Material" bezeichnet. Etymologisch scheint griech. üaXo? dein ersten
Teil des von Plinins XXXVII, 33 als skythiscb, d. h. nordeuropäisch
genannten Namen des Bernsteins Huali-ternicum (Codex ßamb.) zu
entsprechen. Das Zusammenfliessen von Wörtern für Glas und Bern-
stein ist aber eine gewöhnliche Erscheinung, wofür auf den A. Bern-
stein zu verweisen ist. Die Grundbedeutung von *sualo- wird .durch-
sichtiger Stein' oder ähnliches gewesen sein (anders Kögel I. F. IV, 316).
Auf der Apenninhalbinsel sind noch keine Glasperlen in den
Pfahlbauten der Poebne nachgewiesen worden; sie kommen erst zu-
sammen mit dem Eisen in den Funden von Villanova und Marzabotto
vor vgl. Undset Das erste Auftreten des Eisens S. 2 und 4). Als die
Kölner den bläulichen Glasschmuck kennen lernten, benannten sie ihn
mit dem urzeitliehen Namen des zum Blnufärben dienenden Waides
's. d.), i'itrum (wohl zufällig erst bei Cicero überliefert). Dieses ist
denn auch die gewöhnliche Bezeichnung des Glases in den romanischen
Sprachen (it. retro, frz. verre etc.) mit Ausnahme des Rumänischen,
wo stikla (s. u. 1 gilt, geworden. — Die Verhältnisse des mittleren und
nördlichen Europa entsprechen im wesentlichen den italischen,
d. h. auch hier tritt das Glas, ebenfalls fast ausschliesslich in Form
von Perlen und 8chmuckgehängen, erst mit dem Ende der Bronzezeit
und zusammen mit Eisen und Silber (s.s.d.d.) auf. Doch sind Glasperlen
auch schon in dem der reinen Bronzezeit angehörigen Pfahlbau von
Wollishofen bei Zürich gefunden worden. Eine grosse Ausbeute gläserner
Artefakte (kleine Ringe, Schmuck an Fibeln etc.) bietet alsdann das
Gräberfeld von Hallstatt (v. Sacken S. 120). Die La Tene-Zeit zeigt
die neue Erscheinung gläserner Annringe. Auch im äussersten Norden
wurde man erst im Eisenzeitalter mit dem Glase bekannt vgl. O. Mon-
telins Die Kultur Schwedens ? S. 86, 98, 99).
Der neue Ankömmling wurde von den germanischeu Stämmen über-
einstimmend in d e r Weise benannt, dass der urgermanische Name des
mit dem Aufkommen der Edelmetalle an Bedeutung zurückgetretenen
Bernsteins (s. d.i auf ihn übertragen wurde: altn. gier, ahd. glm.
Dasselbe war wohl auch bei den Kelten der Fall (vgl. ir. glain, gloin
.Glas, Krystair aus *glasin). Von den Germanen ging die Bekannt-
schaft mit dem Glas dann zu den Slaven über, aber erst zu einer Zeit,
als bei den Germanen bereits vom Süden eingeführte gläserne Trink-
getässe bekannt waren. So erklärt sich die Entlehnung von lit. sttklcs.
altpr. ttticlo, altsl. stiklü (in allen Slavinen; vgl. auch oben mm. stikla)
,Glas' aus got. stikls, ahd. stechal »Trinkbecher'.
Glaube, s. Religion.
Glocke. Klingeln (lat. tintinnabulum, griech. kiüouiv) waren schon
im klassischen Altertum zu verschiedenen Zwecken gebräuchlich. Die
eigentliche Glocke hat sich aber erst auf dem Boden desChristen-
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Glocke - Gold.
tums herausgebildet. Hier wird sie in deu Schriften des heiligen Gregor
von Tours als signum, vollständiger signum ecdesiae, bezeichnet. Vgl.
De virtutibus S. Martini 28 (Mon. S. 601 M): Reverti autem cupiens nocte
ad funem illum de quo signum commovetur advenit. Über ihre Her-
kunft äussert Walafrid Strabo De exord. et increment. rer. eccl. Cap. V.:
Eorum (der Glocken) usum primo apud Italos affirmant inventum.
unde et a Campania , quae est Italiae procincia, eadem vasa
maiora quidem campanae dicuntur : minora vero, quae et a sono
tintinnabula vocantur, nola 8 apellant, a Nola eiusdem civitate Cam-
paniae, tibi eadem vasa primo sunt commentata. Die hier gegebenen
Erklärungen von campana .Glocke' (in dieser Bedeutung zuerst in der
Vita St. Coluinbac Cap. 22, früher bei Isidor in der Bedeutung von
Schnelhvage) und von nola (zuerst in der Bedeutung von Schelle bei
Avienus Fab. 7 v. 8) sind zweifelhaft; doch sind bessere noch nicht
gegeben worden. Keine der beiden Bezeichnungen ist nach Nordeuropa
Ubergegaugen. Bei Kelten, Romanen (ausser in den südlichen
Mundarten, die campana gebrauchen) und Germanen gilt vielmehr
ein anderer Name der Glocke: ir. cloc, gäl. dag, körn, doch, bret.
kloc'h, prov. cloca, fr/., doche, ahd. glocka, agls. cluggef altn. klukka,
mlat. cloca, der wahrscheinlich von Irland ausgegangen und auf dem
Festland durch die irische Mission verbreitet worden ist. Schon der
heilige Patricius (V. Jahrhundert) soll dem neugewählten Bischof von
Irland eine Glocke verehrt haben (vgl. Thurneysen Kelto-Romanisches
S. 95). Später wird dann von einem irischeu Mönche Dagäus (f um
586) im Kloster Kieran berichtet, der „trecentas campanasu verfertigt
habe. Welche Neuerung etwa in Irland mit dem Glockenguss vorge-
nommen worden sein könnte, entzieht sich unserer Kenntnis. Der Ur-
sprung des keltischen Wortes {*klukko-si dürfte ein onomatopoetischer
sein.
Die Litauer und Slaven, die ausserhalb der angegebenen Missions-
richtung liegen, haben auch an der eben besprochenen Reihe ir.
doc u. s. w. keinen Anteil. Sie benennen die Glocke mit einheimischen
Ausdrücken wie altsl. klakolü, russ. kolokolü etc., wohl ebenfalls ono
matopoetisch (vgl. auch sert. karkari- ,ein Musikinstrument'), oder mit
Ableitungen von *zren-, altsl. zvlneti ,klingen' : bulg. zvünec ,Glocke",
woraus entlehut auch lit. zieänas (neben einheimischem, aber dunklem
wafpas).
Gold. Das vornehmste der Metalle, in Ägypten von der ältesten
Zeit an nachweisbar, und wohl auch den semitischen Völkern, wie die
Ubereinstimmung von assyr. huräsu mit hehr, hdrüs zeigt, vor ihrer
Trennung zugekommen, ist währeud der europäischen Steinzeit noch
unbekannt und tritt in grösserer Menge erst im Verein mit der Bronze
auf. Allerdings begegnen vereinzelte Goldfunde auch zusammen mit
rein kupfernen, der neolithischen Periode nahe liegenden Artefakten,
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Gold.
allein nur an den zwei äusserten, Asien und Afrika benachbarten
Punkten Europas, im Südosten: (in Troja), auf Therasia und im
einstigen Pannonieu, im Südwesten: im südlichen Frankreich und in
Spanien (vgl. näheres bei M. Much Die Kupferzeit in Europa 9 S. 29,
112, 119, 156, 356). Innerhalb der Bronzezeit scheint sich dann das
Gold hauptsächlich im Anscbluss an den Bernsteinhandel (s. u. Bern-
stein) vom Südosten Europas aus nordwärts verbreitet zu haben. Über
die hierbei wichtigen Goldspiralen s. auch u. Geld.
Ein indogermanischer Name des Goldes ist noch nicht ermittelt
worden. Freilich hat es nicht an Versuchen gefehlt, einen solchen zu
erschliessen. Zunächst hat man (vgl. G. Curtius Grundzüge4 S. 204)
die arischen Benennungen des Goldes seit, hiranya-, aw. zaranya-,
die bei ihrer völligen Übereinstimmung in Stamm und Suffix auf eine
Bekanntschaft der arischen Urzeit mit dem Golde hinweisen, mit den
europäischen gricch. xpuffö?, got. gulp, altsl. zlato verknüpft. Allein
hinsichtlich des griechischen Wortes sind jetzt wohl alle Sprachforscher
(vgl. zuletzt .1. Schmidt Urheimat S. 8, Prell witz Et. W., Muss-Arnolt
Semitic words S. 137, H. Lcwy Die semit. Fremd w. S. 59) einig,
dass es eine Entlehnung aus semitischem Sprachgebiet ist, und die
germano-slavischen Wörter haben mit den arischen ausschliesslich die
Wurzelsilbe gemeinsam. Ferner hat man (zuerst Fick, der daran auch
noch Vergl. W. I4, 55 festhält) got. gulp und slav. zlato mit einem
sert. hdfaka- (aus *haltaka-) verglichen, das spät auch Gold bedeutet.
Indessen setzt das Petersburger Wörterbuch als erste Bedeutung des
indischen Wortes .Volk und Land Hdfaka uud dann erst ,Gold vom
Lande II.' an, und ans R. Garbes Schrift Die indischen Mineralien
S. 33 kann man als Analoga zu diesem Bedeutungswandel noch Fälle
wie jdmbünada-, ^dtakumbha-, saumerava-, jdmbava-, gdngeya-, die alle
Gold von dem betreffenden Lande, resp. FIurs oder Berg bezeichnen,
kennen lernen. Endlich folgert Fick Vergl. W. I4, 348 eine gemein-
same westeuropäische Benennung des Goldes auch aus lat. attrum aus
*ausom und lit. duksas, altpr. ausis. Vergleicht man aber sicher auf
Urverwandtschaft beruhende Fälle dieser Art wie lat. auris aus *ausi$
jOhr' = lit. ausis, altpr. ausins Acc. PI., so sieht man, dass lit. duksas
mit ks ~ $ wahrscheinlich eine andere Erklärung als die Annahme der
Urverwandtschaft fordert (s. u.).
Somit lassen sich keine sicheren sprachlichen oder sachlichen Kri-
terien gewinnen, ans denen sich die Bekanntschaft der Indogcrmane»
mit dem Golde vor ihrer Trennung ergäbe.
Es fragt sich nun, in wie weit sich die Wege ermitteln lassen, auf
denen das Gold sich in Europa verbreitete. Gricch. XPu<*oq, wie wir
schon sahen, ist aus dem Semitischen (hcbr.-phoeniz. Itdrtls) entlehnt.
Obwohl das Wort auf griechischem Boden schon im Anfang der Über-
lieferung so fest eingewurzelt ist, dass Orts- und Personennamen voik
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Gold.
ihm gebildet werden, steht doch nichts im Wege, die Phoenizier als
-Übermittle!* des Wortes und der Sache anzusehen, wenn wir bedenken,
dass schon im XVI. Jahrhundert der Handelsverkehr dieses Volkes
mit Griechenland voll entwickelt war (vgl. E. Meyer Geschichte des
Altertums II, 140 . Jedenfalls waren es Phoenizier, die die ersten
Goldgruben in Hellas, auf der Insel Thasos und am Pangaeon, eröff-
neten oder weiter ausbauten (s. u. Bergwerk), und auch auf dem
Landwege über Syrien und Kleinasien, das an Fluss-, wie Beiggold
überaus reich war ('vgl. Strabo XIV, p. 680), wird manches Stück des
-edlen Metalls nach dem goldarmen Griechenland gekommen sein. Noch
im VI. Jahrhundert mussten die Lacedämonier, um dem Apollo ciue
Bildsäule zu errichten, zu Kroisos von Lydien behufs Einkaufs des
dazu nötigen Goldes eine Gesandtschaft schicken (Herod. 1, 69).
Lat. aurum aus *ausom, vgl. sab. au»um (Festus Pauli S. 9), ist rein
italischen Ursprungs, zu lat. auröra, *au8-6sa .Morgenröte', aur-ügo
«Gelbsucht' gehörig und bedeutet also ,das gelbe' Metall. Einen Wink,
woher da» Gold, das in den Pfahlbauten der Poebene noch nicht nach-
gewiesen werden konnte, und erst zusammen mit dem Eisen in Ober-
italicn vorzukommen scheint • vgl. Olshausen Zeitschrift für Ethnologie,
Verhandlungen 1891 S. 317), nach Italien gekommen sei, erhält mau
also so nicht. Hingegen lassen sich von hier aus mehrere Fäden
in das übrige Europa verfolgen. Zunächst haben alle keltischen
Sprachen ihr Wort für Gold dem Lateinischen entlehnt: ir. 6r, kyinr.
mer, kambr. our. Die Entlehnung fand statt in einer Zeit, in welcher
das inlautende s des Lateinischen bereits seine Umwandlung in r durch-
gemacht hatte, also etwa zur Zeit der Samniterkriege oder noch früher,
als die Einnahme Roms nach dem Tag an der Allia den Galliern
1000 Pfund römischen Golds als Beute zugeführt hatte. Dabei ist es
natürlich möglich (was mutatis mutandis auch von dem Verhältnis der
Griechen zu den Pbocniziern gilt), dass bei der Thatsaehe früher Gold-
fundc im südlichen Frankreich und Spanien vereinzelte goldene Arte-
fakte schon vorher den keltischen Stämmen zu Gesicht gekommen und
von ihnen benutzt worden sein könnten; es fragt sich nur, wie in
ähnlichen Fällen, so auch hier, ob diese letzteren schon vor ihrer Be-
rührung mit Rom in denselben ein besonderes Metall, wertvoller
als die dem Golde so ähnliche Bronze erkannt und ihm einen Namen
gegeben hatten, von dem dann jedenfalls jegliche Spur fehlen würde.
Hierdurch erledigen sich die Einwendungen W. Ridgeways The origiu
of metallic currency S. Ol ff. gegen die vorgetragenen Anschauungen;
auch werden von dem genannten Gelehrten die keltischen Wörter zu
Unrecht an das baskische urrea ,Gold' angeknüpft.
Aus italisch aurum stammt femer alb. är. Die älteste Eutlehnung
aus ital. ausom aber, in einer Zeit, iu welcher das intervokalc .v des
«talischen Wortes noch unversehrt war, hätte nach V. Hehn (Kultur-
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Gold.
pflanzen6 S. 547) in die baltische» Wörter : altpr. mutis, lit. duksa*
statt gehabt. Hierbei ist in sprachlicher Hinsicht zu bemerken, dass-
s o das lit. Jc8 = m in duksas sich allerdings eher als bei der Annahme
der Urverwandtschaft des italisch-baltischen Wortes verstehen würde
(s. o.), da bei Entlehnungen eher unregelmäßige Erscheinungen in der
Lautvertretung (vgl. auch lit. tükxtantis, altpr. tüsimtons, got. ßÜJtundi)
zuzulassen sind (so auch Kretschmer Einleitung S. 150 f., der sich
gleichfalls für die Entlehnung des italischen Wortes in das Baltische
entscheidet/. In sachlicher Beziehung wäre an den alten Bernstein-
handel zwischen Italien und den baltischen Ländern zu erinnern, der
für so frühe Zeit freilich noch nicht sicher bewiesen ist (s. u. Bern-
stein). Auch ist Gold aus der Bronze- und Hallstattzeit in den
Provinzen Ost- und Westpreussen bis jetzt nicht gefunden worden (vgl.
Olshausen a. a. O. 1890 8. 284 und Bezzen berger Deutsche Litz. 1892:
S. 1488).
Eine gemeinsame Bezeichnung des (»oldes besitzen die germanischen,
und s 1 a v i s c h e u Sprachen nebst dem Lettischen jedenfalls in-
sofern, als sie dasselbe Adjektivum, wenn auch in verschiedenen Ab-
stufungen des Stammes vorliegend, zur Benennung des Goldes verwendet
haben: got. gulp aus *ghf-to-, altsl. zlato aus §hol-to-, lett. seit* aus
gheJrto- : W. ghel (lat. hel-cutt) ,das gelbe'. Es muss also ein idg-
Adjektivum mit der Bedeutung ,gelb' sich zu einer gewissen Zeit bei
Germanen, Slaven und einem Teil der Balten als Benennung des Goldes
verbreitet und festgesetzt haben und dann als Farbenbezeichnnng all-
mählich verblasst sein. Da dies nur geschehen sein kann, als die drei
Wörter sich noch ähnlicher waren als jetzt, und im besondern der Über-
gang des palatalen Gutturals in den Sibilanten (idg. gh : slav. z, lett. s)
noch nicht stattgefunden haben oder wenigstens noch nicht durchge-
führt worden sein konnte (vgl. auch Kretschmer a. a. O. S. 150), so-
folgt hieraus, dass die erste Bekanntschaft mit dem Golde bei den.
genannten Völkern sehr früh, vielleicht früher als in Italien erfolgt ist.
was zu dem archäologischen Befund (vgl. Olshausen a. a. 0. 1891
S. 317) wohl zu stimmen scheint.
Wenden wir uns noch kurz nach dem äussersten Osten Europas und
den daran stossenden Teilen Asiens, so liegen die Dinge bei dem
Finnen in sprachlicher Beziehung sehr klar. Die Westfinnen haben
ihre Bezeichnung des Goldes aus dem Germanischen (tinn. kulta, estn.
kuld, lapp. golle), die Ostfinnen aus dem Iranischen iiuordv. drnär
wog. sorni, ostj. sömi, wotj. und syrj. zarni aus aw. zaranya, npers.
zarr, zar u. s. w.) entlehnt. Als Vermittler können wir uns in letz-
terem Falle irano-skythische Stämme denken, etwa Massageten, die
nach Herodot (I, 215) überaus reich an Gold (und Erz) waren. Ganz
im Gegensatz zu den Finnen besitzt der am Westende des goldreichen
Altai einheimische turko-tatarische Sprachzweig eine einheitliche Be-
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Gold — Gott.
nennung unseres Metalles, die in ungeheurer geographischer Ausdehnung
noch heute gilt (altun, altyn, iltyn). Die Sage von den goldhütenden
Greifen im Lande der Arimaspen, von denen uns Herodot (III, 116, IV, 27)
berichtet, scheint eine Ahnung dieses hochnordischen Goldreichtunis zu
verraten.
Nachzutragen ist aus idg. Sprachgebiet noch armen, oakr ,Gold'
und phryg. t^oupea desgl., ersteres uugewisser Herkunft (vielleicht
vorarmenisch und zu sumerisch gushkin ,Gold' gehörig), letzteres eben-
falls eine Bildung von der Wurzel ghel, doch mit volarem Anlaut (vgl.
griech. xkwpöq und lit. geltet*, altsl. ilütü). — S. u. Metalle.
Goldlack, s. Veilchen.
Gott. Die Bezeichnungen der idg. Sprachen für den Begriff der
Gottheit gehen zu dem einen Teil auf diejenige Schiebt religiöser Vor-
stellungen zurück, welche u. Ahnen kultus behandelt worden ist.
Hierher gehören sert. dmra-, griech. Gcö? und bcunwv, altn. cesir ,Asen'
u. a. Alle diese Wörter bedeuteten ursprünglich ,Gcist', d. h. ,anima
eines Verstorbenen', teils freundlich, teils feindlich für den Menschen
gedacht, je nach der Verehrung, die dem Toten zu Teil geworden war.
Daneben aber hatte sich schon in der Ursprache eine Bezeichnung
für den Begriff eines Gottes festgesetzt, die in einem andern An-
schauungskreis wurzelte: sert. derd-, lat. deus, lit. diiteas, ir. dia,
altn. tivar Nom. PI. (sert. dityd-, griech. btoq ,göttlich'). Das sich so
ergebende idg. *deivo- ist von der idg. Bezeichnung des Himmels
(s. d.), *dßus, abgeleitet und bezeichnete, zunächst wohl rein lokal,
solche Mächte wie Sonne, Mond, Morgenröte, Donner, Winde u. s. w.,
die räumlich irgendwie in Znsammenhang mit dem Himmel standen.
Da auch diese Naturgewalten, die „himmlischen", doppelseitig waren
und sowohl nützlich wie schädlich für den Menschen werden konnten,
so hat es nichts auffallendes, dass wenigstens auf einem Sprachgebiet,
nämlich auf dem iranischen (vgl. aw. da€ca-, npers. dev , Dämon,
Teufel'), die letztere Seite zur ausschliesslichen Herrschaft gelangt ist.
Verloren ist die uralte Bezeichnung der himmlischen Mächte unter den
europäischen Sprachen im Griechischen (s. o.), im Slavischen und iu dem
grössten Teil des Germanischen. In den slavischen Sprachen gilt bogü,
das eine sehr frühzeitige Entlehnung aus arischem Sprachgebiet (aw.
baya-, altp. baga- ,Gott', sert. bhdga- ,Brot-, Schutzherr, Beiname von
Göttern') sein wird, aus dem auch die Armenier ihr nur in Zusammen-
setzungen übliches bag- (selbständig: das dunkle astuak) Ubernahmen.
Über altsl. bogatü ,reich', u-bogü ,arm' s. u. Reich und arm. Die
germanischeu Sprachen bieten ein über alle Mundarten verbreitetes,
neutral gebildetes (aber männlich gebrauchtes) got. gup, altn. god, gud,
ahd. got, das zuletzt H. Osthoff B. B. XXIV, 177 ff. in ausführlicher
Erörterung auf eine Grundform *ghu-tö-m zurückgeführt, zu sert. hdvate
,er ruft' (hu-td- ,gerufen'), aw. zavaiti ,flucht', lit. iatoiti besprechen',
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Gott.
303
iett. savoH ,zaubern', armen, nzovk , Flach' etc. gestellt and als ,durcli
Zauberwort berufenes Wesen' oder direkt als »Zauberwort' (incanta-
mentum) gedeutet hat. „Darnach hätte unser „Gott" in der Tbat im
Grunde gar nichts anderes besagt, als was das altindische Neutrum hrdhma
[s. darüber näheres u. Priester], was ferner fetisch, frz. ßtiche, it.
feticcio, fetisco aus portug. feitigo ,Zauber, Zaubcrtnittel, Amulett,
Götze' = lat. facticium. Es ist mir auch jetzt noch sehr wahrscheinlich,
dass in „secretum ülud, quod sola reverentia videntu bei Tacitus
Germ. Cap. 9 eine Hindeutung auf das unpersönlich gedachte *gobä-n
der Germanen zu suchen sei".
Der gleiche, wenn auch in fortgeschritteneren Gedankenkreisen sich
abspielende Bedeutungstibergang vom Unpersönlichen zum Persönlichen
liegt vor in lat. nümen = griech. veüpot : griech. v€uuj, lat. nuo (vgl.
II. I, 528: f\ Kai KimWntfiv In' ö<ppuo*i veöae Kpoviuiv), das zunächst
das gewährende Zunicken der Gottheit, dann die Gottheit selbst be-
zeichnete (s. auch u. Gruss).
Noch unerklärt ist die von BUcheler Lex. Ital. IV zusammengestellte
Sippe des italischen *ais-y *aisos, *aiaar ,bouuiov, 6cö?', die vielleicht
im Etruskischcn wurzelt (aioot ' 0€o\ utto Tuppnvwv Hes., aesar Etrusca
lingua ,deus', Suet. Aug. Cap. 97). Bücheler vergleicht den altgallischen
Esusi'i).
Wohl erst mit dein Christentum hat sich nach dem Vorbild des
griech. Kiipio?, lat. dominus die Sitte in Europa verbreitet, Gott (wie
auch Christus) als den Herrn kot ££oxnv zu bezeichnen. So in got.
frauja, ahd. frö Voc., in lit. icföszpats, eigentlich ,Herr der Sippe',
in altsl. pospodi, eigentlich ,Herr des Fremden' (s. u. Gasthaus).
Ähnlich ist im Griechischen beaTrörrrc (s. u. Familie), eigentl.
»Hausherr' zu einer Bezeichnung des unumschränkten Herrschers wie
der unsterblichen Götter geworden. Alle diese Fälle zeigen, welche
Fülle von Macht einst den an der Spitze der einzelnen Familienver-
bände stehenden Männern inne gewohnt haben muss. Auch in dem
noch nicht sicher erklärten alb. zot ,Gott' (neben perendi, perndt aus
lat. imperantem, kaum mit Pedersen B. B. XX, 231: lit Perkünas)
wird ,Herr' die ursprüngliche Bedeutung sein (vgl. neben zot noch zon'e
»Herrin').
Mit dem Christentum musste auch der Gegensatz zwischen dem einzig
wahren Christengott und den falschen Göttern der Heiden, der Begriff
des Götzen, in Europa hervortreten. Altgerraanische Ausdrücke hier-
für sind got. galiuga-gup, ga-liug, ahd. abgot (got. afgups ,gottlos')
u. a., während das erst spät bezeugte götze, (nach Bahder Beiträge
XXII, 531 ff.) soviel wie »kleiner Gott', die Bedeutung , Abgott' erst
durch Luther erhalten hat und vorher das Abbild eines Kobolds oder
oder Hausgottes bezeichnete. Besonders reich an Ausdrücken für die
Begriffe Götze und Götzentempel sind die slavischen Sprachen (vgl.
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Gott — Gottesurteil.
Miklosich D. cbristl. Terra, d. slav. Spr., Deukschr. d. Wiener Ak. d. W.
XXIV, 36 f.). Dieselben geben nieist auf eine Grundbedeutung ,Bild,
Klotz, Säule, Statue* zurück, was au die u. Tempel besprochene
uralte Verehrung des Göttlichen unter der Gestalt eines Baumstammes
erinnert. — S. u. Religion.
Götterbilder, s. Tempel.
Gottesacker, s. Friedhof.
Gottesdiener, s. Priester.
Gottesdienst, s. Opfer.
Gotteshaus, 8. Tempel.
Gottesurteil. Bei allen idg. Völkern findet sich, teils in .Spuren
erhalten, teils als noch lebendiger Rechtsbrauch, die Sitte, durch
Feuer- oder Wasserprobeu oder auch durch andere Ordalc die Schuld
oder Unschuld eines Menschen zu erweisen. Am bedeutsamsten tritt
sie bei Indern und Germanen hervor, ohne jedoch in der ältesten
Überlieferung der beiden Völker sicher bezeugt zu sein, da der ge-
wöhnlich als Beweis für Gottesurteile in vedischcr Zeit betrachtete
Hymnus II, 12 des Atharvavcda kaum als solcher gelten kann (vgl.
Grill 100 Lieder des Ath. S. f>0), und die römischen Autoren über die
Germanen in dieser Hinsicht schweigen. Umso reichlicher sind die
späteren Nachrichten, die von A. Kaegi Alter und Herkunft des germ.
Gottesurteils (Zürich 1887 ; dazu Liebcrmann Kesselfaug bei den West-
sachsen im VII. Jahrb., Sitzungsb. d. Bcrl. Ak. 1896 S. 82» ff.), wo die
ganze Frage zugleich vom rcchtsvergleiehenden Standpunkt erörtert und
alle wichtige Littcratur gegeben wird, sorgfältig gesammelt worden
sind. Bei Griechen und Römern finden sieh dagegen nur wenige
Zeugnisse für das Bestehen des Gottesgerichts im Süden unseres Erd-
teils; doch fehlen sie nicht ganz. In der Autigone des Sophokles
(v. 264 ff. i sagen die Wächter am Leichname des Polyncikes:
f|JLl€V b' CT01U.01 Kai HÜbp0U$ Ct!p€lV X^POIV
KOI TT Up bt€pTT€lV Kai 8€0Ü<; ÖpKUH10T€lV,
t6 unje bpätfai unTe tlu Suveib^vai
t6 TrpäYua ßouXtüffavrt un,b' eipYCto*|u^vuj.
Auf römischem Boden weist der Seholiast Acron zu llor. Ep. I, 10, 10
auf die auch anderwärts häufig vorkommende Probe des geweihten
Bissens bei Diebstahl mit deu Worten hin: Cum in senris suspicio
furti habetur, dueuntur ad sacerdotem, qui crustum panis carmine
infectum dat »ingulis : quod cum adaexerit ort, manifeste furti
reum adserit. In beiden Nachrichten wird mau Überbleibsel eines in
Volkskreisen sich erhaltenden uralten Brauches zu erkennen haben.
Nimmt man demzufolge mit A. Kaegi (a. a. O.) an, dass «las Gottes-
urteil in seinen ersten Anfängen als eine schon idg. Institution zu be-
trachten sei, so wird man ihren Grundgedanken am ehesten aus
dem Grundgedanken des idg. Eides (s. d.) erklären dürfen. Der
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Gottesurteil — GranatapleMuiuni.
'.Wo
älteste Eid ist ein Fluch, den man gegen sieh ausspricht, indem man
eine Person oder einen Gegenstand „beschwort" und meistens dabei
„berührt", mit dem Oedanken, dass sie einem im Falle der Lüge Tod
oder Verderben bringen mögen. Dabei wird vielfach, wie bei den
Indern «vgl. Jolly Grundriss II, H. 144 1, eine bestimmte Frist be-
obachtet, innerhall) deren der Schwörende, wenn er nicht meineidig
erscheinen soll, das heraufbeschworene Unglück nicht erleiden darf.
Ganz ähnlich tritt z. Ii. bei der Feuerprobe der Schwörende in Be-
rührung mit der Flamme, die er, etwa in Gestalt glühenden Eisens,
eine Strecke weit trägt. Nach einer Frist von drei Tagen (vgl. Kaegi
a. a. O. S. 47, 50) wird dann untersucht, ob die Hand verräterische
Wunden zeigt. So dürfte das Gottesurteil als nichts denn als eine
verschärfte Form des Eides aufzufassen sein. Thatsächlich schliesst
bei den Indern <;npatfia- ,Eid* das Gottesurteil, und tlivya- »Gottesurteil'
den Eid mit in sich. Im Altnordischen steht gnds sktral ,Gottes
Reinigung' (vgl. got. *keirx .reini dem manna skh-sl ,Menschenrcini-
gung' = Eid gegenüber. Agls. ordäl imlat. ordathim) ist ,Urteir. Aus
anderen Sprachgebieten als dem indischen und germanischen sind alte
Namen für Gottesurteil nicht bekannt. In der ältesten Zeit werden
eben Eid und Gottesurteil mit denselben Ausdrücken (s. u. Eid) be-
nannt worden sein.
Göttliche Ordnung, s. Religion.
Götze, s. Gott.
Grab, s. Bestattung, Friedhof, Sarg.
Granatapfelbauni (Pttnicum granatum L.). Er ist in Vorder-
asien und einem Teil der Balkanhalbinsel einheimisch, während seine
Verbreitung nach Italien und dem westlichen Teil des Mittelmeerge-
bietes wahrscheinlich erst in historischer Zeit an der Hand der Kultur
erfolgt ist (vgl. A. Engler bei V. Hehn s. u.'. In Griechenland wird
der Granatapfel zuerst in der Odyssee an denselben Stellen wie die
Feige (s.d.) genannt. Sein Name griech. poict, (Soa (ngriech. poibna,
vgl. Hesych : £übia) ist noch nicht genügend aufgeklärt. Für die An-
nahme einer Entlehnung aus dem westsemitischen hebr. rinnnön, arab.
rtimmän fehlt jeder lantgeschichtliche Anhalt. Aber auch eine Deutung
aus den idg. Sprachen, speziell aus dem Griechischen selbst, ist noch
nicht gefunden. Eher entlehnt als poiöt dürfte eine zweite griechische,
z. B. im Bocotischen geltende Benennung des Granatapfels, aißbn,, tfibn.
(vielleicht auch Eiußnj. sein. Es lässt sich zu npers. seb, kurd. x/r stellen,
die jedoch nur , Apfel' bedeuten. Vgl. noch alb. segr , Granatapfel'
und serb. sipak .Rose* und »Granatapfel'.
Eine auf die iranischen Sprachen und das Annenische beschränkte
Gruppe von Namen der Granate ist npers. wrfr, kurd. enur, armen, nuin
(vgl. jedoch Hübschmann Armen. Gr. I, 207).
Zweifelhaft ist auch, ob die Italcr den der Hera geweihten Baum
Schräder. Reallexikon. oq
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3M
Granatapfelbaum — Grenzt-.
durch die Griechen oder, worauf der Int. Name mal um Pttnicum hin-
weist, von den Puniern empfanden haben. In Ägypten ist die Kultur
des Baumes, wie die Denkmäler beweisen, uralt. Sein ägyptischer
Name (kopt. erman, herman) wird für verwandt mit dem westseini-
tischen angesehen und eine Einführung des Granatapfelbaums in Ägypten
aus dem südlichen Arabien, wie bei der Feige, angenommen (vgl.
F. Hoinmel Aufs. u. Abb. S. 9)S und Sehweinfurt Zeitschrift f. Ethno-
logie, Vcrhandl. 1W(.Ü S. (>;*>">). Nach der iberischen Halbinsel wurde
der Granatapfelbaum erst durch die Araber gebracht. Im Portugiesischen
lautet daher sein Name noch heute roma, romeira. — Vgl. V. Hehn
Kulturpflanzen 6 S. 233 ft. S. u. Obstbau und Baumzucht.
Grau, s. Blau, Schwarz und weiss.
Greif. Es soll hier von den beiden geflügelten Wundertieren,
dem Greif und dem Drachen, gehandelt werden.
Der Name des ersteren (griech. fpvy) wird zuerst nach dem ariruas-
piseben Gedicht des Aristeas von Herodot (III, llti etc. t genannt, der von
goldhütendcn Greifen berichtet, denen die Arimaspen im üussersten
Osten der damals bekannten Welt das Metall unter den Füssen weg-
nehmen (s. u. Gold). Das Wort Ypüiy ist aus hebr. kirnb entlehnt.
Alle derartige Mischgestalten wie Greife. Sphinxe, Chimaera, Harpyien
sind Ausgeburten ägyptisch-semitischer Phantasie, auch auf Denkmälern
der mykenischen Kulturperiode nachweisbar. Speziell die Gestalt der
Greifen scheint von Babylon auszugehen. Auf ('herüben thront ebenso
wie die babylonischen Götter der hebräische Jahwe i vgl. E. Meyer Ge-
schichte des Altertums I, 241 ff. und F. Delitzsch Wo lag das Paradies?
S. 151 ff., wo auch ein babylon. kirübu als Name gewisser babylo-
nischer Stiergottheiten angeführt wird , die den hebr. Cheruben ent-
sprechen). Wie im Norden die Greife das Gold, bewachen nach der
Bibel (Gen. III, 24) die Cherube den Garten Eden. Im Lateinischen
muss neben gn/ps eiu gryphus, *gripo bestanden haben, das in die
mittelalterliche Welt (it. griffo, ahd. grlfo, ir. grif ) übergegangen ist,
wo der Vogel Greif namentlich durch die Sage von Herzog Ernst
populär wurde. Unerklärt agls. giw .Greif.
Der Drache (griech. bpätouv, vielleicht : bt'pKouai , blicke ) findet sich
als mythisches Fabelwesen schon in der homerischen Dichtung, doch
wird bpäxuiv ebenso wie das daraus entlehnte lat. draco i Enning) auch
für die gewöhnliche Schlange (s. d.) gebraucht. In die germanische
Mythologie ist die Vorstellung von einem geflügelten Giftwurm, der
wie der Greif Schätze behütet, nebst seiner klassischen Benennung früh
eingedrungen (ahd. traccho aus dem neben draco bezeugten draeco,
agls. draca, altn. dreki, auch ir. drac, draic). Das slavisch-litauische
Fabeltier heisst altsl. smokä, lit. smükas (woher?».
Greise, s. Alte Leute und Erziehung.
Grenze. Eine idg. Bezeichnung hierfür liegt in der Reihe npers.
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Grenze.
307
marz, got. marka »Grenze', lat. margo ,Raud', ir. brt't aus *mrog id.,
britig. kyinr., korn. bro , Bezirk, Land, Gegend'. Vgl. auch griecli.
T€puwv ,Greuze', Tcppct ,Ziel' = lat. termo, termen, umlir. termnoui-e
,ad tenninum' (seit, tärman- .Spitze des Opferpfahls'). Als Grenzen
der Völker und Stämme betrachtete man in alten Zeiten hauptsächlich
Wälder und Berge. Hierauf weist, was die ersteren betrifft, das
altn. mörk ,Wald' = got. marka ,Greuze'. Aber auch altn. c/ör, agls.
tcidu, ahd. witu, ir. fid ,Wald, Holz, Baum' (: lit. tcidüs ,die Mitte, das
Innere') und altpr. median, lett. mexch ,Wald', lit. me"dis .Baum' (: lat.
meditts, altsl. meida , Mitte, Grenze', nsl. meja , Grenze, Unterwald,
Dickicht, Zaun ) erweisen den Wald als Grenzgebiet zweier Land-
schaften gedacht (vgl. Bugge Beiträge XXI, 427 f.). Als Gebirge gefasst,
zeigt si<-h die Grenze in der Gleichung sert. pdrvata- ,Gebirge, Fels'
= griech. (Horn.) Tretpara PL ,das Äusserste, die Grenzen'. Vielleicht
sind aber auch die beiden neben einander liegenden griech. Wörter
<5poq ,Berg" und öpo-q »Grenze* (vgl. die mundartlichen Können bei
G. Meyer Griecli. Gr.a S. 135. 136) im Grunde nur Differenzierungen
eines und desselben Stammes.
Hinsichtlich der Anlage künstlicher Grenzen ist als charakteristisch
für primitive Verhältnisse besonders auf die Nachricht des Caesar De
bell. gall. VI, 23 (vgl. IV, 3* Uber die Germanen zu verweisen: 0>i-
tatibm maxima laus est quam latissime circum se rastatis finibus
solitudine* habere. Hoc proprium virtutis existimant, expulsos agris
finitimoM cedere neque quemquam prope audere consistere : simul hoc
se fore tutiores arbitrantur, repentinae ineursionis timore sublato.
Die Kinöde soll hier den undurchdringlichen Wald oder das unUber-
steigbare Gebirge ersetzen; denn Völker schliessen sich in alten Zeiten
ab, nicht an. Merkwürdig früh werden aber auch zwischen den Ge-
bieten einzelner germanischer Stämme richtige Grenzsteine genannt
(Ammian. Marc. XVIII, 2, 15: Cum centum fuisset ad regionem cui
Capellatii cel Palas nomen est, ubi terminales lapides Alaman-
norum et Burgundiorum confinia distinguehant . . . ).
Innerhalb der einzelnen Stämme werden künstliche Eigentunis-
grenzen gegenüber dem Umstand, dass der Grund und Boden noch lange
Zeit den Faniilienverbünden gehört und bei den Aufteilungen Ackerland
die Hülle und Fülle vorhanden ist (vgl. Tacitus Germ. Gap. 26: Facili-
tatem partiendi camporum spatia praestant) erst verhältnismässig spät
aufgekommen sein. Ist aber erst die Idee des Privateigentums an Grund
und Boden erwacht, so wird dasselbe so ängstlich wie jedes andere
Eigentum (s. u. Diebstahl) gehütet. In Rom bestimmte schon ein dem
Nnnia zugeschriebenes Gesetz: Eum qtu terminum exarasset, et ipsum
et boves sacros (, verflacht ) esse. Aber auch bei den Germanen wurde
nach den Bestimmungen der ältesten Gesetze die Zerstörung oder Ver-
rückung der Grenzzeichen (Erdhaufen oder Wälle, Steine, Mahlbäume)
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308
Glosseltern — Grosshundert.
mit den schwersten Straten geahndet (vgl. Anton Geschichte der teutschen
Landwirtschaft I, G4ff.t.
Grosseltern. Unter ihren Benennungen lässt sich zunächst eine
als vorhistorisch erweisen: armen, hat .Grossvater, Vorfahr' 'vgl.
Hübschmann Armen. Gr. I, 4fiö) — lat. avus ,Grossvater', nnd got. mrö
,Gro8smntter' (mundartl. im Deutschen atcio ,Grossvater', altn. de ,Ur-
grossvater": auch altn. n(i ,Grossvatcr würde nach Xorcen lautgesetz-
lich hierhergehören). Delbrück Verwandtschaftsnamen S. 482 leitet den
Stamm *aro- von sert. diati ,er fördert, behütet, hat gern' ab und
deutet avus als .Gönner'. Erwägt man aber, wie alle derartige ..idyl-
lische" Deutungen der Verwandtschaftsnamen (sert. duhitdr- .Tochter'
als „Melkerin-, sert. dtrdr- .Sehwager' als „ Spielgenosse u etc.) sich als
hinfällig erwiesen haben, so wird man auch gegen diese an sieh wohl
mögliche Erklärung misstrauisch werden. Wahrscheinlicher scheint
es, dass *aco-, worauf schon das Armenische hinweist, ursprünglich
allgemein die Alten und Vorfahren bezeichnete, wie dies wohl auch
bei dem Stamme *ano- der Fall ist : ahd. ano ,Grossvatcr', ana ,Gross-
inuttcr', lat. anun ,altc Frau', altpr. ane .Grossmnttcr',* lit. anf/ta ,die
Schwiegermutter', cigentl. die Mutter des Sohnes vom Hause, in den
Dainos der Schwiegertochter gegenüber gewöhnlich als sehr strenge
dargestellt iKurschat), „die Alteu, griech. dvvw; .Grossmutter' (Hes.).
Über die Etymologie der beiden Stämme lässt sich freilich nichts sicheres
sagen. In bemerkenswerter Nähe des ersteren scheint die Praeposition
sert. ava ,von her', des letzteren die Praeposition griech. otvd , hinauf
zu liegen, so dass man vermuten könnte, in *ano- seien die Vorfahren
als diejenigen aufgefasst, z u denen man als Ausgangspunkt des Ge-
schlechtes hinauf blickte, während man in *</ro- diejenigen bezeich-
nete, von denen man seinen Ursprung ableitete. Doch kann nicht
verkannt werden, dass derartige alsdann vorauszusetzende Bildungen
von Praepo8itional8tämmcn sich schwerlich auf Analoga stützen können.
Zusammenhang zeigt auch altsl. di-dü .Grossvater' mit griech. xr|0rj
,Grossmutter\ vielleicht ursprünglich Lallwörter, der Kindersprache
entstammt. Im übrigen sind die Namen der Grosseltern vielfach mit
Adjektiven wie „gross" (sert. pitdmahd-, pitdmahi-, mätdmaha-, mdtä-
mahi-, griech. Hes. ^Tö^OMnirip) oder „alt" • ir. senmdthir, lit. sen-
fewix, auch bloss whm .Alter » gebildet und bieten sachlich nichts von
Interesse.
Etymologisch dunkel sind: aw. nyaka-, npers. nij/d u. s. w .Gross-
vater' und alb. diis desgl. Ein Lallwort ist griech. 7tötttto^, armen, pap.
Bemerkenswert ist, dass die Namen des Grossvaters mehrfach die
Neigung zeigen, in den Einzclsprachen mit andern Ableitungen den
Vater- oder namentlich den Mutterbruder zu bezeichnen. S. darüber
u. Oheim. — S. ferner u. Vorfahren.
GrossJmndert, s. Zahlen.
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Grubenwohnungen — Gnu*.
Grubeuwohnimgen, s. Unterirdische Wohnungen.
Grün. U. Gelb ist auf die Ableitungen von den beiden Wurzeln
§hel und ghel hingewiesen worden, welche in der Urzeit diejenige
Farbennuance bezeichneten, die in dem Gelblich-Grünen der jungen
Vegetation zu Tage tritt. Aus dieser Sippe sind dann namentlich
Wörter für Gell», aber auch solche für Grün (Hellgrün) hervorgegangen.
Am deutlichsten zeigt sich diese letztere Bedeutung in dem schon ho-
merischen x^-iupö?, zu dein für dunklere Töne des Grün später Wörter
wie TTonwbriq .grasgrün' und -npäöwos, npcuJoeibriq ,laucbgrün' hinzu-
treten. Ebenfalls das Hellgrüne des ersten Pflanzentriebs meint ohne
Zweifel das gemeingeriu. ahd. gruoni, altn. gränn, ein Verbalad-
jektiv zu agls. groican, engl, to groic, also cigentl. »gewachsenes",
und wohl auch die italo-keltische, nicht weiter auflösbare Gruppe: lat.
viridis, vireo, riror, altkymr. guird gl. herbida), korn. guirt (gl. vi-
ridis i. *cirjo-M. Für Dunkelgrün wird im Lateinischen merkwürdiger
Weise das sonst für Hl au übliche caeruleua (so werden z. 13. Gurken
und Wiesen genannt) mit gebraucht. Vgl. noch ir. üane ,grün' und -Ar
, viridis', kymr. ir id. (*üro-s). — S. u. Blau, Farbe, Farbstoffe.
Grundeigentum, s. Ackerbau und Eigentum.
Gruss. Im allgemeinen kann man sagen, dass auf niederen
Kulturstufen die Intensität und Mannigfaltigkeit der Begrüssuugsforma-
litäten eine grössere als auf höheren ist, und dass wiederum innerhalb
des Kreises der Kulturvölker Asien von jeher den Zeremonien der
Höflichkeit und Ehrerbietung eine grössere Bedeutung als Europa bei-
gemessen hat. Während aber über dieses wichtige Gebiet der Sitte
vom Staudpunkt der vergleichenden Völkerkunde oft und eingehend
gehandelt worden ist (vgl. II. Spencer Principles of Sociology II, 1,
Ihering Der Zweck im Recht II, (540 ff., Wnndt Ethik ■ S. 176 ff.},
hat man den Versuch, eine eigentlich historische Entwicklung der
Grusssitten, der Formen der Höflichkeit und Etikette, auf dem Boden
der idg. Völker darzustellen, noch nicht gemacht. Auch scheint es,
dass es bei den europäischen Nordvölkern, Kelten, Germanen, Litauern
und Slaven, die sonst so oft die Kulturzustände der Urzeit aufs treuste
bewahrt haben, au Nachrichten Uber ursprüngliche Grusssitten fast
ganz gebricht, während wir hinsichtlich der Inder (vgl. B. Delbrück
Verwand tschaftsnainen S. 178 ff. „Die Grussordnung"), sowie der Griechen
und Römer (vgl. Sittl Gebärden der Griechen und Römer, besonders
Cap. 5 und 9) besser bestellt sind.
Vorläufig kann daher im Folgeuden nur auf eine Reihe von Einzei-
he iten hingewiesen werden, die unter die Stich worte 1. Bedeutung
der rechten Seite, 2. Verbeugung, 3. Händedruck, 4. Knss, f>. Grüsscn
und Gruss eingeordnet werden mögen.
1. Bedeutung der rechten Seite (s. auch u. Rechts u. links).
Für den Süden wie für den Norden Europas wird von den Alten die
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:jio
Gross.
Sitte bezeugt, sich bei dem Gebet zu den Göttern nach der rechten
Seite zu wenden. Vgl. Theognis v. 944: bcEiö? äGavdToiq 8€oi<Ji
^K€uxö|i€V05, Plaut. Ourcul. v. 70: Si deos mint an, dextrorormm censeo,
Posidonius bei Athenaeus IV, p. 152 Uber die Kelten: Kai toih; 8eou?
TTpoaKuvoöm im Tä b€Eid (TTp€(pöu€voi. In merkwürdiger übereinstim-
immg hat sich hieraus bei Indern und Kelten die Gewohnheit entwickelt,
einer zu ehrenden Persönlichkeit die rechte Seite zuzuwenden nud sie
in dieser Stellung zu uniwandeln : das indische pradakshina- : dakshirta-
,rechts' und das irische deheal : deas, dess ,rechts' (vgl. näheres bei
A. Pictet Lcs Origines II, 498 ff.).
2. Die Verbeugung. Der indische Ausdruck für die den Göttern
und Ahnenseelen zu zollende Verehrung lautet ndmas-, unzweifelhaft
zu sert. ndmate ,er verbeugt sich' gehörig. Ist es nun richtig, das»
mit diesem sert. ndmas- auch ir. nem, kymr. nef (*nemo*-) »Himmel',
altgall. Wjwtov , Heiligtum', lat. nemu* (heiliger) ,Hain' als Orte der
, Verehrung' oder ,Verbcugung' zusammenhängen (anders Uhlenbcck
Et. W. d. altind. Sprache S. 143), so würde es zugleich wahrscheinlich
werden, dass die Verbeugung als eine uralte idg. Form der Verehrung
des Göttlichen angesehen werden mnss. Thatsächlich tritt dieselbe auch in
ganz rohen Kultnsformen auf idg. Boden uns entgegen, wie z. B. von den
Langobarden berichtet wird, dass sie ein göttlich verehrtes Ziegenhaupt
submhtM cercieibu* angebetet hätten (vgl. J. Grimm I). Myth. 1 3, 28),
oder von den heidnischen Russen, dass sie sich vor kleinen Statuen,
die sie wie Götter verehrten, in Demut verbengten (Ibn Fozlan bei
Thomsen Ursprung d. russ. Staats S. 31). Wann zuerst die Vcrnei-
gung auch Menschen gegenüber als Gruss oder Zeichen der Ehrer-
bietung aufkam, ist des näheren nicht zu sagen. Die Griechen und
Römer (Sittl S. 1 ;">">) kannten das üttokütttciv und caput deicere nur
im Verkehr des Sklaven mit dem Herren. Bemerkenswert ist dagegen
got. hnaites ,demütig, niedrig' : hneiwan ,sich neigen' = lat. nico, nicto
.zwinkern', das für die Germanen auf eine allgemeine Sitte der Vernei-
gnng Höheren gegenüber hinzuweisen scheint. Auf der andern Seite wird
die leichte Senkung des Hauptes von Seiten des Höheren, namentlich
auch der Gottheit, griech. veüw = lat. nuo (über mimen s. u. Gott)
frühzeitig als ein Zeichen huldvoller Gewährung aufgefasst worden sein.
Auch dieses ist eine Art der Vemeigung, deren Bedeutung sich in Aus-
drücken wie Int. inclinatio .Zuneigung', nhd. , Neigung', ,Abneigung'
(seit wann in diesem Sinne belegt?) spiegelt.
Das äusserste Extrem der Vcrneigung ist das sich NMederwerfen
zu Füssen des verehrten Gottes, Menschen oder Gegenstandes, das. waa
die Griechen als (TTpoamn-mv Kai) npoqKuvciv ,anküssen' (von einigen
zu kuwv gestellt: ,anhündehr) bezeichneten. Es ist von den Griechen
und Römern der guten Zeit Menschen gegenüber immer als Ausgeburt
orientalischen Sklavcnsinus betrachtet worden vgl. Xenoph. Anab. III, 2, 1 3:
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Gruss.
.'511
OUbCVCt TOP fiv6pU)TT0V bCCTTÖTnV, dXXä TOU? 6€0Üq TrpOO*KUV€lT€, Corn.
Nep. Conon Cap. 3: Xecesse est enim [chiliarchus Cononi dixit], si in
conspectum [sc. Artaxerxis] vettert», venerari te regem, quod nnoo-
xvvnmv Uli vocant, Eutropius IX, 26: Diochtianu» — adorari »e
iussit, cum ante eum cttncti salutarentur), und auch die Germanen
und andere Nordvölker scheinen, soweit man aus den auf den Säulen
des Trajan und Marc Aurel dargestellten Sccnen schliessen kann, selbst
als Besiegte diese Art der Unterwerfung unter den Sieger nicht
gekannt zu haben. Charakteristisch ist in dieser Beziehung auch eine von
Vellerns Patercnlus II, 107 geschilderte Scene. Ein Germane rudert
auf seinem Einbaum über die Elbe, um den Caesar anzustaunen. Es
wird ihm gestattet, die Hand desselben zu berühren. Nachdem er dies
gethan, fährt er zu den Seinen zurück. Jeder Orientale würde sich
vor dem Herrscher der Welt auf den Boden geworfen haben. Ob auch
im Kultus das TrpotfKuveiv den Germanen fremd war (über das pedibus
provolei in christlicher Zeit vgl. J. Grimm a. a. 0.), muss dahin ge-
stellt bleiben, der heidnische Russe wirft sieh vor der grössten der
oben genannten hölzernen Figuren ganz auf den Boden nieder. Be-
merkt sei hter noch, dass in den heidnischen Riten mancher sonst
nur auf den niedrigsten oder weit abgelegenen Kulturstufen erhaltene
verwickelte Brauch der Ehrfnrchtsbezeugung wiederkehrt. Ein solcher
Fall liegt Tacitus Germ. Cap. 39 vor: Xemo nisi rineulo ligatus
ingreditur (den heiligen Hain der Semnonen), ut minor et potesfatem
numini» prae se ferem, wenn man dazu die Mitteilung H. Spencers
a. a. 0. S. 126 hält: rA sign of humility in ancient Peru icas to
hare the hands hottnd and a rope round the neck : the condition
of captice» was simu1ateda.
In der Mitte zwischen der blossen Verbeugung und dem sich Nieder-
werfen steht der Fuss fall, als Zeichen des Bittflehenden wohl früh
durch ganz Europa verbreitet und ebenfalls in engem Zusammenhang
mit der Gottesverehrung stehend. Vgl. Od. XIII, 230 f.:
0*01 Y&p ifVJ
eüxojicu üiq T6 Seil» Kai aeu <pi\a -rouvaG' itcävw.
Oft wird von den römischen Historikern erzählt (Sittl S. 156), wie
Könige und Gesandtschaften bittflehend vor dem Senat oder den Feld-
hcrrti niederknien. In sprachlicher Beziehung bemerkenswert ist das
got. knussjan ,tovutt€T€iv' als dunkle und uralte Ableitung von sert.
jnu-, aw. znu-, griech. fvu- in Trpöxvu) ,Knie". Zu einem Akte der De-
votion innerhalb der eigenen Volksgenossen hat sich das Knicen
aber erst im Mittelalter entwickelt (vgl. Ihering a. a. O. S. 646 f.). Einen
ersten Beleg hierfür bietet das angelsächsische Gedicht Der Wanderer:
ftEs scheint ihm in seinem Gern Ate* dass er seinen Lehnsherren um-
arme und küsse und ihm auf die Kniee lege Hände und Haupta.
Viel früher ist in Indien (vgl. Delbrück S. 181) «las upasamgrahana-
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312
Gruss.
,das Unitassen der Füsse' zu einer weltlichen, höchst wichtigen, Lehrern
und anderen Respektspersonen gegenüber auszuübenden Grusszeremonie
geworden.
3. Händedruck. Während die im bisherigen berührten Formender
Ehrerbietung oder Höflichkeit vielleicht im Kultus wurzeln oder in ihm
zunächst nachweisbar sind, wird der Harnisch lag, tö £v xtiptOOi q>üeo*6cti,
wie er bei Homer heisst, von Anfang au in weltlichen Verhältnissen
seinen Ursprung haben. Ihering a. a. 0. S. 649 deutet ihn als ein
ursprüngliches Symbol der Friedcnsversicherung ; denn man mache die
Rechte wehrlos, indem man sie dem Gegner darbiete. Thatsächlich
hat der Handschlag in diesem Sinuc nuch später im Süden wie im
Norden eine hohe Bedeutung. Eine äusserst primitive und verwickelte
Zeremonie dieser Art schildert Tacitus Ann. XII, 47 bei altarmcnischeu
Königen: Mos est reqibns, quotiens in societatem coäant, impUcare
dextras poliieesque int er se vincire nodoque praestrin(jere\ mox tibi
sanquis in artus extremos suffuderit, leti ictu cruorem eliciunt atqne
in ricem himhunt {über die Bedeutung des Blutes beim Schliessen von
Freundschaften s. u. Freund und Feind). Auch sonst ist die
Reehtssymbolik der Hand (vgl. Sittl a. a. 0. S. 129 ff., J. Grimm R.-A.
S. 131 f.» überall eine grosse, worauf hier nicht weiter eingegangen
werden kann. 8. u. Familie und u. Heirat (Handergreifung). Im
allgemeinen kann man sagen, dass dem Handschlag immer ein tieferer
Sinn als heute zu Grunde lag, und er noch nicht wie jetzt zu einer
bedeutungslosen Förmlichkeit der Höflichkeit herabgesunken war (vgl.
für das klassische Altertum Sittl S. 27 ff.).
4. Der Kuss. Eine idg. Gleichung hierfür ist bis jetzt nicht nach-
gewiesen worden, da das mit dem griech. Kuvt'uu, etcua-cra oft ver-
glichene sert. küsyaü uicht belegt ist, und die mit dem griechischen
Wort ebenfalls zusammengestellten altkorn. cussin, mkyiur. cussan ,Kuss*
Lehnwörter aus dem gemeingerm. altn. kons, agls. coss, ahd. kus (: ir.
bus , Lippe ? daneben got. kukjan , küssen' i sind (vgl. Brugmann Grund-
riss II, 971 Da die Ethnographie lehrt, dass viele Völker den Kuss
nicht kennen ^im Altertum wird es z. B. von Valerius Maximns II, 6,
17 hinsichtlich der Xumider berichtet), so braucht dieses Versagen der
Etymologie kein zufälliges zu sein. Doch küsst man sich schon bei
Homer (aber nicht auf den Mund) aus verschiedenen Anlässen Wei-
teres Uber den Kuss bei Griechen später tpiXeiv, eigentl. .lieben' für das
ältere xuvetvi und Römern, bei denen das ins oscirfi (osculutn : 6s
,Mund' neben sdrium und btisium: vgl. G. Goetz Thes. 1, 131) das Vor-
recht eines bestimmten Verwandtschaftskreises bildet, vgl. bei Sittl a. a. O.
S. 36 ff. über die Germanen wissen wir aus älterer Zeit fast uiebts
(einiges vgl. bei J.Grimm II3, lof>5).* Im Beowulf ist zwar der Kuss (v.
1871; s. auch o.) bekannt: doch spielt in diesem Epos die höfische Eti-
kette - vgl. z. B. v. 359: Wulf'gdr ende dugttHe praie „W. kannte die
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(iruss.
313
höfische Sitte" und trat in Folge dessen nicht direkt vor, sondern seit-
wärts, for eaalum seines Herreu) eine so grosse Rolle, dass man von
hier kaum auf frühere Zeiten schliefen kann.
Zu einem gewöhnlichen Gruss (wie heut zu Tage in vornehmen Fa-
milien unter Gleichgestellten und im ganzen Osten Europas» und zu-
gleich zu einem ausgeprägten Merkmal der Standesunterschiede hat
sich der Kuss bei deu Persern entwickelt. Vgl. Herodot I, 134: 'Ev-
tutx«V0VT*S b aXXn,Xoio*i fcv Trjo*i öboicn, Twbe dv iiq bicrrvoio., €i
duoloi eio*i 01 o*uvTUfxavovT€? * dvri Yap toö TTpotfafopeüeiv (wie bei den
Griechen) qnXcouai touTi crröuaai. nv be § oütepo«; (mobefcO*T€po<; öXvrw,
tui; Tiap€iä<; cpiXtovTai, f|v b€ ttoXXüj f} oÜT€po<; ü.ftv((JT€po<z, TTpocmi-
tttujv npoffKuveei tov frtpov (s. o.j. Auch den Verwandtschaftskuss
kennen die Perser (vgl. Leist Altarisches Jus civile I, 2öPy.
ö. Grüsscu und Grussformeln. Auch hierbei zeigen sich, mit
einer unten zu nennenden Ausnahme, keine etymologischen Überein-
stimmungen. In den Einzelspracheu wird der Begriff des Grüssens
mehrfach durch Zeitwörter ausgedrückt, deren eigentlicher Sinn , an-
reden' ist. Vgl. sert. abhi vadati ,er spricht zu Jemand', abhi rdda-
yate ,er bewirkt, dass Jemand zu ihm spricht' (über die indische Zere-
monie des abhieädana ,MeIdung' vgl. Delbrück a. a. 0. S. 183), griech.
npocraYopcüw, geineingerm. altn. grata, agls. grttan, engl, greet, ahd.
gruozzen, eigentl. ,Jemand ansprechen', sogar in feindlicher Absicht
(got. göljan nach Uhlcnbeck : ahd. galan, urspr. .laut, freudig zurufen').
Auch griech. äo*Trü£onai hat ursprünglich die Bedeutung .anreden' ge-
habt, wenn es von O. Lagercrantz mit Hecht zu griech. £vv€ttu> (W.seq)
gestellt wird (vgl. K. Z. X. F. XIV, ;*82ff.). — Was die Gruss-
formcln anbetrifft, so stimmen sie, wie natürlich, darin überein, dass
sie dem amiern Gesundheit, eigentl. ,Stärke' und .Ganzheit' wünschen.
So griech. IppuxJo : pwvvum. pwan. xaipe »freue Dich ! , lat. nahe : sert.
#drca-, griech. öXo? ,ganz, heil' lat. salüto ,ich grüsse'; vale ,sei stark';
4iv<! nach Osthoff B. B. XXIV, 188 ff. : sert. hdmt* .er ruft', eigentl.
,werde angerufen', ,sei gegrüsst ). geineingerm. ?ot. haih (vgl. /.. B.
Beow. v. 407: Wes pu, Hrödgdr, hat) : altsl. ci-lü .ganz, heil", altpr.
kailüstikan Aee. , Gesundheit', lit. meeikaa .gesund' (xiceikinu ,ich
grüsse'). Als eine schon idg. Grussformel wird man dabei die
Gleichung griech. (Horn.) ouXe = lat. mite ansehen dürfen, auch letz-
teres wohl ursprünglich ein Vocativ (aalet), der durch die Einwirkung
von vale uud ace zum Imperativ geworden ist.
Wesentliche Veränderungen in den Grussfonneln sind in Europa mit
der Ausbreitung des Chris ten tu ms auf getreten, durch das Formeln des
Segens oder gottcsdienstlichcn Grusses („Gott mit Diru, „Adieir, „Pax
vobiscumu u. s. w.) sich im gewöhnlichen Leben eingebürgert haben.
Auch die jetzt in ganz Europa verbreitete, spät aufgekommene Sitte
des Hut abnehme ns wurzelt vielleicht in letzter Linie im Christentum,
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314 GrusB — Gyps.
«
indem entgegen den Kultusvorschriften der Juden der Apostel Paulos
I. Corinth. 11, 4, 7 lehrt: „Der Mann aber soll das Haupt (beim Beten,
also zunächst Gott, dann jedem Höheren gegenüber) nicht bedecken,
sintemal er ist Gottes Bild und Ehre" (vgl. näheres bei M. Schaber
Über Sitten, Ausdrücke nnd Symbole des Grusses civilisierter Völker
alter und neuer Zeit I. Abteilung: Orientalische Völker, Ebräer, Mus-
limen, Chinesen. Progr. Donaueschingen 1850/57 S. 28ffA
Gummi. Die griechische Bezeichnung dieses Stoffe«, tö kö^i,
wird zuerst von Ilerodot II, 86 hinsichtlich der ägyptischen Einbal-
samierung der Toten (uttoxpiovtc^ tw köumi, tw br\ dvri KÖXXnq ,Leim'
tci ttoXXoi xp€'ovxai AItutttioi) gebraucht. Als Baum, von dem es kommt,
wird von Herodot II, % und von Theophrast IV, 3, 8 die ägyptische
ÖKav9a [Mimom nilotica L. nach Lenz) bezeichnet. Später werden
die harzigen Absonderungen sehr verschiedener Bäume und Sträucher
(vgl. Plin. Hist. nat. XIII, 66) unter diesem Namen znsammenge-
fasst. Der ägyptische Xame ist kemai, kemn (woraus tcduui), dag in
älterer Zeit als Ausfuhrartikel des Landes Punt (vgl. Lieblein Handel
n. Schiffahrt auf dein roten Meer S. 48 f.) genannt wird. Lat. cummi
(schon Cato De re rust. 69, 2), später gumtni. Im Altertum wurde
das Gummi zu den Aromata (s. d.) gerechuet.
Gurke, s. Cucurbitaceen.
Gurt, Gürtel, s. Kleidung.
Gut, 's. Eigentum.
Gflterteilung, s. Erbschaft.
Gussforineii, s. Erz.
Gyps. Griech. TÜipo^, zuerst bei Herodot, auch ,Kalk' und ,Kreide'
bezeichnend. Man vermutet orientalischen Ursprung (arab. gibs), wie
denn der beste Gyps ausser von Cypern, auch aus Syrien kam (vgl.
Muss-Arnolt. Semitic words S. 70). Auch für o"Kipo?, tfidpov, aKtppo?,
öKeipo? etc., ebenfalls ,Gyps\ nimmt man semitische Herkunft an (vgl.
Lewy Die semit. Fremdw. S. 54). Gricch. yütyos wurde in lat. gypmm,
dies in ahd. gips entlehnt.
Eine besondere Art des Gypses ist der Alabaster. Er wird zuerst
bei Herodot III, 20 genannt. Kambyses schenkte dem Könige von
Äthiopien nöpou dXdßao'Tpov Kai (poivixrpou otvou Kdöov. Man hat Zu-
sammenhang mit arabischem al-basrah ,Stein von Basra' vermutet (vgl.
Muss-Arnolt a. a. O. S. 138 f.). Got. alabahtraun mit auffälligem /.
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Haarfarbe der Indogermanen — Haartracht.
315
H.
Haarfarbe der Indogermanen, s. K ör per beschaff en hei t d. I.
Haarsalbe, s. Butter, Seife.
Haartracht. Zar Bezeichnung des Haupthaares dienen die
Gleichungen sert. kfmra- = lat. caesaries (wobei aber in beiden
Sprachen die Bewahrung des » statt »h, bezüglich r noch .Schwierig-
keiten macht) und die auf Kuropa beschränkte, ebenfalls noch nicht
durchsichtige Reihe von griech. KÖun,, lat. coma, altsl. kosmü, kosa
{cesati .kämmen ), ir. cass ,gclocktcs Haar', gemeingerm. ahd. hdr aus
*heza-, altn. haddr aus *hazda-. Vgl. noch sert. rö'man- ,Haär am
Körper', npers. rüm ,Schamhaar' : ir. ruainne ,einzelnes Haar', ir. foU
,Haar' : griech. \acioq ,haarig' aus *voIto- (altsl. rltutil aus *voho-) und
got. skitft : altpr. *cebelis. Oer Bart wird bezeichnet durch sert.
qmdqru- aus *smdqru- = armen, moru-k ,Kinnbart' (: lit. smakrä, ir.
smech, alb. mjekn ,Kinn'; vgl. griech. ycvctov ,Bart' : tivvc, ,Kinn ),
durch lat. barba — lit. barzdä, altpr. bardus, altsl. brada, ahd. hart
und durch ir. fe* — altpr. icamto, altsl. rqsü. Der Begriff der Haar-
losigkeit oder Kahlhcit wird ausgedruckt durch die Gleichung sert.
kttlea- in dti-kulra- ,zu kahl , aw. kaurca- — lat. cah'its.
Für indogermanisch darf die Sitte gelten, langes Haar und langen
Bart zu tragen. Beides thim die Kdpn. Kouöwvieq 'Axaioi des Epos,
nur dass sie bereits die Oberlippe zu rasieren angefangen haben (vgl.
Helbig Horn. Epos* S. 236 ff.). In Rom waren bis in die Mitte des
V. Jahrhunderts die männlichen Statuen mit langem Haupthaar und
grossen Bärten dargestellt (vgl. Varro De re rast. II, 11). Auf nichts
anderes kann sich der Name Gallia Comata (Plin. IV, 105) für das
ganze transalpine Gallien bezichen, wie der genannte Schriftsteller
überhaupt allen Xordvölkern promissi capilli zuschreibt. Gleiches gilt
von den alten Preussen (vgl. Hartkuoch S. 77, wo reiche Littcratur
über die Haartracht der alteuropäischen Völker beigebracht wird), und
auch die Geten erscheinen dem bereits an eine andere Tracht ge-
wöhnten Dichter der Hauptstadt als Leute, denen non coma, nou ulla
barba resecta manu (Ovid. Trist. V, 7, 18).
Wie aber die reiche Fülle des Haupthaars überall dem Menschen
ein willkommenes Material darbietet, um an demselben ein gewisses
Schönheits- und Fnterschcidungsbedürfuis zum Ausdruck zu bringen,
so lassen sich künstliche Frisuren verschiedener Art frühzeitig
auch bei zahlreichen idg. Völkern nachweisen. Wie schon in vedischcr
Zeit selbst von den Männern das Haar in Form eines Zopfes (sert.
opaca-) aufgebunden wurde, und gewisse Familien wie die Vasishtiden
durch eine bestimmte muschelartige (kaparda-) Anordnung der Haar-
flechten ausgezeichnet waren (vgl. Zimmer Altind. Leben S. ^fv» f.), so
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3i«;
Haartracht.
werden schon in der Hins die Thraker (IV, f>33) als dKpÖKOuoi und die
euhöischen A bauten (II, f>42i als ömSev kouöujvt€<; (d. h. vom au der
Stirn geschoren, am Hinterkopf mit schweifartigem Haar) bezeichnet.
Von den Galliern berichtet Diodorus Siculus V, 28: äXXä kcu bia Tr\q
KaTao*Keufiq eniTnb€uouO"iv auftiv Tnv (putfiKnv Tn.s xpö«? ibtÖTryra. tito-
vou f«P (itrorrXü|LiaTi tfpÜJVTe«; tck; Tpixa? cfuvexw«; Kai arrö tüjv
jueTiüiTUjv t tti Tn,v Kopuqprjv Kai tous T^vovra? ävao*TTÜJ(Jiv,
ü»0"T€ Tnv Trpöo"oi|MV aörüjv <paiv£0"6ai Zatüpoiq Kai TTäo*iv £oiKuTav ' Tta-
Xuvovrai f«P ai Tpixt? ottö xrjq KaT€prao*iaq, wo"T€ unbev xf\<; twv umuiv
Xadn,? biaqpepciv. Bekannt ist ferner die suc bische Haartracht bei
Tacitus Genn. C'ap. 38 : Insigne gentist obliquare crinem nodoque sab-
8t ringe re Udas Haar seitwärts zu streichen und in einem Knoten zu-
sammenzufassen") : sie Sitebi a ceteris Germania, sie Sueborum ingenui
a ser vis separantur. in aliis gentibus seu cognatione aliqua üue-
brirum seu, quod saepe accidit, imitatione, ramm et intra iaventae
8patium, apud Siwbos usqne ad canitiem horrentem eapillum retro
sequuntur, ae saepe in ipso solo rertice religatur (.man bindet es oft
gerade auf dem blossen Seheitel", was nur von den alten Leuten zu geltcu
scheint j: principe* et ornatiorem habent (vgl. zu der schwierigen Stelle
H. Fischer Philologus L, 379). Was hier mehr als eine besondere
Eigentümlichkeit der Sueben geschildert wird, legt Martial (erinibus
in nodum t ort in renere Sicambri Spec. III, 9) auch den Sigam-
bern, andere Autoren Uberhaupt allen Germanen bei (vgl. Ph. Cluveri
Germania antiqua p. 113 ff. und II. Krause Plotina oder die Kostüme
des Haupthaars bei den Völkern der alten Welt Leipzig 18f>8 S. 181).
Der urgernianische Name für jenen nodos könnte in abd. zopf, altn.
toppr .Haarbüschel' stecken, wie auch ahd. loc, altn. lokkr .Locke' und
mhd. schöpf, got. skuft, altn. skopt gemeingermanisch sind und auf
eine frühe Übung kosmetischer Künste bei den Germanen hindeuten.
Ha/dinge (Astingii war der Name des vandalischen Königsgeschlechts
„Männer mit Frauenhaar" (vgl. oben *hazda-), und vielleicht entstammte
der meerdos muhebri ornatu, den Tacitus Germ. Cap. 43 bei den
Xahanarvalcu nennt, diesem Königsgeschleeht (vgl. MüllcnhofT Haupts
Z. XII, 346). Auch auf der Marcus-Säule (vgl. Petersen S. 49) sind
mehrere Harbarengestalten durch einen merkwürdigen nach oben ge-
richteten Strich des Haupthaars, der zuweilen mit einer Aufbiegung
des Endes der langen Bärte verbunden ist, ausgezeichnet, und die
Trajansäulc und das Monument von Adamklissi (s. u. Kleidung) seheinen
sogar direkte Spuren jener suebischen Haartracht aufzuweisen.
Eine andere Frage ist, ob man derartige künstliehe Frisuren schon als
indogermanisch ansetzen darf. Wahrscheinlicher ist es vielleicht, dass
der künstliche Aufputz des Haares, auch da, wo er uns nördlich der Alpen
entgegentritt, den Ausfluss ägy p t i sc Ii - o r i e n t a I i sc b c r M ode
verrät. .Sicher sind auf orientalische Einwirkung die archaischen Haar-
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Haartracht.
:;i7
frisuren der (i riechen zurückzuführen, die ihre Spuren schon in den
homerischen Gesängen hinterlassen haben (vgl. Heibig a. a. O. S. 2.->(5 tf.i.
Ein archäologisches Zeugnis hierfür sind die in Klein-Asien und Alt-
Griechenland zu Tage getretenen metallischen Spiralen, die Heibig als
Lockenhalter deutet, und die nach ihm ihren Weg auch zu den mittel-
europäischen Barbaren (/.. B. in das Gräberfeld von Mallstatt i gefunden
haben. Auch das griech. KpuußuXo«; .der orientalische Zopf, der in
Attika bis zum l'erikleiseheu Zeitalter getragen wurde, hat man ans
dem Semitischen, freilich ohne grosse Überzeugungskraft, abzuleiten
versucht (vgl. Lcwy Die somit. Fremdw. S. 89).
Man könnte an die Kulturströmung denken, welche vom Süd-Osten
her die Bronze (s. u. Erz) über Mitteleuropa verbreitete, und in deren
Gefolge auch derartige Gebräuche wandern mochten.
Sicherer dürfte in diesem Zusammenhang sich die Sitte, den ganzen
oder einen Teil des Bartes abzunehmen, die Kunst des Rasierens
über Europa verbreitet haben. Dass aus der Gleichung : seit, kshurri-
= griech. Eupöv nicht auf die Bekanntschaft der idg. Urzeit mit dem
Rasiermesser geschlossen werden darf, ist u. Messer gezeigt worden.
Hingegen treten zusammen mit späteren Formen der älteren Bronze-
zeit auf einem Gebiete, das sich von Griechenland, Ungarn und Italien
bis nach Frankreich, England und Irland erstreckt, als Totcnbeigabeu,
und zwar nur für männliche Leichen, zahlreiche gleichartige, ein- und
zweischneidige Messer auf, welche die Forschung übereinstimmend als
Rasiermesser deutet (vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde I, 258).
Mit ihnen wird sich, zunächst in höheren Schichten, dann in immer
weiteren Kreisen die Gewohnheit, einen Teil des Gesichtes von Bart-
haar frei zu machen, verbreitet haben. Auch die Überlieferung legt
davon Zeugnis ab, dass die Kunst des Rasierens schon in vorrömischer
Zeit nördlich der Alpen verbreitet war. So berichtet Diodorus a. a. 0.
von den Kelten: tu bi ftvtxa Tive? uev EupujvTat, nvt? be ueTpiw? ütto-
Tpeqwutfiv ot b* euteven; ton; uev Trop€id? dnoXciaivoufft, rdq b' üttuvck;
dveiuevas liboiv, üjo"t€ td aTÖuara auTiiv dmKaXuTrr€0"6ai, btörcep ^o*9i-
övtwv uev aÜTwv eunXe'KOVTai iai<; Tpoqpaiq, ttivövtujv be KaBctTrepei btd
tivo? n,8uoü (pe'peTcu tö TTÖua und Caesar De bell. gall. V, 14 von den
Britannern: CapiUoque sunt pronihso atque omni parte corporis
rasa praeter caput et labrttm xuperius.
Kehren wir zu der Haartracht des Hauptes zurück, so ist das
regelmässige Scheren desselben in Rom in der Mitte des VI. Jahr-
hunderts der Stadt aufgekommen (vgl. Krause Plotina S. 141), und
wird von hier aus allmählich die Herrschaft in Europa gewonnen haben
(vgl. auch got. kapUlön ,scheren' aus lat. capülus und die Entlehnung
von ahd. kalo, agls. calu aus lat. calvus). Am längsten haben in
der germanischen Welt die Mitglieder der fürstlichen Häuser an dem
langen Haupthaar und Bart als an einer Auszeichnung ihres Standes
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318
Haartracht.
festgehalten (vgl. J. Grimm R.-A. 8. 239 und Krause a. a. 0. S. 182).
Am ausführlichsten ist das Zeugnis des Agathias lib. 1 (bei Grimm):
9€m»cttöv fctp toi? ßacFiXeüm tüiv OpäTfwv oü ttu)ttot€ KeipeaGat, äXX*
dK6ip£KÖ^ai tc eicriv naibwv del kgu irapntfpiivTai aüroi<; äTtavieq €Ö
näXa im tüuv wuujv oi nXditapoi. int\ koA o\ £uirpöo*eioi ix. tou perumou
<TXi£öuevoi iq>' CKCtTepa <pepovTcu . . . toöto Ö€ &Omp ti Yvwpi0*pa Kai
xe'paq ^Eaipeiov tw ßacnXdw ftvei äveiaBat vevouiarai. Vgl. auch oben
über die Hazdinge. Bemerkt sei indessen, dass auf den oben genannten
Monumenten ein derartig langes Haupthaar, selbst bei Personen von
offenbar fürstlichem Stande, nicht vorkommt.
Auch sonst bildet aber die Symbolik der Haartracht und des
Haares ein wichtiges Kapitel der idg. Altertumskunde, das hier nur ge-
streift werden kann. Das abgeschnittene Haar wird, namentlich im Toten-
kult, bei Indern und Griechen als Opfer dargebracht (vgl. Oldenberg
Religion des Veda S. 425 3, Rohde Psyche ls, 17'i. Eine feierliche Haar-
schur begleitet wichtige Akte und Phasen des menschlichen Lebens wie
die germanische Adoption (s. d. und vgl. J. Grimm R.-A. S. 146) und
die indische Schülerweihe (upanat/ana-', vgl. Oldenberg a. a. 0. S. 466).
Auch das erstmalige Absebneiden des Haares eines Kindes ist bei
Indern und Südslavcn mit wunderlichen Zeremonien umgeben (vgl.
J. Kirste Idg. Gebräuche beim Haarschneiden Analecta Graeciensia
S. 53 ff.). Der Gegensatz von Freiheit und Knechtschaft wird durch
wallendes und geschorenes Haupthaar bezeichnet (vgl. für die Griechen
z. B. Aristophanes Av. v. 911 : £tt€itci bfiTa ooüXo? wv köhuv £x*i?; für
die Germanen J. Grimm a. a. 0. S. 339 und oben über die Sueven;
auch bei Frauen: agls. friwif locbore ,eine Freie, eine Lockenträgerin',
vgl. Roediger Familie der Angelsachsen S. 152). Bei den Chatten
bedeutet unbeschränktes VVachscnlassen des Haares und Bartes ein
Gelübde kriegerischer Tapferkeit. Vgl. Tacitus Genn. Cap. 31:
Et aliis Germanorunt populis usurpatum raro et pricata cuimque
audentia apud Chattos in consensum vertit, ut primum adoleverint,
crinem barbamque submittere, nec nisi hoste caeso exuere cotivum
obligatumque rirtuti oris habitum ignaci* et imbeJlibus
mattet squalor. Ähnliche Gelübde werden von andern germanischen
Stämmen und Heerführern berichtet (vgl. die Stellen bei Vigfusson
Corpus Poeticum Boreale I, 424). Bei den Frauen ist eine Änderung
der Haartracht als Glied des Hoehzcitszcrenioniells (s. u. Heirat) bei
zahlreichen Völkern bezeugt. Zur Strafe wird das Haupthaar der
Ehebrecherin bei Indern und Germanen abgeschnitten (s. u. Ehe-
bruch)u. s. w. Indessen wird man sich hüten müssen, aus derartigen
Übereinstimmungen ohne weiteres n r z e i 1 1 i c h e n Brauch zu
folgern.
Zu bedenken ist auch, dass das für eine Haarschur uns unentbehrlich
scheinende Werkzeug, die Schere (s. d.), vermutlich jungen Datums
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Haartracht — Hacke.
319
in Kuropa ist. Zwar scheint in griech. xeipuj - ahd. sceran eine vor-
historische Bezeichnung des Scherens vorzuliegen; aher die Bedeutungs-
entfaltung des germanischen Worte** weist darauf hin, dass .zerschneiden',
/zerhauen' (daher altn. skera auch »schlachten') der ursprüngliche Sinn
dieser Sippe gewesen sein wird. Vgl. auch lit. kii-pti ,uiit der Schere
scheren' : seit, krpäna- ,Schwert' und lat. tondeo ,schere' (*tem-d-)
: griech. T€#nvu> ,schneide'. Auf jeden Fall niuss daher in der Urzeit
das Verkürzen des Haares mit dem steinernen Spanmesser — ein an-
deres Instrument stand kaum zur Verfügung — ein unerfreuliches und
schwieriges Geschäft gewesen sein, das sich indessen vielleicht gerade
deshalb dazu eignete, mit einer gewissen Heiligkeit umgehen zu werden.
— über die Sitte der Haarfärbung s. u. Seife. S. auch u. Kamm.
Habicht, s. Falke, Falkenjagd.
Habitus physischer der Indogerinaiien, s. Körpcrbe-
schaff en heit d. I.
Hackhau, s. Ackerbau.
Hacke. Werkzeuge, welche unserer Vorstellung von einer Hacke
entsprechen, aus Stein oder Hirschhorn, sind in prähistorischen Schichten
mehrfach gefunden worden (vgl. S. Nilsson Das Steinalter S. 59 und
Z. f. Ethnologie VIII, 154, 232, X, 361). Doch kommen dieselben
Artefakte auch aus ziemlich später Zeit, z. B. mit wendischen Eisen-
aachen zusammen vor, und eiu sicherer Beweis dafür, dass die Hacke
schon zu den Werkzeugen der jüngeren Steinzeit gehört habe, scheint
noch nicht erbracht zu sein. Auch in der Terminologie der Hacke
fehlen bis jetzt sichere Ü bereinstimmungen. Spuren einer solchen liegen
in ir. laige , Hacke' und ,Spaten' aus Hagiä : griech. Xaxcuvw ,haeke'
vor, von dem aus man auf eiu griech. *Xaxnv , Hacke' (vgl. ttoiuouvu) :
iromnv) schliesscn kann, und in lat. ligo, das man mit griech. Xto*xo^
(aus *\\f-CKO-<i) vergleicht. Auf Wurzel Verwandtschaft könnte auch die
Reihe: altsl. mot-yka (entlehnt: lit. matikas, alb. matuke) .Hacke', lat.
mat-eola ,ein Werkzeug zum Einschlagen der Erde', sert. matyü- ,Egge',
, Walze' beruhn; doch lässt sich die ursprüngliche Bedeutung derselben
nicht crmessen. Die meisten Bezeichnungen der Hacke sind cinzcl-
aprachlich und in ihrer Bildung ziemlieh durchsichtig. Wie mhd. hacke
: hacken und mlid* hicke : ahd. ian<t)bicchun ,stechen vgl. auch agls.
b£cca ,Spitzhacke', altgall. beccu* ,Schnabcl'), so gehört griech. o*KaTrävr) :
<Jkütttui ,grabe, hacke', OicaXi«; : OKäXXw , behacke', lat. dolabra : dolore,
rast nun : rädere, sarculum : mrire ,scharrcn', pastinum vielleicht :
russ. pachatl .ackern', poln. pachac ,graben'. Griech. uctKeXXa ist der
Ein-, buceXXa der Zweizack u. s. w. Vielleicht hat das Werkzeug eine
grössere Bedeutung erst mit dem Aufkommen des Gartenbans (s. d.)
erhalten.
Sollte, wie u. Ackerbau angedeutet, dem eigentlichen Feldhau mit
Pflug und Stier auch auf idg. Boden ein primitiver Hackbau voraus-
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320
Hacke — Haler.
gegangen sein, so war (Initials das Werkzeug, mit den» derselbe be-
trieben wurde, vielleicht weder sachlich noch sprachlieh von dem Be-
griffe der Axt (s. d.i unterschieden, deren Benennungen auch später
vielfach zugleich die Hacke bezeichnen (altsl. toporü , Hacke" und ,Axt\
mhd. bil .Steinhaue', agls. bill .Schwert', engl, hilf ,Schwert. Hacke,
Axt' etc.). - S. u. Werkzeuge.
Hafen, s. Schiff, Schiffahrt.
Hafer. Der Anbau der .Ire«« satira ist dein ägyptisch-semi-
tischen Kulturkreis fremd, und ebensowenig in den Denkmälern des
europäischen Steinzeitalters nachweisbar. Er tritt erst in den bronze-
zeitlichen Pfahlbauten von Montelicr und Petersinsel in der Schweiz,
von Bourget in Savoyen und in dem gleichzeitigen Salzbergwerke
Heidcnsehaelit bei Hallein auf. Hierdurch erhält die Geschichte des
Saathafers von vornherein ein anderes Gesicht als die der Gerste und
des Weizens, die der ältesten Schicht europäischer Ackerbaupflanzeii
angehören.
Über die Gruppierung und Deutung der Benennungen des Hafers
ist eine Übereinstimmung noch nicht erzielt worden. Am wahrschein-
lichsten ist, dass lat. art'na, altsl. ov'tsü, lit. airizä, altpr. vyae, teisge
eine zusammengehörige Gruppe von Wörtern bilden, die auf eine Grund-
form *arig-, *avigd oder *orig-, *origd (vgl. H. Pedersen I. F. V,
42 f.) zurückgeht), und mit denen vielleicht auch griceh. airiXuj^ ans
♦dFiTiXuj^ zu verbinden ist. Die Grundbedeutung könnte etwa ,Schaf-
gras' sein (sert. dri- ,Sehaf), wobei nur das a von lat. arena und
griech. arriXunji (letzteres vielleicht durch Anklang an on£ ,Zicge' er-
klärbar) gegenüber lat. oris, griech. 6\% auffiele (eine andere Deutung
von atena aus *qhaqhes-nä : ahd. habaro vgl. bei Xoreen Abriss der
nrgerm. Lautlehre S. 148: noch andere denken an Zusammenhang mit
sert. avasd- ,Xahrung'i. Eine zweite Gruppe von Namen bilden die
gemeingerm. altgntn. hagri (woraus nun. lakra , alts. haroro, ahd.
habaro, *koqro- und die gemeinkcltischen ir. coirce, kymr. ceirch,
H'orqio- (mit Metathese des r in einem der beiden Sprachgebiete, vgl.
Vf. in V. Hehns Kulturpflanzen0 S. 62f>. Znpitza Gutturale S. 32).
Im historischen Europa fanden bereits die Römer Haferbau und
Hafernahrung im alten Germanien vor. Vgl. Plinins 1 1 ist. mit. XVIII,
149: Primnm omnium f'rumenti Vitium arena est, et hordeum in
eam degenerat, sie ttt ipsa .frumenti sit instar, quippe cum Ger-
maniae populi serant eam neqtte alia pulte ricant s. u.
Brei). Von deu Oeoncn, einem fabelhaften Inselvolk der Nordsee,
berichtet Mela: In his esse Oeonas, qui oris avium pulustriiun et
avenis taut um alantur (111,6,56); doch möchte Müllenhoft' D. A.-K. I,
493 aus dem Plural avenis folgern, dass hier noch wilde Halmpflanzen
gemeint seien. Habermuss als Nationalgericht lässt sich bei zahlreichen
keltischen und germanischen Völkerschaften durch vielfache Zeugnisse
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Haler.
321
nachweisen. Auch in dem Breviarium Karls des Grossen vom Jahre
812 wird der Anbau des Hafers vorgeschrieben, und von der heiligen
Hildegard wird ein auch sonst erwähntes Haferbier genannt. Eine
speziell angelsächsische Bezeichnung unserer Gctreidcart ist agls. ata,
engl, oats (nicht weiter vcrfolgbar), während das Althochdeutsche
neben habaro auch eine Entlehnung aus lat. uro na <ahd. erina, inndl.
ecene, altndd. erenin, am Xiederrhein evenmant ,Habernionat' Für Sep-
tember) aufweist.
Für die alte Bekanntschaft der Slaveu mit dem Hafer ist auf ver-
schiedene Haferfunde aus den Burgwällen von Ahrensburg und Popp-
schütz und den Pfahlbauten auf der Dominsel in Breslau und von
Wismar zu verweisen.
Ganz anders wie im Norden lässt sich im Süden Europas ein
Anbau des Hafers nur ganz vereinzelt und nur zu Futter- oder medi-
zinischen Zwecken nachweisen. Cato (De re rust. XXXVII, f>) spricht
vom Hafer nur als von einem Unkraut (vgl. auch oben Püning). Hin-
gegen berichtet Columella II, 1 1 : Similix xatio a r ena e < quae auc-
tumno xata, partim caeditur in foenum, rel pabulum. dum adhuc
viret, partim xemini cuxtodititr. In Griechenland wird von dem
Ar/.te Dieuchcs, der dem IV. Jahrb. v. Chr. angehört (vgl. XXI veter.
et dar. medic. Graec. varia opuscula, ed. F. de Matthaei Mosquae 1808
p. als Rezept ein dXqpnov dirö toö ßpöuou genannt, das besser
als das tcpieivov dXcpiTov sei. Freilieh könnte man auch hierbei an
Wildhafer denken. Die Bezeichnung ßpouo«;, später ßpwuos (ngriech.
ßpumn.. auf Kreta: Tat) hat noch keine Erklärung gefunden. Vgl. noch
alb. trrstTf ans lat. trhnense, *trimensanum ivgl. Isidor. Orig. XVII, 3:
trimense trificum ideo nunrnptitur, qitia xatum post tres menxex
cölligitur).
Die Benutzung des Hafers als menschliehe Speise, aber auch nur für
Zeiten der Xot. tritt dann wieder in Kleinasicn hervor. Vgl. Galen.
De alini. fac. I, 14: Tpotpn. b eoYtv ukoZutiiuv, ouk dvöpumwv, ti un.
TTOTfc dp« \lUUJTTOVT6<; {Cty«™^ «VUf KUCOUCV €K TOUTOU TOÖ OTTfeppaTO?
apTOTTOteiaGai. Unter den Getreideresten von Hissarlik ist Hafer aber
nicht gefunden worden, wie er auch nicht bei Homer vorkommt.
Bei den geschilderten Verhältnissen lassen sich deutliche Unirisse
der ältesten Geschichte des Saathafers noch nicht gewinnen. Viel-
leicht war eine wilde Hafergattung schon den Indogennanen be-
kannt. Zu dem Anbau des Saathafers aber werden die einzelnen
Völker erst nach ihrer Trennung übergegangen sein, was im Korden
in ausgedehntem, im Süden in beschränkterem Masse geschah. Auch
dies wird in gewissen Kulturzusaninienhängcn vor sieh gegangen sein,
die sich aber nicht übersehen lassen, namentlich so lange nicht fest-
steht, aus welcher der zahlreichen wilden Haferarten sich Arena satira
entwickelt hat, und wo dies gesehen ist. Im allgemeinen neigt man
Schräder, Reallexlkon. 21
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Haler — Hahn, Huhn.
jetzt dazu, die Stammform de» Saathafers in At eno fatua zu erblicken;
doch seheint über das älteste Verbreitungsgebiet dieses Wildhafers
noch wenig1 festzustellen. Die Naturforscher denken an eine Herkunft
des Saathafers aus Süd-ost-Europa, woher auch der Koggen (s. d.)
stammt. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen" 8. 536, 039, A. de Caudolle
Ursprung der Kulturpflanzen 8. 471, V. Haussknecht in den Mit-
teilungen der geogr. Ges. in Jena 1884 S. 233, Handbuch des Ge-
treidebaus v. Körnicke und Werner I, 200 ff., Ascherson im
Correspondenzbl. f. Anthropologie 1890 8. 135, v. Fischer-Benzon
Altd. (.i artend. 8. 165 ff., G. Huschau Vorgcsch. Botanik 8. 37 ff. S.
auch u. Ackerbau und u. Getrcidcarten.
Haftung, s. Bürge, Geisel. Schulden.
Hagestolz, s. Junggeselle.
Häher, s. Singvögel.
Hahn, Huhn. Weder in der homerischen Dichtung, noch bei He-
siod, noch in der älteren an diese anschliessenden Lyrik der Griechen
wird des Haushahns gedacht. Der erste, der ihn nennt, ist der in der
Mitte des VI. Jahrh. lebende Theogms:
iampir) t ev£€iut Kai öpepin. üütu; eaemi,
ry>.o<; (iXtKTpuövujv (pGÖYfoS cHtipoutviuv.
Da nun der von dem Bankivahuhn Indiens abstammende Haushahn bei
den 1 laniern seit ältester Zeit als Verkündiger des die bösen Geister
der Finsternis verscheuchenden Morgens in Indien Ehren gehalten wird
(vgl. W. Geiger Ostiranische Kultur 8. 365 ff. >, so ist es wahrscheinlich,
dass erst mit der Ausbreitung der persischen Herrschaft über Klein
asien, die Theognis mit erlebte, das Tier zu den Griechen kam. Zu
einer etwas früheren Datierung des ersten Erscheinens des Haushahns
im Gesichtskreis der Hellenen gelangt P. Krctschmer (K.Z. XXXIII, 560),
auf alte Darstellungen von Hähnen auf griechischen Vasen gestützt.
Die Namen, unter denen der Haushahn auftritt, äXe'KTwp und äXeKTpuujv,
zu denen sich erst später ein äXeKTpüaiva , Henne', dXeKTopi^ ,Huhn' ge-
sellt, sind wahrscheinlich identisch mit den gleichlautenden Eigennamen
des homerischen Epos Alcktor und Alektryon. die zu üXe£w, dXe£njr|p,
äXicrrip .wehre ab', ,Kämpfer" gehören. Der Vorgang bei der Xameu-
gebung war dann der, „dass man den Hahn mit einem aus dem Epos
in doppelter Form bekannten heroischen Namen benannte, dessen Be-
deutung dem streitbaren Charakter des Vogels entsprach". So ist
Mtnvujv ein Name des Esels, KaXXia? des Affen, Kepbw des Fuchses,
und ganz entsprechend wäre in frz. renard aus Reinhart ein volkstüm-
licher Scherzname zum gewöhnlichen Appcllativum geworden (vergl.
Krctschmer a. a. 0.).
Wann und auf welchen Wegen der Haushahn sich zu den übrigen
Indogcrmancn Europas verbreitet hat, darüber fehlt es an zuverlässigen
Anhaltspunkten. Wahrscheinlich hat die Gattung Gallus im tertiären
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Hahn. Huhn.
323
Europa in wildem Zustand gelebt, ebenso in der älteren Quatcrnär-
Periode (Mammutszeit, Palaeolithische Zeit); dann scheint sie aus
Europa verschwunden zu sein, uud erst zusammen mit bronzenen Gegen-
ständen treten die Spuren des Haushuhns bei uns auf (vgl. L. II. Jeittelcs
Zur Geschichte des Haushuhns, Zoologischer Garten XIV, 55, 88, 130).
Die Terminologie des Tieres verbreitet Uber sein ältestes Auftreten in
Italien und in dem nördlichen Europa kaum einige Aufklärung. Doch
ist bemerkenswert, dass sowohl die keltischen wie die germanischen
Sprachen in allen Mundarten übereinstimmende Bezeichnungen des
Hahnes besitzen, während die sklavischen Sprachen sieh in seiner Be-
nennung spalten (s. u.i, was auf ein früheres Erscheinen des Tieres im
Westen und in der Mitte als im Osten unseres Erdteils zu deuten scheint.
Überblickt man die Bezeichnungen des Hahnes, so zerfallen
sie, soweit etymologisch durchsichtig, in zwei Gattungen. Der Hahn
wird entweder onomatopoictisch, d. h. mit Nachahmung seines Schreiens
benannt oder als , Rufer' und »Sänger' bezeichnet. Die Namen der
zweiten Klasse beschränken sich, mit Ausnahme des gemeingerm. got.
hana entlehnt rinn, kana) = n/i-KavÖT äXexTpuwv (Hesych) : lat. canere
(das germ. Commune ahd. huon : lat. ci-cöuia'i), auf die Einzelsprachen
(ir. cailech : grieeh. KaXc'w, lat. calare, womit Prellwitz Et. W. auch
ein ans grieeh. xäXXaia ,Bart des Hahnes' erschlossenes *KÖXXa ,Hahn'
verbinden möchte, lit. gaidtfs : giedöti ,siugen', slav. im S. u. N.-O. pietlfi
: peti, alb. kmde's : kendoii .singe', osset. vasüg : seit, nie «schreien*,
lat. gallus vielleicht : agls. ceallian, engl, call, auch vom Hahnenschrei«,
während die Bezeichnungen der erste reu Klasse weiter verbreitet sind
und als die Benennungen wilder Vogelartcn, die später auf den Haus-
hahn übertragen w urden, wohl schon in der idg. Ursprache vorhanden
waren. Auch ist hier die Bedeutung ,Hahn, Huhn' nicht koustant. Es
handelt sich hierbei vornehmlich um zwei Reihen. Die eine ist durch
die Silbe kerk-, krik- charakterisiert: seit, krka vä'kn-, aw. kahrkdm-,
kakrkatda-, npers. kerk, kurd. kttrk, afgh. cirg, osset. kork, Pamird.
kork, grieeh. K€pKO£ lies, (daneben Kt'picaE' \ipo£, Kepud^' Kpe£, xcptci-
60X15 * ^pwöiö^, Kcpicvöf icpdEi, ir. cerc, slav. krik- (Ableitungen davon
bezeichnen die verschiedensten Vogelartcn, vgl. Miklosich Et. W. S. 140).
Die Stammsilbe der zweiten Reihe ist kuk- oder kok- (kukk-, kokk-) :
sert. kukkufd-, westsl. kokotü, grieeh. KOKKußöa«;. kokkü&iv etc., agls.
cocc, altn. kokkr, agls. cycen, ndd. küken, Lex Salica: coccttn, arem.,
frz. coq. Derselbe Lautkomplex liegt aber auch zahlreichen Benen-
nungen des Kuckucks (s. d.) in den idg. Sprachen zu Guude.
Einen interessanten Weg in die iranische Welt wiese das slavisehe
kurü, kura, wenn es als Entlehnung aus npers. xurös, pehl. xros, kurd.
korös, bei. krön, kurus ,Hahn' aufgefasst werden könnte; doch ist dies
wahrscheinlich nicht der Fall. Nach andern wäre vielmehr das slavisehe
Wort identisch mit lat. corvus, so dass also eine Vermischung zwischen
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324
Hahn, Huhn.
Rabe nml Hahn anzunehmen wäre, wie sie wohl auch in got. hrük
^Hahnenschrei' gegenüber altu. hrökr ,Seerabc', agls. hröc ,Mandel-
krähe', ahd. hruoh ,Krähe', griech. KpdZw, KpujZw vorliegt (vgl. noch
nhd. krähen : krähe, engl, crotr).
Dunkle Ausdrücke sind das gemeinkeltische *j(iro-, nltkymr. iar etc.,
lit. wisztä und altpr. gertis, gerto (lit. geriet , Kranich'?). Vgl. noch
bei Miklosich Et. W. die Sippe von slavisch pilft, das aber auch für
junge Enten 'und Ganse gilt.
Im übrigen sind für die Geschichte des Haushahns in Italien und
dem übrigen Europa noch folgende Momente hervorzuheben. Die
ältesten Hahnentypen auf Münzen stammen ans Himcra in Sicilien
und gehören dem ersten Viertel des V. Jahrhunderts v. Chr. an (vgl.
Imhoof-Blumer und 0. Keller Tier- und Pflanzenbilder 8. ;3o). Kurze
Zeit nach seinem Erscheinen im Abendland wird also das Tier von
Griechenland auch nach Sicilien und Italien übergegangen sein. Ein
genügender Grund, mit F. Marx Die Beziehungen der klassischen Völker
des Altertums zu dem keltisch-germanischen Norden i'Sonderabdr. a. d.
Beilage z. Allgem. Zeitung 1^97 Nr. 162 u. 1 B-S S. Hij in lat. gallns
den ,Gallier' zu erblicken (etwa wie griech. ö TTepaixö«; öpvi<;) und
anzunehmen, dass „dieses nützliche Haustier für die Römer aus dem
Keltenlande stamme", ist nicht vorhanden.
Hinsichtlich der Geschicke des Hanshahns im Norden ist daran zu
erinnern, dass die kulturhistorische Bedeutung des Tieres eine drei-
fache ist : einmal die als eines Verk ündigers des Morgenl ichtes,
nicht hoch genug zu schätzen für Zeiten, in denen es noch keine Uhren
gab, und die Nacht voll von bösen Geistern gedacht wurde 's. u. Tag
zahlreiche vom Hahnenschrei hergenommene Bezeichnungen für be-
stimmte Teile der Nacht ... zweitens die des Kämpfers, der in künstlichen
Hahnenspielen die Menge belustigt, und drittens die des Haustiers, das
mit seinem Fleische und seinen Eiern den Menschen nützt. Von der
Bedeutung des Hahnes als Kämpfers findet sieh im Norden keine Spur,
so wichtig sie für Griechen und Römer gewesen ist. Hingegen ist es
sehr wahrscheinlich, dass der Vogel hier Jahrhunderte lang als Ver-
kündiger des Morgens für ein ausschliesslich heiliges Tier galt, bis er
auch des Nutzens wegen gehalten zu werden anfing.
Für die keltischen Britannier s. die u. Gans mitgeteilte Nachricht
des Caesar. Bei den Germanen ist in der Völuspa der goldkammige
Hahn Symbol des Lichtes. Hahn und Henne werden nach des Arabers
Ilm Fozlan Bericht von den heidnischen Russen als Totenopfer dar-
gebracht. Verbote des Genusses von Hühnerfleisch (s. u. Nahrung)
ziehen sich durch den ganzen Norden Europas. Vgl. noch Abraham
Jakobsens Bericht Uber die Slavenlande vom Jahre 97;J (Geschichts-
schreiber der deutschen Vorzeit, zweite Gesamtausgabe B. ;13>, wonach
die Slaven damals das Essen von jungen Hühnern ^aus Furcht vor
Krankheit" vermieden.
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Hahn, Huhn — Halbedelsteine.
325
Hühner- und überhaupt Geflügelzucht von einiger volkswirt-
schaftlichen Bedeutung ist im Norden wohl erst durch römisches Bei-
spiel hervorgerufen worden. Zu dieser Annahme wird man durch eine
Reihe wichtiger diesem Gebiete angehöriger Entlehnungen aus lateinischem
Sprachgebiet geführt. So stammt aus lat. pitttita fpippita, *pipita,
*tippita): ahd. pfiff iz, heneberg. zipf etc., bulg. pipka, cech. tipec,
russ. tipunü, lit. pepulis etc. ,Pips', eine Hühnerkrankheit, aus lat.
mütare : ahd. mmjjom, agls. mittian ,mauseni', aus lat. plthna : ahd.
pfitima, agls. phimfedere (vgl. auch F. Kluge Et. W.6 u. pflücken
und Käfig: ahd. chevia aus lat. cavea). Auf demselben Wege, wenn
auch erst in späterer Zeit (in Deutschland erst nach der zweiten Laut-
verschiebung), hat sich der Name des castrierten Hahues, des
Kapaunes, in Europa verbreitet, der als capux, später capo, capfrnis
(griech. Känwv) zuerst bei Varro De re rust. III, 1) (: Capi semitnares,
qnod Klint castrati. gallos castrant, ut »int capi, candenti ferro
inurentes ad infima crura, usque dum rumpatur) auftritt, ungewisser
Herkunft (vgl. got. hamfs .verstümmelt'?), und dann in zahlreiche nörd-
liche .Sprachen (ahd. kappo, agls. capün, alb. kapua u. s. w.; vgl.
Pott B. z. vergl. Sprachf. II, 200) gewandert ist. — Vgl. vor allem
V. Hehn Kulturpflanzen und Haustiere'1 8. 314 ff., wo auch über
das Auftreten des Haushahus in Aegypten und Babylonicn gehandelt
ist, und (mehr in naturgeschichtlichcr Beziehung) E. Hahn Die Haus-
tiere 8. 291 ff. 8. auch n. Viehzucht.
Haitisch. Aus der ursprünglich ununterschiedenen Masse der
KiVrea (Homer; ein schon vorhist. Wort, vgl. lat. squdtus, squdtina)
tritt der Hai deutlicher zuerst bei dem Dichter Archestratos hervor,
der vor Aristoteles eine gastronomische Weltreise machte, und auch
ein Rezept, die Bauehteile des Hais, des xotpxapia^ kuwv, wörtlich
,gefrässiger Hund' zu bereiten, aus Torone auf der Clialkidike Über-
liefert (vgl. Athen. VII, p. 310). Nach dem Glossographcu Nicander
(ibid. VII, p. 300; wäre mit KCtpxapiaq identisch Xduia und tfKuXXa
(CTKÜXaE junges Tier, bes. Hund ). Auch die Römer haben sehr ver-
schiedenartige Namen für haifischartige Tiere : das entlehnte carcharus
(Col.), squdtina (s. o. squalus (s. u. W e I s), musUla nach griech.
YaXcös und canicula nach griech. xapxapict^ kuwv. Letztere Bildung
scheint massgebend für die übrigen, jungen Bezeichnungen Europas wie
frz. chien de la mer, it. pesce-cane u. s. w. gewesen zu sein. Nur an
den nördlichen Küsten Europas begegnen wieder eigentümliche,
aber dunkle Namen: so engl, shark, altn. hdr, schwed. haj (unser
„Hai", das C. Gessner noch unbekannt ist, der dafür frasshund, hund-
fisch, mengl. houndfish bietet).
Hain heiliger, s. Tempel.
Hakeupflug, s. Pflug.
Halbedelsteine, s. Edelsteine.
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326
Halle — Hamster.
Halle, s. Haus.
Halsband, s. Schmuck.
Hammel, s. Schaf.
Hammer. Steinerne Hämmer (von Axt und 15 e i 1 begrifflich
nicht immer scheidbar "i, teils auf das sorgfältigste hearbeitet, teils roh und
unbehauen, mit Stielloch oder ohne eine solches, sind ans allen Teilen
Europas so häufig ans Licht gekommen, dass es besonderer Belege
für diese Erscheinung nicht bedarf. Sic dienten offenbar ebenso als
Waffen wie als Werkze uge, und in ersterer Beziehung sowohl im Xah-
kampf wie auch, um in die Ferne geschleudert zu werden. Eine alte
Bezeichnung für den steinernen Hammer seheint sich in dem gemein-
gerni. ahd. hamar usw. erhalten zu haben, das im Altnordischen noch
die Bedeutung ,Fels, Klippe' aufweist und mit altsl. kameni ,StehV
genau übereinstimmt. Auch dürfen diese beiden Wörter kaum von dem
seit, (iynan- und dem griech. <5kuwv getrennt werden, die dort Indra,
hier Zeus auf die Feinde schleudert, wie der skandinavische Thor
den Hammer (vgl. in lautl. Beziehung Bcchtel Nachr. d. Ges. d. W. z.
Güttingen 1888 p. 402). Die Grundbedeutung dieser Sippe war eben
,Stcin', speciell der als Hammer gebrauchte. Doch macht R. Much
Festgabe für Heinzel 1898 S. 232 wohl mit Recht darauf aufmerksam,
dass eine derartige Wortbildung schwerlich bis in die Steinzeit selbst
zurückgehe, in der sie, da alle Waffen ans Stein waren, nichts charak-
teristisches gehabt hätte. Sic würde nach ihm der Bronzezeit ange-
hören, in die der Gebrauch steinerner Waffen noch vielfach hineinragt.
Eine idg. Gleichung, zunächst wohl für den zum Wurf bestimmten
Kriegshammer, liegt in aw. caku- (vgl. Geldner K. Z. XXV, 531) =
altsl. cekanü ,Hammcr' (Fick Vergl. W. I4, 22) vor. Ausserdem vergl.
lat. malleiiH ~ altsl. malj ,Hammcr' und altsl. mlatü = lat. niartulus
(aus *nialtu-lun), neben dem mlat. martellits (vgl. auch G. Goetz
Thesaurus I, H82) liegt (aus *maU-eUus'u «las in die romanischen
Sprachen (frz. marteau) und auch ins Keltische (kambr. morlhol,
myrthicl, vgl. Zeuss Gr. Celt* p. 149, lOtfl) übergegangen ist.
Am längsten hat sich der steinerc, dann eißerne Kriegshammer bei
Kelten und Germanen erhalten (vgl. O'Curry Manners and customs
1 p. CCCCLVH f.).
Einzel sprach Ii eh: griech. o*<püpa (: aepupöv, Knöchel , Ferse'?;, lat.
marais, gemeinkeit. *ordo-s (ir. ordd, kambr. ord), alle dunkel,
altsl. ktjj — lit. kügis, altpr. engis (: altsl. kornti, ahd. houican'f). —
S. u. Waffen und u. Werkzeuge.
Hamster. Das heutige Verbreitungsgebiet des gemeinen Hamsters
erstreckt sich von den Vogesen und den östlichen Teilen Belgiens
durch Deutschland, Oesterreich-Ungarn, das mittlere und südliche Russ-
land bis in das südliche Westsibirien hinein. In dieser Zone ist das
Tier schon während der Quartär- oder Diluvialzeit heimisch gewesen.
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Hamster — Handel.
r>27
ja, es hat in der Pleistoeäuzeit noch eine weitere Verbreitung nach
Westen und Südwesten gehabt. Auch aas der Zeit des germanischen
Urwaldes sind zahlreiche snbfossile Reste des Hamsters nachgewiesen
worden (vgl. A. Nehring im Jahrbuch der k. k. gcol. Rcichsanstalt
1893, 43. Band, 2. Heft sowie Tundren nnd Steppen Berlin 1*90 S. 201).
Mit den angeführten Thatsachen stimmt es überein, dass weder ein
griechischer, noch lateinischer, noch auch keltischer Name des Hamsters
existiert, dass hingegen im Althochdeutschen, A Itp renssisc hen,
Litauischen und Slavischen eigne, wenn auch dunkle, Namen des
Tieres vorhanden sind : ahd. hamttstro, hamitstra, altpr. dntki* oder duckix
(: lett. dükans .braun' ?), lit. balesas, staras, slav. vhomjakfi. In ahd.
hammtro hat man eine Entlehnung aus slav. chomjakü, bezüglich
altsl. chomixtarü ,animal cpioddam* sehen wollen. Doch ist die Be-
deutung des deutschen Wortes in älterer Zeit ausschliesslich .curculio',
,Kornwnrm\ die erst später (nachweisbar seit dem XIII. Jahrb.; vgl.
Palander Althochd. Tiernamen S. 75) auf den Hamster übertragen
wurde, wahrscheinlich, als derselbe mit zunehmendem Ackerbau mehr
und mehr an Bedeutung gewann. Vgl. noch den frz. Ausdruck mar-
motte d'AIlemagne. — S. auch n. Dachs.
Handel. Schon in der idg. Ursprache waren die G rund begriffe
des Handels sprachlich fixiert. Das idg. Wort für den Kaufpreis
liegt in der Reihe: sert. vasnri- (vasnay »feilschen'), griech. uivoq
(üjveouai , kaufe"', armen, gin (gnem .kaufe ), lat. *vemtm in venire,
vtnumdare ,vcrkauft werden*, ,verkaufen*. Altsl. veno , Mitgift' ist
wahrscheinlich hiervon zu trennen und mit griech. fe'bvov (s. u. Braut-
kauf) zu verbinden; doch bedeutet altsl. veniti nur ,vendcre". Auch
ein einheitlicher Wertmesser hatte sich in Gestalt der Herdentiere, vor
allem der Milchkuh (s. u. Geld], bereits herausgebildet. Mit Hilfe
eines solchen etwas erwerben, etwas .kaufen' wird durch die Reihe:
Bert, krinä'mi, npers. .ciridan, griech. TTpia<J8m, ir. crenim, altruss.
krfnuti (lit. krieno ,pretium pro sponsis') ausgedrückt. Für den Begriff
des Tausches besteht die Gleichung: seit, mayate, lit. mainat, altsl.
merw, Tausch, lat. münwt , (Gegen tgabe'.
Die Handelsgeschäfte der Urzeit werden vornehmlich zwischen Mit-
gliedern des eigenen Stammes oder denen befreundeter Stämme ver-
laufen sein. Der Fremde gilt nach den Ausführungen u. Gastfreund-
schaft noch als Feind, «lern man sich nicht gefahrlos nahen kann.
Gleichwohl ist auch auf dieser Kulturstufe — ein Beweis dafür, wie
das Handclsbedürfnis der Menschen alle Schranken überspringt — ein
Weg des Handelsverkehrs in dem sogenannten stummen Tausch-
handel vorgezeichnet, der von zahlreichen Völkern des Altertums wie
der Neuzeit Uberliefert (vgl. Vf. Handelsgeschichte und Warenkunde
I, 1 1 1, darin besteht, „dass die eine Partei an einem dazu bestimmten
Orte ihre Waren niederlegt und sich in ihr Versteck zurückzieht, wo-
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328
Handel.
rauf der Käufer erscheint, um sein Äquivalent neben den ausgestellten
Waren auszubreiten und sich ebenfalls schleunigst zu entfernen. Werden
diese Waren abgeholt, so ist der Kauf geschlossen, wo nicht, so pflegt
der Käufer solange an Handelsgütern zuzulegen, bis sich die Gegen-
partei durch Ansichnahmc derselben befriedigt erklärt." Man kann
sich den ältesten Handelsverkehr Europas in dieser Weise verlaufen
denken, so dass gewisse Handelsgüter auch durch tütlich verfeindete
Stämme sich Bahn brechen konnten. Weite Handelszüge ganzer
Stämme, wie wir sie später etwa bei den Küssen finden (vgl. Vf.
a. a. O. S. 94) oder Handelsreisen einzelner, die schon das Gewerbe
des Kaufmanns (s. d.i voraussetzen, dürften erst für spätere Kultur-
stufen anzunehmen sein.
Auch die archäologische Forschung führt die Ursprünge des Han-
dels bis tief in die ueolithische Zeit zurück. Besonders hat neuerdings
A. Goetze in einem Aufsatz über neolithischen Handel (Festschrift für
Bastian S. 339 ff.) nachzuweisen versucht, dass schon damals thürin-
gische Steinartefakte und Thonwaren verschiedener Art sich hauptsächlich
in nördlicher, und umgekehrt Rttgensebe Feuerstein waren etc. sich in
südlicher Richtung auf dem Wege des Handels verbreitet hatten, Kbcnso
ist das Rohmaterial für Feuersteinwerkeuge und sind die wertvollsten
Steinsorten des Nephrit und Jadeit oft weithin ausgeführt worden
(vgl. Hörnes Urgeschichte der bildenden Kunst S. 123 1. Auch nor-
discher Bernstein kommt, wenn auch spärlich, bereits in der Steinzeit
am Bodensec und in der Schweiz vor, und in noch höhcrem Grad
sind dem Schmucke dienende Muscheln frühzeitig Gegenstände des
Handels gewesen (vgl. Vf. a. a. 0. S. 66). An diese eommerciellcn
Beziehungen der Steinzeit dürfte dann mit dem Auftreten der Metalle,
zunächst des Erzes und Goldes (s. s. d. d.), ein immer intensiverer
Handelsverkehr angeknüpft haben, der die Verwandlung der urzeit-
lichen d£tvia, wenigstens an gewissen Mittelpunkten des Warenaus-
tausches, in die eüEtvict spaterer Zeiten, zur Folge hatte, wie sie die
klassischen Völker bei ihrem Erscheinen im Norden vorfanden. Im
Ganzen aber ist die Geschichte des Handels in vorhistorischen Zeiten
noch eine grosse terra incognita. Nicht daran ist zu zweifeln,
dass ein solcher Handelsverkehr, und zwar in ausgedehntem Masse,
wirklich stattfand (s. z. B. u. Bernstein, Erz u. s. w.), auch nicht
daran, dass in seinem Geleite zahlreiche Vorstellungen, Sitten und Ge-
bräuche von Volk zu Volk wanderten (s. z. B. u. Bestattung, Haar-
tracht, Zahlen u. s. w.i. Aber wie man sich diesen Handel in der
ältesten Zeit, und von wem ausgeübt zu denken hat, sind Fragen,
die sich noch nicht mit annähernder Sicherheit beantworten lassen.
Auch in der Sprache treten die Begriffe des Handels und Wan-
dels nun in immer engerer Verbindung auf. Von besonderer Häufigkeit
sind die Bildungen der Wurzel per, prr, die der Bezeichnung des Handels
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Handel.
329
in griech. rapdtw, 7T€pvn.ui, ttittpokTkuu »verkaufe', ir. renim aus *pernim
,kaufe', lit. pirkti .kaufen' (vgl. griech. Trpnaöuj aus *Trpn.K-juj .durch-
reise', TTpf|Ei? .Handel ), der des Wandels in griech. rapduj, altsl. perq
,fahre', got. faran etc. dienen. Vgl. auch sert. pan aus *par-n .kaufen'
: par, pfparti »hinüberführen'. Dasselbe Bedeutungsverhältnis kehrt
oft wieder. So in lit. teereziü (lat. verto) , wende', icercziüs , wende
mich', ,vcrkclire im Handel', griech. TTt'Xuu, 7reXouai ,sich bewegen',
iruuXeouai .verkehre', ^uttoXuuu »kaufe ein', muXe'w (naehhom.) »verkaufe',
ahd. icantalon .verändern, verwandeln', wantala .negotium', icantalöd
,vendit', ttuandelunga .commercium' u. a. Es steht demnach kaum etwas
im Wege, das gemeingerm. got. bugjan (für dtopdCeiv und rcujXeiv). agls.
bt/egan, nlts. buggian »handeln, kaufen' als eine Abzweigung von got.
biugan .biegen' (sert. bhitj »liegen', griech. q>€u-fu> .gehe ausser
Landes', lat. fugio, »fliehe', agls. bügan id.) aufzufassen. Jedenfalls
ist eine bessere Erklärung noch nicht gefunden. Andere Bezeichnungen
des Kaufes und Verkaufs sind aus allgemeineren Conceptionen hervor-
gegangen, wie der des Gehens (lit. pardüti »verkaufen', altsl. prodati,
griech. (iTTobiboo"6cu id.), des Nehmens (lat. emo »kaufe": got. nima,
lit. imü etc.), des Anbietens (agls. seUnn »verkaufen", altn. selja,
sal »Übergabe »Verkauf : lit. miau, sitlyti »darbieten').
Noch nicht sicher erklärt ist die wichtige Sippe von lat. merx
,Ware', merairi »kaufen', mercatua »Markt", mercator , Kaufmann',
commercium »Handel*, Mercurius , Handelsgott'. Man stellt merx,
merces entweder zu griech. u&ptttw »fasse an' oder zu lat. mereo
»verdiene' und deutet die Ware als die .angefasste' oder die .ver-
dienende', Erklärungen, die in keiner Beziehung etwas einleuchtendes
oder wahrscheinliches haben. Schon Handelsgeschiehte und Waren-
kunde I, 75 ist daher, in Analogie zu der Entwicklung der lat. Wörter
für Geld (peeänia) und Eigentum (pecölium) aus dein Worte für Vieh
(pecus), lat. Hierein zu der keltisch-germanischen Benennung des Pferdes,
bezüglich der Stute : gall. marka, ir. marc, ahd. marha, meriha
(*merk- : mfk ) gestellt worden, so dass die Ware a potiori nach einem
hervorragenden Handelsgut benannt wäre. Thatsächlich bedeutet
ahd. marha in seiner osteuropäischen Entlehnung schlecht-
weg , Ware' (nsl. mrha .pecus, armeiitum, merx', rum. marvü, marfü
,inerx', magyar. marha ,tncrx>. Vgl. auch Lex Fris. (W.) Add. tit.
11 : equam vel quttmlibet aliam pecuniam (s u. Geld).
Im weiteren Verlauf der Handelsgeschiehte steigen, die alten Ter-
mini verdrängend, neue Ausdrücke für die Begriffe Kaufen und Ver-
kaufen etc. gern empor. Besonders deutlich lässt sich dies auf roma-
nischem Boden verfolgen, wo die alten entere »kaufen' und «olcere
»bezahlen' erloschen und dafür ad-captare (fr/., acheter) und pacare
(frz. pager) eingetreten sind. Vgl. auch lat. abletare, woraus alb. bVeti
,kanfe". — Weiteres zur Geschichte des Handels und Verkehrs s. u. Ab-
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SM)
Handel — Hanl.
graben (Zoll), Dolmetscher, Gastfreundschaft, Gasthaus, Geld,
Kaufmann, Markt, Mass (Messern, Post, Schiffahrt, Wage
und Gewicht, Wagen. Vgl. im allgemeinen Vf. Handelsg. und
W.-K. I und Goldschmidt Handh. des Handelsrechts 3 1, 1 S. 14 ff.
Handergreifhng der Braut, s. Heirat.
Handmühle, s. Mahlen, Mühle.
Handschuh. Für diesen Begriff fehlt es an einer vorhistorischen
Benennung, während eine solche für den der Schuhe (s. d.) vorhan-
den war. Griechen und Körner trugen nur ausnahmsweis Handschuhe
(X€»pibe<;, manicae), weshalb ihnen der regelmässige Gebrauch der Winter-
handschuhe bei den Persern (vgl. Xen. Cyrop. VIII, 8, 17) auffiel.
Über die europäischen Nordvölker fehlt es in dieser Beziehung
an alten Nachrichten. Auch vermisst mau einen gemeingermanischen,
-keltischen oder -slavischcn Ausdruck für dieses Kleidungsstück,
das daher erst verhältnismässig spät bekannt geworden sein wird.
Mehrere alte Namen für dasselbe wurzeln in den nordgermanisch en
Sprachen. So altn. riittr ans *cantuzy das sowohl in das Finnische
(tanttu) wie auch ins Mittellateinisehe {vantux) und Romanische {frz.
gant, it. guanto) entlehnt wurde. Schon im Beowulf begegnet ferner
agls. glöf, engl, gloie (hieraus altn. glofor) aus *ge-1öfa (?) von got. lO/'a
,Hand' und wohl auch , Handschuh' (altsp. lua, ptg. luca , Handschuh ).
Im Mittelalter ist dann das Kleidungsstück (wantus, chirothfea > ein
wichtiges Symbol bei Rechtsgeschäften gewordeu. Mit dem darge-
reichten oder hingeworfenen Handschuh (ahd. hantseuoft) werden Güter
übergeben, spricht der König den Bann aus, wird Fehde angekündigt,
werden allerhand Gewalten übertragen u. s. w. (vgl. J. Grimm R.-A.
S. Iö2ff). Eine zweifache Art von Handschuhen, Sommer- und Winter-
handschuhe, werden schon in einer Kleidcrordnung für die Mönche
vom Jahre 817 i vgl. Beckmann Bey träge V, 69) unterschieden : Abbas
procidmt, ut unusquixque tuonachontm habeat icantox (s. o.)
in aestate, muffulas in hieme cercecina*. Es ist an dieser Stelle,
dass unser seiner Herkunft nach noch dunkle Wort muff' (frz. moufie
,Fan*thandschuh') zuerst begegnet. Vgl. noch ir. Idmann ,a glove' von
him ,Hand' (*ldp-ma : got. löfa, russ. etc. lapa), lit. pirsztin? : pirsz-
tas , Finger' und russ. perctttJca : perstü id. — S. u. Kleid u n g.
Handwerk, s. Gewerbe.
Hanf. Cannabis satten L. findet sich wildwachsend südlich vom
kaspischen Meer, in Mittel- und Südrussland, sowie in Sibirien vom
Cral bis Daunen (nach A. Engler hei V. Hehn s. u.).
Iu Europa ist weder in den Schweizer Pfahlbauten noch in denen
der Poebne noch sonst in vorhistorischen Schichten Hanf neben dem
reichlich daselbst nachgewiesenen Flachs (s.d.) gefunden worden.
Seine erste Erwähnung geschieht durch Herodot IV, 74, 75: „Der
Hanf wächst wild und angebaut (auToudTn, Kai aratpo.uevn.) im Lande
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Hanf.
331
der Skythen. Die Thraker weben aus ihm Stoffe, die den linnenen
zum Verwechseln ähnlich sehn. Die Skythen aber, die sieh niemals mit
Wasser waschen, baden und berauschen sieh mit dem Dampf des Hanf-
samens, der auf glühenden Steinen erhitzt wird* (s. auch u. Bad).
An dieser Stelle wird auch das Wort Kdvvußtq, das aus dem Griechischen
ins Lateinische {cannabis, zuerst bei Lucilius) Überging, zum ersten
Male erwiihnt (vgl. daneben noch Sophokles Frgm. 231 ed. Dindorf:
xäwaßtt : I. Gauvipa). Über die Verbreitung der Hanfkultur selbst im
südlichen Europa wissen wir wenig; doch seheint dieselbe schon im
Ausgang des III. Jahrhunderts v. Chr. in Gallien an der Rhone ge-
blüht zu haben, da von dort Ilicro II von Syrakus den Hanf zu seinem
bei Athenäns beschriebenen Frachtschiff bezog (Athen. V, p. 206).
Varro und Columclla kennen den Hanf als Kulturpflanze auf Feldern.
In Nordeuropa heisst der Hanf x\\u\.hanaf, agls. luvne.p, altn. hanpr,
altsl. konoplja, lit. kamlpes. altpr. kuapios. Man ist darüber einig,
dass diese Formen nicht auf Entlehnung aus dem gricch.-lat. KÜvvaßn; —
cannabi* beruhen können, weil Entlehnungen ans den klassischen
Sprachen im Germanischen sonst keine Spuren der ersten Lautver-
schiebung zeigen. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass die nord-
europäische Sippe zusammen mit der griechisch-lateinischen auf eine
gemeinsame osteuropäische Quelle zurückgeht, deren einfachste Form
im tferemissischen kene, knie .Hanf vorliegt. Auch der zweite Bestand-
teil des gricch.-lat. Kavva-ßiq, neben dem wahrscheinlich ein *Kavva-Tn<;,
cannapi* (it. canape, rura. ettnapa, alb. kanrp, krrp) bestand, findet
vielleicht so seine Erklärung, insofern -ßu;. -m? der syrjänisehen und
wotjakischen Benennung des Hanfes, eigentlich der Nessel, pis, pus
entsprechen könnte. Griech.-thrak. Kdvvaßn; würde dann etwa soviel
wie »Haufnessel' sein. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die merk-
würdige Glosse bei Wright-Wüleker Agls. a. 0. E. Voeabularics I,
198": cannabum hwnep rel pis (oder für (canna)pi#? '). Nahe
jenem ceremissischen ketie, knie scheinen auch die turko^ tatarischen
Namen des Hanfes kendir (cuvasch. kan-dyr) zu liegen.
Direkte Nachrichten über Hanfbau im europäischen Norden sind
jungen Datums: Bischof Otto von Bamberg fand ihn bei den heid-
nischen Slaven in Pommern, und Karl der Grosse schrieb in seinem
Capitularc de villis 62 den Anbau von canara auf seinen Landgütern
vor. — Überblickt man die mitgeteilten Tbatsachen, so dürfte feststellen,
dass der Hanf nicht, wie der Flachs (s. d.), zu der ältesten Schicht
europäischer Kulturpflanzen gehört, dass seine Einführung im Norden
Europas andererseits aber auch nicht erst der Berührung desselben mit
dem klassischen Süden zu verdanken ist. Der Hanf ist ebenso wie
der Roggen (s. d.) dem aegyptisch-semitischen Kulturkreis fremd
und wahrscheinlich wie dieser auf dem gleichen Kulturweg von Thrakien
her den germanisch-slaviseh-Iitauisehen Stämmen zugeführt worden.
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332
Hanf — Hürnig.
Doch muss die Übernahme des Wortes für Hanf seitens der Germanen
vor oder während der ersten Lautverschiebung, des Wortes für
Roggen nach derselben erfolgt sein (vgl. altn. hanpr aus grieeh.-
thrak. Kdvvaßi? gegenüber riigr aus gricch.-thrak. ßpiZa, *crugja).
Erst auf späten römischen Einflüssen beruhen die deutsch-mundartlichen
Ausdrücke feinden, femmel, fimme, fimmel, ndl. fimel aus lat. femella
(in Wirklichkeit aber die männliche Pflanze) und mäsch. mesch aus
lat. masculus in Wirklichkeit aber die weibliche Pflanze. Vgl. noch
ndl. kennep .Hanf aus cannabis > Mischform mit henne.p) und den
sonderbaren mlat. Namen des Hanfes agrhiM,agre = griceli. orrptoc ,wild'
(v. Fischer-Benzon Altd. Garten«. S. M, G. Goctz Thesaurus I, 174j.
Schliesslich bedürfen noch die a r i s c Ii c n Hanfnamen einer kurzen
Erörterung; denn es scheint, dass auch der indische Xame des Hanfes,
seit, canä- an die oben besprochene Gruppe von ceremissiseh kene etc.
anzuknüpfen ist, indem der Anlaut des fremden Wortes hier als pala-
tales k gehört wurde. Dann lässt sich mit sert. qatui- auch der osse-
tische Xame des Weines snn vereinigen, wenn man bedenkt, dass auf
iranischskythischein Hoden der Hanfrausch dem Weinrausch zuvorging.
Jedenfalls ist die Bekanntschaft mit dem Hanf und seiner narkotischen
Wirkung bei den arischen Indogermancn sehr alt, wie die Reihe seit.
bhafigd ,Hanf , ,ein aus Hanfsamen bereitetes Berausehungsmitter, aw.
baiiha- ,ein Xarcoticum* (npers. meng ,Hanf, afgh. bang desgl.) zeigt.
Wahrscheinlich ist dieser Ausdruck (vgl. russ. penka, poln. pienka etc.)
in die slavisehcn Sprachen entlehnt worden. Armen, kanap, kanep,
npers. kanab gehören natürlich ebenfalls zu Kawaßi?; <loch weiss man
nicht, aus welcher Sprache sie zunächst stammen. — Vgl. V. Hehn
Kulturpflanzen 6 S. 1*6 ff. und G. Buschan Vorgeschichtliche Botanik
S. 115 ff. S. auch u. Ackerbau und u. Gewebestoffe.
Halligen, s. Strafe.
Harfe, s. Musikalische I n s t r n m e n t e.
Häring. Der zu gewissen Zeiten aus den Tiefen des Atlantischen
Occans aufsteigende und in ungeheuren Scharen den Küsten von
Irland, Schottland und Norwegen, mit geringerer Rcgelmässigkeit auch
der Mündung der Elbe, sowie der deutschen und schwedischen Ostsce-
küste zusteuernde Fisch muss frühzeitig den keltischen und germa-
nischen Kü8tenstämmen bekannt gewesen sein. In der That finden sich
hier überall alte Namen des Hürnigs. Von besonderem Interesse ist eine
bis jetzt wenig beachtete Sippe : ir. »catan (Corui.), sgadan gl. allcc
(bei Stokes Irish gl. 1*67, vgl. auch Zeuss Gr. Celt. * p. 776), nir.
sgadan, manx skeddan, kyiur. ysgadan ,herring', agls. aceadd, engl.
shad, norw. skadd, nhd. muudarti.i schade, schaden. Die feste Be-
deutung dieser Wörter in den keltischen Sprachen ist also Häring,
da auch allec im mittelalterlichen Latein nichts anderes als «Uesen
Fisch bezeichnet. Agls. sceadd kommt nach Bosworth (An Anglo-Sax.
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Häring.
333
Dict. •) nur einmal vor, und es ist nicht sicher, oh sceadd an dieser
Stelle den Maring bedeutet. Engl, shad jedenfalls ist nicht der eigent-
liche Maring Cliipea harengus), sondern der diesem nah verwandte,
ihm zum verwechseln ähnliche und im Englischen (vgl. Nemnich s. v.
Clupea alosa) geradezu mother of her rings genannte Mai fisch. Den-
selben Fisch meint auch das deutsche, von Niederdeutschland ausgehende
schade, schaden, während norw. skadd für einen kleinen der Familie
der Lachse ungehörigen Fisch, Sahno lararetns, gilt.
Dass die hier aufgezählten Benennungen des Marings oder eines
häringartigen Fisches etymologisch zusammenhängen, ist einleuchtend.
Sehr schwierig aber ist es, das historische Verhältnis der einzelnen
Glieder dieser Sippe zu einander festzustellen. Es ist wahrscheinlich,
dass ir. scatan : kymr. ysgadan sich verhält wie ir. cretim : kymr.
credit, also auf ein urkeltisehes *svadd-, idg. scaddh- zurückgeht. Auf
dieses könnten auch die germanischen Formen als urverwandt zurück-
geführt werden; doch stände auch der Annahme ihrer frühzeitigen
Entlehnung aus dem Keltischen nichts im Wege. Möglich wäre endlich,
dass wir es überhaupt ursprünglich weder mit einem keltischen noch
germanischen Worte zu thun haben, sondern mit einer Erborgung aus
dem Wortschätze einer vor-kelto germanischen, dem Häringsfang ob-
liegenden Küstenbevölkerung, etwa jener wilden und barbarischen
Vorläufer der heutigen holländischen Märingstiscber an der Hhein-
mündung, von denen Caesar De bell. gall. IV. 1<» berichtet, dass sie
piseibus i besonders von Märingen) atque ovis ar'nun rirere e.rist'nnantur.
In Dänemark sind schon in den Kjökkeumöddinger überaus häutig
Gräten vom Maring wie von Schollen. Dorsch und Aal > nachgewiesen
worden.
Wie sieh nun dies auch verhalten möge, in hohem Grade wahr-
scheinlich scheint es. dass jenes ir. scatan, agls. sceadd in dem zuerst
von Plinius und zwar in einer doppelten Sehreibung überlieferten Laud-
schaftsnameu Scatinaria Mist. nat. IV, 9(i; und Ücadinaria > VIII, '>9;
vgl. Müllenhoft' D. A.-K. II, M*>9 f. erhalten ist, der somit als „Märings-
aue" zu deuten wäre. Dass die Namen nördlicher Eilande oft her-
genommen sind von den Produkten, welche sie erzeugen, beweisen die
Faröern oder Sehafinseln. die Fabariae ( llaunmüa) oder Bohneninseln,
die Cassitcriden oder Zinninseln. Neben der irischen und schottischen
Küste aber gehört Norwegen seit der ältesten Zeit zu den ergiebigsten
Fangplätzen des Marings. Hier und in Schonen altn. Skdney, das
bis heute das alte *Scadn-avia treu repräsentiert) bildete der Häring
schon in altnordischer Zeit den bedeutendsten Teil der Volksnahrung.
So stimmt alles zusammen, um die Annahme, dass in Skatinaria,
Scadinavia eine Norwegen, Schonen und auch wobl den gegenüber-
liegenden Teilen Dänemarks nach dem Hauptcrzcugnissc ihrer Küsten-
striche gegebene Benennung keltisch-germanischer Schiffer vorliege,
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33J
Höring — Harnisch.
die ihre Falliten bis dahin ausdehnen und die erste Kunde von den
genannten Ländern auch den Römern vermitteln mochten, zu einer
wohl begründeten zu machen. Von Interesse in diesem Zusammenhang
ist auch eine Notiz aus dem (Jermania-Commentar von Altliamer Bren-
tius (lf>8<)}: Hic Codatms (aus *Scod-anus?) sinus (Plin. IV, 96: die
Ostsee"'! nobi* haleces largiiur, ideo quidam hunc den Heringsee
cognominarerunt (andere Deutungen von Scadinacia vgl. bei Möllen-
hoff a. a. <>. II, ;J67ff„ R. Much Z. f. deutsches Altertum XXXVI,
125 ff. und Bugge Beiträge XXI, 424, welcher Scadinacia als, Hirtenau
deutet, von einem freilich nicht vorhandenen germ. *skaba- Vieh' =
altsl. skotü, *skabana- ,Hirt).
Später sind auf germanischem Boden zwei weitere Xamen des Härings
hervorgetreten. Einmal das westgermanische ahd. häring, hering, agls.
hdsring. Mau hat das Wort als eine Ableitung von ahd. heri ,Heer'
fassen wollen: .der in Heerscharen kommende Fisch'; doch passt
diese Deutung, so ansprechend sie sachlich ist, nicht zu den über-
wiegenden Formen des Wortes mit langem Stammvocal (hdring). Eiuen
ganz andern Namen haben die Skandinavier (altn. sild), der auf dem
Wege der Entlehnung weit gegen Osten gewandert ist (russ. selidi,
seledka, lit. .silkt, altpr. sylecke, tinn. tili etc.», somit auf einen aus-
gebreiteten Iläringshandel hindeutend, der natürlich auch die Bekannt-
schaft mit der Eiusulzung des leicht verderbenden Fisches voraussetzt.
Auch in der lateinisch-romanischen Welt begegnet ziemlich früh die
Bekanntschaft mit dem nützlichen Fisch der nördlichen Meere. Die
romanischen Sprachen bieten it. aringa, span. arenque, frz. hareng.
Ja, vielleicht ist das Wort schon in dem späteren Latein nachzuweisen.
In einem dem (Jargilius Martialis (um 240 n. Chr.) zugeschriebenen
Bruchstück Confectio liquaminin, quod oenagrnnt vocant heisst es
gleich im Eingang: Capivntur pfoces natura pingues, itt tttint nalmonen
et anguillae et alausae et mrdinae rel aringi (Hermes VIII, 226).
Freilich scheint bei einem Schriftsteller des III. Jahrhunderts die
Ignorierung des germanischen Anlauts h, ch, x [aringua : haring gegen-
über Fällen wie Cherusci, Chatti, Chauci) auffallend, so dass die Mög-
lichkeit, die Worte rel aringi seien ein späterer Zusatz, nicht ausge-
schlossen ist.
Die mittelalterlichen Quellen, welche über den etwa seit dem Jahre
1000 an dem Strande der Ostsee in grösserem Massstabe entwickelten
Häringshandcl berichten (vgl. V. Hehn Das Salz S. 67 ff.), bedienen
sich zur Bezeichnung des Fisches durchweg des schon oben genannten
lat. Wortes aller, hallec, das ursprünglich eine Fischlake bezeichnet
(aus griech. öXuköv, üXiköv nach Keller Lat. Volksetymologie S. 79 ?).
Natürlich hat dasselbe nichts mit dem deutscheu hering zu thun. —
Vgl. Vf. Festgabe für Sievers S. 1 ff. S. auch u. Fisch, Fischfang.
Harnisch, s. Panzer.
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Hnrtrit'g«-! — Uusolmi.ss.
335
Hartriegel, s. Kornclkirschbaum.
Hase. Ein schon den Indogerinanen bekanntes Tier, wie die
Reihe sert. <;a(;a-, Pamird. süi, afgh. soi, altpr. sashis, ahd. haxo,
kymr. ceinach zeigt. Nimmt man an, dass das sieh s<> ergehende idg.
*kaso-, *kas-n-, das vielleicht so viel wie «1er .graue' (vgl. agls. hasu,
lat. canus ,grau'i bezeichnete, schon auf Teilen des vorhistorischen
Sprachgebiets an die \\\ sert. e«c .springen' (vgl. seit. <;a<;ä-) angelehnt
wurde, so wäre auch die Heranziehung des kretischen ' Hesyeh)
KCKnv-a?' Xarwoug möglich (anders K. Brugmnmi Grundriss I2, 2, 732;.
Das griech. XaYUJi; und lat. lepus (sieil. Xeiropic) sind noch nicht sicher
erklärt. Ersteres könnte zusammen mit Xeßripiq , Kaninehen' zu Xoßoi
,Ohrläppchen'. lat. legula (attris) desgl., ahd. lappa (?) gehören. S.
frz. lopin \\. Kaninchen und vgl. korn. scouarnor .Hase' — uuritus.
Anders Hugge B. B. XIV, 67 und wieder anders Prellwitz Et. W.
Altsl. zqjqci ,Hase' r: seit, hü ,eilen, losspringen' ? daraus lit. zutki*)
und lit. kiszkis sied dunkel.
Der Hase ist im allgemeinen ein beliebtes Jagd- und Speisetier.
Doch verbietet Papst Zacharias den Oenuss seines Fleisches in einem
.Sendschreiben an Bonifaeius vom 4. Nov. 751 i Hehn Kulturpflanzen'1
S. 3Ü(K Die Spuren gleicher Scheu vor dem Genuss des Tieres be-
gegnen schon bei den Britannen (Caesar De hello gall. V, 12), bei
denen der Hase zusammen mit Gans und Huhn zum Vergnügen ge-
halten wurde. Vgl. dazu die Nachricht von der britannischen Königin
Bunduika bei Dio Cassius (>2, 6 : lauia eiiroGaa Xafibv utv €K toö
köXttou iwie ein Schosshündchen > irpopKaTO pavTcia tivi xpwpevn., Kai
^TT€ibfi dv aiaiuj aqncriv £öpape. tö Tt rcXfjeoq träv r\aQlv äveßönae. Sonst
gilt der Angang des Hasen in der Regel für Unglück bedeutend (vgl.
P. Sehwarz Menschen und Tiere im Aberglauben der Griechen und
Römer Progr. Celle 1888 .
Haselnuss. Die in Europa einheimische Corylus Avellana L.
weist daselbst einen urverwandten Namen auf : genieingerm. ahd. hasalf
altn. hasl, lat. condns, ir. coU aus *vosl. Daneben vgl. die Ent-
sprechungen von griech. äpuor tu 'HpaicXtumKÜ Kdpua (Bes. s. unten),
alb. an, altsl. orechü ,Nuss' (nach G. Meyer Et. W. d. alb. Spr. S. 17,
anders Miklosich Et. W., der das slavische Wort mit altpr. retiis, lit.
rexzutas ,Haselnuss' vergleicht) und alb. l'aiQi, altsl. U:sha (vgl.
Koppen Holzgewächse II, 172), lit. lazdä [Laxdona ,avellanarum deus),
altpr. Uhrde ,Haselnuss'. Auch die germano-keltische Gleichung ahd.
nuz} agls. hnutu, altn. hnot = ir. enii wird sieh auf die Haselnuss
bezogen oder sie jedenfalls mit umfasst haben.
In Griechenland wird die Haselnuss gegen Süden immer seltner,
woraus es sich wohl erklärt, dass die Griechen die Nüsse und wohl
auch aufs neue den Strauch vom Pontus bezogen und ihn 'HpoucXemTitcri
Kdpua (beschrieben von Thcophrast III, 14, 1, 3) nannten. Noch heute
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336
Haselnus* — Hau«.
kommen in Griechenland die meisten Haselnüsse ans den benachbarten
Provinzen der Türkei und heissen deshalb cpouvTOUKia, alb. funduk'
ans türk. fmdek, das seinerseits aus griech. ttovtiköv, mix Pontica
stammt 'vgl. Heldreich Nutzpflanzen .S. 15).
In Italien wurde die Haselnuss in besonderer Güte in Abcila in
Campanien 's. u. Apfel) gezogen (Plin. Hist. nat. XV, 88). Da-
her bei den Römern der Name mix Abellana, Arellana (it. avellano,
frz. ateline). Den Anbau solcher acellanarii in Deutschland befiehlt
das Capit. de villis LXX, 82. Nicht unmöglich ist, dass diese Hasel-
nüsse dem entsprechen, was später lampertsnuss, lammertsnot, lam-
bertsnu** ;Nüsse aus der Lombardei' (vgl. Pritzel-Jesscn Deutsehe Volks-
namen der Pflanzen S. 11T>) = Corylns ma.rima MdL oder C. tubulosa
Willd. genannt wird (vgl. v. Fischer-Benzon Altd. Gartenfl. S. 160).
— S. u. Wald, Wald bäume.
Haube, s. Kopfbedeckung.
Haus. Schon der idg. Urzeit müssen neben unterirdischen
Wohnungen s. d.) auch die Anfänge eines oberirdischen eigent-
lichen Hans- und Huttenbaus bekannt gewesen sein. Der idg. Name
des Hauses ist in der Gleichung sert. damä- = griech. böuo«;, lat. domus
enthalten, die vollständig u. Familie III Die Benennungen der idg.
Familie) angeführt ist. Ihre Wurzel liegt wahrscheinlich in griech.
btuuu = got. timrjan .bauen, zimmern' vor, so dass von einer Grund-
bedeutung ^gezimmertes' oder , Zimmerung' auszugehn ist. Umgekehrt
bezeichnet griech. oTko?, ouaot - sert. vtcii- (s. u. Sippe) zunächst die
Niederlassung der Menschen und dann den Wohnraum einer solchen.
Unsicherer als diese beiden ist die Reibe von sert. v/i'lä , Hütte' — -
griech. kciXiu, lat. cella, altn. hüll, agls. hettll, mbd. halle : lat. celare,
ahd. tti'lan. Auf den Norden Kuropas beschränkt sich ir. both , Hütte',
mhd. buode desgl. vgl. altn. btt,) , Wohnung , .Hütte ), lit. buta* .Haus'
: got. bauan, ahd. buan ,wolnien\ wovon auch lit. bttl.lä = altudd.
boüal etc. , Wohnung' und ahd. biir, agls. bt'n- ,Hans'. I ber griech.
öT€fn. lat. tinjurium, ir. tech .Hans' s. u. Dach, über griech. fiiTra =
altn. ko/i, mhd. lobe s. n. Unterirdische Wohnungen. Aus den
Einzelsprachen seien noch genannt: griech. KaXüßn. .Hütte' : KaXüirruu
, verberge', KXiain, »cXiaiov. «Xio-td? desgl. : got. Ideipra ,Zelt, Hütte'
(auch altsl. Wn .Haus'?!, lat. aede*. eigentl. , Feuerstätte' sert. idh
,an/.ttnden', s. u. Feuer), <a.sa , Hütte' (dunkel). Genicingerinanische
Reihen sind got. ynd-)hCts, ahd. litis : griech. kcü0uj , verberge' in das
gemeinst altsl. diyzn ,Haus' entlehnt; vgl. auch gemeinsl. altsl. chhim
,StalF aus dem Germanischen) und got. razn. altn. rann ,Haus', agls.
ratan , Bretterdecke'. Vgl. auch got. yards .Haus' (s. u. Garten,
Gartenbau) und altn. kot, kytja, agls. cot, cote, cyte, ndd. kote
, Hütte' (weiteres bei M. Heyne Das deutsche Wohnungswesen S. 13 ff.).
Mit gleicher Deutlichkeit wie die Sprache, weist die Überlieferung
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Haus.
337
auf die frühzeitige Bekanntschaft der Indogcrinnnen mit dem Haus-
oder Hüttenbau hin. Ks gicbt, wenigstens in Europa, kein idg. Volk,
das bei dem Anheben der geschichtlichen Zeugnisse sich nicht bereits
daranf verstünde, den Acker zu bauen und Häuser zu zimmern. Hin-
sichtlich der Griechen und Römer, der Kelten und Germanen (Tac.
Cap. 16) bedarf dies weiter keiner Belege. Aber auch von den Slavcn,
den Veneti, hebt Tacitus Germ. Cap. 40 ausdrücklich hervor : /// tarnen
inter Germanos potins refemntnr, qnio et domo* figunt . . . qttae
omnia dirersa Farmatis sunt in planst ro equoqne rirentibus.
Schwieriger ist es, sich über die Gestalt und die Beschaffen-
heit der ältesten idg. Hütten, von denen bei ihrer selbstverständlich
leichten Bauart kaum irgend welche direkte Spuren auf uns gekommen
sind, bestimmte Vorstellungen zu bilden. Von Wichtigkeit hierfür sind
zunächst die sogenannten H a u s u r n e n, welche namentlich in Italien,
Deutschland und Dänemark gefunden worden sind (vgl. über dieselben
Lisch Jahrb. d. Vereins für Mecklenburg. Geschichte XXI, 249, K. Vir-
chow Über die Zeitbestimmung der italischen und deutschen Haus-
urnen, Sitzungsb. d. Ak. d. W. z. Berlin 1883 S. 100*, K. Henning
Das deutsche Haus Strassburg 1882 Nachtrag S. 178 ff.). Es sind
Thongefässc, die in der mehr oder weniger deutlichen Nachbildung
eines Hauses dazu bestimmt waren, Überreste des Leichenbrands in sich
aufzunehmen. Über das historische Verhältnis der italischen zu den
germanischen Hausurnen hat man verschiedene Vermutungen geäussert.
Man hat für die letzteren an Einführung aus Italien gedacht, und um-
gekehrt bat man die italischen Denkmäler (vgl. namentlich A. Meitzen
Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen in den Verhandl.
des I. deutschen Geographentags zu Berlin bis in die Zeit der deutschen
Völkerwanderung hcrabrücken wollen. Am wahrscheinlichsten und
gegenwärtig am meisten durchgedrungen erscheint die schon von Lisch
geäusserte Ausicht, dnss jene Hausurneu selbständige, im grossen und
ganzen der Bronzezeit ungehörige Schöpfungen der beiden Völker
darstellen, welche somit vorzüglich geeignet sind, eine Vorstellung von
dem idg. Haus, wenn auch nicht in der ältesten, so doch in einer ver-
hältnismässig sehr frühen Kulturepoche zu gewähren.
Eine weitere Quelle uusercr Kenntnis des ältesten Wohnhauses bildet
die vergleichende Betrachtung der verschiedenen Bauarten der idg.
Stämme. Eine solche ist namentlich von R. Henning a. a. < K vorge-
nommen worden. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass das nor-
dische und ostdeutsche, also das ostgermanische Bauernhaus als dem
urgermaniseben Haus am nächsten stehend betrachtet werden muss.
„Die einfachste Gestalt des Haukes, aus der sich alle anderen ent-
wickelt haben, ist ein im Innern ungeteilter Kaum von annähernd
quadratischer Form, vor dessen Giebelseite zum Schutze gegen Wind
und Unwetter noch eine Vorhalle von der Breite des Hauses sich
Schräder. Real lex Ikon.
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338 Hans
befindet." „Treten wir durch die Vorhalle hinein, so erblicken wir
eine Stube, die ohne weitere Abteilung von der einen nackten Holz-
wand bis zur anderen, von der Diele bis zum Dachfirst reicht. Mitten
auf der Diele ist die ebenerdige Feuerstätte, nur durch eine längliche
Steinsetzling eingehegt. Über dem Feuer hängt der grosse Kessel an
einem Seile, das von einem drehbaren Gerüst herabläuft. Der Rauch
zieht durch eine verschliessbare Dachöffnung, welche nicht nur den
Schornstein, sondern auch die Fenster ersetzt, so dass das Tageslicht
diesen halbdunklen Raum nie völlig zu durchdringen vermag" u. s. w.
(Henning S. 62 f.). Diese altgcrmanischc Wohnstätte mit ihrer Vor-
halle und ihrem Herdraum entspricht nun in allem wesentlichen so sehr
dem altgriechischen Wohnhaus mit seinem Trpöoouos und bonos und
ebenso der einfachsten Gestaltung des altgriechischen Tempels, in dem
man allgemeiu die Nachahmung der ältesten Wohnung erblickt, mit seinem
vaÖ£ und npövao^, dass Henning a. a. 0. hierin den oder wenigstens
einen Typus des europäisch-indogermanischen Hauses zu erblicken kein
Bedenken trägt. In der Tliat ist die angeführte Ubereinstimmung so
gross, dass auch Mcitzcn r.. a. 0. sie auf historischem Zusammenhang
beruhen lässt, wenngleich er diesen Zusammenhang durch spätere Ent-
lehnung der Ostgernianen von den Griechen zu erklären sucht, wo-
gegen Henning a. a. 0. S. 176 begründete Einwendungen erhebt.
Demnach hätte man bei der Rekonstruetion des idg. Hauses von
einer Vorhalle uuszugehn, die „anfänglich gewiss nur ein auf Säulen
ruhender Vorsprung des Daches war" tzum Schutz gegen die Witterung).
Eine sichere idg. Bezeichnung desselben ist allerdings bis jetzt nicht
nachweisbar (urgerm. got. ubizva ,o"Toä', ahd. obasa ,ve8tibulum', mhd.
obese, agls. efes, engl, eaves ^Dachtraufe', altn. up.s ,Vorsprnng am
Daeh'; vgl. auch ahd. louba ,Schutzdach', , Vorbau', woraus it. loggia,
in. löge, und M. Heyue a. a. 0. S. 32 f.). Doch ist es nicht unwahr-
scheinlich, dass dieselbe in der auch u. T h ü r genannten Gleichung
sert. ä'tä jThürpfosten' = lat. anta mit enthalten ist. Aus derselben
sind altn. Und , Vorzimmer' und armen, dr-and idr- aus dur /Thür')
,ein Raum an der Schwelle' (vgl. in der armen. Bibelübersetzung
Richter XIX, 26) hervorgegangen. Ein temphtm in anüs war ein
solcher Tempel, dessen über die Thür vorspringendes Dach auf den
verlängerten Seitenwänden ruhte, zwischen denen sich zuweilen ein
Sänlenpaar befand. Bemerkenswert ist auch, dass der Begriff des
Pfostens oder der Säule sich durch mehrere Gleichungen als indo-
germanisch erweist. Vgl. sert. xthA'nä, aw. stüna- — grieeh. aeol.
0TdX\o, dor. crrdXa, att. o"rr|Xn., ahd. xtollo aus *xt(h)jl-nä und sert. xvdrti-
,Opferpfo8teu' = agls. xicer ,Säule' {vielleicht auch grieeh. kiwv =
annen. siun ,Säulc'). Endlich zeigt auch wenigstens ein Exemplar
der Albanisehen Hausurnen (das Berliner, vgl. Henning a. a. 0. S. 181)
„an jeder Seite der Thür zwei etwas erhöhte Rippen, welche (wie
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Haus.
339
schon Lisch a. o. a. 0. vermutete) wohl Pfeiler zum Tragen eines Vor-
dachs bezeichnen", und ebenso lassen sich an den gleich weiter zu
nennenden Barbarenhutten der Marcus-Säule (vgl. Tafel XIV und dazu
Petersen S. f>5) gleichartige Vorsprünge des Daches nachweisen (vgl.
auch 0. Montelius a. u. a. 0. S. 453).
Aus der Vorhalle gelangte man in den Herd räum (s. u. Herd),
das einzige Gelass des ältesten Hauses, das zugleich als Wohn- und
Schlafstätte wie als K U c h e (s. d.) der Insassen, zuweilen wohl auch
als Aufenthaltsort der Haustiere (s.u. Stall und S c h e u n e) diente.
Eine Hauptfrage ist, oh man sich diesen Herdraum, und damit d i e
Anlage des ganzen Gebäudes ursprünglich als rund oder als
viereckig zu denken habe.
„Die Urnen", sagt Heibig hinsichtlich der lateinischen Hausumen
der Xekropole von Alba Longa (Die Italiker in der Poebne S. 50),
„stellen rundliche Hütten dar, deren Wände man sich aus Lehm,
Keisig, oder anderen vergänglichen Stoffen aufgeführt zu denken hat.
Das Dach seheint aus Lagen von Stroh oder Rohr bestanden zu haben
und wird durch Rippen zusammengehalten, die in der Wirklichkeit
offenbar aus Holz gearbeitet waren. Es entbehrt des für das spätere
italische Wohnhaus bezeichnenden Compluviums. Vielmehr diente, um
das Licht in den innern Raum herein, und den Rauch ans demselben
herauszulassen, die Thüröffnung und ausserdem bisweilen eine kleine
dreicekige Luke, welche einige dieser Asehengefässe an dem vorderen
wie an dem hinteren Abfall des Daches erkennen lassen. <; Die gleiche
Form und Beschaffenheit hat derselbe Gelehrte überhaupt für die
ältesten Wohnhutten Italiens erwiesen und sich dabei besonders auf die
runde Gestalt und primitive Konstruction des ältesten Vestatempels
(vgl. a. a. 0. S. 52) berufen. Auch aus griechischem Gebiet, von Melos,
ist uns eine in vormykenischc Zeit fallende Hausurne, die mehrere
runde Hütten darstellt, erhalten (vgl. Umlsct Z. f. Ethnologie 1883
S. 214 Note). Das gleiche gilt vom Norden Europas. Wie die
römischen Bildwerke die gallischen Häuser rund darstellen, und von
den Beigen Strabo IV, p. 197 ausdrücklich berichtet : toi»? b' oueouq Ik
öavibujv kui t^ppwv £xou0"1 n€fdXou? GoXoeibeT^ cGöXo^ .Kuppel ),
^ipoqpov rroXuv dmßäXXovrcq, so ist der Rundbau auch die üblichste Form
der. auf der Marcus-Säule dargestellten Barharenhütten, wofür auf
Tafel XIV, XXVIII, L (nach Petersen S. 69 ein fürstlicher Wohnsitz),
XCVII (nach Petersen eine Felsenburg), CX, CXII (das stattlichste
aller Barbarenhäuser der Säule) der neusten Veröffentlichung dieses
Kunstwerks verwiesen sei (die Ausführungen M. Heynes Wohnungs-
wesen S. 22 ff. über die Häuser der Marcus-Säule scheinen auf Un-
kenntnis dieser Publication zu beruhen).
Endlich ist die Frage nach der Entwicklungsgeschichte und ältesten
Gestalt des europäischen Wohnhauses neuerdings auch von 0. Montelius
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340
Haus.
(Zur ältesten Geschichte des Wohnhauses in Europa, speciell im Norden,
Anhang: Die runde HUttcnfonn in Europa Archiv f. Anthropologie XXIIIr
1895 S. 451 ff.) ausführlich erörtert worden. In Einklang mit Sprach-
vergleichung und Urgeschichte* 8. 498 kommt auch dieser Gelehrte zu
der Überzeugung, dass das älteste idg. Haus ein Rundbau gewesen sei :
„Da man jetzt weiss, dass fast sämtliche arischen oder indogermanischen
Völker in mehr oder minder fernen Zeiten derartige runde Wohnhäuser
gehabt haben, und da es alle Wahrscheinlichkeit für sich bat, dass
dies auch von den anderen arischen Völkern gilt, deren älteste Woh-
nungen man noch nicht kennt, so dlirfen wir als gewiss betrachten,
dass das arische Urvolk, ehe es sich in seine vielen Zweige teilte, in
solchen runden Hütten gewohnt hat."
Auch für die in Sprachvergleichung und Urgeschichte8 geäusserte
Ansicht, dass die Kreisform der alteuropäischen Hütte sich aus dem
runden Zelt entwickelt habe, das nur aus einem Holzgcrüst mit darüber
gespannten Tierhäuten besteht, dürfte Montelius in der angegebenen
Arbeit eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit erzielt haben. So er-
öffnet sich auch von dieser Seite (s. u. Ackerbau und n. Viehzucht;
der Ausblick in eine Zeit, in welcher die Indogermanen noch ein wenig
sesshaftes und fast ausschliesslich der Viehzucht ergebenes Leben führten.
Immerhin müssen in Europa sehr frühzeitig ovale und viereckige
Formen der Hütte neben den runden Eingang gefunden haben. Dies
beweisen schon mehrere Exemplare der Hansurneii, z. B. die Urne von
Aschersleben, die ein viereckiges Haus mit hohem und steilem Stroh-
dachc darstellt, ebenso wie der Umstand, dass auch auf der Marcus-
Säule derartige Gebäude (vgl. Tafel XIV, XXV. XXVIII, LIII) nicht
ganz selten nachgewiesen werden können. Besonders aber scheinen
die Pfahlbauten, auf die unten des nähern einzugehen sein wird,
eine geradlinige Anordnung der Wände nötig gemacht zu haben
(vgl. J. Kellers *. Bericht p. VI).
Ein besonderer Name wird für den nach dem bisherigen ursprünglich
runden Herd räum in der Urzeit nicht vorhanden gewesen sein.
Da derselbe das einzige Gelass des Hauses bildete, so wird das all-
gemeine *dem-, *domo- zur Bezeichnung desselben ausgereicht haben.
So ist es bei dem a rm e n i sc h c n Bauernhaus, dessen überaus primi-
tive Anlage überhaupt eine frappante Ähnlichkeit mit dem oben er-
schlossenen Typus der nreuropäischen Hütte zeigt (vgl. Parsadan Tcr-
Mowscsjanz Das armenische Bauernhaus Mitteil. d. Wiener anthrop. Ges.
XXII, 125 ff.). Gegenüber dem srah, der Vorhalle (ein persisches
Wort, vgl. Hübschmann Armen. Gr. I, 241 1, wird hier mit tun = bonos
der ganze Übrige Teil des Hauses ztisammengefasHt. Hier findet sich
alles zusammen : „der Wohnraum für Menschen, der Herd, die Vorrats-
kammer, der Backofen, der Schlaf-, Ess- und Aufenthaltsort. In armen
Familien weilt auch der fremde Gast daselbst" (S. 140).
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Hau».
Besondere Benennungen des Herdraunis werden vielmehr erst
aufgekommen sein, nachdem das „einzeilige" Wohnhaus angefangen hatte
— was zuerst durch den Ausbau der Vorhalle geschehen zu sein scheint
(vgl. Montelius a. a. 0. S. 453 f.) — sieh mannigfaltiger zu zergliedern.
Der urgermani.sche Name für den Hauptraum des Hauses dürfte
ahd. sal, alts. seli, agls. sele, salor, sM, altn. salr (: lat. Holum , Boden')
gewesen sein, Wörter, die später zur Bezeichnung der Halle, des
Empfangsgebäudes, der Gastwohnung (vgl. got. salijncös, ahd. selida
,Gasthaus') verwendet werden. Zunächst ftir den Fussboden dieses
Kauines gelten die beiden Gleichungen: mhd. rluor, agls. flör, altn.
fldr neben ahd. fiazzi, agls., altn. flet ,arca', ,atrium'j — ir. Wir , Estrich,
Flur ) und altsl. tllo .pavhnentum', , Estrich' (nsl. tla ,Tenne') = ahd.
dili. agls. pel, welche letzteren demnach erst später den Sinn von
,brcttcrner Fussboden, Brett' angenommen haben (vgl. über ahd.
fiazzi und dili etc. auch M. Heyne a. a..O. 8. 33 ff.). Genau der alt-
germanischeu Herdstube entspricht das lat. Atrium. Man schwankt,
ob man das Wort : aw. dtare , Feuer' oder: lat. Ater ,schwarz' (atrum
enim erat ei- fumo 8erv.) stellen soll; doch sprechen die semasiolo-
gischeu Analogien für letzteres, wenn man bedenkt, dass derartige vom
Feuer des Herdes und der Kienfaekelu berusste Räume noch jetzt in
Russland ..Schwarzstuben- heissen (vgl. Beckmann Hey träge II, 410),
und im Armenischen als synonym mit dem oben besprochenen Ton
(tun) Gharadam d. h. ,Schwarzes Haus' gebraucht wird vgl. a. a. 0.).
Scheint doch auch die primitivste Einrichtung des Herdes selbst in den
germanischen Sprachen als r Rauch", altu. reykr, agls. rtc, ahd. rouh
bezeichnet worden zu sein (vgl. M. Heyne a. a 0. S. 34 Wird
ferner lat. vestibulum richtig aus *resti-stibulnm Jlerdstand' erklärt,
so hätte auch dieses Wort ursprünglich den Herd räum bezeichnet (vgl.
Gellius XVI, 5, 3: Animadverti qttosdam haudquaquam indoctos eiros
opinari r e st ibul um esse partem domus primorem, quam rulgus
at ri u m vocat), und wäre erst später, ähnlich wie das deutsche „Flur-
(s. o.) auf einen Vorraum übertragen worden. Doch ist die Bedeutungs-
entwicklung des lat. vestibulum ebenso wie seine etymologische Er-
klärung unsicher (vgl. Hecker-Göll Gallus II, 224 ff. und Marquardt
Privatleben I, 219 ff.). Auf gleicher Linie wiederum mit dem lat.
ätrium steht das homerische uerapov ,das grosse' (: *u€fapo<; ,grosa'
in u€Yötpuj, armen, mecarem ,halte hoch'; kaum: seit. Agdra- ,Haus',
und auch an Entlehnung aus hebr. mAgür , Aufenthaltsort' ist nicht zu
denken). Noch in homerischer Zeit steht im Hintergrund dieser ge-
räumigen Halle der Herd, an dem zugleich die Speisen bereitet werden,
die man auch in demselben Räume geniesst. Die Frau des Hauses hat
an ihm ihren Sitz. Der Rauch des Herdfeuers steigt bis zum Dache
(|X€\a6pov) empor, das darum at9a\Ö€v ,russig' genannt wird. Der Hoden
(griech. bäraoov : *dem- ,Haus': nach Mikkola B. B. XXV. 75:. lit.
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342 Haus.
ilimstis ,Hof , altn. topt, *ttimfetiz , Platz für Gebäude ) ist nicht mit
Steinplatten bedeckt, sondern festgestampft, und rücksichtslos werden
die Asche des Feuers und die Überreste des Mahles auf ihm ausge-
schüttet. Hinter dem Herde ist für das Ehebett des Hausherrn ein
Winkel bestimmt, wie dies auch im altgermanisehcn Hanse ähnlieh
der Fall war (vgl. Buchhol/. Realien II, 2, 105 ff. und Henning a. a. 0.
S. 105 ff.).
Für gewöhnlich wurden die idg. Hütten unmittelbar auf dem Hachen
Erdboden erbaut. Die Kunst der Fundamcntierung gehört erst
höheren Kulturstufen an, wenngleich Spuren derselben sich bereits bei
einigen der Häuser der Marcus-Säule 'vgl. z. H. Tafel XXV den
Sockel eines viereckigen Hauses) Huden. Wie wenig fest aber jene
ältesten Bauten zu denken sind, beweisen noch späte gesetzliche Be-
stimmungen, die sich gegen das Untergraben und Umstürzen der Wohn-
häuser richten. S. ferner u. Eigentum. Weit verbreitet im alten
Europa muss aber auch die Sitte gewesen sein, die Wohnungen auf
dem Unterbau eines Pfahlrostes zu errichten.
Als im Winter des Jahres lHö.'J T>4 in der Schweiz die ersten Pfahl-
bauten ans Licht traten, denen sich nach und nach gleiche An-
siedelungen in Österreich, Italien, Süddeutschland, überall in Anlehnung
an den Alpengürtel (eine gute Übersicht bei M. Hörncs Urgeschichte
der Menschheit S. 72), dann aber auch in Mecklenburg, Pommern,
Ostpreussen u. s. w. anschlössen, schien es auf den ersten Blick, als ob
diese Ansiedelungsart, wenigstens in der alten Welt, ohne historisches
Analogen dastünde. Bald aber zeigte es sich, dass die Geschichts-
schreiber längst auf Pfahlbauteuwohnungen in unserem Erdteil hinge-
wiesen hatten. Von besonderem Interesse ist hierbei der Bericht des
Hcrodot (V, Hij über die im See Prasias auf Pfählen wohnenden Päonier,
die — ein Beweis wie nützlich solche Ansiedelungen im Kriege waren
- im Gegensatz zu den das feste Land bewohnenden Päoniern der
persischen Herrschaft entgingen, einerseits wegen seiner Ausführlichkeit,
andererseits, weil es sieh hier um ein zweifellos indogerma-
nisches (thrakisehes/ Volk handelt. Dieser Bericht lautet: ixpia
cm öraupüjv utpriXdiv e^eufueva iv ue'o"r| eörrjKe Tr) Xtuvrj, e"o*obov ck
n.rr€tpou öTeivnv £x°VTa MirJ T€<püpr). tou? be ataupoüq Toüq utrecTTe-
uuaq toio*i iKptoKJi to uev kou äpxaiov foTnaav KOtvrj TrävTeq oi ttoXi-
fVrat, u£Tä be vöuiy xpcöuevoi laraai Totwbe- kouiZovt«; ii. oüpeo«;, tuj
oüvoud ton "OpßnXos, kotoi Tuvaixa eKdarnv ö Tapeuiv Tpeu; aTaupou?
CrrrUrrnov äretcu be e'Kaaioq cruxvctq YuvcuKaq. oiiceöcJi be toioütov
tpöttov, KpaT^ujv enaa-ro? im tujv iicpiiuv KaXußnq tc, iv rrj biaiTÜTai,
Kai 6üpri5 KcrraTraKTfis biet tujv ixpiiuv KOtTai <pepoüo*n.£ l<; ir\v Xiuvn,v.
xa be vn.ma rroubta beoutfi toö rrobö^ dnapTip, prj KaT0tKuXuo*6rj beijaai-
V0VT6?. TOlO"l b£ ITTTTOIO*! KCU T0l0*l ÜTT0£uYt0l0"l TT0tpeXOUO"l X°PT0V •X^Ö?.
tujv be TrXnQös effTi tocfoöto, üjöt€ örav ttjv 6üpr|v Tnv xctTcmaKTny
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Haus.
343
dvctKXivr), Kcmci (Txoivtu cnrupibct K€tvnv Tnv .Xiuvnv, kcu ou ttoXXöv
Tiva xpovov £mo*xwv ävacma TrXr|p€a ixOuuuv . tüjv bk ixBüwv iax\ y^vect
büo, Toüq KaXc'ouffi Trän-paKäq Tc Kai TtXwvaq. Nimmt mau hierzu, was
wir aus andern Quellen über die Sitten und Gebräuche der Päonier
wissen, so stimmt alles aufs beste zu dem Bilde, das wir uns von den
Schweizer Pfahlbauten und ihrem Kulturleben machen müssen (vgl.
Keller Pfahlbautenberichte 1 — 8). Genau so wie von Hcrodot geschil-
dert, muss die Anlage der Schweizer Pfahlbauton mit ihrem brücken-
artigen Zugänge vom Lande gewesen sein. Wie die Schweizer, müssen
die Paeonier ausser Fischern auch Viehzüchter (vgl. oben die 'ittttoi
und OTToruTtet der Poeonier) und Ackerbauer gewesen sein, welch letz-
terer Punkt aus dein Umstand folgt, dass uns ein paeonischer Xame
des Bieres (napaßin. s. u. Bier) genannt wird. Auch auf den Anbau
des Flachses und auf das Drehen des Fadens mit der Spindel ver-
standen sie sich wie die Schweizer, wie denn Herodot (V, 12) selbst
eine spinnende (Xivw KXw6ouo*a) Paeonierin nennt.
So werden die Pfahlbauten in die Reihe aufs beste beglaubigter
historischer Erscheinungen eingereiht.
Errichtet wurden dieselben sowohl in Seen und Flüssen wie auch
auf dem festen Lande. Letzteres gilt namentlich von den Pfahldörfern
in den Terramare der Emilia, die von einem Erdwalle umgeben, auf
trockenem Boden angelegt waren (vgl. Heibig Die Italiker in der
Poebenc S. f>8). Aber auch bei den germanischen Völkern war
und ist zum teil noch heute die Sitte, die Häuser auf hohem Pfahl-
werk zu erbauen, eine weit verbreitete (vgl. Henning a. a. 0. S. IGtiflf.
und M. Heyne a. a. (). S. 1 7 f.).
Gewöhnlich wird angenommen, dass die Pfahlbautenanlagcn im Hin-
blick auf die Vorteile, welche dieselben bei Wasserbauten boten,
eingeführt und dann von einer an diese gewöhnten Bevölkerung auch
auf dem Festland beibehalten worden sein. Indessen ist der Pfahlrost
in Zeiten, denen eine Unterkellerung der Wohnung noch fremd ist,
auch auf dein festen Boden in mannigfacher Beziehung, z. B. zur
Trockenlegung des Fussbodens, zum Schutze vor Mäusen und Ratten
u. s. w. so nützlich, dass der umgekehrte Weg der Entwicklung nicht
minder denkbar erscheint.
So viel im allgemeinen über die Anlage der idg. Wohnstätte, die
man sich schon in der Urzeit von einem hofartigen Raum (s. u. Garten,
Gartenbau) umgeben zu denken haben wird. Über das einzelne ist
in besonderen Artikeln gehandelt worden: Die Wände des Hauses be-
standen lediglieh aus Holz, Flechtwerk und Lehm s. n. M n n e r),
noch nicht aus Stein (s. u. Steinban), das Dach (s. d.) aus Stroh,
Schilf oder Rohr. Es breitete sich unmittelbar über dem Herdraum
ans, der durch einen in seiner Mitte gelegenen Herd <s. d.), ur-
sprünglich eine einfache Feuergrube, Wärme und Beleuchtung ('s. u.
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444
Haus — Hausrat.
Licht) empfing. Fenster s. d.) und Öfen (s. u. Ofen) waren nicht
vorhaudcu, wohl aber eine bereits versehliessbare Thür d.). Haus-
rat (s. d.) fehlte noch gänzlich. Man sass auf Streu und ass aus
Töpfen, statt von Tischen. Küche, Keller, Abort (s. s. d. d.) sind
späte Erfindungen. Uber die Unterbringung des Viehs und der Er-
trägnisse des Feldhaus s. u. Stall und Scheune.
Hausen, s. Stör.
Hausgemeinschaft, Hauskoinmiittioii, s. Familie.
Hausgruben, s. Unterirdische Wohnungen.
Hausherr, s. Ehe, Familie.
Hauslauch (üempercinim tectorum L.). Grieeh. (Theophr.)
äetfwov, lat. sedum. Die Pflanze galt im Altertum als Heilmittel,
namentlich gegen Brandwunden. Ferner wurde sie in Schalen gepflanzt
und so auf die Dächer der Häuser gesetzt (Kai iv ööTpdKOi? tvioi (puteü-
ouöiv aÖTÖ dm tujv oiKiipaTwv, Dioskorides). Diese Sitte, die in dem
Glauben wurzelt, dass der Hauslauch die Häuser vor Blitz und Donner-
schlag schütze, hat zu der Verbreitung der nur im Süden einheimischen
Pflanze nach dem Norden gefühlt. Noch Albertus Magnus berichtet:
Qui autem incantationi student, dicunt ipsam (plant am) fitgare, fulmen
tonitrui: et ideo in tectis plantatur. So erklären sich die Namen
huszteurtz (heilige Hildegard), hauslauch, donnerlauch, agls. ßunoricyrt
etc. Den letzteren Ausdrücken, bei denen, wie in donnerstag, agls.
punresda>g, der erste Bestandteil ursprünglich als Gottheit des Donners
aufgefasst wurde, entspricht das romanische Jovis barba (frz. joubarbe
des toits, span. jnsbarba), dessen Atibau im Capitulare de villis LXX, 73
vorgeschrieben wird. — Andere Heil- und Zauberpflanzen s. u. Arzt.
Hausrat Die älteste Geschichte des Hausrats, von dem hier
nur das Ameublcnient der Wohnung und aus diesem wiederum nur
die drei wichtigsten Begriffe Bett, Stuhl und Tisch besprochen
werden sollen, bedarf uoch mannigfacher Aufklärung. Freilich wird
eine solche schwer zu erreichen sein, da die Nachrichten der Alten
Uber die in den ausserklassischen Gegenden Europas in dieser Beziehung
herrschenden Zustände überaus dürftige sind, und aus prähistorischen
Schichten Überreste von Gegenständen der genannten Art bei deren
leichter Zerstörbarkeit auch dann nicht zu erwarten wären, wenn sie
vorhanden gewesen sein sollten. Auch die Sprache kaun hier nur
wenig Belehrung bringen. Urverwandte Sprachreihen wie für das Bett:
grieeh. Xexo?, Xeinpov, lat. lectus, got. ligrs, ir. lige oder für den
Stuhl: lat. sella, lak. i\\ä • xctOebpa Hes., got. sitls, gall. (caneco)-
sedlon sind zwar vorhanden; da aber die erstere nichts anderes als
,Lagcr (got. ligan), die letztere nichts anderes als ,Sit// (lat. sedeo)
bezeichnet, so sagen sie Uber die Beschaffenheit des Lagers und
Sitzes in der ältesten Zeit natürlich nichts aus.
Gleichwohl fehlt es nicht gänzlich an Anhaltspunkten, welche darauf
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Hausrat.
:;45
hinweisen, dass sowohl das Bett (im Sinne des auf einem hölzernen
Gestell bereiteten Laders) wie auch der Stuhl und Tisch, obwohl sie
bei den Griechen und Römern vom Anfang ihrer Überlieferung an be-
zeugt sind, dennoch bei den europäischen Indogermanen kein allzu hohes
Alter haben. Von den Kelten und Kel tiberern wird mehrfach be-
richtet, dass sie auf dem Erdboden schliefen und sich bei ihren
Mahlzeiten keiner Stühle bedienten. Vgl. Strabo III, p. 164: kcu toötö
t€ kcu t6 xaMeuvtiv koivöv ^o*n toi£ 1ßr|po*i Ttpöq toü£ KcXtous, der-
selbe IV, p. 197: (von den Kelten) xaMCuvoöai b£ Kai ue'xpi vöv 01
ttoXXoi Kai Ka8e£6uevoi öeiTrvoOaiv ev OTißdai, dazu Diod. Sic.
V, 28: b€nrvoöo*i bfc Ka8n.uevoi Travit^, ouk eni 9pövwv äXX' in\ ff\<;,
ÜTrocrrpu'juao'i xpwuevoi Xukujv f\ kuvujv bc'puaai. Bei Homer II. XVI, 234
werden die Seiler, die Priester des dodonäischen Zeus, als dviTTTÖirobcq
und xttuousuvat hczeichnet, worin allerdings Kretschmer Einleitung S. 87
vielleicht mit Recht nicht das Kennzeichen einer niederen Kulturstufe,
sondern das Beispiel einer priesterlichen Askese erblicken möchte. Wie
sich dies auch verhalten möge, jedenfalls wird man sagen müssen,
dass, wenn die Kelten in der frühsten historischen Zeit noch keine
Betten und Stühle hatten, dies bei Germanen und Slaven noch weniger
der Fall gewesen sein dürfte.
In der Terminologie der beiden Hausgerätschaften bei den Xord-
völkem geht eine Gruppe von Wörtern auf eine Wurzel stel zurück,
<lcren Ableitungen in sich die verschiedensten Bedeutungen: ,Gcstell ,
,Bett", jStuhl' auch /fisch' vereinigen, so dass irgend ein sachlicher
Schluss aus ihnen ebenfalls nicht möglich ist. Vgl. lit. pastölas , Ge-
stell', altsl. postelja ,Bett\ stolü vgl. Miklosich Et. W. s. v. stel)
,thronus' und /fisch' (entlehnt lit. stolatt .Tisch*), got. nföls ,Stuhl' u. s. w.
Die gemeingermanische Reihe got. badi, ahd. betti dürfte nach Mass-
gabe des altn. Iiedr, ursprünglich , Polster' bedeutet haben (was auch
das entlehnte tinn. patja bezeichnet /. Im Bcowulf v. 1240—47 werden
<lic Betten und Polster den Helden zwischen den zusammengerückten
Bänken auf der Diele bereitet. Litu-slavisch sind altpr. creslan, lit.
kresltui, altsl. kreslo ,Stuhl' und altpr. dumpi* .Stuhl', altsl. klapt
,Bank'. Vgl. noch für Bett altsl. odrü (vgl. Miklosich Et. W. s. v.),
ir. imda, xceny und lepuid, lebaid alle dunkel) und altpr. last» (lit.
lashi , Brutnest';.
Als älteste Sitzgelegenheiten der Kelten wurden in den oben ange-
führten Nachrichten die o"ri{JdÖ€S, d. h. , Streu oder Lager aus Stroh',
auch , Matratzen' und die bepuara , Felle' genannt. Eine idg. Bezeichnung
für den ersteren Begriff liegt in der Reihe sert. barhi's- .Streu, Opfer-
streu', aw. bar<tzix- , Decke, Matte' (vgl. auch sert. upa-barhatm- , Decke,
Polster ), altpr. bahinis , Kissen', pobaho , Pfühl', serb. blazina , Kissen,
Polster', slov. blazina »Federbett', altn. bohtr, ahd. bidstar .Kissen,
Polster' (vgl. Ost hoff B. B. XXIV, 14.'5, Kluge Et. \\'.< s. v. Polster)
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346
Hausrat
vor, deren primitive Grundbedeutung eben ,Stren', .Heubündel' oder
ähnliche*) gewesen sein wird für kunstvollere Erzeugnisse dieser
Art herrschen hei den Germanen lauter römische Ausdrücke; s. u.
Gans). Dass aber die .Menschen auf einem derartigen Strohbündel in
der Urzeit wirklich süssen, k»un auch daraus gefolgert werden, dass
in den ältesten Opferriten auch den Göttern, wenn sie zum Empfang
menschlicher Nahrung herbeigerufen werden (s. n. Opfer, gleiche
Sitze bereitet werden. Ähnlich ist das Fell in dieser Bedeutung im
Kitus festgehalten worden. S. darüber u. Heirat Nr. 7.
Der Tisch- tritt im Norden nach den Nachrichten der Alten nicht
zuerst als lange und hohe Tafel auf, an der viele Platz nehmen können,
sondern entsprechend dem Sitze der Schmausenden auf dem Erdboden,
auf Polstern und Fellen, in niedriger und kleiner Gestalt, dazu be-
stimmt, vor jeden einzelnen der Gäste hingestellt zu werden. Vgl.
Athen. IV, p. 151: KtXixu (q>n,o*l TTotfcibiüvioq) rpoyuq TTporiOtviai
XÖpTov ÜTToßdWovTtq Kai t tt \ TpaTre£u>v EuXivwv uixpöv öttö ttk
Tn,q tTrnPMtvuuv, Tacit. Genn. Cap. 22: Lauft eihum capiunt: separntae
sbujuHs sedes et sua cuique nie nun, Xenophon Anab. VII. I?, 21
(Gastmahl des Thrakerfürsten Scnthes): tö bfcmvov u£v rjv Kuenutvois
kükXut 6TT€iTa b€ Tpmob€<; eiffnWxOnaav Trädr outoi b" ntfav Kpewv ne-
öto'i v6V€un.U€Vu)v. Ebenso speisen die Hunnen im Waltharilied (vgl.
Kögel Gesch. d. d. Lit. I, 2, 29:5 und weiteres bei M. Heyne Das
deutsche Wohnungswesen S. fiö). Aber auch bei Homer haben die
Helden mit wenigen Ausnahmen jeder sein eigenes Tischchen vor sich.
In noch früherer Zeit waren diese kleinen Tische vielleicht nichts
anderes als thönerne Schüsseln, die vor die einzelnen hingesetzt wurden.
Hemerkenswert ist jedenfalls, dass die gemeingerninnische Bezeichnung
des Tisches: got. biups, altn. hjöAr, ahd. beot zugleich auch ,Schüsscl'
bezeichnet, und dass diese letztere Bedeutung durch die uralte sla-
vische Entlehnung altsl. bljudo, bljudft .patina' als die ältere erwiesen
zu werden scheint. Vgl. auch ahd. fixe, agls. disc .Tisch, Schüssel'
aus lat. dt nc im ^Schüssel*. Auch sonst fällt in der Terminologie des
Tisches die starke Entlehnung ans dem Süden auf: aus lat. menna
stammen ir. miau, got. mi's, ahd. miau, ausgricch. Tpdnela: altsl., hulg.
trapeza, alb. trapezr u. s. w.
Von der Gegenwart aus hat neuerdings R. Mcringcr Studien zur
germanischen Volkskunde III Der Hausrat des oberdeutschen Hauses
(Mitteilungen d. Wiener authrop. Ges. XXV, öß ff.'» in die Geschichte
unseres Gegenstands einzudringen versucht. Es zeigt sich, dass die
Ausstattung des oberdeutschen Bauernhauses noch heute eine überaus
dürftige ist. Eigentliche Stühle sind in demselben nur ausnahmsweise
vorhanden. Ihre Stelle vertritt die um die ganze Stube herumlaufende
Bank, die in fester Verbindung mit der Holzwand steht. Ebenso mus»
noch vor nicht langer Zeit auch das Bett, wie in den Sennhütten, au
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IJansrat — Hebamme.
347
der Wand befestigt gewesen sein. Das einzige wirkliehe Hausgerät
{mobile) ist der Tisch, „und auch der Tisch ist in alten Häusern von
solcher Grösse und Arbeit, dass er gewiss in Jahren seinen Platz nicht
sehr verändert hatu. Genau entspricht das Innere des nordischen,
etwa des altschwedischen Hauses, wie es Montelius Die Kultur Schwedens*
S. 142 skizziert: r An der Wand betest igte Bänke (genicingenn. altn.
bekkr, agls. benc, ahd. bauch) und Betten, lange Tische vor den Bänken
und eine oder die andere Truhe zur Aufbewahrung der Kostbarkeiten
des Hauses, das wäre wohl das hauptsächlichste (des Ameublements),
wenn nicht alles". So also mag der Hausrat des germanischen Bauern-
hauses ungezählte Jahrhunderte lang beschatten gewesen sein, und doch
ist dieser Zustand von dem frühest erreichbaren und oben geschilderten,
in dem die Stämme des nördlichen Europa noch auf dem Erdboden
schliefen, nur auf Fellen oder Heuhündeln sassen und vielleicht auch
den Begriff des Tisches noch nicht kannten, bereits durch eine breite
Kluft geschichtlicher Entwicklung getrennt, deren Überbrückung der
Forschung noch nicht möglich ist. S. auch u. Kiste.
Haussuchung, s. Dieb, Diebstahl.
Hausthür, s. Thür.
Haustiere, s. Viehzucht.
Huustirne, s. Haus.
Hausvater, s. Familie.
Hautfarbe der Indngermaiien, s. Körperbeschaff'enheit d. I.
Hautkrankheiten, s. Krankheit.
Hebamme. Strahn III, p. 16f> erzählt, dass bei keltischen wie
thrakischen und skythischen Stämmen die Frauen durch gleiche Tapfer-
keit wie die Männer ausgezeichnet seien. Sie nehmen am Ackerbau
teil, und, wenn sie geboren haben, bedienen sie ihre Männer, die sie
anstatt ihrer selbst sich ins Bett legen lassen. Mitten in der Arbeit
waschen und wickeln sie ihre Kinder an irgend einem Bache. Es folgt
dann weiter die nach Posidonius erzählte und auch von Diodorus IV, 20
mitgeteilte Geschichte, auf die auch Aelian De nat. anim. VII, 12 an-
spielt, nach welcher eine ligurische Frau sieh auf kurze Zeit von der
Feldarbeit entfernt, geboren habe und zurückgekehrt sei, als ob nichts
geschehen sei. Wenngleich die hier erwähnte noch nicht erklärte Sitte
der Convade oder des Männerkindbetts (vgl. u. a. Starckc Die
primitive Familie S. 54 ff.) von Strabo irrtümlich von iberischen auf
idg. Stämme übertragen worden sein dürfte sie wird sonst inner-
halb Europas nur noch aus Korsika von Diodorus V, 14 gemeldet:
napaboEÖTaTov b' £o"ri trap* auroT? to Tivöpevov kotci ta? tujv tckvujv
feWöc«?" ÖTav fäp f| fuvn t€ktj, Taum,«; pev oübepia fivcTai Ttepi Tn.v
Xox^iav dmpeXcia, ö b' ävn,p aurr)? üvaTreödiv w<; voaüuv XoxtutTcu töktöc^
rmlpa^ üj^ tou awpaioq auToö kcikottoi6oö vto^ in Vorderasien wird das
Männerkindbett mehrfach bei den Tibarenern bezeugt, vgl. E. Meyer
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348
Hebamme.
Geschichte des Altertums II, 4»lJf. — , so folgt doch aus den ange-
führten Nachrichten, was sich Übrigens ans zahlreichen anderen Bc-
8chreil)ungcn der körperlichen Rüstigkeit der Nordvölker ergiebt, dass
die alteuropäischcn Frauen ihre Kinder mit grosser Leichtigkeit zur
Welt gebracht haheu müssen. Irgend ein geburtshilflicher Beistand
wird dabei nicht erforderlich gewesen sein. Machte sich derselbe trotz-
dem notwendig, so werden alte Frauen mit praktischen Handgriffen
und noch mehr mit wirksamen Zaubersprüchen nachgeholfen haben.
Die meisten Bezeichnungen der Hebamme sind aus Wörtern für altes
Weib, Alte u. s. w. hervorgegangen. So griech. uaTa (im Sinne von
Hebamme etwa seit IMato), abgeleitet von (ja, einer Koseform von Mnrrip,
dazu paieuw. pai6op.ai ^ntbinde' (später: äKttfTpiq, raMOÖöa. 6u<paXo-
töuo?, iaTpouaia). So lit. senüji ,die alte' und slavisch baba ,altes
Weib'. Auch in ahd. hevianna, später in hebamme umgedeutet, steckt
wahrscheinlich anna — lat. anus .altes Weib , so dass das Compositum
etwa , Hebefrau' (: got. hafjan „heben ) bezeichnet. J. Grimm R.-A.
S. 4;V> bezieht diese Benennung ebenso wie auch die schwedischen und
dänischen Ausdrücke iordgitmma, iordemoder .Krdinutter' auf eine
Sitte, nach welcher die Hebamme auf Befehl des Vaters, wenn dieser
das Neugeborene habe annehmen wollen, das Kind von dem Knihoden
aufgehoben habe (s. u. Aussetzungsrec ht).
Andersartige Benennungen sind lat. obstet rix in Rom entwickelte
sich ein Hcbammcngewerbe durch griechische KinHüssei, eigentlich die
gegenüberstehende . eine Bezeichnung, die auf eine Form der Knt-
bindung zurückgeht, bei welcher die Hebamme nicht, wie heute, neben
der Kreissenden, sondern vor oder zwischen ihren Knien sitzt ivgl.
Abbildungen bei H. Ploss Das Weib3 S. 117, 119. 120). Ferner lit.
pributrejti ,die dabei seiende', tuittclcngl. midicife. Vgl. die weitere
Terminologie bei Ploss a. a. 0. S. 144 ff.
Die Bedeutung des Zaubers für die Krleichterung der Geburt
schildert anschaulich die altnordische Oddrunsklagc: Borgny, des Königs
Heidrek Tochter, liegt von ihrem Geliebten Wilmund geschwängert,
in schweren Wehen. Niemand kann ihr helfen. Da naht Oddruu,
Atlis Schwester:
geh k mild ff/r km-
meijju at nitja;
riht gdl Oddrün,
rammt gol Oddrün
bitra galdra
at ßorgnffju.
„sie liess vor den Knien
der Kranken sieh nieder*
(vgl. oben lat. obstetrix),
„Sprüche voll Heilkraft
Der leidenden Borgny
sprach nun Oddruu,
erlösenden Zauber".
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Hebamme — Heer.
349
Auch sonst wird in der Edda wiederholt Entbindungszauber genannt.
Vgl. das Lied von Fafnir 12:
„Sage mir, Fafnir, — für erfahren giltst Du
Und durch reiches Wissen berühmt: —
Welche Nomen bringen in Nöten Hilfe
Und erlösen Mütter von Leibesfrucht^?
und das Lied von Sigrdrifa 9:
„Schutzrunen lerne, wenn Du schwangere Frauen
Von der Leibesfrucht lösen willst:
Auf Hände und Gliedbinden male die Heilzeichen
Und den Heistand der Discn erbitt!a (Gering)
Ebenso machen bei den Griechen die Hebammen von Zaubcriiedern
(lat. puerpera verba) Gebrauch, wie es noch Pinto Theaetet. p. 149 c
schildert: xai pf|V Kai biboötfai ai naia» (papnäxia Kai liraboutfat
büvavrai ifexpew t€ taq wbivas Kat uaAaKorc'paq ujv av ßoüXujvxai noielv.
In dieser Weise mag mutntis mutandis noch heute in entlegenen
Teilen unseres Erdteils, etwa des slavischen Ostens, die Entbindnngs-
kunst ausgeübt werden. Hebammennnterricht, staatliche Beaufsichtigung
u. s. w. sind selbst bei den heutigen Kulturvölkern junge Einrichtungen
(worüber ausführlich PIoss a. a. (). Cap. XXXIII Die Geburtshülfc).
Vgl. auch Weleker Kleine Schriften III, 185 ff. (Entbindung), wo in
Sage und Wirklichkeit eine knieende Stellung ' der kreissenden Frau
angenommen wird. — S. u. Arzt.
Hecht. Die Entscheidung über die Frage, ob dieser Fisch schon
den Alten bekannt war, hängt davon ab, ob man mit zahlreichen Aus-
legern denselben in dem lat. lupus. entsprechend dem griech. XdßpaE,
erblickt, die von anderen als eine Art Seebarsch gedeutet werden.
Hiervon abgesehen, würde sich der übrigens schon in den Schweizer
Pfahlbauten nachgewiesene Hecht unter dem seltsamen Xameu lucius
zuerst in des Ausonius Mosclla v. 120 ff. finden:
hk etiam Lotio risus praenomine cultor
stagnorum, querulis vis infestissima ranis,
l uciu#, obscuras ulca caenoque lacunas
ob.sidet. hic nullos mensamm lectus ad usus
ferret fumosis olido nidore popinis.
Damals galt also der Fisch noch als eine minderwertige Speise.
Die Namen desselben gehen ganz auseinander: westgerm. ahd. hahhit,
agis. hacad : mhd. hecken .stechen* vgl. fr/, brocket, engl, pike, nltn.
gedda : gaddr .Stachel' i. altpr. liede (neben meida bei Nesselm.) =
lit. lydekü, lett. lideks, slav. * Stuka, russ. seuka etc., korn. denshoc
dour ,dentatus aqnae'. — S. u. Fisch, Fischfang.
Heer. Ein idg. Ausdruck hierfür ist got. harjis, altpr. karjis,
ir. cuire, eine /o-Ableitung zu lit. kdras, kare .Krieg', auch ,Heer'
= nltp. kdra- ,Hecr'. In der ältesten Zeit ist Heer ein identischer
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350
Heer.
Begriff mit Volk und Stamm (s. s. d. d.), die zum Kriege ausgezogen,
nach der oben genannten Gleichung selbst als , Krieg' oder .zum Kriege
gehörig' bezeichnet worden sein werden. Wie der Stamm, ist daher
auch das Heer in Sippen (s. d.) und Verwandtschaften (Familien)
gegliedert. An seiner Spitze steht der Häuptling des Stammes, der
König (s. d.), dessen Gewalt im Krieg eine grössere als im Frieden ist.
Neben der eben genannten uralten Einteilung des Heeres nach Sippen
u. s. w. findet sich aber bei mehreren idg. Völkern eine zweite auf
dem Dezimalsystem beruhende, nach Tausend- Hundert- Zehner-
schaften. Am deutlichsten ist dies bei Kömern und Germanen der
Fall. Die römische legio .Lese' (: legere) umfasst gemäss der Drei-
teilung des alten Rom 3000 Krieger, die sich weiter in Curien und
Decurien gliedern. Die Sueben schicken nach Caesar De bell. gall. IV, 1
aus jedem pagus 1000 (1200?) Krieger ins Feld, und noch im Beownlf
werden Tausendschaften erwähnt. Sie zerfallen in Hundertschaften,
an deren Spitze ein hunno (fränk.), hundredes ealdor (agls.), hunda-
faps (got.) u. s. w. = centurio steht. Centeni (120?) sind nach Tacitus
Germ. €ap. 6 eine Elitetruppe der einzelnen pagi und nach Cap. 12
das Gefolge der per pagos vicosque Recht sprechenden principe*.
Unter den übrigen Indogermanen wird die Hundertschafts- und
Tausendschaftsordnung nur noch bei den Russen erwähnt, nicht bei
den Südslaven, so dass sie bei den ersteren sehr wohl auf germanischen
Einflüssen beruhen kann, und bei den Indern, hier aber nicht als Kriegs-,
sondern nur als spätere Administrativordnung (Dorf schaftsordnung der
Sutrazeit). Unter diesen Umständen wird es nicht angehen, mit Leist
Alt-arisches Jus civile II, 224 f. die Gliederung des Heeres nach Hundert-
mal Tausendschaften als eine schon indogermanische Institution anzusehen.
Sic wird aus einer Zeit herrühren, wo Volk und Heer schon nicht
mehr ganz dasselbe waren, und die einzelnen Stämme nur einen nach
dezimaler Rechnung bestimmten Teil ihrer Leute zum Heere stellten,
ganz wie es Caesar oben von den Sueben berichtet. Man kann also
nicht sagen, der pagus (über den germ. „Gau" s. u. Stamm) ist die
Niederlassung einer Tausendschaft, sondern nur, der pagus ist eine
Gemeinschaft von Dörfern, die 1000 (1200? s. u. Zahlen) Krieger
stellte. Bemerkenswert ist, dass die Völker mit alter dezimaler Heeres-
gliederung, also Römer und Germanen, zugleich auch am frühesten den
Gebrauch von Feldzeichen (s. u. Fahne) bei sich ausgebildet haben.
Die idg. Stammheere kämpften zu Fuss. Homer kennt noch keine
Reiterei, die in Griechenland erst mit dem Auftreten eines begüterten
Adelstands allmählich aufgekommen ist, ohne in älterer Zeit irgendwo
grössere Bedeutung zu erlangen. Zur Zeit der Schlacht von Marathon
scheinen in Athen, das später auf seine Reiterei stolz war, nur wenige
Familien, und zwar mehr zu Sport- als zu Kriegszwecken, Pferde ge-
halten zu haben. Auch in Rom war die Reiterei eine sekundäre Waffe.
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Heer.
.151
Die germanischen V erhältnisse fasst Taeitus Germ. Cap. 6 in die Worte
zusammen: In Universum aestimanti plus penes ped item roboris, wenn-
gleich er seihst und andere ausnahmsweise germanische Reitervölker
wie die Tenctercr (Germ. Cap. 32) oder Bataver <I)io Gass. LV, 24)
kennen. Dasselbe gilt von den Slaven (Veneti). Vgl. Tacitns Germ.
Cap. 46: ///' tarnen inter Germanos potius referuntur, quin et domo*
figunt et acuta gestaut et pedum usu av pe rnicitat e gaudent :
quae. omnia dicersa Sarinatis sunt in plaustro equoque v i veut ibus.
Es geht daher schon aus diesem Grunde nicht an, die berittenen Völker
der Marcus-Säule mit Petersen für Slaven zu halten. Es werden Sar-
maten sein, während die Germanen meist zu Fnssc fechten.
Als ein Übergang zu einer grösseren Beachtung der Reiterei wird
die in ganz Nordeuropa bestehende Sitte einer Comhinierung von Fuss-
volk und Reiterei, die Einrichtung der sogenannten Tropoßatai ,Ncben-
läufer', zu betrachten sein. Caesar De bell. gall. VII, 80 fand sie bei
den Galliern und im Heere des Ariovist vor (I, 48: Genus hoc erat
pngnae, quo se Germani exercuerant. equitum milia erant sex,
totidem numero pe.dites velocisaimi ac fortissimi, quo* e.v omni copia
singuli singulos suae saiutis causa delegerant : cum his in proeliis
versabantur. ad eos se equites reeipiebant : hi. si quid erat duriusy
coneurrebant, si qui graviore rulnere aeeepto equo deciderat, circum-
sistebant; si quo erat longius prodeundum auf celerius reeipiendum,
tanta erat Horum exercitatione celeritas, ut iubis equorum sublerati
cursum adaequarent . Taeitus erwähnt sie in der Germania (Cap. 0:
Eoque mixti proeliantur, apta et congruente ad equestrem pugnam
velocitate peditum, quos ex omni iueentute delectos ante aciem locant,
8. o. !. und auch von den östlichen Stämmen, den Rastarnen, wird sie
mehrfach überliefert (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen c S. 46 ff.). Etwas
anderes aber ist die von Pausanias X, 19 bezeugte altgallische TpiuapKioia
^Drei-Pferdeschaft' : altgall. marka , Pferd', bei der der Reiter eben-
falls Begleiter, aber berittene, um sich hat. — Ebenso wie die europä-
ischen, müssen wir uns die arischen Indogermanen ursprünglich zu
Fuss in die Schlacht gehend vorstellen. Auch der Rigveda kennt
zwar das Reiten, aber keine Reiterei, und erst auf iranischem Boden
ist unter auswärtigen Einflüssen die Ausbildung dieser Waffe erfolgt
(s. u. Pferd, Reiten, Streitwagen).
Hinsichtlich der Aufstellung des idg. Fnsshceres wissen wir, ab-
gesehen von der oben hervorgehobenen Thatsache des Beieinander-
kämpfens der einzelnen Familienverbände, nichts sicheres. Eine alte
Form der idg. Schlachtordnung war vielleicht der Keil (Tacit. Germ.
Cap. 6: Acies per cuneos instruitur), und indogermanisch vielleicht
auch die von der Ähnlichkeit eines solchen Keils hergenommene Be-
zeichnung desselben als „Eber" oder „Eberkopf", die in Indien (vgl.
Mann VII, 187) und in Europa (vgl. Vegetius De re militari III, 10:
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Heer - Heidekraut.
Cunetts dicitur mitltitudo peditum, qttae ittneta cum acte primo angustior,
deinde latior procedit et adrersariorttm ordines rumpit, quin a plw
r'tbtt* in unum locttm tela mittuntttr. quam rem militest nominant
capttt porcinum — altii. svinf ylking) wiederkehrt. Andererseits fehlt
es freilich nicht an Zeugnissen z. B. Tac. Ann. II, 45), nach denen die
Germanen früher durchaus tagte ineursibm aut dhiectas per catercas
gekämpft und erst von den Körnern gelernt hätten, sequi sigtta, sub-
sidiut firmari, dicta imperatorum aeeipere (vgl. W. Scherer Anzeiger
f. deutsches Altertum IV, 97, A. Holtzmann Genn. Altertümer S. 150).
Die Monumente lassen eine bestimmte Kampfordnung der Germanen,
nicht erkennen.
Über die älteste Bewaffnung des idg. Heeres s. u. Waffen.
Zahlreiche Bezeichnungen des Heeres oder eines Ileerhaufens, die später
in die Bedeutung von Volk übergegangen sind, s. u. d. Im Übrigen
seien aus den Einzel sprachen noch genannt: Griech. o*Tpaxö? ,Heerr
Lager' (dazu o*TpaTuoTn.s), gewöhnlich zu o*Tpuuvvuui , breite aus' gestellt,
von Windisch I. F. III, 80 f. dagegen mit ir. tret (*strento-) ,Herde'
verglichen (wie ahd. drtipo .kleinerer Heeresteil' und in der Lex Alam. 65
troppo etc. .Herde'i. Lat. e.rercitus, wohl eigentl. , Übung', kaum =
er arce ditetus. Der Soldat heisst lat. miles, vielleicht der ,Tausend-
schaftlcr'; andere deuten das Wort aus *misdett : griech. uicreöq), so
dass griech. Mio~9ocpöpo<; und mhd. Holde.no> re inhaltlich entsprächen,
die aber schon stehende Heere und Soldzahlung voraussetzen, was zu
dem ältesten Sinn des lat. index kaum passt. Auch lat. qttiris, qtti-
ritia bezeichnet nach Mommseu Köm. Geschichte I 09 eigentlich den
Wehrmann d. h. Vollbürger: sab. ettri« , Lanze' i anders Vf. »Sprachver-
gleichung und Urgeschichte * SS. 572 ). Im Germanischen übersetzt l'lhlas
das griechische aTpariioTii? mit ga-dratihtn (drauhtinön ,aTpaT€ueo*eai',
drauhtinansus, dratihtiicitöj) .öTpcrma'i, d. i., wer zu einer ^dranhti-,
altn. drött, agls. drt/ftt, allfries. dracht, ahd. trttht ,Getolge, Schar'
gehört' : got. drittgan , Kriegsdienste thun'. Hierher gehört auch alt^nll.
drttngos (ir. droit g) ,Truppe , das durch die Kelten weit in Europa ver-
breitet worden ist (lat. drungtts, bv/.autin. bpoörro?, bpoutropio? ,x»M-
apxo«;', altsl. dragari ,drungarius, qui drungo scu tnrmae militari pracest' i.
Über langob. arimannus s. u. Stände. Einfluss des römischen
Kriegswesens verrät got. militön aus lat. militare, ahd. mUizzä aus
milites. Lit. .z'alnas , Kriegsvolk' (vgl. das deutsche z al nii rius ,Söldncr ),
altsl. rojska .Heer' etc. vgl. Miklosich Et. W. S. m\). S. u. Krieg.
Hefe, s. Bier.
Heidekraut. Pflanze mit schon idg. Xamcn: Griech. epeuert
(woraus lat. erice; = gemeinkeit. ir. froech (*vroiko-*). Daneben
gciiieiusl. *rt?w<. russ. vereint, altsl. vrtsini ,September", lit. trii-z'is.
Agls. heep, ahd. heida , Heide', , Heidekraut' = altgall. efto-, caeto-,
altkymr. coit ,Wald' (auch lat. bü-cetum , Busch'? vgl. Xicdermann I. F.
X, 256).
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Heili-c Haiue — Heirat.
Heilige Haine, s. Tempel.
Heilige Zahlen, s. Zahlen.
Heilpflanzen, s. Arzt,
Heimfilhrung, s. Heirat.
Heirat. Der Begriff des Heiratens wird in den idg. Sprachen
übereinstimmend durch die Wurzel vedh<red (über den Wechsel der
media und media aspirata im Auslaut vgl. Brugniann Grundriss 1 *, 2,
633) ausgedrückt, zu der einerseits die u. Braut kauf behandelte Sippe
von griech. £bvov, agls. weotuma etc., andererseits lit. icedü ,f (Ihren,
heiraten', altsl. vedq ,fnhrcn' (über den auch hier auf die Eingehung der
Ehe bezüglichen Sinn des Wortes s. u. Polygamie), aw. upa-vüda-
yatta ,er möge heiraten', sert. vadhü'- .junge Ehefrau' gehören. Als
Grundbedeutung von vedhlved (vgl. noch ir. fedim ,führe', kymr. dy-
weddio , heiraten') wird man daher schon für die Urzeit , fahren', hei-
rate n' ansetzen dürfen, woraus sich die feierliehe Heimfü hrung
der Braut, was sich weiter (s. u.) auch aus sachlichen Beobachtungen
ergiebt, als das für die Begründung der idg. Ehe charakteri-
stischste Moment erweisen lässt. Vgl. noch aus den Einzelsprachen
sert. idhate ,er führt sich ein Weib heim', vahatie ,Hochzeit\ lat.
mrarem ducere, gricch. yuvcuko: öVrcaeai, altsl. sagttti ,'(a^lv\ pom-
gati ,nubere', poaagü .nuptiac' (vielleicht = gricch. fiteioem, lat. sdgire,
got. gdkjan). Im übrigen sind wir, um die Eigenart der idg. Ehe-
schließung zu bestimmen, fast ausschliesslich auf die vergleichende
Betrachtung der bei den einzelnen idg. Völkern bestehenden Hochzcits-
gebrauche angewiesen. Vgl. über dieselben namentlich E. Haas (H.)
Die Heiratsgebrauche der alten Inder nach den Grhyasfitra (Weber
Indische Studien V, 2«>7 ff. A. Rossbach (R.i Untersuchungen über
die römische Ehe. Stuttgart 1853, B. W. Leist ;L.) Altarisches Jus
gentium Jena 1SH9 S. 134 ff., L. v. Schröder (Seh.) Die Hoehzeits-
gebräuche der Esten und einiger anderer finnisch-ugrischer Völker-
schaften in Vergleiehung mit denen der idg. Völker Berlin 1888,
M. Winternitz (W.) Das altindische Hoclizeitsrituell nach dem Apa-
stamlriya-Grhyasfttra und einigen anderen verwandten Werken mit.
Vergleiehung der Hochzeitsgcbränche bei den übrigen idg. Völkern,
Denkschriften d. Wiener Ak. d. W. phil.-hist. Kl. XL, 1 ff. 1802). Ans
dem reichen in diesen Werken enthaltenen Material soll hier zunächst
auf eine Reihe von rankten hingewiesen werden, bei denen die Über-
einstimmung innerhalb der idg. Völkerwelt eine so weitgehende ist,
dass sie zu ihrer Erklärung die Annahme einer gemeinsamen historischen
Grundlage zu fordein scheint. Es sind folgende:
1. Werbung. Da die idg. Ehe auf dem Kaufe des Weibes (s.u.
Braut kauf) beruhte, so ist es selbstverständlich, dass der Hochzeit,
d. h. der Übergabe des Mädchens an den Mann, Verhandlungen über
die Höhe des Kaufpreises u. s. w. vorausgingen, die mit dem Vater
Schräder. ReaUexik<>n.
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Heinit.
oder Machthaber des Mädchens durch Mittelpersoueu gefuhrt wurden.
Auf die Zustimmung des Mädchens kam es dabei ursprünglich nicht an.
Viclmehrt folgt aus dem Wesen der urzeitlichen Patria potestas, dass
dem Vater ein unbedingter Heiratszwang der Tochter gegenüber zustand
(s. u. Familie und vgl. für die altgermanischen Zustände noch
F. Roedcr Die Familie bei den Angelsachsen, Studien z. engl. Phil.
IV, 24). Es liegt auf der Hand, dass auf diese vor der Hochzeit
stattfindenden Verhandlungen das bei den meisten idg. Völkern nach-
weisbare Institut des Braut w erbers (sert. vard- eigentl. , Wähler',
ahd. brüt-bitil = altn. bidill, agls. biddere : bitten — weiteres bei Wein-
hold Deutsche Frauen I», 317 und F. Roedcr a. a. 0. S. 22 f. — ,
griech. TTpouvnötpia, TrpouvnöTpi?, litu-slavisch s. u.) zurückgeht, in dem
Abschluss jeuer Verhandlungen aber die Einrichtungen der germanischen
Verlobung (altn. festa, mhd. vestenen, altn. festingastemma ,Ver-
lobungstag', weiteres bei Wciuhold a. a. 0. 8. 340 und F. Roeder
a. a. 0. S. 30 1, der griech. ^fTuntfu; (: ^TT^l , Bürgschaft', ganz wie
agls. iceddian tö teife, beweddung , Verlobung , engl, teeddhig : got.
teadi, altn. reb, agls. icedd »Handgeld, Unterpfand, foedus) und der
lat. sponsio (xpondeo = griech. Ottcvöuu, o*Trt'vbo|uai) wurzeln. — Das
Zeitwort, dessen mau sich bediente, um das Werben um ein Mädchen
zu bezeichnen, scheint in der Urzeit die Wurzel prek (lat. precari)
jbitten", ,f ragen' gewesen zu sein, aus der armen, harxn , Braut', lat.
procus , Freier', lit. pirszlys , Brautwerber', bulg. promtor ,IIochzeits-
bitter', serb. prosit i ,frcicn\ prosci ,Werber' hervorgegangen sind.
Eine scharfe Unterscheidung zwischen der Verlobten und der Ver-
heirateten, wie in dem nhd. braut : frau oder in dem lat. spoma :
uxor („die Verlobung ist, als sponsio. in Latium von der Eheschlies-
sung abgetrennt und zu einem selbständigen, klagbaren, der Ehc-
8chliessung voraufgehenden Verhältnis gemacht worden" (L. S. 147),
lässt sich aber ursprünglich sprachlich nicht nachweisen: sert. vadhä'-
(s. o.)f griech. vüuqm. (s. u.), gemeingerni. ahd. brüt (*brübi- aus idg. *mrüti-
( Versprechung' : sert. brdviti ,er sagt', aw. mraoiti, vgl. Uhlcnbeck
und H. Hirt Beiträge XXII, 188 und 234; ein krimgotisches Wort für
,Braut' ist schuos : got. swex ,eigen*, vgl. K. Z. XXX, 481 ff.), lit.
marti (vgl. krimgot. marzus , Hochzeit ), altsl. nevista (: cedqT) be-
zeichnen alle zugleich die Braut und die junge Frau. Der Bräutigam
heisst griech. vuutpto; (auch .junger Ehemann' lat. sponxus, ahd. brü-
tigomo, altn. brüdgume (: got. guma ,Mann'p brüpfaps ,Biäutigam ), lit.
jauniki8 ,der Junge", teedijs, teedeklis : teedft, südslavisch mladenec
,der Jüngling', momak , Bursche' (weiteres, auch über die Benennungen
der Braut vgl. bei Krauss .Sitte u. Brauch S. 381 ; lit. noch nufaka ,Braut',
eigentl. ,matura ). Altpr. grandan (etwa: altsl. gr^dq ,kommc', ^der
künftige"?). - Vgl. H. S. 291 ff., L. S. 135 ff., Sch. S. 32 ff., W. S. 40.
2. Passende Zeit. Bei Indern, Griechen, Germanen und Slavo-
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Heirat.
355
Litauern findet sich übereinstimmend die Überzeugung, dass der Spät-
herbst and Winter für die Eingehung von Ehen besonders geeignet sei.
Vgl. z. B. Aristoteles Politik IV § 7 (Suseuiihl): jo\<; bk trepi ttjv
üipav xpovoi? b€i xpn.O*8ai, o\ ttoXXoi xpwvTai KaXw<;, Kai vüv, öpi-
o*ovt€? x€lMwv0? TtoictOOat xf)v tfuvauXiav Taürriv. Auch Monatsnamen
wie der attische fauiiXiwv (Januar), zunächst wohl nach einem Fest
der Ehegöttin Hera benannt, und der altruss. sradebnyj (Februar r.
svadba »Hochzeit' (vgl. weiteres bei Th. Bergk Beiträge zur griechischen
Monatekunde S. 36, F. Miklosich Die slavischeu Monatsnamen S. 23)
legen von der genannten Sitte Zeugnis ab. Nur bei den Römern rückt
die übliche Zeit der Ehcschliessung auf die zweite Hälfte des Juni, die
Zeit der Ernte. Ferner ist die Anschauung in der idg. Welt weitver-
breitet, dass Ehen bei vollem oder zunehmendem Monde geschlossen
werden iiiüssten. Die erstere Vorstellung hinsichtlich der herbstlichen
oder winterlichen Eheschliessung wird auf wirtschaftlichen Gründen
beruhn, da die Zeit nach der Ernte für Festlichkeiten aller Art be-
sonders geeignet war, die andere wurzelt in dem weitverbreiteten
Glauben an die Bedeutung des Mondlichts (s. u. Mond und Monat .
— Vgl. H. S. 296 f., Seh. S. 48 ff., W. S. 27.
3. Verhüllung der Braut. Bei allen europäischen Indogermanen
muss die Braut während der Hochzeitsfeierlichkeiten oder eines Teiles
derselben verscheiert oder sonst verhüllt sein. In Indien tritt dieser
Brauch weniger hervor; doch lässt er sich immerhin in Spuren nach-
weisen (Haas a. a. 0. S. 313'. Sprachlich hat er sich in lat. wm6/»
,ich verhülle mich", »heirate' (von der Frau), nuptiae (Plural als Fest?*
»Hochzeit' festgesetzt. Ob auch griech. vüuq>n. , Braut' hierherzustellen
sei, ist zweifelhaft. Vgl. auch bulg. bulcica ,die kleine Verschleierte'
d. i. Braut vou bulo »Brautschleier' (Krauss a. a. 0. S. 382, 444 .
Die Beobachtung, dass der lateinische Brauch im Norden Europas
wiederkehre, ist sehr alt. Schon Johannes Lasicius in seiner Schrift
De (Iiis Samagitarum (bei Michalonis Lituani De moribus Tartarorum etc.
Basileac 1615) bemerkt S. 56, dass bei den Samagiteu und Litauern
ccuU sponsae teguntur celainine und fügt hinzu : Similis olim obnu-
bendi ratio capitis apud Latinos nuptae nuputiarumqne nomen dedit.
Die Ursprünge dieser Brautverhüllung liegen im Dunkeln. Leist S. 146
vermutet, das Mädchen sei mit einem Schleier verhüllt wordeu „zum
Zeichen ihrer Trennung vom übrigen Lebciri?). Nach Schröder a. a. 0.
S. 77 hätten wir es mit der symbolischen Bewahrung einer Sitte des
Frauenraubes ts. u. Raube he) zu thun, bei dem das Überwerfen eine?
Tuches die Entführung des Mädchens erleichtert hätte.
4. Handergreifung. Einen der wichtigsten Akte des indischen
HeiratszerenionicllB bildet das pünigrahana- ,die Handergreifung' (vgl.
pdnim grah ,hciratcn', vom Manne, pdnim dü ,die Hand reichen', von
der Frau, pdnigrahitar- etc. , Bräutigam, Gatte ). Der Brauch ist schon
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Heirat.
in den Vcden bezeugt (Zimmer Altind. Leben S. 311). In Gegenwart
des Gewalthabers eines Mädchens ergreift der Bräutigam die Hand
des letzteren zum Zeichen, dass sie nunmehr in seine Gewalt übergehe.
Diese symbolische Handlung kehrt aufs genauste in Europa wieder.
Im Germanischen heisst die Gewalt über ein Mädchen, die der Ehe-
mann mit dem Brautkanf erwirbt, munt, das von Haus aus weiter
nichts als ,Handr bedeutet (ahd. munt, agls. mund ,Hand, Schutz',
altn. mund .Hand';, und hiermit wiederum hängt etymologisch das
lateinische manu» maneipiumque (mund : manu* wie hund : canis)
zusammen. Vgl. z. B. Senilis ad. Aen. XI, 470: Matrem famüias esse
eam, quae in mariti manu mancipioqtie. Die Handergreifnng erfolgt
in der dextrarum coniunetio, durch welche die Pronuba die Hände
des Bräutigams und .der Braut vereinigt. Vgl. auch gricch. d-rruntfiS»
irfvn (s. o.) : aw. gäo ,Hand'. — H. S. 201, 277, 317, 388, R. S. 37 ff.,
308, L. S. 156, 161 Anm., W. S. 48.
5. Feuer und Wasser. Diese beiden für das Bestehen des
Hauses besonders wichtigen Elemente spielen eine hervorragende Bolle
innerhalb der idg. Hochzeitsritcn. In Indien führt nach der Hand-
ergreifnng der Bräutigam die Braut dreimal um das Feuer des Herdes,
in das ein Opfer von gerösteten Körnern dargebracht wird. Vorher
wird ein neuer und gefüllter Wasserkrug aufgestellt, der bei der Um-
wandlung des Feuers rechts vom Brautpaar bleiben muss. Auch sonst
wird von dem feierlich vom Quell geholten Wasser reichlicher Ge-
brauch gemacht. Die Braut wird in ihm gebadet, das junge Paar mit
ihm besprengt u. s. w. Fast ganz übereinstimmende Gebräuche bietet
die römische Hochzeit dar. Nach feierlicher Umwandlung des Altars
von links nach rechts, wobei ein Knabe das ans reiner Quelle ge-
schöpfte Hochzeitswasscr und die Hoehzeitsfackel trägt, wird im Hause
des Brautvaters ein Far-Brod (daher confarreatio) im Feuer geopfert.
Nach römischer, ja gemeinitalisehcr Anschauung ist die Ehe eine
Vereinigung aqua et igni, wie denn Koinulus die geraubten Sabinerinnen
verheiratete Karo Toüq naTpiouq iK<xaTr\c, t8io*uouq im koivujviu Trupo? Kai
ubato? dYToÜJV Touq fömovq (Dion. 11, 3«) . Vgl. ferner Scrv. ad Aen. IV,
167: Varro diät: aqua et igni mariti u.rores aeeipiebant. l 'nde hodie-
que et face* praelucent et aqua petita de puro fönte per f'eiicixsimum
puerum aliquem auf pueUam interest nuptiis. de qua nubentibiis
solebant pedes larari. Dieselben Bräuche wie im Osten und Süden
der idg. Völkerwclt kehren im Norden Europas wieder. So berichtet
Johan. Lnsieius a. o. a. O. von den Samagiten und Litauern: Cum
nuptiae celehrantur, sponsa ter diteitur circa focum: deinde
ibidem in selfa collocatur. super quam sedenti pedes lacantur
aqua, qua lectus nuptialis, tota supelle.r dornest iva et inritati ad
nuptias hospites consperguntur. Endlich wird auch nach d e n t s c h e n
Hoch/citssitteu die Braut in der Wohnung des Bräutigams dreimal um
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Heirat.
"57
<len Herd herumgeführt, nachdem sie vorher Uber ein G.efüss mit
Wasser geschritteu ist (vgl. Weinhold Deutgehe Frauen Is, 408,
E. H. Meyer Volkskunde S. 67). Die wenigsten Entsprechungen bieten
sich auf griechischem Hoden. Hier ist nur an die Sitte des
Brautbades zu erinnern, zu dein Wasser aus heiliger Quelle geschöpft
wird. — Vgl. H. an den S. 411,412 angegebenen Stellen, R. S. 115,
L. S. 157, 1(51. Seh. S. 127 ff., 133 ff., W. S. 46 (Brautbad), S. 62
(Rechtsuuiwandeln des Feuere).
6. II e i m f II Ii r u n g. Schon im Eingang dieses Artikels ist darauf
hingewiesen worden, dass die Hcimführung (domum deduetio) des
Mädchens aus dem Hause des Brautvaters in das des Bräutigams den
Indogcrmanen so sehr als der charakteristischste Teil der Eheschlics-
suug erschienen sein inuss, dass die letztere hiervon ihre ältesten und
verbreitetsten Bezeichnungen (s. o.) erhaltet] hat. In sprachlicher Be-
ziehung ist noch auf das diese lleiinführung meinende gemeingertna-
nische ahd. bn'Ulouft, agls. bryd hleap (bryd-löp , altn. brud-klaup
,Brantlauf = Hochzeit, in sachlicher darauf zu verweisen, dass häutig
mit der Braut das in dem Hause des Brautvaters entzündete Herd- und
Hochzeitsfeuer in die neue Wohnung übertragen wird. Auch sonst
zeigen die bei dieser Gelegenheit hervortretenden Sitten mancherlei
Verwandtschaft. Vgl. II. S. 181 ff., 277, 327, 346, Seh. S. 95 ff., W.
S. 64, 68, 71.
7. Das Heben der Braut über die Schwelle des Hauses.
Ihr (bezüglich des Brautpaars) Xicdersitzen auf einem Fell.
Der S c h o s s k n a b e. In Indien wird westlich vom Feuer ein
rotes Stierfell ausgebreitet. Zu diesem Fell wird die Braut von einem
starken Manne getragen, und der Bräutigam lässt sie mit Segens-
wünschen darauf sitzen. Diese Zeremonie hat uach den einen im
Brautvaterhause, nach den anderen und wohl den den älteren Zustand
berichtenden erst bei der Ankunft im netten Hause statt. Dein ent-
spricht es, wenn bei den Römern die Braut von den Brautführern
über die Schwelle des neuen Hauses, wobei sie diese nicht berühren
darf, gehoben wird und sich auf ein mit Wolle versehenes Schaffell
(pellis htnata nach Festus, vebcos nach Plutarch) niedersetzen muss.
Dazu wird berichtet, dass bei der Conferreatio der Flamen und die
Flaniinica sich auf zwei mit dem Felle des kurz zuvor geschlachteten
Schates bedeckten Sesseln niedergelassen hätten. Im Norden Europas
findet sich die Sitte der Brauthebung besonders deutlich bei den Ger-
manen, die des Sitzens (hier des Brautpaars) auf dem Schaffell bei
den Slaven wieder. Eine sichere Erklärung dieser Bräuche ist nicht
möglich. Das Heben und Tragen der Braut fasst man als ("berrest
der alten Raubehe (vgl. n. 3.) auf. Das Niedersitzen der Braut
oder des Brautpaars wird symbolisch das Besitzergreifen der neuen
Wohutiug andeuten, wobei das Tierfell die Erinnerung an Zeiten be-
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.158 Heirat.
wahren wird, in denen es in den Wohnungen andere Sitzgelegenheiten
's. u. Hansrat) noch nicht gab. Weiter Verbreitung erfreut sich
auch die Sitte, der Braut als symbolischen Ausdruck des Wunsches
nach männlicher Nachkommenschaft einen Knaben in den Scboss zu
setzen. — Vgl. H. S. 324, Sch. S. 88 ff., R. S. 324, W. S. 64, 71, 74, 75.
8. Bestreuen der Braut mit Körnern u. dergl. Noch vor
der eigentlichen Hochzeit streut in Indien eine Verwandte des Braut-
paars aus einem Worfelgefäss Reis auf der beiden Brautleute Häupter.
Ebenso wird bei der altgriechischen Hochzeit das Paar am Hause
des jungen Ehemanns von den Freunden mit Datteln, Naschwerk,
Feigen, Nüssen (KaTaxotfuara) u. s. w. überschüttet. Aus dem Norden
Europas sei statt vieler anderer (vgl. namentlich Mannhardt Kind und
Korn in Quellen u. Forsch. XLI S. 351 ff.) der baltische Brauch an-
geführt, wie ihn wiederum Johannes Lasicins 1615 (s. o.) schildert:
Die verschleierte Braut wird an den Thüren des Hauses herumgeführt
und ihr aufgetragen, diese mit dem rechten Fasse zu berühren. Dann
heisst es weiter : Ad singulas fores circumspergitur tritico, siligine,
acena, hordeo, pisis, fabfo, paparere, seqttente uno sponsam cum
saeco pleno omni* generis frtigum. Unzweifelhaft deutet die ganze
Sitte auf die zu erhoffende Fruchtbarkeit der Braut hin. Mit Recht
bemerkt Mannhardt a. a. O. S. 365 zu der griechischen Sitte: „Nüsse
und Baumfrüchte sind erst in historischer Zeit über Kleinasien nach
Europa eingeführt, während die feste Stellung des Beschttttens mit
einer Getreideart innerhalb eines bei Indern und allen europäischen
Indogermancn — wie leicht darzulegen wäre — in fast alleu Stücken,
sogar in der Reihenfolge der Begehungen übereinstimmenden Kreises
von Hocbzeitsgcbräuclien es höchst wahrscheinlich macht, dass das-
nelbe mit irgend einer Halmfrucht schon von dem nur ganz primitiven
Ackerbau (s. d.) treibenden, vorzugsweise dem Hirtenlebeu ergebeuen
Urvolke vor der Völkertrennung geübt wurde". — Vgl. H. S. 299,
Sch. S. 112 ff., W. S. 75, 76.
9. Beschreiten des Ehebetts vor Zeugen. Das talpäröhana-,
das Besteigen des torua, ist in Indien ein feierlicher Teil der Hoch-
zeitszeremonien, dem ohne Zweifel die weltlichen und geistlichen
Hochzeitsgäste beiwohnten. Dem entspricht es, dass in Rom die
Promiba das Paar zum Thalamus begleitete und daselbst der Braut
Anweisungen für den Akt gab, dessen einzelne Phasen unter den Schutz
besonderer Gottheiten gestellt waren (Dea Pertnnda, Perfica etc.). In
der germanischen Welt hat sich durch das ganze Mittelalter hin-
durch die Anschauung erhalten, dass eine Ehe erst dann rechtskraftig
sei, wenn vor Zeugen eine Decke Mann und Frau „beschlägt".
Die Brautführer (agls. brgd-boda, dryht-ealdor, dryht-guma, dryht-mon)
sind die Zeugen dieses Vorgangs < Roeder a. a. 0. S. 55). Desgleichen
wird bei den Prcussen und Litauern die Braut von der ausgelassenen
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Heirat.
Hochzeitsgesellschaft ins Schlafzimmer geleitet, ins Bett „geworfen"
nnd so dem Bräutigam Obergeben. Vgl. Job. Lasicius a. a. 0.: Ad
extremum introducitur in eubiculum: puhataque et verberata aliarum
pttgnis, non iratarum, sed nimia quadam laetitia gestientium, in lectum
inicitur sponsoque traditur. tum pro bellariis afferuntur testiculi
caprini vel ursini, quibutt Mo nuptiali tempore manducatis creduntur
conitiges fieri foecundi (aoeh das hier geschilderte scherzhafte Durch-
prügeln der Braut, wohl auch des Bräutigams, sowie das Vorsetzen
einer Speise für das neue Paar im Ehebett ist anderswo weit ver-
breitete Sitte). Im gauzen weist der hervorgehobene Brauch, der sich
aus dem Wunsch, die Eheeingehung eines Paares handgreiflich zu er-
härten, unschwer erklärt, auf eine rohere Auffassung der geschlechtlichen
Verhältnisse, als sie heute herrscht, hin. W. S. 92 (s. u. Keuschheit).
10. Änderung der Haartracht bei der Frau. Wie das Haar
in der idg. Völkerwelt überhaupt dazu benutzt wird, um an ihm Unter-
schiede und Besonderheiten der Menschen kenntlich zu inachen (s. u.
Haartracht), so tindet auch bei dem Übergang des Mädchens zur
jungen Frau übereinstimmend eine Veränderung in der Weise statt,
dass das vorher frei getragene Haar kurz vor oder nach der Hochzeit
gescheitelt und unter ein Xetz, Tuch, Haube oder dergl. gesteckt ward.
Vgl. das reiche Material bei H. S. 405/406 u. Sch. S. 144 fl".
Hinsichtlich der Beweiskraft derartiger Übereinstimmungen, wie sie
in den vorstehenden 10 Punkten mitgeteilt worden sind, für die Annahme
vorhistorischer Hochzeitsbräuche bei den Indogermanen kann
man die Frage anfwerfen, ob nicht derartige Sitten auch bei gänzlich
unverwandten Völkern wiederkehren, und somit ihre Übereinstimmung
auch bei den Indogermanen mehr die Folge gleichartiger Entwicklung
als vorhistorischer Gemeinschaft sei. Von diesem Gesichtspunkt aus
hat namentlich Leopold v. Schröder in seinem oben genannten Buch einen
Überblick Uber die Hochzeitsbräuche aller Völker der Erde gegeben
und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, „dass wir allerdings den
einen und den anderen Brauch vereinzelt bei diesem oder
jenem Volke wiederfinden: nirgends aber begegnet uns die
ganze Serie der oben besprochenen Bräuche oder auch nur
der grössere Teil derselben — mit Ausnahme der indoger-
manischen und (in diesem Nachweis liegt die Hauptaufgabe des
Buches) der finnisch-ugrischen Völker". Die Erklärung dieser
letzteren Tbatsache erblickt der Vf. wohl mit Recht in der Annahme
einer uralten Nachbarschaft der indogermanischen und
finnisch-ugrischen Völker, die die Entlehnung der Hochzcits-
bräuche der ersteren durch die letzteren — für den umgekehrten An-
satz würde jede Wahrscheinlichkeit fehlen — ermöglichte.
Wie schon oben bemerkt, sind hier nur die wichtigsten und weitest
gehenden Analogien auf dein Gebiete des idg. Heiratszerenioniells zu-
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3»;o
Heirat.
sammengcstcllt wordeu. Anderes bedarf noch weiterer Erwägung. So
die in Indien teilweis erhobene Forderung geschlechtlicher Ent-
haltsamkeit für kltr/crc oder längere Zeit nach der Hochzeit (vgl.
W. S. 86), die in den drei dasselbe bezweckeuden Tobiasnächten der
Deutschen wiederkehrcu könnte u. s. w. (s. u. Keuschheit;. Keine
Entsprechung bei den europäischen Indogermanen scheinen die in den
indischen Riten stark hervortretenden Gebräuche des Betretens des
Steines (im Anschluss an die Feuerumwandlnug) und der sieben
Schritte 'im Anschluss an die Haudergreiiung) zu finden, während
wir umgekehrt sahen, dass die in Europa festgewurzelte Sitte der
BrautvcrhUllung (Xr. in Indien nur in Spuren wiederkehrt.
Manches scheint ganz aus dem obigen Rahmen herauszufallen, wie der
merkwürdige von Herodot (I, 190) bei den illy rischeu Vcnctcrn i ebenso
wie in Babylon ' und von Pomponius Mela (II, 2, 21) bei den Thrakern
bezeugte Brauch, nach welchem die Mädchen der einzelnen Ortschaften
jährlich öffentlich versteigert wurden (vgl. weiteres bei Krek in den
Analecta Graeeiensia S. 189 ff.) u. a.
In> allgemeinen werden die einzelnen Riten so aufeinander gefolgt
sein, wie sie in» obigen aufgezählt wurden. Eine weitere Zusammen-
fassung versucht Leist a. a. 0., indem er schon für die Urzeit drei
Stufen, nämlich die Ehegrüudung, Eheeinsetzung und Ehevollziehung
unterscheidet, innerhalb deren er wieder eine weltliche und gemäss
seiner Anschauung, dass die Vorfahren der Inder, Griechen und Römer
„ihren Rechtsgedanken schon in der Urzeit ein sakrales Kleid" gegeben
hätten, eine sakrale Seite annimmt. Entkleidet man die Ausführungen
dieses Gelehrten des iuristischen Tiefsinns, den derselbe, wie auch
Ohlenberg Die Religion des Veda S. 404* bemerkt, in das indo-
germanische und indische Altertum zu übertragen allzu geneigt ist, so
kann man sich mit der Annahme dieser Hauptakte der idg. Ehe-
schliessung wohl befreunden und dieselben kurz als Werbung, Iland-
ergreifung und Heimftthrung bezeichnen. Dass für alle diese
drei Phasen auch urverwandte Gleichungen bestchn, ist oben ge-
zeigt worden.
Auch in der Betonung des sakralen Charakters der idg. Ebe-
sehlicssung dürfte Leist zu weit gegangen sein. Das indische Kuhopfer,
welches derselbe als indogermanisch voraussetzt und mit dem ersten
Stadium der Eheeingehung verbindet, erweist sieh als ein spmfiseh
indischer Teil des gewöhnlichen Rituells für den Empfang von Gästen
(vgl. Winternitz a. a. 0. S. 3). Auch hinsichtlich der übrigen Opfer,
welche bei Indern und Römern in Verbindung mit dem Hoehzeits-
zeremoniell auftreten, versagen sowohl bei den Griechen wie besonders
bei den Nordvölkein die Parallelen vollkommen. Bestehen bleibt und
zweifellos als indogermanisch anzusehen ist (vgl. auch Winternitz a. a. 0.
S. 02) die Verehrung, die man bei der Hochzeitsfeier den beiden
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Heirat.
361
Elementen des Wassers und Feuers entgegenbringt (Xr. 5), Vorstel-
lungen, die sieh durchaus in den Kähmen dessen einfügen, was wir
von altidg. Religion (s. d.) wissen. Auch Ohlenberg Religion des
Veda S. 462 f. bemerkt betreffend der indischen Hochzeitsbräuche :
„Im ganzen bewegen sich die Hochzeitsbräuehe mehr auf dem Gebiete
«les Zaubers als auf dem des Opfereultus . . . Die Verehrung der
<iötter steht bei diesen Riten mehr im Hintergründe. Am nachdrück-
lichsten wandte sie sieh an Agni (ignix , den mit dem Leben des
einzelnen und der Familie am engsten verwachsenen Gott . . . Auch
verschiedene Opferspenden wurden dargebracht; dass aber bei diesen
«ine wirklich eingewurzelte Beziehung auf bestimmte die Ehe segnende
Gottheiten im ganzen wenigstens nicht obwaltete, ist deutlich sichtbar."
An eine Mitwirkung von Priestern, selbst wenn deren Vorhandensein
in der Urzeit (s. u. Priester) überhaupt erwiesen werden köunte,
wird man für eine idg. Hochzeit nicht denken dürfen. Wäre wie bei
den Indern oder bei der römischen Confarrcatio, so etwa bei den
.alten Germanen die Anwesenheit eines heidnischen Priesters zur Ein-
weihung der Ehe oder zur Vollziehung feierlicher Opfer nötig gewesen,
so würde die christliche Kirche später nicht so grosse Mühe gehabt
haben, die Eheschließungen in ihre Hand zu bekommen (vgl. darüber
Weinhold Deutsche Frauen Is, i)77 ff.).
Die idg. Heirat ist, obwohl von zahlreichen religiösen Vorstellungen
und abergläubischen Gebräuchen umschlungen, doch im wesentlichen
eine rein weltliche Angelegenheit der Familie und Sippe. Was
Taeitus Germ. Gap. IM berichtet: Intermnt parentes ac propinqui ac
munera probaut, wird überhaupt von der Urzeit gelten. Eine weitere
Beteiligung der Öffentlichkeit findet nicht statt, und auch bei den Ger-
manen lässt sich die Teilnahme der Volksversammlung an Verlobung
und Hochzeit nicht, wie man früher (vgl. J. Grimm R.-A.S. 4W) glaubte,
nachweisen (vgl. K. Lehmann Verlobung und Hochzeit S. 76).
Von weiteren Fragen, die sieh an die älteste Geschichte der idg.
Heirat ansehliessen, ist über das Problem der V e r w a n d t c n h e i r a t
<s. d. i und lies H c i r a t s a 1 1 e r s (s. d.) in besonderen Artikeln ge-
handelt worden. Hier erübrigt, die Ausdrücke der idg. Sprachen
Europas für die Begriffe , Heirat, heiraten, Hochzeit, Trauung'
zusammenzufassen, sowohl die schon früher erwähnten, wie auch die,
welche in den bisherigen Ausführungen keinen Platz gefunden haben:
Indogermanisch: vedh j ved (s.o.;. — Griechisch: TOtuos,
füuot, -raMe'uj (vom Maune), Tcmeoucu (von der Frau), entweder: aw.
gt'nnö- in gä mö^ber eiti- , Darbietung zum Gohlis', npers. gäden .coitieren'
(Horn Grundriss d. npers. Ft. S. 197 i, oder : aw. zdmi- .Geburt', nizä-
tnayriuti ,sie bringen zum Gebären', in beiden Fällen also auf den
Zeuglingsakt bezüglich, von dem sonst Benennungen der Hochzeit etc.
nicht hergenommen werden. Schon homerisch Tc'Xoq tauoio ,Voll-
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Heirat — Heiratealter.
Ziehung der Heirat'. Weiter dmau* (dunkel trotz Prellwitz Et. W.) und
uvctoucti ,bcweibe mich' : t^vr), böot. ßavd ,Weib'. — Lateinisch: nübof
nuptiae, uxorem dtico s. o., in matrimönium ire etc. s. u. Ehe. —
Germanisch: Ahd. hirdt »Vermählung' (Iiiwan »heiraten), eine Zu-
sammensetzung ans *hha- ,Haus' im Sinne von , Hausbewohner' und
rdt (altn. rdd auch allein ,inarriage') .Hauswesen', ,Ehestand', ^Schlies-
sung der Ehe'; vgl. auch altu. hjuskapr ,coniugium'. Agls. heemed,
hdmede : hdm ,Heim', eigentl. »HeimführungY?), dann ,coitns', »nuptiae',
»connuhium', gift ,nuptiae', eigentl. »Übergabe* (altn. gefa »verheiraten').
Altn. gipting und kvdnfdng .nuptiae' (vgl. weiteres bei J. Grimm R.-A.
S. 419, und Rocder a. a. 0 S. 47 ff.). Mehrere Bezeichnungen sind von
der Hochzeitsfestlichkeit hergenommen. Vgl. ahd. hileich, agls.
bryd-lac, wed läc, icif-läc, htemed-ldc (von den Hochzeitsliedern), mhd.
höchzit (ursprünglich jedes hohe Fest), altn. fesfaröl, ölstemna, agls.
brt/d-ealu (vom Hochzeitsbier), agls. gemung (: ahd. gauma ,cocna\
vom Hochzeitsiiiahl). Sammlung bei Weinhold Deutsche Frauen 1%
362 Anm. und Roeder a. a. 0. Allein steht das Gotische mit liugan
»heiraten' (s. u. Eid). Über krimgot. marzus »Hochzeit', *marp6a s. o.
— Slavisch: Altai, brdky .Hochzeit', Plural zu brakil ,Ehc' (un-
erklärt trotz Krek in den Analecta Graeciensia S. 186). Auch pirü,
eigentlich ,auuTröo"tov' wird in mehreren Slavinen zur Bezeichnung der
Hochzeit verwendet. Altsl. sagati etc. s. o. Im übrigen macht sich
hier in christlicher Zeit ein Unterschied zwischen der Einflnsssphäre
der griechisch-katholischen und der der römisch-katholischen Kirche
geltend. Im Kirehenslavischen, Russischen u. s. w. heisst »Tranen'
tuhitcati, renvaü, cutsprechend dem griech. öTeepovoöv (Braut und Bräuti-
gam werden mit einem Reifen bei der Hochzeit versehen), wahrend
im Westen sehr verschiedene Ausdrücke, z. B. cech. oddavky Plur. f.
eigentl. Ȇbergabe der Braut' (vgl. oben agls. gift), poln. x'hib, eigentl.
.Versprechen' herrschen (weiteres vgl. hei Miklosich Denkschr. d. Wiener
Ak. d. W. phil-hist. Kl. XXIV, 33). — Das Litauische erweist sich auf
diesem Gebiete ganz abhängig vom Slavischen. Aus rencatl stammen
uefieziaica , Trauung', icencziatcoju .traue', wenciiavcöne .Trauung' ,wen-
chawonyate »Ehestand', aus//«/*: szlt'tbas , Trauung'. Hierher gehören
wohl auch lit. nqliuba ,Ehe, Hochzeit, Trauung' und altpr. mJnuban
,Ehe', sahibma .Trauung'. Entlehnt aus dem Slavischen sind endlich
auch die beiden litauischen Ausdrücke für »Hochzeit', aicodba und
icesttt, ersteres aus altsl. svadba »nuptiae' : sratü aus *svojatü .affinis'
(die südslavischen scati sind die Hauptfunctionärc bei der Hochzeit)»,
letzteres aus altsl. teselü »fröhlich', klruss. risile »Hochzeit'. — S. u.
Ehe und u. Familie.
Heiratsalter. Die Völkerkunde lehrt, dass für die Bestimmung
des Heiratsaltcr8 bei Männern und Frauen namentlich zwei Faktoren
bestimmend sind, einmal die Verschiedenheit des Klimas, indem t*üd-
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Heiratsalter.
:-»f,3
liehe Gegenden ein früheres Eintreten der Pubertät herbeizuführen
scheinen, und zweitens die Höhe oder Tiefe der Kulturstufe, indem die
erstere ein Hinausschieben des Heiratsalters zu verursachen pflegt (vgl.
Ploss Das Weib 9 S. 386 ff.). Diese Gesichtspunkte werden daher auch
bei der Beurteilung der idg. Verhältnisse zu bedenken sein.
In dem homerischen Griechenland setzt die Fabel der Odyssee ein
sehr frühes Heiratsalter voraus; denn Penelopeia erfreut sich noch
nach 20 jähriger Abwesenheit ihres Ehegemahls einer alle Freier be-
strickenden Frische und Schönheit. Auch später kommen noch Ehen
vor, in denen die Frau 15 (Xenoph. Occ. VII, 5), der Mann 18 Jahre
(Demosth. in Boeot. p. 1009) zählt. Dem gegenüber macht sich aber
bei Dichtern und Philosophen frühzeitig eine Strömung geltend, die
einen späteren Eintritt in die Ehe empfiehlt. Vgl. Hesiod W. n.
T. v. 695 ff.:
dbpatos b€ YuvaiKa tcöv ttoti oTkov ärftaBai,
urrre Tpir)KÖvTiuv ^T€u>v uäXa ttöXX' äTToXeiTrwv
unj' ^Ttiöeiq uäXa TroXXä* YaMO£ °^ T°l ü>pio<; oüto$,
n, be tovfj T^iop rißwoi, TrcuTrruj bl y<*uoTto,
und Aristot. Polit. IV, 14 (Snscmihli: biö Tctq äpuÖTxei Trepi Tf|v öktu>-
KaibeKa £tu>v f|Xndav CFuZeuYVuvat, tou$ b' ^tttci Kai TpidKOVTa f| uixpöv.
Ganz im Gegensatz hierzu haben die römischen Juristen von An-
fang au bis in späte Zeiten den wirklichen Eintritt der Pubertät in
Italien, d. h. für die Jungfrau das 12., für den Jüugling das 14. Lebens-
jahr, als frühsten Heiratstermin festgesetzt, und es scheint, dass nament-
lich in der älteren Zeit, aber auch noch später, häufig von dieser Er-
laubnis Gebrauch gemacht wurde. Konnte doch noch die Lex Julia
und Papia Poppaca bei Vermeidung schwerer Strafen verlangen, dass
ein Weib mit 20 Jahreu Kinder geboren, und ein Mann mit 25 Jahren
solche erzeugt habe. Einen höchst altertümlichen Eindruck macht dabei
die in früher Zeit bestehende Einrichtung, nach welcher vor der Ver-
heiratung oder Pubertätserklärnng der Körper des Jünglings auf seine
Beschaffenheit und Zeugungsfähigkeit untersucht wurde / vgl. Rossbach
Die römische Ehe S. 404 ff. und über ähnliche Verhältnisse bei den
Griechen Th. Bergk Beiträge zur griechischen Monatskunde S. 37).
Schwieriger sind die nordeuropäischen, speziell die germanischen
Verhältnisse zu verstehn. Schon Caesar De bell. gall. VI, 21 berichtet:
Qui diutissime imputiere* permanserunt, ma.vimam inter suo* ferunt
laudem: hoc all staturam, ali vires nervosque confxrmari putant. intra
annum vero vicesimuni feminae notitiatn habuisse in turpissimis habent
rebus; cuitts rei nulla est occultatio, quod et promiscue in fluminibus
perluttntur et pelhbus ant parris renonum tegimentis utuntttr, magna
corporis parte mala (letzteres beiläufig ein dunkler Satz; denn wie
kann ein stattgehabter Gcschlcchtsnmgang bei Knaben oder Mädchen
auf diesem Wege offenbar werden Vi. Hierzu fügt Tacitus Germ. Cap. 2u :
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3fA
Heiratsalter — Helm.
Sera iuvenum venu* eoque ine.rkausta pubertas. nec virgines festi-
nantur; eadem iucenta. siiuilis procerita*: parea validaeque miscen-
tur, ac robora parentum liberi referuut. Indessen stimmt hiermit,
was wir sonst aus dem germanischen Altertum wissen (vgl. Weinhold
Deutsche Frauen 1 294 und F. Roeder Die Familie bei den Angel-
sachsen Stud. z. engl. Phil. IV, 22, der eine agls. Kussordnung an-
führt, nach der Mädchen noch vor dem 15. Jahre heiraten konnten),
sehlecht (Iberein, und auch heute noch steht unsere ländliche Bevölke-
rung zum grosseu Teil auf dem Standpunkt Hermanns in Hermann
und Dorothea, der trotz seiner 18 Jahre „der Gattin entbehrt". Will
man daher nicht annehmen, dass in Deutschland, etwa durch römische
Einflüsse, eine Verschiebung der Sitten in peius stattgefunden habe
(schon das lungohardische, friesische, sächsische Hecht, der Sachsen-
spiegel, das ältere kanonische Hecht setzen 12 und 14 Jahre als
Heiratsgrenzen fest), so wird man die Darstellung des Caesar und
Tacitus so auffassen müssen, dass ihnen ein immer noch frühes Heirats-
alter der Germanen (etwa von IG und 20 Jahren wie nach dem heu-
tigen Keiehsgesetzi als ein relativ spätes den Sitten ihrer Heimat gegen-
über erschien.
Sehr früh heiratet wenigstens das Mädchen auch bei den arischen
Indogcrmauen. Der Vendidad schreibt das 15. Lebensjahr vor, und
bei den ludern ist von sehr früher Zeit an die Sitte der Kinder-
hochzeiten bezeugt {bülavirdha), bei denen Mädchen im zartesten
Alter ynagnikü , nackt , weil sie noch nackt herumlaufen) einem Manne
\ erheiratet werden, der die letzte Zeremonie, garbhüdhäna- , Befrach-
tung' genannt, natürlich erst nach eingetretener Pubertät vollzieht
(ausführlich Jolly Recht und Sitte S. 54). Spuren solcher Kinder-
hochzeiten oder Kindervcrlobungen sind übrigens auch in Europa, bei
Germanen (z. B. im Waltharilied zwischen Walthcr und Hildegunde,
vgl. Weinhold a. a. 0., Germania XXXV, 48) und Kelten (vgl. Walter
Das alte Wales S. 410), nachweisbar.
Im allgemeinen wird man anzunehmen haben, dass frühe Heiraten
(s. auch u. Erbschaft) bei den altidg. Völkern die Regel bildeten.
Hei ratsverwandtsehaft , s. S c h w i e g e r-, F a in i 1 i e.
Heiratszeiten, s. Heirat.
Heizung, s. Ofen.
Helm. Der metallene, zunächst bronzene Helm, welcher bereits
den homerischen Helden wie auch den etrurischen und altrömisehen
Hopliten schirmt, und auch schon auf mykenischen Abbildungen vor-
kommt (vgl. Schliemann Mykenae S. 259), tritt in Mittel- und Nord-
europa sehr spät auf. Das Kopenhagencr Nationalmuscum besitzt
unter seinen reichen Bronzesehätzen nur das Kinnstück eines Bronze-
helms mit Goldbclag. Die Publikation J. Xaues Die Bronzezeit in
Oberbayern (München 1894i weiss von keiner Spur eines Helms zu be-
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Helm.
365
richten. Erst in der Hallstattperiode werden Funde bronzener Helme
etwas häutiger, deren älteste Stücke das k. k. naturhistorischc Hof
museum zu Wien aus dem Gräberfeld zu Waatsch in Krain bewahrt.
Eiserne Helme weist dann die La Tenc-Periode auf. Weiteres über
Helmfunde in Mitteleuropa vgl. bei Lindcnschmit Altertümer unsrer
heidnischen Vorzeit I (n. d. Index) u. III, Beilage zu Heft 1 8. lf>,
sowie im General-Register der Z. f. Ethu. 1 — XX. Dass auch in
Italien während der älteren Bronzezeit der Helm eine unbekannte Sache
war, beweisen die Funde in den Pfahlbauten der Pochne.
In sprachlicher Hinsicht fehlt denn auch jede auf Urverwandt-
schaft beruhende Übereinstimmung in den Namen des Helms. Dieselben
gehören den Einzelsprachen an und bezeichneten entweder von Haus
aus eine unmetallische Kopfbedeckung, Kappe, Hut u. dergl., oder sie
sind hergenommen von der Ähnlichkeit des Helmes mit der Schüssel
(Schüsselhelm) oder dem Topf, oder sie haben endlich ursprünglich
nichts anderes als .Sehnt/;, »Schirm' bedeutet. Griech. xöpu£, KopuGo?,
wenn ursprünglich , Haube", stellt sich : sert. cü'da- aus *kerdha- (Fröhde
B. B. III, 132) , Wulst', oder es ist — sert. cart't- .Topf, wie griech. xpetvo«;
,Helm' zu Kpotvov .Schädel' und K^pvov .Schüssel' und TrnXr|£ .Helm'
zu ttcXXi? .Becken' gehören. Kuven. : küujv) war ursprünglich nur die
Kappe von Hundsfcll; doch schon bei Homer begegnet neben Kuverj
Taupein., KTibirj, acrein, auch die Kuven, xa^HPH? oder Trdfxa^KO^ {vgl.
aw. ayö-yaoda- ,Helm', eigentl. ,Erzmützc'. Das Lateinische hat
zwei Ausdrücke für den Helm: cassis, cassUlis (cassifa Fest.' für den
metallenen, erst ehernen, dann seit Camillus > Plutarch Camill. 40) eisernen
Helm, galea für den ledernen. Von diesen gehört cassis aus *cat-ti-
wahrschcinlich zu den gemeingermanisehen Benennungen des Hutes
(ahd. hitot, agls. höd , Haube', hat, altn. höttr), während galea nebst
galear, galnnis, galenum Entlehnungen aus -foAen, , Wiesel' sind, «las
auch Kopfbedeckungen aus Wiesellcll bezeichnet haben wird ; vgl. oben
die kuv^h KTibtn, , Haube aus Wieselfell', wie sie Dolon (II. X, 335)
trägt. — Im Norden finden wir die festländischen Gallier als Träger
der La Tenc-Periode (s. o. > nach Diodor. V, 30 zeitig im Besitz metal-
lener Helme : Kpdvr) be xa^K<* itcpmGcvTai, petaXa^ t£oxä? tE aüxiüv
IxovTa .... toi? uev Tap TTpooKeiTm o*un<pun. Ktpata u. s. w. Das
etrnrische Vorbild eines solchen börnergeschmürkten Hehns ist von
Lindcnschmit a. o. a. 0. I, 3, II veröffentlicht. Au altkcltisehen Namen
des Helms fehlt es noch. Stokcs Ir. Gl. 2(> bietet at t) cluic (^Glocken-
wulst" ?, vgl. nir. c.logad ,Helm'), Windisch LT. cathbarr (Zeuss Gr.
C* 41 harr ,Spitze' allein für cassis). Bei den Germanen hingegen
wird die Seltenheit des Hehns von den klassischen Schriftstellern aus-
drücklich hervorgehoben. Die Leute des Ariovist kämpften barhäuptig
(Cassius Dio XXXVIII, 50). Nach Tacitns Genn. Cap. 6: Vix uni
alterice cassis aut galea. Die (iermanen der Marcus-Säule sind ohne
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Helm — Herbst.
Helm abgebildet. Gleichwohl besteht ein gememgermanischer Aus-
druck: got. hilms, ahd. heim, altn. hjdlmr (= scrt. $ärinan- ,Schutz),
der ost- und westwärts entlehnt wurde, ostwärts von den statischen
Sprachen (altsl. slemü, altruss. selom, auch lit. szülmas ; daneben altsl.
galija etc. aus lat. galea, inhd. gälte), westwärts in das Romanische
(nilat. helmus in den Reichenauer Gl., it. elmo etc.), ein gewichtiges
Zeugnis späterer germanischer Waffen technik. — S. u. Kopfbe-
deckung und u. Waffen.
Hemd. U. Kleidung ist gezeigt worden, dass die älteste idg.
Tracht den Begriff des Unterkleides (Rockes) noch nicht kannte. Es
ergiebt sich hieraus von selbst, dass das noch unter dem Unterkleide
getragene II e m d ein verhältnismässig junger Kulturcrwerb sein muss.
Eine wichtige Rolle in seiner Geschichte spielen die Germanen.
Schon auf der Marcus-Säule (vgl. Petersen S. 47) tragen die vollbe-
kleideten Barbarengestalten, Männer wie Frauen, langärmliche Hemden,
dereu altgermanische Benennung iu ahd. hemidi, agls. hemepe (*hameipja,
*kamitjo- : altn. hamr ,H(llle, Haut ) vorliegt. Das germanische Wort
ist nun einerseits in die keltischen Sprachen (kymr. hefis , Frauengewand',
ir. caimmse ,nomen vestis'), andererseits in die spätlateinische Soldaten-
spraebe (camism; vgl. bei G. Goetz Thes. I, 171: camissa' haam) und
in das Romanische eingedrungen (vgl. Kluge Et. W. 6 s. v. Hemd).
Mit grosser Wahrscheinlichkeit kann daher die in Rom erst im IV.
Jahrhundert nachweisbare Sitte, unter der wollenen Tnnica ein leinenes
Hemd zu tragen, etwa wie der Gebrauch der Hosen (s. d.), als eine
Entlehnung von den nördlichen Barbaren, speziell von den Germanen,
angesehn werden. Wollene tunicae inferiores oder subueulae waren
allerdings schon zur Zeit des Plautus in Gebrauch (vgl. Marquardt
Rom. Privatleben S. 470, 535). Der altn. Name für das Hemd ist serkr
(vgl. Kluge in Pauls Grnndriss I8, 344 s. v. sarciaY); auch er hat viel-
leicht eine weite Wanderung, und zwar in Ostlicher Richtung, ange-
treten, wenn altsl. sraka, russ. soroka , Kleidung', sorocka ,Hcmd", tinu.
särk ,IIemd' mit Recht aus ihm hergeleitet werden. Andere denken
freilich an eine umgekehrte Wauderungsrichtung. Vgl. aus den Eiuzel-
8prachcn fllr ,Hcmd' noch geraeiusl. koittlja (russ. ,Pelz"), lit. marszkinial
(: miirszka .dichtes Fischernet//), altpr. northe, nurtue (vgl. lit. ne'rti
,hiueinschlUpfen'). Über ir. Une 8. ti. F 1 a c h s.
Hengst, s. Pferd.
Henkel, s. Ge lasse.
Henker, s. Strafe.
Herberge, s. Gasthaus.
Herbst. Eine idg. Bezeichnung für diese Jahreszeit lässt sich
nicht nachweisen, wie denn noch Tacitus Germ. Cap. 20 ausdrücklich
hervorhebt: Autumni perinde nomen ac bona ignorantur. Auch die
ältesten Griechen unterschieden noch keinen Herbst in unserem Sinne,
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I
Herbat - Herd. 367
-da die ömupa Spätsommer' (6n- in Öm6tv, dipc ,spät* und öipa, eigentlich
freundliche Jahreszeit ) viel früher begann und noch die heisseste
Zeit des Sommers in sich schloss. Erst von Hippokrates an finden
wir einen dem unsern entsprechenden Herbst, der als u€TÖmupov und
<p9ivÖ7Tuipov (,die ömupa vernichtend ) bezeichnet wird (vgl. Ideler Lehr-
buch der Chronologie S. 101 ff.). Die Ausdrücke der Einzelsprachcn
sind naturgemäss am häufigsten aus Wörtern erwachsen, welche ur-
sprünglich so viel wie , Keife', , Reife der Früchte' ausdrückten. So
ahd. herbist, agls. hwrfest (auch altn. haust?) : gricch. Kapirö«;; die
eigentliche Bedeutung von „Herbst" ist noch in Oberdeutschland Obst-
und Weinernte. Altpr. assanis, altsl. jesenl , Herbst' gehören zu got.
asans .Sommer', ahd. aran ,Erntc\ altn. önn , Feldarbeit' (vgl. got.
asneis, agls. esne, ahd. esni .Tagelöhner'). Lat. autumnus oder auc-
tumnus, ursprünglich wohl der Name einer Gottheit (vgl. Vertumnus,
Portumnus), werden mit altn. auör ,Wohlstand' oder mit lat. augeo,
lit. augmii , Wachstum' zu verbinden sein. Auch Bezeichnungen wie
„Vorwinter" kommen nicht selten vor: ßech. podzhni, slov. predzima,
ir. foghmhar, fomhar, altir. fogamur ,a name for the last month in
the autumn' (: slav. zima, ir. gam , Winter'). Allein steht lit. rtidü :
rüdas ,braun-rot' (von der Farbe der Blätter). Über sert. <;ardd- 8. u.
Jahr. — S. u. Jahreszeiten und u. Zeitteilung.
Herd. Eine vorhistorische Bezeichnung des Herdteuers hat sich
in der Gleichung gricch. att. tojia, arkad. Ficrria i bei Homer nur als
Appellativum für Herd gebraucht und erst später personifiziert) = lat.
Vesta ,Göttin des heiligen Herdfeuers', ursprünglich zweifellos das
Herdfeuer selbst erhalten. Allerdings haben mehrere Forscher (zuletzt
P. Kretschmer Einlcit. S. 162 ff.) den gesamten lateinischen Vcstakultus
zusammen mit dem Namen seiner Beschützerin für entlehnt aus west-
griechischem Kulturgebiet angesehen. Indessen machen doch der ein-
fache Grundgedanke dieses Gottesdicustcs, die Bewahrung eines peren-
nierenden heiligen Feuers (s. u. Religion) und zahlreiche Züge, mit
denen derselbe in Rom ausgestattet ist, die Wiederanzündung der
Flamme mittelst Quirluug von Hölzern (s. u. Feuerzeug), das Tragen
derselben in einem ehernen Sieb (s. u. Eisen), die Totpeitschung der
schuldigen Vestalin (s. u. Strafe), die runde Gestalt des Vcstatempels
(s. u. Haus) u. a., so sehr den Eindruck höchster Altcrtünilichkcit, dass
man sich schwer entschliessen wird, an einen verhältnismässig späten
Ursprung dieser durch ihr Alter ehrwürdigen Einrichtungen zu glauben.
Auch ist der Gedanke eiuer göttlichen Verehrung des Herdfeuers
keineswegs auf die höheren Kulturen, die Inder, bei denen er in der Gestalt
des Agni, des Hüters von Haus und Herd (grha-pati-), einen lebendigen
Ausdruck gefunden hat, auf die Iranicr, bei denen das Herdfeuer als
nmdnö-paiti- ,Herr des Hauses' bezeichnet wird, auf Griechen und
Römer beschränkt. Nicht weniger hat sich bei den alten Preusscn
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368 H«'rd.
und Litauern, also in ganz zurückgebliebenen Kultumiständen, eine
„Göttin des brennenden Herdes", Polengabia : altpr. pelanno ,HerdT
(s. u.) entwickelt (Altpr. Monatsschrift IV, 127, vgl auch Hartknocb
Altes und neues Preusscu S. 179 und bei Uscner-Solmscn Göttcrnamen
S. 86 über die litauische Aspel e nie ,die hinter dem Herde wohnende
Göttin'). Noch den heutigen Armeniern (vgl. Mtlg. d. Wiener nnthrop.
Ges. XXII, 145) ist der Herd das „religiös geheiligte Symbol der
Familie". Man schwört bei ihm, wie es schon die homerischen Griechen
(Od. XIV, 159) bei ihrer krrin, thaten. Endlich berichtet auch Herodot
von den Skythen (IV, 59»: Gcou? |uev p-ouvou«; Toutfbe IXäöKOVTCu, 'laTinv
uev uäXiaTa oüvonäZcTai bi Iku6io"t\ 'löTin uev Taßm fetwa
für Taßrfi? zu altpr. Polen gabia s. o.; vgl. auch die altpr. Göttcr-
namen Gabartai, GahjauLurx etc.?}.
So dürfte die Heilighaltung des Herdfeuers eine der ältesten reli-
giösen Vorstellungen sein, die wir bei den Indogermanen finden, wenn-
gleich die Herausbildung eigentlicher von dem Element des Feuers
losgelöster Götter- oder Göttinnengestalten erst der Sonderentwicklung
der Einzelvölker angehören wird.
Auffällig ist die geringe Verbreitung der Gleichung ioria- Vesta (über
lat. vestihulum s. u. II aus). Die eigentliche idg. Benennung des Herd-
feuers ist daher vielleicht in den allgemeinen Ausdrücken für Feuer
(s. d.), vor allem in der Reihe sert. agni-, lat. ignia u. s. w.. mit enthalten
gewesen. Es wird nach der Auffassung der Urzeit zwei heilige Feuer
gegeben haben: das Feuer auf dein häuslichen Herd und das im Blitz
(s. u. Gewitter) aus der Wolke herniederfahrende Feuer. Für beide
hat derselbe Ausdruck vielleicht lange Zeit ausgereicht.
Die Stelle im Mittelpunkt des Hauses, wo dieses heilige
Feuer loderte, scheint in der Urzeit als „Asche" oder „Aschenplatz"
bezeichnet worden zu sein. Es finden sich mehrere urverwandte Sprach-
reihen, in denen die Bedeutungen von Asche. Herd und Altar — denn
naturgemüss wird der Herd zur Opferstätte des Hauses — in einander
übergehen. So namentlich in der Reihe: sert. am- .Asche, äshtn-
, Feuerplatz' = lat. ära, umbr. am .Altar', altn. arenn .Erhöhung. Herd'
(nun. arina .Herd ), ahd. arin, erin ,Altar, Fussboden, Ereu . Auch
ahd. essa, nord.-finn. ahjo ,ustrina, eaminus fabrilis' wird hierherge-
hören (W. (U : am. Vgl. ferner griech. ^xötpn .Herd' : got. azgö
.Asche', während altn. aska, alid. asca : griech. do"ßoXoq .Russ' zu stellen
ist (anders U'hlenbeck Et. W. d. got. Spr.i und altpr. pelanno. lit.
peline ,Herd' i.s. o.) : altpr. pelanne, lit. pelenai, altsl. pepeltl u. s. w.
, Asche'. Ähnlich ir. ong .Herd : sert. äiigara-, lit. an glitt, altsl. ongli
.Kohle (Zusammenhang mit agni ignis? , ahd. herd, agls. heorp : got.
hauri ,Kohle'(?) uml griech. öbiaq- icxäoa, ßuuuö<; : äbaXöq ■ ÄaßoXo?
.Russ" (Hesyeh). Über alb. vatrt ,Herd' s. u. Feuer.
Etwas näheres über die Beschaffenheit des ältesten Herdes, ob
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Hi-nl — Himmel.
derselbe bereits einen künstlichen Aufbau darstellte, oder, wie wahrschein-
licher, mich aus einer einfachen Grube bestand, in der das Feuer
brannte (vgl. auch R. Meringcr Der indogermanische Herd Mitlg. d.
Wiener anthrop. («es. XXI, läuft', und M. Heyne Das deutsche
Wohnungswesen S. 34 f.), wird sicli nicht ermitteln lassen. Weiteres
8. u. Ofen und Haus, dessen wichtigster Bestandteil nach allem bis-
herigen der Herd ist. Es ist daher begreiflich, dass oft Herd fllr Haus
und Familie gesetzt wird. So in grieeh. 4<rrict und lat. focus, in
armen, odxchah (ein tatarisches Wort) u. a. Besonders bezeichnend
ist das altrussische ognixcaninn der Pravdas (von ogniste ,Herd' : ognt
,Feuer'), «las eigentlich , Herdbesitzer', dann »Hausbesitzer', dann all-
gemein ,Mann' (als Rechtssubjekt) bedeutet.
Herde, s. Viehzucht.
Herdum Wandlung, s. Heirat.
Hering, s. Häring.
Hermelin, s. Pelzkleider.
Heroenkult, s. Ahnenkult.
Herrseher, s. König.
Heuschrecke. Die bis jetzt keine vorhistorischen Zusammenhänge
zeigende Terminologie des Tieres benennt dasselbe vorwiegend als
»Springer. So lat. locusta ans *tlocnstat vielleicht : got. plahxjan
»erschrecken' (vgl. ahd. hetri-skrekko : ahd. screckdn »auffahren, springen'
und hewi-stapfo : stapf , Tritt ), got. pramst ei (nach Grimm und Schade:
alts. thrimman ,sich bewegen', Hei. »002: thram imu an innan möd
bittro an ix hr eostun, — lat. tremo, gricch. Tpeuw), altsl. pragü : W.
preng = ahd. springan und skaclkü : skokü ,S prang'. — Meistens
noch unaufgeklärt sind: grieeh. rrapvoip, iröpvoiy, xöpvoiy (G. Meyer
Gricch. Gr. 3 S. 60), äicpi«; (vgl. Prellwitz Et. W. d. gricch. Spr.) und
ßpoÜKoq, kret. ßpeÜKoq i : ßpikw ,beisse'?), lit. skeris und Ziögas, korn.
chelioc reden, kambr. ceiliog rhedyn („Krauthahn", vgl. ndd. sprink-
haoii'. Rurs, saranca »Wanderheuschrecke', vielleicht aus dem Türk-
ischen, armen, ntara.r aus dem Iranischen (aw. mada.vri-, npers.
maJax). — Namentlich im Südosten Europas hat das Tier durch seine
Verheerungen grossen Eindruck gemacht. Im Altslovenischen wird
der Juni als Heuschreckenzeit (altsl. izokü) bezeichnet (vgl. Mi-
klosich Die slavischen Monatsnamen S. 9). In Griechenland gab es
am Oeta einen Herakles Kopvomwv, in der Aeolis einen Apollon TTop-
vomwv, in Athen einen Apollon TTopvömo?, nach dem bei den asiatischen
Acoliern ein Monat TTopvomuLiv genannt war (vgl. Usencr Götternamen
S. 201, Th. Bergk Beiträge zur grieeh. Monatskunde S. H>.
Himbeere, s. Becrenobst.
Himmel. Die älteste Bezeichnung des Himmels (Himnielsgottes)
liegt in der Reihe: seit, dt/aus, grieeh. Zeu^, lat. Juppiter, zu der
vielleicht auch ahd. Zitt, ahn. Ti)r gehört. Näheres s. u. Religion.
Schräder, Rcnllcxikon. 21
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370
Himmel — Himmelsgegenden.
Eine arische Entsprechung ist sert. dqman- = aw. asman-, npers.
dttmdn, wohl mit der Grundbedeutung ,Stein, Felsenwand' etc. Vgl.
noch npers. sipihr »Himmel' : seit, qpitrd- ,hell\ altp. LTriGpabdra?,
Xm8pibaTn,q und aw. ftvdsa- (letzteres dunkel).
In Europa verrät eine sakrale Beziehung nur die keltische
Benennung des Himmels: ir. nem, kymr. nef, wenn sie richtig zu sert.
nämas- , Verehrung' gestellt wird (sert. ndmate ,er verbengt sich'; s.
u. Gruss). Im übrigen wird der Himmel einfach als , Decke' : Ht.,
altpr. dangiis : Ht. deügti .decken', ahd. kimil, got. himim, agls. heofon
: griech. xuAeGpov ,Stubendecke' (weniger ansprechend ist die Zu-
sammenstellung mit got. haim* .Hehn der Götter'), als ,Gewölk' :
russ. nebo = sert. ndbha* •■, griech. ve<po<; oder als ,UmhUllung' : att.
oupavö«;, dor. wpavö«;. aeol. dpavös = aw. varena- „Umhüllung, Be-
deckung' bezeichnet (vgl. weiteres bei R. Much Der germanische
Himmclsgott, Festgabe für Heiuzcl S. 215 f., wo die von Rhys Lec-
tures on the origin and growth of religion, Hibbert Lectures 1ns6
8. 42 vorgeschlagene Vcrgleichuug von ahd. himil, hnmil mit altgall.
Camulus, ir. Cumall, einem geläufigen Beinamen des britischen Mars
Leucetius, Loucetius — osk.-röni. Loucetius, Lücetiu* .Diespiter' für
nicht unwahrscheinlich gelialten wird).
Mit dem Auftreten des Christentums macht sich vielfach das Be-
streben geltend, den natürlichen von dem kirchlichen Himmel; dem
Orte der Seligen, sprachlich zu unterscheiden. Man bedient sich ent-
weder zur Bezeichnung des letzteren Begriffes der Pluralbildungen:
griech. oüpavoi, lat. codi, ahd. himila, altsl. nebesa, oder man wählt
ganz verschiedene Wörter wie in engl, sky (mengl. sich, skye aus altn.
sky , Wolke': vgl. o. altsl. nebo) : heaven — ndd. heteen : hhnmel. Noch
keine Erklärung hat lat. caelum und armen. erkin-k (vgl. Hübschmann
Armen. Gr. I. 445) gefunden. — S. auch u. Sonne, Mond und
Monat, Sterne, Gewitter, Wind, Windnamen.
Himmelsgegenden. Die frühste Orientierung im Räume erfolgte
bei den Indogermanen in der Weise, dass man das Gesicht der auf-
gehenden Sonne zuwendete und demnach den Osten als vorn, den
Westen als hinten, den Süden als rechts und den Norden als links
bezeichnete. Vgl. für Osten: seit, prü fte- und pt't'rva- -- aw. pouru-,
ir. airther — griech. TrapoiTcpo? ,der vordere', für Westen: sert.
dpora- = aw. apara-, auch sert. äpdnc- und apäcyd- Rückwärts' und
, westlich', npers. bdxtar , Westen' (auffallend aw. apdxtara- »Norden ),
ir. iar, siar (vgl. Zeuss Gr. C.s S. 57 Aum., 012 t'.), für Süden : sert.
ddkshina- (Dekhan) — aw. dasina-, ir. de.ss ,rechts' und ,südlich', für
Norden: seit, mryä-, ir. tüath, beide: ,links' und »nördlich*: vgl.
auch ir. fochla ,Norden' : cU ,links' (got. hleiduma) und gemeingerm.
ahd. nord : umbr. nertru .sinistro", nertruku .ad sinistrum' (abweichend
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Himmelsgegenden — Hirsch.
371
grieeh. om\6q ,link' und ,w est lieh", da der griechische GtonpÖTTOs sieb
nordwärts wandte, vgl. IL XII, 237 ff.).
Diese, wie man sieht, besonders bei Ariern und Kelten, aber auch
von den römischen Angara (Sinistras autem partes septentrionales
esse augurutn diseiplina consentit Serv. ad Aen. II, 693) treu be-
wahrte Orientierungsweise wurde frühzeitig durchbrochen durch andere
Arten, die Himmelsgegenden zu bestimmen. Solche neuere Benennungen
sind hergenommen: von dem Auf- und Untergang der Sonne, resp. von
der Morgenröte (griech. ävorroXai, £w<;, butfueti, Z6q>o<;, lat. orienx, occidens,
ahd. 6s tau [: griech. £ui<;, lat. aurora], it. ponente f: pöno] .Westen',
levante ,Osten', von den Winden (griech. rd ßöpeta ,Norden', vöto?
,Süden', altsl. severä, lit. szidure ,Norden', &\ts\. jugü .Süden' : griech.
irrpös .feucht ), von den Tageszeiten (griech. iatxipn, ueoTiußpia, lat.
meridies, lit. pittas , Mittag' und ,Süd\ wakaral , Abend' und ,Wcst ,
rytai , Morgen' und ,Ost\ nhd. -Morgen", „Mittag", „Abend", „Mitter-
nacht"; vgl. auch aw. daosatara- ,westlich', rapifheina- ,Süden'),
von den Jahreszeiten (lit. ziemiel , Winter', ,Nord'), von den Ge-
stirnen (griech. äpicroq) u. a. Noch nicht sicher erklärt sind die ge-
meingerm. ahd. westan < : griech. do*7repa u. s. w.V) und sundan ,Süden'.
Da indessen der Stamm des letzteren Wortes *sunp- identisch ist mit
*sund- (agls., altn. sund), einer gemeingernmnischen Benennung des
Meeres, so liegt es nahe, altn. sunnan, agls. südan ,von Südeu her'
= , vom Meere her' zu fassen (vgl. hebr.jdm ,Meer\ ,Mittelmecr' = Westen
uud linn. luode\ Ii v. Itiod, weps lödeh aus got. fiödus ,Flut, Nord-
west, Westen, Westwind'). Im Urland der Germanen oder Indngermancn
wäre daher südwärts ein Meer anzunehmen (das Schwarze Meer: s.
u. Urheimat». Eine andere Erklärung möchte germ. *sunp- ,Süden'
: griech. vöroq aus *o*voto? stellen!?). Bemerkenswert ist noch, dass
in den romanischen Sprachen die Namen der Himmelsgegenden viel-
fach aus dem Germanischen entnommen sind (vgl. frz. nord, sud, ouest,
est . was mit dem germanischen Einfluss auf dem Gebiete des Schiffs-
wesens (s. u. Schiff, Schiffahrt) zusammenhängen wird. — V»l.
weiteres bei Pott Die qninarc und vigesiniale Zählmcthodc S. 2(>1 ff.
und s. u. Rechts und links.
Hin rieht uim, s. Strafe.
Hirsch (Cervidenj. Es ist hier von dein eigentlichen Hirsch,
dem Reil, dem Damwild, dem Elch oder Elen und dein Remitier
zu sprechen. Von diesen sind die drei erst genannten Arten noch
heute weit in Europa verbreitet. Der Elch lebte in historischer Zeit
noch in den germanischen Wäldern, wo ihn Caesar De bell. gall. VI, 27
ausführlich beschreibt: Sunt item, quae appellantur alces. harunt est
consimiUs capris ftguva et varietas pellium, sed magnitudine paulo ante-
cedunt mutilaeque sunt cornihus et crura sine nodis articlisque ha-
bent etc. Auch in den Schweizer Pfahlbauten sind Reste des Elenticres
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Hirsch.
neben denen des Edelhirsches und Rehes reichlich gefunden worden.
Hingegen hat sieh das Kenntier, dessen Spuren in den Überresten der
neolitbischen Periode nirgends sich mit Sicherheit haben nachweisen lasben,
nach der glacialen und postglacialen Epoche, vor und während der
es auch in Westeuropa lebte (vgl. Rrandt-Woldrieh in den Memoire*
de l'academie imperiale des seiences de St.-Petersbourg VII serie,
tonie XXXV, 10 S. 124 ff.), nach dem änssersten Xord-Ostcn Europas
zurückgezogen. In keinem Falle kann es daher Caesar in Germanien
gesehen haben, wenn er das Remitier mit VI, 26: Est hon cervi figttra,
euius a media fronte inter aures unum cornu exsistit ej'celsiu* ma-
gisque derectum Iiis, qnae vobis nota sunt, cornibus; ab ein* summo
fticut pahnae ramique late diffunduntur überhaupt meint.
An indogermanischen oder vorhistorischen Namen für Cerviden
fehlt es nicht. Zuerst lat. alces aus germ. *alki- (ahd. elah, agls. eolh,
altn. elgr) — russ. losl ,Elen' und seit. feya- ,ein Antilopenbock'. Dann
griech. £Xacpoq, IXXö; , Hirsch' = lit. Uni* desgl., slav. jeleni (hieraus
unser „Elcnu), alünl, lanq desgl., kymr. elain, armen, ekn .Hirschkuh*,
die, wenn sich auch sert. $na- (aus *elna-) , Antilope" hierher fügt,
ebenfalls in Asien wiederkehren würden. Auf Europa beschränkt
ist lat. cervus, koni. caruu, kymr. carte, altpr. sinrix, ahd. hiruz,
das ,Horntier' : griech. »cepaq, Kepaöq, sert. ernga- ,Horn' (vgl. auch
ahd. spizzo und stach ,Spiesshirsch' : ahd. spiz ,Spicss' und agls.
staca , Pfahl'; Gegensatz : altpr. glumbe ,Hiude', .Hirschkuh' : lit. gliimas
, hornlos'). Hierher wird auch altsl. srüna ,Reh' (**erna-) gehören,
aus dem vielleicht lit. sttrna entlehnt ist (nach J. Schmidt Souantcn-
theorie S. IM). Vgl. noch aep^oi * eXaqpoi 'Hesvehh wobei atpToi
für *öepFoi stehen wird = altpr. sirwi« f\ic\\ aus einer Xord-Ost-
sprache übernommen). Die gleiche Bedeutung liegt der Reihe schwed.-
norw. brind ,Elcn', Iii. hredis desgl., messap. ßpeVnov ,r\ K€(paXn. tou
tXd<pou' (davon der Xamc der Stadt Hrundisimn), ßptvbov £Xa<pov
lies., alb. br{-ni .Horn, Geweih' zu Grunde. Vgl. endlich noch griech.
Keuäs , Hirsch, Gazelle' — ahd. hinta .Hirschkuh' (ahd. gamiza s. u.
Antilope) und eveXor veßpoi lies. = lat. nntli , Hirschkälber" (dazu
armen, nl »einjährige Ziege' nach Xiedcrmann H. H. XXV, Hf>? i. Welche
Cervidenarten freilich in der Urzeit mit diesen Gleichungen ge-
meint waren, lässt sich nicht ausmachen.
Von einzclsprachlichcn Ausdrücken seien noch das gemeinger-
manische ahd. reh, *raihn- neben uhd. rikke, wofür ahd. n-ia oder
reh-geiz) und griech. bopE, bopxä? .Reh' genannt. Ersteies dürfte zu seit.
nkha- .geritzter Streifen, Linie, Zeichnung' i wozu auch mhd. rihe .Reihe',
ahd. rihan .reihen") von rikh — likh .ritzen, zeichnen, malen' gehören,
so dass das Reh soviel wie gezeichnetes Tier wäre; vgl. sert. pied-
,1 »amhirseir : pi<; .schmücken', seit, prshtti .Gazelle', eigentlich .ge-
sprenkelt', sowie griech. TipöE (s.u.) und ötiktö? .gedeckt' : cttiZuj, das
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Hirsch.
373
häufig vom £Xaqpo<; gehraucht wird (vgl. Zacher Wochcnschr. f. klass.
Phil. 1884 S. 1619). Griech. bopKd? aber wird eine volkstümlich
(durch bcpKOuai, vgl. G. Meyer Griech. Gr. 3 S. 270; entstellte Form
für £opKä<; iHerodot) sein und dem keltischen *jovkos (s. u. Antilope)
,caper\ auch ,ehevrenir entsprechen. Vgl. auch lat. capreolus, capre-
ola ,Reh' : caper .Ziegenbock .
Was das Damwild anbetrifft, so wäre nach den Ausführungen
0. Kellers (Tiere des kl. Altertums S. 73 ff.) dieses während der
klassischen Zeit in Griechenland unbekannt gewesen und erst im III.
Jahrh. ii. Chr. in den italischen Tiergärten erschienen. Allerdings hätten
die Griechen, und zwar schon die homerischen, den Damhirsch unter dem
Namen TTpöE (: TrepKvdq = sert. pfäni- .gesprenkelt' s. o.» gekannt, aber
sie hätten unter demselben immer nur das westasiatische, dem eigentlichen
Hellas fremde Tier verstanden (anders Zacher a. a. 0. S. 1611)). In Italien
aber habe das Wort däma, dam /na, dam mala ursprünglich ein zu den
Antilopen gehöriges Tier, auch die Gemse, nicht aber einen Hirsch
bezeichnet. Unter diesen Umständen liegt es nahe, für den bis jetzt
ganz unerklärten lateinischen Ausdruck einen ähnlichen Bedeutungs-
ühergang wie den für griech. ßoußaXic is. u. Antilope) festgestellten
anzunehmen und lat. däma mit griech. bdpaXo«; ,Kalb'. baudXns Junger
Stier, ir. dam .Stier' zu vergleichen. Alsdann hätte dtima erst im
späteren Lateinisch die Bedeutung von Damwild (cerewt palmatn«,
platycero* • angenommen und würde in dieser ins Germanische (ahd.
tarn. mndl. däme) cutlehnt worden sein. Vgl. noch areni. demm, ven.
ditem. kambr. dämm f Zeuss Gr. Celt.s p. 107f>). Das agls. da, engl, doe
(daher körn, da) lässt sieh aber mit lat. däma nur vereinigen, wenn
man eine volksetymologische Verstümmlung des lat. Wortes durch
die naheliegenden agls. rd, engl, roe ,Reh' annimmt (vgl. auch G. Goetz
Thes. I. 303, Gröber Archiv f. lat. Lex. II, 1 00, Palander Die ahd.
Tiernamen S. 103).
Von dein Renntier hatten die Alten aus den nordpontischen
Ländern, wo es noch heute seine Wanderungen bis in das Gou-
vernement Kasan ausdehnt, einige. Nachricht. Bei Pseudo-Arist. De
mirab. auscult. XXX findet sich die Mitteilung: £v be iKuGaiq to\<;
KaXouufc'voi«; reXwvoiq <patft Grjpiov ti -fiveaeai, (JTrdviov uev urrep-
ßoXf]. 6 övoudreTcu TÜpavbo; • XeteTai be toüto ueraßdXXeiv xdq
Xpöaq jf\q Tpixds Ka9" Öv dv Kai töttov rj. btd be toüto eivai buo"6n-
pöxaxov. Kai tdp be'vbpetfi Kai töttoi?, kü\ ö\vj<; ev oi? &v r), toioötov
tt) xpeia riveertku. SaupaOnjuTatov be tö Tn,v Tpixa nexaßdXXeiv. rd fdp
Xoittü töv xpwTa, °,ov 0T* xaMa,^c'u>v KCtl 0 TToXuaou?. tö be u£Y€8oq
tbcTavei ßoü^ . toü be ttpocrüttou töv tuttov Öuoiov e'xei ^Xdcput. Das
hier hervorgehobene Wechseln der Färbung und der Haare ist zu
charakteristisch für das Remitier, als dass ein anderes Tier genieint sein
könnte. Unerklärt ist das Wort Tdpavbo? (vgl. darüber W. Toma>chek
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Hirsch - Hirtse.
Kritik d. ältesten Nachrichten Uber den skytli. Norden II, 27 f.). Dunkel
ist auch noch das altn. hreinn, agls. hrdn , Renntier'. Man sucht seinen
Ursprung im Lappischen, wo aber ein entsprechendes Wort noch nicht
sicher nachgewiesen ist. Bezeichnend für die Holle, welche das Renn-
tier im änssersten Nord-Osten Kuropas von jeher gespielt hat, ist der
Umstand, dass ein und dasselbe Wort (finn. hürkä, lapp. herke) hier
/ahmen Remitier, dort Ochse bedeutet, oder, mit anderen Worten, das»
die Finnen, als sie den Ochsen kennen lernten, auf ihn den Namen des
zu ahnlichen Zwecken hei ihnen verwendeten Renntiers Ubertrugen vgl.
Möllenhoff D. A.-K. II, 35(5).
Hirse (Panicnm miliaceum L., Rispen- und Pankum italicum,
Kolheiihirse). — Der Hirse erweist sich als zu der ältesten Schicht
europäischer AckerbaufrUchtc gehörig. Ja, vielleicht ist er die erste
Knlmfrucht, die auf idg. Roden angebaut wurde ti. Ackerbau).
Kiue urverwandte Gleichung fUr diese Getreideart ist gricch. neXivri,
lat. milium, lit. malnos. Wie dies eigentlich .Mahlfrucht' (: lat. ma-
lere, lit. mdlti) bedeutet, so zeigen auch die Übrigen Benennungen des
Hirse seine Wichtigkeit als Ackerbau- und Xährfrucht an. So lit. söra
: Hfti ,Saatf nicht', gricch. Auuoq (Kolhenhirse nach v. Fiseher-Benzous
Vermutung Altd. Gartenfl. S. 160) : £Xuna .Pflugschar', also ,PHug-
frncht', lat. pänicum : pänis, paxei .Brotfrucht' ithatsächlich wurde
nach Columella und Plinius auch Hirsenbrot in Italien gebacken), ahd.
hirsi vielleicht : ital. *kerxna, umbr. qerxnttfur, lat. ceana, veno, sili-
cerniiim .Speisefrncht'. Uber den Bedentungswcchsel von Hirse mit
anderen Getreidearten innerhalb urverwandter Wortreihen s. u. Ackerbau.
Dunkel ist slav. proxo, altpr. prasxan. — Der Anbau des Hirse lässt
sieh in den beiden genannten Arten bereits aus der Steinzeit der
Schweizer Pfahlbauten nachweisen (vgl. 0. Heer Die Pflanzen der
Pfahlbauten S. Iii. Nicht weniger erscheinen Hirscfunde in neolithisehen
Stationen Italiens, Ungarns und Rumäniens (vgl. Buschau a. u. a. 0.
S. 72), und neuerdigs konnte Hirse auch in Denkmälern «1er skandi- *
navischen Steinzeit konstatiert werden (S. Müller Nordische Altertnmsk.
I, 206). Aber auch zahlreiche geschichtliche Nachrichten deuten
auf die uralte Kultur des Hirse in fast allen Teilen Europas hin. Wie
schon Pytheas im Zeitalter Alexanders des Grossen auf seiner Reise
ins Nordmeer nach Strabo IV, p. 201 fand, dass die keltischen Einwohner
Britanniens sieh kc'txPMJ Kai dtptoi? Xaxävoi? Kai KapnoT? Kai pi£ai£
nährten, so schreibt Hcrodot IV, 17 im äussersten Osten Europas den
skythischen Alazoncn am Hypanis den Anbau von Kpöuuua, tfKÖpoba,
cpaKOi und k e t X P o i Von den Slnvcn weiss der Strategiker
Maurikios (5S2 — 602), dass sie reich au Bodenerzeugnissen, besonders
an Hirse seien, und dies wird bestätigt durch Abraham Jakohsen»
Bericht Uber die Slavenland v. .1. 073 („was sie am meisten auhnun,
ist Hirscu). Weitere Nachrichten au» Aquitanien, Gallien, Oberitalieu,
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Hirse.
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Thrakien, Sarmatien, Pannonien, Illyrien vgl. bei V. Hehn Kulturpflanzen6
S. 543 f.
Gegenüber diesen Zeugnissen uralter Bekanntschaft der Indoger-
manen Europas mit dem Hirse kann der Umstand, dass im Deutschen
neben dem einheimischen hirsi sich zur Bezeichnung dieser Getreidc-
art auch Entlehnungen aus dem Lateinischen finden (nhd. milli aus
militim, mhd. pftnkh aus panicum), nicht ins Gewicht fallen. Da
jedoch der einheimische Name hirsi sich auf l'anicum miliaceum be-
schränkt, während pfenich für P. italicum gilt, das nach Xemnich
auch „welscher Hirsen" etc. heisst, so könnte man für letzteres immer-
hin an eine spätere Einführung in Deutschland denken. Das Capit.
de vi Iiis kennt den Anbau von milium und panicium.
Weiter nach Süden tritt in Europa der Hirse, obgleich ihn natürlich
Theophrast, ebenso wie Cato, Varro und Columclla, kennen, an Be-
deutung anderen Getreidearten gegenüber zurück. Nur die den alten
Gebrauch am treuesten bewahrenden Laeedämonier werden als „Hirse-
breiesser" (Hehn 1. c.) geschildert. Der Grund dieses allmählichen
Verschwinden» des Hirsebaus in südlicher Richtung könnte in dem
Umstand liegen, dass P. miliaceum wie P. italicum, wie es scheint, dem
semitisch-ägyptischen Kulturkreis, der seinen Einflnss immer stärker
auf Griechenland und Italien ausübte, fremd sind. Hinsichtlich Ägyptens
dürfte dies sicher sein (vgl. Buschan a. u. a. 0. S. 68). Die Ent-
scheidung bezüglich der Israeliten hängt davon ab, ob mau Kzccb. 4, 9
in hebr. dohan eine der gewöhnlichen Hirscarten (mit Low Arani.
Pflanzenn. S. IUI) oder den sogenannten Mohrhirse, Sorghum vul-
gare L. (mit Kiehm im Bibellexikon) erkennt, der gegenwärtig in den
südlicheren Teilen des Mittelmeergebiets, in Afrika im ganzen Xilthal
bis tief in das Innere, aber mit A lisch luss des Deltas, angebaut wird.
Ob diese Pflanze schon in altägyptischer Zeit bekannt war, darüber
scheinen die Akten noch nicht geschlossen (vgl. Wocnig Die Pflanzen
im alten Ägypten S. 171 und Schweinfurth Ägyptens auswärtige Be-
ziehungen hinsichtlich der Kulturgewächse Z. f. Ethnologie XXIII, 1891
Verhandl. S. 054). War sie es, so müsste die Nachricht des Plinius XVIII,
55: Milium intra hos X anno» e.v India in Italiam imectum est
nigrum colore, amplum grano, harundineum culmo, so zu deuten
sein, dass der Mohrhirse zwar thatsächlich ans Oberägypten, wo er auch
nach Ansicht der Botaniker (vgl. Engler bei Hehn0 S. 493) zuerst in
Kultur genommen wäre, stammte, aber fälschlich, weil der indische
Handel über Ägypten führte, von Plinius als aus Indien kommend
aufgefasst wurde. Seine heutige Verbreitung hat der Mohrhirsc wohl
erst durch die Araber erlangt. Er heisst arab. durra\ duhn, it.
melgay melica = milica, auch saggina, sorgo, ngriech. KaXcturrÖKi, all).
kal'amhök' 'später auch Mais bedeutend).
Über das ursprüngliche Vaterland des Rispen- und Kolbenhirse ist
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Hirse — Hopfen.
nichts sicheres bekannt. Vermutungen bei De Gundolfe Der Ursprung
der Kulturpflanzen S. 47;">ff. Die wilde Stammform der Kolbcnhirsc
Boll in Panicum viride L., einem im gemässigten Europa bis Finn-
land weit verbreiteten Unkraut, vorliegen. Vgl. G. Busehnn Vorgesch.
Botanik S. 67 ff., S. ü3ff. — S. u. Gctreidcarten.
Hirt, s. Gewerbe.
Hochäcker, s. Ackerbau.
Hochzeit, Hochzeitsgebruuche, s. Heirat.
Hof, s. Garten, Gartenbau.
Ho Ii Ii nasse, s. Mass, Messen.
Hölle, s. Totenreiehc.
Holunder \8ainbucus nigra L.). Übereinstimmung zeigt sich
zwischen ahd. holuntar (neben agls. eilen) und slavisch kalina, dessen
Bedeutung aber keine ganz feste ist i Hirschholunder, Kainwcide etc.).
Der eigentliche slavische Name für den Baum ist russ. bozü etc. (auch
ngriech. ßou£na, nach Lenz nur für den Zwergholunder), lit. (aus dein
Politischen ^ beza*, h'zdas. Daneben besteht ein lit. büktut, das in lat.
sambuai«, /tabuem {nun. hoc) wiederzukehren scheint. — Abseits griech.
dKTfj, woraus lat. acte und ahd. attah, attuh, atah. Dioskorides führt
ein altgallischcs OKoßinv und ein dakisches ö€ßa für Holunder an.
Erstcres klingt au das dialektische nhd. schibicken, schipken etc. an
(vgl. Pritzel-Jessen Volksnaincn S. 301). Alleinstehend und dunkel
auch: all), stok und mndd. vlexler, nhd. flieder.
Den Zwerg-Holunder, 6'. ebultts L. (griech. xau01«1«1!), meint lat.
ebuluH (vgl. G. Goetz Thesaurus I, 371, wo auch scheinbar dein deutschen
attich entsprechende Formen wie odicus, odecux begegnen), das ins
Angelsächsische {eofole\ entlehnt wurde. Hier haftet an der Pflanze
der Aberglaube, dass sie aus dem Blut gefallener Krieger entstanden
sei, und bei andern germanischen .Stämmen ist die Sitte verbreitet,
Holundcrbüschc auf Friedhöfen anzupflanzen Hoops Altengl. Pflanzcnn.
S. 6öi. Daher agls. unalhuyrt (Thea.) ,Leichenwurz' (für tjca*lwi/rt\
oder = tcealliicj/rt .Keltcnwurz'V). Schon Vergil. Ecl. X, 27 spricht von
den n blutigen u Beeren des Zwerg-Holunders. Beide Arten des Ho-
lunders dienten im Altertum zu Arzneizwecken. woher wohl auch die
vielfache Entlehnung in ihren Namen. — S. u. Wald. Wald bäume.
Holzbauten, s. Mauer, Haus.
Honig, s. Biene, Bienenzucht.
Hopfen. Humidas Lupulus L. ist nach Ansicht der Botaniker,
obwohl in tertiären Ablagerungen noch nicht mit Sicherheit nachge-
wiesen, im ganzen gemässigten Europa und Asien einheimisch. In
ersterein fehlt er nur im nördlichen Norwegen. Lappland und Finnland
(uach A. Engler bei V. Hehn s. u.).
Dem entspricht es, dass mehrere einheimische Benennungen
der Pflanze iu verschiedenen Teilen Europas zu Tage getreten sind. So
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Hopfen.
377
ahd. hopfo, ndl. hoppe, engl, hop (vgl. auch nltndd. feldhoppo =
agls. feldirop ,\vilder Hopfen'), etymologisch noch unerklärt. So lit.
aptcynt)*, apynia), lett. appini, eigentlich , Rankengewächs', wie auch
im Neugriechischen der Hopfen neben xouueXi (s. u.) noch ärpiötcXriua
,wilde Rebe' heisst. Auch der lupus salictarius des Plinius, der
Hist. nat. XX f, 86 zusammen mit anderen wildwachsenden Pflanzen
wie dem asparagus Galliens als oblectameuta mehr denn als eibus
genannt wir»! (in der That werden die jungen Hopfentriebe ähnlich
wie der Spargel genossen), wird von den meisten auf den Hopfen be-
zogeu. der im Mlat. lupulus, it. luppolo genannt wird. Nach Nem-
nichs Allg. Polvglottenlexicon d. Naturg. III, 18.'J wird übrigens auch
im Deutschen der wilde Hopfen neben Rasen-, Wald-, Wiesen-, Busch-,
Heidehopfen auch W e i d e n h o p f e n (salictarius : salin , Weide* '?)
genannt. Endlich ist noch ein spütlat. (gänzlich dunkles) bradigabo
feldhoppo' (vgl. G. Goetz Thesaurus 1, lf>l sowie in den Addenda
et C'orrigcnda Ij zu erwähnen.
Seine eigentliche Bedeutung für die Menschheit hat der Hopfen aber
erst gewonnen, nachdem man auf den Gedanken verfallen war, ihn
bei der Bereitung des Bieres is. d.) zu benutzen.
Die ersten Spuren des Hopfenbaus lassen sich in einem Schenkungs-
brief des Königs Pipin, des Vaters Karls des Grossen, an die Abtei
St. Dcnys nachweisen, in dem llumlonariae (s. n.) cum integritate
genannt werden. Noch deutlicher treten Hopfengärten in Urkunden
ans der Zeit Karls des Grossen. Ludwigs des Frommen und Ludwigs
des Deutschen hervor (vgl. die Zeugnisse bei V. Hehn Kulturpflanzen ,!
S. 4li4 und bei Braungart Geschichtliches über den Hopfen in der
Wochenschrift für Brauerei 18*11 . Nr. GS u. 14). Die Bezeichnung,
uute# welcher hier der Hopfen auftritt, ist mlat. humuhts (G. Goctz
Thes. 1, :>.SU: humulonus). Dieses Wort, welches nicht mit ahd. hopfo
etc. verknüpft werden kann, kommt von germanischen Sprachen nur
im Altnordischen {humall) vor und hat ohne Zweifel seine Heimat in
den sla vischen Sprachen, wo chmeli , Hopfen' nicht nur allen Mund-
arten gemeinsam ist, sondern auch Bcdeutuugsentwickluugen wie poln.
pochmiel .Rausch' etc. die al:e Existenz des Wortes auf slavischem
Boden beweisen. Schon in einer Stelle des Zonaras vom Jahre 1120
(vgl. Hehn S. 4«57) heisst x°uMtXn ein Trank, der ohne Wein Berau-
schung bewirkt (vgl. auch Krek Einleitung in die slav, Litg. * S. 122).
Ob das slavische Wort idg. Ursprungs ist, ist noch nicht sicher er-
mittelt. Einige suchen slav. chmeli, chmeli mit gricch. o*ui\a£ zu ver-
einigen, welches Smilaa: aspera ,Steckwinde (Theophr. 111. IT, 11
u. 12) oder auch eine Bohnenart (ZuiXaE KrjTraia Diosk., s. n. Bohne),
also jedenfalls eine rankende Pflanze, bezeichnet. Indessen ist der
Lautübergang des idg. xm- zu slav. chm- noch nicht erwiesen, und wahr-
scheinlicher dürfte es daher sein, dass die slavischcn Wörter eine
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37«
Hopfen — Hose.
alte Entlehnung aus ostasiatiscben, turkotatarischen und ostfinnischen
Sprachen: dnv. yumld, tat. yomlak, vög. qumlek, ung. komlö, ßer.
humid, mordv. komlä darstellen, während die westtiunischen hu mala,
eßtn. hu mal etc. vielleicht erst aus altn. humall übernommen sind.
Es scheint daher, dass die Erfindung, den Hopfen dem Rauschetrank
beizusetzen — man denke etwa an die auf Pfählen wohnenden Paeonicr,
die schon nach Hekatacos (Athen. X, p. 447) ihre Kovüzn, der Trapaßinj
aus Hirse hinzufügten — von einer östlichen Völkerschaft ausging
und durch Vermittlung der Slaven in den Westen gelangte.
Auf slavo-germanisehem Hoden mochte die Pflanze zuerst zum
Anbau gelangen, der sich von Xiederdeutschland aus zu den Romanen
verbreitete (vgl. frz. houblon, mlat. auch huhalm aus ndd. hoppe
mit verkleinerndem l). In England und Schweden wird der Hopfen,
erst gegen den Ausgang des Mittelalters allgemeiner. — S. u. Acker-
bau und u. Bier.
Hörige, s. Stände.
Horn. Lat. cornu = got. haürn, ir. com (vgl. gricch. xdpvos*
irpößcrrov Hes. und sert. $)'ö-ga- ,Horn). Die Sitte, die gewaltigen
Hörner des Ur und Wiesend (s. u. Rind) als Trinkgefässe zu be-
nutzen, war in Alteuropa weit verbreitet. Vgl. Plinius Hist. nat. XI,
126 über die Xordvölkcr im allgemeinen : l'rorum cornibus barbari
septentrionales pottint, urnixque vini(?) capitis unius cornu a implent,
Caesar De bell. gall. VI, 28 über die Germanen: Amplitudo cornuum
et figura et xpeciex multum a nmtrorum boum cornibus di/fert. haec
studiose conqumta ab labris argento circumcludunt atque in am-
pli**hni* epulix pro poculi* utuntur, Xenophon Anal». VII. 2, 23
von den Thrakern : tTreibn, ö' evbov f\oav, narrdCovTO ulv rrpwTov dAXrjXouc
Kai Korra töv Gpaxiov vöpov K^pctTa otvou npoümvov < vgl. auch Vlfc 3,
21 IT.). Dasselbe wird von Athenäus XI, p. 4T(> von den Königen der
Mazedonier und der Paeonier berichtet, welche letzteren ganz wie die
Germanen die Ränder ihrer Trinkhörner versilberten oder vergoldcteu.
Trinkhörner werden nach demselben auch von Pir.dar bei den Ken-
tauren und von Aeschylus bei den Parrhäbern (einem thessalischen
Stamm) vorausgesetzt; aber auch in Athen benutzte man Hörner zum
Trinken, wenngleich dieselben hier früh aus Metall hergestellt wurden.
In der keltischen Sippe ir. com scheint die Bedeutung ,Triukhorn die
überwiegende zu sein. — S.U.Mahlzeiten und Trinkgelage. Über
die Rolle des Hörnen in der Musik s. u. Musikalische Instrumente.
Hornisse, s. Wespe.
Hose. Dafür dass dieses Kleidungsstück schon in der idg. Ur-
zeit bekannt gewesen sei, fehlt es an jedem sprachlichen oder sach-
lichen Anhalt. Dem klassischen Süden ist dasselbe als Teil der ein-
heimischen Tracht durchaus fremd, und erst mit dem Andrängen der
Barbarenvölker wird es auch hier zur Mode. Doch kannten die Griechen
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Hose.
379
und Römer die Hosen frühzeitig bei anderen Völkern, und zwar einer-
seits bei den Orientalen, Meilern und Persern, unter der wohl aus-
ländischen, zuerst von Herodot bezeugten Benennung dvaEupibcq i wo-
für mit einem einheimischen Worte auch eüAciKoi .Säcke' gesagt wird),
andererseits bei den Nordvölkem Europas, vornehmlich unter dem
Namen brdca, hracca. Unter den keltischen Völkern werden von
Polybius den "Ivtfoußpes und Botot, von Strahn den Belgern dvaSupibe?
zugeschrieben, und Diodorus Siculus V, 30 bemerkt ausdrücklich :
(TaXaTai xpwvrat) dva£upio*i, diceivoi ß p ä k a q npoo~aYop€uouo*i. Vgl.
noch Plinins Hist. mit. III, 31 : ÄTarbonentti* prorincia appellatur pars
GaUiarum .... Bracata ante dicta. Auch auf den antiken Bild-
werken treten die Nordvölker durchweg als hraccati, d. h. mit engen,
anliegenden, langen, um die Schuhe zusammengeschnürten Hosen ver-
sehen auf. Dies gilt im besonderen auch von den sicheren Germnnen-
typen der Marcus-Säule (vgl. Petersen S. 47). sowie von denen des Monu-
mentes von Adamklissi in der Dobrntscha, wenn letzteres mit Hecht
von Furtwängler (Intermezzi) auf den Krieg des M. Licinius Crn&sus
im .lahre 29 u. 2H v. Chr. gegen die Bastartier bezogen wird vgl.
auch H. Bulle Die ältesten Darstellungen von Germanen Archiv f.
Anthropologie XXIV, 613 ff.). Auffallend ist. dass sowohl Caesar wie
Tacitus in ihren Beschreibungen der altgermanischen Tracht die Bein-
bcklcidtttigen der Germanen mit Stillschweigen Übergehn. Indessen
werden sie bei Tacitus Cap. 17 unter der vestis stricto, et xiugulos
artii* e.rprimenx mit zu verstehen sein.
Die Frage ist nun, w a n n und bei welchem Volk e z Herst
die Hosentracht im nördlichen Europa aufgekommen sei. In Beziehung
auf den enteren Punkt ist es bemerkenswert, dass die nordischen
Moorfunde der Bronzezeit zwar Mützen. Mäntel, Röcke, Jacken, aber
noch keine Hosen an den Tag gebracht haben, die vielmehr erst mit
dem Eisen (s. d.) auftreten (vgl. 0. Montelius Die Kultur Schwedens8
S. 62. S. Müller Nordische A.-K. I, 270 ff.). In Hinsicht auf die
zweite Frage bedarf die Geschichte des schon oben genannten nlt-
gall. bräca, das im Germanischen als ahd. bruoh, agls. broc, altn.
bnik , Bruch' wiederkehrt, näherer Erörterung. Gewöhnlich nimmt man
an, dass das germanische Wort nach der ersten Lautverschiebung,
aber vor der Verwandlung des idg. d in ö, die auf germanischem
Boden erst spät eingetreten zu sein scheint (vgl. K. Brugmann Grund-
riss l *, 1, S. IM) aus dem keltischen Sprachschatz übernommen
worden sei. Doch lässt sich nicht verkennen, dass bei dieser Auffas-
sung einige sprachliche Punkte keine befriedigende Erklärung tiuden.
Das altgall. brdca hat, wenn man von einem 5- Anlaut des Wortes
ausgeht, bis jetzt keinen Anhalt in den keltischen Sprachen gefunden.
Die hierher gehörigen neukcltisehen Formen siud entweder, wie bret.
bragez, bragott ,weite Kniehosen der Bauern' Rückcntlehnungen aus
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380
Hose.
dem Lateinischen, oder, sie sind, wie gäl. brigis oder mittelir. bröcc,
erst aus dem Englischen <breeks) oder Nordischen (brök) übernommen
(vgl. Thurneysen Kelto-Romanisehes S. 47). Fuhrt man aber (mit
Schucbardt Z. f. rom. Phil. IV, 148) bräca {braccat auf eine Grund-
form *vrücä zurück, mit der man dann kymr. gtcregys, korn. grugis,
bret. grouiz «Gürtel' vergleicht, so sieht man nicht, wie die germa-
nischen Formen aus einem solchen altgall. *vräcä entlehnt worden sein
sollten. Neuere Etymologen (vgl. F. Kluge Et. W.ü s. v. Bruch,
R. Much Z. f. deutsches Altertum XLI1, 170) möchten daher altgall.
bräca überhaupt nicht im Keltischen, sondern im Oermanisch en (ahd.
bruoh, agls. bröc, ahn. brök) wurzeln lassen, indem sie von einem
neben agls. bröc liegenden bric IM. ,Steiss' ausgehn und auf Fälle
wie mhd. nnieder, altfries. möther «Brnsthindc der Frauen', , Mieder':
grieeh. nnjpa «Gebärmutter', unser „Leibchen" : „Leib11, v Ärmel" : „Arm",
frz. culotte ,Hose' : lat. cu/us .Hinterer n. a. verweisen. Eine Entschei-
dung in letzterer Richtung würde erleichtert werden, wenn es gelänge, die
durch agls. brec .Steiss' gewiesene Spur weiter zu verfolgen und nachzu-
weisen, dass die Grundbedeutung der ganzen germanischen Sippe wirklieh
die des menschlichen Hinterteils gewesen ist. Dies geschieht durch die
Heranziehung des lat. xu/f'rägines aus *siib-f'räg-iH-es .Hinterbug der
Tiere', d. h. .das, was unter dem »Steiss oder Hinteren gelegen ist',
so dass sich eine latino-germanische Gleichung: lat. *fräg- — urgerm.
*brök- 'ahd. bruoh, ahn. brök, agls. bröc, brec) ergiebt .Steiss, Hin-
terer, dann «Hose'. Die Wurzel liegt in lat. frango, ahd. bri'chau,
so dass die Grundbedeutung .Hruch' ist (vgl. mhd. stiuz ,Steiss' : stözen
,stossen). So ergiebt sich also, dass altgall. bräca im Germanischen
wurzelt, und die Geschichte der Hose im Norden demnach ähnliche
Erscheinungen wie die des Hemdes (s. d.) aufweist.
Einheimischen Ursprungs ist auch die gcmeingermanische Reihe :
got. husa (vgl. Kluge Grundriss I*, IW2), ahd. hosa, agls. hosu, ahn.
hoaa, deren Bedeutung aber bis in späte Zeit nicht ,Hose\ sondern
, Strumpf oder .Gamasche' ist. Hierauf führt auch die Etymologie des
Wortes: denn wie mhd. strumpf von Haus aus nichts anderes als
»Stumpf oder «Stummel' bedeutet, so dürfte auch gemeingerm. *husä
: altpr. A-«**, kussig, kitnig .klein, kurz, gestutzt', kusel .Stumpf (vgl.
Xesselmann Tlres. S. 85), bulg. kus .gestutzt' gehören und eigentlich
nichts anderes als «Stumpf bezeichnen. In der Bedeutung .Strumpf,
Gamasche, hoher Stiefel' etc. ist das Wort auch ins Mittcllateinisehe
und Romanische (vgl. E. Saglio Les Hracae et les Hosae. Revue celti-
que XI, ff.j. sowie ins Keltische < korn. hos .oerea", hosan, hossan,
hossaneu ,braceac' entlehnt worden (vgl. Zeuss Gr. Gelt. * S. 118, wo
aber irrig keltische Herkunft des Wortes angenommen, und ir. hak
,calceus', assan ,caliga" herangezogen wird). Ein ähnliches Kleidungs-
stück wie germ. hosa, zur Bedeckung des Kusses und des Beines bis
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Hose — Hufeisen.
381
zum Knie, wird auch gemeinkelt. Vritro- : korn. loder, biet, louzr
,caliga', kymr. llatcdr .braeeae' gewesen sein. Vgl. totner altpr. lagno
,Hosc' (ob : griech. Xcrrwv, -ovo? .Weiche' ? nach Nesseiniann Thesaurus
S. 87 freilich eine Bedeckung des Beins bis zum Oberschenkel, aber
nicht bis zur Hüfte) und lit. kelines, keines id.: kelys .Knie'.
S. auch u. Panzer 'Beinschienen).
Die Römer nahmen das nordische Beinkleid zuerst in ihren Pro-
vinzen in Gehrauch. Der erste, der unter allgemeiner Entrüstung in
Italien Hosen zu tragen wagte, war ein gewisser Caecina in der Mitte
des I. Jahrb. n. Chr. (Tae. llist. II, 20). Doch verbot noch ein Ge-
setz des Honorius vom Jahre 397 die barbarische Sitte intra urbem
venerabilem (vgl. Saglio a. a. 0. S. 36).
Noch bedarf es eines Blickes auf die slavische Welt. Historische
Nachrichten über ihre Kleidung fehlen aus älterer Zeit. Sprachlich
zeigen sich die Slaven in der Benennung der Hosen vom Westen
und vom Osten abhängig. Aus dem Deutschen stammt rusg.
brjuki (neben braki aus bracca ; vgl. auch noch altpr. broakay und
alb. breke). Im Altslovenischen hat das Wort bracinü) unter orien-
talischem Einfluss die Bedeutung von sericae festes angenommen. In
den Osten, in letzter Instanz auf npers. selvdr (-..sei .Schenker),
führt russ. mravary u. s. w. .Pumphosen'. Der überaus weit ver-
breitete Ausdruck ist ins Mittellateinische (sarabalfa, sarabarra, schon
Isidor.: Parthis sarabara . . . , s. sunt fluxa ac sinuosa restimenta)
Ubergegangen und kehrt selbst im Spanischen (saragäelles .altmodische
Hosen') wieder. — S. u. K 1 e i d u n g.
Hufeisen. Sieher ist, dass die Griechen und Körner die Hufe
ihres Zugviehs oder ihrer Reittiere durch eine Art von Schuhen
(oTTobnuaTU, soleae, Calcet, davon calciare, z. B. mulanti zu schützen
verstanden. Doch kann dies keine allgemeine Einrichtung gewesen
sein, da häufig im Altertum Klagen über das Zusehandewerden der
Pferdehute bei der Reiterei sich vernehmen lassen (vgl. Beckmann
Bey träge III, 122 ff.). Eigentliche Hufeisen wären nach ihm erst im
IX. Jahrhundert unter der mittelgriech. Benennung o*e\n,vaia {.moiid-
förmig ) nachweisbar. Doch deuten mehrfache Funde von Hufeisen in
Mittel-Europa (namentlich die von Horn bei Detmold, Z. f. Ethnologie
Verhandl. XVIII, #17 f.) auf römischen Ursprung und damit auf ein
höheres Alter dieses Begriffes hin. Die Germanen kannten keine Huf-
eisen (vgl. Lindcnschinit Altert, d. merov. Zeit I, 295; erwähnt ist die
ungula ferrata zuerst im Walthar. v. 1203). Ein altgcrmi Name dafür
fehlt daher. Altpr. lattaco .Hufeisen' und lit. led£(ga daneben patkaträ
ans poln. podkfitca : koteae .schmieden') gehören (nach Berneker Die pr.
Sprache S. 303) : lit. ledas ,Eis" und teku, bezüglich zengiit , laufen',
würden sieh also auf die Notwendigkeit beziehen, die Tiere gegen das
Ausgleiten auf dem Eise zu sichern. — S. u. Reiten.
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Hülsenfrüchte — Hund.
Hülsenfrüchte. Von ihnen läset sich der Anbau der Saubohne,
der G artenerbse und der Linse an einigen Stellen Europas bis in die
neolithische Zeit verfolgen. Beachtenswert für die Richtung, von
der diese Kulturen ausgegangen sein mögen, ist der Umstand, dass
nur die Bohne und Linse, aber nicht die Erbse in Ägypteu und auf
semitischem Boden wiederkehren. Hinsichtlich der Zeit, in der man
angefangen hat, die einzelnen Gattungen der Hülsenfrüchte auzubancn,
dürfte das meiste und sicherste Anrecht die Saubohne haben, in die
Epoche zurückzugehn, in welcher die europäischen Indogermanen, ein-
ander noch sehr nahe stehend, dem Ackerbau (s. d.) zuerst grössere
Beachtung schenkten. — Näheres s.u. Bohne, Erbse, Linse.
Hummel, s. Biene.
Hummer, s. Krebs.
Humpen, s. Gefässe.
Hund. Der idg. Name des Tieres ist sert. ced', günas, aw. spd,
sünü, armen. mnt grieeh. kuujv, lat. canis, ir. cm, ahd. hun-d (von
F. Kluge Et. W.° nicht überzeugend hiervon getrennt und zu got.
hinpan ,fangcn' gestellt), lit. szu, altpr. sunis. Nicht teil an dieser
Gleichung nehmen das Slaviscb, das ein noch unaufgeklärtes p'fsü bietet
(Spuren von sert. ccaw- s. u.), und das Albanesische (s. u.). Der Hund
ist als Haustier in alleu historischen Epoehen der Indogermanen sowie
in den prähistorischen Denkmälern Alteuropas, soweit dieselben der
neolithischen Zeit augehören, bezeugt. Selbst in den dänischen Kjökkeu-
möddinger. die sonst keine Haustiere kennen, sind die Spuren des
Haushundes durch Steenstrup überzeugend nachgewiesen worden. Be-
züglich der Abstammung unserer Haushundrassen scheinen unanfecht-
bare Ergebnisse noch nicht erzielt worden zu sein. Doch gab es Wild-
hunde schon im diluvialen und tertiären Europa (A. Otto Zur Geschichte
der ältesten Haustiere S. 55 n". ).
Eine hohe Verehrung, ja, den Ruf der Heiligkeit genoss der Haus-
hund bei den iranischen Stämmen (vgl. Herodot 1, 140: o\ be brj
udroi auTOxeipin TrävToi TrXnv Kuvoq Kai ävSpumou KTeivouo"i und W.
Geiger Ostiran. Kultur S. Mix). Vielleicht ist diesem Umstand die
Entlehnung des russischen sobaka (neben dem wohl urverwandten
anka , Hündin ) aus dem medischen öttoko zuzusehreiben. S. auch u.
Haushahn. Ittokuj hiess nach Herodot I, 110 die Mederin, die
den ausgesetzten Kyros aufsäugt, was an die Lupa bei Liv. I, 4 er-
innert, die den Romulus und Rcmus autzieht, deutliche Spuren einer
idg. Überlieferung, welche von dem Aufgesäugtwerden ausgesetzter
Kinder (s. u. Aussetznngsrccht) durch eine wilde Hündin oder
Wölfin belichtete.
Eine z w e i t e urverwandte, aber auf geringeren Raum als lat. canis
und seine Sippe beschränkte Gleichung scheint in armen, skund (von
anderen zu sert. Qru u. s. w. gestellt ; vgl. auch lett. suntana »grosser
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Hund — Hyaeinthe.
383
Hnnd'), Patnird. skön, altsl. steinet (*sken-) vorzuliegen. Einer un-
geheueren Verbreitung namentlich in Osteuropa, in Nord- und Vorder-
asien bei idg. und nichtidg. Völkern erfreut sich eine Gruppe von
Bezeichnungen des Hundes, die durch altsl. kunka (klruss. auch ko-
fuha\ alb. kuti {vgl. G. Meyer Et. \V. d. all). Spr. S. 218), estn. kut's,
wotj. kuta, ung. kutya, pers. kücak, titrk. küciik, osset. khudz (vgl.
Touiaschck Ccntralas. Stud. II, 29 1 charakterisiert werden möge. In
dieser Reihe wird dieselbe onomatopoietische Interjektion ku- vorliegen,
die als ku- in voridg. Zeiten zur Entstehung der Sippe sert. etw/'w-,
führte (vgl. oben auch xku- in armen, skn-nd).
Wie bei den lndogermanen, bestehen urverwandte Namen des Hundes
auch bei Semiten, Finnen und Turkotataren. Auch in Ägypten ist
die Bekanntschaft mit dem Haus- und Jagdhund uralt; doch beziehen
sich die Nachrichten der Alten über die angebliche Heilighnltung des
Tieres daselbst auf den Schakal (vgl. Wiedcmann Herodots II. Buch
S. 2X7). — Über Jagdhunde s. u. Jagd. S. auch u. Viehzucht.
Hundert- und Tausendschaft, s. Heer.
Hürde, s. Stall.
Hure, k. Beischläferin.
Husten, s. Krankheit.
Hut, s. Kopfbedeckung.
Hfltte, s. Haus.
Hyaeinthe. Ob die schon bei Homer (II. XIV, M4X) genannte
Blume üdtKiv6os (davon ueoavBtvoq vom Haare des Odysscus in der
Odyssee) mit unserer Hyaeinthe (Hyacinthus Orientalin L.) identisch
ist oder nicht, kann nicht mit Sicherheit ausgemacht werden. Die-
jenigen, die auf andere Blumen wie den Schwertel (Oladiolus triphyllus)
oder die gemeine Schwertlilie (Iris germanica L.) geraten haben,
Hessen sich hierzu namentlich durch die poetische Überlieferung (vgl.
Ovid Met. X, 215) leiten, dass an den Blüten des üdKiv9o<; die Zeichen
AI oder YA zu erkennen sein, d. h. die Trauerlautc, die Apollo bei
dem Tode seines früh dahingerafften Lieblings Hyakinthos ausstiess.
Diese Zeichen glaubte man an den beiden genannten Pflanzen zu er-
kennen.
Neuerdings aber scheint man wieder mehr zu der älteren Erklärung
zurückzugehen, nach der üÖKtvGoq ganz oder teilweis unserer Hyaeinthe
entspräche. Grieeh. OdK-ivGo? 'vgl. Ipc'ß-ivOoc, T€peß-tv9oq) ist stamm-
verwandt mit lat. vacciniiun, vacinium, dem lateinischen Namen der
Hyaeinthe (neben dem entlehnten hyacinthus). Vgl. J. Murr a. u. a. 0.
S. f>9. Man würde demnach einen urverwandten, zunächst auf die
wilde Pflanze gehenden griechiseh-lateiniseheu Blumcnnamen (vgl.
grieeh. tov : lat. riola) vor sich haben.
Die Pflanze selbst wird als einheimisch auf der Balkan- und Apenuiu-
halbinscl sowie in der Provence angesehen. Nach Deutschland aber
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m
Ilyiine — Jagd.
ist die Blume nicht durch die Römer, sondern erst von Konstantiuopel
aus, wo sie seit der Türkenherrschaft beliebt war, eingeführt worden. —
Vgl. J. Murr Progr. d. k. k. Staatsgymn. in Innsbruck 1888 8. 48 ff.
und v. Fischer-Bcnzon Altd. Gartcnflora S. 38. 8. auch u. Blumen,
Blumenzucht.
Hyäne. Sic wird zuerst von Herodot IV, 192 als ein libysches
Tier unter dem Namen üaiva (: v<; nach Xe'ouvct) genannt, dann von
Aristoteles Hist. anim. VI, 28, 2, VIII, 7, 2, der auch die Bezeichnung
tXdvoq hat, näher beschrieben. Lat. hyaena (Ovid.).
i (j).
Jadeit, s. Steinzeit.
Jagd. Dass es der idg. Urzeit nicht an Jagdbeute fehlte, lehren
die Artikel Uber Wolf und Bär, Otter und Iltis, Hase und Biber,
Hirsch und Schwein, (Jans, Ente, Adler is. u. Raubvögel)
n. s. w. Gleichwohl hat sich in den idg. Sprachen keine einheitliche
und primitive Bezeichnung für , Jagd', Jagen', ,Jäger" herausgebildet.
Dieser Begriff wird entweder durch Ableitungen von Wörtern für
,Wild' (sert. mrgdyate ,er jagt' : iurgd- ,Wild', mrgayd ,Jagd',
mrgayu- ,.Iäger', grieeh. 8n,p€uuj : öqp) und ,Wald' (altpr. wedie*
,Jäger', lit. medejas-, altpr. mediane, lit. medziükle ,Jagd' : altpr. median
,Wald ) ausgedrückt, oder Wörter allgemeinerer Bedeutung haben sich
spezialisiert, wie in grieeh. arpeuw .jage', dtpcOq ,Jäger' : dtpa ,1'ang'
(vgl. ir. tir »Schlacht, Kampf, aw. azra- ,Jagd), in dem gemeingerm.
ahd. siwrian, agls. spyriun, altn. xpt/rja, cigcutl. .einer Spur nach-
gehen', in ahd. jagön (vielleicht = grieeh. bi-(jiwKW , verfolge'/, in den
slavischen Sprachen die Wurzel gen- (vgl. sert. han .schlagen, töten ),
altsl. zen<i, gnati ,trciben, jagen' oder russ. trariti .hetzen, jagen , «»der
endlich, man hat zu Unisehreibungen wie grieeh. Kuvr|*f*Tn,S> Kuvn.Y€0"iu,
eigentl. ,dcr Hundeführer', ,Hundeführung' (vgl. auch agls. huntimi,
engl, hu nt : engl. honndY) gegriffen. Nur auf drei europäischen
Sprachgebieten erseheint ein und dieselbe Wurzel (sert. ri, veti Jos-
gehen auf , .bekämpfen ) in gleicher Weise zur Bezeichnung der Jagd,
des Jägers oder Wildes verwendet : lat. n'uari, venntur Jagen, Jäger',
germ. ahd. teeida, altn. <v/'<V, agls. iräi) .Jagd' (loch auch allgemeiner
,das Speisesuehcn ) und ir. fiad ,Wild fiadaeh ,Jäger*.
Die Jagd hat für den Hirten und angehenden Ackerbauer eine
wesentlich andere Bedeutung als auf vorgerückteren Kulturstufen. Dort
ist sie ein allen aufgedrungener Kampf, hier Sport und Lust der Vor-
nehmen. In der Urzeit gilt es die Herde oder das mühsam ausge-
rodete Ackerland gegen reissende Wölfe oder wütende Eber zu schützen
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Jagd.
3S5
oder dein Wilde nachzuspüren, um sein Fell oder sein Fleisch zu er-
beuten. Doch ist zu bemerken, das« Wildbret, welches den Göttern
nicht geopfert weiden kann, als Nahrungsmittel in alten Zeiten erst
in zweiter Reihe steht. Im Rigveda, wo Jagden auf wilde Tiere
mehrfach erwähnt werden, ist vom Genuss des Wildbrets keine Rede,
und auch Homer lässt seine Helden, ausser in zwei Fallen der Not
(Od. IX, 155, X, lf>7 ff.), kein Wild verspeisen. Auch treten in den
Pfahldörfern der Poebene die Reste der wilden Tiere noch wesentlich
zurück hinter denjenigen der Haustiere (vgl. Heibig Die Italikcr der
Poebene), während in den Pfahldörfern der Schweiz sich beide un-
gefähr die Wage halten (vgl. Rütimeyer Fauna 8. 8 ff.). Dass daher
das Weidwerk schon in der Urzeit als ein heldenmässiges Vergnügen
aufgefasst worden sei, muss bezweifelt werden, und Tacitus hat viel-
leicht das richtigere getroffen, wenn er in offenbar beabsichtigtem
Gegensatz zu den Worten Caesars (De bell. gall. VI, 21: Vita omni*
in venationibus und IV, 1 Multum sunt in venationibus) Germ. Cap. 15
von den alten Deutsehen ausdrücklich sagt: Non multum venati-
bus. plus per otium tranxigunt, dediti somno eiboque. Auch bei
den bäurisch gesinnten Römern hat der eigentliche Jagd.sport, wie
es scheint, erst verhältnismässig spät seinen Einzug gehalten. Es war
nach der Schlacht bei Pydna, als der Sieger L. Aemilius die bedeu-
tenden Tierparks der mazedonischen Könige, welche lange Zeit unbe-
rührt gestanden hatten, seinem Sohne, dem jüngeren Scipio, öffnen Hess
und für ihu die königlichen Jäger verpflichtete. Dieser, nach Rom
zurückgekehrt, setzte dann hier mit Unterstützung seines Freundes
Polybius das in Mazedonien erlernte Waidwerk fort, das der vor-
nehmen römischen Jugend bis dahin, wenn nicht unbekannt, so doch
ungewohnt gewesen zu sein seheint (vgl. Polybius XXXII, lf>i. Wie
ganz anders war in Griechenland, wohl unter orientalischen Einflüssen,
schon in homerischer Zeit die Jagd die Lust des freien Mannes! —
Für die weitere Ausbildung des Jagdsports im alten Europa sind vor
anderen drei Erscheinungen von hervorragender Wichtigkeit: die An-
legung künstlicher Tiergärten, die Ausbildung vervollkommneter
Jagdhundrassen und die Falkenjagd.
1. Tiergärten. Unter den Griechen werden Tierparks mit dem
Ausdruck TTapdbeiöo? zuerst von Xenophon genannt. Die Herkunft des
Wortes (aus aw. pairidaeza-, upers. pältz .Garten', das auch ins armen.
pdlez und hebr. pardrs , Garten, Park' entlehnt wurde, vgl. Horn
Grundzüge d. npers. Et. S. tvi. Hübschmann Armen. Gr. I, 229: auf
Cypern sagte man für Trapüö€iO"o<; : fävoq aus hebr. gan , Garten ) zeigt,
wo man die Sache zuerst hatte kennen leinen. Nach Xenophon Hell.
IV, 1, 15 hatte Agesilaos in Daseyleum bei der Königsburg des Pharna-
bazus auch efipai gesehen, ai n£v ev TTepteip-fuevoi? 7rapabeio*oiq, a'i bk Kai
ävaTT€TTTauevois töttoi?, TräfKaXai. Xenophon selbst hatte ■ Anab. V, 3, 7 ff.)
Schräder, Reallexikon. -«r>
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Jagd.
in Skillus bei Olympia einen solchen TTapdb€io*o$ angelegt (iv bi tlu
iv IkiXXoövti xwpiw *cü Örjpai ttovtujv bnööa iaiw ä-fpeuöueva Gnpia),
ohne jedoch an dieser Stelle das fremde Wort, das er offenbar für die
persischen Gärten aufbewahrt (vgl. Üec. IV, 20, Cyrop. I, 4, 11), zu
gebrauchen. Die Römer haben das allmählich in Griechenland ein-
gebürgerte Wort in diesem Sinne nicht übernommen, so sehr sie Tier-
parks lieben lernten. Über die römische Terminologie derselben äussert
sich Gellius Noct. Att. II, 20: Vicaria autem, quae nunc tulgus dicit,
quos TTCcpabeiffous Graeci appellant, {quae leporaria Yarro dicit),
haut usquam memini apud rerustiores scriptum, sed quod apud
Scipionem, omnium aetatis suae purissime locutuni, legimus robo-
roria, aliquot Pomae doctos ciros dicere audiri id signi/icare, quod
no« vicaria dieimus, appellataque esse a tabulis roboreis, quibus
saepta essent\ quod genus saeptoruni cidimus in Jtalia loci* pleris-
que. Von den hier erörterten Ausdrücken ist rirdrium in das Ger-
manische : ahd. wiwdri, widri, nhd. „Weiher" übergegangen, das aber
von der ältesten Zeit an vorwiegend «las lat. piscina , Fischteich' (s.
u. Fisch, Fischfang) übersct/.t. Der eigentliche altdeutsche Aus-
druck für das griech. Trapribeio*o<; ist unser „Brühl", ahd. bruil. zu-
sammen mit frz. breuil keltischer Herkunft, ans *hrogilo- callkelt.
*brog-. *brogi- - ir. bruig, kymr., korn., biet, br<> .Bezirk") , kleiner,
umzäunter Bezirk' (vgl. Thumeyseu Kelto-romanisehes S. f>l ; hervor-
gegangen. Im Mittellateinischen lautet das Wort brogilns (L't Incos
nostros, quos culgus Brogilos cocat, Capit. de villis"). bro/ium, brolius,
broilus, und ähnlich. Vgl. noch altgall.(?> breialo ' Holder Altkeltischer
Sprachsehatz I, 620) und broel (agls. edisc ,vivarium\ deor-tuun ,Tier-
zauin. broelarius (agls. edisc ueard; G. Goetz Thes. I, l.r>2). Liut-
prand berichtet von seiner Gesandtschaft an den byzantinischen Hof
♦ vgl. Du Gange' unter brolium) : Xicephorus in eadem coena me
inferrogacit, si cos Pericolia (TrepißöAiov. der byzantinische Ausdruck
für napcb€io*o<;, aus dem altsl. perivolü , Garten hervorging), id est,
Briolia, cel si in Perivoliis onagros vel caetera animalia haberetis.
cui cum ros Briolia, et in Brioliis animalia. e.cceptis onagris habere
afprmarem, Ducam te, inquit, in nostrum Pericofium. Ein anderer
mlat. Ausdruck für den Wildpark ist bersa. eigentlich der Zauu
des Brühl (vgl. oben lat. robordrium), womit altfrz. berser ,mit dem
Pfeil jagen', mhd. birsen zusammenzuhängen scheint, deren Grundbe-
deutung demnach wäre: „in einem brolium jagen". Nach Du Gange *
u. bersa wäre auch dieses Wort keltischer Provenienz (arem. bers
,prohibitio', bersa ,Schutzzaun'); allerdings bezweifeln sowohl Diez
S. f>20 wie Körting (Lat.-roni. W.) diese Erklärung der Sippe berser-
birsen, ohne freilich selbst etwas einleuchtendes vorbringen zu können.
Wohl allgemein .Umzäunung'. »Einfriedigung' bedeutet die westger-
manische Sippe von ahd. pferrih, agls. pearroc, unser „ Pferch", die
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•Ml
in einem mlat. *parricus, *parracu# wurzeln. Die Herkunft dieser
Wörter (vgl. Baist in Kluges Et. \V.,:) ist aber noch nicht sicher gestellt.
Schliesslich ist in diesem Zusammenhang auf das wichtige ahd. forst
zn verweisen (= mlat. foresta, foresüs, frz. foret) ,der Bannwald', zu-
erst in einer Urkunde Childherts I. vom Jahre 550 Uberliefert. Mit
diesem Begriff des Bannforstes ist die altgermanische, ans der Urzeit
ererbte Vorstellung von dem gemeinsamen Anteil aller an dein Wild
und Holze des Waldes durchbrochen. Besonders die Könige sondern
von dem Gemeinde wald bedeutende Stücke ab (die nun drausseu,
„fori*", liegen), in denen sie unter strengen, ja grausamen Strafen
anderen als ihren beauftragten die Jagd u. s. w. verbieten. Die Deutung
des ahd. forst aus dem Deutschen (: ahd. foraha ,Föbre', vgl. Noreen
Urgerai. Lautlehre S. 175) ist dem gegenüber wenig wahrscheinlich.
So haben wir eine deutliche Strömung wahrnehmen können, die fin-
den Norden Europas von gallo-romanischcm, später von fränkischen
Stämmen besiedelten Buden ausgeht. Wenn wir in den letzteren leiden-
schaftliche Jagdfreunde erkennen (vgl. Du Gange III*, 550;, so werden
wir nicht irren, wenn wir hierin eine Erbsehaft erblicken, welche die
Kranken von ihren Vorgängern auf jenem Boden, den Kelten, über-
nahmen, deren Bedeutung für die Geschichte der alteuropäischen Jagd
im folgenden noch deutlicher hervortreten wird.
2. Jagd Ii u d d r a s s e n. So vertraut schon bei Homer das Ver-
hältnis zwischen dem Jäger und seinem Hund ist, wie das rührende
Beispiel des Argos (Od. XVII, 200 ff.» zeigt, so hat man doch, wie es
scheint, auf bestimmte Hundearten als zur Jagd geeignet, noch nicht
sein Augenmerk gerichtet. Die erste Jagdhundrasse tritt erst in einem
Fragment des Pindar (Athen. I, p. 28j auf:
änö TairreToio ptv XaKCtivav
tm 8npo*i Kuva Tpt'<p€iv mjKivwTaTOv epmvröv.
Seit dieser Zeit werden im klassischen Altertum immer mehr Hunde-
rassen, und zwar fast ausschliesslich mit Rücksicht auf die Jagd, unter-
schieden. Es werden indische, kretische, karische, afrikanische, aus
Griechenland : molossische, aetolische, arkadische, sikyonische, aus
Italien: umbrische, ausouischc, sizilische u. s. w. Hunde unterschieden
(vgl. d. A. cani.s in Dareinberg und Saglios Dictionnaire des Antiquites*.
Aber auch der Norden Europas, und vor allem der keltische, fängt
nun an, sich an der Ilervorbringuug von Jagdhunderassen hervorragend
zu beteiligen.
Arrian von Nicomedieu (in der Zeit Hadrians- erinnert in seinem
Büchlein Uber die Jagd, dass sein Vorgänger Xenophon in seinem
KuvriTHTiKÖ? die keltischen Hunde nicht erwähnt habe. Freilich
habe er das nicht thuen können, weil ihm die Ethnographie Europas
mit Ausnahme des grossgriechischen Italiens und des Bereichs des
griechischen Handelsverkehrs noch unbekannt geblieben sei. Aber hätte
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Jagd.
er sie gekannt, so würde er nicht gesagt haben, dass nur ausnahms-
weise Hasen von Hunden im Laufe eingeholt würden; denn die Kelten
bedienten sich bei der Hasenjagd gar keiner Netze, sondern lediglich
ihrer Hetzhunde, denen die Vornehmen zu Pferde folgten (Cap. II, III,
XV). Überhaupt seien die Kelten grosse Jagdfreunde. Sie opferten
alljährlich der Artemis, und einige von ihnen hätten eine Jagdkas.se
(9r|0~aupös), in die sie für jedes erlegte Wild, für den Hasen 2 Obolen,
für den Fuchs eine Drachme, für das Reh 4 Drachmen bezahlten.
Aus diesen Erträgen würden dann am Geburtstag der Göttin Jäger
und Hunde bewirtet (Cap. XXXIV). Ferner heisst es Cap. III: ko>
Xoüvtcu be 'Etouffiai aib€ ai küv€£, emd £9vouq KcXtikoü tuv £ttujvu-
uiav Ixouöai, und weiter : a'i bi ttoowkck*. küvc<* a\ KeXtiKai KaXoüvTai
piv oüe'pTpaTot icOveq <puwj Trj KcXtwv oimu bf) kou aurat
ätrö tt^ wKUTnTO?. Die hier genannten keltischen Ausdrücke für Rassen
von Jagdhunden haben nun in der mittelalterlichen Welt eine grosse
Bedeutung gewonnen: denn es kann nicht wohl bezweifelt werden,
dass das hier genannte arrianische 'Etouaicu eine Verstümmlung von
l€YOuaicu ist und dem canis segutius, seusius, siusius, seucis etc. der
germanischen Gesetzbücher entspricht. Als Ausgangspunkt wird man
am ehesten an den Stamm der Següsia'ii bei dem heutigen Lyon
denken. Das mlat. Wort, das z. B. in der Lex Alemannorum mit hessi-
hunt .Hetzhund' 'neben leiti-hund) glossiert wird, ist in die meisten
romanischen Sprachen übergegangen : it. segugio .Spürhund', sp.
sabttwo, mbejo, prov. xaJiux, altfrz. srttts, si:us etc. (Diez S. 290, Gröber
Archiv f. lat. Lex. V, 464). Vgl. auch ahd. siuso. siusi, mhd. seuse,
süse, gewöhnlich ,Jagd- oder Spürhund' im Gegensatz zu dem Hetz-
hund vgl. Palander Die ahd. Tiernamen S. 34). Der andere arria-
nische Ausdruck oiWpTpcrroi — certragi wird von Zeuss Gr. Celt.* S. 4.
14;") zu ir. traig .pes' also etwa .eüttouc'' gestellt und ist ebenfalls
in mannigfacher Gestalt sowohl in die germanischen Gesetzbücher
(rertrapus, reltrahus. celtrus, veltrlr, veiter), wie auch in die roma-
nischen Sprachen iit. veltro, altfrz. ciautre n. s. w.) übergegangen.
Auch für ahd. icint .Windhund' (icintzfiha .Weibchen des Windhunds )
wird volksetymologisehe Umgestaltung durch teint ,ventns' aus dieser
Sippe angenommen. Ebenso weist auf die Bedeutung der keltischen
Hunde das sp., ptg. galgo ans canis Oallicus, z. B. bei Ovid Met. I,; '>'.)'.):
l't canis in racuo h'porcm cum <ia11ictt* arro
Vidit et hie praedam pedibus petit, ille sahttciu.
Vgl. über mittelalterliche Jagdhuudrasseii noch Dn Gange* unter canis,
Arnold Geschichte der tcutschen Landwirtschaft I, löüff., v. Wagner
über die Jagd des grossen Wildes im Mittelalter Germania XXIX,
HO ff., Palander a. a. 0. S. 29 ff.
Aber auch die britannischen Kelten, bei denen ein Stamm
geradezu „Jäger" =-- Selgovae (Üolway) heisst, von gcmeinkclt. *selga
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Jagd — Jahr.
389
,Jagd' (ir. selg, altkymr. in-hekha ,in veuando', körn, helhia .jagen')
standen schon bei den Alten in dem Ruf, eine zwar kleine, aber vor-
treffliche Art von Spürhunden mit dem dunkeln Namen äyaooaiov<; zu
besitzen (vgl. Oppian Cyncg. I, 471).
Diese vom keltisch- romanischen Westen der mittelalterlichen Welt
zugegangenen Anregungen haben sich von germanischem Boden zu den
Slaven fortgepflanzt, wie die Entlehnungsreihe: agls. hryppa (vgl. auch
ahd. t'udo ,vertragus', unser „Rüde"), altsl. chrütt, lit. kürtax, altpr.
curtis »Windhund' zeigt.
In andere Richtung weist (drittens.! die Falkenjagd, die in einem
besonderen Artikel behandelt ist.
Jagdhunde, s. Jagd.
Jagdvogel, s. Falke, Falkenjagd.
Jahr. Die Erkenntnis, dass mit der Ankunft des Sommers oder
des Winters, je nachdem man nun diesen oder jenen an den An-
fang stellte, eine neue Zeiteinheit beginne und eine alte ihren Ab-
schlug finde, ist so nahe liegend, dass man dieselbe schon auf den
frühsten Kulturstufen wird voraussetzten müssen. In der That lässt
sich auch bereits für die idg. Grundsprache eine Bezeichnung für den
Begriff des Jahres nachweisen. In seiner einfachsten Gestalt lautete
dieselbe *eet-, *ut- uud liegt in dem idg. *peruti ,im vorigen Jahre'
(sert. parat, Pamird. pard, par-wuz, armen, heru, gricch. nipvOi, altn.
fjörp) vor. Daneheu bestand ein vollerer Stamm: *retos-, *vetes-,
*rets-, der in grieeh. Feioq, all), riet, sert. sam-cats-arä-, pari-vats-
ard-, tats-ard- .Jahr' erhalten ist, während lat. retus, altsl. vetftchü,
lit. icetuszas nur in der Bcdcutuug von ,alf belegt sind. Die Grund-
bedeutung der ganzen Sippe wird demnach etwa , Alter', ,Altertümlich-
keit" (eine „Vergangenheit") gewesen sein. Sehr bemerkenswert ist,
dass die finnischen Sprachen ganz ähnlieh klingende Bezeichnungen
des Jahres ffinn. ruosi, weps. tcos, ostjak. öt) besitzen.
Bei der Zählung nach Jahren aber dürfte in deu älteren Epochen
der Gebrauch vorgeherrscht haben, dass man das bestimmte oder un-
bestimmte Zahlwort mit dem Namen einer einzelnen Jahreszeit
verband, die dann für das ganze Jahr stand. So wird noch in den
vedischen Texten zuerst nach Wintern (himd), dann nach Herbsten
{qardd-) gezählt, bis dann viel später „entsprechend der mittlerweile
vor sich gegangenen Verschiebung der Wohnsitze" nach Regenzeiten
(rarshdni) gerechnet wird (vgl. A. Weber Ind. Stud. XVII, 232). Aber
auch Ulrilas kann noch einen Satz wie *ruvr) a\uoppooGo*a bwbeiat {tt\
(Math. 9, 20) mit qino bldprinnandei ticalib trintruns übersetzen.
Dass dieser Gebrauch schon in vorhistorischen Zeiten herrschte, beweist
der Umstand, dass in den Einzelsprachen überaus häutig die Benen-
nungen der Begriffe ,Jahr', .jährlich' u. s. w. von den Namen der
einzelnen Jahreszeiten hergenommen worden sind, und zwar können
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3^0
Jahr.
hierzu die meisten Bezeichnungen dieser letzteren verwendet werden.
Zu dem idg. Wort für Winter (s. d.), lat. hiems u. 8. w. gehören :
lat. bimtts, tritnus ,zwei- und dreijährig', griech. X»uapo<;. X^aipa
Ziegenbock, Ziege', eigentlich ,Jährling', germ. in-gimus Jährlich'
(Lex Sal., Kern Taal n. Letterb. II, 143), sert. hdyand- ,Jahr', aw.
zima- ,Winter, Jahr'. Vgl auch agls. dmeintre, ducintre ,einjäbrig'
(deet Jamb sceal beön dmeintre ,erit agnus anniculus') und niederrhein.
-Einwintert d. h. .einjährige Ziege, Rind'. Zu einem altidg. Wort
für , Frühling' oder für die ganze freundliche Jahreszeit, zu altsl. jarü,
gricch. uipa, stellen sich got. jer, aw. i/dre .Jahr', lat. kor nun ,heuer'
aus *hojörinu-x. In slav. Uto (über die Etymologie s. u. Mond und
Monat) vereinigen sich die Bedeutungen ,Sonimer' und .Jahr'. Etwas
anders ist wohl das Verhältnis von ahd. sumar u. g. w. .Sommer' :
armeiT. am .Jahr' (s. u. Sommer und u. Jahreszeiten) zu beur-
teilen, insofern die Grundbedeutung der ganzen Sippe .Halbjahr' (sert.
sdmd) ist, die einerseits zu .Sommer', andererseits zu .Jahr' führte.
Nach Herbsten {autumni) wird in der Lex Bajnvarioruin gerechnet,
bei den Schweizern wird nach „Laubreisen", d. i. Laubfällen (ahd.
louprhi) gezählt (vgl. Wcinhold Über die deutsche Jahrteilung Kiel
1862 S. 12, 10). und in den arischen Sprachen ist ein altes Wort für
die Fruchtreife oder den Herbst (seit, ytrdd-) zu einer ganz gewöhn-
lichen Bezeichnung de« Jahres (aw. xarefki-, npers. adl, kurd., afgh.,
Pamird. ebenso; vgl. auch das wohl aus dem Iranischen entlehnte
hdische aüpbi?) geworden.
Von weiteren Benennungen des Jahres in den idg. Sprachen ist zu-
nächst hier noch lit. vtMas .Zeit, Jahr' zu nennen, das dein alb. mot
,Jabr, Wetter' genau entspricht. Grundbedeutung: .Zeitmass' (alb. matt
.Mass'). Ähnlich fliessen in dein slavischen godü, godina (vgl. Miklosich
Et. W. s. v. ged) die Bedeutungen ,Zeit' und .Jahr' (auch ,Fest') in
einander über. Über mehrere Ausdrücke gehen die Ansichten noch
auseinander. So über lat. annun ,Jahr', das von den einen mit got.
asans , Erntezeit' verglichen (vgl. auch griech. äpotöq , Ackerzeit', dann
,Jahr' bei Soph. Trach. 69, 82ö), von anderen zu dem selbst dunklen
got. apn, at-apni ,Jahr' gestellt wird. So auch über griech. dviaurö?,
mit dem sich zuletzt Prellwitz (Beilage z. Progr. des kgl. Gymnasiums
zu Bartenstein 1895 S. 6) eingehend beschäftigt hat. Er sucht nach-
zuweisen, dass das Wort eigentlich .Jahrestag' (nicht Jahresfrist) be-
zeichne, und durch Substantivierung des Ausdrucks evi aünü „(wieder)
auf demselben Punkte (angelangt)" entstanden sei (vgl. besonderes. 7 f.).
Hierbei wird die Möglichkeit einer Verbindung mit slio% unterschätzt,
die Sprachvergleichung und Urgeschichte* S. 441 versucht worden ist.
Nachzutragen ist, dass das an dieser Stelle als erster Teil von iv\-
auTÖ£ vermutete £vo-$ (Hvio-c,) = sert. sdna- ,alt' (vgl. oben griech.
Jiro<; : lat. retus) auch allein ,Jahr' bedeutet. Vgl. bei Hesych £vo<; *
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Jahr.
391
4viauxöq (bievoq, ^Trrdevov, TtTpdcvov). Nicht mit Mroq zu vereinigen
ist af\ie$, (Täi€<;, in™? ,hcuer\ wenn man nicht (mit Brugmann Grund-
riss l2, 1, S. 274) eine Analogiebildung nach ion. örmepov, dor. aci(n€-
pov, att. Tiiiitpov Jieute" (aus *icj-üu€pov : *Kjo- ,dieser' und nu^pa ,Tag')
annehmen will. Steckt vielleicht in (Jütc«; u. s. w. ein ganz anderes
Wort f(lr Jahr? etwa der »Stamm des oben genannten got. apn \*at-n-)
,Jahr"? Gänzlich unaufgeklärt ist noch das gemeinkcltische *bhido-
,Jahr\ kymr. blicydd, hret. bloaz (ir. blladain etc.).
Wichtig aber ist es, dass es keine urverwandten und überhaupt nur
späte und vereinzelte Benennungen des Jahres gieht, welche eine Be-
zugnahme auf den Lauf der Sonne verraten, der doch in historischen
Zeiten überall den .Jahresanfang und das Jahresende regelt. Ein Bei-
spiel dieser Art ist das seltene griech. XuKÜfktq .Jahr' (Od.), insofern
es .Wandel des Lichts' zu bedeuten scheint. Man verbiudet damit
(vgl. Prellwitz a. a. 0. und Usener Götternamen S. den Namen
des attischen AuKaßntTÖ^, an dessen scharfen, dem Horizont zugekehrten
Linien man zuerst eine genauere Beobachtung des nördlichsten und
südlichsten Aufgangspunktes der Sonne vorgenommen habe (vgl. auch
deutsche Bergnamen wie Sonnjoch, Sonnenwendstein, Mittagsjoch u. a.).
Ein ähnlicher Fall läge in umbr. ose ,anni aut consimilis annno tem-
poris", pälign. itus ,annum aut tempus honoris enrsui destinatum' vor,
wenn sie von F. Büchelcr Lex It. V richtig mit lat. auröra, *(Ium öm
»Morgenröte' etc. verbunden werden.
Auch die Wörter für Sonne 's. d.) selbst zeigen keinerlei Beziehung
zur Zeitteilung, wie sie in dem Verhältnis von Mond zu Monat (got.
mena .Mond' : nu'nops .Monat ) so deutlich hervortritt.
Dass es in der That in der idg. Urzeit den Begriff eines Sonnen-
jahrs noch nicht gegeben hat, muss man indirekt auch daraus folgern,
dass die Monatsnamen is. u. Mond und Monat sich auf idg. Boden
erst verhältnismässig spät festgesetzt haben. Dieselben müssten aber
schon iu der Urzeit vorhanden gewesen sein und eine Spur ihres ein-
stigen Daseins uns hinterlassen haben, wenn schon damals eine Ein-
rechnung der Monate in das Sonnenjahr stattgefunden hätte und die-
selben dadurch zu bestimmteil, jährlich wiederkehrenden, eines Namens
bedürftigen Individuen geworden wären. Allerdings hat es nicht an
Versuchen gefehlt, auf anderem Wege schon für die idg. Urzeit die
Bekanntschaft mit einem Sonnenjahr zu erweisen. Man ist dabei von
den bei unserem Volke mit mancherlei mythischen Vorstellungen um-
wobenen „Zwölften", der Zeit vom '2b. Dezember bis zum G. Januar
ausgegangen, welche sich in den indischen „zwölf (heiligen) Nächten,
welche das Abbild des (kommenden) Jahres sind" der BrAhmana-Littc-
ratur genau wieder zu finden scheinen. Iu ihnen sei ein gemeinsamer
prähistorischer Versuch anzuerkennen, einen Ausgleich zwischen dem
3ö4tägigen Mondjahr \ "= 12 Mondmonate) und zwischen dem vMitägigen,
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3fJ2
Jahr.
bürgerliehen Sonnenjahrc in groben Zügen herzustellen. Am eingehendsten
hat sieh mit dieser Frage A. Weber (Omina und Portenta S. 388,
Indische Studien XVII, 224, Sitzungsberichte d. kgl. pr. Ak. d. W.
zu Berlin, phil. hist. Kl. 1898 XXXVII, 2 ff.) beschäftigt, der nach
mancherlei Schwankungen seiner Ansicht sein schliessliches Ergebnis
so zusammenfasse „Meinem Dafürhalten nach waren die Indogermanen
nicht auf einer Ilöhe der Kultur stehend, welche sie dazu befähigt
hätte, selbständig Beobachtungen oder gar Berechnungen anzustellen,
die sie zu einer solchen Korrektur ihres Mondkalenders hätten führen
können. Ich kann mir nur denken, dass sie dabei durch die Nachbar-
schaft semitischer Kultur beeinflusst worden sind. Natürlich wäre
dabei nicht an die südlichen Semiten zu denken (Juden und Araber), die
ja noch jetzt an dem alten Mondjahre festhalten, sondern au die nörd-
lichen Semiten, resp. die Babylonicr." A. Weber setzt also die Be-
kanntschaft mit dein Sonnenjahr schon für die idg. Urzeit voraus, führt
aber dieselbe auf auswärtige Einflüsse zurück. Gesetzt nun aber auch
den Fall, es sei eiu historischer Zusammenhang zwischen den ger-
manischen Zwölften und den 12 heiligen Nächten der luder anzuer-
kennen, und der Ursprung derselben sei, was an sich wohl denkbar
wäre, in Babylonien zu suchen, so stände doch nichts der Annahme
entgegen, dass dieser babylonische Kulturcinfluss, der sich bei den
übrigen Indogermaiicu nicht zeigt, sich erst äusserte, als die vor-
historischen Zusammenhänge zwischen den Indogermanen längst ge-
löst waren, und die Inder in Indien (vgl. über babvlonischc Kultur-
einflösse auf Indien Weber Sitzungsberichte S. 6) und die Germanen
in ihren ältesten historischen Wohnsitzen an der Ost- und Nordsee
süssen (s. auch n. Erz, Bestattung, Zahlen). Man könnte dann
mit H. Hirt (I. F. I, 469) vermuten, dass die hohe Bedeutung der 12
in dem germanischen Rechnungswesen (s. u. Zahlern auf den EiuÜuss
eben dieser den Kalender annähernd ausgleichenden Nächte beruhe.
Allein gerade gegen die Annahme des heidnischen Altertums der ger-
manischen Zwölften ist neuerdings ein scharfer und wohl zu bedenken-
der Einspruch durch A. Tille Vule und Christmas, their place in tho
Germanic year London 1899 erhoben worden, der es vielmehr wahr-
scheinlich macht, dass diese sagenumwobenen Zwölften uiehts als das
germanische Abbild des christlichen Dodekahemeron, der heiligen Zeit
zwischen Weihnachten und Epiphanias, dem neuen und alten Er-
innerungstag der Gottwordung Christi (vgl. S. 120 ff ), seien.
Derselbe Gelehrte hat in dem Kapitel: Solstices and equinoxes den
überzeugenden Nachweis geführt, dass auch die Bekanntschaft mit den
sogenannten vier Jahrpunkten des Sonnenjahrs, den Sonnenwenden
und N a c h t g 1 e i e h e n , nicht im germanischen Heidentum wurzelt,
sondern erst auf die Verbreitung des römischen Kalenders bei den
Germanen zurückzuführen ist: v The furing of the date at ichkh day
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Jahr.
393
and night are exactly equal lacks entirely in economic interest and
significance, and certainly never affected thc mind* of primitive
peoplex. The Observation of so called soUtices, on the other handf
is extreme! y difficult etc. Die Bezeichnung der Xachtgleichcn in dcu
germanischen Sprachen, ahd. ebennaht, agls. efenniht, altn. jafndccgri,
ist sicher nur eine Übersetzung des lat. aequinoctium (griech. iar\-
Utpiai). Für den Begriff der Sonnenwende haben sie ganz verschiedene
Ausdrücke, deutseh sumeende, xungiht, Mimstede, sommertag, agls.
sunn-stede, altn. sölhvarf etc., die alle ihre Abhängigkeit von dem
lat. solstitutin dadurch beweisen, dass sie wie dieses ohne Zusatz nur von
der Sommersonnenwende gebraucht werden, während für die Winter-
sonnenwende (lat. brüma, d. i. brevushna) überhaupt keine älteren
Ausdrücke bestehen. S. auch u. Zeitteilung i Feste). Wie die
Germanen von den Reimern, so haben zweifellos die Römer von den
(kriechen, und die kriechen von den Rabylonicrn die Kenntnis der vier
Jahrpunkte übernommen, wie es, was die Griechen betrifft, ilcrodot
II. 1 Ol* ausdrücklich bezeugt: ttöXov pfcv y«P kgu fviuiiova (letzterer
gab die Sonnenwenden und Naehtgleieheu zu erkennen; vgl. Ideler
Lehrbuch der < 'hronologic S. 97) Kai tü binöbtKa ue'pea Tfjq n.ue'pn.5
napä BaßuXwviuiv euaGov oi "EXXrjvc?. Da die Berechnung des Sonnen-
Durchmessers auf* V ;»,, des Ä(|uators. die einen Eckpfeiler der gesamten
babylonischen Zeit- und Raunirechnung bildet (vgl. Lehmann Z. f.
Ethnologie Vcrhandl. 1H9Ö S. 4TJ, 4o4), nur in der Zeit der Aequi-
noctieu möglich war, so inuss in Bnhylonicn die Erkenntnis derselben
zu dem ältesten des allen gehören. Auch inschriftlich ist sie bezeugt:
The sixth day of Xitsan i .Mürz) — the day and the night — teere
balanced (there teere) six kaspu ( Doppelstunden . of day — and)
si.r kaspu of night u. s. w. (vgl. Bilfinger Die babylonische Doppel-
stunde, Progr. Stuttgart 1 8S8 S. 4). Bei Homer scheint dagegen der
einmal gebrauchte Ausdruck xpoTrcri neXtoio
(Od. XV, 404: vnööq Tiq Zupin
'Opiufin? Ka9uTT€pB€V Ö8t TpoTroti TieXioio)
noch nicht , Sonnenwende", sondern nur die (scheinbare) tägliche
Wendung der Sonne zu bezeichnen. Bei Hesiod ist aber Tpo;rai neXioio
im Sinne von Sonnenwende ein geläufiger Ausdruck.
So weist alles darauf hin, dass die Indogcrmanen noch lange nach
ihrer Trennung unter „Jahr- {*retos) lediglich ein „Wittcrnngsjahr",
d. h. die Zusammenfassung von Winter und Sommer verstanden, wobei
entsprechend dem Verhältnis von Nacht und Tag der Winter, wie bei
den Gcrmaueu ( vgl. Wcinhold a. a. 0. S. 4, A. Tille a. a. O. S. 17 ff.),
aller Wahrscheinlichkeit nach an den Anfang gestellt wurde, und dass
ohne Verbindung mit diesem v Witterungsjahru die Zählung nach Monden,
d. h. reinen Mond-Monaten nebenher lief. Erst die direkte oder in-
direkte Bekanntschaft mit der Zeitrechnung des Orients, vor allem mit
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Jahr — Jahreszeiten.
dem in zwölf Monate zu je 30 Tagen geteilten babylonischen Jahr
von 3f>0 Tagen (in das behufs der Übereinstimmung mit dem Stand
der Sonne in festen Zwischenräumen ein ganzer Monat eingeschaltet
wurde) veranlasste auch die idg. Völker Europas, den Versuch zu
machen, eine gewisse Zahl von Monaten in den Umlauf der Sonne, der
mehr und mehr auch in Europa als massgebend für den Umfang des
Jahres erkannt wurde, einzurechnen und die entstehende oder bleibende
Differenz durch Schaltvorriehtungcn in der einen oder anderen Weise
auszugleichen. Das weitere hierüber gehört in die Chronologie der
Einzel Völker. — S. n. Zeitteilung.
.Jahreszeiten. Aus dem gleichmässigen Strome der Zeit seheinen
die Indogermanen am frühesten denjenigen Abschnitt des Jahres her-
vorgehoben zu haben, welcher die Natur in Schnee und Eis (s. d.)
erstarren machte, Menschen und Tiere in ihren Wohnungen und Be-
hausungen zusammenpferchte und allen Zügen und Wanderungen fried-
licher und kriegerischer Art ein Ziel setzte, den W inter (s. d.), dessen
weitverbreitete idg. Bezeichnung in lat. hiems und seiner Sippe vor-
liegt. Ihre Grundbedeutung pflegt man als /Treiben', »Schneetreiben'
(vgl. grieeh. X€»ua ,Stnrm\ x»wv .Schnee", sert. th;u-ht'man- : hi, hinö'ti
,trcibcn ) aufzufassen. Gegenüber dieser lange Zeit vielleicht einzigen
Bezeichnung einer Jahreszeit mnss nun allmählich das Bedürfnis her-
vorgetreten sein, auch für die freundlichere Witterungsepoehe,
den Nicht- Winter einen Ausdruck zu prägen. Er wurde gefunden
in ahd. mmar und den diesen verwandten Wörtern (s. u. Sommer),
deren ursprünglichste Bedeutung ivgl. seit. *ama- .eben', ,gleich', aw.
hama-, grieeh. öuö<;, öuctXö«;, lat. simMs, got. mma u. s. w. ■ ,dic dem
Winter) gleiche, zweite Hälfte' des Jahres war so auch A. Weber
Sitzungsberichte d. kgl. preuss. Ak. d. W. zu Berlin phil.-hist. Kl. 1898
XXXVII, 2). Ausserdem sind für die Bezeichnung einer freundlicheren
Jahreszeit noch zwei etymologische Reihen, lat. rer und altsl. jarä
mit ihrer Verwandtschaft ('s. u. Frühling und Jahr), anzuerkennen.
Von diesen hat die erstere aller Wahrscheinlichkeit nach speziell das
Eintreten des besseren Wetters ausgedrückt. Wie die Ableitungen
von der volleren Wurzelgestalt res (sert. ras, ttcchtlti ,er*trahlen) :
sert. raauntd-, altsl. resna, grieeh. £ap, altn. rar den Beginn der helleren
Jahreszeit, so bezeichnen die Bildungen von der kürzeren Wurzelform
H8 : gert. iishäs , grieeh. nwq , Morgenröte', ahd. östan . , Morgen, Osten'
(vgl. aber auch ahd. ostarün, agls. eastron , Ostern ) den Anfang des
Tages, den Morgen, so dass in völlig paralleler Weise durch die
angeführten Wortsippen einerseits die Fuge zwischen Winter und Sommer,
andererseits die zwischen Nacht und Tag ausgefüllt wird. Auch ist für
die hier angenommene ursprünglich äusserst kurze Frist der Bildungen
wie sert. razanta- u. s. w. charakteristisch, dass dieselben niemals wie
andere alte Bezeichnungen der Jahreszeiten zur Bezeichnung des ganzen
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Jahreszeiten.
Jahres (s. a. Jahr) verwendet worden sind (vgl. auch Bilfinger Das
altn. Jahr Stuttgart 1899 S. 16). Altsl. jarü, gricch. üipa u. s. w. sind
dagegen vielleicht auf ein idg. */»<?. *jörä zurückzuführen, die ur-
sprünglich mit dein ohen erörterten *semd verbunden, das Halbjahr be-
zeichneten in dem man sich zu Wanderungen oder zum Ziehen auf die
Weide -aufmachte" (sert. yati ,cr geht'; vgl. auch Uhlenbeck Et. W.
d. got. Spr. s. v.jer). Ganz ähnlich bezeichnet nach Vämbcry Primitive
Kultur S. 162 das tnrko-tatarisehc Wort für Sommer, jaz, diejenige
Jahreszeit, „in welcher man sieh ausdehnen kannu (jaz ,ausbreiten',
jazi , Ebene , jazihtmalc ,auf die Weide gehn'), während der Winter,
ebenfalls wie im Indogermanischen, die Zeit des Schneegestöber* ist, fr/V,
kis , Winter' : kaj-is, kais'-kis .Schneegestöber').
Wenn es nach dem obigen eine Zweiteilung des Jahres in Winter
und Sommer, die durch eine kurze Übergangszeit des Frühlings
unterbrochen waren, ist, die auf sprachlichem Wege für die ältesten
Indogermanen wahrscheinlich gemacht wird, und auf die auch der be-
merkenswerte Umstand hinweist, dass in den Einzelspraehen initiier nur
die Ausdrücke für zwei Jahreszeiten in ihrer Suffixbildung auf ein-
ander bezogen sind (sert. hemantd- : rasant d-, aw. zima : hama, armen.
imeht : ainain, germ. icintar : sumar, ir. gam : sam). so fehlt es
auch nicht in der Überlieferung an mehr oder weniger deutlichen
Spuren desselben Zustand*. Bei den Ariern steht im Vendidad des
Awesta durchaus noch Winter und Sommer (zyd, zima- : hama ) im
Mittelpunkt der Zeitrechnung, wenn auch, wie in der Urzeit, eine kurze
Übergangszeit des Frühlings (aw. raiihri ,im Frühling' und zaremaya-
,das Grüne': vgl. Koth Z. d. Deutsch. Morgenl. Ges. XXXIV, 702)
daneben genannt wird. In Europa haben vor allem die Germanen
und Kelten Überreste der alten Zweiteilung des Jahres bewahrt (vgl.
K. Weinhold Über die deutsche Jahrteilung Kiel 1862 S. 6 ff., A. Tille
Yule and Christmas, London 1899, Bilfiiiger a. a. 0. S. IT), 18, 95,
Thnrneyscn Z. f. kelt. Phil. 11, f>25 . Die Rechnung nach den beiden
Semestern (agls. missere, altn. misseri) Winter und Sommer tritt bei
jenen in der Sprache der Poesie (Heliand: thea habda so filu wintro
ettdi sumaro gilibd, Ilildebrandslied: ik icallota sumaro endi wintro
sehstic) wie des Rechts (agls. tc int res ond sumeres; cü on sumera,
oxan on wintra) noch unzweideutig hervor. Zwei allgemeine Tage-
dinge (phicita generalia), im November und im Mai, wurden bis auf
Karl den Grossen jährlich abgehalten, und noch lange sind Martini (an
dem nach Tille da* altgermanische Jahr begann) und Mitte Mai die
Haupttermine für Rechtsgeschäfte wie für kirchliche Feierlichkeiten
geblieben. Ausdrücklich berichtet auch Beda De temporura rationc
Cap. lf>: Item [Herum] principaliter annum totum in duo tempora,
hyemis videlicet, et aestatis dhpartiebant: sex illos menses, quibus
longiores noctibus dies sunt, aestati tribuendo, sex religuos hyemi.
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396
Jahreszeiten.
Bei den Kelten sei auf die strikte Zweiteilung des Jahres in dem altgall.
Kalender von Coligny (Thurneysen 8. 525) verwiesen. Über Spuren
der Zweiteilung bei Griechen und Römern vgl. Ideler Lehrb. 8. 100 f.
Verbreiteter als die Zweiteilung ist aber in frühistorischer Zeit bei
den idg. Völkern eine Dreiteilung des Jahres. Sie ist für das
vedische Indien bezeugt (trayö vd rtavah sanivatsarast/a Cut. Brnhm.)
und auch für die älteren Griechen (vgl. Ideler Lehrbuch der Chrono-
logie 8. 103) anzunehmen. So unterscheidet Acschylus x^wwv, ^aP»
6^po<;, Aristophancs x*»uujv, tap. ÖTrwpa, und es scheint, dass die ältere
griechische Dichtkunst und Plastik nur drei Hören kannte. Daneben
beginnt sich allerdings schon bei Homer vom 6€po<; eine weitere Jahres-
zeit, die T€9aXula ömupn., loszulösen (II. XXI, 346, XVI, 385). Auch
bei den Germanen fand Tacitus (Germ. Cap. 2*3: Unde annum quoque
ipsttm non in totidem digerunt species : hie ms et ver et aestas httellertum
et vocabnla habent, autumni perinde vomen et bona ignorantur) eine
Dreiteilung vor, die sieh neben der Halbierung des Jahres in zahl-
reichen Zügen, vor allem in den drei über die germanische Welt weit
verbreiteten Termineu von Martini, Mitte März und Mitte Juli (vgl.
A. Tille a. a. 0. 8. 34 ff.: Martinmas and ihe tripartition of the year)
bis in späte Zeiten erhalten hat. In enger Beziehung zu dieser Drei-
teilung des Jahres seheint eine Sechsteilung desselben zu stehen,
die bereits zu der Rechnung nach Monaten (s. u. Mond und Monat)
hinüber führt. Sie kommt im späteren Indien vor, wo rarshd' (, Regen-
zeit', Juli und August >, rardd- (September. October, die feuchte Saison
nach dem Regen), heinantd- (November, Dezember, die kühle Jahres-
zeit , qicira- (Januar, Februar, die Periode der kühlen Morgen und der
Nebel, die tauige Jahreszeit), vasantd- (, Frühling', März, April), grishmd-
(.Sommer', Mai, Juni) unterschieden werden. Sie liegt den sechs Fest-
zeiten des Jahres im Awesta, den sechs Gahnnbars <z. B. paithshahya-
: hahya- .Aussaat', die .Zeit, welche das Getreide mit sich bringt',
ayddrema- ,die Zeit des Eintrieb* von der Alm', maidyözaremya- , Mitte
des Grünen' u. s. w.) zu Grunde, und auf sie weist die schon von
J. Grimm (Geschichte der deutschen Sprache I, 110 ff. hinsichtlich der
d eut sc heu Monatsnamen bemerkte Krschcinung, dass nicht selten zwei
Monate unter einem Namen also zwölf Monate in sechs; zusammen-
gefasst werden. Die ältesten Belege hierfür bietet die schon genannte
Schrift des Beda, in der der Ausdruck Giali die Monate Januar und
Dezember (vgl. auch in einem gotischen Kalender fruma Jiuleis für
November, was auf ein *aftuma .Jiuleis für Dezember sehlicssen lässt)
und der Ausdruck Lida die Monate Juni und Juli unisehliesst (weiteres
bei J. Grimm a. a. 0. und bei A. Tille 8. in, 138 ff.; s. auch u. Moud
und Monat). Erwägt man nun, dass sowohl die Drei- wie die Sechs-
teilung des Jahres am besten zu der Annahme eines Jahres von 360
Tagen sich fügt (360 = 3X120, 3 Grosshunderte oder = 6X60, 6
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Jahreszeiten — Ichtieumou.
397
Schock), so liegt der Gedanke nahe, in ihnen bereits die Spuren aus-
wärtiger (babylonischer), die altindogerniani8che Rechnung nach Wintern
und Sommern durchkreuzender Strömungen der Zeitteilung zu erblicken
(s. u. Jahr, Zahlen, Zeitteilung).
Den endlichen Sieg hat in Europa die Vierteilung des Jahres
davon getragen, die frühzeitig durch praktische Erfahrung aufgekommen,
allmählich ihre tiefere Begründung in der Erkenntnis der vier
Jahrpunkte, den Sonnenwenden und X a c h t gl e ic Ii c n (s. u.
Jahr), fand. An ihrer Stelle hat die Xatur dem höheren Altertum
gefiederte Herolde der Jahreszeiten gegeben, wie es Aristophanes in
dem Chor der Vögel v. 710 ff. beschreibt:
npilrra pfcv ä»pa? 9cuvou€v nuei? n.po<;, x*»MÜivo<;, öntupa?.
o"Tt€ip€iv uev, ÖTav ttpavoq KpiuZoua' lo xnv Aißunv utTaxwpr) . . .
I kt ivo? b' au m*tü TOÖTa (paveiq ^te'pav wpav dnocpaivei,
rjviKa neKTtiv ü»pa TTpoßdtuuv ttökov npivöv. tua x^Xibiuv,
ötc XPH xXcüvav TtiuXeiv f\br\ Kai Xrjbdpiöv ti rrpiaaOai.
Vgl. schon Homer II. III, 3:
11UT€ TTtp KXaTfTl f€pdtVUJV TT€X€l OUpOVÖÖl TTpÖ,
air* €TT€i ouv xeijiuiva qpurov d9€0*qKtT0V öußpov
und Hesiod W. u. T. v. 448:
(ppdleaeai b', cüt* äv tepdvou qpwvnv ^TraKoOoij?
ü^öGev eK vecpe'wv eviaüaia K€K\ryfmn,S '
lyr' dpÖTOiö Te ai\na <p€pei, Kai x*»MaTO<; üipnv
bckvuei ÖMßpnpoö,
sowie Aristoph. Kitter v. 410: oux öpäG' ; wpa v€a, x€Xibwv. Wie
sehr derartige Anschauungen im Volke wurzelten, erhellt am besten
daraus, dass noch späte Astronomen (z. Ii. Geminus) Ausdrücke wie
xeXibuuv, Iktivo? (paivcTat ihren astronomischen Bestimmungen beimischen.
Nicht minder gelten auf germanisehem Boden Schwalbe und Storch
für wetterverkündende und darum heilige Tiere. Noch im vorigen
Jahrhundert waren nach J. Grimm die Türmer mancher Städte Deutsch-
lands angewiesen, den nahenden Frühlingsherold anzublasen, wofür
ihnen ein Ehrentrunk aus dem Ratskeller zu teil wurde. Schon eine
wesentlich höhere Stufe der Zeitrechnung stellt es dar, wenn die Auf-
nnd Untergänge gewisser Sterne, z. B. der Plejaden (bei Griechen
und Römern) als Signale der Jahreszeiten gebraucht werden (vgl. Ideler
a. a. 0. S. 1(10). — S. n. Frühling, Herbst, Sommer, Winter
und u. Zeitteilung.
Ichneumon. Das in Ägypten für heilig gehaltene und in zahl-
reichen Mumien daselbst aufgefundene Tier wird von dort zuerst durch
Herodot II, 67 unter dem Namen ixveuTriq (: ixveuw ,nachspttrcn') ge-
meldet, für den später ixveüuujv eintritt. 'IxvcuTai ' o\ vöv ixveuyove?
Xeröp-evoi Hesych. Der ägyptische Name war yatrt, yatru. Vgl.
A. Wiedemann Herodots II. Buch S. 288 f.
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398
Igel — Johannisbrot hautu.
Igel. Der vorhistorische, aber auf Europa und das Armenische
beschränkte Name des Tieres ist griech. exivo<;, gemeingerm. ahd. igil
(*igi-la- vielleicht aus *eg-ino-), lit. ezyst, nltsl.jeif (armeu. ozni). Dazu
gricch. xnp, lat. er, eris, erinaceus, herinaceus, die, wenn aus *{e)gh-er
hervorgegangen, zu ersterer Sippe mit gehören.
Iltiss, s. Wiesel.
Incest, s. Verwandten ehe.
Indigo. Hei den Alten wird seit Vitruv, Dioskorides und Plinius
ein aus Indien stammender Farbstoff 'IvbiKÖv-Indicum genannt, der
nach allgemeiner Anuahme der aus Indigofera tinctoria L. in Ost-
indien durch (Jährung ausgeschiedenen, blaufärbenden Substanz ent-
spricht. Hingegen erblickt man in dem von dem Verfasser des Pcriplus
maris erythäi <§ 39), allerdings auch unter indischen Waren, ge-
nannten IvbiKÖv uActv et was anderes, wahrscheinlich chinesische Tusche.
Lat. indicum setzt sich in it. indico, indaco fort. Der Sanskritname
der Pflanze n'di- (scrt. ni'la- ,dunkelfarbig, blau, schwarzblau, schwarz )
hat in Europa erst durch die Araber, deren Ärzte eine Verwendung
der Pflauzc als Heilmittel — wie auch schon Plinius — kennen, Ver-
breitung gefunden : arab. an-nil, sp. ailil, ptg. anil. Durch den Indigo
wird der einheimische Waid (s. d.) zurückgedrängt. — Vgl. Beck-
mann Beiträge IV, 473 ff. S. n. Farbstoffe.
Ingwer (Amomtun Zingiber L.). Er ist in Cochinchina und
Bengalen, nach der wohl falschlichen Meinung der Alten auch im süd-
östlichen Arabien heimisch. Die Pflanze, deren Wurzel das bekannte
Gewürz liefert, tritt ebenso wie das letztere erst bei Dioskorides und
Plinius unter den Namen £iYY>ß*pi<; — zingiberi (zimpiberi) hervor. Die-
selben gehen durch arab. zangabil auf präkr. xingabera, scrt. rrfigtt-
rem- zurück, das nur in Wörterbüchern des IX— XI Jahrh. u. Chr.
nachweisbar, vielleicht selbst erst volksetymologisch (nach en'uja- ,\\ov\\\
da die Wurzel des Ingwers hornförmig ist; aus einem aboriginen Aus-
druck verstümmelt ist. Im Lateinischen kam nebeu zingiberi eiu
späteres (Apicius) gingiber (vgl. auch G. Goetz Thesaurus I, 493) auf.
Beide Formen liegen den neueren Namen des Ingwers zu Grunde: it.
zenzöcero, inhd. ingeicer, gingebere, engl, ginger u. s. w. — Vgl. Lassen
Ind. Altcrtumsk. Is, 333, Flückiger Pharmakognosie2 S. 329 IT., Hobson-
Jobson by Yule and Bumell S. 280. S. u. Gewürze.
Instrumente musikalische, s. Musikalische Instrumente.
Joch. Der idg. Name für diesen Teil des Wageus ist scrt. yugä-,
npers. jtiy, armen, lue, grieeh. Zvyöv, lat. iugum, got. juk, altsl. igo,
lit. jüngaa, kymr. iou. — S. u. Wageu.
Johannisbeere, s. Beerenobst.
Johannisbrotbanni. Ceratonia Siliqua L. gilt im östlichen
Mittelmeergebiet für einheimisch. Speziell werden die griechischen
Inseln und die w ärmeren Teile Griechenlands mit als zu dem ursprüng-
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.lohnnnisbrolbnum — Junggeselle.
liehen Verbreitungsgebiet des Hannies gehörig angeschn (nach Engler
bei V. Helm s. u.). Hiermit stimmt auch die Xachricht des Tlieo-
phrast (Iberern, welcher Hist. plant. IV, J, 4 zuerst über den Manu»
berichtet: touti) (einer Feigenart) b£ TTapunXtiaia kui n,v 01 "Iwves
K€puiviav i sonst heilst der Baum icepcrria) kuXoücJi o be teap-
ttö? eXXoßo«;, öv KaXoöai nvt? Aitütttiov (Tukov birmapTriKÖTt?. ou Tiveim
■jap öXu>£ TT€pl Alf utttov (was alier zweifelhaft). üXXü TTtpi Zupiav Kai
iv luivia be, irtpi Kvibov Kai 'Pöbov. Dann folgt die Beschreibung des
Baumes. Die Kömer nennen ihn und seine Früchte nach ihrem Her-
kunftsort graeette (auch xyriacae) siliquae. Die erste Anweisung zur
Anpflanzung des Baumes giebt zwar schon Columella V, 10, 20; doch,
scheint es, dass die weitere Verbreitung seiner Kultur erst durch die
Araber erfolgt ist. Daher trägt der Johannisbrotbaum im romanischen
Süden den arabischen Namen it. carruba u. s. w. (aus arab. harr Ab).
Auf der Balkanhalbiuscl gelten dagegen ngriech. EuAoK€paTn,ü und
all», tsotxobanuze ( — türk. k'etsibujnuzu ,Ziegenhorn \ Die Frucht
des Baumes bildete in getrocknetem oder geröstetem Zustand früh-
zeitig einen Handelsartikel vorzüglich nach dem europäischen Osten
(vgl. russ. karatü. all», kamt, sp. quilatt aus arab. qirtif — griech.
KepuTiov , was zur Verwendung der Bohne der .lohanuisbrotschote als
Gewicht (Karat) führte. Ulhlas übersetzt das KepotTtov des Lukas-
Evangeliums IT), 1»> mit haürn haAm^ puei matultdun streina). Ob
er wusste, was mit Ktpunov eigentlich gemeint war? — Vgl. V. Hehu
Kulturpflanzen' S. 440 tf. S. u. Obstbau und Baumzucht.
Iris (Guttun;^ Iris L. . Die Pflanze ipi$ wird von Theophrast
(IX, 7 als das einzige Aroma bezeichnet, das in Europa, und zwar
am besten in Ilhrien, vorkomme. Dioskorides leitet den Namen wegen
der Viclfarbigkeit der Blüten von ipiq .Regenbogen' ab. — 8. u. Aro-
ma ta.
Jungfrau, Jungfrauiischnft, s. Frau, Kind, Keuschheit.
Jiingferusöhnc, s. Ehelich und unehelich.
Junggeselle. Die Sorge um die Fortpflanzung der Familie und
des Geschlechts, sowie der Wunsch, durch die Erzeugung ciues Sohnes
sich zugleich einen Erben, einen Rächer und einen Vollstrecker der
unentbehrlichen Totenopfer is. u. Ahncnkultus) zu verschaffen, machen
die Heimlührung eines Weibes in der Urzeit zu einer wirtschaftlichen,
sittlichen und in gewissem Sinne religiösen N otwendigkeit. Der Gedanke
der Ehelosigkeit schliesst für jene Zeiten den Verzicht auf die Ruhe
der eigenen Seele nach dem Tode in sich und ist für den Indoger-
manen wie für andere Völker ^vgl. Leist Altar. Jus gent. S. 68 3) ein
kaum denkbarer gewesen.
Ihre Fortsetzung finden diese Anschaungen in der Verachtung
und Bestrafung, welche noch in frühen historischen Zeiten dem
Ehcloscn zu teil wird. So heisst es von Lykurg bei l'lutarch Cap. XV:
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Junggeselle.
ou unv dXXd Kai ätiuiav Tivd TTpoo"e'8n.Ke toT^ dfdpoi£. EtpxovTO fäp
dv Tatq tunvoTraibiai«; rf\<; 9e'a<; • xoö be x^.uwvos o't uev öpxovTeq auTou^
eKe'Xeuov dv kuk\uj tumvou? Trepiievai rnv diTopdv, oi be TTepiiövxe? fjbov
ei? aüxouq u)bnv nva Tr€Troin.uevnv, ib? btKaia irdaxoiev, öti toT<; vöuoiq
dTT€i9oö(Ti ' TiMn? be Kai OepaTreiaq, nv veoi TrpeaßuTe'pois trapeixov, £o~Te-
pr|vio. Ebenso wurden im ältesten Rom die Hagestolzen von den
Censoren mit Strafen belegt; denn: Xatura vobis quemadmodum uns-
cendi, Ha giguendi legem scribit, parentesque vos alendo nepotum
nutriendorum debito (si quin ext pudor) allignverunt (Val. Max. II, 9, 1).
In einem agls. Text ((ircin II, 217; vgl. Roeder Familie der Angel-
sachsen S. 80 f.) klagt ein Hagestolz, dass er des hyht-ptega Judus
iucundus" mit einer Frau entbehre:
„ Nicht wähnen darf ich,
dass ein Sohn mich räche an des Schlägers Leben.
wenn mich der Feinde einer fällt im Kampfe:
vermehrt wird die Magschaft nicht
durch meine Abkömmlinge, welcher ich entstammte. u
Noch heute wird es in der Cmagora und Hercegovina, wo die ältesten
idg. Familienznstände mit zäher Treue bewahrt sind, für die grösste
Schande gehalten. Junggeselle zu sein (vgl. Kranss Sitte und Krauch
S. 334).
Unter welchen Verhältnissen sich allmählich ein Junggesellentum
herausgebildet hat, lässt sich zum teil noch übersehen, und zwar be-
sonders deutlich an den westgermanischen Ausdrücken ahd. hagtixtalt,
agls. heegsteald (agls. auch gfheald-sumnys, einer ,dcr Enthaltsamkeit
übt ). Diese Wörter bezeichnen einen, der einen .Hag" besitzt (got.
staldan »besitzen", d. h. ein zu dem eigentlichen Bauernhof gehöriges
und von diesem abhängiges kleineres (»rundstück. Solehe -Hage- (ahd.
hag , Umzäunung", agls. haga .(lehege, (iärtehen' etc. ----- altgall. atium,
kymr. cae ,<iehege", *c<tgio-> wurden einerseits gewissen Unfreien i vgl.
Tac. ("ierm. (,'ap. 2f> und Atheuäus VI, p. 207 e.: Aueptaq be dpKiTu?
<pn.oi KaXeiO"9ai tou? xaTa tou? dtpou? okeTas : epKO? ,Zaun', .(iehege),
andererseits aber auch wohl jüngeren Brüdern von dem älteren, dem
eigentlichen Hofbesitzer, zugewiesen und mochten in der Regel nicht
die Möglichkeit bieten, eine Familie auf ihnen zu erhalten. So wird
das Wort im Althochdeutschen ausser mit caelebx noch mit hin-uis,
famulm, mercenarius, agricola Uber etc. übersetzt, bis es allmählich
ganz den heutigen Sinn annimmt.
Die übrigen Benennungen des Junggesellen in den idg. Sprachen
bieten kein kulturhistorisches Interesse, insofern sie den verhältnis-
mässig jungen Begriff einfach durch Wörter für .allein', »alleinstehend'
verdeutlichen. So ir. öentnim gl. caelebs : den .einzig, allein', so lat.
caelebs aus *caitele-bu-*t : sert. kerala- , allein', so altsl. chlak ü und chlastü,
falls diese Wörter von Pedersen I. F. V, 04 richtig : lat. sölu* {*ksö!~)
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Junggeselle — Kuimt.
401
gestellt sein sollten. Gricch. rjteeos (kaum zu lat. vidua gehörig) dürfte
ursprünglich überhaupt nicht den Ilagestol/.en, d. h. den Uber die ge-
wöhnliche Zeit hinaus unverheirateten, sondern nur ,Jüngling' im Gegen-
satz zur .Jungfrau bezeichnen. Hinsichtlich der romanischen Sippe
endlich von it. baccalare, prov. bacalars, frz. bachelier etc. (mlat.
baccalarim, baccalaris) ist nur so viel wahrscheinlich, dass es ursprüng-
lich den Besitzer eines grösseren Hauerngutes bezeichnete, während
mau, sowohl was die Herkunft des Wortes wie die Frage seiner Be-
deutuugsentwicklung: Junger Ritter', eingehender Gelehrter', »Jung-
geselle' (auch engl, bachelor) betrifft, noch im Dunkeln tappt. Mit der
Einführung des Christentums kommt der Hagestolz in Folge seiner
vorausgesetzten geschlechtlichen Reinheit vielfach in den Geruch der
Heiligkeit. Daher Etymologien wie caeleb* dicitur quasi caelo beatus
und Umdeutungen wie caelestem (caelibem) vitam agentes (G. Goetz
Thesaurus I, 162). — S. u. Keuschheit und u. Ehe.
K
(C, Ch; s. auch u. Z)
Kachel, Kachelofen, s. Ofen.
Käfer. Eine etymologische Übereinstimmung zeigt sich nur
zwischen lit. wäbalas und ahd. wibil, agls. wifel, wohl zu „weben"
gehörig (vom Einspinnen mehrerer Käferarten beim Verpuppen). Sonst
ist der Käfer ,der gebogene' (grieeh. K0tv9apo<; : Kav8u>bn.<; »gebogen',
xaveöq .Radreifen ), der .nageude' (ahd. chevaro, agls. Ceafor : nihd.
kifen, Kiffen ,nagenJ) oder ,der summende' (altsl. chrqsti nach Miklo-
sich Et. \Y.). Das Lateinische kennt nur scarabaeus, eine Entlehnung
aus gricch. *o*Kapußuio<;, von einer Nebenform *öKÜpaßo$ : Kdpaßo?
, Küfer'. Keltisch : körn, hrilen, kambr. chicilen, areni. c'houil (Zeuss
Gr. Cell.2 S. 1074).
Käfig, s. Hahn, Huhn.
Knhl, s. Haartracht.
Kahn, s. Schiff, Schiffahrt.
Kaiser. Der Begriff des Kaisertunis geht für Europa sachlich
und sprachlieh von der Person des grossen Römers C. Julius Caesar
aus, dessen Cognomen Caesar (nach Ansicht der Alten von lat. cae-
mrietf ,Haar', vgl. Cincinnatm ,der Lockige', Crispm ,der Krauskopf'),
seit Alters hergebracht im Julischen Geschlecht, von Octavianns an zu-
nächst in der Julischen, dann auch in den folgenden Kaiserfamilien
als unterscheidendes Merkmal der herrschenden Dynastie gebraucht
Schräder, Reallexikon * og
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402 Kaif.iT.
wurde, bis es mit Kaiser Hadrian auf die Bezeichnung des mutmass-
lichen Thronfolgers beschrankt wurde. Aus lat. Caesar sind ohne
Zweilei die germanischen Ausdrücke: ahd. keixur, agls. casere i*Cae-
stlritts}, got. kaisar entlehnt worden. Indessen macht die Feststellung
der Zeit und der Umstände, in der und unter denen die Übernahme
des Wortes durch die Germanen erfolgte, Schwierigkeiten. In dem
ersten nachchristlichen Jahrhundert oder den zunächst darauf folgenden,
in die man aus bedentungsgeschiehtliehen Gründen diesen Vorgang am
liebsten verlegen würde, wurde das römische Wort, das früher kaisar
(wie aide* für aedes und ah für aes) lautete, unzweifelhaft kaesar
ausgesprochen. Eine solche Form aber hätte im Hochdeutschen, wie
die Entwicklung von Graevi zu „Griechen" und von liaetia zu „Riessu
(Hinter- und Vordcrriess) zeigt, * kieser, nicht „Kaiser" (ahd. keisur)
ergeben müssen. Auch die Annahme, dass das Wort durch griechische
Vermittlung zu uns gelangt sein könne, führt nicht weiter, da lat.
Caemr, wenn auch noch als kaisar zu den Griechen gekommen, bei
diesen erst recht kaesar ausgesprochen wurde. Ebensowenig fördert
die Wahrnehmung, dass unter der Regierung des Kaisers Claudius alter-
tümliche Schreibungen wie Caisare n. a. vorkommen, da es sich
hierbei lediglich um altertümelnde Schreibungen, nicht um Aus-
sprache handelt. Somit bleibt nichts übrig, als die Aufnahme des
lat. Wortes durch die Germanen in das erste vorchristliche Jahr-
hundert zu rücken, um dessen Mitte die Aussprache des alten ai sich
auch zwar dem ae schon genähert hatte, doch so, dass das Element i
noch immer wahrnehmbar zu hören war (vgl. Seclmann Die Aussprache
des Latein S. 224). Alsdann ist aber in dem lat. Caesar nicht der
Ehrenname der kaiserlichen Familie, sondern das Cognomen des Divus
Julius selbst, der im Jahre 58 den „König" der Germanen, Ariovistus
besiegte und in den Jahren 55 uud 53 die römische Macht auf dem
rechten Rheinufer eutfaltete, zu den Germanen übergegangen. Eine
Unterstützung findet diese Anschauung in dem Umstand, dass die Slaven
die ihnen gemeinsame Benennung des Königs (s. d.), russ. koroli, aus
dem Namen des grossen Frankenkönigs gebildet haben, und eine weitere
Unterstützung in der Thatsachc, dass auch in den orientalischen
Sprachen das lat. Caesar in der Form kaisar, wie im Armenischen,
Arabischen und Alttürkischen vorliegt, die sich nur erklären tösst bei
der Annahme, dass die Orientalen „den Namen des grossen Caesar in
der alten römischen Aussprache direkt aus dem Munde der römischen
Legionssoldaten aufnahmen" (vgl. G. Meyer Türkische Studien I, 6
u. y9).
Später hat natürlich das deutsche „Kaiser" seinen dauernden An-
halt an dem römischen Caesarentitcl gehabt. Die sieh immer stei-
gernden Beziehungen des germanischen Nordens zu dem römischen
Süden, der Eintritt zahlreicher nordischer Krieger in die Leibwache
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Kaiser.
403
der Kaiser, der erzwungene oder freiwillige Aufenthalt zahlreicher
Sühne Germaniens in der ewigen Stadt, der gerade in den Provinzen
hervortretende Knlt des kaiserliehen Genius, das alles musste das Wort
«lern germanischen Sprach he wusstsein als eine lebendige Macht nahe-
hringen. Insbesondere, und namentlich für die Jahrhunderte, in denen
es ein weströmisches Kaisertum nicht mehr gab, ist hier noch auf den
Einttuss des römischen und byzantinischen Geldes zu verweisen, das
sieh den Weg auch zu d c n germanischen Stämmen bahnte, welche die
Stürme der Völkerwanderung nicht ans ihrer Heimat getrieben hatte
(s. namentlich über den Ausdruck ahd. cheisnring, agls. edsering i\.
G e l d ;.
Immer aber war es Jahrhunderte hindurch ein ferner, fremder Kaiser,
den dieser Name benannte. Eine Wendung trat ein mit jener denk-
würdigen Weihnacht des Jahres 800, als in der Peterskirche zu Korn der
Papst Leo dem grossen Frankenkönige die Krone aufs Haupt setzte und
ihn als Imperator et August us grüsste. Merkwürdig ist aber, dass das
lat. Caesar durchaus keine Verbreitung in den romanischen Sprachen
gefunden hat, welche mit ihrem imperator (it. imperatore, frz. empereur)
geschlossen den Germanen mit ihrem „Kaiser" gegenüberstehen. Hie im-
peiatoi- hie -Kaiser", es ist, als ob dies der Streitruf wäre in dem
durch das Mittelalter sieh hindurchziehenden Kampf über die Frage,
ob das römische Kaisertum Rechtens den westfränkischen Welschen
oder den ostfränkiseheu Deutsehen gebühre. Um so weiter hat sich
das lat. Caesar durch die Vermittlung des Deutschen in die osteuro-
päische Welt verbreitet. Namentlich haben die Slaven. und zwar schon
in urslaviseher Zeit, aus keixur ihr cesari (clsarl, cart ,Zar' sind spätere
russische Formen, k'exar entstammt dem Koticrap der Bibel» gebildet,
das zunächst die Könige fremder Völker, vor allem den byzantinischen
ßacnXeüq bezeichnete, wie der oströmische Kaiser in den byzantinischen
Quellen im Gegensatz zu £n£ (anderen Königen) genannt wurde. Im
Hinblick auf den Osten Europas, der natnrgemdss am wenigsten be-
rührt war von dem das Mittelalter beherrschenden Gedanken einer
christlichen Univcrsahuonarehie ist denn auch mit der im Westen not-
wendig geltenden Vorstellung allmählich gebrochen worden, dass es
eigentlich nur einen Kaiser, eben den römischen, in der Welt geben
könne. Dies drückt Caspar Stieler in seinem Deutschen Sprachsehatz
im Jahre 1 OL» 1 unter Keyser, Keiner, Kaiser so aus: „Eigentlich
sollte niemand anders Kaiser heissen als die Imperatoren liomani;
aber heut zu Tage wollen viele andere Fürsten Caesarea genannt
werden. Daher spricht man denn, abgesehen von unserem Imperator
Romanus, auch von dem ,Tüikisehcu Keyser , Tnrcorum imperator,
HultanuK, magnus dominus (schon im 15. Jahrb. begegnet , Keyser von
Constantinopel ). Auch ,Tschinesischer Keyser' und , Keyser in Japan'
giebt es. Ja, sogar der magmig du.r Moscotiae verlangt , Keyser in
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404
Kaiser — Kamel.
Moskau' zu bcisscn und nennt sich selbst ,C/.ar\ quasi Caesarem^. —
Vgl. Vf. „Deutsches Reich" und „Deutscher Kaiser", eine sprachlich-
geschichtliche Betrachtung zum 18. Jan. 1896, Sonderabdruek ans den
Wissenschaftlichen Beiheften zur Z. des allgcm. deutschen .Sprach-
vereins X.
Kalb, s. Rind.
Kalender, s. Zeitteilung.
Kalk. Dieses in Gestalt von Mörtel wichtige Bindemittel des
Stein baus wird unter dem Namen \iih\l zuerst bei Gelegenheit des
Baues der langen Mauern von Athen in Griechenland genannt vgl.
Blünincr Teno, u. Techn. 111, 100 t. Wohl mit Recht nimmt mau an,
dass aus diesem \a.\\l, das sonst häufiger ,Kiesel' (xäxAnEi bedeutet
(der gewöhnliche griech. Name für Kalk ist titovo?, KiTTavo? und tcovia)
frühzeitig das lat. calx (Plaut.) entlehnt wurde, dem wiederum die
nordeuropäische Sippe von ahd. kalk, agls. reale »einheimisch: lim),
altsl. klakü, lit. kdlkis entstammt, während altsl. izvistü aus spät-
griech. <Xo*߀0*To? hervorgegangen ist. Vgl. auch ahd. flaut er, pjlaster,
ebenfalls nicht selten im Sinne eines Bindemittels der Steine verwendet,
aus grieeh.-lat. luTiXatfipov ,Wnndpflaster' und mhd. morter aus mlat.
mortarium , Mörtel'. Im Deutsehen tritt zusammen mit kalk häutig
ahd. tunihhön .tünchen' auf. eine Bildung aus ahd. tunihha , Kleid'
(von lat. tunica) nach dem Muster von it. intonicare «tünchen'. Doch
verstanden sich die Germanen schon vor dieser in spätere Zeit fallenden
Entlehnung darauf, durch eine Art von Lehmbewurf dem Haus ein
schmuckes Aussehn zu geben. Vgl. Tac. Germ. Cap. H>: Quaedam loca
diligentiuii illinunt terra ita pura ac splemlente ttt pirturam ac linea-
menta colorum imitetur, dazu Much i. d. Mittl. d. Wiener antlirop.
Ges. VII, 339 ff. und M. Heyne Wohnungswesen S. 19sr\ Vielleicht
deutet auf diese Sitte auch das gemeinsl. altsl. raplno ,Kalk'. eigentl.
.Tünche', das man mit altsl. vapii, altpr. icoupi* , Farbe' i.ans griech.
ßaepn?) in Verbindung bringt. S. u. Steinbau und u. Haus.
Kalmus (Acorus Calamus LX Er wird unter dem Namen KdXaiuo?
zuerst vou Tbeophrast und zwar unter den Aromata 'IX. T'i genannt.
Er wächst nach ihm in einen» Thal zwischen dem Libanon und einem
anderen Berg. Da »cäXcmos ein griechisches Wort < — ahd. hafam , ist,
so wird der Name von einer einheimischen nahverwandten Art auf den
orientalischen Kalmus übertragen worden sein. Später iDiosk.t tritt
der Ausdruck oxopov auf, von dem Plinins XXV, 157) berichtet, dass
er sich namentlich am Pontus, aber auch in Kreta finde. Der Kalmus
ist auch ein wichtiges Arzneimittel. — S. u. Aromata.
Kamel. Man hat zu unterscheiden zwischen dein zweihöckrigen
eigentlichen Kamel {Camelus bactrianux, Trampeltier) Ost- und Mittel-
asiens und dem einböckrigen Dromedar (Camelus dromedariux) Süd-
Westasiens und Afrikas. Doch gehen beide wahrscheinlich auf eine
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Kamel.
405
Stainmart zurück, deren Heimat die Wüsten des zentralen Asiens sind.
Urverwandte Bezeichnungen des Tieres Huden sieb bei den Türke-
Tataren: uig. töbe, Cag. töve, alt. töö, osni. dere !\gl. Vamböry Primi-
tive Kultur 8. 191) und bei den Semiten (ursem. *gamatu, hebr. gtlmdl,
arab. gamal, assyr. gammalu . Aber auch die Arier (Irauier und Inder)
haben das Kamel wohl schon vor ihrer Trennung gekannt, worauf die
Gleichung aw. ustra- (npers. ustur, knrd. hu stur. Pamird. üxtilr, stur,
ytür) — sert. üshfra- hinweist (vgl. F. Spiegel Arisehe Periode S. 49, 51).
Allerdings bedeutet das indische Wort in der älteren Zeit nur ,Hüffel',
so dass man für das Sanskrit einen Bedeutungswechsel annehmen muss,
der umsoweniger bedenklich ist, wenn man annimmt, dass es das
wilde Kamel war, welches die Arier in ihrer Urheimat kannten (vgl.
noch seit, kramein- aus griech. KäunXoc). Im ganzen liegen die Ver-
hältnisse ähnlieh wie bei dem Esel <s. d. , und wie dieser ist das
Kamel in Europa ein Fremdling, ohne jedoch wie der Esel irgendwo
daselbst testen Fuss zu fassen.
In Griechenland wird das aus dem Semitischen entlehnte xäuriXos
zuerst von Aesehylus Sappl, v. 285 erwähnt. Erst die Perserkriege
werden es in Hellas bekannter gemacht haben. Aus Käun,Xo<; entl. lat.
camflus; vgl. auch Bactrinus, liactrius >est iuagnus camelus; Thes. I,
125). Merkwürdig früh aber nmss auf noch unbekannten Wegen die
Kunde von dem Tiere zu Germanen und Slavcn gedrungen sein, die
in got. ulbandus, nltn. ulfalde. ahd. olbento, alts. olbundeo, agls. olfend
(vgl. Palander Ahd. Tiernamen S. 100) und dem zweifellos damit zu-
sammenhängenden altsl. relibqdü, russ. relbljudü alte und weitver-
breitete Namen für dasselbe besitzen. Eine Erklärung der ganzen
Sippe ist noch nicht gefunden. Man denkt au Zusammenhang mit
griech. t\ecpa£, lat. elephantus 8. n. Elefantj, mit dem es zusammen
einen urzeitlichen Tiernamen unbekannter Bedeutung bilde, oder an
Entlehnung aus dem lateinischen Wort, wobei eine Verwechslung von
Elefant und Kamel stattgefunden habe. Wie weit jedenfalls der-
artige Vertauschungen von Tiernamen gehen können, lehrt das Alt-
preussisehe, wo tceloblundi* .Maultier' bedeutet. Lagarde Armen. Stud.
S. 121 sucht ein armen, oült .Kamel' für *oühct mit den genuanisch-sla-
vischen Wörtern zu verknüpfen i ?). An historischen Nachrichten, welche
von vereinzelten, von östlichen Herrschern zum Geschenk geschickten
und als Merkwürdigkeit gehaltenen Kamelen an frühmittelalterlichen
Fürstenhöfen berichten, fehlt es nicht. Die ältesten beziehen sich auf
die spanischen Westgoten (vgl. E. Hahn n. u. a. O. S. 2.*o, 557 1. Nähere
Kunde von dem Tiere gelangte aber erst durch die Kreuzzüge invli
Europa, die daselbst auch das arab. gamal als mhd. kemel, kemtlthr
(vgl. F. Kluge Et. W.'; nach Baist) verbreiteten. Friedrieh II. führte
eine Menge von Kamelen mit sich. In der Zeit der Kreuzzüge ent-
stand auch das bekannte Kamclgestüt zu San Kossore bei Pisa. In
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406
Kamel — Ramm.
grosserer Zahl erschien dann das Kamel in Begleitung der Türken und
Tataren, und mit ihnen das obengenannte türkische Wort in mehreren
ostlichen .Sprachen (gerb, deia, alb. deve, magy. tece\
In Afrika hat sich das Kamel von Süd-Westasien her verbreitet.
Die Frage ist nur, wann. Nach Ägypten, so meinte man früher, sei es
erst im l\. nachchristlichen Jahrhundert eingeführt worden. Doch mehren
sich die Anzeichen dafür, dass man das Tier daselbst schon weit früher,
vielleicht bereits im neuen Reiche, verwendete. In einem Papyrus des
XIV. Jahrhunderts wird das Tier mit seinem semitischen Xamen an-
geführt (ägypt. kamadir ans semit. gämäl). Unter den aus der XI.
Dynastie stammenden Felseninschriften im Wadi-Hammamat hat sich
auch die Abbildung eines Kamels gefunden u. s. w. vgl. F. Honiinel
Namen der Säugetiere S. 215. Mnss-Arnnlt Transactions of the Americ.
Philol. association XXIII, 94, Schweinfnrth Ägyptens auswärtige Be-
ziehungen hinsichtlich der Kulturgcwächse, Zeitschrift für Ethnologie,
Verhandl. 1 891 S. (>5ü). Vgl. auch, wie über die Geschichte des
Kamels übcrliaupt, E. Hahn Die Hausticrc S. 220 ff.
Kamille (Matriearia VhamowiHa L.). Diese in Griechenland
und Italien, aber auch in Mitteleuropa als Unkraut auf Äckern und an
Wegen weit verbreitete Pflanze wurde zuerst, wie es scheint, unter
den Xamen cuaveeuoq oder dv8eu»<; von den Allen beachtet (vgl. Lenz
Botanik 8. 478). Deutlicher tritt sie hervor unter der Bezeichnung
xajjcuun.Xov (Diosk., Plin.). eigentlich .Erdapfel' 'von dem apfelähu-
lieheii Geruch oder Aussehn der BlütenküpfehciO, wie die Pflanze auch
im Neugriechischen heisst (xcmoufiXi, Td xomoMn^a - Dieser Name (vgl.
auch it. vamamilla, camomilla < ist unter dem Einftuss der mittelalter-
lichen griechischen und arabischen Medizin, in der die Pflanze eine
bedeutende Rolle spielte 'vgl. Flückiger Pharmakognosie* S. 7** . zu
den Deutschen übergegangen, bei denen zuerst im Mhd. kainille er-
scheint. Auf den Süden scheint auch die im Osten Europas geltende
Bezeichnung der Kamille: russ. romenü, romnxka u. s. w.. lit. remünt#
remides, deutsch Roniey, Kömerey, Riemerey (aus rotnanu.s ?) hinzuweisen.
Kamin, s. Ofen.
Kamin. Wie weit sich dieses für Pflege und Anordnung des
Haares unentbehrliche Werkzeug in die Geschichte unseres Erdteils
zurückverfolgen lässt, kann noch nicht mit völliger Deutlichkeit über-
sehen werden. Aus spateren prähistorischen Epochen sind wiederholt
bronzene oder hornenc Kämme als Totenbeigaben oder sonst zu Tage
getreten. Für die Steinzeit, wenigstens für die nordische, stellt aber Mon-
telius Die Kultur Schwedens8 S. 59, (H), (>4 das Vorkommen von Kämmen
in Abrede. Dagegen sind in der Schweiz schon aus der Steinzeit Kämme
aus Eibcuholz etc. (vgl. Pfahlbautenbcricht XI) nachgewiesen worden.
— Eine idg. Gleichung f II r den Begriff des Kammes wurde ebenfalls
noch nicht mit Sicherheit ermittelt. Dies gilt sowohl von der Gleich-
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Kamm — Kaninchen.
407
Setzung des lat. pecteti (ipecto ,kämnie') mit griech. KTciq, ktcv-ö?, die
einige Etymologen auf eine Grundform *p(e)ct-en zurückführen möchten,
wie aaeh von der des griechischen Wortes mit ir. clr ,Kamm' (vgl.
Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 78), da griech. kt- sicherlich auf
einen anderen Anlaut als einfaches Ä- hinweist. Andere Gelehrte vgl.
Zimmer K. Z. XXX, 211, Strachan Ii. B. XX, 37) haben daher das
irische Wort zu sert. karsh .pflügen', karshu- , Furche' gestellt, die dann
von griech. T€'Xo*ov »Furche' (s. u. Ackerbau) zu trennen wären.
Gememgermanisch ist ahd. kamb, agls. comb, altn. kanibr, zu altsl.
Z([bü ,Zahu', griech. Yau<pai »Kinnbacken', seit, jämbha- PI. ,Gebiss'
gehörig und von der Ähnlichkeit des Kammes mit gezahnten Kinnladen,
die vielleicht auch selbst als Kämme verwendet wurden, hergenommen.
Auch für lit. szuko* ,Kamm', das in die finnischen Sprachen entlehnt
wurde (vgl. Thomsen Beröringcr S. 220), verweist Kurschat auf poln.
szezoka .Kinnlade'. Im Slavischen gelten Bildungen von (emti .kämmen'
: cesh't oder von greba ,schabe, kratze, kämme' : grebeni. Vielleicht
hängt mit letzterem alb. kreh ,kämme' i*greb-nkö) zusammen, wovon
kreher etc. .Kamm'. Vgl. noch altpr. coi/snis ,Kamm", coestue , Bürste'
: lit. käiszu ,schabe'. S. u. Haartracht.
Kampf, s. Krieg.
Kampfer. Diese harzige, für Arzneizwecke wichtige .Substanz
rührt von verschiedenen Arten von Lorbeerbäumen, auch von Laitrust
Cinnamomum (s. u. Zimmet) in Japan, Borneo, Sumatra u. s. w. her.
In Indien wird Kampler auch aus anderen gewürzliat'ten Pflanzen ge-
wonnen. Eine flüchtige Kenntnis von diesem Stoff erhielten die Griechen
durch Ktcsias, der (frgm. 28 ed. C. Müller) von einem Baume berichtet,
der auf Indisch Kdpmov (vgl. sert. karpüra- , Kampfer', javan. kripür),
auf Griechisch uupopöba hicss: peouai be ii aÜToü cXatou <rrcrröve<;,
oö? epky dvcnyüJVTeq öttö toö btvbpou dTTOTmEouai eiq dXaßdtfTpous
XiGivouq Kai eTieuiycv 6 Ivbüjv tuj TT€po"ujv ßacriXti. Indessen
ist der Kampfer selbst im Altertum nicht bekannt geworden, und erst
im Mittelalter treten durch arabische Einflüsse mlat. cawphora (heilige
Hildegard), it. canfora, cafura, mhd. kämpf 'er, gaff er, ngrieeb. xa-
«poupd auf, die zunächst auf arab. käfär zurückgehen. — Weiteres
vgl. bei Flückiger Pharmakognosie4 S. 143 f. und Vule-Bnrnell Hobson-
Jobson S. 116 f.
Kanal, s. St ein bau.
Kaninclieii. Die fossilen Reste des Tierchens sind vor allem in
Spanien und Portugal, doch auch in Italien, Frankreich und Südengland,
aber nicht in Deutschland gefunden worden. Gleichwohl weist die
linguistisch-historische L herlief erung mit grosser Entschiedenheit aus-
schliesslich auf die P yrrhenäen-Halbinsel als Ausgangspunkt der
Terminologie des Tieres und der Bekanntschaft mit ihm für das histo-
rische Europa hin. Das lat. cunkulus cujucIu*, conicula begegnet,
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408
Kaninchen — Karpfen.
und zwar in griechischer Gestalt, zuerst hei Polyhius (um 15U), wird
von den Alten ausdrücklich als iberisch erklärt und findet sich, wie
es scheint, im Baskischen selbst (unchi ,Kaninchen) wieder (vgl. die
Stellen bei L. Diefenbach 0. E.). Vom Lateinischen aus ist das Wort
in die keltischen und germanischen Sprachen, hier in mancherlei volks-
etymologischer Verdrehung (vgl. Kluge Et. W."j gewandert. Die häufigste
derselben (mhd. käniclin, künlin, nhd. königl, könighase) hat zur Ent-
stehung des slavo-lettischen krolikä — karalikas , Kaninchen' von krall
jKönig' Anlass gegeben. Auf einer Konfusion von koüvikAo«; und altsl.
kttna .Marder' scheint ngriech. kouvc'Xi, Kouvdbi, alb. kunaeje , Ka-
ninchen' (vgl. G. Meyer Et. W. d. alb. Spr. S. 214) zu beruhen: doch
vgl. auch altfrz. conti, das wohl direkt dem lat. cuniculu* entspricht.
Daneben treten eine Reihe anderer Benennungen auf, wie gricch.-
massiliotisch Xeßrtpi^, eigentlich , Hase", wie das Tier auch im Deutschen
gelegentlich schlechthin genannt wird. Die ganz jungen Tierchen, eine
Delikatesse der Iberer (Plin. Hist. nat. VIII, 217), Iiiessen im Latein
laurices, ein wohl ebenfalls iberisches Wort, das eine Spur in ptg.
lottra , Kaninchenhöhle' hinterlassen hat und in ahd. Glossen als lörichln
(vgl. Palander Ahd. Tiernamen S. 77) wiederkehrt. Frz. lapin wird
als Tier mit Lappenohren aus dem Germanischen gedeutet, eine, wenn
richtig, auffallende Entlehnung, weil das Kaninchen als Volksnahruug
gerade in Frankreich schon von Gregor v. Tours (vgl. Hehn Kulturpfl.6
S. 44fi genannt wird. Engl, rabhit ist dunkel. Im Litauischen be-
gegnet ein einheimisches triüszkis : russ. trttsü , Feigling, Hase, Ka-
ninchen'.
Den ersten Anstoss zur Zucht des Kaninchens haben die Leporarieu
der Römer gegeben. Vgl. Varro De re rust. III, 12: Horum omnium
tria genera (Hase, weisser Alpenhasc, Kaninchen), si poxsU, in lepo-
rario habere oportet. Duo quidem utique te habere puto, et qttod
in Hispania anni* ifa fuhtti multis, ttt ind-e te cttnicttlos persecutos
c red am.
Kanne, s. Gefässe.
Kannibalismus, s. Opfer.
Kapaun, s. Hahn. Huhn.
Kaper, s. Garten, Gartenbau.
Kappe, Kapuze, s. Kopfbedeckung.
Karausche, s. Karpfen.
Karneol, s. Edelsteine (Said).
Karpfen {Cgprinus Citrpio /,.). Die Bekanntschaft mit diesem
Fisch lässt sich für das klassische Altertum nicht nachweisen. Er wird
vielmehr sicher erst von dem Geheimschreiber Theoderichs, Cassiodor
(VI. Jahrb.), und zwar als eine kostbare, nur für fürstliche Tafeln be-
stimmte Delikatesse der Donau genannt i Var. üb. XII. 4 p. Pri-
vat! est habere, qttod locus continet; in principali concirio hoc pro-
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Karpfen — Krtse.
•109
fecto decet exqtiiri, quod visum debeat admirari. Destinet carpam
Danubius etc.). Der Fisch, der bereits in den Schweizer Pfahlbauten
von Mooseedorf und Robenhausen (vgl. Rtttimcyer Fauna der Pfahl-
bauten S. 114) nachgewiesen ist, muss in Teilen des Alpengebietes
nnd SUddeutschlands seit Urzeiten vorhanden gewesen sein, aber als
eine besondere Art erst verhältnismässig spät die Aufmerksamkeit der
civilisierten Welt auf sieh gelenkt haben. In einer Sprache des ge-
nannten Gebietes wird daher auch der Ursprung des plötzlich hervor-
tretenden Wortes carpa zu suchen sein, das sich allmählich durch ganz
Europa verbreitet hat (ahd. charpfo, altn. karfe, engl, carp, kymr.
carp. frz. curpe, it. carpione, russ. karpti, lit. kdrpa etc.). Die von
Uhlenbcek Heiträge XIX, .!J31) versuchte Anknüpfung des Wortes an
sert. caphara-, raphari (*garphara-) .eine Karpfenart' hat wenig Wahr-
scheinlichkeit. Alleinstehend altpr. sarote, aus dem Türkischen russ.
gazanü. Man hat wohl mit Recht vermutet, dass der Grund der ausser-
ordentlichen Verbreitung des in Teichen und Weihern leicht zieh baren
Fisches, dessen Ankunft im Xorden und Osten, in England, Dänemark,
Preussen u. s. w. teilweis erst aus sehr späten Jahrhunderten gemeldet
wird, mit dem von der Kirche gestatteten Fischgenuss während der
Fastenzeit zusammenhängt. Vgl. Beckmann Bcyträge zur Geschichte
der Erfindungen III, 412 ff. (Karpen i. — Eine andere Karpfenart ist
die Karausche {Cyprinus CaraBsiux), deren erst nhd. bezeugter Name
karaz. karmische aus Osteuropa ' lit. karoms und ähnlich in allen Sla-
vinen) stammt. S. u. Fisch, Fischfang.
Karren, s. Wagen.
Käse. Neben den Namen für die fetten Bestandteile der Milch
(s. u. Butter) gab es in der idg. Ursprache auch solche für den
Molken: sert. xd'ra- — griech. opöq, lat. serum und den Käse: aw.
tuirinqm = griech. rupöq, altsl. tvarogü (mit unaufgeklärten Beziehungen
zu türk. torak, magy. taroh etc.). Indessen darf man mit dieser letz-
teren Gleichung noch nicht die Vorstellung von geformtem, getrock-
neten und reifenden Käse verbinden, vielmehr wird Tupö? und seine
Sippe ursprünglich nichts anderes als mehr oder weniger flüssigen
Quark bezeichnet haben, wie dies noch die Bedeutung der slavischen
Wörter ,lac coagnlatum) ist. aus deuen das mhd. tearc, quarc ent-
lehnt wurde. So erklärt sich auch der scheinbare Widerspruch hin-
sichtlieh des Verhältnisses der Germanen zur Käsenahrung bei Caesar
De bell. gall. VI. '22: Mahr parx eorttm rictux in . . caxeo conxixtit
und des Plinius XI, 2)\S): Mirum barbarax gentex quae lacte eivant
igiwrare aut spernere tot saeculix casei dotem, denxantex id alioqui
in acorein iueundu m et pingue butyrum. Plinius dachte eben bei
dem Worte ca-neus an die vorgeschrittene südliche Bereitung des ge-
formten i*formatkux = frz. fromage, it. formaggio) Käse, während
Caesar mit demselben einen weiteren Begriff verband. Die genaueste
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410
Käse — Kastanie.
Nachricht bietet daher Tacitus Germ. Cap. 23, wenn er einfach lac
eoneretum als Speise der Germanen bezeichnet. Dass der älteste ger-
manische Käse noch viel flüssige Substanzen enthielt, zeigt auch der
altnordische Name desselben otttr (woraus finn. juusto) : lat. jus
,Brühe' etc. gehörig. Den säuerlichen Geschmack jenes Käsequarks
hebt altsl. si/rü, altpr., lit. süris ,Käse' hervor : ahd. sur ,sauer" (vgl.
auch alb. hin .Molken") und vielleicht lat. caseus selbst : altsl. Itjsdü
,suner\ Jcea*ü- ,fermentnm' (Fiek: neuerdings Pedersen I. F. I, 37).
Mit der Verbreitung der besseren Methoden der Käsebereitung des
Südens im europäischen Norden hat dann offenbar die Verbreitung des
lat. caxetis (it. eaeio. cnscio, rum. cas, span. quem etc. i in den nörd-
lichen Sprachen Schritt gehalten: ir. caixe, ahd. chdsi, agls. et/se. Vgl.
auch ahd. formizzi aus formatium. — S. u. Lab, Milch und u.
Nah ru ng.
Kastanie. Caxtanea rulgari* oder cexea ist nach Ansicht der
Botaniker im westlichen Transkaukasien, im nördlichen Kleinasien. iu
Thrakien und Mazedonien, sowie in ganz Griechenland einheimisch.
In Übereinstimmung hiermit weist bereits Theophrast (III, 2; 3, 4,
III, 3; 1) auf den Unterschied wilder und veredelter Kastanien hin,
für welche er sich des Ausdrucks Atö? ßdXavo<; bedient. Vor diesem
Schriftsteller lässt sich ein bestimmter und spezialisierender Name
des Baumes in Griechenland nicht nachweisen. Es scheint sich dies
folgendermassen zu erklären.
In ihrer nördlichen Heimat hatten die Hellenen zwei der Kastanie
nahestehende früehtetragendc Waldbäume gekannt: die Eiche igriech.
ßaXavos, lat. glans, lit. gile, altsl. zelqdi ,EicheO und die B u e h e
kriech. <pnTÖ?, lat. fdgus, ahd. huohha). Als sie nun in die Balkan-
halbinscl einrückten und hier auf die wilde Kastanie und den wilden
Walnussbaum stiessen, fassten sie in einer an botanische Unterschei-
dungen noch ungewohnten Zeit die neuen Cupulifereu unter die Namen
<ler alten mit zusammen. So bezeichnete ßriXavoq Eichel und Kastanie
(wohl auch Walnuss), und je nach den Verhältnissen der einzelnen
Landschaften trat bald diese, bald jene Bedeutung hervor. So mögen
die "ApKdbcs ßaXavn,<pcirfoi (Herod. I, 66) immerhin „Eichelesser- ge-
wesen sein, weil gerade in Arkadicu die Kastanie selten war vgl.
Neumann-Partsch Physikalische Geographie Griechenlands S. :\*'2). Auch
bei (priYOS, das seine alte Bedeutung , Buche" bei der Abwesenheit de*
Baumes im eigentlichen Griechenland (s.u. Buche) ganz verloren und
dieselbe mit der einer Eichenart vertauscht hatte, lassen sich Ansätze
nicht verkennen, dasselbe ebenfalls zur Bezeichnung der Kastanie zu
verwenden. Eine Notwendigkeit aber, zwischen Eichel und Kastanie
zu unterscheiden, lag nmsoweniger vor, als einerseits eine griechische
Eichcnart [Queren* aegiJop* L. nach Kenmann Partsch a. a. 0. S. 379)
cssbare Früchte hervorbrachte, andererseits die Früchte der wilden
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Kastanie.
411
griechischen Kastanie keinen besonderen Wohlgeschmack gehabt haben
können. — Mehr und mehr lenkte nun die Ausdehnung des grieeh.
Handels die Aufmerksamkeit nut* die besseren, weil frUhe in Kultur
genommenen Früchte der politischen Länder. Jetzt bürgerten sich,
von den Ausfuhrorten hergenommen, Ausdrücke wie lapbiavm ßäXavoi,
EußoiWi ßdXavoi oder auch Benennungen wie „königliche", „politische"
Nüsse etc. ein, ohne dass es möglich wäre, jedesmal zu unterscheiden,
ob darunter Kastanien, Walnüsse oder auch Haselnüsse gemeint sind.
Wurde doch die Bezeichnung ßdXavoq sogar auf Datteln und Mandeln
angewendet (vgl. ßdXavo^ bei H. Stephanus). Jetzt begann auch die
armenische oder vielleicht überhaupt am Pontns geltende Bezeichnung
der Kastanie hask, kaskeni .Kastnnieubauin . die zu dein zuerst bei
Theophrast <Hist. plant. IV, 8, 11) bezeugten i irrtümlich wie von einem
Ortsnamen KatfTaviq abgeleiteten) KoOtuvcuköv »cdpuov, dann zu Kacttd-
vcuov, xdo*Tavov führte, sich in Griechenland festzusetzen. Dass KCKTraveiov
ein verhältnismässig junges Wort war, lehrt auch die Nachricht des
Athenäiis (II, p. ;r>h nach dem Kphesier Herakleon: xdpua ^xdXouv
xai tü vüv Kaaidvcia. Diese ausländischen Beziehungen zusammen
mit der inzwischen erfolgten Kultur des einheimischen Kastanien- und
Walnnssbaiunes führte nun allmählich zu einer, wenigstens in der
wissenschaftlichen Botanik (noch nicht im Volks hervortretenden ge-
naueren Terminologie der in Frage kommenden Bäume, die sich bei
Theophrast als Aiöq ßdXavo? , Kastanie , Kapüa (nrspr. ,Xuss', .etwas
hartes' im allgemeinen) ,\Va!nuss', Kapüa 'HpaKXewTiKn. Jlaselnuss' dar-
stellt. Weitere, dunkle Bezeichnungen der Kastanie, Xöttiuov, uöta,
üuuuTa, pöo*Tr|va etc. vgl. bei J. Murr a. u. a. O. 8. 71.
Ob die Kastanie aneh westlich der Balkanhalbinsel, in Italien,
Spanien, Südfrankreich von Haus aus einheimisch sei, ist botanisch
nicht ausgemacht, und auch vom linguistisch-historischen Gesichtspunkt
lässt sich nichts entscheidendes hierüber beibringen. Möglich ist, dass
auch die Römer unter den g.'andett, quae deciderant patitla loch
arbore (Ovid Mctanu) sich Kastanien mit vorstellten und vorstellen
konnten, und dass die Ausdrücke nnx valva (Catoi und mix vioUuxca
(lMautus) Versuche zu genauerer Bezeichnung der Frucht darstellen,
nachdem man von den griechischen Kolonien her auf die Kultur des
Baumes aufmerksam geworden war. Schon in den XII. Tafeln kam
anscheinend ylaus (entsprechend «lern griech. ßdXavo«;} als Bezeichnung
der Frucht einer Kulturpflanze vor. Vgl. Plinius llist. nat. XVI, 15:
Catttum est pmeferea lege XII tahularum, ttt gl and ei» in al lernt m
fundum procidentem Uferet colligere. Das von den Griechen entlehnte
Wort custanea aber tritt erst bei Vergil nuf, um dann von römischem
Boden aus, zusammen- mit dem Anbau der Kastanie, den gewöhnlichen
Weg nach dem Norden anzutreten. In den germanischen Sprachen
gilt ahd. chextinna, kestenhattm (heilige Hildegardis), agls. (htenheam
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412
Kastanie — Katze.
(cixtimbeam G. Goctz Thcs. I, 187). Der Anbau von castenarii wird
im Üapitularc de villis T0r 79 vorgeschrieben. Unaufgeklärt ist noch
der romanische Name der Frucht it. marrone, frz. marron neben den
it. castagna, frz. chätaigne. Die Slavcn und Albanesen haben das
gewöhnliche lateinisch-griechische Wort (altsl. kastanl, alb. kextene);
doch kommt im russischen Reich die Kastanie, die in günstigen Sommern
noch bei Christianin reife Früchte hervorbringt, angepflanzt nur in der
Krim und in Bessarabien vor (Koppen Holzgcwächsc II, 144).
Auch die Rosskastanie {Aesculus J lippocastanum) ist in Nord-
griechenland e i n Ii e i in i s c h. Von hier ist der Baum wahrscheinlich
durch die Türken nach Konstautinopel gekommen und durch sie im
XVI. Jahrhundert durch Europa verbreitet worden. — Vgl. J. Murr
Beiträge zur Kenntnis der altklass. Botanik, Programm des k. k. Staats-
gymn. in Innsbruck 1 888 und V. Hehn Kulturpflanzen fi S. 379 ff. S.
u. Obstbau und Baumzucht.
Kasten, s. Kiste.
Castrierung, s. Viehzucht.
Katze. Die Schwierigkeit, die Zeit zu bestimmen, in welcher
die in prähistorischen Schichten nirgends gefundene Hauskatze in Europa
bekannt wurde, liegt in dem Umstand, dass vor und neben der
Hauskatze bei den Alten Wiesel- und Marderarten <s. u. Wiesel) zum
Fangen von Mausen u. dergl. gezähmt worden waren. Es lässt Bich
nun schwer entscheiden, ob unter deren Namen (aTXoupo?, fa\f\f mu-
stela, faeles) nicht gelegentlich auch die Hauskatze verstanden wird.
Ähnliche Schwierigkeiten erwachsen bei den Abbildungen, welche uns
von katzenartigen Tieren aus dem Altertum erhalten sind. Endlich
greift auch die Bekanntschaft der Alten mit der in Europa einheimischen
Wildkatze verwirrend in die vielumstrittene Frage ein.
Sicher dürfte sein, dass die Hauskatze den Griechen der guten
Zeit unbekannt war, weniger ausgemacht, wie hoch ihr Alter in Italien
zu veranschlagen ist. Soll man die liebevolle Beobachtung des Plinius
(Hist. nat. X, 202): Feie« quidem quo silentio, quam levibus vextigiis
obrepunt avibus! quam occulte speculatae in musculo* exiliunt! ex~
crementa nun effossa obruunt terra intellegentex odorem illum indicem
sui esse mit Hehn (Kulturpflanzen0 S. 451) wirklich auf die Wildkatze
beziehen, oder stellen die von Daremberg und Saglio (I, 689) reprodu-
zierten Grabmalereien von Caere und Tarquinii (on voit des chats qui
jouent, pendant le repas, sous les lits et lex tablejf avec des coqs et
des perdrijr prive.es, ou qui saisissent des xouris et des lezards) oder
das ebendaselbst wiedergegebene Bas-Relief des Capitolischen Museums
{representant mm chat que l'on dresxe a danser au son de la lyre)
dem Augenschein entgegen doch andere Tiere als Hauskatzen dar?
Entschliesst man sich, die Hauskatze erst in dem für sie später aus-
schliesslich geltenden Ausdruck cattus zu erblicken, so findet sicli die
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Katze.
■413
erste Stelle, an der sie erwähnt wird, hei Palladius um 450) De re
rustica IV, 9, 4: Contra talpas prodest cattos frequeuter habere in
medii* carduetis. mustelas habent plerique mausuetas. Unzweifel-
haft ist aneh die Hauskatze gemeint in der Biographie des Papstes
Gregors des Grossen von dem Diakon Johannes (um 600): Nihil in
mundo habebat praeter unam cat tarn, quam blandiens crebro quasi
cohabitricem in suis gremiis reforebat.
Woher ist nun dieses auf einmal auftretende cattus gekommen? Dass
dasselhe auf romanischem Boden (auch nun. cütusä, vgl. G. Meyer
I. F. VI, 117) entstanden sei. wie man früher meinte {cattus »Tierchen'
: catulus), ist lautgeschiehtlich nicht möglich. Wohl aher muss es den
nordeuropäisehen Sprachen seit Alters angehört hauen. Ein urkel-
tisches *kattd, Hatto- liegt den keltischen Xamcn der Katze (kymr., korn.
cath Fem., hret. eaz, ir. cat Mask., gäl. cat) zu Grunde. Sprachliche
wie sachliche Gründe (vgl. Thurneysen Kelto-Rom. S. 62 1 hezeugen
die frühe Anwesenheit des Wortes auf keltischem Boden. Von gleichen
Grundformen gehen die germanischen Wörter ahd. chazza und altn.
köttr aus, nehen denen die dazu ablautenden nhd. Kitze, mengl. chitte,
altn. ketlingr, sowie die alte Maskulinhildung ahd. chataro H'adaso-)
bestehen. Cattus ist also ein altes, zunächst nicht weiter deutbares,
kelto germanisches Wort, mit dem auch das gcmeinslav. kotü (vgl. auch
nslov., serb. kotiti , Junge werfen', kot .Brut ) und lit. katt} zu ver-
binden sind. Bei den Germanen wird cattus ursprünglich die wilde
Katze, das Lieblingstier der Freija. deren Wagen von zwei wilden
Katzen gezogen wurde, daneben auch ähnliche wilde Tiere (vgl. G. Goctz
Thesaurus Glossarum einendatarum I, 190: catta bestiolae genus quod
dicitur merth; vgl. agls. mearp , Marder ), bezeichnet haben, und dann
bei dem Einbruch der Germanen in den europäischen Süden auf die
daselbst bereits v orgefundene Hnuskat ze übertragen worden
sein, für die es im Lateinischen noch an einer deutlichen Bezeich-
nung fehlte.
Damit stimmt auch überein, dass der Kriegsschriftsteller Vegctius,
der bereits im IV. Jahrhundert einige Barbarismen (burgus, drungus)
überliefert, Mb. IV, Gap. lf> auch das Wort cattus hat, und zwar in
der offenbar von dem Namen der Wildkatze abgeleiteten Bedeutung
einer Kriegsmaschine: Vinea* di.rerunt reteres, quas nunc militari
barbaricoque usu cattos vocunt (wie cuniculus .Kaninehen' und
,Mine" und musculus .Mäuschen' und .Minirhütte).
Allmählich hat dann das Wort, nunmehr im Sinne von Hauskatze,
namentlich vom byzantinischen Griechisch aus, eine ungeheure Ver-
breitung auch in den Orient (Armenisch, Ossetisch, Persisch, Türkisch)
gefunden. Auch die finnischen Sprachen begreift die Ausdehnung des
Wortes iu sich. In Indien tritt die Katze (sert. inArjära- und vi$dla-)
als Mäusefängerin sehr spät auf. Vgl. M. Müller Indien S. 227—234.
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■414 Katze — Kaufmann.
Was nun die Frage der Herkunft unserer europäischen Hauskatze
anlangt, so ist man wohl mit Keeht der Meinung, dass dieselbe von
Ägypten ausging, wo die Katze seit den ältesten Zeiten hekannt war,
wo sie im Kufe hoher Heiligkeit und Unverletzlichkcit stand, wo un-
zählige Bronzestatuetten und mumificierte Überreste der Katze zu Tage
gebracht worden sind. Doch ist dabei zu beachten, dass nach den
Untersuchungen Virchows (Z. f. Ethuologie, Verhandl. 1 889 S. 458 n.
552 ff.) jedenfalls die älteren, namentlich die auf dem Katzen friedhof
zu Bubastis gefundenen Katzenreste, nicht der domestizierten Haus-
katze, sondern einer gezähmten Wildkatze augehören, die, wie auch
die Abbildungen zeigen, zu Jagdzwecken abgerichtet wurde. Vgl. das
nämliche Motiv auf einer Dolchklinge zu Mykenae (Mitt. d. Inst. v. Athen
VII. T. 8 t. Eigentliche Domestikation soll sich erst bei der felis
maniculata Ruep. finden, deren Spuren an den jüngeren Katzcii-
mumien von Beni- Hassan und Siut hervortreten (vgl. A. Xehring Ver-
handlungen a. a. 0.). Diese ägyptische Hauskatze ist dann, in auf-
fallend später Zeit, nach Europa und zwar zunächst nach Italien Über-
geführt worden, wo sie Vermischungen mit der europäischen Wildkatze
einging. Ausserdem soll an der Bildung unserer gegenwärtigen Haus-
katze nach Xehring auch eine asiatische Species beteiligt sein.
Je vertrauter man in Europa und Asien mit dem Tiere wurde, um
so mehr wuchs die Zahl der Kose- und Schiueichclnaineu für dasselbe.
Unter ihnen am weitesten verbreitet ist der germanische Ausdruck
„Buse", „Bise", der im Osten und Südosten Europas, ja auch in ira-
nischen Sprachen wiederkehrt. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 447 ff.
58U und E. Halm Die Haustiere S. 237 ff. S. aneh u. Viehzucht.
Kauf, Kaufen, s. Handel, Kaulmann.
Kauf ehe, s. Braut kau f.
Kaufmann. U. Handel ist gezeigt worden, dass ein primitiver
Warenaustausch bis tief in die neolithische Epoche unseres Erdteils
zurückgeht. Dieser älteste Handel bewegte sich ursprünglich wahr-
scheinlich von Grenze zu Grenze, von Stamm zu Stamm, so dass es
viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte dauern mochte, bis etwa eine
Goldspirale des Südens nach dem hohen Norden oder ein Bernstein-
stück des Nordens nach dem Süden gelangte. Handelsverbindungen
einzelner werden erst aufgekommen sein, nachdem das Institut der
Gastfreundschaft (s. d.i sich in Europa festgesetzt hatte. Dass
man für die älteren Zeiten noch nicht an Kaufleute als Vermittler
des Warenaustausches denken darf, geht auch daraus hervor, dass sich
die Ausbildung eines K auf mannstandes bei den idg. Einzelvölkern
Europas noch mit ziemlicher Deutlichkeit verfolgen lässt.
In dem homerischen Zeitalter ruht der griechische Handel noch fast
ganz in den Händen der Phoenizier, die neben den Lydern (s. auch
u. Markt) die eigentlichen Krämervölker des Altertums sind. Wenn
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Kaufmann.
415
auch die am Meere angesiedelten Griechenstämme an dem nach Thn-
kydides I, f> im ganzen Becken des Mittelmcers im .Sehwange stehen-
den Seeraub sieh beteiligen, der namentlich durch den Sklavenhandel
eine wichtige merkantile Seite hat, so werden nls berufsmässige
Händler doch beinahe ausschliesslich l'hoeni/.icr genannt: ^ Mit un-
zähligem Tand ,uupf ätovt€? dGüpuaTa Od. XV. 41(5) beladen, landet
das phoenizischc Schiff am griechischen Gestade, wo es liegt, bis der
Austausch der Waren beendigt ist und als Kaufpreis (ujvo«; öbaiwv)
reichliches „Lebensgutu (ßioro<;i, Getreide, Wein, Holz, Vieh, Häute
u. s. w. in Empfang genommen ist, zuweilen ein ganzes Jahr (ib. 4öf>'.
Nachdem die Gunst des Königs durch reiche Geschenke erkauft ist
.11. XXI II, 74") j, werden die mitgenommenen Waren am Ufer, ge-
wöhnlich wohl unter Zelten (Scylax Caryand. Peripl. ed. ('. Müller Geogr.
graec. min. I, 94), zum Verkauf ausgebreitet (burriöccrtkii ,auseinander-
legen', .verkaufen' '. Nicht selten aber gehen die phoenizischen Händler
selbst in die umliegenden Ortschaften, um ihre Waren feilzubieten.
Dann drängen sich namentlich die Weiber, Sklavin wie Herrin, gierig
um den fremden Mann, das noch nie gesehene Kleinod mit den Händen
befühlend (xepcriv t* duq>a<pöu)VTO Kai 6q>8aXuoto-i öpÜJVTO, Od. XV, 462 .
Noch nicht vermittelt das gegenseitige Verständuis der Sprachen den
Verkehr. Oer Käufer hält seine Gegengabe dem Verkäufer entgegen
• lüvov ^maxöuevai ib. 463), und dieser giebt durch das Nicken des
Kopfes sein Einverständnis schweigend zu erkennen (ö bfc Trj Kcrreveuae
<Tiumrj ib. 463 . Weiber, die ihre übergrossc Neugier auf das Schiff
des fremden Kaufmanns selbst geführt hat, werden nicht selten ent-
führt und in die Sklaverei (Hcrod. I, 1) verkauft" (nach Vf. a. u. a. O.
S. 69).
Ein deutlicher Ausdruck für Kaufmann ist in der homerischen
Sprache noch nicht vorhanden. Das Wort luiropo;, welches später
den Grosskaufmann bezeichnet (davon i^nopir\ .Handel' zuerst bei Hesiod),
bedeutet bei Homer (Od. II, 319, XXIV, 300) ausschliesslich einen,
der in einem fremden Schiffe auf dem Meere führt. Will man den
Begriff Kaufmann ausdrücken, so tnuss man eiue Umsehreibung ge-
brauchen. So sagt Enrvalos, der Phaeake, zu Odysseus (Od. VIII,
K)9ff.):
„Du gleichst keinem Kämpfer,
dXXd tüj, öq 8' etuet vn/i TroXuKXrpbi 6aui£ujv
äpxöq vautdujv, oi Tt Trpn.KTn.pfcq *amv,
(pöpTOu T€ uvrmujv Kai fcniöKOTTO? rjaiv öbauwv
KEpbfc'uiv 6 äprraXfcujv;'.
Kaufleute sind also „Schiffer, die auf einer Unternehmung (TrprjSiSi be-
griffen sind". Zugleich zeigt die Stelle die tiefe Verachtung, die der
homerische Held noch dem Gewerbe des Kaufmanns entgegenbringt, und
die sieh auch in der Bezeichnung der phoeuizischen Händler mit Aus-
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416
Kaufmann.
drücken wie tpwktcu, TroXimamaXoi, Tro\uibpi€<;, äiraTriXia eiöÖT€<; aus-
spricht. Diese Verachtung ist dann, während die ^uTropia allmählich
zu hohem Ansehen emporstieg, an dein Kleinkrämer, dem kütttiXo^,
hatten geblieben. Auch dieses Wort hatte, wie die angeführten, ur-
sprünglich einen anrüchigen »Sinn (zuerst von Aeschylus gebraucht
frgm. KamiXa npocrqpepujv 9povr|uaTa. vgl. dazu Et. M. p. 490. 12:
ö b€ Alo"xuk°S T« böXict tt ci vt et KämiXa und Phrvnieh. in Bckk. aneed.
p. 49, 9 KdTTnXov qppövrma ,TTaXiußoXov' und ,oüx vfiiq) und ist, weil
häutig auf Krämer angewendet, schliesslich eine substantivische Be-
zeichnung derselben geworden (anders, aber kaum richtig Prcllwitz
Et. W.t. Weiteres über die Terminologie des griechischen Handels
und Kaufmannsgewerbes vgl. bei J. .Müller Privataltertttmer* S. 2öl\
Die lateinischen Ausdrücke mercator und negotiator bieten für die
Entwicklung des Kaufmannsstandes in Koni nichts bemerkenswertes
(über lat. merx ,Ware' s. u. Handel). Dass ein solcher sich vor-
wiegend unter griechischem Einfluss entwickelte, lehren die zahlreichen
in dieses Gebiet einschlagenden Entlehnungen aus dem Griechischen
(vgl. <>. Weise G riech. Wörter im Lat. S. 214 ff. und A. Saalfeld Italo-
graeca Heft 2, S. 43 ff.), von denen die wichtigste die Übernahme des
lat. arrhaho, nrra, raho Plnut.) .Handgeld', .Angeld aus gricch.
üppaßwv (Isaeus/ sein dürfte, das selbst wiederum dem hebr. 'friihäu
.Unterpfand' entnommen ist. Diese Entlehnungsrcihe ist ein schlagendes
Zeugnis dafür, wie sehr der antike Handel des Mittelmecrs unter se-
mitischem Einfluss steht. Zahlreiche Bezeichnungen haben sich ferner
im Lateinischen für den Kleiukaufmann. den Krämer herausgebildet,
Wörter wie cöpo, catipo wenn ersteres nach Thurneyscn K. Z. XXVIII,
löT die ältere Form ist, vielleicht im Ablauf : KUTTnXo«; stehend), mttngo
:.uü.rravov , künstliches Mittel , d. i. einer, der seine Waren künstlich
herausputzt), cocio, coctio (Ungewissen Ursprungs, vgl. it. eozzone, alt frz.
coxMon), arrilator ' vgl. o. arra) und manche andere, von denen einige
für den Norden Europas eine ausserordentliche Bedeutung erlangt
haben.
Was diesen betrifft, so berichten die römischen Quellen, vor allem
Caesar De hello gallieo, zunächst von einem a 1 1 g a 1 1 i s c Ii e n Kauf-
mannsstand. Gallische Kaufleute waren die Träger von Neuigkeiten
durch Gallien (IV, .Vi bis nach Britannien IV. 21,:")), wo sie aber nur
die Küsten des Landes kannten IV, 20. •> 4 . Auch über den Khein,
zu germanischen Stämmen, den Ubiern 'IV, 3) und den Sueben iIV, 2),
wagten sie sieh, und von ihnen erfuhr Caesars Heer 1 1, 39) die eisten
erschreckeuden Nachrichten Uber die Körperstärke und Tapferkeit der
Germanen Ariovists. Doch kann man in allen diesen Fällen zweifel-
haft sein, ob man es wirklich mit Händlern gal 1 i scher Nationalität,
und nicht vielmehr mit solchen italischer Herkunft zu thuu hat;
denn schon im Jahre 69 v. Chr. hatte Cicero (pro Font. 1 §11) Gallien
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Kiiui'uiann.
417
angefüllt mit römischen Händlern treferta negotiatorum, plena civium
Jiomanontm) genannt. Nach Beendigung <les Beigerkrieges schickte
Caesar (III, 1—6) ein eigenes Streif korps ah, um die nach dem Genfer-
sec und der Rhone fahrenden Alpenpässe den italischen Kaufleutcn zu
öffnen iquod iter per Alpes, quo magno cum pericuh magnisque cum
portoriis mercatores ire consuerant, pate/ieri colehat). Umsonst hatte
eine Anzahl kriegerischer »Stämme, die Beiger (I, 1), die Xervier > II, 15 1,
die Suchen (IV, 2) versucht, ihre Grenzen gegen die südlichen Waren,
vor allein den Wein, von dessen Genuss sie eine Entnervung ihrer ge-
waltigen Leiber fürchteten, zu sperren. Der übermächtige Kulturstrom
riss alle Hemmnisse nieder.
Je festeren Fuss dann die römischen Legionen am Rhein und an
der Donau fassten, umso unerschrockener wagten sich die römischen
Händler in das Innere Deutschlands vor. In der Hauptstadt des Marko-
mannenkönigs findet Catualda eine Kolonie römischer Krämer (Tac.
Ann. II, 62: Xoatris e procineiis lixae ac negotiatores reperti, quon
ius commercii, dein cupido augendi pecuniam .... hostilem in
agrum tramtulerat). Dieselben lixae ac negotiatores llomani werden
auf einer Insel der Bataver erwähnt (Tac. Hist. IV, Mi,. Scurrae
,Possenrei88er' werden von Ammian. (XXIX, 4) als Handelsleute in
Deutschland genannt.
Wie schon aus dem Bisherigen hervorgeht, sind es die niedrigsten
Klassen römischer Kaufleute gewesen, im Verkehr mit denen sich der
germanische Handel entwickelte, und dass dem wirklich so war, folgt
aus der bedeutsamen Tbatsache, dass zwei römische Benennungen für
derartige Krämer und Kleinkaufleute, caupo und mango, im Ger-
manischen die Quelle einer ausgebreiteten Handelstcrminologie geworden
sind. Aus lat. caupo, das am häutigsten ,Höker mit Wein' u. dergl.
bedeutet (vgl. G. Goetz Thesaurus I, 192 caupo: negotiator fraudu-
lentu*: qui vinum cendit; qui vinum cum aqua miscet; pessimum, qui
de tino aquam facit etc.), ist die ungeheure Sippe von ahd. choufo »Kauf-
mann* und altn. kaup, ahd. chouf, agls. ceap ,Kanf entlehnt; dazu verbal:
got. kaupön, ahd. choufan, agls. ce"apian, altn. kaupa u. s. w. Ihre
Bedeutung ist eine ungemein reiche. Verbal bezeichnet sie .einen Tausch
vornehmen' (ahd. choufan ,commutare ) und kann sowohl auf den Käufer
wie auch auf den Verkäufer (ahd. chouf/önto ,vendcndo) bezogen
werden. Daneben hat es die Bedeutungen ,ein Geschäft machen*,
, Handel treiben', ,Gc\vinn ziehen', ,einen Vertrag schliessen, .bezahlen'
und ähnliche entwickelt. Das Substantivum „Kauf4* ist ganz allgemein
das Tauschgeschäft zwischen Käufer und Verkäufer, Verkauf wie Ein-
kauf, dann aber auch der Gegenstand des Kaufhaudcls, die Ware, und
endlich das Kaufmittcl, der Preis (daher agls. ceap geradezu ,Vieh').
Die eigentliche Grundbedeutung von „kaufen'' muss nach alledem ge-
wesen sein: ,mit einem caupo d. h. mit dem Händler des begehrtesten
Schräder. Reallexikon. 27
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4 IM
Ivnulinaiin.
Gutes des« Nordens, dem Wein, Handelsgeschäfte treiben'. Geringere
Verbreitung, aber ganz verwandte sprachliche und seinasiologisehe Er-
scheinungen zeigen die Entlehnungen aus lat. mango, hauptsächlich der
.Sklavenkäufer' (vgl. Thes. I, (576: mango ,<JiuuaT6|U7Topos, u€TotßöXo<;
njoi MtranpaTri«; dvbpairöbuuv') : altn. manga ,negotiari', mang ,merea-
tura', mangari ,mcrcator\ agls. mangian ,negotiari . mangere ,incrcator",
ahd. mangari, uihd. mangiere .Händler'. So spiegeln sich in den beiden
Eutlehnungsrcilien von caupo und mango gewissennassen die beiden
Grundlagen des römisch- barbarischen Handels ab. Man begehrt den
Rausehtrank und giebt dafür den Sklaven, oder man begehrt den
Sklaven und giebt dafür den Rauschtrank: bibövT€<; fdp oivou Kepduiov
ävTiXot|ißdvouo*i Traiba, toO TTÖuaios biäxovov äueißöuevoi. wie es l)io-
dorus V, 20 von den italischen Kaufleuten in ihrem Verkehr mit den
Galliern berichtet.
Dass durch diesen Verkehr der Germanen mit römischen Kaufleuten
sieh schon in altgcrmanischcr Zeit ein einheimisches Gewerbe vou
Händlern herausgebildet hätte, ist wenig wahrscheinlich, obwohl es
von W. Wackernagcl Gewerbe, Handel und Schiffahrt der Germanen
(Kl. Schriften I, tiö) als sicher angenommen wird. Was Tacitns Germ.
Cap. 41 von dem Verkehr der Hermunduren in Augsburg berichtet:
SoUx Germanorum non in ripa commercium (ein Ausdruck, der lehrt,
wie scheu im allgemeinen der Verkehr mit den Germanen noch war),
sed penitux atque in splendidhsima liaetiae provinciae coloniit. paxsim
sine cu*tode tranxeunt etc., ist ganz allgemein und braucht sich keines-
wegs, wie W. glaubt, auf berufsmässige hennundurische Händler zu
beziehen. Auch sonst ist von germanischen mercatore* und negotwtores
in dieser Zeit nirgends die Rede, und erst später hört man von Handels-
reisen einzelner, wie der des Franken Samo um 613 zu den Wenden.
Die westgermanische Bezeichnung des Kaufmanns ahd. choufman (neben
choufo), agls. ciapman (altn. kaupmabr) wird sich zunächst auf die
fremden Händler bezogen haben. Noch dunkel ist die Sippe von ahd.
phragandri .Pfrägner, Händler', pfragenara jä-ropavöuoi', altn. pranga
,to traffic', prang ,traffic', prangari ,a trafficker'. Wahrscheinlicher ist,
dass auf germanischem Boden erst mit dem Aufkommen grösserer
Städte ein eigener Handelsstand sich ausbildete. Jetzt beisst die
Stadt, wie im Altnordischen, direkt kaupangr, d. h. ,Kanfwiese\ und
im Hochdeutschen werden kauf man, kottfliute und fmrg&re, market
und »tat (koufstat) identische Begriffe (vgl. Hildebrand in Grimms
W. V, Sp. 338, M. Heyne Wohnungswesen S. 202). Wichtig für die
spätere Entwicklung des Kaufmannsstandes: G. Steinhausen Der Kauf-
mann in der deutschen Vergangenheit Leipzig 1899.
Der bedeutende Einfluss aber, der für den Norden von dem lat.
caupo ausging, setzt sich durch die Germanen auch zu den Slaven,
den Litauern und Preussen. ja, zu den linnischen Völkern fort,
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Kaufmann — Keller.
41»
wie altsl. kupfi ,etuptio', kupiti ,kaufcn* (nicht wie hei den Deutschen
auch , verkaufen'), kuplja, kuplcl, lit. küpzius .Kaufmann', altpr. kau-
piskan .Handel', finn. kauppa ,mereatura\ kaupunki ,Stadt' iaus altn.
kaupangr,, kauppias ,Kaufmann' u. s. w. zeigen.
Auffallend könnte bei dieser sprachlichen Abhängigkeit der Slaven
vom germanischen Handel (weiteres darüber vgl. hei Vf. a. u. a. 0. S. 92)
sein, dass die Russen schon nach den ältesten Berichten, die wir v.»n
ihnen haben, als äusserst gewandte Handelsleute auftreten. Der Araber
Ihn Fosslan (921/922) schildert ihre Handelszuge die Wolga herunter,
die sie unternahmen, um mit den Wolga-Bulgaren zu handeln, und aus
den griechischen Quellen wissen wir, dass zum Anfang jedes Sommers
grosse Flotten russischer Kauflente in Byzanz ankamen. Diese nis-
sischen G rosskauf leute Iiiessen go«tl, eigentlich ,Gäste', wahrscheinlich
weil ihnen vertragsmässig in der griechischen Hauptstadt Unterhalt zu
gewähren war (vgl. Ewers Ältestes Recht S. 180). Indessen kann nicht
bezweifelt werden, dass diese Russen damals noch stark mit skandi-
navischen, also germanischen Kleineuten versetzt waren, die nach
Nestors Bericht im Jahre 802 die unter sich zerfallenen Slaven herbei-
gerufen hatten i vgl. W. Thomsen Der Ursprung des russischen Staates
S. 12 ff. ... Die Handelsuntcrnehmungen dieser Russen stellen daher nur
einen Austiuss des Geistes der Wickinger dar, die seit Jahrhunderten
den verwegenen Seeräuber und gierigeu Handelsmann in sieh vereinigt
hatten. In späterer Zeit sind die Slaven dank ihrer geographischen,
Byzanz und den orientalischen Handelsrouten benachbarten Lage aller-
dings auch selbst geschickte, dem deutschen Handelsmann sogar über-
legene Kauflente geworden. — Vgl. Vf. Handclsgeschichte und Waren-
kunde 1, H8ff. S. u. Handel.
Kaviar, s. Stör.
Kebsweih, s. Beischläferin.
Keil, s. Heer.
Kelch, s. Gefässe.
Keller. Die Kunst, gemauerte, unter den Häusern gelegene
Vorratsräumc auszubauen, ging zusammen mit dem übrigen St ein bau
(s. d.) von den Griechen zu Römern und von diesen wieder in den
Norden Europas über. Hiervon legt die Sprache vielfaches Zeugnis ah.
Aus giiech. uttötcuov ^unterirdisches') und ctTToenKn. (»Aufbewahrungs-
ort für Wein ) stammen lat. hypogaeum ,Kcllerge\völbc' und apotheca,
aus lat. celldrium (: cella) sind ahd. chelldri, altndd. kellen (vgl. auch
alh. k'itär und altsl. kelarl) hervorgegangen. Doch ist zu bemerken,
dass das lateinische Wort nur einen oberirdischen Speise- und Vorrats-
raum, nicht einen unterirdischen Bauteil bezeichnete, und dass dies
daher auch zunächst die Bedeutung des ahd. chelldri gewesen seiu
wird, mit dem ausser lat. celldrium (agls. hord-ern, hydd-ern ,Scbatz-
haus') auch lat. apotheca (agls. icinhim) und promphtarium übersetzt
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420
Keller — Kermes.
wird (vgl. M. Heyne Wohnungswesen S. 92). Die litn-slavischen Sprache»
bedienen sich für den Begriff des Kellers der Sippe von lit. lletuty
altsl. MM, das ursprünglich nur ein geflochtenes (oberirdisches) Vorrats-
häuschen bezeichnet haben kann. Weit verbreitet im Slavischen ist auch
pivlnica ,Keller' : piti .trinken'. — S. u. Hans, .Stall und Scheune
(Speicher), St ein bau.
Kelter, s. Wein.
Keramik, s. Gefässe, Töpferscheibe.
Kerbel, s. Garten, Gartenbau.
( ereallen, s. Getreidearten.
Kerker, s. Strafe.
Kermes. Griechen und Römer kannten einen kostbareu roten
Farbstoff, der nach ihrer Meinung auf den Ästen und Blättern einer
Eichenart vorkäme. Schon Theophrast (III, 7, 3) spricht von dem
tpoiviKOÖs kökko£ der Ttpivo?, und Dioskorides (IV, 48) nennt die
Kermeseiche (kökko? ßa<piKn,) in Galatien, Armenien, Asien (Asia pro-
consularis), Cilicicn und Spanien. Unbekannt aber war ihnen, dass
dieser Stoff nicht in das vegetabilische, sondern in das animalische
Keich gehöre und von einem Würmchen stamme, das getrocknet und
ansgepresst den purporartigen Saft liefere. Dies ist aus einem doppelten
("»runde auffallend.
Einmal hatte schon Ktesias (Frgm. 21 cd. C. Müller) aus Indien
folgende Nachricht gegeben: napd be iäq mitd? toö ttotcmou toütou
^f/Tl TT€(pUKÖ? ÖVÖOq TTOO<pUpOÖV, iE OU TTOp<pÜpa ßdlTT€T0tt OÜb€V fjTTWV
Tn<; 'EXXnviKti? dXXd Kai ttoXü cOav0€O*Wpa • öti auTÖSi £o*ti tevöueva
0r)pio tö u€ff6oq öaov Kdvdapo?, ipvbpä bk üjfjirep Kivvdßapr noba? b€
^X£i uapKpouq CKpöbpa. uaXaKÖv be ionv u>o*irep o"KwXn£. Kai Yiverai
Taöia im tu»v btvbpuiv tujv to n>6KTpov <p€pövTuiv Kai töv Kaprcöv
Kateaeifci auTiüv Kai biaq>8eip€i uxmcp toi? "EXXnaiv o\ (p6€ip€<; tö?
uuit^Xou«;. touto ouv tu. Br\p\a TpißovT€q oi 'Ivboi ßttTrrouö'i to? <poi-
viKiba? Kai toO? x»TUJva? Kai dXXo öti öv ßouXumai • Kai tio"'i ßeXriu>
tiüv Ttapd TT^ptfaiq ßaupdiuiv. So sehr nun auch Wahres und Falsches
hier durcheinander läuft, und so sehr man über die Pflanze im Un-
gewissen bleibt, die jene Würmer trägt, so wenig kann doch bezweifelt
werden, dass hier von einem indischen Schar lach wurm klar und
deutlich die Rede ist. Hiermit dürfte dann die Notiz des Flavins
Vopiscus aus dem Leben des Aurelian (Cap. 29) zu verbinden sein,
nach welcher der Perserkönig dem Kaiser Purpur geschickt habe,
dessen Farbenpracht den römischen völlig in Schatten gestellt habe:
Jloc munus re.r Persarttm ab Indis interioribun mmptttm Aure-
liane) dedisse perhibetur. Die römischen Kaiser hätten dann, so heisst
es weiter, in Indien selbst nach diesem Purpur forschen lassen, aber
vergeblich, wahrscheinlich eben, weil man nach Purpur und nicht nach
Kermes Umfrage hielt.
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Kermes — Ketto.
421
Zweitens aber muss bei den orientalischen Völkern die wahre
Herkunft des Kermes schon iu sehr alter Zeit bekannt gewesen sein.
Dies folgt unzweifelhaft aus der althebräischen (vgl. Exod. 2:"), 4; 20,
1, 31 etc.) Bezeichnung für das zur Kunstwirkerei verwandte seharlach-
farbige Garn tölaat mni, das wörtlich .Wurm des Glanzes' bezeichnet
(vgl. weiteres bei Riehni im Bibellexikon und Siegfried-Stade Wbv.
Dein jüngeren Hebräisch gehört der Ausdruck karmil an (2. Cliron. 2,
6 etc. . über dessen Ursprung s. unten. — Im Occident begegnet
die erste Erwähnung des Scharlach wuruis erst hei Isidor. Orig. XIX, 2H, 1 :
kökkov Graeci, uns rubrum neu cerniiculnm dieimus. est enim
renn/culus er sihestribus frondibus. Dieses rtnuieuhts, von dem
it. ceriuitjlio, frz. rermeil etc., die romanischen Bezeichnungen der
Scharlaebfarbe, abstammen, entspricht dem arabischen al qirmiz, das
durch die Araber und den Levantischen Handel eine grosse Verbreitung
in Europa erlangte: span. alqnermez, frz. Kermes, it. cremisi, griech.
KpiiueZiTiKO?. alb. kenne, russ. karmazinu (türk. kermtz .Scharlach-
laus', kr ruuze .kermesrot' u. s. w. Vgl. Miklosich Türk. Elem. S. 90.
Das arabische Wort steht natürlich in Beziehung zu dem oben genannten
hehr, karmil npers. kermiel, armen, karmir ,nuppöc', .Scharlach' und
führt in letzter Instanz auf seit, ki-mi- ,Wunn'. Auf den Orient geht
auch mlid. xcharldt, scharlactn>n, ndl. scharlaken L'mdentung nach
mhd. lachen ,Tuch\ it. scarlattn. mlat. scarlatum etc. zurück. Vgl.
npers. sakirlät (türk. iskerleti.
Neben dem im Bisherigen behandelten Cocctis ilicis ist aber für
Europa noch ein Coccus arborum zu beachten, d. h. eine Art Kermes,
welche an den Wurzeln ganz verschiedener Pflanzen (vgl. Beekmann
und Miklosich a. u. a. O.) gefunden und als Coccus l'olonicus bezeichnet
wird. Dieser wurde in Deutschland schon im XII. Jahrhundert ge-
sammelt und namentlich von den Klöstern als Tribut erhoben. Be-
sonders häufig muss er in den Slavcnlündern (daher C. l'olonicus) vor-
gekommen sein, wofür einerseits das Durcheinandergehen der Wörter
für .Wurm' (altsl. *cerm-, criici = sert. krmi- s. o.) und ,rot' (cn'i-
minü. eigcntl. .von Würmern'), andererseits die altslavischcn Monats-
namen crüc'tnü und erüctei (Juni und Juli), d. h. die Mouate, in denen
die Scharlachwürmer gesammelt werden, eine lebendige Illustration
bieten. Sowohl der Coccus ilicis wie der C. arborum sind dann in
neuer Zeit durch die echte Cochenille, den amerikanischen Coccus
cacti, zurückgedrängt worden. — Vgl. Beckmann Beiträge III, 1. 1 ff .
und .Miklosich Die slavischen Monatsnamen (Denkschriften d. kais. Ak.
<I. W. phil.-hist. Kl. XVI, 7; dazu Et. W. S. M}. S. u. Farbstoffe.
Kerze, s. Licht.
Kessel, s. Ge fasse.
Kette. Die charakteristischen Pormen der Kette treten während
der Bronzezeit (z. B. iu dem der reinen Bronzezeit angehörten Pfahl-
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422
Kette — Keule.
hau von Wollishofen bei Zürich) an mannigfachem Schmuck hervor,
und sind zu praktischen Zwecken zuerst an bronzenen Kettenzügeln
und eisernen Kettenpanzern nachweisbar, beides wohl verhältnismässig
späte Erscheinungen, die bereits auf die gallische Kultur der La
Tene-Periodc oder auch schon auf römische Einflüsse hinweisen (vgl.
Fndsct Das erste Auftreten des Eisens Hamburg 1892 pnssim). Von
Italien aus ist auch das lat. catena, hauptsächlich ,die schwere eiserne
Kette' in einen Teil des nördlichen Europa übergegangen: ahd. ketlna,
thetlnna aus vulgärem cadtna. nmdl. ketene und kymr. cadtryn ans
lat. catena (vgl. auch alts. cosp, agls. cosp .Fessel' aus lat. cuspis,
byzant. koucttto«; .Fesselblock').
Einheimische, aber ineist dunkle und unter einander nicht zusammen-
hängende Bezeichnungen der Kette in den europäischen Sprachen sind
neben lat. catena : griech. ctXuffi^ ''zuerst Herodot IX, 74: ex toö
ZuKJTtipoq toö GuupnKO? tepöpee xaXKtn, äXucn bebeutvriv äfKupav cfibr|-
p€r|v; natürlich aber würde man auch schon unter den homerischen
beauoi äppmcxoi, <5XuTOi, mit denen Hephaestus die Liebenden Od. VI II,
27f> fesselt, sich eherne Ketten vorstellen könnem, ir. slabrad F. vgl.
Zeuss Gr. Cclt.* S. 8f>t>), gemeinsl. altsl. lanlcugü (lit. le.nchhjas,. In
der Urzeit wird man sich zur Fesselung der Zweige und Stricke (s. d.)
bedient haben. Eine sehr alte Bezeichnung hierfür liegt in griech. Trebn.,
lat. pedica, agls. /Wer. altn. f'jöturr. ahd. fezzera vor, sämtlich : *ped-
.Fuss' gehörig, eigentlich also .Fussfcssel'. Ulfilas kann ein eigentliches
Wort für den Begriff der metallenen Kette noch nicht gehabt haben.
Er übersetzt das griech. äXuffiq mit eisarnabandi , Eisenbande', naudi-
bundi jXotbande' und kuna-icida (agls. cyneicfoüe, ahd. khunauithi,
cuoniotridi), letzteres vielleicht ,Kniefcsser (knna- : kniu .Knie . ga-
teidan ,binden ) bedeutend. — Im Orient sind eiserne Ketten zuerst in
dem berühmten Eisenfund von Khorsabad nachweisbar <vgl. Beck Das
Eisen I, VMS).
Keule. Aus Eichenholz hergestellte Keulen sind in mehreren
Exemplaren in den Pfahlbauten von Wangen, Hohenhausen und Meilen
gefunden worden (vgl. Keller Pfahlbantenberiehte I, 7tf, II, 14(i, V, 1
Ferner finden sich hier wie namentlich im skandinavischen Norden
(vgl. S. Müller Nordische A.-K. 1, 1-14} nicht selten Steinkugeln und
Steinscheiben mit Sticllocb oder mit einer Rülle zur Schaltung ver-
sehen, die von den Urgeschiehtsforschern wohl mit Recht als Aufsätze
zu keulenartigen Waffen aufgefasst werden. Auch bei den idg. Völkern
ist die Keule eine bis an die Schwelle der Überlieferung fortgeführte
Waffe. Wie bei den Indem Indra, bei den Irauieru Mithra, so wird
auch der griechische Xationalheros Herakles, und werden andere Heroen
der Vorzeit mit ihr ausgestattet. Ferner führen sie die (germanischen Y)
Hilfsvölker auf der Säule des Trojan, und bei den Litauern Tac.
Germ. 4ö: Ranis fern, frequens fustinm usus) war sie zur Zeit des
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Keule — Keuschheit.
423
Tacitus noch eine ganz gewöhnliche Waffe (vgl. dazu Z. f. Ethnologie
XVIII, Verhandl. S. 382 über den Fund einer altprenssischen Keule
von Bothau K. Rüssel).
Eine idg. Gleichung für diese nach dem obigen ohne Zweifel uralte
Waffe konnte aber bis jetzt nicht ermittelt werden. Arisch ist sert.
tdjra- = aw. razra-, griech. pönaXov (: pam^ .Rute) und Kopüvn. (: Kpdvov
,Hartriegcl'), lat. cläca (: lat. clädes, percellere, lit. kdlti schlagen ),
ahd. kolbo, altn. kölfr, kylfa (: lat. globus .Kugel', .Klumpen' V i, lit.
yrundhO.s c altpr. grandko , Bohle', lit. grindig, altsl. grrdü ,Balken)
n. s. w. — S. n. Waffen.
Keuschheit. Zweifellos haben in den alteren Epochen der idg.
Völker wesentlich andere Anschauungen über den geschlechtlichen Ver-
kehr von Mann und Weib als heutzutage geherrscht. Am unzwei-
deutigsten tritt dies in dem von allen älteren Rechten dem Eliemaune
eingeräumten, unbehinderten Geschlechtsverkehr mit anderen Frauen,
60\veit er dabei nicht in einen fremden Bezirk einbricht, hervor. Um-
gekehrt wird das fleischliche Vergehen der Ehefrau seit Urzeiten mit
den strengsten Strafen (s. u. Ehebruch) geahndet. Dies gilt bei den Ger-
manen auch hinsichtlich des Verlobungsverhältnisses, bei dem strenge
Bestimmungen gegen die Untreue der Braut, aber keine gegen die des
Bräutigams erlassen werden (vgl. Boeder Familie der Angelsachsen,
Stud. z. engl. Phil. IV, 38). Es inuss daher eine Zeit gegeben haben,
in welcher die Forderung der Keuschheit innerhalb der Ehe (oder Ver-
lobung) nur hinsichtlich der Ehefrau erhoben wurde. Auch hierbei
aber zeigt das eigentümliche Institut des Zeugungshcl fers is. d. ,
nach welchem der eigentliche Ehemann im Falle seines Unvermögens
einen kräftigeren Genossen an seine Stelle setzen konnte, oder zeigt
die bei den Nordgermanen noch nachweisbare Sitte (s. u. Gastfreund-
schaft), dem geehrten Gaste Beilager mit dem eignen Weibe zu ge-
statten, dass nicht sowohl der aussereheliche Umgang der Frau an
sich, als vielmehr nur der ohne Wissen und Willen des Ehemanns
geschehende verpönt war.
Je höher wir in das Altertum hinaufsteigen, umso unverhüllter tritt
der Gedanke, dass die Ehe lediglich dazu da sei, um Kinder, d. h.
Söhne zu erzeugen, hervor. Die Ehe wird Uberorum quaerendorum
cattga geschlossen, wie es auch ein agls. Spruch iRoeder S. 84 i her-
vorhebt: „(An Zahl) zwei sind die Ehegatten : es sollen Weib und
Mann Kinder in die Welt setzen durch Geburt". Dabei werden Ge-
bräuche überliefert, die wir vom heutigen Standpunkt als unkeusch
bezeichnen würden, und die zeigen, welche ungeheuren Umwälzungen in
unseren sexuellen Anschauungen eingetreten sind. Im alten Rom wurde
die Braut auf das gewaltige Glied eines Priapus gesetzt, und in
Griechenland wie in Italien bildete von den grauesten bis in die
christlichen Zeiten das öffentliche Herumtragen des aufgerichteten Gliedes,
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42i
Keuschheit.
des (pdXXos (vgl. ir. 6a?/ ,membrum'), bei Hochzeiten, Weinfesten und
dergleichen einen gewöhnlichen, von der Absingnng obscoener Lieder
begleiteten Teil der Feierlichkeiten (vgl. d. Artikel Phallus in Paulys
Realeneyklopädie). Die litauische Jugend opferte, wenn sie dem
Bräutigam die Braut zuführte, dem l*izius, d. h. dem Phallus (lit. pisti
,coire cum femina', griech. ttco? .membrnm virile'). Aber auch von den
Germanen berichtet Adam von Bremen: Tertius est Fricco, pacem
voluptatemque largiens mortalibus, cuius etiam simulacrum fingunt
ingenti priapo; si nuptiae celehrandae sunt , [sacrificia
offerunt) Fricconi 'vgl. J. (trimm Deutsche Mythologie I3, 193,
II, 12U0 und weiteres bei Vigfusson Corp. Poet. Bor. II, 381 f.).
Wenn nach dein obigen an die Keuschheit des Mannes während
der Ehe keine Anforderungen gestellt wurden, so wird dies in noch
geringerem Masse hinsichtlich der Zeit v o r der Ehe der Fall gewesen
sein. Was Caesar De bell. gall. VI, 21 in dieser Hinsicht von den
(iermauen belichtet (gut diutisshne impttheres permanserunt , maxi-
mam int er sitos ferunt landein), hat seinen Grund nicht in irgend
welchen Vorstellungen von der Unsittlichkeit vorchlichen Geschlechts-
umgangs, sondern in ganz anderen Erwägungen (hoc ali staturam, ali
vires nerrosque confirmari pntant). Die Hauptfrage ist daher, wie es
in alten Zeiten mit der Keuschheit der Jungfrauen vor der Ehe
bestellt war. Wer die Kapitel 18 — l'Ü der Germania des Tacitus in
Betracht zieht und die in ihnen enthaltene Verherrlichung altger-
tnanischer Keuschheit zusammenhält mit den strengen Befugnissen,
welche die altgermanischcn Rechte (vgl. Wilda Strafrecht S. 809 ff.)
dem Vater, Mnndwalt oder den Blutsfrcunden gegen den Beiliegcr der
Tochter u. s. w. sowie gegen das Mildchen selbst einräumen, wird,
obgleich Tacitus an der angegebenen Stelle strenggenommen nur die
Reinheit der Ehe hervorhebt und die Prostitution ipuhlicata pudi-
eitia) als ungennanisch bezeichnet, leicht zu der Überzeugung gelangen,
dass voreheliche Enthaltsamkeit des Weibes eine unausweichliche For-
derung des altgermanischcn Volksbcwnsstseins war. Nun haben aber
die Kulturforscher schon längst die Aufmerksamkeit auf die in weiten
Teilen Deutschlands und anderer Länder Europas fest eingewurzelte
Sitte der Kiltgänge und Probenächte (vgl. F. C. J. Fischer Die
Probenächte «1er deutschen Bauernmädehen) hingelenkt, in denen den
Burschen die Kenntnis, Prüfung und der Genuss der Reize ihrer
Mädchen gestattet wird, und auf welche die Ehe erst dann zu folgen
pflegt, wenn die Schwangerschaft derselben offenbar ist. Hierzu kommt,
dass die in neuester Zeit Uber „die geschlechtlich-sittlichen Verhältnisse
der evangelischen Landbewohner im deutschen Reiche" angestellte Um-
frage (vgl. die unter diesem Titel erschienenen Publikationen des Pastors
0. Wagner B. I und II Leipzig 180") und 96) zu dem überraschenden
Ergebnis geführt hat, dass, während die ehelichen Zustände
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Keuschheit.
4-25
auf dem Lande gute siud, die Mehrzahl der Mädchen defloriert in
die Ehe eintritt, und andere Beobachtungen (vgl. L. v. Schroeder
Die Hocbzeitsbräuche der Esten u. 8. w. S. 196 ff.) zeigen, dass dasselbe
zweifellos auch von dem katholischen Deutschland und überhaupt in
weiten Teilen Europas gilt. Wollte man die nach den obigen Er-
hebungen bei unserer Landbevölkerung herrschenden geschlechtlichen
Verhältnisse in griechischer Sprache wiedergeben, so könnte man sich
einfach der Worte des Herodot bedienen, die dieser auf die den Ger-
manen kulturgeschichtlich so nahe stehenden Thraker anwendet: tü^
b€ irctpöevous oü <puXdto*o"ouo"t, äXX' £üjo"i toTo*i auim ßouXovTat ävbpaai uiö-
f€0"Bai . Tot? b£ fuvaiKa? iöxupii? <puXäo"o"ouo"i (V, 6). Es wird dem Kultur-
forscher schwer fallen, in diesen bei unserem so zäh am alten hängen-
den Landvolk herrschenden Gebräuchen einfach ein Zurücksinken
von der Stufe altger manisch er Keuschheit zu erblicken, umso
schwerer, als einerseits bei den Schilderungen der Germania, wo
nicht konkrete Thatsachcn berichtet werden, tiberall mit dem Ideali-
sierungsstreben des Schriftstellers und seiner Zeit gerechnet werden
inuss 'vgl. A. Kiese Die Idealisierung der Naturvölker des Nordens in
der grieeh. und röm. Lit. Progr. Frankfurt a. M. 1870), und anderer-
seits schon frühe historische Nachrichten ebenso wie die ältesten Buss-
ordnungen der christlichen Kirche keineswegs mehr ein dem Taciteischen
gleiches Hild sittlicher Reinheit des Volkslebens unserer Vorfahren ent-
hüllen vgl. F. Roeder a. a. O. S. 14(>ff... Richtete sich vielleicht
die Strenge der germanischen Gesetzgebung, entsprechend den die
Reinheit der Ehe betreffenden Anschauungen ('s. o.\ ursprünglich nur
gegen den ausscrehclichen Heischlaf, welcher ohne Wissen und
Willen des Gewalthabers eines Mädchens vollzogen ward, und geschah
er vielleicht in i t Wissen und Willen desselben, wenn es sich um ernst-
hafte Werbung eines Jünglings handelte? Thatsächlich scheint die
Einrichtung der Proheuächtc ein naheliegendes und wirksames Mittel
zu sein, um eine Garantie für die Erfüllung des heissen Wunsches
früher Zeiten nach Nachkommenschaft zu bieten. So wäre in den
heutigen Zuständen ein menschlich berechtigter Kern anzuerkennen,
der nach Schwächung der alten Familieuautorität zu mancherlei Ver-
wilderung führen konnte. Doch darf nicht verschwiegen werden, dass
wenigstens einige germanischen Rechte auch eine Heilagerbusse des
Bräutigams keimen, wenn er früher das Beilager vollzog.
Aus anderen Teilen des idg. Völkergebiets wäre wiederum von
Bräuchen wie der in das Hochzeitszeremoniell aufgenommenen Be-
sichtigung des blutbefleckten Hemdes der Braut nach der Brautnacht
und von anderem zu berichten, das auf eine unzweideutige Wert-
schätzung der Jungfernschaft hinweist. Thatsächlich wird bei den
Völkern höherer Kulturstufe, z. B. bei den Indern (vgl. Leist Altar.
Jus gentium S. Hb"7) oder bei den Römern (vgl. Festus ed. Müller
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426
Keuschheit.
S. *7: Aqua atpergebatur novo, nttpta, ske ut casta puraque ad
rirum ceniret, sire . . . .) früh und unzweideutig die Forderung,
dass die Jungfrau rein in die Ehe komme, erhoben.
Es stimmt zu den bisherigen Ausführungen, dass die sprachliche
Ausbildung des Begriffes , keusch', ,Keuschheii' erst in den Einzel-
sprachen und auch hier erst spät erfolgt ist. Die wichtigsten Aus-
drücke für denselben sind: griech. üyvö? (: crrioq , heilig', ctfrmai — sert.
yaj ,schcue, verehre', ürviZw ,dureh Sühnopfer reinigen', ätvcüuj .rein
sein', , reinigen' etc. i, lat. castus (etymologisch noch unklar, von den
einen : griech. KaSapöq ,rein", von den anderen : seit, qishta- von qä#
jZÜchtigen verweisen' gestellt; vgl. contum ,die heilige Festzeit einer
Gottheit, während welcher mannigfache Enthaltsamkeit geboten war ,
casta mola ,genus sacriticii, quod Vestales virgincs faeiebant', beides
bei Festus, castimönla ,die körperliche Reinheit, wie sie zu religiösen
Handlungen erforderlich ist, die Enthaltung von sinnlichen Genüssen',
castimönhtm ,das Fasten' etc.), got. siciknx etymologisch unklar, über-
setzt ausser griech. örrvöq, noch 00*105 ,durch göttliches Recht bestimmt'
und riöiDoc- ,straflos', unsträflich'; der letzteren Bedeutung kommt das
entsprechende altn. sykn am nächsten), agls. clänlie. dwnnyxse (eigentl.
,rein', , Reinheit), ahd. chüski Grundbedeutung: ,rein nach Kluge
Et. \X."). überblickt man die vorstellenden Bedentnugsentwicklungen,
so erhält man den Eindruck, dass die Konzeption des Begriffes , keusch'
vornehmlich in das sakrale Gebiet hinüberführt. Es ziemt sich, zu
bestimmten Zeiten aus religiösen Gründen, um den Göttern rein zu
nahen >s. u. Reinheit und Unreinheit), sich des Beischlafs zu ent-
halten. So entstehen schon in heidnischer Zeit Sekten, die sich ganz
und gar des Umgangs mit Weibern enthalten und darum für heilig
gelten, wie dies nach Posidonius (bei Strabo VI, p. 2%) bei den
thrakischen kiüttcu der Fall war. Besonders merkwürdig ist diese
Forderung der Enthaltsamkeit, wenn sie, wie dies bei Indern und
Deutschen der Fall ist <s. n. Heirati, für die Zeit unmittelbar nach
der Hochzeit erhoben wird. Oldenberg Die Religion des Vcda S. 271
erblickt den Sinn dieser Sitte in der Furcht vor Geistern, die beim
Beilagcr in das Weib mit hineiuschlüpfen könnten (s. auch u. Fasten/,
und noch heute soll man im Allgäu (vgl. L. v. Schröder a. a. 0. S. 1 1*3)
durch diese Enthaltsamkeit hoffen dem Teufel zu verwehren, dass er
der Ehe etwas anhaben könne. Die christliche Kirche hat sich mit
Vorliebe dieser demnach schon im Heidentum vorhandenen Enthaltsam-
keitsvorschriften bemächtigt, und nach einer möglichsten Einschränkung
des ehelichen wie ausserehelichen Geschlechtsverkehrs in den bekehrten
Ländern (vgl. Roeder a. a. 0. S. 130 ff.) gestrebt. In diesen den Ge-
bieten des Glaubens und Aberglaubens angehörenden Verhältnissen
mag also «1er Gedanke der Keuschheit zunächst wurzeln. Über das
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Keuschheit — Kind.
227
späte Hervortreten von Wörtern für ,Jnngfrau' und ,Jungfraunsehaft*
8. u. Frau und Kind. S. ferner u. Junggeselle.
Chirurgie, s. Arzt.
Kibltz, s. Sumpfvögel.
K icher, s. Erbse.
Kiefer, s. Fichte.
Kind. Für die Zusammenfassung der Begriffe Sohn (s. d.)
und Tochter <s. d.), bezllgl. Knal>e und Mädchen bestehen folgende
Gleichungen: griech. ukvov ,Kind' = altn. prgn, ahd. degan »Knabe' :
TtKTui ,gebäre', got. barn = lett. bernx ,Kind', lit. Mrnas ,i jungen Knecht'
: got. ha Iran, got. fraats ,Kind' = lat. pröletf aus *prozdett .Nachkommen-
schaft' (unsicher) und ahd. kind (woraus altsl. cerfo) = urkelt. *gintia
in Eigennamen wie akymr. Bled-gint ,Wolfskind' : lat. gigno, seit-
jan ,erzcugc', womit auch sert. jatä- ,Sohn' und prajä ,progenies' zu
verbinden sind. Unser rKindu entspricht also lautlich genau dem lat.
gern, gentis ,Stamm', so dass seine ursprüngliche Bedeutung ,Zcugung',
,Stanim', dann ,zum Stamme gehöriges' ist. Der gleiche Ursprung
ist für lat. liberi , Kinder' (s. u. Stände) anzunehmen. S. auch u.
Ehelich und u n e Ii e 1 i c h. Ob zu der Wurzel gen, gn auch die
deutschen kn-echt, nrspr. .Knabe', kn-abe, kn-appe gehören, mnss bei
der Unklarheit ihrer Wortbildung dahingestellt bleiben. Auf Wurzelver-
wandtschart mit lat. plius (S. u. Solin) beruhen altsl. detl Collect.
,Kinder' (eigentlich wohl .Säugung' W. dh>'\, di>teK ,Kind', fcca Jung-
frau' (s. n.). Lit. icaikaa , Knabe', Plur. , Kinder'. Eine interessnnte
Bemerkung zu diesem im übrigen dunklen Wort macht Leskien bei
Delbrück Verwandtschaftsnanien S. X)\x: „Fragt man einen Litauer,
der drei Söhne und zwei Töchter hat, wie viel Kinder (tcaikiis) hast
Du, so wird er in der Kegel antworten turiii tris icaiknn, die Töchter
ignorierend". Es wird also nur die Zahl der Söhne beachtet. Ir.
nöidiu ,Kind' und anderes dunkle vgl. bei Delbrück a. a. 0.
Die beiden Reihen für Knabe : lat. puer und got. magna nebst
ihren Sippen s. u. Sohn. Was die Bezeichnungen für .Mädchen
anbetrifft, so verdienen unter ihnen im Zusammenhang mit dem u.
Keuschheit angestellten Betrachtungen diejenigen hervorgehoben zu
werden, welche das Mädchen als Jungfrau oder Jungfer (also mit
Betonung ihrer geschlechtlichen Unbcrührtheit) bezeichnen. Einen vor-
historischen Ausdruck hierfür könnte man in der Gleichung griech.
TTapGevoq --= |at. rirgo i*uherg?t6n- nach Prell witz Et. W.) anerkeunen,
wenn dieselbe sicher wäre, und man überzeugt sein dürfte, dags die
Vorstellung der Jungfernschaft schon an dem idg. Prototyp dieser
Wörter gehaftet habe. Die Wurzelerklärung derselben weist aber nicht
hierauf hin; denn Prell witz deutet napö^vo^ als die ,schwcllendc\
,spriessende', , Drüsen bekommende'. Über agls. f&mne etc. und altsl.
dera »Jungfrau* UleiMto .Jungfernschaft ) s. n. Frau. Auch diese
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Kind — Kinderreichtum.
Wörter benennen die Jungfrau lediglich nach geschlechtlichen Funk-
tionen (.Milch habend', .säugend' etc.) ohne irgend welche Hervorhebung
geschlechtlicher Reinheit. Älter als inhd. junefrouwe ist im Germa-
nischen got. magaps, ahd. magad, ursprünglich, als Femininableitung
von magus , Knabe' ( Vgl. lat. puella : ptter), jedes Mädchen bezeichnend.
Von lit. merga .Mädchen' (mergyste Jungfernschaft') lässt sich nur
sagen, dass es Beziehungen zu kelt. *merkü (aus *merg-akä^), kyinr.
mvreh .Tochter, Mädchen' zu haben scheint. In alle diese Wörter ist
also die Betonung der Virginität erst sekundär hineingetragen worden.
Anderer Art ist ir. tiage ,verginity' von ög, üagf das adjektivisch ,uu-
versehrt, heil', substantivisch .Jüngling, Jungfrau' bezeichnet. — Ein
idg. Wort für Zwilling steckt in ir. emuin = sert. yamä- (vgl. lett.
jumis ,Doppclfrucht'). Sonst gelten hierfür Ableitungen von dem Zahl-
wort zwei (gricch. bibunoi, ahd. ztcinal, zwiniling, lit. dwynas). Das
Slaviscbe verwendet Bildungen von blizü »nahe : altsl. bliznid .Zwil-
ling . Lat. gemini ist dunkel.
Kiiideruussetzuiig, s. Aussetzungsrecht.
Kindererzieliuui;, s. Erziehung.
Kiiiderltorhzeit, s. Heirat sah er.
Kiiiderreichtuiii. Auf idg. Boden herrscht überall die Anschauung,
dass der Besitz zahlreicher Kinder ein heiss zu erflehendes Glück sei.
..Zelm Knaben, o Indra. leg in sie (das Weib) hinein ', so und ähnlich
bitten immer aufs neue die Lieder des Rigvcda (vgl. Zimmer Alt-
indisches Leben S. :!18f., Kaegi Der Rigvcda, s. d. Index v. Kinder-
segen i. Nächst der Tapferkeit gilt bei den Persern Reichtum an
Kindern als vornehmste Tugend (llerod. I, 13G: tüj b€ lovq TrXtuxrouq
CtTTOb€lKVÜVTl bÜÜpa tKTTtUTTCl 6 ßttO*lXcU^ UVOt TTCtV €T0£. TO TTOXXÖV b'
Tyr€üTai iaxupöv civai). Als Glücklichsten preist Solon vor Kroisos
(Herod. I, 30) den Athener Tellos; denn Te'XXw Tfjq ttöXio? eu nKOÜans
Traib€? naav KaXoi T€ k' rirraOol, Kai ffqn elb€ 6bra(Ji T€Kva eK^evoucva
Kai Trdvia Tiapauc i vavxa , und von den Germanen gilt das Wort des
Tacitus (Germ. Cap. L'O/: Quanto plus propinquontm, quo tnaior afji-
nium numerus, tanto gratiosior seneettix, nec ulht orbitatis pretia.
Im Gegensatz zu zahlreichen Naturvölkern, welche durch ausschweifen-
den Gebrauch der Fruchtabtreibung (s. u. Abtreibung der Leibes-
frucht sieh ihr eigenes Grab graben, haben wir in den Indoger-
manen ein zeugtings- und kinderfrobes und darum zukunftsreiches
Geschlecht vor uns. Doch ist hervorzuheben, dass diese Wertschätzung
des Kindersegens sich, wie auch aus den obigen Stellen hervorgeht,
in der ältesten Zeit lediglich auf den Besitz von Söhnen bezieht,
die den Ahnenkultus (s. d.) darbringen, das Geschlecht fortführen
und tüchtige Arbeiter in der Wirtschaft sind. Nur Söhne werden daher
durch den Rechtsakt der Adoption (s. d.) angenommen. Mädchen
haben nur als Tauschobjekt für den Vater (s. u. Brautkauf, Fa-
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Kinderreichtum — Kirschbaum.
milie) Wert. Sie werden gering geachtet, und oft wird gerade gegen
sie der Vater von seinem Aussetzungsreeht (s. d.) Gebrauch ge-
macht haben.
Kindertracht, s. Kleidung.
Kirschbaum. Itunu« Avium /,., die Süsskirsche, wird von
den Botanikern für einheimisch in Europa gehalten. .Steinkerne der-
selben sind iu den Pfahlbauten von Robenhansen und in anderen neu-
lithischen Stationen der Schweiz, Ostreichs und Italiens gefunden
worden. Die Anfänge ihrer Kultur aber lassen sich erst spät im
Bereich des Mittelmeers nachweisen. Zuerst werden die Kepdtfia in den
Schriften des Diphilns von Siphnus Athen. II, p. 51) genannt, eines
Zeitgenossen des Theophrast, der ebenfalls den K€'pao*o<; erwähnt, wenn
es auch zweifelhaft ist, ob er schon den Kirschbaum damit meint.
Diese xepdaia stellen wahrscheinlich eine auf klcinasiatischem Hoden
veredelte Form der Süsskirsche dar. Ihre Bezeichnung Kepaüoq, xepd-
cjiov aber (woher Kepaaoö? am Pontus ,die kirschreiche'/ wird ein eben-
daselbst geltender, griechischer, ans demselben Stamme wie gricch.
Kpdveia, lat. cortittM ,Kornelkirschhaum' erwachsener Xame eben der
Prunus avium gewesen sein, die dein Kornclkirschbaum Hartriegel)
nahe verwandt ist. Aach altpr. kirno .Strauch', lit. kirim .Strauch-
band', russ. cerenok ,Pfropfreis' und der altlitauische Göttcrnaiue
Kirnhs sind hierher zu stellen, von welchem letzteren es bei Lasicius
De diis Samagitarum S. 47 heisst: Cerasos arcis alicuiits secundum
lacum sitae curat, in quas, placandi eius causa, gallos mactat os ini-
ciunt caereosque accensos in eis figunt (vgl. Auiülas ,Gott der Eiche .
Klewelis ,Gott des Ahorns' u. a. i. Entlehnt aus dem gricch. K€pdo*iov
sind armen, kei'as (lltlbschmann Armen. Gr. I, 35<S) und kurd. ghilas,
keras. Eine veredelte Art der Süsskirsche ist es daher auch wohl
gewesen, welche Lucuilus nach Zerstörung der Stadt Cerasus nach
Rom brachte (Plin. Hist, nat. XV, Ur>), wo sie sich so schnell ein-
bürgerte, und von wo sie sich so schnell verbreitete, dass derselbe
Autor an der angegebenen Stelle bereits mehrere Sorten unterscheiden,
und von dem Gedeihen der Kirsche in Britannien, Belgien und am
Rhein berichten konnte. Das lndigenat des Baumes in Europa er-
möglichte die schnelle Verbreitung seiner veredelten Form. Diesem
kulturhistorischen Prozess folgt die sprachliche Entlehnung auf dem
Fuss. Das seinerseits aus griech. K^paao^ entlehnte lat. cerasux. cera-
8um oder genaner ein vulgärlat. *ceresia (ceresium, tcepdöiov C. G. L.
III, .358, 80) liegt den Benennungen der Kirsche im ganzen Norden
Europas zu Grunde: ahd. chirsay agls. cyrxe (vgl. G. Goet/. Thes. I, 2o0:
cerasius, agls. cisirbeam), altsl. cresinja, alb. k'ertf laus cerasium,
*cerasinum) n. s. w. Ins Deutsche ninss die Entlehnung nach Kluge
(Et. W.c, vgl. auch in Pauls Grundriss I8, 336) vor dem VII. Jahrh.
stattgefunden haben, da anlautendes lat. c noch als k erscheint. Aus-
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Kirschbaum - Kiste.
drücklich wird der Anbau von cerexarii (diversi generis) erst im Cap.
Karls des Grossen de villi» LXX, 89 genannt.
Anders stehen die Dinge hei Prunus Cerams L.t der Sauerkirsche
oder Ammer. Diese kommt wildwachsend, soviel man weiss, nur in
Transkaukasien vor. Auch konnten ihre Kerne in den oben erwähnten
prähistorischen Kirschenfunden nirgends nachgewiesen werden. Ihr
Erscheinen in Europa ist mit der Keilte ngriech. ßucratvna, slav. visnja,
lit. tcyszne, ahd. wifisela. all), risje, it. visciola ,Wcichser verknüpft,
eine Benennung, die wahrscheinlich von Byzanz ausging, wo ßuo"o*ivr|d
: ßOaaivo? von ßuao"o? soviel wie ,scharlacufarbig' bezeichnete. Noch
jetzt ist in Griechenland die geschätzteste Spielart der Prunus Cerasus
die „sogenannte grosse Weichsel von Constaiitinopel" (Th. v. Held-
reich Die Nutzpflanzen Griechenlands S. 69). Auf klassischem Boden
lässt sich daher die Sauerkirsche im Altertum nicht mit Sicherheit
nachweisen. In Deutschland wird sie zuerst ven Albertus Magnus
(XII — XIII Jahrh.) unter dem Namen amarena, amareüa = unserem
„Ammer" geuannt. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 380 ff., v.
Fischer-Benzon Altd. Gartenfl. S. 148 ff. und G. ßuschan Vorgeschicht-
liche Botanik S. 177 ff. S. u. Obstbau und Baumzucht.
Kissen, s. Gaus, Hausrat.
Kiste. Wie mit dem sich steigernden Handelsverkehr zahlreiche
Namen für irdene oder metallene Gefässe (s. d.) jeder Art sich vom
Süden her über Europa verbreitet haben, so ist das gleiche bei den
Ausdrücken für Kiste und Kasten der Fall. Derartige Spracbreihen,
welche teils von Griechenland, teils von Italien ausgehn, sind:
griech. (hom.) Kurrr) {ki-oxx\ : tcciuai?), lat. (Plaut.) cista, ahd. chista,
agls. eest, eist; lat. area (: areeo, vgl. nhd. sehrank : schranke), got.
arka, ahd. archa, agls. earc, alb. arke, slav. raka, letzteres in den
Bedeutungen .Grabmal, Kiste, Kasten, Sarg'; lat. scrinium, ahd. serini,
agls. serin, lit. skryni, altsl. skrina (und entsprechend in allen Sla-
vinen.t; lat. eapsa (dies wie scrinium besonders von Bücherbehältern),
ahd. chefsa. In Griechenland sind einige hierher gehörige Bezeich-
nungen, wie das seit Aristophanes bezeugte Kißurrö? .hölzerner Kasten,
Kiste, Schrank', semitischer Herkunft verdächtig (vgl. Lewy Semit.
Fremd w. S. 99 ff.). Zwei weitere slavische Ausdrücke (russ. jaskü,
askü jKasten' aus altn. askr ,a small vcssel of wood7 und russ. lari
,arca, cista' aus altschwed. lar) entstammen wiederum <iem Germa-
nischen. - Ein Anhalt dafür, dass Behälter wie Kisten und Kasten
schon in der Urzeit vorhanden gewesen sein, lässt sich nicht nach-
weisen. Jede Spur einer Urverwandtschaft fehlt zwischen den in den
Einzelspracheu für diese Begriffe bestehenden einheimischen Ausdrücken
(im Litn-sla vischen scheinen solche ganz zu mangeln). Von solchen
seien ans dem homerischen Griechisch noch genannt: xn^>{ /Truhe'
< : xäotcu)?), (pojptauö^ (:<p^puu?) und Xdpvaf (vdpvaT KißwTÖt Hes.), aus
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Kistt* - Kleidung.
431
dem Germanischen : ahd. kaato (verschieden von vhhta) und ahd.
tntha neben den nicht sicher damit xn vereinigenden altn. pro. agls.
J),u'(h (vgl. F. Kluge Et. \V.° s. v. Truhe und M. Heyne Deutsches
Wohnungswesen S. f>7). Wenn somit auch kein urzcitlichcr, so wird
die Kiste oder Truhe «loch immerhin ein verhältnismässig früher Be-
standteil des altcuropüischcn Hausrats sein, der auf germanischem
Hoden für die Frau eine gewisse rechtliche Bedeutung erlangt hat. In
der Truhe birgt die Frau ihr einziges Privateigentum, Schmuck und
Kleider, und die Schlüssel zu ihr, wie zu der Vorratskammer {hord-
enih stehen ihr nnch angelsächsischem Recht (vgl. F. Roeder Die Fa-
milie bei den Angelsachsen S. 86t allein zu. Das Monument von
Adamklissi S. 48 zeigt uns auf einem vierrädrigen, von einem Rinde
gezogenen Wagen eine Harbarenfamilie (Bastamen V, s. u. Kleidung),
die eine grosse, verschliessbare Truhe bei sich führt. — S. u. Hausrat.
Klafter, s. Mass. Messen.
Klee, s. Futterkräuter.
Kleidung. Dieser Begriff wurde in der idg. Grundsprache
durch Ableitungen von der Wurzel rex ausgedrückt (sert. vdsman-f
rdsana-, rantra-, vdsana-y aw. raiih, vaiihana-, vastra-, griecli. fe'vvuui,
<uua, £avö^ .umhüllend' = seit, edmna-, toön,«;, £o*8o<;, iuötiov, lat.
testis, got. gateasjan, trasth. Der Gegensatz ist sert. nagnd-, altsl.
nagü, lit. ntigas, lat. m'idtix, got. naqaps, altir. nocht ,nackt".
Da nun die Künste des Spinnens (s. d.) und Webens (s. d.) den
lndogermauen bekannt waren, auch das W olle (s. d.) spendende
.Schaf 's. d.t schon in der Urzeit als Haustier gehalten wurde, endlich
auch der Flachs (s. d.) zu den ältesten Kulturpflanzen Europas ge-
hört, so erhellt, dass die lndogermauen für ihre Kleidung keineswegs
mehr ausschliesslich auf die Felle der Tiere angewiesen waren, so
weit dieselben in ihrer Verwendung zur Tracht auch in die historischen
Zeiten hineinragen (s. u. P e 1 z k 1 e i d c r), sondern dass ihnen auch
bereits wollene oder linnene Gewebestoffe xur Verfüguug standen. Idg.
Gleichungen für solche liegen x. B. in sert. drdpi- ,Mantel", lit. drä-
panos ,Weissxeug'; sert. mala- ,Gewaod', lat. milas ,feiues Tuch';
griech. Xumn, ,Gewand', lit. löpas ,Stück Tuch'; altsl. platlno ,Lein-
wand', altn. faldr ,Mantel', ir. loit (Nom. dual.), dia loit find ,xwei
weisse .Mantel (+plotnd); altpr. pelkis , Mantel', ahd. flech ,Fetxe'; sert.
kdnthd ,Lappcnkleid\ lat. cento. griech. KtvTpuuv (ahd. hadara ,Lappen,
Lumpen ?) u. s. w. vor, deren ursprünglicher Sinn sich freilieh des
genaueren nicht bestimmen lässt.
Über ilie Verteilung der Wolle- und Flachsstoffe im ältesten Europa
s. u. Weben. Hier ist somit lediglich über die Form der indoger-
manischen Kleidung xu handeln, oder, da die ursprünglichen arischen
Verhältnisse noch xu wenig erforscht sind, um einen festen Anhalt xu
gewähren, so muss versucht werden, auf komparativem Weg wenigstens
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4.12
Kleiduiig.
den ursprünglichen Typus der Kleidung der europäischen Indo-
germanen zu ermitteln. Es wird gut sein, liierl»ei zwischen in ä u n -
Ii eh er und weiblicher Kleidung zunächst zu unterscheiden.
I. Die männliche Kleidung. Drei Sätze lassen sich in dieser
Beziehung mit Sicherheit aufstellen, die im Folgenden näher zu be-
gründen sind: I. Die älteste Tracht der europäischen Iudogcruianen
bestand aus dem Oberkleid oder Mantel. 2. Ein Unterkleid uder
Rock war ursprünglich nicht vorhanden. .H. An Stelle desselben stand
der Lendengurt oder Schurz. Völlig unverändert liegen diese urzeit-
liehen Verhältnisse im ältesten K o m vor. Nach nicht anzuzweifelnder
Überlieferung bestand die Kleidung des Römers ursprünglich aus nichts
als der toga und dem subligaculum oder cinetus, dem Schurz. Die
tunica fehlte noch. Vgl. Gcllius Noct. Att. VII, 12, 3: 17/7 autein
Romani primo qtiidem sine tunicis toga sola amicti fuerunt, und von
der Familie der cinetnti Cethegi bemerkt Porphyr, ad Horati Art.
Poet. öO: Omnes enim Cethegi unum morem sercacerunt Rotnav ....
nunquam enim tunica usi sunt, ideoque cinetutos eos di.eit, qmmiam
cinc.tum est genus tunicae infra pectus aptatae. In dieser Tracht
gefiel sich der jüngere Cato, in dieser traten die Kandidaten auf. Dem
konservativen Ritus entsprechend, trug der Flamen Carmeutalis beim
Opfer nur die mit bronzener Fibula zusammengeheftete laena (vgl.
Marquardt Privatleben S. f)33 f., Studniezka Beiträge zur altgric hi-
schen Tracht S. &>). Auf das gleiche weist die Sprache: Das Ober-
kleid [toga : tego, also eigentl. »Decke', vgl. auch ir. tuige .stramen)
und der Schurz (cinetus : cingo) haben echtlateiuische Namen, tunica
ist Entlehnung aus einem gleich zu nennenden semitischen Wort.
Genau auf gleicher Stufe, wie die römische, mnssdie altgricchische
Tracht ursprünglich gestanden haben. Allerdings ist bereits der ho-
merische Held, ausser mit der x^«iva « : xXauuq), dem Mantel, ent-
sprechend der römischen toga, mit dem xitwv, entsprechend der römisc hen
tunica versehen. Alleiu dieses letztere Wort erweist sich als eine der
sichersten Entlehnungen der vorhomerischen Sprache aus dem semi-
tischen Kulturkreis xitiuv nebst tunica aus hehr, ketonet ,Leibr«»ek",
ein auf blossem Leib, auch von Frauenzimmern getragenes Kleid . so
dass wohl niemand mehr zweifelt, dass der auch in homerischer Zeit
wenigstens den Frauen (s. u.) noch fremde Chiton ein Knltnrgeschenk
des Orients an die südeuropäisehen Indogernianen ist. Durch ihn wurde
der ursprünglich getragene Schurz (£wua) verdrängt, der aber auf den
mykenischen Kunstdenkmälern, vor allem auf einer Dolchklinge mit
eingelegter Darstellung einer Löwenjagd, noch deutlich zn sehen ist
(vgl. Studniezka a. a. 0. S. Hl ».
Dieser so für den Süden feststehende Typus der ältesten Kleidung
findet seine genaue Entsprechung im germanischen Norden. Die
Besehreibung der männlichen Tracht bei den Germanen dureh Taeitns
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Kleidung.
(Genn. Cap. 17 i lautet: Tegumen omnibus sagum fibula auf, si desit,
spina consertum : cetera intecti totos dies iuuta focum atque ignem
agunt. lucuplethaimi teste di*tinguuntur, non fluitante sicut tiar-
matae ac Parthi, sed stricta et singulo* artus e.rprimente. Es zeigt
sieh also, dass allen Germanen der wollene, mit fibula oder Dorn gc-
nestelte Mantel eigen war, das« aber die locupletissimi ein Unterkleid,
restis, entsprechend der römischen tunica und dem griechischen X'T^v,
hatten, das ihnen eng am Körper anlag. Uber einen Schur/ der non-
locuplefissimi sagt Tacitus freilich nichts; doch ist es eine ansprechende
Vermutung Milchhöfers nnd Studniezkas (a. a. 0. S. 31 Anm. 10), dass
derselbe auch bei den Nordvölkern ursprünglich vorauszusetzen sei,
und die hier auftretende Hose (s. d.) sich als eine einfache Weiter-
bildung eben dieses Schurzes darstelle.
Dieser Auffassung der angegebenen Tacitusstelle entsprechen nun
anfs beste die Germanendarstellungen der römischen Denkmäler, des
Monuments von Adainklissi (herausg. von G. Tocilesco, 0. Benndorf,
G. Xicmann Wien 1895), der Trajansäule (Fröhucr La Colonne Trajane)
und der Markussäule i herausg. von E. Petersen, A. v. Domaszewski,
G. ('alderini München 1896), welche letztere am sichersten Genuaneu-
typen zur Darstellung bringt. Nach den Untersuchungen A. Furt-
wänglcrs (Intermezzi Leipzig nnd Berlin 1896, vgl. dazu H. Bulle
Die ältesten Darstellungen von Germanen Archiv f. Anthrop. XXIV,
613 ff. und A. Furtwängler Beilage zur Allg. Zeit. 1896 Nr. 293/ wird
die älteste Tracht der Germanen charakterisiert durch die Hose, deu
nackte n Oberkörper und den Mantel, den wohl auch der auf dem
Denkmal von Adamklissi bei Germancngestalten hervortretende mantel-
artige Kragen zum Ausdruck bringen soll. „Meine Untersuchungen
Uber den alteren Germanentypus", sagt Furtwängler, «haben jene
Tracht als auf den frühesten Genuanendarstellungen durchaus herrschend
und den Germanen speziell charakteristisch erwiesen, die nur allmäh-
lich der volleren Bekleidung mit dem Rocke weicht. Auf der
Markus-Säule haben noch zahlreiche sichere Germanen den nackten
Oberkörper, auch einmal ein sicherer Vornehmer zu Pferd, eine Haupt-
person, wie es scheint, der Markomannen; auch einer von den Edlen,
die zur Enthauptung geführt werden. Dagegen kommt die Tracht bei
den sicheren Nicht-Germanen gar nicht vor, indem diese immer den
Rock tragen". Etwas anders ist allerdings die Auffassuug von E. Petersen
(Markus-Säule S. 46 f. \ der den beiden auf der Säule vertretenen
grossen Völkerfamilien, Germanen und Sarmaten, im wesentlichen die
gleiche Tracht zuschreibt, bei der Vornehme und Geringe, Herren und
Diener in d e r Weise unterschieden würden, dass die erstereu die voll-
ständigere Kleidung (Hemd mit langen, Rock mit kurzen Ärmeln,
Mantel, Hosem, letztere die einfachere (Mantel und Hosen) hätten. Da
aber auch bei dieser Darstellung von der Tracht des gemeinen Mannes
Schräder. Keallexikon.
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4M
Kleidun»:.
als dem ursprünglichen auszugehen ist, so ersieht sich auch so. dass
bei den (Germanen, geradeso wie die ttmica hei deu Körnern, der X'tujv
bei den Griechen, der Kock. d. h. der unter dein Mantel getragene
Leibrock eine verhältnismässig junge Erscheinung ist. Leider ist üher
die Herkunft des ahd. roc, altn. rokkr nichts bekannt. Beziehungen
scheinen teils zu ahd. roccho »Spinnrocken', teils zu ir. nicht .tunica'
vorzuliegen. Ullilas hat dieses Wort nicht. Kr übersetzt das griechische
XiTiuv vielmehr mit teasti, allgemein , Kleid' oder mit paida (agls. päd,
alts. prda, ahd. j>feit\ got. gapaidön .bekleiden', mhd. enphetten »ent-
kleiden'), das, wie seine Übereinstimmung mit griech. ßaini ,Hirten-
roek aus Ziegcnfcllcn' zeigt, ursprünglich ein Kleidungsstück aus Fellen
bezeichnet haben muss.
Früher als die Germanen sind die Kelten, deren Mantel und Hosen-
tracht im übrigen mit der germanischen übereinstimmt, zu einer
vollständigeren Bekleidung des Körpers mittelst des Leibrocks über-
gegangen, wie die Schilderung des .Strahn IV, p. 190) zeigt: aorrtv
<popoGo*t bfc Kai KOuoTpoq>oöai Kai äva£upio*i xpwvrai TupiTeTauevai^.
ävT'i be x,Twvwv crxi(JT0Ü<; x^'P^wtoü^ (-Ärmeljackeir' nach
Groskurd'i cpipovöi ue'xP1 aiboiujv Kai y^outüüv. n, b Ipia. Tpa-
X€ia uev, uaKpöuaXXo^ bt. 019" f|S Toüq baffeiq ödfoug ^Eucpaivouffiv,
oöq Xaivaq s.u.) KaXoüai. Ein gemeiukeltiseher Ausdruck für den
Leibrock ist ir. fitan, kymr. gun (nach Stokcs aus *co-ouno- : lat.
ind uo, e.v-uo, gall. *rouna. woraus mlat. gonna). Dunkel ist ir. inar
,tuniea\ aus dem Lat. entlehnt ir. tuinech (neben dein auffallenden
tonach. teils , Leihrock', teils , Mantel ).
Nur für zwei Kleidungsstücke darf also ein Zurückgehen in die
idg. Urzeit angenommen werden, für den Mantel und den Schurz.
Die ursprünglichen Bezeichnungen des ersteren werden in den Eingangs
dieses Artikels angeführten Gleichungen inne begriffen gewesen sein.
Der Mantel ist eben einstmals die Kleidung kot' «oxnv gewesen. Eine
vorhistorische Bezeichnung dieses Begriffes dürfte auch in lat. pallium
aus *pl-nio- — gcmeinkclt. *pl-nnd, gall. Unna, lenna, ir. lenn, alt-
kyiur. lenn etc. ,sagum' enthalten sein. Wahrscheinlich hat an der
angegebenen Stelle Strabo dieses Wort im Auge, das er aber mit lat.
toena (ans x^aiva?) zusammenwirft (vgl. über beide Wörter L. Diefen-
bach 0. E. S. .'HO f.). Im Grunde sind lat. pallium wie gall. Unna
dann Ableitungen von lat. pellis .Fell' und seiner Sippe. Auf ähnliche
Beispiele ist u. l'clzk leider hingewiesen, wo auch über got. hakuls
etc. gehandelt worden ist. Unaufgeklärt ist das gemeinkeit. *bratto *.
ir. brat (agls. bratt) u. s. w. , Mantel', sowie das oben mehrfach ge-
nannte und von den Alten meist als keltisch bezeichnete lat. sagtun
(vgl. Diefenbach 0. E.i, für das sich, ausser auf dem Wege der Rück-
entlelmung aus dem Lateinischen (vgl. ir. sdi, mhd. sei, it. saja etc.
,WolIenstoffe'), bis jetzt keine Anknüpfung in den keltischen oder ger-
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Kleidung-.
manischen Sprachen gefunden hat. Stokcs (Urkeltischer Sprachschatz;
vergleicht lat. segestre , Decke' und ein lit. sagis , Reisekleid'. Den
Sieg hat schliesslich in Europa das lat. mantele, mantellum (ein
hispanisches mantum = it. manto u. s. w. nennt Isidor. Orig. XIX, 24)
davongetragen, das auch im Althochdeutschen (mantal) und Alt-
slovenischen (mantltija) vorliegt. So überwuchern auf diesem Gebiete
der Mode fortwährend neue Bezeichnungen die früheren und verwischen
die Spuren des höchsten Altertums.
Umso deutlicher lässt sich die ursprüngliche Bezeichnung der mittelst
des Schurzes bewirkten G ü r t u n g erkennen, die offenbar in der
Sippe von aw. yäxta- — grieeb. ZvjOtöq. lit. Juttas .gegürtet', griceh.
Ziüvvuui. üiüuot. Euüvn. lit. Junta ,Gürtel', jüsmn ,Gurt\ altsl. pojasü
,Zujvr]' vorliegt. Die ursprüngliche Bedeutung derselben hat das griech.
Ziuna ugl. Studniczka a. a. 0. S. 67) am treusten bewahrt.
II. Die weibliche Tracht. Es ist eine allgemeine kultur-
historische Erfahrung, dass die Kleidung von Mann und Weib sich erst
auf vorgerückteren Kulturstufen differenziert, um! auch auf idg. Boden
fehlt es wenigstens nicht au S p u r c u , dass die Tracht der Frau ur-
sprünglich dieselbe wie die oben geschilderte des Mannes gewesen ist.
So heisst es bei Xonius p. 540, Iii: Toga non Holum viri sed etiam
feminae utebantur und Tacitus a. a. 0. berichtet von den Germanen aus-
drücklich: Xec alius feminin quam ciris habitus. Indessen lässt sich
<lie Geschichte der Differenzierung beider Trachten in ihren Anfängen
an der Hand des vorliegenden Materials noch nicht deutlich übersehn.
Nach den Untersuchungen Studniczkas (s. o.) hätte sich in der Be-
wahrung des Ursprünglichen die griechische Frau am zähesten be-
wiesen. Im Gegensatz zu dein Manne, der, wie oben gezeigt, in seiner
Tracht bereits xitujv und x^arva vereinigte, bediente sich die homerische
Griechin ausschliesslich des Obergewandes, des tt^ttXo? (: öi-ttX-oo?,
oi-TT\-oto*io<; ,zweifältig' ?), der, wie die x^aiva der Männer, aus einem
ranf dein primitiven Webeapparat angefertigten Wollenzeug bestand,
welches ganz ohne Zuschnitt und Näherei blieb und durch blosses Um-
legen und Festheften mittelst Fibulae zu Kleidern wurde". Ähnlich
wie die griechischen Frauen den mirXo?, mögen die römischen die
togn verwendet haben.
Vollständiger dürfte, vielleicht unter dem Drucke des Klimas, sich
die Kleidung des nordeuropäise heu Weibes schon in früher Zeit
gestaltet haben. Die Schilderung des Tacitus Germ. Cap. 17 von der
Tracht der germanischen Frauen lautet: Xec alius feminis quam
tiri# habitus, nisi quod feminae saepius lineis amictibus velantvr
eosque purpura variant partemque vestitus superioris in manicas
non extendunt, nudae bracchia ac lacertos; sed et proxima pars pec-
toris patet. Aus dieser Stelle scheint sich zu ergeben, dass erstens
<lic Frauen dieselben saga wie die Männer trugen, denn nur hierauf
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43';
Kleidung.
kann sich das tiec nlius feminitt quam riris htibitun beziehen, das»
aber zweitens bei den Frauen nicht nur «lic locttpletissimae, sondern
die meisten (oder allej unter dein Mantel noch eine eigentliche linncne
Kleidung (amictus wohl allgemein im Sinne von ,Gewänder') hatten,
<lie ärmellos eine starke Entblössung weiblicher Reize bewirkte (daher
im folgenden Cap.: quamquam serern Ulk matrimonia). Im übrigen
schweigen die Nachrichten der Alten Uber die weibliche Tracht der Xord-
völker. Hinsichtlich der Kunstdenkmäler äussert Petersen S. 47 über die
Frauen der Markus-Säule: „Die Tracht der Frauen ist, wie überhaupt
das Weib, minder scharf charakterisiert. Die sarmatische wie die
germanische Frau hat über laugärmeligem Hemd ein Kleid mit kurzen
Ärmeln, hoch gegürtet, uud vielleicht noch einmal um die Hüften, unter
dem Bausch; dazu ein Vorzugsstück, kleiuen oder grossen Mantel, der
auch über den Kopf gezogen wird.a Diese Frauenkleidung ist dem-
nach sehr vollständig und dezent. Eine Entblossung tritt allerdings
bei mehreren von Petersen für sarmatisch gehaltenen Frauengestalten
der Säule hervor, doch seheint dieselbe ausschliesslich durch das Herab-
gleiten der Gewänder in Augenblicken der Leidensehaft und Gefahr
bewirkt zu werden.
Noch erübrigt, was Männer- und Frauentracht betrifft, einen
Blick auf die im nördlichen und mittleren Europa durch günstige
Fügungen zu Tage getretenen Überreste wirklicher Kleidungs-
stücke zu werfen. Die in den Schweizer Pfahlbauten gefundenen,
teil weis schon der Steinzeit ungehörigen und ausschliesslich aus Flachs
hergestellten Gewebestücke gestatten keine Vermutung mehr hinsichtlich
ihrer ursprünglichen Verwendung. Von Interesse ist aber doch die
Bemerkung F. Kellers (Pfahlbautenberichtc IV, '20): „dass er bei ge-
nauer Betrachtung der Weberei-Produkte nur an einem einzigen Stücke
einen vermittelst einer Nadel gefertigten Saum, aber nie eine Spur
von einem Zuschnitt des Zeuges habe bemerken können, und die Ver-
mutung hege, das8 diese Gewebe eher als Umhüllungen im allgemeinen,
denn als eine den verschiedenen Teilen des Körpers angepasste Be-
deckung (also als Mantel, nicht als Rock) verwendet wurden." Gar
keine Gewebestoffe irgend welcher Art sind bis jetzt aus der jüngeren
Steinzeit des skandinavischen Nordens nachgewiesen worden, und da
daselbst auch keine Werkzeuge zum Spinnen und dergleichen gefunden
worden sind, so neigt S. Müller Nordische Altertumskunde l S. 1">'*
zu der Ausicbt, dass man zur Steinzeit sich ausschliesslich in Felle
gekleidet habe. Wesentlich günstiger liegen die Verhältnisse in der
älteren Bronzezeit. Aus jütischen und schleswigsehcn Grabhügeln sind
aus Eichensärgen nicht weniger als fünf vollständige, unter einander
ganz gleiche, aus Wolle angefertigte Männertrachten gehoben worden,
die wohl geeignet scheinen, ein zuverlässiges Bild der damaligen Ge-
wandung zu geben ( vgl. S. Müller a. a. O. S. 268 ff.). Diese bestaud
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Kleidung.
437
aus einem ovalen, bis Uber einen Meter langen Mantel, der rso weit
war. dass er vorn vollständig zusammen gezogen werden konnte, wo
ihn dann eine oder mehrere Nadeln zusammenhielten." Ausserdem aber
war der Oberkörper in ein viereckiges Stück Zeug eingehüllt, das
oben bis zur Brust, unten bis zum Knie reichte, und von einem ge-
webten Hand oder Ledergürtel zusammengehalten ward. „Die Beine
waren nackt; Fuss und Knöchel waren mit Zeitstücken umbuuden
und mit Lederschuhen bedeckt.-* Diese Kleidung ist also noch eine
sehr primitive und entspricht, da man das um den Leib geschlungene
ungenau te Stück Zeug viel eher unter den Begriff des Schurzes
als des Kockes stellen wird, im wesentlichen dem üben rekonstruierten
Bild der ältesten europäisch-indogermanischen Tracht. „Sehr einfach",
bemerkt auch Xaue Die Bronzezeit in Oberbayern S. 26t>, „niuss so-
wohl während der älteren, als auch in der jüngeren Bronzezeit die
Kleidung der Männer, selbst der Hochgestellten gewesen sein. Stets
wird nur eine Nadel und zwar an der rechten oberen Brustseite, in
der Nähe der Achsel getragen. Ihre Schwere lässt vermuten, dass
sie dazu diente, den M a n t e 1 an dieser Stelle festzuhalten oder zu
schliessen.u
Wesentlich schlechter ist es auch hier mit unserer Kenntnis «ler
weiblichen Tracht bestellt. Bis jetzt ist eine einzige vollständige
weibliche Kleidung und zwar durch den Fund von Bornm-Kshöi bei
Aarhus in Jütland bekannt geworden, der ebenfalls der Bronzezeit
angehört, und ebenfalls nur Wollenstoffe cuthält (vgl. 0. Montelius Die
Kultur Schwedens8 S. 5f> und S. Müller a. a. O.j. Diese Kleidung
besteht aus einer grob geschnittenen und genähten Jacke mit Ärmeln
bis zu den Ellenbogen, an die sich ein ebenso angefertigter falten-
reicher Frauenrock anschliesst, der bis zu den Füssen gereicht haben
mn*s. Hinzukommen ein wesentlich feiner gearbeitetes Haarnetz und
ein ftüttel mit Quaste. Auch für die bairische Bronzezeit nimmt N'ane
a. a. < >. S. 2<>G nach Massgabe der bei den Leichen gefundenen Nadeln,
Spangen etc. eine reichere Entwicklung der weibliehen Tracht an, die
demnach sowohl hier wie im Norden schon zur Bronzezeit von der
männlichen deutlich differenziert gewesen wäre. Bemerkenswert ist
eine gewisse Ähnlichkeit, die zwischen der Kleidung des Fundes von
Borum-Kshöi und derjenigen gewisser Barbarenfrauen des Monumentes
von Adamklissi obwaltet (vgl. die Abbildungen bei S. Müller a. a. 0.
S. 2* mit denen des Monumentes S. 68,.
Über die Kinder berichtet Tacitns Germ. Cup. 2«»: In omni dm,,,,
nudi <tc Kordidi in hon nrtus. in haec corpora, quae ad mim mm;
exerem-unt (vgl. sert. nagnikd , nackt", der gewöhnliche Ausdruck für
ein noch nicht mannbares, a-nagnikä ,nicbt-nackt' für ein mannbares
Mädchen). Doch lässt sich aus dieser Stelle kein Schluss ziehen, wie
die Kinder ausserhalb des Hauses gingen. Auf den Denkmälern er-
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Kleidung — Knabenliebe.
scheinen die Barbarenkinder teils unbekleidet (so auf dem Monument
von Adamklissi), teils aber auch in derselben Kleidung wie ihre Eltern
iso auf der Markus-Säule). — Weiteres Uber die Fragen der ältesten
Tracht der europäisehen Indogermnnen s. n. Haartracht, Hand-
schuh, Hemd, Hose, Kopfbedeckung, Pelzkleider, Schmuck,
Schuhe, Spinnen. Tätowierung, Webeu.
Klette (Arctium Läpp« L.). Für die durch ganz Europa ver-
breiteten und seit den ältesten Zeiten als Heilmittel daher griech.
äpKeiov , Klette : äpxo<; .Heilmittel': s. äXeaia u. Eibisch betrachteten
Klettenartcn seheint ein urverwandter Name in lat lappa und gemeinsl.
*lopuchü, russ. lapuchü etc. vorzuliegen, der wohl auch Beziehungen
zu griech. Xanaeov .Ampfer' woraus lat. lapathum) hat. Westger-
manisch sind ahd. kletta, agls. clipe (altfrz. gletton und ahd. kliba,
agls. clife CG. (loetz Thes. 1, 625: clifae) : kleben, kleihen. Im Dä-
nischen heisst die Klette bnrre, engl. hnr. inlat. burres. Vgl. noch
die Namen griech. dTtupivn, (Thcophr.i. npoöium^, TTpotfumtov Diosk.),
angeblich, weil die Kinder sich Masken aus den Blättern der Klette
machten, lat. per*omüa, in Glossaren drauoca und bardo, btirdoua,
bardantt {parduna im ( apit. Karls des Grossen de villis LXN, *?*;
vgl. auch Thes. I. 40: alabardan), lit. dmjijx. Vgl. v. Fischer- Benzon
Altd. Gartcnrl. S. .V.)f. — Andere Heilpflanzen s. u. Arzt.
Klima des Irlands, s. Urheimat der 1 ndogermanen.
Klösscopfer, s. Ahnenkultus.
Knabe, s. Kind.
Kiiabcnliebe. Je mehr man sich in Europa den Ufern des mittel-
ländischen Meeres nähert, um so deutlicher tritt dieses Laster in alter
wie neuer Zeit hervor. Die historischen Nachrichten weisen auf den
stld-ostlichcn Winkel des aegacischen Meeres als Ausgangspunkt des-
selben hin. Vgl. Athen. XIII, p. 002: toü TraibepaaTttv irapa TTpümuv
KprjTiwv ciq toü? "EXXn,vaq nap€X9övT0S, io"rop€T Tiuaio<; Aristoteles
( Folit. II, 7,5) hielt es für möglich, dass hier der Gesetzgeber selbst die
Päderastie eingeführt habe, um die Vermehrung der Bevölkerung zu
verhindern. Auf dem Kreta benachbarten Thcra fand Hiller von (iärt-
ringen (Verb. d. Dresdner I'hilologenvers. 1*97 aus sehr früher Zeit
bildliche Darstellungen päderastischer Handlungen. Jedenfalls war der
perverse Trieb, teils in unvcrhüllt geschlechtlichem Sinne, teils in den
Mantel schwärmerischer Pädophilie gekleidet, frühzeitig bei den Hellenen
heimisch, und erst von ihnen hätte nach Herodot I, 1:15: kcu bn. Kai
äir' 'EXXnvuJV p.a9övT£5 Traioi uiOfiaQai) das von Haus aus rauhe und
unverdorbene Volk der Perser ihn kennen gelernt.
Durch die Vermittlung Grossgriecbenlands wird die homosexuelle
Liebe zusammen mit den einschlagenden Ausdrücken (vgl. lat. paedi-
enre bei Cato ans tci ttü.i6ikcx : Trais , Knabe und lat. cinaedus bei
Plautus aus dem dunklen Kivaioo{} in Rom ihren Einzug gehalten
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Knal>enliebe — Kochkunst, Küche.
439
haben, wo sie schon im Jahre 433 d. St. erwähnt wird. Von hier aas
standen ihr die Thore des Nordens offen, und bereits den Galliern
werden arge Ausschweifungen in dieser Richtung nachgesagt. Vgl.
Diod. Sic. V, 32: Tuvaixa? b* £x°VT*S eötibeiq riKio*Tct xauiaiq 7rpo?-
€'xouo"iv, dXXd Ttpö^ xa^ tüüv dpptvwv ^ttittXokoi^ ^ktöttuj^ Xuo*o"wov
€iüb6aai b' im bopaiq 8n.piwv XaMai Ka8eübovTeq d£ djicpoupiuv tüjv pe-
pdiv TrapctKOiTOKj o"ufKuXi€0*8ai. Die Germanen wären nach Tacitus
(Germ. Cap. 12: Ignaros et imbelles et corpore infames caeno ac
palude, iniecta insttper crate, mergunti schon zur Rümcrzeit mit den
härtesten und schimpflichsten Strafen gegen das Laster vorgegangen,
wenn man die demselben ergebenen unter den corpore infames mit
verstehen darf.
Das Vorstehende beruht auf der Anschauung, dass für Europa die
Knabenliebc in den dem Orient benachbarten Gegenden aufkam, wo
die widernatürliche Unzucht in physiologischen, sich aus der grösseren
körperlichen Schlaffheit der Orientalinnen ergebenden Gründen eine
natürliche Ursache zu finden scheint (vgl. Rosenbaum Lustseuche S. 118),
und sich von hier aus seuchenartig über unseren Erdteil ausbreitete.
Doch darf nicht verschwiegen werden, dass die moderne Medizin den
homosexuellen Geschlechtstrieb als nicht wenigen Individuen aller Völker
angeboren ansieht, so dass die Knabenliebe, wenn sie sich von aussen
her in Europa verbreitete, jedenfalls auch innerhalb desselben vielfach
einen günstigen Roden vorfand.
Knecht, s. Stände.
Knoblauch, s. Zwiebel und Lauch.
Knochenmark, s. Fleisch.
Kiiochendünger, s. Dünger.
Kocher, s. Pfeil und Bogen.
Kochkunst, Küche. Die Anfänge der Kochkunst, für deren
Ausübung die mannigfachsten Gcfässe (s. d.) zur Verfügung standen,
sind schon in die idg. Urzeit zu verlegen. Dies wird zunächst durch
die urverwandte Sprachreihe: sert. pac ,kocheu, backen, braten', aw.
pac ' npers. puyten , kochen ), griech. neöauj , koche, backe' (ÖTrrdui
,brate' aus *o-TrK-Tdw?), lat. coquere ,kochen' (vgl. aber auch panem
coquere, coctile , Ziegelstein'; popina ,GarkUche' ein ebenfalls hierher
gehöriges oskiseh-uiubrisehcs Wort), altsl. peka , backe, brate', korn.
peber ,pistor' erhärtet. Ihre Grundbedeutung wird ganz allgemein
,durch Feuer etwas geniessbar machen' gewesen sein. Spezieller die
Regriffe des Bratens, Röstens oder (auf die Ilalmfincht bezogen i des
Backens (s. u. Brot) bezeichnen die Gleichungen: sert. bhrajj ,rösten',
griech. (ppu-rw, lat. frigo, ir. bruighim ds. (Vokalismus unklar ); griech.
<purrw, ahd. bahhan; lit. kepü , brate, backe , griech. dpio-KÖTroq .Bäcker';
lat. asstts , trocken gebraten' aus *ad-tu-s : griech. oZvj, *ab-ju> ,dörre'.
Noch nicht sicher erklärt ist das in die romanischen Sprachen (frz»
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440
Kochkunst, Küche.
rötir) übergegangene alid. rösten von ahd. rö»t, rösta, röstpfanna
,sartago'. Letzteres dürfte aus *raudhst- entstanden sein, zu altn. raudi
,Eiscn', lat. raudu» (*raude»is) gehören und selbst ursprünglich .Eisen'
bedcatet haben (vgl. got. hröf : agls. hröst ,Dach).
Speziell der Bedeutung ,koehen' dient hingegeu die Gleichung armen.
ep'em = griech. tvpuj (öipavov). Besonders beliebt dürfte aber in der
Urzeit das Braten oder Rösten des Fleisches (s. d.) am Spiesse ge-
wesen sein. Die Kunst des Kocbcus mochte hauptsächlich der Her-
stellung des Breies (s. d.) dienen. Eigentliche Suppen gehören
weder in Griechenland, noch in Italien zu den volkstümlichen Tafel-
freuden. Eine Ausuahmc macht der u€'Xa<; Ztuuöq der Lacedämonier
(Plutarch Lykurg Cap. 12). Frühzeitig hingegen tritt die Suppe in ger-
manischen Landen auf, wo überhaupt das Kochen (vgl. gemeingerm.
ahd. »iodan, agls. »eodon altn. »jöda, got. saup» .Opfertier' f von jeher
eine wichtige Rolle spielte. Schon im Rfgs))ula Str. 4 gehört die Suppe
(sod) neben grobem Brot und gesottenem Kalbfleisch zu den Bestand-
teilen eines ärmlichen Mahles. Es wird daher nicht Zufall sein, dass
zwei germanische Bezeichnungen für Suppe und Brühe in die roma-
nischen Sprachen übergegangen sind: spnn., ptg., pr. sopa, frz. »oupe
aus mhd. supfen .schlürfen, trinken' und it. brodo, broda. frz. brauet
aus ahd. brod, altn. brod (ir. brnth). Weit grösser aber ist umgekehrt
der sprachliche Einfluss, welcher auf dem Gebiete der Kochkunst von
dem römisch cn Süden auf den Norden Europas ausgeübt wurde.
Während die Griechen für das mehr und mehr emporblühende Gewerbe
des Kochs ein neues Wort, uo/reipos : udo*o*uj .knete* (also vom Brot-
bäcker hergenommen) iirGcbrauch nahmen, hielten die Römer an ihrem
uralten coquere. coquu» fest, das sie, zweifellos mit den Fortsehritten
einer verfeinerten Küche selbst, in den Norden verpflanzten. Aus lat.
cuquere (cocere) sind hervorgegangen: ahd. chohhön, mndl. coken, aus
lat. coquu» {com») : ahd. choh, altndd., mndl. coc (agls. cor jünger).
Über die Stellung des coquu» und coquu» regt» in den Hofhaltungen
des frühen Mittelalters vgl. F. A. Specht Gastmähler und Trinkgelage
bei den Deutschen Stuttgart 1 8S7 S. 10 ff. Auch bis zu den Slaven
ist die römische Sippe gedrungen, wo sie in altsl. kuchari .Koch", Cech.
Vuchati u. s. w. vorliegt, ein einheimisches slavo-litauisehes rariti-
teirti ,kochen' im Gebrauch beschränkend.
Ein besonderer Raum zum Kochen, eine Küche, war in dem idg.
Hans 'S. d.) nicht vorhanden. Wie noch in homerischer Zeit (vgl.
Heibig Horn. Epos8 S. 117), wurden die Speisen in dem allgemeinen
Herdraum zubereitet. Erst spät hat sich von demselben, an dem rö-
mischen Wohnhaus (vgl. Becker-Göll Gallus II, 277 1 und an dem ger-
manischen Bauernhaus noch deutlich verfolgbar, eine eigene Abteilung
als Küche abgegliedert, die noch einhelliger wie das Kochen selbst in
den nordeuropäischen Sprachen den lateinischen Namen führt. Aus
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Kochkunst, Küche - Kohl und Rühe.
441
lat. coquina (coclita .auf Kochen bezüglich', ,Thätigkeit, dann Ort
des Kochens' (daneben das dunkle culhta, das. da Latrine und Küche
neben einander lagen, auch die Bedeutung ,Abort' angenommen hat,
vgl. G. Goetz Thesaurus I, 292: aus culina agls. ci/In) sind entlehnt:
ir. cuicenn, eucan, kymr. cegin, ahd. chuhhina, nindl. cökene. ngls.
cycene, lit. kitkne < altpr. ktikore). Am frühsten werden auf deutschem
Roden bei den Herrenhäusern gesonderte Gebäude als Küchen er-
wähnt. Vgl. Lex Baj. { W.) tit. IX, Cap. 3: *S7 7«/* desertarerit auf culnien
eieverit. quod ttepe contingit, auf incendio tradiderit, uniuxcuiusque
quod ßrxtfalli dicunt, quae per xe conxt rueta sunt, id ext bah
nenrhtHi. pixtoriam. coqu inain, rel cetera huiusmodi, cum tribttx
xolidix componat, et rextittiat dhnpata eel incensa weiteres vgl. bei
M. Heyne Deutsches Wohnungswesen S. 9;ltt'.,. S. u. Haus.
(oelibat. s. Junggeselle.
Kognation, s. Familie.
Kohl null Kühe. Als den Ausgangspunkt der eigentlichen Kohl-
kultur (liraxsica oleracia betrachtet mau mit Recht Italien, wenn
auch die erste Anregung zu derselben, wie auf anderen Gebieten des
Gemüsebaus, von Griechenland ausgegangen sein wird tvgl. lat. crambe
aus gricch. KpäMßn/i, wo aber der Kohl selbst noch bei Theophrast im
Ganzen wenig beachtet wird. Auf den von Italien ausgehenden EinHuss
weist die Sprache hin. Ans lat. cattlix ,Kohl' f -- gricch. tcctuXö«; »Stengel,
Strunk', auch .Kohlstrunk'; oder daraus entlehnt Y) stammen ahd. köl, chnli,
chülo, chöla, agls. cd tri, altn. kdl. kymr. caicl, aus lat. caputium oder
it. cajmccio <:cajmt ,Kopf. also ,Kopfkohri : ahd. kabttj, chapu~}, unser
«Kappes", nsl. kapnx, aus it. compöxto, lat. compoxita , eingemachtes'
(doch machten die Alten nur Rüben in gleicher Weise wie wir das
Sauerkraut ein, : mhd. kumpoxt .eingemachtes", bes. .Sauerkraut", altsl.
kapuxta, nsl. kapuxta, wobei zu bemerken ist. dass der letztere Aus-
druck im Slavischen die gewöhnliche Bezeichnung von Jiraxxica ole-
racia geworden ist. Vielleicht lernten die Slaven daher zuerst durch
Handelsbeziehungen das Sauerkraut, und dann erst die Kultur der
Pflanze kennen, aus der dasselbe bereitet wurde. Ganz spät, und zwar
erst am Ende des XVI. Jahrhunderts, ist unser Blumenkohl (Schweiz.
kardifiol aus it. cacoli fiorii aus der Levante nach Italien und von
da noch später nach Deutschland gekommen.
Viel früher als der Kohl müssen die Rüben {Braxxica naptix und
Ih\ rapa L.) in Europa angebaut worden sein, für die in lat. räpa,
räpntn, gricch. (barru^, pdq>u? (vgl. Athen. IX, p. 3(59 , ahd. räba,
ruoba, lit. rdpe\ alh. repe eine urverwandte, in ihren Vokalverhält-
nissen aber noch nicht durchsichtige Reihe vorliegt. Vgl. auch die
Entsprechung von kymr. erfin ,napus', bret. iruinenn .navet', urkelt.
*arbino-, das aber teils .Kohl', teils .Rettig* bedeutet. Indessen ist
zu bemerken, dass in prähistorischen Schichten bis jetzt durchaus
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442
Kohl und Kübe — König.
keine Brassica-Arten nachgewiesen worden sind, wenngleich dieselben
ihre Heimat in Europa selbst zu haben scheinen (vgl. Heer Die Pflanzen
der Pfahlbauten S. 22 und De Candolle Ursprung der Kulturpflanzen
8. 45). Im alten Griechenland tritt auch der Rübenbau i forfoXi^
Br. rapa, ßouvid^ Br. napus) sehr zurück, während er in Italien
<räpa und napus) wiederum eine hohe Blüte erlangt hat. Eine Be-
nutzung der Rüben Steckrüben, Rübsen) zur Ölgewinnnng hat in-
dessen im Altertum nicht stattgefunden, wozu bei dem Vorhandensein
des Ölbaums und des Sesams (s. s. d. d.) auch kein Bedürfnis
vorlag. Das Capitulare de villi» nennt napos, die auch in der Lex Salica
bereits erwähnt werden (Br. napus L.), caulos (,Kohl' und rata-
caulos G. Götz Thes. I, 151: raua-caulis), mit welch letzterem Aus-
druckwohl unser Kohlrabi (', Rüben-Kohr; vgl. o. ahd. räba) genieint .
ist. — Vgl. Beckmann Bcyträge V, 118 ff., v. Eischer-Benzon Alt-
deutsche Gartenflora S. 1 < >H ff. S. u. Ackerbau und u. Garten,
Gartenbau.
Kompass, s. Magnet.
König. Unter den zahlreichen Bezeichnungen des K ö n i g s in
den idg. Sprachen findet sich eine, welche in die idg. Urzeit zurück-
geht. Es ist seit, rrt'jan-, raj- = lat. /v>, altgall. -rix in Eigennamen
wie Orgetorir etc., ir. ri : sert. rd'jati ,er herrscht", aw. rözttyriti
.ordnet', lat. regere , richten, lenken, leiten . also ,der Ordner, Lenker'
(die Beziehungen zu einer anderen Reihe von Verben, die .ausstrecken'
etc. wie gricch. öpc'ru) bedeuten, sind nicht klar). Daneben wird schon
in der Urzeit auch ein Wort für den 11 e r r s c h a f t s b e r c i c h eines
Königs : sert. rdjyä-m - ir. rige, *rig-io-m gelegen haben, während
sich eine vorhistorische Bezeichnung für die Königin aus «lein vor-
handenen Material :scrt. rd'jni, lat. rt'gina, ir. rigain, *rigaui nicht
mit Sicherheit crsehliessen lässt.
Es gilt hier, den Bedeutungsinhalt und -Umfang der durch die
angeführte Sippe bezeichneten königlichen Macht für die idg. Urzeit
zu ermitteln.
Zur Zeit als die Überlieferung anhebt, fiuden wir die idg. Völker
sämtlich, ganz oder teilweis, von ,.Königenu beherrscht, deren Bedeutung'
aber bereits eine verschiedene geworden ist. Bei den Slaven. mit deren
Verhältnissen zu beginnen vou Nutzen sein wird, werden schon von dem
Stratcgiker Maurikios f Ende des VI. Jahrb.; vgl. Arriani Tactica et Mnuricii
Artis milit. !. XII ed. J. Scheffcrus Upsaliae HJ64 p. 281 ) rcoXXoi pn ft?
(koi äauuqpwvws £x0VTCS ^PÖ? a\Xr|Xou?) genannt. Wenn daneben Pro-
kopius B. G. III, 14 versichert, dass die Slaven und Anten seit alters
in demokratischen Zuständen lebten (Tä *faP fövn. TauTa, ZKXaßnvoi te
Kai "AvTai, oük äpxovtai irpö? ävbpöq £vöq, äXX' i\ bn.MOKpaTia t<
naXaioO ßiOTeüouov Kai btd toöto autoiq twv TTpafpaTuiv äti rä Tt
2uu<popa Kai tü büffKoXa ic, koivöv — .Volksversammlung' - crTeran,.
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König-.
•143
so findet dieses Beieinandersein von Königtum und Volkshcrrsehaft
seine Erklärung, wenn wir unser» Blick auf die südlichen 81a ven
richten, die wie in anderer Beziehung, so auch in ihrer Kegierungs-
fon» die urslavischen Verhältnisse fast Iiis in die Gegenwart treu be-
wahrt haben (vgl. für das folgende F. S. Krauss Sitte und Brauch
der Südslaven Wien 18nfn. Die oberste politische Einheit ist hier
bis nicht vor langer Zeit der Stamm (pleine oder als Wohnungsbezirk
zupa) geweseu, der wieder in eine Anzahl von Brüderschaften < brätst r»)
mit ihren Hausgenossenschaf teil zadruga zerfallt. Tür die Oberhäupter
dieser Stämme, die unter jenen £n.Y€q des Maurikios gemeint sein
müssen, bestehen nach Zeit und Ort verschiedene einheimische Xamen:
glatar plemhuki , Haupt des Stammes' bloss glavar vom Haupte des
bratxtvo), iupun : zupa, vojroda (russ. toi ,Heer', altsl. redq ,führe)
, Herzog' (auch vom Führer des or.-Contingents). Ebenso sind altsl. rladt/ka
,der Walter' !: rladq, t1a*ti , herrschen', altpr. iraldniku Oat. .König )
und xtaroxta, starejsina ,der Alte : xtarü ,alt' {letzteres wiederum
auch vom Dorfältesten) alte Benennungen für denselben Würdenträger.
Dieser wurde noch vor 20 Jahren in der Crinagora von den plentiun-i
gewählt, wobei es gewöhnlieh das stärkste brattstro verstand, einen
aus seiner .Mitte zu erheben. In manchem pleme war und ist die
Würde eines vojroda aber auch seit altersher in einer Familie erblieh.
Das Oberhaupt des Stammes kann abgesetzt werden, aber man thut
es nur, „wenn er sich im Kampfe nicht als Held bewährt und in
Angelegenheiten des Volkes, z. B. in richterlichen Dingen nicht genug Ver-
stand und Geschicklichkeit an den Tag legt". Seine Machtstellung
ist im Frieden und besonders im Krieg nicht unbedeutend. Während
des ersteren liegt in seiner Hand die richterliche und exekutive Ge-
walt, in letztcrem steht ihm das Recht über Leben und Tod zu. Seine
Einkünfte bestehen aus der Xutzniessung eines Teils des unvererb-
lichen Staatsgruudbcsitzes, dem dritten Teil der Abgabe (tributum) der
iupa, welcher er vorsteht, ferner aus einem Teil der Steuern und Ge-
bühren {rectigal* und gewissen durch das Gesetz bestimmten J ah res-
geschenken (donaria saevularia).
Diesem Bilde altslavischen St am nie sf ü rstentums, dessen Be-
einträchtigung durch auswärtige Einflüsse unten zu behandeln sein wird,
stehen nun die übrigen Indogermanen mit einer mehr oder weniger
strafferen Anspannung der fürstlichen oder königlichen Gewalt gegen-
über, doch sf», dass iu der ältesten Überlieferung die Spuren einstiger
sich mit den slavischcn deckender oder doch ihnen sehr ähnlicher Ver-
hältnisse meist noch deutlich zu erkennen sind.
Die Germanen (vgl. Brunner Deutsche Kechtsgeschichte S. 11t» ff.)
finden wir zur Zeit des Tacitus teils von Königen {rege*), teils von
einer Mehrzahl von Fürsten {prim ipes) regiert, zwischen «leren Würde
mehr ein Unterschied des Grades als der Art besteht. Beide, ;•«?./■ wie
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414
König.
princep«, gehören «lein Adel des Landes an. Für den rer folgt dies
aus Tacitus Germ. Cap. 7: Regen e.r nobilitate aunntnt, für den
prineeps aus der Tliatsaelie, das» er faktisch überall als Mitglied eines
edlen Geschlechtes erscheint. Bei beiden spielt die Wahl seitens der
Landesgemeinde noch eiue wichtige Holle: die principe* weiden direkt
in dem concilinni gewühlt (Tac. Germ. Cap. 12, 22), das Königtum
ist /war in gewissem Sinuc erblich, aber so, dass dies die Wahl des
Volkes nicht ausschliefst „Das Volk wählt den König aus dem herr-
schenden Geschlecht". Wie das Volk den König wählt, kann es ihn
auch absetzen, verjagen oder erschlagen, bei Misswachs, Kriegsnnglüek
oder wenn er dem Willen des Volkes zuwiderhandelt (Ammian. Marc.
XXVIII, 5: Apud [Ihirgundiones) — rex appellatur hendinos et ritu
ceteri pote*tate deposita renweetur, *i sub eo fortuna titubarerit belli
rel segetuui copiam negarerit terra). Im allgemeinen gilt von der
Macht des Königs, was im besondern von den Schweden berichtet
wird: liege» habent, quorum tarnen vis pendet in populi sententia
(vgl. auch Germ. Cap. 7 : Xec regibus infinita auf libera potestas und
Ann. XI II, j">4: Yerrito et Malorige, qui nationem Frisiorum regebant,
in quanttun 0 er in an i regnantun. Die Befugnisse des Königs
sind teils richterliche (in Zusammenhang damit auch oberpriesterliehei,
teils administrative, teils und vor allem militärische. Im Frieden beruft
er zuweilen die Mannschaften, um Leute und Waffen zu prüfen (vgl.
das altn. rupnaping und den Campus Martius der Franken). Im Kriege
wird der König zum Herzog (dtt.r). In Fürstenstaaten wird einer der
principe* zu diesem Amte erwählt. Über die Einkünfte der letzteren
berichtet Tacitus Genn. Cap. lö: Mo* e*t cicitatibu* nitro ac riritim
conferre prineipibu* rel arnientorum rel frugum, quod pro honore
aeeeptum etiam necessitatibus subcenit. Dasselbe gilt zweifellos von
den Königen, denen nach Cap. 12 ausserdem noch ein Teil der Gerichts-
bussen zufällt.
In sprachlicher Hinsicht, in der ein grundsätzlicher Unterschied
zwischen re.r und prineeps ebenfalls nicht gemacht wird, ist für das
Germanische zunächst die enge Verbindung charakteristisch, die zwischen
Fürst und Volk hervorgehoben wird. So bedeutet nhd. chuning, agls.
cyning, altn. konungr nicht, wie man früher geglaubt hat, ursprünglich
,eiuen Mann von Geschlecht' (e.r nobilitate s. o.), vielmehr liegt dem
ahd. chuning u. s. w. ein einfaches, in Zusammensetzungen wie ahd.
kunirichi , Königreich', agls. ct/ne-helm ,Königshelm, diadema' etc.
noch erhaltenes *kunis , König' zu Grunde, von dem chuning, eigentl.
,Königssohn'. , Prinz' mit dem Patronymika bildenden Suffixe -inga
i chuning wie Wülfing) abgeleitet ist. Jenes *kuni-s (vgl. auch altn.
konr ,a royal kinsman'i oder *kunio-* ist dann aber durch nichts
als das Genus von *kunio-m, ahd. chunni .Stamm. Volk* unterschieden.
Der König ist, so zu sagen, das personifizierte Volk, ähnlich etwa wie
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Konig.
445
im Griechisclioii ö Aubög im Gegensatz zu oi Auboi auch den König
der Lyder bezeichnen kann. Ebenso verliiilt sich agls. leod Mask.
,princeps' : leod Fem. .gens', salfränk. theod .dominus' Lex Sal. ed.
Hessels §227) : ahd. rf/or ,Volk', ähnlich das gemeingerni. got. piu-
dan* ,ßa(Ti\€Ü<;' : /><«tffl ,Volk , ahd. t ruht in .Herr' : truht ,Schar',
altn. fylkir : /yMv ,Volk', got. kindinn ,nj€uwv' : lat. </t>»a, </e«^*.v u. a.
(vgl. Brunncr a. a. 0. S. I2uf.).
Daneben findet sich der König als der .erste' bezeichnet. So im
hurgundischen hendinos : ir. cd ,primus', altgall. Cintu-gnntoH (vgl.
Kögel Beiträge XVI, .">14i, in ahd. fnristo , Fürst* und got. frauja
,Herr' «beide : sert. puren- ,der erste' j. fle.r oder prineep* als „Herzog"
heissen gemeingenn. ahd. herizogo, altn. hertoge vgl. oben slav. to/-
rorfn). Von Wichtigkeit ist endlich die agls. Bezeichnung nldormau
.Aldennann*. Beda Hist. ecel. V. Cap. 10 berichtet über die Verfassung
der Altsachsen: Xon enim habent regem idem Antiqui Sn.cones,
*ed ttatrttpa* plurimos nune genti praeponitos, ijui ingruente belli
artienlo mittunt nequnliter norten et quemeunque norn otttenderit, hunc
tempore belli ducem omnen sequuntur, huic obtemperant, peracto
autem hello rursum aeqnalis potent ine omnen fiunt mtrnpne. Für
antrnpn, das hier also gaiia im Sinne des Taciteischcn prineep* ge-
braucht wird, bietet die angelsächsische Übersetzung de» Heda nldor-
mau, wofür auch agls. uldor enldor) im Sinne von xhief, prince
vorkommt, so das» hier also noch dieselbe Bezeichnung des Stammes-
hauptes wie im Slavischcn (xtnrosta s. o.) vorliegt.
Auf gleicher Stufe mit der Verfassungsform der germanischen cid-
tntex steht oder stand die der a 1 1 g a 1 1 i s c h c n , so sehr die beiden
gemeinsamen Grundzüge hier durch das Aufkommen einer mächtigen
Priesterschaft und «lie Gliederung des Volkes in druiden und equites
mit ihren nmbneti und diente* verdunkelt worden sind. Auch hier
haben wir Fürsten- und König^staatcn, über deren Verhältnis zu ein-
ander unten weiter zu handeln sein wird, und in deucn die .Macht der
Herrschenden durch das condlium oder die Landgemeinde und einen
von Caesar mehrfach genannten, in seiner staatsrechtlichen Stellung
nicht ganz klaren nennt us beschränkt wird. Nur bei den Aeduern
erwähnt Caesar 1, 1(> eine mehr republikanische Obrigkeit, den vergo-
bretu*, d. h. den Rechtsvollstrecker (kymr. guerg ,cffieax', ir. breth
.Urteil), qtti creatur nnnnux et ritne necinque in hu oh habet po-
tentntem. Die britischen Kelten aber, bei denen wir die ursprüng-
lichsten Verhältnisse voraussetzen dürfen, tinden wir durchgängig
von Königen (Kleinkönigen, regen, ouvacrraii beherrscht, deren in Can-
tium allein (De bell. gall. V, 22) vier regieren.
Die einheimische Bezeichnung aller dieser Herrscher, mochten sie
nun über eine grössere oder geringere Zahl von Unterthanen gebieten,
war ohne Zweifel das oben genannte ir. ri (Gen. rig>, kymr. rhi .do-
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44-;
König.
minus, baro, satrapas, nobilis' (= Int. rvx, neben kymr. rhru ,dominus,
satrapas', bret. roe ,roi" aus *regut- : lat. rfiyo, reifen* nach Stokcs
Urkelt. Sprachschatz). So ist es noch iin alten Irlami. Hier ist rig
ein Gattungsname und umschlichst drei Klassen von Königen. Der
niedrigste und wohl historisch frühste ist der Mg Tuatha (Math ,Volk'
— gnt. piuda, osk. touto, mnhr. totam, s. u. Stamm). Den zweiten
Rang nimmt der Rig Mdr (mar »gross') Tuatha auch Rig Buiden
(huden »Schaar' i ,king of companies" ein. Die dritte oder höchste
Klasse von Königen bildet der Rig Cuicidh (eoieed , Provinz ), Rig liunad
[bunad , Ursprung, Stammsitz'), Rig Rurech (rare ,Herr'j oder Provinzial-
könig und der Grosskönig von Irland (vgl. O'Curry Manners and
Customs I, CCXXIX). Sic alle sind gewählt, doch nicht aus dem Volke
im Ganzen, sondern nur aus der höchsten Adelsklasse (flaith). „Ein
Erbrecht bestand in so fern, als die Wahl sich praktisch auf die Mit-
glieder derselben Familie beschränkte." Auch die Wahl selbst wjrd
nicht von dem ganzen Volk, sondern nur von der privilegierten Klasse
der Aire vollzogen. Weiteres über das altkeltische Königtum s. u.
Neben ri sind im Altirischen als Benennungen des Königs noch zu
nennen fäl und triath (vgl. Windisch I. T. s. v.), beide wohl soviel
wie .Beschützer' bedeutend, ersteres vielleicht identisch mit sert. vä'r
{/.. B. rd'r rtdsya ,Behflter des Rechts', von Indra gesagt), wenn dieses
Wort von Grassmann im Wb. z. Rigvcda richtig aufgefasst ist (anders
B. R>, letzteres (ans *treito-) vielleicht zu sert. trä, trä'yate (*trei) »be-
schützen gehörig. Das schon oben genannte ir. fiaith, *val-ti- »Herr-
schaft', dann , Herrscher , kymr. guletic ,rex\ *caltiko-s, ist wurzel-
verwandt einerseits mit akymr. gualart, kymr. gwaladr ,Oberherr',
*ra1-atro-H, andererseits mit der schon früher erwähnten Sippe von
altsl. vladyka , Walter', ,Stammesbaupt\ altpr. waldniku Dat. »König'
(got. icaldan).
An die nordeuropäischen Verhältnisse schliesst sich am besten die
Stellung des altindischen Königs an, da sie die mannigfachste Über-
einstimmung mit jenen zeigt (vgl. H. Zimmer Altind. Leben S. HWff.
und W. Foy Die königliche Gewalt nach den altindischen Rechts
büchern Leipzig Auch bei den vedischen Indern finden wir
Staateu, die von einem rü'jan- und solche, die von mehreren rä'-
jrina* beherrscht werden. Der König wird durch die Wahl bestellt,
vielleicht ausschliesslich, da der Umstand, dass Urgrossvater, Gross-
vater. Vater und Sohn über die Trtsu gebieten, sich nach R. v. Ihcrings
richtiger Bemerkung (Vorgeschichte S. 393) auch mit der Wahl-
monarchie nach altgermanischem Muster verträgt. Über die Befugnisse
des Königs im Frieden erfahren wir wenig. Er wird als göpd' jdna-
sya (vgl. griech. Tromnv Xoauv, agls. folees hyrde) bezeichnet und hat
ohne Zweifel die Volksversammlung zu leiten, mit der er regiert, und
die ihn wohl sicher auch wählt.
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447
Dem Kiiiiiffe zur Seite stehen Beamte, die als spärnx .Spalier' be-
zeichnet werden. Im Kriege heisst er sutpati- ,der starke Herr : als
solcher liat er gelegentlich ernster Ereignisse auch die Pflicht. Opfer
für den ganzen Stamm darzubringen. Seine Einkünfte bestehen (nach
Zimmer S. ltiß. anders Foy S. :-W) aus freiwilligen Oeschenken ibali-
<les Volkes. Zur Zeit der Rcchtsbflcher ist aus der vedischen Wahl-
iiionareliie eine erbliche und absolute Monarchie geworden.
Äusserst lehrreiche Aufschlüsse über die idg. L'r/eit würden, wie
sonst, die Zustände der alten Perser ans der Zeit, bevor sie in die
Weltherrschaft eintraten, uns bieten. Doch wissen wir darüber nur
wenig sicheres. E i u e Nachricht aber verdient hervorgehoben zu
werden. Nach Herodot I, l'Jö zerfielen die Perser ursprünglich in
drei Stämme (ftvea) : die TTaaapTäbai, Mapöwpioi, Mäömoi. Eine q>prj-
Tpn der TTaffapTabai hiess 'Axaiucvibai, und diese sind es, tvQtv 01
ßaöiX«? o\ TTtpcFeibai Yetövaai. Nach slavisebcr Analogie (s. o.) würde
das etwa heissen: die *Axaiu€vtbcu waren dasjenige (stärkste) brätst co
(über (ppnrpn, = hratfttvo s. u. S i p p e), aus welchem die Könige
(Stammcshäupter) gekürt wurden. Der spätere persische Grosskönig,
der .vxüyaftiya- der Keilinschriftcn (npers. siih , König'), der König der
Könige, König der Provinzen u. s. w. steht natürlich dem idg. *rfgs
so fremd gegenüber, wie überhaupt der Orient dem Occident. über
<lie nicht sehr klaren Angaben des Awesta Über die ost iranischen
Regierungsverhältnisse vgl. W. Geiger Ostirau. Kultur S. 432 ff.
Wenden wir uns von Asien nach Kuropa zurück, so bleibt hier die
Stellung des römischen re.r und die des griechischen ßaaiXcu? zu be-
denken. Am wenigsten sicheres wissen wir nach Beschaffenheit der
Überlieferung vom römischen Königstum, von dem eigentlich nur das
eine feststeht, das» es einst wirklich vorhanden war. Immerhin wird
mau mit Tb. Mommscn Kömische Geschichte I7, Ol ff. (der hier mit
Sehwegler Rom. Gesch. I *, 645 ff. im wesentlichen Übereinstimmt;
vielfach abweichend F. Bernhöft Staat und Recht der römischen Königs-
zeit S. <>4ff.) mit einiger Wahrscheinlichkeit folgendes sagen dürfen:
Der römische König ist ein Wahlkönig, der von dem Rate der Alten
mit nachfolgender formeller Mitwirkung der Bürgerschaft auf Lebens-
zeit gekürt wird. Edle Abkunft ist eine Empfehlung, keine Bedingung,
„vielmehr kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und au
Geist und Leib gesunde römische Mann zum Königtum gelangen". Weit
gegangen sind die Römer in der Ausgestaltung der Macht, welche sie
ihren« Könige einräumten, in sofern sie dieselbe nach dem schon idg.
Vorbilde der Stellung des pater familia* den «km gegenüber ausbauten.
Die Herrschaft des Königs im Staate ist daher absolut wie die des
Hansvaters iu der Familie: sie umfasst die drei Hauptgewalten des
Staates, die bürgerliche, kriegerische und priesterliche. Nur darin liegt
«ine Beschränkung der Gewalt des Königs, dass er von dem Gesetz
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ohne Übereinstimmung des Rats <lcr Alten und der Volksversammlung
nicht abweichen kann. Von stellenden beschenken der (ienieindebürger
an den König erfährt man hier nichts. Seine Hinkünfte waren anderer
Art vgl. Mommsen a. a. 0. S. 71).
Von Königen beherrscht waren ursprünglich auch die anderen
italischen Stämme und Stadtgenieinden, an deren Stelle später anders-
artige (iemeinbeamte, wie z. B. <ler sabellisebe meddi.r titticu* \ meddi.r
aus *nuti-deictf : grieeh. ur|Ti£ oder : ut'boum, vgl. das homerisclie
HTHTope? n.be u€bovT€(;), getreten sind.
In anderer Richtung hat sich das Königtum bei den Uriecheu ent-
wickelt. Cbcr die Deutung des Wortes ßaaiXtüq ist noch keine Eini-
gung erzielt. Die einen fassen es als „Herzogt *ßa(Ji- : ßcüvui ,der
geheu macht', -Xetiq : \r\6q ,Volk '_>, wie nach Plutarch der älteste Name
der spartanischen Könige dpxcrrtTaq i vgl. auch den thessalischen Ttrröq
: TütTTuu ) gewesen sei, andere verbinden es mit lit. gimth „(iesehleeht
i*ßa<Ji- = *gimti-: vgl. oben got. kindin* : lat. gern, (jentixu Auch
für das schon bei Homer mit ßctcnXeüq konkurrierende und namentlich
als Titel verwendete Fdva£ ist noch keine sichere Erklärung gefunden.
Da aber das Wort bereits in den altphrygischen Felseninschriften, auch
in der Verbindung ucrrpoFavaK (vgl. Kretschmer Einleitung S. 'J'.Wi er-
scheint, so liegt die Möglichkeit nahe, dass wir es hier mit einem alt-
phrygischen Lehnwort der homerischen Sprache zu thuu haben vgl.
auch da» bei den Tragikern auftauchende phrvgisehe ßaXnv »König' :
altsl. bolisi ,maior', seit. Inda- ,Gewalt, Kraft ? j. Auch da* erst mit
Arehilochos auftretende griech. TÜpavvo«;, Tupavvt«; dürfte kaum auf
griechischem Boden seine Heimat haben.
Über die Stellung des honierischeu ßaaiXtü; sind wir durch II ja*
und Odyssee ausreichend unterrichtet. Von einer Wahlmonarchie findet
sich keine Spur. Die Würde des Königs, der als biOTpe<pr|<; oder bio-
Ytvtte bezeichnet wird, erbt vom Vater auf den Sohn. Aber seine Macht
ist, wenigstens im Frieden, nicht gross. Sic wird eingeengt durch die
neben «lein Könige stehenden xtpovreq <n/rn.Top€<; nbfc uebovTt?.«, die wie
er ßaaiXfie? heissen und vielleicht einstmals selbständige Stammes-
tttrsteu waren. Ihr Name (vgl. auch die spartanische tepoucria] er-
innert an den slavischen Starosten oder den germanischen Aldermanu
(s. o.). Mit ihnen beratet der König, häutig beim festlichen Mahl,
während die grosse Masse des Volkes in den Volksversammlungen
durchaus eine passive Holle spielt. Ausser der Leitung solcher Ver-
sammlungen sind die Befugnisse des Königs richterlicher und priester-
licher Art. Am mächtigsten ist er im Kriege. Hier hat er Gewalt
über Leben und Tod. Mit Rücksicht darauf sagt Agamemnon in einem
von Aristoteles (Polit. III, 9, ">) uns erhaltenen, im übrigen verlorenen
Verse der Ibas: netp -räp ^MOi 0ävciTo<;. Die Einkünfte des Königs
setzen sich aus freiwilligen beschenken und Gebühren (bumvut und
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Kotiig.
449
6tMt(TTe?i zusammen. Ausserdem gebührt ihm der Ertrag eines Kton-
guts f'Ttfitvo?', uiul heim Mahl erhalt er den Ehrenplatz und die grösste
Portion.
Dieses Rild des homerischen Königtums dürfte neben sehr alter-
tUiiiliclien bereits eine Reihe jüngerer Züge enthalten. Ks ist wahr-
scheinlich, dass in der im Osten und auf den Inseln Griechenlands vor
Homer herrschenden ,.mykeuischcnu Kulturepoche, vielleicht unter klein-
asiatischen Einflüssen (s. o. über Fcivasi, die .Macht des Königtums eine
grössere als vorher {in der Urzeit) und nachher i bei Homer, durch das
Aufkommen mächtiger Adelsgeschleehter) gewesen ist. Die Erblichkeit
der Königswürdc kann aus dieser Zeit herrühren. Ebenso die Herab-
drückung der Volksgewalt, während in der griechischen Urzeit die
Volksversammlung ein wichtiger Regierungsfaktor neben dem König
gewesen sein muss. Dies kann man auch aus der bedeutenden Stellung
sehliessen, die das versammelte Volk bei anderen griechischen in ihrer
Entwicklung zurückgebliebenen Stämmen in Ausübung der Gerichts-
barkeit noch spät einnimmt. So berichtet von den Makedonen Curtius
VI, S. 2.>: De capittdihns rebus cetnxtu Mucedonuni modo intpiirehat
ej'crcifus: in pttre erat ruh/i. Die oberste Entscheidung in Kri-
minalsachen ruhte hier also in Krieg und Frieden in der Hand des
Volkes, nicht in der von Richtern oder des Königs 'weiteres vgl. bei
Gilbert Jahrb. f. klass. Phil. XXIII Sappl., S. 44:> Anm. 1).
Xach dieser Übersicht über die Gestaltung des Königtums in den
ältesten Epochen der Einzel Völker wird es möglich sein, die Stellung
des indogermanischen *m/-.< mit einiger Wahrscheinlichkeit zu
rekonstruieren. Und zwar lassen sieh in dieser Reziehung folgende
Sätze aufstellen:
1. Die Würde des Königs ist nicht erblich, sondern wird durch
Wahl verliehen, die ohne Zweifel von den Sippenherrn {*rik-p>iti-. s.
u. Sippe, und Hansherrn t*dem*-pofi-, s. u. Familie) vollzogen wird.
Prinzipiell ist die Königsgewalt jedermann aus dem Volke zugänglich,
wie sich denn überhaupt für die Urzeit eine Gliederung des Volkes
nach Ständen s. d.) nicht nachweisen lässt. In Wirklichkeit aber
mag immerhin schon damals eine besonders starke Familie oder Sippe
mehrfach nach einander die Wahl eines der Ihrigen zum König durch-
gesetzt haben, so dass gewisse Ausätze zur liildung von Erbinouarchien
schon in der Urzeit vorhanden gewesen sein mögen.
2. Der Gewalt des Königs steht die Gewalt der Volks Versamm-
lung (s. d.) zur Seite oder gegenüber, so dass also das älteste Staats-
recht der Indogcrmanen, soweit man von einem solchen sprechen kann,
auf zwei Pfeilern, dem Könige und der Landesgeineiude, beruht.
Es verdient hervorgehoben zu werden, dass schon M. Voigt in seinem
Ruche Drei epigraphische Konstitutionen Konstantins des Grossen, Leipzig
18f>U S. 124 f. zu der nämlichen Anschauung gelangt ist: ..Die Organi-
SchraJ-.T, Re.illi r >i>.
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sation dieses Staates (des indogermanischen; wird gewonnen teils durch
eine personale Gliederung der Staatsgenossen, teils dureli bestimmte
Organe der Staatsgewalt, als welche allenthalhen ein gewähltes
Oberhaupt, der mit der Exekutive ausgestattete Magistrat, und eine
Volksversammlung hervortreten, ausgestattet mit der richterlichen
und sonst noch beschliessenden Befugnis, wogegen die Spuren eines
weiteren konsultativen Nationalausschusses der Stanimesältesten 'man
denke an die homerischen f^povie?, den römischen und keltischen
*enat um etc.) weniger bestimmt und allgemein wahrnehmbar sind."
Wie sieh das Verhältnis dieser beiden Regierungsfaktoren zu einander
gestaltete, wird schon in der Urzeit von Verhältnissen und Personen
abgehangen haben.
o. Die Obliegenheiten des Königs bestehen in der Leitung
der Volksversammlung, deren Beschlüsse er zur Ausführung bringt.
Über seine schiedsrichterliche Stellung s. u. Richter, über die Frage
seiner priesterlichen Thätigkeit s. u. Priester. Im Kriege tritt der
König als „Herzog* auf, als welcher er eine straffere Gewalt als im
Frieden ausübt.
4. Die Leistungen des Volkes an den König bestehen in frei-
willigen, gewohuheitsmässig gewordenen Oeschenken, die dem Könige
liebst anderen Ehrungen wie dem Vorsitz beim Mahle und den fettesten
Rissen bei demselben dargebracht werden. S. auch u. A 1) gäbe u.
Über den sieh nach und nach mehrenden Vieh- und Landbesitz der
Könige und des Adels s. u. Stände, wo auch über königliche Be-
amte gehandelt ist.
5. Äussere Abzeichen des Königs, etwa durch einen besonderen
Haarschmuck, wie bei den Germanen (s. u. Haartracht), mögen früh
aufgekommen sein, lassen sich aber für die Urzeit nicht nachweisen.
Jedenfalls aber waren die uns heute geläufigen Insignien königlicher
Gewalt, Zepter, Krone und Thron (s. s. d. d.j, dem frühsten Alter-
tum noch fremd.
Nachdem im bisherigen der Inhalt der idg. Königswürde ermittelt
worden ist, erübrigt es im folgenden ihren räumlichen Umfang zu
bestimmen. Da u. Stamm gezeigt worden ist, dass die weiteste poli-
tische Organisation in der Urzeit der nicht nur auf dem Gedanken,
sondern vielfach auch noch auf der Wirklichkeit leiblicher Verwandt-
schaft seiner Insassen beruhende, in Sippen mit deren Hausgemeinschaften
zerfallende Stamm gewesen ist, so erhellt, dass es dieser gewesen sein
muss, mit dem sich der Begriff des idg. *reg-io m (s. o.) zunächst deckte.
Solche Stämme als selbständige Organismen sind aber in ungetrübter
Reinheit in Europa nur noch bei den südlichen Slaveu nachweisbar
oder es wenigstens bis vor kurzem gewesen. Überall sonst begegnet
uns die Vereinigung mehrerer Stämme zu eiuer Völkerschaft, und
an Stelle des alten Stammköuigs der Völkerschaftskönig. Wie
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König-.
451
sich hierbei die Dinge in» südlichen Europa entwickelt haben, lässt
sich nicht mehr erkennen. Hei Kelten und Germanen aber kann
jener Vorgang der Zusammenfassung mehrerer Stämme zu einer cieitas
noch in deutlichen Spuren verfolgt werden, und es scheint, dass jene
alten Stammkönige bei diesen» Prozesse eine hervorragende Holle ge-
spielt haben.
Es ist eine auffallende Thatsache, dass die Germanen, Litu-Preussen
und Slavcn das alte idg. Wort für König (*rcgs) verloren, und die
beiden ersteren dasselbe durch die von den Kelten entlehnte kel-
tische Lautform des Wortes ersetzt haben. Aus dem altgallischem
*rigs stammt zunächst got. reihst ,6ipxwv'; im übrigen ist das Wort ausser
in Eigennamen (Theoderich, Friedrich, Heinrieh} und bis auf eine Spur
im Altnordischen {thiaurihr in einer schwedischen Runeninschrift ,rex
popnli', dein 20 honuhar , Könige' gehorchen) untergegangen. Um so
lebendiger aber sind die Ableitungen dieses Stammes, das neutrale
Substantivum *rih-jo-m : ahd. rihhi , Reich' (ans altir. rige) und das
Adjektivun» *rih-jo-s : ahd. rihhi ,mächtig, reich' (s. u. Reich und arm),
ersteres gemeingermaniseh, letzteres nur kontinental-westgermanisch,
geblieben. Ans dem Germanischen wiederum stammen altpr. rihs
,Reieh\ rihaut ,herrschen\ rkhaüsnan »Regierung*. Urverwandtschaft
zwischen dem germanischen und keltischen Wort kann deshalb nicht
vorliegen, weil idg. *reg- im Germanischen lautgesetzlich zu *rfk-,
nicht zu *rih- geführt hätte. Wenn K. Brugmann in der zweiten Auf-
lage des ersten Bandes seines Grundrisses diese noch auf S. l.'Jö ver-
tretene Ansicht S. 504 aufgiebt und wegen der angeblich hierher ge-
hörigen Verben Iit. reteiüs ,ich brüste mich', rtfiz'aus ,reekc mich', ahd.
rthhan ,sich erstrecken' denuoch die Urverwandtschaft von got. reih* —
gall. -r/.r, lat. rex, sert. rä'j- (idg/*rc(7 )</) : *rig-) annimmt, so wird
es schwer sein, ihm hierin zu folgen, da man nicht einsieht, warum
die angeführten Zeitwörter bei ihrer völligen Bedeutungsverschiedenheit
überhaupt etwas mit den Ausdrücken für König zu thun haben solleu.
Die Entlehnung hat stattgefunden, bevor im Germanischen die Ver-
schiebung der tönenden zu tonlosen Konsonanten ig : h: eintrat, ein Vor-
gang, der lange vor der Römerzeit zum Abschluss gekommen war. Viel
leicht erst in die Zeit nach jener Verschiebung, aber immerhin noch in
eine sehr frühe Epoche fällt die Entlehnung eines zweiten für die
älteste Geschichte des Königtums wichtigen Wortes, des altgallischen
ambactux ,Klient eines Mächtigen' (vgl. Festus ed. 0. M. S. 4: Ambactus
apud Ennittm lingua Gallica Nereus appeliatur, Caesar VI, 15: Komm
i. e. eqttitum, ut quisque est genere copiisque ampUssimus, ita plurimos
circum se ambactos cUentesque habet), in das Germanische (ahd.
ambaht, agls. onbiht, got. andbahts , Diener ), worauf das Verhältnis
von kelt. 6 (ambactux) : germ. b (ahd. ambaht, hinzuweisen scheint.
Es liegt auf der Hand, dass so frühe und so tief eingedrnngne Wort-
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452
König.
entlehnungen nicht ohne einen sachlichen Grund geschehen sein können.
Vergegenwärtigt man sich nun (worüber weiteres u. Stamm), dass
auch für die Kelten und Oermanen als von der frühesten und weitesten
politischen Organisation nicht von der ciritas, sondern von dem pagus,
dem Gau, der Tauscndsehaft, dem Stamm auszugehen ist, so kann man
sich den Übergang mehrerer solcher pagi in eine ciritas kaum na-
türlicher erfolgt denken als so, dass einzelne mächtige Persönlichkeiten,
die bis jetzt an der Spitze eines einzelnen Stammes gestanden hatten
- eben jene *rig-es — , gestützt auf die Hülfe ihnen persönlich er-
gebener Dienstmaniien — eben jener ambacti — , die Herrschaft über
verschiedene Stämme in kräftiger Hand vereinigten. Auch die Ent-
lehnung des keltischen Wortes für G ei sei (s. d.) in das Germanische
findet in diesem Zusammenhang ihre Erklärung. Kann dieser Vorgang
als innerlich wahrscheinlich angesehen werden, so würde die Entlehnung
des genieingermanischen *riks , Herrscher' und *rik-jn-tn .Herrschcrtum"
ans dem Keltischen darauf hindeuten, dass diese Entwicklung für den
Norden Europas auf keltischem Boden ihren Ausgang ge-
nommen habe, und somit würde die Durchbrechung des Hegriffes
des indogermanischen Familienstaates die erste jener Wellen
sein, welche vom Westen unseres Erdteils ausgehend, unser Staats-
leben so oft erschüttert und zu neuen Bildungen aufgerüttelt haben
(vgl. Vf. -Deutsches Reich11 und „ Deutscher Kaiser", Soudcrabdr. aus
den wissenschaftlichen Beiheften z. Z. d. allgem. deutschen Sprach-
vereins X, S. 3 ff.).
Es scheint, dass in v o r caesarischer Zeit i aIso eben wo jene Ent-
lehnungen erfolgten) mehr ciritates als später in Gallien von Königen
beherrscht wurden. Wenigstens nennt Caesar wiederholt Männer, wie
/.. 15. den Scquaner Casticus (I, .'*) oder den Trinobanten Mandubraeius
(V, 2">, deren Väter noch den Königsstuhl iuue gehabt hatten. Mau
wird sich den Vorgang so denken dürfen, dass der von den reges
geschaffene politische Begriff der ciritas erhalten blieb,
auch wenn der betreffende rer gestorben oder gestürzt, und an Stelle
des Königtums eine Prinzipats- oder andere Verfassung getreten war.
Der Kampf aber um den Königsrang bricht immer aufs neue wieder
aus, und zieht sich durch die ganze eaesaiisehe Epoche, wie es Caesar
II, 1 selbst schildert: Ab nonnullis etiam {Gallia sollicitabafnn, qnod
in Galiläa ptttentioribus atque iis, qui ad conduce.ndos hamines
facultates habebant 'also ganz in der oben geschilderten Weise),
rulgo regna occnpabantitr, qui minus facile eam rem imperio nostro
conxequi poterant. Doch setzt Caesar auch selbst reges ein V, *»4;.
Ganz ähnlich werden die Dinge bei den Germanen verlaufen sein.
Auch hier werden politische Wellen, welche die Könige emportrugen, mit
solchen gewechselt haben, die sie : unt er Erhal t ung des Begriffes
wgiinm. rihha, cirita* wieder stürzten. Auf eine solche mag das
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Könijf.
453
Zurücktreten des Wortes reib* (s. <>.) in den germanischen Sprnclien
znrtU'kzufiilircu sein. Die germanischen Völker wenigstens, die Caesar
kannte, lebten damals in Priuzipatstaaten (VI, ^j: In pace nulhis est
communis magistratus). Tacitus nennt, wie s li«-n oben bemerkt,
beides. Prinzipat- und Königsstaaten. Eine stranviv Anspannung der
königliehen Gewalt herrschte nach ihm im Norden und Osten des ger-
manischen Völkergebietes (Ca|). 4;5: Trans Lipjio* (rotones regnautnr
pauIo iam adduetius qua in ceterae Germannru m gentes, nondum
tarnen stipra libertatem. protinus deinde ah Oceaim h'ngii et Letnocii;
omninmque harum gentium insigne erga regen idisequium.
Cap. 44: Suhnum hinv cirifates est apnd Mos et opibus htnos,
eorpw unus imperitat nultis iam e.rcepthnibus, nitn precaria iure pa-
readi . Eine ähnliche Rolle wie die ambacti hei den Galliern spielen
in den germanischen Königsstaaten die liherti 'Cap. :?;">: Liherti non
malt um su pro seriös sunt, raro aliquod mmnentum in domo, nnn-
qiuint in cititate, e.rceptis duuita.raf iis gentibiis quae regnantur. ibi
enim et super ingenuns et super nabiies asvendunt : apnd reteros
impares lihertini liberfatis argumentum sunt',.
Die hier vorausgesetzte Entwicklung wäre hypothetischer, als sie ist,
wenn sie nicht in den sla vi sehen Verhältnissen ihre voll-
kommene Entsprechung fände. Was das keltische *rigs für die
Germanen, ist in vieler Beziehung das germanische ahd. chuning u. s. w.
für die Slaven geworden. Aus ihm stammt altsl. künegfi. kunedzi,
künei't ,E(trst' vgl. altpr. konagis .König', lit. küningas , Pfarrer',
eigeutl. ,Herr', auch tinn. küningas u. s. w. , König ). Wollen die sla-
vischen Chronographen den Begriff wirklicher Herrschaft, des wirklichen
Regieren* im Staate im Gegensatz zu dem blossen Verwalten in einem
Landesteile ausdrücken, so müssen sie sich des entlehnten kujiüenie,
knjaziti gegenüber dem einheimischen rlasti, rladeti s. o.> bedieneu
(vgl. Ewers Das älteste Recht der Russen S. !*ti). Als „Knäse" (kunezl)
werden die skandinavischen Waräger von den Slaven herbeigerufen.
„Unser Land", sagen sie, ..ist gross, gut und mit allem gesegnet, aber
keine Ordnung ist darin: kommt bei uns „Knäse" zu seiu und uns
zu regieren*1 Schlözers Nestor II, lö4f.). Charakteristisch ist auch,
dass wie das gallische ambactus in das Germanische, so ans letzterem
mehrere Bezeichnungen tür Diener des Fürsten in das Russische ein-
gedrungen sind. So altruss. tiunü, timnü, tivonü ,cinc Art Amts-
person' (vgl. auch lit. tijunas ,Aiutmaiiu') aus altn. pjonn ,Diener,
Sklave', altruss. gridl ,Leibwüchter, Gefolgsmann' aus altn. grit , Wohn-
ort, Heimat mit dem Nebenbegriff des Dienstverhältnisses' (griümabr
,Diener), altruss. jabedniku .eine Art Beamter' aus altn. ambadti (vgl.
W. Thonisen Ursprung des russischen Staats S. l.'Jöf.) u. a. Noch
lehrreicher sind aber die s ü d s I a v i s c h e n Verhältnisse ( vgl. Kraus»
a. a. O. S. 20 f.). Natürlich fingen auch hier allmählich mehrere Stämme
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König — Kopfbedeckung.
(pteinena) an, in eine politische Einheit (cicitux) zu verschmelzen.
„Das mächtigste pleme beanspruchte für sich eine gewisse Oberhoheit
über die übrigen, und sein Oberhaupt, der ziipan, nahm einen dem
entsprechenden hühereu Hang über die übrigen znpani ein. So ent-
wickelte sich unter den .Südslaven aus kleinen Anfängen
der Staat. Ursprünglich war der bedeutendste unter den znpani
bloss der primus inte? pures, er hiess in Serbien ecliki zupan 'der
grosse inpnn), iu Kroatien dagegen erhielt er frühzeitig den
fremden Namen knez. Knez zur Bezeichnung des obersten aller
Volkshcerführcr {rojcode) erhielt sich bis in die Gegenwart in der
Cniagora". Und weiter: „Unter knez Tomislav und seinen Nachfolgern
im X. Jahrhundert erstarkte in Kroatien immer mehr die Machtstellung
des knez und in demselben Masse schwand die Macht der znpani
dem knez gegenüber, «lern sie nicht mehr als Gleichberech-
tigte, sondern als Unterthanen galten. Der knez war nun
ein wirklicher Herrscher, ein König geworden". Mit knez
wechselt die Bezeichnung kralj (altsl. kräh .König', russ. knroli. alb.
kraV ,lremder König', ngriech. KpdXn,?, auch türk. kral u. s. w. i, nach
Miklosich (Et. \V.) und anderen ebenfalls eine Entlehnung, und zwar
aus dein Namen Karls des Grossen. Dieselbe Entwicklung, wie sie
sich in sprachlicher und sachlicher Beziehung gleichsam vor unseren
Augen bei den Slaven in ihrem Verhältnis zu den Germanen ab-
spielt, setzen wir, nur in einer älteren Zeit, bei den Gerinn neu in
ihrem Verhältnis zu den Kelten voraus.
Konkubinat, s. Beischläferin.
Koptbcdcckuni:. Eine einzige Bezeichnung dieses Begriffes lässt
sieh über den Boden der Einzelspraeheu hinaus verfolgen. Es ist das
auch u. Helm genannte germanische ahd. Unat, agls. fahl neben agls.
faitt, altn. fa'ittr — lat. cassis. Doch kann die vorhistorische Bedeutung
dieser Sippe auch noch eine abstrakte (vgl. ahd. huota ,Hut", .Vorsicht',
von dem man htiot .pileus' kaum wird trennen wollen) gewesen sein,
wofür »las Verhältnis von got. hihn* Mvhw' : seit, edrtnan- .Schutz'
ein Analogon darbietet.
Die Sitten der europäischen Indogermanen weisen auf ursprüngliche
Barliii uptigk ei t hin. Der homerische Held trug im Frieden keine
Kopfbedeckung, während die Frau bereits mit dem Kpnbepvov, der
Kopfbinde (ndpa und be'uj), und der KaXOirrpu,, dein Schleier, geschmückt
war. Nur Laertes hat bei seiner Feldarbeit eine Kuvtn, arftin. eine
Kappe von Geissfell (xuvtn; eigentlich ,ans Hundst'eir : küuuv ,Hund ).
Auch in K o in waren Bedeckungen des Kopfes ausser auf der Heise
und bei den Arbeitern nicht üblich. Doch hat Heibig Über den pileus
der alten Italiker (Sitzungsb. der phil.-hist. Klasse d. Ak. d. W. zu
München lsso S. 4*7 flf.) es wahrscheinlich zu machen gesucht, das»
in vorklassischcr Zeit von Römern und Kömerinnen als Kopfschmuck.
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Ko{>fl>edrckung.
tr,5
eine hohe, steife, kuppclförmige Mütze ( piletts, tutulus, ape.c; vgl. zu
letzterem Festus Pauli ed. O. M. S. IS: qul, ut sacerdotum ianir/ne,
dictus est ab en, quud comprelu-iulere antkpti vineuht apere dicebant)
getragen wurde, die sieh später hei verschiedenen Pricstcrsehaften und
feierliehen Handlungen als Tracht erhalten liahe. Doch wäre auch hierin
nicht ein Rest vorhistorischer Kleidung bewahrt worden. Vielmehr be-
trachtet Heibig selbst den pileaa als eine durch Karthago vermittelte Ent-
lehnung aus dem Orient, dessen hohe und steife, namentlich von Königen
und Priestern getragene Kopfbedeckungen unter den Namen näpa,
Kupßaaia und Kibapig 'vgl. Lagard« Ges. Abb. S. 201» f., Lewv .Sem.
Frcmdw. S. 00) bekannt sind. S. mich u. Kieme.
Auch für die nördlichen Völker Kuropas wird man weder im Krieg,
noch im Frieden eine regelmässige I'edeckung des Hauptes anzunehmen
halten, obgleich bestimmte Nachrichten in letzterer lic/.iehuug fehlen.
Die sicheren Germanen der römischen Denkmäler (s. über dieselben u.
Kleidung) erscheinen barhäuptig, während andere Harbaren Sar-
niatcn'?, Skythen'?, Getcn'?, Thraker?) orientalische Mützen verschie-
dener Art, Zipfelmützen, Kappen in Form abgestumpfter Pyramiden
u.s. w. (vgl. Petersen Markus-Säule S. f>1) tragen. Die spätere Über-
lieferung (vgl. .1. Grimm R.-A. S. tili) kennt den Hut oder die Mütze
als Auszeichnung des Adels oder Priestertunis ausser bei Dakcn und
Skythen (vgl. auch Tocilesco Das Monument von Adauiklissi s. so»)
allerdings auch bei den (loten, und jedenfalls muss, wie die oben an-
geführte Gleichung von ahd. huot u. s. w. und das ebenfalls urgerina-
nische ahd. htlha, agls. hn/'e, altn. hnfa .Haube' (Kopfbedeckung für
beide Geschlechter, auch Bischofsmütze) zeigen, der Hegriff der Kopf-
bedeckung schon in früher germanischer Zeit bekannt gewesen sein,
wenn dieselbe auch nicht zu allgemeiner P>enutzung gelaugte. Der
Stamm der Chattuarii, wenn er richtig als „UntlcutC gedeutet wird,
würde als Hervorhebung einer Ausnahme für die Regel sprechen. Über
Strohhüte der Sachsen vgl. Widukind III, 2.
Wie auf allen Gebieten der Tracht, ist auch in der Terminologie
der Kopfbedeckungen die Entlehnung eine grosse gewesen. Die
Römer haben u. a. den petaxus (Plaut. , die causia (Plaut.) und die
mitra , Kopfbinde' (Afr.) aus dem Griechischen (Tt€Tao*o<; : tt€tüvvuui,
Kctoaia : Kaüaoq , Hitze', uiTpa von Prellwitz Et. W. mit lit. mhturas
gewundenes, turbanartiges Kopftuch' verglichen) übernommen. Aus
dem Lateinischen, resp. Vulgärlateinischen in die nördlichen Sprachen,
ans dem Altertum ins Mittelalter übergegangen sind drei Wörter, die,
sämtlich noch etymologisch unaufgeklärt, das mit einander gemein
haben, das» sie eine Kopfbedeckung bezeichnen, die mit einer Art von
Kleidungsstück verbunden gewesen sein muss, also eine Kapuze. Es
sind: 1. lat. cucullus, cucttllio (vgl. auch G. Goetz Thesaurus s. v.
cuculht, casuhi, bimit, Jacerna), ahd. chuqela ,Gugcl\ prov. coyula
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Kopfbedeckung — Koralle.
u. s. w. (vgl. Diefenbach 0. E. u. bardocuculhiH ,Mantclkleid des kel-
tischen Haiden ). 2. inlat. cappa (Thes. I, 17*: cajipu, agls. *MOf/,
Mciciuy) mit ausgedehntester Verzweigung im Komanisehen (vgl. Körting
Lat.-roni. W. S. IGT), alid. kappa, agls. aeppe (weiteres hei Kluge
Et. W.': s. v.), auch in den slavischen Sprachen von ungeheurer Ver-
breitung vgl. Miklosich Fremdw. s. v. /r</;j« und sapka). lit. kepitre u.s. w.
.*>. ndat. almutia, span. almuvio u. s. w. (vgl. Körting a. a. 0. 8. Ö12),
juhd. mutze, mutze (vgl. Kluge a. a. 0. s. v. Mützci, lit. mucz'la.
Wie der Süden Europas (s. o. >, zeigt auch der Osten in der Termi-
nologie der Kopfbedeckungen starke orientalische Beeinflussung: Die
Slaven haben schon in ihrer osteuropäischen Urheimat von Turk-Stäminen
die türkische Bezeichnung der Mütze kalpak\ übernommen, die in allen
Slavincn (altsl. klobnkü u. s. w.) gilt (vgl. Miklosich Türk. Eiern. 8. 1
und N*!. — 8. auch u. Filz. Auf die Mützen- oder Kappeutracht der
süd-ost-curopaischen Barbarenvölker wurde schon hingewiesen.
Die Prähistoric vermag bis jetzt nur vereinzelte Aufschlüsse zu
geben. Zu der u. Kleidung beschriebenen Männertracht der skandi-
navischen Bronzezeit gehörte auch eine wollene, runde und ziemlich
hohe Mütze, die von S. Müller Nordische Altertumsk. I, 2151) aus-
führlich beschrieben wird. Der vereinzelte Eund einer Frauentracht
aus derselben Zeit enthält ein sauber geknüpftes Netz aus Wollen-
fädeu. Etwas weiteres dürfte über Kopfbedeckungen aus prähistorischer
Zeit nicht bekannt sein.
Alles in allem genommen, erhält man den Eindruck, dass die Sitte,
Kopfbedeckungen zu tragen, sich in Europa mittel- und unmittelbar erst
von orientalischen Völkern her verbreitet hat, die unter dem Ein-
lluss ihres Klimas frühzeitig auf eine solche Erfindung verfallen mussten.
Zuerst (wie noch heute bei Naturvölkern, die mit europäischer Ge-
sittung in Berührung kommeni wohl überall von privilegierten Gesell-
schaftsklassen, Priestern, Königen, Adeligen angenommen, drang sie in
Europa erst ganz allmählich in weitere Kreise. S. u. Kleidung.
Koralle. Sie wird in der Umschreibung Xeipiov ävöiuov T-ovria«-,
^po*n,<- ,Lilienblumc des Meerestaus' zuerst bei Piudar genannt (vgl.
Blümucr Teno, und Teehn. II, .578). Ihr eigentlicher Name KopuXXiov,
KOupaXiov. xwpäXiov tritt erst später (Thcophr., 8. Empir. Pyrrh..) auf.
Sie kam am besten am indischen Meerbusen vor und bildete einen
geschätzten Handelsartikel, da Korallen gern als Amulette gegen den
bösen Blick etc. getragen wurden, eine Sitte, die nach der ausdrück-
lichen Überlieferung des Plinius in Indien wiederkehrt (XXXI I, 23). Vgl.
auch K. Garbe Die indischen Mineralien S. TO: „Die Koralle ....
wirkt gegen Schleim, Galle und sonstige Krankheitsstoffe und verschafft,
von Frauen getragen, diesen Kraft, Schönheit und Glück". Indische
Namen sind u. a. ambhödhicaJlabha- »Liebling des Meeres', ambhö-
dhipallata- ,Zweig des Meeres' u. a. Vgl. auch oben den pindarischen
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Koralle — Kork.
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Ausdruck. Ist es denkbar, dass das sonst ganz rätselhafte griech. ko-
pritXXiov, xoupäXiov die Übersetzung einer derartigen Bezeichnung (etwa
KÖpn oder Koupn. äXö? .Tocliter des Meeres ') seitens eines des Indischen
kundigen griechischen Handelsmannes darstellt, die dann in mannig-
facher Verstümmlung nach Griechenland gelangte.-' L'nter den Xord-
völkern werden frühzeitig die Gallier /'PI in. a. a. 0.) als Leute genannt,
die ihre Schwerter, Schilde, Helme mit Korallen schmückten, die übrigens
auch an der gallischen Küste selbst vorkamen (Plin. XXXII, LM >.
Korb. Urverwandte Bezeichnungen hierfür sind lat. quälns *qims-
lu x ,, qiuisillunt — altsl. ko*l ,Korb und vielleicht lat. corbis (vgl.
auch ir. corb , Wagen ? i = ahd. ri-f, altn. hrip »hölzernes Traggestell'.
Da die Kunst des Fl ec Iltens s. d.) schon in der Urzeit bekannt
war, steht der Annahme, dass man schon damals Körbe zu Hechten
verstand, nichts im Wege. Thatsäehlieh wurde Korbflechterei schon
in der Steinzeit der Schweiz und in anderen ueolithischen Stationen
betrieben i vgl. Keller Pfahlhautcnhcrichtc IV, lt>i. Ja. es fehlt nicht
an Archaeologeu, welche die Kunst der Korbflechterei für alter als
die der Töpferei rs. u. Gelasse) ansehen und in dem Korb das Vor-
bild des Topfes erblicken (vgl. Grosse Anfänge der Kunst S. i:>7 und
Hoernes Urgeschichte der bildenden Kunst S. iJT ff.). Kine Art von
ledernen Korben ist aus späterer Zeit an den Tag gekommen. Das
k. k. naturhistorische Hofmuseum in Wien enthält mehrere dem Hall-
stätter Salzberg entnommene Tragkörbe aus Kalbsfell, die ursprünglich
zum Heraustragen des Salzes aus dein Bergwerke dienten. Kine lebendige
sprachliche Illustration hierzu bietet die Reihe: seit, meshd- .Widder'
(Widderfell), lett. maixs .Sack', altn. meist , Futterkorb , ahd. meiso , Ge-
stell zum Tragen auf dem Kücken' (altsl. mt chü .Schlauch', altpr. hioasit
, Blasebalg'; über ir. mdit, kymr. miri/ts etc. ,vas quoddam' vgl. Stokes
Urkeltischer Sprachschatz S. V.tih. Wie bei den Gc fassen s.d., ist
auch in der Terminologie der Körbe die Kntlehnung eine grosse.
Schon die homerische Sprache hat wiveov (vgl. auch KdvaaTpov ans
dem phoenizischen Küvn. (s. u. Kohr gebildet. Die Körner haben at-
niatnun und v.alothnt (vgl. griech. KdXctöoq seit Aristoph. : arani. qtla
jHeehten' nach Lewv Semit. Fremdw. S. 1 S#U y . ans dem Griechischen
entlehnt. In nnermesslicher Ausdehnung ist lat. corbis iu die nördlichen
Sprachen gewandert (ahd. vhurb, alts., ndl. korf, slavisch *korbija,
altsl. krabij, lit. kui-bas). Einzelsprachliches: Griech. idXapo?
(Horn. : TaXdöo*ai, lat. tollere), KÖqpivo? (Aristoph., vgl. Lcwy a. a. 0.
8. llf>), öTrupii; (vgl. lat. sporta) u. a. Lat. f'itcu* (vgl. engl, basket?),
scirpe« (,aus Binsen ). Ir. clitib (Zeuss Gr. Celt.- S. 18). Mhd. krebe.
Altsl. krosuka (alb. krosna, lit. pintinis (,gcHochtcnes ) u. a.
Koriander, s. Garten, Gartenbau.
Kork. Die Kinde des im südlichen, namentlich aber im süd-
westlichen Kuropa Spanien und der Provence) einheimischen Kork-
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Kork — Kürperbeinalung.
bannis tQuercus au her , der Kork 'griech. tpeXXöq, wie wahrscheinlich
auch <lcr Daum hiess; lat. «uher ,der Baum und seine Kinde' : griecl».
(Jücpap .runzelige Haut', corte.c nur .die Rinde t, wurde schon im
Altertum zu Zwecken der Fischerei, zu Schuhen, zu Schwinnngürteln,
seltener auch zum Verspunden von allerhand grösseren Gcfässen ge-
braucht. Eine allgemeine Verwendung des Korkes als Stöpsel oder
Pfropfen stellte sich in Eiu-opa alter erst nach Einführung der gliiscrnen
Flaschen s. d. ein. was nicht vor dem XV. Jahrb. der Fall war.
Erst aus dieser Z -it rührt die Entlehnung von nhd. kork durch nieder-
ländische Handelsverbindungen aus span. cardio >corche .Sandale ,
, Schuh aus Korkholz': vJ-d. unser „ Pantoffel* aus ngriech. TTavToqpeXXd?
jGan/.kork') von Carter her. Schon nhd. ist dagegen Sforza aus it.
scorzit ' von *e.rcortea oder *scortea : scorttitn , Leder' ). Vgl. noch it.
sughero : stiher und frz. /%<• ,Kork" : lat. Jeris. *lerin* deicht'. —
Beckmann Hintrage II, 472 11'., V. Hehn Kulturpflanzen S. .">.V.> f.
Korn, s. Acker hau.
Kornelkirschhuimi Coruus mascitla L.). Der in fast allen
Gebenden Europas verhreitete Baum führt ühereinstiimnende Namen
einerseits im Griechischen und Lateinischen: griech. xpaveia =. lat.
Curaus beide auch iu der Bedeutung von .Speer gebraucht), anderer-
seits im Germanischen und Slavischcn: ahd. tirnponm (dialckt. nhd.
täntthatnn, tierle, dierliiig u. s. w.) - russ. deren fi etc. Aus lat.
com«« entlehnt sind agls. cnrntrro, ahd. kormdhouttt, altndd. karnil-
hörn, während man für deutsche mundartliche Ausdrücke wie hirtufss,
her »scheu, heriisketi in Thüringen auch Jarlitz, hörützeu etc.. vgl.
Grassinann Pdanzennamen S. 116) an Urverwandtschaft mit lat. coruus
denken könnte; doch mischen sich mit diesen Formen solche wie
hornhautti , harnkirsche, harnst rauch, die sichtlich nur Übersetzungen
des lat. Wortes sind, das man mit lat. cornu ,Horn' in Verbindung
brachte. Doch ist diese Ableitung wahrscheinlich falsch, da conttts
nicht von lit. Kirnis ,dea cerasoruiu', altpr. kirim .Strauch' etc. s u.
Kirsche) getrennt werden kann und also auf einen volaren Anlaut
hinweist, während cormi ,Honf (griech. Kc'paq = sei t, ciras- > palatal
anlautet. Dunkel: ahd. arlizboum und alb. Haar (vgl. G. Mover
Et. WA
Von dem Kornelkirschbauin verschieden, wenn ihm auch sehr nahe
stehend ist der ebenfalls in Europa einheimische Hartriegel (Cornu ff
sanguinea L.). Das Griechische und Lateinische hat keine besonderen
Namen für diesen Baum. Im Althochdeutschen lieisst er hart-trugili,
hartträgil, hartrngitla etc. (Graff V, ;'x>l), dessen zweiter Bestandteil
(*trtiginus) wohl iu frz. troetie .Hartriegel' wiederkehrt (weiteres bei
Pritzel und Jessen Volksnamen S. 111 und Beiträge XIII, f)09). Litu-
slavisch: altpr. sidis, russ. sridina etc. - S. u. Wald. Waldbüume.
Korperhenialuiig. s. Tätowierung.
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Körjiorboschaffenheit.
Körperbescliaffeiiheit Körpcrbildungi der Indogermancii.
In seinem Buche Vorgeschichte der ludoeuropäer (Leipzig 1894) hat
R. v. Ihering ein Problem von grosser Bedeutung angeschnitten. Er
wollte die Kthnogcnie der idg. Völker darstellen und zu diesem Zwecke
untersuchen: 1. wodurch der Charakter des idg. Mutten olks anderen
prähistorischen Kinheitcu, vor allem den Semiten gegenühcr bestimmt
ward, 2. wie sich die den europäischen Indogermanen gegenühcr ludern
und Iraniern gemeinsamen Eigenschaften erklären und 3. wie die neben
aller Übereinstimmung des europäischen Volkscharakters «loch be-
stehende Verschiedenheit der einzelnen europäischen Völker entstanden
zu denken sei. nI)ie Volkstypen, welche sie repräsentieren, können
doch nicht das Werk des Zufalls sein: es muss Gründe gegeben haben,
welche sie zuwege brachten, und es fragt sich, ob dasjenige, was wir
von ihnen wissen, nicht ausreicht, um sie zu ermitteln. u Leider ist
es dem Verfasser nicht gestattet gewesen, diesen dritten und letzten
Teil seiner Aufgabe zu lösen, wobei es, wie in den vorliegenden Ab-
schnitten des Werkes, nicht an schwerwiegenden Irrtümern, aber auch
nicht an fruchtbaren Gedanken und Anregungen gefehlt haben würde
vgl. Vf. Deutsche Litternturzeitung I8*)f> Xr. 0). Denn bis jetzt hat
man nur der somatischen Seite des grossen Problems seine Aufmerk-
samkeit zugewendet. Man hat die auf idg. Völkerboden uns begegnenden
Typen einander gegenübergestellt und die Frage aufgeworfen: Aus
welcher Einheit ist diese Vielheit entstanden? Welches war also der
körperliche Habitus der Indogermanen? Um diese Frage richtig be-
antworten zu können, muss man sich, was von zahlreichen Anthropo-
logen verkannt worden ist und noch verkannt wird, vor allem klar
machen, dass der Begriff eines idg. Urvolks nicht identisch ist mit*
dem einer idg. Urrasse, und dass die Ursprünge der Indogermanen
durch eine unendliche Kluft der Zeiten von denen des Menschen ge-
trennt sind. Ja, es steht der Annahme nichts im Wege, dass der
Prozess, durch welchen sich ans dem Schosse des idg. Urvolks die idg.
Einzelvölker loslösten, sich erst abspielte, nachdem das erste geschicht-
liche Leben bereits an den Ufern des Xil oder Euphrat erwacht war.
Es liegt daher kein Grund vor, das idg. Urvolk sieh anders als andere
Völker vorzustellen, d. h. als eine durch Sprache, Kultur und gemein-
schaftliche politische (uns natürlich unbekannte) Geschicke verbundene
Anzahl von Menschen, bei der die gemeinschaftliche physische Ab-
stammung zweifellos noch eine grössere Rolle als heute spielte, ohue
jedoch die einzige Ursache volklicher Zugehörigkeit zu bilden. Wie
alle anderen Völker, kann daher auch dieses idg. Urvolk bereits kör-
perlich differenziert gewesen sein, und es ist nichts irriger, als wenn
Penka mit Rücksieht auf die Indogermanen sagt: „ein Urvolk als aus
zwei verschiedenen Rassen bestehend anzunehmen, heisst der Natur
zumuten, /u gleicher Zeit und unter denselben Umständen ein und
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4«K)
KürpiTlH-sdiaftViilidt.
dieselbe (Jrundiorm nach verschiedenen Richtungen hin umzugestalten".
Man könnte gegen die Annahme schon in der Urzeit bestellender
körperlicher Verschiedenheiten der Indogermanen einwenden, duss das
Leiten derselben sich in streng verwandtschaftlich gegliederten, agnatiseh
aufgebauten .Sippen {s. d.i abspielte, die das Eindringen fremden
Hintes unmöglich gemacht hätten. Allein es ist gleich hinzuzufügen,
dass die Indogermanen s. n. Verwandten hei rat; auch der Sitte der
Exognuiic huldigten, ihre Weiber also von fremden (warum nicht
auch uh htindogcrmaitischen'.'; Siämnicn raubten oder kauften. Es ge-
schieht zuweilen, dass Sippenverbäude (Stämme.) überhaupt dadurch ent-
stehen, dass mehrere selbständige Sippen, die ..durch «las tiesetz der Exo-
gamie gezwungen waren, beständig unter einander zu heiraten" von einem
Konnubialverband allmählich zu einem Schutz- und Trutzverband über-
gehu vgl. E. Grosse Formen der Familie S. INS) und so nach und
nach ganz ineinander verschmelzen. Derartiges kann schon in der idg.
Urzeit vorgekommen sein. Stellt doch noch heute bei den Südslavcn
(vgl. Kraiiss Sitte und Brauch S. f>S, der Stamm { pleme) keineswegs
immer eine Vereinigung verwandtschaftlich verbundener Sippen {brat-
Htvo) dar, sondern nicht selten kam und kommt es vor, dass sich ein
fremdes hratstro innerhalb des Schutzes eines fremden pleno- an-
siedelt.
Die Iiis hierher nur als Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit ge-
dachte somatische Verschiedenheit der urzeitlichen Indogermanen wird
nun durch die anthropologischen und vor allem die kraniologischeu
Thatsaehen fast zur Gewissheit erhoben. Schwankte bisher ein heftiger
Kampf über die Frage, ob mau sieh den l'rtypns der Indogermanen
<Us dolichokephal, wie ihn die heutigen Schweden oder Friesen vor-
wiegend zeigen, oder als brachykephal, wie er uns heute etwa in Teilen
der Slavenlande, Süd- und Mitteldeutschlands und Frankreichs ent-
gegentritt, vorzustellen habe, und wurde dieser Streit, indem die Fran-
zosen eine begreifliche Neigung für den Braeliykephalismus, die Deutschen
für den Dolichokephalismus der Indogermanen hatten, oft mehr nach
nationalen als nach wissenschaftlichen Motiven entschieden, so neigt
man sich heute mehr und mehr der schon im Jahre INS.) von R. Vir-
ehow (Korrespondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie
S. 144- ausgesprochenen Ansicht zu, nach welcher bei den Indoger-
manen von jeher eine dolicho- und brnchykephale Reihe neben und
durcheinander hergegangen sei. Es bliebe also nur das zu ermitteln,
warum auf den einzelnen Völkergebieten hier mehr die langen, dort
mehr die kurzen Schädel die Oberhand gewonnen haben. „Soweit im
Westen Europas", sagt J. Kollmann (Archiv f. Anthropologie XXII,
1S1»4 S. l.'U ff.,, „die kraniologischeu Funde objektiv geprüft wurden,
hat sich nirgends eine Bevölkerung von völlig homogener Zusammen-
setzung gefunden, sondern das Gegenteil, nämlich durch alle Perioden
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Küri.erlM'HcliJiftVnlR'ii.
1(11
hindurch bis in die Steinzeit zurück stets eine Zusammensetzung von
Dolicho-, Meso- und Brachvkephalen". Diese Regel wird durch die
kraniologischen Verhältnisse des europäischen Ostens bestätigt. Ver-
weilen wir hei den Verhältnissen der jüngeren Steinzeit; in die (§. u.
Kupfer und u. Steinzeit) die Ausbreitung der Indogermanen in Ku-
ropa fällt, so weisen die Schädel der schwedischen (iräher dieser
Epoche zwar auf eine vorwiegend dolichokephale Bevölkerung, der
aber doch ein nicht unbeträchtliches braehykcphales Klenieut beige-
mischt ist (vgl. Penka Herkunft der Arier S. S). In England glaubte
man früher die Bevölkerung Britanniens, welcher die «,long barrowsu
angehörten, für durchaus dolichokephal. die, welcher die ..round
barrows" angehörten, für durchaus brachykephal halten zu dürfen, bis
man neuerdings nachgewiesen hat, dass auch Kundgräber Langschädel
und Langgräber' wenigstens Mesokcphale enthalten. Vgl. hierüber
1*. Kretsehmcr a. n. a. O. S. 40, wo weitere Belege aus der jüngeren
Steinzeit sich linden. Auch die Schweizer Pfahlbauten dieser Epoche
weisen unter *?"> Schädeln l.'J von brachykephnleni, x von dolichoke-
phalem und 4 von mesokephaleiu Typus auf, und es ist eine durch
nichts zu stützende Annahme, wenn Stnder und Bannwarth in ihrem
grossen Werke Crania Helvetica antiqun (Leipzig die brach v-
kephalen Schädel einer älteren Epoche der jüngeren Steinzeit, die
dolicho- und mesokephalen einer späteren zuschreiben, aiso nicht ein
Neben- sondern ein Nacheinander braehy- und dolichokephaler Be-
völkerungsbestandteile in der Schweiz voraussetzen möchten. Auch
für die Germanen nimmt Virchow (Z. f. Ethnologie lS.sl Verhandl.
Die Deutschen und die Germanen) eine Differenzierung ihres Skelett-
bans bereits für die frühsten Zeiten an, und dasselbe folgt aus den
römischen Kunstdenkmälern mit Gernianendarstcllungen. Wohl treten
auf der Markus Säule (Petersen S. 47) im allgemeinen zwei Völker-
typen, ein germanischer (_der Germanenkopf hat im allgemeinen
den Schädel lang und hoch, namentlich auch vorn über der Stirn,
die Nase grad oder wenig gekrümmt, auch im übrigen regelmässige
Bildung"4; und ein sarmatischer („hier ist der Schädel hinten hoch,
zur Stirn sich senkend, die Nase eher eingebogen mit dickerer Endi-
gung, das Jochbein hervortretend, die Wangenfiäehe gross mit eckiger
Kinnlade") mit ziemlicher Deutlichkeit hervor; aber von irgend welcher
Durchführung dieser Gegensätze kann doch auch hier nicht die Rede sein.
Auf andere Weise dürfte die Frage nach der ursprünglichen Fär-
bung der Haare, der Augen, der Haut sowie nach der äusseren
Körpergestal tung der Indogermanen im allgemeinen ihre Erledigung
finden. Als die europäischen Nordvölker in den Gesichtskreis des
Südens traten, verfehlte ihr von dem südliehen abweichender Habitus
nicht, die Aufmerksamkeit der griechischen und romischen Schriftsteller
zu erregen, die uns darüber zahlreiche Nachrichten, tahlreichere als
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462
KörpdrWüchaflVuhiMt.
über die eigenen Landsleute hinterlassen haben. Die iiltestc Nachricht
über die Slaven haben wir von Herodot IV, 108, wenn die Boubivoi
(und Neupoi) mit Recht, wie wahrscheinlich, zu ihnen gezählt werden:
cövo? eöv pera kui ttoXXöv -fXauKÖv t( ttuv iaxupOü? eo*n Kai uuppöv.
Aus viel späterer Zeit, aber unzweifelhaft auf Slaven bezüglich, be-
sitzen wir dann die Nachricht des Prokop Ii. G. III, 14: oü unv oübe
t6 eTbo? e? dXXr|Xou? ti btaXXcto"0"ooo"iv. eo/ar|Kei? tc tdp Kai £Xkiuoi
biGKpepöVruN; eiff'iv ärravTe?. to be tfuuuaTa Kai Td? KÖua? outc XeuKOi
drav f| Eav9oi eicriv oüie np i% tö u^Xav aÜTOi? TravTeXw? T^TpaiT-
Tai, dXX' ÜTte'puepoi eiaiv djravTe?. Also die ältesten Slaven waren
gross und blond, nach Prokop nur ziemlich blond. Viel reicher sind
die Überlieferungen hinsichtlich der Germanen und Kelten (ge-
sammelt bei Zeuss Die^ Deutschen S. 49, L. Diefenbach Origines En-
ropeae S. Mio ff., Holtzmann Germ. Altertümer S. 121). Fasst man die-
selben zusammen, so ergiebt sich, dass beide Völker im Vergleich mit
Italcm und Griechen grossleibig und hellfarbig an Haar und Augen
waren, dass aber in beiden Eigenschaften die Kelten von den Ger-
mauen noch ttbertroffen wurden. Einige der wichtigsten Belege lauten :
(hinsichtlich beider Völker} Strabo VII, p. 290: Tepuavoi .... uiKpöv
€£aXXärrovT€<; toü KcXtikoü <puXou tw tc TtXeovaauw Tn.? dYpiÖTUTO? Kai
toü ueYe^ou? Kai Tfj? EaveÖTnro?, t' dXXa be TrapaTrXricnoi Kai uopqpai?
Kai nSecri Kai ßioi? övTe<;, o'iou? eipnKauev toü? KeXTOu?, (hinsichtlich
der Germanen) Caesar De bell. gall. I, 39: Saepe numero sese cum
hi8 {Germanis) congressos ne vultum quidem atque aciem oculorum
ferre potuisse, Tacitus Germ. Gap. 4: Vnde habitus quoque vor-
porum, quamquam in tanto hominnm numero, idem omnibus: trucex
et caerulei oculi, rutilae comae, magna corpora et tantum ad im-
petum valida, (hinsichtlich der Gallier; Caesar II, 30: Plerumque ho-
minibux Gallis prae magnitudine corporum suorum brevitas nostra
contemptui est, Diodorus V, 2H: o\ TaXdiai toi? uev o*wuao*iv ei(7iv
euunKei?, Tai? be aapEi Kd6uYpoi Kai XeuKOi, toi? be KÖuai? oO uövov i<
<püo"eu>? EavOoi, dXXd Kai bid rr\q KaTaöKeurjq (s. u. Seife) e^rnribeu-
outfi aoEeiv tu.v q>uo*iKf)v rf\q xpo«S ibiörnja, (hinsichtlich der britan-
nischen Kelten) Strnbo IV, p. 20o: o\ be dvbpe? eüunKeo*Tepoi tüuv KeXtwv
€io*i Kai f|0*ffov Eav8ÖTpixes, xauvÖTepoi be toi? (Tuüuao'i .... Td b' e"6n
Td uev ouoia toi? KcXtoi? Td b' drrXoucTTepa Kai ßapßapujTCpa, (hin-
sichtlich der kleinasiatischen Kelten) Livius XXXVIII, 17: Procera
corpora , promissae et rutilatae comae. Endlich wird auch den
Thrakern und verwandten Völkern glattes und blondes Haar zuge-
schrieben (vgl. Diefenbach a. a. 0. S. 67).
Diesen hohen und hellen, nur durch ein Mehr oder Miuder dieser
Eigenschaften unterschiedenen Gestalten des Nordens steht nun der
gedrungene und dunklere Typus der Sudindogermanen gegenüber, und
es fragt sich, auf welcher der beiden Seiten hier der ursprüngliche
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Köri'filti-hiliuftrni.cit
Zustand liegt, «»der ol) wir auch in diesem Punkte ein Nebeneinander
von Gross und Klein, von Blond und Brünett anzunehmen haben,
wie dies bei der Verschiedenheit «1er Schädclhihluug wahrscheinlich
der Fall war. Dass jedenfalls diese letztere in keinem Zusammenhang
mit den Kragen der Komplcxion steht, so dass man nicht, wie dies
früher geschehen ist, Dolichokcphaiie und Blondheit. Bra< hykephalie
und Brünettheit als kongruente Hegriffe ansehen darf, wird man gegen-
wartig als sieher betrachten müssen ' vgl. Kretsehmer a. u. a. O. S. 42 f.).
Für die in neuerer Zeit namentlich von Penka, doch auch schon
von V. Hehn (Kulturpflanzen" S. f>10ff.} mit aller Entschiedenheit ver-
tretene Ansicht, dass für die Bestimmung der ursprünglichen Kom-
plexion der Indogermanen von den nördlichen Verhältnissen
Europas auszugehen sei, wird man es als eine Art von Beweis
ansehen dürfen, dass gerade iu der ältesten Grüzität, vor allem bei
Homer, häutig zur Bezeichnung der Helden und Heldinnen von dem
Adjektivuni tavQöq , blond' Gebrauch gemacht wird, dass die Menschen
der Vorzeit als ein grösseres und stärkeres Geschlecht geschildert
werden, als die jetzt lebenden (oioi vöv ßporoi eiai i. dass blondes Haar
(das sich die Kölnerinnen später aus Deutschland kommen Hessen) und
blaue Augen in der klassischen Kunst mit Vorliehe dargestellt werden,
und dass gewisse Theile des griechischen Volkes, wie namentlich die
kretischen Sphakioten, den nördlichen Typus bis in die Gegenwart
bewahrt zu haben scheinen (vgl. Penka Origines S. 2?>, Herkunft 8. 1»>7).
Es wird der Zukunft anheim zu stellen sein, ob eine sorgfältigere
Sammlung der auf die Körperbeschaffenheit der Griechen und Römer
bezüglichen Nachrichten und Zeugnisse, als sie bis jetzt vorliegt (vgl.
u. a. Van der Kiudere Sur les caracteres physiques anciens Grees,
Bulletin de la Societe d' anthropologie de Bruxclles II, 8 — 13), diese
Anschauung bestätigen wird, nach welcher innerhalb der klassischen
Entwicklung selbst ein allmählicher Übergang von dem einen zum
andern Typus stattgefunden hätte, wie dies zweifellos bei den Kelten
der Fall gewesen ist, »leren heutige Repräsentanten in nichts mehr
den Nachrichten der Alten entsprechen. Bis dahin wird man es immer-
hin als wahrscheinlich ansehen dürfen, dass die ältesten Indogermanen
ein aus dolieho- und brachykephalen Bestandteilen gemischtes, im
Ganzen grossleihiges Volk von heller Komplexion waren. Götterge-
stalten wie die blond- oder rotbärtigen Riesen lndra und Thor (vgl.
Oldenherg Die Religion des Veda S. 1*>4 und E. H. Meyer Germ.
Mythologie S. 205) mögen auch in dieser Beziehung als himmlische
Abbilder auf der Erde wandelnder Menschen gelten.
Unter den Ursachen, welche die heute bestehenden Differenzen der
idg. Völker erklären, wird immer die Annahme einer Vermischung der
idg. Einzelvölker mit in ihren historischen Wohnsitzen vorgefundenen
allophylen Völkerbestandteilen die erste Stelle einnehmen. Es ist
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4*M p Kf'.iiKiix-.^luilV.-nlu'it — KoriMi:.;!^.
charakteristisch für die vom Osten nach Nordwesten und Südwesteu
verlaufende Richtung der Ausbreitung der Indogermanen in Kuropa
(s. ii. Urheimat', dass gerade im Süden. Westen und Nordwesten
sieh auch historisch noch die Spuren oder Reste nichtiudogcrnianiseher
Völker nachweisen lassen, auf der Balkanhalbinsel eine aus Kleinasien
herüberrngende allophyle und vorhellenische Bevölkerung, auf Sizilien
und der Apenninhalbinsel Sikuler. Etrusker und wahrscheinlich Ligurer
(vj:I. Kretschmer a. u. a. 0. S. 4.'»), auf der Pyrrbenäenhalbinsel Iberer,
in Britannien Pikten s. u. M u 1 1 errec Ii n u. s. w. An den äussersten
(Ircn/en des idg. Verbreitungsgebietes konnten die fremden Bestand-
teile eben am zähsten ihr Dasein bewahren. Wahrscheinlich aber ist,
dass 's. n. Stände auch die übrigen idg. Völker bei der Ankunft in
ihren historischen Wohnsitzen allenthalben schon eine Urbevölkerung
vorfanden, mit der sie in mannigfachen Verhältnissen verschmolzen
(vgl. über Rassenmiseh angen im ältesten Europa auch Hörnes Urge-
schichte der bildenden Kunst S. Ti~> ff.). Wiissfen wir mehr, als es der
Fall ist, über diese vorindogennanischen Bevölkerungsschichten. so
würde das Problem nicht nur einer physischen, sondern aueh einer
geistigen Ethnogenic der indogermanen, wie es Ihering (s. o.) im Auge
hatte, mit grösserer Aussicht auf Erfolg als unter den obwaltenden
Umständen in Angriff genommen weiden können. — Vgl. Vf. Sprach-
vergleichung und Urgeschichte' S. l.V>ff., Vf. Die Aula ls<*r» X,-. li>
Sp. ;>i>4ft'., Kretschmer Einleitung in die (beschichte der griechischen
Spnhe S. l><> ff., O. Bremer in Pauls (Irundriss III*, 7« »2 ff.
Kftrpermasse, s. Mass, Messen.
Körperteile. Seit lange ist es bemerkt worden, dass die Indo-
germaueu schon in der Urzeit eine ziemlich eingehende anatomische
Kenntnis des menschlichen oder tierischen Körpers (sert. J.rp , aw.
kerjh = lat. corpus, agls. hrif) gehabt haben müssen 'vgl. (.'. Pauli
Die Körperteile bei den Indogermanen Progr. Stettin lSCo ). Über die
hierher gehörigen (ileichungen soll zunächst unter den fünf Rubriken
Kopf. Rumpf, obere, untere Extremitäten und Allgemeines eine Über-
sicht gegeben werden. Hieran sollen sieh dann einige Bemerkungen
über die sprachliche Bezeichnung der in der ältesten Zeit an be-
stimmten Körperteilen haftend gedachten Regungen des Ccmütcs und
Verstandes, sowie (Iber die Benennungen des Lcbensprin/.ips Seele,
(•eist"' selbst anschliessen.
a) Kopf.
Schädel: sert. lapalu-, agls. hafola vgl. auch lat. capiUti* , Haupt-
haar" und lat. rapid .Kopf, sert. kapturhala- .Haar am Hinterhaupt'
nebst den in ihrer Zugehörigkeit noch nicht sicher erklärten germa-
nischen got. hauhiji etc. i; ursprünglich die Spitze des Schädels, dann
das ganze Haupt meinen die beiden Reihen: sert. riras-, aw. sarah-,
griech. xäpä .Kopf vgl. auch griceh. Kf'pag .Horn', lat. crebrum ,0e-
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Korportfile.
4G6
hirn', ndl. herxen, ahd. hirni, *herzn-) und grieeh. K€qpct\n,, ahd. gebal
»Schädel' (got. gibla ,Gicbel'); lit. galicä, slav. £/<ir<r. — S. auch u.
Gc fasse.
Antlitz: sert. änika-, a\v. aiaika-, grieeh. dvwTrn,, ir. ainech i*eni
,in" -f *o</- 8. u. Auge, ..was man im Auge hatu .
Stirn: ir. e7fl/i (*antano-). abd. cwdi, lat. antiae , Haare, die in die Stirn
fallen' (: grieeh. dvii gegenüber'); grieeh. ßpfxuö?, agls. bnvgen .brain'.
Mund: sert. d'x-, ä'san-, a\v. lat. ir. a (vgl. lat. öra , Küste',
gricch. oia ,Saum des Kleides', lit. üxfa, altn. öxx »Mündung); aw.
staman-, grieeh. rJTÖua, kymr. korn. xtefenic ,Gaumen' (ahd.
stimna »Stimme '?); armen. t#r«», lit. buniä; got. niunpx, lat. mentum
,Kinn' (vgl. den gleichen Bedeutungswandel u. Kinn).
Gaumen: ahd. gounto, altn. </omr, lit. gomuryx.
Lippe: sert. 6'xhfha-, aw. Pehl. Gl. aoxtra-, altsl. m*7« ,Mund'
(ustina , Lippe'), altpr. austin Acc. ,Mund' (Verwandtschaft mit sert.
s. u. Mund?); npers. /<*&, lat. labium, agls. lippa\ altpr. tcarxug,
got. ucairilö', grieeh. x^o?, ir. (*flhexlox'.J).
Zunge: sert. jihvä', aw. hizra-, Iii zu-; armen, /er«, lit. lirzuteix, ir.
Zt<7«r (vgl. grieeh. Xeixw ,lecke ); lat. lingna, dingtta, got. titggd: altsl.
jezykü, altpr. insuicis. Vielleicht sind alle vier Gruppen unter ein-
ander verwandt, doch ist die ratio eines solchen Zusammenhangs un-
ermittelt.
Zahn: sert. datä' lnstr., diinta-, aw. dantan-, armen, atamn, grieeh.
dooüs, iat. dem, got. tunpus, ahd. zand, lit. dantix, ir. kymr.
dmtf (*ed-ont- : £öuj ,esse', ,der essende'); sert. jämbha- ,Zahn , PI.
,Gebiss', grieeh. -rauqmi .Kinnbacken', alb. danbi, altsl. zabfi .Zahn'
(s. auch u. Kamm). Grundbedeutung der zweiten Reihe wohl ,Gebiss'.
Vgl. auch aw. zafare ,Mund, Rachen', agls. cedfl, alts. käfi , Kiefer'.
Auge: armen, nkn, altsl. oko, oci Du., lit. akix, lat. och/mm, grieeh.
6u.ua, oaae ( = altsl. oci); die arischen Ausdrücke sert. ilkxhi-, okxluin-,
aw. a.ii- lassen sieh mit den europäischen bis jetzt nicht recht ver-
einigen, got. dugü erklärt sich vielleicht durch Anlehnung an aitxö
,Ohr\
Augenbraue: seit. blir/Y-, aw. bnnt-, grieeh. 6(ppü<;, nlid. bräica,
altsl. brüvl, ir. brai 1*1.. dt bröi Du.
Ohr: aw. it*i ,die beiden Ohren", armen, uukn {*ux-nkn}, grieeh.
ou?, lat. aurix, got. tiuxö, lit. mtsix, altsl. «< /«>, ir. r/«. «; sert. kärna-,
aw. karena-.
Nase: seit. lnstr., lat. nrfi*e#, ahd. naxa, altsl.
(lit. naxrai ,Rachcn'i.
Kinn, Kinnladen: sert. hrimi-, armen, cnaut, grieeh. fiv\j% tvaO-
uög, YvciBoq), got. kinnux lat. f/twa ,\Vauge', ir. ,Mund , kymr.
gen .gena, mentum', vgl. dazu II. Zimmer K. Z. XXXVI, 4<>l ff. : lit.
smakrä, ir. xmech, alb. mjekrr ,Kinn' (sert. cindcm-, armen, mtiurn-k'
Schräder. RealU xik. n.
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466 Körperteile.
,Kinnbart>. Vgl. noch ir. mant, kymr. w«Mf .maxilla mit griech.
udeuiar TvaOoi Hes. und lat. maxilla .Kinnlade mit altpr. w/a.c in
danthnax .Zahnfleisch'.
Haar und Hart: s. u. Haartracht.
In R u in p f.
Hals, Nacken: scrt. grira, au. grirti,. altsl. griiina .Halsband',
grira .Mahne', griech. bdpr) (aus lat. coli »tu, ahd.
auch aus scrt. mdnyd .Nacken', ir. muin-torc .torques , gall. factvidKriS,
lat. monile scheint ein idg. *numi- ahd. mana .Mahne ; ,Hals' ge-
folgert werden /u müssen i's. u. Sc hm tick).
Kehle: gert. yafa-, a\v. garah-, lat. <y«h/, ahd. Av7</ (vgl. noch lat.
(jurgulio, griech. rapTaXtujv ,Halszapt'ehen , altsl. grülo .Kehle' aus
*ger-dlo- und lit. gerkU id.).
Brust: scrt. stana-, aw. f.stdna-, npers. pistdn, armen. alle ,weib-
liche Brust' i griech. crrriviov, (jTn9oq?>, ir. t/e/ .Zitze', ahd. .weib-
liche Brust: got. brusts, ir. bruinne: .scrt. üras-, aw. rarah-: lat.
pect as, ir. /eA/ .Husen' u/cA/ .Brust' aus *poctos'.':, Ononiatopoietisch
für die weihliche Brust: armen, f/7. griech. titHö?. agls. f77, nhd.
und anderes (s. auch u. Mutter .
Hauch: scrt. uddra-. aw. mlara-, griech. öbepo«;' YaaTn.p lies.,
altpr. ceders , Bauch", lit. icrdaras .Magen, Eingeweide' (auch lat.
uterus. griech. uo"T€po<; .Bauch', ixrrc'pa .Mutterleib ? ; scrt. jafhdra-
. Bauch, Mutterleib', got. kilpei .Mutterleib': scrt. gdrhha-, aw. garvica-,
griech. oeXcpüs (, Mutterleib', vgl. auch gall. galha gl. praepingui».
Nabel: scrt. nabhi-, griech. öpqpaXö?, lat. umbilicu*, ir. imbliu, ahd.
nabolo, altpr. nabis.
Rücken: scrt. prslifhd-, aw. par»ti-; griech. vujtov, lat. nates; ir.
cm/, lat. cülux beide lat. Wörter bezeichnen jedoch die Fortsetzung
des Rückens, den Hinterem: ir. tarr »Rücken. Hinterteil', lat. tergumi?).
Rippe: scrt. pdrerd-, aw. pere*u-. altsl. prü*i 1JI. aber ,Brust');
ahd. rippa, altsl. rebro.
Leber: scrt. ydkrt, yaknds Gen., aw. ydkar-, armen, leard, griech.
n,TTctp, lat. jecur, ahd. lehara, altn. ///>■. lit. jeknos PI., altpr. /<o/mo
\*ljtqrt- nach Kluge und J. Schmidt).
Herz: scrt. /«/•</-, hrdaya-, aw. zaretiaya-, armen, .s/Yf, griech. Küpbia,
icn.p (s. u.), lat. cor, got. hairto. ir. cr/t/c, lit. szirdis, altsl. srüdice,
altpr. *<N/r, */><»><.
Lunge: scrt. klömdn-, griech. TrXeüuwv. lat. jjrr/mo vgl. auch lit.
plaüciei, altpr. plauti, altsl. plustu/; ahd. lungun, russ. legkoe (: *lengh- :
griech. dXaxü? .leicht , „weil die Lunge leichter als die Leber ist"?).
Eingeweide: scrt. antra-, dnträ-, grieeh. eviepa, osk. entrai ,in-
testinac', armen. ?nder-k *entro- ,\vas drinnen ist'); scrt. antust ya-
n. , Eingeweide', lat. intestinum *en-tes- id. . Vgl. auch ir. inathar,
kom. cnediren. gl. extiun und ahd. inddiri , Eingeweide: griech.
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Korj>ei trilc.
467
fjrpov »Bauch', ferner ir. caehhi .intestinum tenuc', akymr. coilioit gl.
extortun und grieeb. tü koiXgi »Weichen', KoiXia »Bauchhöhle mit Ge-
därmen'. Über lat. nnttia u. a. vgl. G. Meyer I. F. VI, litt.
Niere: grieeb. vetppös, abd. nioro {aus *neghr-, womit nach einigen
auch lat. inguen .Gegend um die Schainteilc' und grieeb. dbrjv , Drüse'
zu verbinden wären; vgl. noeb lat. nefrönes, nefrendex, nebmndines
.Nieren, Hoden ); lat. rön, ir. <im, kymr. aren (*ad-ren-\.
Milz: seit, plihdn, aw. xpereza-, grieeb. cmXnv, Int. lien, ir. selg
(vgl. grieeb. crTrXctfxva ,edle Eingeweide), altsl. slezena (lit. blninM).
Darm: grieeli. xopon.. 1»*- hirat haru-xpex »Daniischaucr', altn.
gar aar .Eingeweide'» all), zoft, lit. zarna (sert. A/rrf' »Ader); abd.
dämm, grieeb. tpams »Gegend /wischen After und Darm'.
(«alle: grieeb. x0^, lat. fei, abd. galla, altsl. kl fiel (,die gelbe';
s. u. Gelb); lat. bilis, kymr. &«#r7, biet. bextl (*bixU-, *bixtlo-).
Hintere: armen, or, ork, grieeb. öppo?, abd. ars (ir. err »Schwanz ).
Vgl. aueb aw. zadah-, grieeb. xöoavo?, ir. gead {: sert. had, grieeb.
Xilvj, alb. bj€? »caeare'; armen, jet »Schwanz' i und s. u. Hose.
Geschlechtsteile, männlieber a) Hoden: aw. erezi-, armen.
or}, grieeli. öpxi«;, alb. heroe (vgl. lit. erzilax .Hengst ); altsl. modo
,Hodc', grieeb. \xr\h(.a (<purrös) »Scham', b) Das Glied: sert. pdxax-,
grieeb. nio$, lat. penis (*pesnis\, mbd. vixel; wei blieber: npers. kus
(sert. kukxhi- ,weiblieber Leib ), lit. kuxzi/s; grieeb. ki3o"9o<;, lat. atnnux;
lit. pyzdä} slav. pizda.
e) obere Extremitäten.
Sebulter: sert. änisa-, armen. ms, grieeb. umoq, lat. humems, got.
«z/iAf«: ir. leithe »Schulterblatt", nsl. plexte »hmnerus. dorsum' i*pletje).
Aebsel: abd. ahxala, lat. a.rilla, dla »Achselhöhle' (.Flügel n
Oberarm: sert. irnid- .Arm', ,Hug' < ,Vorderscheukel\, aw. a rennt-
,Arm', armen, armukn (»Ellenbogen'), lat. armux .Schulterblatt', »Ober-
arm', »Vorderbug', got. arm«, altpr. ir/no ,Arm', altsl. ranio »Schulter'
(lat. bracchium aus grieeb. ßpaxiwv).
Unterarm: sert. bähit-, aw. bäzu-, grieeb. m'ixuq falle drei zugleich
als Längenmassc für »Elle' gebraucht i, abd. bnny i. Obergelenk des
Annes und Heines ).
Ellenbogen: sert. aratni-, aw. rälini-, grieeli. uJXcvn.. lat. ulna,
got. aleina, altpr. /co/f/* .Unterarm' i iroaltix .Elle' . lit. alkttne »Ellen-
bogen' (ölektin .Elle"), altsl. lakftti, ir. ?//e, «//«? 'das indische, latei-
nische und slavisebe Wort aueb, das awestisebe und gotische n u r
für »Elle", das griechische und irische nur für »Ellenbogen' bezeugt .
Hand: sert. hdata-, aw. zasta-, altp. dasta, grieeb. ä--foo*TÖq »flache
Hand'; grieeb. TraXdun;, lat. palma, abd. folma (sert. pdni- aus *palni-\\
armen, jern, grieeb. x*»p, «db. dort; lat. mantis, abd. munt .Hand'
(.Schutz ); grieeb. öe'vap »innere Hand', abd. tenar .flache Hand'; grieeb.
büüpov »Handbreite', ir. dorn »Faust, Hand'; ir. Idm (aus Väp-ma. (»der
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46S
Körperteile.
: lat. palma etc.?), got. Ufa, russ. etc. lapa; ahd. /««f, altsl. y^ff
, Faust' (vgl. auch got. figgvs »Finger'?); lit. rankä, altsl. rqka. Über
got. handus und /?<7</™ s. u. Zahlen.
d) Untere Extremitäten.
Lende: sert. <;rotn- »Hinterbacke, Hüfte', a\v. sraoni- id., lat. cliinis,
lit. szlmnuH , Hüfte, Oberschenkel', altpr. nlaunis id.; altn. hlaun
, Hinterbacke' (griech. kXövu;?); lat. lumbun, ahd. lentin, altsl. ledrija.
Vgl. auch griech. iEuq = lat. Hin (aus *i.cUa) , Weichen'.
Unterschenkel, Schienbein: sert. jdüghä, aw. zanga- (für das
Gotische und Litauische zu crsehliessen aus got. gagga, lit. zengiii
»gehe'); armen, urun-k ,Sehienbcin , lat. cnls id. Vgl. noch griech.
Kvrmn .Schienbein' mit ir. endim PI. ,ossa' und ahd. hamma .Hinter-
schcnkcl', agls. harn »Oberschenkel'; ferner akymr. morduit. »Schenkel*
(*mdrjeto), ahd. muriot id., griech. unpta, nnpö«; »Schcnkelknochen,
Schenkel'.
Kuie: sert. jd'nu-, zdnu-, avv. frasnu (= griech. Trpöxvu), armen.
cunr, griech. fövv, lat. gemi, got. knitt.
Fuäs: sert. päd-, päd, aw. pdda-, armen, otn, griech. ttou;, lat. prs,
got. fötu* (lit. »Fussspur'); altsl. noga. altpr. lit. w/tfa
(,Hof).
Ferse: sert. pd'rshni-, aw. pdxna-, got. fairzna, griech. 7rr€pva
, Ferse* (, Schinken', lat. perna , Hinterkeule ); altsl. peta> altpr. pent ix,
lit. pent in (vgl. ahd. [endo, agls. .Fussgünger'; zu Grunde liegt
eine W. pent ,gehen', von der auch altsl. pati, lat. pons, griech. Trdio?,
altpr. pintix ,Weg" etc. abgeleitet sind; pent .gehen' : altsl. peja .Ferse'
wie got. gagga ,gehe' : sert. jdüghä ,Bein).
Nicht selten geschieht es, dass in einer Sprachreihe, wie schon die
Zusammenstellungen unter ci und d) zeigen, das betreffende Wort der
einen Sprache einen Teil der oberen, das der anderen einen ent-
sprechenden oder ähnlichen Teil der unteren Extremitäten bezeichnen.
Besonders charakteristisch hierfür ist die Reihe: seit. kakshd .Achsel-
grube', aw. kasa- , Achsel', lat. co.ca , Hüfte', ahd. hahsa ,Kuiehug'. ir.
coss ,Fuss', kymr. coes »Schenkel'. Vgl. auch aw. xupti- »Schulter',
got. hup* , Hüfte', sowie die Kcihe: ir. less , Hüfte' gl. clunis; aus
*leksä, lat. lacertus »Ann", altu. leggr »Schenkel', griech. XciE »mit der
Ferse ausschlagend' (Stokcs). dar kein Unterschied ist ursprünglich
wohl zwischen Fingern und Zehen gemacht worden. Überhaupt
lässt sich ein idg. Ausdruck für einen der beiden Begriffe oder beide
zusammen nicht nachweisen, da die Gleichstellung von griech. bdxxuXos,
lat. digitus, ahd. zehn lautlich nicht gesichert ist. Vielleicht hat man
ursprünglich, wie im Griechischen, öxpai x*ipeq uud äKpoi Tröbe? .Spitzen
der Hände und Füsse' t'Herod. I, 119) gesagt. Arisch: seit, angi'txhtha-,
aw. anguMa und litu-slavisch pii'xztax, perxti (altpr. pirxten) bedeuten
beide .Finger' und .Zehe (ausführlich über Hand und Finger, auch
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Körperteile.
489
über die Namen der letzteren Pott Die quinare und vigesitnale Zähl-
methode S. 258 ff.).
e) A 11<;ciii eines.
Knochen: sert. dsthi-, asthdn-, aw. asi-, armen, oskr (*osthkr),
griech. ötft^ov, lat. o*, all). a*t, ir. ascorn (*ont-cumnn\ Auch altsl.
koMVf
Mark: s. n. Fleisch.
Fleisch: s. tl.
Blut: sert. dxrk, asndx Gen., armen, ariun, griech. £otp, nap, elap,
lat. tisah'y axxer, lett. axxinx.
Haut (Fell): seit, edrinan-, a\v. vareman-, lat. corhtni; sert.
krtti-. ahd. herdo: lat. pellix, ahd. /V/ (lit. pUice, rnss. pleca\ griech.
TrcXXct .Milcheimer , cigcntl. ,Lederbehälter ); lat. cwrVx, altpr. keuto,
ahd. ä«/: ir. c«/m»i, altn. Vgl. auch sert. cÄ«r?' ,Hant' (aw.
-yaoba-. altp. ^rtttrf- ,Hclm' aus Leden, griech. (Jkötoi;, lat. xcütum
(doch 8. u. Schild , «rot. xkaudaraipx , Schuh > Ledcn-Riemen'.
Nagel: sert. nakhd-, npers. näxun, griech. övu£, lat. unguis, ir.
ingen. ahd. nagal, lit. ndgax, altsl. nagiiti.
Sehne: gort, xnd'gu- ,Baud im menschlichen und tierischen Körper',
armen, ward , Fiber. Faser, Muskelhnnd ; sert. snd'ran- ,Band', ,Sehnc',
aw. xnücar-, griech. vcüpov (*xin">u-ro-n), ahd. xe'noica (*seneie- : *xneic-).
Beide Gruppen hangen zweifellos zusammen (auch mit lat. nervus'S).
Überblickt man die hier gegebenen Zusammenstellungen, so bestätigt
sich die oben angeführte Annahme ziemlich weit gehender anatomischer
Kenntnisse der Indogennaneu, die sich namentlich auch in der Unter-
scheidung und Benennung zahlreicher innerer Organe, der Leber,
des Herzens, der Lunge, der Eingeweide, der Niere, der Milz, der
Galle etc. äussern. Da nun die Zergliederung des menschlichen
Korpers erst späten Epochen angehört, so müssen die hier in Frage
stehenden Kenntnisse sich bei dem Schlachten und Zerlegen des Viehs
zu profanen und sakralen Zwecken herausgebildet habeu, was bei
Stämmen, deren wirtschaftliche Existenz hauptsächlich auf der Vieh-
zucht (s. d. und u. Ackerbau i beruhte, nicht weiter Wunder nehmen
kann. Eine Sonderung in der Benennung der einzelnen Körperteile bei
Mensch und Tier hat ursprünglich nicht stattgefunden. Die angeführten
Gleichungen haben sieh in ihrer grossen Mehrheit auf den Vierfttssler
(sert. catuxhpad~) wie auf den Zwcifüssler (sert. dvipad-) bezogen.
Selbst Benennungen von auscbliesslich tierischen Körperteilen wie sert.
ü'dhar-, griech. ou9ap, lat. über, ahd. ütar , Euter' werden gelegentlich
auf den Menschen (vgl. sert. ü'dhar- ,Bnscn', griech. ouGap , Mutter-
brust' angewendet. Erst in den Einzelsprachcn treten Unterscheidungen
in dieser Richtung auf, wie mau etwa im Neuhochdeutschen Wörter
wie Maul, Rachen, Nüstern, Bug u. n. überhaupt oder doch in der
guten .Sprache nur von Tieren gebraucht. Vgl. auch das oben betonte
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470
Körperteile.
Dnrcheinandcrfliessen der Benennungen ftlr Teile der oberen und unteren
Extremitäten, das hei dem Tiere leichter als heim Menschen zu be-
greifen ist.
Die Unterscheidung der Kürperteile in vorgeschichtlichen Zeiten hat
naturgeniäss ihre bestimmten Grenzen. So scheint es, wie schon Pauli
a. o. a. O. bemerkt, dass der Magen erst spät als eigenes Organ auf-
gefasst worden ist, was darin seinen Grund haben wird, dass derselbe
thatsächlieh im Körper nicht leicht herauszufinden und vom Darm zu
unterscheiden ist. Ebenso ist die Terminologie der Nerven (vedpov
.Nerv' erst bei Galen i. Adern und Drüsen in alten Zeiten noch eine
sehr schwankende und unvollkommene. In auffallender Übereinstimmung
werden die Muskeln i armen, mukn, griech. huujv, lat. musi'ulu*, ahd.
wtU, altpr. peten) als .Maus' oder , Manschen' dat. nuin, lit. pele .Maus )
bezeichnet, was auf früher gemeinsamer Beobachtung — die Muskeln
z. 1». des Überanns gleichen wirklich einer Maus oder Hatte — , doch
auch auf Nachbildung einer einmal, etwa in der klassischen Medizin,
gemachten Vcrglciehung beruhen kann.
So weitgehend, wie sich aus dem bisherigen ergieht, die sprachliche
Unterscheidung der einzelnen Körperteile schon in der idg. Grund,-
sprache gewesen sein niuss, so wenig ist dies gegenüber den jene
Körperteile bewegenden und beherrschenden Äusserungen des Gemütes,
Willens und Verstandes der Fall, für die vorgeschichtliche Aus-
drücke nahezu gänzlich zu fehlen scheinen. Ihre ältesten Bezeichnungen
in den Ein.elsprachcn gehen von «1er Anschauung aus, dass «he Affekte,
Verstand« srhatigkeiten u. s. w. an bestimmten körperlichen Organen
haften, «leren Namen daher zugleich sie bezeichnen. Besonders reich
an Belegen hierfür ist das Griechische. In der homerischen Sprache
bedeuten «ppnv, eppeveq und Trpambe«;, beide eigentlich «las .Zwerchfell',
sowie njop und Kfjp, eigentlich das Jlerz', zugleich die meisten Be-
gangen des Willens, Gemütes und Verstandes (vgl. auch K. Kolidc
Psyche 1*, 44). Ebenso ist x°^°? , Galle' und .Zorn", und auch das
sonst nicht zu erklärende Ktfpboq «kluger Bat', .Eist', «pboeruvu. .Ver-
schlagenheit, Schlauheit' dürften zu Kapbio .Her/, in ähnlichen Be-
ziehungen stehen. Aber auch die übrigen Sprachen vgl. z. B. lat.
hil'i* ,Galle' und 7Zorn', utra bilis ,Tiefsinn', got. idre'uja ,Reuc . id-
i-eigOn ,Rcue empfinden' : altn. forar .Eingeweide', .Heue', idra .ge-
reuen', idraxl- jbereuen' i bieten für diesen Vorgang Belege, die sich
bei näherem Nachforschen gewiss noch vennehren Hessen.
Das Prinzip des Lebens selbst, die Seele, wird in den idg. Sprachen
wie bei anderen Völkern als Hauch, Wind, Dunst oder Hauch gedacht,
der in den» Körper eingeschlossen ist und diesen mit dem Eintritt des
Todes, vorübergehend auch in den Erscheinungen des Schlafs und
Traumes, verlässt. Ein idg. Ausdruck hierfür ist in der Gleichung sert.
dt man- ~ ahd. «tum ,Atem, Seele' (ir. nthach , Hauch ) erhalten.
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Körperteil»* — Körperverletzung.
471
Mehrere ursprünglich dasselbe bezeichnende Wörter aber liegen histo-
risch nicht mehr in der Bedeutung von Seele selbst vor, sondern haben
sieh unter der Verehrung fürchtender oder hoffender Menschen zur
Bezeichnung von Geistern und Göttern emporgeschwungen, zu denen
sich die aus den Körpern abgeschiedenen Seelen allmählich auswuchsen
(näheres s. u. Ahneukultus). Aus den Kinzelsprachen seien noch
genannt: lat. animux .Seele", anima ,Atem' : griech. uvcuoq ,\Yiud'
(vgh sert. dniti ,er atmet', ir. anal ,Atcin* etc.) und griech. H»uxn :
U/üxuj ,hauche' (uwxo<; , Kühle', iyuxpö<; .kalt' i. Auch das griech. öuuöq
= sert. dhnmd-, lat. fümux, altsl. di/mu, lit. dt'nunx .Rauch' wird ur-
sprünglich von lyuxn (vgl. auch altsl. duma ,consilium', klrnss. duma
,Gedauke' n. s. w.'f) nicht verschieden gewesen sein, wie denn noch
an einer Stelle der Ibas ( VII, KU) der euuöq, und nicht die vuxn,
üi den Hades eingeht. Ausserdem bezeichnet in der überlieferten
Sprache Ouuöq allerdings stets eine Kraft oder Eigenschaft des leben-
digen Leibes, nicht aber die Seele als im Gegensatz zu letzterem
stehend vgl. Rohde a. a. 0. 1-, 4f>'). Noch keine sichere Erklärung
hat das geuieingerm. got. xaiutda. ahd. m'ufa, xila .Seele' gefunden.
Wenn in einer Gleichung wie sert. dtmdn- = ahd. dt um das phy-
sische Substrat der Seele deutlich hervorblickt, so bezeichnet die auf
indisch-griechisches Gebiet beschrankte Übereinstimmung von sert.
mdnas- und griech. uevoq eine geistige Toten/, derselben. Als gemein-
schaftliche Grundbedeutung des vedischen vgl. Ohlenberg Die Religion
des Veda S. f>:Mff.) und homerischen Wortes wird man vielleicht
»kraftvolle Bethätignng der Seele' i vgl. griech. ut'uovu ,ich strebe,
trachte, will" > anzusetzen haben, und, wie im N eda dxu- und mdnas-,
so treten bei Homer tpuxn und utvo? , Leben' und , Kraft' neben ein-
ander auf.
Auch die Seele kann als an ein körperliches Substrat gebunden gedacht
werden. Bezeichnend hierfür ist das griechische tenp. Kn.p€q, ein uraltes
Synonym, wie 9uuö?, von iyuxn i.ÖüpaZe, Kfjpe?, ouk £t' 'Aveeanipia,
s. u. Ahneukultus). Dieses Ktip, Kn.peq ist nach G. Meyer Griech. Gr.3
8. 434 identisch mit top ,Herz' s.o.1, so dass sich folgende Bedeutungs-
entwiekluug ergiebt: ,Herz', .Seele' -weil im Herzen sitzend), ,Seelen-
wcseiv, ,Unglück, Tod bedeutendes Seelenwesen' (vgl. Hesych s. v. kiip*
1Tfpl0"TTU)|a€V0V KUl OÜbtTtpwq XffOUCVOV f| vpUXn* Ö£uTOVOUJi€VOV be Kai
OrjXuKÜjq exqpepöuevov fj 9avctTr|qpöpoq uoipa f| ödvaio*;). Auch das
indische mdnas- "hat seinen Sitz als daumengrosses Wesen im Herzen
(vgl. Ohlenberg a. a. 0. S. "»2«»). Vgl. ferner Ausdrücke wie lat. mor*
»irrsinnig' und recordari ,sich erinnern' : vor, cordi* ,Herz'.
Körperverletzung. Die Verfolgung und Bestrafung einer Tötung
war in der l'rzcit ausschliesslich der Sippe des Betroffenen überlassen
is. u. Blutrache, welche in der Ermordung des Missethätcrs (be-
züglich eines seiner Verwandten) oder in der Empfangnahme einer
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472
Körperverletzung.
entsprechenden Viebsnumie die richtige Busse der geschehenen Unthat
erblickte. Es geht hieraus von selbst hervor, dass auch die Ahndung
von Verwundungen und Körperverletzungen jeder Art nach dem
Grundsätze: „Gleiches um Gleiches" der Privatrache der Einzelnen
vorbehalten gewesen sein muss. Thatsächlich lassen sich die Über-
bleibsel dieses Znstandes in den Rechten der Einzelvölker noch deutlich
erkennen. Der Satz der XII Tafeln (VIII, 2 Schoell): 67 membrum
rupsit, ni cum eo jxicit, talio esto, d. h. „wenn keine Verständigung
erfolgt, soll Vergeltung eintreten", lässt sich unr verstehen, wenn man
annimmt, dass in der Urzeit Italiens die talio i: talis) als Ausgleichnngs-
mittcl geschehener iniuria allgemein galt. Vgl. Isidor V, 27: Talio
est si militudo r indictae, ut taliter quin patiatur, ut fecit. hoc
enim et natura et lege est institutum, ut laedentem similis vindicta
sequatur (vgl. Rein Kriminalrccht S. 37 ff., Mommsen Strafrecht S. 802).
Anch in den ältesten griechischen Gesetzgebungen wie der des Za-
leukos oder Charoudas (vgl. Hermann- Thalhcim S. 103ft) kamen noch
Vorschriften vor wie die: iäv th; öcpGaXuöv ^kköi^ii, dvTtKKÖvpat tto-
paaxetv töv £üutoü. Nicht weniger war in einzelnen germanischen
Rechten der Fehdegang auch wegen Verwundungen gestattet, wozu
Bruuner Deutsche Rechtsgeschichte I, 1()2 bemerkt: „Da der Zug der
geschichtlichen Entwicklung nicht eine Ausdehnung, sondern eine all-
mähliche Einschränkung der Fehde wahrnehmen lässt, so ist es wahr-
scheinlich, dass in germanischer Zeit die Fehde im allgemeinen um
Blut und Ehre gestattet war." Bemerkenswert ist auch, dass im Ger-
manischen ein scharfer sprachlicher Unterschied zwischen Tötung und
Körperverletzung, die nur für quantitativ verschiedene Missethaten
gelten, nicht gemacht wird, und altnordische Ausdrücke wie rig, sdr,
drep in den Rechtsquellcn unterschiedslos für Totschlag, Wunde und
Schläge gebraucht werden (vgl. Wilda Strafrecht S. 730).
Zweifellos wird schon in der Urzeit, wie eine Blutschuld durch das
Wergeid, so die Schuld einer Körperverletzung durch eine zunächst
frei vereinbarte Viehbusse abzukaufen «blich und gestattet gewesen
sein. Dieser Zustand ist dann in den Einzelrechten der herrsehende
geworden, mag nun dieses regelmässige Abkaufen materieller Wieder-
vergeltung mehr den Charakter einer Busse behalten oder den einer
vom Staate verhängten Geldstrafe angenommen haben. Schon in den
XII Tafeln steht neben dein oben angeführten Satz der weitere: Manu
fustice si os (regit libero, CGC, si serco, CL poenam subito (VIII, 3
Schoell; altertümlicher Cato in IUI originum bei Priscian 6, «9: Si
quin membrum rupit aut os f regit, talione pro.cimus cognatus uU
eixeitur; vgl. Mommsen a. a. 0. S. 802 ä). Bei den Germanen hat
sich bekanntlich ein bis in alle Einzelheiten gehendes Wundbusstaxen-
systein allmählich herausgebildet, das in seiner nordischen Gestaltung
nicht ohne Einfluss auf das älteste russische Recht geblieben ist, in
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Körperverletzung: — Krankheit.
473
dessen ältester Pravda immer noch zuerst an Privatrache gedacht und
erst, wenn diese nicht auf der Stelle ausgeführt werden kann, die
Geldbusse festgesetzt wird. Vgl. Ewers Ältestes Hecht S. 2b'öff.:
III. „Oder wird er sein blutig oder blau geschlagen, so ist ihm nicht
zu suchen ein Augenzeuge, diesem Menschen" i weil die Flecken schon
Beweis genug sind). IV. .Wenn er sieh nicht kann rächen, so
empfange er für das Unrecht 3 Grivncn, aber dem Arzte der Lohn".
VIII. „Wenn etwa einer den Finger trifft, welcher es sei, 3 Grivncn
für das Unrecht, aber an den Knebelbart, \2 Grivneu; und an den
Hart 12 Grivncn- u. s. w. — 8. u. Verbrechen und u. Recht.
Kosmetik, s. Haartracht, Schmuck, Seife. Tätowierung.
Kost us. Die als Aroma verwendete, dem Alantrhi/.om ähnliche
Wurzel von Auklandia Castus (Falconer, Aplotojis Auriculata D. C.)
in Kaschmir wird unter dem Xamen küshtha- schon im Atharvaveda
auf der nördlichen Seite dos Himälaya genannt (vgl. Zimmer Altind.
Leben S. 03 f. '). Auch sonst kommt sie in der indischen Litteratur
(B. R.) häutig als HeilpHanze vor. Am häutigsten scheint sie gegen
Aussatz verwendet worden zu seilt, der selbst küshfha- heisst. Ans
kt'tshtha- stammt das int Semitischen nicht bezeugte griech. köo*to? (zu-
erst Thcophrast IX, 17, 3j. Köcrros wird aus den indischen Häfen
Barbarikon und Harygaza ausgeführt (Peripl. tj 3'.*. 4S, 49). Syrischen
und arabischen Kosttts nennt Dioskorides De mat. med. I, 1;\ Lat.
costttm (Horaz) aus dem Griechisclicu. Weiteres vgl. bei Flückiger
Pharmakognosie9 S. 444 und Über späteren Kostusliandel Ynlc and
Bnrnell Hobson-.Iobson S. 504. — S. u. Aroma tu.
Cousine, s. Vetter und Cousine.
Couvade, s. Hebamme.
Krähe, s. Singvögel.
Krämervftlker, s. Kaufmann, Markt.
Kranich, s. Sumpfvögel.
Krankheit. Kitte vorhistorische Bezeichnung dieses Begriffes
liejrt in der Gleichung: ir. serq .Krankheit', serg lige »Krankenlager*
- lit. sergä ,hin krank*, lett. «erga ,Seuchc'. Das daueben stehende
gemeingenn. got. saurga ,u€piuva" beweist, dass die Grundbedeutung
der nicht weiter verknüpfbaren Wurzel sergh körperliches und geistiges
Gedrüekt8ein, etwa wie lat oeger, aegrotu«, aegritudo, umfasste. Die
cinzclsprac blichen Wörter für krank, Krankheit, krank sein gehen
vielfach von einer Grundbedeutung .schwach', .kraftlos" aus und zeigen
ebenfalls die Neigung, auf seelisches Gebiet überzugehen. So gehört
das genteingeruinnische Wort für Krankheit got. saühts, ahd. suht got.
jfiuks, ahd. sioh ,siech, krank ) : nihil, xwach, wie nhd. krank uoch
im Mittelhochdeutschen .gering*, .schwach', .nichtig' bedeutet, lit. ligä
^Krankheit' : griech. dXiroq ,weuig, gering' (hont. öXrrnrceXcwv, öXrro-
opav€'u»v schwach, ohnmächtig altsl. jezta .Krankheit' : lit. engiu
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474
Krankheit.
,ich thue etwas mühsam und schwerfällig', griech. vöaoq, voöo"oqr
voöffa.o?, *voo"o*Fo- vielleicht : vu>9pö<; ,matt', »schlaff, ahd. anado, anto
»Kränkung:' u. s. w. (vgl. Brugmann Berichte der kgl. sächs. Gen. d.
W. zu Leipzig XL1X, 29 flVi. Lat. morbus {*morbho-\ kann von .
morior nicht getrennt werden und wird ursprünglich das Sterben be-
deuten, wie ir. yalar , Krankheit' <*galro-n) mit altpr. y all an .Tod',
lit. giltine .Todesgöttin' zu verbinden sein dürfte. Ein arischer Aus-
druck für Leiden, Krankheit ist sert. dmayd- .Krankheit', dmaydriu-
»krank', aw. anmyaed- .Krankheit' (vgl. Lcumaun Et. \V. d. Sans-
krit-Sprache S. 19): sert. dmiti .dringt an, bedrängt' (sert. roga-
, Krankheit' : rujdti //.erbrechen', wie unser „Gebrechen'* und sert.
rdpax- .Gebrechen' : nhd. refxen, altu. refxa »züchtigen, strafen', eigentl.
»Jemandem einen Schaden zufügen ).
Au Gleichungen zur Bezeichnung einzelner Krankheiten und Krank-
heitserscheinungen lassen sich folgende zusammenstellen:
Für Hautkrankheiten: sert. dadrt't-, dardu- , Aussatz' ('.drndti
, berstet, sprengt, spaltet ), lat. derbiöxux, lit. dederwine, agls. tetei',
ahd. zitaroh, bret. der toed 'arisch: sert. pdmdn- = aw. pdinan). Ein
Hautgeschwür oder eine Hautgeschwulst wird die Reihe sert. drras-
»Hämorrhoiden', griech. eXxoq, lat. ttlcux , Geschwür' bezeichnet halien.
Der stinkende Eiter in einem solchen ist sert. püya- .Jauche'. .Eiter',
griech. mm,, ttöov, lat. ptU, purix, armen, hu, lit. pülei. ir. uth. \ gl.
auch griech. oibo? ,Gesebwulst' = ahd. eiz »Geschwür'. Für eine
sebwindsuchtartige Krankheit: sert. ydkxhma- (die Hauptkrankheit
der im l'cudjah eingewanderten Arier: vgl. Zimmer Altindisches Leben
S. 37.r>ff.) -= griech. ^ktikö? .hektisch' (bei Medizinern . Für Erbrechen:
sert. ram, griech. ^ue'uj, lat. vomo, lit. tremti, altu. corna .nausea' und
armen, orcam, npers. äröy, griech. tpeuToncu, lat. ructure, triigare,
iiltsl. rygqjq, lit. ramjmi, agls. roccettan < alle .rülpsen' «»der .erbrechen ).
Für Husten: sert. kdx, lit. kdxin, altsl. kaxili, ahd. hunxto, ir. caxad,
kvmr. pdx. Vgl. auch griech. KÖpuCa .Schnupfen' : ahd. hroz-'i,.
Hierzu treten dann noch die Benennungen der häutigsten Gebrechen:
Blind: lat. caeats, got. haihx »einäugig', ir. caech id.; sert. kdnd-
(*kolno) ,cinäugig', ir. goll »einäugig, blintl", altkymr. coli: arisch :
sert. andhd- »blind' = aw. anda- (griech. Tu<pXd<-, .blind' gehört zu got.
daufx ,tanb' und dumbs ,stumnf , mhd. tumb »dumm', Grundbedeutung:
»stumpf von Sinnen', wie auch ir. dall »blind', vluax-dall eigentlich
»ohrenblind' mit got. dicalx ,t hörig' zu verbinden ist; lit. dklax, vgl.
lat. aguilux »dunker, dtc-apov* nnpXöv Hes.; got. blind* : lit. blandytl
,die Augen niederschlagen', blexti ,sich verfinstern'; altsl. xhpü : lit.
xlapaii »verberge mich'; armen, koir aus dem Neupersischen ). — Taub:
aw. karena-, npers. ker (sert. karnd- »mit verstümmelten Ohren ), lit.
kuhziax; sert. badhird, ir. bodar 'griech. Kunpös, wohl ursprünglich
»stumpf, .ermattet' : lat. hebex, wie auch got. baupx in sich die Bc-
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Krankheit.
475
dentunpren ,taub", .stumm", ,stumpr vereinigt). S. auch u. Fasan
(Auerhahn). — Stumm: Ableitungen von einer Wurzel mfi, sert. muka-,
grieeh. uuvbös, lat. »tütus, armen, iuhhj, *mundyo- <ir. am-labar : hibra,
lit. be kaibös : kalbä, russ. (jUisnyi : altsl. ylasü, alle drei .ohne
.Stimme"; altsl. tu'tnü). - Lahm: seit. cfmvitiut~, lat. claudu* aus
*clant-d(hn-, sert. tramd-, altsl. chromft; seit. khat\j, grieeh. CTküZuj,
ahd. hinchan .hinken' 'got. Äf//f*, das von den einen zu lat. chtudus,
sert. khöda- .hinkend', von anderen zu armen, /.yf/, grieeh. kuXXo?,
sert. Äi/»/- aus *krni- gestellt wird: dunkel: grieeh. xw\ö?, vgl. jedoch
Mcillct Mem.de la soeietc lingu. X. 2m' ). -- Buckelig: sert. kubjd-,
grieeh. Kuqpö?, mhd. hoytjer .Höcker, Buckel' (agls*. Äo/Vr , Buckel' =
lit. ktipni id. .
Für Wunde gelten die Reihen: seit, ciuuttt-, alb. r^/v: lat. colnus,
grieeh. oüXn. (,Xarbe), kymr. *//re// vulnus", .plaga"; unsicher: sert.
rata- ,Wunde' in rinitth .unverletzt' vgl. Zimmer a. a. 0. S. ;$!M»),
grieeh. lÜTeiXn. {oütgmj .verwunde'!, ir. fnthn Ace. Plur. .Stigmata', ahd.
KNuda; altpr. eymen, altsl. jnzru (\'\\. i-om'i dunkel . Vgl. auch
die Sippe von genieingerm. got. nah' .Schmerz, Wunde' tinn. sdirtts
, krank' , ir. saeth, soeth .Leid, Krankheit', mit der Osthotf I. F. VI. 'M
auch lat. «aitchtx .schwerverwnndet' ans *sn j ric io x vereinigen möchte.
Der Umstand, dass. soweit iu:ut bis jet/.t siebt, eine nur geringe
Zahl vorhistorischer Kranklieitsnameu nachzuweisen ist, wird aus ver-
schiedenen Ursachen zu erklären sein. Zunächst werden viele später
zu technischen KrankhciMiamen gewordenen Wörter in der Urzeit
noch einen allgemeineren Sinn gehabt haben. So wird das Fieber
in den meisten Sprachen einfach als Feuer oder Hitze (armen, jerm :
sert. ghtwmd- ,(llut\ grieeh. Truperö^ : rrüp .Feuer', got. heitö, briunö
: ahd. hri; und got. brinnon , brennen', lit. karxztuu' : kdmztas ,hciss\
sziltine : xzilta* ,warm\ altsl. oynica : »<jni ,Feuer'), in einigen auch
als Kälte (altn. kdlda, löldn sött, altpr. ennoys : lit. ynix .Reil", altsl.
inije ,vi<peTn."> bezeichnet, und so wird es auch in der Urzeit gewesen
»ein, wo man also von einem Fieberkranken einfach gesagt haben
wird: „Kr hat die Hitze oder Kältet Ähnlich wird die Wurzel tük
in der Ursprache allgemein ein Dahinschwinden, auch das durch
Krankheit, bezeichnet, haben, und ist dann in den Kinzelsprachen zur
Benennung einer Fieberkrankheit (sei t, tak-mdn-) oder der Schwindsucht
'grieeh. Tr)K€Öujv, TnKetfOcti s. n.) verwendet worden. Im (Sanzeu fehlt
es bei den Kinzelvölkern, auch auf früheren Kulturstufen, wie ein Blick
auf die Krankhcitsnamcn des Atharvaveda (vgl. Zimmer a. a. 0.1 oder
auf das Verzeichnis der vöaoi, nd6r), TpaüuaTa in dem Lexikon Hesychs
(ed. M. Schmidt IV, 140 fl'.; oder auf das eben erschienene dem Vf.
näher noch nicht zugänglich gewordene) Werk M. Höflers Deutsches
Krankheitsnamen-Buch 'München lehrt, nicht an einer grossen
Zahl mannigfaltiger Krankheitsbezeichnungen. Allein diese Ausdrücke
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•176
Krankheit.
erscheinen noch wenig gefestigt und nach Mundarten und Landschaften
einer grossen Verschiedenheit unterworfen. Eine exaktere Termino-
logie der Krankheiten kommt erst mit den Anfangen einer wissen-
schaftlichen Medizin, d. h. für Europa mit dem Aufblühen ägyptisch-
griechischer Heilkunde auf. Fast gänzlich griechischer Herkunft oder
unter griechischem Eintluss gebildet sind die römischen litterarisch be-
zeugten Krankheitsnameu (vgl. O. Weise Die griech. VV. im Lat. S. 268 ff.),
und diese haben sich dann über Europa verbreitet, teils sich in den
höher gebildeten Kreisen der Ärzte und Priester haltend, teils auch in
niedrigere Volksschichten eindringend und hier zur Beseitigung alten
.Sprachguts führend. So etwa hat das lat. febr'm (unbekannter Herkunft)
im Westgermanischen ahd. ftebar, agls. fefor.t die oben genannten einhei-
mischen Benennungen des Fiebers (vgl. auch ahd. rito, agls. hrid,
hrihe, eigentl. „Sturm , , Anfall ') zurückgedrängt. Schliesslich aber wird
die Urzeit auch noch von zahlreichen Krankheiten und Plagen ver-
schollt gewesen sein, die ihren Einzug in Europa erst in Folge ge-
steigerten Völkerverkehrs und intensiverer Berührung mit den unheim-
lichen und uralten S e u c h e n h erde n des Orients, vor allein mit
Unterägypten und Indien, gehalten haben. Von diesen sei hier
nur in Kürze des Aussatzes und der Pest gedacht.
Der Aussatz. Dass verschiedene Hautkrankheiten seit Urzeiten bei
den idg. Völkern herrschten, geht aus dem obigen hervor. Zu diesen
sind dann im Laufe der Zeit gefährlichere und seuchenartige Formen,
vor allem die in engerem Sinne als Aussatz (Lepra ) bezeichnete Krank-
heit hinzugekommen, ohne dass es bei den aus Altertum und Mittel-
alter herrührenden Nachrichten möglich wäre, jedesmal den eigentlichen
Charakter der Krankheit zu bestimmen, besonders auch deshalb, weil
in den meisten derartigen Mitteilungen die Krankheit des Aussatzes
mit der der Elephantiasis konfundiert wird, unter welchem Wort mau
teils den Aussatz, teils die sogenannte Paehydermic versteht (vgl.
A. Hirsch Handb. d. hist.-gcogr. Pathologie II8, 1 ff.). Der erste
griechische Schriftsteller, der die Xe'Trpct (: Xercu) ,schäle ab' wie i\)G\xa
, Aussatz' bei Hesyeh.: Etui .schabe ) nennt, ist Herodot, der I, 138
von den Persern berichtet: bq öv be tüüv do"ru>v Xeirpriv f| XeÜKtiv
£X0> 1$ ttöXiv outo? ou KaT^px€Tou, oübe o*uuuicfT€Tai toTo"! äXXouJi TTepanffi
(Lepradörfer), qpaal be niv töv tiXiov äuapTÖvta ti Tada e*xeiv.
Eeivov be ttAvtci töv Xaußavöuevov Otto toutujv dEeXaüvouai £k tü.<;
Xcüpn?, ttoXXoi Kai tok; Xeuicäs TrepicJTepäs, xnv aÜTfjv alrinv ^TTKpepovTe?.
Doch ist nicht sicher, ob hier schon die echte Lepra genteint ist. Im
Allgemeinen nimmt man an, dass den älteren griechischen Ärzten dieser
in Ägypten heimische Aussatz nicht bekannt gewesen sei, und dass
sich im römischen Reich die Krankheit erst im letzten Jahrhundert
v. Chr. gezeigt habe (vgl. Hirsch a. a. 0. S. 4). Was den Norden
Europas betrifft, so macht Galen (bei Hirsch) die Bemerkung: In
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Krankheit.
477
Ale.iandria plurimi elephantiasi . . . lahorant. In Germania rero
et Mt/sia rarimme affedus in grassari eisus est. et apud ladi-
potas Sci/thas nunquam vere apparef. Gesetzliche Bestimmungen über
die Behandlung Aussätziger stammen erst aus dem 7. und 8. Jahr-
hundert (vgl. Hirsch a. a. 0.). Die Terminologie des Aussätze» in den
nördlichen Sprachen ist eine mannigfaltige. Ulfilas übersetzt Xerrpa mit
pmtxfdl, dessen erster Bestandteil noch nicht sicher erklärt ist {-fill
,Fell). Altn. lik-prri, likprdr, agls. lie-prdicere, eigentlich .wer am
Körper leidet*, vgl. auch altsl. prokaza ,lepra' : kaziti ,perdcre'. Ahd.
qelasuht ,elephantinsis'; auch hi'iupi (Scabies), riida (impctigoi, zittarläs
(id.) werden den Aussatz mit bezeichnet haben. Im Mittelhochdeutscheu
kommt bei verstärktem Auftreten des Aussatzes in Folge der Kreuz-
züge und der Verbreitung der Juden der neue Ausdruck misehuht
(minellus) auf. Ir. dam .aussätzig', kymr. daf .aegrotus', da fr Jepra',
ursprünglich wohl allgemein .krank' (sert. khlmati .wird müde', .schlaff*
s. o.j. Lit. raüpsai , Aussatz' gehört wohl zu rüpuUe .Kröte', wie altpr.
ertipeyle »Frosch' = lett. kraupis , Kröte' auch .Krätze , lit. krtipe
.Blattern und Pocken' bezeichnet (vgl. auch griechische Krankheits-
namen wie ä\um€Keg, KapKivog. küwv, Xü-fH, nupfin.»"^ etc. bei Hesych.
a. a. 0. und deutsche wie „Wolf", „Krebs", „Wurm" au den Fingern etc.).
Die Pest. Wie mit dem Worte „Aussatz", werden auch mit der
Bezeichnung „Pest'' sehr verschiedene Seuchen zusanunengefasst, welche
Europa von früher Zeit an heimgesucht haben. Schon Homer kennt
einen Xoimö<; (unbekanuter Herkunft), der von Apollo gesendet, das
Heer der (»riechen vor Troja befällt. Weder von dieser Seuche, noch
von den übrigen, die im frühen Altertum in Griechenland und Italien • lat.
pestis, vgl. dazu Festus cd. O. Müller S. 210: Pesestas inter alia,
quae inter precationem dicuntur, cum fundus Imtratur, significare
eklet ur pestilentiam, ut intelligi <-.r ceteris possttnt, quam didtttr:
^Aeertas morbum, mortem, labern, nebulam, impetiginem~; im übrigen
ist pesti* dunkel; auftreten, lässt sich mit Bestimmtheit sagen, welche
Krankheiten es waren. Aus dem Norden Europas ist in früher Zeit
nichts von derartigen Heimsuchungen bekannt, man müsstc denn die
9n,\€ia voüo*oq, die nach Herodot I, 105 die Skythen befiel, weil sie
den Venustempcl von Asealon geplündert hatten, hierher stellen (vgl.
Kosenbaum Lustseuche2 S. 141 ff.). Unzweideutig lässt sich die eigent-
liche Pest, die ägyptische Bculenpest, in Europa erst im Zeitalter
Justinians nachweisen, indem sie sich über das ganze ost- und west-
römische Reich und weit über dessen Grenzen hinaus verbreitete (vgl.
Hirsch a. a. 0. I2, 349). Auch für diesen Schrecken der mittelalter-
lichen Welt, den Schwarzen Tod, der in verschiedenen Zügen die
Bevölkerungen dezimierte, tritt nun eine Menge ganz verschiedener
Xamen hervor, die meistens schlechthin ,Tod' bezeichnen : ahd. sterpo,
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478
Krankheit.
scülmo, icuol, mhd. auch ph'ige (aus lat. plag«), agls. acealm, cicelm
(cwelan ,stcrben'j, ultsl. tnorü, lit. mdras (: lat. morion u. 8. w.
Als die Pest in Europa auftrat, wurde sie allgemein als ein weib-
licher Todesengel aufgefasst, der würgend durch die Laude schritt
(vgl. .1. Grimm Deutsche Mythologie3 8. 6H4 ff.), eine Vorstellung, die
im Grunde nichts anderes wiedersieht als die Anschauung, die man
ursprünglich von dem Wesen der Krankheiten Überhaupt hatte. Denn
seit der grausten Vorzeit bis tief in christliche Zeitläute, ja zum teil
bis in die Gegenwart, glaubt man. dass die Krankheiten die Wirkungen
feinlicher Dämonen darstelleu und selbst solche Dämonen sind. Am
unzweideutigsten spricht diese Auffassung aus dein vedisehen Altertum
zu uns, in dem die unheimlichen Scharen der Rakshas, Yätu, Pishäca
als ganze Familien krankheiterreirender Geister auftreten. „Der Dämon
Fieber hat den Bruder Auszehrung, die Schwester Husten, den Vetter
Ausschlag" u. s. w. (vgl. Ohlenberg Die Religion des Veda S. 265).
Der mächtigste dieser Krankheitsgeister ist der Gott Rudra (auch
pluralisch gedacht). „Die Macht des Gottes äussert sich in Krankheit,
die er sendet, aber auch in Heilung. Sein Geschoss ist Fieber und
Husten .... Sehr häufig wird er „Herr des Viehs" genannt; ihm
opfert man, um Krankheit aus den Herden zu vertreiben oder ihr vor-
zubeugen, denn wie er die Krankheit sendet, kann er, „der beste der
Ärzteu, sie auch entfernen*' (Ohlenberg a. a. 0. S. 220j. Aber auch
in Europa herrsehen die gleichen Vorstellungen. Im germanischen
Norden sind es die Elfe, welche Krankheit und Tod bringen. Agls.
ylfa geseeot, norw. alfskttd, dän. eleeskud .Eltengeschoss' bezeichnen
Lähmuug, norw. alegust, elfblaest, schwed. elfceblt'mt ,Elfenhanch'
bezeichnen Gliedergeschwulst it. s. w. (vgl. Golther Germ. Mythologie
S. 1.-J2). Es ist nur eine Weiterbildung dieser primitivsten Anschau-
ungen, wenn bei Homer die unsterblichen Götter selbst als Sender der
Krankheiten dargestellt werden. Apollo hat die Seuche ins Griechen-
lager geschickt und selbst von Zeus heisst es Od. IX, 411:
voüo*öv -f ou TTiuq €0*n Aiöq ^ie-rdXou dXtaaöai.
Gemeint ist hier die Krankheit des Wahnsinns, die besonders gern
als von den Göttern gesandt und als Strafe für gegen die Götter be-
gangenen Frevel aufgefasst wird (vgl. auch Zimmer a. a. 0. S.
Daneben spielen die Dämonen ihre Rolle weiter. Vgl. Od. V, iJl«4:
d>s b öt av ao*7Täo"ioq ßioTO? 7raioeo"o*i q>avn,r|
7raTpöq, 6q €v voutfuj Knjai Kpcrrep' dX'fea 7rdö"xujv.
önpöv Tr)KÖ,uevo£, arutepö? b£ oi £xPat baiu.u>v'
dandaiov b' dpa töv ye. 0€Oi KatcÖTr|TO<; £Xuo"av.
Hier hat also der baiurnv den Kranken angefallen, und erst die Beoi
haben ihn gerettet. In höchst charakteristischer Weise liegen im
Griechischen auch n.TudXr|<;, rjmöXn.«; »Alp' und nuiciXo«;, n.moXo<; , Fieber'
i vgl. mhd. der rite bestuont in) in der Sprache neben einander. Die
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Krankheit — Kreide.
479
Reste dieses Glaubens haben sieh Iiis zu den christlichen Heiligen ge-
flüchtet. Die Sankt Ruprcchtsplnge ist der Rotlauf. Sankt Valeutius-
plage hiess die Epilepsie. Veitstanz ist die Krankheit des heiligen
Veit etc. Natürlich ist der Heilige dabei zunächst als Heilender und
Errettender gedacht, aber bald bezeichnet der Xame des Heiligen
allein das Übel, und man kann jemandem fluchend anwünschen: „das»
dich Saut Velten (Valentin* aukoinm" (vgl. K. Weinhold Die alt-
deutschen Verwünsehiuigsf'ormeln, Sitzungsb. d. Ak. d. \Y. z. Herlin lJWn,
2 S. «>'.»:> ft". >. Über die hauptsächlichsten Heilnngsmethoden, die
sieh aus dieser Auffassung der Krankheiten ergeben, s. u. Arzt.
Kranz, s. Blumen, Blumenzucht.
Krapp, s. Färbe rote.
Krauter heilende, s. Arzt.
Krebs. An vorhistorischen (Jleichungen für diese Tierart finden
sich: 1. seit, karkafa-, karkafaka-, karkin-, npers. yercewj, grieeh,
Kaptcivoq, KapKivdq, tat. cancer aus *carcro- (vgl. Hrugmann (Jrundriss I,
1- S. 42") , 2. grieeh. Ka^mpo^. KÜuuopo^ £crn be »captbujv fcvoq ,eine
Art von Seekrebsen , vgl. Athen. VII, p. :Ju(3;, altn. humarr , Hummer'.
"Wie bei den Fischen (s. u. Fisch, Fischfang), hat bei den Krebsen
eine starke Entlehnung seitens des Lateinischen aus dem (iriechischen
stattgefunden: lat. cammamn aus Kduapoq, astacus aus daraKÖ?, öerra-
kö? .Hummer' \: öcttcov , Knochen', vgl. sert. karkafdxthi- : dxthi-
, Knochen', ,Krcbssehale ), carabua aus icdpaßos .Heuschreckenkrebs'.
Im Angelsächsischen herrscht für Hummer lopyittre, engl, lohster, das
aus lat. locnsta (marina, eigentl. .Heuschrecke'' entlehnt ist, neben
dem eine Form lopotttra bestand. Die Anwohner der Nordsee werden
erst durch den römischen oder romanischen Handel ihren Hunnner-
reiehtum recht beachtet haben (s. auch u. Auster). Nordgennanisch:
agls. crabba, nord. krahbi, die mit ahd. krebaz (woraus frz. ecrevisse)
verwandt sind. Lit. icez'ijs, altsl. rakü, ir. partan sind wie die ger-
manischen Wörter dunkel. Korn, cancher ans lat. cancer.
Kreide. Lat. creta ist ein Sammelname für jede weisse Erde,
Thon, Mergel, Kreide. Es ist daher nicht sehr wahrscheinlich, dass
das Wort identisch sei mit dem Namen der Insel Kreta, von der nur
berichtet wird, dass auf ihr ein nicht näher zu bestimmender weisser
Farbstoff, paraetonium, nach einer ägyptischen Ortschaft benannt, wie
auch in Kyrene vorkäme i Plinius XXXV, M>. Merkwürdig nahe dem
lat. creta liegen die keltischen ir. cre\ criad ,Lehm, Thon. Erde',
kymr. pridd ,nrgilla. terra', korn. pry .argile'; doch ist eine lautliche
Vermittlung bis jetzt nicht möglich.
Aus römischen Iuschriften ergiebt sich ein schwunghafter Kreide-
handel mit dem kreidereiehen Britannien, der auf der Wasserstrasse
des Rheins und Neckars sich in der Richtung auf die grossen Alpen-
strassen bewegte. So wissen wir z. B. von einem negotiator cretarius,
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Kreide — Krieg.
M. Secund. Silvanus, der nach stürmischer Seefahrt auf Walchereil
(Seheidemündung) gelandet, der dort verehrten Göttin Xehalennia ob
mercex rede consercat.au einen Altar stiftete (vgl. F. Kauffniann Hei-
träge XVI, 22ö). Mit diesem Kreidchandel wird die Entlehnung des
lat. Wortes in die germanischen Sprachen (mndd., inndl. leite: ahd.
krida ist jüngere Entlehnung) zusammenhangen.
Altsl. hh'Iü , Kreide' und so in den meisten Slavincn. Ist es ein-
heimisch (vgl. lit. mrlas ,Gyps', mölin ,Lehm'\ oder darf an Zu-
sammenhang mit, d. h. Entlehnung ans griech. MrjXiov xp^mcx. MnXia rn,
MnXiaq, tAr\\iq ,mclische Erde' iein berühmter weisser Farbstoff des
Altertums) gedacht werden? S. auch u. Gyps, <lessen Benennungen
mehrfach die Kreide mit bezeichnen. Die berühmteste Kreideart ist
der Marmor: griech. udp^iapo<; (Theophr.), vorher und schon bei Monier
in der Bedeutung ,Fclsblock' (oh: uapuoupw ,schiniiiiere' oder : sert.
mrnd'ti ,er zermalmt'?) bezeugt. Hieraus entlehnt lat. marmor «'Fmnius)
und weiter ahd. marmul, agls. marmstdn.
Kresse, s. Garten, Gartenbau.
Kreuz, s. Strafe.
Krieg i u n d Frieden). Urverwandte Reihen für K rie g, K a m p f ,
Seh lacht, Begriffe, die in älteren Zeiten schwer von einander ge-
trennt weiden können, sind nicht selten. L*. Heer ist auf altp. kdra-.
lit. käran, altpr. karjis, got. harjis verwiesen worden, deren ursprüng-
liche Bedeutung , Krieg* und , Kriegsheer' gewesen sein niuss. Ausser-
dem sind folgende Gleichungen zu beachten : sei t, yüdh- .Kampf,
griech. üo%dvr| ,Sehlaeht\ brit. iud- .Kampf in Eigennamen wie akymr.
Jud-nerth etc. ; griech. bat ,in der Schlacht' (bn.ioq .Kriegsfeind : «loch
s. u. Freund und Feind), lat. duellnm, bellum, perduelltH (weniger
wahrscheinlich wird duellum zu dem Zahlwort duo, mhd. -ff/'- in
zicinpeltic etc. gestellt oder auch mit mhd. zicist: sert. deish .hassen'
verglichen; vgl. zuletzt Osthoff I. F. VF, 17 i; ahd. hadu-, agls. heado-
, Kampf, ir. cath, altsl. kotora id. (vgl. auch sert. cdtru- .Feind' und
griech. aemvn. »Streitwagen', letzteres ein wohl vorderasiatisches Wort ;
got. iceihan , kämpfen', tcaihjö ,Kampf, ahd. iciijan, ir. /ich/m , kämpfe ,
lat. cinco .besiege'. Aus den Einzelsprachen vgl. griech. ttö\€uo<;.
rrröXeuoq (noch unerklärt), altndd. ff Athen , Schlacht', altn. gunnr : seit.
•hat yd- .Tötung ), ahd. hiltea ('?, während ahd. kämpf wahrscheinlich
eine Entlehnung aus lat. campun und mhd. krieg in der heuligen Be-
deutung jung ist; it. guerra, frz. gnerre aus ahd. icerra .Verwirrung,
Streit'), altsl. cojna .bellum', vojsko, cojska .exercitus' <: sert. ci, vf'ti
.geht los auf , , bekämpft', s. auch u. Jagd) u. a. Eine urverwandte
Gleichung für den Begriff des Sieges liegt in sert. sdhas-, aw. hazah-,
gemeingerm. got. .tiyis : sert. «ah , besiege' vor, deren ursprüngliche
Bedeutung ,iibcrwältigende Kraft' (auch ir. seg .Stärke ) ist. Lat.
cinco, rictoria s. o., griech. v\kt\ ist dunkel. Als Beute scheint der
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Krie^r — Kriejrswfscn. 4«1
Sieg in ir. buaid - mhd. biute, altn. byte aufgcfasst zu werden,
während sonst dieser erstere Begriff als .Gewinn kriech. Xeia, dor.
Xaia, ifni. Xn.in : üTroXauio ,geniesse\ lat. hierum , Gewinn', altsl. hnü
,Fang, Jagdbeute'; vgl. auch sert. Iota-, lötra- , Heute* L.) oder als , Er-
greifung' dat. praedtt ans *prae.-hedä : pnieheudo) bezeichnet wird.
Dein gegenüber lässt sieh ein gemeinschaftliches Wort für Frieden
nicht nachweisen. In der Urzeit ist der Krieg so zu sagen der normale
Zustand zwischen den einzelnen Stämmen, der natürlich auch bereits
durch Zeiten der „Ruhe" (Virl. altsl., russ. pokoj , Friede', eigentlich
,Ruhe', woraus lit. pakajun id.) unterbrochen wird, die aber mehr ^tat-
sächlich sind, als auf irgendwelchen völkerrechtlichen Abmachungen be-
rnhen. Charakteristisch in diesen« Zusammenhang ist auch das lat.
indutiae , Waffenstillstand', wenn es richtig als ,Nielit Krug' \iii-dutiae :
du-ellum) aufgefasst wird (vgl. OsthofT a. j\. 0.). Ks gab daher wohl
in der Urzeit Gegensätze wie Kampf und Ruhe, Kampf und Nicht-
Kampf, nicht aber wie Krieg und Frieden, wenn man wenigstens mit
dem letzteren Wort wie heute einen dauernden und rechtlich gewähr-
leisteten Zustand zwischen zwei .Staaten versteht. Für die Entwick-
lungsgeschichte des Fried ensbegri fies erweisen sich vor allein das
geineingenn. ahd. fridu, agls. fribu, altn. f'r'tdr im Gotischen nur
Fripareiks , Friedrich', sonst gawairpi, ahd. gitettrt ,oblectatio\ und
das gemeinslavische altsl. miru von Bedeutung. Das gei manische
Wort \*pri-tu- : sert. pri ,liebcn\ got. f'rijön id.. bezeichnet von
Haus aus den Gegensatz zu dem Begriff der „Fehde-, d. Ii. der
durch Ausübung der Blutrache (s. d.) zwischen zwei Sippen desselben
Stammes hervorgerufenen „Feindschaft- (ahd. fehidur, es bedeutet
demnach ursprünglich „Freundschaft", d. h. den zwischen Sippen des-
selben Stammes regulärer Weise herrschenden Rechtszustand und
ist erst später auf das Verhältnis verschiedener Stämme zn ein-
ander angewendet worden. Überaus ähnliche Erscheinungen zeigt
die Geschichte des altslavischen miru. Dieses Wort wird in mi-rü
(vgl. pirü , Gastmahl : piti »trinken ) zu zerlegen, zu lit. mylimas
,geliebt', mir-lax .angenehm' zu stellen sein und, wie fridu, ebenfalls
ursprünglich „ Freundschaft a, dann Friede, Friedensgemeinde, Bauern-
gemeinde, Gemeindebezirk bedeutet haben. Erst unter christlichen Ein-
flüssen sind dann aus den Menschen einer Gemeinde, innerhalb welcher
ursprünglich allein der Friedenszustand herrscht, die Mensehen im all-
gemeinen, d. h. die Welt miru) geworden.
Ausdrücklich als , Vertrag' wird der Friede in griech. ttpnvn. : .fpnTpa,
iptvj und in lat. pax : pangere, pactum (kaum : got. faheds , Freude",
fag'mön ,sich freuen ) bezeichnet. Ir. sith M. (dunkel). Über den
Gottesfrieden s. u. Blutrache. — S. auch u. Raub.
Kriegstanz, s. Tanz.
Kriegs wagen, s. Streitwagen.
Schräder. Rcullcxikuii. 31
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4H2 Krokodil - Krone.
Krokodil, s. Eidechse.
Krone. Dieses Insigne des Königtums wird in Europa erst
durch Alexander den Grossen und die Diadoehen bekannt, die es
ihrerseits den persischen Königen entlehnten. Vgl. Justin. Hist. Philipp.
XII, 3, 8: Post haec Alexander habitum regit in Persarurn et dia-
detna insolitum antea regibus Macedonicis, velut in lege*
eontm, quo* ricerat, transiret, mmmit. Die den Griechen bekaunten
persischen Namen der königlichen Kopfbedeckung sind Ttdpa, Tidpn.<;,
xupßaöia und Kibapt? (vgl. Lagarde Ges. Abh. S. 205 ff. ). Von diesen
kehrt Tidpa (f| Xefop^vn. Kupßaaia. TauTnv b£ ot TTepdai ßacriXciq uövoi
^XPujvto 6p6r|v lies.) auch im Phrygischen (Lagarde S. 289) wieder,
ist aber bisher ungedeutet, Kupßatfia erinnert in seinem ersten Teil an
armen, xoir „das ganz alltägliche Wort für Tiüpa, tdbapis, bidbr)uau,
das jedoch von Hübschmairn Armen. Gr. I, 160 als entlehnt aus npers.
■/öd ,Helm\ osset. yodd, yßd .Mütze', altp. yauda- in tigra-yauda
,init spitzen Mützen', aw. yaoAa- .Helm' bezeichnet wird: Kibapiq end-
lich (TtiXo^ ßacriXiKÖ«;, öv Kai Tidpav Hes.. auch Kiiapiq und KiTTapiq)
geht zusammen mit hebr. keter .Krone" auf assyr. kndurru .Tiara,
wie sie sich der König aufsetzt, wenn er die Hauten einweiht' zurück
(vgl. Lcwy Die sein. Fremd w. S. 90 nach F. Hommel). Unzweifel-
haft liegt hier bei den Semiten der Ausgangspunkt der orientalischen
Sitte.
Bei Griechen und Römern vertrat in mancher Beziehung der ge-
flochtene, dann auch metallene Kranz i o-rtqmvoq, coröna) die barba-
rische Krone. Das letztere Wort, welches zusammen mit zahlreichen
Verwendungen des Kranzes (s. u. Blumen, Blumenzucht) von den
Griechen (xopwvöq , Kranz' schon bei Simonides) zu den Römern über-
gegangen war, nahm dann allmählich die Bedeutung von , Krone' an,
in der es durch ganz Europa wanderte (s. u.).
Im Norden waren die germanischen Könige durch langes, lockiges,
von einem Band oder sonst gehaltenes Haupthaar (s. u. Haartracht)
ausgezeichnet. Auch die metallenen Helme (s. d.), welche nach dem
Norden allmählich vordrangen, werden am frühsten das Haupt der
Könige und Häuptlinge geschmückt haben. So erklären sich die ver-
schiedenen Glossiernngen der Wörter diadema und Corona in den ger-
manischen Sprachen durch ahd., alts. houbitbant, höbidband oder
durch agls. cyne-helm, ahd. chuninchidm. Ulfilas übersetzt dicdvöivos
<JT€q>avo? , Dornenkrone' mit iraips, das zu altn. veipr , Kopfbinde', ahd.
toeif ,Binde' gehört. Vgl. auch bei Stokes Urkeltischcr Sprachschatz
S. 216: ir. mind gl. diadema, akymr. minn gl. sertum, PI. minnou
gl. serta, 1. stemmata. Später hat sich dann das lat. coröna über den
Norden ausgebreitet: altir. coröin, ahd. coröna, mhd. kröne, mittelengl.
cortine. altn. knina, altsl. koruna, kruna, lit. karüm't neben dem
einheimischen icainikas , Krone' : altsl. renUl , Kranz'. — S. u. König.
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Kröte — Cucurbitaceen.
483
Kröte (Frosch. Beide Tiere lassen sich sprachlich nicht scharf
von einander trennen. Eine urverwandte Bezeichnung derselben liegt
vielleicht in den griechischen Formen ßdTpaxoq, ion. ßÖTpaxos, ßpÖTa-
Xoq, ßäepaxo? , Frosch' vor, die auf ein ursprüngliches *ßpa0-aKO-q
zurückgehen können, das dann dem ahd. chreta, chrota , Kröte' ent-
spricht. Litu-slavisch ist allpr. gabaico , Kröte' = altsl. zaba , Frosch'
(vgl. auch altndd. quappa .eine Fischart' : sert. jabh schnappen') und
lit. rit putze = poln. ropucha ,Kröte' (vgl. auch lat. rubeta ,eine Art
Frosch' aus *rupt'ttt't). Vgl. ferner griech. q>püvr) , Kröte' (s. u. Braun)
und <püo"a\o$ id. <:q>uo"ciu) , blase auf ), lat. bilfo , Kröte' (= sert. gödlu't
,einc Eidechsenart' oder, nach M. Nicdermann B. B. XXV, 84, = altpr.
gabaico, *g6bko- : *gobho-) und räna , Frosch' (dunkel). Unerklärt sind
auch die germanischen ahd. froxk, altn. fro*kr, agls. frogga und altn.
fraukr (weiteres bei F. Kluge Et. W." s. v. Frosch). Korn, croinoc
,Krötc von kambr. croen ,Haut' (Zeuss Gr. Celt.2 p. 849), guihehin
,Froseh'. Lit. teartt .Frosch'.
Krug, s. Gc fasse.
Krystall, s. Edelsteine.
Kübel, Kufe, s. Gefässe.
Köche, s. Kochkunst, Küche.
Kuchen, s. Brot.
Küchengewächse, s. Garten, Gartenbau.
Kuckuck. Eine übereinstimmende ononiatopoietische Benennung
dieses Vogels, der im Norden wie im Süden als Verkündiger des
Frühlings (s. u. Jahreszeiten) gefeiert wird (vgl. schon Hesiod Werke
und Tage v. 486 ff.:
r|UO? KÖKKUE KOKKUECl bpl)Ö£ 7T£TäXoiO*l
tö npujTov, TtpTrei T€ ßpoxoOs in äireipova Yaiav
. . . Mr|b€ o"€ Xr|6oi
unj' £ap YiYvöuevov),
liegt in der Reihe: sert. kökild-, griech. kökkuE, lat. cucülus, altsl.
kukacica, lit. kuküti ,wie ein Kuckuck rufen', ir. ct'mch, kymr. cög.
Auch die altgcrmanischen Wörter ahd. gouch, altn. gaukr sind viel-
leicht hierher, zu stellen (vgl. Norcen Abriss der altgerm. Lautlehre
S. lo/i). Vgl. noch mhd. kuckuck, frz. coueou, it. cueco. Doch wurde
der dieser Sippe zu Grunde liegende Lautkomplex kuk, kouk etc. auch
in dem Rufe anderer Vögel, des Hahnes und der Eule (s. s. d. d.),
und auch gewisser Vierfüssler (vgl. Leumann Et. W. d. Sanskrit-Sprache
S. 69) vernommen.
Cucurbitaceen. Es handelt sich hier um den Kürbis, die Gurke
und die Melone. Was den ersteren betrifft, so hat man neuerdings
ermittelt, dass der echte Kürbis (Cucurbita Pepo L.) niemals im Alter-
tum bekannt gewesen sein kann, da seine Heimat in Amerika zu
suchen ist. Der von den Alten angebaute Kürbis kann daher nur der
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484
Cucurbitaceen.
in den Tropen der alten Welt einheimische und in Ägypten sehr früh-
zeitig nachgewiesene Flaschenkürbis (Layenaria vulgaris) gewesen
sein Dieser inuss also mit griech. ko\oküv9ti, koXoküvth (seit Aristo-
phanes bezeugt) und lat. Cucurbita (Coluinelln) gemeint sein. Der Ur-
sprung des griechischen Wortes ist noch nicht sicher ermittelt. Die
einen suchen es aus koXo-ku-vtii (vgl. KoXö-xu-ua ,grosse Woge' und
Kueiu; vgl. auch KÜ-auo? , Hohne', lat. cu-cu-mis ,Gurke', ku-ku-ov töv
o"ikuöv Hes.) zu deuten. Andere möchten es aus kurd. kalak ,meIon',
sert. kölinda- erklären. Letztere Ansicht könnte eine Unterstützung
in Athen. II, p. f)8 f. finden : EuBübriuo? "AQnvaioq tv tu» Tiepl Xaxdvujv
ötKuav ivoucr|v »caXei Tt]v koXoküvt»iv bidrö K€Kouio"6aiTÖ o*TTtpua£K
tii<; 'IvbiKn? und äxp» ^ toö vuv XcrtöBai rcapd Kvibioi? Tdq koXo-
küvtgk; ivbiKäq. Über lat. Cucurbita s. u. Das lat. Wort ist als ahd.
kurbiz und agls. cyrfet in die germanischen Sprachen vor der hoch-
deutschen Lautverschiebung (von t in zz) entlehnt worden. Cucurbitas
nennt das Capit. de villis LXX, 10 und die heilige Hildegard spricht
von kurbesa. Über slav. tyky s. u. Ngriech. vepOKoXoxuÖnd, alb.
korke ,Flaschcnkürbis', ngriech. KoXoKuönd, alb. kt/nkui (aus cucumis)
Cucurbita Pepo.
Die Gurke wird zuerst als o*ixuq bei Aleacus genannt (daneben
öikuos, öixüa, aeKoua lies., von KoXoKuvrr), wie Athen. II, p. f>8 und
III, p. 73 zeigt, nicht immer scharf geschieden). Auch die schon in
der Ibas II, 572 und XXIII, 2911 genannte .Stadt Sikyon, die früher
MriKiOvr) ,Molmstadt' geheissen haben soll, wird den Namen der Frucht
enthalten. Lat. cucumis (s. oben). Die Gurke der Alten pflegt alä
Cucumis saticus L. bestimmt zu werden, die ihre Heimat in Ostindien
hat. Sie war gross, dem Kürbise ähnlich und wurde als Erfrischung
gegessen, auch gesotten und gebraten.
Eine neue Art derselben Gattung tritt im Mittelalter in Europa
mit dem byzantinischen Ausdruck utYoupov, dffoupi, dffoupw auf.
Dieses Wort bedeutet eigentlich ,unreif icrroupoi; = duipo?)uud bezeichnete
also eine Art, die vornehmlich in unr ei fem Zustand genossen wurde.
Dieses Wort (ngriech. 6rr^o\)^\a) ging zu den Slaven (russ. ogurec,
poln. ogörek) und von hier ins Deutsche (gurke erst um löOO) über.
Vorher hatte man hier die cueumeres, die das Capit. de villis LXX, 8
nennt, mit erdaphil, ertappet bezeichnet. Vgl. noch russ. krastav'icl
,die rauhe Frucht' und alb. trangnl (aus nigricch. TCTpdtTOupov). Im
Italienischen ist an Stelle des veralteten cocomero ein neues Wort
citriolo, citruiolo etc. getreten, das auf ein erst spät (bei Albertus
Magnus) bezeugtes citrulus : citreum, citrium zurückgeht und eigeutl.
.kleine Zitrone' bedeutet (vgl. unten die sprachlichen Beziehungen
zwischen Feige und Gurke).
Bei der M e 1 o n e hat man zu unterscheiden zwischen der im süd-
lichen Afrika einheimischen Wasser m e 1 o n c {Citrullus vulgaris
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Cucurbitaceen.
435
Schrad.) und der Zuckermelone (Cucunth Melo L.>. die dem süd-
lichen Asien und dem tropischen Afrika angehört. Beide Arten sind
bereits in Funden und Abbildungen des alten Ägyptens nachgewiesen
worden. Kine Melonennrt wird auch in der Bibel iXum. 11. ö> unter
dem Namen 'dbaffibini (neben qiisulm ,Gurken) genannt, wie es nach
dem Zeugnis des Arabischen und Aramäischen scheint, die Wasser-
melone. Diese ist es denn auch, die zuerst im klassischen Alter-
tum, und zwar bei Hippokrates als Trerciuv (die ,reife', sc. criteuog,
lat. pepoi erscheint, während melopepo. die Zuckermelone, erst bei
Plinius (XIX, 07) auftritt (vgl. auch Blümner Edict. Diocl. S. ti#>.
Bei ihrem Ubergang in die altdeutsche Garteuflora (vgl. peponex im
Capit. de villis LXX, 9) verwischte sich der Unterschied beider Arten.
Das lat. pepo erscheint im Ahd. als pepano, bebano, mhd. beben (neben
pfeben) und als pethemo, pfe'damo, mhd. pfedem (vgl. Kluge Grnnd-
riss I-, M'2). Auch für die Melonen kommt aber, wie für die Gurken
(s. o.i, der Ausdruck „Erdapfel" vor.
Im Osten muss Persien ein wichtiger Ausgangspunkt der Wasser-
iuelonenzueht gewesen sein: npers. yerbuze, yerbuz, eigentlich , Esels-
gurke' ist ins Turkotatarische (karpuz, charbuz) und ins Slavische
(z. B. poln. harbuz, garbuz, arbuz, karpuz) übergegangen. Vgl. auch
ugricch. tu KapTT0Ü£ia »Wassermelonen', to. Treirövta falb, piepen »Zucker-
melonen'. Für letztere besteht in den turko-tatarischeu Sprachen ein
einheimischer und (nach Vämbery Primitive Kultur 8.217) sehr alter
Name: karun, kabun (alb. kacke' s. o.V). Endlich sind noch altsl. dgnja
,pepo", bulg., seih, lubenica , Wassermelone' und ein im ganzen .Süd-
osten Europas geltender Name des Melonenfelds (alb. bunt an) zu nennen,
der dem Türkischen (bostan ,Gemüsegarten) entstammt. Wie man sieht,
steht der slavische Osten auf diesem Gebiet im Gegensatz zu anderen
Bestandteilen des Gemüsegartens sprachlich unabhängig vom germa-
nischen Westen da. Die in ihm geltende Terminologie ist entweder
einheimisch oder vom Orient abhängig.
Überblickt man die hier geschilderten Thatsachen und verbindet sie
mit dem Umstand, dass keine eiuzige Cucur bitaeeeuart bis
jetzt in dem prähistorischen Europa nachgewiesen werden
konnte, so wird man kaum zweifeln können, dass das Bekanntwerden
mit denselbcu seitens der europäischen Indogennanen erst verhältnis-
mässig spät und in ihren historischen Wohnsitzen erfolgte. Merkwürdig
bleibt nur, dass zwei schon im bisherigen genannte Namen von Cucur-
bitaceen über die Sonderheit der einzelnen idg. Völker hinauszugehn
scheinen. Es sind dies griech. criicuq und lat. Cucurbita. Von dieseu
lässt sich aneus (aus *tceku-) vielleicht mit altsl. tyky , Kürbis' vereinigen
(s. ;t. Feige), während lat. Cucurbita mit agls. heerfette ,Kürbis' und
sert. carbhata-, eirbhafi, cirbhitä ,Gurke übereinzustimmen scheint. Ob
hiermit eine im Urland der Indogennanen wild vorkommende Cucur-
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4M
Cucurbitaceen — Kümmel.
bitaeeenart, resp. eine einer solchen älmliche Pflanze ursprünglich ge-
meint war, oder wie die Sache sonst zu erklären ist, bedarf noch zu-
künftiger Aufklärung. Bemerkt sei jedoch, dass gerade auf der Stufe
des Hackbaus, der vielleicht auch auf idg. Hoden dem eigentlichen
Ackerbau ('s. d.) vorausging, Kürbisarten nach Hahn Die Haustiere
S. 394 besonders beliebt zu sciu scheinen. — Vgl. V. Hehn Kultur-
pflanzen0 S. 304 ff. und v. Fischcr-lienzon Altd. Oartcnfi. S. 89 ff.
sowie den Anhang des letzteren Werkes.
Kuh, s. Rind.
Kultus, s. Ahnenkultus, Gruss, Opfer, Religion. Riten,
Tempel, Zauber.
Kultusgesänge, s. Dichtkunst, Dichter.
Kümmel iCuminum Cyminum L., ägyptischer oder römischer
Kreuz- und Pfeffcrkümmel, der wildwachsend nnr aus Turkestan
bekannt ist, und Carum Card L., Feld- oder Wiesenk ümmel, ein-
heimisch in Europa). Der Kümmel war im Altertum wie im Mittel-
alter eine viel gebrauchte Gewürzpflanze, namentlich bevor der Pfeffer
(s. d.) in Europa bekannter wurde. Sein griechischer Name Kumvov
wird zuerst bei Aristophancs genannt und stammt aus dem Semitischen
(hebr. kammön, aram. kammönd, pun. xaM«v; vgl. auch armen, caman,
dessen Anlaut auffällt). Aus dem Griechischen drang das Wort in
das Lateinische (cuminum, Cato) und wanderte von da mit den Namen
zahlreicher anderer Gewürzpflanzen in die nordeuropäischen Sprachen
(ahd. kümin, chumil, agls. cymen, altruss. kjuminü, russ. kiminu,
tminü, alli. k'imino).
Das demnach aus semitischem Kulturkrcis nach Europa eingeführte
Cuminum Cyminum, über dessen Anbau schon Thcophrast Hist. plant.
VII, 3, 2 u. 3 berichtet, machte daselbst auf das einheimische Carum
Card aufmerksam, das bei Columella und Plinins careum (nach Plin.
XIX, 164 so genannt, weil laudatinsimum in Curia), bei Dioskorides
KCtpov heisst. Auch dieses Wort drang unter dem überwiegenden Ein-
fluss der südlichen Gartenbankunst, und, wie es scheint, mit Einwirkung
des arabisch-romanischen ulkaravia, ins Deutsche ein: mhd. karbe,
karte, engl, caraway. Einheimische Namen der Pflanze sind ahd.
teitesa (Graff), später Wistküinmel etc. (vgl. Pritzcl u. Jessen Deutsche
Volksnamcn und Nemnich II, 901). Die Nomenklatur der beiden
Kümmelarten ging später vielfach in einander über.
Im Capitnlare Karls des Grossen de villis LXX, 12 n. 14 wird
dminum und careium unterschieden. Als drittes gesellt sich LXX, 2»
<jit (Xigeüa satica L. oder Schwarzkümmel) hinzu. Dieses Wort be-
gegnet schon bei Plautus und ist wahrscheinlich phönizisch-kart ha-
gischen (nicht griechischen, vgl. bei Diosk.: ^ie\dv9iov) Ursprungs; es
beruht auf einer Verwechslung mit dem Koriander, der von den Afrern
foib, hebr. gad genannt wurde. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 203 ff.
-
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Kümmel - Kunst.
487
und v. Fischer- Benzon Altd. Gartenflora S. 131 f. S. u. Gewürze und
u. Garten, Gartenbau.
Kunst. Indem über die Künste der Bewegung, den Tanz,
die Dichtkuust, die Musik (s. u. Musikalisc he Instrumente) in be-
sonderen Abschnitten gehandelt worden ist, bleiben hier nur die ersten
Anfänge der bildenden Künste oder die Künste der Ruhe kurz
zu erörtern.
Eine der merkwürdigsten Thatsachen, welche die Urgesehichts-
forschung enthüllt hat, ist der Umstand, dass in paläolit bischer
Zeit, gleichzeitig mit dem Mammut und Renntier eine Bevölkerung
lebte, die trotz der niedrigen Kulturstufe des Jägertums, auf welcher
sie sieh befand, über einen unter diesen Verhältnissen Staunen er-
regenden Grad kunstbildender Thätigkcit verfügte. Merkwürdige Skulp-
turen aus Elfenbein, die weibliehe Rundtiguren zur Darstellung bringen,
Tierbilder im Relief aus Renngeweih, gravierte Umrisszeichnungen von
Köpfen des Pferdes, des Steinbocks, der Ziege u. s. w. auf Renn- und
Hirschgeweih, Knochen und Stein sind die Denkmäler, welche in den ver-
schiedenen Epochen angehörenden Stationen des nordöstlichen und süd-
lichen Frankreich zu Tage getreten sind, und die lange Zeit ein un-
gelöstes Rätsel der Prähistorie blieben, bis die Ethnologie immer
deutlicher darauf hinweisen konnte, dass auch noch heute bei soust
ganz rohen Völkern, z. B. bei den Tsehuktschcn und Eskimos, aber
auch bei australischen und afrikanischen Stämmen die Spuren ähn-
licher künstlerischer Befähigung hervortreten.
Mit dem Hereinbrechen der neolithischen Zeit, in welche die
Ausbreitung der Iudogermanen in Europa fällt (s. u. Kupfer und
Steinzeit:, verschwindet dieser freischaffende künstlerische Zug aus
den Bevölkerungsschichten Altcuropas. Es seheint, dass auf den höheren
Wirtschaftsstufen der Viehzucht und des Ackerbaus das Sehönheits-
bedürfni8 des Menschen sich in einer mehr praktischen und nüchternen
Richtung bethätigte, nämlich einmal in der geschmackvolleren Her-
stellung seiner Waffen und Werkzeuge, das andre Mal in der Orna-
mentierung seiner der paläolithisehen Zeit noch unbekannten Thonge-
fässe.
Die Beantwortung der Frage, welches der hierbei auftretenden
Muster etwa als indogermanisch [oder urcuropäisch anzusprechen sei,
wird erschwert durch die Thatsache, dass schon von ueolithischer Zeit
an orientalische Kunsteinwirkungen zuerst im Umkreis des mittel-
ländischen Meeres, dann aber auch in der Mitte und im Norden unseres
Erdteils sich geltend machen, die noch deutlicher als auf dem Gebiete
der Keramik später auf dem der Bronzefabrikation (die ältesten Bronzen
sind wie die kupfernen und steinernen Artefakte ohne Omamentierung)
allmählich hervortreten. Auf eine solche Herkunft scheinen auch die
im Südosten Europas, in Thrakien und Illyrien, in Italien und der
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488
Kunst — Kupfer.
Pfahlbauteuregion jetzt wieder zu Tage kommenden Werke der Plastik
aus Thon hinzuweisen, welche kleine, teils menschliche Figuren, meistens
weibliche, teils Tiere, meistens Kühe, darstellen, und über deren eigent-
liche Bedeutung die Meinungen noch vielfach auseinandergehen.
In hohem Grade interessant sind aus frühen Epochen auch die der
Bronzezeit ungehörigen Felscnbilder Skandinaviens, welche in sehr
primitiver V/eise allerhand friedliche und kriegerische Sccnen des
Menschenlebens zeichnerisch darstellen, und für die man ebenfalls An-
knüpfung an südöstliche Kunsterscheinungen gesucht hat.
Alle diese kunstgeschichtlichen Probleme fallen ausserhalb des Rahmens
dieses Werkes und sind in vollem Umfang neuerdings von M. Hoernes
Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa (Wien 1W»S) behandelt
worden. Vgl. dazu F. Crosse Anfänge der Kunst i Freiburg i. B. und
Leipzig It>94). In beiden Werken wird zu den Erscheinungen der
bildenden Kunst auch die Kosmetik, d. Ii. Sehmuck und Kleidung
des Körpers gerechnet. S. hierüber n. Haartracht, Kleidung,
Schmuck und Tätowierung.
Über die in Europa für die Zwecke der Lebenden ((Iber die der
Toten s. n. Bestattung) erst in sehr späte Zeit fallenden Anfänge
der Architektur s. u. Steinbau.
Kupfer. Dass den Indogermanen vor ihrer Trennung sicherlieh
ein Xutzmetall bekannt war. folgt unabweislich aus der Gleichung
seit, äyas-, aw. ayah-, lat. aes, got. aiz. Die vereinzelte Anschauung
(vgl. Kauft'mnnn Z. f. deutsche Phil. XXXI, lVJö\ dass diese Reihe,
zumal sie ohne Sippe und Stammabstufung da stände, auf Entlehnung
beruhe, entbehrt der Begründung. Mit dem gleichen Recht könnte man
die Übereinstimmung in den idg. Namen des Vaters oder der Mutter
aus Entlehnung erklären. Auch ist es nicht richtig, dass äyasaes der
Abstufung entbehre. Eine solche liegt sicher im Suffix: *ai os- — sert.
riyas-, *ai-es- in lat. aenns aus *ai-es-no-, *ais- iu lat. ae-r-is aus
*ais-is (vgl. Brngmanu Grundriss II, 392) und vielleicht auch im Stamme
(s. über ir. iarn ,Eisen' aus *i*-arn-, *ais- : is- u. Eisen) vor.
Die angeführte Reihe bedeutet nun in ihren europäischen Gliedern
sowohl das Kupfer wie auch die aus diesem Metall und dem Zinne
hergestellte Bronze (vgl. z. B. Otfrid I, 1, 09: zi nttzze grebit man
ouh thdr er inti kupfar, und noch später wird lat. aes ausser mit
erze oder eer mit , Kupfer' übersetzt). Zweifellos ist auch lat. aes Roh-
kupfer und Bronze. Nicht so sicher ist die eigentliche Bedeutung von
sert. dyas-, aw. ayah- in den älteren indischen und iranischen Quellen
zu ermitteln, wenngleich es in beiden nicht an mehr oder weniger
deutlichen Spuren fehlt, dass auch hier von der Bedeutung Kupfer,
Erz auszugehen ist is. die Litteratur über diese Frage u. Erz am
Schlussi. Selbst aber für den Fall, dass mau geneigt sein sollte, für
das arische äyas- ayah- frühzeitig deu Sinn von Eisen anzusetzen, so
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Kupfer.
489
könnte dieser dennoch nicht als indogermanisch gelten, weil u. Eisen
gezeigt worden ist, dass dieses Metall hei den idg. Völkern Kuropas
nachweislich erst sehr spät aufgetreten ist. Die in Frage stehende
Gleichung: kann in der Urzeit daher nur Kupfer oder Erz oder Kupfer
und Erz gemeint haben. Die Entscheidung für eine dieser drei Möglich-
keiten kann nur mit Hülfe der Prähistorie getroffen werden. In diesem
ganzen Werke ist wiederholt auf die Thatsache hingewiesen worden,
dass die Kultur der Indogermanen, soweit wir sie auf linguistisch-
historischem Weg ermitteln können, sich wohl mit der arehaeo-
logisch hezeugten Gesittung der neoli thi sehen Periode Europas,
nicht aber mit derjenigen der auf diese folgenden Bronze- und Eisen-
periode deckt, dass sich also idg. Gleichungen regelmässig nur für
Knlturbegriffe der neolithisehen Zeit finden, in die demnach die prä-
historischen Zusammenhänge der idg. Völker fallen. Lehrreich sind in
dieser Beziehung die Artikel Rind, Schaf, Ziege, Pferd, Schwein
gegenüber den Artikeln Esel, Maultier, Katze oder Gerste, Weizen,
Hirse, Flachs gegenüber Hafer, Roggen, Hanf oder Axt,
Hammer, Messer, Spiess, Pfeil, Schild gegenüber Schwert,
Helm, Pan z e r oder Ahle, B o h r e r , S ä g e , Schleifstein,
Nadel, Nagel, Meisscl gegenüber Zange, Scheere u. s. w. Zu
dieser Ansicht bekennt sich jetzt auch H. Hirt, wenn er in einem Auf-
satz über die wirtschaftlichen Zustände der Indogermanen (Jahrb. f.
Nationalök. und Stat. III. Folge, XV, 4f>9) hervorhebt, dass „in wesent-
liehen Stücken die Zustände der Schweizer Pfahlbauten denen
gleichen, die wir mit Hilfe der Sprachwissenschaft den Indoger-
manen zuschreiben". Die Einwendungen Kretschmcrs Einleitung S. 69
gegen diese schon in der ersten Auflage von Sprachvergleichung und
Urgeschichte vertretene Anschauung sind nicht stichhaltig; denn wenn
derselbe z. B. Anm. 1 bemerkt, „dass es für die Ziege, die sieh bereits
in den neolithisehen Pfahlbauten finde, nicht einmal eine den Iudo-
gennanen oder auch mir den Europäern gemeinsame Bezeichnung gäbe",
so ist hiergegen auf drei partielle Übereinstimmungen iu den Xamen
dieses Tieres (sert. ajä- = lit. oiys, griech. mE = armen, aic, lat.
haedus = got. gaits) zu verweisen, die sehr wohl dialektische Diffe-
renzen der Ursprache (vgl. Kretschmer a, a. 0. Cap. I) sein können.
In jedem Falle aber stellt sich, mag man nun vom Indischen oder
Armenischen oder Griechischen oder Litauischen oder Lateinischen
oder Deutschen ausgehen, der Name der Ziege als ein vorhistorischer
heraus, und der von Kretschmer konstruierte Gegensatz zwischen dem
„idg. Lexikon" und der durch die neolithisehen Pfahlbauten als in
Europa vorhistorisch erwiesenen Ziegenzucht (s. u. Ziege) ist nicht
vorhanden. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass noch nicht
alle Fälle sieh in die aufgestellte Regel fügen, was hei der Lücken-
haftigkeit des prähistorischen wie des etymologischen Materials auch
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4 IX)
Kupfer.
nicht befremden kann: doch wie man etwa die Grundzüge der ger-
manischen Lautverschiebung festgestellt hat, bevor man noch die zahl-
reichen Ausnahmen von derselben zu erklären vermochte, so sollte
man auch hier zunächst auf die grossen das Kultur- und Spraebleben
durchziehenden Züge Gewicht legen, ohne sich durch etwa abweichende
Einzelheiten allzusehr beirren zu lassen.
Und zwar sollte man das umsomehr thun, als man auch auf anderen
Wegen zu dem gleichen Ergebnis vorgedrungen ist, dass die idg. Völker
Europas schon während der jüngeren Steinzeit im wesentlichen in
ihren historischen Wohnsitzen sassen. So hat dies 0. Moutclius schon
im Jahre 1887 (Archiv f. Anthropologie XVII, IM ff. Über die Ein-
wanderung unserer Vorfahren im Norden) für die Germanen dadurch
zu erweisen gesucht, dass er zeigte, wie in Skandinavien von der
neolithischen bis in die Eisenzeit nirgends sich unvermittelte Sprünge
der Kulturentwicklnng, die auf den Einbruch eines neuen Volkes hin-
deuten könnten, sondern überall nur ganz allmähliche Übergänge zu
Tage treten, und A. Bezzenberger hat im Bulletin de l'Aeademie Im-
periale des Sciences de St. Pctersbourg, Nouvelle Serie IV (XXXVI)
p. 498 ff. eine Reihe linguistisch-geographischer Gründe dafür beige-
bracht, dass der litauiseh-lettiaeh-prcussische Sprachstanim bereits vor
50UU Jahren in neolithischen Kulturvcrhältnissen ostwärts vom kurischen
Haff sass (s. auch u. Steinzeit und u. Urheimat).
Wenu demnach die idg. Urzeit der neolithischen Epoche angehören
muss, so ergiebt sich, dass man behufs Deutung der Gleichung dya* =■
aes sich nach einem Metalle umsehen muss, dass nach den Erfahrungen
der Prähistorie thatsächlich innerhalb neolithischer Kulturvcrhältuisse
vorkommt. Dies ist aber ausschliesslich das unvermischtc Kupfer.
In einem zusammenfassenden, ausgezeichneten Buche Die Kupferzeit
in Europa (2. Aull. Jena 1893) hat M. Much den überzeugenden Nach-
weis geführt, dass zahlreiche Stämme des neolithischen Zeitalters in
Europa sich im Besitze eines Metalles, eben des Kupfers, befunden
haben, das sie auf dein Wege des Gusses zu mancherlei Waffen und
Geräten zu verarbeiten verstanden. Dieses Ergebnis ist durch spätere
Untersuchungen (vgl. namentlich 0. Montelius Findet man in Schweden
Überreste eines Kupferaltcrs? Archiv f. Anthropologie XXIII, 425 ff.
und J. Hainpcl Neuere Studien über die Kupferzeit Z. f. Ethnologie
XXVIII, 57 ff.: über thüringische Kupferfunde vgl. M. Verworn Z. f.
Thüring. Geschichte und A. K. XIX, 533) lediglich bestätigt worden,
und nur soviel dürfte noch nicht genügend feststehen, ob die Bekannt-
schaft mit dem Metall der neolithischem Periode überhaupt zuzn-
schreiben sei, so dass man streng genommen von einer jüngeren Stein-
zeit nicht sprechen könnte, und die Abwesenheit des Kupfers in
zahlreichen Funden auf Rechnung des Zufalls oder des augenblicklichen
lokalen Mangels an dem zweifellos überall seltenen Metalle zu setzen
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KupfVr.
491
wäre, oder ob nur gewisse Stämme in gewissen (späteren) Epochen
des jüngeren Steinalters sich im Besitze des Kupfers befanden.
Wie sich dies nun auch verhalten möge, als in hohem Grade wahr-
scheinlich darf gelten, dass die idg. Urzeit — ein Schluss, den schon
M. Much mit voller Deutlichkeit gezogen hat — als eine Epoche zu
betrachten ist, die zwar im wesentlichen noch steinerne Waffen und
Werkzeuge führte, daneben aber auch schon das damals wahrscheinlich
noch sehr seltene Kupfer in beschränktem Masse verwendete. He-
merkenswert ist auch, dass gerade die allgemeinsten und verbreitetsten
Gattungen kupferner Waffen und Werkzeuge, das Flachbeil, der Dolch
und der Pfriem (vgl. Much a. a. 0. S. 18*>) sich durch unzweifelhafte
idg. Gleichungen belegen lassen <s. n. Axt, Messer und Ahle).
Für die Frage, woher die noch vereinigten Indogermanen ihr Kupfer
bezogen, ist vielleicht eine zweite idg. Bezeichnung dieses Metalles:
sert. lohä-, urspr. , Kupfer' (B. R.), npers. rüi, rö id., altsl. ruda ,me-
tallunr, lat. raudtts ,Erzstück', altn. ranM , rotes Eisenerz' von Wichtig-
keit, insofern dieselbe in verführerischer Nähe des sumerischen Namens«
des Kupfers urttd (vgl. auch bask. urraida , Kupfer"?) liegt. Dieser
Zusammenklang gewinnt an Bedeutung durch eine zweite Entsprechung:
sert. purac/c, gricch. ttcXcku? = sumer. balag, babylon.-assyr. pilakku
,Beil\ Es wäre also möglich, dass die Indogermanen schon in ihrer
Urheimat (vgl. auch .1. Schmidt Die Urheimat der Indogermanen S. 9
nach F. Hominel) das erste Metall, vielleicht zunächst in Gestalt
kupferner Beile, durch östliche (sumerische) Beziehungen erhalten hätten.
Da wir diese Urheimat (s. d.) im Südosten Europas suchen, so könnte
der Umstand, dass rein kupferne Artefakte am reichlichsten in Ungarn,
Siebenbürgen und den östlichen Alpenländern gefunden worden sind,
so auszulegen sein, dass hier in nächster Nähe des Verbreitungsherdes
der Indogermanen noch ein grösserer Vorrat an Kupfcrgeriiten vor-
handen war, der bei der weiteren Ausbreitung der Indogermanen in
Europa immer spärlicher wurde. Ein zweiter, aber unzweifelhaft nicht
indogermanischer Mittelpunkt des Kupferreichtums begegnet dann erst
wieder auf der iberischen Halbinsel.
Erst nach Auflösung der idg. Spracheinheit wurde dann den ein-
zelnen idg. Völkern, nachdem sie noch geraume Zeit in dem aus der
Urzeit ererbten Knlturzustand verharrt, auch hier und da selbst ver-
sucht hatten, das immer seltener gewordene Metall zu gewinnen (s. u.
Bergbau), die Bronze (s. u. Erz) bekannt, zu dercu Bezeichnung die
alten Namen des Kupfers (lat. aes, got. oiz\ Uber griech. ya\K6$ und
agls. brau s. u. Eisen) zunächst noch ausreichten.
Daueben bestehen in den nordenropäisehen Sprachen noch besondere,
meist unaufgeklärte Namen für das unvermischte Rohkupfer: 1. urkclt.
*umayo-, ir. umae, altkvmr. emid etc. (Bezzenberger bei Stokes Urkelt.
Sprachschatz vermutet in -a//o- das alte sert. ayas ). 2. lit. icarias,
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•192
KuplVr — Ky presse.
altpr. irargien; vgl. altpr. icarene »Kessel'. 3. gcmeinsl. altsl. nmU
(wohl zu ahd. »mitia, gi«mhli und ir. mein , Metall' gehörig, demnach
wohl ursprünglich ,veiurbeitbarcs' bezeichnend). Laugsam bahnt sieh
dann in Alt-Europa das lat. aes Cyprhim Zyprisches Erz' seine Wege.
Die kupferreiehe Insel Kypros war schon in homerischer Zeit ein Aus-
fuhrort für Kupfer <xaXKÖ<;j gewesen, wenn unter Teu^o*n (Od. I, 1^4)
das kyprisehe Tamassos (,die .Schinel/.htttte', vgl. hcbr. teme» ,das
ZerHiessen ) mit Kecht verstanden wird. Im Jahre 57 v. Chr. waren
die Körner in den Besitz der Insel gekommen, und von dieser Zeit an
fängt das lat. ae» Cypriuut, in volkstümlicher Form ettprum, cupreum,
cyprinum an, seine Kolle in der Sprachgeschichte Europas zu spicleu.
Es dringt in das romanische Sprachgebiet ein, wo es aber nur im
Französischen (citii re) begegnet (sonst herrscht hier das lat. aeramen,
aeramentum, vgl. Körting Lat.-rom. W. S. 2#, daselbst S. 444 über
die merkwürdige Sippe von frz. laiton .Messing'), in das Albancsische
ik'iprr), in das Germanische (ahd. chuphar, engl, copper, nltn. kopam,
von hier wieder ins Irische icopan und Komische (cober), aber auch
ins Finnische. Lappische und Estnische, wo aber auch uralte ein-
heimische Namen des Kupfers, ebenso wie auch im Ural-Altaisehen und
Semitischen bestehen (vgl. Vf. Sprachvergleichumr und Urgeschichte2
S. 27uf.). - S. n. Metalle.
Kürbis, s. Cucurbitaceen.
Kürschnerei, s. Lede>\
Kurzschäde) (Braehykephalcni. s. Körper beschaf fenheit d. I.
Kuss. s. Gruss.
Kutsche, s. Wagen.
Kyperhlumc. Mau versteht hierunter die Blüte eines von den
Griechen küttpo? (Dioskoridesy genannten Baumes {Lawsonia alba =
dem Hennastrauch der Araber), der am Nil, in Judäa und auf Kypros
vorkam (Min. XII, 100, Athen. XV, p. 688). Dieselbe wurde zur
Herstellung der kostbaren Cypersalbe verwendet. Griech. Kuitpo? stammt
aus dem gleichbedeutenden hebr. kofer. Auf dasselbe Wort möchte
man auch das altgriech. KUTreipo^ (Horn. Hymn. auf Hermes), eine
Wiesenpflanze mit aromatischer Wurzel, uud küttcipov (II. Od.), ein
Pferdefutter zurückführen (vgl. Lewv Die sem. Freindw. S. 40), was
bedeutungsgeschichtlich wenig wahrscheinlich ist. — S. u. Aromata.
Kypresse. Cupre»ms semperviren» L. (in zwei Varietäten C.
pyramidalix und C. horizontali») ist nach A. Englcr (bei V. Hehn s. u.)
wildwachsend auf den Gebirgen des nördlichen Persicns und Ciliciens,
namentlich aber im Libanon, auf den Bergen von Kypros, Khodns, Melos,
sowie auch auf Kreta gefunden worden.
Die Bekanntschaft mit dem Baum muss bei den Semiten in sehr
alter Zeit vorausgesetzt werden, da er im Osten wie im Westen des
Sprachgebiets den gleichen Namen führt (assyr. buram = hcbr. berös,
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Hypnose — Cyii.sus.
493
aram. berät«, brröttV, vgl. auch griech. ßpüBu ,Levenbanm und lat.
bratus ,eine Kypresseuart Vorderasiens' bei IMiniusi. Die Ky presse
ist auf semitischem Boden seit Alters der heilige Haina der Aphrodite-
Astarte, die deshalb geradezu Bn,poüe = Baälat Beritt .Göttin der Ky-
presse' heisst, und es ist sehr wohl möglich, dnss im Gefolge dieses Kultes
(s. auch u. T a n b e) die Kypresse schon in vorhomerischer Zeit nach
dem eigentlichen Griechenland vordrang.
Hier ist der Haina den homerischen Gedichten wohl bekannt. Die
Kypresse wächst (Dd. V, 63) um die Grotte der Kalypso:
oXn, be o"tt€o? duqri 7Teq)UK€i TV|Xeti6iuo"a,
K\n8pn. t' atreipöq T€ kgö euiübn,? KUTrdp iO"o*oq.
Die Thürpfosten am Palaste des Odvsseus (XVII, 340) sind aus Ky-
pressenhol/ gearbeitet. Die Ilias nennt in dem Schiffskatalog bereits
zwei Örtlichkeiten, Kyparissos und Kyparisseis, welche von deai Baume
ihren Namen haben (II. II, ö 1 * > und ö{»3).
Auch die Bezeichnung der Kypresse im Griechischen, Kimäpitfcros,
hat man aus dem Semitischen abzuleiten gesucht, und zwar aus dem
hebr. yofer, welches an der einzigen Stelle, au welcher es vorkommt
(Gen. 6, 14), das Holz bezeichnet, ans welchem die Arche gebaut war.
.Man kann hiergegen einwenden, dass semitische Lehnwörter im
Griechischen sonst keine Erweiterung ihres Lautbestandes ■ KUTrdp-iö-o-og
: gofer) zeigen. Andere haben daher vorgezogen, Kimüpio-ao<; (*kuttu-
piTjo?) an das häutiger überlieferte hebr. (flfrit ,Harz, Pech, Schwefel
anzuknüpfen.
In Italien, wo der Baum den griechischen Namen (virpressus, zuerst
bei Ennins) tragt, ist die Kypresse ausschliesslich durch Anpflanzung
und Kultur verbreitet worden. Nach V. Hehn wäre dieselbe von
Griechenland über Sizilien, wo der Baum in Theokrits Idyllen genanut
wird, und Taren t (cupressus Tarentina, Cato) gewandert.
Gegenwärtig gelten in weiten Teilen des südlichen Europa Namen,
die nichts mit griech. KUTrdpto'o'o«; zu thua haben: alb. selei', bulg.
selrija, ngriech. creXßivi (neben tö Kunapio"o"i). Diese Ausdrücke stammen
zunächst ans dem türkischen sehe, serw, das durch eine weite Kette
zusammenhängender Namen (npers. serw, knrd. serw und salb etc.)
sich bis in das assyrische mrmrtnu („eine kypressenartige Conifere, die
von den assyrischen Königen auf dem Libanon gefällt wird") und snm.-akk.
sur-man verfolgen lässt. Vgl. noch syr. surbitta. arab. .sirbin. — Vgl.
V. Hehn Kulturpflanzen* S. 276ff. S. u. Obstbau und Banmzucht.
Cytisus. Medicago arborea L. ist ein Strauch, dessen Blätter
bei Griechen und Römern als Futter der Haustiere gesehätzt waren.
Im Mittelmeergebiet (auch in Griechenland auf dem Lycabettns) spo-
radisch wildwachsend verbreitet, wird er unter dem dunklen Namen
kutio*0£ (woraus lat. cytisus) zuerst bei den komischen Dichtern Cratinus
und Eupolis genannt. Über den Ausgangspunkt des Strauches äussert
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Cytisus — Lach*.
Pliuius XIII, 134: Juventus est hic frute.r in Cythno insula, inde
tralatus in omnes Cycladas, mox in urbes Graecas, magno casei pro-
ventn. Eine Cberführuug nach dem Norden hat nicht statt gefunden.
Charakteristischer Weise giebt die heilige Hildegard» das ahd. kle mit
cithysus wieder: -ad pascua pecorum utile". — Vgl. V. Hehn Kultur-
pflanzen" S. 31*1» f. S. u. Futter kraut er.
L.
Lab. Für dieses in gewissen Tiermagen fertig vorhandene, aber
auch künstlich durch Pflnn/.ensäfte herstellbare Mittel, die Milch zum
Zwecke der Bereitung des Käses (s. d.) /um Gerinnen zu bringen
(daher lat. coagulum), linden sich in den einzelnen Sprachen alte, aber
keine Spur von Zusammenhang aufweisende Benennungen. So griech.
dor. tduicros, att. mmet (: tcOuj , bringe zum Eitern ), altpr. raugus (vgl.
lit. rdugas , Sauerteig', szliüzax ,Lab'), ahd. käsiluppa neben mhd.
kwselap, agis. cyslyb (altn. lyf , Arznei', got. lubja ,Gift', Grnndbe-
deutung: ,stark wirkender Pflanzensaft'), neunorw. tette .Mittel, das
die Milch gerinnen macht', neuschwed. tütt ,Laff von gewissen Pflanzen
(Finguicula vulgaris, Drosera rotundifolia u. a.), die die Milch ge-
rinnen machen', neunorw. tette gras, neuschwed. tät ört ,einc solche
Pflanze', alle zn altn. pettr ,dicht' gehörig (vgl. Lidcu Studien zur
altind. u. vergl. Sprachgeschichte S. 40). In Indien war das Gerinnen-
lasscu \d-taiic) der Milch durch derartige künstliche Mittel schon in
vedischer Zeit bekannt (vgl. Zimmer Altindisches Leben S. 227). —
S. u. Milch.
Lachs. Da der Fisch nur in denjenigen Flüssen vorkommt,
welche sich in den Ocean sowie in die Ostsee ergiesseu, nicht aber in
denjenigen, welche in das Mittelländische oder Schwarze Meer münden,
so ist es begreiflich, dass weder Griechen noch Römer einen eigentüm-
lichen Namen für denselben hatten. Doch wurde er den letzteren
bekannt, als sich ihnen die Fischereigründe Galliens und Germaniens
eröffneten. Schon bei Plinius tritt der Fisch unter zwei verschiedenen
Namen, eso.v, iso.v und sahno auf. Ersteres, einen sehr grossen Fisch
des Rheines (Plin. Hist. nat. IX, 44) bezeichnend, ist ohne Zweifel
keltischer Herkunft, aus urkelt. *esdks, *esdks , Lachs' = ir. e"o, kymr.
ehaicc, eog, korn. ehoc, bret. eok (vgl. auch bask. isokin ,saumon' aus
dem Keltischen, das im Irischen noch ein dunkles bratdn ,Lachs' bietet).
Salmo wird von Plinius IX, (38 aus Aquitanien gemeldet: Jn Aquitnnia
salmo fluviatilis marinis omnibus praefertur (vgl. dazu Ausonius
Moseila v. 97 ff. und 129). Das Wort ist in das Französische und in
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Lachs — Lailanum.
495
die rheinischen Dialekte des Deutschen (ahd. salmo) übergegangen
und zeigt Beziehungen zu Namen der Forelle (s. dJ, die auch sonst
(ir. ort- ,saImon', erv ,tront' K. Z. XXXV, hervortreten. Eine
Laehsart wird auch das von Cassiodor. Var. XII, 4 genannte ancho-
rago bezeichnen: a Rhena reniat Anchorago. Vgl. daneben ancora im
Chronieon Abbatiae 8. Trudonis Hb. lo: Intet' duo, leguminum tidelicet
et ohrum fercula, pixcem qttotidie dahat; scilicet auf magno* lucias,
mit Anchoram sire sal inonem . rel halec recent'm (weiteres bei
Du Gange u. Anchora). Da nun ancora, woher altfrz. ancruel ,le
beccard', , Salmo feniina' aus *ancora -\- Alu«, den weiblichen Lachs
bezeichnet, wird anchorago der männliche sein, wobei man anzunehmen
hat, dass der zweite Bestandteil des Wortes dem altdeutschen hagen
,Männchen' (auch des Lachses, vgl. Grimms W. IV, 2 Sp. IM) ent-
spricht. Es liegt also eine rom.-germ. Mischform wie auch in lat.
carrttgo .Wagenburg' aus carrtts + hag vor.
Durch eine gemeinsame Bezeichnung des Fisches werden die ger-
mano-litusla vi sehen Sprachen verbunden: gemeingenn. ahd. lahs, lit.
la*zi*Z(t, altpr. lamuxo, russ. losoal (neben lachü). Die Wörter sehen aus,
als ob sie unter mannigfachen Verstümmelungen auf einen abstufenden
Stamm *lok-o#-t *lok-es-, *lok-s- zurückgingen. Jedenfalls muss sich
die Gruppe sehr früh auf dem bezeichneten Sprachgebiet, d. h. vor
Übergang des palatalcn Verschlusslants in den Sibilanten des Litu-
Slavischcn festgesetzt haben (vgl. den analogen Fall bei den germano-
slavischcn Wörtern für Gold s. d.). Hemerkenswert ist, dass auch bei
anderen Fisclmamcu (s. u. Wels, Sc Ii leihe, Stör) engere Berührungen
zwischen dem Germanischen und den osteuropäischen Sprachen hervor-
treten. Vgl. noch russ. xigti, altn. sikr , Salmo lavaretus' (ein kleiner
der Familie der Lachse angehöriger Fisch). — 8. u. Fisch, Fisch-
fan g.
Lack. Er ist das harzige, einen gewissen Prozentsatz roten Farb-
stoffs enthaltende Produkt gewisser Insekten auf mehreren ostindischen
Bäumen und heisst im Sanskrit läkshd. Die einzige Spur dieses
Giunmilacks im klassischen Altertum begegnet bei dem Verfasser des
Periplus maris erythraei (§ 6). Aus den inneren Gegenden Ariakes
(Vorderindiens) wird dieser Nachricht zufolge Xgikko^ xpwuänvo«;, also
eine Lackfarbe oder mit ihr gefärbter Stoff, ausgeführt. Weiter und
direkt von der Levante her hat sich dasselbe Wort in Europa erst ver-
breitet, als das Siegellack (in der Mitte des XVI. Jahrh.) aufkam.
— Vgl. Beckmann Beyträge I, 474 ff. ( Siegellack) und Yule-Bnrnell
Hobson-Jobson S.
Ladaiiuiii. Man versteht hierunter das als Aroma gebrauchte
Harz verschiedener im Mittelmeergcbiet, auch in Griechenland, ein-
heimischer Cistus-Arten. namentlich des C. Vreticn.* L. etc. (vgl. Held-
reich Die Nutzpflanzen S. 41»). Die Griechen lernten den Gebrauch
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4%
Lüdnumn — I.rtuM'iuUTiuiir.
desselben durch die Semiten kennen, wie schon der griechische Name
Xrjfcavov 'To Apäßioi KuXt'ouai Xäbavov, Hemd. III, 112) aus arab. Iddan,
assyr. ladunu i Muss-Arnolt Transactions XXIII, 117) zeigt. Der Strauch,
an dem das Harz sich bildet, heisst bei Dioskorides Xnbov. Ob auch
hebr. lö(, ein Aroma, das Gen. 2i> die lsniaelitcr von Gilead nach
Ägypten bringen, hierhergehört, mag dahin gestellt bleiben.
Das griechische Wort bat sich im Slavischen: russ. ladanü etc. fort-
gesetzt. Es schchjt, dass man in der orthodoxen Kirche häutig La-
danum statt Weihrauchs verbrannte. Lat. hdumim (Plin.i, mlat. lau-
dann m. lahdamun. — S. u. Aromata.
Lahm, s. Krankheit.
Laib, s. Brot.
Laie, s. Priester.
Lakritze (Glylyrrhiza ylabra L.). Das Süssholz, wildwachsend
durch Südeuropa bis Mittelasien verbreitet, wird unter dem Namen
•fXuKÜppiZia zuerst von Dioskorides De mat. med. III, 5 genannt. Es
wächst nach ihm vorzugsweise am Pontns und in Kappadokien und
wird als Heilmittel namentlich gegen Halskrankhciten gepriesen. Die-
selbe Pflanze hatte schon vorher Theophrast unter dem Namen Iku-
0ik»i ptfet, die auch yXük€icx genannt werde, vom See Maeotis her
gemeldet < Hist. plant. IX, VY>. Die Römer nannten das Süssholz ent-
sprechend radi.c du l eis. Nach Mitteleuropa ist das Süssholz nicht so
früh wie andere Heilpflanzen überführt worden. Es wird weder in
dem Capitulare Karls des Grossen, noch bei Walafried Strabus genannt.
Doch spielt die liquiritia (aus xAuKÜp(<)t£a) in der unter griechischem
Einfluss stellenden mittelalterlichen Arzneikunde keine unbedeutende
Rolle. Ans mlat. liquiritia stammt mhd. lakeritze. In den roma-
nischen Sprachen gelten Verstümmelungen ans demselben Worte, in
den slavischen auch Ausdrücke wie :,Siisseicheu im Russischem oder
„Süsswurz" (im Polnischen). — Näheres vgl. bei Flückiger Pharma-
kognosie2 S. ;>53. Andere Heilpflanzen s. u Arzt.
Lamm, s. Schaf.
Lampe, s. Licht.
Landbau, s. Ackerbau.
Liindernainen, s. Staat.
Landesgrenzen, s. Grenze.
Läugeiimasse, s. Mass, Messen.
Latigschädel i Dolichokeph alenj, s. Körperbeschaf fenheit
der Indogermancn.
Lanze, s. Spiess.
Lärche, s. Fichte.
Laterne, s. Lieht.
Lattich, s. Garten, Gartenbau.
Latibfutternng, s. Futterkräuter.
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Lauch - Leder. 497
t
Lauch, s. Zwiebel.
Lans, s. U n ge z i e f'e r.
Lallte, s. Musikalische Instrumente.
Lavieren. Nach den Überzeugenden Ausführungen Breusings
(Nautik der Alten) und R. Werners (Das .Seewesen der germanischen
Vorzeit in Westermanns Monatsheften Oct. 188:?) hatten die Mittclmecr-
völker die im Norden fr IIb geübte Kunst, gegen den Wind zu kreuzen
und dabei vorwärts zu kommen, noch nicht bei sieh ausgebildet, wie
denn auch ein griechischer oder lateinischer Name für diesen Begriff
fehlt. Es wird daher nicht Zufall sein, wenn die neueren romanischen
Bezeichnungen des Lavierens sämtlich Ableitungen ursprünglich ger-
manischer Wörter sind. So frz. loucayer (woraus dann wieder ndl.
laceeren) von randl. löf, lue, loff ,Luf d. i. Windseite, so it. bor-
deggiare, frz. bordayer von ahd. bort, agls. bord ,Schiflsrand'. — S.
u. Schiff, Schiffahrt.
Leben nach dem Tode, s. Ahnenkultus, Toten reiche.
Lebensmittel, s. Nahrung.
Leder. Eine deutliche Terminologie des Leders, d. h. der ge-
gerbten und bearbeiteten Tierhaut gegenüber der ungegerbten hat
sich in den idg. Sprachen nur teilweis entwickelt. Im Griechischen
bezeichnen bopü, be'pua (: beipuj ,schindc', lit. diriü id., sert. drti- ,Balg),
bi<pÖ€pa, ßüpo"« is. n. Pelz k leitler), o"KÜToq (vgl. lit. xkürä) beides.
Mehr, wenn auch nicht ausschliesslich, bedeutet im Lateinischen corium
(vgl. seit, edrman-) das Leder; vgl. ferner scortum ,Fell' und ,Leder'
und (data (s. u. Alaun) ,mit Alaun behandeltes Lcder'. Litauisch
und slavisch gl: Ära und koza s. u. Pelzkleider) sind wiederum beides.
Urgermanisch ist ahd. ledar, altn. lepr , Leder', das mit ir. lethar ur-
verwandt sein könnte; doch sehen andere in dem keltischen Wort
vielmehr eine Entlehnung aus dem Skandinavischen. Altpr. ist nognan
,Leder' überliefert, das zu lit. ndgas ,nackt' etc. gestellt wird (,uackte
Haut' i.
Für die Technik des G e r b e n s fehlt es an einer unzweideutigen
Übereinstimmung der Bezeichnung in den idg. Sprachen. Mehrfach
hat sich ,Gerben' aus ,Treten' entwickelt, so dass letzteres bei dem
Waschen und Einweichen der Häute eine Rolle gespielt zu haben
scheint. Vgl. lit. iszm'tnti »austreten', altpr. mynix ,Gerbcr' und sert.
carma nind'- , Gerber' (Rigv.), ferner griech. beyuj i lat. depso, entlehnt?)
: bcqpa) , kneten', ,walken', eigentl. ,tretcn', mhd. Zipfen , trippeln'.
Ausserdem gelten für Gerben sert. mlrt fgriech. uapodvuu ,aufreibcu',
ahd. mtirici ,mürbe'), lit. isz-dirpti eigentl. ^ausarbeiten', ahd. U:dar-
garawo ,Gerber', garheen ,gar machen', serb. strojiti, eigeutl. /zurecht-
machen', wie auch lat. conficere (aluta tentäter confecta) so gebraucht
wird, alb. reg', eigentl. ,ordnen' u. s. w. Denkbar wäre, dass man in
der Urzeit noch ganz ungegerbte Felle, die Haarseite nach aussen,
Schräder, Reallexikon. 32
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Li'iliT — Leim.
getragen habe, wie dies bei Pausanias X, 38, 3 von <len ozolischen
Lokrern berichtet wird. Wahrscheinlicher ist indessen, dass man schon
damals den Häuten eine gewisse Behandlung wird haben zu teil werden
lassen, da gänzlich unbearbeitete Felle leicht faulen oder zusammen-
schrumpfen. Nur wird sich eben eine besondere, einen speziellen
Namen erfordernde Technik noch nicht ausgebildet haben. Messer, die
man als .Schabemesser zum Abschaben der Häute auflaset, begegnen
schon in der Steinzeit (s. u. Messer). — Die erste literarische Er-
wähnung der Gerberei findet sich bei Homer II. XVII, 381* ff. :
üj? b' öt' dvnp TCtupoio ßoö$ uerdXoto ßoeiqv
XaoicTiv biin, Tavueiv, u€8uouo*av dXoi<prj'
beEduevoi b' dpa Toife biaoidvieq Tavuoucn
kukXöo*', dqpap be T€ iKuuq £ßn, buvei bt t dXoi<pn,
7toXX0üv £Xkövtuuv. TdvuTCti bt T6 rtäaa bianpö.
Man hat hier ein Heispiel der Sämiseh- oder Ölgerberei vor sich, die
Fett auwendet. Hingegen erweisen sich die in der Bronzezeit Kuropas
nachgewiesenen Lederreste, soweit sie bis jetzt chemisch uutersuelit
worden sind (vgl. Olshausen Z. f. Ethnologie, Verhandl. 1884 S. 518 f.
und 188ß S. 240 f.), als der Alaun- oder Weissgerberci angehörig,
welche Alaun und Kochsalz braucht. — Ein berufsmässiger o"kuto-
töuos kommt schon bei Homer vor (Tyehios aus Hvle in Boeotien,
vgl. 11. VII, 220 f.), und als Gewerbe werden die Gerber ((JKUTObe\|i€is,
coriarii) bereits unter den Zünften des Numa genannt (s. u. Gewerbe).
In Deutschland aber scheint die Gerberei noch bis auf Karl den Grossen
von gewöhnlichen Arbeitern oder Bauern (vgl. Blümner Term. und
Tcchn. I, 257 ff.) betrieben worden zu sein. Anch auf diesem Gebiete
wird die römische Kultur anregend für den Norden gewesen sein. Eine
weit verbreitete Entlehuungsreihe aus lat. hircus ,Boek' (, Bocksleder')
ist ahd. traft, mhd. ireft, ereft ,Bock, Bocksleder, weissgegerbtes Leder',
russ. ircha, irga ,Weissledcr' und so in allen Slavinen. Hiermit wird
auch die Entlehnung des lat. ahhnen ,Alaun' (s. d.) in die Nord-
sprachen zusammenhängen. Vgl. noch mint, tannare, frz. tanner, agls.
tann'tan (: ahd. tanna, frz. tan ,Lohe '?).
Lehrer, s. Erziehung.
Leibeigene, s. Stände.
Leibesbeschaffeiiheit der Indogerinanen, s. Körper be-
8chaffenheit d. I.
Leibesfruchtabtreibuiig, s. Abtreibung der Leibesfrucht.
Leichenbegängnis, Leichenbrand, s. Bestattung.
Leichenschmaus, s. Ahuenkultus.
Leihen, s. Schulden.
Leim. Verwandtschaft scheint zwischen gricch. köXXü aus *KoXj<x
und altsl. hUj (aus dem Slavischen lit. klejai) vorzuliegen. Eine solche
besteht auch, was die Wurzelsilbe anbetrifft, zwischeu lat. glitten ,Leim',
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Leim — Licht.
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glütuts ,zäh', griech. yAoiö<; ,kle!»ri^c Flllssifrkeit', tXia, rXivii ,Leim',
altsl. glenü ,Schleim', glina ,Thon" etc. In dem gemeingerin. alid. lim,
altn. lim, die mit alul. leimo ,Lehm' und lat. limns ,Sclilamm' ver-
wandt sind, gehen die Bedeutungen .Leim' und ,Kalk' ineinander über.
Lein, Leinwand, s. Flachs.
Leiter. Wurzel Verwandtschaft besteht zwischeu griech. KXiuaE
uud agls. hhedder, ahd. leitara, in so fern beide zu griech. kXivuj,
sert. cji, qrdyati ,neige, lehne an', ahd. Minen , lehnen' gehören und
also so viel wie ,die schräge', ,lehnende' ausdrücken. Sonst ist Leiter
so viel wie „Stiege" (: ,,steigenu). Vgl. lat. scdla aus *scandla : scando,
griech. ßäöpov : ßaivw, lit. kdpeczios PI. : lit. kopiu ,steige\ altsl.
lestcica : leza, lesti ,kriechen'.
Lendengfirtel, s. Kleidung.
Lenz, ». Frtlhling.
Leopard, s. Panther.
Lerche, s. Singvögel.
Lesen, s. Schreiben uud Lesen.
Leuchter, s. Licht.
Leuchtturm. Schon in homerischer Zeit werdeu Strandfeuer
als Leitmarkcn für Schiffer genannt. Vgl. Od. X, l^»f.:
^VVTlUap U6V ÖUÜJ£ 7tX€0U£V VUKTO^ T€ KOI fjfiiap,
rrj btKctTr) b' f\br\ dve(paiV€TO Tratpi? fipoupa,
Kai bn, TTupTToXe'ovTa? iXtvOdoptv irtv<i 46vt€£.
Erst aus späterer Zeit werden eigentliche Leuchttürme genannt, deren
berühmtester der auf der Insel Pharus bei Alexandrien errichtete war,
auch selbst Pharus genannt (vgl. H. Stephanus Thesaurus VIII, 659).
Hiervon sollen die romanischen Ausdrücke ptg. faröl »Leuchtturm', it.
falo jErcudenfeucr', f anale .Schiffslaterne', frz. f'alot , Laterne' etc.
herstammen (doch vgl. Körting Lat.-rom. W.). — Weiteres vgl. bei
Breusing Nautik der Alten S. <>. S. n. Schiff, Schiffahrt.
Leviratsehe, s. Zeugungshelfer.
Levkoje, s. Veilchen.
Licht. Erst verhältnismässig spät baten sich in Europa ver-
feinerte Formen der Beleuchtung mittelst Kerze, Lampe uud Laterne
Bahn gebrochen. Noch bei Homer sind es fast au8schliesslich das
Herdfeuer und an den Wänden befestigte Kieufackcln (bat£, bä{,
bäo£). welche das Dunkel erhellen und dabei den Saal und die in ihm
aufgehängten Waffen mit Russ überziehen (vgl. Od. XVI, 284 ff.).
Ausserdem werden Xaunrfjpcq ,Leuchtpfauncn' genannt, in denen dürres
Holz und Kien aufgehäuft wird, und nur an einer einzigen, von Kirch-
hoff u. a. für interpoliert erklärten Stelle (Od. XIX, 34) wird ein
goldener \uxvoq genannt, ein Wort, das später , Lampe' bedeutet. Dem
homerischen Zustand entspricht der altnordische noch zur Vikingerzeit :
„An den langen Winterabenden wurde die Stube oder der Saal haupt-
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500
Licht.
sächlich durch das Herdfeuer erleuchtet oder durch die an der Wand
festgesteckten Fackeln, die aus gespaltenen, trocknen, harzreichen
Kicferstämmchcn bestandeu" (Moutelius Kultur Schwedens* S. 145,
vgl. auch Wcinliold Altn. Leben 8. 235). Nicht anders wird es in der
idg. Urzeit gewesen sein. Über das Herdfeucr s. u. Herd. Für den
Begriff der Fackel werden die u. Fichte zusammengestellten Bezeich-
nungen harzreicher Holzarten mit gebraucht worden sein, wie z. B. im
Griechischen tt€ukii , Fichte' ein ganz gewöhnliches Synonym für od?
, Fackel' ist. Das letztere Wort bedeutet, ebenso wie boto? und got.
Iuris jXauTräq'* (: ahd. hei .brennend ), eigentlich , Brand' (sert. du .brennen',
dava- ,Brand'), während lat. taeda ,Kienfackel' noch unerklärt ist.
Will man die weitere Geschichte der Beleuchtung im Altertum
(vgl. namentlich J. M. Miller Die Beleuchtung im Altertum, Programm
Würzbnrg 1885 und 1886) kurz zusammenfassen, so kann man sagen, dass
die Lampe für Europa in letzter Instanz von Griechenland, die Kerze
von Italien ausgegangen sei. Dass die Lampe (XüxvoO aber auch in
Griechenland keine uralte Erfindung war, wird von Athenaeus XV,
p. 700 ausdrücklich hervorgehoben: ou rraXaidv b' €Üpn.ua Xüxvos"
(pXoTi b' o\ naXaioi Tfj? xe baböq Kai tuiv <5XXwv EüXujv ^xpwvro. Die
Überlieferung bei Clem. Alex. Strom. I, lß p. 306 (Miller 1885 S. 22)
führt ihren ersten Gebrauch auf Ägypten zurück. Immerhin muss sie
in Griechenland schon zu Herodots Zeit (vgl. dessen Zeitbestimmung
TT€pi Xuxvujv äqmq) eine bekannte Sache gewesen sein. Rom lernte
die Lampe (lucerna) von Griechenland her kennen, nachdem man schon
früher zu der Herstellung der Kerzen (candelae cereae; sebaceae;
funicnli), die den Griechen in der guten Zeit unbekannt geblieben
sind, fortgeschritten war. Vgl. Varro De lingua Lat. V, 110: Cande-
labrum a candelu ; e.r Iris enim funiculi ardentes figebantur; lucema
post incenta, quae dicta ti luce, (tut quod id cocant Graeci Xüxvov.
Endlich waren auch Laternen (griech. (petvöq, Xuxvoöxoq, lat. läuternd)
schon dem klassischen Altertum bekannt. Sic bestanden aus Horn,
Blase oder Glimmer. Glasfenster in der Laterne werden aber erst von
Isidor XX, 10: Laterna inde vocata, quod lucein interius habeat
clausam Uanterna vielmehr mit Anlehnung an lucema entlehnt aus
griech. XauTTTrip, auch , Laterne ). Fit enim ex vitro .... erwähnt.
Mit der Ausbreitung römischer K ultur nach dein Norden gingen
auch die Öllampe und die wächserne oder talgene Kerze dahin über,
was ausser durch zahlreiche Funde römischer Lämpehen durch nicht
wenige sprachliche Entlelmungsreihen auf diesem Gebiete erwiesen wird.
Aus lat. Iucerna, vulgärlat. lucarna , Lampe' stammen: ir. locharn,
luacharn, kymr. llugorn, körn, lugarn (wohl mit Anlehnung an ir.
Irnich, kymr. llüg ,lux, lumen' aus dem lat. Wort entlehnt, nicht ihm
urverwandt), got. lidarn ,Xüxvo<;' (vgl. auch gutn. lukarr .kleines
Feuer' i, alb. l'uk'ere , Leuchter'; aus lat. candela : ir. coinnill, kymr.
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Licht - Liebstöckel.
r.oi
cannwyl. körn, cantuil (vgl. Stokes Irish. Gl. S. 42), ahd. kentiKxtab),
agls. cottdel; aus lat. charta (von griech. x«pTn.S ,BIatt ans Papyrus )
: ahd. karz, kerza , Docht, Kerze'; aus lat. papyrux (die Lichtdoehte
wurden vielfach aus den Papyrusfasern oder aus dem Mark einer
einheimischen Iiinseuart hergestellt; vgl. Miller a. a. 0. 1886 S. 18 f.)
: agis. tapor, engl, taper , Kerze' (vgl. F. Kluge Et. W.ft s. v. Kerze).
♦Spätere Entlehuuugcn sind: ahd. ampla, ampidla ,Lampe' aus lat.
ampulla ,Fläschchen', mhd. lampe, altsl. lamitbada, alb. lambade aus
lat. lanipada, lampax, griech. XauTrdtq, allgemein , Leuchte', mhd.
Interne, hniterne, engl, lantern, lanthorn (Anlehnung an horn s. o.)
aus lat. lanterna. Wesentlich früher hinwiederum ist das lat. facttla,
vulgärlat. facla aus fax, das im Gegensatz zu taeda .Kieuspnn mehr
eine künstlich hergestellte Fackel bezeichnete (vgl. Miller a. a. 0. 1886
S. 14 , nach dem Norden übergegangen, wie ahd. facchala, agls. fcecele
<vgl. auch slavische Wörter u. baklja und faklja bei Miklosich Et. W.)
zeigen. Weiteres in sachlicher und sprachlicher Hinsicht vgl. hei
M. Heyne Deutsches Wohnungsuesen S. 58 ff., S. 124 ff.
Trotz dieser starken Kulturströntung hat sich aber die urzeitliche
Beleuehtungsart mittelst Herdfeuers und Kienspans in verstecktet! oder
'zurückgebliebenen Teilen Europas bis in die Gegenwart erhalten. Cha-
rakteristisch ist die grosse Armut der litauischen Terminologie auf
diesem Gebiete. Es giebt hier ein einziges. einheimisches Wort z'iburys
• z'ibn jglänze', ,die Leuchte', ,die Fackel' (woraus ostpreuss. „Schibber"
für den als Licht gebrauchten Kienspan). Derselbe Ausdruck wurde
früher auch für Kerze gebraucht, die man jetzt liktis ,Licht' (deutsch)
nennt, wie auch die Laterne {Hkterna, deutsch) gelegentlich z'iburyx
heisst. Dazu noch deutsch liampa. — Einer ganz jungen Zeit ge-
hören die auch dem klassischen Altertum immer fremd gebliebenen
Einrichtungen der Strassenbeleuchtung an, über die J. Beckmann
Beyträge zur Geschichte der Erfindungen 1, 62 ff. zu vergleichen ist.
Liebstöckel (Ligusticum Levisticum L ). Vgl. Plinius Hist. nat.
XIX, 165: Ligusticum silvestre ext in Liguriae suae montibvs.
seritur ubique .... panacem (irdvaf, Panacee) aliqu' vocant. Neben
diesem, hier genannten ligusticum bestand noch ein (aus diesem durch
Anlehnung an levix volksetymologisch verdrehtes?) levisticum = it.
levixtico, frz. Iwtche. Die Namen der Pflanze ligusticum— Levisticum
wurden daun zusammen mit dem Anbau derselben, der auch im Capitu-
lare de villi» LXX, 33 (leuisticum) vorgeschrieben wird, aus dem Süden
Europas, wo Ligusticum Levisticum einheimisch ist, nach dem Norden
übertragen, treten hier aber, wozu die Auffassung der Pflanze als
Panacee, namentlich, wie es scheint, als Liebeszauber, Veranlassung
gab, lediglich in volksetymologischen Verstümmlungen auf: agls. lufestice
: /m/m , Liebe', ahd. lubiste'chal : ahd. luppi ,stark wirkender Pflanzen-
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Liebstöckel —
Lilie.
saft', russ. ljubistol-ä : ljubu ,lieb' u. s. w. (vgl. Krek Flinleit. in d. slav.
Litg.8 S. 535). - Andere Heilpflanzen 8. u. Arzt.
Lied, s. Dichtkunst.
Lilie. Diese Blume wird schon von Homer, freilich nur in der
Ableitung Xeipiötiq , lilienartig, lilienfarbig' genannt. Die Verbindung mit
Xpiii? ,Haiit' (II. XIII, 830), in welcher dieses Adjektivum auftritt,
zeigt, das« mit Xcipiov Lilium candidum L., die weisse Gartenlilie
gemeint sein muss. — Später (bei Hcrodot, Aristophanes u. s. w.) tritt
dann noch eine zweite Lilienart, Kpivov, auf, das nach Thcophrasts
Beschreibung (vgl. v. Fischer-Benzon Altd. Gartcnfl. S. 33) die Feuer-
lilie {Lilium bulbiferum L.) bezeichnet. Ist diese einheimisch in
Griechenland ?
Was die weisse Lilie betrifft, so ist ihre Heimat noch nicht sicher
ermittelt. In den Gebirgen Griechenlands und Klcinasiens ist sie zwar
verbreitet, doch meist in der Nähe menschlicher Wohnungen, also auf
Einschlcppung hinweisend. Nach Boissier käme sie wildwachsend im
Libanon vor (vgl. A. Engler hei V. Hehn s. u.). Auch der Ursprung
des griech. Xeipiov steht noch nicht fest. Auf keinen Fall kann nach
den Ausführungen Lagardes (Mitteil. II, 21 ff.) fernerhin an Entlehnung
aus npers. lala, läleh gedacht werden, das, auf persischem Boden
kaum alt, jede wildwachsende Blume bezeichnet. Annehmbarer ist die
Lagardesche Ableitung des griech. Xeipiov aus kopt. prjpe, £n.P> ,öv9oq,
Kpivov'.
Sicher ist, dass der vorderasiatische Name einer Lilienart (syr.
sösanetä, hehr, söxanndh, arab. sausun, süsan, woher sp. azucena
,weisse Lilie', npers. siisan, vgl. Etym. magn.: loOtfci r\ ttöXk; dnö
tu»v TT€piTT€(puKÖTUJV Kpivujv • croutfa t«P Tci Xeipict KaXtuai) au» dem
Ägyptischen (gescheit, kopt. iösfin) entlehnt ist. Das ägyptische Wort
bezeichnet freilich Lotus Xymphaea L., den Lotus (von den Griechen
Xurrd«; genannt, vgl. Hcrod. II, 92), so dass also auf semitischem
Boden eine Bedeutungstlbertragnng auf die Lilie stattgefunden haben
muss. Ans dem Umstand aber, dass ägypt. »eschen speziell den
weissen Lotus bezeichnet im Gegensatz zu der blauen Xymphaea
caerulea Sav. = ägypt. sertep und zu Xymphaea Xelumbo L. — ägypt.
ne/eb (die auf älteren ägypt. Denkmälern nicht nachgewiesen, den
fiXXa Kpivea £öboim dpcpepe'a des Herodot II, 92 entsprechen; vgl. Woenig
Die Pflauzen im alten Ägypten S. 1(5 ff. und Wiedcmann Herodots
II. Buch S. 374), darf man schliessen, dass auch die vorderasiatischen
Wörter zunächst für die weisse Lilie gegolten haben.
In Italien ist, wie die stehende Beifügung von album und can-
didum zu dem aus dem Griechischen entlehnten lilium zeigt, nur L.
candidum gebaut worden. Nur diese Art ist daher auch in die deutschen
Gärten, wo lilium z. B. im Capit. de villis LXX, 1 erscheint, über-
gegangen. Erst im XVI. Jahrhundert wird dort die Feuerlilie genannt.
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Lilie — Linse.
503
Wie die Blume, ist ihre Bezeichnung von Italien ans in den Norden
Europas gewandert: ahd. Iii ja, agls. Wie, russ. UUja etc. {neben alt*].
«oxonü s. o.). Auch all», l'ul'e, das aber allgemein .Blume* bedeutet,
wird als Entlehnung au« lat. lilhim nngesehn. Umgekehrt verwendet
Ulfila» Matth. 6, 28 zur Übersetzung von tci Kpiva «no toü äfpoö das
allgemeine blö/nans , Blumen'. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen0 S. 243.
S. u. Blumeu, Blumenzucht.
Llinone, s. Zitrone.
Linde {TU in europea L. . Für diesen europäischen Waldbaum
liegt eine weitverbreitete Bezeichnung in einer Sprachreihe vor, deren
einzelne Glieder teils den Baum selbst, teils aus Lindenholz gefertigte
Gegenstände bezeichnen. Es sind : ahd. linta auch mit der Bedeutung
jSehild', vgl. altn. linde ,Gürtel' aus Lindenbast), urslav. *lontu
(russ. lutle , Lindenwald*, wruss. litt ,Bast einer jungen Linde' etc.),
lit. lentä , Brett', lat. Unter ,Kahn' (beide eigentl. ,aus Lindenholz').
Vielleicht ist auch gricch. i\dxr\ , Fichte' (*hit-) hierherzustellen. Aualoga
zu dem alsdann anzunehmenden Bedeutungswandel s. u. E i c h e und
Birke. Weitcrc Gleichungen sind ir. teile = lat. tilia und altsl. lipo,
lit. lepa, altpr. Upe = kymr. Uicyf (aus *leipin<}-, *leinui-, woraus
engl. lime-tree), womit auch gricch. d-Xicp-aXo«;- bpü<; Hcs. verbunden
werden könnte. Das zweimalige Ausweichen des Griechischen in der
Bedeutung kann darin seinen Grund haben, dass TU in europea in
Griechenland nicht vorkommt. Nur im Norden, namentlich auf den
makedonischen Bergen erscheint die von Thcophrast iiiist. plant. III, 10)
anter qnXüpa beschriebene .Silberlinde (vgl. Lenz Botanik S. ('39, Fraas
Synopsis 8. 99).
Die Bedeutung des Lindenbastes im ältesten Europa zur Herstellung
von Stricken (s. d.) und Flechtwerk aller Art wird eine grosse gewesen
gein, und Geflechte daraus sind schon im Pfahlbau von Robenhausen
(vgl. Heer Pflanzen der Pfahlb. S. 37) gefunden worden. Die sla-
vische Welt hat auch hierin die Spuren der Urzeit bis auf den heutigen
Tag bewahrt. Von der ungeheuren Verwendung des Lindenbastes noch
im heutigen Russland giebt Koppen Holzgewächse I, 35 ff. eine lebendige
Vorstellung. So tragen 20 Millionen Einwohner Russlands Schuhe
aus Lindenbast iruss. lapoti, lit. tcyta, beide dunkel), ein Bedürfnis,
das jährlich das Fällen von 487 '/2 Millionen Lindenbäumcheu nötig
macht. Das allmähliche Aussterben der Linde in Russland wird von
diesem uugeheuren Konsum befürchtet. — S. u. Wald, Wald bäume.
Links, s. Rechts und Links.
Linse (Errum Lena L.} Lern Esculenta Mch.). Sie ist in
den Grabfunden Ägyptens (vgl. Woenig Die Pflanzen im alten Ägypten
S. 214, 215', in Heraklea auf Kreta (vgl. Wittmack Berichte d. D.
bot. Ges. 1885), in der zweiten Stadt des Hügels von Hissarlik, aber
auch in neolithischen Stationen des mittleren Europa, in Deutschland,
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501
Linse — Lohn.
Italien, der Schweiz und Ungarn (vgl. G. Buschan Vorhist. Botanik
S. 2üG) nachgewiesen worden. Ihr Anbau war dem klassischen Alter-
tum geläufig. Was ihre Benennungen anbetrifft, so deckt sich griech.
(patcös (Hcrod.) mit alb. bade, das aber ,Saubohnc' bedeutet. Lat. lern,
lentis (ob : griech*. XctOupo? ,eine Hülsenfrucht"? vgl. auch den Eigen-
namen Lentulus'i) hängt mit altsl. lesta aus *lentja (neben sodico) und
ahd. Ihm, linsin zusammen. Eine sichere Entscheidung, ob hier Ur-
verwandtschaft oder Entlehnung aus dem Lateinischen vorliegt, lässt
sich nicht treffen. Kluge (Pauls Grundriss I*, 339) entscheidet sich
hinsichtlich des deutschen Wortes neuerdings für letzteres. Bemerkens-
wert ist, dass der Anbau der Linse im Norden schon von der Lex Salica
vorausgesetzt wird (s. die Belege u. Erbse). Vgl. noch alb. djere,
fjerr , Linse* aus lat. *fabäriutn von faba , Bohne'. — Als Heimat der
Lens esculenta ist man geneigt, Kleinasien zu betrachten (vgl. A. Engler
bei V. Hehn Kulturpflanzen« S. 215). — S. u. Hülsenfrüchte.
Locke, s. Haartracht.
Löffel. Dieses Essgerät ist schon in der europäischen Steinzeit
bekannt. Die Löffel dieser Epoche sind teils aus Eberzahn (vgl. Z. f.
Ethnologie, Verh. XX, 450), teils, wie in den Pfahlbauten des Mondsees,
aus Eibenholz oder auch aus Thon hergestellt. Auch innerhalb der
skandinavischen jüngeren Steinzeit sind Holzlöffel und Löffel aus Thon
zu Tage getreten (vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde I, 152).
Eine vorhistorische Gleichung für diesen Begriff ist lat. ligula = kelt.
Heigü (ir. Hag, kymr. Ihcy etc.), wohl zu griech. XeixuJ und seiner
Sippe ,leeken' gehörig, wie auch das ahd. le/pl wohl richtig von ahd.
hiff'an , lecken' (, Instrument um Flüssigkeiten einznschlürfen') abgeleitet
wird. Neben *ligä, *leigd lag ein *lugd, wovon altsl. u. 8. w. lüzica
, Löffel' (ans dem Slav. alb. l'uge). Einzelsprachlich: griech. (spät)
nucrrpov, lat. cochlear (eigentlich ,der zum Essen von Cochleae bestimmte
Löffel', in die romanischen Sprachen und auch in agls. eucelere über-
gegangen; von ligula nur rum. ligura), altn. spönn, agls. spön »Holz-
löffel', eigentl. ,Span", lit. xzäuksztas, altpr. lapinis (mit griech. Xottä?
,Schale', Schüssel" vergleichbar). — Andere Speisegeräte s. u. Mahl-
zeiten und Trinkgelage.
Lohn. Ein für die Beurteilung der idg. Besitzverhältnisse wich-
tiges Wort ist der durch die meisten idg. Sprachen übereinstimmend
sich ziehende Ausdruck für den Begriff des Lohnes: aw. nitida- (sert.
midhd- in weiterer Bedeutung , Preis, Lohn, Wettkampf') = griech.
Hicreös, got. mizdo, altsl. mizda. Da schon in der Urzeit, wie sert.
tdkshan- = griech. t^ktuuv zeigt (s. u. Gewerbe), innerhalb der ein-
zelnen Hausgemeinschaften in bestimmten Künsten besonders erfahrene
Männer vorhanden gewesen sein müssen, so kann man sich denken,
dass solche von anderen Familien gegen Lohn in Anspruch genommen
wurden. Vielleicht blieb derselbe, wie dies bei den slavischen Haus-
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Lohn — Lorbeer.
505
gemeinsclmften in entsprechenden Fällen üblich ist, im Besitz des Ein-
zelnen und bildete so eine der Quellen, aus der das Privateigentum
entsprungen ist. — S. n. Eigentum und u. Recht.
Lorbeer. Durch palaeontologische Funde in Italien und Sttd-
frankreich ist das Iudigcnat von Lauria nobilia L. im südlichen und
südwestlichen Europa festgestellt. Wildwachsend kommt der Lorbeer
gegenwärtig im Küstengebiet Syriens und Kleinasiens sowie im Süden
des schwar/.en Meeres vor. Der Schwerpunkt seiner Verbreitung aber
ruht in Europa. Hier erscheint er spontan in Thrakien und Mazedonien,
in vielen Teilen Griechenlands und auf den griechischen Inseln, in
Istrien und Dalmatien. in Italien bis zum Gardasee, auf Sardinien, in
Spanien und Portugal. Nach Engler (bei V. Hehn s. u.) mache es die
Geschichte der Lorbeergewächse sogar wahrscheinlich, dass der Lorbeer
— natürlich in vorhistorischen Zeiten — vom westlichen Europa erst
nach Osten vorgedrungen sei und dort in Vorderasien seine Grenze er-
reicht habe.
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass schon in
einem der ältesten Teile der Odyssee der Lorbeer wildwachsend ge-
dacht ist. Odysseus (IX, 182) findet die Höhle des Kyklopen von ihm
beschattet :
!v0ct b' in' IdxaTifj anloq €ibou€v äxxi 6aXdao"ris
uiynXöv, bdqpvijcn Katripetpe?.
Auch Hesiod (Werke und Tage v. 43ö) giebt bereits die Vorschrift,
die Deichsel des Pfluges aus Lorbeer- oder Ulmenholz zu machen. Das
Land der Latiner aber kennt schon Theophrast als reich mit Lorbeer
bestanden (vgl. die Stelle u. M y r t e). Das Griechische wie das La-
teinische hat daher auch offenbar einheimische, freilich noch dunkle
Kamen des Baumes. Gemeingr. bdqpvrj lautete im Thessalischen bauxva.
Daneben bietet Hcsych, der noch manche andere Namen des Lorbeers
nennt, ein pergäisches Xdqpvn. und ein thessalisches budpcia. Lat. laurua
hat man als nSühnebauniu (: luo, laco) erklären wollen, doch ist die
Bildung des Wortes für eine solche Deutung augenscheinlich zu alt.
Andere haben laurua an das obengenannte budpcict anknüpfen, noch
andre es aus *lar-vo- = *dar-vo- : griech. böpu etc. (mit im Lat. kaum
erhörter Epenthese des v) herleiten wollen.
Wenn nach dem bisherigen kein Anhalt zu der Annahme früherer
vorliegt, dass der Lorbeer erst in historischer Zeit in Begleitung des
Apollokultus von KIcinasien nach Griechenland und von Griechenland
«ach Italien gewandert sei, so wird doch niemand in Abrede stellen,
dass, nachdem der im Süden einheimische Baum das heilige Gewächs
des Apollo geworden war (vgl. bei Hesych duoXXuJVid«; und daicXn.-
iridq ,bd<pvn'), er durch Anpflanzung bei den Tempeln u. s. w. in beiden
Ländern eine grössere Verbreitung gewann.
Nach dem nördlichen Europa dehnte sich die Kultur des Baumes, der
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506
Lorbeer — Los.
noch im westlichen Frankreich und im südlichen England aushält, wegen
der zu kalten Winter im allgemeinen nicht aus. Doch ordnet Karl
der Grosse in dem Capitulnrc de villis LXX, 85 auch die Anpflanzung
von lauri auf seinen Gütern an, und schon vor dem VII. Jahrhundert
scheint ahd. lur-boum, lörberi aus lat. laurtts entlehnt worden zu sein.
Letzteres ist indessen wohl mehr dem Umstand, dass die Blätter und
Beeren des Lorbeerbaumes frühzeitig als Arznei und in der Küche als
Würze dienten, als der Bekanntschaft mit dem Baume selbst zuzuschreiben.
— Vgl. V Hehn Kulturpflanzen" S. 2 16 ff. S. n. Obstbau und
Bau m%ucht.
Los. Einer der in Europa ältesten und verbreitetsten Wege, in
das Dunkel der Zukunft oder in den Willen geahnter Sehicksalsmächte
einzudringen, ist der mittels des Baumorakels oder der Baumlose.
Die älteste Nachricht über sie giebt Hcrodot IV, CT hinsichtlich der
politischen (iranischen) Skythen: udvncq bl ZkuGciüv eio*\ ttoXXoI, oi
pavTeüoviai ßdßboiöi ixet vij er i TroXXrjO"i ihbe. ^Tudv <pctKfc'Xou<; pdßbwv
ue-fdXou£ dveiKiuvTai, 8e'vT€<; xaMcd bie£eiXio"o*ouo*i auioüq Kai im niav
iKÜCxr\v |5dßbov ti0€vt(? 0eo*mZouo*i. äua T€ Xetovre? Tauia auveiXeouai
rdq ßdßbou? öttiöu) kou auitq Kard uiav (jimiBeTai. autn. utv o*q>i f|
uavTiKn TTaTpioTn iajiv. Die Weissagung geschieht also durch die Con-
figuration der wie Karten auseinander und wieder zusammen gelegten
Stäbchen, die schon auf dieser primitiven Stufe durch bestimmte
Zeichen werden unterschieden gewesen sein. Jedenfalls ist letzteres
in der Tacitcisehen Sehildcruug des germanischen Loswnrfs (Germ.
Cap- 10) der Fall: Virgam frugiferae arbori (Eiche, Buche) deeixam
in surculox amputant eoxque notis quibuxdam dixeretox super
candidam vestem temere ac fortuito xpargunt. mox, xi publice con-
sultetur, sacerdos cititatix, xin privatim, ipxe pater familuut, precatus
deox caelumque suspicienx ter vingulox tollit, sublatox s e c u u d u m
impresxam ante not am interpretatur.
Mit derartigen Losen also wurde zu Caesars Zeit von den Ger-
manen des Ariovist über das Schicksal des Gaius Valerius Procillus
entschieden: Is se praesente de xe ter sortibus consultuni dicebat,
utrum igni xtatim necaretur an in aliud tempus rexercaretur: xortium
beneficio se exxe incolumem (De bell. gall. I, 53), oder von ihren
Frauen (I, 50) geweissagt, ob eine Schlacht geschlagen werden sollte,
oder nicht. Auch von Agathias II, 6 werden xpno*uoXÖYOt der Ale-
mannen genannt.
Der genieingermanische Ausdruck für das Los ist got. hldutx, altu.
hlutr, ahd. hluz, wahrscheinlich (mit Übergang des germanischen Vo-
kalismus in die «-Reihe) : gricch. KXdboq ,Zweig' gehörig. Vgl. auch
altn. teinn, agls. tan ,Zauberreis', ahd. zein ,Stäbchen'. Die anf
solchen Tälelchen eingeritzten Zeichen, an deren Stelle später
eigentliche Buchstaben traten, heissen urgermanisch altn. rün (vgL
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Los — Lotse.
507
anch den Ausdruck rünakefli , Runen auf runden Holzplättchen'),
agls. run, ahd. rüna, zu ir. run .Geheimnis', griecli. ^-peuvdw , komme
einem Geheimnis auf die Spur', ,spüre aus' gehörig. Das Mystische,
das dieses ganze nur Eingeweihten verständliche Losorakel umgab,
liegt hierin ausgedrückt. Wie die Gennauen, müssen auch die Kelten
diese Form der Weissagung geübt haben, worauf zahlreiche Ausdrücke
in ihren Sprachen, z. H. ir. chrann-chur ,sort', wörtlich ,action de
lancer le bois' (crann ,Baum', cor ,\Vurf) hinweisen. Vgl. weiteres
bei J. Loth Le sort chez les Gerinains et les Geltes Revue celt. XVI,
313 und bei Steinmeyer Ahd. Gl. IV, 273: Scotti dicertint quod in
hibernia ista consuetudo esset in sorciendo quod implerent urnam
et mitterent in illam ligna quadrata que tot fverunt quod
homines de quibus sors fiebat et eortim nominibus scripta circum-
dabantur.
Was im Norden zur Zeit der ältesten Überlieferung noch in leben-
digem Gebrauche steht, tritt uns in Rudimenten auch im Süden ent-
gegen. .Schon Lobeck Aglaopham. S. 814 hat hinsichtlich des grie-
chischen dvmpeiv, welches ganz im allgemeinen später von der Antwort
des Orakels gebraucht wird, die feinsinnige Bemerkung gemacht: Anti-
quissimum esse sortium dirinarum usuni et ratio dictitat et terbum
dvaipetv docet, sortes tollere (vgl. oben bei Tacitus surculos tollere)
signißcans, non ut lexicographi totem. Auch sonst aber bestehen
zahlreiche Spuren einstiger K\n,pOM«vT€ia (vgl. die Litteratur bei K.
F. Hermann Lehrbuch der gottesdienstlichen Altert, der Griechen2
S. 248). Auch griecli. xXfipo? selbst (: kXwv, RXiipa, KXdbo? ,Zweig',
vgl. auch ir. cldr /Tafel, Brett) kann ursprünglich nichts anderes als
abgebrochener (griecli. tcXduj) Zweig bedeutet haben. In Italien ist au
die Mitteilungen des Cicero (De divinat. II, 41) über die sortes Prae-
nestinae zu erinnern, die in robore iiisculptae priscarum literarum
notis waren. Lat. sors ,Los' gehört wohl zu serere ,reihen', was au
den oben geschilderten skythischen Brauch tglc, paßbou? im uiav ^Kdo-rnv
Ti6t'vai gemalmt.
Wie an das Orakel mit Baumlosen die Künste des S e h r e i b e n r
und Lesens (s. d.) anknüpfen, ist bei der Behandlung dieser Begriffe
gezeigt worden.
Bemerkensweit ist, dass in Indien keine Spur der hier geschilderten
Mantik vorhanden zu sciu scheint. — S. u. Orakel.
Lotse. Dieser nautische Begriff hat im klassischen Altertum
noch keine sprachliche Ausprägung erfahren, wahrscheinlich, weil die
wichtigsten Handelsemporien des Mittelmeers, Konstantinopel, Alexan-
dria, Messina, Palermo, Venedig, Genua, Neapel, Marseille, Barcelona,
Valencia, Malaga u. 8. w. an offener See lagen und daher ein Lotse
nicht nötig war (vgl. ßrensing Die Sprache des deutschen Seemanns
Jahrb. d. Vereins f. niederd. Sprachforschung V, 1—20, 180—186).
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50s
l,ot±v — Lüwe.
AVo man dennocb, naiucntlick bei der Schiffahrt ausserhalb des Mittcl-
meers, die Sache bezeichnen musste, bediente man sich umschreibender
Wendungen (z. B. Periplus maris erythraei § 44) oder allgemeiner
Ausdrucke wie KaTnteMÖvc«; toö ttXoou (vgl. Arrian. Hist. Ind. 40, 11) u. a.
Erst in den durch Sandbänke versperrten Hafenplätzen von Antwerpen,
Rotterdam, Bremen, Hamburg erfuhren die Romanen, was ein Lotse
zu bedeuten hat. Daher altfrz. lodeman (in den Jugeinents d'Oleron
bei .f. M. Pardessus Collection de lois maritimes I, 283 ff. Art. 24/25),
fr/., locman (mit Anlehnung an frz. loc, engl., ndl. log .Instrument zur
Messung der Geschwindigkeit des Schiffes ) aus engl. hid-mun, loads-
man, ndd. loedman, loetsman „Gcleitsmannu (auch let-saghe „Geleit-
sager14 schon 1299), während die anderen romanischen Sprachen, wie
auch das jetzige Englisch {pilot), dafür piloto, eigentlich .Steuermann'
(it. auch pedoto, woraus piloto = griech. *rmbujTr|<; von unböv .Ruder')
sagten. — S. u. Schiff, Schiffahrt.
Lowe. Er war nach paläontologischen Anzeigen einst fast in
ganz Europa verbreitet, und zwar höchstwahrscheinlich noch gleich-
zeitig mit dem Menschen (vgl. Lnbbock Die vorgesch. Zeit II, 5 und
A. Xehring Z. f. Ethnologie 1893, Verhandl. v. 18. Nov.); doch schon
von der neolithisehen Periode an hatte er sich, wie z. B. die Fauna der
Pfahlbauten zeigt, im allgemeinen aus unserem Erdteil zurückgezogen.
Nur in gewissen Teilen der nördlichen Balkanhalbinsel hatte er sich
nach Hcrodot VII, 12f> noch erhalten. Nachdem nämlich der Geschichts-
schreiber von Löwenangriffen auf die Kamele des Xcrxcs erzählt
hat, fährt er Cap. 126 fort: oupo? be to»o*i Xeouo*t iai\ ö t€ bi 'Aß-
bripiuv jte'uuv ttotcchös Neo*Toq Kai ö bi 'AKapvavirt? friwv 'AxcXluo?. outc
•räp tö TTpö^ Tf)v nw toö NcffTOu oübauö6t 7rdo*n? ^|iTTpoo*8e Eupiö-
ttti? iboi ti? äv X^ovtci, oÖTe npöq ianipx]q toö 'AxeXibou iv Tij im-
Xomiy r^TTeiptu, dXX' cv Tri ueTaEu toutwv twv ttotciuwv ipvovTai. Diese
so bestimmt auftretende und auch von dem aus jenen Gegenden
stammenden Aristoteles zweimal wiederholte Nachricht (vgl. Carl J.
Sundevall Die Tierarten des Aristoteles, deutsch Stockholm 1863 S. 47)
kann unmöglich bezweifelt werden, und man hat also mit der That-
sache zu rechnen, dasa es noch in historischer Zeit in einem Asien
naheliegenden Teile Europas wirklich Löwen gab, ein Unistand, der
auch bei der Beurteilung der europäischen Löwen n amen in Erwägung
zu ziehen ist, über die eine Einigung noch nicht erzielt wurde.
Aufzugeben ist aus lautlichen Gründen die herkömmliche Meinung,
nach welcher griech. X^wv, Xeuuv eine Entlehnung aus dem Semitischen,
und zwar aus hebr. Ubi\ assyr. labbu, ägypt. labu, kopt. laboi darstellten,
während die gleiche Annahme bezüglich des hom. XT{ (aus hebr. lajix)
gestattet ist. Griech. X^ujv, Xeiouv (*levjont-'f) scheinen also eine auf
der Balkanhalbiusel einheimische Benennung des Löwen zu sein, was
nach der geographischen Verbreitung des Tieres nicht weiter auffalleu
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Löwe — Luchs.
kann. Aus griech. Xewv entlehnt ist lat. leo. Die eigentlichen .Schwierig-
keiten beginnen hei den deutschen Formen leo, lewo, leico, loiuco,
von denen die erstere aus lat. leo entlehnt ist, wahrend die gleiche
Annahme bezüglich der übrigen (spater überlieferten) auf grosse Schwierig-
keiten stösst. Andererseits ist aber. auch die Zurück führmig derselben
auf eine gemeinsame Grundform mit den nichtgermanisebeu, vor allem
dem griechischen Löwennamen noch nicht gelungen. Auch ist gegen
das Vorhandensein eines uralten Löwennamens im Germanischen geltend
zu machen, das» es in den germanischen Stammländcrn seit ucolithischer
Zeit (s. o.) keine Löwen giebt. Bis zum IX. Jahrhundert spielt denn
auch bei den Deutschen der Bär (s. d.) und nicht der Löwe die Rolle
des Königs der Tiere. Ähnliche Schwierigkeiten macht die richtige
Beurteilung der litu-slavischen Formen, lit. Ifiras, slav. Ifcä. Von ihnen
zu trennen ist in jedem Fall lit. liütas, das nur in Märchen vorkommt
und dem weissruss. Ijütyj ,der Böse' entspricht (vgl. an neuerer Litte-
ratur über die Löwenfrage seit Sprach vergl. und Urgeschichte8 S. 120,
126 ff., 362: J. Schmidt Die Urheimat der Indogennanen S. 10, Muss-
Arnolt Semitic words in Greec and Latin, Transactions of the Am.
phil. association XXIII, 96, Lewy Semit. Fremdw. S. 6 f., Kauffmann
und Br emer Beitrüge XII, 20< tT. u. XIII, 384 ft., Palander Althochd.
Tiernnmen S. 46).
In Asien scheinen die noch vereinigten Arier keine Bekanntschaft
mit dem Könige der Tiere gemacht zu haben. Sein Name ist in den
Gesängen des Awcsta noch unbekannt. Wohl aber mussten die Inder
nach Loslösnng aus dem gemeinsamen Stammland bei ihrer Einwanderung
in das Pcndjab auf das Raubtier stossen, und schon in den ältesten
Liedern des Rigveda gilt der Löwe als schrecklichster Feind der
Menschen und Herden. Seine Benennung lautet im Indischen shhlu'i-,
siihlu '-, ein Wort, welches entweder den unarischen Ursprachen Indiens
entstammt oder dem armen, inc , Leopard' entspricht.
Luchs. Der vorhistorische, auf Europa beschränkte Xame des
Tieres ist griech. XOtE, ahd. luhx, agls. lux (ahd. auch luluta, */«*-#-;
ohne suffixales * : altschwed. 16), lit. lüszis, altpr. lui/sis (vielleicht zu
lat. lux, griech. Xۆo*o*ui etc. von dem funkelnden Blick des Luchses;
vgl. unser „Luchsauge" und slavische Bezeichnungen des Tieres wie
fech. ostrocid ,scharfschend'). Merkwürdig ist das slavische rytti, das
bis auf sein anlautendes r (statt l) zu den vorher angeführten Wörtern
stimmt. Ein echt lateinisches Wort für das Tier scheint zu fehlen:
lat. lynjc (daher ahd. linc) ist aus dem Griechischen entlehnt. Gallische
Luchse sahen die Römer bei den Spielen des Pompejus. Vgl. Plinius
Hist. nat. VIII, 70: Pompei Magni primum ludi ostenderunt chama
(chaum), quemGnlli ruf tum voeahant, effigie lupi, pardorum maculU.
Dazu VIII, 84: Sunt in eo genere (luporum) qui cercari (so heissen
Luchse und Schakale, vgl. G. Goetz Thesaurus I, 665, 662) vocantur,
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510
Luchs — Magnetnadel.
qualem e Gallia in Pompei Magni harena xpectatum di.vinnis. Die
hier gebrauchten Ausdrücke für Luchsarten sind aber dunkel; auch
ein einheimisches keltisches Wort für den Luchs scheint zu fehleu.
Das Voeabularium coruicum (Zeuss Gr. Celt.s S. lOTö) unischreibt das
lat. lin.r mit commixe hhit hahchi , Mischung: von Wolf und Hund*.
Lftnse. Der idg. Name für diesen Teil des Wagens ist seit, ani-
(*lni-) = ahd. hin, agls. lynex, alts. lunisa. — S. u. Wagen.
Luzerne. Medicago xativa L. ist wildwachsend vom südwest-
lichen Rnssland durch Asien bis zur Mongolei, bis zum Tibet und
Vorderindien verbreitet (nach A. Englcr bei V. Hehn s. u.). Ihre Er-
hebung zur Kulturpflanze dankt sie den rosseliebenden Iraniern, die sie
pers. uxpuxt, pehl. aspaxt, d. h. ,Pferdefutter" (vgl. aw. axpa- , Pferd')
nannten. In Griechenland erscheint die Luzerne, ebenfalls als Pferde-
futter, unter dem direkt auf ihre Herkunft deutenden Namen unbiKr|.
Vgl. Plinius Hist. nat. XVIII, 144: Medica externa etiam Graecis
ext ut a Medis advecta per bella Perxarum, quae Darius intttlit,
xed vel in primis dicenda. In Italien scheint die medica (span. mielga)
noch nicht von Cato, sondern erst von Varro au gekannt und geschätzt
zu werden. Eine Überführung der Pflanze nach dem Norden hat nicht
statt gefunden. Der späte Name luzerne, wofür auch burgundisch
Heu, ewig Klee u. s. w. gesagt wird, ist noch nicht aufgeklärt. Ein
slavischer Ausdruck scheint zu fehlen. Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6
S. 31*7 f. — S. n. Futtcrkränter.
M.
t
Mädchen, s. Kind.
Mädcheiikatif, s. Braut kauf.
Magnet. Er wird bei den Griechen uorrvnTu; (zuerst Eurip. bei
Plato), Mdrvn?, Xi0o<; ucerviiTTis, angeblich ,Stcin aus Magnesia' (in
Lydien und Thessalien) genannt. Sonst hiess er auch Xt8oq 'HpaKXcia.
Lat. (Luerez) magnex aus dem Griechischen. Im Romauischen hat das
Wort keine Wurzeln geschlagen; hier gelten vielmehr Bildungen aus
adamax (s. Diamant u. Edelsteine). Mhd. magnex.
Magnetnadel. Ihr Gebrauch war dem Altertum unbekannt, woraus
sich der wesentliche Charakter der antiken Schiffahrt als Küsten-
schiffahrt erklärt. Zur Orientierung beuutzten die Schiffer die Gestirne
oder, wenn diese verdeckt waren, Vögel (Raben, Taubeu etc.), die mau
steigen Hess, um ihrem landwärts gerichteten Flug zu folgen. Dieser
Brauch wird sowohl aus den nördlichen (vgl. Weinhold Altn. Leben
S. 133), wie aus den südlichen Meeren (vgl. Plinius Hist. nat. VI, 83:
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Mniriu'tnadvl — Mahlen, Mühl««
511
volucres secuta rehunt emitteutes saepius meatumque earum terram
petentium coniitantur) gemeldet, und es scheint, dass in diesem Zu-
sammenhang die Rahen und Tauben aufgefasst werden müssen, welche
sowohl nach dem hain ionischen wie nach dem biblischen Bericht Uber
die Sintflut von der Arche oder vom Schilfe los gelassen werden (vgl.
Iheiing Vorgeschichte S. 21 f>). Wem die Menschheit die Erfindung
des Kompasses, die den Seefahrern das Weltmeer eröffnete, verdankt,
steht noch nicht fest. Sicher ist, dass die Deutsrhen den Kompass von
den romanischen Völkern her kennen lernten. Seine erste Er-
wähnung geschieht im Titnrel des Wolfram von Eschenbach:
ez gienc in an die neige . . .
meisterliche zeige
mit der nadel nach dem Tremontane
(d. i. der Nordstern, inlid. leitstern, altengl. loadstar)
icas verlorn.
In dem welschen Gast des Thomasin von Zirclaria wird dann aus-
drücklich diu- kalamit genannt, d. h. der genieinromanisehe Name der
Magnetnadel, it. adamita n. s. w. Man vermutet, dass derselbe eine
Übertragung von calamites (KaXauiTn.q) , Laubfrosch' darstellt, der das
Wetter anzeigt, wie der Kompass die Richtung. Nach Schade Ahd. W.
S. 1390 wären es byzantinische Kaufleute gewesen, die durch ihren
Handel mit den Chinesen, bei denen die Kenntnis des Kompasses uralt
sei, denselben kennen gelernt und den Mittelmeervölkern, etwa im XII.
— XIII. Jahrhundert, vermittelt hätten. — S. u. Schiff, Schiffahrt.
Mähen, Mahd, s. Ackerbau.
Mahlen, Muhle. Für das Zermalmen der Getreidekörner finden
sich in den idg. Sprachen zwei Wortreihen. Von diesen reicht die
eine: sert. pish, gricch. 7TTio*o"uj, lat. piano (vgl. Senilis ad Acn. I, 179:
Quin apud maiores nost.ros molar» m usus non erat, frumenta torre-
hant et ea in pilas missa pinsebant, et hoc erat genus aiolendi, ttnde
et piusores dicti sunt, qui nunc pistores vocantur) nach Asien
hinüber und bezeichnete mehr das Zerstampfen der Körner mit
Keule und Mörser, während die zweite: lat. molere, got. malan, altsl.
meljq, lit. mdlti (griech. dX&u?) sich auf die europäischen Sprachen
beschränkt und das Zerreiben des Getreides zwischen zwei Steinen
zum Ausdruck bringt. Vielleicht dass hier in der Sprache zwei ver-
schiedene Kulturstufen in der Benutzung der Halmfrüchte vor uns liegen.
Näheres s. u. Ackerbau.
Steine aus Granit, Sandstein oder Trachyt, welche von den Archäo-
logen als Mühlsteine in Anspruch genommen werden, haben sich in
allen prähistorischen Stationen, namentlich auch in denen der Steinzeit,
in Masse gefunden. Vgl. A. Müller Vorgeschichtliche Kultnrbilder
S. 87, 91, Heer Die Pflanzen der Pfahlbauten S. 8, 0. Moutelins Die
Kultur Schwedens* S. 26, S. Müller Nordische Altertumskunde S. 206 n. s.w.
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512
Mahlen. Mühle.
Ks sind entweder 2 Hache Steine, zwischen denen die Getreidekörner
zerquetscht wurden, oder 2 Steine, von denen der eine eine grosse
etwas ausgehöhlte Platte, der andre eine Steiukugel (Kornquetseher)
darstellt. Montelins S. 2(5 bildet eine Handmühle ab, bei der ein
nmldenartig vertiefter Stein die Grundlage bildet, während mit einem
zweiten Stein die Körner in jener Vertiefung zerrieben wurden. Der
altcuropüische Xamc für diese primitive Handmühle, der jedoch nur
im Norden unseres Erdteils und in Armenien sieh erhalten hat, ist got.
qairntiH, lit. g'trna, ginios, altsl. zrunürn, ir. bro, armen, erkan = sert.
grd'can- , Fressstein des Sornas' : sert. guru- .schwer', lat. in-grtto, lit.
griuwit. Die Grundbedeutung war demnach ,schwcrer Stein zum Zer-
pressen*.
Eine Vorrichtung, durch welche der obere auf dem unteren Stein
befestigt war, so dass er sieh auf oder um denselben drehen konnte,
ist bei jenen prähistorischen Handmühlen noch nicht nachweisbar. In
der Erfindung eines solchen Mechanismus liegt der Fortschritt der
griechischen und römischen Ilandmühlen, die in einer doppelten, einer
einfacheren und einer komplizierteren Gestalt, vorliegen und von Blümner
Tenn. und Techn. I. 2o ff. genau beschrieben werden. Vgl. daselbst
auf der einen Seite die Funde von Yorkshirc und Abbeville, auf der
anderen die von Pompeji. Das höchst beschwerliche Drehen dieser
Handmühlen lag in erster Linie den Sklavinnen ob. So werden schon
Od. VII, 1U3 im Hause des Alkinoos .r>U Dienerinnen genannt, von
denen die einen äXeTpeüouo'i uöXqq €tti uqXoTra Kapiröv. Dasselbe gilt
von Deutschland, wo die Mahlmägde zusammen mit den Kuhmägden
genannt werden (vgl. M. Heyne I). deutsche Wohnungswesen S. 44'J:>).
Doch erinnerte man sich in Griechenland noch einer Zeit, in der die
Hausfrauen selbst das unerfreuliche Geschäft hatten besorgen müssen,
und das Dorf jeden Morgen vom Dröhnen der Mühlsteine wiederge-
hallt hatte. Vgl. Athcnaeus VI, p. 20:5 (<l>ep€KpäTq<; uev täp <^v 'Apfd-
oi<; (pntfiv):
oü rdp qv töt' oüre uävqq oüu ffqids oüöfevi
boüXos, dXX' au tu? cbei uoxQtiv äiravT' iv oiiua.
erra TTpöq TOÜTOto*i qXouv öp6piai tu aitia,
wo"T£ xqv Kiüuqv UTrqxciv 8iTTavouo*wv TÜq uüXa?.
Als ein weiterer Fortschritt kann betrachtet werden, dass allmählich
mehr und mehr Tiere (Esel, Maultiere, Pferde) den Menschen ablösen.
In Folge dessen wird der obere, vom Esel getriebene Mühlslein gricch.
ovo? dX^rq? (äXeiav övov auch in den neuen Hruchstüeken der gorty-
ni8chen Gesetze, Philologus LV Heft 3), got. dsiluqairnun ,uüXo<; övt-
kö?', agls. emlciceorn (asinariai genannt.
Ein neues Prinzip trat auf diesem Gebiet mit der Erfindung der
Wassermühlen auf, die iu der ersten Kaiserzeit in Italien bekannter
werden. Ihre erste Erwähnung geschieht durch Strabo XII, p. 556
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Mahlen, Mühle — Mahlzeiten und Trinkgelage.
513
aus der Residenz des Mithridates: 4v b£ toi? Kaßeipoiq ia ßaaiXeia
Miöpibäiou KaT6(iK€ijao"TO Kai ö übpaXfciriq. Von Italien drangen sie
langsam in dem übrigen Europa vor, und sulion Ausonius (Moseila v.
361) kennt sie an einem Nebenfluss der Mosel:
die
praeeiplti torquens ceredlia sa.va rotatu.
Auch in den Strafbestiiniiiungen der Lex Saliea (XXII, Cod. 1 — 6) de
furtis in molino commissis können, wie die Erwähnung der sei um
(exclusa) ,Schleuse' von Cod. 6, 5 Hessels) an zeigt, nur Wassermühlen
gemeint sein. In der Sprache spiegelt sich dieser Kulturfortschritt
in der ausserordentlichen Verbreitung, welche das vulgärlat. molina
(vgl. G. Goetz Thesaurus 1, 707, aquaenwlina I, 8ö) für mala in ganz
Nordeuropa gefunden hat < ir. inulin, kymr. melin, ahd. mulina, mndl.
molene, agls. mylen, altsl. mlynü, mlhtü; vgl. auch all), muliri und
ahd. mulinäri aus molindrius ,WassermüHer'). Eine Verbesserung fanden
die Wassermühlen, als Heiisar im Jahre 586 bei Anlass der Belagerung
Roms durch Vitiges, welcher die Wasserleitungen der Stadt, die bis
dahin die Mühlen getrieben hatten, verstopfen liess, Schiffsmühlen auf
dem Tiber erbaute.
Windmühlen scheinen zuerst in einer angelsächsischen Urkunde
vom Jahre 833 (unura molendinum ventieium, Kemble l'rk. I, 306
nach Hostmann Altgerm. Landwirtschaft S. 64) erwähnt zu werden. —
Vgl. im allgemeinen Heckmann Getreide- Mühlen B. z. Gesch. d. Erf.
II, 1 ff. S. u. Ackerbau.
Mahlsteine, s. Mahlen, Mühle.
Mahlzeiten und Trinkgelage. Die römischen Quellen sind voll
von Nachrichten über die Vorliebe der Germanen für Gastereien und
Zechereien jeder Art. Den Anfang macht Tacitus in seiner Germania
Cap. 22: Dietn noctemque continuare potando nulli probrum. crebrae,
ut inter tinolentos, rixae, raro convieih, saepius eaede et vulneribus
transiguntur, Cap. 23: Si indidseris ebrietati suggerendo, quantum
coneupisctint, haud minus facile vitiis quam armis tincentur, Cap. 14:
Epulae et quamquam incompti, largi tarnen apparatus pro stipendio
cedunt. Zu welchem der germanischen Stämme wir uns auch wenden,
ob zu den Goten, von denen ein Dichter der Anthologie {De eonviviis
barbaris) singt:
Inter vhailsu goticum} „scap{'i) jah matjan jah drigkan"
Non audet quisquam dignos educere versus.
CaUiope madido trepidat se iungere Baceho,
Ne pedibus non stet ebria Musa sui*,
ob zu den Angelsachsen, die Bonifacius (ep. ed. Jaffc 70) für noch mehr
dem Laster der Trunksucht ergeben als Franken und Langobarden hält,
ob zu den Alamannen oder den Herulern, von denen es „als ein Wunder
galt, wenn einer nicht treulos und dem Trünke ergeben wara (vgl.
Schräder. Reallexikon. 33
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514
Mahlzeiten und Trinkgelage.
Specht a. u. a. ().), Überall kehrt derselbe Vorwurf übermässigen Genusses
von Speise und vor allem von Trank wieder. Das grösste Entsetzen
aber (Iber diese Gastereien germanischer Völker äussert Venantius
Fortunatas in dem Proncmium seiner Gedichtsammlung: Quid inter
haec externa viatica consulte dici potuerit, censor ipse mensura (ur-
teile selbst) uhi mihi tantundem r alebat raucum gemere
quod cantare apud quo* nihil disparat aut Stridor amen* auf canor
oloris (wo es ebensoviel wert war zu krächzen wie zu singen bei Leuten,
die keinen Unterschied zwischen dem Geschnatter der Gans und dem
Gesänge des Schwanes machen), sola saepe bombicans barbaros leudos
(Lieder) arpa (auf der Harfe) relidens: ut inter Mos egomet non
mnsicus poeta, sed muricus deroso pore carminis poema non canerem
sed garrirem, quo residentes auditores inter acernea pocula salute
bibentes insana Baccho iudice debaccharent . quid ibi fabre dictum
sit tibi quis sanus ri.r creditur, visi secum pariter insanitur, quo
gratulari magis est, si rivere licet post bibere, de quo conrivam thyr-
sicum non fatidicutn licet e.rire, sed fatuuni? Vgl. weiteres bei
F. A. Specht Gastmähler und Trinkgelage bei den Deutsehen. Stuttgart
1887 S. 85ft\
Trotzdem ist es ein Irrtum, wenn man glaubt, dass nich in der
Trunksucht der Germanen und ihrer Neigung zu Trinkgelagen ein be-
sonderer Charakterzug gerade unseres Volkes offenbare. Vielmehr zeigt
sich bei näherer Betrachtung, dass derselbe allen idg. Völkern, soweit
sie auf primitiveren Kulturstufen sich befinden, eigentümlich ist. Die
antiken Zeugnisse für die Gastereien und Trunksucht der Kelten sind
von L. Diefenbach Origines Enrop. S. 172 gesammelt, und einige der-
selben werden unten angeführt werden. Ebenbürtig den beiden Nord-
völkern stehen im Süd-Osten die Thraker gegenüber, über die Aelian
Var. bist. III, 15 zusammenfassend urteilt: tö ?€ unv ÜTrfcp tüüv 0pa-
küjv, dXXct toüto ufcv Kai biaßcßönjai Kai bumepüXnTai öj? cloi imtv
beivÖTcrroi. Das findet seine Bestätigung durch zahlreiche Überliefe-
rungen aus früher und später Zeit. Vgl. Archilochus (Hergk 32):
okTttcp bi' aüXoö ßpÖTOv f| GpfjiE dvnp
f| <t>pu£ £ßpu£e, xüßba fjv 7roveuu€vr|
(s. u. Hier u. vgl. dazu Vf. K. Z. N. F. X, 470),
Callimachus bei Athen. XI. p. 477 (X, p. 442):
Kai tdp ö 0pmKtr|V uev ävnvaTO xavböv öuucTtiv
£ujp07TOT€iv, öXifUJ b'nbcTO Ktaaußiiy,
Menander (Com. gr. frgm. cd. Meineke IV, 232):
7TdvT€? uiv Ol OpÖKe?
ou o*<pöbp' ^TKpaTct?
topiv,
Horaz (Carm. I, 27):
Xati8 in ustun laetitiae scyphis
pugnare Thracum est
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Mahlzeiten und Trinkgelage.
(gleiche Triukkümpfc waren bei den Germanen üblich, Specht a. a. 0.
S.öl). Vgl. weiteres bei Dilthey Ann. dell* Inst. 1*67 p 172 f. Über
das Gastmahl des Seattles s. n. Über Thrakien als Heimat des Baechns-
dienstes s. u. Wein.'
Auch die alten Prcussen waren gewaltige Trinker, wie wir durch
Peter von Dasburg (vgl. Hartknoch Das alte und neue Prcussen S. 198)
erfahren: Xon videtur ipsis quod hospites bene proettracerint, xi non
usque ad ebrietatem sumpserunt potum suum. llabent in consuetu-
dine, fjuod in compotationibus suis ad aequales et hnmoderatos haustus
se obligant: ttnde contingit, quod singuli dornest ici hospiti suo men-
suram pottis offerant sab his pactis, quod postquam ipsi ebiberunt
et ipse hospes tantundem eracuet ebibendo et falis oblatio pottis
toties reiteratur, qnousque hospes cum dornest icis, u.ror cum inarito,
filius cum filia omnes inebriantur (bis alle unter dem Tische liegen).
Und wenden wir uns Uber die Steppe, deren Völker sich mit dem Dunst
glühenden Hanfsamens oder der Milch ihrer Stuten, wie auch die alten
Prcussen (Peter von Dusburg: pro potu habent . ... et mellicratum
seu medonem et lac equarum, s. n. Milch) berauschen, hinüber zu den
arischen ludogermanen, den Indern (vgl. Zimmer Altindisches Leben
S. 272 ff.) und Iranicrn (vgl. W. Geiger Ostiran. Kultur S. 229 ff.), so
begegnet uns auch hier dasselbe Schauspiel mit Leidenschaft dem
Trünke ergebener Menschen, mag nun der Trank, mit dem man sich
über den Jammer des menschlichen Daseins erhebt, wie im westlichen
Europa. Hier und Wein oder, wie im östlichen, Met und Stutenmilch,
oder, wie in der arischen Welt, das Absud der vielgepriesenen Sonia-
pflan/.e sein.
Trunksucht und Neigung zu ausschweifenden Gastereien ist also ein
Grundzug der Urzeit, und indogermanische Göttergestalten, wie der
indische gewaltige Fresser und Säufer Indra. der im Somarausch
seine berühmten Thaten vollbringt (vgl. Oldenberg Die Religion des
Vcda S. 134 ff.), oder der griechische Vielesscr (daher 'Abn/pato?, TToXu-
q>äto<;) und Vieltrinker (OiXorrÖTris) Herakles (vgl. namentlich Athe-
naeus X, p. 411) oder der germanische Thor, gefrässig und trunksüchtig
wie die vorigen (vgl. das Lied von Thryin, Strophe 24 ff.), sind nichts als
himmlische Abbilder irdischer Recken. Der Rauschtrank der Urzeit,
Uber dessen himmlische Herkunft und wunderbare Herabholung mannig-
faltige übereinstimmende Sagen bei den idg. Völkern im Schwange
waren (vgl. A. Kuhn Die Herabkunft des Feuers und des Göttertranks
Berliu 1859), war der Met (s. u. Biene, Bienenzucht), der, wenigstens
in Europa, bei festlichen Gelegenheiten aus den gewaltigen Hörnern
der wilden Rinderarten (s. u. Horn), wohl auch aus den Schädeln
erschlagener Feinde (s. u. Gefässe) getrunken ward, über die der
Urzeit zur Verfügung stehenden Speisen, von denen das gebratene
Fleisch der Herdentiere am beliebtesten gewesen sein wird, s. u.
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51G
Mahlzeiten und Trinkgelage.
Nahrung. An Esswerkzengen war das Messer (s. d.) und vielleicht
der Löffel (s. d.), nicht aber die Gabel (s. d.) früh bekannt. Tische,
Stühle u. s. w. (8. u. Hausrat) scheinen in der Urzeit noch gänzlich
gefehlt zu haben. Man sass auf Fellen von Tieren oder Bündeln von
Heu und dergl.
Noch auf zwei gemeinsame Züge dieser Gastmähler und Trink-
gelage aber, die sich übereinstimmend in weiter Ausdehnung bei den
Indogennanen finden, wird es hier am Platze sein, hinzuweisen.
Die idg. Gelage und Mahlzeiten sind einmal zugleich die Stätte
ernsthafter Beratungen. Besonders in die Augen fallend ist die Über-
einstimmung des persischen Brauches, wie ihn Hcrodot, und des ger-
manischen, wie ihn Tacitus schildert. Vgl. Hcrod. I, 133: u€0uo*kö-
uevoi bk IwQaai ßouXcüeaGai t& cmoubateaTaTa tüjv TTpnTMönrujv tö b'
av äbrj a<pi ßouXeuou€VOicn, toüto Trj uo*T€pairj vn.<poucri TTpOTi8ei 6 0T€-
tapxoq, toö av dövte? ßouXeüujvrai. Kai f|v u4v äbrj xai vn,cpouo*i,
Xpc'ovrai auxui, f|v b€ prj äbrj, u£Ti€iai. xd b' av vn/povTeq rcpoßouXeü-
tfuuviat, pcOuaKÖpevoi £mbiaYivujcrKoucri und Germ. Cap. 22: »Serf et de
reconciliandis invicem inimicis et iungendis afßnitatibus et ascis-
cendis principibus} de pace denique ac hello plerumque in comiviis
Consultant, tanquam nullo magis tempore (tut ad simpttee* cogitati-
ones patent animus aut ad magnas incalescat. gern non nstuta nec
calida aperit adhuc secreta pectoris licentia ioci. ergo detecta et
nuda omnium mens postera die retractatur, et salva utriusque tem-
poris ratio est : deliberant, dum fingere nesciunt, coustituunt, dum
errare non possunt. Aber auch bei Homer ist es durchaus das
übliche, dass der König mit den Geronten beim Mahle beratet.
An diesen gemeinsamen Gastmählern und Trinkgelagen, wie auch
an den gewöhnlichen Mahlzeiten der Hausgenossenschaften, nahmen —
und das ist der zweite Punkt, der hier erwähnt werden soll — die
Frauen ursprünglich nicht teil, was zu der niederen Stellung, welche
dieselben in der Urzeit inne hatten (s. u. Familie), aufs beste stimmt.
Als eine persische Gesandtschaft in Makedonien die Anwesenheit
von Weibern beim Gelage stürmisch verlangt, entgegnet nach Herodot
V, 18 Amyntas, König von Makedonien: vöuo^ ufev n.uw ^o*ti ouk
outo?, äXXd KCXwpttfGai fivbpa? ruvaiKiIiv. So nehmen auch bei
Homer die Frauen ihre Mahlzeiten in der Regel in ihren Gemächern
ein, und noch in den Nibelungen (B) 1H7 1 heisst es, als es in der
Burg Rüdigers zum Mahle gehen soll:
mich geiconheite dö schieden *i sich dd:
ritter unde frouteen die gingen anderswd.
Dasselbe wird von den alten Preussen berichtet (vgl. Hartknoch
a. a. 0. S. 177, 187), und noch heute müssen in den slavischen wie
in den armenischen Hausgemeinschaften die Frauen gesondert von
den Männern, die gemeinsam speisen, ihre Mahlzeiten einnehmen (vgl.
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Mahlzeiten und Trinkgelage.
517
Kranss Sitte und Brauch bei den Südslaven S. 54 und Barehudariau
bei Leist Altarisches Jus eivile I, 4U9j. - Von Benennungen der Mahl-
zeiten und Trinkgelage sei nur auf weniges hingewiesen. Eiue Be-
ziehung zum Kultus hat griech. 6oivr| (: 8üüa8ai), wenn es u. Bestat-
tung richtig mit lat. fumut verglichen worden ist (eigentl. ,Totenmahl',
dann , Leichenbegängnis ) und griech. btmvov, wenn es zu griech.
baTTCtvn. »Aufwand*, lat. dapn ,Mahl, Opfermahr, altn. taf'n , Opfertier',
,Speise', ahd. zebar, agls. ti/'er ,Opfertier' gestellt werden darf. Das
gemeinschaftliche Festmahl der Dorfschaft bezeichnet vielleicht das
griech. küjuo?, falls es als Nebenform zu ku>mh ,Dorf (küjuo«; = lit.
kitiuas, Kio.un, = got. Vtuima- in haiinös) angesehen wird. Analoga zu
dieser Bedeutungsentwicklung würde das deutsche „Dorf-, das im
Schweizerischen (vgl. Kluge Et. W/i auch .Besuch', , Zusammenkunft'
bezeichnet, und das sert. utibhri bieten, das eigentlich die ,Sippe', ,die
Dorfgemeinde' (got. sibja), dann die , Versammlung der Dorfgemeinde'
bedeutet und weiterhin den Sinn von , Gemeindehaus' als Vergnügungs-
lokal oder Spielhaus der Männer (vgl. Zimmer a. a. 0. S. 172) ange-
nommen hat. Das Zusammenbringen von Speisen und Getränken für
diese gemeinsamen Mahlzeiten der Dorfselialt würde das gotische
gabaiir zum Ausdruck bringen, mit dem Ultilas griech. Kwuoq übersetzt.
Den Abschluss dieses Artikels möge die zusammenhängende Dar-
stellung keltischer Gastmähler nach Athcnaeus und Diodorus, sowie
die Beschreibung des thraki sehen Gastmahls bei Seuthes nach
Xenophon bilden. Bei beiden mischen sich bereits jüngere Züge ein.
Im Ganzen aber sind beide Schilderungen vorzüglich geeignet, eine
Vorstellung davon zu geben, wie es in Alteuropa bei derartigen Gaste-
reien zuging.
Keltische Gastmähler.
„Die Kelten, erzählt Posidonius, tragen die Mahlzeiten auf, indem
sie Heu unterstreucn, auf hölzernen Tischen, die sich nur weuig von
der Erde erheben. Ihre Nahrung besteht aus wenig Brot und viel
Fleisch, das in Wasser gekocht uud auf Kohlen oder am Spiesse ge-
braten wird. Das trägt mau reinlich auf, wie die Löwen aber
heben sie ganze Gliedmassen mit beiden Händen empor uud beisscu
davon ab. Wenn aber ein Stück schwer abbeissbar ist, so schneiden
sie es mit einem kleiueu Messer ab, welches in eiuem besonderen Be-
hälter in Scheiden dabeilicgt . . . Wenn mehrere zusammen speisen,
sitzen sie im Kreis, in der Mitte der mächtigste, wie ein Chorführer,
der sich vor anderen, sei es in kriegerischer Tüchtigkeit, «ei es durch
seine Abstammung, sei es durch seineu Reichtum auszeichnet. Neben
ihm sitzt der Wirt, dann schliessen sich zu beiden Seiten die übrigen
ihrem Hange entsprechend an. Die Schildträger stehen hinter ihnen,
die Speerträger aber sitzen gegenüber im Kreis wie die Herren und
schmausen mit. Das Getränk tragen die Diener herum in Gelassen,
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Mahlzeiten und Trinkgelage.
die thönernen oder silbernen Krügen (äußtKOs) ähneln Sie
trinken aus demselben Gefüss (dtTroppo(poüo*i Ik toö coitoö ttottipiou) in
kleinen Zügen, nicht mehr als einen kuoc9o<;. Das thueu sie aber öfters.
Der Knabe trägt das Gefäss rechts nnd links im Kreise herum. So
weiden sie bedient (unrichtig Übersetzt V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 147:
„aus demselben Fasse wird fleispig Seidel nach Seidel gezapft und
von dem Kellner rechts und links ausgeteilt"; denn die Stelle kann
nur so verstanden werden, dass alle Gäste aus demselben Gcfäss
tranken). Den Göttern bringen sie ihre Verehrung rechtshin dar"
(Athen. IV, p. 151 f.). „Zuweilen liefern sie beim Mahle Zweikampfe.
Denn sie versammeln sich in Waffen, führen Scheinkämpfe auf (vgl.
den germanischen Schwertertanz in omni coetu Tnc. Germ. Cap. 24)
und ringen mit einander. Manchmal kommt es zu Wunden, dann
werden sie gereizt und gehen, wenn die Anwesenden sie nicht zurück-
halten, bis zum Totschlag. Früher pflegte es zu gescheht!, dass, wenn
Schinken aufgesetzt war, der mächtigste den Sehenkelkuochen ergriff.
Machte ihm ein anderer diesen streitig, so erhoben sie sich zum Zwei-
kampf auf Tod und Leben" (Athen. IV, p. 154 ebenfalls nach Posidonius).
„(die Kelten tragen Knebelbärte). Wenn sie daher essen, verflechten
sich diese in die Speise, und wenn sie trinken, läuft der Trank wie
durch ein Sieb. Sie speisen, indem sie alle nicht auf Sesseln, sondern
auf der Erde sitzen auf Unterlagen von Wolfs- oder Hundsfell. Sie
werden von Kindern, Knaben und Mädchen bedient. Nahe bei ihnen
befinden sich Feuerherde mit Kesseln und Spiessen voll von grossen
Fleisehstückeu. Ihre wackeren Männer einen sie mit den schönsten
Fleischportionen, wie auch Homer den Aias von den Vornehmen ge-
ehrt werden lässt, als er im Zweikampf mit Hector gesiegt hatte:
vujTOiffi b' AtavTct bir|V€K€€aai -rcpaipe.
Sic laden auch Fremde zu ihren Gastmählern nnd fragen sie erst
nach der Mahlzeit, wer sie seien und was sie wollten" (Diodorns Sic.
V, 28).
Das thrakische Gastmahl des Seuthes.
„Sie sassen zum Gastmahl im Kreise. Dann wurden für alle Drei-
füS8e hereingebracht. Diese waren voll von zugeschnittenen Fleisch-
stücken, und grosse gesäuerte Brote waren an die Fleischstücke ange-
heftet. Besonders aber wurden die Tische immer vor die Fremden
hingesetzt. Es war nämlich so Sitte. Zuerst that nun Seuthes folgendes:
er nahm die bei ihm liegenden Brote, zerkleinerte sie und warf sie so,
wem er gerade wollte, zu, und das Fleisch ebenso, indem er für sich
nur zum kosten übrig Hess. Und die anderen, bei denen die Tische
standen, machten es ebenso Man trug auch Hörner mit Wein
herum. . . . Als nun das Trinkgelage vorrückte, kam ein Thraker mit
einem weissen Ross herein, nahm ein volles Horn nnd sagte: „Dir,
Seuthes, trinke ich zu und schenke dir dieses Pferdu u. s. w. Hierauf
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Mahlzeiten und Trinkgelage — Malve.
f)19
kamen Leute herein, die auf Signalhörnern bliesen und auf Dudelsäeken
Weisen küi olov Mcrrdbit?/ spielten. Uud Seuthes selbst sprang auf,
stiess ein Kriegsgeschrei aus und sprang sehr behend in die Höhe,
als ob er sich vor einem Geschoss decken wollte. Auch Spassroacher
kamen herein" (Xenophon Anab. VII, 3, 21 IT.).
Mairan, s. Garten, Gartenbau.
Mäkler, s. Dolmetscher.
Malabathron. Man versteht hierunter ein Aroma des Altertums,
das erst bei Dioskorides, Plinius und dem Verfasser des Periplus maris
erythraei genannt wird. Dieser hat {§ <55) Uber Indien folgende Nach-
richt erhalten: „In dem Land der Seren (Chinesen, s. u. Seide) liegt
eine sehr grosse Hinnenstadt 0ivat (ZTvcu). In deren Grenzland kommen
jährlich aus dem Innern breitgesichtige Menschen mit korbartigen Ge-
flechten von der Farbe des frischen Weinlaubs, um Feste zu feiern.
Bei ihrem Abzug lassen sie diese als Unterlagen gebrauchten Gegen-
stände liegen. Dann eilen die Kinheimischen herbei und formen aus
den Blättern jener Gellechte, die ttctpoi (= sert. pdttra- , Blatt ) heisseu,
Kugeln, die das Malabathron bilden". Sehr wahrscheinlich ist, dass
hier eine Art stummer Tauschhandel zwischen Chinesen und benach-
barten Stämmen gemeint ist, kaum aber mit Sicherheit auszumachen,
was unter uaXdßaGpov zu verstehen sei. Immer noch für am wahr-
scheinlichsten dürfte die Meinung Lassens (Ind. Altertumsk. III, 37)
gelten, welcher uaXdßctöpov aus seit, tamdlapattra- (s. o. pdttra' =■
nerpoi) ,das Blatt der Laurus Cassia' (Ii. R.) deutet, so dass also das
griechische Wort eine Art von Zimmet bezeichnen, und somit die Chi-
nesen als Hanptvermittler des Zimmethandels schon im Altertum deutlich
hervortreten würden. — S. u. Zimmet und n. Aroin ata.
Malve. Eine Malvcnart, Malta xihestria oder M. neglecta L.,
die beide im südlichen und mittleren Europa einheimisch sind, diente
schon im ältesten Griechenland, wie auch noch im heutigen, als Gemüse
zur Speise des ärmeren Mannes. Vgl. schon Hesiod Werke und Tage
v. 40:
vn,Trioi oüb' itfcKJi ÖOiu ttX^ov nutöu TtaVTÖ?
oüb' Öffov dv m a X ä x 1 re Kai dcftpoblXw utf ' övciap.
Was die Namen griech. uaXdxn, uoXöxn, dial. udXßct£ {malcak*), lat.
malca anbetrifft, so ist zweifelhaft, ob man es hier mit einem vor-
historischen, zu griech. uaXatcöq ,weich' gehörigen Pflanzennamen zu
thun hat, zu dem auch gewisse indische Namen von Pflanzen (sert.
maruta-, maruvaka-) stinnnen würden, oder ob das griechische Wort
eine Entlehnung aus dem hehr, malhldh darstellt, das an der einzigen
Stelle der Bibel, an der es vorkommt (Hiob. 30, 4), genau wie das
Hesiodeische uaXdxn von der Speise armer Leute gebraucht wird.
Der Anbau der Malve (malra) wird auch in dem Capitulare Karls
des Grossen de villi» (LXX, 51) vorgeschrieben, und sehr früh ist das
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Malve — Mandclbaum.
Wort im Angelsächsischen {meahce, engl, malloic) einheimisch geworden.
Der Gebrauch der Pflanze zu Nahrungszwecken ist aber im Norden,
wie es scheint, durch den neuaufgekommenen Spinat (s.d.), beseitigt
worden, so dass nur die Anwendung der Pflanze als Heilmittel (noch
jetzt Malventhee etc.) bestehen blieb. Auf hochdeutschem Hoden hat
sich lat. malva erst in ganz junger Zeit eingebürgert. Der alte Name
ist das dunkle papula, babula < Hildegardis). Ausserdem begegnen
dialektisch die merkwürdigen Ausdrücke Kattenkees, Kattenkäse, Käsli-
kraut, Käskräutchen, Käsepappeln, Katzenkäsichen etc. (vgl. Pritzel
und Jessen Die deutschen Volksnamen d. Pflanzen S. 229). Vermutlieh
ist in ihnen die volksetymologische Verdrehung nach Katze und Käse
(die vom Kelch umgebene Frucht der Malve gleicht einem Käselaibchen)
eines alten, im Angelsächsischen bewahrten Namens der Pflanze cottuc
zu erblicken, für den Hoops Altcngl. Pflanzennamen S. 76 des Suffixes
we ren keltischen Ursprung vermutet.
Der gemeinslavische Name der Malve ist slezfi (vgl. Miklosich Et.
W. s. v.J.
Über die gricch.-lat. uoköxwa-molochina, in denen man allgemein
Gewebe aus den Fasern der Malve vermutet, vgl. Vf. Handelsgesehiehte
und Warenkunde S. 216 ff. — S. n. Garten, Gartenbau.
Malz, s. liier.
Mnndelhaum.' Amygdalus communis L. ist einheimisch in Vorder-
asien (Afghanistan, Transkankasicn, Kurdistan, Mesopotamien). Nach
Griechenland ist der Baum eingeführt worden. Der Name seiner Frucht
begegnet zuerst bei Phryniehus, einem Dichter der älteren Komödie,
als Na£ia duutbdXn, ( Athen. II, p. 52). Etwas später nennt Xcnophon
Anab. IV, 4, KJ ein riuirfbdXtvov xpicfua, das er in Armenien fand.
Bei Theophrast heisst der Baum duuTbaXn.. Das Wort, dessen Deutung
vielleicht Auskunft über die genauere Herkunft des Baumes geben
könnte, ist noch völlig dunkel (vgl. die bisherigen Versuche zu seiner
Erklärung bei Muss-Arnolt Transactions of the American phil. assoc.
XXIII, Ki6). Ebenso unaufgeklärt wie duufbdXri ist der lakonische
Name der Mandel uouioipoq (bei Athen, loc. cit.).
Von Griechenland wanderte der Baum weiter nach Italien, wo die
Mandel bei Cato mix Graeca, der Baum bei Colnmella und Plinius
amygdula hiess. Später bildet sich auf italischem Boden durch volks-
tümliche Verdrehung von cimygdala (mit Anlehnung an amandus, amams,
maudere) omandola, amandula, das zuerst in der Mcdicina Plinii
(IV. Jahrb. t, aber auch in den Glossen des C. Gl. L. (vgl. G. Goetz
Thesaurus I, ö8) begegnet. Es liegt den romanischen Sprachen und
dem ahd. mandala zu Grunde, während die slavischen Sprachen (altsl.
migdalü) teilweis .direkt aus dMuxbdXri geschöpft haben. Vgl. noch
agls. magdala-trfo (bei Hoops Altengl. Pflanzennamen).
Den Anbau von amandalarii schreibt das Capit. de villi« LXX, 83
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Mandelbaum — Markt.
521
vor. Doch bringt der Mandelbaum nur noch am Rhein und in der
bairischen Rheinpfalz seine Fruchte zur Reife. — Vgl. V. Hehn Kultur-
pflanzenu S. :)79ff. und v. Fischcr-Ben/.on Altd. Gartcufl. S. Iö8. S.
u. Obstbau und Baumzucht.
Mandragora*, s. Alraun.
Manenkult, s. Ahnen kultus
Maugold, s. Beete.
Mann. Es finden sich für dieseu Begriff zwei idg. Reihen:
1. scrt. rh'ä-, aw. vira-, hrt. cir, ir. fer, got. iruir, lit. icyiaa 2. seit.
mir-, a\v. nur-, griech. dvn.p. Beiden liegt, wie die Ableitungen lat.
vir-tns und griech. dvbp-€ia, sabin. nerio /Tapferkeit' zeigen, die Vor-
stellung des Starken und Tüehtigen zu Grunde. In zwei anderen Reihen
schwanken die Bedeutungen Mensch und Mann, nämlich erstens in
scrt. manu-, mdnusha-, got. manna , Mensch, Mann', altsl. mqzl .Mann'
(vgl. auch scrt. Mdnu-s .der Stammvater der Menschen' und germ.
Manmts bei Tac. ,der Stammvater der Germanen'), zweitens in lat.
homo ,Menseh'. got. guma .Mann' (ahd. brüti-gomo , Bräutigam'),
altlit. z'mü [z'iitotjiiti) .Mensch, Mann'. Ersteies pflegt man ans scrt.
man .denken (Mensch „Denkender"/, letzteres von scrt. kshä's, Gen.
kslimäs (s. u. Erdo abzuleiten (Mensch - „Irdischer"). Vgl. noch
das geineinkelt. ir. dune, duine (Zeuss Gr. C s p. 229), *du)i-jö-# :
griech. Gaveiv (Mensch = .,Sterblicheru, lat. mortaHs). Die rein ge-
schlechtliche Seite des Mannes ist in der Gleichung: aw. ar»an-
,männlich, Manu', griech. üppn.v, ion. €pO"n.v ,niännlich', armen, air,
Gen. ain .Mann' vgl. scrt. rnhabhd- .Stier', drshati ,fliesst', ,strümt')
ausgedrückt. Dies ist auch die Grundbedeutung des geniciugerin. ahd.
karal (vgl. Kluge Et. \V.,: u. Kerl und s. u. Stände). Fast alle hier
für Mann genannten Ausdrücke werden in grösserer oder geringerer
Ausdehnung auch für Ehemann (s. u. Ehe) gebraucht. Für Mensch
ist noch das dunkle griech. <5v8pumo£ zu nennen. Über die Sippe von
mhd. Hute , Leute, Menschen', Hut .Volk', agls. hode , Leute , altsl.
ljudü .Volk', ljudije , Leute', altpr. ludyxz, lett. laudis .Mensch' (altpr.
ludini , Wirtin', Jüdin ,Wirt') etc. s. u. Volk und Stände.
Mannbusse, s. Blutrache.
Mäunerkiiidhett, s. Hebamme.
Mänuertracht, s. Kleidung.
Mantel, s. Kleidung.
Mardcllen, s. Unterirdische Wohnungen.
Marder, s. Wiesel.
Mark. s. Fleisch.
Markt. U. Handel ist gezeigt worden, dass die Anfänge eines
primitiven Tauschverkehrs bis in die idg. Urzeit zurückgeht). Als
Gelegenheiten, b e i denen, und Orte, a n denen derartige Geschäfte
besonders häufig gemacht wurden, wird man nicht irren die Versamm-
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Markt.
langen zu bezeichnen, zu denen die Mitglieder desselben Stammes zu-
sammenkamen, nm gemeinsame Angelegenheiten zu beraten oder ge-
meinsame Feste zu feiern (s. u. Volksversammlung). Dass dem so
war, gebt für die Germanen aus dem Umstand hervor, dass Ulfilas
das gricch. dropd gerade da, wo es unzweideutig »Kaufmarkt' (Marc.
7, 4) bezeichnet, mit mapl übersetzt, d. h. mit der gemeingenn.
Benennung (vgl. ahd. mahal, agls. maedel, mlat. mallus) eben jener
germanischen concilia, von denen Tacitus Genn. Cap. 11 handelt. Ebenso
bedeutet gricch. dfopd (: dY€ipu>, also , Versammlung ) selbst sowohl den
Gemeindeplatz wie auch den Kaufmarkt, die beide in älterer Zeit aueb
örtlich zusammenfallen, bis fortschreitende Bedürfnisse sie trennen « vgl.
E. Cnrtius Attische Studien II, Abh. d. kgl. Gcscllsch. d. W. z. Gottingen
XII, 119 ff.). Zu vermuten steht, dass auch das gemeinslavische *tergü
»Markt' (altsl. trügü, russ. torgü, cceh. trh, poln. targ) ursprünglich
diesen doppelten Sinn von Gemeindeversammlung und Kaufmarkt ge-
habt hat, was gewiss wäre, wenn das slavischc Wort sicher mit ahd.
dorf, das nhd. dialektisch auch Zusammenkunft' bedeutet, vergliehen
werden könnte (doch s. über das germanische Wort u. Dorf, über das
slavischc u. Dolmetscher).
Wenn bisher von dem Tauschverkehr stam meingesessener Leute
unter einander die Rede war, so ist schwieriger die Frage zu beant-
worten, in wie weit man fitr die Urzeit und die ältesten Epochen der
Einzel Völker von einem Handel mit Fremden und in die Ferne
wird sprechen können. Auf die Institution des stummen Tausch-
handels, der den Verkehr auch zwischen Stämmen, die in grimmiger
Feindschaft und steter Fehde mit einander leben, vermittelt, ist u.
Handel hingewiesen worden. Eine wesentlich höhere Stufe mensch-
licher Gesittung ist erreicht, wenn an den einzelnen Stammgreuzen
bestimmte Plätze eingerichtet worden sind, an denen man sich zu
bestimmten Zeiten des Jahres zu Zwecken des Tauschverkehrs friedlich
trifft, und also der Begriff des Marktes und Marktfriedens dem
Menschen aufgegangen ist.
Von derartigen, an den Grenzen von Stammes- oder Stadtgebieten
gelegenen Märkten erfahren wir namentlich aus Griec henland. Das
waren die dtopal £<popiat oder duvoboi al Ttpöq xotq öpoi? tüjv äöTu-
T61TÖVUJV, „durch Vertrag geheiligte und unter den Schutz der beider-
seitigen Stadtgottheiten gestellte Freistätten, welche zu friedlichen»
Verkehre von Nachbargemeinden benutzt wurden" (vgl. E. Cnrtius a. a. 0.
S. 124). In ein wie hohes Alter sie zurückgehen, ist freilich nicht
bezeugt. Hierzu treten dann in Griechenland die Marktplätze fremder
Seefahrer, vor allem die der Phönizier, deren an den griechischen Ge-
staden aufgeschlagene Bazare schon Homer (Od. XV, 415 ff.) und Herodot
(I, 1) ausführlich schildern, sowie die der Lyder, die zusammen mit
den Phöniziern die eigentlichen Krämervölker Vorderasiens bilden, von
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Markt. 523
denen die Griechen den ihnen wie allen Indogermanen ursprünglich
fremden Geist geschäftlicher Betriebsamkeit in Jahrhunderte langem
Verkehre sich allmählich aneigneten (vgl. E. Curtius a. a. 0. S. 121).
Sowohl aus jenen binncnländischen wie aus diesen an den Küsien ge-
gründeten Märkten sind dann im Laufe der Zeit vielfach Städte ent-
standen, auf deren Herkunft noch zahlreiche Ortsnamen wie 'Atopd,
'AXia etc. (vgl. Pape Wörterbuch der griech. Eigennamen und E. Curtius
a. a. 0. S. 121) hinweisen, wie denn überhaupt in Europa Markt und
Burg die beiden Hauptfaktoren sind, aus denen die Städte (s. u. Stadt)
erwachsen sind. Wenn so schon hier ein Hauch orientalischen Handels-
geistes nach Europa herüberweht, so tritt derselbe noch viel stärker
hervor, als nun die heiligen Stätten Olympia, Delos, Delphi, offen-
bar unter dem Kinflnss der grossartigen Handelsmessen und Götterfeste
des Orients (vgl. Movers Phönizier II, 3, 1 S. 13öflÜ, auch eine her-
vorragende merkantile Seite gewinnen, deren Bedeutung sich bis in
die Barbarenländer des Nordens erstreckt. Auf kulturhistorische Be-
ziehungen zwischen Olympia und der Ansiedelung von Hallstatt hat
Hörnes im Ausland (1891 S. 281 ff.) hingewiesen, und schon Herodot
IV, 33 erzählt von Opfern und Abgesandten, die hyperboreischc Völker
bis nach Delos schickten.
Nachdem ein einheimischer griechischer Kaufinannsstand erwachsen
war, was erst in nachhomerischer Zeit is. u. Kaufmann) der Fall ge-
wesen ist, wird ein allmähliches Vordringen griechischer Märkte und
Bazare von Massilia, von dem Norden der Balkanhalbinsel, von den
Kttstenstädten des Schwarzen Meeres in die vorgelagerten Barbaren-
ländcr vor sich gegangen sein. Ein solcher Marktplatz ftlr den Verkehr
mit barbarischen Völkerschaften war z. B. 'Atopd auf dem thrakischen
Chersones, nud wenn Herodot IV, 108 von einer Stadt Gelonos im
Lande der Budinen zu berichten weiss, die griechischen Kult pflegte,
und deren Einwohner aus den griechischen Emporien am Schwarzen
Meer stammten, so wird mau auch hierin nichts als einen vorge-
schobeneu griechischen Marktplatz erkenneu können.
In ein helleres Licht aber treten diese Beziehungen zwischen Nord
und Süd erst in dem römisch - germanischen Handelsverkehr.
Frühzeitig müssen wir uns Suddeutschland und die Rheinlande mit
römischen Krämern und Hausierern angefüllt denken, die ihre fliegenden
Bazare bald hier, bald dort aufschlugen. Der römische Ausdruck hier-
für war mercatu* (Travnrupiq, ^unöpiov), und dieses Wort ist denn auch
der gewöhnliche Ausdruck für Markt in den germanischen Sprachen
geworden: ahd. marchet, marchat, marchit, market (vgl. M. Heyne
Deutsches Wohnungswesen S. 147 8I), fries. merket, agls. geör-market,
altn. markdbr (aus dem Angelsächsischen?). Erst nachdem die Deutschen
selbst Städtebauer geworden waren, wird dieses Wort angefangen haben,
auch den Markt als Ort, als Mittelpunkt der Stadt, im Sinne also des
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521
Markt — Mass. Messen.
lat. forum { — lit. duaras, altsl. ch-orii ,Hof) zu bezeichen. Ulfilas be-
findet sieh da, wo er das in dieser lokalen Bedeutung vorliegende
griecli. ä-ropd übersetzen soll, in einiger Verlegenheit. Einmal (Marc.
6, 56) wählt er dafür das got. gaggs, das nur allgemein ,Gasse' be-
deutet (Gassen hatten natürlich auch die gotischen Dörfer), das andre
Mal (Luc. 7, 32 — Matth. 11, 16) gebraucht er dafür garuns, was zu
rinnan gehörig, soviel wie ,Zusannnenlauf zu bezeichnen scheint.
Wird so durch mercatus-markt die eine Gruppe der Bezeichnungen
des Marktes im nördlichen Europa gebildet, so eine zweite, auf ein
anderes Ilandelsgebiet hinweisend, durch das schon oben genannte
slavischc trngil, das in das Skandinavische (altu. torg, schwed., dän.
ebenso), in das Litauische (tui-gus) und Liviseh-estnisch-finnischc [tnrg,
törg, titrku eingedrungen ist. Aus beiden Gruppen, sowohl aus dem
deutschen mark t , wie auch aus dem slavischen *tergü (vgl. Torgau,
Torgow, tinn. Turku) werden zahlreiche Xainen ueuentstandener Markt-
städte gebildet. Nach G. Meyer (I. F. I, 323) wäre auch der alte
Stadtuamc Tergeste (Triest) von einem illyrisehen *terga , Markt' =
altsl. trügü abzuleiten.
Einen dritten auf die jüngere slavischc Welt und die Balkan-
halbinsel beschränkten Kreis von Benennungen des Marktes beherrscht
das türkisch- persische bazar.
Kehren wir zu Romanen und Gerinaneu zurück, so knüpfte das
Christentum, als es hier seinen Einzug hielt, den vorgefundenen
Marktverkehr in Fortführung des heidnischen Gedankens jener oben
berührten glänzenden Handelsmessen und Götterfeste gern an seiue
eigenen Feste, besonders au die der Heiligen und an die Sitze der
Bischöfe an. Dieser Vorgang spiegelt sich in dem Bedeutuugsüber-
gang des lat. feriae ,Fest, Feier' (ahd. fira id.), das auf romanischem
Boden (it. fiera, sp. feria, ptg., pr. feira, frz. foire, vgl. auch engl.
fair) durchgängig deu Sinn von Jahrmarkt' angenommen hat. Erst
viel später hat in den germanischen Sprachen das in seiner kirchlichen
Bedeutung früh entlehnte lat. missa den gleichen Prozess wie lat.
frriae im Komanischen durchgemacht (vgl. unser messe Jahrmarkt ).
— Vgl. Vf. Handelsgeschichtc und Warenkunde I, 34 ff. S. u. Handel.
Marmor, s. Kreide.
Mast, s. Segel und Mast.
Mastix, s. Terebinthacecn.
Mass, Messen. Die idg. Bezeichnung des Messens liegt in deu
beiden unter einander zusammenhängenden Reihen: sert. mi-mämi
,messe', ma -tra ,Mass', lat. -niMior. altsl. mtra, lit. miera ,Mass', matiiti
,uie8seu\ got. mtla ,Scheffel' und griecli. u€biuvoq ,Mass', u€ipov (aus
*ueb-Tpo-v) id., lat. modius »Scheffel', got. mit an ,ines8en', mitaps
.Scheffel' (griecli. ur|bouai, uebouai, lat. meditari, ir. midiur, got.
mitön nur in übertragener Bedeutung ,ermesse' etc.). Die Mittel zu
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Ma»s, Messen.
messen sind in der Urzeit und in den ältesten Epochen der Einzel-
völker noch überaus einfache gewesen. Was zunächst die Längen-
masse anbetrifft, so bedient man sich znr Bezeichnung der kleineren
derjenigen Massstäbe, welch die Natur selbst dem Menschen gegeben
hat. Man misst nach Fingern (griech. bdiauXoq, lat. digitus =
Fuss; vgl. auch ir. ordlach ,Zoll': ordu , Daumen' wie frz. pottee , Zoll'
aus lat. pollejr), nach Handbreiten (griech. TraXaiain. : iraXaun. ,Haud'
= lj4 Fuss; vgl. auch griech. buipov : ir. dorn JJand', schon in dem
homerischen K€pa ^KxaibeKdbujpa .ein Hirschgeweih von 16 Handbreiten ),
nach Unterarmen oder Ellen (s. u. Körperteile bei Unterarm
und Ellenbogen; vgl. auch griech. ixwxwv : ttü£ ,fäustlings', der Teil
von der Faust bis zum Ellenbogen), nach Fussen, oder nach der Aus-
spannung der im vorigen genannten Glieder, der Fingerspanne
(griech. aTnOaun. : ffmbn.? ,ansgedehnt', amZur cktcivw; altsl. pqd'r, ahd.
spanna\ lit. gprlndis : spr&ti), der Armspanne oder Klafter (griech.
öpfuid : öpe'fw; ahd. lldftra : agls. clyppan ,umarincn', vgl. auch lit. glebys
,armvoH!, altpr. glahüt ,umarmen'; engl, fathom .Klafter' : alts. fathmos
,beide ausgestreckte Arme', agls. fvepm id., altn. fabmr , beide Arme',
vgl. griech. Trerdwu/ai ,breitc aus'; lit niPJcgnis : aekiu ,langen, reichen,
greifen'), der Fussspaune oder dem Schritt (griech. öpefuet " öpc'Tio,
lat. jwsms , Doppelschritt' : pandere etc.). Ähnlich verfährt man auch
bei der Bestimmung und Benennung grösserer Längen, in so fern
man auch hier von der Fähigkeit des menschlichen Körpers, durch
Stimme, Wurf, Blick, Marsch u. s. w. in die Ferne zu wirken ausgeht.
Zu dem ältesten des alten werden in dieser Beziehung homerische Aus-
drücke wie
TÖtfffov dud tttöXio? ötfcrov T€ TfTwvc ßoricras (Od. VI, 294)
„soweit einer schreien kann",
oder: töckjov tu; T'£m\€Üöo*ei öaov fem Xdav ir|0*i (II. III, 12)
„auf St einwarf",
oder: TTnXcibn«; b'diröpoucKv öcrov j'im boupd? ^pwn. (II. XXI, 2f>l)
„auf Speerwurf" u. s. w.
gehören, die ihre Entsprechungen in zahlreichen Rechtsformeln der
germanischen Völker (vgl. J. Grimm R.-A. S. 54 ff.) finden. Von der
Marschfähigkeit eines wandernden Mannes oder Stammes hergenommen
ist die Rechnung nach Tagemärschen, dem einzigen Wegemass,
das die alten Germanen kannten. Vgl. Caesar De bell. gall. VI, 25:
Hercyniae silvae latitudo noeem dierum Her ewpedito patet; non
enim aliter finiri potest neque menxuras itinerum nocerunt.
Der germanische Ausdruck dafür ist got. rasta, altn. röst, ahd. ra*ta,
eigentl. .Rast' (vgl. auch got. razn ,Haus), der später (mit starker
Einschränkung) gebraucht worden ist, am den Begriff der römischen
Meile (uiXiov) zu übersetzen. Beachtenswert ist auch die Wiedergabe de»
griech. JTdbiov bei Ulfilas durch got. spaürds = ahd. spurt ,Renn-
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526
Mass. Messen.
bahn5 (: sert. spdrdhafe »wetteifert', sprdh- »Wetteifer, Kampf ), und
zwar nicht nur an Stellen (wie Cor. 1. 0, 24), an denen atabiov selbst
, Rennbahn' bedeutet, sondern auch an solchen, wo fftübiov (wie Job.
6, HJ; 11, 1H) nichts als ein Längenmass ist. Es liegt daher die Ver-
mntnng nahe, dass die germanische Sippe schon in vorrömischer Zeit
auch der letzteren Bedeutung nahe gekommen sei (vgl. auch agls.
spyrd ,a measure of ground containing (552 feet', mlat. spurtut ,cin
Landstück').
Zu dem Bedürfnis nach Längenmassen tritt mit dem Aufkommen
des Ackerbaus und der Verteilung des Ackerlandes erst an die einzelnen
Familienverbände, dann an die einzelnen Hofbesitzer (s. n. Acker-
b a u) das nach F 1 ä c h e n m a s s e n hervor. Eine vorhistorische Be-
zeichnung für ein solches liegt in der Gleichung umbr., osk. versus,
vor xu s (vgl. Frontin. De limit. p. 30: Quod Graeci plethron appellaut,
Oxet et Umbri vors u m) ~ russ. rersta ,Werst', altst. rrüsta ,uiXt-
«piov, uiXiov, öTdbiov', poln. warsta, tcarszta, Cech. terstwa, slov.
rersta ,SchichtT, altpr. ain-icarst ,einmar : lat. verto , wende'. Die
älteste Bedeutung ist in dem lit. wafstas (neben warsmas, warsna,
tearsnas) ,Pflugwende', auch ,ein bestimmtes ,Sttlck Ackerland' er-
halten. Der etymologische Sinn ist demnach ,die Ackerfurche, welche
der Pflugstier bis zur „Wendung" zieht*, woraus im Italischen (vgl.
Varro De re rust. 1, 10, 1: In Campania {metiuntur) versibus — ,
cerxum dicunt centum pedes quoquoversutn quadratum) ein Flächen-,
im Slavischen ein Längenmass geworden ist. Eine z weite hierher
gehörige Gleichung liegt in lat. iugum, iugerum ,Ackcrmorgen' =
mhd. jiueh ,Morgeu Landes', spätahd. jühhart ,cin Ackermass' (vgl.
Kluge Et. W.ß s. v. Jauchert) : lat. iugum (s. u. Joe h) vor, deren
Grundbedeutung, wie schon die Römer richtig erkannten, war: ,soviel
Landes, als ein Joch Rinder an einem Tage umzuackern vermag' (vgl.
Varro De re rust. 1, 10 : Jugum rocant, quod iuneti boves uno die
exarare possint und Plinius Hist. nat. XVI II, 9 : Jugerum vocabatur,
quod uno iugo bouni in die e.rarari posset). Umschreibende
Ausdrücke, den oben angeführten Längenmassen entsprechend, sind
die homerischen Wendungen:
öcKJov t'cv veno oöpov ttAci f|Uiövouv (Od. VIII, 124)
„soweit im Brachfeld die Strecke der beiden Maultiere sich ausdehnt"
oder öo*o*ov t'^tci oupa ttcXovtcu fiuiövwv
„soweit als die Strecken der Maultiere reichen".
Das in ihnen gebrauchte Vernum tt^Xuj, n^Xopai erscheint substantiviert
in dem ebenfalls schon homerischen 7T€Xe6pov, nX^Opov, desseu Grund-
bedeutung demnach etwa »Arbeitsfeld' (sc. des Pflugstiers) sein würde,
während -Tuoq in TTtVTiiKOVTÖYuo^, TCTpdfuo?, T€Tpä"fuov : pins »Krumm-
holz am Pflug' gehört, und mit dem oben besprochenen lat. iugum
auf gleicher Stufe steht, nur dass es nicht das Gespann, sondern
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Ma>.s. Messfn.
527
das Werkzeug bezeichnet, mit dem mau an einem Tage ein Ackerland
umpflügen kann.
Andere altertümliche Flächenmaße sind z. Ii. ahd. morgan, eigentl.
,der Morgen', verständlich aus mint, dies ,tantum terrae, qnantum quis
per diem uuo aratro arare potest' (Du fange III*, KM5) oder si/.iliseh
Mtbiuvo«; (entsprechend dem lat. ingerum) d. h. »soviel Land, als mau mit
einem Scheffel Getreide besäen kann', oder agls. hid, engl. Wide ,a
measure of land', eigentl. , genug Land für eiuen Haushalt' {*hhtida-).
S. auch griech. Kf|Tro<; = ahd. huoba u. Garten, Gartenbau.
Wenig ist (Iber die II o h I m a s s e zu sagen, deren Benennungen in
der ältesten Zeit noch gänzlich mit den Bezeichnungen der Gefässe
(s. d.), in deuen Flüssigkeiten und trockene Gegenstände aufbewahrt
zu werden pflegten, zusammengefallen sein werden. Zu bemerken ist
nur, dass, wie dies noch heute bei Nomadenvölkern der Fall ist, auch
der 8 c h I a n c h aus T i e r f c 1 1 bei der Aufbewahrung und Messuug
flüssiger Dinge eine wichtige Rolle gespielt haben wird. So ist im
Lateinischen der ciilhus ,lcderner Sack' (vgl. griech. koXcö?, kou\€Ö£
,Seheide des Schwerts', lit. kulim ,Sack ) das grösste Kubikmass für
Flüssigkeiten geworden. Eine namentlich im Norden weit verbreitete
Reihe für diese Art von Behältern ist tarentiniseh noX-röq (nach G.
Meyer I. F. I, 32"> aus dem Messapischeu nach Tarent gekommen)
.Schlauch', ,ßötio<; äffKÖs', altgall. bnlga, ir. bolg ,Sack', got. halgs (s.
auch u. Fass, Sack und u. Butter am Schlüsse
Alle die im bisherigen genannten Massbestimmuugen weiden wir uns,
in je frühere Zeit wir zurückgehen, umso flüssiger und schwankender
vorstellen müssen. Eine exakte Terminologie kann auf diesem
Gebiet erst aufkommen, wenn man dazu Übergegangen ist, feste Mass-
einheiten anzusetzen, das nun nicht mehr wechselnde, sondern be-
stimmte Fuss- (Hier Ellenmass auf den Massstock (griech. äxatva
oder xäXa,uo<;, lat. pertica, ahd. ruota u. s. w., alle zu 10 oder 12 Fuss)
zu übertragen und sich allmählich einem eigentlichen metrischen
S y s t e m zu nähern. Alles dies ist in Europa erst auf dem Boden
der Einzelvölker, teils durch selbständigen Kulturfortschritt, teils aber
auch unier dem direkten und indirekten Eiufluss desjenigen Volkes
vor sich gegangeu, das schon einige Tausend Jahre vor Christus zu
einer auf der durch die sorgfältige Beobachtung der Zeit (s. u. Zeit-
teilung) gewonnenen Zahl (50 beruhenden Ordnung der Masse und
Gewichte fortgeschritten war, des babylonische n. W a n u die
ersten Spuren dieses babylonischen Sexagesimalsystems, die in der
Bildung der Zahlwörter (s. u. Zahlen) sehr früh hervortreten, sich auch
in den Massen der europäischen Völker zuerst bemerkbar machen,
bedarf noch näherer Untersuchungen. In Griechenland scheint
dieser Prozess sieh erst in nachhomerischer Zeit abgespielt zu haben.
„Es ist merkwürdig", sagt J. Brandis Das Münz-, Mass- und Gewichts-
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628 Mass, Mensen.
System in Vonlerasien, Berlin 1S66 8. 25, ncine wie grosse Verbreitung
diese babylonischen Raummasse nicht nur in Vorderasien, sondem auch
diesseits des Mittelmecres gefunden, und wie sie in Griechenland die
in der homerischen Zeit noch üblichen Namen mehr oder weniger ver-
drängt haben. Man ging dort zwar von der althergebrachten Rech-
nung nach Fuss nicht ab und Hess auch die ebenso alte anderthalb-
füssige Elle ebensowenig wie die sechsfttssige Klafter fahren, nahm
aber im übrigen die morgeuliindischcn Masse einfach an, indem man
den griechischen Fuss nach dein babylonischen regulierte, die Namen
Plethron und Stadion auf babylonische Masse übertrug, und die ein-
heimischen Feld- und Längenmasse ganz ausser Gebrauch setzte". Das
grösste babylonische Wcgmass ward durch persische Vermittlung im
TTapacrd-fTn? u. P o s t) übernommen. In Italien treten früh und
in starker Ausdehnung die Spuren eines den idg. Völkern von Hans
aus fremden Duodezimalsystems 050:5= 12 ) hervor (vgl. Hultsch
Metrologie passim), und zwar gilt dies nicht nur von dem Gewicht
und der Münze (wie es auch bei den Griechen der Fall ist), sondern
auch von der römischen Zergliederung des Fusscs in 12 Teile, von
dem aetttx : ago f.dic Länge der Furche, welche der Pflugstier auf
einen Antrieb zieht ), der im Gegensatz zu dem hnnderlfüssigcn oskiseh-
umbrischen corsitn 's. o.) 120 Fuss misst, von der Einteilung des Scx-
tarius u. a. Man wird nicht irren, wenn man diese unverkennbaren
Züge einer duodczimalen Rechnung auf gleiche Stufe wie die unter
Zahlen angeführten stellt. Im übrigen haben der oben kurz cha-
rakterisirten babylonisch-griechischen Strömung gegenüber die italischen
Stämme ihre einheimischen Flächen- und Gewichtsmasse bewahrt.
Anders sind sie bei den H o h 1 in a s s e n verfahren, die sie, wie schon
Wortentlehuungen gleich lat. cratera aus griech. Kpairip, amphora aus
ä^(popcu£, cyalhua aus KÜaOoq (s. auch u. G e f ä s s e) zeigen, ganz
und gar von den Griechen übernommen haben. Brandis a. a. 0. S. 27
zieht hieraus den Schluss, dass der binnenländischc Tauschverkehr in
Italien das Bedürfnis eines exakt durchgeführten Masssystems für
Flüssigkeiten und trockene schüttbare Gegenstände noch nicht empfunden
habe, als die Griechen anfingen, sich auf der Halbinsel festzusetzen,
und dass erst durch den Handel mit diesen Ansiedlungen, namentlich
mit den sizilischen Pflanzstädten (vgl. lat. hemina V» Sextarius aus
sizilisch huiva), ein ausgedehnter Produktenhandel, namentlich mit Gel
und Wein, begonnen habe. Die Griechen ihrerseits stehen auch hier
ganz unter dem Einflnss der orientalisch- babylonischen Welt. Vgl.
Brandis a. a. 0. S. 27: „Sowie das venezianische Apothekergewicht
nach Nürnberg gewandert ist, sowie das französische Weinmass, die
brabanter Elle und holländische Flüssigkeitsmassc mit den Waren und
den Gefässen, in denen diese versandt werden, auf die Märkte der
grossen europäischen Handelsstädte gelangen und dort beim Verkauf
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Ma-s, Messen.
529
der betreffenden Produkte zur Anwendung kommen, ebenso brachte
der phoenizische Kaufmann mit den mnrgenländisehen Weinen und
Ölen die Massgefässe, in welche diese gefüllt waren, und mit dem von
ihm importierten Getreide das Scheffelmass, nachdem er dasselbe in
Syrien oder Ägypten eingehandelt hatte, in den griechischen Verkehr.
So war das babylonische Salböl in birnenförmigen Alabasterfläschehen,
Palmweiu in eigentümlichen Krügen, Kaboi genannt (von dem semitischen
Tcad), im griechischen Handel, so mass man in den hellenischen
Hafenstädten persisches Korn nach der Addix [vgl. Eust. p. lSf>4:
'Apicrro<pävris ' dXqnTiuv utAtivwv abbixu] und Achane [Aristoph. Ach. v.
10H, vielleicht semitischen Ursprungs], ägyptisches und syrisches nach
dem Kdßo? [aus hehr, qab, nach Hesych ptTpov oytiköv x°ivticcriov. 01
b€ öTTupiba], Wein und Öl aus denselben Ländern nach dem iv [aus hehr.
hin?] und seiner Hälfte, der fmiva; *° bürgerten sich die Xanten für
die fremden Massgefässe, wie Kotbo«;, xrißo<;, ßixoq [s. u. GefässeJ, iv,
KißuOpiov [nach Hesych AifUTrnov övopa im ttottipiou: vgl. hebr. kefor,
assyr. kapru?], ebenso wie die Masse selbst in Hellas ein. wie über-
haupt der Grieche das Handelsgeschäft vom Phönizier gelernt, und
von ihm die technischen Handelsausdrücke, wie öppaßwv [s. u. Kauf-
mann] und xöXXußo£ ^Scheidemünze' aus hebr. hdlaf .wechseln ], in
ähnlicher Weise angenommen hat, wie der europäische Norden die
seinigen vom Iombardischen Kaufmann a [vgl. auch Muss-Arnolt Semitic
words Transactions of the Am. phil. ass. XXIII, 121 f., II. Lewy Die
semitischen Fremdw. S. 115 ff.].
Wenden wir uns noch nach dem Norden Europas, so werden
einige einheimische Masse frühzeitig bei den Galliern bezeugt. Das
altgallische Wegmass war die leuga (it. leg«, altfrz. legue, Jen: ans
leuua bei Beda: agls. Uoice ,Meile ) ,1' ä römische Meile', etymologisch
gänzlich dunkel (vgl. Holder Altceltischer Sprachschatz s. v.). Zwei
Feldmasse sind der arepeuni*, *arependi* (altsp. arapende, frz.
arpent) und das candetum, ersteres zu einem angeblichen altgall.
*arepo-st , Pflog', letzteres zu dem Zahlwort für 100, ir. cet u. s. w.
gehörig (vgl. Holder a. a. 0. s. v.). In dem Verhältnis von 2 : 1 ent-
spricht die gallische leuga der schon oben genannten germ. rasta. Mit
den ersten Beziehungen zu Korn hat sich dann bei den Germanen das
römische Wegemass) die Meile (ahd. milla, nmdl. mile, agls. mil aus
lat. milia, sc. passuuin, auch spätgriech. utXiov) verbreitet. Sonst
erfahren wir noch, dass Claudius Drusus, der Stiefsohn des Angustos,
als Statthalter den Versuch machte, durch Einführung des pes Drusianus
(wie er bei den Tungern hiess, um V* grösser als der römische) das
deutsche Mass im Verhältnis zum römischen zu normieren (vgl. Hultsch
a. a. 0. S. 294). Hinsichtlich der Hoblraasse ist auch hier auf
die zahlreichen Gefässnamen zn verweisen, welche aus dem Süden in
die nördlichen Sprachen übergingen (s.u. Gefässei. Weiteres wie
Schräder. Reallexikon. 34
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530
Mass. Messen — Mauer.
ndl. bmk (daher unser ..Backtrog", vgl. „Windhund14, „Damhirsch")
aus lat. bacca, agls. aniot aus amula , Hecken', agls. ccac , Kessel* aus
lat. cmtcuH ,Trinkschalc' (ir. ettarh .Becher'), agls. ort- ans Int. orco
.Krug", limdl. fn-eft, treft ,ollac stistentaeuluiu' ans lat. tripodem -.tripus,
ahd. e^/w aus lat. tubus u. s. \v. wäre aus F. Kluges Sammlung der
lat. Lelmwörter in Pauls Grundriss I-, HHH ff. hinzuzufügen. An di-
rekten Masshestiimnnngen sind entlehnt: für Flüssigkeiten ahd. seht An,
agls. srster aus lat. se.ittirius, für trockene Dinge ahd. inutti, agls.
mydd aus lat. ntodius, als Zählmass inhd. decke r etc. aus lat. decuria
,l)ckade\ wonach in der Kaiserzeit die auch von germanischen Stammen
(Tac. Ann. IV, 72) als Tribut gelieferten Felle gezählt wurden (vgl.
F. Kluge Kt. W.r> s. v. Decher). Auch der Hegriff der A i c h ung, d. h.
der obrigkeitlichen Massbestiiumung, trägt im Deutschen den lateinischen
Namen (mhd. ichen ,aichen', ndl. ijk Eichstempel', ndd. ike ,Aich-
zeichen' aus lat. aeqtidre; vgl. oben die Nachricht über den pes Dru-
sianus bei den Tungern, von deren (Icbiet der Ausdruck „aiehen"
ausgegangen sein könnte) S. auch u. Wage und Gewicht.
.Matriarchat, s. M u tterrecht.
Matrose, s. Schiff, Schiffahrt.
Mauer (Wall, Wand). Kine ganze Reihe von Bezeichnungen
der Wand in den idg. Sprachen gehen auf die Grundbedeutung »ge-
flochtenes' ,Flechtwerk' zurück. So das lat. rallitm, wenn es richtig
aus *i('f-lrnn gedeutet und mit ir. fdl ,Zaun, Gehege' verglichen wird,
so ir. fraig .Wand' = seit, rrajd- , Hürde', so got. -teaddjus in gntndu-,
baürgs-, mipgardi-waddjus (letzteres ,Scheidewand ) = altn. ceggr, agls.
ird'g : seit, räyati ,er webt', lit. wejit ,drehe einen Strick', altsl povoj
,fascia', poln. powoj ,eardo', klruss. röj ,Zaunschichtc', etc., so ahd.
want =. got. wandus ,Rute', lit. teänta ,Badequast', d. Ii. geflochtenes
Reisigbündel (vgl. Vf. Sprachvergleichung und Urgeschichte* S. 41)4,
Meringer Etymologien zum geflochtenen Haus, Festgabe für Heinzel
S. ITH ff.). Zweifelhafter ist, ob auch got. gards ,llaus' (s. u. Garten,
Gartenbau) mit ahd. gerta ,Gcrte' verbunden werden darf. That-
sächlich wird wiederholt vongcfloehteten Häusern Alteuropas berichtet.
Nach Strabo IV, p. 197 bestanden die Häuser der Beiger aus Brettern
und Flechtwcrk, bei Ovid Fast. VI, 261 heisst es vom ältesten Tempel
der Vesta:
Et partes lento l imine te.rtus erat
(vgl. zu te.ro oben got. icaddju* : sert. räyati ,er webt' und ahd. icant
: got. trindon, sowie Meringer a. a. 0. S. ITH über das altn. vandahüs).
Beachtenswert ist auch, dass eine russische Benennung des Zimmermanns
plotnikü lautet, von altsl. phtü : plesti ,<ppcrruöq, sepes. Oft wird
ferner das Flcehtwerk mit Lehm verstrichen, oder zwischen zwei Reihen
von Flcehtwerk Lehm eingestampft worden sein, Arten einer Wand-
konstruktion, von denen die Reste vorgeschichtlicher Ansicdlungen rcich-
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Mauer. 531
liebes Zeugnis ablegen (vgl. M. Much in den Mitteilungen tl. Wiener
anthrop. Ges. VII, 334 ff.). Von beutigen Flechtwerkbauten, nament-
lich im Norden der Balkanhalbinscl, berichten Mcringcr a. a. 0. und
II. Hirt Z. f. deutsche Phil. XXXI, 504.
Eine solidere Hauswand bewirkt der Bloekwerkban, dessen erste
Anfänge aber nicht in der horizontalen Schichtung der Baumstämme, son-
dern in der Verwendung des aufrecht gestellten Baumstammes für
die Umfassungswand eines Gebäudes liegen (vgl. M. Heyne Deutsches
Wohnungswesen 8. 18 f. i. Von dieser Art sind zahlreiche der auf der
Marcus-Säule dargestellten Gebäude. Vgl. Petersen Marcus-Säule S. 55:
„Die Häuser, fünf an der Zahl, sind alle rund im Grundriss, bis auf
das grösste oben rechts, welches viereckig erscheint [Tafel VII], auf-
gebaut aus aufrechten durch drei bis vier Flechtseile in Abständen
übereinander verbundenen, nicht dicken Stämmen". Auf diese Bauart
wird sich auch die Angabe des Tacitus Genn. Cap. 16 beziehen: Xe
caementorum quidem apud Mos auf tegularum usus : niateria ad
omnia utuntur in formt et citra speciem auf delectationem. quaedam
loca diligentia illinunt terrtt ita pura ac xplendente, ttt picturam
ac lineamenta colorum imitetur. Vorwiegend auf derartige Bauten
mag sich die Gleichung sert. däma-, griech. bonos u. s. w. : griech.
b^uuu, got. timrjan »zimmern' beziehen (vgl. Meringer a. a. 0. S. lt>'2).
Endlich nmss auch die eigentliche, damals nur nicht ans Stein,
sondern aus Lehm errichtete Mauer schon der Urzeit bekannt gewesen
sein. Eine idg. Gleichung für sie liegt in griech. Ttixos ,Maner',
toixo? ,Wand* — osk. feihuss ,muros' (vgl. auch sert. dehf , Auf-
wurf, Damm, Wall', nw.pairi-daeza- .Umf'riedignng', altp. didth , Festung'
u. a.). Die zu dieser Sippe gehörigen got. deigan ,kneten', daigs
,Teig" (wohl auch agls. die ,Damin'j, lat. fingo, figulus .Töpfer' weisen
deutlich darauf hin, dass man hierbei lediglich au die aus Lehm auf-
geführte Erdmaucr zu denken hat. Eine Parallele zu Teixo^, toixo<;
bilden die slavischen Ausdrücke nsl. zid, eech. zed' , Mauer' : altsl.
zldati ,bauen', zldü ,tcrra figularis', poln zdun .Töpfer', altpr. set/dix,
alb. zid ,Mauer'.
Die im bisherigen geschilderten Wandkonstruktionen werden nun
auch bei den Befestigungen Verwendung gefunden haben, von denen
wir uns die schon in der Urzeit vorhandenen Burgen (s. u. Stadt)
umgeben denken müssen. Nach Herodot (VII, 142) war die Burg
von Athen in alten Zeiten lediglich mit einer Domhecke eingefriedigt
gewesen (f| fap öncpÖTroXii; tö TtdXai tuiv AenWujv faxfy in<<ppaicTO). Für
den Norden Europas sind in dieser Hinsicht die beiden Reihen ahd.
zun, alts. tun, agls. tun = altgall. -dunum, ir. dün (vgl. auch
altsl. tynü ,Mauer') und mhd. hag, ahd. kag (auch ,nrbs", vgl. ferner
„Hagen" in Ortsnamen) = altgall. caium, kymr. cae bedeutungsvoll,
in denen die Bedeutung ,Zaun', ,Gehege' allmählich in die von ,Ort'
♦
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532
Mauer — Maulbeerbaum.
und ,Stadt' Ubergellt. Vgl. auch alt.sl. gradii ,muros', nsl. grad ,SchIoss',
bulg. grad ,Stadt', eeeh. hrad ,Bnrg' u. s. w. : lit. gardas ,Gchege'.
In Italien wird von der Stadt Aeciilanum im inneren Samnium berichtet,
das» sie noch während des grossen Bnndesgcnossenkriegs mit einer
hölzernen Mauer befestigt gewesen sei (Appian. Bell. civ. I, öl), und
eine Parallele zu den die Pfahldörfer der Poebne umgebenden Erd-
wällen bietet der Tcrreus murus, welcher die latinische Xiedcrlassung
auf der Höhe der Carinen umgab (Varro De lingua lat. V, 48: Subaru
Junius scribit ab eo, quod fuerit sab antiqua Urbe: qtwi testimonium
potent exte, quod subest ei loco qui 'Ferren* murus rocatur). Auch
den homerischen Dichtern scheinen nur Befestigungswerke aus Palis-
saden und Erdwerken, teilweis mit untermischten Steinen, bekannt ge-
wesen zu sein (vgl. W. Heibig Die Italiker in der Poebue S. 45 ff.,
S. 132 ff.). Endlich ist auch die Verbindung von Flechtwerk und
eigentlichem Wall bekannt gewesen, wie sie die Befestigungswerke
auf der Marcus-Säule und die im Centralmuseum zu Mainz aufgestellten
Modelle der Ringwälle auf dem Altkönig (Taunus) zeigen.
Unbekannt war der Urzeit nach allem obigen die Mauer aus Stein,
die zusammen mit der Kunst des Steinhaus überhaupt sich vom Mittel-
meer her über Europa verbreitet bat. Den Gang dieser Kulturüber-
tragnng bezeichnet die Entlehnung des lat murus (*moiros, mnenia :
kymr. maen ,Stein': vgl. altsl. stena ,Wand' : got. stains ,Stein) ins
Keltische (ir. mür; über aus Stein und Holz hergestellte altgallische
Mauern vgl. Caesar De bell. gall. VII, 23), Germanisehe (ahd. mura,
agls. mür), Slavisehe fpoln. mur), Litauische (müras: neben sie'nas, das
in alle westfinnisehen Sprachen eingedrungen ist), Albanesische u. s. w.
Ebenso ist lat. vallum, das unter griechischem Kultureinfluss (wie griech.
TtTxoq, toixo? unter semitischem) auf die steinerne Mauer übertragen
worden war, von den Westgermanen (agls. tceall, mhd. ical, auch
mss. ralü) frühzeitig übernommen werden. S. unter Haus und
Steinbau.
Maulbeerbaum. Der schwarze Maulbeerbaum (Morus nigra L.)
ist wild im südlichen Transkaukasien und wohl auch in den persischen
Provinzen Ghilan und Mascndcran heimisch. Wann er zuerst im alten
Griechenland auftritt, ist deswegen schwer zu entscheiden, weil in der
Terminologie des Baumes Verwechslungen mit derjenigen der ägyp-
tischen Sykomorc und des einheimischen Brombeerstrauches stattgefunden
haben. So heisst der ägyptische Manlbeerfeigenbaum im Hebräischen
siqmdh, und es ist kaum zu bezweifeln, dass hieraus mit Anlehnung
an (Tökov , Feige' das griech. (TuKänivoq entstanden ist. Vielleicht ist
die doppelte Pluralform von siqmdh : siqmim und siqmöt die Quelle
von auKäpivo?, ebenso wie von dem später bezeugten o*uKÖuopo£. Eine
zweite Bezeichnung des Maulbeerbaums, die den Ausdruck o*uKdfiivo<;
allmählich fast verdrängt, ist uop^a, eine Ableitung von uöpov, das
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Maulbeerbaum — Maultier.
533
eigentlich »Brombeere', dann auch , Maulbeere bezeichnet. Ebenso hat
das als dakiseb überlieferte uavTeia , Brombeere zu alb. man, mand
»Maulbeerbaum' geführt. 8. u. Becrenobst.
Im allgemeinen wird man die Zeit der Tragiker, spätestens die der
mittleren und neuem Komödie, für das erste Erscheinen des Maulbeer-
baums in Hellas in Anspruch nehmen können.
Im Lateinischen heisst der Baum mörus, die Frucht möruni, ent-
weder eine Entlehnung aus dem griech. uöpov, utüpov, oder, was wahr-
scheinlicher, nach dem Vorbild des letzteren aus einem einheimischen
worum , Brombeere' gebildet. Von Italien aus ist der Baum und sein
Name nach Deutschland übergegangen (ahd. märberi, agls. mörberie),
wo sein Anbau in dem Capit. de villis LXX. HU vorgeschrieben wird.
Die Goten haben einen selbständigen Ausdruck bairabagmx, der uoch
nicht überzeugend erklärt ist. Einige denken an eine Verwechslung
mit dem Birnbaum und sehen in batra- das ahd. bim aus lat. pirua,
pirum.
Da lat. mörus zu Verwechslungen mit der Brombeere Anlass gab,
so bildete sich in Italien ein genauerer Ausdruck ceha sc. mortui
oder auch geradezu cehux, ceha wie morus, mora heraus, der zu it.
gelso führte (vgl. G. Goetz Thesaurus I, 7 IM s. v. mora dornest ica).
Eine neue und grosse Aufgabe erhielt der Baum, als man gelernt
hatte, mit seinen Blättern die Seidenraupe zu füttern (s. u. Seide).
Hieraus erklärt sich der altsl. Ausdruck selkoeica : Aelkü .Seide' gegen-
über jagodieije : jagoda , Beere'. Doch wird der schwarze Maulbeer-
baum aus dieser Rolle mehr und mehr verdrängt durch den gegen-
wärtig in Süd- und Mitteleuropa zu diesem Zwecke fast ausschliess-
lich angebauten weissfrüchtigen Maulbeerbaum (Morus alba L.), der
Beine Heimat in China und dem nördlichen Ostindien hat. Eine Kette
zusammenhängender Namen führt von dem Osten (russ. tut) und Südosten
(türk. dud, alb. dude, mgricch. tout kou ria) unseres Erdteils durch die
iranisch-armenischen Länder npers. tut, armen- 'tut) his nach Indien
(tüd .Maulbeerbaum' B. K.j. In Deutschland scheint aber erst Hierony-
mus Bock (16. Jahrb.) in seinein Kräuterbuch beide Maulbeerbäume
zu kennen. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen" S. 373 ff und v. Fischer-
Benzon Altd. Gartenfl. S. 15(5 ff. S. u. Obstbau und Baumzucht.
Maultier. Die Erfindung der Maultierzucht wird nach den überein-
stimmenden Zeugnissen des klassischen Altertums (vgl. sie bei V. Hehn
Kulturpflanzen " S. 131) dem pou tischen Kleinasien, im besonderen
den paphlagonischen Enetern und Mysern zugeschrieben. Nach dem
alten Testament war Thogarma oder Armenien der beste Erzeugungs-
ort des Maultiers.
Von dort war das Maultier (»luiovoq, eigentl. ,Halbesel' wie auch lit.
püs dsilis) schon in vorhomerischcr Zeit nach Griechenland gebracht
worden, wo es das gewöhnliche Zug- und Lasttier (hoin. auch oüpeüq
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531
Maultit-r — Maulwurf.
,Bcrgtier' : öpo? ,Berg) der heroischen Zeit ist. S. u. Esel. Nur im
Laud der Eleer wurde Maultierzucht, wie bei den Juden, als Frevel
betrachtet (Hehn Kulturpflanzen*5 S. 132). Auf kleinasiatischen Ur-
sprung weist vielleicht auch das lat. mülm hin. Dasselbe ist ans
*mux-1o- hervorgegangen, und gehört zu alb. mttik ,Maultier', friaul.
muxs, venez. muxxo ,Esel', auch rum. musqoiu und altsl. mizgü, mlskü.
Die sich so ergebenden G rundforiuen *muxo-, *mus-Io-, *mux-ko~ lassen
sich vielleicht als .mysisches Tier' deuten und zu dem 35. Fragment
des Anakreon iBergk):
ITTTTOGÖpOV bi Muo*oi
€Üp€iv ^uEiv övwv npö<; utttoih;
stellen (vgl. G. Meyer I. F. I, 322).
Bezeichnet mülux den Abkömmling von Esel und Stute, so ist das
aus griech. ivvo<; (Aristoteles) entlehnte hinnus der Spross von Hengst
und Eselin, eine wohl spätere Mischung.
►Süd-östlich von den Armeniern, die das Maultier Mikes : es ,Esel'
nennen, zeigen die arischen Sprachen eine zusammenhängende Gruppe
von Benennungen in npers. eater, pehl. axtar, knrd. istir, sert. (Atharva-
veda) aqvatarä: Merkwtirdig ist bei dieser Zusammenstellung (vgl.
Horn Ginndz. d. np. Et. S. 21), dass die iranischen Formen des p von
exp = seit, liqva- , Pferd' entbehren.
Von Italien ist der Name des Maultiers mit dem Tiere selbst zu
Kelten (ir. mt'd) und Germanen (altn. mt'tll, agls. mtil, ahd. mül) ge-
drungen, während die slavischen Sprachen, wie wir saheu, auf andere
Zusammenhänge hinwiesen. Beachte noch mss. Hak ,Manltier' aus
turko-tat. ex'ek ,Escl' i vgl. auch oben die armen. Wörter). Wie wenig
bekannt im hohen Norden das Maultier in früheren Zeiten gewesen
sein muss, scheint das altpr. weloblundix ,mnlus' zu zeigen, ein Wort,
das sonst in den nordischen Idiomen Kamel (s. d.) bedeutet.
Im Vulgärlatein tritt für hinnus ein hurdo und burdux auf, ver-
schieden von burrkux ,kleines Pferd' (Wölftlins Archiv VII, 318 und
G. Goetz Thesaurus I, 157). Vgl. bei Du Gange:
Burdon em producit equus coniunetus weihte,
Procreat et mulum iunetus asellux equae.
Das Wort (dunkler Herkunft) ist, wie mtllux, in die germanischen
Sprachen (ahd. burdihhfn, nind. burdon, mndl. bord-esel) entlehnt
worden, wo ausserdem ein nicht minder rätselhaftes ahd. diirmer
,burdo ex equa et asino' begegnet (vgl. Palander Ahd. Tiernamen
S. 99).
Ein anderer Ausgangspunkt der Manltierzucht als die südpontischen
Gebirge war das abessynische Hochland, worüber F. Hommcl Die
Namen der Säugetiere S. 112. — S. u. Viehzucht.
Maulwurf. Das Tier hat in Europa alte, aber bis jetzt keine Spur
lautlichen Zusammenhangs verratende und meist etymologisch dunkle Be-
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Maulwurf — Meer.
535
nennungen: griech. o*KdXoijj, dairaXaH, o*TrdXaE ':o*KdXXu> ,grabe'V\ lat.
talpa, korn. */od (arem. goz, knmbr. gtcadd), altsl. kridü (vgl. lit.
kertits «Spitzmaus'), alb. «W. .Sehr mannigfaltig sind die germanischen
Namen: ahd. mti-trerf (: agls. mrij/n, nuiwa, engl, »ioic , Hügel ) und
mult'icerf (: got. mulda, alid. mo/to ,Erde' = wert. m/V/- ,Lelmi, Thon,
Erde', idg. merdh merd), beides also , Erdwerfer' bedeutend, wie das
agls. icttnde-tceorpe .Wandwerfer'. Daneben ahd. mtd-ic<:rf, mul-tcelf,
denen ein in der ndd. Benennung mul, mol und in den Keichenauer
Glossen (talpas : muli, qui terram eff'odinnt) erhaltenes, nicht zu-
sammengesetztes * niulos , Maulwurf zu Grunde zu liegen seheint. Ein
weiterer Name ist ahd. xci:ro : sci;ran .sehneiden', sefrran .kratzen'
(vgl. Palander Ahd. Tiernamen 8. 2(5 ff.).
Maus. Der idg. Name des Tieres ist sert. mush-, npers. ntüs,
armen, mukn, griech. uü£, lat. mrt*-, ahd. müs, altsl. /////*/*, alb. mt.
Vgl. sert. mush ,stehlen', so das« die Maus soviel wie , Diebin' wäre,
doch kann umgekehrt sert. nntsh auch soviel wie „mausen" sein. Ans
weicht nur das Litn-Preussische mit pett-peles (,die graue', vgl. griech.
Tr^Xeioq «schwärzlich') und das Keltische mit *htkot-, ir. Ittch, Gen.
lochat (,die schwarze', vgl. ir. loch »schwarz'). Vgl. noch lat. sorex
.Spitzmaus' = griech. (spät üpct£ und das alleinstehende griech. 0uiv8os,
(JuivHa ,Haiismaus' (vgl. 'AttöXXwv Iuiv8io<; ,der die Hausmäuse ver-
treibt), die Prellwitz Et. W. mit lit. smtliu« ,Xäschcr', smihhtti «naschen'
vereinigen milchte. Über die von den Namen der Maus hergenommenen
Benennungen der Muskeln s. n. Körperteile.
.Heer. Üass den lndogermaucu oder grossen Teilen ilerselben
schon in der Urzeit ein Meer bekannt war, folgt mit Sicherheit aus
der Reihe: lat. mare, altgall. *mori in Eigennamen wie Aremorici,
Morini, ir. muir, got. marei, altsl. ntorje, lit. mären ,Hatf. Die Ver-
mutung Kretschmers Einleitung S. 67), nach der diese Wörter durch
Entlehnung, etwa von der altgallischen Küste aus, sich über Europa
verbreitet hätten, entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit. Eine Weiter-
führung der genannten Sippe, neuerdings besonders durch Hirt (I. F.
I, 47f>), der griech. ßpüE, ßpuxö? ,Meeresschluud' und engl, brack, ndd.
brackig ,Salz-, Seewasser', oder durch Uhlenbeck (Et. W. d. got. Spr.
S. 102), der griech. dudpet ,Graben', 'Ampiuapo^ ,Sohn Poseidons', ja
sert. maryä'dä ,Grenze' („ Meeresküste" V) heranziehu möchte, ist oft-
mals, doch bis jetzt ohne überzeugenden Erfolg versucht worden.
Somit stelin vorläufig noch abseits von der genannten Gleichung in
Europa das Griechische mit ttövto? (wohl ursprünglich ,Pfad' = sert.
pdnthds, vgl. ÜTpd tce'Xeueai, edXaaaa, TrAaTO^.-üJKeavö«; und das Albane-
ßische mit dit (vielleicht aus *del't und zu 9dXao*aa gehörig). Eine
zweite vorhistorische Bezeichnung des Meeres oder auch eines grösseren
Binnengewässers liegt in lat. locus, ir. loch, altn. lögr, agls. Ingo vor.
Litu-preussisch ist die Gruppe altpr. juryay, lit. jt'tres, lett. jüra ,das
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Meer — Meerrettich.
Meer', ,ilie Ostsee*, eigentlich das .Wasser' : sert. rar- (vgl. auch altn.
cer, agls. uw ..Meer'). Zwei gemeingermanisehe, nicht weiter deut-
bare Ausdrücke sind got. nahe*, ahd. *fn und altu. 7m/*, agls. heef,
mhd. Ä^fte*. Auch von dem genicineuropäisclien Wort für Salz
(s. d.) werden tnelirfach Benennungen des Meeres gebildet.
Welchen Meer lat. untre und seine Sippe ursprünglich bezeichnete,
kaun nur im Rahmen der Urheiniatsfragc entschieden werden. U. Ur-
heimat .sind die Gründe angeführt worden, welche dafür sprechen,
dass das den Indogerinancn bekannte Meer das Schwarze Meer
war. Sowohl in diesem wie auch in der Ostsee und im Mittellän-
dischen Meer ist das Phaenomen der Ebbe und Flut unbekannt. Alte
Benennungen für diese Erscheinungen wird man daher nur bei den
an den Küsten des Ozeans ansässigen keltischen und germanischen
Stämmen erwarten dürfen. Keltische Namen scheinen nicht bekannt zu
sein. Im Angelsächsischen und Altniederdeutschen gilt ebha, ebhiunga
(:got. ibttks Rückwärts', altn. aber fjara, das unerklärt ist). Der
erste (1 rieche, der genauere Kenntnis von Ebbe und Flut (djjirumt
eigentlich .das Auftrinken' von dvü und ttivuj, aeol. mwvw ,Ebbc' und
TrXn.uuupiq ,Klnt ) und ihre Ursachen von seiner Reise ins Nordmeer
mit nach Hause brachte, war IVtheas von Massilia (vgl. Müllenhoff
Deutsche Altertumskunde I, M4 ft\). — S. auch u. Schiff, Schiff-
fa hrt.
Medikamente, s. Arzt.
Meerrettich [Cochlearia Armorica L.). Es steht noch nicht
fest, ob diese Pflanze im Altertum bekannt war: denn es wird von
einigen bezweifelt, dass das von Colnmella und Plinius (s. n.) genannte
armoracin sich auf den Meerrettich bezieht.
Die Botaniker suchen die Heimat der Pflanze im östlichen Europa.
Thatsächlich hat dieselbe nur im Sla vischen einen über alle Mundarten
verbreiteten, offenbar sehr alten Namen: ehrend (lit. kriena, vgl. auch
ngriech. xp«vo^). Dieses Wort ist dann in das mhd. krene und weiter
in das frz. cran, cranxon (auch motttarde des Allemands) entlehnt
worden. Daneben aber besteht im Germanischeu ein älteres, zuerst
von der heiligen Hildegard überliefertes meri-rätich, merrich, merre-
dih etc., agls. merici, bezüglich dessen man zweifelhaft ist, ob es
„Meer-rettieha, d. h. vom Meere gekommener Rettich oder „Mähre-U,
d. h. „Pferde-rettich" (vgl. engl, horxeradixh) bedeutet.
Sollte lat. armoracia identisch mit unserem Meerrettich sein, so
würde die Stelle des Plinius Hist. nat. XIX, in der es vorkommt:
Etiamnum ununi sileestre Graeci cerain vocant (cherain, cherian,
vgl. Detlefsen s. v. — früher las man agrion — ), Pontici armon, alii
leuceu, nostrl armoracia mt f'ronde copiosiux quam corpore von
grosser Bedeutung für die Geschichte des Meerrettichs seiu. Lat. armo-
racin, mit dem das offenbar verdorbene armon im wesentlichen identisch
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Meerrettich — Messer.
537
wäre, könnte dann als eiu galatisch-pontischcs Lehnwort und genau
als Prototyp unserer „Meer-retticli" (vgl. gall. *aremori in Aremorici
„am Meere** etc.) aufgefasst werden. Auf dieselbe Gegend aber würde
slav. chreml zurückführen, das sich in dem Plinianischen c{e)ruin,
ch{e)rmn i — griech. Kepdi'v, mir von Theophrast IX, 15, 5 bezeugt: £ti bfc
öaÖKov baqpvoeibe? KpOKÖev, Kai r)v £xetvot u£v pdcpavov dfpiav KaXouo"i
tüjv b' iaTpdiv tiv€? Kepdiv) unschwer wiederfände. In Wirklichkeit
bewohnt der Meerrettich noch jetzt die Küsten des Schwarzen Meers in
wildem Zustand. Vgl. De Candolle Urspr. d. Kulturpfl. S. 42 und
v. Fiseher-Benzou Altd. Gartenfl. S. 114.
Mehl, s. Ackerbau und Mahlen (Mühle).
Meile, s. Mass, Messen.
Meise, s. Singvögel.
Meissel. Flintene und beinerne Meissel sind eins der häutigsten,
weil zur Herstellung der ältesten Holzbauten notwendigsten Werkzeuge
der jüngeren Steinzeit, über deren verschiedene Gestalten u. a. S. Müller
Nordische Altertumskunde I, 137 ausführlich gehandelt hat. Später
tritt auch hier die Bronze an die Stelle des Steins oder Horns (vgl.
S. Müller a. a. 0. S. 280), in welchem Falle, ebenso wie bei dem dem
Meissel nahe verwandten Gelte (vgl. über dieses Wort und den von ihm
bezeichneten Begriff M. Much Mittl. d. Wiener anthrop. Ges. XXIV, 84 ff.),
oft schwer zu entscheiden ist, ob man es mit einer Waffe oder einem
Werkzeug zu thun hat. Eine idg. Gleichung für die mit dem Meissel
auszuübende Holzarbeit ist griech. ■fXü<puj (rXucpeiov, -fXuqn«; , Meissel')
— ahd. klinbaii, lat. glttbo (vgl. auch ir. tjihab ,eiseau u. a. nach
Ungge Romania IV, ;i5S). Für das Instrument selbst ist eine vor-
geschichtliche Benennung noch nicht ermittelt worden: griech. o*Kt-
irapvov ,ein nieissclartigcs Werkzeug' ahd. scaban, altsl. skttpati .graben'
etc.), lat. scatprum : sealpo, kambr. crafell .radula, scalpruiu' (Zetiss
Gr. C* p. 1072). gemeingerm. ahd. meteil, altn. nieitell : got.
maitan , hauen', wie lit. kdltas »Meissel* : kdlti »schlagen*, gemcinslav.
*dolbto-, altsl. dlato. woraus all), dalte (: agls. delfan, ahd. felpon
,graben ). — S. u. Werkzeuge.
Mehle, s. Garten, Gartenbau.
Melken, s. Milch.
Melone, s. Cucurbitaceen.
Menig, s. Farbstoffe.
Mensch, s Mann.
Menschenopfer, s. Opfer.
Mergel, s. Düngen.
Messe, s. Markt.
Messer. Schon in der Steinzeit Europas kommen Messer ver-
schiedener Art vielfach vor. Sie bestehen entweder aus Feuerstein
(vielfach noch mit ihrer Holz- oder Hirschhornfassung erhalten), oder
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Messer.
auch, wie in den Schweizer Pfahlbauten oder in denen des Mondseesr
aus Holz (Eibe). Sie können nur friedfertigen Zwecken gedient haben;
denn man kann mit ihnen wohl schneiden, schaben, glätten, nicht aber
hauen und stechen. Zum Kampfe diente vielmehr das steinerne Dolch-
messe r, ebenfalls häutig nachgewiesen, wenn auch nicht immer scharf
vou der steinernen Lanzenspitze zu unterscheiden. Sowohl für das
Messer in seiner friedlichen wie in seiner kriegerischen Bedeutung be-
stehen idg. Gleichungen: auf der einen Seite sert. kxhurd- = griech.
Hupöv, auf der andern sert. asi- = lat. ensis. Lber letztere Reihe ist
u. Schwert gehandelt worden; was die erstere betrifft, so ist hier die
irrtümliche Annahme zurückzuweisen, als ob kshurd-Zvpöv von Haus aus
das Rasiermesser bezeichnet habe (vgl. die Polemik über diese frage
zwischen Benfey und W. Heibig Sprachvergl. und Urgeschichte* S. 53 ff.).
Sert. kshurä- gehört zu griech. £e(F)w ,glatt machen' und hat also ur-
sprünglich nichts audercs als geglättetes' oder glättendes', , Messer' über-
haupt bezeichnet. Thatsächlich ist dies au den drei Stellen des Rigveda,
an denen das Wort vorkommt, die ausschliessliche Bedeutung (vgl.
Zimmer Altind. Leben S. 266), und auch das homerische: em Eupoü
dKun? löTcrrai kann man sehr wohl einfach übersetzen: „es steht auf
der Schneide des Messers" (nicht Schermessers). Dabei braucht nicht
geleugnet zu werden, dass jene prähistorischen Flintmesscr (kshurti-,
Eupövj auch zum Abnehmen des Bartes verwendet werden konnten.
Eigentliche (metallene) Rasiermesser treten erst in späteren Zusammen-
hängen in Europa auf (s. u. Haartracht). Eine zweite, aber auf
Europa beschränkte vorgeschichtliche Benennung des Messers liegt in
lat. no{q)cä cula , Messerchen', Rasiermesser' : altsl. nozt aus *nogji
,Mcsser' vor, die beide zu altpr. nagis, lit. tit-nagas »Feuerstein' ge-
hören, ein in dem angegebenen Zusammenhang nur natürlicher Be-
deutungswandel (anders Kretschmcr Einleitung S. 136 und Brugniann
Grundriss II», 675, die lat. nocdcula von einem Verbum *c*nocare :
sert. fahndüti ,schärft, schleift' ableiten).
Mit dem Auftreten des Metalles, zunächst der Bronze, begegnet man
einer grossen Mannigfaltigkeit von Messertypen in Europa, Aber die
u. a. Nane Die Bronzezeit in Ober- Bayern S. 100 ff. gut orientiert.
Auch die Mannigfaltigkeit der auf die Eiuzelsprachcn beschränkten und
noch mehrfach unklaren Bezeichnungen des Messers ist eine grosse:
griech. kottcu? (: kötttuj »schlage'), bopiq (: b€ipw »schinde'), o*MiXrj (: ni\o£
»Taxus', s. oben über eibene Messer der Pfahlbauten), lat. culter (cult-er
: sert. krt-i-, aw. karet-a- »Messer' oder cul-ter : *ceUere, percellere,
vgl. oben Korc-iq?; Entlehnung in kymr. ciclltr, agls. culter. mndl.
couter etc.), gcnieinkeltisch ir. scian u. s. w. (*skeeno-) und ir. altain
»Rasiermesser' (*altani-). gemeingerm. altn. knifr, agls. enif, nhd. kneif
(dunkel), daneben ahd. mezzirahs, mezzi-mh* »Speisemesser' : got.
mats ,Speise' und ahd. mhs (s. u. Schwert und vgl. Posidonius von den
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Messer — Messing.
539
Kelten bei Athen. IV, p. 152: Trpoo*<pe'povTai bi xaÖTci (icpea) xaGaptuu? ufcv,
XeovTiuöui? bl Tai? x*P°"lv du<poTe'pais afpovreq öXa ue'Xri kgu aTTObaK-
vovre?- iäv bk rj n buo"aTTÖo"Traö"Tov, uaxaipiiy niKptli TTapaTeu-
vovtc?, ö Toxq ko\€Oi<; ibia 6n.Kr) TrapctKtiTai), lk. /m>J//x,
auch altpr. in VaUpeili* »Hackmesser' (dunkel).
.Schliesslich sei bemerkt, dass unter dem oben behandelten seit.
Jcsfiurd- - gricch. £upöv auch die feuersteinenen Schabemesser (vgl.
lat. scaba, got. sicaban, altsl. xkohlt ^Schabeisen' etc.) mit verstanden
worden sein können, die zahlreich in der neolithischen Epoche nach-
weisbar sind, und deren man sich bediente, um die Häute (s. u. Leder)
zu reinigen und zu bearbeiten. — S. u. Werkzeuge.
Messing. Die erste Erwähnung dieses Metalles findet sich bei
Psendo- Aristoteles De mirabilibus auscultationibus: <paoi töv Mocrcru-
voikov xa^^öv XaurrpÖTarov ica\ XcuKÖTCtTov . eivcu oü TrapauiYvuufcvoo
aüruj Kaamrepou äXXä -f»l? tivo? ((ialmei, Zinkerz) Y'vopcvn? auve^o-
lu^vri? ctÜTLÜ. Das Messing wurde ursprünglich direkt in Bergwerken,
wo sich Kupfer mit Zink vermischt vorfand, gewonnen und erst später
durch künstliche Mischung hergestellt. Der gricch. Name des Messing»
ist später öpeixaXKoq (, Bergerz'), der früher ein fabelhaftes und nicht
näher zu bestimmendes Metall bezeichnet hatte (vgl. Vf. Spraehvergl.
und Urgeschichte8 S. 28ö). Auch die Ausdrücke Kpäpo, KCKpauevoq
XoXkö? und xa^xoXißavo? kommen vor. Aus dp€ixaXKO<; wurde lat.
auri-chalcum mit Anlehnung an anrum entlehnt, urspr. ebenfalls ein
fabelhaftes Metall, dann Messing. Aus lat. aurichalcum : ahd. firchalc.
Indessen ist der gewöhnliche Name des Messing« im Germanischen
mhd. mexxinc, agls. mastling, altn. mexsing und merxing neben den
nicht abgeleiteten mhd. mexxe, Schweiz, mösch. Man leitet dies Wort
gewöhnlich von lat. maxxa, ahd. maxsa ,Metallkluinpen' ab. Indessen
werden vou Kluge (Et. W.6 s. v. Messing) gewichtige Gründe hier-
gegen geltend gemacht. Wahrscheinlicher ist, dass die germanischen
Wörter östlicher Herkunft sind und aus poln. moxiqdz, os.
mosaz stammen, die Miklosich auf eine Grundform *moxengjü zurück-
führt. Woher die slavischen Formen stammen, ist freilich ungewiss.
Man kann an die orientalischen Namen des Kupfers kirgis. moex,
buchar. tnixs, kurd. myx, npers. myx, mix, mazend. merx, mix denken,
die mit einem Suffix, wie es etwa in npers. bir-inj etc. , Kupfer',
,Messing' vorliegt, wohl das Vorbild von slav. *mo8engjü gewesen sein
könnten. Schon im Altertum hatte die Bronze- und Messingfabrikation
im persischen Reiche eine hohe Entwicklung erlangt (vgl. Tomaschek
Mitteilungen der Wiener anthrop. Ges. XVIII, 8). Im Osten wurzelt
auch das sfldost-europäische ngricch. toüvtZi, rnm. tuciü, alb. tutx,
serb., bnlg. tue, eine Sippe, die schon aus dem XI. Jahrb. überliefert
ist (vgl. Beckmann a. u. a. 0. S. 388). Vgl. tttrk. tudz ,Bronze'.
Merkwürdig ist das altpr. caxsoye , Messing', insofern es an sert. kamxä-
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Mt'Shinsr — Metalle.
,Becher', ,Messing", käriisya- .Messing' anklingt. Hängen diese Wörter
zusammen, so wäre natürlich von der Bedeutung , Becher' (dann ,das
Metall eines Bechers ) auszugchen.
Ganz modernen Ursprungs ist die Reihe von it. tombaeco, all), tum-
bdk etc., die man auf malaviseh tambdga , Kupfer' zurückführt.
Was das zur Erzeugung des Messings notwendige Zink betrifft, so
kannten die Alten nur Zinkoxyd, ein bei der Verschmelzung von Erzen
sich ergebendes Produkt, und fossiles, natürliches Galmei, nicht das
metallische Zink, «las nur durch eine komplizierte Destillationsvor-
richtung gewonnen werden kann. Der klassische Name für Zinkoxyd
und Galmei ist gricch. Kuouict, lat. codmea, cadmia (dunkler Herkunft),
woraus sp., ptg. adamin«, frz. cahnnine. Das erst nhd. zink (lit.
einlas etc.) wird mit nhd. zinvo .Zinke' zusammenhängen, in welcher
Form sich das Zink beim Schmelzen der Erze absetzt. Schade Altd.
Wörterbuch Art. zinke denkt au ahd. zinco ,weisscr Fleck im Auge',
wie auch H. Much Z. f. d. Altert. XLII, 163 ff. — Vgl. Beckmann
Beyträge III, i>78 Zink) und Blümner Terminologie und Technologie
IV. Olff. und IV, HL' ff. S. u. Metalle.
Met, s. Biene, Bienenzucht.
Metalle. Eine Gesamtbezeichnung für die bei den einzelnen
Völkern bekannten Kolunetallc hat sich in Europa erst spät festgesetzt,
und zwar zunächst in dem gricch. ntTaXXov, erst , Bergwerk', dann
, Metall', ein Wort, das sich allmählich über unseren ganzen Erdteil
und ausserhalb desselben 'armen, metal-k , Grube ) verbreitet hat.
Früher tritt der innere Zusammenhang der Metallnamen in den idg.
Sprachen in der Weise hervor, dass dieselben, und zwar je früher,
umso mehr, durch das gleiche grammatische Geschlecht verbunden werden,
wobei im Sanskrit, im Awesta, im Lateinischen und Germanischen
übereinstimmend vom Neutrum Gebrauch gemacht wird. Es kann
nicht Zufall sein, dass dies zugleich diejenigen Sprachen sind, welche
allein den eiuzigen sicher indogermanischen Metallnamen seit, dt/an-,
aw. ayah-, lat. aes, got. tiiz, urspr. .Kupfer' (s.d.) bewahrt habeu.
Der sprachhistorische Vorgang muss daher der gewesen sein, dass
neue bei den genannten Völkern bekannt werdende Metalle sich in
dein Genus ihrer Benennungen nach dem uralten Kupfernamen richteten
oder direkt sich an ihn anlehnten, indem mau von einem ,gelben' (sei t.
hicanyo-, got. gulp ,Gold ), .weissen' (lat. argentum »Silber ) oder
,blauen' (seit, qydmd- , Eisen ) sc. Kupfererz sprach. Von denjenigen
Sprachen, welche das idg. dyas-, oett nicht mehr besitzen, hat das
Griechische und Litauische das Maskulinum (doch gelefts ,Eisen' F.)
durchgeführt. Im Slavischcn finden sich bei vorherrschendem Neutrum
starke Schwankungen {medi , Kupfer', oceli ,Stahl' F., kotdterit ,Zinu' M.).
Nach der Wertschätzung der einzelnen Metalle in ihrem Verhältnis
zu einander hat sich bei den östlichen Kulturvölkern, in den altägyp-
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Metalle - Milch.
541
tischen Inschriften, in der Bibel, in den assyrischen Keilinschriften
nachweisbar, eine im Ganzen feste Reihenfolge der Metalle herausge-
bildet, die durch die vier Hauptpunkte Gold — Silber — Kupfer— Eisen
charakterisiert wird, und auch in den Veden und auf altgrieehisehem
Boden in der Aufzählung und Benennung der Hesiodeischen Weltalter
wiederkehrt. Schwankungen treten hierbei nur hinsichtlich des Ver-
hältnisses des Silbers zum Golde hervor, insofern in den ägyptischen
wie assyrischen Denkmälern jenes häutig vor diesem genannt wird, so
dass sich für gewisse Knlturcpochen eine Bevorzugung des später in
die Geschichte eintretenden Silbers vor dem Golde ergieht. Vielleicht
ist man überhaupt von der sorgfältigeren Behandlung des Goldes, dem
in verschiedenen Mischungen das weisse Metall innewohnt, zu der
Kenntnis des Silbers selbst fortgeschritten. Vielfach bestehen besondere
Namen für dieses Goldsilber oder Elektron: ägypt. äsem, hehr.
haimal, griech. ö nX€KTpo<; (in dieser Bedeutung z. B Od. IV, To :
n.\e'KTmp ,Sonnc\ s. auch u. Bernstein), vielleicht auch ir. findruine
(vgl. Windisch I. T. s. v.) : find ,weiss' gegenüber dem dergör oder
, roten Gold".
Das einzige den Indogermanen vor ihrer Trennung bekannte Metall
war, wie sich auch aus dem obigen ergieht, das Kupfer. Mit diesem
ausgerüstet, haben sie sich im ncolithischen Europa ausgebreitet. Erst
in ihren historischen Stammsitzen sind sie mit den übrigen Metallen,
sehr früh mit Gold und Bronze (s. u. Erz», später mit Eisen und
»Silber bekannt geworden. Über die Geschichte aller dieser Metalle
ist, ebenso wie über Zinn und Blei, in besonderen Artikeln gehandelt
worden. S. auch u. Messing, Quecksilber, Stahl und Bergbau.
MUrh. Die Thätigkeit des Melkens wird in den europäischen
Sprachen durch die Reihe : griech, djicXtu), lat. innigen, ir. blichim,
ahd. milchu, allsl. rnlüzq, lit. miUu (: sert. mrj »streichen'?) bezeichnet,
während die Inder hierfür die Wurzel duh gebrauchen. Für die Milch
sei b8t giebt es zahlreiche, auch nach Asien herttberragende urver-
wandte Benennungen, die sich merkwürdiger Weise innner auf zwei
Sprachen beschränken: sert. dadhdn- - altpr. dadan, griech. f&\a
(fXdtTO?) = lat. lac, got. miluks — ir. melg. Vgl. auch sert. ghrtd-
,Butter' = ir. gert , Milch' (arisch sert. pdyas- = aw. payah- und
sert. K'shird- = npers. **r, osset. ayjdr, Pamird. yxir). Auch an Ent-
lehnungen fehlt es nicht, wie denn die slavische Sippe altsl. mWko
etc. ans dem Germanischeu, die keltische ir. lacht, korn. lait, kynir.
Uaeth aus dem Lateinischen stammt.
Zur Verfügung stand den Indogermanen die Milch ihrer Kühe,
Schafe und Ziegen. Das Trinken von Stutenmilch, namentlich
der gegohrenen und darum berauschenden, wird, wie schon Homer
(II. XIII, 5) ein Volk der 'iTnrrmoXfoi oder Stutenmelker kennt, be-
zeugt bei den Iraniern (vgl. W. Geiger Ostiran. Kultur S. 228),
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542
Milch — Mispel.
den Skythen (die nach Hurodot IV, 2 bereits den Kunstgriff kannteu,
durch Blasebälge, die in die Geschlechtsteile der Stuten gesteckt wurden,
mehr Milch hervor/.ulocken i und den alten Preussen altpr. asicinan
,Pferdeinil<h) : pro pottt habent .... mellicratum neu medouem et
lac equarnm (Script, rer. pruss. I, 54). Man kann zweifelhaft sein,
ob man Iiier einen Rest der idg. Urzeit oder eiue spätere Entlehnung
der alten Preussen von skythischen Xomaden vor sich hat. Nach dem
Uber das Pferd (s. d.) bei den Indogermaneu gesagten dürfte ersteres
das wahrscheinlichere sein, und so hätteu sich im Osten Europas die
beiden ältesten Ranschtränkc der Indogermaneu, Met (s. u. Honig)
und Stutenmilch, am zähsten erhalten. Je mehr dann das Pferd
zum Dienste des Menschen herangezogen wurde, umsoinebr uiusste
man naturgemäss auf den Gebrauch seiner Milch verzichten.
Im allgemeinen wächst die Bedeutung der Milchnahrung bei den
Indogermaneu Europas, je mehr man sich primitiven Zuständen nähert.
In Italien lieferten die latinischen Bundesstädte zu den feriae latinae
Vieh, Käse, Milch und Mehl, und in den ältesten von Romulus einge-
richteten Kulten waren nur Milchlibationen gestattet i.vgl. Helbig Die
Italiker in der Poebne S. 71). Die alten ßritannicr nährten sich lade
et atme, ebenso die Germanen : niaior pars tictux eorum in lade,
rasen, carne, emmstit (vgl. Caesar De bell. gall. V, 14, VI, 22). Be-
sonders häutig waren Milchspeisen verschiedener Art bei den Deutschen,
und schon im II. Jahrh. nach Christo war der Xame einer solchen
(ueXKü) nach dem Süden gedrungen (Gallen X, p. 408). Urverwandte
Gleichungen, welche Licht über die Kunst der Milchverweitung in der
Urzeit verbreiten, sind : sert. ä'jya- ,Opfcrbutter" = lat. miguentum
,Salbe'. altpr. anetan, ahd. ancho, ir. hnb , Butter'; sert. sarpis- ^aus-
gelassene Butter' = kypr. ftcpo«; , Butter', £Xtto<;- £Xmov, crr&xp lies,
(vgl. auch ÖXttii .ÖlHasche'), agls. sealf ,Salbc', alb. yalp ,Butter';
sert. sa"ra- ,gerounenc Milch' = lat. sernm, griech. öpöq ,Molken'; aw.
tüirinqm = griech. Tupo? ,Käse'; sert. takrä- (: tafle »zusammenziehen*)
Buttermilch zur Hälfte mit Wasser gemischt' = neaisl. ptl ,fresh-
eurded milk', , Buttermilch' (wohl verschieden von neunorw. fei, feie,
file ,sttsser Rahm', ,dicht gemachte Milch'). Unsicherer ist die Glei-
chung sert. ü-mikshä ,MiIchklumpcn, Quark', osset. misin Buttermilch'
= altn. tnym .whey, milk when the cheese has been takeu from if,
inysu oxtr ,cheese made of whey or goat's milk' etc. (vgl. Liden
Studien zur altind. u. vergl. Sprachgeschichte S. 39 ft). — S. u. Butter,
Käse, Lab.
Minze, h. Garten, Gartenbau.
Mispel. Menpilus germanica L. wächst in den Wäldern Mittel-
europas wild. Die Anpflanzung des Bäumeheus aber ist vom Süden
ausgegangen. Das etymologisch noch nicht erklärte ntomXov wird
von Pollux VI, 79 schon aus Archilocbus angeführt. Vgl. weiter
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MihjH-l — Mistel.
543
Theophrast De caus. plant. II, 8, '2. Bemerkenswert ist, das* in einem
Fragment des Komikers Amphis auch die Früchte der Kpctv€ia oder des
Komelkirsehen-ßaums (s. d.) LUcmiXa genannt werden (vgl. Hehn
Kulturpflanzen*'' S. :-J94 >. Von Griechenland wanderte das Wort ins
Lateinische niespilus, mespilum Plin.), und von da ins Deutsche (mes-
pila. neben dem aber auch, wie im Romanischen — it. nespola — ,
die Formen nespila, nespelbaum, ja dialektisch espelbaum, espele etc.
vorkommen: vgl. Pritzel- Jessen Deutsche Volksnamen der Pflanzen
.S. ll(V). Im Westgermanisehen besteht daneben ein einheimischer,
derb-humoristischer Name des Baumes, hergenommen von der eigen-
tümlichen, oben offenen Frucht : altcngl. openwrs, mittclndd. apenär-
seken, apenihrschen (anus apertus'. Den Anbau von mespilarii em-
pfiehlt das Capitulare de villis LXX, 78. Im Südosten Europas gelten
ngrieeh. uoüo"uouXa, all), mit* muh aus türk. musnnda, das selbst aus
grieeh. ue'amKov gebildet ist. Die slavischen Formen vgl. bei Miklosich
Et. W. s. mi.ipulja und bei Koppen Holzgewächse I, 381.
Mistel. l'iscum album L. ist ein Schmarotzergewächs auf ver-
schiedenen Bäumen, auf Fichten, Tannen, auch auf Eichen. Griechen
und Körner haben eine gemeinschaftliche Benennung : t£6<;, i£ia (auch für
Loranthus europaeux L.) = viscum, ohne dass sich bei den südlichen
Völkern der Glaube an überirdische Eigenschaften der Pflanze belegen
lä8St; nur wird sie für nahrhaft für das Vieh gehalten. Vgl. Theophrast
De eausis plant. II, 17, der auch weiss, dass sich die Samen der
Mistel durch den Mist der Vögel fortpflanzen. Im Arkadischen hiess
die Pflanze üq>^ap. Die abergläubische Verehrung der Mistel ist aus
der keltischen Druidenreligion hervorgegangen. Vgl. Plin. Hist. nat.
XVI, 249: AVA/7 habent Dntidae— ita suos appellant magos—visco
et arbore, in qua gignatur, si modo *it robitr, sacratius ....
enimeero quidquid adgnascatur Ulis (roboribus), e caelo mixstnn
putant signumque esse electae ab ipso deo arboris .... omnia
sanant ein appellant es suo vocabulo, sacrificio epulisque rite
sub arbore conparatis duos admocenf candidi coloris tauros, quorum
com na tum primum vinciantur. sacerdos Candida teste cultus arborem
scandit, falce aurea demetit, candido id excipitur sago etc. Nach
Plinius würde demnach der altgallische Name der Mistel soviel wie
Panacce bedeutet haben, dem ir. uileiceach (ir. ule ,ganz', ic , Heilung')
zu entsprechen scheint. Indessen dürfte es zweifelhaft sein, ob bier
ein alter Name und nicht eine Übersetzung aus dem Lateinischen vor-
liegt. Ganz dunkel ist das gcineingermanischc ahd. inistil, agls. mistel,
altn. mistelteinn. Über den Mistclglaubeu bei den Germanen vgl. J.
Grimm Deutsche Mythologie IIS, 1150, III*, 353, bei den Slaven, wo
er aber nur in Spuren vorkommt, Krek Einleit. in die slav. Litg.*
S. (5(53. Die Litu-Slaveu haben einen gemeinsamen Namen für die
Pflanze : altpr. emelno, lit. dmalas, altsl. imela, der sich ebenfalls nicht
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Mistel - Mitgill.
weiter verfolgen lässt. V. Hehn Kultnrpfl.'1 S. f>!*!4 dachte an Ver-
knüpfung dieser Sippe mit einer anderen von den Kelten zu Heil-
zwecken verwendeten Pflanze samolus. In dem Pfahlbau von Moos-
secdorf (vgl. Heer Pfl. d. Pfahlb. S. 40} sind Zweigstücke und Blaürcste
von Visen m album gefunden worden.
Mitgity. V. Braut kauf ist gezeigt worden, dass die idg. Ehe
durch den Kauf des Weihes geschlossen wurde. Der Begriff der
Aussteuer oder Mitgift muss damals also noch uuhekannt gewesen
sein. Allmählich tritt min hei den einzelnen Völkern eine wachsende
Mißbilligung des Frauenkaufes hervor, mit dem man jedoch lange
nicht als mit einer uralten Einrichtung gänzlich zu brechen wagt. Der
Kaufpreis des Mädchens sinkt daher in milderen Zeiten entweder zu
einem Hochzeitsritus mit blossem Scheinpreise herab, wie dies bei der
indichen Ärsha-che, der lat. coemptio oder den fränkischen Sponsalien
per solid um et denarium der Fall ist. Oder aber, der Vater des
Mädchens empfängt zwar den Kaufpreis, liefert ihn aber, teilweis unter
Hinzufllgung von eigenem, der Tochter als Brautschatz aus. Besonders
deutlich liegt diese Entwicklung im indischen Altertum vor uns, wo
schon der Veda zu der Bestimmung, dass der Kaufpreis des Mädchens
100 Kühe und einen Wagen betragen sollte, den Zusatz enthielt: that
(piff) he should male boofless (by returuing it to the gieer). So nach
Apastaniba Aphorisms on the sacred law of the Hindus ( Bühler . II, 6,
13, 12, der hinzufügt: vIn reference to thoxe (marriage rites) the icord
rsaleu (tchieh oecurs in some Smrtis is only used as) a metaphorical
ed-pression; for the union {of the hushand and tcif'e) ix effected through
the laicu. Vgl. auch Leist Altarisches Jus gentium S. 132.
Unter diesen Umständen begreift es sich von selbst, warum in den
Einzelsprachen alte Wörter, welche ursprünglich den Kaufpreis für
ein Mädchen bezeichneten, allmählich den Sinn von Mitgift ange-
nommen haben. So das indische eulkd- (vgl. dazu The Institutes of
Vishnu, translat. by Jolly S. 6<) Anm. zu XVH, 18), so das griech.
£bvov, das an zwei Stellen der Odyssee (1, 277, II, 196) diese Bedeu-
tung hat, so lit. kra/tis, so agls. iceotuma, ahd. icidnmo etc., so slav.
veno. Näheres über alle diese Wörter s. u. Braut kau f. Auch für
ir. tindscra wird die Bedeutungsentwicklung 1) der Kaufpreis für die
Waut 2) die dem Manne zugebrachte Mitgift angegeben. Dazu kommen
Ausdrücke, die ursprünglich Gabe im allgemeinen bezeichnen, wie
griech. Ttpoig (bei Homer nur ,Gabc'; anck ins altsl. prikija entlehnt),
lat. dos : dare wie nhd. gift : geben. Im Litauischen nennt Brückner
Die slav. Frcmdw. im Lit. S. 116 Anm. noch szdricas ,Ansstattung',
das sonst ,Rüstnug' bedeutet. Im Altslovcnischcn begegnet noch milo,
das vielleicht dem griech. ueiXict ,erfreuliche Geschenke' entspricht, im
Alhanesiscben pdje aus lat. pallium, jenes den Schmuck, dieses die
Kleider bezeichnend, die dem Mädchen in die Ehe allmählich mitge-
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Mitgilt - Mohn.
545
geben werden und das älteste Privateigentum der Frau (s. u. Erb-
schaft II) bilden. Ein ganz allgemeiner Ausdruck für Mitgift
ist klruss. poaah, russ. posagü etc. : altsl. xagati ,heiraten' (woraus
auch lit. pasoga). — Ausstattung der Trau mit einer Mitgift und
Besserung ihrer Stellung bedingen sich im allgemeinen gegenseitig.
Doch wird hinsichtlich der alten Gallier, die den Hegriff der Mit-
gift, zu welcher der Mann sogar noch von dem seinigen den gleichen
Teil hinzufügte, bereits kannten, ausdrücklich von Caesar VI, 19 her-
vorgehoben: Yiri in n.rores, sicut in liberoa, vitae necisque hahent
potestatem (vgl. P. Collinct Revue celtique XVII, 321 ff. Le regime
des biens dans le manage gaulois). Ähnlich wird es lange Zeit bei
den Germanen gewesen sein, obgleich auch hier zu der oder neben
die Mitgift von Seiten des Mannes frühzeitig allerhand Leistungen hin-
zutraten, die als Zugabe, Wiederlagc, Wittum ( = ahd. icidumo, ur-
sprünglich also , Kaufpreis', , Mitgift', dain> ,angmeutnm' oder compen-
satio dotis), Morgengabe etc. aus den germanischen Kechten be-
kannt sind (vgl. Weinhold Deutsche Frauen I *, 336 ff., 402 ff u Vor-
geschriebene Hochzcitsgeschenke an die Braut kehren übrigens auch
sonst häufig wieder (vgl. z. B. Haas in Webers Indischen Studien V,
298 ff.).
Mitsterben der Witwe, s. W i t w c.
Mittag, s. Tag.
Mittwoch, s. Woche.
Mobiliar, s. Hausrat.
Mohn {Papacer somniferum L.). Der Gartenmohn stammt nach
Ansicht der Botaniker (vgl. De Candolle Urspruug der Kulturpflanzen
S. öl>3 ff.) aus dem Mittelmeergebiet von einer dort einheimischen Molin-
art (Papacer setigerum) ab. Der Name des Mohns lässt sich weit in
die Urgeschichte Europas zurück verfolgen. Griech. uukujv, dor. uükiuv
entsprechen dem altsehwed. ralmöghe ,Mohn' (neben mhd. mähen,
ahd. nulgo, woraus wohl lett. magone - neben dem dunklen lit. agana —
und estn. magna, magunax etc. entlehnt sind) und dem altsl. mahn,
altpr. moke, so dass ein abstufender Stamm mdq-, meq- : maq- vorzu-
liegen scheint. Auch der Anbau des Gartenmohns ist in Europa sehr
alt. Derselbe war, wenn auch in etwas von der heutigen abweichenden
Varietät, schon in der Steinzeit der Schweizer Pfahlbauten als häutig
augebaute Kulturpflanze wohl bekannt. In Koljenhausen wurde ein
ganzer Kuchen von verkohltem Mohnsamen entdeckt, aus dem man Gl
gepresst oder den man zur Nahrung verwendet haben mag (vgl. Heer
Die Pflanzen der Pfahlbauten S. 32 ff.). Ebenso ist Mohn in den neo-
lithischcn Stationen von Bourget und Lagozza (Italien) gefunden worden.
Auch Homer (II. VIII, 306) nennt bereits den |un,Kwv £v\ Kn.TTw .im
Garten' KapTTüj ßpiBouevn, ,mit Samen gefüllt'. In Italien führt der
Mohn einen abweichenden Namen: papdier (woraus agls. poparg, papeeg),
Schräder, Reallexikou. 35
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Mohn — Monat, Monatsnamen.
der noch nicht »icher erklärt ist. Man hat das Wort als altes Parti-
cipiuui mit -ves gebildet aufgefasst: ,das Gedunsene' (vgl. lat. papula,
pampinus). Sein Anbau wird erst von Vergil genannt, aber ein
Mohubeet im Garten des Tarquinius Superbas durch die von Livius
(I, 54, 6) bewahrte Sage vorausgesetzt. Auch iu Deutschland wird
Mohnbau, hingst bevor das Capit. de villi* LXX, 47 auf ihn hin-
weist, getrieben worden sein. Dafür spricht der Umstand, dass die
ahd. Bezeichnung des Mohus *mdhan (s. o.) ins Vulgärlatein überge-
gangen ist, wo sie in zahlreichen Glossen des C. Gl. L. III (vgl. G. Goetz
Thesaurus I, 670) als mahunua, niahonus, manus begegnet. Auch im
Romanischen (frz. viahon) lebt das Wort weiter. Der Mohn darf daher
der ältest erreichbaren Schicht europäischer Kulturpflanzen zugeschrieben
werden. Dem ägyptisch-semitischen Kulturkreis scheint er dagegen,
etwa wie die ebenfalls in Europa uralten Hirse und Erbse (s. s. d. d.),
von Haus aus fremd gewesen,. zu sein.
Die betäubende Eigenschaft des Mohnsaftes (urpciuviov), also das
Opium, war schon den Alten seit Hippokrates und Theophrast wohl
bekannt. Das griech. öttö<;, öttiov (eigentl. .Saft ) wurde ins pers.-
arab. 'afijun, afjün, dann ins türk. afjun entlehnt und führte in diesem
Kreislaut' schliesslich zur Benennung des Mohns und des Opiums bei
Neugriechen und Albanesen (ngriech. dqpiüjvi, alb. afion) zurück. In-
teressante Daten über die Geschichte des Opiums im Orient vgl. bei
De Candolle 1. c. — Vgl. auch G. Buschan Vorgesch. Botanik S. 245 ff.
S. u. Ackerbau.
Mohre (l)aucus Carota L.). Sie ist in Europa einheimisch und
in dem Pfahlbau von Robenhausen vielleicht noch in wildem Znstand
zu Tage gekommen (vgl. Heer Die Pflanzen der Pfahlbauten S. 22).
Die Namen zeigen bis jetzt keine Übereinstimmung. Griech. öTacpuXivo^
(Theophrast) und do-TcupuXivoq (bei Diokles von Karystos kurz nach
Hippokrates, vgl. Athen. IX, p. 371), ö KtiTrorrd? ffTaqpuXivo? (Dioskor.)
und KdpwTÖv (bei Diphilus vor 281 v. Chr. bei Athen. I. c). Lat.
pa8Ünaca, spät daueu* und carota. Das Capit. de villis nennt LXX, 52
carvitas (auffällige Bildung von lat. carota, it. carota, frz. carotte).
Der einheimische Name ist ahd. moraha, morha, agls. moru, der früh-
zeitig in die slavischen Sprachen (russ. morkovl, nsl. mrkva etc.) ent-
lehnt wurde. Eine Möhrcuart war vielleicht auch der siser, der nach
Plinius Hist. uat. XIX, 90 bei Gelduba am Rhein so vorzüglich gedieh,
dass ihn Kaiser Tiberius jährlich von dort bezog. Ngriech. tö ocuptci
(daucuMi, alb. ro£e (eigentlich ,Knoten am Baum' aus ngriech. (>6Zo%,
bctuKÖpptfo ,Daucus Carota'). — Vgl. Beckmann Beyträge V, 134 ff. und
v. Fischer Benzon Altd. Gartenfl. S. 116.
Molken, s. Käse.
Monarchie, s. König.
Monat, Monatsnamen, s. Mond und Monat.
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Mond und Monat.
547
Mond und Monat. Der idg. Augdruck für diese» Gestirn, der
vielfach zugleich (unverändert oder mit leichten Suffixverschiedenheiten)
den Monat bezeichnet oder auch sich auf die Bezeichnung des Zeit-
masses beschränkt hat, indem für den Mond selbst andere Benennungen
aufgekommen sind, liegt in der Reihe: scrt. m<!'»-, aw. mäh-, altp.
mäh- ,Mond, Monat', griech. unvn. ,Mond', urjv ,Monat', got. mina
,Mond', menöps ,Monat", lit. mtnti ,Mond', minesis ,Monatf, altsl. me-
sset ,Mond' und ,Mouat', lat. miwris, armen, amw, ir. mi, alb. moi,
die letzteren vier nur ,Monat' bedeutend. Als Wurzel dieser ganzen
Sippe betrachtet man mit Recht mi in scrt. mä'-mi ,ich messe', so
dass der Mond schon seiner Wurzel nach der „Zeitmesser" ist. Schlecht-
hin als „Leuchte" wird hingegen das Gestirn in lat. lüna (altlat. losna),
altsl. luna, armen, lusin : lux, luceo (vgl. altpr. lauxnos ,Gestirne )
bezeichnet. Eine gleichzeitige Bezeichnung des Monats durch diese
Wörter rindet nicht statt. Allein stehen das Griechische mit aeXrjvn.
,Mond' : ai\a% ,Glanz', das Albanesiscbe mit hene (*8lmend-) : scrt.
candrd- ,glänzend', auch ,Mond', lat. candeo und das Irische mit isca
(dunkel). Eiue sonst nicht nachweisbare Vermischung mit Wörtern
für Sonne scheint in der Reihe: ir. ri, *revi ,Mond' = scrt. ravi-,
armen, arev ,Sonne' stattzufinden (vgl. Stokes K. Z. XXXV, 596).
Der durch den Umlauf des Mondes bedingte reine und ungebundene
Mondmonat, der bekanntlich 29 Tage, 12 Stunden, 44 Minuten und
einen Bruchteil von Sekunden beträgt, muss nach der oben angeführten
Grundbedeutung des scrt. mä'g- und seiner Sippe als „Zeitmesser14 dem-
nach als der erste und sicherste Ansatz einer geordneten Zeitteilung
bei den Indogermaneu angesehn werden, und hat zweifellos in dieser
von der Natur gegebenen Dauer noch lange bei den Einzelvölkern
gegolten. Dies tritt besonders deutlich bei der Berechnung des
Schwangerschaftsjahrcs hervor, das von den alten Völkern
allgemein nicht auf 9, wie von uns, sondern auf 10 Monate festgesetzt
wird. So heisst in der vedischen Zeit ein reifes, ausgetragenes Kind
dayimasya- ,ein zehnmonatliches', und so gilt auch im Awesta der
X. Monat als die normale Zeit der Entbindung (vgl. W. Geiger Ostiran.
Kultur S. 236). Dasselbe ist aber auch die Anschauung der Griechen
(vgl. Herodot VI, 69: t»ktouo"i *r<*P TuvaiK€? Kai dvvcäunva Kai €Trrä-
ur|va, Kai oo nätfai blia. unvaq i<Ji\ioaaai) und Römer (z. B.
in den XII Tafeln-, vgl. Unger Zeitteilung in J. v. Müllers Handbuch
I*, 786 und Leist Altarischcs Jus gentium S. 262 ff.).
Im Zusammenhang hiermit steht es auch, dass, als in Europa die
erste Bekanntschaft mit dem 12 monatlichen Sonnenjahr der Babylonier
auftauchte, man in tastender Nachahmung desselben, zunächst auf ein
354tägiges Jahr verfiel, indem man den reinen Naturmonat, nach dem
man bis jetzt gerechnet hatte, mit 12 multiplizierte. Dieses 354 tägigo
Mondjahr läset sich schon bei Homer nachweisen, und zwar Od. XII,
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548
Mond und Monat.
127 ff., wo die 7 Rinder- und .Schafherden des Helios auf Thrinakia
zu je 50 Stück (7x50 = 350, dazu die beiden sie weidenden Göttinnen
Phaethusa und Lamperia und ihre Eltern Helios und Neaira) genannt
werden.
Jedenfalls kann das Mondjahr von 12 Monaten und 354 Tagen, wo
es in Europa auftritt, immer nur im Hinblick auf ein vom Orient her
bekannt gewordenes Sonnenjahr verstanden werden, und die Annahme
ist eine irrtumliche, als ob schon die ludogermancn ein solches Mond-
jahr von 12 Monaten gehabt hätten. In der idg. Urzeit lief vielmehr
die Rechnung nach natürlichen Monaten ohne Verbindung neben und
unausgeglichen mit der Zählung nach Wintern und Sommern her.
Derselbe Gedanke ist unzweideutig auch in der eben erschienenen Schrift
von G. Biltingcr Untersuchungen über die Zeitrechnung der alteu Ger-
manen 1 Das altnordische Jahr (Stuttgart 1890) ausgesprochen, der
S. 50 ausführlich Uber das, was er im Gegensatz zu dem reinen und
gebundenen Mondjahr als „Naturjahr mit Mondmonaten" bezeichnet,
gesprochen hat. Nur so erklärt es sich, dass der Gebranch der Monats-
namen, deren Festsetzung erst möglieh ist, sobald in irgend einer
Form eine Eingliederung der natürlichen Monate, sei es in eine be-
stimmte Zahl, sei es iu den Umlauf der Sonne, stattgefunden hat, in
Europa ein sehr später, in Griechenland offenbar erst durch die
Bekanntschaft mit dem semitischen, in Italien durch die mit dem
griechischen, im Norden durch die mit dem römischen Kalender
hervorgerufener ist.
Bei Homer kommen noch keine Monatsbezeichnungen vor, deren
erste (Anvcuuuv) vielmehr erst bei Hesiod begegnet, der auch den 30-
tägigen Monat bereits kennt. In der Bildung derselben zerfallen die
griechischen Stämme in zwei deutlich getrennte Gruppen, insofern die
ionischen Staaten sich ausschliesslich der Endung -iujv (r*cuinXiwv, Boi i-
<poviwv, MeTcrf€iTvujüv), die Dorier, Aeolier u. s. w. sich der Endung
-10-5 (BouKduoq, KapveToq) bedienen. Auch die Sprachen der nordischen
Sprachfamilien, die germanischen und slavischen, ja selbst so nahver-
wandte Mundarten wie die des Litauischen zeigen in der Benennung
der Mouatc eine so bunte Mannigfaltigkeit, dass jeder Gedanke au eine
ursprüngliche Gemeinschaft ausgeschlossen bleiben muss. Endlich lässt
sich auch das für die späte Bekanntschaft der Indogermanen mit der
Monatsteilung des Jahres geltend machen, dass bei den einzelnen Völkern
überaus häutig dieselben Bezeichnungen für verschiedene Monate
verwendet werden. So ist slavisch liatopad , Laubfall' — Oktober und
November, deutsch ackermonat schwankt zwischen März und April,
fuirtmoiiat zwischen November, Dezember und Januar u. s. w. Der
Grund dieser Erscheinung liegt natürlich darin, dass derartige Zeitbe-
stimmungen schon v o r der Monatsteilung des Jahres bekannt waren,
und danu innerhalb der einzelnen Mundarten sich in verschiedener
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Mond und Monat.
549
Weise auf die Monate des Jahres fixierten. Gerade dadurch aber
eröffnen uns die Monatsnamen vielfach einen Blick in die Zcitteilnngs-
verhältnisse vorhistorischer Zeiten. Versucht man ihre ungeheure Menge
(vgl. K. F. Hermann Über griechische Monatskunde Göttingen 1844,
Th. Bcrgk Beiträge zur griechischen Monatskunde Giessen 1845, J. Grimm
Geschichte d. d. Sprache I, 75 ff., K. Weinhold Die deutschen Monat-
namen Halle 1869, Grotefend Zeitrechnung I, s. v. Mouatsnamen, Bil-
fiuger a. a. 0. S. 7, 25 etc., F. Miklosich Die sklavischen Monatsnamen
Dcnkschr. d. phil.-hist. kl. d. kais. Ak. d. W. XVII, 1—30, Wien
18ti8) zu überblicken, so lassen sich hauptsächlich fünf grosse Be-
deutungskategorien unterscheiden. Die Monatsnamen können nämlich
1. von Witterungszustäuden und Naturerscheinungen; 2. von
den Jahreszeiten; 3. von (meist ländlichen) Beschäftigungen und
Bräuchen der Menschen; 4. von Festen und Namen der Götter;
5. von Zahlen hergenommen sein.
1. Monatsnamen von Witterungsznständei. und Naturer-
scheinungen. Zu den altertümlichsten hierher zt> stellenden Aus-
drücken gehören die von Beda De mensibus Angiorum genannten halb
Jahreszeiten-, halb Mouatsbezeichnungcn Giuli und Lida, erstercs die
gemeinschaftliche Benennung des Januars und Dezembers, letzteres die
sprachliche Zusammenfassung für Juni und Juli, wozu noch ein eventu-
eller Schaltmonat {Thri-lidi ^Schaltjahr' = 3 Lida) hinzutreten konnte.
Von diesen gehört Giuli zu got.jiuleis (fruma ji. ,November', *aftuma
ji. .Dezember'), altn. jöl, yler , Weihnachten', und bezeichnete ur-
sprünglich, wie dies von A. Tille Yule and Christmas London 1899
näher ausgeführt worden ist, ursprünglich kein Fest, sondern einen
Zeitabschnitt. Da es von agls. geohhol ,Jul' (vgl. F. Kluge Engl. Stud.
IX, 312) nicht getrennt werden kann, so ist eine idg. Grundform *jeq-
»la- oder *jeqhala- anzusetzen. Legt man die letztere zu Grunde, so
entspricht genau das bisher ebenfalls noch unerklärte griech. *Z€<po- in
ttepupo«; ,Westwind* und *£cxpo- in Z6<po<; »Finsternis, Dunkel', welches
letztere die unzweifelhaft älteste Bedeutung enthält. Demnach ist die
Julzeit soviel wie die ,dunkle Zeit' und steht in deutlichem Gegensatz
zu -Ostern", der , hellen oder aufleuchtenden Zeit' (ahd. öntarün, agls
tmtrun, eaxtro) oder auch zu dem „Lenzu, der Zeit der ,länger werdenden
Tage' (s. n. Frühling). Andere, aber lautlich und sachlich kaum halt-
bare Deutungen vgl. bei Bugge Ark. f. nord. Fil. IV, 135 und Kögel
Geschichte d. d. Lit. 1,38 (dazu A. Tille a. a. 0. S. 148). Was agls.
Lida betrifft, so denkt mau gewöhnlich an ahd. lindi, agls. Hbe ,mild,
freundlich, weich', so dass Lida die ,milde Zeit' wäre; doch wäre auch
ein Zusammenhang mit altsl. ttto ,Sommer' möglich.
Durchsichtiger, aber auch um vieles jünger sind Monatsnamen wie
altsl. grudinü ,SchoIlenmonat' (die Zeit, wo die Erde durch den Frost
zu Schollen wird) = November, nsl. gruden, lit. grödis, grödinis =
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Mond und Monat.
Dezember (vgl. isl. frermänadr ,Gefriermonat' = November und ahd.
hertimanöt, harimon, hartmonet .Dezember'), oder wie cech. Jeden
,die Zeit des Eises' (ledä) = Janaar, oder wie altsl. prosinlci ,Januar',
d. h. ,die Zeit der Zunabme des Tageslichts' (Miklosich S. 15), oder
wie altsl. suchyj ,März', eigentl. ,der trockne Monat' (vgl. lit. mtUU
, Dezember, Januar' : saüsas »trocken' und agls. ue'annönad, eigentl.
,mensis aridus', ,Juni') u. s. w. Aus dem Keltischen gehört hierher
der Monat ogron des altgallischen Kalenders von Coligny (vgl. Thurn-
eysen Z. f. kelt. Phil. II, 534): ir. uar, kymr. oer ,kalf, ,Monat der
beginnenden Kälte', aus dem Lateinischen vielleicht Aprilis : apricus
,sonnig' und Mäius vielleicht ,Wacbstum', aus dem Griechischen MaiuaKTn.-
piwv ,der Stnrmmonat' (vgl. isl. ylir ,Heuler'), obgleich für den letzteren zu-
nächst an das Fest eines Zcu? MatuaKTife (Hermann S. 20) zu denken sein
wird. Unter den die einzelnen Jahresabschnitte charakterisierenden Natur-
erscheinungen nehmen aber vor allem die nach irgend einer Seite hin
in denselben besonders hervortretenden Pflanzen und Tiere die erste
Stelle ein, die namentlich in den sla vis eben Sprachen zu einer un-
erschöpflichen Quelle für die Bildung von Monatsnamen geworden sind.
Hier giebt es, was die ersteren betrifft, einen Bohnen-, Birken-, Blüten-,
Kirscheu-, Eichen-, Liudenmonat u. s. w., was die letzteren angeht,
einen PHan/.cnlänseinonat [crüvlnü, s. u. Kermes), eine Henschrecken-
zeit, einen Monat, wo die Ziege bockt, einen solchen, wo der (brünstige)
Hirsch schreit, einen Wolfsmonat, Taubenmouat n. s. w. Aus dem
Germanischen vergleichen sich Ausdrücke wie agls. cueod-monath (nach
Beda ,mensis zizaniornm quod ea tempestate maxime abundent'), fries.
blomenmoanne, ndl. gerntmcen, grasmwnd, niederrh. ecenmant , Haber-
monat', isl. gaukmdnadr ,Kuckucksnionat', hrutmanabr , Widdermonat'
(„weil in diesem Monat die Begattung beim Schafvieh stattfand"), mhd.
wolfmänet »November', nhd. hundemaen ,JuIi' u. dergl. Aber auch
unter den gricch. Monatsnamen finden sich Fälle wie 'Paßiv8io<; (auf
Kreta) ,Erbscnmonat' oder 'EXdqnos (in Elis) , Hirschmonat', während
man für Bildungen wie 'ludXio^ (auf Kreta) ,Weizenmonat', TTuavenmjuv
(Attika) ,Bohnenkochmonat', TTopvomujv (bei den asianischen Aeoliern)
,Heuschreckenmonat', 'Apveio? (Argos) , Lammmonat' wiederum die Ver-
mittlung eines religiösen Festes (id mmveiina) oder eines Götterbeinamens
(Armr|Trip 'InaXiq, 'AttöXXwv TTopvömos) in Anspruch zu nehmen pflegt
(8. u.). Aus den Monatsnamen des oben genannten altgallischen Ka-
lenders gehören hierher elembiu ,Hirschmonat' : ir. elit, kymr. elain
, Hirschkuh', ,Hirschmonat' und vielleicht eqttos : ir. ech ,Pferd'(?).
2. Die Erscheinung der von Jahreszeiten abgeleiteten Monats-
namen beschränkt sich auf die nördlichen Sprachen. In dem Kalender
von Coligny stchn sanwn, der ,Somnierinonat' : ir. sam, kymr. haf
,Sommer und giamon, der ,Wintemionat' : ir. gam, kymr. gaem
, Winter' an der Spitze der beiden Halbjahre, Sommer und Winter,
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Mond und Monat.
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welche, und zwar in dieser Reihenfolge, das altgallische Jahr hildcn.
Unter den germanischen Sprachen macht vor allem der norwegische
Kalender (vgl. Bilfinger a. a. 0. S. 25) von derartigen Benennungen
Gebrauch, indem von den zwölf Monaten nicht weniger denn acht als
,Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintermonde' bezeichnet werden.
Auch Ausdrücke wie isl. midmmar ,Mittsommer' für Juli sind hierher
zu stellen, die zunächst einen bestimmten Tag, dann den Monat, in
den dieser fällt, bezeichnen. Aus den slavischen Sprachen vgl. Fälle wie
russ. osenl , Herbstmonat' (September), nxth.jarec ,Lenzmonat' (Mai) u. a.
3. Monatsnamen von (meist ländlichen) Beschäftigungen
und Bräuchen der Menschen. Die Hauptmasse der hierher ge-
hörigen Bezeichnungen sind der Sphäre des Ackerbaues entnommen
zum Zeichen, dass, als die Monatsnamen aufkamen, diese Beschäfti-
gung bereits in dem Vordergrund des Erwerbslebens stand. Eine hier
einschlagende Zeitbestimmung got. asans ,Be'po?' und ,Ö€pio"u6s' = altpr.
a*#ani#, altsl. jesenl , Herbst' in der Grundbedeutung , Erntezeit' (s. u.
Ackerbau) geht bereits in vorhistorische Epochen zurück. Aus den
Einzelspracheu gehören hierher auf slaviscbem Boden z. B. klruss.
hosen ,die Zeit der Heumahd' = Juli, nserb. mlofsny .Dreschmonat' =
November, usl. prasnik , Brachmonat' = Juni, klruss. s'iven' ,Saatmonat'
= September, altsl. srüplnä ,Sichelmonat' = Juli u. 8. w., auf ger-
manischem z. B. isl. heyannir ,Heuarbeit' - Juli, kornskurdmänadr
jKornschnittmonat' = August, agls. rug-ern, vielleicht , Roggenernte' =
September (vgl. lit. rugpiütis ,Roggeuschneidung ) und die zahlreichen
Ausdrücke wie nihd. in der sät, in dem snite, im brächet, im hoilwet,
die allmählich von den jüngeren Bezeichnungen sätmän, schnitmonat,
hräch- und hoümonat verdrängt werden. Auf den Weinbau bezieht
sich ahd. windumemänöt ,Oktober', nsl. vi?iotok desgl.
Auch bei den Griechen zeigen sich derartige Zeitbestimmungen
wie dpoTÖq ,PflUgezeit', airopnrös ,Saatzeit', cpuTaXid ,Baumpflanzungs-
zeit', die indessen hier mehr den Charakter von Jahreszeitenbeneunungcn
(vgl. Unger Zeitrechnung in J. v. Müllers Handbuch I8, 724) als von
Monatsnamen an sieb tragen. Beide Begriffe gehen auch sonst in ein-
ander über. Die griechischen Monatsnamen, die hierher gehören,
knüpfen zunächst an ein religiöses Fest an, in dem der Charakter eines
bestimmten Zeitabschnitts zusammengefasst erscheint. Der Anvaid>v
ist der Monat der Xnvaia, des Festes der Weinlese, der GaptnXiwv
der Monat des Festes der eaptnXia (d. h. ndvT€<; o\ dnö ff\z Kctpnoi)
u. s. w. Weniger ist über das Gebiet der Viehzucht (vgl. ahd.
teinnemänöt ,Weidcmonat' : got. teinja, ahd. icinne ,Weide', agls.
Trimilchi, nach Beda [sie] „dicebatur <ptod tribus vieibus in eo per diem
pecora mnlgcbantnra etc.) zu sagen. Doch liegt gerade hier in dem
griech. TTÖKioq (in Amphissa) : ttöko^ ^Schafschur' ein Monatsname vor,
der keinerlei nachweisbare gottesdienstliche Bedeutung zeigt. Vgl. auch
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bb-2
Mond und Monat
den höotischen Boukoitio? uud delischcu Boucpoviwv (vom Töten der
Kinder benannt) mit dem ahd. slachtmän (Okt., Nov., Dez.) uud dem
fei. gormdnäbr (von gor ,der Unrat, der beim Sehlachten liegen bleibt')
— Über den „Heiratsiuonat" s. u. Heirat (Heiratszeiten).
4. Monatsnamen von Festen und Namen der Götter. Wie
schon aus dem Bisherigen hervorgeht, steht das Griechische in dem
Mittelpunkt dieser Art der Naraeubildung, insofern hier weitaus die
meisten Monatsnamen von Gottheiten ('AraAXaio^, 'AttoXXuuvio?, 'Aprc-
uioioq, TToo*eib€u>v u. s. w.) oder gottesdienstlichen Festen ('Avöecrnipiwv,
Bon.opouiujv, 'EXacpnßoXiujv etc.) hergenommen sind. Doch zeigen die
schon oben angeführten Fälle wie 'EXdqno? ,Hirschmonat', 'PaßivGioq
,Erbsennionat', TTökios , Monat der Schafschur' etc., dass ursprünglich
auch den griechischen Monatsnamen wie den nordeuropäischeu ein
ptofaucs Element zu Grunde lag, das nach und nach in dem sakralen
Kleid, welches der griechische Kalender anlegte, verschwand. In
Italien ist nur der Martins unzweifelhaft nach einer Gottheit {Mars)
benannt. Im Norden liegen die Verhältnisse so, dass nach Festen,
heidnischen und christlichen, die Monate nicht selten benannt werden
(vgl. agls. bei Beda: UUt-monath ,November', „mensis immolatiouum,
quia in ea pecora, quae oecisuri erant, Diis suis vovebant", Haleg-
monath ,September', ,mcnsis sacrorum', Sol-monath , Februar', „dici
potest mensis placentarum, quas in eo Diis suis offerebant", nhd. sporkel
, Februar', vgl. De spurcalibus in Februario des Indiculus supersti-
tionum, nsl. risalcek ,Rusalieu, d. i. Pfingstmonat', andrejxeak ,Audreas-
monat' u. s. w.), dass hingegen für Ableitungen von Götternamen
keine einwandfreien Beispiele vorliegen. Das einzige, was man hier-
für geltend machen kann, sind die von Beda genannten Rhed-monath
,März\ „a Dea illorniu Rheda, cui in illo sacrifieahant, nominatura und
Eosturmonath .April', „qui nunc Paschalis mensis interpretatur, quon-
dam a Dea illornm, quae Eostro vocabatur, et cui in illo festa cele-
brabant, nomen hahuit"; doch sind weder eine Göttin Rheda noch eine
Eostre sonst bezeugt.
5. Monatsnamen von Zahlen. Das einzige idg. Volk, welches
von diesem cbeuso einfachen wie nüchternen Mittel der Monatsbe-
zeichnung in grösserem Umfang allgemeinen Gebranch macht, ist
das römische mit seinem Quintiiis- December (V— X, weil das Jahr
ursprünglich mit dem März begann). In Griechenland ist nur bei den
Phokiern durchgehende Zählung bezeugt (vgl. K. F. Hermann a. a. O.
S. 12, 106). Teilweise Nachahmung des lateinischen Brauches findet
sich in den jüngeren keltischen Kalendern (vgl. J. Grimm a. a. 0.
S. 101 ff.). Im Germanischen macht man nur dann von Zahlen Ge-
brauch, wenn man aus eiuem grösseren Teilabschnitt des Jahres einen
ersten, zweiten u. s. w. Monat (vgl. z. B. oben got. frnma jiuleis) her-
vorhebt. Eigenartig ist die isl. Bezeichnung einmanadr für Mär/, und
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Mond und Monat.
553
tvimdna'br für Anglist, die auszudrücken scheinen: „Jetzt ist es nocfi
1, bezügl. 2 Monate bis zum Sommer, bezüglich zum \Vintcru (vgl.
Bilfinger S. 8).
Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, dass die meisten der hier er-
örterten Ausdrücke als allgemeine Zeitbestimmungen, als Bezeichnungen
ländlicher Feste u. dergl. schon längst in Europa verbreitet waren,
ehe sie zu eigentlichen Mouatsnamen, d. h. zur Unterscheidung der
12 (oder 13) Glieder des Sonnen jahres verwendet wurden. Zu ihnen
kommen dann, was den Nordeu Europas betrifft, noch zahlreiche fremde
Namen hinzu, welche die allmählich sich verbreitende Bekanntschaft
mit dein römischen Kalender einbürgerte (ahd. merzo, marzeo, klruss.
marec aus Martins, ahd. meio, russ. maj, lit. mojus aus Majus, mhd.
aprille, altsl. aprill aus Aprtlis n. s. w.). In dem Gebrauche aller
dieser Ausdrücke herrscht, wie schon oben hervorgehoben, ursprünglich
überall die grösste Freiheit und lokale Verschiedenheit. Erst auf
höheren Kulturstufen werden durch die Anordnungen von Priesterschnften
und Behörden feste Reihen üblich. S. auch u. Zeitteilung (Kalender).
Wenden wir uns zu dem reinen und ungebundenen M o n d m nnat
der idg. Urzeit zurück, so wurde derselbe durch die beiden sich ent-
gegengesetzten Phasen des Mondlichts, Neu- und Vollmond, in zwei
Hälften geteilt, an deren Anfang bei den Indern die Neumondsnacht
(amdväsyä) und Vollmondsnacht (paurnamäsi) stehen. Die beiden
Hälften seihst heissen im Sanskrit jmrca-pakshd- und opora-pakshd-
, vordere' und ,hiutere' Seite oder yikla-paksha- und kruhna-paksha-
,helle' und ,dunkle' Hälfte oder auch ydva- und dyava- (vgl. Zimmer
Altindisches Leben S. 364). Der letztere Ausdruck scheint zu sert.
yüvan-, ydviyas-, yactehfa- jung' zu gehören und mit lit. jduna* menü
jNcumond' zu vergleichen zu sein. Im Griechischen entsprechen die
Ausdrücke unvö«; 'ujicui^vou und q>eivovroq, au die in historischer Zeit
eine Einteilung des Monats in drei Dekaden anknüpft; doch wird noch
bei Hesiod W. u. T. v. 780 der 13. des Monats, der spftter Tpim.
b^Kct heisst, mit dem Zusatz nnv°S 'KTrauivou (vgl. Uuger Zeitrechnung
in J. v. Müllers Handbuch I2, 787) versehen, was also auch bei den
Griechen auf eiue einstmalige Zählung der Monatstage in 2 Hälften
hinweist. Dasselbe ist der Fall bei den Monaten des altgatlischen
Kalenders von Coliguv, deren jeder in zwei scharf getrennte Hälften
mit besonderer Tageszählung (die erste immer zu 15, die zweite, ent-
sprechend der Einteilung des Jahres in 7 30tägige und 5 29 tägige
Monate, bald zu 15, bald zu 14 Tagen) zerfällt. Über der zweiten
Hälfte steht dabei immer das Wort atenoux, das man als ,grosse'
oder als , Vollmondsnacht' (vgl. sert. paurnamäsi) gedeutet hat. Die
ursprüngliche Bezeichnung einer bestimmten Nacht könnte dann all-
mählich zur Benennuug der ganzen auf sie folgenden Monatshälftc ge-
worden sein (vgl. obeu u. 2. isl. mittmmar und unten agls. icinter-fylleth,
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554
Mond und Mouat — Mord.
We auch ursprünglich nur einen bestimmten Tag oder eine bestimmte
Nacht bezeichnet haben; anders Thurneysen a. a. 0. S. 526 f.). Endlich
treten auch in der germanischen Zeitteilung (vgl. Tacitus Germ. Cap. 11:
cum aut incohatur luna aut impletur) Neu- und Vollmond (got. fulliß,
agis. icinter-f ylleth ,Wintervollmond' d. h. Oktober = lit. pilndtis
, Vollmond' neben dem unerklärten mhd. icadel, agls. waool) als die
hervorstechendsten Phasen des Mondlichts auf. Auszuweichen scheint
der römische Kalender mit seiner Dreiteilung des Monats in Kalendae,
nönae, idäs. Die Kalendae ,der Rufetag' (: griech. KaXeiv), weil die
wiedererscheinende Mondsichel in der Abenddämmerung von einem der
Pontifiees ausgerufen wurde, entsprechen dem Neumond, die idtis ,die
heiteren Nächte' (: griech. iBapo? , heiter', mGiu , brenne ) dem Vollmond.
Die nönae, d. i. der 9. Tag vor den Iden, haben mit den Phasen des
Mondlichts wahrscheinlich zunächst nichts zu thun, sondern beruhen
auf der allgemeinen Bedeutung der Neunzahl (vgl. Nundina, nundinae,
nocendial, norendiales feriae, novena lampas etc.; s. auch u. Zahlen),
die das ganze alte Rom beherrscht, und sind vielleicht erst später in
eine Zweiteilung des Monats eingeschoben worden (vgl. Flex Die älteste
Monatsteilung der Römer, Jena 1880).
Neu- und Vollmond gelten daher auch bei dem Einfluss, den man
von jeher dem Moudlicht auf irdische Dinge zuschrieb, als die beiden
günstigen Zeiten. Für beide Phasen bezeugt dies Tacitus a. o. a. 0.:
Coeunt, nisi quid fortuitum et subitum incidit, certis diebtis, cum aut
incohatur luna aut. impletur; nam agendig rebus hoc auspicatisximum
initium credunt, für den Vollmond Herodot VI, 106 hinsichtlich der
Spartaner: toio*i bk fc'abc ufcv ßonB&iv 'Aenvcuottfi, dbüvctxa be a<pi nv to
irapaimxa ttoi&iv Taöia ou ßouXouevouri Xüciv töv vö(aov nv y<*P io"Ta-
uevou tou unvö? civdrn., dvdTn bfc ouk &€Xeüo*€ff6at &paaav un. oü nXrj-
p€0? dövTO? toö kukXou . outoi nev vuv tuv TravacXnvov Ijievov, für den
Neumond Caesar De bell. gall. I, öO: Cum ex capticitt quaereretT
quamobrem Ariovistus proelio non decertaret, haue reperiebat causam,
quod apud Germanos ea consuetudo esset, ut matresfamilwe eorum
sortibus ac caticinationibus declararent, utrum proelittm committi ex
usu esset necne; eas ita dicere : non esse fas Germanos superaret
si ante nocam lunam proelio contendissent. In Athen galt der Neu-
mond als die für Heiraten geeignetste Zeit (Proclus zu Hcsiod W. u. T.
v. 780: biö Kai 'AOtivaioi -xäq irpö? aüvobov f|ulpct£ dEcXerovro 7rpÖ£
Y<iuou$) u. 8. w. Für • die Annahme einer weiteren Einteilung des
Monats in ältester Zeit als in zwei Hälften fehlt jeder Anhalt. Über
die Woche s. d. — S. auch u. Zeitteilung.
Monogamie, s. Familie, Polygamie.
Montag, s. Woche.
Mord. Der dem modernen Rechtsbewusstsein geläufige Unter-
schied zwischen Mord, Totschlag und fahrlässiger Tötung kommt in
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Mord.
555
den alten Sprachen nur in sehr geringem Masse zum Ausdruck.
Griech. <pövo{ ist das ,Erschlageiv (ö biet (J<pafn? Ödvaro^ (Hes.) : 8eivu»
»schlage, treffe' = sert. hdnmi »schlage, erschlage', ir. geguin (Perf.),
gonim ,ver\vunde, töte ). Das Verhorn epoveuw ist noch nicht homerisch ;
dafür wird Kteivw, ktivvuui gehraucht, wahrscheinlich = sert. kshanö'ti
,er verletzt, verwundet'. Anf gleicher Stufe mit <pövo? steht lat. caedes,
caedere, occidere, homi-cidium, pdri-cidium (begrifflich schwer mit
dem lautlich naheliegenden gut. skaidan .xiopiZeiv' vereinbar). Es be-
zeichnet „die durch gewaltsame Einwirkung der Körperkraft des Thätcrs
auf den Körper des Getöteten verübte Tötung", während necare (: nex
— ir. 4c ,Tod', echt »Verbrechen, Mord', griech. vei<pö{, vIkvc,, sert.
w/c, vi nac, ,verIoren gehn', »sterben', Caus. ,töten') jede beliebige
Tötungsweise bezeichnet. Vgl. Festus ed. 0. M. S. 148 : Occimm a necato
distingui quidam, quod alterum a caedendo atque ictu fieri dicunt,
alterum sine ictu. Bemerkenswert ist bei den Verben des Tötens (inter-
necare, interimere, interficere) der Gebrauch von iwfer, der nach
Mommsen Strafrecht S. 612* ursprünglich auf den Tod im Handge-
raenge weisen könnte (vgl. jedoch B. Delbrück Vergl. S. 1, 072). Eine sehr
alte Phrase zur Bezeichnung jeglicher Tötung ist auch morti aliquem
dare. Vgl. die Lex Numae (M. Voigt Leg. Reg. S. 609): 67 qui ho-
minem liberum dolo seien« morti duit, parkidas esto. Von der Tötung
caedendo wird frühzeitig in Rom wie in Griechenland die Tötung durch
Gift unterschieden. Diese beiden Arten der Tötung werden schon in
dem Titel der Lex Cornelia de sicariis {sicarius : sica , Dolch') et
veneficis (= griech. <pctpuaK€U£, (papuaiceia) deutlich aus einander ge-
halten (vgl. R. Loening Z. f. d. ges. Straftsrechtsw. VII, 657 f.).
Im Altslavischen wird jede Tötung mit uböj bezeichnet (vgl. Ewers
Das älteste Recht d. R. XI), von altsl. bi-ti, bi jq ,schlagc', also ganz
wie <pövo? und caedes. In der Pravda des XIII. Jahrhunderts und
sonst wird dagegen für Mord und den damit verbundenen Strassenraub
der Ausdruck razböj (Ewers S. 219 f.) gebraucht, eine offenbar schon
technische Bezeichnung, die auch ins Litauische (razbdjus) überge-
gangen ist. Für den Totschlag kommen in der Terminologie der Blut-
rache (s. d.) auch die altsl. Wörter krüvi ,Blut' und glaca , Haupt' häutig
zur Anwendung. — Früh sind die Germanen auf diesem Gebiet zu
einer gewissen sprachlichen Differenzierung gelangt, insofern sie im
Gegensatz zu Wörtern wie ahd. slahta, slago (: got. slahan u. 8. w.,
ir. sligim, xlechtaim ,schlage), ahd. bano, altn. bani (vgl. got. banja
,Wunde', ir. benim ,schlage'), altn. drdp (: ahd. treffan u. s. w.) und
i lg (: got. weihan u. s. w. .kämpfen', ir. fichim, lat. rinco), welche
sämtlich den Totschlag, bczügl. den Totschläger bezeichnen, das alte
idg. Wort für Tod, *mrto-m (vgl. sert. mrtd-, lat. mors, morior n. s. w.),
im Sinne von absichtlicher heimlicher oder besser verheimlichter
Tötung, von „Mord" (ahd. mord, agls., altn. mord neben got. mat'trpr,
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55«
Mord.
agls. mordor) verwenden. Vgl. aus den deutschen Volksreehten z. B.
L. Rip. (W) XV: 67 9«/« ingenuti* liipuariiim interfecerit et eum cum
ramo cooperuerit vel in puteo seu in quocunque Übet loco celare
voluerit, quod dicitur mordridutt, *ol. fiOO culpabilü iudicetur. Vgl.
weiteres bei J. Grimm R.-A. S. 625 f. und Wilda Strafrecht S. 706 ff.
Indessen ist es doch zweifelhaft, ob germ. *murpra-m schon in urger-
manischer Zeit nur in diesem eingeschränkten Sinne verheimlichter
Tötung gebraucht wurde. Bemerkenswert scheint, dass Ulfilas das Wort
Marc, 15, 7 auch mit Beziehung auf Barabbas gebraucht, der iv Oiäati
(in auhjödau ,im GctUnimcl') einen <pövo<; {maurpr) begangen hatte.
Ausdrücklich wird der Begriff des heimlichen erst durch die ahd. Bil-
dungen mit mühh- (mühhil-sicert, mtihhildri, mtihhdri, kelt. *müg- in
formuichthai .absconditus') hervorgehoben.
Es ergiebt sich also, dass vorhistorische Gleichungen für die ver-
schiedenen Arten des Tötungsverbrechens oder überhaupt für die Tötung
als Verbrechen im Gegensatz zu anderer Tötung (etwa eines Tieres
beim Schlachten desselben) sich nicht nachweisen lassen (vgl. dem
gegenüber die schon in der Ursprache ausgebildete Terminologie des
Eigentumsvergehens u. Diebstahl). Offenbar sind die subtilen Unter-
scheidungen, die wir heute hinsichtlich der Tötung eines Menschen
machen, erst das Werk einer langeu und vielverschlungenen Kultur-
entwicklung, deren Ausgangspunkt im folgenden zu ermitteln ist. Dabei
lassen sich die für die Urzeit charakteristischen Anschauungen in vier
Punkte zusammenfassen :
1. Es wird ursprünglich kein Unterschied zwischen ge-
wollter und nicht gewollter, unfreiwilliger Tötuug, zwischen
cpövo? ^Koücrioq und dKOuaio? gemacht. Die Menschen der Ur-
zeit rechnen uur mit der vollendeten Thatsache und fragen nicht nach
den Umständen und Beweggründen, unter denen oder aus denen sie
hervorging. S. auch u. Blutrache.
Thatsächlich herrscht über diesen für die Beurteilung der Urzeit
höchst wichtigen Punkt hinsichtlich des heroischen Zeitalters der
Griechen, das in dieser Beziehung ganz auf dem urzeitlichen Stand-
punkt stehen gebliebeu ist, gegenwärtig fast völlige Übereinstimmung
der Forscher. Vgl. u. a. Hcrniann-Thalheim Lehrbuch d. griech. Rechts-
alt. S. 121 3, Brunnenmeister Tötungsverbrechen S. \Ml (gegen Leist
Graeco-it. Recbtsgesch.), Rhode Psyche I', 265, Gilbert Beiträge z.
Entw. d. griech. Gerichtsverfahrens in Fleckciscns Jahrb. XXIII Suppl.
S. 504 u. a. Aber auch Oldcnberg Die Religion des Veda S. 289 hebt
treffend hervor: „Es verstellt sich von selbst, dass die äusserliche Auf-
fassung der Sünde, welcher wir hier begegnen, sich auch darin zeigen
muss, dass das subjektive Moment des sündigen Willens noch weit
davon entfernt ist, zu entscheidender Geltung gelangt zu sein das
Wesentliche ist das objektive Faktum der sündigen That.
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Mord.
557
Immerhin sind natürlich Griechen wie Römer frühzeitig zu der
Unterscheidung der rprudenter, £kou<Jiuj<; oder TTpovoiaq und der
imprudenter, ükou(Jiuj? begangenen Entleibung*4 fortgeschritten. Im
ältesten Attika bestand ein besonderer Gerichtshof, das Palladiou, tou;
dnoKTeivadiv aKOucriux; (Paus. I, 28, 8). In Rom schrieb schon «las
Königsgesctz des Nnma vor: Vt si quis imprudens occidisset ko-
ntinent, pro capite occisi [ag]natis eins in [conetone offerre.t artet ein
(Serv. in Verg. Ecl. IV, 43;, ^voraus zu folgen scheiut, dass qui pru-
denter occiderat selbst den Agnaten des Getöteten überantwortet wurde
(s. auch u. Blutrache). In wie weit dann ferner innerhalb der im-
prudenten Tötung die durch Fahrlässigkeit, culpa (ein ganz dunkles
Wort), veranlasste Tötung von der durch Zufall, cam, herbeigeführten
unterschieden wurde, oder wohin die im Affekt begangeuc Tötung ge-
rechnet ward, diese Fragen sind hier nicht weiter zu behandeln. Ist
doch sieher, dass sie nicht für eine Zeit vorhanden gewesen sein können,
in der der uus so überaus nahe liegende Unterschied zwischen ge-
wollter und uicht gewollter Tötung dem Menschen noch nicht aufge-
gangen war oder keine Beachtung fand.
2. Der Mord hatte in der Urzeit noch nichts befleckendes
und wurde noch nicht moralisch verurteilt. Auch dies lässt
sich aus den homerischen Gedichten folgern (vgl. Gilbert a. a. 0.
8. Ö04 ff.). 8o wird Theoklymcnos, der in Argos einen Mann erschlagen
hatte und flüchtig war (Od. XV, 222 ff.), von Telcmachos aufgenommen,
ohne dass es irgend einer Reinigung bedurft hätte, und Üdysseus selbst
(Od. XIII, 20») ff.) fürchtet nicht den Abscheu seiner Hörerin, als er
in einer erdichteten Erzählung sich als einen Mann hinstellt, der auf
Kreta einen Volksgenossen meuchlings im Hinterhalt erschlug. Mit
Recht bemerkt daher Lobeck Aglaoph. p. 301: Heroico enint aevo
quicunque tale factum in se adtniserant, auf exilium dira poenam
pro caede luebant aut culpant pretio redimebant; cuius generis die
(IJomertts) mulfos inducit et dornt cum civibus et foris cum hospiti-
bus impune innoxieque con versaut es, quod fieri nullo modo potuisset,
si iam tum ciguisset opinio homicidarum interventu deorum religi-
ones et hominurn coetus containinari omniuinque rem m exitus vitiaril
ad extremum, ne ullus ad tergirersandum locus relinquatur, abest
ab Homert carmintbus Joris Purißci et Prodigialis sire Graecis
nominibus ueiXixiou, TraXanvcdou, Ka6apo*iou, (puEiou .... religio. Vgl.
in diesem Sinne auch Bernhöft Z. f. vergl. Recbtsw. II, 278 und F. Stengel
Die griechischen Kultusaltertümer S. 107 <J. v. Müllers Handbuch
V, 3).
Die Reinigung eines Mörders wird zuerst in der Aithiopis (bei
Proclus) erwähnt, und es kann nicht zweifelhaft sein, dass erst das
Aufkommen geordneter Priesterschaften, namentlich der Delphischeu,
und geläuterterer Religionsvorstellungen in dem Morde ein nütfo<; oder
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558
Mord.
uiatfMa erblicken lehrte, das der Reinigung (xdöapox) bedurfte. Dass
diese Anschauung in Rom vom Anfang der Überlieferung an uns ent-
gegentritt (vgl. M. Voigt Leg. Reg. S. 620, 624), hat seinen Grund nur
in ihrem späteren Anheben. Jedenfalls musste, wo diese neue Auf-
fassung des Mordes die herrschende geworden war, in Attika wie in
Rom, mit dem Kompositionensystem der idg. Urzeit gebrochen werden.
Die Reinigungsbräuche waren nach Herodot I, 35 bei den Griechen
nahezu dieselben wie bei den stammfremden Lydern. Es liegt daher
nahe, sie Uberhaupt aus orientalischen Quellen abzuleiten. S. auch u.
Reinheit und Unreinheit.
3. Auf keinen Fall hat in der Urzeit die Allgemeinheit (der Staat)
irgend etwas mit der Verfolgung einer Blutthat zu thuen gehabt. Es
ist die Sippe, die den Mord eines Sippengenossen rächt oder sich die
Rache abkaufen lässt. Es giebt für Mord keine Strafe, sondern nur
eine Busse. Das nähere s. u. Blutrache und u. Strafe. Gewohn-
heitsrechtlich aber wird schon in der Urzeit in gewissen Fällen (s. u.
Ehebruch und Diebstahl) die durch die Tötung eines ihrer Mit-
glieder gekränkte Sippe auf die Ausübung der Blutrache verzichtet
haben.
4. Als eine besondere Art der Tötung tritt bei zwei idg. Völkern
Europas der Begriff des Sippenmörders und des Sippenmordes
uns entgegen. Durch die Satzungen der Blutrache war der in der
Urzeit offenbar sehr häufige Fall geregelt, wenn jemand das Mitglied
einer fremden Sippe erschlug. Etwas besonderes aber und ungeheures
musste es scheinen, wenn jemand freiwillig oder unfreiwillig eiueu
tötete, der zu derselben Sippe wie er selbst gehörte. Hierher ist
nach den sachlich wie sprachlich (näheres s. u. Sippe) überzeu-
genden Ausführungen Brunnenmeisters (s. o.) das lat. pdricida, ])äri-
cid i um zu stellen. Aber auch im Altirisehen werden fingal ,Mord eines
Stammcsgcnossen oder Verwandten', fin-galach ,a fratricide, one who
has killed a tribesman', fingalcha Gl. zu parricidalia arma (Windisch
I. T.) : ir. fine , Familie, Sippe' (s. über diese Wörter u. Familie)
deutlich unterschieden. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass
hier ein Ausgangspunkt für die Auffassung des Mordes als eines Ver-
brechens anzuerkennen ist, und dass die schon oben genannte Lex des
Nnma: Si qtti hominem liberum dolo xciem morti duit, paricidaa
esto insofern eine civilisatorische That ist, als sie den am Sippenmord
erkannten Begriff des Tötungsverbrechens auf jeden Mord eines Volks-
genossen (über Uber .frei', eigentlich ,Volksgenosse' s. u. Stände)
ausdehnte. So auch E. Meyer Geschichte des Altertums II, 512, 514 f.
(der nur die Brunnenmeisterschc Worterklärung von lat. pdricida nicht
billigt). Was in der Urzeit mit einem solchen Sippenmörder geschah,
Jässt sich nur erraten. Er wird gewesen sein, was die Römer mit
sacer , verflucht', die Goten mit unsibjis ,do*ۧn.?, fivouo?' (eigentlich
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Mord — Münze.
5rvj
,au8gestos8en aus der Sippe ) bezeichneten. Im ältesten Koni wäre
nach Brunnenmeister (S. 171) die Rechtsfolge des pdricidium das deo
necari gewesen. In der Versammlung der Geschlechtsgenossen wäre
der Verbrecher den nahen Angehörigen des Gemordeten übergeben und
von diesen zur Besänftigung des göttlichen Zornes vom Leben zum
Tode gebracht worden. — S. n. Verbrechen und u. Strafe.
Morgen {tempun matutinum). Das Frührot, welches den Morgen
herauffuhrt, hat in den idg. Sprachen eine gemeinsame Benennung:
sert. ushdji-, aw. ttäah-, griech. r|u»q, aeol. aüuuq, lat. auröra, 1h. ausz-
rä esert. ush, ucchdti »leuchtet'). S. auch u. Religion. Für den
Morgen selbst fehlt es an scharf ausgeprägten substantivischen Glei-
chungen, sc dass das sprachliche Verhältnis von Morgen zu Abend
<s. d.) einigermasseu dem von Tag zu Nacht (s. d.) entspricht. Doch
beachte adverbiale Bildungen wie sert. prätdr ,früh Morgens' : gricch.
iTpun, ahd. fruoji und griech. fjpi ,am frühen Morgen' (aus *dyeri : aw.
ayare ,Tag'; vgl. auch griech. äpicrrov ,was man in der Frühe isst') :
got. air .früh", ir. an-air ,von Osten'. Die verbreitetste Bezeichnung
des Morgens löst sich von dem idg. Wort für Nacht *nokt- ab, dessen
Tiefstufe *nkt- in gemcingeriu. got. iihttcö, ahd. ühta , Frühe, Morgen-
dämmerung', »Ivvuxov', lit. ankxü ,frühe', altpr. angxtainai »morgends',
griech. dien? ,Strahl', sert. aktii- ,Nacht, Dämmerung, Licht' vorliegt
(Sprachvergleichung und Urgeschichte* S. 452, ühlenbeck Et. W. d.
got. Spr. S. 152). Eine Entsprechung findet dieser Bedeutungswandel
in got. maürgins , Morgen' : altsl. mrüknqti »dunkel werden', klruss.
zmrök »Dämmerung' (anders Ühlenbeck a. a. 0. S. 10H). Vgl. auch
unser dämmerung : sert. tämas- »Finsternis1. Einzclsprachliches: griech.
<5p9po<; : opvuut („wenn man aufsteht"), lat. mdne, mdtu-tinus (wie
diu-tinusi : mänus ,gut' („zu guter Stunde"), lit. ryta* (dunkel). —
S. u. Tag, Abend und u. Zeitteilung.
Morgen (oriens), s. Himmelsgegenden.
Morgen (ingerum), s. Mass, Messen.
Morgengabe, s. Mitgift.
Morgenrot«, s. Morgen, Religion.
Morgenstern, s. Religion, Sterne.
Mörtel, s. Kalk.
Moschus, s. Biber.
Most, 8. Wein.
Möwe. Griech. Xdpoq (: altn. Uri ,ein Seevogel"?), KaüaE, ktiüE
(: lat. gdria ,Möwe? oder : lit. kdicas »Dohle"?); kelt. *voilenno-, ir.
foilenn, kymr. gteylan (auch in der Bedeutung ,alcedo' etc.): gemein-
germ. ahd. meh, altn. mar, agls. mdw, entlehnt ins Litauische {rngwas).
Altsl. vypü.
Mühle, s. Mahlen, Mühle.
Münze, 8. Geld.
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Murmeltier — Musikalische Instrumente.
Murmeltier. Das nur auf den höchsten Spitzen des Gebirges*
lebende und daher von den Alten wenig beachtete Tier scheint zuerst
von Plinius als mus Älpinu* genannt zu werden. Auf Int. murern
montU (rbätoroni. murmont) gehen dann ahd. murimtnto, murmuntl,
und vielleicht it. marmotta etc. zurück. Verwandt ist die Ziesel-
maus: ahd. xiximüs, zisimAs, nihd. zixemAx, zi&eh Wörter, für die man
Entlehnung aus den slavischen .Sprachen annimmt i vgl. Palander Ahd.
Tieniamen 8. 08).
Muschel, s. .Sc Ii muck.
Musikalische Instrumente. Auf diesem Kulturgebiet haben sich
vorhistorische Gleichungen von irgend welcher Sicherheit bis jetzt
nicht nachweisen lassen, so dass man von Seiten der Sprache zu der
Annahme geführt wird, dass die idg. Urzeit an musikalischen Instru-
menten noch sehr arm war, oder derselben gänzlich entbehrte. Es
stimmt hiermit übereiu, dass auch die prähistorische Forschung aus
der neolithischen Periode unseres Erdteils, in die das fällt, was wir
unter „Urzeit der Indogermanenu bezeichnen (s. u. Kupfer und Stein-
zeit), fast nichts über Funde von Musikinstrumenten zu berichten
weiss. Eine Ausnahme machen gewisse trichterförmige Trommeln
aus Thon, die in mcgalithischen Gräbern namentlich der Altmark zu
Tage getreten sind i ein Exemplar z. B. im Proviuzmlmus. z. Halle . Sollte
dieses Instrument durch weitere Forschung sich als allgemeiner, einziger
uud ältester Besitz der jüngeren Steinzeit erweisen, so würde hierdurch
die bei Naturvölkern gemachte Erfahruug lediglich bestätigt werden,
nach welcher „die mehr rhythmischen als tonischen Schlaginstrumente
tvor allem also Trommel und Pauke) am frühsten auftretena vgl.
K. Bücher Arbeit und Rhythmus S. 9i>>.
In jedem Falle lässt sich sagen, dass die eigentliche Geschichte der
musikalischen Instrumente in Europa erst nach der Trennung der idg.
Einzelvölker auhebt, und, soviel hier noch im einzelnen zu thnn übrig
bleibt, können doch ihre Hauptakte mit einiger Deutlichkeit schon
jetzt übersehen werden.
In der homerischen Welt ist es noch eine geringe Mnnnigfaltig-
keit von Musikinstrumenten, die uns entgegentritt. Genannt werden
zunächst die drei durch SufHxgleichheit ihrer Benennungen verbundenen
Instrumente. aOpifr .die Hirtenpfeife', aäXm-rH ,dic Trompete nur im
Gleichnis von der Stimme des Achilleus gebraucht, aaXmkiv vom
Himmel: äuepi be aäXTrrrEev oOpavo?) und «pöpurrE , das Saiteninstrument
des Apollo und der Aöden'. Hinzu kommen auXöq .die Flöte" (II. X, V.\
bei den Trojanern und XVIII, 495 zusammen mit der cpöpurrE als
Tanzmusik genannt), »a8api<; und 'nur in den Hymnen) Xüpr), beides
,.Saitcninstrumcnte'. Etymologisch sind alle diese Ausdrücke, vielleicht
mit Ausnahme von CaKm^l (: lit. szicilpti , pfeifen ), noch nicht sicher
erklärt. Einige derselben, wie namentlich Kiöapi«;. später KiOdpa (vgl.
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Musikalische Instrumenta.
5*31
Lewy Sem. Frenulw. S. KU f.), sind orientalischen Ursprungs ver-
dächtig, der auf das unzweideutigste in der grossen Menge der Be-
nennnngen von Musikinstrumenten in nach homerisch er Zeit hervor-
tritt. Einige derselben sind vdßXa? (Sophokles) und Kivüpa (spät bezeugt,
aber wohl aus Kivüpouai ,klage' etc. schon fUr frühe Zeit zu erschliessen),
die aus dem Hebräiseh-Phönizischen (hebr. nebel und kinnOr, beides
,Saitenspiele') stammen, Travboöpa (armen, pandir ,ein Saiteninstrument',
osset. fändur, fändir ,Zither mit 2 Saiten ), ein in letzter Instanz Jy-
disehes Wort (vgl. Lagarde Ges. Abb. S. 274), TÜuTTavov (Uerodot)
,Handpauke', wie es scheint bis nach Assyrien (ttippu, tuppanu, aram.
ttippd ,Handpauke") hinüberführend. Vgl. weiteres bei Muss-Arnolt
Semitic words (Transactions of the Am. phil. association XX11I S. 127 f.)
uud Lewy a. a. O. S. 161 ff. So bestätigt die Sprache lediglich die
in Griechenland vorbaudene Überlieferung, nach welcher alle Musik
zusammen mit dem Ursprung der musikalischen Instrumente durch
thrakischc Vermittlung aus Asien abzuleiten sei. Vgl. Strabo X, p. 471 :
dirö be toö pe'Xou^ Kol toO £u0uoü Kai tujv öpfavuuv Kai n. uouffiKn, Ttäaa
GpaKia Kai 'Ao*idTi£ vevöuiötai Kai ö ue'v jiq <pn.o"iv >Ki9dpav
'Atfianv £do*o*uiva, ö be jovq aüXoüq BepeKuvrtouq KaXeT Kai Opufiou^ *
Kai tujv öpYdvwv Ivia ßapßdpiuv iüvöuao"Tai vdßXa^ (s. o.), aaußÜKn,
(Muss-Arnolt S. 12S, Lewy 101), Kai ßdpßito? (Muss-Arnolt S. 127) Kai
uaYdbi? (Lewy S. 162) Kai aXXa rcXeiw (vgl. auch Athenaeus IV, p. 17ö tF.).
Wie schon in homerischer Zeit, so wird der Charakter der griechischen
Musik auch später vorwiegend durch die Schlaginstrumente bestimmt.
Bezeichnend hierfür ist »1er Gebrauch von Kpoüeiv schlagen* = KÖTrreiv
und KpoTeiv (s. u.) für musizieren überhaupt, so dass man wie Kpoüeiv
<pöpuiYYa, Kiödpav, Xüpav auch Kpoüeiv aüXöv, Kpe'ußaXov und wie Kpoüo*-
uaia .Musikstücke' Ki6dpr|<; so KpoücTpaTa Td ^v aüXnjiKrj und aaXm-
0*TiKd sagt (vgl. K. Bücher a. a. O. S. 02 3).
In Rom war das eigentlich einheimische Instrument die tibia , Flöte'
(eigentlich ,Schicnbeinknocbcn ). Dazu u. a. die tuba : fubus , Röhre'
(auch selbst ,tubat und die bAcina ,IIorn, Trompete' (aus *boricina?
oder : mhd. pfür.hen, altsl. bykü .Stier', bucati .brüllen'?). Die Saiten-
instrumente tragen (auch fules aus griccli. o*qnbn, ,Dann. Saite?) grie-
chische Namen, wie denn die römische Musik ganz unter griechischem
und etiurischcm (vgl. Athen. IV, p. 184: Tuppn.vüjv b' e'öfiv eupn.ua
Kepaid re Kai adXmYYe?) Eintluss steht.
Gegenüber dem Süden, wo das Saitenspiel in mannigfachen Arten
die Musik beherrscht, ist im Norden, bei keltischen und germanischen
Völkern, ein Bl as i n s t r u m e n t zuerst littcrarisch und archäologisch
nachweisbar, das Horn. Von den ersteren berichtet Diodorus Sic. V, .'50:
odXTTrfTaq b' e*xouo"iv ibioqpuei? Kai ßapßapiKdq- eu<puauiai fdp TaÜTai?
Ka\ npoßdXXouaiv fjxov Tpaxüv Kai TroXeunois tapaxn«; oiKeiov. Vgl. dazu
Hesych Kdpvov tt|v o*dXmYYa TaXdiai und Eustath. ad. Horn. II.
Schräder, Reallexikon. ,%
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R62
Musikalische Instrumente.
p. 1139, f>7: TpiTn ((jaXinfS) l~aXaTiKf|, xwveuTn; .... €0*ti bt ö£u<pujvo?
Kai KaXeiTCu üttö tüjv KcXtujv Kap vuE. Dass auch bei den Germanen
das Horn, zunächst das einfache Ochsenhorn, dann das aus Bronze
oder Gold hergestellte, ein altbekanntes Musikinstrument war, folgt
erstens aus der Wiedergabe des griech. aa\mf£ durch puthaürn bei
Ulfilas (daneben xtciglön, siriglja für auXelv, aüXnjn;?, ahd. nwegala
, Flöte '). dann daraus, das» auf einer Kupfermünze des Marc Aurel
unter germanischen Waffen auch ein Horn dargestellt ist, und endlich
aus den Funden wirklicher (goldener) Musikhörner auf von Germanen
besiedeltem Boden (vgl. 0. Fleischer Die Musikinstrumente des Alter-
tums und Mittelalters in germanischen Ländern in Pauls Grundriss III8,
öt)T ff.). Zu den merkwürdigsten Ergebnissen aber der Prähistoric über-
haupt gehören die in mehreren Gegenden Dänemarks, sowie in Schweden
und (bruchstückeweis) auch in Mecklenburg und Hannover gefundenen
1 1 — — 1 - Meter langen, posaunenartigen Blasinstrumente („Luren" ge-
nannt), die zum teil späteren Ursprungs, teilweis aber auch bis in die
Bronzezeit zurückgehen, wo sie abgebildet schon auf einem südschwe-
dischen Fclscnrelief, dem Kiwikmomunent bei Mälby im südlichen
Schweden, erscheinen (vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde I, 481 f.
und 0. Fleischer a. a. 0.). Analoga zu diesen prachtvollen Schätzen
namentlich des Kopenhagener Museums haben sich bis jetzt weder im
Orient noch im Occident gefunden. Jedenfalls beweisen aber auch sie,
„dass in frühesten Zeiten, selbst bevor noch die deutschen Völker in
den Bannkreis der Geschichte und der griechisch-römischen Kultur
traten, vor allem in den nordischen Ländern, Blasinstrumente be-
kannt und in ausgedehntem Masse gebraucht wurden".
Langsam beginnen nun auch die Saiteninstrumente aus dem Süden
nach dem Norden Europas vorzudringen, wo sie, wie schon in der
Haud des homerischen Aüden, so in der des keltischen Barden und
germanischen Hofsängers das gewöhnliche, die barbarischen Hörer ent-
zückende Begleitungsinstrument werden (s. u. Dichtkunst, Dichter).
Über die Abbildungen derartiger Kithara-artiger Instrumente anf Denk-
mälern, die bis in die Hallstatt-Periode zurückgehen, und auf alt-
gallischen Münzen aus Caesars Zeit, sowie über die späteren Funde
von Saiteninstrumenten selbst in alemannischen Gräbern vgl. O. Fleischer
a. a. 0. Dabei wird man für die Kelten an griechisch-inassiliotische,
für die Germanen an gallische Einflüsse denken dürfen. In merkwürdiger
Nähe des gcmeinkeltischcn Namens der Harfe, altgall. crotta, ir. crott,
kymr. crwth, der auf eine Grundform *crotetä' zurückzugehen scheint
(vgl. Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 100,), liegt das schon oben
genannte griech. KpoTtiv ,eiu Saiteninstrument schlagen', KpoTTyro u^Xn;
,auf einem Saiteninstrument gespielte Lieder', mit dem der keltische
Ausdruck, rein sprachlich betrachtet, wohl urverwandt sein, aus dem er
aber auch in früher Zeit entlehnt sein könnte. Aus altgall. crotta stammt
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Musikalische Instrumente — Muskatuu.ss.
aber wiederum nhd. hrotta (woraus altfrz. rota). Auch dieser Fall
wird unter die n. König behaudelte Entlehuungsgruppe gehören, d.h.
mit dem altgallisehen Königtum wird auch die Gestalt des Sängers
und der Name seines Instruments zu den Germanen Ubergegaugen seiu.
Der häutigere altgcrmanische Name für eine von der crotta vielleicht
verschiedene Harfenart ist ahd. harfa, agls. hearpe, altn. harpa. Er
ist schon bei Venautins Fortunatns bezeugt, hat aber noch keine An-
knüpfung oder Erklärung gefunden. Bemerkenswert aber ist, dass
auch im äussersten Osten Europas, in der sla vi scheu Welt, das
Saitenspiel früh bezeugt ist. Als der Kaiser Maurikios im 9. Jahre
seiner Regierung sich in Thrakien befand, wurden 3 Slaven mit Zithern
(Kiedpa; entsprechend wohl das altsl. gqdl aus *gqdtll : gqdq ,citbara
cano ) vor ihn geführt, die aussagten, dass dies ihr wichtigstes, ja
einziges Instrument wäre (vgl. die Belege bei Krek Einleit. iu die slav.
Litgeseh.8 S. 375). Auch die Araber berichten von Lauten, Zithern,
Schalmeien, Saiten- und Blasinstrumenten bei den sklavischen Völkern.
Vielleicht darf man auch hier als Vermittler dieser Kulturgüter sich
die Thraker (s. o.) denken, denen in den dürftigen Nachrichten, die
wir von ihnen haben, mehrere wichtige Musikinstrumente zugesprochen
werden. So die Harfe selbst, die bei ihnen ßpuvxö? hiess (ßpuvxöv
Ki8üpav. OpctKes Hes.), so (vgl. Xcnophon Anab. VII, 3, 32) das Signal-
born und der Dudclsack oder die Sackpfeife (crdKiriYE uüpoßoeia), auf
der sie £u6hqo£ xe kou oiov pafdbi (in der Oktave?) spielten.
Gänzlich unbekannt sind im Altertum und früheren Mittelalter die
Streichinstrumente geblieben, die sich im Lauf der Zeit aus ge-
wissen Grundformen der geschlagenen Saiteninstrumente cutwickelt
haben. Hiervon legen auch Bedeutungseutwicklungeu wie engl, croicd
»Fiedel' aus kymr. crwth .crotta' oder nsl. gusli, serb. güdulka, ober-
sorb. hmla ,Geige, Violine' : altsl. gasll ,Ki0dpa' Zeugnis ab. Die
beiden wichtigsten Sprachreihen für diese neuen Bogeninstrumente
liegen in mhd. gige, altn. gigja, it. giga, frz. gigue und ahd. fidula,
agls. /ibele, altn. fibla, mlat. ritula, it. viola, frz. riole, cielle vor.
über ihren Ursprung ist noch nichts bekannt (näheres bei Flcischcra.a.O.).
Muskatnuss. Die als Aroma und als Gewürz gebrauchte Frucht
der auf den Molukken einheimischen Mgristica moschata oder fragran*
war im Altertum unbekannt, obwohl es einige unter dem von Dios-
korides (I, 110) u. a. genannten ud»c€p (Plinius: macir-, schon Plautus
im Pseudolus hat ein macis, macidisi verstanden wissen wollen („Macis-
blüte1-;: doch vgl. C. Sprengel Diosk. II, 392. — Erst im Mittelalter,
so scheint es, hat sich die Muskatnuss von Indien her westwärts
durch den Handel ausgebreitet, wie die Aufnahme des indischen jäti-
kö$a- in das Syrisch-Aramäische zeigt (vgl. Lagardc Ges. Abb. S. 25,
Löw Aram. Pflanzenn. S. 85, Z. f. d. Kunde d. M. V, 83). In Byzanz
erhielt das Gewürz nach der Ähnlichkeit seines Geruches mit dein
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5<;i
Muskatnuss — Mutterrechf.
Moschus (b. u. Biher) den Namen uoo*xoi<dpubov, woraus lat. nux
moschata, mhd. nuzmmcata (heilige Hildegard), mmkät (K. v. Megen-
berg). — Ausführlich Flückiger Pharmakognosie* S. 976.
Matter. Ihr idg. Name ist scrt. mätdr-, aw. mätar-, armen,
/wfltr, griech. uäTn.p, lat. mäter, ir. mdthir, ahd. muotar, altpr. mothe,
milti, lit. »ioW ,Weib', mötyna .Mutter', altsl. »wrtfi (alb. »»ofrr
,8chwester'). Eine Wurzel- oder Grundbedeutung dieses Wortes lässt
sich nicht ermitteln. Wahrscheinlich ist es nichts als eine organische
Unibildung eines der zahlreichen Lall- und Kinderwörter, welche sich
für Vater und Mutter durch alle Sprachen der Welt in d e r Weise
zichn, dass für den Vater die Laute p und t, für die Mutter m und n
charakteristisch sind (vgl. Kretschmer Einleitung S. 8f>:-J ff.). Auf idg.
Boden finden sich so für ,Muttcr' : scrt. nand', griech. vevvct, vdvvrj
(auch ,Mutter- oder Vaterschwester'), uduua, uduun. (auch ,Mutterhrust\
und ,Grossmntter'), lat. mama, mamula, mamma (auch ,Mutterbrust,
Amine, Gro8Siuutter'), amita ,Tante', kelt. korn. mam, germ. ahd. amma
(auch ,Amme, Grossmutter'), altn. möna, ahd. muoma .matertcra', ndd.
mdme ,Mtitter' und , Muhde', lit. mama und momd, slav. mama, alb.
ame, natu etc. Dunkel ist got. aipei. — S. n. Vater und Uber die
Stellung der Mutter in der Familie s. d.
Mutterbruder, s. Oheim.
Muttersch wester, s. Tante.
Matterrecht. Mit diesem Worte bezeichnet man einen bei zahl-
reichen Stämmen der Gegenwart und mehreren Volkern des Altertums
bezeugten Zustand der Familie, bei welchem die Verwandtschaft und
der Erbgang des Kindes nicht, wie sonst, durch den Vater, sondern
durch die Mutter bestimmt wird. Welche Verhältnisse und Gründe zu
diesem uns befremdenden Thatbestand gefuhrt haben, ist noch nicht
genügend ermittelt (vgl. namentlich E. Grosse Die Formen der Familie
und die Formen der Wirtschaft Freiburg i. B. und Leipzig li^Oo
passim) und soll hier nicht erörtert werden. Jedenfalls brauchen es
nicht überall dieselben Ursachen gewesen zu sein. Unter dem Mutter-
recht ist der nächste Verwandte des Kindes naturgemäss der Mutter-
bruder, so dass der Kern der mutterrechtlichen Familie durch Mutter,
Kind, Mnttcrbrudcr gegenüber Vater, Kind, Vaterbruder der vater-
rechtlichen Familie gebildet wird.
Nach dem u. Familie und Erbschaft (s. auch n. Xamc, Xamen-
gebung) ausgeführten Sachverhalt kann nicht davon die Rede sein,
dass die Indogermanen in uns erreichbarer Zeit jemals nach Mutter-
recht gelebt hätten, und es wäre daher über diesen Begriff hier über-
haupt nichts zu sagen, wenn nicht einige Spuren vorhanden wären, die
es als wahrscheinlich erscheinen Hessen, dass die vorindogerma-
nische Bevölkerung Europas oder Teile derselben unter Mutterrecht
gestanden hätten. So berichtet zunächst Herodot I, 173 von den der
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Mutterrecht.
565
griechischen Welt heuachharten Lykiern folgendes: £v bi röb€ ibiov
V€VopiKao*i Kai oübapoitfi dXXöi^ ffupcptpovTai avSpiumov KaKiovCi dno
tüjv pnjepuiv ^uuutou? Kai oüki dnö tüjv 7raT€pujv. eipopevou bi ^T€pou
töv nXrtcJiov, ti? €ir(, xaTaX^ct ^uuutöv pnTpöGfcv Kai rfj^ pnTpö? dva-
vep&Tai tci<; urjTepaq. Kai nv pev re Tuvrj äaxr\ bouXw auvoiKn.cn;), rev-
vaia td T€Kva vevöptcrrat, nv be dvfjp aoiö<;. Kai 6 irpÜJTO? airrojv, tu-
vafaa £eivnv n. naXXaKnv £xn> äupa Td t^kvo riveTai. Vgl. auch Nicolais
von Daniascus De mor. gent.: Aukioi id^ Yuvafoaq päXXov f| tou? dv-
bpaq Tipwcfi Kai KaXoövrai pr|TpöÖ€v, jäq T€ KXnpovopia? Talq 6uTaTpdo"i
XeiTrouat, oü toi? uiois, IJeraclides Ponticus De re publ. 15: Aükioi btfj-
Yov Xrj(JTeuovT€? • vöpoi^ bi ou xpwvTai, dXX' £0eo*i Kai Ik TraXatou yu-
vatKpaTOÖvTai, sowie Nymphis von Heraclea bei Plut. De niul. virt. 9,
wo die xanthisehe Sitte pn. TraTpö9ev dXX' öttö pnipuiv xpnP«™Tfoiv auf
den lykischen Nationalhelden Hellerophon zurückgeführt wird. Bemerkens-
wert ist auch, dass der Enkel dieses Bellerophou in mütterlicher Linie,
Sarpedon, in der Erbschaft vor seinein direkten Enkel, Glaukos, be-
vorzugt wird, was schon den Alten auffiel (vgl. J. Tocpffer Attische
Genealogie 8. 193 ff. >. Nun ist es aber nach älteren wie nach neueren
Untersuchungen (vgl. P. Kretschtner Einleitung in die Geschichte der
griech. Sprache S. 370) wahrscheinlich, dass die Lykier zusammen
mit Karern, Lydern (vgl. Uber Spuren des Mutterrechts bei diesem
Volke Athen. XII, p. 515», Mysern, Pisiden, Kilikicrn u. a. eine durch
Verwandtschaft mit einander verbundene, nicht indogermanische Völker-
grnppe bilden, die in vorhistorischer Zeit auch über die Inseln des
ägäischen Meeres und den Süden der Balkanhalbinse) und des Mittel-
meergebietes Überhaupt verbreitet war. Es liegt also die Vermutung
nahe, dass das Mutterrecht der Lykier einstens auch bei den ihnen
sprachverwandten Völkern, also auch im Süden Europas, gegolten
habe, wo einerseits Diodorus Siculus (V, 17) von einer ähnlichen Wert-
schätzung der Frauen auf den Balearen wie bei den Lykiern zu be-
richten weiss, und andererseits nach Aristoteles bei Polyb. XII, 5, 6
(vgl. Toepffer a. a. 0. S. 194) in Griechenland selbst bei den als
Nachkommen der Leleger betrachteten epizephyrischen Lokrern ein
Adel von 10o Geschlechtern in weiblicher Linie auftritt. Über An-
zeichen einstigen Mutterrechts auf Kos und bei den Etruskern s. u.
Name, Xaraengebu ng.
Mit Sicherheit ist ferner der Zustand des Mutterrechts im äussersten
Nord- Westen unseres Erdteils, bei der vorkeltischeu Bevölkerung Bri-
tanniens, den Pikten bezeugt. Die Ermittlung dieses Umstauds ver-
danken wir II. Zimmer (Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechts-
geschichte XV. Rom. Abt. S. 209 ff.), der sich darüber folgender-
massen äussert: „Bei den Resten der vorarischen (vorkeltischen)
Urbevölkerung Britanniens bestand das Mutterrecht in voller Geltung;
es regelte die Erbfolge noch Jahrhunderte, als die Pikten Fängst
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Mutterrecht — Myrrhe.
christianisiert und sprachlieh keltisiert waren, his zum Untergang des
Piktenstaates im 9. Jahrhundert. Die Frauen nahmen nicht etwa eine
besonders hohe .Stellung ein (was nach Grosse a. a. 0. auch sonst
unter der Herrschaft des Mutterrechts nicht überall beobachtet worden
ist), im Gegenteil; nirgends herrscht, soviel wir sehen, eine Frau: die
Mutter, also die Geburt, bestimmt aber die Stauunzuge-
hörigkeit, das Erbrecht. Auf einen Piktenherrscher und seine
Brüder folgt nicht etwa der Sohn des ältesten, sondern der Sohn der
Schwester; auf diesen und seine eventuellen Brüder von Mutterscite
folgt wieder ein Schwestersobn und so fort.a An der Richtigkeit
dieser Ausführungen kann nach den beigebrachten Zeugnissen ein
Zweifel nicht bestehen.
Man könnte daher geneigt sein, das allmähliche Durchbrechen des
agnatischen Grundeharaktcrs der idg. Familie (s. d.) durch die mehr
und mehr hervortretende Berücksichtigung der weiblichen Verwandt-
schaft auf den Einflusa vorindogermanischer Völker Europas
zurückzuführen (vgl. namentlich Bcruhöft Staat und Recht der röm-
ische!) Königszeit Stuttgart 1882 S. 191 ff.). Und eine derartige An-
nahme wird man nicht als unmöglich bezeichnen können: doch hat
B. Delbrück in den Prenssischen Jahrbüchern (LXXIX, 14 ff. Das
Mutterrecht bei den Indogermanen) überzeugend nachgewiesen, das« alle
einzelnen Punkte, die man für das Bestehen einstigen und eigentlichen
Mutterrechts bei idg. Völkern ins Feld geführt hat, sich sehr wohl auch
ohne eine solche Hypothese erklären lassen.
Mfttze, s. Kopf bedeckung.
Myrrhe 'das Harz des namentlich in Ostafrika und Sudarabien vor-
kommenden llalxamodendron Ehrenbergiamtm oder B. Myrrha). Wie
die Heimat, so bietet auch die Geschichte dieses Aromas viele Ähn-
lichkeit mit der des Weihrauchs (s. d.). Wie diesen, holen die
Ägypter die Myrrhe und Myrrhenbänme seit alten Zeiten ans dem
Wunderlandc Punt, und es ist nicht immer möglich, in der Sprache
und in den Abbildungen die beiden wichtigsten Aromata des Altertums
auseinanderzuhalten; doch wird das in den ägyptischen Inschriften
viel genannte dilti sich auf die Myrrhe beziehn, wie schon das Hesych-
ische d^vTiov Ahwnov cruupviov zeigt. In denselben semitischen
Sprachen, wie der Weihrauch, ist auch die Myrrhe übereinstimmend
benannt: hehr. »</>»•, aram. milrd, arab. murr (zu »irr, märdr »bitter
sein' gehörig, also auf semitischem Boden wurzelnd). Allerdings hat
neuerdings G. Schweinfurth in einem Aufsatz über Balsam und Myrrhe
(Berichte der pharmacentischen Gesellschaft III, 21* ff.) die Behauptung
aufgestellt, dass hehr, mör gar nicht Myrrhe, sondern vielmehr Balsam
bedeute. Durch den .,Gleichklangu des hebräischen und neuarabischen
Ausdrucks verführt, hätten die Erklärer seit alter Zeit fälschlich jene
Bedeutung statt dieser angesetzt. Überall im alten Testament, wo der
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Myrrhe.
567
Ausdruck mör vorkomme, bezeichne dieses Wort einen flüssigen
Wohlgeruch, während das Myrrhenharz (griech. cruüpvn.) ein festes
Harz sei, das als Wohlgeruch nicht aufgefasst werden könne. Allein
diese Anschauung des berühmten Reisenden ist eine irrige. Denn
erstens würde, wenn hebr. mar, das Hoheslicd ö, 1 deutlich neben
dem Balsam genannt wird, selbst Balsam bedeutete, überhaupt kein
Wort für Myrrhe im alten Testament vorhanden sein, zweitens beruht
das Verhältnis von hebr. mör zu den daneben liegenden, sicher Myrrhe
bezeichnenden semitischen Wörtern nicht auf Schein oder Zufall, sondern
auf wirklicher Verwandtschaft, und drittens wird das griech. tfuupvn.,
das Schweinfurth selbst für Myrrhe nimmt, gerade an den ältesten
Stellen seiner Überlieferung (vgl. Archilochus frgm. 30, Bergk: ^c.uupia-
M€'va? Koixaq Kai tfTn8o<;, äv Kai yepwv npäo*o"aTO und dazu frgm. 31 :
ouk av uupoiai Tpaöq lovO r^\ciq)€TO> ganz wie hebr. mör, nämlich im
Sinne eines flüssigen Wohlgeruchs, gebraucht. Übrigens wird einmal
(Exod. 30,23) geradezu ^flüssige" Myrrhe (mör) genannt, zum Beweis,
dass es daneben auch trockene gab. Man wird also anzunehmen haben,
dass die Orientalen, und nach ihnen die Griechen sich darauf verstanden,
das Myrrhenharz in ein flüssiges Aroma vgl. etwa unsere _, Myrrhen-
tinktur") zu verwandeln, und dass dies und nicht, wie bei dem Weih-
rauch, die Käucberung der älteste Gebrauch ist, den man von der
Myrrhe machte.
Die Namen, unter denen dieselbe, etwas früher als die des Weih-
rauchs, in der griechischen Litteratur auftritt, sind die folgenden: uüpov
und ^o*pupio*)Li€vr| (s. o.}, uüp'pa (Sappho, Bergk 163), o*uüpvr| (Soph. frgm.
340, Merodot), cfuüpva (hellenistisch). In sprachlicher Hinsieht macht
dabei das o" Schwierigkeiten, welches sich in einigen der griech.
Formen findet, ohne einen Anhalt im Semitischen zu haben. Wahr-
scheinlich sind in der griechischen Sippe zwei ganz verschiedene Be-
standteile mit einander verschmolzen, ein phönizisch-semitiseher und
ein einheimischer, nämlich ein im Griechischen von Alters her vor-
handenes *tfuüpov .Salbe' (vgl. auch o"uüpi<; ,Smirgcl'), das dem ahd.
smero ,Fett, Schmer', got. nmairpra .Fett', altn. amjtir , Butter' ent-
sprach. Von hier hätte dann das in auüpvn. etc. erscheinende o* seinen
Ausgang genommen. Der gemeine Mann bediente sich zürn Salben
des Körpers wohl noch lange, wie in der Urzeit, der fetten Teile der
Milch (s. u. Butter) und des Fettes der Herdentiere. Als nun als
erstes der ausländischen Aromata und Spezereien das Harz der arabi-
schen Myrrhe, das zu gleichen Zwecken diente, in Hellas auf den
Wegen des Handels bekannt wurde, konnte es leicht geschehen, dass
der fremde und einheimische Ausdruck in einander übergingen. In
Italien ist murra (ans uüpjia) seit Plautus belegbar.
Über die Heimat der Myrrhe berichtet zunächst Herodot (III, 107).
Sie wächst zusammen mit dem Weihrauch, Zimt und Ledanum in
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f>f,8
Myrrhe — Myrte.
Arabien, wird aber im Gegensatz zu diesen leicht von den Arabern
erworben. Durch Aristobulos (bei Arrian. Anab. VI, 22) erfahren wir
dann, dass das Heer Alexanders des Grossen bei seinein Marsehe
durch Gcdrosieu auf Myrrhcnbüsebe sticss, und die im Heere befind-
lichen Phönizier die Myrrhe eifrig sammelten. Eine Besehreibung des
Baumes findet sich bei Theopbrast IX, 4, der für eine flüssige Sorte
der Droge auch den Namen crraKTri (: öxcrfujv , Tropfen) braucht. Die
genauste Kunde über den Myrrhcnhandel in der römischen Kaiserzeit,
der aus Ost-Afrika und Süd-Arabien exportiert, erhalten wir, wie hei
dem Weihrauch, durch den Periplus maris erythraei.
Da die Myrrhensalbe heilig war, denn Nikodemus hatte nach Job.
19, 30 den Leichnam des Herrn mit Myrrhe und Aloe gesalbt, so
verbreitete sich ihr Name früh in die nordischen Sprachen. Aus dem
hellenistischen (tfpupva) stammt got. smyrn und altsl. zmyrüna, aus
dem Lateinischen (murra, myrrha) ahd. myrra, alts. myrra, mhd.
wirre. — Vgl. auch Flückiger Pharmakognosie* S. 35. S. u. Aro-
ma t a.
Myrte (Myrtits communis L.). Sie ist fossil noch nicht mit
Sicherheit in Südeuropa nachgewiesen. Trotzdem halteu die Botaniker
ihr Indigenat daselbst mit Rücksicht auf ihre Verbreitung in allen
Macchien des Mittelmeergebiets für unzweifelhaft. In Vorderasien er-
streckt sich das Gebiet der Myrte weiter ostwärts als das des Lorbeers,
bis Afghanistan und Beludschistan. In Europa kommt sie wildwachsend
auf der Balkanhalbinsel bis uach Mazedonien, Albanien und Dalmatien
vor, ferner in Istrien, in Italien und auf den italienischen Inseln, in
Südfrankreich und auf der iberische!» Halbinsel (nach A. Engler bei
V. Hehn s. n.) vor.
Bei Homer geschieht der Myrte noch keine Erwähnung. Sie wird
zuerst in dem homerischen Hymnus auf Hermes (uupaivoeibns v. 81),
danu bei Arehiloehos (uupo*ivn. frgm. 29 und püpTOv .Myrtenbeere' frgm.
164; genannt. Doch setzt auch für die homerischen Zeiten der
Ortsname Müptfivo«; in Elis (II. II, 616;, der später Muprouvitov heisst,
die Bekanntschaft mit dem Baume voraus. Mit dem griechischen, aus
dem Orient entlehnten Namen der Myrrhe (Balsamodendron Myrrha,
s. u. Myrrhe) hat uuptfivr), .uupToq nichts zu thun; eher dürfte an das
schon homerische pupiKn. .Tamariske' anzuknüpfen sein. Annen, murt,
npers. mth-d sind erst aus dem Griechischen entlehnt (vgl. auch Hübsch-
inann Armen. Gr. I, 197). In Italien keunt schon Theophrast (V, 8, 3)
die Myrte neben dem Lorbeer: n. be tüuv Acmvujv frpubpos ixäaa' Kai
f| pev TT£b£ivr| bdtpvnv £x€i Kai puppivou; Kai öivryv Oaupaarnv
tö b€ KipKaiov KaXoüpevov €i*vai pev ÖKpav uvpnXf)v bao*€iav bk 0"<pöbpa
Kai c'xciv bpöv Kai bdcpvnv rcoXXriv Kai puppivou?. Xtyeiv bi toö? tYX1^"
piou^ evTaö0a r\ KipKrj KaTWK€i*Kai bciKVÜvai töv toö 'EXjrrivopo^
Tdqpov iE ov <püovrai puppivai. An diese Stelle knüpft Plinius Hist.
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Myrte - Nachtgleichcii.
569
nat. XV, 119 an und fügt, offenbar aus eigenen Mitteln, hinzu:
p rim um Circete in Elpenoris tumulo risa {»iiirtus) traditur Grae-
cumqtte ei nomen remanet, quo peregri »am esse apparet.
Diese Zuthat aber dürfte nichts als ein Schluss des Plinius aus der
Entlehnung des lat. murtus aus griech. uup-ro^ sein, ein Schluss, der
aber deswegen auf sehr schwachen Füssen steht, weil es sehr wohl
möglich, ja nach unseren botanischen Vorbemerkungen sicher ist, dass
man in Italien murtus nur deswegen aus dem griechischen entlehnte,
weil mau von Griechenland her den einheimischen Baum als der Venus-
Aphrodite geweiht auffassen und um deren Heiligtümer pflanzen lernte.
In Deutschland wird schon bei der heiligen Hildegard ein mirtel-
baum genannt. Da aber von ihm ausdrücklich bemerkt wird, dass er
beim Hierbrauen Verwendung finde (et si quin cerrisiam parare volu-
erit, folia et fruetus ipsitts arboris atm cerrisia coquat, et sann erit,
et bibentem nun laedit), so ist damit wohl sicher eine andere Pflanze,
der Gagel {Murica gale L.), gemeint, der in Westfalen bis ins 15. Jahr-
hundert statt des Hopfens dem sogenannten Grutenbicr zugesetzt wurde,
über dessen Verbreitung in Europa Koppen Holzgewäeuse II, ;il>l aus-
führlieh handelt, und der noch heute in manchen Gegenden Deutsch-
lands gerber»iyrte, heidelbeermyrte, russ. „Sumpfinyrte" genannt wird
(vgl. Pritzel -Jessen Deutsche Volksnamen der Pflanzen S. 241). Dunkel
agls. trir ,Myrte'. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen45 S. 216 ff. und v.
Fischer-Benzon Altd. Garteuflora S. 4*.
Mythus, s. Religion.
N.
Nabe. Der idg. Name dieses Teiles des Wagens ist sei t, nabhi-,
agls. nafu, altn. nbf, ahd. naba. altpr. nabis (vgl. sert. nribh- , Ritze ).
Für sich stehen griech. TrXriuvn, (: mun-Xriui , Füllung'), lat. Modiolus,
orbieuhts, lit. stebulr. — S. u. Wagen.
Nacht. Der idg. Ausdruck hierfür, an dem, wie an den Be-
zeichnungen für Winter und Mond-Monat, fast sämtliche Einzel-
sprachen teilnehmen, ist sert. nukti-, näkta- (Uber sert. aktu- uud
andere hierhergehörigen Wörter s. u. Morgen )t aw. nayturu- ,nachtlich\
griech. vüE, lat. nox, altsl. no&ti, lit. »aktis, all», naU, got. naht*, ir.
innocht , diese Nacht*. Die Wurzelbedeutung des idg. Stammes *noqt-
ist unbekannt. Arisch ist die Gleichung sert. kshdp-, kshapa — aw.
ysap-, yxapan-. Alleiu steht das dunkle ir. aidche, oidche. — S. u.
Tag und u. Zeitteilung.
Naclitgleiehen. s. Jahr.
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570
Nachtigall - Nadel.
Nachtigall, s. Singvögel.
Nadel. Sie dient vornehmlich einein doppelten Zweck : entweder
zum Nähen (als Nähnadel) oder zum Zusammenheften und -halten des
Gewandes oder Haares (als Gewand- und Haarnadel). Indem über
ihre Bedeutung in letzterer Hinsicht auf den A. Schmuck verwiesen
wird, soll hier nur von der Nähnadel gesprochen werden.
Nadeln und Pfriemen aus Tierknochen oder Eberzahn, zum Teil mit
durchbohrtem Kopfende (dem Oehr), sind schon während der jüngeren
Steinzeit aus den verschiedensten Teilen Europas zu Tage getreten.
Vgl. Keller Pfablbantenberichte III, 98, A. Müller Vorhist. Kultur-
bilder X, 4, 0. Montclius Antiquites suedoises S. 18, S. Müller Nor-
dische Altertumskunde 1, 150, auch Schliemann Ilios S. 29ö— 297.
Doch erwecken alle diese Nadeln den Eindruck, dass dieselben nicht
zum Zusammennähen von Zeng, sondern eines spröderen Stoffes, vor
allem also des Leders, gebraucht worden sind. Selbst wo, wie in den
Pfahlbauten von Wangen und Robenhausen, wirkliche Zeugreste (aus
Linnen) gefunden worden sind, zeigen dieselben nie eine Naht oder
eine Spur von einem Zuschnitt des Zeuges, so dass Keller Berichte
IV, 20 vermutet, dass ^ diese Gewebe eher als Umhüllungen im allge-
meinen, denn als eine den verschiedenen Teilen des Körpers angepasste
Bedeckung verwendet wurden".
Den geschilderten Verhältnissen entspricht es, dass auch die Indo-
germanen schon in der Ur/.eit die Kunst des Nähens kannten, wie aus
der Gleichung sert. sirt xi'ryati, grieeb. Kao'o'üu), lat. *uo, got. .v/m/««,
lit. Mtvti, altsl. «iti, sijq mit Sicherheit hervorgeht, und dass auch
diese (vgl. griech. Käo"o"uua , Leder', lat. sütor ,Schuster', slav. podüslca
»Schuhsohle', lat. si'tkula — Cech. si-dlo ,Ahlc', ahd. siula) sich ur-
sprünglich lediglich auf Lederarbeit (s. u. Schuh e) bezog. That-
sächlich bot die älteste idg. Kleidung (s. d.), die nur aus dem
über die Schulter geworfenen Mantel aus Fell oder Zeng und dem
um die Hüften geschlungenen Schurz bestand, keine Veranlassung
zu einer Ausbildung der Nähkunst dar. Eine solche stellte sich erst
ein, nachdem das Unterkleid, der genähte Rock, aufgekommen war,
ein Fortschritt, der aber erst in die Entwicklung der Einzelvölker
fällt. Auf deren Sprachgebieten treten denn auch allmählich neue
Ausdrücke für die Kunst des Nähens auf. So entwickelte sich im
Griechischen dtanTiu) und im Germanischen (ahd. nüjan) eine neue
Bezeichnung des Näheus aus der des Spinnens (s. d.), obwohl man
den Bedeutungsübergang von „den Faden spinnen-' und „den gesponnenen
Faden vernähen- inhaltlich nicht recht versteht.
Zur Bezeichnung der Nadel hat man sich in der Ursprache offenbar
derselben Wörter bedient, welche man für Ahle (s. d.) und Pfriem
gebrauchte, wie ja auch archäologisch diese Begriffe nach dem obigen
von dem der Nadel nicht scharf unterschieden werden können. Ob
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Nudel - Nahrung. 571
man das Ochr schon damals, wie es übereinstimmend im Griechischen
(ouq), Litauischen (aurte), Germanischen (ahd. öri) geschieht, mit dem-
selben Worte wie das Ohr bezeichnete, mag dahingestellt bleiben.
Einzelsprachliche Bezeichnungen der Nähnadel und des Nähens sind
ferner griech. jüctepis, (kupiov (: ^oltttiu), lat. actis (vgl. armen. aseln
,Nadel' : actio), altlat. (bei Festus) mullare ,nähen' (dunkel), ir. snd-
that ,NadeP (: sndthe ,Faden', s. u. Spinnen), fuagaim ,nähe' i dunkel),
gemeingerm. got. ntpla (: ahd. ndjanf, lit. adatä ,Nadel' : adaft ,nähe',
gcmeinsl. altsl. igla (vgl. altpr. ai/culo ,Nadel\ — S. u. Werkzeuge.
Nagel. Dass hölzerne Nägel oder Pflöcke schon in der Stein-
zeit gebraucht wurden, ist selbstverständlich. Wie sollte man ohne sie
z. B. die Konstruktion der Pfahlbauteu sich denken? Auch sind
bronzene Nägel verhältnismässig selten, da eben der hölzerne Nagel
bis tief in die metallische Zeit hineingeragt haben wird. War doch
die älteste Tiberbrttcke noch gänzlich ohne Zuthat metallener Nägel er-
baut (vgl. Heibig Die Italiker in der Poebenc S. 70i. Eine vorhisto-
rische Gleichung zur Bezeichnung des Nagels ist griech. r\\o<; y<*X\oi *
fiXoi Hes.) aus *FaX-vo- = lat. vallus, eine weiter verbreitete findet man
u. Schlüssel. Einzelsprachlich: gemeingerm. ahd. nagal 'ursprünglich
der Nagel am Fuss), gemeinsl. altsl. gtosdt (a. d. Slav. alb. gozdr),
eigentl. ,Keil'. — S. u. Werkzeuge.
Nähen, s. Nadel.
Nahrung. Die Speisen der idg. Völker Europas zeigen von
jeher eine Mischung animalischer und vegetabilischer Kost, doch so,
dass entsprechend dem Verhältnis von Viehzucht und Ackerbau (s.d.)
die Fleischkost in der ältesten Zeit noch durchaus in dem Mittelpunkt
der Ernährung steht. Genossen wurde in erster Linie das Fleisch der
Haustiere, zu denen das Geflügel noch nicht gehörte (s. n. Viehzucht'),
am liebsten in gebratenem Zustand, erst in zweiter Linie das Wild-
bret (s. n. Jagd). Eine besondere Delikatesse bildete das Mark der
Knochen (s. u. Fleisch). Dem Fischgenuss scheint man in der Ur-
zeit abgeneigt gewesen zu sein (s. u. Fisch, Fischfang).
Die Halmfrucht wurde als Brei (s. d.) und Brot (s. d.) verspeist.
Aus der Milch s. d.) bereitete man eine Art flüssigen Käses (s. d.),
während die fetten Bestandteile derselben (s. u. Butte r) eher zum
Einsalben des Körpers als zum Essen gebraucht wurden. Hinzu kamen
die Früchte wilder Obstbäume, der Eichen und Buchen (s. u. Obst-
bau nud Banmzucht). Zur Wü rze der Speisen gebrauchte man das
Salz (s. d.), dessen Gcnuss dem Menschen umso unentbehrlicher wird,
je mehr er sich vegetabilischer Nahrung zuwendet, zur Versüssung
derselben den Honig der wilden Waldbienen (s. u. Biene, Bienen-
zucht). Andere irritamenta gulae waren unbekannt. Vgl. Tac. Germ.
Cap. 23: Cibi simpHces .... sine blandimentis expelhint famem.
Den Rauschtrauk der Urzeit bildete der Met und vielleicht die Milch
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572
Nahrung.
der Stuten (s. u. Mileli . Fast unmerklich geht der erstere mit der
zunehmenden Bedeutung des Ackerbaus zum liiere (s. d.) über, dessen
anfänglich ungeheurer Bereich nach und nach von dem ans dem
Südosten vordringenden Wein (s.d.) eingeengt wird. Erst in neuerer
und neuster Zeit erhalten diese Getränke einen gefährlichen Neben-
buhler im Branntwein, der zuerst als Arznei auftretend, noch im
Ausgange des XV. Jahrhunderts kein allgemeines Getränk gewesen
ist (vgl. Beckmann Beyträge). über den im Altertum nur aus weiter
Ferne bekannt gewordenen Arrak und Rum s. u. Reis und Zucker.
Der in seinen Hauptpunkten charakterisierte Speisezettel der idg.
Urzeit oder (archäologisch gesprochen) der ueolithischen Kulturpcriode
unseres Erdteils ist von dem der vorangehenden paläolithischen Zeit,
in welcher dem Menschen nur das Fleisch wilder Tiere und der Er-
trag des Fischfangs, von Vegctabilien aber nur wilde Kräuter, Beeren
und Bannifrüchtc zur Verfügung standen, und in der es noch an Ge-
fässen s. d.) zur Bereitung der Speisen völlig gefehlt zu haben
scheint, bereits durch eine breite Kluft geschieden (vgl. auch G. Bu-
schan Ein Blick in die Küche der Vorzeit Jahresber. d. Gesellschaft
f. Anthropologie u. Urgesch. d. Oberlansitz II. 2.).
In dem Prozess der Weiterentwicklung und Steigerung der europä-
ischen Xahrungsverhältnisse in späterer Zeit ist vor allem auf die vom
Süden her erfolgende Ausbreitung der Gemüsekultur s. u. Garten,
Gartenbau) und des Obstbaues (s. d.), sowie auf die auf Handelswegeu
erfolgte Einführung orientalischer Gewürze (s. d.) uud des Zuckers
(8. d.) hinzuweisen. Ob und in wie weit durch derartige Umwälzungen
des Speisezettels, durch das stufenweis hervortretende grössere Gewicht
vegetabilischer Nahrung, durch Reizungen des Nervensytems, wie sie
der starke Gebrauch der der Urzeit fast unbekannten Gewürze aus-
übt u. s. w., auch leise Verschiebungen des physischen und psychischen
Organismus des Menschen ausgeübt wurden, ist eine wichtige der
anthropologischen Forschung vorzulegende Frage. Jedenfalls setzt die
Freude an dem Genuss etwa eines Pfirsichs, ebenso wie die an dem
Gerüche einer Rose oder an dem Gesänge der Nachtigall (s. u. Blumen,
Blumenzucht und u. Singvögel), eine lange Entwicklnngsreihe
ästhetischer Empfindungen voraus, die sich freilich bis jetzt mehr
ahnen als erkennen lässt.
Einiger Bemerkungen bedürfeu noch die auch in Europa hervor-
tretenden Verbote bestimmter Speisen, wenngleich dieselben hier im
ganzen seltener als auf anderen Völkergebieten sind. Wie anderswo
beziehen sich dieselben auch in Europa vorwiegend auf das Tier-,
nicht auf das PHauzcnrcich, aus dem streng geuommeu nur das Bohnen-
verbot des Pythagoras es. u. B o h n e) zu nennen ist. Was die Tiere
betrifft, so bestand bei Griechen und Römern ein strenges Gebot, welches
befahl, sich des Geuusscs des Ackerstiers zu enthalten i ßoö? dpoinpo?
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Nahrung — Name.
573
dTT€'x6<J6ai). Bei den Biitanniern (Caesar De bell. gall. V, 12) war es
nicht erlaubt, den Hasen, das Huhn und die Gans zu gemessen [haec
tarnen ahmt animi voluptatisque causa). Ähnlich wird im Osten
Europas die Taube nicht verspeist (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen" S. 340).
Andere britannische Völker (Dio Cassius LXXVI, 12) enthielten sieh
des Genusses der Fische. Mit weitgehenden Vorschriften dieser Art
wandte sich auch, wie aus einem Schreiben des Papstes Zacharias an
Bonifatius hervorgeht, das Christentum an die Germanen: . . . in primis
volatilibus, id est de qraculis et corniculis atque ciconiis. quae omnia
carendae sunt ab esu Christ ianorum. etiam et fibri et lepores et equi
sUvatici multo amplius ritandi.
Die Gründe derartiger Speiseverbote (vgl. H. Schnitz Die Speise-
verbote, ein Problem der Völkerkunde, Virchow-Holtzcndoiff X. F.
184) sind offenbar sehr verschieden und lassen sich meistenteils kaum
erraten. Den Pflngstier tötete man nicht, wie schon die Alten (vgl.
Aelian Var. Hist. V, 14, Vano De re rnst. II, T>) annahmen, weil man
ihn als Landmann und Genossen des Menschen in der ländlichen
Arbeit ansah. Bei dem Hausgeflügel, vor allem bei dem Huhn und
der Taube, wird man anzunehmen haben, dass es sieh um ueu einge-
führte und zunächst nicht des Xntzens wegen gehaltene Tiere handelt.
Das Hasenverbot kehrt bei vielen Völkern, auch bei solchen, bei denen
das Tier nicht wie bei den Biitanniern (s. o.) zum Vergnügen gehalten
wurde, wieder, ohne dass man einen deutlichen Grund ausfindig machen
könnte. Eine noch grössere Verbreitung hat das Fischverbot. Aus
einem solchen erklärt sich vielleicht, wie auch u. Fisch, Fischfang
angedeutet wurde, das späte Hervortreten der Fischkost bei den idg.
Völkern. Vgl. dazu Schürt/, a. a. 0. S. 22: ^Auch die Tiere, die nur
Ähnlichkeit mit den Schlangen haben, erscheinen verdächtig, so ins-
besondere die sehuppenloscu Fische s. u. Aal, der in zahlreichen idg.
Sprachen als , kleine Sehlange' bezeichnet wird), ja die Fische über-
haupt. Den Juden sind Fische, die nicht Flossfedem und Schuppen
haben, verboten ; die ostafrikanischen Hamiten verschmähen fast sämtlich
die Fische und begründen diese Abneigung ausdrücklich mit der An-
gabe, dass die Fische Schlangen seien. Dieselbe Abneigung und dieselbe
Ursache finden wir bei allen südafrikanischen Negern, die nicht einmal
Fische mit der Hand berühren mögen". Über gänzliches Enthalten
von Speisen s. u. Fasten.
Nah Verwandtschaft, s. Familie.
Name (Namengebung). Der idg. Ausdruck hierfür liegt in
der Reihe sert. na man-, aw. na man- , altp. ndman-, griech. övoua, Int.
nönien, ir. ainm, got. namö, altpr. einmens, altsl. ime0 alb. enim,
eine Sippe, deren Wurzelbedeutung noch nicht ermittelt ist. Die
Litaner verwenden statt ihrer tcaPdas = altpr. icirds, got. waürd, lat.
cerbum ,Wort'.
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574
Namo.
Die Bildung der Personennamen (und nur von diesen »oll hier
gehandelt werden), der Männer- wie der Frauennamen, erfolgte in der
idg. Urzeit durch Zusammensetzungen. Neben dem vollen Kompositum,
den Volluamen, aber verwendete man bereits damals sogenannte Kurz-
oder Kosenamen, d. h. nur das eine der beiden Glieder, gewöhnlich
unter Anhängung eines hypokoristischen Suffixes. Beispiele sind: sert.
Agni-datta- : Agnika-, Agnila-, iranisch Ana-phes, Arta-mes, Arta-pes
: Ari-b-aios, Arid-ai (vgl. Justi Iran. Namenbuch VII), griech. Zxpd-
Tapxoq, ZTpdxiTTTTo? : IipäTioq, iTparnq, 'AvdicXnTO<; : KXnroq, gall. Cin-
geto-rix, Cintu-genus : Cingius, Cintus, ahd. Berht-frid, Friduberht :
Berhto, Berhta, lit. X'or-butas, Btttwifa-s, altpr. Buti-labes : Bitte,
Btttil, Bttteko, serb. Vukomir, Ljubo-mir : Vttk, Vukoj (vgl. Brug-
mann Grundriss II, 32 f. Das Hauptwerk ist A. Fick Die griech.
Persouennamcn 1. Aufl. 1874, 2. 1895).
Die Zahl der zu Nameubildungen verwendeten Wortstämme ist eine
sehr grosse und mannigfaltige. Besonders beliebt aber scheinen Hin-
weise auf die Tüchtigkeit (sert. Vasu-datta-, aw. Vanhu-däta-, altp.
Vahuka, griech. EÜKXcnq, kelt. Yisu-rix, Bello-cesus, ahd. U'isu-rich,
Wisu-mär, illyr. Ve«~clevexis : idg. *vesu- ,gut') oder Berühmtheit
(sert. Q-uta-inagha-, griech. K\uToun.bn,s, agls. Hlophere, kymr. Clotri
: idg. kluto- , berühmt') des Namenträgers oder auf gewisse Tiere, wie
W o I f (sert. Vrka-karman-, griech. Autcö-cppwv, ahd. Wolf-ger, slav.
Vuko-voj) und Pferd (sert. Aqcapati-, aw. Aspäyaoöa-, griech. "Iiritctp-
XO<;, kelt. Epo-p'ennus, agls. E6md>r), gewesen zu sein, deren Stärke
und Schnelligkeit man dem betreffenden Individuum wünschte.
Aufgegeben ist die ursprüngliche Bildungsweise der Namen von den
Armeniern (vgl. über armenische Namen II. Hilbschmann im Festgruss
an R. v. Roth Stuttgart 1893 S. 99), von den Phrygem im Gegen-
satz zu den Thrakern, die an dem alten Braueh der Zusammensetzung
mit grosser Zähigkeit fest gehalten haben (vgl. Krctsehmer Einleitung
S. 2u0 f.), und von den italischen Völkern. Dass aber bei den letz-
teren die idg. Volluamen in vorhistorischer Zeit ebenfalls in Geltung
waren, beweist einmal eine, wenn auch kleine, noch erhaltene Anzahl
derselben (/.. B. das bei den Verginii übliche praenomen O-piter =
cid actis pater est), und zweitens der Umstand, dass das Latein zu
seiner Namcubilduug im wesentlichen dieselben Stämme verwendet,
die in den andern idg. Sprachen und zwar meist auch zur Bildung
von Vollnamen gebräuchlich sind (vgl. A. Zimmermann B. B. XXV, 1 ff.).
In historischer Zeit stellen die römischen praenomina, z. B. Munin*
(auf der dem VI. .Jahrhundert angehörigen Inschrift der Fibula von
Praencstc ohue weiteren Zusatz gebraucht: Manios med fhefhaked
Xumasioi), Lucius, Quintus, Sextus, Tullus, ASercius, Marcus etc.
einstämmige Bildungen dar, die teils aus alten Vollnamcu (Manitts
etwa für *Mane-gnatos ,dcr zu guter Stunde geborene'; vgl. dazu
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Name.
575
Zimmermann a. a. 0. S. 30) hervorgegangen, teils (wie Sextus, Qttintus,
Postumus) wohl von Hause ans einstämmig sind ; denn auch schon
in der idg. Urzeit werden, wenn auch ausnahmsweise, von Anfang an
einstämmige, also nicht erst ans Vollnamen entstandene Namen, nament-
lich von Lallwörtern (vgl. italisch Acca, Atta, Appius, illyr. Atto,
Arnum, germ. Xanna, got. Tata, Tato, Attila n. s. w., Kretschmer Ein-
leitung S. .-5f>(3) gebildet worden sein.
Kehren wir zu den idg. Namenkomposita selbst zurück, so macht
sich bei ihnen sehr früh das Bestreben bemerkbar, allerhand genealo-
gische Verknüpfungen in ihre Bildung hineinzutragen. Griechisch ist
Aivo-KpdTr)S der Sohn des Aivo-KAn.s, ahd. lliltibrant der Sohn des
Heribrant, im Iranischen hat Spitamenes einen Sohn Spitakes (weiteres
bei Iusti Namenbuch VIII), Es kehrt also ein Teil des väterlichen
Namens in dem des Sohnes wieder. Sehr beliebt ist auch die Ver-
wendung der Voll- und Kosenamen in der Weise, dass von einem
Brüderpaar der eine den zusammengesetzten, der andere den Kose-
namen trägt. So seit. DamJta-dhAra- und Danda-, griech. "Itnr-apxo^
um! 'lumas, thrak. 'Pt|0"kou Tropi? und 'PfjöKOS, fränk. Karl mann und Karl
(vgl. Eick a. a. 0. S. LXV). Im Germanischen dient die Alliteration
dazu, Verwandtengruppen zu vereinigen: Thusnelda und Thumelkus
(Mutter und Sohn), Segimerus und tiesithacus (Vater und Sohn), die
Stammväter der lngvaeonen, Herminonen und Istvaconen (vgl.
Müllenhoff Haupts Z. VII, 527), die drei Söhne llredel« im Moiculf:
JJerebeald, Ifajücyn, Nt/geldc u. a. m.
Das derartigen Bildungsweiseu zu Grunde liegende Bestreben, eine
Person durch ihren Namen möglichst zu individualisieren, und als zu
einer anderen Person oder zu einer Gruppe anderer Personen gehörig
zu bezeichnen, tritt aber noch deutlicher in der nicht weniger alten
Iliiizufügung verschiedener Determinative an den Indivualnaiuen hervor.
Das üblichste ist hier natürlich, Jemanden als den Sohn (Tochter, Frau)
des oder jenes, d. h. als in seiner Gewalt stehend zu bezeichnen :
AnMoaetvn? An.M«J8tvou<;, Marcus Marci (filius), lliltibrant Heri-
brante« suno, altp. Ka{m)büjiya näma Kuraus puüra- u. s. w. Wahr-
scheinlich scheint, dass die Hinzufügung des Wortes für Sohn etc. in
solchen Fällen etwas sekundäres ist, dass Ar|Uoo*6£vr|S An,Moa6€vou£
von Hause aus nicht anders wie okoq An,uoo*8^vous oder ager Tili zu
beurteilen ist (vgl. Th. Mommsen Köm. Forschungen I, 6). Der offizielle
römische Gebrauch schrieb die Hinzufügung des Vater-, Grossvater-
und Urgrossvaternamens vor: M. Tullius M. f. M. n. M. pr. (pronepos),
und es wäre möglich, dass hierin ein uralter Hinweis auf die einstige
Ausdehnung der idg. Grossfamilie gegeben wäre (s. u. Familie und
Vorfahren). Den Abschluss der Aszendenz bildet für eine Person
der Mann, von dem seine Sippe ihren Ursprung ableitet, der Stamm-
vater. Eine Ableitung von dessen Namen ist daher eiu weiteres ebenso
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57«
Nnme.
häufiges wie altertümliches Determiuativum des Individnalnnmens ge-
wesen: Atmocjee'vri? TTaiavieüq (AiBaXibn?, I<pn.TTio<;), Marcus Tullius
{Cornelius, Martins), altp. Ddrayacaus . . . Ihr/dmanmya ('Axmue-
vibnO, slaviseh serb. Vukocic, fech. Vlkoicic, poln. Wilkoicic, germa-
nisch altn. Ylfingar, agls. Wylfingas, nihil. Will finge (s. auch u. Dorf).
Dabei ist zu beachten, dass dieselben »Surfixe ineist auch der eigentlichen
Patronymikalbildung, d. h. lediglich der Bezeichnung des Vaters ('Obuo*-
ö€U£ Aaepndbriq, 'Afau€^vu)v 'Aipeibriq wie TavTciXibn.?, mini. Amelunc
,Sohn des Amala', agls. Wulf Wonriding für sumt Wonrede*) dienen,
weil natürlich wie jeder Aszendent, so auch der Vater als Ausgangspunkt
der Sippe betrachtet werden kann. Darf eine derartige Hinzufugung
des Sippennamens zu dem Individualismen, da wo es sich um die
genaue Bezeichnung der Person handelte, als bereits indogermanisch
angeschn werden, so würde dem idg. Suffixe -yo-, iyo- nach den obigen
Beispielen am ehesten eine schon idg. Verwendung iu diesem Sinne
zugeschrieben werden können. Ebenso wird wie im Indischen \*vv\.
Kutiktis , Nachkommen des Kurika-, PriyamedhAs , Nachkommen des
P.) und Germanischen (vgl. bei Jordanes Amali .Geschlecht des
Amala' und weiteres bei F. Kluge Stnmtnbildungslchre* S. 14), so
schon in der Urzeit der Plural des Namens des Stnmmherrn gebraucht
worden sein, um alle Mitglieder einer Sippe zu bezeichnen. Auch ist
es, was die Reihenfolge des Vater- und Staninivaternamens anbetrifft,
das natürlichere und darum wahrscheinlichere, dass die im Griechischen
und Altpersischcn vorliegende Folge: Armoo*9tvn;q Anuoo*9e'vou<; TTaia-
vfcüq, Ddrayacaus Yistdspahyd puOra, Arsdmahyii napd,
Hayßmanimya, und nicht die des Lateinischen: Qu. Fabius Qu. f.,
das ursprüngliche darstellt; „denn die beiden Determinative, der As-
zendent und des Stammes, sind korrclat und das letzte gleichsam die
Fortsetzung des ersteren" (vgl. Momniseii a. a. 0. S. 14). Dieser
reichen Patroirymikalbildung der idg. Sprachen gegenüber fehlen Me-
tron vmika fast durchaus, ein Fin stand der allein schon gegen die An-
nahme spricht, dass die idg. Völker in der ältesten Zeit unter Mutter-
recht gelebt hätten. Kine Ausnahme macht ein von der Insel Kos
überliefertes Namenverzeichnis, in dem einige Knltteiluehiner nach
ihrer Mutter oder Grossniutter, sehr viele nach ihrem Grossvater mütter-
licherseits genannt sind (vgl. Herzog Koische Forschungen 1*99
S. I8ö). Auch iu den altetruskischen Grabinschriften wurde dem Ver-
storbenen der Name der Mutter weit häutiger als der des Vaters bei-
gefügt (MüllerDeecke Etrusker I, 37(5, 499, Töpffer Attische Genea-
logie S. 196). In beiden Fällen wird man Überreste des Klcinasien
und den Süden Europas, letzteren in vorhistorischer Zeit, beherrschen-
den Mutterrechts (s. d.) anzuerkennen haben. Anders werden einige
schon homerische Metronymika auf -ibn.?, -ictbri? zu beurteilen sein vgl.
Zupitza Deutsche Litz. 1899 Nr. 9).
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Name.
577
Aus dem Bisherigen ergiebt sieh, das« dem Indogermanen zn einer
bestimmten Zeit ein Individualnatnc beigelegt wurde. Was den Termin
dieser Xamengebung anbetrifft, so erhielt das Kind in Indien am
X. Tag (also nach Verlauf von 9 Tagen) seinen öffentlichen, von den
Brahmanen erkorenen Xamen. Das war das Fest des näma-dhega-
(von sert. nd'man- dhd wie griech. dvouet Ti06O*Öai). In Griechenland
wurde ebenfall« der X. Tag nach der Geburt des Kindes festlich be-
gangen (rn.v c€KttTT|V toö rraibiou 6üeiv); auch er war für die Xamcn-
gebung bestimmt. Dieselbe Bedeutung hatte in Rom der dies lustri-
c«.v, der IX. Tag, wenn es sich um einen Knaben, der VIII., wenn es
sich um ein Mädchen handelte, und auch westgermanische Rechte
(vgl. Möllenhoff Z. f. Deutsches Altert. Anz. VII, 404) kennen eine
9 tagige Frist, nach deren Verlauf das Kind seinen Namen erhält und
in den Genuss des vollen Wergeids eintritt. Es liegt daher die Ver-
mutung nahe, das* es schon in der Urzeit Sitte gewesen sei, dem Kinde
am nennten Tage oder nacli Verlauf von neun Tagen seinen Xamen
zu geben, eine Sitte, die sich unschwer ans dem Wunsche erklärt, die
junge Mutter, deren Wochenbett man auf 9 oder 10 Tage rechnete,
an der Feier der Xamengebung teil nehmen zu lassen. Vgl. auch
A. Kaegi Die Neunzahl bei den Ostariern uSeparatabdr. a. d. philol.
Abh. f. Heinrich Schweizer-Sidler) S. (>ö, Leist Graeco-it. Rechtsge-
schichte S. 714, Altar. Jns gent. S. 270 und s. u. Reinheit und
Unreinheit.
Wenn daneben eine andere gute römische Überlieferung berichtet,
dass die Knaben erst bei Anlegung der toga eirilis, die Mädchen erst
bei ihrer Hochzeit ihr praenomen erhalten hätten (pneris non prius
quam togam virilem sumerent, puellis non ante quam nuberent}
praenomina imponi moris fuisse Qu. Scaeiola auetor est. Schrift
de praenom. 3), so wird sich dies mit der Thatsache des dies lustricus
am IX. bezw. VIII. Tage durch die Annahme vereinigen lassen, dass
es sich bei letztcrem um die familiäre, später um die offizielle Xamen-
gebung handelte.
Gab es ein schon idg. Fest der Xamengebung am X. oder IX. Tage,
so lusst sich doch Uber die an demselben herrschenden Gebräuche
kaum noch etwas ermitteln.
Im heidnischen Norwegen und auf Island war wie bei den Angel-
sachsen die Xamengebung mit einer Wasser weihe verbunden, die
aber nicht an eiue Frist gebunden war und in der Regel sofort nach
der Geburt stattfand. Auch gehen die Meinungen darüber auseinander,
ob man es hier mit dem frühzeitigen Eindringen der christlichen
Taufe (von den britischen Inseln her) zu thun habe (so K. Maurer
Über die Wasserweihe des germanischen Heidentums Abh. d. kgl.
bayer. Ak. d. W. I Kl. XV Bd. III Abt. München 1880), oder ob man
dabei einen uralten, einst allen Germanen gemeinsamen heidnischen
Schräder Reallexikon. 37
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Name — Narde.
Brauch anzuerkennen habe (so Müllenhoff a. a. 0. S. 404 ff.). Für die
letztere Anschauung spricht u. a. die einheimische Bezeichnung der
christlichen Taufe in den germanischen Sprachen (got. daupjan, alts.
döpian, ahd. toufan : got. diups .tief, daneben agls. fulician), die
auf einen vor Einführung des Christentums bestehenden heidnischen
t Brauch hinzuweisen scheint. Zu erwägen sind in diesem Zusammen-
bange auch die Kachrichten der Alten (gesammelt bei Cluver Germania
antiqua 1663 8. 155), nach denen die Germanen und andere nördliche
Völker ihre neugeborenen Kinder noch „dampfend" vom Mutterleibe
weg in das kalte Wasser des Flusses eingetaucht hätten, nach Galenits,
um ihre Gesundheit zu erproben und zur Abhärtung, nach Kaiser
Julianus (.der aber nur von Kelten spricht), weil der Rhein die Eigen-
schaft gehabt habe, die Echtheit der Gebnrt eines Kindes zu bezeugen
(qui spurios infantes undis abripit, tamquam impuri lecti vindex).
Nach letzterer Auffassang hätte man es mit einer Art Gottesurteil zu
thun, nach dessen günstigem Ausfall die Anerkennung durch den Vater
erfolgen mochte. Ein Wiederhall dieser Bräuche bei den Ariern oder
im südlichen Europa, wenn man einen solchen nicht in der eveot.
Grundbedeutung des lat. dies lustricus (lu-strum cigentl. ,Bad" : luo
,baden ) erblicken will, konnte aber bis jetzt nicht ermittelt werden.
Napf, s. Gefässe.
Narcisse. Die Blume war in mehreren im Süden einheimischen
Arten den Alten wohl bekannt. Ihr Name väpmöo*o£ (: vapxäuj wegen
des betäubenden Geruchs der Pflanze? hinsichtlich des Suffixes vgl.
KUTräpto*o*o<;) wird zuerst in dem Homerischen Hymnus auf Demeter v.
428 zusammen mit einer Reihe anderer frühzeitig bekannt gewordener
Blumen genannt:
ttou£ou€v ifa' Äv8€ct öp^TTOjiiev x*»ptO"0"' £pÖ€vra,
uiYba kpökov t äxavov xa\ dtaXXiba? nb' vkxkivOov
Kai frobtas KäXuKeu; Kai Xeipia, 6aüua ibcaeai,
väpKitfffov 9', öv &pu(T', üiairep kpökov, €up€ia xöwv.
Auh dem Griechischen lat. narcissus (Vergil).
In Deutschland wird der Narcisscn erst im XVI. Jahrh. häufiger
Erwähnung gethan, wie man vermutet, als Folge des Einflusses tür-
kischer Blumenliebhabcrei. Erst seit dieser Zeit lenkte sich die Auf-
merksamkeit auch wohl auf die bei uns einheimische gelbe, geruchlose
Narcisse (AT. Paeudonarci&sus L.). — S. u. Blumen, Blumenzucht.
Narde (Valeriana Jatamansi). Die Pflanze ist in den Gebirgen
des nördlicheu Indiens einheimisch. Ihre Blätter und Wurzeln wurden
im Altertum zu aromatischen Salben verwendet. Griech. väpbo? be-
gegnet zuerst bei Theophrast (IX, 7, 2, 3). Man kann zweifelhaft
sein, ob das Wort zunächst aus iranischem (npers. nard, närd) oder
aus semitischem (hehr, nerd im Hohenlied) Kulturkreis stammt. Alle
die genannten Ausdrücke gehen aber auf das indische ndlada- (schon
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Narde - Nelke.
579
im Atbarvaveda als Aromapflanze genannt, vgl. Zimmer Altind. Leben
S. 68) zurück. Ein Grand, mit Horn Grundriss d. npers. Et. S. 237
nnd Uhlenbeck Et. W. d. altind. Spr. S. 144 in dem indischen Worte
ein snnskritisiertes vdpbo; zu sehn, ist nicht vorhanden. Nach dem
Periplus maris erytbraei wird vdpbo? häufig aus indischen Häfen
ausgeführt. Sie kommt (§ 48) aus Kaschmir, Kabul und den Gegenden
am Hindukusch. Auch in Gedrosien stiess das Heer Alexanders auf
die kostbare Pflanze (Aman Anabasis VI, 22). In Europa wurde
das fremdländische vdpbo? auf einheimische Valerianeae Ubertragen
(s. u. Baldrian). Durch die Bibel verbreiteten sich got. nardus, ahd.
narda etc. — S. u. Aromata.
Nashorn. Der aus rein griechischen Mitteln gebildete Name des
innerafrikauischen Tieres tritt zuerst in der lateinischen Entlehnung
rhlnocero8 bei dem Satiriker Lucilius auf (rhinoceros velut Aethiopus,
Sat. III, 83 Lachm.). Von Griechen beschreibt als erster Strabo
XVI, p. 774, 775 ausführlich den jMvo-K^pu>?, der im Jahre 55 durch
Pompeius in Rom gezeigt wurde.
Nation, Nationalität, s. Volk.
Natron, s. Soda.
Natter, s. Schlange.
Naturbelebung, Naturerscheinungen, s. Religion.
Naturordnung, s. Religion.
Neffe, Nichte. Idg. Bezeichnungen für den Bruderssohu oder die
Bruderstochtcr, den Schwestersohn oder die Schwestertochter lassen
sich nicht nachweisen. Man wird mit Delbrück Verwandtscbaftsnamen
S. 502 anzunehmen haben, dass der Vatersbruder in der Urzeit noch
seine Neffen und Nichten als Söhne und Töchter wie seine eigenen
Kinder bezeichnete. Hand in Hand mit der Ausbildung eines Namens
für den der Urzeit begrifflich noch fremden Mutterbrnder (s. u.
Oheim) geht dann in zahlreichen Einzelsprachen die Verwendung
des uralten Wortes für Enkel (s. d.), Iat. nepos etc., im Sinne zu-
nächst von ,Schwestersohn\ .Schwestertochter', dann auch von »Bruders-
sohu', , Bruderstochter'. Ein besonderes Wort für Bruderssohn hat nur
das Angelsächsische in dem dunklen suhtor, suhtriga, mhtorge fäder an
,Oheim und Neffe' ausgebildet. — S. auch u. F a m i I i e.
Nelke. 1. Gartennelke (Gattung Dianthus L.). Diese in
Südeuropa einheimischen Blumen scheinen unter biö?av9o<; bei Theo-
phrast (VI, 6, 2) gemeint zu sein. Im alten Italien wurden sie nicht
beachtet und daher auch zunächst nicht nach dem Norden verpflanzt.
2. Gewürznelke (Caryophyllus aromaticus), auf den Molukkeu etc.
einheimisch. Der erste, der dieses später so geschätzte Gewürz und
zwar unter dem Namen icapuöcpuXXov beschreibt, ist der im Anfang
des VII. Jahrhunderts in Alexandrien lebende Arzt Panlos Aeginetes
(vgl. E. Meyer Geschichte der Botanik II, 412 ff.). Doch wird das
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Nelke - Nessel.
Wort caryophyllum (wörtlich .Nussblatt') schon früher von Plinins XII,
30, aber für ein anderes Gewürz, eine Pfefferart, genannt. Noch
anentschieden ist die Frage, ob jenes KapuöqpuXXov, das in seiner
wörtlichen Bedeutung für die Gewürznelke keinen Sinn giebt, die
Quelle von oder eine Entlehnung aus dem schon bei den ältesten
arabischen Dichtern (vgl. Löw Pflanzenn. S. 355) gebräuchlichen
qaranful »Gewürznelke' ist. Letzteres erscheint nach Lage der Dinge
das wahrscheinlichere. Andere sehen in dem griechischen Wort eine
volkstümliche Verstümmlung eines indischen Pflanzennamens (sert. kafu-
kaphala-), aus dem dann der arabische Ausdruck direkt oder indirekt
stammte (vgl. G. Meyer Türk. Stud. I, 31, K. Vollere Z. d. Deutschen
Morgenl. Ges. L, G50). Jedenfalls hat das griechisch-arabische Kapu-
6<puWov — qaranful eine ungeheure Verbreitung in Orient und Occi-
dent gefunden : kurd. karafil (auch syr., türk.), ngriech. tcapuoqpüXXi,
YCtpü(paXXov, alb. karanßl', bulg. karanfil, sp. girofle, it. garofano,
nun. carofil n. s. w. Als man in Deutschland die Gewürznelken (mlat.
gariofilae, s. u. Pfeffer) kennen lernte, benannte man sie nach ihrer
Ähnlichkeit mit kleinen Nägeln, die schon Paulos Aeginetes (s. o.)
hervorgehoben hatte, : ndd. negelkin, mhd. negellin (Heilige Hilde-
gard : nelchin). Von der Gewürznelke ans benannte man dann später
in ganz Europa die Gartennelke, als deren Zucht (erat im Zeitalter
der Renaissance^ in Italien aufgekommen war. — 8. u. Blumen,
Blumenzucht und u. Gewürze.
Neolithische Epoche, s. Kupfer und Steinzeit.
Nephrit, s. Steinzeit.
Nessel. Die in Europa einheimische grosse Brcnnnessel ( Urtica
dioica L.) wurde in trüben Zeiten neben und vielleicht vor dem Flachs
(s. d.) als Gespinstpflanze zur Herstellung von Netzen und Gameu,
aber auch zu Gewebestoffen verwendet. Dies ist noch heute bei ver-
schiedenen Völkern an der Grenze Asiens und Europas der Fall, und
in Deutschland kannte noch Albertus Magnus (im XIII. Jahrh.) diesen
Gebrauch (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen0 S. 569 f.).
Auch die Sprache weist auf diese Bedeutung der Pflanze hin. Von
einer Wurzel ned, die in der Ursprache neben nedh ,knflpfeu, binden'
(sert. nah, naddhd ) vorhanden gewesen sein muss, leiten sich ab einer-
seits die Benennungen der Nessel : ahd. nazza, nezzila, agls. netele,
griech. db-iKn (ans *nd-), ir. nenaid (kymr. dynad, bret. linad),
andrerseits Bezeichnungen für mehrere aus Nesselfäden geknüpfte
Gegenstände wie got. nati, ahn. nöt ,grosscs Netz', lat. nödus .Knoten',
Plur. , Fischnetz'. 8. auch n. Rohr. In bemerkenswerter Nähe von
agls. netele liegen ferner altpr. noatis, lit. notere*, Jett, ndtres ,Nessel',
ohne das» eine direkte Verknüpfung lautlich möglich wäre. Einzel-
sprachliche Bezeichnungen der Nessel sind uoch griech. Kvibn. (: kvtiv
, kratzen') und dicaXucpn., lat. Urtica (: rerto in vertieillus, sert. vartana-,
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Nessel — Notzucht.
581
altsl. creteno ,Spiunwirter?), altsl. kopriva (vgl. koprü ,DhT uud bei
Nestor: koprijnyja vetrila ,Segel aus Nesselfäden': koprina ,Seide', die mit
Nesselfäden verfälscht zu werden pflegt), dak. buv. Namentlich im Süden
dienen Nesselarten mit ihren jungen Trieben, wie schon Theophrast be-
merkt, auch zur Nahrung und mit ihren Samen auch zu Heilzwecken. —
Vgl. Lenz Botanik S. 430 und v. Fischer-Benzon Altd. Gartenfl. S. 88 f.
Netz, s. Fisch (Fischfang) und Nessel.
Neumond, s. Mond, Monat.
Neunzahl, s. Zahlen.
Nomadentum der Idg., s. Ackerbau, Viehzucht, Urheimat.
Norden, s. Himmelsgegenden.
Notzucht. Zur Bezeichnung der Ausübung des Beischlafs
sind mehrere Gleichungen in den idg. Sprachen vorhanden. So vor
allem die Reihe sert. yabh, griech. oTcpuj, nsl. jebati. Ein uraltes
Stammverbum hierfür wird auch lit. plsti ,coirc' sein, das dem sert.
piisa*; griech. nio<;, lat. penut i*pesnix)} nihil, visel etc. nahe zu liegen
scheint. In der Sippe sert. mehati, griech. 6u.ix6ju, uoixöq, lat. ruhigere,
mejere u. s. w. gehen, wie auch sonst, die Bedeutungen von ,mingere'
und .seinen effundere' in einander über. Vgl. auch altn. sertia ,stu-
prare', agls. serdan, mhd. werten : kymr. serth ,obscoenus' und ir.
goithim ,fntuo', kymr. godineb ,fornicatio, adulterium' (*gotd) : lat.
futuo(T). Häutig ist auch der metaphorische Gebrauch von Wörtern
für ,säeu' im Sinuc von ,eoire\ was dann die Auffassung des Weibes
als eines Fruchtfelds, der Kinder als Früchte u. s. w. zur Folge hat
(vgl. Mannhardt Quellen und Forscb. LI, 351 f.).
Für die Ausübung des unerlaubten Beischlafs, im besonderen
für die beiden Hauptarten desselben, den Ehebruch und die Not-
zucht, bestehen keine besonderen Gleichungen. Über die Benen-
nungen des ersteren Begriffs s. u. Ehebruch.
Notzucht wird im Griechischen durch köptci oicpeiv (Gesetz v.
Gortyn) oder durch ßmffuös, ßiäZeaecu, ßivcTv (Ableitungen von ßia »Ge-
walt), im Lateinischen durch per vim stuprare ausgedrückt (stuprum
etym. dunkel; die älteste Bedeutung ist ,Schande', vgl. unser „schänden").
Dieses mit Gewalt vollzogene stuprum wurde im römischen Recht
nicht als ein besonderes Verbrechen angesehn, sondern zur iniuria
oder vis gerechnet (vgl. Rein Kriminalrecht S. 868 f.).
Ebenso wird in den germanischen Rechten (vgl. Wilda Strafrecht
S. 829 ff.) die Notzucht (ahd. nötzogön ,mit Gewalt fortzichn', nöt-
numft : neman, agls. nydneeme, nord. nothta>kt, tcaldtakt, nema kunu
mep wald; ahd. nöt, got. nanps = altpr. nauti ist eigentl. ,Gcwalt')
als grobe Gewalt autgefasst, und löst sich erst sehr langsam begrifflich
von dem Delikt des Fraueuraubes los. Zu der Bestimmung der Lex
Salica: Si quis cum ingenua puella per virtutem mechatus
fuerit, 8ol LXIII culp. iud. (Cod. 1 Hessels, in den (Ihrigen cod.
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582
Notzucht — Obstbau und Baumzucht
werden sol. LXII genannt, es ist dieselbe Busse wie für den Frauen-
raub) findet sieh die Glosse tkiuue-röfen, theoröfa (n. Kern bei Hessels
S. 495), was wörtlieh ,Frauenraub* bezeichnet. Ebenso wird die Auf-
fassung der idg. Urzeit gewesen sein: Notzucht war eine Gewaltthat,
die wie jede andre von der Familie oder Sippe der geschädigten ge-
ahndet wird. Die Busse streicht auch hier nicht die Verletzte sondern
der ein, in dessen Gewalt das Weib steht. Die Spuren dieses Zu-
stands haben sieb in den Rechten der Einzelvoiker lange erhalten (vgl.
Wilda a. a. 0. S. 838, Bücheler und Zitelmann Das Recht von Gortyn
S. 108). — S. u. Verbrechen.
Nuss, g. Haselnuss und Walnuss.
o.
Obergewand, s. Kleidung.
Obscoene Bräuche, s. Keuschheit.
Obstbau nnd Baumzucht. Dass die Indogermanen Europas bei
der Ankunft in ihren historischeu Wohnsitzen noch nicht3 von Obst-
bau und B a u ra z u c h t wussten, geht bezüglich der Griechen und
Germanen aus ganz bestimmten u. Garten, Gartenbau angeführten
Nachrichten der Alten hervor. Zu denselben hinzuzufügen ist, dass
Tacitus Germ. Cap. 5 Deutschland überhaupt als frugiferarum ar~
borum impatiens bezeichnet, und dass Varro De re rust. I, 7, 8 be-
richtet, je weiter Cu. Tremellius Scrofa im Transalpinischen Gallien
sich mit seinem Heere dem Rheine genähert habe, er umso häufiger
in Gegenden gekommen sei, ttbi nec viti* nec oUa nec poma nas-
cerentur.
Wohl aber müssen die Früchte der wilden Obstbäume in der Ur-
zeit als Nahrung verwendet worden sein. Wie Tacitus (Germ. Cap. 23)
agrestia poma als Speise der alten Deutschen bezeichnet, so sind in
den Schweizer Pfahlbauten verkohlte wilde Äpfel und Birnen, nach
Heer auch Kerne der Prunus insititia oder Schlehenpflaume und der
Prunus avium oder wilden Sttsskirsche gefunden worden. Nicht un-
wahrscheinlich ist, dass in vorhistorischen Zeiten auch die Eicheln,
zu denen im Süden noch die wilden Kastanien hinzutraten, genossen
wurden. Sowohl in den Schweizer Pfahlbauten wie in denen der Po-
ebne sind grosse Mengen teilweise in Hälften zerschnittener und in
Thongetässen aufbewahrter Eicheln zu Tage getreten. In Griechen-
land wurden die in ihrer kulturgeschichtlichen Entwicklung zurück-
gebliebenen Arkader als ßaXavn<pctTOi oder Eichelesser bezeichnet (s. u.
Kastanie), und noch Plinius Hist. nat. XVI, 15 berichtet Uber die
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Obstbau und Baumzucht.
583
Verwendung der Eicheln zur menschlichen Nahrung: Nee non et in-
opia frugum aref actis emolitur farina spissaturque in panis usum.
quin et hodieque per Hispanias secundis mensis glans inseritur.
dulcior eadem in cinere tosta. Ebenso wird Eichelmehl in nördlichen
Ländern noch hente als Surrogat beim Brotbacken verwendet, und in
einem altenglischen Rnnenlied (Wülker I, 331—337) wird von der
Eiche geradezu gesagt:
de byp on eorpan elda beamum
fleesces föder.
„Die Eiche ist auf Erden den Menschenkindern Nahrung des
Fleisches".
Zu beachten ist auch die Notiz des Herodot IV, 109, nach welcher
die (slavischen?) Budinen (pecipoTpa^ouai, d. h. sich von den Früchten
der Zirbelficbte nähren (an „Läusee&ser" ist doch kaum zu denken).
Einen interessanten sprachlichen Beleg ftlr diese einstige Bedeutung
der Eichelkost bietet die Gleichung
lat. pömum ,Obst' = ir. omne , Eiche'.
Letzteres, aus *pomonaio- hervorgegangen (vgl. Stokes Urkelt. Sprach-
schatz S. 51), bedeutete demnach ,arbor frugifera' in dein Sinne von
Germ. Cap. 10 (virgam frugiferae arbori decisam in mrculos
amputant), wo nach dem oben bemerkten nur von wilden Frucht-
bäumen, zu denen auch Eiche oder Buche gehören, die Rede sein
kann. Lat. pömum hätte ursprünglich die Frucht der Eiche oder eines
anderen wilden Frachtbaums bezeichnet und wäre dann allmählich zur
Bezeichnung des Begriffes ,Obst' überhaupt verwendet worden. Analoge
Erscheinungen bietet das slavische ii-rü, eigentlich »Lebensmittel' :
altsl. ii-ti ,leben' (wie lat. p6~mum : pa-nci ,sich nähren ), das in den
sttdslavischen Sprachen auch die Eichel, im Slovenischen die Buch-
nuss und bei den Kroaten in Istrien das Obst bezeichnet (vgl. Krek
Einleit. in d. slav. Litg. * S. 115*). Vgl. auch die germanisch-kel-
tische Reihe got. akran »Ertrag', , Frucht', altn. akarn, agls. ateern,
engl, acorn ,Eicbel' = kymr. acron , Früchte', korn. acran ,Pflaumen',
ir. dirne ,Schlehe' (Zimmer bei Zupitza Gutturale S. 213).
Der Ubergang der Indogerraanen Europas zur Obst- und Baumzucht
bildet eine der wichtigsten Phasen ihrer kulturhistorischen Entwicklung,
insofern erst hierdurch die losen von dem Ackerbau geknüpften Bande
des Menschen mit dem heimatlichen Boden zu unzerreissbaren werden.
Denn der Bauin bedarf, ehe er Frucht bringt, langjähriger Pflege und
sein Wert und Ertrag wächst mit der Dauer der Jahre. So setzt die
Baumzucht den Wanderungen der Menschen eine Grenze. Der hier
geschilderte Prozess hat in Griechenland schon in vorhomerischer Zeit
begonnen. Bereits in den homerischen Gesängen bildet die (puraXu)
,die Baumpflanzung' eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Abteilung
des öpxaioq oder Kt^Tto<;. An Fruchtbäumen werden (neben dem Wcin-
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Obstbau und Baumzucht.
stock) der Ölbaum und die Feige, Apfel, Birne und Granate
genannt. Von diesen kommen die letzteren vier noch nicht in der
llias vor und auch in der Odyssee nur au unzweifelhaft späten Stellen,
wie in der Beschreibung der Gärten des Alkinoos, so dass man aus
diesem Umstand auf ein späteres Aufkommen dieser Kulturpflanzen in
Griechenland geschlossen hat. Zu den genannten Frucht bäumen treten
dann schon bei Homer folgende Zier- oder Kultusbäume hinzu:
Platane und Buchsbaum in der Ilias, Myrte und Kyprcsse in
Ortsnamen desselben Gedichts, Lorbeer und Dattelpalme (welche
letztere in griechischen Breiten nicht als Fruchtbaum gelten kann) in
der Odyssee. Mit dem Anwachsen der griechischen Literaturdenk-
mäler wächst dann auch die Zahl der angebauten Obst- und Frucht-
bäume, ohne dass es möglich wäre, im einzelnen Falle zu entscheiden,
ob die erste Erwähnung eines Baumes mit der Einfuhrung desselben oder
seiner Kultur chronologisch im Grossen und Ganzen zusammenfällt, oder die
frül.ere oder spätere Nennung eines Baumes auf Zufall beruht. So werden
bei Archilochos zuerst genannt: Mispel und Pflaume, bei Alkman
oder Stcsichoros: die Quitte, bei Solon: der S um ach, bei den Tra-
gikern oder später: die Maulbeere, bei Phrynichos: die Mandel,
bei Herodot: der Mastix, bei Xenophon: die Terebinthe, hei Di-
philos von Siphnos: Kirschenarten, bei Thcophrast: der Speierling,
die Kastanie, Waluuss, Pinie, Johannisbrotbaum, Pcrrücken-
b a u tu. Die meisten der hier genannten Bäume erweisen sich aus
botanischen Gründen als einheimisch in Griechenland, so dass nur ihre
Inkulturnahmc und weitere Pflege nach orientalischen Mustern erfolgt
sein wird. Oft mag aber auch die veredelte Pflanze direkt von Osten
herübergekommen sein, so dass man erst durch diese auf die ein-
heimische wilde Pflanze aufmerksam wurde. Als nicht einheimisch
im eigentlichen Griechenland dürften von den bisher genannten Bäumen
nur Dattelpalme und Kypresse, Quitte, Mandel und Maul-
beere anzuschn sein.
In Italien wird man im Grossen und Ganzen dieselben Frucht- und
Zicrbäume als einheimisch oder eingeführt zu betrachten haben wie
in Griechenland, nur dass der Granatapfel, die Platane und der
Johannisbrotbaum ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet westwärts
nicht bis Italien ausdehnten, hier also lediglich durch Zuthuu des
Menschen sich einbürgerten. Im allgemeinen darf Grossgriechenland
als die Lehrmeisteriu Italiens auf dem Gebiete der Obst- und Bauin-
zucht gelten, worauf schon die zahlreichen auf diesem Gebiete gelten-
den Lehnwörter des Lateinischen aus dem Griechischen hinweisen.
Nur in einzelnen Fällen, wie bei der Feige und dem Granatapfel,
wird man an Einführung der Kultur oder (bei letzterem) der Pflanze
selbst aus phönizisch-kaithagischem Kulturkreis denken dürfen.
Direkt nach Italien, und von da erst nach Griechenland, wurden
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Obstbau und Baumzucbt.
tinter dein vollen Lichte der Geschichte aus dem Orient im I. Jahr-
hundert der Kaiserherrschaft der Pfirsich, die Aprikose uud die
Pistazie, noch später die Zitrone eingeführt. Der hier in seinen
Grundzttgen geschilderte Prozess, der später durch die früchteliebenden
Araber vervollständigt und z. B. durch die Einführung der Limone
und Pomeranze, noch erweitert wurde, führte zu einer Umgestaltung
der äusseren Physionomic der klassischen Länder, die schon im ersten
vorchristlichen Jahrhundert Varro zu der Frage veranlasste: non ar-
boribus conxita Italia est, ut tota po mar tum cideatur? Nimmt
man hinzu, dass, abgesehn von den in Gärten gepflegten Obstbäumen,
allein den in heiligen Hainen gepflauzten Bäumen der Schutz des Ge-
setzes zu teil wurde, der deu ursprünglich in Menge vorhandenen
freien Waldbeständen fast völlig fehlte, so versteht man, wie im Laufe
der Zeit im klassischen Süden an Stelle der von der Natur geborenen
Vegetation last durchaus eine durch Kunst umgestaltete und veredelte
treten musste.
Hierbei spielt die allmählich in der Littcratur hervortretende und in
dem kaiserliehen Italien auf dem Höhepunkt ihrer Vollendung ange-
kommene Kunst der Veredlung der Obstbäume durch Pf ropfe n
und Okulieren eine wichtige Rolle. Die homerischen Gedichte
scheinen von ihr noch nichts zu wissen. Der homerische Gärtner düngt
(KOTTpiZei) und bewässert den Boden durch künstliche Kinnen (dudpeu,
dvnp öxcthtikö?!. Als Werkzeug gebraucht er die Hacke, mit der er
den Setzling umgräbt (XidTpeuen. So trifft Odvsseus den Vater
(XXIV, ■>:>()):
TÖV b' OIOV TKXjifi £Up€V ^ÜKTlJi^Vrj iv ÜXlJüf}
XlO"Tp€UOVTC( <pUTÖV.
Auch in der späteren Littcratur ist zunächst vom Pfropfen der Obst-
bäume keine Rede, bis bei Theophrast diese Kunst eine allgemein be-
kannte Sache ist, die mit den Ausdrücken <*u(puT€Üeiv, dtKevTpiZeiv,
cvoqräctXufoiv (vgl. z. B. De caus. plant. II, 14, ;">) bezeichnet wird.
Dazu treten später Wendungen wie ^ußdXXetv, ^uqnjXXtZeiv etc. In
Italien, wo die Iuokulatiou durch svrischc und eilizische Sklaven bc-
sonders gefördert wurde, ist dieselbe schon bei den ältesten landwirt-
schaftlichen Sehrifstellern nachweisbar. Die hier geltenden, teilweis
dem Griechischen nachgebildeten Termini sind: inserere, imtitio, In-
sitor ,eine ländliche Gottheit' (n. Scrvius z. Vergils Georg. I, 21),
inoculari, propdgo, propdgare. Doch müssen in der Sprache der
Gärtner und des Volkes noch andere Bezeichnungen gegolten haben,
die sich aus ihrer Entlehnung in die nördlichen Sprachen erkennen
lassen.
Im Ahd. begegnet nämlich für inoculari das Wort impfitön, mhd.
impfeten neben einem kürzeren ahd. inipfon, agls. impian, engl. imp.
Man hat versucht, diese zusammen mit dem schon in der Lex Salica
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586
Obstbau und Baumzucht.
begegnenden impotus , Pfropfreis', frz. ente, enter, prov. entar
,pfropfen', ndl. etc. enten .impfen' an das oben genannte griecb. £u-
(puTeuuj, ^inqpuu) anzuknüpfen, indem man annahm, dass diese von
griechischem Boden — etwa von Massilia aus — unmittelbar in kel-
tische Dialekte und ans diesen ins Romanische und Germanische über-
gegangeu sein. Wahrscheinlicher aber dürfte jene ganze Sippe au»
lat. imputare (Hmpudare, *impuare) herzuleiten sein, für das dann,
als mit putare ,schneideln' (vgl. amputare) zusammengesetzt, von einer
in der Gärtnersprache erhaltenen hypothetischen Bedeutnng einschneiden'
auszugehn ist, die sich durch ,ins Kerbholz schneiden1 etc. zu der
litterarisch überlieferten Bedeutung ,auf Rechnung setzen' etc. entwickelt
hätte. Jedenfalls hat das Simplex putare durch it. potare, sp. podar
hindurch seinen Weg nach dem Norden angetreten (vgl. mfränk. possen,
mndl. mndd. poten .propfen', siebenbürg. pösse, pöste). Aus dem
Lateinisch-Romanischen stammt auch mhd. pfrophen von ahd. phropho
aus lat. propägo und md. pelzen, Ostreich, pfelzen aus prov. empeltar,
lat. Hmpeltare (: lat. peüis ,Haut, Rinde'). Vgl. noch bei Palladium
XII, 7 inoculari quod emplastrari dicitur ,einpflastem' (auch schon
bei Columella) und *sertare von serere = inserere, das sich aus alb.
sartön ,pfropfe' folgern lässt. Ohne Zusammenhang mit dem Latei-
nischen oder Griechischen ist das got. intrisgan, intrusgjan ,£tk€v-
Tpi£€iv' gebildet, das noch der Aufklärung harrt (vgl. lit. dreskiü
,reisscn\ ,einreissen"?). Slavisch-litauische Bezeichnungen werden von
einer Wurzel skep- ,spalten' abgeleitet (vgl. Miklosich Et. W. S. 293).
Sucht man die Reihenfolge festzustellen, in welcher die Kultur
der Obstbäume oder letztere selbst allmählich nach dem Norden vor-
drangen, so wird man nicht irren, wenn man in dem Apfelbaum
den ersten kultivierten Obstbaum des Nordens erblickt. In der Lex
Saliea freilich ist in den ältesten vier Codices (nach der englischen
Ausgabe von Hessels) von Obstbäumen überhaupt noch nicht die Rede.
In den späteren Abfassungen treten der Apfel- und Birnbaum, po-
marius (auch melarius, milarius) und pirarius {perarius) auf. Vgl.
z. B. Cod. 6 u. ö, VII, 11: Si quis pomarium domesticum de intus
curte mit de latus carte capulaverit aut involaverit, sol. III culp.
iud. oder Cod. 10, XXVII, 21 : Si quis in potus de pomario aut de
pirario diruperit, malb. leudardi, CXX [den.] qui fac. sol. III culp.
iud. Die übrigen leges Barbarorum bieten nichts wesentlich neues»
Schon den Abschluss der kulturhistorischen Bewegung zeigt das Cap'-
tulare de villis, welches Cap. LXX anordnet: De arboribus volumus quod
habeant : pomarios diversi generis, pirarios div. gen.f prunarios div.
gen.t sorbarios, mispilarios, castanearios, persicarios div. gen., cotoni-
arios, ateüanarios, amandalarios, morarios, lauros, pinos, ficust
nueavios, ceresarios die. gen. Denselben Bestand zeigt der ungefähr
gleichzeitige Bauriss des Benediktinerklosters von St. Gallen vom Jahre
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Obstbau und Baumzucht — Obstwein.
587
820, in den auf dem Begräbnisplatz des Klosters folgende Bäume ein-
getragen sind : mäl{arius), perarius, prtinarius, pinus, sorbarius, «mV
polarius, laurus, castenartus, ficusf gudunarius, persicus, avellanarius,
amandelariux, murarius, nugarius (vgl. v. Fischer-Benzon Altd. Garten-
flora S. 184 ff.). Fast alle hier genannten Bäume tragen im Deutsehen
Namen, welche aus dem Lateinischen entlehnt sind oder sonst auf
den Süden hinweisen (wie „Walnuss", d. h. die wälsche Nuss). Über die
Herkunft der deutschen Obstzucht kann daher kein Zweifel bestehn.
Bei den S 1 a v e n wären nach Abraham Jakobsens Berichte über die
Slavenländer vom Jahre 973 die vornehmsten Obstbäume Apfelbäume,
Birnbäume und Pfirsiche (nach des Herausgebers Vermutung vielmehr
Pflaumen) gewesen. Für die Abhängigkeit des slavischen Obstbaus
von dem deutschen ist die Entlehnung des westgermanischen ahd. obaz,
agls. ofet ,Obst' (nach Prelhvitz B. B. XXV, 158 aus +up-od-om : lat.
edo ,esse') in die meisten Slavinen (altsl. ocosti ,frnctus' u. s. w.) be-
zeichnend. — Alle hier erwähnten Baumartcn sind in besonderen (teil-
weis mehrere zusammenfassenden) Artikeln bebandelt worden. Im all-
gemeinen vgl. V. Hehn Kultnrpfl/' S. 120 und 419 ff., ausserdem Pott
Veredlung der Obstbäume Beiträge z. vergl. Sprachf. II, 401 ff.
Obstwein. Nachrichten über aus BaumfrUchten, Äpfeln, Birnen,
Granaten, Datteln, Feigen und Maulbeeren bereitete Gcträukc treten
erst in der römischen Welt, zuerst bei Dioskorides und Plinius auf.
Vielleicht ging die Anregung dazu von Syrien, der Heimat veredelter
Baumkultur, aus. Zu den Semiten führt wenigstens das spät-klassische
ffiK6pa-*icerrt zurück, das ans hebr. xekdr , berauschendes Getränk'
entlehnt wurde, und aus dem wiederum die it. sidro ,Obstwein', mm.
fighir, frz. cidre, sp. cidro hervorgingen. Indessen ist aicera nicht
nur Obstwein. Isidor (Orig. XX, 3) erklärt es vielmehr mit omni 8
potio quae extra vinum inebriare potent. Vgl. auch das Capitnlare
de villis (45): siceratorex, id est qui cervimm vel pomatium sive
piratium, vel aliud quodeunque liquamen ad bibendum aptum fuerit,
facere sciunt. Ebenso hat das got. leipus, mit dem bei Luc. 1, 15
das biblische akepa übersetzt wird, eine weitere Bedeutung, wie denn
in Baiern jede Schenke Ut-htU, der Wirt lit-gebe etc. hiess. Vgl. auch
altn. lid heitir öl (Bier) in der Edda (Vigfusson). Immerhin scheint
die vorherrschende Bedeutung ,Obstwein' gewesen zu sein (vgl. Wacker-
nagel Kl. Schriften I, 96 f.). Das Wort ist gemeingermanisch (altn.
lid, agls. lid), und da es im Ahd. und Agls. auch soviel wie ,poeulum,
fiala' bedeutet, wird es mit griech. ä-X€io*ov (*ä-X€iTjov) , Becher* zu
verbinden sein.
Besonders reich an Obstgetränken jeder Art sind die Slaven (altsl.
kvasü ,o"uc€pa', eigentl. ,sauerr, wie der im Mittelalter berühmte agras,
it. agresto etc. : lat. acer gehört), die nach Köppen Holzgewächse
sogar aus wilden Birnen ein angenehmes Getränk herzustellen wissen
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588
Obstwein — Ölbaum, Öl.
Es verdient in diesem Zusammenhang bemerkt zu werden, dass die
erste Nachricht Uber eine Art von Obstwein Uberhaupt in den äusserten
Nord-Osten der den Alten bekannten Welt, zu den fabelhaften Argip-
päern führt. Vgl. Herodot IV, 23: ttovtikov uev oüvoua tw b€vbp€'w,
dir' ou Zwoutfi, ueraöo«; bi Katd o*uK€nv udXio"Td kij" Kapnöv bk. <pop€€i
Kuduiu icrov, Ttupf|va bk fax' toöto ^rcedv YevnTai ttcttov, o*aKK^ouo"i
\uaTioto*i, ÜTToppcei b' dir' aÜToO ttoxu Kai |ueXav, ouvoua bk. tu> duop-
p€OVTl iOTl Öaxu ' TOÖTO KOI XeiXOUCJt Kai faXaKTl (JUUu{0*"fOVT€q 7TIVOU01.
Wahrscheinlich handelt es sich dabei um den Saft der Traubenkirsche
(Prunn* Padug). Der Ausdruck do"xu wird türkischen Ursprungs sein.
Vgl. W. Tomasehek Kritik der ältesten Nachrichten über den sky-
thischen Norden 1, f>8 flf. (Sitzttngsb. d. kais. Ak. d. W. in Wien, pbil.-
hist. Kl. CXVII). Neue Anregungen auf diesem Gebiet gingen für
Europa wiederum von dem Orient, von den den Fruchtsaft in allen
Gestalten liebenden Arabern aus. Aus diesem Zusammenhang erklären
sich Entlehnungen wie it. robho, frz. rob etc. ,Obsthonig' aus arab.
robb, auch wohl it. sorbetto, frz. mrbet aus arab. stirb ,ein süsser,
kühlender Trank' u. anderes.
Ochse, s. Kind.
Ocker, s. Farbstoffe.
Okulieren, s. Obstbau und Baumzucht.
Ölbaum, Ol. Über die Verbreitung des Ölbaums {OJea euro-
paea L.) äussert sich Engler (bei V. Hehn s. u.) tolgendermassen :
„Im Orient findet sich der Ölbaum wildwachsend sowohl als Baum,
wie besonders häutig als Strauch in den Steppen des Pendschab von
Beludschistan, von Persien bis Transkaukasicn und auf der Krim, in
Syrien, in Palästina und Cilicien, auch in Mesopotamien und im süd-
lichen Arabien bis Mascat. Von Bithynien aus verfolgen wir ihn
durch Thrakien nach Mazedonien . . . Sicher wild ist er auch in
Griechenland, wo man in den Macchien vielfach die kleinfrüchtige
Form Oleaster antrinV. Nach demselben Gelehrten ist der Ölbaum
auch westlich der Balkanhalbinsel, in Italien, Sizilien, Sardinien, Kor-
sika, in Spanien, Portugal, im mediterranen Frankreich und in Nord-
afrika einheimisch. Speziell in Italien wurde das Indigenat des Öl-
baums durch den Fund von Blättern desselben in pliocenen Lagerstätten
bei Mougardino erwiesen. Weniger sicher scheint zu sein, ob man
auch für die subalpine Kegion des südlichen Nubiens (am roten Meer)
ein ursprüngliches Vorkommen des Ölbaums annehmen darf (vgl. auch
Koppen Holzgewächsc I, öTOf.).
Erhebt man nun die Frage, w o auf diesem ungeheuren Gebiet der
Ölbaum zuerst zu einer der wichtigsten Nutzpflanzen des Mittclmeer-
gebietes gemacht worden sei, so ist für ihre Beantwortung eine zu-
sammenhängende Kette von Namen wichtig, welche sieh von Ägypten,
wo der Ölbaum schon auf Denkmälern der XVIll Dynastie dargestellt
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Ölbaum, Ol.
589
wird, und das Olivenöl schon in sehr alter Zeit ausser zun» Speisen
auch zum Salben und zur Opfergabe gebraucht wird, durch das w est -
semitische Gebiet, wo das Olivenöl im ganzen Alten Testament dem
vierfachen Bedürfnis des Speisens, des Opfern*, des Brennens in der
Lampe und des Salbens dient, bis nach Armenien erstreckt. Es
ist dies die Reihe: ägypt. t'ef-t ,01ive', westsem. (Hebräisch, Phö-
nizisch, Aramäisch), arab. zait, zet, armen, jet', dzet\ Allein noch ist
man Uber den Ausgangspunkt dieser Namenreihe nicht im klaren.
Während derselbe nach Lagarde im Armenischen oder in einer diesem
uächststehenden Sprache Kleinasiens (er denkt an Cilizien) zu suchen
wäre, ist nach anderen (Ermann) die semitische Benennung als eine
Entlehnung ans dem Ägyptischen und (nach Httbschmann, vgl. auch
dessen Armen. Gr. I, 309) das armenische Wort als aus dem Semi-
tischen Übernommen anzusehn. Bemerkenswert ist, dass ein starkes
Vordringen des semitischen Ausdrucks in das Persische, Kurdische, in
kaukasische und tartarische Dialekte stattgefunden hat, was eher auf
eine Ausbreitung der Olivenkultur in der Richtung von Süden nach
Norden als umgekehrt gedeutet werden könnte.
In Griechenland muss die Olivenkultur schon in vorhomerischer
Zeit ihren Einzug gehalten haben. Das Bruchstück eines silbernen
Gefässes aus Mykenae ('E<pr|M€piq 1H91 . 3, 2) stellt die Verteidigung
einer Stadt dar, zu deren Linken Oliven auftreten, die man doch wohl
als angepflanzte wird auffassen müssen. Wichtiger ist, dass Olivenkerne
selbst neuerdings mehrfach in Mykenae aufgefunden worden sind.
Unzweifelhaft aber setzen die homerischen Gedichte den Anbau des
Baumes und die verschiedenartige Verwendung des Öls seiner Früchte
voraus. Wie sollte man das schöne Gleichnis der Ilias XVII, 53 ff.:
olov bk Tp€<p€i lpvo<; ävf|p £pi6n.X€<; eXcrin?
Xuipiu iv oIottöXuj, 60' äXi? dvaßeßpuxev übwp,
KaXöv TnXeeaov tö bl t€ ttvoicu ooWoutfiv
TravToiwv äv€|uu>v, koi T€ ßpüei fivOet XcukuV
dX6wv b' &amvn.<; äveuo<; aüv XaiXam ttoXXiJ
ßöGpou t' ^Heorpeipe Kai £EeTävuo*o*' im ta»fl
ungezwungen anders auffassen V Auch der Ölbaum, aus dem Odysscus
(Od. XXIII, 190) sein Ehebett zimmerte, war £pKeo$ Ivt6<; ,im Garten*
gewachsen. Dass aber auch in technischer Beziehung das Ol schon
damals eine wichtige Rolle spielte, geht aus zwei weiteren Stellen der
homerischen Gedichte II. XVIII, 595:
toiv b' cd n*v XeTTTCt? öQovaq fyov, o'i bl x»™uvaq
iiax ^üvriTou? nKa (X-riXßovTas dXatiu
und Od. VII, 105:
a\ b' \axovq ü<pöwo*t Kai nXaKaTa o"Tpu)<pu>o*iv,
Ui*€vai, otd T€ cpüXXa uaK€bvfi<; aitcipoio*
Kaipouacr^wv b' ÖGoWiov dTroXcißeiai otpöv £Xaiov
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590
Ölbaum, Öl.
hervor, nach welchen zu Folge der übereinstimmenden Deutung der
neueren Erklärer die in der Linnenindustrie übliche Appretur der Stoffe
mit Öl, das also damals schon eine ganz bekannte Sache sein niusste,
gemeint ist. Eine befriedigende Erklärung hat das griech. dXcun »Öl-
baum', £Xaiov ,01' noch nicht gefuuden. Lagarde möchte, entsprechend
seiner oben erwähnten Hypothese, das griechische Wort aus dem armen.
iul {eul, o-St.) ,01' ableiten, was nach Hübschmann a. a. 0. 1, 393 sehr
unsicher ist. Noch viel unwahrscheinlicher ist freilich die von Prellwitz
Et. W. versuchte Verknüpfung von IXaiov, £Xaia mit lat. ad-olere
, verbrennen', da der Gebrauch der Öllampe (s. u. Licht) in Griechenland
ein später und Homer aller Wahrscheinlichkeit nach noch unbekannter
gewesen ist. Neben i\a\a begegnet ein ebenfalls dunkles kötivo^ für
den wilden Ölbaum, später überliefert, darum aber nicht notwendig
jüuger. Dasselbe scheinen auch die schon homerischen muXin. und £Xcuo{
bezeichnet zu haben. Vgl. Pausamas II, 32, 10: (>axov<z u£v brj xa-
Xoütfi TpotErivtoi rcäv ßaov äicapTrov iXaia?, kötivov koi (puXiav Kai
£Xaiov.
Ein Ausgangspunkt für die Olivenkultur in Griechenland scheint
Athen gewesen zu sein, wo die der Athene heiligen Ölbäume (uopicu)
standen. Nach einer sagenhaften Überlieferung des Herodot (V, 82)
hätte es zu einer gewissen Zeit nirgends auf Erden ausser in Athen
Ölbäume gegeben. Im übrigen aber dürfte aus derartigen Nachrichten,
die von Erfindern des Öls oder Einfuhrern des Ölbaums (man vergl.
auch bei Pindar Ol. III, 13 die Sage, nach welcher Herakles die ikaxa
von dem Istros her, aus dem Lande der Hyperboreer, gebracht habe)
berichten, nicht viel ^tatsächliches zu gewinnen sein.
Von Griechenland ging die Olivenkultur nach Italien Uber, worauf
die Sprache mit grosser Deutlichkeit hinweist. Aus griech. £XcuFa
stammt lat. oliva, aus griech. £XaiFov lat. oleum (näheres bei Kretschmer
Einleitung S. 112 f.). Denselben Ursprung haben auch die auf den
Ölbau bezüglichen und ebenfalls früh (nach ihrer Lautgestaltung) über-
nommenen Ausdrücke amurca (aus äpopTn.) ,Hefe des Olivenöls' und
druppa (aus bpuTnra) ,Uberreife Olive'. Den wilden Ölbaum haben
dann die Römer von dem veredelten her oleaster, oleastrum (nach
dem Muster von pinaster, patraster etc.) benannt, obwohl sie gewiss
schon vorher einen Namen für ihn hatten. Nach einer bei Plinius
(Hist. nat. XV, 1 ) erhalteneu Notiz des Annalisten Fenestella wüssten wir
sogar den Zeitpunkt, wann die Olivenkultur in Italien aufgekommen
sei: Fenestella vero omnino non fuisse (oleam) in Italia Hispani-
aqne aut Africa Tarquinio Prisco regnante, ab annis populi Romani
CLXXllI, quae nunc pervenit trans Alpes quoque et inGallias
Hispaniasque medias.
Schon die letzten Worte des genannten Autors zeigen, dass die
Olivcnkultur sich Uberall im Bereiche der römischen Macht ausbreitete,
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Ölbaum, Öl.
591
*wo sie, wie im südlichen Gallien, nicht etwa schon viel früher von
Griechen eingeführt worden war. Über die Einflüsse des mittellän-
dischen Meeres wagte sich der Baum selbst (von der Krim abgesehn)
in Europa nicht hinaus. Anders das Produkt seiner Früchte, das Öl.
Von der Ausfuhr italischen Öls zu Harbarcnstämmen erfahren wir
mehrfach. So berichtet Strabo IV, p. 202 über Ölimport aus Genua
bei den benachbarten Ligureru und V, p. 214 aus Aquilcja bei illy-
rischen Donaustämmen. Zwar die Bedeutung, welche das Öl bei den
klassischen Völkern als Speise und bei der Pflege des Körpers besass,
konnte es schon wegen der Kostspieligkeit des Transports bei den
butteressenden und sich mit Butter oder Seife (s. s. d. d.) salbenden
Barbaren des Nordens niemals erlangeu. Nach Posidonius bei Athen.
IV, p. 152 hätten die Kelten das Öl bei ihren Speisen verschmäht, weil
sie es nur in geringer Menge besessen hätten, und das Ungewohnte
des Geschmacks ihnen unerfreulich erschienen wäre. Der älteste und
eigentliche Zweck des Ölexports nach nördlichen Ländern wird viel-
mehr in den Bedürfnissen der Beleuchtung gesucht werden müsseu,
eine kulturhistorische Aufgabe, die das Öl selbst im Süden erst ver-
hältnismässig spät übernommen hatte. U. Licht ist auf die frühe
Verbreitung des lat. lücerna »Öllampe' in den keltischen und germa-
nischen Sprachen hingewiesen worden. Im Znsammenhang hiermit
ist zu bemerken, dass auch das lat. oleum oder besser olivom ,01'
noch in seiner älteren Form *olecom in die Nordsprachen eingedrungen
ist und durch das Keltische hindurch zu got. alew, aleicabagms ,01',
,Ölbaum' gefuhrt hat. Diese Annahme einer keltischen Vermittlung,
die auch bei dem Verhältnis von got. lukarn, kymr. llugorn : lat.
lücerna nicht ausgeschlossen ist, muss mit R. Much Beiträge XVII, 34
für das got. alew deswegen aufgestellt werden, weil eine direkte Ent-
lehnung von alew aus dem römischen olivom aus lautlichen Gründen
nicht stattgefunden haben kann. Alle diese Vorgänge müssen sich
schon früh, im III. oder im Anfang des II. Jahrhunderts abgespielt
haben.
Eine grössere Bedeutung im Norden wird das Öl dann erst durch
die Ausbreitung des Christentums erhalten haben, das nach einer aus
dem Alten Testament übernommenen Erbschaft, von heiligem Öl bei
verschiedenen Riten, bei der Taufe, der Konfirmation, namentlich aber
bei Erteilung der Sterbesakramente (oleum infirmomm, bei den Griechen
€ÜxAaiov, üyiov tXaiov) Gebrauch machte. Auf den Einfluss der Klöster
wird daher auch die direkte Verbreitung der klassischen Wörter für
Öl im nördlichen Europa zurückzufahren sein. Aus dem Latein stammen
ir. ola, ahd. olei, oli, agls. ele, aus dem Griechischen altsl. jelej, russ.
elej etc. Östlich von Italien ist noch auf alb. tili ,01ive\ ulist ,Oliven-
wald', ulaktre ,wilder Ölbaum' aus lat. olwa, oleaster zu verweisen. —
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Ölbaum, öl - Ofen.
Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 101 ff. (wo auch die ganze Litteratur
über die Geschichte des Ölbaums). S. u. Obstbau und Baumzucht.
Ofen. Das idg. Haus (s.d.) bestand aus einem einzigen durch
das Feuer des Herdes, dessen Rauch durch die Thür und die Lücken
des Daches abzog, erwärmten und beleuchteten Herdraum. An diesem
Herd wird schon in der Urzeit eine Vorrichtung zum Kochen. Braten
und Hacken vorhanden gewesen sein, die ursprünglich aus nichts
als einem irdenen Gcfäss, einem Topf oder dergleichen bestanden
haben wird, der über dem Feuer aufgehängt, oder, wenn Brot (s. d.)
gebacken wurde, in die Asche geschoben ward. In mehreren Fällen
sind nämlich uralte Bezeichnungen des Ofens aus alten Wörtern für
Topf hervorgegangen. Dies ist der Fall bei got. atihns, ahd. o/Vw,
griech. iuvöi; (*uqnö-n) ,Backofen' : sert. uJchä' ,Kochtopf, Pfanne'
(lat. aula, auxilla ,Topf'?) und ebenso bei lat. fornus (woraus ir.
sormi), fornax, Fornax ,Göttin der Backöfen' : gcmeinsl. *(jernüf altsl.
grftnü, das in den einzelnen Slavinen die Bedeutungen ,Herd', ,Topf,
,Ofen' aufweist (vgl. Miklosieh Et. W. s. v.). Allmählich muss sich
dann vom Herde ein selbständiger Backofen losgelöst haben, der teils
neben dem Herdfeuer stehen blieb, teils in besonderen Räumen unter-
gebracht wurde. Alte Namen hierfür sind noch griech. Kot|iivo<; (im
Griechischen nur ,Back- und Schmelzofen ) : altsl. kameni .Stein' wie
altpr. 8tabni ,Ofen' : sttihi* .Stein' (vgl. auch altn. stehiofn) und Kpi-
ßavo? : Kp^vöq aus *Kpißv6-? ,Gcrstc', eigentl. also der Ofen, in dem
Gerste geröstet wurde, auch eine Pfanne zu diesem Zweck (auch kXi-
ßavos, woraus lat. clibanu* , Brotpfanne'), gcmeinkelt. ir. dith, dtho,
kymr. odyn \*üti-ity etym. dnukel), gemeinslav. altsl. peMl : peMi
,backcn' (weit in die finnischen Sprachen hinein entlehnt : finn. petsi
u. s. w.), lit. krösnis (neben peezius, das aus dem Slavischcn), altpr.
umpnis , Backofen', umno-de , Backhaus' (nach Nesselmann Thcs.), die
beiden letzteren ebenfalls dunkel. Keines dieser alten Wörter hat von
Haus aus den Stubenofen bezeichnet, dessen Geschichte einer be-
sonderen Erwägung bedarf.
Die Gunst des südlichen Klimas hat die Hcizvorrichtnngcn der Alten,
soweit sie sich auf das Erwärmen der Zimmer bezogen, nicht über
bescheidene Grenzen hinauskommen lassen. Ja, es fehlt nicht an Ge-
lehrten, welche Griecheu und Römern nur den Gebrauch von tragbaren
und mit Kohlen heizbaren Becken (ßaövoi, ttviy€i? etc.i zugestehen und
ihnen die Kenntnis feststehender Stubenöfen oder Kamine, die ihrerseits
wieder die Bekanntschaft mit dem Essen bau voraussetzen, ganz oder
fast ganz absprechen (vgl. namentlich den gelehrten Aufsatz „Schorn-
stein" in Beckmanns Beyträgcu zur Geschichte der Erfindungen II, 391 ff.).
Trotzdem wird man (mit Becker-Göll Gallus II, 316 ff.) spätestens für
die römische Kaiserzeit das Bestehen von eigentlichen Kaminen (lat.
caminus, auch noch »Schmiedeofen' ete. aus griech. xduivoi;; vgl. noch
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Ofen.
5915
lat. fortan ,0fcugcsteü' ans gricch. (pöpraH) anzunehmen Laben, die in
richtige Schornsteine mündeten, welche iu Pompeji in Bädern und bei
Backhäusern unzweifelhaft nachgewiesen worden sind. Man verstünde
nicht, warum dieselben, namentlich in nördlicheren Teilen Italiens,
wo die Beheizung der Wohnhäuser eine grössere Rolle spieleu musste,
nicht auch bei solchen zur Anwendung gekommen sein sollten. Ihren
Höhepunkt aber fand die Beheizungskunst der Alten nicht in Hinsicht
auf die Erwärmung der Wohnräume, sondern der Bade räume. Vor
allem ist hier auf das Hypokaustuni oder das balneum pensile (von
pensilh »schwebend', d. h. auf „Schwibbögen" ruhend) zu verweisen,
das einen mittelst eines im Souterrain aufgestellten Ofens durch Röhren-
leitung und Luftheizung erwärmten Raum, zunächst eiue Badestube,
dann auch andere so geheizte Zimmer bezeichnete. Namentlich in den
römischen Absiedlungen nördlich der Alpen sind derartige Heizungs-
vorrichtungen häufig nachgewiesen worden, wie denn auch der Kaiser
Julian (vgl. Beckmann a. a. 0. S. 433) die Pariser Häuser so einge-
richtet vorfand. Von derartigen römischen Anlagen her ist nun offen-
bar den Nord Völkern, die bis dahin als einzige erwärm bare Stätte des
Hauses den alten Herdraum kannten, der Begriff und Name des heiz-
baren Zimmers, erst der Badestube, dann der Wohnstube zugekommen.
Als für diesen Vorgang bezeichnend erweisen sich zwei wichtige
Sprachreihen. Zuerst das mlat. stuba und seine weitverzweigte
Sippe. Auszugehen ist für dasselbe (mit Bugge Rom. IV, 3f>f>; vgl.
auch Kluge Et. W/* s. v.« Stube) von einem romanischen *extufare
.dampfen machen', von gricch. rüqpoc ,Dauipf, it. tufo , Dunst' stufare
»schwitzen machen', sp. estuvar ,beizen', frz. etouffer ,ersticken',
Mucer ,schmorcn', neben dem ein substantivisches *extufa ,Ort, wo
man schwitzt', it. stufa , Badestube', sp. eatufa , Badestube, Stuben-
ofen', frz. etute , Badestube' bestanden hat (vgl. auch Körting Lat.-rom.
W., wo zur Erklärung der Formen mit v noch lat. tubux ,Röhre des
Badeofens' herangezogen wird). Diese romanischen Formen haben sich
nun in nnermesslicher Ausdehnung in die nördlichen Sprachen verbreitet
und liegen vor, verbal in agls. stofian, inndl. stöven etc., substan-
tivisch in agls. Htofa, stnf'baed ,balneum', engl, »toce ,Ofeu', altn.
stofa, stufa , Baderaum mit Ofen', ,gynaeceum', ahd. stuba »Bade-
zimmer, heizbares Gemach', in allen Slavinen istüba ,Hütte, Zimmer'
u. dergl. (itba = istüba bei dem Araber Ibrahhu-ibn-Jakubs bedeutet
noch eine hölzerne Baracke mit Steinofen zum Baden), lit. stuba ,Stube\
Ii im. tupa etc. ,aediculum, cubiculum', ung. szoba, türk. soba ,Stnbe'.
Diesem offenbaren Zusammenhang gegenüber wird die Aunahme E.
Martins Badenfahrt von Thomas Murner S. XI (nach Meringer Mit-
teilungen der Wieuer antbrop. Oes. XXIII, 167 f.; vgl. auch E. Martin
Z. f. deutsche Phil. XXVII, 52), dass .stuba ein deutsches Wort sei
und den Ort der „stiebenden" Wasserdämpfe bedeute, obgleich auch
Schräder, Keallexikuu. JJK
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f)94
Ofen.
M. Heyne Deutsches Wohnungswesen S. 45 diese Ansicht teilt, nicht
aufrechtzuerhalten sein, und zwar um so weniger, als auch das oben
schon genannte lat. penxile (baineu m), das M. Heyne a. a. 0. S. 122
nach Du Gange VI. irrtümlich als locus deutet, in quo pensa
trahunt midieres, gynaecium, denselben Weg wie rom. *extufare,
*extufa gewandert ist und einerseits zu frz. pofile »heizbarer Kaum,
Ofen', andererseits zu agls. pisle, ahd. pfietutl, nhd. pfiesel, pexel ge-
führt hat, wie noch jetzt an vielen Orten ein heizbares Gemach mund-
artlich genannt wird. Vgl. noch agls. cleofa, altu. Hefe ,Gcmach' aus
lat. clibanus ,Ofeu'.
Der Entwicklungsgang ist also der, dass die Nordvolker von den
Romanen zunächst die Einrichtung der Hadestuben (s. auch u. Bad)
übernahmen, nur dass sie dieselben nicht wie die Römer unterirdisch
(wie hätte dies auch ihre primitive Technik vermocht?), sondern durch
einen in dieselben hincingesetzten, dem Backofen verwandten, steinernen
und schlotlosen Ofen erwärmt haben werden. In derartigen Räumen
mögen zunächst nur warme oder beisse Bäder, dann aber auch die,
wie es scheint, von Osten her über Europa sich ausbreitenden Dampf-
bäder (s. n. Bad und vgl. Kochendörffer Z. f. deutsche Phil. XXIV, 492)
verabreicht worden sein. Zugleich aber müssen diese Badestuben auch
für andere Zwecke als eiu beliebter Aufenthaltsort namentlich des
weiblichen Geschlechts gegolten haben, wie denn noch spät der Ge-
brauch gilt, das Badcstübiein als Salon zu benutzen (vgl. Meringer
a. a. 0. S. 169). Der eigentliche Übergang von der Badestube zur
Wohnstube aber erfolgte erst, nachdem man damit begonnen hatte, den
Badeofen unter Benutzung einer an den südlichen .Steinbauten kennen ge-
lernten Vorrichtung für den Abzug des Rauches (ahd. rouchhus, rottch,
sldt; vgl. M. Heyne a. a. 0. S. 120) in gewisse Teile des Wohnhauses
hineinzusetzen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Erfindung des
die Wärme haltenden Kachelofens, dessen Ursprünge noch im Dunkeln
liegen. Meringer a. a. 0. S. 172 vermutet, dass dieselben ebenfalls auf
die Einflüsse römischer Kultur, in die Grenzsphäre von Römern und
Germanen führten. Sicher dürfte wenigstens das Wort n Kachel-, ahd.
kachala aus dem Lateinischen {cacabus ,Gefäss'') stammen.
Der durch die Einführung der Stuben-, besonders der Kachelöfen
erzielte Fortschritt ist, wie schon bemerkt, nicht wohl ohne die Zu-
hilfenahme der lehmernen oder steinernen Esse denkbar. Ihr Be-
kanntwerden im Norden lässt sich an der Wanderung des griech.-lat.
Käuivoq-cami/iM* verfolgen, das einerseits in der Bedeutung von ,Rauch-
fang, andererseits in der von , Kamin' (d. i. Esse und Ofen, wie sie
nach südlichem Muster namentlich in den deutschen Burgen gebaut
wurden, vgl. A. Schult/. I). höfische Leben im M-A. 1, 50 1 in die nörd-
lichen Sprachen Uberging. Vgl. ahd. chenü{n), mhd. kamin, altsl.
kamina innd entsprechend in allen Slavinen) ,Ofen' und , Ranchfang',
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Ofen — Oheim.
swr>
lit. käminas , Kamin, Schornstein', altpr. kamenis ,Feuermauer, Esse
im Haus und in der Schmiede', daneben mlat. caminata (rmit einem
Kamin"), alid. chemindta .Kemenate' (tuvaticeiov), poln. und in vielen
Slavinen komnata , Kammer, Zimmer' (frz. chenrinee, engl, chimney
,Rauchfang). Ein allgemeiner Gebrauch von Schornsteinen aber lässt
sich nicht vor dem XIV. Jahrhundert belegen (Beckmann S. 441).
Einheimische Namen für den neuen Hegriff sind mhd. riur ram, viur-
müre und das noch nicht recht aufgeklärte Schornstein, schorstein,
ndd. 8corenstein, ndl. schoorsteen (vgl. auch M. Heyne a. a. 0. S. 121).
Über ahd. essa s. n. Herd. Endlich kehren auch die oben genannten
Wärmpfannen des Südens im Norden wieder, wo sie als ahd. gluot-
phanna, gluthaven, agls. fyrponne u. s. w. (M. Heyne S. 121 ,h) be-
zeichnet werden. — S. u. Haus.
Oheim. Zur Bezeichnung des Vatersbruders findet sich eine
unzweifelhaft idg. Gleichung: sert. pitrvya-, aw. tuiryö{'?), griech.
TTäTpws, lat. patruus, ahd. f'etiro. Aus weicht das Litu-Slavische mit
lit. didis (: altsl. dedü ,avus\ griech. Tn0T| .Grossmutter', grieeb. 8€io?
,Vater- und Mutterbrudcr' (nach Delbrück Verwandtschaftsnamen S. 90 =
468 wohl eine der Kindersprache entnommene ehrende Bezeichnung für
ältere Personen überhaupt; und altsl. stryj, stryjcl (nach Miklosich
Et. W. zu einem allerdings schlecht bezeugten lit. strujus ,Grcis' ge-
hörig). Im Langobardischen begegnet das merkwürdige barbas ,pa-
truus' (vgl. W. Bruckner Die Sprache der L. S. 40); es scheint irgend-
wie zu ahd. basa ,Sch\\estcr des Vaters' (s. u. Tante) zu gehören.
Demgegenüber lässt sieh eine vorhistorische Benennung des Mutter-
bruders nicht nachweisen. Derselbe heisst sert. mätuld- (einmal auch
miiturbhrätrd-), armen, k'eri (scheinbar: k'oir ,Schwester'), griech.
pnjpws (nach Trdtpuji;), lat. avunculus, altkoru. euiter, mkymr. ewi-thr
(auch jVatershruder", ir. amnair .avuuculus), ahd. öheim, agls. edm,
altfries. rm, lit. airynax, altpr. ateis, altsl. uji, ujka. Das Lateinische
und die sämtlichen nordeuropäischen Sprachen haben hierbei gemeinsam,
dass der Name des Mutterbruders von einem vorhistorischen Worte
für ,Grossvater" (lat. neu -s, got. awö ,Grossmutter' s. u. Gross eitern)
abgeleitet ist, aber in ganz verschiedener, zum teil, wie im Germanischen,
dunkler Weise, so dass auf eine vorhistorische Bildung nicht daraus
geschlossen werden kann. Trotzdem ist Delbrück a. a. O. S. 501 nicht
geneigt, das Abhandensein eines Wortes für Mutterbruder in der Ur-
sprache anzunehmen. Er hält es vielmehr für wahrscheinlich, dass
der Bruder der Mutter ursprünglich zugleich mit dem Vater der Mutter
unter dem Namen *avo x, den er als ,der Gönner' (lat. aveo, sei t, av,
ävati) deutet, zusammengefasst wurde. Erwägt man jedoch, dass die
Voraussetzung Delbrücks, lat. arux habe ursprünglich nur den mütter-
lichen Grossvater bezeichnet, sich nicht auf Thatsachcn stützen kann,
und dass mau bei der Aunalnne, der Begriff des Mutterbruders sei der
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Oheim — Opfer.
Urzeit schon aufgegangen gewesen, nicht verstände, warum zur Be-
zeichnung desselben nicht ein dem *p*truo- = patruus entsprechendes
*mätruo- — *mMruu8 gebildet worden wäre, so wird es, schon rein
sprachlich betrachtet, wahrscheinlicher sein, dass in der Ursprache
ein Name des Mutterbruders nicht nur nicht nachzuweisen ist, sondern
überhaupt nicht bestand. Eine besondere Ehrcnstellung des Mutter
bruders, wie sie Tacitus Germ. Cap. 20 bei den Germanen (s. die
Stelle n. G e i s e 1) vorfand, lässt sich bei anderen Indogcrmanen,
wenigstens in den älteren Epochen, nicht nachweisen. Bei den Indern
geniesst in der ältesten Litteratnr der pitrrya-, der in der Erbschaft
(s. d.) auch bei den Germanen dem Mutterbruder vorangeht, noch weit
grössere Ehren als der matulä-. Für jenen gilt eine Unreinheitsfrist
von 10, für diesen von 3 Tagen, und die Frau des enteren ist die
geehrteste unter den weiblichen Verwandten. Erst später fängt der
Mutterbruder an in die Ebrenstellnng des Vatersbruders einzudringen
(vgl. Delbrück a. a. 0. S. 208 - 5fct(i IT.). Schon diese Verhältnisse
machen die Annahme einer ähnlichen Entwicklung für die Germanen
wahrscheinlich. — S. weiteres u. Familie und u. Mutterrecht.
Öhr, s. Nadel.
Oleander (Xerium Oleander L.). Er war schon während der
Tertiärperiode in Mitteleuropa nicht weniger als in Südeuropa ein-
heimisch, und erst während der Glacialperiode wurde seine Nordgrenzc
weiter südwärts gerückt. Die Naturforscher halten daher das Indi-
genat der Pflanze im südlichen Europa für zweifellos (vgl. A. Engler
bei V. Hehn Kulturpflanzen 6 S. 404). Auffällig bleibt hierbei, dass
eine so charakteristische Pflanze erst kurz vor Plinius und Dioskorides.
bei denen sie genauer hervortritt, zum ersten Male genannt wird. Die
griechisch-römischen Namen, mit deueu dies geschieht, sind rhodo-
dendron ( woraus oleandro, leandro), rhododaphne und neritun (: griech.
vr|pö<;, vetpös ,fliessend, feucht', weil der Oleander mit Vorliebe die
Wasscrlänfc zu begleiten pflegt?). Man hat daher andererseits an
eine verhältnismässig späte Einführung der Pflanze in Griechenland
und Italien gedacht. Sollte dies der Fall seiu, so käme als Ausgangs-
punkt indessen viel eher der iberische Westen, für den Oleanderbüsche
besonders charakteristisch sind, als, wie V. Helm (a. a. 0.) glaubte,
das politische Gebirge in Betracht, wo Xerium Oleander L. nach Koch
Bäume und Sträuchcr S. 117 überhaupt wild nicht vorkommt.
Olive, s. Ölbaum.
Omina, s. Orakel.
Onkel, s. Oheim.
Onyx, 8. Edelsteine.
Opal, s. Edelsteine.
Opfer. Wenn es idg. Götter (s. u. Religion) gab, so muss es in
irgend einer Form auch idg. Opfer gegeben haben. Götter ohne Gottes-
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Opfer.
597
dienst, d. Ii. ohne Handlungen, durch welche der Mensch sich in Beziehung
zu seineu (lottern setzt, sind nicht wohl denkbar. Auch die Sprach-
wissenschaft weist auf das Vorhandensein solcher heiligen Handlungen
schon in der Urzeit hin. Allerdings sind urverwandte Sprachreihen
für die Begriffe Opfer, opfern, Opfertier, die allen oder den meisten
Indogerniancn gemeinsam waren, bis jetzt nicht nachgewiesen worden.
Doch kehren die Bezeichnungen der Einzelsprachcn fltr diese Begriffe
sehr häufig in den verwandten Idiomen mit entweder ausschliesslich
oder doch vorwiegend sakralem Sinne wieder, so dass die Annahme,
sie hätten schon in vorhistorischer Zeit eine kultlichc Bedeutung ge-
habt, zum mindesten als sehr wahrscheinlich gelten muss. Dies gilt
von dem arischen sert. yaj, aw. yaz ,opfern', .durch Opferung ver-
ehren', das auch im gricch. äfO<; , Verehrung, Opfer' (zu trennen von
ÄTo? , Frevel') — sert. ydjas-, ätiCw, dvcrpCw ,Totenopfer darbringen',
crrio<; »heilig' vorliegt und auch in dZoum ausschliesslich die religiöse
Scheu bezeichnet, wie man sie vor Göttern (und Eltern) haben soll.
Dies gilt von dem gemeingerm. got. hunsl, altn., agls. hüsl ,Opfer' =
lit. sziceMas, altsl. srejü, aw. spenta- , heilig , dies von lat. victima
jOpfcrticr' : got. weih* ,hcilig', weiha , Priester', weihan ,heiligen' und
vol.sk. esaristrom .Opfer', umbr. esunu, das nach Schulze Quaest. ep.
S. 210 dem griech. ,heilig' (kpd auch .Opfer' s. u.) entspricht,
dies von dem gemeingerm. ahd. zebar, agls. Ufer, altn. tafn ,Opfcr-
ticr' : lat. dapes ,Opfermabr, während das griech. baTTCtvn. die all-
gemeinere, aus der religiösen abgeleitete Bedeutung ,Aufwand' hat.
Ein starkes sakrales Moment tritt auch in der Reihe sert. hu ,ins
Feuer giessen', harte- ,Opfergabc', hö'tar- .Priester', aw. zaofhrä- , Opfer-
gabe', zaotar- , Priester', armen, jaunem ,wcihe' (zweifelhaft, ob hierher-
gehörig), griech. x^w (ausser in profanem Sinne, besonders vom Trank-
und beim Totenopfer gebraucht; vgl. got. giuta, lat. fttndo) hervor.
Die weitere wichtigere Terminologie des Opfers in den Einzel-
sprachcn ist die folgende. Im Griechischen gelten: öüuu, Bvaia etc.
eigentlich ,in Rauch aufgehen lassen', icpeuuj, zunächst wohl ,'iepeu^
sein', dann als solcher ,die lepeia schlachten', o-qmrmv ,dem getöteten
Tiere durch einen Schnitt das Blut entziehen', fc'&iv, cigentl. ,machen'
(i€pd (fc'Eeiv, 8. u.). Im Lateinischen : sacrificare ganz wie u-pd |te£€iv
(vgl. auch sert. Icdrman- ,Werk, Opfer ), immolare, eigentl. ,dcm zu
opfernden Tier die mola aufstreuen', mactare, eigentl. ,zn einem mactus
machen' (vgl. Scrvius ad Aen. IX, 641: Quotiens auf tus aut vinum
super victimam fundebatur, dicebant : „mactux est taurus vino vel
tureu, hoc est cumulata est hostia, et magis aueta; vgl. auch Bival
Dict. etyni. lat.3 S. 178), hostia, fostm ,Opfcrticr' (noch nicht sicher
erklärt; vgl. hostire für ferire). Im Germanischen: für .opfern'
das dunkle got. blötan, altn. blöta, ahd. pluazan, fltr ,Opfer" got.
saups : ahd. siodan ,sicdcn' (von dem beim Opfer gebrauchten ge-
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Opfer.
sot tenen Fleisch), agls. Jdc, cigentl. ,Leich, Tanz' (von den beim Opfer
üblichen Festtänzen), ahd. gelt, agls. gild, eigentl. ,Eutgclt' (was man
als schuldig zu entrichten gezwungen ist). Dunkel altn. söa ,opfern*.
Weiteres vgl. bei J. Grimm Deutsehe Mythologie 1 3 u. Gottesdienst.
Im Slavi8chcn: für .opfern' altsl. zreti (krütta , Opfer') : lit. giriü
.preise', sert. grnd'ti »anrufen, preisen' etc., für ,Opfcr' *oketi, Cecb.
obet, eigentl. ,eoxr| ,votnm', auch altsl. treba, cigentl. ^negotium' (vgl.
oben sert. kdrman-). Mit dem Christentum haben die lateinischen
Ausdrücke operari eigentl. .Almosen spenden (in der Kirchensprache)
und vor allem o/ferre ,opfern' weite Verbreitung auf Kosten der heid-
nischen Bezeichnungen im Norden gefunden. Vgl. einerseits ahd.
opfarön (wegen der Lautverschiebung auf sehr frühe Einflüsse des
Christentums deutend), andererseits alts. offrAn, agls. offrian, Sech.
oßera, poln. ofiara, lit. apierä, lett. upu-ris, liv. opper, finn. uhri
(die östlichen Wörter unter Einfluss des ahd. opfar).
Näheres über Bedeutung und Beschaffenheit der ältesten idg.
Opfer läset sich nur auf dem Wege der Sachvergleichung erhoffen.
Zerlegt man die Opfer in die beiden grossen Klassen der Bitt- und
Dankopfer, indem man in die erstere auch den Begriff des Sühnopfers
einrechnet, insofern dasselbe nichts als die Bitte um Abwendung oder
Einhaltung des göttlichen Zornes ausdrückt, so wird die Bekanntschaft
mit dem Dankopfer der idg. Urzeit noch abzusprechen sein. Eigent-
liche Dankopfer sind dem vedischen Kult noch fast völlig fremd, und
auch die homerischen Gedichte haben kaum irgendwelche Spuren der-
selben aufzuweisen (vgl. Ohlenberg Die Religion des Veda S. 305,
J. Wackernagel Über den Ursprung des Brahmanismus S. 18). Ja,
ein Wort für ,danken' ist der vedischen Sprache überhaupt fremd, und
auch europäische Ausdrücke hierfür wie gricch. x^pi? ('■ X«ipw »freue
mich'), lat. grdtia (von grdtus »willkommen', .angenehm' = sert. gürtd-,
cigentl. gepriesen' !, got. pagks (: pagkjan ,denken) haben diesen Sinn
offenbar erst in sekundärer Entwicklung aus Begriffen wie , Freude'
oder , Erinnerung' angenommen.
Der Indogcrmane wendet sich also mit Opfern an seine Götter
lediglich in dem Wunsche, ein Gut zu erlangen, sei es direkt mit
der Bitte um Förderung, sei es indirekt mit der Bitte um Abwendung
des göttlichen Zornes. Der Weg, den er hierbei einschlägt, ist der
denkbar einfachste: die Speise und den Trank, an dem er sich selbst
erfreut, setzt er den Göttern vor, um sie gnädig für sich zu stimmen.
Dieser allein verständliche Grundgedanke des antiken Opfers muss in
ungemein frühe Zeit zurückgehen. An verschiedenen Stellen dieses
Werkes (s. u. Ahnenkultus, Gott, Religion) ist auf zwei ver-
schiedene Schichten idg. Religionsanschauungen hingewiesen worden,
auf eine ältere, voriudogerraauischc, die des Scclcndienstes und Ahnen-
kultes und auf eine jüngere, indogermanische, hauptsächlich der Ver-
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Opfer.
599
cbrung der Naturkräfte gewidmete. Der eben geschilderte Grund-
gedanke des Opfers seheint nun innerhalb der ersteren Stufe eine be-
friedigendere Erklärung als innerhalb der zweiten zu finden. Es musstc,
wenn man an eine teils nützliche, teils schädliche Wirkungen aus-
übende Weiterexistenz der Seele nach dem Tode glaubte, eine primi-
tiver Denkungswcisc ungemein nahe liegende Vorstellung sein, dass
es nützlich sei, damit fortzufahren, Vater und Grossvatcr, auch wenn
sie verstorben waren, mit Speise und Trank zu laben und dadurch
günstig zu stimmen, während die Speisung der in den Naturerschei-
nungen, dem Donner, den» Sturm, dem Feuer gedachten Wesen erst
durch einen Akt der Ableitung und Übertragung aus dem Totenkultus
verständlich erscheint. Früher als durch Opfer wird man eine direkte
Einwirkung auf diese letzteren durch zauberische Handlungen ver-
sucht haben, wie sie im vedischen Altertum noch vielfach bezeugt
sind, und bei denen man durch ein irdisches Abbild den Vorgang am
Himmel zu beeinflussen strebt. Man glaubt den Regen zu fördern,
wenn man den Rauschtrank durch ein Sieb träufeln lässt oder hofft
durch die Entzündung eines Feuers auf der Erde den Aufgang des
grossen himmlischen Feuers zu erleichtern (vgl. Oldenberg a. a. 0.
passini).
Für die Annahme, dass somit der Grundgedanke des Opfers im
Seelenglanben, nicht in der Verehrung der Naturgewalten wurzelt,
dürfte auch die folgende Erwägung von Wichtigkeit sein.
Wo in historischer Zeit bei Indern, Griechen oder Römern
Opfer an die Unsterblichen dargebracht werden, bedürfen sie des auf
dem Altar geschichteten Feuers, um durch dessen Vermittlung der
Gottheit zuzugehen. Von einer anderen, einfacheren und primitiveren
Opferungsart aber weiss Hcrodot I, 132 im Hinblick auf die Perser
zu berichten, die, wie u. Religion gezeigt ist, die ursprünglichen
Gottesvorstellungen der Indogermanen mit grosser Treue bewahrt haben:
6uoir| bi toTo*i TTcpffnöi rccpi xouq eipriutvouq Öcoüi; (Sonne, Mond, Erde,
Feuer, Wasser, Winde) if\bt KarccrrriKe. outc ßwpouq Troieuvrai oöte
TTÖp ävaKatOUOM p€XX0VT€£ 0U€lV. ou OTTOVbrj xPcovtg1» ouki «uXa», ou
7T€uuao*i, ouki ouXrjo"i. tujv bk ^KdtfTUj öueiv t9t\€i, ic, xwpov KaGapöv
d-raYibv tö KTfjvo^ KaXeei töv öeöv eo*T€<pavu>p^voq tov Tin,pnv pupaivn,
pdXiOxa. £uiutu> pfcv bn, tu» öüovti ibiv] poüvui ou o't ernveiai dpäo"6ai aYa8d,
ö b€ Ttäai total TT€po*r)0*i KaT€v3x€Tai €0 Tiveo*9ai Kai Tili ßaaiXei • iv fäp
bn, toiOi änam TTtpontfi Kai auTÖq riveTai (das kann, kulturhistorisch
gesprochen, nur heisseu: in primitiven Zuständen, in denen es Privat-
eigentum nicht, weder an fahrender, noch an liegender Habe, giebt,
hat es überhaupt keinen Sinn für sich allein zu bitten, man betet für
die Familie, die Sippe, den Stamm), diredv be biapio*TuXa<; KaTd p€pca
tö tptpov 4vpr)<JT] Ta Kpca (vgl. oben got. suupx , Opfer ), UTTOTraffa?
TToirjv üj? äTTaXu)TdTt|v, pdXurra bk tö TpupuXXov (vgl. aw. baresman-.
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800
Opfer.
scrt. barhis- ,Opfcrstrcu'), iix\ TaÜTn? £6nK€ uiv ndvia rd icpta. bia-
eevTO? bk. aÜTOÜ udyoq dvf)p Trap€(JTed>? ^Tracibci 8€OYOvinv, oinv br\
dKdvoi Xe'touai elvai thv £ n a o i b r| v. äveu fdp &n ud-rou ou <Jq>i vöp.o<;
ioxi Qvoiaq TTOt^ffBai. ^mcxxwv bk öXixov xpovov änocpcpcTai ö Öuöaq
Td Kpe'a, Kai xpäiai öxi mv ö Xöfos cdpe'ei. Dieser altpersisehe Opfer-
brauch kennt also die Verwendung des Feuers, um durch dasselbe die
Speise den Göttern zuzuführen, nicht. Das Fleisch wird auf einer
besonders hergerichteten Üpferstren, auf der auch die Gölter sich
niederlassen sollen (vgl. Ohlenberg a. a. 0. S. 344 f. und s. u. Hausrat),
niedergelegt, und der Gott durch eine Art von Beschwörung zum Ge-
nüsse desselben herbeigelockt. Dasselbe erzählt Herodot IV, 60 von
dem skythischen Opfer, und auch im Veda fehlt es nicht an Spuren,
welche zeigen, dass in dem Opferfeuer „die Neueruug einer fortge-
schritteneren sakrifikalen Technik" vorliegt (vgl. Ohlenberg a. a. 0.
S. 343 ff.), über deren älteste Einführung durch die Bhrgus (Oldcnbcrg
S. 123 ff.) noch weitverbreitete Mythen berichten. Endlich ist auch
bei den Germanen, deren Opfergebräuche wir freilich nur aus nor-
dischen und zwar späten Quellen kennen (vgl. Mogk Mythologie in
Pauls Grundriss III », 393 ff., Golther Germ. Mythologie S. 567 f.), das
Opferfeuer sichtlich unbekannt gewesen. Charakteristisch für sie ist,
wie bei den Persern das Ausbreiten der Opferspeise auf zartem Gras,
so hier das Aufhängen der Opfcrlcibcr oder ihrer Häupter (vgl. Tacitus
Ann. I, 61) au (heiligen) Bäumen. Vgl. auch des Arabers Ihn Dustah
(um 912 n. Chr.) Bericht über die heidnischen Russen bei Thomsen
Russ. Staat S. 27: „Der Weissager nimmt den Menschen oder das Tier,
legt ihm eine Schlinge um den Hals, hängt das Opfer an einem Baume
auf, wartet bis es ausatmet, und sagt dann, dies sei ein Opfer zu
Gott."
Wird demnach die Abwesenheit eines Opferfeuers, wenigstens in
dem Sinne einer Vermittlung zwischen Göttern und Menschen — Zauber-
feuer neben dem Opfer dürften früher gebrannt haben — , als charak-
teristisch für das älteste idg. Opfer anzusehn sein, so rückt damit die
Speisung der himmlischen Gewalten dem Totenopfer, ans dem, wie
wir glauben, die erstere abgeleitet ist, um eine Stufe näher; denn
auch das Totenopfer kennt das Opferfeuer nicht, die Speisen für die
Toten werden in der ältesten Zeit vielmehr in Gruben und Furchen
niedergelegt (vgl. A. Kaegi Die Neunzahl bei den Ostariern, Abhandl.
für H. Schwcizer-Sidler S. 57 30, Ohlenberg a. a. 0. S. 549, Rohde
Psyche8 S. 56 und s. u. A hncnkultus).
Der Mensch labt die Götter mit der Speise und dem Trank, den
er selbst geniesst, um sie für seine Zwecke willig und kräftig zu machen.
Ist dies richtig, so müssen sich ans den ältesten Opfern Schlüsse
auf die älteste Nahrung und aus der ältesten Nahrung Schlüsse
auf die ältesten Opfer ziehen lassen. Thatsächlich korrespondieren
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Opfer.
ROI
beide Begriffe durchaus. U. N a Ii r u u g ist gezeigt worden, dass die
Speisen der idg. Völker von Anfang an eine Mischung vegetabilischer
und animalischer Kost aufweisen, dass aber in je frühere Zeit man
zurückgeht, entsprechend dem alsdann stärkeren Hervortreten der
Viehzucht vor dem Ackerbau, ein Überwiegen fleischlicher Nahrung
und animalischer Produkte sich geltend macht. Dasselbe ist bei den
Opfern der Fall. Allerdings hat sich schon bei den Griechen (vgl.
zuerst Plato Leg. VI p. 782 C) eine Theorie herausgebildet, nach welcher
die Erstlinge des Feldes die Ältesten Opfer überhaupt gewesen wären,
und neuere Forscher (vgl. z. B. K. F. Hermann Lehrb. d. gottcsdienstl.
A. d. Griechen5 S. 141) haben hinzugefügt, dass dies rauf das innigste
mit der kindlichen Einfachheit zusammenhänge, welche nichts zu ge-
messen wagte, ohne durch gebührende Abgaben dem Neide der Gott-
heit zuvorgekommen zu sein". Allein diese idyllischen Anschauungen
finden keinen Anhalt an den wirklichen Verhältnissen. Gerade bei den
in ihrer Kulturentwicklung am meisten zurückgebliebenen der idg.
Stämme, da, wo der Ackerbau (s.d.) noch weit hinter der Viehzucht
zurücktritt, werden von den Gewährsmännern nur blutige Opfer ge-
nannt. Die Nachrichten über Perser und Skythen s. o. Auch hei den
Germanen erwähnt Tacitus Germ. (Jap. 9 nur concesm (constteta?)
animalia. Weitere Nachrichten Uber altgermanische Pferde-, Kinder-,
Schweine-, Ziegenopfer vgl. bei Golthcr a. a. O. S. 566 f. Das erste
Opfer aus Backwerk nenni der Indiculus superstitiouuin, charakte-
ristischer Weise sind es simulacra (d. h. doch wohl Tierbilder) de con-
sparsa farina. Ebenso kennen die ältesten Gewährsmänner bei den
Slaven nur Tieropfer. Vgl. Prokop B. G. III, 14: Geöv uev t«P t'va
töv xf\<; äOTpaitf\q bn.uioup-fdv t Pcrunü) äTtavTiuv Kupiov uövov carröv
vouiEouffiv tivai, kcx\ Öuoutfi auTil» ßöaq T€ kcu tepeia cmavTa und Hel-
moldi Ohron. Slav. I, 52: Conveniuntqtte viri et initiiere* cum par-
rnlis, mactantque diis suis host Um de bobus et ombux. Wenn man
nun auch gesagt hat, dass die mehr in die Augen fallende Erscheinung
der blutigen Opfer, die oft in sehr grosser, einen Schluss auf den Vieh-
reichtum der Indogcrinancn gestattenden Anzahl dargebracht werden
(vgl. (;atäm gari/am, äcryam im Vcda, die eKcrröußri bei den Griechen,
das grosse dänische auf die heilige Zahl 99 abgerundete Opfer bei
Dietmar von Merseburg I, 9 u. s. w.) weniger als die im Stillen sich
vollziehende Darbringung von Früchten und dergl. der Aufmerksam-
keit fremder Berichterstatter entgehen konnte, so würde man doch
das völlige Schweigen der ältesten Nachrichten über vegetabilische
Opfergaben nicht verstehen können, wenn man annehmen wollte, die-
selben hätten von Haus aus neben dem Tieropfer eine nennenswerte
Rolle gespielt, wie dies bei Griechen und Römern entsprechend ihrer
vorgerückteren agrarischen Stellung der Fall war. Auch bei den Indern
sind gekochte und gebackene Opferspeisen aus Gerste und Reis nicht
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602
Opfer.
selten, doch „tritt auch hier dabei unverkennbar hervor, das» den von
der Kuh kommenden Produkten ein höheres Gewicht der Heiligkeit
und mystischen Bedeutung beigelegt wurde als den Erzeugnissen des
Ackerbaus" (Ohlenberg a. a. (). S. 3f>4). Nimmt man endlich das
Bestehen offenbar uralter Bezeichnungen gerade für den Begriff des
Opfertieres wie lat. victima oder das gemeingermauische ahd. z&bar
(s. o.) hinzu und bedenkt man die u. Körperteile erörterte Thatsachc,
dass die schon in der Urzeit sehr sorgfältige Unterscheidung der ein-
zelnen inneren und äusseren Teile des menschlichen Leibes nur an dem
tierischen Leibe durch Schlachtung und Opferung gewonnen worden
sein kann, so wird man das Verhältnis animalischer und vegetabilischer
Opfergaben nicht anders auffassen können, als es oben geschehen ist.
Geopfert und gegessen oder gegessen und geopfert wurde, und zwar
in der ältesten Zeit ohne die Würze des Salzes (s.d.), das Fleisch
der Haustiere, Rind, Schaf, Ziege, in Europa auch das Schwein. Pferde-
opfer und Gennss des Pferdefleisches bedürfen einer besonderen Er-
örterung (s. darüber u. Pferd). Ausgeschlossen von den regelmässigen
Opfern, weil nicht zur regelmässigen Nahrung dienend, waren ur-
sprünglich das Geflügel, das Wildbret und die Fische (s. u. Viehzucht,
Jagd und Fisch, Fischfang).
Oer Trank, mit dein die Unsterblichen gelabt wurden (vgl. auch die
beiden gräco-italischen Gleichungen OTxivbw-spondeo und \t\$w-libare).
war ohuc Zweifel der Met (s.u. Honig), an dem sich die Götter be-
rauschten wie die armen Sterblichen, die dadurch für Augenblicke
göttlicher Unsterblichkeit teilhaftig wurden (vgl. gricch. d|ißpoo*ia ,Speise
der Götter' — sert. amfta- , Unsterblichkeitstrank'). In arischer Zeit
ist an seine Stelle als Opfertrank der Saft der Somapflanze getreten,
der aber im Veda noch lange als mddhu- ,Mct' bezeichnet wird. Im
Süden Europas ist der natürliche Nachfolger des Metes auch beim
Opfer der Wein; doch kennt griechische Überlieferung noch einen
metberauschten Vater Kronos, und auch sonst wird im Kultus der Wein
zuweilen ^Xi , Honig' genannt (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen0 S. 152,
J. Wackcraagel a. a. 0. S. 10). Auch altitalische Kultussatzungcn
schlicsseu noch vielfach den Gebrauch des Weines aus (vgl. Helbig
Die Italiker in der Poebne S. 71). An seiner Statt wird Milch ge-
nannt. Vielleicht ist der Argwohn gestattet, dass diese Milch einen
Zusatz von Honigmet enthielt, ganz wie in Indien der Sorna als Bei-
mischung zur Milch häutig vorkommt (vgl. Ohlenberg a. a. 0. S. 366).
Die Germanen libierten mit Bier. So erfuhr der heilige Oolumbanus,
als er sich bei den Snevcn aufhielt: Eos sacri/icium profanum Ware
celle, vasque magnttm, quod ruhjo cupam coCant, quod viginti et
sex modios am plins minusre eapiebat, cerevisia plenum in medio
habehant positum. ad quod vir dei accessit et sciscitatur, quid de
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Opfer.
Mo fieri vellent? Uli ajunt : deo huo Wodano, quem .Vercurium
vocant alii, se relle litare (vgl. Grimm L). Mythologie I3 S. 49).
In die bisherige Erörterung ist eine Form des Opfers nicht hinein-
gezogen worden, das mit finsteren Zügen aus der Urgeschichte Europas
hervorschaut, und über dessen Ursprünge und Geschichte die Ansichten
der Forscher noch vielfach auseinander gehen, das Menschenopfer.
Die Nachrichten Uber dasselbe sind bekannt. Vgl. für Griechen und
Körner E. v. Lasaulx Die Sühnopfer, Würzburg 1841, für Kelten, Ger-
manen, Slaven, Litauer J. Grimm Deutsche Mythologie I3, S. 38,
V. Hehn Kulturpflanzen6 S. f>19ff., Golthcr Germanische Mythologie
8. frfil, Möllenhoff Deutsche A.-K. IV, 214 ff., für die Inder A. Weber
Indische Streifen S. 54—89 dazu Gidenberg a. a. 0. S. 363). Schwieriger
ist ihre Eingliederung in den allgemeinen Opferbrauch.
Wenn opfern ursprünglich heisst, die Götter mit irdischer Speise
laben, so erhellt, dass es nur die logische Konsequenz dieses Satzes
ist, wenn man annimmt, dass einstmals auch hei den Völkern unseres
Stammes Menschenfleisch zur Nahrung gedient habe. Thatsächlich hat
sich F. A. Wolf in seinem Aufsatz über den Ursprung der Opfer
(Misccllanea Halae 1802) nicht gescheut, diesen Schluss zu ziehen.
Wir glauben, mit Recht. Freilich lässt sich, soweit wir in die Ge-
schichte der idg. Völker hinein zu blicken vermögen, ausser in Sagen
und Mythen nichts von einem solchen kannibalischen Brauch entdecken.
Doch muss man sich erinnern, dass vor dem was wir idg. Urzeit
nennen, eine unendliche Vorgeschichte liegt, aus der später nicht mehr
oder nur halb verstandene Gewohnheiten stammen können. Nun ist
es keineswegs unwahrscheinlich, dass auch in unserem Erdteil die Sitte
der Menschenfresserei einstmals in weitem Umfang verbreitet gewescu
ist. Die Prähistorie hat wiederholt darauf hingewiesen, dass nman
im Inhalt der Höhlen der Quaternärzeit Menschenknochen findet, welche
in absichtlicher Weise geöffnet erscheinen, so dass man wohl schliessen
könne, sie seien zu dem Zwecke zerbrochen worden, um das Mark zu
Nahrungszwecken zu erlangen. Eine grosse Anzahl Entdeckungen sind
nach dieser Richtung hin in der letzten Zeit gemacht worden, man
hat die deutlichsten Beweise künstlicher Öffnung von Markknochen,
die Schnitte der Feuersteingeräte an denselben finden wollen und sich
immer mehr der Ansicht zugeneigt, dass man es mit Überresten prä-
historischer Kannibalenmahlzeiten in solchen Fällen zu thun hat" (vgl.
R. Andrce Die Anthropophagie Leipzig 1887 S. 2). Nicht minder
wichtig ist, dass die antiken Schriftsteller bei Völkern im äussersten
Osten und Norden unseres Erdteils, bei Stämmen am Pontus (nach
Aristoteles!, bei Issedonen und Massageten (nach Herodot i. bei irischen
und britannischen Völkern nach Strabo und Diodorns) kannibalische
Bräuche kennen (vgl. die Belege bei Andrce a. a. O. S. 12flY). So
möchte es zum miudesten nicht ausgeschlossen erscheinen, dass auch
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«04
Opfer.
das hei idg. Völkern bezeugte Menschenopfer an vorindogermanischen
Kannibalismus anzuknüpfen sei. Die relativ hohe (neolithisebe) Kultur, zu
der die Indogcrmanen schon vor ihrer Trennung gelangten, mochte
sie auf den Gennas des Menschenfleisches verzichten lassen, während
die Menschenopfer selbst bestehen blieben. Es mochte nach und nach
eine Umdeutung des Opfergedankens stattfinden, in dem Sinuc,
dass man in den Darbietungen des Opfers mehr und mehr nur das
beste erschaute, was man den Göttern geben konnte, und das allerbeste
war der Mensch (vgl. Prokop B. G. II, 15: twv bk tepeuuv aqrifft tö
KäXXiCfTov ävöpumö? £o"tiv, övttcp av bopiäXwrov 7Toin,o"atvT0 TrpduTov.
toötov föp tui "Apei öuoutft, £tt£\ 8eöv auidv vouUüouo"! ueytCTOv civai).
Eine solche Entwicklung scheint uns nicht unmöglich Und jedenfalls
wahrscheinlicher als die neuerdings aufgestellte Ansieht (vgl. 0. Gruppe
Jahresb. über die Mythologie aus den Jahren 1891 und 1892 im J.
über die Fortschritte der klassischen Altcrtumsw. Band 85 S. 10),
nach welcher die Menschenopfer in Europa erst in verhältnismässig
später Zeit vom Orient her eingeführt worden seien.
Überblickt man die im alten Europa bezeugten Menschenopfer, so steht
im Norden die Niedermctzlung der gefangenen Kriegsfeinde
vor den Altaren der Götter im Vordergründe, wovon das Schlachtfeld des
Teutoburger Waldes nach der Beschreibung des Tacitus (Ann. I, Gl)
ein schaudererregendes Beispiel bietet. Es wird sich in solchen Fällen
um die Vollstreckung eines vorher eingegangenen Gelübdes, um ein
Bittopfer „mit verschobenem Zeitpunkt" (Ohlenberg S. 306) handeln, wie
es hei Kelten nnd Germanen bezeugt ist. Vgl. Caesar De bell. gall.
VI, 17: Huic (Marti), cum proelio dimicare constituerunt, ea, quae
hello ceperint, plerumque devovent; cum superaverunt, animalia
capta (alles gefangene lebende) immolant reliqumque reu in unum
locum conferunt. multis in civitatibux harum rerum e.rstructos tu-
mulox locis conxecrati* conspicari licet (vgl. dazu S. Müller Nordische
Altertumskunde II, 145) und Tac. Ann. XIII, 57: Sed bellum Her-
mundurix prosperttm, Chattix e.vitiosius fuit, quin victorex dirersam
aciem Marti ac Mercurio xaeravere, quo roto equi, ririt cuneta
victa oeeixioni dantur. Jedenfalls wird geweihte oder nicht geweihte
Vernichtung der gefangenen Feinde für idg. Brauch zu gelten haben,
von dem die spätere Fortführung der Gefangenen in die Knechtschaft
(s. u. Stände) erst eine Milderung darstellt. In einen anderen Zu-
sammenhang gehört es, wenn Menschen, Weiber, Beischläferinnen,
Diener, Gefangene am Grabe oder Scheiterhaufen eines Toten hinge-
schlachtet werden, zweifellos um ihm im Jenseits zu dienen oder Freude
zu bereiten. Doch scheint dieser Brauch (s. u. Bestattung und
u. Witwe) in Europa nicht zu dein ältesten zu gehören, und jedenfalls
lässt sich aus ihm nicht mit Wackernagel a. a. 0. S. 14 die Entstehung
des uordenropäischen Menschenopfers überhaupt ableiten.
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Opfer.
605
Dem Siegesopfer zur Seite steht das S ü h n e opfer, „die Hingabe
eines Menschenlebens für verwirkte oder gefährdete andre Meuschen-
lebenu. Es ist das gewöhnliche in den von Lasaulx gesammelten
Nachrichten des klassischen Altertums. Es liegt aber auch vor, wenn
Caesar De bell. gall. VI, lü von den Galliern berichtet: Qui sunt
a/fecti grarioribus morbus quique in proeliü periculisque versantur,
aut pro cictimis homines immolant aut se immolaturos rovent . . . .
quod, pro vita hominis nid hominis vita reddatur, non posse de-
orum immortalium numen placari arbitrantur, oder wenn
die Germanen ihre eigenen Könige in Jahren des Misswachses opfern.
Als eine Abart des Sühnopfers wird man auch das Straf opfer be-
trachten dürfen, bei dem ein rechtskräftig verurteilter Verbrecher der
Gottheit dargebracht wird (s. darüber u. Strafe). Endlich sei das
Bauopfer genannt, das auf der Vorstellung beruht, ein Neubau weide
nur dann von Dauer sein, wenn ein Menschenleben gefallen ist (vgl.
Liebrecht zur Volkskunde S. 284 ff. Die vergrabenen Menschen, dazu
Germ. XXXV, 211). Ob diese Vorstellungsreihen freilieh sämtlich
schon in die idg. Urzeit znrückgehn, soll nicht entschieden werden.
Die zweite Haupt Ii and hing, durch welche der Mensch in Be-
ziehung zu den Göttern tritt, ist das Gebet. Dass dieses iu engster
Beziehung zu dem Opfer steht, geht schon aus dem oben besprochenen,
höchst altertümlichen, in seinen Grundzügen vielleicht schon indoger-
manischen altpersischen Opferritus hervor. Man ruft (kciXcT) den Gott
und der assistierende Magier singt eine Theogonie, die als ^Traoibn.
, Beschwörung' bezeichnet wird. Auch die Terminologie des Gebetes
weist auf ursprüngliche Verknüpfung mit dem Opfer hin. So entspricht
grieeh. eüxoucu (€Üxr|, €Üxo$, €utm«, Trpooeuxn) dem lat. voveo ,gelobc'
und wird ursprünglich dasjenige Gebet bezeichnet haben, das im Falle
der Erfüllung ein Opfer in Aussicht stellt. Auch in gricch. Xnr|, Xicr-
öouai lat. *iitd, Ware wechseln die Bedeutungen ,Gcbet' und ,Opfcr'
(Int er Jitare' et ,sacri/icare' hoc interest: saeri/icare est hostias immo-
lare, litare vero 2><)st immolationem hostiarum impetrare quod pos-
tut es, Lactant. ad. Stat. Thcb. X, GlU). Im übrigen bestehen zahl-
reiche urverwandte Sprachreihen für den Begriff des Bittens, ohne
dass es möglich wäre, bei ihnen zu sagen, wo der weltliche Siun
aufhört und der geistliche beginnt. Doch ist es in jedem Fall lehr-
reich zu beobachten, wie früh die Bitte im Gegensatz zum Dank (s. o.)
sprachlichen Ausdruck fand. Vgl. in dieser Beziehung die Sprach-
reihen: lat. preces (precatio, comprecatio), precari ,Gebet\ , beten'
von einer idg. Wurzel prek, prk, die ebensowohl ,fragcn' wie »bitten'
bezeichnet haben inuss (sert. prchdti ,frägt, verlangt, bittet', ahd. fer-
gön , bitten', f rügen , fragen', altsl. prosit i »fordern, bitten'); got. bida,
ahd. beta , Bitte', ,Gebet', got. bidjan , bitten" : grieeh. 7T€i8uj .durch
Bitten überreden'; got. aihtrdn ,bitten, betteln, beten' : grieeh. *nc in
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Opfer - Orakel.
iKEtfia ,Gebct', TTpotoaouai ,bitte' n. a. Aus den Einzelsprachen
sind von Benennungen des Gebetes noch wichtig: griech. dpa, neben
,Gebet' auch ,Fluch', dpdojiai ,beten, fluchen', äpnrrip , Beter' (: sert. dr,
d'ryati , preist'?), lat. carmen, eigentl. »Zauberspruch' (s. u. Dicht-
kunst^, indigetare .beten' (': aio ,sage', eigentl. ,anrufen), got. inreitan,
eigcntl. »ansehen' (: lat. video; vgl. Tac. Genn. Cap. 10: precari deost
coelumque auapicere), altn. Irin, agls. ben ,Gebet', btna ,supplex",
bensian ,supplicare' (: griech. <pujvr|, q>t]\x'i, altsl. bajq, bajati .fabulari,
incantare, mederi' u. s. w. mit der überwiegenden Bedeutung von
Zaubersprüche hersagen ), slavisch, altsl. moliti, mollba, inolUva ,beten',
,Gcbet\ nsl. modliti se ,beten* u. s. w., altpr. maddla , Gehet' mit noch
unbekannter Grundbedeutung. Näheres über das idg. Gebet zu er-
mitteln, ob es mehr als ein Zauber- und Opferspruch war, ob es auch
unabhängig vom Ritus vorkam u. s. w., muss zukünftiger Forschung
vorbehalten bleiben (vgl. Lasanlx Über die Gebete der Griechen und
Römer, Würzburg 1842, 0. Gruppe Kulte und Mythen I, 5G2 ff., Ohlen-
berg Die Religion des Vcda S. 430 ff., J. Grimm D. Myth. I3, 2(> ff.). -
S. u. Religion.
Opferfeuer, s. Opfer.
Opferspeise, Opfertrank, Opfertiere, s. Opfer.
Opferstätte, s. Tempel.
Opium, s. Mohn.
Orakel. Neben dem Losorake 1 (s. u. Los) steht im alten Europa,
auf gleiche oder noch grössere Bedeutung Anspruch erhebend, die
Wahrsagung aus Vogelzcichcn. Ihre Benennungen haben vielfach
dazu gedient, auch andere Orakelarten a potiori zu bezeichnen. So
wird das lat. auspex (*avi-*pex, eigentl. , Vogelspäher', lat. -spex =
sert. spaq-), auspkium gebraucht, und auch lat. augur, angurium »Weis-
sager', Weissagung' wird in seiner ersten Silbe sicherlich mit avis
, Vogel* zusammenhängen, während die zweite (sert. grnd'ti, lit. giriü
,prei8t, preise', altsl. £lrq , opfere ?) noch nicht sicher erklärt ist. Die-
selbe Bedeutungsentwicklung findet bei griech. oiwvöq und öpviq , Vogel,
Vogclzcichen', dann »Zeichen überhaupt' statt (vgl. dazu K. F. Hermaun
Gottesdicnstl. Altert.2 S. 23ti, 3). Vielleicht bedeutet griech. oiuuvö<;
, Vogel' aus *ÖFiöujvo? : lat. ömen, osmen aus *orismen , Vorzeichen',
griech. oio^mi aus *6Fio"iO|nai ,ahnc, glaube , sert. dpix-, aw. dvix- offen-
bar' (idg. *oris- : *6vis-) selbst soviel wie ,den offenbar machenden'
(lat. ömen »Offenbarung', griech. otogen ,für Offenbarung halten",
,glauben'). Andere möchten oioucu direkt von oiwvöq ableiten, indem
sie an Fälle wie nhd. „es schwant mir", ahd. fogalön ,auspicari' u. a.
erinnern. Ganz wie oiuuvöq wird auch sert. qäkuna- ,Vogel\ dann
,oinen' (qdkuna- ,dic Wissensehaft, den Vogelfing zn deuten') gebraucht
(vgl. E. Hultzseh l'rolcgomena zu Vasautaräja eakuna nebst Textprobcu
Leipzig 1870;.
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Orakel.
607
Ein Eingehen auf die bei Griechen und Römern von Homer ab be-
legte Bedeutung de« Vogelorakels ist nicht nötig. Für das germanische
Altertum bezeugt sie die Stelle der Germania Cap. 10: Et illud qui-
dem etiam hic notum, avium voces volatuaque interrogare. Der indi-
culns superstitionum XIII handelte de auguriis vel avium vel equorum.
In sprachlicher Hinsicht zu beachten ist ahd. fogalrarta, fogilrartöd
,auspicinm, augurinm' : got. razda ,Stinimc, ebenso agls. fugelhwdte
(vgl. Golther Germ. Myth. S. 638), ferner agls. hUohor ,Orakei', hle-
ohorstete ,Orakelplatz', hUoborcwide ,Orakclspruch' : agls. hleodor ,Ton,
Stimme', sc. der Vögel (doch vgl. Kögel Geschichte d. deutschen Litt.
I, 1, 29). Bemerkenswert ist auch im Slavischcu das Verhältnis von
altsl. kobl .augurium* : cech. koba ,Rabe', nsl. kobec ,Geier', serb.
kobac ,Sperber' (vgl. Miklosich Et. W. S. 122).
Im Gegensatz zu dem Baumlos lässt sich die Wahrsagung aus
Flug und Stimme der Vögel bis nach Indien und zwar bis in
die älteste Überlieferung verfolgen. Vgl. Rgv. II, 42: „Schreie, o
Vogel, rechtsher vom Hause, indem Du Glück bringst und Segen ver-
kündestu, Rgv. II, 43: „Von rechts her singen die Preissänger, die
Vögel, welche der Ordnung gemäss sprechen", dazu (nach Oldenbcrg
Die Religion des Veda S. 511) Hiranyakecin G. I, 17, 1. 3: „Fliege
um das Dorf von der Linken zur Rechten und verkünde uns Glück,
o Eule". Der ausgesprochene Unglücksvogel ist die Taube (kapö'ta-),
der Bote der Nirjti und des Yama, des Genius des Verderbens und
des Totengottes. Vgl. Rgv. X, 165, 1: „0 Götter, was die eilige
Taube, der Nirrti Bote, suchend hierherkam, dafür wollen wir singen
und Entstthuung machen: Heil sei unserem Zweifüssigen, Heil dem
Vierfüssigen". 2. „Huldvoll sei uns die eilige Taube, ohne Unheil,
ihr Götter, der Vogel im Haus". 3. „Nicht möge uns hier, Götter,
die Taube verletzen" u. s. w. (vgl. Sprachvergleichung und Urge-
schichte* S. 368 und s. u. Taube). Über die Bedeutung von Rechts
und links bei der Beurteilung der Stimmen und des Flugs der Vögel s. d.
Fragt man nach dein eigentlichen Sinn, der diesen Vogelorakeln zu
Grunde liegt, so wird derselbe in dem gleichen, im Grunde äusserst
einfachen Gedankenkreis zu suchen sein, aus dem heraus sich auch
der Glaube an andere Vor/eichen erklärt. Man macht die Wahr-
scheinlichkeit oder Unwahrschcinlichkcit des Eintritts eines Ereignisses
abhängig von dem Eintritt eines anderen, der Willensbestimmung des
Menschen entzogenen Ereignisses, mag dasselbe nun der „Angang"
eines Vierfüsslcrs oder eines Vogels, das Leuchten eines Blitzes, das
Rollen des Donners, ein plötzliches Niesen (griech. Trräpvunai = lat.
sternuo), die Uberraschende Wahrnehmung einer tierischen oder mensch-
lichen Stimme u. s. w. sein. Was im besonderen die Vögel anbetrifft, so
kommt noch hinzu, dass dieselben frühzeitig in bestimmte Beziehungen
zu gewissen Gottheiten gebracht, Eule und Geier als Boten des Yama,
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6QS
Orakel.
der Adler als Vogel des Zeus, der Rabe als der des Odin u. s. w.
aufgefaßt wurden, woher sie denn besonders geeignet ersehienen, an
dem höheren Wissen der Götter und Geister teil zu nehmen. Endlieh
ist auch noch auf die Bedeutung gewisser Vögel als Verkündiget des
Witterungswechsels und der Jahreszeiten (s. d.) hinzuweisen.
Kinen ganz andern Weg, den Ursprung des Vogelorakels und des
Zeieheuorakels Uberhaupt zu erklären, hat freilich neuerdings R. v.
Ihering Vorgeschichte der Indocuropäer S. 4'M ff. eingeschlagen. Er
sucht denselben nicht in religiösen oder abergläubischen, sondern
lediglich in praktischen Gründen. So gehe das Vogelorakel {signa e.r
aribtts) von der Beobachtung der Zugvögel aus, die den auf der
Wanderung begriffenen Indogermancn die Gebirgspässe, die Läufe
der Flüsse, die zur Rast einladenden Inseln des Meeres angezeigt
hätten. Entsprechend erkläre sich die Eingeweideschau (signa er e.rth)
aus einer mit Tieren einer unbekannten Gegend vorgenommenen Prüfung,
ob ihre Eingeweide gesund, das Futter dieses Landes also zuträglich
sei. Ähnliches hätte das Fresseulassen der Hühner (tripudia) bedeutet.
Das Herrare de caelo sei von dem Feldherrn des wandernden Heeres
vorgenommen worden, um die Witterungsaussichten für den folgeuden
Tagesmarsch zu bestimmen. Die pedestria auxpicia, von denen Paulus
Diaconus spricht (Fest. ed. 0. M. p. 244 pedestria : a vulpe, lupo, ser-
pente, equo, ceterisque animantibus quadrupedibus fiunt), seien Marseh-
und Warnnngszeichen gewesen, die die waudernden Iudogerinauen
beim Anblick der genannten Tiere sich gegeben hätten. In eine Er-
örterung dieser nach der Methode vom „ausreichenden Grund" (Ihering
S. 446) aufgestellten Erklärungsversuche soll hier nicht eingetreten
weiden. Nur was das Vogclorakel anlaugt, soll bemerkt werden, dass
die ältesten und häutigsten Orakelvögel gerade keine Zugvögel sind,
eine Thatsacbc, mit der sich Ihering S. 4f>4 nicht in befriedigender
Weise abzufinden vermag.
Auf andere neben Los- und Vogclorakel bestehende altertümliche
Arten der Wahrsagung soll hier nur in Kürze hingewiesen werden.
Über das Gottesurteil (s.d.) ist in einem besonderen Artikel ge-
sprochen worden, über das bei Iranicrn, Slaven und Germanen be-
zeugte Pferdeorakel vgl. V. Hehn Knlturpltanzen" S. 44, über das
Traumorakcl s. n. Traum, über das Weissagen ans dem Rauschen
der Bäume s. u. Tempel (Heilige Bäume). Frühzeitig wird auch
das Opfer (s. d.), sowohl das an die Verstorbenen (Totenorakcl ) wie
auch das an die Himmlischen, benutzt worden sein, um aus dem Blut
der geschlachteten Opfertiere, aus dem Brennen des Opferfeuers, aus
dein Aufsteigen und der Richtung seines Rauches, aus dem Verbrennen
der Fleischteile n. s. w. Zukünftiges zu ermitteln. Im Norden Europas
dienen iiier/u auch die Menschenopfer. Schon Strabo VII, p. 2\)A
erzählt, dass den Heeren der Cituberu weissharige Priesterinnen mpo-
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Orakel.
ydvT€iq le'pciai) gefolgt seien, die aus dem Hlut der über einem Kessel
geschichteten Kriegsgefangenen (vgl. altn. blaut , Opferblut' : got.
Maut* ,Los) die Zukunft geweissagt hätten. Nach Prokop Ii. G. II, 25
hätten die Franken in Ohcritalien die zurückgebliebenen Gotenweiber
und Kinder als Opfer in den Po geworfen, um so die Zukunft zu er-
fahren, wie denn Weissagung aus dem Strudel der Flüsse auch von
Plutarch Caesar Cap. XIX bei den Germanen bezeugt wird. Als Un-
glück verkündend werden überall auch die Missgebnrten von Mensch
und Tier, seit, vriikrta-, griech. T€pa?, lat. portetitum, monstnuu
(menschliche Missbildung), prodigium (Weebsclbalg ; vgl. M. Voigt Leges
Regine S. 576) angesebn worden sein, wie es schon in einem vedischen
Text (vgl. A. Weber Zwei vedisebe Texte über Omina und Portenta
Abb. d. Herl. Ak. d. W. 185K, phil.-hist. Abt. S. 323) heisst:
Auf wessen Haus ein Geier fliegt, oder auch eine Eni' zumal
Oder Taube sich niederlässt, oder Waldticre jeder Art,
Wenn ein Zugvieh fällt unterm Joch, bei Missgeburt von
Kind u n d W c i b
dieser Zeichen all als Gottheit Yama wird genannt.
Leute, die sich in besonderen) Masse darauf verstanden, aus derartigen
Zeichen die Zukunft zu enträtseln, also Seher, griech. m«vtk; cuai-
vouai ,rase' von der gehobenen Stimmung des Weissagenden), gemein-
germ. abd. wizago, agls. icitega, altn. vitki »Wahrsager' (weiteres vgl.
bei Golther Germ. «Mythologie S. 648; über lat. rätex und ir. f'äitJi
8. u. Dichter, Dichtkunst) wird es überall früh gegeben haben.
Auch bei den Litauern werden von Lasicius S. 56 sortüegi genannt
(qui lingua Ruthenka Burti vocantur). Sie rufen den Gott der Flüsse
und Quellen Potnmpux an und weissagen aus geschmolzenem Wachs,
das sie in Wasser giessen (man denke an unser Hlcigicssen in der
Xenjahrsnacht). Natürlich ist es, dass die allmählich aufkommenden
Priester (s. d.) und Priestcrkollegicn die immer mehr zur Technik
und Kunst gewordene Prophezei luing für sieh zu monopolisieren be-
strebt waren. Einen merkwürdigen Parnllclismus grice bischer und
germanischer Kulturentwieklung stellt es dabei dar, dass bei beiden
Völkern den sonst überall zurückstehenden Frauen Anteil an der
Weissagung gewährt wurde. Für die Hellenen sei hierfür ausser auf
die Gestalten einer Pythia und Kassandra auf die greisen Priesterinncn
von Dodona verwiesen, die TTeXeidbc? oder TrAeiai genannt wurden,
nach Strabo (vgl. K. F. Hermann a. a. O. S. 200), weil einstmals in
Dodona ein Vogelorakel mittelst der in eleu heiligen cpiyfoi nistenden
Tauben bestanden habe, für die Germanen ausser auf die oben ge-
nannten eimbrischen Seherinnen auf Caesar De bell. gall. I, 50: Cum
ex captieix quaereret C.f quam ob rem Ariodxtus proelio non decer-
taret, haue reperiebat causam, qitod apttd Germanos ea conmetudo
esset, ut matres familiae eorum xortibux et vatkinationibus decla-
Schrader. Re»Uexlkon. 39
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Orakel — Panther.
rarent, utrum proelinm cotnmitti ex usu esset necne und auf Taeitus
Genn. Cap. Inesse quin etiam sanctum aliquid et proeidum
{feminis, putant, nec auf consilia earum aspernantur auf res-
ponsa negleyunt; vidimus suh dito Yespasiano Yeledam, diu apud
plevosque numinis lovo habitam ; sed et olim Albntnami?) et com-
pluris alias renerati sunt, non adtdatione nec tamquam facerent
deas (weiteres vgl. bei Goltlier a. a. 0. S. (520 ff. . Merkwürdig ist,
dass die bekannteste dieser altgcrmanischcn Seherinnen (Veleda) wahr-
scheinlich einen keltischen Namen trügt (s. n. Dichtkunst, Dichter).
Ein idg. Ausdruck für alle im bisherigen geschilderten Wege, in
das Dunkel der Zukunft vorzudringen, dürfte in der Reihe: lit. saitas
jZeichendenterei', ahn. seibr .eine bestimmte Art von Zauber, auch
um die Zukunft zu erforschen', mkyinr. hat. nkymr. hüd .praestigiae',
altkorn. Intdol gl. magns = grieeh. oito? (ein ionisches Wort mit
Psilosis wie oGXoq — sert. surva-i .Geschick, bes. Unglück' anzuer-
kennen sein. Hedeutungsentwicklung: Zauberische Zeichendeuterei zur
Ermittlung des Geschicks — das auf diese Weise ermittelte Geschick
selbst (vgl. lat. sors, sorte.? 1. das Lostäfckhen, 2. das Schicksal).
Ein kelto-gernianisebcr Ausdruck für das glückliche Vorzeichen ist ir.
c4l aus *keilo- — agls. hdd, altn. heill aus *kailo- : got. haih .gesund,
heilsam' (vgl. ahd. heilisnn, agls. /uelsian .augurari).
Orange, s. Zitrone.
Ordale, s. Gottesurteil.
Osten, s. Himmelsgegenden.
Ostern, s. Zeitteilung (Feste).
Otter, s. Fischotter.
P.
Paederastie, s. Knaben liebe.
Palast, s. Steinbau.
Palme, s. Dattelpalme.
Panther. Schon Homer nennt eine Pantherart (TräpbctXiq), die
in Vorderasien heimisch gewesen sein muss; denn in Europa war das
Tier immer fremd. TTdv8rip begegnet zuerst bei Herodot IV, H»2 als
libysches Tier. Heide Wörter sind noch dunkel. Die einen denken
an indische Wörter, für trapbaXi«;, TröpbaXiq, Trdpboq (spät XeÖTrapboq)
an sert. pi-daku- , Natter, Schlange', , Panther' (letztere Bedeutung
freilich unbelegt; vgl. aber npers. palauy, afgh. prüng , Leopard'), für
ndvOrip an sert. punddrika- ,Tiger' ( L.) — der belegte und eigentliche
indische Name des Panthers und Leoparden, auch Tigers ist dvipin ;
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Panther — Panzer.
611
andere suchen Erklärungen im Semitischen (vgl", darüber Muss-Arnolt
Transaetions of tlie American Phil. Ass. XXIII, 08). Die Römer, die
den Panther schon hei den ersten Tierhetzen, die Überhaupt abgehalten
wurden (186 v. Chr.i, sahen, haben, ausser panthera, pantera, panther,
pardus, pardaliv. leopardu*. für Tiere dieser Gattung den Ausdruck
rarm .gefleckt'. Vgl. Uber den Panther im Altertum Keller Tiere des
kl. A. S. 140 ff.
Palaoolithisehe Epoche, s. Steinzeit.
Panzer, Bronzene Rüstungsstücke haben sich nach dem Norden
Europas aus dem Süden nur ganz ausnahmsweise verirrt (vgl. Linden-
schmit Altertümer I, III, 1; 1, 2, 3 u. I, XI, 1; 6, 7; über einzelne
Rüstungsteile aus dem Grabfeld v. Hallstatt vgl. v. Sacken S. 43 f.).
Öfter kommen dagegen Reste eiserner Kettenpanzer (s. u. Kette*
vor, die aus einheimischen keltischen Arbeitsstätten hervorgegangen
sind (s. u.).
Im Süden Europas ist bereits der homerische Held, wie auch
schon der mykenische Krieger (vgl. Schlicmann Mykenae S. Iö3). mit
Harnisch und Beinschienen bewaffnet. Die Benennungen dieser Schutz-
waffen erweisen sich aber als einzelsprachliche Bildungen (9wprjt
,Panzer' : sert. dhdraka- , Behälter', Kvr|uTb€<; , Beinschienen' : Kvr)ur)
jSchienbein ), wie denn überhaupt in der Terminologie dieser Begriffe
jede vorhistorische Gemeinschaft fehlt, über die römischen Ver-
hältnisse berichtet Varro De lingua lat. V, 24: Loricu, quod elorh
de corio crudo pectoralia faciebant; postea xubeidit Galliea e ferro
&ub id vocabulum, ew anuU» ferrea tunka. Demnach hätten die Römer
ursprünglich nur den ledernen Koller besessen und ihn später mit dem
gallischen Kettenpanzer vertauscht, während die Entlehnung von griech.
8wpalE {thorax) für den Plattenpanzer und KaidqppaKTo^ (cataphmctux)
für den Schnppenpanzer auf griechische Einflüsse deutet. Der letztere
scheint zuerst durch die Perser in Europa bekannt geworden zu sein,
die ihn schon auf ihren Zügen nach Griechenland trugen (vgl. Herod.
VII, 61; genieiniran. aw. zräda-, pehl. zirid, kurd. ziri u. s. w., vgl.
Horn Grundriss S. 146 f.). Lat. oereae , Beinschienen' wird mit lit.
aükle , Fussbinde' verglichen.
Was die Beziehungen der Römer zu den Galliern auf diesem Ge-
biete der Bewaffnung anbetrifft (s. auch u. Eisen, Sc h w e r t und
Spiess). so ist nur auffallend, dass die Kelten ihre eigene Benennung
des Panzers (ir. luirech, kymr. Uttryg) aus dem lat. lörica entlehnt
haben und sonst keine alten Namen für diese Schutzwaffe zu besitzen
scheinen. Doch weisen, wie die italischen, so auch die Verhältnisse
des nördlichen Europa auf das Gebiet der Kelten, von denen Diodorus
V, 30 berichtet : 0wpaica<; fxoufftv o'i u£v o*ibn,poü<; äXuo*ibu»TOu? [ Ketten-
panzer), und bei denen Tac. Ann. III, 43 ganz in Eisen gekleidete
Leute (cruppellarii) kennt, als auf einen wichtigen Ausgangspunkt
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012
Tänzer — Papagei.
eiserner Bepanzerung hin. Auf das keltische ir. bruinne , Brust' geht
das gcmeingerm. got. brunjö, alid. hrttnja. agls. byrne, altn. brynja
, Brünne' zurück, das weiter ins Slavische (altsl. brünja, bronja) ent-
lehnt wurde (vgl. auch alt frz. bronie, prov. bronha, mlat. brugna). In
ganz analoger Weise ist aus lat. pante.v , Wanst' die romanische Sippe:
sp. pancera, altfrz. panchire n. s. w., mhd. panzier hervorgegangen.
In letzter Instanz im Keltischen (ir. tarn , Eisen', kymr. haearn) wurzelt
endlich auch die romanische Familie von altfrz. harnatx, it. arnese etc.,
mhd. härnaschy altn. hardnexkja, während frz. cuirasse, it. corazza,
unser lilrnss : lat. corium .Leder' gehören. Einheimischen Ursprungs
ist dagegen das gemeingerm. ahd. hahperga, agls. heahbeorg, altn.
höhbjörg (fr/., haubert), einen eisernen offenen Halsring bezeichnend,
wie sie die La-Tene-Kultur kennt, und wie sie in Ungarn vgl. v.
Sacken S. 44) gefunden worden sind. Im übrigen ist der Panzer
im deutschen Altertum bis in die ersten Zeiten des Mittelalters hinein
selten gewesen (vgl. Tac. Germ. Cap. 6: paueix loricae und Beck
Geschichte des Eisens I, 724 ff.). Den Slaven aber wird noch von
Prokop B. G. III, 14 jede Bcpanzernng abgesprochen: „In die Schlacht
zieht die Menge zu Fuss mit kleinen Schilden und Wurfspiessen. durch-
aus ohne Panzer, einige selbst ohne Leibrock und Mantel, nur mit
einer Bruch um Hüften und Lenden".
Auch aus anderem Material als Metall und Leder gefertigte Panzer
sind in der Kriegsgeschichte Alt-Europas zu erwähnen. Zunächst der
L i n n e n panzer, über den V. Hehn Kulturpflanzen ,: S. 167 f. alles
Material gesammelt hat. Ferner im äussersten Osten, bei Sarmaten
und den germanischen Quaden der Horn panzer, d. h. hörnerne Schuppen
von Pferdehufen, aufgenäht auf lederne oder linnenc Unterkleider vgl.
Pausanias I, 21, ö und Ammianus Marcellinus XVII, 12, 2). W. K.
Sullivan bei 0* Curry Manners and Customs I, CCCCLXXV vermutet,
dass ir. conganchnes, ein Ausdruck für Bepanzerung, zu congan ,Horn'
gehöre und mit dieser Sitte zu verbinden sei. — S. n. Waffen.
Papagei. Die erste griechische Nachricht über diesen merk-
würdigen Vogel rührt von dem um 400 am persischen Hofe lebenden
Arzte Ktesias her: Kai rcepi toö öpveou toö ßinaKOu, ön fXwooav
äv6piumvr|v £x£l Kai <pu>vr)v, uereöoq yfcv öcrov ufpctE, Trop<pupeov bfc
npööaiTTOV, Kai 7Tu>Yujva <p€p€i ue'Xava, aÜTÖ bk. Kuäveöv £ötiv uiq töv
Tpdxu.Xov, üü0TT€p Kivvdßapi. bia\€TCO"6ai bk auto ujonep dvGpujTrov,
'lvbio"Ti. äv bfc 'EXXnvtoVt uäGrj, xai 'EXXn,vio*Tt (vgl. C. Müller Ctes. frgm.
Ö7, 3). Seit Alexander geschieht des Tieres dann häutig Erwähnung.
Die Formen, in denen sein Name auftritt, lauten ßiTTaKÖq, oirraKOS und
»varaKO«;.
Die Heimat des Papageis ist Indien, und schon die Vedcn kennen
ihn als redebegabten Vogel. Was wir also für das Griechische er-
warten dürfen, ist ein Lehnwort aus dem Indischen, wahrscheinlich in
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Papagei — Patenschaft.
Gl 3
iranischer Lantgcstalt. Nun lieisst der Papagei sert. (;üka-, persisch
/«/*, hind. töta, und es ist kulturgeschichtlich wahrscheinlich, dass mit
dieser Sippe die griechischen Wörter irgendwie zusammenhängen; doch
ist die lautgeschichtliche Vermittlung noch nicht gelungen. Ans lat.
pttittacus ist ahd. nhd. sittich entlehnt. — Auf einen anderen und
jüngeren Weg der Verbreitung des Vogels deutet altfr/.. papegai, nihd.
papegän, arab. babagä, armen, paphay (vgl. Hiibschmauu Z. d. D.
M. G. XLV1, 548), dessen Ausgangspunkt aber ebenfalls unbekannt ist.
Papier, s. Papyrus und .Schreiben und Lesen.
Pappel, s. Espe.
Papyrus. Die Papyrusstaude (J'apymx Cyperu* L.), die sich
gegenwärtig aus Ägypten zurückgezogen hat, war im Altertum eines
der für dieses Land charakteristischsten und zugleich nützlichsten Ge-
wächse. Ihre Wurzeln und der untere Teil ihres Schaftes diente als
Nahrung, aus der Rinde und den Halmen verfertigte man Segel,
Matten, Teppiche, Seile, Gewänder, Körbe, Sandalen, Mehlsiebe, Bote,
vor allem aber lieferte der Papyrus in seinen feinen Häuten den
Ägyptern seit dem III. Jahrtausend v. Chr. den Stoff zur Herstellung
ihres Schreibmaterials, das Papier (vgl. Woenig Die Pflanzen im alten
Ägypten S. 74 ff.). Es ist begreiflich, dass eine so bedeutende Pflanze
frühzeitig den umwohnenden Völkern und durch sie den Griechen und
Römern bekannt werden musste. In Griechenland kommen zwei
Namen des Papyrus, das ältere ßußXoq und das jüngere nctTrupo? vor.
Ersteres begegnet in der Adjcktivbildung ßüßXivo?, von einem Seile
gesagt, schon in der Odyssee (XXI, 391), ßüßXos (ßißXos) in der Be-
deutung , Buch' ist erst bei Aesehylos und Herodot bezeugt. Der zuerst
bei Hesiod begegnende Ausdruck ßißXtvo? olvo? ist noch nicht sicher
erklärt (vgl. darüber V. Hehn a. u. a. O. S. ;>53). TTdiTupo<; wird
erst von Theophrast an genannt. Beide Namen ermangeln noch einer
völlig überzeugenden Deutung. BußXo? identifiziert man mit einiger
Wahrscheinlichkeit dem Xamen der phönizischen Stadt BüßXoq (= hehr.
Gebal, assyr. Gublä), die dann als wichtiger Ausfuhrort des Papyrus
zu betrachten wäre, und Lagardc Mittl. II, 2G0 f. schlägt eine ähnliche
Deutung für TTÖirupo? vor, das mit dem Städtchen Bflra, einem Küsten-
orte des Bezirks von Damictte, zusammenhänget?).
In Europa findet sich die Papyrusstaude in freiem Zustand nur in
Sizilien (vgl. den piano del papireto bei Palermo), wohin sie aber
erst durch die Araber im IX. Jahrhundert eingeführt wurde. Über
die Geschichte des Papiers s. u. Seh reiben und Lesen, Uber eine
eigentümliche Verwendung des Papyrus für Bcleuchtungszwccke s. u.
Licht. Vgl. auch V. Hehn Kulturpflanzen« S. 301 ff.
Park (Tierpark), s. Jagd.
Pastinake, s. Garten, Gartenbau.
Patenschaft, s. Verwandten hei rat.
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Pntriarchentum der Idg. — PeJzkleider.
Patriarchentniii der Irtcr., s. Familie, Sippe. Stamm.
Pech, s. Fichte.
Peitsche. Ihre Terminologie zeigt keine Verwandtschaft. Aus
derselben wird griech. (hom.) nao-riE, udjTn; ,eine Gerte mit Peitsehcn-
rieiiien" gewöhnlieh zu mdq .Riemen', ijjdo'8Xn.J udaeXn. ,Geisel' gestellt.
Wahrscheinlicher ist imlesscn, dass griceh. udo*n£, naern? nichts als
eine kürzere Form von uao"Tixn ,Harz des Mastixbaumes' ist, ein Wort,
das, wie lat. lentiscus, ursprünglich Ha um und Harz bedeutet haben
wird. Oder vielleicht war ud<m<; der Baum (wofür später o*xivoO,
uaerrixn das Harz. Thatsäehlieh waren die Zweige des Mastixbaumes
wegen ihrer Biegsamkeit (vgl. lat. lentiscus : lenttts) im Altertum als
Reitgerten beliebt (vgl. V. Hehn KnlturphV S. 411). Griech. udparva
»Geisel' ist ein persisches Lehnwort (vgl. Hübschmann K. Z. XXXVI,
175 f.). Die lateinischen Ausdrücke (scutica, Jora, flagrum, flagelhtm etc.)
bieten nichts von Interesse. Gcmeingerm. gilt ahd. geisala, geisla,
altn. yeisl, dessen Grundbedeutung, worauf auch das urverwandte
Xaio^ ,Hirtcnstah* weist, ,Stccken, Stock' war, mit dem, wie in Indien
(vgl. seit. ashtrd ,Ochscnstachcr als pa^usödhani ,die Herden auf
den rechten Weg führend' bezeichnet), in Griechenland (vgl. griech.
KtvTpov) und Italien, auch im Norden das Vieh ursprünglich angetrieben
worden sein mag. Der gotische Ausdruck hierfür ist hnupfi ,o"kö\oi|/',
mit gairu .Stachel' glossiert (über die Etymologie vgl. A. Thumb K. Z.
XXXVI, WO f.). Besonders reich an Ausdrücken für Peitsche sind
die sl avischen Sprachen. Vgl. russ. pleti, unser „l'letteu (: altsl. pletq
, flechte'), bicü (woraus nhd. peitsche), Inutn, unser -Knute" (vielleicht
aus got. hntipö entlehnt), kamtulü (aus dem Türkischen). Lit. botügas
.Peitsche'. Über die Stratc des zu Tode Peitschens s. u. Strafe.
Pelzkleider. Da die Indogermanen in erster Linie ein vieh-
züchtendes Volk waren, und die Fanna des Urlands Cberfluss an pelz-
tragenden Tieren hatte (s. u. Viehzucht und Jagd), so ist es fast
selbstverständlich, dass dieselben die Felle der Herden- und Jagdtiere
für ihre Kleidung benutzten. Dies wird für die Nord Völker zudem
durch zahlreiche Zeugnisse der Alten bestätigt, für die Britannen durch
Caesar De bell. Gall. V, 14: (Inferiore*) pellibus sunt restiti, für die
Germanen durch denselben Autor VI, 21: Cuius rei (des Geschlechts-
Umgangs) nulla est occultafio, quod et promixeue in fluminibus
perluuntitr et pellibus mit parvis renonttm tegimentis utuntur magna
corporis parte nttda und IV, 1 : Atque in eam se consuetudinem
addujcerunt, ut locis f rigidissimi* neque testitus praeter pellis ha-
berent quiequam . . . ., ebenso wie durch Tacitns Germ. Cap. 17:
Gerunt et ferarum pell es } pro.rimi ripae negligenter, ulteriores ex-
quisitius ut quibus nullus per commercia cultus. eligunt feras et de-
tracta velamina spargunt macidis pellibusque beluarum. Weitere
Nachrichten über Geten, Thraker und Skythen vgl. bei Beckmann
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IVUkleider. 615
Beyträge V, 17 ff. und s. unten! Aber auch im Süden fehlt es nicht an
Ausläufern jener ältesten Pelztraeht. Hei Homer gebrauchen Aga-
memnon und Diomedes als Obergewand ein Löwenfell, Menelaos ein
Pardel-, Dolon ein Wolfstell, Enmaeos noch Uber der Chlaina eine
voKn, ctrröq u. a. (vgl. Studniezka Heiträge zur Gesch. d. altgrieeh.
Tracht S. VI f.). Auch kann bei den Griechen auf die fellumgürtete
Gestalt des Herakles, bei den Römern auf die patres pellitt [des
Proper/ 'Eleg. IV, 1, Ii») verwiesen werden. Niedere Bevölkerungs
schichten oder zurückgebliebene Stämme trugen auch in historischer
Zeit noch lange in Griechenland die ursprüngliche Felltracht fbicpttpa,
(Tiaüpa, (Jtcfupvov von ööq .Schwein ), wie man in Euböa und Phocis
Röcke aus Schweinshaut trug (vgl. J. Müller Privatalt.8 S. 72).
Unter diesen Umständen begreift es sich, warum mehrere Benen-
nungen des Gewandes oder von Gewandarten in den idg. Sprachen
aus Wörtern hervorgegangen sind, welche ursprünglich ,Fell oder dergl.
bedeuteten. Es sind : griech. vaicn., vrixoq .Vliess* KcmuvuKn, .ein Sklaven-
kleid') = got. xnaga ,Gewand'; griech. ßaini , Kleid aus Zicgenfcll' —
got. paida, ahd. pheit, ahs. pfda .Gewand', ,Xitwv', got. gapaidon
,£vbueiv'; altsl. koza , Ziege', koza *kog-ja ,Haut, Leder', eigentlich
,Ziegenfeir — gemeingerm. got. haktth u. s. w. .Mantel'; griech. ßupo*a
,Rindshaut' = ahd. ehursina, agls. er Anne. , Pelzrock' (woraus altsl.
Icrüzno, mlat. ermna, entsinn ; thrak. EaXud<; , Fell' in ZüXmoEn; (vgl.
V. Hehn KulturphV5 S. ö3<>, f>3 "-5 ) = griech. xXauü«; ,Oberkleid' 'dazu
xXcuvct aus *xXauict id.?).
Auch die Möglichkeit des Zusammenhangs von griech. Tie-irX-o-«; und
lat. pallium (*j)f-n-jo ) mit dem u. Körperteile genannten *pel-no-,
*pello-, lat. pellis ,FcIP wird man unter diesen Umständen nicht von
der Hand weisen können.
Doch waren schon in der idg. Urzeit, in der man sich bereits auf
die Künste des Spinnens und Webens (s. g. d. d.) verstand, Felle
nicht mehr die einzigen, wenn auch wohl die häufigsten Gewandstoffe.
S. auch u. Nadel und über die Behandlung der Felle u. Leder.
Im Süden Europas ist die aus der Urzeit ererbte Felltracht natur-
gemäss bald aus der Mode gekommen, und erst die historischen Be-
rührungen der Griechen und Römer mit den Harbaren des Nordens
lassen bei den klassischen Völkern den Gebrauch des Pelzwerks, jetzt
aber als eines Lnxusgegcnstands der Reichen, allmählich wieder
aufleben. Zahlreiche Namen hochnordischer Pelztiere und -kleider
werden nun im Süden bekannt.
Am frühsten wird hier der Handel des Schwarzen Meeres vermittelt
haben. Die Nachrichten, die schon Hcrodot an dessen Küsten über
den Nordosten unseres Erdteils sammelte, gehen über die sk vthischen
Steppenlandschaften weit hinaus in den litu-slavischen und finnischen
Norden, der von Bibern, Ottern, Eichhörnchen. Mardern u. s. w. wimmelte,
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Pelzkleider.
und wo seit uralten Zeiten Grauwerk das gewöhnliche Zahlungsmittel
im Handelsgeschäft (s. u. Geld) ist.
Als die frühste sprachliche Spur dieser hoehnordischen Beziehungen
darf man vielleicht das zuerst bei Aristophanes (Wespen 1137) auf-
tauchende Kauväioi (lat. gaunaatm) »eine barbarische Pclzart' betrachten,
das sich ungezwungen zu altpr. caune, lit. kuhtne, slav. kann, kunica
(wotj. koni, mlat. catina) ,Marder' stellt. Indessen ist das Wort zu
den Griechen vielleicht erst durch orientalische Vermittlung gekommen,
da die KtxuvdKn. vorwiegend als persisch-babylonisches Kleidungsstück
bezeichnet wird, llcbr. gönak (im babylonischen Talmud, vgl. Lagarde
Ges. Abb. S. 20(3) freilich dürfte kaum mehr als eine Entlehnung aus
dem Griechischen sein. Sicher tritt das nordpontischc Pelzwerk mit
der Erwähnung der „Politischen Mäuse" (uöeq TTovTiKoi, mures l'ontici,
zuerst bei Aristoteles) in die südliche Kultur ein, ohne dass sich dieser
Sammelname mit Sicherheit auf ein bestimmtes Tier beziehen Hesse.
S. auch u. R a 1 1 e. Unter diese mures Pontici wird auch der von
Hesych genannte o"iuwp zu rechnen sein (Tiapd ndp0oi<; KaXtiTai ti uuö?
dtpiou eibo?, oü rd? bopd^ xpwviai ttpo? xiTluva?)- Vgl. pcrs.-türk.
mniür, arab. saiumür (häufig bei Frähn I bu Fosslan als russischer
Ausfuhrartikel), ngrieeh. actpoüpi u. s. w.
Dem t h raki sehen Sprachkreis dürfte die zuerst von Ilerodot in
Beziehung auf dieses Volk genannte Zeipd ,Wildschur* (vgl. altsl. zcerl
,Wild") angehören, dem nicht lange vor ihm eröffneten oder wieder-
cröffneten Bcrnsteinhandel mit dem Ostbaltikum (s. u. Bernstein)
wird Pliuius das nur ihm bekannte cirerra «Eichhörnchen* (altpr.
temare, s. u. Eichhorn) verdanken. In die kcltisch-gerniauische
Welt führt die Erwähnung der renones (s. o. und bei Sallustius: Ger-
man* intectum renonibus corpus tegunt und Vestes de pellibus
renones tocantur) ,ein nordisches Pelzwams', von Varro als gal-
lisches Wort bezeichnet, aber etymologisch noch nicht sicher erklärt
(eine Vermutung vgl. in Sprach vergl. u. Urgesch.* S. 474), ebenso
wenig wie die mastruca, die in Sardinien heimisch zu sein scheint
(über beide Wörter s. L. Diefenbach 0. E.). In späterer Zeit ist der
gemeingerm. Name des Marders (s. u. Wiesel) ahd. mardar in das
Mittellatciiiische und Romanische (martns, tnartre) übergegangen.
Auch die Xamen für die kostbarsten Pelztiere des öussersten Xord-
ostens, den Hermelin und Zobel, treten nun in Europa hervor. Zur
Bezeichnung des ersteren bedient sich das Deutsche eines alten Namens
für das Wiesel harmo, mhd. hermelin, woraus mlat. harmellina, har-
meUmiH, ermelinus, die in den romanischen it. armeUino, prov. ermin,
frz. erme mit Bildungen aus einem lat. mu* armenim = mm pontku*
zusammengeflossen sind. Der gemeinsl. Name des Tieres ist russ.
gornostaj etc. (dunkel).
Für den Zobel gilt die Reihe russ. soboli, mlat. sabellum, mhd.
zobel, it. zibeUino u. s. w.
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Pelzklekler — Pfand.
617
Aus dem Germanischen stammt mlat. crusna, cruxina (s. o.) und
grixeum, grisium (: mhd. grix ,grau) ,Grauwerk', wie umgekehrt mlid.
belliz. nhd. pelz aus mlat. pelliceux. Eine roumnische Xeuschöpfung
ans lat. variux ,hunt' ist prov. t-fi/V* ,Grauwerk', vaimdor .Kürschner'
etc. — Vgl. Beckmanu Pelzkleidcr, Beyträge V, 1 — TG. — S. auch
u. Kleidung.
Perle. Mit dem Bekanntwerden des arabischen und indischen
Meeres tritt auch die Perle in den Gesichtskreis des Abendlandes. Sie
wird zuerst bei Theopbrast als uapYaptTn? (sc. \\Qo<;) genannt, ein
Wort, das man ans seit, maftjari ,Bltttcnkuöpfehen, Perle abzuleiten
sucht. Aus dem Griechischen stammt lat. margurita (Cic), das früh-
zeitig von den germanischen Sprachen übernommen wurde: got. mari-
kreitux, agls. meregreot, ahd. meri-grhz (in „Meergrie$su umgedeutet).
Viel später ist ahd. pi:rala aus einem vorauszusetzenden lat. *pirula
,kleinc Birne": denn mit Birnen hatte schon Plinius die Perlen, über
die er Hist. nat. IX, 110 ff. ausführlich handelt, nach ihrer Gestalt
verglichen (vgl. auch lat. t'tuio, eigeutl. .Zwiebel"). In ganz andere
Richtung weist die slavische Sippe von russ. zemvugft, lit. z'emcz'iügax.
In Indien selbst werden Perlen {Irqana-) als aus dem Meere getischt
(samudraja-) schon in vedischer Zeit zu allerhand Zierat verwendet.
Über perlen f ö r in i g e Schmuckgegenstände s. u. Sc h in u e k.
Ferlhulm. Es wird zuerst von Sophokles in seiner Tragödie
Meleagros (Plin. Hist. nat. XXXVII, 40) erwähnt. Seine Heimat ist
in Afrika zu suchen. Wie und wann es von dort zu den Griechen
gekommen ist, darüber sind nur Vermutungen gestattet (vgl. Hehn
Kulturpflanzen S. 351). Wahrscheinlich ist griech. ueXcarpic unter
volksctymologischer Anlehnung an deu griechischen Heros Meleagros,
aus aw. mereya-, npers. mury, afgh. marya .Vogel', besonders ,Huhu'
entstanden. Ist dies richtig, so würde man anzunehmen haben, dass
das Bekanntwerden des Perlhuhns von Westen und des Haushahns von
Osten (s. u. Hahn) bei den kleinasiatischen Griechen etwa gleichzeitig
erfolgte, so dass eine Übertragung des Xamens des noch neuen per-
sischen Vogels auf das mit ihm am nächsten verwandte Perlhuhn
möglich war. Die Körner haben, worauf die Namen Xumidicae acex,
Africae arex, gaüinae Africanae weisen, das schöne Tier direkt von
Afrika her erhalten. Nach Mittel- und Xordenropa scheint es im Mittel-
alter nicht übergegangen zu sein. — S. u. Viehzucht.
Perrückenhaum, s. Terebinthaceen.
Personennamen, s. Name.
Pest, s. Krankheit.
Petersilie, s. Garten, Gartenbau.
Pfad, s. Strasse.
Pfahlbauten, s. Haus.
Pfand, s. Bürge.
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Pfau - Pfeffer.
Pfau. Das Tier stammt aus Indien, wo es schon im Rigveda
(scrt. magti'ri .Pfauenweibehen', tamul. majil) genannt und wegen
seines seliönen Gefieders bewundert wird. Xach Curtius IX, 2 fand
noch Alexander daselbst Pfauen in wildem Zustand in grosser Menge
in einem Wald voll fremdartiger Bäume vor. Von Indien kam der
Vogel unter einer anderen indischen Benennung (hebr. tukkijim aus
scrt. rikhin-, alttanml. toghtti zu Israeliten und Phöniziern. Ob der
Pfau von ihnen oder durch iranische Vermittlung, worauf der Ausdruck
des Haidas Mnbncd? Öpvtq fuhren könnte, den Griechen zugeführt wurde,
lässt sich nicht entscheiden. Jedenfalls wird auch griceh. xauüq, att.
Touj? auf das genannte fauiul. toghai in letzter Instanz zurückgehn.
Xach Meuodotos von Sanios Athen. XIV, p. 65;")) wäre der Tempel
der Hera daselbst, welcher das Tier geweiht wurde, der Ausgangs-
punkt der Piaucnzneht gewesen. In Athen erscheinen sie als allgemein
angestaunte Xatnrwunder zuerst nach der Mitte des V. Jahrb. Vgl.
V. Hehn Kulturpflanzen ,: 8. 343 ff.
Dunkel ist das lat. -ptivo, ptivus, das kaum mit Tau»? irgendwie zu-
sammenhängt. Es kann lautlich urverwandt mit armen, hav ,Vogel,
Huhn' armen, siramarg ,Pfau', vgl. dazu Hübschmann Annen. Gr.
I, 237) sein; dann wäre pitvo als Benennung einer wilden Hühnerart
einheimisch in Italien und auf den Pfau, als er daselbst in frühen
Zeiten bekannt wurde, übertragen worden: doch trennt Hilbschmann
a. a. 0. I, 465 neuerdings armen, hav von lat. ptivo, um es zu lat.
avin , Vogel' zu stellen. Die nordeurop. Wörter ahd. phtheo, agls. ptitva,
pt?a (engl, peacock), altsl. pavit, altpr. powis, lit. pöwas zeigen sämtlich
Entlehnung aus lat. ptivo. Die germanischen Lantverhältnisse beweisen,
dass diese um das oder vor dem VI. Jahrhundert statt gehabt haben
muss. In dem Capit. Karls des Grossen De villis XL wird des Pfauen
neben anderen Ziervögeln (s. u. T aub e) schon gedacht, noch nicht,
wie es scheint, in den legibus barbarorum. — S. u. Viehzucht.
Pfeffer. Mper nigra m ist in Malabar heimisch. Xur die an-
gebaute Pflanze liefert Frucht: die reif gewordene Beere den weissen,
die unreife den schwarzen Pfeffer. Das Gewürz scheint im vedischen
Zeitalter noch nicht beachtet worden zu sein. Im Ramayana aber
werden die Speisen bereits mit Salz und pippala- (eigentl. , Beere ) zu-
bereitet.
In den semitischen Kulturkreis ist das Gewürz in älterer Zeit
nicht übergegangen. Erst im Aramäischen ( vgl. Low S. 317) begegnet
pilpel (aus sert. pippala- oder pippali'). In Griechenland taucht
der Pfeffer als „indisches Heilmittel" für Augenkrankheiten (ö tcaXeeiai
TTtTrept ) zuerst in der hippokrateischen Schrift De morbis inulierum und
als Ingredienz des npÖTToua bei den Dichtern der mittleren Komödie,
Antiphanes, Eubulos, Ophelion etc. (vgl. Athen. II, p. 66) auf. Theo-
phrast, der IX, 20 auch eine Schilderung der Pflanze versucht, kennt
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Pfeffer.
619
den Pfeffer als Gegenmittel gegen den Schierling. Das gricch. TTtTrept
(woraus lat. piper, Horaz) deutet mit seinem p gegenüber dem indischen
l ipippala- darauf hin. dass das Wort durch persische Vermittlung
zu den Hellenen kam. Den direkten Seeweg nach der Heimat des
Pfeffers schildert der Periplus maris erythräi, nach welchem derselbe
aus Baryga/a, und namentlich aus Bakare (an der Malabarküste) aus-
geführt wird: (pt'peiai bfe Trerrepi, uovofeviü? iv iv\ töttuj toütiuv tojv
eurcopiwv fevvwuevov tto\ü. Trj Aerou€vn. KoTtovapiKn, (Katittinatja).
Nach und nach bürgert sich der Gebrauch des Pfeffers bei Griechen
und Körnern mehr und mehr ein. andere vorher gebrauchte Gewürze,
wie namentlich die Myrtenbeeren vgl. Pliuius XV, IIS) oder den
Schwarzkümmel, Kümmel und Koriander mehr und mehr verdrängend.
Sogar der Versuch, den Pfeffer in Italien anzupflanzen (piperis
arborem iam et Italia haltet. Plin. XII, 29) wurde gemacht: doch
noch Plutarch (Symp. VIII, 9, :S. 2»i) konnte sagen: Kai TTCirepews
ttoXXou? icrucv en twv TTpeaßuTt'puiv Y€*JO"aaBai un, buvuuc'voui;. Indessen
fanden die Barbaren bei ihrem Einbruch in Italien grosse Massen des
auch ihnen bald zusagenden Gewürzes vor. und Alarich legte der Stadt
Rom im Jahre 410 u. a. eine Kontribution von 300») Pfd. Pfeffer auf.
Von Italien ist denn auch lat. piper frühzeitig in alle Sprachen des
Nordens eingedrungen: ahd. p/'i/far, agls. pipor, altn. piparr, altsl.
plprü u. s. w. Ausführlich handelt von diesem Übergang des Pfeffers
in die mittelalterliche Welt und seine Geschichte innerhall) derselben
Flüekiger Pharmakognosie2 S. Stff) ff. Vgl. auch C. Hartwich Ans
der Geschichte der (Je würze Apotheker-Zeitung 1894 Xr. 43, 44, 4(5.
Man kann ohne Übertreibung den Pfeffer den Mittelpunkt des ganzen
mittelalterlichen Handels nennen. Neben piper (frz. poicre\ kommt in
den romanischen Sprachen ein zweites Wort: sp. pimiento etc.
,Pfeffer' auf. Es hat seine Quelle in lat. pigmentum , Kräutersaft', ein
Ausdruck, der im Mittelalter als Kollektivbczeichnung der Gewürze
gebraucht wurde. So werden in einer mittelalterlichen, alle möglichen
Gebrechen heilenden Salbe aus d. IX. Jahrh. (vgl. Glossae Theotiscae
bei v. Fischer- Benzon Altd. Gartcnn". S. 188 f.) als pigmenta genannt:
zadttar (Zittwer), cinnamomum iZimmcti, gingiber (Ingwer), costo
(Kostus), reopontico ('Rhabarber), pipere Pfeffer), gentiana (eine
Enzianart), gariofilae (Gewürznelke). Vgl. auch ahd. phuinta, piminza
jGewürz', , Würzwein'. Endlich ist auf einen dritten romanischen
Namen für den Pfeffer oder für eine neue Pfefferart V) zu verweisen,
der aber erst durch die Araber in Europa aufkam: frz. eubebe etc.
aus arab. labtiba.
Etwas von Piper nigrum L. gänzlich verschiedenes, obwohl ge-
wöhnlich mit dessen Namen benannt, ist Capsicum annuum L. spa-
nischer, türkischer, indischer Pfeffer", .Sehotenpfeffer' etc. Er hat wahr-
scheinlich seine Heimat in Brasilien und ist erst in neuer Zeit bekannt
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i;2o
Pfeffer - Pfeil und Bo^en.
geworden (vgl. De Candollc Ursprung der Kulturpfl. S. 363). — 8. u.
Ge würze.
Pfeil und Bogen. Diese Wulfe wurde schon wälirend der Stein-
zeit von den Bevölkerungen Europas gehandhabt. Allerdings sind aus
dieser Epoche nur wenige Bogen seihst auf uns gekommen, da alle
aus Hol/ verfertigten Gegenstände ohne das Hinzutreten besonderer
Umstände, wie natürlich, schnell der Fäulnis verHelen. Nur im Schweizer
Pfahlbau von Robenhausen haben sieh Bogen aus Eibenholz, im Mond-
see Bruchstücke von solchen erhalten. Um so lebendigeres Zeugnis
legen die zahllosen teils feuersteinenen (mehr im Westen und Norden),
teils knöchernen (mehr im Osten) Pfeilspitzen ab, welche bis tief in
die metallische Zeit ragen, wie die Ausgrabungen in Mykenae (vgl.
Schlicmann M. S. 313) ebenso wie die im skandinavischen Norden
(vgl. Montelius Die Kultur Schwedens2 S. 61) i gelehrt haben. Keines-
falls darf die in Schweden ebenso wie in Dänemark (vgl. S. Müller
Nordische Altertumskunde I, 2f>3) auffallende Abwesenheit bronzener
Pfeilspitzen mit S. Müller a. a. 0. auf einen nur ausnahmsweise!) Ge-
brauch des Bogens bezogen werden, da die nordischen Felsenbilder
häufig Bogenschützen darstellen.
Bemerkenswert an jenen ältesten metallloscn Pfeilspitzen ist, dass
sie oft mit Wiederhaken versehn sind, was bei den knöchernen durch
Einfügung kleiner Feuersteinsplitter in seitliehe Kinnen erreicht wird,
und dass sie vielfach an dem Schaft vermittelst Peches befestigt sind.
Eine Vorrichtung zur Aufnahme von Gift ist an den Pfeilspitzen der
neolithischen Zeit nicht wahrnehmbar: hingegen zeigen viele bronzene
Pfeilspitzen eine Tülle mit einem seitlichen Loche, welches der in die
Tülle gelegten Giftpille den Austritt in die Wunde gcsiattcte, sobald
der Pfeil auftraf (nach M. Much).
Die sprachliehen Gleichungen, aus denen, entsprechend dem ge-
schilderten archäologischen Befund, sich die Bekanntschaft der I n do-
ger manen mit Pfeil und Bogen ergiebt, sind: griech. ßiö? , Bogen,
Bogensehne' = sert. jyd\ aw. jyd- , Bogensehne'; griech. iöq ,Pfeil' =
sert. ishu-, aw. ixu- (ir. eo ist in die Bedeutung , Nadel" ausgewichen).
Auf Europa beschränken sich lat. arcus , Bogen' =got. arhieazna , Pfeil',
agls. earh, altn. ör und ahd. xträla = altsl. strela , Pfeil'. Vgl. noch
sert. snd'can-, aw. sndcar-, griech. veüpov, ahd. nvnawa ,Sehne' (auch
»Bogensehne) und lit. temptyica, altsl. ttfha id. Sonst heidst der Bogen
der ,gebogene', wie ahd. bogo, agls. boga (vgl. ir. fidbocc ,arcns
ligneus ) und altsl. Iqkü (: l$*ti »biegen*, lit. liilkis ,Bogenlinie'), oder
er ist nach dem Holze benannt, aus dem er gefertigt wurde: griech.
to£ov , Bogen' (neben dem Hübschmann Z. d. Deutsch. Morgen!. Ges.
XXXVIII, 430 ein npers. teyjt , Pfeil' nennt) : lat. ta.rus ,Eibc", altn.
yr eigeutl. ,Eibe', dlmr eigcntl. ,Ulme'; über sert. dhdnvan- 8. u.
Fichte.
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Pfeil und Hogrn.
621
Vergiftete Pfeile begegnen mehrfach auf idg. Völkerhoden. Im
Rigveda (VI, 75, 15) werden zwei Gattungen von Pfeilen unterschieden:
„Er, der mit Gift bestrichene, hirsehhörnige und er, dessen Maul Erz
ist". Nach der Odyssee (I, 260) fährt Odysseus nach Ephyra, um
Gift zum Vergiften seiner Pfeile zu holen, das ihm aber der Mermcride
Hos nicht gab, weil er „den Zorn der ewigen Götter fürchtete". Möglich
ist, dnss griech. öiaxöq , Pfeil' selbst (: iöq ,Gift'; o ans um, wie in ö-TrciTpoq,
ö-lvZ) den , vergifteten' bezeichnet. Auch den alten Slaven ilicXäßoi
Kai "AvTai) wird von dem Strategikcr Maurikios (Mttllenhoff I). A.-K.
II, 37) der Gebrauch des hölzernen Mogens mit kleinen vergifteten
Pfeilen zugeschrieben. Man kann zweifelhaft sein, ob man es hierbei
mit altidg. Barbarei oder mit einem die Einführung metallener Pfeil-
spitzen (s. o.) begleitenden Eindringen eines orientalischen Brauches zu
thun >hat.
In historischer Zeit hat der Bogen, ähnlich wie Keule und Axt
(s. s. d. d.i, bereits angefangen, als Kriegswaffe in den Hintergrund
zu treten. Er gehört nicht mehr zur regulären Bewaffnung des home-
rischen Helden. Nur die Lokrcr sind „auf den Boi;en vertrauend und
die wohlgedrehte Flocke des Schafes" (II. XIII, 710; gen Ilios gezogen.
Aber Herakles, der griechische Nationalheld, wird noch in der Unter-
welt als mit Bogen und Pfeil ausgerüstet gedacht (Od. XI, 607). Auch
in der Bewaffnung des servianischen Heeres kommt der Bogen nicht
mehr vor. der erst durch die Hilfsvölker wieder bekannter in Rom
wird. Ebenso spielt er hei Kelten und Germanen zur Zeit der Römer-
kriege keine Rolle mehr, wie denn auch in der La Tcne-Pcriode nur
selten Pfeilspitzen gefunden werden (Hönies Urgeschichte der Menschheit2
S. 150). In Skandinavien sind dagegen aus dieser Epoche Bogen und
eiserne Pfeilspitzen, auch ein Köcher, ans Licht gekommen (Montelius
S. 104); später tritt auch hier der Bogen mehr und mehr in die Stellung
einer Jagdwatte zurück (Weinhold Altn. Leben S. 205). Erhalten hat sich
der alte, ureuropäische Bogen mit dem knochengespitzten Pfeil als
regelmässige Kriegswaffe noch in der Überlieferung des Altertums im
äussersten Osten unseres Erdteils, bei nichtidg. Völkern. Vgl. über
die Finnen, die auch einheimische Namen für Bogen und Pfeil (jottsi
und nuoli) besitzen, Tacitus Germ. Cap. 46: Xon arma .... sola
in sagittis spe«, quas inop'm fern, oxHibus asperani, Uber die Sarmatcn
Pausanias I, 21, 5: öctetva? äiciba? im toi? öiöton; und im Toiq bö-
paffi alxuäq ötfTctvaq dvfi o"ibn.pou <popoöo"t, über die Hunnen Amminnus
Marcellinus XXXI, 2, 9 u. a.
Noch ist zweier Entlchnungsreihen auf dem Gebiete der Pfeil-
namen zu gedenken, welche beide von Italien ausgehend nach dem
Norden Europas verlaufen: einmal ist das lat. (Übrigens ganz dunkle)
mgitta ,Pfeil' in die keltischen Sprachen übergegangen (ir. saiget,
kynir. saeth)t das andre Mal haben die Germanen aus lat. p'dum ihr
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I'lVil und Bogen — Pferd.
ahd. phil, nhd. pfeih agls. pil. altn. pila gebildet und dafür ihre
heimischen Benennungen (s. o.» aufgegeben. Welche Namen die Kelten
vor dem Eindringen des lat. sagitta besassen, ist dunkel. Thurneyseu
Kelto-romanisches 8. f>9 möchte die romanische Sippe von altfrz. flesche,
it. freccia .Pfeil' u. s. w. aus ir. flesc ableiten, das freilich nur
,Rute bedeutet. Vgl. auch oben ir. eo uud diubarcu .Pfeil' (nach
O'Curry Manners and Customs I, CCCCLI11 f. : lat. «rem). Auf jeden
Kall deuten die beiden Eutlehnungsreihen auf die Einführung metallener
Pfeilspitzen aus dem römischen Süden hin. Hierbei ist, was den Be-
deutungsübergang von pil um ,Lanze zu , Pfeil' betrifft, daran zu er-
innern, dass nach Lindenschmit Altertümer I, 11, 4 in Deutschland
gefundene römische Pfeilspitzen „nach demselben Prinzipe gebildet
sind, wie die Spitze des Pilum".
Für den Köcher fehlt es in den idg. Sprachen an einer urverwandten
Benennung. Hingegen fallt die grosse Zahl der Entlehnungen in der
Terminologie dieses Begriffes auf: Griech. (hom.) qpapeipa (: <pep€iv ?),
woraus lat. pharetra. Daneben griech. (honu "fwpuTÖs ,Bogenbe-
hälter' (nach Lewy Semit. Fremd w. S. 1«0 aus hebr. härif), woraus
lat. cörytus ,Köeher', sp. goldre, ptg. coldre. id. Ir. glac saiged
,pharetra' Stokes Ir. Gl. Nr. 214 glac ,haud, Jmndful), westgerm.
ahd. chohhar, agls. cocur aus mlat. cueurum, mgriech. koükoupov, alb.
kükure, das vorläufig nicht weiter verfolgt werden kann, altsl. tulü :
TXn>au? * doch hält Miklosieh Et. W. auch Entlehnung des slavischeu
Wortes aus npers. tiil für möglich. Vgl. noch russ. sajdaku , Köcher'
aus türk. sagdak, sajdak, it. turcasso, inbd. türkis aus npers. terkes
,Köeher' : tir .Pfeil' u. a.
Ein dem Bogen verwandtes, aber im Altertum unbekanntes Schiess-
gewehr ist die Armbrust, hervorgegangen aus den Katapulten und
ähulichen Wurfinaschinen der Alten: mhd. (seit XTI. Jahrb.) armbrust
aus arcubalista, während in den roman. Sprachen Bildungen von man-
ganum (uärTavov) , Maschine' gelten. — S. u. Waffen.
Pfeiler, s. Steinbau.
Pferd. Dass dieses Tier den Indogermauen schon vor ihrer
Trennung bekannt war, geht aus der Gleichung sert. <i<;va-, aw. aspa-,
griech. ittho?, lat. equus, ir. ech, alts. ehu- (agls. eoh, altn. jör, got.
aihwa- in aihwatttndi .Dorustrauch ), lit. aszicä (altpr. asicinan ,Pferde-
luilch') mit Sicherheit hervor. Ausserdem ist auf die Übereinstimmung
von sert. hdya- , Pferd' mit armen, ji id. uud in Europa auf die ur-
verwandten Sprachreihen: griech. ttüüXo?, got. fula , Füllen', alb. pel'e,
ir. * pilair ,Stute* und ahd. stuota, agls. stöd, altn. stob, lit. stödas,
altsl. »tado »Pferdeherde' zu verweisen. Die einzige Sprache, die an
sert. dcca- und seiuer Sippe nicht teil nimmt, ist das Slavische. Hier
gilt für Pferd geuieinsl. koni und daneben gleichbedeutend altruss.
kömoni, Sech, komon (vgl. altpr. camnet ,Pferd', lit. kitme ,Stuet',
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PtVrd.
«23
kumelys .Fohlen' . Nach .1. Schmidt (Sonantentheorie S. 1 38 f. > hingen
diese beiden Wörter durch eine Grundform *kobmnjit *kohmonji unter
einander und weiter sowohl mit altsl. kobyla .Stute' wie auch mit
gallo- lateinisch cabaUu* (auch cabo'f vgl. 0. Goetz Thesaurus I, 159;.,
griech. (lies.) Kußä\Ar|<; .Arbeitspferd' zusammen. Derselbe Gelehrte
ist weiter geneigt, in *kob-ntoui eine uralte vorindogermanische
Bezeichnung des Pferdes zu erblicken, deren erster Bestandteil auch
in dem finnischen Worte für Pferd [hebo. hepo) und deren zweiter
Bestandteil in dem scheinbar ganz allein stehenden lat. mannus ,Pony,
gallisches Pferd' wiederkehre. Indessen dürfte lat. mannus durch
Assimilation des nd (vgl. Stolz Lat. Gr. in J. v. Müllers Handb. II*, 312)
eher aus *mandus entstanden sein, und alsdann sich an das illyrisch-
pyrenäische Alpenwort alb. nifs .Füllen von Pferd oder Esel' aus
*mama, *niandia (vgl. G. Meyer Et. W. S. 270). bask. mando , Pferd'
oder .Maultier' (vgl v. d. Gabelentz Die Verwandtschaft des Baskischen
S. 136) ansehliessen.
Es liegt auf der Hand, dass die Existenz einer Wortreihe wie sert.
«cm- u. s. w. in dem Sprachschatz fast aller Indogermanen sich nur
unter der Voraussetzung erklärt, dass das Pferd entweder die Indo-
germanen auf ihren Wanderungen als Haustier begleitete, oder dass
das Ausbreitungsgebiet auch der europäischen Indogermanen in die
Verbreitungszone des wilden Pferdes fiel, oder endlieh, dass beides
zugleich der Fall war. Es fragt sich, welche von diesen Möglichkeiten
die grössere Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Zunächst ist hervorzuheben, dass gegenüber der früheren Annahme,
welche die Heimat des Pferdes ausschliesslich in den Steppen und
Weideflächen Vorder- und Mittelasiens suchte, die Naturforseher jetzt
mehr und* mehr der Ansicht zuneigen, dass unser Erdteil mit zu den
ursprünglichen Wohnsitzen des wilden Pferdes gehört habe. Nach
diesen Untersuchungen (vgl. A. Otto Zur Geschichte der ältesten Hans-
tiere S. 73 ff. und vor allein A. Nehring Fossile Pferde aus deutsehen
Diluvial- Ablagerungen und ihre Beziehungen zu den lebenden Pferden,
Laudw. Jahrb. 1884) hätte das schwere Diluvialpferd, der Stammvater
unseres Hauspferdes, in der Europa in postglacialer Zeit bedeckenden
Steppenvegetation als Jagdtier des Menschen in grosser Menge gelebt,
sieh vor den immer mehr ausdehnenden Waldungen zwar grösstenteils
in die Steppenflora des Ostens geflüchtet, aber doch teilweis in den
Lichtungen des Urwalds sich bis in historische Zeiten erhalten. In
dieser Beleuchtung wären die Nachrichten der Alten, welche von
wilden Pferden in Spauien, in den Alpen, wie überhaupt im nörd-
licheren Europa berichten (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen0 S. 21 ff. und
Ecker im Globus 1878 B. 34) auf wirklich wilde, nicht bloss ver-
wilderte Tiere zu bezieht!. Es wäre also wohl möglieh, dass die Indo-
germanen, auch wenn ihr ältestes Verbreitungsgebiet nach Europa fällt,
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PlVnl.
das Pferd lediglich in wildein Zustand kannten. Zu Gunsten derselben
Ansieht kann auch der Umstand angeführt werden, das» das Pferd als
Haustier für die neolithisehe Epoche unseres Erdteils, in welcher die
Ausbreitung der Indogermnnen in Europa nach allem, was wir wissen,
vor sich gegangen ist, nicht mit der gleichen Sicherheit wie der übrige
Bestand ältester Haustiere, Hund, Rind, Schaf und Ziege in Anspruch
genommen werden kann. In den ältesten Pfahlbauten der Schweiz
{vgl. Rütimeycr Fauna S. 123) sind zwar Überreste unseres Haus-
pferdes unzweifelhaft nachgewiesen worden, doch ist die Seltenheit
seiner Knochen so auffallend, dass das Pferd in der Volkswirtschaft
der Pfahlbanem eine andere Stellung als Rind, Schaf und Ziege ein-
genommen haben muss. In den oberöstreichischen Pfahlbauten (vgl.
M. Much Die Kupferzeit* S. 241) konnte die Anwesenheit des Pferdes
bis jetzt in keiner Weise erhärtet werden. Für die dänische Steinzeit
(vgl. S. Müller Nordische Altertumsk. I, 204, 445) wird die Bekannt-
schaft mit dem Pferd als „Zweifel half bezeichnet, während in den
Ganggräbern Vestergötlands allerdings neben Rindvieh, Schaf, Ziege (?)
und Schwein auch Pferdereste zu Tage gekommen sind (vgl. Moutelius
Kultur Schwedens* S. 2ti).
Zu bedenken ist ferner, dass das Pferd iu der ältesten Zeit jeden-
falls nicht für diejenigen Zwecke gebraucht worden sein kann, für
die es der Mensch jetzt in seinem Dienste hält, zum Fahren (s. u.
Wagen und u. Streitwagen) und zum Reiten (s. d.i, zu letzterem
wenigstens nicht im Sinne der Ausbildung einer im Kriege zu ge-
brauchenden Reiterei (s. auch u. Heer).
Auf der anderen Seite wird aber doch das Pferd bei weitaus den
meisten lndogermanen den Himmlischen als Opfergabe dargebracht,
was nach den Ausführungen u. Opfer auf seinen Charakter als Haus-
tier mit grosser Deutlichkeit hinweist. Bezeugt ist das Pferdeopfer
für die vedischen Inder (vgl. H. Zimmer Altind. Leben S. 72), für
die Iranier, Prensscn, Slaven, Germanen, für griechische Stämme (vgl.
die Nachrichten bei V. Hehn a. a. 0. S. 42 ff.), endlich auch für die
Römer ' vgl. Paulus Festi v. eqttnx: Marti immolahatur, quod per eittx
effiyieni Troiani capti xint, vel quod eo genere animalix Marx defectari
putaretnr) und lllyricr, bei denen die messapischen Sallentincr dem Jupiter
Menzana cigcutl. ,.Pferdcjupiteru (vgl. oben über lat. niannux, all).
*menza-) ein Ross opferten. Es scheint, wenn man sich des reichlichen
Geuusses von Pferdefleisch bei den Germanen erinnert, wo ihn die
Kirche bekämpfte (s. u. N a h r n n g), kein zwingender Grund vorzu-
liegen, das Pferdeopfer anders denn als Speiscopfer aufzufassen, wenn
auch andere Opfergedanken mit diesem gerade bei dem Pferd frühzeitig
verschmolzen sein mögen (vgl. Ohlenberg Die Religion des Veda S. 356).
Nimmt man dies alles zusammen, so wird die Auffassung uicht un-
begründet erscheinen, dass das Pferd schon in der idg. Urzeit aus
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Pferd.
625
dem Zustand der Wildheit, in dem es den vorindogermanisehen Be-
wohnern Europas (in paläolithiseher Zeit) ausschliesslich als Jagdtier
gedient hatte, hier und <la zu einem gewissen Grad der Zähmung ge-
bracht worden war, in dem es mehr abseits von den Ansiedelungen
der Menschen in eingehegten Heiden (vgl. oben ahd. xtunta u. s. w.)
gehalten wurde, und in dem es dem Menschen nicht so wohl zu Dienst-
leistungen als zur Nahrung, mit seinem Fleisch und vielleicht mit seiner
Milch ib. <!.), sowie zu anderen Zwecken mit seinem Fell, seinen
Sehnen etc. diente. Als seine charakteristischste Eigenschaft ist aber
von jeher seine blitzartige Schnelligkeit aufgefasst worden, die vielleicht
schon in seinem Namen (sert. ä<;ca- : (h;ü~ schnell'; ausgesprochen
liegt, und die die Ursache war, dass unter seinem Bild gewisse Lieht-
erscheinnngen des Himmels, vor allem der schon in der Urzeit (s. u.
Religion) viel gefeierte Morgenstern gedacht und verehrt wurden.
Nur wenig erfahren wir aus litterarischen Nachrichten (Iber H e -
schaffen Ii cit und Aussehen des alteuropäischen Pferdes, dessen
ursprüngliche Gestalt wir natürlich eher im Norden als in dem dem
Orient offenen Süden unseres Erdteils erwarten dürfen. Die wichtigsten
Zeugnisse sind: Caesar De bell. gall. IV, 2: Quin etiam iumenti*
(»Pferde', vgl. Wttlfflins Archiv VII, 322), qnibnx ma.rime Galli de-
lectantur quaeque inpenxo parant pretio, importatix hi (JSttebi) non
utuntur, xed quae sunt apud eox nata, prava atque deformia, haec
cotidiana exercitatione, summt ut sint laborix, ef/iciunt, Tacitus
Germ. Ca]), (i: Equi non forma, non velocitate conxpicui (daneben
Cap. 15: electi equi als Geschenke benachbarter Völker), Trebellii
Pollionis vita Claudii IX, 4: Equarum, qua* forma nobilitat Celtivarum.
Als iniuriae tolerante* schildert Vegetius De Mulomed. IV (VI), <i die
bnrgundischen uud thüringischen Pferde, denen später Cassiodorus Var.
IV. 1 das höchste Lob erteilt. In den vorstehenden Nachrichten ist
zweimal von gallischen Pferden als von einer teuereren und besseren
Rasse die Rede, von der gesagt wird, dass sie die Snebep, die sich
auch sonst abschlössen, nicht bei sich einführten, was nur im Gegen-
satz zu anderen germanischen Völkern gemeint sein kann. Dies führt
darauf, dass die keltisch-germanische Gruppe von Plerdenamen : altgall.
pupKot, ir. marc - ahd. marah, meriha. ahn. marr auf früher Ent-
lehnung der Germanen von den Kelten beruht, wie denn das Wort in
der Bedeutung ,Vieh', .Mähre', ,Ware' bis ins Slavische und andere
östliche Sprachen gewandert ist ( vgl. Miklosich Et. W. S. 11)0; s. auch
u. Handel). Die Kelten, wie sie die Erfinder zahlreicher neuer Wagen-
arten (s. u. Wagen) waren, müssen, worauf schon ihre zahlreichen
vom Pferde hergenommenen Orts- und Personennamen hinweisen (vgl.
Epo-manduo-durum, Epo-redi.r. Epn-redo-ri.r, Epoxo-yiutt/ts, Epona
,mulionum dea', Marco-durum, Marco-maynux etc. auch hervorragende
Schräder. He.illexikon. {U
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f,2ö
Pferd.
PferdezUcbter gewesen und dadurch auch für die mit ihnen in Be-
rührung tretenden Germanen bedeutungsvoll geworden sein.
Einheimische und gemeiugermanische Bezeichnungen des Pferdes sind
noch ahd. hros, altn. hross und ahd. hengist, altn. hestr, ersteres in
der Bedeutung .schlechte Mähre' auch ins Romanische (it. rozza) Uber-
gegangen und vielleicht zu lat. currere, cursus („Rcnuer") gehörig,
letzteres, urgerm. Vuing-ista (malb. gl. der Lex. Sal.: chanzisto, chen-
gisto)} und mit der Grundbedeutung /Wallach' (equus castratus) ety-
mologisch noch dunkel; indessen bietet die Möglichkeit einer Ver-
gleichung lat. canterius .kastriertes Pferd' (schon bei Plautus, vgl.
Wölfllins Archiv VII, 31b), das wie quintus aus quincttis, so aus *canc-
terius entstanden sein kauu. Beachte auch das Comperativsuffix -ter{t)o-
in can-terius gegenüber dem Superlativsuffix -isto- in *hang-ista-; vgl.
sert. agva tard- , Maultier'; Uber die Lautverhältnisse von quintus vgl.
Schweizer Sidler Grammatik d. lat. Spr.8 S. 63 und Brugmann Grund-
riss 1*, 2, 667. Vgl. noch ahd. meid um , Hengst' = got. maipms .Ge-
schenk' (s. o.), wie sert. ddna- ,Pferd", eigentl. ,Gabe'.
Kleinheit der Gestalt wird, da Caesar IV, 2 praca nicht parva
zu lesen ist, nicht bei dem altgermanischen Pferde hervorgehoben. Wohl
aber charakterisiert diese das skythischc Tier. Vgl. Strabo VII, p. 312:
MiKpo\ u€v fäp eio*i, ö£ei? U öcpöbpa Kai buaTreieel?, dazu Herodot V, 9
über die medischen, vielleicht am kaspischen Meer zu lokalisierenden
Sigynnen: tou? b£ inTiou? autüiv €lvai Xaoious ärcav tö o*d»pa, in\ nivie
baicrüXou? tö ßäöoq tüjv Tpixüüv, auiKpou; bi Kai öxnovq kcu äbuväTOus
ävbpa; qp^pciv, ZeuYvujievous bfc Ott' äpMara elvai öEuTäTOuq* dpnaTr|Xa-
T€*€iv be Trpö? TaÖTCt Touq ^mxwpiouq. Ebenso Strabo p. 520.
Eine grosse Veränderung in der europäischen Terminologie des
Pferdes wird dadurch herbeigeführt, dass, so zu sagen, die soziale
Stellung des Tieres, wie sie sich zum Teil noch in vorhistorischen
Zeiten herausgebildet hatte, eine andre wird, indem man das zunächst
nur zu heiligen Zwecken, nachher besonders im Krieg gebrauchte Tier,
den bellator equus, mehr und mehr auch in den gemeinen Dienst
des Menschen zwingt. Dieser Umschwung geht vom Süden Europas
aus und ist mit der Verbreitung der beiden Wörter caballus und para-
veredus eng verknüpft. Caballus (zuerst bei Lucilius) ,das Arbeitspferd'
(s. o. i hat sieh in den keltischen Sprachen (ir. capall, bret. cavel,
kymr. cefyll) verbreitet oder, wenn es selbst gallischer Herkunft war,
wieder verbreitet und von romanischem Sprachboden das alte equus
fast gänzlich verdrängt (frz. checal, it. cavallo, rum. cal, auch alb.
Jcdl'). Parai-eredus, ein Ausdruck der römischen Postsprache (8. u.
Pos t), ein rfür den Dienst auf Xebenlinicu bestimmtes Tier" (vgl.
Wölfflius Archiv VII, 320) bezeichnend, ist eine hybride Bildung aus
Trapa und ce-redus, welches letztere die Römer im augusteischen Zeit-
alter aus Gallien \*ro-reidos = kymr. goneydd : gall. reda , Kutsche')
♦
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Pferd — Pfirsich und Aprikose.
627
entlehnt hatten. Es ist dann im VI./ VII. Jahrh. als alid. pferfrit,
altndd. perid auf Kosten der einheimischen Wörter, zuletzt als Genus-
bezeichnung des Tieres, ins Deutsche eingedrungen, wo es namentlich
auf fränkisch-sächsischem Boden herrscht. Römischen, d. h. durch
Börner vermittelten Ursprung nimmt man auch für ahd. zeltäri, alts.
telderi, altn. tjaldari, ndl. telde ,Zelter aus *teldo (vgl. span.-lat.
thieldones ,Passgänger'j au (vgl. F. Kluge in Pauls Grundriss I8, 346).
S. weiteres u. Maultier und vgl. Palaudcr Ahd. Tiernamen S. 77 ff.
Endlich wird mit dem Auftreten der Araber im Süden und Osten
auch der Name des arabischen Pferdes bekannt: sp. alfaras,
mlat. farius, mhd. vdris, bulg. fariil, altruss. farl, mgriech. qpdpn.?.
Übrigens ist der Ruhm der arabischen Rossezucht ein verhältnismässig
junger, da erst Ammianus Marcellinus ihrer schnellen Pferde gedenkt.
Vgl. auch mhd. mör ,Pferd' aus Maurus ,Araber'.
Wenden wir uns schliesslich von indogermanischem Boden zu den
benachbarten Völkerstämmeu, so ist das Pferd, wie bei den Indoger-
manen, ebenso in der Urzeit der semitischen (assyr. sisu, hebr.
süs, arara. süsjd) wie auch der turko-tatarischen Stämme (at
,Pferd') bekannt gewesen, und auch die Finnen (s. o. und vgl.
Ahlqvist Die Kulturw. d. westfinn. Sprachen S. 9) scheinen mit ihm
bereits an der Ostsee eingetroffen zu sein. Hingegen dürfte das Pferd
bei den Ägyptern, die auch das semitische Wort (süs) entlehnt haben,
ein späterer Kulturerwerb sein, und auch bei der ältesten (vorsemi-
tischen) Bevölkerung Babylouiens, den Sumerern, begegnet die sichtlich
junge Benennung des Pferdes „Esel des Berges oder Ostens". — S. u.
Viehzucht, Reiten, Wagen, Streitwagen.
Pfirsich und Aprikose. Der Pfirsichbaum (Amygdalus Persica L.)
bat seine Heimat in China, während die Aprikose (Prutius Armem-
aca L.) auch weiter westlich, im Himalaya, in der Songarei und in
Turkestan wildwachsend vorkommt.
Beide Bäume erscheinen in Rom nicht vor dem ersten Jahrhundert
der Kaiserherrschaft. Ihre Namen Persica und Armeniaca arbor
(Plinius und Columella) zeugen nicht von der wirklichen Heimat, sondern
nur von der unbestimmten Vorstellung einer fernen östlichen Herkunft
der beiden Bäume. Nicht unwahrscheinlich ist, dass die erste Bekannt-
schaft des Westens mit ihnen aus der Zeit stammt, als in dem I. vor-
christlichen Jahrhundert die äussersten östlichen Grenzen des römischen
und die äussersten westlichen Grenzen des chinesischen Reiches fast
an einander stiessen (s. u. Seide).
Von Italien aus hat sich der Pfirsich und die Aprikose schnell nach
dem Nordeu verbreitet. Schon Plinius und Columella kennen eine Art
gallischer Pfirsiche. In Deutschland ist zwar das Wort mhd. pfersich
erst spät bezeugt; aber seine Lautgestalt (anl. pf = lat. p) lehrt, dass
es schon in voralthochdeutscher Zeit eingedrungen sein muss (vgl. noch
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C28
Pfirsich und Aprikose — Pflaume.
agls. persoc). Aus dein Deutschen stammen wiederum die slavischen
Fonnen altsl. praskva, russ. brosktina etc. Vgl. alb. pjeSkt = persicum.
Aber noch andere in Italien entstandene Benennungen der beiden
Fruchtbäume gingen in das mittelalterliche und neuere Europa Uber.
Zwei besondere Arten derselben Messen bei den römischen Obstzüchtern
duracina und praecoqua. Ersteres, mag es nun „Härtlinge14 (durus)
bedeuten, oder von der persischen, durch köstliche Baumfrüchte aus-
gezeichneten Stadt Durdk seinen Namen haben (s. prunus Damascena
u. Pflaume), setzte sich in der neugriechischen Benennung des Pfirsichs
^obtxKivnd (durch Umstellung und mit Anlehnung an fiöbov entstanden)
fort. J*raecoqua führte durch die wunderlichsten Verdrehungen im
Mittelgriechischen (rcpeKUKKtov, ßepUwKov etc.) und Arabischen (alburqüq)
endlich zu it. albercocco, frz. abricot, unserem aprikone (von Nieder-
deutschlaud ausgegangen). In Oberdeutschland gelten andere Aus-
drücke (vgl. Pritzel-Jessen Die Deutscheu Volksnamen der Pflanzen
S. 311 und F. Kluge Et. W/'), die wie Verdrehungen aus it. armelHno,
armeniUi (arbor Armeniaca) aussehn. Im Süd-Osten unseres Erdteils
herrschen gegenwärtig die türkisch-persischen Ausdrücke ztrdeli ,gclbe
Pflaume' (parsi zardälu, s. u. Pflaume) und kajse.
Den Anbau von Pfirsichbäumen (perskarii diversi gener is) in
Deutschland schreibt das Capitulare de villis LXX, 80 vor. Auch eiu
Codex (Qu.) der Lex Emendata des salischen Gesetzes XXIX, 10
enthält bereits das Wort perticarius = persicarius. Es scheint, dass
man in Deutschland zunächst die Aprikose unter dem Namen des
Pfirsichbaums mit verstanden hat. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6
S. 415 ff. und v. Fischcr-Bcnzon Altd. Gartenfl. S. 154 ff. S.u. Obst-
bau und Baiunzucht.
Pflanzenwelt der Urzeit, s. Urheimat der 1 ndogermanen.
Pflaster, s. Arzt.
Pflasterung, s. Strasse.
Pflaume. Von den in Kultur befindlichen Pflnumenarten wird
ft'unux imititia L.} die Kriechenpfiaume oder Pflaumcnschlehe, von
den Botanikern (vgl. Engler bei V. Hehn a. n. a. O.) für einheimisch
im gemässigten Europa gehalten. Kerne dieser Pflaumenart sind, eben-
so wie solche der eigentlichen Schlehe (Prunn* spinosa L.) und der
Traubenkirsche (Prumis Padwt L.), in neolithischen Stationen der
Schweiz, Ostreichs und Italiens gefunden worden (vgl. G. Buschan
a. u. a. 0. S. 181). Urverwandte Namen für derartige Prunus-Arten
liegen in den Gleichungen: ahd. xleha, agls. sldhae — altsl. sliva, lit.
dyicas , Pflaume' (über lat. liuidus s. u. Blaut und griech. ßpdß-uXov
,Schlehc' (*ßpaß- — greg) — ahd. crich boum, mnd. krike, kreke, nhd.
schlesisch krichele (krieche mit volksetym. Anlehnung an ahd. chriach
,Grieche) vor. Vgl. noch ir. dm Igen, droighin gl. prunus, kymr. draen
,spinus, spina, sentis' etc. (Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 155).
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Pflaume.
629
Dagegen kommen die anderen Pflaumenarten, Prunn* cerasifera
und vor allem Prunus domestica, zu der auch die Zwetsche (Prunus
oeconomica) gehört, wild nur in Vorderasien vor. Hier wird daher
auch die Kultur der Pflaume ihren Anfang genommen haben, obgleich
sich dies mehr aus allgemeinen Gesichtspunkten schliessen als bestimmt
erweisen lässt.
Unter den Griechen wird die Pflaume zuerst von dem Parier
Archilochus, und zwar mit dem Namen kokkumtiXov (: kökko? ,Kern',
„Kernobst") genannt. Andere griechische Ausdrücke sind pdbpua
(: altsl. modrü ,blau ?) und f|Xa, letzteres wohl eine Entlehnung aus
iranischem Sprachkreis (vgl. npers. diu). Welche Pflaumeuarten unter
diesen Wörtern gemeint sind, lässt sich nicht ermitteln. In Rom ge-
winnt die Kultur der Pflaume erst in augusteischer Zeit grössere Be-
deutung. Ihr lat. Name prunus, prunum ist eine Entlehnung aus griech.
TTpoÜMvn. (Theophr.), npoüuvov, das, ursprünglich eine Benennung der
wilden Pflaume (drrpiOKOKtcü|ur|Xov) in Kleinasien auf veredelte Arten
übertragen worden war. Die Zwetsche nennt Plinius XV, 43: In
peregrinis arboribus dicta sunt Damascena (ngriech. banaaKnvna
,Prunus domestica' gegenüber Kopo|un.Xr|ä und TtoupvcXna , Prunus insi-
itia', engl, damasc plum, it. amascino) a Syriae Damasco cognominata,
tarn pridem in Italia nascentia.
Die Ausdehnung der südlichen Pflaumenkultur nach dem germanischen
Norden lässt sich in der Entlehnung des ahd. phrüma ,Pflaume',
pflämo Pflaumenbaum', agls. plüme aus lat. prünus, prünum in vor-
althochdeutscher Zeit verfolgen. Doch macht das germanische m gegen-
über dem n des lat. Wortes Schwierigkeiten, so dass J. Schmidt
Sonantentheorie S. 111 geneigt ist, die germanischen Benennungen der
Pflaume durch thrakische oder illyrischc Vermittlung direkt auf griech.
Ttpoönvov zurückzuführen, da doch die nördlichen Gegenden der Balkan-
halbinsel Hauptsitz der Pflaumenknltur seien. rDie Entlehnung würde
geschehen sein, ehe die Slaven sich als Keil zwischen die Germanen
und das oströmische Reich schoben". Anpflanzung von prunarii di-
versi generis schreibt das Capitulare de villi» LXX, 76 vor. Als solche
verschiedene Arten werden von der heiligen Hildegardis (3, 7): rosz-
prumen, gartenslehen, kriechen uud ein silvestre genus unterschieden.
Erst spät (im XVI. Jahrb.) hat sich in Deutschland der Ausdruck
quetsche, zwetsche eingebürgert. Es ist immer noch die wahrschein-
lichste Annahme, dass er auf das oben geuannte damascena (prunus)
zurückgeht (näheres vgl. bei Kluge Et. W.6). Eigentümliche Namen
hat das Albanesische: kümbuh ,Pflaume\ kufumbri ,SchIehe' (vielleicht:
lat. columba /Taube' nach der blauschwarzen Farbe der wilden Taube).
— Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen 6 S. 369 ff., v. Fischer-Bcnzon Altd.
Gartenfl. S. 152 ff., G. Buschan Vorhist. Botanik S. 181 ff. S. u.
Obstbau und Baumzucht.
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630
Pflug.
Pflng. Sein vorhistorischer Name, der sieh wie fast alle auf
den Landbau bezüglichen Ausdrücke auf Europa (und Armenien) be-
schränkt, griech. fipoTpov (kret. dpaTpov, vgl. Philologus LV, 489) u. s. w.,
ist u. Ackerbau aufgeführt worden. Da derselbe nichts anderes als
,Mittel zum Pflügen' (griech. dpöuj) bezeichnet, tat sich aus ihm Uber
die Beschaffenheit des ältesten europäischen Pfluges nichts weiter
entnehmen. Doch steht dieselbe durch antiquarische und linguistische
Anhaltspunkte ziemlich fest.
Die vergleichende Betrachtung der ältesten antiken Pflngtypen (vgl.
K. H. Rau Geschichte des Pflugs Heidelberg 1845 S. 17 ff. sowie
Daremberg und Saglio u. aratrum) lehrt, dass der ursprüngliche Pflug
ans einem einzigen gekrümmten Stück Holz bestand, an dem sich nur
zwei Teile unterscheiden lassen, der zur Anspannung bestimmte, längere
Teil, Baum oder Grindel, und der hakenförmig gebogene, keilartige,
zum Aufreissen der Erde benutzte, die Schar. Hierzu tritt dann auf
einer höheren, aber immer noch sehr frühen Stufe zur besseren Leitung
des Gerätes eine Handhabe, Sterze oder Sterz, die, soweit sie die
Natur an dem betreifenden Baumast nicht hatte wachsen lassen, an
demselben angebunden oder in denselben eingepasst wurde. Wahr-
scheinlich hat noch Hesiod Werke und Tage v. 425 ff., da, wo er dem
Landmann den Rat giebt:
cp^peiv be Yunv (das Krummholz), öY fiv eüprj?,
eis oikov, Kar' öpo? biZrmevoq f| kot' äpoupav,
TTpivivov
und jederzeit zwei Pflllge in Bereitschaft zu halten (€i x'^epöv f'ä£a\qt
£i€pöv k ^tti ßouöi ßdXoio), nämlich das aÜTÖTUov und das ttuktöv äpo-
rpov, in ersterem nichts als jenen europäischen Urpflug im Auge.
Auf dieselbe Beschaffenheit des ältesten Pfluges weist die Sprache
hin. Im Gotischen heisst der Pflug höha (dazu ahd. huohili .Furche'),
das dein lit. szakä ,Ast' (vgl. auch sert. cä'khd ,Asf) entspricht. Zu
derselben, nur nasalierten Wurzel (sert. c-ankii- , Pfahl', altsl. sqkä ,Ast')
gehört auch ir. cecht, mnnx keeaght ,Pflug' (vgl. Sprachvergl. und Ur-
geschichte2 S. 417, Uhlenbcck Et. W. d. got. Spr. S. 7*>). Nicht
hiermit zu vereinigen ist hingegen die slavische Sippe von altsl. socha
.Knüttel', tfech. socha ,Gabelstange', poln. socha .Pflugsech', klruss.
jiosoäcyna »Grundsteuer nach der Zahl der Pflüge', obgleich dies neuer-
dings wieder von Pedcrsen I. F. V, 49 versucht worden ist; doch ist
auch hier die Grundbedeutung , Knüttel' oder ,Ast'.
Von den alten oben genannten Teilen des Pfluges trägt die Schar
einen schon idg. Namen, griech. Öcpvtq u. s. w. (s. u. Ackerbau).
Einzelsprach liehe Bezeichnungen hierfür sind ahd. seh (auch ,Pflug')
: lat. secare (wozu auch all), mt .Karst ) .schneiden' und scaro : ahd.
sceran, altsl. lernest : lomiti ,brcchen', altpr. pedan, indem die Schar
mit dem Eude des Ruders (griech. Trnböv) verglichen wurde. Die
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Pflug.
G31
Schar ist nach dem obigen ursprünglich nichts als das keilförmige
Ende des als Pflug benutzten Astes. Man kann sich denken, dass in
metalllosen Zeiten frühzeitig an demselben ein Stein befestigt wurde,
um so gewaltsamer in das Erdreich eingreifen zu können. Thatsächlieh
sind in zahlreichen neolithischen Stationen derartige Steine gefunden
worden, die man als Pflugscharen in Anspruch nimmt. Sonst bietet
die Prähistoric kaum irgendwelche Beiträge zur Geschichte des Pfluges;
doch ist bemerkenswert, dass auf den der Bronzezeit angehörigen
Felsenzeichnungeu Schwedens, in Bohuslän (vgl. 0. Montclius Kultur
Schwedeus* S. 69) auch ein von Rindern gezogener Pflug, der noch
die primitivste Form, aber mit Handhabe zeigt, abgebildet ist. Am
meisten scheint derselbe dem bei Daremberg-Saglio Fig. 43(5 darge-
stellten altetrurischen Pflug zu ähneln.
Eine vorhistorische Bezeichnung des K r u m m h o 1 z e s , d. h. des
unteren Teilen des Grindels, der später in Krummholz und Deichsel
zerfällt, kann in griech. funs (xoa , Ackerland') = lat. (oskisch?) büra
,Krummholz' (*güsd) vorliegen. Die Ausdrücke für den Sterz (griech.
4x€xXr|, lat. stira, ahd. gehet : got. gaits = lat. haedus von der ziegen-
hornförmigen Gestalt der Handhabe) gehen auseinander.
Frühzeitig hat sich die ländliche Bildersprache des Pflugs und seines
Hauptteils, der Schar, bemächtigt, indem sie dieselben mit dein Namen
des erdaufwühlenden Schweines benennt. Hierher gehören griech.
uvviq ,Schar\ üvvn, " apoTpov Hes. : .Schwein' und ir. socc (frz. soc)
— kymr. stech, körn, soch {*succo-s) .Pflugschar' und ,Schweinsschnanze'
(vgl. kymr. hweh, korn. hoch .Schwein' bei Thurneyscn Kelto-Roma-
nisches S. 112). Aus dem Germanischen ist an Benennungen des
Pfluges noch ngls. sulh zu nennen = lat. mlnua .Furche' : griech. €*Xkw
jZiehe', öXkos , Furche'. Über griech. aüXaxcr üvviq (Hes.), euXäica
^Pflugschar', auXag ,Fnrche' s. u. Ackerbau.
Ganz unbekannt muss dem höheren Altertum die Einrichtung ge-
wesen sein, mittelst eines Rädergestells den Pflug fortzubewegen
(eine Spur davon bei Ran a. a. O. Fig. 20, Daremberg-Saglio Fig. 438).
Diese Erfindung schreibt Plinius Hist. nat. XVIII, 172 mit grosser
Bestimmtheit den raetischen Galliern zu: Xon pridem inventum in
Jiaetia GalUae, ut dtiatt adderent tali rotitlas, qttod gentis rocant
plaumorati. So einleuchtend es ist, dass eine derartige Neuerung
von einem der im Wagenbau ''s. u. Wagen) so erfahrenen gallischen
Stämme ausgehn konnte, so schwierig ist die Lesung des entscheiden-
den, ohne Zweifel verstümmelten Wortes plaumorati. Früher stellte
man planst rarati ,Wagenpflng' her. Neuerdings schlägt G. Baist in
Wölfflins Archiv III, 2*5 die Lesung vor: quod genus vocant ploum
Raeti. Sicherheit lässt sich nicht erreichen. Wahrscheinlich bleibt
der schon von L. Diefenbach O. E. ausgesprochene Gedanke, dass
hier irgendwie die sonst ganz rätselhafte Sippe von altn. pldgr, ahd.
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632
Pflug — Platane.
pfluog (von Fick Vergl. W. I4, 412 : griech. ^\\baaa, tXujxcs, y*u>-
Xiv€<; gestellt?), russ. plugü, lit. pliugas (vgl. auch alb. pl'uar, pl'ug,
rum. plugu) anzuknüpfen sei. — S. u. Ackerbau.
Pfosten, 8. Haus.
Pfriem, s. Ahle.
Propfen, s. Obstbau und Baumzucht.
PI und, 8. Wage und Gewicht.
Phalltisdieiist, s. Keuschheit.
Pilz, s. Garten, Gartenbau.
Piuie. Pinus pinea L. wird von den Botanikern als einheimisch
in den Küstenstrichen des Mittelmeers betrachtet. Allerdings tritt ein
spezieller Name des Baumes im alten Griechenland erst spät hervor,
wie ein solcher auch in den orientalischen Sprachen fehlt. Theophrast
(Hist. plant. III, 9, 4) gebraucht für Pinns pinea den Ausdruck ttcukh
rtnepoq (TTeÜKri xuivocpöpo; II, 2, 6), während der Baum nach demselben
Autor in Arkadien miuq hiess. Beides, Treuxn, wie tutu$, sind vorhistorische
Benennungen nördlicher Conifercnarten ts. u. Fichte). Die Pignole
heisst im Griechischen kökkwv, kökkoXo? (wovon ngriech. KOuKouvapna,
alb. kukunare ,Pinic'), öTpößiXo?, Kuivoq, Trupnv, öcrrpctids, ttituT?, alles
Namen, die ursprünglich allgemeine Bedeutungen gehabt haben. In-
dessen ist es nicht angängig, aus diesem allmählichen Hervortreten
besonderer Benennungen für die Pinie und ihre Früchte auf eine
verhältnismässig späte Einführung des Baumes iu Griechenland (aus
Vorderasien, wo die Pinie noch heute im Gebiet von Batum, in Ana-
tolien und Syrien wildwachsend sein soll) zu schliessen. Dasselbe er-
klärt sich vielmehr ohne Schwierigkeit aus der Zunahme botanischen
Unterscheid ungsvermögens und der damit in Verbindung stehenden
Verfeinerung der botanischen Terminologie. Über ähnliche Verhältnisse
s. n. Kastanie und u. Walnuss.
In Italien werdeu die n'uees pineae schon von Cato (48, 3) genannt.
Der hier geltende Ausdruck pinus (aus *pit-snus oder *pi-nus) wird zu
derselben Wurzel wie mru? gehören und wie dieses ursprünglich eine
nördliche Conifercnart be/.eichuct haben, dann aber auf die Pinus pinea
übertragen wordeu sein. Weiter nach Norden war es dem Baume,
der das feuchte Klima des Meeres liebt, zu kalt. Nach Deutschland
ging der Baum daher nicht über. Die eigentliche Pinus pinea wird
daher unter den pini des Capitulare de villis LXX, 86 nicht gemeint
sein. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen" S 290 ff. und v. Fischer- Benzon
Altd. Gartenfl. S. 161. S. u. Obstbau und Baumzucht. ,
Pistazie, s. Tcrebiuthaceen.
Planeten, s. Recht, Sterne, Woche.
Platane. Platanu* Orientalin L. findet sich nach Engler (bei
V. Hehn s. u.) wild im Himalaya, in Afghanistan, dem ^südlichen
Persien, in Imcrctien und Gurieu, in Paphlagonien, auf dem Libanon
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Platane — Polyandrie.
633
und Cyperi', ferner im westlichen und südlichen Auatolien, in Bithynien,
in Thrakien, Mazedonien und Griechenland. Aher auch auf Sizilien
und in Cnteritalieu sei die Platane wildwachsend.
Im alten Griechenland wird der in Vorderasien religiöse Verehrung
geniesseude Baum schon in der llias (II, 305) genannt. Die von Aulis
absegelnden Hellenen bringen unter ihm Opfer dar:
t|uei£ b' dpqn ncpi tcprjvnv \epou? icaia ßumouq
£pboucv d0avdTOio*i T€\r|€(J0"a^ ^Kaiöußas,
KaXrj Otto irXcttaviaTw, öOev jte'ev dfXaöv übuop.
Sein Name (TrX<xTdvio*TO<5, nXdiavog, ebenso ngriech.) ist offenbar echt
griechisch, von tiXotu? .breit', wegen der breitschatteuden Blätter des
Raumes, abgeleitet. Der Annahme der Botaniker, dass der Baum in
Griechenland einheimisch sei, steht also von linguistisch-historischer
Seite uichts im Wege.
Etwas anders liegen die Dinge in Italien. Über das Vorkommen
der Platane daselbst berichtet schon Theophrast 1 1 ist. plant. IV, 5, 6:
uev Y<*p Tili Abpict TtXdTavov ou qxMJiv elvai ttXtjv nepl tö Aioun.bou£
icpöv " öTtaviav bfc Kai iv "iTaXia Trdörj • kcutoi ttoXXo! koi ucfdXoi tto-
Tauoi uap" duepoiv dXX' oük £oik€ <p^peiv 6 tötto«;. Nimmt man biuzu,
dass lat. platarius (Cato) dem Griechischen entlehnt ist, so wird man
anzunehmen haben, dass in Italien der Baum sieh hauptsächlich durch
die vou Grossgriechenland ausgehende Kultur desselben verbreitete.
Nach einer merkwürdigen Nachricht des Plinius II ist. nat. XII, 0
hätte in seiner Zeit die Platane ihren Weg bis zu den Morinern ge-
funden; doch ist wahrscheinlicher, dass au dieser Stelle ein ähnlicher
Baum, etwa der Ahorn (s. d.), gemeint ist, der zuweilen mit denselben
Wörtern wie die Platane benannt wird. Im Albanesischen und Alt-
slovenischen gilt für den letzteren Baum Pap und repina. — Vgl. V.
Hehn Kulturpflanzen0 S. 283 ff. S. u. Obstbau und Baumzucht.
Poesie, s. Dichtkunst, Dichter.
Polei, s. Garten, Gartenbau.
Polster, s. Hausrat.
Polyandrie. Diese bei zahlreichen nichtidg. Völkern bezeugte
Form der Ehe (vgl. darüber Starckc Die primitive Familie S. 137 ff.),
bei welcher ein bestimmter Kreis vou Männern, meistens Brüder (Pbratro-
gamie) eine oder mehrere Frauen gemeinsam besitzeu, widerstreitet so
sehr allem Uber die Gemeinschaft von Mann und Frau in der idg. Ur-
zeit feststehenden (s. u. Familie), dass von ihr bei den idg. Völkern
als von eiuer alten Sitte nicht die Rede sein kann. Auch lassen sich
die wenigen Beispiele dieser Eheform auf idg. Boden als verhältnis-
mässig jung oder gar nicht auf echte Idg. bezüglich erweisen. In
Indien ist in der vedischen und juristischen Litteratur noch nichts von
Polyandrie bekannt, und erst im Epos treten, z. B. in der Ehe der
Draupadi mit den fünf Pändu-Sühnen, Fälle von ihr auf (vgl. Delbrück
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Polyandrie — Polygamie.
Verwandtschaftsnamen S. 544). Von den Briten berichtet allerdings
Caesar De bell. gall. V, 14: Uxores habent dem duodenique inter
8e commune8, et maxime fratres cum fratribm parentesque cum
liberis: sed qui sunt ex iis nafi, eorum habentur liberi, quo primum
virgo quaeque deducta est. Allein es ist wahrscheinlich, dass sich
diese Nachricht gar nicht auf die keltischen Briten, sondern auf die
Ureinwohner Englands, die Pikten, bezieht, von denen auch Dio Cassius
(LXXVI, 12) sowohl hinsichtlich ihrer nördlichen Abteilung (der
KaXnbövioi), wie auch der südlichen (der Maidrai) erzählt: biaiTwvTai
iv tfKnvai? -ruuvoi kcii dvuTröotTOi, rat? tovaiFiv cttikoivok; xpwuevoi
Kai tö Y€vvu»ueva Ttdvxa £KTpecpovT€<; (vgl. H. Zimmer Z. der Savigny-
Stiftung für Rechtsgeschiehte XV. B. Roman. Abt. 8. 224 ff.). Aller-
dings mttsste dann bei den Ureinwohnern Englands und Irlands sowohl
Polyandrie wie auch Mutterrecht (s. d.) geherrscht haben. Von den
Agathyrsen (vgl. Herodot IV, 104: dmicoivov be tüjv fuvaiKuiv -rny^
HiEiv itoieüvrai, iva KacriYvnjoi T€ dXXnXiuv £wöi Kat oiku/km £övtc<; ttovtc?
unre <p6övu» jLir|TT £x9ti xP^vrai i<; dXXr|Xou?) wissen wir nicht, wohin
sie sprachlich und ethnographisch gehören. Die Nachricht des Polybius
endlich (vgl. K. 0. Müller Dörfer II, 190, Leist Graeco-it. Rechtsg. S. 78),
nach der in Sparta mehrere (auf einem Kleros sitzende) Brüder nur
eine Frau und gemeinschaftliche Kinder besessen hätten, stellt, wenn
sie glaublich ist, doch nur eine in eiuem besonderen Fall durch rein
wirtschaftliche Gründe (die Unmöglichkeit auf einem kleinen Kleros
mehrere Frauen zu ernähren) veranlasste Ausnahme von der allgemeinen
Regel dar. Auch wäre zu bedenken, ob nicht die klassischen Bericht-
erstatter, die bei den auf niedrigerer Kulturstufe zurückgebliebenen
Indogcnnancn Europas überall die uralte, ihnen selbst nicht mehr ge-
läufige Erscheinung der „Hausgemeinschaft", d. h. die räumliche Ver-
einigung mehrerer verwandten Familien, vorfanden, diesen Zustand
zuweilen mit Polyandrie und Weibergemeinschaft verwechselten. That-
sächlich soll, ,wo mehrere Gcschlechtsfolgcn und Haushaltungen bei-
sammen wohnen, leicht eine Art geschlechtlicher Ungebundenheit und
Vermischung entstehen" (vgl. F. v. Hellwald über die russische izbd,
Die menschliche Familie S. öuO). Einen hübschen Beleg hierfür giebt
V. Hehn De moribus Ruthenorum 8. 244, wo ein junger Mann mit
Stolz erzählt, seine Frau sei von „Batnschka4 (seinem Vater) ge-
schwängert worden. Hehn fügt hinzu: „Patriarchalismus4.
Polygamie. Mit Ausnahme von Griechen und Römern lassen
sich polygamische Verhältnisse noch bei allen idg. Völkern nach-
weisen. Über die Inder äussert sich Delbrück Vcrwandtschaftsnameu
8. ä40: „Dass ein Mann mehrere Frauen haben konnte, ist unzweifel-
haft. So werden z. B. Mann selbst zehn Weiber (jayä'x) zugeschrieben.
Als regelmässig werden vier Frauen des Fürsten erwähnt .... Doch
wird in den Regeln (Sütras) Über Opfer und Haushaltung derZnstaud
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Polygamie — Post. 635
als der natürliche vorausgesetzt, dass ein Mann nur eine Kran, oder
doch nnr eine Hauptfrau hatu. Dazu vgl. H. Zimmer Altind.
Leben S. 324 Aber Zeugnisse für Polygamie im Rigveda. Von den
alten Persern berichtet Herodot I, 135: Ycm^outfi b' £ko.o"to<; aütOuv
TroXXd? ufcv tcoupMaq yuvoukcu;, ttoXXui b' £ti TrXeövcu; naXXcocä<; ktwvtcu,
und derselbe von den Thrakern: fyet Yovaixa? 2i<ao*TO<; TioXXäs (V, 5;
das folgende zeigt, dass unter YuvaiKCtq eigentliche Frauen verstanden
sind, da daneben noch <piXcu .Kebse' genannt werden). Unzweifelhaft
ist auch die Vielweiberei bei altslavischcn Grossen (von dem ge-
meinen Mann erfahren wir, wie häutig, nichts). Die wirkliehen
Frauen weiden als em// vodimyja (: altsl. vedq ,flthre') „ihm Zugeführte"
im Gegensatz zu den Heischläferinnen (naloznia/) bezeichnet (vgl.
Ewers Das älteste Recht der Russen 8. 105 ff.). Die alten Preussen
verpflichteten sieh erst im Jahre 1240, nicht mehr, wie bisher, 2 oder
3 Weiber zu nehmen, sondern sich mit einem zu begnügen (vgl. Hart-
knoch Das alte und neue Preussen S. 177). Bei den Germanen tritt
im Anbeginn ihrer Überlieferung die Vielweiberei im Westen noch als
Ausnahme, bei Fürsten (Tac. Germ. Cap. 18), im Norden aber als Regel
uns entgegen (vgl. Weinhold Altn. Leben 8. 249), und auch für die
Gallier lässt der Bericht des Caesar De bell. gall. VI, 19 (: Et cum
paterfamiliae illustriore loco notus deeexsit, propinqui conreniunt,
et, eins de morte si reit in mspicionem venit, de u.roribns in ser-
vilem modum quaestionem hahent) auf Polygamie schliessen.
Ohne Zweifel hat man also für die idg Urzeit von polygamischen
Verhältnissen anszugehn, wobei jedoch zu bedenken ist, dass wie in
historischeu, so in vorhistorischen Zeiten das Halten zahlreicher Frauen
im allgemeinen nur dem Reichen und Vornehmen möglich gewesen
sein wird. Auch wird man einen Ansatz zu monogamischer Ehe schon
in der Urzeit in dem idg. *potnt- , Ehefrau, Herrin' (neben *poti-* ,Ehe-
mann, Herr ) erblicken dürfen, womit die erste oder Lieblingsfrau des
Mannes ursprünglich benannt worden sein wird (s. u. Ehe: vgl. auch
P. v. Bradke Gött. Gel. Anz. 1890 S. 913 f., der nach zahlreichen
Einwendungen gegen diese schon Sprachvergleichung und Urgeschichte*
S. 199, i)99 ausgeführten Ansichten schliesslich zu wesentlich derselben
Auffassung gelangt). — 8. noch u. Familie und Heirat.
Polytheismus, s. Religion.
Pomade, s. Seite.
Pomeranze, s. Zitrone.
Posanne, s. Musikalische Instrumente.
Post. Eine ständige Einrichtung zur Beförderung von Nach-
richten und Personen ist im Altertum zuerst durch die persischen
Könige ins Leben gerufen worden. Vgl. Herodot VIII, 98: oütuu toiOi
rtepo*r|o"i £2€upn.Tcti toüto. X€"rouo"i y<*P. ü>S öo"tuv öv f|U€p^ujv f\ r\ Träo"a
ööds, toOoötoi Vttttoi t6 Kai <5vbp€<; bieOiäOi, Kcrrü n.u€pr|0*ir|V °^öv ^K(*~
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63»;
Post.
<jttiv uttto«; T€ Kcu dvn.p TtTatM^vo?, tou? oute vi<p€tö?, oük öpßpo?, oü Kaöua,
oü vü£ £pY£i MH ou KaTavutfai töv TrpOK€ip€VOV duüUTÜj bpöuov nr|V Taxiarnv.
6 pev bf) TrpüJToq bpapibv Trapabiboi Tä dvteTaXp^va tüj beuic'puj, 6 bk
beÜTepo? tüj TpiTiu. tö be £vöeÖT€V f\br\ kot' äXXov bic£^px€Tai Trapabi-
böpeva . . . touto tö bpdprma tüjv Vttttujv KaXe'oucri TT£po"ai dYYapn,-
iov und V. Ö2 (über die Strasse diro OaXdotfns jf\q 'Iuivujv rrapä ßa-
o'iXe'a): o*Ta9poi tc TravTaxr) €to"i ßacriXn.ioi Kai KaTaXüo*i€? KÖXXiöTai,
bid oiKtonevns T€ n öböq ärcacra Kai datpaXeos, dazu Xcnophon Cvro-
paedie VIII, 0, 17.
Nach Griechenland muss die Kenntnis dieses persischen Kourier-
dienstes früh gedrungen sein, nie denn schon Aeschylos Agauienin.
v. 282: (ppuKTo? bi cppuKTÖv beüp' dTr' dYYdpou nupö? eireurrev (von
den Feuern gesagt, die Trojas Fall melden) das persische Wort ge-
braucht. Im Iranischen seihst hat dasselbe aber bis jetzt keine be-
friedigende Erklärung gefunden (ältere Deutungen vgl. bei Vf. Handels-
geschichte und Warenkunde It 31). Im Gegenteil hat man neuerdings
vermutet, dass äffapoq, drTapniov, dYYap*uw auc^ uu Persischen Lehn-
wort sei und zu babylonisch agru »Mietling* gehöre, wie auch das von
Suidas als Synonym von ärrapoq bezeugte do"Ydvbn.q (dOTavbnq : o*n*
paivei Touq ix biaboxns ßacriXiKoüq YpappaToepöpouq) aus babylonisch
asgandu , Eilbote' übernommen sei (vgl. Jensen bei P. Horn Grundriss
d. npers. Et. S. 28 f., 2ö4). In diesem Falle dürfte man vermuten,
dass die persische Post ihr Vorbild im Euphratthal gehabt hat.
Nachahmung hat das persische Beispiel, das ein grosses und von
einem einheitlichen Willen geleitetes Reich voraussetzt, auf griechi-
schem Hoden nicht gefunden. Hier begnügt man sich bis in späte
Zeiten mit den gelegentlichen Tagesläufern (npcpobpöpoi, vgl. agls.
hleape're »Läufer', , Eilbote') und, bei geheimer Botschaft, mit der
OKUTdXn,. Einen bleibenden Gewinn stellt nur die Entfernungsberechnung
nach persischen Ttapaad-fTm (pchl. fraxang, npers. ferseng) dar (Dcu-
tnugsversuch dieses Wortes bei Lagarde Ges. Abh. S. 78).
Zu einer genauen Nachbildung des persischen Postdienstes entwickelte
sich hingegen während der Kaiserzeit der römische cursus publicus,
in dem auch das persisch griechische angaria als Bezeichnung des
Kourierwesens bis in das mittelalterliche Latein fortgetragen wurde.
Was von Kyros in der Cyropaedie (s. o.) berichtet wird, erzählt auch
Sueton von Augustus: Et quo celerius et sub manum annunciari cog-
noscique poxset, quid in l*rorincia quaque gereretur, iuvenes primo
modieift intercallitt per militares tiax, dehinc vehicula disposuit. Den
persischen tfraGpoi und KaTaXüoie; entsprechen die römischen man-
siones und permutationes, auch positionex (mint, posita »Standort der
Pferde', woraus das jungeuropäische it. posta, nhd. post, lit. püstas,
russ. pocta). Wie die persische, dient auch die römische Einrichtung
nicht dein Verkehr im allgemeinen, sondern in erster Liuic dem Staate-
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Post — Priedel-.
037
dienst t.nd der Heeresbeförderung; und -Verpflegung. Die römischen
nutnxionex in Italien wie in den Provinzen waren zugleich , Heeres-
lager' und , Wirtshäuser', wie auch das alid. heriberqa, eine Ver-
deutschung; des lateinischen Wortes, beide Bedeutungen in sieh vereinigt
fs. n. Gasthaus). Auch direkt sind römische Termini dieses cursus
publicux in das Oermanische Übergegangen. So das galliseh.-lat. para-
veredux ,das Postpferd auf Nebenlinien' (ahd. pferifrhl, pferid, s. u.
Pferd), so lat. muht*, der Name des Maultiers, das in diesem römischen
Postdienst ebenfalls eine wichtige Rolle spielte (ahd. mill, s.u. Maul-
i i c r), so lat. camtx. die Benennung des gewöhnlichsten Transport-
wagens im Postdienst, und lat. carruca ,Prachtwageu' (ahd. karro,
karra und karrüh, s. u. Wagen), so das lat. xtrfita, die gemauerte
Heer- und Poststrasse (ahd. xtrüzza, s. u. Strasse), und das römische
Entfernungsmass, lat. mttia sc. pasxuum (ahd. milla, mndl. mih, agls.
mil). Ansätze zur Bildung eigener Posten lassen sich im Norden erst
in der Zeit der fränkischen Hausmaier nachweisen.
Versuche freilich, Nachrichten schnell von Ort zu Ort gelangen zu
lassen, mögen auch bei den Nordvölkern, wenigstens da, wo sich
staatliche Zusammenhänge gebildet hatten, früh gemacht worden sein.
Von einem derselben bei den Oalliern berichtet Caesar De bell. gall.
VII, 3: Celeriter ad omnex Galliae ciritatex fama perfertur. nam
ubi quae minor atque illuxtrior iueidit rex, clamore per agrox re-
gionexque signi/icant, hunc alii deim epx e.i'cipiuiit et pro.rimix tradunt.
Vgl. in sachlicher Hinsicht H. Stephan Das Verkehrsleben im Altertum
(Historisches Taschenbuch v. F. Raumer 4. Folge 9. Jahrg. S. 1 ff.).
Presse, s. Wein.
Priester. Eine idg. Bezeichnung für im Gottesdienst berufs-
mässig thätige Personen ist bis jetzt nicht nachgewiesen worden. Die
einzige Gleichung, auf die man sich in diesem Sinne berufen könnte
und berufen hat (vgl. .1. Wackernagul Ursprung des Brabmanismus
S. 31), ist seit, brähman- N. .Andacht', brahmän- , Priester' = lat.
flämen. Allein es lässt sieb erweisen, dass die ursprünglichste Be-
deutung dieser Sippe nicht eine persönliche und also nicht die eines
Priesters gewesen sein kann. Für das indische Wort, das wichtigste
der indischen Religionsgeschichte, neigt man sich nach dem Vorgang
M. Hangs (Über die ursprüngliche Bedeutung des Wortes brahma
Sitzungsb. d. kgl. bayer. Ak. d. W. zu München 1868 II S. 80 ff.)
und R. Pischels (Gotting, gel. Anzeigen 1894 S. 420 ff.; mehr und
mehr der Ansicht zu, dass die Grundbedeutung desselben nicht mit
Böhtlingk-Rotli in der Sphäre der Religion („die als Drang und Fülle
des Gemütes auftretende und den Göttern zustrebende Andacht
sondern vielmehr in der des Zaubers zu suchen sei, dass brähman-
ursprünglich Zauberspruch', brahmän- demzufolge den , Kenner von
Zaubersprüchen' bezeichnet habe. Dieser Meinung schliesst sich mit
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Priester.
voller Entschiedenheit auch H. Osthoff Allerhand Zauber etymologisch
beleuchtet (B. B. XXIV, 113 ff.) au, nur dass er seit, brähman- von
lat. flämen trennen und zu ir. bricht ,Zauber', altn. bragr ,Dichtkunst',
lat. forma („Formel") stellen möchte; doch wird man ihm hinsichtlich
dieses letzteren Punktes angesichts der nahezu vollständigen Überein-
stimmung von sert. brähman- = lat. flämen (worüber auch Kretschmer
Einleitung S. 128 zu vergleichen ist) nicht folgen können. Ist aber
die Zusammenstellung von sert. brähman- und lat. flämen richtig,
dann ist fttr das lat. Wort, das durch seine Bildung (flämen wie carmen,
agmen etc., nicht *flämö) auf einen ursprünglich neutralen Begriff hin-
weist, die Grundbedeutung Zauberspruch' anzusetzen, die durch eine
Zwischenstufe wie ,Gemeinschaft von Kennern der Zaubersprüche'
hindurch sich auf lateinischem Boden zu der historischen Bedeutung
von , Priester' (einzelner Kenner der Zaubersprüche) entwickelt hat.
Es verdient in diesem Zusammenhang bemerkt zu werden, dass auch
das lat. »acerdos , Priester' seiner Bildung nach (*sacro-döti-) auf eine
Bedeutungsentwicklung : ,Opfergebung', Gemeinschaft von Opfergebern',
einzelner Opfergeber' (Priester) hinzuweisen scheint.
Im übrigen fehlt es innerhalb der idg. Benennungen des Priesters
an jeder Übereinstimmung, abgesehn von den arischen Sprachen, die
die für die religionsgeschichtliche Sonderentwicklung der Inder und
Iranier hochwichtige Gleichung von sert. hö'tar- (einer der hervor-
ragendsten vedischen Priester) = aw. zaotar- („vornehmster Liturg des
awestischen Rituals") darbieten. Daneben wäre auf die Übereinstimmung
von sert. ätharvan- , Feuerpriester' = aw. a&aurun, äßravan , Priester'
zu verweisen.
In Europa ist das Slavische äusserst arm au alten heidnischen
Ausdrücken für den Diener Gottes. Zu nennen ist eigentlich nur das
altsl. zrüci, russ. irecl, das zu ireti ,sacrificare' (s. u. 0 p f e r) gehört.
Reicher ist das Litu-Preussische (s. u.). Auch den germanischen
Sprachen fehlt es an einer alle Stämme beherrschenden Bezeichnung
des Priesters. Im Gotischen und Altnordischen gelten gudja (daneben
wird für dpxiepcu^ einmal von Ullilas aühumists weiha ,Obereter der
Heiligen' gegeben) und gooi, gudi, beides Ableitungen von got. gup
,Gott*. Ahd. cotinc ,tribunus' zeigt, wenn es wirklich hierher gehört,
jedenfalls eine andere Bildung. Übereinstimmung weisen auch got.
gup-blöstreis ,9€oo-eßn.<;' und ahd. pluosträri auf; doch können beide
auch unabhängige Ableituugen von got. *blÖ8tr, ahd. bluostar ,Opfer'
sein. Aus dem Althochdeutschen sind zu nennen: harugäri und para-
toäri, welche die Priester als Huter der heiligen Haine bezeichnen,
aus dem Althochdeutschen, Altsächsischen und Friesischen ewart und
teago, die die richterliche Bedeutung des germanischen Pricstertums
hervorheben (s. u. Richter). Von burgundisch sinistus ist später zu
handeln. Den altgallischeu Pricsterstaud benennt druida, ir. drüi,
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Priester.
6:J9
nach Thurncysen (bei Holder Altkcltischer Sprachschatz) aus *dru-
vid-8 latinisiert, ,der hochweise', eine Bezeichnung, die ihre genaue
Entsprechung in dein litu-preussisehen Namen des Priestern und Zauberers
tcaidelotte, waidewut : icaist , wissen' (vgl. auch bei Nesselmann The-
saurus S. 190: tcaidleimai, „wir waidlen", d. Ii. wir verrichten die
gottesdienstlichen Gebräuche) findet. Auch im Irischen ist das Wort
noch in der Bedeutung von ,magus', ,Zauberer' ' ir. druidecht , Zauberei )
erhalten. Von der lateinischen Gesamtbezeichuung der Priester,
sacerdos, war schon die Rede, ebenso von den fiäminex. Von den Be-
nennungen anderer altlateiiiischer Priestertümer sind die pontifices als
,Wege- oder Brückenbauer', die salii als .Springer' oder ,Tänzer', die
fratrea anales, als ,Feldbrüderschaft' (s. u.), wohl auch die augures als
,Vogelflugverkündiger' unmittelbar klar, während die Namen von
Collegien wie der fetiales und der htperci noch der Aufklärung harren.
Der griechische Name des Priesters endlich, \epeu{, bezeichnet
einen, der es mit dem \epov ,dem Heiligen' zu thun hat (vgl. voiieüq
,Hirt' : vöuo?, u€TaXX€u? Bergarbeiter' : pitaXXov) oder noch eher
einen, der es mit einem (Heiligtum' (iepöv ,Tempel') zu thun hat, wie
denn der griechische Priester, wenigstens in homerischer Zeit, ganz
und gar an ein solches gebunden ist. Andere griechische Namen des
Priesters finden sich bei Hesychius (ed. M. Schmidt IV, 2 S. 42). So
<5pY€u>v€S : op-rict ,geheimer Gottesdienst' von £p-rov ,\Verk' (vgl. bei
Osthoff a. a. 0. S. 109 altsl. cartl ,Zanber", lit. kere'ti .bezaubern',
sert. krtyä' .Behexung' : sert. kar ,thuen', krti- ,Werk'), rduapo^, tö-
noupo?, npößoXo? u. s. w. Sie gehen fast alle in das Gebiet der Mantik
über, da Wahrsagerei uud Priestertum gerade auf griechischem Boden
eng bei einander liegen.
Überblickt man die geschilderten Verhältnisse, so ergiebt sieh, zunächst
von rein linguistischem Standpunkt aus, der Ansatz, dass die Indoger-
raanen in der Urzeit noch keine gottesdieustlichen Personen
kannten, welchen die Darbringung der Opfer n. s. w. oblag. Dieser
Ansatz scheint durch die thatsächlicheu Verhältnisse, wie sie sich
wenigstens bei z w e i idg. Völkern noch finden, als richtig bestätigt zu
werden. Nach Krek, welcher Einleitung iu die slavische Ltg.! S. 411
die Litteratur über diese Frage hinsichtlich der altslavischcu Völker
gesammelt hat, hätte es bei diesen Priester in der ältesten Zeit nicht
gegeben, als Vollstrecker der Opfer seien vielmehr ausschliesslich die
Hausväter, die Sippen- und Stammesältesten sowie die Fürsten anzu-
sehn. Dasselbe wird man mit Berufung auf Caesar De bell. gall. VI, 21:
Neque druides habent, qui rebus divini« praesint, neque sacrifieiis
Student („sie legen keinen sonderlichen Wert auf Opfer", vgl. VI, 22:
agriculturae non student) für die iiitesten Germanen oder wenigstens
für d i e Germanen, welche Caesar kannte, vermuten müssen. Allerdings
ist die Stelle im Gegensatz zu den keltischen Zuständen gesagt, allein
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640
Priester.
die xVusd rucksweise des Schriftsteller!* wäre doch mehr als wunderlich,
wenn er hätte sagen wollen: die Germanen haben zwar keine Druiden,
aber andersartige Priester, die den Opfern vorstehn. Auch wurde im
skandinavischen Norden das Opfer ausschliesslich von den weltlichen
Herrschern geleitet (vgl. Golther Germ. Myth. S. 619), wenn es auch
daneben bereits eine bestimmte Art von Priestern gab, auf die unten
zurückzukommen sein wird.
Wenn es demnach nicht an Anzeichen fehlt, welche auf einstige
Pricsterlosigkeit der Indogermanen hinweisen, so wird die
Frage, auf welchem Wege aus einem solchen Zustand die Priester und
Pricstertttmer der Einzelvölker hervorgegangen sind, noch eingehender
Untersuchungen bedürfen. Zwei Sätze aber lassen sich schon jetzt mit
ausreichender Sicherheit aufstellen, nämlich einmal, dass schon in sehr
früher Zeit heilige Familien und Sippen vorhanden waren, die
sich in dem Besitz besonders wirksamer Zauberformeln, Opfer und
Gebete befanden, die in ihnen von Geschlecht zu Geschlecht weiter
erbten, und zweitens dass zahlreiche wichtige Priesterärater sich von
den Funktionen des idg. Königs oder Stammeshäuptlings losgelöst
haben. Heilige Clane wie die Vasishthas, die Vicvämiträs, die Rharad-
väjäs u. a. sind als die Vorläufer der späteren Priesterkaste aus dem
Rigveda wohl bekannt, und es fehlt nicht an Spuren dafür, dass diese
Priesterfamilien, die nach der Überlieferung im wesentlichen ein und
denselben Kultus vertreten, in früherer Zeit zahlreiche So nd erkalte
und Spczialriten besessen haben (vgl. Ohlenberg Die Religion des
Veda S. ST.'i). Aber auch in Europa ist derartiges nicht selten.
Namentlich sind uns aus dem alten Griechenland zahlreiche sakrale
Geschlechter mit besonderem Kulte überliefert, die EuiuoXmbai, die
'ET€oßouTdbai, die 'Hauxtbai, die Kivupäbai, KpovTibat, Kuvvibm, TTot-
uevibai u. s. w. Das Priestcrtum ist in diesen Familien Gesamtbesitz
wie ursprünglich alles Eigentum (s. d.), und erbt von dem Vater auf
sämtliche Söhne und von diesen auf sämtliche Enkel (vgl. P. Stengel
Die grieeh. Kultusaltertümer in ,J. v. Müllers Handbuch d. kl. Alter-
tumsw. V, 3 S. Hl f.). Durch die Errichtung eines Heiligtums wird
ein solches Priestcrtum (was im vedischen Indien nicht vorkommt)
lokal und bildet so das \epöv, an das bei Homer «Iii* Existenz des lepeüq
geknüpft ist. Dem homerischen Priester am nächsten steht, was wir
über die norwegischen Goden wissen (vgl. Golther a. a. O. S. f>lö>.
Sic können den ihnen gehörigen Tempel noch abbrechen und damit
anderswohin ziehen. Auch bei ihnen erbt der Priesterstand durch
mehrere Geschlechter fort i vgl. ,1. Grimm D.M. P, 8.'»). Ganz anders
scheinen auf den ersten Mick die Verhältnisse im ältesten R o m zu
liegen. Hier sind es staatliche Collegien, keine Familienverbände, denen
die Ausübung der einzelnen Kulte obliegt. Gleichwohl fehlt es auch
hier nicht an Resten eines älteren Zustand». Den unzweideutigsten
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Priester.
G41
stellen die fratres arrales dar. In der Zeit, wo diese Benennung
geprägt wurde, kann frater nichts anderes als den wirklichen Ver-
wandtschaftsgrad bezeichnet haben und nicht etwa wie unser „Bruder"
in „Klosterbruder", „Amtsbruder", „Verbindungsbruder gebraucht
worden sein. Zum Überfluss berichtet zur Erklärung des Xamens die
Sage (vgl. Marquardt Römische Staatsverwaltung III, 429), dass Acca
Larentia, die Frau des Fanstulus, 12 Söhne gehabt habe, mit denen
sie jährlich einmal für die Fruchtbarkeit der Felder geopfert habe.
Wir haben also eine eigentliche Brüderschaft (griech. <ppn.Tpr|, slav.
bratstvo, s. u. Sippe) vor uns, deren erb- und eigentümliches Zauber-
lied jener uus glücklich erhaltene Gesang war, der gerade durch die
vereinigte Anrufung der Totengeistcr (Enos Lasen iueate, s. u. Ahnen-
kultus) und eines eigentlichen Gottes (Enos Marmor iuvato) den
Stempel höchsten Altertums trägt (s. u. Dichtkunst, Dichter). Dies
macht es wahrscheinlich, dass auch andere altrömische Priestertümer
in verwandtschaftlichen Organisationen gewurzelt haben. Für die ponti-
fices, die Weg- und Brückenbauer, deren Gewerbe in alten Zeiten von
sakralen Riten umgeben gewesen sein muss, wird dies vielleicht durch
ihr griechisches Ebenbild, das böotisch-attischc Geschlecht der Ge-
phyräer (: yiyvpa , Damin, Brücke') wahrscheinlich gemacht (vgl. Leist
Gräco-italische Rechtsgeschichte S. 185; doch s. u. Brücke).
Der zweite der oben angefühlten Sätze behauptete die Loslösung
zahlreicher Priestertümer aus dem Funktionenkreis des Königs (s. d.).
Im vedischen Altertum zwar ist dieser Prozess bereits zum Abschluss
gediehen. Hier bedarf der König als Opferveranstaltcr unumgänglich
der Dienste des Hauspriesters (puröhita-). „Nicht essen die Götter",
sagt das AitarSya ßrähmana VIII, 24 (Oldenberg S. 374), „die Speise
eines Königs, der keinen Purohita hat. Will also ein König opfern,
soll er einen ßrahmanen zum Purohita machen, damit die Götter seine
Speise essen". Auders noch im homerischen Zeitalter. Hier beschränkt
sich die Opferthätigkeit des Priesters, wie wir schon sahen, ganz auf
sein Heiligtum. Die häuslichen Opfer besorgt der eiuzelne, und für
das ganze Volk opfert der König, ohne dass ein Priester zugezogen
würde. So fest ist der Gedanke des Priestertums mit der Würde des
Königs verknüpft, dass nach dem Sturze des Königtums die priester-
lichen Funktionen desselben in dem athenischen öpxiuv ßao*iX€Ü£ weiter
leben. Genau so ist die Entwicklung im alten Rom. Wie die sacra
des Hauses von dem pater familias, so ist in der Königszeit der
öffentliche Gottesdienst von dem König verwaltet worden. Mit der
Aufhebung des Königtums ward die geistliche Gewalt des Königs auf
den Pont if ex maximus übertragen. Für einige bestimmte geistliche
Handinngen aber, die an den Namen des Rex geknüpft zu sein
scheinen, behielt man auch einen Priester mit dem Namen Rex {rex
Schräder, Reallexikon. 41
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642
Priester.
sacrarum, sacriftciorum, sacrificus, sacri/iculus) bei (vgl. weiteres bei
Marquardt a. a. 0.;.
Etwas weniger deutlich lässt sich der hier in Frage stehende Vor-
gang bei den Germanen nachweisen. Nimmt mau von den Nach-
richten des Tacitns über einen altgermauischen Priest erstand, der also
nach dem obigen in der Zeit zwischen Caesar und Tncitus aufge-
kommen sein oder an Bedeutung gewonnen haben muss, diejenigen
aus, welche sich auf ein lokales Heiligtum beziehn, den Priester der
Nerthus (Germ. Cap. 40) und den Priester im Haine der Alcis bei
den Nahauarvaleu (Cap. 43), so weiden folgende Funktionen des alt-
germauisehen Priesters von Tacitus erwähnt. Er gebietet den Frieden
iu der Volksversammlung (Cap. 1 1 : Silentium per sacerdotes, quibus
tum et coercendi ius est, imperatur), er hat die -Strafgewalt im Krieg
(Cap. 7: Ceterum neque animadvertere neqtie tincire, ne verberare
quidem nisi sacerdntibus permissum, non quasi in poenam nec ducis
iussu, ned velut deo imperante, quem adesse hellantibus credunt), er
trägt die Fahnen ans den heiligen Hainen herbei 'Cap. 7: Kfjigiesque
et signa quaedani detracta lucis in proelium ferunt), er deutet in
öffentlichen Angelegenheiten das Los und begleitet zusammen mit dem
König oder Fürsten den mit Rossen bespannten heiligen Wageu, um
das Wiehern der Tiere zu beobachten iCnp. 10: Mo.c, si publice con-
sultetur, sacerdos cinitati*. sin pricatim, ipse pater familiae ....
(sttrculos) interpretatur quo* (equox) pressos sacro curru
sacerdos ac rex vel prineeps civitatis comitantur hinnitusque ac fre~
mit us obsercant). Von diesen Funktionen lässt sich wenigstens eine,
die Strafgewalt im Krieg, als zweifellos von der weltlichen auf die
geistliche Macht übertragen nachweisen, da Caesar De bell. gall. VI, 23
ausdrücklich bezeugt: Cum bellum cicitas auf illatum defendit aut
infert, magistrat us, qui ei hello praesint, ut vitae necisque ha-
beant pot estatem, deliguntur. Nimmt man hinzu, dass bei den
Germanen, wie der König, so der Priester dem Adel angehören muss
(vgl. J. Grimni R.-A. S. 207 ff.), dass, wie der Stammeshäuptling als
Alderujann (Starost, s. u. König), auch der Priester als „Ältester"
(burguud. sinistus : lat. senex) bezeichnet wird, dass das germanische
*kuningaz, wie lit. kunigas, cech. knez, polu. ksiqdz u. s. w. , Pfarrer'
zeigen, zu einer Zeit iu den Osten gedrungen sein könnte, in der dem
germanischen Stammeshaupt auch priesterliche Funktionen zukamen, so
wird dies alles zusammen es wahrscheinlich machen, dass auch bei den
Germanen die wichtigsten Priesterämter eine Abzweigung der Königs-
gewalt darstellen. Ähnlich liegen die Dinge bei den Litauern and
Preusscn. Ein baltischer Ausdruck für den Priester ist hier tcur-
schaites, ein Wort, das (vgl. v. Gricnbergcr Archiv für slav. Phil.
XVIII, 75) entweder zu altpr. urs ,alt', russ.-lit. orits, lit. veraltet
wöras oder zu lit. teirszüs ,das Obere' gehört, also entweder den ,Alten'
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Priester.
643
oder ,den Obersten' bezeichnet und (wie burgund. sintowi) ursprünglich
„nichts anderes als Vorsteher der Sippe oder des Stammes" sein kann.
Der Oberpriester der heidnischen Prensscn heisst critce, crywe. kriwe
(ob zu dem oben genannten lit. kereti .zaubern', ,der Zauberer'?). Das
Zeichen seiner Würde ist krhcüle ,der Krummstab', den ebenso der
Dorfschulze führt, und den er, bestehend aus eiuem kurzen Stecken
mit daran befindlicher Wurzel, von Haus zu Haus herumschickt, um die
Gemeindeversammlung, die darum auch selbst kriwüle genannt wird,
zu berufen. Die Blutsfreunde des kriwe heissen kryicaiten (vgl.
Nesselmann Thesaurus S. 81).
Ausserhalb aller priesterlichen Verhältnisse Alteuropas steht die kel-
tische Druiden käste, über die alle bis auf Aristoteles zurückgehende
Nachrichten bei Holder Altkeltischer Sprachschatz gesammelt sind. Sie
ist von Britannien auf den Kontinent herübergekommen. Von wo die
Anregungen zu ihrer Bildung ausgegangen sind, bleibt in Dunkel ge-
hüllt. Von einer eigentlichen Kaste kann man übrigens bei diesen
Druiden nicht sprechen, da das Druidentum (vgl. Caesar De bell. gall.
VI, 14, 2 f.) offenbar nicht auf Geburt, sondern auf der Anwerbung
und Ausbildung von Novizeu beruht.
Eine vollständige Umwandlung der Terminologie des Priestertums
ist uaturgemäss in Europa durch die Ausbreitung des Christentums
herbeigeführt worden. Nur verhältnismässig selten werden die alten
heidnischen Bezeichnungen des Priesters wie got. gudja oder ahd.
twart für den Diener des jüdischen oder christlichen Gottes fortge-
führt. Die Regel bildet durchaus die Übernahme der christlichen
Termini in die nordischen Sprachen. Weitaus die älteste dieser Ent-
lehnungen ist ahd. pfaffo, ndl. pape geistlicher, Pfaffe', woraus altsl.
popü u. 8. w.j altpr. paps etc. Wahrscheinlich stammt das deutsche
Wort aus griech. Tremas ,clericus minor', bezüglich aus dessen Vokativ
irarrä und enthält eine Spur der Einwirkung griechischen Christentums
in Deutschland. Sehr viel später sind die Benennungen der kirchlichen
Ämter uud ihrer Inhaber ausserhalb des Südens heimisch geworden,
worauf hier uicht weiter eingegangen werden soll.
So sehr durchdringt die Bedeutung des neuen Priesterstandes das Leben
der mittelalterlichen Welt, dass, was im heidnischen Altertum niemals der
Fall geweseu war, das sprachliche Bedürfnis nach einer Unterscheidung
von Priestern und Nichtpricstcrn, von Pfaffeu uud Laien hervortritt.
Im Deutschen wird hierzu einerseits das oben erörterte ahd. pfaffo
und als Kollektivum ahd. heit (got. haidus ,Art und Weise', ,Stand',
,ordo clericus'), andererseits ahd. leigo, agls. Idnoed ,Laie' aus tulat.
laicus (von griech. Xaö{ ,Volk') verwendet, im Slavischen einerseits
altsl. klirosü (aus griech. KXf)po<; ,Erbteil', xXnpot 6eo0 ,Priesterschaft'),
andererseits altsl. ljudinü : ljudü ,Xa6?' (vgl. auch ir. tüata ,Laie' :
tüath ,Volk') gebraucht. Weiteres, namentlich auch über die zahlreichen
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Priester — Purpur.
Übersetzungen griechisch-lateinischer Termini vgl. bei R. v. Räumer
Die Einwirkung des Christentums auf die ahd. Sprache Stuttgart 1845
S. 295 ff. und Miklosich die christliche Terminologie der slavischen
Sprachen Denkschriften d. kais. Ak. d. W. phil.-hist. Kl. XXIV Wien 1876.
Privateigentum, s. Eigentum.
Probierstein, 8. Edelsteine.
Prozess, s. Recht.
Purpur. Hierunter versteht man den zur Färberei benutzten
Saft der Trompeten- und Purpnrschnecke, von denen jene griech.
»cripuE, lat. bücinum, mtirex, diese griech. uop<püpct, lat. purpurn, pe-
Utgia genannt wird.
Schon in der homerischen Sprache begegnet häufig das Adjcktivnm
TTOp<pup€oq als Farbenbezcichnnng (gesagt von cpäpo?, x\a\va., biuXaS,
^rftea, t&nxyxi%, o*q>mpa, aTua, aber auch von KÜua, äXq, V€q>^Xr), 6d-
vaTO?), während das Substautivum Trop<püpa , Purpurfarbe', auch purpur-
farbige Teppiche' erst bei Aeschylos, und rcopipüpa ,Purpurschnecke'
erst bei Aristoteles zu belegen sind. Zur Erklärung dieser Sippe geht
man gewöhnlich von dem ebenfalls schon bei Homer bezeugten Verbum
TTOp(pupu> , heftig wogen' =&crt.jdrbhuriti ,zucken', »zappeln* aus, mit dem
man unter der Annahme, dass rsich der Begriff der schnellen Be-
wegung mit dem des Glanzes, Schimmeras, auch des schillernden
Farbenspiels vereinige", die Wörter für Purpur verbindet. Dass dies
sehr überzeugend sei, wird Niemand behaupten. Bedenkt man, dass
die Phönizier die unzweifelhaften Erfinder der Pnrpurfarberci sind, nud
dass die Purpurschneckc hauptsächlich am phönizischen Gestade und
an der palästinischen Küste (allerdings auch bei Lakonien und im
Euripus) vorkam, so wird man versucht, den Ursprung des griechischen
Wortes im Semitischen zu suchen. Doch hat sich eine sichere Spur
desselben noch nicht nachweisen lassen. Was Lewy Die semitischen
Fremdw. im Griech. S. 128 beibringt, ist zuweit hergeholt. Der Purpur
heisst im Hebräischen ärgämAn (roter Purpur) und teltlet (violetter
Purpur), die Schnecke, von der er kommt, nach jüdischer Überlieferung
hilzön (vgl. Riehms Bibellexikon u. Purpur). Wie iropqpupa, ist auch
das spät überlieferte tcdXxn, , Purpurschnecke', ,Purpursaft' noch nicht
sicher erklärt.
Durch die Vermittlung der Milesier, welche schon im VII. Jahr-
hundert v. Chr. Färbereien in Tarcnt, in dessen Golf die Purpurschnecke
ebenfalls vorkam, anlegten, gelangte der Purpur nach Italien (vgl. O.Weise
Die griech. Wörter in der lat. Spr. S. 204). Zeugnis hiervon legt die
frühzeitige Übernahme des lat. purpurn (Liv. Andr., Plautus) aus
griech. Trop<püpa ab. Auch die einzelnen Arten des Purpurs sind im
Lateinischen griechisch benannt. Im Zusammenhang mit diesem Akt
der Entlehnung steht wohl auch die Übernahme von Benennungen der
Muscheln wie concha, conehylium ans köyxi. "OYX^n ( = scrt- fafl&Äa-)
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Purpur — Quecksilber.
645
oder ostrum aus öarpcov (s. u. Auster), die beide uicbt selten aueb
für Purpurfarben gebraucbt werden, uud von dem bei der Herstellung
gewisser Purpurfarben verwendeten fueus »Seetang, ,Orseillefarbe' aus
grieeb. (Horn.) <pÖKO? (aus hebr. pük ,Augenschminke). Auf Urver-
wandtschaft mit dem gricch. puot£ »Miesmuschel' beruht hingegen das
ebenfalls zur Bezeichnung des Purpurs häufig gebrauchte lat. mürex.
In byzantinischer Zeit tritt für eine bestimmte Art von Purpur ein
ganz neues Wort auf : ßXdtTri, ßXdxiov, ßXdrnov, blatta, blattia, blattela,
blatteus (vgl. darüber W. A. Schmidt a. u. a. 0. S. 130 ff. und H. Blümner
Der Maximaltarif des Diocletian S. 164 ff.). Nach den Glossen des
Philoxenus hat dasselbe eigentlich 0pöußo<; aiuaio? geronnenes Blut'
bezeichnet, wie auch griech. eduet gelegentlich für den Saft der Purpur-
schnecke gebraucht wird. Vgl. aus dem Thesaurus von G. Goctz 1, 145
noch für blatta : genus purpurae, purpurn, genus purpurae ml
vermis, blatea est purpura, hinc blatea dicitur camisia linea, pig-
mentum hauiblauum etc. Das Wort lässt sich bis jetzt weder
aus dem Griechischen, noch aus dem Lateinischen, noch aus den semi-
tischen Sprachen erklären. Was die nordeuropäischeu Sprachen
betrifft, so ist lat. purpura in einige derselben früh übergegangen.
Vgl. ir. corcur, corcra, corcorda, kymr. porphor, sowie got. paür-
pura, paürpuröps von einem Verbum *paurpurön (jiroptpupoö?' während
xökkivos mit rauds übersetzt wird). Auch Ausdrücke für Klcidungs-
stoffe oder -stücke werden nicht selten zur Bezeichnung der Purpur-
farbe (mit der sie gefärbt waren) gebraucht. So griech. duöpYiva* id
TTopqpupoßcupfj vripaia Kai Xcrcid, o\ ufcv xpwuatos elbos Tf|v duöpYnv
(vgl. Blttmner Die gewerbliche Thätigkeit der Völker des kl. A. 1869
S. 95), so agls. pcellen aus lat. pallium (vgl. Kluges Angls. Lesebuch
S. 50) u. a. (vgl. Vf. Haudelsgeschichte u. Warenkunde I, 219). Im
Mittelalter aber tritt der Purpur anderen Färbemitteln, wie dem Scharlach,
Indigo und der Cochenille gegenüber, mehr und mehr zurück, bis
er seine Bedeutung endlich ganz und gar verliert. — Vgl. in sachlicher
Beziehung W. A. Schmidt Die Pnrpurfärberei und der Purpurhaudel
im Altertum (Forschungen auf dem Gebiete des Altertums I, 96 ff.).
S. u. Farbstoffe.
Q.
Quark, s. Käse.
Quecksilber. Es wird zuerst von Theophrast als xvw<; äpfvpoq
,flüssiges Silber' erwähnt. Daneben tritt später der Ausdruck übpdp-
Tupo? speziell für das künstlich aus Zinnober (s. d.) bereitete Queck-
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64C>
Quecksilber — Quitte.
silber hervor. Die Römer (Plinins) unterscheiden zwischen argentum
vivum, natürlichem, und hydrargyrwt, künstlichem Quecksilber. Vgl.
Kopp Gesch. d. Chemie IV, 172 f. Das lat. argentum vivum ist dann
das Vorbild für die meisten Bezeichnungen des Quecksilbers in den
europäischen Sprachen geworden: it. argento vivo, frz. vif-argent,
ahd. qutcsilhar (ahd. quec »lebendig' = lat. vivus), agls. emeseolfor
u.s.w. Ebenso für den Orient: npers. ziva, jiva ,Queeksilber', arab.
zibaq, armen, zipak desgl. : sert. jivaka- , lebendig' (vgl. Pott Z. f. d.
K. d. Morgenlands IV, 263). — 8. u. Metalle.
(Quelle, s. Brunnen.
(Quendel, s. Garten, Gartenbau.
Quirl, s. Butter.
Quitte. Pyru« Cydonia L., im Kaukasus, in Armenien, Klein-
asien und südlich des Kaspisees einheimisch, ist dem ägyptisch-semi-
tischen Knlturkreis in älterer Zeit fremd geblieben. In den neuiranischen
Dialekten lässt sieh eine gemeinsame Benennung des Baumes (kurd.
bell, pehl. he, buehar. hihir, npers. heh) nachweisen, die aber ohne Be-
ziehung zu den im Westen geltenden Bezeichnungen des Baumes ist.
In Griechenland wird der Baum, resp. seine Frucht, zuerst als
KobuuctXov bei Alkman ans Lydien in der Mitte des VII. Jahrb. (Fr.
90 Bergk), dann — deutlicher — als Kubuüvia uäAa bei dem Sikuler
Stesichorus um G00 (Fr. 29 Bergk) genannt. Man sehliesst aus dieser
Bezeichnung, dass der Baum den Griechen zuerst aus Kreta, und zwar
ans dem Gebiet der Kydonen zukam, doch ist sein ursprüngliches Vor-
kommen auf der genannten Insel noch nicht erwiesen. Die Frucht
und ihr Name, dann auch die Kultur des Baumes selbst gelangte von
Griechenland über Sizilien nach Italien, wo die Quitten mala cot onea
(eine Verstümmlung aus Kubwvia wohl nach cotana, cottana ,kleine
Feigen', vgl. u. russ. pigva) und cydonia genannt werden. Daneben
liegt (schon bei Cat<>) die Bezeichnung mal um strutheum, das dem
0Tpou8to<; des Tbeophrast (II, 2, 5) entspricht (Sperlingsapfel, Früchte
der Birnquitte). Die griechisch -lateinischen Bezeichnungen malum
cotoneum und eydonium haben sich dann nach dem Norden Europas
fortgepflanzt: ahd. eozzan, cottana und chutina, mhd. quiten, Hilde-
gardis: quittenbaum, altcngl. cod-, godxvppQl, altsl. gdunje und kidonije
(vgl. Miklosich Et. W. S. 61; daneben russ. pigva ,Quitte' aus ahd.
figa und die orientalischen russ. ajva und annud), all», ftna oi. Den
Anbau von Quittenbänmeu (cotoniarii) ordnet Karl der Grosse Capit.
de vill. LXX, 81 an. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen" 8. 241 ff. und
v. Fischer- Benzon Altd. Gartenfl. S. 146 ff. S. u. Obstbau und
Baumzucht.
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Rabe - Rätsel.
647
R.
Rabe, s. Singvogel.
Rache, s. Blutrache.
Rad. Auf idg. Altertum haben drei Reihen der Bezeichnung
dieses Begriffes Anspruch: 1. Int. rota, ir. roth, lit. riltas, ahd. rad
(sert. rdfha- , Wagen'); 2. sert. calrd-, griech. KUKXoq, agls. hteeohl,
hiceogl, hieeoteol, altn. hidl (daneben ohne Keduplikation altpr. kelan,
altsl. l'olo, altn. hvfl); H. armen, durgn .Töpferrad', grieeh. Tpoxö?,
ir. droch (*drogo-n), slav. droga, russ. drogi ,eine Art Wagen'. Allen
drei Reihen liegen Verben mit der Bedeutung »laufen' zu Grunde: ir.
rethhii, sert. cärati, grieeh. Tpexw. — S. n. Wagen.
Rahm, s. Butter.
Rasieren, Rasiermesser, s. Haartracht und Messer.
Kassenfragen, s. K Orper beschaffen hei t der Idg.
Hast, s. Mass, Messen.
Rätsel. Die Ursprünge dieser Dichtungsgattung scheinen im
Kultus zu liegen. Besonders deutlich tritt dies im alten Indien hervor
(vgl. Hang Vedische Rätselfragen und Rätselsprllche, Sitzungsb. d.
Münchner Ak.d. W. phil.-hist. Kl. 187;") 8. 4f>7 ff.), wo schon in vedischer
Zeit bei Gelegenheit der grossen Opferversainmlungcn die Priester sich
unter einander und dem Opferer Rätselfragen vorlegten, die die Er-
klärung des Opfers (vgl. sert. brahmndyam, brahmaradyam .Erklärung
der Opfcrsymholik') und der grossen kosmischen Vorgänge, des Sonnen-
laufs, der Jahresteilung u. s. w. zum Gegenstand hatten. So fragt z. B.
der Hotar: „Wer wandelt wohl allein*? -Wer wohl wird wieder ge-
boren"? „Was wohl ist das Mittel gegen Schnee*? nWas wohl die
grosse Hinstreuung"?, und der Adhvaryu antwortet: „Die Sonne wandelt
allein*, „der Mond wird wiedergeboren-, „das Feuer ist das Mittel
gegen Schnee", „die Erde die grosse Hinstreuuug*.
Ganz ähnliche Rätselreihen kehren auf germanischem Boden
(vgl. Wilmanns Z. f. deutsches Altert. XX, 2ü2)f in der Edda, ja noch
in dem späten Traugemundslied (teaz ist teizer denne der sneY, teaz
ist sneller denne dez rech? teaz ist hoher denn der berc? teaz ist
tinsterre den diu naht? u. s. w.) wieder. Ähnliches gilt von den
Griechen, bei denen in der dem Hesiod zugeschriebenen Melampodie
der Rätselwettkampf zwischen den beiden Schern Mopsus und Kalchas
geschildert wird, und das uralte in der demselben Dichter beigelegten
Hochzeit des Keyx vorkommende Rätsel vom Feuer, das Vater und
Mutter verzehrt (vgl. Plutareh Qnaest. Symp. VIII, 8), einen echt
vedisehen Eindruck macht; denn auch hier verschlingt Agni, der Sohn
der beiden Hölzer, deren Reibung ihn erzeugt, gleich nach seiner
Geburt Vater und Mutter. Man hat daher auf idg. Zusammenhänge ge-
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648
Rätsel - Ratte.
schlössen (vgl. R. Kögel Geschichte d. deutschen Lit. I, 1, 64). Dies
ist nach den Ausführungen n. Dichtkunst, Dichter und n. Priester
wenij; wahrscheinlich, so dass man sich nach anderen Erklärungen
der bestehenden tbereinstiinmungen wird umsehn müssen. Auch ist
zu bedenken, dass in R o in der Begriff des Rätsels erst 6pät und
unter griechischem Einfluss hervortritt, dem auch die lateinischen Aus-
drücke für denselben, aenigma (aus griech. cuvitua : a?vo?, das auch
allein Rätsel bedeutet) und griphus (aus griech. Tpi<P<>s, eigentl. ,Netz')
entstammen. Andere Bezeichnungen des Rätsels iu den idg. Sprachen
sind got. frisahts ,cuviYua' : sakan ,streitcn' (vom Rätselwettkampf?,
oder weil sakan = ir. saigim ursprünglich ,sagen' bedeutete V), ahd.
tunkal und rdtussa, rdtissa sowie agls. retdeh, altndd. rddisli, mhd.
rdtsal (: got. rtdan ,raten), lit. m{sU (: menü ,gedcnke'), russ. zagadka
(: altsl. gadati ,conicere'j u. s. w.
Ratte. Das Tier lässt sich weder auf paläontologischem noch
linguistischem Wege als einheimisch in Europa erweiseu. Wann es
freilich daselbst zuerst erschienen, und von wo es dahin gekommen
ist, stellt noch nicht fest. Auch für die verbreitete Annahme, dass
imis rattus mit den Stürmen der Völkerwanderung sich über Europa
ausgebreitet habe (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen" S. 453), fehlt es an
einem bestimmtet) Beweis. Sicher ist, dass der Ausdruck rata, ratta
schon in frühen ahd. und agls. (flössen vorkommt (vgl. Palander Ahd.
Tiernamen S. 74), und auch in den romanischen (it. ratto, sp. ptg.
rato, frz. rat) und keltischen (bret. raz, mir. rata, nir. gäl. raddn)
Sprachen weit verbreitet ist. Sein Urspruug aber ist in Dunkel gehüllt,
und die Ableitung von it. ratto — lat. rapidus ,schnell, flink' wenig
glaublieh. Merkwürdig ist der Zusammenklang von rattus und cattus
(8. u. Katze). Vielleicht hat ahd. rato nicht vou jeher die Ratte
bedeutet, worauf das allerdings später überlieferte, lantverschobene
ratz , Marder', auch , Iltis' deuten könnte.
Wenn in mehreren Sprachen die Ratte nach einem Völkers ta mm
benannt wird, von dein sie gekommen sein soll, wie nir. francach,
gaüuch .gallische Maus', kymr. Ih/goden Ffrengig .französische Maus',
eechiseh „deutsche Maus", so werden sich diese offenbar späten Namen
auf die grosse Wanderratte, Mus decumanus, bezichu, die erst im
Anfang des XVIII. Jahrhunderts an der untern Wolga erschien und
von da Europa überschwemmte. Doch vgl. auch altn. vöfok müs
jwelsche Maus'. Ein antiker Name für die Ratte fehlt. Sehr spät
hat der Ausdruck |uü<; ttovtikö?, der in der guten Zeit ein nordisches
Pelztier, vielleicht den Hermelin (vgl. Beckmann Beiträge V, 52), be-
zeichnete, die Bedeutung von Ratte angenommen, wie denn im Neu-
griechischen TTOVTixöq ,Ratte' ist. Vgl. darüber 0. Keller Lat. Volks-
etymologie S. 319, der hiermit das venetianische pantegdna, friaul.
pantiane .Ratte' verbindet. S. u. Pelzkleider.
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Hatte — Kaub.
In den slavischen Sprachen haben sieh zwei Benennungen für das
Tier herausgebildet: russ. kryga (ganz dunkel) und poln. szczur (vgl.
russ. ja&curü, *.sturü , Haselmaus'). Lit. iiürke ,Katte' (aus dem Sla-
vischen?).
Raub. Thukydides I. f> berichtet, dass im ältesten Hellas
Raubzuge zu Wasser und zu Lande au der Tagesordnung gewesen
seicu, und dass dieselben denen, die sie ausführten, keine .Schande,
sondern Ruhm und Ehre gebracht hätten. Noch zu seiner Zeit sei es
so bei den Ozolischen Lokrern, bei Aetolern und Akarnaniern gewesen.
Diese Schilderung wird durch die homerischen Gedichte durchaus be-
stätigt (vgl. Gilbert Jahrb. f. klass. Phil. XXIII Suppl. S. 448), in
denen namentlich der Viehraub als eiue ciuwandsfreic Quelle des Er-
werbs betrachtet wird. Auch Raubzüge gegen die eigenen Stainmcs-
genossen (vgl. II. XXIV, 262 die ^mbrmiot äpuaKTf|pe<;) kommen noch
vor, werden aber bereits vom Rechts- und Staatsbcwusstsein des Volkes
getadelt. Besonders steht der Seeraub im Schwange. Ohne dass der
Angeredete daran Anstoss nimmt, kann man (vgl. Od. III, 70 ff.) den
angekommenen Fremdling fragen, ob er vielleicht ein Räuber sei
(\r|io"Tnp; erst spät tritt Treipcrrris, eigentlich ,einer, der sich auf einer
Unternehmung befindet', woraus lat. pirdta, in der Sprache hervor), der
über das Meer schweife und unter Einsatz seines Lebens anderen Leid
bringe. Das ägäischc Meer muss mau sich in dieser Zeit angefüllt
mit phttnizischen, karischen, griechischen Seeräubern (vgl. auch Herod.
I, 1 ff.) denken. Genau entsprechen die germanischen Verhältnisse.
Schon Caesar VI, 22 berichtet: Latrocinia nuUam habent infamiam,
quae extra finea cuiuttque civitatis fiunt, atque ea iuven-
tutis exercendae ac desidiae minuendae cauaa fieri praedicant. So
sagen sie wenigstens: der wichtigste Anlass ist natürlich ihre Beutelust,
wie auch aus Tac. Germ. Cap. 14 : (IHgrum quin immo et iners
videtur sudore acquirere quod potsi* sanguine parare) hervorgeht.
Wie auf dem Lande, ist es auf dem Wasser. Schon PI in ins Hist. nat.
XVI, 203 kennt als Vorläufer der späteren Wikinger germanische
Seeräuber, die in Einbäumcn, von denen einige 30 Menschen trugeu,
ihre Seefahrten machten. r,Raubti, bemerkt J. Grimm R.-A. S. 634,
„war so wenig als Totschlag im Altertum stets entehrende Handlung,
man kann ihn, wie Totschlag dem Mord, dem heimlichen Diebstahl
entgegensetzen und hauptsächlich letzterer galt dem Altertum eiu Ver-
brechen". Noch im späteren Recht kommt es vor, dass der Raub
niedriger als Diebstahl gebüsst wird (vgl. Wilda Strafrecht S. 914).
Doch ist der Staatsgedanke offeubar schon in altgermanischer Zeit
soweit erstarkt, dass schwere Raubthateu gegen Stammesgcnosseu (altn.
hernap) von dem concilium geahndet werden oder werden können.
Wie bei den Germanen, galt es auch bei den Thrakern nach
Herodot V, 6 für das rühmlichste, vom Krieg und von Raub zu leben
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«50
Raub.
(tö £u>€iv ctTrö ttoX^uou tcct» Xn.io*TÜ05 KdXXiO"rov). Die idg. Auffassung
des Raubes lässt sich aus diesen Zeugnissen ohne Schwierigkeit er-
scblicssen: in offener Fehde und gegen Fremde ausgeübt, war er bis
tief in die historischen Zeiten eine durchaus ehrenvolle Quelle des Er-
werbs. Dieselbe Anschauung wird ursprünglich auch hinsichtlich des
Raubes gegen Stammesgenossen gegolten haben, der offen ausgeführt,
nicht wie der Diebstahl (s. d.) als eine ehrlose Handlung angesehn
worden sein wird. Doch wird man annehmen dürfen, dass wie anderen
Gewalttaten gegenüber, so mich hier die Macht der einzelnen Sippeu
sich gegenseitig in Schach gehalten haben, und der Gedanke des
Stammfricdens frühzeitig aufgekommen sein wird.
Eine urzeitliche technische Bezeichnung des Begriffes , Raub' ist
unter diesen Umständen nicht zu erwarten. Zweifelhaft ist die ety-
mologische Übereinstimmung von griech. äpTrdZw und lat. rapio, von
denen das letztere neuerdings (vgl. K. Bruginann Grundriss I*, 437)
eher zu griech. £p€tttojucu , rupfe, fresse', all», rjvp rziehe aus, beraube'
gestellt wird. Aber auch, wenn die beiden Verba zusammenhängen
sollten, hat sich an sie ursprünglich kaum eine andere Vorstellung als
„heftig etwas nehmen" (vgl. griech. dpTraX^oq, dem der Sinn des
Räuberischen noch ganz fehlt, und im Lateinischen xurpere, umrpare
und auch das einfache rapere in zahlreichen Verbindungen, vgl. Breal
Dict. et. lat.3 S. 303, 41t») geknüpft. Über das neben äpTrdtCuu, dp-
TTatcnip schon bei Homer liegende XrfiEeo"8ai, XTpatrip s. u. Volk. Spätere
Räubertypen sind der XuinobuTn? (der in fremde Kleider schlüpft) und
der ävbpaTrofcio*Tr|q ,Sklavcnrüuber', sowie der Ki£dXXn.<; (ganz dunkel)
,Strassenräuber'. Vgl. ferner die ebenfalls unerklärten oivouai, aivrr)?,
sowie aüXov, cruXdtu (iaov\a' dcprjpei lies.) und o*küXov (wohl ursprüng-
lich die abgezogene Haut des Tieres), 0"KuXdu>, die beiden letzteren
vornehmlich von dein Rauben der Rüstung des erschlagenen Feindes
gebraucht, also wie lat. spoJiare (spolia), ahd. hreoraup, tralaraup,
agls. icälreaf u. a. Der älteste griech. R e c h t s t e r m i n u s für den
Begriff des Raubes war cpepeiv koi df€iv (ßia dbixujs). Vgl. das dra-
konische Gesetz bei Dem. XXIII, fit): m\ edv qptpovTa Kai dYOvra ß(a
dbiKux; eüöuq dpuvö^€vo? Ki€ivr|, vn,Troive\ TeGvdvai. Im römischen
Recht wurde Iangczcit die rapina nicht als besonderes Verbrechen
behandelt, sondern teils (wie im Zwölftafelgesctz) zum furtum, teils
zum damnum {iniuria Mal um) gerechnet. Die ältere Sprache kennt
zwar den Gegensatz von clepere und rapere-, aber rechtlich ist von
ihm kein Gebrauch gemacht worden. Das Verbrechen des latro ,des
Strassenränbers' (eigentl. .Söldner', griech. Xdipov ,Lohn. Sold ) aber
wurde nach der lex Cornelia de xicariix bestraft (Rein Kriminalrccht
S. 326 f., Mommsen Strafrecht S. 737 c). Überaus reich an Ausdrücken für
die verschiedenen Arten des Raubes sind die germanischen Sprachen.
Urgennanisch ist got. bi-raubön (,auXdv', ^xbueiv', während dpudCctv
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Raub.
G51
durch wilwan wiedergegeben ist), ahd. roubön, agls. reafian. Die
Wurzclbedeutung steht noch nicht fest. Einige vergleichen altn. rjtifa
= lat. rumpo ,breehe', so dass man an den durch den Raub verübten
Friedensbruch denken könnte (so Kluge Et. \V.C). J. Grimm R.A.
S. 635 ging hingegen von einer Grundbedeutung ,vestis' für das
Stannnesnomen (ahd. roub, agls. reaf ,Ratib, Beute, Rüstung, Kleid',
nach Grimm also umgekehrt: ,Kleid, Rüstung, Heute, Raub ) aus, wo-
zu die beschränkte Bedeutung des Gotischen passen würde. Bemerkens-
wert ist, dass die Sippe sowohl von den Romanen (it. ntba ,Ranb',
roba ,Rock') wie auch von den Slnven (ecch. rabovati u. s. w., auch
lit. rabaicöti) entlehnt wurde. Der einheimische slavische Ausdruck
ist altsl. grabiti — sert. grabh , heftig ergreifen' (also ganz wie rapere,
ctpirdZeiv). Viel umständlicher ist die Bezeichnung des Raubes in der
ältesten slavischen Rechtsquelle, den Friedensschlüssen Olegs und
Igors mit den Griechen. „Mit Zwang den Versuch machena scheint
hier = Rauben zu sein, dessen milde Behandlung dem Diebstahl gegen-
über hier ebenfalls auffällt vgl. Schlösser Annalen III, 31 s f., Ewers
Ältestes Recht S. 147 ff.). Andere weiter im Germanischen verbreitete,
meist ganz dunkele Bezeichnungen des Raubes sind altn. ran, ahd.
birahanen ,spoliare'; ahd. sc ah, .scrfhhriri, :i^ls. svedeere , Räuber'; ahd.
näma, altn. mim (Nehmung). Vgl. noch ahd. zaseön , rauben', wozu
fränk. (Lex Sal.) taxaea, texaea , Diebstahl' und , Busse für denselben',
got. tcaidt'dja < ,\n.o"rnX, eigentl. ,Cbelthäter ) u. s. w. (vgl. J. Grimm
R.-A. S. 634 f. und Wilda Strafrecht S. 907 ff.).
Für das Verständnis der Entwicklungsgeschichte des Raubes aus
einer in den Augen der Menschen Ruhm bringenden Handlung zu
einem mit immer schwereren Strafen zu ahndenden Verbrechen ist
noch folgendes zu bemerken. Solange der Begriff der Sippe in voller
Blüte stand, und jeder im Volke zu einer solchen Sippe gehörte, die
ihn schützte, aber auch für ihn die Verantwortung trug, so lange
werden Raubzüge, so sehr sie nach aussen im Schwünge waren, inner-
halb der Stämme, wie schon oben bemerkt wurde, selten gewesen
sein. Die Verhältnisse änderten sich, je mehr im Bereiche eines
Stammes die Zahl derjenigen Leute wuchs, welche keinem Sippen-
verbandc angehörten, weil sie entweder aus dem ihrigen vertrieben
oder aus der Fremde eingewandert waren. Namentlich bei den Ger-
manen lässt sich nachweisen, dass solche Menschen ursprünglich das
Hauptkontingent für die Ausbildung eines gewerbsmässigen Räuber-
tnms ausgemacht haben, das nun natürlich einer ganz anderen Beur-
teilung unterlag. So ist mlat. rar gm (altn. vargr, agls. teearg, fränk.
teargm) der gemeingerm. Ausdruck für den Friedlosen, der wie ein
würgender (ahd. würgen) Wolf (altn. vargr auch ,Wolf) im Walde
umherschweift, und zugleich auch (schon bei Sidonius Apollinaris)
die Bezeichnung des latrunculus, des gewerbsmässigen
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652
Raub — Raubehe.
Räubers. Ähnlich scheint die Bedeutungsentwicklung des langob.
scamar gewesen zu sein. Vgl. auch it. bandito aus bannitus (vgl.
Brunner 1). Rechtsg. S. 168IS). Hierin und in der erstarkenden Macht
des Staatsgedankens liegen die Gründe ftir die sich allmählich uni-
gestaltende Auffassung des Raubes, der, wie gesagt, dem Ausland
gegenüber und vor allem zur See noch lauge seinen alten Glanz be-
wahrte. — S. u. Recht und Verbrechen.
Raabehe. Neben dem Brautkauf (s. d.) zieht sich eine zweite
Form der Eheschliessung durch das idg. Altertum, die Ehe durch
Raub (bi' upTrcrrfj«;). In Indien bestand für den Eheritus durch
Entführung des Mädchens ein besonderer Name: die Räkshasa-Ehe,
welche auf die Kshatriya (Krieger-, Adels-)Kaste beschränkt war. In
Griechenland ist Raubehe, die nach Dionysius von Halikarnass II, 30
einstmals überall verbreitet gewesen sei, geschichtlich namentlich für
die Dorier bezeugt (Plut. Lykurg Cap. 15). Auch in der griechischen
Sagenwelt wird mehrfach — man denke an den Raub der Helena
oder den der Töchter des Lcukippos durch Kastor und Polydeukes —
von Entführungen der Jungfrauen zum Zwecke dauernder Ehen be-
richtet. In R o m flüchtete die Braut vor der Heimführung in den
Schoss ihrer Mutter, aus dem sie gewaltsam geraubt wurde. Über die
Germanen äussert sich Brunner Deutsche Rechtsgeschichte: „Ger-
manische Sagen und Dichtungen preisen den Helden, der sich durch
kühne Watreut hat aus dem Hause des Feindes das Eheweib holt. Die
ehebegründende Kraft des Frauenraubs verraten noch die Bestimmungen
einzelner deutscher Volksrechte, nach welchen der raptor die Geraubte
als Ehefrau wider den Willen der Verwandten, welchen er sie raubte,
oder wenigstens dann behält, wenn sie in die Entführung eingewilligt
hat" (S. 72, 73). Eine solche Raubehe schloss Arminias mit der
Tochter seines Vatersbruders Scgcst. Auch von den alten Preussen
und Litauern berichtet Job. Lasicius De diis Satnagitaruin bei Micha-
lonis Lituani De moribus Tartarorum etc. (Basiliae 1615): Xec du-
cvntnr (puellaei, sed rapiuntur in matrimonium, veteri Lacedae-
moniofum more a Lycurgo instituto. rapiuntur autem non ab ipso
sponso, Med a duobtm ein» cognath. ac postquam raptae sunt, tunc
primum requüito parentum consensu, matrimonium contrahitur (S. 56),
und ähnliche Bräuche lassen sich bei albancsischen und südslavisehen
Völkern nachweisen.
Überblickt man diese leicht zu vermehrenden Thatsachen, so ist
nicht zweifelhaft, dass es sich in den meisten Fällen nicht um eine
rauhe Wirklichkeit, sondern nur um einen Teil des Hochzeitszere-
moniells, um einen Scheinraub, handelt. Freilich fordert auch dies
eine Erklärung, und so hat man angenommen, dass in vor indogerma-
nischer Zeit, die wirkliche Raubehe die regelmässige Form der Ehe-
schliessung gewesen sei, die in der Epoche des Frauenkaufs unter dem
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Raubehe — Raubvögel.
053
Schatten eines Hochzeitshraurhs weiter gelebt habe. Die Kaufehe
selbst aber sei erst ans den Sühnevcrtriigen nach Entführungen her-
vorgegangen (vgl. Leist Altarisehes .Ins gentium S. 12t>, i;k), Vf.
Sprachvergleichung und Urgeschichte SS. 554, dagegen Schröder Deutsche
Rechtsgeschichte* S. 68). Demnach würde also die Raubehe zu jenen
Ablagerungen vorindg. Kulturentwicklung gehören, die wir auch u.
Ahnenknltus und u. Opfer (Menschenopfer) anerkennen zu müssen
geglaubt haben. Allerdings bezweifelt man neuerdings, dass die auch
bei nichtidg. Völkern häutig nachweisbare Form der Raubehe überhaupt
jemals bei irgend einem Stamme eine regelmässige Institution ge-
bildet habe, als welche sie auch bei den rohesten Völkern nicht vor-
komme. Die Entführung eines Mädchens mit Waffengewalt werde
überall als ein kühnes, eines Mannes würdiges Wagnis gegolten haben,
und so werde man von derartigen außergewöhnlichen Vorkommnissen
her die seit Urzeiten übliche Hoiraführung der Braut ganz oder teilweis
nach dem Muster des Raubes umgebildet haben (vgl. Grosse Die
Formen der Familie S. 105 ff). Vgl. Über die Raubehe auch die u.
Heirat angeführte Litteratur.
Rauhvögel. Nur wenige Namen solcher Vögel sind Europa und
Asien gemeinsam und auch dann nur von geringer Verbreitung. So
seit, qyend- ,cin grosser Raubvogel' (Adler, Falke, Habicht), aw. scn'nö
mereyö .Adler' (npers. slmury »Greif, Adler ), armen. <;in ,milvus', die
man mit griech. Iktivo? ,Weihc' vergleicht (eigentl. der »graublaue',
vgl. altsl. abti ,dunkelblau'), und griech. «pnvn. »Seeadler*, das man dem
sert. bhdsd- ,ein Raubvogel' gleichsetzt. Einen übereinstimmenden Namen
für den Adler haben die nordeuropäischen Sprachen: ahd. ovo (daher
unser adler, mhd. adel-ar), altsl. orilü, lit. erelis, korn. er, kymr.
eryr, Wörter die im griech. Öpviq noch allgemein Vogel bedeuten, wie
auch griech. akj6<;, ai߀i6q (TTcpTatoi lies.) von lat. acut, sert. vi- ab-
zuleiten sein wird (anders Uhlenbeck Et. W. d. altind. Spr. S. 297).
Lat. aquila ist ,der dunkle* : aquilus\ vgl. griech. (Aristoteles) ucXav-
ä€TO£. Ganz auseinandergehen die meist dunklen Namen des Geiers:
griech. yüip, tottö?, arruTTiös, lat. voltur, ahd. gir (wohl : giri .gierig',
wie auch sert. gfdhra- ,Geier' und ,gierig' bedeutet, also nicht von
mlat. gyrare ,krcisen), altsl. sqpü und /»»I. Über Namen und Be-
deutung des Falken, Habichts, Sperbers und der Weihe 8. u. Falke,
Falkenjagd.
Was die Nachtranbvögel anbetrifft, so wird die Eule nach dem
Rufe benannt, den sie ausstösst, und für den die Laute ü und bä
charakteristisch sind: sert. ultlka-, lat. ululn, ahd. üicila, lit. ywas;
armen. boe6, griech. ßua?, ßöZa (oder = mhd. kütz ,Käuzchen'?), lat.
bübo. Im Albanesischen und Neugriechischen wird dagegen der Eulen-
ruf ähnlich wie der Kuckucksruf aufgefasst: alb. kukuvaje etc. (vgl.
G. Meyer Et. W. d. alb. Spr. S. 211). Daneben griech. (miny : o*küjittuj
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fif>4
Raubvögel — Reiht.
,spotte' vgl. frz. chat-huant , Löhnende Katze ), »riech. oxpifZ, ffTpirfö?
= lat. ttria-, Htrigis ,Ohreule" (vgl. striga ,alte Hexe ), lat. noctua :
«o.r. Dunkel sind u. a. : kainbr. tylluan, attsl. sot a. Über die Be-
deutung der Raubvögel im. Aberglauben s. u. Orakel. Über den Adler
im Altertum vgl. 0. Keller Tiere des kl. A. S. 23G ff.
K ä uche r un g, s. Aromata.
Rauke, 8. Garteu, Gartenbau.
Raiiiiininsse, s. Mass, Messen.
Rausch, s. Mahlzeiten und Trinkgelage.
Raute {Ruta graveolens L.). Die Pflanze heisst grieeb. irn.Yavov
(Aristot., Theophr.) und £ut»i (Nicandcr), lat. (Col., Plin.) ruta aus
pVrr). Sie ist im Süden Europas einheimisch und wurde von den Alten
ah* Heil- und Zaubernlittel sehr gesehätzt. Von Italien ans ist sie
durch Kultur zusammen mit ihrem lat. Namen in der gernianisch-sla-
vischen Welt verbreitet worden : ahd. räta (auffällig agls. rüde), russ.
u. 8. w. ruta. Vgl. noch rutam im Capitulare Karls d. Grossen de
villi» LXX, 6. Im Neupersischen heisst die Pflanze espend, d. h. ,die
heilige' law. tpenta-). — Andere Heilpflanzen 8. u. Arzt.
Rehe, s. Wein.
Rebhuhn. In idg. Zeit wird dieser Vogel unter dem u. Fasan
besprochenen Worte *tetero- mit verstanden worden seiu. Später
treten spezielle, noch teilweis dunkle und vielfach entlehnte Benennungen
des Tieres auf. So grieeb. rcepbiE (zuerst bei Archilochus), dessen Ab-
leitung vou grieeb. Trt'pboucu ,1'arze* (wegen des Geräusches, das der
Vogel beim Auffliegen macht) kaum befriedigt. Ein anderer alter
Name ist Kaiocdßri, KaKxaßi? (Alkman), der in den Orient führt (syr.
qaqqebd, armen, kak'at; upers. kabk ,Rebhuhu'). Die Römer haben
ihr perdix (Varro) aus dem Griechischen übernommen, sicher unter
dem Eiufluss der in Grossgriechenland kennen gelernten opyiOoßochceTa,
in denen auch Rebhühner gezüchtet wurden. Der einheimische lat.
Name scheint gallina rustica , Feldhuhn' gewesen zu sein (vgl. Varro
De re rust. III, 9, 7). Auch nach Deutschland ist die Sitte der
Rebhuhnzucht (s. u. V i e b z u c h t) übergegangen. Der hier geltende
Name reba-huon hat mit reba ,Rebe' nichts zu thun, sondern gehört
wahrscheinlich zu russ. rjabka ,Rebhuhn", eigentl. ,bunt', dessen Grund-
form freilich *rembü lautete. Eine andere Gruppe von Benennungen
des Tieres im Slavischen ist russ. kuropatva u. 8. w., teilweis auch
andere ähnliche Vögel wie Wachtel, Schnepfe etc. bezeichnend. Der
erste Bestandteil des Wortes ist altsl. kurü .Hahn', der zweite dunkel.
Aus dem Slavischen lit. kurapkä ,Rebhuhn'.
Recht. Wenn man unter Recht eine schriftliche Sammlung
staatlicher oder kirchlicher Ge- und Verbote versteht, so liegen die
Ursprünge desselben in Europa meist klar vor Augen. In Griechen-
land oder auf griechischem Kulturgebiet ist es das VII. Jahrhundert,
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Kt-eht.
655
iu dem zuerst der Wunsch nach schriftlicher Feststellung des Rechtes
hervortritt und in Gesetzgebungen wie denen des Zalenkos, Charondas,
Drakon u. s. w. seine Erfüllung findet. Im V. Jahrhundert folgt Rom
unter dein EinHuss Griechenlands mit der Zwölftafelgesetzgebung nach.
Fast 1000 Jahre emsiger Arbeit an dem Ausbau dieses römischen
Rechts vergehen, ehe die germanischen Völker von der Mitte des
V. nachchristlichen Jahrhunderts an unter der vollen Einwirkung der
christlich-römischen Kultur Rechtsanfzeichnungen in lateinischer oder
in der Volkssprache zu machen beginnen (vgl. Brunner D. Reehtsgesch.
S. 282 ff.). Nicht vor das Jahr 1020 fällt die älteste russische
Rechtsurkunde, das Gesetz des Jaroslav, zunächst für Xovgorod be-
stimmt, dann in ganz Russlaud gültig (vgl. Ewers Das älteste Recht
d. Russen 8. 258). Nicht so klar sind die Anfänge der keltischen
Rechtsfixierungen, vor allem der altirischen Brehongesetze, des Senchus
Mor und des Buches von Aicill, die in engem Zusammenhang mit dem
kanonischen Recht im XI. oder X. Jahrhundert zusammengefügt worden
zu sein scheinen (vgl. Maine Early Hist. of Institutions Lect. I uud II;
über die walisischen Rechtsaufzeichnungen vgl. Walter Das alte Wales
S. 355).
Nun ist es niemals bezweifelt worden, dass alle derartigen Codi-
fikationeu nicht die Schaffung neuen, sondern im wesentlichen die
Feststellung alten Rechtes enthalten, das demnach Jahrhunderte, wenn
nicht Jahrtausende lang, lediglich in mündlicher Überlieferung und iu
der Gewohnheit der Menschen gelebt haben muss. Lbcr das Alter und
deu Charakter dieses im eigentlichsten Sinuc ungeschriebenen Gesetzes
bei den idg. Völkern soll im folgenden gehandelt werden. Hierbei
wird es nützlich sein, von vornherein auf eine notwendige Unter-
scheidung aufmerksam zu machen, auf die Unterscheidung nämlich einer
objektiven Rechtsordnung und ihrer subjektiven Erkenntnis. Eine
Gemeinschaft von Menschen kaun unter primitiven Kulturverhältnissen
lange Zeit nach einer von den Vätern ererbten Rechtsordnung leben,
ohne dass doch die Vorstellung von einer solchen Rechtsordnung in
ihr lebendig würde und Begriffe wie Recht und Gesetz aufkämen uud
sprachliche Verkörperung fänden. Zweifellos kann das Leben auch
des niedrigsten Volksstammcs nicht ohne eine gewisse, wie auch immer
gestaltete Rechtsordnung gedacht werden, während die Frage, ob und
in wie weit diese Rechtsordnung zum Bewuss tscin der nach ihr
instinktiv lebenden gekommen sei, jedesmal einer näheren Erwägung
bedarf. Nach diesen beiden Seiten hin würden also die idg. Ver-
hältnisse zu betrachten sein. Dabei wird, was sich an materiellem
Recht für die älteste Zeit ergiebt, unten Ubersichtlich zusammengestellt
werden, zunächst aber nur der Punkt ausführlicher zu erörtern sein,
wann und unter welchen Umständen die Begriffe von Recht
und Gesetz bei den idg. Völkern lebendig geworden sind.
656
Recht.
Gemeinsani haben die Inder und Irauier ein für unsere Aufgabe
äusserst wichtiges Wort: seit, rtd- — aw. a#a- ausgebildet. Es be-
zeichnet die im Natur- wie im Menschenleben herrschende oder herrschen
sollende Ordnung. „Schon in indoiranischer Zeit hatte das Nach-
denken über die in der Welt herrschende Ordnung, «her das durch
eine höhere Macht vorgezeichnete Eintreffen dessen, was eintreffen muss
oder soll, zur Schaffung dieses Begriffes des Rta (etwa „Bewegung")
geführt, welcher für die priesterliche Weltauffassung bereits jenes Zeit-
alters im Vordergrund des Denkens gestanden und sich im Veda wie
im Awesta in dieser Stellung behauptet hat". Dabei fehlt es nicht
au Spuren, welche darauf hindeuten, dass die Gottheiten, unter denen
Schutz dieses Rta stehend gedacht wird, Mitra, Varuna und die 5
Adityas (Sonne, Mond und die 5 Planeten?), den Ariern von ausser-
indogermanischem Boden zugekommen sind (vgl. Oldenberg Die Reli-
gion des Veda S. 49, 195). Mit lat. ratum, ratio, das in der römischen
Jurisprudenz inhaltlich dem Begriffe des Rta nahekommt (vgl. Leist
Graeco-ital. Rechtsgeschichte S. 1 99 ff.), hat das vedische Wort etymo-
logisch nichts gemein. Allein auf das Sanskrit beschränkt sich der
Ausdruck dhdrvian-, dhdrma- (= lat. firmus) ,das Feststehende'.
Ungeschieden liegen in ihm noch die Begriffe des Rechtes, der Reli-
gion und der Ethik neben eiuandcr, und die DharinacAstra oder
Rechtsbücher enthalten Vorschriften ans allen drei Gebieten bunt durch
einander. Mannigfache Berührung mit dem Begriff des Ria zeigt der
des dhd'man- (: sert. dhä, *ri9mii) ,Satzung', ,Ordnung', vor allem die
von Varuna und Mitra gesetzte Ordnung, besonders mit Rücksicht auf
die in Haus und Familie herrschende Rechtsordnung, so dass dhaman-
hänfig auch .Wohnstätte' und Hausgemeinschaft' bezeichnet. Vou
derselben Wurzel dhd sind altp. aw. ddta- ,Gesctz', npers. ddd
Gerechtigkeit' (woraus armen, dat) gebildet. Aus dem Griechischen
sind vornehmlich die schwierigen Ausdrücke Öeuiq (9€auö<;i, bben. und
vöuos zu nennen. Nur die beiden ersteren sind schon in der home-
rischen Sprache bezeugt und können etymologisch kaum etwas anderes
als ^Satzung' (: tiötimO nnd , Weisung' (: beiKvum, lat. dico, vgl. auch
lat. iudex und vinde.r) bedeuten. Noch bei Homer giebt es Stellen
wie Od. XI, 570: v6cu€£ duqri biKaq cipovro övaKTa und II. XVI, ;]87:
Kpivetv eeutcvTaq aicoXiäq, an denen die beiden Wörter anscheinend
denselben Sinn ^Rechtssprüche', ,Rcchtsfälle) geben; aber schon von
homerischer Zeit an hat Ocfiiq, BefiiOreq angefangen, sich mehr auf ein
angeblich von den Göttern gesetztes, in der sittlichen und physischen
Wcltordnung sich offenbarendes, biKrj sich mehr auf das von weltlich -
bürgerlichen Richtern gewiesene Recht zu beschränken, obgleich, da
auch letzteres als ans dem ersteren hervorgegangen angesehn, Dike als
eine Tochter der Themis betrachtet wird, eine scharfe Scheidung
der beiden Begriffe mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl.
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Recht. G57
H. Schmidt Synonymik I, 348 ff.). Mit Öeuu; nahezu identisch ist das
ebenfalls schon homerische bair\ : öo"io<;, das von einigen dem sert.
satyd- »wirklich, wahr, echt' gleichgesetzt wird; doch kann das in-
dische Wort auch = gricch. dreöq ,wahr' sein oder eine Ableitung vom
Participium des Vernum snbstantivnm („das seiende") darstellen. Das
von Homer noch nicht verwendete vöuo<; ,Gesetz' geht von der Be-
deutung , Brauch' (vgl. vouiZw «den Brauch haben' und ir. nös aus
*nomso- ,Gebrauch') aus, und ist erst etwa seit Kleisthenes auch auf
geschriebene Gesetze Ubertragen worden (vgl. R. Uirzel vAtpa(po<; vqmo?,
Abb. d. phil.-hist. Kl. d. kgl. sächs. Ges. d. W. XX, 49). Die Gesetze
des Drakon heissen noch 8eo*uoi, nicht vouoi.
Dem Verhältnis von griech. 8eui£ : b'utt) entspricht das von lat. fds
: iüs. Mit einiger Wahrscheinlichkeit deutet man fds als ,Aussprucb'
(: lat. fdri, griech. <prm»> vgl. auch altsl. baxnl ,fabula, iueantatio',
welches letztere Wort also wie im Lateinischen ein s hinter a auf-
weist), ,Ausspruch der Götter', »göttliche Satzung'. Sehr schwierig ist
die Beurteilung von lat. iüs. Das Wort bedeutet historisch nur das
Verfahren vor dem Magistrat und das durch ein solches Verfahren zur
Geltung kommende weltlich-bürgerliche Recht (vgl. Leist a. a. O.
S. 513). Auf eine ältere Bedeutung und in eine andere Sphäre aber
fuhrt das neben iüs liegende iürare »schwören'. Es setzt iüs in der
Bedeutung ,Eid' voraus, ganz wie auch im Schwedischen lug ,Eid' und
«Gesetz' zugleich bezeichnet. Bedenkt man nun, dass der eigentliche
Zweck des Eides (s. d.) der Beweis der Reinheit von Schuld ist,
so liegt es nahe, lat. iüs ,Eid' an aw. yao* ,rein', yaoi-dadditi ,reinigt'
anzuknüpfen, die ausschliesslich die Reinheit in religiösem Sinne aus-
drücken (vgl. y. 44, 9: Wie soll ich mir den Glauben rein erhalten?,
y. 46, 18: Wer mir rein lebt, dem verleihe ich das beste, nach E.
Wilhelm; vgl. auch sert. yö's ,Heil' in der Segensformcl qdm ca yö'$ ca).
Demnach würde sich folgende Bedeutungsentwicklung für lat. iüs er-
geben: Reinheit von Schuld (aw. yaox), Mittel zur Reinheit von Schuld
zu gelangen, Rcinigungseid (lat. iüs in iürare), Reiuigungscid im Rechts-
gang, Rechtsgang überhaupt, Recht (anders Leist a. a. 0.). Betreffend
des gemeinitalischen lat. te.v, osk. ligud ,lege' schwankt man, ob man
dasselbe mit griech. XtYw, lat. lego (also etwa ,Sammlung') verbinden
(vgl. Brngmann Grundriss I8, 1 S. 134), oder, was vielleicht wahr-
scheinlicher, es mit altn. lög im PI. »Gesetz' (so zuletzt Kretschmer Einleit.
S. 165) verknüpfen soll, in welchem Falle alsdann ein vorhistorischer
Ausdruck für »Satzung* (altn. lög : got. ligan, lagjan ,liegen', ,legen',
,laid down', wie 8*uio"t€<; : Ti8n.ut, dhd'man- : dhd) sich ergäbe. Be-
merkenswert ist noch, dass lex von eigentlichen Rechts- wie auch
von Kultusvorschriften gebraucht wird, und dass unter den leges regiae
der vordecemviralen Gesetzgebung sich ebensowohl Anordnungen wie
die Uber die Dauer der Familientrauer oder die, dass der Priester mit
Schräder. Reallexikon. 42
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658
Recht.
eherner, nicht mit eiserner Scbeere den Bart kürzen dürfe wie Rechts-
ßätze in unserem Sinne sieh finden (vgl. M. Voigt Lege» Regiac in den
Ahh. d. Bächs. Ges. d. W. XVII, hm. Zu erwähnen bleibt noch
umbr. mei'8 ,ius' : griech. utbouai, ir. midiur, got. mita, also mit der
ursprünglichen Bedeutung , Ermessen', , Urteil'.
Wenden wir uns zu den nördlichen Völkern, so lassen sich im
Germanischen zwei Sprachreihen als urgermanisch bezeichnen, ein-
mal got. witop ,vöuoq', altn. rttob, altfrics. witat, ahd. teizzöd, das
andre Mal got. döms ,Urteü', altn. dömr, agls. döm, ahd. tuom.
Ersteres, als von griech. Fibelv, lat. videre, got. icitan abgeleitet, kann
nur so viel wie ,Erkenntnis', vielleicht auch ,Findung' (sert. vid ,tinden')
bedeuten, letzteres gehört zu derselben Wurzel wie sert. dhä'man- und
griech. 6t'uis und bezeichnet also ,Satzuog'. Über altn. log (*lagu)
;Gesetz' wurde schon gesprochen. Daraus entlehnt ist agls. lagu,
während altfries. logian ,sich verheiraten' sich wohl eher zu got. liugan
(s. u. E i d) stellt. Nach Jordanis Cap. 1 1 (cd. Lind. p. 93) wurden
auch von den (loten ihre Gesetze be hlagines genannt. Den Wcst-
germanen in der Bedeutung von U.v gemeinsam ist ahd. ewa, fries. d>
e, agls. dt, (kir, ilts. to = lat. oemm (got. aites .Zeit ), griech. ctU(,
aiwv, sert. eva- ,Lanf, Gang, Gewohnheit , wohl ursprünglich, wie sert.
rtd- ,Bewegung' (s. o.), den von Ewigkeit her geordnetcu Lauf der Dinge
bezeichnend. In den keltischen und germanischen Sprachen, die
auch sonst Berührungen der staatsrechtlichen und juristischen Termino-
logie zeigen (s. u. Eid, Erbschaft, König, Geisel, Stände etc.),
wird ferner übereinstimmend von einem dein lat. rectus ,gcradc',
,richtig' entsprechenden Worte Gebrauch gemacht, um das Recht zu be-
zeichnen: ir. recht, ahd. rtht, altn. rettr got. raihts ,b»Kcno<;'). Das ihm
stammverwandte sert. rjü- wird auch im Rigveda in nahe Verbindung mit
dem Rta gebracht. Vgl. Oldenberg a. a. 0. S. 198: „Die Väter haben
die Satzung erfunden, das Rta kündend, das Rechte {rjü-) denkend".
Auf derselben Auffassang des Rechtes als des ,Geradcn' beruht auch
slavisch praclda : pravü ,gcrade von pro (Gegensatz kricida : krivü
,krumin'), auch ins Litauische (proicä) entlehnt. So heisseu die ältesten
Gesetzesniederschriften, die auch yxtaen , Anordnung' und sydü .Ge-
richt' (vgl. Ewers Ältestes Recht S. 12.i genannt werden. Der eigentliche
Ausdruck für »Gesetz' aber ist im Sla vischen zakovü. Ganz ähnlich
wie das griech. vöuew; (s. o.), bat er von Haus aus ,Gewohuhcit, Sitte'
(aucli ?Glaulie) bezeichnet und erst allmählich grenzt er sich im Sinne
von Gesetz gewordener Sitte gegen Wörter wie nrarü und obycaj
,Sitte, Gewohnheit' schärfer ab (vgl. Krek Einleit. in die slav. Litg.*
S. 104, Ö92), wie (lies auch im Griechischen bei den Ausdrücken vöuo<;
gegenüber £öo<; (vgl. R. Hirzel a. a. O.i der Fall ist.
Überschaut man das hier in kurzen Zügen geschilderte Material, so
lässt neben der «tbeii als unsicher bezeichneten Gleichung lat. U.v =
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Recht.
altn. log nur eine der behandelten Sprachreihen mit einiger Wahr-
scheinlichkeit auf ein idg. Prototyp schliessen. Es ist sert. dhd'man-,
griech. 8^ui<;, got. döms. Da ein gewisses Gerichtsverfahren (s. u.)
schon für die idg. Urzeit angenommen werden darf, so wird mau
darunter die Urteile oder Satzungen zu verstehen haben, welche in
der Volksversammlung der König zusammen mit der Volksgemeinde
fand, und die einmal „gesetzt'' für zukünftige Fälle als Praccedens
dienten. Zu einer Abstrahierung der Begriffe von Recht und Rechts-
ordnung war man, wie die ganz verschiedene Concipicrung derselben
in den einzelnen Sprachen beweist, und wie es ja auch an sich durch-
aus verständlich ist, noch nicht vorgedrungen. Wollte man die von
den Vätern ererbte Ordnung bezeichnen, die in der Familie, in der
Sippe und im Stamme herrschte, so wird man sich der Ausdrücke für
Sitte und Gewohnheit bedient haben, für die eiue idg. Gleichung
in sert. svadhä' ,Eigenart', .gewohnter Zustand' = griech. £9o? Ge-
wohnheit, Sitte, Brauch', f)6o? , Gebrauch' (letzteres wie das indische Wort
auch ,gcwohnter Aufenthalt') vorliegt. Auch die germanische Reihe got.
sidus, altn. #/ör, ahd. situ ,Sitte' mochte man hierher stellen, doch
führt dieselbe auf eine Wurzel sedh, nicht stedh (sert. svadhä ). Dass
diese „Sitte" oder dass jene „Satzungen" schon in der Urzeit als Aus-
fltiss einer von den Göttern gesetzten Welt- und Rechtsordnung
gegolten hätten, ist wenig wahrscheinlich. Allerdings lässt sich nicht
verkeunen, dass zahlreiche der oben erörterten Termini schon in der
ältesten Überlieferung in einem sakralen Gewände auftreten, und diese
Beobachtung hat bekanntlich Leist dazu geführt, schon für die Urzeit
eine von den Menschen klar erkannte, unter dem Schutze der Götter
stehend gedachte Rechtsordnung anzunehmen. Allein dieser Ansatz
scheitert an dem Umstand, dass nach den Ausführungen u. Religion
die Gottheiten der idg. Urzeit noch keine ethisch vertieften Persönlich-
keiten und gleichgültig gegen den Unterschied von Gut und Böse ge-
wesen sein müssen. Die Spuren dieses Zustauds finden sich gerade
da, wo man sie am wenigsten suchen würde, in den Rcligionsbttchern
des Veda. „Es kann nicht bezweifelt weiden, sagt Oldcnberg a. a. 0.
S. 284 (die Götter und das Recht*, dass die Ideen von Recht und
Unrecht, dem sozialen Leben entsprossen, ursprünglich von
dem Götterglaubeu oder dessen Vorstufen durchaus unab-
hängig sind Das Bild der Götter im Allgemeinen trägt ethische
Züge doch nur oberflächlich an sich. Für das religiöse Bewusstsein ist es
das wesentliche, dass der Gott ein starker Freund ist; in den Lobsprüchen,
die man ihm widmet, erscheint seine Macht ins Ungemessne gesteigert.
Nicht ebenso seine sittliche Erhabenheit. Wohl werden Eigenschaften
wie „wahr", „nicht trügend" und dgl. allen Göttern zugeschrieben,
aber solche Epitheta treten doch weit hinter „grossu, „gewaltig" und
dgl. zurück Die beste Bestätigung dafür, dass die vedischen
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ßßO
Recht.
Götter wenig darauf angelegt waren, von sittlichem Inhalt mehr als
eine oberflächliche Färbung anzunehmen, giebt der weitere Verlauf
der indischen Rcligionsgescbichtc. Für ein Zeitalter, das so tief von
sittlichen Problemen berührt war wie das des alten Buddhismus,
lagen doch die Gipfelpunkte ethischer Vollkommenheit durchaus anders-
wo als in den Regionen der Göttcnvclt; das Dasein des buddhistischen
Gottes hat seinen Inhalt eigentlich nur darin, dass er durch uner-
meßliche Zeiträume im Himmel sich freut." Und so Hessen sich un-
Bchwer auch in den Religionen der übrigen idg. Völker zwei Schichten
der Auffassung der Gottheiten nachweisen, eine ältere, rohere, die in
dem Gott nur den mächtigen nützlichen oder schädlichen Freund oder
Feind erblickt, und eine jüngere, edlere, die mehr und mehr bemüht
ist, eine Verbindung zwischen dem Gedanken des Rechts und dem
Gedanken der Gottheit herzustellen. Fragt man, unter welchen Um-
ständen in die ersten Ansätze einer sozialen Rechtsbildung derartige
sakrale Vorstellungen hineingetragen worden seien, so wird man kaum
irren, diesen Vorgang mit dem allmählichen Auftreten ciues Pricster-
standes in Beziehung zu bringen, der der Urzeit noch fremd, in den
ältesten Epochen der Einzelvölker aufzukommen anfängt. Von den
Funktionen des idg. Stammkönigs lösen sich nach und nach die Funk-
tionen zweier anderer, an vielen Orten als eine gedachten Persönlich-
keiten, die des Priesters und die des Richters (s. 8. d. d.), los. In
ihren Kreisen wird sowohl der Gottes- wie der Rechtsgedankc eine
vertiertere Gestalt angenommen haben. In ihren Kreisen werden zu-
erst Ausdrücke wie seit, rtd-, dhdrma-, lat. fäs, ahd. ewa u. s. w.
aufgekommen sein, oder werden ältere Termini wie griech. Q4\xiq, sert.
dhä'man- ihre Verbindung mit den Göttern erhalten habeu. Ol) und
welche Zusammenhänge in Folge von Kulturübertragung (vgl. oben die
Herkunft des arischen Rta-Gedankcns) dabei anzunehmen seien, wird
späterer Forschung zu bestimmen überlassen werden müssen.
Nachdem so die Entwicklung des Rechts- und Gesetzesbcgriffes bei
den idg. Völkern festgestellt worden ist, erübrigt es, was in diesem
Werk Über die objektive Rechtsordnung der Iudogermauen er-
mittelt worden ist, hier in Kürze zusammenzufassen.
a) Familienrecht.
An der Spitze der idg. Familie steht der Hausherr. Er hat seine
Frau durch Kauf erworben, und es ist nichts im Wege, auf dieselbe
Weise mehrere Frauen in seinen Besitz zu bringen, von denen indessen
eine den Ehrennamen „Herrin" führt. Ein Unterschied zwischen den
von diesen Frauen geborenen Kindern scheint nicht gemacht worden
zu sein. Begriffe wie ehelich und unehelich dürften vielmehr erst
mit der in spätere Zeiten fallenden Kebsenwirtschaft aufgekommen
sein. Gelingt es dem Manne nicht, mit einer dieser Frauen den für
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Recht.
G61
<lie Darbringung: der Totensaera notwendigen Solm zu erzeugen, so
kann er die« vermittelst eines Zeugungshelfers oder durch eine Tochter
(Erbtochter) erreichen. So zwingend ist der Wunsch nach Sühnen, dass
er ein eigentliches Junggesellcntum nicht aufkommen lässt. Ob der
Rechtsakt der Adoption, der alsdann dem Kaufe eines Sohnes sehr
nahe kam, schon bekannt war, steht dahin. — Der Hausherr hat über
die Seinen unumschränkte Gewalt über Leben und Tod. Ihm unbe-
queme Kinder kann er aussetzen. Auch der Alten und Kranken kann
man sich entledigen. Die Frau ist an die strikteste eheliche Treue
gebunden, sie kann sich unter keinen Umständen vom Manne scheiden,
der sie seinerseits leicht Verstössen kann, sie darf nach dem Tode des
Mannes sich nicht wieder verheiraten, sondern bleibt in der Haus-
gemeinschaft des Mannes oder stirbt am (trabe desselben. Der Haus-
sohn scheidet mit seiner Verheiratung nicht aus der Gewalt des Vaters,
sondern bringt die junge Frau in das väterliche Haus, da die Familien,
durch gemeinsame Totenverehrung und gemeinsames Eigentum ver-
bunden, mehrere Generationen hindurch bei einander bleiben. Heirats-
verbote scheinen nur in Hinblick auf die agnatische Nahverwandtschaft
bestanden zu haben, mit anderen Worten: es war nicht gestattet, ein
Mädchen derselben Grossfamilie zu heiraten.
S.u. Familie, Brautkauf, Heirat, Polygamie, Ehe, Ehelieh
und unehelich, Beischläferin, Zeugungshelfer, Erbtochter,
Junggeselle, Adoption, Aussetzungsrecht, Alte Leute, Ehe-
bruch, Ehescheidung, Witwe, Ah nenkultns, Eigentum, Erb-
schaft, V c r w a n d t c n e h e.
b) Sachen- und Obligatio n e n r e c h t.
Der Begriff des Privateigentums ist noch nicht aufgegangen. Alles
Hab und Gut gehört den männlichen Mitgliedern der Familie gemeinsam,
der Familienvater hat ein unbeschränktes Vcrwaltungsrecht darüber.
Der Grund und Boden ist Eigentum der Sippe oder des Stammes
und wird den einzelnen Hausgemeinschaften zur Nutzung auf kürzere
oder längere Zeit zugewiesen. Ein eigentlicher Erbgang tritt unter
den geschilderten Umständet) nicht ein, doch findet zuweilen eine
Teilung der Hausgemeinschaft, namentlich, wenn sie zu gross geworden
ist, statt. Die Form des Gesamteigentums scheint auf eine gewisse
Nivellierung der Besitzvcrhältnissc hingewirkt zu haben, wie denn in
der Urzeit weder die Unterschiede von Arm und Reich noch von Hoch
und Niedrig (Stände), eine irgendwie bedeutende Rolle gespielt haben
können. — Gleichwohl muss, wie die urzcitlicheu Termini für Kaufen
und Verkaufen, für Lohn u. a. zeigen, ein gewisser Vermögensverkehr
auch in der Urzeit schon bestanden haben. Eine eigentliche Bedeutung
aber haben die ^xoücria auvaXXcrfuaTü in der älteren Zeit nicht er-
langt.
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662 Recht — Rechte des Ehemanns.
S. u. Eigentum, Ackerbau, Erbschaft, Reich und arm,
Stände, .Schulden, Bürge, Handel, Lohn.
c) 8 1 r a f r e c 1» t.
Es giebt in der Urzeit nur eine Gattung von Verbrechen, welche
die öffentliche Gewalt der Stammesgcineinschaft mit Strafe bedroht,
nämlich die, welche die Gleichung sert. d'gas- = griech. öto? bezeichnet,
d. h. Verbrechen gegen die Volksgemeinschaft, wie Landesverrat, Feig-
heit, Königsmord u. a. Die einzige Strafe, welche man für ein solches
Verbrechen kennt, und welche nach ausgesprochenem Urteil alsbald
von der Volksgemeinde selbst vollstreckt wird, ist der Tod, im Falle
der Flucht des Verbrechers seine Ausstossmig ans dem Stamm. Die
Ahndung aller übrigen Unthaten ist dem Betroffenen, bezüglich seiner
Familie und Sippe auf dem Wege der Selbsthilfe, die nach dem Grund-
satz: Gleiches um Gleiches handelt, überlassen. Die Rache durch die
That kann aber durch Vieh abgekauft werden. Bei gewissen Unthaten,
wie Diebstahl und Ehebruch, scheint die Tötung des Thäters auf offner
That schon in der Urzeit nicht die Blutrache der betroffenen Sippe
hervorgerufen zu haben, so dass hier die Tötung des Unthäters fast
schon den Charakter einer Strafe annimmt, die aber von dem Ge-
schädigten oder Bedrohten selbst vollzogen wird.
S. u. Verbrechen (Diebstahl, Ehebruch, Körperverletzung,
Mord, Notzucht, Raub), Strafe, Blutrache.
d ) Gerichtsverfahren.
Gegenüber den als ti'gas = uyo<; bezeichneten Verbrechen muss schon
in der Urzeit ein gewisses Gerichtsverfahren stattgefunden haben, das
in der vom König geleiteten Volksversammlung abgehalten wurde.
Zum Beweise wurde bereits der Eid, d. h. eine SelbstverÜuehung für
den Fall, dass man die Unwahrheit sage, und wahrscheinlich das mit
dem Eide eng zusammenhängende Gottesurteil verwendet. Auch Zeugen-
aussagen scheinen bekannt gewesen zu sein. Bei anderen, mehr den
Einzelnen, als die Gesamtheit betreffenden Unthaten gab es kein Ge-
richtsverfahren. Sie waren der Selbsthilfe oder dem Sippengericht
überlassen. Nur bei Diebstahl muss schon in der Urzeit ein bestimmtes,
zwar auch von dem Betroffenen auszuführendes, aber unter dem Schutze
der Allgemeinheit stehendes Untersuehtingsverfahren i Haussuchung) be-
kannt gewesen sein. — Möglich ist, dass schon in der Urzeit zwei
wegen irgend einer Unthat verfeindete Sippen, ehe sie den Weg der
Selbsthilfe beschritten, ihre Sache vor den König als vor einen Schieds-
richter brachten, dessen Spruch man sich unterwerfen konnte, nicht
mus8te.
S.U.König, Richter, Volksversammlung, Eid, Gottes-
urteil, Zeuge, Diebstahl.
Rechte des Ehemanns, s. Familie.
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Rechtlosigkeit der Frauen — Hechts und links.
M3
Rechtlosigkeit der Frauen, s. Familie.
Rechtlosigkeit des Fremden, s. Gastfreundschaft.
Rechtssymbole, s. Kiten.
Rechts und liuks. Ftlr ersteres zieht sich eine urverwandte
Gleichung durch alle idg. Sprachen: sert. ddkshiua-, a\v. dasina-, altal.
destnü, lit. deszini, alb. djadte (= altsl. destü), griech. beEiö?, beEi-
T€pö?, lat. dexter, ir. de**, gnt. taihstcö, ahd. zesaira. Das Wort be-
deutet zugleich fast überall ,tauglich\ geschickt'; vgl. mhd. diu bezzer
hant, alts., agls. suithora, stetdre .rechte Hand', d. h. ,fortior, citior'.
Über geringere Sprachgebiete erstrecken sich die Gleichungen für
„links": 1. sert. saryd-, a\v. harya-, altsl. s»j\ 2. gricch. Xaiö$. lat.
Itter us, altsl. lerü, eigentl. ,matt' (vgl. griech. Xiapö«; .tepidus, lenis',
ahd. sUo, alts. slett ,matt', ,lau', sert. asn'-mdn- .nicht ermattend );
3. griech. aKaiöq, lat. setterus; 4. ir. de {*kUjos\. got. Iileiditma (vgl.
ir. de i. daon ,obli(|iius', altlat. cl tritt«, cliciitm tutspicium .ungünstiges
Vorzeichen* : griech. kXitu? , Abhang', kXivuj; Gegensatz : nhd. rechts,
urspr. ,gerade' wie auch altsl. prarü .rectus, dexter' und frz. droit =
lat. directus). In seiner Bedeutung übereinstimmend mit Xr. '2 ist auch
ahd. lendta , linke Hand', niederrhein. slink \*slenqa-), die zu griech.
Acrrapö; ,schmiichtig\ lat. hnttjtteo tmatt sein* gehören. Ebenso frz.
gauche, entlehnt aus ahd. tedk (*walki-) ,die welke'. Vgl. noch it.
vtanett, stauen, sp. zttrda .die taube' und eeeh. krsndk, krximry ,link-
hand' : altsl. kriidtiikt't ,fragilis' (weiteres bei Pott Quinare und vigcsimale
Zählmcthode S. L'äXrT.).
Grössere Schwierigkeiten macht aus der überaus reichen Termi-
nologie des rlinksu eine Gruppe von Bezeichnungen, welche formell
die Bildung mit den Komparativsuftixen (i)s-tero gemein haben : aw.
vairyastdra-, griech. dp-iöTtpöq, lat. sin-ister, ahd. trinistar, altn.
vinstre. Zur Erklärung dieser Ausdrücke knüpft K. Brugmann Rhei-
nisches Museum N. F. XLI11. 399 f. an die bei den Römern überlieferte
Anschauung von der Gunst linksseitiger Omina an (vgl. Cicero De
div. II, 39: ita nobis sinistra cidentttr, Graß* et barbari* dextra
meliora). Wie daher griech. sOwvuuo«; .link', eigentlich ,von guter
Vorbedeutung' sei, so wohne allen jeuen Wörtern für ,link' auf -is-tero-
der Sinn des Guten, Günstigen und Erwünschten inne. Aw. rair-
yastdra- gehöre zu sert. edriyas- (Positiv vom-) .erwünschter, vor-
züglicher, besser', griech. äp-iaicpö? : dpeiuuv, <3pto"ros, lat. sin-ister :
sert. Comperativ sdniyas- ,mehr gewinnend', grieeh. dt-vüu), ahd. trin-
istar : ahd. teini , Freund'. Eine weitere Unterstützung findet diese
Ansicht darin, dass ir. tt'tath .links' dem got. piup ,gut' und lit. kairi
,ünkc Hand' dem griech. Kcupö«; .günstiger Augenblick' entspricht, und
vielleicht auch die unter 1. genannte Reihe: sert. savyd- n. s. w. von
aert. sti ,gut, wohl, recht' abgeleitet ist.
Entgegen steht ihr, dass die Inder, Griechen und Deutschen in der
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Rechts und links — Regen.
Anschauung Übereinstimmen, dass vielmehr die von rechts kommenden
Anzeichen als die glückbringenden zu betrachten seien (vgl. J. Grimm
G. d. deutschen Spr. S. »HO— 996 „ Recht und Link" und Vf. Sprach-
vergleichung und Urgeschichte* S. 309 ff.). Einen Versuch, diese beiden
einander gegenüber stehenden Auffassungen mit einander zu vermitteln,
hat neuerdings F. B. Jevons Indocuropean modes of orientation (The
Classical Review X, 22) gemacht. Es sei weniger auf die Seite, auf
welcher der ominöse Vogel erschienen sei, angekommen, als auf die
Richtung, in der er sich bewegte. Stelle man sich jemanden vor. der
den Blick nach der ältesten Orient iernngsw eise im Räume (s. u.
Himmelsgegenden) gegen Osten gerichtet habe, so sei derjenige
Vogel glUckverkündend gewesen, der zur Linken erschienen und dem
Beobachtenden die rechte Seite zukehrend, gen Osten ( vorn) und Süden
("rechts) geflogen sei. So vereinigten sich die glUckvcrkündende Linke
der Römer und die glUckvcrkündende Rechte der Griechen. Dunkel
bleibt aber hierbei, wie, wenn dies richtig wäre, die Alten selbst
(s. o.i von einem Gegensatz in der Beurteilung links- und rechts-
seitiger Anspielen zwischen Griechenland und Rom sprechen konnten.
Vielleicht hat man daher anzunehmen, dass sich von jeher bei den
Indogermanen zwei Auffassungen kreuzten, indem bei den einen An-
zeichen die linke, bei den andern die rechte Seite als die heilbringende
angesehen wurde. So war es bei den Römern trotz der hier im all-
gemeinen herrschenden Ansicht von der Gunst linksseitiger Omina. Vgl.
Plaut. Asin. II, 1, iL': Pkm et cor nix ab laera, parra ab dectera
consuadent (,geben günstige Wahrzeichen").
Welche ratio dabei freilich im einzelnen zu Grande gelegen hat,
lässt sich nicht mehr ermitteln, wie auch die Frage, warum die Indo-
germanen wie die übrige Menschheit in allen profanen und heiligen
Verrichtungen den Gebrauch der rechten Hand so entschieden bevor-
zugt haben, noch keine völlig befriedigende Beantwortung gefunden
hat. Vgl. darüber V. Meyer Z. f. Ethnologie Verb. d. Berl. Ges. f.
Antbrop. etc. 1873. V, 2.*>ff. — S. auch u. Himmelsgegenden, Gruss
und Orakel.
Rede, s. Dichtkunst.
Kell, s. Hirsch.
Regen. Eine idg. Bezeichnung hierfür liegt in sert. varshd-, ir.
fra#x, grieeh. epan, letzteres ,Tau ). Sonst gehen die Namen ausein-
ander, indem der Regen bald als Wasser (grieeh. öußpo? — sert. dmbu-
, Wasser ), bald als Wolke (lat. imber = sert. abhrd- , Wolke ), bald als
Fluss (lat. plucia, phiere, vgl. ahd. fliozzan), bald als Xass (geraein-
germ. got. rign : lat. rigare ,bewässern'V), bald als Guss (lit. lytm :
altsl. It-jn ,giesse aus) u. s.w. aufgefasst wird. Für den Hagel besteht
die idg. Reihe: seit, hrädüni-, lat. grando, altsl. gradu für den Nebel:
grieeh. ouixXn.. altsl. migla. Eine mythologische Vorstellung liegt
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liegen — Reich uud «rm.
665
dem griech. üei, uctö? zu Grunde. Sie gehören zu seit, su, sunö'mi
»keltere', spez. den Sonia (seit, aö'ma-, vgl. auch ir. xttth, ahd. *oti,
lit. xyicax ,Saft', sert. wird- ,Kelterung). Das homerische Ztvq üei
kann daher ursprünglich nur bedeutet haben: „der Himmel keltert",
indem die Erzeugung des Kegcns auf gleiche .Stufe wie die Auskel-
terung des idg. Rauschtranks (Mets, s. u. Honig) gestellt wurde, eine
Vorstellung, die in dem Verhältnis zwischen Sorna und Regen dem
vedischen Altertum noch durchaus lebendig ist. Indem mau den Sorna
durch die Seihe tropfein lässt, hofft man den „Vater Himmel" zu ver-
anlassen, ebenfalls zu „keltern", d. h. den Regen auf die Erde nieder-
strömen zu lassen. Man übt einen Regenzauber aus (vgl. Windisch
Festgruss an Roth S. 140, Ohlenberg die Religiou des Veda S. 459
und passiuu. — S. u. Opfer und Religion.
Regen hogeiischflssekhcii, s. Geld.
Kegeiizauber, s. Regen, Opfer, Zauber u. Aberglaube.
Kegicruiivsform, s. König und Volksversammlung.
Kell, s. 11 irsch.
Reich, s. Staat.
Reich und arm. Vorhistorische Bezeichnungen für diese Be-
griffe sind bis jetzt nicht nachgewiesen worden. Vielleicht fehlten sie
ganz im Wortschätze der Urzeit, da in derselben die Unterschiede
zwischen Arm und Reich, Hoch und Niedrig noch wenig hervorgetreten
zu sein scheinen. S. n. Eigentum und u. Stände. Doch sollen im
Folgenden die wichtigsten Ausdrucke der europäischen Einzel-
sprach e u mit Ausschluss der sich ohue weiteres erklärenden (wie
etwa griech. €voen,£ oder Int. inopx> zusammengestellt werden, um zu
ermitteln, welche Anschauungen der sprachlichen Ausbildung der Be-
griffe Arm und reich zu Grunde liegen. Dabei sind auch die
europäischen Bezeichnungen des Bettlers herangezogen worden.
Griechisch: TrXoüato? ,reich' von ttXoöto? , Fülle* : muTTXn.u» gegenüber
Trevris .arm' : rcevonai .arbeite', ttovo? .Mühe'; tttujxö? ,der Bettler' :
TrruKJöw ,duckeu' (bei Homer teilweis noch mit ävr)p verbunden). La-
teinisch: direx, dir it ine. : dirux ,göttlich' (vgl. fortunae, fortunatns :
foi's i gegen über pau-per ,der sich wenig erworben hat' (: griech. Traö-
po?, Int. pau-etts, got. fmc-ai »wenige 'und pario , erwerbe); mendicus
, Bettler' von sert. mindä' , körperlicher Fehler', .Gebrechen'. (Jer-
manisch: got. avdagx ,selig' s. u.), altn. aubugr, agls. frtdiy, ahd.
6tak, Ableitung von *aud ,opes' (altn. m/ör, agls. ead, ahd. 6t) und
got. gabig» .reich', gäbet , Reichtum' : giban ,geben' gegenüber got.
arm» u. s. w., <las vielleicht aus *arbhmo- entstanden : got. arbaip»
, Arbeit' und slav. rabü , Knecht gehört. In ahd. rihhi uud rihtuom
geht der Begriff des Reichtums aus dem der königlichen Macht hervor
(s. u.). Der Bettler heisst got. halkx (woraus vielleicht altsl. chlakü
Junggeselle' entlehnt wurde; eine andere Deutung s. u. Junggeselle),
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Reich und arm.
ahd. beteldri : bitte», altn. verdgangr ,mendieatio' (a going begging"
one's food . Slaviseh und litauisch: altsl. bogatü ,reich' (woraus
lit. b(igotas) von bog* ,Gott' (vgl. olien lat. direx : dirus) gegenüber
ubogü ,ann' (woraus lit. übagax , Bettler ) nnd nebogü desgl. (lit. ne-
bägax). In der Sippe von *chudü gehen die Bedeutungen von ,klein'
(altsl. chudü) .böse' (nsl. hud) und .ann' (weissruss. chud), in der von-
*Ä'o/rf die von ,betteln' (nsl. koldorati)} »reisen' (klruss. kofdux , Reisender')
und ,zanbern' (russ. koldorati) in einander über. Die letzteren Aus-
drücke sieht Miklosich Et. W. als fremd auf slav. Hoden an. Ein ein-
heimischer litauischer Ausdruck für ,arm' ist icarg'ingax von icargas
,Xot, Elend', altpr. trargx .schlecht, Leid, Übel', altsl. rragü , Feind',
got. *icargx .Feind, Missethäter in gawargjan .verdammen, zum Feinde
machen' 'altn. vargr ,a wolf und ,an outlaw', ein ,ausgestossener').
Dunkele Bezeichnungen für arm und reich aus den keltischen Sprachen
vgl. bei Zeuss Gr. Cell.* S. *49 und Stokes K. Z. XXXV, ö%.
So zeigt sich, dass der „Reiche-* sprachlich mehrfach in Beziehung
zu den Göttern (lat. direx ,der mit den Himmlischen gehende', vgl.
Brugmann Grundriss II, HGS und altsl. bogatü : bogü) gesetzt wird,
wie auch grieeh. eubcnuiuv , reich' denjenigen bezeichnet, über dem ein
guter Gott oder Geist waltet. Auch als Gute und Fromme werden
vom Standpunkt der Herrenmoral aus die Kciehen oft gegolten haben,
und es ist bezeichnend, dass Ultilas, um den Begriff von grieeh. uet-
KOtpioq wiederzugeben, den das Althochdeutsche mit xdlig, xalida ,selig',
^Seligkeit' übersetzt, kein anderes Wort als audags .der reiche' s. o.)
fand. Ja, das Paradies selbst, der Aufenthalt der Seligen, würde als
Ort des Wohlstands und Reichtums aufgefasst seien, wenn Miklosich
Denkschr. d. kais. Ak. d. W. phil.-hist. Kl. XXIV, 48 richtig altsl. raj,
klruss. raj und rirej .Himmelreich' (woraus lit. rojux , Paradies ) mit
sert. niff- ,Gut, Habe' vergleicht. Bezeichnend für die Verhaltnisse,
unter denen die germanische Welt, für deren ursprüngliche soziale
Gleichheit auch der Bericht des Caesar De bell. gall. VI, 22 („sie
haben kein Privateigentum1*, ve latox fines parare xtndeant potentio-
rexque humiUorex poxxexxionibux e.rpeUant , ne qua oriatur
pecuniae cupiditax, qua t\r re f actione» dixxenxionexque naxenntur;
tit animi aequitate plebem contineant , <• u m x u a x q ti i xq u e o p ex
cum pot entisximix aequari videat) von Wichtigkeit ist, den Be-
griff des Reichtums kennen lernte, scheint vor allem das ahd. rihhiT
rihtuom, das eine Ableitung von dem aus dem Altgallischen entlehnte
got. reikx ist <s. darüber u. König;. An dem aitgallischen Völker-
schaftskönig erfuhren also die Germanen zuerst, was Macht und Reich-
tum bedeutet. Dem „Reichen1* gegenüber ist der „Arme" der Arbeiter
oder der Knecht. Auch als der Schlechte oder Böse wird er von den
tugendhaften Reichen bezeichnet, wofür des weiteren auf den Zu-
sammenhang von grieeh. novripöq .schlecht' mit ttövo? und Tre'vris ver-
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Reich und arm — Reis.
667
wiesen werden kann. Der „Bettler* ist der sich duckende, miss-
gestaltete, von Thür zu Thür schleichende, dem Zauberer und Ausge-
stossenen gleich geachtete Mann. Gegenüber dieser Terminologie der
Verachtung wird es in vorgeschritteneren Kulturen, z. B. in Indien und
schon im homerischen Griechenland, als eiue Forderung göttlicher
Gerechtigkeit angeschn, den Bettler wie den Gast und den Bittflehen-
den autzunehmen und zu schützen ( vgl. Leist Altarisches Jus gentium
S. 40, 227).
Reigen, s. Tanz.
Reiher, s. »Sumpfvögel.
Reinheit und Unreinheit. In früher Zeit tritt bei mehreren
idg. Völkern, bei Indern und Iraniern, bei Griechen und Römern die
Vorstellung hervor, dass der Mensch, wie physisch durch die Berührung
mit gewissen Gegenständen, so psychisch durch gewisse Ereignisse wie
Zeugung, Geburt und Tod sowie namentlich durch die Begehung von
Verbrechen verunreinigt werde und einer feierlichen Reinigung durch
Bäder, Waschungen, Räuchernngen etc. bedürfe; denn nur rein darf
man hieb den Göttern nahen. Reiche Materialiensammlnngen hierfür
finden sich bei Leist Altarischcs Jus gentium S. 2f>G ff. und Altarisches
Jus civile I, .TJ.-iff. (vgl. auch A. Kaegi Die Xeunzahl bei den Ost-
ariern S. 13). Wenn aber derselbe Gelehrte geneigt ist, zahlreiche
der hier herrsehenden Anschauungen und Gebräuche auf vorhistorische
Zusammenhänge zurückzuführen und als ein Hauptgebot der von ihm
konstruierten vorhistorischen von den Göttern gesetzten und behüteten
Rechtsordnung den Satz aufstellt: „Du sollst Dich rein halten, damit
Du Dich den Göttern nahen kannst*, so werden ihm diejenigen hierin
nicht folgen können, welche dem idg. Götterglauben noch jede Ver-
tiefung in sittlicher und rechtlicher Beziehung absprechen 's. u. Recht
und u. Religion). Dass im besondern die Verbrechen in der Urzeit
noch nicht als verunreinigend gelten konnten, folgt aus den Aus-
führungen n. Mord. Im Ganzen machen die auf diesem Gebiet ent-
gegen tretenden Anschauungen und Vorschriften den Eindruck priester-
lichen Raffinements uud darum den einer späteren Zeit (s. u. Priester).
Dabei braucht nicht geleugnet zu werden, dass das Bad (s. d.) zur
Abwaschung zauberischer Substanzen, wie bei anderen primitiven
Völkern, so auch bei den Indogermanen schon in vorhistorischer Zeit
eine gewisse rituelle Bedeutung erlangt haben mag (vgl. Ohlenberg Die
Religion des Vcda S. 490 und passim).
Reinigen der Häute, s. Leder.
Reinignngseid, s. Eid und Recht.
Reinigungsmittel, s. Bad und Seife.
Reis. Ot-fjza xutka L. wächst wild wahrscheinlich in den Sümpfen
Cochinchinas. In China soll der Reis schon um 2800 v. Chr. eine
verbreitete Kulturpflanze gewesen sein. In den Gesängen des Rigveda
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Reis — Hinten.
geschieht seiner zwar »och keine Erwähnung, aber bereits im Atharva-
veda sind Reis und Gerste, trihi- und f/äva-t die gewöhnliehe Nahrung
des Menschen (s. auch u. Salzi.
Die erste Erwähnung des Reises iu Griechenland liegt vor der
Erschliessung Indiens durch die Züge Alexanders des Grossen: denn
bereits Sophokles hatte (nach Athen. III, p. 110) in seinem Triptolemus
von einem öpivön,«; äptoq gesprochen: öpivbet* n.v oi ttoXXoi öpucav ko-
XoOat i Phrynichus Bekk. Aneed. 1 j). f>4). Ausführlich wird tö öpuZov
dann von Theophrast (Mist, plant. IV, 4, 10s beschrieben, und Aristo-
bulus, einer der Begleiter Alexanders des Grossen, kennt den Reis
schon iu Baktrieu, Babylonien und Susis. Die Sprachgeschichte folgt
hier der Sachgeschichtc auf dem Fusse: seit, rrihi- ging in die ira-
nischen Sprachen (hier fast überall mit Nasal, npers. hirinj, gurhij,
kurd. birinj, osset. brinj, bei. briuj, nur afgh. vrizr, ohne Nasal) und
in das Armenische [brinj), sowie in die semitischen Sprachen (syr.
b-rn-y; arab. druzz, aram. äruza, 'örez, letzteres erst aus öpu£a, vgl.
Lagarde Ges. Abb. S. 24, Löw Ära in. Pilanzenn. S. .UäS) über. Aus
dem Iranischen oder Indischen wanderte das Wort ins Griechische,
wo es teils als öpivba (mit Nasal, aber auffallendem b), teils als öpvla,
ÖpvZav (vgl. afgh. rrizf) erscheint.
Im klassischen Altertum ist der Reis niemals angebaut, wohl aber,
auf bekannten Hnndelswcgcu (vgl. namentlich darüber den Periplus maris
erythraei) eingeführt und zu medizinischen Zwecken verwendet worden.
Die spätere Kultur des Reises im südlichen Europa, in Spauicu, Italien
und Griechenland 'ngricch. pu£i) geht auf die Araber zurück. Zuerst
wohl im Neugriechischen hat griech. öpvla, lat. oryza sein anlautendes
ö = u verloren (vgl. ngricch. pößn. aus öpoßoq) und ist so ins it. rino
und ins übrige Europa gedrungen. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen 6
S. 48f) fl. — Die erste Nachricht von einem in Indien aus Reis be-
reiteten Getränk, also dein Arrak, giebt Megasthenes bei Strabo XV,
p. To1,»: otvöv T€ t«P ou mveiv, ÜAX' öuöiai«; pövov, nivtiv b'än-'
6pvZr\<; otvfi Kpiöivou (TuvTi6evTa<;. — S. u. Getreidcarteu.
Reiseu, s. IIa ndel.
Reiten. Es kann wohl als selbstverständlich angesehn werden,
dass, sobald das Pferd (s. d.) iu ein näheres Verhältnis zum Menschen
getreten war, man auch den Versuch gemacht haben wird, sich auf
seinen Rücken zu schwingen. Cberdiess wird die Kunst des Reiteus
bereits in den ältesten Gesängen des Rigveda (V, Gl, 2) wie in den
Gedichten Homers (Od. V, 37 1 , II. X, ölo, XV, 079) vorausgesetzt.
An der zuletzt genannten Stelle ist sogar schon von einem Kunstreiter
die Rede. Archaeologisch lässt sich in Europa das Pferd als zum
Reiten benutzt durch die schwedischen Kelsenbilder während der
Bronzezeit nachweisen (vgl. 0. Montclius Die Kultur Schwedens8
S. 70 und S. Müller Nordische Altertumskunde 1, 4t>7). Immerhin
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Reiten — Koli«rion.
669
kann man von einer Priorität des Fahrens vor dem Reiten insofern
sprechen, als sicherlieh im Krieg die Benützung; des Streitwagens
(s. d.) der Ausbildung einer Reiterei lange vorherging. Über das all-
mähliche Hervortreten einer solchen in der Kriegsführung Alteuropas
s. n. H c e r.
Erst das stärkere Hervortreten der Reiterei wird eine eigentliche
Reitkunst und damit eine besondere Terminologie derselben hervorge-
rufen haben, die in den idg. Sprachen weit auseinander geht: griech.
iTTTTEuu) : \TTTreuq, iTmoq, lat. eqnitare : eques, equo cehi, lit. jöti, altsl.
jad({ : W. yd, sei t, t/d'mi »gehe', gemeingerm. ahd. ritan, agls. rldan,
altn. riba, allgemein ,sieh fortbewegen', 9€p€0*8ai, dann auch ,zu
Pferde' = ir. riadaim ,fahre', aw. barata — ^pepeTo ,cr ritt' (gemein-
iranisch, vgl. Horn Grundriss S. i56 f., alt]), ambdra- ,Rciter, woraus
nach Uhlcnbeck sert. a^eavdra- id. im Ramayana). Das erste idg.
Volk, welches eine eigentliche Reiterei bei sich ausbildete, seheinen
die Ostiranier gewesen zu sein, die hierbei in die Schule der sie um-
schwärmenden turko-tatarischen Reitervölker gegangen sein werden
(vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 54).
Eine besondere Ausrüstung des Pferdes oder Reiters war in der ältesten
Zeit unbekannt. Sattel, Steigbügel, Sporen, H nfeiseu (s. s. d. d.)
sind späte Kulturbcgriflfe. Selbst von einer Zäumnng (s. u. Zaum)
seheint man ursprünglich nichts gewusst zu haben. S. auch n. Pferd.
Reiterei, s. H e e r.
Religion. Dass die Verehrung des Himmels und der von ihm
ausgehenden und mit ihm zusammenhängenden Natiirmäehte den eigent-
lichen Kern der altidg. Religionen bildet, wird von ausgezeichneten
Gewährsmänner aus den verschiedensten Teilen des idg. Völkergebietes
gemeldet, von Herodot I, KU bezüglich der Perser: dTäXMGtTct pev
Kai vnoü<; Kai ßwpoüq oük £v vöuiy rcoieupevous IbpücaOai, dXXd Kai
Toio"i TToieüöi uiupinv emcpepouai, uiq pev epol boKe'eiv, 6n ouk dv8pw-
iroqpue'a^ evöpiaav Touq Qtoiiq Kard nep o\ "EXXr|ve^ eTvai . o\ be vopi-
ZovO\ A 1 1 pev eVi xä uipnXÖTaTa tujv oupe'wv dvaßaivovTeq 8uo*ia£
j-pbeiv, t6v kukXov Ttdvia toö oupavoö A(a KaXe'ovTeq- 8üouo"i
bk f|Xiuj Te Kai o"€Xr|vr) koi -fr) Kai rrupi Kai ubati Kai dve'poio'r toü-
xoiai pev bn. poüvoiai GuoutTi dpxn8ev (vgl. dazu IV, 59 über die ira
nischen oder iranisierten Skythen: 6eou? pev pouvou? Toutfbe IXdcncov-
Tai, 'IffTinv pev pdXio*Ta, dm be Axa Te Kai f"n>, vopiZovTes tt|v Tnv
toö Aiöq eivai Tuvaka), von Caesar VI, 21 bezüglich der Germanen:
Germani multum ab hac {Gallarum) canmetudine differunt. nam
neque druides habent, qui rebus divinum praesint, neque sacrificiut
student. deorum numero eos solos dueunt, quos cernunt et quorum
aperte opibus iuvantur, Solem et Vulcanum et Lunam, reliquos
ne fama quidem aeeeperunt. Denselben Znstand fanden aber auch
noch die christlichen Bekehrer im äussersten Nordosten unseres Erdteils
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CIO
Religion.
bei Litauern und Preussen, von denen Peter von Dusbarg (Script,
rer. Pruss. I, 53) berichtet: Errando omnem creaturam pro deo colu-
erunt, scilicet solem, lunam et Stellas, tonitrua, volatilia, quad-
rupedix etiam usqtte ad bufonem, obgleich hier noch weitere Gegen-
stände der Verehrung genannt werden, wovon unten mehr die Rede
sein wird.
Die in den mitgeteilten Nachrichten enthaltenen Spuren altiudoger-
manischen Götterglaubens sollen nun im Folgenden sachlich und
sprachlich weiter verfolgt werden. An die Spitze seiner Aufzählung
der von den Persern verehrten Götter stellt Herodot töv kukXov Trdvra
toö oupavou, den ganzen Unikreis des Himmel s. Dies wird der
eigentliche Sinn der idg. Reihe: scrt. Dyäus, griech. Zeus, lat. Dies-
piter, Juppiter, altu. Tyr, ahd. Ziu sein. Eiu ausreichender Grund,
mit Bremer (I. F. III, 301) die germanischen Formen (urgerm. * Tiicaz)
von den übrigen zu trennen und mit idg. *deico s (lat. deus, lit.
diiwas etc.) zu verbinden, liegt kaum vor (vgl. R. Kögel Gesch. d.
deutsch. Lit. I, 14*). Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte,
wllrde die ursprungliche Bedeutung des germanischen Götternamens
immer »Himmlischer' oder »Himmel' bleiben, da auch idg. *deivo-s
(: *djeu-8), wie die alte linnische Entlehnung von taivas, estn. taeicas,
liv. töras , Himmer aus lit. diPicas ,Gott' zeigt, diese Bedeutung hatte.
Am klarsten ist die appellativische Grundbedeutung , Himmel' noch im
vedischen Dydux erhalten, während griech. Ztuq und lat. Juppiter einer,
altn. Tyr, ahd. Ziu andererseits sich zu rciu persönlich gedachten
Göttcrgcstalten ausgewachsen haben, indem die klassischen Wörter
den höchsten Ilimmclsgott, die germanischeu den oberstcu Kriegsgott
bezeichnen. Die der ganzen Sippe zu Grunde liegende Wurzel ist
•scrt. die ,strahlen\ so dass idg. *dyeu-s zunächst den Himmel als
Träger des Tageslichts (vgl. auch lat. dies) bezeichnete, und man also
sagen kann, dass eine der ersten höheren Religionsvorstcllungcn der
Indogermanen an das Li cht des Tages anknttpfte. Eine gewisse Ehren-
stellung vor den übrigen Naturmächten wird dem idg *dyeu-s durch
den Umstand bezeugt, dass ihm auf drei Sprachgebieten das alte Wort
für Vater (scrt. Dyäus pitd, griech. Ztvq TTctTnp, vgl. auch bei Hesych
AemdTupos* Qtöq irapd Tupqpaioi«;, lat. Juppiter) angehängt wird, wie
auch eiu skythischer Ztüq TTcmaios und eiu bithynischcr Zeus TTana^,
TTaTmüüoq genannt werden (vgl. Kretschmer Einleitung S. 242).
Als Gattin des Vater Himmels wird, so sahen wir oben, bei den
Skythen die Erde gedacht. Im Rigveda erscheint neben dem Vater
DydiiH die Mutter I'rthivi (= agls. folde), ohne dass beide „zu leben-
digerer Personifikation und zu ausgeprägter Geltung im Kultus" gelangt
wären, was auch bei anderen Erdgöttinnen wie der griech. Gaia (neben
Uranos), der lat. Tellus, der altn. Jörü nicht oder nur in geringem
Masse der Fall ist. Im Litauischen ist Z'emyna (von z'eme ,Erde')
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Religion.
671
ku einer allgemeinen Segensgöttin für Flur nud Haus, ebenso wie die
germanische Xerthus „Terra materu (: griech. v^piepoi ,die Unter-
irdischen), geworden. Am meisten von ihrem begrifflichen Ursprung
hat sich die thrakisch-griechische XeucXn. (: lit. z'tmv, altsl. zendya)
entfernt. Alle diese Erdgottheiten sind weiblich aufgefasst; doch fehlt
es auch nicht an männlichen Enlgöttern wie sert. Yästöshpati, Ksht-
trasya pati, lit. Zemeluks, Z'emininkas, Z'Ptnepatis u. a.
Kehren wir zu dem Himmel selbst zurück, so ist unter den an ihm
sich abspielenden Naturerscheinungen das Gewitter diejenige, die
das Gerollt des primitiven Menschen am meisten erschüttert und daher
zu zahlreichen Götterbildungen geführt hat. Aus dem idg. Wort für
Donner sind die Bezeichnungen des germanischen Donar-Thörr und
des keltischen *Tanaros (neben Tamms aus gemeinkeit. Horanno-8
, Donner'/ hervorgegangen. Auch lit. Perkunas bedeutet , Donner' und
^Donnergott' [Perkunas deus tonitrus Ulis est, quem caelo tonante
agricola capite detecto et succidiam humeris per fundum portans
. . . alloquitur, vgl. Job. Lasicius De diis Satnagitarum 8. 47) und
wird dann weiter geradezu für dieteas ,Gott' gebraucht. Über die Frage
der Deutung und Verwandtschaft dieses Götternamens s. u. Gewitter.
Wahrscheinlich ist seine Verknüpfung einerseits mit altsl. perunä
, Donnerkeil', , Donnergott' (vgl. Prokop B. G. III, 14: 6€Öv piv fdp
eva, t6v Tfj<; ö:0"TpaTrn.<; bnuioup-röv, cmavTiuv xupiov uövov auTÖv vojui-
lovOi eivan, andererseits mit dem altn. mythologischen Eigennamen
Fjörgyn, der Mutter Thors. Geht man, was jedenfalls das nächst-
liegende ist, für die ganze Sippe von der appellativischen Grundbe-
deutung , Donner' altpr. percunis} aus, so ist das Verhältnis von Pjörgyn
: Thorr dasselbe wie es in griech. Urauos : Zeus, oder in Gaia : Demeter
vorliegt, d. h. die Väter werden in den Söhnen, die Mütter in den
Töchtern, die Eltern in den Kindern neu geboren. Anders wie im
Germanischen, das in Ziu und Donar, Tyr und Thorr, oder wie im
Indischen, das in JJyäus und Indra (ein völlig unerklärter Götter-
name) die beiden Erscheinungen der Himmels- und der Gewittermacht
sorgfältig aus einander hält, hat sich der griechische Zeus zum Himmels-
und Gewitlergott entwickelt:
Zeuq b' £Xax oüpavöv eupuv Iv aiöt'pi Kai v€(p^Xrjöt (11. XV, VJ2),
ihm ward also der im Ätherglanz prangende und der iu Wolken gehüllte
Himmel zugleich zu teil. Tu erstem- Hinsicht heisst er iv aiBepi vauuv
und €0püoTTa Zeü? , Weitauge Himmel' (vgl. J. Schmidt Pluralb. S. 400),
in letzterer vecpeXnjeptTa, der ,Wolkensammler', TtpKoxtpauvo?, der
,Donnerfrohe'T crrepoTTn/fepeTa, der ,Blitzcrreger", KeXaiV€<pn<;, der ,Schwarz-
umwölkte', tpifbouTio?. ^pißp€U€Tiiqt der ,Hochdonnernde', ä(JT€pOTrr|Tn.s,
der ,Blit/eschleuderer', dpfiKtpauvo^, der ,Stahlschwinger' u. s. w.
Ebenso kennt das Pbrygische einen Zeu^ Bpovrwv Kai 'AaTpäTTTuuv
(Kretschmcr S. L'41).
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672
Religion.
Übereinstimmend werden ferner bei Persern, Germanen und Batten
Sonne und Mond als Gegenstände der Verehrung genannt. Ihre
idg. Namen s. u. diesen Artikeln. Eine reiche Mythenbildung hat sich
im Litauisch-Preussischen (vgl. das Material bei Usener-Solmsen
Götternamen S. 85 ff.) um sie angesetzt, die jedenfalls beweist, dass
auch auf dem Boden höchst primitiver Religiousanschanungeu sich zur
Erklärung der dem Volke rätselhaften Naturvorgänge ein Mythus
entwickeln kann. Teljawelik ist der Schmied, der die Sonne ange-
fertigt hat. Das Volk verehrt die Sonne und einen eisernen Hammer
von seltener Grösse. Einst sei die Sonne mehrere Monate laug unsicht-
bar gewesen, weil sie ein sehr mächtiger König in einem festen Turm
eingeschlossen habe. Da hätten ihr die Bilder des Tierkreises mit
jenem eisernen Hammer Hilfe gebracht (vgl. Usener u. SaulMe). Die
ermüdete und staubige Sonne nimmt die Mutter des Perknnas in einem
Bade auf, um sie am anderen Tage gewaschen und leuchtend zu ent-
lassen (vgl. a. a. 0. u. Perkttna tele). Sonne und Mond werden in
verschiedenen Dainas als Ehegatten und zwar als schlechte Ehegatten
geschildert. Der Mond trennt sich von der Sonne, verliebt sich in den
Frühstem (Auszrine) und wird von Perknnas mit dem Schwerte zer-
hauen. Als Töchter der Sonne werden die Gestirne bezeichnet, deren
Herr unter dem Namen Z'icaigz'dulas (: z'waigz'di »Stern') verehrt
wird. Bei den Germanen lässt sich auch nach Caesar ein Dienst
der Gestirne nachweisen. Tacitus Ann. XIII, 55 nennt einen germa-
nischen Mann Namens Boiocalns, von dem es heisst: Solem deinde
aspicie'is et cetera sidera rocans quasi coram interrogabat etc., und
noch in. VII. Jahrhundert predigt der heilige Eligius (nach Golther
Germ. Myth. S. 487) unter den Franken: Xullus dominos solem et
lunam vocet neque per eos iuret. Eine vergöttlichte Sonne wird im
zweiten Merseburger Zauberspruch genannt: Sinthgunt (, Weggenossin',
d. h. der Mond?). Sünna era suister. Zu irgendwie bedentsamen ver-
geistigten und persönlich wirkenden Göttern und Göttinnen haben es
aber Sonne und Mond auf germanischem Boden nicht gebracht. In
etwas höherem Masse ist dies bei den griechischen "HXios, Mrtvn, und
XeXrjvn der Fall; doch verharren auch sie den griechischen Haupt-
göttern gegenüber in mythisch verhältnismässig untergeordneter Rolle.
Endlich kennt auch der Kigveda einen Sonnen- (Surya) und einen
Mondgott {Mds, Candramas), die aber ebenfalls anderen vedischen
Gottheiten gegenüber wie Indra, Mitra, Varuna weit zurücktreten.
Bedeutsamer ist nur die Stellung der weiblichen Personifikation der
Sonne, Süryd, durch ihr Verhältnis zu den Acvin und ihre in jüngeren
Teilen des Rigveda besungene Hochzeit mit Söma, dem späteren
Mondgott, ein Mythus, der sieh durch die Übereinstimmung zunächst
der indischen Acvin mit den griechischen Dioskuren in seinen Grund-
zügen als proethnisch erweist. Beziehen sich diese Götternamen, wie
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Religion.
673
man nicht bezweifeln kann, ursprünglich auf den Morgen- und Abend-
stern (anders A. Weber Sitzungsb. d. kg). Ak. d. W. zu Herlin 1898
S. 565), so wird in der Ursprache ein deutliches Appellativuni für die-
selben vorhanden gewesen sein, vermutlich ein dem lit. amzrine (s. o.)
entsprechendes Wort, dessen Dual Morgen- und Abendstern (wdkarini)
znsammengefasst haben könnte (vgl. sert. dhani ,Tag und Nacht',
dyd'vd , Himmel und Erde", pitdrau , Vater und Mutter').
Von diesen Sternen wird man sich Geschichten erzählt haben, wie
die in der oben genannten litauischen Daina, in welcher der mit der
Sonne verehlichtc Mond sich in den Frühstem verliebt. Ein anderes
jener Lieder lässt den Morgenstern hinlaufen, um nach der Sounen-
tochter liebend auszuschauen. Heiden Sternen wird mau verschieden-
artige Epitheta gegeben haben. Weil am Himmel erscheinend, sind
sie „Söhne des Himmels", griech. Aiocftcoupoi „Gottessöhne" (wie sie
auch in der lettischen Sprache heissen), sie sind „rossebegabt" oder in
theriomorpher Auffassung (s. u.), wie man auch von einem „Sonuenrosse"
sprach (vgl. Oldenberg Die Religion des Veda S. 73), selbst „Rosse"
(sert. aqvhidu : dgva- , Pferd'). Sie siud aber auch „Hoten"; denn
nach einer etwas abweichenden Fassung des Mythus werden sie aus-
geschickt, um für den Mond um die Sounenjungfrau zu freien. Das
thuen die lettischen Gottessöhne, das die indischen Aqrindu bei der
Hochzeit der Süryd mit dein Monde (Sorna). Diese Auffassung der
beiden Sterne als Boten oder Werber liegt aber mit hoher Wahr-
scheinlichkeit auch den germanischen Dioskuren (vgl. Müllenhoff Z. f.
deutsches Altertum XII, 344 ff., Golther Genn. Mythologie S. 214 ff.,
B. Syraons in Pauls Grundriss III*, 677 ff. u. s. w.) und ihrer von
Tacitus Genn. Cap. 43 berichteten Benennung Alcis zu Grunde. Apud
Nahanarvalos, sagt der Geschichtsschreiber, antiquae religioni* lucua
ostendUur. praexidet sacerdos muUebri ornatti, sed deos interpre-
tatione Romana Caatorem Pollucenique memorant. ea vis numini,
nomen A l c i s. nulla shnulacra, nulluni peregrinae sttperstitionis
vesfigium, ut fratres tarnen, ut iuvenes venerantur. Das hier genannte
Alcis (ursprünglich wohl ein germanischer Dual *Alki, der von Tacitus
als Alcis gefasst und in unserer Stelle als Genitiv gedacht wurde),
um dessen Deutung man sich bisher vergeblich bemüht hat (Müllenhoff
Deutsche A.-K. IV, 488 denkt, wie J. Grimm, an Zusammenhang mit
got. alte /Tempel', was schon lautgeschichtlich nicht stimmt) entspricht
nämlich auf das genauste dem litauischen Aigis, das von Lasicius (De
diis Saniagitarum etc. S. 47) als angelus summorum deorum, also
auch des Mondes und der Sonne ( vgl. lit. algä ,Lolin', Aigis , Lohn-
mann', ,Botc'), gedeutet wird.
So hiesseu denn der Morgen- und Abendstern in der Sprache der
Urzeit „Himmelssöhnc", „Reisige" und „Boten", Benennungen, die in den
Eiuzelsprachen später zur Bezeichnung rein persönlich wirkender Wesen
Schräder RcnMexikon. 43
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Religion.
verwendet wurden. Unter die Erscheinungsformen der Sonne wird von
Herodot, Caesar und den baltischen Gewährsmännern auch die von
ihnen nicht ausdrücklich genannte Morgenröte mit eingerechnet
worden sein. Ihren idg. Namen s. u. Morgen. Als Göttiu erscheint
sie im Litauisch-Prcussischen (Ausca — lies auszrä — dea est radiorum
solis cel occumbentia{?) vel supra horizontem meendentis, vgl. Lasicius
a. a. 0. S. 47), ferner im Griechischen ('Hwq) in untergeordneter, im
Indischen (Ushas) in hervorragenderer und vielgepriesener Stellung. Falls
agls. Eostre bei Beda, nach der der Eosturmonath benannt sein soll,
eine wirkliche germanische Göttin war, ist hier aus der Morgengottheit
eine Frübliugsgottheit geworden, wie ähnlich auch Ushas als Neujahrs-
gottheit gefeiert wird (vgl. Hillebrandt Ved. Mytb. II, 29).
Neben Sonne und Mond steht bei Herodot und Caesar das Feuer.
Auch im Litauisch-Preussisehen wird ihm eiue reiche Verehrung zu teil
(vgl. Usener-Solmsen a. a. 0.). Hier fand Hieronymus von Prag gentetn,
quae aacrum colebat ignem eumque perpetuum appellabat. sacerdotes
templi materiam ne deficeret ministrabant (also wie die Vestalinnen).
Man nannte es VgnU azwentä , heiliges Feuer'; auch von einer szwentä
Ponyke ' ponike) »heilige Herrin' sprach man, wie im Indischen der
Feuergott grha pati- ,Hcrr des Hauses' und im Iranischen der Herd
nmänö-paiti- id. genannt wird. Daneben bestehen zwei Namen für
die Göttin des Herdfeuers, dessen ausserordentliche Verehrung auch
Herodot hervorhob: Polengabiu (diia ext, cui fori lucentis administratio
credit ur) und Aspelennie ,die hinter dem Herd', beide zu lit. peleni
.Feuerherd' gehörig. Dem gegenüber findet man im Germanischen
zwar zahlreiche heilige Feuer, aber keine Ansätze zur Bildung eines
Feuergotts oder einer Göttin des Herdfeuers. Dagegen hat sich im
Indischen agni- = lit. ugnis zu einer der hervorragendsten vedischen
Gottheiten (Agni? ausgewachsen, und im Griechischen und Lateinischen
ist das Hcrdfcuer iiaür\-]'esta) dort zu einer appcllativisch durchsich-
tigen, hier zu einer völlig persönlichen und vom römischen Standpunkt
nicht mehr durchsichtigen Göttin geworden. S. auch u. Herd und
u. F e n e r.
So bleiben von Hiiumelsmächten Wind und Wasser übrig. Ihre
idg. Namen s. n. Wind und Fluss. Beide treten personifiziert im Li-
tauisch-Prcussischen auf, wo ein Wejopati« ,Herr des Windes' (lit.
terji*. tc:;ju8 ,Wind), ein Audros ,Gott der Sturmflut und Windsbraut'
dit. riudra .Flut ) und ein Bangputy*, Bangü dieicditis .Wellenbläser',
.Welleugotf (lit. bangü .Welle', pucz'iü »blase' > begegnen. Auch der
Higveda kennt zwei Windgötter: Väyu (= lit. icejasj und Ydta ( =
ahd. ic int), von denen der erstere als Naturphaenomen bereits verblasst
ist. Keiche Verehrung gemessen die Wasser und Flüsse. Etymo-
logischen Zusammenhang mit dein feuchten Element (sei t, ap- , Wasser')
zeigen dabei die Apsaras, zu freien Persönlichkeiten gewordene weib-
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Religion.
675
liebe Wasser wesen, das Wasserkind (apd'm ndpdt) u. a. Iu nicht
geringerer Ehre stehen Quellen und Flüsse bei Griechen und Germanen
(vgl. J. Grimm Deutsche Myth. I3, 89). Eine deutliche Verwendung
eines Appellativums für diese Begriffe zur Bildung eines Götternamens
oder zu Ansätzen iu dieser Richtung ist aber nicht bekannt. Aus dem
Lateinischen ist vielleicht Neptunus ,der feuchte' : a\v. naptö ,feucht',
altp. Ncmaq r\ Kpnvn. im tujv öpwv TTeptfibos io*TOp€iTai n qp^pouaa t<x d<poba
(Hes.) hierherzustellen. Ein sicherer Windgott ist sachlich und
sprachlich der griech. AtoXo? (*Fn.-io-Xo-q : sert. väyü-, lit. teejas). Das-
selbe wäre bei dem germanischen Wödan-O'dinn der Fall, wenn dieses
Wort ohne lautliche Bedenken zu sert. vd'ta- = ahd. mint gestellt werden
dürfte. — Zeigen die vorstehenden Zusammenstellungen, bei denen
nur handgreifliche Thatsacheu gegeben, und jede Spekulation (mit Aus-
nahme des Exkurses über den Morgenstern) vermieden worden ist, in
wie weit der von einwandfreien Geschichtsschreibern wie Herodot
uud Caesar altindogermanischen Völkern zugeschriebene Naturdienst
bei diesen und bei den übrigen Indogermanen sprachlich und sachlich
reflektiert, so belehren sie uns zugleich über die Auffassung, welche
die Indogermanen vor ihrer Trennung von ihren Gottheiten gehabt
haben müssen. Es kann nicht zweifelhaft sein, das» dieselben damals
noch nicht als Persönlichkeiten gedacht worden sein können, wie
wir sie in historischen Zeiten bei Indern und Griechen, bei Römern
und Germanen kennen. Die sonst unerklärliche Thatsnche, dass ausser
den angeführten, auf appellativisch noch vollkommen durchsichtigen
Bezeichnungen des Himmels und der von ihm ausgehenden Naturkräfte
beruhenden unter der unübersehbaren Zahl der Götternamen der idg.
Völker sich nirgends eine Übereinstimmung hat erweisen lassen, und
alle hierauf gerichteten Versuche (vgl. Vf. Sprachvergleichung und
Urgeschichte8 S. »96 ff.) sich als verfehlt herausgestellt haben, findet
ihre einfache Deutung darin, dass es eben in der Urzeit noch keine
persönlichen Götter gab, und in Folge dessen auch keine Namen
derselben, die sich weiter hätten vererben können. In agni-, ignis,
ugnis, ognl verehrte man in der Urzeit die geheimnisvolle Kraft, den Teil
des Unendlichen, der dem Menschen im Feuer entgegentrat, aber noch
keinen persönlich gedachten, auch ausserhalb seiner begrifflichen
Sphäre wirkenden Gott des Feuers, wie er uns schon im vedischen
Agni, dem weisen und grosscu Priester der Menschheit, entgegentritt.
Ein solcher Götterglaube, wie er hier als indogermanisch angenommen
wird (so schon Sprachvergleichung und Urgeschichte* S. 600), ist nun,
was zuerst Uscner in seinem ausgezeichneten Buche Götternamen
S. 277 ff. klar erkannt hat, in weiten Teilen Europas thatsäehlich be-
zeugt. In diesem Sinne berichtet Herodot II, 52 von den Pelasgern:
f6uov bi KoivTct Tipörepov o\ TTeXao"YOi 6eoio*i dTreuxöjievoi, ibq ifut £v
Auubuivr] oTba ctKOucaq, tTTwvuuin,v be oüb' ouvo.ua ^koioüvto oubcvi au-
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67r,
Religion.
tüjv. ou f«P iKr|KÖ€(Jdv ituj, in diesem Strabo III, p. 164 von den
keltischen Kallaiken jenseits der Pyrenäen: Ivioi bi tou? KaXXaiKOu?
dGtou? qpacrt, rovq bk KcXTißnpaq Kcri Touq Trpo^ßöppou? tüuv öjiöpiuv
auroi? ävujvuuiu tivi 6eu> [eüciv] raiq TravacXnvois vuktujp trpö toiv
ttuXuiv, TTavoncious T€ xop*u*iv Ka\ Trawuxtfeiv, und auch Theophrast
(vgl. Usener a. a. 0.) kannte einen Thrakcrstamm, die Thoer im Athos-
gebirge, die er als 50€oi ,göttcrlos* bezeichnete. So opferten auch die
Indogennanen dem Himmel, der Erde, der Sonne, dem Mond, dem
Feuer, der Morgenröte, dem Wind, dem Wasser; aber die Namen,
welche diese Gewalten benannten, fielen mit den betreffenden Appella-
tiven noch durchaus zusammen. Ein Grieche oder Römer, der sie bei
ihrem Götterdienst belauscht hatte, würde sie unter dein Eiudruck der
lebensvollen Gestalten seines Olymp ebenfalls ÄÖeoi ,götterlos' genannt
haben. Fast gänzlich unverändert liegt dieser Zustand, wie wir gesehn
haben, noch in der litauisch-prenssischen Mythologie vor uns, und das-
selbe meint offenbar Miklosich, wenn er Denkschr. d. Wiener Ak. phil.-
hist. Kl. XXIV, 2<» den ältesten Slaven einen „götterlosen" Nalur-
dienst zuschreibt.
Wenn somit der Zusammenhang zwischen dem Gott und seinem
Natursubstrat in der Urzeit noch der denkbar engste gewesen sein
muss, so soll doch damit nicht gesagt werden, dass nicht schon damals
die Phantasie des Menschen damit begonnen habe, sich die himmlischen
Wesen und Dinge nach menschlicher Analogie zurecht zu legen.
Man darf die Begriffe Personifikation und Herausbildung eines persön-
lichen Gottes, so sehr der letztere Vorgang den ersteren voraussetzt, nicht
für identisch halten. Das Charakteristische des persönlichen Gottes
ist, dass er auch ausserhalb der Sphäre, welcher er seine begriffliche
Entstehung verdankt, wirkend gedacht wird. Personifikation auf niederen
Entwicklungsstufen heisst nur, eine Erscheinung als ein r beseeltes oder
sich selbstbewegendes, lebendiges Wesenu auffassen (vgl. W. Bender
Mythologie und Metaphysik Stuttgart 1899 S. 31). Sobald man sich
zu dieser Stufe erhob, musstc es naheliegen, sich das Göttliche in
menschlichem Bilde vorzustellen. So sprach mau von einem „Vater"
Himmel und (vielleicht) von einer „Mutter" Erde, und die „Himm-
lischen" (*deivos, s. o. und u. Gott) konnte man als Söhne und Töchter
jenes Paares auffassen, je nachdem sie männlichen (z. B. Agni) oder,
was seltner der Fall war, weiblichen Geschlechts (z. B. Ushas) waren.
Nach menschlicher Analogie wird man sich auch die Vorgänge am
Himmel und in der Natur zurechtgelegt haben, die mau täglich schaute
und in ihrem Zusammenhang zu begreifen suchte. Das Verhältnis von
Sonne und Mond wird man schon in der Urzeit so oder ähnlich auf-
gefasst haben, wie es in dem litauischen Volkslied (s. o.) noch heute
geschieht. Wenn der Regen nach langer Dürre herniederströmte, oder
die Morgenröte nach banger Nacht erschien, so mochte man sich vor-
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Religion.
677
stellen, dass ein im Gewitter sich offenbarendes Wesen die von einem
Drachen gefangenen Wasser (im Veda auf die irdischen Flüsse um-
gedeutet, vgl. Ohlenberg Die Religion des Veda S. 134 ff.) befreit,
oder dass der „Vater" Himmel die roten „Küheu d. h. die Morgenröte
aus der Gewalt eines scheusslieheu Ungetüms i vgl. die dreiköpfigen
Viqvarüpa, Geryoneus, Cacus) erlöst habe. Wenn das befruchtende
Nass auf die Erde herabtränfelte, sagte man „der Himmel keltert" (s.
u. Hegen) u. s. w. Dass die Natur ein nach ewigen Gesetzen ge-
ordnetes und in immer wiederkehrender Bewegung begriffenes Ganze
darstelle, ist eine viel spätere Vorstelluug, die bei den arischen Völkern,
Indern und Iraniern, an den wahrscheinlich aus semitisch sumerischem
Knlturkreis eingeführten Gedanken des tfta (s. u. Recht) anknüpft.
Mit ihm ziehen neue, ans idg. Mitteln nicht zu deutende Sonnen- und
Mondgötter, Mitra (aw., altp. MiDra, npers. mihr ,Sonnc') und Varuna
(Mond:') mit den Aditya (den Planeten?) ein und rauben den alten
idg. einfältigen Sürya und Mas ihre Kraft und ihren Glanz (vgl.
Ohlenberg a. a. 0. S. 18f>ff., 194).
Allein die Auffassung der Himmlischen und himmlischen Vorgänge
als Menschen und nach menschlichem Muster ist nicht die eiuzige, ja
nicht einmal die frühste der idg. Urzeit. Es kann nicht bezweifelt
werden, dass es eine Zeit gegeben haben mnss, in der die Götter als
Tiere aufgefasst worden sind. „Der Gott ist vielfach Tier oder wird
zum Tier, er schwankt zwischen mcnsehengleichem und tierischen
Wesen* (Ohlenberg). „Nun aber kann nicht im entferntesten davon
die Rede sein, dass man sich Sonne und Mond immer nur als menschen-
ähnliche Personen gedacht habe. Die Vorstellungen waren Uberhaupt
noch ganz flüssig .... Jeder legte sich die Sache zurecht, wie sie
ihm wahrscheinlich war und suchte nach einem passenden sprachlichen
Bilde für die wunderbaren Vorgänge am Himmel; von einem festen
System war auch noch nicht entfernt die Rede. Daher schrak man
anfänglich gar nicht davor zurück, sich diese Himmelsinäcbtc auch
als Tiere . . . zu denken" (vgl. E. Siecke Die Urreligion der Indo-
gennanen Berlin 1897 S. 19 f.). Noch im Veda werden wenigstens
niedere Gottheiten gern tiergestaltig gedacht. Aber auch die höheren
Götter werden mehrfach wenigstens als die Kinder von Tieren, z. B.
die Ayvins als Kinder der Stute, bezeichnet. Auch sind die ver-
schiedenen, den Göttern heiligen Tiere, wie der Adler des Indra, oder
die Tiere, unter deren Bild und Namen die Götter gefeiert werden,
das Ross des Agni, der Stier des Indra u. s. w., nicht zu verkennende
Spuren dieser einstigen Vorstellungen, die ihre genaue Entsprechung
auch bei den europäischen Indogermanen finden. Vgl. E. Meyer Ge-
schichte des Altertums II, 98: ,.Noch verbreiteter fast ist die An-
schauung, dass die Götter sich in Tiergestalt offenbaren. Weithin
durch Griechenland verehrte man einen Wolfsgott, der im Peloponnea
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678 Religion.
zum Zeus geworden ist, während der Wolf sonst als Manifestation des
Apollo gilt. Artemis ist in Attika nnd ebenso in Arkadien, wo sie
als Stammmutter des Volkes verehrt wird, eine Bärin, in anderen
Fällen eine Hirschkuh. In Argos verehrt man Hera ßodmts als Kuh,
die von Zeus in Stiergestalt begattet wird .... In den zahlreichen
rohen Figuren aus Stein und Thon in Menschen- und Tiergestalt,
welche sich iu allen Schichten der troischen und mykotischen Kultur
finden, dürfen wir wohl die Götterbilder dieser Epoche Griechenlands
erkennen; nicht wenige von ihnen werden Hausfetischc gewesen sein"
(8. u. Kunst). Ähnliche Erscheinungen lassen sich auch in der ger-
manischen Mythologie nachweisen (s. auch u. F a h nc).
Diese doppelte Auffassung der Götter als Menschen und als Tiere
findet ihre genaue Entsprechung bei den aus Seelen hervorge-
gangenen dämonischen oder göttlichen Wesen. Hierauf ist
u. Ahnenkult us hingewiesen worden, der, wie an dieser Stelle aus-
führlich gezeigt worden ist, eine zweite Schicht altindogermanischer
Religionsvorstcllungcn bildet. Schwieriger aber als diese Erkenntnis
ist es, das historische Verhältnis dieser beiden religionsgeschichtlichen
Strata, des Seelen- und Himmelsglanbens, zu einander festzustellen.
Gegen die jetzt weitverbreitete Anschauung, dass alle Götterverehrung
aus der der Ahnengeistcr hervorgegangen sei, hat sich Usener in seinem
oft genannten Buche mit grosser Schärfe gewendet: „Auf welcher von
beiden Seiten die Vorstellung mächtigerer seelischer Kräfte ausser uns
zuerst entstanden, auf welche sie übertragen ist, mag entscheiden, wer
Fragen löst wie die, ob das Ei oder die Henne früher war. Ich
denke, es giebt eine Quelle, welche ursprünglicher ist als beide Vor-
stellungen, als Götter und Seelen: das ist der im Menschen lebendige
Geist, der die wichtigste Thatsachc seines Bewusstseins, die Beseeltheit,
auf das unbekannte anwendet und überträgt" (S. 254). Dies ist gewiss
richtig, bestehen bleibt doch aber auch jetzt noch die Frage, ob es
nicht für eben diesen menschlichen Geist näher lag, die Thatsache
seines Bewusstseins auf die im Traum ihm begegnende Gestalt eines
Toten als auf Erscheinungen wie Himmel und Erde, Sonne und Mond,
Morgenröte, Gewitter u. s. w. zu übertragen, und gewisse Thatsachen
des ältesten Kultes (s. u. Opfer) legen immer wieder den Gedanken
nahe, dass aller Götterdienst vom Totendienst seinen Ausgang nahm.
Von unmittelbarerer Wichtigkeit für unsere Zwecke als diese in nie
ganz zu durchdringende Fernen zurückführende Frage ist die weitere,
ebenfalls durch Usener* Untersuchungen angeregte, ob der Himmel und
die mit ihm zusammenhängenden Naturmächte die einzigen Erschei-
nungen waren, an denen in der idg. Urzeit Belebung und Vergöttlichung
hervortrat. Schon oben ist darauf hingewiesen worden, dass bei den
Litauern und Prcnssen Peter von Dusburg als Götter ausser Sonne,
Mond, Sterne, Gewitter, Wassern auch Vögel, Vierfüsslcr, Haine und
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Religion.
679
Felder kennt, und noch anschaulicher sagt ein Jesuitenmissionar des
XVII. Jahrhunderts (Usencr S. 109): Hi varios deos habent, alium
caeli, alium terrae, quibus alii subsunt, uti dii pisdum, agrorum,
frumentorum, hört or um, pecorum, equorum, vaccarum ac stingularium
necesititatum proprio.*. Es werden also in erster Linie die Götter des
Himmels nnd der Erde genannt, und dann mit ausdrücklicher Hervor-
hebung der Unterordnung unter diese eine unendliche Zahl Ver-
göttlichungen von Handlungen, Zuständen oder sonstiger dem Menschen
wichtiger Begriffe. So giebt es in der litauisch-preussischeii Mythologie
einen Priparszas (lit. parxza» .Ferkel ), einen Gott »ler Schweine,
Eratinis (lit. e'ras ,Lamnv), einen Gott der Schafe, Karicaitist (lit.
ledrwe ,Kuh'), einen Gott der -Rinder, Zallus ist ein Gott der Fehde,
Ligiczu* ein Gott der Eintracht u. 8. w., ja, es wird ein Gott Pizius
(lit. pisti ,coirc cum feminai, ein Gott des Coitus, genannt, dem die
Burschen opfern, wenn sie die Braut heimführen. «Sittliche nnd geistige
Begriffe stehen noch in den ersten Anfängen14. Man könnte nun ge-
neigt sein, derartige Göttcrbildungcn als etwas junges nnd als eine
spezielle Ausgeburt litauischer Geistesarmut und Phantasielosigkeit zu
betrachten, wenn nicht die römischen, in den Büchern der Pontitices,
den indigitamenta, verzeichneten Gottheiten dieselbe Erscheinung zahl
loser aus allen Sphären menschlicher Kultur und menschlicher Hand-
lungen entnommenen rSondergötteru darböten. Auch bei den Römern
gab es eine spezielle Göttin der Bienenzucht, Mellonia (vgl. lit. Iiir-
buüis ,Summer', ein Bienengott), eine Bubona , Göttin der Rindvich-
vichzucht', eine Epona ,Göttin der Pferdezucht', filr den Ackerbau
einen Vervactor (der erste Umbrccher des Ackerbodens), Heparator
(der zweite), Imporcitor (der wirkliche Pflüger*, Insitor (der die Saaten
einstreut), Obarator (der Überpflüger) n. s. w. Es gab einen Dem
ArctduA, einen Gott der Kasten, eine Dien Fessonia, eine Gottheit
der Ermüdeten, eine Pellonia, die die Feinde vertreibt, einen Mutinus
Tutinus (ursprünglich nur Mutunus, Mutimt* : mtito, mutto .penis';
vgl. griech. uuttöV tö -ruvatKeiov Hes.'?), einen Gott der Befruchtung,
und eine besondere Gottheit für alle Akte des Bcilagcrs (vgl. Preller
Röm. Mytb. S. 572 ff.) u. s. w. Von mehreren dieser Gottheiten lässt
sich nachweisen, dass sie auch ausserhalb der indigitamenta eine
wichtige Rolle gespielt haben. Da nun die gleiche Erscheinung von
Usener in grossem Umfang auch in der griechischen Mythologie (Ein-
wendungen von E. Maass vgl. Deutsche Litz. 1896 Nr. 11) nachge-
wiesen worden ist, und dieselbe auch in der vedischen (in Götter-
erscheinungen wie Savitar ,Gott Anreger', Traxhtar ,Gott Bildner',
Brhaspati, Brahmanaspati ,Herr des Gebetes'. Prajüpati .Gott der
Nachkommenschaft ) sowie auch in der germanischen, keltischen, thra-
kischen (s. u.) nicht fehlt, so rechfertigt sich die Frage, ob sich das
Göttliche nicht schon in der idg. Urzeit ausser in den bisher be-
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6*0
Religion.
ßprochenen Himmelsmächten uud Naturgewalten auch in einzelnen
Handlungen der Menschen, ihren Beschäftigungen und Zuständen mani-
festierte. Zu einer bejahenden Antwort auf diese Frage könnte ausser
der handgreiflichen sachlichen Übereinstimmung zwischen Litauisch und
Italisch auch die sprachliche Beobachtung einladen, das* das Litauische
und Indische übereinstimmend und in weitem Umfang sich zur Bildung
derartiger Götternamen der Zusammensetzung mit dem idg. *poti-
,IIerr' bedienen. Vgl. lit. Dimtttipatis : dimstis ,Haus, Hof, Laük-
patis ,Flurenherr*, Raugupatis ,Herr des Sauerteigs' gegenüber sert.
Annapati ,Herr der Speise', Vrajäpati ,llerr der Nachkommenschaft'
etc. Allerdings ist Usener S. 1 15 der Ansicht, dass hier gerade ver-
hältnismässig junge Bildungen vorlägen, aber, was wenigstens das
Litauische anbetrifft, so zeugt die Sprache selbst gegen diese An-
schauung; denn lit. pats bedeutet sonst in der Überlieferung nur ,selbst'
und , Ehemann' und bat ausser in den angeführten Götternamen nur
uueh in dem alten Kompositum iciiszpats ,Gott', d. h. , Herr der Sippe'
die idg. Bedeutung ,Herr' — sert. pdti- bewahrt. Eine Spur dieser
Bildung von Götternamen Iässt «ich auch im lat. söspes, Sispes (Sis-
pitem Junonem, quam rulgo Soapitem appellant, Festus) nachweisen,
wenn dies von Prcllwitz (Beil. z. Progr. des kgl. Gyinn. zu Bartenstein
181)5 S. 10) richtig als *#ue8ti-poti-s ( vgl. sert. suasti- »Wohlsein, Heil,
Segen') ,Herr des Wohlseins' gedeutet worden ist. In »Sispes liegt dann
ein alter italischer, später von Juno attrabierter „Sondergott " vor. Es
erscheint also wohl denkbar, dass schon in der idg. Urzeit neben den
unter der Bezeichnung *deivo-x zusanmiengefassteu Himmels- und Xatur-
mäcbten noch andere, in anthropomorpher Auffassung als *potejes be-
zeichnete Sondergötter (etwa ein *ovi poti x ,der im Gedeihen der Schafe',
vgl. lat. ocis oder ein *qara-poti-* ,der im Krieg sich offenbarende', vgl.
lit. ktiraa) verehrt wurden. Auch sonst sind etymologische Zusammen-
hänge zu beachten. So müssen im ganzen Norden Europas, von den
Kelten bis zu den Litauern göttliche Wesen angerufen worden sein,
die „Geberhmenu oder vielleicht auch „Reichtum" (got. gabei, vgl.
die litauische Göttiu Skalm, appellativisch »Ausgiebigkeit') hi essen:
kelt. OUogabiae, geriu. Alagabiae, lit. Polengabia etc. (vgl. v. Grien-
berger Archiv XVIII, f>4, R. Much Festgabe für Heinzel S. 262). Viel-
fach wird ihnen das idg. Wort für Mutter (vgl. lit. Matergabia, auf
niederrhein. Inschriften: Matronis Gabiabux) zur Seite gestellt, eine
Bildung von Götternamen, die im Lettischen (vgl. Ddrsa mäte .Garten-
mutter', l'lukka mäte ,Bluinenmutter', Laukamaat ,Feldmutter' u. g. w.)
ganz an Stelle der oben erörterten mit -patis ,Herr' getreten ist.
Bemerkenswert ist auch die fast völlige Übereinstimmung des litau-
ischen Gottes Bentis (e/ficit, ut duo cel plures simul iter aliquo in-
atiüuint) mit der thrakischen Göttin Bc'vbi?, Btvbi?, Mcvbi?, aus der
sich ein vorhistorischer Gott „ Verbinder u (got. bindan) zu ergeben
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Heligion.
681
scheint (vgl. Usener-Solmsen S. 88, W. Tomaschek Sitzuugsb. d. Wiener
Ak. pbil.-l.ist. Kl. CXXX, 47).
So denken wir uns die Welt der Indogermanen von einer Fülle
göttlicher Wesen belebt, die sieh aber sämtlich noch innerhalb der-
jenigen Sphäre der Natur oder Kultur hielten, der sie ihre begriffliche
Entstehung verdankten. Dass sie schon damals nicht für gleichwertig
unter einander angesehn wurden, folgt einmal aus der verschiedenen
Bedeutung ihrer ersten Konzeption und wird ausserdem unzweideutig
bezeugt (s. o.). lu dem Vordergrund der Verehrung müssen die grossen
Naturmächte, und unter ihnen wieder der Himmel {dyaüx), gestauden
haben, die Beobachtern wie Herodot und Caesar, von deren Nachrichten
wir in dieser Skizze der idg. Religion ausgingen, darum am meisten in
die Augen fielen. Über den Gottesdienst, den man diesen Mächten
darbrachte, s. u. Opfer, über die ältesten K u 1 1 o b j e k t e , in denen
in fetischartiger Auffassung das Göttliche als anwesend betrachtet
wurde, s. u. Tempel, über den nach dem obigen selbst verständigen
Mangel ethischen Gehalts in dem Wesen der idg. Gottheiten 8.
u. Rech t.
Auf die Weiterentwicklung dieser Grundzüge des idg. Götterglaubens
bei den Einzelvölkern kann hier nur in Kürze hingewiesen werden.
Der Hauptzug ist, wie dies Useuer in seinem oft genannten Buche
ausfuhrt, auf die Herausbildung persönlicher Götter gerichtet.
Diese Entwicklung erfolgt einerseits aus dem Innern der Volksseele
heraus. Wie auf der Erde aus der grossen Masse der nach Ständen
(8. d.) oder Vermögen (s. u. Reich und arm) ursprünglich nicht oder
wenig geschiedenen Menschen einzelne Individuen als Könige oder
Adelige sich emporheben und Macht und Reichtum an sich reissen, so regt
sich das Bestreben, auch einzelne der Gottheiten konkreter, individuelller,
persönlicher auszubilden. In einzelnen Göttern fliesseu so die Macht-
befugnisse verschiedener zusammen. Dazu kommt, dass hundertfache
neue Seiten uud Aufgaben der Kultur eines himmlischen Herrn und
Beschützers bedürfen, während die Bedeutung der Naturmächte, je
mehr sich der Mcneeh über sie erhebt, zu verblassen anfängt. Daneben
lassen sich Einflüsse von aussen nicht verkennen. Herodot erzählt
an der oben angeführten Stelle, dass die Pelasgcr die Benennungen
ihrer ursprünglich namenlosen Götter von den Ägyptern empfangen
und später den Hellenen überliefert hätten. So wenig richtig diese
Nachricht in dieser Form sein kann, und so wenig sichere orienta-
lische Göttcrnamen sich in der griechischen Mythologie nachweisen
lassen, so wird man doch andererseits nicht bezweifeln könuen, dass
die persönliche Ausgestaltung der griechischen Gottheiten vielfach nach
orientalischem Vorbild vor sich ging. Auch die Perser hatten nach
Herodot II, 131 vou den Assyriern und Arabern gelernt, einer per-
sönlichen Gottheit, der Oüpavin,, neben ihren alten (namenlosen) Göttern,
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682
Religion.
dem Himmel, der Sonne, dem Mond, der Erde, dem Feuer, dem Wasser,
und den Winden zu opfern. Ähnlich ist das Verhältnis der Ger-
manen zu den Römern zu beurteilen. Die germauischen Gottheiten,
welche Caesar vorfand, haben wir oben kennen gelernt. 150 Jahre
später nennt Tacitus als germanische Götter einen Hercules, Mars und
Mcrcurius, die, so sehr ihre einheimischen Xamen, Donar (,Donner),
Zill (»Himmel'), Wotan (vielleicht ,Wind ) auf ihren begrifflichen Ur-
sprung hinweisen, und so wenig wir zu entscheiden vermögen, wie
viel Xatursubstrat in germanischer Auffassung auch zur Zeit des
Tacitus ihnen noch anhaftete, doch schon die Züge persönlicher Gott-
heiten an sich tragen. Der Widerspruch zwischen Caesar und Tacitus
verschwindet, wenn man bedenkt, dass in die 1V2 Jahrhunderte, welche
zwischen den beiden Geschichtsschreibern liegen, die innige Berührung
germanischen Barbarentums mit römischer Kultur, germanischen Natur-
dienstes mit den ausgeprägten Göttcrgestalten Roms fällt. In diesem
Sinne führt auch E. Mogk in Pauls Giundriss III*, 333, um den Über-
gang seines Windgotts Wodan zum Träger höherer geistigen Ent-
wicklung zu veranschaulichen aus: „Dieser Entwicklungsprozess mag
in der Zeit zwischen Caesar und Tacitus vor sich gegangen sein. Mau
vergegenwärtige sieh das Zeitalter der eisten römischen Kaiser, die
Feld- und Streifzüge des Drusus, Tiberius, Vnrns, Germanicus. ihre
Gewaltherrschaft in den germanischen Ganen, und man wird den ge-
waltigen Hinflugs römischer Sitten und Geistes erklärlich finden". Mit
Unrecht haben dagegen J. Grimm und K. Müllenhoff (vgl. Deutsche
A.-K. IV, 31) die Glaubwürdigkeit des Caesar herabzudrücken ver-
sucht und so eines der wichtigsten, in seiner Bedeutung oben ge-
würdigten Zeugnisses für altidg. Religionsanschauungen sich begeben.
Endlich wird, um das allmähliche Hervortreten persönlicher Götter zu
begreifen, auch auf die Einflüsse der mehr und mehr aufkommenden
Priesterse haften sowie die Anfänge der Dichtung und bildenden Kunst,
die mit einander wetteiferten, die Gestalten der Unsterblichen heraus-
zuarbeiten und auszuschmücken, zu verweisen sein.
Die Zahl solcher Gottheiten, welche die Alten bei den Xordvölkera
vorfauden, ist überall eine beschränkte. Wie bei den Germanen
(Tacit. Cap. 9), ist es bei den Galliern eine Trias von Göttern, die
in der bekannten Stelle der Pharsalia (1, 445) des Lncanns genannt
wird :
Teilt at es horrensque feris altaribus Nexus
Et Tara nix scythicae non mitior ara Dianae
{Teutates, in den Scholien mit Mercttriux oder Mars erklärt, ,der
Volksgott' : ir. tttath ,Volk'; Esus, d. i. Mars oder Mercuritts, am
wahrscheinlichsten zu got. anxex gehörig, ,der Geist", s. u. Ahnen-
kultus; Taranis d. i. Juppiter oder Diespiter, der , Donner', s. u»
Gewitter, vgl. auch S. Rcinach Revue Celtique XVIII, 137). Auch
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Religion.
683
bei den Thrakern werden von Herodot V, 7 drei Götter: Ares, Dio-
nysos nnd Artemis genannt, wozu bei den Königen — ein interessanter
Beleg für den gewiss öfters vorkommenden Fall, dass besondere Stände
sich besondere Götter schufen — noeh ein Hermes hinzukam. Neben
diesen Gottheiten der Interpretatio graeca oder romana treten uns
auf allen drei Völkergebieten in der inschriftlichen oder litterarischen
Überlieferung eine grosse Anzahl einheimischer Götternamen entgegen,
deren etymologische Deutung trotz aller darauf verwandten Gelehr-
samkeit äusserst geringe Fortschritte gemacht hat. Vielleicht käme
man weiter, wenn man bei derartigen Gestalten von Göttern oder
Göttinnen nicht bloss nach Hypostasen einiger weniger Hauptgötter
forschte, sondern nicht versäumte, nach Analogien derjenigen primitiven
ßegriffsbildung auszuschauen, wie sie in besonderer Reinheit uns ;m
Litauischen entgegengetreten ist. Bemerkenswert sind jedenfalls die
mehrfachen Übereinstimmungen, die sich zwischen Litauisch und Ger-
manisch gezeigt haben, wofür auf lit. Perkünas — ahn. Fjörgyn,
lit. Aigis — germ. Alcis (s.o.), lit. Matergabia — germ. Matronae Gabiae
(letzteres auch keltisch), auf dem Gebiete des Ahnenknltus (s. d.)
auf lit. kaükas — altn. hugir, lit. tctles, Yielona — nltn. valr, Yalr
kyrja, Valhöll u. a. verwiesen sei.
Die überaus niedrige Stufe, die nach allem obigen die Gottesvor-
8tellungcn der Indogermanen in der Urzeit und in den ältesten histo-
rischen Zeiten einnahmen, macht es von vornherein wahrscheinlich,
dass Wörter für den Begriff der Religion, sowohl in objektivem Sinne
als eines Gesamtausdmcks für die bei einem Volke herrschenden reli-
giösen Vorstellungen, Satzungen und Gebräuche, als auch in subjek-
tivem Sinne als einer Bezeichnung des inneren zwischen dem Menschen
und der Gottheit bestehenden Verhältnisses in frühen Epochen nicht
zu erwarten sind. Die Wörter für Religion im ersteren Sinne flicssen
teilweis mit dem Begriffe des Rechts (s. d.) zusammen. Zu Ansätzen
einer Konzeption des subjektiven Religionsbcgriffs hat es eigentlich
nur das Lateinische mit seinem religio gebracht. Dieser Ausdruck,
abgeleitet von einem aus dem überlieferten religens .gottesfürchtig'
sich ergebenden *relegere .sich eifrig und besorgt um etwas kümmern'
(Gegensatz neglegere) bezeichnet zunächst etwa , furchterfüllte Bedenk-
lichkeit', ,1c scrupule' (daher religiosux »abergläubisch'), dann ,chrfurehts-
volle Andacht', ,ge wissen hafte, heilige Stimmnng' u. s. w. (vgl. Pott
Et. F. I*, 2U1, Hreal Diet. Etym. Lat.3 S. 157). Wie weit aber noch
das Altertum von der Auffassung entfernt war, die wir heute mit dem
Worte Religion verbinden, zeigen die Definitionen von religio z. B. bei
Cicero Partit. Orat. 2'J : lustitia erga deos religio dicitur, erga parentes,
pietas oder De invent. II, 53: Religio est, quae superioris cuiusdam
naturae, quam divinam vocant, curam caerimoniamque o/fert. Au-
gustin konnte daher mit Recht klagen, die lateinische Sprache —
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684
Religion — Khabarber.
dasselbe hätte er von der griechischen sagen können — habe kein
Wort fUr das allgemeine Verhältnis des Menschen zu Gott.
Dem Christentum ist Religion in objektivem Sinuc zunächst gleich-
bedeutend mit dem Gesetz der Kirche, und Religion in subjektivem
Sinne gleichbedeutend mit dem Glauben an die Wahrheit dieses Ge-
setzes. Ereteres wird im Deutschen und Slavischen hauptsächlich
durch ahd. eica (altes und neues Testament) und lern, altsl. zakonü
und ucenije, letzterer hauptsächlich durch ahd. galauba, altsl. vera
ausgedrückt. — S. u. Ahnenkult us, Arzt, Bestattung, Eid,
Erde, Gewitter, Gott, Gottesurteil, Himmel, Krankheit,
Los, Mond, Opfer, Orakel, Priester, Recht, Regen, Rein-
heit und Unreinheit, Sonne, Sterne, Tempel, Totenreiche,
Traum, Zauber und Aberglauben u. a.
Renntier, s. Hirsch.
Kettig (ftaphanus mticus LX Er ist im gemässigten West-
asien einheimisch (vgl. De Candolle Kulturpflanzen S. 36 ff.;. Von dort
muss seine Kultur frühzeitig nach Ägypten gelangt sein, wo Herodot
II, 125 ihn als Oupuain, (neben icpöfjuua und aicöpoba .Zwiebeln' nnd
, Knoblauch') als uralte Speise der Ägypter voraussetzt. Abbildungen
von Rettigen sind aus dein Tempel von Karnak nachgewiesen (vgl.
Woenig Die Pflanzen im alten Ägypten S. 217; Zweifel hiergegeu
werden erhoben von Schweinfurth Z. f. Ethnologie Vcrh. 1801 S. 665).
In Griechenland tritt der Rettig als volkstümliches Nahrungsmittel seit
der älteren Komödie auf. Seine Namen, pctqmvi? uud ^owpavo?, be-
ruhen auf Übertragung älterer Benennungen der Kohlrübe (s. u. Kohl
und Rübe) auf die neue Frucht. Die Römer haben für den Rettig
das aus dem Griechischen entlehnte raphanus und das einheimische
rädir (.Wurzel ), das durch die Hinzufüguug von Syriaca (Col. 11,3,
16 u. 59) uud quae Asst/rio geinine renit {Col 10, 114) noch auf die
östliche Herkunft der Pflanze hinweist. Schon in vorahd. Zeit wurde
rädlv als retich, rätih, agls. nedic in die germanischen Sprachen und
von hier in die slavischen (altsl. rüdüky) aufgenommen. Nach Plinius
Hist. nat. XIX, 83 kamen damals in Deutschland bereits Rettige von
der Grösse neugeborener Kinder vor. Radicex nennt das Capit. de
villi» LXX, 61. Ngriech. tö fkmdvi, alb. rapane. — Vgl. v. Fischer-
Benzon Altd. Gartenfl. S. 113 f. S. u. Garten, Gartenbau.
Rhabarber (h'heum palmatum und lihaponticum LX Er ist
in den Gebirgen der Tatarei. besonders am Kuku-nör und oberen Ho
und Kiang einheimisch. Die wichtige Arzneipflanze wird zuerst von
Dioskorides (De mat. med. III, 2) unter den Namen £ä und pfiov
genannt. Sie wächst nach ihm Iv Totq imep Böairopov TÖnoiq, ftöcv
KQi KouÜeToti, weswegen sie später Rha jyonticttm oder barbartim ge-
nannt wird. Plin. XXVII, 128 bietet rhecoma. G riech, fyf\ov (*^Fov), £ä
stammt zunächst aus dem persischen reicend. So auch arabisch und
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Rhabarber — Kühler.
«>86
türkisch, woher russ. recenf, scrb. reced. Vgl. auch pcrs. rewend-i-
cini (^aßavTiTZivrj), d. Ii. „China-Rhabarber". Woher der persisch-
arabische Name kommt, ist unbekannt. Im inneren Asien scheint er
keine Anknüpfung zu finden (vgl. W. Tomaschek Kritik d. ältesten
Nachrichten über den skyth. Norden I, 42). Später brachte man pä
in Verbindung mit der gleichlautenden Benennung der Wolga ('Pä,
tinn. Hau, Ratca). Doch kommt die Pflanze nicht an ihren Ufern vor,
wie Amimanns Marc. XXII, 8, 28 fälschlich behauptet, mochte aber
von dort aus in den Handel gelangen. Wie bei der Seide (s. d.),
dürfte ein zweiter Handeisweg zu Schiff von China, wo der Rhabarber
seit unvordenklichen Zeiten bekannt war, über Indien und Arabien
geführt haben. In beiden Fällen waren persisch-arabische Stämme
die Vermittler mit dem Westen. — Vgl. Flückiger Pharmakognosie*
S. 376. Andere Heil- und Arzneipflanzen s. u. Arzt.
Richter. Bezeichnungen für diesen Stand treten, wenn man
unter „Richter" einen Mann versteht, der nicht nur gelegentlich, sondern
seinem ausschliesslichen Berufe nach Recht spricht, erst bei den Einzel-
völkern, und auch hier erst ganz allmählich hervor. Ein homerischer
Ausdruck für den Richter ist noch nicht vorhanden. Horn. öiKcttfTTÖXoq
(nach der Analogie von lat. iu-de v : dicere und ahd. eo-mgo : sagen
vielleicht nicht = bucctcr-TröXoq ,der die Richtcrsprllche handhabt', da
n^Xu) sonst nur intransitiv gebraucht wird, sondern = bnca-o*TTÖXo-<; :
£vv€7T€ aus *4v-o*€ttc, *o*£ttui ,sage'; ähnlich dem Sinne nach Clemm
Curt. Stud. VII, 95) wird nur adjektivisch verwendet: uU? 'Axoidiv
bnccuJrtöXoi (II. I, 238) und dvrip bncacnTÖXoq (Od. XI, 186). Als
Schiedsrichter wird im Epos der König gedacht, wie es Od. XI, 568 ff.
schildert
£v0' n toi Mivtua ibov Ai6<; ätXaöv möv
XP00*€0V 0*KÜ.TTTpOV €XOVTCl Ö€UlO*T6 ÜO VTO V£*KUO*0*l,
tiuevov o\ bi mv any\ biKaq eipowo ävaiaa.
Die dem Könige hier/u nötigen Eigenschaften werden von Hesiod
Theog. v. 81 ff. geschildert. Auch die Geronten werden in der be-
kannten Gcrichtsscenc auf dem .Schilde des Achilles (II. XVIII, 497 ff.)
als solche gelegentliche Schiedsrichter dargestellt. Ständige Richter
treten in Athen zuerst in den 6 6eo*Mo6€Tm hervor, die sehr frühzeitig
dem König beigeordnet werden, und wie fest der Gedanke der Recht-
sprechung mit dem des Königtums verknüpft ist, zeigt der Umstand,
dass, als im Jahre 682 die Leitung des Staates dem „Archon" über-
tragen ward, bei dem fipxwv ßaaiXeus die Leitung der religiösen Feste
und der Prozesse blieb.
Bei den italischen Stämmen begegnen uns zwei gleichgcbildctc,
aber dem Stamme nach ganz verschiedene Ausdrücke für den Richter,
nämlich einerseits das schon genannte lat. iä-dex : itls, andererseits
osk. meddhis (*med-dikes ,iudices'), pibbeiE : umbr. mers ,ius, fas',
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686
Richter.
*medos-dex, hier zur Bezeichnung der obersten Stadtbehörde verwendet.
Beide Wörter sind offenbar ursprünglich ebenfalls rein adjektivisch
und occasioucll verwendet worden. In der Königszeit waltet auch in
Rom als iudex der König, allein oder mit Zuziehung einzelner Senatoren
(vgl. Bernhöft Staat und Recht der römischen Königszeit S. 119 f.).
Von der königlichen Gewalt lösen sich, anfangs auch nur für den
bestimmten Fall, einzelne Gerichtskollegien wie die duumeiri perdu-
ellionis oder die quaestore* parricidii los. Zu ihnen gesellt sich von
sehr früher Zeit an ein g c i s 1 1 i c h e s Element der Rechtsprechung,
namentlich in der Priesterschaft der pontifices. Alle diese Leute sind
im gegebenen Falle iudices\ ein eigentlicher berufsmässiger Richter
ist erst im praetor (für eivile Streitigkeiten) anzuerkennen. Das Wort
bat ursprünglich ganz allgemein , Anführer' (*prae-itor , Vorausgänger'),
auch die Konsuln bezeichnet, und seine iuridische Bedeutung erst später
erhalteu.
Bei den Germanen der ältesten Überlieferung ruht die Recht-
sprechung teils bei dem concilium, dem Ding der Völkerschaftsgemeinde,
wobei, wie immer, der König oder einer der Fürsten das erste Wort,
d. h. den Urteilsvorschlag gehabt haben wird (Genn. Cap. 11: Mox
rex vel prineeps, prout aetas caique, prout nobilitas, prout decus
bellorum, prout facundia est, audiuntur, auetoritate suadendi magis
quam iubendi potestate), teils, für die pagi und vici, bei dem prineeps
unter Beistand der Hundertschaft (Caesar De bell. gall. VI, 23: Prin-
cipe« regionum atque pagorum inter mos ius dicunt controcersiasque
minuunt, Tacitns Genn. Cap. 12: Eliguntur in iisdem concüiis et
prineipes, qui iura per pagox vicosque reddunt; centeni singulis ex
plebe comites consilium simul et auetorita* adsunt). Den Priestern
steht, wie im Krieg (Cap. 7), so auch im Frieden (Cap. 11: Silentium
per sacerdotes, quibutt tum et coercendi ius est, imperatur) eine ge-
wisse Strafgewalt zu.
Das charakteristische der altgermanischen Gerichtsverfassung ist
immer, dass „das germanische Urteil ein Urteil der Gerichtsgemeinde
und alles was dem Vollwort der Gerichtsgemeinde vorausging, im
Rechtssinn nur Urteilsvorschlag waru. Zur Findung dieses Urtcilsvor-
schlags werden von dem Vorsitzenden Richter, also ursprünglich vom
König oder Fürsten, frühzeitig unter einander wieder verschiedenartige
Organe ausgewählt, die bei den Franken Rachincburgen, sonst im Alt-
hochdeutschen esago, eteilo, urteilo, im Angelsächsischen witan ,sa-
pientes', im Isländischen lögsögumadr u. s. w. (vgl. näheres bei Brunner
Deutsche Rechtsgesehichte S. 150 ff. und R. Sehröder Lehrb. d. d.
Reehtsg.3 S. 44 ff.) heisseu. Derartige Leute, die bei einzelnen Stämmen
auch direkt aus Volkswahl hervorgingen, dürfen am ehesten als eigent-
liche Richter bezeichnet werden, wie sie denn auch vielfach iudices
in den Gesetzen beissen. Andere ahd. Ausdrücke für den Richter
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Richter.
687
sind sonäri, *öneo : söna »iudieium', eigentl. »Sübnung', auf die schieds-
richterliche Thätigkeit des Richters (vgl. oben bei Caesar: controcer-
sias minuunt) hinweisend, und scultheizo ,eincr der eine Verpflichtung
anbefiehlt', aber auch ,tribunus, praefectus, ceuturio', indem wohl ur-
sprünglich in erster Linie der Vorsteber der Hundertschaft vom Fürsten
zum Urteilsvorschlag herangezogen wurde.
Die Beteiligung des Priesters an der Rechtsprechung, die wir schon
bei Römern und Germanen sich zeigen sahen, hat bei den festländischen
Galliern in Folge des Einflusses der Druiden, wie es scheint, zu einer
völligen Beseitigung des weltliehen Elements der Rechtspflege geführt
(Caesar VI, 13: Nam fere de omnibus controiersiis publicis privatis-
que constituunt, et si quod est admissttm facinus, si caedes facta,
si de hereditates si de finibus controversia est, idetn decemunt,
praemia poenasque constituunt; si qui aut privatus aut populus
eorum decreto non stetit, sacrificiix interdicunt. haec poena apud
eos est gravissima). Diese richterliche Bedeutung des Priesterstandes
hat vielleicht einst auch bei den Inselkelten gegolten, und Maine Early
Hist. of Institutions0 S. 32 ff. bemüht sich, den historischen Zusammen-
hang zwischen den altgallischeu Druiden und den irischen Brehons,
jener Klasse von gesetzeskundigen Mannern, denen wir die Brehon-
Gesetzc verdanken, zu erweisen. „The difference between the Druids
and their xuecessors, the Brehons, tcould in that case be mainly
thw : the Brehons tcould be no longer priests. All sacerdotal or
religious authority must have paxsed, on the conversion of the lrish
Celts, to the Jribes of the aaiuts — to the mixsionary monastic
societies founded at all points of the islandu. Doch wird vou Caesar
(I, 16) bei den Aeduern eine höchste, nicht priesterliche Obrigkeit,
vergobretus, genannt, die Gewalt über Leben und Tod hat und durch
ihren Namen (vergobretus ans kvmr. guerg »efiieax' und ir. breth »Ur-
teil', brithem .Richter"; vgl. auch ir. bröth »Gericht', altgall. Bratu-
spantiuui, korn. brodit »iudex) auf ihr richterliches Amt hinweist. Am
nächsten würden dem gall. vergobretus (»Rechtswirker') die oben ge-
nannten oskischen meddiss kommen.
Bei den S I a v e n bedarf die Frage des allmählichen Aufkommens
besonderer Richter, die vielfach mit Ableitungen von dem gemein-
slavischen *xomIü ,iudicium' (altsl. sndtt) : altsl. xqdij, russ. xudija
(woraus lit. südax »Gericht', südz'iä »Richter'; einheimisch lit. icaltas
, Richter', »Dorfschulze ) bezeichnet werden, noch näherer Aufklärung.
Bei den Sudslaven spielt das Haupt des Stammes so ziemlich dieselbe
Rolle, wie der homerische ßaaiXeu? auch in judiziellcr Beziehung. Bei
den Küssen steht dem Grossfürsten auch ein Richteramt zu, das er
selbst oder durch sein Amtslcute ausübt. Daneben blickt die souveräne
Volksgerichtsbarkeit, die wir von den Germanen her kennen, in den
Gerichtsbezirken der Wersehaften (von altruss. vira »Wergcld'i durch,
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1
68» Richter.
in deren Machtbereich der Grossfflrst zunächst nicht einzugreifen wagt.
Sie werden von einem Richter (wernik) geleitet, und ordnen in erster
Linie die Uber die Wergeldszahlungcn entstandenen Streitigkeiten (vgl.
Leist Altarisches Jus civ. II, 2 19 f.).
Die ältesten Zustände auf dem Gebiete der Rechtsprechung wird
man nach dem obigen s o zusammenfassen können :
1. Berufsmässige Richter (Leute, die ausschliesslich mit der Recht-
sprechung zu thun gehabt hättcu) giebt es weder in vorhistorischen,
noch in den ältesten historischen Zeiten.
2. Die Rechtsprechung beruhte in der Urzeit auf dem Zusammen-
wirken von Kimig (Stammeshanpt) und Volksgemeinde. Vor dieses
Forum kamen aber, indem alles übrige der Selbsthilfe der Sippen oder
der Gerichtsbarkeit der Sippenversammlung (s. u. S i p p e) überlassen
war, nur solche Unthaten, welche den Stamm als Ganzes bedrohten
(s. u. Verbrechen und Strafe). Verhältnismässig am treusten hat
sich dieser Znstand bei den Germanen erhalten, bei denen aber schon
in der ältesten Überlieferung vor das concilium nicht nur scelera und
flagitia, sondern auch leviora delkta gezogen wurden, beziehungsweise
werden konnten. Dass dieselben Verhältnisse aber auch im Süden
Europas einmal herrschten, beweist die Gerichtsbarkeit der Makedonen
(vgl. Curt. VI, 8, 25, s. die Stelle n. König), und andere auf alte
Volksgerichte deutende Spuren bei Akarnancn und Epiroten (vgl. Gilbert
Jahrb. f. klass. Phil., XXIII Suppl. S. 446). Hinsichtlich der Inder
sind wir leider über die Rechtspflege der vedischen Epoche nicht
unterrichtet. Doch ist es ans allgemeinen Gründen (vgl. Zimmer Alt-
ind. Leben S. 158 ff.) nicht unwahrscheinlich, dass das Verhältnis des
indischen rä'j- zu der ttdmiti- (, Stammversammlung') auch in judizieller
üinsicht der des germanischen re.r (oder der principe*) zu dem con-
cilium entsprochen habe. Für eine ausgedehnte Teilname des Volkes
an der Rechtsprechung zeugt auch der Umstand, dass vedisch sabhd',
welches ursprünglich allerdings nur die Sippenversammlung s. u.
Sippe) bezeichnet haben kann, allmählich die Bedeutung »Gerichtshof
{aäbhya-, sabhäsüd- ,Richter ) annimmt. Später ist dann der König,
immer neben weitgehender Selbstgcrichtsbarkeit der Familien-, Zunft-
und Kastenverbände, der oberste Richter und überhaupt Ausgangspunkt
der Rechtspflege, freilich unter beständiger Aufsicht der Brahmanen,
die nebenher ihre eigenen geistlichen Gerichte haben.
3. Neben der Leitung der Volksgerichte wird dem Stammeshaupt
oder König auch eine gewisse schiedsrichterliche Thätigkeit bei Streitig-
keiten der Einzelnen und einzelnen Sippen zugestanden haben (s. auch
u. Blutrache und König).
4. Wie in Indien, mischen sich auch in Europa mit dem Aufkommen
von Priestern und Priesterschaften (s. u. Priester) diese in die welt-
liche Rechtspflege, die sie zuweilen (wie bei den festländischen Kelten)
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Richter — Rind.
689
ganz in ihre Hand bekommen. Durch ihren Einfluss wird mehr und
mehr die Auffassung des Rechts als einer von den Göttern gesetzten
Ordnung aufgekommen sein. S. auch u. Recht.
Riesen und Zwerge, s. Zwerge.
Bind. Es ist das wichtigste, an Alter vielleicht nur hinter dem
Schaf (8. d.) zurückstehende Haustier der Indogermauen. Schon in
der Ursprache sind besondere Benennungen für die beiden Geschlechter
des Tieres vorhanden. Der Stier heisst: sert. ukshdn-, aw. uxsan-,
got. aühsa, abd. ohso (auch der verschnittene), kymr. ych, körn. ohan.
Die Kuh: sert. gö'-, aw. gdo-, armen, kov, griech. ßoö$, lat. bös, ir.
bö (bös ,Rindvieh' = altn. hussa ,Kuh'j, ahd. chuo, altsl. govqdo. Dazu
sert. »«cd' = lat. vacca ,Kuh', ahd. far, agls. fearr, altn. farre ,Stier\
rahd. verse Junge Kuh* = griech. nöpi?, nöpit? ,Kalb, junge Kuh' und
altsl. krava = lit. kdrwt, altpr. curwis, alb. ka, venet. ceva\ vgl.
KdpTTjv t#|v ßoöv. KpfjTe? Hes. Auf Entlehnung aus dem Germanischen
beruht: altsl. nuta — ahd. nöz ,Rind'. Eine urverwandte Gleichung für
das Kalb scheint in griech. txaXö? = lat. vitulus vorzuliegen, wenn
das griechische Wort nicht römischen Ursprungs ist. Lat. vitulus wird
,Jährling' bedeuten {: griech. Uto<; ,Jalir', vgl. sert. vatsd- ,Kalb').
Dunkel Bind altpr. klente ,Kuh' und westgerm. ahd. hrind ,Rind' (vgl.
Palander Ahd. Tiernamen S. 138, wo weiteres).
Alle Indogenuanen treten mit der Zucht des Rindviehs vertraut in
die Geschichte ein. In sprachlicher Beziehung zeigt besonders das
Sanskrit die grosse Bedeutung der Kuh. Sert. gdvishti- ,Streben nach
Kühen' ist hier gleich , Kampf gavydn- grd'ma- ,rinderbegehrendc
Schar' gleich ,Heer', gö'pati- , Rinderherr' gleich ,Herr\ Aber auch
in der Ilias (XX, 221) wird ßouKoX^ovxo von ßouKÖXo^ ,Rinderhirt' ( =
ir. buaehaü, kymr. bugail?) noch allgemein vom Weiden des Viehs,
hier der Stuten gebraucht. — Ebenso steht die Zucht des Rindviehs in
dem Mittelpunkt der neol ithischen Kultur Alteuropas. Nach
Rütimeyer Die Fauna der Pfahlbauten S. 130 ist das Rind in sämt-
lichen Pfahlbauten unbedingt das häufigste Hauetier und Ubertrifft au
Häufigkeit alle übrigen um mindestens das doppelte. Ebenso gehört
in den Ganggräbern Vestergötlands und in der jüugeren Steinzeit
Dänemarks das Rind zu den gewöhnlichen Haustieren (vgl. Montelius
Kultur Schwedens* S. 26, S. Müller Nordische Altertumsk. S. 204).
Auch in den Pfahlbauten der Poebne und in den mykenischen Gräbern
ist das Hausrind zu Tage getreten. Bemerkenswert ist endlich, dass
das Rind den häufigsten Gegenstand der ersten plastischen Versuche
unseres Erdteils bildet (s. u. Kunst und vgl. M. Much Kupferzeit4
S. 337).
Die Kuh ist der wichtigste Wertmesser der Urzeit (s. u. Geld),
und das Wergeid sowie der Kaufpreis der Braut werden in Kühen
festgesetzt (s. u. Blutrache und u. Brautkauf). Im Leben ist sie
Schräder. Reallexllcoti. 44
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6W
Kind.
die Milebspcnderin (s. u. Milch, Butter, Käse), sowie das eigentliche
Last- und Zugtier s. u. Wagen), im Tode giebt sie ihr Fleisch zur
Speise, ihre Haut zu Schilden (s. d.), Bogensehnen (s. u. Pfeil und
Bogen), Schläuchen, Riemen, Kappen u. s. w.
Als sicher darf angenommen werden, dass an der Bildung unserer
Hnusrindrassen das in Europa einheimische Wildrind, in erster Linie
der Urusstier, zum mindesten in hervorragender Weise beteiligt war
(vgl. A. Xehring Bos primigenius Z. f. Ethnologie 1888 Verband). S. 222
und A. Otto Zur Geschichte der ältesten Haustiere S. 61). In .sprachlicher
Hiusicht ist hierbei bemerkenswert, dass in der europäischen Reihe
altsl. turü, altpv. tauris — , altn. pjörr (neben got. stiur, ahd. stior,
*teura- : *steura-, vgl. auch aw. staora- , Zugvieh'?), griech. taupo?,
lat. taurus (auch ir. tarbh, altgall. tarvos .Stier?) die beiden ersten
Wörter noch den Auerochs oder den Wiesent bezeichnen. Solcher Wild-
rinder gab es in Alteuropa zwei Arten, der Urusstier (Bos primi-
genius), durch die Länge seiner Hörner, und das Wiesent (Bos Bison),
durch starke Bemäbnung und zottigen Haarwuchs charakterisiert. In
historischer Zeit bewohnte der erstere in grösserer Zahl nur noch die
westliche Hälfte Europas, während der letztere von den klassischen Au-
toren aus Spanien, Germanien, Pannonien, Thrakien, Litauen gemeldet
wird (vgl. (). Keller Tiere des klassischen Altertums S. 53 IT. und den er-
schöpfenden Artikel teisnnt in O. Sehades Ahd. W. Sp. 1 1 73 — 1 1 8f>). Dass
dieselben aber früher viel weiter verbreitet waren, unterliegt keinem
Zweifel. In den Schweizer Pfahlbauten zu Robenbausen und Wauwyl
linden sich die Überreste des Auerochsen und Wiesent neben denen des
Hausrinds (Rütitneycr a. a. 0. S. TO). Der eine der beiden im Grabe zu
Vaphio bei Amyclae gefundenen Goldheeher ('E(pn.M- 'ApxaioXofiKii 1889
T. II) stellt eine Jagd auf Auerochsen (als solche an ihren grossen
Hörnern kenntlich) mittelst starker, an Bäumen befestigter Netze dar.
Da die klassischen Autoren in historischer Zeit die Tiere nicht
mehr im Süden Europas kennen, so ist es natürlich, dass sie dieselben
mit nordeuropäischen Xauicn benennen. So sind urns (Caesar) und
rison, bison (seit Seneea) ins Lateinische (ßto"wv bei Pausanias) ge-
drungen. Ersteies ist das gcmcingcrmnnischc ahd. ürf agls. ur, altn.
urr und stellt sich zu seit, usrd- ,Stier', eigentlich ,rötlieh', letzteres
entspricht «lern ahd. trimmt, agls. ireonevd, altn. visundr, das wahr-
scheinlich in den Städtenanien Yesontio (Bcsancoii in Frankreich i und
Yisontium (in Xordspanien und Pannonienj, sowie, mit seiner Stamm-
silbe vis- (: lat. visio ,Gestank', vom Mosebusgeruch des Tieres V, vgl.
Palandcr a. a. 0. S. 134) in altpr. wis-siwibrs, teis-sambris .Auer-
ochse wiederkehrt. Das altpreussische Wort ergäbe sich so als eine
Zusammensetzung aus einem unerweiterten *riso- .Wiesent' [*viso- :
icisunt wie altsl. volü : griech. ßöXivGos s. u.) und altsl. zqbrü ,bos
iubatus' (lit. stumbrax, lett. stumbrs, vgl. J. Schmidt Souantentheorie
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Kind.
«91
S. 38), das frühzeitig auch ins Byzantinische (mgriech. Eöußpoq, Zoöu-
irpo?) eindrang (anders Fröhdc B. B. XX, 208, der ahd. teisunt direkt
dem grieeh. iov6o? ,zottig' gleichstellen möchte). Die von Aristoteles
überlieferten Benennungen des Wicsent gricch. ßövacrot; und paconisch
povaTioq, uövunro«;, mövcutto? (von einigen zu ahd. mann .Mähne' ge-
stellt) sind dunkel, während das noch später bezeugte ßöX-ivGo? ,Wicsent'
an das gemeinslavische, altsl. volü ,Stier' anzuknüpfen fein dürfte. Ist
etwa die mazedoniseh-thrakische Stadt "OXuv9o? = Vesontio ?
Es scheint, dass die erste oder die auf primitiver Stufe stehen ge-
bliebene Domestikation des Wildrindes (Box primigenius) in Folge
noch ungünstiger Umstände, wie Hunger, Kälte, Inzucht, Vernach-
lässigung u. s. w., zunächst kleine und unansehnliche Rassen hervor-
brachte (vgl. A. Xehring Z. f. Ethnologie 1889 Verhandl. S. 373).
Hierauf wei.st auch die Beschreibung, welche Tacitus Genn. Cap. 5
(: Pecorum fecunda, sed plerumque improcera. ne armenth quidem
suus honor auf gloria front i* von dem altgermanischen Vieh, und
Herodot IV, 29 (: ÖOK€€i bi pot Ka\ tö ffvo^ tüuv ßowv tö köXov bid
xauta — der Kälte — ou <pü€iv Ke'pect auTÖ8i) von den skythisehen
Rindern entwirft. Auch das Alpenvieh war nach Plinius VIII, 179
sehr klein, aber milchreich. Dem stelle man die Schilderung des ums
bei Caesar De bell. Gall. VI, 28 gegenüber: Iii sunt magnitudine pauJo
infra elephantos, specie et colore et figura tauri. magna vis eorum
est et magna celocita* .... amplitudo cornuum et figura et species
muHum a nastrorum boum Continus differt. Vgl. auch Tacitus Ann.
IV, 72: (Germani), quis ingentium helluarum feraces saltus (nämlich
urorum), inodica domi armenta. Über neuenropäische Rindvieh-
rassen in historischer Beleuchtung vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 461 f.
Eine verhältnismässig junge Rindviehrasse des südlichen Europa,
namentlich Italiens, ist der Büffel. Das in Indien einheimische Tier
wird zuerst aus Arachosien und zwar durch Aristoteles (Hist. anim.
II, 2, 4,i gemeldet. Aber erst gegen 6<»0 nach (Mir. erscheint es unter
der Regierung des longohardisehen Königs Agilulf (Paul. Diac. IV, 11)
in Italien. Man hat vermutet, dass die ersten Büffel ein Geschenk
des Chans der Avaren an König Agilulf gewesen sein. Das gricch.
ßoußct\o£, später , Büffel hat ursprünglich eine Gazellcnart (s. u. Anti-
lope) bezeichnet und ist erst in Italien, zuerst bei Martial (bubalus), wohl
wegen des Anklangs an ßoöq-Aox, von den Auerochsen und Wieseuten
der germanischen Wälder gebraucht (vgl. Hin. Hist. nat. VIII, 38), später
dann auf den Büffel angewendet worden. An einen direkten Zu-
sammenhang zwischen ßoußaXo? und sert. gavala- ,wilder Büffel' kann
nicht gedacht werden. Das gricch.-lat. Wort ist dann in zahlreiche
europäische Sprachen eingedrungen : altsl. byvolü ,Büffel', magy. bival,
alb. bual, frz. bufle, mhd. büffel, engl. buff. Vgl. V. Hehn a. a. 0.
S. 459, 0. Keller Tiere des klass. Altert. S. 03 f. und E. Hahn Die
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092
Rind — Roggen.
Haustiere, wo S. 89 ff. beachtenswerte Vermutungen über den Hergang
der ersten Zähmung des Rindes, die mit dem Kultus des gehörnter»
Mondes in Verbindung gebracht wird, aufgestellt werden. — S. u.
Viehzucht.
Rindsleder, s. Rind.
Bing, s. Schmuck.
Ringgeld, s. Geld.
Riten. Eine zusammenhängende Darstellung und Deutung der
bei den einzelnen feierlichen, besonders gottesdienstlichen und rechts-
geschäftlichen Handlungen in der ältesten Zeit üblichen Gebräuche
kann noch nicht gegeben werden. Es soll daher hier nur auf eine
Reihe von Artikeln hingewiesen werden, in denen von derartigem ein-
gehender die Rede ist. 8. u. Ahnenkultus, Adoption, Be-
stattung, Dichtkunst (Dichter), Diebstahl, Eid, Fasten,
Feuerzeug/ Freund und Feind, Gottesurteil, Gruss, Haar-
tracht, Heirat, Keuschheit, Los, Nahrung) Name (Namen-
gebung), Opfer, Orakel, Rätsel, Reinheit und Unreinheit,
Regen, Religion, Tanz, Tempel, Zauber und Aberglanbe u. a.
Vgl. auch K. Weinhold Zur Geschichte des heidnischen Ritus (über
rituelle Nacktheit) in den Abh. d. kgl. Ak. d. W. zu Berlin 1896 phil.-
hist. Kl. S. 1—50.
Robbe, s. Seehund.
Rock, s. Kleidung.
Rocken, s. Spinnen.
Roggen ißecale cereale L.). Er ist eine den Alten der guten
Zeit unbekannte Getreideart und wird erst spät und nur aus den den
klassischen Ländern vorgelagerten Gegenden gemeldet. So berichtet
Plinius Hist. nat. XVIII, 141 : Seeale Taurini sub Alpibus asiam vocant,
deterrimum, sed tantum ad arcendam famem, fecunda, sed gracili
stipula, nigritia triste, pondere praeeipuum .... nascitur quali-
cunque solo cum centesiino grano, und Galenos (VI, 514) meldet aus
Thrakien und Mazedonien : louüv iv Optier) Kai MaKcbovfa -rroXXäq äpoüpat
6not6xaTOV ixovGas oü pövov tov oräxuv äXXä Kai tö <puxöv ÖXov Tfj
Trap' fmtv dv 'Aoia xi<prj, ttjv TTpooritopiav r^popnv rjvriva £x€l rcap' ^K€ivo»£
tois ävöpumoi^, Kai uot irdvtes £q>ao*av auiö T€ tö qnrrdv ÖXov Kai xd
OTT^pua aüToü KaXcTaeai ßpiZav. Von den beiden hier genannten Namen
des Roggens hat man das taurinische asia gleich einem gallischen *8asia
genommen und es dem kymr. haidd ,hordeum', bret. heiz ,orge' sowie
dem sert. sast/d- ,Feldfrucht' gleichgestellt (vgl. Meyer-Lübke Z. f. rom.
Phil. X, 1 72, wo auch ein sp. jaja genannt wird), so dass in dieser Reihe
ein arisch-enropäischer Name für eine Getreideart anzuerkennen wäre,
was an sich nicht sehr wahrscheinlich ist (s. u. Ackerbau); auch
macht hierbei die Annahme eines Übergangs von 8 in h im festlän-
dischen Keltisch Schwierigkeiten. Bedeutungsvoller für die Geschichte
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Roggen — Kohr.
693
des Roggens ist das thrakische ßp&a, das aas einer Grundform wie
•vrugjä (vgl. 6. Meyer B. B. XX, 121, Hirt Beiträge XXII, 235)
-entstanden nnd in die Ii tu- sla vischen und germanischen Sprachen (altsl.
rüil, Iit. rugj/s, agls. ryge, woraus kymr. rhygen, altn. rügr, woraus
finn. ruhis) entlehnt worden ist. Gegen die Annahme der Urverwandt-
schaft spricht die Preisgabe des anlautenden v seitens der germanischen
Sprachen. So ergiebt sich keine geringe Wahrscheinlichkeit für die
Vermutung, der Roggen sei Uber Thrakien oder von Thrakien den
nordeuropäischen Indogermanen zugekommen. Bedenkt man hierzu,
dass derselbe, wie er dem ganzen semitisch-ägyptischen Kulturkreis
fremd ist, so auch in prähistorischen Schichten Europas nirgends
gefunden wurde, so wird man darüber nicht zweifelhaft sein können,
dass der Roggen nicht zu der ältesten Gruppe europäischer Ackerbau-
pflanzen (s. u. Ackerbau) gehört. In Deutschland wird Roggenbrot
(panis sigilutius) zuerst von Venantius Fortunatus (Vita Radegund.
Cap. 15, 21) genannt.
Was der zuerst von Plinius gebrauchte Ausdruck secale, der in die
romanischen Sprachen (it. sigola, frz. seigle, wal. secdre), ins Alba-
nesische und Neugriechische (crrjKaXi) übergegangen ist, bedeutet, ist
ungewiss. Die rom. Sprachen weisen auf eine Grundform *8#cdle,
die sich kaum mit der Annahme, secale sei gleich sicare (,Sichelfrucht')
verträgt. Im Edictnm Diocletianum begegnet neben ideale (= secale)
noch die Bezeichnung centenum, nach Isidor Orig. XVII, 3, 12 so
genannt, quod in plerisque locis iactus seminis eins in incrementum
frugis centesimum renascaiur (vgl. auch die oben mitgeteilte Stelle
des Plinius). Jenes thrakische ßpi£ct aber lebt noch im Neugriechischen
fort, wo es ebenfalls den im heutigen Griechenland nur selten und nur
seines Strohs wegen gebauten Roggen bezeichnet (Heldreich Nutz-
pflanzen S. 5 und G. Meyer a. a. 0.).
Als Stammpflanze des Roggens betrachten Körnicke (K. und
Werner Handbuch des Getreidebaus I) und Ascherson (Correspondenz-
blatt für Anthropologie 1890 S. 134) das „in Gebirgen des Mittcl-
meergebiets von Marokko und Südspanien bis Serbien und bis zum
Kaukasus und auch in West-Central-Asien vorkommende ausdauernde
Secale montanum Guss.u. — S. u. Getreidearten.
Rohr. Urverwandte Ausdrücke für Rohr und Schilf sind in den
idg. Sprachen nicht selten. Vgl. sert. nadd-, nadaka-, griech. vopGotE,
vdpenE, Ht. nendre", ferner lat. combretum : lit. szweftdrai und got.
raus : lat. ruscus. Die idg. Urheimat (s. d.) scheint also reich an
derartigen Gewächsen gewesen zu sein.
Nimmt man an, dass mit jenen Gleichungen das gewöhnliche euro-
päische Sumpf rohr (Phragmites communis) gemeint ist, so mussten
die Griechen und Römer bei ihrem Vordringen in die Mittelmeerländer
auf eine edlere Rohrart (Arundo donax L.) Stessen, die hier, wie in
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694
Rohr — Rose.
Asien, seit unvordenklichen Zeiten wildwachsend verbreitet war. Dass
die Hellenen auf die Nützlichkeit dieses Rohres zur Herstellung von
Körben, Schildhalteru, Wagebalken, Messruten, musikalischen Instru-
menten und dcrgl. schon in vorhomerischer Zeit durch die Semiten
aufmerksam gemacht wurden, zeigt der Umstand, dass bereits die
homerische Sprache Wörter wie Kdv€Ov, icdvciov , Brotkorb' oder icavwv
, Handhabe des Schildes', auch ,Spule' aufweist (später bezeugt: icdva-
Öpov, KdvaaTpov, Kdvn,«;), die nur als Ableitungen von dem gemein-
semitischen hebr. qäneh, bab.-assyr. qanü (sumerisch-akkadisch gin)
,Kohr' verstanden werden können. Erst später ist (wohl zufällig) das
dem semitischen Wort direkt entsprechende Kdvva ,Rohr', ,Geflecht aus
Rohr' (vgl. auch Kavri-tpöpoq ,korbtragend) Uberliefert. Das semitisch-
griech. Wort gelangte dann weiter nach Italien, wo es als canna
zuerst bei Vitruv begegnet. Merkwürdig ist aber, dass canna in Italien
nicht A rundo donax, sondern das gemeine Rohr bezeichnet, während
für ersteres arundo, auch arundo Graeca gilt. Arundineta, künstliche
Rohrpflanzungen sorgten in Italien für die Weiterverbreitung und Er-
haltung der nützlichen Kulturpflanze. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6
S. 297.
Kose. Die Zucker- oder Essigrose (Rom gallica L.), welche
für die wichtigste Stammart unserer vorzüglichsten Gartenrosen, auch
für die der Centifolie (A\ centifolia L.) gilt, ist im westlichen Asien
und im südlichen Eu ropa einheimisch. Gleichwohl wird die Stätte
ihrer Ausbildung und Erziehung zur vielblättrigeu, süssduftenden Garten-
blumc nur in ersterem gesucht werden müssen.
Griech. pöbov, ßpöbov (bei Sappho) = Fpöbov ist ein Lehnwort aus
westkleinasiatischem oder iranischetu Kulturkreis: armen, vard, vardeni
,Rose' (Rosa centifolia L.) aus npers. gul ~ altp. * tarda (vgl. aw. varedd-
, Pflanze). Die Bedeutung der Rose daselbst lagst sich durch ältere
direkte historische Zeugnisse allerdings nicht belegen: nur die häufige
Benutzung der Blume zur Namenbildung deutet auf sie hin. Vgl. armen.
Vardeni, pehl. Yartaki als Frauennamen, und mehrfache altpersische
Personennamen, in griechischer Übersetzung mit (">obo- gebildet (vgl.
Pape Griech. Eigcnn. S. 1311 f.). So heisst die Gemahlin des Darius
Hystaspes bei den Griechen PoboYoüvn.. die von Herodot VII, 224
0paTcrroovn genannt wird. Auch letzteres ist wohl nur eine schlechte
Wiedergabe von Fpabo-, Fapbo- (über q> = F vgl. G. Meyer Griech. Gr.3
§ 2o7; (ppaTa- wird dem pehl. vartä für *vardä entsprechen). Über
die spätere Rosenpracht der iranischen Länder vgl. V. Hehn a. u. a. 0.
S. 426. Dem semitisch-ägyptischen Kulturkreis ist die Königin des
Gartens von Haus aus fremd geweseu. Später ist das armenisch-ira-
nische Wort auch hier eingedrungen: arab. ward, aram. vcardä, kopU
tert. In Babylonicu war aber die Rose schon zu Herodots Zeit (I, 195)
bekannt.
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Rose.
Das griech. £6bov tritt in Zusammensetzungen und Ableitungen (fk>bo-
bäKTuXoq, ßobötv £Xaiov) zwar schon bei Homer auf. Da aber die
Blume selbst, die erst bei Arcbilochus Frgm. 29 (pobn.<; xe KaXöv fiv9oq)
deutlicli genannt wird, noch unbekannt zu sein scheint, auch Blumen-
zucht der homerischen Welt noch fremd ist, so dachten sich, wie
V. Hehn S. 244 hervorhebt, die homerischen Dichter unter pobov viel-
leicht „nur etwas unbestimmt herrliches der Blumenwelt". Namen mit
pobov gebildet, 'Pobcicx, 'Pobömi, begegnen aber schon in dein home-
rischen Hymnus auf Demeter.
Der Durchgangspunkt der Rosenzucht für Griechenland scheinen die
nördlich ihm vorgelagerten Länder, Mazedonien und Thrakien, ge-
wesen zu sein. Aus ersteren werden schon von Herodot VIII, K18 die
ersten gefüllten (60 blättrigen) Rosen gemeldet: o\ bfc dmKOuevoi iq
äXXnv xnv ttv; MaxeboviriS oucriöav niXctc, tujv Knrcwv tujv Xcyou^vujv elvm
Mibew tou Topbieuj, £v toio*i (puexai aÜTÖpaTct |!>dba, £v £kcio*tov £x<>v
^£r|KOVTa <pOXXa, öburj bfc ÜTrepqttpovTa tujv äXXwv. Aus der Gegend
von Philippi erwähnt Theophrast VI, 6, 4 die Centifolie: £via Yäp
elvai qjaöiv, a Kai KaXoCtfi etcaTOVTä<puXXcx. nXciOTa bfc Tct ToiaÜTa
iOTl TT€pi OlXlTTTTOU? * OUTOl fOLO XaußdvOVT€<; i* TOU TTaYfcdoU q)UT6Ü-
ouai • €K€i fdp Tiveiai -roXXd. Von pierischen Rosen hatte schon Sappho
iFrgm. 68 j gesprochen. Ein eignes, leider dunkles Wort für die Blume
(äßctTva) war bei den Mazedoniern vorhanden. In Thrakien liegt ferner
das Rhodopegebirgc (: pobov), und die nysäischen Gefilde, auf denen
nach dem oben erwähnten Hymnus auf Demeter Pcrsephone Rosen und
Lilien pflückt, sind ebenda zu suchen.
Von Griechenland ist die Roseuzucht. wie die Entlehnung des lat.
rösa aus pöbov zeigt, nach Italien übergegangen. Schwierigkeit macht
bei dieser Annahme das s des lat. Wortes; doch kann mau annehmen,
dass demselben eine mundartlich entstellte griechische Form, etwa ein
*po£ä = pobia (sc. KdXut) oder f>obta, pobrj .Rosenstrauch' zu Grunde
liegt, oder dass die Bildung von rosa zuerst in einem oskisch-umhrischen
Dialekt, vielleicht in dem durch seine Rosen berühmten Pacstuin, statt-
gefunden habe, wo der Übergang von ti, di in s üblich gewesen sein
kann {Claudius = Clausus, liantiae = Bansae, vgl. Keller Lat. Volks-
et vm. S. 312^.
Von Italien aus ist lat. rosa, ohne Zweifel in Zusammenhang mit
der Rosenkultur, nach dem Norden Europas gewandert: ahd. rösa,
agls. röse, altsl. roza und so in allen Slavinen. Die Quantität des
hochdeutschen Wortes zeigt, dass dasselbe erst während der ahd. Zeit
aus kirchlich-klösterlichem rösa (statt lat. rösa^ entlehnt wurde vgl.
Kluge Et. \V.G). liosae werden im Capit. de villis LXX. 2 genannt.
Auch in diesen erblickt man noch immer die Jiosa gallica L. der Alten.
Neue Rosen arten entstanden erst durch die Bastardierung dieser
letzteren mit der in den meisten Teilen Europas einheimischen Hunds*
gle I
69ß
Rose — Rubin.
rose oder Hagebutte, Rosa canina L. (gemeingerm. : nibd. hagedom,
agls. hagporn, altn. hagporn, vgl. auch agls. htope = ahd. hiefeltra,
hüffaldra, hyffa bei der heiligen Hildegardig, griech. xuvötfßaTov, lat.
sentis canis). So die Damasccner Rose (Rosa damascena L.) und die
Rosa alba L. Dieselben scheinen aber in kein hohes Altertum in
Europa zurückzugehen.
Nicht in den sprachlichen Bereich des lat. rosa fällt alb. trendafil',
das vielmehr dem ngriech. TpavtdcpuXXov (toö tXukoö, von dem Glykos,
der aus den Rosen bereitet wird) entspricht. Noch unaufgeklärte
Namen sind altkorn. breilu, kambr. breüa, breilw und kambr. ffuon
irome).
Die den vorstehenden Ausführungen zu Grunde liegende Anschauung
über das Verhältnis von armen, vard, npers. gul, griech. fiöbov, lat.
rosa dürfte als die nach Lage der Dinge wahrscheinlichste gelten können;
doch fehlt es nicht an Gelehrten, welche in den genannten Wörtern,
denen Mikkola B. B. XXII, 244 ein lit. radästai »Rosenstrauch' (in
Süd-Litauen, sonst »Dornenstrauch') hinzufügen möchte, einen urver-
wandten Pflanzennamen erblicken. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6
S. 247 ff. und v. Fischer- Benzon Altd. Gartenfl. S. 34 ff. S. u. Blumen,
Blumenzucht.
Rosmarin, s. Weihrauch.
Rösten, s. Kochkunst, Küche.
Ross, s. Pferd.
Rot. Der idg. Ausdruck für diese Farbe liegt in der Reihe
sert. rudhird-, rö'hita-, aw. raoiöita-, griech. epuöpös, lat. ruber, rüfus
(rutilus, russus), got. rauds, ir. rüad, altsl. rüdrü, lit. raudönas. Es
ist der verbreitetste Farbenname in den idg. Sprachen. Mit dem idg.
Wort für Kupfer (s. d.) : sert. löhä-, lat. raudus etc. hängt er, falls diese
Wörter von auswärts entlehnt sein sollten, ursprünglich nicht zusammen.
Wahrscheinlich geht die zu Grunde liegende Wurzel reudhjrudh auf
ein unerweitertes reujrti (z. B. sert. ravi- ,Sonne') zurück, das eigentlich
, leuchten', »strahlen' bedeutete. Jedenfalls sind in den Einzelsprachen
neue Wörter für ,rot' auf diese Weise entstanden. So gemeinkeit.
*dergos, ir. derc ,tot' : alts. torht, ahd. zoraht ,hell' und aw. suyra-,
npers. sut'x ,rot' : sert. qukrd- .klar, licht, hell'. Slavische Wörter für
,rot', die eigentlich ,vom Wurm' bedeuten, s. u. Kermes. Ebenso
sind kleinruss. rumjdmjj, cermjdnyj, altpr. urminan, wormyan, tear-
mun ,rot' zu beurteilen, die zu altruss. vermije Mpxbtq, *virm- = got.
tcaürms, lat. vermis gehören (vgl. J. Zubaty I. F. Vi, 155). Russ.
krasnyi ,rot' stellt sich zu altsl. krasa .Schönheit'. — S. u. Farbe
und u. Farbstoffe.
Rötel, 8. Farbstoffe.
Rfibe, s. Kohl und Rübe.
Rubin, 8. Edelsteine.
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Ruder, Rudern — Sack.
697
Rudern, Ruder. Die idg. Bezeichung für diese Begriffe ergiebt
sich aus der Reihe Bert, aritra- ,Ruder', aritdr- ,Ruderer', griech. tp4-
tt|?, Tpiripri^, £pe-Tuös, lat. remus (woraus kymr. rwyf, körn, ruif etc.,
ahd. riemo, alb. rem), altlat. tri-resmom, gemeiugerm. ahd. ruodar,
agls. röbor, altn. reebe ,Ruder', rödr ,das Rudern', mhd. rüejen, agls.
röwan, altn. röa ,rudern', ir. rdme ,Ruder', im-rat ^proficiscuntur'
(: *räo ,befahre das Meer'), lit. irti ,rudern', irklas , Ruder'. Abweichend
Jat. tonsa, eigentl. wohl ,PfahP (vgl. tonsilla, ein Pfahl am Ufer, an
dem die Schiffe angebunden werden), altn. dr, agls. dr, woraus finn.
etc. airo (unklar ist das Verhältnis zu lit. tcalras, waira, lett. airis
,Ruder', vgl. £. Liden Studien zu altiud. und vergl. Sprachgeschichte
S. 65), gemeinsl. *veslo-, altsl. veslo , Ruder' : vesti ,vehere', serb.
voziti, alb. vozit ,rudern'. — S. u. Steuerruder und u. Schiff,
Schiffahrt.
Rum, s. Zucker.
Runen, s. Los und Schreiben und Lesen.
Rundbau, s. Haus.
Rüstung, s. Waffen.
S.
Saal, s. Haus.
Saat, säen, Same, s. Ackerbau.
S&bel, 8. Schwert.
Sachen- und Obligationenrecht, s. Recht.
8ack. Die grosse Bedeutung des Sackes für die älteste Handels-
g e s c h i c h t e erhellt aus der Thatsache, dass sich bereits im alten
Europa auf dem Wege der Entlehnung von Volk zu Volk eine gemein-
same Bezeichnung dafür festgesetzt hat. Dieselbe geht von hebr. s'aq
, hären Zeug, Sack, Trauerkleid ' aus, das in griech. OctKKO«; (Aristoph.),
Cükkiov, crdKTaq, lat. saccus, ir. sac, got. sakkus (ahd. sac, altn. sekkr),
altpr. sagcka(Y), russ. sakü, alb. sak (in den beiden letzteren Sprachen
,Nctz ) wiederkehrt. Mit dieser Sprachreihe ist zunächst vielleicht der
aus Zeug hergestellte oder aus Ziegenhaaren (s. u. Ziege) gewobene
Sack gemeint. Älter sind sackartige Behälter aus Tierhaut, für die
eine urverwandte Gleichung in tarentinisch uoXröV ö ß&ioq dOKÖt
(Hes.), abd. bulga ,lederner Sack' (got. balgs ,Schlauch), gall. bulga,
ir. bolg ,Sack' vorliegt. Auf finnischem Boden kennt man Säcke aus
Birkenrinde (finn. kontti, estn.-liv. kot't' gegenüber säkki). — S. auch
u. Korb, Kiste, Gefässe.
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698
Saflor - Sftgc.
Saflor (Carthamus tinctorivs L.). Die Pflanze, deren Blumen
einen gelben und roten Farbstoff geben, wird schon von Aristoteles
und Theophrast unter dein Namen KvfjKoq (lat. cnecos Plin.) genannt,
der wobl identisch mit KvnKÖ«; = scrt. käftcana- .golden', ursprünglich
,gelb' bedeutete. Die Pflanze seheint von Ägypten eingeführt zu sein,
wo der Saflor durch Gräberfunde schon in trüber Zeit nachgewiesen
ist. Die Mumienbinden sind mit ihm gefärbt (vgl. Wocnig Die Pflanzen
im alten Ägypten S. 351 f.). Der Anbau der Pflanze in grösserem
Massstab geht in Europa, wie der des Safrans (s. d.), auf die Araber
zurück, von denen auch der heutige Name it. asforo, deutsch saffior,
engl, safflow etc. stammt (arab. thfur ,gelb'). — S. u. Farbstoffe.
Safran (Crocus satirns L.). Kr findet sich wildwachsend nach
Engler bei V. Helm a. u. a. (). auf den Bergen bei Smyrna, auf Kreta,
den Kykladen. auch um Athen. Doch wurden die Griechen auf die
Pflanze, deren Duft ebenso wie die aus ihren Blüten gewonnene gelbe
Farbe die Bewunderung des Altertums erregte, erst durch die Semiten,
wenn auch schon in vorhomerischer Zeit, aufmerksam gemacht, wie
die Entlehnung des griech. KpÖKo<; (kaum urverwandt mit ir. erüan,
crön ,red, orange' aus *crocno- aus hebr. karkfim (vgl. auch armen.
k'rk'um aus syr. knrkt'md) zeigt. Das Wort scheint aber auch im
Semitischen nicht zu wurzeln und könnte mit scrt. kunkuma- ,Safran"
oder mit dem Namen des safranberUhnitcn Berges Kwpuico«; in Cilieien
irgendwie zusammenhängen. Schon in der llias (XIV, 848) spricsst
Krokus neben Lotos und Hyakinthos unter dem Beilager des Zeus mit
der Hera hervor, und ebendaselbst ist KpoKÖntTtXo? ,mit safranfarbigem
Gewände' ein stehendes Beiwort der Eos.
Von Griechenland kam die Blume in die r ö m i s c .h c n Gärten (laf.
crocus aus griech. KpÖKo;'/, wo sie vou Varro 1, 1 neben Rosen,
Lilien und Violen genannt wird. Am berühmtesten aber blieb immer
der kleinasiatische Safran, der cilicische, lykische, lydische. Nach
Nordeuropa ist die Kultur des Safrans, über die die älteren Quellen
der altdeutschen Gartenflora schweigen, zunächst nicht vorgerückt,
doch wird die Pflanze oder die aus ihr gewonnene Substanz auf
Handelswegen eingeführt (vgl. ahd. krttogo, agls. cro/i aus lat. crocu#)i
und genicsst im Mittelalter, namentlich auch zu Küchen- und medizi-
nischen Zwecken, ein hohes Ansehen. Die Verbreitung der Kultur
des Safrans, zunächst im Umkreise des Mittelmeers, verdankt Europa
den Arabern, auf die auch der neuere Name der Pflanze, mhd. saf'rän,
it. za//erano etc. aus arab. äsfardn zurückgebt. Merkwürdig ist
altsl. bozurü .Safran', das auch im Albanesischen vorkommt, hier aber
,Mohn' bedeutet. — Vgl. Beekmann Beyträge II, 97 ff. und V. Hehn
Kulturpflanzen 0 S. 255 ff. S. ti. Blumen, B 1 u m e n z u c h t und n.
Farbstoffe.
Säge. Die feuersteinene Säge ist ein häufiges, aus den ver-
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Slige — Salz.
699
schiedensten Teilen Europas zu Tage getretenes Instrument der jüngeren
Steinzeit, an dessen Stelle mit dem Metall das bronzene Werkzeug
tritt. Mehrere steinerne Gussformeu für Bronze-Sägen sind in Schweden
und Dänemark gefunden worden (vgl. 0. Montelius Die Kultur Schwedens*
S. 48 und das General-Register der Z. f. Ethn. u. Säge) und beweisen,
dass man jene Sägen an den Fundstellen seihst oder in deren Nähe
herzustellen verstand. — Auch in der Überlieferung des klassischen
Altertums wird die Säge als eine Erfindung der grauen Vorzeit ange-
sehen, die bald dem Dädalus, bald dessen Neffen Talus oder Perdix
zugeschrieben wird (vgl. Heckmann Heyträge II, 254 ff. u. SägemUhlen
und Hlümner Terminologie und Technologie II, 210 ff.). Mancherlei
Schwierigkeiten macht noch die Terminologie der Säge. Sucht
mau nach einer vorhistorischen Gleichung für diesen Hegriff, so wird
man gut tliun, zur Vcrgleichung auch die Namen der Feile heran-
zuziehen, da diese mit ihren feineren Zähnen der alten Feuerstein-Säge
entschieden näher kommt als die eigentliche Säge. Thatsächlich ver-
einigt das gemeinslavische pila (lit. pielä) die Bedeutungen , Feile und
,Säge' in sieh. Unter diesen Umständen würde die Gleichsetzung von
lat. xerra ,Säge' (aus +serzä) mit griech. (Sivri , Feile' (aus *sri nd)
keine semasiologisehen Schwierigkeiten machen, und in lautlicher Be-
ziehung könnte auf das Verhältnis von ahd. gemta i*gherzdhih :
griech. KpiOri (*ghrz dhä: vgl. Thurneysen K. Z. XXX, 3nl) verwiesen
werden. Kühner schon wäre es, das gemeingerm. ahd. fihala, f'iln,
agls. feol (aber altu. pM?) aus *piq-la-, *fihicala- unter der Voraus-
setzung mit lit. phiklas ,Säge' (altpr. piuclan »Sichel') zu vereinigen,
dass letzteres aus einem ursprünglichen *'piqhi- mit volksetymologischer
Anlehnung an lit. piäuju schneide' enstanden wäre. Einzelsprachlich
sind: griech. TTpiujv, irpiOTri? : Trpieiv <:alb. pris »verderbe', urspr. ver-
schneide'?, vgl. auch altsl. prionl .Säge' a. d. Griech.), lat. lima
, Feile' (dunkel), gemeingerm. ahd. saga, agls. sagu, altn. ttög (: lat.
secare schneiden). — S. u. Werkzeuge.
Sahne, s. Butter.
Saiteninstrumente, s. Musikalische Instrumente.
Salat, s. Garten, Gartenbau (Lattich).
Salbe, s. Butter.
Salbei, s. Garten, Gartenbau.
Salm, s. Lachs.
Salz. Es ist eine physiologisch tief begründete Thatsache, dass
Menschen wie Tiere, welche von rein oder nahezu reiner animalischer
Nahrung leben, der Würze des Salzes nicht bedürfen, dass hingegen
solche, welche nur I'llanzen- oder gemischte Kost gemessen, ein un-
bezwingliches Bedürfnis nach derselben empfinden. Der Grund dieser
Erscheinung liegt darin, dass der hohe Kaligehalt der pflanzlichen
Nahrung dem Organismus Mengen des in ihm vorhandenen und ihm
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700
Salz.
notwendigen Kochsalzes entzieht, ein Verlnst, der dann durch Wieder-
ersetzung von aussen gedeckt werden muss (vgl. M. J. Schleiden a. n.
a. 0. S. 5 ff. und G. Bunge Lehrbuch der physiol. u. pathol. Chemie
Leipzig 1887 S. 106 ff.)* Auch durch historische Zeugnisse lässt sich
der Nachweis führen, dass nomadische (also im wesentlichen auf rein
tierische Kost angewiesene) Völker von jeher das Salz nicht kannten
oder, wenn sie es kannten, verachteten. So berichtet Sallust lug. 89, 7 :
Numidae plerumque lade et ferina came vescebantur et n e qu e
ealem neque alia irritamenta gulae quaerebant. Die gleich-
lautenden Nachrichten über Beduinenstämme auf der arabischen Halb-
insel, die Buschmänner im südlichen Afrika, über Kirgisen und zahl-
reiche sibirische Völker u. s. w. vgl. bei Bunge a. a. 0. Auch in
Europa hatte schon Homer (Od. XI, 123) von Menschen gehört, die
das Salz nicht kannten
oüb£ 8'äXeöo*: ucurrulvov etbap £bouo*i.
Nach Pausanias 1, 12 waren es die Epiroten, die wie wir wissen,
äusserst lange auf primitiver Kulturstufe stehen geblieben sind.
Unter diesen Umständen kann es kein Zufall sein, dass eine etymo-
logisch übereinstimmende, urverwandte Benennung des Salzes sich nur
im Kreise derjenigen idg. Völker findet, welche eine eben solche
Terminologie des Ackerbaus (s. d.) aufzuweisen haben, nämlich bei
-den europäischen Indogermanen mit Einschluss der ihnen sprachlich
wie kulturhistorisch nahe stehenden Armenier. Die Gleichung, um
welche es sich handelt, ist: griech. äX?, lat. nal, »allere (= *gald-ere,
got. saltan, ahd. salzan, ir. saillim), got. sali (ahd. sulza ^Salzwasser'),
ir. salann imil-chithen gl. salinarum), kymr. halan, altsl. *oll, altpr.
sal, lett. säls, armen, ak (abweichend nur lit. druskä u. alb. kripe,
beide eigentl. ,Krume'). Die arischen Sprachen nehmen an dieser
Sippe nicht teil. Im Awesta und Rigveda wird überhaupt kein Wort
für Salz genannt: erst im Atharvavcda kommt die Bezeichnung lavand-
das »feuchte' (Seesalz), im Qatapathabrahmana sdindhavd- ,vom Indus
her' (Steinsalz) vor, ohne dass das Mineral in Indien jemals dieselbe
Bedeutung wie in Europa erlangt hätte. Dies könnte auffallend er-
scheinen, da doch die Inder von der vedischen Epoche an Ackerbau
trieben und Pflanzcnnahrung genossen. Der Grund liegt aber darin,
<lass die Rcisnahrung dieser Völker, welche sechsmal weniger Kali
als die europäischen Cerealien enthält, zum Salzgenuss in weit ge-
ringerem Masse wie diese einladet (vgl. Bunge a. a. 0. S. 113 f.). Aller-
dings wird der Reis (s. d.) noch nicht im Rigveda, sondern erst im
Atharvavcda erwähnt, was dann auf Zufall beruhen dürfte.
Die Frage hinsichtlich des Alters des Salzes bei den Indogermanen
liegt daher ebenso wie die hinsichtlich des Ackerbaus. Es ist an sich
möglich, dass die Arier sowohl an jenen agrarischen Gleichungen als auch
-an der Sprachreihe äX; u. s. w. einmal teil genommen und beide auf einem
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Salz.
701
durch unwirtliche, nicht zum Ackerban einladende Gegenden führenden
Zag verloren haben. Es ist aber auch möglich, dass ein intensiverer
Ackerbau, mit ihm die Beachtung des Salzes und in ihrer Begleitung
die betreffenden Termini erst bei den Europäern aufgekommen sind,
nachdem die Arier sich von ihnen getrennt hatten, ü. Ackerbau
(s. d.) ist gezeigt worden, dass fttr diesen die letztere Ansicht die
wahrscheinlichere ist, und das gleiche ist daher auch für das erste
Auftreten des Salzes anzunehmen, umsomehr, als auch die Überlieferung
noch auf eine Zeit hinweist, in welcher wenigstens die Speise der
Götter, das Tieropfer (s. u. Opfer), noch der Zuthat der erst mit dem
Pflanzenopfer aufgekommenen Würze des Salzes entbehrte. Ein direktes
Zeugnis hierfür bietet der Komiker Athenion (Athen. XIV p. 661):
Ö6ev £ti nett vOv tuiv 7rpÖT€pov neuvn.u^vot
xd anAdYXva Tot? GeoTai öirrukri cpAori,
&Aas oü TTpoaäYOVTes • oü rdp fjtfav ouö^ttuj
ci? xf|v TOiaüxiiv xpfio*,v ££eupn.ji^voi.
(vgl. weiteres bei V. Hehn a. u. a. 0. S. 31). Ebenso waren bei den
Indern (vgl. Oldenberg Die Religion des Veda S. 41 3 s) gesalzene Speisen
vom Opfer ausgeschlossen. Es scheint sich hier also wirklich auch von
Europa aus der Blick in eine Zeit zu öffnen, in welcher der Genuss
des Salzes noch kein Bedürfnis war, weil mau eben ganz überwiegend
von animalischer Nahrung, d. h. von Viehzucht lebte. Der Umstand,
dass die Gleichung griech. äX; n. s. w. ein sebr altertümliches Gepräge
trägt (idg. (*8dld, **alm-to, vgl. J. Schmidt Pluralbild. S. 182) lässt
sich gegen diese Anschauung kaum verwerten; denn das Wort könnte,
was auch J. Schmidt S. 183 und V. Hehn a. u. a. 0. S. 24 hervorheben,
in anderer Bedeutung (etwa in der von , Würze' z. B. des Tranks,
vgl. lit. 8aldü8, altsl. sladükü ,8Uss\ russ. aoloda ,Malz') indoger-
manisch, und nur in der Bedeutung von ,Salz' europäisch sein. Als
auf ein Analogon hierfür kann mau auf iranische Bezeichnungen des
Salzes, kurd. ^ö, bei. vdd ,Salz' verweisen, die aus sert. svdda- ,Wohl-
geschmack' — griech. nbu«; ,sU8s' etc. hervorgegangen sind (vgl. Horn
Grundriss d. npers. Et. S. 111). Endlich könnte auch die ganze Sippe
aus einer voridg. Sprache stammen und in idg. Lautformen umgestaltet
worden sein (so zuletzt Brugmann Grundriss I, 1 2 S. 162).
Fragt man nunmehr, wo und wie die Indogcrmanen Europas zu-
sammen mit den Armeniern zu einer Zeit, wo sie sich ethno- und
geographisch noch sehr nahe standen, die erste Bekanntschaft mit dem
Kochsalz gemacht haben werden, so wird man zuerst an eine solche
Lokalität denken, wo die Natur selbst das Chlornatrium in grossen,
vor aller Augen liegenden und zum Genüsse fertigen Massen dem
Menschen darbietet. In denjenigen Teilen Europas und Asiens, in
denen man bisher die Heimat der Indogeruianen oder den Schauplatz
jener europäischen Kulturperiode gesucht hat, kommen hierfür der
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70l>
Salz.
Aralsee, der Norden und Osten des Kaspischcu und der Nordwesten
des .Schwarzen Meeres in Betracht. Bringt man aber, wie es oben
geschehen ist, das Hervortreten des Salzes bei den Indogermanen in
Zusammenhang mit dem Bekanntwerden des Ackerbaues, so scheiden
naturgemäss von dieser Rechnung der Aralsee und der Kaspisee aus,
an deren .Steppenufern sicherlich niemals der Übergang eines Volkes
zum Ackerbau stattfinden konnte. Es bleibt demnach das Schwarze
Meer übrig, dessen Limans „reiche Stätten für die Salzgewinnung dar-
bieten14. „Unter ihnen sind die ergiebigsten die von Odessa aus nach
Südwesten gelegenen bessarabischeu Limans. Dort zieht sich schon im
Juni das Wasser von den Ufern zurück und lässt das Salz in kleinen
Krystallen auf den Boden fallen, im Juli verstärkt sich dieser Nieder-
schlag nnd wird gegen Ende des Monats so bedeutend, dass es sich
lohnt mit der Salzerntc zu beginnen. Die Mächtigkeit der Salzschicht
nimmt nach der Tiefe zu und wechselt von 1 : 30 Centimeter. In
ergiebigen Jahren soll man aus den drei bessarabischeu Limans über
6 Millionen Pud (a 40 Pfund) Salz gewonnen haben" vgl. F. M. v.
Waldcek Kussland 1, 93 f.). Natürlich hat dieser Salzreichtmu auch
im Altertum schon bestanden, was ausserdem von Herodot IV, f>3 hin-
sichtlich der Mündung des Borysthenes direkt bezeugt wird: dXeq T€
^tti tu) (JTÖuaTi aÜToö aÜTÖuaTot TrriTvuvrai <5tt\€toi. Dass di.s Salz
den Indogermanen im Zusammenhang mit einem Meer zuerst entgegen-
trat, kann man auch daraus folgern, dass in der angeführten Sippe
mehrfach dasselbe Wort Salz und Meer (vgl. griech. ä\<; und kymr.
heli — * sales) bedeutet, und überhaupt erst innerhalb der europäischen
Kulturgcmciuschaft eine übereinstimmende Bezeichnung des Meeres
(s. d.) auftritt. Dieses Meer kann nach allem obigen nur das Sehwarze
Meer gewesen sein. Auf keinen Fall kann man mit H. Hirt (I. F.
I, 484), der die Wörter für Salz und Meer schon als indogermanisch
ansieht, an die Ostsee denken, da deren Wasser viel zu süss ist, um
natürliche Niederschlüge des Kochsalzes zu erzeugen oder ein primi-
tives Volk zur Versiedung des Seewassers anzuregen (vgl. V. Hehn
a. u. a. O. S. 77 1.
Die allmähliche Ausbreitung der Indogermanen in Europa musste
dieselben immer weiter von dem Salzreiebtum des Schwarzen Meeres
entfernen und bald Mangel an der nunmehr zur unentbehrlichen Ge-
wohnheit gewordenen Würze hervorrufen. Eine Zeit lang mochten
Handelsbeziehungen aushelfen. So wissen wir, dass die Thraker Salz,
das nur vom Pontns kommen konnte, gegen Sklaven eintauschten (vgl.
Suidas unter äXwvnrov). Aber mit Recht sagt V. Hehn „Das Salz
war von Anbeginn ein Frachtgut und eine relative Sicherheit des
umliegenden Landes die Bedingung und zugleich die Folge seiner Ver-
breituug", eine Sicherheit, die nun eben im ältesten Europa selten zu
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Salz.
703
finden war. Man war darauf angewiesen, sich niebr und mehr selbst
das notwendige Gewürz der Ilalmfruelit zu verschaffen.
In einer glücklichen Lage befanden sich in dieser Beziehung die-
jenigen Indogennaneu, welche in Fühlung mit den» südlichen Meere
traten. Meer und .Salz sind Griechen und Kölnern untrennbare Hegriffe.
Die ältesten Salinen, welche der König Aneus anlegte, waren »Salz-
teiche am Meeresnfer, zu denen von den Salinen eine via salaria
durch römisches Gebiet führte (vgl. weiteres bei V. Hehn a. u. a. 0.
S. 33 f.). Schwieriger war die Aufgabe der idg. Nord Völker, welche,
„da die Meeresküste unter einer kälteren Sonne kein Salz lieferte",
für ihren Salzbedarf zunächst auf die in ihrem Gebiet nicht seltenen
Salzquellen angewiesen waren. Wie aber sollte man aus diesen nicht
gefaxten Wassern eine einiger Massen kräftige Soole gewinnen? Nach
den übereinstimmenden Nachrichten der Kömer geschah dies zunächst
in d e r Weise, dass man das Salzwasser über in Brand gesetzte Hölzer
ausgoss, denn salzhaltige Kuhle oder Asche man dann als Würze der
Nahrung benutzte. Die hierfür in Betracht kommenden Zeugnisse sind
folgende: Varro De re rust. I, 7, S : (Sciofa erzählt): In Gallia trans-
alpiua intus ad Rheniim cum exercitum ducerem, aliquot regiones
accessi, tibi nahm nec foHsicium nec maritimum haberent, sed
ex quibusdam lignis combustis, carbonibun salsis pro eo uterentur,
Pliuius Hist. nat. XXXI, : Galliae Germaniaeque ardentibus
lignis aquam salsam infundunt und (40) Hispaniae (die spanischen
Kelten) qiutdam sui parte e put eis hau rinnt muri am appellantes.
Uli quidem et Hanum referre arbitrantur. quereus optima, ut quae
per se einer e sincero vim satis reddat, alibi cor t/1 us laudatur. ita
infuxt) liquore salso arbor etiam in salem certitur. Von Salzquellen
zwischen Hermunduren und Chatten (bei dem heutigen Salzungen), die
von den Anwohnenden als eine gnädige Gabe der unsterblichen Götter
nngesehn wurden, und von wütenden Kämpfen der genannten Völker
um sie berichtet Tacitus Ann. XIII, f>7 : Eadem aestate int er Ilermun-
duros Chattosque vertat um magno prorlio, dum flumen gignendo
sale fecund um et conterminum vi trahunt, super libidinem cuneta
armis agendi religione insitia, „eos maxime locus propinquare caelo
precesque mortalium a deis nuxquam propius audiri. inde indul-
ge nt ia n u m i n u m ill o in amne illisque sil vis sale m
pro venire, non ut alias apud gentes elurie maris arescente unda,
sed super ardentem arborum struem fnsa ex contrariis inter se
dementia, igne atque aquis, concretumu . sed bellum Hermunduris
prosperutn, Chattis exitiosius fuit. Ebenso wurde später zwischen.
Alemannen und Burgunden um Salzquellen (bei Hall oder Kissingen)
gekämpft i Amm. Marc. XX VIII, 5).
Allmählich geht man zu verbesserten Methoden der Salzgewinnung
über, indem man Sinkwerke mit Bohrbrunnen und Pumpen mit
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704
Salz.
künstlicher Abdampfung der so gewonnenen Soole anzulegen oder in
rein bergmännischer Weise das Salz zu graben erlernt. Die Frage
ist, wann nnd durch wen diese Fortschritte gemacht worden sind.
Ihre Beantwortung ist an die Erklärung des merkwürdigen Wortes
hal, hall gebunden, mit dem in Deutschland die Salzquellen und Siede-
stätten bezeichnet werden (während die Salzflüsse wie Saale, Salzach etc.
mit 8 anlauten).
Nach der einen, in neuerer Zeit namentlich von Hehn und Schleiden
vertretenen Ansicht wäre dies hal ein Überrest keltischer Sprache
in Deutschland (vgl. oben kymr. halan). Hiernach hätten die Kelten
zur Zeit ihres Ostlich gerichteten Vordringens im Alpengebiet häufige
Salzsiedereien und Salzbergwerke angelegt, sei es, dass sie, in allen
Arten des Bergbaus (s. d.) frühzeitig erfahren, diese Kunst aus ihren
westlicheren Stammsitzen mitbrachten, wie denn spanische Kelten am
Ebro schon zu Catos Zeit (Hehn S. 39) Steinsalz brachen, sei es, dass
sie die neue Fertigkeit von südeuropäischen Völkern übernahmen;
denn schon Aristoteles weiss von Salzsiedereien in Illyricn und Epirus
(Hehn S. 43, 44) zu berichten. Durch keltische Salzarbeitcr sei dann
die verbesserte Methode der Salzgewinnung auch weiter nach dem
nördlicheren Deutschland getragen worden. Zeugen dieses keltischen
Einflusses seien Ortsnamen wie Reichenhall, Hallstadt, Hall bei Inns-
bruck, Hall am Kocher u. s. w., aber auch Halle an der Saale, ferner
Wörter und Ausdrücke wie schon ahd. halhüs ,salina', mhd. halgrdve
,Hallgraf, dialektisch hall-asch ,SalzschifF, hall- fahrt ,eine Ladung
Salz' u. a.
Was dieser kulturhistorisch sehr ansprechenden Meinung im Wege
steht, ist vor allein der Umstand, dass in dem festländischen Keltisch
bis jetzt der Obergang des anlautenden « in h (hal aus sal-) nicht
nachweisbar ist (vgl. Thurneysen Kelto-Roinan. S. 25). Die neueren
Etymologen (Kluge, Panl, neyne u. a.) neigen sich daher gegenwärtig
mehr der Anschauung zu, dass in jenem hall nichts als unser deutsches
halle zu erblicken sei, das freilich auf hochdeutschem Boden erst im
XIII./XIV. Jahrhundert und in der Bedeutung ,säulengetragener Vor-
bau' erscheint, aber durch die verwandten Sprachen (s. u. Haus) als
urgermamscher Besitz sicher gestellt ist. Man müsste dann annehmen,
dass der oben charakterisierte Gebrauch des Wortes hall von den
germanischen, speziell bajuvarischen Stämmen ausging, welche am
Ende des V. Jahrhunderts von den lange zuvor bestehenden kelto-
römischen Salzwerken von Reichenhall und Hallstatt, wie die Gräber-
funde zeigen, Besitz ergreifen (vgl. Much Die Kupferzeit* S. 269).
Doch bleibt auch hierbei die Schwierigkeit bestehen, dass hal immer
die Salzbrunnen mit den Siedewerken, nicht aber Salzsta pelor te
oder Verkaufhallen des Salzes bezeichnet, womit die Uberlieferte Be-
deutung unseres halle ,porticus* sich jedenfalls leichter vereinigen Hesse.
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Salz — Sarg.
70f>
Das letzte Wort in dieser Frage dürfte noch nicht gesprochen sein. —
Vgl. weiteres üher die Geschichte des Salzes in Europa bei V. Hehn
Das Salz* (Herlin 1901) nnd M. J. Schleiden Das Salz, seine Geschichte,
seine Symbolik und seine Bedeutung im Menschenleben (Leipzig 1875).
Samstag, s. Woche.
Sandale, s. Schuhe.
Sänger, s. Dichtkunst, Dichter.
Santelholz. Man versteht hierunter das wohlriechende Holz von
Santalum album L., das auf den Sundainseln und in Vorderindien
einheimisch ist. Nach dem Pcriplus raaris erytbraei (ed. Fabricins § 36)
werden die hier zuerst genannten HuXa aavTäXiva (M. S. : ffcrfaXtvo)
aus Barygaza nach persischen Häfen ausgeführt. Griech. advTaXov
TZavbävn. bei Cosinus) geht durch arab. sandal auf sert. condana-
zurttck. Viel früher würde der kostbare Stoff im semitischen Kultur-
kreis auftreten, weun das biblische, aus Ophir geholte almuggim (älgu-
mim), 1 Kön. 10, 11, 2; Chron. 9, 10 richtig mit Santelholz übersetzt
wird. — Vgl. weiteres bei Flttckiger Pharmakognosie* S. 468 und
Yule and Burnell Hobson-Jobson S. 597. S. u. Aromata.
Sapphir, s. Edelsteine.
Sarg. Hölzerne (eichene) Särge, in denen die Leichen öfters
von einer Kuh- oder Ochsenhaut bedeckt ruhten (vgl. Moutelius Kultur
Schwedens2 S. 59, dazu H. Brunner Der Totcntcil in germ. Hechten
Z. d. Savigny-Stiftuug f. Rechtswegen. XIX germ. Abt. S. 135 f.) treten
im Norden Europas erst in der älteren Bronzezeit auf. Bis dahin
werden die Leichen ohne diesen Schutz in kleineren oder grösseren
Kammern, in sogenannten Riesenstuben, in Steinkisten, in Grabhügeln
auf aus Steinen hergestellten trogförmigen Lagern u. s. w. beigesetzt
(vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde I, 55ff., 328 ff., bes. S. 341 ff.).
Von einem allgemeinen Gebrauch des Sarges kann man aber auch in
der Bronzezeit nicht sprechen, und noch während des jüngeren Eiscn-
zcitalters findet man Leichen ohne die sichtbare Spur eines solchen
(vgl. Moutelius a. a. 0. S. 192).
Auch im Süden sind Särge ursprünglich unbekannt. Die Mykenische
Periode kennt sie nicht, und es ist nur ein Festhalten an der alten
Sitte, wenn die Lakonier nach Lykurgs Anordnung (Plut. Lyk. 27)
iv «porvnctbi Kai <puXXoi£ ^Xaiaq 8€VT€q to adiua TTepu-atcXXov. Auch die
noch später übliche dKcpopd des Toten auf offener KXtvn. weist nach
E. Rohde (Psyche I*, 226 s) auf die einstige Unbckauntschaft mit Särgen
hin. Später kommen, wo man au der uralten Sitte des Begraben»
festhielt, vielleicht aus der Fremde eingeführt, hölzerne und thönerne
Särge vor. Die letzteren lassen sieh auch aus Mitteleuropa, aus dem
Grabfeld von Hallstatt (v. Sacken S. 6), nachweisen.
Unter diesen Umständen ist ein idg. Ausdruck für den Begriff des
Sarges nicht zu erwarten. Thatsächlich gehen die einzelnen Sprachen
Schräder, Reallexikon- 45
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706
Sarg - Sattel.
in seiner Benennung, soweit nicht Entlehnung vorliegt, weit ausein-
ander. Die Griechen gebrauchen: aopö?, eigeutl. ,Cnifassung' (vgl.
lit. ap-ttcäraa ,Gebcgc), auch die ,Totenurne', XdpvaE. eigentl. »Kasten',
tnitXo«;, eigentl. , Wanne', die Römer: arca ,Kiste', loculm (,Be-
hältcrchen'), capulus (s. u. Bestattung) u. a. Griech. aapKoqpäfOS,
lat. aarcophagus bezeichnet ursprünglich einen Kalkstein, von dem man
glaubte, dass er den Leichnam rasch verzehre (griech. crdpE und qxrretv).
Überaus reich an Entlehnungen aus dem Lateinischen sind die
germanischen Sprachen, woraus man schliessen kann, dass das
Christentum auf eine allgemeinere Verbreitung des Sarges hinwirkte.
Vgl. ahd. saruh, sarh aus sarcophagus, Marcus, agls. cest, eist ,Sarg',
cistian »einsargen' aus lat. cista. mhd. arke aus arca, ahd. sarh-sertni
aus scrlnium. Einheimisch oder halbeinheimisch sind: got. hwüftri
,aopö?' (eigentl. , Wölbung', vgl. altu. hvalf, agls. hteealf ,gewölbt'),
altn. Ukkista .Leiehenkiste', agls. J!»ri/Ä (prüh? = lat. truneus?, vgl.
sert. vfksha- ,Baum' und ,Sarg'i, lic-beorg (beide Wörter vgl. bei
Wright-Wülkcr 169, 11, 44, 31), ahd. Uhchar, später „Totenbauni",
ndd. dodenstock u. a.
Zu keinem besonderen Wort für Sarg scheinen es die östlichen
Sprachen gebracht zu haben: in altsl. grobä (eutl. lit. gräbas) und
jeiuer Sippe gehen die Bedeutungen ,Grab' und ,Sarg' durcheinander.
S. u. Bestattung und u. Friedhof.
Sattel. Die Griechcu und Römer ritten auf dem nackten Rücken
des Pferdes. Vielleicht dass bei den Persern zuerst der Gebrauch von
Satteldecken (iqnirmov) aufgekommen ist, was man aus den Worten
des Xcnophon Cyropaed. VIII, 19 schliessen kann: vöv bl tfTpuiuara
nXciu) £x°oo"iv iix\ tü>v Xixmjjv f\ im tüjv euvüiv ou yäp xr\$ nnreiaq
oütujc ÜLKJ7T€p toö uaXaicux; KaGncreai djrm^XovTai. Aus £<p(irmov wurde
lat. ephippium (zuerst Cato bei Non.) entlehnt. Wann aus derartigen
Satteldecken sich der eigentliche Sattel (spätlat. sella, sedile) entwickelt
hat, lüsst sich nicht mit Bestimmtheit ausmachen. Sicher ist ein
solcher in einer Verordnung des Kaisers Theodosius vom Jahre 385
gemeint, nach welcher derjenige, der Postpferde nehmen wollte, keinen
Sattel (sella) habeu sollte, der mehr als 00 Pfund wöge. — Die
Gennaneil verachteten noch zur Zeit des Caesar den Gebrauch aller
ephippia: neque eorum moribun turpius quidquam auf inertins habetur
quam ephippiis uti (De bell. Gall. IV, 2). Gleichwohl muss sich in
der germanischen Welt schon frühzeitig unser Wort „Sattel", wie nhd.
satul, agls. sadol, altn. södull zeigen, festgesetzt haben, das, da es
kaum direkt aal* got. sitan ,sitzen' zurück gehen kann, vielleicht aus
einer östlichen Sprache (vgl. altsl. sedlo ,Sattel ) entlehnt ist, so dass
wir wieder in die Nähe iranischer Reitkunst geführt würden (anders
Noreeu Abp'ss d. urgerni. Lautl. S. 200). Altpr. balgnan, lit. balnas
sind dunkel. — Vgl. Beekmann Beyträge III, 90 ff. S. u. Reiten.
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Saturei — Schaf.
707
ttaturei, s. Garten, Gartenbau.
Sau, s. Schwein.
Sauerteig, s. Brot.
Säule, s. Haus, Strafe, Tempel.
Schabemesser, s. Messer.
Schädelbecher, s. Gefässe.
Schädelbildung, s. Körperbeschaffenheit der Idg.
Schaf. Der idg. Name des Tieres, das unzweifelhaft zu den
ältesten Hanstieren der Indogermanen gezählt werden kann, ist sert.
dvi-, griech. Öu;, lat. ovis, ir. öi, ahd. ou (got. ateistr, agls. eoteestre,
abd. ouwixt ,Schafstair, got. ateipi, agls. eowode, ahd. outeiti Schaf-
herde'), lit. awis, altsl. ovica. Vgl. daneben sert. ürd ,Schaf, ürana-
,Widdcr, Lamm', Pamird. tearr, wiem, griech. dpr|v, armen, garn.
Ausserdem begegnen auf arischem Gebiet die Gleichungen sert.
mtshd- = aw. matea-, auf europäischem: griech. duvög, lat. agnus,
ir. uan, altsl. jagnq ,Lamm' und griech. lptq>os, ir. heirpp, umbr. eri-
etu, lat. aries , Widder', lit. €ras ,Lamm', altsl. jarlcl (mit gleichbe-
deutenden Bildungen von jarä .Frühling' kreuzend), ferner alb. bet
,Scbaf, altsl. baranü , Widder', vgl. ßdpixoi* <5pv€<;, ßdpiov npößcrrov
Hcs. Das westgerm. ahd. sedf entspricht vielleicht dem sert. chd'ga-,
chagald- ,Boek' (anders Uhlenbeck Et. W. d. altind. Sprache S. 94),
das gemeingerm. got. wiprus ,äuvöY (sonst auch ,Widder') ist so viel
wie ,Jährling' (: griech. F£ro? ,Jahr'). Gemeingerm. got. lamb und
altpr. cani8tian ,Schaf sind dunkel. Weiteres aus dem germanischen
Sprachgebiet, abd. ram .unversebnittner', hamal ,verschnittner Schaf-
bock' (: hamal ,verstüramelt', wie frz. mouton : lat. mutüus), ahd.
stero ,Schafboek', Jcilbur (agls. cilfor-lamb) ,Mntterlamm', frisking u. a.
vgl. bei Palander Ahd. Tiernamen S. 121 ff.
Schafzucht ist allen Indogermanen von Beginn ihrer Überlieferung
an geläufig. Einige Völker und Landschaften scheinen von ihr ihren
Namen zu haben. So die gallischen Caeracates : ir. caera, caerach
,Schaf, das illyrische Delmatia, Dalmatia, Delminium : alb. del'me,
del'e ,Schaf und die hochnordischen Faroer : altn. fair desgl. Auch
in der Fauna der Pfahlbauten der Schweiz wie in den schwedischen
und dänischen Ansiedlungen der jüngeren Steinzeit, in den Pfahlbauten
der Poebene, sowie in der Fauna der mykeniseben Gräber begegnet
das Schaf als Haustier.
Die Kunst, die Wolle (s. d.) des Schafes zu scheren, ist in alten
Zeiten noch unbekannt; sie wird vielmehr mit den Händen ausge-
rauft. Erst um das Jahr 300 v. Chr., wissen wir aus gelegentlicher Über-
lieferung, kamen die ersten Schafscherer aus Sizilien nach Italien (s. u.
Schere). Das alte Vcrbum, welches das Ausraufen der Wolle bezeichnet,
ist grieeb. tt^kw (verschieden von kcikuj) = lit. p&szti. Wie nun slav.
runo ,Vlics8' : rüvati ,ausranfen' gehört, so liegt tt^kuj zunächst den
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loa
Schaf.
griech. tt^ko^ und ttöko? ,Vlic8s' zu Grande, die wiederum identisch
sowohl mit dem lat. pecus, pecoris wie auch mit dem obengenannten
altn. fter, schwed. fdr, dän. faar (aus *fthiz\ vgl. J. Schmidt Plural-
bildungen S. 53, 149) sind. Da es nun unmöglich sein dürfte, den
idg. Kollektivnamen für Vieh sert. prfc«-, aw. pasu-, got. faihu, altpr.
pecku (auffallend wegen seines k, statt sz), lat. *pecu-, *pecu-i, *pecu-d-
(vgl. J. Schmidt a. a. 0. S. 54) von jener Sippe zu trennen, um so
weniger, als auf lateinischem (pecora und peeudes besonders von Schafen)
und iranischem Gebiet (kurd. pez, afgh. psa, osset. fus ,Schaf; vgl.
Horn Grundriss. d. np. Et. S. 287) eine ursprünglichere Bedeutung ,Schaf
deutlich erhalten ist, so ergiebt sich hieraus die Wahrscheinlichkeit,
dass der Schafzucht für die ältesten Zeiten eine noch grössere
Bedeutung als der Rindviehzucht (s. u. Rind) eingeräumt
werden muss, dass also das Schaf vielleicht das erste imd älteste
Haustier der Indogcrmanen ist. Dies würde zu der u. Ackerbau und
u. Viehzucht ausgeführten Ansicht, dass die Iudogermanen in der
ältest erreichbaren Zeit Viehzüchter, nicht Ackerhaucr waren, auf das
beste stimmen, denn im allgemeinen spielen bei nomadischen Völkern
die Schafherden eine bedeutendere Rolle als das Rindvieh. Dieser
Zustand tritt uns im Osten Europas im Altertum noch deutlich ent-
gegen. Die Sakcn, die zusammen mit den Skythen die Kulturzustände
der idg. Urzeit in vieler Beziehung treu bewahrt haben, werden von
deu Alten als unXovöuoi charakterisiert:
HH^ovömoi T€ Zdicai, Y*verj ZkuGou
(Choerilus b. Strabo VII p. 3Ü.'{), wie denn die Terminologie des Schafes
gerade in den iranischen Sprachen eine besonders reiche ist (vgl. die-
selbe bei Tomaschek Centralas. Stud. II, Schafwolle war im Alter-
tum einer der wichtigsten Exportartikel des Pontus (Tomaschek Kritik
d. ältesten Nachrichten d. skyth. Nordens 1, 14).
Die Frage, ob das Schaf als einheimisch in Europa zu betrachten
ist oder nicht, ist noch nicht zum Abschluss gekommen. Als Stamm-
vater unseres Hausschafes nimmt man gegenwärtig Ovis Argali und
Ovis Musimon an, von denen das letztere noch jetzt auf Sardinien und
Korsika leben und früher das ganze südliche Europa bewohnt haben
soll. Wilde Schafe sind ferner in. Europa gleichzeitig mit dem Mammut
und zur Zeit des Löss (in Frankreich) nachgewiesen worden (vgl.
A. Otto Zur Geschichte unserer ältesten Haustiere S. 65 ff.;. — Ur-
verwandte Namen für das Schaf finden sich, wie bei den lndogermanen,
so auch bei den Semiten und Turko-Tataren, während die Finnen lauter
entlehnte Wörter für das Tier besitzen, so dass sie, nach Ahlqvist
Kultunv. in d. westfinn. Spr. S. 12 ff., das Tier erst bei ihrem Eintreffen
an der Ostsee kennen gelernt haben werden. In Ägypten wurde Schaf-
zucht schon zur Pyrauiidenzcit eifrig betrieben. — Vgl. auch E. Hahn
Die Haustiere S. 152 ff. S. u. Viehzucht.
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Schakal — Schere.
709
Schakal. Das Tier ist im Altertum Europa fremd gewesen.
Allerdings nennen es die homerischen Gedichte unter dem Xamen 6w<;;
doch weist dies eben nur auf den kleinasiatischen Ursprung des oder
der homerischen Dichter hin. Das Wort 9u>q hat man mit dem phry-
gischen odo^* Xukos Hesych. verglichen; denn gewisse Schakalarten
haben grosse Ähnlichkeiten mit dem Wolfe, und in den semitischen
Sprachen ist der Bedeuttmgswechscl von Wolf und Schakal (vgl. F.
Hommcl Namen der Säugetiere S. 401 1 direkt belegt (anders Kretschmer
Einleit. S. 221). Erst in der Zeit der Völkerwanderung ist der Schakal
in Griechenland und auf einigen ägäischen Inseln sowie in Dalmatien
eingezogen. Das heutige europäische Wort für das Tier (ngriech. TffcrräXi)
ist aus orientalischen Sprachen entlehnt. Bezüglich derselben kann man
zweifelhaft sein, ob npers. seyäl und sert. qrgdM- einen urarischeu
Namen des Schakals erweisen, oder ob sie Entlehnungen aus dem
Semitischen darstellen (vgl. A. Weber Allg. Monatsschrift 1853 S. 678
und P. Horn Grundriss d. np. Et. S. 175). — Im allgemeinen vgl.
0. Keller Tiere des kl. A. S. 185 ff.
Schale, s. Gefiisse.
Schaltjahr, s. Jahr.
Schändung, ». Notzucht.
Scharfrichter, s. Strafe.
Scharlach, s. Kermes.
Schaufel. Schon in der Urzeit muss ein schaufelartigcs Gerät,
mit dem man das Getreide von der Spreu reinigte, vorhanden gewesen
sein. S. darüber u. Worfeln, Wo rf schaufei. In einer anderen
Sprachreilie geben die Bedeutungen »Schaufel' und , Ruder' in einander
über: altsl. lopata »Schaufel' (hieraus lit. lopetä, in Südlit. .Schaufel',
alb. lopatt »Schaufel, Grabscheit, Ruder'), altpr. lopto ,Spatcn', ir.
*lupet-, lue .Steuerruder'. Vgl. griech. nXd-rn. GaXatfoia (Ruder), TTXäTti
X€paoia (Schaufel). Andere Wörter wieder, wie griech. aun. und näKcXXa
(s. u. Hacke) vereinigen in sieb die Bedeutungen »Schaufel' und , Hacke'.
Westgerm. ahd. acücala, agls. seeofl : ahd. scioban .schieben' (.womit
man etwas bei Seite schiebt', vgl. grieeh. Xiöxpov .Schurfeiscn, Spaten,
Löffel' nach Prellwitz : lett. lidu, list , roden'). Ans dem Deutschen
lit. 8ziupeU. — S. u. Werkzeuge.
Scheiterhaufen, s. Bestattung.
Schenken, s. Gastfreundschaft.
Schere. Dieses Werkzeug fehlt natürlich dem Steinalter, und
ist auch innerhalb der Bronzezeit noch nicht nachgewiesen worden
(vgl. 0. Montelius Kultur Schwedens* S. 108), sondern tritt erst mit dem
Eiscnaltcr, und auch hier erst in der sogenannten La Tene-Periode
auf. Eiserne Scheren aus gallischen sowie rhein- und donauländischen
Grabhügeln, ferner römische Scheren sind bei Lindenschmit Altertümer
III (b. d. Index) abgebildet. Sie bestehen sämtlich, wie auch die des
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710
Schere — Schierling.
nordischen Eisenallers, aus einem Stück und gleichen unseren Schaf-
Bcheren.
Auch in der Überlieferung und Sprache begegnet die Schere spät.
Griech. yaXiZiu von tyaXi?, tpaXioec (: ipdXXw ,rupfen, zapfen' z. B.
fGeipav ,das Haar') wird zuerst von Anakreon genannt. Für Italien haben
wir die bestimmte Überlieferung des Varro De re rast. 2, 11, 10: Omnino
tonsores in Italiam primum venisse ex Sicilia dicunt post R. c. a.
CCCCLIIII, ut scriptum in publico Ardeae in litteris exstat, eosque
adduxisse P. Ticinium Menam. Demnach scheint es, dass es vor
dem Jahre 300 vor Cbr. in Rom überhaupt keine Scheren (lat. forfex
aus *forma-fex »Gestalt, Schönheit machend', wie forceps ,Zange' aus
*formi-ceps : formus ,das Heisse fassend ?) gab. Freilich scheint dem
die allerdings späte Überlieferung des Jo. Lydns De mens. I, 35: öti
€tt\ toö Nounä kci\ npö toütou o\ ndXai \ep€i? xak*a*? vaMo^v dXX'
ob öibripcuc d7T€K€»povTO zu widersprechen. Über die Schafschur s. u.
Schaf.
Die nördlichen Sprachen stimmen in der Benennung der Schere
nicht einmal innerhalb der einzelnen Sprachzweige Uberciu. Ahd. sedri
: sceran (Plural wie griech. H>aXib€«;, frz. ciseaux, engl, scissor* u. s. w.,
sert. bhurijd, Dual) ist weiter nicht verbreitet. In den skandinavischen
Sprachen bedient man sich des alten Wortes mx (s. u. Schwert)
: fdr8ax ,Schafschere', ullm.v , Wollschere' etc., wie auch im Russischen
der Name der Schere von dem Wort für Messer noz'i abgeleitet wird.
Vgl. noch bvn\f\ |idxaipa bei Pollux = yaAiq. Lit. z'lrkles, iü (: z'ir-ti
,streuend auseinander fahren ), altpr. acrundus , Schere' (: sert. krntdti
,zerschneidet ?). Natürlich verstand man sich darauf, das Haar abzu-
nehmen (s. u. Haartracht), längst bevor man die Schere kannte. Man
gebrauchte ohne Zweifel dazu, worauf auch das obige hinweist, zuerst
das steinerne, dann das metallene Messer (s. d.) — S. u. WTerkzeuge.
Scheffel, s. Mass, Messen.
Scheidung, s. Ehescheidung.
Scheune, s. Stall und Scheune.
Schicksal, s. Traum.
Schiedsrichter, s. König.
Schierling. Die Terminologie dieser berühmtesten Giftpflanze
zeigt bis jetzt keine Übereinstimmung, man müsste denn für griech.
xu»-v€io-v und lat. ci-cü ta (vgl. griech. <pu>p : lat. für) Wurzelver-
wandtschaft (sert. cl-cä ti ,er schärft ?) annehmen. Andere früh be-
zeugte oder weitverbreitete Namen der Pflanze sind ahd. scarno,
scerning, sceriling (gewöhnlich zu altn. skarn ,Mist' gestellt), agls.
hymlic, hymUac, engl, hemlock (aus agls. Uac ,Lauch' und einem dunklet*
Bestandteil haumi-), gemeinelav. *omengü, russ. omegü, poln. omiqg
(vgl. walach. iiaTfoöba, )acrrKOÖTa), lit. maudal u. s. w. Ausführlich
handelt über die Geschichte, Namen und geographische Verbreitung^
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Schierling — Schiff, Schiffahrt.
711
des Schierlings A. Regel im Bulletin de la soci6te imperiale des natnra-
listes de Moscou, tome LI, annee 1876 Nr. 2, Moscon 1876.
Schiff, Schiffahrt. Der idg. Ausdruck für das Schiff liegt in
der Reihe sert. näv-, altp. ndcii/d- ,Flotille\ aw. navdza- .Schiffer',
armen, nav (was aber auch aus dem persischen entlehnt sein kann),
griech. voö?, lat. ndvis, ir. nöi, altn. nör und naust ,Schiffs8chuppen'
(vgl. auch got. nöta ,Schiffshinterteir?). Nicht teil an diesen Ent-
sprechungen nimmt also nur das Litu-Slavische. Die Grundbedeutung
des Stammes *ndr- fasst man gewöhnlich als das .schwimmende',
,fliessende' (: lat. ndre ,schwimmen'). Wahrscheinlicher ist indessen,
dass *ndv~, *ndto- (vgl. griech. 'Ex^-vnos ,Habeschiff', Name eines
Phaeaken, und s. griech. vnö? u. Tempel) ursprünglich nichts als
.Baumstamm' bedeutet habe, wie sert. dd'ru- ,Holz' und ,Kahn oder
altn. askr ,Esche' und }Schiff zugleich bezeichnet, wofür sieh zahlreiche
weitere Beispiele in alten und neueren Sprachen finden (vgl. Vf. Sprach-
vergleichung und Urgeschichte* S. 403 f. und Liden Stud. z. altind.
und vgl. Sprachgesch. S. 34). Thatsächlich scheint diese Grundbe-
deutung »ausgehöhlter Baumstamm' noch in norwegischen Dialekten
(n6, nü, vgl. Noreen Urgerm. Lautl. S. 168) erhalten zu sein. Dass
die Fahrzeuge der Indogcrmanen jedenfalls noch nichts weiter als aus-
gehöhlte Baumstämme waren, folgt aus ihrer ältesten Beschaffenheit bei
den Einzelvölkern, z. B. bei den Germanen oder Slavcn (s. «.).
Ansscr diesem idg. Namen des Schiffes, ist noch der Begriff
des Ruders und Ruderns (s. d.) übereinstimmend bei den Indo-
germanen benannt, während aus den Artikeln Segel und Mast,
Steuer, Anker, K o m p a s s zu ersehen ist, dass diese Fortschritte
der Schiffahrt in der Urzeit noch nicht gemacht worden sein können.
Es ergiebt sich also, dass den Indogcrmanen zur Fortbewegung auf
dein Wasser nur der von Rudern getriebene Ein bäum zur Verfügung
stand, und man kann wohl fragen, ob man ihn auch bereits auf den
Fluten des Meeres (s. d.) zu bewegen verstanden habe, au dessen
Ufern die Indogermanen oder grosse Teile derselben sassen, ob man
sich also die ältesten Indogermanen etwa wie die alten Germanen vor-
stellen darf, die, wie unten weiter zu zeigen ist, schon in frühen Zeiten
sich in ihren gebrechlichen Fahrzeugen zu Zwecken des Seeraubs auf
die offene See hinaus wagten, ob demzufolge schon die ersten Wan-
derungen und Ausbreitungen der Indogermanen wie zu Lande, so auch
zur See erfolgt seiu können. Die Bejahung dieser Fragen durch
H. Hirt (Schiffahrt und Wanderungen zur See in der Urzeit Europas,
Beilage z. Allg. Z. 1898 Nr. öl) giebt zu mancherlei Bedenken Anlass.
Wo immer ein Volk, wenn auch neben anderen Beschäftigungen,
Jahrhunderte lang dem Gewerbe der Schiffahrt obliegt, wird sich un-
fehlbar auch eine nautische Terminologie herausbilden. Für die
charakteristischen Merkmale der Seelandschaft, für das Wetter auf See, für
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Schiff, Schiffahrt.
die bedeutendsten Seetiere, für die Winde, fttr die Himmelsgegenden,
für den Fischfang, für Arten und Teile der Fahrzeuge u. s. w. werden
feste Namen geschaffen werden, wie dies uns handgreiflich in dem
urgermanischen Sprachschatz unten entgegen treten wird. Wären der-
artige Wörter nur iu einigem Umfang schon in der idg. Grundsprache
vorhanden gewesen, so würden, wie auf dem Gebiete der Viehzucht
und des Ackerbaus, die Spuren derselben in idg. Gleichungen vorliegen.
Solche fehlen aber, von den obigen abgesehen, nahezu gänzlich. Wenn
dem gegenüber Hirt a. a. 0. S. 3 sagt, dass aus dem Fehlen von
Wörtern überhaupt niemals etwas zu erschliessen sei, so ist diese Be-
hauptung unrichtig, wenn es sich, wie hier, um ganze Kategorien des
Wortschatzes handelt.
Da/.u kommt nun, dass, wenn man den Blick auf der Gesamtheit
der idg. Völker ruhen lässt, der kühne Seefabrergeist. welcher einzelne
derselben, vor allem die Griechen und Germauen, zum teil auch die
Kelten (vgl. Caesar De bell. Gull. III, 13 über die Schiffe der Veneter)
charakterisiert, keineswegs allen eignet, und weder die Inder, noch die
Iranier, noch die Slaven, noch die Litauer, noch die Römer mit den
ihnen verwandten italischen Stämmen von Haus aus von seinem Hauche
berührt sind. Besonders bezeichnend ist dies für die seit uralten Zeiten
an für die Schiffahrt nicht ungünstigen Meeresküsten angesessenen
Kömer und Litauer. Bei diesen Völkern haben wir es ausschliesslich
mit Viehzüchtern und Ackerbauern zu thun. Kühne Seefahrten nach
griechischem oder germanischem Muster sind diesen nur auf der Scholle
des festen Landes sich wohlfühlenden Stämmen fremd, und erst spät
durch griechische oder deutsche Einflüsse (s. u.) lernt man es auch
hier allmählich sich den Fluten des Meeres anzuvertrauen. Eine wie
geringe Rolle die Schiffahrt gerade bei den Litauern spielt, folgt am
besten aus der Mythologie derselben. Unter den zahlreichen Gottheiten,
in deren Namen sich die einzelnen Sphären menschlicher Thätigkeit
abspiegeln, findet sich neben unzähligen Göttern und Göttinnen des
Ackerbaus und der Viehzucht, nur ein einziger Gott der Schiffer,
Gaidoutis (vgl. Usener Götternamen S. 90), zu dem die Fischer um
Glück bei dem an der Ostseeküste erst späten Häringsfang beten.
Stellt man dem gegenüber die Bedeutung, die das Schiff des trockenen
Landes, der Wagen (s. d.), von jeher bei allen Indogermanen gehabt
hat, vergleicht man die Fülle seiner urzeitlichen Terminologie mit der
Armut derjenigen des Schiffes, so wird man trotz des Beifalls, welchen
die Anschauungen Hirts auch bei Fr. Ratzel (Berichte d. phil.-hist. Kl.
d. kgl. sächs. Ges. d. W. zu Leipzig am 3. Febr. 1900 S. III) ge-
funden haben, nicht zweifelhaft sein können, dass die ältesten Wande-
rungen der Indogermanen sich eher auf dem festen Land mittelst des
schwerfälligen Wagens als zur See mittelst des hurtigen Schiffes voll-
zogen haben. Hieran kann auch nichts durch die au sich richtigen
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Schiff, Schiffahrt.
713
Beobachtungen Hirts geändert werden, dass einerseits mehrere idg.
Stämme in späteren Epochen ihrer Wanderungen über nicht bedeutende
Meeresteile uaeh dem gegenüberliegenden Festland, die Thraker nach
Kleinasien, lllyricr nach Unteritalien, Kelten nach Britannien über-
setzen, und wir andererseits /ahlreiche nichtidg., an günstigen
Küsten angesiedelte Stämme Alteuropas, Iberer, Ligurer, Etrusker u. 8. w.
frühzeitig als kühne Seeräuber und Seefahrer antreffen.
Gerade wenn man die Urheimat (s. d.) der Indogermaneu an die
nördlichen Ufer des Schwarzen Meeres verlegt, würde diese Lage es
durchaus begreiflich machen, warum die Indogermanen in der ältesten
Zeit sich eher auf das Land als auf das Meer hingewiesen sahen;
denn der Nordrand des Pontus Euxinus ist in Folge des Mangels
an natürlichen Häfen und durch die starke Versandung der Flure-
mündungen (vgl. Sievers Europa S. 2f>9) durchaus ungeeignet für die
Entwicklung seefahrender Völker, wie denn auch keine Nachricht von
skythisehen oder skolotischeu See Unternehmungen zu berichten weiss.
Etwas anders liegen die Dinge an der Ostküste des Schwarzen Meeres,
wo Strabo XI, p. 495 nichtindogermanische, wohl kaukasische Seeräuber
nennt. Im Allgemeinen aber galt der Pontus im Altertum als schwer
befahrbar, und Eratosthenes bei Strabo bemerkt ausdrücklich: tö tto>
Xouöv out£ töv Eü£€ivov 8app€lv nva ttXciv.
Wie man nun aber auch immer das älteste Verhältnis der Indo-
germanen zu Meer und Schiffahrt auffassen möge, das ist sicher, dass für
Europa eine höhere Entwicklung der Nautik hauptsächlich von
zwei Stellen ausgegangen ist, einmal von der mit Griechen besetzten
östlichen Hälfte der Balkanhalbinsel und der ihr vorgelagerten Insel-
welt des ägäischen Meeres, das andre Mal von den Küsten der Nord-
und Ostsee, soweit sie von unseren germanischen Vorfahren besetzt
waren. Nimmt man an, dass die Indogermanen als Hirten und Acker-
bauer in den genannten Gegenden einwanderten, so inusste die überaus
günstige Beschaffenheit der neuen Heimat mit ihren zerklüfteten Küsten
und ihren vorgelagerten, den Schiffer zu sich herüberlockenden Inseln
die Versuchung nahe legen, den bis jetzt nur auf Flüssen erprobten
Xachen auch auf dem Meere zu versuchen, und die neue Ortlichkcit
musste so zu einer Übungsschule der Schiffahrt werden, wie sie in
gleicher Vollkommenheit kein anderer Teil Europas, das im allgemeinen
nicht ungünstig für die Entwicklung der Schiffahrt ist, darbot (vgl.
Pe8chel Völkerkunde, Schiffahrt).
Diese Entwicklung hat sich bei den Griechen lange vor Homer
vollzogen. Als die homerische Dichtung anheilt, steht das griechische
Schiff mit seinen wichtigsten Bestandteilen bereits fertig da. Die
Terminologie desselben zeigt durchaus keine phönizischen Einflüsse,
und weist darauf hin, dass die griechischen Küstenstämme Seefahrer
und Seeräuber geworden waren, lange bevor sie die Bekanntschaft
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714
Schiff, Schiffahrt.
des pbönizisehen Handelsmannes machten (vgl. auch Beloch Griech.
Gesch. I, 73 und Rhein. Mus. XLIX, 113). Eher könnte man für
die zahlreichen Ausdrücke der griechischen Nautik, die aus griechischen
Mitteln undeutbar scheinen (wie etwa griech. Ä<pXao*Tov .Schiffszierat*,
KapxricJjov .Mastkopf' u. a.), an Herkunft aus den Sprachen jener un-
grieehisehen Urbevölkerung denken, die einst von Kleinasien her zu
Schiffe herübergekommen zu sein scheint (vgl. Hirt a. a. 0.). Ver-
schiedene Arten von Fabrzeugeu werden, ausser den vne? und vf\€?
<popTib€S ,La8tschiffcn' hei Homer noch nicht genannt; doch ist wahr-
scheinlich die axtöin des Odysseus (refx^br) ,Tafel. Brett ) nicht als
blosses Floss, sondern als eine bestimmte Scbiffsgattnng (Blockschiff,
Prahm, Anleger) aufzufassen (vgl. Breiising Nautik der Alten S. 129 ff.).
Die Scliiffsarten der späteren Zeit haben ihre Namen meistenteils
von Gefässarten, wie denn griech. fauXoq »Lastschiff' : touXö? .Melk-
eimer', Kuußn. : KÜußiov cTbo? TTOTTipiou xai ttXoiou (sert. kumbhii- ,Topt'),
öxäcpoq : OKaqpri ,Trog' u. s. w. gehören, eine Erscheinung, die auch
auf anderen Sprachgebieten (s. u.) wiederkehrt und bereits auf eine
höhere Stufe des Schiffsbaus hinweist, als die ist, auf der man das
Schiff einfach als „Baum" bezeichnet. Eine sichere Entlehnung aus
älterer Zeit stellt nur griech. ßäpi? (Aesch.) dar, das aus dem ägyp-
tischen bari-t stammt.
Auch die Römer haben eine Reihe einheimischer Schiffstermini auf-
zuweisen: so caudex .eine Art von Schiff" (eigentl. ,Stannn' gegenüber
alveus, eigentl. , Wanne ), velum ,Segel\ mälus ,Mast', remuleum
,Schlepptan\ sentlna (= griech. ävtXo^V) ,Schiffsbodcn"va88er', rtidens
,Seil', carina ,Kiel', puppig , Hinterteil' u. a. Bald aber erscheint die
ganze römische Schiffahrt in griechischem Kleide. Aus dem Grie-
chischen stammen zahlreiche Benennungen von Schiffsarten, z. B. lat.
scapha, cumha (s. o.), lembus i aus griech. Xepßoq, dunkel), cereürus
(griech. K^pKOupo?, vielleicht semitisch), von Bestandteilen des Schiffes,
z. B. pröra (griech. Trpuipn.) , Vorschiff, apltistre (äcpXaaxov) ,Stevcn-
knauf , aqea (ätuid) »Schiffsgang', im besondern Namen für das Zeug
oder die Takelung des Schiffes, z. B. carchesium (Kapxnfftov) ,Topp',
artemo (dpT€|iiuv) .Vorsegel, Vormast', antenna (*dvaxeTau^vr|) ,Rahe',
für das Rudergeschirr, z. B. scalmux (fficaXuös) , Ruderdolle', conttis
(Kov-roq) »Staken', gubernum i*xußepvov) »Steuer', für das Ankergeschirr:
tincora 'dtKupa), für das Ablaufen und Aufholen des Schiffes, z. B.
scutula (aicuTäXr)) .Rollbaum', phalangae (tpdXaYTai) , Walzen', ferner
Ausdrücke für die Bemannung des Schiffes, z. B. nauta (vaCnis) ,Ma-
trose', pröreta (irpujpdTTK) ,Oberbotsmann', nauclerus (vauKXnpo?)
»Schiffsherr', gubemator (KußepvrjTns) ,Steuermann' u. 8. w. Nicht min-
dere Beziehung zum Seewesen zeigen lat. nausea (vautfia) »Seekrank-
heit', malacia (uaXotiaa) »Windstille', ncopulus (o"kött£Xo?) »Klippe' und
viele andere. Es kann also nicht bezweifelt werden, dass die Schiff-
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Schiff, Schiffahrt.
71fr
fahrt der europäischen Küsten deg Mittelmcers im Altertum unter grie-
chischer Führung erwachsen ist, ein Übergewicht des Griechentums,
das bis in späte, ja byzantinische Zeiten in diesen Gewässern vorhält,
wo es durch den Einbruch der Araber eine neue Färbung erhält.
Wenden wir uns nach dem Norden, so dürfen ohne Bedenken als
Mittelpunkt der ersten germanischen Weltstellung die Gestade be-
zeichnet werden, welche den westlichen Teil der Ostsee und den öst-
lichen Teil der Nordsee umsäumen. Von hier aus müssen schon zur
Zeit der ersten Besiedelung des Landes die dänischen Inseln und der
südliche Teil Skandinaviens besetzt worden sein i ». u. U r h e i m a t).
Alles was wir aus sprachlichen oder sachlichen Kriterien für jene
älteste germanische Epoche ersehlicssen können, zeigt, dass die Ger-
manen oder grosse Teile derselben im Dunstkreis jener beiden Meere
zu Seefahrern erzogen worden sind.
Der Charakter der .Seelandschaft erhält sein Gepräge durch
Wortreihen wie got. sdites, altn. scer, ahd. seo ,Meer, See' (got. ,Land-
sce'),, altn. haf, agls. Juef, mhd. hap .Haflf, got. flödua, alts. flöd, ahd.
fluot ,Flut' ( = griech. 7tAuut6s ,scbiff bar' ), got. xcegs, ahd. icdc ,Wogc',
altn. klif, ahd. clep , Klippe', altn. rer, agls. tecer, tearob, ahd. icarid
,Meer, Werder', altn. ey, ahd. ouica ,Au, Insel', got. stap, a^Is. steep,
ahd. stado ,Stadcn, Ufer', altu. höfn, mhd. habe, habene, hap (vgl.
ir. cüan aus *copno- nach Kluge Et. W.6) ,Hafen', got. haipi, ahd.
heida , Heide', altn. mnd, agls. sund ,Sund', altn. holmr, agls., alts. holm
,Holm' (agls. auch ,Meer ), altn. rif, ndl. W/,,RitT, dän. marsk, agls. me-
risc, ndd. marsch , Marschland' (Gegensatz altfries. gdst, geext ,der hohe
Sand-, Weide- und Waldboden') u. s. w. Gemeinschaftliche Wetter-
bezeichnungen wie in den Reihen: altn. stormr, ahd. stürm ,Sturm',
altn. skür, ahd. «cür »Schauer', altn. hagl, ahd. hagal , Hagel', und
gemeinsame Namen der Himmelsgegenden (s.d.) treten auf. Ur-
germanische Tiernamen der nördlichen Fauna s. u. Möwe, Schwan,
Seehund, Walfisch. Die grössere Bedeutung des Fischfangs (s. d.)
macht sich geltend in urgermanischen Gleichungen wie altn. öngu\l>
ahd. angul , Angel', got. nati, ahd. nezzi ,Netz\ altn. vadr, mhd. wate
, Zugnetz', altn. hrogn, ahd. rogan , Rogen', dän. leeg, mndd. Uk .Laich',
ürgermanische, zum teil auch weiter (bis ins Litu-Slavische) verbreitete
Fischnamen s. u. Aal, Barsch, Iläring, Lachs, Stör. Vgl. noch
ahd. brahsina, altschwed. braxn , Brassen'. S. auch u. Bernstein
über die wertvollste Gabe der Ost- und Nordsee. Zu dem aus der
Urzeit ererbten Worte altn. nör (s. o.) kommen in dem nrgermanischen
Sprachschatz für Schiffsarten hinzu: got. skip, ahd. seif (dunkel), ferner
altn. kjöllj agls. ce'ol (vgl. Nennii Hist. Brilon., ed. San Martc § 31:
tres ciulae etc.), ahd. kiol ,ein grosses Schiff (wovon altn. kjölr, agls.
seipes cele ,rostrum navis', unser kiel zu trennen ist) und altn. askr>
ahd. ask (Lex sal.: ascus, ascomanni ,piratae), eigentl. , Esche' (s.o.).
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Schiff, Schiffahrt.
Vgl. auch altn. beit = agls. btit ,Boot' (von Liden a. a. 0. S. 34 zu altn.
biti ,Balkeu' gestellt) und altn. nökkve =* ahd. nahho (kaum mit nör
zu vereinigen) .Nachen \ Von weiteren auf das urgermanische Schiff
bezüglichen Ausdrücken seien genannt: altn. bort», ahd. bort .Bord',
altn. popta, ahd. dofta ,Riiderbank't altn. lekr, agls. hlec, nhd. lech
,leckr, altn. stafn, agls. stefn, umdd. steven, altfries. stevene, alts. stamn
,Steven', altn. skaut, agls. sc4ata, ndl. schoot-horn .Schote', altn. stag,
agls. steeg, inndd. stach ,Stag' u. s. w. S. auch u. Steuer und u. Segel
und Mast. Der Name eines urgermanischen Seegeistes, den man
sich als ein fabelhaftes Sceuugcheucr dachte, liegt in der Reihe altn.
nykr. agls. nicor, ahd. nihhus, medium .Nix, Nixe" vor {*niqim-, *ni-
qisi- :*naqa-, ahd. naccho .Nachen', „Nachengottheit"?), während rein
persönlich gedachte Seegottheiten wie die auf der Insel Walcheren an
der Scheldemündung verehrte Göttin Nehalennia (vgl. Kauffmann Bei-
träge XVI, 2101V. ), sowie die nach Tacitus Germ. Cap. 9) von einem
Teil der Sueben unter dem Symbol eines Schiffes verehrte Isis schon
auf spätere Entwicklungsstufen mythologischer Vorstellungen (s. u.
Religion) hinweisen.
Aus römischem Kulturkreis, auf dessen Einwirkung man öfters
fälschlich die frühe Blüte altgenunniseher Seetüchtigkeit zurückgeführt
hat (vgl. R. Werner Das Seewesen der germanischen Vorzeit, Wetter-
manns Monatsh. Üct. 1882), stammt nur der eiserne Anker (s. d.), der
den alten senhilstein des germanischen Schiffes verdrängt. Einmal
wird von den Franken und Sachsen erzählt, dass sie in Folge des
Verrates des Caransius nach römischem Muster Schiffe zu bauen ge-
lernt hätten (Eumenii panegyr. Constantii 12).
Die urgerinanischen Schiffe waren ausgehöhlte Baumstämme, Ein-
bäume oder dug-outs. Ausdrücklich berichtet Plinius (Hist. nat. XVI,
203), dass die germanischen Seeräuber singulis arboribus cacatis ihre
Seefahrten machten, von denen einige 30 Menschen trügen. Vgl. ferner
Velleius Patcreulus II, 107 über die Schiffe der Nordalbinger): Unus
e barbaris aetate senior, corpore exceüens, dignitate, quantum osten-
debat cultus, eminens, carat um , ut Ulis mos est, ex materia
conscendit alreuin solusque id narigii genus temperans ad medium
processit fluminis. Wirklieh sind solche Einbäume, zum teil von ge-
waltigen Verhältnissen, im Umkreis der Nordsee wiederholt gefunden
worden. So das im V aaler Moor in Holstein ausgegrabene Boot von
41' Länge und das bei Brigg (Lincolshire, England) entdeckte prä-
historische Schiff von 48' 8" Länge vom Stamm einer Eiche, die bis
zu ihren ersten Zweigen an 50/ gemessen haben mag. Höchst primi-
tive Schiffe, die (nach Sidonius Apoll. Carm. VII, 370) aus Ruten-
geflechten mit Fellen bestanden (vgl. dazu altgall. curucis Dat. PI., ir.
€ urach, kymr. vorwe ,ein hautbedecktes aus Zweigen geflochtenes Boot'
bei Stokes Crkclt. Sprachschatz S. 93), hatten auch die Sachsen. Eine
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Schiff, Schiffahrt.
717
höhere Technik verraten dagegen von früher Zeit an die skandina-
vischen Fahrzeuge, soweit sich dieselhe aus den der Bronzezeit an-
gebörigen Felsenhildern, in denen ganze Seeschlachten dargestellt werden,
und den berühmten Goldschiffchen des Kopenhagener Museums erkenueu
lässt, obwohl alle diese Schiffe noch des Mastes und der Segel ent-
behren. Dasselbe ist bei dem Nydamer Boot (im Kieler Museum) der
Fall, das (nach den darin gefundenen Münzen) der zweiten Hälfte des
III. Jahrhunderts angehört, 70' lang int und in äusserst trefflicher
Weise aus Kiclboden, Rippen und Planken zusammengefugt worden
ist (vgl. Georg H. Bochmer Prehistoric naval architecture of tue north
of Europe, Washington 18(J3).
Mit derartigen, teils besseren, teils schlechteren Fahrzeugen ausge-
rüstet, treten die Germanen in die Geschichte ein. Im Jahre 12 v.Chr.
findet auf der Ems eine Seeschlacht zwischen der Flotte des Drusus
und der der Bruktcrer statt (Strabo VII, p. 290). Im Jahre 47 n. Chr.
muss der römische Feldherr Cn. Domitius Corbulo die römischen Tri-
remen den Rhein stromabwärts schaffen, um den Chauken entgegen-
zutreten, die — gewiss nicht zum ersten Male — mit leichten Fahr-
zeugen die reichen Küsten Galliens plündern (Tac. Ann. XI, 18). Im
Jahre TO u. Chr. zur Zeit des Bataveraufstandes unter Claudius Civilis
tritt eine grosse Flotte barbarischer Fahrzeuge, die je 30—40 Mann
fassten, den Römern in der Massmündung entgegen (Tac. Ilist. V, 23).
Oder blicken wir auf die Zeiten, in denen die Germanen auf der ganzen
Front aus Angegriffenen zu Angreifern geworden, in immer neuen
Stössen den Süden und Westen erschütterten, denken wir an die Goten
oder die Franken oder die Vandalen, überall ist es, wie bei den nörd-
licheren Sachsen oder Normannen, dasselbe Geschlecht verwegener,
trotziger, beutelustiger ^Eschenfahrer", das uns begegnet (vgl. W. Wacker-
nagel Gewerbe, Handel und Schiffahrt d. Genn., Kl. Schriften I, 35 ff.).
Diese Ausbreitung altgermaniscben Seetahrertums über Europa hat
in weiten Teilen desselben seine sichtbaren Spuren zurückgelassen. Zu-
nächst in den romanischen Sprachen, die sich in hohem Grade von
germanischen nautischen Tenuinis durchsetzt zeigen. Aus agls. bdt (s. o)
stammt it. batto, sp. batet, frz. batmu. Ahd. bort ,Bord' (s. o.) ist in
alle romanischen Sprachen aufgenommen worden und hat hier — ein
Zeichen seines alten Bürgerrechts auf romanischem Boden — zu Wörtern
wie bordatura ,Holzbeklcidung eines Schiffes', daun ,Band zum Ein-
fassen eines Kleides' (von bordare ,das Gerüst eines Schiffes mit Planken
versehen'), vielleicht anch zu frz. border, broder ,einfassen' und ,sticken',
aborder ,anreden\ eigeutl. ,mit einem Schiff herankommen' geführt.
Aus agls. stag u. s. w. (s. o.) stammt frz. Mai und entsprechend in
allen romanischen Sprachen, aus agls. steata u. 8. w. (s. o.) frz. icoute,
sp. encota. Alle romanischen Sprachen haben das germ. maxt (ptg.
mastro, frz. mdt) übernommen. Aus altn. mötu-nautr ,Speisegenoss'
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718
Schiff. Schiffahrt.
ist altfrz. matenot (woraus unser r Matrose") abzuleiten u. s. w. Man
wird diese iu viel höhcrem Masse, als sich aus diesen Beispielen er-
kennen lässt, die romanischen Sprachen beherrschende Erscheinung
nicht anders deuten können, als dass die romanischen Völker, die Erben
der auf dem Gebiete der Schiffahrt gänzlich vom Griechentum (s. o.)
abhängigen römischen Kultur, während des anhebenden Mittelalters
durchaus dem Meere fremd blieben, und dass sie erst mit germa-
nischem Blute durchdrungen und an germanischem Vorbild
sich wieder der Pflege der Schiffahrt zuwandten.
Ebenso wie im Westen und Süden unseres Erdteils, hat sich auch
im fernen Nordosten die gleiche Ausströmung germanischen Seefahrer-
geistes geltend gemacht. Dies zeigt sich archäologisch in jenen unter
den Namen Scibsaetningar, Stenskeppar etc. bekannten schiffförmigen
Begräbnisstätten, die sich in Schweden, auf Bornholm, in Jütlaud, im
nördlichen Deutschland, in den baltischen Provinzen Rnsslands, in Kur-
land, Estland, Livland in grosser Anzahl gefunden haben (vgl. Boehmer
a. a. O. S. 558 ff.). Zweifellos sollen sie auf dem Lande das hölzerne
Schiff ersetzen, auf dem und mit dem nach nordgermanischem Brauch
(s. u. Bestattung) der vornehme Tote verbrannt zu werden pflegte.
In linguistischer Hinsicht sind sowohl die finnischen Sprachen (vgl.
Ahlqvist Die Kulturw. d. westfinnischen Spr. S. 161 ff.) wie auch das Li-
tauische {sziepis, bötas, mdstas, z'dglius, styras, kieU) von nautischen
Germanismen durchdrungen, obwohl es im einzelnen schwer zu be-
stimmen sein wird, wann dieselben eingedrungen sind. Einheimisch
im Litauischen scheinen wältis, wälte (ohne Kiel; eigentl. ,Bauni,
Baumstamm' = germ. *toalpu-8, ahd. wald u. s. w. ,Wald', vgl. altpr.
garian ,Bauni' — lit. glre ,Wald', lit. mödis ,Baum' — altpr. median
,Wald', ahd. tanna .Tanne, Eiche' — mhd. tan ,Wald\ sert. cdna-
,Baum', ,Wald', weiteres bei Liden a. a. 0. S. 33) und laiwas (m i t
Kiel) für Bot oder Schiff zu sein. Der Einflnss der skandinavischen
Waräger wird es auch gewesen sein, der die sla vis eben Völker,
deren Einbäume (jjiovöHuXa) noch Konstantin Porphyrogeueta (bei Ka-
ramsin Geschichte des russ. Reichs I, 197) beschreibt, zuerst auf die
Schiffahrt hinwies. Zum Beweis hierfür genügt, dass die skandinavische
Sitte der Verbrennung der Toten auf einem Schiff nach dem Zeugnis
des Ihn Fosslan (ed. Frähn) auch bei den heidnischen Russen wieder-
kehrt. Germanische Schiffsausdrücke sind indessen in älterer Zeit in
den slavischen Sprachen kaum vorhanden, wohl aber zahlreiche grie-
chische, wie altsl. korabll ,Schiff' aus griech. icäpaßo«;, ngriech. tcapäßi
(vgl. K. Himly Einiges über Schiffsnamen Z. f. Völkerpsych. u. Sprachw.
XII, 226), russ. paromü ,Prahm' aus griech. Tr^pcma, altsl. parusü
,Segel' aus griech. q>äpoq, altsl. anükira ,Auker' aus griech. drKupau.s. w.
Die russischen Schiffe, mit denen Oleg gegen Byzanz fuhr, die je 40
Krieger führten, und zu deren Segeln je 30 Ellen Leinwand nötig
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Schiff, Schiffahrt.
719
waren (Karanisin a. a. 0. 1, 381), werden das Werk griechischer Sklaven
gewesen sein. Einen gewissen Handelsverkehr zu Schiff zwischen
Griechen nnd Russen setzen auch die Friedensschlüsse Olegs und Igors
mit den Griechen (911 und 945) voraus. Auf das allmähliche Wachs-
tum der Schiffahrt bei den Russen werfen die Pravdas in sofern ein
Licht, als in der ältesten derselben, der Pravda Jaroslavs, von Schiffen
überhaupt nicht die Rede ist, die durch Jaroslavs Söhue erweiterte
Pravda nur die als ladija (vgl. lit. eldija, magyar. ladik) bezeichnete
Schiffs- oder Bootart nennt, deren Diebstahl mit 30 Rjesan und einer
Busse von 60 Rjesan (dasselbe kostet ein Paar Enten und Gänse, ein
Paar Kraniche oder ein Schwan) geahndet wird, während die Pravda
des Xlll. Jahrhunderts bereits Seeschiffe, Korbschiffe, Barken etc.
unterscheidet (vgl. Ewers Das älteste Recht S. 155 ff., 264 ff., 308,
331).
Wenden wir uns nach dem westlichen Europa zurück, so ist hier,
nachdem durch den Abschluss der germanischen Völkerwanderung sich
die Völkerverhältnisse konsolidiert hatten, eine neue Epoche der Schiff-
fahrt angebrochen, als die unter germanischer Führung stehende Nautik
der nördlichen Meere in immer höherem Grade der durch Griechen,
Romaneu und Araber entwickelten Schiffahrt des Mittelraecrs die
Hand zu reichen anfing, und so die Voraussetzungen zu einem leben-
digen Kulturaustausch von Süd nach Nord und von Nord nach Süd
gegeben waren. Dies geschah zuerst in dem Zeitalter der Kreuzzüge,
in denen die frommen Streiter nicht selten auf Flamänder und Bra-
banter Schiffen nach dem gelobten Lande befördert worden waren,
noch mehr, als mit dem Anfang des XIV. Jahrhunderts die seeberühmten
Republiken Genua und Venedig einen regelmässigen Galeerendienst
mit den Märkten Brügge und Antwerpen, die auch der inzwischen er-
blühten deutschen Hanse offen standen, eingerichtet hatten. Zahllose
nautische Tennini, teils griechischen, teils romanischen, teils arabischen
Ursprungs beginnen nun sich in den Sprachen auch der nördlichen
seefahrenden Nationen zu verbreiten. So an Bezeichnungen für neue
Schiffsarten das aus gricch. tcörxn »Muschel' hervorgegangene roma-
nische concha, cocca ,Muschel, Behälter, Wanne', dann ,eine Schiffsart',
das sich im Mittelalter über alle Küsten des atlantischen Ozeans, der
Nord- und Ostsee (schon ahd. kocko) zur Bezeichnung von Handels-
schiffen verbreitet, ebenso «las aus griecli. ßäpiq (s. o.) entwickelte rom.
barca, unser barke und mhd. galie, gale, galeide, galine, zuletzt aus
gricch. KdXov JIolz', , Fahrzeug'. Aus dem Arabischen stammt z. B.
der in der deutschen Seemannssprache gebräuchliche Ausdruck kal-
fatern für ein Schiff ausbessern (frz. calfater, mgriech. KaXaqxiTTiq ,Schiffs-
arbeiter', arab. qalaf), aus dem Griechischen die Seeinannsbezcich-
nungen mantel, eine besondere Art von Tauen (vulgärlat. amantes,
griech. \u<xvt€s) und xtropp, z. B. ankerstropp (lat. struppus, griech.
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720
Schiff, Schiffahrt - Schild.
öTpöcpos), aus dem Romanischen bat, zuletzt auf den Namen des be-
rühmten römischen Seebads Bajae zurückgehend (vgl. H. Schuchardt
Beiträge XIX, 537 ff.) u. s. w. Vgl. weiteres hei Vf. Handelsgeschichte
und Warenkunde I, 39 ff. und Die Deutschen und das Meer (Wissensch.
Beihefte z. Z. d. allg. d. Sprachvereins XI. Heft). — S. u. Anker,
Lavieren, Leuchtturm, Lotse, Magnet, Ruder, Segel und
Mast, Steuer, Fisch (Fischfang).
Schild. Bis tief in die notorischen Zeiten werden die Schilde
meist aus so vergänglichen Matcrialen (wie Holz, Flechtwerk und
Leder) hergestellt, dass ihre Erhaltung aus frühen urgeschichtlichen
Epochen nicht erwartet werden kann. Gleichwohl zweifeln die Forscher
(vgl. z.B. Montelius Die Kultur Schwedens2 S. 22) nicht daran, dass
Schilde schon in der Steinzeit Europas als Schutzwaffe, und zwar
als einzige Schutzwaffe, gebraucht wurden. Bronzene, runde
oder rundliche Schilde siud wiederholt, wenn auch nicht allzu häufig,
diesseits der Alpen bis nach Schweden und Dänemark gefunden worden.
Sie sind ohne Zweifel südlicher Herkunft, und mehrere von ihnen sind
dadurch gekennzeichnet, dass sie ihrer Beschaffenheit nach unmöglich
zu wirklichem kriegerischen Gebrauch gedient haben können (vgl.
Montelius a. u. a. 0. S. 65 und Lindenschmit Altertümer III, 7, 2).
Häufig sind uns dagegen, namentlich durch die nordischen Moorfunde,
wirkliehe Sehilde aus dem Eiaenzeitalter erhalten. „Sie waren rund,
flach und au? mehreren gehobelten dünnen Brettern zusammengesetzt.
Die Grösse wechselt von 60 cm. bis l,2;~>m. Am Rande entlang läuft
zuweilen ein feiner Beschlag aus Bronze, hin und wieder auch aus
Silber. In der Mitte ist ein Loch für die Hand, geschützt wurde die
Hand durch einen über diesem Loch befestigten Buckel von Eisen,
Bronze, Silber oder Holz". Sie entsprechen also in ihrer Gestalt den
rotunda scuta, die Tacitus Germ. Gap. 43 als gemeinsame Eigen-
tümlichkeit der Ostgermanen im Gegensatz zu den übrigen Germanen,
die also eckige Schilde trugen, bezeichnet. Auf der Marcus-Säule
sind in den Händen der Germauen runde u n d sechseckige Sehilde
dargestellt.
Wenn das hohe Alter des hölzernen oder ledernen Schildes in Europa
nach dein obigen durch die Prähistorie nur vermutet, nicht erwiesen
werden kann, so weist auf dasselbe die Sprachvergleichung mit
Sicherheit hin. Auf Urverwandtschaft beruht die kcltisehe und sla-
visehe Benenuung: ir. sciath =- altsl. Mitü. Die Grundform ist *skeito-
fsqeito-), auf der auch ahd. seit, altn. skib beruht, die ,Scheit", ,Holz'
bedeuten, wie auch mhd. bret und agls. bord die Bedeutungen , Brett'
und ,Schild' vereinigen. Vgl. dazu noch die Nachricht des Tacitus
Ann. II, 14: Ne scuta quidem (gernnt Germani) ferro nervoque /ir-
mata, sed vhninum te./tus cel tenues et fucatas colore tabulas.
Vielleicht ist auch lat. seilt um aus *skoito-m (*tiqoito-m, altpr. *scaytan
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Schild.
721
für das überlieferte stayian ,Schild') hierher zu stellen, und dann nicht
mit griech. (Jköto? ,Leder' in Verbindung zu bringen. Ja, sollte die
Zusammenstellung von griech: d-o*mb-, doms und lit. skgd as ,Schild'
(B. B. I, 337) berechtigt sein, so Hessen sieh unter der Annahme einer
idg. Doppclwurzel *8qit {*8qeito-, *sqoito-)> und *gqid auch diese Wörter an
altir. nciath, altsl. Stitü, lat. scütum angliedern. Sehr nahe läge dann
ferner die Verbalrcihc scrt. chid, griech. oxiZw, lat. scindo (*sqhid) neben
ahd. äceidan (*sqhit), so dass die Grundbedeutung der ganzen Sippe
,abgespaltenes Stück Holz' wäre. Abseits steht das gemeingermanische
got. skildus, abd. seilt etc., das eine sichere Erklärung bis jetzt noch
nicht gefunden hat (vgl. Ublenbeck Et. W. d. got. Spr.). Sehr für
einen ursprünglichen Zusammenhang mit skildus zu erwägen ist aber
das ir. acell ,a shield, buckler', wobei anzunehmen wäre, dass im
Irischen, wie ursprüngliches, so auch das aus Idh fsceldhus) hervorge-
gangene Id zu II geworden wäre (vgl. Brugmann Grundriss I8, IS. 538).
Als Wurzel von got. skildus, ir. scell wäre dann die von lit. skeliü
,spalte' (skiltls abgeschnittene Scheibe ) anzunehmen, so dass skildus
dasselbe wie altsl. stitü u. s. w. bedeutete. — Abgesehen von diesen auf
Urverwandtschaft beruhenden, allerdings noch nicht durchweg sicher
gestellten Gleichungen, wird der Schild in den Einzelsprachen nach dem
Material benannt, aus welchem er hergestellt ist, also vornehmlich ent-
weder als der lederne oder als der hölzerne. Zur ersteren Kate-
gorie gehören: griech. (bom.) <j&ko<; (rcobnveKeq, ducpißpOTov) : scrt.
tvdc- ,Haut, Fell', ßoüq, ßiirv (hom.) ,Stier' und ,Schild', ^ivö? (hom.)
.Haut' und ,Sehild\ n^Xxn und ndXun. (Hesych) : tt^Xmci ,Soblc', lat. pellti,
zur letzteren: griech. Gupeöt (bei späteren Schriftstellern und meist
auf den nordischen Schild angewendet) : 9üpa ,Thürbretf, itea : \xia
,Weide', ir. fern (vgl. fernog ,Erle'), ahd. linta, agls lind, eigentl. , Linde'.
Als ,Ele cht werk' scheint er im griech. Y^ppov (aus *Y€po"o-v = altn.
kiarr .Gebüsch, Gesträuch ) bezeichnet zu sein, das Herodot, Xenophon
u. a. auch für einen leichten, mit Rindaledcr überzogenen Schild,
namentlich der Perser gebrauchen (vgl. Laden Studien z. altind. u.
vergl. Spracbg. S. 7 f.). Derartige aus Flechtwerk hergestellte und
mit Leder überzogene Schilde werden auch von Caesar De bell. Gall.
II, 33 bei den Galliern gemeldet. Unerklärt sind griech. (hom.) Xm-
tfrjtov, lat. clupewt, clipeus und parma (auch spätgriech. Träpur) und
bei Hesych Trdpun. • Optfiaov öttXov : scrt. gdrman- .Leder, Schild"?),
altn. targa, törjuakjöldr (vgl. ahd. zarga ,Schutzvvehr'), woraus it.
targa etc. und ir. target ,Tartsche\ sowie das latino-barbarische (vgl.
Diefenbach 0. E. S. 294, G. Goetz Thesaurus I, 204) ettra, 8cttra
(: ir. sciath?).
Wenn nach dem bisherigen der Schild als eine ureuropäische
Schutzwaffe zu betrachten ist, so bleibt es doch auffallend, dass keiner
der europäischen Schildnamen bis in die arischen Sprachen verfolgt
Schräder. Reallexikon. 46
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722
Schild - Schilf.
werden kann. Im Rigveda fehlt die Erwähnung des Schildes ganz
und gar. Das spätere seit, sphara-, spharaka- aber erweist sich als
Fremdwort aus dem Persischen (vgl. aw. spdra-, npers. siper und die
Hesychische Glosse ffnapa-ßdpai • ol Y€PP<>9Öpoi ; von hier entlehnt auch
armen, aspar).
Im übrigen sei hier noch auf zwei Punkte aus der ältesten Ge-
schichte des Schildes hingewiesen. Einmal auf die bei Germanen
und Kelten bezeugte Sitte, die Vorderseite der Schilde mit grellen
Farben zu bemalen (über die Germanen vgl. oben, sowie Tacitns Germ.
Cap. 6: Scu'ta lectissimis coloribus distinguunt und 43: (Hariis) —
nigra acuta, über die Kelten E. O'Curry Manners and customs I,
CCCCLXX), worin, wie man annimmt, die Anfange der Familien wappen
bei diesen Völkern wurzeln (weiteres bei Möllenhoff Deutsche A.-K.
IV, 168 f.). Das andere mal darauf, dass in Italien die Sage das
Staunen der Römer über das erste Auftreten metallener Schilde viel-
leicht in den Mythen festgehalten hat, die sich an die heiligen ancüia
(angeblich aus *amb = d^qn und caedo, „au beiden Seiten ausge-
schnitten'') der Salier knüpfen. „Ein bronzener Schild fiel vom Himmel
herab und wurde durch göttliche Schickung in der Regia des Numa
gefunden. Damit das Gottesgeschenk nicht von Feinden entwendet
werde, Hess Numa durch den schmiedekundigen Mamurins elf ganz
gleiche Schilde machen, welche mit ihrem Vorbilde zur Ausrüstung
der zwölf Salier dienten" (vgl. Marquardt Röm. Staatsverw. III, 412,
Heibig Die Italiker in d. Pocbene S. 78). In hohem Grade bemerkens-
wert ist, dass wie mehrere der oben genanuten nordischen Rronze-
schilde, so auch die ältesten in Griechenland und Italien gefundenen
nicht zu kriegerischen, sondern, wie Heibig (Horn. Epos* S. 314) ver-
mutet, zu Votiv- oder Sepulkralzwecken angefertigt sind. Über die
Herkunft der den Ländern nördlich der Alpen entstammenden, bronzenen
Schilde kann man also nicht zweifeln. — S. u. Waffen.
Schildkröte. Auf Urverwandtschaft beruhen die Bezeichnungen
griech. x^uS> X^wvn.. aeol. x^Mvi» auch xcXwvö^ (Hes.), altsl. zlly.
ielüvl, zelvi (Ii*. z'Mwe) und sert. harmufa- (letzteres freilich schlecht
bezeugt). Hierher wird auch das Corp. gloss. Lat. IV, 184 (G. Goetz
Thes. 1, 498) genannte golaia gehören: testudo, quam vulgo testudinem,
alii golaia m dicunt. Italienische Dialekte bieten golola, galora. Vgl.
noch griech. duü^, £uüq. Lat. testudo von testa, doch ist nicht dieses,
sondern ein volkstümliches *törtüal in die romanischen Sprachen über-
gegangen: it. tartaruga, frz. tortue (engl, turtle). lr. selige gl.
testudo : lit. seleti schleichen' (K. Z. XXXV, 596), korn. melvioge*
(vgl. Zeuss Gr. Celt.s p. 1076). Lit. gelezinis warU ,ciserncr Frosch'.
Arisch: sert. kaeydpa- = aw. kasyapa-. — Vgl. 0. Keller Die Schild-
kröte im Altertum. Prag 1897.
Schilf, s. Rohr.
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Scbindel — Schleifstein.
723
Schindel, s. Ziegel.
Schlacht, s. Krieg.
Schlange. Die idg. Sprachen sind reich an übereinstimmenden
Benennungen dieser Tiere. Am verbreitetsten unter ihnen ist die
freilich noch nicht in allen Punkten lautlich klar gestellte Reihe: scrt.
dhi-, aw. azi-, armen, t£, griech. ?xi?> ö<pi?, £x,ovct >Vippcr', (mit Na-
salierung:) lat. anguis, ir. esc ung , Sumpfschlange, Aal', mhd. unke, slav.
onil aus *ongjü, nsl. vöi u. s. w., lit. angis (s. auch u. Aal). Ferner
entsprechen sieh scrt. sdrpa-, lat. serpens, alb. g'arper (vgl. auch griech.
{■pmu), sowie lat. nätrix, ir. nathir, nuthrach, kymr. neidr, got. nadrs,
ahd. ndtara. Über ahd. slango s. u. Aal. — Da, wie im Germauischen,
die Schlange öfters auch unter dem Worte „W u r mu verstanden wird,
so seien hier zwei vorgeschichtliche Benennungen dieses Begriffes hin-
zugefügt : lat. vermis, got. waürms, griech. pd^cx; »Holzwurm' und
scrt. kfmi-} ir. cruim (kymr. pryf etc.), lit. kirmeli, altsl. örüvl (s.
auch u. Kermes und n. Ro t). — Über idg. Schlangendienst s. u.
Ahnenkultus.
Schlachtordnung, s. Heer.
Schlauch, s. Fass, Korb, Sack, Mass (Messen).
Schleie. Der Fisch war, ebenso wie der ihm nah verwandte
Karpfen (s. d.), im Altertum nicht bekannt oder nicht beachtet. Erst
in des Ausouius Mosella v. 125:
quis non et virides, volgi solacia, tincas
norit
tritt tinca ,Schleie' auf, in dieser Bedeutung durch die romanischen
Sprachen (frz. tauche etc.) und durch udl. tinke erwiesen. Die germano-
ütu-slavischcn Sprachen verfügen dagegen über einen wenigstens in
der Wurzelsilbe identischen Nameu des Fisches: ahd. slio, agls. »Ute,
lit. lynas, altpr. Unis, slav. *lini, eech. lih u. s. w. (mit wechselnder
Bedeutung), mit dem Berneker Die preussisehe Sprache griech. Xiveo^
,ein Meerlisch' vergleichen möchte. Vielleicht ist die Wurzel dieselbe,
wie die in dem mhd. »lim ,8chleim' steckende. — S. n. Fisch,
Fischfang.
Schleifstein. Solche zum Schleifen der steinernen Äxte, Beile,
Messer, Sägen, Sicheln, Meissel n. s. w. unentbehrlichen Werkzeuge
sind aus der Steinzeit in Menge nachgewiesen. Zum teil sind sie
durchlocht, um an einem Bande getragen zu werden. Eine idg.
Bezeichnung hierfür ist in der Gleichung scrt. qäna- = griech. kuivo«;
(vgl. Brugmann Grundriss I*, 1 S. 352) erhalten; allerdings bedeutet
das griechische Wort nur ,Spitzstein' im allgemeinen. Näher der Be-
deutung, entfernter der Bildung nach liegen lat. cös, cö-t-is Schleif-
stein' und das gemeingerm. altn. hein, agls. hdn, engl, hone id. (vgl.
Noreen Urgerm. Lautlehre S. 215). Die Th ätigkeit des Schleifens
wird durch die Gleichung scrt. eud .wetzen' (*kud, *kved\ vgl. Grass-
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724 Schleifstein — Schlitten, Schlittschuh.
mann Wörterbuch zum Rigv.) = ahd. tcezzan (*hicazzjan), agls. hicettanr
altn. hcetja (*kvod) aasgedrückt worden sein. Einzelsprachlich:
griech. äicövn (,spitzer Stein', vielleicht = armen, yesan , Wetzstein'),
altpr. glosto ,Wetzstein', lett. galüds id. (lit. galdsti ,wetzen') und
tackelis, lit. tekilas, lett. tezils, russ. brusü .Schleifstein' (altsl. brüs-
nqti ,radere'). — S. u. Werkzeuge.
Schleuder. Bearbeitete Steine, welche von den Urgeschichts-
forschern als Schleudersteine angesprochen werden, sind in den Funden
der europäischen Steinzeit in Menge vorhanden. Ob sie in der ältesten
Zeit aus freier Hand, mit Hilfe eines Stockes („Stockschleuder") oder
der eigentlichen Schleuder ^Bandschleuder") geworfen wurden, ist
unbekannt (vgl. Nilsson Das Steinalter3 S. 42 f.). Von den idg. Völkern
wird diese Waffe von den ältesten bis tief in die historischen Zeiten
gefuhrt, von den Indern und Iraniern (sert. rican- ,Schlenderstein' =
aw. dsan-', vgl. griech. ökujv ,Wurfspeer'), ebenso wie von den home-
rischen Griechen, bei denen die Lokrcr „vertrauend aof die wohlge-
drehte Flocke des Schafes" zu Felde ziehen (II. XIII, 716), den
Römern und Nordvölkern (Uber die Kelten und Germanen vgl. 0' Curry
Manners and customs I, CCCCLX ff.). Vielleicht war der idg. Name für
den Schlenderstein nicht von dem des Wurfhammers (s. u. Hammer)
verschieden. Ein gemeinsamer Ausdruck für ein schleudcrartiges Werk-
zeug fehlt bis jetzt. Einzelsprachlich: grieeb. o*<pevb<Svn, lat. funda
(wohl eher aus dem Griechischen entlehnt als ihm urverwandt), germ. •
ahd. slengira, slinga, geiueinsl. altsl. prasta (vgl. Miklosich Et. W. u.
porkü), lit. wllpsztyne'. — S. u. Waffen.
Schlitten, Schlittschuh. Da die Indogcrmancn den Wagen
(s. d.) kannten und in einem Klima mit Schnee und Eis (s. d.)
lebten, liegt die Vermutung nahe, dass sie es auch verstanden haben,
den Wagenkasten im Winter, statt auf Räder, auf Kufen zu stellen.
Doch ist eine urverwandte Bezeichnung für den Schlitten auch in
den nördlichen Sprachen, wo man sie erwarten könnte, noch nicht
gefunden worden. Die Übereinstimmung von gemeinslav. russ. sani
PI. (lett. sdnüs, finn. u. s. w. saani) mit o*n,viKr|, *(Tavi-Kr| • fiipoxo^
äua£a (Schleife, Schlitten) bei Hesych wird auf Entlehnung des nor-
dischen Worts (serb. sanfte, saonice) in eine südliche Sprache (vgl.
auch ngriech. aavto; alb. saje aus bulg. sanije) beruhen. Gemeingerm.:
ahd. slita, engl, sledge, altn. siede : agls. slidan, engl, slide dahin-
gleiten'. Lit. szläjo8, altpr. slajo. Die romanischen Sprachen haben
ganz verschiedenartige Ausdrücke : it. slitta (aus dem Deutschen),
treggia (aus lat. trahea ,SchIeife7), frz. traineau (: train), sp. rastro
(aus lat. rastrum , Hacke') u. a. — Die eigentliche Heimat des Schlittens,
der Schnee- und Schlittschuhe ist das Gebiet der Finnen, die von
Cassiodor an als Skridifinnen (: ahd. scritan, scritiseuoh ,peta8us')
jSchreitfinneu' (d. h. auf Schneeschuhen dahingleitend) bezeichnet
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Schlitten, Schlittschuh — Schmied.
725
werden. Näheres bei Ahlqvist Kultnrwörter S. 125 ff. und Mttllenhoff
Deutsche Altertumskunde II, 40 ff. Doch verdient bemerkt zu werden,
■<la88 auch in Deutschland, z. B. im Provinzialmuseum zu Halle, zu
Emden und sonst, knöcherne Gegenstände aufbewahrt werden, die die
«Urgeschichtsforscbcr für Schlittschuhe halten.
Schlüssel. Bronzene oder eiserne Schlüssel scheinen in Mittel-
and Nord-Europa nicht vor Ausbreitung der römischen Kultur vor-
zukommen (vgl. Lindenschmit Altertümer II, Undset Das erste Auf-
treten des Eisens in Nordeuropa und General-Reg. d. Z. f. Ethn.). Gleich-
wohl rauss man schon vor dieser Zeit Mittel gekannt haben, die Thür
(8. d.) des Hauses, die für gewöhnlich der Lichtöffnung wegen offen
stand, zn verschliessen. Auf ein solches weist die Gleichung griech.
(hom.) KXnt? , Schlüssel' (kXciuj, KXnt£u> ,8chlies8e'), lat. clävis , Schlüssel',
cldvus ,Nagel' (claudo aus *cldvi-dö, eigentl. ,ich setze einen Nagel'),
ir. clöi .Nägel', inkymr. cloeu deutlich hin. Wahrscheinlich ist hierher
auch altsl. Mjuti (vgl. dor. KXdiS .Schlüssel' und lit. kliüti ,haken
bleiben') , Haken, Schlüssel' und altfries. slüta, ahd. sliozzan ,schliessen'
aus *shlu-d (davon alts. slutil, ahd. sluzzil) zu stellen. Als Grund-
bedeutung von *{8)klävi- ergiebt sich also die eines gebogenen, haken«
förmigen Nagels, dessen man sich bediente, sowohl um den inneren
Riegel von aussen her zuzustossen wie auch zurückzuschieben. That-
sächlich haben sich derartige, dietrichförmige Nägel, wie den Vf. Herr
M. Much mündlich belehrte, in prähistorischen Ansiedlungen gefunden,
welche dem angegebenen Zwecke gedient zu haben scheinen. In den-
selben Zusammenhang gehört auch das dänische nbgle, eigentl. .Nagel',
dann .Schlüssel'. Lit. räktas .Schlüssel' (dunkel). Vgl. noch lat.
pe88ulti8 , Riegel' aus griech. ndo~aaXo<; , Holznagel'.
Schlüsselgewalt, s. Ehescheidung.
Schmaus, s. Mahlzeiten und Trinkgelage.
Schmetterling. Auf vorgeschichtlichen Zusammenhang hat viel-
leicht das gemeingerra. agls. flfealde, mit -r : alts. flfoldara, ahd. f\-
faltra etc. nebst lat. päpilio (*pl-pot-tlo- : *pä pot-lion-, vgl. ir^touai
»fliege', Noreen Urg. Lautl. S. 228) Anspruch. — Die übrige Termi-
nologie des Tieres vgl. bei Edlinger Tiernamen S. 95 und Kluge Et.
W.8 unter Falter und Schmetterling. Sie schwankt zwischen höchst
poetischen und sehr trivialen Benennungen, deren Extreme in dem
schönen griech. yuxn (seit Aristoteles Hist. anim. V, 17, 4: Kai IkkI-
TCTai iE aüTÜJV Tmpurrä Ziwa, a; KaXouuev ij/uxä{) und dem slavischen
*metulif ms«, motyll ,Schmetterling' : russ. motylü ,Mist' (vgl. Miklosich
Et. W.) liegen. „Seele" und „Mistling" — Griechen und Barbaren.
Schmied. Eine idg. Bezeichnung des Schmiedes oder Metall-
arbeiters lässt sich nicht nachweisen. Hingegen stimmen die Namen
^desselben in den Einzelsprachen meist durch alle Dialekte Uberein.
Im Italischen: lat. faber, picenisch fdber (forte faber F. Bücheler
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72G
Schmied.
Lex. it. p. IX: got. gadaban ,passen', gadöfs ,passend', lit. dablnti
»schmücken', altsl. dobrü ,gut', also „der geeignete, tüchtige Mann"),
im Keltischen: ir. goba, bret. körn. kymr. gof (vgl. die Eigennamen
altgall. Oobannitio, ir. Gobanus, kymr. Gouanon wie lat. Fabricius,
vielleicht: lit. gabenü ,fortschaffcn, befördern, zu Wege bringen', also
vielleicht der „Förderer"), im Germanischen: got. smipa, altn. «miör,
ahd. smid (: griech. ffuiXn. ,Schnitzmesser', cruivun. , Hacke', also allgemein
„der Künstler", wie denn altn. smidr sowohl vom Arbeiter in Holz
wie von dem in Metall gebraucht wird). Eine gemeinschaftliche Be-
nennung haben das Altslovenische und Altpreussische in cütrl — tutri«
(altpr. autre ,Schmiede'). Alle diese Wörter, soweit sie etymologisch
klar sind, bedeuten also nicht speziell den Metallarbeiter, soudern all-
gemein den „geschickten Mannu (s. auch u. Gewerbe) und haben
sich erst nach und nach, und auch nicht vollständig, auf den Schmied
spezialisiert.
Andere Bezeichnungen des Schmiedes in den Einzelsprachcn sind:
sert. (Rigveda) kdrmdrd- (: kar ,machen'), griech. (Homer) x^Xkcu?,
später auch o*ibn.p€Ö<;, ir. cerd ( = lat. cerdo ,IIaudwerksmann'), lit.
kdlwix (: kdlti, lat. cellere »schlagen'), altsl. kovadi (: kocati, ahd.
houwan ,hauen'), kuzntcl (: kuznl ,res c metallo euso factae'), medarl
(: midi , Kupfer'), poln. rudnik (: ruda , Eisen') u. a.
Auch die Namen der dem Schmied notwendigen Werkzeuge und
Vorrichtungen gehen weit auseinander. Der Amboss heisst: griech.
(Homer) äkuiov (eigentl. ,Stein', vgl. aneb sert. d$man), lat. inem (von
cüdere), ahd. ana-böz (: ahd. bözzan .schlagen') und anafalz, agls.
anfilt, mhd. anehou, dän. ambolt, altsl. nakovalo (: kovati , hauen ), lit.
priekälaH, altpr. j)reicali# (: lit. kdlti), der Blasebalg: sert. dhmdtds
drtis (an dessen Stelle ursprunglich die Fittige grosser Vögel stehen,
vgl. Rigveda IX, 112, 2), griech. tpücra. lat. follis (= griech. öaXXi?
Hcs.), der Schmelzofen: sert. dhmdtdr- (: dham, dhmd , blasen'), aw.
saepa- u. a. neben dem aus dem Semitischen (hebr. tannür) entlehnten
tanüra- (npers. tanür, armen, 'tonir), griech. (homer.) xoavoi (: x^w)
u. a. S. auch u. Ofen, Zange, Hammer, für welchen letzteren
Begriff zwar urverwandte Gleichungen bestehen, die aber natürlich nicht
gerade Schmiedehammer zu bezeichnen brauchen.
Es zeigt sich also, dass die Ausbildung einer Terminologie des
Schmiedes und seines Handwerks erst den Einzelsprachen angehört.
Dies könnte auffallend erscheinen, wenn man bedenkt, dass das Hervor-
treten des Schmieds und seines Gewerbes aufs engste mit dem Hervor-
treten der Metalle zusammenhängt, und dass, wie u. Kupfer gezeigt
ist, die idg. Urzeit zwar im wesentlichen auf steinzeitlicher Grundlage
beruhte, trotzdem aber das Rohkupfer in ihr bereits bekannt war, und
vielleicht auch schon in beschränktem Masse verarbeitet wurde, dass
endlich jedenfalls die Bronze (s. u. Erz) schon in den ältesten Epochen
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Schmied.
727
gewisser Einzelvölker eine technisch wichtige Rolle spielte. Diesen
scheinbaren Widerspruch hat M. Much Die Kupferzeit in Europa8
S. 353 durch folgende Ausführung zu beseitigen versucht: „Gerade
der Umstand, dass die Terminologie der Schmiedekunst in der arischen
<idg.) Urzeit noch nicht zur vollen Ausbildung gelangt war, stimmt
wieder, man möchte fast sagen, wunderbar zutreffend, mit den Ergeb-
nissen der Urgcschichtsforschung, denen zufolge, wie aus den Funden
nachgewiesen werden konnte, die erste Bearbeitung des Kupfers nicht
durch Schmieden, sondern durch Schmelzen und GiesBcn in Formen
geschah. Das eigentliche Schmieden ist offenbar erst durch die Ent-
deckung des Eisens — nicht hervorgerufen, aber zur vollen Entwick-
lung gelangt, und zwar zu derselben Zeit, als es auch auf die Bronze
eine so kunstvolle Anwendung erhielt und die Arier längst in Einzel-
völker auseinander gegangen waren. Die anfängliche Verarbeitung
des Kupfers war keine so einheitliche Thätigkeit wie die des Eisens,
das mittels des Hammers allein seine vollendete Form erhielt oder doch
in vielen Fällen erhalten konnte. Das Schmelzen des Kupfers, das
Bilden des Modelles, die Erzeugung der Gussform, das Giessen, das
Aushämmern der Schneide sind sehr verschiedene Thätigkeiten, und
so wie sich allgemeine Begriffe überhaupt erst in vorgeschrittener
Entwicklungsphase einzustellen pflegen, konnte sich auch für diese
Thätigkeiten nicht sobald ein zusammenfassender Handwerksausdruck
Huden, und so mögen noch lange Zeit hindurch die von verwandten
Beschäftigungen gewohnten Ausdrücke bei der Verarbeitung des Kupfers
Anwendung gefunden haben."
Es ist also wahrscheinlich, dass ein eigentliches Schmiedehandwerk
in Europa erst durch die Bekanntschaft mit dem Eisen (s. d.) auf-
gekommen ist, wie ja auch erst dieses Metall, wenigstens im Norden,
einen tieferen und allgemeineren Einfluss auf das Leben der Menschen
gewonnen hat. Am frühsten ist, wie zu erwarten, das Vorhandensein
eines Standes der Schmiede im alten Griechenland anzunehmen, wo
Erz und Eisen schon in vorhomerischer Zeit zusammengetroffen waren.
Am unzweideutigsten weist auf ihn die hinkende Gestalt seines gött-
lichen Patrons, des Hephästos, hin, der, ursprünglich wahrscheinlich
ein Sondergott der Feuerentzündung ("Hqpa»o*TO<; : a<pa\, nach Preller-
Robert Griech. Myth.' S. 174), wie der römische Vulcanus ein solcher
des Fcuerglanzes (sert. vdreas- ,Glanz' \, schon vor Homer zu einer aus-
geprägten, die Schmiedezunft behütenden göttlichen Persönlichkeit sich
entwickelt hatte. Der ihm anhaftende Zug der Lahmheit wäre nach
E. Meyer Geschichte des Altertums II, 109 die Folge des Umstauds,
dass Lahme, die nicht Hirten oder Bauern hätten werden können, mit
Vorliebe zum Schmiedehandwcrk gegriffen hätten.
Mit der Ausbreitung des Eisens, dessen Wege zum teil sich noch
verfolgen lassen, wird dann auch das Schmiedehandwerk von Stamm
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728
Schmied — Schmuck.
zu Stamm gewandert Bein. Es haftet in der ältesten Zeit, gewöhnlich
wohl mit Eisengruben und Eiseuschmelzeu verbunden, an der Tiefe
des Waldes. So schildert es schon Hesiod Theog. v. 864 ff.
(ib?) oibnpo<; önep KpaTcpüJTaxds iarxv
oüpeot iv ßn,o*o*tjo"i, bauaZöuevoc Trupi ktjX^uj
tfjKCTO €v xöovl bin,, u<p' 'HcpmcfTou TraXäuqai.
In solcher Lage wird man sich auch die Schmiede vorstellen müssen,
die Herodot I, 67, 68 beschreibt. Besonders aber lassen sich derartige
Waldschmieden auf keltischem und germanischem Boden nachweisen
(vgl. Beck Gesch. d. Eisens S. 620 ff.).
Auf gleichem Wege können sich mannigfaltige mythische, an das
wunderbare Gewerbe des Meister Schmieds anknüpfende Vorstellungen
über Europa verbreitet haben, wenn es auch nicht ausgeschlossen ist,
dass metallurgische Sagenkreise schon an dem ersten Auftreten des
Metalles in Gestalt des Kupfers hafteten. Auf jeden Fall finden wir
über unseren Erdteil bei Anheben der Überlieferung ein dichtes Netz
vielfach übereinstimmender Schmiedesagen ausgebreitet. Zunächst wäre
auf die merkwürdigen Übereinstimmungen der germanischen Wieland-
Völundrsage mit der vom griechischen Hephästos und Dädalos, dem
Heros der Holzschnitzerei und Architektur, zu verweisen (vgl. zuletzt
B. Symons in Pauls Grundriss III8, 722 ff ). Im Süden wie im Norden
wird ferner von geheimnisvoll und unsichtbar arbeitenden Schmiede-
meistern erzählt, denen man unbearbeitetes Eiseu hinlegt, um am
folgenden Tage fertige Schwerter u. s. w. in Empfang zu nehmen.
Hier wie dort werden Riesen Kyklopen) und Zwerge vornehmlich
mit der Schmiedearbeit in Verbindung gebracht. Besonders bemerkens-
wert ist die griechische Überlieferung von den drei Idäischen Däum-
lingen ( Ibaioi bäKTuXoi) in dem epischen Fragment der Phoronis (vgl.
Schul, zu Apoll. A. I, 1126), KlXuic (: lit. Jcdlti, s. o.), Aauvaueveuc
(: bduvnut vom Bezwingen des Metalls, s. o. die Stelle des Hesiod),
"Akuwv (jAmboss'j, die zuerst das Eisen in „den waldigen Thälern des
Gebirgs14 fanden, es ins Feuer trugen und herrliche Werke schufen,-
in so fern, als auch auf germanischem Boden und sonst gerade drei
smitt enteister, drei Schmiede wiederkehren. Jene drei Üänmlinge
hei8sen ronTe«; , Zauberer', wie überall, bei Germanen, Kelten, Slaven
u. s. w. dem Schmiedehandwerk ein zauberisches, tückisches und trug-
volles Element eignet. Derartige Züge Hessen sich unschwer vermehren,
ohne dass es wohl je möglich sein wird, die einzelnen Schichten
solcher Vorstellungsreihen, das etwa uralt ererbte von später Zu-
gewandertem zu entwirren und zu unterscheiden. — Vgl. weiteres bei
Vf. Sprachvergleichung und Urgeschichte* S. 225 ff.
Schmuck. Idg. Gleichungen hierfür sind sert. manl- .Perleu-
ßchnur', aw. minu- ,Gcschincide', griech. pdvvo?, lat. monile, mellumf
mittus (*mento-), altkclt. pavidKii?, ir. muince, altsl. monisio, gemein-
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Schmuck.
729
gerni. ahd. menni, aus denen man ein idg. *moni- ,Halsscbinuck' (vgl.
aneh scrt. mdnyd, ir. muin ,Nacken', ahd. manu , Mähne ) folgern darf,
nnd scrt. nishkd- ,goldner Halsschmuck', ahd. nuaca ,Spange', ir. nasc
,Ring', für die sich eine genaue Grundbedeutung nicht angeben lässt
Bemerkenswert ist auch, dass ein idg. Wort für Muschel in scrt.
$ankhd-, griech. köyxI (köxXo?), lett. seze (lat. congius ,ein Hohlraass')
vorliegt. Ein vorhistorischer Name für einen dem Schmucke dienenden
Metalldraht könnte in lat. (oder keltisch?, vgl. Diefenbach 0. E. S. 439
und Thurncysen Kelto-rom. S. 82) vlriae ,armilla, bracchiale' = altn.
virr ,Spirale\ agls. wir ,gewundner Schmuck', ahd. toiara ,Golddraht'
erhalten sein.
Dem entspricht es, dass auch antiquarisch und schon während der
jüngeren Steinzeit ein starkes Bedürfnis nach Schmuck hervortritt.
Getragen wurden vor allem Gehänge von den durchbohrten Zähnen
der wilden und der Hanstiere, des Wolfes, Bären, Hirsches, Hundes,
Pferdes, Schweines u. s. w. An Häutigkeit mit dem Zahuschmuck
wetteifert allerhand Zierrat, der aus gelochten Scheiben von Muscheln
hergestellt ist, die zuweilen auf weitausgedehnte Handelsbeziehungen
hindeuten. In Lobositz in Böhmen (s. u.) wurde z. B. ein Ziergehänge
von 500 gelochten Muschelscheiben und 170 gebohrten Hundezäbnen
gefunden. Dazu kommen Steinperlen der verschiedenartigsten Gestalt,
steinerne Knöpfe, allerhand Anhängsel aus Bein oder Hirschhorn u. s. w.
Über den Bernsteiuschmuck der Steinzeit s. u. Bernstein. Das Metall
tritt zuerst in der Gestalt des Kupfers auf. In dem sonst ganz stein-
zeitlichen Grabfeld von Lengyel in Ungarn (vgl. M. Much Kupferzeit2
S. 49) wurden zwischen Perlen aus Muschel- und Schneckenschalen
kleine kupferne Perleu gefunden, und im nordwestlichen Böhmen traten
ebenfalls zur Zeit des Ausgangs der Steinperiode Knpfcrdrähtc mit
gebohrten Hnndezähnen zu Tage (vgl. Neolithische Schmucksachen und
Anmiete in Böhmen Z. f. Ethnologie 1895 Verb. S. 352 ff.).
Dass unter diesen prähistorischen Anhängseln viele weniger zum
Schmuck denn als Zaubermittel, sei es zur Abwehr feindlicher Mächte,
sei es behufs der Zuleitung aussermenschlicher Potenzen, etwa der
Stärke des Bären oder der Schnelligkeit des Hirsches, getragen wurden,
kann nicht bezweifelt werden. Auch bei den alt idg. Völkern spielt der
Gebrauch solcher Anmiete, die im Indischen mit demselben Wort wie
der Halsschmuck (scrt. mani-; vgl. ferner griech. irepiaTTTO, TrepiäMuara,
auch 9uXa.KTn.p10v und TtpoßadKaviov ,Mittel gegen das Behexen' (ßaa-
Kcdvw), lat. amuletum : amoliri, alln. tau/r, auch ,Amulet' : ahd. zoubar
,Zauber ) benannt werden, noch eine bedeutende Rolle. In Rom hing
man sich das Wahrzeichen männlicher Kraft, lat. müto, mutto, davon
mut(t)onium ,AmnIet' (vgl. Useuer Götternamen S. 327, G. Goetz The-
saurus I, 723) als wirksames Mittel der Übelabwehr um. Mit Vorliebe
wurden auch Pflanzen und Pflanzenteile so getragen. Es genügt in
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730
Sehmuck.
dieser Hinsicht auf Ohlenberg Die Religion des Veda S. 513 ff. und
Welcker Kl. Schriften III, 71 zu verweisen.
Mit der Einführung der Bronze und des Goldes in die Kulturcnt-
wicklung unseres Erdteils gewinnt nunmehr, auch in der Mitte und
im Norden desselben, das Schmnckbedttrfnis des Menschen eine er-
höhte und verfeinerte Befriedigung. Diademe und Kopfringe, Halsketten,
Spiralen, Zierscheiben, Brustplatten, Gürtelscheiben, Verzierungen von
Ledergürteln und Kleidern, Gürtel, Haken, Nadeln, Armringe, Arm-
bänder, Fingerringe aus diesen beiden Metallen u. s. w. birgt fast ein jedes
unserer Museen in reicher Menge. Doch soll hier nur auf zwei kultur-
historisch besonders wichtige Begriffe, auf Spange uud Ring, jedoch
auch in diesem Falle unter Ausschluss der kunstgeschichtliehen Ge-
sichtspunkte, des näheren eingegangen werden.
Die Spange.
Eine vorhistorische Bezeichnung der als Spange benutzten Nadel
scheint in griech. (hom.) TT€pövn, = armen, heriun .Pfriem, Ahle' (: griech.
Treipio, altsl. na-perjq ,durclibolire) vorzuliegen. Das ursprüngliche
Material wird wie bei Pfriem (s. n. Ahle) und Nadel (s. d.) der zu-
gespitzte Tierknochen gewesen sein. Daneben muss aber auch zum
Zusammenhalten des Kleides bis in späte Zeiten der gewöhnliche
Dorn des Strauches gebraucht worden sein. Noch Taeitus Germ.
Cap. 17 berichtet, dass den Germanen als tegnmen ein sagum gedient
habe, ßbula (die also die alten Deutschen kannten) aut, si desit,
tipina consertum. Eine lebendige Illustration bietet das ir. delg, das
,Dorn* und ,Tnchnadel' bedeutet; vgl. auch körn, delc ,nionile' uud
altn. ddlkr ,the pin in the cloaks of the ancients'. Nicht minder lehr-
reich aber ist das irische sei ,a Standard of value, by which rents,
fines, stipends and priecs were determined'. Dass dieser Standard of
value von Haus aus Spangen waren, die man als Münze brauchte,
beweist erstens die Übersetzung von s4t mit dem eben besprochenen
delg (vgl. Windisch I. T. S. 771 in sei argait Hy. 5, 71), zweitens
das mlat., aus dem Keltischen stammende sentis ,fibula' (Ac ftuam Hen-
tern argenteam pretiosamque in depositum sibi commendans Vita
St. Brigidae nach Du Cange). Ir. s4t ,Spange' kann aber etymolo-
gisch nichts anderes als lat. sentis ,Dorn* sein. Vgl. noch die Reihe:
lat. spina, spinn! n ,Dorn' (it. spillo, frz. 4pingle »Nadel'), ahd. spl-
nula, spenala ,Nadel" (entlehnt?), gemeinsl. *spiljat poln. s'pilka »Steck-
nadel* (eutl. lit. spilgä).
Einzelsprachliche Bezeichnungen für die nunmehr längst aus
Metall hergestellte Fibel oder Spange sind: griech. (bomer.) Tröpirn,
(: TröpKn.? ,Ring', vgl. mhd. rinke : ring), ^vexn, (: dvirmi oder durch
dieses volksetymologisch entstellt aus *ivzr\ = lat. sentis?), ht.lfibula
(: altlat. ficere = figere, *f~tgue-bld-), gemeingerm. ahd. spanga etc.
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Schmuck.
73 t
Vielleicht lag neben spanga, wie inau wegen it. spranga (germ. Lehn-
wort?) vermuten kann, ein germ. *spra»ga (vgl. *spiuto, ahd. spioz
: *»priuta, agls. spriot), so das» Vermittlung der germanischen Sippe
mit den Bildungen aus der slavischen Wurzel preng ,spaniien' mög-
lich wäre, aus der zahlreiche Benennungen der Spange im Slavischen
(russ. prjaiha etc.) abzuleiten sind. Über die verschiedenen Typen der
Bronzenadel hat u. a. Nauc Die Bronzezeit in Oberlmiern S. 152 ff.,
über die der Fibula oder Sicherheitsnadel 0. Tischler Über die Formen
der Gewanduadel (München 1881 ) gehandelt. Die Wanderung der
letzteren von Süden nordwärts hat in kurzen Zügen auch Hörncs Ge-
schichte d. bild. Kunst S. 310 dargestellt.
Der Ring.
Es ist nicht unmöglich, dass der zum Schmuck getragene Ring bis
in die jüngere Steinzeit zurückführt. Wenigstens sind bei den stein-
zeitlichen Leichen von Rössen (Prov. Sachsen) und sonst Armringe von
einem marmorartigen Gestein gefunden worden. Einzelne sprachliche
Gleichungen für den Begriff des Ringes wie altpr. grandis ,Ring', lit.
grandi* ,Armband', ahd. kränz; ahd. hinnc, altn. hringr : altsl. krqgü
, Kreis' oder : grieeb. KpiKO? ,Riug'; lat. dnulun ,Ring' (ünux , Afterring'), ir.
änne ,Ring' (*acno-?, vgl. Stokes Urkelt. Sprachsch. S. 16) können Uber
das Alter des Ringes nichts aussagen, da sie ursprünglich jede kreisartige
Erscheinung hezeichnet haben werden. Seine eigentliche Bedeutung hat
der Ring jedenfalls erst mit dem Aufkommen des Metalles gefunden.
Schon bei Homer begegnen £puaTa ,Ohrringe', öpno<i »Halskette'
(beide : cipw , reihe aneinander'), To*8uiov id. (: io*9uöq ,Enge') und £Xik€^
jArmbänder' (: £XiE ,gewunden ). Alle diese Schmucksachen kommen
auch in Mykenae und auf archaischen Bildwerken vielfach vor (vgl.
Schliemann Mykenae passim und Heibig Horn. Epos * S. 268). Anders
steht es mit dem Fingerring (ffqppnjis. baKTÜAios). Obgleich kostbare
Siegelringe (s. auch n. Edelsteine) ebenfalls in Mykenae gefunden
wurden, wird doch bei Homer, was schon den Alten (vgl. Plin. Hist.
nat. XXX III, 12) aufgefallen war, nirgends des Fingerrings Erwähnung
gethan, so dass der erste in Hellas beglaubigte Fingerring der des
Polykrates (Herod. III, 41) ist. In Lacedämon, wo auch eisernes
Barrengcld kursierte, hätte man nach der Notiz des Plinius (XXXIII, 9)
auch eiserne Fingerringe in Gebrauch gehabt.
In Hissarlik treten alle hier in Frage stehenden Schmucksachen,
auch Fingerringe von Gold und Bronze, in frühen Schiebten auf (vgl.
Schliemann Ilios passim) In den Überresten der Pfahlbauten der
Poebne sind nach Heibig Die Italiker in der Poebne weder Arm- und
Halsbänder noch Ohr- und Fingerringe gefunden worden, von denen
jedoch die beiden ersteren in den Pfahlbauten des Gardasees nach-
gewiesen sind. Bronzene Armbänder (auch ein eisernes) kamen
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732
Schmuck — Schnecke.
bei der wahrscheinlich in den Knltnrkreis der Nekropole von Alba
Longa führenden Ausgrabung bei dem Caput aquae Ferentinae (Heibig
a. a. 0. S. 91) zu Tage. Arm- und Fingerringe aus Bronze, einzelne
auch aus Eisen, sind ferner auf dem Begräbnisplatz von Villanova *
(ündset Das erste Auftreten des Eisens S. 3) entdeckt worden. Sie
fuhren zu dem ferreux anulus #ine gemma, der noch in später Zeit
als eine altrömische Eigentümlichkeit betrachtet wurde, die bei Tri-
umphen, Verlobungen u. dgl. in Anwendung gebracht wurde, so, wie
auch die oben erwähnte laconische Sitte, die Erinnerung an eine Zeit
wahrend, in welcher das Eisen noch ein kostbares Metall war. Latei-
nische Ausdrucke für ringartige Schmuckstücke sind armilla (: armus
»Schulter'), brachiale (: brachium), torquest (: torqueo), »pinter (aus
gricch. aqpiYKTnp ,Arm- und Kopfband').
Der gemein germanische Ausdruck für den Begriff des Ringes ist
ahd. bouc, agls. Mag, altn. baugr (: got. biugan, eigentl. ,das Ge- l
bogene', vgl. oben griech. £Xik€£), sowohl in den romanischen Westen
(prov. baue* , Armband', altfrz. bou), wie auch in den slavischen Osten
(altsl. bugü , Armband ) entlehnt. Leider sind die Nachrichten der
Römer Uber die Bedeutung des Rings bei den Germanen sel-r dürftig.
Tacitus Germ. Cap. 15 berichtet, dass den germanischen principe*
von benachbarten Stämmen zum Geschenke electi equi, magna arma,
phalerae, torquexque geschickt worden seien, und Cap. 31 von einem
bei den Chatten üblichen eisernen Ring: Fortissimm quisque ferreum
insuper anulum {ignominioxum id genti) velut vinculum gextat, do-
nec se caede hoxtis abxolvat (vgl. dazu K. Möllenhoff 1). A.-K. IV, 416).
Umso reichlicher wird die Bedeutung des Ringes bei den Germanen
durch einheimische litterarische und lexikalische Zeugnisse (ahn. baug-
eidr, bauggildi n. s. w., agls. biaggeafa, biag hörd, Magsele u. s. w.),
namentlich auch in Hinsieht auf die Benutzung des Ringes als Geld
(s. d.), erhärtet. Auf die uralte Bekanntschaft der Germanen mit diesem
Schmucke weisen auch die zahlreichen Funde verschiedenartigster
Ringe auf dem Beit Urzeiten von Germanen bewohnten Gebiete hin.
Für die Länder südlich der alten Germanengrenze ist auf die Zusammen-
stellungen von Naue Die Bronzezeit in Oberbayern S. 176 — 198 und
für das Gräberfeld von Hallstatt auf von Sacken S. 68 ff. zu verweisen.
— S. auch u. Erz, Gold und Bernstein.
Schnecke. Auf Urverwandtschaft beruhen lat. Umax = slav.
*8limakü, russ. sUmakü u. s. w. : mhd. »Um ,Schleim' (,die schleimige').
Vgl. auch altpr. slaix, lit. »liikas »Regenwurm'. Lat. murex = griech.
uua£ s. u. Purpur, griech. tcöxXoq, KOxXia^ (unnasaliert : kötxi »Muschel')
8. u. Schmuck. Gemeingerm. altn. »nigell, agls. snatgel, mhd. stieget
neben ahd. xnecko : Schweiz, schnaacken ,repere' (wie altn. sndkr
Schlange'). Korn, melyen (vgl. weiteres bei Zeuss Gr. Celt.' S. 1075).
Lit. »tralge, sräige.
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Schnee und Eis — Schreiben und Lesen.
733
Schnee und Eis. Der idg. Ausdruck für ,Schuee' und ,scbneien'
liegt in der Reihe: aw. snaeidf ,es soll schneien', griech. v€i<p€i, viqpa
Acc, dtävvKpo?, lat. ninguit, nix, mir. snechta, got. snaiws, ahd.
miwan, lit. sniigas, snigti, altsl. snegü. In der Bedeutung ferner stehend :
scrt. snih ,feucht werden', ir. snigid ,tropft, regnet'. Auch das idg.
Wort für Winter (s. d.) wird wiederholt zur Bezeichnung des Schnees
gebraucht: scrt. himd-, armen, jiun, griech. xmjv. Alleinstehend: aw.
vafra- »Schnee'. Für den Begriff des Eises scheint eine urverwandte
Gleichung in ahd. is, altn. iss = aw. i»i vorzuliegen. — S. u. Urheimat.
Schnepfe, s. Sumpfvögel.
Schnurrbart, s. Haartracht.
Schock, s. Zahlen.
Schornstein, s. Ofen.
Schrank, s. Kiste.
Schreiben uud Lesen. Diese Künste haben sich von semiti-
schem Boden aus in verhältnismässig später Zeit auf wenigstens im
Grossen und Ganzen deutlichen Wegen über Europa verbreitet. Un-
gefähr im X. Jahrhundert sind die phoenizischen Buchstaben (xd
(poiviKrjta) gleich anderen orientalischen Handelsgütern, wie es scheint,
unabhängig an mehreren Orten von den Griechen übernommen und
den Bedürfnissen ihrer Sprache entsprechend verwendet und ergänzt
worden (vgl. E. Meyer Geschichte des Altertums II, 380 ff.). Diese
Sachlage bekundet im wesentlichen schon Hcrodot richtig, weun er
V, 58 sagt: 0\ bk <t>owiK€£ 4o*r|YaYOV bibaffwiXia i<; tou^
"EXXnvaq Kai bn, Kai YpaupaTa ouk £6vra npiv "EXXn.o*i, ib? £uoi ook&iv,
irpuna uiv toio*i ko\ &Travr€? xP^ovtai OoiviKcq, uerä be ^pövou irpo-
ßaivovro? äua ifj <pu>vrj pcrlßaXov Kai töv ^uöfiöv rdiv Ypau^ä-rujv. Mit
den Buchstaben selbst sind auch die phoenizische Anordnung derselben
und ihre phoenizischen Namen zu den Griechen gekommen. Diese
Namen ifiXtpa, ßnra, töMM«, bAra etc. gegenüber hebr. 'dlef, bet,
gimel, ddlet mit auffallendem Schluss-a) sind akrokephal und bezeich-
nen Begriffe wie Rind, Haus, Kamel, Thür, Nagel, Olive, verschiedene
Körperteile u. a. (vgl. H. Lewy Die sem. Fremdw. S. 169 ff.). Die
Richtung der Schrift war linksläufig oder ßouo*Tpo<pnböv.
Ob es schon vor den <poivncr)ia in Griechenland, vor allem während
der my kenischen Epoche, eine Schrift gegeben habe, ist eine Frage,
die durch das Buch von A. J. Evans Cretan pictographs and prae-
phoenician Script (London, New-York 1895) in FIuss gekommen ist. Dieser
Gelehrte glaubt in den schon vor ihm beobachteten schriftartigen
Zeichen, die zahlreiche Fundstücke der mykenischen Epoche, Steine,
Gefasse, Werkzeuge etc., aufweisen, ein lineares Schriftsystem er-
kennen zu müssen, was mit der von ihm in östlichen Teilen Kretas
in vormykenischer und mykenischer Zeit nachgewiesenen Bilderschrift
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734
Schreiben und Lesen.
in engem Zusammenhange stüude. Weitere Aufschlüge werden von
der Zukunft zu hoffen sein.
Von Griechenland ist das phoenizisch-griechische Alphabet den ita-
lischen Stämmen zugeführt worden, hei denen es in mannigfaltigen
Verzweigungen vorliegt. Die griechischen Buchstabennamen haben die
Römer nicht übernommen, sondern dafür die uns noch heute geläufigen
Bezeichnungen geschaffen (vgl. Pauli-Wissowa Realeneykl. * I, 2 S. 1625).
Der Begriff des Schreibens wird im Griechischen durch Ypdq>€tv,
im Lateinischen durch scribere ausgedrückt, ersteres (= lett. grebju,
agls. öeorfan, mhd. kerben) eigentlich »einritzen' bedeutend, letzteres
noch nicht sicher erklärt; vielleicht gehört es: griech. o*Kdpi<po<;
,Griffel\ o*Kapi<pdopat , kratze ein' und bezeichnet also im wesentlichen
das gleiche wie Ypd<pe>v. Das Lesen fasst der Grieche als „Wieder-
erkennen" (dvcrfiYviuaKeiv) der im Gedächtnis lebenden Buchstaben,
der Römer als „Sammeln" der Buchstaben zu einem Wortbild (legere).
Das Material, auf das man die Zeichen einritzt, ist nn der ältesten
Stelle, an welcher rpdcpeiv in der Bedeutung von schreiben' vorkommt,
II. VI, 168 f.:
nöp€v b' öte (Bellerophontes) ar\\iaia Xutpd,
Ypdtyas Iv nivaKi ktuktuj 6upoq>9öpa TroXXd,
zugleich der einzigen Stelle, wo bei Homer von Schreiben Uberhaupt
die Rede ist, die zusammenlegbare Ilolztafel. Ob diese bereits iden-
tisch war mit der zuerst von Aescbylus unter dem Namen b^X-roc (aus
hehr, delet PI. /fbUrflüger, ,die zwei Kolumnen einer Blattseite') ge-
nannten, mit Wachs bezogenen eigentlichen Schreibtafel (vgl. auch
Herodot VII. 239), lässt sich nicht entscheiden. Ebensowenig, ob die
ffnuerra Xutpd schon phoenizischc Buchstaben waren, oder etwa einer
vorphoenizischen geheimen Bilderschrift (s. o.) angehörten. Letzteres
scheint indessen das wahrscheinlichere, da, mag mau nun über die
Benutzung der Schrift für die Entstehung der homerischen Gedichte
denken wie man will, man doch nicht in Abrede stellen kann, dass
die Unbekanntschaft mit derselben bei den homerischen Helden selbst
vorausgesetzt wird. Im Lateinischen weist cödex = caudex , Baum-
stamm', ^Schreibtafel' unzweideutig auf den Gebrauch des Holzes hin.
Neben dem Einritzen der Buchstaben mittelst des Messers oder
Meisseis in Holz, Stein und Metall niuss aber frühzeitig ein Aufmalen
dcrselbeu mit Farbe hergegangen sein. Nach der Überlieferung wurde
in Griechenland und bei barbarischen Völkern die Haut von Ziegen und
Schafen, in Rom die von Ochsen als uraltes Schreibmaterial benutzt.
Vgl. Herodot V, 58: Kai Td$ ßißXou; bicp9^pa<; KaX^outfi dirö toü na-
XaioO o\ "lwv€£, Öti Koxfe iv aitdvi ßißXujv dxP*OVTo bi<p6€pr)CTi arrentfi
T€ ko\ oltrjO"i und Festus cum Pauli epit. ed. 0. Müller S. 56: Clypeum
antiqui ob rotunditatem etiam corium bovis appellarunt, in quo
foedus Gabinorum cum Romanis fuerat descriptum. Auch lat. Utera,
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Schreiben und Lesen.
735
inschr. leitera .Buchstabe' weist im Gegensatz zu griech. tpäuua von
Tpdqpu) auf den Gebrauch der Farbe hin, da man es kaum von lat.
Unere »beschmieren' (vgl. auch lat. linea und ir. Ii .Farbe', kymr. Hin
,linea', altbret. linom, gl. litturara, *U-no-) trennen kann. Der Ge-
brauch des Haste 8 endlich wird für Italien durch lat. Uber aus *luber
(vgl. lit. lupü ,8chäle') ,Buch' erhärtet, das im Sinne von Bast noch
von Virgil (Georg. II, 7t>) gebraucht wird und daher kaum mit griech.
bicpBlpa (s. o.) etymologisch verglichen werden darf.
Die Vorherrschaft unter den verschiedenen Schreibstoffen hat im
klassischen Altertum der aegyptische Papyrus (s. d.) errungen: griech.
ßußXo?, ßtßXo<;, als ,Buch' zuerst bei Aescbylus und Herodot, lat. Charta
(schon bei Ennius) aus griech. xäpTiK (unerklärt). Im späteren Alter-
tum kommt dann erneut das Pergament, die Tierhaut (TrepYaun.vn.,
pergamena, nach der Stadt Pergamum benannt) auf. Zum Schreiben
bedient man sich des Rohres (tcdtXauos — calamus), das auch noch
tief im Mittelalter gebraucht wird. An seine Stelle tritt allmählich
die Schreibfeder (penna), deren erste Spur im V.Jahrhundert auf-
taucht. Von Theoderich, König der Ostrogothen, wird erzählt, „dass
er in den zehn Jahren seiner Regierung nicht einmal gelernt hätte,
vier Buchstaben unter seine Verordnungen zu schreiben. Er habe des-
wegen ein goldenes Blech gehabt, worin die vier Buchstaben ausge-
schnitten gewesen wären; dies habe er aufs Papier gelegt, und dar-
nach die Buchstaben mit der Feder (penna) gezogen" (vgl. Beckmann
Beyträgc z. Geschichte der Erfindungen IV, 289 ff. „Schreibfedern").
— S. auch u. Tinte.
Von zahlreichen Streitfragen umgeben erweist sich die Geschichte
der Überführung der phoenizisch-grieehisch-italischen Schriftzeicheu
zu den nördlichen Völkern Europas. Zwar hinsichtlich der galli-
schen Kelten steht es durch die Überlieferung fest, dass sie unter dem
Eiufluss der griechischen Bildung Massilias frühzeitig das griechische
Alphabet angenommen hatten. Von den Helvetiern berichtet Caesar
De bell. Gall. 1, 29: In castris llelvetiorum tabulae repertae sunt
litt er in Graecis conf ectae et ad Caesarem relatae, quibus in
tabulis nominatim ratio confecta erat, qui numerus domo exisset
eorum, qui arma ferre ponsent, et item separatim pueri senes mu-
lieresque. Wahrscheinlich ist auch die Nachricht des Tacitus Germ.
Cap. S-.Quidam opinantur . . . monumenta et tumulos quosdam Graecis
litt er ix inscriptos in confmio Germaniae Rhaetiaeque adhuc extare
auf keltische Inschriften in griechischer Schreibung zu bezichn (vgl.
W. Luft Studien z. d. ältesten germanischen Alphabeten S. 25 f.).
Aber östlich von den Kelten stehen die germanischen Stämme
mit einem auf den ersten Blick einheimischen, in den nordischen, go-
tischen und deutschen Inschriften nahezu Ubereinstimmenden Alphabet
(Runenalphabet) von 24 Zeichen, deren Benennungen, akrokcphalisch
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736
Schreiben und Lesen.
gebildet wie die phoenizischen, mit Bedeutungen wie „Vieh", „Ur",
„Wagen" (r£da), „Hagel" u. s. w. ebenfalls, soweit sie klar sind, im
wesentlichen übereinstimmen. Die gegenwärtig über die Herkunft und
Entstehung dieses altgermanischen Ruuenalphabets herrschenden An-
sichten hat E. Sievers, vor allem auf Wimmers Untersuchungen ge-
stutzt, in Pauls Grnndriss I*, 257 zusammengefasst. Demnach sei die
Quelle des Runenalphabets das lateinische Alphabet, das nicht durch
Zufall, sondern in bewusster Absicht von einem einzigen, bei einem
s'Jdgcrmanischen Stamme lebenden Manne für germanische Verhält-
nisse umgebildet worden sei. Von hier habe sich dasselbe zu anderen,
naheverwandteu Stämmen verbreitet. Die Entlehnung dieses lateini-
schen Alphabets habe im 2.-3. nachristlichen Jahrhundert (nach Sicvere
vielleicht noch früher) stattgefunden. Indessen lässt sich nicht bezwei-
feln, dass diese Darstellung noch keine befriedigende Erklärung der
vorliegenden Thatsachen schafft. Die Vorstellung von einem „genialen
praeeeptor Germaniae", wie man jenen Mann ernsthaft genannt hat,
der seinen Deutschen ein Alphabet zusammengesetzt haben soll, dürfte
jeder kulturgeschichtlichen Analogie entbehren. Dazu kommt, dass
zahlreiche Runenzeichen sich nur gezwungen oder gar nicht aus dem
lateinischen Alphabet ableiten lassen, dass in letzterem weder die Zahl,
noch die Reihenfolge, noch die Namen der altgennanischen Runen ein
Vorbild haben, dass mehrere der ältesten Runeninschriften linksläufig
oder ßouöTpoq>r|bdv abgefasst sind n. a. Thatsüchlich hat es denn auch
nicht an neueren und neusten Hypothesen gefehlt, bestimmt die Wim-
mersche zu ersetzen oder einzuschränken. So behauptet R. M. Meyer
in den Beiträgen z. Geschichte d. d. Spr. n. Lit. XXI, 162 ff., das»
schon vor der Runenschrift nicht-alphabetische, magische Zeichen bei
den Germanen („Ur-runen") bestanden hätten, die teilweis in die von
den Römern entlehnten Schreibrunen aufgenommen worden seien. So
sucht W. Luft a. o. a. 0. wahrscheinlich zu machen, dass die germa-
nischen Runen, die ursprünglich nicht als Schriftzeichen, sondern als .
Eigentumsmarkcn gebraucht worden seien, schon von vorchristlicher
Zeit an in Jahrhunderte langer Entwicklung von den Galliern aus deren
griechischen und nordetruskischen Alphabeten Übernommen worden
wären. So hat S. Bugge auf der nordischen Philologenversammlung
in Christiania (1898) die Hypothese aufgestellt, dass an der Bildung
des germanischen Runenalphabets, das seinen Ausgang bei den Goten
genommen habe, ausser dem lateinischen auch kleinasiatische Alpha-
bete, namentlich das galatische und armenische, beteiligt seien. Aus
ersterem stamme z. B. der Runenname „Birke", da nur hier auf kelti-
schem Boden das griechische ßnxa wegen ir. bethe, kymr. bedtc ,Birke'
in diesem Sinne missverstanden werden konnte. Mit einem Schlage
aber alle Schwierigkeiten, wie sie oben augedeutet worden sind, zu
beseitigen hat G. Gundermann in einem am 6. Nov. 1897 in Giesseu
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Schreiben und Lesen.
737
gehaltenen Vortrag Uber die Beziehungen der klassischen Volker zu den
nordischen ir. Aussicht gestellt (vgl. Litbl. f. gcrm. und rom. Phil.
1897 S. 430). Er glaubt eine Vorlage entdeckt zu haben, von der die
Runenschrift mit allen ihren Eigentümlichkeiten abstamme. „Das Runen-
alphabet ist bei vielen Völkern in weiten Gebieten, nicht nur in ganz
Nordeuropa vom äussersten Westen bis weit nach dem Osten hin, lange
Zeit in Gebrauch gewesen. Den Germanen war das Runcnalphabet
jedenfalls schon sehr früh bekannt, sicher vor Beginn der ersten
Lautverschiebung. Die Runennamen mit den entsprechenden An-
lauten unterlagen der Lautverschiebung, für den neuen Laut aber
blieb das alte Zeichen in Gebrauch. So wurde z. B. für k das gainma-
ähnliche Zeichen (g), für g das chi-ähnliche (gh). für d das theta-
ähnlichc (dh), für st das 2<Z-Zeichen nach der Verschiebung verwendet.
Wir haben also in solchen Runen zeichen gleichsam die fossilen
Reste des Lautstauds vor der Verschiebung, in den Runen n amen
den Lautstand nach der Verschiebung. Die Namen selbst, deren Her-
leitung aus dem Gennanischen mancherlei Schwierigkeiten macht, finden
wie thyth, aza, uuinne, manna, laaz, enguz ihre genaue Entsprechung
in der Quelle des Ruuenalphabets, von der auch die merkwürdige
Reihenfolge ihre Erklärung zu erwarten hat". Welches jene Quelle
gewesen sei, lässt sich, da die in dem angeführten Referat ftlr ..dem-
nächst* in Aussicht gestellte „vollständige Untersuchung mit allein Beweis-
material" bis jetzt aussteht, nicht ermessen. Es scheint, dass Gunder-
mann an eines der ältesten griechischen Alphabete denkt, das in sehr
früher Zeit vom Süd-Osten Europas her auf ähnlichen Wegen wie das
Gold und die Bronze sich nordwärts fortgepflanzt habe.
Wie alt aber auch die Runenschrift sei, zeitlich noch vor ihr würden
die in Norwegen und Schweden häutig nachgewieseneu, der reinen
Bronzezeit angehörigen Felsenbilder (Hällruttningar), bemannte
Schiffe, zweirädrige Wagen mit Joch und zwei Pferden, Krieger mit
Schild, Speer und Schwert, Reiter mit Schild und Speer, Figuren mit
emporgehobenen Händen, Fusssohlenpaare u. s. w. liegen, vorausgesetzt
dass man in ihnen eine Art Bilderschrift erkennen darf (vgl. S. Müller
Nordische Alterturaskunde I, 466 ff., 0. Montelius Kultur Schwedens 2
S. 74 ff.). Ob alsdann auch diese im südöstlichen Winkel des Mittel-
meers eine Anknüpfung findet (s. o.), ruuss zu entscheiden ebenfalls
der Zukunft überlassen bleiben.
Der gemeingermanische Name der Runenschrift, zu der wir zurück-
kehren, ist altn., agls. rün, ahd. rüna. Da im Gotischen runa die
Bedeutung von ,Gehcimnis' hat, die im altir. rün wiederkehrt, und
auf die auch das griech. i-pew-äw , komme (einem Geheimnis) auf die
Spur' hinweist, so wird man von dieser auszugehen und anzunehmen
haben, dass der Gebrauch der Schriftzeichen von Anfang an als etwas
„geheimnisvolles" angesehen wurde, was sich im Folgenden näher er-
Schräder Rcallexikon. 47
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Schreiben und Lesen.
klären wird. Der gemeingermanische Ausdruck für das Schreiben
dieser Runen ist altu. rita, agls., alte, tcritan, ahd. rizzan (vgl. auch
got. tcrits ,Punkt, Strich ), eigentl. (wie griech. TP<i<pw) .einritzen'.
Das älteste Material für dieses Einritzen müssen Buchenstäbchen ge-
liefert haben, wie aus dem geuieiugenu. altn. höh, agls. böc, ahd. buoh
(got. böka) Sing. , Buchstabe', PI. ,Bucb', eigentl. ,Buche' (s.d.) her-
vorgeht. Erwägt man nun, dass Tacitus Germ. Cap. 10, da, wo er
von den altgermanischen Baumlosen berichtet (s. u. Los), ausdrücklich
die virga arbori f rugif erae decisa nennt, worunter, da Obstbäume
für die Zeit des Tacitus auszuschlicsscu sind, eben nur Bäume wie
Buchen etc. verstanden werden könuen, und dass auf den zerschnittenen
Stäbchen notae quaedam impresme sich befanden, so wird man es
für sehr wahrscheinlich ansehen müssen, dass die Runenzeichen schon
in der Zeit des Tacitus bekannt waren und besonders bei den geheimnis-
vollen Manipulationen des Losorakels gebraucht wurden. Sehr gut
vertragen sieh mit diesen letzteren auch die drei Bezeichnungen, welche
die germanischen Sprachen für den Begriff des Lesens ausgebildet
haben: 1. got. siggwan ,canerc' — ,legcre\ 2. agls. riedan ,conicere' —
, legere', 3. ahd. lesan, altn. lisa völligere' — , legere', in so fern das
erste die feierliche Verkündigung des Inhalts der Ruuen, das zweite
das Erraten der für andre dunklen Zeichen, das dritte das Sammeln
der Runeii8täbehen zum Zwecke des Erratens und der Verkündigung
des Erratenen bezeichnen wird (vgl. Vf. Sprach vergl. u. Urgeschichte*
S. 4Uö, E. Schröder Z. f. d. Altertum XXXVII, 262). Das Gotische
verwendet statt des zu erwartenden *wreitan ein meljan (mela »Schrift')
für .schreiben', eigentl. .malen', ,mit einem Mal versehen', was man
gewöhnlich bereits als Bezeichnung vorgeschrittener Schreibkunst auf
Pergament mit Rohr und Tiute auffasst. Doch ist nicht ausgeschlossen,
dass nitljan bereits ein sehr alter Ausdruck für schreiben' ist, da auch
altn. fd, fuda, ngls. fahan : ahd. feh ,bunt' (vgl. Sievers a. a. 0.
S. 2">1) vom Schreiben der Runen gebraucht wird, und auch lat. pingere
bei Venantius Fortunatus (Carm. VII, 18, 19 f.):
Barbara fraaineis ping atur runa tabellis
Quodqve papyrus agit, virgtda plana ralet
80 verwendet wird. Auch bei den Germanen würde also ein Einritzen
und Aufmalen der Schriftzeichen Hand in Hand gehen.
Erst in Entlehnungen wie ahd. scriban aus lat. scribere (über agls.
scrift ,Bcichtc' etc. vgl. H. Zimmer Z. f. d. Altertum XXXVI, 145),
attarminza ,Tinte' aus lat. atramentum, ahd. libal aus lat. Uber, ahd.
briaf , Brief, Urkunde' aus lat. brece (vgl. auch lat. epiatola aus griech.
^möToXn.; got. aipistula) tritt der Einfluss der neueren südlichen
Schreibweise in helles Licht, der sich ebenso auch im Altirischen (ir.
scribaim aus neribo, hghn aus lego, lebor aus Uber etc.) zeigt.
Eine Bemerkung bedarf noch die litauisch-slavische Welt. Hier
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Schreiben und Lesen — Schuhe.
739
zeigt da8 altsl. pitiq .schreibe' die nach dem obigen nicht zu erwar-
tende Erscheinung, das» es sowohl im Altpreussischen {peisät »schreiben',
peisälei „Schrift") als auch bei einem Teil der Arier, im Altpersischen
(ni-pig schreiben') wiederkehrt. Soll man an eine uralte, etwa durch
pontische Skythen vermittelte Bekanntschaft mit iranischen Schrift-
zeichen in Ost-Europa denken? Wahrscheinlicher scheint, dass in der
idg. Grundsprache eine gemeinsame Wurzel peik ,bunt machen', da-
durch ,schmücken' etc., zu der auch das oben genannte ahd. fih (vgl.
altsl. plstrü ,bunt') und sert. pig ,zubcreitcn, schmücken, gestalten",
vielleicht auch (mit medialem Auslaut) lat. pingo gehört, vorhanden
war, das selbständig in den genannten Sprachen bei Aufkommen der
Schrift zur Bezeichnung derselben verwendet wurde. Auch weisen
germanische Entlohnungen im Altslavischen, altsl. buk}/ , Buchstabe',
Plur. »Schrift, Buch', bukcarl ,Abecedarium' und (vielleicht) altsl.
küniga ,littcra', Plnr. »liber', lit. knygos ,Buch' (aus altn. kenning
,nota'?) eher auf westliche oder nordwestliche als östliche Einflüsse
auf diesem Gebiete hin. Für .lesen' gebraucht man im Litauischen
skaityii, im Slavischcn das nah damit verwandte citati, deren Grund-
bedeutung .aufzählen, aufrollen', der Gegensatz etwa: lat. legere
»sammeln (der Buchstaben)', ,lcsen' ist. Lit. raszaü »schreibe' (dunkel).
Wie die meisten europäischen Sprachen, verfügt auch das Sanskrit
über zwei verschiedene Wurzeln zur Bezeichnung des Schreibens, die
eine mit der Grundbedeutung .einritzen' (sert. likh>, die andere mit
der von »bestreichen, beschmieren' (seit. Up, Upi- ,das Schreiben, Schrift ').
Die indischen Buchstaben selbst sind wiederum dem altphönizisehen
Alphabet entnommen, aus dem sie iu früherer Zeit, als man gewöhnlich
annimmt, vielleicht in ungefähr gleicher Zeit wie die grieehischeu
(vgl. G. Bühler Indische Palacographie im Grundriss der indoarischeu
Philologie und Altertumskunde I, 11, S. 17 ff.), entlehnt wurden. Auch
sprachlich würden wir von arischem auf semitischen Boden geführt
werden, wenn das im Indischen neben Upi- bezeugte prakr. dipi- als
die ältere, durch Up , bestreichen' vielleicht entstellte Form anzusehen
wäre, die daun zusammen mit altp. dipi , Inschrift aus babyl. duppu
abzuleiten ist (vgl. Jensen Wiener Z. f. d. Kunde d. Morgenl. VI, 218
Anna., Hübschmann K. Z. XXXVI, 2, 176). So sind wir wieder an
dem semitischen Ausgangspunkt der grossartigen Kulturbcwegung an-
gekommen, welche den idg. Völkern das brauchbare Mittel zur schrift-
lichen Festhaltung ihrer Gedanken gab.
Schreibfeder, s. Schreiben und Lesen.
Schreibmaterial, s. Papyrus und Schreiben und Lesen.
Schuhe. Für den Schutz der Füsse muss schon in der Urzeit
gesorgt gewesen sein, wie einerseits aus der Übereinstimmung von
armen, bok, altsl. bosil, Wt.bäsas ,barfuss', ahd. bar, allgcm. ,nackt'
<idg. *bho8Ö~; denn der Begriff »barfuss' ist natürlich nur im Gegensatz
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Schuhe — Schulden.
zu vorhandener Fussbeklcidung denkbar), andererseits aus der auf Ur-
verwandtschaft beruhenden, über ganz Europa verbreiteten Gleichung:
griech. KpnTri«;, lat. carpisculum, ir. cairem, kymr. crydd (*karp-jo-&
»Schuhmacher'), agls. hrifeling, lit. kürpe, altpr. curpe ,Schuh', slav.
*kürp-, nsl. krplje (die litu-slavischen Wörter mit auffallendem Vokal)
hervorgeht. Hierher wird auch das griech., erst bei Xenophon Uber-
lieferte Kopß-diivat , Bauernschuhe aus rohem Leder' zu stellen sein,
vielleicht ein Lehnwort aus einer nichtgriechischen idg. Sprache, die
ir in ß wandelte. Gemeingermanisch ist die Sippe von got. sköhs,
abd. seuoh (: got. skiwjan ,gehen'), gemeinkeltisch die von ir. cuaran,
kymr. curan (*kou-rano- : lat. cutis wie slav. *8korlnl, nsl. skorna
»Stiefel' : altsl. skora ,Rinde, Haut, Fell'?), gemein slavisch altsl.
crecij (*6ervjü). Mehrfach werden auch Benennungen der Fussbe-
kleidungcn von dem Verbuni lit. aü-ti, lat. ind-uo, ex-tio gebildet,
welches im Litauischen den speziellen Sinn von ,Fusslappen {aüia*)
anlegen' hat : aw. aofha- ,Schuh\ aofhrava- ,Gamasche', lit. dtealas
,Fussbekleidung' etc. Unsicher: ir. assa ,Schuh' aus *paksajo- =
griech. ndE- ÜTröbn.pa euuTTÖönrov Hes. (Stokes Urkelt. Sprachschatz
S. 6). Schuhfunde aus der Vor-Eisenzeit sind aber bis jetzt in
Europa nicht nachgewiesen worden, was in der leichten Zerstörbarkeit
des Leders oder Bastes (s. u. Linde) seinen Grund haben wird.
Wie auf allen Gebieten der Tracht, ist auch auf dem des Schuh-
werks die sprachliche Entlehnung eine sebr grosse. Schon die
homerischen Hymnen bieten advbaXov aus pers. sandaL Später ist
KÖ0opvo^ ,ein hoher Stiefel' sicher entlehnt (aber woher?). Die Römer
haben aus dem Griechischen sandalium (Terenz), baxea (Plautus) aus
rcdE 8. o., cothurnus (Liv. Andr.), crepida (Oatull) u. auderes, die Ger-
manen aus dem Lateinischen: got. sulja, ahd. sola aus lat. solect (: griech.
uXid Hes.) und *sola ,Sohle', ahd. mfieldri, agls. suftlere aus lat.
xubtäldres, sc. calcei ,bis an die Knöchel gehende Schuhe' (Isid.),
ahd. chelisa aus lat. caliga oder calceus, it. calzo(?)t ahd. socf agls.
noc ,Strumpf und ,Schuh' ans lat. soccus ,ein leichter Schuh' (vgl.
Hesych auKXoi * ÜTrobrmata «PptrfK»), spätmhd. stivel .Stiefel' aus it.
xtiväle (mlat. aestivale) ,leichtcr Sommerschuh'. Ebenso ist der Osten
und Südosten Europas voll von Entlehnungen (rnss. basmakü aus türk.
batmakü, serb. papuc ;Pautoffel' aus türk. papudi, ngriech. tZcpßouXia
u. s. w. aus dem Arabischen), Beispiele, die sich leicht vermehren
Hessen. — S. u. Hose, Kork und u. Kleidung.
Schuld, 8. u. Verbreeben.
Schulden (Schuldverhältnisse). Hand in Hand mit dem
Hervortreten der Stände (s. d.) und einer schärferen Ausbildung der
Gegensätze von Reich und arm (s. d.) wächst in Europa die wirt-
schaftliehe Bedeutung der Schuldvcrhältnisse. Ansätze zu solchen
mögen in die Zeiten vorhistorischer Zusammen hänge der idg. Völker
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Schulden.
741
zurückgeben, und u. Verbrechen (Schuld) ist auf einige sprachliche
Übereinstimmungen des nördlichen Europas in der Terminologie der
Schnldverhältnisse (abd. sculda, lit. skolä und ir. dligim, got. dulgs,
altsl. dlügü) hingewiesen worden. Hierher könnte man auch die engere
Bedeutungsverwandtschaft von ir. air-licim ,ich leihe' und dem gemein-
germ. got. leihvoan (woraus altsl. lichva , Wucher'), ahd. lihan ,ein
Darlebn geben', daneben auch ,ein Darlehen empfangen' stellen, die
sich auf keltisch -germauischem Boden im Gegensatz zu der allgemeineren
Bedeutung von sert. ric, griech. Xtmuu, lat. linquo, ir. Uicim ȟberlasse,
lasse' entwickelt bat.
Indessen haben aus den allgemeinen Gründen, die sieb aus den
schon genannten Artikeln und aus dem Abschnitt Uber Eigentum
ergeben, Schnldverhältnisse ihre eigentliche Bedeutung doch wohl erst
auf dem Boden der Einzel Völker erlangt, allerdings bereits in vor-
historischer Zeit. Denn als die Überlieferung auhebt, finden wir bereite
überall in Europa, im Süden wie im Norden, einzelne Klassen der
Bevölkerung anderen gegenüber in drückende Schuld und wirtschaft-
liche Abhängigkeit verstrickt.
Ein Bild, von der Art, wie man sich in Zeiten, in denen es Metall-
geld noch nicht giebt, sondern der einzige Wertmesser die Kuh (s. u.
Geld) ist, solche Schuldverhältnisse innerhalb einer ursprünglich
gleichen und freien Bevölkerung entstanden denken kann, entrollen
-die altirischen Zustände, wie sie uns die Brehon-Gesetzc schildern.
Hier pflegte es zu geschehen, dass einzelne, namentlich die Häuptlinge
oder rl's (rix) auf dem Wege der Beute oder sonst zu einer grösseren
Zahl von Kühen kamen, als sie für sich verwerten konnten. Sie ver-
fielen daher auf den Gedanken, diesen Uberschuss an ärmere Volks-
genossen auszuleihen, die einiger Kühe zur Ausübung des Ackerbaus
dringend bedurften. Dieses Verhältnis, durch welches der freie Ire
zum eile des Reicheren herabsank, war in der Regel auf 7 Jahre
berechnet, nach deren Verlauf das entliehene Vieh dem Entleiher ge-
hören sollte. Während dieser Zeit aber war er verpflichtet, dem Eigen-
tümer der entliehenen Kühe nicht nur die Kälber derselben auszuliefern,
sondern ihn auch, allein oder mit Genossen, auf eine gewisse Zeit
in seinem Hause aufzunehmen und zu bewirten und endlich an be-
stimmten Tagen ihm mit seiner Hände Arbeit (bei der Ernte oder dem
Bau einer Feste) zu dienen (vgl. Maine Early history of institutions6
S. 158 ff.). Es liegt auf der Hand, in wie hohem Grade diese Ver-
hältnisse geeignet waren, in Folge von Missbrauch und Unglück all-
mählich zu einer dauernden Abhängigkeit der Zinsleutc vom Häuptling
zu führen, und nichts steht im Wege, die Verschuldung, in der wir in
Athen das Volk den Enpatriden, in Rom den Patriziern gegenüber
: finden, uns in ähnlicher Weise entstanden zu denken.
Die ältesten Schuldverhältnisse auf idg. Boden werden durch den
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742
Schulden.
Satz charakterisiert, dass der Schuldner für seine Schuld mit
seinem Leibe haftet, d. h. dass der Gläubiger den Schuldner,
der seine durch ein Darlehen oder durch Spielverlust entstandene
Schuld nicht bezahlt, gebunden in sein Haus führen darf, um ihn dort
festzuhalten, bis er bezahlt, oder ihn, wenn er das nicht thut, in die
Sklaverei zu verkaufen. So ist es schon im Rigvcda. In dem be-
kannten Spielerlied (X, 34) klagt der unglückliche Spieler:
„Ich weiss auch nicht, wozu ein Spieler gut wär,
so wenig als ein teurer Gaul im Alter.
Nach seinein Weibe greifen fremde Hände,
indess mit Würfeln er auf Beute auszieht.
Der Vater, Bruder und die Mutter rufen:
'wer ist der Mensch? Nur fort mit ihm in Bauden"!
(baddhd- ,in Banden'; vgl. lat. ne.vus : necto, eigentl. .gebunden', woher
in Übertragener Bedeutung nexum „das im ältesten Recht vorkommende
per aes et libram eingegangene Darlehnsgeschäft, bei welchem der
Schuldner sich in die Schuldhaft des Gläubigers eventuell zu liefern
versprach"). In Athen wurde die Schuldknechtschaft erst durch
Solon (Plut. Solon Cap. lf>) abgeschafft, und «1er Gesetzgeber rühmt
sich :
öpou<; dveiXov TroXXaxrj TTCTTirf öto^
(öpoi sind Schuldsteine, die auf die Verpfandung eines Grundstücks
hinweisen — also ein schon vorgerückteres Stadium der Kultur im Ver-
gleich zu den oben geschilderten altirischen Verhaltnissen)
7roXXoü<; b' 'A6nva<;, TraTpib' ei? öeÖKTiTov,
ävnj<rf0v TTpaö(?VTaq, fiXXov ^Kbncuus,
äXXov biKatuu£, xoüq b' ävcrrKatr)? ütto
Xpnffjuöv Xt-tovras (vgl. Bcrgk Frgm. 36).
Noch anderthalb Jahrhunderte später schreibt in R o in die dritte
der XII. Tafeln vor: Aeris confessi [rebusque iure) iudivatis XXX
dies iusti stmto. post deinde manu* iniectio esto. in ius ducito. ni
iudicatum facti aut quis endo eo in iure vindicit (s. u. Familie am
Schluss), secum ducito. vincito aut nervo aut compedibus. XV pondo
ne tnaiore, aut si volet, minore vincito. si volet, suo vivito. ni suo
vivet, [qui eum vinetum habebit] libras farris endo dies dato, si
volet, plus dato. 60 Tage soll so der Schuldner in Gewahrsam ge-
halten, aber an drei Markttagen unter Verkündigung des Betrags der
Schuld öffentlich ausgestellt werden. Tertiis autem nundinU capite
poenas dabant aut Irans Tiberim peregre venum ibant. Waren
mehrere Gläubiger vorhanden, so galt der Satz: Tertiis nundinis
partis secanto. si plus minusve secuerunt, se fraude esto. Ganz
an den altvcdischen Zustand gemahut das Cap. 24 der Germania:
Aleam, quod mirere, sobrii inter seria exercent, tanta lucrandi per-
dendive temeritate ut, cum omnia defecerunt, extremo ac novissimo*
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Schulden — Schwalbe.
713
iactu de l ibertat e ac de corpore contendant. victus toluntariam
sercitutem adit servos condicionis htiius per commercia
tradunt, ut se quoque pudore victoriae exolvant, wozu nur zu be-
merken ist, dass, was der Schriftsteller über das Freiwillige dieses
Knechtscbaftsverhältnisses ausführt, unzweifelhaft iu das Gebiet der
Idealisierung und des Romanhaften seiner Schrift gehört. Endlich
kennt auch das älteste sl arische Recht, die Pravda des XIII.
Jahrhunderts, für bestimmte Fälle den Verkauf des Schuldners in die
Knechtschaft (vgl. Ewers Das älteste Recht d. Russen S. 328). — Diese
demnach bei allen idg. Völkern gleichmütig begegnende Härte bei
Eintreibung von Schuldforderungen, die, natürlich in der ältesten
Zeit Uberall dem Gläubiger selbst zufallt (vgl. Paul Collinet Revue
celtique XVII, 333 ff.), erklärt sich ohne Schwierigkeit aus der bis
in die Urzeit zurückgehenden Auffassung, dass der Leib des
Menschen einen bestimmten Geldwert, d. h. Wert an Kühen
darstelle. Es ist daher nur die Folge dieser Auffassung, wenn in
Ermanglung von anderen Gütern die gemachten Schulden mit dem
Leibe abzuzahlen sind. Die äusserste, in Wirklichkeit wohl niemals
gezogene Konsequenz dieser Ideenverbindungen liegt in dem oben an-
geführten Satz der XII Tafeln vor: Tertiis nundinis partis secanto.
si plus minusve secuerunt, se fraude esto.
An Ausdrücken für die Hegriffe , Schuld', .schulden', .borgen' etc.,
soweit sie nicht schon im obigen oder u. Verbrechen (Schuld) ge-
nannt worden sind, bleibt zu erwähnen: gricch. 6-<peiXu> ,ich bin schuldig'
(Wurzel <peX vielleicht — ghel iu got. gil-d »Steuer', ,Zins', fragildan,
s. u. Abgaben; vgl. auch t^X6o<;- xpio<; He«.), so dass öcpeiXw soviel
wie ,ich habe zu zahlen' wäre. Ferner: lat. dtheo ans *de-hibeo ,ieh
habe etwas von jemandem', ,ieh schulde", credo = ir. cretim, sert. Qrad-
dädhämi , vertraue' und mtituus .geborgt', »geliehen', mütuare, nnltu-
ari, mtltuum »Darlehn' („die Übereignung einer Quantität vertretbarer
Sachen unter der Verpflichtung, dass der Empfänger eine Quantität
derselben Gattung und Güte dereinst zurückerstatte"): mtlnus, eigentl.
»Tauschgabe', lit. malnas »Tausch'. Vgl. noch ir. fiach »Schuld' (*veik-,
nach Osthoff I. F. VI, 40: lat. vkes, vkissitudo, ahd. wehsal wie lat.
mutuum). Über deutsch „borgen" s. u. Bürge. Frühzeitig wurde durch
Pfänder und Bürgen (s. d.>, auf germanischem Boden auch durch
Geiseln (s. d.) Sicherheit für Übernommeue Schulden gegeben. — S.
auch u. Zinsen.
Schurz, s. Kleidung.
Schussel, s. Gefässe.
Schuster, s. Gewerbe, Schuhe.
Schutzhäuser, s. Gasthaus.
Schwager, Schwägerin, s. Schwieger-.
Schwalbe, 8. Singvögel.
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711
Schwan — Schwarz und weiss.
Schwan. Für diesen Vogel Bind zwei urverwandte Gleichungen
vorbanden: abd. albiz, elbiz, agls. ylfetu, altn. alpt = altsl. lebedl
(wohl der ,weisse' : griecb. dX<pos, lat. albus) und ir. ela, kynir. alarch,
korn. elerhc = lat. olor (vgl. griecb. i\ia ,ein Sumpfvogel')- Die Eigen-
schaft der einen Schwanenart, einen singenden Ton auszustossen (die
andere ist stumm), welche auf ihren Zügen aus dem hoben europäischen
Norden auch in die klassischen Länder kam, ward schon von den
Alten, seit Homer (II. II, 459 ff.), bemerkt; doch darf griecb. kukvo«;
,Sebwan' kaum mit lat. canere verbunden werden. Sicherer ist die
Bedeutung ,Töner' für abd. stean, agls. swan, altn. svanr : lat. sonare.
Vgl. über den Schwan und Scbwaneugesaug Müllenhoff 1). Altertumsk.
I, 1 ff . Ir. geis s. u- Gans, lit. gulb? u. Taube.
Schwangerschaftsherechnnng, s. Mond, Monat.
Schwarz und weiss. Idg. Bezeichnungen für verschiedene Licht-
eiudrücke sind vielfach vorhanden. Für Schwarz, d. h. die Ab-
wesenheit jeglichen Lichteffekts auf die Netzhaut des Auges gelten:
sert. Irshnd-, altpr. kirsnan, altsl. erünü (lit. ktrszas ,weiss und
schwarz gefleckt'?); sert. qyävd- .schwarzbraun', upers. siydh, osset. sau,
armen, seac ,schwarz' (altpr. sytean, lit. szytras, altsl. shü .grau', im
Lit. .weiss wie ein Schimmel'; vgl. Hübsehmann Armen. Gr. S. 489); sert.
qyämd- ,schwarz', lit. szhnas ,asehgrau\ ,blaugrau' (von Ochsen): sert.
käla- ,sehwarz'. griecb. kcXcuvö«; desgl., lat. cdligo ,Duukelheit": sert.
malina- .schwarz/ (: mala- ,Schmutz), griecb. uAaq, lett. mein* (vgl.
got. stearts : lat. sordes und abd. salo , schwarz, schmutzig ); 8. auch u.
Blau. Dunkel sind lat. niger und dter, umbr. atru. Vgl. noch lit. jtidas
,schwarz' = ir. odar ,duukelgrau'(?). Gemeinkclt. *dubo-s, ir. dub wird
zugrieeh. TinpXöq ,bliud', got. daubs ,tauh' gestellt (s. auch u. Taube;.
Nicht weniger zahlreich sind die vorhistorischen Bezeichnungen für
Weiss die gleichzeitige Einwirkung aller Wellenaiten auf die Netzhaut
des Auges), die meistens aus Wurzeln mit dem Sinne von ,leuchten\
,strahlen' hervorgegangen sind. Am verbreitetsten ist sert. rajatd- und
seine Sippe, Wörter, die aber in den Einzelspracben fast durchaus in
die Bedeutung von Silber (s. d.) übergegangen sind. Vgl. ferner:
sert. <;vttd-, aw. spaeta- ,weiss' {c,vetate .leuchtet' neben <;cindate
glänzt ), got. hiceits; griecb. Xcukö?, lit. laükas (,mit Blässe auf der
Stirn'), ir. luach c sert. rttc, lat. luceo): griecb. qpavöq, ir. bdn {*bhdno-s
: sert. bhdnü- ,Sehein); griecb. <paXö<;, <poXio?, lit. bdlta*, altsl. belü;
griecb. äX<pöq , weisser Flecken', lat. albus. Gemcinkeltiscb : *vindo-s,
ir. find. Lat. Candidus (vgl. accendo, sert. candrd- , licht').
Zwischen S c h w a r z und Weiss steht Grau. Auch für diesen
Begriff finden sich mehrere Gleichungen. Einiges hierher gehörige ist
u. Blau angeführt worden, in das die Wörter für Schwarz und Grau
(s. auch oben) mehrfach übergehen. Vgl. noch lat. cdnus, osk. casnar
,scuem' (wie mbd. grise ,Greis' ), altn. höss, agls. harn ,grau'; lat. rdvus
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Schwarz und weis« — Schwein.
745
(*hrdcus) ,graugelb', ahd. grdo, grdtcea; agls. hör, altn. harr, russ.
seryj (altsl. serü ,glaucus', doch s. die Nachtrage 'zu H ä r i n g). —
S. u. Farbe und Farbstoffe.
Schwefel. Die Bekanntschaft mit ihm geht in Europa in ziemlich
frühe Zeiten zurück. Im Süden bedienten sich schon die homerischen
Griechen seiner als eines heiligen Reinigungsmittels, und in der Ilias
wie in der Odyssee wird sein Name <6eeiov, 8e»ov, Beciöuj : 6üw ,in
Rauch aufgehen lassen') mehrfach genannt. Im äussersten Norden
Europas, in Bronzegräbern der kimbriseben Halbinsel, ist wiederholt
Schwefelkies zusammen mit Flintstein als Bestandteile eines primitiven
Feuerzeugs (s.d.) gefunden worden (vgl. Z. f. Ethnologie, Verhandl.
XVIII, 241). Auch die Terminologie des Schwefels bietet alter-
tümliche Erscheinungen. Die gemeingermanischen got. swibh, ahd.
stcebal, agls. siceß, schwed. swafvel führen zusammen mit altwestphäl.
swegel und oberpfälz. schtceJfeJ auf eine vorgermauische Grundform
*8velqh-, dem ein abstufendes *sulqlo- zur Seite gestanden haben kann.
Mit letzterem Hesse sich das lat. sulpur, *sulpinis (vgl. J. Schmidt
Pluralb. S. 173) unter Annahme der Herkunft des p statt q aus einem
anderen italischen Dialekt wohl vereinigen (vgl. R. Much Z. f. deutsches
Altert. XLI1, l(35j. Eine Entlehnung des lat. sulpur, sulfur aus einem
augeblichen sert. gulvdri- ,Schwefel' hat jedenfalls wenig Wahrschein-
lichkeit. Neben sulpur bestand in Italien noch ein zweiter Ausdruck
für Schwefel: sabin. nar, von dem der schwefelhaltiges Wasser führende
Fluss Nar seinen Namen haben sollte (vgl. Büchelcr Lex. It. XVII,
G. Goetz Thesaurus I, 725). Der einheimische slavische Name des
Schwefels, der nur dem Bulgarischen und Serbischen fehlt, ist altsl.
nera, eigentl. ,grau', , blond'. Aus dem Slavisehcn: lit. sierä , Schwefel'
und alb. sere ,Teer, Hölle', aus dem Germanischen: altsl. zupelü,
iuplü, aus dem Lateinischen (*slufur für sulpur) alb. sk'ufur G. Meyer
Et. W.). Sachliches bei H. Blünmer Technologisches (Schwefel, Alaun
und Asphalt im Altertum), Festschrift, Zürich 1887 S. 22 ff.
Schwein. Der europäische Name des Hausschweins, gricch. u«;
(dessen Beziehungen zu Ov<; noch viel umstritten sind), lat. stis, alb. ftt,
ahd. ml (neben sietn, vgl. lat. minus ,vom Schwein'), altsl. svinija,
kelt. *suceu-, korn. hoch (vgl. agls. sttgu, schwed. sugga etc. und aiiccr
uq. AdKwveq lies.) kehrt auch in Asien wieder: aw. hü-, hü-kehrpa
,in Ebergcstalt' (knrd. xu\ afgh. ytig u. s. w. vgl. Horn Grundriss d.
np. Et. S. 113), sei t. sükard- , wilder Eber'. Auf Europa beschränken
sich hingegen lat. porcus, ir. orc, ahd. farah, lit. parszas, altsl. pras?
, Ferkel' und alb. der = griech. xoipoq .Schwein'.
In Europa wird auf allen Völkergebieten seit Anfang der Über-
lieferung Schweinezucht eifrig betrieben. Die germanischen Gesetz-
bücher nehmen auf sie reichlich Rücksicht (vgl. Anton Geschichte der
teutschen Landwirtschaft I, 129), und schon die keltische (vgl.
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74G
Schwein.
W. Stokes Urkeltischer Sprachschatz unter *banvos, ir. banb, *muccu,
ir. mucc u. 8. w.), wie die germanische Grundsprache waren reich
an Benennungen für das Tier. Zwei genieiugcrmanische Ausdrücke,
hauptsächlich für das geschnittene Schwein vgl. bei F. Kluge Et. W.6
unter Geize, gelt (altn. göltr, ahd. galza, agls. gilte etc.) und Barch
(altn. börgr, agls. bearg, ahd. bartig : altsl. braeü ,Schöps'). Vgl.
noch weiteres hei H. Palander Ahd. Ticrnamen S. 152 ff. Hingegen
ist Schweinezucht Indern und Iraniern durchaus fremd. Vgl. auch
Aelian De nat. anim. (Herch.) III. 3: uv outc ävpiov outc fjfitpov Iv
'lvbo?s T€V6(T9ai Xct€i Kintfiaq. Ebensowenig wurde sie von den Turko-
Tataren (vgl. Vämbery Die primitive K. d. turko-tat. V. S. 199) und den
meisten Semiten, vielleicht mit Ausnahme der Hahylonier ( vgl. Riehm
Handwörterbuch II*, 1462 1, geübt. Bei den Juden tritt Schweinezucht
erst zur Römerzeit auf. Bekanntschaft oder Unbekanntschaft mit ihr
ist daher ein unterscheidendes Merkmal europäischer und vorderasiatischer
Viehzucht im Altertum.
In Ägypten ist dagegen das Hausseh wein seit Alters bekannt (vgl.
Wiedeniann Herodots II. Buch S. 85), obgleich es auch hier, wie bei
den Semiten, für unrein gehalten wurde, eine in ihrem Ursprung noch
dunkle Vorstellung, die einen grossen Teil des Orients beherrscht.
In prähistorischen Epochen begegnet das Hausschwein zunächst
in den Pfahlbauten der Poebene und in den Mykenisehen Gräbern.
Was die Schweizer Pfahlbauten anbetrifft, so war Rütimcyer (Fauna
der Pfahlbauten S. 119 ff.) der Ansicht, „dass in den ältesten Pfahl-
bauten das Schwein als Haustier fehle, dass es aber in den späteren
Perioden des Steinalters als Haustier und zwar in immer steigender
Menge auftrete". Er ging dabei von der Ansieht aus, dass das schon
früher auftretende Torfschwein eine besondere Spezies des wilden
Schweines darstelle, eine Ansicht, die sich indessen nicht als richtig
erwiesen hat (worüber unten). Für die Bekanntschaft der Europäer
mit dem Hausschwein schon während der jüngeren Steinzeit spricht
jedenfalls auch d e r Unistand, dass es in skandinavischen Denkmälern
dieser Epoche, z. B. in den Ganggräbern Vestergöthnds (vgl. 0. Mon-
telins Kultur Schwedens* S. 26) zusammen mit anderen Haustieren
sicher nachgewiesen ist.
Überblickt man die geschilderten Verhältnisse, so erklären sieh die-
selben am besten bei der Annahme, dass bei den ungetrennten Indo-
germanen das Schwein noch nicht in gezähmtem Zustand lebte, und
dass es in diesen erst in einer Zeit versetzt wurde, in welcher nur
die europäischen Indogermanen noch in kulturhistorischer Gemein-
schaft lebten. Den Schauplatz derselben müssen wir uns im Gegensatz
zur Steppe, der Urheimat der Indogermanen, von dichten Waldungen
bedeckt denken (s. u. Wahl bäume und Urheimat), namentlich von
Eichen- und Buchenforsten, in denen das Schwein reichliche Nahrung
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Schwein — Schwere.
747
an Eicheln und Bucheckern finden musste. Ferner scheint es, dass
das Schwein in einem gewissen Zusammenhang mit der Pflege des
Ackerbaus (s. d.) steht, der in jener Epoche deutlicher hervortritt.
Wie in Ägypten (Herod. II, 14) das Schwein zum Eintreten des Saat-
korns und zum Austreten des Getreides benutzt wird, so scheint in der
ländlichen Bildersprache Alteuropas der Name des Tieres zu allerhand
Benennungen agrarischer Begriffe verwendet worden zu sein. Merk-
würdig stimmt das oben genannte lat. porcus n. s. w. mit lat. porca,
altbret. rec, ahd. furuh , Ackerfurche' tiberein (armen, herk passt wegen
k statt 8 weder genau : lat. porcus, lit. parszas junges Schwein', noch
wegen k statt g genau : lat. porca , Ackerfurche ). Weiteres s. u. Pflug.
Vgl. auch Roscher Nationalökonomie des Ackerbaus9 S. 596.
Das europäische Haussehwein wird allgemein von dem europäischen
Wildschwein abgeleitet, und zwar umso zuversichtlicher, je mehr
man neuerdings in dem in Alteuropa neben dein Wildschwein ge-
fundenen „Torfschwein" nicht wie bisher eine besondere, zu ausser-
europäi8chen Rassen in Beziehung stehende Species. sondern einen
durch primitive Domestikation verkümmerten Abkömmling des
gemeinen europäischen Wildschweins zu erblicken geneigt ist (vgl.
A. Otto Z. Geschichte der ältesten Haustiere S. 70, 77 und A. Nehring
Über das sogenannte Torfschwein (Zeitschr. f. Ethnologie 1887, Vcrh. vom
28. April). Auch von dieser Seite her lässt sich also gegen die Annahme,
dass die Indogermanen in Europa selbst zur Zähmung des Hausschweius
übergegangen sein, keine Einwendung erheben. Der europäische Name
für dat Wildschwein ist lat. aper = ahd. ebur, altsl. vepri (vgl. Uhlcn-
beck Beiträge XXIV, 243, Palnnder a. a. 0. S. 152). Vgl. noch arisch
sert. vardhd- = aw. vardza-. Gricch. kottpo? s. u. Ziege.
Eine ausserordentlich weitgehende Entlehnung hat von den oben-
genannten lit. parszas und altsl. prase, russ. porosja aus in die
finnischen Sprachen stattgefunden, eine Entlehnung, die sich nicht
nur bis in das mordv. purhts, purts .Ferkel', sondern auch bis in das
wotjakische pars, wog. pures, ostj. purys ,Schwein' erstreckt (vgl.
Thomsen Beröringer S. 206). Dieselbe weist auf frühzeitige Über-
nahme der Schweinezucht seitens der finnischen Völker von osteuropä-
ischen Indogermanen hin. Schon der Bericht des Wilhelm de Rnbruck
(a. 1253) sagt von den im übrigen noch äusserst wilden Mordvinen:
Ultra Tanaim ad aquilonem sunt silvae maxumae Habun-
dant apud eos porci, me.l et cera, pelles pretiosae et falcones (vgl.
Tomaschek Kritik d. ältesten Nachr. üher d. skyth. Norden II, 15).
— Vgl. auch Hahn Die Haustiere S. 206 ff. S. u. Viehzucht.
Schweinskopf, s. Heer.
Schwert. Waffen, die als S e h w e r t er angesprochen werden
könnten, fehlen der europäischen Steinzeit. An ihrer Stelle steht das
feuersteinerne Dolchmesser, das sich in seiner Bildung an die
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Schwert.
steinerne Lanzenspitze (s. u. Spiess) anschlichst. Erst mit dem Metall
tritt das Schwert auf, doch so. dass dasselbe, nach Ansicht der
Archäologen, erst aus dein metallenen Dolch hervorging, der seiner-
seits wieder dem Feuerstein- Dolche nachgebildet ist (vgl. Xaue Die
Bronzezeit in Bayern, Dolche S. 68 ff., Schwerter S. 84 ff., S. Müller
Nordische Altertumskunde I, 245). Die ältesten Schwerter bestehen
aus Kupfer und Bronze. Von der Häufigkeit der letzteren auch im
Norden erhält man einen Begriff, wenn man bedenkt, dass das Kopen-
hagener Museum allein an 1000 Bronzeschwerter, resp. Reste solcher
enthält. Eiserne Schwerter treten mit der Hallstatt- und besonders
in der La-Tene- Periode auf.
Stellen wir dem die historischen und linguistischen Momente
gegenüber, welche für das Alter und die Geschichte des Schwertes
in Europa bedeutsam sind, so ist dasselbe in G r i e c Ii e n 1 a u d schon
<iem homerischen Helden seine wichtigste und angesehenste Waffe. Es
ist mit einer Ausnahme (11. XVIII, 34, wo aibnpo? .Eisen* im Sinne
von Schwert gebraucht zu sein scheint) durchaus von Bronze, wie auch
die in Mykenae ausgegrabenen Schwerter lediglieh aus diesem Metall
gefertigt sind, während merkwürdiger Weise keiu einziges Schwert
auf dem ganzen Hügel von Hissarlik bis jetzt zu Tage getreten ist.
Der gewöhnliche homerische Ausdruck für das Sehwert, das man sich
als ziemlich lang und zweischneidig, sowie zum Hauen uud Stechen
gleich geeignet vorzustellen hat, ist Sitpoq, äol. dor. aidq>os, ein Wort
nicht griechischer Herkunft, wenn es wenigstens mit Recht aus dem
aram.-arab. saipä, snif abgeleitet wird, das seinerseits wieder aus
dem ägyptischen liefet .Schwert' entlehnt ist (vgl. Muss-Arnolt Trans-
actions of the Americ. phil. assoc. XXIII, 141, Lcwy Die semit.
Fremd w. S. 176). Andere freilieh stellen £iq>o; : £i<pcu .Eisen am
Hobel", trennen das Wort in £-üpo<; und vergleichen E für ko* mit sert.
-9«s »schneiden' (vgl. Brugmann Grundriss I*. 2 S. 867). Für die
Jugend des Wortes auf griechischem Boden könnte man anführen,
<lass es in der homerischen Sprache noch ohne Ableitungen dasteht,
und, ganz im Gegensatz zu den Wörtern für Lanze (alxMH und £txc^),
Eigennamen ursprünglich davon nicht gebildet werden. Neben Elcpoq
steht bei Homer (pdcPravov (aus o*q)dx-avov : (J<päTTuu?) und dop (s. u.),
bei denen ein Bedeutungsunterschied £i<po; gegenüber sich kaum nach-
weisen lässt. Mdxaipa (: näxomxi) ist hei Homer ausschliesslich und
später noch vorwiegend nur ein Dolch oder Messer znm Schlachten,
kein Sehwert, £YX*"ptomv (nachhom.) ist der Dolch oder das kurze Schwert,
[üojKpaia und £onßma für ein langes und breites Schwert (meistens bei
Barbarenvölkern) sind späte, etymologisch dunkle Ausdrücke.
In Italien, wo in den Pfahlbauten der Poebene bronzene Schwerter,
wenn auch nicht häufig, nachgewiesen worden sind (vgl. Heibig Die
Italiker i. d. Poebene S. 135, Naue a. a. 0. S. 82 f.), heisst dasselbe
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Schwert.
74»
lateinisch, neben dem uralten, frühzeitig auf den Gebrauch der Dichter
beschränkten ensis (s. u.), gladius. Auch dieses Wort ist, wie griceh.
£iqpos, vielleicht ein Lehnwort, nur nicht wie wahrscheinlich dieses aus
der Sprache eines orientalischen Kulturvolks, sondern aus der
keltischer Nord Völker, die Proben ihrer Fertigkeit im Schmiede-
handwerk in den Denkmälern der La Tene-Periode hinterlassen haben
(s. o.), und denen von den klassischen Schriftstellern der frühzeitige
Gebrauch eiserner, sehr langer, zweischneidiger Schwerter (praelongi-
ac sine mucronibus) zugeschrieben wird (vgl. die Belege bei Holtzmaun
Germ. Altert. S. 140 f.). Dass die Gallierkriege Veränderungen in der
römischen Bewaffnung hervorriefen, ist sicher (vgl. Baumeister Denk-
mäler s. u. Waffen III, 2047). Was das Schwert betrifft, so nahmen
nach dem II. punischen Krieg die Römer das kurze, zweischneidige,
zugespitzte spanische Schwert an. Es ist daher wohl möglich, dass
vor dieser Zeit gladius der Name einer der keltischen ähnlichen
Waffe war. Die keltischen Namen des Schwertes, ir. claideb, kymr.
cleddyf, bret. clezeff führen auf ein urkeltisches *Jcladebo- ,Schwert'
(neben *kledo-, kymr. cledd id.), von dem man lat. gladius nur ungern
wird trennen wollen. Erweichung des Anlauts (kl- : gl-) findet sich im
Lateinischen bei Lehnwörtern wie bei urverwandten Wörtern (guber-
nare, gtimmi aus grieeh. KußcpvnTTK, k6|jui gegenüber gloria von clueo).
Der keltische Wortausgang -ebo- aber könnte bei Urverwandtschaft
sich kaum in lat. -ius spiegeln. Wohl aber dürfte dieser Lautwandel
sich erklären, wenu man annimmt, dass in dem keltischen Dialekt,
dem gladius entstammt, das b von -ebo- frühzeitig spirantischen Cha-
rakter (-ero-, vgl. kymr. cleddyf) angenommen hatte. Vgl. noch ir.
faigin, kymr. gwain und lat. vdgina, beide ,Scbcidc' (Urverwandtschaft
oder Entlehnung V).
In den romanischen Sprachen ist gladius wiederum durch einen
in der Kaiserzeit in Rom sich einbürgernden und aus Griechenland über-
nommenen Ausdruck für ein langes, breites, zweischneidiges und spitziges
Schwert, enrden., verdrängt worden. Dieses Wort (= agls. spada, alts.
spado, nhd. spaten) hatte in der Urzeit ein hölzernes auf die Weberei
(s. u. Weben) bezügliches, breites Werkzeug, den Spatel, bezeichnet, und
war dann nach der Ähnlichkeit auf eine neue Gattung von Schwertern
übertragen worden. Ausser in die romanischen Sprachen (sp. espada,
frz. e'pe'e) ist dieses o-TräGn— spatha auch ins Slavische (altsl. spata)
und Albanesische {späte) eingedrungen.
Ostwärts der Kelten wird der seltene Gebrauch des Schwertes bei
den Germanen ausdrücklich von Tacitus Germ. Cap. 6 hervorgehoben.
Doch werden Schwerter auch bei dem germanischen Schwerttauz
(Cap. 24) und unter den Geschenken des Jünglings an die Braut (Cap. 18)
genannt, so dass sie keine ganz ausnahmsweise Waffe gewesen sein
können. Wir werden uns dieselben hauptsächlich im Besitz von Fürsten
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750
Schwort.
und Edlen und von keltischer Herkunft, also lang (breves gladii als
charakteristischer Besitz bei den Östlichen Germanen nach Tacitus
Germ. Cap. 43; vgl. dazu G. Kossinua I. F. VII, 280) und eisern
denken dürfen. Die Zeit, wo mau auch im Norden in gewissen Kultur-
und Handelszentren bronzene Schwerter zu giessen verstanden hatte,
war längst vorüber. In sprachlicher Hinsicht verfügen die Germanen
über mehrere gemeinsame Benennungen des Schwertes: 1. got. hairus,
alts. heru, agls. heor, altn. hjörr. Die älteste Bedeutung des Wortes
wird allgemein Waffe gewesen sein, wie sert. qüru- , Waffe, Speer, Pfeil'
zeigt. 2. ahd. »wert, agls. sweord, altu. scerd. Vermutungen über die
Herkunft dieser noch nicht sicher erklärten Sippe s. u. Bohrer und u.
Spcierling. 3. ahd. xahs, agls. seax, altn. tax, auch im Namen der
fränkischen, scrama-sa.ru^ (,Wundmesser', vgl. altn. skr am a , Wunde',
„Schramme") genannten Waffe, von der Lindenschmit Altertümer I s. d.
Index Abbildungen giebt. Das Wort gehört zu lat. saxum ,Stein'
und muss demnach in vormetalliseher Zeit das steinerne Dolcbmesser
bezeichnet haben (vgl. dazu aber das u. Hammer über ahd. hamar,
ebenfalls eigentl. ,Steiu' bemerkte). Keine dieser Reihen geht in der
Bedeutung Schwert also über die germanischen Sprachen hinaus. Wohl
ist dies aber der Fall bei einer vierten Gleichung: got. mt'kei*, agls.
mdee, altn. m&kir, alts. nuiki, krimgot. mycha, an der das Slavische
(altsl. miei), Litauische (mecius), sowie Finnische [nüekka\ teil nimmt.
Doch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass wir es hier wiederum
mit einer Entlehn ungsrei he zu thun haben, deren Ausgangspunkt
freilich noch nicht ermittelt worden ist.
Ein weiterer slavo-litauischer Name des Schwertes, der auch im
Albancsischen wiederkehrt, ist altsl. korüda, lit. kdrdas, alb. koröe.
Auch er ist entlehnt, und zwar aus dem iranischen aw. kareta-, npers.
etc. kärd , Messer', so dass im Slavischen überhaupt kein genuiner
Name für die in Frage stehende Waffe sich findet. Einige weitere
nordeuropäische, noch nicht sicher erklärte Schwertnamen sind ir. colg
(vgl. Stokes Urkelt. Sprachsehatz S. 81), gemeiugerm. altn. brandr,
agls. brond, ahd. braut »Schwert' und ,Sch wertschneide', agls. bill
(s. u. Hacke), altpr. kalabias u. a.
Überbliekt man das hier zusammengestellte archäologische, historische
und linguistische Material, so muss man Bedenken tragen, das Schwert
bereits der idg. Bewaffnung zuzuerkennen. Wohl aber dürfte dieser
Begriff in den ältesteu Epochen der meisten Eiuzclvölker (zugleich mit
der Bronze) bekannt geworden sein. Einen Einwand hiergegen könnte
mau der unzweifelhaft richtigen Gleichung sert. asi- = lat. ensis ,Schwert'
(griech. äop wird davon zu trennen sein) entnehmen. Prüft man aber
die Stellen, an denen das indische Wort im Rigveda gebraucht wird
(1, 162, X, 79, 86, 89), so liegt es viel näher, dasselbe mit ,Messcr'
als mit ,Schwert' zu übersetzen, wie denn auch H. Zimmer in seiner
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Schwert - Schwester.
751
Darstellung der altvedischen Bewaffnung (Altind. Leben S. 297 ff.) die
letztere Waffe überhaupt nicht erwähnt. Dasselbe gilt von der Über-
einstimmung des thrakischen cFKäXun. mit altn. sktilm ,a short sword',
von denen das erstere von Hesych mit uäxcupa übersetzt wird. Es
steht daher nichts der Annahme entgegen, dass in diesen beiden
Gleichungen die ursprüngliche Benennung eben jenes steinernen
Dolch messers zu erblicken sei, das, wie wir sahen, gleichsam
die „Zelle" bildete, aus der sich sowohl Dolch wie Sehwert entwickelten,
und das neben Beil und Lanze eine häutige Waffe des Nahkampfes
während der europäischen Steinzeit war.
Eine zwischen Dolch und Schwert scharf unterscheidende Termino-
logie findet sich nicht in allen europäischen Sprachen mit gleicher
Schärfe wie etwa im Lateinischen (wen : seco ,sch neide'?, pugio : ir.
*og, uigib Dat. IM. ,Sehwertspitze? neben ensitt, gladius, spatha) ausge-
bildet, namentlich nicht in den nördlichen. Hier werden gewöhnlich
die Wörter für Schwert auch für den Dolch augewendet, entweder
ohne weiteren Zusatz oder mit einem solchen wie in ahd. halawert,
müchilsicert ,siea' (Graft' VI, 898). Mit Ausgang des Mittelalters treten
dann in Europa zwei neue Wortsippen zur vorwiegenden oder aus-
schliesslichen Bezeichnung des Dolches auf: nhd. (legen, engl, dagger,
it. dagn, frz. dague u. s. w. (zuerst als mint, dagua belegt) und nhd.
dolcfi, ahn. ddlkr, dän. u. s. w. doli:, böhm. tulich, frz. doüeqhu Dimi-
nutivbildung zu ndl. dol ,l)e^en8toek", das irgendwie zu lat. dolo , Dolch'
gehören wird vgl. Kluge Et. W.6 u. Degen und Dolch).
Die normale Gestalt des alteuropäischeu Schwertes, mochte dasselbe
nun lang oder kurz, ein- oder zweischneidig, zum Stich oder zum Hieb
oder zu beiden bestimmt sein, war die gerade. Der krumme Säbel
tritt in den Gesichtskreis der Hellenen mit dem persischen Acinaces
(TTepaiKov 2iq>oq, töv äkivciktiv xaXoüai Herod. VII, 54), heimisch ist
er bei ihnen nie geworden. Im Norden werdeu auf dem Monument von
Adamklissi (ed. Tocilesco; die barbarischen Völker, Daker oder Bastarnen
(s. u. Hose und u. Kleidung) mit riesigen, mit beiden Händen zu regieren-
den Siebelschwertern dargestellt, über die litterarische Nachrichten
zu fehlen seheinen, man müsste denn, was Tacitus II ist. I, 79 von den
Schwertern des sarmatiseheu Volkes der Rhoxolani igladii quos prae-
longos utraque manu gerunt) erzählt, hierauf beziehen. Auch auf der
Marcus-Säule findet sich keine ähnliche Waffe. Die hier dargestellten
Schwerter sind entweder den römischen sehr ähnlich (Tafel XXVI, LXII),
oder sie gleichen einem kurzen leichtgekrümmten Messer, mit dem man
baut oder sticht (Tafel XXXVII, L etc.). S. u. Waffen.
Schwester. Ihr idg. Name liegt in der Reihe: Bert, svdsar-,
aw. xcanhar-, armen, k'oir, lat. soror, ir. siur, got. ntcistar, lit. #esü,
altsl. sestra. Eine Wurzelbedeutung dieser Sippe ist nicht zu ermitteln.
Aus weicht das Albanesisehc, das zur Bezeichnung der Schwester das
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752 Schwester — Schwiegersclmften.
alte Wort für Mutter (motre) verwendet, wie mit diesem wohl auch
das lett. müsa »Schwester* (doch lit. mdxza ,des Ehemanns Schwester',
altpr. moazo ,Mnhme') zu verbinden ist. Delbrück (Verwandtschafts-
namen S. 465) vermutet ansprechend, dass mit diesen Wörtern ursprüng-
lich die ältere Schwester bezeichnet worden sei. Im Griechischen
ist der idg. Name der Schwester bis auf eine Spur untergegangen,
die in den Hesychischen cop (£u>p) * Gu-fdTTip, dv€Miiö? und £op€q • Ttpoa-
fiKovreq, o"utt€V€i<; erhalten ist. Wie hora. Kcttf itvirroq den Bruder und
die Kinder des Bruders bezeichnete, so mochte cope? ursprünglich
»Schwestern', dann »Schwestern-, Geschwisterkinder' (dveijnoi) bedeuten.
Vgl. lat. consobrini aus *con-sosr-ini : soror. Diese werden unter den
irpoffnKOVTe?, o*urf€V€i(; gemeint sein. 0uf<iTrip aber wird irrtümlich
für docXqpn stehn, dem gewöhnlichen Ausdruck für Schwester im
Griechischen (: db€X<pöq ,Bruder'). — S. u. Familie.
Schwieger- (vatcr, -mutter, -tochter, -söhn). Durch die
Verheiratung eines Paares entsteht heut zu Tage eine Verschwägcrung
zweier Familien in der Weise, dass die Angehörigen des Mannes der
jungen Frau gegenüber in gleichem Masse für verwandt gelten wie
die Angehörigen der Frau dem Manne gegenüber. Mit „Schwieger-
vater", beau-pere, father-in-latc n. s. w. bezeichnet eine Frau ebenso
den Vater ihres Mannes wie ein Mann den Vatcr seiner Frau.
Dem gegenüber ist es eine für das Verständnis der alten Familie
bedeutsame Erkenntnis (vgl. Delbrück Verwandtschaftsnamen S. 534 f.,
Vf. Spraehvergl. n. Urgeschichte2 S. 542 ff.), dass es in der Urzeit
nicht so wie heute war, dass damals vielmehr Bezeichnungen für die
Verschwägcrung nur hinsichtlich des Verhältnisses der jungen Frau zu
den Angehörigen des Mannes ausgebildet waren. Dies ergiebt sich aus
folgenden Tbatsachen: Erstens aus den idg. Namen des Seh wieger-
vaters und der Schwiegermutter: seit, cetidura- (in den Veden
und Brähmanas nur im Sinne von Vater des Mannes), c.vaeru-
(schon im Rigveda auch für die Mutter der Frau), aw. .vi-axura-, npers.
%usru (Horn Grundr. S. 108) = armen, «kesrair cigentl. ,Mann der
Schwiegermutter', skesur (nur für die Mutter des Mannes gegen-
über zoJcanc ,Mutter der Frau', aner , Vater der Frau ), griech. tKvpöq,
€Kupn. (nur die Eltern des Mannes gegenüber irevGcpöq , Vater
der Frau' : sert. bdndhu- , Verwandter'), lat. socer, soerus, korn. hvi-
geren, hveger, got. swaihra, swaihrfi, lit. szeszittras (nur der Vater
des Mannes gegenüber tUzwis , Vater der Frau' : lat. uxor, *öhc-
oder : agls. 6c »Stiefvater'?), altsl. sveJcrü, svekry (nur für die
Eltern des Mannes gegenüber tlstt, tlsta, russ. testl, teica), alb.
vjehet, vjehefe (aus *svekra- mit auffallendem k ebenso wie altsl.
svekrü). Aus der Übereinstimmung des ältesten Sanskrit, Armenischen,
Griechischen, Litauischen und Slavischen in der Verwendung des idg.
Wortes nur für die Eltern des Mannes ergiebt sich, dass hier der
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Schwiegerschaften.
753
ursprüngliche Zustaud liegen muss, das« *sce-kuro- und *8reUrü'-f
($ta$ru-j skesur, aocrus, svekry) in der Urzeit demnach nur den Vater
und die Mutter des Mannes bezeichnet hahen, während eine tiberein-
stimmende Bezeichnung der Eltern der Frau nicht nachweisbar ist. Eine
etymologische Erklärung des Stammes *sce-hiro- lässt sich nicht mit
Sicherheit geben. Vielleicht enthält er den Pronominalstamm sve und
huro- = griech. KÜpio^, so dass der Schwiegervater soviel wie der
,eigentliehe Herr' (nämlich der Schwiegertochter) wäre.
In dieselbe Richtung weisen die übrigen idg. Gleichungen für Grade
der Verse hwägernng, welche sich sämtlich ausschliesslich auf das Ver-
hältnis der Frau zu den Verwandten des Mannes beziehn. Sie be-
zeichnen:
1. den Schwager, d. i. den Bruder des Mannes: sert. d{cär-
(si/tild- ,Brader der Frau') = armen, taigr, griech. bartp, lat. Ucir
(alle .Bruder des Mannes ), lit. dewerls {laigönas ,Bruder der Frau',
unerklärt trotz Liden Studien zur altind. u. vergl. Sprachgesch. S. 36),
altsl. diverl {mrl , Bruder der Frau ), agls. täcor, ahd. zeihhur (mhd.
sucAger bedeutet »Schwager', ^Schwiegervater', »Schwiegersohn' und ist
noch nicht sicher erklärt).
2. die Schwägerin, d. i. die Schwester des Mannes: griech. YdXw?,
TaXöws = lat. glös, altsl zlfwa (sristl .Schwester der Frau ); vgl.
phryg. ToXXapo?- <DpuYiKÖv övoua (sc. ffurfcvucöv), x^Xapoq- äbeX<poö
Tuvri Hes. (sert. ndndndar-, armen, tal, nach Bugge K. Z. XXXII, 27
aus *cal : lat. glös etc., lit. mtisza, altpr. moazo). Eine gemeinschaft-
liehe Bezeichnung für die Schwester der Frau ist nicht vorhanden,
lässt sich auch nicht aus armen, k'eni und lit. swdine folgern (vgl.
Hübschmann Armen. Gr. I, 503).
3. die Schwägerin, d.i. die Frau des Bruders des Gatten: sert.
yü'tar- — griech. *6ivaTT)p, €ivaT€p€<;, lat. janitrtee*, lit. jeute, inte
(gvnti), altsl. jqtry (armen, ner oder ner ,die Frauen zweier Brüder
oder desselben Mannes'; zweifelhaft, ob hierhergehörig, vgl. Hübsch-
mann I, 47H).
Der idg. Name der Schwiegertochter, von der alle bisher ge-
nannten Bezeichnungen ausgehen, oder auf die sie sich beziehen, liegt
in der Reihe: sert. snuxha, osset. nost'ä, armen, nn, griech. vuö?,
lat. nurus, ahd. xnura, altsl. snächa, alb. nutse (zweifelhaft, ob hierher-
gehörigj. Die Grundform ist vielleicht (wobei allerdings der Ausfall
des u unerklärt bleibt) *sunu-sä- und würde dann ,Sühnin' bedeuten.
Verloren ist das Wort im Litauischen, wo marü Junge Frau' dafür
eingetreten ist, und im Keltischen, wo die Schwiegertochter koru.
guhit etc. heisst.
Im ( M irensat/. hierzu liisst sieh eine vorhistorische Benennung für den
Schwiegersohn ausser in den Sprachen, welche unzweifelhaft durch
nähere Verwandtschaft mit einander verbunden sind, also im Arischen
Schräder. Kunlluxfkon.
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754
Schwiegerschaften — Seehund.
und Li t u -Sl avischen, nicht nachweisen. Sein Name lautet: scrt.
jd'mdtar- = aw. zdmdtar- (vgl. scrt. jdmi- , verwandt'), armen, hör,
griech. yctußpös (*Yau-po-£ ,der Hochzeiter' : töm^u), vgl. scrt. vivdhya-
, Eidam', d. i. der zum vicdha- , Hochzeit' gehörige), lat. gener (nach
soc-er : genus, gigno ,der Zeuger'), koru. dof (: mittelir. ddm ,Schar,
Gefolge"), ir. cliamuin, Gen. demna, agls. äüum, ahd. eidttm (: agls.
dp, ahd. eid ,Eid', .sponsus), got. megs, altn. mdgr (.Schwager',
,Sehwicger-sohn und -vatcr'j, lit. z'entas — altsl. zetl (wozu vielleicht
auch alb. dendtr .Bräutigam' gehört, *gen t). Wenn angesichts dieser
sprachlichen Verhältnisse Delbrück a. a. 0. S. f>36 dennoch annimmt,
dass ein Wort für Eidam in der Ursprache vorhanden gewesen sei,
so wird man ihm hierin nicht folgen können. Denn erstens könnte
im besten Falle von einer Wurzelverwandtschaft des arischen und
griechischen, des lateinischen und litu-slavischcn Wortes (vgl. zuletzt
Rrugmann Grundriss I8, 1 8. 405 und Uhlenbeck Kurzgef. Wörterbuch
d. altind. Spr. S. 99) ohne eine deutliche Übereinstimmung in der
Wortbildung die Rede sein, und zweitens wird man doch sagen
müssen, dass. weun in der Urzeit bereits eine Bezeichnung für den
Schwiegersohn, ausgehend also von den Eltern der Frau, bestanden
hätte, umgekehrt auch Benennungen für die Verwandten der Frau,
ausgehend von dem Schwiegersohn, in der Ursprache zu erwarten wären.
Dass solche aber nicht vorhanden waren, geht aus dem obigen hervor,
und ist nicht am wenigsten von Delbrück bewiesen worden.
Übrig bleibt an vorhistorischen Gleichungen für Verschwägeruugs-
grade zu nennen griech. ri^Xtoi • o't dbeXcpäq fuvaiKaq £o"xn.KOT£S> cuAioi •
o*ÜYYcmßpoi (Hesych), ciXioveq (o\ äbeXqpäs *piMavT€q, önotaußpoi etc.
Pollux) = altn. »vilar ,thc husbands of two Bisters'. Erweist sich diese
Zusammenstellung als lautlich begründet, so wird ihr ursprünglicher
Sinn nach allem obigen der von Brüdern oder Vettern (Söhnen von
Brüdern) gewesen sein, die innerhalb einer und derselben Haus-
gemeinschaft Schwestern zu Frauen hatteu. — Die sachliche Be-
deutung aller dieser Spracherscheinungen s. u. Familie.
Schwinge, GetreideKchwinge, s. Worfeln.
Schwitzbad, s. Bad.
Schwur, Schwören, s. Eid.
See, s. Meer.
Seehund. Die Küsten des Mittelmeers waren von dem Tiere
einst dicht bevölkert, wie denn schon Homer die (puMcn. (Phoca uio-
nachus) nennt. Der Ursprung des Wortes ist dunkel. Die einen deuten
es als ^aufgedunsenes Tier' (scrt. sphdtf- , Mästung'), die anderen als
den ,Fauclier' (vgl. Prellwitz Et. W.). Die Römer haben ein um-
schreibendes vitulus marinti8 (neben dem entlehnten phöca). — Im
hohen Norden begegnen wir einem gemeingermanisehen Namen der
Robbe altn. seh; agls. seolh, ahd. selah. Ob und welche Beziehungen
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Seehund — Segel und Mast.
755
etwa zwischen diesen Wörtern und dem griecli. cf^Xaxoq ,eine Art
Knorpelfisch' vorhanden sindT ist nicht ausgemacht. Als Entlehnungen
aus agls. hran, hron ,a whale', resp. aus einem diesem entsprechenden
festländischen Wort sieht Bezzenbergcr hei Stokes Urkelt. Sprachschatz
S. 235 ir. rön ,phoca* (kymr. moel-ron) und lit. ruinas , Seehund' an;
doch heisst das agls. Wort hran, nicht, wie B. schreibt, hrdn ^Remi-
tier'. Ndl. rob , Robbe', nord. kobbi (kdpr) Junger Seehund'. - Über
den Seehund im Altertum vgl. 0. Keller Tiere des kl. A. S. 196 ff.
Seelenkult, g. Ahnenkult.
See raub, s. Raub.
Segel und Mast. Es scheint zunächst, als ob in lat. malus aus
*mazdo-s = ahd. mast, agls. mast, altn. mastr (entlehnt ins romanische
ptg. meuttro, pr. mast, frz. mdt, ins russische maita und lit. mästas,
vgl. auch tinn. masto) eine urverwandte Bezeichnung dieses Teiles des
Schiffes vorläge. Indessen ist altn. mastr statt des älteren siglu-tri
jScgelbaum' erst aus Eugland oder Deutschland eingeführt, und sowohl
bei lat. mdlus wie ahd. mast ist eine allgemeinere Bedeutung ,Stangc",
,Baum neben der von ,Mast' noch so lebendig, dass nichts im Wege
steht, diese als die ursprungliche anzusetzen, zumal sie in dem ir. maide
= *mazdo-s ,liguum, baculus' die einzig herrschende ist; denn für den
Mast gilt in den keltischen Sprachen *verno- (identisch mit *verno-,
ir. fern ,Erle', wie bei Homer der Mast eiXdiivoq : eiXcim. /Tanne' ge-
nannt wird). Diese Möglichkeit, dass Deutsch und Lateinisch zufällig
in der Verwendung des Stammes *mazdo- ,Stange' zur Bezeichnung des
Mastes zusammengetroffen seien, wird zur Gewissheit, wenn es sich auf
anderem Wege zeigen lässt, dass Mast und Segel erst den Epochen
der Einzelvölker angehörige Erfindungen sind. — Das Schiff der
Griechen und Römer zwar (griceh. io*tö<; ,Mast', eigentl. »Ständer':
foTnm, später Katdpnov; iötiov ,Segel' von krröi;, auch Xctupoq, eigentl.
. schlechtes Kleid', q>äpo?, eigentl. jedes grosse Stück Zeug'; lat. velum
,Segel' : veho , bewege fort' oder besser identisch mit velum , Hülle ;
ausführlich Über die lat. Wörter Liden Stud. z. altind. und vergl.
Sprachgeschichte S. 21 ff. s. auch u. weben) ist vom Beginn der über
lieferung an mit Mast und Segel versehen. Anders steht es im Nordeu.
In den ältesten Darstellungen hochnordischer Schiffe der Felsen-
zeichnungen oder Hällristningar, welche »ich hauptsächlich an der
Küste von Trondhjem bis Gotland linden und nach dem Urteil der
zuverlässigsten Forscher der nordischen Bronzezeit angehören, hat sich
keine sichere Spur von Mast und Segel gefunden. Dasselbe gilt aber
von allen älteren in Wirklichkeit zu Tage getretenen vorgeschichtlichen
Fahrzeugen, auch von dem Nydamer Boot der älteren Eisenzeit, so
dass der Gebrauch von Segeln mit völliger Bestimmtheit erst bei den
Wikinger Schiffen, z. B. bei dem in der Nähe der Farm Gokstad in
Norwegen aufgedeckten Schiffe nachgewiesen werden kann (vgl. 0. Mou-
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756
Segel und Mast.
telins Die Kultur Schwedens* S. 72, George H. Boehmcr Prehistorie
naval architecture of the Nortli of Europc, Washington 1893 passiiu).
Auch Tacitns Germ. Cap. 44 (Forma navium eo differt, quod utrim-
que prora pnratam Semper appulsui frontein agit. nec v elis
minist rant, nec remos in ordinem lateribus adiungunt, solutum,
ut in quibusdam ftuminum, et mutabile, ut res poscit, hinc vel illinc
remigium) erzählt von dem seetüchtigen Volke der Snioneu, den heutigen
Schweden, das» ihre Fahrzeuge nicht durch Segel getrieben wurden.
Die Erinnerung an diese Zeit scheint die Sage in der Überlieferung
festgehalten zu haben, dass den Riesen die Kunst des Sögelns noch
unbekannt gewesen sei (vgl. Weinhold Altn. Leben S. 129, Möllenhoff
D. A.-K. IV, 501).
Auf die erste Bekanntschaft mit dem Segel auf germanischem Boden
weist eine Nachricht des Tacitus (Hist. V, 23) aus der Zeit des Ba-
taveraufstands im Jahre 70 n. Chr. unter Claudius Civilis hin, in
welcher erzählt wird, dass die Fahrzeuge der Barbaren sagulis versi-
coloribus haud indecore pro telis iuvabantur, was doch nur heissen
kann, dass die Germanen ihre bunten, wollenen Kriegsmäntel zu Segeln
zusammengenäht hatten, deren Gebrauch man also kennen musste.
Aneh scheint eine Nachricht des Plinius (Hist. nat. XIX, 9) darauf
hinzudeuteu, dass die germanischen Frauen defossne, d. h. in ihren
unterirdischen Webstuben Segeltuch webten. Der Gebrauch der Segel
wird daher zuerst bei den westlichen Germanen aufgekommen sein,
vielleicht durch Anregung seitens der Kelten, bei denen schon Caesar
(vgl. De bell. Gall. III, 13 die Schilderung der venetischen Schiffe:
Pelles pro velis alutaeque tenuiter conf ectae , hae sire
propter Uni iuopiam atque eins inscientiam, sive eo, quod est magis
rer'udmile, quod tantas tempestates Oceani tantosque impetus ventorutn
sustineri ac tanta onera nacium regi celis non satis commode po«*e
arbitrabantur) die Verwendung derselben an den Meeresküsten vorfand. •
Er wird sich bei den Germanen nur langsam verbreitet halten, weil
ihr Nutzen in den klippenreichen Gewässern der germanischen Küsten
erst allmählich verstanden wurde. Leider ist der allen Germanen
gemeinsame Name des Segels ahd. xi'gal, agls. segel, altn. segl (woraus
altfrz. xigler, sigle, lit. £(glius, finn. seili) noch nicht sicher erklärt.
Die einen möchten ihn au die oben genannten sagula »Kriegsmäntel'
anknüpfen, die andern (vgl. Strachau Compensatory lengthening in Irish
S. 26) mit der gcmeinkeltischen Benennung des Segels ir. seöl, kymr.
hwtß verbinden, die Stokes B. B. XXIII, 62 indessen auf ein ursprüng-
liches *xjulä : griech. üun.v, sert. syü'nmn- .fläutchcn , , Kinnen zurück-
führt und in Erinnerung an die eben angeführte Nachricht Caesars vgl.
auch Dio Cass. XXXIX, 41 und Strahn IV. p. 195) als Segel aus
Fellen deuten möchte, die dritten (vgl. R. Much Z. f. deutsches Alter-
tum XXXVI, 50) sehen das germanische Wort *segln- für urverwandt ,
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Segel und Mast — Seide.
757
mit griech. ottXov (*soqlo-) ,Gerät', auch , Takelage' an, und ganz
neuerdings endlich (vgl. Liden a. a. 0. S. 24) bat man germ. *segla-
als ,abgC8chuittcnes Stück' (Zeug) gedeutet (vgl. altu. segi, sigi, alt-
schwed. saglii ,abgeschnittenes Stück', , Hissen' : W. sek, lat. secare).
Alles dies ist mehr als unsicher.
Aus den Einzelspraehen vgl. an Benennungen des Segels noch
brct. goel, korn. guil, entlehnt aus lat. celum (wie auch ir. fial Me-
lanien', ahd. wÜ-lahhan), lit. büre, burys PI. (Liden S. 24), vielleicht
urverwandt mit griech. <päpos (Grundbedeutung alsdann ,Stück Zeug',
doch s. u. Flachs), altel. etc. vetrilo : rrtrü ,Wind' und partim,
entlehnt aus griech. yäpoq (anders Liden a. a. 0. S. 24).
Lange Zeit hat sich die südliche Schiffahrt mit einem Mast und
einem Segel (Rahesegel) an demselben begnügt, bis allmählich,
wenigstens bei grösseren Fahrzeugen, noch ein kleinerer Vormast
ebenfalls mit einem Rahcsegcl (griech. böXwv, woraus lat. dolo, griech.
<ipTeuu>v, woraus lat. artemo) in Gebrauch kam. Erst mit dem Anfang
des Mittelalters beginnt ein dritter Mast als Hintcrmast hinzuzu-
treten, der mit einem dreieckigen Rutensegel i it. mezzana), das zunächst
am Vormast aufgekommen war, versehen wurde (vgl. Breusing Nautik
der Alten S. 84 ff.). Noch die auf den Teppichen von Bayeux darge-
stellten Schiffe, auf denen Wilhelm der Eroberer im Jahre 1066 nach
England fuhr, zeigen nur einen Mast mit einem grossen Rahesegel.
Erst dem Zeitalter der Entdeckungen gehört die Entwicklung des
im ganzen einfachen antiken uud mittelalterlichen Schiffes zu dem
durch einen auf einander getürmten Wald von Masten und Segeln
charakterisierten Ozeanschiff an, wie es bis zur Erfindung des Dampf-
schiffes in Gebrauch war. Es ist charakteristisch, dass die Terminologie
dieser neuen Betakelung und Besegelung in den germanischen Sprachen
nur im Holländischen und Niederdeutschen, meist auch im Schwedischen
und Dänischen, d. h. im Bereiche der alten Hanse, nicht aber zugleich
im Englischen übereinstimmt (näheres vgl. bei Vf. Die Deutschen und
das Meer Wissensch. Beihefte des allg. d. Sprachvereins Heft XI >. —
S. u. Schiff, Schiffahrt.
Seher, Seherin, s. Orakel.
Sehne, s. Körperteile und Pfeil und Bogen.
Seide. Wie der Nord- Westen durch den Zinnhandel, der Norden
durch den Bernstcinhandel, der Süden durch den Handel mit Gewürzen
und Aromaten, so ist der äusserste Osten der den klassischen Völkern
bekaunteu oitcouu^vn. durch den Seidenhandcl erschlossen worden.
In China geht die Bekanntschaft mit der Zucht des Seiden wurnis
(Phalaena bombyx mori) nnd die Verarbeitung seines Gespinstes, der
Seide (.v*F, sse, sz\ koreanisch sir, mong. sirkek, mandschurisch sirgM)t
nach einheimischen Nachrichten bis in das dritte Jahrtausend vor
Christi Geburt zurück. In der westlichen Kulturwelt aber lässt sich
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75«
Seide.
die Bekanntschaft mit dieser ostasiatischen Erfindung nicht vor dem
ersten vorchristlichen Jahrhundert mit Sicherheit nachweisen. Allerdings
wusste schon Aristoteles t Hist. anim. V, Cap. 17 bezgl. 19), dass es einen
Wurm gebe, der einen Kokon (ßoußüiuov) erzeuge, welcher von einigen
Frauen {zuerst sei dies auf Kos von Pamphile, der Tochter des Plates,
geschehen) abgehaspelt und verwebt werde. Aber die neuere Forschung
hat erwiesen, dass es sich hier nicht um den echten, sich lediglich
von den Blättern des Maulheerbaums nährenden chinesischen Sciden-
wnrin, sondern um einen der wilden an den verschiedensten Stellen
der Erde und auf den verschiedensten Bäumen vorkommenden seide-
spinnenden Warmer handelt.
Es sind vollkommen durchsichtige politische Gründe, welche das plötz-
liche Erscheinen chinesischer Seide, vielleicht zusammen mit anderen
ostasiatischen Kulturgütern (s. u. Pfirsich und Aprikose), auf den
Märkten des römischen Reiches im ersten Jahrhundert v. Chr. be-
greiflich raachen. In dieser Zeit hatte sich in Folge der langjährigen
Entdeckungsreisen eines chinesischen Generals Tschaug-Kieu nach den
Ländern am Oxns und Jaxartes ein lebhafter Handelsverkehr chine-
sischer Karawanen mit den 'Ansi, d. h. den Parthern, den gefährlichen
Nachbarn des römischen Reiches, angesponnen, deren Kauflente wiederum
in weiter Ausdehnung die anstossenden Gebiete durchzogen. Im nächsten
Jahrhundert halte dann ein anderer chinesischer General Pan-tschau
die Grenzen des himmlischen Reiches selbst bis zum Kaspischen Meere
ausgnlel ut, so dass diese und das Reich der Tat-Tsin, d. h. das
Imperium Komanum beinah an einander stiessen.
Wenige Jahrzehnte nach den» ersten Erscheinen der Chinesen auf
den östlichsten Märkten des römischen Reiches ist es nun, dass in
der römischen Litteratur die erste dunkle Kunde von einem fabelhaften
ostasiatischen Volke der Seren auftaucht, welche von ihren Bäumen
ein zartes Gespinst, das 8ericumor)piKov, die Seide abkämmen. Das
Verhältnis des Völkernameus Seres, Xfjpeq zu ^ein Appellati vnm seri-
cttWi-crripiKÖv wird man sieh gegenüber den oben genannten ostasiatischen
Namen der Seide nicht anders vorstellen können als so, dass sericum-
cnipiKÖv direkt einer Form wie dem mandschurischen xirghe entspricht,
und erst aus diesem nach dem Muster von arabicum : Arabes, indicum
: Jndi, aethiopicum : Aethiopex etc. ein Völkername Seren volksetymo-
logisch erschlossen wurde. Der echte und eigentliche Name des Seiden-
lands taucht erst bei dem unbekannten Verfasser des Pcriplus maris
erythraei auf: ^Jenseits dieser Gegend (dem schildkrotreichen Chryse,
der heutigen Halbinsel Malakka) bereits ganz nach Norden liegt eine
sehr grosse Binnenstadt, Thinai (0ivai) genannt, von der die rohe Seide,
Seidengarn und Seidengewebe (£piov Kai tö \f\\xct Kai tö öööviov t6
ZripiKÖv) nach Barygaza über Baktra zu Land gebracht werden und
ebenso auch nach Limyrike vermittels des Ganges. Nach diesem Lande
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Seide.
kann man aber nicht leicht gelangen; denn nur vereinzelte kebren von
ihm zurück". Es kann nicht bezweifelt werden, dass in dem hier
genannten GTvai die erste europäische Erwähnung des heutigen Ge-
samtuamens China (arab. Sin, ind. Cina) vorliegt.
Dass die chinesische Seide von einem Wurme herrühre, ist dem
klassischen Altertum lange unbekannt gewesen, obgleich schou im
ersten nachchristlichen Jahrhundert ein mazedonischer Kaufmann Mae«
Titianos zum Einkauf seidener Stoffe bis nach .Sera nietropolis (wahr-
scheinlich Sin-gan-fu, die Hauptstadt der Provinz Shensj) seine Agenten
schickte. Die von ihnen zurückgelegte Strasse von den Euphratlündern
bis Baktrien und von da quer durch Centraiasien (Serica) ist in dem
Werke des Ptolemäus dargestellt. Die erste Kenntnis des chinesischen
Seidcnwurms uud seiner Zucht verrät aber erst Tansanias (VI, 26, 4) in
in der zweiten Hälfte des II. Jahrhunderts: ^Dieses Tierchen (o"n.p .der
Seidenwurm', wie Zppc^ wohl ebenfalls aus o*n.piKÖv fälschlich erschlossen)
ist doppelt so gross wie der grösste Käfer, gleicht sonst aber den Spinnen,
welche an den Bäumen weben; wie diese hat es 8 Füsse. Diese
Tiere ernähren die Seren, indem sie Hänser errichten,
welche für die Winter- wie für die Sommerzeit passend sindu u. s. w.
Da nach chinesischen Berichten im Jahre 1(56 n. Chr. eine römische
Gesandtschaft des Kaisers' An-Tun (M. Aurclius Antoninns am kaiser-
liehen Hof in Loyang erschien, liegt die Vermutung nahe, dass Pnusanias
seine genauere Kenntnis ihren Berichten verdankte.
Eine zweite Benennung der chinesischen Seide, namentlich im Osten
des imperinm Romannm, aber auch im Albanesischen (mmdafxt), im
Armenischen (mefaks), im Syrischen und Arabischen [dimaqü aus
*midaqx) wiederkehrend, ist griech. u^raEct, u^TaEov, ueraSiq u. s. w.
Der Ursprung des Wortes ist noch nicht gefunden. Es begegnet zuerst
bei dem römischen Dichter Lucilins (180— lOil v. Chr.) iu der Form
mata.ra und in der Bedeutung ,Strfihucf, , Faden', ,Seil*, in der es auch
in den romanischen Sprachen mit Ausnahme des Walachischen (nun.
mejaxq ,Seidc'> gilt.
Die Seide, weil nur auf Handelswegcn aus weiter Ferne erreichbar,
ist im ganzen Altertum ein äusserst kostbarer, nur dem höchsten Luxus
erschwingbarer Stoff geblieben, bis unter der Regierung des Kaisers
Justinian '527 — 565) Mönche die ersten Seidenwürmer aus dem Seiden-
land Serinda nach Byzanz brachten (vgl. Prokop B. G. IV, 17). Den
Arabern, die eine lebhafte Seidenindustric schon aus den iranischen
Ländern mitbrachten, ist vor allem ihre Verbreitung über Spanien,
Sizilien, Italien n. s. w. zu danken.
Wann die ersten Seidenzeuge nach dem Norden Europas gekommen
sind, lässt sich nicht genau ermitteln. Alarich soll schon im Jahre 409
bei der Schätzung, die er der Stadt Rom auferlegte, auch 4000 seidene
Gewänder gefordert haben. In Jütland wurden kostbare, mit Gold und
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Seide — Seife.
Silber gestickte Seidenstoffe in einem Fund, der aus der Zeit um 950
herrührt, festgestellt (vgl. G. Buschan Präbist. Gewebe, Brauusehweig
189V) 8. 29 Anm.). Eine frühe Vermittlerrolle zwischen Orient und
Oceident scheinen hierbei die 81a ven gespielt zu haben, deren Bezugs-
quelle seidener Stoffe vielleicht nicht nur in Byzanz gelegen war. Bei
den Nordgermanen (agls. seolc, altu. silke, die auf eine Grundform mit
kurzem e : *8ericum, nicht xtricum hinweisen) und in ganz Osteuropa
(lit. szilkai, altpr. «ilkas, altsl. ielkü) gilt ein Wort für Seide, welches
zunächst wohl aus dem Slavischen stammt, das seinerseits kaum (des l
wegen) aus gricch. onpiKÖv (auch hiess die Seide in Byzanz ueTaEcü,
sondern eher direkt aus einer ostasiatischen Sprache entlehnt hat.
Bemerkenswert ist auch, dass die Slaven Uber einen einheimischen
und weit verbreiteten Ausdruck für Seide, altsl. svila, verfügen, der
eigentlich »Gewinde' (vgl. altsl. viti .winden ) bedeutete. Im Westen
herrschen einerseits die aus lat. sericum hervorgegangenen ir. xiric,
ahd. serih, andererseits die dem lateinischen seta ,Strähuc' (genauer
s('ta Serien) entstammenden romanischen Wörter it. nein, sp. seda, frz.
ttoie, ahd. sida (auch ir. sita, altruss. sida . In den äussersten Süd-
osten ragt ein iranisches Wort: bulg. ibrixim, rum. ibrixin aus npers.
ebresum, ebrexem (vgl. P. Horn Grundriss S. 10, Hübsehnianu Annen.
Gr. 8. 107) herüber.
Auch Bezeichnungen feiner Gewebe im allgemeinen werden in den
nördlichen Sprachen für 8eide im besonderen gebraucht. So namentlich
das bei Germanen uud Slaven verbreitete ahd. gotmreppi, agls. gode-
weh, altn. godvefr, altsl. godotnbli u. s. w. Bezeichnet es .Gottes-
gewebe', so auf den frühzeitigen Gebrauch seidener Gewänder im christ-
lichen Kultus hindeutend (wie etwa ahd. pfellöl für einen mittelalter-
lichen Seidenstoff aus lat. pallium, pallidum .kirchliches und weltliches
Prachtgewaud' stammt), oder ist der Name Gottes erst missbräuchlich
in ein Wort dunklen Ursprungs hineingetragen worden? Über altsl.
bracina ,sericae vestes' etc. s. u. Hose. Dunkel : ir. xröl .Seide'.
Auf die grosse Zahl mittelalterlicher Benennungen seidener Stoffe
und Gewänder, die teils von Byzanz, teils von Persern und Arabern
u. s. w. ausgegangen sind, soll hier nicht eingegangen werden. — Vgl.
E. Pariset Histoirc de la soie Paris 1802 und Vf. Haudelsgeschichte
uud Warenkunde I, 22U ff. 8. auch u. Maulbeerbaum, Gewebestoffe,
Zimmet.
Seife. Die erste namentliche Erwähnung der Seife, und zwar
als einer gallischen Erfindung, geschieht durch Plinius Uist- nat. XXVIII,
191: Prodext et xapo, Gallorum hoc ineentum rutilandis
capilUit. fit e.r xebo et cinere, optimus fagino et caprino (s. u.
Ziege), duobus modix, xpixsus et liquidum, uterque apud Germanos
maiore in um tirix quam feminin. Das hier genanute lat. sapo
(wegen der Länge des Stammvokals vgl. attrito xnpone genas pur-
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Seite - Senf. VßV*' >
gare menwnto Poet. lat. min. ed. Baehrens III, 114) erweist sich aber '.iL--
als eine Entlehnung nicht aus dem Gallischen, sondern aus dem Ger-
manischen, in dem zunächst ahd. seifa, seifar ,Schaum' (vgl. Mart.
XIV, 2ü: caustica Teutonicos accendit sputna capillos), agls. sdpe,
(uruord.)-huu. saippio bestehen, die weiterhin mit lat. sebum ,Talg'
urverwandt sein können. Neben urgerm. *saipa-, *saipia- muss ein
nahverwandtes *sdpa- (vgl. altn. sdpa und Noreen Abriss der urgerm.
Lautl. S. 214) gelegen haben. Aus diesem stammt lat. stipo (it. sa-
pone etc.). Einen anderen Weg der Erklärung schlägt Kretschmer
Einleitung S. 24 Anm. 2 ein, indem er annimmt, das lateinische Wort
sei von den festländischen Vorfahren der Engländer übernommen worden,
die schon vorPlinius d für «/gesprochen hätten(?). Von hier stamme
auch das nordische sdpa.
Wie ans dem Germanischen ins Westfinnische, ist es aus dem Latei-
nischen ins Griechische ((Tdmuv) und aus diesem wieder ins Persische,
Arabische, Türkische bis ins Ostfinnische (mordv. sapin u. s. w.i ge-
wandert. Andere nordische Namen der Seife sind: altn. laubr, agls.
Uador : gricch. Xoüw, lat. larare, wie russ. viyfo (lit. muHas), poln.
mydlo : russ. myt'i , waschen'.
Wie die angeführte Stelle des Plinius zeigt, wurde die Seife von
Galliern und Germanen zunächst zum Rot färben der Haare ver-
wendet, und auch Martialis VIII, 33, 20 giebt eine spuma Hataca
als Haarfärbemittel an. Bezeichnend hierfür ist auch das agls. tcelg,
unser „Talg*, das ganz die Bedeutung von , Farbe' angenommen hat.
Es müssen der Seife also allerhand pflanzliche Farbstoffe /.ugemengt
gewesen sein, worauf auch Ovid De arte amandi III, 1(»3 deutet:
Femina canitiem Germanis inficit her bin. So wurde der sdpo
zunächst auch in Rom gebraucht, bis man dann auch zum Waschen
nach dem Vorbilde der Nordländer eigentliche feste Seife (spissus sapo)
herzustellen lernte. Über die Mittel, deren man sich im Süden vor
der Erfindung der Seife beim Waschen bediente, das Reiben und
Stampfen der Wäsche in reinem Wasser, die Aschenlauge, das minera-
lische Laugeusalz (lat. nitrum, s. u. Soda), alkalisches Wasser,
Urin, verschiedene Pflanzenatoffe n. s. w. hat ausführlich J. Beckmann
Beyträge zur Geschichte der Erfindungen IV, 1 gehandelt.
Seil, s. Strick.
Selbsthilfe, s. Blutrache, Körperverletzung, Mord, Recht,
Strafe.
Selbstmord, s. Alte Leute.
Selbst verflnehune, s. Eid.
Sellerfe, s. Garten, Gartenbau.
Senf. Sinapis alba L.} der weisse Senf, ist wahrscheinlich
nur in Südeuropa, Brassica nigra L.} der schwarze Senf, dagegen
in ganz Europa, ausser in Norwegen, Schweden und Nordrussland,
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762
Senf — Sesatn.
einheimisch (nach A. Engler bei V. Hehn s. n.). — Der Senf wird als
beissende Substanz schon von den attischen Komikern erwähnt. Sein
älterer Name vottu ist wahrscheinlich identisch mit lat. ndpus ^Steck-
rübe'. Ähnlich sind in den deutschen Dialekten Sinapis arvemis und
Baphanistruni arrense übereinstimmend benannt (vgl. Pritzcl- Jessen
Volksnamen S. 378 u. 327). Der spätere, hellenistische, in seinem
Verhältnis zu vottu aber noch unaufgeklärte Name ist oivam, oivctTru.
Dieser ist ins Lateinische iginapi*, Plantns) und in die germanischen
Sprachen (got. sinap, ahd. senaf, agls. sünep) übergegangen. Ein-
heiimsc he volkstümliche Bezeichnungen Nordeuropas, wie kymr. cethtc,
vedic, ceddw, agls. cedelc, lit. garstytis, altpr. garkity, poln. gorczyca
u. a., sind hierdurch und durch it. mostarda etc. ,Mostrich' (mhd.
mostert, musthart) von lat. mustum ,Most', mit dem der Senf an-
gemacht wurde, und das ebenfalls eine sehr grosse Verbreitung in
Europa gefunden hat, eingeengt worden. Zu bemerken ist noch, dass
im Altertum wie im Mittelalter bis ins XVI. Jahrhundert nicht nur
der Senfsamen in der bekannten Weise verwendet, sondern auch das
Kraut des Senfes als Gemüse oder Salat zur Speise diente.
Im Neugriechischen heisst nur der schwarze Senf ffivdm, während
der weisse Xaiydva t bei Diosk. Xauiyavri ,ein wildes Gemüse' und
dirpioßpoGßa, all). Vinaride und rrurr e barde (ngriech. ßpoOßot ,grauer
Senf) genannt wird. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen0 S. 206, v. Fischer-
Benzon Altd. Gartenfl. S. 10S.
Scnkstein, s. Anker.
Sense, s. Sichel und Sense.
Sesam. Sesamum Orientale und indicum L., dessen Same zur
Bereitung eines» geschätzten Öls und als Würze der Speisen im Alter-
tum diente, und noch heute im Orient und in Griechenland dient, soll
nach De Candolle Ursprung der Kulturpflanzen S. :">3l ff. auf den
Sundainscln einheimisch sein. Seine Kultur tritt in Indien schon zur
Zeit des Atharvaveda auf, wo sie neben der von Reis, Gerste und
Bohnen genannt wird. Ebendaselbst wird das Scsamöl (taila- : tila-
jScsam ) schon zu Opferzwecken verwendet (vgl. H. Zimmer Altind.
Leben S. 240 f.). Von Indien muss die Pflanze sehr frühzeitig in die
Euphratlünder vorgedrungen sein, wo sie die Stelle des Ölbaums
(s. d.) vertrat. Vgl. Herodot I, 193: £k bfc KfeTXP°u KCtl o"n.ödjjou öcrov
ti b^vbpov u€Y0t6oq xiv€Tai .... xptovrai bfc oubfcv ^Xcuuj, dXX' 4k tüjv
ariödpujv TroieüvTcti. Dagegen lässt sie sich weder im Alten Testament,
noch auch in Ägypten vor Theophrast nachweisen.
In Griechenland begegnet erderauov, anaapov (häufig im Plural) zuerst
im VII. Jahrhundert bei dem Lyriker Alknian (Bergk Frgni. 74 1:
KXivai u£v ima Kai TÖaat Tpancabai
paKUJVibujv äpiwv £mo*T*'(pot<Jai
Xivuj T£ ffaadpiu tc.
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Sesam — Sichel und Sense.
763
Das Wort ist semitischen Ursprungs, aus arab. stisim, simsim, PI.
simäsim, arain. xümxema, xuxmd (vgl. auch arm. susmay) hervorge-
gangen (vgl. Muss-Arnolt Trnnsaetions XXIII, 111). Im Lateinischen
wird sesamitm seit Plautus genannt. Über den Anbau der Pflanze
vgl. Columella De re inst. II, 10, 18. Nach dem Norden ist sie nicht
tibergegangen.
Sessel, s. Hans rat.
Sesshaftigkeit, s. Ackerbau, Garten (Gartenbau), Viehzucht.
Seuche, s. Krankheit.
Sexagesimalsystem, s. Zahlen.
Sichel und Sense. Wie n. Ackerbau gezeigt ist, geht ein
gemeinsamer Name der Sichel: gricch. äpTrn. = altsl. srüpü in die
europäische Urgeschichte zurück. Ferner dürfen lat. fahr .Sichel'
(dessen bisherige Verbindung mit lat. fiecto und griech. <pdtXKn.<; »Schiffs-
rippe' wenig überzeugendes hat) und lit. datgk .Sense' mit einander
verglichen werden (St. *dhalg ; ans lat. *folg- wurde im Xom. vor s
fale-, von wo aus das c nach Analogie von Wörtern wie cal.r, calcis
in die übrigen Casus eindrang). So auch Mikkola B. B. XXV, 74.
Weiterhin werden von Zupitza K. Z. XXXV, 2t>4 ir. corrtln und
griech. Kpuümov ,Sichcr (gricch. Kapiro? , Frucht', lat. carpo, lit. kirpti
,init der Scheerc schneiden', sert. krpdna- ,Sehwert') mit einander
verglichen. Hinsichtlich des ahd. sihhila, agls. sieol zweifelt mau, ob
Entlehnung aus lat. .sfeula oder Urverwandtschaft mit lat. xeges etc.
vorliegt (für ersteres Kluge in Pauls Grundriss I*, 344, für letzteres
Korccu Urgenn. Lautl. S. 1 83).
Werkzeuge, welche mit Sicherheit auf das Abmühen des Getreides
zu beziehen wären, sind unseres Wissens aus der Steinzeit noch nicht
bekannt geworden. Xur im .Mond- und Attersee, dann bei Heichenhall
sind halbmondförmige .Messer zu Tage getreten (Sammlung des Dr.
M. Much in Wien), die vielleicht für Sicheln gelten können. Unver-
kennbare Sicheln treten dagegen mit dem Kupfer (vgl. Much Die
Kupferzeit2 S. 187) und in Massen mit der Bronze auf (vgl. Lubbock
Die vorgeschich. Zeit S. 29, 41, Montelius Kultur Schwedens* 8. 70^
Im klassischen Altertum ist ausser der halbkreisförmigen Sichel (griech.
hom. bpcndvri : bpen-uj schneide' neben dein Hesiodeischen äpnr)) ein
anderes Erntewerkzeug nicht nachweisbar. Mit ihr wird das Getreide
nach Varro De re rust. I, 50 entweder unter der Ähre, in der Mitte
oder am Ende des Halmes abgeschnitten. Über die hiervon abhängigen
verschiedenen Methoden des Dreschens 8. d. Bei den Galliern
kennt Plinins XVIII, 29(> eine Art Mähmaschine.
Dagegen tritt im Norden frühzeitig die Sense (ahd. w'gansa, altn.
rigor, agls. »igde, ndd. sieht : lat. seenre, lit. dafgh s. o., altsl. kosa
(ob vielleicht zu nhd. hacken, W. kok) auf. Man darf vermuten, dass dieses
Werkzeug zuerst hei dem Geschäft des Heuers und auf den saftigen
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764
Sense und Sichel — Silber.
dem Süden versagten Wiesen des europäischen Nordens (s.u. Futter
kräuterj aufkam, und von hier aus auch auf die Getreideernte an-
gewendet wurde. Die Abbildung eines angelsächsischen Hauern aus
dem VIII. Jahrb. 'vgl. Anton Teutsche Landwirtschaft I, 98) zeigt
denselben einerseits mit der gezahnten Getreidesiehcl, andererseits mit
der nicht gezahnten Grassense. Bezeichnender Weise ist altsl. kosa
ins Neugriechische (Komd), ins Albanesisebe (kose) und ins Magyarische
(kasza) entlehnt worden. — S. u. Werkzeuge.
Sieb. Dies bei dem Zustand des Mehls, in welchem dieses
aus den primitiven HandmUhlcu der Urzeit 's. u. Mahlen, Mühle)
herauskommen musste, doppelt notwendige Werkzeug war schon in
vorhistorischer Zeit in Europa bekannt. Vgl. lat. cribrum = ir. cria-
thar, agls. hrldder, ahd. rttara : griech. Kpivw, lat. cemo ,sichte'.
Eine gemeinschaftliche Bezeichnung des Siebens scheint ferner in griech.
0ctui (*<«/?-), att. bidrruj, all). *o.v, altsl. sfjati (sito ,Sieb'i, lit. sijöti
(sietas .Sieb', altpr. aiduko .Siebtopf'; vorzuliegen. Westgerm. ahd.
sib, agls. sife wird zu dem gemeingerm. ahd. sihan, agls. seon, ahn.
sla Reihen' gestellt und bezieht sich, wenn dies richtig ist, zunächst
auf flüssige Dinge. Griechisch noch xr]\\a, öXeupö-Tncriq (dunkel), kö(J-
Ktvov (: k€0"kiov ,Werg, Abgang des Flachses ), icpnacpa (dunkel).
Die ältesten Siebe werden Siebtöpfe gewesen sein, die schon in
der Steinzeit nachgewiesen wurden und z. B. aus dem nordwestlichen
Böhmen im Wiener naturbistorischeu llofmnseum zu sehen sind. Sonst
werden Siebe aus Netz- oder Flechtwerk (vgl. lit. retis ,grobcs Sieb'
= lat. rite ,Xctz ) und für flüssige Dinge aus Leinwand und Wolle
verfertigt worden sein. Die Gallier hatten nach Plinius Hist. nat.
XVI II, 108 Siebe aus Pferdchaarcn erfunden: Cribrortim gener a Oalliae
ex saetis equorum int euere. — S. u. Ackcrban und u. Werkzeuge.
Siedelting, s. Dorf.
Sieg, s. Krieg.
Siegelring, s. Edelsteine und King.
Silber. Ausserhalb der klassischen Länder treten Silberfunde
erst nach oder während der Hallstattperiode, also gleichzeitig mit dem
Eisen (s. d. ), auf. Eine Ausnahme hiervon macht nur Spanien, wo
nach den Funden der Gebrüder Siret das Silber zusammeu mit Kupfer,
Gold und Bronze vorkommt und so gewöhnlich ist, dass es ausser zu
Schmuck auch znm Annieten der Dolchklingen au die Hefte etc. ver-
wendet wurde. Über den Silbereichtum der Iberischen Halbinsel vgl.
auch Strabo III, p. 147 f. In Griechenland sind silberne Vasen schon in
Mykenac an den Tag gekommen, wie auch der Burghügel von Hissarlik
bereits in der II. Stadt Silber in Form von Gefässen oder Barren
darbietet.
Diesem prähistorischen Fundbestand gegenüber und gegenüber der
in diesem Werk vertretenen Ansicht, dass das einzige der idg. Urzeit
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Silber.
bekannte Metall das Kupfer (s. d.i gewesen sei, fällt es auf, dass
scheinbar eine urverwandte Bezeichnung des Silbers in den idg. Sprachen
vorhanden ist: scrt. rajata-, aw. erezata-, armen, arcaf (mit auf-
fälligem Snftix, für das man lantgesetzlich *-anf nicht -at* erwarten
sollte), lat. argentum, ir. argat. Allein eine nähere Betrachtung dieser
Reihe macht es wahrscheinlich, dass ihre Übereinstimmung in der Be-
deutung , Silber' mehr oder weniger auf Zufall beruht. Im Rigveda
bezeichnet rajatd- (wie darqatd- , ansehnlich', yajatd- , verehrungs-
würdig'), das daselbst nur einmal vorkommt, nichts anderes als ,weisslich",
und erst in einem anderen und späteren vedischen Text i Taittiriya-
samhitä I,ö, 1,2) wird des Silbers mit der weitläufigen Umschreibung
rajatdih hiranyam , weibliches Gold' gedacht. Erst im Atharvaveda
tritt dann rajata- in der substantivischen Bedeutung von Silber auf.
Ähnliche Verhältnisse herrschen im äusserten Westen unseres Sprach-
gebiets. Am frühsten belegt ist der keltische Silbername (ir. argat,
kymr. ariant, bret. urckant, korn. arhanz) in den altgallischen Städte-
namen Argento-ratum iStrassburg», Argentomagus, Argento - varia
(Arzcnhcim), Argento dubrum (dubrum , Wasser ). Bedenkt man nun,
dass Silber in Gallien nach Diodorus Siculus (V, 27, 1) überhaupt
nicht vorkam, in jedem Falle aber »vgl. Strabo IV, p. 191) daselbst
nur selten war, so kann es als fast sieher angenommen werden, dass
argento- in jenen Ortsnamen gar nicht ,Silber', sondern nur , weiss",
, licht' bedeutet, dass also ein Argento-ratum (: ir. rdth , Königsburg')
nichts anderes als ,Weissenburg' oder , Lichtenfels', ein Argento- dubrum
nichts anderes als ,Weisswasser' (vgl. Weissensee) u. s. w. ausdrückt.
Ks hat demnach in der idg. Grundsprache ein Adjektivum *rg-nto-
oder *rg-)ito- ,wcisslicir bestanden, welches in den Einzelsprachen auf
das Silber angewendet wurde, als dieses auftrat, genau so, wie dies
im Griechischen mit dem von demselben Stamme gebildeten <5p-ru-po<;
(vgl. scrt. drjuna-, lat. arga tus) der Fall war. Dabei braucht nicht
geleugnet zu werden, dass die Auswahl gerade dieses Adjektivum»
zur Bezeichnung des Silbers wenigstens teilweis auf sachlichen und
geographischen Zusammenhängen beruht oder beruhen kann.
So ist das wichtigste Erzeugungsland des Silbers im gesamten Vorder-
asien Armenien (vgl. die Belege bei Vf. Sprachvergl. u. Urgescb.*
S. 261 ff.). Es wäre also nicht unmöglich, dass hier das idg. Adjek-
tivum Bich zuerst in der Bedeutung »Silber* (armen. *argat nach der
Lautverschiebung arcat') festsetzte und von hier nach dem silberarmen
Iran (nur aw. erezata-, sonst afgh. spin zar »weisses Gold', npers. sim,
kurd. ziw aus ngr. äo"f)ui .Silber', eigcntl. <5cm,uos ,ungeprägt') vordrang,
in d e r Weise, dass es ein schon früher vorhandenes iranisches *erezata~,
*arzata- ,weiss' zur Übernahme der Bedeutung , Silber' veranlasste. In
ähnlicher Weise könnte dann wieder das iranische Wort massgebend
für die Bedeutung des indischen geworden sein. Bemerkenswert ist,
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Silber.
dass ungefähr gleichzeitig mit dem Silber in der indischen Litteratur
das Maultier (agvatard ) auftritt, dessen Herkunft gleichfalls (sachlich)
auf Armenien zu deuten scheint (vgl. v. Bradke Zur Methode etc.
S. 87). Vorraussetzung fdr derartige arnicniseh-iranisch-indische Kultur-
zusammenhänge ist freilich die Annahme, dass das Verbreitungsgebiet
der Armenier frühzeitig dem der Iranier benachbart war, eine An-
nahme die historisch nicht ganz unbedenklich ist (vgl. E. Meyer Ge-
schichte des Altertums I, 296, 559, II, 41 und s. u Urheimat).
Sicherer ist der armeuische Silbername, in anderer Richtung wandernd,
in kaukasische Sprachen (awarisch aratz u. s. w.) eingedrungen, viel-
leicht als Gegengabe für den Namen des Eisens, den die Armenier
von dort empfingen (s. u. Eisen). Iu ähnlicher Weise kann man Be-
ziehungen der keltischen Silbernamen zu dem lat. argentum (vgl.
Adjektiva wie cru-entus, sil-entus, Substautiva wie ungu-entum, flu*
entum) konstruieren, wie denn auch R. Much Z. f. deutsches Altert.
XLII, 104 annimmt, „dass ital. argentom, gall. britt. arganton, mir.
argenton .weiss, glänzend' (was Much also mit uns als Grundbedeutung
der ganzen Sippe ansetzt) im Keltischen unter dem Einfluss des Ita-
lischen die Bedeutung ,Silber' angenommen hat-. Der Versuch aber
(v. Bradke a. a. 0.), auch das lat. argentum an das armenische arcat'
durch thrakisch-illyrische Vermittlung (s. u. Esel und u. Maultier),
anzuknüpfen, stösst auf die Schwierigkeit, dass das thrakische Wort
für Silber ganz abweichend lautet (vgl. axtipicr)' ©pqnaoYi dprüpia.
Hesyeh). Vgl. noch alb. arg'unt aus lat. argentum.
Wenn wir demnach für Europa über die Herkunft des Silbers durch
die Sprache zunächst keinen Aufschluss erhalten, so führt doch die
Tradition in Griechenland in höchst bemerkenswerter Weise auf einen
schon oben hypothetisch genannten Ausgangspunkt des Silbers, nämlich
wiederum in die Nähe Armeniens, an die Gestade des Pontus Euxinus.
Schon Homer (II. II, 857) keimt die politische Stadt 'AXüßn, „wo das
Silber seinen Ursprung habe":
TnXööev il 'AXußrjs Ö6ev äpYopou i<5x\ ttv^öXr).
Aus diesem 'AXußn. (für *ZaXüßn,) hat nun V. Hehn die nordeuro-
päischen Namen des Silbers, die sich keilförmig in die vom Stamme
*VÖ "i *t!J- gebildeten Silbernamen einschieben, got. silubr, altsl. slrebro,
lit. siddbras, preuss. nirablan abgeleitet. Und man muss sagen, dass,
wenn auch diese Kombination iu lautlicher Hinsicht manche Rätsel
zurücklässt (was bei unserer Unbekanntschaft mit den Zwischenstufen
derartiger Entlchnungsreihcn kaum zu verwundern ist), sie an Ein-
fachheit und sachlicher Überzeugungskraft alle anderen Deutungsver-
versuche (vgl. F. Hommel Korrespondenz-Blatt 1879 Nr. 7 u. 8 und
Archiv f. Anthrop. XV Suppl. S. 162 ff., der die germano-balto-slavischen
Wörter mit einem ursemitischen *nirpara ,Silber' verbinden möchte,
oder vollends W. Bruinier Korresspondenzblatt 1895 Nr. ö, der zur
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Silber — Singen.
767
Erklärung von slrebro etc. sogar ein japanisches siro ,weiss' heran-
zieht) bei weitem Übertrifft.
Die ältesten historischen Nachrichten vom Gebrauche des .Silbers
in Deutschland geben Caesar (VI, 28), der von dem Vorhandensein
silberbesch lageuer Triukhörner berichtet, und nach ihm Tacitus iGerm.
€ap. »), der silberne Gefässe als auswärtige Geschenke im Besitz der
Vornehmen kennt.
Älter als bei den Indogermanen Europas und Asiens dürfte das
Silber bei den semitischen Völkern sein, die einen übereinstimmenden
Namen dafür besitzen (he.br. Jcesef ~ assyr. kaspu, neben den ab-
abweichenden assyr. mrpu und sumerisch ku-babhar). Bemerkenswert
ist ferner, dass im Ägyptischen (hat, koptehat .Silber', eigentl. .weiss'),
wie im Assyrischen, bei Aufzählung der Metalle und anderer Kostbar-
keiten das .Silber nicht selten vor dem Golde genannt wird (s. darüber
u. Metall e). Häufig wurde das Silber in der alten Welt erst, nach-
dem den Phöniziern die Ausbeutung der spanischen Silbergruben (s. o.)
gelungen war. Unter dem Eiufluss dieser neuen in die Geschichte ein-
tretenden Silbermeugcn nahm das griech. äpYupiov, wie das lat. argentum,
die Bedeutung von ,Geld' Uberhaupt au. Schon oben sind die silbernen
Talente von Hissarlik erwähnt worden. Zu bemerken bleibt, dass
die Westfinnen, die das Gold und das Eisen germanisch benennen,
einen nicht aus dem Germanischen stammenden und weitverbreiteten
Namen für das Silber (finnisch hopea, estn. hohe, weps. hobed u. s. w.)
haben, der noch nicht sicher erklärt ist.
Im allgemeinen darf hinzugefügt werden, dass gerade für die Ge-
schichte des Silbers von der zukünftigen Forschung in sachlicher und
sprachlicher Hinsicht weitere Aufklärung erhofft werden muss. — S. u.
Metalle.
Silphimn. Die in Griechenland seit Sophokles (Frgm.t und
Herodot (IV, 169.) als aiXqpiov (OtXTrov Hes.), in Italien seit Plautus
als nirpe wohlbekannte und als Gewürz wie Arznei hochgeschätzte
Pflanze hat botanisch noch nicht sicher bestimmt werden können. Der
griechische und lateinische Name sind offenbar unabhängig von ein-
ander aus einer orientalischen Quelle entlehnt, die man in hebr. ttirpad
,eine Steppenpflanze' gefunden zu haben meint. Wort und Sache werden
zunächst auf Cyrene zurückgehn, dessen Reichtum an Silphium berühmt
war. Orientalischen Eindruck machen auch ucrrubapis ,Same, Wurzel
und Stengel des Silphium' sowie uaaneTov , Blatt des Silphium'.
Als das echte afrikanische Silphium immer seltener wurde, identi-
ficierten die Römer ihr laserpicium (aus *laser serpiäum), die in
Persien, Medien und Armenien vorkommende Am fötida L., mit dem
Silphium. Eine Erklärung des lat. laser, lanar steht noch aus. — S.
u. Aromata.
Singen, s. Dichtkunst, Dichter.
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768
Singvögel.
Singvögel. Unter den zu dieser (hier im weitesten Sinne ge-
nommenen) Klasse gehörigen Vögeln ist bis jetzt für einen einzigen,
den Häher, Übereinstimmung zwischen Asien und Europa nachgewiesen
worden, indem sert. kiki-divi-, kiki- dem griech. <iaaa und alid. hehara,
agls. higora entspricht (W. kik, altn. hegre ,Reiher' s. u. Sumpf-
v ö g e 1).
Alle anderen Entsprechungen auf diesem Gebiet beschränken sich
auf Europa und beziehen sich auf folgende (alphabetisch geordnete)
Vögel :
Amsel: griech. KÖiyixoq, altsl. äoäm; lat. merula m&*mettula-} ahd.
amxel, agls. dsle aus *wä/o-(?). Einzelsprachlich: griech. mxXtj,
dor. KixnXa und KÖffffucpoq, geraeinkclt. kymr. mwyalch, kom. moelh,
bret. moualch {*meisalko- : ahd. meisa ,Mcise7), lit. szwilpökas :
8zxcilpiü ,pfeife' und szeie, altpr. seese. S. auch u. Drossel.
Ha eh stelze: lit. kiele, kyU, lett. zttaica, griech. KiXXoupo^, letzteres
von einem einfachen *KiXXa : muj bewegen', griech. Ki-ve-uu ,bc-
wege', lat. cito ,schneir (vgl. anch lat. mota-ciUa'i) durch Anhängnug
von oupo- : oupd ,Schwanz' gebildet nach der Analogie von Bildungen
wie creioomrn?, (Jeiffoupa, (poivucoupo;, wie denn der Name dieses
Vogels auf zahlreichen Sprachgebieten von dem beständigen Wippen
seines Schwänzchens hergenommen zu werden pflegt: nordd. wedehterz,
wippsterz, it. codatremola, quassacoda u. s. w.
Drossel: lat. turdus (*turzdo-s)y lit. sträzdax. altn. pröstr neben
altn. pröstle, agls. prysee, ahd. dröttca (I Juice per ora sonat, dicunt
quam nomine droscam, Carmen de philomela). Undeutlich wie das
Verhältnis der drei zuletzt genannten Wörter zu den ersteren, ist auch
das der slavischen Ausdrücke drozdü, drozgü zu der ganzen Gruppe.
Vgl. noch körn, melhuet, bret. milfid, *mel-svit, woraus frz. maurfo
und mhd. kranewitrogel : ahd. chranateitu ,Kraniehholz', , Wachholder'.
S. auch n. Amsel.
Elster: altsl. svraka, lit. szrirka, altpr. sarke. Einzelsprachlich:
lat. pica : picus ,Specht', ahd. agahtra, agazza, agls. aguy altndd.
agaxtria.
Finkc: griech. amTToq ' 0"mvoq (,Fink') Hes. vgl. amha .piepe',
(JmEa ,Fink ), agls. finc, ahd. /Incho (**pingo- : *pingo-, vgl. noch it.
pincione, frz. pinxon). Einzel sprach lieh: lat. fringilla, gcmeinsl.
*velga, altsl. clüga ,Goldtink' (mit stark wechselnder Bedeutung', altpr.
steibe, lit. sziube (nihd. zixec, zise .Zeisig' und stigliz ,Sticglitz' sind
aus den slavischen cech. viiek und stehlic entlehnt; altpr. singuris
,Sticglitz).
Krabe, s. Rabe.
Habe und Krähe: Charakteristisch für beide Vögel ist zunächst
der Laut qor : griech. KÖpaE. lat. comm griech. Kopiuvn, lat. corni.r
(ir. erti ,Krähe'), ferner qraq : lat. cröcio, altsl. krakafi ,kräeh/.cn'
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Singvögel.
7G9
(vgl. auch altpr. kracco, lit. krakia ,Sehwarzspecbt'), russ. karkunü (neben
krukü) ,Rabc', altn. hrafn, abd. hraban <*kraq-no-\, auch als qrag :
griech. KpwZw, abd. hruoh, altn. hrökr, als graq : lat. graculus und
als grag : altn. AtWäyi gehört. Vgl. noch altsl. grajati, lit. gröti
,kräehzcn' = abd. kr den, wozu ahd. krdja, krdwa, agls. crdwe , Krähe'
(ir. grau-berla, i. ier/« fiachda ,lingua corvina'?). Der .schwarze' be-
deutet altsl. vranü ,Rabc', altpr. warne .Krähe', warnis .Rabe', lit.
warnas (vgl. sert. vürna- , Farbe'?), wie altsl. galica, russ. galka,
alb. galt , Dohle' sich : serb. galiti se .schwarz worden' stellt. Vgl.
noch ahd. täha, lat. monedula, griech. koKoiö?, altpr. kose {coswarnis
für cohearnis ^Saatkrähe'?), lit. kösas , Dohle'. Über Beziehungen des
Rabengeschreis zu dem Krähen des Haushahns s. u. Hahn, II u h n.
Über den Raben als heiligen Vogel des Mithra, Wodan, Apollo vgl.
W. Tomaschek Kritik d. ältesten Xachrichten über den skythischen
Norden (Sitzungsb. d. kais. Ak. d. W. in Wien phil.-hist. Kl. CXVI,
18 f.).
Sperling: griech. ffirapdatov öpveov ^epepfcq o*xpou6w Hes., got.
spanca, ahd. sparo: griech. cm^pfouXoq • öpviödpiov ärpiov Hes., altpr.
spurglis, spergla-wanag ,Sperber' („Sperlingshabicht"). Einzel-
spr achlich: griech. aTpou0ö? (von einigen : lit. strdzdas , Drossel'
gestellt), \&t. passer (kaum = mbd. spatz), altsl. vrabij (vgl. lit ztoirblis),
korn. goluan, kambr. golfan, arem. golvan.
Star: lat. sturnus, ahd. stdra, altn. stare; griech. tpdp, alts. sprdla(?).
Einzelsprachlich: altsl. skvoriel (woraus alb. zbordk »Sperling'?).
Stieglitz, s. Finke.
Wiedehopf: griech. €rroi|i, lat. upupa (vgl. auch altsl. vüdodü und
npers. püpü, kurd. papü etc., alles onomatopoietisch.
Zeisig, s. Finke.
Die Beschränkung fast aller dieser Gleichungen auf die europäischen
Sprachen findet ihre Entsprechung in der Terminologie der Wald-
bäume (s. d.), die den Wohnsitz der meisten der genannten Vögel
bilden. Merkwürdig ist auch, das» gerade die beiden berühmtesten
unserer Sänger, die Nachtigall und die Lerche, keine Spur von
Übereinstimmung in ihren Namen, auch nicht in den europäischen
Sprachen zeigen. Ohne Zweifel war das Ohr der Indogermanen noch
zu unempfindsam, als dass der Gesang jener den gebildeten Menschen
durch ihr Lied entzückenden Vögel den damaligen Hörer zu einer
individuellen Bezeichnung hätte anregen können (s. auch über die
sprachliche Ausbildung des Begriffes ,Gesang' u. Dichtkunst,
Dichter).
Die Nachtigall heisst griech. dnbwv : ddbw ,siugc', lat. luscinia,
im ersten Teil dunkel, im zweiten: canere, ahd. nahtigala : galan
,singen', altsl. slavij, altpr. solowia : russ. solocoj ,isabellgelb' (vgl.
griech. xta>pn?c ünbwvi, lit. htksztiftgala : laksztyü ,flattern'. Wie mau
Schräder, Reallexikon. 49
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Singvögel — Sippe.
sieht, erlischt gegen Osteuropa hin die Beziehung: zu dem Gesang des
Vogels vollständig. — Die Lerche, die von den Alten weder als
Frühlingsbote, noch als .Sängerin gefeiert wird, hat im Griechischen
einen einheimischen Namen: KÖpuboq, KOpubaXXöq .Haubculerchc' (vgl.
griech. KÖpuq .Helm' und lit. kudjjs : ktidas). Die Römer dagegen be-
nennen den Vogel mit einem gallischen Wort alattda, das jedoch in
den keltischen Sprachen selbst noch nicht mit .Sicherheit nachgewiesen
worden ist. Vgl. noch ahd. Ivrahha* agls. Idwrice, lit. ict/turf/x und
treicersfts, altpr. ttencirsis, altsl. xkorranici. — Auch fUr die Schwalbe
fehlt es an einem gemeinsamen Namen. Sie heisst griech. x^'bwv,
lat. hirundo (die früher angenommene Verwandtschaft beider Wörter
ist nicht haltbar), ahd. sicalaica ,s. u. Eisvogel), kclt. *canneh-,
ir. fttnnall, kymr. gwennaici frz. tanneau .Kibit/. Vi, altsl. lantovica
: lit. lakxtyti ,Hattern', lit. kregz'dt, lett. xirire, cigentl. ,Schweberin'.
Die Bedeutungskategorien, denen die Namen der Singvögel, soweit
sie etymologisch klar sind, entstammen, sind demnach sehr verschieden.
Es kommen hauptsächlich in Betracht: 1. die Farbe (z. B. altpr.
solairix , Nachtigall , cigentl. ,die gelbe ; vgl. noch griech. x^wpiov
, Ammer' : x^wp°S £elb' oder altpr. sineco, russ. xiniai , Meise' : altsl.
sinn ,blau'; 2. der Gesang, indem der Vogel entweder als Sänger,
Pfeifer. Zwitscherer (griech. än,bwv , Nachtigall', lit. sztcilpökas , Amsel',
Omla ,Fink ) bezeichnet, oder sein Name onomatopoietiseh gebildet
wird (griech. KÖpa£ ,Rabe', enoiy , Wiedehopf); :$. Flug und Be-
wegungen (lit. lak.szthlgala , Nachtigall', cigentl. .Flauerer', altsl.
laxtovica ,Sehwalhc' desgl., griech. o"eio*OTruYiq ,Baehstelze '); 4. die
Nahrung (mhd. kranewittogel; vgl. auch ahd. amero, amerinc , Ammer'
: ahd. amar ,Sommerdinkel\ russ. ovssjanka id. : ovi:stl , Hafer'). Von
diesen Gesichtspunkten aus würde also die Deutung der grossen Mehr-
zahl noch dunkler Singvögelnamen zu versuchen scki. — Reichliches
(freilich vielfach nicht zuverlässiges und falsch gedeutetes) Material
bei v. Edlinger Erklärung der Tiernamen Landshut 1K86.
Sippe. U. Familie ist gezeigt worden, dass wir für die gesell-
schaftliche Organisation der idg. Urzeit von dem Begriffe der Gross -
familic oder Hausgemeinschaft auszugehen haben, d. h. von einer
Anzahl räumlich verbundener, nächstverwandter Menschen, welche unter
der absoluten Regierungsgcwalt eines Hausherrn (*dem -s-poti) standen,
dem zugleich ein unbeschränktes Verwaltungsrecht des gemeinsamen
Familiengutcs zukam. Verhältnismässig am reinsten hat sich diese
Familicngcstaltnng in Europa bis in die Gegenwart bei den Südslaven
erhalten, und es wird daher gut sein, hier, wo die Weiterentfaltung
der idg. Familie dargestellt werden soll, den Ausgangspunkt bei den-
selben Völkern zu suchen.
Die Mittelstufe zwischen der Hausgemeinschaft (zadruga) und dem
Stamm (pfeme) ist bei den Südslaven das brat.stvo „die Brüderschaft"
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Sippe.
771
<: altsl. bratü .Bruder). Ein bratstvo entstellt (vgl. für das folgende
F. Krauss Sitte und Krauch der Südsl. S. 32 IT.), wenn blutsverwandte
Brüder aus einer Hausgemeinschaft ausscheiden, aber noch unter ein-
ander auf gleichem Grund und Hoden eine politische (territoriale) und
sakrale (gemeinschaftlicher Schutzheiliger) Vereinigung bilden. Die
einstige Feldgemeinschaft des bratstvo (S. 23) beweist das noch jetzt
bestehende gemeinsame Eigentum in Bezug auf Kirche, Friedhot',
Weideplätze. Mehl- und Stamptmühlen. Jedes br. weist eine Stamm-
sage auf, die den Urahn verherrlicht. Der Name des br. ist von dem
Ahnherrn desselben abgeleitet und wird dem vollständigen Namen des
Individuums beigefügt.
Die Zahl der Mitglieder eines br. schwankt zwischen 30—800, wo-
bei jedoch nur die waffenfähigen Männer gezählt werden. Diese
kämpfen in der Sehlacht unter einander vereinigt. Das Haupt des
br. wird von den brätst venici gewählt. Er ist Anführer des ^.-Kon-
tingents im Kriege, im Frieden der politische Vertreter, teilweis
Kichter, Leiter der öffentlichen Versammlungen, in denen nur die Haus-
vorstitnde Sitz und Stimme haben. Das br. bewohnt, je nach seiner
Seelenzahl, ein oder mehrere Dörfer in der Regel ausschliesslich. Die
bratstvenici betrachten sich in jeder Weise als zusammengehörig. Dies
tritt besonders in der Ausübung der Blutrache hervor. Heiraten inner
halb eines br. scheinen ursprünglich nicht üblich gewesen zu sein.
Durch eine Heirat werden alle bratstsvenici des jungen Weibes prija-
telji .Freunde' des br. des Mannes. Die Institution des br. besteht
gegenwärtig nur noch in der Herzegovinn, der Crnagora und in der
Bocca di Cattaro. In der Lika hat das br. jetzt nur noch eiue sakrale
Bedeutung als eine Geineinschaft verwandter Familien, die ein und
denselben Schutzheiligen verehren.
Es lässt sich nun unschwer zeigen, dass die bei den Süd-
slaven noch heute lebendigen charakteristischen Eigen-
schaften des bratstvo im ganzen oder vereinzelt in längst
untergegangeneu, ohne Zweifel dem br. ursprünglich ent-
sprechenden Bildungen der i d g. V ö I k e r w c 1 1 wieder-
kehren. Dies gilt zunächst von der germanischen Sippe (got.iribja,
knaps, ahd. fara, chunni u. s. w,). Die germanische Stammsage (Tac.
Germ. Cap. 2) denkt sich die Gemeinschaft der Westgermanen als eine
Fraternität: aus einer ursprünglichen Hausgemeinschaft (der des
Mannus) sind drei Brüder ausgeschieden, von denen die Ingväonen, Ist-
väonen und Herminonen sich ableiten. Wie das br., ist die Sippe eine
militärische Einheit (vgl. Tacitus Germ. Cap. 7: Xon casus nec fortuita
conglobatio turmam aut cuneum facit, sed familiae et propinquitates
Die agls. moegh kämpft noch nach dem Beowulf v. 2887 (ed. Heyne
4. Aufl.) vereinigt und haftet für das Verhalten des mag im Kriege.
Die Sippe ist ferner eine Wirtsc h aftsge nossenschaft, wie es Caesar
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Sippe.
VI, 22 (Xeque qttisquam agri modum certurn aut ßnes habet proprios-,
sed magistratus ac principe« in anno* singulos gentibus cognationi-
busque hominum, qui tum una coierunt, quantum et quo loco visum
est, agri attribuunt) bezeugt. AYic die bratstrenici, nehmen die Sippen-
genossen teil an der Verfolgung oder Busse im Falle der Blutrache.
Sie führen einen gemeinsamen Namen, der durch das^uftix inga
von dem des Stammvaters der Sippe abgeleitet ist (altn. Ylfingar, agls.
Wylfinga*, mhd. Wülßnge). Gemeinsame Stammsagen erheben diesen
Stammvater in die Reihe der Halbgötter (Jordanis Cap. 13: Iam pro-
ceres mos, quortim quasi fortuna vincebant, non puros homines, sed
semideos, id est ansis, vocarerunt).
Bei den klassischen Völkern ist einerseits von den griechischen
Begriffen epparpia und Y€'voq, andererseits von der lateinischen gens zu
handeln. Das griech. <ppcrrpia = altsl. bratrlja ,fratres' ist eine Kollcktiv-
bildung von dem idg. Worte für Bruder und bedeutet also, wie das
slav. bratstvo, eine Vereinigung von Brüdern. Daneben liegt ion.
cppr|Tpr|, von q>pnrr|p gebildet, wie Trdipa , Familie' von Ttairip. Diese
(ppnrpn, wird bei Homer deutlich als die Unterabteilung des <pöXov
(entsprechend dem slav. pleme) bezeichnet und ist ursprünglich nichts
als eine Gemeinschaft von Brüdern gehöriger Hausgemeinschaften
(£o"riai). „Nur der", sagt Nestor II. IX, 63 „kann den jammervollen
Bürgerkrieg lieben, der ohne qppnrpn, (dqppnrwp) und ohne iai'xa (dv€0*-
tios) ist oder sie verachtet" (vgl. got. umibis ,dvouo?'). Im Kriege
stehen die Mitglieder der Brüderschaft, wie die südsl. bratstrenici oder
die germanische Magschaft, neben einander:
Kptv' dvbpa<; KCtTO qpöXa, Katd <ppr|Tpa£,
\bc, qppriTpn <PPUTpn.q>i aPHT^I» <pöXa be cpuXoiq,
so rät der reisige Nestor II. II, 362 dem Agamemnon; Auch hier
müRsen ursprünglich die <ppdtTop€<; oder (ppdrepe? den Satzungen der
Blutrache handelnd und leidend unterworfen gewesen sein. Noch das
von Dcmosthenes 'in Macart. p. 1061*) herangezogene Gesetz (npo€iTT€Tv
tüj KTcivavxi iv dfopä ^VTÖ? äveipiÖTnjos. o*uvbitÜK€iv bi Kai dvcipiwv
fratbas Kai YaMßpoi'S Kai TT€v6€pous Kai (ppdrepa?) räumt der Phratrie
trotz der damals längst eingetreteneu Verschiebung ihrer Basis ein
bevorzugtes Anklagerecht in Mordsachen ein. Bei Homer werden die
<ppr|Top€? allerdings nicht ausdrücklich als Bluträcher genannt, sie
werden unter den Fc'toi mitverstanden sein, die neben den Kao*itvnxoi
als solche genannt werden. Sicherlich liegt dieses Ferai (*aF€-Tä,
s.u.Blutrache) dem kretischen diaipia zu Grunde, wie im Recht von
Gortyn die der Phratrie entsprechende Unterabteilung der qpuXn. heisst.
Der Gedanke, dass die Phratrie eine auf Blutsverwandtschaft
beruhende Organisation sei, ist im Verlauf der griechischen Geschichte
mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Deutlicher hat sich der-
selbe bei den revri oder Geschlechtern erhalten, von denen nach dem
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Sippe.
773
altattischcn Schema 30 auf die Phratric gerechnet werden. Diese Ge-
schlechter nennen sich fortdauernd (mittels des Patronymsuffixes -ibns,
-idorisi nach dem Manne, von dem sie wirklich oder angeblich ab-
stammen. Er ist der gemeinsam verehrte Ahn des Geschlechtes. So
verehren die Alkmeoniden den Alkmeon, die Talthybiadeu den Tal-
thybios u. s. w. Es ist nicht leicht, sprachlich und sachlich das Ver-
hältnis von fevo? : qppnipn zu beurteilen. Man kann sagen, dass mit
T^vo<; eine Anzahl verwandter Menschen im Hinblick auf die gemein-
schaftliche Aszendcnz, mit (ppnjpn, im Hinblick auf die kollatcrale Aus-
dehnung bezeichnet wurde. In T^voq liegt der weitere Begriff vor:
<puXr| {südsl. pleme), qppnTpn 'südsl. hratstvo) und TrdtTpa (südsl. zadruga)
sind ursprünglich in gleicher Weise t*'vn. gewesen. Je mehr nun, so
kann mau sich die Weiterentwicklung dieser Gedankenreihen vor-
stellen, fremde Elemente in die Phratric, die sich, wie an mehreren
Stellen das slavische hratstvo (s. o.), immer mehr zu einer bloss sa-
kralen und, man könnte sagen, standesamtlichen Genossenschaft um-
bildete, eindraugen, umso mehr beschränkte sich der Hegriff des fivoq
auf die in der Phratric altansässigcn Hausgemeinschaften, ndTpai,
Familien, von denen eine der ganzen Phratric den Namen gab. Man
unterscheidet nun in der Phratrie wirkliche •ftwnjai (auch öuoväXaKTcq
genannt „solche die den Seeleu der Verstorbenen gemeinsam Mileh-
opfer darbringen", vgl. sert. sa-pinda ,Klossgenosse '?) und öpY€ti>V€<;,
blosse Kultgenossenschaftcn.
Wie aus der südslavisehcn zadruga das hratstvo, aus der germa-
nischen Hausgemeinschaft (s. den Stamm *Mwa u. Familie) die
Sippe, aus der griechischen Trompet die <ppnxpr|, so ist aus der römischen
familia (genauer ans der Gruppe von Personen, die aus dem pater
familias und den sui gebildet wird) die gens (*genti- : gigno, gentts)
erwachsen. Das Haus umfasst die in der Gewalt eines lebenden As-
zendenten vereinigten Freien, das Geschlecht Freie, welche in einer
solchen vereinigt sein würden, wenn keine Todesfälle eingetreten wären
(vgl. Mommsen Röm. Staatsrecht III, 1; 9ff.). Das Kennzeichen des
Geschlechts ist das nomen gentile, der Name des gemeinsamen Ahn-
herrn, der ebenso wie der Name des hratstvo dem Individuum anhaftet:
Qu. Fahim Quinti ist Quintus aus dem Fabischen Geschlecht in des
Qu. potestas. Die Gcschlechtsgenosscn heissen gentiles, auch patres
, Hausväter'. Von der Stärke einer gern, wie auch von ihrer inneren
Geschlossenheit und ihrer Handlungsfähigkeit nach Aussen, legt der
Kampf und Untergang der 30(3 Fabicr an der Cremera ein beredtes
Zeugnis ab. Wie durch die Gemeinschaft des Namens, werden die
Gentilen durch gemeinsame sacra und gemeinsame Begräbnisse (s. n.
Friedhof) verbunden. Ihr gegenseitiges Erbrecht (XII Tafeln: si
adgnatus nec escit, gentiles familiam habento) und ihre gegenseitige
Unterstützungspflicht in sozialer und juristischer Hinsicht eröffnen den
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Sippe.
Blick in eine Zeit, wo die Gens noch in Wirtschaftsgemeinschaft lebte
und gemeinsam für den Unterhalt der Genossen sorgte, über den
princep« gentis und die Strafgewalt gegenüber ihren Mitgliedern s. u.
(vgl. Brunnenmeister Das Tötungsverbrechen S. 92 ff.).
Auch bei den keltischen Völkern tritt die selbständige Bedeutung
des Geschlechts i*kenetlo-n, ir. eentl, altkyinr. cenetl) auf Schritt und
Tritt hervor. Für die Kymren ist hierfür auf Walter Da8 alte Wales
JS. 1 35 ff., für die Iren auf Maine Early history of institutions zu ver-
weisen. In Freude und Leid, beim Spiel und beim Krieg tritt die
Gesehlechtsgenossensehaft uuter ihrem Haupt (kymr. pencenedl) ge-
schlossen auf. Vgl. Girald. Cambriae descr. Cap. 10: Per turhax igitttr
et familia» capite sibi praefecto gentia hu tun iuventu* incedit, solum
armi* et otio data, patriaeqne defensioni promptissima. Hierzu nehme
man, was noch W. Scott im Waverlcy von den keltischen Schotten er-
zählt iJioth line* teere note moring foncard, the first prepared for
instant combat. The clans of which it teas composed, formed
euch a »ort of separate phalanx , narroic in front, and in
depth ten, ticelve, or fifteen fies, aecording to the strength of the
folloicing), um, wie bei dem slavischen brat*ro, fast an der Sehwelle
der Gegenwart auf taeiteische oder homerische Zustände zu treffen.
Noch erübrigt es, einen Blick auf die arischen Verhältnisse zu werfen,
für die die iranischen Zustände besonders lehrreich sind. Nach
Heroilot (I, 125) zerfallen die Perser in zahlreiche (nach anderen
Quellen in 12) fiwr] (man beachte den Gebrauch des Wortes int Sinne
von ,Stamm'), wie die TTatfapTabai, Mapäqnoi, Mdamoi. Diese T*vrt
teilen sich wieder in den oben erörterten Begriff der <ppnrpr|, das hier
noch in seiner eigentlichsten Bedeutung gebraucht ist. Eine solche
<ppnrpr| der T7ao*apYäbai waren die 'Axcuuevibcu, denen die Persischen
Könige entstammten. In der Sprache der Keilinsehriften heisst eine
solche <ppr|Tpr| rüh, in der des Awesta rw-, über das man folgende
Sätze aus W. Geigers Ostiraniseher Kultur Cap. VII vergleiche: „Im
ostiranischen Staat bildet die Familie [nmdna-] die zu Grunde liegende
Einheit für die politische Gliederung des Volkes. Aus einer Anzahl
verwandter Familien setzt sich das Geschlecht [vis-] zusammen, aus
mehreren Geschlechtern der Stamm [zaMu-\ .... Das ostiranische
Dorf war ein Gcschlcchterdorf. Es bestand aus mehreren Gehörten,
deren jedes von einer Familie bewohnt war .... Die Geschlechter
oder Vis führen ihre Herkunft auf einen allen zugehörigen Familien
gemeinsamen Ahnen zurück. Nach seinem Namen benannte sich das
ganze Geschlecht Auch im Kriege bildet die Familie die
Einheit des Volkes in Waffen. Familie kämpft neben Familie,
Geschlecht neben Geschlecht.'1
Ganz der altirauischcn, bei Völkern wie den Afghanen bis in die
Gegenwart erhaltenen Stammesverfassung rauss die altindische eut-
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Sippe.
775
8prnchen haben. Zur Zeit der Vcden zerfällt die arische Bevölkerung
Indiens in eine Anzahl von Stämmen f jdna-), die sich wieder in v'tq as
— aw. vis-, altp. vid- gliedern. Als deren Unterabteilungen wieder
werden grd'ma- ,Dorf, vrjäna- ,Gemeinde", jdnman- , Verwandtschaft'
bezeichnet. Doch ist gerade hier die Terminologie besonders flüssig,
und etwas näheres Uber die soziale Gliederung der ältesten Inder er-
fahren wir nicht. Mit besonderer Deutlichkeit tritt aber auch im Rigveda
die Verwendung der verwandtschaftlichen Verbände als Abteilungen
des Heeres uns entgegen, wie denn Rigv. X, 42, 10 die kriegerischen
Abteilungen iura'-) der i/'c- geradezu als mbandhacas ,dureh Verwandt-
schaft verbunden' bezeichnet werden. Vgl. Zimmer Altind. Leben
S. lf>8 und E. .Senart Les castes dans l inde (Revue des deux mondes
T. 125 S. 333 ff.).
Aus dem vorhergehenden ergiebt sich, dass eine aus dem Familieu-
verband (Hausgenossenschaft, Grossfamilie) hervorgegangene verwandt-
schaftliehe Organisation von hoher militärischer, wirtschaftlicher und
religiöser Bedeutung, für welche man am besten den germanischen
Namen Sippe gebrauchen wird, als indogermanisch anzusetzen ist.
Diese allgemeine Erkenntnis wird im Folgenden nach verschiedenen
Seiten zu vertiefen sein, indem I. über den der idg. Sippe zu Grunde
liegenden Verwandtschaftsgedanken; 11. über ihre vorhistorischen
Benennungen und «leren Sinn; III. Uber ihre wirtschaftliche Be-
deutung; IV. Uber die Regierungsgewalt Uber die Sippe und die
Sippenversammlnng noch besonders gehandelt werden soll.
I. Der der idg. Sippe zu Grunde liegende Vcrwandtschafts-
g e d a n k e.
In seinem Buche Die Formen der Familie und die Formen der
Wirtschaft (Freiburg i. B. u. Leipzig 1896) erläutert (S. 10 f.) E. Grosse
den Begriff der Sippe in folgender Weise: „Eine Sippe ist eine Gruppe
von Personen, welche sich durch gemeinsame Abstammung verbunden
fühlen. Während sich die Sonderfamilie und die Grossfamilie nur in
einer Linie erstrecken, breitet sich die Sippe flächenartig auch Uber
die Seitenlinien und ihre Verzweigungen aus. Ihre Ausdehnung wird
indessen in der Regel dadurch eingeschränkt, dass man die väterliche
und die mütterliche Abstammung nicht zugleich, sondern nur die eine
von ihnen beachtet. Eine Sippe, welche sich allein auf die Gemein-
schaft des väterlichen Blutes gründet, welche also alle Verwandten
mütterlicher Seite ausschlicsst, nennen wir eine Vatersippe . . . .
Eine Sippe dagegen, welche sich auf die Gemeinschaft des mütter-
lichen Blutes gründet, welche also die Verwandtschaft von väterlicher
Seite nicht berücksichtigt, nennen wir eine M u 1 1 e r s i p p eu. Über-
tragen wir dies auf die Indogermanen, so liegt auf der Hand, dass
die idg. Sippe entweder eine vaterrechtliche oder eine mutterrechtliche
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776
Sippe.
gewesen sein muss. Auf keinen Fall kann sie beides zugleich ge-
wesen sein, denn da wir oben die idg. Sippe als eine in Krieg und
Frieden räumlich abgegrenzte Gemeinschaft von Verwandten kennen
gelernt haben, so ist es luce darin*, das», wenn gleichzeitig die
väterliche n n d die mütterliche Verwandtschaft massgebend für die
Zugehörigkeit zu einer Sippe gewesen wäre, die Geschlossenheit der-
selben auch nicht e i n Mensehenalter tiberdauert hätte. Da nun ferner
ein einziger Blick auf Gestaltungen wie das sttdslavischc bratstvo oder
die lateinische gern genügt, um zu /.eigen, das« bei den Indogermancu
von einer einseitigen Berücksichtigung der mütterlichen Verwandtschaft
nicht die Rede gewesen sein kann, so folgt aus alledem mit völliger
Bestimmtheit, dass die Indogermanen in Vatersippen lebten. Was
bereits Gierke in seiner Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft
Berlin 1868 und Rosin in seiner Schrift Begriff der Sehwertmagen
Breslau 1877 für die deutsche Sippe mit Recht angenommen haben,
dass nämlich „das Prinzip der Magschaft im ältesten Rechte nicht die
Idee der unterschiedslosen Blutsverwandtschaft, die nie die Einheit des
Geschlecht« erhalten könne, gewesen sei, sondern die ans der Gestaltung
der Genossenschaft mit Notwendigkeit sieh ergebende der Agnation,
der Verwandtschaft durch Männer", gilt voll und ganz auch für
die idg. Urzeit, also auch für die Vorgeschichte der Inder, Griechen
u. s. w. Da aber die Sippe nichts anderes als die erweiterte Familie
darstellt, so folgt aus dem aguutischen Aufbau der erstcren auch der
agnatischc Aufbau der letzteren, und u. Familie ist gezeigt worden,
dass die sprachlichen und sonstigen Thatsachcn sich ausschliesslich mit
dieser Anschauung vereinigen lassen. So stützt das eine das andere. —
S. auch u. Erbsehaft, Seh wiegerschaf ten und Mutterrecht.
II. Die vorhistorischen Benennungen der idg. Sippe.
1. sert. r/c-, altp. r/7>-, aw. vis-, gricch. Fik (in TpixotiKC?, vgl. Od.
XIX, 177: Aiopi^e? T€ Tp»xäiK€<; und Hcsiod frgm. VII: irävtec, b€
Tpixäi'icet KaXeoviai, ouveKa Tpiao*f|v "xdiav dicäq narpu.«; £bäo"avro; auch
0pr|-FiK€<;, 0pr|iKe?V), lat. r/c«*, altsl. eist, lit. wtäxz- (in wiisz-pats
^souveräner Herr , wiiszkelitt ,Landstras«c' und wieszüti ,zu Gaste sein ),
got. teeihs, ir. fich (korn. gwic), alb. vise. Die ursprüngliche Bedeutung hat
sich am treusten im Iranischen (s. o.) erhalten. In den europäischen
Sprachen ist das Wort in naturgemässer Entwicklung in die Bedeutung
von ,Geschlechtsdnrf, ,Dorf (s. d.) vielfach umgeschlagen. Das auf
einer anderen Ablautstufe (gegenüber *vlk-, *veik ) stehende sert. veqd-
— griech. oko? (vgl. auch altpr. waispattin , Hausfrau') bezeichnet mehr
den engeren Begriff ,Haus', während sert. r/c- (s. o.) und gricch. Fik-
sieb der weiteren Bedeutung von ,Stamm' zu nähern scheinen. Von
Wichtigkeit ist ferner, dass von dem hier behandelten Stamme auch
eine urzeitliche Benennung des Geschlechts- oder Sippen her reu in
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Sippe.
777
aw. ctepaiti-, scrt. vigpdti- = lit. wiiszpats (letzteres jetzt nur von
Gott oder einem regierenden Herrn gebraucht), id. *vlk-poti- vorliegt,
die in ihrer Bildung also genau dem u. Familie erörterten *dem-x poti-
(b€0-TTÖTn.q/ .Herr des Hauses' entspricht. Die dem ganzen Wortgesehleeht
zu Grunde liegende Vcrbalwurzel ist scrt. r/c .eintreten, sich nieder-
lassen', so dass die Sippe als die gemeinschaftliche N iederlassung
verwandter Mensehen aufgefasst ist.
2. Gcmeingerm. got. sibja, ahd. sippa ,Sippe' (vgl. altn. Sif .Güttin
<ler Familie und Ehe ) = scrt. sabhd' , Versammlung*-, Gemeindehaus
(auch .Spielhaus', später .Gerichtshof ). Got. sibja als abgeleitet von
*sebd — scrt. mbhä' scheint darauf hinzuweisen, dass .Versammlung',
, Versammlungsort' des Geschlechts die ursprüngliche Bedeutung dieser
Wörter war (s. n.). Vielleicht gehören auch russ. sjabr, sjaber .Nach-
bar (eigentl. .Sippengenosse', vgl. lat. vicinus), lit. sebrast .Gefährte,
besonders Teilnehmer an einem Geschäft', lett. sebrs .Freund' etc. hier-
her (am ausführlichsten Uber diese Wörter und ihre Entlehnung ins
Finnische W. Thomscn Beröringer S. 21.">f. . 8. auch griech. <piXo$
(aus *0*<p-iXo-q?) u. Freund und Feind.
3. Eine weitere vorhistorische Bezeichnung der Sippe ergiebt sich
aus der Gleichung lat. pärl-icida), parri-(cida) aus *pü*i cida), eigentl.
,Sippenmördcr' — griech. Tmo? aus *pdso- »Verwandter*, rcawTai • öuf
Ycvtt?, oineioi lies, und langob. fara .generatio, linea' (Faul. Diac. II, 9):
ahd. (anal .Junges", .Nachkommenschaft', altn. fösull ,fctus, proles,
8uboles" von lat. pario aus *pasio. Idg. *pasd .Sippe", *päso- ,/,ur
Sippe gehörig'. Die Vergleichnng des lateinischen und griechischen
Wortes stammt von Fröhde B B. VIII, 164, sie ist lautlich einwand-
frei und kann gegenwärtig als allgemein angenommen gelten (vgl. aus
neuster Zeit K. Brugmann Grundriss 1*. 2 S. 801 und G. Meyer (»riech.
Gr.3 S. 3UU). Sprachlieh ganz unmöglich ist die Auffassung des parri-
cidium als .böse Tötung', ,argcr Mord' (vgl. perdueliio, periürus etc.»,
obgleich sie noch von Mommsen Strafrecht S. 612 verteidigt wird.
Lat. pdrkida ist also der , Sippenmörder', d. h. ursprünglich, der, der
einen Sippeugcnosscn ersehlagen hat'. Vgl. darüber Brunnenmeister
Das Tötuicrsverbrcchen im altröm. Recht, Leizig 1887 und s. u. Mord
und Familie, wo in ir. fingal, /ingalach, ßngalcha sachliche und
sprachliche Analoga zu lat. pdrictda, pdricidium beigebracht sind.
In scmnsiologischer Hinsieht bleibt zu bemerken, dass, wenn griech. irr|ö$
auch schon bei Homer; den aflinis bezeichnet, nach den obigen Aus-
führungen über den agnatischen Charakter der idg. Sippe und vor-
historischen Verwandtschaft überhaupt hierin eine sekundäre Bedeu-
tungsentwicklung des Wortes vorliegen muss. Ganz ebenso ist die germa-
nische Magschaft ursprünglich rein agnatisch gedacht, und doch bedeutet
got. mig%y altn. mdgr ^Schwiegersohn'. Bei der altgermauischcn fara
schwanken die Ansichten, ob f'dra oder fära anzusetzen sei (ersteres
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Sippe.
nach R. Kögel Z. f. deutsches Altert. XXXVII, 217 ff., letzteres nach
Henning ebenda S. 304 ff.). Wahrscheinlich ist fdra das richtige. Die
Erklärung aber des Wortes durch Henning als ., Fahrgenossenschaft"
ifaran) dürfte an Wahrscheinlichkeit hinter der obigen zurüekstehn,
die der Übersetzung von fara durch generatio gerecht wird. Selbst
wenn aber mit Kögel gegen Henning altgcrmanisch nicht füra, sondern
fdra jims *fera anzusetzen wäre, würde doch der Hinweis auf Ablants-
vorliältnissc wie ahd. mägo ,Mohn' aus *mego = griech. ucikujv oder
ahd. rtlba aus *rrha — lat. rapa ,Rübe' die Vergleichung von fara
mit griech . nr\6<; und lat. pdricida rechtfertigen.
4. Dem lat. gen*, St. *genti- entspricht im Indischen unter den
Ableitungen von der W. jan — gigno am genauesten, obgleich in der
Wurzelsilbe auf anderer Vokalstufe stehend fgnti- : *gnti-), jdti-, das,
im Rigveda nicht überliefert, in späterer Zeit der technische Ausdruck
für den Begriff der Kaste ist. Hat K. Senart in der Revue des deux
niondes (T. 121, 122, 125) Recht, diese indischen Kasten mit ihren letzten
Ausläufern in den idg. Sippen- und Familienverbänden wurzeln zu
lassen, so würde sich eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit dafür er-
geben, dass lat. geng, srvt.jdti- eine schon idg. Bezeichnung der Sippe
mit ungefähr gleichem Sinne wie die zuletzt besprochene Wortreihe
darstellen.
5. Das oft genannte südslavische bratstco, verglichen mit dem
homerischen (ppnjpri, macht es wahrscheinlich, dass in der Urzeit ein
von dem idg. Wort für Bruder abgeleiteter Ausdruck für Sippe bestand,
dessen Form sich freilich nicht mit Sicherheit erschliessen lässt. Vgl.
auch ahd. chnuot, chnuosal .Sippe' : griech. tvuitös ,consangineus",
, Bruder'.
Mit den bisher erörterten Ausdrücken, welche, wie gezeigt, auf die
Grundbedeutungen Niederlassung', »Versammlung', »Erzeugung'. »Brüder-
schaft' zurückgehen, ist aber die Zahl alter Bezeichnungen der Sippe
nicht erschöpft. Da die letztere im wesentlichen nichts anderes als
die auseinandergegangene Familie, die Familie aber nichts anderes als
die zusammengebliebene Sippe ist, so liegt es auf der Hand, dass die
Benennungen beider Begriffe vielfach in eiuander übergehen mussteu.
Schon u. Familie ist auf eine Reihe von Wörtern wie lat. familia,
slavisch rodü, ir. ftne n. a. verwiesen worden, die sowohl den engeren
wie den weiteren Familienbegriff bezeichnen. Hier könnte noch die
weit verbreitete Reibe von sert. ktila- , Wohnsitz', , Familie', ^schlecht',
lit. kiltix(?), lett. zilts »Geschlecht', altsl. celjadl »Familie', ir. eland
»Geschlecht, Clan' (unbekannter Wurzelbedeutung) genannt werden. Aus
dem Slavischen wäre etwa noch obistina von obü ,circum' und iti ,\rc\
also eigentl. .Versammlung', aus dem Germanischen das spät bezeugte
gelihter »Sippe, Familie, Zukunft, Stand' von ahd. Uhtar ,matrix,
Uterus' anzuführen, eine Bildung, die insofern bemerkenswert ist, als
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Sippe.
779
sie die gemeinsame Abstämmling von der M 11 1 1 e r zum Ausdruck
bringt. S. auch u. Stamm.
III. Die wirtschaftliche Bedeutung der Sippe.
In seinem oben genannten Buche bat E. Grosse lediglich aus der
Beobachtung der noch heute bei den verschiedensten Volkein der Erde
herrschenden Kultnrverhältuisse nachgewiesen, dass auf der Stufe,
welche er als die der Viehzüchter '„welche die Viehzucht als Hanpt-
produktion betreiben, gleichviel ob sie daneben noch Tiere jagen oder
Pflanzen sammeln und bauen14) bezeichnet, der Begriff der Sippe eine
wichtige Rolle spielt und zwar handelt es sich dabei fast ausschliesslich
um Vatersippen; „denn nirgends ist das vaterrecht liehe System so
einseitig und streng ausgebildet als unter den Viehzüchtern". Ihre
hauptsächlichste Bedeutung findet die Sippe hier in den Zwecken des
Krieges, der Verteidigung wie des Angriffs. Zwar ist der Grund und
Boden — während das Vieh als Sondereigentum der Familie gehört —
in dem ganzen Bereiche der Viehzucht Gemeinbesitz des Stammes oder
der Sippe. Aber da derselbe natürlich nur geringen Wert besitzt, so
tritt die Bedeutung der Sippe als einer Wirtschaftsgemeinschaft
im Ganzen noch wenig hervor. Dies ist nun in hohem Masse der Fall
bei derjenigen Stufe, welche Grosse die der niederen Ackerbauer
nennt. Der Boden ist auch hier Gemeineigentum der Sippe, aber er
wird nicht nur gemeinsam verteidigt, sondern auch gemeinsam bear-
beitet. Besonders charakteristisch ist für diese Zustände die allmählich
eintretende Besserung in der Stellung der Frau, die Grosse zum teil
daher ableitet, dass die Frau zu dem Geschäfte des Pflanzenbaus
herangezogen wird, während die Viehzucht ausschliessliche Arbeit der
Männer zu sein pflege. Bei den niederen Ackerbauern finden sich
Vater- wie Muttersippen in gleicher Weise vertreten. Ja, es scheint,
dass zuweilen die ersteren aus letzteren hervorgegangen sind.
Die Parallelen für die Entwicklung der Indogermanen sind über-
raschende, ü. Viehzucht nnd u. Ackerbau ist gezeigt worden,
dass die ungetrennten Indogermanen als „Viehzüchter" zu bezeichnen
sind. Ein agnatisches Sippensystem kommt ihnen also schon nach den
Regeln der vergleichenden Kulturgeschichte zu. Ferner geht aus dem
obigen hervor, dass die militärische Bedeutung der Sippe bei allen
Indogermanen zu belegen ist und zweifellos in der fernsten Urzeit
wurzelt. An denselben Stellen ist aber auch betont worden, dass die
europäischen Indogermanen noch in vorhistorischer Zeit dem Acker-
bau ein grösseres Gewicht beigelegt haben, dass sie sich also der Stufe
genähert haben, welche oben als die der niederen Ackerbauer be-
zeichnet wurde. So tritt uns denn auch die Sippe als eine wirtschaft-
liche Einheit noch an vielen Stellen Europas aufs deutlichste entgegen.
Das agnatische Sippensystem herrschte natürlich auch unter diesen
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780
Sippe.
Verhältnissen weiter. Aber sehr frühzeitig- macht sich doch bei den
Einzelvölkern eine Berücksichtigung auch der mütterlichen Verwandt-
schaft benierklieh. S. u. Familie und Mutterrecht, über die Be-
ziehungen der alteuropäischen Frau zur Landwirtschaft s.u. Ackerbau.
IV. Die Regierungsgewalt über die idg. Sippe und die
S i p p e n v e r s a m m 1 u n g.
Wir haben oben in idg. *rik-poti- den ur/.eitlichen Namen des idg.
Geschlechtsherrn kennen gelernt, der in seiner Bildung dein idg. *dem-
s-poti- .Herr des Hauses' entspricht. Es würde aber irrig sein, aus
diesem Umstand auch auf dieselbe Regierungsgewalt des Sippen- und
des Hausherrn zu schlicssen. Im Gegenteil zeigt sich, dass die Stellung
des Geschlechtsherrn, soweit sich dieselbe noch charakterisieren lässt,
kaum eine andere als die eines jjrimus inter pares gewesen ist. Dies
wird namentlich in Hinblick auf die südslavischen und römischen
Verhältnisse wahrscheinlich. Das Oberhaupt des bratstro (glacar :
glaca , Haupt', starekina ,der alte' etc.) wird von den bratxtvenici
gemeinsam gewählt. Er ist befugt, eine allgemeine Versammlung aller
bratateeiiici einzuberufen, in der er den Vorsitz führt. Er ist der Ver-
treter des bratstvo mich innen und nach aussen. Im Kriege wird ihm
ein Fahnenträger beigegeben. Eine gewisse richterliche und exekutive
Gewalt steht ihm zu (vgl. F. S. Krauss a. o. a. 0. S. 38). Die
eigentliche Entscheidung aber über die Angelegenheiten des br. fällen
die versammelten Haudvorständc. — Auch im ältesten Rom muss es
ursprünglich ein Haupt des Geschlechtes {vgl. Mommscn Röui. Staats-
recht III, 1; 17) gegeben haben, das seine Wirksamkeit verlor, als die
gens im Staate autging. Aber noch in historischer Zeit zeigt sich das
Geschlecht rso durchaus republikanisch organisiert" (vgl. Ihering nach
Brunnenmeister a. a. 0. S. 9ö», dass die Stellung des prineeps gentis
in vorhistorischer Zeit kaum eine wesentlich verschiedene von der des
südsl. glacar gewesen sein wird. Den Geutilen kommt noch in
historischer Zeit Strafgewalt gegenüber schuldigen Genossen zu. die
sich am schrotfsten in der Ausstossung des Verbrechers aus der Gens
äussert. Diese Strafgewalt, zusammen mit der durch sie vorausge-
setzten Strafgerichtsbarkeit, kann von jeher nur bei dem Geschlecht
selbst, nicht bei dem Vorsteher desselben geruht haben.
Vergleichend verdient bemerkt zu werden, dass auch auf der Stufe
der „Viehzüchter" (s. o.) die einzelnen patriarchalen Familienhäupter
ihrem Schcikh gegenüber, der nur als Feldherr eine wirkliche Macht
hat, im Frieden eine grosse Selbständigkeit gemessen (vgl. Grosse
a. a. 0. S. 102 f.).
Wir sind also der Meinung, dass in der idg. Gesellschaftsordnung
von Haus aus z w e i entgegengesetzte Regierungsprinzipien, ein m o -
narchisch-patriarcliale8 und ein republikanisches geherrscht
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Sippe — Sommer.
781
haben, ersteres in der Hausgemeinschaft, letzteres in der .Sippe geltend.
Oder mit anderen Worten: wenn aus einer bis dahin zusammenge-
bliebenen Grossfamilie ein Teil oder Teile ausschieden, traten die neuen
Häupter derselben zu dem Haupte der Stammfamilie in ein mehr neben-
als untergeordnetes Verhältnis. Die Entscheidung Uber gemeinsame An-
gelegenheiten, die Schlichtung von Streitigkeiten innerhalb der Sippe,
die Bestrafung schuldiger Mitglieder erfolgt, soweit die patria potestas
der einzelnen Familienhäupter dadurch nicht berührt wird, nunmehr in
der unter Leitung des Sippenherrn stattfindenden Sippenversammlung
(*8ebhä). Dem Verhältnis von Sippenherrn und Sippenvcrsammlung
entspricht im Stamme das von König (Stammcsherrn) und Volks-
versammlung (Stammesversauimlung), worüber in diesen Artikeln
ausführlicher gehandelt worden ist. — S. u. Familie und Stamm.
Sitte, s. Kecht.
Sitze der Einzelvölker, s. Urheimat der Indogermanen.
Sitzenbleiben in ungetrennten Gütern, s. Familie.
Skelettgräber, s. Bestattung.
Seepter, s. Zepter.
Sklave, s. Stände.
Skulptur, s. Kunst.
Smaragd, s. Edelsteine.
Soda. Von der Pottasche lange Zeit nicht geschieden, wird es
zuerst von Hcrodot (II, 86 bei Beschreibung der Mumifikation) als
Xiipov genannt. Älter ist die Form viipov ans hebr. neter , Natron'.
Lat. nitrum aus dem Griechischen.
Sohle, s. Schuhe.
Sohn. Sein idg. Name liegt in der Reihe: sert. sünu-, aw. hunu-,
griech. Ou^, got. sumts, Vit. sunit/t, altsl. synü. Das Wort ist gebildet
aus der Wurzel m und bedeutet ,der geborene' (vgl. got. haür ,Sohn'
: gabairan und Delbrück Verwandtschaftsnamen S. 4f>3). Ans weicht
das Italische, Keltische und Albanesische. Ersteres verwendet gn&tus
(vgl. auch gall. Ari-gnätos, Cintu-gnatos, griech. ArmÖYvnro«;, Aiörvti-
T00 : <7*<7W0 und filiuH ,der Säugling' (vgl. felare .saugen', femina).
Das Keltische bietet ir. macc, brit. map ans *maqo- = got. magu*
,Knabe', ,Knecht', altn. mögr ,Sohn' (andere vergleichen mit den ger-
manischen Wörtern kelt. *magus , Diener', gall. Magu-rix, kyiur. mau
in meu-dirif ,scrvus Dei', vgl. Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 198).
Alb. bir ist dunkel. Auf Wurzclverwandtschaft beruht die Reihe: seit.
putrd-, aw. put)ra- ,Sohn', griech. TTtxiq (♦tto.Fk;), lat. puer, altir. aue
{*pacio-s) ,Knkel\ S. u. Familie und u. Kind. Über die Bedeutung
des Sohnes der Tochter gegenüber s. u. Adoption, Ahncukultus,
Aussetzungsrecht, Kinderreichtum.
Soldat, s. Heer.
Sommer. Der idg. Name dieser Jahreszeit liegt in der Reihe:
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782
Sommer — Speck.
aw. harn, armen, amarn, ahd. mmar, agls. stimor, altn. sumar, ir.
samsamrad, kymr. haut — haf. Da diese Wörter nicht von scrt. samd-
(griech. öudq) »gleich', sdmä Jahreshälfte' (auch ,Jahr) getrennt werden
können, so scheinen hier die Spuren einer Zeit vor/.uliegeu, in
der nur Winter und Sommer unterschieden wurden, also eine Zwei-
teilung galt, die aber noch in vorhistorischer Zeit durch ein gemein-
sames Wort für Frühling (s. d.) erweitert wurde (s. u. Jahreszeiten).
Im übrigen wird der Sommer einfach als die ,heisse Zeit' bezeichnet:
seit, grishmd-, griech. 0£poq (= scrt. hdras- ,Flammenglut), lat. aestas
(: scrt. WA ,brenucn'), altpr. dagis (vgl. lit. degü ,brennc', sei t, ni-ddghd-
,Hitze. Sommer'), Lit. wasarä ,Somrner', das in anderen Sprachen
, Frühling' bedeutet, altsl. Uto (: lit. lytüs , Regen' oder : agls. Liüa, der
zusammenfassenden Benennung des Juni/Juli?;. — S. u. Zeitteilung.
Solidereigentum, s. Eigentum.
Sonnabend, s. Woche.
Sonne. Ihre idg. Bezeichnung liegt in der Reihe: scrt. süvar-
(vgl. auch sü'rya- und scür, aw. hvar-), griech. dßeXio? (kret. Hes.)
für dFeXios, neXio«;, nAio?, lat. söl, got. sauil X. (neben sunnö F. N.,
sugil N.), uikymr. heul, altpr. sattle, lit. sdule. Ferner liegt altsl.
slünice. Als Wurzel wird man scrt. su ,zeugen, hervorbringen, an-
treiben, beleben' ansehen können, so dass die Sonne das , belebende'
Wesen wäre. Den armen. Namen der Sonne s. u. Mond. Vgl. noch
alb. djel (G. Meyer Et. W.). S. ferner u. Religion, Sterne und u.
Zeitteilung.
Sonnenfinsternis, g. Sterne.
Sonnenuhr, s. Stunde.
Sonnenwende, s. Jahr.
Sonntag, s. Woche.
Spange, s. Schmuck.
Spargel, s. Garten, Gartenbau.
Spaten, s. Hacke.
Specht. Der vorhistorische Name des sagenberühmten Mars-
vogels liegt in lat. picus - ahd. spech, specht (: griech. ttoikiXo?, lat.
pictus ,der bunte ''fj. Im Sanskrit begegnet pikd- , Kuckuck', das aber,
wenn man picus mit ttoikiXo? (scrt. pecald-\ verknüpft, wegen seines
Gutturals nicht hierher gehören kann. Griech. bpuo-KoXän"m.s (Aristo-
teles; ,Hol/schläger', wie altpr. genix, lit. genys : geniit ,Aste ab-
haun'. Altpr. kraeco, lit. krakitf ,Schwarzspecht' : kdrkti ,kräehzen".
Weitere Terminologie des Vogels hei v. Edlinger Tiernameu S. 100. —
Ausführlich über den Specht 0. Keller Tiere des kl. A. S. 277 ff.
Speck. Hierfür finden sich mehrere sehr altertümliche Bezeich-
nungen: 1. altgeno. feusti (vgl. Kluge Grundriss I-, 832 > — scrt. ptvas-
,Fett, Speck', womit man auch das gemeingerm. ahd. spec, agls. spie,
altn. spik {*sj)iwa-) zu vereinigen sucht; 2. lat. lardum, läridum =
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Spin-k — Speirliiitf.
783
griech. Xäpivös ,fett' aus *Xaa-pivoq ilit. lasziniai ,SpcckV"j; andere
(wie Osthoff) suchen das lat. Wort mit ahd. flehte elc. (*tlais-?> zu ver-
mitteln, dessen Grundbedeutung ,Scli\veineHci«eir war (s. u. fleisch).
Sonst wird der Speck häufig als gesalzenes' aufgefasst: ir. saill [**aldi-)f
altpr. aal tan (mit auffälligem t, s. u. Salz), poln. stnnina : x/ow?/ ,salzig*
n. a. Vgl. noch griech. OTtap ,Talg' und »Speck' : sert. stydyati ,gc-
rinnt( ?). Als leidenschaftliche Speck csser werden besonders die Franken
genannt (vgl. Epistula Authimi bei V. Hose Anecdota Cap. XIV, wo
auch hrado , Schinken', ahd. bräto, später allgemein ,Braten genannt
wirdi. — S. u. Seh wein.
Speer, 8. Spiess.
Speiche. Die Namen für diesen Teil des Wagenrades gehen in
den idg. Sprachen völlig auseinander: sert. am- (: ar »einfügen), griech.
Kvrmn (eigentl. »Schienbein), lat. radius (eigentl. ,Stab>, ahd. speihha,
agls. spdee, engl, spukt (vgl. mhd. spicher .Nagel', altn. spik »Holz-
8t ecken ), lit. szpykis, russ. spica eti kolese (aus dem Deutschen).
Wahrscheinlich hatte das idg. Had keine Speichen. — S. u. Wagen.
Speicher, s. Stall und Scheune.
Speirling. Theophrast kennt die Morbus dornest ica L. und ihre
Frucht unter dem Namen oin.» 6a. ouov. Vielleicht erklärt sieh diese
Sippe aus *öFm., *6Fiov : *6Fi-iuvo?, oiujvö«; .Vogel', lat. acis (doch s.
eine andere Erklärung der zuletzt genannten Wörter u. Orakel;, so
dass die eigentliche Bedeutung »Vogelbeere' (Sorbus aueuparia L.)
wäre. Lateinisch heisst der Hanm sorhus, woraus ngriech. öoupßnä»
alb. stirbt, auch agls. syrfe (einheimisch ewiebeam »Vogelbeere', niittel-
engl.ff1) opynharstre ,sorbus'; s. auch u. Mispel). Eine Erklärung des
lat. Wortes s. unten.
Eine grosse Holle hat der Bauin in Deutschland niemals gepielt;
doch wird sein Anbau schon im Capit. de villis LXX, 77 (sorbarii)
vorgeschrieben. Er führt bei uns nicht, wie die übrigen Obstbäume
(mit Ausnahme des Apfels , einen lateinischen Namen, sondern ist mit
einem einheimischen Wort sporling, spierling, spirboum, speirling be-
nannt. Hei demselben könnte man in Erinnerung an unser „ Vogel-
beere u zunächst an , Sperlingsbaum' (ahd. sparo , Sperling) denken;
doch würde bei einer solchen Auffassung eher ein mhd. oder ahd.
*spar bou/it, *sparo-boum zu erwarten sein. Der Baum heisst aber
mhd. sperboum, spirboum, ahd. spereboum. Es ist daher wahrschein-
licher, dass diesen vielfach umgedeuteten Wörtern (vgl. auch sperber-
baum) ein ursprünglicher Baumname *spero ,s<»rbus' zu Gruudc liegt,
der vielleicht völlig identisch mit ahd. sper, agls. spere. altn. spjör
jSpecr' ist. Baumnamcu werden häutig zur Bezeichnung für Waffen ver-
wendet (s. u. Eiche, Esche, Tanne, Spiess etc.). In Überein-
stimmung hiermit hat man lat. sorbus (aus *srerdhos) zu ahd. steert,
agls. steeord gestellt und für letzteres eine ältere Bedeutung „höl-
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784
Spei Hin fr — Spiele.
zerneu Waffe vermutet (vgl. got. hatrus ,Schwert' = scrt. qäru- , Waffe,
Pfeil, Speer ).
Sorbits aucuparia wird gegenwärtig im Deutschen ausser mit Vogel-
beerbaum mit dem Ausdruck „Eberesche" bezeichnet. Man hat
dieses Wort als *aberesche .falsche Esche' gedeutet; doch weisen die
Formen ebresche, eibrisch etc. eher auf ein ursprüngliches *ebariscf
*ebrüsc hin, das mit ir. ibar ,Eibe', aber auch ,Eberesche' als urver-
wandt zusammenhängt. — Die Slaven bedienen sich zur Bezeichnung
der Sorbus aucuparia, die bei ihnen weit verbreitet ist, aber auch zu
derjenigen der Sorbus domestica häufig der Ableitungen von *rembü
,bunt' (russ. rjabinä). Ein anderer Ausdruck ist cech. termucha, russ.
ceremcha u. s. w., der in lit. szermükszU .Eberesche', ja in frz., ptg.
corme, cormier, cormeiro wiederkehrt, wenn dieses, wie Bezzenberger
bei Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 91 annimmt, aus einem keltischen
Worte stammt; doch deutet Sehuchardt Z. f. rom. Phil. XXIV, 412
die romanischen Bezeichnungen vielmehr aus griech. KÖp.apo^ , Erdbeer-
baum', indem er auch sonst eine Verwechslung zwischen Sorbus und
Arbutus nachweist. Altpr. karige ,cbirboem'. — Vgl. Koppen Holz-
gewächsc I, 383 ff. S. u. Wald, Waldbäume.
Speise, Speiseverbote, s. Nahrung.
Spelt, s. Weizen und Spelt.
Sperber, s. Falkenjagd.
Sperling, s. Singvögel.
Spiegel. Bei Homer noch nicht erwähnt, tritt er unter den un-
mittelbar durchsichtigen Namen bioirrpov und kötotttpov zuerst bei den
ältesten Lyrikern (Alkaios) und Tragikern (Aeschylos) hervor. Es
handelt sich dabei zunächst ausschliesslich um Metallspiegel, da gläserne
Spiegel (nach Plinius Hist. nat. XXXVI, 193 eine Erfindung der Si-
donier) in der klassischen Zeit noch nicht genannt werden. Als die
Nordvölker vom Süden her (vgl. ahd. «piagal aus lat. speculnm, mlat.
spfiglum) die Spiegel kennen lernten, verglichen sie das in ihnen ge-
schaute Bild mit dem Schatten der Wesen und Gegenstände und
nannten das wunderbare Instrument deshalb „Schattenbehälter" oder
ähnlich. So ahd. scü-kar : scüwo ^Schatten', wozu auch got. skuggtea
jSpiegcl', ir. xcathän : xcdth ,Schatten' und scaterc aus sedth-dere
(derc ,Auge', dercaim .sehe'). Altsl. zrücalo, russ. zerkalo : altsl.
po-zvue-ati ?contcmplaif, Nachbildung nach speculnm; hieraus lit. zer-
kola* neben dem deutschen szpygelis). Im Mittelalter herrscht in
weiter Ausdehnung ein von lat. mirari .schauen' abgeleitetes *mira-
torium : it. miradore (neben xpecchio), frz. miroir, mitteleugl. miror,
mi/rrour, engl, mirror.
Spiele. Das älteste unter ihnen ist in der idg. Welt das Wttrfel-
spiel. Wie es schon im vedischen Altertum im Mittelpunkt der
geselligen Vergnügungen steht und teilweis mit furchtbarer Leidenschaft
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Spiele — Spit*ss.
betrieben wird (vgl. Zimmer Altiudisches Leben 8. 283 ff. und im bc-
sondcru das .Spielerlied Rigv. X, 34, übersetzt bei Oeldner und Kacgi
Siebenzig Lieder LXV), so beliebtet aueli Tacilus von den Germanen
Cap. 24: Ale am, quod mirere, sobrii inter seria exercent, tanta
lucrandi perdendhe temeritute ut, cum omnia defecerunt, extremo
ac novissimo iactu de übertäte ac de corpore contendant. victus
voluntariam Servitut em adit (das weitere 8. u. Schulden und Stünde
II Freiheit und Unfreiheit). Urverwandte Gleichungen für die Begriffe
, Würfel' und .spielen' liegen in sort. akshd- .Würfel' = lat. älea (aus
*axlea) .Würfelspiel' und vielleicht in sert. gUthate" .er würfelt' = aglß.
plega, engl, play (vgl. Fiele I4, 39, U. Kögel Geschichte der deutsehen
Lit. I, S. Iii vor. Auch die weitgehende Übereinstimmung in der
Bezeichnung des sehlechtesten Wurfes als „Hund" (lat. canix, grieeh.
küuuv, deutsch „auf den Hund kommen", seit, qcaghnin- ,Spieler von
Profession', eigentl. .Hundstöter', d. h. der die schlechten Würfe zu
vermeiden versteht) ist bemerkenswert (vgl. W. Schulze K. Z. XXVII,
604).
Ob Würfel schon in neolithiseher Zeit, was nach dem obigen er-
wartet werden könnte (s. u. Kupfer und u. Steinzeit), nachgewiesen
worden sind, ist dem Vf. unbekannt. Umso häufiger sind Spielsteine
von Glas, Bein oder Bernstein in späteren Epochen zu Tage getreten,
die auf das Vorhandensein eines Brettspiels hinweisen, dessen Be-
kanntschaft, wie auch die Entlehnung des ahd. zabal, zabaUn, inhd.
zabel, zabelen, agls. tüfl, altn. tafi, tafla aus lat. tabula, tubuläre
.Spielbrett' und ,auf dem Spielbrett spielen' zeigt, vom Süden kam.
Hier wieder weist die Herkunft des schon homerischen neaaö^ .Spiel-
stein' vielleicht in die semitische Welt faus aram. pisd, pissd .Stein,
Täfelchen'?; vgl. Lewy Die seinit. Fremdw. S. 159 f.). Die Erfindung
aller übrigen Spiele, auch des ebenfalls schon Homer bekannten Ball-
spiels löqpaiprj mriZciv) nehmen nach der Überlieferung Herodots I, 94
die Lyder für sich in Anspruch : <pao*\ b* au-roi Aubo'i Kai xd? narrviaq
xd? vuv a<pio*i T€ Kai "EXXr)0"i KaTeöTcwffaq £wutuiv ^Eeupnua T€v^o*9ai
dE€upn.9f|vai bf| rfiv töt€ (nämlich zur Zeit einer Hungersnot)
Kat Tiiiv Kußuuv Kai tujv daipaTaXinv Kai tf\q aqpaipn? Kai tüjv äXXwv
Ttaffwv TraiTvi€uuv Td tXbta rrXr|v ttco"o*o»v. Zu bestimmen, was hieran
wahres ist, muss der zukünftigen Forschung überlassen bleiben.
Spiess. Er ist schon in der jüngeren europäischen Steinzeit, im
Krieg und auf der Jagd, die wichtigste Augriffswaffe gewesen. Feuer-
steinerne, teilweis mit grosser Kunst gearbeitete, von Dolchen (s. u.
Schwert) nicht immer scharf zu scheidende Lanzenspitzen sind in
allen Teilen Europas so häufig gefunden worden, dass kein Museum
prähistorischer Altertümer derselben entbehrt. Auch knöcherne
Lanzenspitzen kommen, namentlich im Norden, vor (vgl. Xilsson Das
Steinalter S. 35). An die Stelle der steinernen Spitze tritt mit dem
Schräder, ReiUexikoa f,0
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7.%
Spiess.
Metalle die bronzene (über deren Typen vgl. z. B. Naue Die Bronze-
zeit in Oberbayern S. 95 — 97) und eiserne, welche letztere im Hal-
stätter Gräberfelde (vgl. v. Sacken Das Grabfeld v. H. S. 35) schon
so häufig ist, dass sich nur selten ein Grab männlichen Charakters
ohne eine oder mehrere eiserne Lanzenspitzcu fand.
Nicht weniger tritt das hohe Alter und die hervorragende Bedeutung
des Speeres in den sprachlichen und geschichtlichen Zeugnissen
hervor. Eine sehr grosse Zahl vorhistorischer, wenn auch mehr gruppen-
weise als allgemein verbreiteter Gleichungen für die Begriffe Spiess,
Speer, Lanze lässt sich zusammenstellen. Es sind folgende: sert. nthari
(Bed. unsicher), griech. dflrip , Lanzenspitze'; grieeh. atxun desgl., lit.
jhzmas ,Bratspiess', altpr. ayami* ,Spiess'; griech. böpu, aw. dduru-
(cigentl. ,Eiche' s. u.i; sert. kunta- .Speer', lat. rontus ,Pikc', ,Stange',
griech. kovtö? ,Stange', auch ,Spiess'; sei t, calyä- , Pfeil- oder Speerspitze',
griech. kt\Xov ,Gcschoss'. Vgl. auch : sert. cäatra- ,Messer, Dolch, Schwert,
Waffe", griech. K^ffTpoi; ,eine Art Pfeil', ir. ceis ^Spcer'; lat. sab. curis
,Lanze' (eine Waffe, nach der Quirinus und die Quinten benannt sein
sollen, und die geradezu als Mars verehrt wurde), ir. curach id.
(Stokes B. B. XXI, 124); lat. verti, umbr. berus ,Spiess', ir. bir ,Spiess,
Stachel', wie lat. hasta mit got. gazds ,Stachel' verglichen wird; lat.
«partig ,Lanze der Bauern', ahd. (gemeing.) spero (s. u. Spcierling).
Arisch: sert. rshfi-, aw. arsti-, altp. ariii-; sert. cü'la-f aw. aüra-
(vgl. (Jüpas • uaxaipaq Hes.). Auf irgend welchen Zusammenhang dürfte
auch die Reihe griech. Xötxi, lat. lancea (meist von keltischen und
iberischen Waffen gebraucht), ir. laigen {*laginä nach Stokes), altsl.
Iqsta hinweisen, doch ist die ratio dieser Verwandtschaft noch uner-
mittelt. Thurneysen I. F. Anzeiger VI, 193 möchte lancea : ir. do-
Ucim ,ich werfe' stellen. Auf welchen sachlichen Unterschieden diese
verschiedenartige Terminologie beruht, lässt sich natürlich nicht mehr
sagen.
In den Einzelsprachen wird der Spiess wie andere Waffen sehr
häutig nach dem Baume benannt, aus dessen Holz sein Schaft ge-
fertigt ist. Vgl. griech. neben böpu (s. o): utXin., eigentl. ,Esche',
Kpdveia, eigentl. Jlartriegel', arfaven., eigentl. .Eiche' (: ahd. eih), ?YX°S>
£YX€"1 0 °TXvrl .zahmer', dx pöt? , wilder Birnbaum ?), lat. ornus, eigentl.
, Bergesche', fraxinus eigentl. , Esche', ahn. askr desgl. Griech. Eucttöv
: Et'iu ist ebenso wie altu. skafinn : xkafa eigentl. ,das geglättete',
d. h. der geglättete Schaft, der, wie bei den Germanen (Tacitus Ann.
II, 14), oft auch allein, d. h. ohne steinerne oder metallene Spitze,
vorn lediglich durch Feuer gehärtet {praeustum, ^tukoutov) als Waffe
des gemeinen Mannes gedient haben wird. Gewöhnlich wird der Schaft
der alteuropäischen Lanze als sehr lang geschildert, wie denn das
£tX°S bei Homer {aaicpöv, boXixööKiov, ja ^vbeKdirrixu und neXuüpiov heisst,
und auch die Lanze der Nordvölker von den Alten als enormis oder
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Spiess.
787
ingcns bezeichnet wird (vgl. auch Müllenhoff Deutsche Altertumskunde
IV, 165).
Einzelsp räch lieh und ausserhalb der angegebenen Zusammenhänge
sind noch zu nenucn: lat. pilum. Das Wort wird gewöhnlich als
identisch mit pilum , Mörserkeule' (: pinso) angesehen, was bei der
Gestalt der römischen Pilen (vgl. Liudenschmit Altertümer 1, XI, 5j
nicht gerade wahrscheinlich ist. Lat. pilum aus *(s)peudom könnte
direkt dem gemeingerm. *speuto- (altn. spjöt, ahd. spioz ,Spiess) ent-
sprechen (zu lat. i = idg. eu vgl. lat. Uber : griech. c-XeüG-epoq, Brug-
mann Grundriss I*. 1, 107, l aus d nach bekannter Lautneigung/.
Ferner: altsl. kopije und sulica, erateres vielleicht zu griech. kötttuj,
letzteres zu altsl. su, su-nqti ,stossen\ wie auch sert. gü'-la- (s. o.<.
gehörig.
.Schliesslich ist noch auf eine stattliche Reihe von Speernamen zn
verweisen, welche die Alten ans verschiedenen, namentlich aber den
nördlichen Teilen Europas Uberliefern: auf die fränkischen <5rprwveq (: ahd.
ango 7Staehel'), die keltisch-germanische cateja (: ir. cath .Kampf ), dii'
germ. f'ramea (Tacitus Genn. Cap. G: Haxtas vel ipsorum vocabuh>
fr am eaa gerunt angusto et brevi ferro \ das Wort spottet trotz Müllenhotf
Deutsche Altertumskunde IV, 628 aller Deutungsversuche; ist eine An-
knüpfung an das irische von Windisch I. T. s. v. 1 lorg und rammai ge-
nannte rama .Eisen am Spaten' möglich, so dass framea aus *pramiä ent-
standen wäre? vgl. auch ir. laige ,Spaten', laigen , Lanze'), die keltische
mataris, das gaesum u. a. (vgl. die betreffenden A. bei L. Diefenbach
0. E. und Holder Altkelt. Sprachsch.). Unter diesen Namen ist keiner
von solcher kulturhistorischer Bedeutung wie das altgallische gaison,
gaiso8 (raiadrai) = ir. gae ,Spcer', gaide .pilatus' (urverwandt mit
griech. xaicx; ,Hirtenstab', der auch zum Werfen diente, und mit ahd.
geisala, altn. geisl ,Stock, Geisel, Peitsche'). Die Ausgrabungen am
Neuenburger See in der Schweiz (La Tene) haben zahlreiche jener
altkeltischen Eisenspiesse an den Tag gebracht. Mit den Zügen der
Kelten ist dann das gallische gaison ins Lateinische (gaesum) w ie
auch ins Griechische (vaTaoO eingedrungen. Nicht weniger aber hat
es sich auf dem Wege sehr früher Entlehnung zu den östlichen Nach-
barn der Kelten, den Germanen (ahd. ger, agls. gär, altn. geir, auch
in Namen Mario-, Lanio-gaisos, ahd. Ger-hart, Gir-trüt etc.) verbreitet.
Allerdings fehlt ein lautliches Kriterium, welches mit Bestimmtheit auf
Urverwandtschaft oder Entlehnung der germanischen Wörter mit oder
aus den keltischen hinweisen. Bedenkt man jedoch, dass das Wort
für das Eisen (s. d.) selbst aus dem Keltischen ius Germanische ein-
wanderte, so liegt die Vermutung nahe, dass dasselbe mit der Be-
nennung des eisernen Speeres der Fall gewesen sei (vgl. Arbois de
Jubainville De la civilisation commune aux Celtes et aux Germains
Revue archeol. 3 ser. XVII, 191 IT.). — S. u. Waffen.
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788
Spinat — Spinnen, Spindel, Spinnwirte).
Spinat. Spinavea oleracea L. ist wildwachsend noch nicht nach-
gewiesen worden. Man vermutet, dass sie eine durch Kultur entstandene
Abänderung der Spinacia tetrandra darstellt, welche im Süden des
Kaukasus, in Turkestan, Persien und Afghanistan wildwachsend auf-
tritt (vgl. De Candolle Ursprung der Kulturpflanzen S. 124). Die
Pflanze war den Alten unbekannt. Sie erscheint in Europa zuerst bei
Albertus Magnus (1193—1280) unter dem Namen spinachium. Im
Jahre 1351 kommt sie unter den Fastenspcieeu der Mönche vor. Ihre
europäischen Namen gehen mit spinachium auf arab. isfavdg, pers.
aspandh zurück. Ältere Botaniker bezeichnen die Pflanze als olus
Hispanicum, als ob sie aus Spanien käme, was eine missverstündliche
Auffassung des Wortes spinachium sein wird. Wahrscheinlicher ist,
dass der Spinat durch Kreuzfahrer nach Europa gebracht wurde. Hier
verdrängte Spinacia oleracea ältere Spinatpflanzen wie Melde und
Amarant (s. u. Garten, Gartenbau), Malve (s. d.) und Mangold
(s. u. Beete). — Vgl. Beckmann Beytrüge V, 116 und v. Fischer- Benzon
Altd. Gartenflora S. 130.
Spinne. Sprachliche Übereinstimmung, die auf Urverwandtschaft
hinwiese, ist in der Terminologie dieses Tieres noch nicht gefunden
worden, da lat. ardnea »Spinnwebe, Spinne' wohl aus griech. dpdxvn.,
äpdxveiov entlehnt, nicht ihm urverwandt ist. Doch sind die Namen
des Tieres, als von alten Zeitwörtern für Spinnen uud Weben abge-
leitet, kulturhistorisch wertvoll. S. weiteres u. Spinnen und u.
Weben.
Spinnen, Spindel, Spinnwirtel. Während u. Weben gezeigt
ist, dass dieser Begriff schon in der Ursprache mit vollkommener Deut-
lichkeit sprachlich ausgebildet war, hat die Terminologie des Spinnens
in den idg. Sprachen überall noch eine ältere Grundbedeutung ,drehen'
oder ,flcchtcn' mit grösserer oder geringerer Entschiedenheit bewahrt.
Die hierbei in Betracht kommenden Sprachreihen sind folgende: 1. lat.
torqueo ,drehe' — alb. tjef ,spinne\ sert. tarkü-, Painird. s-tarkh,
griech. äTpaiaos ,Spindel\ 2. idg. (*)»<?, (s)nö, (x)?iei,. («)»• (vgl. ve,
rö, vei, vi ,webeu' s. d.), ir. sntim ,flcchte', got. snörjö ,Korb\ ahd.
snuor ,Band' — ir. snim .Spinnerei', snimaire , Spindel', kymr. nyddu
,nere', griech. v€u>, vt|6uj u. s. w., lat. neo, nemen, netus .spinne1, altsl.
ni-tl niMa , Faden', ir. sndthe desgl., sert. ni-ri- („gesponnenes") .Schurz'.
Auch das „Nähen" muss als eine Art „flechten" anfgefasst worden
sein, wie ahd. ndan ,nähen', got. (gemeingerm.) nipla ,Nadel\ ir.
sndthat desgl. zeigen. Denselben Bedeutungsttbcrgang weist griech.
pdTTTU) ,nähe' = lit. werpu .spinne' auf. S. u. Nadel. 3. lat. erdtes
,Geflecht', griech. KdpTaXo?, got. hatirds, lit. irätai ,Gitter', altpr. korto
,Gehege' — sert. kart ,spinne', npers. kartinah »Spinngewebe', Pamird.
ert, ir. cert-le ,glomus'. 4. idg. (s)pen, lit. pinü, pinti .flechten' —
got. (gemeingerm.) spinnan, kymr. cy-ffiniden .Spinne', ,Spinnge-
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Spinnen, Spindel, Spinnwirtel.
7H9
webe' {-fftn aus *spin, *spen nach Stokes Urkeltischer Sprachschatz
S. 299), griecb. nnviov ,der auf die Spule gewickelte Faden des Ein-
schlags', lat. pannus ,Tuch', got. fana desgl., altsl. opona »Vorhang'.
Wie man sieht, haftet au keiner dieser Reihen die Bedeutung ,spinnen'
ganz ausschliesslich. Gleichwohl ist sie mit mehreren derselben, vor
allem aber mit der Wurzel terq (No. 1), so innig verknüpft, dass man
kein Bedenken tragen darf, als Grundbedeutung derselben schon für
die idg. Urzeit anzusetzen: ,drehen', .besonders mit der Spindel den
Faden drehen', .spinnen'.
Ein idg. Name für dieses letztere Werkzeug ist noch nicht mit
Sicherheit nachgewiesen worden. Auch aus der übereinstimmenden
Benennung des Wirteis, sert. vartana-, nartulä, lat. verticillus, altsl.
vrHeno, mhd. wirtil, ir. fertas wird man nicht mit Zuversicht einen
solchen folgern dürfen, da hier einzelsprachliche Bildungen von der
W. vert ,drehen' vorliegen können. Immerhin scheinen sert. rartana-,
altsl. creteno, mhd. wirtil i*wirtin-) auch auf ursprünglicher Suffixgleich-
heit zu beruhen. In jedem Falle aber muss man den Indogermanen,
sobald man ihnen die Kunst des Spinnens zuschreibt, auch die Be-
kanntschaft mit der Spindel zusprechen, da erst durch die Anwendung
dieses Werkzeugs die Thätigkeit des Flechtens sich zu dem des Spin-
nens erhebt.
Dazu kommt, dass sich der Spinnwirtel als eine uralte Erfindung
des Mcnsehengeistes durch die Prähistorie erweist. Wie in Hissarlik
in allen vorgeschichtlichen Städten, so ist der thönerne Spinnwirtel
auch in Europa in den Schweizer Pfahlbauten der Steinzeit, in den
Terramarcn der Poebne, bei den Ausgrabungen auf dem Esquiliu und
in der albaner Nekropole in Menge gefunden worden (vgl. Schliemann
Ilios Index unter Wirtel, Lubbock Die vorgeschichtliche Zeit S. 186,
Heibig Die Italiker in der Poebne S. 22, 8.i). Nur aus dem skandi-
navischen Norden, auch nicht aus der Bronzezeit, wo doch bereits
Gewebe vorkommen, scheinen merkwürdiger Weise noch keine Spinn-
wirtel bekannt geworden zu sein.
Dass endlich, wie das Weben, so das Spinnen bei allen idg. Völkern
von Anfang der Ueberlieferung an bekannt ist, Uberall als eine uralte,
von dem Weibe auszuübende Kunst angesehen wird, und in zahlreiche
Züge des Glaubens, des Rechtes und der Sitte verwoben ist, braucht
nicht weiter ausgeführt zu werden. Bezeichnend ist, dass, wie Peue-
lope in der Odyssee, Lucretia bei Livius (I, 57), so auch das paeonische
Weib, das Hcrodot V, 12 beschreibt, das Mädchen also eines in seiner
Kulturcntwicklung im übrigen rückständigen Volkes (s. näheres u
Haus) als icXineoutfa Xivov und o*Tpl<pouo*a töv äxpaicTOv geschildert wird.
Noch erübrigt, die Terminologie des Rockens und der Spindel
in den europäischen Sprachen idg. Stammes aufzuführen, die einige
weitere alte Zeitwörter für ,Spinuen' etc. enthält. Vgl. griecb. ityaKäxn.
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700
Spinnen, Spindel, Spinnwirtel — Staat.
(lit. lenktutce , Haspel', scrt. lakufa- ,Stock"?) and vnjpov (von vcuu)
,Roeken' : ÖTpaKTO? (s. o.), o*<povbuXo<; ( : (Kpevbövn, »Schleuder) ».Spindel',
auch nXcncdTn. wie der Rocken, lat. colus (-.griech. kXu>6uj spinne'?;
ans mlat. conucla, frz. quenouille entlehnt: ahd. chonachla ,Kunkel' und
ir. cuicel) ,Rocken' : füms (*dhoiso- = mndd. disey mengl. distaf Spinn-
rocken', ,Flachsbündel am Spinnrocken') und verticilhts (s. o.) ,Spindel'/
ahd. roccho, ahn. rokkr (ob verwandt mit griech. dpK-dvn, , Faden',
äpKuc ,Netz', dpdx-vn, .Spinne'?) : ahd. spinain (s.o.), mhd. wirtil (s. o.)
,Spindel', slav. , Rocken'? : altsl. prqslica von prqsti ,nere' vretena
(s. o.) ,Spindel', lit. wiftdas (von wyti , winden') : warpsti (s. o.) und
wirbalas (eigentl. ,Rute', vgl. nXcind-rn,). Das Spinnrad wird erst als
eine Erfindung des XVI. Jahrhunderts angesehen. S. auch u. Flechten.
Sporen. Sie werden in Griechenland als d-rrevTpibes zuerst von
dein attischen Dichter Pherekrates (ältere Komödie) genannt : toi? Trofft
Korrd id? Trrlpva; 01 \Tnreuovres TtcpieboövTO <t>epe»cpdTr|S eTpnKcv iv AouXo-
bibao*KdXw, Pollux X, 14. Auch \vüw\\t} eigentl. , Bremse' kommt (z. B.
Xcnoph. Res equ. VIII, 5) vor. Lat. calcar : calx , Ferse'.
Im Norden Europas sind bronzene und eiserne Sporen seit der La-
Tene-Zcit und der römischen Periode antiquarisch nachweisbar. Ihr
Name ist keltisch: ir. cinteir, bret. quentr (: griech. «'vrpov, eigentl.
,Staehef, vgl. Zcuss Gr. Celt. 8 S. 166, Stokes ürkelt. Sprachschatz
S. 78), gemeingermanisch : ahd. sporo, agls. spora, engl, spur, altn.
spore 'von einer W. sper ,mit dem Fusse treten', vgl. Kluge E. W.6>
und ins Keltische (ir. sbor an eich, gl. calcar, kymr. yspar, yspardun
,£pe>on') wie ins Romanische (it. sperone u. s. w.) entlehnt. Die öst-
lichen Sprachen weisen Bildungen von *penta, altsl. peta , Ferse' auf
: altsl. pqtino, lit. pentinas. — Nach Holtzmann Germ. Altert. S. 147
wurden in den Gräbern örters einzelne Sporen gefunden, wovon aber
sonst nichts bekannt zu sein scheint. — S. u. Reiten.
Spruch (Zauberspruch), s. Dichtkunst.
Staat. Da» idg. Urvolk zerfiel in Stämme (s. d.), d. h. in
verwandtschaftliche oder verwandtschaftlich gedachte Verbände, die
von den politisch-territorialen Einheiten, die wir heute als Staaten be-
zeichnen, noch weit entfernt waren. An ihrer Spitze stand ein von
der Gesamtheit erwählter „Leiter", *r£g-s (s. u. König) genannt, ihm
zur Seite die Volksversammlung (s. d.). Eine Art territorialen
Mittelpunkt der im übrigen noch kaum sesshaften Bevölkerung bildete
die Burg (s. u. Stadt), in die die Umwohner zur Zeit der Kriegsge-
fahr ihre Herden flüchteten.
An diese Burg knüpft der griechische Staatsgedanke an. Griech.
TröXts, eigentl. ,Bnrg', aber schon bei Homer, wie namentlich die Ver-
bindung ttöXi£ Kai äötu zeigt, im Sinne von ,Staat', Staatsgebiet' ge-
braucht, hat zu den bedeutsamen Wörtern TroXircia, TroXnriq, ttoXitikö^
u. s. w. geführt.
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Staat.
791
Ganz im Gegensatz hierzu ist in Koni niemals ein Wort für Borg
oder Stadt im Sinne von Staat verwendet worden. Der römische
Staatsgedanke ging nicht von territorialen, sondern von personalen
Vorstellungen aus. Die Staatsgewalt und das unter ihr zusammenge-
fasste Gebiet heisst imperium, *endu-perium, eigentlich wohl ,das
Walten (parare) drinnen' (endu), ursprünglich von der patria potestas
gesagt, für die es noch später gebraucht wird, nachher auf immer weitere
Machtsphären Obertragen. Ihm zur Seite* steht in mannigfacher An-
wendung das Adjektivum publicus, eigentlich .dem Volkshcer (populus)
gehörig' (s. u. Volk), lies publica könnte, da lat. res direkt dem
sert. rä'-s ,Gut, Habe. Besitz' entspricht, von Haus aus soviel wie
»Eigentum des Volksheera' sein, wenn nicht die Möglichkeit vorläge,
dass lat. res (auch allein für Staat gebraucht) mit schon abgcblasster
Grundbedeutung dem griech. irpäructTa (to TTcpcfiicä TTpätnaTa ,der
Perserstaat') nachgebildet sei; doch würde man im letzteren Falle im
Lateinischen den Plural erwarten. Derselbe Unterschied zwischen
Griechisch und Lateinisch tritt in der sprachlichen Ausbildung des
Begriffes ,Bürger' (Staatsbürger) hervor. Während das Griechische
hierfür ttoXittv;, d. h. die Maskulinisierung eines ursprünglichen *ttoXit(x
jStadtschaft' (vgl. (rfpÖTn.q , Landbewohner' von *d?pOTa : dtpö?) ver-
wendet, bezeichnet lat. civis (s. u. Familie III Die Benennungen
der idg. Familie) zunächst den »lieben Hausgenossen' und ist, wie im-
perium, später auf immer weitere Verbände übertragen worden.
Ueber die Geschichte des deutschen Wortes „Reich" (ahd. rihhi),
welche für die Entwicklung des über den alten Stammesstaat hinaus-
gehenden HerrschaftsbcgrifT8 bei Kelten und Germanen lehrreich
ist, ist u. König gehandelt worden. Ganz jung, erst nhd. ist unser
„Staat", über dessen Hervorgehen aus lat. statu*, frz. itat man einiges
in Pauls Deutschem Wörterbuch findet.
Der Staat ist also ursprünglich eine Vereinigung vou Personen
unter derselben Herrschaft, und erst allmählich gesellt sich zu dieser
Vorstellung die zweite, dass der Staat auch eine territoriale Einheit
darstelle. Dieser Entwicklungsgang ist in zahlreichen sprachlichen
Spuren verzeichnet.
Zwar kann man schon bei Homer dvotE Auxin,; und bei Herodot
<t>pirrhlS ßatfiXcuq sagen; allein das ursprüngliche und in gewissen Ver-
bindungen (z. B. rex Macedonum) immer allein übliche ist doch wohl
auch in den klassischen Sprachen Aubuiv, Mnbwv u. s. w. ßatfiXeO«; ge-
wesen. Dies ist jedenfalls die Regel bei den germanischen Titulaturen.
Die Könige der Merowinger nennen sich in den Urkunden (vgl. die
Belege bei Pardessus Diplomata etc.) ausschliesslich reges Francorum,
nicht Franciae. Der erste englische König, der sich .König von Eng-
land' nannte, war König Johann; seine Vorgänger hatten ,Jcinys of
the English' geheissen (vgl. Maine Early history0 S. 73). Bekannt
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792
Staat — Stab.
ist anch, dass in unseren Ausdrücken „König von Preussen", „König
von Haiern u u. s. w. der Ländername ein alter Dativus Pluralis des
Völkernamens war, nnd dass es ursprünglich „König bei den Preussena
(inhd. ze Burgonden) liiess, ganz wie schon in den altpersischen Keil-
insehriften %HäyaOiya Parsäiy , König in Persien", d. h. wohl eigentlich
,iu dem Perser' (vgl. 6 TTepOn,? ,die Perser') bedeutet.
Überhaupt ist die Verwendung des Plurals eines Völkernamens für
das Land, in dem das betreffende Volk wohnt, ein häufiger und offenbar
uralter Vorgang. Wie man im Griechischen sagt: ö ttoiapd«; ß&i buk
KiXtKuuv ,der Fluss fliesst durch Cilicien', eigcntl. »durch die Cilicier',
so ist ir. Haid Nom. PI. eigentlich ,die Männer von Ulster', dann
die Landschaft Ulster, Lagin ,die Männer von Leiuster', dann die
Provinz Leinster, im Litauischen heisst Ltnkai ,die Polen' und .Polen-
land', Prüsai .die Preusscn* und ,das Preussenland' (über Prümja etc.
vgl. A. Leskien Bildung der Nomina S. 317), Wengrai ,die Ungarn*
und ,das Ungarnland'. Ebenso ist es im Slaviscben (vgl. Miklosich
Vergl. Gr. III. 375); doch ist mau hier vielfach zu einer Differen-
zierung des Länder- und Völkernamens in der Weise vorgeschritten,
dass man den erstcreu im Nominativ mit der leblose Gegenstände
charakterisierenden Endung -y (= Acc. PI.) versah. So poln. Wlochy
,Italia' : Wtosi Jtali', cech. Uhry .Hungaria' : Uhri ,Hungari'. Viel-
leicht darf man die griech.-lat. Ländernamen auf -in, -in geradezu als
Kollectiva zu dem Völkernamen auffassen, so dass 0puT€in. nichts als
eine Gemeinschaft von <J>püy€q ,Phrygern' wäre, wie epparpia : qppdrrip
eine Gemeinschaft von Brüdern bedeutet. Vgl. russ. Busl kollect.
.Russi' und }Kussia'. Siehe auch u. Dorf. — In dasselbe Gebiet
gehört die uralte Angabe der Heimat eines Menschen durch Hinzu-
fügung des Volkes, nicht des Landes, dem er angehört. Es heisst
gricch. Eevoqnüv 6 'AOnvaios, wie altp. martiya Fravarti* näma Mäda
,der Meder' oder Ylidama näma Parsa ,der Perser' u. s. w. —
Endlieh darf als charakteristisch für das späte Hervortreten des
territorialen Charakters eines Staates auch auf den Mangel alter Wörter
für den Hegriff des Vaterlandes hingewiesen werden. In alten
Zeiten sehnt sich der Mensch weniger nach dem Lande, in dem er
geboren wurde, als nach dem Stamme, dem er angehört, seiner
Sippe, seineu Freunden. So wird bei Homer ndTpn, eigentl. .Geschlecht'
noch oft durchaus im Sinne vou Vaterland gebraucht (z. B. TnXö6i Ttdipn?).
Daneben findet sich allerdings bereits Ttatpu; "faia, alu, dpoupa (das
Land, in dem die rcdTpn. wohnt) und auch schon substantivisch (obwohl
viel seltner) worrpti; ,das Vaterland". Wahre Heimatsliebe Od. IX, 27 etc.
Ausdrücke wie deutsch „Vaterland** (zuerst im späten Althochdeutsch)
oder lit. tewü z'eme, tüwiszke sind wohl sicher erst Nachbildungen nach
lat. patria <sc. terra . — S. auch n. Volk.
Stab, s. Zepter.
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Stadt.
793
Stadt. Der Satz aus Tacitus' Germania Cap. 16: Nullas Ger-
manorum populis urbes habitari mtix notum est hat ebenso auch von
der idg. Urzeit gegolten. Die idg. Gleichung scrt. pur- ,Stadt' = griech.
itöXiq desgl., lit. pllis .Schloss' spricht nur scheinbar hiergegen. Die
vedischc pur- war (wie Zimmer Altindisches Lehen 8. 143 nachge-
wiesen hat) „weiter nichts als ein Fleck Lande», der mit ErdaufwUrfen
(scrt. deht- = griech. xeixoq) ringsum geschützt war". Um den An-
griff zu erschweren, wurden solche Hurgen vielfach auf Anhöhen an-
gelegt. Als Versebanzung werden auch schon steinerne Mauern und
Barrikaden aus Pfählen genannt. Hierhin brachten die Einwohner in
Zeiten der Not ihren Reichtum, d. h. ihre Rinderherden zusammen.
Ebenso ist die ursprüngliche Bedeutung des griech. ttöXk; nicht ,Stadt\
sondern ,Hochstadt', ,Bnrg' gewesen, in welchem Sinne das Wort noch
in Athen gebraucht wurde (vgl. Thukyd. II, 15: KaXeixcu bk biä rnv
TTaXctiüv TotÜTT) KaTOiKr|0*iv Kai f| üKpoTroXi^ uexpt TOÜb€ £ti Ott' 'A0r|vaiujv
ttöXi?). Es ergiebt sich also, dass für die oben angeführte Gleichung
die ursprüngliche Bedeutung .Burg' anzusetzen ist, Burg, ohne Zweifel
ganz in dem Sinuc des indischen pur-, d. h. nicht als dauernde Wohn-
stätte der Menschen, sondern als befestigte Zufluchtsstätte in der
Stunde der Gefahr. Denn derartige Anlagen lassen sich als die Keime
zukünftiger Stüdtcbildungen noch fast bei allen idg. Völkern nach-
weisen.
Der Name der südslavischcn Burg, des Mittelpunktes des pleme
(s. u. Stamm), ist grad. Er entspricht dem russ. gorod ,Stadt" (z. B.
Nowgorod .Neustadt' . Die Grundbedeutung ist .Umzäunung' (vgl. lit.
gardax .ein eingezäunter Platz zur Einhegung von Thiercn). Mit
gorodiste bezeichnet mau in Russland, namentlich im Süden, häufig auf-
gefundene künstliche Befestigungen, die Zug für Zug jenen altindischen
pur-as entsprechen näheres bei Zimmer a. a. O. S. 146 f.). Was im
Osten Europas russ. gorodü u. s. w., ist bei Kelten und Germanen
die Reihe altkelt. dünum {Xovio-dünum .Nowgorod'), altir. dun
,Burg, Stadt', altn. tun .Eingehegtes, Gehöft', agls. tun (engl, toten)
jUmzäuntes. Ort, Stadt', ahd. zun. Die ursprüngliche Beschaffenheit
■eines solchen *dnnum (lat. oppidum) beschreibt hinsichtlich der bri-
tannischen Kelten Caesar De bell Gall. V. 21: Ab iis (von einigen
britannischen Völkern,! cognoscit, non longe ex eo loco oppidum Cassi-
velauni abtsxe xilvix paludibusque munitum, quo mtix magnus homi-
num pecorüque numerux convenerit. oppidum autem Uritanni vocant,
cum silca* impeditax vallo atque foxxa munierunt, quo ineurxionix
Mxtium titandae cauxa concenire conxuerunt. Bei den Kelten des
Festlands waren aus diesen oppida schon vor Caesars Zeit eigentliche
Städte geworden. Auch hei den Germanen lassen sich auf ursprüng-
lich keltischem Boden (vgl. R. Much Z. f. deutsches Altert. XXXVI,
1U9) bereits zur Römerzeit Ausätze hierzu nachweisen. So nennt
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794 Stadt.
Caesar (IV, 19) nppida bei den Sueben, ans denen sie mit Weib und
Kind in die Wälder auswandern. Auch das castellum bei der regia
des Maraboduus (Ann. II, 62) scheint dauernd bewohnt gewesen zu
sein, da sich daselbst lixae ac negotiatores aufhalten. Im aligemeinen
aber wird die oben angeführte Nachricht des Tacitus durch zahlreiche
ähnliche (vgl. Much a. a. 0. S. 108, Möllenhoff Deutsche Altertums-
kunde IV, 280) bestätigt, und noch Ammianus Marcellinus XVI, 2, 12
berichtet, dass die Germanen: ipsa oppida ut circumdata retiis butta
declinant. Ein zweiter gemeingermanischer Ausdruck für die befestigte
Zufluchtsstätte des flachen Landes ist neben dem oben erörterten
*dümtm- : got. baurgs, ahd. bürg u. s. w., wohl eher zu berg als zu
bergen gehörig. Es ist später der gewöhnliche Name für Stadt (got.
baürg* ,trö\iq ) geworden, und durch das spätlat. burgus (schon im
IV. Jahrb.) ins Romanische (it. borgo) und selbst in den Orient (armen.
burgn ,Turm', arab. bürg neben syr. purgä; oder beide aus griech.
irupTO?*?) gewandert. Aus dem Keltischen ist noch altgall. -ratum in
Argento ratum (Strassburg), ir. rdth} rdith ,a residence surrounded by
an carthen rampart', rig-rath ,Königsburg' zu nennen. Da diese Wörter
etymologisch dem lat. prdfum entsprechen, so war ihre ursprüngliche
Bedeutung wohl die einer durch Rasenwälle hergestellten Befestigung.
Endlich setzt auch für Italien Th. Mommsen Röm. Geschichte*
S. 36 als Mittelpunkt der Gaue Versammlungsstätten voraus, die nach
ihm teils „Höhen" [capitolium : caput), teils „Wehren*1 (arx : arceo)
Messen. Oppidum selbst scheint entweder ,das, was über die Ebene
hinblickt' (*ob-pedum : griech. tt^oov) oder einfach »Befestigung' (vgl. sert.
pi-bdand- .fest', pdt-tana- ,Stadt' nach Brugmann Grnndriss II, löl)
zu bedeuten, über lat. urbs sind die Akten noch nicht geschlossen;
man pflegt es zu der Wurzel verdh ^wachsen' (vgl. altp. vardana-
,Stadt) zu stellen, und als .Wachstum' zu deuten, was dann eher auf
die Bevölkerung (s.u. Volk), als auf die Häuser der Stadt ginge. Es
ergiebt sich also, dass die Keime altenropäischer Städte auf jene
meistens auf Anhöhen angelegten befestigten Zufluchtsstätten für die
gewöhnlich offenen Dorfansicdelungen des flachen Landes zurückzu-
führen sind.
Als eine zweite Quelle alter Städtegründungen in Europa treten in
späterer Zeit mehr und mehr die Bedürfnisse des sich entwickelnden
Handelsverkehrs hervor (s. u. Märkte).
Die allgemeine kulturhistorische Bedeutung der Stadt hat R. v. I bering
in seinem Buche Die Vorgeschichte der Indoeuropäer S. U7fY. in
scharfen Zügen entworfen. Er erblickt in den Städtegründungen (ausser
in der Einführung des Wein- und Obstbaus 8. s. d. d.) erstens die
eigentlichen Ketten, welche den Menschen an den Boden, den er be-
wohnt, binden. Er sieht zweitens in der Stadt den Sitz des auf-
blühenden Haudwerker- und Kaufmannstandes (s. u. Gewerbe und
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Stadt - Stahl. 795
u. Kaufmann), und er leitet drittens von der Stadt die Herkunft feiner,
den bäurischen entgegengesetzter Umgangsformen ab. In sprachlicher
Beziehung ist hierbei des Gegensatzes von dxpeios (: dtpö?) und do"T6io<;
(: <5o"tu ,Stadt' = sert. vd'stu- , Wohnstätte'), sowie von lat. rusticus
(vgl. mhd. dörpel, dörpare .Tölpel') und urbanus, urbanitas zu ge-
denken, wobei zu beachten ist, dass <So*tu Athen, die urbs Rom ist.
In dem mittelalterlichen Europa geht hingegen der Begriff der „Höflich-
keit", wie der Name sagt („Höflichkeit" von «Hol", vgl. auch frz.
courtois, courtoisie, engl, courteous etc. : curtis ,Hof), von dem
Zeremoniell der Fürsten böte aus, dessen Ursprung Uber Kon-
stantinopel und Persicn hinaus in die semitische Welt fuhrt. Nach-
zutragen bleibt eine im Osten Europas weit verbreitete Benennung der
Stadt: altsl. mesto (woraus lit. miUtas), altpr. maysta, deren Grund-
bedeutung (vgl. lett. mitu, mist ,wohnen'), wie die von sert. vA'*tu;
griech. äaru : sert. von ,wohncn', ganz allgemein , Wohnstätte' war. —
S. auch u. Dorf und u. Mauer.
Stahl. Die ersten Anfange der Kunst, das Eisen zu härten,
werden sich mit dem Eisen (s. d.) selbst in Europa verbreitet haben,
da Waffen oder Werkzeuge aus blossem Eisen kaum branchbar ge-
wesen wären. In der That zeigen aueh die ältesten Eiscnfnnde Europas
nördlich der Alpen, die von Hallstatt (vgl. v. Sacken Das Grabfcld v.
H. 8. 118), dass man sich bereits damals darauf verstand, das Eisen
wenigstens an der Oberfläche zu stählen. Besondere Benennungen des
Stahles wird es damals noch nicht gegeben haben, wie man denn
noch im homerischen Zeitalter wohl das Ablöschen des Eisens im Wasser
und durch Zaubermittel (qpapuäacnuv) kannte (Od. IX, 391), einen be-
sonderen Namen für den Stahl neben atbnpoq , Eisen' aber nicht hatte.
Erst in nachhomerischer Zeit begegnet dbdtua^ (bei Hesiod: bduivriui,
eigentl. unbezwingbar') und xä*uH> (s. u. Eisen). Hingegen bieten die
germanischen Sprachen eine gemeinsame Benennung des Stahles in ahd.
stahal, agls. style, altn. stdl {*stahla-), die nicht ganz deutliche Be-
ziehungen zu einem altpr. Ausdruck panu staclan zu haben seheint.
Dieser, eine Zusammensetzung aus panno ,Feuer' und stach ,Stock*,
bedeutet also „Fcuerstock14. So hiess im alten Ktlehenfeucrzcug ein
etwa Iialbfüs8iger Stahlstock, der fest auf den Boden des mit Zunder
gefüllten Kastens gestemmt, und an den dann mit dem bewegliehen
Feuerstein geschlagen wurde (Nesselmann im Thesaurus). Der eigent-
liche Ausdruck für Stahl im Altpreusstsehcn ist ein anderer, playnis =
lit. pUnan (vgl. altn. fleinn »Spitze, Spiess ).
Vom Süden her bricht sich dann der lateinische Ausdruck acies
(ferri) ,Stahl' in den Ableitungen *aciale, *aciarium, *acium Bahn,
der in den romanischen Sprachen (it. acciale, acciajo, frz. acier u. s. w.),
im Slavischen (altsl. ocell) und Althochdeutschen (ecchil) vorliegt.
Reich an morgenländischen Namen des Stahles sind die slavischen
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796
Stahl — Stall und Scheune.
Sprachen. So stammt russ. bulatü aus npers. püldd u. s. w. (vgl.
Sprachvergl. u. Urg.s S. 294 und Horn Grundriss S. 75), serb. 6elik
(alb. tselikt aus türk. celik, russ. charalugü aus dzag. karaluk. Ger-
manischen Ursprungs ist russ. stall. — S. u. Metalle.
Stall und Scheune. U. Haus und u. Unterirdische
Wohnungen ist über den ältesten Aufenthalt der Menschen gehandelt
worden. Hier soll Uber die Räume gesprochen werden, in denen das
Vieh und die Feldfrüchte ursprünglich untergebracht wurden.
Was das ersterc betrifft, so wird man mit der Annahme nicht irren,
das« dasselbe im allgemeinen im Freien in Hürden gehalten wurde,
für die urverwandte Gleichungen in griech. udvöpct .Hürde, Stall' =
sert. mandurä und in slav. stadlo ,Herde, Stall' — lat. stabulum (W.
stä, eigentl. .Standort', vgl. auch ahd. stal, agls. steall und die Reihe
ahd. stuot, altsl. stado, lit. stödas, s. u. Pferd) vorzuliegen scheinen.
Während der härtesten Kälte werden die Mensehen nicht Anstoss ge-
nommen haben, ihr Vieh in ihren eigenen Wohnungen unterzubringen.
So fand es Xenophon bei den Armeniern ( Anab. IV, 5, 25), zu denen
er mitten im Winter kam, und in deren unterirdischen Behausungen
er Ziege, Schafe, Rinder und Geflügel antraf. Ein äusserst lebendiges
Bild dieses Zusammenwolincns von Mensch und Vieh unter einem Dach
entwirft ferner Johan. Lasicius in seiner Schrift De (Iiis Samagitaruin
etc. bezüglich der Litauer: Mapolia (.Hütten, wie sie Nomaden auf-
bauen';, quae turres appellant, xiirsnm angusta, atque qua fumus et
foetor exeat, aperta, ex tiguis, asserilmx, Stramine, cortieibus faciunt.
in his kommen cum omni peculio, in paeimento tabulato staute,
habitant. ita paterfamiliax omnia sua in conspectu habet, et feram
noxiam et frigus a pecore arcet, ad ostium eubat, deastro foci
(Polengabia, s. n. Herd) custodia commissa, ne vel ignis damnum
domicilio det, vel prttnae nocte exfinguantur. Lbi crebro accidit,
ut vel sus vel canis ex olla in foco staute carnes au f erat f aut
rostrum aqua f'ervente laedaf S. 45). Aber auch von den Britten
überliefert Jornandes Cap. 2: l'irgeas habitant casas, communia tecta
cum pecore, und noch Adam von Bremen will von den Bewohnern
Islands wissen (IV, 35): Solo pecorum fettt vicunt eorumque vellere
teguntur; nullae ibi fruges, minima lignorum copia, propterea in
subterraneis habitant speluncis, communi tecto et strato
gaudentes cum pecoribux suis.
Auch die Feldfrüchte scheint man in der ältesten Zeit vielfach nnter-
irdweh aufbewahrt zu haben. Vgl. Varro De re rust. I, 57: Quidam
granaria habent sub terris, speluncas, quas vocant tfetpouq, ut in
Cappadocia ac Thracia. Dasselbe berichtet Tacitus Germ. Cap. 16
von den Germanen.
Als man dann dazu überging, besondere Räume oberhalb der Erde
für die Unterbringung des Viehs und der Erträgnisse des Ackerbaus
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Stall und Scheune.
797
einzurichten, bot sieh hier/n ein doppelter Weg dar. Man konnte die
neuen Räume entweder innerhalb oder ausserhalb des Wohnhauses
anlegen. Die erstcre Erscheinung zeigen das altsächsischc und das
pergamenische Bauernhaus (vgl. Henning Das Deutsche Haus S. 26,
136 ff. und Nissen Pomp. Studien), deren gemeinsame Eigentümlichkeit
in der Unterbringung sowohl der Viehställe wie der Getreidespeicher
unter einem Dach mit der Wohnung des Mensehen, und zwar vor der
Herdstubc des alten Hauses, besteht. Der zwei te Weg führte zu der Er-
richtung selbständiger Gebäude für die einzelnen landwirtschaftlichen
Zwecke. So kennt bereits das alemannische Gesetz auf einem Herren-
sitz folgende Baulichkeiten (vgl. Anton Geschichte d. teutschen Land-
wirtschaft S. 86): mla (.Saal ), das Haus, wo der Herr wohnt (neben
dem undeutlichen domus infra curtem) und daneben «curia ,Viehstall'
(alid. »dura : scär ^Wetterdach', unser „Scheuer", auch in der Lex
Salica XVI, 4: tii qui« sutem cum porcis auf 8 curia cum anima-
Uhu* incenderit in der Bedeutung von Viehstall gebraucht; Lex
Bajnv.: parc, ahd. pferrih , Umzäunung, besonders zur Aufnahme der
Herde', vgl. Kluge Et. W.6 s. v. Pferch), grania .Kornboden' cellaria
,Kellerhaus', stuba .Badehaus' (s. u. Bad und u. Ofen), ovile ,Schaf-
stall', porcatoria domus ^Schweinestall' (Lex Salica: sutis, sudis),
spicarium .Speicher'. Das letztere Wort ist spätlateinischen Ursprungs,
von spica ,Ähre' gebildet nach dem Muster des älteren grdndrium von
grdnum ,Korn', wie in Italien der hölzerne Speicher (vgl. Plinius
XVIII, 301) im Gegensatz zu dem steinernen (horreum) hiess. Das
Wort ist in die nördlichen Sprachen (ahd. spihhari, alts. spikdri, lit.
szpykeri) übergegangen und kommt zuerst in der Lex Salica XVI, 3
vor: Si quin spicario aut machalum cum annona incenderit, wobei
zwischen spiedrium und machalum der Unterschied hervortritt, daas
ersteres ein horreum cum tecto, letzteres ein horreum sine tecto (Gl.
Pitth.) bezeichnet. Auch der Ausdruck machalum wird aus dem Ro-
manisehen abgeleitet, und zwar von einem lat. *maculum : macula
,bewachsner Fleck, Umzäunung, Hürde' (sp. majada, ptg. malhada
,Schaf8tall' aus *maculata, vgl. Körting Lat.-rom. W. S. 464?). Die
schon oben bei «curia und parc hervorgetretene Erscheinung, dass die
Bezeichnungen für die Unterkunft des Viehs und die Bergung der
Feldfrüchte vielfach in einander Übergehn, wiederholt sich hier also
und findet weitere Belege in ahd. stadal, urverwandt mit dem oben
genannten lat. «tabulum, altsl. stadlo , Herde, Hürde, Stall' sowie in
ir. cliath ,Flecbtwcrk, Hürde' : lit. kletis ^Speicher' (altpr. calene
»Scheune'?), altsl. kUtl Vorratskammer. Vgl. auch got. bansts ,d7ro0r|Kr|',
ahn. bdsft, agls. bös ,KuhstaH'. Der Ausgangspunkt scheint aber in
allen Fällen der Unterkunftsort für das Vieh gewesen zu sein. Sonst
wären aus den altgennanischen Gesetzen etwa noch die bairischen
Ausdrücke scopar, unser „Schober* (vgl. bei Graff scoberes ,avenae',
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798 Stall uud Scheune — Stamm.
andere denken an ahd. scoub, agls. scfaf, altn. skauf ,Garbe') und
mita (ndd. mite ,Miete' ans lat. mita »Heuschober' bei Colnmella) zu
nennen, die kleinere oder grössere, mehr oder weniger bedeckte Korn-
feimen bezeichnen (vgl. Anton a. a. 0. S. 88, 101 f.).
Im aligemeinen wird man sich diese fränkisch-oberdeutschen Höfe,
die mutatis mutandis sich anch bei Leibeigenen fanden, als mehr oder
weniger dürftige Nachahmungen des römischen Bauernhofs (hortus)
vorzustellen haben, der ebenfalls in das Bauernhaus (tugurium), das
freilich in seinen den Germanen fremden Dachräumen auch Getreide-
böden, Futterkammern und dergl. barg, und in den Gutshof (coÄor*,
hors) zerfiel, der die Viehställe und übrigen Wirtschaftsgebäude um-
fasste (vgl. M. Voigt Die rönüscbeu Privataltertümer Handb. d. klass.
Altertumsw. IV, 2 S. 772). Über die Tenne s. u. Dreschen,
Dreschflegel. — S. auch u. Ackerbau und u. Viehzucht.
Stamm. Die Indogermanen der Urzeit lebten, wie u. Familie
und Sippe gezeigt worden ist, in Grossfamilien (Hausgemeinschaften)
und Sippen (Brüderschaften), Familienverbänden, die sich fast in völliger
Ursprünglichkeit in dem Felsenlande der Hcrcegovina und Crinagora,
in das sich Teile der SUdslaven vor den sie ringsum bedrohenden An-
griffen gefluchtet hatten, erhalten haben. Die Weiterentwicklung des
bratstvo oder der Brüderschaft stellt hier der Stamm, das pleme, dar,
als Wohnungsbeziik Supa genannt (vgl. Krauss Sitte und Brauch der
Südsl. S. 15 ff., S. 57 ff.). Das letzte freie pleme der Hercegovina
war das der Vasojeviß (man beachte dieselbe Namensbildung wie bei
den bratatva u. Sippe), welches 10 bratstva, 56 Dörfer und 4000
Krieger umfasste. Die einheitliche Bildung eines südslavischen Staates
war unmöglich, solange die Macht solcher plentertet, zwischen denen
blutige Fehden früher an der Tagesordnung waren, ungebrochen be-
stand. Das Stammeshaupt heisst glacar plemensJci oder vojeoda, als
Vorsteher des Wohnungsbezirks zu pari.
Den politischen und religiösen Mittelpunkt der iupa bilden eine oder
mehrere Burgen.
Die Einwanderung der SUdslaven im Balkan erfolgte nach solchen
Stämmen. So zogen die Kroaten am Ende des V. oder Anfang des
VI. Jahrhunderts in Dalmatien und im südlichen Paunonieu in 12
plemena (in den lateinischen Quellen als tribus bezeichnet) ein.
Es läs8t sich nun nachweisen, dass eine derartige Organisation, wie
sie sich bei den Südslaven abseits vom Strom der Weltgeschichte fast
unberührt erhalten hat, einstmals als oberste gesellschaftliche Einheit
auch bei den übrigen Indogermanen vorbanden gewesen sein muss. Bei
Kelten und Germanen steht oder stand auf gleicher Stufe mit dem
südslav. pleme das, was die Römer übereinstimmend als pagus be-
zeichnen. Allerdings ist der pagus in historischer Zeit ein rein ört-
licher Unter begriff der civitats oder Völkerschaft; aber es fehlt nicht
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Stamm.
799
an Spuren einstiger sehr grosser Selbständigkeit und Unabhängigkeit
der einzelnen pagi, welche es wahrscheinlich machen, dass in ihnen
(nicht in der cicitas) die „Zelle" der nordeuropäischen Völkcrbildungeu
•zu suchen ist. So kann es geschehen, dass sich der eine der vier
helvetischen Gaue, der pagus Tigurinus, auf eigene Faust dem Kimbern-
kriege anschliesst, und in dem Kampf mit Armin vermag der Gau
seines Oheims Inguiomer seine Neutralität zu bewahren (vgl. Brunner
Deutsche Rcchtsgeschichte I, 115). Was des genaueren ein pagus ist,
vermag die etymologische Erklärung der germanischen Entsprechung
des lateinischen Wortes, die in got. gawi, ahd. gouwi vorliegt, am
besten deutlich zu machen. Von den bisherigen Deutungsversuchcu
(vgl. Kögel Z. f. deutsches Altertum XXXVII, 223, Henning ebenda
XXXVI, 324) scheint nur der Feists (Beiträge XV, 547) erwähnens-
wert, welcher got. gawi aus einem idg. *ghawik- : lat. vicus ,Dorf
erklären möchte; denn da der pagus nach Tacitus aus einer Anzahl
von vici besteht, so wird man in der That vermuten dürfen, dass ein
Begriff wie , Mehrheit von Dörfern' iu unserem „Gau" steckt. Allein
morphologisch ist der Feistsehe Versuch ganz unhaltbar. Das Kollektiv-
präiix ga- tritt im Germanischen an den mit ia- oder sonst weiter
gebildeten Stamm, wie z. B. got. gasköhi, gawaürdi, gawaürki zeigen.
Eine Bildung, wie das von Feist geforderte *gha-wlk-, ist unerhört.
Kein gawi, sondern ein *gaioeihi sollte mau im Gotischen erwarten.
Gleichwohl dürfte an dem Ausgangspunkt der Erklärung Feists fest-
zuhalten sein.
Es giebt im Griechischen ein bisher wenig beachtetes, obwohl weit
verbreitetes Wort für ,Dorf und die in dem Dorfe wohnende Ver-
wandtschaft, ,die Dorfsippe', welches urgriechisch *ovä, *otiä und
danebeu mit Ablaut *6vä lautete. Diese Formen ergeben sich aus
att. oin. ,Dorf, otnrry; .Dorfbewohner' (Sophokles) und den Hesych-
glossen ürrri ,KuVn\ oüar <puAcu. Kurcpiot, was* iä<; Kioua?. Ein atiischer
Demos hiess "Oa, "On., Oir). Vielleicht gehört auch lakonisch ujßd ,Obe'
(eine Volksabteilung) hierher. Dieses altgriechische *ocä ,Dorf erklärt
nun das germanische Wort ohne weiteres. Es ist ein urgerm. *ga-awia-m
anzusetzen, das, wie z. B. got. gaumjan »wahrnehmen' aus *ga umjan
von slav. umü , Wahrnehmung' hervorgegangen ist, unmittelbar zu
ahd. gouwi, got. gawi führen musste. Der Sinn uusercs nhd. gau ist
also tliatsächlich der durch die sachliche Betrachtung des pagus ge-
forderte, »Gemeinschaft von Dörfern oder Dorfsippen". Eine solche
Gemeinschaft, mit politischer Selbständigkeit ausgestattet, ist aber nichts
anderes als das südslavische pleme, der alte „Stamm-1. Über den Gau
als Tausendschaft s. u. Heer.
Wir übergehen die walisischen Stämme (kynir. llwyth = ir. slicht
,Geschlecht', vgl. Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 320,» und die irischen
Clans (ir. dand), deren Verhältnis gegenüber den u. Sippe hc-
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K)0
Stamm.
sprochenen Familienverbänden ein besonders schwankendes und noeb
der Aufklärung bedürftiges zu sein scheint, um uns zunächst den
arischen Zuständen zuzuwenden.
Bei den alteu Persern folgt nach Herodot I, 101, 125 auf die
<ppnrpn (altpers. r/1%) als oberste Einheit das tivoq, welcher letztere
Begriff im Awesta in nicht ganz durchsichtiger Weise in zailtu- und
dayyii- (altp. dahyu-, semasiologisch kaum mit sert. ddsyu- .Feind,
böser Dämon, Nicht- Arier, Barbar, Räuber' vereinbar; 8. u. Ahnen-
kultus) geschieden wird, so dass wir also, nach den Vorständen dieser
Gruppen bezeichnet, vier Stufen: nmdna-paiti- (Familie), vhpaiti-
(Sippe), zaiitupaiti- (Stamm), day>yupaiti- (Land?) vor uns hätten. In
der Geschichte treten die Perser, wie die oben genannten 12 kroatischen
plemena, als aus zwölf Stämmen zusammengesetzt auf, die also den
Kern der altpersischen Weltmonarchie bilden. Ein Blick auf die heutigen
Afghanen und Kurden lehrt, dass bei diesen Völkern die alte Stamm-
verfassuug noch jetzt in voller Bititc steht, und besonders bei den letzteren
keine Neigung vorhanden ist, eine höhere staatliche Macht darüber
zu errichten (vgl. Leist Altarisches Jus eivile I, 30, II, 193). Auch
bei den Indern tritt uns in der ältesten Zeit als oberste politische
Einheit der Stamm (jdna-) entgegen, die Zusammenfassung der Sippen
(ric-), an deren Spitze der rd'jan- oder König steht. Wie wir es
überall gefunden haben, findet auch hier zu kriegerischen Zwecken
gern eine Vereinigung mehrerer Stämme statt.
Schwerer lässt sieh die einstmalige selbständige Existenz des Stammes
bei Griechen und Römern erweisen, eine zu erwartende Erscheinung,
da die alten Familienvcrbände schon im Anfang der Überlieferung
durch den modernen Staatsgedanken, der im Staate nur Bürger, keine
Sippengenossen anerkennt, gelockert worden waren, und die alte Ter-
minologie vielfach in ganz neuem Sinne gebraucht wird. Gleichwohl
lässt sich, namentlich in dem grieeh. möXov, <pu\r|, der alte idg.
Stammesbegriff noch mit ziemlicher Deutlichkeit erkennen. Der mit
diesem Namen bezeichnete Begriff schliesst sich bei Homer an die
(ppnipn., die Brüderschaft oder Sippe, an. Nach Phretren und Phylen
rät Nestor dem Agamemnon die Griechen aufzustellen, woraus sich
das q>üXov als geschlossene militärische Einheit, wie die q)prjTpr|, er-
giebt. Das von q>0Xov abgeleitete tpuXoms bedeutet ,Hecr' im all-
gemeinen, dann ,Sehlaehtgctümmer, .Schlacht*. Die Rhodier (11. II, 668)
wohnten in drei Phylen (xpixOd bfc djKn,8ev KcrrcKpuXaböv). Es hatten
sich hier also drei Stämme zur Besiedelung von Rhodas verbunden.
Überall kehrt bei Doriern wie Ionicrn eine uralte Einteilung in 3, 4
und ö Phylen wieder, und dass bei Doriern wie Ioniern dieselben
Phylen in jeder Einzelgemeinde vorkommen, beweist nur, dass die
Verschmelzung der einst selbständigen Phylen stattgefunden hatte,
bevor Dorier oder Ionier in Einzelgcmeinden auseinandergingen. Mit
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Stamm.
801
Beeilt bemerkt auch Leist a. a. 0. II, 195: „Wir dürfen uns nicht
Phratrien und Phylen in der Weise geschaffen denken, wie spatere
Zeiten sich die Entwicklung vorgestellt haben : dass in Zeiten, wo schon
ein zur Polis vereintes Volk da war, irgend ein Verfassung gebender
Herrscher das Volk in die bis dahin noch nicht vorhandenen Phratrien
und Phylen abgeteilt habe. Sondern umgekehrt. Die Phratrien und
Phylen sind die speziell griechische Gestaltung der natürlich gegebenen
„Menschenvermehrung" [besser der „idg. Ordnung"]. Wie stark der
der Phylc zu Grunde liegende Verwandtschaftsgedanke sich hie und
da noch später geltend macht, beweist das kretische Gesetz von Gortyn,
nach welchem in Ermanglung von Verwandten eiu Phylengenosse die
Erbtochter (s.d.) zu heiraten verpflichtet war. In Athen werden
q>uXoßa0iXdq »Könige der Phylen' genannt.
Auch im ältesten Rom hat sich die Überlieferung erhalten, dass es
durch die Verschmelzung dreier einst selbständiger Stämme, die hier
mit dem etymologisch noch dunklen Ausdruck tribus (umbr. trifu,
trefiper Iguvina, s. u. Dorf) benannt werden, den Ramnes, Tities und
Luceres, hervorgegangen sei. Als älteste Unterabteilung des tribus
kann man Bich nur die gens denken. Erwägt man, dass der Tribus
im militärischen Sinne, wie der germanische pagus (s. u. II e e r), als
Tausendscbaft gefasst wurde, und dass die gens (wie die der Fabier)
oft aus mehreren Hunderten von Kriegern bestehen mochte, so haben
wir auch in dein altrömischen tribus, dem ein tribunus (vgl. südsl.
plemenski : plemen) vorstand, ein ziemlich getreues Bild des altindo-
germanischen, in eine beschränkte Zahl von Sippen geteilten Stammes
vor uns. Als dann die staatsrechtliche Bedeutung der gens mehr und
mehr erlosch, wird eine neue, aus militärischen Verhältnissen hervor-
gegangene Einteilung des tribus in Ourien (curia, ebenfalls dunkel,
aus *coviria : rir oder : quirix, quiritis , Hausherren verband?) und
Decurien aufgekommen sein.
Als eine urzeitliehe Benennung des idg. Stammeshegrifls wird man
die Reihe umbr. totaper ,pro urbc', totar Jiorinar ,urbis Igovinae',
osk. tujFto MaiuepTivo ,civitas Mamertina', lianme tovtam ,Bantiae
populnm', ir. tuath, got. ßiuda ,£9vo<;', altpr. tauto ,Land' (idg. *teu-tä)
ansehen dürfen. Allerdings bezeichnen diese Wörter in historischer Zeit
die Zusammenfassung mehrerer Stämme zu einer Völkerschaft oder
cititax. Da sich aber ans dem Vorstehenden (s. auch u. König) er-
giebt, dass diese letzteren Begriffe sich erst historisch entwickelt haben,
so wird man berechtigt sein, die in der Ursprache wurzelnde Be-
zeichnung der relativ weitesten politischen Einheit der flühhistorischen
Zeit auf die relativ weiteste politische Einheit der vorhistorischen Zeit
zu beziehen und anzunehmen, dass sich das idg. *teu-td ,Stamiii'
mit diesem selbst zur Völkerschaft und ihrer Bezeichnung ausgewachsen
habe. Die Reihe gehört zu derselben Wurzel wie lat. tömentum ,Stopf-
Sch rader, Reallexikon. 51
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802
Stamm - Stunde..
werk', tumeo ,strotze", tötus ,ganz', scrt. taviti ,ist stark', grieeh. TÜXoq
,Wulst' und bezeichnet also ungefähr dasselbe wie das südsl. pleme :
grieeh. iriuirXnui, lat. compleo .fülle' oder auch (in etwas anderer
Wenduug) wie das grieeh. q>GXov, (puXn. : qpuoucu („Fülle des Wachs-
tums"). Zu altpr. tauto ,Laud' (auch lit. tauta ,Oberland') ist zu be-
merken, da&s hier noch eine weitere Entwicklung der Bedeutung von
der Völkerschaft zu dem von ihr bewohnten Gebiet stattgefunden hat.
Das Verwandtschaftsverhältnis des Stammes werden von jeher Ab-
leitungen von der Wurzel jan (lat. gigno) bezeichnet haben. Vgl. oben
scrt. jdna-, aw. zafttu-, grieeh. ftvoq, ahd. chunni (,genus, geucratio,
progeuics, proles, familia, tribus, gens, natio, stirps'), Wörter, die aber
eben deshalb auch die verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit der
Sippe und der Grossfamilie ausdrücken konnten. Auch den Plural
vou Ausdrücken wie idg. vlk- ,Sippe' wird man für die Vereinigung
mehrerer Sippen haben gebrauchen können. Eine scharfe und unbe-
dingte Scheidung ist in der Terminologie der Familicnvcrbände eben
nicht möglich.
Über die Regierung des Stammes s. u. Köllig und u. Volksver-
sammlung, über die Burg, den lokalen Mittelpunkt desselben, s. u.
Stadt. In Stämmen, wie sie hier geschildert worden sind, vor allem
in der Vereinigung mehrerer, muss die Ausbreitung der Indogermanen
in Europa, ihre Siedelung, ihre Verschmelzung mit Ureinwohnern, ihr
Auswachsen zu Völkerschaften und Völkern erfolgt sein. — S. auch
u. Volk.
Stammbaum, Stammväter, s. Vorfahren.
Stände. Die Unterscheidung von Freien, Unfreien und Edelcn
scheint auf den ersten Blick in der indogermanischen Welt uralt zu
sein. Als die Überlieferung anhebt, finden wir in Indien zwar noch
nicht eigentliche „Kasten", über deren Ursprünge aus alten Fainilicn-
verbänden neuerdings E. Senart in der Revue des deux moudes T.
121, 122, 125 ansprechende Vermutungen veröffentlicht hat. bezeugt;
aber Standesunterscbicde sind bereits in der ältesten vedischen Litte-
ratur sicher nachweisbar. Gegenüber stehen sich das d'rya- tdrna-
nnd das da' na- värna-, ersteres die Rasse (eigcntl. , Farbe ) der in
Indien erobernd eindringenden Indogermanen, letzteres die der unter-
liegenden Ureinwohner bezeichnend. Innerhalb des ä'rya- värna- hin-
wiederum wird die grosse Masse des Volkes durch die v(c-as gebildet,
aus der sich die rä'jänas die ,prineipes' oder das kshaträ- die »Gesamt-
heit der Herrschenden' hervorheben. Der später (neben Kshatriya,
Vaicya, Güdra) so geläufige Ausdruck brähmand- findet sieh im Rig-
veda nur selten. Dafür erscheint brahmdn- ,dcr Beter', wohl sicher
bereits von einem Stand von Priestern gebraucht. Bei den Iraniern
des Awesta werden drei Stände (pütra-, eigentl. .Gewerbe") unter-
schieden: der der Priester (dOravan- = scrt. ätharcan-), der Krieger
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Stande.
803
(ra&aestar- = scrt. ratheshfhtlr-, eigcntl. ,auf dem Wagen stehend )
und der Ackerbauer (vdstryö ßuyqs), wozu gelegentlich noch der
Gewerbetreibende (hüiti) hinzutritt. Die dienende Klasse wird mit
dem Ausdruck Vaisu {wem-, scrt. vaic-ya-'?) bezeichuet (vgl. W. Geiger
Ostiran. Kultur 8. 403 ff.).
Nicht minder früh ist ständische Gliederung in Europa bezeugt.
Bei Homer zerfallen die Staatsbürger in die beiden Klassen der Edlen
(äpio"Tn€?, fipitfToi, ££oxoi dvbpiüv, auch mit Betonung ihres Reichtums
noXÜKXripoi fivGpumot genannt) und der Gemeinfreien (briuou dvbpeq,
auch ÄKXripoi, ot? un; ßioTo? noXuq €in). Unter den Niehtbürgern werden
.Sklaven (boöXoi, bmi>e<;, oIkt^s), Beisassen (jieTaväcrrai), Tagelöhner
(efjTC?) und die brmtocpxoi (Seher, Baumeister, Arzte, Sänger, Herolde)
genannt, die aber gelegentlich auch zu dem Stande der eigentlichen
Bürger gehören können (vgl. Buchholz Horn. Realien II, 1: 4). Im alten
Rom haben wir die Gegensätze von Freien (liberi) und Sklaven (terri),
und von Patriziern einer-, Clienten und Plebejern andererseits. Auch
der Norden steht nicht zurück. Bei deu festländischen Galliern
kennt Caesar (VI, 13 ff.) die beiden Stände {genera) der druides und
equites, letztere mit ihren zahlreichen ambacti und dient es : plebis
paene xervorum loco habetur. Bei den Germanen unterscheidet Tacitus
aufs deutlichste den Adel (nobilesi, die Freien (ingenui), die Frei-
gelasseneu {liberti) und Sklaven (serci).
Gleichwohl scheint es bedenklieh, eine Gliederung nach Ständen,
ausser vielleicht in ihren ersten Anfängen und Vorbedingungen, bereits
für die idg. Urzeit anzusetzen. Zunächst fällt in der Terminologie der
einschlagenden Begriffe die Abwesenheit jeder weitergehenden Über-
einstimmung auf. Die wenigen Spuren einer solchen beschränken sich,
wie sich noch zeigen wird, entweder auf geographisch benachbarte
Sprachen, so dass der Verdacht eines frühen Kulturaustausches nicht
ausgeschlossen ist, oder ihre ursprüngliche Bedeutung lüsst sich als
eine noch allgemeinere, auf Standesunterschiede nicht bezügliche er-
weisen. Bemerkenswert ist, dass das gleiche von der sprachlichen
Bezeichnung der Begriffe Reich und arm (s. d.) gilt, die aufs engste
mit der Entstehung gesellschaftlicher Gliederung verknüpft sind.
Dazu kommt nun, dass es auf idg. Boden keineswegs an Stellen
fehlt, auf denen eine ursprüngliche Unterscheidung von Ständen über-
haupt nicht nachzuweisen ist, oder wo dieselbe noch vor unseren Augen
so in der Entwicklung begriffen ist, dass wir offenbar einen sieh eben
abspielenden, nicht seit lange abgespielten Prozess vor uns haben. Bei
den Slavcn, welche die politischen uud Gesellschnftsverhältnisse der
Urzeit mit oft überraschender Treue bewahrt haben, fällt den Bericht-
erstattern überall die schwache Gliederung in Stände auf. „Nirgends
vermochte sieh ein eigentlicher Adel zu bilden, der neben Vermögen
und Bildung dauernde Übung politischen Anselms besessen hätte. Bei
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804
Stände.
den Sudslaven sind alle Adelstitel unbekannt, aber auch Russland wie
Polen hatte und hat keine Aristokratie im abendländischen Sinne"
(Fr. v. Hellwald Die Welt der Slaven S. 176). Ebenso äussert sich
V. Hehn De moribus Ruthenorum S. 152: „Aristokratie im echten Sinn
giebt es in Russland nicht Aristokratie ist der erste Ansatz zu
politischer Gestaltung; bei noch höherer Entwicklung wird diese Form
zerbrochen oder als dienendes Organ in das System eingefügt; wo
aber nicht einmal Aristokratie möglich und wirklich ist, da ist gar
keine politische Anlage, kein staatenbildendes Element mehr, sondern
der blosse orientalische Despotismus". In sprachlicher Hinsicht wird
sich zeigen, dass die Termini für aristokratische Rangunterschiede u.
dcrgl. bei den Slaven fast durchaus von benachbarten Völkern entlehnt
worden sind.
Nicht minder lehrreich, wie hier der Osten, erweist sich für unsere
Frage der äusserste Nord-Westen unseres Erdteils, die alten irischen
Verhältnisse, wie sie uns die Hrehon-Gesetze schildern. In äusserst
lebendiger Weise wird uns hier ein Bild vor Augen geführt, wie bei
noch äusserst primitiven Zuständen unter der freien Bevölkerung
eines Landes schrittweise Hörigkcitsvcrhältuisse sich herausbilden
können, die uns anderwärts als vollendete Thatsache entgegentreten.
Für die Unbekanntschaft der Urzeit mit Sklaverei kann man sich
auf direkte Nachrichten wie die des Herodot VI, 137: oü top «Tvoi
toötov tov xpövov o*<pio*i ku) oubfc toIöi SXXoiOi "EXXnöi ouc^Tas und
andere (Athenaeus VI, p. 267 e) berufen, die man nicht ohne weiteres als
die «Folge der dichterischen Vorstellung von einem goldenen Zeitalter"
bezeichnen kann (Bttchsenschütz Besitz und Erwerb S. 105). Und zwar
dies um so weniger, als die Griecheu sehr wohl wussten, dass bei
zurückgebliebenen Stämmen abseits von den grossen städtischen Mittel-
punkten, z. B. bei Lokrern und Phociern, Sklaven noch bis in späte
Zeiten nicht gehalten wurden: eieioGai -räp *v Tai? oiiceiaKau; bia-
xov€iv tou? vtiuT^pou? toi? TTp€<TßuT€poi? (Athenaeus VI, p. 264d.).
Das Problem des Ursprungs der Stände scheint also in die Zeit
nach Auflösung der idg. Gemeinschaft zu fallen, d. h. in die Epoche,
in welcher die idg. Völker den Weg nach ihren historischen Wohn-
sitzen sich bahnten oder innerhalb derselben sich festsetzten. Es soll
im folgenden versucht werden, die Grundzüge dieser Entwicklung fest-
zustellen, wobei zuerst Uber deu Begriff der Freiheit, dann über den
der Freiheit und Unfreiheit, zuletzt über den der Freiheit und des
Adels gehandelt werden soll.
I. Freiheit.
Die Eigenschaft des frei sein wird im Griechischen durch dXeüÖepo?,
im Lateinischen durch Uber, im Germanischen durch got. freis, ahd.
fri ausgedrückt. Es ist aber gleich zu sagen, dass alle drei Ausdrücke
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Stände.
805
keineswegs nur politisch frei', also das Freisein gegenüber der Stellung
des Sklaven, des Rechtlosen, des Unterworfenen bezeichnen. Was viel-
mehr H. Paul in seinem Deutschen Wörterbuch von dem deutschen
Worte sagt, dass es nämlich ganz im allgemeinen Sinne die Abwesenheit
oder Nichtberücksichtigung eines Zwanges ausdrücke, gilt im wesent-
lichen auch von dem griechischen und lateinischen Worte. Wie man
im Deutschen „freier Wille", „freie Handu, „freie Meinung" sagt, so
auch im Griechischen £Xeü6€po£ Xtrros, ^XtuSe'pa dtopd, im Lateinischen
liberum tempus, libera custodia n. s. w. So kommen diese Wörter
schliesslich dazu, soviel wie ,los*, ,ledig' von einer Sache, die man
gerne los ist, zu bezeichnen: es heisst deutsch „frei von Schmerzen",
griech. dX€Ö8€poq TrrjuäTwv, lat. Uber laborum.
Gleichwohl lügst sich, zunächst ohne Zuhilfenahme der Etymologie,
zeigen, dass für alle drei Wörter von der Bedeutung politisch frei*
auszugehen ist, oder, vorsichtiger ausgedrückt, dass dieselbe auf allen
drei Sprachgebieten uralt sei.
In den homerischen Gedichten kommt dXeußepo^ nur in diesem Sinne,
und zwar ausschliesslich in der Verbindung ^XeüOepov n^uap ,Tag der
Freiheit' im Gegensatz zu bouXiov f|uap ,Tag der Knechtschaft' vor.
Ausserdem wird noch einmal ein Kpnjrip dXcuOcpo? genannt. Das VI. Buch
der Ilias schliesst mit den Worten des Hcktor au Paris: „Nun lass uns
gehen! Das wollen wir später mit einander ausmachen, wenn einst Zeus
uns verstattet, den himmlischen ewigen Göttern im Palast einen Kpnrfip
AcuGepoq aufzustellen, nachdem wir aus Trojas Gebiet die woblbcschienten
Achäer vertrieben haben". So seltsam der Ausdruck ist, so kann mit
ihm dem Zusammenhange nach nichts anderes als ein Misch krug zu
Ehren der wiedererlangten Freiheit gemeint sein.
Auf römischem Boden liegt der früheste Beleg für den Gebrauch des
Wortes Uber, und zwar cbenfallls in dem Sinne von politisch frei', in
jenem alten Königsgesetz des Numa vor, welches befiehlt: Si qui ho-
minem liberum dolo »dem morti duit, paricidas esto, d. h. nach der
wahrscheinlichsten Erklärung: „Wer einen freien Bürger mit arger
List wissentlich tötet, soll als Sippenmörder gelten". Einen noch älteren
Beweis aber für das Vorhandensein von Uber »politisch frei* kann man
aus «lern Nebeneinanderliegen von Uber ,frei' und Uberi ,die Kinder'
entnehmen (s. u.l.
Was endlich die Germanen anbetrifft, so ist soviel sicher, dass in
allen altgermanischen Mundarten unser Wort „frei" zur Bezeichnung des
Staudes der ingenui gebraucht wird. Daneben scheint allerdings eine
bereits vorgerücktere Bedeutungsentwicklung in der gemeingermanischen
Zusammensetzung von got. freihals .Freiheit', ahd. frihals ,liber' vor-
zuliegen; denn wenn diese Wörter, wie man allgemein annimmt, wirklich
Frcihalsigkcit und Freihals bedeuten, so würde doch wohl ahd. fri-hah
nicht einen bezeichnen, der den Hals eines Freien hat, sondern viel-
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806
Stände.
mehr einen, der einen freien, d. h. nicht durch Ketten (wie beim Kriegs-
gefangenen) oder sonst beschwerten Hals hat. Alsdann würde aber
«frei" in dieser alten Zusammensetzung nicht mehr in rein politischem
Sinne zu nehmen sein.
Das letzte und entscheidende Wort über den Hedeutungsausgang der
drei Wörter wird daher doch die Etymologie zu sprechen haben.
Unser „frei", von dem auszugehen nützlich sein wird, lautete in ur-
germanischer Zeit *frija-s, welches genau dem altindischen priyd-s
entspricht, das aber ,lieb', ,tener', »erwünscht' bedeutet. Da sich nun
unschwer erweisen lägst, dass diese letztere Bedeutung, schon wegen
der neben gat.frei* ,frei' liegenden frijtm .lieben", frijönds , Freund",
die frühere, auch im Germanischen einstmals vorhandene war, so erhebt
sich die Frage, wie ein Wort, das ursprünglich ,licb', , Freund' be-
zeichnete, zu dem Sinne von .frei* gelangt sein könne.
Die Antwort hierauf giebt der Hinweis auf das schon oben genannte
sert. ä'rya- ,der Arier*. Nach der, wie es scheint, ganz einwandfreien
Deutung Böhtlingk-Roths, Zimmers und anderer ist jenes ä'rya- nun
nichts als eine Ableitung von aryd- freundlich", .hold', ,treu', ,froram'
und bezeichnet also einen, der zu den Freunden gehört. Im Gegensatz
zu den eingeborenen ddsd-, d(W-, ddsyu-, die als Sklaven und Skla-
vinneu oder Beischläferinnen in den Häusern der Arier auftreten, kenn-
zeichnet ä'rya- die erobernd im Pendjab vordringenden Indogermaneu
und fasst nach und nach die drei oberen Stände der hrähmanä-, ksha-
triya-, und ta't<;ya- zu einer Einheit zusammen. Es ist (etwa neben
dem ähnliches bedeutenden jämi- ,versippt* im Gegensatz zu djdmi-
,unversippt", vgl. Ludwig Rigv. III, 207) der eigentliche altindische
Ausdruck für ,frei\ Wenn der Inder sagen will: „er ist ein freier
Mann", so wählt er den Ausdruck: „er ist ein Arier'*.
So versteht man nun urgermanisches *frija-tt, unser rfreiu = sert.
pHyd-8 ,lieb ohne weiteres. *Frijas ist an Stelle des in den ger-
manischen Spraeheu verloren gegangenen aryd-, ä'rya- getreten und
bedeutete zunächst den Freund und Verwandten, dann den Volksge*
nossen, zuletzt den freien Volksgenossen, ganz wie in Indien, im Gegen-
satz zu allophylen und verknechteten Volksbestandteilen.
Dieselbe Entwicklung hat in dem benachbarten Keltisch statt-
gefunden. Während das Irische das altindische ä'rya- oder eine Ab-
leitung hiervon dryaka- in Gestalt von aire, airech ,princeps', dem
Namen für eine höhere Stufe der Freiheit, bewahrt hat, ist in den
altkymrischen Gesetzen das dein indischen priyd- »lieb* lautgesetzlich
entsprechende rhydd, wie im Germanischen, der gewöhnliche Ausdruck
für ,frei'. Dieselben Leute heissen auch boneddig, d. h. , Menschen, die
einen Ursprung (kymrisch bonedd) haben'. Es sind die echten Kymren
den Nichtkymren und Fremden gegenüber, die teils als Hörige, teils
als Unfreie auftreten. Es begegnet uns hier also dieselbe Vorstellung,
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Stände. 807
nämlich dass nnr der zum Stamme gehörige frei sei, in einer etwas
anderen sprachlichen Konzeption, die auch auf altiranischcm Boden
wiederkehrt, wo frei awestisch teüta-, npers. äzäd (vgl. dZcmr £Xeu-
tepia Trapd TTc'pffaiq) heisst, d. i. als von zan .gebären' abgeleitet, so
viel wie lateinisch in-genuus, der ,ein-gcborcne', der ,im Stamme ge-
borene'.
Im Germanischen aber, zu dem wir zurückkehren, ist der Bedeutungs-
übergang von »Volksgenosse', also .Freund' zu ,frei' auch in den
Einzelsprachen ein ganz geläutiger. Ein besonders einleuchtendes
Beispiel hierfür bietet longobardisch arimannus (von got. harji* ,Hcer'),
eigentlich ,Hcergenossc*, dann, weil nur der freie Mann Heer- oder
Volksgenosse ist (denn beide Begriffe decken sich in jenen Zeiten) =
,frei'. Man kann sogar tirimanna mulier und feminae arimannae
sagen. Ähnliches gilt aber auch von JSa/icus, Ripuarius, Francas,
über die auf .1. Grimms Rechtsaltertümcr verwiesen werden kann.
Lässt sich nun aus den bisherigen, die indisch-iranischen und keltisch-
germanischen Sprachen betreffenden Erwägungen etwas für die Be-
urteilung der beiden südeuropäischen Ausdrücke, griechisch ^X€u0epo<;
und lateinisch Uber, gewinnen?
Griechisch ^Xeoeepo«; wurde von den Alten erklärt wapd tö £\€ü-
6civ öttou ^pa, d. h. „frei ist wer hingehen kann, wohin es ihm gefällt",
und neuere Etymologen, z. B. G. Curtius, sind ihnen, indem sie auf
die Freizügigkeit als auf ein charakteristisches Merkmal namentlich
der germanischen Freiheit hinwiesen, hierin gefolgt. Allein abgesehen
davon, dass es für einen solchen Ursprung eines Wortes für ,frei' an
jeder Analogie fehlt, haftet in der ältesten Sprache an dem Stamme
4Au9-(nXu6ov, £Xeuo*oucu, tiXr|Xou6a), der nach der obigen Annahme in
£Xeü6€po<; vorläge, und der von dXe-(nX8ov) vielleicht lautlich ganz zu
trennen ist (vgl. Wackcrnagel Delmungsgcsctz S. 3), gar nicht die Be-
deutung ,weggchn' (abire), sondern die Bedeutung »ankommen' (per-
venire), und wenn man sich nun auch zur Not vorstellen kann, dass
,frei' ein Mann ist, der hingehen kann, wohin es ihm beliebt, so gilt
das gleiche doch nicht von einem Manne, der ankommen kann, wo
es ihm gefällt.
Noch viel bedenklicher scheint die von anderen beliebte Verbindung
von itevQtpoq mit nhd. „liederlich", wobei etwa „frei" in Ausdrücken
wie „eine freie Person u (von einem Mädchen gesagt) das verknüpfende
Band bilden würde; denn die ältere Bedeutung des deutschen Wortes
ist ,minderwertig', .schlecht' — man sagt mundartlich noch heute: ^cs
geht mir liederlich" — , wobei natürlich jede Möglichkeit einer Bc-
deutungsvermittlung fehlt.
Vielmehr dürfte die Erklärung von griechisch ^Xeuöcpoq ganz wo
anders, um! zwar in dem schon erörterten Ideenkreis zu suchen sein.
Es gab in der indogermanischen Grundsprache einen Stamm *leudho-,
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808
Stünde.
*leudhu-, *leudhi-, der ,Volk', , Volksgenosse', , Mensch' bedeutete. Er
ergebt sieh aus altsl. Ijudü ,Volk', ljudi ,Mensch', ahd. Hut, leod,
agls. Uod ,VoIk', mhd. Hute, agls. Uode, unser „Leute". Die Wurzel
dieses Stammes ist in got. liudan ,wachscn' = sert. rtidh, rtth erhalten
(s. Analoga u. Stamm und u. Volk). Dieses indogermanische *leudho-
,populus' musste nun im Griechischen lautgesetzlich zu *d-Xeu0o-?
werden, und wie in dieser Sprache ein qpoßcpo; .schrecklich' neben (pößcx;
, Schrecken', ein bpocftpö; ,tauig' neben bpöo*o? ,Tau' lag, ebenso darf
man annehmen, lag neben *€-Xeu9o-? ,Volk' ein 4Xeü6epo£ ,zum Volke
gehörig', dann ,frei'. Der Akzent wird auch hier einst auf der letzten
Silbe gestanden haben, und, nachdem der Stutzpunkt des Adjektivums,
das Substantivum *e-Xeu8o-<; durch andere Wörter für Volk verdrängt
worden war, von seiner ursprünglichen Stelle verrückt worden sein.
Eine Unterstützung findet diese Erklärung weiterhin darin, dass
sowohl im Germanischen wie auch im Slavischcn von eben diesem
Stamme Heudho- .Volk' zweifellos Wörter für ,frci* gebildet worden
sind, nämlich einmal burgundisch lettdfo, das in der burgundischen
Rechtsspiache ganz ähnlich wie das oben genannte longobardische ari-
mannus gebraucht wird, das andere Mal altruss. ljudini, das in dem
Gericht des Jaroslav Wladimirowitsch, einer altrussischen Rechtsquelle
des XIII. Jahrhunderts, ebenfalls den gemeinen Freien (dessen Wergeid
40 Grivnen beträgt) bezeichnet.
So bleibt das lat. Uber übrig, Stamm *leibro-, Hoibro- (altlat. lieber-
totem), neben dem ein oskischer Stamm *loufro- (osk. Lücfvrei*
,Liberi\ lovfrlkonoss ,ingenuos', falisk. loferta) liegt. Verbindet man
diese Wörter, wie es die Mehrzahl der Sprachforscher thut (vgl. zuletzt
Hrugmann Grundriss 1*. 1 S. 107, 197, anders Fick Vergl. W. I4, 538),
mit griech. dXeüetpo?, so würde bereits ein graeco-italisches *leudh(e)ro-
,popularis', .Volksgenosse', ,frcier Volksgenosse', ,frei' anzusetzen sein.
Man könnte vermuten, dass in dem schon oben angeführten Königs-
gesetz des Numa die für Uber vorausgesetzte Bedeutung von ,popularis'
noch durchblicke, so dass dann' ganz im Sinne der Brunncnmeistcr-
schen Auffassung des römischen Tötungsverbrechens zu übersetzen wäre:
„Wer einen Stammesgenossen tötet, soll einem Sippenmörder gleich
gelten" (s. u. Blutrache, Mord, Sippe). Sehr gut würde sich dann
auch das Nebeneinanderliegen von Uberi ,die Freien' und liberi ,die
Kinder' erklären. Letzteres bedeutete alsdann ursprünglich die ,im
Stamme geborenen', die »eigentlichen', die ,echtcn', wofür Analoga u.
Kind und u. Ehelich angegeben sind.
So hat sich gezeigt, dass in weiten Teilen der idg. Völkerwelt,
vielleicht in allen, mit Ausnahme des litu-slavischen Gebietes (hier
gelten russ. volinyj, volinosti ,frei, Freiheit' : lat. velle, lit. laiswan
,frei' : griech. Xnjma , Wille', \r\v .wollen'; aus dem Slavischeu entlehnt:
lit. ictünas ,frei'; vgl. jedoch oben russ. ljudini), der Begriff der
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Stände.
H09
Freiheit in politischen Verhältnissen und zwar in dem Gegensatz
/wischen einer stammhaften und nicht stammhaften Bevölkerungsschicht
geboren wurde. Es liegt ja auf der Hand, dass, wenn alle frei sind,
«die Vorstellung der Freiheit nicht aufkommen kann. Den günstigen
Boden zur Perzeption des letzteren Begriffes boten offenbar in Europa
wie in Indien allophyle Volksbestandteile, welche den Indogermanen
bei ihrer Ausbreitung entgegentraten, und die von ihnen entweder
(das wird das ursprünglichste gewesen sein) vertilgt wurden (s. u.
Opfer) oder in mannigfaltige Verhältnisse der Unfreiheit ein-
traten (vgl. Vf. Z. f. Soeiahvissenschaft I Band, 5. Heft 1898).
II. Freiheit und Unfreiheit.
Derartige Vorgänge, welche sich ursprünglich zwischen Indogermanen
und Nicht-lndogermanen abspielten, setzten sich später auch in dem
Verhältnis von Indogermanen zu Indogermanen, ja, in dem von ver-
schiedenen Stämmen eines und desselben idg. Volkes unter einander
fort. So sind im Peloponncs vorher eingesessene Achäcr zu den Heloten
(eiXuiTH? : 4X€iv ,gefangen nehmen'?) der Lacedämonier. in Thessalien
vorher eingesessene Pcrrhäber und Magneten zu den Penesten (-ntviOTt]^
: lat. penes ,iu der Gewalt Jemandes ) der Thessalier geworden u. s. w.
Unterwerfung und Gefangennahme im Krieg wird daher auch in Europa
überall als die ursprünglichste Quelle der Unfreiheit zu bezeichnen sein.
Dem entspricht es, wenn im Griechischen der Sklave als aixuäXwros
,der mit dem Speer erbeutete', im Lateinischen als sercus (: griech.
*ipepo£ aus *8ervero- .Gefangenschaft'), im Kymrischen als caeth ( =
lat. captus, vgl. auch aitn. haptr , Leibeigener'), im Altslovenischen
als pUnlnikü : plenü , Beute. Gefangenschaft' (vgl. Ewers Ältestes Recht
S. 157) bezeichnet wird.
Hierzu tritt dann als eine weitere Ursache der* Sklaverei mit der
Hebung des Verkehrs der Stämme unter einander und mit fremden
Kulturvölkern der Kauf, bezüglich Verkauf von Sklaven hinzu. Lange
Zeit werden die idg. Völker des Mittelmeergebietes sich vorwiegend
in der letzteren Rolle (d. h. als Verkäufer ihrer Kriegsgefangenen)
bewegt halten. So schildert schon die Ilias (VII, 475) die Achäer vor
Troja, wie sie von den (tyrrhenischen) Lemniern Wein auch gegen
Sklaven einkaufen. Entsprechend handeln die Thraker ein anderes
Kulturgut, das Salz, für Sklaven ein. Vgl. Suidas unter äXiuvnjov : ot
fäp 0päK€? dvopctTroba äXwv änebibovTO. Als erster griechischer Staat,
in welchem man in grösserem Umfang von gekauften Sklaven (dpru-
pujvnTOi boüXoi) Gebrauch machte, wird Chios (Athen. VI, p. 265b)
genannt; doch sind auch schon in der Odyssee Eumaios und Eurykleia
-durch Laertes Seeräubern abgekauft worden. Gerade in Hinblick aut
<icn Sklavenhandel wird sich die Auffassung des Sklaven als einer
dem Vieh vergleichbaren Ware oder Sache herausgebildet haben, die
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810
Stände.
anfänglich in Alteuropa (s. u.) nicht nahe lag. Sprachlich spiegelt
sie sich in Ausdrücken wie scrt. dcipada- .Sklave und Sklavin', eigentl.
,zweifüssiges' (sc. Vieh), griech. dvbpdTrobov, eigentl. ,nicnschenfüssiges'
(sc. Vieh), ahd. manahouhit .Sklave', eigentl. jmenschenhäuptiges' i^sc.
Vieh, vgl. mlat. capitale = engl, cattle), lat. maneipium u. a. All-
mählich strömten in Folge des immer sich steigernden Bedarfs an Sklaven
zunächst in den grossen Metropolen Eingehorene aller Herren Länder
zusammen. Griechen und Römer nennen in Folge dessen gern den
einzelnen Sklaven nach dem Lande, aus dem er gekauft war, z. B. griech.
Aqo<;, r€Tn.S, lat. Dacux, Sttrim u. s. w. Ähnlich ist es, wenn im
Mittelalter hei neutschen und Romanen der Sklave einfach als Slave
bezeichnet wird, wahrscheinlich weil damals hauptsächlich Mensehen
dieses Volks (altsl. Xlot hiinü) durch italisch-byzantinische Vermittlung
(griech. 'EtficXaßnvoi) nach dem Westen kamen. Vgl. noch agls. tcealh
,Kelte' und »Sklave'.
Ausser durch Gefangenschaft iim Krieg oder bei Raubzügen) und
durch Kauf können aber fremde Elemente noch auf einem dritten,
mehr freiwilligen Weg bei einem anderen Stamme in den Zustand der
Unfreiheit gekommen sein. Es muss frühzeitig geschehen sein, dass
Leuten eines fremden Stammes, einzelnen und ganzen Geschlechtern,
die aus irgend einem Grunde die Heimat verliessen oder verlassen
mussten («. u. Blutrache), gestattet wurde, sich bei einem andern
Stamme anzusiedeln. Ein solches Verhältnis kann naturgemäss nur
als ein unfreies gedacht werden. Charakteristisch für den Zustand
solcher Leute ist der der altirischen fuidirs, wie sie die Brehon-Gesetze
schildern (vgl. Maine Early history of institutions0 S. 1 73). In den
noch nicht aufgeteilten Gebieten des Stammlands von den Häuptlingen
angesiedelt, sind sie wirtschaftlich und rechtlich von diesen abhängig
und tragen zu den*!! Wachstum an Ansehn und Reichtum ein wesent-
liches bei. Ähnlich wird die Geschichte und die Lage von Bevölkerung»-
schichten wie der homerischen ucTavdaiai „der Umsiedler"- i vgl. hom.
d-riuriToq ueTavdaTTK), vielleicht auch von Bestandteilen der römischen
plebes zu beurteilen sein.
Wenn es somit zunächst der Gegensatz von E i n h e i m i s e h und
F r c m d ist, der den Unterschied von Frei und Unfrei hervorruft, so
arbeitet in derselben Richtung der mehr und mehr sich zuspitzende
Gegensatz von Reich und arm (s. d.). Auch hier sind es wiederum
die altirischen Gesetze, welche ein äusserst lebendiges Bild entwerfeu,
wie innerhalb einer ursprünglich im wesentlichen gleichen und freien
Bevölkerung und auf einer Kulturstufe, welche die Metalle als Wert-
messer noch nicht kennt, und deren einziger Reichtum der Vichbesitz
ist, wirtschaftliche und dadurch persönliche Abhängigkeitsverhältnisse
sich herausbilden können. Näheres hierüber ist u. S c h u I d e n mit-
geteilt worden. Der altirische Name für einen in der dort geschilderten
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Stände.
811
Weise in Abhängigkeit geratenen Volksgenossen ist ctfe (von Stokes
Urkeltischer Sprachschatz mit lat. cactda , Soldatemliener' verglichen).
Es liegt aber auch sehr nahe, das gemeinkeltische *ras«o- (ir. foss
,Diener', kymr. gu-as ,servus *), ans dem die Bezeichnung des mittel-
alterlichen Begriffs der Vasallität (mlat. cassus, cassallus, it. üussallo)
entsprungen ist, auf dieses Verhältnis zu beziehen. Eine Erklärung
des keltischen Wortstaiumcs ist aber noch nicht gefunden (die
Vergleichung mit griech. dffrö? , Bürger' bei Brugmann Grundriss
I2, 2 S. 771 ist inhaltlich nicht wahrscheinlich). Auf gleichem
Wege, wie die irischen, werden ferner die mannigfachen Verhält-
nisse der Unfreiheit entstanden sein, die Caesar bei den nächsten
Verwandten der Iren, bei den festländischen Galliern, vorfand, die der
diente«, obaerati u. s. w. Auch die Verschuldung des athenischen
Demos den Eupatridcn oder die der Plebejer den Patricieru gegenüber
und andere Verhältnisse, die beim Beginne der Überlieferung uns schon
als abgeschlossene, sozialgesetzlicher Heilung dringend bedürftige That-
sachen entgegentreten, können aus jenen in den Brehon-Gesetzen ge-
schilderten Zuständen Licht erhalten. Der Schuldner, auch der Schuldner
im Spiel (s. d.), kann im ganzen Altertum zum Sklaven des Gläubigers
werden. Charakteristisch aber für den Grundgedanken, dass der dem
Stamme angehörige frei sei, scheut man davor zurück, den verschul-
deten Volksgenossen daheim als Sklaven zu verwenden, sondern man
entledigt sich seiner durch Verkauf in die Fremde. In Athen wie in
Rom ist es für die älteste Zeit undenkbar, dass ein Athener oder
Römer daheim Sklave sei. Dieselben Anschauungen fand Tacitus auch
bei den Germanen hinsichtlich der dnreh Spielschuld leibeigen ge-
wordenen Stammesgenossen (Genn. Cap. 24 : Servo« condicionix huius
per commercia tradunt, ut se quoque pudore victoriae erolrant).
Soviel über die ältesten Entstehnngsgründe der Unfreiheit! — Die
Lage der Sklaven muss in der frühsten Zeit eine günstige gewesen
sein, um so günstiger, je primitiver die Kulturverhältnisse wareu, eine
Erscheinung, die uns auch bei sogenannten Naturvölkern, z. B. bei
afrikanischen. Ackerbau treibenden Negervölkern entgegentritt, die
schon bei Ankunft der Europäer sich im Besitz eines Sklavenstandes
befanden. Für die Indogcrmancn Europas wird dieses milde Los der
Sklaven bezeugt durch den Bericht des Tacitus über die Germanen
und den (wohl etwas phantastischen) des Maurikios über die Slavcn.
Vgl. Genn. Cap. 20: Dominum nc «ert-um nullt« educationüs deliciis
dignoscas: int er eadem pecora, in eadem humo deguntr donec aetas
separet ingenuo«, virtu« ■ agnoteat und Cap. 25: Verberare «ercum ac
vineulis et opere coercere ramm : occidere solent, non dixcipUna
et «everitate, Med impetu et ira, ut inimicum, nisi quod impune e«t,
ferner Maurikios Cap. 5: tou? bk övxaq iv Taiq alxMaXujcriatq nap'
aCrroiS, oük dopiOTtu xpovw, ibq td Xomd £9vn,, iv bouXciq Kaxe'xoumv,
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«12
Stände.
dXXd (SnTÖv öpi2ovT€? aürotq xpovov, dv tt) Yvwurj aüTuiv iroioövTai, €lr€
Qi\ovo\v iv toi? tbioiq ävaxuipnaai, nerd tivo? ma8oü, i\ udvoutfi dKtuo*€
iXeOBepot Kai 91X01. Nicht weniger wird den heidnischen Russen darch
den Araber Ibn Dustab (um 912 n. Chr., vgl. W. Tbomsen Ursprung
d. russ. Staats 8. 26 f.) bezeugt, dass sie ihre Sklaven gut hielten.
Aber auch im ältesten Korn kanu nicht von jeher die Auffassung be-
standen haben, dass der Sklave nur eine Sache sei. Allein schon die
Bestimmung der Zwölftafeln: *S't os f regit libero, CCC, servo, CL
poenam subito sestertiorum beweist, dass der Sklave damals als eine
Persönlichkeit anfgefasst wurde, die nur geringer als der Freie
taxiert wurde.
Die Gründe dieser geringen Betonung des Standesunterschiedes
zwischen Frei und Unfrei liegen einerseits in den allgemeinen Kultur-
zuständen, andererseits in den besonderen Rechtsverhältnissen der idg.
Hausgemeinschaft. Wo die Lebensführung noch eine so niedrige ist,
dass, wie es in den Brehon-Gesetzen geschieht, der Häuptling als Teil
der Leistungen seines cele Unterhalt an dessen Tisch beanspruchen
kann, wo es noch an besonderen Räumen für die Dienerschaft im
Hause (s. d.) fehlt, und alles, mitunter auch das Vieh (s. u. Stall
und Scheune), in dem einen Herdraum bei Tag und Nacht ver-
sammelt ist, ergicht sich der Znstand, wie ihn Tacitns in der ersten
der angegebenen Stellen beschreibt, von selbst. Wie der Sklave, unter-
stehen alle übrigen in der Familie «ler strengen patria potestas des
Hausherrn. Wie soll da eine scharfe Unterscheidung von Frei und
Unfrei hervortreten? Noch im ältesten Rom rauss (nach Mitteilungen
F. Knieps) die Stellung der Hauskinder der der Sklaven sehr ähnlich
gewesen sein. Über beide übte der Hausherr seine Gerichtsbarkeit
aus, beide hatte er wegen begangener Delikte zu vertreten, beide
konnten in dem peculium sich eine Art selbständigen Vermögens er-
werben u. s. w.
Für diese enge Zusammengehörigkeit des Sklaveu mit der Familie
seines Herren beweisend ist endlich die bisher noch nicht genannte
grosse Anzahl der Benennungen des Sklaven oder Unfreien überhaupt,
die denselben entweder als ,zura Hause, zur Familie gehörig'
bezeichnen, oder in denen die Bedeutungen , Hauskind' und ,Sklavc'
vielfach in einander übergehen.
Zu der ersteren Kategorie stellen sich im Griechischen: bmi*;,
buuun. , Knecht' und ,Magd' (auch kret. uviba, uvu/rai ^Leibeigene der
Gemeinde', mn- aus nm-, dm-t), dbpevibt^ • boöXcu : böuoq ,Haus',
bcffTTÖTri? , Hausherr', ohc€u<;, ohctlTnt : oTko? (vgl. Athen. VI, p. 267 b:
biacplpeiv b^ <pn°*1 XpüoiTmoq bouXov oWltov bid to tou? dTtcXeuG^poix;
ii&v boüXouc £ti elvat, oiKt-Ta? bk rovq prj jf\$ ktt|0*€uj? dqpei^vou?),
boöXoq, dor. buiXo?, das von Hesych mit olnia glossiert wird und wahr-
scheinlich zunächst selbst ,Haus, Hausgemeinschaft' bedeutet * (vgl.
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Stunde.
813
Johansson I. F. III, 224 ff.), im Lateinischen: famulus, eigentl.
,Hausbewohner' (s. u. Familie), im Keltischen: ir. inailt ,serva' :
ailt ,Haus' (Johansson a. a. 0. S.328), im Germanischen: agls. hiwan
PI. »Diener, ahd. hiwiski ,Familie nnd Hausgesinde' etc. : *heiwa- in
got. heiwa-frauja ,Hansherr', im Slavischen: altsl. celjadinü »Sklave'
: ieljadl »Familie*, seminü ,mancipium' : klrnss. semja »Familie' (vgl.
auch altpr. seimim .Gesinde') a. s. \v.
Hinsichtlich der zweiten der oben genannten beiden Klassen von
Bezeichnungen (vgl. dazn auch J. Grimm D. R.-A. S. 228) ist zunächst
auf grieeb. nai? und lat. puer zu verweisen, die häufig auch im Sinne
von »Sklave', letzteres namentlich in Eigennamen (z. B. Marcipor »Sklave
des Marcus'), gebraucht werden. Nach Püning Hist. nat. XXXIII, 26
(vgl. auch Val. Max. IV. 4, 11 hätten die ältesten Römer sich nur
einen Sklaven, den sie puer nannten, gehalten. Von wenigen Sklaven
wird auch für die altgriechischen (Athenacus VI, p. 264c) und altger-
manischen Verhältnisse auszugehn sein. Vgl. weiter: got. pius »Knecht',
piwi , Dienerin', ahd. deo, diu (dionön), wenn es richtig zu griech.
T&CVOV (s. u. K i n d) gestellt wird (anders Uhlenbeck Et. \V. d. got.
Sprache), ir. mog, mug »Sklave' : got. magus »Knabe', maici »Mädchen'
(doch können die germanischen Wörter auch mit ir. macc .Knabe,
Sohn' vereinigt werden), altsl. rabü »Sklave' (womit vielleicht auch
got. arbaip8 .Arbeit'» eigentl. »Sklavenwerk' verbunden werden darf):
sert. drbha-y drbhaka- »klein, schwach, Knabe', gemeinst, altsl. chlapü,
in dem die Bedeutungen »Knecht' und »Knabe' schwanken, altpr. waix
»Knecht', wat/klis »Sohn' u. a. Ihren Ausgangspunkt wird diese Termino-
logie in den Sklaven k i n d e rn gehabt haben, für die ein besonderes
Wort im Griechischen vorhanden war (aivbpiwv ,bou\6»cbou\os' Athenaeus
VI, p. 267 c).
Schliesslich ist zu bemerken, dass hie und da auch Wörter für
Mensch (s. u. Mann) dazu dienen, Unfreie und Halbfreie zu bezeichnen.
So altn. 7iian X. »maneipiunr (vgl. J. Grimm D. R.-A. S. 301), longob.
und bair. aldius, aldio, altio (neben dem noch unerklärten niederd.
Ausdruck ^Litenu ein Mittelding zwischen Freien und Knechten be-
zeichnend) : alts. eldi »Menschen' (vgl. unser „Leute" im Sinne von
Dienstboten)» phryg. Ecm-cXcv ßdpßapov ävbpänobov Hes. : lat. homo,
*hemö, got. guma u. a. Sowohl die Wörter fUr Knabe wie die ftir
Mann zeigen aus unten zu erörternden Gründen die Neigung, in die
Sphäre des Adels aufzusteigen.
Manches bleibt dunkel. Z. B. das gemeingerm. got. skalks (vgl.
ir. scoloc .colon d'un monastere'» Mem. de la soc. de Hngu. VII, 291 f.?),
das von Festus bezeugte *anculo- »Sklave', aneulare (mit ancilla wohl
zu dem Praenomen Ancus gehörig), lit. wirgas »Unfreier, Sklave' (: hom.
omitöF€pYO€, Demiurgen auch ein attischer Stand neben Eupatriden nnd
Georaoren?) u. a. Über die Bedeutung der Sklavinnen für die ehe-
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814
Stände.
liehen and geschlechtlichen Verhältnisse der altidg. Völker r. u. Bei-
schläferin.
III. Freiheit und Adel.
Es wurde schon oben darauf hingewiesen, dass bei den Slaven
niemals eine eigentliche Aristokratie sich ausgebildet hat, und dass
fast alle slavischen Namen für eine solche aus der Fremde entlehnt
sind. Dies gilt von ecch. slechta, poln. slachta, russ. sljachta aus
ahd. slahta ,Geschlecht, Herkunft' (vgl. auch ir. glicht ,Geschlecht'),
von dem höchsten russ. Adelstitel knjazl , Fürst' aus ahd. kuning, und
auch die iu der slavischen Welt weit verbreitete Sippe von altsl. hol-
jarinü .uniiß e magnatibus', russ. bojarinü, poln. bojar u. s. w. (auch
alb. bular) ist nicht einheimischen, sondern fremden, türkischen Ur-
sprungs (Miklosich Türk. El. S. 30). Dasselbe ist von den Litauern
und Letten zu sagen, die entweder das deutsche Wort „Adel" oder
das polnische bojar (lit. hajöran, lett. bajärs) gebrauchen. Gleichwohl
lassen sich auch bei den Slaven wenigstens Ansätze zur Bildung eines
eigenen und eigentlichen Adelstands nachweisen, die umso lehrreicher
sind, als sie im Keime das enthalten, was sich bei anderen Indoger-
manen zu voller Blüte entfaltet hat. Ober die Südslaven äussert sich
in dieser Beziehung F. 8. Krauss Sitte und Brauch der Südsl. S. 30:
„Den ältesten Adel stellten bei den Sfldslaven die engeren Sippen der
iwpaixiy bani und vojeode vor. Bei seiner Einwanderung bestand der
grosse Stamm der Kroaten aus zwölf plemena oder rodovi (Ge-
schlechtersippen). In jedem pleme war eine Familie, aus deren
Mitte nach Volksbrauch und Gewohnheitsrecht die zupani
und bani gewählt wurden. Diese zwölf bevorzugten Familien
bildeten den ältesten kroatischen Adelsstand, und noch im XIV. Jahr-
hundert wurde nur der als Adeliger anerkannt, der seinen Stammbaum
von einer dieser Familien ableiten konnte".
Nun waren schon in der idg. Urzeit in Krieg und Frieden Stammes-
häupter, *reg es genannt, vorhanden 's. u. K ö n i g). Diese wurden
aus der Mitte ihrer Stammesgenossen, vielleicht auch nur der Sippen-
herrn, von der Volksversammlung (s. d.) zunächst frei gewählt.
Sehr frühzeitig aber wird sich ein dein südslavischcn ähnlicher Zustand
Uberall herausgebildet haben; d. h. es wird der Brauch aufgekommen
sein, die Stammeshäupter aus bestimmten Familien oder Sippen zu
wählen. So war es bei den Persern die zum Stamme der TTacrapTdbai
gehörige cppnipn der 'Axaiiuevioai, der die Könige entstammten (Herod.
1, 125). Die Mitglieder solcher Familien und Sippen Meissen im Alt-
indischen selbst rajänas, im Germanischen *kun-ingez, d. h. zur
Sippe eines *kuni-z ,Gcschlechtshauptes' (s. u. König) gehörig. All-
mählich bildet sich so die Vorstellung des Geschlechts in technischem
Sinne aus. Natürlich gehört jedermann im Stamme einer Familie und
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Stände.
815
Sippe an. Aber ein Geschlecht in engerem Sinne hat doch nur der,
dessen Vorfahren in Folge ihrer Thaten und Stellungen in der Er-
innerung des Volkes leben. Adelig ist daher, wer einem solchen Ge-
schlecht angehört. Dies meinen die gricch. Ausdrücke eCrreveis und
cuiratpibai, letzteres wohl zunächst von narpet ,Geschlecht' (^KaAoüvTO
€UTTaTpibai 0\ aUTÖ TÖ <5(JTU 01K0ÖVT6? KOI |U€T€XOVT€£ ßaaiXiKOÖ
•ftvouq Et. Magn.; eÜTrcrrptbas ^xäXouv toü<; i< twv dnKpavüjv oikujv
Dion. Hai. II, 8), dies auch lat. patriciux, sei es nun, dass es von
einem dem griech. ndipa entsprechenden lat. *patra ,Gesehlecht' her-
kommt, sei es, dass es von pater abgeleitet, diejenigen bezeichnet,
die wirkliche, d. h. dem Namen nach bekannte Väter haben. So er-
klärt sich auch das germanische ahd. ediling : ahd. adal, alts. adali,
altn. adal »Geschlecht, bes. edles' neben ahd. uodal, agls. «toeZ, got.
(haim)-öpli ,Erbsitz", ,heimatliches Gut' etc. Die Grundbedeutung des
Stammworts ist einfach ^Geschlecht' : noch später kann das Wort
Adeling so viel wie ,Geschlechtsgenosse' bedeuten (vgl. Brunner Rechts-
geschichte S. 104M). Seine Grundform hat urgerm. *ap-dla-, *6p-dla-
gelautet. Sie schlicsst sich an die Sippe des Lallworts got. atta, lat. atta,
griech. dtra u. s. w. für Vater (s. d.) an, die sich durch die idg. Sprachen
und andre hindurchzieht. Solche Lallwörter haben fortgesetzt die Neigung
in das Getriebe der lautgesetzlich geregelten Sprache Überzugelm. Bei lat.
at-arus oder altsl. ot-lcl oder ir. aite (letzteres , Pflegevater ) wird ein ono-
mntopoietischer Klang schon nicht mehr empfunden. Diesen Wörtern ent-
sprechend, wird schon in der Ursprache neben atta ein *ato- und *dto-
(vgl. sert. tatä und td'ta-, mannt und lit. mortui u. s. w.) ,Vater' vorhanden
gewesen sein, das durch die Lautverschiebung zu *apa-, *öpa- wurde,
und von dem dann mit dem Suffix lo- die obigen *ap-da- und *öp-dla-
,Gesehleeht'. entsprechend dem griech. Ticrrpa ,Gcschlecht' : Trarrip,
(ppnjpn. : WITTIP, brattttco : braln (vgl. auch lit. teteiazke .Erbe" : tewas
.Vater', nsl. drdina »Erbschaft' : dedü ,Grossvater'), gebildet wurden.
Allein, um adelig zu sein, muss man in alter Zeit nicht nur einem
„Geschlecht* angehören: es muss auch ein reiches Geschlecht sein.
Wir haben oben gesehen, wie bei den alten Iren in Folge von wirt-
schaftlichen Verhältnissen innerhalb der freien Bevölkerung des Landes
Abhängigkeitsverhältnisse sich bildeten. Was aber den einen zum
Hörigen des anderen machte, musste zugleich die soziale Stellung dieses
anderen kräftigen und erhöhen. So wird nach der Schilderung der
Brehon-Gesctze der reiche, gemeinfreie Bauer zunächst zum bö-aire,
d. h. -Kuhedclmannu, und, wenn er das doppelte des Reichtums eines
aire-desa, des niedrigsten Grades des wirklichen Adels, erreicht und
dasselbe mehrere Generationen hindurch bewahrt hat. so wird er seihst
(bezüglich seine Kinder) ein aire desa, tritt also in den wirklichen
Adel ein, der wiederum hauptsächlich nach dem Reichtum der einzelnen
in bestimmte Grade gegliedert ist. Maine a. a. 0. S. 136 fügt hinzu:
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Stünde.
The primär y oiew of chieftaimhip is ecidently that it Springs from
purity or dignity of blood, but noble birth is regarded as naturally
associated tcith taealth, and he who becomes rieh gradually climbs
to a position indistinguishable from that which he would have occu-
pied, if he had been nobly born. Und so wird es Uberall gewesen
sein. An den keltischen *rig-es (ir. ri »König', wober ahd. rihhi .reich',
,müchtig', eigentl. , königlich") lernten die Germanen vielleicht zuerst
den Gegensatz von Reich und arm (s. d. und u. König) handgreiflich
kennen. Zu den attischen Enpatriden gehörten nach Dion. Hai. II, 8
(s. o.) solche, die aus vornehmen Hausern stammten und zugleich
Xpn.uao*i buvatoi waren. Griech. cübcuuujv ,reich' wird oft (z. B. Herod.
I, 133), im Gegensatz zu T^vn,?, zugleich für , vornehm' gebraucht. Über
homerisch ttoXükXhpos s. o. Scrt. kshatrd- , Herrschaft' und (kollect.)
,die Herrschenden* (s.o.) bedeutet eigentlich , Erwerb, Besitz' i: griech.
KTdouott, KTfjua); denn Besitz ist Herrschaft.
So steigert sich der wirtschaftliche und damit der gesellschaftliche
Unterschied zwischen Edelen und Freien. Mehr und mehr befestigt
sich die Vorstellung, so alt sei das Geschlecht der ersteren, dass es
an das der unsterblichen Götter selbst anknüpfe. Ein höheres
Wergeid und andere Vorzüge werden dem Adel nach und nach zu-
gebilligt. Unterschiede in der Kleidung und Bewaffnung treten hervor.
Alle Vorteile der sich steigernden Civilisation kommen zunächst dem
Adel zn Gute. Standesgefühl und .Standesstolz bilden sieh aus, denen
Bezeichnungen der Edelen als der „Besten" (dpurroi, dpio*Tfj€^)T der
„Hohen" (kymr. uchelwr, von uchel ,hoeh', agls. brego ,prinecps' : scrt.
brhdt), der „Grossen" 'ir. mal , Edler' aus *mag-lo-f wohl : griech.
piraq .gross') u. s. w. ihr Dasein verdanken.
Adel und Königtum sind somit zwei Schösslinge, einem Stamme
entsprossen. Je mehr aber das letztere erstarkt, um so mehr wird e9
die Quelle einer neuen Nobilität, eines Hof-, Beamten- und König-
adels. Die Anfänge dieser Entwicklung sind für den Norden Europas,
auf den sich die folgende Darstellung beschränken soll, nachweisbar
von den Kelten ausgegangen.
Schon Caesar fand die gallischen Häuptlinge (ausser von diente*)
auch von soldurii und ambacti umgeben. Der etymologische Sinn
des ersteren Wortes, soldurii (quorum haec est condicio, ut omnibus
in ritae commodis una cum iis fruantur, quorum se amicitae dedi-
derint, *i quid his per rim accidat, aut eundem casum una ferant
aut sibi mortem consciscant, De bell. Gall. III, 22), ist dunkel, am-
bactus aber (s. u. König) ist aus ambi (du<pi) — actus : lat. agere
entstanden, und bedeutet nach der griechischen Wiedergabe mit o*uu-
TT6pupEpöuevo£ (Polybius II, 17 von den Celtiberern: nepi bl Täq &m\-
peia? pcYiornv tfrtoubnv ^ttoioövto, biet to Kai <po߀puiTciTOv Kai buva-
TuiTcrrov elvai Trap' aüioiq toötov, TiXeicrrou? fow boter) tou£
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Stunde.
817
ecpoTTCuovTa? Kai (TuuiT€ptcp€po^€ vou? oiütüj) soviel wie „die nro
Jemanden aufgestellten u, »einen trustis oder Schutz, sein Gefolge.
Ganz ebenso sind die altirischcn Häuptlinge von einem ihrer jedes-
maligen Würde entsprechenden, bald grosserem, bald kleineren Gefolge
(däm) umgeben (vgl. O'Cnrry Manners and custonis I, CCXXXV). Dazu
lese man die anschauliche, sich auf ganz moderne Zeiten beziehende
Schilderung des schottischen „chief" und seines ntaila bei W. Scott
Waverley S. 114.
In allem wesentlichen dieselbe Erscheinung ist der germanische
comitatus, wie ihn Caesar (VI, 23) und vor allem Tacitus (Germania
Cap. 13, 14) schildern, und wie er namentlich im Beowulf uns lebensvoll
entgegentritt (näheres bei Mtlllenhoff Deutsche Altertumskunde IV, 258 ff.).
Die Entlehnung dieser Einrichtung von keltischem Boden her geht
ausser aus den sachlichen Übereinstimmungen vor allem aus der Über-
nahme des gallischen ambactus in alle germanischen Sprachen (got.
andbahts mit Anlehnung an and-, ahd ambaht, agls. ambiht, ombiht)
hervor. Über eine andere politische Bedeutung des Auftretens der
keltischen ambacti im Verein mit den keltischen *rtg-e* s. u. König.
Den besten Aufschluss über die Bedeutung des gallischen Wortes auf
germanischem Boden giebt der Beowulf. Ombihtas heisaen hier die
Hofbeamten des Königs, seine eaxlgesteallan (auuirepupcpöncvot). So
wird der Strandwart, der zu Ross Wacht auf einem Hügel an der
SeekUste hält, v. 287 ein ombiht unforht genannt. Ein zweiter höherer
Beamter, eine Art Hofmarscball war VulfgÄr, der Vandalen-Fürst. Auch
er wird ombiht genannt. Ein dritter ombiht scheint Waffenhüter (v. 673)
gewesen zu sein. So erklärt es sich, dass Ableitungen von diesem
gallischen ambactus (vom got. andbahti ,biai<ov(a, XeiTOupYia' an) in
den germanischen Sprachen bis auf den heutigen Tag der eigentliche
Ausdruck für den Begriff des „Amtes" geworden sind, worunter mau
also ursprünglich d i e Stellung verstand, welche der Gefolgsherr, vor
allem der König, einem Gefolgsmann einräumte.
Ausdrücklich bemerkt Tacitus Cap. 13: Gradus quin etiam ipse
comitatus habet, iudicio eius quem sectantur, und es kann nicht
zweifelhaft sein, dass in diesen gradus die Ausätze zu den Rangab-
stufungen des späteren mittelalterlichen Beamtentums vor uns liegen.
Ursprünglich mögen nur Freie und Edele in das Gefolge eines Fürsten
oder Königs eingetreten sein. Bald aber werden sich zu ihnen auch
Unfreie, dann natürlich als Freigelassene gesellt haben. Schon Tacitus
Cap. 25 bemerkt, dass die letzteren in Königsstaaten häufig Uber die
ingenui ac nobiles emporstiegen. In dem neuen Verhältnis kommt es eben
mehr und mehr nur darauf an, wie nahe die Stellung des einzelnen zu dem
gemeinsamen Herren war. Die dauernde Lebensgemeinschaft der Gefolg-
schaften (ahd. gasindi, alts. gisithi, agls. gesid) in Krieg und Frieden
bringt es ferner mit sich, dass sie unter der Fiction eines Verwandt-
Schrader, Re&Uexikon. 50
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818
Stünde.
schaftsvcrhältnisscp, der alten Grossfamilie, aufgefasst werden. Das
Gefolge heisst dalier auch agls. mdegp, meigas, sibgedriht, geede-
Ungax (ahd. gatuling , Vetter', got. gadiliggs , Verwandter) u. 8. w. So
kann es uns nicht wundern, dass uns hier dieselbe Erscheinung ent-
gegentritt, wie wir sie oben innerhalb der wirklichen Familie kennen
lernten, d. Ii. Wörter für Kind, Knabe und dergl. nehmen die Be-
deutung von Diener, Diener eines Gefolgsherren an, durch die hindurch
sie dann weiter zu höheren Ehren gelangen können. Vgl. in dieser
Beziehung engl, knigkt , Ritter' : nhd. kriecht, Grundbed. ,Kind' (agls.
eniht , Knabe, Jüngling ), engl, thane, etwa , Freiherr', agls. pegn (Tenn.
techn. für die Gefolgsleute) : ahd. degen, Grundbed. ,Kind' (tIkvov;
über pius , Knecht' 8. o.), nhd. knappe : knabe.
Ähnlich nehmen Wörter mit der ursprünglichen Bedeutung von ,Mann'
(zunächst in rein physischem Sinne) durch die Mittelstufe ,Mann des
Gefolgsherrn, Fürsten, Königs' hindurch eine mehr oder weniger aristo-
kratische Färbung an. Dies gilt zunächst von dem ahd. baro ,Mann'
(wohl : got. barn ,Kind' etc., lit. birnatt , Knecht' von got. bairan
,(ge)bären'), in seiner lateinisch-romanischen Gestaltung baro, baronig,
in den Volksrechten zunächst ebenfalls .Manu' (gelegentlich auch den
unfreien) bedeutend, dann durch baro im Sinne von agls. cyninges
pegn hindurch zu der jetzt üblichen Bedeutung von „Baron" gekommen
(vgl. R. Kögel Z. f. deutsches Altert. XXX11I, 20 f.». Ebenso dürfte
die Bedeutungsentwicklung des nnrdgerroanischen agls. eorl, ultu.jarl,
urnord. eri-la-K (altir. ereil) verlaufen sein. Der eigentliche Sinn dieser
Sippe wird auch hier ,Mann' (geschlechtstüchtiger) gewesen sein < : griech.
€pi-(po-? Junger Bock', umbr. eri-etu, lat. ari-en; vgl. aw. armn- ,Mann',
grieeb. fipanv ,männlich' : sert. rshabhd- ,Stier', ,der edelste, beste
unter' und sert. vfshan- »männlich, kräftig', vrshantatna- ,Mann, Hengst,
Stier' etc.). Weiter ist dann das Wort durch die Verbindung .Mann
des Königs' (vgl. agls. eorl lieöwulfes v. 790, wie auch mon in mon-
dryhlen ,Hcrr der Mannen' so gebraucht wird) zu der Bedeutung ,Edeler ,
,Häuptling' gekommen.
Anhangsweise sei hier noch auf den häufigen Gegensatz von agls.
eorl : ceorl, altn. jarl : karl hingewiesen. Die Grundform von agls.
ceorl, altn. karl ist *ker la- und *kar la- (wozu auch der Eigenname
,Karl', ,Karl der Grosse', woraus altsl. krall ,König' s. u. Kaiser ge-
hört). Überblickt man die Bedeutungen dieser beiden Stämme bei
Kluge Et. W.fi s. v. Kerl, so scheint es, dass auch hier von ,Mann'
auszugehen ist, wobei es aber das Wort in der Scala der Standes-
unterschiede und ihrer Bezeichnungen nur bis zu ,frcier Mann' (was
natürlich gelegentlich auch vom Könige gesagt werden kann) gebracht
bat. Indessen findet bei dieser Annahme die ältest überlieferte, im
finnischen karilas erhaltene Bedeutung ,alter Mann' keine Erklärung,
und es wäre daher immerhin möglich, dass vielmehr (mit W. Thomsen
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Stande — Steigbügel.
Über den Einfluss der germ. Sprachen auf die finnisch-lappischen
S. 139) von einer Grundbedeutung , Alter' (*ker-la- : griech. t^P-wv)
im Sinne von slavisch starosta, stareßina ,pater farailias', ,Hausvater'
auszugehen ist. Alsdann würde vom Standpunkt des Unfreien oder
der Hauskinder aus betrachtet, *kerla-, *karla- ein Ehrenname des
Freien sein, während dieselben Wörter von höheren Rangstufen aus
angeschen (vgl. z. B. engl, churl , Bauer', , Tölpel', nhd. „Kerl"), an
BedeutuugswUrde cinbüssten.
über weitere in letzter Instanz in den gradus des altgermanischen
Gefolgswesens wurzelnde Beamtenstellungen vgl. Kluge Et. W.6 unter
Wörtern wie „Graf", „Marschall", „Senescball-, „Truchsess-.
Einen Abglanz dieses keltisch-germanischen Gefolgschaftswesens und
Beamtentums, und zwar in seiner skandinavischen Gestaltung, zeigen
auch die altrussischen Verhältnisse. Zahlreiche Benennungen fürst-
licher Beamte in den altrussischen Gesetzen und sonst, Uber deren
Stellung und Funktionen freilich nähere Nachrichten fehlen, erweisen
sich als germanischen Ursprungs. Dies gilt von altruss. jabednikü
(Älteste russische Pravda II) aus dem oben behandelten got. andbahti,
altn. embcetti, altschwed. cembiti ,Amt, Dienst' (auch finn. ammatti
,munus, opifieium'), altruss. gridinü (ebenda), gridl »Leibwächter, Ge-
folgsmann' aus altn. grib ,Wohuort, Heimat mit dem Nebeubegriff des
Dienstverhältnisses', gridmabr , Diener, Mieter', altschwed. gripkttna
,Dienstweib', altruss. tiunü, tivunu ,einc Art von Amtsperson' (in der
späteren Pravda) aus altn. pjönn , Diener, Sklave' (vgl. auch lit. ti-
junas .Amtmann'). Daneben fehlt es nicht an einheimischen Aus-
drücken, die indessen aneb nach germanischem Muster gebildet zu sein
scheinen. Das Gefolge selbst heisst altruss. druiina (: diwgü) ,Freund-
schaft', die Mitglieder desselben werden als „Männer" (myii, vgl.
Ewers Ältestes Recht S. 33) oder als „ Knaben" (otroki, vgl. Ewers
S. 116) bezeichnet. Vielleicht darf man die Gründung des russischen
Staates durch Rurik und seine Brüder geradezu als einen jener ger-
manischeu Komitatszüge betrachten, von denen schon Caesar (VI, 23)
erzählt.
Star, s. Singvögel.
Stehleu, s. Dieb, Diebstahl.
Steigbügel. Die erste sichere Erwähnung der Steigbügel, zu
deren Ersatz früher an Hecrstrassen und anderen öffentlichen Orten
Steine aufgestellt waren, findet sich in des Kaisers Maurikios Buch von
der Kriegskunst (Ende des VI. Jahrh.): xpfi. ^X£lv £^ T«? oik\aq
öxäXa«; 0ibn.pä{ büo. Isidor im VII. Jahrh. neunt scansuae, ferrtim,
per quod equus scanditur und astraba, tabella, in qua pedes requies-
cunt. Hiervon ist o*»cdXa das lateinische scdla ,Leiter' (xXi|ua£, wie
ebenfalls der Steigbügel im Mgriechischen genannt wird), astraba (vgl.
auch G. Goetz Thesaurus I, 107) ist vielleicht = sp. estribo, altfrz.
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S20
Steigbügel — Steinbau.
estrief ; doch leitet Kluge Et. W.6 die roman. Wörter aus altndd. *stigi'ep
(inlat. stripa), alid. stegareif etc. ,Stegreif (ndl. stijgbeugel) ab. Sicher
entstammt dem Germanischen das im XII. Jahrb. auftretende sta/fa
^Steigbügel' (ans ahd. stapfa ,Fnsstritt'). Dunkel sind lit. Jcilpa (auch
,Schlinge zum Vogelfang') und altpr. lingo .Steigbügel*. Altsl. xtrümenl,
eigentl. ,Stangenleiter', vgl. oben lat. scdla,
Funde von Steigbügeln kommen erst während der jüngeren Eisen-
zeit vor (vgl. Montelins Die Kultur Schwedens2 S. 112). — Vgl. Beck-
mann Beyträge III, 102 ff. S. u. Reiten.
Steinbau. Der Gedanke, den Stein zum Hauen zu benutzen,
begegnet uns in Europa früher mit Rücksiebt auf die Wohnungeu der
Toten, als auf die der Lebendigen. Die der jüngeren Steinzeit
angehörigen, unter dem Namen Dolmen, Rundgräber, Htinenbetten etc.
bekannten, aus grossen Steinen gefügten Grabstätten lassen sich in
Dänemark und auf den Inseln Grossbritanniens, an den nördlichen und
westlichen Küsten unseres Erdteils von der Weichsel bis nach Frank-
reich und Portugal, im südlichen Italien, in Thrakien und in der Krim
nachweisen, kehren aber auch im nördlichen Afrika, in Palästina und
Indien wieder. Man nimmt an, dass ein kulturhistorischer Zusammen-
hang zwischen diesen im Grossen und ganzen übereinstimmenden Bauten
bestehe. Ihr Verhältnis zu der Kultur der Indogermanen lässt sich
aber noch nicht mit Sicherheit bestimmen. Man kann zweifelhaft sein,
ob man in ihnen (wofür ihre merkwürdige Verbreitung an der Peri-
pherie unseres Erdteils sprechen könnte) Grabanlagen nicht- oder vor-
indogermanischer Völker Europas zu erblicken habe, die teilweis, wie
in Skandinavien, auf Indogermanen übergingen, oder ob erst nach
Ausbreitung der Indogermanen der Gebrauch dieser Steinkamraergräber
vom Morgculandc her längs der Nordküste Afrikas sich nach Europa
und bis nach Skandinavien verbreitete, wofür man ihr verhältnismässig
spätes Auftreten (nach einigen erst am Ende der jüngeren Steinzeit»
geltend machen könnte (vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde I, 68 ff.,
Hoernes Geschichte der bildenden Kunst S. 241 ff.). S. auch u. Be-
stattung.
Wie sich dies nun aber auch verhalten möge, sicher ist, dass die
Kunst, den Stein für die Erbauung menschlicher Wohnungen zu
verwerten, im Orient bei semitischen Völkern und in Ägypten erfunden
und ausgebildet, sich erst verhältnismässig spät von dem südöstlichen
Winkel des Mittelmeers aus über Europa verbreitet hat. Das indo-
germanische und ureuropäische Wohnhaus war nichts als eine aus-
schliesslich aus Holz, Flechtwerk und Lehm hergestellte, mit Stroh
bedeckte cinräuiuige Hütte, die sich an vielen Stellen unseres Erdteils
bis tief in die historischen Zeiten, ja zum Teil bis in die Gegenwart
erhalten hat. Die historischen und sprachlichen Belege hierfür s.,
ausser u. Haus, besonders u. Dach und u. Mauer.
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Steinbau.
821
Am frühsten hat sich die Steinbaukunst, wie natürlich, in den
griechischen Kulturcentren festgesetzt. Schon Homer kennt die
OdXauoi EtaToto Xiöoio und die Kunst des Steinmetzen (II. XVI, 212:
ti>S b' öt€ toixov ävfjp äpdpn, ttukivoio"» Xi8otaiv buiparoi; uvun,Xoio) sehr
wohl. Niemand wird bezweifeln, dass die durch diese erbauten Anakten-
häuser (erst später lässt sich die Steinbaukunst an den Befestigungs-
werken nachweisen, s. n. Mauer und vgl. Hclbig Die Italiker in der
Poebene S. 132 ff.) bei Homer eine freilich nicht erreichte Nachahmung
jener gewaltigen Fürstenbauten in Tiryns und Mykenae darstellen, die
die neuere Forschung blossgelegt hat, und von denen noch Euripides
Herc. für. v. 945 wusste, dass sie qpoivua Kavövi, nach phönikischem
(asiatischen) Kanon, gefügt seien. Hemerkenswert aber ist, dass die
Terminologie der griechischen Architektur nur geringe, vielleicht gar
keine Abhängigkeit vom Orient verrät; denn die hierfür geltend ge-
machten Fälle, die Annahme einer Entlehnung des homerischen pe'tapov
,der Saal' (s.u. Haus) ans hehr, mdgür .Aufenthaltsort, Wohnung', des
hom. X€0"x»l (8* Gasthaus) aus hebr. lUkdh , Zimmer', des hom. tchuv
,Säule" aus einem erschlossenen hebr. *kijj6n (eine idg. Etymologie des
griech. Wortes s. u. Haus) können nicht als sicher angesehn werden
( vgl. zuletzt Lewy Die semit. Fremdw. S. 93 ff.). Zweifellos ist nur da«
schon oben genanute koviuv , Richtscheit' eine Ableitung von hebr. qäneh
,Rohr', das auch selbst ,Messrohr\ ,Ma«88tfth' bedeutet; doch kommt
<las griechische Wort in der genannten Hedentuug erst seit den Tra-
gikern vor.
In viel ausgedehnterer Weise haben, wie auf anderen Kulturgebieten,
so aueh auf dem ihnen zuerst in Grossgriechenland entgegen getretenen
<icr Steinbaukunst die Römer von griechischen Termini Gebrauch
gemacht, die 0. Weise Griech. Wörter in der lat. Sprache S. 193 ff.
gesammelt hat. Einige wichtigere Beispiele hierfür sind lat. ammritt
,das Lineal der Zimmerleute' aus griech. äuu£i{, lat. turris ,der steinerne
Turm' aus griech. Tüp><;, lat. calx ,der Mörtel' aus griech. x<*X»E
(s. u. Kalk), lat. camera ,die gewölbte Decke' aus griech. Kapdpa, lat.
balneum ,das steinerne Bad aus griech. ßaXavciov u. a. Wohl nicht
mit Unrecht vermutet Iliering a. u. a. 0. S. 136, dass die Einäscherung
der Stadt bei Gelegenheit des gallischen Einfalls für Rom der Anlass
zum Übergang vom Holzbau zum allgemeinen Steinbau gebildet
habe. Wie gross einst die Bedcutuug des ersteren gewesen sei, folgt
nach dem genannten Gelehrten auch aus der Bestimmung der XII Tafeln,
welche das fremde verbaute Baumaterial schlechthin mit tignum ,Batken'
identifiziert.
Durch die Nähe der Griechen (in Massilia) einer-, der Römer anderer-
seits werden auch die festländischen Kelten frühzeitig gelernt haben,
steinerne Gebäude namentlich in den städtischen Niederlassungen zu
errichten, wie denn die von Caesar De bell. Gall. VII, 23 geschilderte,
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Steinbau.
aus Holz und Steinen zusammengefügte gallische Mauer bereits einen
hohen Grad von Geschicklichkeit verrät. Viel später ist die Knnst des
Steinbaas zu den Germanen vorgerückt. Erst als die Römer am
Rhein und an der Donau festen Fuss gefasst hatten, und steinerne
Hauwerke aller Art, Kastelle und Mauern, Brücken und Brunnen, Villen
und Paläste, Wasserleitungen, Bäder und Kanäle, Theater und Arenen,
Säulengänge und Triumphbogen monumentale Zeugnisse der römischen
Macht ablegten (vgl. die Zusammenstellung römischer Bauten in den
Rheinlanden bei C. Riese Das rheinische Germanien Register II u.
Bauten), fingen auch die germanischen Stämme an, den urzeitlichen
Holzbau allmählich aufzugeben, den, wie ihn Tacitus (Germ. Cap. 16:
Materia ad omnia utuntur in formt) schildert, anch noch Hcrodian
(VII, 2: Ö0€v EuXuiv oöo"n? ^Kievcia?, 0*uuTrr|YvuvT€<; aÜTa »cat äpp.6-
£ovt€?, atcnvoiroiouvTCti) und Ammianus Marcellinus (XVIII, 2, 15:
mepimenta fragilium penatium) auf deutschem Boden vorraussetzt, und
wie er selbst im Kirchenbau (vgl. M. Heyne a. u. a. 0. S. 82) noch
in späten Jahrhunderten nachweisbar ist. Dieser Vorgang hat tiefe
Spuren in dem germanischen Sprachschatz zurückgelassen. Beschränkt
man sich auf die lateinischen Lehnwörter der älteren Zeit (vgl. F. Kluge
in Pauls Grnndriss I*, 333 ff.), so sind aus dem Lateinischen, bezüglich
Romanischen, in westgermanische Sprachen übergegangen zunächst zwei
Bezeichnungen der steinernen Mauer in märus (ahd. mtira) und vallum
(alts. wall, agls. iceall), ferner Bezeichnungen für Thor, Schwelle,
Säulenhalle, Pfosten, Säule in porta (altudd. porta, mhd. porze, agls.
port), xolea (agls. st/ll), porticus (ahd. pforzih, agls. portiä), postis
(ahd. pfost, agls. post), sttta i. e. orr^Xri (mndd. stil), ferner Ausdrücke
für verschiedene Teile des steinernen Hauses oder selbständige steinerne
Gebäude, für die Küche in coquina (ahd. chuhhina, agls. cyiene) und
culina (agls. cyln), den Keller in cellärium (ahd. chelldri), die Räucher-
kammer in carndrium (nhd. kerner), den Söller oder das Ober-
geschoss (ahd. tlfhtU, agls. uphtix), das aber nach römischem Muster
schon dem alten einstöckigen Holzhaus gelegentlich hinzugefügt wurde
(vgl. M. Heyne S. 80 ff.), in söldrium (ahd. soldri, agls. solare), den
Fussboden in arina (ahd. erin ,pavimentum') und astracum, i. e.
öo*tpokov (ahd. extrih, ndd. astrak). die gewölbte Decke und ein
Zimmer mit solcher in camera (ahd. chamera), für Heizungsvorrich-
tnngen in camhium (ahd. chemi), clibanua (agls. cleofa, altn. klefe
,Gemaeh mit Ofen ), *extufa, extufare (ahd. stuba ,Gcmaeh mit Ofen',
agls. fdofa ,Bad ) und pensile (ahd. pfiesal, agls. pisle ,Gemach mit
Ofen'), endlich Benennungen für allerhand nicht in das Gebiet des
Hausbaus fallende Baulichkeiten, die Wasserleitung in aquaeduetus
(dial. Schweiz, alt, hess. aduyj, den Kanal in candlis (ahd. chanal),
das Kastell in casteUum (altndd. kastei, agls. castel), den Kerker in
carcer (ahd. charchdri, vgl. auch got. karkara), das Kloster in
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Steinbau - Steinbock.
monasterium (ahd. munüttüri, agls. mymter) und claustrum (ahd.
Iclötttar, vgl. auch agls. clüstor ,Schlo88'), den Palast in palätium (abd.
pfalanze, agls. palent), die Villa in rt/la (ahd. -teil in Ortsnamen,
woher anch ahd. teiläri ,Weiler* ebenfalls in Ortsnamen), den Turm
in turris (agls. torr), den Weiber in vivdrium (ahd. wiwdri). Vgl.
noch im einzeln lat. asphaltum (agls. spaldur), calx (ahd. cäöJcä,
agls. cealc), *plastrum ,Gips' (ahd. pflastar), puteus , Brunnen' (ahd.
pfuzziy agls. pytt ), sarcophagus (ahd. *arÄ-), sträta sc. ria (ahd. sträzza),
tegula (ahd. ziagal, agls. fty/e) u. a. Vgl. alles weitere bei M. Heyne
Das deutsche Wohnungswesen S. 71 ff.
Eine Weiterführung dieser Reihen nach dem Osten Europas, zu den
Litauern und Slavcn, hat wenigstens in älterer Zeit nicht statt ge-
funden. Bei diesen Völkern hat sich die ureuropäisehe Hütte aus Holz
und Flechtwerk bis in die spätesten Zeiten und teilweis bis in die
Gegenwart erhalten. Über die litauischen Häuser berichtet noch
J. Lasicius De diis Samagitarum S. 45: Mapalia, quae turres ap-
pellant, sursum angusta, atque qua fumus et foetor exeat, aperta,
ex tignis, anseribus, Stramine, cortieibus faciunt, über die slavischen
noch Hclmold II, 13: Xec in comtruendis aedifieiis operosi sunt,
quin potius canas de virgultis contexunt, necessitati tantum consu-
lentes adversus tempestates et plucias. Aber auch heute noch wird
iu vielen Gegenden Russlands, abgesehen von Kirchen und Klöstern,
fast ausschliesslich mit Holz gebaut, und selbst „das russische Moskau
war bis 1812 und ist zum grossen Teil auch noch jetzt ein hölzenies
Lager". Die späteren Fremdwörter der slavischen Sprachen auf dein
Gebiete des Steinbans weisen teils nach dem germanischen Westen,
teils in südlicher Richtung, nach Byzanz (vgl. auch Krck Einleitung
in die slav. Litg.- S. 144 ff.). Im einzelnen s. noch, ausser den schon
oben genannten Artikeln, u. Asphalt, Kalk (Mörtel), Keller, Kreide
(Marmor), Ofen, Stall und Scheune, Turm, Ziegel. — Vgl.V. Hehn
Kulturpflanzen und Haustiere6 S. 135 ff. (Steinbau) und R. v. Ihering
Vorgeschichte der Iudoeuropäer S. 126 ff., wo der Kulturgegensatz
zwischen dem altscmitischen Steinhaus und dem altidg. Holzhaus in
seiner ganzen Tragweite erörtert wird.
Steinbock. Eine deutliche Terminologie hat sich für das, wie
es scheint, auch im Altertum und in prähistorischer Zeit nur auf die
Alpen und vielleicht die Pyrenäen beschränkte und mit Gemse (s. u.
Antilope) und Wildziege (s. u. Ziege) verwechselte Tier nicht heraus-
gebildet. Ein spezieller, wahrscheinlich einer Alpensprache angehöriger
Käme begegnet nur bei Plinius Hist. nat. VIII, 214: Sunt caprae, sunt
rupicaprae, sunt ibices .... sed illa Alpes . . . mittunt. Einige be-
ziehen auch das homerische TEaXo? (ISäXou aitd? äfpiou II. IV, 105) auf
den Steinbock. Über Versuche der Deutung dieses Wortes vgl. Muss-
Aruolt Transactions of the Am. phil. ass. XX III, 94. Über deu Stein-
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8*4
Steinbau — Steinzeit.
bock im Altertam bandelt 0. Keller Tiere des klassischen Altertums
S. 37 ff.
Steingrätar, Steinkisten, Nteinkainmern, s. Bestattung,
Steinbau.
Steinigung, s. S träfe.
Steinwasen, Steinwerkzeuge, s. Steinzeit, Waffen, Werk-
zeuge.
Steinzeit. Die Anwesenheit des Meusehen in Europa lüsst sich
nur bis in die jüngste geologische Epoche unseres Erdteils, in die so-
genannte Diluvial- oder Quartärzeit, verfolgen, und auch hier wieder
nur bis ihre jüngsten Perioden, d. h. bis in die letzte Zwischeneiszeit
und letzte Eiszeit. Die damalige Fauna war eine andere als heute.
Mammut und Rhinozeros, Renntier und Ricsendamhirsch, Höhlenlöwe und
Höhlenhyäne bevölkerten (wahrscheinlich jedoch nicht gleichzeitig) die
Landschaft. Auch die Ausdehnung uuseres Erdteils war von der
heutigen verschieden. Während er von Nordasien durch eine Kette
von Eis, Meer und Seen, die sich vom Eismeer bis zum Kaspischen
See erstreckten, getrennt wurde, war er im Südosten durch einen breiten
Landstreifen mit Kleinasien und SUdwestasien verbunden. Spuren des
Menschen fehlen aus denjenigen Teilen Europas, welche damals von
ungeheuren Gletschern bedeckt waren, also aus Skandinavien, Gross-
britnnnicn bis auf einen schmalen südlichen Streifen), Irland, Nord-
russlaud, Norddeutschland bis an den Nordrand der Mittelgebirge, dem
Alpengebiet, das weit Uber den Fuss hinaus vergletschert war. Sie
sind vorhanden aus Frankreich, dem südlichsten England, Spanien,
Portngal, Belgien, aus Mitteldeutschland, Ostreich und Italien. Der
diluviale oder palüolithischc Mensch Europas kannte noch keine Vieh-
zucht und keinen Ackerbau, sondern lebte als .läger und Fischer, er
kannte uoch keinen Haus- und Hüttenbau, sondern lebte in Stationen
unter freiem Himmel oder in Höhlen und unter überspringenden Fels-
abhängen. Er formte noch keine Gefässe, spann und webte nicht und
verstand die zwar ziemlich zahlreichen, aber noch wenig von einander
differenzierten Waffen und Werkzeuge, die er aus Stein, Knochen oder
Horn herzustellen gelernt hatte, noch nicht zu glätten oder sonst zu
verschönen. Der Beerdigung seiner Toten widmete er noch keine
Sorgfalt, kurz er zeigt eine Tiefe der Kultur, der gegenüber ein bei
gewissen Teilen dieser paläolithischen Bevölkeruug hervortretender
Kunstsinn, der sich in Gravierungen von Tierbildern auf Knochenplatten
und Geweihstangen, sowie in geschnitzten Rundfiguren (s. u. Kunst)
bemerkbar macht, in hohem Grade überrascht.
Diesen Zuständen der paläolithischen Zeit steht das, was wir
über die Kultur der Indogermancn wissen, schroff uud unvermittelt
gegenüber. Die ältesten europäischen Indogermancn lebten von Vieh-
zucht und Ackerbau (s. s. d. d.), sie bauten Hütten (s. u. Haus),
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Steinzeit.
8i5
formten Gefässc (g. d.), spannen und webten (s. s. d. d.), besasseu
eine Fülle sprachlich (und also auch sachlich; differenzierter Waffen
und Werkzeuge (s. s. d. d.), begruben ihre Toten (s. u. Bestattung
und Ahnenkult üb), zeigten aber nirgends eine Spur jenes für den
paläolithischen Menschen so charakteristischen Kunstsinns.
Hingegen deckt sich, was wir durch sprachliche Gleichungen oder
sonst als indogermanisches Kulturgut erweisen können, im wesentlichen
mit dem der auf jene paläolithische Zeit folgenden ncolithischen
Epoche, speziell mit derjenigen ihrer Stufen, auf welcher das Kupfer
(s. d.) bereits dem Menschen bekannt geworden war. Was Fauna
und Flora, Klima und Grenzen unseres Erdteils anbetrifft, fällt diese
Epoche bereits mit der Gegenwart zusammen.
Kulturhistorische Übergänge zwischen jener paläolithischen und dieser
ncolithischen Zeit haben sich bis jetzt nicht mit Sicherheit nachweisen
lassen. Am ehesten kann man als solche noch die namentlich an der
dänische» Ostseeküste gefundenen Kjökkenmüddingcr ansehn, in denen
von Gaben einer höheren Gesittung die Töpferei und der Haushund
erscheint. Doch ist es zweifelhaft, ob man von dieser mecrangesesseneu
Fischerbevölkerung einen Schluss auf die allgemeine Kultur des Landes
ziehn darf (vgl. über die vielerörterte Frage des „Hiatus" zwischen
paläo- und neolithischer Zeit z. B. Hernes Die Urgeschichte des Menschen
S. 22V ff. und Krctschmer Einleitung in die Geschichte d. griech. Spr.
S. 53 ff.). Als das wahrscheinlichste dürfte auch jetzt noch gelten,
dass neue Völker die Träger und Verbreiter der ncolithischen Kultur
in Europa gewesen sind. Es läge daher nach dem obigen die Annahme
nahe, dass die Ausbreitung der lndogerniancn und die der ncolithischen
Kultur in Europa sich nahezu deckende Begriffe seien. Man könnte
sich alsdann vorstellen, dass irgendwo, vielleicht an der Grenze von
Asien und Europa (s. u. Urheimat), sich die Völker- und Spracheinheit
der Jndogermanen gebildet habe und unter den ersten Ausstrahlungen
altorientalischer Kulturen (s. auch u. Axt und Kupfer) von paläo-
lithischen zu ncolithischen Zuständen übergegangen sei, die sie bei ihrer
Ausdehnung Uber Europa auf schon vorher daselbst ansässige Völker,
die sich als Überreste und Nachkommen des hier nachgewiesenen
paläolithischen Menschen auffassen Hessen, verpflanzt hätte. Doch muss
hervorgehoben werden, dass eine solche Auffassung der Dinge, so
wahrscheinlich sie an und für sich ist, doch keineswegs als wissen-
schaftlich erwiesen gelten kann. So lange Steine nicht reden können,
wird es immer ungewiss bleiben, welchen Völkern die einzelnen
Stationen der Steinzeit angehörten, und auch die allgemeineren Fragen,
ob die ncolit bische Kultur in Europa sich durch Wanderungen oder
Verkehr verbreitete, ob sie durch natürliche Weiterentwicklung von
innen heraus sich entfaltete, können uoch nicht als erledigt gelten.
Als sicher bleibt daher nur der eine Satz übrig, dass die vor-
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826
Steinzeit — Sterne.
historischen Zusammenhange der Indogernianen in
neolit bischen Znständen wurzeln.
Zu Gunsten der Annahme eines östlichen Ursprungs der neolithisehen
Kultur hat man gern auf gewisse in den Schweizer Pfahlbauten ge-
fundene Artefakte, Steinkeile, Steinbeile, Messer aus Nephrit und
Jadeit verwiesen, Mineralien, von denen man glaubte, dass sie nur in
Asien vorkämen, so dass sie von dort durch Wanderungen (der Indo-
gernianen; oder Verkehr nach der Schweiz gekommen sein müssten.
Vgl. namentlich M. Müller in seinen Biograph ies of words, Appendix
II: the original home of Jade (London 1888). Doch neigt man neuer-
dings mehr und mehr der schon von A. B. Meier Die Jadeit- und
Nephritobjektc aus Asien, Oeeanien und Afrika (1883) vertretenen
Ansicht zu, nach welcher die hier in Frage kommenden Steinarten
auch in Kuropa heimisch seien, und nach einer mündlichen Mitteilung
des bekannten Züricher Archäologen, Herrn Heierli, würde dies dem-
nächst auch für die Alpen selbst erwiesen weiden können. Dieser
Punkt wenigstens würde also bei der Erörterung der Frage nach den
Ursprüngen der neolithisehen Kultur auszuscheiden sein.
Stellvertretung in der Ehe, s. Zeugungshclf er.
Sterne. Ihre idg. Gesamtbezeichnung liegt in der Reihe sert.
gtär-, aw. »rar-, armen. asü, griech. äo-rn.p, ätfTpov, lat. Stella, kymr.
seren, körn, steren, biet, sterenn, got. stairnö, altn. stjarna, ahd. sterno.
Daneben scheinen, statt mit st, mit t anlautende Formen in sert. tA'ra*
,Stcruc' und griech. lipaq, eigentl. ,Stern' (so II. XVIII, 485), dann
allgemein .Wahrzeichen', .Götterzeichen' vorhanden zu sein. Als Wurzel
der ganzen Sippe siebt man ster in seit, strnöti, griech. aropcvvvuui an,
so dass die „Sterne" so viel wie ,die tarn Himmel) hingestreuten' sein
würden. Aus weicht das Litu-Slavische mit der Gleichung lit. iicaigzde'
= altsl. zeezda ,Stern' (etymologisch dunkel). Idg. Bezeichnungen für
einzelne Gestirne lassen sich, ausser für Sonne und Mond (s. s. d. d.)
und vielleicht für den Bären, der schon im Rigveda wie bei Homer
mit dem idg. Namen dieses Tieres <scrt. rksha- = griech. äptcToc;
bezeichnet wird, nicht nachweisen. Eine eingehendere Termiuologic
der einzelnen Sternbilder ist erst zu erwarten, nachdem die Anfänge
astronomischer und astrologischer Wissenschaft gemacht worden sind.
Diese sind, fern von idg. Gebiet und unter dem Einfluss eines den
Indogernianen fremden Gestirudienstes erwachsen, auf mesopotamischem
Boden zu suchen, und erst spät bat sich von hier eine genauere Kunde
des gestirnten Himmels bei Griechen und Römern sowie im übrigen
Europa verbreitet. Dies schlicsst nicht aus, dass man sich schou in-
der idg. Urzeit, wie andere Himtnelserscheinungen, so auch die hervor-
stechendsten Erscheinungen des Steruenmeers nach menschlicher oder
Boustiger Analogie zu erklären suchte. Dies ist hinsichtlich des Morgen-
und Abendsterns sowie des Verhältnisses von Sonne und Mond u.
Religion näher ausgeführt worden, wo auf gewisse wohl sicher schon
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Sterne — Steuerruder.
S27
in proethnische Zeit zurückgehende Vorstellungsrciheu hingewiesen
worden ist. Zwei weitere Himmclscrselieinungen, die die Phantasie
der idg. Völker früh beschäftigten, sind die Milchst rasse und die
Verfinsterung von Sonne und Mond. Alte und volkstümliche Namen
der ersteren sind im Indischen Aryamaus Pfad, im Deutschen Jringes-
strdza (bei Widukind von Corvei), mundartl. kaupat ,Kuhpfad', „Hei-,
Heerweg, Heerstrassc, Vroneldcnstract, Wetter-, Winterstrasse" u. s. w.,
im Litauischen paükszcziü kelias .Vögelpfad' u. s. w. So unsicher
derartige Deutungen sind, so scheint es doch, dass man frühzeitig die
Milchstrasse als Verbindungsweg zwischen Unterwelt und Himmel,
als Götter- (sert. pdnthänö decayd'nd*) und Seelenpfade (über Sterne
als Seelen vgl. auch Oldenhcrg Religion des Vede S. »65) aufgefasst
hat (näheres bei A. Kuhn K. Z. II, 311 ff., Pictet Les origines II, 582,
J. Grimm Deutsche Mythologie l3, 331). Hinsichtlich der Sonnen-
und Mondfinsternis ist in Indien und bei den Germanen die Vor-
stellung weit verbreitet, dass schreckliche Dämonen, im Rigveda
Svarbhänu (vgl. Zimmer Altind. Leben S. 351), in Skandinavien
Wölfe, vor allem der grausige Fcnrir 'vgl. R. Much Festgabe für
Hcinzel S. 218), zeitweis die beiden Gestirne verschlingen.
So spät, wie schon oben bemerkt wurde, sich bei den Hellenen
eine nähere Kenntnis des gestirnten Himmels, der Planeten (s. auch
u. Woche), des Tierkreises u. s. w. verbreitete, verfügt doch schon
Homer Uber eine ganze Anzahl von Namen einzelner Sternbilder. Auf
dem Schild des Achilles (II. XVIII, 483 ff.) waren abgebildet, ausser
Sounc und Mond, die Plejadcn, die Hyadcn, Orion und der Bär (n>
Kai äua£av ^mKXnffiv KOtXloutfi). Hierzu treten dann noch (Od. V, 272)
der Bootes und dl. XXII, 26 ff.) der Sirius (als Hund des Orion be-
zeichnet, aeipios erst bei Hesiod), ferner (II. XXII, 318, XXIII, 226)
Morgen- und Abendstern (£wo~<pdpo<;, tontpoq). Die hier genannten Namen
sind teils mythologischer Natur ('Qpliuv angeblich ein semitisches Wort,
vgl. Lcwy Die semit. Fremdw. S. 243 f.), teils auf Witterung«- oder
andere Verhältnisse, die die betreffenden Gestirne bringen (s. auch u.
Jahreszeiten), bezüglich: nXn/iäbc? : ttXcTv, weil ihr Aufgang den
Beginn der Schiffahrt verkündet, 'Ydbeq : uei, weil sie den Regen,
Zeiptot : o~€ipÖ£, heiss', weil er die tropische, fieberhafte Hitze bringt.
Kür die Erkenntnis des allmählichen Hervortretens der Gestirnnamen
bei den Nordvölkern fehlt es noch an Material. Einzelnes vgl. bei
Vigfusson An Icclandic-English Dictionary s. v. ntjarna.
Steuer, s. Abgabe.
Steuerräder. Die Bezeichnungen für diesen Teil des Schiffes
stimmen in den idg. Sprachen nicht überein. Sie sind hervorgegangen
zunächst aus älteren Namen für Ruder und Schaufel (am Ruder),
von denen sich die älteste Steuervorrichtung nicht unterschied; denn
im ganzen Altertum und Mittelalter wurden die Schiffe durch Ruder
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Steuerruder.
(Remen) gesteuert, die von den gewöhnlichen nur dnreb ihre grössere
Länge und durch die Breite des Ruderblattes verschieden waren.
Diese Ruder waren au der rechten Seite des Schiffes hinten lose be-
festigt, weshalb in allen germanischen Sprachen diese als „Steuerbord"
bezeichnet wird, wahrend die im Rucken des mit beiden Händen das
Ruder lenkenden Steuermanns liegende „Backbord" (agls. ste'orbord —
beeebord) heisst. Auch die romanischen Völker haben diese seit Ein-
führung des festen Steuerruders am Achtersteven des Schiffes (im
XIII. Jahrhundert) nicht mehr verständliche Bezeichnung übernommen
(vgl. frz. tribord-bdbord, it. tribordo-babordo). Bei dem einen der
altgermanischen im Wydamer Moor aufgefundenen Fahrzeuge ist diese
älteste Steuervorrichtung noch gut erhalten. Sie besteht aus nichts
als einem grossen kenlenartigen Ruder an der rechten hintern Schiff-
seite, das auch zahlreiche Abbildungen von Wikinger Schiffen so-
wie das bekannte Schiff von Gokstad aufweisen (vgl. G. Boehmer
Prehist. naval architecture S. 590 ff.). Bei grossen Seeschiffen be-
diente sich das klassische Altertum zweier Steuerremen, von denen
das eine auf der rechten, das andre auf der linken Seite befestigt
war. Im Norden scheint diese Einrichtung unbekannt gewesen zu
sein; doch übte man auch hier (vgl. Tacitus Germ. Cap. 44) die den
Alten wohlbekannte Kunst, in engen Fahrwassern bald am Vorder-,
bald am Hinterteile des Schiffes yu steuern (vgl. Breusing Nautik der
Alten S. 97 ff., Liebich Beiträge S. i>24 ff.). — Mau versteht also,
warum das Steuerruder einfach als Ruder etc bezeichnet werden
konnte. So gehört griech. Trn,bäXiov : Trn,böv , Ruder' (eigentl. ,fussartiges
Ende des Ruders', vgl. lit. pedd , Fussspur'), ir. lue aus Hupet- : altsl.
lopata »Schaufel', alt», l'opate ,Rnder', nhd. laffe ,Ruderblatt' (s. u.
Schaufel). Daneben liegt ir. Mi, kymr. Ilyic (nach Stokes aus
*lopujo-t das zu got. Ufa ,Hand* gestellt wird (vgl. auch baKTuXios* toü
irnbaXiou änpÖTarov Hes). Ungern wird man auch die Sippe von
gemeinsl. *kürma, altsl. krüma, russ. korma »Steuerruder, Ruder' von
griech. icopuöt ,TrXdTrj', ,Kumn/ trennen, für die freilich Miklosich Et.
W. Entlehnung aus dem Magyarischen zu vermuten scheint. Endlich
wird man auch für das gemeiugerm. altn. styri (finn. tyyry), ahd.
stiura, agls. ste'or ,Steuer* als Grundbedeutung ,pfahlartiges Ruder'
ansetzen dürfen, weun es richtig mit griech. araupö«; ,Pfahl', got.
staun, altn. staurr verbunden wird. Ebenso scheint altn. hjalm
,Steuerruder", agls. helma .Griff des St.' dem lit. szalma ,langer
Balkcu' zu entsprechen (anders Hoops Beiträge XXII, 434).
Eine zweite Reihe von Benennungen des Steuerruders geht aus
früheren Namen der Deichsel (s. d.) hervor in leicht verständlicher
Begriffsübertragung: die Deichsel giebt dem Wagen, das Steuer dem
Schiffe seine Richtung. So stellt sich griech. *Kußepvov, woraus lat.
gubernum, KußcpvnTTis, woraus lat. gubernator : sert. kubara-, kübari'
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Steuerruder — Stiel-.
82fr
, Deichsel', alb. temön, serb. timun, usl. Union, it. timone »Steuerruder':
lat. temo; vgl. auch sp. ptg. lerne ^Steuer' : sp. frz. Union , Deichsel'
(Körting Lat.-roni. S. 453). Es wird daher gestattet sein, auch griech.
oi(<J)niov (Horn.) ,Steuer', oY(<x}aK€f rnioäXia Hes. mit sei t, Ishd' , Deichsel'
uod der im Slavischcu weit verbreiteten Sippe von nslov., kroat., serb.,
cecb. oje (*ojes-) , Deichsel', die im C'echischen ebenfalls ,Steuerruder'
bedeuten kann, zu verbinden (vgl. Liden 8t. zur altind. u. vergl.
Sprachgesch. S. 60 ff.). Auch andere Übertragungen kommen vor. So
von dem Zaum des Pferdes in aux^viov, auxnv, dem technischen Aus-
druck für „den inneren oder oberen Teil des Ruderschaftes" u. a. (vgL
Breusing a. a. 0. S. 104). - S. u. Schiff, Schiffahrt.
Stief-. Da unter Witwe gezeigt ist, dass einer solchen in der
Urzeit eine Wiederverheiratnng unmöglich war, so kann der Begriff
des Stief Verhältnisses damals nur hinsichtlich der Kinder eines ver-
witweten Vaters gegenüber der fremden Mutter ausgebildet gewesen
sein. Thatsächlich liegt in griech. nnjpuiä — armen, mauru aus
*mdtruyd ,Stiefmutter', eine vorhistorische Benennung der Stief-
mutter vor; wenn auch agls. mödrie /Tante' hierherzustellen ist, so
muss es in der Bedeutung ausgewichen sein. — Bezeichnungen des
Stiefvaters gehören erst den Einzelsprachen an: sert. tdta yaviydn
(spät), griech. ^TrtTrdTUjp (spät), armen, yauray — griech. ndTpiw?
,Vaterebruder' (iraTpiyös »Stiefvater'), der in der alten Familie seinen
verwaisten Neffen gegenüber die Stelle des Vaters vertreten haben
wird (später hauru »Stiefvater' : hair .Vater', nach dem Muster von
mauru ,Sticfmuttcr' : niair , Mutter ), lat. titricus ( : nhd. wieder, *vitro-
„der mir wieder ein Vater ist" ?, vgl. Brugmann Grundriss II, 180; anders
Prellwitz B. B. XXIII, 69, der in Analogie zu sert. rimdtar- ^Stief-
mutter' an ein ursprüngliches *ri(p)trku8 : pater denkt; vgl. noeb
Cla88. Rev. XI, 93), nrkelt. *altravon-, körn, altrou .Pflege- und Stief-
vater' (: lat. alo'tf), agls. de .vitrieus' (vgl. F. Kluge Fcstgruss an
Boehtlingk S. 61). Für die Stiefkinder bestehn Namen wie sert.
dcaimdtura- ,zwei Mütter habend' (eine leibliche und eine Stiefmutter),
griech. irpötovoi (d. h. Kinder aus erster Ehe) u. a. Zur Bezeichnung
des ganzen Stief Verhältnisses bedient sich das Litu-Slavische
der Präposition po ,uach' (z. B. lit. pdmote ^Stiefmutter' ), die häufig
den Sinn des unechten, schlechten hat, wie das Lateinische ähnlich
das Suffix aster [pat rasier, fiUasier) verwendet. Schon im Urger-
manischen wurde das Stiefverhältnis durch *steuqo-, *steupo- (altnorw.
stiüg-möder, altschwed. stiup-, agls. rttop-, ahd. stiof) ausgedrückt,
das mit ahd. stiufen Jemanden seiner Angehörigen berauben' zu ver-
binden ist, so dass ahd. stiof-kind vielleicht ein Kind bezeichnet, das
seines wirklichen Vaters etc. beraubt ist. Vgl. noch armen, urju
,Stiefsohn' (dunkel), lat. noverca ,ncue Mutter' (nach einem voraus-
zusetzenden *materca), privignus ,Sticfsohn' (: prtvus .abgesondert
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«30
Stief- — Stör.
von', s. o. stief?), urkelt. *lessomakvos, ir. les-mac »Stiefsohn', ferner
körn, eis ,privignus' (Vermutungen bei Stokes Urkelt. Sprachschatz
S. 250 f.). Vgl. noch G. Goetz Thesaurus s. v. patreus und vitricus —
Delbrück Vcrwandtschaftsuainen S. 469—473.
Stiefel, s. Schuh e.
Stieglitz, s. Singvögel.
Stier, s. R i n d.
Stör. Der eigentliche Stör (Acipenser sturio) bewohnt das At-
lantische und das Mittelländische Meer, die Nord- und die Ostsee
nebst den dazu gehörigen Flussgebieten, dagegen fehlt er im Schwarzen
Meer sowie im Donaugebiet gänzlich, während umgekehrt der Sterlet,
Scherg und Hausen, alles Störarten im weiteren Sinn, gerade hier
und im Kaspisee heimisch sind (vgl. Brehm Tierleben, Fische S. 427 ff.).
Trotz dieser weiten Verbreitung des Fisches in Europa findet sich
keine Übereinstimmung in seinen Namen, es sei denn, dass man Be-
ziehungen des westgermanischen Ausdrucks ahd. sturio, agls. styrja
zu den litu-slavischen Wörtern &\t&\.jesetrü} lit. asHras neben erszketras,
altpr. esketres) annimmt.
Welches der griechische Name für die in Griechenland einheimische
Störart gewesen sei, lässt sich nicht sieber ermitteln. Einige der alten
Gewährsmänner glaubten den Stör in den griech. £XXoiy und raXeos
zu erkennen (vgl. Athenaeus VII, p. 294). Doch lernten die Griechen
sehr frühzeitig auf dem Weg des Handels mit Salztischen (rapixo?)
auch die edleren Störarten des Schwarzen Meeres kennen. Schon
Herodot berichtet IV, 53 von diesem: Knud t€ uttdXa dvdKavÖa, xd
dvTaiccrious KaXeoutfi, Ttapexciai i<; xapix€uffiv. Auch im Istros wurde
der dvTaicaToq gefangen und von den anwohnenden Skythen in halb-
gesalzenem Zustand gegessen. Vgl. Sopratos bei Athen. III, p. 119:
db&ax' dviaicaiov, öv xp&pei U€Yaq
"krrpos, ZKu9ato*iv fipivripov fjbovnv.
Welcher Sprache das Wort dvatcaio^ angehört, lässt sich nicht ermitteln.
Die Römer haben einen eigenen, also nicht (wie bei zahlreichen
anderen Fischen) dem Griechischen entlehnten Namen für den Stör,
acipenser, auch aquipenser und aeeipienser geschrieben, dnnkelen
Ursprungs (Versuch einer Erklärung in den Götting. gel. Anz. 1874
S. 072). Pliniu8 IX, 59 sagt von dem Fisch: Apud antiqtios piscium
nobilissimus habitus aeeipenser nullo nunc in
honore est, quod quidem miror, cum sit rarus inventu. quidam eum
tlopem vocant (s. o.). Hat Martial XIII, 91, wenn er dem gegen-
über sagt:
Ad Palatinos aeipensem mittite mensas:
Ambrosia* ornent munera rara dapes,
nicht im Gegensatz zu Plinius eine ausländische Störart im Auge?
In die romanischen Sprachen ist auffälliger Weise das vielgebrauchte
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Stör - Strafe.
831
aeeipemer nicht übergegangen ; man bedient sich vielmehr in ihnen
des germanischen Wortes (frz. esturgeon etc.). Auf den Stör wird
allgemein auch der attilm des Plinius bezogen (IX, 44): Attilus
in Pado inertia pinguescens ad mille aliquando libras, catenato
captus hämo nec nisi boum iugis extractu». Mit dem gricch. dxcXC^
hat das Wort kaum etwas zu thun.
Die nordeuropäischen Namen des Störes s. oben. Dazu ahd. htUo
für den im Mittelalter hocbbcrübmtcn Hausen der Donau; vgl. cech.
tyz, poln. wyz etc.
Die heute geschätzteste Gabe des Störs, der Kaviar, war im
Altertum so gut wie unbekannt. Die einzige Spur desselben findet
sich bei dem gelchrteu Arzte Diphilus, Zeitgenossen des thrakiseben
Königs Lysiniachus (Athen. III, p. 121): tci u^vtoi tujv IxQöujv Kai tujv
Tapixujv tbä iravta quöitctttci büffcpGapTa, näXXov bk tä tujv XitrapiuWpujv
Kai u€i£övuuv* o*KXr)pÖT€pa räp nevci Kai dtbia(p€Ta. Yiveiai b€ eüöTopa
fieö' äXwv aßeo*8£VTa Kai i ttotttti8^ vta. Es scheint, dass die bei
dem heissen Klima Südeuropas notwendige starke Salzung den Alten
den Geschmack an dieser DelicateBse verdarb (vgl. Uber die neuere
Geschichte des Kaviars den Aufsatz Kochlers Tarichos S. 410 ff.). —
S. u. Fisch, Fischfang.
Storch, s. Sumpfvögel.
Strafe. Der Hegriff der Strafe, wie er in historischer Zeit uns
entgegen tritt, d. h. eines auf gewisse Handlungen durch die öffentliche
Gewalt gesetzten Cbcls. hat seine Quellen in zwei ganz verschiedenen
Erscheinungen der Urgeschichte. Strafe ist erstens gleich Busse.
Die grosse Mehrheit der von uns beute als Verbrechen oder Vergehen
bezeichneten Handlungen unterliegt in der Urzeit noch keinerlei Ahndung
von seiten der Gemeinschaft de« Stammes. Es ist lediglich Sache des
Geschädigten und seiner Sippe, sich an dem Schädiger und dessen
Sippe durch Selbsthilfe zu rächen. Dabei kommt frühzeitig der Ge-
danke auf, dass man sich diese Rache durch Geld oder Geldeswert
abkaufen lassen könne. So entsteht die Busse oder im Falle einer
Tötung das Wcrgeld. Die Festsetzung dieser Busse beruht ursprünglich
ganz auf freier Vereinigung. Mit der Zeit aber bilden sich mehr und
mehr feste Sätze aus, die sobald der Staat den Geschlechtern die
Selbsthilfe aus der Hand nimmt, von diesem übernommen werden und
so zu dem Charakter einer Strafe gelangen. Der idg. Ausdruck für
Rache und die durch die Busse abgekaufte Rache ist in der Gleichung
aw. lcaind- =■ gricch. ttoivu, erhalten (näheres s. u. Blutrache, wo
hierher auch ir. edin ,cuienda' und altsl. Tcazni ,Strafe' gezogen sind).
Unzweifelhaft ist hiermit auch lat. poena ,Justizstrafe' („diejenige, welche
als Korrektivmittet gegen die Rechtsverletzung verhängt wird") zu
verbinden, und die Frage ist nur, ob es mit. griech. Troivn. urverwandt
oder aus ihm entlehnt sei. Nach den speziell lateinischen Lautgesetzen
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832
Strafe.
(nach denen p nicbt = idg. q ist) wäre letzteres der Fall; doch ist
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass poena, pünio (wie etwa
Iat. bös — griech. ßou?, sert. gö'-) von Hans aus ein oskiseh-umbrisehes,
dann also in Italien einheimisches Wort ist. Von semasiologischetn
Standpunkt ans würde sich diese Annahme deswegen empfehlen, weil
man umgekehrt nicht recht begriffe, wie die Römer darauf gekommen
sein sollten, die Benennung für einen der Urzeit so geläufigen Begriff
wie Busse (ttoivh) aus der Fremde zu entlehnen. In dieser Bedeutung
ist das Wort schon in den XII Tafeln (»i iniuriam faxit altert,
viyinti quinque aeris poenae sunto) bezeugt. Sicher aus lat. poena.
aber erst unter kirchlichen Einflüssen, ist ahd. pfin, später pina,
agis. pin, auch ir. pian ,Strafe' entlehnt worden. So ist schliesslich
aus einem Wort für Privatbusse ein Ausdruck für Höllenstrafe (Pein)
hervorgegangen.
Der Bedeutungsübergang von Wörtern für Rache oder Busse zu
solchen für Strafe, wie er in der eben besprochenen Sippe vorliegt,
wiederholt sich natürlich in den Einzelsprachen.
In ersterer Beziehung ist auf das griech. lr\-^ia ,Strafe' zu verweisen,
welches zu sert. yütdr- ,Rächer', yä tanä .Strafe' zu stellen ist, und
demnach selbst ursprünglich .Rache' bedeutet. Über den eigentlichen
Sinn von lat. tindicta , Rache, Strafe' s. u. Familie. Die Busse t
d. h. also ursprünglich die abgekaufte, dann die vom Staate über-
nommene Rache, wird teils als „Festgesetztes" (hom. Gum,, 6unn. : -ri6r|ui >
teils als „Besserung" (gemeingerm. ahd. puoz, puoza, altn. agls. böt:
got. batiza besser'), d. h. Besserung oder Beilegung der bis dahin
bestehenden Feindschaft bezeichnet. Ebenso wird im Mittellateinischen
emenda für Busse gebraucht. Charakteristisch ist auch die mittel-
alterliche Verwendung von lat. finis im Sinne von compositio (,Ende
der Feindschaft'), woher mengl., engl, fine ,Geldbusse, Strafe' vgl.
auch J. Grimm R.-A. S. 648 ff.). Ferner gehen die Benennungen der
Busse nicht selten von dem „Schaden" aus, der durch sie wieder gut
gemacht werden soll. So lat. molta, multa (osk. molta, umbr. mutd>
,Strafe', bes. .Geldstrafe', wenn es richtig zu sert mrc- , Beschädigung,
Versehrung', griech. ßXdßn. (vgl. dßXoTtcV dßXaße's Kpnuq lies.) .Schaden",
auch »Schadenersatz' gestellt wird (andere vergleichen lat. promellere
,litem promovere', kret. noXiw ,ich streite vor Gericht ). Auch lat.
noxa bedeutet ,Schadenzufügung' und ^Schadenersatz.' Sehr lehrreich
ist ferner lat. damnum (vgl. Ritsehl Op. II, 709 ff.) aus *da mno-
: dare „das, was gegeben wird", , Ersatz-, Buss-, Strafgabe', das in
dem davon abgeleiteten damnare den verallgemeinerten Sinn jeder
rechtlichen Verurteilung angenommen hat. Dunkel bleiben von be-
kannteren Ausdrücken altsl. globa ,multa' und ir. iric ,Wcrgeld',
,vindicta', ,Bussc.' Kann das letztere aus *enr-ic entstanden sein und
in seinem ersten Teile die Tiefstufe (*/ir-): sert. ndr-, griech. dvn.f>
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Straff.
S33
,Mann', ir. ner-t ,virtus' darstellen im Sinne etwa von agls. were,
mlat. leudus ,Mannesgeld', .WergeM?
Wenn somit in der Urzeit der Begriff" der Strafe einerseits noch in
dem der Rache und Busse schlummerte, wobei es bereits als ein Schritt
nach vorwärts angesehen werden darf, dass die Tötung der bei
gewissen feindlichen Handlungen wie Diebstahl und Ehebruch
(s. s. d. d.i Ertappten wahrscheinlich nicht die Blutrache der be-
troffenen Sippe hervorrief, so wurden doch andererseits schon damals
gewisse Verbrechen (s. d.) unterschieden, welche als gegen die
Allgemeinheit gerichtet, auch von dieser geahndet werden zu müssen
schienen. Nach allem, was wir wissen (s. u. Volksversammlung,
König, Richter, Recht), befand in diesen Fällen die ganze Gemeinde,
von dem Haupt des Stammes geleitet, um gegen den Missethäter,
wenn er für schuldig gehalten wurde, die offenbar einzige
Strafe, über welche die Urzeit verfügte, die Todesstrafe
zu erkennen und, wenn möglich, sofort selbst zu vollstrecken.
Dass in der That die Urzeit als einzige Strafe den Tod kannte, geht
namentlich aus den ältesten griechischen Zuständen mit grosser Deutlich-
keit hervor. Die ersten griechischen Gesetzgeber, Lykurgos wie Zaleukos
und Drakon, erkennen ausschliesslich oder fast ausschliesslich auf Tod.
Vgl. Lycurg. c. Leoer. § 6ö: o'i räp dpxaioi vopoÖ€iai öjlioiu)?
*7t\ Ttäai xai toi? ^Xaxto-roiq TTapavopn.uao-1 Gdvarov wpiaav elvai Tnv
Znuiav, Plutarch Solon Cap. XVII: uict räp (von Drakon gesagt)
öXrrou b€iv (denn nach Poll. VIII, 42, IX, 61 kannte er noch Atimie und
Geldstrafen) fmao*iv üupio*TO toi? äpapTavoutfi lr\\i\a BavaTo?, Zeuob.
IV, 10: ZäXeuKO? rüp AoKpoT? üuÖTepov £vouo9^tt|0"€v, Stob. Senn.
XLVI, 41: öti Kai ö 6ävccT0? aÜTÖq irapd twv Trpurrujq bkaia ö^vtujv
ouk wöTt kocköv ^TT(Tipr|6r), äXX' uü? ?o~xctT0v Kai iv qmpuaKOU Xöyw
KaTa Tiiiv ou buvau^vwv Tfj? xaKin.? £Xeu8€pw8f|vai etc. (vgl. dies und
weiteres bei Hermann-Thal heim Lchrb. d. griech. R.-A. S. 122, Gilbert
Jahrb. f. klass. Phil. XXIII Suppl. S. 474).
Als sieher kann auch gelten, dass die Gemeinde in der ältesten Zeit
das gefällte Urteil selbst vollstreckte. So thut es die makedonische
Lager- oder Volksgemeindc, von der wir einen Schluss auf die alt-
griechische ziehen dürfen (vgl. Gilbert a. a. 0. S. 462 und s. n.). So
muss auch die germanische Volksversammlung einstmals selbst Hand
an die Vollstreckung des selbst gefundenen Urteils gelegt haben (vgl.
J. Grimm Deutsche R.-A. S. 882.). Das Amt des Henkers ist überall
erst ganz allmählich zu einem besonderen und der Verachtung preis-
gegebenen geworden. Zuerst wird das Urteil von dem Volke selbst,
auch von einzelnen aus demselben, namentlich einem Blutsverwandten
des Missethäters oder des Ermordeten (vgl. 0. Bcneke Von unehrlichen
Leuten8 S. 168) vollstreckt, dann in geordneteren Rechtszuständen
mit dieser blutigen Aufgabe der Gerichtsbote, in Rom der lictor (wabr-
8«br*dcr Reatlexikon. 53
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8.M
Strafe.
scheinlieh ,der Binder' von *ligere, ligare), bei den Deutschen der
Scherge (ahd. scario ,Scharmeister', aueh wizinari) betraut, bis dann
die Vollstreckung: der Hinrichtungen in der Hand von Unfreien und
Knechten zu einem ehrlosen Handwerke herabsinkt (lat. carnifex,
deutsch höher, henk er u. s. w.). Über lat. r index s. u. Familie.
Auch das griechische Wort für Scharfrichter, brpio^ (seit Aristoph.)
,der vom hx^xoe, bestellte', kann ursprünglich kaum etwas verächtliches
gehabt haben.
In welcher Weise die Todesstrafe von der (lemeiinle
an dem Schuldigen ausgeführt wurde, lässt sich natürlich
nicht mehr mit Sicherheit bestimmen. Die Aufregung des Augenblicks,
wie sie das Urteil zeitigte, wird auch, je nach den Umständen ver-
schieden, die Art der Vollstreckung eingegeben haben. Immerhin
lassen sich zwei, im Grunde mit einander identische Tötungsarten
als uralte Betätigungen jener idg. Volksjustiz erweisen, die Steinigung
und Tot peitsch ung. Die erstere scheint die regelmässige Hinrichtungs-
art der makedonischen Volksgemeindc gewesen zu sein. Vgl. Curt. VI, 1 1; 9 :
Et ceterh quidem placehat Maeedonum more obrui sa.ru, VI, 11 ; 38:
Otnnes ergo a Xieomacho nominati more patrio dato xigno saxu
obruti xttnt. „Ein steinernes Hemd anziehen" ist der volkstümliche,
homerische Ausdruck für Steinigung. „Grosse Furchthasen", so schilt
Hector den Paris, „sind die Trojaner",
rj T€ K€v nbr)
Xdivov töo*o x>TUJva koküiv €vex' öo"öa eoptaq (II. III, 57).
Aber auch bei den Germanen muss das lapidibus obruere (agls.
hduan) neben dem arboribu* suspendere und caeno ac palude viergere
(Germ. Cap. 12) häufig gewesen sein. So wird in der Vita Ludgeri
I, 26 von der auf Befehl des Sachsenherzogs Wittekind vollzogenen
Hinrichtung eines Pferdediebs erzählt: Ad stipitem ligatus iactatis in
eum sudibus acutis et lapidibus (necatus est). Dazu vgl. Gregor
von Tours III, 36: Caedentes eum pugnis, sputisque perungentex,
rinetis post tergum manibus ad columnam lapidibus obruunt (nach
Grimm tt.-A. S. 691 u. 694).
Dieses hier zweimal erwähnte Anbinden des Delinquenten au eine
Säule, das mit Beziehung auf einen Dieb auch im Rigveda genannt
wird (Zimmer Altind. Leben S. 181), leitet bereits über zu der Hin-
richtungsart, die für das älteste Korn bezeugt ist. So schildert
Livius I. 26 Prozess und Strafe der perduellio, des Landesverrates,
folgendermaßen : Duumviri perduellionem iudicent; a duumviris
provocarit, provocatione certato: si vincent (nämlich die duumviri),
caput obnubito, infelici arbori reste suspendito, verberato vel
intra pomerium vel extra pomerium. Ebenso wird die Vestalin,
die das heilige Feuer hat verlöschen lassen, zu Tode gepeitscht (Liv.
XXVIII, 11), und dasselbe geschieht, und zwar durch des Pontifex
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Straf«-.
835
mascimus eigene Hand, mit L. Cantilius, scriba pontifici*, qui cum
Floronia stuprtim fecerat (Liv. XXII, 57). Vgl. Ihcring Vorgeschichte
♦S. 74 ff. In diesen Zusammenhang gehört es, wenn im Scrt. danda-
(griech .b€vbpov) , Stock' zur Bezeichnung der Strafe Uberhaupt geworden
ist, oder wenn die römischen Lictoren das Beil (das jüngere Tötungs-
mittel) in einem Bündel von Ruten (dem ältesten Tötungsmittel) trugen.
Auch das griechische o-KnrcTpov, das gelegentlich (II. II, 199, 265) als
Züchtigungsmittel verwendet wird, mag als Symbol der königlichen
Macht mit aus dieser uralten Bedeutung des Stockes für die Rechts-
pflege entsprungen sein. S. u. Zepter.
Die Todesstrafe wurde in der Urzeit nur bei solchen Verbrechen
vollstreckt, die in unzweideutiger Weise die Gemeinschaft des Stammes
und ihre Schutzgeister oder Schutzgötter verletzten. So kounte sich
unschwer die Auffassung herausbilden, dass der Tod des Verbrechers
den Zorn der letztercu besänftigen solle. Dies liegt in dem lat. Namen
der Todesstrafe, supplicium, ausgesprochen, welcher von sub-placare
herkommt und wörtlich , Besänftigung' bedeutet. Unzweifelhaft hat
diese Auffassung bei den gallischen Kelten gegolten, deren Recht-
sprechung ganz iu die Hände der Druiden übergegangen war (vgl.
Caesar De bell. Gall. VI, 16: Supplicia eorum, qui in furto auf in
latrocinio aut aliqtta no.via sint comprehemi, gratiora di$ immor-
talihus esse arbitrantur), aber auch bei den Germanen finden sich
kaum auders zu deutende Spuren einer allmählich auftauchenden Vor-
stellung der Todesstrafe als eines Opfertodes des Schuldigen (vgl.
Brnnner Deutsche Rcchtsgeschichte I, 175 ff.).
Der Tod war die einzige Strafe der Urzeit. Was aber geschah,
wenn man eines Ubelthäters, dessen Schuld erwiesen war, nicht hab-
haft hatte werden können? Die Antwort ist: er wurde aus der Ge-
meinschaft des Stammes ausgestossen und damit dem Tiere des Waldes
gleichgesetzt, «las zu vernichten ein verdienstliches Werk war. Der
idg. Name eines solchen Elenden scheint in der Reihe: scrt. (vedisoh)
parävfj- »Verbannter' - agls. tcrecca, alts. irrellio, ahd. reccho, altn.
rekr (vgl. Zimmer Altind. Leben S. 185) zu liegen. Der altgcrmanische
Begriff der F r i e d 1 o s i g k c i t oder späteren A c h t (ausführlich
Brunner a. a. 0. S. 166 ff.), der altrömische der Saccrtät und der
aquae et ignix interdictio (vgl. Ihering Geist des römischen Rechts I3,
279 ff., dazu Brunneumeistcr Tötungsverbrechen S. 149 ff.) sind nur
aus derselben idg. Wurzel, wenn auch in etwas verschiedener Weise,
abgeleitete Erscheinungen. Hierher ist auch die griechische Atimie,
die wir oben bei Drakon neben der Todesstrafe und der Geldstrafe
(Busse) festgehalten fanden, ihrem ursprünglichen Sinne nach zu stellen.
Gricch. firiuoq bedeutet seiner Etymologie nach (von Tiurj .Busse' : tiou,
tivuj = scrt. ci, Tiuryv tivciv ,Busse leisten', dann, das was einer au
Busse wert ist', ,Preis', ,Ehre\ entsprechend xiffiq u. nuduj, vgl. slav.
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Strafe.
cena ,Preis, Ehre') und in seinem ^tatsächlichen Gehrauch, bei Homer
(Od. XVI, 431) und später, so viel wie ,ohne Busse', ,ohne Ersatz'.
Noch bei Demosthenes (IX, 42, 44) wird <S-nuos Km 7roXeuio<; toO
brjuou von einem gesagt, der ungestraft getötet werden darf (KaGapös
ö toötov (iTTOKTcivas). Griech. dtTima bezeichnet also ursprünglich den
Zustand, in dem man busslos getötet werden darf. Ein ötimo? ist es,,
der in den Versen der Ilias IX, 63 f. geschildert wird:
äcppnjujp a8€jii(jTos dvecrriös £<Jnv ^K€ivo^,
rcoXe'pou IpotTai Imbimiou 6kpuÖ€vto<;.
Wie nahe i'ttr den Oermanen die Begriffe der Todesstrafe und der
Friedlosigkeit lagen, dafür ist ein schöner Beweis in dem Umstand
enthalten, dass die germanischen Sprachen vielfach von dem gemein-
germanisehen Namen für einen solchen Friedlosen (altn. rargr, agls.
teearg, alts. tearag, ahd. warg, mlat. teargus; vgl. lit. icargas ,Elend',
altpr. warg* ,schlecht', altsl. vragü , Feind'; s. auch u. Kau b) Aus-
drücke für Verdammung u. dcrgl. ableiteten: got. ga-teargjan ddupatt
,KaTOKpivciv', gateargeins ,KaTäicpio*is , teargipa ,Kptua', alts. wargida
,condemnatio', agls. teergüu , Fluch, Verdammnis, Strafe'. Vgl. auch
ahd. fartribaner icirdit ,condemnabitur' (Brunner a. a. 0. I, 173
Anm. 33).
Aus dem vorstehenden ergiebt sich, dass eine uns heute so natürlich
erscheinende Straf art, die der Freiheitsberaubung, in den ältesten
Strafsystemen keinen Platz hatte. Thatsächlich lässt sich zeigen, dass
Gefängnisstrafen bei den idg. Völkern Uberall erst spät aufge-
kommen sind, worüber für die Griechen auf Hermann-Thalheim Lehr-
buch d. griech. Rechtsaltertümer S. 126, für die Römer auf Rein
Kriminalrecht S. 914, für die Germanen auf Wilda Strafrecht S. 519
zu verweisen ist. Dass die Deutschen den Begriff des Kerkers oder
Gefängnisses erst in romanischen Landen kennen gelernt haben,
dafür liegt ein Hinweis auch in der sehr frühen Entlehnung des lat.
carcer (noch unerklärt; im sizilischen Griech. Käpxapov) in die ger-
manischen Sprachen (got. karkara, ahd. charchdri, agls. carcern). Vgl.
auch ir. carcar. Im Slavischen gebraucht man für Gefängnis altsl.
tjurma ,Turm' (s. d.) und temnica, eigentl. .Finsternis' fauch im älteren
Litauisch temnyczid).
Ihren Ausgangspunkt hat die Gefängnishaft wahrscheinlich an der
Schuldhaft gefunden (s. darüber n. Schulden). Eine ihrer ältesten
Formen mag das schon im Rigveda geuanntc, aber auch in Europa
früh und weit verbreitete Schlagen in den Block ( vgl. Zimmer a. a. 0.
S. 182) gewesen sein.
Über die weitere Geschichte der historisch bezeugten Strafarten (vgL
Hermann-Thalheim a. a. 0. S. 120 ff., Rein a. a. 0. S. 913 ff., Grimm
D. R.-A. S. 680 ff.) kann hier nicht gehandelt werden. Einige Ansätz«
scheinen nahe zu liegen. So dürfte die Stange, der Stamm, die Säule,
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Strafe.
837
<lie arbor in fei ix, an welche der Missethäter in der Urzeit (s. o.) an-
gebunden wurde, um zu Tode gesteinigt oder gepeitsebt zu werden,
sich weiter entwickelt haben einerseits zum Kreuz bei den Römern,
an das der Verbrecher angeschlagen wurde (lat. crur, cruc-is = got.
hrugga ,Stab', agls. hrung , Balken', mhd. runge ,Wagenrunge vgl.
griech. erraupö? , Pfahl', dann , Kreuz' und agls. rod »Stange, Rute,
Kreuz'), andererseits zu dem bei den Germanen besonders beliebten
Tötungsmittel des Galgens (got. galga, altn. galge, agls. gealga, ahd.
galgo — lit. z'alga »Stange', armen, jalk desgl.) und anderes mehr.
Im Vorhergehenden ist vor allem das Verhältnis der einzelnen
Sippen eines Stammes zu einander und die Strafgewalt der Stanimes-
versaminlnng über den einzelnen ins Auge gefasst worden. Es
kann alter nicht zweifelhaft sein, dass auch den Sippen verbänden
eine {weitgehende Strafgerichtsbarkeit gegen ihre Mitglieder zustand
(vgl. sert. sabhä' zunächst .Sippenversammlnng', dann »Gerichtshof).
Wie ans dem Stamm, wird man aus der Sippe wegen schwerer Ver-
schuldung gegen den Familicnverband haben ausgestossen werden
können, ein dcppnTiup (: (ppnjprp haben werden können. Hier in dem
engeren Kreis der Sippe wird zuerst der Gedanke aufgekommen sein,
dass der Mord, zunächst der eines Sippengenossen, ein die Gottheit
beleidigendes und todeswürdiges Verbrechen sei (näheres s. u. Mord).
Es erübrigt, noch auf eine Reihe allgemeinerer Ausdrücke für die
Begriffe Strafe und strafen hinzuweisen, die in den vorstehenden Er-
örterungen keine Erwähnung gefunden haben.
Aus den klassischen Sprachen ist noch zu nennen: griech. biKrj.
das in der nachhonierischen Sprache (bncr|v btbövou, ^mTtÖc'vai i auch die
Bedeutung ,Strafe' angenommen hat, während es in homerischer Zeit
nur ,Recht', Jüchterspruch' bezeichnet, ferner griech. koXö&iv und lat.
castigare, erstercs (noch nicht homerisch) mit der Grundbedeutung ver-
stümmeln' (hom. koXoüuj, KÖXo<;, *KoXab- in KoXdZuj = got. halt» ,lahm'? i,
letzteres wohl zu sert. qds .strafen, züchtigen, herrschen' (qä'tana-
»Strafe, Herrschaft Uber') gehörig. Im Germanischen ist allen Mund-
arten gemeinsam die Reihe: got. frmeeitan ,£Kbuc€iv', agls. icitan, ahd.
icijan, altn. vita (ahd. teizi, agls. wite, altn. vite ,poena, supplicium',
agls. auch , Busse'). Man denkt an Zusammenhang mit lat. video ,sehe'
und verweist auf lat. animadvertere in aliquem, wie auch an das
Nebeneinanderlicgen von sert. ci, eiketi »wahrnehmen' und sert. ci,
edijate ,rächen' (s. o.) zu erinnern wäre. Westgermanisch sind ahd.
haramscara ,was zur Pein auferlegt (scara »Auflage') wird' (vgl.
J. Grimm a. a. 0. S. 681). Ahd. refsan {rafsunga »virga') scheint
eigentl. »mit der Rute züchtigen' zu bedeuten. Mhd. veime »Verurteilung,
Strafe' und mhd. strafe sind junge, auf das Hochdeutsch beschränkte
und ganz dunkle Wörter. Lit. koraicöne, kora stammen aus dem
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«38
Strafe — Strasse.
Slaviscben (altsl. Ar«r« ,Streit', karati Strafen ). — S. u. Verbreche«
und u. Recht.
Strasse. Für den Begriff des Weges finden sich iu den idg.
Sprachen zahlreiche urverwandte Gleichungen. So sei t, pdth-, pathin-,
pdnthdn-, Nora, pdnthäs, auch vedisch pd'thas-, altp. pafti-, a\v. pa&~,
armen, hun ,Furt, Weg', griech. ndio?, altsl. pqti, altpr. pintis (lat. pons,
ponti-, osk. pont-tram haben die Bedeutung ,Steg, Brücke' angenonimen).
Noch unaufgeklärt ist das Verhältnis des westgermanischen ahd. pfad,
agls. peep, engl, path zu griech. Trdxoq (vgl. F. Kluge Et. W.° s. r.
Pfad). Ferner stimmen überein lat. vea, via, umbr. vea, osk. vio, viu
mit got. icigx, ahd. icec (vgl. auch lit. tcez'd , Wagenspur') : lat. reho,
sert. vah etc. ,bcwegcn', wie Trdroq mit seiner Sippe zu einer Wurzel
pent ,gehen' (ahd. fendeo , Fussgänger', auch got. finpan, ir. e"taim
, finden') gehört. Ausserdem vgl. lat. callis — lit. kelias, griech. k€'X-
€u6o? (: sert. car ,sich bewegen', griech. KtXoucu), ir. sit — got. *inpsT
ahd. sind, ir. slige = mhd. stich, mhd. stfc, stec = altsl. ttlgna (: griech.
o*T€»xw, got. steiga; vgl. auch alb. steh ,Weg' : got. staiga). In wie
weit diese Gleichungen schon in der Urzeit eineu künstlich gebahnten
Weg bezeichneten, lässt sich natürlich nicht sagen.
Die Geschichte des eigentlichen Strassen baues in Europa fasst Isi-
doras Orig. XV, IG in dem Satze zusammen: Primi autem Poeni
dicuntur lapidibus eins atravisse, postea Romani eaa per omnem fere
orbem disposuerunt. Zum mindesten neben den Puniern werden aber
als Förderer des Strassenwesens auch die Perser, die Erfinder oder
Verbreiter der Posten (s. d.), zu nennen sein, deren Einrichtung überall
gute Landstrassen voraussetzt. Aus dem Persischen stammt denn auch
das spätindischc säht- ,Landstrassc\ eigentl. , Königsstrasse' (: npers.
tsäh , König'), während armen, polotay auf griech. TrXctT€Ta zurückgeht.
Das alte Griechenland hat es, obwohl schon bei Homer Fahrstrassen
(dfuid, duaSiTÖ;, Xao<pöpo£ öbö{) genannt werden, wenigstens im Mutter-
land, nicht zu Landstiassen im modernen Sinne gebracht, ebenso wenig
wie zu Posteinrichtungen (vgl. näheres bei E. Curtius Zur Geschichte
des Wegebaus bei den Griechen Berlin IBää und s. u.).
Die eigent lichen Lehrmeister Europas im Strassen bau sind daher
erst die Römer geworden. Wenn sie auch hierbei mancherlei von
den Griechen entlehnt haben werden (vgl. lat. platea aus griech. irXct-
Tcia und lat. cripido ,der gemauerte Grund' aus griech. Kpn.m; id.),
so schlugen sie doch bald eigenartige Wege ein. Während die Griechen
nicht den ganzen Damm der Strasse zu planieren und fahrbar zu
machen pflegten, sondern sich damit begnügten, ausschliesslich Geleise
(ixvoq; man kann Jemandem dßXoßfe«; txvo? »glückliche Reise' wünschen)
für die Wagenräder mit Ausweichestellen (^ktpottcu) anzulegen, mauerten
und pflasterten die Römer iu der bekannten, Jahrtausende überdauernden
Weise die ganze Strasse. *Eo"Tpujo*av, sagt auch Strahn V, p. 235, (oi
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Strasse — Streitwagen.
839
'Puiuatoi) xai Td? Kaid t#|v x^pav öbou?, 7rpoo*0e*VT€q ^tocoirdq T€ Xöqnuv
xai dTX^tfe»? KOiXdbwv.
So ist es gekommen, dass fast alle Sprachen des nördlichen und
Überhaupt die des neueren Europa die römische Bezeichnung der ge-
pflasterten Strasse {aträta, sc. via) Übernommen haben: ir. srdth, ro-
manisch it. atrada, sp., ptg., prov. eatrada, frz. estre'e, ahd. sträza
(noch aus atrMa, nicht xträda entlehnt), alt», strrfta, altfries. strfte,
agls. xtrtet, ngriech. erpora, altruss. atrata. Aus lat. platea stammt
got. platja. wenn so für das überlieferte plapja ,TrXaT€ia' gelesen
werden darf, während griech. nXateta sonst von LJItilas mit gotwö
(altn. gata, ahd. gazza : griech. xä£w, *ghad-jö »entweiche ? vgl. auch
agls. geat, altn. gat ,Th(tr, Loch ) Übersetzt wird.
Die mit Kalksteinen gemauerte Strasse, via *calciata, meint sp., ptg.
calzada, prov. camsada, frz. chauaaee, die durch Felsen oder Wälder
gebrochene Strasse, via rupta, frz. ronte (vgl. altn. braut ,Strasse' :
ahd. briozan ,brechen). Unaufgeklärt: altsl. tilica, lit. illycz'ia. —
S. auch u. Brücke, Steinbau und Gasthaus. Vgl. Vf. Handels-
geschichte und Warenkunde I, 12 ff. und F. Loewe Die geschichtliche
Entwicklung der Landstrassen Beilage z. Allg. Z. 1899 Nr. »5.
Strassenheleuchtnng, s. Licht.
Ntrauss. Der Vogel wird zuerst von Herodot aus Libyen ge-
meldet (IV, 175), wo eine Völkerschaft seine Haut als Schutz im Kriege
trage. Der von ihm gebrauchte Ausdruck öxpoöGoi; KaTd-rato? ist auf-
fallend, einmal wegen der Wahl des doch einen kleinen Vogel bezeich-
nenden Wortes o*Tpoö0o? (s. u. Singvögel), und was soll ferner KOTdxaio^
(sonst »unterirdisch') hier bedeuten ? Spätere griech. Namen des Stransses
sind öTpoG8os n, uetdXn. (Xcnoph. Anab. I, 5,2), arpovBoq 6 iv Aißurj,
<JTpou8oKdMnXo?. In Rom nennt schon Plautus Pers. 2, 2, 17 den Vogel
mit dem nach griechischer Analogie gebildeten passer marinua (vgl.
auch Festus Pauli ed. M. p. 222, 16). Später sind atruthio (vgl. auch
Goetz Thea. u. aaida\ struthiocamelus. Erstercs ist verhältnismässig
früh (vor dem VI. Jahrb.) in Gestalt von ahd. xtriiz (auch altsl. atruaii),
agls. atryta ins Germanische übergegangen. Ob man schon damals
deu Vogel im Norden schauen konnte, oder den fremden Namen nur
an den durch den Handel verbreiteten Federn des Tieres erfuhr, muss
dahin gestellt bleiben. Den romanischen Sprachen liegt teilweis ein
ort» atruthio ( „Vogel Strauss") zu Grunde.
Streichinstruinente, s. Musikalische Instrumente.
Streitwagen. Die Sitte, das Pferd vor den leichtdahinfliegenden
Streitwagen zu spannen, welche in der KriegsfUhrnng älter als die
Verwendung und Ausbildung der Reiterei ist (s.u. Heer und Reiten),
scheint in den weiten Ebenen des Euphrat und Tigris aufgekommen
zu sein und sich von hier bis nach Indien und Ostirnn, aber auch bis
Syrien und Ägypten verbreitet zu haben (vgl. V.Hehn Kulturpflanzen8
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840
Streitwagen — Strick.
S. 19 ff.). Auch in die griechische Welt ist dieselbe frühzeitig über-
gegangen, und wie in dem homerischen Zeitalter der Held auf dem
Streitwagen in die Schlacht fährt, so sind derartige Gefährte schon
auf den lnykenischen Grabstelcn abgebildet. Auf Vorderasien dürfte
auch das zuerst in den homerischen Hymnen überlieferte gricch. aar'\vx\
»Streitwagen' zurückgeht! : es scheint zu ir. cath, ahd. hadu , Kampf
zu gehören und müsste also aus einer vorderasiatischen Sprache idg.
Stammes entlehnt sein, in der die palatale /-Reihe in Sibilanten ver-
wandelt wurde.
Merkwürdig ist es aber, dass die gleiche Kainpfcswcisc auch im
äussersten Nordwesten unseres Erdteils, bei den keltischen Briten,
erscheint, von denen Caesar De bell. Gall. IV, 33 berichtet: Genus
hoc est e.r exsedis pugnae. primo per omnes partes perequitant et
tela coniciunt atque ipso terrore equorum et strepitu rotarum ordines
plerumque perturbant, et cum se int er eqnitum turmas insinuarerunt7
ex es.sedis desiliunt et pedibus proeliantur. auriyae Interim pan-
intim e.r proeJio e.rcedunt atque ita currus collocant, ut, si Uli a
multitudine host htm premantur, e.rpeditum ad suos reeeptum habeant.
Vgl. weiteres bei V. Hehn a. a. (>. S. 48 f. und s. über essedum und
cocinnus u. Wagen. Die Frage ist, ob diese britische Kainpfcswcisc
unabhängig von der orientalischen cutstanden zu denken sei.
Der Gebrauch des Streitwagens inuss in Europa einstmals weiter
verbreitet gewesen sein. Über die Belgae bestehen in dieser Be-
ziehung ausdrückliche Nachrichten (vgl. L. Diefenbach 0. E. unter
covinnus). Für die Gallier weisen Eigennamen wie Epo redo rir
(Pferde- Wagen-König) und Redones (: reda, s. u. Wagen) auf das
gleiche hin. Bemerkenswert ist auch, dass auf den dem Bronzealter
angehörigen Felsenbildern Schwedens allem Anscheine nach ein Streit-
wagen, vor welchem Gefangene geführt werden, abgebildet ist (vgl.
0. Montelius Die Kultur Schwedens s S. 74 Fig. 88 vom Grabe von
Kivik, Schonen . Von grösster Bedeutung endlich in dieser Frage
sind die in Wirklichkeit in Ungarn, Frankreich, Süddcutechland ge-
fundenen, grossen, gespeichten Bronzeräder, die grosse Ähnlichkeit
mit den Rädern orientalischer wie griechischer Streitwagen verraten
(vgl. L. Lindenschmit Die Altertümer unserer heidnischen Vorzeit III,
4, 1).
Nach diesem allen ist die Vermutung gestattet, dass der Gehrauch
der Streitwagen und diese selbst zugleich mit der Bronzekullur oder
wenigstens in ihren Spuren (s. u. Erz) sich vom Süd-Osten her über
Europa — natürlich nur für Fürsten und Häuptlinge — verbreitet und
in Britannien als ein inane ludibrium der Kriegführung bis in histo-
rische Zeiten erhalten haben.
Strick. Zahlreiche Bezeichnungen hierfür sind von urverwandten
Wurzeln für ,binden' abgeleitet. So von seit. sä, si : sert. si'tu- ,Baud,
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Strick — Stunde.
841
Fessel', grieeh. 'uidq, luovid, ahd. seil (got. inmiljan), xilo , Riemen-
werk', alts. ttimOf nltsl. silo u. a., von got. bindan : grieeh. m\G\xa,
ahd. bant, got. bandi u. a. Zu lit. rezgii ,8tricke' gehört sert. r&jju-
,Strick' (von anderen = ahd. stric gesetzt ) zu lit. tc&rti , einfädeln' : lit.
tcincP, nltsl. vrüvi ,Strick\ zu grieeh. kXw6uj .spinne' vielleicht grieeh.
KdXwq ,Tau' und altn. hdls, engl, hohe, haicae , Halse' (ein nordger-
inaniseher Scemannsausdruek i.
Das älteste Material für die Anfertigung von Stricken bestand, bevor
der Flachs und Hanf (s. s. d. d.) bekannt wurden, und noch lange
nachher aus Zweigen, Hinsel) und Hast, vor allem dem der Linde.
Derartige Stricke sind ans den Schweizer Pfahlbauten in Menge zu
Tage getreten (vgl. F. Keller Vierter Pfahlbautenberielit S. 17). Aber
auch die Sprache legt davon ein lebendiges Zeugnis ab. So stellt
sich grieeh. ffndpTOv ,Scil' : airdproq, dem Namen für mehrere zum
Flechten geeignete Stränehcr, ahd. trit, mhd. icide (namentlich der
Strick zum Hängen), nhd. wiede : grieeh. Uta , Weide', altpr. wirbe
,Seil" : altsl. rrftba, lit. irirbas (grieeh. £dß-oo-<;) ,Rute'. Vielleicht
hängt auch lat. resti* ,Scil' in lautlich noch aufzuklärender Weise mit
altpr. riste ,Kute', lit. rf/kxztt (lat. *recsti-'S) zusammen. Vgl. noch
altsl. rozga ,Zweig' : dem oben genannten lit. rezgii ,stricke'. Von
der Bedeutung , Binse' (urkelt. *joini-, neuir. aoin — lat. junctis aus
*jünictts) geht grieeh. o"xoivo$ (crxotvoTrXÖKO? .Seiler') aus, mit dem nach
Prellwitz Et. W. auch lat. ftinis , Strick' und lit. geinu (ein Tau, das
die Waldbienentänger über den Baum werfen) zu verbinden wären.
Der slavischc Name der Binse (altsl. sUije) ist direkt vom .binden'
(vgl. oben sert. .vi) hergenommen. Vgl. auch altsl. rogozü .papyrus,
Charta, t'unis', russ. rogozü , Binse, Matte'. Für die Benutzung des
Lindenbastes zu Stricken ist auf den altdeutschen Ausdruck „Lind-
sehleisseru im Sinne von Seiler zu verweisen. Vgl. auch V. Hehn Kultur-
pflanzen und Haustiere S. 508.
Strom, s. FI 118$.
Strumpf, s. Hose und Schuhe.
Stube, Stubenofen, s. Ofen.
Stuhl, s. Hausrat.
Stumm, s. Krankheit.
Stummer Tauschhandel, s. Handel.
Stunde. Die Einteilung des Tages (s. d.) in Stunden ist eine
Erfindung der Babylonicr, deren Astronomen zuerst den Begriff der
Doppelstunde als eines von der Natur gegebenen Zeitmasses heraus-
fanden. Sie war das Zwölftel des Gesamttages, d. h. die Zeit, in
welcher sich bei der scheinbaren Drehung der Himmelskugel der
Ekliptik, ein Bild des Tierkreises, vor dem nachts beobachtenden
Auge vorübersehiebt, 1 jlt Sterntag, und wird unter dem Namen akkad.
Jcasbu, assyr. asla auf altassyrischen Denkmälern wiederholt genannt
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842
Stunde — Sturm.
(vgl. ßilfinger Die babylonische Doppelstunde Progr. Stuttgart 1888
S. 5 und Lehmann Z. f. Ethnologie 1895 Verhandl. S. 412). Daneben
mnss aber ebendaselbst auch die Einteilung des Lichttages allein in
12 Stunden nnd entsprechend der Nacht in ebensoviel Teile, also dea
Volltags in 24 Stunden, bekannt gewesen sein (vgl. ßilfinger a. a. O.
S. 26).
Von Babvlon haben die Griechen, wie es Herodot II, 109 aus-
drücklich bezeugt, die Stundeneinteilung des Tages übernommen: ttöXov
(n^v Kai tvuüuova kou toi buu>0€Ka uc'pca if\$ nM^PI? uapä BaßuXwviiuv
£ua8ov o\ 'EXXnvcs, wobei man zweifelhaft sein kann, ob mit fu^pa
der Volltag oder der Lichttag und mit buwb€KCt ut'pect die Doppelstunde
oder die einfache Stunde gemeint sind. Doch weist die Verbindung
mit dem woXos, wahrscheinlich der ältesten Bezeichnung der Sonnen-
uhr im Griechischen (vgl. Ideler Lehrbuch der Chronologie S. 97), auf
letzteres hin. Jedenfalls berücksichtigte die Stnndeneinteilung, wie sie
sich im griechischen und römischen Altertum und später in der mittel-
alterlichen Zeitrechnung einbürgerte, den Mitteln der Sonnenuhr ent-
sprechend, nur den Lichttag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, und
erst viel später (nach Bekanntwerden der Wasseruhr) wurde die Nacht,
die man vordem in Nachtwachen zerlegt hatte, in ähnlicher Weise
eingeteilt. Auch waren diese 12 Lichtstundcn bis ins Mittelalter nach
Jahreszeit und Polhöhe veränderlich (tbpcti KaipitcotO, und nur die
Astronomen bedienten sich bei ihren Rechnungen der uipai lo~r|U€pivcu
oder aequinoctiales. Zur Bezeichnung der Stunde wurde im Griechischen
das uralte ü»po (lat. höra) verwendet, ursprünglich eine Bezeichnung
der freundlichen Jahreszeit (s. u. Frühling), dann Uberhaupt für den
Begriff ,Zeit', Zeitabschnitt' gebraucht. In der Bedeutung .Stunde'
ist es zuerst bei Aristoteles Pol. Ath. Cap. 30 belegt. Durch Zu-
sammensetzung mit diesem üipa entsteht tbpoXöfiov (lat. horologium,
zuerst bei Varro De rc rust. III, 5. 17) ,Uhr', ,Sonnen- und Wasser-
uhr' (griech. KXeipübpa, lat. clepsydra), das in sämtliche romanische
Sprachen (it. orolögio, fr/, horloge u. s. w.) und auch ins Germanische
(ahd. orlei neben agls. deegmeel) Ubergegangen ist.
Der Begriff ,Stundc' wird in den nordischen Sprachen meist durch
einheimische Bezeichnungen in der ursprünglichen Bedeutung Zeit-
raum' ausgedrückt. Vgl. gemeingerm. ahd. stunia, altn. stund (in der
Bedeutung ,hora' erst spätmhd.; vgl. auch lit. stundaa) und geineiu-
slavisch altsl., russ. erntü. Auf den engen Zusammenhang der ,Stunde'
mit der ,Uhr' weist mhd. wr (aus höra) ,Stundc', später ,Uhr und
russ. casy »Uhr', Plural von casü ,Stunde' (vgl. auch wotjak. tunttit
,Uhr' Plur. : tunti ,Stunde' ans deutsch stunde). Über Datierungen
aus dein Läuten der Glocke (s. d.) vgl. Grotefend Zeitteilung I, 191. —
S. u. Tag und u. Zeitteilung.
Sturm, s. Wind.
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Stute — Sumpfvögel.
S43
State, s. Pferd.
Styrax. Hierunter versteht man das Harz des gleichnamigen
Baumes (Styrax ofßc'malis L. oder Liquidamher Orientalin Ait.). Der
Baum kommt hauptsächlich in Südwest-Kleinasien und Xordsyrien vor;
doch mnss er auch auf der südlichen Inselwelt des ägäischen Meeres
und in Griechenland selbst verbreitet gewesen sein. Dies wird z. B.
von dem böotischen Haliartus ausdrücklich überliefert (vgl. Hehn Kultur-
pflanzen6 S. 412 », and noch heute findet er sich am attischen Kephissos
und am Fuss des Parnes ' vgl. Heldreich Nutzpflanzen S. 38). Indessen
bUsste er je weiter nach Westen, umso mehr die Fähigkeit, brauchbares
Harz zu geben, ein. Am wenigsten galt schon im Altertum der auf
Kreta gewonnene (Pliu. Hist. nat. XII, 125).
Jedenfalls führten den im Altertum sehr häufig zu Räucherwerk
(0"rvpaE u> ttX€io"tuj xpAviai euuiäucrn oi btiaioaiuov€<;, Strabo XII p. 571),
aber auch zu Salben etc. gebrauchten Styrax die Phönizier in Griechen-
land ein, wie Herodot (III, 107) ausdrücklich bezeugt. Es liegt daher
sehr nahe, für griech. öTÜpaE phönizische Herkunft zu vermuten, und
in der That leiten sowohl Muss-Arnolt Trnnsactions XXIII, 117 wie Lewy
Die semit. Fremdw. im Griech. S. 41, einer Vermutung Lagardes
folgend, das griech. Wort von hebr. söri, dem Namen eines Aromas,
ab, das die Ismaeliter (Gen. 37, 25) von Gilead nach Ägypten bringen.
Indessen kann diese Annahme noch nicht als lautlich sicher gestellt
(o*t = sem. *?) gelten. Auch die Wortbildung, für die man Anlehnung
an ein einheimisches crrupaE , Lanzenschaft' annehmen müsste, macht
Schwierigkeiten. Lateinisch gilt storax (erst bei Solinus), mit beachtens-
wertem Lautwandel ans griech. o*Tupa£. Nach dem Periplus maris
erythraei wird Styrax in dem indo-skythischen Barbarikon (aus Ägypten)
und in Barygaza eingeführt. — S. u. Aromata.
Süden, s. Himmelsgegenden.
Sahnopfer, s. Opfer.
Suniach, s. Terebinthaceen.
Snuipfvögel. Aus dieser auch als Stelzvögel oder Watcr
bezeichneten Klasse erfreuen sich mehrere Arten vorhistorischer Namen.
So vor allem der Kranich: griech. Y*'pavo£, lat. grüs, kymr. garan,
agls. cran, lit. gerice (girsze ,dcr Reiher'-, vgl. auch garnys baltäsis
,Storch', garnys juddsis ,Reihcr ), altsl. ieravi, armen, ki-unk. Ferner
das Wasserhuhn: ahd. belihha, lat. fulica und der Reiher: lat.
ardea, griech. dpwbiö^. Im Norden besteben für letzteren Vogel je
ein gemeingermanischer nnd ein gcmeinkeltischer Name, die in ihrem
Konsonantismus an einander anklingen: germ. *hraigra-, *haigra-f
*higra- (mhd. reiger, agls. hrägra; ahd. heigir\ altn. hegre; vgl.
Noreen Abriss der urgerm. Lautl. S. 221) und gemeinkeit. *korgjo-j
*korgsa (korn. cherhit etc., vgl. Stokes Urkelt. Sprachschatz). Dagegen
gehen die Bezeichnungen des sagenberühmtesten Vogels dieser Klasse,
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Sumpfvögel — Tay.
des .Storches, weit auseinander: griccb. ireXapYÖs (erst seit Aristoph.
,der seh warzgraue' i, lat. cicönia [cic-önia : gerin. *higra , ahn. hegre
oder ä'Cön-ia : germ. huon; s. u. Hahn, Huhn?: die pränestinische
Form cönia spricht für letzteres), gemcingerm. ahd. storah etc. (wegen
der Verschiedenheit der Bedeutungen kaum mit griech. TÖp-roq .Geier' zu
verhinden;. Das germanische Wort ist sowohl nach Westen wie nach
Osten {reu ändert (korn, #torc, altsl. atrftkü, lit. starkus). Doch fehlt
es weder hier noch dort an einheimischen Namen (kambr. gtcibon:
lit. gandras, aus einer älteren Benennung für Wildgans entwickelt; s.
*ganda u. G a n s). Über die Nachrichten der Alten vom Storch vgl.
Lenz Zoologie der Griechen und Krimer S. 37ö. über die Benutzung
des Kranichs und Storches zu Zucht- und Speisezwecken s. u. Vieh-
zucht. Wenig Beachtung hat im Altertum der grösste Vogel dieser
Gattung, die Trappe, gefunden, die den klassischen Ländern im
wesentlichen fremd war. Xenophon Anab. I, 5, 2 nennt sie unter dem
Namen um<; aus Arabien, Plinius Hist. nat. X, 57 berichtet: Pro.rimae
hin (tetraonibus) -sunt qua* Hixpania nves tarda» appellat, Graecia
(oTtda<. damuatas in eibis. Im Deutschen erst im mhd. trap, trappe zu
belegen, die wohl ans dem Slavischen stammen (Cech. drop etc., doch
rnss. drachra).
Sehr spät erst scheint dcmKibitz (mhd. gibttz : russ. cibisn\ lit.
pempe, altpi. peenipe) als einer besonderen Individualität Beachtung
geschenkt worden zu sein, für den es im Altertum einen Namen über-
haupt nicht giebt, während die Schnepfe (ahd. snepfo, mengl. snipe
und agls. snite, lit. sznrpe unter dem Namen o"KoXÖTra£, do*KdXwip
(vgl. o*Kd\oi|>, dcrndXaE , Maulwurf; denn beide bohren in den Erdboden)
schon von Griechen und Körnern als Delikatesse geschätzt war. v
Endlich war seit Herodot (11,67) die Aufmerksamkeit der Hellenen
auf den in Ägypten als heilig verehrten »ßt? (ägy pt. hib'i) gelenkt
worden, über den Wiedemann Herodots II. Buch S. 293 zu ver-
gleichen ist.
Sunde, s. Verbrechen.
Suppe, s. Brühe.
T.
Tag. Bezeichnungen hierfür werden übereinstimmend durch Ab-
leitungen von den Wurzeln dir und dt .strahlen' gebildet. Zu der
erstereu gehören: sert, divä .bei Tage', dt/dvi, dive'-dire ,Tag für Tag',
armen, tiv, lat. dies, ir. dia (in diu , heute', mkyrar. hediw), zu der
letzteren: sert. dina- ,Tag , lat. (nün)-dinum, peren dinus ,ttbermorgen',
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T»vff. 845
got. sin-teins ,täglieh', altsl. dinl, lit. dienä, altpr. deind. Vgl. noch alb.
diu ,Tag' aus *dintt. Noch keine Einstimmigkeit herrscht über die
Erklärung des griech. fmepa, riuap. Die einen stellen es zu armen, aar
,Tag', das alsdann aus *dmör entstanden sein müsste i vgl. Hübschiiiann
Armen. Gr. S. 426), die andern (vgl. Prellwitz Et. \Y.) deuten es aus
*sdmar, in welchem Falle der idg. Name des 8 o m m e r s <s. d.), ahd.
sumar u. s. w. entsprechen würde. Ein Analogon zu diesem Bedeutungs-
Ubcrgang böte das Verhältnis von got. dag» : altpr. dagas ,Sommer',
lit. dü gas , Ernte', sei t, ni-däghd- , Hitze, Sommer' : dah ,brcunen ,
womit einige (nach dem Verhältnis von scrt. dcru- , Träne' : got. tagr
,Zähre ) auch einen Zusammenhang des arischen scrt. äfuin-, aw. azan-
,Tag' für möglich halten. Die idg. Wörter für Tag bezeichneten
zunächst nur den „hellen^ und „warmen" Teil desselben, während die
Zusammenfassung von Tag und Nacht durch Bezeichnungen
der letzteren ausgedrückt wurde.
Dies ergiebt sich aus der zweifellos idg. Sitte, nach Nächten im
Sinne von Gesamttagen, nicht nach Tagen zu zählen, wie es Tacitus
von den Germanen (Cap. 11: Xec dierum mime tum, sed noetium
computant) und Caesar von den Galliern De bell. Gall. VI, 18: Spatia
omni* temporis non mtmero dierum, sed noetium ßniunt) ausdrück-
lich berichten. Ebenso ist im Awesta die Zählung nach Nächten iysap-,
/Japan ) durchgeführt, und auch im Rigveda begegnen noch Stellen
wie die: „Lasst uns die alten Nächte (Tage) und die Herbste (Jahre)
feiern". Im Sanskrit ist dac-a-rdtrd- : rdtri , Nacht' ein Zeitraum von
10 Tagen, und niqd-nicam ,Nacht für Nacht' bedeutet soviel wie täglich.
Überaus häufig begegnen in den deutschen RechtsaltertUmern Frist-
bestimmungen wie sieben nehte, vierzehn nacht, zu vierzehn nechten,
die bis ins späteste Mittelalter gebräuchlich sind. Im Englischen sagt
man noch heute fort night, sennight. Auch die Bezeichnung des Weih-
nachtsfestes, mhd. ze wihen nahten (agls. Mödranicht bei Beda ,der
Mütter Nacht ) gehört in diesen Zusammenhang.
Ihre Erklärung rindet diese Rechnung nach Nächten in dem Umstand,
das« in der ältesten Zeit der Mond (s. u. Mond und Moiat) der
einzige Zeitmesser war, dessen einzelne Phasen eben nur in der Nacht
beobachtet und bestimmt werden können. Je mehr dann in dieser
Beziehung die Sonne hervortritt (s. u. Jahr), umsomehr versehwindet
die Zählung nach Nächten, und wie früher der Tag durch die Nacht,
so wird jetzi die Nacht durch den Tag, den Lichttag (ruat'pa, dies),
mit bezeichnet.
In enger Beziehung zu jener Rechnung nach Nächten steht auch
der Umstand, dass, wenn Tag und Nacht in alten Zeiten zusammen-
'genannt werden, die letztere an den Anfang gestellt wird, ähnlich wie
bei der Aufzählung der Jahreszeiten (s. d.) der Winter den Reigen
führt. Xox ducere dnem videtur, sagt Tacitus von den Germanen,
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846 Tatf.
dien natales et memtium et annorum initia sie obsertant, ut noctem
dies mbnequatur Caesar von den Kelten. In den streng formnlierten
altpersischen Keilinscliriften heisst es* yxapavA raufapaticä ,bei Nacht
und Tag' (ebenso altsl. noAtedintje ,nox et dies ), während im Sanskrit
rätryahan- , Nacht und Tag' und naktamdinam ,bci Nacht und Tag'
mit ahörätrd-, aharnica- wechseln. Es ist daher mir die Bewahrung
des Alten, wenn die Griechen (vgl. Unger Philologus LI, 14 ff.) den
Anfang des Volltags (vuxOriucpov und fmepovuKTiov) auf Sonnenuntergang
setzten, und auch die Germanen, wie z. B. agls. frigecefen .Donnerstag
Abend', eigentl. , Abend /.um Freitag' zeigt, Abend und Nacht zum
folgenden Tage zählten (vgl. F. Kluge Et. W.6s. v. Fastnacht), während
es der Erklärung bedarf, warum die Römer durch Verlegung des Tages-
anfangs auf Mitternacht den ursprünglichen Zustand verlassen haben.
Was die weitere Einteilung der Nacht und des Tages oder des
aus beiden zusammengesetzten Volltages anbetrifft, so geheu einzelne
allgemeinere Ausdrücke hierfür (s. u. Abend und Morgen) in vorge-
schichtliche Zeiten zurück. Neben ihnen wird von der ältesten Zeit
an, ähnlich wie bei derjenigen Terminologie, aus welcher die Mouats-
namen (s. u. Mond und Monat) erwachsen sind, eine bunte Fülle
verschiedenartiger Bezeichnungen bestanden haben, ohne dass dieselben
in irgend ein festes System der Tagesteilung gebracht worden waren.
So wird es Uberall nahe gelegen haben, den „Mittag" als die Mitte
der Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang: sert. madyähna-,
griech. p€0"niißpia. lat. meridien (doch wohl aus *medidies), ahd. mitti-
tag u. s. w. hervorzuheben. Eine ähnliche Zeitbestimmung, aber mit
schwankender Bedeutung ist das gcmciugerin. got. undaürni- (in
undaürnimaU , Frühstück'), altn. undorn ,Mitte zwischen Mittag und
Abend', agls. andern »Vormittag', ahd. tmtarn , Mittag' : sert. antär-,
aw. antare, lat. inter .zwischen'. Vor allem aber sind es, wie bei
den Monatsnamen, die beiden Kategorien natürlicher Erscheinungen
und Lebensäusseriingen sowie menschlicher Beschäftigungen
und Verrichtungen, denen die Bezeichnungen für bestimmte Ab-
schnitte des Tages oder der Nacht entuommen werden. Zu der ersteren
Klasse gehören im Griechischen und Lateinischen: tiXiou dvio*xovro?,
f|Xiou ünep K€<paXn,s löTau^vou, rjXiou et? to xdTiw pt'novroq, äpcpiXikn
(Horn. .Dämmerung ), dihiculum »Morgengrauen*, crepuseuhtm »Abend-
dämmerung, TTcpi ctXeKTpuöviuv lübds, dXeKTpuövwv dbövxujv, vnb töv
üJböv öpvi8a, gallicinium ,dcr erste Hahnenschrei', conticinium, conti-
ettum ,die Zeit, wo die Hähne wieder verstummt sind' (man beachte
die wichtige Rolle, die der Hahn als Uhr spielt) u. s. w., zu der
zweiten: 6p9po? ,die Zeit des Aufstehens', irepi irpüuTOv ünvov, coneu-
bia, coneubium ,Zeit des Schlafengehens', Trept Xüxvujv d<pd£, luminibus
accenais, prima fax, ä^opäc, rrXr|9ouo*r|q, ßouXurö? (Horn.) ,die Zeit des
Stierausspaunens', iv vuktöc duoXtüX?) u. s. w. Für die Griechen ist
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Tag — Tanz.
847
in dieser Beziehung auf Pollux Ononi. I, 08 — 72, für die Römer auf
Macrobius Sat. I, 3 und Ceusorinus Cap. 24 zu verweisen. Auch in den
nördlichen Sprachen waren derartige Ausdrücke sicher in Menge vor-
handen; docli fehlt es an Sammlungen (einiges s. u. Abend).
Eine exakte Einteilung des Tages war erst nach Einführung der in
letzter Linie babylonischen Stundenzählung (s. u. Stunde» und der
durch sie bedingten Sonnenuhren möglich. Als eine Art Vorläufer
derselben kann man es ansehn, wenn gelegentlich die Zeit des Tages
durch die Angabc der Länge des menschlichen Schattens bestimmt
wird. So wird bei Aristophanes Eccles. v. (352 einer zum beiirvov
eingeladen, ötciv rj bexanouv tö öTOixeiov, und in den älteren Kalendern
des deutschen Mittelalters finden sich ganze Tabellen derartiger Schatten-
bestimmungen (vgl. Grotcfend Zeitrechnung Is, 183). — S. noch u.
Nacht und Zeitteilung.
Tageseinteilung, ». Tag.
Tanne, s. Fichte.
Tante. Eine urverwandte Bezeichnung für die Schwestern des
Vaters oder der Mutter scheint zu fehlen, da agls. mödrie ,Mutter-
schwester' = griech. urjTpuid, armen, mauru, wie die Bedeutungsüber-
einstimmung der beiden letzteren Wörter zeigt, ursprünglich »Stiefmutter'
(s. u. Stief-) bedeutet haben dürfte. In den Einzelsprachcn werden
die Namen der Schwestern Kpo? Trarpöq von denen Ttpd? PHTpö? meist
scharf geschieden. So in lat. amita (vgl. ir. ammait ,Anime' etc. und
die u. Mutter angeführten ähnlichen Lall Wörter) : matertera (Uber die
Bildung vgl. A. Meillet Mcmoires de la soc. linguist. IX, 141), agls.
fabu, altfries. fethe (wie wohl auch ahd. bona als Koseformeu zu fadar
gehörig; vgl. F. Kluge Festgruss f. Böhtlingk S. 60) : ahd. muoma
(Koseform von ahd. muoter), altsl. strina (: utryj .Vatersbruder') : teta,
tetka. Im Griechischen scheint kein deutlicher Unterschied zwischen
Wörtern wie 0€ia, Tn.ei<;, vävvn, gemacht worden zu sein, und auch das
Litauische verwendet, wenigstens gegenwärtig, tetä in beiderlei Sinne.
Vgl. noch aus dem Keltischen korn. modereb (*mdtriqd) ,Tante\ —
S. u. Familie.
Tanz. Wie der Gesang aus der leidenschaftlichen Rede (s. u.
Dichtkunst, Dichter), so ist der Tanz sachlich und sprachlich aus
der pathetischen und leidenschaftlichen Bewegung hervorgegangen,
doch so, dass alle einzelnen idg. Sprachen auf diesem Wege zu ver-
schiedenen Bezeichnungen des Tanzens gelangt sind. Folgende
Sprachreihen werden dies veranschaulichen:
sert. rghäyati ,er bebt, tobt' — griech. öpx^at ,tanzc'.
lit. z'Aras ,eine bestimmte Art des Gehens' — griech. xopös ,Chor-
tanz, Reigen'.
sert. kü'rdati ,er springt, hüpft', mbd. schirze ,springe lustig' —
griech. aKotpiu ,tanze' (auch ,hüpfe ), KopbaE ,ein Tanz'.
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848
Tan/.
griech. äXXoncu springe', lat. salio desgl. — lat. salin ,tanzc'.
scrt. re'jate ,er schwankt, bebt', lit. Idigyti ,wikl umherlaufen', got,
Idikan .springen, hüpfen' — got. Idiks ,Tanz, Tanzweise',
scrt. dhil ,hin und herschütteln', griech. Güouai .stürme einher', ahd.
tümalön ,tauineln' — ahd. tümön ,tanzen\
scrt. rdnhate .rinnt, eilt', ir. lingid ,er springt', leimm, kymr. Uam
,Sprung' — kymr. Itemmain .saltare'.
scrt. rihkhati ,er bewegt sich langsam', griech. ^ixvoöa6ai- KiveiöGar
äaxnMOvujq lies. — ir. rincim , tanze',
aw. sacäite ,er gehe vorüber', got. skewjan ,gehen', ir. scnchim
,gehe weg', altsl. skokü .Sprung' — lit. szökis ,Tanz', szökti
,tnnzen' (auch ,springen'j.
Was man aus diesen Tbatsaehen wird schliessen dürfen, ist, dass
man in der Urzeit noch kein Bedürfnis empfunden haben kann, den
Begriff der feierlichen oder leidenschaftlichen Bewegung von dem des
Tanzes sprachlich zu unterscheiden, wohl aus dem einfachen Grnnd,
weil man den die Lokomotionsbewegungen zu Tanzbewegungen er-
hebenden Rhythmus, der sich aus gewissen Arten der ersteren mit
innerer Notwendigkeit ergiebt, noch nicht als etwas besonderes auzu-
sehn gelernt hatte (vgl. dazu E. Grosse Anfange der Kunst S. 213
nach Spencer). Thatsächlich müssen auch auf dem Gebiet der Einzcl-
sprachen dieselben Ausdrücke noch lange das Gehen, Hüpfen, Springen
und Tanzen bezeichnet haben. Wie könnte sonst auf römischem Gebiet der
Name der altehrwürdigen Salier, die doch sicher rhythmisch hüpften tripo-
dare : -notiq, nobö?, doch tripudiare?) von salio nnd nicht von salto
abgeleitet sein? Aber auch andere der oben angeführten Wörter für
Tanzen werden zugleich in dem allgemeineren Sinne gebraucht. Eine
deutliche Erfassung des Begriffes der Tanzkunst läge dagegen in dem
homerischen ßnidpuiuv ,Tänzcr' vor, wenn es richtig Trapd tö iv äp-
novia ßcuvciv gedeutet wird.
Auf die Anfänge der Tanzkunst bei den idg. Völkern materiell und
ausführlicher einzugehen, soll bei dem Stand der Vorarbeiten auf diesem
Gebiete nicht versucht werden. Immerhin soll wenigstens auf einige
für sie charakteristischen Punkte hier in Kürze hingewiesen werden.
1. (das Tanzlied). In engster Verbindung mit der rhythmischen
Bewegung tritt seit uralter Zeit der Gesang, d. h. das rhythmisch
gesprochene Wort (s. u. Dichtkunst, Dichter) auf. Dies geht auch
aus einer Reihe von Ausdrücken wie griech. xopo? («• o.) und uoXnn
(: ueXTTw, etymologisch noch uuerklärt), gemeingerm. got. laiks, altn.
leikr, agls. l<ic, ahd. Jeih (vgl. R. Kögel Gesch. d. d. Lit. I, 1, 7 ff.),
hervor, in deren Bedeutung Tanz und Lied unauflöslich verschmolzen
sind. Vgl. dazu auch K. Bücher Arbeit und Rhythmus S. 79 und 87.
2. (Religiöser Tanz). Unter den verschiedenen Veranlassungen
und Zwecken, aus und zu denen in alter Zeit mit Gesang oder Rezi-
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Tanz.
S49
tation verbundene Tanze stattfanden, und (Iber die in Rücksicht auf
die Germanen die Bedeutungsentfaltung des yot. laiks etc. bei Kögel
a. a. 0. eine gute Übersicht giebt, scheiuen die des Kultus, namentlich
desjenigen der Naturkräfte und Naturgottheiten (s.u. Religion), sehr
alt, wenn nicht die ältesten zu sein. Als ehrwürdige Reste gehören
hierher auf römischem Boden das Tanzlied der Arvalbrilder, mit dem
diese unter Anrufung der Laren und des Mars den eben erstandenen
Lenz auf der Knie festzubannen suchen (s.u. Dichtkunst, Dichter),
und die Springprozessionen der Salier mit ihren schon den Römern
dunklen Gesängen {a.camenta von a.vare , nominale' : äjo, addgium),
auf germanischem agls. Reste heidnischer Flurgangshymnen mit
Opfern und (lebeten um Fruchtbarkeit des Ackerlandes (vgl. Kögel
a. a. O., wo weiteres Uber die tief in die christlichen Zeiten hinein-
ragenden gottesdienstlichcn Leiche der Germanen mitgeteilt und S. (5
darauf aufmerksam gemacht wird, dass abd. piganc : begehen — noch
heute sagen wir -,ein Fest begehen11 — mit culttis und rittt* glossiert
wird), auf indischem Tanzlieder, wie das zu den Sonnenwendge-
bräuchen gehörige, von Mädchen mit gefüllten Wasscrkrügen und um
ein Feuer getanztes:
„Schön duften die Kühe, juchhe! Hier ist süsser Saft!
Nach Wohlgeruch duften die Kühe! Der süsse Saft!
Die Kühe sind Mütter der Butter! n „ „
Die sollen sich mehren! „ „ -,
Die Kühchen die wollen wir baden! „ „ u,
in dem Ohlenberg Die Religion des Vcda S. 445, 507 einen uralten
Regenzauber (Zauber zur Herbeiführung des Regens) erblickt. Schon
auf wesentlich höherer Stufe stehen die Paeane, Prozessionstänze,
Prosodien u. s. w. der Griechen (vgl. Flach Der Tanz bei den Griechen
S. 13 ff.). Doch wird man nicht mit der Annahme irren, dass, wenu
noch Pindar den Thebaiicrn ein hochberühmtes Tanzlied nach einer
Sonnenfinsternis dichtet: n Strahl des Helios, was ersannst du. allsicht-
barer Vater schnelleren Lichts, du höchstes Gestirn, das am Tage ver-
borgen blieb" n. s. w., hierin auch nur eine kunstvolle Nachahmung
im Volke lebender averrunkischer Tänze und Tanzreigen vorliegen
wird.
3. (Mimischer Tanz.) Nachahmungen tierischer und menschlicher
Bewegungen bilden bei den Naturvölkern (vgl. E. Grosse a.a. O. S. 11)8 ff.)
einen Lieblingsgegenstand des Tanzes, und auch bei den idg. Völkern
sind sie früh nachweisbar. Im besonderen handelt es sieh hier um die
allerorts bezeugten Waffentänze, in so weit sie eiue Nachahmung
wirklichen Kampfes sind. Dies gilt von dem thrakiseben Waffentanz,
den Xenophon Anab. VI, 1, 5 beschreibt: ötvtcmio'uv ttpwtov uev 0pÜK€q
xai Tipdq auXov wpxntfavTO o*uv toi? öttXoi^ kou hXXovto ut|fr)Xä tc Kai
K0Ü<puj£ Kai Taiq uaxaipaiq ^xPwvto • icXoq bfc ö ?T€po? töv £t€pov naiei,
Schräder. Rcallexikon. 54
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Tjihz.
d»5 Trdcftv dbÖKti • ö b' eneae t6xviku»s kuj^ — kok 6 uev o*KuXeüo*as Tä önXa
toö iiipov dErjei äbwv töv XitoXkov • dXXoi be TUJV 0pClKd»V TÖV €T€pOV
d£e'<pepov ü><; T£Övr|KÖTOt ' t^v be oöbev ttcttovSiu^- Ähnlich tanzt der
Myser an derselben Stelle (u><; buo dvTiTaiTouevujv umoüuevoq wpxeiTO),
und auch die berühmte spartanische uuppixn, war ein Scheingefecht in
kriegerischer Rüstung (Flach S. 7), während der Schwerttanz der
Germanen, wenigstens nach der Schilderung des Tacitus (Germ. Cap. 24:
Genus spectnvuloruin unum atque in omni coefu iflem. midi iure neu,
quibus id ludicruin est, inier gladios se atque in festos fronten* saltu
iaciunt. exercitatio nrtem parorit, ars decorem, non in quaestum
tarnen out mercedem : quatnris audacis lascirioe pretiunt est tioluptns
xpectontium), nicht zu den mimischen, sondern zu den gymnastischen
Tänzen gehurt zu haben scheint.
Auch Nachahmungen anderer Zustände und Ereignisse treten gern
in kriegerischem Gewände auf. Dies gilt von dem zweifellos uralten
dramatischen Tanzspiel, das in Deutschland den Kampf zwischen
Sommer und Winter ( Kögel S. 11) darstellt, dies von dem thessalischen
Fruchttanz (Kapiraia), der die Schwierigkeiten einer ackerbauenden
Bevölkerung gegenüber sie umschwärmenden Räubern schildert (Xenoph.
Anab. VI, I, 8: ö be Tpömx; rf\<; 6p\r\aewq nv, ö uev 7Tapaeeu€vo<; toi öuXa
arceipei Kai Zeu-rnXaTeT ttukvo be o*Tpe(p6uevo<; üX «poßouuevos, Xnairrc
be TrpocrepxeTOU • ö b' e^eibdv TrpotbnTai, dTravTd dpirdda? Td öirXa Kai
pdxeiai upö toö Zeürous ' Kai oOtoi tout' dnoiouv ev pu8uw Tipö? töv
auXöv Kai TeXo? ö Xn,crrn.s brjaa? töv dvbpa tö Zeöyo^ dTTayei • £"viot€
be Kai ö ZeuYT|XdTr|5 töv Xrjo*Tr|v • efra rcapd tou$ ßoö^ £eü£a{ ömcfw
Tib x€>P€ bebepevov eXauvei). Eine Art mimischen Tanzes wird auch
die Darstellung des Kampfes sein, den Oldenberg a a. 0. S. 444 unter
vedischen Sonuenwcndgebräuchen beschreibt: „Man schlägt die Trom-
meln. Der Priester schlägt die Erdpauke. Die Lärmmachcr machen
Lärm Um ein weisses, rundes Fell rauft ein Arier mit einem
Cüdra; der (,'üdra muss es loslassen und fortlaufen; der andre schlägt
ihn mit eben jenem Fell nieder". Da es sich hier nach Oldenberg
(S. f><Jt>> zugleich um eine zauberische Manipulation handelt, die den
Zweck hat, das Sonnenlicht, welches in dem weissen runden Fell dar-
gestellt ist, vor dunklen Mächten zu schützen, so würde sich hier der
mimische mit dem religiösen Tanz eng berühren. Doch sei auf die
u. Jahr erwähnten Zweifel an dem gewöhnlich angenommenen hohen
Alter der Sonnenwendfeiern hingewiesen.
Hinsicht der Nachahmung tierischer Bewegungen sei auf die zahl-
reichen, von Hesych angeführten Benennungen griechischer Tänze ver-
wiesen, die von Tieren ihre Namen haben: dXumn,E, ye'pavoq, fkavt
u. a.
4. (Entlehnungen in der Terminologie des Tanzens.i Die
einzelnen Arten des Tanzes haben, ähnlich wie die Verschiedenheiten
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Tanz — Tätowierung.
851
der Tracht, der Haarfrisur und anderes, die Neigung sieh bei den
ein/einen Völkern als nationale Eigentümlichkeiten festzusetzen,
welche gerade deswegen von den Nachbarn gern nachgeahmt werden.
Wir brauchen nur an unsern „Schottischen", unsere „Polkau und
r Franchise" etc. zu denken, um zu erkennen, wie gern Nationaltänze
wandern. Damit hängt es zusammen, dass schon in sehr früher Zeit
auch zahlreiche Uczeichnungcii des Tanzes und Tanzens selbst, d. h.
des bei einem bestimmten Volke üblichen Tauzens von anderen
Völkern entlehnt worden sind. Wie das Lateinische schon bei Nacvius
(chorux, später chorea) das griechische x°pö<; verwendet, so haben die
Goten gewiss bereits in den ersten Jahrhunderten u. Chr. ihr plinxjan
ganzen' aus dem altsl. plqsati id. entlehnt, während die Slaven ihrer-
seits das germanische leich in der Gestalt von altsl. likü ,chorus', liko-
vatl ,saltare' übernommen haben. Vgl. auch russ. tanecü, tanolcü, lit.
tanetts aus deutsch tanz. Ahd. xalzön, agls. xealtian entstammt dem
Jat. aaltare. Weit verbreitet ist auch die Reihe von griech. ßaXXiZw
(in «Sizilien und Grossgriecheuland, von ßdXXouai , werfe mich hin und
her ), lat. ballare (bei Augustin) ,tanzc', altfrz. baller, während der
Ursprung der Gruppe mhd. tanzen, it. danzare etc. noch nicht fest-
steht. Welche Veränderungen in der Tanzkunst selbst bei den einzelnen
Völkern von derartigen Entlehnungen begleitet waren, lässt sich nicht,
oder wenigstens noch nicht ermessen. S. u. Kunst.
Tätowierung. Die noch heute bei zahlreichen wilden Völkern
(vgl. E. Grosse Anfänge der Kunst S. 5.3 ff.) herrschende Sitte der
Kö rperbemalung muss einstmals auch in weiten Teilen Europas ver-
breitet gewesen sein. Die wichtigsten Zeugnisse hierfür sind die
folgenden: Für die Thraker Herodot V, (5: Kai tö piv ^atixOm €üt€W<;
KCKprrai, tö b' äcrriKTOv äY€V€£ und Athciiaeus XII p. 524: (sagenhafte
Entstehung der Tätowierung bei den thrakischen Frauen) cü bfc YuvaiKe?
auTutv (der Skythen) Tot? 6paKwv tüjv npd? ton^pav Kai dpKTOv tüjv
TTcpioixujv YuvaiKaq dn-oiKiXXov Tot o*diM<ua, Trcpovaiq Ypa<pnv £veio*ai.
Ö6ev koXXoi? £tco*iv üaTcpov ot Oßpio-eeiaat tüjv 0paKwv YuvaiK€? Ibiw?
^n^€»H»avTO Tnv auuq>opdv, TTpoaavaxpanjäuevai Td Xoitto toö XPWTÖ?,
iV ö Tii? üßpew? Kai xffo aicrx^vn? in' aÜTOuq xapaKTf)p t\<; nonaXiav
KaTopi0ur)8€i? KÖtfuou irpotfiiYopia Toüveiboq ^aXetiurj (auch griech. Vasen
stellen wiederholt tätowierte Thrakerinnen dar), für die Illyrier
Strabo VI, p. 315: 'ldnob€<; Kcrräo*TiKTOi öuotuu? toi? äXXoi? 'IXXupncot? Kai
6pa£i, für Dacier und Sarmaten Plinius Hist. mit. XXII, 2: InJinuut
certe aliix aliae faciem in populix barbarorum feminae maresqin'
etiam apud Dacox et Sarmatax corpora xua inscribunt, für die Ag:i-
thy rsen Mela II, 1 : Agathyrxi ora artuxque pingunt : ut quique maiori-
bux praestant, ita magix rel minus, ceterum iisdem omnes notis, et
nie, ut ablui nequeant, für die ostger manischen Harier Tacitus
Germ. Cap. 43: Harii—tincta corpora, für die Britannier Caesar
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852
Tätowierung — Taube.
De bell. Gall. V, 14: JSe vitro inficiunt quod caentleum efficit colorem.
Plinius a. a. 0.: Üimilte plantagini glastum in Gallia coeatur, ßri-
tannorum coniuges nurusque toto corpore oblitae quibusdam in
werte nudae incedunt Aethiopum colorem imitantes, Mela III, 6:
(Britanni) incertum ob deeorem, an quid aliud, vitro corpora infecti,
für die Pikten Isidor. Hisp. Orig. XIX, 2;$, 7: Nec abest genti Pic-
torum notnen a corpore (vgl. dazu V. Hehn Kulturpflanzen0 S. ;")27),
quod minutis opifex actis punette et exprexsus natiri graminte
succuH illudit, ut has ad sui speeimen cicatrices ferat, piette artubun
maculosa nobilitas. Vgl. auch die Nachricht des Xeuophon Anab.
V, 4, 32) über die politischen Mossynökcn: ttoikiXoix; bk xct vwxa Kai
TOI £uTTp00"Ö€V TTUVia ^ÖTlYUtV00<;.
Aber auch die archäologische Forschung weist auf die früh
in Europa geübte Sitte der Tätowierung hin, namentlich wenn S. Müller
Nordische Altertumskunde Kecht hat, gewisse schon in den ältesten
Männergräbern der Bronzezeit gefundene ahlenartige Werkzeuge als
Tätowiernadeln aufzufassen (I, 201 ff.). Aus noch früherer Zeit, aus
neolithischen, ja, aus palaeolithischen Stationen (vgl. A. Müller Vorgeseh.
Kulturbilder S. 100, Hörne» Geschichte der bildenden Kunst S. 20 ff .:•
sind Farbenmörser und Farbsubstanzen wie Rötel. Ocker u. dergl. zu
Tage gekommen, die in dieselbe Richtung zu deuten scheinen.
Zweifelhaft wird man nach dem obigen sein können, ob die Indo-
germanen den Gebrauch der Körperbenialung, von dem wir in Indien
und Iran, oder bei Griechen und Römern keine Spur linden (doch macht
auf praemykenische Körperbenialung Wolters in den Mitteilungen
des archäologischen Instituts in Athen 1891 aufmerksam) schon aus
der Urheimat mitbrachten, oder ob nur einzelne, nördliche und
östliche Stämme sie erst in ihren historischen Wohnsitzen, wenn auch
immer noch in sehr früher Zeit, durch die Berührung mit niehtindo-
genuauischen, ureingesessenen Bevölkerungen, zu denen von den oben
genannten z. B. die Pikten is. u. Mutter recht) mit Sicherheit ge-
hören, oder auch durch auswärtige Beziehungen (vgl. oben die Nach-
richt des Athenäus über den Ursprung der thrakischen Tätowierung)
annahmen. Dass jedenfalls die älteste idg. Tracht sowohl bei Männern
wie bei Frauen, genug Stellen des Körpers unbedeckt Hess, um ge-
eignete Flächen für die Ausübung der barbarischen Kunst darzubieten,
ist u. Kleidung gezeigt worden. Rudimente der Körperbemaluug
haben sich namentlich bei Matrosen, Soldaten u. s. w. bekanntlich bis
in die Gegenwart erhalten. Vgl. auch F. S. Krauss Uber das Täto-
wieren bei den Südslaven im Globus LIX, 72. — S. u. Kunst.
Tau, s. Strick.
Taub, s. Krankheit.
Taube. Ein vorhistorischer Name des Tieres lässt sich bis jetzt
nicht mit Sicherheit erweisen. Seine Terminologie, so weit sie durch-
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Taube.
853
sichtig ist, bezeichnet den Vogel meist nach der Farbe, entweder als
den „seh wärzlichen", „grauen" oder „blauen" (griech. TT€'X€ia :
mXiöq, dazu vielleicht lat. palumbus und altpr. poalis; im Slavischen
Ableitungen von aivü und xizü ,grau'; gemeingerm. got. dubö : ir. dub
,niger'; lit. larnzulu : sert. krshnd- ,sehwar//; altsl. golabl : altpr.
golimban .blaugran'; osset. aysinaJc : a\v. ayjtaena- .blanschwarz'; sert.
kapota- s. n.), oder, aber viel seltener, als den „weissen" (armen.
a/.aimi : griech. dX<pÖ£, lat. albus und osset. bahn, balan, lit. balahdis
: lit. bdlti ,weiss werden' . Dunkele Ausdrücke sind u. a. griech. <pdip
(Aeschylus), TrepuTrcpä (Sophokles), lit. karwrtin, altkorn. eudon. Über
die uralte Auffassung der wilden Taube als eines Totenvogels s. u.
Orakel. Hierher auch got. hniiwa-dubö jpuYuV, eigentl. Reichen-
taube' und vielleicht hom. yäoaa ,Taube' : £ttc<pvov (vgl. Preller-Robert
Griech. Myth.' S. 800 Anm. 3 Uber die T. als Attribut der Persephone).
Die Taubenzucht ist von Mesopotamien ausgegangen; denn bei
<leu Semiten ist das Tier tief in die Kultur wie in den Kultus ver-
webt, während bei den Ägyptern die Taube zwar auch seit den ältesten
Zeiten auf den Gehöften gehalten wird, in religiöser Beziehung aber
keine Rolle spielt (vgl. Wiedemann Herodots II. Buch S. 245 1. Da-
gegen wird der Taube schon in den vorsemitischen,, sumerisch-akkadi-
schen Denkmälern als eines Hausvogels gedacht („die Krankheit des
Hauptes- — fliege davon — „wie eine Taube zu ihrem Schlage";
vgl. F. Hümmel Die vorsemit. Kulturen S. 4<>1, 402). In dem kcil-
inschriftlichcn Sindflutbericht werden, gerade wie in der Bibel, Taube
und Rabe, als Vertreter der zahmen und wilden Vögel ausgeschickt
(vgl. auch Ihering Vorgeschichte S. 215 ff.). Schon im Leviticus 5, 7;
12, 0, 8 wird die Taube, wobei doch auch nur an die Haustaube
gedacht werden kann, als Opfertier für die Armen zugelassen. Der
Vogel ist der semitischen Göttin des Xaturlebens, der Zeugung und
•des Todes, assyr. fstar, kan. 'Astor, 'Ästoret, griech. Aufarte heilig,
mit der die Griechen ihre Aphrodite (ein Wort, das vielleicht selbst
den genannten semitischen Ausdrücken entstammt) identifizierten. Als
Symbol der Göttin erscheint er schon auf Kunstwerken, die in den
mykenischen Gräbern gefunden wurden (vgl. Schuchardt Schliemanns
Ausgrabungen S. 226 und Hehn Kulturpflanzen" S. 341), und es ist unter
diesen Umständen wahrscheinlich, dass auch die Griechen frühzeitig
den Vogel als Attribut ihrer Aphrodite auffassten, sowie, nach semi-
tischem Vorbild, wohl überhaupt in ein vertrauteres Verhältnis zu
demselben traten. Hierauf scheint auch das dem II. XI, 632 ff. be-
schriebenen Becher des Nestor zu Grunde liegende Motiv, nach welchem
Tauben sich vertraulich dem Trinkenden nahen, zu deuten. Auch
dieses homerische Kunstwerk hat sein Urbild in einem mykenischen
Goldbecher (Helbig Hom. Epos* S. 371» gefunden.
Alles das könnte sich noch immer auf eine halbgezährate, in Sehlägen
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Tauba
gehaltene, graue Taube beziehen. Die weisse, eigentliche Haustaube,
die nach neueren Forschungen von der in Nordafrika, Asien uud
Europa verbreiteten wilden Columba livki L. abstammt, wäre, weua
wir einer von Athenäus (IX, p. 394) erhaltenen Notiz des Charon von
Lampsacus trauen dürfen, erst nach dem Untergang der persischen
Seemacht am Vorgebirge Athos in Griechenland erschienen. Da aber
die Perser selbst nach Herodot 1, 138 weisse Tauben als Sonncnfeinde
nicht in ihrem Lande duldeten, so vermutet Hehn a. a. 0. 8. 337 wohl
mit Recht, da&s dieselben, als eine neue in den Tempeln der Astarte-
Apbrodite allmählich gezüchtete Rasse, von den Schiffen anderer,
vorderasiatischer Völker, etwa der Phönizier gekommen sein. Aus-
führlich über die Taube im Kult der Aphrodite und des Zeus, nament-
lich auch über die Dodonäischen Tauben u. 8. w. handelt Lorcntz Die
Taube im Altertum Programm, Würzen 1886. — Von den Phöniziern
könnte die weisse Haustaube auch nach dem Tempel von Eryx in Sizilien
gebracht worden und so nach Italien gekommen sein. In diesem Zu-
sammenhang deutet Hehn a. a. 0. S. 337 das lat. columba als hervorge-
gangen aus dem siziliotisehen Griechisch, wo Wörter wie KÖXuußo?, koXuu-
ßds, eigeutl. der .Taucher' für einen weissen Wasscrvogel besteben und
auf die weisse Haustaube übertragen worden sein konnten; doch sind
die Beziehungen von lat. columba zu dem obengenannten altsl. golqbi,
altpr. golimban (vgl. auch lit. gulM ,Schwan') noch nicht ermittelt.
Von Italien ist columba in das keltische Sprachgebiet (ir. colum,
ßad-cholum ,wilde Taube' u. k. w.i und wohl in einen Teil des Ger-
manischen fagls. culufre, engl, culver) entlehnt worden, obgleich man
die germanischen Wörter neuerdings (vgl. Holthausen I. F. X, 112)
direkt mit altsl. golqbi etc. zu vermitteln versucht hat. Übrigens scheint
es lange gedauert zu haben, bis im Norden die Taube zu einem eigent-
lichen Nutzvogel wurde. In der Lex Saliea wird ihrer vielmehr als
eines Lock- und Jagdvogels gedacht, in welcher Eigenschaft sie
schon Aristoteles Über die Tiere IX, 8, 4 erwähnt. Vgl. L. S. VII:
Si qui8 turturem de trappa furaverit oder si quis turturem de rete
alterius, auf quamlibet aviculam de quolibet laqueo vel deeipula
furatus fuerit (vgl. auch Oppian. De aueup. III, 12). Die hierzu ge-
hörige Glosse acfalla, hac falla, haefala ist mannigfach gedeutet
worden. Wir möchten darin ahacfalla ,Taubentallc' erblicken, zu dem
noch unerklärten got. ahaku ,Taube' (vgl. Uhlcnbeek Et. W.) gehörig.
Aber selbst in dem Capitulare Karls des Grossen de villis werden
Tauben nur pro dignitatis causa gehalten. Vgl. 40: Ut umtnquisque
iudex per Villau nostras singulare* etlehas, pavones, fanianos, enecast
(anates), columba 8, perdices, turtures pro dignitatis causa
omnimodis semper habeant. In der altgermanischen Poesie spielen
die Tauben noch keine Rolle.
Wie im Westen eine wichtige Entlehuuugsreihe von lat. columba
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Taube — Tempel.
Ki5
ausgeht, so eine solche im Osten von sert. kapö'ta-, npers. kapütar :
npers. kabüd ,blau'. Das persische Wort hat dann sein inlautendes p
verloren (pers. kautar, afgh. keteter, kurd. kotir, vgl. Horn Grnndriss
d. npers. Et. S. 187), und in dieser Gestalt kehrt es in Osteuropa als
altpr. keutaris »Ringeltaube' wieder. — Zum Schlnss verweisen wir
auf einige bei diesem Vogel sonst seltene onomatopoietischc Benennungen
wie lat. turtur, griech. Tpuyiuv, alb. vito, ronian. piccione u. a. — Eine
neue religionsgeschichtliche Bedeutung hat die Taube durch das
Christentum erhalten, da sie im neuen Testament als Symbol des heiligen
Geistes betrachtet wird. Näheres hierüber vgl. bei V. Hehn a. a. 0. und
E. Hahn Die Haustiere S. .136 ff. — S. auch u. Viehzucht.
Taufe, s. Name, Nanieugcbung.
Tausch, Tauschinittel, Handel, Geld.
Tuuseiidschaft, s. Heer.
Teer, s. Fichte.
Teig, s. Brot.
Teilung, s. Erbschaft.
Teller. Tcllerartige Gefässe sind schon in prähistorischen An-
siedelungen Europas, z. B. in Hallstatt (Sacken S. 107), besonders aber
in verschiedenen Schichten des Burghügcls von Hissarlick. zahlreich
nachweisbar (vgl. Schliemann Ilios S. 4ööff.) und auch dem klassischen
Altertum nicht unbekannt. Doch können sie noch nicht dem heutigen
Zwecke, auf ihnen zu speisen, gedient haben. Von dem ganzen Alter-
tum und Mittelalter gilt vielmehr der homerische Brauch: oi b' in'
öveiaö' Itoiugi TTpOKeiueva x€'Pa? TaXXov. — Die Sitte, dass dem ein-
zelnen beim Mahle ein Teller vorgesetzt wird, kommt in Europa erst
mit dem XVI. Jahrhundert zu allgemeiner Anwendung, wie es scheint,
von Italien eingeführt (vgl. Jakob von Falke Aus alter und neuer Zeit
S. 60). Von Italien stammt denn auch mhd. teler (it. tagliere ,An-
richtcteller^ : lat. taliare »schneiden ), das eine weite Verbreitung auch
in Osten (polu. talei; russ. tarelka, lit. toUriux, torHiux etc.) gefunden
bat. Altpr. (auch lit. diai. und ostpreuss.) schitee , Teller' (aus nhd.
scheibeY). Die romanischen Sprachen bilden Namen von *plattuxf
*platus jtiaeh' (vgl. Körting Lat.-rom. W. s. v.; im Index u. Teller noch
anderesj. — S. u. Gefässe und u. Mahlzeiten und Trinkgelage.
Tempel. Von fast allen idg. Völkern besitzen wir unzweideutige
Nachrichten, dass dieselben in der ältesten Zeit noch keine von Menschen-
hand angefertigten Gotteshäuser, Altäre und Götterbilder besassen,
sondern, dass sie den Göttern entweder auf Bergesspitzen ihre
Opfer darbrachten, wie es namentlich von den Persern (Herodot I, 131)
und Griechen (vgl. J. Wackernagel Über den Ursprung des Brahma-
nismus S. 8 f.) gemeldet wird, oder dass sie das überirdische sich
n Hainen, Bäumen und Baumstämmen gegenwärtig und verkörpert
vorstellten. Von diesem letzteren Punkt, dem Baumkultus der idg.
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K<5
Tempel.
Völker, als dem Ausgangspunkt eigentlichen Tenipcldienstes soll im
folgendeu ausführlicher gehandelt werden.
Beginnen wir mit den litu-sla visehen Zeugnissen, so liegen nach
Miklosich Die christl. Term. d. slav. Spr. (ÜcnksehrifTteu der Wiener
Ak. XXIV, 17) keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass die
ersten Verkündiger der christlichen Lehre hei den Slaven dem Gottes-
dienst gewidmete Gebäude vorgefunden hätten. Altslavischc oder alt-
litauische einh e im i sc he Bezeichnungen des Gotteshauses sind auch nicht
vorhanden. Umso mehr zeigt sich die Verehrung heiliger Bäume und
Haine eingewurzelt, und noch Hieronymus von Prag konnte aus seiner
litauischen Missionsthätigkeit im XV. Jahrhundert (bei Aencas Silvias
Scr. rcr. Pruss. IV, 239) berichten: Mulierum ingens numerus pforans
atque eiulans . . . sacrum lucum succisum queritur et domum dei
ademptam, in qua divinam opem petere conmessent, inde plurias,
inde sole* obfinuisse, nescire tarn, quo in loco deum quaerant, cui domi-
cilium abstulerint. Einzelne heilige Bäume sind die Eiche (Auinhts),
die Birke (Birzülis >, der Hasel [Luzdona), der Kirschbaum (Kimis),
der Ahorn [Kleirelis), die Eberesche (tizermükszne) u. a. Besondere
Verehrung gemessen zusammengewachsene Bäume [Itumbuta. Romore,
wovon ein hochheiliger Ort in Xadrauen seinen Namen hat). Es giebt
einen Kichtenmann f l*uszditis) und zahlreiche Wald-münner und -frauen
(vgl. Usener-Solmseu Götternamen S. 113). Wie in Dodona s. n.),
glaubt man auch hier in dem Rauschen der heiligen Eichen die Zu-
kunft verkündende Stimme der Götter zu vernehmen: Praee.reUentes
arbores ut robora, queren*, deos inhabitarc di.re.ru nt, e.r quibus
seiscitantibus responsa reddi audiebantur, ob id nec huiuscemodi
arbores caedebant, sed religiöse ut numinum deos colebant (Lasicius
De moribus Lituanorum).
Die klassische Stelle über den Baumkultus der Germanen bietet
Tacitus in der Germania Gap. 9: Ceterum nec cohibere parietibus
deos, neque in ullam humani oris speciem adsimulare ex magnitudine
eoelestium arbitrantur: lucos ac nemora consecrant, deorumque,
noniinibus adpellant secretum illud, quod sola reverentia vident,
wobei nur das zu bemerken ist, dass die Gründe, welche Tacitus dieser
Form der Gottesverehrung unterschiebt, weil von einem religiös sehr
fortgeschrittenen Standpunkt aus gedacht, als unhistorisch zu verwerfen
sind. Man hat natürlich deswegen keine Tempel und Götterbilder,
weil man sie noch nicht kennt, oder wenn man sie kennt, sie noch
nicht herzustellen im stände ist. Ausdrücklich werden von Tacitus ein
castum nemus der Ncrthus Germ. Cap. 40, ein lucus Baduhennae
Ann. IV, 73 und eine silra I/erculis sacra Ann. II, 12 genannt. Alles
weitere vgl. bei .). Grimm Deutsche Mytb. I3, 57 ff., Golthcr Germ.
Myth. S. 51)0 ff., Mogk in Pauls Grundriss III*, 394 ff. Von einzelnen
heiligen Bäumen werden vor allem Eichen genannt, deren eine Boni-
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Tempel.
857
fatius bei Geismar fällt, Gut bezeugt ist aber aueb ein heidnisch ver-
ehrter Birnbaum (Grimm a. a. 0. S. 67 in Auxerre, obgleich diese
Nacbriebt vielleicht schon auf keltisches Gebiet führt.
Nach alledem versteht man, warum in den germanischen Sprachen
die Begriffe Ilain und Tempel vielfach zusammen fliessen. Dies gilt
von der lleihe got. alhs, agls. ealh, alts. alah , Tempel', die dein altlit.
elkas .Hain', lett. elks ,Götzc' entspricht, und mit der 0. Hoffmann
B. B. XXV. 106 auch das gricch. dXöo? (aus *ctXKjo? '?) ,Hain', , heiliger
Hain vereinigen möchte (vgl. auch lit. alksnis, altpr. als-kanke ,Erle',
so dass an einen Erlenhain zu denken wäre?"», dies von den bald mit
,lneus', bald mit Janum, delubrum' glossierten ahd. haruc, agls. hearh,
die Xoreen l'rgenn. Lautlehre S. 229 zusammen mit ahn. hbrgr ,Stcin-
bnufen. Tempel' aus lat. carcer (.Einfriedigung) erklären möchte (oder
vgl. altpr. karigt!, Harare ,ebirboem'. , Eberesche'?), dies von agls.
hearu .Hain' (ahd. paraicör't , Priester ), das zu dem gemeinslaviseheu
borü .Fichte, Fichtenwald' gehört, während in dem gemeingerm. ahd.
agls. wih. altn. ve ein allgemeinerer Name für das „Heiligtum" (got.
irt'ihs .heilig ) vorliegt.
Der erste und letzte dieser Ausdrücke kennen auch für den späteren
ans Holz oder Stein erbauten Tempel gebraucht werden, dessen erste
Spuren sich vielleicht schon bei Tacitus in dem templum der Tanfana,
der nach Ann. I. öl dem Erdboden gleich gemacht wird, finden, und
für den später zahlreiche neue, von dem menschlichen Wohnhaus
entlehnte Bezeichnungen wie ahd. hof, ahd. halla, ml, petapür, peta-
häs. plOzluU, ploxiarhux Opferhaus , got. gudhi'i» u. s. w. (Grimm S. In)
geprägt werden. Der Altar in demselben wird einheimisch mit dem-
selben Wort wie der Tisch got. biuds, agls. biod, iceobed aus *iriha-
biuda ,Teinpeltiseh ) benannt: ob schon für die heiligen Haine Altäre
anzunehmen sind, steht, da die altgerinauischen Opferticre nicht wie
bei Griechen und Körnern verbrannt wurden, dahin (vgl. Golther a. a. 0.
S. W und s. n. Opfer . Über die effigks und signa, welche nach
Tacitus Genn. Gap. 7 (Hist. IV, 22) vor der Schlacht aus den heiligen
Hainen geholt wurden, s. u. Fahne.
Darf ans einer Nachricht wie der über den Tempel der Tanfana
geschlossen werden, dass die Anfänge eines eigentlichen Tempelbaus
bei den Germanen bis in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte
zurüekgchn dagegen Müllenhoff Deutsche A. K. IV, 220, der auch hier
nur einen Teiupelbczirk mit Einfriedigung und Altar annimmt), so
werden wir gewiss nicht irren, dieselben, wie die Anfänge des Stein-
haus überhaupt (s. u. Turm), auf Anregungen seitens der gallischen
Nachbarn zurückzuführen. Der gemein keltische Name des Heilig-
tums nemeton, sowohl allein wie in zahlreichen Zusammensetzungen,
bpu vc'utTOv ,Erzheiligtum', Medio-nemeton , Heiligtum der Mitte', Tasi-
nemeton .Heiligtum des Gottes Tasis', Yernemeton .fanum ingens' etc.
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Tempel.
(vgl. Diefenbach Orig. Europ., Holder Altkeit. Sprachschatz) auf»
beste bezeugt, bezeichnete in Caesars Zeit und früher wohl sicher
eine von Menschenhand geschaffene gottesdienstliche Stätte. Die ur-
sprünglichste Bedeutung niuss aber auch hier die eines freien natür-
lichen Platzes gewesen sein, wie einerseits die Glossierung des are-
morischen nimed mit ,silva', andererseits die etymologischen Entsprach
ungen des altgnll. nemeto-n zeigen. Ausserbalb des keltischen Rodens
kehrt dasselbe namlieh regelrecht lautverschoben iu dem altsächsischen
ludicnhts superstitionum wieder, wo de sacris silrarum, quae nimidas
vocant gesprochen wird; ausserdem bietet die Sprache des Awesta in
nemata- ,Gras' (npers. nemed ,Fil/., Teppich') eine sich lautlich vielleicht
deckende, semasiologisch freilich scheinbar gänzlich fern liegende Ent-
sprechung. Bedenkt man jedoch, dass die Perser nach Herodot I, 132
auf zartem Gras, meistens Klee, ihre Opfergaben ausbreiteten, und dass
diese feuerlose Opferung wahrscheinlich als indogermanisch (s. u. Opfer)
anzusehen ist, so liegt es nahe, als idg. Grundbedeutung der ganzen
Sippe etwa ein , heilige Waldwiese zu Opferzwecken' anzusetzen.
Im übrigen war auch bei den Kelten die Eiche dem höchsten Gotte
heilig (KcXroi <J€ßouai juev Aict, äiakpa oe Atöq KcXtiköv üMJnXn. opus,
Maximus Tyrius) und von den Druiden berichtet Plinius XVI, 249:
Iam per se roborum eligunt lucos nec ulla sacra sine eo fronde
conßciunt. S. auch u. Mistel.
Ein nicht minder eingewurzelter Baumkultus lässt sich im Süden
Europas belegen. Es genügt in dieser Beziehung auf die uralte Ver-
ehrung hinzuweisen, die in Griechenland dem Dodoneischen Zeus, in
Rom dem Capitolinisclien Jupiter zu teil ward. Jener heisst (pnjovaios
und lebt in der Substanz des heiligen Baumes: arbor numen habet,
wie es Silins Italiens einmal ausdrückt. Seine Stimme erschallt aus
dem Kauschen der Eiche (iic bpuos uijiikömoio Od. XIX, 297 . Von
diesem erzählt Livius I, 10: Spolia ducis hostium cae*i suspettsa
. . . . ferculo gerem (Romulus) in Capitolium escendit, ibique ea cum ad
quer cum pastoribus s a er am deposuisset, simul cum dono
designacit Iur is fines . . . . haec fempli est origo, quod primum omnium
Romae sacratum est. Vgl. auch Fcstus ed. 0. Müller S. 87 : Fagutal
sacellum fovis, in quo f'uit fagus arbor, quae Iuris sacra habebatur.
Da alle auf die antike Baumvcrehrung bezüglichen Nachrichten in den
Schriften von 0. Bocttichcr Über den Baumkultus der Hellenen und
Römer (Berlin 1856) und Overbeck Das Kultnsobjckt bei den Griechen
in seinen ältesten Gestaltungen (Sitzungsberichte d. sächs. Ges. d. W.
1864 S. 121 tf.) auf das vollständigste gesammelt vorliegen, erübrigt,
es, die Frage zu erörtern, in wie fern in der Terminologie des
klassischen Tempels noch Spuren jener ältesten Gottesverehrung er-
balteu sind, wobei sich die Gelegenheit bieten wird, auch zahlreicher
sachlicher Gesichtspunkte zu gedenken.
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Tempel.
85!>
Von geringerer Bedeutung sind in dieser Beziehung Ausdrücke wie
griech. lepöv : Upö? ,heilig' und das gcmeinitalische lat. fdnum aus
*fasnum, umbr. fesnafe ,in templnm', osk. ßisno, fiisnim, ßsnam (ob
:festus, firiae?), deren Grundbedeutung die des oben genannten ahd.
wih gewesen ist. Lat. templum (vgl. contemplari) scheint zunächst
das Beobachtungsfeld des Augurs am Himmel bezeichnet zu haben
(vgl. Vanicek Et. W. I, 284 und P. Kretscbmer K. Z. XXXVI, 266). Der
Altar in demselben heisst griech. ßwuös (: ßaivw), eigentl. /Tritt', lat.
Ära (umbr. asaku ,apud aram', osk. aasas ,arac), eigentl. ,H c i* d'
(s. d.) und altare, altaria .die Feuerstellc auf der ara (noch uner-
klärt).
Als von höchster kulturhistorischer Wichtigkeit aber erweisen sich
das lat. delubrum , Heiligtum' und das griech. vaö? , Tempel'. Das
erstcre, delubrum, sc. lignum bedeutet, als von lat. Uber ,Bast' abge-
leitet (so auch ßrugmann Orundriss 1*, 1, S. 107), soviel wie ein (zu
Kultuszweckcn) abgeschältes Stück Holz, was Festus ed. O. Müller S. 73
mit den Worten erläutert: Delubrum dicebant fustem delibratum,
hoc est decorticatttm, quem venerabantur pro deo (weiteres
vgl. bei Boetticher a. a. 0. 8. 220 und Overbeck S. 149;. Es ergiebt
sich also, dass im ältesten Italien nicht nur der lebendige, sondern
auch der abgehauene und tote Baum Kultobjekt sein konnte, und es
lässt sich unschwer zeigen, dass dasselbe auch bei allen übrigen idg.
Völkern der Fall war. In Indien entspricht der sogenannte „Opi'er-
pfosten" (yü'pa-), über den Ohlenberg Die Religion des Veda 8. 256
folgendes mitteilt: „Dem Baumkultus möchte ich es zurechnen, wenn
man beim Tieropfer dem hölzernen Pfahl, an welchen das Opfertier
gebunden wurde, Verehrung darbrachte; der Pfahl repräsentiert den
in ihm enthaltenen Baum und somit ein göttliches Wesen. Schon beim
Fällen des Baums kam — wenn auch nicht mit besonderm Gewicht —
die Rücksicht auf das geschädigte Leben zum Ausdruck: man legte,
wo man hinhauen wollte, eiuen Grashalm unter mit dem Spruch: „O
Kraut, beschütze ihn", und sagte zur Axt: -Axt, verletzte ihn nicht";
auf den zurückbleibenden Baumstumpf goss man Opferbntter mit dem
Spruch: „Herr des Waldes, wachse mit hundert Asten, mögen wir mit
tausend Ästen wachsen". Der abgehauene Pfahl wurde dann gesalbt
und mit einer aus Gras geflochtenen Binde umwunden" u. s. w. Bei
deu Germanen ist auf die altsächsische Innen sä nie zu verweiseu,
von der es Transl. S. Alexandr. Pertz, Mon. Genn. 11,676 (vgl. Mann-
hardt Wald- und Feldkulte I, 30») heisst: Frondosis arboribus fonti-
busque venerationem exhibebant '. truneum quoque ligni non parvae
magnitudinis in alt um erectum sub diro colebant, patria eum lingua
Jrminsul appellantes, quod lat ine dicitur universalis cu/umna. Ganz
ähnliches berichtet aber auch der Araber Ihn Fozlau von den skandi-
navisch-russischen Warägern (vgl. W. Thomsen Ursprung d. russ.
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860
Tempel.
Staats S. 3Mff.): ^Sobald ihre Schiffe an diesen Ankerplatz gelangt
sind, geht jeder von ihnen ans Land, hat Brot, Fleisch, Zwiebeln,
Milch und berauschende Getränke bei sich, und begiebt sich zu einem
aufgerichteten hohen Holz, das wie ein menschlich Gesicht hat
(ein schon jüngerer Zug, der sich vielleicht auch beim lat. delubrum
nachweisen lässt; eigentliche Götterbilder waren nach V:arro noch 170
Jahre nach Krbauung Roms unbekannt) und von kleineren Statuen
umgeben ist. hinter welchen sich noch andere hohe Hölzer aufgerichtet
befinden. Er tritt zu der grossen hölzernen Figur, wirft sich vor ihr
zur Erde nieder und spricht: rO mein Herr, ich bin aus fernem Lande
gekommen, Mine so und so viel Mädchen mit mir und von Zobeln so
und so viel Felle". Dann bittet er um einen guten Käufer und legt
ein Geschenk vor der Statue nietler. Ist alles nach Wunsch gegangen,
„nimmt er eine Anzahl Kinder und Schafe, schlachtet sie, giebt einen
Teil des Fleisches an die Armen, trägt den Rest vor jene grosse
Statue und vor die um sie herumstehenden kleinen und hängt die
Köpfe der Rinder und Schafe an jenes Holz auf, das in
der Erde aufgerichtet steht". Der Kreis schliefst sich, indem
wir nach dem Süden Europas zurückkehren, und auch in Griechenland
(vgl. Overbeck S. Jon, bald ein EuXov ouk eiprao-uevov, bald ein ö.fo.\ua
EuXivov fiuopqpov, bald ein Trpe'uvov aünxpu^, ein böpu, eine o*avi<; u. s. w.
als Kultobjekte wiederfinden. Sie sind sämtlich a n i k o n i s c h zu
denken, bis auch hier aus ihnen allmählich das ßpcrctq (sert. murta-
,FigurY) ,das Götterbild* hervorgeht. So erweist sich neben dem
lebendigen Baum die hölzerne Säule, deren mannigfache idg. Benen-
nungen n. Haus mitgeteilt sind, als ein zweifellos schon idg. Knltobjekt.
Die bisherigen Ausführungen eröffnen nun auch den richtigen Weg
für das Verständnis des griech. vaöq .Tempel', wie er schon Sprach-
vergleichung und Urgeschichte* S. 402 eingeschlagen worden ist,
freilich ohne (ausser bei Beloch Griech. Geschichte I, ll.'J) Beifall zu
finden. Im Gegenteil ist neuerdings wieder K. Brugmann Gmndriss
I*, 1 S. 314 für die alte Erklärung des griech. vaö? aus vaiiu <£vao*-o"a)
,ich wohne (lesb. vaoo^ aus *vaa-Fo-) eingetreten, und in der That
dürfte sich hiergegen von lantgeschichtlichem Standpunkt aus nichts
entscheidendes einwenden lassen. Anders in semasio logischer Hin-
sicht. Schon aus dem obigen ergiebt sich, dass die Bezeichnungen des
Tempels, welche denselben nach der Analogie der menschlichen
Wohnung benennen, jüngeren Datums sind, und alle solche Ausdrücke
wie -Hof", nSaalu, „Halle" n. s. w. (s. o.) sind neben einander in
sakralem und profanem Sinne gebräuchlich. Dies gilt auch von dem
lat. aedea, welches alleinstehend nur in nicht misszu verstehendem
Zusammenhang für Tempel gebraucht wird, sonst aber ein sacra oder
den Genetiv des betreffenden Götternaincns (aedes Minervae u. s. w.)
zu sich nehmen inuss. Anders das gemeingriech. lesb. vaöoq, dor. väöq,
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Tempel.
861
ion. vrjös, att. V€u0<;, das zweifellos in die Urgeschichte Griechenlands
zurückgeht, in der es, wie nun genugsam gezeigt ist, noch keine
Wohnungen der Götter im späteren Sinne gab, und auch der Baum
selbst weniger als Wohuung des Gottes, denn als Gott selbst aufgefasst
wurde. In historischer Zeit aber bedeutet das Wort niemals etwas
anderes als Tempel eines Gottes oder genauer den innersten Kaum
eines solchen, welcher das Bild der Gottheit enthielt tö äbuTov. ö
öT|kö<5).
Man wird daher für griech. vaö? einen primitiveren Bedeutuugsaus-
gang als , Wohnung* suchen müssen, und dieser bietet sich dar, wenn
man bedenkt, dass *ndto- .Tempel Laut für Laut dasselbe wie idg.
*nrtio- (= sert. näva-, ndca, griech. -vno q in dem phäakischen Eigen-
namen 'Ex€vn,o<; neben seit, tuh't-, griech. vaü? u. s. w.) ,Schifl" ist, und
dass die beiden Bedeutungen ,T e in p e 1' und ,S c h i f f sich ganz
natürlich in einer Grundbedeutung ,Baum' über den „Einbanm" s. u.
Schiff, Schiffahrti vereinigen lassen. Wenn es einen Zeus e*vbevbpos,
einen Aiövutfos €\bevbpoq, eine 'EXe'vn. bevbputq, eine "Apieuis Kebpeöns
gab, wenn der älteste Tempel der ephesischen Artemis sich im Stamme
einer Ulme (Trpe'uvuj evi irreXens) befand u. s. w., was liegt da näher,
als dass auch für vnöq selbst von einer Grundbedeutung , Baumstamm'
auszugehen sei? Diese an sieh wahrscheinliche Kombination würde
znr Gewissheit erhoben werden, wenn es gelänge, für den Stamm *nävo-
t hat säe blieb eine einstige Bedeutung .Baumstamm' nachzuweisen, und
wirklieh scheint eine solche in dem offenbar uralten Kultnamen des
Dodoneischen Jupiter Zeus Ncuo? vorzuliegen. Die schon im Altertum
beliebten Deutungen dieses rätselhaft gewordenen Namens von vtipös
.feucht' oder von vaü? ,SehifT (vgl. 0. Gruppe Griech. Mylh. I, 354)
können kaum für ernst genommen werden. Zeus Ndios aber, als der
„im Baumstämme" gefasste (*ndcio-), wäre die vollkommenste Ent-
sprechung zu dem schon oben genannten Zeus q>n.YOVcnos und bezeichnete
den dodoneischen Gott in seiner altertümlichsten und charakteristischsten
Eigenschaft.
Derselbe Mangel an Gotteshäusern, Gottesbildern und Altären wie
im ältesten Europa tritt uns endlich bei den arischen Iudogermanen
entgegen. Hinsichtlich der alten Perser bezeugt Herodot I, 131 aus-
drücklich, dass sie weder äyäXuaTa, noch vnoi, noch ßuwoi besessen
hätten, wofür er ähnliche unhistorische Gründe wie Tacitus hinsichtlich
der Germanen (s. o.) anführt. Ihr ältester Opferplatz war, wie wir
schon oben sahen, eine Grasstreu, auf der die vorher gekochten Fleiseh-
stücke des Opfertiers niedergelegt wurden. Ebenso wird der altindische
Kultus in seiner ursprünglichsten Gestalt beschaffen gewesen sein (vgl.
Ohlenberg a. a. 0. S. 341 ff.), eine so grosse rituelle Holle auch später
die im Kultus des Agni aufgekommene Schichtung des Opferaltars
spielt. Hingegen ist der durch den oben erörterten „Opferpfahlu oder
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«52
Tempel.
„Waldesherrnu als ursprünglich vorhanden erwiesene Baumkultus in
Indien im allgemeinen an Bedeutung zurückgetreten. Vgl. darüber
Ohlenberg a. a. 0. S. 255 und s. ti. Waldbäume.
Noch aber bedarf die grosse Wichtigkeit dieser Art der Gottes-
verehrung für die alteuropäischen Verhältnisse einer kurzen Er-
wäguug. Wie ist es denkbar, dass eine der grossen himmlischen
Mächte, ja der Vater Zeus selbst in einem lebendigen oder toten Baume
als gegenwärtig betrachtet wurde? Wir möchten glauben, dass der
Ausgangspunkt des ganzen Kultes auch hier, wie beim Opfer (s. d.),
nicht in der Verehrung der Himmlischen, sondern in dem älteren
Stadium des Ahnenkultus und Seelenglaubens gesucht werden muss.
Keine Parallele liegt dem Naturmenschen näher als die zwischen dem
Wachstum und Vergeben des Menschen mit denen der Pflanze und vor
allem des Baumes (vgl. Mannhardt Wald- und Feldkulte I, 1, Boettieher
a. a. 0. S. 186i, und nichts wäre begreiflicher, als dass man in
Bäumen die Seelen der Abgeschiedenen erblickte und ihnen in dieser
Gestalt Verehrung darbrachte. Auch der Umstand, dass Schlangen
(vgl. Boettieher S. 204) mit Vorliebe als Wächter der heiligen Bäume
genannt werden, würde sich daraus erklären, dass die Ahnenseelen
(g. u. Ahnenkultus) gern in der Gestalt dieser Tiere gedacht werden.
Der in diesem Rahmen entstandene Kultus könnte dann auf die spätere
Stufe einer Verehrung der Naturmächte (s. u. Religion) übertrajgen
worden sein.
Doch bleibt zu bedenken, dass auch die unorganische Natur, vor
allein rohe und unbehauene Steine, wenn auch nicht in gleichem
Masse wie die Bäume, so doch in unzweideutiger Weise bei Griechen
(vgl. Overbeck S. 140 ff. Uber die dpToi Xiöoi), Germanen (vgl. Golther
a. a. O. S. 604), Litauern (vgl. L'sencr-Solmscn S. 85 u. ^lA-mo) u. s. w.
als Knltobjekte verehrt werden, wobei an irgend eine Analogie mit
der menschlichen Anima kaum gedacht werden kaun
Aus der breiten Schicht, welche die Einführung des Christentums
auch in sprachlicher Beziehung Uber den Überresten des Heidentums
ausbreitete, sei hier nur des frühesten Eindringlings, des griech. Kupia-
xöv ,Haus des Herren' für das ebenfalls noch in christlichem Sinuc
gebrauchte vnö<; gedacht, das durch die Vermittlung des gotischen,
also arianisehen Glaubens in das Germanische (ahd. chirihha, altndd.
kirika, agls. ciride) und durch dieses wieder ins Slavischc (altsl. erüky)
einwanderte. Weiteres über die Terminologie christlicher Kirchen und
Gebäude vgl. bei Räumer Einwirkung d. Christentums S. 303 ff., Mi-
klosich a. a. O. S. 17. Unter den vielen neuen Gaben, welche die
christlichen Kirchen den Heiden brachten, ist von nicht geringer kultur-
historischer Bedeutung das Asylrecht (ahd. fridhof, alts. im Heliand
frld-hof ,AsvT), das sie von den Tempeln der Griechen und Römer
übernahmen, und den Schutzbedürftigen darboten. Näheres hierüber
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Tempel — TVrebinthaecun.
H(j.3
vgl. bei K. Weinhold Uber die deutschen Fried- und Freistätten Kiel
1864, Vermutungen über den Ursprung des Asyl rechts im Altertum
bei Leist Altarischcs Ius gentium S. 17 ff. — S. u. Religion.
Tenne, s. Dreschen.
Teppich. Schon bei Homer weiden unter der Bezeichnung tottti?
Decken genaunt, welche Uber Sessel und Betten ausgebreitet werden.
Das Wort ist, wie die ebenfalls schon homerischen pxibov (s. u. Rose)
und ödvbaXov (s. u. Sehn Ii e) wahrscheinlich eine Entlehnung aus
iranischem Kultnrkreis, in dem eine Wurzel top = npers. täften
,drehen, spinnen', tdfte ,Taffet', tefne ^Spinnengewebe' etc. (vgl. To-
maschek Centralas. Stud. II, 142, P. Horu Grundriss S. 83) vorhanden
war. Auch werden die Perser in zahlreichen Zcuguisscn (gesammelt
bei Brissonius De regio Persarum priueipatu 1595 S. 223 ff.) ausdrück-
lich als diejenigen bezeichnet, welche zuerst Teppiche nicht nur Aber
die Geräte ausbreiteten, sondern auch an den Wänden der Wohnungen
aufhingen. Im Gefolge dieses Brauches ist aus griech. Tdirris, TdttrjTO?
(daneben bdm;) lat. tapeta (schon bei Ennius), tapete, tapetum, daraus
wieder ahd. teppid (neben teppih) entlehnt worden.
Terebinthaceen. Von Gewächsen dieser Familie kommen für
das südliche Europa in Betracht: die Pistazie (Pistacia rem L.)t
der Terpentin bäum (f. terebinthus L.), der Mastixstrauch {P. Len-
tiscus /,.), der Pe r r ü ck c n bau m (Rhus Cotinus) und der 8 um ach
(Rhus Coriaria LX
Von diesen durch ihren grösseren oder geringeren Harzreichtum
ausgezeichneten Gewächsen ist nur die Pistazie nicht im südlichen
Europa einheimisch. Sie ist am Zerafschan, in Bactrien und Fcrghana
wildwachsend gefunden worden. Weniger zuversichtlich wird ihr spon-
tanes Vorkommen in Syrien behauptet. Die Bekanntschaft der Grie-
chen mit diesem durch seine wohlschmeckenden Nüsse ausgezeichneten
Baum ist eine direkte Folge der Kriegszüge Alexanders in das Hciniats-
land der Pistazie. Daher konnte schon Tbeophrast Hist. plant. IV,
4, 7 Uber sie folgendes berichten: <pao"i o'cfvai xai T€ppiv6ov, oi
b' öpotov T€p|iivBiu, 6 t6 ufcv (püXXov Kai tou^ KXwva; xai T'äXXa
fidvTa ö)utoia £x€l T0 Tepuiv9u>, töv b£ Kapiröv bid(popov öuoiov fäp
Tai^ duurbaXat?. elvat t«P K<*i ^v BdKTpon Tf|V Tc'puivSov TauTriv Kai
KÖpua cpe'pciv nXtKa duufbaXa u. s. w. Der heutige Name der Pistazie
aber tritt erst später in Griechenland auf und weist schon durch die
Unsicherheit seines Anlauts (quirdKiov, (pindKiov, ßiördKiov, mördKiov,
lat. psittacium) auf fremden Ursprung hin, der wohl in dem npers.
pista, phttan , Pistazien wald' (in Fcrghana p*ta , Pistazie') zu suchen
ist. Vgl. auch alb. frst/k, altsl. pistikü ,Pistazicnnuss' aus arabo-pere.
ftistaq, knid. fi/stiq (aus mffrdKtov?). Viel später als die Kunde von
ihm kam der Baum selbst nach Europa, und zwar gleich
nach Italien, worüber Plinius XV, 91: De pistaeiis et ipso nueum
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861
TerebinthaeetMi —Testament.
genere in suo loco retulimm. et haec autem idem Vit eil im in Italiam
primus intulit eodem tempore, ximulque in Hixpaniam Flacvus Pom-
peius eques liomanm qui cum eo militabat. Da Vitellius (zur Zeit
des Kaisers Tiberiiis i Legat in Syrien gewesen war, wurde der Bauin
also von liier nach Italien eingeführt. Sollte hebr. böfnim >,Gcncs.
43, 11), welchem assyrisch bufnn entspricht, in der That ,lJistnzien'
bedeuten, so würde sich der Haiini auch auf semitischem Gebiete als
sehr alt erweisen.
Der T e r p en t i n b a u m. dessen Indigennt im südlichen Kuropa
(ebenso wie dasjenige des Mastixstrauches) durch Anftiiidung fossiler
Formen in Südfrankreich erhärtet wird, tritt bei den G riechen seit
Xcnophon, der T€puiv8ivov xp»o>a bei den Armeniern fand (Anab.
IV, 4, 13), unter dem Namen T€p€ßiv6o^ (vgl. tp€ßivöo<;), TtpuivGos,
TpeuiGo^ (vgl. das kyprische Tp€pi6oöq) auf. Ob das Wort einheimi-
schen oder fremden Ursprungs ist, ist noch nicht ermittelt. Die
Körner haben ihr terebinthm dem Griechischen entlehnt, offenbar,
weil erst auf den griechischen Inselu der auch in Italien heimische
Baum das wertvolle Terpentinöl zu liefern anfing. Überhaupt erlangt
er, je mehr man nach Osten vorwärtsschreitet, eine immer grössere
Bedeutung. Die Perser werden sprichwörtlich als „Terebintheuesser '
bezeichnet, und im Alten Testament sind Terpeutinbaum und Kiche
heilige Bäume. Hinsichtlich der übrigen Terebinthacecn genüge die
Aufzählung ihrer im Griechischen (teilweis auch im Lateinischen) an-
scheinend heimischen Namen:
Mastixbaum: griech. o"xivo<; (Hcrodot), vgl. alb. xkind (Heldreich),
uaffiix»! »das Harz' — lat. lentiscus (eine Erklärung von uao*Tixn. und
UnttHcus s. u. Peitsche). Gewöhnlich wird der Mastix auch unter
dem Ausdruck ^njivn, (von ptw V) verstanden (vgl. Sigismund Aromata
S. 20, Lcwy Die sein. Frcmdw. S. 42).
PerrUckenbauni: griech. KOKKUf ect (Theophrast) — lat. cotinus
(aus griech. kötivo?, das aber ,wildcr Ölbaum' bedeutet).
Su niach: griech. poüq (Solon?, : poucrio? .braunrot '?) — lat.
rhu*, rhois, roritt (aus dem Griechischen, da der Strauch schon im
Altertum für die Gerberei wichtig war, weshalb er ngriech. ßupcrnä :
ßupera hei88t). Eine starke Verbreitung des Strauches namentlich in
Sizilien erfolgte durch die Araber < vgl. it. sommaco, ngriech. öouuöki
neben poübi ,das aus den Blättern hergestellte Pulver' aus arab.
sumnuiq).
Terpeiitiiibauiii, s. u. T e r e b i n t h a c e e n.
Testament. Die ältesten Krborduungeu ergeben sich, man konnte
sagen, mit Naturnotwendigkeit aus der Organisation der ältesten Fanii lie
(8. d.). Ein Herausgeben des Familieneigentums aus dem Bereich der
Familie erscheint von diesem Standpunkte ans undenkbar. Es inusste
daher in der ältesten Zeit unmöglich sein, nach freiem Willen über
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Testament — Thon.
SG5
sein Vermögen zu verfügen. Das wird auch durch die geschichtliche
Überlieferung bestätigt. In Attika wurde das Testament erst durch
Solon eingeführt, und auch jetzt nur in dem Fall, dass keine legitimen
Söhne vorhanden waren. Vgl. Demosth. in Lept. p. 48*: '0 u*v ZöXujv
£8nK€ vö^ov lit'ivm boövm ict ^auxoö tu äv jiq ßouXnrai, läv |un, Traibe?
ujo"i tvncfioi. In Kreta scheint noch zur Zeit der Abfassung des Gor-
tynischen Rechts die Testierfreiheit unbekannt gewesen zu sein, Gricch.
bia9r|Kti ,Testainent', eigcntl. , Vertrag'. In Rom gilt zwar schon in den
XII Tafeln der Satz: /.7t legassit, ita jus esto\ dafür aber, dass in
vorlitterarischer Zeit das Testament {testamentum .Zeugnisablegung',
testh, testari, osk. trlutaamentud ,testamento'> auch hier unbekannt
war, macht Fustcl de Coulanges La cite antique 13 S. 88 f. wohl mit
Recht den sprachlichen Ausdruck heres suus et necessnnus und Um-
stände, wie die Erschwerung des Testierens durch die Öffentlichkeit
des Verfahrens (in comitiis calatix) geltend. Vgl. auch I bering Geist
des römischen Rechts I3, 145 ff. Von den Germanen berichtet Tacitus
Germ. Cap. 20 ausdrücklich: Heredes mecessoresque sui cuique liberi,
et nulluni testamentum, und es stimmt hiermit überein, dass
die ältesten fränkischen Gesetze von dem letzteren schweigen, während
die Langobarden, Goten, Burgundcn, Angelsachsen, offenbar unter
römischem Einfluss, den Gebrauch der Testamente kennen. Alte Aus-
drücke dafür sind langob. thingare (:langob. thinx, ahd. dinc /Volks-
versammlung', vgl. oben die comitia calata) und agls. cioyde {: got.
qipan jSagcn ). Vgl. J. Grimm Rechtsaltertümer S. 482.
Ob die Testierfreiheit im Süden nach Zerfall des Familieneigentums,
so zu sagen, von selbst, oder durch auswärtige, etwa semitische
Einflüsse aufgekommen sei, steht noch dahin. Vgl. Leist Altarisches
Jus civile II, 171 f. — S. u. Erbschaft.
Teufel, s. Totenreiche.
Thal, s. Berg.
Thon. Der idg. Ausdruck für die Arbeit des Töpfers liegt in
der Reihe: sert. dih , bestreichen, verkitten', lat. ßngo, figulus, (creta)
pgularis, got. deigan (digans ,6o*TpdKivo?'). Einen allgemeineren Sinn
hatte die Gleichung gricch. nXdiTui (*irXaT-juj) = got. faipan, ahd.
faldan, ursprünglich wohl ,einen Stoff durch Umbiegen zusammen-
oder ineinauderlegen', dann im Griechischen (vgl. Blümner Terminologie
und Tcclm. 11, 2) auf das Bilden und Formen in Thon oder anderen
weichen Stoffen beschränkt.
Eine besondere Bezeichnung für die Thonerde, insofern sie als
Material zur Verarbeitung dient, wie gricch. K€pauo{, «cpapi; (: Kepdwuut
,mische'), wird in der Grundsprache nicht vorhanden gewesen sein.
Die Ausdrücke der Einzelsprachen gehen auf Grundbedeutungen wie
Sumpf, Kot, Lehm etc. zurück, oder es finden Verwechslungen mit
verschiedenen uud zu verschiedenen Zwecken gebrauchten Erdarten
Schräder. Roallexlkon. 55
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8<;t;
Thon - Thron.
statt. Vgl. •rricch. Trn,X6q ,'fhon' — Int. palus, sert. pal rala- ,Suin|»f ;
über griech. äpf iXoq — lat. argilla s. u. Ü U n g u n g (Mergel). Im
Lateinischen können auch Wörter wie Uttum, humus, pulvis für Thon-
erde gebraucht werden. Oemeingerm. ist das noch unerklärte got.
pdhö, ahd. ddha ,Thon', agls. pö, altn. pö .Lehmhoden' (*tankdn-;
oh mit Wechsel von p und f — sert. pdnka- .Schlamin. Kot, Sumpf,
vgl. Norecn L'rgorm. Lautl. S. 1(.*TV . Über lit. mölh ,Lehm' und
,Thon' s. u. Kreide, über slav. glina s. u. Leim. — S. auch 11.
Gefüsse und u. Töpferscheibe.
Thor, Thür. Der idg. Name dieses Teiles des Nauses ist sert.
dur- (mit auffallendem d statt dh), aw. drar- , altp. durar- (die
neuiranischen Formen bei Horn Grund riss S. 120), griech. Güpct, Int.
/briw, altsl. rfpfrl, lit. c/<>r<y«, got. «toiir, altir. dorn* 'häufig wegen der
beiden ThUrHügel im Dual oder Plural gebraucht: lat. forex, got.
daüröns, ahd. turi, ebenso im Sanskrit). Litu-slavisch ist altsl. vrata,
lit. trat tat, altpr. tearto : altsl. ef/vi .elaudo'. Den Thürpfosten meint die
idg. Gleichung sert. d'tä, aw. üiüya-, lat. antae (altn. Und, Vorzimmer ).
Über die Beschaffenheit der ältesten Ilansthürcn geben die Haus-
urnen Italiens und Deutschlands gute Auskunft. Diese Thüren sind
entweder einzuhängen oder vorzusetzen und werden durch einen grossen
riegelartigen Stab verschlossen. Über die SchlicBsvorriehtung s. u.
Schlüssel. Oft wird aber auch die Thür nicht wie bei den Haus-
urnen aus einem grossen Brett, sondern, wie bei den Bnrbarenhütten
der Marcussäule, aus Fl echt werk bestanden haben, worauf auch die
gemeingerm. Sippe von got. haürds ,6upa', altn. hurb desgl., agls. hyrdel,
ahd. hurt , Hürde' <: lat. erdte* , Flechtwerk') führt. Im Bairischen be-
deutet hurd noch heute eine aus Flechtwerk hergestellte Wand, Thür
und dergl. (vgl. M. Heyne Das deutsehe Wohnungswesen S. 15, 30 ff.).
Das Eindringen des Stein baues in die Konstruktion der Tbüre
und Thorc auch im Norden beweisen die Entlehnungen von ahd.
pforta, philäri (vgl. agls. p/7- aus lat. pila), pforzih vgl. agls. portic),
pfosf (ndl. post) aus lat. porta, pildrium, porticus, postin. Die lat.
Ausdrücke porta, porticus selbst sind noch nicht sicher erklärt. Viel-
leicht hat R. Meriugcr Festgabe für Hcinzcl S. 184 nicht Un-
recht, sie mit osk. perca (au* *pert-ca), lat. pertica ,Rute' zu ver-
gleichen, so das« hier ein zweiter sprachlicher Beleg für die gefloch-
tene Thür anzuerkennen wäre. Bemerkt sei noch, dass auf der Marcus-
Säule die Thüren der Barbarenhutten raeist offen stehen, um zugleich
als Lichtöffnung zu dienen. - S. u. Haus.
Thron. Der gewöhnliche Stuhl des Fürsten verwandelt sich
allmählich und wohl nicht ohne Nachahmung orientalischer Sitten in
den prächtig geschmückten T h r o u des Königs oder anderer autori-
tativer Persönlichkeiten. Bei Homer bezeichnet Gpövoq (vgl. 0pnvu?
, Fussbank', 6pr|0ao"0ai ,sich setzen ) noch jeden besseren, namentlich
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Thron — Tiger.
»<>7
höheren Stuhl. Später wird es ganz vorzugsweise für die Sitzplätze
der Götter und hervorragender Menschen verwendet. Schon bei den
Tragikern wird Gpövoi (Iv Gpövoiq fjo*8ai, üKt\mpa Kai Öpövoi) ganz im
Sinne von Königsherrschaft gebraucht. Dasselbe ist aber auch im
Norden der Fall, wo z. B. der Bcowulf die gleiche Verwendung von brego-
stöl [: agls. brego .Fürst ) kennt vgl. weiteres bei J. Grimm D.-R. S. 242).
Noch nicht sicher ist der Int. Ausdruck selln cttrüli* erklärt. Die Alten
leiteten, was lautlich wohl angebt, curulix von currus ab, so dass ur-
sprünglich ein augenfälliger Sitz auf einem Wagen gemeint gewesen wäre
(vgl. näheres bei Monnnsen Röm. Gesch. I7, 147). Nach Livius I, 8 wäre
Auch die sella cur Alis mit anderen Insignieu des Königtums von den
Etruskem übernommen worden. — S. u. König, Krone, Zepter.
Thymian, s. Garten, Gartenbau.
Tiegel, s. Gelasse.
Tierfelle, s. Pelzkleider.
Tiergart««, s. Jagd.
Tieropfer, s. Opfer.
Tierzahne, s. Schmuck.
Tierwelt der Urzeit, s. Urheimat der Indogermanen.
Tiger. In Europa wurde der erste Tiger um das Jahr 300 v. Chr.
in Athen geschn. Der König Seleukos (Nicator) hatte ihn den Athenern
zum Geschenk gemacht, wie die Verse des Phileinon in der Neaera
besagen :
UJ(JlT€p l€\€UK0<; b€Üp' ?TT£Uipe TnV xitplV,
fiv tiboucv fmei? (Athen. XIII, p. 590).
Uber seine griechisch-römische Benennung bemerkt Varro, der erste
r ö in i s c b e Autor, der des Tigers erwähnt : Tigris qui est tit leo
varius; vocabulum ex lingua Armenia; nam ibi et mgitta et quod vehe-
mentissimum flumen dicitur, Tigris (De lingu. Lat. V, 20 p. 102), nur dass
nicht im Armenischen, sondern im Iranischen (aw. tiyri-, Tirptv KotXoööi
tö TÖEcuua o\ Mnboi etc., vgl. Horn Grundriss S. 91) das fragliche
Wort ,Pfeil' bedeutet. Weiteres Uber den Tiger im Altertum vgl.
bei 0. Keller Tiere des kl. A. S. 129 ff.
In Indien wissen die Gesänge des Rigveda noch nichts von dem
Tiger zu erzählen; sein Name [vydghrd-) begegnet erst im Atharvavcda,
<1. h. in einem Zeitraum, in welchem sich die indische Einwandrung
schon mehr dem Ganges genähert haben muss; denn in den Rohr-
und Graswäldern Bengalens ist die eigentliche Heimat des Tigers.
Auch unter den Raubtieren des Awesta geschieht desselben noch keine
Erwähnung. Die Landschaft Hyrkanien, von deren Tigerreichtum die
späteren Schriftsteller des Altertums besonders viel erzählen, heisst
damals Vehrkana , Wolfsland'. Es ist daher nicht unwahrscheinlich,
dass der Tiger erst in verhältnismässig später Zeit sich von Indien
her über Teile West- und Nordasiens verbreitet hat. Im Einklang
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Tigvr — Torf.
hiermit hält H. Hübschmann Armen. Stud. I, 14 (Armen. Gr. I, 242)
das armen, cagr durch Vermittlung des npers. babr (aus *bagr) für
entlehnt aus scrt. vydghrä-.
Tinte. Mit dem Bekanntwerden der römischen Schreibkunst im
Norden Europas drangen auch mehrere lateinische Bezeichnungen der
Tinte (vgl. über ihre Herstellung im Altertum Blümner Term. u. Techn.
I, 326) dahin vor. So am frühsten ahd. attarminza aus lat. atra-
mentum, später ndl. inkt, westf. inket, rheinprov. inkes, engl, ink aus
griech.-lat. encaustum und ahd. tineta (lit. tinta) aus lat. tineta, it.
sp. tinta. Die einheimischen Ausdrücke wie got. stcartizl, ir. dub,
ndd. Mach, russ. cernila etc. sind wohl Übersetzungen aus griech. ueXav
(Tpaq)iKÖv). Vgl. noch bei Hesych äXaßcr pdXav tb Ypo<p<>M€v, dXdßn •
äv9paK€<;. — S. u. Schreiben und Lesen.
Tisch, s. Hausrat.
Tischgeräte, s. Mahlzeiten und Trinkgelage.
Tochter. Ihr idg. Xame liegt in der Reihe: scrt. duhitdr-, aw.
duydar-, armen, dustr (ustr ,Sohn), griech. Girfdxrip, got. dauhtar,
lit. dukte, altsl. düsti. Die Wurzelbedeutung des Wortes lässt sieh
nicht mehr ermitteln. Eingebüsst wurde es von denselben Sprachen,
welche auch das idg. Wort für ,Sohn' (s. d.) verloren haben, also
vom Italischen (dafür lat. filia), Keltischen (ir. ingen, inschr. ini-gena :
lat. gigno, griech. dY-YÖvn. ,Enkclin') und Albanesischen {bil't, bijt : bir
,Sohn . — S. u. Familie.
Todesstrafe, s. Strafe.
Tonne, s. Fass.
Topas, s. Edelsteine.
Töpferscheibe. Ihre erste Erwähnung findet sich bei Homer
II. XVIII, 600:
fcia ndX' ib? öt€ xiq rpoxöv dpjicvov ^v iraXduntfi
&öuevo<; Kepcmeü^ TreipnocTai, ai K6 8^n.o*iv.
Ihre Erfindung wurde verschiedenen Persönlichkeiten, dem Skythen
Anacharsis, dem Korinthier Hyperbios u. a. zugeschrieben. Zweifellos
geht sie auf den Orient zurück, da wir auf ägyptischen Wandgemälden
schon in sehr früher Zeit die Töpfer an der Drehscheibe arbeiten
finden (vgl. Hehn Kulturpflanzen 0 S. 545, H. Blümner Term. u. Techn.
II, 36 f.). Ihre Namen (griech. n. Tpoxö? : Tpdxw, lat. rota) bieten
nichts von Interesse. Sehr spät ist aber die Töpferscheibe in den
Norden Europas übergegangen, da die Gefässe der jüngeren Stein-
und Bronzezeit sowie die der Hallstattperiode ohne Anwendung der
Drehscheibe hergestellt worden sind. Erst in der altgallischen, vor-
römischen La-Tenc-Pcriode treten der Töpferofen und die Töpfer-
scheibe auf. Vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde I, 159, II, 112,
Hörnes Urgeschichte - S. 47, 146, 152. — S. u. Gefässe und u. Thon.
Torf. Dieses Brennmaterial ist eine Eigentümlichkeit der nord-
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Torf — Totenreiche.
869
•europäischen Meeresküsten, wo in altn. torf, agls. turf, ndl. turf (ent-
lehnt ins lit. türfos, russ. torfü) eine alte Bezeichnung für dasselbe
vorliegt, die im Althochdeutschen als zurba ,Rasen', im Sanskrit als
darbhä- ,GrasbUscher wiederkehrt. Von der Nordseeküste wird es
schon durch Plinius Hist. nat. XVI, 1 gemeldet: Captttm manibus Itttum
rentis magig quam aole siccantes terra eibos et rigentia aeptentrione
viscera sua urunt. Nach der Orkney ingsaga hätte das Stechen des
Tortes der Jarl Einar gelehrt, der sich im IX. Jahrhundert die Orkney-
inseln, auf denen es an Brennholz, fehlte, unterwarf. Vgl. auch das
Lied von Rig Str. 12 (Gering Edda S. 111). Einheimische litauische
Ausdrücke für Torf sind kupstal (kiiptttan : ahd. hüfo, eigentl. ein mit
Gras Überwachsener Maulwurfhügel) und pelkios. Letzteres, im Singular
peWef bedeutet den T o r f b r u e h und scheint etymologisch dem got.
filigri , Versteck', filhan »verstecken, begraben, etwas (dem Erdboden)
anvertrauen' zu entsprechen, Dürfte man annehmen, dass, wie auf
dein benachbarten germanischen Boden (vgl. S. Müller Nordische Alter-
tumskunde vgl. den Index u. Feld- und Moorfundc), so auch bei den
Litauern vor allem Moorboden dazu benutzt wurde, um in ihm aller-
hand Kostbarkeiten zu bergen, so dass der Torfbruch geradezu als
n Versteck" bezeichnet werden konnte?
Toteinlsmus, s. Volk.
Tutend ienst, s. Ahnenkultns.
Totenfeste, s. Ahnenkultus und Zeitteilung.
Totenrelche. U. A Ii n e n k u 1 1 u s ist gezeigt worden, dass man
sieh in der idg. Urzeit die Seelen der Verstorbenen in der Tiefe
der Erde hausend dachte, von wo sie zum Nutzen, wohl aber meist
zum Schaden der Lebenden wiederkommen können. Es liegt in der
Natur der Sache, dass diese Geister der Tiefe allmählich wie die
Mensehen selbst politische Verbände bilden, Uber die besondere Götter
oder Göttinnen als Könige oder Königinnen herrsehen, bei den Griechen
"Albris, bei den Skandinaviern lieh bei den Litauern Yielona (Welönis)
u. s. w. Dabei ist zu bemerken, dass jedenfalls die beiden ersten dieser
Namen von der Örtlichkeit des Totenreiches ihren Ausgang ge-
nommen haben, insofern *d-Ftbä (woraus später "Aibns wie veavia^ von
*veavia , Jugend') ursprünglich nichts als ,Ort der Unsichtbarkeit', got.
hat ja, altn. hei (später dann personifiziert), agls. hell, ahd. hella (: lat.
celare) ,Ort der Verbergung* (vgl. agls. byrgan , begraben', byrgeU,
altndd. burgisli ,sepulerum) bedeutete.
Ob derartige Totenreiche schon für die idg. Urzeit angesetzt werden
dürfen, steht dahiu. Jedenfalls haben sich alle sprachlichen Gleichungen,
wie griech. K^pßcpoq = sert. yircara-, qabdla- (Beiname eines indischen
Totenhunds), griech. Tdptapo? = sert. taldtala- (später Name einer
bestimmten Hölle), griech. 'Epueia^ = sert. ttärameyd- (von den Hunden
der indischen Totenwelt gesagt ;, griech. Mivw<; — sert. mdnu- (vgl.
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870
Totenreiche.
zuletzt A. Weber Sitzungsb. d. kgl. preuss. Ak. d. VV. phil.-hist. Kl.
XXXVII, 22) u. a., von denen man früher auf das Besteben derartiger
und zwar schon sehr ausgebildeter idg. Toten- und Höllenreicbe ge-
schlossen bat, als hinfällig erwiesen.
Als eine gemeinsame Eigentümlichkeit dieser bei den Einzelvölkern
allmählich hervortretenden chthonischen Götter darf es betrachtet werden,
dass ihnen zugleich der Schutz über die in der Erde geborgenen Seelen
der Vorfahren wie die Fürsorge für die aus dem Schoss der
Erde emporkeimende Saat anvertraut wird. Dies gilt nicht nur
von dem Süden Europas (vgl. Rohde Psyche I*, 204 ff.), sondern ebenso
auch von dem Norden, wo z. B. bei den Litauern Z'emyna ,Erdgöttin'
eine Segensgottheit für Flur und Haus darstellt, der zugleich auch
beim Totenfest geopfert wird. Im Lettischen entspricht Semmes tnate
, Erdgüttin', die auch als Beschliesserin des Grabes in Klageliedern an-
gerufen wird. Auch dem oben genannten Vielonn bringt man Fladen,
also Erträgnisse des Ackerbaus, au den Totenfesten dar. Vgl. ferner
Usener-Solmsen Götternamen S. 105 u. Zemeluks, Z'emininkas, Z'fim-
potfs etc.
Bei den Griechen vereinigt diese beiden Eigenschaften der Toten- und
Fruehtgöttin in hervorragender Weise die sagenumwobene Gestalt der
Perseplioneia. Die sie umschlingenden Mythen gipfeln in den beiden
Akten ihrer Entführung in die Unterwelt und ihrer Rückkehr zu den
Menschen, das kann in umgekehrter Reihenfolge nur heissen, des Auf-
spries.scns und des Absterben s der Vegetation. Es ist wahr-
scheinlich, dass auch ihr bis jetzt unerklärter griechischer Xame (auf
Vasen : TTeppöqxma. TTeppc'qraTTa, 17€ppe'(pao*o*a, att. TTtpto'tpaöffa, <t>€po*£-
<pao-o-a etc., lak. TTn.p€<p6v€ia, epizeph. TTnpi<pova, Pind. : <t>epffe<pövrt
u. 8. w., vgl. Preller-Robert Griceh. Myth. S. 800 f.) sich in diesem
Zusammenhange deuten lässt.
Sehr einleuchtend hat W. Mannhardt Wald- und Feldkultc II, 328
den Namen der italischen Vertreterin der griechischen Persephoneia,
den der am Soracte verehrten Göttin Ferönia, Färönia, Ferönia (vgl.
diese Formen in Roschers Ausf. Lexikon d. Myth.) als ,Spel tbringerin'
(: lat. far, farru, osk. far, nmbr. farsio = got. barizeins ,aus Gerate",
altsl. brasino ,Speisc', idg. *bhers-, *bhors-, *bhores-, *bhr#-, s. n.) ge-
deutet. Dabei würden sich die Formen Ferönia und Färönia laut-
gesetzlich (vgl. Brugmaun Grundriss I*, 2 S. 815) aus *Ferrönia (*bhers-)
und *Färrönia (*bhrs-, vgl. auch lat. farina) erklären, während für
J'erönia eiue naheliegende volksetymologische Anknüpfung an Wörter
wie feriae, ferälis etc. anzunehmen wäre.
Das Gegenstück zu dieser lat. Ferönia, der ,Spcltbringerin' oder
,Speltbringung' (d. h. der Zeit des Aufspriessens in der Natur) bildet nun
d ie griech. Persephoneia ,die S p e 1 1 1 ö t c r i n' oder ,S p e 1 1 1 ö t u n g' (d. b. die
Zeit des Niedergangs der Vegetation, des regelmässigen im Herbst oder
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Totenreiche.
871
des ausserordentlichen bei Misswachs u. dcrgl.). Dnss der zweite Teil
des griechischen Wortes zu ^Trccpvov, q>övo<;, tpoveueu gehört und
,Töterin' (<pacraa, s. auch u. Taube) oder ,Tötung' (<poveia, -<povn)
bedeutet, ist nicht zu bezweifeln, der erste Teil aber (*<pep<Jo-) ent-
spricht genau der Mittelstufe des Stammes des idg. .Speltnamens
(*bherx-). Ja, derselbe würde sich auch selbständig im Griechischen
nachweisen lassen, wenn man das von Hesycb allerdings ohne Ethnikon
überlieferte «pnpov *1 tüjv äpxaiwv 6(ü»v Tpocpn. (vgl. auch <pr)pis*
Tpoq)f| Geuüv bei Arkadius) als aus einer dorischen Mundart übernommen
auffasst und aus *q>€po"o-v deutet (vgl. lak. TTriptcpövcia, kret. Anpd? :
Ae'ppa, ?(per|pa : aeol. &p9€ppa etc.). Über den Spelt als uralte Haupt-
speise der südlichen Länder s. u. Weizen und Spelt. Die Ver-
einigung einer chthonischen und einer Frühlingsgottheit darf endlich
als Ausgangspunkt vielleicht auch für die altitalische Gestalt des Mars
angesehn werden, namentlich wenn die neuerdings versuchte Deutung
des Salierliedes durch Th. Birt, nach welcher Mars zusammen mit den
Laren angerufen wird, ^den Frühling nicht in die Unterwelt hinabsinken
zu lassen" (s. u. Dichtkunst, Dichter), das Richtige trifft. Eine
befriedigende Deutung hat dieser Oöttername (lat. Marmor neben Afars,
osk. Mamers u. s. w.) leider noch nicht gefunden.
In derartigen Totenreichen lebten die Seelen der Dahingeschiedenen
zunächst „Jenseits von Gut und Böse", und besondere Lnstörter für
die Braven wie das griechische Elysium (zuerst Od. IV, F>68ff.) oder
das skandinavische Valhall (vgl. Golthcr Germ. Mvtli. S. 47f>) und beson-
dere Straförter für die Schlechten wie der griechische Tartaros (vgl.
auch Od. XI, ö75 ff.) sind verhältnismässig späte und nirgends völlig
durchgedrungene Vorstellungen.
Erst mit der Einführung des Christentums heftete sich an das alt-
deutsche hella der Begriff des kirchlichen gehenna-^Uvva, also des
Ortes der Bestrafung für die sündigen Gestorbenen. In der slavischeu
Kirche wird dafür, wohl in Nachahmung des ahd. pech, das Wort für
Pech, altsl. plklü verwendet (vgl. auch ngricch. mcftjct und alb. pise
,HölIe';. Dazu altpr. pycuh ,Teufel' (oder zu lit. ptktas ,böse'V).
Auch der Fürst dieser christlich-jüdischen Hölle, der Teufel selbst,
fand bei seinem Zuge durch Europa überall auf dem Boden des Heiden-
tums erwachsene und vielfach nachweislich aus Schaden stiftenden
Ahnenseelen hervorgegangene Wesensverwandte vor, mit denen er ver-
schmolz, und mit deren Bezeichnungen er selbst benannt wurde. Dies
gilt von dem neutestamcntliehen bcuuujv, bcttuöviov, von dem altpr.
cawx (vgl. lit. kaükas), von dem lit. icelnias (vgl. lit. icelen), von mlat.
dus liiu.s gl. diabolus (vgl. altgall. ditsii), lauter Benennungen des
Teufels, Uber deren älteste und eigentliche Bedeutung u. Ahncnkultus
gehandelt worden ist. Ein noch nicht (sicher erklärter Ausdruck für
baimuv, baiuövtov ist got. sköhsl. Wird es aber mit Recht zu got.
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872
Totenreiche — Traum.
skiwjan ,gehen', ir. scuchim id., ro gedieh, sedig ,es ist vorbei', ,ist
vergangen" gestellt, so wird der ursprüngliche Sinn ,der Dahingegange',
,Verstorbcnc' (vgl. sert. preta- , Gespenst', von i ,gehen', eigentl. eben-
falls ,der Dahingegangene ) gewesen sein. Im übrigen vgl. die Ter-
minologie des Teufels und der Hölle bei J. Grimm D. Myth. II s, 036 ff.
761 ff., Raumer Einwirkung des Christentums S. 379 ff., 414 ff. und
Miklosich Christi. Termin, d. slav. Spr. S. 41, 49. — S. n. Religion,
Traum und n. Ahnenkultus.
Totschlag, s. Mord.
Tracht, s. Kleidung.
Trank, s. Nahrung.
Trappe, s. Singvögel.
Tranbe, s. Beerenobst und Wein.
Trauerpflicht, s. Erbschaft.
Traum. In der allen idg. Sprachen gemeinsamen Reihe sert.
nvdpna-y aw. z'afna-, armen, k'uti, grieeh. (mvo?, lat. »omnus, ir. suan,
alb. g'ume, altn. svef'n, lit. säpnas, altsl. sitnü vereinigen sich die Be-
deutungen ,Schlat" und ,Traum* in der Weise, dass entweder, wie z. B.
im Lateinischen, nur die erstere, oder, wie z. B. im Litauischen, nur
die letztere, oder, wie z. B. im Sanskrit und Germanischen (altn. svefn
„Schlaf, ,Traum , agls., alts. sweban ,Traum') alle beide herrschen.
Somnus und insomnium {— grieeh. ^vuttviov) wird daher gewiss schon
als idg. Grundbedeutung dieser Sippe auzusehn sein. Dagegen hat nur
die Bedeutung .Traum' oder ,Traumgesieht' die ebenfalls idg., aber
weniger verbreitete Gleichung: armen, anurj, grieeh. övap, övcipo^,
äol. övoipo?, kret. ävaipo?, alb. rfc/f>Y. Ihr wurzelhafter »Sinn ist noch
nicht ermittelt worden (unglaublich Prellwitz Et. W. s. v. (map). Kultur-
historisch bedeutsamer ist daher das zwar vereinzelte, aber offenbar
uralte ahd. troum, das mit hoher Wahrscheinlichkeit einerseits zu aw.
druj , Gespenst', sert. dn'th- , Unhold', altn. draugr (nur von Totenerschei-
nungen gesagt), ahd. gitroc ,Gespenst', andererseits zu altp. drauga-
,L0ge', ahd. triogan , trügen' etc. gestellt und gewöhnlich als »Trug-
bild' gedeutet wird. Indessen hat W. Uenzen Über die Träume in
der altn. Sagalitteratur Leipzig 1890 S. 11 ff. gegen diese letztere Auf-
fassung begründete Bedenken geltend gemacht. Er weist mit Recht
darauf hin, dass die Auffassung des Traumes als eines Trugbildes zwar
dem modernen Bewusstsein geläufig sei, dass aber auf primitiven
Kulturstufen die Traumwelt keine Trugwelt, sondern vielmehr eine
höhere Wirklichkeit gewesen sei. Dieselbe Anschauung vertritt auch
E. Rohde Psyche Is, 7 hinsichtlich der Hellenen: ^Dass die Traum-
erlebnisse ^tatsächliche Vorgänge sind, nicht leere Einbildungen, steht
auch für Homer noch fest. Nie heisst es bei ihm, wie doch oft bei
späteren Dichtern, dass der Träumende dies und jenes zu sehen
„meinte"; was er im Traume wahrnimmt, sind wirkliche Gestalten,
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Traum.
873
-der Götter selbst oder eines Traumdämons, die sie absenden, oder
eines flüchtigen „Abbildes" (Eidolonj, das sie für den Augenblick ent-
stehen lassen ; wie das Sehen des Träumenden ein realer Vorgang ist,
so das, was er sieht, ein realer Gegenstand. So ist es auch ein Wirk-
liches, was dem Träumenden erscheint als Gestalt eines jüngst Ver-
storbenen" u. s. w. Unter diesen Umstünden ist es viel wahrschein-
licher, mit Henzen ahd. troum semasiologisch nicht als .Trugbild'
(von triogan'), sondern als , Toten- oder Gespenstertraumerscheinung'
(von altn. draugr, agls. dreag ,larva mortui', *draug-ma-) aufzufassen.
Derartige Seelen wesen und Traumerscheinungen werden nun, als
übersinnlichen Sphären angehörig, überall gern als Schicksal-, meistens
Unglückverkündend angesehn. Am durchsichtigsten sind in dieser Be-
ziehung die altnordischen Gestalten der Fylgja, deren Identität mit
der menschlichen Seele aus dem statt ihrer gebrauchten Ausdruck
hugr (Uenzen S. v56) hervorgeht. Sie heissen ,Folgcriuncn', weil sie
dem Menschen, wie im Griechischen die Psyche, als sein zweites Ich,
als sein cTbujAov folgen (Rohde S. (>). Sie erscheinen dem Träumenden
als Tiere, und wem sie erscheinen, verkündigen sie sicheren Untergang.
Auf griechischem Hoden ist u. Körperteile (am Schluss) auf die Kn.peq
als ähnliehe. Schieksalvcrkündende, allerdings ohne direkten Zusammen-
hang mit dem Traum gedachte Seelenwesen hingewiesen worden. In
ein neues Lieht scheint aber in diesem Zusammenhang auch die nord-
europäisohe Gruppe von ahd. mara, mhd. mar, altn. mara, agls. mxere,
mare .Mahr', altsl. mora .Hexe, Alp, Trud', ir. mor[r\igain gl. lamia
, Alpkönigin zu rücken. U. Ahnenkultus sind diese Wörter zu der
idg. Wurzel mer .sterben' gestellt und als , Toter' oder ,Tote' (, Toten-
Erscheinung') gedeutet worden. Ansprechender aber dürfte sein, sowohl
in sprachlicher wie in sachlicher Beziehung, ihre Verknüpfung mit
grieeh. uöpoq .Schicksal', besonders .unglückliches Geschick', auch
persönlich in Möpoq <s. u. i gedacht, und mit uoipa (*morja-, vgl. agls.
mare), deren ursprünglichster Sinn das einein jeden einzelnen Menschen
beigegebene Schicksal (dann auch Moipct als Schicksals- oder Unglücks-
göttin) ist. Da ixöpoq und poipa zu Meipouai .erhalte Anteil' (eTuaprai,
W. smerjmcr) gehören, so würde der ursprüngliche Sinn des idg.
(x)moro-, (s)mord das jedem Menschen .beigegebene' (wie oben ihm
.»folgende') andere Ich, sein eibwXov, seine Psyche sein, und diese
Wesen hätten sich im Norden mehr zu Druckgcistern, im Süden
aber mehr zu Schicksalsgöttcrn oder -Göttinnen entwickelt. Die enge
Verbindung aber zwischen Möpoq und Kn.p mit Begriffen wie Tod,
Schlaf, Traum ist im Mythus in den Worten der Theogonie (v. 211 f.)
festgehalten worden :
NuE b* £t€kc o*Tirf€pöv i€ Möpov Kai Kripa nc'Xcuvav
Kai Gdvarov, tc'kc b "Yttvov, £tikt€ be qpöXov 'Ovcipuuv.
Wie in diesem Anschauungskreise die Wurzeln der auch bei den
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874
Traum — Turm.
idg. Völkern uralten Trau mdeuterei und des Trauraorake ls liegen,
braucht nicht weiter verfolgt zu werden. — S. u. Abuenkultns,
Religion, T o t e n r e i c h e.
Treber, s. Hier.
Treue eheliche, s. Ehebruch.
Tribut, s. Abgaben.
Trichter, s. Wein.
Trinkgelage, Trunksucht, s. Mahlzeiten und Trink -
g e I a g <•.
Triukhörner, s. H orn.
Trog, h. Fuss.
Trommel, Trompete, s. Musikalische Instrumente.
Trüffel ( Tuber ctbarium Gibth.). Die Pflanze wird als natur-
gcschichtliche Merkwürdigkeit und wegen ihres feinen Geschmacks
schon im Altertum von Thcophrast an viel genannt < vgl. Lenz Botanik.
S. 7(>f>). Ihre Namen, gricch. olbvov neben dem dunklen u6vov> :
oibduu und tüber : tumeo bedeuten »Schwellung. Aus tüber stammen
wahrscheinlich sp. trufa, frz. trtiffe, aus terrae tüber wahrscheinlich
it. tartufo etc. 'vgl. Körting Lat.-rom. W. S. 740'), das in neuerer
Zeit dadurch eine äusserst wichtige Kulturmission übernommen hat,
dass mit ihm die von Amerika eingeführte Kartoffel (vgl. Kluge
Et. W.'; ». v.) benannt wurde.
Truhe, s. Kiste.
Tünchen, s. Kalk.
Türkis, s. Edelsteine.
Turm. Fast durch ganz Europa zieht sieh für diesen Begriff
eine übereinstimmende Benennung: gricch. TÜpffi?, Tuppi«; (Pind.), lat.
turri«, gcmcinkelt. *turi-, *turet- (ir. tuir, turid), agls. torr (neben
ntypel : steap ,hoeh'i, ahd. turri, furra, ndid. turn, türm; vgl. auch
linn. torni. Es kann nicht bezweifelt werden, dnss, wie auf allen
Gebieten des Steinbans, auch hier eine grosse Entlehnungsreihe vor-
liegt: das lateinische Wort stammt aus dem Griechischen (woher aber
Tüpcris?), die germanischen sind zeitlich verschiedene Entlehnungen aus
dem Lateinischen, resp. Romanischen, wobei die tnhd. Formen türm,
turn vielleicht auf Beeinflussung durch das gcmeinsl. altsl. tremü aus
griech. T^pcuvov beruliu. Unsicher ist noch das Verhältnis der kel-
tischen zu den lat. Wörtern. Schon vor der Wirkung des römischen
Einflusses scheinen aber die Germanen, worauf got. keJikn ,Ttupxo?',
,dvü)Taiov' aus altgall. celicnon (inschriftl.), das etymologisch zu griech.
KoX-ujvri<;, lat. col-umna gehören wird, hinweist, eine Art Turmbau von
Gallien her kenneu gelernt zu haben. So wird denn auch schon von
Tacitus Hist. IV, (>f> berichtet, dass die Seherin Veleda (vgl. ir. fili,
Gen. filed, *relet- ,Seher, Dichter ) im Bruktercrland in einem hohen
Turm (edita in turri) ihre Weissagungen erteilt habe. Über die
i
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Turm — Ungeziefer.
875
* frühesten mittelalterlichen Türme vgl. M. Heyne Das deutsche Woh-
nungswesen S. 133 ft'., über griech. nup^o? s. u. Stadt (Burg). — S.
auch u. Mauer und Stein hau.
U.
Uhr, ». Stunde.
Ulme. Dieser europäische Waldbaum ist in den nordeuropäisehen
Sprachen und im Latein übereinstimmend benannt: lat. ulmus, ir. lern,
leamh, kymr. llwyf, ahd. elm-boum, altn. dlmr, russ ilemü (*el-, *ol-,
*/-). Nicht sicher ist die von Bugge K. Z. XXX11, 39 empfohlene
Gleichung: griech. nreXect — armen, t eli ,Ulme' (lat. tilia ,Linde'?).
Vgl. noch gemeinst. *berstü, altsl. bri-rtü (auch , Birke') und lit. tcinkszna,
poln. wiqz, altpr. teimino. — S. u. Wald, Wald bäume.
Unehelich, s. Ehelich und unehelich.
Unfreiheit, s. Stände.
Ungesäuertes Brot, s. Brot.
Ungeziefer. Bei den primitiven Wohnnngsverhältnissen der idg.
Urzeit (s. u. Unterirdische Wohnungen und u. Haus) musste die
durch das Ungeziefer veranlasste Not, besonders im Winter, eine grosse
sein. Thatsächlich treten auch in den idg. Sprachen einzelne Arten
desselben frühzeitig hervor. Weit verbreitet ist zunächst ein Wort,
welches das Ei der Laus bezeichnet: griech. kovi^, kovio-o?, agls.
Anita, mhd. niz, alb. ihni\ wahrscheinlich ist hierher auch das litu-
slavischc *gnindd (lit. glinda, poln. gnida etc.) und vielleicht auch
das lat. lens, lendi* (etwa aus *cnend-, *nend- und mit Dissimilation
*lend-) zu stellen. Zwei weitere Gleichungen in der Terminologie des
Tieres sind ahd. Iiis etc. = urkelt. *loceft- (altkymr. leu-eseticc ,von
L. zerfressen', nkymr. Heuen, korn. loicen, bret. Ionen, während im
Irisehen das Tier etaig, eigentl. ,Kleidertier' heisst) und npers. rffle
= sert. likshd' ,Lauseei'. Vgl. noch die einzelsprachlichen griech.
<p6eip (:<pÖ€ipujV'), lat. pedis, pfdieuht*, alb. mor, altsl. vtUl (daraus
altpr. buscher in Nesselmanns Thesaurus Nachtr.; urverwandt mit lit.
utis ,Laus*V).
Auch in den Benennungen des Flohs zeigen sich weitgehende Zu-
sammenhänge. Auf eine Grundform *blusd führen armen, ta, afghan.
vruia (uriran. *bruM), lit. bin sä, altsl. blücha zurück. Aus dieser
ist durch Mctathcsis des * und l *bsuld = griech. ipuXXa {*bsulja)
entstanden (vgl. J. Schmidt Sonantentheorie S. 29'); aber auch alb.
pl'ext faus *pleuxt) und lat. püle.r (*psül-ejr; der Anlaut ps ist in
echt lateinischen Wörtern unbekannt) wird man nur ungern hiervon
trennen, obgleich die ratio des Zusammenhangs noch nicht klar ist.
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876 Ungeziefer — Unterirdische Wohnungen. ,
Hingegen wird ahd. flöh, agls. fleah wohl von den bisher genannten
Wörtern zu sondern und zu ahd. fliohan, got. pliuhan („der flüchtige")
zu stellen sein. Zweifelhaft: ir. dergnaf ,Floh' = griech. o*ep<pos
,Iusekt' (Znpitza B. B. XXV, 100).
Ganz auseinandergehend und meist dunkel sind hingegeu die Naineu
der Wanze: griech. xopi«;, lat. cime.v \ all), k'imk), ahd. tcantlüs (wie
cech. stenice, all), stenitxe , Wanze': xtena Wand und alb. K0ei , Wanze':
K0€? ,Maucr), lit. bläke (vgl. lat. blatta, s. u. Purpur?), russ. klopü.
Rätselhafte keltische Namen für ptilex und eimex vgl. hei Zeus« Gr.
Celt.* S. 1076.
Unglflckstagc, s. Woche.
Unnatürliche Laster, s. Knabenliebe.
Unsterblichkeit, s. Ahnenkultus, Toteureiche.
Unterirdische Wohnungen. Nachrichten über in den Erdboden
eingegrabene Wohnungen und Vorratskammern sind hinsichtlich zahl-
reicher idg. Völker Vorderasiens und Kuropas überliefert. Vgl. Vitruv.
De arch'itcet. II, 1,0 hinsichtlich der Phryger: Phryges vero, qui
campest ribus loci* sunt habitantes, propter iuopiam silrarum egentes
materia eligunt tnmulos naturales eosque medios fosxura distinentes
et itinera perfodientes dilafant spatia qnantum natura loci patitur.
insuper autem xtipitex int er se religantes mefas efficiunt, quas ha-
rundinibus et sarmentis tegente* e.raggerant xupra habUationes e
terra maximos grumos. ita hie nies calidi.ssimax, aextatex frigid issi-
mos efficiunt tectorum rationes, Xenoph. Anab. IV, 5, 2f> hinsichtlich
der Armenier: ai b' ohciai ifaav Karäfeioi, tö ü€v o"röua ujffrcep
<ppeaToq, kqtuü b eüpeiar a't be €io*oboi joxc, uev ÜTro£irpoi£ öpuKTai,
o\ be ävSpumoi Kaießaivov im KXinaxo«;- iv be Tai? otKtai? n.aav alre?,
ole«;, ßöeq, öpviöeq, Kai id eioföva toutujv Tä be KTn.vn. Trävxa x«Xüj evbov
erpe'cpovTO, Tacitus Germ. Cap. 16 hinsichtlich der Germanen: Soltnt
et subt erraneo8 specus aperire eosque multo insuper fhno onerant,
subfugium hiemix et reeept acutum frugibux, quia rigorem frigorum
eiux modi locis molliunt, et si quando hostis advenit, aperta popu-
latur, abdita autem et defosxa aut ignorantur auf eo ipso fallunt
quod quaerenda sunt, dazu Plinius Hist. nat. XIX, 8: In Gemtania
autem defossae atque sub terra id opus (texendi) agunt. Das
Winterleben der Skythen schildert in idyllischer Weise Vergil Georg.
III, 376 ff.:
Ipsi in defossis speeubus secura sub alta
otia agunt terra, congestaque robora totasque
adrolvere focis ulmos ignique dedere.
Jlic noctem ludo dueunt et pocula laeti
fermento atque acidis imitantur vitea sorbis,
was mit prosaischen Worten Mela II, 1, 10: ... ob saeva hiemis ad-
modum assiduae, demersis in humum xedibus, specus aut mffossa
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Unterirdische Wohnungen.
877
(Sarthae) hahitant bestätigt. Vgl. dazu auch Strabo V, p. 244: "E<popo<;
be to?<; Kiuuepiois TTpocJo»K6iüJV q>ntft aÜToüq iv Kaia-fcion; oi>dai<;
oiK€iv, &s KaXoöai dpYtXXa?. Aber nueli im G riech i scheu waren
noch Namen fllr solche unterirdische Wohnungen YVTTai, fimäpia,
(pujXeoi, TpujfXai. annXaiaj und Nachrichten über dieselben vorhanden
(vgl. J. v. Müller, Privataltertümer 8 S. 8).
Für das hohe Alter derartiger Siedeluugen auf idg. Hoden spricht
auch der Umstand, dass mehrfach Benennuugen des Hauses aus Wör-
tern für Graben oder Grube hervorgegangen sind. Wie der eigent-
liche ahd. Name für die unterirdische Wohnung tunc (noch in neuerer
Zeit heissen so kcllerartige Weberwerkstätten in Süddeutschland; da-
neben hoch- und ndd. screuna, »creona ,hypogaenm textrinum gynae-
cenm', fr/., escrene. icraigne, vgl. M. Heyne D. deutsehe Wohnungs-
wesen S. 46, Müllenhoff Deutsche A.-K. IV, 290) zu griech. Taqpos
,Grab' , TÖt<ppo<; , Graben' , Qämm , begrabe' (s. u. Ucstattu n g)
gehört und nichts mit ahd. tunga .stercoratio' zu thun hat , so
stellt sich die germanische Sippe von ahn. Kofi , Hütte', agls. co/'a
,Gemach', mhd. kobe ,Stall', ,Kofen', ahd. chubisi , Hütte' (*kufa-,
*kuba-)1 wie Sprachvergl. und Urgesch.8 S. 493 gezeigt ist (ebenso
jetzt P. Krctschmcr a. u. a. 0.), etymologisch zu dem schon oben ge-
nannten griech. rwra ,n Kaxd yh> otKncrt^', jKaXiißr)', ,6aXdMn' (altsl.
Zupüte ,cumulus', ,sepulcrum'?). Auf die Bedeutung der altgermani-
schen Wörter, die charakteristischer Weise (s. oben über die Armenier
und u. Stall und Scheune) zugleich auch Unterkunftsörter für das
Vieh bezeichnen, als Ausdrücke für die menschliche Wohnung weisen
auch agls. cofgodu, cofgodax ,penates, lares', mhd. kobolt , Kobold*
(aus *kuba-walda-), Bezeichnungen für die im Hause waltenden Dä-
monen, hin. Desgleichen ist der iranische Name des Hauses npers.
ked, Pamird. ket, ctd (auch in die finnischen Sprachen entlehnt: finn.
kota, estn. koda, mordv. kud) aus aw. kata- »Graben, Grabstätte' her-
vorgegangen, und auch sert. gt'hd- ,Haus wird am besten und nächsten
zu aw. gereda- , Höhle, Grube' gestellt (vgl. dazu P. Kretschmer An-
zeiger f. deutsches Altert. XXV, 38ti).
Endlich lassen sich auch prähistorische Spuren solcher unter-
irdischen Behausungen in Europa nachweisen, und zwar in den so-
genannten Mardcllen oder Trichtergruben, die in Deutschland, na-
mentlich in Süd-Baiern, Frankreich, England, der Schweiz und sonst zu
Tage getreten sind (vgl. Wackernagel in Haupts Z. VII, 132, F. S.
Hartmann Z. f. Ethnologie 1881 XIII, 237 ff. und M. Much Über prä-
historische Bauart und Ornamentierung der menschlichen Wohnungen
in den Mittl. der Wiener antbrop. Ges. VII, 318 ff.). Es sind kessel-
artige Ausbuchtungen mit einer Tiefe von 2—4 und eiuem Durch-
messer von. 11—15 Meter, die als Unterbau menschlicher Wohnungen
dienten, und über denen man sich wahrscheinlich noch eine rundliche
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«78
Unterirdische Wohnungen —
Urheimat der Jndogernmnen.
Hütte aus Reisig und Lehm zu denken hat. Von besonderem Interesse
sind die innerhalb der sogenannten Türkenschanze bei Lengyel (Ungarn)
von M. Wosinsky und dem Grafen Alex. Apponyi gefundenen unter-
irdischen, in den festen Löss eingegrabenen Wohnungen, in sofern die
daneben liegenden Gräber mit Heigaben der Skelette aus Thon-
gefässen, Steinwerkzeugen und kupfernen Halsperlen eine annähernde
Bestimmung der Zeit (Ausgang der Steinzeit) gestatten. Auf dem
Grunde der Höhlungen selbst fanden sich Reste von Thongeschirren,
Webergewichten und Überbleibsel der Herde. Über das Fortleben
solcher unterirdischer Wohnungen in Teilen des neueren Europa vgl.
V. Hehn Kulturpflanzen und Haustiere r> S. 517 f. — S. u. Haus.
Unterkleid, s. Kleidung.
Unterricht, s. Erzieh u n g.
Unterwelt, s. T o t e n r e i c h e.
Unthaten, s. Verbrechen.
Unzucht, s. Beischläferin, Ehebruch, Keuschheit,
K n a b e n I i c b e, Notzucht.
Ureinwohner Europas, s. Hebamme (C ouvade), Körper-
besch äffen h eit, M u 1 1 e r r e ch t, Urheimat.
Urheimat der Indogerinanen. Die Geschichte dieses Problems
bis zum Jahre 1889 ist in des Vf. 's Buch Sprachvergleichung und Ur-
geschichte* Jena 1890 S. 1—23, 111—148 dargestellt worden. Seit-
dem ist die Frage von den verschiedensten Seiten, von Sprach- und
Geschichtsforschern, von Anthropologen und Geographen, deren Ar-
beiten, soweit sie die Frage als Ganzes behandeln, am Schlnss dieses
Artikels znsammengefasst oder, soweit sie einzelne Teile derselben be-
treffen, in demselben namhaft gemacht werden sollen, aufs neue er-
örtert worden. Und so sehr die meisten dieser Forscher für den
oberflächlichen Blick auch jetzt noch in ihren Methoden und Ergeb-
nissen auseinander zu gehen scheinen, lässt sich, wie wir glauben,
doch bei näherer Betrachtung nicht verkennen, dass sich allmählich
eine Einigung vorbereitet, und zwar eine solche, die sich in der
Richtung auf das in Sprachvergleichung und Urgeschichte 2 S. (>15— 640
erzielte Resultat bewegt, nach dem die ältest erreichbaren Wohn-
sitze der Indogerinanen an der Grenze Asiens und Europas,
in dem Steppengebiet des südlichen Russland zu suchen
seien.
Jeder Versuch, die Urheimat der Indogerinanen zu ermitteln, muss
— Uber diesen Punkt dürfte Übereinstimmung erzielt sein — davon
ausgeh n, zunächst die Stammsitze der idg. Einzel Völker zu be-
stimmen und hierdurch und durch Ausscheidung derjenigen Länder,
welche unzweifelhaft nicht zu den ältesten Wohnsitzen der Indo-
germauen gehört haben können, ein früheres und engeres Verbreitungs-
gebiet der Indogermaneu als das der frühsten historischen Zeit zu
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Urheimat der Jiidugernianen.
879
gewinnen. Erst nachdem dies geschehen ist, wird die Frage aufzu-
weiten sein, oh und welche Mittel wir besitzen, um die eigentliche
Urheimat der Indogerniancn, d. h. diejenigen Gebiete zu bestimmen,
welche das Urvolk mit einer noch im wesentlichen einheitlichen, gegen-
seitiges Verständnis ermöglichenden Sprache bewohnte. Indem wir
uns der ersteren dieser beiden Aufgaben zuwenden, werden wir gut
thun, uns hei der Besprechung der idg. Einzelvölker an diejenige
Gruppierung derselben anzuschlicssen, welche durch gewisse Eigenarten
ihrer Sprachen bereits für die idg. Urzeit wahrscheinlich gemacht wird.
Nach der verschiedenen Behandlung der idg. Gutturallaute, der k- und
g-Laute, zerfallen nämlich die idg. Sprachen in 2 Gruppen, die man
sich alsCentum- und Satcnisprachen zu bezeichnen gewöhnt hat,
weil die eine Gruppe in dem Zahlwort für 100, wie in allen ent-
sprechenden Fällen, einen Vcrschlusslaut dat. centum), die andere
einen Sibilanten (sert. catdm) aufweist. Zu der ersteren dieser Gruppen
gehören das Griechische, Italische, Keltische und Germa-
nische, zu der letzteren das Indische, Iranische, Armenische,
Phrygische, Tbrakische, Illyrisch-Albanesische und Sla-
visch-Litauische. Mit Recht nimmt man an, dass diese Unter-
schiede auf dialektische Verschiedenheiten schon der idg. Grundsprache
zurückweisen. Vergegenwärtigt man sich nun auf der Landkarte die
geographische Lage, welche die Völker, die jene Sprachen sprechen
oder gesprochen haben, in historischer Zeit einnehmen, so wird man
aus derselben den Schluss zu ziehen haben, dass in der relativen
Lage der beiden Völkergruppen zu einander bei allen Verschiebungen
im einzelnen doch im Grossen und Ganzen keine allzugrosseu Ver-
änderungen eingetreten sind. So wie in historischer Zeit, wird daher
auch in vorhistorischer die Stellung der Centumvölker gegenüber den
Satcmvölkern gewesen sein, d. h. die ersteren werden mehr im Westen,
die letzteren mehr im Osten des hypothetischen Urlands gewohnt haben.
Wir beginnen mit den letzteren, den S a t e m - Vö I k c r n.
Unter den von ihnen besetzten Ländern scheidet zunächst ohne
weiteres Indien von der ursprünglichen Verbreitungssphäre der Indo-
gerniancn aus. Die Inder sind allen übrigen Indogermanen gegenüber
durch eine engere Verwandtschaft mit den nordwestlich von ihnen
angesessenen Iranicrn verbunden, die sich ausser in zahlreichen ge-
meinsamen Zügen der Sprache, der Sitte und der Religion auch in
der Führung des gemeinsamen Namens Arier (s. über denselben u.
Stände) äussert. Da nun nicht der geringste Anhalt dafür vorliegt,
dass die Iranier aus Indien gekommen sein könnten, die Inder aber
noch zur Zeit der Gesänge des Rigveda im Vorrücken von Nord-
Westen nach Süd-Osten, vom Indus, an dem ihre Hauptsitze lagen,
gegen das Meer und den Ganges begriffen sind, eine Vorwärtsbewe-
gung, die sich besonders deutlich auch in der altindischen Zählung
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SSO
Urheimat der lndogermanen.
der Jahre, erst naeli Wintern, dann nach Herbsten, zuletzt nach Regen-
zeiten abspiegelt (s. n. Jahr), so wird gegenwärtig wohl von niemandem
mehr bezweifelt, dass Iran einstmals auch die Heimat der Inder ge-
wesen ist. Ihre Einwanderung in Indien kann nur entlaug dem Kabul
erfolgt sein. Begleiten wir dessen Laut' aufwärts, so gelangen wir
an den Paropamisus oder Hindukuscb, nördlich dessen im Stromgebiet
des Oxus und Jaxartes die alten Provinzen .Sogdiana und Baetricn
liegen, von wo aus, was sieh auch geschichtlich wahrscheinlich machen
lässt, erst Medien und Persien von Ariern besiedelt wurden. Zu beiden
Seiten des Hindukusch lag also die Urheimat der Arier (vgl. näheres
bei W. Geiger Museon 1884). Vielleicht lassen sich aber ihre ältesten
Stammsitze noch weiter verfolgen.
Am Nordrand Irans stösst eine sesshafte und nomadische Bevölke-
rung zusammen. Zu dieser letzteren gehören erstens die Saken, die
Bewohner der grossen kirgisisch-turknienischcu Steppe, die sich vom
Kaspischen Meer bis jenseits des Jaxartes erstreckt. An diese schliefen
sich die von Üarius als „Saken jenseits des Meeres* bezeichneten
Völker. Es sind die von den Griechen als Skythen im engeren Sinne
benannten Skoloten, zu denen auch die zwischen Don und Wolga
sitzenden Saunmiuten oder Sarmaten gehören, die vom VIII. Jahr-
hundert an die Nordktlsten des Schwarzen Meeres bewohnten. Vorher
hatten hier die Kimmericr gesessen, die von den Skythen vertrieben,
etwa vom Jahre 700 an Kleinasien überfluteten. Die Eigennamen
aller dieser Völker, auch die der Kimnierier, tragen iranisches Gepräge.
Hat man mit Recht hieraus gefolgert, dass sie, was auch durch histo-
rische Kombinationen wahrscheinlich gemacht werden kann , selbst
Iranier waren, so lassen sich, da eher ein Übergang von einer no-
madischen Bevölkerung zu einer sesshaften, als der umgekehrte Ent-
wicklungsgang anzunehmen ist. die ältesten Stammsitze der Arier bis
in das nordkaspische Steppengebiet, ja bis in das europäische Süd-
Russland nördlich des Schwarzen Meeres zurückführen. Schon im
Altertum (vgl. Ainmianus Marc. XXXI, 2, 20) war die Meinung ver-
breitet, dass die Perser originitux Skythen seien (vgl. E. Meyer I,
513 ff., Vf. S. 628 ff., H. Hirt -) S. 657, P. Kretsehmer S. Go, 0. Bremer
S. 757 Anm.).
Ebensowenig wie Indien, kann Kleinasien altes Stauimgebiet der
lndogermanen gewesen sein. Es handelt sich hier im wesentlichen
um die Phryger und Armenier, da die übrigen Kleinasiaten, die
westlicheren Knrer und Lydcr sowie die östlicheren Lyker, Pisiden,
Kiliker, Kappadoker u. s. w. nach den neusten Forschungen P. Kretsch-
mers eine den idg. Phrygern und den lndogermanen überhaupt gegen-
über allophyle, unter sich verwandtschaftlich verbundene Sprachfamilie
bilden, die, worauf unten zurückzukommen sein wird, einstmals auch
über die Inseln des ägäischen Meeres und den Süden der Balkau-
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l'iheiinat der Indog<- miauen
SSI
halbinsel verbreitet war. Hinsichtlich des Armenischen und Phrygischcn
kommen für uns zwei gegenwärtig wohl allgemein anerkannte Sätze
(vgl. II. Hübsch mann K.Z. XXIII. Armenische Studien 1. 1*83. Armen.
Grammatik I, 1897, A. Fick Spracheinheit etc., B. Ii. IV, f>0. Vf. in V. Hehns
Kulturpflanzen ,; S. 533, H. Hirt Herl. phil. Wochenschritt 180;") Sp. 1 143,
Kretsehmer S. 217 ff. i in Betracht, nämlich erstens der schon oben
hervorgehobene, dass die beiden Sprachen Satem Sprachen sind, und
zweitens, dass sie in Folge der reichlichen Entwicklung des e und l
und der Anteilnahme an gewissen charakteristischen Bestandteilen des
europäischen Wortschatzes (armen, a). ,Salz\ oror .Mag', meir , Honig",
jukn , Fisch ) zu den europäischen, und nicht, wie man früher glaubte,
den asiatischen Gliedern der Satem - Sprachen gehören. Hiermit
stimmt nun die Überlieferung des Altertums aufs beste tiberein, in so-
fern sie ausdrücklich die Armenier als Abkömmlinge der Phryger, und
diese wieder als einen nach Asien Ubergesiedelten Stamm der Thraker
bezeichnet. Vgl. namentlich Hcrodot VII, 73: o'i be OpOyeq, tue; Ma-
K€6öv€<; Xifovai, tKaXeovro BpiTe? xpövov Öo"ov Eupumrpoi tövTe^ aüv-
oikoi ntfav Mcuceböoi, ^tTaßdvie? bk i<; ttjv 'Aainv ä\xa Trj xwpfl Kai
To oövopa peTfe'ßaXov i<; Qpvfaq. 'Apuc'vioi be KctTcmep <t>pÜTts ^aeffä-
Xoto, tdvru; Opufüjv öttoikoi.
So hat sich also — in kaum näher zu bestimmender Zeit — ein
breiter Strom von Indogermancn vom Norden der Balkanhalbinsel,
den westlichen Gestaden des Schwarzen Meeres aus tief nach Klein-
asien bis nach Armenien ergossen, wo das allophyle Volk der 'AXa-
pöbioi (assyr. Vrartu) noch lange Armenier und Iranier getrennt zu
haben scheint (E. Meyer I, # 247 f.). Den Norden der Balkanhalbinsel
selbst finden wir im Altertum im Osten von den Thrakern (vgl. über
ihre Sprache A. Fick Spracheinheit S. 278, W. Tomaschek im 1 30. Bande
der Sitzungsberichte der Wiener Akademie, G. Meyer B. B. XX, 1 IG ff.,
P. Kretsehmer S. 217 ff.), im Westen von den Illyrieru, den Vor-
fahren der heutigen Albanesen (vgl. G.Meyer B. B. VIII. 18ö— 19f»,
Etymologisches Wörterbuch des Albauesisehen 18!H und Lautlehre der
idg. Bestandteile d. A. im 12ö. Band der Sitzungsberichte der Wiener
Akademie), besetzt. Von ihnen sind die Thraker, die Hcrodot V. 3
das grösste aller Völker nennt, einst weit über den Istros nordwärts
verbreitet gewesen, da kein Grund vorliegt, der Überlieferung des
Altertums (vgl. Strahn VI, p. 303, 30f>) zumisstrauen, nach welcher die
Gcten gleichsprachig mit den Thrakern, und die Üaker gleichsprachig
mit den Geten gewesen seien. Was die Illyrier, das westlichste der
Satem- Völker, anbetrifft, so ist sicher, dass sie sich — wahrscheinlich
über das Meer — in Japygern und Messapiern ' Vgl. Kretsehmer S. 272 ff.)
nach der Osthälfte Italiens ausgebreitet haben, während die ethnogra-
phische und linguistische Stellung der Vene t er, welche nördlich des
Adriatischen Meeres die Balkan- und Apennin-Halbinsel verbinden,
Schräder, lieallexikon. 56
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Urheimat der Imlogermnucn.
noch niclit hinlänglich aufgeklärt int (vgl. Pauli Die Venctcr und ihre
Schriftdenkmäler Leipzig 1891, dazu G. Meyer in der Herl. Phil. W.
vom 27/2 und Ö/3 181)2, R. Thurneysen in der W. f. klass. Phil, vom
1 €5/3 1892 und P. Kretschmer S. 26<i ff.}.
Somit bleiben von den Satcm -Völkern nur noch die durch eine
engere Verwandtschaft gleich den Ariern mit einander verbundenen
slavisch-litauischen Slämuie übrig. Als Herodot am Schwarzen
Meere weilte, erfuhr er (IV, 17): „Über den Xku6q:i dpotnpe^, welche
das Korn zum Verkauf anbauen, wohnen die Neupoi. Von diesen
gegen den Nordwind hinauf erstreckt sich, soviel man weiss, eine
menschenleere Wüstenei", und (IV, öl): „Der Tyras entspringt im
Skythenlande und der neurisehen Landschaft (Neup\<; w". In diesen
hier, also im Quellgebiet des Dnjester, genannten Neuren. ein Wort,
das in zahlreichen slnvischen Fluss- (Ncr, Naicw, Nur, Nitrcc- und
Ortsnamen (Nurfl am Nurec, davon Xurlska zemlja, Nurjaninn) wieder-
kehrt (vgl. W. Tomaschek Kritik der ältesten Nachrichten Uber den
akythischen Norden II im 117. Hand der Sitzungsb. d. Wiener Ak.
S. 3 ff.) hat man seit SafaWk die ältesten Slavcn erkannt, deren frühste
Wohnsitze später Müllenhotf Deutsche A K. II, 89 folgendermassen
bestimmt hat: „Nach alledem als Resultat der bisherigen Untersu-
chungen können wir hinstellen, dass die Slaven in den ältesten uns
bekannten Zeiten von den Karpaten und dem oberen Laufe der
Weichsel um die grosse Sumpfregion herum nördlich bis an die
Waldaihöhen, dann ostwärts gegen die Finnen bis in den ersten,
obersten Hereich der Wolga und des Dons verbreitet waren
Die älteste und eigentliche Heimat der Slaven war demnach das Gebiet
des mittleren und oberen Dnjeprs, mit Ausnahme der nordwestlichen
Landschaften über den Sümpfen, dagegen mit Einschluss der Striche
westlich gegen die Karpaten und Weichsel, ein vollständiges Binncn-
und Flachland, nach allen Seiten hin vom Meere abgeschlossen" u.s. w.
Nördlich der Slaven bis zur Ostsee treffen wir seit unvordenklicher
Zeit ihre nächsten Verwandten, die litauisch-preussischen Stämme
oder die Aestni, wie sie bei den Alten hiessen, an. Nach A. Bezzen-
berger (Hulletin de l'Academie Imperiale des Sciences de St.-Peters-
bourg, Nouvclle Serie IV (XXXVI), f)01) Hessen sich Angehörige des
litauischen Stammes schon vor ungefähr f>00<> Jahren ostwärts vom
Knrisehen Haff durch prähistorisch - linguistische Kombinationen nach-
weisen. In östlicher Richtung müssen sie früh bis Kurland und Sud-
livland verbreitet gewesen sein, wo sie, wie die engen Berührungen
des litauischen und firnischen Sprachschatzes (vgl. Thonisen Beröringer
S. 144 t zeigen, mit den damals noch in geringerem Mass gegliederten
und weniger versprengten Finnen zusammenstiessen, die überhaupt im
mittelrussisehcn Waldgebiet für das Indogerinanentum eine Grenzscheide
gegen Nord-Europa und Nord-Asien bildeten.
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Urhoirnnt der Indo^eriiianeii. 88:J
Damit sind die Sa tem -Völker oder Ost -I ndogennan en erledigt,
hinsichtlich deren sich folgendes vorläufiges Resultat ergieht. Erwägt
man, dass die grosse Masse der Slaven und Litauer noch heute nord-
wärts des Schwarzen Meeres sitzt, und bedenkt man, dass Phivger und
Armenier sich nachweislich erst von den an den westlichen Gestaden
desselben Meeres bis hoch nach Norden über die Donau angesiedelten
Thrakern, den nahen Stammgcnossen der Illvrier (Albanesen), losgelöst
haben, so wird man als ein unzweifelhaftes früheres Verbreitungs-
zentrum aller dieser Völker - ganz allgemein gesprochen — die (le-
genden östlich der Karpaten und nördlich des Schwarzen Meeres be-
zeichnen können (so auch H. Hirt *j S. 658 'i. Dürfen Skythen und
Sarmaten (s. o.) als zurückgebliebene Reste des arischen Stammes auf-
getaut werden, so würden auch dessen Ursprünge hierher zurückzu-
führen sein.
Wenden wir uns nunmehr den Centum -Vö I kern oder West i nd«»-
germanen, also den Kelten und Germanen im Westen und Norden,
den Römern und Griechen im Süden Europas zu, so ist hier
zunächst einer Argumentation zu gedenken , die auf dasselbe Ziel
gerichtet, wie es hier verfolgt wird, nämlich auf die möglichste Ein-
schränkung der für eine ursprüngliche Verbreitungssphäre der Indo-
germanen in Betracht kommenden Länder, auf die Entstehungs-
geschichte unseres Erdteils zurückgegriffen hat. Es ist bekannt
(s. auch u. Steinzeit , dass die Erdepoche, in der wir gegenwärtig
leben, durch ein starkes Herabsinken der Temperatur eingeleitet wurde,
die zu einer oder mehreren Eiszeiten mit weitgehenden Vergletschc-
rnngen führte. „Eine Inlandcismasse von 300 bis 1000 m Dicke",
so beschreibt F. Ratzel a. u. a. 0. S. 40 f. deu damaligen Zustand
unseres Erdteils, „bedeckte das nördliche und mittlere Russland
Weiter im Westen war die ganze skandinavische Halbinsel, Gross-
hritaunien bis auf einen schmalen güdlichen Streifen, Irland, der Raum,
den heute Nord- und Ostsee einnehmen, damit natürlich die Inseln
beider Meere und die eimbrische Halbinsel mit Eis bedeckt. Ausser-
dem zog sieh von Russland her das Inlandeis slidwestwärts bis zur
Rhcinmüudung, so dass Norddeutschland mit Eis bis an den Nordrand
der Mittelgebirge bedeckt war. In Mitteleuropa waren die Alpen Iiis
über den Fuss hinaus vergletschert; aber schon die Verglctscherung
der Karpaten war viel geringer. Verhältnismässig beschränkt waren die
Gletscher süd- und mitteleuropäischer Gebirge." Aus diesen im Grossen
und Ganzen, wie es scheint, nicht anzufechtenden Thatsachen hat nun
P. Kretsclnuer S. 60 folgenden scheinbar naheliegenden Schluss gezogen:
„Im europäischen Norden sind es die skandinavischen Länder und das
nördliche und östliche Deutschland, welche mit Sicherheit (für das
frühste Verbreitungsgebiet der Indogermanen) in Wegfall kommen.
Denn diese Gebiete waren in der Diluvialzeit unter Gletschern und
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884
Urheimat der Indogermanen.
Inlandeis begraben nnd so gut wie unbewohnbar. Dazu stimmt die
von Penck hervorgehobene Thatsaehe, dass die in Deutschland zu Tage
gekommenen Reste des paläolithischen Menschen alle auf Gebiete ent-
fallen, welche in der letzten Glaeialperiode nicht vergletschert oder
vereist waren. Mit ziemlicher Sicherheit können wir aus einem ähn-
lichen Grunde die Apenninhalbinsel eliminieren. Nach den Ergebnissen
der Geologie war das ganze Alpengebiet in der Glacialzeit so völlig
vereist, dass nur die höchsten Gipfel noch aus der alles bedeckeuden
Eisschicht hervorragten; die Alpen waren also damals in weit höherem
Masse eine Völkerscheide als in historischer Zeit. Es folgt daraus,
dass die idg. Italikcr in der paläolithischen Epoche nördlich der Alpen
gesessen habeu müssen." Es versteht sich von selbst, dass auf diesem
Wege auch die nach dem obigen von den Litauern und teilweis auch
die von den Slaven besetzten Gebiete für die älteste Ausdehnung der
Indogcrmanen nicht in Betracht kommen können. Allein so einfach
diese ganze Schlussfolgernng klingt, und so sehr sich im folgenden durch
andere Überlegungen herausstellen wird, dass thatsächlieh das nörd-
liche Europa ursprünglich nicht von Indogermanen besetzt gewesen
sein kaun, so lassen sich doch ernste Bedenken gegen die obige Be-
weisführung Kretschmers nicht unterdrücken. Sie liegen in den un-
geheuren Zeiträumen, durch welche jene diluvialen Vergletscherungcn
von der historischen Zeit, bezüglich von derjenigen Zeit getrennt sind,
bis zu der wir die Indogermanen zurückverfolgen können. Wir haben
keinen Grund, was zuletzt von 0. Bremer S. 756 näher ausgeführt
worden ist, die Einheit der Indogermanen, d. h. die Epoche, in welcher
noch ein sprachlicher Austausch der einzelnen Stämme möglich war,
weiter als bis in das dritte Jahrtausend vor Christo zurückzuverlegeu,
während der Ausgang der Eiszeit sich jeder chronologischen Fixierung
entzieht, sicher aber auf ungezählte Jahrtausende vor unserer Zeit-
rechnung zurückgeht. Mit Recht bemerkt in einem etwas anderen
Zusammenhang) schon V. Hehn Das Salz* S. 21: „Von den Natur-
forschern lässt sich keine Aufklärung darüber (nämlich über die Aus-
dehnung des Kaspischen Meeres zur Zeit der indogermanischen Wan-
derung) erwarten, denn diese besitzen im besten Falle nur eine relative
Chronologie, d. h. sie können wohl die Reihenfolge gewisser geologi-
scher Ereignisse bestimmen, nicht aber ihre absolute Zeitdauer oder
ihr Zusammentreffen mit Wendepunkten der Menschengeschichte. Indess,
wie früh mau auch die indoeuropäische Wanderung ausetze, — die
Naturvorgänge, die unserer Erde ihre jetzige jüngste Gestalt gaben,
müssen doch nach viel läugercu Zeiträumen bemessen werden." Warum,
so müssen wir fragen, könnte daher nicht das, was wir indogerma-
nische Sprach-, Völker und Kulturcinhcit nennen, sich erst nach
Rückgang des Eises aus Nord- und Mitteleuropa und nach Einwaude-
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Urheimat der Imlogermanen.
885
rnng des Menschen in diese Gebiete an der Nordsee, Ostsee, in Skan-
dinavien oder sonstwo gebildet haben?
Vorsichtiger ist es daher, von dieser Hereinziehung geologischer
Erdepochen in die Urheimatsfrage abzusehen. Ein sicherer Weg, um
zu einer näheren Bestimmung der für die älteste Ausbreitung der
Indogermanen in Europa in Betracht kommenden Räume zu gelangen,
bietet sich dagegen dar, wenn man sein Augenmerk auf die teilweis
noch in historischer Zeit von unzweifelhaft nichtindogermanischen
Völkern besetzten Gebiete lenkt. Solche nicht indogermanische Völker
finden sich im Nordwesten, Westen und Süden uuseres Erdteils (s. auch
u. Körperbesch affenheit der Idg.). In Britannien gehören hierher
die Pikten. Frankreich südlich von der Loire und die gesamte
Pyrenäenhalbinsel hielten oder halten die Iberer, die Vorfahren der
heutigen Basken, besetzt. An sie schliesscn sich in den Westalpeu
lind tief nach Italien hinein die Ligurer. Eins von diesen beiden
Völkern oder beide sitzen auch auf den Inseln des westlichen Mittel-
meeres, auf Korsika, Sardinien, Sizilien. An die Ligurer grenzen in
Italien die in ihrer linguistischen und ethnographischen Verwandtschaft
noch immer rätselhaften Etrnskcr, von denen ein Teil, die Räter,
in das Alpengebiet versprengt oder darin zurückgeblieben war. Im
Süden der Balkanhalbinsel und auf den Inseln des ägäischen Meeres
sind in der Vorgeschichte Angehörige jener allophylen Völkergruppe
anzunehmen, die einst vor dem Einbruch der Phryger und Armenier
(s. o.) ganz Kleinasien einnahmen vgl. E. Meyer II, 34, Ratzel S. 122,
Kretschmer S. 401). Der nichtindogermanischc Charakter aller dieser
Sprachen und Völker ergiebt sich teils aus der ausdrücklichen Über-
lieferung des Altertums, teils aus sprachlichen in vereinzelten Wörtern,
namentlich aber in der Bildung von Orts- und Personennamen liegenden
Anhaltspunkten, teils endlich aus einigen in jenen Gebieten verbreiteten
ursprünglich ohne Zweifel nichtindogermauisehen Sitten und Gebräuehen
wie dem Mutterrecht oder dem Mannerkindbett (s. n. Name, Namen-
gebung; Mutter recht; Hebamme). Nimmt man nun an, dass alle
diese Stämme uud Völker, bevor sie von den andringenden Indo-
germanen in das Gebirge und an die Meeresküsten zurückgetrieben
wurden, unzweifelhaft viel weiter verbreitet waren, als sich heute
noch feststellen lässt, so zeigt sieh, dass der ganze Süden und Westen
unseres Erdteils von einem breiten Gürtel nichtiudogermanischer Völ-
kerschaften umschlungen wurde, nördlich und östlich dessen wir also
die ursprüngliche Verbreitungssphäre der Ccntum Völker zu suchen
haben.
Hinsichtlich der Stammsitze dieser letzteren lässt sich im Einzelnen
folgendes sagen. Allgemeine Übereinstimmung herrscht zunächst dar-
über, dass die Griechen von Epirus, dem uralten Stammsitz des
Dodonäischen Zeus, einem Gebiet, das schon Aristoteles als die dpxoia
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886
Urheimat <k-r Indogermanen.
'EXXd? bezeichnete, ausgegangen sind, nud dass in den Makcdoncn ein
im Norden zurückgebliebener griechischer Stamm anzuerkennen ist.
Da die Griechen als ein Centum-Volk nach dem Obigen einstmals in
räumlicher Berührung mit den übrigen Centnm -Völkern gestanden haben
müssen, so spricht alles dafür, dass sie von Nord -Westen her in Epirus
eingewandert sind, und der angegebene Zusammenhang durch nach-
rückende oder besser von Nord - Osten her einschwenkende Illyrier
zerrissen worden ist , von deren Vermischung mit den Hellenen in
Epirus und den angrenzenden Landschaften noch zahlreiche Spuren
zeugen (vgl. E. Meyer 11, 64 ff., H. Hirt s) S. l>56, P. Kretschmer S. 254 ff.,
0. Bremer S. 757 f., F. Ratzel S. 84).
Wie die Griechen, sind zweifellos auch die indogermanischen Italiker»
die Umbrer, Osker und Latin er, von dem Norden der von ihnen
besetzten Halbinsel ausgegangen. Über Italien hinaus weist ausser
ihrer Zugehörigkeit zu den Indogcrnianen im allgemeinen, die engere
Sprachverwandtschaft im besonderen, durch die sie mit den Kelten
verbunden sind, und die sich, abgesehen von mehreren engeren Über-
einstimmungen des Wortschatzes, auf einigen wichtigen Gebieten der
Formenbildung (vgl. zuletzt Brugmann Grundriss I 25) äussert. Da
nun für Italien ^der Eintritt von Nordosten her der natürliche ist",
da es auf dieser Seite sich am zugänglichsten erweist, die Wege nach
dieser Ecke aber von der Donau herkommeu" (Ratzel S. 84), so ist
es das nächstliegende, die Berührung zwischen Italikern und Kelten
an diesem Flnss zu lokalisieren (vgl. auch Hirt ') S. (i55).
Hiermit wenden wir uns zu den Kelten selbst und ihren uralten
Nebenbuhlern um die Herrschaft in Central- und West-Europa, den
Germanen. Zunächst kann man Uber das Verhältnis dieser beiden
Völker zu einander im allgemeinen sagen, dass, in je früherer Zeit
man ihre Stellungen beobachtet, um so mehr sich das Gebiet der Ger-
manen in der Richtung auf die Gestade, welche den östlichen Teil
der Nordsee und den westlichen Teil der Ostsee umsäumen, einschränkt,
und die Kelten an ihre Stelle treten. Noch im II. Jahrhundert v.Chr.
war von ihnen ganz Süddeutschland besetzt, indem den Raum zwischen
Bodensee und Main die Helvctier einnahmen. An sie schlössen sich
in Böhmen die Boji (Tac. Germ. Cap. 28), und noch weiter östlich
zog sich in den Cotini (Cap. 43), den Teurisci, den schwer genauer
zu lokalisierenden Volcae Tectosages u. a. eine Kette gallischer Völker
bis zu den Karpaten (Bremer S. 771 f.). Wie im Süden, waren auch
im Nordwesten die Wohnsitze der Germanen je früher um so mehr durch
Kelten eingeengt. Im III. oder IV. Jahrhundert reichten die Germanen
in Norddeutschland nicht weiter als bis zur Weser, wie denn bei den
Kelten selbst noch die Tradition lebte, dass jedenfalls die Belger von
jenseits des Rheines hergekommen seien (Caesar De bell. Gall. II, 4),
und die Namen aller Nebenflüsse, welche von rechts in den Rheia
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Urheimat der Indogcrinanen.
887
münden, nach Möllenhoffs Untersuchungen Deutsche A.-K. II, 207 ff.
sich als keltisch erwiesen haben. Es scheint aber, dass man an der
Hand der Orts-, besonders der Flussnamen, auf ndd. -apa, -epe, -pe
(z. B. Wörpe bei Bremen), hochd. -affa, -eff, fe <z. B. Walfe, Zufluss
der unteren Wcrra), in denen man ein keltisches aba (ir. abann ,Flnss)
oder *apd — lat. aqua .Wasser' wiedergefunden hat, die Ostgrenze
der Kelten noch weiter östlich bis zu einer Linie Lüneburger Heide —
Hildesheini — Güttingen — Eisenach — Thüringer Wald vorschieben muss.
Ja, auch in Thüringen selbst (vgl. namentlich die „Finne": kelt. penna
,Kopf ) und im Königreich »Sachsen {Fergunna , Erzgebirge' aus keltisch
*I'erkunia, d. i. Hercyma) glaubt man alte Stammsitze der Kelten
annehmen zu müssen (Bremer S. 774 ff.; vgl. dazu G. Kossinna Bei-
träge XX, 297 ff. nnd Z. des Vereins für Volkskunde VI, 1 ff.;. Als
älteste kontinentale Stammsitze der Germanen ergeben sich somit die
Landschaften zwischen dem Unter- und Mittellauf der Elbe und Oder,
also Mecklenburg und Teile von Pommern und Brandenburg. Hier/u
treten dann noch nordwärts Schleswig-Holstein, .lütland, die dünischen
Inseln und Süd-Schweden, die wenigstens von germanischem Stand-
punkt aus, nicht von der Urheimat der Germanen ausgeschlossen
werden können (so auch Kossinna Z. d. Vereins für Volkskunde VI. 14
und H.Hirt Neue Jahrbücher für das klassische Altertum etc. II, f>71;
s. ferner u. Schiff, Schiffahrt), da ein und dieselbe Bevölkerung
seit der jüngeren Steinzeit hier als ansässig nachweisbar ist (s. auch
u. Bestattung und u. Erz). Als uoch offen muss hingegen die Frage
der ältesten östlichen Ausdehnung der Germanen jenseits der Oder
bezeichnet werden. Die ostgenuauischen Völker, welche schon im
II. Jahrhundert v. Chr. in den Bastarnen an der unteren Donau er-
scheinen und zur Zeit des Tacitus namentlich in den Gutones noch
über die Weichsel hin verbreitet waren, sieht man neuerdings vielfach
als erst später in diese östlichen Wohnsitze eiugerückt an, indem man
entweder annimmt, dieselben seien, wie es schon die von Jordanes
bewahrte Wandersage der Goten will, von Skandinavien herüberge-
kommen (90 Kossina I. F. VII, 276, dem Hirt a. a. (.). beistimmt), oder
dieselben hätten einst vor den anglof riesischen und swebischen Stämmeu
an der unteren Elbe gesessen <so Bremer S. 786). Näherer Aufklärung
bedarf auch noch die Bestimmung der Lokalität, in welcher eine der
wichtigsten vorhistorischen Völker- und Sprachberührungen, die germa-
nischer Völkerschaften mit dem finnischen Stamme (vgl. W. Thomsen
Über den Einfluss der germanischen Sprachen auf die finnisch-lappischen
Halle 1870) stattfand. Thomsen setzt in seinem späteren Werk Bcrö-
ringer etc. S. 151 diese germanisch - finnischen Beziehungen zeitlich
später als die oben genannten baltisch-finnischen an, nnd meint in der
ersteren Schrift S. 122, dass „dasjenige Volk oder diejenigen Völker
der germanischen Klasse, von deren Sprache sich so manche Spuren
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888
Urheimat der Indogermanen.
in dein finnischen Stamme finden, in Mittelrussland oder eher in den
jetzigen Ostseeprovinzen in der unmittelbaren Nähe der Finnen gewohnt
haben müssen'* (vgl. dazn Bezzenbcrger a. o. a. 0.). Es scheint, dass
diese Fragen bei den neuesten Behandlungen der ältesten germanischen
Stammsitze nicht genügend berücksichtigt worden sind. Überaus
schwierig ist es endlich, bei der schon aus dem Obigen sich ergeben-
den ungeheuren Verbreitung der Kelten in Europa den Ausgangspunkt
dieses idg. Stammes zu bestimmen. Thatsächlich scheint es, dass der
Schwerpunkt ihrer Verbreitung, in je frühere Zeit man zurückgeht,
sich von dem linken auf das rechte Rheinufer verschiebt, so dass man
neuerdings (vgl. Bremer S. 777, dessen Ausführungen über keltische
Wohnsitze noch östlich der Weichsel, ja im südlichen Rnssland wir im
übrigen nicht folgen können) wieder dazu neigt, die von den Alten
(Caesar De bell. Gall. VI, 24, Taeitus Genn. Cap. 28) überlieferten
Nachrichten über keltische Kolonien, die über den Rhein nach Deutsch-
land n. f. w. geschickt worden seien, und im besonderen den von
Livius V, 34 berichteten Zug des Scgovesus. dem durch das Los der
Hereynische Wald zuertcilt worden sei, für reine Kombination aus dein
historischen Kclteuzug nach Italien im Anfang des IV. Jahrhunderts
zu halten. „Man wussteu, sagt Breiner a. a. 0., „in Gallien von früheren
Sitzen in Deutschland, und weil die italischen Kelten aus Gallien ge-
kommen, so leitete man gleichzeitig auch die süddeutschen Kelten aus
dem vermeintlichen Stammsitz in Gallien ab." (Siebt man dies zu und
vergegenwärtigt man sich zugleich, was oben über engere Berührungen
der Kelten und Italiker an der mittleren Donau auseinander ge-
setzt wurde, so wird man am wahrscheinlichsten diesen Fluss als die
Basis der keltischen Verbreitung ansehen müssen, von der aus sie nach
Ungarn, Böhmen, das südliche und mittlere Deutschland, das Rhein-
gebiet, nach Gallien u.s. w. übergingen (vgl. 11. Hirt *) S. Gf>4, Kossiuna
Z. d. V. f. Volkskunde VI, 8).
Überblicken wir die bisherigen Ausführungen, so ergiebt sich, dass
von einer früheren Verbreitungssphäre der Indogcrmancn in Asien:
Indien und Kleinasien, in Europa: Mitte und Süden der Balkan-
halbinsel, die Apennin- und I'yrenäenhalbinsel, wahrscheinlich der
ganze Westen Frankreichs und die britannischen Inseln auszuschließen
sind. Verbreitet finden wir die ludogermanen dagegen im Norden
und in der Mitte unseres Erdteils, östlich in dem russischen Wald-
gebiet bis zu der oben bezeichneten Finnengrenzc, während südlieh des-
selben im Steppengebiet ein nicht allzu breiter Streifen arischer Stämme
wahrscheinlich in ununterbrochener Ausdehnung weithinein nach Asien,
bis in die ostiranischeu Länder reichte (ähnlich Kretschmer S. 63 und
K. Brngniann Grundriss I2, 22).
Nun kann nicht bezweifelt werden und ist niemals bezweifelt worden,
dass ein derartig umfangreiches Gebiet sich nicht mit d e m decken
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Urheimat der Indogcrmancn.
889
kann, was wir als Urheimat der Indogcrmanen im engeren Sinne
bezeichnen, d. h. mit demjenigen Terrain, auf welchem die Indoger-
inanen, durch allophylc Völker noch ununterbrochen, eine im wesent-
lichen einheitliche, gegenseitiges Verständnis ermöglichende Sprache
redeten, und es erhebt sieh nunmehr die Frage, ob wir Mittel und
Wege besitzen, um zu diesem engeren und eigentlichen Urlami der
Indogerniauen vorzudringen Um eine Antwort hierauf zu geben, wird
es notwendig sein, die bisher in der Urheimatstrage vorgebrachten
Beweise und Gesichtspunkte, soweit dieselben heut zu Tage noch als
diskutierter bezeichnet werden können (im übrigen vgl. Sprachver-
gleichung und Urgeschichte2 a. a. 0.), einer erneuten Prüfung zu unter-
ziehen. Dieselben gehören teils der Linguistik, teils der Anthro-
pologie an, und sollen in dieser Reihenfolge besprochen werden.
Vorher aber ist einiger allgemeinerer, ausserhalb der genaunten
beiden Wissensgebiete liegender, nicht unwichtiger Erwägungen zu
gedenken.
Wir beginnen mit dein von K. G. Latham (Sprachvergleichung und
Urgeschichte* S. 118 ff*.), dem ersten der mit Entschiedenheit für den
europäischen Ursprung der Indogcrmancn eintretenden Forscher, in
diesem Sinne vorgebrachten Argumente, dass, da die Wahrscheinlich-
keit dafür spreche, dass die kleinere Klasse dem Verbreitungsgebiet
der grösseren entstamme, da auch in der Naturwissenschaft die Spezies
von der Area des Genus und nicht das Genus von der Area der
Spezies abgeleitet zu werden pflege, da ferner nicht das Germanische
aus dein Englischen und nicht das Finnische aus dem Magyarischen,
sondern umgekehrt hervorgehe, auch der Ausgangspunkt des Sanskrit
in Europa gesucht werden müsse. -Wenn wir zwei Zweige dersclbcu
Sprachklasse besitzen, die getrennt von einander sind, und von denen
einer ein grösseres Gebiet hat und mehr Varietäten zeigt, während
der andere geringem Umfang und grössere Homogenität besitzt, so ist
anzunehmen, dass der letztere von dem erstem abstammt, und nicht
umgekehrt." Thatsaehlieh wird man dieser Argumentation Lathams
-eine gewisse Wahrscheinlichkeit nicht absprechen können, die nmso
grösser ist. seitdem feststeht, dass auch Kleinasien seine idg. Be-
völkerung von Europa her erhalten hat (s. o.), so dass also bei der
Annahme einer asiatischen Urheimat nur die Arier (Inder und Iranier)
als im Osten, in der ursprünglichen Heimat zurückgeblieben an-
gesehn werdcu könnten. Dies ist auch die Ansiebt H. Ilirts *) S. 658 f.,
während .1. Schmidt a. u. a. 0. S. 10 die Erwägungen Lathams, freilich
-ohne Angabc von Gründen, als „völlig hinfällig" bezeichnet.
Eine wichtige Rolle haben ferner in der Urheimatsfrage, und zwar
•diesmal zu Gunsten der asiatischen Hypothese, die Schlüsse gespielt,
die man ans gewissen historischen Völkereinbrüchen in Europa auf
eine bestimmte vorhistorische Wanderrichtung der Indogerniauen
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Urheimat der Indogermanen.
gezogen bat. Wie die Hunnen. Magyaren, Mongolen aus Asien in Europa
eingebrochen sind, so muss sich, so folgerte man, auch die Ausbrei-
tung der Indogcrniancn in ost- westlicher Richtung bewegt haben. „Alle
übrigen Wanderungen", so verspottet V. Hehn die europäische Hypothese,
„gingen von Ost nach West und brachten neue Lebensformen, auch wohl
Zerstörung ins Abendland, nur die älteste und grösste ging in umge-
kehrter Richtung und Überschwemmte Steppen und Wilsten, Gebirge und
Sonnenländer in unermesslicher Ausdehnung". Gegenwärtig wird man
die Vorstellung, als ob die Indogermanen, gleichsam von einem be-
stimmten Wanderiingsziel magnetisch angezogen, sich ausschliesslich
in einer und derselben Richtung bewegt hätten, als auf-
gegeben betrachten dürfen. Was wir vielmehr fiuden, ist, dass Wan-
derungen der idg. Völker von der ältesten Zeit an nach allen Rich-
tungen sich nachweisen lassen. Die Inder wanderten nach Süden,
die Phryger und Armenier nach Osten, die Germanen nach Westen
und Süden, die Kelten nach den obigen Ausführungen nach Norden
und Westen. Die ausserordentliche Expansion der Slaven vom II. bis
VII. Jahrhundert ist westlich und südlich gerichtet, der später eine
nördliche und östliche folgt u. s. w. Mit viel grösserem Recht als die
Analogien historischer Völkereinbrüehc kann man für eine im Grossen
und Ganzen in Europa nach Westen uud Süden gerichtete Ausbreitung
der Indogermanen die Beobachtung geltend machen, dass nur noch im
Westen und Süden n i c h t i n d o g e r in a n i sc h e Völkerttbcrreste bis in
die historischen Zeiten hineinragen (s. o.). so dass man hieraus den Schluss-
ziehen kaun, die Amalgamationskraft der Indogermanen allophylen
Völkerbestandteilen gegenüber, die (s. u. Stände) wahrscheinlich einst-
mals in ganz Europa verbreitet waren, habe mit der Ausbreitung in
den genannten Richtungen allmählich nachgelassen. Erwägt man nun
andererseits, dass die asiatischen Indogernianeu, Inder und lranier,
Phryger und Armenier unter dem Druck der sie umgebenden Kulturen
uud Völker des Orients in ihrer idg. Eigenart frühzeitig zu Gruude
gegangen sind, so dass sie mit ihren europäischen Vettern kaum noch,
etwas anderes als die Sprache gemeinsam zu haben scheiuen, so er-
hält man auch von dieser Seite den Eindruck, dass es sich, wie sicher
bei Armeniern und Phrygern, so auch bei den Ariern um ostwärts-
verschlagene, nicht seit Urzeiten dort stammangesessene Völker handelt.
So scheint vor dem prüfenden Blick sich das Verbreitungsgebiet der
Indogermanen in Europa ostwärts, in Asien westwärts zurückzuziehen.
Auf dasselbe Ergebuis führt eine andere Argumentation, die unter
den nunmehr zu besprechenden linguistischen an erster Stelle ge-
nannt werden möge, eine Argumentation, die ursprünglich dazu be-
stimmt, den asiatischen Ursprung der Indogermanen zu erweisen,,
bei näherer Betrachtung viel eher gegen denselben verwertet werden
muss. Man hat bekanntlich gesagt: .Je näher ein Volk seinem ur-
Urheimat der Indogermanen.
891
sprüuglicheu Ausgangspunkt geblieben ist, nm so weniger hat sieb seine
Sprache durch Berührung mit allophylen Elementen, durch die Ent-
fernung von den ursprünglichen Klima- und Bodenverhältnissen u. s. w.
verändert. Da nun das Altindische und Altiranischc die ältesten
Sprachformen auf idg. Boden aufweisen, so muss die Urheimat der Indo-
germanen in der Nähe Indiens und Irans gesucht werden." Es kann
aber nicht bezweifelt werden, dass diese Schlussfolgernng eine falsche
ist. Denn einmal hat die neuere Sprachforschung längst erkannt, dnss
wenigstens auf dem Gebiete des Vokalismus die europäischen und nicht
die arischen Sprachen den ältesten Zustand bewahrt haben, und
zweitens hat man sich klar gemacht, dass, wenn man die Altertttmlich-
keit der einzelnen idg. Sprachen gegen einander abwägen will, dies
nur unter Zugrundelegung einer gleichzeitigen Sprachperiode ge-
schehen kann. „Thut man dies für die Gegenwart", so führt W. Streit-
berg a. u. a. 0. mit Recht aus. „so kann kein Zweifel bestehen, dass
von allen heute noch existierenden idg. Dialekten keiner in seinem
Laut- und Fomicnsystem das Litauische an Altcrtümlichkcit über-
trifft oder auch nur erreicht Namentlich fällt ein Umstand
schwer ins Gewicht, zu dessen Würdigung uns erst die Untersuchungen
der letzten Jahre befähigt haben. Das Litauische ist nämlich die
einzige idg. Sprache, die die alten Unterschiede der idg. Akzent-
qualität, die Differenz zwischen Zirkumflex und Akut, uns allen aus
der griechischen Grammatik geläufig, bis auf den heutigen Tag intakt
erhalten hat Der tiefe Eindruck, den diese Thatsaehc auf
jeden Unbefangenen machen muss, wird noch verstärkt, wenn man sich
vergegenwärtigt, dass nur noch in den ältesten Teilen des ältesten
idg. Sprachdenkmals, des Rigveda. Spuren der alten Akzentunterschiede
vorkommen, während schon in den jüngeren Partien desselben Werkes
die Differenz im Untergang begriffen erscheint. u Wenn es also richtig
ist, dass die Altertümlichkeit einer Sprache zusammenhängt mit dem
Verbleiben des betreffenden Volkes in der Nähe seiner Stammsitze
(Einwendungen dagegen bei J. Schmidt S. 18), so muss die Urheimat
der lndogcrmanen nicht allzuweit von den Wohnsitzeu der Litauer,
also jedenfalls im östlichen Europa, gesucht werden.
Ausführlicher ist über eine zweite Gruppe der linguistischen Argu-
mente, nämlich über die Bemühungen zu berichten, die darauf hinaus
laufen, aus vermutlichen verwandtschaftlichen oder nachbar-
lichen Beziehungen der lndogcrmanen zu anderen Sprach-
st Ammen das Urland der ersteren zu ermitteln. Es handelt sich
hierbei um die Semiten und um die Finne n. Zwar ist, was die
ersteren betrifft, die lange Zeit bei zahlreichen für Asien als Urheimat
der Indogermanen eintretenden Gelehrten fest eingewurzelte Vorstellung
einer Urverwandtschaft zwischen Semiten und lndogcrmanen jetzt wohl
allgemein und endgültig fallen gelassen worden. Allein noch bis in die
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Urheimat der lndo<rennanen.
neueste Zeit hat man vorhistorische Berührungen der beiden Sprach-
stämme daraus zu folgern sich bemüht, dass man nachzuweisen ver-
suchte, es seien schon in urindogermanischer Zeit semitische Kultur-
wörter und semitisches Kulturgut in das Indogermanische eingedrungen.
Zunächst hat Fritz Hommel (Die Namen der Säugetiere S. 224, 290,
414 f., Korrespondenzblatt d. d. Gesellsch. f. Anthropologie, Ethno-
graphie und Urgeschichte 1879 S. (50, Archiv f. Anthropologie XV,
1884 S. 164) eine Anzahl angeblich semitisch-indogermanischer Kultur-
wörtcr zusammengestellt, von denen freilich nur zwei, und zwar nicht
eigentlich auf semitischem, sondern auf sumerisch-akkadischem Boden,
also in der Spruche der nichtsemitischen Ureinwohner Babyloniens
wurzelnde Entsprechungen, nämlich sumer. balag, babylon.-assyr. pi-
lakku = seit, paraqti-, griech. tt€\€ku<; ,Bcil' und sumer. urud = sert.
löhi-, lat. randnn , Kupfer' etc. sich als vielleicht stichhaltig erwiesen
haben. An diese anknüpfend hat dann .1. Schmidt in seiner Schrift
über die Urheimat der Indogermanen (s. u.) einen neuen Weg in der-
selben Richtung eingeschlagen. Er weist nach, dass «las alte idg.
Dezimalsystem bei den Indogermanen Europas durch die Einwirkungen
eines Duodezimal- oder Scxngesimalsystems • näheres s. u. Zahlern
durchbrochen worden sei, und dass diese Einwirkungen nur von Babv-
lonien ausgegangen sein könnten. Hieraus folge, dass die älteste Ver-
breitnngssphäre der europäischen Indogermanen einstmals in der Nähe
Babyloniens gelegen haben müsse. Allein dieser Schluss ist von den
meisten Kritikern, auch von solchen, die in der Sache selbst durch die
scharfsinnigen Ausführungen der genannten Schrift überzeugt worden
sind, als nicht stichhaltig bezeichnet worden (vgl. F. Müller Ausland
1891 S. 441, II. Hirt«) S. 468, W. Streitberg I, P. Kretschmer S. 58 ff.),
und in der That versteht man nicht, warum, wenn doch .1. Schmidt
selbst hervorhebt, dass jener babylonische KultureinHuss auf dem Ge-
biete des Zahleuwesens sich bis zu den Syrjänen im Norden Europas,
ja bis zu den Chinesen im äussersten Osten Asiens erstreckt, derselbe
nicht auch die europäischen Indogermanen in Europa, sei es
zur Zeit noch bestehender vorhistorischer Zusammenhänge (s. u.), sei
es erst in den Stammsitzen der Einzelvölker getroffen haben könne.
Zu betonen ist auch, dass die Spuren des babylonischen Sexagesimal-
systems sich nur bei den europäischen Indogermanen, nicht aber bei
den Ariern, die in historischer Zeit in der Nähe Mesopotamiens sitzen,
finden, während jene beiden sumerisch-akkadischen Kulturwörter sich
auch bei den Ariern (sert. parayi- .Heil", löhd- ,Kupfcr'i nachweisen
lassen, so dass man also wird schliessen müssen, beide Kulturüber-
tragungen hätten zu verschiedener Zeit und bei verschiedenen Völker-
stellungcn stattgefunden (Vermutungen hierüber vgl. bei Kretschmer
S. 61, 106 f.). Endlieh wird man, was die Übernahme des sumero-
akkadischen, nicht semitischen Kupfer- und Beilnamcns in das Indo-
Urheiiunt der Iu<lo;rcriiiancii.
H93
germanische anbetrifft (sumerisch ttrudtt , Kupfer' kommt im Semitischen
Überhaupt nicht von, auch bedenken müssen, dass, die gerade von
F. Hommel behauptete nordasiatische Herkunft der Sumero- Akkadcr
vorausgesetzt, die Entlehnung in das Indogermanische auch von anderer
Richtung her als von Babvlonicn erfolgt sein könnte s. auch u. Axt
und u. K upf er). -Man sieht also, wie unsicher alles wird, sobald man
aus den hier geschilderten Verhältnissen geographische Schlüsse auf
die Urheimat der Indogermanen ziehen will.
Während die Frage nach einer etwaigeu Urverwandtschaft der Indo-
germanen n ml Semiten als in negativem Sinne erledigt angesehen
werden kann, bilden die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen
Indogermanen nnd Finnen ein in voller Erörterung begriffenes Problem.
Namentlich ist neuerdings der bekannte englische Sprachforseher
Henry Sweet in Weiterführung des Gedankengangs von Männern wie
N. Anderson (Studien zur Vergleichnng der Indogermanischen und
Finnisch-ugrischen Sprachen), Donner (Vergleichendes Wörterbuch der
Finnischen Sprachen) u. a. mit grosser Entschiedenheit für den gemein-
samen Ursprung des idg. und finnisch-ugrischen Spraehzweigs einge-
treten. Er weist The history of language London 1900 S. 11 2 ff.
auf die in die Augen springende Übereinstimmung beider Sprach-
gebiete in der Pronoininalbildung, den Personal-, den Casusendungen
u. s. w. bin, um schliesslich sein Endergebnis so zu formulieren: „//*
all these and many other resemblances that might be adduced do
not prove the common origin <>f Aryan and l'grian, and if tee
assume that the Ugrians borroteed not only a great parf of their
vocabulary, bttt also many of their dericatire syllables. together teith
at least the personal endings of their verbs front Aryan, then the
whole fabric of comparative philology falls to the gmund, and ice
are no longer justi/ied in inferring from the similarity of the in-
ßections in Greek, Latin, and Sanskrit that these languages have a
common origin.- Trotzdem wird mau sagen müssen, dass bis jetzt
der „Franz Boppu noch nicht erstanden ist, der mit gleich gründlichen
Kenntnissen auf idg. wie finnischem Gebiet ausgestattet, durch eine
methodische und erschöpfende Vergleichung die Berechtigung einer
derartigen zuversichtlichen Auffassung erwiesen hätte. Ähnlich liegen
die Dinge auf dem Gebiete des Wortschatzes. Der finnische Wort-
schatz wimmelt von idg. Bestandteilen, von denen die meisten indessen
nachweislich aus Entlehnungen von idg. Einzel Völkern, Germanen,
Balten, Slaven, Ariern herrühren. Gleichwohl bleibt eiue Anzahl idg.-
finnischer Wortübereinstinimungen übrig, von denen selbst W. Thomsen,
ohue Zweifel der beste und vorsichtigste Kenner dieser Verhältnisse,
meint, dass sie „vielleicht auf eine Stammverwandtschaft des Finnischen
mit den indogermanischen Sprachen hinweisen könnten" ^Cber den
Einfluss der germ. Spr. S. 2). Als Beispiele führt er an finn. mesi
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894
Urheimat der Indnvrcrmatien.
(St. med- oder met-) Jlonig', niortlw. med.. eer. my, syrj. »w, ostj.
mag, wog. w«w. ung. «ite = idg. *medhu- (g. u. Biene, Kienen«
zu cht); tinn. rtw (Stamm red- oder ref-) , Wasser', moidw. iced, cer.
Kit, r//f, syrj. ro\ wog. r/7, ung. r/2 — seit, udtfn-, grieeb. übuup,
altsl. rorfrt, got. icatö; tinn. nimi .Name', niortlw. lern, cer. /wi, ///m,
syrj. wiw/, ostj. //<?m, wog. ntf-m, ung. w/;r = sei t, na man- u. 8. w.
(s. n. Name, Xamcngcbungi. Andere Fälle «lieser Art sind tinn.
ciioxi ,Jahr', weps. wos. ostj. 6t = idg. *ret-, *ut-, *veton- (s. n. .Jahr);
tinn. «a?i<t .Wort' etc. (Donner II, f>6, Sweet S. 114) = sert. svana-,
lat. Monu«; tinn. äyi/ci, ung. ///// etc. , Fisch' = lat. squahi* ,cine Art
Haifisch', altn. /ir////% agls. Ä/rtp/, ahd. wal, altpr. fai/w ,Wels' (vgl.
J. Hoops Englische Studien XXVIII, 1 und s. u. Wels und Walfisch)
etc. Hei mehreren dieser Wortühereinstiminiingen könnte man, insofern
sie Kultnrbegriffe bezeichnen, statt au Urverwandtschaft auch an vor-
historische Nachbarschaft von Finnen und Indogermanen und an
Entlehnung des einen Sprachstamms aus dem anderen denken, wie
denn dasselbe L. v. Schröder aus der grossen Übereinstimmung idg.
und finnisch-ugrischer Hochzeitsbräuche (s. u. Heirat) gefolgert hat.
So mehren sich von verschiedenen Seiten her die Anzeichen, die auf
uralte vorhistorische Zusammenhänge zwischen Finnen und Indoger-
manen hinweisen. Je mehr sie sich bewahrheiten, ein umso stärkeres
Argument sind sie für die uralte Anwesenheit der Indogermanen im
Osten unseres Erdteils, da kein Grund vorliegt, die Ursitze des finnisch-
ugrischen Stammes anderswo als in der russischen Waldregion zwischen
der Wolga bis jenseits des Ural zu suchen (vgl. Fr. Th. Koppen Aus-
land Jahrgang ß.'J, Nr. fil gegen AI. Castren, der in seinen kleineren
Schriften, heransgegeb. von A. Schiefncr V, 107— 122 die Urheimat
der Finnen in die Nähe des Sajanischen Gebirges und des Altai ver-
legt hatte).
Einen bedeutenden Anteil an der Erörterung der Heimatsfrage haben
endlich diejenigen linguistischen Erwägungen gehabt, welche durch
Erschliessung der von dein Urvolk bereits sprachlich ausgeprägten Be-
griffe etwas Uber das Klima, die Bodenbesehaf fenheit, die Fauna
und Flora des Urlandes und damit über seine geographische Lage
zu ermitteln suchten. Zusammenfassend kann gleich hier bemerkt
werden, dass im (tanzen wenig bedeutsames oder sicheres durch der-
artige Mittel festgestellt werden konnte. Was wir auf diesem Wege
erfahren, ist, dass die Indogermanen in einem gemässigten Klima
lebten, in dem sie den Winter (s. d.) mit Schnee und Eis (s. d.)
kannten und drei Jahreszeiten, Winter, Frühling und Sommer, noch
früher wohl nur zwei, Sommer und Winter (s. u. Jahreszeiten), unter-
schieden. Auch Flüsse und Berge (s.s. d.d.), über deren nähere
Beschaffenheit wir natürlich aus der Sprache nichts erfahren, waren
ihnen bekannt. Alles das passt, wie J. Schmidt S. 20 mit Recht her-
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Urheimat der Indo^-riiianeti.
895
verhebt, auf ganz Europa-Asien mit Ausnahme etwa der südlichsten
Striche, die, wie wir sahen, Uberhaupt nicht für das Urland in Be-
tracht kommen. Wichtiger ist, dass offenbar ein Meer (s. d.) im vor-
historischen Gesichtskreis einiger, wenn nicht, da die Sprachreihe
von lat. mare und seiner Sippe uralten Charakter tragt i vgl. H. Hirt l)
S. 47.") f.), aller idg. Völker gelegen war. Wenig Anhaltspunkte bietet
auch die linguistisch erschlicssbare Fauna des Urlands, umso weniger,
weil ein Zweifel darüber nicht mehr gestattet ist, dass es nicht an-
geht, aus dem Fehlen gewisser Tiere in derselben Schlüsse auf die
Lage des Urlands zu ziehen, wie dies Benfey aus dem Mangel eines
idg. Löwen- und Tigernaniens versuchte. Liegt es doch auf der Hand,
dass ein solcher sich auch bei der Annahme erklären würde, dass die
lndogermanen einstmals in einem Lande mit Löwen und Tigern lebten
und Bezeichnungen für sie besnssen, die sie jedoch einbüssen mussten,
als sie die beiden Raubtiere aus dein Gesichtskreis verloren (s. u.
Löwe und u. Tiger). Dasselbe gilt von allen ähnlichen Fällen. Im
einzelnen finden sieh urverwandte Bezeichnungen, was die Säugetiere
betrifft, unter den Raubtieren für Hund, Wolf, Bilr, Fischotter,
Igel, Fuchs (V;, Luchs, Iltis, Marder ts. die beiden letzteren u.
Wiesel), unter den Nagern für Maus, Hase, Biber, Eichhörn-
chen fV), unter den Einhufern für das Pferd, unter den Zweihufern
oder Wiederkäuern für Rind, Schaf, Ziege, Hirsch, unter den
Vielhnfem für das Schwein (s.s. d.d.). Das urverwandte Sprachgut
auf dem Gebiete der Vögel s. u. Raub-, Sing-, Sumpfvögel, Gans,
Ente, Halm Huhn), Seh wan, Specht, Wachtel, Eisvogel, Falke
(Falkenjagd), Fasan, auf dem der Fische u. Fisch (Fischfang),
Walfisch, Wels. S. ferner u. Ameise, Fliege, Käfer, Krebs,
Kröte (Frosch , Schildkröte, Schlange, Schnecke, Schmetter-
ling. Ungeziefer (Floh, Laus) u. a. Indem auf einzelnes dieser Art unten
zurückzukommen sein wird, lässt sich hier schon soviel sagen, dass
keines der genannten Tiere einen sicheren Aufschluss über die Lage
der idg. Urheimat darbietet Nur die Biene (s. d.) macht vielleicht
eine Ausnahme, wenn mau auf ihr Vorhandensein im Urland mit Sicher-
heit ans dem Umstand schliessen darf, dass die lndogermanen den
Honig und Honigtrank, den Met (s.u. Biene, Bienenzucht), kannten.
Zufolge der a. a. 0. nach Fr. Th. Koppen (Ausland 1890 X. 51) ge-
schilderten ursprünglichen Verbreitung dieses Insekts würde die Ur-
heimat der lndogermanen nicht in den Oxus- und Jaxartesländern und
nicht in der Region jenseits des Ural gesucht werden dürfen. So
bleibt die Flora des Urlands, insofern sie sich in der Sprache spiegelt,
kurz zu bedenken. U. Wald, Wald bäume ist gezeigt worden, dass
eine übereinstimmende Terminologie dieser letzteren sich im aligemeinen
auf Europa beschränkt, dass aber doch auch die arischen Sprachen
an einer Reihe dieser Baumnair.en teil haben oder hatten. Näheres
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Urheimat der hidogermamn.
hierüber wird unten zu sagen sein. Im einzelnen bat man von jeher
die Namen der Buche (s. d.» zu geographischen Schlüssen verwertet.
Die Ostgrenzc dieses Baumes deckt sicli mit einer Linie, die mau
sieb etwa von Königsberg; nach der Krim gezogen denkt. Da nun
bloss die Ccutumvölker in griceb. (pnjös rausgewichen in die Bedeu-
tung .Speiseeiche'), lat. fägus, abd. buohha eine gemeinschaftliche Be-
nennung dieses Baumes besitzen, so scheint dieselbe den Ausblick in
eine Zeit zu gewähren, in der die Satemvölker östlich, die Centuiu-
völker westlich der bezeichneten Buchengrenze süssen. Da aber der
angeführte Buchenname durch die im Vergleich zu allen Übrigen Baum-
namen auffallende Durchsichtigkeit seiner Bildung (von griech. cpattlv
»speisen') einen verhältnismässig jungen Eindruck macht, so liegt der
Schluss nahe, auch die Centunivölker hätten einstmals östlich der be-
zeichneten Buehengrenzc gesessen und bei Überschreitung derselben
die Bezeichnung ..Speisebaum" t'ilr die Buche neu gesebalTen (vgl.
Hirt ») S. AHii, 2) S. 651, Streitberg II; anders Krctsehmer S. 04'.
Wesentlich kürzer können wir uns über den Anteil der Anthropo-
logie an der Erörterung der Heimatsfragc fassen. So verheissnn-s-
voll es erschien, als gegenüber den oft unsicheren, ja nachweislich
falschen Deduktionen der Philologen und Sprachforscher eine Wissen-
schaft auf dem Plane erschien, die an der Hand eingehender, bisher
in der ganzen indogermanischen Frage vernachlässigten Beobachtung
der körperlichen Beschaffenheit der idg. Völker auch das Rätsel
ihrer Herkunft zu lösen unternahm, so deutlich muss mau es aus-
sprechen, dass sich diese Hoffnungen als trügerisch erwiesen haben.
Alle Versuche, aus angeblichen Rasseneigeuschaften den Ausgangspunkt
der idg. Völker zu bestimmen, scheitert an der einfachen Thatsache,
dass die Indogermauen keine Basse in anthropologischem Siune sind
oder in uns erreichbarer und erschliessbarer Zeit waren. Selbst wenn
wir also auch — wovon wir. so scheint es. noch weit entfernt sind —
in Europa-Asien distinkte Rassen scharf und reinlieh unterscheiden
könnten, wenn wir genau wüssteu, unter welchen rmstäuden und in
welchen Gegenden ihre Rassennicrkmale entstanden wären, würde dies
alles für die Frage der Urheimat der Indogennancii bedeutungslos sein,
weil uns jene Rassenf ragen ebenso wie die oben erörterten geolo-
gischen Probleme in unendlicher Zeiten Ferne zurückführen, wäh-
rend das, was wir idg. Urvolk und idg. Urheimat nennen, fast schon
an der Schwelle der Geschichte liegt. Dieser Gedanke ist mit aller
nur wünschenswerten Deutlichkeit neuerdings auch von F. Ratzel, den
gewiss niemand der Abneigung gegen anthropologische Forschung be-
schuldigen wird, a. u. a. (>. ausgesprochen worden. Nachdem derselbe
zu zeigen versucht hat, dass im diluvialen Europa, das damals von
Norden her durch Vcrgletscherung, von Nordosten und Südosten her
durch grosse Meercsausbuchtungen eingeengt, im Süden aber noch mit
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Urheimat der Indo<reriimiHMi.
Westasien nn<l Xordafrika landt'est verbunden gewesen sei. zunächst
über den bilden, wie auch Uber Xordafrika und Westasien, eine helle
Ahsehattierung der längst in den südlicheren Teilen von Afrika und
Asien heimischen dunklen Völker sich ausschreitet habe, dass dann
in dem allmählich eisfrei gewordenen Mittel- und Nonleuropa, in dem
►Steppengebiet Südostenropas und in dem nunmehr mit Europa land-
fest verbundenen Xordwcstasien die »blonde, hochgewachsene Kolonial-
Varietät der weissen Kasse" aufgewachsen sei, und dass endlich in
den Zusammcnfluss beider, besonders nach Ost- und .Mitteleuropa, sich
Abkömmlinge einer dritten, der mongolischen Hasse, dazwischen ge-
schoben hätten, fährt er S. 144 ganz in unserem Sinne folgcndermassen
fort: „Mit dieser Rassenentwicklung, die tief in eine viele Jahrzehn-
tansende hinter uns liegende geologische Vergangenheit hineingreift, kann
die Ausbreitung der arischen U\. h. indogermanischen) Sprachen in Europa
und Asien nur insofern in Verbindung gebracht werden, als diese
Sprachen, als sie sich entwickelten, die Kassen vorfanden, die im
qnartären Europa sich festgesetzt hatten. Ans ihnen bildete sich eine
neue Völker Verwandtschaft (d. h. eben die indogermanische
durch die uralten Prozesse des Verkehrs, der Eroberuug, der Koloni-
sation, der Verschmelzung und auch der Ausrottung Von einer
„arischen Rasse" kann also nicht gesprochen werden/ Im
Einklang hiermit ist auf anderem Wege u. Körpcrbcsehaffenheit
der Indogermaneu darauf hingewiesen worden, dass nach allem,
was wir wissen, die Indogermanen hinsichtlich ihres Schädelbaues, der
in der Rassenbestiraraung der Völker eine so wichtige Rolle gespielt
hat, schon in der Urzeit differenziert gewesen sein müssen. Auch die
Komplexion und die Statur werden nicht mehr ganz einheitlich ge-
wesen sein. Gleichwohl ist es wahrscheinlich, dass bei der Rassen-
mischung, aus der das idg. Urvolk hervorging, grosse und blonde
Menschen einen Hauptbestandteil bildeten, nur dass eben diese beiden
Eigenschaften nicht als ausschliesslich Indogermanen charakterisierend
betrachtet werden dürfen. Darauf hatte aber lange vor Penka, dessen
ganze Ansicht über den skandinavischen Ursprung der Indogermanen i vgl.
Sprachvergleichung und Urgeschichte S. 142 f. ) auf dem verhängnisvollen
Irrtum beruht, dass die Indogermanen eine distinkte Rasse gebildet
hätten, schon V.Hehn Kulturpflanzen'' S. f>ll rein aus ethnologischen
Erwägungen hingewiesen: „In welchem von beiden Typen aber, dein
dunklen oder hellen, dürfen wir mit grösserer Wahrscheinlichkeit das
Abbild der Urzeit erkennen? Alles spricht dafür, dass diejenigen
Stämme, die in historischer Isolierung am wenigsten von der ursprüng-
lichen Lebensweise sich entfernt hatten, nämlich die nordischen, auch
die leiblichen Stammeszeichen am treuesten bewahrt hatten. Wo sie
seitdem der südlichen Natur und Lebensform sich genähert oder mit
der dunkleren Rasse sich gemischt haben, da hat allemal die letztere
Schräder, Hcallexfkon. 57
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t'rhoiinat der Iiidogerinam'ii.
die Oberhand gewonnen. u Um aber zu solchen grossen und blonden
Volkern zu gelangen, brauchen wir nicht mit Pcnka in den hohen
Norden unseres Erdteils emporzusteigen. Sie werden ebenso vgl.
schon Ilerodot IV, 108) aus seinem Osten gemeldet.
Es wird also doch der Philologe und Historiker und nicht der An-
thropologe sein, der das entscheidende Wort (Iber die Urheimat der
Indogermauen zu sprechen hat.
Vergegenwärtigen wir uns den V erlauf unserer bisherigen Darstellung,
so wird man dreierlei sagen können: 1. dass alle zu Gunsten der asia-
tischen Herkunft der Indogermauen vorgebrachten Gründe sich als nicht
stichhaltig erwiesen haben, 2. dass zahlreiche Gesichtspunkte auf den
Osten unseres Erdteils als Ausgangspunkt der Indogermauen hin-
weisen, und 3. dass es nichts giebt, was gegen die Richtigkeit dieser
letzteren Annahme spräche. That.sächlich dürften sich mit einer solchen
vorläufigen und allgemeinen Fassung unseres Ergebnisses, abgesehen
etwa von .). Schmidt, alle diejenigen einverstanden erklären können,
welche in neuerer Zeit sich eingehender mit unserem Problem be-
schäftigt haben, im besonderen Hirt, Streitberg, Bremer, auch wohl
Krctschmer. Offen bleibt dabei zunächst, ob wir uns die Urheimat
mehr im Nordosten, im russischen Waldgebiet bis zur Ostsee, oder
mehr im Südosten, im südrussischen Steppengebiet bis zum Schwarzen
Meer zu denken haben.
Die Entscheidung über diese letzte Frage hängt lediglich davon ab,
welche Wirtschaftsform wir dem Urvolk zuzuschreiben, oder, kon-
kret gesprochen, ob wir es uns als Viehzüchter in der Steppe oder
als Ackerbauer im Waldland zu denken haben. Über diesen Zu-
sammenhang zwischen Wohngebiet und Wirtschaftsform hat neuerdings
Fr. Ratzel in seiner u. genaunten Schrift ausführlich gehandelt, aus
der wir einige charakteristische Sätze herausheben: „Wo Wald und
Steppe aneinander grenzen, da treffen auch immer iu der alten Welt
wandernde Hirtenvölker mit Jägern und Ackerbauern zusammen. Wald
ist in der nördlichen gemässigten Zone der Boden des Ackerbaues,
die Steppe ist der Boden des Nomadismus.u „Der Wald ist das Zu-
fluchts- und Schutzgebiet für Völker, deren Herden den Siegern zur
Beute gefallen waren, und die zu schwach geworden sind, um die
offene Steppe zu halten." „Zwischen Steppenländern und Waldläudern
liegen die Gebiete des Überganges. . . . Für die Entwicklung der
Kultur sind diese Übergangsgebiete von der grössteu Wichtigkeit. Das
Völkcrleben der Steppe befreundet sich in ihnen mit dem Wald, und
die Waldinseln halten es fest und vermitteln den Übergang vom
Hirtentum zum Ackerbau." -Ja, auch in Europa tragen die Anfänge
der Arier Merkmale des Notnadcntums, d. h. der Steppe. Kann es
unter diesen Umständen erlaubt sein, die Steppen Europas und euro-
päischer Nachbarländer bei der Frage nach dem Ursprung der Be-
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Urheimat der Indogcrmanen.
völkerung Europas zu vernachlässigen ?a Was lässt sich nun also
über die älteste Wirtschaftsform der Indogermanen ermitteln?
Das Ergebnis kann in folgende zwei in den Artikeln Viehzucht und
Ackerbau ausführlich begründete Sätze zusammengefasst werden:
1. Die Indogcrmanen waren in der ältesten uns erreichbaren Zeit
Viehzüchter. L\ Noch in vorhistorischer Zeit gingen die europäischen
Indogcrmanen, einschliesslich der später nach Klcinasien ausgewanderten
Phryger und Armenier, zu einem primitiven Ackerbau Uber, der aber
noch lange die Spuren des einstigen Hirtenlebeus nicht verleugnen
kann. Der Schluss auf die Lage der Urheimat ergiebt sich nun von
selbst: Die Indogermanen wohnten als Viehzüchter in der Steppe, in
deren Übergaugsgebieten die Europäer dem Ackerbau sich zuwandten.
Diese, wie uns scheint, einfache und schlagende Kombination wird
nun in ihrem Wert wesentlich erhöht durch den Umstand, dass der
von uns für die Urzeit angenommene Vorgang der Umwandlung eines
Teiles der Indogcrmanen aus Viehzüchtern zu Ackerbauern sich in
denselben (legenden gleichsam vor unseren Augen wiederholt. Als
Ilcrodot am Schwarzen Meere verweilte, erfuhr er (IV, 17 ff.), dass
unfern von dem an der Mündung des Dujepr gelegenen Emporions die
Kallipiden und nördlich von ihnen die Alazoncn wohnten, beides Völker,
die sonst wie die Skythen lebten, aber Getreide säten und sich davon
nährten, auch Zwiebeln, Knoblauch, Linsen und Hirse bauten. Noch
weiter nördlich sassen die „l'flüger-Skythen" (ZkuGcu dpoTf|p€?), die
sogar zum Zwecke der Ausfuhr Getreidebau trieben. Uberschritt man
den Dnjepr, so stiess man zunächst auf das „Waldlaudu (üXcua, skyth.
'Aßucn, : lat. ahies ,Tanne' nach Kretschmer S. 214 4), in dessen Nähe
die „Landbauer-Skythen u (Iicüeai teiuptoi) wohnten, die sich ostwärts
3 Tagereisen bis zur Samura, nordwärts 1 1 Tagfahrten auf dem Dnjepr
erstreckten. Ostlich von diesen „Landbauer-Skythen" traf man dann
auf die „Nomaden-Skythen", denen Säen und Pflügen eine unbekannte
Sache war. So sehen wir also, wie die Macht der Örtlichkeit ein
und dasselbe Volk in Hirten und Ackerbauer spaltet, kurz dasselbe
Schauspiel aut' derselben Bühne, das wir oben für die idg. Urzeit er-
schlossen.
Was gegen diese Stcppeuheiiuat der Indogermanen, für die in neuerer
Zeit auch E. Meyer, Fr. Seiler und 0. Bremer mit voller Entschieden-
heit eingetreten sind, eingewendet worden ist. lässt sich, wie wir
glauben, unschwer widerlegen. Man hat gesagt (vgl. H. Hirt 1 > S. 476):
„Die Steppe ist baumlos. Da nun eine Reihe von Baumnamen sich als
idg. erweisen und an ihnen auch die arischen Sprachen teilnehmen,
können die Indogermanen nicht in der Steppe gewohnt haben." Allein
der Vordersatz, auf dem sich dieser Schluss aufbaut, ist unrichtig.
Durch neuere, im besondern russische Untersuchungen (vgl. darüber
A. Nehriug Die geographische Verbreitung der Säugetiere in dem
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:kk)
Urheimat der Iiidogcrmam'n.
Tschernoscm-Gcbiete des rechten Wolga-Ufers sowie in den angrenzen-
den Gebieten, Z. der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin XXVI. Band
Nr. 4 und Fr. Ratzel a. u. a. 0. S. 57) wissen wir. dass im südlichen
Russland, namentlich an den Flnsslänfen, Wahl und Steppe so viel-
fach in einander greifen, dass es ein Wunder wäre, wenn die in der
letzteren wandernden Indogermanen nicht Namen der Waldbäume in
ihrer Sprache ausgebildet haben sollten. Über einen gewissen Holz-
vorrat müssen auch die Skythen, selbst die in nomadischen Verhält-
nissen verharreuden, verfügt haben, wie allein schon ihre Bekanntschart
mit dem Wagenbau (s. u. Wagen) beweist. Auch bleibt die That-
saehc bestehen, dass die grössere Zahl der gemeinsamen Baumnamen
auf die europäischen Sprachen beschränkt ist. Da dieselben, mit Aus-
nahme der Buche (s. o.), gegenüber den sicher europäisch-arischen
Bezeichnungen für Bäume (sert. hhürja-, ahd. birihha u. s. w. .Birke":
sert. bhräj .glänzen', sert. pita-dru-, griceh. ttitu? , Fichte' : sert. pi,
päyate ,schwelleiv, aw. vaeti , griceh. it^a , Weide' : seit, rtiyati, lat.
rieo) wurzelhaft dunkel sind, liegt die Vermutung nahe, sie mochten
nicht von den Europäern neugebildet, sondern aus allophylcn Sprachen
in das Indogermanische übertragen worden sein (vgl. auch Kretschmer
S. 66).
Man bat ferner eingewendet (vgl. .1. Schmidt S. 22\, dass der Bär
is. c!.), den die Indogermanen sicher kannten, kein Steppentier sei:
aber auch dies ist irrig; denn es hat sich herausgestellt, was eben
mit der sporadischen Bewaldung des Steppengebietes zusammenhängt,
dass das Tier daselbst recht wohl zu Hanse ist i vgl. Kretschmer S. 58V
Auch für den Aal (s.d.) hat man einen urverwandten Ausdruck er-
*chlicsscn wollen (Hirt S. 484, i\ S. 664) und darauf hingewiesen,
dass dieser Fisch in den Zuflüssen des Schwarzen Meeres, das man
nach dem obigen unter der Reibe lat. mare, got. tnarei u. s. w. (s. auch
u. Salz) natürlich verstehen innss, nicht vorkomme. Allein die be-
treffende Wortreihe, griech. £yx€Xu<; nnd seine Sippe, stellt, womit
auch J. Schmidt S. 19 übereinstimmt, aller Wahrscheinlichkeit nach
nichts als eine erst in den Einzelsprachen entstandene Verkleinerungs-
form eines idg. Wortes für Schlange (Aal = kleine Schlange) dar.
Unrichtig ist es ferner, wenn Schmidt, Hirt. Streitberg die Biene von
der Steppe ausschliessen wollen, die in derselben (s.u. Biene, Bienen-
zucht) zweifellos heimisch ist, und endlich treten auch die drei
Jahreszeiten, welche schon die Indogermanen unterschieden, Winter,
Sommer und die kurze Übergangszeit des Frühlings, deutlich in der-
selben hervor (vgl. darüber Kretschmer S. 66 f.).
So verlegen wir also die Urheimat der Indogermanen in das Steppen-
gebiet des südlichen Russland, wobei es wenig darauf ankommt, ob
man zu dem europäischen Teil desselben noch einen grosseren oder
kleineren des asiatischen Steppengebietes hinzurechnet. Nur mnss man
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Urheimat der Indogermaneu.
901
sich klar machen, was unter „Urheimat der Indogernianen" besonnener
Weise zu verstehen ist. Wie wir glauben, nichts als die älteste Ver-
hrciTiuigssphärc derselben, die wir noch mit unseren Mittel u erschlicssen
können. Ob die idg. Völkereinheit auch in der Steppe entstanden
ist, ist eine ganz audere Frage, die vom Standpunkt unseres gegen-
wärtigen Wissens aus nicht einmal ohne Weiteres bejaht werden kann.
Denn Spuren von paläolit Iiisehen Menschen, aus denen doch eiumal
auch die Indogermaneu hervorgegangen sein müssen (s. u. Steinzeit),
fehlen bis jetzt im Steppengebiet. Vgl. Fr. Katze! S. 47: „Gar keinen
Beweis dafür gieht es, dass das südrussische Steppengebiet vor der
Bildung der Schwarzerde von Menschen bewohnt wurde. Man kennt
keine paläolitbischen Funde aus diesem Gebiet zwischen Kasan, dem
Schwarzen Meer und dem Kaspisce. In den ältesten Absätzen des
damals noch vergrösserten Kaspisehen und Politischen Beckens findet
mau massenhaft Keste von Mammut, Khiuoceros, Bos primigenius u. a..
.aber keine Spur von Menschen.* Es könnte daher wohl als
möglich bezeichnet werden, namentlich wenn die oben besprochene
Urverwandtschaft der Finnen und Indogermaneu sich bewahrheiten
sollte, dass die Indogermaneu — vielleicht als Jäger, wie die Finnen —
einstmals nördlich des Steppengebietes wohnten und südwärts gedrängt,
zur Viehzucht und zum Hirtcnleben übergingen. Der Ursprung unserer
Hanstierrasseu (s. namentlich u. Hund, Pferd. Kind, Schwein)
scheint, je mehr die Wissenschaft sieh in ihn versenkt, auch von
Europa her verstanden werden zu können. Allein hüten wir uns, in
diese Fragen näher einzugehen, die. wenigstens gegenwärtig, einer
wissenschaftlichen Behandlung unzugänglich sind. Ihnen gegenüber
steht die, wie wir glauben, sichere Erkenntnis, dass die Indo-
ge miauen in einer gewissen Epoche ihrer vorhistorischen
Entwicklung in der südrussisehen Steppe sassen, und in
derselben ein Teil von ihnen zum Ackerbau überging.
Die Ausbreitung der Indogernianen von diesem Zentrum aus wird
teils durch allmähliches Wachstum und räumliche Ausdehnung des
Volkes, teils durch Wanderungen einzelner oder vereinigter Stämme
erfolgt sein. Erwägt man, worauf schon oben hingewiesen wurde,
dass die höchstwahrscheinlich schon in der Urheimat embryonisch vor-
handene Spaltung der Indogernianen in westliche Centum- und östliche
•Satcm- Völker so im Grossen und Ganzen noch in der geschichtlichen
Zeit andauert, so wird man es wahrscheinlich finden müssen, dass
grosse Verschiebungen in der Stellung der einzelnen Völker zu einander
<lureh ihre Ausbreitung nicht veranlasst worden sind, und die Annahme
vorhistorischer Völkerberührungen wie die neuerdings von Kretschmer
»S. 124 ft". angenommene zwischen Kelten und Indem hat von vornherein
wenig Wahrscheinlichkeit. Hinsichtlich des Weges ihrer Ausbreitung
und Wanderungen machen eigentlich nur die Centuin-Völker Schwierig-
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00l>
Urheimat der Indogermanen — Urochse.
keiteu. Lange werden sie in unmittelbarer Berührung mit den euro-
päischen Satem-Völkern östlich der Karpaten und westlieh der oben
bezeichneten Buchcngrenze gesessen haben. Dann werden sich die
Vorfahren der kriechen. Italer und Kelten längs der Donau nach
Ungarn gewendet haben, das „immer eine Pforte für den Übergang
aus dem politischen Gebiet nach Inneneuropa" gewesen ist, und in
den Teilen zwischen Donau, Theiss und nordöstlichen Karpaten den
Charakter der alten Steppenheiuiat wiederspiegelte. Von der Donau
mögen sich frUli die Griechen durch die Thälcr der Sau, Drina und
Morawa abgezweigt haben, während die Italiker und Kelten an der
mittleren Donau in benachbarten Wohnsitzen bei einander blieben. Die
Vorfahren der Germanen, die ältere verwandtschaftliche Beziehungen
zu den Litu-Slaven als zu den Kelten, mit denen sie erst später wieder
zusnmmenstiessen, zu zeigen scheinen (vgl. Kretsehmer S. 108 110),
denken wir uns aus dem Gebiet des Dnjestr zunächst in das der
Weichsel und dann weiter in das der Oder und Elbe Ubergegangen. In
chronologischer Hinsicht fallen die vorhistorischen Zusammenhänge
der Indogermanen. wie u. Kupfer und Steinzeit gezeigt ist (vgl.
auch Streitberg III), archäologisch gesprochen, in die neolithischc Zeit.
Als die Bronze (s. n. Erz) in Europa auftrat, traf sie die Indoger-
manen bereits als Ein/.elvölker und in ihren ältesten Stammsitzen oder
deren Xähe. Da nun die Archäologen dieses Ereignis auf den Anfang
oder die Mitte des II. Jahrtausends vor Chr. festsetzen, inuss die Aus-
breitung der Indogermanen in unserem Erdteil geraume Zeit früher
stattgefunden haben. — Vgl. .1. Schmidt Die Urheimat der Indo-
germanen und das europäische Zahlsystem, Abb. d. kgl. preuss. Ak. d.
W. zu Berlin, philos.histor. Abh. 1890 II. II. Hirt1 Die Urheimat
der Indogermanen I. F. 1 (1802), 8 Die Urheimat und die Wanderungen
der Indogermanen, Gcogr. Z. hcrausg. von A. Hcttner I (1895), W.
Streitberg Die Urheimat der Indogermanen Frankf. Z. vom 8., 1U. u.
15. März 1893 (I, II, III). E. Meyer Geschichte des Altertums II
(1893), 40 ff., F.Seiler Die Heimat der Indogermanen Hamburg 1894
(Virchow- Wattenbach), P. Kretschmer Einleitung in die Geschichte
der griechischen Sprache Göttingen 1896. O. Bremer Ethnographie
der germanischen Stämme in Pauls Grundriss III2. 735 ff., Fr. Ratzel
Der Ursprung und die Wanderungen der Völker geographisch betrachtet:
11. Geographische Prüfung der Thatsachcn Uber den Ursprung der
Völker Europas, aus den Berichten der phil.-hist. Kl. d. kgl. sächs.
Ges. d. W. zu Leipzig, Sitzung vom 3. Febr. 1900. Weitere Litteratur
zitieren H. Hirt I. F. 1, 46« 1 und K. Brugmann Grundriss I2, 22 l. Vgl.
noch J. W. Bruinier Die Heimat der Indogermanen und die Möglichkeit
ihrer Feststellung, Jahresb. d. Vereins für Erdkunde zu Metz, Sitzung
vom 29. Okt. 1890.
Urochse, s. Rind.
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Vasall — Veilchen.
903
V.
Vasall, 8. Stände.
Vater. Das idg. Wort liierfllr ist scrt. pitär-, altp. a\v. pitar-,
griech. Trcrrrip, lat. pater, ir. athir, got. fadar, annen. hair. Das Wort
fehlt also lediglich im Litu-Slaviseben und Albanesischcn. Eine Grundbe-
deutung dieser uralten Bezeichnung des Vaters lässt sich nicht mit Sicher-
heit ermitteln. Vielleicht ist sie nichts als eine organische Umbildung eines
der /ahlreichen Lall- oder Kinderwörter, die sich zur Bezeichnung des
Vaters und der Mutter in allen Sprachen der Welt finden. Solche Aus-
drücke auf idg. Hoden, wo sie im Litu-Slavischen und Alhanesisehen
das alte Wort für Vater ganz verdrängt haben, sind: scrt. tatd-, tätd-,
griech. Tidu-Tra Vok., arm < Anrede eines jüngeren an einen Alten), lat.
atta (Vater, Grossvater, Alter), tata, germ. got. atta, ahd. foto, lit.
tM-ift, teicas, altpr. thetift ,Grossvater', theicis , Vatersbruder', tdtes,
towia , Vater", altsl. otlci, all». at. tatr, kelt. korn. tat u. n. S. auch
u. Mutter und u. Stände III. Möglich ist aber auch, dass scrt. pitiir-
n. s. w. zu derselben Wurzel wie scrt. pdti-, griech. -noaiq (scrt. pä
,schützenj gehört, oder an dieselbe angelehnt worden ist. Über die
Stellung des Vaters in der idg. Familie s. d. S. auch u. Vorfahren.
Vatersbruder, s. Oheim.
Vater Himmel und Mutter Knie, s. Religion.
Vaterland, s. Staat.
Vegetabilische Nahrung, s. Ackerbau, Nahrung, Opfer,
S a 1 z.
Veilchen. Viola odorata L. ist nach Lenz Botanik S. GJU
wildwachsend in Griechenland und namentlich in Italien verbreitet;
doch giebt Heldreich Die Nutzpflanzen Griechenlands S. 49 in ersterem
als wildwachsend nur die der Viola odorata verwandte I'. Thexsala
Hoiss, et Sprun. zu. Der griechische und lateinische Name der Blume
Tov (schon Od. V, 72, daneben io€ibn.£ und iöcuj) und vio-la erweisen
sieh als urverwandt (s. auch u. Hyaeint hei. Welche Vcilchcngattnng
diese Gleichung ursprünglich bezeichnet hat, liisst sich aber nicht sagen.
Lat. riola drang, wahrscheinlich gleichzeitig mit der Viola odorata,
die in Deutschland nicht einheimisch, sondern nur verwildert zu sein
scheint, in den Norden, wo es früh mhd. als viol. viel, russ. /ialka,
cech. fiala etc. erscheint. Von der Kulturpflanze aus wurde dann
das einheimische wilde Veilchen (Viola vanina „Hundsveilchen4* ) be-
nannt.
Als Veilchen bezeichneten die Alten noch einige andere, ihm
ähnliche, aber verschiedenen Gattungen ungehörige Blumen, wie die
Levkoje, Matthiona incana L. (griech. XtuKÖv Tov, lat. ciola alba,
pallen*. leuconium) und den Goldlack, Cheirantus Cheiri L. (griech.
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904
Veilchen — Verbrechen.
XcuKÖiov unAivov, lat. viola lutea). Beide Blumen sind in Griechen-
land und dem ganzen südlichen Europa einheimisch (vgl. A. Engler
bei V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 254). Beide werden sicher in Deutsch-
land erst im XVI. Jahrhundert genannt (vgl. v. Fiseher-Benzon Altd.
Gartenflora S. 41). Orientalische Namen des Veilchens vgl. bei Horn
Grundriss der npers. Et. S. 53 und Hübsehmann Armen. Gr. I, 191.
— S. u. Blumen, Blumenzucht.
Verbannung, s. Strafe.
Verbeugung, s. Gruss.
Verbrechen. Für diesen Begriff lindet sich eine sichere idg.
Bezeichnung in der Gleichung seit, ä'gax- — griech. dvoc {ändga* =
ava-pte). Es handelt sich darum, die eigentliche Bedeutung dieses
Ausdrucks für die Urzeit festzustellen. Unter „Verbrechen" oder „Ver-
gehen" verstehen >vir Handlungen, die von dem Strafgesetzbuch, also
von der öffentlichen Gewalt, mit einer grösseren oder geringeren Strafe
bedroht werden, während wir den Ausdruck „Sünde" anwenden, wenn
wir hervorheben wollen, dass diese Handlungen oder auch andere,
von den weltlichen Gesetzen nicht verbotene, gegen den Willen der
Gottheit Verstössen. Nun ist bei der Einzclbesprechung einer Reihe
solcher Handlungen is. u. Mord, Raub, Körperverletzung,
Notzucht; gezeigt worden, dass dieselben in der ältesten Zeit noch
nicht von »1er Allgemeinheit geahndet wurden, dass vielmehr ihre Ver-
folgung lediglich der Selbsthilfe des einzelucn, bezüglich seiner Sippe
oblag. Aber auch eine Verletzung irgend welcher göttlicher oder
sittlicher Gebote kann man in ihnen ursprünglich kaum erblickt haben,
wie dies aus der ältesten Beurteilung fies Mordes oder des Raubes
deutlich genug hervorgeht.
Dabei soll nicht geleugnet werden, dass gewisse Handlungen, auch
wenn sie keiner Bestrafung von seiteu der Allgemeinheit unterlagen,
doch frühzeitig als unrecht und ehrenrührig angesebu wurden. Dies gilt
namentlich vom Diebstahl (s. d.i. in dessen Heimlichkeit das Anstössige
lag, und für den schon in der Grundsprache eine deutliche Terminologie
bestand. Diese Auffassung äussert sich darin, dass die Tötung des
Diebes keine Blutrache seitens der betroffenen Familie hervorzurufen
pflegte, eine Gewohnheit, die in dem allmählich sieb entwickelnden
Rechtsstaat zu dem Satze führte, dass man den (auf der That er-
griffenen) Dieb straflos töten dürfe. Ähnlich werden sich die Dinge
hinsichtlich der Beurteilung des Ehebruchs (s. d.) entwickelt haben.
Die eigentliche Quelle des Verbrechensbegritfes aber ist auf einem
anderen Gebiete zu suchen, auf das die Gleichung sert. ä'gas- — griech.
otToq selbst hinführt. Zwar ist aus dem vedischen Gebrauch des
Wortes nicht viel zu cntnehiueu. In den Hymnen des Rigveda be-
zeichnet ä'gas- (neben e'nax- = aw. aenah-) jedes schwere Vergehen
gegen Götter oder Menschen (z. B. 1, 185, 8 „Was immer für Frevel
»
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Verbrechen.
;><>:,
wir an den Göttern begangen haben, an dem Freunde oder dem
Stammeshaupte, dessen Sühne sei dieses Lied"). Deutlicher aber
redet das griechische (rro?- Untersucht man, mit Rücksicht auf welche
Handlungen in der älteren Litteratur, hei den Tragikern und bei
Herodot (hei Homer ist es nicht bezeugt), das Wort gehraucht wird,
so ergieht sich folgendes: Ein äfo<; ist der Landesverrat, den
Polyneikes, der deshalb unbeerdigt liegen bleiben soll, gegen Theben
begangen hat i Aeseh. Sept. v. 1 t.H 7 ff. : <3yo<s °^ Kai öavibv kcktö;-
<X€tcu öeiüv uaTpiiuujv, ou? dripdaa^ öbt o*TpriT€un ^ttoktöv dußaXibv
rjpei ttöXiv; also Polyneikes ist im Leben ein äfo? gewesen und soll
es auch im Tode sein). Ein äto<; ist ferner der Köuigsinord, der
an Agamemnon nach der Weissagung der Kassandra begangen werden
wird Acseh. Again. v. 1 240 ff.: Kass.: 'A-rautuvovöq oi <pr\n' iitoytOQai
uöpov. Chor: Tivoq TTpo? ävbpöq toOt* &fo$ TropöuvtTai; ). In diesen
Zusammenhang eines gewaltsamen Eingriffs in die Hefugnissc des
Königs oder Stammhauptes weist auch die Nachricht des Herodot
(VI, f>t)) nach welcher die spartanischen Könige den Krieg erklären
dürfen, gegen wen sie wollen. Kein Spartaner darf sie daran ver-
hindern. Wer es doch thut. aexöv cv tüi dtti ivixtoQai. Nicht
minder begebt ein äfo? und wird dadurch selbst zum <5rfO?« wer den
Vater tötet (Soph. Oed. rex v. 1426, wo Kreon den Oedipus so be-
zeichnet , oder wer die Toten unbeerdigt lässt Soph. Ant. v. 256 ff.:
nur eine Hand voll Staub war auf den Toten geworfen, Xeurn. b', äfoq
<p€Ü fovToq uj<;. errnv KÖviq , oder wer das Asylrecht der Götter nicht
achtet Hei od. V, To hinsichtlieh der Alkmneouiden s.
Die angeführten Heispiele reichen aus. um zu zeigen, dass im
Griechischen unter dfoq eine Handlung verstanden wird, die gegen die
Allgemeinheit des Stammes, deren Haupt und die sie
schirmenden Gottheiten gerichtet ist. Dies wird auch der eigent-
liche Sinn der idg. Gleichung seit, ä'ijas- — griech. äfoq gewesen sein.
Es wird dieser Ausdruck diejenigen Verbrechen umfasst haben, welche
in den germanischen Sprachen mit ahd. firina, agls. firen, got. fairina
(*f'air- : lat. per- in perirlro, perperam, griech. TTt'pa, TT€pav, etwa
,was darüber hinausgeht, das Ungeheure ?» oder als ^Mciuthaten"
(alid. mein, agls. iniin, altn. mein, etwa : sert. mdi/a .Wunderkraft,
List, Trug, Gaukelei V) bezeichnet werden, d. Ii. als schwere Friedens-
brüche, die dem Missethäler ,,dic Gesamtheit der Volksgenossen
/um Feinde macht". Es sind diejenigen Verbrechen, mit Rücksieht
auf die sich zuerst der Hegriff der öffentlichen Strafe ,s. d.i aus-
bildete. Dabei wird ein gewisser sakraler Schimmer das d'gas- —
wohl von Anfang au umgeben haben. Wer ein solches begeht, be-
leidigt zugleich die höheren Mächte, die über dem Stamme walten,
mag man sich nun unter ihnen für die Urzeit Geister oder Götter vor-
stellen. Hieran! weist auch der frühzeitig bezeugte Opfertod (s. u.
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9M
Verbrechen.
Opfer und Strafe) des Missethütcrs hin. Der Kreis der unter den
Betriff des (Ygaa ätoq fallenden Handlungen wird niemals ein fest
abgeschlossener, sondern ein nach und nach sich erweiternder gewesen
sein. Landesverrat (lat. perduellio), Feigheit vor dein Feinde (ahd.
herixliz), Königsinord werden frühzeitige Typen des ältesten Ver-
breehensbegritfes gewesen sein. Hei der Furcht, welche die Indoger-
inauen (s. u. Ahuenkultus vor den Sehaden stiftenden Seelen der
Verstorbenen empfanden, wird auch die Vernachlässigung der <lic Buhe
der Ahgese.hiedencn verbürgenden Bestattungsgebräuche als agas
üfoq empfunden und behnndelt worden sein. Ein gewöhnlicher Mord
oder Totschlag wurde dagegen, wie schon oben bemerkt, ursprünglich
nicht hierher gestellt; wohl aber deuten mehrere Spuren darauf hin,
dass sehr früh, wenn auch wahrscheinlich noch nicht in der Urzeit (s. u.
Alte Leute), die Tötung des nahen Verwandten, vor allem die der
Eltern als ein Greuel aufgefasst wurde, der die Götter des Stammes
und so den ganzen Stamm empörte s. auch u. Mord .
Eine That wie der Mord eines nicht versippten Mannes, eine Körper-
verletzung, ein Kaub, eine Notzucht und dergl. wurden ursprünirlieh
von Seiten des Geschädigten wie des Schädigers lediglich als eine
r V e r p f 1 i c h t u n ^ sc. zur Busse aufgefasst. Fnser deutsches Wort
-Schuld", das in allen germanischen Sprachen, in denen es vorkommt
(ahd. »arid, Hculda, alts. «arid, a«;ls. xcyld). ganz wie seit, njd-,
neben .Geldschuld1 auch .Verschuldung' (in sittlicher Beziehung be-
deutet, kann, als von got. .skal, »kulnn, »ktrida, «ktrid« abgeleitet,
nichts anderes als ein „Sollen", d. h. ein «büssen sollen" bezeichnet
haben. Indem nun die bisher »1er l'rivatrache anheimgegebenen Thaten
allmählich von der Jurisdiktion des Staates übernommen wurden, ent-
wickelte sich aus der «Verpflichtung zur Busse" allmählich einerseits
die Auffassung derselben als einer vom Staat verhängten Strafe,
andererseits die Beurteilung derjenigen Handlungen, welche eine solche
«Verpflichtung zur Busse- herbeiführten, als V e r 1) r e c h e n. Diese
Entwicklung spiegelt sich in dem lat. »relus, wenn es richtig zu got.
skal, »kuhin gestellt wird (andere denken an Verknüpfung mit sert.
»khdlate ,er strauchelt', griech. acpdXAouat ). Ganz analog wurde aber
auch das mehr und mehr hervortretende Verhältnis von Gläubiger und
Schuldner (s. u. Schulden) aufgefasst. Der eine soll bezahlen 'der
Schuldner), der andere soll empfangen (der Gläubiger). Das Ver-
hältnis beider wird daher ebenfalls durch „Schuld1' (vgl. auch lit. xkolä
.Geldschuld'; bezeichnet, und zwar so, dass dieses Wort bis in späte
Zeiten ein zweiseitiges, das Verhältnis des Gläubigers zum Schuldner
und umgekehrt bezeichnendes ist (skand. »kuldanautr, sctddavmahr,
»kyldtic/her, mlid. schiddeniere ,GIäubiger', noch bei Geliert, neben got.
skida, faihu-»kiria u. s. w. Schuldner' i. Endlich kann die Bedeutung
«Verpflichtung zur Busse* auch verallgemeinert zu der von „Pflicht*
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Verbrechen.
907
überhaupt werden (vgl. altpr. .skallisnan , Pflicht', got. skulds ,waa
erlanbt ist, sich ziemt').
Die hier geschilderte Bedeutungscntwicklung wiederholt sich min
bei zwei weitereu Wortstämmen, von denen der erstere von einer idg.
Wurzel dhelgh gebildet ist, deren Grundbedeutung ungefähr dieselbe
wie die des got. skulan gewesen sein muss. Hierher gehört zunächst
ir. dliged .Pflicht, Gesetz, Recht". Diesem dliged aus *dligelo-m
entspricht aber genau ein lat. *jlägUom , Recht' (*dhfgheto-), das sich
mit Sicherheit ans fiägitare ,sein Recht geltend macheu', ,fordern'
folgern lässt. Von *fldgito- aber ist auch fiägitium abgeleitet, ganz
wie 8celu8, eigentlich Verpflichtung' (zur Kussel, dann ,Schuld', , Ver-
brechen'^ ,Schandthat'. In Beziehung auf die Schuldverhältniasc stellt
ir. dligim ,ich habe Anspruch auf etwas' (dligim dit-su ,1 am thy
creditor) die Seite des Gläubigers dar, während kymr. dien, dyleu,
korn. dylly ,schuldig sein', bret. die .Schuld" und got. dulgs »Schuld'
{dulga-haitja ,Gläubiger), altsl. dlftgü id. die Partei des Schuldners
charakterisieren. Auf die Verpflichtung zur Busse neben der zur
Zurückzahlung scheinen endlich im Germanischen altn. dolg .Feind-
seligkeit', ahd. folg , Wunde' etc. hinzuweisen (vgl. seit, rtt'ira-
,Wergeld' .Feindschaft' und dazu Uhlenbeck Et. W. d. got. Spr.
S. 3f>).
Sehr verwandte Erscheinungen zeigt zweitens der griech. (Nominal-)
Stamm xpn i*ghrf-). Er entspricht inhaltlich dem got. skal, griech. xpioq
dem ahd. ftculda, sowohl in der Bedeutung von ,Geldschuld' wie in dem
Sinne von .abzubüssender Schuld'. Griech. Kixpnm bedeutet Darleihen",
,borgen', im Med. ,entleihcn', xPI^TtK ist der (Gläubiger und) , Wucherer'.
Ans dem letzteren Wort (xputf-TnO 'asst 8'ch cn> ity- Stamm *ghre's cr-
schlicsscn, der auch in XP^°S> XP€»°?» XP€lJU? aus *XPnff-l0*S vorliegen
kann. Aus ihm würde sich das bis jetzt etymologisch dunkle altsl. grechil
,Sünde' erklären, das dann in seiner Bcdeutungsentwicklung ein Seiten-
stück zu lat. 8celu8 und fiägitium wäre. Das Wort ist in allen Slavinen
verbreitet und geht sicher in heidnische Zeit zurück. Erst durch das
Christentum ist es dann ins Litauische (grPkas) und Altpreussische
(grikan) u. s. w. entlehnt worden (vgl. Miklosich Christi. Term. in
den slav. Spr. S. 4.')}. Dabei soll, was die weitverzweigte griech. Sippe
betrifft, nicht gesagt werden, dass sich dieselbe ausschliesslich
durch Ansctzuug eines Stammes XPH , Verpflichtung' erklärt. Vielmehr
ist es wahrscheinlich, dass hiermit noch andere Stämme zusammen-
geschmolzen sind, deren Entwirrung hier nicht versucht werden soll.
So hat sich für die Entwicklungsgeschichte des Begriffes »Verbrechen'
ein doppeltes ergeben: einmal ein uralter, nicht weiter auflösbarer
Ausdruck zur Bezeichnung der gegen die Gemeinschaft des Volkes,
seines Hauptes und seiner Götter gerichteten Handlungen, und zweitens
ein stark hervortretender Zug, Wörter für »Vergehen' und .Verbrechen'
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I
908 Verbrechen — Verwandtenehe.
aus älteren Bedeutungen .Verpflichtung zur Busse' hervorgehen zu
lassen. Wie aber kommt, was den erstercn dieser beiden Begriffe
anbetrifft, der Mensch Überhaupt dazu, etwas zu begehen, was als
d'gas- — äfoq bezeichnet werden kann? Für die Beantwortung dieser
Frage dürfte noch folgende sprachliche Reihe von Bedeutung sein.
Die Griechen fassten das Verbrechen auf als hervorgegangen aus Ver-
blendung des Geistes. Diese Verblendung (dann auch der in der
Verblendung begangene Frevel, das daraus hervorgegangene Schuld-
bewußtsein u. s. w.) heisst griech. äjr\, aüorra (Pind.) : ddiu , betören',
und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Wort (aus *d-afn-tä)
mit ahd. mnta, «untea, altndd. xundia, agls. #ynnt altn. synd .Sünde'
und lat. sons, sontis .schuldig' verglichen werden kann (vgl. näheres
in K. Z. X. F. X, 407 ff. und bei F. Kluge Et. W.« v. Sünde). Als-
dann wäre auch für das Germanische und Lateinische die Bedeutungs-
entwicklung Verblendung-Schuld Sünde anzunehmen. Vgl. dem gegen-
über die Auffassung der Sünde und Schuld im vedisehen Altertum
nach Ohlenberg Die Religion des Veda S. 287 ff. — - S. u. Recht.
Verbrennen der Leichen, s. Bestattung.
Veredelung der Obstbäume, s. Obstbau und Baumzucht.
Vererbung, s. Erbschaft.
Vergehen, s. Verbrechen.
Verheiratung, s. Heirat.
Verhüllung der Braut, s. Heirat.
Verkauf, s. Handel.
Verkehr, s. Handel, Kaufmann, Markt.
Verknechtung, s. Schulden, Stände.
Verlohn ng, \ eriuählung, s. Heirat.
Vermögen, s. Eigentum.
Versammlung, s. Volksversammlung.
Verschneiden der Tiere, s. Viehzucht.
Verstorbenen, Kult der, s. Ahnenkultus.
Verstossung, s. Strafe.
Verwandtenehe. Hinsichtlich der Heiratsverbote wegen Bluts-
nähe herrschen bei den idg. V ölkern äusserst verschiedene Verhältnisse.
Gar keine Sehen zeigen in dieser Beziehung die alten I r a n i e r , bei
denen die Ehe zwischen Blutsverwandten jeder Art, ja zwischen Eltern
und Kindein und zwischen Geschwistern durch die griechischen Bericht-
erstatter gut bezeugt wird (vgl. A. Rapp Z. d. Deutschen Morgenl.
Ges. XX, 112). Doch hat es sich als ein Irrtum herausgestellt, dass
das Awesta die Verwandtenehe geradezu als ein heiliges Werk empföhle
(vgl. H. Hübschmann über aw. yicarfradafto- Z. d. Deutschen Morgenl.
Ges. XLlll, ;J08ft\). Hervorzuheben ist, dass Herodot III, 31, freilich
im Widerspruch mit anderen Gewährsmännern, die Geschwisterehe sehr
bestimmt als eine Neuerung des Kambyses bezeichnet (oubauu>s dwöetfav
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WrwaiidtenHie.
irpÖTcpov tijo"i äbeA<p£rjöt (JuvoiK^ew TTcptfcu). Verhältnismässig nahe
den lranicru stehen die G r i e e Ii e n. Die Ehe /wischen Aszendenten
und Deszendenten gilt hier natürlich, wie schon das Heispiel des
Oedipus zeigt, als ein Greuel. Aber hinsichtlich der Geschwister ist
die Ehe mit der Halbschwester väterlicherseits erlaubt. Auch heiratet
im Epos Diomedes seiner Mutter Schwester, Alkinoos seines Bruders
Tochter. Hesiod in den Werken und Tagen v. 700 giebt dem Manne
den Rat:
Tnv b€ uccXiCTra fautlv rjnq aeSev ^Y'füöi vaiti,
was, da in alter Zeit die Verwandten nahe bei einander wohnen, als
eine Empfehlung der Vcrwandtenelie aufgefasst werden darf. Hierzu
stimmt der lat. Ausdruck affhiis, affinitas , Verschwägerter, Versehwä-
gerung', eigentlich aber .Greuziiachbar, Grenznachbarschaft' (s. auch
u. Sippe II). Merkwürdig und wie ein Nachhall verklungeucr An-
schauungen klingt im Gegensatz hierzu die von Acschylus in den
Hiketides benutzte Sage von den Töchtern des Danaos, die vor der
Ehe mit ihren Vettern (Vatersbrudersöhnen) als vor einem sündigen,
von der Themis versagten Hund fliehen (vgl. Leist Altar. Jus gent.
S. 395). Ein Heispiel eigentlicher Geschw isterehe bietet nur der Mythus
in dem Hund des Zeus und der Hcrc.
Alte und weitgehende Verbote gegen Verwandtenheiraten finden
sich dagegen bei Indem und Römern. Bei erstcren werden in den
Grhyasütras (vgl. .). Jolly Grundriss der indo-ar. Phil. Recht und Sitte
S. 62 f.) Ehen mit einer sagötrd oder namdnapravard verboten, d. h.
mit einem Mädchen, das dem gleichen Geschlecht (götra) wie der
Mann angehört oder dieselben Ahnen wie dieser hat, in einigen auch
ausserdem noch mit einer mpindd der Mutter. Wie schon hier, tritt,
namentlich in den Dharmasütras. ein Unterschied zwischen väter-
licher und mütterlicher Verwandtseh alt in so fern hervor, als
die Verbote bezüglich der erstcren weiter gellend als bezüglich der
letzteren sind. So lehrt Gantama IV, 1 ff. ed. Bühler): A marriage
(may be contracted) between persans icho have not the mute Pra-
varas, (and) icho are not related within six degrees on the father's
side, (nor) teitkin four degrees on the mother's side. Zusammenfassend
bemerkt Jolly: „Die verbotenen Grade werden genauer dahin definiert,
dass darunter Verwandtschaft bis ins V. Glied mütterlicherseits
und bis ins VII. väterlicherseits zu verstehen sein soll".
Bei den Römern waren von Haus aus ausser den Ehen zwischen
Aszendenten und Deszendenten und zwischen Geschwistern auch die
Ehen mit Geschwistern der Aszendenten (z. B. zwischen Oheim und
Nichte), zwischen Geschwisterkindern und wahrscheinlich auch zwischen
Geschwistcrkindeskindern, also in der Verwandtschaft sobrino tenus,
untersagt. Doch ist es nicht üblich ans der gern heraus zu heiraten
(enubere).
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910
Verwandtcnelic?.
Die ursprünglichen Zustände der nord europäischen Indogermanen
lassen sich wegen des frühzeitigen Eindringens der kirchlichen Ehe-
verbote (vgl. über dieselben E. Loeniug Geschichte des deutschen
Kirchenreehts II, 542 IT.) schwer mit Sicherheit ermitteln. Von den
Kelten in Wales (vgl. F. Walter Das alte Wales S. 420) berichtet
Girald. de Illaudab. Waliae c. 6: Crimen atttem incestus adeo apud
omnes tarn minores in populo quam etiain minore« enormifer incaluit;
quod in quarto gradu et quinto passim, in tertio quoque plerumque,
qttod non est timor J)ei ante oeuios eorum, consangineas ducere
nec cerecundantur nec nereniur. Noch weiter gingen nach Hartknoch
Altes und nenes Prenssen 8. 177 die Litauer und Altpreussen,
die, ausser mit der leiblichen Mutter, mit jeder Verwandten eine Ehe
eingehen konnten. Ja. auch seine Stiefmütter, d. Ii. die vom Vater
hinterlassenen Weiber, durfte der Sohn heiraten. Über die ältesten
Germanen ist aus heidnisch-römischen Quellen nichts bekannt. Die
Heirat des Arminiiis mit der Tochter seines Vatersbruders (Tacitus
Ann. 1,57) beruht auf Kaub, und kann für die Beurteilung der regel-
mässigen Verhältnisse nicht massgebend sein. Später zeigt sich überall
schon christlich-römischer Einfluss (vgl. Weiuhold Deutsche Frauen
I8, 359 ff.). Der Widerstand der Bevölkerung gegen den letzteren
(vgl. auch Löning a. a. 0.) macht es wahrscheinlich, dass jedenfalls in
der der Bekehrung der Germanen unmittelbar vorangehenden Zeit
weitergehende Ehehindernisse wegen Blutsnähe nicht bestanden. Dies
geht auch aus der Antwort des Papstes Gregor an Augustinus (Beda
Hist. ecel. I Cap. 27) hervor: Quia vero sunt multi in Anglorum
gente, qui, dum adhuc in infedilitate essent, Jitdc nefando coniugio
dicuntur admhrti. Besonders beliebt scheinen auch hier Ehen mit
Stiefmüttern gewesen zu sein (vgl. F. Roedcr Die Familie bei den
Angelsachsen, Studien zur engl. Phil. IV, 40 i. Klar liegen schliesslich
die südslavischen Verhältnisse. Es ist hier nicht üblich, ein
Mädchen aus demselben bratstvo ,Sippe' geschweige also aus derselben
zadruga Jlausgenossenschaft ) heim zu führen. Ehen iunerhalb des-
selben pleme ,Stamm' sind hingegen häutig (vgl. Krauss Sitte und
Brauch der Südsl. passim ).
Diese ausserordentliche Verschiedenheit der bei den einzelnen idg.
Völkern historisch bezeugten Verhältnisse lässt es beinah unmöglich
erscheinen, zu einer sicheren Rekonstruktion des indogermanischen
Zustands vorzudringen. Gleichwohl wird folgendes mit einiger Wahr-
scheinlichkeit gesagt werden können. Was zunächst die Gründe
derartiger Verbote gegen Verwandtenehen anlangt, so ist hervorzuheben,
dass nirgends im gesamten Altertum auf etwaige schädliche
Folgen für den aus ihnen hervorgehenden Nachwuchs hingewiesen
wird. Plutarch (Quacst. Rom. 108) äussert eine ganze Reihe von Ver-
mutungen über die Ursachen der römischen, den Griechen im allge-
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Verwandtemhe.
911
meinen fremden Scheu vor Blutsnähe hei Heiraten, ohne dabei irgend
welcher physisch oder psychisch verderblicher Wirkungen der Vcr-
wandtenht'iratcn auch nur mit einem Worte zu gedenken. Der erste
Hinweis auf solche scheint sich vielmehr erst in dem oben genannten
Schreiben Papst Gregors 1. an Augustinus, den Missionar der Angel-
sachsen, zu finden: Quaedam terrena lex in Romana repnblka per-
mittit, nt xiee f'ratri» et sorori* neu duorttm fratrum germanorum
rel duarum sovorum filius et filia misceantur (also Consobrinencheu,
die ursprunglich verboten, in Horn seit dem zweiten panischen Kriege
nachweisbar sind). Sed experimento didieimu« ex tali
coniugio sobolem non posse suecrescere (vgl. Löning
a. a. 0. S. f>56). Nimmt man hierzu, dass die neuere Forschung (vgl.
darüber Wilken Die Ehe zwischen Blutsverwandten Globus LIX, 8, 20, 35,
dazu O. Lorenz Handbuch der Genealogie S. 468 ff. über den Begriff
der Inzucht) irgend welche schädlichen Einflüsse von Verwandten-
heiraten überhaupt in Abrede stellt, so ergiebt sich, dass die Verbote
derselben nicht aus einer angeblichen Beobachtung ungünstiger Wir-
kungen abgeleitet werden können.
Die ersten Ursachen derartiger Hei rats verböte werden vielmehr auf
indogermanischem wie auf anderen Völkergebieten nicht in physio-
logischen, sondern in sozialen Verhältnissen und Gewohnheiten liegen.
U. Brautkauf ist gezeigt worden, dass die indogermanische Ehe auf
<lem (thatsächlichen) Kaufe des Mädchens beruhte, und diese Sitte
des Brautkaufs setzt weiterhin, auf welchem Wege sie sich auch immer
•entwickelt haben möge, bei den Indogermanen Exogamie, d. h. die
Gewohnheit voraus, seine Frau oder seine Frauen nicht innerhalb der
nächsten Verwandtenkreise zu suchen; denn man kann natürlich nicht
von denjenigen ein Mädchen kaufen oder seine Tochter an diejenigen
verkaufen, mit denen man durch gemeinsames Eigentum (s. d.) ver-
bunden ist. Auf eine solche Exogamie wenigstens der idg. Grossfamilie
(s. u. Familie) scheinen nun die indischen und römischen Bräuche
hinzudeuten. Es wäre demnach lediglich ans wirtschaftlichen Gründen
nicht üblich oder nicht gestattet gewesen, innerhalb der Grossfamilie
oder der Nahverwandtschaft zu heiraten. Diese Grossfarailie oder Nah-
verwandtscliaft war ursprünglich rein agna tisch aufgebaut. Es
konnte also einer wohl die Tochter seines Mutterbruders, nicht aber
<lie seines Vatersbruders heiraten, und es wäre möglich, dass in der
bei den indischen Eheverboten hervortretenden stärkeren Betonung1
der väterlichen Verwandtschaft ein „Überbleibsel" jenes ältesten Zu-
stands zu erblicken sei. Später hätte dann eine Verschiebung in einer
doppelten Kiehtting stattgefunden. Nach Anerkennung der durch Weiber
vermittelten Verwandtschaft wäre bei Indern und Römern das für den
Kreis der väterlichen Verwandten ursprüngliche Heiratsverbot in gleicher
oder geringerer Ausdehnung auch auf die mütterlichen übertragen
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912
Verwandtcnehc — Verwandtschaft.
worden. Umgekehrt wäre bei anderen Indogcrmanen mit der all-
mählichen Lockerung der ältesten Familienbanrie die in der L'r/.eit
den mütterlichen Verwandten gegenüber bestehende Freiheit der Wahl
auch auf die väterlichen übergegangen, Halt erst machend an der
Grenze der aus der < irossfamilie nach und nach hervorgegangenen
S o n d e r f a m i 1 i e , also bei Eltern und Geschwistern. Wenn die
Iranier, wohl nur in ihren herrschenden Geschlechtern, auch diese
Sehranke überspringen, so wird dies auf späterer Neuerung beruhen.
Ähnliche* finden wir im alten Ägypten (s. o.). Anders zu beurteilen
wird es sein, wenn in idg. Mythen mehrlach der Gesehwistcrehe ge-
dacht wird. Im Griechischen ist Zeus Bruder und tiatte der Ilere,
im Rigveda X, 10) streitet Yania, der Verwerfer der Geschwisterehe,
mit Yaini ihrer Anhäugerin, die Krida kennt die Verbindung Xiörös
und seiner Schwester. Möglich dass hier dunkele, von der Sage fort-
getragene Erinnerungen an vorindngeriiianische, auf ewig verschleierte
Zeiten zu uns herüberklingen.
Dass über rite mittelalterliche Welt riureh die christliche Kirche
weitgehende Eheverbote verbreitet wurden, ist schon oben hervorge-
hoben worden. Ausser der teils durch jüdisches, teils durch römisches
Beispiel veranlassten Untersagung der Ehen zwischen Blutsverwandten,
Verschwägerten und Adoptiv verwandten tritt hier aber eine ganz ne ue
Klasse von Heiratsverboten hervor. Durch die Einführung des
Christentums mit den Sakramenten der Taufe und Firmung ward eine
bis dabin unerhörte Art geistlicher Verwandtschaft, die Patenschaft,
erzeugt (vgl. lat. compater, eigentl. ,Mitvater\ das in die nördlichen
Sprachen teils entlehnt: agls. cumpwder, altsl. kümolrü. kumri, altpr.
komaters, lit. ktlma*, teils in ihnen übersetzt: ahd. gifataro^ oder sonst
verdeutlicht wurde: ahd. yota. mhd. göte aus agls. godfmder. god-sib,
altn. gubsifjar; daneben mhd. pf'etter aus *patrinus, pate ans pater).
Auf dieses Verhältnis wurden nun die kirchlichen Eheverbote ausge-
dehnt, so dass es eine Zeit gab, in der weder die Paten eines Menschen,
noch deren Kinder eine Ehe unter ciuander eingehen durften.
Alte Ausdrücke für den Begriff der Blutschande sind selten.
Ihm nahe kommt das griech. atua €uq>u\iov (Oed. Rex v. 140(>'. das
an agls. sib-leger (vgl. Rocder a. a. 0. 8. 42) erinnert. Im Lateinischen
gilt incetttus, eigentl. , Verunreinigung' r. lat. castus ,rein', s. u. Keusch-
heit), das als Rechtsansdruck zunächst die Unzucht mit Vestnlinnen
bezeichnete, und erst sekundär auf die Blutschande augewendet wurde
(vgl. Brunnenmeister Tötnngsverbrechen S. 89). In agls. Glossen (Wright-
Wülker I, 420) wird lat. inetrtum mit dem einheimischen hdaned wieder-
gegeben, das aber ganz allgemein ,coitus', den ehelichen und ausser-
ehelichen, auch deu Ehebruch bezeichnet (vgl. Bosworth An Anglo-Saxon
Dictionary s. v.).
Verwandtschaft, s. Familie, Schwiegerschaften, Sippe.
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Vetter und Cousine — Viehzucht. 913
Vetter und Cousine. Vorhistorische Bezeichnungen für diesen
Verwandtschaftsbegriff lassen sich nicht nachweisen. Man wird mit
Delbrück Verwandtsehaftsnamen S. Ö06 anzunehmen habeu, dass Vettern
und Cousinen sich in der ür/cit als Brüder und Schwestern bezeich-
neten, wie das noch heute im Litauischen und Slavischen der Fall ist.
Auch dieser Verwandtschaftsbegriff wird wie alle anderen (s. u. Famil ie)
ursprünglich rein agnatisch gedacht sein und das umfasst haben, was
die Römer fratrex et xororex patrueles <ex fratribus natos et natax)
nannten. Mit dem Aufkommen des Kognationsgcdankens bilden sich
Ausdrücke wie lat. xobrinux, consobrinux, eigentlich die Kinder von
Schwestern (sobrinus — *sosrinus : soror), dann aber auch von „Ge-
schwistern14 (Bruder und Schwester) bezeichnend. Ebenso muss der
ursprüngliche Sinn von agls., alts. xweor, suiri gewesen sein, die con-
sobrinm bedeuten und kaum von dem idg. Worte für Schwester
getrennt werden können (doch vgl. auch agls. stceör ,socer'). Die
patrueles werden im Agls. fwderan sunan, mhd. ceterensun, nhd.
endlich „Vettern u genannt: ahd. fetiro ,patruus' wie lit. dedi, dedzius
, Vetter' : dtdis »Vaters Bruder'. Griech. dvennö? , Vetter' s. u. Enkel.
Scrt. bhrä'trcya- (= aw. brdtuirya- ,Brndcrssobn'). Vgl. Delbrück
a. a. O. S. 506 ff. S. u. Familie.
Viehstall, s. Stall und Scheune.
Viehzucht. Ein urverwandter Kollektivnamc für den Begriff
der Herdentiere liegt in scrt. pd$u- = ahd. fihu u. s. w. vor, der, wie
u. Schaf gezeigt worden ist, wahrscheinlich aus einer sehr alten Be-
nennung dieses Haustieres hervorgegangen ist. Die Herde heisst scrt.
qdrdha- = got. hairda (altsl. creda aus *qerdäf lit. kerdztus ,Hirt").
Auf vorhistorische Ansätze zur Bezeichnung des Grossviehs gegen-
über dem Kleinvieh scheinen lat. armentum = altn. jörmuni ,Rind,
Pferd' und griech. urjKov, altn. xrnale, ahd. xmala-nöz , Kleinvieh' (ir.
mily allgem. ,Ticr) hinzuweisen. Die zur Benennung der gezähmten
Tiere gebrauchte Wurzel ist die in scrt. damdyati = lat. domare
steckende, von der zahlreiche Xamen verschiedener Haustiere (vgl.
npers. ddm , Haustier', griech. bäuaXiq, oaudXr) ,Kalb', ir. dam ,Oehse",
alb. dem ,Rind', Junger Stier', urkclt. *damato-8, kymr. dafad , Schaf
u. a.) abgeleitet sind. Besondere Wurzeln habeu sich schon in der
Urzeit für die Bezeichnung des männlichen iers in scrt. rxhabhd-,
griech. dppnv, rerx in scrt. rfxhan-, lat. rerrex, lit. icetxzix) und des
weiblichen Tieres idhe in scrt. dhhiü- — aw. daenu- , Milchkuh', ir.
dinu ,agna\ alb. deU ,Sehaf etc.) festgesetzt. Namen der Jungen
wurden wohl schon damals von dem Stamme *vet- ,Jahr' gebildet:
scrt. vatxd; lat. titulux ,Kalb', got. wiprus i vgl. daneben griech. x»-
papo?, xipeupa, altn. gymbr .einjähriges Lamm' : x*wwv , Winter' und
urkelt. *gabro-, ir. gabar ,Geiss' aus *gamro- : gam id.). Zur Be-
zeichnung des unfruchtbaren Tiers diente die Wurzel ster (lat.
Schräder, RealJexikon. 58
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91-1 Viehzucht.
steril is) : scrt. xtari' ,uuf nicht bare Kuh", kriech. öTtipa ßoö?, ahd.
sti:ro .Widder', nlid. stärke, all), st Jen .Lamm'. Für die uralte Kunst
der Verse hncidung (s. u.) findet sich die Gleichung scrt. vddhri-
= grieeh. iBpiq, eBpiq • tfTrdbujv, TO.uiut, eüvoüxoq Hes.
Nimmt man nun hinzu, das« eine grosse Anzahl u r v e r w a n d t e r H a u s-
tiema mcii sieh über Europa hinaus bis zu den ansehen Indogerniauen
erstreckt, während die prähistorische Terminologie des Ackerbaus
(s. d.) sich auf die Europäer beschränkt und in verschiedenen Punkten
den Eindruck der Neuerung macht, so wird, rein sprachlich betrachtet,
der Ansatz naheliegen, dass die Indogermancu in der ältesten uns er-
reichbaren Zeit Viehzüchter und nicht Ackerbauer gewesen seien.
Dieser Ansatz wird nun durch eine ganze Heilte auf verschiedenen
Kulturgebieten gemachter Beobachtungen bestätigt, die hier in Kürze
zusammengefaßt werden sollen. U. Ackerbau ist gezeigt worden,
dass es zwar, was die europäischen Indogermancn anbetrifft, unrichtig
ist, im Hinblick auf sie von einem bis an, ja bis in die geschichtliehe
Zeit reichenden N o m a d e n t u m derselben zu sprechen, dass aber
andererseits zahlreiche Spuren vorhanden sind, die, in je frühere
Epochen wir zurückgehen, für ein umso stärkeres Überwiegen der
Viehzucht vor dem Ackerbau Zeugnis ablegen. Besonders charakte-
ristisch ist in dieser Beziehung die Ve r a c h t u n g, der die Bestellung
des Ackers in früh historischen Zeiten noch ausgesetzt ist, eine Er-
scheinung, auf die auch die ethnologische Forschung bei denjenigen
nomadischen Völkern hinweist, die neben der Hauptbeschäftigung der
Viehzucht einen gewissen Grad von Landwirtschaft zeigen. Vgl.
E. Grosse Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft
S. 00: „Von vielen Stämmen wird hier (in Afrika) auch Ackerbau ge-
trieben; aber die Pflanzenkultur gilt ihnen neben der Viehzucht als eine
niedrige, nebensächliche, b e i n a h e unw ü r d i g e B e s c h ä f t i g u n g. Das
gleiche Verhältnis tritt bei den Katfern und ihren benachbarten Ver-
wandten hervor. Auch sie mögen die Früchte des Feldes nicht ent-
behren, aber die Feldarbeit ist ihnen verächtlich und verhasst: ihr
Herz hängt allein an den Herden, welche den Mittelpunkt ihres ganzen
Lebens bilden." Wichtig ist auch, dass die älteste Landwirtschaft,
die wir archäologisch in Europa belegen können, die der Schweizer
Pfahlbauer, noch unverkennbar den Stempel einstigen Hirtenlebens
an sich trägt, wenn ihrej Beurteilung durch Fr. Ratzel Geographische
Prüfung der Thatsacben über den Ursprung der Völker Europas, Be-
richte der phil.-hist. Kl. d. kgl. sächs. Ges. d. W. zu Leipzig, Sitzung
vom 3. Febr. 1900 S. 103 das richtige trifft: „Die ältesten Pfahlbauer
sind Hirten, die alle unsere wichtigsten Haustiere ausser dem Pferd
besassen, und denen der Ackerbau nur einen kleinen Teil der Nah-
rungs- und Kleiderstoffe (Flachs) liefern konute. Die Herden, die Jagd,
der Fischfang waren ergiebigere Quellen: trotz der festen Siedclungeu
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Viehzucht.
915
ein nur locker mit seinem Boden verbundene« Volk." Ähn-
lieh urteilt Uber die Dürftigkeit des in den Schweizer Pfahlbauten zu
Tage getretenen Ackerbaues auch Hürues Die Urgeschichte des Men-
schen S. 241.
In dieselbe Richtung weist, was u. Nahrung und u. Opfer, welches
letztere zuverlässige Schlüsse auf die älteste Ernährungsweise der Indo-
gerniancn gestattet, ausgeführt worden ist. Es ergiebt sich hieraus,
dass die Nahrung der ältesten Indogerinanen ganz vorwiegend eine
animalische war und der Würze des Salzes (s.d.) noch entbehrte,
letzteres ein Funkt, der aus zwingeuden physiologischen Gründen auf
ein Volk von Viehzüchtern schliesseu lässt. Auch was u. Pclzkleider
über die älteste Felltracht der Indogerinanen, u. Kürperteile über
deren sorgfältige sprachliche Unterscheidung, die nur durch reichliches
Schlachten und Opfern der Haustiere gewonnen worden sein kann, u.
Geld Über die Herdentiere als einzigen Reichtum und Wertmesser der
Idg. mitgeteilt worden ist, darf in diesem Sinne verwertet werden.
Endlieh entspricht auch, was sich über die Familien- und gesell-
schaftliche Organisation der Idg. aus den bei den Einzel Völkern
bewahrten Überbleibseln derselben ermitteln lässt, genau dem, was wir
auf Grund der ethnologischen Forschung von einem Volk von Vieh-
züchtern (Grosse a. a. 0. S. 89— 132) erwarten dürfen. Man vergleiche
in dieser Beziehung, was über den agnatischen Charakter der idg.
Verwandtschaft u. Familie und u. Sippe (dazu Grosse S. 120), über
die Wertschätzung der verwandtschaftlichen Beziehungen u. Vorfahren
(Grosse S. 123), über den Kauf der Frau u. Brautkauf (Grosse
S. 104), Über die Verachtung der Töchter den Söhnen gegenüber u.
Aussetzungsrech t und u. Familie (Grosse S. 110), über die ver-
schiedene Beurteilung des Ehebruchs und die Leichtigkeit oder Schwie-
rigkeit der Scheidung bei Mann und Weib u. Ehebruch und u.
Ehescheidung (Grosse S. 112, 114), über die Vererbung der Witwe
und die inangelnde Erbfolge der Frauen u. Witwe, Verwandten-
heirat, Erbschaft (Grosse S. 1 15 f., 122), über die schlechte Be-
handlung der Alten u. Alte Leute (Grosse S. 122) gesagt worden
ist, Parallelen, die sich unschwer vermehren Hessen und in dieser An-
zahl und in diesem organischen Zusammenhang in keiner der von
Grosse geschilderten übrigen Wirtschaftsformen wiederkehren. Wenn
daneben auch das, was Grosse als Familie der niederen Ackerbauer
(S. 133—185»} bezeichnet, namentlich in der Ausgestaltung der bei den
Viehzüchtern vorwiegend kriegerischen Bedeutung der Sippe (s.d.)
zu einer Besitz-, Wohuungs- und Wirtschaftsgemeinschaft in den
idg. Verhältnissen genaue Entsprechung findet, so erklärt sich dies, was
hier nicht weiter ausgeführt zu werden braucht (s. n. Ackerbau),
daraus, dass eben die europäischen Indogerinanen noch in vorhistori-
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916
Viehzucht.
scher Zeit von nahezu ausschliesslicher Viehzucht zu einem gewissen
Grad von Ackerbau Ubergegangen sind.
Vor dieser Zeit aber liegt — und wir halten dies für eins der
sichersten Ergebnisse der Vereinigung linguistischer und historischer
Forschung — das Hirtentum der Indogermanen. Wir bevor-
zugen diese Bezeichnung vor dem Ausdruck Nomaden tu in, weil der
letztere auf zu viel verschiedenartige Verhältnisse angewendet zu
werden pflegt, und daher leicht zu Missverständnisseu führt. Jeden-
falls dürfen wir bei der eigenartigen Stellung, die das Pferd (s. d.)
in dor idg. Urzeit eingenommen hat, in den Indogermanen keine so-
genannten Reiternomaden erblicken, die blitzschnell sich über weite
Gebiete erobernd ausbreiten. Im Gegeilteil scheint den Idg. schon in
der Urzeit ein gewisser Grad von Ansessigkeit, der auch bei heutigen
viehzüchtenden Völkern vorkommt (Grosse S. 90), von Anfang an zu-
geschrieben werden zu müssen (s. auch u. Haus).
Zu einer wesentlich anderen Vorstellung von der ältesten Wirtschafts-
form der Indogermanen, als sie oben im Einklang mit den Anschauungen
V. Hehns, R. v. lherings (Vorgeschichte der Indoeuropäer), E. Meyers (Ge-
schichte des Altertums) u. a. dargestellt wurde, ist H. Hirt (I. F. V, 395 ff.,
Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik III. Folge XV, 462, Sonn-
tagsbeilage zu Nr. 41 und 42 der Vossischen Zeitung 1896, Geograph.
Zeitschrift, herausg. von A. Hettner IV. Jahrg. 1898 S. 369 ff.) gelangt.
Er tadelt zunächst die im Altertum wie in der Neuzeit weitverbreitete
Ansicht, nach welcher der Mensch zuerst Jäger und Fischer, dann
Viehzüchter, zuletzt Ackerbauer gewesen sei, um dem gegenüber, vor-
nehmlich an der Hand des Hahnschen Baches Die Haustiere und ihre
Beziehungen zur Wirtschaft des Menschen Leipzig 1896, seinerseits
folgende Schemata der wirtschaftlichen Entwicklung der Menschheit
aufzustellen :
I. Jagd auf Seiten des Mannes verbunden mit Pflan/cnsainmeln
der Frau.
II. Jagd des Mannes, Pflanzenbau der Frau: niederer Ackerbau.
III. Pflanzenbau der Frau und Zähmung der Tiere: niederer Acker-
bau und Viehzucht.
IV. Das Vieh wird zum Ackerbau verwendet : höherer Ackerbau.
V. Die reine Viehzucht ist eine Seitenart, die nicht notwendig in
der natürlichen Entwicklung durchlaufen zu werden braucht u. s. w.
Die Indogermanen nun seien schon in der Urzeit auf der vierten
dieser Stufen, der des höheren Ackerbaus, angekommen, und zwar
folge dies — darin liegt der Kernpunkt der Hirtschcn Ausführungen
— aus dem Umstand, dass schon dem Urvolk die Bekanntschaft mit
dem Pflug, dem Rind und dem Wagen zugeschrieben werden müsse.
Hiervon scheidet der erstere Punkt natürlich als nicht beweiskräftig aus;
denn bei einer Gleichung wie griech. apoipov = lat. aratrum u. s. w.
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Viehzucht.
917
ist ja eben die Streitfrage die, ob an ihr einstmals auch die arischen
Indogermanen teil hatten, oder ob sie nur auf die Europäer beschränkt
war. Anders steht es mit Rind und Wagen (s. s. d.d.), von denen
mit Hirt angenommen werden muss, dass sie in die fernste Epoche
der idg. Urzeit zurückgehn, wenngleich, wie wir schon oben sahen,
sich auch bei den Indogermanen noch Sporen eines Znstandes finden,
in dem das Schaf (s. d.), wenigstens als Herdentier, eiue wichtigere
Rolle als das Rind spielte. Hinsichtlieh des letzteren meint nun Hirt:
„Überall, wo wir das Rind finden, treffen wir auch
sess hafte Menschen, die sich feste Häuser errichten und die
(labe der Demeter baue n. Das Rind ist ausgesprochener Massen
Zugtier. Es zieht den Wagen und den Pflug und geniesst daher den
höchsten Schutz und die höchste Bewertung." Und bezüglich des
Wagens fügt er hinzu : „Welchen Zwecken kann Uberhaupt
d c r Wagen dienen, wenn nicht dem Ackerbau, um die
Früchte des Feldes einzufahren? Die eigentlichen Xomadenvölker be-
sitzen ihn fast gar nicht, sie können auch ohne ihn bestehn." Leider
scheitert nun aber diese Beweisführung an dem Hinblick auf ein
Volk, dessen Kulturverhältnisse ethnisch wie chronologisch brauch-
barere Analogien für die Beurteilung idg. Zustände enthalten als die
bochasiatischcr Hirten, bei denen das Rind so gut wie keine Rolle
spielen soll (wie steht es aber mit den afrikanischen Viehzüchtern?),
an dem Hinblick auf die nordpontischen Skythen. Zweifellos waren
diese in ihrer grossen Mehrheit Viehzüchter und Nomaden (Zwovreq
un. dir' dpöiou, dXX' änö ktuWidv, Hcrod. IV, 46), und zweifellos hatte
Rind und Wagen bei ihnen eine hervorragende Bedeutung. Eiue Be-
schreibung des skythischen Rindes giebt Herodot IV, 29. Andere
Nachrichten lehren, dass es als Opfertier gebraucht wurde und zur
Speise diente (IV, 61), sowie an den Wagen gespannt wurde (IV, 69).
Dieser selbst war ein unentbehrliches Gerät, nicht um Ackerbaufrüchte
einzufahren, sondern um der Bevölkerung zur Zeit der Wanderungen
als Wohnung zu dienen.
Ebensowenig vermögen wir den Ausführungen Hirts darüber zu
folgen, dass bei den Indogermanen, wie bei gewissen modernen Natur-
völkern, sich eine uralte Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau in
der Weise erkennen lasse , dass die Viehzucht das Geschäft der
ersteren, Pflanzensammeln und Ackerbau das der letzteren gewesen
sei. Denn gerade die für die Frau günstigen Folgen, die sich aus
einem derartigen Eingreifen in das Wirtschaftsleben nach den Lehren
der Völkerkunde zu ergeben pflegen, Steigerung ihrer Stellung, Anrecht
am Boden, Mutterrecht und Matriarchat lassen sich bei der idg. Frau
nicht nachweisen (b. u. Ackerbau, Familie, Erbschaft, Mutter-
recht:. Wo wir anf idg. Boden die Frau am Ackerbau teilnehmen
sehen, vermögen wir darin nichts anderes zu erblicken als die Auf-
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918
Viehzucht.
halsung eines den Männern verhassten Geschäfts auf die Schultern des
Weibes.
So sehen wir also keinen Grund, die oben gegebene Schilderung der
iiitesten wirtschaftlichen Entwicklung der Indogenuanen zu Gunsten
der Ilirtschen Auffassung fallen zu lassen, und zwar umsoweniger, als
diese Schilderung nicht (wie doch im letzten Grunde die Hirtsche) auf
irgend welcher vorgefassten Meinung von der Notwendigkeit gewisser
schematicher, so oder so gestalteter Entwicklungsstufen der gesamten
Menschheit beruht, sondern lediglich aus Kriterien, die i n n e r h a 1 b
der K u 1 1 u r v c r h ä 1 1 n i sse der Indogernianen liegen, ge-
wonnen worden ist. Wenn aber Grosse a. a. <). S. 29 die Lehren der
Völkerkunde über das Verhältnis von Viehzucht und Ackerbau dahin
znsammenfa8st : „Manche Viehzüchter sind ohne Zweifel vormals Acker-
bauer gewesen . während umgekehrt zahlreiche andere
Völker, die sich einst hauptsächlich durch Vieh-
zucht nährten, im Laufe der Zeit den zuerst nur
nebenbei betriebenen Ackerbau zur herrschenden
P r o d u k t i o n s f o r m ausgebildet haben", so sieht man,
dass auch von Seiten der Völkerkunde gegen die Anschauung eines
allmählichen Übergangs der europäischen Indogernianen von der Vieh-
zucht zum Ackerbau nichts eingewendet werden kann.
Von «ton im Altertum und Mittelalter in Europa verbreiteten llaustiereu
können als vorhistorischer Erwerb Rind, Schaf, Ziege, Hund, Pferd
und Schwein angesehen werden. Dabei erblicken wir in dem Schaf
das älteste, in dein Schwein ein auf die Kulturgemeinschaft der Euro-
päer beschränktes Haustier. Später eingeführt sind Esel, Maultier,
Katze, Kaninchen und sämtliches Geflügel: Gaus, Ente, Hahn
(Huhn), Taube, Fasan, Pfau, Perlhuhn (s. s. d. d.). Von Insekten
ist früh die Biene (s.d.), und in sehr später Zeit die Seidenraupe
(a. u. Seide) in den Dienst des Menschen getreten. Den angegebenen
Kreis von Tieren hatte das Altertum, was das Geflügel anbetrifft,
in sofern noch erweitert, als in Rom auch Vögel wie Kranich, Storch,
Schwan, turdus, perdi.r, coturnic in Zucht und Pflege genommen
wurden. Dieselben oder ähnliche Vögel erscheinen als Haustiere auch
noch in den legibus Barbarorum (vgl. z. B. Leges Aleniannorum in
den Monumcntis 30, 4: Si grus (Gl. kranach) f'uerit furata aut occisa,
3 solidos solrat. si auca (Gl. gan*\ fuerit involata aut occisa, novemgel-
donsolcat. aneta (fEnte ), gariola (,Häher ), ciconia (»Schwan'?), corvus,
cornkla, columba et croerola (, Wannenweihe', crecerelle'?) et cauha
(,Gauch ), ut aliu similia, requirantur), verschwinden dann aber, wohl
hauptsächlich unter den Speiseverboten der Kirche, die z. B. den
Genuss von Störchen ausdrücklich untersagten. In dem Capitulare Karls
des Grossen de villis werden noch perdices als dignitati* causa zu
halten erwähnt.
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Viehzucht.
919
Anhangsweise seien hier noch die wichtigsten linguistischen und
historischen Thatsachen über die schon nach dein obigen uralte Kunst der
Ve rsch 11 ei dung der Haustiere /um Zwecke ihrer besseren Mast oder
Züchtung gegeben. Urverwandte Gleichungen für verschnittene Tiere
liegen vielleicht in lat. canterius : ahd. hengist (s. u. Pferd) und in
lat. cüpus, cdpo (s. u.) : altsl. skopie) , Verschnittener' vor. Beson-
ders aber gehen nicht wenige Xnmen von verschnittenen Tieren auf
Verba für .schneiden' etc. zurück, die auf den betreffenden Sprach-
gebieten, wo jene Xamen bestehen, nicht mehr vorhanden sind, und
daher ein hohes Alter jener Ausdrücke erweisen. So gehört kelt.
*molto-s , Hammer, ir. malt , Widder' : russ. ntoliti , verschneiden',
kelt. *lüno s, ir. hin , Hammel, Schöps' : sei t, hind'ti .schneiden". Vgl.
auch lat. eastrare : sert. <;as schneiden'. Das gemeingcrm. ahd. barug,
agls. bearh, altn. börgr »geschnittenes Schwein' *bhar-ku-) dürfte
nebst altsl. bravü (*bor-cü) ,Schöps, geschnittener Eber' zu aw. bar
»schneiden', griech. (pdpw »spalte, zerstückle' und das aus filmischem
ruuna »Wallach' erschliessbare germanische *runa (mndd. rthie, westph.
ruine, schwäb. raun »Wallach i zu seit, ru, rata //.erschlagen, zer-
schmettern' zu stellen sein. Vgl. noch all), frei'} .verschneiden' = lat.
trüdo »stossc' (wie griech. 6Xa6ia<;, 6Xißia<; »Eunuch' von 6Xäw, 6Xtßw
»zerdrücke"). — Dass bei Homer die Kunst der Verschucidtiug i später
6ct€uv€iv »verschneiden', TÖuioq »geschnitten', Touia? »Verschnittener')
bekannt war, folgt aus den ufjXa cvopxa (II. XXIII, 147). d. Ii. solchen
Schafböcken, die noch im Besitz der Hoden (griech. öpxi? ~ aw.
erezi-, all), herde) sind. Eine ausführliche Erörterung derselben und
ihrer Folgen findet sich in Xcnopbons Cyropädie VN, 5, 02. Die rö-
mischen landwirtschaftlichen Schriftsteller kennen die Vcrschncidung
bei Pferden, Lämmern, Schweinen und Hähnen. Vgl. die Stellen im
Lexicon rusticum der Gcsncrschen Ausgabe der Scriptores rei rustieae
und Festus ed. 0. M. S. 4(5: Vantherius hoc distal ab equo quo muialis
a cerre, capo a gallo, berbix ab artete. Ein spätlateinischer (Vege-
tius) Ausdruck für Wallach ist spado (aus griech. tfirdbiuv »Verschnit-
tener' : aTTdw »ziehe heraus'), der auch in das Lateinische der Lex
Salica (spadus, spadare) übergegangen ist, während ein altgermani-
scher Ausdruck für verschneiden in ahd. urfur »eastratus', agls. äff/ran
»castrare', got. *u*fürjan (ob : ahd. fiur, griech. Tröp, eigentl. »aus-
brennen'V) vorliegt. Besonders häufig beziehen sich die Xachrichten
Uber das Verschneiden der Tiere, namentlich der Pferde, auf die in
nomadischen Zuständen verharrenden Skythen und Sarmateu. Vgl.
Strabo VII, p. ;J12: ibiov b€ toö Xkuöikoü ko\ toö XapuaTtxoü itavTÖq
(lÖvou? tö Toüq i'ttttou? ^kts'uvciv €U7T£i9€ia^ xdpiv, Aiiiiniaiius Marc
XVII, 12, 2: equorum plurimi e.r usu castrati, Vegetius: Equus llu-
niscus. Noch in später Zeit weisen Ausdrücke wie unser r Wallach"
oder „Schöps" altsl. skopiti »kastrieren' s. o. oder wie frz. hongre,
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920
Viehzucht - Volk.
eigentl. , Ungar' auf den Osten Europas als auf eine Lieblingsstätte
der Kastration hin (weiteres bei Pott Beiträge zur vergl. Spraehf. II,
Klage Et. W.6 s. n. Wallach).
Über die Verwendung der tierischen Produkte s. u. Fleisch, Milch,
Butter. Käse, Düngung, Wolle, Horn, Felltracht, Uber die
Unterbringung der Herden u. Stall und Scheune, über ihre Ernäh-
rung u. Futterkräuter.
Vielweiberei, s. Polygamie.
Volk (Völkcrschaf tsbildung. Völkcrnamen). Verschiedene
Gedanken liegen der sprachlichen Ausbildung dieses Begriffes in den
idg. Sprachen zu Grunde. Häufig geht dieselbe von der Vorstellung
der Fülle oder des strotzenden Wachstums eines Volksorganismus
aus, wie sie in lat. plebes = griech. TrXf|6oq : iriMirXrjui, in griech.
cpöXov, <puXr| : tpuoum, in ahd. Hut = altsl. ljudü : sert. ruh, got. liudan
,waehseu', in osk. touto, umbr. totam — ir. tüath, got. piuda, altpr.
tauto (letzteres ,Land') : lat. tümeo ,strotze', sei t, taviti ,ist stark' u. a.
anzuerkennen ist (vgl. auch V. Hehn Kulturpflanzen 6 S. »2»). Nicht
minder häulig ist die Auffassung des Volks als einer auf Verwandt-
schaft beruhenden Gemeinschaft von Menschen. So müssen die Li-
tauer, wenn sie deu Begriff des Volkes, wofür sie sonst einfach zmönes
,Menschen' (z. B. lietüwininkai zmönen) sagen , genauer bezeichnen
wollen, sieh des Ausdrucks hnonia gimini »Verwandtschaft' oder ,Ge-
schlecht' der Menschen bedienen. Hierher sind ferner Wörter wie
lat. ndtio, umbr. natine ,nationc, gente' : gndtux, gens, altsl. narodü :
rodü ,Sippe, Geschlecht', griech. -r*vo<ä (z. B. tö Awpncdv Y^voq), sert.
jdna- u. s. w. zu stellen. Auch die Übereinstimmung der Sprache
(daher altsl. jqzykü, eigeutl. , Zunge' = Volk) uud des Namens (daher
Bert, nd'nia d'ryam ,das Volk der Arier', lat. nomen Bomanum, omne
nomen Aetolorum etc.) gelten als charakteristisch für den Volksbcgriff.
Indem mehrcres wie griech. ^6vo? (z. B. 'Axctiwv £6vo$) oder altpr.
rtm.s/jf ,Volk' (vielleicht eigentl. ,Zeitgenossenschaft', vgl. lit. dmüas
.Lebensdauer des Menscheir) noch näherer Aufklärung harrt, ist schliess-
lich als auf eine wichtige Quelle von Bezeichnungen des Volkes auf
eine Reihe von Ausdrücken mit der ursprünglichen Bedeutung ,Heer',
,Heereshanfen* hinzuweisen. Am deutlichsten liegt dieser Bedeutungs-
ubergang in dem gemeingerm. ahd. folc (vgl. noch unser „Fussvolku),
agls. folc, altn. foll\ alle eigeutl. ,Heercsabtcilung' (,cuneus', vgl. auch
in ejcercitu Baiotcariornm — in Baiern, Schröder Deutsche Rechts-
geschichte 3 S. lf>), da« in diesem Sinne auch ins Altslowenischc (plükü
jKricgsschar ) übergegangen ist. Ganz ähnlich erklärt sieh das griech.
bn;uo<; ,popiilus', ,civitas', dann lokal , regio a populo habitata' = ir.
dam »Gefolgschaft, Schar', so dass hier Volk uud Heer als Gefolgschaft
eines Herzogs aufgefasst sind. Auch für das nritalische *poplo-, lat.
populus (neben ptiblkus), umbr. poplom ist wegen des Ausdrucks ma-
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Volk.
921
girier popttli »Diktator' (vgl. Mommscn Römisches Staatsrecht III, 1 ; 3*)
und wegen populari (vgl. unser „verheeren u : „Heer") mit grosser
Wahrscheinlichkeit eine Grundbedeutung ,Hecr' anzusetzen. Sucht
man die eigentliche Heimat des Wortes auf umhrisch-oskischem Boden,
so Hesse sich vielleicht an eine Verbindung des italischen *poplo- (aus
*qoqlo) mit sert. cakrd- (*qeq!o-) denken, das ausser ,Rad' namentlich
auch eine ,radförmige Aufstellung des Heeres' etc. bedeutet (vgl. dazu
Bartholomac I. F. X, 1,2). Schliesslich dürfte auch griech. Xaö?
.Kriegsvolk, Volk, Untertanen' in einen verwandten Oedankenkreis
fuhren. Griech. *läros scheint zu demselben Stamm wie lat. hierum
,Gcwinn', altsl. lovt't ,Fang', got. Idun ,Lobn' zu gehören und würde
dann dasselbe wie das von ihm abgeleitete Xeia, Arfta, nämlich , Beute',
dann .die auf Beute ausziehende Schar' ' vgl. lit. lüras »Krieg' und
.Heer') bezeichnen (vgl. auch sert. sdtvan- , Krieger' : san .gewinnen'?).
Die zuletzt erörterten Fälle gewähren zugleich einigen Anhalt, wie
wir uns. wenigstens teilweis, die Ausbreitung der Indogermanen zu
denken haben. Das idg. Urvolk lebte in teils engeren, teils weiteren
Familienvcrbänden, die u. Familie (Grossfamilie), Sippe und Stamm
ausführlich geschildert worden sind. Die Weiterentwicklung ist nun
d i e, dass sich mehrere solcher Stämme zu kriegerischen Unterneh-
mungen vereinigen oder von machtvollen Persönlichkeiten (s. u. König)
vereinigt werden. Indem diese Stämme auch nach Erledigung des
Zweckes, der sie zusammenführte, bei einander bleiben, entsteht ein
neuer über den Stamm hinausführender Begriff, den wir als den der
Völkerschaft bezeichnen können. Den Vortrab des südslavischen
Einwanderungszuges bildeten nach Krauss Sitte und Brauch der Süd-
slaven S. 18 die Kroaten, die gegen das Ende des V. und am Anfang
des VI. Jahrhunderts mit zwölf „tribus" in Dalmatien und im südlichen
Pannonicn einrückten, wobei das lateinische tribus dem einheimischen
pleme, d. b. Stamm entspricht. Auf ähnliche Vorgänge wird es zurück-
zuführen sein, wenn die Dorier im Epos TpixäFiKe«; .die dreigauigeu'
heissen, wenn bei den Kelten Völkernamen wie Tri-corii und Petro-corii
,dic drei- und vierheerigen' (vgl. got. harjis ,Heer) vorkommen, wenn
in Rom die X Stämme Raumes. Titics, Lnceres begegnen oder Achilles
über die Mupyiböves, "EXXnv€<; und 'Axaioi herrscht (vgl. H. Hirt Bei-
träge XVIII, öli*1). Diese Entwicklung hat noch in der Urzeit be-
gonnen, bat ihre eigentliche Bedeutung aber erst nach Auflösung der
idg. Zusammenhänge auf dem Boden der Einzelvölker gefunden, wo
die selbständige Existenz der Stämme, wenigstens im Norden, noch
mehrfach nachweisbar ist (s. u. König und u. Stamm). Einen Be-
weis hierfür liefert auch die beachtenswerte Thatsache, dass vorhisto-
rische Völkernamen sich nur ausnahmsweise und unter besonderen
Umständen bei den Indogermanen feststellen lassen. Eine solche Aus-
nahme bilden die Veneti (jahd.Whida) ^ gall. Veneti, Venelli ~ Veneti
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922
Volk.
in Oberitalien, eine vorhistorische Sprachreihe, die nach R. Much»
wahrscheinlicher Annahme zu ahd. teini , Freund', ir. fine ,Stanun' etc.
gehörig, soviel wie , Freunde', ,Stnmmgenosscn' bezeichnet und damit
ein europäisches Gegcustück zu den asiatischen „Ariern1* (s. n. Stände)
bildet. Es wird also, was zu dem obigen aufs beste stimmt, schon in
der Urzeit Vereinigungen von Stämmen gegeben haben, die sich .Freunde1*
nannten, eine zunächst rein appcllativischc Bezeichnung, die später den
Charakter von Völkernamen annahm. Abgesehen hiervon zeigen sich
Spuren von Urverwandtschaft namentlich zwischen Kelten und Ger-
manen {Jirigantes-Burgundionett, KaÜKOi-( 'hauet, Corii-Harii), die auch
sonst auf Staats- und völkerrechtlichem Gebiet mehrfache engere Be-
rührungen aufweisen (s. u. Eid, Geisel, König, Recht, Stände). Im
allgemeinen aber darf man sagen, dass die Bildung der Völkernamcn
der Geschichte der Einzel Völker angehört, wobei freilich eine Eini-
gung Uber Ursprung und Bedeutung derselben (vgl. die Kontroverse
zwischen R. Much Beiträge XVII, 1, XX, 1 ff. und Kossinua I. F. VII,
284 f., ;502ff. einerseits, H. Hirt Beiträge XVIII, öl 1 ff., XXI, 12» ff.
andererseits) nur selten bis jetzt erreicht worden ist. Auf einige kultur-
historisch wichtige Gesichtspunkte macht Kossinua a. a. 0. aufmerksam.
Er weist darauf hin ' vgl. dazu Vf. Vom neuen Reich Berlin 18ik> S. 2f»),
dass primitive Völker nur sich und ihrer Sprache Daseinsberechtigung
zuzugestehen pflegen. Nicht nur die Griechen und Römer nennen die
anderen Völker „Barbaren11 (ßdpßapoi-/«/röari). d. h. ,Stammler* (vgl.
sert. barbara- ,stammelud', »Nicht-Arier', slov. brbrati, serb. brbljati
,plappern') oder „Brüllcr" (vgl. kypr. ßpoüx€To^ ' ßdpßotpoq. ßoVrpotxov
b€ Kuupioi Hes., vgl. ßpuxdouai , brülle ). Auch die Slaven nennen die
Deutschen nenüci .stumm', und die Litauer haben ein Sprichwort: „Er
ist wie ein Deutscher, er verstellt das Wort vernünftiger Leute nicht''.
Umgekehrt bezeichnet sich der Albanesc als xKipetä'r, d. h. .der Ver-
stehende' (alb. xkipöit aus lat. excipere), wie nach Möllenhoff D. A.-K.
II, 106 auch Slovene soviel wie der , verständlich Redende* bedeuten
würde doch vgl. Miklosich Et. VV. S. 308). Von diesem beschrankten
Standpunkt aus stellen sich dann gern Spottnamen für die Nachbarn
ein, die Much a. a. 0. in grossem Umfang unter den altgermauischeu
Völkernanien nachweisen zu können glaubt (vgl. aber dazu die Kritik
Hirts). Ein verhältnismässig sicherer Fall dieser Art dürfte im
altpr. mixskai ,auf deutsch' vorliegen, das auf ein *mik-iska-8
, deutsch* und *Mika« , Deutscher' mit Zuversicht schliessen lässt. Bei
der geringen Meinung, die, wie wir sahen, unsere östlichen Nach-
barn von uns haben, liegt die Vermutung nahe, dass dieses altpr.
Mika» , Deutscher' nichts anderes sei als das lit. Mika* (für Mikeli*)
,Michcl', so dass der auch in Deutschland weit verbreitete Spitz-
name unseres Volkes (vgl. „deutscher Michel", Grimm W. B. VI
Sp. 2Hi8 f. wie im Englischen John Bull) zu dem deutschen National-
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Volk — Volksversammlung.
923
namen im Altpreussischen geworden wäre. Altpr. mixskai biesse also
eigentlich „auf michelsch", *mikhtkas vielleicht ironisch nach thiudisc
(Vf. a. a. 0. S. 24/25). Des weiteren ziehen Much und Kossinua Tier-
namen zur Erklärung von Völkernamen heran. Beispiele sind die
italischen Vitah (vgl. vitulus .Kalb'), die Meentes (vgl. pieus Specht'),
die Hirpini (vgl. hirpus ,Wolf), die slavischen Warnaci („Krähen")
u. a., eine Erscheinung, die auch in vedischen Volksuamcu <Matsi/a
, Fisch', Aja ,Ziegc' u. a.) wiederkehrt (vgl. Ohlenberg Die Religion
des Veda S. 85). Ist hier an eine Ableitung von etwaigen Stammes-
göttern, die als Tiere aufgefasst wurden (s. u. Fahne und Religion)
oder an eine Art von Tot e in i sm us zu denken, wie ihn die ethno-
graphische Forschung hei zahlreichen Völkern nachweist?
Die Völkernamen gehören also im wesentlichen den Einzelsprachen
an. Die indogermanischen Stämme selbst werden, wie dies noch heute
im Sttdslnvischen der Fall ist (vgl. Krauss a. a. 0. 8. 36: Herne Knezevit,
PI. Budisavljecic u. s. w.), einfach nach dem wirkliehen oder eingebil-
deten Stammvater benannt worden sein. Auch die vielbesprochenen
germanischen Jxtaeones und Inguaeonex (von einigen mit griech. 'Axouoi
verglichen V, s. auch u. Birnbaum), werden nichts als mittels des
die Abstammung bezeichnenden Suffixes -ejon aus -e"ijon{ : lat. -ejus,
griech. -r\io<;) gebildete Ableitungen von den Namen derartiger Ahn-
herrn des Stammes sein.
Wie es nun gekommen ist, dass Gruppen derartiger idg. Stämme
und Stanunesverbindnngen sich so gegen einander abgrenzten und von
einander unterschieden, dass schliesslich diejenigen Sprach- und Völker-
einheiten sich bildeten, die wir als Griechen, Italer, Germanen, Slavcn
n. s. w. bezeichnen, ist eius der schwierigsten Probleme der idg. Spraeh-
und Völkerwisseuschaft. Offenbar haben die verschiedenartigsten Fak-
toren, Vermischung mit Ureinwohnern, Ausrottung von Ubergangs-
stämmen, Wanderungen und geographische Isolierung u. s. w. in dieser
Richtung gewirkt. Dabei ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit
bei den durch solche Spracheinheit verbundenen Stämmen, die meist
in blutiger Fehde mit einander liegen, ein äusserst geringes. Erst
eine Folge geschichtlicher und kulturgeschichtlicher Vorgänge ist es,
wenn solche durch engere Verwandtschaft verbundenen Stämme, Stammes-
verbindungen und Völkerschaften sich des ihnen aufgeprägten gemein-
samen Stempels bewusst werden, ein Nationalitätsbewusstsein
und damit häufig gemeinsame Namen wie "EXXnve? oder „Deutsche11 auf-
kommen. Zuletzt haben Uber diese Fragen vom griechischen Stand-
punkt P. Kretschmer Einleitung in die griech. Sprache S. 410 ff., vom
germanischen O. Bremer in Pauls Grundriss III *, 762 ff. ausführlicher
gehandelt. — S. auch u. Stamm und Staat.
Volksversammlung. Die Ausführungen u. König (s. die Zn-
sammenfassung seiner Befugnisse Nr. 2) lehren, dass in der idg. Urzeit,
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924
Volksversammlung.
wie es schon Mommsen Römische Geschichte I7, 72 richtig erkannte,
„die eigentliche und let/.te Trägerin der Idee des souveränen Staates"
die Volksversammlung, d. h. die Staramesgenieinde gewesen ist.
Durch das allmähliche Anwachsen der königlichen Gewalt einer-, und
der Ausbildung eines Adelstaudcs (s. u. Stände) andererseits wurde
diese Bedeutung des versammelten Volks hei den Einzclvölkera in ver-
schiedener Weise eingeschränkt, was hier nicht weiter verfolgt werden
soll. Vielleicht haben schon in der Urzeit in der Stamm es Versammlung
nur die Sippenhäupter, in der Sippen Versammlung nur die Vorstände
der ein/einen Grossfamilicn — denn diese beiden Arten von Versamm-
lungen mtlssen nach der alten Stammesverfassung der Indogermanen
unterschieden werden — eine eigentliche Stimme gehabt, und die
übrigen sind mir dazu da gewesen, um ihren Beifall (etwa durch
Waffenlärm und Stampfen mit den Füssen, wie bei Germanen und
Kelten, vgl. Tac. Genn. Cap. 11, Hist. V, 17, Caesar De bell. Call. VII,
21 ; altn. vdpnatak ,armorum apprehensio ) oder ihr Missfallen (etwa
durch Murren, vgl. Tac. Genn. Cap. 11) zu erkennen zu geben.
Die idg. Bezeichnungen für die beiden eben genannten Versamm-
lungen liegen in den Gleichungen: sert. sabhä' , Versammlung der Dorf-
gemeinde' — urgerm. *seba, wovon got. sibja, eigentl. ,was zu eiuer sol-
chen Versammlung gehört', ,Sippe' für die Sippenversammlung und
sert. sdmana- , Festversammlung' (vgl. Zimmer Altindisches Leben S. 177)
— ir. ttumain .Bezeichnung bestimmter Feste am 1. Mai und nament-
lich des grossen Festes von Tara am 1. November' (vgl. Stokes Urkelt.
Sprachschatz S. 293) für die Stamincsversammluug. Die Einzel-
sp rächen bieten im Ganzen wenig von Interesse, da der Begriff
der Volksversammlung in ihnen meistens durch Wörter ausgedrückt
wird, die in ganz durchsichtiger Weise und ohne weitere Zusammen-
hänge soviel wie , Zusammenkunft' und ähnliches bedeuten. So griech.
öVfopd : dtYcipuj ,sammle', dAict, nXtaia : ä\r\q .versammelt', und dor.
drre'XXa (nach Prellwitz : griech. T€Xo? ,Schar', ir. cland, kymr. plant
jStamm"?), während ^KtcXnaia : KaXeTv, lat. calare, classis ,die zur Ab-
stimmung berufene. Menge' soviel wie ,Anfgebot' bedeuten wird. So
ferner lat. contio aus *coventio, comitium ( vgl sert. sdm iti-) und con-
cilium, Ausdrücke, für die in der älteren Zeit ein Bedeutungsunter-
schied schwerlich festzustellen ist (vgl. Bernhöft Staat und Recht S. 151),
so auch das gemeingerm. got. mapl, agls. mdedel, ahd. inahal, mlat.
malluft, mallum : got. gamötjan »begegnen' (vgl. auch agls. gemdt),
während altn. ping, agls. ebenso, ahd. dinc, langob. thinx, gairethinx
(vgl. Marx Thinxus in römischen Inschriften) vielleicht zu got. peihs
,Zeit' (= lat. tempu*?) gehört und die certi dien bezeichnet, an denen
nach Tacitus Germ. Cap. 11 die germanischen Volksversammlungen
stattfanden. So endlich auch altsl. suborü, sübrannije : berq, brati
,legere', also ,0-uXXoth', während altsl. reste, altpr. trayte mit altsl.
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Volksversammlung — Vorfahren.
'.»L'5
te 2 (Miklosich) ,sageu' zu verbinden sind und eigentlich , Besprechung'
bedeuten. Zahlreiche Benennungen für die auf altirischem Boden be-
stehenden mannigfaltigen Versammlungen des Volkes und Adels bietet
O Curry Manners and customs I, CCLII. Eine derselben (ir. dal =
kymr. datl) ist urkeltisch, lässt sich aber vorläufig nicht weiter ver-
folgen. Vgl. noch sert. vid dtha- : got. teitöp ,Gesetz' (?). — Über den
Zusammenhang der alten Volksversammlungen mit Schmausen und
Festen s. n. Mahlzeiten und Trinkgelage, Uber ihre Bedeutung
als Märkte s. d. Über ihre richterlichen Funktionen s. u. Recht.
Vorfahren. Die hohe Bedeutung des Ahnenkultes (s.d.) auf
idg. Boden, die einem jeden die besondere SeelcnpHege seiner drei
nächsten und die allgemeine seiner weiteren Vorfahren zur Pflicht
machte, und die damit verbundene, auf dem Gebiet des Rechts (s. u.
Blutrache) wie des Besitzes (s. u. Erbschaft) bedeutungsvolle Vor-
stellung einer Nahverwandtschaft (s. u. Familie) musste in alten Zeiten
einem jeden die genaue Kenntnis seiner Ahnen als eine äusserst wich-
tige Aufgabe erscheinen lassen, zu deren Bewältigung er in Ermange-
lung der Schrift lediglich auf die Kraft seines Gedächtnisses angewiesen
war. So berichtet aus dem alten Wales (vgl. F. Walter S. 33'*) Gi-
raldus Cambriae descr. Cap. 17: Genealogiam quoque generis stii
etiam de populo quilibet observat, et non Holum avox, atacos,
sed usque ad sextam vel septimam, et ultra proeul generationem
memoriter et promte genus enarrant in hunc modum, Rems
fi litis Gruffini, filii liest, filii Theodori, filii Aeneae, filii Oeni, filii
Hoeli, ßlii Cadelli, filii Roderici Magni et sie deineeps. Ebenso er-
freuen sich die homerischen Helden daran, ihre Vorfahren aufzuzählen,
wofür, statt auf vieles andere, auf das Gespräch zwischen Glaukos und
Diomcdcs (II. VI, 1 19 ff.) verwiesen sei. Ohne Besinnen führt der
erstere mitten im Gewühle der Schlacht seine väterlichen Ahnen bis
zum Urgrossvatcr (Sisyphos) auf, und Diomcdcs erinnert sich sofort,
das« sein eigener Grossvater (Oineus) mit dem des Glaukos (Bellero-
phon) einstmals in gastfreundschaftlinhem Verhältnis stand. Aus dem
Germanischen ist z. B. an die vielen und grossen Genealogien der
Sachsencbronik zu denken. Erleichtert wurde das Festhalten so hoch-
hinaufgehender und weitverzweigter verwandtschaftlicher Beziehungen
dadurch, dass in alter Zeit (s. u. Familie und Sippe) nur die
mäunliche Ascendenz beachtet wurde, und „somit die Ahnentafel mit
der Berücksichtigung von Vätern und Müttern mehr oder weniger
gegenstandlos wurde". Vgl. darüber 0. Lorenz Handbuch der Genea-
logie S. 81 ff., der gegen die Annahme eines kognatischen Familien-
begriffes bei den Indogennancn mit Recht den Zweifel ausspricht,
„ob überhaupt einer agnatischen und kognatiseben Eutwickelung des
Familienbegriffes das menschliche Gedächtnis Stand zu halten ver-
möchte, solange es nicht durch Schriftkunde unterstützt wird. Die
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Vorfahren — Waehholder.
Ahnentafel ist wahrscheinlich ohne Schrifttum etwas gar nicht denk-
baresu.
Die idg. Bezeichnung: des Begriffes , Vorfahren' liegt aller Wahr-
scheinlichkeit nach in dem Plural des Wortes für , Vater' : sert. pitdras
— grieeh. Traiepes, lat. patres w. s. w. Auch gricch. yoveis und parentes
werden so, oft aber auch mit Beschränkung auf den Drei v äterkreis
gebraucht. Vgl. Isaens VIII, 32: yovci? eicFi junrnp KCtl Traifip Kai
ttotttto^ koü Tn8n, KQi toutujv un.Tr|p Kai iraTrip' 4k€ivoi -fäp äpxn TOÖ
Tcvou? eio-iv und Fcstus cd. 0. M. S. 221: Parens vulgo pater et
mater appellatur\ sed iuris prudentes avos et pro mos, arias et
proacias parentum nomine appellari dicunt (s. auch u. Name).
Als „Drittväter" sucht Kaegi Die Neunzahl bei den Ostariern (Phil.
Abh. für Schweizer-Sidler S. öä/öti81) auch das Hesyehischc TpiTOTtd-
topeq (TpiTOTTotTpetq) • o\ bt Touq irpoTräTopa? ansprechend zu deuten.
Vgl. auch agis. pridde fivder ,Urgrossvater'. — S. u. Eltern und
Grosscltcrn.
Vorhalle, s. Haus.
Vormittag, s. Morgen, Tag.
W.
Wabe, s. Biene, Bienenzucht.
Waehholder (.Juniperus). Vorhistorische Bezeichnungen dieses
Strauches oder Baumes liegen einerseits in gemeinsl. altsl. smrtc't
»Waehholder', smreta .Zeder', klruss. smräka , Fichte' u. s. w., *smerk-
= grieeh. äpK-€u8o<; ,Cypressenwachholder' (Juniperus phoenicia L.>,
*snirk- (vgl. in lautlicher Hinsicht lit. smirdeti .stinken', lat. merda,
grieeh. öpba ,Schinntz'), andererseits in lat. jüni-perus = schwed. en
aus *joini- (vgl. Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 336) vor. — Auch
grieeh. Keöpoq bezeichnete von Haus aus Wachholdcrarten und wurde
erst später auch auf die syrische Zeder (i\ iv Zupia Kebpoq Theophr.,
Pinns Cedrns L.) übertragen. Schon bei Homer wird das Wachholder-
hof (s. u. A r <> m a t a) zur Räucherung gebraucht, und es ist wahr-
scheinlich, dass grieeh. xebpo? als zu altsl. cadü .Rauch' aus *kedü
gehörig, selbst so viel wie ,Rauchholz' bedeutet. Jedenfalls liegt diese
Bedeutung dem preussisch-litauischen Namen des Wachholders, altpr.
kadagis, lit. kadagtfs (vgl. auch das hieraus entlehnte nhd. kattikbaum)
zu Grunde, die von altsl. kaditi ,räuchera' (von *kadü neben cadü)
abgeleitet wird (Lewy Die semit. Fremdw. S. 35 denkt dagegen für
gricch. K€bpo£ an Entlehnung aus hebr. qäfar ,räuchern', arab. qafara
/lüften'; s. auch u. Zitrone). — Noch unerklärt sind: ahd. tcehhaltar
und slav. jalortcl , Wachholder' nnd , Fichte'. — Über die Terminologie
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Wachholder — Wage und Gewicht.
927
der südlichen Wachholderarten vgl. noch Fraas Synopsis 8. 258 und
Lenz Botanik S. 3öf> ff.
Wachs, s. Biene, Bienenzucht.
Wachskerze, s. Licht.
Wachstafeln, s. Schreiben und Lesen.
Wachtel. Ein idg. Name des Vogels liegt in seit, värtikü,
Pamird. wolch, griech. öpTuL Wenn im Lateinischen die Form coc-
tumir vgl. Keil Graiumatici Lat. VII, 108^ für coturnix Gewähr hat,
so lässt sich dieselbe vielleicht mit ahd. teaht-ala vergleichen (doch
agls. wyhtfil, nicht *hwyhtel). Nach Keller Lat. Volkset. S. 50 wäre
coturnix ans coeturnix alsdann durch volkstümliche Angleichung an
cnttirnus entstanden wegen der stark bewehrten Füssc des wie der
Haushahn zu Wettkämpfen benutzten Vogels. Neben wahtala liegt im
Ahd. quahtela. quattufa, quattala, in den Reichenauer Gl.: quaecola,
deren Beziehungen zu it. quaglia, frz. quaille (auch agls. quayle) noch
nicht klar gestellt sind. — Ganz abweichend heisst das Tier in Ost-
en r o p a. In allen Slavinen begegnet *perpera , *perperica ,die
Hntternde' (Miklosieh): russ. perperü etc., alt pr. per(n)palo. lAt.pittpela
(vgl. Lcskieu Bildung der Nomina S. 201 ). Vgl. noch alb. dmh aus
lat. tetraonem (s. u. Fasan), agls. ersc-hen (einmal bei Wright-Wülcker
380, 19: edtHc-heii) und korn. rinc, kambr. rhinc. — Über die Wachtel
im Altertum vgl. Lenz Zoologie vS. 347 ff.
Waffen. Die idg. Urzeit entbehrte mit Ausnahme des Schildes
noch gänzlich der Schut/.waffen, also vor allem des Helmes und
Panzers. An Angriffswaffen führte dieselbe: Pfeil und Bogen,
den Dolch (s. u. Schwert), Spiess, Axt (und Beil), Hammer,
Keule und vielleicht die Schleuder. Über alle diese Waffen ist in
besonderen Artikeln gehandelt worden. — Zusammenfassende Ausdrücke
wie griech. öttXov, öttXo (bei Homer: ,Handwerkzeug', .Schiffsgerät',
,Kriegszeug '), lat. arma (: armus , Schulter', zunächst ,Üefensivwaffen';
Gegensatz : Uda). gemeingerm. got. icepn, ahd. wäfan (kaum mit
griech. örrXov vereinbar) und got. Harten, ahd. »aro (entlehnt ins lit.
azoncai, altpr. mneis\ lit. giilklai (: ginh , wehre ) n. a. gehören den
Kinzclsprachen an.
Waffentänze, s. Tanz.
Wage und Gewicht. Mit dem Aufkommen des King- und Barrcu-
geldes an Stelle der früher ausschliesslichen Zahlungen in Vieh (s. n.
Geldi musste auch die Kenntnis der Wage, auf der «las Metall, bevor
es als Münze geprägt wurde, zugewogen ward, sich in Kuropa von
Volk zu Volk verbreiten. Da diese Benutzung des Metallcs bis in die
sogenannte Bronzezeit (s. u. Krz) zurückgeht vgl. auch die Zusammen-
stellung der Funde von Wagen hei M.Much Mittl. d. Wiener Anthrop.
Ges. IX % so versteht man, dass auf den einzelnen Sprachgebieten alte
meist über alle Mundarten sich erstreckende, aber noch nicht indo-
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Wage und Gewicht.
germanische Namen der Wage uud des Gewichts vorhauden sind.
Auch dass bei so bedeutsamen Handelsbegriffen die sprachliche Ent-
lehnung von Volk zu Volk eine grosse Rolle spielt, ist von vornherein
zu erwarten.
Die wichtigere Terminologie der Wage uud des Gewichtes in den
Einzelsprachen ist die folgende: Griechisch : (homerisch) TdXavrov
,Wage' und »Gewicht*, wie denn häufig in denselben Woitstämmen
beide Bedeutungen bei einander liegen. Das Wort gehört zusammen
mit TaXäffdai, xXnvai ,ertragen', TdXapo? ,Tragkorb' u. a. zu lat. follo
,ich hebe auf und sert. tul, das erstens ,aufhcben', zweitens ,dureh
Aufheben eines Dinges ein Gewicht bestimmen, wägen, abwägen' be-
deutet (vgl. auch sert. tulä' ,Wage'). Die Grundbedeutung von rdXavrov
dürfte daher „Hebung" (sc. der zu wiegenden Massei sein. Vgl. noch
aus nachliomerischcr Zeit für ,Wagc' : TpüTdvn. (cigentl. ,das Züngelchen'
a. d. VV.), o*Ta8pö^ (bei Homer ,Gcwieht'i und Zutö?, eigentl. , Wage-
balken' (Zirröv ,Joch'). Gricch. uvd ,Minc' s. u. Geld. Im Lateinischen
ist ein sehr alter Name der Wage und des Gewichtes (Pfundes) libra,
uritalisch, wie die griechische Entlehnung daraus, sizilianisch X'upa
zeigt, *lißra. Eine sichere etymologische Erklärung dieses Wortes
ist noch nicht gefunden. Vielleicht darf man in Analogie zu dem
gemeingerm. ahd. icäga, agls. tcdzg, ahn. tag : got. gateigan , bewegen' von
einem idg. leith ,sich bewegen' (vgl. got. af-leipan ,sich fort bewegen' etc.)
ausgehen, so dass die Grundbedeutung sowohl von lat. libra wie von ahd
wäga „Bewegung" (sc. der zu wiegenden Masse) sein würde; denu
wenn man im Neuhochdeutschen z. B. sagt: „ein Brot wiegt drei Pfuud",
so bedeutet dies etymologisch nichts anderes als „ein Brot setzt drei
Pfund in Bewegung", nämlich durch „Hebung" (vgl. oben grieeh. t6l
XavTov und dazu Paul Deutsches W. s. v. wägen). Umgekehrt würde lat.
pondus ,Ge\vicht' : pendere, eigentl. ,häugen lassen', pendere .hängen'
das „Niedersinken" des Gewichtes zum Ausdruck bringen. Vgl.
im Lateinischen noch für , Wagschale' lun.r (it. bilancia, sp. balanza,
frz. balance ,Wage' aus *bi~latix), eigentl. »Schüssel' (gricch. XotKdvn, id.)
und für ,Wagc' die beiden aus dem Griechischen enl lehnten trutina
(Tputdvri) und stattra (0-TctTn.p ,ein Gewicht', vgl. oben OTaQ^oq). Aus
den germanischen Sprachen ist die wichtigste, gemeingerm. Reihe
ahd. wäga etc. bereits genannt. Vgl. noch ahn. xkdl (engl, scale)
,Wage', eigentl. ,Schalc' (ahd. scala, vgl. lat. lanx) und die «ehr frühen
Entlehnungen got. pund, ahd. pfunt, agls. pund aus lat. pondo, agls.
punder, mndd. punder aus lat. 2)ondtt8. Es bleiben das ahsl. rrxii
und das lit. xwaHis ,Wage', letzteres ebenso wie lit. xicäras auch
jGcwicht' (Pfund) zu nennen (lit. sicareziai auch die Steine am Netze,
welche es hinabziehen). Beide dürften in ihrer Grundbedeutung dem
lat. pondus am nächsten stehen, in so fem sich ersteres an ahsl. rintti
,hangen', cislü ,pcdens' etc. anlehnt, letzteres mit ahd. aicar, agls.
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Wage und Gewicht — Wagen.
929
stccer, altn. scärr ,schwer' (lit. vweriü ,wägc) zu verbinden ist. Aus dem
Nordiselien entlehnt: altsl. skalca, nkaly ,Wage'. Agls. heolor (dunkel).
Ein merkwürdiger in ganz Nord-Ost- Kuropa geltender Ausdruck ist:
dän. Immer (ndd. besemer), schwed. besman, lit. bezmtnax, russ.
bezmentf, poln. bezmian, eech. prezmen (Archiv f. slav. Phil. VII, Ki(>).
Er ist wahrscheinlich turko-tatarischen Ursprungs und geht auf türk.
bat man , Pfund' : bat »untergehen, sinken' zurück (vgl. Vämbery Primi-
tive Kultur 8. 110). — Weiteres vgl. bei Vf. Handelsgeschichte und
Warenkunde I, lööff.
Wagen. Die Kunst des Wagenbaues kann als eine schon indo-
germanische betrachtet werden. Dies folgt trotz Kretschmer Einleitung
8. 21 mit Bestimmtheit aus der grossen Zahl urverwandter Bezeich-
nungen für die einzelnen Teile des Wagens, wofür auf die Artikel
Achse, Deichsel, Felge, Joch, Zaum (Zügel), Lünse, Nabe,
Rad zu verweisen ist. Hinzu kommt für die Verbindung der Zugtiere
mit dem Wagen die weitere Gleichung (vgl. zuletzt Uhlenbeek Et. W.
d. altind. Spr.) sert. gdmyä, aw. simä- ,Jochbalken', npers. sim ,Kummet'
= armen. samik ,zwei Hölzer, die durch die beiden Löcher des Jochs
gesteckt und unten durch einen Strick zusammengehalten werden',
griech. Knuö<; ,eiu kummetartiger Gegenstand', urgerm. *hama-, ndl.
haarn, westph. harne, mittelengl. harne etc. ,Kummet' (hieraus altsl.
chomatü, woraus wieder mhd. komat). Vgl. noch mhd. litüise = russ.
ljusjna ,Wagenleiste, Runge' (Kluge Et. W.6 v. Leuchse). Der Wagen
selbst wird in der Urzeit mit einer Bildung aus der Wurzel sert. vah
= lat. veho ,bewegen' benannt worden sein : sert. vä'hana-, griech.
6xr)MO, öxo<;, ahd. wagan, altsl. eozü, lit. iceümas (altpr. teessis
,Schlitten'), ir. fen aus *vegn-.
Bei der geringen Festigkeit der idg. Siedehingen (s. u. Ackerbau
und n. Viehzucht) und der sich hieraus ergebenden Häufigkeit der
Wanderungen war der Wagen, um Hab uud Gut in sich aufzunehmen
und den Wandernden für kürzere oder längere Zeit als Wohnung zu
dienen — ein Zug, der bei den in nomadischen Verhältnissen ver-
harrenden Skythen und Sarmaten (vgl. Vf. a. u. a. 0. S. 17) am
schärfsten hervortritt — eine durch die Not gebotene Erfindung, durch
die sich die Indogermancn ebenso von den Völkern finnischer (vgl.
Ahlqvist Kulturwörter S. 125), wie turko-tatariseher Herkunft ('vgl.
Vämbery Primitive Kultur S. 128) unterschieden, die beide den Wagen
in der ältesten Zeit nicht kannten. Der Wagen, kann man sagen,
vertritt bei den Indogermaneu, den Bewohnern der westlichsten Steppen-
gebiete (s. ti. Urheimat), das Kamel der nomadischen Bevölkerungen
der östlichen Steppcnländer.
Der Wagen der Urzeit wird sich von demjenigen, den die Römer als
plaustrum (aus *plaux-strum : ploximum , Wagenkasten ?) bezeichneten,
und den sie gerade den nördlichen Völkern zuschrieben (Scythae quortim
Schräder, Keallexikon. 59
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WO
Wagen.
planst ra rogas rite trahunt domus, Horaz, domus pl austritt
impositae, Plinius von den Kimbern, üarmatis in plaustro equoque
vitentibus, Tacitus) nicht wesentlich unterschieden haben. Die Räder
an diesem Wagen waren nicht gespeicht (über das Auseinandergehen
der idg. Sprachen in der Bezeichnung dieses Begriffs s. u. Speiche),
sondern waren tympana, Scheiben, die mit der Axe zusammenhingen.
Wegen des ungeheuren Lärms, den sie erregten, werden sie stridentia
phtustra (vgl. Vcrgils Georg. IV, 2(52) genannt. Vgl. dazu V. Hehn
Kulturpflanzen ,! S. 51 4 f. Ganz ähnlich wird der von Kindern gezogene
barbarische Wahren gewesen sein, der auf der Siegessäule des Marc
Aurel abgebildet ist.
Überreste hölzerner Wagen sind aus frllheu prähistorischen Schichten,
was bei der leichten Zerstörbarkeit des Holzes nicht auffallend ist, so
gut wie nicht auf uns gekommen. Vielleicht dass aus den nördlichen
Mooren, die ihre das Holz konservierende Kraft an Schiffen, Särgen,
Waffen und dergl. gezeigt haben, gelegentlich auch ein Wagen der
Urzeit zu Tage gefördert weiden wird. Hingegen treten mit der
Bronze im mittleren und nördlichen Kuropa nicht selten ans diesem
Netall gegossene oder mit ihm belegte, gespeiebte Wagenräder oder
ganze Wagen auf. Über die grösseren, auf wirklichen Gebrauch hin-
weisenden Bronzeräder s. u. Streitwagen. Vgl. über Funde, ganzer
mit Bronze beschlagener Wagen aus der älteren Eisenzeit auch S. Müller
Nordische Altertumskunde II, 44 ff. Fast noch merkwürdiger sind aber
die bronzenen Miniaturwagen, über die Virehow Zeitschrift für Ethno-
logie V. Verhandl. S. 198 ff. (vgl. auch XIV, 43 ff.) gchaudelt bat, und
die er in die drei Gruppen von „Kesselwagen44 (d. h. Wagen, die einen
Kessel tragen), „Plattenwagen mit darauf stehenden Figuren" und
„Eiuaxige Deichselwagen mit Stier und Vögelköpfen" zerlegt. Man ist
wohl allgemein einig, dass es sich hier um Gegenstände de« Kultus
handelt; aber Uber die Zeit, der sie angehören und die Frage ihrer
Herkunft gehen die Meinungen weit auseinander. Auffällig erinnern
an den eben genannten Typus der Kesselwagen die Verse Homers
(II. XVIII, 373 ff.):
Tpmobaq y«P £eiKoo*i TrdvTa^ freuxev ( Hephästos)
£öTdu€vai nepi toixov ivOTaQtoq uetdpoio,
Xpuffea Ö€ o*q>' utto kukXcx dicäffTiu nuöuevi 6n>€V.
Kehren wir zu dem Wagen der Urzeit zurück, so wurde derselbe
damals ausschliesslich von dem Rind (s. d.) gezogen, das noch im
Rigveda geradezu als anadvdh- ,den Lastwagen ziehend' bezeichnet
wird. „Der Ochsenwagen", bemerkt V. Hehn mit Recht, „erscheint
bei religiösen und politischen Feierlichkeiten als Rest uralter Tradition
in einer im übrigen veränderten Zeit". Der von Kühen gezogene
Wagen der Nerthus bei Tacitns, der Ochsenwagen der merovingischen
Könige, der mit Ochsen bespannte Wagen der argivischen Herapriesterinn
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931
bei Ilerodot (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen0 S. 38 f.) legen hiervon
Zeugnis ab. Erst viel später, und zuerst, nach orientalischem Vorbild,
am Streitwagen (s.d.) ist das Pferd (s. d.) als Zugtier benutzt
worden.
In der Geschichte der Weiterentwicklung des urzeitlichen Last-
wagens zum Streit-, Renn-, Reise- und Staatswagen lassen sich in
Europa zwei in der Sprache sich spiegelnde Kulturströmungen unter-
scheiden: eine ältere, vom keltischen Westen und eine jüngere, vom
sla vischen Osten ausgehende. Aus der Sprache der Pferde und Wagen
liebenden Kelten ist eine grosse Anzahl von Benennungen für Fuhr-
werke aller Art ins Lateinische und durch dieses wieder in zahlreiche
andere Sprachen Europas übergegangen. Es sind folgende: 1. kelt.
*karso-s (ir. carr, kymr. ebenso; urverwandt mit lat. currus?, vgl.
auch KapapÜ£?• o\ Zku9iko\ oTkoi. £vioi b€ tä^f Karrjpeic duä£a<; Hes.) :
lat. carrus, ahd. charro, alb. küre, ngriech. Kdppov und in allen ro-
manischen Sprachen, frz. char u. s. w. Hiervon abgeleitet: lat. carrüca,
mlat. carrucium, it. carroccio, carozza, frz. carrosse, ahd. carruh,
altsl. krükyga, ngriech. KapÖTia, alb. karotse und mlat. carratum,
carreda, it. carrata, sp. carrada etc., russ. poln. kareta etc., lit.
kareta, nhd. karrete\ 2. altgall. r&da, vgl. auch Eporedia, Redones,
Eporedorix (ir. dd-riad ,bigae', urverwandt, mit abd. reita, auch
,currus') : lat. reda ,Postkutsche' (Uber para-ve-redus s. u. Pferd);
3. altgall. carpentum, vgl. auch altgall. Carpentoracte, brit. KapßavTÖ-
p»tov (ir. carpat) : lat. carpentum ,Staatswagen'; 4. altgall. petorritum
,Vierrad' (kymr. petguar ,vier', ir. roth ,Rad' : lat. petorritum ,ein
Reisewagen'; 5. ir. »essrech, sessrach ,Lastwageu' : lat. serräcum ,ein
Last- und bäurischer Reisewagen'; 6. und 7. zwei Bezeichnungen des
gallischen Streitwagens essedum (kelt. *in-sed on ,worin man sitzt')
und covinnus (-*vinnus : ir. fen aus *vegn-, s. o.). Auch lat. benna,
combennones wird eine ursprünglich altgallische Benennung einer
Wagenart sein (kymr. ben , Karre, Wagen'). S. auch lat. cantus u.
Feig e.
Andererseits findet viel später und schon an und jenseits der Grenze
der Neuzeit eine starke Beeinflussung des europäischen Fuhrwesens
dureh den slavischen Osten statt. Hierauf weisen die Entlehnungen
von nhd. kalesche, it. calesse, valesso, sp. calesa, frz. calrche aus
Sech, kolem (: altsi. kolo ,Rad'), von nhd. kutsche, engl, coach, it.
coccio, frz. coche, alb. kotM aus poln. kocz, klruss. kocyja, cech. koc
(ung. koesi, angeblich nach einer ungarischen Ortschaft ; nach anderen
freilich wurzele die Sippe im Romanischen, vgl. Körting Lat.-rom. W.
unter *cocca = concha .Muschel ), von nhd. (ganz spät) droschke aus
poln. dorozka, russ. droiki (: russ. drogi ,einc Art Wagen', s. u. Rad).
Erst mit dieser östlichen Strömung scheint in Europa der seit dem
Untergang des Altertums ganz zurückgetretene Gebrauch von Kutschen
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;>32
Wagen - Waid.
wieder aufgekommen zu sein. Noch im XV. und XVI. Jahrhundert
ritten Männer und Frauen, Weltliche und Geistliche bei allen denjenigen
Gelegenheiten, bei denen man sich heute des Wagens bedient (vgl.
Beckmann Beyträge I, 418 ff. „Kutschen-4).
Noch zu erwähnen bleiben aus der Terminologie des Wagens: griceh.
äpuaxa (: lat. armentum »Gespann'), äuaEa (s. u. Achse), äirrjvri (vgl.
Trnva • äTrnvn. lies.), bitppoq (: (pe'pw, also eigentl. ,Zwciträger') , Wagen-
stuhl, Rennwagen', KaTrävn. ,eine thessalischc Wagenart' (vgl. ir. eapp
, Fuhrwerk, Bahre'), lat. arvera (: arca) ,ein Lastwagen', cisium , Reise-',
pilentum ,Staatswagcn* (beide wohl fremder Herkunft) u. a. — Vgl.
näheres bei Vf. Haudelsgeschichtc und Warenkunde I, 17 ff. und s.u.
Schlitten, Schlittschuhe.
Wahnsinn, s. Krankheit.
Wahrheit, Schwören bei ihr, s. Eid.
Wahrsager, Wahrsagung, s. Los, Orakel, Priester, Zauber
und Aberglaube.
Waid (Isatis tinetoria £.). Ein urverwandter Name der in
Europa einheimischen Pflanze liegt in lat. vitrum (ablautend) : ahd.
iceit, agls. tedd. Auch got. teizdila und griech. Icrdn? (erst bei Dios-
korides) werden hiermit zusammenhängen; doch ist das nähere lautliche
Verhältnis dieser Wörter zu einander noch nicht ermittelt. Die Pflanze
wurde im Süden, durch die Einführung des Indigo (s. d.) entbehrlich
gemacht, wenig angebaut. Anders in Deutschland, wo icaisdo (vgl.
got. wizdila) schon im Capitulare Karls des Grossen de villis 43 als
neben Flachs, Wolle, Färberöte u. s. w. in die Weiberhäuser zu liefern
genannt wird. Von deutschem Boden ist denn auch das Wort (*waida-)
einerseits in die romanischen Sprachen (it. guado, frz. guede), anderer-
seits in das Slavischc (fech. vejt, russ. vajda etc. neben den ein-
heimischen poln. uret, sinilo, letzteres zu altsl. sinl ,blau') Uberge'
gangen. Ein gallisches glastum (vgl. ir. glasin ,Waid' und dazu
0 'Carry Manners and customs I, CCCC1II f.) nennt Plinius Mist. nat.
XXII, 2. Da lat. citrum nach der Ähnlichkeit der Farbe auch die
Bedeutung ,Glas' angenommen hat, so wird man für das keltische
Wort an Zusammenhang mit ahd. glas, agls. glais, altn. gier (s. näheres
u. Glas und u. Blau) zu denken haben. Im Litauischen heisst der
Waid vieles PI. zu mele , blaue Farbe' (Kurschat: me'lys PI. ,blauer
Färbestoff'), wovon Meletele und ähnlich ,dcr Gott über die Farben-
kräuter, damit sie ihre Marginnen, d. h. Kittel färben', wie in Srutis
ein Gott der grünen Farbe (srutä , Mist jauche?) verehrt wurde. Zu
beiden beteten diejenigen, die in den Wäldern Farbenstoffc zum Färben
der Wolle sammelten (vgl. Uscncr-Solmsen Götternamen S. 9f>, 101). —
Über die Benutzung des Waids zum Bemalen der Körpers s. u.
Tätowierung. Übrigens kennt Dioskorides die Pflanze auch als zu
Heilzwecken dienlich (vgl. Lenz Botanik S. 618 und v. Fischer-Beuzon
S. Hl). — S. u. Farbstoffe.
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Waise - Wal, Walfisch.
033
Waise. Für diesen Begriff Hegt eine vorhistorische Benennung in
grieeh. öpqmvö?, lat. orbus, armen, orb vor, eine Gleichung, an der auch
das gemeingermani8che got. arlri ,Erbc', vgl. altir. comarpi ,Miterben'
(arbi eigentl. .verwaistes Gut') teil zu nehmen scheint (s. u. Erbschaft).
Lautlich deckt sich auch das indische ärbha- ,klein', ,schwach', Jung'
mit dieser Sippe, doch ist die Bedeutungsvermittlung schwer. Got.
widutcairna ,Waise' : widuicö , Witwe' von derselben indischen W.
r.idh ,leer werden', zu der vielleicht auch ahd. teeiso etc. , Waisenkind'
gehört. Altsl. sirü (dunkel). Eine schöne Bezeichnung des Gegenteils
von einer Waise, nämlich eines Kindes, das beide Eltern noch am
Leben hat — ein Begriff, der sonst in den idg. Sprachen keinen nomi-
nalen Ausdruck gefunden hat — bietet das gricch. äu<pt9aXn.s (II.
XXII, 496), wörtlich ,anf beiden Seiten umbluht'.
Wal, Walfisch. Unter den Walen des Mittelmecrs wird der
sagenumwobene Delphin, der Liebling der Götter und Menschen,
schon in der homerischen Dichtung genannt. Sein griechischer Name
beXqnq (aol. ßlXquvc;) gehört zu beXqm? ,Mutterschoss', bedeutet aber
wohl weniger ,Bauchfisch' als ,gewölbter Fisch* (vgl. AcXtpoi, böot.
BeXqxri ,Wölbungeu' : tXdtpu , Höhle', f^aq>upö? .bohl, gewölbt'). Sehr
frühzeitig übernahmen die Römer den griechischen Namen des Tieres
(delphinus), auf das sie durch den griechischen Kult des Apollo,
welchem das Tier heilig war, aufmerksam gemacht werden mochten.
Vgl. O. Keller Tiere des kl. A. S. 217 ff. Im Ahd. begegnet für del-
phinus : lueruncin; dem entsprechend ir. mucc mora, korn. morhoch
, Meerschwein' (vgl. griech. b^Xqxxü , Ferkel' : beX<pi? , Delphin').
Von anderen Walen (KfjTO? = lat. xquatns, xquatina ,eine Art von
Haifisch') nennt Aristoteles ausser dem Delphin die qpuncaiva ,den
Tümmler' (vgl. <pwKt] , Robbe'), die (pdXoiva (Jeder Wal grösser als
der Delphin', woraus lat. balaeua; über die Etymologie s. u. Wels)
und den uucttoioitos, bei dem vielleicht die erste Kunde der gewaltigen
Riesen der offenen Meere durchschimmert (vgl. Carl J. Suudevall Die
Tierarten des Aristoteles S. 84 ff.). Bessere Kenntnis derselben, wie es
scheint, aus den Berichten über die Seefahrt Nearchs in das arabische
Meer verrät Plinius Hist. nat. IX, 4: Plurima autem et meurima
animalia in Indico muri, e.r quibus ballaenae quaternum iugerum,
pristes duvenuni eubitorum etc.. 8: Ma.rimum animal in Indico
mari printi* et ballaena est, in Gallico oceano physeter (<puo"r|Tnp
: (puerdw) ingentitt columnae modo se attollens altiorque navium celis
diluviem quandam eruetans, 12: Ballaenae et in nostra maria
penetrant etc. Vgl. dazu Juvenal X. 14: Quauto delphinis balaena
Britannica maior und Ausonitis Mosel la 144:
Talis Atlantiaco qtumdam balaena profundo,
Cum cento motuce xno tellurix ad oras
l'eUitur.
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Wal, Walfisch - Wald, Waldbäume.
Höchst interessante, wenn aneh znm teil märchenhaft aiisgesponnene
Nachrichten, sieht Oppian in seinen Halieutica V, 46 ff. über den Fang:
riesiger Cetaccen, wahrscheinlich einer Gattung des sog. Zahnwales.
Ks liegt hier schon ein ganz deutliches Bild der heutigen Waltisch-
fängerci vor uns. Wenn das Tier aus dem offenen Ozean in die Nähe
der Küste verschlagen worden ist, macht sich ein Heer von Fischern
zu seinem Fange auf. Ein Köder wird an einem starken Widerhaken,
an dem eine ungeheure Leine angebunden ist, befestigt und dem Wale
vorgeworfen. Dieser beisst sich in demselben fest und flicht von
Schmerz gepeinigt, indem die Leine abrollt, in die Tiefe des Meeres.
Aber an der Leine befestigte aufgeblasene Schläuche (in Wirklichkeit
wohl die Atemnot des Tieres) ziehen den widerstrebenden Wal all-
mählich wieder an die ObcrHäche des Meeres, und nun beginnt aus
allen Böten und mit allen möglichen Waffen ein Kampf gegen das
Ungeheuer, bis es demselben erlegen an das Cfcr geschleppt wird.
Gestrandete Wale mögen sehr frühzeitig auch der germanischen
Welt die Kenntnis des nordischen Ungetüms verschafft haben, worauf das
gemeingermanische altn. hvalr, agls. fite cel (neben krön, Uran), ahd. ttal
i*heala-) hinweist. Das Wort bedeutete ursprünglich den grössten den Ger-
manen bekannten Flusstisch, den Wels, und wurde schon in urgermani-
scher Zeit auf den Waltisch übertragen (näheres 8. u. Wels). In der nordi-
schen Gesetzgebung sind bereits sorgfältige Bestimmungen (Iber den Wal-
tischfang, zu dem Gesellschaften von Fischern sich selbst in das offene
Meer hinauswagen, getroffen worden (vgl. Weinhold Aitn. Leben S. 71).
Wald, Waldbäume. Eine idg. Gleichung für den Begriff des
Waldes ist vielleicht in dem gemeingerm. ahd. teald, agls. iceald, altn.
eöllr anzuerkennen, dem sert. väti- (aus *ndti-), vilta- (aus *vatta )
,Garten, Baumgarten' (Uber lit. wdltis ,Kahn' s. u. Schiff. Schiff-
fahrt) und gricch. dXo*o? (aus *Fa\TFo<;) verglichen wird, welches
letztere aber andere vielmehr mit dein altsl. Usü ,Wald' verbinden.
Auch die Gleichstellung von griech. üXn, mit lat. silm, das von anderen
dem griech. e'Xo? ,feuehte Niederung' gleich gesetzt wird {*ftehvd, *silh a),
ist nicht ohne lautliehe Bedenken. Vgl. noch ir. eaill ,Wald' = ahd.
holz ,Wald, Gehölz' uud ir. fid — ahd. witu ,Baum, Holz, Wald' (s.
auch u. Grenze). Eine alte und namentlich in den germanischen
Sprachen, verbreitete Art, den Begriff des Waldes uud Waldgebirges
(s. u. Berg) zum Ausdruck zu bringen, ist die kollektive Verwendung
eines einzelneu Baumnamens. So sagt man im Deutschen der tann :
die tanne, der oder da» buevh, das esch, das tup u. s. w. So erklärt
sich auch agls. bearu, altn. börr ,Wald' : altsl. borü , Fichte', das
auch selbst ,Wald' bedeuten kann, und got. fairgum ,Gebirge, Gebirgs-
wald' : lat. quere us („Eichicht"). Auch uralte geographische Eigen-
namen wie tiilra llercynia : quercus, *perqu-, ahd. forha, S. Baeenis
: ahd. buohha, <S. Caesia : mhd. heister junge Buche' u. a. sind so zu
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Wald, Waldbäume.
385
beurteilen (vgl. Vf. Sprachvergl. u. Urgesch.* S. 402 Aum., H. Hirt
I. F. I, 480; doch s. über Hercynia u. Eiche und den Nachtrag hierzu).
Von einzelnen Waldbäumen ist in besonderen Artikeln gehandelt
worden Ober Ahorn, Birke, Buche, Eibe, Eiche, Erle,
Esche, Espe (Pappel), Fichte (Föhre, Kiefer, Lärche, Tanne),
Hasel, Holunder, Kornelkirsche (Hartriegel ), Linde,
Speicrling (Eberesche), Ulme und Weide. Die in der Terminologie
dieser Waldbäume nachgewiesenen Gleichungen zeigen die Überein-
stimmende Erscheinung, dass die meisten derselben sich auf die euro-
päischen Sprachen beschränken und nur an wenigen die Arier teil-
nehmen. Als arisch - europäisch erweisen sich nur die Namen der
Birke (sert. hhürja-, lit. Herzas, altsl. breza, deutsch birke), der Weide
(aw. vaeti-, ahd. trida, griech. hia, lat. ritex) und einer Fichtenart
(sert. pitu-ddru , griech. tcitu^i. Einen beiden Gruppen der Indoger-
manen gemeinsamen Baumnamen wird man mit II. Hirt I. F. I, 482
auch aus der Gleichung sert. dhdncnn- .Bogen' = ahd. tanna , Eiche'
und /Tanne' (Vf. a. a. 0. .'i22 Anm.) folgern dürfen, während die
Grundbedeutung des von allen Baumnamen wohl am weitesten ver-
breiteten Stammes dru- (s. u. Eiche) sich trotz Hirt a. a. 0. S. 478
nicht mit Sicherheit ermitteln lässt.
Hinsichtlich der Erklärung dieser Erscheinung, welche mancherlei
Verwandtes mit der u. Ackerbau dargestellten geographischen Ver-
breitung ureuropäischer Ackcrbauglcichungen zeigt, wird es das Vor-
sichtigste sein, die Thatsachen ganz so zu nehmen, wie sie liegen, und
zu konstatieren, das in der ältesten Zeit, bis in welche wir die Indo-
germanen zurUckvcrfolgcn können, die westlicheren Glieder derselben
durch eine ausgebildete Terminologie der Waldbäume verbunden wurden,
welche nur in einzelnen Fällen bis zu den östlichen Stämmen herüber-
reicht. Sind u. Urheimat die ältest erreichbaren Wohnsitze der
Indogennaneu richtig in das südliche Russland verlegt worden, wo
waldreiehe Strecken oft unmittelbar mit waldlosem oder waldarmctn
Steppenboden abwechseln, so würde das geschilderte Verhältnis hier
seine natürliche, geographische Voraussetzung finden.
Schwieriger ist es, noch einen Schritt weiter zu gehen und die
Frage entscheiden zu wollen, ob, wie es H. Hirt a. a. 0. annimmt,
auch die Arier einst au jenen europäischen Baumnamen teil gehabt
und sie auf ihren Zügen, etwa durch die nordkaspischen Steppen, ver-
loren haben, oder ob in jenen gemeinsamen Baumnamen der Europäer
ein wenn auch noch in vorhistorische Zeit fallender Neuerwerb der-
selben anzuerkennen ist.
Gegen diese letztere Ansicht kann man mit Recht geltend machen,
dass die Namen wilder Bäume nicht so leicht wie Bezeichnungen
kulturhistorischer Erscheinungen iz. B. für Fortschritte auf dem Ge-
biet des Ackerbaus u. a.) neu geschaffen werden und wie diese
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Wald, Waldbäume - Walnuss.
von Stamm zu Stamm wandern. Doch wäre es wobl denkbar, das«
jene europäischen Baumnamen, die sich nur ganz ausnahmsweise (wie
z. B. grieeh. <pnTÖq, lat. fdgutt, ahd. buohha von grieeb. (pcrrciv ,csscn')
von idg. Wurzeln ableiten lassen, Benennungen einer voridg. einge-
sessenen Urbevölkerung entstammten, die von den in ein dichteres
Waldgebict vorrückenden Europäern übernommen und ihrer Sprache
angepasst wurden, ein Vorgang, mit dem vielleicht öfters gerechnet
werden muss, als man gewöhnlich annimmt (s. auch u. Salz).
Zu bedenken ist ferner in religionsgesehiehtlicher Beziehung f's. u.
Tempel), dass bei den europäischen Indogermancn der Kultus heiliger
Bäume viel deutlicher als hei den Ariern hervortritt, ohne freilich auch
bei den letzteren gewisser auf eine hohe Altertümlichkeit hinweisender
Spuren zu entbehren. — S. u. Urheimat.
Wall, s. Mauer.
Wallach, s. Viehzucht.
WalmiSH. Iuglans regia L. wird von den Botanikern als ein-
heimisch sowohl in Asien wie auch im südliehen Europa angesehen.
Auf der Balkauhalbinscl ist sie in Epirus zusammen mit der Ross-
kastanie (s. u. Kastanie) uuzweifelhaft nachgewiesen worden, und für
ihr Indigenat auch weiter westlich spricht der Umstand, dass schon
in den qnaternären Tuffen der Pronvenee sieh Blattreste des heutigeu
Walnußbaumes finden.
Es stimmt hiermit überein, dass bereits Thcophrast Hist. plant. III,
2; 3, 4, III, 3; 1 die Kapua sowohl in wildem (in Mazedonien) wie
auch veredeltem Zustand kennt. Dass aber Kapüct der Walnussbauui
ist, folgt einerseits daraus, dass auch im heutigen Griechisch Kapubn.6,
KapObia diesen Baum bezeichnet, andererseits aber die für die Deutung
von xapua allenfalls noch in Betracht kommenden, nächstverwandten
Kastanie und Hasclnuss andere Namen (Atd<; ßdXavo? und 'HpaicXe-
ujTiKti Kapua) bei Thcophrast führen. Auch in dem Griechisch der
Glossen des C. Gl. L. III wird die Walnuss als Kapuob€vbpov (cario-
dendo, cariodendron etc. > mehrfach bezeichnet (vgl. G. Goctz The-
saurus I, 748 s. u. nucarius). Genannt wird das grieeh., unzweifelhaft
einheimische Kctpuov zuerst bei Xcnophon Anab. V, 4, 2i> in Anwendung
auf politische Früchte (Kdpua tü uXarca ouk £x°VTa bia<punv oübeuJav).
Mau streitet hier seit Alters, ob damit Kastanien, Wal- oder Haselnüsse
gemeint sind. Natürlich schliesst das Indigenat des Baumes in Griechen-
land nicht aus, dass man gern auch zu den auf Handelswegen einge-
führten Nüssen griff, die in besonderer Güte die politischen Länder
hervorbrachten. Ein Name, unter dem diese in den Handel kamen,
war Kctpuov ßaaiXiKÖv (vgl. BlUmner Maximaltarif d. Diocletian S. 92).
In Italien, wo die Walnuss iuglans heisst, eine Nachbildung nach
grieeb. Aid<; ßäXavo^ , Kastanie', bei Varro und Cicero (nicht bei Cato)
überliefert, lässt sich ein bestimmter historischer Anhalt für die Frage
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Walnuss — Wau.
937
•des Indigenats des Baumes auf der Apcnninhalhiusel nicht gewinnen.
.Später bci8st der Baum (wie auch alb. are mit für Walnuss gebraucht
wird) einfach arbor nucarius, noquarius, die Frucht nur grandis
(KOpua U€t6Xti), nux und nux Gallica. Letzteres, das wohl auf einen
besonders eifrigen Anbau des Baumes in dem romanisierten Gallien
sehliessen lässt, ist das Vorbild zu den germanischen agls. wealhhnutu,
altn. calhnot (vgl. ralid. wälhisch nuz) geworden. Vgl. daneben mndl.
noker aus nuedrius (Kluge in Pauls Gruudriss I*, 341). Im Russischen
gilt „griechische4* oder „walachisehe" Nuss neben dem einfachen „Nuss"
(orjech). Vgl. Koppen Holzgewächse II, 03. Den Anbau von nucarii
befiehlt das Capit. de villis LXX, 88, die heilige Hildegard bietet das
Wort nussbaum. Für die auf südlichen Boden übergangenen Germanen
schreibt das Gesetz auch den Schutz der Nnssbäumc vor. So lautet
bei den Langobarden das Kdictum Rothari 301 : Si qua castenea,
nuce, pero auf melum inciderit, conponat xolido uno.
In Asien ist der Walnnssbaum einheimisch im nordwestlichen Iiima-
laya, in ßeludschistan, im östlichen Afghanistan, in Nordpersien, Trans-
kaukasien. Armenien und Kleinasien, nicht aber in den semitischen
Ländern. Es erhellt daraus, dass in der vorderasiatischen Namenkettc
des \Valnussbaume8 armen, angoiz, osset. ängozt'i, georg. nigozi, hebr.
"fgöz u. s. w. (vgl. Hübschmann Z. d. Deutschen Morgenländischen G.
46 (1892) S. 23<>, Armen. Gr. S. 393) das semitische Wort eine Ent-
lehnung aus dem Norden sein mnss. — Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen'1
S. 379 ff. und v. Fischer-Benzon Altd. Gartenfl. S. lf>9. S.u. Obstbau
und Baumzucht.
Wand, s. Mauer.
Wanderungen der Indogermanen, s. Urheimat der Idg.
Wanne, s. Worfeln.
Wanze, s. Ungeziefer.
Wappen, s. Schild.
Ware, Wareiltausch, s. Handel.
Warmbad, s. Bad.
Waschen, s. Bad.
Waschmittel, s. Seife.
Wasser, s. Fluss.
Wasserhuhn, s. Sumpfvögel.
Wassermühle, s. Mahlen, Mühle.
Wasseruhren, s. Stunde.
Wasserweihe, k. Name, Namengebuug.
Wau. fieaeda luteola L. ist eine alte schon in den Schweizer
Pfahlbauten (vgl. Heer Die Pflanzen der Pfahlbauten S. 37) zum Gelb-
farben benutzte Pflanze. Ein griechischer Name fehlt. Lat. lü-tuni
(vgl. gricch. x^w-po-S ,gelb', lat. lü ridttK ,blassgelb' >. Genn. *tcalda
(engl, icehl neben nhd. teau, icaude, iciede) ging wie die germanische
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938 Wau — Weben, Webstuhl.
Benennung des Waids (s. d.) in die romanischen Sprachen (sp.
gualda, frz. gaude) Uber. — S. n. Farbstoffe.
Weben, Webstuhl. Für den Betriff des Webens ziehen sich
durch die idg. Sprachen mehrere auf Urverwandtschaft beruhende
Reihen: 1. W. vehh (veph) : sert. ürna- rä'bhi- ,Spinne\ cigcntl. »Woll-
weberin', a\v. ubdaena- ,gewebt', npers. baffen ,weben', nfgh. udal
desgl. n. 8. w. (vgl. Horn Grundriss S. 39), gricch. iKpcuvu), ü<pn. u.s. w.,
alb.'rcw ,\vcbe' aus *cebh-nh ( vgl. G. Meyer Kerl. Phil. W. 1891 Nr. 18),
ahd. ireban, altn. iv/Vi u. s. w., 2. W. re, cei, vi : sei t, ,weben',
Mit ,Kinschlag', ümtl .Flachs', rdy-ati ,er webt', gricch. rj-rpiov ,Aufzug',
d-uu-Toq .Wolle', lit. tcö-ran ,Spinnc', ahd. tcä t, altn. rd-d ,Gewand'
ingewebtesa), lat. rt lum , Hülle, Tuch' (? s. n.), altsl. «tf-roy ,liciato-
rium', sü-vito , Leinwand', *-ci/a ,Seide", 3. gricch. örroum .webe',
ävriov ,Teil des Webstuhls' (btäZouai, biaaua, üo>ia), alb. ent ,webcn'
(vgl. G. Meyer a. a. 0.), sert. ät-ka-. aw. aft-ka- ,Gewand' (.ge-
wobenes). — Lat. tej-o (te.rtor, tela, mtbtemen etc.) ,\vcbe' hat ur-
sprünglich ,künstlich verfertigen* (sert. taksh) bedeutet, altsl. tükati
(([-tukü , Aufzug', tükalij , Weber ) gehört zu tük-nati , einstecken', gricch.
xpcKuu .webe', Kepni? ,Schifl'chen', tepöten, , Einschlag' (womit vielleicht
slav. kros-no ,Wehstuhr zu verbinden ist) hat ursprünglich .das Ge-
webe festschlagen' bedeutet. Dunkel sind lit. dusti , weben', aud htiax
,Gewebe' und ir. figim ,webe': doch hat E. Liden Studien zur altind.
u. vcrgl. Sprachgeschichte S. 20 ff. neuerdings versucht, das irische,
übrigens gcmeiukeltische Wort (vgl. altkymr. gueig ,textrix', neukymr.
gvoe. ,tela, tegmen', giten ,to weave', korn. guiat ,tela' etc.) an sert.
tdgurd' , Fangstrick', , Fangnetz', lat. vefum und vexülum (*veknlo- :
reg; s. auch n. Segel und Mast), nindd. icocke, icocken ,eolus\
nthd. teicke , Docht', ahd. icickeli ,Wollwickel' u. anderes anzuknüpfen.
Die Kunst des Webcns ist aus der iiltcren des Flechtens hervor-
gegangen (vgl. näheres bei Vf. Handelsgeschichtc und Warenkunde I,
172 fl'.), und in der als 2. aufgeführten Sprachreihe, zu welcher auch
lat. vieo, lit. tcyti, altsl. riti .drehen' zu stellen sind, blickt diese
älteste Vorstufe der Weberei noch besonders deutlich hervor. Auf der
anderen Seite ergeben aber doch Sprachreihcn wie die u. 1. und 3. an-
geführten, dass der Begriff des Webens, als von dem des Flcehteus
(s. d.) unterschieden, schon in der idg. Ursprache sprachlich aus-
gebildet war. Da nun die beiden genanuteu Künste sich lediglich
dadurch unterscheiden, dass das Flechten aus freier Hand, das Weben
aber mit Zuhilfenahme eines wenn auch primitiven Apparates des
Webstuhls) ausgeführt wird, so ergiebt sich die Notwendigkeit, schon
für die idg. Urzeit das Vorhandensein eines einfachen Webstuhls oder
Webcapparats anzunehmen. Im Philologus XXXV, 385 ff. hat Ahrens
aus der Vergleichung des gräco-i talischen und altnordischen
Webstuhls die Grundzüge eines solchen ältesten Webeapparats zu re-
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Weben. Webstuhl.
Mi*
konstruieren versucht. Demnach hätte derselbe aufrecht gestanden,
und der Webende wäre stehend vor ihm thätig gewesen (vgl. gricch.
\(Ttö? , Webstuhl', lit. xtä-klen, altn. vef-stadr desgl., sert. sthavi- iL.)
, Weber', alle zu W. sthd ,stehcn' gehörig'. Zu den weiteren Eigentüm-
lichkeiten des ursprünglichen Webstuhls hätte ferner die Spannung
der Kette durch Webesteine, das Weben nach aufwärts und das Dicht-
schlagen des Gewebes mit dem im Griechischen cnräGn, genannten
Werkzeug gehört. Ein urverwandter Name des Webstuhls ist indessen
bis jetzt, abgesehen von einigen Spuren eines solchen, in den idg.
Sprachen nicht nachgewiesen worden. Die wichtigste Terminologie
der beiden Hauptteile desselben, des Aufzugs und Einschlags, ist
die folgende: griech. o"rr|MUJV : Kpöxn. (s. o.), nrtviov (s. u. Spinnen),
deputpn, (Sobdvn. (vgl. lit. iceriii icerti »einfädeln'?) u. aM lat. stdmen
(vielleicht urverwandt mit OTrtuujv) : sub-tt'men, trdma (spät) aus *tramt-
mrt, germanisch ahd. warf, agls. teearp, altn. varp (:got. wairpan
, werfen'?), vgl. auch mhd. zettel von ahd. zetten .ausbreiten' : ahd.
tcefel, agls. wefl, teeft, altn. veptr von treban (s. o.), slavisch altsl.
qtüku (s. o.) : kliikü und kqdelJ (vgl. Miklosich Et. W. v. kondrt),
lit. ap-metal (von metü ,Garn aufbringen', vgl. griech. uiToq .Faden")
: ataudal von austi (s. o.).
Das hohe Alter der Webekunst bei den Völkerschaften unseres Erd-
teils, das sich so aus linguistischen Anzeichen ergiebt, findet seine
Bestätigung durch die Ergebnisse der Prähistorie. Schon in den
Schweizer Pfahlbauten der Steinzeit sind zahlreiche Gewebestücke zu
Tage getreten, die nicht ohne Zuhilfenahme eines Webstuhls hergestellt
worden sein können (vgl. F. Keller Pfahlbautenberiehtc Nr. IV, Flachs-
industrie auf den Pfahlbauten). In Mittel- und Nordeuropa sind Gc-
webereste allerdings erst seit der Bronzezeit nachgewiesen worden (vgl.
G. Buscha!] Über prähistorische Gewebe und Gespinnste Braunschweig
1889); aber Funde von thönernen Webegewichten und anderer zur
Weberei nötiger Utensilien machen es wahrscheinlich, dass die Anfänge
der Webekunst auch hier in das ncolithischc Zeitalter zu rück-
geh n (vgl. Bnschau a. a. O. S. 23), weun, je weiter nördlich, auch
die uralte Felltracht (s. u. Pelzkleider) sieh umso länger erhalten
hat. Was das Material der ältesten Webekunst anbetrifft, so herrscht
im Süden (in der Schweiz) der Flachs, im Norden die Wolle. Doch
sind einerseits Überreste linnener Gewebe vereinzelt auch im Norden
schon während der Bronzezeit gefunden worden (für Dänemark vgl.
0. Montelius Die Kultur Schwedens * S. i>3, für Schleswig -Holstein,
Buschan a. a. 0. S. 16 Anin.), und andererseits hängt die Erhal-
tung wollener Stoffe so sehr von besonders günstigen Verhältnissen,
wie der Konservierung durch Eichenrinde (bei den nordischen Moor-
leichen) oder der Dnrchtränkuug mit Salzwasser (wie bei den Woll-
funden des hallstatter Salzbcrgs) ab, dass man aus dem Fehlen von
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040
Weben, Webstuhl — Weihrauch.
Wollgewebcn z. B. in den Schweizer Pfahlbauten uicht ohne weiteres
auf die Unbekanntsehaft der Bewohner mit denselben schliessen darf.
— 8. u. Gewebestoffe, Kleidung und Spinnen.
Weg, s. Strasse.
Weg der (iötter, s. Steine.
Weginasse, s. Mass, Messen.
Weib, s. Frau.
Weichsel, s. Kirsche.
Weide. Die in unzähligen Arten durch Europa und Asien ver-
breitete Gattung Salix war den Indogenuanen schon in der ältesten
Zeit bekannt, wie die Reihe: a\v. raeti-, parsi tcid, npers. bid, gricch.
Iria (auch oiffuct), lat. vitex, altpr. witwan, lit. wytis .Weidenrute',
z'il-icitis , Weide', ahd. irida beweist.
Die Wurzel liegt in der Reihe sert. vdyati, lat. rieo, lit. tcyti, altsl.
ritt (s. u. Weben) und bezeichnet den Baum oder Strauch als zur
Herstellung von Stricken (s. d.) und anderen Geflechten geeignet.
Nach Asien hinüber reicht auch ahd. felawa , Weide', das aber dort
die Bedeutung .Erle' (osset. fürte, fartee) hat. Auf Europa beschränkt
sich arkad. €\bcr| • hia Hcs.. lat. salix, ir. sail, saileach, ahd. salaha
Salweide'. Vgl. auch die Reihe: gricch. pdßbo?, ftaßbtfw, lat. cerbina,
terbera, verberare, nltsl. rrüba , Weide', lit. icirbas ,Gerte'. Allein-
stehend und dunkel: lit. (jUsnin (altpr. ylossix), karklas und blinde,
blende, letzteres .Salweide'. — S. u. Wald, Waldbäuine.
Weidwerk, s. .lagd.
Weihe, s. Falke, Falkenjagd.
Weiher, s. Fisch, Fischfang.
Weihnachten, s. Mond und Monat, Zeitteilung (Feste).
Weihrauch. Der Weihrauchbaum, dessen Harz deu Weihrauch
bildet, kommt in verschiedenen Abarten, und zwar als BosicelUa ser-
rata von der Küste von Koromandel bis ins Innere von Indien, sowie
als BottweUia papyrifera auf der Ostküste Afrikas, im Lande der
beutigen Somalis vor. Aber auch das südliche Arabien, im Altertum
das Hauptausfuhrland des Weihrauchs (s. u.), wird mit zu der natür-
lichen Heimat des Baumes zu rechnen sein. Der arabische Geograph
Abulfeda bezeichnet in seiner Descriptio Arabiae die Gegenden von
Marbat und Mahnah als das eigentliche Vaterland des Weihrauchs,
den moderne Reisende allerdings noch nicht in Arabien aufgefunden
zu haben scheinen, und auch die Römer (Plin. Hist. nat. XII, f>ö)
bei ihren arabischen Kriegszügen dort nicht zu Gesicht bekommen
hatten.
Die ältesten Nachrichten über den Gebrauch des Weihrauchs führen
nach Ägypten, wo schon im alten Reich Weihrauch und Myrrhe zu
deu Erfordernissen des Kultus gehörte. Sanehkara, der letzte König
der XI. Dynastie, sendet eine Expedition durch die Wüste ans rote
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Weihrauch.
941
Meer, um dort die von den Eingeborenen eingetauschten Spezereien
des Wcihrauchlandes Punt in Empfang zu nehmen. Die berühmte
Königin der XVIII. Dynastie, Hatscpsu, rüstet dann eine Seefahrt in
jenes Land selbst, unter dessen Namen die einen nur die östlichen,
die anderen nur die westlichen, die dritten — am wahrscheinlichsten
— die östlichen wie die westlichen Distrikte um Bnb-el-Mandcb und
den Golf von Aden, also El- Jemen, Hadramaut und die Somaliländer
verstehen. Unter den Wunderprodukten des Landes, welche die Skulp-
turen des Tempels von Der-el-bahart darstellen, Pardeln, Affen, Giraffen
etc., nehmen Massen von Weihrauch und auf die ägyptischen Schiffe
verfrachtete Weihrauchbäume eine hervorragende Stellung ein.
Auf semitischem Boden wird der Weihrauch hehr, leböndh, PI. le-
bdnöt, phönik. Ibnt, aram. leböntd, lebüntd, arab. lubdn : Idban ,weiss
sein' (wohl nach der lnilchweisscu Farbe des Saftes des Weihrauch-
banms) in den jüdischen Opfcrvorschrifteu der vorexilischen Zeit noch
nicht erwähnt, sondern erst bei Jeremias 6, 20, und zwar als ein Pro-
dukt des fernen Arabiens genannt. Man vermutet daher, dass erst im
VII. Jahrhundert die Sitte des Weihrauchopfers im Kulte des Jahwe
wie auch im phönikischen Götterdienst aufgekommen sei, doch wohl
durch babylonisch-assyrische Einflüsse, wie denn Herodot I, 183 von
einem jährlich wiederkehrenden grossen Weihrauchopfer in Babylon
berichtet. Allerdings fehlt es für Mesopotamien an älteren einheimi-
schen Nachrichten, und auch die eben genannte westsemitische Be-
zeichnung des Weibrauchs konnte bis jetzt in den babylonisch-assyri-
schen Denkmälern nicht nachgewiesen werden. Auch Akklimatious-
versuchc wurden innerhalb des Bannkreises der semitischen Kultur,
in den auch die Perser (vgl. das Weihrauehopfer des Datis auf Dclos
bei Herodot VI, 07) bald eintraten, mit dem Baume vorgenommen. So
stand in Sardes ein berühmter Weihrauchbaum : Xam et Asiae reges
serendi curam habuerunt I Plinius Hist. nat. XII, 57). Auch im Hohen-
liede 4, 6 ist bereits von einem Weihrauchhügel in den Gärten Sa-
lomos die Rede.
Nach Griechenland kam der Weihrauch durch semitisch-phöui-
kische Vermittlung, wie schon der Name Xtßavoq für das Harz und für
den Baum, Xißavunö? für das Harz, zeigt (XißavuuTÖq aus einem phönik.
lebönat). Dass dies in dem homerischen Zeitalter noch nicht der Fall
war, wird von den Alten selbst hervorgehoben. Die ersten Schrift-
steller, welche des Weihrauchs gedenken, sind vielmehr die Tragiker,
z. B. Euripides Baccb. v. 144. Wahrscheinlich ist, dass, wie bei den
Semiten, das Weihrauchopfer zunächst an den Kult der Astarte an-
knüpfte, dasselbe auch in Griechenland zuerst im Dienst der Aphro-
dite Eingang fand, die man zumeist
o*uupvr|S t' dKpnTOu 0uo*tat? Xißdvou xe Buwbouq
sich günstig stimmte (Empedokles bei Athen. XII, p. 510). — In
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942
Weihrauch.
Italien ist der Weihrauch schon zu Catos und Plautus' Zeit eine be-
kannte Sache, ja bereits im Jahre 296 v. Chr. wurde nach Livius X,
23 zur Abwendung der Prodigien Wein und Weibrauch verteilt. Be-
merkenswert aber ist, dass die Römer von den Griechen, denen sie
doch unzweifelhaft die Bekanntschaft mit dem später allbeliebten
Känclienrerk verdankten, nicht das gewöhnliche Xtßavo^ übernahmen,
sondern ihr ttU turis (nach rüs, rüris) aus dem selteneren, aber im
Griechischen einheimischen 8üoq bildeten, das schon bei Homer inlän-
disches Räucherwerk bezeichnet hatte. In den romanischen iSprachen
fand weder dieses tun, noch das ganz späte libanus Verbreitung, viel-
mehr that dies ein volkstümliches *incen*um, das zu it. incenso, frz.
encens (auch korn. eneoix, arem. esance) führte. — Als Heimat des
Weihrauchs werden von den klassischen Autoren, wie häufig in ähn-
lichen Fällen, die exportierenden Länder angesehn. Euripidcs an
der oben genannten Stelle nennt Syrien, andere Phönikien. Herodot III,
107 berichtet, dass der Weihrauch zusammen mit auupvn,, Kctoin,, Kivvd-
uwuov und Xr|bavov nur in Arabien wachse und erzählt, wie man mit
Storax die das kostbare Gut bewachenden Schlangen vertreiben müsse,
eine Verbindung von Schlangen mit Weihranch und anderen Aromata,
die schon in einer altägyptischen Erzählung von den märchenhaften
Abenteuern eines Seemanns auf der Weihrauchinsel Pa-Anch, dem
Panchaia der Alten, dem heutigen Sokotra (vgl. E. Glaser a. u. a. 0.),
vorkommt. Gleichwohl wird von Herodot auch der Ausläufer des öst-
lichen Gebirges Ägyptens (II, 8) als AißavwTOtpöpos bezeichnet. Zuerst
nennt Theophrast (Hist. plant. IX, 4, 2 ff.) die von den Späteren dann
in dieser Eigenschaft fest gehaltene Landschaft Saba, also wohl den
Mittelpunkt des oben genannten Landes Puut, als Hanptcrzeugungs-
ort des Weihrauchs und beschreibt ausführlich den Handel, der mit
ihm im Tempel des Sonnengottes getrieben wird. Die zuverlässigste
Nachricht über den Weihrauchhandel der römischen Kaiserzeit erhalten
wir dann durch den Periplus maris erythraei. Hiernach wird Weih-
rauch exportiert einerseits aus ostafrikanischen Stationen, andererseits
und besonders aus der südarabischen Metropolis IdßßctBot und dem
sachalitischen Golf. Indischen Weihrauch scheint der Verfasser
nicht zu kennen; im Gegenteil nehmen indische Schiffe in Mötfxot Xiun.v,
dem Stapelplatz des sachalitiscbcn Weihrauchs, solchen gegen Baum-
wolle, Getreide und Sesamöl in Empfang. Wohl aber wird indischer
Weihrauch von Dioskorides genannt (De mat. med. Cap. 81). Vgl.
Lassen Ind. Altertk. * S. 335 ff. Eine Bezeichnung desselben sert.
kunduru- ,IIarz der Boswellia thurifera' ist ins Neupersische (kundur)
und Armenische (kndruk) entlehnt worden (vgl. Hübschmann Armen.
Gr. I, 172).
Ein neuer und ungeheurer Bezirk für den Gebrauch des Weihrauchs
eröffnete sich, nachdem die christliche Kirche, die zuerst die turifi-
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Weihrauch - Wein.
913
catio als heidnisch verworfen hatte (vgl. August i Die heiligen Hand-
lungen der Christen VII, 219 ff.), die Räucherung mit ihm, teils aus
dem jüdischen, teils aus dem römischen Kult, in welchem der Weih-
rauch auch bei Beerdigungen frühzeitig Verwendung gefunden hatte
(vgl. Plinius XII, 83), in die Zahl ihrer geheiligten Gebräuche auf-
genommen hatte. In sprachlicher Beziehung ging aber nur das griech.
Xißavo«; in das Altslavische (liranü) Uber. Die Germanen bildeten ein
eigenes Wort (ahd. teihrouch, alts. icihröc). Einige vermuten, dass in
ahd. zinsera ,Rauehfass' (mit zinseru in henti thaz hüs rouhenti,
Otfried) das lat. *incen8ttm, *incensarium (s. o.) stecke; doch ist es
wahrscheinlicher, dass das Wort mit der Sippe von nhd. zünden, zunder
verwandt ist. Die Litauer haben kodylax ,Raucbwerk' (s. u. Wach-
holder). Vgl. noch agls. curmmbor aus dem dunklen mlat. eozymbrium.
Der starke Verbrauch des teuren Harzes musste bald die Aufmerk-
samkeit auf Surrogate lenken. Als ein solches bot sich die Wurzel
des in Griechenland und Italien einheimischen Rosmarins (Kosma-
rinuft officinalis L.) dar. Diese Pflanze, die bei den Römern rös> rös
maris und marinus heisst, wird schon von Dioskorides Xißavum? ge-
nannt, und in den Glossarien wird XißaviuTÖq mit rosniarinus und tun
übersetzt. Xcmnich nennt ein frz. encemier und ein deutsches „Weih-
rauchswunr als Xamen der Pflanze. Der Anbau von rosmarinus wird
daher schon im Capitulare Karls des Grossen (LXX, 13) vorgeschrieben.
Das lateinische Wort ist, zum Teil unter volkstümlichen Umdeutungcn
(vgl. engl, rosemary), in die germanischen und slavischen Sprachen
übergegangen. Vgl. v. Fischer-Benzon Altd. Gartenfl. S. 136. — Zur
Geschichte des Weihrauchs vgl. It. Sigismund Die Aromata u. s. w.,
Leipzig 1884, Hase Zur Geschichte des Weihrauchs Paläologus
p. 76 ff., II. v. Fritze Die Rauchopfer bei den Griechen, Berlin 1894,
E. Glaser Das Weihrauchland und Sokotra, Beilage zur Allg. Zeitung
1899 Nr. 120, 121. — S. u. Aromata.
Wein. Bei der Geschichte des Weines muss man, wie bei an-
deren Kulturpflanzen, scharf zwischen dem wilden und dem kultivierten
Weinstock unterscheiden. Es kann aber nach Massgabe zahlreicher
paläontologischcr Funde und sorgfältiger Beobachtung des heutigen
Vorkommens des wilden Weinstocks nicht mehr zweifelhaft sein, dass
Vit in cinifera /,. lange v o r Ausbreitung der Weinkultur in ganz Süd-
europa und einem Teile Mitteleuropas einheimisch war (vgl. A. Englcr
bei V. Hehn a. u. a. O.
Versucht man nun die Frage zu beantworten, wo am ersten im
Bereich der alten Welt die Kultur des Weinstocks und die Erzeu-
gung des Weines aufgekommen sein könne, so wird man passend hier-
für zunächst diejenigen Gegenden ins Auge fassen, wo die Natur selbst
<lem Menschen in der Zeitigung der Früchte am weitesten entgegen-
gekommen war. „Ganz insbesondere11, sagt in dieser Beziehung A. de
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I
944 Wein.
Candolle Ursprung der Kulturpflanzen S. 236, „in Poutus, in Arnicnienr
im Süden des Kaukasus und des Kaspisees bietet die Hebe den An-
blick einer wildwachsenden Liane, welche hohe Bäume Überzieht und
ohne Schnitt oder irgend welche Kultur eine Menge von
Früchten hervorbringt." Einen grossen Teil der hier bezeichneten
Gegenden hielten im Altertum die Armenier und andere der europäi-
schen Abteilung der Indogermanen näher als der arischen stehende
.Stämme Kleinasiens besetzt, und in der That scheint es, dass von
ihnen aus die Kultur und der Name des Weines einerseits zu den
Westsemiten, andererseits zu den Bevölkerungen der Balkanhalbinsel
übergegangen sind. Der armenische Name des Weines lautet gini
(auch in kaukasische Sprachen wie mingrcl. geini, georg. yvino etc.
entlehnt), das zunächst aus *geni und weiterhin aus *voinio- hervor-
gegangen ist (vgl. armen, gitem = griech. olba, Httbschmaini Armen.
Gr. 1, 434). Letzteres selbst wird eine Ableitung von der in lat. rieo,
vimen steckenden Wurzel ret, vi ,sich winden' sein, zu der auch griech.
üirrv, uiöv ii)v äuttcXov, ütöv dvabevbpdba (lies.), lat. rttis , Wein-
stock', aber auch zahlreiche Benennungen der Weide (s. d.i gehören.
Ebenso vereinigt das slavische loza die Bedeutungen , Weinrebe'
und , Weide' in sich. Demnach würde armen. *coino- (wovon *voinio-)
ursprünglich den Sinn von »rankendes Gewächs', ,Wciustock' gehabt
haben, und dann, als man gelernt hatte, aus den Früchten desselben
ein berauschendes Getränk herzustellen, würde eine Ableitung davon
den Wein als Getränk bezeichnet haben. Auch *coino- selbst mochte
so gebraucht werden (vgl. etwa griech. oivn. .Weinstock', später ,Wein'
oder moderne Ausdrücke wie „ein Korn", „ein Kümmel", „ein Fass voll
Reben" u. a.). Auf iranischem Boden erlischt das Wort. Hier gelten
vielmehr Bezeichnungen wie npers. mei, pchl. mai = sert. mädhu-
(s. u. Biene) oder osset. san — sert. r^and- (s. u. Hanf). Im Lydischeu
biess der Wein nuüXaE (Hesych).
Aus diesem armen. +voino-, *coinio- oder auch aus einem konformen
phrygisch-thrakischen Wort (thrak. fdvoq ,Wehr bei Suid. I, 1, 1071
verschrieben für *tciivos = *voino-sY) sind nun aller Wahrscheinlich-
keit nach durch frühe Entlehnung hervorgegangen auf der einen Seite
das westsemitische *icainu, arab.-äthiop. tcain, hcbr.jtijin ans *wmn (über
assyr. inu vgl. F. Hommcl Z. d. Deutschen Morgen!. Ges. 1889 S. 653 ff.,
P. Jensen Z. f. Assyriologie I, 187), auf der anderen das altillyrische
*vainä = alb. vem und das altgriechischc FoTvo?, otvo?. Denn auch
andere Thatsachen weisen für die Herkunft der griechischen Wein-
kultur mit grosser Deutlichkeit in die thrakischc und kleinasiatische
Welt. Schon in den ältesten Nachrichten werden uns die Thraker
als ebenso grosse Bier- wie Weintrinker geschildert (s. u. Bier und
u. Mahlzeiten und Trinkgelage). Wie schon V.Hehn a. u. a. 0.
S. 552 erkannte, hat Semele, ZeuAn. ,die Erdgöttin' ( : griech. xaM<"
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Wein.
etc., s. u. Erde), die Mutter des herrlichen Dionysos, ihren Ursprung
im Thrakerland, und das gleiche hat P. Kretschmer (aus der Anoinia
S. 19, Einleitung S. 212, 240 ff.) für den „Himmelssolm" Dionysos seihst
wahrscheinlich gemacht, der von den Thrakern in uralten Heiligtümern
verehrt wurde (s. auch u. Esel). Jedenfalls war der Wein lange
schon vor Homer ein Lebensbedürfnis der Hellenen geworden, und
sicher wurde ihm in den Köuigsburgen von Mykenae und Tiryns
ebenso wie von den homerischen Helden zugesprochen. Traubenkerne
wurden in Tiryns gefunden, Niederschläge von Wein oder Essig in
einem Thongefass von Mykenae erkannt.
Auch in Italien geht die Bekanntschaft mit dem Weine als einem
Getränk vor jede historische Kunde zurück, wenn auch die Opfer-
satzung der ältesten Zeit, nicht mit Wein, sondern mit Milch (s. d.)
zu libiercu (Plin. Hist. uat. XIV, 88), noch die Erinnerung an eine
Epoche, in der es noch keinen Wein gab, zu bewahren scheint. Aber
woher hatte man die Kunst, die auch hier einheimische und schon
in der Flora der oberitalienischen Pfahlbauten nachgewiesene Vitis
vinifera zu veredeln und ihren Saft zu keltern, kennen gelernt? Nicht
wahrscheinlich ist es, dass erst die griechische Kolonisation den Wein-
bau nach der Apenniuhalbinscl gebracht habe. Weinfeste finden sich
schon in dem in vorgriechische Zeit zurückgehenden Festkalender der
römischen Gemeinde, die Terminologie der Weinkultur im Griechischen
und Lateinischen geht wie griech. tpanlw ,keltcre', TponeTov ,Kelter',
yXcukoc ,Mo8t', xpu£ ,Hefe' gegenüber lat. torquere, torcular, mustum,
defrutum, lora u. a. zeigen, ganz auseinander, und es fehlt auch nicht
an direkten Spuren dafür, dass die Griechen bei ihrer ersten Ankunft
in Italien den ) Weinbau daselbst bereits vorfanden (vgl. P. Weise Über
den Weinbau der Römer Progr. Hamburg 1897 S. 4 ff.). Vielleicht
ist der gemeinitalische Name des Weines, lat. vinum (vgl. über das
Wort zuletzt Planta Osk.-urabr. Gr. I, 279), daher ganz wie griech.
ohoq zu beurteilen und für eine uralte Entlehnung aus einer uord-
balkanischen Sprache anzuschn. Es wäre denkbar, dass das Wort
ursprünglich *voenum (— armen. *toino- *voinio ) gelautet hätte und
dann durch das daneben liegende ritis , Weinstock' (s. o.) in vinum
umgewandelt worden wäre. Dass der Norden der Balkan halbinsel zu-
sammen mit Griechenland und Italien einen frühen Bezirk antiker
Weinkultur bildete, scheint auch durch eiue zweite, ungefähr auf die-
selben Völker wie die Sippe von griech. o?vo$ beschränkte Benennung
des Weines, namentlich des ungemischten, wahrscheinlich gemacht zu
werden, durch die Reihe: thrak. ZiXm, nmked. KaXi9o<;, griech. xaXiq und
einem vielleicht ans lat. Falernus ager erschliessbaren sab. *fali ,Wein',
eine Entsprechung, die aber in sehr alte Zeit zurückgehen müsste.
Ganz ausserhalb aller bisher in Asien oder Europa genannten Wein-
Scbrader, Keallexikon. G0
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9-M
Wein.
namen stellt der altägyptische Name des Weines arp, der als 4'pms
schon bei Sappho erscheint.
Die Vermittlung der für unseru Krdteil nach den» obigen als armo-
nisch-thrakiseh vermuteten Kulturgabe des Weins nach dem Norden
Europas haben dann die Römer übernommen. Zunächst war es
der Wimische Kaufmann, der den fertigen berauschenden Trank und
damit seineu lateinischen Namen (s. u.) den Barbaren zuführte. Wie
gierig sie ihn aufnahmen, lehrt eine Gallien betreffende Stelle des Dio-
dorus Sieulus V, 20, 3 (aus Posidonius) : ttoXXo! tu»v 'ItoXikwv ^uiröpwv . . .
oid ufcv tiüv ttXwtüuv ttotciuuiv ttAoiok;, biet bi Tf)? iT€bidbo£ xwpa<;
äud£ai£ KouiEovTeq töv oivov. . . . btbövte^ oivou tcepduiov dvnXaußdvouai
naiba. Andererseits sträubten sich noch zu Casars Zeit die Servier
wie die Sueben gegen das gefährliche Geschenk, von welchem sie die
Verweichlichung ihrer rauhen Sitten fürchteten (De bell. Gall. II, 15,
IV, 2). Dann folgte dem Händler mit Wein (s. auch über die Ent-
stehung der Sippe von ahd. choufan etc. .kaufen' aus lat. caupo
, Händler mit Wein' u. Kaufmann) der Weinbau selbst, wo immer
die römische Herrschaft festen Fuss fasste, in Spanien und im süd-
lichen Gallien (Massilia) wohl schon auf von Griechen, ja Phöniziern
gemachte Anfänge stossend. Schon bei Plinius und Columclla treten
die Weinsorten hervor, die wir jetzt als Burgunder- oder Bordeaux-
weine verehren. Im vollen Glanz ihrer rebengeschmückten Ufer rauscht
die Mosel in des Ansonius gleichnamigem Gedieht dahin:
et tirides Baccho colles et amoena ftuenta
subter labentis tacito rumore Mosellae.
Von Anfang au freilich hatte Korn mit argwöhnischem Auge die
Blüte des Weinbaus in den Provinzen beobachtet, und schon im Jahre
129 v. Chr. muss nach Cicero De republica 3, 9, 16 eine Verordnung
bestanden haben, welche den Öl- und Weinbau in den transalpini-
schen Gegenden einschränkte oder einzuschränken versuchte. Erst
Kaiser Probus hob dieselbe auf {GalUs omnibus et Ilispanis ac Brit-
tanis hinc permmt, ut viten haberent vinumque conficerent, Fl. Vopisc.
Prob. 18) und entfesselte damit ganz die Kräfte, die in diesem jung-
fräulichen Boden ruhten. Dass die Römer auch den Germanen Lehrer
des Weinbaues geworden sind, würde allein aus zahlreichen sprach-
lichen Entlehnungen in seiner Terminologie folgen. Vgl. ahd. tcinzuril
aus lat. vinitor, ahd. windemön aus lat. vindemiae, teindema (Gl.),
vindemiare, ahd. most, agls. muitt aus lat. mustum, ahd. Hrra aus
lat. lorea, ahd. pflockön, mhd. pflücken, agls. ploccian aus vulgär-
lat. *pUüccare, it. piluccare ,Traubcn abbeeren', ahd. prSssa, fressa
,Weinpressc', agls. pertte aus lat. pressa, ahd. kelketron ,Kelter" aus
lat. cakatörium, agls. toreul aus lat. torculum, ahd. trahtäri, agls.
tracter »Trichter aus lat. trdjectörium, ahd. chelldri aus spätlat. cel-
lärium u. a. Auch zahlreiche Gefässnamen (s. u. Gefässc) sind in
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Wein — Weizen und Spelt.
947
offenbarem Zusammenhang: mit dem Weinhandel und der Weinkultur
aus dem Lateinischen übernommen worden. Es kann daher nicht
zweifelhaft sein, dass die uordenropäischen Namen des Weines selbst,
wie es wohl auch von allen Gelehrten angenommen wird, also ir. fin,
got. teein, altsl. vino, lit. u-ijnas Entlehnungen aus dem Lateinischen
darstellen, obwohl ein zwingender lautlicher Gesichtspunkt für diese
Annahme allerdings fehlt.
Der gleichen Verbreitung erfreut sich der lateinische Name des
Essigs, acetum, der in ir. acat, got. akeit (vgl. im Keichenauer Glossar:
acitabulum quasi achiti-ferum), ahd. ezzih, altsl. ocltü, lit. üksosas vor-
liegt. Die Lex Salica setzt den Weinbau bereits als etwas bekanntes
voraus (vgl. die Stelleu mit den Ausdrucken vindemiare, vinitor, vinea,
vinum in der Ausgabe der Lex von Hessels). In Baiern werden Wein-
berge an der Donau 680 genannt, in Schwaben erwähnt sie zuerst
eine Urkunde aus den Jahren 716 — 720 (vgl. v. Inama-Sternegg Deutsche
Wirtschaftsgeschichte I, 171). Ausführliche Bestimmungen über die
Bewirtschaftung der Weinberge enthält das Capit. de villis VIII und
LXII. Bekanntlich hat der Weinbau in Deutschland seit dem Mittel-
alter sich weit nach Norden auszudehnen angefangen, von wo er in
neuerer Zeit wieder südwärts zurückgegangen ist. Vgl. Uber diese
Bewegung J. B. Nordhoff Der vormalige Weinbau in Norddeutschland.
2. Ausg. Münster 1883. Im allgemeinen vgl. V. Hehn Kulturpflanzen0
S. 65 ff. — S. auch u. Nahrung (Getränke).
Weise Frauen, s. Arzt, Orakel.
Weiss, 8. Schwarz und Weiss.
Weissagung, s. Los, Orakel, Zauber uud Aberglauben.
Weizen und Spelt. Die Weizensorten mit freien Samen (Tri-
ticum vulgare Villars, Tr. turgidum L., Tr. durum Desfontaines etc.)
stehen sich untereinander und den durch eingeschlossene Samen
charakterisierten Sorten (Spelz, Triticum Spelta L., Emmer, Tr. di-
coccum Schrank, Einkorn, Tr. monococcum L.) so nahe, dass eine
scharfe sprachliche Unterscheidung derselben in frühen Zeiten nicht
zu erwarten ist. Aber auch die Beschreibungen und Angaben der
Alten hinsichtlich der von ihnen gebauten Weizen- oder Speltsorten
sind so ungenau und vieldeutig, dass eine Äusserung wie die des
Dioskorides II, 111, nach welcher Ztxä von doppelter Art sei (än\f\
und öikokko<j), woraus sich Einkorn und Emmcr deutlich erkennen
lassen, zu den grössten Seltenheiten gehört.
Die hier aufgezählten Weizen- oder Speltarteu lassen sich nun im
Umkreis des Mittelmeers durch prähistorische Funde bis in ein hohes
Altertum, in Europa bis in die Denkmäler der jüngeren Steinzeit zu-
rückführen. So ist im alten Ägypten Triticum vulgare und Tr.
dicoccum (vgl. Schweinfurth Z. f. Ethnologie XXIII, 654), in Troja
Tr. durum, car. trojanum (vgl. Schliemann Ilios S. 361), in den Ita-
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<«4S
Weizen und Spelt.
lieuiscben Pfahlbauten Tr. vulgare nebst Tr. turgidum (vgl. Heibig:
Pfahlbauten der Pocbne S. 16), in den Schweizer Pfahlbauten Tr. vul-
gare antiquorum, eine kleinkörnige Weizenart, Tr. turgidum (?), Tr.
dicoccum und monococcum (vgl. Heer Die Pflanzen der Pfahlbauten
und De Candolle Ursprung der Kulturpflanzen) nachgewiesen worden
u. s. w. Aber auch Getreidefunde der skandinavischen Steinzeit (vgl.
S. Müller Nordische Altertumskunde I, 206) enthalten Weizenkürner,
deren nähere Beschaffenheit freilich noch nicht ermittelt worden ist.
Eine Ausnahme macht nur der ans heute geläufige Anbau von Triticum
Spelta, der bis jetzt nirgends weder in Asien, noch in Europa prä-
historisch nachgewiesen werden konnte (vgl. näheres bei G. Buschan
Vorgesch. Botanik S. 1 ff.).
Wendet man sich der Terminologie und geschichtlichen Be-
glaubigung der Weizen- und Speltartcn zu, so sind zunächst folgende
urverwandte Gleichungen mit der vorwiegenden Bedeutung ,Weizen'
zu nennen: armen, corean = ir. tuirend (*stor-), lat. simila, simildgo
= grieeb. luaAiq, \jaaXtd und griech. (Horn.) nupö? (öTrupö? Hes., vgl.
griech. irupvov ,Brot') = lit. purai, lett. puhri ,Wintcrweizen ', altsl.
pyro ,Spelt', aber auch ,railium', nsl. pira ,Spelt\ Was diese letztere
Gleichung anbetrifft, so ist anzumerken, dass im Altpreussischen pure
»Trespe' {Bromus sterilis) bedeutet und in neuslavischen Dialekten
(vgl. Miklosich Et. W.) das Wort vielfach in dem Sinne von ,Quecke"
{Triticum repens, ein Unkraut) etc. überliefert ist. Man könnte daher
zweifelhaft sein, ob für die ganze Sippe nicht von den letzteren Be-
deutungen auszugehen ist. Bedenkt man jedoch, dass gerade in den
älteren Sprachperioden dieselbe überwiegend eine kultivierte
Getreideart bezeichnet, und andererseits, dass nach einer ganz allgemein
verbreiteten, selbst noch hei Theophrast herrschenden Ansicht (vgl.
v. Fischer- Benzon Altd. Gartenfl. S. 162, 166), Gerste und Weizen in
Unkräuter wie Wildhafer oder Taumellolch etc. Ubergingen, ein Aber-
glaube, der sich sehr wohl in jener oben angeführten Bedetitungs-
veränderung spiegeln könnte, so wird man die Gleichung griech. Tiupös,
lit. purai u. s. w. für den Schluss, dass schon in der europäischen Ur-
geschichte eine kultivierte Weizen- oder Speltart vorhanden war,
immerhin für verwertbar halten.
Im übrigen wird der Weizen vielfach nach der Weisse des Mehles
benannt, das er giebt. So alb. bard , Weizen' und .weiss', kymr. gtee-
nith, bret. giciniz , Weizen' : gwenn ,wciss' (anders Zupitza Gutturale
S. 97), got. hwaiteis : hweits (vgl. sert. qeitrd-, evetd-). Eine Ent-
lehnung aus diesem germanischen Wort stellt lit. kicieeziel ,Weizen'
dar. Nach einer Ansicht G. Meyers (Alb. Stud. III, 51 A. 2) würde
auch das griech. (homer.) o*Tto<; hierherzustellen sein, insofern es eine
sehr frühzeitige Entlehnung aus einer nördlichen Sprache sein könnte,
in der idg. k (sert. geetd-) durch o* wiedergegeben wurde. Bemerkens-
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Weizen und Spelt.
<U9
wert ist in diesem Zusammenhang, dass schon Herodot (IV, 17) von
mehreren Stämmen des südlichen Russlands, des für Europa wichtigsten
Weizenlandcs der Gegenwart, von den KaXXinibai, den 'AXaZüjvc? und
den Ztcü6ai dporfipe? berichtet, dass sie Weizen bauten, die letzteren
ausschliesslich Im 7Tpn.o*i ,zuni Verkauf.
.Sinnverwandt mit einander sind ferner griech. dXciaTo, öXeupov : dX&o
,mahle', lat. triticum : tero, uud altsl. ptieno, plsenka ,Weizeu', nsl.
pseno ,Dinkel' : scrt. pi-sh /zerreiben', die also sämtlich etwa ,Mahl-
f nicht' bedeuten. Vgl. noch mitlelndd. terwe, tarwe , Weizen* = scrt.
dii'rrd , Hirse' sowie das von Hesych bezeugte tavböunv aus npers.
gendum, scrt. gödhü'ma- (vgl. Horn Grundriss d. npers. Et. S. 209),
das zuerst auf den Einfluss des indischen Weizenreichtums hinzuweisen
scheint.
Mit ,Spelt' werden in der Regel in den klassischen Sprachen die
folgenden vier Ausdrücke Ubersetzt: griech. Zeid, Zed und öXupct (beide
schon von Homer als Pferdefuttcr neben Gerste genannt), lat. fär und
ador, adoreum. Indessen ist es nach dem Obigen und aus anderen
Gründen (vgl. G. Buschan a. a. 0.) wahrscheinlich, dass diese Wörter
nicht unser Tritictim Spelta, sondern eher Einkorn und Emmer be-
zeichneten. Alle vier Ausdrücke kehren in agrarischem Sinne in den
verwandten Sprachen wieder, doch mit abweichender Bedeutung, so
dass die Feststellung des ursprünglichen Sinnes, der vielleicht nur
allgemein ,Feldfrncht' war, nicht möglich ist. Über griech. Ztid =
scrt. ydva- u. s. w. und öXupa = scrt. uredrd .Saatfeld' s. u. Acker-
bau. Lat. fär, nach der Überlieferung (vgl. Heibig Die Italiker in
der Pocbne S. 64, 65) die älteste Halmfrucht der Römer, entspricht
dem got. barizeins. agls. bete ,Gerstc', altsl. brasino , Mehlspeise' (über
griech. <J>epo~e<pdo*o*a s. u. Totenreiche), lat. ador dem got. atisk
,Saatfeld'. Vgl. noch als Bezeichnungen für Speltarten altgall. (?) arinca,
von Püning Hist. nat. XXII, 121 mit öXupa identifiziert (: griech. dpöuj,
lat. arare, ir. airim?), und griech. xupn, das mit ahd. dinkil ,Diukel'
zusammenhängen könnte.
Im Ausgang des III. Jahrhunderts n. Chr. tritt dann in einem grossen
Teil Europas für eine Speltart ein bis dahin unbekannter Ausdruck,
lat. spelta, unser „Spelz" auf. Das Wort begegnet zuerst im Edictum
Diocletiani. Vgl. dazu Hieronym. in Ezcch. I, 4, 9 : Qua* nos vel far
tel gentili Italiae Pannoniaeque sernione spicam speit amque dt-
eimus. Im Corpus Gloss. III, 357, 2 wird es durch öXupa übersetzt
und im Breviarium Karls des Grossen vom Jahre 812 (vgl. v. Fisctaer-
Benzon Altd. Gartennora S. 164) neben annöna und frumentum /Weizen'
genannt. Es beherrscht die romanischen (it. spelda, frz. e'peatdre)
und germanischen Sprachen fahu. spelza neben spelta, agls. speit).
Sein Ursprung ist noch nicht sicher ermittelt; doch scheint es nicht
unmöglich, das so spät auftretende und darum kaum im Latein wur-
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Weizen und Spelt — Wels.
zclnde Wort als germanisch in Anspruch zu nehmen, indem man unser
Spelz, ndd. speit aus *speldo- dem lat. polten aus *gpelden- (vgl.
aus *saldere) ,fcines Mehl' gleichsetzt. Lat. spelta wäre dann
eins der am frühsten in den römischen Provinzen eingedrungenen bar-
barischen Wörter. Neben spelta wird im Edict. Diocl. noch scandula
für eine Speltart genannt. Es scheint im Spanischen escanda (Nemnich
S. 1494) erhalten zu sein.
Überblickt man die hier zusammengestellten Thatsachen, so erhellt,
dass Weizen- und Speltarten seit uralter Zeit über Europa verbreitet
gewesen sein müssen, wie denn auch nach Tacitus Germ. Cap. 23
(s. u. Bier) Weizen (frtttnentum) schon im ersten Jahrhundert nach
Christo in Deutschland angebaut worden sein niuss. Welche Arten
im einzelnen am frühesten in Kultur genommen worden sind, lässt sich
nicht mehr ermitteln. Nur eins dürfte in negativer Hinsicht nicht
unwahrscheinlich sein. Kombiniert man die Thatsache, dass Tritictim
Spelta weder für das prähistorische noch für das historische Altertum
sich mit Sicherheit hat nachweisen lassen, mit dem Umstand, dass,
wie wir sahen, vom dritten nachchristlichen Jahrhundert au eiu neuer
Speltname in Europa auftritt, so liegt der Schluss nahe, dass mit
letzterem auch eine neue, vielleicht im Norden zuerst aufgekommene
Speltsorte, eben unser Tritictim Spelta, gemeint sei.
Über die Urheimat und wilde Stammform des Weizens wissen wir,
wie bei anderen Getreidearten, nichts sicheres. Möglich oder wahr-
scheinlich ist, dass die Kultur des Weizens wie der Gerste in dem
Zweistromland aufkam, und von hier schon in der Epoche der ur-
europäischen Kulturgerneinschat't den Indogermanen Europas zukam,
durch die sie über Europa verbreitet wurde (vgl. auch G. Buschan
a. a. 0. S. 32 ff.).
Bemerkt sei noch, dass man in neuerer Zeit eine andere Gruppierung
der Weizen- und Speltarten, als sie oben nach De Candolle gegeben
ist, versucht wurde. Körnickc Handbuch des Getreidebaus I sieht
nämlich das Einkorn, Triticum monococcutn, als eine selbständige
Art an, dem er Tr. vulgare, auf das sämtliche übrige Weizen- und
Speltformen zurückgingen, gegenüberstellt, und Aschcrson Korrespon-
denzblatt f. Anthrop. 1890 S. 134 fügt hinzu: „Betrachtet man auch
Tr. monococcum als eine Form der Gesamtart Tr. vulgare, so wäre
die Abstammung der letzteren von der im Orient, in Griechenland,
Serbien und der Krim bis Mesopotamien wildwachsenden Stamm-
form des Tr. monococcum, welche unter verschiedenen Namen als
eigene Art aufgestellt wurde, erwiesen." — S. n. Ackerbau.
Wels. Für diesen in den meisten grossen Flüssen Europas, vor
allem aber in denen des südlichen Russlands einheimischen Fisch liegt
eine urverwandte Gleichung in altpr. Kalis = nihd. weh aus *hcalis-
vor. Zu demselben germanischen Stamm *hvalis-, *hvala- gehört aber
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Wels.
951
anch der gemeingermaniscbe Name des Walfischs (s. <1.): ahd. wal,
agls. hwcel, altn. hvalr, wie denn auch der Wels selbst in zahlreichen
Gegenden Deutschlands weller, tcaller, tcallerfisch gegenüber ahd.
icelira , Walfisch' heisst (vgl. C. Gesner Hist. anim. Tiguri 1T>58 IV,
1050). Da nun die ursprüngliche Bedeutung der ganzen Wortsippe
durch altpr. kalis ,Wels' feststeht, so folgt hieraus, dass die Germanen
in vorhistorischen Zeiten mit dem Wels bekannt, den Namen dieses
Fisches auf den Walfisch Ubertragen haben, nachdem sie in Berührung
mit dein Nordmeer und seiner Tierwelt gekommen waren. Eine solche
Übertragung lag nahe genug. Der Wels ist der grösste der europä-
ischen Flussfische und erreicht in der Donau, wo er am häufigsten
vorkommt, „bei einer Dicke, dass ihn kaum zwei Männer umspannen
können, nicht selten eine Länge von 3 m und ein Gewicht von 200 bis
250 kgu (vgl. Brehms Tierleben5, Fische S. 236). Schon Plinius Hist.
nat. IX, 45 ist Uber die beträchtliche Schwere des deutschen Welses
(8Üunt8) erstaunt: l*raecipue in Moeno Germaniae amne protelis
bonm et in Danuvio marri* extrahitur porculo marino simillimus.
Derselbe Vorgang wie im Norden lässt sich aber im Süden Europas
nachweisen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit darf zu der oben angeführten
Gleichung altpr. kalis = mhd. weh auch das lateinische squalns ge-
stellt werden, das in den Wörterbüchern mit ,Mcersaufisch' (vgl. bei
Plinius porculw marinus) wiedergegeben wird und nach den Angaben
bei Plinius Hist. nat. IX, 78 (vgl. J. Hoops Englische Stud. XXVIII, 1)
sicher einen haifischartigen Fisch bezeichnet. Die Germanen übertrugen
also den alten Namen des Welses auf den Walfisch, die Römer auf
eine Haifischart. Unsicherer ist, ob auch das griech. (pdXaivct , Wal-
fisch' hierher gestellt werden darf. Sehr merkwürdig aber ist es,
worauf Hoops a. a. O. aufmerksam macht, dass die idg. Reihe altpr.
kalis, mhd. weis, lat. squalus in den finnisch-ugrischen Sprachen
bis zu dem tungusischen Stamm der Lamutcn in Sibirien als kala,
kalim , Fisch', bezw. , Walfisch' wiederkehrt, so dass hier ein Fall
jener auf Urentlehnung (oder Urverwandtschaft?) beruhenden idg.-
finnischen Entsprechungen vorzuliegen scheint, auf die u. Urheimat
hingewiesen worden ist.
Uber einen weiteren gemeinschaftlichen Namen des Fisches verfügt
das Litauiseb-Slavische in lit. szämas, lett. sams = russ. samü, der
sich vor der Hand nicht weiter verfolgen lässt. Leskien Die Bildung
der Nomina im Litauischen S. 176 bemerkt dazu: „Zur Annahme einer
Entlehnung aus dem Slavischcn liegt kein Grund vor, aufgefallen ist
mir eine gewisse Ähnlichkeit des finnischen Wortes säkiü (estn. *ägä).u
Dass in den altgriechischen Flüssen Welse vorkamen, muss bezweifelt
werden. Wenn daher griech. öiXoupo<;, das zuerst von Sopatros dem
napujbös, der zur Zeit Alexanders des Grossen lebte, genannt wird
(vgl. Athen. VI p. 230:
Gtmpöv o* i X o u p o v äpfupoGq mva£ fywv),
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052
Wels — Werkzeug.
diesen Fisch bedeutete, so wird es ein von Norden her eingedrungener
Fischnanie sein (vgl. korn. selli, arem. ttili ,Aal'; über -oupo^ in
Tiernamen vgl. Vf. B. B. XV, 127 ff.). Aus dem Griechischen haben
die Römer ihr siluriiH (zuerst bei Lucilius) übernommen. Auch seine
Bedeutung steht nicht Uberall fest. Als wahrscheinlich wird man es
ansehen dürfen, das», wie Plinius (s. o.)> so Ausonius in der Mosella
v. 135 ff. unter silaru» den Wels versteht, obgleich man auch hier an
den Stör gedacht hat:
TaliH Atlantiaco quondam balaena profunda
Cum vento viotuve suo tellurvs ad ora
Pellifur, exeluxum fundit mare, magnaque surgunt
Aequora vicinique timent decrescere montes . . .
Nie tarnen, hic nostrae mitis balaena Mosellae
Exitio proeul ext magnusque honor additus amni.
Ausdrücklich wird also hier der in dem germanischen Stamm *hvala-
und seiner Bedeutuugsentwicklung sich abspiegelnde Vergleich zwischen
Wels und Walfisch gezogen. Je mehr dieser Stamm aber im Germa-
nischen zur Bezeichnung des letzteren verwendet wurde, um so mehr
stellte sich das Bedürfnis heraus, neue Namen für den Wels zu schaffen.
Ein solcher ist das namentlich an der Donau herrschende schaid,
schaiden, ahd. seeida, vgl. auch engl, sheath-fixh, wohl der .Scheiden-
fisch', a figura raginae, praesertim gladii equentri*, quae latior initio,
paulatim in angmtum desinit (C. Gesner 1. c). Dunkel ist das von
Nemnich Polyglottenlex. der Naturg. s. v. silurus genannte schwed.-
dän. malle, mall ,Wcls'. — S. u. Fisch, Fischfang.
Weltord innig, s. Religion.
Werbung, s. Heirat.
Wergeid, s. Blutrache, Strafe.
Werkzeug (Gerätschaften). Wo sich in Europa Spuren des
Menschen finden, begegnen auch Überreste von Werkzeugen, die auf
paläolithischer Stufe freilich noch von primitivster Beschaffenheit
sind, und meist von einander schwer unterscheidbarc Typen aufweisen,
von deuen sich nur im allgemeinen sagen lässt, ob sie mehr zum
Schneiden oder Bohren, zum Schaben oder Sägen u. s. w. dienten.
Erst in der jüngeren Steinzeit, die gerade hierdurch nicht am
wenigsten charakterisiert wird, treten ausgebildete und durch Schleifung
künstlich verschönte Typen des Werkzeugs hervor, für die Arbeit in
Holz z. B. Messer, Säge, Bohrer, Hammer, Meissel, Axt und Beil nebst
dem für die Schärfung dieser Werkzeuge unentbehrlichen Schleifstein,
für die Bearbeitung der Felle etc. Schabmesser, Pfrieme und Nadel,
für den Ackerbau und die Behandlung der Cerealien die steinerne
Pflugschar, Siebtöpfe, Handmühlen, für die Verarbeitung der Gespinst-
pflanzen (jedoch noch nicht im Norden nachweisbar) der Spinnwirtel
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Werkzeug — Wermut.
953
u. s. w. Dabei ist zu bedenken, dass natürlich nur solche Werkzeuge
sich bis in die Gegenwart erhalten konnten, welche aus Stein, Knochen
oder Horn hergestellt waren, während die zweifellos ebenfalls vor-
handenen Artefakte aus Holz nur unter besonderen Umständen und
ansnahmsweis dem Untergang entronnen sind. Auch durch i d g.
Gleichungen lässt sich eine Anzahl der wichtigsten Werkzeuge als
schon in vorhistorischer Zeit zu begrifflicher und sprachlicher Aus-
bildung gelangt nachweisen. Derartige Wortreihen sind: sert. Ishurd-
= grieeh. Eupöv ,Messer'; griech. ^ivrj = lat. serra ,Säge' (oder , Feile');
griech. te'peTpov = ir. tarathar , Bohrer'; lat. matteus = altsl. malj
»Hammer*; sert. paragü- = griech. tt€\€ku<; ,Axt, Beil'; sert. qdna- =
griech. kwvo? »Schleifstein'; sert. ä'rd = ahd. dla ,Ahle, Pfriem, Nadel';
armen, araur = griech. fipoipov ,Pflug'; griech. ß<pvi? = altpr. wagnis
,Pflugschar'; lat. cribrum = ahd. ritara ,Sieb'; armen, erkan = lit.
girna .Handmühle'; griech. äpirrj = altsl. sräpü ,Sichel' u. a. m. Im
allgemeinen lässt sich, soweit man das bis jetzt vorliegende Material über-
sehen kann, die Kegel aufstellen, dass diejenigen Werkzeuge und Geräte,
für die idg. Gleichungen bestehen, auch in deu Funden der jüngeren Stein-
zeit nachweisbar oder in dieser Epoche mit Sicherheit vorauszusetzen
sind, dass hingegen Werkzeuge wie z. B. die Schere oder Zange, welche
erst auf viel späteren Kulturstufen auftreten, auch in ihrer Terminologie
über die Einzelsprachen hinausgehender Übereinstimmungen entbehren
(s. n. Kupfer und u. Steinzeit). — In besonderen Artikeln ist
gehandelt worden über Ahle (Pfrieme), Axt (Beil), Bohrer, Hacke
(Spaten), Hammer, Meissel, Messer (über das Rasiermesser s. auch
u. Haartracht), Nadel, Nagel (s. auch u. Schlüssel), Säge
Feile), Schaufel, Schere, Schleifstein, Zange. Ackerbau-
werkzeuge und -geräte s. u. Dreschen (Dreschflegel), Egge, Pflug,
Mahlen- Mühle, Sichel und Sense, Sieb, Worfeln (Getreide-
schwinge), über den Quirl und das Buttcrfass s. u. Butter, Uber
Spinnwirtcl, Rocken und Webstuhl u. Spinnen und u. Weben, über
Essgeräte u. Gabel, Löffel, Teller, Mahlzeiten und
T r i n k g e 1 a g e.
Wermut. Unter dem Namen äiyivGiov (Xenoph., Theophr.), do*-
7Tiv0iov, woraus lat. (Plaut.) absinthium, wurden von den Alten mehrere
Arten der Gattung Artemma zu Heilzwecken verwendet. Doch kommt
in Griechenland A. Abainthium L., unser Wermut, nicht vor, an dessen
«Stelle vielmehr A. arborescem L. (ngricch. x\ äi|N(pr|ä, ö>iona, kret.
maaibna) steht. Im Norden Europas gelten für das ersterc alte, weit-
verbreitete, aber dunkle Namen. So westgerm. ahd. teermuota, agls.
icermöd (uermodae, G. Goetz Thes. Gl. s. v. absinthium), in allen
Slavinen altsl. pelynü (vgl. auch lit. pelinos und alb. pel'iri). Eine
weite Ausdehnung im mittelalterlichen Europa hat auch der Gebrauch
des zuerst bei dem griechischen Arzte Anthimus ed. V. Rose (Anfang
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Wermut — Wiesel.
d. VI. Jahrh.) überlieferten aloxinum , Wermut' (Cap. 15: Cervisa bi-
bendo rel medus rel aloxinum quam maxime omnibus congruum
est) gefunden, das seinerseits von einigen als eine Verstümmlung au»
griech. dXön. öEivn? (?) angesehn wird. Aloxinum kehrt wieder im
Romanischen als frz. aluine, sp. alosna (vgl. auch absentius id est
alosanus bei 0. Goetz a. a. 0.) und im Deutschen als abd. alahsan,
ndl. ahem. Aus der angeführten Stelle des Anthimus folgt zugleich,
dass im VI. Jahrhundert, wohl bei den Franken oder Goten, deren
Speisesitten A. in seiner observatio eiborum vornehmlich vor Augen
hatte, auch ein beliebtes berauschendes Getränk mit Zusatz von
Wermut (Wermutwein) hergestellt worden sein muss. — Andere Artemisia-
Arten s. n. Beifusa, andere Heilpflanzen u. Arzt.
Werwolf, s. Wolf.
Wespe (Hummel). Für diese Tiere bestehen in den idg. Sprachen
zwei weitverbreitete übereinstimmende Namen: 1. belmM gramz , Biene,
Wespe, Hornisse', lat. respa, altsl. vosa, lit. wapsa, altpr. wobxe, bret.
guohi, ahd. wafsa, agls. tcajfa, wa*ps {*wafs- = *cops- : abd. tce'ban
, weben', wabo ,Wabe'V — die Form wespe beruht auf Entlehnung
ans lat. vespa und liegt vielleicht schon bei Gregor von Tours De
vit. patr. X, 1 (D. C): Examen mirdbilium atque saevarum ums-
carum, quas vulgo Vespas tocant, vor); 2. lat. cräbro {*crfisro),
altsl. srü.senl ,Hornisse', srilm ,Wcspc', altpr. sirsüis, lit. szirszü,
xzirszlys, szirkszlys , Wespe', kymr. creyr-yn , Wespe' (*kre*ro), ahd.
hornaz, agls. hyrnet (*hurznut; vgl. ralat. furdones, fmslones). Griech.
a<pr|E ist dunkel. — S. auch u. Biene, Bienenzucht.
Westen, s. Himmelsgegenden.
Wetzen, s. Schleifstein.
Wicke, s. Futterkränter.
Widder, s Schaf.
Wiedehopf, s. Singvögel.
Wiederverheiratung der Witwe, s. Witwe.
Wiese, s. Flitterkräuter.
Wiesel (Marder, Iltis, Frettchen). Die hier zusammenge-
faßten Tierarten werden sprachlich nicht scharf von einander ge-
schieden. Auf Urverwandtschaft beruhen folgende Gleichungen: 1. sert.
ka$ikä' = lit. sz^szkas ,Wicscl, resp. , Iltis' (letzteres mit auffallendem.
hz = sert. Ar). 2. lit. szermu = ahd. harmo »Wiesel'. Wahrscheinlieb
reicht aber diese Wortreihe noch weiter, da ein in Graubünden be-
zeugtes rhätorom. karmuin , Wiesel' auf ein lateinisches oder keltisches
*carmo (vgl. W. Meyer-Lübekc Z. f. rom. Phil. 1895 S. 97) hinweist.
3. griech. fa\r\ , Wiesel' — kymr. bele ,Marder' (frz. beletfe .Wiesel ),
aus dem dann deutsch hille, bilchmaus, ahd. pilih, altsl. plüchü ent-
lehnt sind. Nach anderen (vgl. Johansson K. Z. XXX, 351) beruhten
die kelto-germanischcn Wörter auf Urverwandtschaft mit lat. felesT
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Wiesel.
955
das aber anf ursprüngliches fade» hinzuweisen scheint. 4. griech.
ailXoupot, afXoupo? (*ä-FiaXo-) ,wilde Katze', , Wiesel' = ahd. wisüat
agls. toesle (unsicher). Vgl. Vf. B. B. XV, 128 ff.
Ein weiterer grosser Teil der Terminologie der hier in Frage stehen-
den Tiere, namentlich des Wiesels, erklärt sich aus einem über ganz
Europa verbreiteten Märchen, welches von der Verwandlung eines
Wiesels in eine schöne junge Frau berichtete, und dessen erste litte-
rarischen Spuren sich in Griechenland schon im V. 'IV. Jahrhundert
v. Chr. finden (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 587 nnd E. Rohde
Rhein. Mus. XLII1, 303 ff.). Daher kommt es, dass das Wiesel, dessen
eigentlichen Namen man wegen der dämonischen Eigenschaften, die
dem Tiere innewohnten (vgl. P. Schwarz Progr. Celle 1888 S. 42 ff.),
nicht gern auszusprechen wagte, nur andeutungsweise „Schönchen",
„Frauchen" und mit zahlreichen weiblichen Verwandtschaftsnamen be-
zeichnet wird. So erklären sich it. donnola, ngriech. vuuqpÜTöct, dän.
den kjönne ,pulchra', altengl. fairy, sp. comadreja eigentlich ,Gc-
vatterin', slav. nevestüka , Braut, junge Frau', bret. kaerell : kaer
,schön, bask. andereigerra : andren ,Frau', zigeun. bori , Braut' und
,Marder', ung. menget : meng ,Schwiegertochter' (vgl. V Hehn a. a. 0.
8. 588). Über Namen des Wiesels, die auf das lat. belUda zurück-
gehn, und alb. bükl'eze : alb. bukur ,schön' vgl. Flechia Archiv, glott.
II, 47 ff. und G. Meyer Et. W. d. alb. Spr. S. 51. Unter diesen Um-
ständen ist es wahrscheinlich, dass auch das altpr. momea, momeo
,Wic8cF (von Berneker Die preuss. Spr. S. 308 zu lit. mdias ,klein'
gestellt) nichts als eine Ableitung von altpr. moazo ,der Mutter Schwester',
lit. mösza ,des Mannes Schwester' ist, und dass ahd. mardar, agls.
mearTi, altn. mörhr (ins mlat. martus und in die romanischen Spra-
chen übergegangen) sich aus lit. martl , Braut, Schwiegertochter' er-
klärt. Ebensoweuig lassen sich die Beziehungen von griech. fa\r\ :
fdXioq, yoXöu)?, lat. glös, phryg. "fcXctpo^ , Schwester des Mannes' ver-
kennen.
Auch so bleibt noch ein beträchtlicher Rest nicht oder ungenügend
erklärter Namen in der Uberaus reichen Terminologie des Wiesels und
der ihm verwandten Tiere übrig. Aus dem Keltischen: ir. ness, eds,
korn. louennan , Wiesel' (vgl. Zeuss Gr. Celt. 2 S. 1075), aus dem Ger-
manischen: ahd. illit-iso, illit-who (: wisila?) , Iltis', aus dem Slavi-
schen: Utsa, lasica , Wiesel', kuna, kunica = lit. kiaune ,Mardcr' (vgl.
griech. Kauvdiais »ein orientalischer Pelz', s. u. Pelzkleider), aus dem
Litauischen: äebenksztin ,braunes Wiesel', aus dem Altpreussischen :
naricie ,Iltis' (vgl. Berneker a. a. 0. S. 309), aus dem Griechischen:
Ticti? (kTiboq; K-ribeoq), aus dein Lateinischen: faeles , Katze, Marder,
Iltis' (: lit. dailüs ,zierlich, nett'?, doch s. oben), maeles ,Marder'.
Über tiverra , Frettchen', eine Wieselart, die man namentlich in Spa-
nien zur Bekämpfung der Kaninchen gebrauchte (vgl. V. Hehn a. a. 0.
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Wiesel - Wind, Wiudnamen.
S. 446), 8. u. Eichhörnchen. Im späten Latein (Isidor) tritt furo
(von für .Dieb") auf, woher die romanischen Diminutiva frz. füret,
nhd. frettchen (auch furio Thea. I, 478). Eine andere Ableitung von
demselben Wort scheint in der angelsächs. Glosse ferunculus. merth
(d. i. ,Mardcr') vorzuliegen (0. Keller Lat. Volkset. S. 46). — Im
griechischen und römischen Altertum vertritt das Wiesel mit seinen Unter-
arten die Stelle der noch fehlenden Hauskatze. S. darüber u. Katze
und vgl. V. Hehn a. a. 0. S. 448 f. sowie B. Placzek Wiesel und Katze
Brünn 1888. Lat. mmtela , Wiesel' bedeutet wohl geradezu ,Mausedieb'
(-tela : sert. tdyu ,Dieb'). Anders 0. Keller Lat. Volkset. S. 46.
Wiesent, s. Rind.
Wildpark, s. Jagd.
Wlldpret, s. Jagd, Nahrung, Opfer.
Wind, Wiudnamen. Zwei idg. mit einander stammverwandte
Gleichungen für den Begriff des Windes sind sert. vä'ta- = lat. ventus,
got. teinds und sert. vaijü = lit. teeja* : sert. vdf griech. ötiui, altsl.
vejati, got. tcaitin , wehen'. Hingegen lassen sich bestimmte Namen
für einzelne Winde mit Ausnahme einer vorhistorischen Benennung
des Nordwinds: lat. Caurtut ,N.-W.-Wind' = altsl. severü ,boreas', lit.
szidure »Norden' (so auch K. Brugmann Grundriss I 1; 210; Grund-
formen: hmro- und keuro-, auf {s)küro- führt das gemeingerm. ahd.
scür .Schauer', got. »küret windix; vgl. ir. ei'ia .Winter', kymr. caicad
etc. ,Schauer) nicht durch idg. Gleichungen belegen und scheinen erst
in den Einzelsprachen aufgekommen zu sein.
Bei Homer (Od. V, 295 f.) werden bereits die vier Hauptwinde in
der uns geläufigen, dem Gang der Sonne folgenden Anordnung:
Zuv b' EGpöt te Nöto? t' ctt€0*ov Ze*(pupöc T€ buo*af|<;
Kai Bopcr}? ai6pTiTtv^TTi? M^Ta KÖpa KuXivbwv.
genannt. Hiervon ist eupo? der Süd-Ost-Wind (*eüapos : euw ,senge'),
vöto^ der Südwind (vgl. voT€pö<; ,nass' und ahd. naz, idg. not : nod,
wie altsl. jugil .Südwind, Süd' : griech. orpö? ,fencht'), Zcqwpoq der
Westwind (: Eöqpo? .Westen, Dunkel'; eine Etymologie s. u. Mond
und Monat) und ßopen? der Nordwind (: sert. giri- ,Wald' etc., ,der
vom Berge kommende'). Später treten hinzu Windnamen wie dTmXuu-
ttjs ^Ostwind' (ö övcuoq ö Ü ävaxoXÜJv ttv^wv), Xuj», ein S.-W.-Wind
(: Xu|/ »Flüssigkeit', Xetßuu ,trüufele ), Kanaan, ein N.-O.-Wind (: lat.
caecus ,blind, finster', weil er finsteres Wetter bringt?) u.a.m. Den
vier homerischen Winden entsprechen die vier lateinischen Haupt-
wiude: volturnus i ;: voltnr , Geier' , wegen seiner Schnelligkeit ?) ,S.-0.-
Wind' (ein Ausdruck für den eigentlichen Ostwind ist in der ältesten
Zeit weder im Griechischen noch im Lateinischen vorhanden), auster
,Südwind' (vgl. griech. auo<; ,trocken), favöniu« ,Westwind' (: favere
wie ahd. teunnheint ; das lat. Wort ist in ahd. föno, föna ,Föhn' ent-
lehnt), aquilo »Nordwind' (: aquilus .dunkel', vgl. oben griech. koikio?
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Wind, Windnamen.
957
und osk. Akudunniad ,Aquilonia' ; auch aquila , Adler', der .dunkle'?).
Mit der Einwirkung der griechischen Nautik (s. u. Schiff, Schiff-
fahrt) dringen dann die griechischen Windnamen teurus, zephyrus,
caecias, euronotm u. 8. w.) in Rom ein. auch werden neue entweder
nach griechischem Muster (z. B. subsolanus nach dTrnXiurm.«;) oder aus
eigner Anschauung (z. B. septentrio) gebildet (vgl. 0. Weise Griech.
Wörter in der lat. Spr. S. 213 f.).
Dabei ist hinsichtlich der antiken Bezeichnungen der Zwischenrich-
tungen zu bemerken, dass die Alten von der Linie Ost-West (Auf- uud
Untergang der Sonne), nicht wie wir von der Linie Nord(Polhöhe)-Süd
ausgingen und demzufolge nicht, wie wir, von einem Süd -Ost -Wind
u. s. w., sondern von einem Ost-Slid-Wind (euronotm) etc. sprachen.
Durch Einschaltung vou vier Mittelrichtungen erhielt man zunächst
8 Winde, die auf einem noch erhaltenen 8 eckigen Tempel der Winde
in Athen als Bildsäulen dargestellt waren. Vgl. darüber Vitruvius De
architectura I, 6, der auch die Namen dieser 8 Winde hinzufügt:
Itaque sunt conlocati int er Solanum et austrum ab Oriente hiberno
eurus, inier austrum et f avonium ab occidente hiberno africus,
int er f avonium et sept entrionem caurus, quem plures vocant
corum, inter septentrionem et Solanum aquilo. Von dieser Acht-
teilung schritt man im Altertum nicht durch nochmalige Halbierung
zu einer Sechszehnteilung, sondern mau ersetzte die Achtteilung durch
eiue Zwölfteilung, deren Spuren bis auf Aristoteles zurückgehn (vgl.
A. Breusing Nautik der Alten S. 2b). Auf dieser antiken Zwölfteilung
beruht zweifellos auch die Einteilung, welche Karl der Grosse mit den
deutschen Winden vornahm, und über die Einhard Vita Cap. 29 be-
richtet: Item ventos duodeeim propriis appellationibus insignivit,
cum prius non amplius quam vix quatuor ventorum vocabula pos-
sent inceniri Ventis cero hoc modo nomina imposuit, ut Sub-
solanum vocaret Ostroniuuint , Eurum Ostsundroni , Euro-
austrum Sundostroni, Austrum Sundroni, Austroaf'rkum Sun-
duuestroni, Africum Uuestsundroni , Zephyrum l'uestroni,
Chorum Vuestnordronit Circium Norduuestroni, Septemtrio-
nem Nordroni, Aquilonem Xordostroni, Vulturnum Ostnord-
roni. Hierzu bemerkt Graff Sprachschatz I, 626, wo zugleich eine
die 12 Abteilungen des Himmels darstellende Zeichnung des IX. Jahr-
hunderts abgebildet ist, folgendes: „Die diesen Windnameu zu Grunde
liegende Einteilung der Himmelsgegenden weicht von der heutigen ab.
Es ist nämlich die Gegend zwischen Süden uud Osten nicht durch
Südost und dann wieder durch Südsüdost und Ostsüdost näher be-
zeichnet, sondern nur in 2 Teile geteilt, in Südost und Oststtd; auf
ähnliche Weise auch die Gegend zwischen Süden und Westen, Norden
und Osten, Norden und Westen/ Welches die deutschen Windnamen
vor Karl dem Grossen waren, lässt sich nicht sagen. Im allgemeinen
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958
Wind, Windnamen — Witwe, Witwer.
fehlt es den germanischen und nördlichen Sprachen Ubcrhanpt durch-
aus an alten und primären Ausdrücken auf diesem Gebiete. Eine
Ausnahrae macht nur das auch ins Romanische entlehnte ahd. bixa,
mhd. bise fllr Nordwind (frz. btee). Spätere mittelalterliche Entleh-
nungen von Windnamen ans dem Arabischen und Griechischen vgl.
bei Vf. Handelsgeschichte und Warenk. I, 53. — Über die religions-
geschichtlichc Bedeutung des Windes s. u. Religion.
Windhund, s. Jagd.
Winter. Die idg. Benennung dieser Jahreszeit liegt in der
Reihe: scrt. hemantd- ,Winter', hä'man ,im W.', himä, hinid- (auch
,Kühlung, Külte'), aw. zydo, zima- (auch ,FroBt'), zayana-, armen, jmern
(jiun ,Sehnec), griech. X€i"wv, lat. hiems (beide auch »Unwetter' etc.,
griech. x»wv ,Schnee ), ir. gam, altsl. zima, lit. ziemä, alb. dimen,
germ. in der Lex Salica in gimus ,einjähriges Vieh'. Der Verbreitung
dieser Benennung des Winters kommt kein zweiter Name einer Jahres-
zeit in den idg. Sprachen gleich. Aus weicht das Germanische mit
got. wintrus etc., das vielleicht zu altgall. vindo- ,weiss' ( Vindo-bona
etc.), ir. find gehört und die ,weisse Jahreszeit' bezeichnet. — S. auch u.
Schnee und Eis, Jahr, Jahreszeiten, Zeitteilung und Urheimat.
Wintersonnenwende, s. Jahr.
Winzer, s. Wein.
Wirtel, s. Spinneu.
Wirtshaas, s. Gasthaus.
Wirtschaftsform, älteste, s. Ackerbau, Viehzucht.
Wittum, s. Mitgift.
Witwe, Witwer. Die idg. Benennung des ersteren Begriffes
liegt in der Reihe scrt. vidhdvd, lat. ridua, ir. fedb, got. widuwö,
altpr. widdewü, altsl. vldova. Abweichend: griech. xnpn (hom.) : xnP°S
»verwaist' (vgl. lat. heris ,Erbe'), wie lit. szeirys, szeirP : altsl. sirü
,orbus' oder agls. Uf : lifan ,die verlassene'. Dunkel: lit. naszlys,
naszli und armen, airi. Ein Wort für den Witwer hat ursprünglich
nicht bestanden. Die Bezeichnungen dieses Begriffs in den Einzel-
sprachen, wie ahd. icüuwo, mhd. tciticare, altsl. vldoclcl, lat. viduus,
erweisen sich als Neubildungen von dem Worte für Witwe (vgl. B. Del-
brück Verwandtschaftsnamen S. 442 ff.).
Der Grund dieser Erscheinung liegt offenbar in dem Charakter der
vorhistorischen Ehe (s. d.), in der die Frau dem Manne gegenüber
noch eine so untergeordnete Stellung einnahm, dass der Begriff des
Witwers in der Urzeit nicht aufkommen konnte. Der einer Frau be-
raubte Mann hatte entweder noch andere oder konnte sich durch Kauf
leicht in den Besitz einer solchen setzen. Charakteristische Anschauungen
des Witwers auf primitiven Kulturstufen berichtet Krauss Sitte und
Brauch der Südslaven S. 627 ff.
Umgekehrt kann es als sicher gelten, dass die Wiederverheiratung
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Witwe, Witwer — Woche.
9.™
•der Witwe in der Urzeit nicht gestattet war. Ein solches Verbot hat
wahrscheinlich im alten Indien (vgl. Delbrück a. a. 0. S. 553 ff.), sicher
•bei den westgermanischen Stämmen (in quibm tantum virgines nuhunt,
Tac. Germ. Cap. 19) und im alteu Griechenland (irpöicpov bi KaetcTTn-
xet Tai? TuvaiEiv im ävbpi dnoeavövTt xiP^eiv, Pans. II, 21, 7) be-
standen, und spätere Erschwerungen der Wiederverheiratung einer
Witwe, wie sie z. B. die Lex Salica Tit. XLVII enthält, dürfen als
Überbleibsel jenes ältesten Zustandes angesehen werden, der offenbar
darin seinen Grund hat, dass die Frau zu dem Familiengut des Mannes
gehört, ans dem sie gekauft ist. Noch weiter geht es, wenn bei ver-
schiedenen nord- und osteuropäischen Völkern, wie Skythen, Thrakern,
Slaveu, aber auch Herulern, die auch im Atharvaveda als uralt be-
zeichnete Sitte herrschte, dass die Frau oder die Lieblingsfrau zu-
sammen mit dem Manne starb, indem sie sich an dem Grabe des
Gatten erhängte oder mit ihm, wie Brunhild mit Siegfried, auf einem
Scheiterhaufen verbrannt wurde (vgl. V. Hehn Kulturpflanzen 6 S. 520 ff.,
H. Zimmer Altind. Leben S. 329, K. Möllenhoff Deutsche A.-K. IV, 313).
Aber auch von griechischen Frauen (vgl. Pausanias IV, 2, 7) wird nicht
selten berichtet, dass sie sich am Grabe ihrer vorher gestorbenen
Männer entleibten. Die hierbei zu Grunde liegende Anschauung ist
die, dass die Frau dem Manne auch im Jenseits die Freuden bereiten
will oder soll, die sie ihm im Diesseits bereitet hat (s. auch u. Be-
stattung). Wo die Frau am Leben blieb, wird sie in der Gross-
familie des Mannes, zu der sie nach dem obigen gehörte, und unter
dem Schutz seiner Verwandten ihr Dasein weiter gefristet haben. Oft
scheint es in der Urzeit vorgekommen zu sein, dass der Sohn die von
seinem Vater hinterlassenen Weiber als die scinigeu übernahm (s. u.
Verwandtenheirat). — S. auch u. Familie.
Witweiiverbrennung, g. Bestattung, Witwe.
Woche. Der Urspruug der siebentägigen Woche und die Her-
kunft der Wochentagsnameu sind noch nicht völlig aufgeklärt. Während
man früher allgemein der Meinung war, dass ihre Heimat an den Ufern
des Enphrat zu suchen sei (vgl. E. Schiader Der babylonische Ursprung
der 7tägigen Woche in den Theo]. Stud. und Krit. 1874 S. 343 ff. und
derselbe Die Keilinschriftcn und das alte Testament8 S. 18 ff.), sind
neuerdings von P. Jensen Die siebentägige Woche in Babylon und
Niniveh in Kluges Z. f. deutsche Wortf. I, 150 ff. Bedenken gegen
diese Annahme geltend gemacht worden. Nach diesem Gelehrten steht
vielmehr nur folgendes fest: Neben einer bis ins dritte Jahrtausend
zurückgehenden Zählung nach Tagfünften findet sich in alterer und
jüngerer Zeit die Einheit von 7 Tagen als eine beliebte Zcitgrösse,
ohne dass es deswegen erlaubt wäre, von einer assyrisch-babylonischen
Woche von 7 Tagen zu sprechen. Näher schon kommt diesem Begriff
die aus späterer Zeit und zwar als ursprünglich babylonisch feststehende
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Woche.
Thatsache, dass der je 7., 14., 21. und 28. Tag des 30tägigcn Monats
ah? „böse Tage", an denen man gewisse Dinge nicht thuen, wohl aber
bestimmte Opfer darbringen soll, abseits von den Übrigen Monatstagen *
stehen. Doch macht die Zählung dieser Tage vor dem Schlnss de*
Monats halt und setzt erst mit dem Beginn des neuen wieder ein. über
den einzelnen Monat hinaus greift nur die Feier des 19ten Tages, in-
sofern dieser addiert mit der Tageszahl des vorangehenden Monats
(19 + 30) die Zahl 49 = 7 X 7 ergiebt. Ausserdem wird als besonders
wichtig ein Tag namens mbattu erwähnt, der, wie ausdrücklich
hervorgehoben wird, „der Beruhigung des Herzeus" (der Götter) ge-
widmet ist. Wann und wie oft er aber gefeiert wurde, ist unbekannt.
Auch von einer Benennung der 7 zwischen jenen „bösen Tagen" lie-
genden Tage nach den Planeten, deren altassyrische Reihenfolge
(Mond, Sonne, Jupiter, Venus, Saturn, Mcrcur, Mars) eiue andere ist,
als die den späteren Wochentagnamen zu Grunde liegende, wissen wir
nichts; doch hat allerdings jeder Tag im Monat seine Gottheit oder
sein Götterpaar. Was wir also in Assyrien und Babylonicn finden,
sind Ansätze zur Woche, d. h. zu einem 7tägigcn „ohne Rücksicht
auf Monat- und Sonnenjahr ununterbrochen weiterrollenden" Zeitraum,
nicht die Woche selbst.
Wohl aber ist die 7tägigc Woche bei den Israeliten (vgl. Th. Nöl-
deke Die Namen der Wochentage bei den Semiten Z. f. deutsche
Wortf. I, 161 ff.) uralt, und auch die regelmässig wiederkehrende Feier
des Sabbats oder Ruhetages wird bereits im Dckalog vorgeschrieben.
Unbekannt ist dagegen auch hier die planctarische Bezeichnung der
Wochentage, deren Benennung vielmehr, wenn man aus dem Neuen Testa-
ment und dem altrabbinischen Sprachgebrauch auf das Alte Testament
schlicssen darf, einfach auf Zählung vom Sabbat au beruht, welches
Wort zugleich im Sinne von Woche gebraucht wird: „einer in der
Woche" = Sonntag, „2 in der Woche" — Montag, „3 nach dem Sabbat"
Dienstag u. 8. w. — Unter diesen Umständen ist Jensen geneigt, unsere
Woche für lediglich jüdischen oder doch westsemitischen Ursprungs
zu halten, während Nöldckc trotz des Umstände«, dass die 7tägige,
Monat und Sonnenjahr durchkreuzende Woche in assyrisch-babyloni-
schen Denkmälern nicht nachweisbar sei. aus allgemeinen Gründen an
ihrer babylonischen Herkunft testhält ; denn das Herausgreifen gerade
von 7 Tagen könne nur auf der Heiligkeit dieser Zahl beruhen, und
nur in Babylon seien die 7 Planeten als Götter verehrt worden. Dieser
Kontroverse gegenüber kann es als ein gesichertes Ergebnis der vor
stehenden Untersuchungen, mit denen auch die Arbeit A. Thumbs Die
Namen der Wochentage im Griechischen (ebenda S. l(>3ff.) zu ver-
binden ist, betrachtet werden, dass jedenfalls die planctarische Be-
zeichnung der Wochentage etwas spätes ist. „Es spricht nichts da-
gegen, dass die Wochentagsnamen erst um die Zeit eingeführt worden
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Woche.
%1
sind, in der sie zuerst erscheinen, möglicherweise unter chaldäiseher
Flagge, als ein ganz spätes postumes Erzeugnis des Babyloniertuins,
und ferner nichts dagegen, dass dies statt in Assyrien oder Babylon
zuerst am Mittelmeer geschah."
Wenden wir uns nunmehr den idg. Völkern Europas zu, so hatten
diese aus der Urzeit (s.u. Mond, Monat) eine Zweiteilung des reinen
und ungebundenen Mondmonats mitgebracht. Von dieser waren die
Griechen zu einer Zerlegung des 30tägigen Monats in 3 Dekaden, die
Römer zu einer 8tägigen Woche (nundinum) fortgeschritten, die sich
bis in die Kaiserzeit erhalten hat. Aber auch Spuren einer septenalen
Zeitteilung lassen sich, namentlich bei den Griechen, nachweisen, in-
sofern nicht nur schon bei Homer Zeiträume von 7 Jahren und 7 Tagen
mehrfach nachweisbar sind, sondern auch, bereits bei Hesiod, der
(1. und) 7. Tag des Monats dem Apollo heilig ist (näheres bei A. Thumb
a. a. 0. 8. 164). Gleichwohl kann nicht bezweifelt werden, daas die
7 tilgige Woche dem klassischen Altertum immer fremd gewesen ist.
Auf griechischem Sprachgebiet erscheint sie, wie natürlich, zuerst
bei den griechisch redenden Juden, doch so, dass sie und vor allem
ihr 7ter Tag, der Sabbat, schon im ersten Jahrhundert nach Chr.
diesen Kreis längst überschritten hat. Vgl. Philo« De opificio mundi
§ 43: TiuäTcn bk Kai (n, £ßboudq) Trapä Töiq boKtuwiaTOiq twv 'EXXnvwv
xai ßapßäpujv und Joscphus gegen Apion II, 39, 2: oub' £ötiv ou ttöXu;
'EXXnvwv oübnTiaoöv, oübfc ßdpßapov ovbi €v ZQvoq, £v8a an. tö jr\q ^ßo-
udbo?, nv dptoöu€v fmet«;, tö ZQo<; oü biaTT€<poiTnK€. Auch iu Rom er-
regte der dies sabbati frühzeitig die Aufmerksamkeit der Bevölkerung;
und es gab Römer, die ohne selbst dem Judentum anzugehören, aus
abergläubischen Rücksichten sich der Heilighaltung des Sabbats an-
schlössen. Vgl. Horaz Sat. I, IX, 69:
hodle tricesima sab b ata: vin'tu
Cttrtis Iudaeis oppedere'i
Hauptsächlich aber ist die Rechnung nach Wochen in Rom uicht durch
die Juden, sondern durch die chaldäischen Astrologen verbreitet wor-
den, die von früher Zeit an und in grosser Menge im römischen Reiche
und seiner Hauptstadt lebten (vgl. V. G. Gundermann Die Namen der
Wochentage bei den Römern Z. f. deutsche Wortforsch. I, 175 ff.).
Dies folgt einerseits aus der in diesen Kreisen (s. o.) inzwischen auf-
gekommenen und nach Rom übertragenen Bezeichnung der Wochentage
nach den Planeten, deren Reihenfolge sich ans Oassius Dio XXXVII, 19
als Kpövos \Saturnu8), "HXio^ (»>/), l€Xn.vn, {Tmim), "Apr|? {Mars),
'Epur\q (Mercurius), Ztdq (Juppiter), 'AtppobvTn. (Venus) ergiebt (Thumb
S. 169), andrerseits aus dem in Rom bis ins dritte Jahrhundert üblichen,
den Juden ebenfalls fremden Beginn der Woche mit dem dies Saturni.
Wie der Gebrauch der meisten romanischen Sprachen zeigt (s. u.), hat
die planetarische Bezeichnung der Wochentage auch bei den Bevölke-
Sch rader, Keallexikon. 61
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962
Woche.
rangen der römischen Provinzen Wurzel geschlagen, während im
griechischen Orient und in der Littcratur des Christentums die jüdische
Zälilwcise trotz frühzeitiger, aber bald wieder erloschener Ansätze zur
Einführung der Planetcnnanien weiter spipsste. Eine Neuerung hierbei
ist die Ersetzung der ttpwtti tfaßßdTou für Sonntag durch Kupiaicrj,
dies dominicus, mit dem später die Woche begann. Dieselbe Ver-
schiebung des Wochenaniangs vom dies Saturni auf den dies Solis
war im IV. Jahrb. auch im heidnischen Rom eingetreten, aber nicht
durch christlichen Einfluss, sondern, wie Gundermann a. a. Ü. 8. 180
nachweist, in Folge der Bedeutung, die im IL— IV. Jahrhundert der
orientalische Sounendicnst im römischen Reiche ausübte. Zu bemerken
bleibt noch in sprachlicher Beziehung der eigentümliche Gebrauch,
den mau im christlichen Latein von dem Worte feria machte, das
eigentlich >Feier' bedeutend, in der Zählung der Wochentage für
,Tag' verwendet wurde: Montag — feria secunda, Dienstag = feria
tertia u. s. w. (so auch ptg. secunda feira, terca feira etc.). Ideler
in seinem Lehrbuch der Chronologie I, 341 erklärt dies so, dass die
ersten Christen ausser dem Sonntag noch den Mittwoch und Freitag
als Tage des Gebets und der Fastcu angeschen (s. auch u.) und als
feria quarta und f. se.rta bezeichnet hätten, was dann auch ein feria
secunda u. s. w. nach sich gezogen hätte (anders Gundermann S. 186).
Aus dem romanisierten Gallien und dem römischen Germanien, wo
besonders häutig bildliche Darstellungen der Wochengötter von Kpövo^ —
A^pobim, sich gefunden haben (Gundermann S. 178), ist dann die
siebentägige Woche noch in vorchristlicher Zeit weiter östlich vorge-
drungen, indem bei den Germanen für die römischen l'lanetennamen
einheimische Götternamen eintraten, so dass durch diesen Vorgang eines
der schönsten Zeugnisse unseres heidnischen Altertums erhalten ist.
Gespalten zeigen sich die keltischen Stämme, insofern die britan-
nischen Mundarten die römischen Wochentage noch zur Zeit der Römer-
berrschaft (also vor 410 v. Chr.) übernahmen und daher die Plancten-
namen zeigen, während die irisch-gälisehen Namen schon deutlich
christlichen Einfluss verraten (vgl. R. Thurneysen Die Namen der
Wochentage in den keltischen Dialekten, Z. f. deutsche Wortforsch.
], 186 ff.). Die Slavcn (und durch sie die Litauer) endlich haben
ebenfalls die Woche erst mit dem Christentum empfangen, wie denn
auch ihre Benennungen der Wochentage ganz auf der jüdischen und
christlichen Zählmcthode beruhen.
Von den Benennungen der Woche sind griech. ^ßboudq (auch
,Sabbat"; s. o.), woraus lat. hebdomas, und lat. sejrtimana, woraus ir.
sechtman, altkorn. seithun (nach ir. sec/it, britannisch seith ,sieben')
und alb. jart, Nachbildungen nach hebr. säbüa (vgl. auch sert. sap-
tdha-, npers. haftah). Zu den Germanen ist das lateinische Wort nicht
übergegangen. Hier herrseht vielmehr die gemeingerm. etymologisch
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Woche.
063
noch unerklärte Bezeichnung got. teikö (griech. iv Tfj TÖßei Tm£ i(pr\-
pepicii; cojtoö), altn. vika, alul. teehha. Vielleicht bezeichnete es schon
vor der Bekanntschaft der Germanen mit der siebentägigen Woche
eine Unterabteilung des Monats. Eine einheimische Bildung ist auch
das kymr. icythnos, eigentl. ,acht Nächte'. Wie die Kelten, haben
auch die Slaveu keine einheitliche Benennung. Sie gebrauchen für
,Woclie' entweder die Bezeichnung des Sonntags altsl. nedelja (so
auch lit. nede'Ua »Sonntag* und ,Wocbe) oder den Ausdruck *tüdlnl
(nsl. tjeden u. 8. w.) ,hie dies", d. h. ,derselbe nach einer Woche
wiederkehrende Tag'. Merkwürdig ist das altpr. mwaite , Woche' in
poxsisawaite , Mittwoch' (: altpr. possi-, lit. puft- ,halb'j. Ob es eine Ver-
stümmlung aus griech. adßßaiov, aaßa-rra ist, das im Neuen Testament
und später ,Sabbat' wie .Woche* bedeutet (vgl. Thuinba. a. 0. S. 168) ?
Die Namen der Woche u tage, die sich nach dem bisherigen meist
ohne weiteres verstehen, sind in den europäischen Sprachen die folgenden
(vgl. im allgemeinen J. Grimm Deutsche Mytb. P, 111 ff. und Roesler
Über die Namen der Wochentage Wien 1865; im einzelnen über die
griechischen A. Thumb a. a. 0., über die lateinischen V. G. Gunder-
mann a. a. 0., über die romanischen W. Meyer-Lttbke Z. f. deutsche
Wortforsch. I, 192 ff., über die keltischen R. Thurneysen a. a. 0.,
über die albanesischen A. Thumb Z. f. deutsche Wortforsch. I, 173 ff.,
über die deutschen F. Kluge Die deutschen Namen der Wochentage,
Wissensch. Beihefte z. Z. d. allg. deutschen Sprachvereins II. VIII,
1895, über die slavischen Miklosich Die christl. Term. d. slav. Sprachen
Denkschriften d. kaiserl. Ak. d. W. phil.-hist. Kl. XXIV, 19, Wien
1876):
Sonntag: Griech. rmepet 'HXiou, lat. dies Solig, mkymr. dyic sul,
bret. diqcul, dimh alb. (ditt) e djel'e (djef ,Sonne), alul. sunnün-tag,
agls. mnnandeeg — griech. ttpuutti ffaßßdTOu, uia o*aßßäru)v, KupictKn.
(schon früher 0€ßaffTr| auf ägyptischen Papyri zu Ehren der kaiser-
lichen Majestät), lat. dies dominiem (it. domenica, frz. dimanehe), ir.
dommuh, altn. drdttensdagr, ahd. (Notker) fröntag ,Tag des Herrn'.
Im Slavo Litauischen gilt altsl. nedelja, altpr. nadele, lit. nedele ,Tag
des Xichtstlmens'. - (Jan/, vereinzelt ist noch die Bezeichnung lat.
octarus dies I. Tag der neuen Woche = VIII. der alten).
Montag: Griech. npepci IcXfjvn.«;, '«it. dies Lunae (frz. lundi, it.
lunedi), ir. Juan, mkymr. dyw Run, bret. dillun, alb. (ditt) e htm
(hu» .Mond' i. ahd. mänatag, agls. mönanda'g, «!tn. mdnadagr, daneben
nhd. dial. guotemtag, gutentag, eigentl. .guter' (vgl. unser , blauer')
Montag. — Griech. oeuitpa öaßßdTOu. lat. feria secunda (ptg. segunda
feira). — Im Slavo-Litauischcn Nachsonntag" : altsl. ponedilikü,
altpr. ponadele, lit. panedielis. Hier beginnt die slavische Woche.
Vgl. noch friaul. prindi, eigentl. , erster Tag'.
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Woche.
Dienstag: Griech. fiuc'pa "Apeuj?, lat. dies Martin (frz. mardi,
it. marti), ir. mairt, mkymr. rfyir mawrth, bret. demeurz, alb. marte,
germ. 1. alem. zistag, agls. thresdag, altn. tysdagr ,Ziu-Tag' 2. ndd.
dingsdag, ndl. dinxendag, wahrscheinlich : dem inschriftlich über-
lieferten (Mars) Tinxus ,Gott der Volksversammlung*? (vgl. longob.
fAiiu- .Volksversammlung' und arab. jVm/h aldguma ,Tag der Ver-
sammlung' für Freitag). — Griech. Tpim. craßßdxou, lat. feria tertia
(ptg. ferca f.). — Slavo-Litauisch „der andere^ : altsl. rütorinikü, lit.
utdrninkas, schwäb. aftermeentig (dazu Much a. u. a. 0. 8. 253). —
Dunkel: bair. erchtag, eritac, irchtag, iritag (vgl. zuletzt R. Much
Festgabe für Heinzcl S. 196) und altpr. icissaseydis. — Wie die
Tpirri toiapevou und die Tpixn dm Mko. des Monats von den alten
Athenern mit Scheu gemieden wurde, so galt und gilt der Dienstag in
der griechischen Welt für einen Ungltlckstag (vgl. A. Thumb a. a. O.
8. 171, 172). S. u. Freitag.
Mittwoch: Griech. fmepet 'Epnou, lat. dies Mercurii (frz. mercredi,
it. mercoledi), mkymr. dyw merehyr, bret. demercher, alb. merkür,
agls. wödnesdceg .Wodanstag' — griech. xexdpTii öaßßärou, lat. feria
quarta (ptg. quarta f.) — lat. media hebdomas, tosk. mezzedima etc.,
ahd. mittawecha, altsl. sreda, eigeutl. ,Herz, Mitte', lit. seredü, altpr.
possisatcaite (s. o.). Hier zeigt sich im Slavo-Litauisehcn deutscher
Einflii8s, da der Mittwoch im Slavischcn nicht die Mitte der Woche
ist (s. u. Montag). — Ir. ett-öin, eigeutl. ,erstes Fasten' (s. u. Frei-
tag). — Vgl. noch aus deutschen Mundarten bair. after-ertag, ndd.
güdensdag ( = Wodanstag?) und alem. gütemtag (, guter Mittwoch ?».
Donnerstag: Griech. nu^pet Aiö<;, lat. dies Iovis (frz. jeudi, it.
gioredi), mkymr. dyw ieu, bret. diziou, ahd. donarestag, agls. punres-
d&g, altn. pörsdagr ,Tag des Donar'. — Griech. maurn. tou tfaßßd-
tou, lat. feria qttinta (ptg. quinta f.), mhd. pfinztag (aus Tre'uTTTn). —
.Slavo-Litauisch: -,dcr vierte^ : altsl. cetvrütükü, lit. kettcePgas, altpr-
keticirtice. — Ir. darddin, eigentl. ,(Tag) zwischen den Fasten', d. h.
zwischen Mittwoch und Freitag. — Alb. ernte ist dunkel (vgl. A. Thumb
a, a. O. 8. 175).
Freitag: Griech. rme'pa 'Aqppob'Tri?, lat. dies Veneris (frz. vendredi,
it. cenerdi), mkymr. dyw gwener, bret. derguener, ahd. friatag, agls.
frigedwg, altn. frjddagr ,Tag der Freia'. — Griech. TrpotfdßßctTa und
napaaKeuri /Tag der Vorbereitung'. — Lat. feria se.vta (ptg. se.rta f. i.
— Slavo-Litauisch „der fünfteu : altsl. petükü, altpr. pentinx, lit.
petnyczia. — Ir. öin didin, eigentl. ,letztes Fasten' (s. u. Mittwoch),
sardin. logudor. kendhura = cena pura, agls. isl. föstudagr »Fasttag'.
— Alb. pr f. inte, ob : mbreme , Abend' im Sinne von , Vorabend', , Feier-
abend', wie im rabbinischen Sprachgebrauch und bei den christlichen
Syrern der Freitag als Tag vor dem Sabbat bezeichnet wird? —
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Woche - Wolf.
965
Dunkel : alid. pherintac. — Zum Unglückstag ist der Freitag als Tag
der Passion im westlichen Europa geworden (s. u. Dienstag;.
Sonnabend: Griceh. nu^pcc Kpövou, lat. dies Satumi, ir. sathorn,
sathamn, nikynir. dyw sadtcrn, bret. desadorn, agls. saternesdng,
altfries. mterdei, westphäl. süterdag. — Oriech. adßßaxov aus hcbr.
«abbat, lat. dies sabbati (it. sabbato, sp. ptg. Habado, rnm. sämbfltil,
frz. samedi, weitere Formen mit m bei Meyer-Lübke a. a. 0. S. 192),
got. sabbatö dags, ahd. sambaztag, altsl. sabota, lit. mhatä, altpr. saba
tico, alb. htunr (doch vgl. A. Tliumb a. a. 0. S. 174). Die nasa-
lierten Formen scheinen in den Orient zu fuhren, wo bei den christ-
lichen Abessyniern sambata und upers. xamba (Xüldckc a. a. O. 8. 1(53)
begegnen. Über abend in nhd. Sonnabend vgl. Kluge S. 97 und Gunder-
mann S. 184 (s. auch u. Freitag). — Vgl. noch altn. laugadagr und
piättdagr ,Badetag'.
S. u. Monat und Zeitteilung.
Wohngrube«, s. Unterirdische Wohnungen.
Wohnsitze der Indogerniaiien, s. Urheimat der Idg.
Wohnung, s. Haus und Unterirdische Wohnungen.
Wohnungseinrichtung, s. Hausrat.
Wolf. Der idg. Name des Tieres ist sert. vi-ka-, aw. vehrka-,
armen, gail, griech. Aüko<;, lat. lupus, got. iculfs, alb. ulk, altsl. vlükü,
lit. icilkas, altpr. wilkis. Die Zugehörigkeit des griech. Xuxoq und
lat. lupus ist nicht ganz sicher. Kine schon idg. Femininbildung ist
sert. tvki = altn. ylgr. Abweichend benennen die keltischen Sprachen
das Tier: ir. cü allaid, eigcntl. , wilder Hund', kymr. Med, bleid, körn.
Weit, bret. bled, ir. bled, *bledo- ( = lat. belhia aus beldua'S), also
eigentl. , Ungetüm', daher auch , Walfisch' und ,Hirsch'. Vgl. noch sab.
hirpus, irpus (s. u.) und altn. vargr, eigentl. ,der Cbeltbäter' (s. u.
Strafe). — Wie kein zweites Raubtier ist der Wolf mit der Sagen-
und Anschaunngswelt der Indogerniaiien verwachsen. Schon in der
Urzeit müssen häufig Personennamen mit seiner idg. Benennung ge-
bildet worden sein, vermutlich um dem betreffenden Menschen gleich
bei seiner Geburt die Eigenschaften des Tieres anzuwüuschcn. Vgl.
sert. Yrkakarman, Yrkabandhu, Yrka, griech. AuKÖopxoq, Auk6<ppujv,
Aükos, serb. Vukovoj, \'uk, ahd. Wolfarn, Wolfbado, Wolfo u. s. w.
Wölfe (d. h. wohl ursprünglich so genannte Menschen) werden wieder-
holt als Führer idg. Scharen zu neuen Wohnsitzen genannt. Vgl.
Festus Pauli ed. C. 0. Müller S. 106: Jrpini appellati lupi, quem
irpum dicunt Samnites; eum enim ducem secuti agros occupavere
und Paul. Diaconus Hist. Langel). IV, 39: Ei lupus adeenien* comes
itineris ei duetor effectus est. Eine Wölfin säugt die ausgesetzten
Gründer Roms, Romulus und Rcmus, wie ähnliches von Hündinnen
und Bärinnen erzählt wird (s. n. Hund und u. Wolf;. In ganz
Europa, besonders aber bei Germanen und Slaven, ist die Vorstellung
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Wolf — Worfeln, Worfschaufel.
verbreitet, dass Menschen durch das Anlegen von Wolfsgcwändcru
sich in das Raubtier selbst verwandeln können, die finstere und Sagen-
reiche Gestalt des Werwolfes: ahd. (als Eigenname) Weriicolf, agls.
tcerewulf (mlat. guerulfus; nach neuerer Deutung: got. waxjan ,kleiden',
, Kleiderwolf', vgl. westphäl. etc. büksemcolf »Hoseuwolf), altn. vargulf,
gemeinsl. altsl. vliikodlakü u. s. w. (angeblich »Wolfspelz' : serb. dlaka,
altceeh. tlak , Haare; doch bezeichnet Miklosich Et. W. S. 300 -dlakü
als dunkel), das in die ganze Balkanhalbinsel (ngriech. ßoupKÖXaKac,
ßpouKÖXatca^, alb. vurvoldk, rum. tdreolac) eingedrungen ist. Die erste
Kunde der ganzen Erscheinung giebt aus hohem Norden Herodot IV, 105:
XtYOVTai fap ott6 Zku8&uv Kai 'EXXhvujv tujv iv ttj ZKu9iKr) tcaTOiKT|-
uevuuv \hq Iteo? ^KäöTOu &tto£ twv Ncupuiv ^Kaöro? Xoko^ y»v€tcu nu^pas
öXrras Ka\ aütiq ömerw tujutö KorriffTctTat.
Wolle. Ihre idg. Benennung liegt in der Reihe seit, ü'rnü, lat.
cellus, lit. wilna, altel. vlüna, got. ttulla, kymr. gulan, armen, gelman.
Vielleicht gehören auch griech. Xävoq und lat. Idna hierher. Griech.
Ipiov ist zu £pi-<po-q (s. u. Schaf; zu stellen, über die älteste Art,
die Wolle zu gewinnen, s. u. Schaf, über ihre Verwendung zu Kleidern
und ihr Verhältnis dem Flachs gegenübeu s. u. Kleidung, Weben,
Gewebestoffe.
Worfeln, Worfschaufel. Um das gedroschene Getreide von der
Spreu zu sondern, wird dasselbe bei massigem Wind mit einem dazu
geeigneten Werkzeug (der Worf sc Ii auf cl) in die Luft geworfen, wo-
durch die schwereren von den leichteren Bestandteilen sich sondern.
Vgl. schon Homer 11. V, 499 ff.:
um; ö' <5v€mo£ äxva? «pope'ct icpdq kot' d\wd?
dvbpwv Xikmuüvtujv, ötc tc Eav8r) Arjunrrip
KplVIJ fcTT€lY0U^VU)V dV€|UU)V KCtpTTOV T6 KOI <5xvaS '
cd b" UTToXeuKaivovTai äxupmai.
Die Worfscbaufel war damals, wie Od. XI, 127 ff., XXIII, 27ö zeigt,
ein ruderäh n liebes Werkzeug.
Eine solche Thätigkeit muss nun auch schon zur Zeit des ältesten
europäischen Ackerbaus ausgeübt worden sein, wie die Gleichungen
griech. vekXov • tö Xikvov Hcs. — lit. nekdju (Htekoju) schwinge Ge-
treide in einer Mulde' (womit Zupitza Gutturale S. 97 auch kymr. nithio,
biet, niza »Futterschwingc', , worfeln' vereinigen möchte) und griech.
Xikuö?, Xikvov = lett. Ukaha »Worfscbaufel' zeigen. Nach J. Schmidt
Sonanteuth. S. 108 1 würde aber nur die letztere Reihe die mit der Worf-
scbaufel vorgenommene Reinigung des Getreides ausdrucken, während
die erstcre auf das Schütteln der Körner in einem Hachen Korbe ginge.
Vgl. noch griech. tttüov, tttc'ov »Worfschaufel' : aiid. fatejan »Getreide
reinigen' (seit, pu »reinigen ). Endlich scheint auch ahd. icantut »Gc-
treideschwinge' nicht auf Entlehnung aus, sondern auf Urverwandt-
schaft mit lat. caunus, Grundform *tant no zu beruhen, die in Ver-
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Worfel, Worfeihaufel - Zahlen. 967
bindung zu bringen ist mit got. tcinpjan, dmcinpjan ,Xncuäv' und lat.
ventilare, ventilabrum : tentus (vgl. Noreen Abriss d. urgerm. Laut!.
S. 173). Vgl. nocb ah<L winda ,ventilabrum', tcintdn ,vcntilare' : tcint
und lit. icetan, wetyti , worfeln', serb. vijati : altsl. vejati ,wehen',
lit. wejas .Wind' etc. Got. winpi-skaürö ,Worfsebaufel\ — S. n.
Ackerbau und u. Werkzeuge.
Wort, s. Dichtung.
Wucher, s. Schulden.
Wunde, s. Krankheit.
Wtindenbehandlimg, s. Arzt.
Würfel, s. Spiel.
Wurfspeer, s. Spiels.
Wurm, s. Schlange.
z.
Zahlen. Schon in der idg. Grundsprache war ein dezimales
Zahlensystem bis Tausend ausgebildet (vgl. K. Brugmann Gruudriss
II, 2, 1 S. 463 ff.). Auch für die letztere Zahl bestehen zwei urver-
wandte, allerdings geographisch nicht weit verbreitete Gleichungen in
sert. m-hdftra-, aw. ha-zawra- = lesb. xlXXiot, dor. xnX»o»> >0"' X^iXioi
und got. pürnindi = altsl. tysqsta, altpr. tüttimtons, lit. tükxtantis. Die
Grundbedeutung der germanisch-litu-slavischen Wörter ist soviel wie
,Vielhundertheit' (vgl. sert. tavds- ,stark, Stärke', *tüs- und das idg.
Wort für Hundert, got. hund etc.). Ir. müe ist wahrscheinlich (wie
armen, hazar aus dem Iranischen) aus dem lat. mille entlehnt, das
selbst noch nicht sicher erklärt ist (: griech. utipioi ,unzahlige', /zehn-
tausend'?, während I. F. X, 217 sogar an die Möglichkeit einer Ver-
bindung mit griech. x»Xioi gedacht wird).
Natürlich ist die Ausbildung dieses idg. Zehnersystems auch erst der
Abschluss einer jahrtausendelangen, in vorindogerinaiiische Zeit fallen-
den Entwicklung, auf deren einzelne Phasen die sprachliche Analyse
der idg. Grundzahlen vielleicht noch einiges Licht fallen lässt. So
ist es merkwürdig, dass das Zahlwort für 8: sert. auhfdti, ashfd',
griech. öktuü, lat. oetö, got. ahtdu eine deutliche Dualbildung (,2 Vierer')
darstellt und so den Blick in eine Zeit zu eröffnen scheint, in der die
Grundzahlen nur innerhalb einer Tetrade (1 — 4) sprachlich ausgebildet
waren. Die sert. ndca, lat. nocem, got. niun als ,nene Zahl' (vgl.
sert. ndca-, lat. novus, got. niujis .neu ) anfgefasst, würde dann einen
weiteren Schritt in der Entwicklung des zu einer gewissen Zeit viel-
leicht mit der Doppeltetrade (8) abgeschlossenen Zahlsysteius bezeichnen.
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Zahlen.
Seinen Abschluss und eigentlichen Charakter aber erhielt dasselbe durch
die in den Mittelpunkt der Zählung tretende Berücksichtigung der
Iland mit ihren fünf oder der beiden Hunde mit ihren zehn Fingern.
Einerseits scheint das idg. Wort für 5: sert. pdilca, griech. tt£vt€, lat.
quinque, got. fimf (idg. *penqe) der gemeingerm. Bezeichnung des
Fingers, got. ftggrs etc., zu entsprechen (vgl. auch sert. paiikti-, altn. fimt,
altsl. pqtl jFünfheit' : ahd. füxt, altsl. pesti .Faust'; auch lit. kiimste,
altpr. kuntis , Faust', vgl. Brugmann Grundriss I*, 1,410), andererseits
dürften sowohl das idg. Wort für 10: sert. ddqa, griech. b€ica, lat.
decem, got. taihnn, (sert. deu-dt-, griech. bimq, altsl. dex^ti, lit. de-
azimtw, eigentl. ,Zehnheit') wie auch das für 100: sert. catdm, griech.
£-kot6v, lat. centum, got. hund (idg. Hmto m aus *dkrrtt-, also eigentl.
,Zehnheit', sc. von Zehnern) in letzter Instanz auf ein uraltes *(d)kmt-f
*dkomt- in der Bedeutung ,Hand' = got. handus (lautlich am genaue-
sten entsprechend : griech. -Kovxa in Trcvrrj-KOVTCt öO, d. h. f> Zehner oder
5 Paare von Händen) zurückgehn ( vgl. Zupitza Gutturale S. 183). Dass
im übrigen aus dieser schon in voridg. Zeit zur Herrschaft gelangten
dezimalen Zähliucthode nach Fingern und Händen keine Schlüsse auf
eine höhere geistige Beanlagung der idg. Völker gezogen werden dürfen,
geht aus dem Umstand hervor, dass auch gänzlich unkultivierte Völker-
stämnic (vgl. darrtber F. A. Pott Die quinarc und vigesiinale Zähl-
methode bei Völkern aller Weltteile Halle 1847 S. 104 ff.) sich streng
dezimaler Zählweise bedienen.
Diese dezimale Zählmethode liegt nun bei keinem der idg. Völker
Europas in völliger Reinheit mehr vor, vielmehr wird sie, hier mehr,
dort weniger, durch zwei andere Zählweisen, eine vigcsimale und
eine duodczimalc, durchbrochen.
Die erstere lässt sich, abgeselm von Spuren im Dänischen 'tresind-
styve ,60' = 3X 20, firesindstiive .80" = 4 X 20) und Albanesischen
(dä-zet ,40', tre-zet ,00', katerzit ,80' : zet ,20'), vor allem auf dem
keltischen Sprachgebiet, und zwar ebenso im kymrischcn wie im
gaelischen Zweige (ir. da fichit ,40' = 2X20, tri fichit ,60' = 3x20)
desselben nachweisen, wodurch auch gewisse Zahlen des Französischen
{quatre-vingts ,80' = 4X20) offenbar beeinflusst worden sind. Da
nun eine solche Rechnung nach Zwanzigern sonst im Indogermanischen
fremd ist, wohl «aber im Baskischen (vgl. Pott a. a. 0. S. 08) der
Bildung der Zehner zu Grunde liegt, so hat mau vermutet, dass im
Keltischen und sonst Einflüsse nicht- oder vorindogermanischer Sprachen
und Zählweiscn vorliegen möchten. Doch bleibt zu bedenken, dass,
wie im Deutschen die Zählung nach „Stiegen", ,20 Stück' (krimgot.
stega), im Englischen nach score ,20', eigentl. .Kerbe' zeigt, die ein-
zelnen Sprachen wohl auch unabhängig von einander zu derartigen
vigesimalen Zählungen gelangen konnten.
In jeder Hinsicht bedeutsamer zeigt sieh die Durchkreuzung des alt-
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Zahlen.
indogermanischen Zehnersystems durch eine d u o d e z i m a 1 e , bezüg-
lich s e x a g e s i in a 1 e Rechnungsweise. In allen europäischen Spra-
chen mit Ausnahme des Litu-Slavischcn begegnet die überraschende
Erscheinung, dass die Zehner bis ,60' (einschliesslich) nach einem an-
deren Prinzip gebildet sind als von ,00' ab. Im Griechischen, Kelti-
schen und wahrscheinlich auch im Lateinischen geschieht dies dadurch,
dass bis zu dem Abschnitt bei ,60' die Kardinalzahlen, von da ab die
Ordinalzahlen verwendet werden (vgl. griech. 7T€VTnKOVTa, ££r|K0VTa :
£ßbour|KOVTct, ÖYOor|KOVTa, ir. cöica, sesca : .sechtmoga, ochtmoga, lat.
quinqudginta, sexdginta : septudginta aus *septumdginta, oetöginta,
octudginta, nondginta), im Germanischen dadurch, dass von 70 ab ein
anderer Ausdruck für die Zehner als vorher eintritt (vgl. got. fimftiqjm,
mthxtigjuH : sibttntehund, ahtdutehund). Auf dein letzteren Sprach-
gebiet wird auch bei den Zahlen 10 — 20 nach der 12 dadurch ein
Einschnitt herbeigeführt, dass den Zahlen 11 und 12, got. aiulif, ttcalif,
eine ganz andere Bildung wie den folgenden (fidtcörtaihun, ßmftaihun)
zu Grunde liegt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das -lif von ain-,
twalif, dessen eigentliche Bedeutung noch nicht feststeht, etymologisch
dein lit. -lika in tcienii-lika ,11' etc. entspricht, mit dem aber hier
alle Zahlen von 11 — 19 gebildet sind.
Wie in der Zahlen b i 1 d u n g, so zeigen sich auch in dem Zahlen-
ge brau eh überall die unverkennbaren Spuren duodezimaler oder
sexagesimaler Zahlungsart. Schon in der I 1 i a s treten uns bei zahl-
reichen Zählungen die Zahlen 60 und 12 (statt f>0 und 10) bedeutsam
entgegen: mit je 60 Schiffen sind Menelaos und die Arkader zu Felde
gezogen, je 12 Schiffe führen Aiax und Odysseus, je 12 Mann die
♦Schiffe der Böoter (vgl. II. Hirt Vom Zählen und den Zahlen in Nord und
Süd LXXXVII B., 261 II. S. 372 ff.). Bekannt sind ferner die 360
Schweine des Eumäus (Od. XIV, 13 ff.). Im ältesten K o in erscheinen
6 Geier dem Remus, 12 dem Romulns, sexcenti und sexdginta sind
im Lateinischen runde Zahlen (vgl. WMfflins Archiv IX, 177 ff.). Bei
den Ger m a n e n hat der Stamm *hund- ganz überwiegend die Be-
deutung des G r o s s Ii u n d c r t (120 = 2 X 60 oder 12 X 10) ange-
nommen, während das dezimale Hundert durch besondere Ausdrücke
(got. taihuntrhund, altn. tiutiu, agls. hundteontig, ahd. zehatizue) be-
zeichnet wird. Ein eigentlicher Ausdruck für das Grosshundert liegt
in dein tualepti der Lex Saliea = altn. tylpt ,Zwölfheit' vor, im Alt-
nordischen unterscheidet man zwischen tölfreett hundrad = 120 und
tirdett hundrad = 100, Ulfilas übersetzt das griechische TT€VTaKOO*ioi?
db€\<pot? mit fimfhundam taihuntewjam bröpre, d. h. mit T>00 Brüdern
in dezimaler Zählung (ohne taihuntticjam wären es 5X120 - 600)
«. s. w. (vgl. F. Kluge in Pauls Grundriss I *, 490).
Fragt man nach der Herkunft dieser innerhalb des idg. Dezimal-
systems fremdartigen Erscheinung, so herrscht allgemeine Cbercinstim-
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970
Zahlen.
mung wohl darüber, dass mau es im Süden wie im Norden unseres
Erdteils mit frühzeitigen direkteu oder indirekten Einflüssen des alt-
babylonischen Rechensystems zu thun hat, das auf der Zahl ,60', dem
oüaaoq oder Schock, als Ausgangs- und Mittelpunkt beruhte. Näheres
hierüber ist U.Zeitteilung gesagt worden, in der die eigentliche Be-
deutung der Zahl ,60' wurzelt. Nur darüber gehen die Meinungeft
auseinander, wann und wo die europäischen Völker zuerst in den
Bereich dieses altbabylonischen Rechnungssystems eingetreten sind.
J. Schmidt, der in seiner Schrift Die Urheimat der Indogermanen und
das europäische Zahlsystem (Berlin 1890) die ganze Frage am ein-
gehendsten behandelt hat, äussert sich darüber mit grosser Zurück-
haltung: „Unbeantwortet bleibt auch die Frage, ob alle Europäer ge-
meinsam diese Einwirkung erlitten haben, oder ob mehrere zeitlich
und örtlich verschiedene Stösse erfolgt sind. Im Wechsel zwischen
Kardinalzahl und Ordinalzahl, zwischen cEnKOVTa, se.ragitita, air. ftesca
und dßbOMHKOVTa, *septumaginta, air. sechtmoga, stimmen die südeuro-
päischen Sprachen, jedesfalls das Griechische und Keltische, so voll-
kommen ttberein, dass wir ihn nur einem gemeinsamen* Anstosse zu-
schreiben dürfen." An dieser Bilduugsweise der Zehner könnten einst-
mals auch die Germanen, ja selbst die Litauer und Slaven teil gehabt
haben. „Andererseits", fährt J. Schmidt fort, „ist bei der thatsüch-
lichen Verschiedenheit der germanischen Zählweise (s. o.) von der süd-
europüischen ebensowohl möglich, dass die Germanen und Litauer,
deren Verbindung zu dieser Zeit durch die Gleichheit des got. -Hf
und des lit. -lika bezeugt wird, schon ausser allem Zusammenhange
mit den Südeuropäern waren, als sie den babylonischen Eiuthiss er-
fuhren, dieser also an zwei verschiedeneu Orten und zu verschiedenen
Zeiten auf nachmals europäische Völker gewirkt hat" (S. o2 f.). Nur
das sei ausgeschlossen (S. f>0), dass die Germanen, bei denen die 60
so tief eingegriffen habe wie nirgendwo sonst auf indogermanischem
Gebiete, den Anstoss hierzu erst in ihren historischen Sitzen
westlich der Weichsel durch Vermittlung der Südeuropfier erhalten
hätten. Bedenkt man jedoch, dass gerade hier eine der bedeutsamsten
Ausstrahlungen altbabylonischer Kultur, die Bekanntschaft mit der
Bronze (s. u. Erz), die Germanen erreichte, so wird auch die Mög-
lichkeit, dass die Germanen erst in ihren Stammsitzen, wenn auch in
sehr früher Zeit, gewisse Züge der althabylonischen Sexagesimaliech-
nung ihrem ursprünglichen Dezimalsystem einverleibten, als nicht völlig
ausgeschlossen ange>ehn werden müssen (s. auch u. Urheimat..).
Die weitgehende Durchkreuzung des altindogcrmanischen Dezimal-
systems durch eine von Aussen entlehnte duodezimale Rechnungsweise
wurde vielleicht dadurch gefördert, dass schon in der idg. Urzeit zwei
in diese letztere sieh fügende Zahlen, die ,3' und die ,9', eine beson-
dere Hedetitnng erlangt hatten. Vor allem tritt ihre Heiligkeit in den
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Zahlen — Zange.
971
Fristbestimmungen des Totendienstes (s. u. Ahnenkultus) hervor und
beruht wahrscheinlich auf dem u. Erbschaft und Vorfahren erörterten
Gedanken eines Dreiahnenkreises, d.h. der Vorstellung, dass jeder
einzelne seinen nächsten drei Ahnen gegeuüber zu einem besonderen
Kult verpflichtet sei, und die von diesen drei Ahnen abstammenden
Personen einen engeren verwandtschaftlichen Verband bildeten. Alles
nähere hierüber vgl. bei A. Kaegi Die Neunzahl bei den Ostariern
(Piniol. Abb. f. H. Schweizer-Sidler), dazu K. Weinhold Die mystische
Neunzahl bei den Deutschen (Abh. d. kgl. Ak. d. W. zu Berlin 1897).
Über die für die Zeiteinteilung bedeutungsvoll gewordene Zahl ,7' s.
u. Woche.
Für den Begriff der Zahl selbst liegt eine urverwandte Bezeichnung
in der Reihe griech. d-pi-0|uö<; »Zahl', vn.-pi-TO-<; »unzählbar', ir. comai-
rem gl. computatio, dorimu ,enumero', kymr. rhif ,numerus', agls.
W-m ,Zahr, alts. un-rim .Unzahl' vor, deren Grundbedeutung, wie
ahd. rf-ro , Reihe, Reihenfolge, Zahl' zeigt, , Aufzählung', ,Reihe' war.
Dieselbe Vorstellung liegt dem lit. gkaityti {skaitlius ,Zahl') = altsl.
cisti, citati (dinlo »Zahl) ,zählen', auch .lesen' (s. u. Schreiben und
Lesen) zu Grunde, und wird auch in altpr. girbin ,Zahl' = altsl.
zrebijl ,Los' (vgl. lat. sorg : serere) anzuerkennen sein. Auch das Ver-
hältnis von got. rapjö ,äpi9uöV und ^oyo?' (= ahd. redia, reda
Rechenschaft, Rede' etc.) wird auf Urverwandtschaft mit lat. ratio
»Rechenschaft, Rede, Zahl* beruhen, da die Annahme der Entlehnung
namentlich durch das neben rapjö liegende got. garapjan ,dpi6,ueTv'
und *rap- ,Zahl' in altn. hundrad ,100* (s. o.) erschwert wird. Noch
ganz unaufgeklärt ist ahd. zala ,Zahl' (= agls. talu »Sprache, Erzäh-
lung'). Ist vielleicht zala zu altsl. dolnl, lit. dÜna zu stellen und
bedeutete ursprünglich, wie diese, ,tlaolie Hand', so dass ahd. zal/m
etwa soviel wie griech. ireuTrctZeiv wäre, das ursprünglich (: newe,
7T€UTre) das Zählen an den 5 Fingern, dann (schon bei Homer) das
Zählen überhaupt bezeichnete? Semasiologisch undeutlich ist die Be-
ziehung von lat. numerus ,Zahl' zu griech. vduos, lat. nummua (s. u.
Geld). Sert. samkhyä' ,Zahl' (: khyä'ti ,er schaut'), eigcntl. wohl ,Zu-
saramensebauung'» »Zusammenreehnung'. später ganayati .er zählt', ga-
nita- »Rechnung-, »Arithmetik' von gami- »Schar'. — Über die Ge-
schichte der Zahlzeichen vgl. G. Gundermann Die Zahlzeichen
Programm Gicsscn 1899.
Zähne als Schmuck, s. S e h m u c k.
Zange. Dieser Gegenstand fehlt der europäischen Steinzeit. Erst
mit der Bronze begegnen kleine zangenartige Werkzeuge, die die Ur-
geschiclitsfoi scher indessen mit Recht nur als Pincctten bezeichnen
(vgl. darüber z. B. Xaue Die Bronzezeit in Ober - Bayern S. 118 f.).
Eigentliche eiserne Zangen treten im mittleren und nördlichen
Europa erst mit der Hallstatt- und La Tene-Epoche auf.
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972
Zange - Zauber und Aberglaube.
Die Namen der Z a n g c iu deu idg. Sprachen zeigen keiue Spur
vorhistorischer Verwandtschaft. Indessen stimmt ihre Terminologie im
Gegensat/ zu der noch später in Europa erscheinender Kulturobjekte
wie z. B. der Schere (s. d.) wenigstens innerhalb der einzelnen
Sprachzweige, wie dem germanischen und slavischen, überein. Griccb.
(hom.) TTUpdrfpn. < ,Feucrfasscriu), lat. forceps (s. u. Schere), ir. ten-
chor : ten , Feuer', gemeiugerm. ahd. zanga, agls. tonge, altn. töng
(:scrt. dang ,bcissen', vgl. frz. mordache ,Zange' aus lat. morda.r),
gemeinst, altsl. klesta, altpr. raple* = lit. re~ples {beide dunkel). —
S. u. W e r k z c u g e.
Zauber und Aberglaube. Die ungeheure und verschiedenartige
Masse der unter diesen Bezeichnungen znsammengefassten Vorstellungen
und Gebräuche kann man nur dann richtig verstehen, wenn es gelingt,
das Verhältnis von Aberglaube und Zauberei zu den nahe verwandten
Begriffen des Glaubens und des Kultus festzustellen. In dieser Be-
ziehung sagt vom altindischen Standpunkt Oldeuberg Die Religion des
Vcda S. 470 f. folgendes: „Kein Zweifel, dass lange ehe man erhabene,
das Gute und Rechte schützende Götter zu verehren angefangen hatte,
man schädliche Geister durch Wasser und Feuer, durch Lärm und
Schläge von sich fern hielt, den Feind vernichtete durch Vernichtung
seiues Bildes oder seiner abgeschnittenen Haare, Regen herbeizanberte
durch Herstellung eines Abbildes vou Regen und Wasserreichtum. Auf
den niedrigsten Kulturstufen ist begreiflicher Weise der Kultus des
Opfers und der Anbetung — soweit er schon vorhanden ist — mit
dem Betrieb der Zauberei auf das engste und festeste verbunden; der
Priester ist zugleich Zauberer; ja er ist mehr dieses als jenes. Aber
der spätere Verlauf der Dinge inuss zwei Sphären auseinander ziehen,
von welchen die eine, in der Bahn mächtiger geschichtlicher Strö-
mungen sich bewegend, durch die fortschreitende Gcdankcuentwick-
lung und nicht am wenigsten durch die Ethisierung des religiösen
Wesens immer höher emporgehoben wird, die andre unbeweglich ver-
harrend sich mit dem Charakter der Unkultur uud Zurückgebliebcnbeit
bekleidet. Ist diese Trennung von Kultus und Zauberei, man kann
annähernd auch sagen, von Glauben und „Aberglauben", schon in der
vedisehen Zeit vorhanden?", eine Frage, die verneint wird, indem 0.
zeigt, wie das vedische Opferritual „von Anfang bis Ende von Zauber-
gebräuchen durchsetzt ist". Dazu vgl. J. Grimm Deutsche Mytho-
logie II3, 983 ff. vom germanischen Standpunkt aus: „Wunder geht
mit rechten Dingen, Zauber mit unrechten zu, jenes ist geheuer, dieses
ungeheuer. Unmittelbar aus den heiligsten, das gesamte Wissen des
Heidentums in sich begreifenden Geschäften, Gottesdienst und Dicht-
kunst, muss zugleich aller Zauberei Ursprung geleitet werden
So bei allen Völkern, auch bei unsern Vorfahren: neben dem Götter-
kultus Übungen finstrer Zauberei, als Ausnahme, nicht als Gegensatz.
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Zauber und Aberglaube.
973
Die alten Deutschen kannten Zauber und Zauberer, und auf dieser
Grundlage ruhen zuerst alle nachher entsprungenen Vorstellungen.
Schürfen und verwickeln musste sich aber die Ansicht, seit nach Ein-
führung des Christentums alle Begriffe und Bräuche der Heiden für
Trug und sündhaftes Blendwerk erklärt wurden." Vgl. ferner E. Riesa
in Pauly-Wissowas Realencyklopädie I, 30 für Griechen und Römer:
„Aberglaube, von den Griechen gefasst als beiaibauiovia, d. h. als die
Furcht vor höheren Wesen, Geistern oder Göttern. Die Römer brauchen
dafür mperstitio, gewöhnlich erklärt als „Übcrscbuss" über den Glauben
des Volkes, richtiger als „Überbleibsel" (von superstex). In Wahrheit
berücksichtigen beide Namen nur je eine Seite des Aberglaubens,
dessen volle Definition erst durch beide zusammen ausgedrückt werden
kanu. Aberglaube ist die aus dem Gebiet lebendigen religiösen Be-
wusstseins herabgesunkene und gewissermassen erstarrte Vorstellung
vom Übersinnlichen und seine KnltUbung (im Zauber). u
So ergiebt sich demnach allseitige Übereinstimmung darüber, dass
Zauber und Aberglaube schon auf dem Bodeu der alten heidnischen
Religionen wucherten, ja dass diese mit jenen einem gemeinsamen
Stamme entsprossen sind, der der Zauberei ähnlicher als dem Kultus
war. So innig durchdringen sich die beiden in der ältesten Zeit, dass
eine reinliche Scheidung der in das eine oder andere Gebiet gehörigen
Handlungen nicht möglich ist. Gleichwohl dürfte als ein wichtiges
Kriterium hierfür in zahlreichen Fällen die Art der Einwirkung auf
das Überirdische anzuerkennen sein: Zauberei sucht mehr direkt, der
Kultus mehr indirekt auf das Übersinnliche Einfluss zu gewinnen. Wenn
jemand am Morgen ein Feuer entzündet, um dadurch die Gehurt der
neuen Sonne zu erleichtern , wenn er einen Krankheitsdämon mit
einem Spruch zu vertreiben versucht, oder wenn er einen Fluch im
Falle des Meineids auf sich herabschwört, so begeht er in allen diesen
Fällen Akte der Zauberei, wenn er sich aber mit Opfern und Gebeten
an die Götter wendet, um dadurch einen Einfluss auf ihren im übrigen
freien Willen zu erlangen, damit sie die Sonne scheinen lassen oder
ihn gesund machen oder ihn bestrafen, weun er falsch geschworen
haben sollte, so sind derartige Handlungen als kultliche oder reli-
giöse zu bezeichnen.
Was das i d g. U r v o 1 k betrifft, so ist u. Opfer gezeigt worden,
dass bereits damals die „Himmlischen" (*deicos}, wahrscheinlich nach
der Analogie des Totendienstes, mit Speise und Trank gestärkt wurden,
damit sie kräftige und willfährige Freunde des Menschen würden, so
dass man also schon für die idg. Urzeit von einem gewissen religiösen
Kultus reden kann. Dieser erstickt aber fast noch unter einer grossen
Zahl zauberischer oder vorwiegend zauberischer Handlungen,
wofür es genügt, auf die Artikel Dichtkunst, Arzt, Hebamme,
Eid, Gottesurteil, Los, Orakel, Priester, Tempel, Schreiben
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974
Zauber und Aberglaube.
und Lesen zu verweisen. S. auch u. Fasten, Keuschheit, Bad,
Reinheit und Unreinheit, Schmuck fAraulet) u. a. Auch an
idg. Gleichungen fllr zauberische Begriffe fehlt es nicht. Eine idg.
Bezeichnung für den Zauberspruch liegt in sert. brdhman — lat. fldmen
(näheres s. u. Priester) vor. Auf einen idg. Ausdruck namentlich
für den Divinationszauber weist griech. olxoq — lit. #aita#. altn. seibr,
inkymr. hut etc. (näheres s. u. Orakel) hin. Auch in den Sprach-
reihen: sert krtyä' , Handlung' — ,Behexung, Zauber', ,Hexe', lit. keras
, Zauber' (vgl. A. Leskien Bildung der Nomina S. 162). kereti Jemanden
durch einen bösen Blick etc. bezaubern', altsl. carü »Zauber' : sert.
krnöti ,cr macht' (vgl. Osthoff Allerhand Zauber etymologisch be-
leuchtet, B. B. XXIV, 109; s. auch u.) und griech. <pdpuaicov ,Zauber-
mittel', lit. buriü, bürti ,zaubern' etc. (vgl. Osthoff a. a. 0. S. 149),
womit auch der von Lasicius (s. u. Orakel) genannte Name litauischer
Losdeuter, Burti, zu verbinden ist, dürfte indogermanisches Sprachgut
enthalten.
Indem in sachlicher Beziehung auf das reiche von Ohlenberg,
J. Grimm (vgl. dazu auch Golther Handbuch der germ. Mythologie
S. 641 ff.) und Riess beigebrachte Material verwiesen wird, soll hier
noch die Terminologie des Zauberns in den Einzelsprachen
nach begrifflichen Kategorien geordnet zusammengestellt werden.
Wie schon die eben angeführte Reihe von sert. krtyä' , Hexerei' :
kar »machen ' zeigt, gehen Ausdrücke für ,zaubern' häufig aus solchen
für ,m achc ir , ,t h u e n' hervor, wobei weniger mit .1. Grimm an ein
„verkehrtes" als vielmehr an ein „Thuen kot' Öoxnv11, ein feierliches
Thun zu denken sein dürfte. Hierher gehören aus dem Altnordischen
görningar ,sorcerics, witchcraft', eigentlich ,a doing, deed, act' : göra,
ahd. garaicen ,thuu, bereiten', aus dem Altslovenischen po-tvorü ,Zauber'
: tvoriti ,thun', eigentl. ,Anthuung\ aus dem Romanischen die weit
verzweigte Sippe von mlat. factum ,sortilcgium', it. fatturaf altfrz.
faiture , Hexerei, Zauberei", mlat. facturari ,fasciuari', it. fatturare
altfrz. faiturUr , Zauberer', ferner die Ableitungen von lat. facticiux :
sp. hechizo , Zauber, Zaubermittel, Amulet, Götze' (Grimm S. 984,
Osthoff S. 1 1 1 ). Es ist bezeichnend für das enge Verhältnis von Zauber
und Kultus, dass auch das Opfer als ein Thuen schlechthin bezeichnet
werden kann (s. u. Opfer und vgl. J. Grimm I3, 36**). Hierher
gehört es auch, wenn die Sippe von agls. wicca ,Zauberer', tekee
,saga. incantatrix, venefiea', agls. wiccian ,zaubern', tclgol ,divinatorin8,
tciglian .wahrsagen' u. s. w. mit Recht von Osthoff (S. 184) zu ahd.
irihen ,wcihen" (vgl. lat. rictima ,Opferticr') gestellt wird.
Am weitaus häutigsten aber ist ,zaubern' soviel wie »besprechen',
wobei die betreffenden Ausdrücke entweder bei der Bezeichnung des
lediglich durch Besprechung, Gesang, Sprache überhaupt ausgeübten
Zaubers stehen bleiben oder zur Benennung des Zaubers im a 1 1 g e -
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Zauber und Aberglaube.
975
meinen sieh entwickeln können: Griech. ^rciubos , Zauberer', £mpbri
Zauberformel' : dir^buj ,ich singe dazu', ßcto"Kmvuj ,ich beschrcie, behexe',
ßacTKavta »Behexung', ßaaxäviov ,Mittel gegen Behexung' : ßä£w ,rede,
spreche', tön? »Zauberer', TonTeuw , bezaubere' : fooq ,Geheul, Wehklage'.
Lateinisch: fascinum, fascinare : lat. färi sprechen' oder (nach Ost-
hoff S. 125) aus ßdujtcavov mit Anlehnung an färi Übernommen (be-
achtenswert ausser der Bedeutung , Behexung' die von ,niännlichcs Glied'
als Mittel gegen Behexung; s. dazu Uber lat. mutönium u. Schmuck),
ferner cantio »Zauberformel', cantare, incantare > u. s. w . (Osthoff S. 1 23;,
tarnten (frz. charme ,Zauber), aus mlat. carminare : ahd. carminön etc.
,bezaubern'. Slavisch: *vels-} altsl. vlüsnqti ,balbutire', vlüchvü ,vates',
vlü.sba ,magia', russ. volchvovatl .zaubern', colchitü »Zauberer' (Miklosich
Et. W.), altsl. bajati ,fabulari, incantare, mederi', serb. bajati ,zanbern',
altsl. balija »Zauberer' etc. : griech. q>n.M», lat. färi (s. auch u. Arzt).
Litauisch: icardyti »besprechen, zaubern' : wardatt ,Name', ap~2ade'ti
id. : Kadett ,sagen', faweti ,besprechen', lett. satcit ,zauhern, hexen' :
altsl. zova ,rufe', aw. zacaiti , flucht, verwünscht', armen. n-zov-Jc
,Fluch' etc. (vgl Osthoff S. 177 ff.). Germanisch: ahd. galan, bigalan,
bigalön ,singen, incantare', gahtar »Zaubergesang', galdri, gahtardri
»Zauberer' und ähnlich in allen germanischen Sprachen (s. u. Dicht-
kunst und vgl. Osthoff S. 122 f.). Agls. spUll (vgl. E. Schröder Z. f.
d. A. XXXVII, 251, Kluge Pauls Grundriss Is, 382, Osthoff S. 125f.).
hat erst ganz spät die Bedeutung ,Zauber' angenommen. Im Indischen
«ntsprechend abhi-gdyati »incantat'.
Auf das engste hängt ferner die Zauberei auch sprachlich mit
Pflanzenkunde und Weissagcrci zusammen. Im Lateinischen ist
venificus aus *venenificun der Zauberer und Mischer vou Gift- und
sonstigen Pflanzensäften, eigentlich der , Bereiter von Liebest ränken'
(lat. renenum : lat. Venu*, sert. vänax- »Verlangen, Lust'). Im Grie-
chischen umfasst qpäpfjctKOV (s. o.) die Bedeutungen von Zaubenuittel,
Gift und Arznei. Das davon abgeleitete (papuaKeia giebt das got.
lubjaleisei wieder \ lubja-: altn. lyb , Heilkraut', agls. lyf , Zauber, Gift',
ahd. luppi ,Gift, Zauberei'; s. u. Arzt), im Indischen entsprechend:
O'shddi-, anxhadä-, ganz wie griech. (pdppaKov. Auch als Loswerfer
wird der Zauberer bezeichnet, wie lat. sortilegux mlat. sortiüriujf, frz.
sortier) und ahd. hliozdri zeigen. In denselben Gedankenkreis gehört
ahd. zoubar, das (s. u. Farbstoffe) eigentlich , Mennig' bedeutet, d. h.
die rote Zauberfarbc, mit der die Runen in die Lostäfelehen einge-
tragen wurden. Wie Weissager, Zauberer und Priester schliesslich als
die , Wissenden' bezeichnet werden, darüber s. u. Orakel und Priester.
Ein weiterer hierher gehöriger Fall ist lit. zynys ,Zauberer\ Zynauti
»zaubern' : lit. zinüti , wissen* (vgl. A. Leskien Bildung der Nomina
iz>. 2iM>). Vgl. auch bei Miklosich Et. W. unter vid- : nsl. cescec
»Zauberer-, slovak. testik id. und anderes. Einen merkwürdigen Be-
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Zauber und Aberglaube — Zeitteilung.
deutungsübergang von , Bettler' zu ,Zaubercr' s. u. Reich und arm. —
Mancherlei bleibt dunkel. So griech. (hom.} SeX-fio ,bczanberu', ir.
bricht .Zauberformel', das von Osthoff S. 11 3 ff. zu dein oben mit lat.
/tarnen verglichenen sert. brdhman- gestellt wird {bricht ans *mrktu-
etwa : gemeingerm. agls. mearc, *mrl- »Zeichen*, wie mhd. Hegen Zauber-
formel' aus lat. stignum'i), abd. goukaldri , Zauberer, Taschenspieler',
youggolon .Zauberei treiben' (vgl. J. Grimm II3, 9f»0, F. Klnge Et. W.G
s. v. Gaukler) u. a. — S. u. Religion.
Zaum (Zügel). Eine idg. Gleichung hierfür liegt vielleicht in griech.
fjvia Neutr. PI., dann n f)via, dor. üvia aus *ctv(Tiä — sert. ndsya, naxyü
,dcr dem Zugvieh durch die Nase gezogene Zügel' vor (vgl. Brugmann
Grundriss 1% 1, 421). Hiermit zu verbinden durfte dann auch ir. esi
,Zflgel' sein, das von Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. IG mit lat.
awa .Handhabe' verbunden wird. Vgl. ferner griech. eüXnpa, aüXnpa,
ößXnpa = lat. lörum (*p/Vro- : *rUro ■). Auf Urverwandtschaft scheint
auch die freilich lautlich noch nicht aufgeklärte Gruppe von lit. briz-
giltut, altpr. briMgelan, altsl. brüzda, agls. brigdel, brigdif, ahd. brittil
zu beruhen, zu der möglicher Weise auch lat. frenum gehört (vgl.
Kluge and Lutz English Etymology S. 2X, wo für die germanischen
Wörter an Zusammenhang mit agls. bregdan .ziehen' gedacht wird).
Aus dem Germanischen (*brida-) stammen it. brida, frz. bride, aus
dem Lateinischen (fn'num) ir. srtan, kymr. ffrwyn und alb. />?»*,
aus dem Griechischen (xaXivöq) das spätindische khalina-. Gemein-
germanisch ahd. zoum, altn. taunir und ahd. zugil, altn. tygell, beide
: ahd. ziohan ,ziehen' gehörig, wie russ. povödja PI. : altsl. vedq, lit.
paicäde : icedh ,führe'. Vgl. noch ir. glomar ,Zaum' (: lat. glomm
.Knüiiel?) nnd altpr. nolingo ,Zügel' (: lit. lenkiü, Unkti , biegen",
jlcnkcn V). — Zweifelhaft ist, ob wie beim Fahren (s. u. Wagen), so
auch beim Reiten (s. d.) Zaum und Zügel frühzeitig verwendet
wurden. Auf der Marcus-Säule (z. B. auf Tafel XV und XXXVII)
sind mehrfach Barbarenreiter dargestellt, die sich auf den Hals des
Pferdes vorlegend und mit den Schenkeln sich anklammernd ohne
Sattel nnd Steigbügel, aber auch ohne Zaum und Zügel reiten. Me-
tallene Pferdegebisse treten im Norden Europas mit der Bronze auf
(vgl. das Generalregister d. Z. f. Ethnologie).
Zaun, 8. Mauer.
Zeder, s. Wach holder.
Zeitteilung. Der älteste Zeitmesser der idg. Völker war der
Mond, nach dessen Umlauf natürliche Monate unterschieden wurden.
Eine Eingliederung derselben in den jährlichen Umlauf der Sonne
hatte noch nicht stattgefunden, weshalb es Benennungen der einzelnen
Monate noch nicht gab. Der Monat zertiel nach Neumond und Voll-
mond in zwei Hälften, und es wurde, da der Mond nur des Nachts
sichtbar war, nach Nächten, nicht nach Tagen gerechnet. — An Jahres-
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Zeitteilung.
!>77
zeiten unterschied man ursprünglich nur Winter und Sonnner, da-
neben früh eine kurze Übergangszeit des Frühlings. Ihre Zusammen-
fassung bezeichnete man als eine „Vergangenheit" feetos-); doch war
es bei Zählungen üblicher, nach einzelnen Jahreszeiten, am häufigsten
wohl nach Wintern, zu rechnen.
Im Laufe der Zeit kam, noch in vorgeschichtlichen Zusammenhängen,
besonders aber bei den Eiuzelvölkern, eine Fülle teils weiterer, teils
engerer Zeitbestimmungen auf, die sich später als Benennungen von
Jahreszeiten oder als Monatsnamen oder auch als Benennungen von
Teilen des Tages und der Nacht festsetzten.
Alle exaktere Zeitteilung ist für die Völker Europas vom Orient,
im besonderen von Babylon ausgegangen. Hier hatte man in den
scheinbaren Umlauf der Sonne frühzeitig 12 Mondmouate eingerechnet,
und darnach die Sonnenbahn, deren Aequinoctial- und Solstitialpunkte
man zu erkennen gelernt hatte, in 12 Tierkreis-Bilder zerlegt, die
ihrerseits wieder der ungefähren Zahl der Tage des Monats entsprechend
in 30 Teile geteilt wurden. So war man zu einem Jahr von 12
namentlich beuannten Monaten mit 360 Tagen gekommen, die durch
Schaltvorrichtungen mit dem wirkliehen Umlauf der Sonne in Einklang
gebracht wurden. Hier hatte man als eiu von der Natur gegebenes
Zeitmass den Begriff der Doppelstunde (= J/it der Ekliptik, 1 Tier-
kreisbild) erfasst, und war, indem man diesen Begriff des Vis Volltags
mit dem auf ljli0 des Äquators berechneten Durchmesser der Sonne
in Beziehung setzte, zu der Zahl 60 gekommen, die dem ganzen
Rechnungssystem der Babylonier zu Grunde liegt (s. u. Zahlen). Hier
war man wahrscheinlich auch zuerst als auf eine Unterabteilung des
Monats auf die Unterscheidung siebentägiger, später im Jahre fort-
laufender Wochen verfallen, deren letzter Tag — eine Einrichtung von
ungeheurer sozialer Bedeutung — als Ruhetag gefeiert wurde. — Zu
sehr verschiedenen Zeiten haben diese Erfindungen und Erkenntnisse
ihren Weg uach Europa gefunden, zuerst und teilweise noch in vor-
historischer Zeit das 360tägige Jahr mit seinen 12 nun auch in Europa
zu namentlich benannten Individuen werdenden Monaten, viel später die
7 tägige Woche und die Stunde. — S. näheres u. Jahr, Jahres-
zeiten, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Mond und
Monat, Woche, Tag, Abend, Morgen, Nacht, Stunde.
Aufs engste verknüpft mit der Zeitteilung eines Volkes ist aber
der Begriff der F estc, die es feiert. In den idg. Sprachen wird
dieser letztere meist durch Ausdrücke bezeichnet, welche ursprünglich
ho viel wie geordnete Zeit' oder »geordnete Zeiten' bezeichneten. Ein ein-
leuchtendes Beispiel hierfür ist griech. £opxq, ion. öpxq ,Fcst' = sert. vratd-
,Satzuug, Gottesdienst', aw. urvdta- ,Cbercinkuntt, Gesetz". Inhaltlich ent-
sprechend begegnet im Awesta ydirya ratdvo Jährliche Zeiten', d. h.
jFestc'.und der Stamm ratu- (idg. *retu ) kehrt in ablautender Form imsert.
Schräder Reallezikon. f>2
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97*
Zeitteilung.
rtt't- (idg- *rtu-) .bestimmte Zeit, Regel, Ordnung' wieder. Aber atieh
nach Europa lässt sieh das Wort verfolgen, wenn die zu *ret-, *rt~
gehörige Hochstufe *r£t- in gemeiukelt. *l?to-s tir. lith etc.) ,Fest,
Festtag', vielleicht auch in grieeb. Xei-Touptia, eigentl. *XnT-oup-fia Jeder
öfTentliebc (Fcstcs)-Anfwand' anerkannt werden darf. Nacli E. Windisch
Berichte der kgl. sächs. Ges. d. W. phil.-hist. Kl. imS S. 242 würde
auch w.f'Hl, k\ nir. gicyl, die von den kirchlichen, auf bestimmte Tage
fallenden Festen gebraucht werden, seine Entsprechung in seit, zelä
,Zeit, Zeitpunkt' (kelt. *ceHi i finden. Ebenso fli essen in slavisch godü,
godina (vgl. Miklosich Et. W. s. v. ged), sowie in den germanischen
ahd. zit i inhd. hochztt ; vgl. sei t, mahüvmta-, eigentl. ,grosses Fest',
jXainc einer Sonnenwendfeier' ... und ahd. it mdl ^ollemnis', it inäli
jsolleninitas', agls. i'dmcele (vgl. ahd. it ,iterunr und got. weis) die
Bedeutungen ,geordnete Zeit' und .Fest' in einander. Noch nicht
sieher erklärt ist das gemeingcrni. got. </«//»• ^op-rn.', ahd. tuld
(: griech. 9aXid ,Festschmaus beim Opfer'?, sert. dhrti- ,Festhaltcn'?).
Zu ahd. uoba , Feier' vgl. sert. dpas- , (religiöses) Werk' und lat. opm,
operari ,opfern'. Über lat. feriae, festux s. u. Eine idg. Gleichung
ftlr ,Fcstversammlung' (griech. TTavrprupt?) scheint in sert. mimana-
(vgl. Zimmer Altindisches Leben S. 177) — ir. xamain, namentlich ,die
Zeit des heidnischen Festes von Tara am 1. Nov.' erhalten zu sein
(s. u. Volksversammlung).
Welches nun in der idg. Urzeit jene .Jährlichen Festzeiten", jene
certi dies, von denen Tacitus im Hinblick auf die Germanen wieder-
holt (vgl. Genn. Cap. 0 und 11, auch Cap. 30: stato tempore vom
Feste der Scmnonen) spricht, gewesen seien, ist eine Frage, die, so-
lange das Studium einer vergleichenden Heortologie bei den idg.
Völkern trotz der reichen vorhandenen Materialien noch in seinen An-
fängeu steht, kaum mit Sicherheit beantwortet werden kann. Es wird
noch eine geraume Zeit allgemeiner uud besonderer Erwägungen be-
dürfen, ehe es gelingen wird, durch die Fülle der in historischen
Epochen belegten, auf Gottesverehrung und Beschäftigungen der
Menschen bezüglichen Feste zu dem ältesten idg. Zustand hindurch-
zudringen.
Als aufgegeben darf wohl schon jetzt die seit J. Grimm von zahl-
reichen Forschern vertretene Anschauung bezeichnet werden, als ob
die vier sogenannten Jahrespunkte, vor allein die winterliche und
und sommerliche Sonnenwende, als älteste Festeszeiten zu
betrachten sein. Thatsäehlieh lassen sieh bei Griechen und Römern,
von zweifelhaften Spuren abgesehen (vgl. z. B. in Rom das Fest der
Angeronalia, das Mommscn als Feier des kürzesten Tages auffasst;
doch vgl. Pauly-Wri8SOwa Realencykl. s. v.), derartige Feste nicht nach-
weisen, und dasselbe ist bei den Germauen der Fall, nachdem die
Auffassung des Julfestes als eines Wintersonnenwendfestes, wie sie
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Zeitteilung.
979
schon Beda (menses Giuli a conversione solis in auetum diei, quia
units eorum praecedit, alius stibsequitur, nomina aeeipiunt) vertrat,
zusammen mit der alten Deutung: dieses Wortes aus altn. hvel, agls.
hweol ,Rad' ( „Sonnenrad u) sieh als Innfällig erwiesen hat (s. u. Mond
und Monat und vgl. Mogk in Pauls Grundriss III*, 301, sowie A. Tille
Ynle and Christmas London 1800 S. 147 >. Auch verstünde man nicht,
wie eine an sich so gleichgültige Erscheinung wie die des kürzesten
oder längsten Tages, vorausgesetzt dass sie in jener frühen Zeit Uber-
haupt chronologisch feststellbar war, die Gemüter der Menschen hätte
bewegen oder erregen sollen. Etwas anderes ist es natürlich in den
nördlichsten Breiten, in denen (nach der Schilderung Prokops B. G. II, 15)
die Bewohner Thüles (Islauds), nachdem sie 35 Tage ohne Sonnenlieht
gewesen waren, Boten auf die höchsten Spitzen der Berge schickten,
um auszuschauen, ob die Sonne nicht bald zurückkehre. Ward dann
gemeldet, dass dies in 5 Tagen der Fall sein werde, avir] 6ouXiTcu<;
f| u€f iajr] tüjv £opTÜJv toiiv. Aber mit Recht bemerkt A. Tille a. a. 0.
S. 170 hierzu: That in a region of such northerly expanse such a
vustom should evolve w almost as natural as it is impossible that it
should arise in a region in ich ich the sun neter stays for forty-eight
hottrs beloic the horizon. Therefore it can scarcely be said to contri-
bitte anything to our general knowledge of the Germanic division
of the year, and ice hace rather to regard it as a singular enriosity
than a.s a fad connected by the Unk of tradition with the common
stock of Germanic lore. Auf die Frage des Alters der in Indien
nachgewiesenen Spuren von Sonnenwendfesten (vgl. A. Hillebrandt
Roman. Forschungen V, 200 ff.) soll hier nicht eingegangen werden.
Näher liegt es nach dem oben über die Grundzüge der idg. Zeit-
teilung mitgeteilten an die Hauptphasen des M o n d 1 i e Ii t s, Neu- und
Vollmond, als an idg. Festeszeiten anzuknüpfen. Die Neu- und Voll-
mondsopfer gehören in Indien sicherlich zu den regclmässigsten und
altertümlichsten Darbietungen an die Götter (vgl. Zimmer a. a. 0.
8. 3<i4. Ohlenberg Die Religion des Veda S. 441 ff.: Üher das Ritual
A. Hillchrandt Das altindische Neu- und Vollmondsopfer Jena 188*0,
und auch in Griechenland waren die Feiertage seit ältester Zeit an
bestimmte Monderscheinnngeu. namentlich an den Vollmond, geknüpft
(vgl. A. Mommsen Heortologie S. 2). Bei den Germanen wird man
die certi dies, cum auf incohatur luna auf impletur (Tac. Germ.
Cap. II), an denen die Volksversammlungen stattfanden, und die sie
fttr das auspicatissimum initium agendis rebus hielten, auf gleiche
Stufe stellen dürfen mit den certi dies (Gap. 0), an denen sie dem
Mercurius humanis quoque hostiis Ware fas habent, und anzunehmen
haben, dass auch hier die hauptsächlichsten Opferfeste an Neu- und
Vollmondstagen abgehalten wurden, und ursprünglich wohl in der Nacht
selbst. Auch die festa Germanis nox ac solennibus epulis ludicraf von
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f»so
Zeitteilung.
der Tacitus Ann. I, 50 hinsichtlich der Marser berichtet, war wohl
eine Vollmondsnacht (iuvit nox «ideribus iüustris).
Sicherlich wird eine beschrankte Zahl solcher Neu- oder Vollmonds-
tage frühzeitig eine besondere Bedeutting erlangt haben, and nach dem
oben Uber die älteste Zwei-, bezüglich Dreiteilung des idg. Jahres
bemerkten könnte man von vornherein auf zwei oder drei idg. Haupt-
feste raten. In Wirklichkeit sind es drei besonders hervorstechende
Festzeiten, die uns bei mehreren idg. Völkern entgegentreten. In Indien
wird der Jabreslanf durch 3 um je 4 Monate von einander entfernte
Feste an den Vollmondstagen um den Beginn des Frühlings, der
Regenzeit, der kühlen Jahreszeit gegliedert (vgl. Oldenberg a. a. 0.
8. 439). Bei den Nordgermauen werden in der Heiniskringla drei
grosse Opferzeiten unterschieden : um Winters Anfang, d. h. Mitte
October („für ein gutes Jahr"), zu Mittwinter, d. h. Mitte Januar
(„für das Wachstum der Erde"), zu Sommersanfang, d. h. Mitte April
i^für Beute und Sieg"), und ungefähr stimmen hiermit die Termine
der drei einzigen ihrer Datierung nach uns bekannten altgermanischen
Feste überein, nämlich des schon oben genannten Marserfestes, das
nach den von Tacitus geschilderten Umständen (vgl. A. Tille a. a. 0.
8. 24 ff.) in der ersten Hälfte des Novembers gefeiert worden seiu
muss, des grosseu Opferfestes in Seeland (Thietmar von Merseburg I, 9 :
post novem annos mense J a nuar io post hoc tempus, quo nos
Theophaniam domini celebramus) und der nicht minder bedeutsamen
Festesfeier von Upsala (Adam von Bremen IV, 27, Schol. 137: Hoc
merificium fit circa aequinoctium vemale). Über die Spuren
dreier Hauptfeste bei den Slaven vgl. Krek Einleitung in die slavische
Litteraturgeschichte 8 8. 415.
U. Opfer ist es wahrscheinlich gemacht worden, dass aller Kultus
in erster Linie und noch früher als in der Verehrung der Natur und
ihrer Erscheinungen im Dienste der Toten wurzelt. Ein grosses Toten-
fest lässt sich denn auch in weitgehender Übereinstimmung bei fast
allen idg. Völkern während der winterlichen Hälfte des Jahres nach-
weisen. In Indien war mit der dritten der drei Jahresfeiern, der in
der kühlen Jahreszeit, ein grosses Totenopfer verbunden. In Griechen-
land entsprechen die Anthesterien, in Rom die Feralia. beide im
Februar gefeiert. Bei den Germanen wurde in der „dnnkelenu, der
Julzeit, die der „hellen14, der Osternzeit gegenüber steht (s. n.
Mond und Monat und u. Religiom mit mannigfachen Bräuchen
der Verstorbenen gedacht (vgl. E. Mogk in Pauls Grundriss I8, 391 ;
anders freilich A. Tille a. a. O. S. 107 ff.). Von Bedeutung in diesem
Zusammenhang ist auch ein weit verbreiteter slavischer Name des
Weihnachtsfestes rttss. korocunü ,Christabcnd', bulg. kracun u. s. w.
, Weihnachten', das in weissruss. korocun aber , Krampf und , vorzeitigen
Tod' sowie den , Dämon, der das Leben verkürzt' bedeutet. Schou
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Zeitteilung — Zell.
»Hl
Miklosich bemerkt im Et. W. im Hinblick auf diese Bedeutungsent-
wicklung: „Vielleicht war karaiun 'also das Wcilinacbtsfest) ursprüng-
lich eine Totenfeier".
Dafür dass die Feste in letzter Linie im Totendienste ihren Ursprung
haben, darf man sich vielleicht auch auf das lat. feriae, ft'siae (Festus)
, Feier, Fest' berufen. Man wird dieses Wort nur ungern von dem u.
Ahnenkult us besprochenen ferdlia (s. o.) trennen wollen, das daselbst
aus *dhvesAlia (vgl. mhd. getwds ,Gespenst'; hergeleitet und als
,Seelenfest' gedeutet worden ist. So kann auch feftiae ans *dhve#iae
zunächst /.Totenfeier' und dann , Feier' überhaupt bedeutet haben, und
ebenso kann festus iaus *dhres-tu-8, vgl. ius-tu-s : iüs) zunächst ,auf
Seelen bezüglich', dann ,festlich' überhaupt sein, Bedcutungsübcrgänge,
die gerade auf römischem Boden bei der ausserordentlichen Wichtig-
keit des Totendienstes daselbst nichts befremdendes haben können.
Längst aber waren die Zeiten, in denen die Totenfeste in dem Mittel-
punkt der idg. Volksfeiern gestanden hatten, vorüber, als die Rücksicht
auf den im Süden allmählich ausgebildeten religiösen Festcyklus die
ersten Ansätze zur Herstellung eines auch die bürgerliche Zeitteilung
regelnden Kalenders ins Leben rief. Ein Priester oder eine Priesterin
gab in Griechenland dem laufenden Kalenderjahr vielfach seinen Namen
(vgl. K. F. Hermann Gottesdienst). Altertümer 8. 289). Die griechischen
Monate sind nach den gottesdienstlichen Festen benannt, die in sie fielen
(s. u. Mond und Monat). Das älteste Kalendarium (fmcpoXöfiov, iq>r\-
M€pi£), das wir besitzen, der ßauernkalender des Hesiod, teilt im Hin-
blick auf rcligionsgeschichtliche Ereiguisse, die freilich nur ausnahms-
weise namhaft gemacht werden, die Tage des Monats in gute und
böse :
TTpdfTOV £vn. T£TpÜ<J T€ KO.\ £ßb6|Ur| ICpÖV fjuctp *
Tij y«P 'ArtöXXiova xpvöäopa Ttivcrro AnTui (V. 770 f.)
oder: tv^tttck; b' d£aX&xo*8ai, dirci xa^™> tc koi aivai.
iv TTCjiTTTTj y<*P <paü*tv 'Eptvüas d)i<pnToXeu€iv
"OpKOv tcivöm€VOV töv "Epi? Wk€ m^i' ^KiöpKOi? (v. 802 ff.).
In K o m wurde die Einführung der dies faxti und nefasti dem
Numa Pompilius (Liv. 1, 19) zugeschrieben, worin ihr Zusammenhang
mit religiösen Institutionen ausgesprochen liegt. Nur den patrizischen
Priestern waren zuerst diese Tage bekannt. Aber auch der älteste
gallische Kalender, der Druideukalender von Coligny (s. näheres u.
Mond, Monat), zeigt hinter den Zahlen der Tage entweder ein D (ir.
die, dia ,Tag') oder ein N {jn-nocht ,Nacht'), die zweifellos angeben
sollen, ob nur der Tag oder die Nacht für gewisse religiöse Ver-
richtungen geeignet sei. Auch dieser Kalender wurde also im Hinblick
auf religiöse Feiern zusammengestellt.
Zelt. Ein Zustand, in welchem die Indogcrmanen, wie andere
viehzuchtende und nomadische Völker, z. B. die Turko-Tataren (vgl.
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982
Zelt — Zepter.
Vambery Die primitive Kultur des turko - tatarischen Volkes 8. 74)7
lediglich in Zelten gewohnt hätten, lässt sich weder sprachlich noch
sachlich direkt erschlicssen. Im Gegenteil ist bereits für die idg. Ur-
zeit ein primitiver Haus- uud Hüttenbau (s. u. Haus) nachweisbar. Die
einzige Spur dafür, dass auch die Indogermanen, wenn auch in vor-
indogermanischer Zeit, sich des Zeltes bedienten, liegt in der a. a. O.
hervorgehobenen Thatsache des Kund bans der ältesten idg. Woh-
nungen, der sich am ungezwungensten aus der Annahme einer früheren
Zeltkonstruktion erklärt. Denn mit Recht hat wohl O. Montelius Zur
ältesten Geschichte des Wohnhauses in Europa, speziell im Norden
(Archiv für Anthropologie XXIII, 4öl fl'.}, folgende drei Entwicklungs-
stufen der ältesten menschlichen, speziell auch indogermanischen Woh-
nung angenommen: 1. „Das runde oder beinahe runde konische Zelt
mit einem Holzgerüst, das mit Tierhäuten, Gewebe oder dergl. bedeckt
ist. 2. Ein rundes Gebäude von gleicher Form wie das vorbenanute
Zelt, entweder ganz von Holz oder von Holz mit einer übcrlage von
Rinde, Rasen oder dergl. 3. Ein rundes Gebäude, welches sieh von
dem vorbenannten dadurch unterscheidet, dass es nicht vollständig
konisch ist, sondern dass das konische oder gerundete Dach auf einem
senkrechten Unterbau, eiuer kreisrunden Wand ruht. Diese Wand, an-
fänglich sehr niedrig, nimmt allmählich an Höhe zn, bis sie grösser
wird als das Dach."
Es stimmt hiermit Uberein, dass urverwandte Gleichungen für den
Begriff des Zeltes fehlen, und auch alte und einheimische Ausdrücke
hierfür, wenigstens in den nördlichen Sprachen, nicht vorhanden
zu sein scheinen. Im Griechischen heisst das Zelt o*Knvn, dor. cfKavd,
gewöhnlich zu o*iaä ^Schatten' (also etwa , Schattenraum') gestellt, wäh-
rend tcXioia (: tcXivw» mehr eine primitive Hütte, Lagerhütte und dergl.
bezeichnet. Im Lateinischen gilt tentörium (: tendo), etwa Ausspan-
nung', sc. der Leinwand (daneben auch papilio, eigentl. .Schmetterling',
„Pavillon"). Aus einem vulgürlat. *tenda sind ahd. zrlt, gizelty agls.
geteld durch Entlehnung hervorgegangen. Einheimisch: got. hleipra
,öKr)vfV, urverwandt mit kKujici (s. u. Haus). Im Osten Europas (altsl.
catorä, mtlrü, russ. «aterü, poln. xzatra, lit. szietra u. s. w.) herrscht
eiu orientalischer Ausdruck — npers. Hader ,Zelt. Frauenschleier', der
nach Miklosich Die türkischen Elemente S. 34 wiederum aus sert.
chattra- ,Sonnenschirm' (vgl. griech. o*Knvn. : o*Kiä) hervorgegangen wäre.
Zepter. Schon in homerischer Zeit erscheint das aKnnrpov (o*Kd-
tttov, o"Kr|TTiov - lat. sedpus, ahd. scaf-t neben aicimuv = Int. seipio
,Stab ) als uraltes Symbol der königliehen Würde. Die Könige heissen
aKrrirroöxoi, und schon damals kann man sagen: dem „Zepter", d. h.
der Gewalt jemandes unterworfen sein und ähnliches. Daneben dauert
die ursprüngliche Bedeutung ,Stab' z. B. o"Kf)nrpov des Bettlers) fort.
Das älteste Zepter scheint aber nicht der verhältnismässig kurze, ver-
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Zepter — Zeuge.
H83
gchiedentlieh geschmückte Stah, sondern ein einfaclierer, lanzcnschaft-
ähnlicher Gegenstand gewesen zu sein. Nach Tansanias IX, 4<», 6
verehrten die Chaeronenser das Zepter des Agamemnon mit göttlichen
Ehren: touto ouv tö (Tk^tttpov o*€ßouo*i oöpu övouuZovtc«;. Desgleichen
erzählt Justinus XLIII, 3 von den Anfängen Roms: Per ea tidhuc
tempora reges hast an pro diademate habebant, quas Graeci seeptra
direre, und auch der lateinische Ausdruck contus ,Stange, Pike', den
die Autoren auf den germanischen Königsstab (vgl. .). Grimm K.-A.
S. 241) anwenden, deutet auf gleiches Inn. In den germanischen
Sprachen wird xceptrum durch ahd. chuninegerta, agls. cynegeard
verdeutlicht, ahd. gerta, got. gazd* ,K€VTpov* ist aber = lat. haxta.
So ergiebt sich der lanzenschal'tähnliche Stab als ein sehr altes Kenn-
zeichen herrschaftlicher Würde in Europa, Uber dessen weitere Ur-
sprünge nachzudenken zu keinem Ziele führen kann (doch s. u. Strafe).
Bemerkenswert aber ist, dass weder das indische, noch das ostiranische
Altertum (die persischen Könige führen Zepter wie die semitischen
Fürsten) dem o*Kf|7tTpov etwas ähnliches an die Seite zu stellen hat.
Die weitere künstlerische Ausgestaltung des Zepters ist sichtbar
unter orientalischen Einflüssen erfolgt. Von den Babyloniern berichtet
Herodot I, 195: a<ppn.Yiba oc €Kao"TO<; Kai o*Kn,TTxpov x^porcotajov *
in £Kä0Tu> bi o"Kn.TrTpiy ftreffTi TT€TTOin.u€vov n. unXov n £öbov f) KplVOV
f\ aicTÖ? f| dXXo tu Dieses mit dem Adler geschmückte o*Kn.nTpov
kehrt nun bei den Griechen, und zwar schon zur Zeit der Tragiker
(vgl. Soph. frgm. 7(>6: ö o*Kr|TTToßduu>v ateroq, küujv Aio£) wieder, und
auch die römischen Könige (nnd später die triumphierenden Imperatoren)
führten es, angeblich von den Etrnskern übernommen. Vgl. Dionys.
Halic. 111,61, nach dem die Etrnskcr dem Tar<|uinius Priscus dieselben
OOpßoXa ttj5 riYEMOvia^ übertrngen, ol? £köo*uouv autoi Touq aq)tTcpou?
ßaaiXciq, 0"r&pavöv T€ xpwftov Kai öpövov £Xe<pävnvov Kai o*Kf|TTTpov
d€TÖv {\ov in\ rf\<; K€(paXf\<; etc. Vgl. weiteres hei C. Fr. Hermann
De seeptri regii antiquitate et origine Gottingae 18öl. — S. u. König.
Zeuge. Die Bezeichnungen hierfür sind in weitem Umfang über-
einstimmend hergenommen von der Wurzel cid : seit, vettar-, griech.
foiwp (II. XVIII, f>01 : im io"ropt raipap ikioQax, nach anderen freilich
hier .Richter ) neben ibuioi (iböouq • xouq udp-rupaq oüxwq ZöXwv. Phot.),
got. tceiticöds neben agls. gewita, ahd. giteizo, altu. vitni, ir. fiadu
Zeuge', fiadnixse ,Zeugnis' \ *veidön-\ slav. poln. xeiadek, klruss. s'cidoJc
(lit. entl. swietkas), so dass hiemach der Zeuge soviel ist wie der,
„welcher weiss oder gesehen hat". Indessen sind diese Bildungen von
der überall in lebendigem Gebrauch erhaltenen Wurzel vid so ver-
schieden, dass es missiieh ist, aus ihnen auf ein schon idg. Wort für
,Zeuge' mit Sicherheit zu schliessen, obwohl allerdings Wörter wie got.
teeitwöds und griech. ibuToi (von einem alten Particip. Perf. Act.) mor-
phologisch einen sehr altertümlichen Eindruck machen. Eine zweite,
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9S1
Zeuge — Zeugrun «rshelft-r.
ähnlieh zu beurteilende Reihe ist sert. jfidtdr- : jhd , wissen', griech.
tvu)0"Tr)p : yitvujctkuj. Vgl. auch ahd. urchundo Pestis' : kennan.
Ein zcls prachli ch sind: sert. sdkshin- ,Zusc:hauer', dtgya-, anubhd-
vin- , Anwesender', griech. udprus, päpxupo«;, kret. (Gortyn.) pairup
( : lat. me-mor ia?) ,dcr sich erinnernde', lat. testis aus *ter#-ti-.
Über dieses letztere Wort hat ausführlich F. Skutsch B. B. XXIII'
lOOtY. gehandelt. Aus osk. tristaamentud ,testamento' und einem in-
sehriftlich aus derselben Sprache bezeugten, mit akkatus — *advukatus
,advoeatus' verbundenen tritus, das daher selbst dem lat. lentis ent-
sprechen wird, folgert er ein uritalisches *tris tu-s, das er (vgl. ir.
tress- ,dritte' aus *tri8-to-) als »dritter Mann' deutet. „TenUs war ur-
sprünglich, wer zu den zwei Parteien hinzukam (wie auch arbiter
»Schiedsrichter' eigentlich ,der hinzukommende' sei) und so Augcn-
nnd Ohrenzeuge desjenigen wurde, was zwischen den Parteien vorging.
In solchem Sinn steht testis noch häufig bei Plautus" u. s. w. — Übrig
bleibt lit. liüdyju , bezeuge', Uüdininka* , Zeuge'. Wenn der Wurzel-
vokal (lit. tu woraus entstanden?) klar wäre und sich ftlgtc, könnte
man es zu got. Indja ,Trpöo*umov', ahd. anthttti .Antlitz' stellen und
mit griech. Xeuo*o*w ,ich sehe' verbinden, für das durch die von
Grammatikern bezeugten Formen Xeüauj, IXeucra ein ursprüngliches
*X€u9juu wahrscheinlich gemacht wird. — S. u. Recht (Gerichtsver-
fahren).
Zeugmigshelfcr. Bei mehreren idg. Völkern herrscht die Sitte,
dass dem Manne, welcher selbst mit seiner Frau oder seinen Frauen
Kinder zu erzeugen nicht im stände ist, behufs Fortsetzung des Ge-
schlechts das Recht zusteht, sich dies durch einen anderen, den Bruder
oder einen nahen Verwandten, besorgen zu lassen mit der Wirkung,
dass das so erzeugte Kind als das seinige gilt. Hierher ist der indische
Niyoga (vgl. Leist Altarischcs Jus gent. S. 105) zu stellen, bei dem
der Bruder, dann der nächste Sapinda u. s. w. als Zcugungshclfer
thätig ist. Hierher das Solonische Gesetz, nach welchem die mit einem
zeugungsunfähigen Manne verheiratete Erbtochter einem anderen aus
der Anchistic zur Zeugung eine« Kindes beigesellt wurde, während
Lykurg noch weitergehend überhaupt unvermögenden Männern er-
laubte, ihre Weiber jüngeren und kraftvolleren zu überlassen (Plutarch
Solon 20, Lykurg 15, vgl. auch E. Meyer Geschichte des Altertums II,
00). Spuren dieses Brauches finden sich auch bei den alten Prcussen (vgl.
Hartknoch S. 177) und in den deutschen Bauernweistümeru (J. Grimm
R.-A. S. 444 f. i, in denen dem Manne, „der sinen echten wive oer
frowelik recht niet gedoin kondc", aufgegeben wird, seine Frau zu
einem der Nachbarn ( = Verwandte; vgl. griech. TTpoo*nKOvxe?) zu tragen,
damit er ihr helfe. Diese Zeugungshilfe deckt sich nicht mit dem auf
andern Völkergebieten bezeugten Levirat, bei welchem nach dem
Tode des kinderlos verstorbenen Mannes der Bruder (levir) gehalten
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Zeugungslu-lfer — Ziege.
985
ist, der Witwe „Samen zu erwecken". Doch kommt auch diese Form
•der Zeugungshilfe wenigstens bei den Indern vor, vielleicht schon
Rigveda X, 40: „Wer schafft euch zu Bette wie die Witwe den
Schwager, die Frau den Mann an gemeinsamer Stätte ?~
Der der Zeugungshilfe zu Grunde liegende Oedanke, dass der ge-
schlechtliche Umgang der Ehefrau mit anderen (wohl nur Verwandten)
nichts anstössiges habe, wenn er mit Wissen des Mannes und wohl,
wie bei den Indern, nach Billigung der Familie des Mannes erfolgt,
sieht sehr altertümlich au« und dürfte als idg. zu betrachten sein. —
S. u. Ehe und Keuschheit.
Zichorie, s. Garten, Gartenbau.
Ziege. Zur Bezeichnung dieses Tieres sind zahlreiche Glei-
chungen in den idg. Sprachen vorhanden. 1. sert. ajä- — lit. ozgs,
dazu seit, ajina- ,Fell' = altsl. uz'nio, azno, jazno .corium detractum".
2. armen, ugts -= gricch. cn£, dazu aw. izuenu-, izuena- ,aus Fell,
ledern'. Vielleicht hängen beide Reihen unter einander zusammen.
Wenn auch urkelt. *agos- (ir. ug .i. bö, ug allaid .cervus' u. 8. w., vgl.
Stokes Urkelt. Sprachschatz S. 7) mit seit, njd- zu verbinden sein
sollte, ist es in der Bedeutung vielfach ausgewichen. 3. lat. haedus
= got. gutta. 4. agls. hdecin, hecen, mndl. hoekijn — altsl. kozu, alb.
leb- (vgl. G. Meyer Etyni. W. d. alb. Spr. S. 185). Ausserdem sind
zwei weit verbreitete Reihen zu nennen, deren Grundbedeutung in-
dessen vielleicht nicht speziell .Ziegenbock', sondern ,Bock', d. h.
»männliches Tier' im allgemeinen war; doch überwiegt jedenfalls die
ersterc Bedeutung bei weitem: 1. aw. biizu- Ziegenbock', npers. buz
buj , Ziege, Bock', parsi bozineh, kurd. bizin, zigeun. buzni, buznin
, Ziege' (die Formen mit n aus *bhugno-?), armen, buc ,Lamm', ge-
meingerm. ahd. boc. agls. buccu (*bhugno-), ir. bocc, kymr. bweh
»Ziegenbock' (vgl. Uhlenbcck Beiträge XIX, 329, Johansson K. Z.
XXVI, 302), 2. parsi cupes, npers. cupiä ,Bock', lat. cuper, keit.
Hupero-H, kymr. euer ,Bock', altn. hufr .Ziegenbock' — griech. xd-
Ttpo? ,Eber' (vgl. Uhlenbcck a. a. 0. S. 330). Alb. bi ,Ziege* gehört
entweder zu dem oben genannten sert. ujd- (alsdann aus *udi) oder
zu ahd. zigu, das ans *dighd entstanden sein kann. Andere freilich
(vgl. Kluge Et. W.fi) möchten das ahd. Wort durch die Annahme einer
Umstellung aus ahd. geiz — got. guits erklären. Beachte noch lako-
nisch bila' aii Hesych. Für die junge Ziege ist noch ein ahd. kizzi,
altn. kid etc. zu nennen (vgl. darüber Palander Ahd. Tiernamen S. 118)
Die angeführten sprachlichen Übereinstimmungen, zusammengehalten
mit der Thatsachc, dass die Ziege als Haustier schon den ältesten
Indern, Iraniern, Griechen, Römern, Germanen (s. u.) bekannt war, und
dass sie in derselben Eigenschaft bereits in der neolithischen Fauna
Europas, der Schweiz, (hier sogar häufiger als das Schaf) ebenso wie
in Dänemark und Schweden (vgl. S. Müller Nordische Altertumskunde
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<*6
Ziege.
I, 205), ferner in den Pfahlbauten der Poebne ebenso wie in den My-
kenischen Gräbern begegnet, machen es sicher, dass auch die Ziege
zu dem ältesten Bestand der Indogcrmanen an Haustieren zu zählen
sei. Wenn dieselbe eine grössere volkswirtschaftliche Bedeutnug auch
mehr im bergigen Süden und höchsten Norden (Uber Skandinavien vgl.
Weinhold Altn. Leben S. 43) gewonnen haben mag, so kann ihre
Zucht doch auch in den flacheren Mittclländcrn unseres Krdteils nicht
unbekannt gewesen sein. Ein indirekter Beweis hierfür ergiebt sich
aus der u. Seife mitgeteilten Nachricht des Plinius (XXVIII, 191),
nach der die Gallier die beste Seife aus Ziegenfett herstellten, fall»
an der angegebenen Stelle mit Recht caprino (nicht carpineo : car-
pinus , Hainbuche*) gelesen wird, ein direkter aus dem bei Flav. Vop.
Aurel. X bewahrten Bericht, nach dem Aurelian von seinen Kriegszügen
gegen nordische Barbaren (Franken, Goten, Sarmaten) dito milia cac-
curum, equas mitte, ocium decem milia und caprearum quindeeim
milia in priratam villam Valeriani zusammen getrieben habe. Auch
in der Lex Salica V: De furtis capraruin wird der Ziegendiebstahl
behandelt. Dabei enthalten die von Kern in der Ausgabe von Hessels
behandelten Malb. Glossen ausser schon genannten Namen der Ziege
wie haper (altn. hafr) und buccu* 'letzteres nur in der Lex Emend.)
noch weitere Terminologie des Tieres aus den germanischen Sprachen,
die auch an alten Kosenamen für dasselbe (vgl. Kluge Et. \V.fi u. Hitte,
Hippe, Kitze) reich sind.
Auf den Orient zurück geht die Kunst, Ziegenhaare zu Zeugen oder
anderen Dingen, wie Decken, Segel u. s. w. zu verweben. Derartige
Stoffe treten im klassischen Altertum unter der Bezeichnung k€Xikio-
cilicia auf, welche Hesyeh und Suidas mit tü iK Tpixwv cfuvTiöe^va
glossieren. Über den Ursprung dieser Benennung berichtet Varro De
re rnstica II, 11: Tondentur (caprae) quod magni* villi* *unt, in
magna parte Phrygiae; ttnde (ilicia et cetera ein* genervt ferri sö-
hnt. *ed quod pritnum ea tomura in C ilicia sit inxtituta, nomen
id Cilica* adiecisse dicunt. Vgl. auch G. Goctz Thes. I, 224: coactile
mXurröv, genu* eilieii. Hängt mit cilicium <ir. cilicc) auch ahd. gliza
,camisia' (Graft' IV, 291) zusammen? Weiteres vgl. bei Vf. Handels-
gesch. u. Warenk. I, 215. S. auch u. Sack.
Die europäische Hausziege wird von Capra aegagrus, der Bezoar-
ziege oder dem Paseng, abgeleitet, die heute noch, ausser in Mittel-
und Westasien, auch auf mehreren Inseln des mittelländischen Meere*
und vielleicht auf den höheren Gebirgen Griechenlands vorkommt.
Doch ist es überall schwer, die wilde Ziege (s. auch u. Steinbock
und vgl. 0. Keller Tiere des klassischen Altertums S. 38) und nur ver-
wilderte Tiere von einander zu unterscheiden. Wie das Schaf is. d.)r
lebte die Ziege in wildem Zustand zur Zeit des Löss in Frankreich
und zusammen mit dem Mammut im übrigen Europa (vgl. A. Otto Z. Ge-
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Zu'gi' — Zievel.
987
schichte der ältesten Haustiere S. 69). Urverwandte Namen für die
Ziege besitzen auch die semitischen Sprachen, während sowohl die
finnischen wie die turko-tatarischen lauter Entlehnungen aus den idg.
Sprachen aufweisen (vgl. Ahlqvist Die Kulturw. in den westf. Sprachen
S. 15, Vämbery Die primitive Knltnr des turko-tat. Volkes S. 197,
G. Meyer Et. W. d. all>. Spr. u. kets, kats). Wie bei deu Semiten, ist
auch in Ägypten die Ziege seit ältester Zeit als Haustier bekannt. —
Vgl. Hahn Die Haustiere S. 139 und s. u. Viehzucht.
Ziegel. Seine Geschichte führt in die Ebenen des Euphrat und
Tigris, wo der Mangel an Bauholz und zum Bauen geeigneten Gesteins
schon in vorsemitischer, sumeroakkadiseber Zeit die Erfindung des an
der Luft gedörrten oder im Ofen gebrannten Ziegelsteins veranlasste
(ausführliches hierüber Ihering Vorgeschichte der Indoeuropäer S. 126 ff.).
Dieselbe hat sich von hieraus dann sehr frühzeitig über ganz Vorder-
asien verbreitet. Auch in Sardes (Herodot V, 101) waren die besseren
Häuser aus Ziegelsteinen erbaut. Die Semiten verfügen über eine ge-
meinsame Benennung des Ziegelsteins (hebr. lebhendh, assyr. libittu).
Ein anderer assyrischer Ausdruck agurru ist ins Armenische, Persische
und Arabische gedrungen (vgl. Muss-Arnolt Scmitic words Transactions
of the American phil. association XXIII, 70). Auch im Awesta werden
schon Ziegelsteine (aw. istya, npere. yßt\ vgl. auch sert. ishtaktl)
genannt.
Ebenso werden die Griechen frühzeitig Bekanntschaft mit dem Ziegel-
steinbau gemacht haben. Merkwürdig ist in dieser Beziehung ein Vers
der Ilias V, 387:
XaAKe'uj b' iv Kepdjju» b€b€T0 TpiOKaibtKa ufjvaq,
wozu der Scholiast bemerkt: o» t<*P Kunpioi tö b€0"uiwxr|piov Ke'pauov
KaXoGai. Es scheint also ein gefängnisartiger Bau aus Ziegelsteinen
(griech. «pauoq, Kepauiq) gemeint zu sein. Doch möchten Muss-Arnolt
a. a. O. und H. Lewy Die semit. Eremdw. S. 137 das in der Ilias ge-
nannte K^pauo{ aus hebr. herem .Gefängnis' ableiten (?). Später als
K€*pauo; ist ttXivBo? , Ziegel' (s. u. Blei), das erst von Herodot an ge-
nannt wird. Das griechische Wort ist dann in die osteuropäische
Welt (altsl. plinüta, lit. plytü neben altsl. keramida aus griech. K€pa-
uw;) übergegangen. Der Westen erweist sieh als von Rom abhängig,
wo ebenfalls einheimische Ausdrücke für den Ziegel, later (dunkel)
und tegula (: tego) »Dachziegel' bestehn. Aus letzterem oder vielmehr
aus einer volkstümlichen Form *tegula stammen ahd. ziagal, agls.
tlgol, ttgele, wohl daraufhindeutend, dass es zuerst D a c h ziegel waren,
welche im Norden Eingang fanden. Vorher wurde, ebenfalls unter
römischem Kulturcinfiuss, statt deren die hölzerne Schindel (griech.
(XKivbaXuöq, daraus (?) lat. scandttla, mlat. geindula, woher wieder
ahd. scintala und altsl. skqdelil) verwendet. Diese letztere Art der
Bedachung hielt sich sehr lange, und noch spätere Vokabularien gebeu
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988
Ziegel — Zintmet.
]at. tegitla dnrcli scindula w ieder (vgl.M. Heyne D. deutsche Wohnungs-
wesen S. 89). Das Gotische besitzt ein besonderes Wort für den Ziegel
skalja, ,Ktpaiioq\ also ebenfalls , Dachziegel', entweder zu griech. <tk«:XXiu
,ich trockne' gehörig oder (nach Uhlenbeck Et. W. d. got. Spr) mit ahd.
Hcala »Schale', .Hülse', altsl. skolika .Muschel' (vgl. altn. skilja ,spalten\
got. skilja , Fleischer ) zu verbinden. — Dass die Römer bei den Ger-
manen keinen Ziegelbau vorfanden, überliefern die enteren mit deut-
lichen Worten. Vgl. Tae. Germ. Cap. 16: Ne caementorum qtiidem
apud Ufos aut tegularum usus und Herodian. VII, 2, 4: XiOuuv U€V
fap nap' aÜTOiq (repnavoiq) f) ttXivSujv ötttüjv ffudvis, über Schindel-
bedachung Vitrnvius II, 1, 4: Ad hunc diem . . aedißeia constituun-
tur . . in Gallia, Ilispania, Lusitania, Aquifania, scandulis ro-
busteis aut stramentis.
Die Kinnen sind in der Beuennung des Ziegels teils von den Ger-
manen (finn. tiili), teils von den Slaven (weps. kirpits aus russ. kir-
pivü, letzteres ein türkisches Wort) abhängig. — S. n. Dach und u.
Stein bau.
Zimmergeräte, s. Hansrat.
Zimmermann, s. Haus, (Je werbe.
Zimniet. Man versteht hierunter die aromatische Rinde des
Laurus Cinnamomum und verwandter Laurineen. Zimmetartcn werden
unter den Namen Kao*irj und tavvupwiuov in Europa zuerst von Herodot
III, 107, 110, III genannt. Er hat gehört, dass sie zusammen mit
Weihrauch, Myrrhe und Lad an um (s. s. d.d.) in Arabien vor-
kommen. Die Kaffin wachs«' hier in einem Sumpf, das Kivvduwuov
aber schleppten Vögel anderswoher in ihre Nester. Woher, das wisse
man nicht, am wahrscheinlichsten sei, dass es aus den Gegenden
stamme, «iv roTffi ö Aiövuffoq tTpdqm,, d. i. aus Äthiopien (vgl. III, 97).
Nachdem sodann Aristoteles die Geschichte von dieser Art der Zimmet-
gewinnung. und zwar durch einen Vogel Kinnaiuomum, wiederholt hat,
betont Theophrast (IX, 4, 2), dass die Kaffia, wie das Kivvdu.ujjiov, ttj
tu»v 'Apdßuuv x«PPOvr|ffuj irepi T€ Xaßd Kai 'AbpapÜTa etc. wüchsen. Die
nächste Nachricht erhalten wir dann durch Strabo (XV, p. ü95) au»
dem Bericht des Onesikritos über Indien: txeiv bfc ko\ Kivvduwuov Kai
vdpbov Kai Td fiXXa äpuüuaTa rnv vötiov tuv 'IvbiKnv öu.oiw<; üjffncp
tuv 'Apaßiav Kai Tf|V Ai6iomav tfxouffdv ti ^uqptiptis ilKeivan; Kaid tou?
r)Xiou?. Es lohnt sich mm nicht, die Angaben der Alten über die
Heimat des Zimmets weiter zu verfolgen. Fast einstimmig werden in
ihnen das südliche Arabien und das östliche Afrika als die eigentlichen
Zimmetländer bezeichnet. Namentlich tritt die Ostspitze Afrikas immer
deutlicher als regio cinnamomifera hervor. Indien w ird als Ursprungs-
stätte des Zimmets erst ganz spät (bei Isidorus Hispalensis) wieder
erwähnt. Als bemerkenswert hervorgehoben sei nur noch der Umstand,
dass der so wohl unterrichtete Verfasser des Pcriplns maris erythraei
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Ztmm«'t.
den Ausdruck Ktvvduwuov nicht zu kennen scheint, die Kaao*ia aber
ausschliesslich aus Ostafrika, namentlich von dem Vorgebirge Aroinata
(§ 12), und zwar in ö verschiedenen Spezies, exportieren lässt. Auch
Indien wird hierbei nicht genannt; nur der im Periplus unmittelbar
hinter Kaacria (§ 8) geuannte Ausdruck bouaica (*bFaKa) könnte, wenn
ihm sert. tvaca- ,Zimmetbaum, Cassiarinde' (B. K.), Siühala - tvaca
jZimmet von Taprobane' entspricht, auf dieses Land hindeuten.
Im Ganzen scheinen so die Dinge, was die Heimatsfrage des Zimmets
betrifft, ähnlich wie bei Weihrauch und Myrrhe zu liegen, auch was
die sprachliche Seite derselben anlaugt; denn ebenso wie die grie-
chischen Namen der genannten beiden Aroinata aus dem Semitischen
entlehnt sind, ebenso sind auch »caoia und Kivvduumov ohne jeden
Zweifel aus derselben Sprache übernommen worden. Und zwar stammt
tcao"ia ans hebr. qesiaJi, Kivvduujuov aber, im zweiten Teil wohl mit An-
lehnung an das seiner näheren Bedeutung nach unbestimmbare, erst
bei Theophrast belegbare duuuuov ,ein Aroma' (aus aram. Uemämä,
vgl. Low Aram. Pflauzeun. S. 169), aus hebr. qinndmön i vgl. Herodot
III, 111: Krfp9ea tci f|U€i£ and <l>omKU)V uaöövieq Kivväfuuuov KaAcouev).
Endlich entspricht auch das von Dioskorides genannte kittu* ,Zimmct'
dem hebr. qiddäh id.
Indessen zeigt sich doch in sofern ein Unterschied, als die semitischen
Namen des Zimmets nach Ansicht der Fachgelehrten nicht, wie die
des Weihrauchs und der Myrrhe, von einheimischen Stämmen ab-
geleitet werden können und daher über das semitische Gebiet hinaus-
zuweisen scheinen. Dazu kommt nun, dass Dr. Carl Schumann in einer
sehr gediegenen Arbeit Kritische Untersuchungen über die Zimtländer
(Ergänzungsheft Nr. 73 zu Pctermanns Mitteilungen 1883) den Nachweis
zu führen versucht hat, dass Zimmetarten in Ostafrika und Südarabien
weder jemals gewachsen sind, noch auch ihren natürlichen Existenz-
bedingungen nach gewachsen sein können. Das Vaterland der Zimmet-
arten ist nach ihm vielmehr das äusserstc Ostasien: Japan, China, die
Philippinen, Java, Sumatra, Ceylon und der Osten Ostindiens. Iudcm
nun Schumann zeigt, dass der Zimmct Ceylons, des alten Taprobane,
des Hauptzimmetlandes der neueren Zeit, von dem man noch am ehesten
den von den Völkern des Altertums gebrauchten Zimmet herleiten
möchte, erst in verhältnismässig sehr später Zeit Uberhaupt bekannt
wird, kommt er zu dem Schlüsse, dass nur China den kostbareu Stoff
geliefert haben könne, den wir seit dem hohen Altertum in den Häfen
des roten Meeres antreffen. Diese Ansicht sucht Schumann auch durch
eine etymologische Kombination wahrscheinlich zu machen. Als ein
Exportartikel des Landes Puut wird in den ägyptischen Inschriften
khisi-t angeführt, das man wohl mit Recht mit ,Zimmet' oder ,Cassia'
übersetzt. Dieses khisi-t scheint nun einerseits mit qesiah-Kaaoia (vgl.
auch griech. Ti&ip ,eine Spezies Cassia' im Periplus maris erytbraei),
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990
Zimnu-t — Zinn.
andererseits mit chiuesisch-japanischem kei ~ Laurus Cassia, Cinna-
niomum nromaticum, kei xi = ,Cassiarinde', ,Cinnaniomum\ ,Cas»ia
'nach v. d. Gabelentz) zusammenzuhängen. Andere haben dagegen
qhinämön-K\vva\iu))XO\ mit einem malaiischen kdjü-mänU (vgl. Muss-
Araolt Transaetions S. 116, Lcwy Die semit. Fremdw. S. 37 ) verglichen.
So wenig wahrscheinlich nun das Erscheinen chinesischer Waren auf
den Märkten des alten Ägyptens u. s. w. in so früher Zeit (s. dazu u.
Malahathron, Seide, Pfirsich uud Aprikose) an und für sich ist,
so wird man doch Kombinationen wie die vorstehenden jedenfalls so
lange beachten müssen, als Zimmetarten nicht in Ostafrika oder Süd-
arabien selbst nachgewiesen worden sind.
Die Verbreitung des Zimmets in Europa erfolgte auf den ge-
wohnten Wegen, die durch die Sprache beleuchtet werden: Aus dem
Griechischen stammt lat. casia (Plautus) und cinnamomum, mlat. cy-
namonium, cinamonium. Hieraus ahd. ainamin, mhd. zinemin, zin~
ment. Daneben begegnet mhd. kanel aus dem Romanischen (it. can-
nella .Zimmct', eigentl. , Röhrchen'). Zu griech. Kaacria vgl. altsl.
kajsnija.
Bei den arabischen Geographen treten dann China uud Japan als
Zimmet exportierende Länder direkt hervor. Aus dieser Zeit stammt
der Ausdruck där «im, pers. dar6iny serb. darein, wörtlich „China-
bäum" (vgl. unser „Apfelsine", mundartl. appeldeaine, frz. pomme de
Sine, engl, china orange). Was den Gebrauch des Zimmets an-
betrifft, so wird er im Altertum zum Räuchern, zu Ölen und Salben
(in Ägypten anch zur ßalsamieruug der Mumien), zum Gewürz beim
Wein, zu Medikamenten, aber, soweit nachweisbar, noch nicht als Zu-
that zu Speisen gebraucht. In dieser letzteren Eigenschaft tritt er
erst im Mittelalter auf. Die erste Nachricht hierüber aus dem IX.
Jahrb. meldet, dass die Klosterköche von St. Gallen Fische damit
würzten (vgl. Schumann a. a. 0. S. 24 1. — Vgl. auch W. Tomaschek
in Pauly-Wissowas Rcalencyklopädic u. dpwuaTO<pöpo<; x^pa. S. u.
Aromata.
Zink, s. Messing.
Zinn. Als Fundstätten des Zinns, dieses für die Herstellung
der Bronze unentbehrlichen Metalls, kommen in Europa seit alters zwei
Örtlichkeiten in Betracht, die beide im äussersten Westen unseres Erd-
teils liegen. Es ist dies einmal der nördliche Teil Lnsitaniens.
Vgl. Diodorus V, 38, 4 (aus Poscidonius) : Tiverai bfc Kai Kaao-iT€po? iv
7roKXoi? TÖTtoiq Ttis Ißnptas» °uk Ö ^7Ti7ToXf|<; eüpiaKÖuevos, üj? iv rdiq
io*TOpioi? Tive<; Tc6puXr|xaaiv, dXX' dpuTTÖucvo? Kai xwveuöucvo? öuoiuj<;
äpYupuj T£ Kai XPu0*lP ' uncpdvuj fdp ttk tuiv Auffixavüjv x^paq &*ti
pe'taXXa iroXXd toö Kao*o*iWpou . . . und Strabo III, p. 147 (aus der-
selben Quelle): Y€vvdo*9ai (töv Kao~aiT€pov) b' fv T€ toi? uirfep tou? Au-
anavouq ßapßdpoiq Kai tv bk toi? 'ApTdßpoi?, ot ttk AucJitaviaq
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Zinn.
«KU
OaraTot npo? äpKTOv Kai buffiv elo*iv, ^Eavöeiv qpntfiv (TTocfeibumos) thv
fi\v dpfupip, KcrrriTepiu, XPu°"uj XtUKip (dpTupouiYns Tdp £o"tiv). Tn.v be
Tfjv TauTnv (pepeiv Touq Ttoxauouq etc. Es ist dies zweitens die süd-
westliche Küste Englands im heutigen Cornwall. wie es Caesar De bell.
Call. V, 12: Xascitur ibi plumhum album in mediterranneift regt-
onibiis unzweideutig ausspricht. Doch ist diese letztere Erkenntnis
verhältnismässig jung. Lange Zeit glaubte mau vielmehr, dass das
Zinn nicht in England selbst, sondern auf einer ihm vorgelagerten Insel-
gruppe gewonnen werde, die teils Kassiteridcn (zuerst von Herodot
III. 115), teils Oestrymnidcn (von Avienus» genannt werden, Namen,
unter denen wahrscheinlich die (> Meileu von der Westküste von Corn-
wall entfernten Scillyinseln zu verstehen sind. Dieser Glaube war
daher entstanden, dass die Eingeborenen Englands ihre Metallschätze
auch später noch auf Kähnen oder Wagen (zur Zeit der Ebbe) an be-
nachbarte Küsten und Eilande brachten, um sie gegen Salz, Thon-
und Esswaren an fremde Kauflente zu verhandeln. Vgl. Diodorus V, 22:
tr\q fäp BpCTTCtviKfte KctTÜ tö dKpuirripiov tö KaXouuevov BeXeptov ol
kotoikouvtc? (piAöüevoi T€ biaqpepövxujs eio"i Kai btd Trjv tu»v Ee'vwv £p-
Tiopujv emuiEiav e^nM^PWuevoi Ta£ dfujfd^. outoi töv Kuo"0"iTepov Kaxa-
<JK6ud£ouo"i, qpiXoT€xva)q dpraZopevoi xfjv <p^pouo*av aüidv fr\v. avrr\ be
ueipiubri^ oüo*a bia<pud<; fyei Yeu>bet<;, ev a\<; töv nöpov KaiepTalöpevoi
xa\ TrigavTe? Kaeaipouffiv. d7TOTUTTOÖVT€? b'ei<; daTpaTdXwv pu6pouq (ein
grosser Zinnbarren 72 kg schwer wurde in Falmouth, Cornwall im
Hafen aufgetischt, vgl. Olshausen a. n. a. O.i Kopi£ouo*v t\q nva vrjo*ov
7rpOKeipevnv pev BpetTaviKfjs, övopa£opevr|V be "Iktiv • koto tdp xd<;
dpmureiq äva£npaivop€vou toü uetaEu töttou, raiq dpd£at( eiq touttiv
KO\xilovO\ batpiXf) töv Kao"öiT€pov. Vgl. dazu Strabo III, p. 175 : ulraXXa
be exovie? KaTme'pou Ka\ poXtßbou Ke'papov dvxi toutujv Kai tu>v b€p-
pdTuuv biaXXdiTOVTai Kai äXa? Kai xaXKuüpaTa irpö? toü? dpTrdpou^ und
Pliuius Hist. nat. IV, 104: Timaeus hütoricus a Britannia introrsum
w dient m navigatione abe*xe dicit insulam Mictim, in qua candi-
dttm phitubum proveniat. ad eam Britanno* tiiilihu* navigih corio
circunwutis nacigare.
Ausser in Spanien und Britannien hat man vorhistorische Zinngruben
auch im Fichtelgebirge zu erweisen versucht (vgl. Corrcspondenzbl.
XV, 1884, Nr. 3, Beilage z. Allg. Z. 181«» Nr. 106 und 117). Doch sind
<lie Untersuchungen darüber noch nicht zum Abschluss gekommen.
Eine Zusammenstellung der bis zum Jahre 1883 im mittleren und
nördlichen Europa gemachten Zinnfundc giebt Olshausen Z. f. Ethnologie
Vcrhandl. XV, 8ti ff. Es geht aus derselben hervor, dass das Metall
schon während der Bronzezeit, aber in äusserst geringen Mengen, bei
uns vorkommt. Von besonderem Interesse sind in dieser Beziehung
Ausgrabungen von Hügelgräbern auf der Insel Atnrum. die eine zinnerne
Dolch- oder Pfeilspitze, das Mittelstück eines kleinen Spatels, ein
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im
Zinn.
Zinnklümpchen, eine Nadel und eine Spiralscheibe, alle von Zinn, an
den Tag brachten. Sonst erscheint das Metall in Gestalt von Stiften,
Spiralen, Ringen (Hallstatt , und, was für die folgende sprachliche
Betrachtung wichtig ist, in Form dünner Stäbchen, namentlich in
der Schweiz. Im Ganzen aber ist das Zinn so selten, dass man nicht
daran denken kann, es sei diesseits der Alpen zur selbständigen Her-
stellung der Bronze verwendet worden, deren fertige Mischung viel-
mehr eingeführt worden sein muss.
Der Eintausch der iberischen und britannischen Zinnschätze, zu denen
wir zurückkehren, lag, wie es auch die bei Plinitis VII, 198 be-
wahrte Überlieferung: Plumbum ex Casxiteride inmla primu* ad-
portavit Midacritus (d. h. der phönizische Mclkart) richtig hervorhebt,
in den Händen der Phönizier, die sowohl selbst bis zu den genannten
Bezugsquellen des unentbehrlichen Metalls fuhren, wie dasselbe auch
von den Tartessiern, deren Schiffe ebenfalls früh an den europäischen
Küsten des Atlantischen Ozeans verkehrten, übernahmen. Tartessos
wurde daher auch selbst von den ältesten Griechen als Heimat des
Zinnes angesehn (vgl. E. Meyer Geschichte des Altertums II, 090 ff.;.
Neben diesem Seeweg hat frühzeitig auch ein Landweg des Zinuhandcls
bestanden, der quer durch Gallien nach der Mündung der Rhone lief.
Vgl. Diodorus Siculus V, 22: ivrevQev (d. h. von der Insel Ictis, s. o.)
b' o\ £uTropoi irapd tu>v ^fXwptwv üjvoüvtcu Kai biaKoui£ouo~i d<; Tf)v
TaXaTiav. tö b£ TeXcuTaTov neCrj btd xf|? TaXaTia? 7rop€u0evT€? nu^pa«;
TplttKOVTa, KCtTdYOUai ^TTl TUIV ITTTttJUV TCt (pOpTlCt TTpÖ£ TT|V fcKßoXqV
toO 'Pobovoö Troxapoö.
Wie früh man aber auch die Tarschischfahrten der Phönizier an-
setzen möge, kaum reicht doch ihr Alter aus, um das Vorhandensein
des Zinns in den ältesten Bronzen des Orients, denen Ägyptens und
vor allem des Zweistroralandes zu erklären, wo die Erfindung der
Bronze (s. u. Erz/ wahrscheinlich ihre Heimat hat. Nach der Her-
kunft dieser Zinnmassen ist daher seit lange geforscht worden (vgl.
v. Baer Archiv f. Anthropologie IX, 265, Winckler Orient. Forsch. I, 169,
W. Tomaschek Mitteil. d. Wiener anthrop. Ges. XVIII, 8), ohne dass
man bisher zu einem völlig befriedigenden Ergebnis gekommen wäre.
Eine gut bezeugte Nachricht (Strabo XV, p. 724: o\ bk Apd-fTöi
7T€po*i£ovTeq t' <5XXa KctTd töv ßiov oivou auotviloufft, Tivciai be nap'
aÜTOiq KCtTTiT6po<j) nennt die Landschaft Drangiana als zinureieh, und
auch sonst weist Tomaschek a. a. 0. zahlreiche Zinngruben und be-
trächtliche Zinnindustrie auf iranischem Boden nach. Ob unser Metall
aber schon im Awcsta genannt wird, ist unsicher, da die Bedeutung
des früher so gedeuteten aonya- nicht feststeht (vgl. Horn Grundriss
d. npers. Et. S. 287). An dem e u r o p ä i sc b e u Ursprung auch des
ältesten vorderasiatischen Zinnes hält dagegen W. Max Müller in einem
Aufsatz über das Zinn bei den alten Ägyptern (Oriental. Litteratur-
Zeitung, II. Jahrg. Nr. 9) fest.
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Zinn.
Einige weitere Anhaltspunkte für die Geschichte der Zinngewinnung
ergeben sich aus den Name n des Metalles, obgleich diese freilich
vielfach noch selbst der Aufklärung bedtlrfeu. Sic lassen sich in
folgenden Gruppen zusammenlassen: 1. Die grössten Schwierigkeiten
bietet gleich der in Europa am frühsten bezeugte, das griechische,
schon homerische KacKJiT€po<; (auf die Ilias beschränkt und zu Ver-
zierungen von Panzern, Schilden, Wagen, auch zu Beinschienen ver-
wendet). Aufzugeben ist zunächst die Anschauung, als ob das Wort
aus den semitischen Sprachen erklärt werden könne, die nichts ver-
gleichbares bieten. Die von Oppert und Lenormant angeführten assyr.
kdaazatira und akkadisch id-kasdurii haben sich nicht haltbar er-
wiesen (vgl. Jensen bei II. Lewy Die sem. Freiudw. im Griech. S. 6U).
Unleugbar ist natürlich der Zusammenhang von Kaaaiiepo? mit den
oben genannten KatfffiTepibeq. Leitet man, was immer das nächst-
liegende bleiben wird, letzteres aus ersterem ab, so ist damit für die
Erklärung von Kacröiiepo? nichts gewonnen. Doch hat man neuerdings
mehrfach das Verhältnis umzudrehen und Kaaauepoq aus Kaöatiepibes
zu deuten versucht (vgl. S. Rcinach Revue areheol. XX, 262). Sprachlich
wäre dies nur denkbar, wenn man für den Namen der Zinninseln von
einer kürzeren Bildung wie *Kao"o*i-T€p€q ausginge, für die man ver-
schiedene, freilich nicht sehr überzeugende Ableitungen aus den kel-
tischen Sprachen vorgeschlagen hat (vgl. Holder Altkeltischer Sprach-
schatz I, 828 ff.). Alsdann wäre das Verhältnis von Kaöo*iT€poq (wovon
Kao*o*iiepib€? neu gebildet wäre) zu einem solchen *Koto"<n-T€p€<; etwa
dem von griech. x<*Xuiy : XdXußeq (s. u. Eisen) oder auch dem von
ngriech. KaXdi ,Zinn' (s. weiteres u.) zu dem Städteuamen Qualah auf
Malakka zu vergleichen. Unmittelbar überzeugend ist dies alles nicht,
ebensowenig wie die andererseits versuchte Verknüpfung des griechischen
Wortes mit ähnlich klingenden idg. Metallnamcn, sert. kanail-, kämya-
, metallenes Gefäss, Metall, Messing', altpr. caasoye ,Messing' etc.
Welches nun auch immer der Ursprung von griech. icaaöiT€po<; sei,
jedenfalls ist das Wort von griechischem Boden aus sehr weit gewandert.
Es kehrt nicht nur in den slavischen Sprachen (altsl. kositerü), sondern
auch im Orient, im Arabischen {qazdir, daher kesdir in zahlreichen
afrikanischen Idiomen) und im Sanskrit (kastira-) wieder, wie denn
Zinn (auch yavaneshfa-, eigentl. ,den Joniern lieb') im Periplus maris
erythraei § 49 ausdrücklich als Einfuhrartikel in Indien bezeichnet
wird. Doch ist auch eiu vedischer Name iträpu-, dunkel) für das
Metall bereits vorhanden.
2. Eine bemerkenswerte Erscheinung in der Terminologie des
Zinnes ist ferner der Umstand, dass in ihr Wörter für das chemisch
doch ganz verschiedene Blei (s. d.) mit solchen für Zinn zusammen-
fliessen, was in der äusseren Ähnlichkeit der beiden Metalle, vielleicht
auch in ihrem gemeinsamen westlichen Ursprung seiuen Grund haben
Schräder. Keallexikon. M
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994
Zinn.
wird. Dies ist schon im Alt-Ägyptischen der Fall, wo W. Max Müller
a. a. O. in dht'i hs »weisses Blei' den bis jetzt fehlenden Namen de«
Zinnes nachgewiesen hat. Im Lateinischen ist plumhum nigrum TBlei',
plumhum album oder candidum ,Zinn', Verbindungen, die, wenn die
n. Blei gegebene Erklärung von lat. plumhum richtig ist, soviel wie
»schwarzer* und ,weisser Barren' bedeuten. Besonders häufig ist die
Erscheinung im Osten Europas, /. B. in altsl. olnto, altpr. alwis
,Blci' gegenüber lit. alwan ,Ziun'. Eine Erklärung dieser Sippe ist
aber noch nicht gefunden, da die Sprachvergleichung und Urgeschichte1
S. 306 vorgeschlagene Auffassung derselben als Entlehnung aus lat.
(plumhum) album (so auch Hirt Beitrage XXIII, 3f>f>) aus lautlichen
Gründen kaum möglich ist (vgl. E. Lidcn Studien zur altind. u. vergl.
Sprachgeschichte S. 94). Auch ob das Verhältnis der litu-slavischen
Wörter auf Entlehnung des Litauischen aus dem Slavischen oder auf
Urverwandtschaft beruht, ist noch nicht ausgemacht.
3. Bei der grossen Bedeutung, die der Westen Europas für die
Frage nach der Herkunft des Zinnes hat, werden dort geltende alte
Namen desselben von besonderem Interesse sein. Ein solcher liegt in
ir. cred ,Zinn', auch in creduma , Bronze' (d. h. Zinn und Kupfer) vor.
Darf man das scheinbar seltene Wort auf ein ursprüngliches *creido-
(oder *crando, *crendo-'i) zurückführen, so dürfte es in Beziehung zu
dem baskischen Namen des Metalles cirraida (vgl. urraida ,Kupfer)
stehen. Ist diese Zusammenstellung richtig, so würde also im Umkreis
Lusitaniens wie in dem der Kassiteridcn (s. o.) derselbe Ausdruck für
das Zinn gegolten haben.
4. Der häufigere keltische Name des Zinns liegt in kymr. yxtaen,
bret. xten aus *ntagnum vor (vgl. Stokes Urkeltischer Sprachschatz
S. 312). Ihr Verhältnis zu lat. stagnum, ntannum (wober frz. etain,
it. stagno etc.) steht noch nicht fest. Man hat an Entlehnung des
lat. Wortes aus dem Keltischen (so Stokes j und umgekehrt gedacht.
Bemerkenswert und für ersteres sprechend ist der Umstand, dass
Plinius Hist. nat. XXXIV, 162 die Verzinnung als eine gallische
Erfindung betrachtet (album incoquitur aerin operibus Galliartim in-
rento). Iu dem Bronzealter der Schweiz haben sieh dunkle Thon-
gefässe mit dünnem Belag von Zinnstreifen gefunden, vielleicht die
Anfänge jener Kunst (vgl. Olshausen a. a. 0. S. 100 ff.).
5. Der oben angeführte archäologische Nachweis, dass das Zinn in
dünnen Metallstäbchen in den Handel kam, macht die Erklärung der
germanischen Zinnnamen altn., agls. tin, ahd. zin (auch ins Polnische,
Litauische und die meisten westfinnischen Sprachen entlehut) aus *tina-
als einer Nebenform von *taina- (got. tains, altn. teinn, agls. tan,
ahd. zein) ,Zwcig', .dünnes Metallstäbchen' etc. sachlich ansprechend.
6. Gänzlich unaufgeklärt ist altpr. starTcis (starstis?) ,Zinn' und die
im Süden wurzelnde Sippe von it. peltro, altfrz. peautre, engl, peteter
(daneben mit * altfrz. espeautre etc.).
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Zinn — Zinsen.
995
7. Die wichtigste vorderasiatische Gruppe von Zi immunen liegt
in akkad. anna, naga, assyr. anaku, hehr. dndk, arab. dnuk, äthiop.
näk, sert. ndga-, armen, anag. kopt. bais-neg (W. M. Müller a. a. 0.)
vor. Weiteres vgl. hei Vf. Sprachvergleichung und Urgeschichte *
S. 317.
Alle Bezugsquellen des Zinnes aber, mochten sie nun in Europa
oder Asien liegen, traten an Bedeutung zurück, als sich vom frühen
Mittelalter an die ungeheuren Zinnschätze Hinte rindiens dem Welt-
handel eröffneten. Auch diese Begebenheit hat sich in der Sprache
allgespiegelt, insofern der Stadtname Qualah auf Malakka, ein Centrai-
punkt des ostasiatischen Handels und Hauptstapelort des Zinnes (vgl.
Tomaschek a. a. 0. 8. 10 und Litteraturbl. f. Orient. Phil. I, 125)
sich als ein neuer Name des Zinnes selbst in ungeheurer Ausdehnung
über den Orient (Sprachvergl. u. Urgcseh.* S. 317. wo armen, klajek
nachzutragen) und bis in den Südosten Europas (ngriech. tcaXäi, alb.
kaldj, bulg. kalaj) verbreitet hat. — S. u. Metalle.
Zinnober. Dieses mineralische Färbemittel wird unter dem
Namen lowäßctpi zuerst von Theophrast erwähnt, dem zu folge es in
Spanien und in Kolchis gewonnen wurde. Nach Theophrast nahm das
Wort vielfach die Bedeutung eines anderen (vegetabilischen) Färbe-
mittels, des sogenannten Drachenbluts von der Insel Socotra (vgl.
Flückiger Pharmakognosie * S. 99 ff.) an (vgl. z. B. Periplus maris
erythraci ed. Fabricius § 30: t»v€Tcti b' Iv aürrj xai wvväßapi tö Xcyö-
uevov 'IvbiKÖv, öttö tu)v b^vbpwv u>? bäicpu o-uvcrröuevov >, während der
Zinnober uuter den Ausdrücken griech. fiuuiov und lat. minium (s. u.
Farbstoffe) mit verstanden wurde. Die Herkunft des unzweifelhaft
fremden griech. Kivvdßapi (TiTfäßctpi) ist nicht sicher. Man denkt an
ein npers. zingafr (vgl. Prellwitz Et. W. d. griech. Spr.) oder an ein
nabatäisches qunäbirä ,Graphit' (vgl. H. Jansen Wochenschr. f. klass.
Phil. 1895 S. 1067). Lat. cinnabari (aus dem Griechischen) kehrt in
der Bedeutung Zinnober in den romanischen Sprachen (frz. cinabre etc.)
und auch im Mhd. (zinober) wieder. Ausführlich handelt über die
Geschichte des Zinnobers O. Schade im Ahd. W. Über griech. crdvbuS
vgl. Blümner Terminologie und Technologie I, 245 und die Z. d. deutschen
morgenl. Ges. 1889 S. 386. — S. u. Farbstoffe.
Zins, s. Abgaben.
Zinsen. In ein wie hohes Alter geht bei den idg. Völkern die
Bekanntschaft mit den Zinsen zurück? Diese Frage ist von I bering
Vorgeschichte der Indoeuropäer S. 238 ff. ausführlich behandelt worden.
Er gelangt zu dem Ergebnis, dass Zinszahlungen erst nach dem Be-
kanntwerden des metallenen Geldes und im Handelsverkehr aufgekommen
seien. Die Zinsen seien eine babylonische Erfindung, alle anderen
Volker verdankten ihre Bekanntschaft damit den Babyloniern. Sie
seien ursprünglich gedacht als Anteil am Handelsgewinn eines über-
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Zinsen.
seeischen Unternehmens, seien aber dann wegen der Schwierigkeit
der Kontrolierung dieses Gewinnes als Quote vom eingeschossenen
Kapital fest fixiert worden. Vordem habe es nur Gefälligkeitsdarlelm
(Iat. mutuum) gegeben, die ihrer Natur nach zinslos seien.
Indessen lässt sich doch wahrscheinlich machen, dass so gross auch
immer der Einfluss des Handels auf die Ausbildung der Zinsen in ihrer
heutigen Gestalt gewesen sein mag, die Naturaldarlehen des gewöhn-
lichen Lebens schon in Zeiten, in denen es Geldverkehr noch nicht
oder so gut wie nicht gab, in der Absicht gemacht wurden, das aus-
geliehene Gut iu vergrössertem Massstab wieder zu erhalten, dass dem-
nach Zinsen in diesem Sinne so alt wie die Schuldverhältnisse selbst
sind. Schon Hesiod giebt Werke und Tage v. 349 ff. für die Getrcide-
anleihc den Rat:
€u ufcv u€Tpt?a6m Tropd y€itovo<;, eu b' dirobouvai,
aurdi Tiu uetpuj, Kai XuYiov, ai ice büvnai,
Oü? av xpnftwv *al öo*T€pov äpxiov €Üprj<;.
Von grossem Interesse ist ferner in dieser Beziehung die altrussische
Pravda des XIII. Jahrhunderts. In ihr wird hinsichtlich des Zinses
bestimmt (vgl. Ewers Ältestes Recht der Russen S. 323): „Wenn
jemand Marder auf Zinsen giebt, oder Honig auf Zugabe (nattavü),
oder Getreide auf Übermass (prisopü), so stellt er Zeugen, wie er
dies mit ihm ausgemacht hat, so empfange eru. Es wird also Marder-
geld (s. u. Geld) auf Zinsen, die monatlich oder dritteljährlich be-
zahlt werden (Ewers ibid.), ausgeliehen. Daneben besteht aber auch
für Naturaldarlehen die alte Form der ,Zugabe' oder des ,Übermasses'.
Auch bei den germanischen Völkern muss früh ein Modus bestanden
haben, ausgeliehenes Gut mit Gewinn zurückzuerhalten, da für diesen
Gewinn ein gemeingertnanischcr Ausdruck in got. wökrs ,töko?', »hd.
wiiohhar , Ertrag, Frucht, Gewinn* besteht. Die sehr unklare Äusserung
des Tacitus Genn. Cap. 26: Faenus agitare et in usuras extendere
Ujnotum; ideoque inagis sercatur quam si tetitum esset, kann, wenn
überhaupt, nur so verstanden werden, dass den Germanen wucherische
Vermehrung des Kapitals wie in Rom unbekannt war. Als eine Art
von Zinsen dürfen auch die Kälber, die Bewirtung und die Arbeit
augeseheu werden, welche nach den irischen Brehon-Gcsetzen (s. u.
Schulden) die saer stock tenants und daer stock tenants ihren Herrn
für die ihnen auf 7 Jahre geliehenen Kühe zu liefern oder zu leisten
haben.
Der Begriff der Zinsen wird in den idg. Sprachen meistens durch
.Wachstum' (vegetabilisches und tierisches) ausgedrückt, was zu der
durch die oben besprochene ,Zugabe' (der ältesteu Form des Zinses)
veranlassten Vermehrung des ausgeliehenen Kapitals aufs beste passt.
Hierher gehört sert. erddhi- .Zinseu' : vardh , wachsen', vdrddhusha-
,Wuchcrer' und russ. rostü : altsl. raxtq ,wachse'. Auch got. wökrs
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Zinsen — Zitrone.
997
<lürfte in letzter Instanz mit got. tcahsjan zu verbinden seiu (vgl.
XJhlenbeck Et. W.). Vgl. ferner griccb. töko? ,das Gebären', ,die
Nachkommenschaft', der ,Zhis' und lat. faenus, fenus : fetus, ßtura,
fficundu*. Anderer Herkunft sind griecb. bdvos, cigcntl. ,Gabe' (,Zu-
gabe' V) und Iptov, letzteres in dem Sinne, in dem man heut zu Tage
von einem „arbeitenden Kapital" spricht (oder direkt auf die als Zins
geleistete Arbeit (s. o.) bezüglich, wie auch töko? konkret das als
Zins zu liefernde Kalb der geliehenen Kuh bezeichnen köunte)? — S.
u. Schulden.
Zitrone. Die Heimat der Agrumi-Arten ist in Ostindien oder
noch weiter östlich iu Cocbinchina und dem südlichen China zu suchen.
Hieraus erhellt, dass Vertreter dieser Gattung in Europa erst bekannt
werden konnten, nachdem die Eroberungszüge Alexanders des Grossen
den Blick nach dem fernen Wunderland geöffnet oder freier gemacht
hatten. In der That ist es erst Theophrast, welcher die frühste Kenntnis
einer Agrumi-Art verrät. Oiov r\ T€ Mrjbia x^pa Kai TTcpai?, sagt er
Hist. plant. IV, 4, 2, dXXa t€ €\€i ttXsuu Kai tö nnXov tö un,biKÖv F| tö
ir€po"iKÖv KaXoüuevov .... tö bi unXov oük €0"6i€Tai nev, cuoömov b€
Trdvu Kai tö (puXXov toö btvbpou • k' &v t\<; i^dua T€Örj tö unXov ökotto
biarripei. xpftftuov b' ^Tteibdv Tuxrj tu; nemuKw«; (pdpuaKOV Kai Trpö?
aTÖuaToq euwbiav . . . <plpci bi m ufiXa Tiäaav üjpav Ta uev ?dp depfj-
pnrai Td be dvG€i rd bk ^kttettci aircipcTai bi Kai eiq öcTTpaKa
biaT«Tpn,M^va KaGdrap Kai o\ (poivoceq. Der hier gemeinte Baum ist nach
allgemeiner Annahme Citrus medica Cedra ,die Zitronatzitrone', nicht,
was wir heute Zitrone (= Limone s. u.) nennen. Persischer oder
modischer Apfel hiess der Baum, sei es, weil man seine Früchte über
diese Länder bezog, sei es, weil die Kultur des Baumes selbst schon
damals nach ihnen vorgedrungen war.
Im Occidcnt erfolgte die Aupflauzung der Zitronatzitrone erat
geraume Zeit nach der ersten Bekanntschaft mit den eingeführten
Früchten, die als sehr selten auch in einem Fragment des Komikers
Antiphancs (Ausgang d. IV. Jahrh.) erwähnt werden. Nachdem Plinius
Hist. nat. XII, 16 dann von vergeblichen Versuchen, den Baum in
Italien zu akklimatisieren gesprochen hat, schildert der im ersten
Drittel des HI. nachchristlichen Jahrhunderts lebende Florentinus (Geop.
X, 7) die Kultur des Zitronenbaumes in der heutigen Weise. Aus uoch
späterer Zeit Anden sich ausführliche Mitteilungen über diesen Gegen-
stand bei Palladius De re rustica IV, 10. Dass noch zur Zeit des
Diocletian citria ,Zitronen etwas seltenes waren, geht auch daraus
hervor, dass in dem nach ihm benannten Tarif dieselben einzeln
(nicht wie bei anderen Fruchtarten in grösserer Stückzahl) und zu
hohen Preisen (16—24 Denare das Stück) aufgeführt werden (vgl.
Jilümner Maximaltarif S. 98).
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Zitrone — Zucker.
Das lat. citrus, malum citreum, citrium (daraus griech. KiTpov,
KiTpiov ,Zitronatfrucht', KiTpea ,Zitronatbaum', ngrieeh. KtTpna, KiTpov,
alb. kitre) wird aus einer volkstümlichen Verwechslung mit griech.
K€bpoq (K€bpöpri^ov bei Dioskorides), woraus lat. citrun, erklärt, dem
Namen zunächst von einheimischen Wachholderartcn (s. d.), dann
von Pinns Cedrus L. oder auch von der ebenfalls stark duftenden
fremdländischen Thuja, deren Holz zu denselben Zwecken wie die
Früchte und Blätter des Zitronenbaumes, nämlich zum Konservieren von
Kleidern u. s. w. gebraucht wurde.
Erst der Epoche der Araber gehört die Verbreitung der Limone
und der Pomeranze (Orange) in Europa an. In beiden Fällen zeigt
die Sprache den Weg an, auf welchem diese Agrumi-Arteu aus Ost-
indien zu uns gekommen sind. Vgl. sert. nimbüka- ,der Zitronen-
baum', npers. limün, arab. laimiin, it. limone, ngrieeh. Xeiuovrjä,
alb. leimone (auch russ. etc. Umonü) und sert. ndranga- ,Orange',
npers. ndrang, armen, narinj, ngrieeh. vepaviZnd (bulg. nerandze), alb.
naränts, it. arancio, melarancio, frz. orange. Ausserhalb des Rahmens
dieses Buches fällt in zeitlicher Beziehung die* Einführung der Apfel-
sine {Citrun aurantium dulcei, die bekanntlich erst 1548 durch die
Portugiesen aus dem südlichen China zunächst nach Lissabon kam. —
Vgl. V. Helm Kulturpflanzen 0 S. 426 ff. Nach einer Schrift von Loret
Le cedraticr dans l'antiquite Paris 1881 S. 22 (bei Lewy Die semit.
Frcmdw. S. 35) käme der Zitronatbanm in Ägypten schon im XV.
Jahrb. v. Chr. vor. (?) — S. u. Obstbau und Baumzucht.
Zitwer lladi.r Zedoaria), eine dem Ingwer s. d.) ähnliche
Wurzel aus Ostindien, von den Molukken etc. Er wird erst durch
die Araber in Europa verbreitet: arab. yadtedr, zadwär (vgl. aber
Freytag Lex arab. -lat. I, 203;, daraus mlat. zedoarium, zeduarium, ahd.
citawar, ziticar, sp. zedoaria, klruss. ct/tear u. s. w. ; s. auch u. Pfeffer.
Zobel, s. Pelzkleider.
Zoll, s. Abgaben.
Zopf, s. Haartracht.
Zucker. Als mutmassliche Heimat des Zuckerrohrs (Sacharum
officinarum L.), das freilich in wildem Zustand noch nirgends un-
zweifelhaft nachgewiesen wurde, ist das nordöstliche Indien, besonders
Bengalen, vielleicht zusammen mit Hinterindien und dem Indischen
Archipel anzusehn. In sehr alten indischen Quellen, noch nicht im
Rigveda, wohl aber in der Väjasaneyi-Samhitä XXV, 1 und im Atharva-
v£da I, 34, 5 (in einein Liebeszauber; wird denn auch die Pflanze
{ikshu-i bereits genannt, ohne dass es möglich wäre, aus diesen Stellen
zu entscheiden, ob es sich um wildes oder angebautes Zuckerrohr
handelt. Als sicher darf man annehmen, dass seine ursprüngliche
Verwendung im Kauen und Aussaugen des Rohres bestand. Fester,
durch Eindicken des ausgepressten Saftes und Konzentricrnng des
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Zucker.
Zuckersyrups gewonnener Zucker tritt zuerst unter tiein Worte $(ir-
Ä'rtrrf, eigentlich ,Gries, Kies, Stein', dann .Sandzucker' auf. Der
Ausdruck kommt bereits im Mahäbhurata vor, ein Umstand, der aber
bei der eigentümlichen Entstehungsgeschichte dieses Gedichtes kaum
zu chronologischen Bestimmungen verwendet werden kann.
In Europa taucht die erste Kunde von dem indischen Zuckerrohr
bei den Begleitern Alexanders des Grossen. Xcarchos und Oncsikritos,
in d e r Form auf, dass es in Indien Bohre gilbe, die ohne Bienen
Honig hervorbrächten (vgl. Strabo XV, p. (394: eipn« b€ Kai — Neap-
X0? — TTepi tüjv KuXduujv öti ttoioGci ncXt ueXiffaüjv ixr\ ovkjüjv). Im
ersten Jahrhundert nach Christus ist dann auf einmal die eben er-
wähnte indische Bezeichnung des festen Zuckers, sert. qdrkart), in den
Formen von crdKxapi, adKxapov, saccharum in der griechisch-römischen
Welt vorhanden und wird ziemlich gleichzeitig von drei Autoren, dem
unbekannten Verfasser des Periplus maris erythraci, von Dioskorides
und Plinius gebraucht. Diese drei Stellen lauten: Peripl. ed. Fabrieius
§14: ilapT'xlimx be <Juvn8uj<; Kai änö tüjv £o*uj töttujv th<; 'ApiaKÜ.«; kui
BapuTa£ujv €Ü; raÖTa Ta toö Ttt'pav eunöpia -re'vn, TTpoxwpoövTa ämb tüjv
TÖTTUJV TOÜTUJV .... KOI U€'Xl TO KaXdpiVOV TO XCYÖpeVOV O OL K X a P l ,
Diosk. II, 104: KaXcnrai be ti Kai adKxapov, eibo? öv ue'XtTO«; ev 'Ivbia
Kai ttj eübaiuovi 'Apaßia TreTnrrÖTO?, eüptO'KÖpevov im tüjv KaXüpujv,
öuoiov rrj o*uo*Tdo"ei dXoi Kai Gpauöuevov ünip toi? öboöai KaGdrrep o\
äXe? ' £o*ti be eÜKoiXiov, eiKJTÖpaxov, bieOev übaTi Kai TroBev. üxpeXoüv
küo*tiv KCKaKUjp^vrjv Kai vetppoOV KaGaipei be Kai Ta Tdq KÖpa? emtfKO-
toüvto ^mxpiöpevov, Plinius Hist. nat. XII, 32: Saccharon et Arabia
fert, sed laudntius India. est autem mel in harundinibus collectum,
cummium modo candidum, dentibus fragile, amplimmum nueut abel-
lanae maguitudine, ad medicinae tantum usum. Bedenkt man, dass
der ausgezeichnet unterrichtete Verfasser des Periplus ausdrücklich
sein (TdKxapi mit dem ixiki tö KaXdpivov (vgl. oben bei Ncarch KaXduwv
öti ttoioOöi pe'Xi) identifiziert, und dass das dem gricch. (JdKxapov zu
Grunde liegende indische qdrkard (pali sakkarä) nachweislich ausser
Kies, Gries etc. doch nur ,Zucker' bedeutet, so scheint kein genügen-
der Anlass vorzuliegen, unter dem gricch .-lat. Wort etwas anderes
als festen, indischen Zucker, etwa, wie viele gewollt haben, den Ta-
baschir, die im Orient mediziuisch wichtige Konkretion des Bambus-
rohres, oder eine Art Mauna zu verstehen. Dass als Herkunftsort des
ödKxapov von Dioskorides und Plinius (nicht im Periplus; ausser Indien
auch Arabien genannt wird, ist ohne Bedeutung, da in der antiken
Handelsgeschichte nichts häufiger als eine Verwechslung von Produ-
zenten und Zwischenhändlern ist. Wohl aber lernen wir aus den au-
geführten Stellen, dass der Zucker im Altertum als Genussmittel noch
keine Rolle gespielt haben kann, sondern, wie alles seltene, z. B. lange
Zeit der Pfeffer (s. d.), lediglich zu medizinischen Zwecken verwendet
wurde.
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1000
Zucker — Zwerge und Riesen.
Erst durch die Araber ist die Kultur des Zuckerrohrs im Mittelalter
nach Ägypten, Sizilien und dem Süden Spaniens verbreitet worden,
und erst durch die Kreuzzüge und den Handel mit den italienischen
Städten ist der Zucker, deu seit Urzeiten gebräuchlichen Honig (s.u.
Biene, Bienenzucht) zurückdrängend, als Versüssungsmittel in die
breitesten Schichten eingedrungen. Der heute in ganz Europa geltende
Name des Zuckers, mhd. zucket u. s. w. geht denn auch zunächst auf
it. zucchero zurück, das wieder aus arab. sukkar, assukkar (sp. azticar),
von npers. sakar, prakr. sakkara, sert. gdrkard stammt (vgl. daneben
frz. ftueve candis etc. »Kandiszucker' aus arab. qand .Zuckerrohr ). —
Vgl. De Candolle Ursprung der Kulturpflanzen S. 191 ff. und E. 0.
v. Lippmann Geschichte des Zuckers Leipzig 1890.
Zugabe, s. Zinsen.
Zügel, s. Zaum.
Zweifelderwlrtschaft, s. Ackerbau.
Zwerge and Riesen. Der Glaube an überirdische Wesen, welche
an Grösse entweder weit das menschliche Mass übertreffen (Giganten,
Titauen, Riesen), oder weit hinter ihm zurückbleiben (Dactylen, Pyg-
maeen, Zwerge, Elfen) ist bei den idg. Völkern Europas in grosser
Ausdehnung verbreitet. Es handelt sich hier darum zu untersuchen,
ob und in wie fern sich diese Vorstellungen von Zwergen und Riesen
mit den u. Ahnenkultus und Religion geschilderten ältesten
Religionsvorstellungen der Indogermanen vermitteln lassen. In dieser
Beziehung kann es nicht bezweifelt werden, dass die Gestalt des
Zwerges in dem Seclcnglauben der Indogermanen wurzelt. Von
hoher Bedeutung ist hier zunächst die schon idg. Reihe agls. (elf,
altn. lilfr ,Elfe' = sert. rbhü-, dem Namen gewisser kunstreicher Genien
des vedischen Altertums, eine Gleichung, deren Grundbedeutung, wie
ihr Zusammenhang mit griech. d-Xtqp-cupoucu ,täusche' und ö-Xo<p-wioq
»tückisch, ränkevoll' zeigt, die eines übersinnlichen, trügerischen Wesens
war. Dass damit im letzten Grunde die menschliche vom Leibe los-
gelöstc und ein selbständiges Dasein führende Seele gemeint war, geht
aus der Natur der germanischen Elfen (vgl. W. Grimm Kleinere
Schriften I, 405 ff.) mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit hervor.
Wie die Seelen, müssen die Elfen mit irdischer Speise, die der Würze
des Salzes (s. d.) noch entbehrt, mit Milch, Brot und Käse gelabt
werden (Grimm S. 456), wie die Seelen, haben die Elfen (wenigstens
die schwarzen Elfen) ihre Wohnung in der Tiefe der Erde (Grimm
S. 454), wo sie, wie die Toten (s. u. Totenreiche), grosse Genossen-
schaften unter Königen oder Königinnen bilden (Gr. S. 457), wie die
Seelen, sind die Elfen dem Menschen, je nachdem sie behandelt werden,
bald freundlich, bald feindlich gesinnt (Gr. S. 466 ff.). Die Toten ge-
hören den Elfen an, „und sie feiern daher das Absterben eine»
Menschen wie ein Fest mit Tanz und Musik u (Gr. S. 476 l Wie die
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Zwerge und Riesi'n.
1001
Seelen, tiberfallen sie als Alp (mlid. alp = agls. ielf i den Schlafenden,
um ihn mit aufregenden Tränmen zu quälen (Gr. S. 440, 476). An
Gestalt sind sie klein (Gr. S. 413), wie auch in Griechenland die
Psyche auf altertümlichen Bildwerken als kleines beflügeltes Wesen
erscheint, und die Inder (s.u. Körperteile am Schluss) den Glauben
haben, dass die Seele als ein nur daumengrosses Geschöpf im Herzen
des Menschen wohne. Die indischen Rbhu's, deren im Veda hervor-
tretende Dreizahl kein ursprünglicher Gedanke sein kann (vgl. A. Kuhn
K. Z. IV, 103), haben sich von dieser Grundlage primitiver Vorstellungen
bereits weit entfernt, indem bei ihnen besondere die auch den Elfen
eignende Gabe hoher Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit sich geltend
gemacht hat vgl. Oldcnberg Die Religion des Veda S. 235 1. Auch
bei ihnen aber weist auf das alte Substrat des Scclenglaubens die
Überlieferung zurück, dass sie einstmals sterbliche Menschen gewesen
sein. Wie die Elfen, werden auch sie zum Genüsse irdischen Trankes
eingeladen, und wie diese werden sie unter einem König i i-bhukshdn-
,Elfenkönig' i bei einander lebend gedacht vgl. A. Kuhn a. a. O.i.
Die gleiche Bedentnngsentwieklung wie die eben besprochene Sippe
hat das ebenfalls gcmcingerni. mhd. twerc, gettrerc, agls. direorh,
altn. dvergr, unser „Zwerg" durchgemacht, wenn diese Wörter mit
Recht von Noreen Abriss der urgerm. Lautlehre S. 132 und F. Kluge
Et. W." s. v. Zwerg zu altn. draugr, alts. gidrog, mhd. getroc »Ge-
spenst', agls. dredg ,larva mortui', sert. druh ,durch Betrug schädigen' etc.
(s. u. Ahnen kul tust gestellt werden. Über damit zusammenhängende
Traumerscheinungen s. n. Traum.
Was die Elfen und Zwerge bei den Germanen, sind bei den Litauern
und Preussen die Kaukai, von denen Lasicius De (Iiis Samagitarum
S. öl berichtet: Sunt lemures. quon Ftussi Vboze (,arme Männchen',
, Wichtelmännchen') appellant, harbatuli (daher auch Barzdükai ,bärtige'),
altitudine ttniu* palmi e.rtensi, iis qui Mos esse credunt, contpicui,
«Iii* minime; his eibi omni* edulii apponuntttr, quod nm fiai, ea
sunt opinione, ut ideo xttas fortuua*, id quod accidit, amittant. An
anderer Stelle werden sie zusammen mit den Eithuari {ditwaras),
d. h. den Alp- oder Druekgcistcrn als Götter der Litauer bezeichnet
(vgl. Usencr Götternamcn S. 92). Ihre Bezeichnung kaukai (s. ausser
u. Ahncnkultus auch u. Alraun) entspricht etymologisch wohl dem
gemeingerm. got. hug* ,voüs', altn. hugr> agls. hyge ,Sinn, Gedanke',
so dass also auch hier der Zusammenhang zwischen Zwergen und
Ahncnscclen klar zu Tage liegt. Im Altnordischen sind mannahugir
die Menschenseelen, die meist in Gestalt von Tieren dem Schlafenden
im Traum erscheinen (vgl. Golther Germ. Mythologie S. 84 f.).
Die übrigen Bezeichnungen des Zwerges in den europäischen Sprachen
bieten geringeres Interesse. Ein Lall- und Kinderwort scheint griech.
vetvvos, lat. nänus : v^vvo?, vdvvo? f Oheim', Wvva, vävvn. ,Tantc', also
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1002
Zwerge und Rioscn.
etwa ,Onkelchen zu sein. Unmittelbar klar sind: griech. ttutucuos :
TruTMH , Faust', baKTiiXio? Ober die Idäiscben Daktylen s. u. Schmied)
: baicruXos , Finger', altpr. parstuck : lit. pirszta* .Finger*. Aus dem
Lateinischen vgl. pumilio, pusilio etc. (pumilio, nanu*, agls. duerh
G. Goctz Thesaurus I, 530). Im Osten Europas ist weitverbreitet russ.
karlo, cech. karte, lit. karlä u. s. w. ,Zwerg'. Es ist wahrscheinlich
eine Entlehnung aus der germanischen Sippe „Kerl" etc. (s. u. Stände),
das in der Zusammensetzung mit tomte- ,Haus' (schwed. tomtekarl,
vgl. Goltber a. a. 0. S. 141 s) auch auf germanischem Hoden ,Zwerg'
bedeutet.
Wenn die Gestalten der Zwerge somit aus dem Seelenglaubcn unserer
Vorfahren hervorgegangen sind, so haben sich die der Riesen
zweifellos von denselben Natur- und Himmelsgewalten losgelöst, in
denen der Glaube an die unsterblichen Götter selbst wurzelt. Das
Feuer, das Wasser, die Winde, die Erde mit ihren Bergen haben
namentlich bei Griechen und Germanen und im engen Anschluss an
die physikalische Beschaffenheit der Heimat dieser Völker den Riesen
ihren Ursprung gegeben. Sie stehen darum den Göttern, die da, wo
sie in die Erscheinung treten — man denke an den riesenhaften in-
dischen Indra oder den griechischen Ares, der 7 Plcthrcn mit seinem
Leibe deckt — selbst als Riesen geschildert werden, sehr nahe und
werden in Griechenland wie im Norden als mit ihnen um die Welt-
herrschaft ringend gedacht. Was ihre Namen (vgl. Prcller-Robert
Griech. Myth. I, passim und K. Weinhold Die Riesen des germanischen
Mythus, Sitzungsb. d. phil.-hist. KI. d. kais. Ak. d. W. zu Wien XXVI,
22ö ff. ) betrifft, so erinnern dieselben, soweit sie etymologisch durchsichtig
sind und sich nicht einfach mit dem der betreffenden Naturerscheinung
decken i vgl. z. B. die 3 Kyklopen Brontes: ßpovtn., Steropes : o*Teporcr),
Argen : dprifc, wie es auch einen Zeus dp-plS gab, oder die nordischen
Riesen Eid, eigentl. .Feuer", Logt, eigentl. ,Lohe', Käri, eigentl. ,Luft',
Jbkull, eigentl. ,Eisfeld' u. s. w. i, auffallend an eine Gruppe göttlicher
aus der litauischen Mythologie bekannter Wesen, welche letztere
sieh also auch hier für das Verständnis der Religionsanschauungen der
Übrigen idg. Völker in hohem Masse fruchtbar erweist. Man stelle,
um sich dies deutlich zu machen, litauische Götternamen wie Bang-
putys ,Wellenblässer', Batlbi* ,Brüller', Bildükai PI. , Polterer', Dreb-
kulys ,Stösser', Z'embery* ,Erdbestreuer' (vgl. Usenera.a.O.) griechischen
Gigantcnnamen wie Enkelado* ,der Tobende', Porphyrion ,dcr Wogende',
Polybotes ,der Brüller', Pallas ,der Schüttler' oder nordischen Riesen-
namen wie Ymir ,der Schallende', Beli ,der Brüllende', Thiassi ,der
Brausende' (nach Weinhokl ; ,der Fresser' nach Mogk in Pauls Grundrisa
III2, 311) u. s. w. gegenüber.
Die einzelsprachlichen Bezeichnungen des Begriffes ,Riese' gehen,
wie natürlich, auf die übermenschliche Gestalt oder die übergrossen
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Zwerge und Riesen
Zwiebel und Lauch.
1003
physischen Kräfte dieser Wesen. Griech. xiTävcq wird am wahrschein-
lichsten mit TiTdivw .spanne aus', TtTavo? ,Gliederspannung' verbunden,
wie agls. ent ,Ricse' : baiersch enzerixch ,ungehcuer gross' und kymr.
caicr, korn. caur ,gigas' : kelt. *kunos — kymr. cwn Modi t vgl.
R. Much Festgabe für Hcinzel S. 209.» gehört. Lit. mllzinax ,Riese'
ist der geschwollene' (vgl. lett. milzu, milzt .schwellen *. Ahd. risi,
alts. wrixil entspricht dem scrt. crshan-, ahd. durix, agls. oyrx, altn.
purx dem scrt. turä-, beide bedeuten also soviel wie ,die starken'.
Agls. eoton, alts. etan, altn. jötunn (dazu die Etionex mit Menschen-
antlitz und Tierleibern Tac. Germ. Cap. 46?) wird zu got. Hau ,essen'
gestellt und als ,edax' gedeutet. Daneben kommt es vor, dass Be-
nennungen des Riesen aus V ö I k e r n a m en hervorgehn. So mhd.
hiune aus dem Namen der Hunnen i vgl. R. Much a. a. 0. S. 210, Mogk
a. a. 0. S. 300, anders Kluge Et. W." s. v. Hüne , und so das in den
slavischcn Sprachen verbreitete ceeh. obr etc. ,Riesc' aus dem Namen
der türkischen Avaren. Griech. kukXuj^ bedeutet ,Radange' wie der
Vater Zeus selbst bei Homer cüpuoTro. ,Weitauge' genannt wird. Rta?,
tiTavTO? hat noch keine befriedigende Deutung gefunden.
Mit S e c 1 e n e r s c h e i n n n g e n zeigen die Riesen selten Berührung.
Doch soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass sowohl bei den
Germanen wie bei den Griechen gewisse Riesen auch als Druckgeister
oder Alpe und umgekehrt auftreten. Bei den erstcren ist auf die Ge-
stalt des „Troll" : altn. troll, mhd. trolle : got. trudan ,treten' (vgl.
lit. Spirükx ,Gespenst' : spirti ,mit dem Fusse stossen ' > und die des
„Schratt" : altn. skratti ,malus genius, gigas", ahd. xeraz, xerat, xerato
,Scbratt', auch slavisch poln. xkrzot, nsl. xkrat etc. zu verweisen
(vgl. Mogk a. a. 0. S. 300 und J. Grimm Deutsche Myth. I3, 447/.
Bei den Griechen ist Ephialtex (Preller-Robert S. 71 1 ein berühmter
Riese und zugleich der gebräuchlichste griechische Name des Alps
(vgl. \V. H. Roscher Ephialtes, eine pathologisch-mythologische Ab-
handlung über die Alpträume und Alpdämonen des klassischen Alter-
tums, XX. Band der Abb. d. phil.-hist. Klasse der kgl. sächs. Ges. d. W.
2. Heft S. 48 f. i. Auch das riesige Ungeheuer Typhon, Typhoeus
(Preller-Robert S. 63; von xütpoq , feuriger Dampf scheint dem Alp
Tiphys iTi<pu? ans *Tu<puqj nahe zu stehen ' vgl. Roscher a. a. O.
S. 55 f.). — S. u. Religion.
Zwiebel und Lauch. Es kommen hier als Hauptarten zunächst
in Betracht: 1. die Zwiebel (AlUum Cepa L.\, wildwachsend aus
Beludschistan, Afghanistan, Labore und vom Thianschan gemeldet;
2. der Knoblauch (Alliutn sativum L.\, wildwachsend nur in der
Songarei bekannt nach A. Engler bei V. Hehn s. u. i. Hierzu treten
dann noch eine Anzahl von Laue harten, die auch in Europa ein-
heimisch sind.
Der Anbau von Zwiebeln und Knoblauch geht in der Ugyptisch-
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1004
Zwiebel und Lauch
semitischen Welt in das höchste historisch erreichbare Altertum
zurück (vgl. Wocnig Die Pflanzen im alten Ägypten S. 192 ff. t, so
dass also die genannten Pflanzen schon in sehr früher Zeit aus ihrer
fernen östlichen Heimat an der Hand des Menschen ihre weite Wande-
rung angetreten haben müssen. Ein Name des Knoblauchs (hehr, tum,
arab. tum, pun. crouu, assyr. sümu ?i scheint ursemitisch zu sein. Vgl.
auch ägypt. bassal, bu*ml ,Z\vieber = hebr. b?*dltm. Aber auch in
Griechenland und Italien ist der Anbau von Zwiebelgewächsen
von Anbeginn der Überlieferung bezeugt.
Wir geben zunächst eine Zusammenstellung der wichtigsten von
Griechen und Römern gebauten Arten unter HinzufUgung der in
dem Capitulare Karls des Grossen de villis, als dem ältest erreichbaren
Zeugnisse deutschen Gartenbaus, erwähnten Sorten mach v. Fischer-
Benzon Altd. Gartcnfl. S. 137 ff. : 1. AUium Cepa L., Zwiebel,
Sommerzwiebel: griech. schon bei Homer, wo II. XI, 630 die Zwiebel
als TTOTiL övjjov , Beiessen zum Mischtrank' bezeichnet wird i tcpöuuov,
lat. cepa, Capit. : uniones lat. unio bei Columella* und ascalonicas
cepas. Von einer ascalonisehen Zwiebel spricht schon Theophrast
(VII, 4, 7 u. 8»; es ist aber nicht ausgemacht, dass dies oder die
ascalonicae cepae des Capit. identisch seien mit dem, was wir heute
Schalotte oder Eschlauch eine durch Kultur entstandene Abart des
AUium Cepa L. nennen. L\ AUium mticum L., Knoblauch:
griech. OKÖpooov 'Herodot, Aristoph., Theophrast), lat. allium, Capit.
alia. Über die Perlzwiebel oder Bocambole vgl. De Candolle Kultur-
pflanzen S. 89 und v. Fischer-Benzon 1. c.
Hierzu kommt dann noch 3. das für eine Varietät des in der Mittel-
meerregion einheimischen l'orrttm Ampeloprasum L. angesehene AUium
Porrum L., der Porree oder Lauch: griech. npacrov (Aristoph.,
Theophrast. aber als wahrscheinliches Stammwort von npatfiai »Garten-
beete' schon für die homerische Zeit vorauszusetzen», lat. poriwm,
Capit. porroH und 4. der in Europa einheimische Schnittlauch,
AUium Schoenopramim L.\ in Griechenland unbekannt, lat. porrum
sectirum Plin.), Capit.: britlas (vgl. brittola bei G. Goctz Thesaurus
I, 152» = „Brisslauch" (prieslauch bei der heiligen Hildegardis, ahd.
snitilouh \.
Auch in den nördlichen Teilen Europas treten Zwiebelge-
wächse sehr frühzeitig" auf. Bei den Thrakern dienen Zwiebeln als
Hochzeitsgeschenkc (Athen. IV. p. 131). Kpouuuot und aicöpoba werden
von den skythischen Alazonen angebaut (Herod. IV, 17). In der Edda
(Lied v. Sigrdrifa 8) kommt Lauch, ganz wie bei Homer die Zwiebel
(s. o.), als Beigabe zum Trank vor, doch nicht, wie bei Homer, zur
Würze, sondern um das Getränk, vor Verrat zu schützen.
Aber im prähistorischen Europa ist der Anbau von
Zwiebelgewächsen bis jetzt vollkommen nnbezeugt.
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Zwiebel und Lauch.
1005
Wciidct mau sich zur Untersuchung der T e r m i n o 1 o g i e der
Zwiebelgewächse, so bietet diese noch sehr viele linguistische Rätsel
und Unklarheiten dar. Einer sehr ausgebreiteten Verwandtschaft er-
freut sich das homerische Kpöuuov aus *Kpouuo*ov ,Z\viebel' (vgl. die
korinthische Ortschaft Kpepuwv, Kpouuwv), das mit agls. hrqmsan,
engl, ramson, deutsch mundartl. rams, ramsei, raniser etc., lit. ker-
mitsze, russ. ceremsa, ceremica, ir. creamh übereinstimmt. Alle diese
Wörter bezeichnen aber eine einheimische wilde Knoblauchart (Allium
ursinum L.), so dass also hier der deutliche Fall vorliegt, dass die
Helleneu bei dem Bekanntwerden mit dem orientalischen Allium
Cepa auf dieses die altererbte Benennung einer wilden Art übertrugen.
Griech. ffKÖpobov wird mit alb. huötre, ebenfalls — Allium sativum
verglichen.
Noch unaufgeklärt ist das Verhältnis von lat. cepe, caepe , Zwiebel'
: arkad. icäma' td ffKÖpooa. Ktpuvnrai (KÄma oder Kama?), womit mau
neuerdings auch ir. cainnen .Zwiebel, Lauch', kynir. cenin (*kapi->
zusammengestellt hat. Ebenfalls dunkel sind die Beziehungen vou
griech. npdtfov : lat. porrum , Lauch' und von griech. ßo\ßö{ ,Zwiebel'
(vgl. auch TcAfi?, *'Ö0S» -160? , Kerne im Knoblauch') : lat. bulbus (vgl.
den Eigennamen Bulbus). In beiden Fällen hat man sich bald für
Urverwandtschaft, bald für Entlehnung des lat. Wortes aus dem
Griechischen entschieden.
Aber auch an unzweifelhaften Entlehnungen fehlt es auf dem
Gebiet der Benennungen zwiebelartiger Gewächse nicht. Deutlich tritt
zunächst eine sUd-uördliche Strömung hervor. Aus lat. cepa,
caepulla entlehnt, resp. umgebildet sind ir. -ciap in folt-chiap (folt
,Haar ), agls. eipe (eipae, G. Goetz Thcs. I, 200), ahd. zwibollo, cech.
celmle, cibule etc., alb. k'ept. Aus lat. unio (s. u.) stammt agls. ynne,
ynneleac, aus lat. porrum : ahd. pforro, agls. porr, alb. por, aus
griech. TTpdoov : altsl. prazü. Von deutschem Boden zu den Slaven,
also vou West nach Ost gewandert ist ahd. louh, agls. Uac, altn.
laukr (dessen Beziehungen zu ir. lus, *luksu , Kraut, Pflanze' zweifel-
haft sind), altsl. luku , Zwiebel, Lauch' lit. lukai, nun. laukka . Ein
ostasiatisches Wort endlich scheint lit. sicogünas , Zwiebel' aus turko-
tat. sogan id. zu sein. Zwiebel und Knoblauch werden von H. Väm-
bery bei diesen Völkern, was bei ihren ursprünglichen Wohnsitzen
und dem Ausgangspunkte jener Pflanzen s. o. • auch begreiflich scheint,
für uralt angeschn (vgl. Primitive Kultur S. 220).
Es bleiben noch folgende, mit mehr oder weniger Sicherheit deut-
bare Bezeichnungen der Einzelsprac.hcu zu erwähnen übrig: griech.
TnÖuov, TnOuMi? »eine Art Winterzwiebd', vielleicht = „Erdrauch",
wie auch griech. 6üpo^, klruss. dymki ,Zwiebelgattungen' : altsl. dymü
, Rauch' zu gehören scheinen (aber thtciov?), lat. allium, alium : lat.
halare, anhilare. altsl. qr.hati, so dass lat. *anslum ,stinkendes Kraut'
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100«
Zwiebel und Lauch — Zwölften.
bezeichnete, ferner unio, wie Stnkes (Irish gl. 8G2i vermutet, ein kel-
tisches Wort : ir. uinneamain fgl. ccpe, onion;, gael. uinnean, kvmr.
icyiuryn-in i*oinnio\ doch dürfte das u von lat. unio = agls. ynne
kurz sein und nicht auf oi zurückgehe), ahd. chlobolouch ,gcspaltner
Lauch' : mhd. klieben «wahrscheinlich bedeutete aber schon chlobo
allein, worauf agls. clufe, engl, clove ,Zehe des Knoblauchs' hinweist,
die in Frage stehende Pflanze), ferner bolle, identisch mit ahd. bolla
,Knospe, kugelartigcs Gefäss', altsl. cesnükü, cesnici : cesati ,pectere'
(vgl. ahd. chlobolouh).
Ganz dunkel sind: griech. idbaXov, &f\\<;> uuttös in uuttwtö«; (vgl.
kypr. |iOTTO<paTia ,Knoblauchbrciesserci'), o*KiXXa, lat. ulpicum, palla-
cana, ahd. sttrio, sttrro (etwa ,die syrische', vgl. o. eepa ascatonica,
got. Saür ,Surus ?) u. a.
Überblickt man die hier geschilderten Verhältnisse, so dürfte für
die geschichtliche Entwicklung derselben sich folgendes Bild oder
dürften wenigstens folgende einzelne Züge eines solcheu sich mit einiger
Deutlichkeit ergeben. Bekannt waren in der Urzeit Laucharten, von
denen mehrere einheimisch in Europa sind. Ein Anbau derselben fand
aber noch nicht statt. Somit konnten auch in den Bereich der ältesten
Indogennanen Europas die dem fernen Orient angehörigen Allium Cepa
und Allium sativum noch nicht getreten sein, die erst die einzelnen
idg. Völker durch verschiedene Kulturströmuugen kennen lernten. Am
deutlichsten liegt die Geschichte der Zwiebel vor uns. Wie die
Griechen sich sprachlich verhielten, als dieselbe in vorhomerischer Zeit
in Griechenland bekannt wurde, ist oben geschildert worden. Von
Griechenland übernahmen vielleicht die Römer ihr c€pe { — ion. *Krpna,
arkad. KÖtmct : Kf|7ros, KäTtoq ,Garten'?), das dann weiter nach dem
Norden wanderte. In einer anderen Kulturströmung liegt lit. swogünas.
— Vgl. V. Hehn Kulturpflanzen6 S. 189 ff. S. u. Ackerbau.
Zwillinge, s. Kind.
Zwölften, die, s. Jahr.
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Anhang-.
1. Nachträge und Berichtigungen.
2. Literaturverzeichnis.
3. Sprachennachweise.
1008 Abgaben — Ackerbau.
l. Nachträge und Berichtigungen.
Abgaben. 8. 3. Wie ir. eis aus lat. cemus, so ist nach H. Zimmer
K. Z. XXXVI, 443 ir. ctiin ,Steuer, Abgabe' durch britannische Ver-
mittlung aus lat. canön entlehnt, das „in der Kaiserzeit die in den
Provinzen hauptsächlich von den kaiserlichen Domänen eingehenden
Pachten und festgesetzten Abgaben in die kaiserliche Privatkasse" be-
zeichnete. S. auch den Nachtrag zu Blutrache.
Abort. S. 4. Doch verbot religiöse Scheu schon den ältesten
Griechen sich bei der Verrichtung der natürlichen Bedürfnisse vor dem
Tagcshimmcl zu entblössen. So schärft Hesiod Werke und Tage v. 727
seinen Landsleuten ein:
\xx\h' ävr' r^Xiou TCTpanudvo«; öpOöq öuixttv *
aOxdp K€ burj, uc|uvr|U€vo£. t' äviövia.
unr' dv bb<\> unr' iKiöq öboö Trpoßdbnv oüptiarj?,
unb' dTT0Yuuvu)6€i<; • uaicdpujv toi vukt€<; laaiv ■
££6uevo<; b' öre Qe\o<; dvn.p, TteTrvuueva €tbu>s,
f\ öft n-pö? toTxov TieXdcra^ eüepicdoq aOXnq,
eine Stelle, aus der zugleich die Unbckanntschaft mit dem Abort in
damaliger Zeit folgt (vgl. dazu Uscner Götteruameu S. 179y). — Über
die Verhältnisse der Stadt Rom handelt ausführlich Becker-Göll int
Gallus II, 279. Neben dem hier besprochenenen Idtrina (nach Nouius
aus *lavatrina) wurden auch das etym. dunkle culhia, sonst .Küche'
(die neben der latrina lag) und conclavi* im Sinne von Abort ge-
braucht (vgl. G. Goetz Thesaurus I, 292, 249). — Charakteristisch für
die altgcrmanischen Verbältnisse ist vielleicht die Glossierung von lat.
latrina mit ahd. feltyanch, feldgang, veltganc (auch cloaca feldganc),
eigentl. ,Gang auf das Feld"; doch ist zu bedenken, dass gang auch
von dem zum wirklichen Abort führenden Gang gebraucht wird. Andere
teilweis humoristische Bezeichnungen sind ahd. xprdchüs, stcäxcamere,
sagarari (^ secreta in Anlehnung an xaerarium). Vgl. M. Heyne
Das deutsche Wohnungswesen S. 97, 181).
Ackerbau. S. 13. Vgl. V. Hehn De moribns Rnthenorum S. 152:
„Das neue Prinzip (die Feldmark als Gesamteigentum), dass eine ge-
wisse Nation angeblich in die Welt gebracht hat, erweist sich als ein
uraltes, von anderen längst überschrittenes, das sich nur hier im Eise
(der Stabilität) erhalten hatu (folgen die auch von uns behandelten
Stellen der antiken Schriftsteller).
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Adoption — Ahnenkultus. 1009
Adoption. S. 17. Ausführlich über eine germanische Schein-
adoption zum Zwecke der Emancipation des Adoptierten handelt
Scherer Anzeiger für deutsches Altertum VI, 87 ff. Besonders cha-
rakteristisch ist ein von Paulus Diaconus berichteter Fall: Karl Martcll
schickt seinen Sohn Pippin zu dem Langobardenkönig: Liudprand, ut
eius iuxta morem capillum smeiperet. Liudprand thut das, wird so
Pippins Vater (qui eiutt caesariem incidens ei pater effectm est) und
schickt ihn reich beschenkt seinem wirklichen Vater (genitori) zurück.
Scherer erblickt in dieser Schcinadoptiou die allgemeine Form der
Emancipation von der patria potestas, die in der frühsten germanischen
Periode nicht weniger streng als bei den Römern gewesen sei. Die
Sitte der Haarabschneidung (vgl. auch die capillatoriae der Lex
Salica) stellt er in Parallele zu dem kecfünta- der luder und der Haar-
kürzung bei der griechischen Ephebcuweihe (s. auch u. Haartracht).
— Als Auszeichnung kommt die Adoption im Beownlf (v. 948, 1176,
1480) vor, wo Beowulf von Hygeläc, der selbst Kinder hat, adop-
tiert wird.
Ahnenkultus. S.21. Mit der hier geschilderten baltischen Sitte, die
vom Tisch auf die Erde fallenden Speisen nicht aufzuheben, sondern den
Ahncnseelen zu überlassen, stimmt auf das genauste der griechische
Brauch. Vgl. üseuer Göttemamen S. 2498: „Aristoteles (fr. 180 R.)
bei Diog. Laert. 8, 34 t6 b£ TreaövTa ottö xpatr^n? nn. ävaiptiaeai . .
'ApiffTotpdvriq bi tujv fipujwv tpnatv etvai toi mirrovra, Xcyujv iv toi$
"Hpujo-t (fr. 2 Bergk p. 1070) 'pno* itvtaQ' ärr' äv ivrix; ttk rpaixi-
ZrjS Kaicm^oV, Athen. X, 427e rdiq bfe xextXeuTriKÖai tujv qnXujv ctTT€-
v€|iov Tä iriuTOVTa Tf\q xpotprjs dtnd tujv TpaTreZuiv mit Verweisung auf
Euripides fr. 664, wozu Nauck die Parodien der Komiker anführtu. —
S. 26. Da den Alpträumen eine gewisse mytheubildcude Kraft zu-
geschrieben worden ist, hätte der Name L. Laistners (Das Rätsel der
Sphinx, Grundzüge einer Mytheugeschiehte Berlin 1889) nicht unge-
nannt bleiben sollen, der zuerst, wenn auch in übertreibender Weise,
auf eine solche hinwies. Da die Alpträume eine Folge von Sauerstoff-
mangel des Blutes zu sein pflegen, und dieser wieder durch den Auf-
etathalt in ungesunden, kohlendunst-schwangcren Räumen herbeigeführt
wird (vgl. Höfler im Centralblatt für Anthropologie etc. V, 1), so er-
hellt, dass die Bedeutung dieser Traumerscheinungen in der Urzeit bei
den damaligen Wohnungsverhältnissen (s. u. Haus und u. Unter-
irdische Wohnungen) eine ungleich grössere als in der Gegenwart
sein niusstc. Über den Alptraum im klassischen Altertum vgl. W.
H. Roscher Ephialtes, eine pathologisch -mythologische Abhandlung
über die Alpträume und Alpdäinonen des klassischen Altertums im
XX. B. der Abb. d. phil.-hist. Kl. der kgl. sächs. Gesellschaft d. W.
1900. Besonders charakteristisch für den Zusammenhang der Alp-
träume mit Totenerscheinungen ist der von Plinius Hist. nat. XVIII, 118
Schräder, Reallexikon. 64
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1010
Ahnenkultus — Baldrian.
(Roscher S. 28) aufbewahrte Aberglaube, demzufolge die animae mor-
tuorum in Holmen süssen, aus deren Genuss sie aufsteigen, um den
Schläfer zu quälen. — Ein lettischer Name des Alps ist mils, wahr-
scheinlich : meist ,verwirrt reden, phantasieren'. S. auch u. Zwerge
und Riesen. — S. 27. Zu den beiden Reihen aw. dnij\ sert. drwÄ-,
altn. draugr etc. und ahd. mara, altsl. mora etc. ist auf die Aus-
führungen u. Traum zu verweisen. Für die letztere Gleichung ist
hier eine andere, uns jetzt wahrscheinlicher scheinende Erklärung vor-
geschlagen worden. Die Litteratur Uber die bisherigen unglaubwürdigen
Deutungen des deutschen „Mahr" findet sich bei Roscher S. 59. —
S. 28. Das Stanimverbum der Reihe lit. dtcasö, dtcasiä (dwüje),
dü#a#, altsl. duchü u. s. w. liegt in lit. dicesiü, dwe*sti ,hauchen vor
(vgl. Lcskien Bildung der Nomina S. 271, 311). Die wohl zuerst von
Holder Altkeltischer Sprachschatz befürwortete Verbindung dieser Wörter
mit altgall. dusio-s tadelt Roscher S. 65 801 mit Unrecht und denkt
seinerseits für dusios au eine Ableitung von sert. dus~, griech. büq-
ctc.(r). Das griech. Geö? verknüpft auch Kretschmer Einleitung S. 81
mit lit. dteüse.
Ainnie. S. 40. Vgl. noch lit. iindyict : itndau ,säuge'.
Arzt. S. 57. Z. 1 v. u. 1. iöq.
Aussetzungsrecht. S. 53. In einer ausführlichen Erörterung
über die Frage: Pflegten die Inder Töchter auszusetzen? hält 0. Böht-
lingk in den Berichten der phil.-hist. Klasse der kgl. sächs. Gesellschaft
d. W. zu Leipzig (Sitzung vom 15. Dez. 1900) an seiner im Texte
mitgeteilten Auflassung der betreffenden Vcda-Stelle fest. Doch gibt
er S. 424 zu, dass das pardsyanti auf einen „Gestus bei der Geburt
eines Mädchens" als „symbolische Veretossnng" desselben gedeutet
werden könne. Auch gegen die von Zimmer angenommene gelegent-
liche Aussetzung alter Leute in vedischer Zeit verhält sich ßöhtlingk
skeptisch. Bemerkt sei hier nur, dass der idg. Charakter beider
Bräuche von europäischer Seite her so gut bezeugt ist, dass man auf
die vedischen Belegstellen nötigen Falls verzichten kann. — Für die
Kelten werde ich in der Revue celtique 1901 S. 135 f. auf das Buch
von Leinster aufmerksam gemacht, wo sich eine Erzählung findet,
wie Cairpre Cincaitt seine Kinder aussetzen lässt.
Baldrian. S. 59. Vgl. noch C. Hartwich Über alte deutsche
Heilpflanzen in der Schweiz (Wochenschrift für Chemie und Pharmacic).
Die Bezeichnung der h. Hildegard denemarcha kehrt namentlich in
der Schweiz wieder. In Graubünden heisst die Pflanze „Damniarga"
und „Tammarken", im Entlibuch „Tannmark" u. s. w. Eine Beziehung
zu Dänemark enthält auch der Name „Dania maioru bei Tabernae-
montanus; doch ist ganz zweifelhaft, ob sie von Haus aus in dem Worte
liegt.
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Balsam — Beischläferin.
1011
Balsam. S. 59. Vgl, G. Schweinfurth Über Balsam und Myrrhe
(Berichte der Pharraaceutischen Gesellschaft III, 218 ff.). Hiernach liegt
die eigentliche Heimat der Balsamstaude, die besser als Commiphora
Opobahamum Engl, bestimmt wird, in tingefähr denselben Gegenden,
wie die der Myrrhe und des Weihrauchs, nämlich in den Küstenstrichen
des südlichen Arabiens und den ihnen gegenüberliegenden Strecken
Afrikas. „Ich fand den Balsamstrauch", sagt Schweinfurth S. 222,
„den mau unter Umständen vielleicht ein Bäumchen nennen könnte,
im südlichen Nubien auch landeinwärts vom Roten Meere gen Westen
weit verbreitet, bis 245 km von Suakin entfernt, am Gebil Kuurch. Im
tieferen Binnenland scheint er durchaus zu fehlen. Während Weih-
rauch- und Myrrhenbäume die mittleren Berglandschaf ten zwischen 1000
und 1600 m bevorzugen, ist der Balsamstrauch in Arabien und Nubien
nur auf die Küstenflächc, die Vorhügelregion und die unterste Gebirgs-
stufe bis 600 m Meereshöhe beschränkt. Nur im Somallandc fand ihn
Hildebrandt in Höhen von 1100 bis 1600 m. Der Strauch gedeiht nur
auf steinigem oder felsig zerklüftetem Boden, nicht auf Sand und noch
weniger auf salzhaltigem Terrain des Küstenlandes, obwohl er sich
auch auf Korallenfels vorfindet". Aus diesem Ursprungsland des
Balsams muss also die Pflanze frühzeitig nach dem für ihre Kultur
günstigen Jordanthal versetzt worden sein. — Über die, wie wir
glauben, irrtümliche Annahme Schweinfurths, dass Balsam mit hehr.
mör identisch sei, s. u. Myrrhe. — Was die Bezeichnungen des Bal-
sams anbetrifft, so ist im Hebräischen dreierlei zu unterscheiden:
1. bdsdm, nur im Hohenlied 5, 1: „Ich pflückte meine Myrrhe samt
meinem Balsam, arab. baidm, 2. betem, nur Exod. 30, 23: „Du
aber nimm Wohlgcrüche {bif&mtm PI.) von der besten Sorte, flüssige
Myrrhe (mör) 500 (nämlich Sekel) und Zimmt des Wohlgeruches (besem)
halb so viel, 250 (Sekel), und Rohr des Wohlgeruchs (box'em, gemeint
soll Kalmus sein) 250 (Sekel)", 3. das sehr häufige bösem, das Keine
Pflanze, 2. einen angenehmen Duft, 3. wohlriechende Stoffe im all-
gemeinen bezeichnet. Der Plural bexdmim kann von allen 3 Formen
abgeleitet werden. — Mit uns sieht auch K. Völlers Z. d. deutschen
Morgcnl. Ges. L, 295 griech. ßdXaauov für entlehnt aus hebr. bdsdm,
arab. baxdm, und arab. balasdn für rückentlehnt aus dem Griechischen
an, während Schweinfurth S. 224 für die zuletztgenannten Wörter irr-
tümlich das umgekehrte Verhältnis behauptet.
Beerenobst. S. 64. Ausser ugricch. (ppdouXct gilt für Erd-
beere noch xaMCUKÖuapov (iKÖuapo? ,Erdbecrbaum') und xaiMa,tc^Pa-
oov (:K^pao*ov ,Kirsche')- Vgl. G. Meyer Et. W. S. 194.
Beifuss. S. 65. Lit. kiecJiai stellt Lcskien Bildung der Nomina
S. 302: kie'tas .hart'.
Beischläferin. S. 66. Charakteristisch für den Bedeutungs-
übergang ,Sklavin' — .Beischläferin, Hure' ist auch das agls. cicene,
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1012
Beischläferin — Blau.
ctcyne (engl, quean), das ursprünglich ,Weib' im allgemeinsten Sinne
bezeichnete, dann im Gegensatz zu cw4n , Ehefrau' (engl, queen) zu
der Bedeutung ,Weih aus niederem Stande', »Sklavin' und ,prostitnte'
herabsank. „Wir erhalten damit den Hinweis, dass ursprünglich auch
bei den Angelsachsen die Dirnen sich aus den Sklavinnen, d. h.
entweder den unterjochten Bewohnern des Landes, also keltischen
Frauen, oder Kriegsgefangenen, also fremden Weibern rekrutierten,
da sich freie Frauen, ehe soziale Missstände die Stellung der Gemein-
freien gedrückt hatten, zu solchem Geschäfte nicht hergaben^ (vgl.
Roeder Studien z. engl. Phil. IV, 155). — Neben altn. portkona ueuut
Roedcr a. a. 0. S. 156 f. auch ein agls. port-cicene, dessen erster Be-
standteil hier mit altfrz. bordel ,Bordell' verglichen wird. Selbständige
agls. Ausdrücke für lupanar sind miltestran hu* und forligerhua :
forliger ,adultera'. — S. 66 Z. 19 v. u. 1. statt Hesych: Etymologicum
magnum. — S. 67. Eiu einheimischer lettischer Ausdruck für meretrix
ist inauka, nach Leskien Bildung der Nomina S. 231 : lit. maükti
,strcifen'. — Mancherlei hierhergehöriges enthält auch eiu Aufsatz von
0. Richter über griech. bcOTTÖTri? in K. Z. XXXVI, 119, wo /.. B.
Anm.6 eine neue Erklärung von griech. TraXXaKn. versucht wird.
Berg (Gebirge). S. 68. Hier hätte auf den Artikel Tempel
verwiesen werden sollen, in dem von dem Höhenkultus der Indo«
germanen die Rede ist.
Bestattung. S. 79. Z. 5 v. u. lies Lamunia. Vgl. jetzt A. Körte
Ein altphrygischcr Tumulus bei Bos-öjük (Lamunia) in den Mitteilungen
des kais. deutschen arch. Inst. Athenische Abt. XXIV, 1 ff. Es er-
giebt sich hieraus, dass die früher von Körte gehegte und von
Krct8chmer a. a. 0. wiedergegebene Vermutung, dass der eigentliche
Herr des Tumulus noch unter der Mitte der Hügelsohle in einer Grube
liege, sich nicht bestätigt hat. Nach Abtragung des Hügels haben
sich keine Spuren einer solchen Grube gezeigt.
Biene, Bienenzucht. S. 86. Eine einleuchtende Erklärung de»
ahd. impi, das ursprünglich wahrscheinlich nur »Schwann' {impi piano
, Bienenschwann') bedeutete, hat Liden Studien zur altind. und vergl.
Sprachgeschichte S. 71 f. gegeben. Er trennt das Wort sowohl von
griech. £jimq wie von lat. apis und stellt es zu ir. imbed, immed,
altkymr. immet ,copia, multitudo' aus Hmbeto-.
Blau. S. 95. Nachzutragen ist lat. venetus ,blau', bei Goetz The-
saurus I, 399, 419 ausser mit tiolacium (:viola) auch mit KaXXd'ivo?
(von KäXXma ,Hahnenkamm'), einmal auch mit agls. geolu ,gelb' über-
setzt. Ein Versuch, dieses Wort etymologisch zu erklären, scheint
nicht gemacht worden zu sein. Man könnte an das gallische seebe-
rühnite Volk der Veneti denken. Vegetius De rc militari III, 37 be-
richtet nämlich folgendes: Ne tarnen e.rploratoriae naves (die den
Libumerschiffen beigegeben zu werden pflegen) candore prodantur,
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Blau — Brautkauf.
1013
folore Veneto (qui marinis ext fluctibus similht) vela tinguntur, et
cunes : cera etiam, qua unguere aolent naves, inficitur. nautae quo-
que cel milites Venetam v entern induunt, ut non solum per noctem,
sed etiam per diem facilim lateant explorantes. Es zeigt sich also,
dass unser „Marineblan" schon im Altertum bekannt war, und man
könnte vermuten, dass es ursprünglich bei den Venetern aufgekommen
•wäre, so dass color Venetus eigentlich ,venetische Farbe' Iiiesse.
Blei. S. 95. Auch in der Schweiz wurde Blei, wie die im
Züricher Museum aufbewahrten Bleikiumpen von Wollishofen zeigen,
schon während der reinen Bronzezeit aufgefunden.
Blutrache. 8. 101. Charakteristisch für den eugeu Zusammen-
bang zwischen Totenkult und Blutrache scheint auch das lat. parentare
1. Jemandem die Totenopfer darbringen; 2. ihn rächen. — S. 103.
Wie verhält sich das im Text besprochene ir. edin ,emenda' : ir. edin
,Gesetz', »Abgabe', ,Tribut', das Zimmer K. Z. XXXVI, 440 ff. aus
lat. canön (in der Kaiserzeit) , Abgaben der kaiserlichen Domänen in
die kaiserliche Privatkasse' ableitet? Sind sie identisch, was sema-
siologisch unwahrscheinlich, wäre die Verbindung des ersteren Wortes
mit griech. Troivrj natürlich hinfällig.
Brautkauf. S. 109. Vgl. für die Germanen noch die beiden
Stellen Prokop B. G. IV, 20, wo von der Verlobung des Radiger,
Sohnes des Königs der Warner, mit einer anglischen Königstochter
die Rede ist: uj bn. ö irarrip irape^vou KÖpnc, T^vou? Bptrna«;. £|ivn.-
o-T€uo*€ tä.uov, nöTT€p äb€X<pd<; ßaciXcO? f|v TÖxe *Ayt»Xwv toö £8vou<;,
XpnMoia ueraXa tu) tt\<; uvn.o"r£iaq aurrj bebujKUjq Xöyuj und
Gnom. Ex. 82—8.1:
Cyning sceal mid ciape eteene gebiegan,
bünum and be'agum ....
„Ein König soll eine Frau durch Brautkauf (oder .mit Vieh'?) er-
kaufen, mit Bechern und Baugen" (Rocder Studien z. engl. Phil. IV, 27).
- S. 110. Wichtig für die Geschichte des Brautkaufs bei den Indern
ist noch Joseph Dahlmann Das Mabäbhärata als Epos und Rechtsbuch
Berlin 189ö S. 248 ff.: Es zeigt sich, dass unter den Eheformen des in-
dischen Rechts der Gebrauch des Kaufes nur in der Ehe der Rshi (draha-)
und in der der Asura (dsura-) aufbewahrt ist, welche letztere daher
auch qaulka- (von cu/fca- .Kaufpreis') hiess. Die erstere Eheform
galt, indem man die bei ihr übliche Kuhgabe lediglich als Geschenk
(arhanam) auffasste, als dharmya, die zweite, eben wegen des Braut-
kaufs, als adharmya. Wie verbreitet aber das Kaufen der Frauen
trotz des Einspruchs der Juristen im alten Indien gewesen sein muss,
beweist der Umstand, „dass der theoretische Aufbau des Rechts oft
im Kampf mit der geltenden Praxis liegt". So verwirft Manu III, 25
einerseits die Asura-Ehc, gestattet aber andererseits VIII, 204 aus-
drücklich, dass der Brautkauf noch nach Erlegung des Kaufpreises
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1014
Brautkauf — Ehe.
rückgängig gemacht werden könne, falls eine bessere Partie zu gleichem
Preise zn haben wäre, und (IX, 97), dass, wenn der gulkada (Käufer)
nach Erlegung des Kaufpreises und vor Realisierung der Ehe sterbe,
der Bruder des Verstorbenen das Mädchen bei Zustimmung des letzteren
haben solle u. s. w. — Wichtig für die keltischen Verhältnisse sind
die Bestimmungen der altirischen Gesetze. Vgl. Ancient laws and In-
stitutes of Ireland II, 346, III, 314, IV, 62 (Revue celtique 1901 S. 136).
Brunnen. S. 116. Beachte noch gricch. Kpnvn. = alb. krua
,Quelle' (vgl. G. Meyer Et. W. S. 207).
Bürge. 8. 120. Zu lit. Ididas bemerkt Leskien Bildung der
Nomina S. 186: „wenn nicht etwa fremd, zu leidiu, Uisti ,lassen\
Butter. S. 122. Vgl. noch lit. bröksztas ,Butterfass' : broszkiü,
brökszti , buttern', eigentl. ,stampfcn' (Leskien Bildung der Nomina
8. 536).
Dach. 8. 125. Vgl. noch Seneca De provid. IV, 14: {Oermanos
dico et quiequid circa Istrum vagarum gentium occursat) imbrem
culmo aut fronde defendunt. — Weiteres über das altgermanische
Dach bei M. Heyne Das deutsche Wohnungswesen 8. 26 f.
Dichtkunst, Dichter. S. 133. Ganz anders wie Kögel urteilt
freilich über das Gotische Weihnachtsspiel Carl Kraus in den Beiträgen
XX, 224 ft\ Er bemüht sich zu zeigen, „dass der Hymnus weder ger-
manische Wörter noch germanische Götter enthält, dass er sich viel-
mehr vollkommen in den Rahmen des byzantinischen Hofzeremonieila
einfügt und sich von den sonst überlieferten Akklamationen in keiner
Weise unterscheidet". — S. 134. Die Sitte mit Gesang in die Schlacht
zu rücken ist besonders bei Kelten und Germanen bezeugt. Vgl. hin-
sichtlich der Gallier Liv. XXXVIII, 17, 4: Cantus inchoantium proe-
lium et ululatus et tripudia, hinsichtlich der Germanen Tacitus Hist.
II, 22: Cantu trtici et more patrio nudis corporibus super humeras
scuta quatientium, Ann. IV, 47: Simul in ferocissimos, qui ante
vaUum, more gentis, cum carminibus et tripudiis persultabant , Germ.
Cap. 3 : Fuisse apud eos et Herculem memorant, primumque omnium
virorum fortium ituri in proelia canunt. sunt Ulis haec quoque car-
mina, quorum relatu, quem barditum vocant, accendunt animos etc.
Dorf. 8. 143. Im Litauischen ist bezeichnend, dass das Suffix
•ena-, mit dem sonst Verwandtschaftsnamen gebildet werden (brolönas
Bradersohn', seserenas »Schwesternsohn', tetenas : tetä ,Tantc', in den
häufigen litauischen Dorfnamen auf -Snai, den Pluralen der Einwohner-
namen (Bitenai, Piktupe'nai, Stalupi>nai u. s. w.), wiederkehrt (vgl.
Leskien Die Bildung der Nomina S. 388 f.).
Ehe. S. 154. Andere agls. Bezeichnungen für den Begriff der
Ehe sind ausser den im Text genannten aw (eigentl. .Gesetz') sin-seipe
(eigentl. »dauernder Zustand'), heemed-seipe (hwmed ,coitus') noch sin-
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Ehe — Eiche.
1015
rtkden, cigentl. ,perpetua conditio', sin-hitc-scipe (*hiw- .Familie'), sam-
icist, eigentl. ,das Zusammensein', Juhned-gemdna, hcemed-ping u. a.
(vgl. Roeder Studien z. engl. Phil. IV, 61 ff.).
Ehebruch. S. 156. Treffend äussert sich über diesen Gegen-
stand auch Roeder Die Familie bei den Angelsachsen (Studien z. engl.
Phil. IV, 133 ff.): „Wie die Fassung der älteren Gesetze zeigt, ver-
steht man ursprünglich unter Ehebruch nur die Untreue der
verheirateten Frau. Sie allein kann die Ehe brechen, indem sie
sich einem anderen als ihrem Ehemann überlässt, während von ihrem
Gatten keine strenge Enthaltsamkeit verlangt wird Man sieht
im Ehebruch zunächst nicht einen sittlichen Fehler, sondern die Ver-
letzung eines persönlichen Rechts". Über den in flagranti ertappten
Ehebrecher bestimmen Aelfreds Gesetze 42, 7: „Und jemand darf
fechten, ohne Fehde [auf sich zu laden], wenn er einen anderen trifft
bei seinem ehelichen Weibe, bei verschlossenen Thürcn oder unter einer
Decke", wozu, ganz wie im griechischen Recht (vgl. im Text S. 157),
hinzugefügt wird, „oder bei seiner ehelich geborenen Tochter oder bei
seiner ehelich geborenen Schwester oder bei seiner Mutter, die seinem
Vater zum ehelichen Weibe angetraut worden war". Ist der Ehe-
brecher geschont worden, so soll er sich von dem geschädigten
Ehemann durch eine Geldbnssc loskaufen, der er nach Acdclbcrbts
Gesetzen 31, falls es sich um den Ehebruch eines Freien mit dem
Weibe eines Freien handele noch eine andere, von ihm zu
kaufende Frau und die Kosten ihrer Heimfuhrung hinzuzufügen
bat. Strafbestimmungen für die einbrechende Frau fehlen in den
ältesten Gesetzen, vielleicht weil ihre Behandlung als Privatangelegen-
heit des Mannes betrachtet wurde. Cnuts Ges. II, 53 droht der
schuldigen Frau mit Vermögensverlust und Verstümmlung (Verlust von
Nase und Ohren).
Ehelich und unehelich. S. 160. Vgl. noch bei G. Goctz The-
saurus 1,677: manser I vel manzyr) ,filius meretricis', manzir ,de scorto
natus' aus hebr. mamztr ,der unehelich Uk nöpvn.;) geborene' (vgl.
Rocnsch Rhein. Mus. XXX, 454).
Ehescheidung. S. 161. Angelsächsische Ausdrücke für divortium
sind noch hiw-geflit, hhegeeid, beide cigentl. , Ehestreit' und hiw-
dsyndrung ,Ehc-Absondrung' (Roeder Studien z. engl. Phil. IV, 138).
Eibe. S. 163. Vgl. neue Beobachtungen Uber die Eibe, be-
sonders in der deutschen Volkskunde. Nach einem Vortrag des Prof.
Dr. Conwcntz in der anthrop. Sect. der Naturforschenden Gesellschaft
in Danzig am 22. Febr. 1899. Sonderabdruck aus Nr. 23706 der
„Danziger Zeitung".
Eiche. S. 164. Vgl. zu Hercynia auch Kossinna Z. des V. f.
Volkskunde VI, 6 und I. F. VII, 284. Auch er lehnt, wie Much, den
Zusammenhang von kelt. *PerJcünia — Hercynia mit lat. quercus und
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101«
Eiche — Erdbeerbaum.
alid. forha ab. Germ. *Fergunia (got. fairguni, ahd. Virgunnia) sei
eine Entlehnung aus *Perkunia (s. auch u. Urheimat S. 887).
Kretschmer wieder sieht in Hercynia eine Entlehnung aus einem ger-
manischen *Perlunia. Vgl. ganz neuerdings Beiträge XXVI, 281 ff.
Eichborn. S. 165. Ausführlich über die litu-slavischen Be-
zeichnungen des Tieres, denen noch lit. tcaiiceris, toaiwaras, waitcarys
,das Männchen von Iltis, Marder, Eichhorn, Rch(j) und anderen Tieren'
hinzuzufügen sind, handelt Leskien Bildung der Nomina S. 267. Er
hält, wie auch Much (im Text), einen Zusammenhang dieser Wörter
mit den germauiseben Eichhörncbcnnamen für möglich (agls. dc-teer-n).
Vielleicht liegt daun den letzteren ein ursprüngliches *vai-ver-n- (— slav.
*ve-vera in veverica) zu Grunde, in dessen ersten Bestandteil das Wort
für Eiche hineingetragen worden wäre. Alsdann würde ganz Nord-
europa durch einen gemeinsamen Namen des Tieres verbunden sein.
Eidechse. S. 170. Weitere Namen: armen, molez (vgl. Bugge
I. F. I, 442), alb. hardje aus lat. lacerta, mgriech. xapooöv Zwov öuoiov
KpoKobeiXw aus arab. hirdaun ,die grosse syrische, erdfarbene Eidechse'
(beides bei G. Meyer Et. W. S. 147) — Lit. driiias wird von Leskien
Bildung der Noniiua S. 184 zu drpz'as .Streifen' gestellt. J
Eisen. S. 1 73 ff. Auf dem Deutschen Authropologcn-Kougress
in Halle im Jahre 1900 hat, wie ich aus Zeitungsnachrichten ersehe
(Berliner Tageblatt Nr. 495 3. Beiblatt) 0. Montelius über Die Anfänge
der Eisenzeit in unserem Kulturkreis gesprochen. Demnach nimmt
dieser Korscher ein früheres Auftreten des Eisens im Norden an, als
es im Text geschehen ist. „In der fünften Periode der Bronzezeit
finden wir iu Mecklenburg eiserne Schmucksachen. In einem Grabe
auf Bornholm, das dem XII. Jahrhundert v. Chr. (!) angehört, fand
man ein kleines EiscnstUckchcn". Doch handelt es sich hier um ganz
vereinzelte Erscheinungen: „freilich ist dieses erste Auftreten noch
nicht identisch mit der Periode, deren Kultur auf dem Gebrauch des
Eisens begründet istu. In eine solche führt aber offenbar die im Text
besprochene Übernahme des keltischen Wortes in die germanischen
Sprachen. Umgekehrt scheint Montelius das erste Erscheinen des
Metalles im Orient später als S. Müller anzusetzen: „Sicher ist, dass
uns kein Stück begegnet in Asien, Ägypten oder in Südosteuropa, das
älter ist als das XIV. (!) vorchristliche Jahrhundert". — Zu den Aus-
führungen auf S. 177 stimmt es, dass auf idg. Boden das Eisen zuerst
in Phrygien und in der Troas auftritt. Eisenfunde sind in den prä-
historischen Schichten von Troja und in dem phrygischen Grabhügel
von Bos-öjük gemacht worden (vgl. darüber Körte in den Mttl. des
kais. deutschen Inst. Athen. Abt. XXIV, 19 f.).
Erdbeerbaum. Aus altgriech. KÖuapoq, ngriech. Koü^iapov, kou-
papiri ist durch Konfusion mit KouKOUfiäpt ,Gefäss" etc. ngriech. kou-
Kouuäpo, alb. lulumare (nebcu mare aus Kouuapid) ,Erdbecrbaum'
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Erdbeerbaum — Fichte.
1017
hervorgegangen (vgl. G. Meyer Et. W. S. 194). S. auch u. Speirling
am Schluss.
Erz. S. 199. Die neueste Arbeit auf dem Gebiet der Bronze-
frage ist die ohne Zweifel hochbedeutsame Abhandlung von 0. Mon-
telius Die Chronologie der ältesten Bronzezeit in Nord-Deutschland
und Skandinavien im XXV. und XXVI. Band des Archivs für Anthro-
pologie.
Familie. S. 215. Zu ahd. munt s. den Nachtrag zu Stände. —
S. 222. Ausführlich Uber das lautliche Verhältnis von scrt. ddriipati- :
griech. beonÖTns spricht 0. Richter K. Z. XXXVI, 111 ff., dessen
weitere Versuche, Beziehungen von betfTrÖTris zu scrt. jd's-pati-, altsl.
gon-podi und lat. hospes (s. u. Gasthaus S. 275) herzustellen allzu
kompliziert sind. Doch ersehe ich aus dieser Arbeit, dass erstens, wie
für griech. betfTTÖTiK, so atieh für scrt. ddriipati- nach Pischel Vcd.
Stud. 2, 105 als historisch nicht die Bedeutung »Hausherr', sondern
,Gebieter, Gewalthaber* anzusetzen ist, und dass zweitens, was altsl.
gospodi betrifft, schon von Prellwitz im Festgruss für Friedländer
S. 398 ein Versuch gemacht worden ist, die Media des slavischen
Wortes mit der Tenuis von seit, pdti- zu vermitteln und zwar aus
dem Wechsel von Tenuis und Media im Auslaut eines konsonantischen
Stammes *pot-, auf den scrt. pdt-ni und griech. ttötvici hinwiesen. —
Wie erklärt sich die Tennis in altcech. hospota für sonstiges hospoda ?
Farbe. S. 230. Vgl. die Fülle verschiedener Farbennuancen,
die schon im Althochdeutschen bei den Pferden unterschieden werden:
apfulgrd-ro* ,Orauschimmel mit apfclrunden Flecken', blanc-ros ,weiss-
lielies Pferd* (agls. blanca ^Schimmel', altn. blaklcr), blas-ros , Pferd
mit weissem Seitenfleck' (mndd. blasen hengst , Pferd mit Blässe ), bleih-
ros ,weissliehes Pferd', brün (ag ros) ,brauncs Pferd' (auch brüning),
fizzilfehros .Pferd mit weissen Fussgelenken', gelo(ros) ,gelbes Pferd',
röt-ros ,rotes Pferd', sicarz ros ,schwarzes Pferd', icirzbrün(ros) »braun-
rotes Pferd', wiz ros .weisses Pferd (nach Palander Die althoch-
deutschen Tieruameu S. 82 f.).
Fenster. S. 239. Als eine Mittelstufe zwischen der Dachluke
(lat. textudo, vgl. auch die Übersetzung von lat. inpluvium durch ahd.
röchloch) und dem eigentlichen Fenster sind im altgcrmauischen Haus
gewisse dicht unter der Stelle, wo das Gebälk des Daches aufsitzt,
angebrachte Lichtöffnungen. — Engl, teindote, mitteleng!, toindoge etc.
«ind als Entlehnungen aus dem Nordischen zu betrachten, wo schwed.
cindoga noch heute »Dachluekc* bedeutet (vgl. M. Heyne Deutsches
Wohnungswesen S. 29).
Fichte. S. 241. Zu lat. abies s. u. Urheimat der Indo-
gc i m a n c n S. 899.
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1018
Freund und Feind — Glocke.
Freund und Feind. S. 256. Zu dem über Blutsfreundscbaft
gesagten vgl. Herodot IV, 70: "OpKia bi iroieövxai Iku8cu u>Ö€ irpds
Touq äv TToieuüVTar iq küXikci p€YäXnv Kepauivnv olvov ^TX^vres alua
auuuiairoiiai tüjv *rä öpKia touvou^vujv, Tu^avTe? ütt^oti (,mit einer
Mistel'? oder für ÖTT^crn ,mit einer Schusterahle'?) f\ ^miauövTes pa-
XOttpn. ffpiKpov toö acuparoq Kai Inencv aTroßä^avTe«; tfjv KÜXtKOt
ÖKivaK€a Kai olcrtou? Kai adrrapiv Kai aKÖvriov Intav bk xaÜTa iroirV-
o*u>o*i, KaTCuxiuvTai ttoXXci koi £ttcit£v äTromvoum aüTOi T€ o\ tö öpKiov
Ttoieuuevoi Kai tüjv £ttop^vujv oi irXeicrrou ä£ioi.
Fuchs. S. 259. Ob ßaaadpa (vgl. Lagardc Ges. Abh. S. 278) ein.
thrakisches Wort, ist zweifelhaft (vgl. G. Meyer B. B. XX, 120).
Gasthaus. S. 275. Zu altsl. gospodl vgl. den Nachtrag zu
Familie.
Gefasse. S. 276. Auch auf dem Anthropologenkongress zu Halle
(1900) ist über diese Eindrücke von Fingernägeln auf prähistorischen Thon-
gefässen verhandelt worden (vgl. Beilage zur Allg. Z. 1900 Nr. 226).
Gerste. S. 289. Hordeum he.castichum oder tetrastichum ist
von Körte auch in dem altphrygischen Tumulus bei Bos-öjük (La-
munia) nachgewiesen worden (a. u. Bestattung Nachtrag a. O.
S. 16). — Altfrz. baillarc, ballarc, woraus mittelengl. bterlic, barli,
engl, barley ,Gerste', scheinen auf ein lat. balearicum (,von den Balc-
aren') zurückzugehn (vgl. Thomas Romania XXVIII, 171 und F. Kluge
in Gröbers Z. f. rom. Philologie 1900 S. 427 f.).
Glocke. S. 298. Vgl. jetzt Wölfflin im Archiv für lat. Lexiko-
graphie XI, 537 ff. Nach ihm hat die campana (schon bezeugt in
einem Brief des karthagischen Diakons Ferrandus an den Severinbio-
graphen Eugippins um 515) ihren Namen von dem aex Campanum,
einer Bronzemischung, die nach Plinius Hist. nat. XXXIV, 95 den
obersten Platz behauptete. S. Uber „Bronze" aus aex Brundixium u.
Erz. Zu Grunde liege (vasä) Campana, das dann als Femininum (vgl.
lat. folia : frz. la feuille) gefasst worden sei. Auch für nöla hält
W. an der Ableitung von Nöla (aber Xölanux) fest (vgl. Cato Agr.
135, 2: vasa ahenea Captine, Nolae). Mlat. clocca ist zuerst in der
Vita Columbae des Adamnanus (um 695) nachweisbar: Media nocte
pulsata personale clocca fextinux xnrgenx ad ecclexiam pergit
(III, 31). Die Glocke verdrängte im Gebrauch der Klöster das hölzerne
Schlagbrett, das noch jetzt im Orient verwendet wird. In Irland
scheint der Glocke frühzeitig eine gewisse rechtliche Bedeutung zuge-
kommen zu sein, insofern in bestimmten Fällen die Jurisdiction der
Kirche soweit galt, als die Glocke des Glockenturms (cloictige) gehört
wurde. Vgl. hierüber und Uber die Glocke bei den Angelsachsen
(micel belle — campana, litel belle = tintinnabulum', agls. belle, engl.
bell unerklärt) F. M. Padelford Old English musical terms S. 56 ff. —
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Glocke — Hopfen.
101»
Neben russ. kolokolü noch lit. kankolas .Glocke', nicht aus ersterem
entlehnt (vgl. Leskien Bildung der Nomina S. 470, ebenda S. 170 über
lit. tcafpas).
Gruss. S. 313. Weitere Terminologie des ,küssens' bei Joban-
sonn K. Z. XXXVI, 355.
Hamster. S. 327. Vgl. noch lit. szalczia*.
Häring. S. 334. In meinem Nachwort zur II. Auflage von
V. Hehns Salz (1901) habe ich für alid. häring, agls. Heering die Ab-
leitung von einem germanischen Stamme *hero- = altsl. aerü ,graublau',
sert. $drd- ,bunt, scheckig' (idg. *kiro-) vorgeschlagen und unser
„Häring" als den »graublauen' sc. Fisch gedeutet. Fiscbnamen werden
nicht selten von der Färbung der betreffenden Tiere hergenommen.
S. u. Barsch und u. Forelle.
Heuschrecke. S. 369. Lit. ü6gaa vielleicht: tiöü ,hiare\
Hirsch. S. 372. Weitere Belege für die Auffassung der Cer-
viden als der ,bunten' oder ,gefleckten' Tiere bringt Lidcn Studien
zur altind. nnd vergl. Sprachgeschichte S. 68, 95 f. in seit. £ta- ,bunt'
und ,Hirsch', röhi- ,eine Art Gazelle', röhita- ,eine bestimmte Hirsch-
art' : rö'hita- ,rot', mittelir. braichem ,Hirsch' : brecc ,bunt, gefleckt',
alb. dreri, geg. dreni ,Hirsch', drenze ,Hirschkuh', die er ansprechend
mit griech. (hom.) 6pöva vergleicht, das nach dem Schol. zu Theoer.
2, 59 im Thessalischen ircTrouciXueva £u>a bedeutet. Auch die Hesych-
glosse (a)pavi? (für *bpdvi^) • IXctqpo; möchte er nach dem Vorgang von
M. Schmidt mit dem albanesischcn Worte verbinden. Wie wir, sucht
Liden ferner ahd. reh als das , bunte' Tier zu deuten, indem er das
Wort für wurzelverwandt mit lit. rahbas »gesprenkelt, graubunt', rat-
na-8 bunt etc. ansieht; doch scheint mir die im Text gegebene Er-
klärung ansprechender zu sein. Vgl. über die deutschen Worte „Hinde"
und „Reh" auch Uhlenbeck Beiträge XXVI, 299, 306.
Höheiikultus, s. Tempel.
Hopfen. S. 377. Wichtig C. 0. Cech Über die geographische
Verbreitung des Hopfens im Altertum 1882. Auch hier wird, mit teil-
weis neuen Gründen, die Ansicht vertreten, dass die Verwendung des
Hopfens zur Bierbrauerei bei den Slaven, namentlich bei den Russen,
aufgekommen und von den Westslavcn zu den Deutschen verpflanzt
worden sei. Vgl. besonders S. 61 : „Nach den Schriften des russischen
Geschichtsschreibers Nestor unterliegt es nicht dem geringsten Zweifel,
dass der Hopfen in Russland bereits zu einer Zeit nicht nur allgemein,
sondern sogar spruchwörtlich bekannt war, wo Strabo (849) in seinem
Werke ,Hortulus' des Hopfens gar nicht erwähnt, diese Pflanze ihm
demnach auch nicht einmal dem Namen nach bekannt sein konnte.
Diese Überzeugung drängt sich uns aus einem alten Denkmale der
Geschichte Russlands auf, nach welchem der russische Czar Wladimir
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1020
Hopfen — Kleidung.
im Jahre 985 in ein Friedenstraktat mit den Bulgaren folgenden höchst
charakteristischen Passus aufnehmen liess: „ und die Balgaren
beschlossen, es wird so lange Frieden mit uns geben, bis der Stein
zu schwimmen und der Hopfen unterzusinken beginnt". Die sprüch-
wörtliche Anführung einer nur beim Bierbrauen wahrnehmbaren Eigen-
schaft des Hopfens in einer Staatsurkunde, die von zwei kriegführenden
Nationen des Ostens vor neunhundert Jahren vereinbart worden ist,
beweist zur Genüge, dass der Hopfen schon zu jener Zeit den Russen
und Bulgaren nicht nur sehr gut bekannt sein niusste, sondern dass
man bei der schon damals in Russland allgemein verbreiteten Be-
reitungsweise der „braga" (Hausbier) hinreichend Gelegenheit hatte,
den Hopfen auf dem Getreideabsud schwimmen zu sehn". — Agls.
feldicop deutet F. Kluge in An English miscellany presentend to Dr.
Furnivall in honour of bis seventy-fifth birthday Oxford 1901 aus *feldu-
hopp(o). — Das im Texte angeführte bradigabo bezeichnet nach
♦Steinmeyer Althochdeutsche Glossen IV, 245 4& den wilden Hopfen.
Hose. S. 381. Vgl. aber Prokop B. G. III, 14 über die Kleidung
der Slaven (XxXctßnvoi Kai "Avtou) : Tivfcq bk. oübfc xiT^va ou0^ Tpißui-
viov ?x°uo*iv, dXXä ^idvaq Td<; ävaEupiba? i vapuotfäuevoi M^xpi
1<Z td atbota, oütw br\ i<; o"ujußoXr|v toi? £vavTtot<; KaöiffTavTat. S. auch
den Nachtrag zu Kleidung.
Kamin. S. 407. Brugmann Gruudriss I3, 2, 772 deutet ir. c(r
aus *q£srä und stellt es zn altsl. cesati , kämmen'.
Kaninchen. S. 407. Z. 3 v. u. lies Pyrenäen-Halbinsel.
Keuschheit. S. 424. Wichtig für einen auch in die idg. Völ-
kerwelt hereinragenden Phallusdienst sind die Grabphalli, d. h.
steinerne phallusähnliche Aufsätze der phrygischen Tumuli (vgl. A. Körte
Ein altphrygischcr Tumulus bei Bos-öjük (Lnmuuia* in den Mtl. d.
kais. deutschen arch. Inst. Athen. Abt. XXIV, 7 ff.). Körte vermutet,
dass hier, wie in anderen Fällen, auf das Grab gesetzt worden sei,
was eigentlich i n dasselbe gehöre, das Symbol der Zeugungskraft, wie
Nahrung, Kleidung u. s. w. dazu bestimmt, den Toten im Grabe vor
Mangel zu schützen, und so in demselben festzuhalten. — S. 426. Für
ahd. cfnUki , keusch' weist Kögel Gesch. d. deutschen Lit. I, 2, 516
eine Nebenform scüslri nach, die vielleicht mit ahd. *scioh „scheu',
sciuhen ,scheuen' verbunden werden darf.
Kleidung. S. 437. Ganz neuerdings ist eine wohlerhaltcne
Mannesleiche im Scemoor zwischen Damendorf und Eckernförde (Schles-
wig-Holstein) gefunden worden. „Die Leiche lag unbekleidet etwa
1 Meter tief im Moor in der Stellung eines Schlafenden, den Kopf
auf den einen Arm gelegt. Cber dem Körper lag ein grosser Mantel
und zu seinen Füssen in ein Bündel zusammengewickelt die Hose,
zwei Fussbinden und ein Lcdergürtel, sowie zwei Lederschuhe ....
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Kleidung — Krankheit.
1021
Der Mantel besteht aus einem dunkelbraun gefärbten Wollcnstoff mit
einem kunstvollen rautenförmigen Drellmuster. Er ist l3/4 m lang wie
breit, aber stark verschlissen und mit mehreren grossen Flicken ver-
sehen. Die Hose ist heller gefärbt. Die Fussbinden, etwa 10 cm
breit und über 1 m lang, sind nach der Weise unserer Strümpfe gewebt
und der Form des Fusses angepasst. Der Gürtel ist von Leder, wie
auch die Schuhe, welche in besonders kunstreicher Weise aus ciuem
Stück Rindsleder gearbeitet sind" (Historische Vietcljahrschrift, herausg.
v. G. Secliger IV. Jahrgang 11)01, 1. Heft Nachrichten und Notizen
II, 151). Das Vorhandensein der Hose (s. d.) weist diese Leiche in
eine spätere Zeit als die im Text besprochenen.
Kochkunst, Küche. S. 440. Vgl. noch lit. sriubä ,Snppe' :
sriübti ,schlUrfeu'.
Körperbeschalfenhcit der Indogermaiteii. S. 403. Bemerkens-
wert ist, dass dem Griechen mit dem Begriff der Schönheit bei
Männern wie Frauen und Kindern der der Grösse unauflöslich ver-
knüpft scheint. Wie auf geistigem Gebiet KaXö? Kai dfa9ö<;, so sind
auf körperlichem Ka\ö<g (tüetbtfc) Kai acta? stehende Verbindungen.
Z. B. Od. I, 301 :
Kai o*u, <piXoq, \iä\a rdp o" 6pöw KaXov tc uetav t€,
oder Od. XV, 418 (Tuvn.):
KaXri T€ uetdXn. te Kai aYXad £pta ibuta,
oder Od. VI, 152 (von Nausikaa):
'ApT€'uiM ae £tu> re, Aidq Kouprj uetdXoio,
elböq t€ p^T€Öö? T6 cpurjv T'&yxiOta dtenau,
oder Herod. I, 12: rraibiov nifa xe Kai eueib^, VII, 12: £bÖK€e ö
Z^p£n.S fivbpa oi £möTdvxa ji€fav T€ Kai eueib^a emeiv u. s. w. (vgl. Stein
zu Herodot I, 12). Bei allen Völkern aber wird das Schönheitsideal
von den herrschenden Ständen hergenommen, und diese wieder pflegen
die relativ unvermischtesten zu sein. — S. 464 Z. 8 v. o. lies Pyrenäen-
Halbinsel.
Körperteile. S. 467. Ein slavo-lit. Wort für Niere ist lit. Inkstaa,
altpr. inxcze, altsl. isto ,reu, tcsticulus', obistije ,renes'. Fick K. Z.
XXI, 11 f. vergleicht auch lat. exta und griech. l^Kaia ,Eingeweide'.
— Ein keltisch-arisches Wort für Arm (Vorderarm) scheint in sert.
döshdn- ,Vorderarm', aw. daosa- ,Schulter', ir. doe (*dousen-) ,Arm'
vorzuliegen (vgl. Stokes Urkeltischer Sprachschatz S. 335). — S. 468
lit. dttna, altsl. dlana ,flache Hand' s. u. Zahlen.
Krankheit. S. 473. Lit. lUjä ,Krankheit' wird von Bezzenberger
B. B. IV, 332 zu griech. Xoiyö? ,Tod, Verderben, Pest' gestellt. —
S. 475. Vgl. noch lit. druggs ,Fieber' : russ. droil »Zittern, Schauer',
altsl. drügnqti gittern' (Leskien Bildung der Nomina S. 293). — S. 479.
Ein wichtiges Heilungsmittel gegen alle möglichen Krankheiten und
die sie verursachenden Dämonen ist bei fast allen idg. Völkern der
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Krankheit — Ofen.
menschliche oder tierische Urin, besonders der der Kuh, der in den
sakralen Rcinigungszcrcmonien der Iranier und Inder daher eine wichtige
Rolle spielt. Vgl. E. Wilhelm On the use of beef's urine aecording
to the preeepts of the Avesta and on similar custonis with other
nations, Bombay 1889, eine Arbeit, die auch sonst für das Verständnis
der Krankheitsformen und ihrer Heilung in alten Zeiten von Wichtig-
keit ist. Vgl. endlich nach Höfler Medizinischer Dämonismus im Centrai-
blatt für Anthropologie V, 1 ff. und Kraukheitsdämonen im Archiv f.
Religionsw. II, 86. S. auch den Nachtrag zu Wolf.
Kackuck. S. 483. Beachte noch litu-slavisch, lit. geguzi (neben
geg?), lett. dseguse, altpr. geguse Voc, russ. Zegozulja, ßech. iezhule,
*zeglzulja (vgl. Leskien Bildung der Nomina S. 199, 265j.
Los. S. 507. Über altsl. zrtbij ,Los' s. u. Zahlen.
Möwe. S. 559. Altpr. starnite : agls. stern, altn. perna ,See-
schwalbe' nach Berncker Die preuss. Spr. S. 323. In Nesselmanns
Thesaurus steht aber starnite ,Möwe'.
Musikalische Instrumente. S. 503. Nachzutragen lit. kailkies
,ein guitarrenartiges Instrument', ,Zither, Harfe', das einerseits mit finn.
kantete ,cithara Finnorum primitiva, quinque chordis instrueta et digitis
tractanda', andererseits vielleicht auch mit dem im Text genannten
altsl. gqsll (*gondslh) zu verbindeu ist. Doch ist der Ursprung dieser
Sippe und das nähere Verhältnis ihrer Glieder zu einander noch nicht
ermittelt (ausführlich darüber Thomsen Beröringer S. 178 ff.). — Vgl.
noch F. M. Padelford Old English musical terms Bonn 1899, wo eine
Einleitung über die Musik der Angeisachsen und eine alphabetische
Aufzählung der altenglischen, sich auf die Musik beziehenden Aus-
drücke gegeben wird.
Mutterreeht. 8. 565. Hierher gehört auch die Nachricht des
Strabo III, p. 165 über die iberischen Kantabrer: olov tö Trapd tou;
KavTdßpoi? tou? ävbpa? bibövai rat? fuvaiEl irpouca [kcu] tö Tä? 6uyo-
T€pa? K\npovö|iOu<; äTroAemeo*6ai tou^ t€ äbcXqwüs Otto toutujv dxbiboa-
6ai YovaiEiv. T^p ""va tuvaiKOtcpcmav. Dazu sagt Gerland im
Grundriss für romanische Philologie I, 315: „Das Weib hat bei den
Basken dieselben Rechte wie der Mann, auch in Handel und Verkehr;
in einigen Gegenden herrschte nach Cordier sogar die Sitte der Ver-
erbung durch die ältest geborene Tochter, die ihren Geschwistern
Unterhaltsgelder geben musste" (nach II. Hirt in Hettnere Geogr. Z.
IV, 383).
Nessel. S. 581. Vgl. noch lit. (tilgt (Leskien Bildung d. N.
S. 268).
Ofen. S. 592. Zu altpr. umpnis ,Backofen', umno-de »Back-
haus' stellt Leskien Bildung der Nomina S. 452 auch lit. ublas ,ein
Teil des Hauses', ablade ,der Teil des Hauses, wo der Backofen stehf .
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Ofen — Schlüssel.
1023
Mit dem altpr. Wort verbindet J. Schmidt K. Z. XXII, 191 griech.
tnvös, das dann aber von dem indischen und germanischen Ausdruck
getrennt werden müsstc.
Ölbaum, S. f>88. Dieser Artikel müsste nach der in diesem-
Werk sonst befolgten alphabetischen Reihenfolge zwischen Öhr und
Oleander stelin.
Opfer. S. 602. Über altindogermanische und alteuropäische
Opfertiere handelt auch H. Hirt in Hcttners Geogr. Z. IV, 378 f.
Orakel. S. 609. Zu griech. uctvTiq s. den Nachtrag zu Stände.
Pferd. S. 622 f. Über die hier besprochenen litu-slavischen
Wörter für ,Pferd' hat schon Leskien Bildung der Nomina S. 276 f.
ausführlich gehandelt. Er sieht die ganze Sippe für entlehnt aus dem
Finnischen an. — Zu lat. mannus vgl. noch G. Goetz Thesaurus I, 677 :
equus brecior est, quem vulgo brunkum (ahd. brütiing, vgl. Palander
Ahd. Tiernamen S. 94) tocant, mannt* ßoupixois (d. i. burricus ,eine
Art kleiner Pferde' : burru* ,rot'). S. noch den Nachtrag zu Farbe.
Ratsei. S. 648. Vgl. noch lett. mima : minti ,deuken'.
Rebhuhn. S. 654. Vgl. noch altsl. jarefil, jerebi ,perdix', die
Miklosich Et. W. ebenfalls zu *rembü ,bunt' stellt, eine Ableitung die
von Leskien Bildung der Nomina S. 269 namentlich für den Fall be-
zweifelt wird, dass lett. irbe (mescha-irbe »Haselhuhn', lauka-irbe
»Feldhuhn') zu der Sippe gehören sollte. Hier, sowie bei Miklosich a. a.O.,
weiteres über die Terminologie von Hasel-, Birk-, Schneehuhn.
Rechts und links. S. 664. Nach einer Mitteilung Cappellers
bedeutet in der indischen Erotik das Zucken des rechten Armes und
Auges beim Manne, das des linken beim Weibe Glück.
Religion. S. 672. Nach Kaufl'manu Beiträge XV, 209 wäre
Sünna im zweiten Merseburger Iieilspruch nicht die »Sonne', sondern
entspräche dem altn. Syn, dem Namen einer untergeordneten Gottheit. —
S. 684. Keltische Ausdrücke für den Begriff' der Religion sind ir.
crabud ,Glaube = kymr. crefydd .religio' (vgl. Stokes Urkcltischer
Sprachschatz S. 97).
Rind. S. 690. Auch etymologisch erweist sich das Rind als
Zugtier, wenn lit. jdutis ,Ochs' von Fick l4, 114 richtig mit lat.
jungo etc. verbunden wird (s. auch u. Wagen).
Schiff, Schiffahrt. S. 718. Lit. lahcas ,BotT ist nach Thomsen
Berör. S. 193 aus dem Finnischen (estn. laew, suom. laiva) entlehnt.
Schlitten, Schlittschuh. S. 724. Altpr. weissi* »Schlitten',
eigentl. »Wagen* : lat. veho etc. (s. u. Wagen).
Schlüssel. S. 725. Das im Text als dunkel bezeichnete lit.
räkta* {üiraktas und ülraktis »Verschluss') wird von Leskien Bildung
der Nomina S. 532 zu räkti ^aufpicken', ät rakas »offen' gestellt, von
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Schlüssel — Stunde.
Osthoff I. F. VIII, 56 mit ahd. rigil »Querholz zum Verschliessen' ver-
glichen.
Schmetterling. 8. 725. Die Bezeichnung des Sehmetterlings als
„Seele" (vyuxri) scheint einen tiefen Grund zu haben; denn im Deutscheu
ist die Auflassung der Elbe, die zweifellos Scclenweseu sind (s. u. Zwerge
und Riesen), als Schmetterlinge ganz gewöhnlich. Vgl. W. Grimm
KI. Schriften I, 477: „Seltsam, dass man den Alp auch mit blossen
Gedanken aus Zorn und Hass andern zuschicken kaun; dann kriecht
er als ein kleiner weisser Schmetterling aus den zusammengewachsenen
Augenbrauen des Menschen hervor, fliegt und setzt sich auf die Brust
des Schlafenden. Zu diesem Glauben stimmt vollkommen, dass (nach
Stalder) in der Schweiz Toggeli beides zugleich den Alp und den
Schmetterling bedeutet" und J. Grimm Deutsche Mythologie I3, 431:
„Der Alp soll oft als Schmetterling erscheinen und in den Hexeu-
prozessen heissen Elbe bald die kriechenden Raupen, bald die Puppen,
bald die entfliegenden Insekten. Auch die Benennung der guten holden
und der bösen Dinger teilen sie mit den Geistern selbst1*.
Schwein. S. 74f>. Die griech. Form öö^ wird von einigen mit
lett. zäka aus *kiti-ka (vgl. lit. kiaüle »Schwein) verglichen.
Schwieger-. S. 752. Die hier aufgestellte Regel, nach der es
in der idg. Grundsprache Ausdrucke für die Versch Wägern ng eines
jungen Mannes mit den Angehörigen seiner Frau nicht gegeben habe,
würde eine Ausnahme durch die Gleichung sert. sydld- = altsl. mri,
beide , Bruder der Frau' erleiden (vgl. Brngmann Grundriss I8, 204),
wenn dieselbe lautlich einiger Massen gesichert wäre. Wahrscheinlicher
ist es aber, dass sert. sydla- von sert. sä, sydti ,bindeu' abzuleiten ist
und ein Seitenstück zu sert. bdndhu- , Verwandter', griech. rcevöepös
,Vater der Frau' : got. bindan darstellt (vgl. üblenbeck Kurgef. et.
W. d. altind. Spr. S. 352). — Über lit. anyta s. u. Grosseltern.
Das Wort kann auch »Schwester des Mannes' und (auffälliger Weise)
zuweilen auch »Schwiegertochter' bedeuten (vgl. Leskien Bildung der
Nomina im Lit. S. 572 f.).
Singvögel. 8. 770. Zu lit. kregzdö, kregMinga »Schwalbe*
(auch blezdingt , Hausschwalbe') vgl. noch altpr. krixsticuo , Erd-
schwalbe'.
Stande. S. 818. Für den Gedanken an ein zwischen dem Gelblgs-
herrn und den Gefolgsleuten bestehendes Verwandtschaftsverhältnis cha-
rakteristisch ist auch die Bezeichnung des ersteren als mund-boro »Vor-
mund' (vgl. Scherer Anzeiger für deutsches Altertum IV, 95). Was den
ersten Bestandteil dieses Wortes, ahd. munt, altfries. mund »Schutz,
Vormundschaft', agls. mund, auch »Königsschutz', »Königsfriede' an-
betrifft, so hat ganz neuerdings H. Osthoff im historisch-philosophischen
Verein zu Heidelberg (vgl. Heidelb. Tageblatt vom 28. Jan. 1901
Nr. 3) den Vorsuch gemacht, es von dem danebeuliegeuden ahd. munt
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Stände - Viehzucht.
1025
,Hand* = lat. nianus, womit es bisher zusammengestellt wurde (s. auch
u. Familie S. 215) loszulösen und mit got. mundön ,betrachten',
mundrei ,Ziel', ahd. muntön ,schtttzen, verteidigen' etc. zu verknüpfen.
Die Grundbedeutung von munt wäre dann »fürsorglicher Schutz'. Auch
griech. ndvru; ,Seher' (s. u. Orakel S. 609) sucht Osthoff hier an-
zuschliessen.
Strafe. S. 832. Anf einen merkwürdigen irischen Ausdruck für
, Busse' macht Zimmer K. Z. XXXVI, 421 ff. aufmerksam. Hier be-
zeichnet eneclann die Gcnugthuung (Bosse), die jemand von einem
anderen wegen angethanen Schimpfes fordern kann. Das Wort bedeutet
eigentlich ,Gesicbtsplatte' (ir. enech ,Gesicht', lann »Platte') und beruht
auf dem litterarisch nachweisbaren Brauch, den einem Fürsten ange-
thanen Schimpf mit einer dessen Gesicht bedeckenden Goldplatte zu
sühnen.
Suppe, s. nicht Brühe, sondern Kochkunst, Küche.
Taube. S. 855. Vgl. noch lit. JcurkUUs »Turteltaube' : kttfkti
,quarren' neben purplilis id. : purpti ,sich aufblähen'.
Tempel. S. 855. Über den Höhenkultus der idg. Völker
vgl. noch F. v. Andrian Der Höhenkultus asiatischer und europäischer
Völker Wien 1891, R. Beer Heilige Höhen der alten Griechen und
Römer Wien 1891 (nach Üsener Götternamen S. 181 18).
Urheimat der Indogermanen. S. 881. Über die engeren kultur-
historischen Zusammenhänge zwischen Thrakern, Phrygern und Tro-
janern bandelt Kretschmer Einleitung S. 172 ff. Vgl. dazu auch A. Körte
a. d. im Nachtrag zu Bestattung a. 0. S. 43. Hier wird auch
darauf hingewiesen, dass Virchow in den Verhandlungen der Berliner
anthropologischen Gesellschaft 1896 S. 126 die Schädel des altphry-
gischen Grabhügels von Bos-öjük einer Bevölkerung zuweist, die den
heutigen Armeniern verwandt gewesen sei, worin K. eine Bestätigung
der im Text angeführten Angaben des Herodot erblickt. — S. 891.
über die Altertümlichkeit des heutigen Russischen äussert V. Hehn
De moribus Ruthenorum S. 116: „Die russische Sprache ist nicht, wie
Lamansky behauptet, auf gleicher Stufe mit dem Mittelhochdeutschen,
welches schon ganz modern ist, sondern mit Ullilas, ja in mancher
Beziehung noch älter als dieser. Das Russische steht etwa mit dem
Latein auf gleichem Niveau, das Griechische ist schon viel jünger".
Viehzucht. S. 919. (Verschncidung.) Als auf ein Analogon
zu „Wallach" etc. weist Kluge in seiner Zeitschrift für deutsche Wort-
forschung I, 350 auf ahd. prüz ,burdo ex equo et asina', ,mauuu8',
eigen tl. ,Preusse' hin.
Schräder. ReiUexikon. 65
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1026
Weizen und Spelt — Wolf.
Weizen und Spelt. S. 947. Triticum vulgare ist auch im alt-
phrygischen Tuniulus von Bos-öjük (Lamunia) gefunden worden. Vgl.
A. Körte a. d. im Nachtrag zu Bestattung a. 0. S. 16.
Wolf. S. 966. Für den engen Zusammenbang des Werwolf-
glaubens mit der „Kynauthropie" der Griechen tritt W. H. Roscher in
Beiner Abhandlung Das von der „Kynanthropic" handelnde Fragment des
Marcellus von Side in den Abhandlungen der phil.-hist. Klasse der
königl. sächs. Ges. d. W. XVII, 3 (1896) ein. Demnach hätte man
eich die Seelen der Verstorbenen, insofern sie als bösartig gedacht
wurden (s. u. Ahnenkultus), gern als Hunde oder Wölfe vorgestellt,
und eine im Süden wie im Norden häufige Krankheits- oder Wahn-
sinnsform habe darin bestanden, dass man sich in derartige als jene
beiden Tiere gedachten Toteugeister verwandelt wähnte. Bemerkt sei
noch, dass Roscher in dieser Abhandlung S. 11 88 auch über die zahl-
reichen von Tieren entlehnten Krankheitsbezeichnungen im
Griechischen spricht, auf die von uns u. Krankheit S. 477 kurz
hingewiesen wurde.
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2. Litteraturnach weise *),
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Archiv(io) glo ttopogico italiano. Roma. Torino. Firenze.
Ark(iv) för nordisk filologi. Christiania. Lund.
*) 1. Ausgeschlossen sind (von einer Anzahl von Übersetzungen ab-
fesehn) die Werke des Altertums und des Mittelalters, sowie von neueren
eröffentlichungen diejenigen, welche bereits im Text überall bibliographisch
hinreichend genau bezeichnet worden sind.
2. Die im Text gebrauchten Abkürzungen sind hier nur dann
wiederholt, wenn ihre Beziehung auf den oben gegebenen vollständigeren
Tit<il nicht unmittelbar einleuchtend war.
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1028
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Litteraturnachweise.
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1) Wenn bloss „ Urgeschichte* citiert wird, ist dieses Buch gemeint.
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Ritschi F. Opuscula philologica. I-IV. Lipsiae 1866-1878.
1) Versehentlich ist im Text ein paar Mal *PauIi- gedruckt.
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Literaturnachweise.
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Komania. Recueil trimestriel consacre ä l'etude des langue* et des littera-
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1042
Literaturnachweise.
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Literaturnachweise.
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1044 Literaturnachweise.
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„ des Vereins für Volkskunde (Neue Folge der Z. f. Völkerpsychologie
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„ für Assyriologio und verwandte Gebiete. Leipzig und Weimar.
„ für deutsches Altertum und deutsche Litteratur nebst Anzeiger.
Berlin (s. Haupts Z.).
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1046
Literaturnachweise.
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Ethnologie und Urgeschichte, zusammen mit den Verhandlungen
dieser Gesellschaft. Berlin.
, für keltische Philologie. Halle,
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, für romanische Philologie. Halle.
„ für Socialwissenschaft. Berlin 1898 ff.
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manischen Philologie, herausg. v. Rödiger).
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3- Sprachennachweise.
aegypt. = aegyptiscb.
aeol. = aeolisch.
aigh(an). — afghanisch,
agls. = angelsächsisch,
ahd. = althochdeutsch.
akk(ad). = akkadisch.
akymr. = altkymrisch.
alb. = albanesisch.
alem. = alemannisch,
alt. = altaisch.
altaegypt. = altaegyp-
tisch.
altbret. = altbretonisch.
altcech. = nltcechisch.
altengl. = altenglisch.
altfränk. = altfränkisch.
altfries. = altfriesisch.
altfrfz). = altfranzösisch.
altgall. = altgallisch.
altgerm.= altgennanisch.
altgutu. = altgutnisch.
altidg. —- altindogerma-
nisch.
altir. = altirisch.
altkelt. = altkeltisch.
altkorn. = altkornisch.
aitkymr. = altkymrisch.
altlat. = altlateinisch.
altn. = altnordisch.
altndd. = altnieder-
deutsch.
altp(ers). = altpersisch.
altpr. = altpreussisch.
altruss. = altrussisch.
alts. = altsächsisch.
altachwed. = altschwe-
disch.
altsl. = altslovenisch.
altsp. = altspanisch,
alttamul. — - alttamulisch.
altwestphäl. = altwest-
phälisch.
arab. = arabisch,
arain. = aramäisch,
arem. — aremorisch.
arkad. = arkadisch.
arm(en.) = armenisch.
ass(yr). = assyrisch.
äthiop. = äthiopisch.
att. — attisch.
aw. = awestisch.
bab(ylon). = babylonisch.
bair. = bairisch.
bask. = baskisch.
bei. = belüCt (balüei).
böhm. = böhmisch.
böot. = böotisch.
brit. = britannisch.
buchar. = bucharisch.
bulg. = bulgarisch.
burgund. = burgundisch.
byzant(in). -byzantinisch.
cag.(dzag.) = cagataisch.
cech. = ccchisch.
cer(enns8).=ciM"enH8sisch.
6uv(asch). = cuvnschisch.
dak. = dakisch.
dän = dänisch.
delph. = delphiseh.
dor. = dorisch.
dzag. s. cag.
engl. = englisch.
npidaur. = epidaurisch.
epizeph. = epizephyrisch.
falisk. = faliskisch.
Ann. = finnisch.
fränk. = fränkisch.
friaul. = friaulisch.
fries. = friesisch.
frz. = französisch.
gael. = gaelisch.
gal). = gallisch.
gemeing(erm). = gemein-
germanisch.
gemeinkeit. = gemein-
keltisch.
gemeinsKav). = gemcin-
slavisch.
georg. = georgisch.
germ. = germanisch.
got. = gotisch.
griech. = griechisch.
gutn. = gutnisch.
hebr. = hebräisch.
henneberg. = henneber-
gisch.
hess. = hessisch.
hind. =s hindi.
hochd. = hochdeutsch.
hom. — homerisch.
idg. = indogermanisch.
illyr. = illyrisch.
ind. = indisch.
ion. = ionisch.
ir. = irisch.
isl. = isländisch.
it(al). = italienisch.
ital. = italisch.
kambr. = kambrisch.
kan. = kanaanitisch.
kaukas. = kaukasisch.
kelt. = keltisch.
kirgis. = kirgisisch.
klruss. = kleinrussisch.
kopt. = koptisch.
korn. = kornisch.
kret. = kretisch.
krimgot. = krimgotisch.
kroat. = kroatisch.
kurd. = kurdisch.
kymr. = kymrisch.
kypr. = kyprisch.
lak. = lakonisch.
langob. oder longob. =
longobardisch.
lapp. = lappisch.
lat. = lateinisch.
lesb. = leabisch.
lett = lettisch.
lit. = litauisch.
liv. = livisch.
magy(ar). = magyarisch.
maked. == makedonisch.
mazend. = mazendera-
nisch.
md. = mitteldeutsch.
megar. = megarisch.
mengl. = mittelenglisch.
messap. = messapisch.
mfränk.=mittelfränkisch.
mgriech. = mittelgrie-
chisch.
rohd— mittelhochdeutsch.
raingrel. = mingrelisch.
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104«
Sprachennach weise.
mir. = mittelirisch.
mittelengl. = mitteleng-
lisch.
tnittelir. = inittulirisch.
mittelndd.= mittelnieder-
deutsch.
!nkymr.=mittelkymrisch.
mlat. = mittellateinisch.
mnd(d). = mittelnieder-
deutsch.
mndl. = mittolniederläu-
disch.
mong. = mongolisch.
mordv. = mordvinisch.
ndd. = niederdeutsch.
ndl. = niederländisch.
neuisl. = neuisländisch.
neukymr.= neukymrisch.
neunorw. = neunorwe-
gisch.
neuschwed. = neuschwe-
disch.
ngr(iech). = neugrie-
chisch.
nhd. = neuhochdeutsch.
niederd. = niederdeutsch.
niederrhein. = nieder-
rheinisch.
nir. = neuirisch.
nkymr. = neukymrisch.
nord. = nordisch (skandi-
navisch).
nordd. = norddeutsch.
nordeurop. = nordeuro-
pilisch.
nordfinn. = nordfinnisch.
nordfries. = nordfriesisch.
nordit. = norditalieuisch
nordtürk. = nordtürkisch.
norw(eg). = norwegisch.
npers. = neupersisch.
nschwed. = neuschwe-
disch.
nserb. = neuserbisch
nsl(ov). = neuslovenisch.
oberd. = oberdeutsch.
oberpfälz. — oberpfal-
zisch.
obersorb. = obersorbisch.
osk. = oskisch.
osm. = osmanisch.
osset. = ossetisch.
I ostj(ak). = ostjakiBch.
ostprcusa.=08tpreu*sisch.
östreich. = östreichisch.
pälign. = pälignisch.
Pamird. = Pamirdialekte
pehl. = pehlevi.
penn. = permisch,
pers. = persisch,
pfalz. = pfälzisch.
Pg-, ». P(0g.
phoeniz. = phoenizisch.
phryg. = phrygisch.
polab. = polabisch.
poln. — polnisch.
portug. = portugiesisch.
prAkr. = prakrit.
pr(ov). = provenzalisch.
p(t)g. = portugiesisch.
puu. = punisch.
rät., rhätorom. = rhätoro-
manisch.
rheiuprov.= rheinprovin-
zisch.
rhod. = rhodisch.
rom(an). = romanisch.
rum(än). = rumänisch.
russ. — russisch.
ruth. = ruthenisch.
sab(in). = sabinisch.
salfränk. = salfraukisch.
sardin. = sardinisch.
schott. = schottisch.
schwäb. = schwäbisch.
schwed. = schwedisch.
Schweiz. = schweizerisch.
sert. = sauscrit (altin-
disch).
! serb. = serbisch.
| sicil. = sicilisch.
Biebenbürg. = siebenbür-
gisch.
skand. = skandinavisch.
skyth. — skythisih.
I slav. = slavisch.
I slov. = sloveuisch.
slovak. = slovakisch.
sp(au). — spanisch.
spätahd. = spätalthoch-
deutsch.
spätmhd. = sputmittel-
hochdeutsch.
spät-lat. = spätlatcinisch.
süds). = südslavisch.
sum(er). = sumerisch.
syr. = syrisch.
syrj. = syrjänisch.
tamul. = tamulisch.
tat. = tatarisch.
theb. = thebanisch.
thrak. = thrakisch.
tosk. = toskanisch.
türk. = türkisch.
turkO'tat. = turko-tata-
risch.
uig. = uigurisch.
umbr. = umbrisch.
ung. = ungarisch.
urgerm. — urgermanisch.
urir. = uririsch.
uriran. = uriranisch.
urkelt. = urkeltisch.
urnord. = umordisch.
ursem. = ursemitisch.
urslav. = urslavisch.
ved. = vedisch.
venet. = venetisch.
venez. = venezianisch.
vog., s. wog.
volsk. = volskisch.
vorgerm. = vorgerma-
nisch.
votjak., s. wotj.
i vulgär-lat. = vulgärla-
teinisch.
wal(ach). = walachisch.
w(eis8)russ. = weiss-
russisch.
weps. — wepsisch.
westph(äl). = westphä-
lisch.
westsem. = wostsemitisch.
westsl. = westslavisch.
wog. — wogulisch,
wotj. = wotjakisch.
zigeun. = zigeunerisch.
UnlverailUts-Buclidruckcrei von Carl Georg! in Bonn.
f Gf 'HL
« UNiVt-RaiTY ) D^izedby Google
Neuere Werke aus dem Verlag von
Karl J. Trübner in Strassburg
mdccccii.
Durch die meisten Buch-
handlungen des In- und
Auslandes zu beziehen.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
3ettfct)rift
für
Seutfd)e SSortforfdjimg
^erouSgcgcben bott
jfrteödcb toluge.
©r|"ter SBonb. S\ VI, 374 ©eiten, mit bem ©ilbmö Don ftebor 99ecf). 1901.
3ttjciter Sanb. 8°. IV, 348 Seiten, mit bem SBtlbniS bon ff. Söetnholb. 1902.
dritter ©anb. ©rfteä imb jmciteä £eft. Unter ber treffe,
^reiö bed ©anbc«, geheftet 2R. 10.—, in fcolbfrana aebunbrn 3ft. 12.50.
SßölfflinS „ Ard)io für lateinifdjc ^erjfogra^ie" ift baä Vorbilb, bent
unjere 3eitfcr)rtft nacheifern wirb, Selche Aufgaben bie neuere SBortforfchung
3U löjen ^at, tft auf bem germanifebnt Sprachgebiet burch grofjarttge
Unternehmungen, roie ba§ ©rimmfebe SBörterbuch, ba3 New English
Dictionary. baS nieberlänbifche unb ba§ fc^toebifc^e Sörterbuch üeran*
fchaulidjt unb burch ^ermann ^aulS befannten Auffafc „über bie Auf*
gaben ber roiffcnfrf)aftttrt)eii £erifographieH begrünbet mürben. Auch bie 93c*
richte, welche ber Öffentlichfeit über bie Vorbereitungen beä Thesaurus linguao
Latinae unterbreitet werben, jeigen ber bcutfdjen Sprachforfchung, bajj mir
jefct, roo ba« ©rimmfdje SHörtcrbuch feinem Abfd)lu& naht, für unfer
geliebte« £eutfch QicU unb Aufgaben ber SSortforfchung ermeitern unb Oer*
tiefen müffen, wenn mir bem Thesaurus linguae Latinae nachstreben mollen.
Unfer neue« Unternehmen will ben altbewährten ^^rf^riften feinen
Abbruch trjun, and) nidjt bie Qaty ber allgemein germaniftifä^en 3rfld)s
btätter üermchren. 63 min eine Sainmelftättc fein, in bem bie Nachträge
unb Berichtigungen 51t unfern großen 2Börterbü(hern eine Unterfunft finben
bi£ 511 einer rnbgültigcn Aufarbeitung. (5$ min burch Älärung über
Söefen unb Inhalt ber SBortforfchung bie großen Aufgaben ber gufunft
oorbereiten unb einleiten. (58 will ber ©egenwart bienen, inbem cd
burch ernfthafte ©injelarbeit ba3 Verftänbntä ber 3Rutter*
fpracbe belebt unb oertieft.
2öir benbfichtigen, bie @Jefd)irf)te ber beutfa)cn Sörterbüchcr in unfern
Vereid) 51t Rieben, wichtige Spradjaueflen neu p brurfen unb Sammlungen
&utn bcutfd)en SBortfchafe untcr5ubringen. Aber mir monen ^gleich
burch mortgeographifche unb wortgefchicbtliche Auffeile unb burch Heinere
Mitteilungen anregen, burch 3citfchriftcnfchau aHe beutfch*fprachliche Arbeit
buchen unb über neue (Srfcheinungcn berichten. — .ßuglcich ftellen mir unfere
3citfchrift in ben £icnft ber ftnehgenoffen, inbem mir immer 9iaum für
„Umfragen" jur Verfügung ftellen : mir roollen ben Mitarbeitern am ®rimm*
frhen 23ürterbuch, bem großen SBenferfchen Unternehmen u. A. bie Möglich*
feit eröffnen, oorhanbenc Süden in Sammlungen 51t ergäben ober
Ungenauigfeiten richtig ju ftellen. 28ir hoffen, auch gelegentlich einsclne
3prad)erfcheinungen burch taten bilblich üeranfd)aulid)en $u fönnen.
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4
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
SBörterlmd) bcr beutf^en ©flradje
von
fticbvicb Ikluge,
l'rofcffor an brt Uniuerfität 3reil>ura t. Br.
Sechste öfrbfffcttc unb ttermtfyrte VluRaac.
üep. 8». XXVI, 510 6. 1899. $rei3 brofdncrt OTf. 8.—, in ^albfranj gebunbcn «DK. to-
ll) or bem @rf deinen bcr erfteit Auflage Don filugBS ctgmolugtliliem
KHnicrluuf| ^at e$ eine lejifalifche ^Bearbeitung her (Situmologie unfereS mobemen
6prad)icf)a&e8 ittd>t gegeben. $er ©rfolg ber feit bem 3aljre 1884 erfdjtenenen fünf
Zuflogen unb bic Anerfennung, welche bem ©udje ju Seil geworben, fyaUn gezeigt,
roie rid)tig ber ©ebanfe war, bie (Srgebniffc be8 anjie^eitbften unb wertoollften Steiles
bei roif fenfdjaftlichen SEÖortforfdjung : ben über bie Snifteljung unb ©efdjtdjte ber einzelnen
Söörter unfereS €5prachfd)at}e3, in fnapper lejifalifrfjer £)arftetlung jufammenjufaffcn.
35er Jöerfaffer hat es fidj jur Aufgabe gemadjt, 5°rBl un0 23ebeutung jebeS
iBorteS bis ju feiner Duelle 5U oerfolgen, bie ©ejictjungen gu ben Ilajfifdjen Sprachen
in gleichem flJcajje betonenb wie baS SBerwanbtfdjaftSoerhältniS ju ben übrigen
germanijdjen unb ben romanifdjen (Spraken; aud) bie entfernteren orientalifdjen, fowie
bie tettiföea unb bie flabifd)en Sprachen finb in allen gäflen herangezogen, wo bie
ftorfdwng eine ^erwanbtfdjaft feftjufteflen oermog. ©ine aUgemeine Ginleitung behanbelt
bie ©efdjid)te ber beutfdjen ©prad)e in ihren Umviffcn.
j£>ie oorliegenbe neue Auflage, bie auf jeber Seite iöefferungen ober 3u)äÖc auf*
weift, b,äU an bem früheren Programm beS SSerfeS feft, ftrebt aber mieberum nach
einer Vertiefung unb Erweiterung ber wortgefd)id)t(id)en Probleme unb ift aud) bie?«
mal bemüht, ben neueften ^ortfdjiitten ber eiomologiidjen SBortforfdjung gebührenbe
Siedjnuug 5U tragen; fie unterfdjeibet ftcf> oon ben früheren Auflagen befouberS burdj
fprad)wiffenfd)aftlid)e 92ad)weife unb Quellenangaben, fowie burdj Aufnahme mancher
jüngerer üöorte, beren ©cfdjtdjte in ben übrigen SBörterbüdjern wenig berüdftd)tigt ift,
unb burdj umfänglicheres ^ugte^en ber beutjd)cn SJfunbarten. AuS ben erften 33u<h»
ftaben feien nur bie folgenben Söörter, jum XetI 92eufd)öpfungcn untere« SahrlmnbertS,
angeführt, bie neu aufgenommen worben finb: allerbingS, Alrfanjler, AnfangSgrünbe.
Angelegenheit, Stnfdjaulidjfeit, anftatt, anzüglich, Afd)enbröbel, Afdjermittmoch, aus»
mergeln, öegeifterung, beherzigen, beläftigen, bemitleiben, befeitigen, Söcwcggrunb, bewerf«
ftelligen, bilbfam, bisweilen, SSlamagc, 93üttner, CShtift, Sljriftbaum, (Shriftfinbchen ;
au§ bcm ©urfjftaben St nennen wir: Äabadje, Äampe8, Äammerfätjdjen, tfanapee,
ßannengiefjer, ßänfterlein, Kanter, Äaper2, Ääpfer, Äartätfdje, Äafecnjammer u. f. w.
Am beften aber oeranfchaulichen einige 3°hfai bie Seroottftänbigung beS SBcrfeS feit
feinem erften (£rfdjeinen : bie 3^1)1 ber ©tichmortc hat fidj oon ber erften $ur fedjSten Auflage
oermehrt im 93uchftabcn 51 : oon 130 auf 280, 33: oon 387 auf 520, 2): oon 137
auf 200, ©: oon 100 auf 160, g: oon 236 auf 329, ®: oon 280 auf 330, ft:
oon 300 auf 440, $: oon 180 auf 236.
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5
Soeben erschien:
3tottx>elfd>-
Duetten unb SBortf djafc ber ©aimerfyradje
unb ber uerroattbten ©efjctmfpradjeu
^rofcffot an ber Untocrfität Svciburg i. 33.
I.
Stottoelfdje« Oueüenbud).
®r. 8». XVI, 495 @. 1901. ^reiö 2K. 14 -.
Seit 3loe valkmanto groftcm 3öerf über baä bcutfcfje (Gaunertum t>at bie
(£rforfd)ung beö ^Hotroclfd) beinahe oöüig geruht. Unb bod) »erlangt bic Öauner^
fpradje enblid) einmal nach einer fpracf)ioiffcnfä)aftlid)en unb philologifdjen Xuxfy
arbeitung, bic fic bei 9foc:£aQcmant nitfjt oöllig finbcn tonnte. Der iöcrfaffer
beö neuen SKerfcS oernuu jubem über ein roeit umfangreicheres Material, fo bafc
fein 2Berf in jroci Öänben erfdjeint. $er I. 33anb ift ein rotroelfcbeä GueUenbud),
ber II. Sanb ein rotroelfrfics 2üörtcrbud). Gine Ginleitung $um II. 33anbe be*
bonbelt Sau unb G5efcr)id>te ber bcutfcbcn Wef>eimfpracb,cn. 35er I. Sanb erneuert
fdjlüffe über bic beutfd)e Sjoltefpradje ; oor allem fei hingeroiefen auf bie (intberfung
lebenber Ärämcrfprachen, rooburd) bie beutfd)e Volfsfunbe neue Slnregungen erhält.
35er in Vorbereitung bcfinblidjc II. 33anb toirb in bem rotroelfdjen Söörtcrbucfc
td) ber £ilfc oon s#rof. Guting in Strafeburg unb ^Jrof. ^ifdjel in £afle er»
reuen, bie ben jubenbeutfeben unb ben jigeunerifcfjen 33eftanbteilen ber CJauner-
prache if>re Slufmcrtfamfeit roibmen roerben.
8«. XV, 128 3. VJOO. %hm brofehrrt Ji 2.50, in tfeimuaub flcbuubcn JL 3.50.
Diese Festschrift zum Gutcnbergjubiläum besteht der Hauptsache nach
aus einem Wörterbuch aller Fach ausdrücke des Druckereigewerbes in wissen-
schaftlicher Bearbeitung auf Grund älterer Fachwerke (Hornschuch, Vietor,
Schmatz, Pater, Krnesti u. A.); vorauf geht eine Einleitung, worin der F.influss
der lateinischen Gelehrtensprachc auf die Entwickelung der Druckersprache
Wandlungen einzelner Ausdrücke, Entstellungen und Missdeutungen, dialektische
Schreibungen nachgewiesen werden und auf die zahlreichen humoristischen
z. T. derben Ausdrücke aufmerksam gemacht wird.
Die imitfdje Dnidurfpradjc
oon
Dr. ftciiuitfrj ftlcn.>
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
griebrtd) ftiuflc
^TofeRot an bet HnioerRWt f$mburfl i. St.
8«. XII, 13G e. 1895. (Seiftet m. 2.50, in Sctnroanb gebunben 9R. 3.50.
^nljalt: I. Über bie ©tiibentfnforadie (Stubenten unb ^tbtUfter. —
Ertmfenlitanet. — Slntife Elemente. — $Burfd)ifofe 3oologte. — 33ibltfa>tf>eo[ogtfd)e
9iad>flänge. — 3m Sann be$ Stotroelfd). — ftranjofifoy (Jtnflüffe. — ©ramma»
tifebe ©igenart. — Urfprung unb Verbreitung. — II. SBorterbudj ber @tubeutcn*
fpradje.
«Beim Lesen dieses Buches fühlt man sich oft von einem Hauche frischen,
fröhlichen Studentenlcbens berührt, und selbst das anscheinend so trockene
Wörterbuch reizt durch seinen manchmal recht humoristischen Inhalt zu einem
herzlichen Lachen. Es war in der That eine dankbare, freilich auch recht
schwierige Aufgabe, das für die ältere Zeit so spärliche und vielfach sehr ver-
steckte Material zu sammeln und daraus in grossen Zügen eine Geschichte der
deutschen Studentensprache zu entwerfen, die um so grösseren Dank verdient,
als sie nicht nur der erste umfassende und auf wirklichem Quellenstudium be-
ruhende Versuch der Art ist, sondern auch mit grossem Geschick sich auf
jenem Grenzgebiet zwischen populärer und streng wissenschaftlicher Dar-
stellung bewegt, das einzuhalten nicht jedem Gelehrten gegeben ist. Gerade
auf diesem Gebiet hat sich Kluge durch sein musterhaftes etymologisches
Wörterbuch grosse Verdienste erworben; denselben Weg betritt er jetzt mit
gleichem Erfolg auch in der vorliegenden Schrift, die ihre Entstehung zumeist
den Arbeiten zu jenem anderen Werke verdankt. . . .>
Liter. Ccntralblatt TS95 Nr. 28.
«Prof. Kluge hat mit vielem Flcissc, wie die zahlreich eingestreuten Be-
legstellen beweisen, sowie gestützt auf eine ausgedehnte Lektüre und auf eigene
Beobachtung die Sprache der Studenten in alter und neuer Zeit nach ihrem
Ursprung und ihrer Verbreitung dargestellt und seiner Abhandlung ein reich-
haltiges Wörterbuch der Studentensprache beigegeben. Ist das Buch als Bei-
trag zur deutschen Sprachgeschichte und Lexikographie von grossem Werte,
• so ist es auch für den Akademiker, der die eigenartige Sprache seines Standes
nach ihrer Entstehung und Geschichte kennen und verstehen lernen will, ein
interessantes Buch und besonders zu Dedikationszwecken geeignet, wofür wir
es bestens empfohlen haben wollen.» Akad. Monatshefte 1895 *>■ 26. Mai.
«Eine der liebenswürdigsten Erscheinungen auf dem Gebiete der deutschen
Sprachwissenschaft ist diese neueste Arbeit des durch sein mustergültiges
etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache bekannten Germanisten.
Streng wissenschaftlich und dabei so gemeinverständlich geschrieben, dass
Jedermann sie mit wahrem Genüsse lesen kann, wird sie in den Kreisen derer
)esondcre Freude bereiten, die selbst eine fröhliche Studentenzeit verlebt
haben und nun beim Lesen dieses anziehenden Büchleins aus den schnurrigen,
sonderbaren Ausdrücken der studentischen Kunstsprache alte, liebe Gestalten
der goldenen Jugend in der Erinnerung wieder auftauchen sehen. Wer hätte
sich nicht manchmal schon gefragt, woher diese närrischen Wörter stammen
mögen? Eine fast erschöpfende Antwort giebt uns Kluges Buch, eine Antwort,
die uns zugleich ein ganzes Stück Kulturgeschichte vor Augen führt. Wir
sehen, wie im 16. und 17. Jahrhundert die alte lateinische Gelehrtensprache,
im 18. Jahrhundert das Französische Einlluss gewinnen, wie die Sprache der
Bibel und das Rotwelsch oder die Gaunersprache viele Beisteuern liefern,
wie aber vieles auch frei erfunden oder in frühlicher Keckheit umgeformt,
verstümmelt, in anderer Bedeutung gebraucht wird. Mancher seltsame Aus-
druck, der in die Schriftsprache übergegangen ist, erhält hieraus seine Erklärung.»
Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins 1S96 Nr. f.
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7
Sonderabdrücke aus der zweiten Auflage
von
„Pauls Grundriss der germanischen Philologie".
AMIRA, K. vM Grundriss des germanischen Rechts. Mit
Register. Der zweiten verbesserten Auflage zweiter Abdruck.
VI, 184 S. 1901. M, 4.—, in Lwd. gbd. M. 5—.
„Das umfangreiche Material ist mit Umsicht und Gewissenhaftigkeit
zusammengestellt, mit Geschick und Einsicht verwerthet, weil vorzugs-
weise nur das wichtigste und Entscheidendste ausgewählt wurde; selbst
die Schlussfolgcrungcn aus jahrelangen Forschungen sind öfters in einen
Satz zusammengedrängt. Die neueren, rechtshistorischen Forschungen
sind nach Gebühr berücksichtigt . . . Die Darstellung ist klar, gleich
anregend, wie wissenschaftlich verständlich sowohl in der Wiedergabe
der bereits vorliegenden, wie der eigenen neuen Ergebnisse . . . ."
Deutscher Rcichsanzcigcr iSyi Nr. IQ4.
BEHAGHEL, OTTO, Geschichte der deutschen Sprache. Mit
einer Karte. IV und S. 650— 780 und 9 S. Register. 1898.
M. 4. , in Lwd. gbd. M. 5.--.
,,. . . .Wie die bisherigen Arbeiten dieses Gelehrten, so zeichnet sich
auch diese neueste durch die psychologisch-historische Behandlung ihres
Gegenstandes aus; sie kann sehr wohl als Typus der sprachgeschicht-
lichen Darstellung gelten, wie sie die wesentlich psychologisch basierte
neuere Sprachforschung fordert, und veranschaulicht aufs glücklichste
die von Paul aufgestellten Theoricen. Wer sich mit den Problemen und
der ganzen Disciplin der neueren Sprachwissenschaft an einem bestimmten
Sprachobject bekannt machen will, kann diesander HanddcrBehaghcrschcn
Arbeit mit ihrem jedem Germanisten geläufigen oder doch fasslichen
Material verhältnismässig mühelos erreichen . . ."
Zeitschrift f. d. Realschnhcescn X V, 6,
BRANDL, A., Geschichte der englischen Literatur.
(In Vorbereitung.)
BREMER, O., Ethnographie der germanischen Stämme. XII.
216 S. Mit 6 Karten. 1900. M. 6.—, in Ldw. gbd. M. 7.- .
,, . . . Ein Vorzug der Schrift Bremers ist die klare Anordnung
und harmonische Durcharbeitung, wodurch sie sich vor weitschichtigeren
Arbeiten, wie Möllenhoffs deutscher Altertumskunde, auszeichnet. Er
bietet im Beginne eines jeden Abschnittes ein sehr reiches Literatur-
verzeichnis, welches jedem, der sich weiter in die Sache vertiefen will,
zum Führer dienen kann. Namentlich viele zweifelhafte Fragen mit
schwieriger Auslegung treten im Verlaufe der Arbeit hervor, wo man
sich mit einem non liquet begnügen muss, und nicht immer entscheidet
sich der Verfasser in der einen oder anderen Richtung, sondern stellt
die widersprechenden Ansichten einfach einander gegenüber .... Wir
wollen schliesslich darauf hinweisen, dass Bremers Arbeit in der ersten
Auflage des Pani schen Grundrisses nicht enthalten war, dass daher alle,
welche die erste Auflage noch benutzen, gut thun werden, den Sonder-
abdruck sich zur Ergänzung zu beschaffen ..." Glolnts K/01, Nr. 10.
JELLINGHAUS, HERMANN, Geschichte der mittelnieder-
deutschen Literatur. IV, 56 S. 1902. M. 1.50.
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8 Verlag von KARL J. TRÜBNER m Strassburo.
KLUGE, FRIEDRICH, Vorgeschichte der altgermanischen
Dialekte. Mit einem Anhang: Geschichte der gotischen Sprache.
XI und S. 323—5»7 und 10 S. Register. 1897. M. 4.50,
in Lwd. gbd. M. 5.50.
,,Mit Meisterschaft hat Kluge die noch schwerere Aufgabe gelöst,
die „Vorgeschichte der altgermanischcn Dialekte" d. h. die aus der Sprach-
vergleichung erschlossene älteste (vorhistorische) Gestalt der germanischen
Sprache auf 100 Seiten so darzustellen, dass neben den als sicher zu be-
trachtenden Ergebnissen der bisherigen Forschung auch noch schwebende
Kragen und künftige Aufgaben berührt werden."
L. Tobler, Utteraturblatt f. xerm. u. rom. PkÜologie 1890 S. 13$.
KLUGE. FRIEDRICH, Geschichte der englischen Sprache.
Mit Beiträgen von D. Behrens und E. Eincnkel und mit einer
Karte. IV und (I. Band) S. 926—1148 und 14 S. Register. 1899.
M. 5.50, in Ldw. gebd. M. 6.50.
,, . . . Der Geschichte der englischen Sprache ist mit Recht ein
erheblicher Raum überlassen worden. Kluge bespricht zunächst die
Einwirkung fremder Sprachen, namentlich des Skandinavischen (über die
Stellung des Französischen in England und die Elemente, die es der
heimischen Sprache zugeführt hat, handelt die beigegebene Erörterung
von Behrens eingehender) und die Schriftsprache und verfolgt dann
im Einzelnen die Entwicklung der Laute und Flexionen durch die alt-
und mittelenglischc Periode bis zur Zeit Shakespeare s. Kluge s Arbeit,
welche die Resultate der Studien Anderer bequem zugänglich macht
und mit einer Fülle eigener Bemerkungen verbindet, verdient volle An-
erkennung. Dankenswerth ist es, dass Einenkel eine Syntax beige-
steuert hat, welche hauptsächlich auf der Sprache des 14. Jahrhunderts
beruht . . ." Uterar. Centraiblatt 1892. Ar. 8.
KOEGEL. RUDOLF, und WILHELM BRUCKNER, Ge-
schichte der althoch- und altniederdeutschen Literatur.
IV, 132 S. 1901. M. 3.—, in Lwd. gbd. M. 4.— .
LUICK, K., Englische Metrik, a) Heimische Metra.
(In Vorbereitung.)
MOGK, EUGEN, Germanische Mythologie. VI, 177 S. 1898.
M. 4.50.
„ . . Hier haben wir es mit einer Leistung ersten Ranges zu thun.
Bei gründlichster Sprachkenntnis nichts von philologischer Einseitigkeit,
bei festen Grundanschauungen nichts von Liebhaberei für dieses oder
jenes Erklärungsprinzip, überall vielmehr tiefes kritisches Erfassen der
Mythologemc unter psychologischem — oder richtiger anthropologischem —
Gesichtspunkte, überall strenge geschichtliche und morphologische Sich-
tung . . . Auch in der Auswertung der Literatur, wie in der Gliederung
und Darstellung des Stoffes zeigt sich die Meisterschaft des seinen Ge-
genstand völlig beherrschenden Gelehrten . . ."
Zeitschrift f. d. Kealschulwcsen XVII, 10.
MOGK, EUGEN, Geschichte der norwegisch-isländischen
Literatur. (Unter der Presse.)
NOREEN, ADOLF, Geschichte der nordischen Sprachen.
IV u.S. 518— 649 u. 7 S. Register. 1898. M. 4.— , in Lwd. gbd. M. 5.—.
«Noreen's Behandlung des Nordischen kann als epochemachend für
die nordischen Studien bezeichnet werden. Zum ersten Mal wird hier eine
Geschichte des Nordischen gegeben, welche nicht nur die Literatur-
sprachen berücksichtigt, sondern auch die Periode des Gemeinnordischen ^
auf Grundlage der Runeninschriften behandelt. Noreen's Darstellung
zeichnet sich durch genauestes Eingehen auf zeitliche und locale Unter-
schiede aus und liefert eine Fülle neuer Resultate. >
Lilerar. Ccntralblall 1S90, Ar. 9.
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PAUL, HERMANN, Geschichte der germanischen Philologie.
IV und S. 9—158 und 23 S. Register. 1897. M. 4.^.
„Die besonders in der neueren Zeit immer massenhafter heran-
flutende germanistische Literatur zum Zwecke einer geschichtlichen Dar-
stellung zu verarbeiten, war keine leichte und wahrlich auch keine ver-
lockende Aufgabe. Paul hat diese Aufgabe mit einer Geschicklichkeit
bewältigt, die sich nur aus einer sichern und in den Kern der Dinge
eindringenden kritischen Beherrschung des gewaltigen Stoffes ergeben
konnte; er hat nicht nur Ordnung und Obersicht geschafft, sondern auch
trotz der bio- und bibliographischen Fülle, der nicht aus dem Wege zu
gehen war, eine Darstellung gegeben, die nicht nur lesbar, sondern durch
ihren pragmatischen Aufbau mitunter sogar fesselnd, überall aber klar
und lehrreich ist." Zeitschrift f. d. Rtalschulutsnt XV, 6.
PAUL HERMANN, Methodenlehre der germanischen Philo-
logie. IV und S. 159—247. 1897. M. 2.—.
„Die Methodenlehre ist eine wahre Schatzkammer feinsinniger
Beobachtungen und Erfahrungen. . ."
Zeitschrift f. vergl. Literaturgeschichte N. F. fland V, Heft
PAUL, HERMANN, Deutsche Metrik. (In Vorbereitung.)
SCHÜCK, H., Geschichte der schwedisch dänischen Lite-
ratur. (In Vorbereitung.)
SIEBS. THEODOR, Geschichte der friesischen Literatur.
IV, 34 S. 1902. M. 1.— .
SIEVERS, E., Altgermanische Metrik. Neu bearbeitet von
Friedrich Kauffmann. (In Vorbereitung.)
SYMONS, B., Germanische Heldensage. Mit Register. VI, 137 S.
1898. M. 3.50.
« . . Die Darstellung des Verfassers zeugt überall von besonnener
und eindringender Kritik und wird gewiss einen ebenso nutzbringenden
als anregenden Studicnbchclf abgeben. . .»
Zeitschrift für das Rcalschdtcesen XV, 6.
VOGT, FRIEDRICH, Geschichte der mittelhochdeutschen
Literatur. IV, 202 S. 1902. M. 4.50, in Lwd. gebd. M. 5.50.
te WINKEL, JAN, Geschichte der niederländischen Sprache.
Mit einer Karte. IV und S. 781—925 und 6 S. Register. 1898.
M. 5.—.
„J. te Winkel hat eine Geschichte der niederländischen Sprache
geliefert, die sehr geeignet scheint, in ein den meisten Germanisten
fernstehendes Gebiet einzuführen: besonders ist die Entwickelung der
Schriftsprache ins Auge gefasst, ihre verschiedenen Dialektbestandtcile,
die Orthographie, der Einfluss fremder Sprachen. Der grammatische
Abriss behandelt zwar die Lautlehre nur kurz, geht aber ausser auf die
Flexion auch auf die Wortbildung und den Wortschatz nach Herkunft
und Bedcutungscntwickelung ein." Literar. Centraiblatt l8yi Nr. S.
te WINKEL, JAN, Geschichte der niederländischen Literatur.
IV, 102 S. 1902. M. 2.50, in Lwd. gebd. M. 3.50.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
DEUTSCHE GEAMMATIK
GOTISCH, ALT-, MITTEL- UND NEUHOCHDEUTSCH
VON
W. WILMANNS
ord. Profesior der deutschen Sprache und Lttteratur an der Unirertttlt Bonn.
Erste Abteilung: Lautlehre. Zweite verbesserte Auflage. Gr. 8°.
XX, 425 S. 1897. M. 8.—, in Halbfranz gebunden M. 10. — .
Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage:
, .Diese zweite Auflage weicht von der ersten ziemlich stark
ab, kaum ein Paragraph ist unverändert geblieben, manche
ganz neu gestaltet. Bald gab die Form, bald der Inhalt den
Anlass, bald eigene Erwägungen des Verfassers, bald die Ar-
beiten anderer. Auch der Umfang des Buches ist um einige
Bogen [sechs] gewachsen, besonders dadurch, dass sehr viel
mehr Beispiele für die einzelnen Lauterschcinun gen ange-
führt sind "
Zweite Abteilung: Wortbildung. Zweite Auflage. Gr. 8°. XVI,
671 S. 1899. M. 12.50, in Halbfranz gebunden M. 15.—
Die zweite Auflage beider Abteilungen ist, was die Zahl der Exemplare
betrifft, eine erhöhte, um auf eine lanije Reiht: von Jahren hinaus die Not-
wendigkeit eines Neudruck* oder einer neuen Bearbeitung auszuschliessen und
dadurch die Kanter vor allzu schnellem Veralten des Werkes zu .schützen.
Das Werk wird in vier Abteilungen erscheinen : Lautlehre,
Wortbildung, Flexion, Syntax. Eine fünfte, die Geschichte der deutschen
Sprache, wird sich vielleicht anschliessen.
„. . . Es ist sehr erfreulich, dass wir nun ein Buch haben werden,
welches wir mit gutem Gewissen demjenigen empfehlen können, der sich in
das Studium der deutschen Sprachgeschichte einarbeiten will, ohne die Mög-
lichkeit zu haben, eine gute Vorlesung über deutsche Grammatik zu hören: in
Wilrranns wird er hierzu einen zuverlässigen, auf der Höhe der jetzigen
Forschung stehenden Führer finden. Aber auch dem Studierenden, der schon
deutsche Grammatik gehört hat. wird das Buch gute Dienste leisten zur Wieder-
holung und zur Ergänzung der etwa in der Vorlesung zu kurz gekommenen
Partien. Jedoch auch der Fachmann darf die Grammatik von W. nicht unbe-
rücksichtigt lassen. Denn alle in Betracht kommenden Fragen sind hier mit
selbständigem Urteil und unter voller Beherrschung der Literatur erörtert.
Und nicht selten werden Schlüsse gezogen, die von der gewöhnlichen Auffassung
abweichen und zum Mindesten zur eingehenden Erwägung auffordern, so dass
niemand ohne vielfache Anregung diese Lautlehre aus der Hand legen wird.
Besonders reich an neuen Auffassungen ist uns die Lehre von den Konsonanten
erschienen. Aber auch die übrigen Teile, unter denen die bisher weniger oft
in Grammatiken dargestellte Lehre vom Wortaccent hervorzuheben wäre, ver-
dienen Beachtung . . ." II'. Z?., Uterarisches Centr alblall rSgj Nr. 40
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. i t
Soeben erschien
NEUHOCHDEUTSCHE METRIK.
EIN HANDBUCH
VON
DR J. MINOR,
O. Ö. PROFESSOR AN DBR 0NIVBR8ITÄT WIEN.
ZWEITE, UMGEARBEITETE AUFLAGE.
8». XIV, 537 Seiten. 1902. M. 10 —, in Leinwand gebd. M. u.
Urteile der Presse über die erste Auflage.
€ . . . Eine systematische und umfassende Behandlung der neuhoch-
deutschen Metrik zu liefern hat Minor im vorliegenden Werke unternommen.
Und wir dürfen sagen, dass er seiner Aufgabe in vorzüglicher Weise gerecht
geworden ist. Nicht zwar, dass wir mit seinen Resultaten überall einverstanden
wären und in ihnen Abschliessendes erblicken könnten. Das beansprucht er
aber auch selbst nicht, sondern wünscht, dass sein Buch zu weiteren Unter-
suchungen anregen möge. Und gerade in dieser Hinsicht erwarten wir davon
die fruchtbarsten Wirkungen. Denn M. hat für die nhd. Metrik einen festen
Boden geliefert, von dem aus sie weiter gebaut werden kann. Ganz besonders
die Grundfragen: Rhythmus, Quantität, Accent und Takt hat er in eingehender
und vorurteilsfreier Weise unter Berücksichtigung früherer Ansichten allseitig
untersucht und erwogen. Eine Fülle neuer und treffender Beobachtungen
treten da zu Tage. Die Quantität im nhd. Verse, d. h. die wirkliche, nicht
mit dem Accent verwechselte, ist unseres Wissens noch nirgends so objectiv
untersucht worden. Aus dieser gründlichen Würdigung der Elemente ergeben
sich denn auch für die Beurteilung des Versbaus wichtige Resultate. . . Mit
dem Ausdruck des Dankes für reiche Belehrung wünschen wir, dass das Buch
zum Aufblühen des wissenschaftlichen Betriebes der neuhochdeutschen Metrik
Veranlassung geben möge. IV. B. im Liferar. Cenlralblatt. 1894, Ar. 18.
< . . . Eine reiche Fülle des Stoffes bietet und bewältigt Minor, er
schildert ebenso die geschichtliche Entwicklung auch der auswärtigen Formen
in Deutschland, wie er das Originaldeutschc der alten und neuen Zeit ge-
schmackvoll würdigt. Und ineine ganz besondere Freude sei noch ausgesprochen
über die ganz vortreffliche Darstellung des sogenannten Knittelverses, jener
freien Behandlung der durch den Reim verbundenen Zeilen mit vier Hebungen,
die von zwei unsrer grössten Dichter in zwei ihrer herrlichsten Werke so volks-
tümlich, wie kunstverständig verwertet sind, von Goethe im ,,Faust",von Schiller
in „Wallcnsteins Lager". Gerade hier zeigt sich die Meisterschaft des Ver-
fassers in der Darlegung, wie der innere Sinn das Massgebende ist und aus
dem lebendigen Gefühl des Dichters der Rhythmus in seiner Mannigfaltigkeit
sich entwickelt, wie Freiheit und Ordnung innigst zusammenwirken.»
M. Carrüre in der Beilage zur AUgem. Zeitung 1894, Nr. 104.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
ENGLISH ETYMOLOGY.
A SELECT GLOSSARY
SERVING AS AN INTRODUCTION TO THE HISTORY
OF THE ENGLISH LANGUAGE
BY
F. KLUGE and F. LUTZ.
8°. VIII, 234 S. 1898. Broschirt M. 4. — , in Leinwand geb. M. 4.50.
PREFACE.
Our primer of English Etymology is meant to serve as an introduction
to the study of the historical grammar of English. However manifold the ad-
vantagcs which the Student may dcrive from Professor Skeat's EtymologicaJ
Dictionary, it cannot be denied that it does not commend itsclf as a book foi
beginners. Though it is a work of deep research, brilliant sagacity, and admi-
rable completeness, the linguistic laws underlying the various changes of form
and nieaning are not brought out clearly enough to be easily grasped by the
uninitiatcd. We thercfore propose to furnish the Student with a small and
concisc book enabling him to gct an insight into the main linguistic phenomena
We arc greatly indehted to Professor Skcat, of whose cxcelient work we have
made ample u.se, drawing from it a grcat dcal of matcrial, which we hereby
thankfully acknowledge. As our aim has of course not becn to produce a book
in any way comparable to our predecessor's work in fulness of detail and
general completeness, we have confined ourselves to merely selecting all words
the history of which bears on the dcvelopment of the language at targe. We
have, thercfore, in the first place, traced back to the oldcr periods loanwords
of Seandinavian, French and Latin origin and such genuine English words as
may aftbrd matter for linguistic investigation. In this way we hope to have
pro'vided a basis for every historical grammar of English, e.g. for Sweet's
History of English Sounds.
lf we may be allowed to give a hint as to the use of our little book,
we should advise the leachcr to make it a point to always deal with a whole
group of words at a time. Special interest attaches for instance to words ol
early Christian origin, to the names of festivals and the days of the week;
besides these the names of the various parts of the house and of the matcrials
used in building, the words for cattle and the various kinds of meat, for eating
and drinking, etc. might be made the subject of a suggestive discussion. On
treating etymology in this way, the teacher will have the advantage of Con-
verting a lesson on the growth of the English language into an inquiry into
the history of the Anglo-Saxon race, thus lending to a naturally dry subject a
fresh charm and a deeper meaning.
In conclusion, our best thanks are due to Professor W. Franz of Tübingen
University, who has placed many words and etymologies at our disposal and
assisted us in various other ways.
LIST OF ABBREVIATIONS.
acc. = accusative case, adj. ^ adjective, adv. = adverb, bret. = Breton,
celt. = Celtic, conj. = conjunetion, CORN. = Cornish, cp. = compare, Cymr.
= Cymric (Welsh), Dan. = Danish, dat. = dative case, der(iv). = derived,
derivative, dimin. = diminutive, DU. = Dutch, E. = modern English, f. (fem.) =»
feminine, frequent. — frequentative, FR. = French, fries. = Friesic, G. =
modern German, Gacl. — Gaclic, gen. = genitive case, goth. = Gothic,
GR. — Greck, Icel. = Icelandic, inf. — infiniüve mood, inll. = inflected, interj.
interjection, ir = Irish, ital. = Italian, lat. = Latin, LG. = Low German,
lit. = literally, MTH. = Lithuanian, m. = masculine, ME. = Middle English.
MHG. = Middle High German, n. (neutr.) = neuter. nom. = nominative, obl. =
oblique case, odu. = Old Dutch, ofr. = Old French, ohc. = Old High
German, oir. = Old Irish, on. = Old Norse, onfr. c= Old North French,
orig. = original, originally, osax. = Old Saxon, OSLOV. = Old Slovenian,
pl. =s plural, p. p. = past participle, prob. = probably, pron. = pronoun,
prop. = properly, prov. = Provencal, prt. = preterite, past tense, RUSS. ^
Russian, sb. = Substantive, skr. = Sanskrit, span. = Spanish, superl. =
Superlative, swed. = Swedish, teut. ^ Teutonic, vb. = verb.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassblrg.
'3
©ebrauth läd)erltd)er, auftöfciger, oft unanftänbigcr SBortc unö Mebemsarten
toon ©eiten etifllifd) fpredienter Seutfcfcer.
Gin bumoriftifc$€r ©ottrag gehalten im Sonboner bcutfdjcii Sltbenäum
OOII
O'Clarus Hiebslac, Esq., M. A.
Fellow of the German Athenaeum in London etc.
3ttit einem Slnljang Über beutfthe Familiennamen in (Jnglaub, 3?erljaltnngärcge(n
in englifd)er @e|eüfd)aft, Zitd, ftnrcbe, 33ricfabrencn, englijchc ttufüqungeii.
Sterte Auflage.
80. X, 156 3. 1896. 8W. 2.—.
„In der Form eines humoristischen Vortrags wird hier eine willkommene
Belehrung Allen geboten, die sich mit England in irgend einer Weise be-
schäftigen, sei es sprachlich, brieflich, geschäftlich oder in persönlichem Um-
gang. Das Hauptgewicht ist auf die Sprachschnitzer gelegt, d. h. auf die Kenn-
zeichen lächerlicher, anstössiger, oft unanständiger Worte und Redensarten, die
von englisch sprechenden Deutschen gebraucht werden. Derlei findet man in
keiner Grammatik; nur längerer, mit grosser Aufmerksamkeit verbundener Auf-
enthalt in England kann über die Schwierigkeiten in diesem Punkte hinweg-
helfen. Um so dankenswerther ist die Anleitung dazu in dem vorliegenden
Wcrkchen. Dasselbe enthält aber auch noch eine willkommene Zugabe: eine
Studie über deutsche Familiennamen in England, Vcrhaltungsmassregeln in der
englischen Gesellschaft, Titel, Anrede und Briefadressen, sowie ein Verzcichniss
der gebräuchlichsten englischen Abkürzungen, lauter Dinge, in denen sich der
Deutsche nicht leicht zurecht findet und über die er sonst nirgends die Be-
lehrung so nahe beisammen hat wie in diesem Büchlein. Möge auch dessen
dritte Auflage recht viel benützt werden." Frankfurter Zeitung iSSfi AV. 234.
€ngü|d?e (ßrammettif imt> Übungsbud?
für fyöbm Schulen
»on
profeffor Dr. H. 3laum
Cbcrlfhrer am Vtjicum 4» Strafeburg.
I. Abteilung: ©rammotif. 11. Abteilung: Übungsbuch
dritte tierbefferte unb uermebrte Auflage.
80. x, 243 3. 1896, gebunben ÜJt. 2.50.
Die bekannte Blaum'sche Grammatik erscheint hier in der dritten Auf-
lage und hat damit den Nachweis ihrer praktischen Verwendbarkeit erbracht.
Das Bestreben des Verfassers war auch bei dieser neuen Auflage, den Schülern
der höheren Lehranstalten eine englische Grammatik zu bieten, in welcher der
grammatische Stoff in möglichster Kürze und unter Berücksichtigung der als
bekannt vorausgesetzten Erscheinungen des Französischen (oder Lateinischen)
und Deutschen zusammengestellt sei, um gleich von Anfang an, nach Einübung
der einfachsten Ausspracheregeln, zusammenhängende Lektüre betreiben zu
können. Diese Methode wird sich gewiss bei etwas reiferen Schülern empfehlen,
die schon an der einen oder anderen, oder an mehreren der oben erwähnten
Sprachen grammatisch vorbereitet und geschult sind. Insbesondere wird man
sich in den obersten Klassen der Gymnasien dieser Grammatik mit Vorteil
bedienen können, weil das, was darin aus Formenlehre und Syntax geboten
ist, völlig ausreicht, um das Verständnis aller etwa in Frage kommenden eng-
lischen Schriftsteller zu ermöglichen. . . .
Papier, Druck, Einband, kurz die ganze äussere Form des Buches verdient
alles Lob, und es kann auch aus diesem Grunde angelegentlich empfohlen werden.
Südwestdtutsche Schulblätter iS<X> Ar. (Richard Mollueide.)
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14
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
Abriss
der
urgermanischen Lautlehre
mit besonderer Rücksicht auf die
nordischen Sprachen
xum
Gebrauch bei akademischen Vorlesungen
von
Adolf Noreen.
Vom Verfasser selbst besorgte Bearbeitung nach dem schwedischen Original.
8°. XII, 278 S. 1894. M. 5.—.
«Schon die schwedische Ausgabe, die vor mehreren Jahren erschienen
ist, hat in diesem Blatte warme Anerkennung gefunden. In noch höherem
Masse verdient die deutsche Bearbeitung das jener gespendete Lob. Sie ist
eine überraschend reichhaltige, übersichtlich angeordnete und fast durchweg
zuverlässige Darstellung eines der wichtigsten Kapitel der germanischen Gram-
matik. Die umfangreichen und sorgfältigen Litcraturangabcn sind besonders
dankenswert; man wird kaum eine Stelle von einiger Bedeutung vermissen.
Ausführliche Wortregister erhöhen die Brauchbarkeit. Schon die altisländische
Grammatik in Braune's Sammlung und die Geschichte der altnordischen Sprache
in Paul's Grundriss, beides Musterleistungen, haben das grosse Talent Noreen's
für die Bewältigung spröder Stoffmassen gezeigt. Dieselbe Begabung bewährt
sich auch in dem neuen Werke. Es zerfällt in zwei grosse Abschnitte, die
Sonanten und Konsonanten überschrieben sind. Jedem dieser Teile geht ein
kurzer Überblick über den idg. Lautstand voraus, der mit Hilfe des Indischen,
des Griechischen und des Lateinischen erschlossen wird. Dann folgen die
urgermanischen Lautgesetze. Den Beschluss macht jedesmal ein umfängliches
Kapitel, das die Spuren idg. Lautgesetze im Germanischen verfolgt. . . .
Ref. bemerkt noch, dass die urgerm. Lautlehre ein im hohen Grade
empfehlenswertes Buch ist, dem ein voller Erfolg im Interesse der germanischen
Grammatik lebhaft gewünscht werden muss. ...» Liter. Ctntralblatt 1894 AV. 35.
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN ZUR ALTGER-
MANISCHEN RELIGIONSGESCHICHTE.
Texte: I. Band.
Aus der Schule des Wulfila. Avxenti Dorostorensis epistvla
de fidc vita et obitv Wulfilae im Zusammenhang der Dissertatio
Maximini contra Ambrosivm. Herausgegeben von Friedrich
Kauf f mann. Mit einer Schrifttafel in Heliogravüre. 40. LXV,
135 S. 1899. M. 16.—.
Unter der Presse:
Texte: II. Band.
Die Skeireinsbruchstücke. Herausgegeben von Dr. Ernst
Dietrich. 4°. ca. 10 Bogen.
Untersuchungen: I. Band.
Der ßalder-Mythus. Von Friedr. Kauffmann. 8°. ca. 2oBogen.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassbur«.
»5
Soeben erschien:
Handschriften proben
des sechzehnten Jahrhunderts
nach Strassburger Originalen
herausgegeben von
Llc Dr. Johannes Ficker und Dr. Otto Winckelmann
Professor an der Universität Strasburg. Archivar der Stadt Strasburg.
Zwei Bände Klcinfolio. 102 Tafeln in Lichtdruck mit Text.
Erster Band: Tafel 1—46. Zur politischen Geschichte. 1902.
Preis in Mappe M. 40. — ; in elegantem Halbfranzband M. 45. — .
Bekanntlich ist die Handschriftenkunde der neueren Zeit ein Gebiet, das
so gut wie gar nicht bis jetzt gepflegt worden ist. Es fehlt vor Allem an einer
umfassenden Sammlung zuverlässiger Proben, wie die Paläographie des Mittel-
alters eine ganze Reihe aufzuweisen hat. In Deutschland ist kaum ein Ansatz
hierzu gemacht worden und in den grossen ausserdeutschen paläographischen
Veröffentlichungen ist nur vereinzelt und in verschwindendem Umfange die
Neuzeit berücksichtigt. Am dringendsten ist das Bedürfnis für das Jahrhundert
des Humanismus, der Reformation und Gegenreformation. Der individuelle
Charakter der Handschriften in diesem Jahrhundert der Persönlichkeiten stellt
dem Leser oft die schwierigsten Aufgaben. Nicht anders lässt die Vcrstrcutheit
des Materials gerade in diesem Zeitalter besonders häufig den Forscher, den
Bibliothekar und Archivar nach sicherer Unterlage verlangen, um den Ursprung
namenloser Schriftstücke festzustellen. Und welche handschriftliche Fülle harrt
noch der Sichtung und der Veröffentlichung!
Das vorliegende Werk will hier eine sichere Grundlage schaffen. Es
bietet auf Grund photographischcr Aufnahmen die Handschriftenproben eines
ganzen Jahrhunderts, aller der Persönlichkeiten, die in der reichen Strassburger
Geschichte dieser Zeit hervorgetreten sind, auf allen Gebieten des geistigen
Lebens, in Politik und Verwaltung, in Kirche und Schule, in litterarischer und
künstlerischer Arbeit, dazu aber die Proben der charakteristischen Hände aus
der städtischen und bischöflichen Kanzlei, der Kanzler, der Sekretäre, der
Schreiber. Die drei Strassburger Archive haben hierfür reichen Stoff geliefert,
verschiedene auswärtige Bibliotheken und Archive sind zur Ergänzung heran-
§ezogen worden. — Die Lichtdrucke sind von J. Krämer in Kehl mit grösstcr
orgfalt hergestellt. Zum genauen Studieren der Handschrift ist jeder Tafel
eine buchstäblich getreue Transscription gegenübergestellt. Einleitende Be-
merkungen orientieren, wo es nötig und wo es möglich ist, über die Persönlich-
keit und über die Bedeutung des ausgewählten Schriftstücks.
Für historische, theologische und germanische Seminare, für Biblio-
theken und Archive, für jeden Forscher und Freund der Geschichte, ins-
besondere der Vergangenheit dieses Landes und dieser Stadt, wird das
Werk unentbehrlich sein. Es wird in der Wiedergabe der Handschriften die
Persönlichkeiten der Gegenwart viel näher bringen und wird der Geschichte
jener grossen Zeit die förderlichsten Dienste erweisen.
1. Leisarraga's
Baskische Bücher von 1571
(Neues Testament, Kalender und Abc)
im genauen Abdruck herausgegeben
von
TH. LDJ8CHMAM und H. 8CHUCHASDT.
Mit Unterstellung der Kail. Akademie der Wissenschaften tu Wien.
16". 87 Bogen. 1900. In Ganzleinwand geb. M. 25.—.
Pic wichtigsten und umfangreichsten baskischen Sprachdenkmäler werden hier tum ersten
Male nach wissenschaftlichen Grundsäuen veröffentlicht. Eine ausführliche Einleitung ist beigegeben.
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16
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
NORDISCHE
ALTERTUMSKUNDE
NACH FUNDEN UND DENKMÄLERN AUS DÄNEMARK UND SCHLESWIG
GEMEIN FASSLICH DARGESTELLT
D*.SOPHUS MÜLLER
Direktor am Nationalznuscum ru Kopenhagen.
DEUTSCHE AUSGABE
UNTER MITWIRKUNG DES VERFASSERS BESORGT
DR OTTO LUITPOLD JIRICZEK
Privaulojctiten der germanischen Philologie an der Univerthat Rretlaa.
1!
L Band: Steinzeit, Bronzezeit. Mit 253 Abbildungen im Text,
2 Tafeln und einer Karte. 8°. XII, 472 S. 1897. Broschirt M. 10.— ,
in Leinwand geb. M. Ii. — .
Band: Eisenzeit. Mit 189 Abbildungen im Text und 2 Tafeln.
8° VI, 324 S. 1S98. Broschirt M. 7.—, in Leinwand geb. M. 8.—.
Inhalt: I. Steinzeit. I. Wohnplätze der älteren Steinzeit.
2. Altertümer aus der Zeit der Muschelhaufen. 3. Chronologie der älteren
Steinzeit. 4. Die Periode zwischen der Zeit der Muschelhaufen und der
Steingräber. 5. Die kleineren Stein-
gräber, Rundgräber und Hünenbetten.
6. Die grossen Steingräber oder Riesen-
stuben. 7. Das Inncrc der Steingräber,
Begräbnisbräuche und Grabbeigaben.
8. Die jüngsten Gräber der Steinzeit:
Kisten- und Einzelgräber. 9. Das Stu-
dium der Steingräber, eine historische
Übersicht. 10. Altertümer aus der jün-
geren Steinzeit. 11. Kunst und Religion.
12. Das Studium der Steinaltertümer,
eine historische Übersicht. 13. Herstel-
lungstechnik der Geräte und Waffen.
14. Wohnplätze, Lebensweise etc.
II. Bronzezeit. 1. Aufkommen und
Entwickelung des Studiums der Bronze-
zeit. — Die ältere Bronzezeit:
2. Ältere Formen aus Männergräbern,
Waffen und Schmuck. 3. Toilettegerät-
n. Hand. Abb. 89. Altgermanischer sil- Schäften. 4. Männer- und Frauen-
semer "2™™*^ er^imwT™"**' trachtcn- Fe,d_ und Moorfunde. 5. Die
älteste Ornamentik im Norden und ihr
Ursprung. 6. Die älteste Bronzezeit in Europa. 7. Beginn der nor-
dischen Bronzezeit und Bedeutung des Bernsteinhandels. 8. Grab-
hügel und Gräber. 9. Der spätere Abschnitt der älteren Bronzezeit.
10. Die Leichenverbrennung, Ursprung, Verbreitung und Bedeutung
des Brauches. — Die jüngere Bronzezeit: 11. Einteilung, Zeitbe-
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Stra-^sburg.
17
Sophus Müller, Nordische Altertumskunde (Fortsetzung).
Stimmung und Funde. 12. Gräber und Grabbeigaben. 13. Feld- und Moor-
funde etc. 14. Innere Zustände, Handwerk und Ackerbau, Kunst und
Religion.
III. DIE EISENZEIT. Die
ältere Eisenzeit. 1. Beginn der
Eisenzeit in Europa. 2. Die vorrömi-
sche Eisenzeit. Eine fremde Gruppe.
3. Zwei nordische Gruppen. 4. Die
Zeit. Altertümer und Indu-
strie. 5. Gräber und Grabfunde aus der
römischen Zeit. 6. Die
Völkerwanderungszeit.
Fremde und nordische
Elemente. 7. Die Grab-
funde aus der Völker-
wanderungszeit. 8. Die
grossen Moorfunde aus
der Völkerwanderungs-
zeit. 9. Die Goldhörner und der
Silbcrkessel. Opferfunde aus der
I isenzeit. — Die jüngere
Eisenzeit. 10. Die nachrömi-
sche Zeit. 11. Die Tierorna-
mentik im Norden. 12. Die
Vikingerzeit. 13. Gräber, Be-
stattungsarten, Gedenksteine.
14. Handwerk, Kunst und Reli-
gion. Schlussbetrachtung : Mittel,
Ziel und Methode. Sach- und
Autoren-Register. — Orts- und
Fundstätten-Register.
« . . . S. Müllers Alterthums-
kunde ist ebenso wissenschaftlich
wie leicht verständlich. Es ist
freudig zu begrüssen, dass dieses
Werk in dcutscherSprache erscheint,
und O. Jiriczek war eine vortrefflich
n< te Kraft, sich dieser Aufgabe
der Uebersctzung zu unterziehen . . .
Die verschiedenen Anschauungen
der Gelehrten über einzelne Er-
scheinungen werden in objektiver
Weise dargelegt, wodurch in das
Werk zugleich eine Geschichte der
nordischen Archäologie verwebt ist.
Dabei hat M. jederzeit seine Blicke
auf die Parallelerscheinungcn und
die Forschung bei anderen Völkern
gerichtet und dadurch den Werth
seines Werkes über die Grenzen
der nordischen Archäologie erwei-
tert. Besondere Anerkennung ver-
dient auch die klare und scharfe Er-
klärung technischer Ausdrücke. . . .>
Literar. Cnttralblalt 1897, Nr. 2.
I. Bund. Abb. 107. Schwert und Dolche aas
der iiitesten Bronzezeit.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburc
firutfdje Bnlhahunitt.
SBon
J?lo retTor öcr ijrrrrunirJjrii ÄUertum«hunöt an btr Hmotrflllt Irriburg L 8t.
9RU 17 Stbbilbungcn unb einer Äarte.
8°. VIII, 362 S. 1898. SPteil brofebirt 3K. 6.—, in £einroanb gebunben 9t 6.50.
3nbalt: I. £>orf unb %lux; II. Da« §auö; III. flörperbefdjaffenbeit unb
2radbt; IV. Sitte unb 93raudj; V. 2>ie SJolföjpradje unb bie sJJiunbarten; VL S)ie
3Joltabid,tung; VII. Sage unb ^Jtärc^en.
Aus dem Vorwort :
«Dieses Buch bietet sich dem wachsenden Betriebe der deutschen Volks-
kunde als Führer an. Nicht nur fühlen die Germanisten, dass dieser Zweig ihrer
Wissenschaft zu seinem Gedeihen noch weiterer besonnener Pflege und Leitung
bedarf, sondern auch viele Gebildete, von unseren höchsten Beamten bis zu
Probe der Abbildungen.
tJtg. 11. 5Der ©ööbof in Cbcrricb bei ?frciburg t. 9.
den bescheidensten Dorfschullehrern herab, namentlich alle die Männer, die
berufen sind, dem Volk zu raten und zu helfen, und wiederum dessen Hilfe
in Anspruch nehmen, ja alle wahren Volksfreunde empfinden immer dringlicher
die Pflicht einer genaueren Bekanntsc haft mit den Zuständen und Anschauungen
des gemeinen Mannes. Das hat auch die zahlreiche Zuhörerschaft meiner
akademischen Vorlesungen über deutsche Volkskunde in Freiburg bezeugt,
aus denen das Buch hervorgegangen ist. Denn unser «Volk» im engeren Sinne
des Wortes ist, wie unser Gesamtvolk, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts
eine ganz andere Macht geworden, als es je zuvor war, und es ist in der ge-
waltigsten Umwälzung begriffen. Und mitten hinein tritt die Volkskunde, indem
sie das Alte liebevoll der Erinnerung bewahrt und aus Älterem erklärt und
zugleich aufmerksam die Vorbereitung und Wendung zum Neuen nachweist.
Die Volkskunde hat eine wissenschaftliche und zugleich eine soziale Aufgabe.
Kuriositäten, wie sie viele zusammenhangslos aulhäufen, können der Volks-
kunde diensam sein, machen sie aber nicht aus; nicht in allerhand Überlebsein
Fortsetzung »iehe nAchit* Seit«.
VERLAG VON KARL J. TRÜBNER IN STRASSBURG.
WltW, Cf. StUtfdje »oU«funi>e (Fortsetzung).
der Vergangenheit steckt ihr Hauptreiz. Über die Bücher hinweg erfasst sie
zunächst mit ihren eigenen Augen und Ohren die lebendige Gegenwart und
alle deren Volksäusscrungen, mögen sie alt oder neu, hässlich oder schön,
dumm oder sinnig sein. Im Wirrsal der Erscheinungen sucht sie das Gesetz
oder den Zusammenhang, der denn doch zu allertiefst in der Volksseele ruht und
dort seine Deutung findet. Und weil die Gegenwart so viel Unverstandenes,
Entstelltes und Halbverschollcnes mit sich schleppt, bemüht sich die Volks-
kunde nun auch in die aufklärende Vergangenheit einzudringen. Da thut sich
allmählich ein mächtiger Hintergrund hinter unseren Zuständen auf, wie noch
unser alter Wald hinter den modernen Rübenfeldcrn steht. Man wird begreifen,
warum meine Darstellung durchweg die Zustände der letzten Hälfte unseres
Jahrhunderts wiederspiegelt, aber hier und da bei längst vergangenen Zeiten
ruhig verweilt. . . .>
Amtliche Empfehlungen:
Vom Kaiser!. Oberschulrat für Elsass-Lothringen wurde das Werk gleich
bei Erscheinen (am 6. Dezember 1897,1 den Kreis sc hilmspektoren und Lehrer-
bildungsanstalten zum Studium empfohlen.
Der Grossherzogl. Badische Oberschulrat hat laut Schreiben v. 12. Januar
1898 im Schulverordnungsblatt auf das Werk empfehlend aufmerksam gemacht.
Das Königlich Sächsische Ministerium des Kultus und öffentlichen Unter-
richts hat laut Schreiben v. 22. Februar 1898 die Bezirksschulinspektoren aut
das Werk aufmerksam gemacht.
Das Grossherzogl. Hessische Ministerium des Innern. Abteilung für Schul-
angelegenhciten, hat durch Erlass vom 28. Januar 1898 das Werk den Gro.ss-
herzoglichen Direktionen der Gymnasien, Realgymnasien, Realschulen, höheren
Mädchenschulen, Schullehrerseminaricn u. Grossherzogl. Kreisschulkommissionen zur
Anschaffung für ihre Bibliotheken empfohlen.
Urteile der Presse.
«... Was Volkskunde Ist, darüber fehlte bisher jede unpassendere Auf-
klärung. Der Inhalt und Umfang des Begriffes ist keineswegs bloss Laien fremd.
Auch diejenigen, die den aufblühenden Studien der Volkskunde näher stehen,
wissen nicht immer, was den Inhalt derselben ausmacht . . .
So erscheint nun zu guter Stunde ein wirklicher Führer auf dem neuen
Boden, ein Leitfaden für jeden, der den Zauber der Volkskunde erfahren hat
oder erfahren will, für den Lernbegierigen sowohl wie für jeden Freund des
Volkes. Bisher fehlte jede Orientierung, wie sie uns jetzt Prof. Elard Hugo
Meyer in einem stattlichen Bändchen bietet. Der Verfasser, von mythologischen
Forschungen her seit lange mit Volksüberlieferungen und Volkssitten vertraut
— der angesehenste unter unsern Mythologcn — hat seit Jahren das Werk
vorbereitet, das er uns jetzt als reiche Frucht langjähriger Sammelarbeit vor-
legt ... Es ist ein unermesslich grosses Gebiet, durch das uns das Buch führt.
Es ist frische, grüne Weide, die seltsamerweise dem grossen Schwärm der Ger-
manisten unbemerkt geblieben ist. Ein fast ganz intaktes Arbeitsgebiet . . .
Das Buch ist nicht bloss eine wissenschaftliche, es ist auch eine nationale
That». Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1897 Nr. 286.
«Wer sich durch diese Zeilen Lust machen Hesse, Meyers Buch selbst
in die Hand zu nehmen, würde es nicht bereuen. Es ist natürlich wissen-
schaftlich zuverlässig gearbeitet, ausserdem aber ungewöhnlich fliessend ge-
schrieben und, was uns am meisten wiegt, von einer ganz prächtigen Auf-
fassung der Dinge belebt. Wie oft muss man sonst bei Arbeiten aus diesem
Gebiete den schönen Stoff bedauern, der in die unrechten Hände gekommen
ist. Hier ist er in den richtigen. Als ein deutliches Beispiel für die bewusst
geschmackvolle, im besten Sinne feine Behandlung des Stoffes ist uns die Ver-
wendung und die Art der Wiedergabe der Mundart erschienen . . . Das Buch
enthält auch eine Menge Fragen und benutzt sie, den Leser zum Mitlcben zu
zwingen, der Verfasser nennt es selbst im Vorwort einen in die erzählende
Form gegossenen Fragebogen. ...» Die Grenzboten 1898 Nr. 13.
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ao Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
im
imimrijntm IJaljrfjunörrt
oon
Jßlarb tmgo flDe\>er,
^rofeffot btt flrtmcnifAfn Stttrtwntlun&t an bet Urivrrfitdt ßwttwrfl i. Cr.
8°. IX, 028 3. 1900. $retö brofdnrt uK 12.-, in fcinwaub gebuuben u« 13.- .
3m 2lnjd)lu& a,n bie „Deutfdje JBotfgfuubc" bietet b>r ber iöerfnffa
ein fein auSflefütjrteä ©tn$etbilb öon bem ©olfäleben im QJrofjfycrjofltum $aben
auf ©runb non jahrelangen forgfnltigen Hebungen.
0nl)ßlt: Einleitung. I. Staphel: ©eburt, laufe unb Äinbtjcit: ÄinblcS»
brunneu unb Hebamme. Stord). $cbamme. Äinbäbab. <ß,aten. Haufe. Äinbcrtranfbcüen.
Siegern unb Äinbcrlicbcr. Äinbererjictjuna. U. Staphel: 25 ie 3ugcnb: Sugcnbfpiele.
3ugcitbfcfte. Sdmlleben. (Srfte Kommunion unb Konfirmation, ougenbarbeiten. Birten -
leben. «Pftnoftfcft. III. Staphel: Siebe unb ^odjjeit: 8icbcäfprad)e, «oratel unb
.jauber. Spinnftube. Solfögefang. 2anj. ftenfterlcn. ftefte ber jungen Ceute. Sünbclü*
tag. frxftnadjt. Sd)eibenfd)Iagen. Cftereierlauf. 97laifefte. Qobanniäfeuer. Ätrdjrocüj.
§od)jcitfciern in ben oerfdnebenen Sanbfdjaften. ©erbung. Scfdiau. Scrfprud). 8er.
fünbigung. Ginlabung, Äränjcte unb Sd)ftppcunrfd)e. Srautroagen. ^>od)jeitötrad)t
SWorgenfuppc. £>od)jcit3jug. Irauung. länje. 2Hal)I. Äranjabnabme. 9iad)feier. SRitrfblicf.
IV. flapiu:: bäuSlidjc Sc ben: Steingüter unb Joof guter. Stnerbcnredtf unb
fieibgebing. ©ermbc. Waldung. Xaglöbner. 4>anbn*rfcr unb $>duficrcr. Sauart. Süd)eret.
Sdjutj unb Sdjmutf. Stufridjtung. ©arten. Sdjroangerfdjaft, 92ieberfunft unb SluS»
fegnung. V. Staphel: Sei ber Arbeit: Stall. $ferbejud)t. JRinbcrjudtf. Sicbpatrone.
Qübner. Sienen. Vcfcrbau. pflügen. Säen. ftlurumgänge. <5rntc. üDrefdjen. §anf unb
ftlad)3. SBcinbau. ©abarbeiten. Sergbau. ftlö&crci. 2rifdjcrci. ©djtoarjroalbinbuftrie.
§aufterbanbel. VI. Staphel : 3ur ftcftjeit: 2lnbreaänad)t. 3mifd)en ben 3abe*n.
<&briftnad)t. Oobannid b. @o. lag. 9leuiabrönad)t. $reifömge. flJlariä Ciditmefc.
Slafiuä' unb 9lgan)etag. frafdjing. Cftcrn. SOTaitag. $tmmclfal)tt, $reifaltigfcit unb
ftronlcidjnam. ^obanniS b. I. lag. Jttrd)tt>cib. ÜWartini. llnglürfötage. SDlonb unb
Eingang. Sterne. 9JUId){tra&e unb Regenbogen. VII. Staphel: 2)aS Serl)ältni8
ber Sauern ju Äirdje unb Staat: SDic ftirdje. $ulbiamteit unb ©taube, ftwbliaV
feit, $auöanbad)tcn. Srubcricfiaften unb ^üngling&nereine. Seten unb Soften. Si;alU
fahrten. SJlifnoncn unb Crben. ©eiftlicbfeit. Sehen. Salpctrer. Saucrnmoral. Semnte.
9?ad)barn. ©ciioficnirfjafid' unb ©emeinberum. VIII. Staphel: Srantbeit unb lob:
SÖarsen unb Sommcrfproffen. Srud). Sdjrätte. ftcren. $erenbanner. SBabrfageret.
Sijmpatbicboftoren. Heilmittel. Säber. Snmpatbie. 3auberbüd)er. Äird)c. Sorjcidjen
be3 lobcS. £a3 Sterben. Ccicbcneinflcibung. CcidKnroacbc. ficidjenaniage. Seerbigung.
ßcicbcnmabl. CciAcn- ober lotenbrett. lotengcbädjtniä. IX. Äapitel: 9iürffd)au.
sJtad)trägc unb Serid)tigungen. SRegifter.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER. in Strassburg.
2 1
WÖRTERBUCH
DER
BF. ARBEITET VON
E. MARTIN und H. LIENHART
IM AUFTRAGE DER LANDESVERWALTUNG VON ELSASS LOTHRINGEN.
Erster Band. Lex.-8°. XVI, 800 S. 1899. Broschirt M. 20. — ,
in Halbfranz gebunden M. 22.50.
Der II. (Schluss-)Band ist in Vorbereitung. Er wird in etwa 5 — 6 Lieferungen
ä M. 4. — erscheinen.
Dieses Wörterbuch ist die Frucht jahrelangen Sammeleifers und
angestrengter wissenschaftlicher Thätigkeit. Es soll nach dem Vor-
bild des schweizerischen Idiotikons den Sprachschatz der heutigen
elsässischen Mundarten, soweit diese sich zurück verfolgen lassen,
zusammenfassen und nach dem gegenwärtigen Stand der Sprach-
wissenschaft erklären. Dabei wird die Eigentümlichkeit des elsäs-
sischen Volkes in Sitte und Glauben, wie sie sich in Redensarten,
Sprichwörtern, Volks- und Kinderreimen kund gibt, so weit als
möglich zur Darstellung gebracht werden. Das sprachliche Gebiet
wurde nach den Bezirksgrenzen von Ober- und Untcrclsass abgesteckt.
«Das grossangelegte Werk macht einen ausgezeichneten Eindruck und
ist hinter der Aufgabe, die es sich stellte, und den Erwartungen, die man ihm
entgegenbrachte, nicht zurückgeblieben. . . . Eine so ergiebige grammatische
Fundgrube wie das schweizerische Idiotikon konnte es unter keinen Umständen
werden. Bei dieser Sachlage thaten die Bearbeiter wohl daran, «die Eigen-
tümlichkeit des elsässischen Volkes in Sitte und Glauben, wie sie sich in
Redensarten, Sprichwörtern, Volks- und Kinderreimen kundgibt, so weit als
möglich zur Darstellung» zu bringen. In diesem litterarischen und kultur-
geschichtlichen, völkerpsychologischen Inhalte liegt das Schwergewicht des
Werkes. . . . Wir zweifeln nicht, dass das elsässiscne Wörterbuch seinen Platz
in der ersten Reihe unserer Mundartenwerke einnehmen wird. ...»
Deutsekt Litteraturzettung 1897 Nr. 50.
«... Das elsässische Wörterbuch ist keine Aufspeicherung sprach-
wissenschaftlicher Raritäten. Es ist eine lebensvolle Darstellung dessen, wie
das Volk spricht. In schlichten Sätzen, in Fragen und Antworten, in Anekdoten
und Geschichtchen kommt der natürliche Gedankenkreis des Volkes zu unmittel-
barer Geltung. Die Kinderspiele und die Freuden der Spinnstuben treten mit
ihrem FormeTapparat auf. Die Mehrzahl der Artikel spiegeln das eigentliche
Volksleben wieder und gewähren dadurch einen wahren Genuss. Wenn man
Artikel wie Esel oder Puchs liest, wird man bald verstehen lernen, dass in
deren Schlichtheit und Schmucklosigkeit der Erforscher deutschen Volkstums
eine sehr wertvolle Quelle für das Elsass findet . .» Strassb. Post 1897 Nr. 344.
«Cela dit*. je n'ai plus qu'ä fdliciter les auteurs de leur intelligente ini-
tiative, de l exactitude et de la richesse de leur documentation, des ingdnieuses
dispositions de plan et de typographie qui leur ont permis de faire tenir sous
un volume relativement restreint une Enorme varidtd de citations et d'infor-
n-.ations. Ce n'est point ici seulcment un rdpertoire de mots: c'est, sous chaque
mot, les principales locutions oü il entre. les usages locaux, proverbes, faedties,
devinettes. randonndes et rondes enfantines dont il dveille l'dcho lointain au
cteur de l'homme mür . > V. Henry, Revue critüpie, 31 Janv. 1898.
* que j'al en portefcuille une jraramairc ei un vocabulaire 'In dialcctc de Colmar
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22
GESCHICHTE
DER
DEUTSCHEN LITTERATÜR
BIS ZUM AUSGANGE DES MITTELALTERS
VON
RUDOLF KOEGEL
ord. Professor fQr deutsche Sprache und Littcratur an der Univertitlt Batel.
Erster Band: Bis zur Mitte des elften Jahrhunderts.
Erster Teil: Die stabreimende Dichtung und die gotische Prosa.
8°. XXIII, 343 S. 1894. M. 10.—
Ergänzungsheft zu Band I: Die altsächsische Genesis. Ein Bei-
trag zur Geschichte der altdeutschen Dichtung und Verskunst.
8«\ X, 71 S. 1895. M. 1.80
Zweiter Teil: Die endreimende Dichtung und die Prosa der alt-
hochdeutschen Zeit. 8°. XX, 652 S. 1897. M. 16 —
Die drei Teile des I. Bandes zusammen in einem Band in Halbfranz
gebunden M. 31.50.
Urteile der Presse.
« . . . . Koegel hat eine Arbeit unternommen, die schon wegen ihre»
grossen Zieles dankbar begrüsst werden muss. Denn es kann die Forschung
auf dem Gebiete der altdeutschen Literaturgeschichte nur wirksamst unter-
stützen, wenn jemand den ganzen vorhandenen Bestand von Thatsachen und
Ansichten genau durchprüft und verzeichnet, dann aber auch an allen schwie-
rigen Punkten mit eigener Untersuchung einsetzt. Beides hat K. in dem vor-
liegenden ersten Bande für die älteste Zeit deutschen Geisteslebens gethan.
Er beherrscht da« bekannte Material vollständig, er hat nichts aufgenommen
oder fortgelassen, ohne sich darüber sorgfältig Rechenschaft zu geben. Kein
Stein auf dem Wege ist von ihm unumgewendet verblieben. K. hat aber auch
den Stoff vermehrt, einmal indem er selbständig alle Hilfsquellen (z. B. die
Sammlungen der Capitularien, Concilbeschlüsse u. s. w.) durchgearbeitet, neue
Zeugnisse den alten beigefügt, die alten berichtigt hat, ferner dadurch, dass
er aus dem Bereiche der übrigen germanischen Litterarurcn herangezogen hat,
was irgend Ausbeute für die Aulhellung der ältesten deutschen Poesie ver-
sprach. In allen diesen Dingen schreitet er auf den Pfaden Karl Möllenhoffs,
dessen Grösse kein anderes Buch als eben das seine besser würdigen lehrt. ...»
Anton E. Schonbach, Oesterreich. Literaturblatt 1894 Nr. 18.
«Koegel bietet Meistern wie Jüngern der Germanistik eine reiche, will-
kommene Gabe mit seinem Werke; vor allem aber sei es der Aufmerksamkeit
der Lehrer des Deutschen an höheren Schulen empfohlen, für die es ein
unentbehrliches Hilfsmittel werden wird durch seinen eigenen Inhalt, durch
die wohlausgcwählten bibliographischen Fingerzeige und nicht zum wenigsten
durch die Art und Weise, wie es den kleinsten Fragmenten ein vielseitiges
Interesse abzugewinnen und sie in grossem geschichtlichen Zusammenhang zu
stellen versteht. Wie es mit warmer Teilnahme für den Gegenstand gearbeitet
ist. wird es gewiss auch, wie der Verfasser wünscht, Freude an der nationalen
Wissenschaft wecken und mittelbar auch zur Belebung des deutschen Literatur-
unterrichts in wissenschaftlich-nationalem Sinne beilragen.»
Beilage zur Allgcm. Zeitung 1894 Nr. 282.
«_ Vorliegendes Buch .... nimmt neben dem Werke Möllenhoffs viel-
leicht den vornehmsten Rang ein. Es bietet den gesamten Stoff in feiner
philologischer Läuterung, dessen eine Literaturgeschichte unserer ältesten
Zeiten bedarf, um sich zum allseitig willkommenen Buche abzuklären. Dies
hohe Verdienst darf man schon heute Rudolf Koegel bewundernd zuerkennen.
Dass das schwerwiegende Werk seiner selten vergeblich bohrenden Forschung
und mühseligen Combinationen und Schlussfolgerungen würdig ausgestattet ist,
bedarf keiner Versicherung. Und so möge unsere Germanistik des neuen Ehren-
preises froh und froher werden.» Blätter/. Itter. Untcrh. 1894 Nt. 48.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strasburg.
©efd)td)te
bei
Cftti}ltf(f)ett fitttratur
oon
Bcrn^orb ten UrtitR.
Crfter SJanb: ©t* ©icltfö Auftreten. 3toeite oerbeff erte unb oermeljrte
91 uf läge, herausgegeben oon 9Uoi8 SBranbl, ^rofeffor an ber Unioerfttät 93erlin.
8°. XX, 620 S. 1899. »rofdjirt «K. 4.60, in fieinroanb gebunben 2R. 5.50,
in ^olbfronj geb. 3Ji. 6.50.
3« 4 alt: h »urt. «or ber «TOberung. II. Bitd). Sie überoonMe't. m. 8u4. Son Cnort Ml
Itter). IV. 8ud). fcSorfpiel bec SRcfoimattoit unb ber Stenaiftance. Hntjang.
fjroeiter 93anb: 8i8 gar Deformation, herausgegeben oon 9(Iotd Oranbl.
8°. XV u. 647 ©. 1893. 3R. 8.—, in Seinroanb geb. 3R. 9.—,
in $albfranj geb. 9Jt. 10.—.
3nl)Qlt: IV. Bu<$. Borfpiel btr {Reformation unb ber Stenaiffance töortfttuna) V. Cu4.
fiancofier unb Dort. VI- Cu($. Sie Stenaiffance bt» *u Surreij'8 tob.
daraus etnseln : bie 2. £älfte. 8°. XV u. 6. 353—647. 1893. SW. 5.—
Die Bearbeitung der zwei weiteren Bände hat Herr Professor
Dr. Alois Brandl übernommen.
Urteile der Presse.
«... Be; allen Einzelheiten, die zur Sprache kommen, bleibt der Blick
des Verfassers stets auf das Allgemeine gerichtet, und seine Gründlichkeit hindert
ihn nicht, klar, geistvoll und fesselnd zu sein. Der gefällige, leicht verständ-
liche Ausdruck, die häufig eingelegten, auch formell tadellosen Uebersetzungen
altenglischer Gedichte verleihen dem Buche einen Schmuck, der bei Schriften
gelehrten Inhaltes nur zu oft vermisst wird. Kurz, die englische Litteratur bis
Wiclif hat in diesem ersten Bande eine reife, des grossen Gegenstandes
würdige Darstellung gefunden, und sicher wird sich das Buch in weitesten
Kreisen Freunde erwerben und der Literatur dieses so reich begabten germa-
nischen Volksstammes neue Verehrer zuführen.» Lit. Centraiblatt 1877 Nr. jj.
«Die Fortsetzung zeigt alle die glänzenden Eigenschaften des ersten
Bandes nach meiner Ansicht noch in erhöhtem Masse; gründliche Gelehrsam-
keit, weiten Blick, eindringenden Scharfsinn, feines ästhetisches Gefühl und
geschmackvolle Darstellung.» Deutsche Lüteraturzeituttg 1889 Nr. 19.
«Bernhard ten Brink" s Literaturgeschichte ist ohne Zweifel das gross-
artigste Werk, das je einem englischen Philologen gelungen ist. Mehr noch :
es ist eine so meisterhafte Leistung, dass es jedem Litteraturhistoriker zum
Muster dienen kann. Und dieses Urtheil hat seine volle Kraft trotz der
unvollendeten Gestalt des Werkes. Wäre es dem Verfasser vergönnt gewesen,
es in derselben Weise zu Ende zu bringen, so würde es leicht die hervor-
ragendste unter allen Gesammtlitteraturgcschichten geworden sein ...»
Museum 1893 Nr. 7.
«ten Brink hat uns auch mit diesem Buche durch die fesselnde
Form der Darstellung und durch die erstaunliche Fülle des Inhalts in unaus-
gesetzter Spannung gehalten. Der wissenschaftliche Wert des Buches ist über
jede Besprechung erhaben ; auch dieser Band wird, wie der erste, dem Studenten
eine sichere Grundlage für litterarische Arbeiten bieten; aber hervorgehoben
muss noch einmal werden, dass wir hiermit nicht nur ein fachmännisch ge-
lehrtes, sondern auch ein glänzend geschriebenes Werk besitzen, das jeder
Gebildete mit wahrem Genuss studieren wird.» Grenzboten 1889 S. 517.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER IN StrassburG.
Geschichte
der neuern
französischen Litteratur
(XVI.-XIX. Jahrhundert).
Ein Handbuch
von
Heinrich Morf.
Erstes Buch: Das Zeitalter der Renaissance.
8°. X, 246 S. 1898. Broschirt M. 2.50, in Leinwand gebunden M. 3 — .
Inhalt: Einleitung : Mittelalterliche und humanistische Weltan-
schauung. — I. Kapitel: Am Ausgang des Mittelalters. (Die Zeit Lud-
wigs XII., 1498 — 1515 ) — II. Kapitel: Die Anfänge der Rcnaissance-
littcratur. (Die Zeit Franz' I., 1 51 5 — 1548.) Einleitung. Die Prosa. Die
Dichtung. 1. Die Lyrik. 2. Die Epik. 3. Die Dramatik. — III. Kapitel:
Höhezeit und Niedergang der Rcnaissancelitteratur. (Die Zeit der letzten
Valois und Heinrichs IV., 1547 — 1610.) Einleitung. Die Prosa. Die
Dichtung. I. Die Lyrik. 2. Die Epik. 3. Die Dramatik. — Bibliogra-
phische Anmerkungen.
Aus dem Vorwort: „Es soll hier die Geschichte des neuern franzö-
sischen Schrifttums in vier Büchern, deren jedes einen solchen Band füllen wird,
erzählt werden. Der zweite Band mag die Litteratur des Klassizismus, der
dritte Band diejenige der Aufklärungszeit, der vierte die Litteratur unseres
Jahrhunderts schildern. Die Arbeit ist von langer Hand vorbereitet und zum
grossen Teil im Manuskript abgeschlossen.
Dieses Handbuch will den Bedürfnissen der Lehrer und Studierenden des
Faches und den Wünschen der gebildeten Laien zugleich dienen." ....
Die Betlage zur Alldem. Zeitung urteilt in Nr. 10 von 1899 ,, . . . Der
vielverzweigten und komplizierten Aufgabe der Literaturgeschichte ist Morf
in vollem Masse gerecht geworden. Er versteht es ebenso sehr, die Geschichte
der einzelnen literarischen Gattungen von ihren ersten bescheidenen Keimen
bis zur BlÜthe und zum Verwelken zu verfolgen, als die literarischen Persön-
lichkeiten mit ihren Eigentümlichkeiten und Besonderheiten lebenswahr zu
schildern. Dabei vergisst er auch nie, auf die kulturhistorischen Strömungen
hinzuweisen, welche die Literatur nach dieser oder jener Richtung getrieben
haben. Sein ästhetisches Urteil ist nicht von irgend einer aprioristischen
Stellungnahme bedingt, sondern beruht auf gründlicher, verständnissvoller Wür-
digung aller massgebenden Kaktoren. Endlich genügt die Form, in welche
Morf seine Erzählung kleidet, allen ästhetischen Ansprüchen. . . .
Wer diesen ersten Band gelesen, wird das Erscheinen der folgenden mit
Ungeduld erwarten. Die Erzählung der literarischen Geschehnisse schreitet
rasch vorwärts und ist fesselnd geschrieben. Die literarischen Persönlichkeiten
treten lebenswahr und plastisch hervor. Einige Beschreibungen kann man
geradezu Kabinetsstückchen nennen. Morf besitzt überhaupt die Gabe der
prägnanten Charakterisirung. Ein paar Worte genügen ihm, um ein lebens-
volles Bild hervorzuzaubern. . . .
Morfs Literaturgeschichte ist eine ganz hervorragende Leistung. Wenn
sich die folgenden Bände — wie es übrigens zu erwarten ist — auf der Höhe
des ersten halten, werden wir in dieser französischen Literaturgeschichte ein
Werk begrüssen können, das sich der italienischen Literaturgeschichte Gaspary's
ebenbürtig an die Seite stellen wird . .
Der II. Band ist unter der Presse.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassbdrc.
25
(ßcfdjktjte
ber
3taltenifcfyen Citeratur
Hfcolf (Saspan?.
(Srfter Sanb : Die italienifrhe Literatur im Mittelalter.
8°. 550 e. 1885. <R 9.—, in .^albfrcmj gebunben 9R. IL—
gn^alt: Ginleitung. — Die 3icilianifd>e Diehterfcbule. — ^ortfefcung ber
[prifc^en Dichtung in 3Kittelitalten. — &mt>o ©uiniccfli von Bologna. —
Die franjöf. 9utterbid)tung in Cberitalicn. — ftcligiöfe unb moraltfthe
^oeftc in Dberitalicn. — Die religiöfe ii'nru* in Umbricn. — Die sJkofa
im 13. 3abrb,. — Die aUegorifcb-bibaftifdje Dichtung unb bie philofopb.
2nru* ber neuen florentinifchcn Schule. — Dante. — Die Gomöbie. —
Da$ 14. ;\ahrhunbert. — Petrarca. — Petrarca « Gan^oniere. — 9lnhang
bibliographifcher u. frit. 33cmerfungen. — 9tcgiftcr.
^weiter SBonb: Die iittlienifd>e fiiternlnr ber 9ien<iiffaitce$eit.
8°. 704 S. 1888. 3W. 12.—, in .$albfr<mj gebunben Dt. 14.—.
Inhalt: Boccaccio. — Die Gptgonen ber gronen Florentiner. — Die £umaniften
beä 15. 3a^r^l,n^erts- — ®*c 1'ulgärfpradK im 15. ^ahrh. unb ihre
Literatur. — ^olifliano unb 2orcnjo b6 Gebiet. — Die 9utterbicbtung.
s}>ulct unb ^ojarbo. Neapel, ^ontano unb Sanna$aro. — sJHacdnaoe£li
u. Wuicciarbini. — SBcmbo. — 9lriofto. — Gaftigltone. — ^ierro Stretino.
— Die i'nrtt im 16. ^afyrjjunbert. — Da* .ftclbengebicbt im 16. $a\)X>
Rimbert. — Die Sragöbie. — Die flomöbie. — Anhang bibliograplj. u.
Iritifcher 23cmerfungen.
„Jeder der sich fortan mit der hier behandelten Periode der italienischen
Litteratur beschäftigen will, wird Gaspary's Arbeit 211 seinem Ausgangspunkte
zu machen haben. Das Werk ist aber nicht nur ein streng wissenschaftliches
für Fachleute bestimmtes, sondern gewährt nebenbei durch seine anziehende
Darstellungsweise auch einen ästhetischen Genuss; es wird daher auch in
weiteren Kreisen Verbreitung finden." Deutscht' L.t/craturzeituug.
„Eine sehr tüchtige wissenschaftliche Arbeit. Empfiehlt sich das Buch
einem grösseren Publikum durch seinen leicht verständlichen geschmackvollen
Ausdruck, so findet auch der Gelehrte in den im Anhange gegebenen reichen
Anmerkungen die bibliographischen Nachweise und die kritische Begründung
bei schwierigen zweifelhaften Punkten." Literarisches Centraiblatt.
„Die Darstellung von dem in die Anmerkungen verwiesenen Ballast be-
freit, schreitet festen aber elastischen Schrittes vorwärts; sie führt in die Mitte
der Thatsachen und der an diese sich knüpfenden Fragen, aber ohne gelehrte
oder schulmeisterliche Pedanteric, sodass der Genuss des Lesens sich mit dem
Nutzen des Lernens zugleich und von selber darbietet. Allgemeine Zeitung.
„All' opera dcl Gaspary, che raecoglie abbastanza bene i risultati dcgli
studi piü recenti, auguriamo, perchd ci parebbe utile ä dotti e agli indotti, una
edizione italiana." Rivista critica della letteratura italiana.
„Prof. Gaspary's history of Italian literature promises to be the ideal of
a thoroughly useful introduetion, occupying a middle position between an ex-
haustive work on the subjeet and a studentt mamial. The arr~nn?» of Pciiaio.
and Dante are very clear and instruetive, but peiiiaj>a the most interesting
part of the book is the pirture of the early struggles of Italy to acquire a
national language and literature." The Saturday Review.
Die ivortje^ung biefeä 2ScrfeS hat £err Dr. ffiicharb SÖenbrincr (^rcölau)
übernommen: ihm jinfr von per ('Kittin Peo tierftorbenen ^erfaijcro Die lUnuvocitcn,
fonu-it )idi folche im Oiactilnffo porfemben, auogehnnpigt iporpen.
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Verlag von KARL J. TR
waas
IN Strassburg.
GRUNDRISS
ROMANISCHEN PHILOLOGIE
UNTER MITWIRKUNG VON
G BA1ST, TU. BRAGA, H BRESSLAU. T. CASIN1, J. CORNL', C. DECL'RTINS, W. DEECKE,
TH GÄRTNER, M GAST KR, G. GERLAND, K KLUGE, GUST. MEYKR, W MKYER-LUBKE,
C MICHAELIS UE VASCON CELLOS, A. MOREL EATJO, ER. D'OVIDIO, A. SCHULTZ. W.SCHUM.
CH. SEYBOLD, E STENGEL, A STIMMING, H SUCHIER, H. TIKTIN, A TODLER,
\V. WINDELBAND. E WINDISCH
HERAUSGEGEBEN
ron
GUSTAV GRÖBER
o. ö. Professor der romanischen Philologie an der Universität Strassburg.
I. Band. Lex.-B°. XII, 853 S. mit 4 Tafeln und 13 Karten. 1888.
Broschiert Jl 14. — ; in Halhfram geb. Jt 16.
TL Band. 1. Abteilung. Lex. -8'. VIII, 1286 S. 100a. Broschiert JL 20. — ; in Halbfrani geb. JL 23. — .
II. Band. 2. Abteilung. Lex. -8*. VIII, 406 S. 1897. Broschiert JL 8.— ; in Halbfrani geb. JL 10.— .
II. Band. 3. Abteilung. Lex. -8°. V1IL 603 S. 1901. Broschiert JL «o. — ; in Halbfrani geb. JL ta —
Inhalt :
I. Band.
I. EINFÜHRUNO IN DIE ROMANISCHE PHILOLOGIE.
1. GESCHICHTE DER ROMANISCHEN PHILOLOGIE von G. GrSbtr.
a. AUFGABE UND GLIEDERUNG DER ROMANISCHEN PHILOLOGIE von
G. GrSbtr.
II. ANLEITUNG ZUR PHILOLOGISCHEN FORSCHUNO.
1. DIE QUELLEN DER ROMANISCHEN PHILOLOGIE, a. Die schriftlichen Quellen
mit 4 Tafeln von W. Schum. b. Die mündlichen Quellen von G. GrSbtr.
a. DIE BEHANDLUNG DER QUELLEN, a. Methodik und Aufgaben der sprach-
wissenschaftlichen Forschung von G. GrSbtr. b. Methodik der philologischen
Forschung von A. Tobltr.
III. DARSTELLUNO DER ROMANISCHEN PHILOLOGIE.
1. Abschnitt: ROMANISCHE SPRACHWISSENSCHAFT.
a. Die vorromanischen Volkssprachen der romanischen Linder. 1. Keltische
Sprache von E. Wmdisch. 2. Die Basken und die Iberer von G. Gcland
3. Die italischen Sprachen von W. Dttckt. 4. Die lateinische Sprache in den
romanischen Landern von W. Mtytr. 5. Romanen und Germanen in ihren
Wechselbeziehungen von F. Klug*. 6. Die arabische Sprache in den romani-
schen Ländern von Ch. StyboU. 7. Die nichtlateinischen Elemente im Rumä-
nischen von M. Gastcr.
b. Die romanischen Sprachen: 1. Ihre Einteilung und äussere Geschichte von
G. GrSbtr (mit einer Karte), a. Die rumänische Sprache von H. Tüttim. 3. Die
rätoromanischen Mundarten von Th. Gartntr. 4. Die italienische Sprache von
Fr. d'Ovtdxo und W. Mtytr. 5. Die frani. u. provencal. Sprache und ihre
Mundarten von H. Smchitr (mit ta Karten). 6. Das Katalanische von A. Mord-
Fatio. 7. Die spanische Sprache von G. Baut. 8. Die portugiesische Sprache
von jf. Cor nm. 9. Die lateinischen Elemente im Albanesischen von Gust. Mtytr.
II. Bd., 1. Abt.
a. Abschnitt LEHRE VON DER ROMANISCHEN SPRACHKUNST. Romanisch«
Verslehre von E. Sttngtt.
3. Abschnitt: ROMANISCHE L LITERATURGESCHICHTE.
a. Übersicht Ober die lateinische Litteratur von der Mitte des 6. Jahrhunderts
bis 1350 von G. GrSbtr.
b. Die Liiteraturcn der romanischen Völker:
1. Französische Litteratur von G. GrSbtr.
IL Bd., a. Abt.
2. Provencalische Litteratur von A. Stint/Hing.
3. Katalanische Litteratur von A. Mortl-Fatto.
4. Portugiesische Litteratur von C. Michaiiis dt Vatctnctths und Th. Braga.
5. Spanische Litteratur von G. Batst.
IL Bd., 3- Abt.
6. Italienische Litteratur von T. Catimi.
7. Rätoromanische Litteratui von C. Dtcnrtins.
8. Rumänische Litteratur von M. Gasttr.
IV. GRENZWISSENSCHAFTEN.
1. GESCHICHTE DER ROMANISCHEN VÖLKER von H. Bnttlau.
1. CL'LTURGESCHICHTE DER ROMANISCHEN VÖLKER von A. Schmitt.
3. KUNSTGESCHICHTE DER ROMANISCHEN VÖLKER:
Bildende K(in»tc von A. Schutts.
4. DIE WISSENSCHAFTEN IN DEN ROMANISCHEN LÄNDERN von W. Wiudtlband.
NAMEN-, SACH- UND WORTVERZEICHNIS in jedem Band.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
27
Soeben erschien:
Nachgelassene Schriften
des Grafen Gobineau
herausgegeben von
Ludwig Schemann.
Dichterische Werke:
1.
Alexandre le Mac^donien.
Tragödie en cinq acte*.
Zweite Auflage.
Kl. 8«. XXVI, 101 S. 1902. M. 2.-
Durch das Vertrauen der Erben Gobincaus zur Vollstreckung seines
litterarischen Testamentes, insbesondere auch zur Herausgabe seiner nach-
gelassenen Schriften berufen, beginne ich diese letztere für jetzt mit der Ver-
öffentlichung der Tragödie: «Alexandre le Mac^donien». Die ferneren Werke
teils gleichfalls dichterische (einige poetische Erzählungen und Gedanken-
dichtungen, auch Bruchstücke einer Uebersetzung des «Kusch-Nameh»), teils
historische und politische (Einleitungen zu den Renaissancescenen, Aufsätze
über die Ethnographie Frankreichs und über «Europa und Russland», Auf-
zeichnungen und Betrachtungen zum deutsch-französischen Kriege 1870/71, ein
grösseres Werk über die dritte Republik u. A.), leider zum Theil Fragment ge-
blieben, sollen sich mit der Zeit in zwangloser Folge anschliessen.
L. SchemaHH.
Aus der Vorrede zur zweiten Auflage.
Schon nach wenig mehr als Jahresfrist ist es mir vergönnt, den „Alexandre"
zum zweiten Male hinausgehen zu lassen. Die mancherlei Beurteilungen und
Kundgebungen, die mir teils auf öffentlichem, teils auf privatem Wege zuge-
gangen sind, beweisen zur Genüge, dass das Werk in der Hauptsache durch-
aus auf die richtige Würdigung bei den Deutschen getroffen ist, und dass sehr
schnell immer mehrere die an sich für unsere Landsleute so wundersam ab-
schreckende Schale des Alexandriners durchbrochen haben, um mit Freuden
hier Blut von unserem Blute, Geist von unserem Geiste zu erkennen.
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28
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
Unter der Presse:
Altitalienische Chrestomathie
herausgegeben
von
DR. PAOLO SAVJ-LOPEZ
Priratdozcnt an der Universität Strassburg.
8°. ca. 12 Bogen.
Einem doppelten Zweck soll dieses Werk dienen: zunächst soll es ein
Bild geben von der ältesten italienischen Litteratur vor dem Zeitalter Dantes,
dann aber zuverlässiges Material liefern zu wissenschaftlichen Übungen in
Seminarien über die Entwickclung der italienischen Sprache und über die
ersten mundartlichen Denkmäler in den verschiedenen Provinzen Italiens. Der
Verfasser wird sich bemühen, nur Texte in sicherer Redaktion herauszugeben,
in einem Gesamtumfang, der für die Lektüre während eines bis zwei Semestern
ausreicht, beginnend mit den ältesten Urkunden, dann Proben von Dichtung
und Prosa zur Veranschaulichung der zeitlichen und örtlichen Entwickclung
der Sprache. Die Texte sind chronologisch geordnet und reichen bis zum
Entstehen des dolce stil nuovo, also bis zum Zeitalter Dantes — Dante
selbst ausgeschlossen.
Beim Abdruck der Texte wird der Verfasser die verschiedenen wissen-
schaftlichen Methoden anwenden, um den Leser mit einer jeden vertraut zu
machen. Zum Teil wird er die Texte in kritischer Bearbeitung mit Varianten
und Apparat herausgeben ; zum Teil in diplomatischer, oder nichtdiplomatischer
Abschrift (mit Worttrennung, Auflösung der Abkürzungen etc.). Alle Stücke
sind von einer kurzen Bibliographie begleitet; am Schlüsse befindet sich ein
italienisch - deutsches Glossar.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
29
Soeben erschien:
KURZE
VERGLEICHENDE GRAMMATIK
DER
INDOGERMANISCHEN SPRACHEN.
Auf Grund des fünfbändigen „Grundrisses der vergleichenden
Grammatik der indogermanischen Sprachen von K. Brugmann
und B. Delbrück" verfasst
VON
KARL BRUGMANN.
ERSTE LIEFERUNG:
EINLEITUNG UND LAUTLEHRE.
Gr. 8<\ VI, 280 S. 1902. M. 7.—, in Leinwand geb. M. 8.—
Der Verfasser spricht sich auf dem Umschlag der ersten Lieferung über
sein Werk folgendermassen aus:
Über den Zweck dieses Buches und über verschiedene Gesichtspunkte,
die bei seiner Abfassung für mich massgebend gewesen sind, wird ein Vor-
wort orientieren, welches der Schlusslieferung beigegeben wird. Für jetzt
möchte ich nur Folgendes bemerken.
Diese kurze vergleichende Grammatik, welche, wie der 'Grundriss*,
Lautlehre, Formenlehre und Syntax umfasst, wird gegen 45 Bogen stark
werden, und ich hoffe sie im Laufe dieses Jahres im Manuskript beendigen
zu können, sodass die Schlusslieferung voraussichtlich im Frühjahr 1903 er-
scheinen würde.
Die Schlusslicferung wird ausser den erforderlichen Indices auch eine
Erklärung der in dem Buch für Litcraturverweisungcn usw. gebrauchten Ab-
kürzungen bringen. Einstweilen mag für die vor 1897 erschienene Literatur
das im 'Grundriss' Bd. i* p. XXVII — XL gegebene Verzeichnis der Abkürz-
ungen aushelfen, da die Abkürzungsweise dieselbe ist.
Die Literaturverweise mussten, abgesehen von der Einleitung, die haupt-
sächlich zusammenfassende Arbeiten nennt, auf das allcrnotwendigste beschränkt
werden. Wo sich, was besonders bei strittigen Fragen der Fall ist, Hinweise
auf den 'Grundriss* und auf meine "Griechische Grammatik* rinden, gelten
diese meistens in erster Linie der dort angegebenen Literatur über die be-
treffende Frage.
Ist schon die vorliegende Lautlehre nicht lediglich ein Auszug aus der
Lautlehre des 'Grundrisses', so wird die Lehre von den Wortformen diesen
Charakter noch viel weniger zeigen gegenüber den entsprechenden, in den
Jahren 1889 bis 1892 erschienenen Teilen des grösseren Werkes. Selbstver-
ständlich mussten und müssen die Fortschritte, die unsere Wissenschaft auch
in den letzten Jahren wieder gemacht hat, dieser kürzeren Darstellung nach
Möglichkeit zu gute kommen.
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3o Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburo.
GRUNDRISS
I)KR
VERGLEICHENDEN GRAMMATIK
DER
INDOGERMANISCHEN SPRACHEN.
KURZGEFASSTE DARSTELLUNG
der Geschichte des Altindischen, Altiranischen (Avcstischen und Altpersischen)
Altarmenischen, Altgriechischen, Albanesischcn, Lateinischen, Umbrisch-Sara-
nitischen, Altirischen, Gotischen, Althochdeutschen, Litauischen und Altkirchen-
slavischen
von KARL BRKiMAXN und BERTHOLD DELBRÜCK
ord. Prorettor der indogermanischen Spr»ch- ord. Profettor de» Sanikril und der vergleichen-
wittenschaft in Leiptlg. den Sprachkunde in Jena.
I. Bd.: EINLEITUNG UND LAUTLEHRE von Karl Brugmann,
Zweite Bearbeitung, i. Hälfte (§ 1—694). Gr. 8°. XL.
628 S. 1897. M. 16.—.
— — 2. Hälfte (§ 695—1084 und Wortindex zum 1. Band). Gr. 8°.
IX u. S. 623—1098.' 1897. M \2.—.
Die beiden Hälften des I. Bandes zusammen in einen Band
in Halbfranz geb. M. 31.—
II. Bd.: WORTBILDUNGSLEHRE (Stammbildungs- und Flexions-
lehre) von Karl Brugmann. 1. Hälfte. Vorbemerkungen.
Nominalcomposita. Rcduplicierte Nominalbildungen. Nomina
mit stammbildenden Suffixen. Wurzclnomina. Gr. 8°. XIV,
462 S. 1888. M. 12.—.
— — 2. Hälfte, 1. Lief.: Zahlwortbildung, Casusbildung der Nomina
(Nominaldcklination), Pronomina. Gr. 8°. 384 S. 1891. M.io.— .
■-- — 2. Hälfte, 2. (Schluss-) Lief. Gr. 8°. XII, 592 S. 1892. M. 14.—.
Die drei Teile des II. Bandes zusammen in einen Band in
Halbfranz geb. M. 40. — .
INDICES (Wort-, Sach- und Autorenindex) von Karl Brugmann.
Gr. 8°. V, 236 S. 1893. M. 6. — , in Halbfranz geb. 8.50.
III. Bd.: SYNTAX von B. Delbrück. 1. Teil. Gr. 8°. VIII, 774 S.
1893. M. 20. — , in Halbfranz geb. M. 23. — .
IV. Bd.: — 2. Teil. Gr. 8°. XVII, 560 S. 1897. M. 15.—,
in Halbfranz geb. M. 18.—.
V. Bd.: — 3. (Schluss-) Teil. Mit Indiccs (Sach-, Wort- und Autoren-
Index) zu den drei Teilen der Syntax von C. Cappel ler.
Gr. 8°. XX, 606 S. 1900. M. 15 — , in Halbfranz geb. M. 18.—.
(I. Band) „ . . . Der Brugmannsche Grundriss wird auch in der zweiten Auflage,
die wir als neues glänzendes Zeugnis der unermüdlichen Arbeits- und Schaffenskraft
seines Verfassers, zugleich aber auch seines weittragenden und scharfen Blickes
in alle Weiten und Tiefen unserer Wissenschaft und seines sichern und un-
parteiischen Urteils in den schier zahllosen Problemen und Streitfragen der
Indogermanistik begrüssen, wo möglich in noch höherem Grade, wie in der
ersten, ein Markstein in der Geschichte der indogermanischen Sprachwissen-
schaft sein, als welchen ich ihn mit vollem Fug und Recht in der im Jahr-
gang 1887 Nf- 3 veröffentlichten Besprechung bezeichnet habe."
Ar. Stolz, Neue philologische Rundschau 1897 Nr. 21.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
3«
GRUNDFRAGEN
DER
SPRACHFORSCHUNG
MIT RÜCKSICHT
AUF W. WUNDTS SPRACHPSYCHOLOGIE ERÖRTERT
VON
B. DELBRÜCK.
8°. VII, 180 S. iooi. M. 4.
Aus dem Vorwort.
Die Schrift, welche ich hiermit dem Wohlwollen des Publikums empfehlen
möchte, beginnt mit einem Abschnitt, der einem Philosophen vielleicht sehr
elementar vorkommen mag, von dem ich aber hoffe, dass er den übrigen
Lesern willkommen sein wird, nämlich einer kurzgefassten vergleichenden
Darstellung der Hcrbart'schen und der Wundt'schen Psychologie. Eine solche
Auseinandersetzung schien mir unerlässlich, weil niemand die Meinungsver-
schiedenheit zwischen Steinthal oder Paul einerseits und Wundt andererseits
wirklich verstehen kann, der sie nicht bis in ihre in der psychologischen Grund-
auffassung liegenden Wurzeln verfolgt. An diese grundlegende Darstellung
schliesst sich der bei weitem umfänglichere Teil der vorliegenden Schrift: die
Auseinandersetzung eines Sprachforschers mit den Wundt'schen Theorien über
die wichtigsten Probleme des Sprachlebens. Dass es dabei nicht ohne viel-
fachen Widerspruch abgehen kann, wird derjenige selbstverständlich finden,
der sich gegenwärtig hält, dass ein Philosoph und ein Historiker infolge der
überlieferten Verschiedenheit ihrer Arbeitsgewohnheiten sich demselben Stoff
gegenüber immer verschieden verhalten werden. Dazu kommt im vorliegenden
Falle, dass ein Unternehmen wie das Wundt'sche einer Fülle von stoßlichen
Schwierigkeiten ausgesetzt ist, die sich wohl von niemand ganz überwinden
lassen. Die Sprachforschung ist ein ungeheures Gebiet, auf dem unablässig
gearbeitet wird. Wie wäre es zu vermeiden, dass jemand, der den ganzen
Kreis der dahin gehörigen Probleme durchmessen will, sich gelegentlich im
einzelnen vergreift oder hinter dem jetzigen Stande der Forschung zurückt
bleibt? Habe ich demnach Wundt bei aller aufrichtigen Wertschätzung nich-
selten entgegentreten müssen, so hat sich doch, wie man hoffentlich bald
gewahr werden wird, meine Kritik nie auf gleichgültige Einzelheiten, sondern
immer nur auf Punkte von principieller Wichtigkeit gerichtet.
Inhalt :
I. Kapitel: 1. Einleitung, 2. Vcrgleichung der Herbart'schcn und der
Wundt'schen Psychologie, 3. Das sprachliche Material. — II. Kapitel: Die Ge-
berdensprache. — III. Kapitel: Der Ursprung der Lautsprache. — IV. Kapitel:
Der Lautwandel. — V. Kapitel: Wurzeln, Zusammensetzung. — VI. Kapitel:
Wortarten und Wortformen, Kasus, Relativum. — VII. Kapitel: Der Satz und
seine Gliederung. — VIII. Kapitel: Der Bedeutungswandel, Rückblick. —
Litteraturangaben. — Index.
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52
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
INDOGERMANISCHE FORSCHUNGEN
ZEITSCHRIFT
FÜR
IND0GKRIAKI8CHE SPRACH- UND ALTERTUMSKUNDE
HERAUSGEGEBEN
von
KARL BRUGMANN «na WILHELM STREITBERG
MIT DEM BEIBLATT
ANZEIGER FÜR INDOGERMANISCHE SPRACH- UND ALTERTUISKUNDK
REDIGIERT VON
WILHELM STREITBERG
• I.— XII. Band 1891— 1901. XIII. Band unter der Presse.
Preis jeden Bandes M. 16. — , in Halbfranz geb. M. 18. — .
Die Original-Arbeiten erscheinen in den Indogermanischen Forsch-
ungen; die kritischen Besprechungen, eine referierende Zeitschriftenschau,
eine ausführliche Bibliographie sowie Pcrsonalmittcilungen von allgemeinerem
Interesse werden als «Anzeiger für indogermanische Sprach- und Alter-
tumskunde» beigegeben.
Die Zeitschrift erscheint in Heften von 5 Bogen 8°. Fünf Hefte bilden
einen Band. Der Anzeiger ist besonders paginiert und erscheint in 3 Heften,
die zusammen den Umfang von ungefähr 15 Bogen haben; dieses Beiblatt ist
nicht einzeln käuflich. Zeitschrift und Anzeiger erhalten am Schluss die er-
forderlichen Register.
In Vorbereitung:
Die
Indogermanische Sprachwissenschaft.
Ihre Methode, Probleme, Geschichte.
Von
Wilhelm Streitberg,
a o. Prt>fc<sor der indogermanischen Sprach»U»cn»ch»f« in Muriner i. W.
Das Werk ist für weitere Kreise berechnet und zugleich als eine Art
Vorschule zu Brugmann's Grundriss der vergleichenden Grammatik
der indogermanischen Sprachen gedacht. Die Methode und die Auf-
gaben der indogermanischen Sprachforschung, deren Kenntnis dieser beim
Leser voraussetzt, sollen hier in gemeinverständlicher Form dargestellt, erklärt
und begründet werden. Das Buch will dazu beitragen, das Verständnis für die
Bedeutung der jungen Wissenschaft bei allen auf unseren Gymnasien philologisch
Geschulten zu wecken und zu fördern.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
33
REALLEXIKON
DER
INDOGERMANISCHES ALTERTUMSKUNDE.
GRUNDZÜUE
EINER
KULTUR- UNÜ VÖLKERGESOHICHTE ALTEUROPAS
VON
O. SCHRÄDER,
o. Profe»Hor an Ucr Universität Jena.
Lex. 8°. XL, 1048 S. 1901. Broschirt M. 27.—, in Halbfranz geb. M. 30.—.
Die indogermanische Altertumskunde will die Ursprünge der Civili-
sation der indogermanischen Völker an der Hand der Sprache und der
Altertümer, sowohl der prähistorischen wie der geschichtlichen, ermitteln.
Was auf diesem an Ergebnissen und Streitfragen reichen Arbeitsgebiet bis
jetzt geleistet worden ist, soll das vorliegende Reallcxikon deridg.
Altertumskunde zusammenfassen und weiter ausbauen. Zu diesem
Zwecke stellt sich das Werk auf den Boden der historisch bezeugten
Kultur Alteuropas, wo die Wurzeln und der Schwerpunkt der idg. Völker
liegen, löst dieselbe unter geeigneten Schlagwörtern in ihre Grundbegriffe
auf und sucht bei jedem derselben zu ermitteln, ob und in wie weit die
betreffenden Kulturerscheinungen ein gemeinsames Erbe der idg. Vorzeit
oder einen Neuerwerb der einzelnen Völker, einen selbständigen oder von
aussen entlehnten, darstellen. So kann das Reallcxikon zugleich als Grund-
züge einer Kultur- und Völkergeschichte Alteuropas bezeichnet
werden, indem die Rekonstruktion vorgeschichtlicher Zustände nicht so-
wohl Selbstzweck, als Hilfsmittel zum Verständnis der geschichtlichen Ver-
hältnisse sein soll. Im allgemeinen begnügt sich das Werk damit, das
erste Auftreten einer Kulturcrscheinung festzustellen und ihre weitere
Geschichte den Altertumskunden der idg. Einzelvölker zu überlassen, für
die das Rcallexikon eine Einleitung und Ergänzung sein möchte. Ein
besonderer Nachdruck ist auf die Terminologie der einzelnen Kultur-
begriffe gelegt worden, da es die Absicht des Werkes ist, den kultur-
historischen Wortschatz der idg. Sprachen, was hier zum ersten Mal ver-
sucht wird, als Ganzes sachlich und übersichtlich zu ordnen, sowie sprachlich
zu erklären. Dabei sind ausser den eigentlichen Kulturbegriffen auch
solche Begriffe als selbständige Artikel in das Reallcxikon aufgenommen
worden, welche für die Kulturcntwicklung, die Wanderungen, die Rassen-
zugehörigkeit der idg. Völker sowie für die Urheimatsfrage, die einer
erneuten Prüfung unterzogen wird, irgendwie von Bedeutung sein können.
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34
Verlag von KARL J. TRUBNER in Strassburg.
GRUNDRISS
DER
INDO-ARISCHEN PHILOLOGIE
UND
ALTERTUMSKUNDE
Begründet von
GEORG BÜHLER,
fortgesellt von
F. KIELHORN,
Professor de« Sanskrit an der Universität Göltingen
In diesem Werk soll zum ersten Mal der Versuch gemacht werden, einen
Gesamtüberblick über die einzelnen Gebiete der indo-arischen Philologie und
Altertumskunde in knapper und systematischer Darstellung zu geben. Die
Mehrzahl der Gegenstände wird damit überhaupt zum ersten Mal eine zu-
sammenhängende abgerundete Behandlung erfahren; deshalb darf von dem
Werk reicher Gewinn für die Wissenschaft selbst erhofft werden, trotzdem es
in erster Linie für Lernende bestimmt ist.
Gegen dreissig Gelehrte aus Deutschland, Österreich. England, Holland,
Indien und Amerika haben sich vereinigt, um diese Aufgabe zu lösen, wobei
ein Teil der Mitarbeiter ihre Beiträge deutsch, die übrigen sie englisch ab-
fassen werden. (Siehe nachfolgenden Plan.}
Besteht schon in der räumlichen Entfernung vieler Mitarbeiter eine
grössere Schwierigkeit als bei anderen ähnlichen Unternehmungen, so schien es
auch geboten, die Unzuträglichkeit der meisten Sammelwerke, welche durch
den unberechenbaren Ablieferungstermin der einzelnen Beiträge entsteht, da-
durch zu vermeiden, dass die einzelnen Abschnitte gleich nach ihrer Ab-
lieferung einzeln gedruckt und ausgegeben werden.
Der Subskriptionspreis des ganzen Werkes beträgt durchschnittlich 65 Pf.
pro Druckbogen von 16 Seiten; der Treis der einzelnen Hefte durchschnittlich
80 Pf. pro Druckbogen. Auch für die Tafeln und Karten wird den Subskribenten
eine durchschnittliche Ermässigung von 20% auf den Einzelpreis zugesichert.
Ober die Einteilung des Werkes giebt der nachfolgende Plan Auskunft.
Band L Allgemeines und Sprache.
1) *a. Georg Bühlcr. 1837— 1898. Von Jul. Jolly. Mit einem Bildnis Bühlcrs
in Heliogravüre. Subskr.-Preis M. 2. — , Einzel-Preis M. 2.50.
b. Geschichte der indo-arischen Philologie und Altertumskunde von Ernst
Kuhn.
2) Urgeschichte der indo-arischen Sprachen von R. Mcringtr.
3) a. Die indischen Systeme der Grammatik, Phonetik und Etymologie von
Ii. Liebich.
*b. Die indischen Wörterbücher (Koäa) von Tk. Zachariae. Mit Indiccs.
Subskr.-Preis M. 2.20, Einzel-Preis M. 2.70.
4) Grammatik der vedischen Dialekte von A. A. Maaioncll (engl.)
5) Grammatik des klassischen Sanskrit der Grammatiker, der Litteratur und
der Inschriften sowie der Mischdialekte (epischer und nordbuddhistischer)
von H. Lüders.
*6) Vedische und Sanskrit-Syntax von J. S. Speyer. Mit Indices.
Subskr.-Preis M. 4.25, Einzel-Preis M. 5.25.
7) Paligrammatiker, Paligrammatik von O. Franke.
Fortsctiung siehe nächste Seite.
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35
Grundriss der indo-arischen Philologie (Fortsetzung).
•8) Grammatik der Prakritsprachcn von R. Pisckel. Mit Indices.
Subskr.-Preis M. 17.50, Einzel-Preis M. ai.50.
9) Grammatik und Littcratur des tertiären Prakrits von Indien von G.A. Grierson
(englisch).
*io) Litteratur und Sprache der Singhalesen von IVilh. Geifer. Mit Indices.
Subskr.-Preis M. 4.—, Einzel-Preis M. 5.—.
*") Indische Paläographie (mit 17 Tafeln) von G. Bühler.
Subskr.-Preis M. 15.— , Einzel-Preis M. 18. so.
Band II. Litteratur und Geschichte.
1) Vedische Litteratur (Sruti).
a. Die drei Veden von K. Geldner.
*b. The Atharva-Veda and the Gopatha-Brähmana by M. Bloomfield (englisch).
Mit Indices. Subskr.-Preis M. 5.40, Einzel-Preis M. 6.40.
2) Epische Litteratur und Klassische Litteratur (einschliesslich der Poetik
und der Metrik) von H. Jacobi.
3) Quellen der indischen Geschichte.
a. Litterarische Werke und Inschriften von F. Kielhorn (engl.).
*b) Indian Coins (with 5 platcs) by E. J. Rapson (engl.). Mit Indices.
Subskr.-Preis M. 5.20, Einzelpreis M. 6.20.
4) Geographie von M. A. Stein.
5) Ethnographie von A. Baines (engl.).
6) Staatsaltertümer f von J. Jolly und
7) Privataltertümer ( Sir R. West (englisch).
♦8) Recht und Sitte (cinschliessl. der einheimischen Littcratur) von J. Joüy.
Mit Indices. Subskr.-Preis M. 6.80, Einzel-Preis M. 8.30.
9) Politische Geschichte bis zur muhammed. Eroberung von J. F. Fleet (engl.).
Band III. Religion, weltl. Wissenschaften und Kunst.
i) *a. Vedic Mythology by A. A. Macdonell (engl.). Mit Indices.
Subskr.-Preis M. 8.20, Einzel-Preis M. 9.70.
b. Epische Mythologie von Af. Winternitz.
*2) Ritual-Litteratur, Vedische Opfer und Zauber von A. Hillebrandt.
Subskr.-Preis M. 8.—, Einzelpreis M. 9.50.
3) Vedänta und Mimämsä von G. Thibaut.
*4) Sämkhya und Yoga von R. Garbe. Mit Indices. Subskr.-Preis M. 2.70,
Einzelpreis M. 3.20.
5) Nyäya und Vateesika von A. Venis (engl.).
6) Vaisnavas, Saivas, | l R Q Bhandarkar
Sauras, Sänapatas, \ Bhaktimärga { u ,^„uJ^!\
Skändas, Säktas, ( | (englisch).
7) Jaina von E. Leumann.
*8) Manual of Indian Buddhism by //. Kern (engl.). Mit Indices.
Subskr.-Preis M. 6.10, Einzel-Preis M. 7.60.
♦9) Astronomie, Astrologie und Mathematik von G. Thibaut.
Subskr.-Preis M. 3.50, Einzel-Preis M. 4.—.
* 10) Medizin von 7. Jolly. Mit Indices. Subskr.-Preis M. 6.—, Einzel-Preis M. 7.—.
Auf Grund" dieser Arbeit wurde Professor J. Jolly zum Ehrendoctor der medicinischen
Facultat der Universität Göttinnen ernannt.
11) Bildende Kunst (mit Illustrationen) von J. Burgess (engl.).
12) Musik.
NB. Die mit * bezeichneten Hefte sind bereits erschienen.
«Auch dieirm vierten in der Reihenfolge der Grundrisse möchte man, allen jenen lur Be-
herzigung, die im Zeitalter derselben ihre philologische Laufbahn antreten, das Wort mit auf den
Weg geben: Was du ererbt von deinen Vatem hast, erwirb es, um es tu besitzen I Diese Grundrisse
haben wie die Janusbildcr zwei Gesichter, die nach entgegengesetzten Seiten schauen: rückwärts und
vorwärts. Durch die Arbeiten der vorangegangenen Geschlechter, die sie zusammenfassen, legen sie
Zeugnis» ab von der geistigen Energie, die sich allmählich auf den verschiedenen Einzclgcbieten,
welche in ihrem inneren und äusseren Zusammenschiuss die jedesmalige Philologie ausmachen, auf-
gespeichert hat. Unter diesem Gesichtspunkt bedeuten sie zugleich deren Reiferklärung gewisser-
nassen durch den spontanen Act des Unternehmens als solchen, durch das in Voraussicht seiner
Durchführbarkeit geplante Werk selber. Die kommenden Geschlechter aber, die es gebrauchen,
werden in ihm eine gesicherte Grundlage ihrer Arbeiten finden, und stehen deshalb nicht bloss bleibend
in Dankesschuld, sondern tragen auch die ernste Verpflichtung, ihrerseits die Summe der bereits vor-
handenen Energie zu vermehren, der Forschung immer neue Wege zu eröffnen, günstigere Aussichts-
punkte zu erschliesscn Mit dem ersten Hefte hat «ich der indo-arische Grundriss vor-
trefflich inauguriert. Wünschen wir dem kühnen Unternehmen einen gleich vortrefflichen Fortgang».
Littrar. CtntralbUlt 1S96 Nr. j6.
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36
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
• GRUNDRISS
OER
IRANISCHEN PHILOLOGIE
UNTER MITWIRKUNG VON
CHR. BARTHOLOM AE, C H. ETHE, C. F. GELDNER, P. HORN,
A. V. W. JACKSON, F. JUSTI. W MILLER, TH. NÖLPEKE, C. SALEMANN, A. SOCIN,
F. H. WEISSBACH und E. W. WEST
HERAUSGEGEBEN
von
WILH. GEIGER und ERNST KUHN.
Inhalt:
I. Band. i. Abt.
I. Abschnitt. SPRACHGESCHICHTE.
1 ) Vorgeschichte deri ranischen Sprachen Prof. Dr. Chr. Bartkotomae.
2) Awestasprache und Altpersisch Prof. Dr. Chr. Bartkolomae.
3) Mittelpcrsisch Akademiker Dr. C. Salematm.
I. Band. 2. Abt.
4) Ncupcrsischc Schriftsprache Privatdozent Dr. P. Horn.
5) Die übrigen modernen Sprachen und Dialekte.
B. BlTCh ! ™ D'- Geiger.
C. Kurdisch Prof. Dr. A. Socin.
D. Kleinere Dialekte und Dialekt-
gruppen a) Allgemeines, b) Pamir-
dialekte, c) Kaspische Dialekte
(Mazandarüni, etc.) d) Dialekte in
Persien. Prof. Dr. IV. Geiger.
II. Band.
II. Abschnitt. LITTERATUR.
1) Awestalitteratur Prof. Dr. K. F. Geldner.
2) Die Altpersischen Inschriften Dr. F. H. Weissbach.
3) Pahlavilitteratur Dr. E. IV. West.
Mit einem Anhang Uber die neupersische Littcratur der Parsi.
4) Das iranische Nationalepos Prof. Dr. Th. Söldeke.
5) Neupersische Littcratur Prof. Dr. C. II. Ethc.
III. Abschnitt. GESCHICHTE UND KULTUR.
1) Geographie von Iran Trof. Dr. //'. Geiger.
2) Geschichte Irans von den ältesten Zeiten bis zum Ausgang
der Säsäniden Prof. Dr. /'. Justi.
3) Geschichte Irans in islamitischer Zeit Privatdozent Dr. P. Horn.
4) Nachweisung einer Auswahl von Karten für die geographischen
und geschichtlichen Theile des Grundrisses. Von F. Justi.
5) Die iranische Religion Prof. Dr. A. V. IV. Jackson.
GESCHICHTE DER IRANISCHEN PHILOLOGIE Prof. Dr. E. Kuhn.
Anhang: Ossetisch Dr. IV. Müler.
Bis jetzt sind erschienen:
I. Band, 1. Abteil., Lex. 8". VIII, 332 S. 1901. M. 17.—
I. » 2. > Lex. 8". VI, 535 S. 1901. M. 27.—
II. » 1. bis 4. Lieferung a M. 8.—.
Die Schlusslieferung des zweiten Bandes ist unter der Presse.
Nöldeke, Theodor, Das iranische Na tionalepos (Separatabdruck) Lex. 8».
82 S. M. 4.50.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER IN StRassburc.
37
BERNEKER. DR. ERICH, DIE PREUSSISCHE SPRACHE.
Texte, Grammatik, Etymologisches Wörterbuch. 8°. X, 333 S
1896. M. 8.-
t ... Es war wirklich schon an der Zeit, Ncssclmann's «Sprache
der alten Prcusscn» durch ein dem heutigen Stand der Wissenschaft
mehr entsprechendes Buch zu ersetzen und Berneker hat seine Aufgabe
im Ganzen mit Glück gelost. Es wäre überflüssig, den grossen Fortschritt,
welchen Bernekers Grammatik gegen Ncssielmann bedeutet, besonders
hervorzuheben: wir machen in dieser Beziehung auf seine Akzentlehre
aufmerksam, welcher es gelungen ist, nach Fortunatow's Vorgang ein
wirklich unerwartetes Licht auf das Preussische zu werfen.
Anzeiger f. indogerm. Sprach- u. Altertumskunde. Vif. Hand, 3. Heft.
BRUCKNER, W., DIE SPRACHE DER LANGOBARDEN
(Quellen und Forschungen, Heft LXXV.) 8°. XVI, 338 S.
1895. M. 8 —
«Eine sehr gründliche und gediegene Arbeit, die der Schule, aus
der sie hervorgegangen, alle Ehre macht. Die vorliegende Arbeit erfüllt
ihren Zweck nach allen Seiten, sie zeugt von guten Kenntnissen und glück-
licher Verwertung derselben für die Grammatik wie für das Wörterbuch
und die Namenkunde. Viel unbekanntes Matertal ist beigebracht und richtig
gedeutet; weniges Dunkele wird wohl auch fernerhin dunkel bleiben.»
Kluge, l.itteraturblatt für germ. und roman. Philologie. I8Q$, Nr. 12.
BÜHLER, GEORG, ON THE ORIGIN OF THE INDIAN
Brahma Alphabet. Sccond revised Edition of Indian Studies
No. III. Together with two Appendiccs, on the Origin of the
Kharosthi Alphabet and of the so-called Lctter-Numcrals of the
Brahmi. With three plates. Gr. 8°. XIII, 124 S. 1898. M. 5. —
CAPPELLER, CARL, SANSKRIT-WÖRTERBUCH. Nach
den Petersburger Wörterbüchern bearbeitet. Lcx.-8°. VIII, 541 S.
1887. M. 15. — , in Halbfranz geb. M. 17.—
«Der Verf. sucht mit seinem Werk einen doppelten Zweck zu er-
reichen. Einerseits will er zu Böhtling^s Chrestomathie und einigen
andern wichtigern Texten ... ein Spezialwörterbuch liefern, das für die
ersten Jahre des Sanskrit-Studiums genügen soll, und hiermit kommt
er einem entschiedenen Bedürfnis von Lehrenden und Lernenden ent-
gegen. Anderseits will er aber auch dem vergleichenden Sprachforscher
das für seine Zwecke dienliche Material in möglichst bequemer Weise
an die Hand geben . . . Bei der Verfolgung dieses Doppclzweckcs zeigt
der Verf. überall die grösste Sorgfalt und Umsicht, und die gediegene
Arbeit verdient in jeder Hinsicht volle Anerkennung . . .>
Deutsche Litteraturzeitung iSSj Nr. 16.
HÜBSCHMANN, H., PERSISCHE STUDIEN. 8°. 286 S.
1895. M. 10.—
«Der erste Theil bringt eine stattliche Anzahl von Nachtragen und
Verbesserungen zu Horn's Grundriss der neupersischen Etymologie. Dem
über dieses Buch gefällten durchaus sachlichen Urtheile pflichtet Ref.
vollkommen bei; trotz gewisser ihr anhaftender Mangel ist Horn's Arbeit
von grossem Nutzen und wird anregend wirken. Ja, sie hat dies bereits
grthan; denn auf ihr beruht zum grossen Theile die «neupersische Laut-
lehre», welche die zweite Hälfte des Hübschmannschen Buches füllt
Diese «Lautlehre» ist ausserordentlich reich an Kinzelergcbnissen, ohne
Zweifel wird sie auf lange Zeit hinaus die feste Grundlage für die fernere
wissenschaftliche Erforschung der neupersischen Sprache bilden. Der
Verf. hat (und dies ist vielleicht das Hauptverdienst unseres Buches) die
Grundlagen für eine geschichtliche Betrachtung der persischen Sprache
und ihrer Lntwickclung geschaffen.» Literarisches Centraiblatt iSo< Ar. ?.?.
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38
VtRLAG von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
HUTH, DR. GEORG, GESCHICHTE DES BUDDHISMUS
in der Mongolei. Aus dem Tibetischen des Jigs-med nam-
mk'a herausgegeben, übersetzt und erläutert.
I. Teil: Vorrede, Text, kritische Anmerkungen. Gr. 8°. X,
296 S. 1892. M. 20. —
II. Teil: Uebersetzung. Nachträge zum ersten Teil. Gr. 8°.
XXXII, 456 S. 1896. M. 30—
«Man darf behaupten, dass mit der Uebertragung dieses bedeu-
tenden historischen Werkes, das ein hoher geistlicher Würdenträger 1S18
verfasste, unsrer Wissenschaft neue Bahnen und Ziele gewiesen werden
in philologischer wie historischer Beziehung, dass hier bisher unbekannte
und vertiefte Erkenntni.squellen für die gesamte Cultur der Völker Inner-
asiens im reichsten Mas.se zum erstenmal erschlossen werden.»
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. iSyö. Nr. 238.
JENSEN, P., HITTITER UND ARMENIER. Mit 10 lithogra-
phischen Schrifttafeln und einer Übersichtskarte. Gr. 8°. XXVI,
255 S. 1898. M. 25.—
Inhalt: I. Das Volk und das Land der Hatio-Hayk'. — II. Die hatisch-
armenischen Inschriften. A. Liste der bekannten Inschriften. B. Trans-
scriptions- und Übersetzungsversuche. — III. Das hatisch-armenischc
Schriftsystem. A. Die Schriftzeichen und ihre Verwendung. Mit einem
Anhang B. Das ägyptische Vorbild des hatischen Schriftsystems.
C. Palacoarmcnischer Ursprung der hatischen Schrift. IV. Die Sprache der
Haticr und das Armenische. A. Grammatisches. B. Lexikalisches. C. Der
Lautbestand der hatischen Sprache im Verhältnis zu dem des Indo-
germanischen und des Armenischen. — V. Zur hatisch-armenischen Reli-
gion A. Hatische Guttcrzcichen. B. Hatische Götternamen. C. Hatische
Götter. D. Einfluss des syrischen Cultus auf den der Haticr. E. Die
Religion der Haticr und die der Armenier. • VI. Zur hatisch-armenischen
Geschichte. --- Nachträge. Verzeichnisse.
LUICK, K., UNTERSUCHUNGEN ZUR ENGLISCHEN
Lautgcschichtc. 8°. XVIII, 334 S. 1896. M. 9.—
«Der Verfasser hat schon durch kleinere Arbeiten seine hervor-
ragende Befähigung für lautgcschichtlichc Untersuchungen bewiesen;
durch diese neueste Leitung thut er es in verstärktem Masse. In vielen
Dingen stimmt man ihm sofort zu . . . Wir erkennen freudig an, dass
jede Seite von gediegenem Wissen und grossem Scharfsinne zeugt, Vieles
von neuen Standpunkten aus behandelt ist und sichere Ergebnisse in
stattlicher Fülle gewonnen worden sind.»
Literarisches Centrai Hat t iS<X> .\'r. 4?.
von PLANTA, R., GRAMMATIK DER OSKISCH-UMBRI-
schen Dialekte.
I. Band: Einleitung und Lautlehre. 8°. VIII, 600S. 1892. M. 15.--
II. Band: Formenlehre, Syntax, Sammlung der Inschriften und
Glossen, Anhang, Glossar. 8°. XX, 765 S. 1897. M. 20.--
« Nachdem die Sprachwissenschaft die oskisch-umbrischen Dialekte
längere Zeit ziemlich abseits hat liegen lassen, herrscht jetzt auf diesem
Forschungsgebiet wieder ein erfreulich reges Leben. Fast gleichzeitig
sind drei grössere Arbeiten ersc hienen, die sich mit der Lautgeschichte
dieser Mundarten beschäftigen. Davon ist die umfassendste und bedeu-
tendste das uns vorliegende Buch eines jungen Schweizers. . . . Wir
behalten uns vor, auf das Werk nach Erscheinen des zweiten Bandes
etwas ausfuhrlicher zurückzukommen. Für jetzt sei nur noch bemerkt,
dass wir es mit einer auf gründlichstem Studium beruhenden, durchaus
soliden und in manchen Beziehungen geradezu musterhaften Arbeit zu
thun haben, die als ein die gesammte bisherige Forschung zusammen-
fassendes Handbuch für jeden, der sich mit den altitalischcn Sprachen
beschäftigt, unentbehrlich sein wird.» Lit«vart« hex Cm(raWt,tt 1W .\Y. 10.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburo
39
SAMMLUNG INDOGERMANISCHER WÖRTERBÜCHER:
I. Hübschmann, H., Etymologie und Lautlehre der osseti-
schen Sprache. 8°. VIII, 151 S. 1887. M. 4.—
II. Feist, Dr. S., Grundriss der gotischen Etymologie. 8°.
XVI, 167 S. 1888. M. 5.—
III. Meyer, Gustav, Etymologisches Wörterbuch der albancsi-
schcn Sprache. 8°. XV, 526 S. 1891. M. 12. —
IV. Horn, Paul, Grundriss der neupersischen Etymologie. 8°.
XXV, 386 S. 1893 M. 15.—
V. Leumann, E. u. J., Etymologisches Sanskrit Wörterbuch.
(In Vorbereitung.)
SCHUCHARDT, H, ROMANISCHES UND KELTISCHES.
Gesammelte Aufsätze. 8°. VIII, 408 S. 1886. M. 7. 50, geb. M. 8.50
Inhaltsverzeichniss: I. Pompci und seine Wandinschrificn. —
II. Virgil im Mittelalter. — III. Boccaccio. — III. Die Geschichte von den
drei Ringen. — V. Aridst. — VI. Camoens. — VII. Zu Caldcrons Jubel-
feier. — VIII. Goethe und Calderon — IX. G. G. Belli und die römische
Satire. — X. Eine portugiesische Dorfgeschichte. — XI. Lorenzo Stecchetti.
— XII. Reim und Rhythmus im Deutschen und Romanischen. —
XIII. Liebesmetaphern. — XIV. Das Französische im neuen Deutschen
Reich. — XV. Eine Diezstiftung. — XVI. Französisch und Englisch. —
XVII. Keltische Briefe. — Anmerkungen.
WIEDEMANN, O., HANDBUCH DER LITAUISCHEN
Sprache. Grammatik. Texte. Wörterbuch. 8°. XVI, 354 S. 1896.
M. 9.—
»Seit langen Jahren schon hat jeder, der Vorlesungen über litauische
Sprache zu halten gezwungen ist, den Mangel eines passenden Handbuches
aufs Schmerzlichste empfunden. . . . Wiedemann, der verdiente Ver-
fasser der scharfsinnigen Monographie über das litauische Präteritum, darf
des Dankes bei Lehrer wie Schüler gewiss sein . . . Ein ausführliches
Wörterbuch macht den Bcschluss, so dass der Band Alles umfasst, was
der Anfänger nöthig hat. ...» Liter ar, Cenlralblatt /Syj AV. 6.
KARST. JOSEF, HISTORISCHE GRAMMATIK DES
Kilikisch-Armcnischcn. 8°. XXIII, 444 S. Mit 2 Tafeln. 1901.
M. 15.—
«. . . M. J. Karst ne pouvait que faire ceuvre eminemment utile; le
travail a ete" fait avec un soin extreme; quant ä la methode, il suffit
pour en garantir la correction de rappeler que l'auteur est le digne eMeve
de M. Hübschmann ä qui l'ouvrage est dedic .... Son ouvrage marque
un progres important .... Kcvue entufue iyo/. Av. J5.
WREDE, FERD., UBER DIE SPRACHE DER WAN-
dalcn. Ein Beitrag zur germanischen Namen- u. Dialektforschung.
(Quellen u. Forschungen, Heft LIX.) 8". VI, 119 S. 1886. M. 3 —
ÜBER DIE SPRACHE DER OSTGOTEN IN ITALIEN.
(Quellen u. Forschungen, Heft LXVIII.) 8a. VII, 208 S. 1891. M 4- -
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I
40 Verlag von KARL J. TRÜBNER L\- Strassburo
UNTERSUCHUNGEN
ZUR
GRIECHISCHEN LAUT- UND VERSLEHRE
VON
FELIX SOLMSEN,
a. o. Professor der indogermanischen Sprachwissenschaft an der Universität Bonn.
8«. IX, 322 S. 1901. M. 8.—
. . . Das Buch von Solmsen bildet eine wertvolle Ergänzung zu den
„Quaestiones epicae", an die es sich in wesentlichen Stücken teils berichtigend,
teils ergänzend anschliesst. Es beruht auf ausgedehnter Kenntnis der griechischen
Dialekte und behandelt die schwierigen Fragen der Laut- und Verslehre mit
grosser Gründlichkeit und Sorgfalt. Es ist reich an neuen und anregenden
Gedanken und Vorschlägen und nimmt auch dar wo man nicht ohne weiteres
beistimmen kann, das Interesse des Lesers in Anspruch.
Berliner philologisch* Wochetischrift 1902. No. 6.
STUDIEN
ZUR
LATEINISCHEN LAUTGESCHICHTE
VON
FELIX SOLMSEN.
8". VIII, 208 S. 1894. M. 5.50.
„Drei Aufsätze und drei Excurse bilden den Inhalt der Schrift : I. Der
Wandel von v»V in vö- und von vö- in vö- im Wortanlaut; II. Der Wandel von
que- in cö; III. Der Schwund des v zwischen Vocalen. Sodann: 1) Weiteres
zur Bildung der 2. Sg. Imp. Act. der unthematischen Verba im Lateinischen;
2) Der Plur. Ind. Präs. und das Präteritum des Vcrbums „wollen" im West-
germanischen; 3) Reste der indogermanischen Flexion von dieus im Lateinischen
und Verwandtes. Sach- und Wortregister bilden den Schluss . . .
Die von Sachkenntnis und Methode zeugende Schrift bedeutet einen
wesentlichen Fortschritt auf dem viclumstrittcncn Gebiet."
Littrar. Centraiblatt 1895 Nr. 20.
„Lange Zeit ist das Lateinische von den Sprachvergleichern etwas stief-
mütterlich behandelt worden und infolge dessen in viel höherem Grade als
das Griechische der Tummelplatz für einen Dilettantismus geblieben, der blosse
Einfälle und willkürliche, durch keine Analogien gestützte oder zu stützende
Behauptungen für Wissenschaft ausgibt. Erst in den letzten drei Jahren ist
von verschiedenen Seiten auch dieses Gebiet energisch und mit grossem Er-
folge in Angriff genommen worden. Den Forschungen von F. Skutsch, den
Arbeiten von Parodi gesellen sich als Drittes die Untersuchungen von Solmsen
bei, die in trefflicher Vereinigung sprachwissenschaftlicher und philologischer 1
Kenntnisse, in feinsinniger Scheidung dessen, was einzelsprachlichc Entwicklung
ist, von dem, was in die Urzeit hinaufreicht, in strenger Beobachtung der
historischen Folge überlieferter Formen als eine vorzügliche Leistung bezeichnet
werden dürfen . . ." Zeitschrift f. d. österr. Gymnasien iSyj. Heft l.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER ra Strassbürg.
4»
DIE GRIECHISCHE SPRACHE
im
Zeitalter des Hellenismus
Beiträge zur Geschichte und Beurteilung der koivo,.
Von
Albert Thumb
a. o. Professor an der Universität Freiburg i. B.
8». VIII, 273 S. 1901. M. 7.-.
Die Erforschung der hellenistischen Sprache oder tcoivn. hat in den letzten
Jahren einen erfreulichen Aufschwung genommen, der sowohl der biblischen
wie der profanen Graecität zu gut gekommen ist. Dabei ist aber auch recht
fühlbar geworden, wie vieles noch auf diesem erst durch die Inschriften und
Tapyri recht erschlossenen Gebiet zu thun ist, bis wir die Geschichte der
griechischen Sprache von Alexander dem Grossen bis zum Ausgang des Alter-
tums völlig überschauen. Das vorliegende Buch hat sich die Aufgabe gestellt,
die Probleme und Desiderata der Koiv^forschung zu skizzieren sowie einige
Kapitel aus der Geschichte der icoivn, auf Grund des bisher Geleisteten zu be-
handeln oder teilweise durch eigene Untersuchungen, die jedoch nur den
Charakter von Stichproben aus dem reichen Qucllenmaterial haben, weiterzu-
führen. Der Verfasser hielt es für seine besondere Aufgabe, die innigen Be-
ziehungen zwischen der tcoivn, und dem Neugriechischen überall zu betonen
und dadurch für die Forschung methodische Grundsätze aufzustellen, deren
Befolgung für die weitere gedeihliche Arbeit auf diesem Gebiet unerläßlich ist.
Das Buch wendet sich an alle, welche der Geschichte der griechischen Sprache
Interesse entgegenbringen, besonders auch an die Theologen, welche die Bibel-
forschung in engste Fühlung zu den erörterten Problemen bringt; indem der
Verfasser den heutigen Stand der icoivn,forschung zusammen fasst und dazu
Stellung nimmt, hofft er nicht nur das erwachte Interesse an diesen Fragen
rege zu erhalten, sondern auch in weiteren Kreisen neues Interesse für den
Gegenstand zu gewinnen. Die Darstellung gliedert sich in folgende 6 Kapitel:
I. Begriff der icorvn, und Methoden der Forschung. II. Der Untergang der alten
Dialekte. III. Dialektreste in der tcoivn.. IV. Der Einfluss nichtgriechischer Völker
auf die Entwicklung der hellenistischen Sprache. V. Dialektische Differenzierung
der koivtj; die Stellung der biblischen Graecität innerhalb derselben. VI. Ursprung
und Wesen der koiv^. — Beigefügt ist ein grammatisches und ein Wortregister.
THUMB, DR. ALBERT, HANDBUCH DER NEUGRIECHI-
schen Volkssprache. Grammatik, Texte und Glossar. 8°. XXV,
240 S. mit einer lithogr. Schrifttafel. 1895. M. 6. — , geb. M. 7.—
cEndlich einmal eine brauchbare Grammatik der neugriechischen
Volkssprache, ein Buch, das nicht jenes aus allen möglichen Formen zu-
sammengebraute Kauderwelsch der Zeitungen und Bücher, sondern die
in gesetzmäßiger Entwicklung entstandene lebendige Sprache der Gegen-
wart lehrt! Th. hat es verstanden, den wichtigsten Sprachstoff auf sehr
knappem Räume mitzuteilen, indem er sich auf die Verzeichnung der
Thatsachen mit den unentbehrlichsten Erklärungen beschränkte . . .
Hundertmal bin ich nach einem praktischen Handbuch der neugriechischen
Volkssprache gefragt worden, und stets war ich in Verlegenheit, was ich
den Leuten eigentlich nennen sollte; die gleiche Verlegenheit drückte
mich jedesmal, wenn ich eine Vorlesung über neugriechische Grammatik
hielt und den Zuhörern zur Vereinfachung und Erleichterung des Unter-
richts etwas Gedrucktes in die Hand geben wollte. Wer die Not so an
eigenster Haut gefühlt hat, wird dem Verfasser für seine schöne Arbeit
doppelt dankbar sein . . .» Byzantinische Zeitschrift iSfS S. 220
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42
Verlag von KARL J. TRÜBNER. in Strassburg.
ANONYMUS ARGENTINENSIS
FRAGMENTE
ZUR
GESCHICHTE DES PERIKLEISCHEN ATHEN
AUS EINEM
STRASSBURGER PAPYRUS
HERAUSGEGEBEN UND ERLÄUTERT
VON
BRUNO KEIL
MIT ZWEI TAFELN IN LICHTDRUCK. 8°. XII, 34 1 S. 19OI. M. 10.—.
Inhalt: I. Der Papyrus und seine Erhaltung. — II. Lesungen und Ergänzungen. —
III. Geschichtliche Prüfung und Werthung. — IV. Der Epitomator und seine Vorlage.
Beilagen. I. Zur athenischen Marincverwaltung. — II. Zum athenischen Gerichts-
wesen. — III. Ueber einige Werthverhaltnisse au( griechischen Inschriften. — IV. Die Be-
richte über den thcmistokleischen Mauerbau. — V. Zur Niketempelinschrift.
Register.
Das Papyrusblatt, oder richtiger, die rechte Hälfte eines Blattes, die hier
veröffentlicht ist, lässt nur von der Hälfte der 26 Zeilen eine Ergänzung zu,
und was darin neues steht, ist I.. dass der Schatz von Delos in der Höhe von
über 5000 Talenten auf Antrag des Perikles im J. 450/49 nach Athen überführt,
bald darauf dem Rath die Sorge für die Flotte übertragen und der Bau von
100 neuen Schiffen beschlossen worden ist; 2. dass wahrscheinlich 457 56 eine
Baukommission für die Burg eingesetzt ist. Hiervon ist aber schon ein Theil
Kombination.
Wenn daraus ein so stattliches Buch gemacht ist, so muss der Heraus-
geber das Beste dazu gethan haben; und in der That, wenn dies Buch den
grössten Fortschritt darstellt, den unser Verständniss der Pentekontaetie seit
dem, was die aristotelische Politie unmittelbar oder mittelbar brachte, gemacht
hat, so danken wir das nicht dem Strassburgcr Anonymus, sondern dem Strass-
burger Professor. Darin liegt weiter, dass er vielerlei bringt, was seine Heraus-
geberpflicht nicht forderte, dass wir aber sehr bedauern müssen, nicht auch die
Exkurse zu lesen, die er schliesslich unterdrückt hat. Der Leser hat den Ein-
druck, dass hier ein Mann redet, der in der litterarischen und der monumentalen
Ueberlieferung glcichermaassen zu Hause ist, die Redner und Historiker, die
Steine und die indirekte Ueberlieferung souverän beherrscht, der sich vor
mühseligen Rechnungen ebenso wenig scheut wie vor dem Fluge der Hypothese,
aber der durch eins gehemmt wird, durch die Uebcrfüllc seines Wissens und
seiner Gedanken. Ein solches Buch bedarf und verträgt eigentlich keine An-
zeige. Es zwingt der Wissenschaft ihre nächste Thätigkeit auf; sie muss es
gemessen und verdauen. So sei nur auf eine Anzahl Punkte beispielsweise
verwiesen, die vielleicht nur zufällig dem Ref. besonders wichtig erscheinen.
Die Baugeschichte, Befestigung und Entfestigung der Burg scheint definitiv*
festgestellt, wobei die auswärtige und innere Politik Licht eben sowohl giebt
als empfängt. Die Geschichte der athenischen Flotte ist ganz ungemein ge-
fördert. Ebenso die Münzgeschichte der hellenistischen Zeit. Das Zeitmaass
der Plaidoycrs vor den athenischen Gerichtshöfen ist in geistreicher Weise für
die erhaltenen Reden verwerthet. Das für die Erklärung des Thukydides,
Aristoteles, der Inschriften sehr viel abfällt, braucht kaum gesagt zu werden:
der Verf. weiss eben, dass ..das Heil unserer Wissenschaft in der Interpretation
beruht"; sein Schlusswort zeigt in sehr beherzigenswerthen Worten, wie das,
was manchen als Kärrnerarbeit der ancilla historuic erscheint, die wahrhaft
königliche, weil dauernd fruchtende Kunst ist.
Deutsche Litteraturzatung lyor AV. 4$ (U. v. Wilamawitz-Moelkudorß).
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
43
GRIECHISCHE
GESCHICHTE
VON
JULIUS BELOCH.
Erster Band: Bis auf die sophistische Bewegung und den
peloponnesischen Krieg.
Gr. 8°. XII, 637 S. 1893. Broschirt M. 7.50, in Halbfranz geb. M. 9.50
Zweiter Band: Bis auf Aristoteles und die Eroberung Asiens
Mit Gesamtregistcr und einer Karte.
Gr. 8°. XIII, 720 S. 1897. Brosch. M. 9.—, in Halbfranz geb. M. 11.—.
I. u. II. Band complet in 2 Halbfranzbände gebunden M. 20.—.
«... Wir haben hier ein Buch vor uns, das unbedingt zu den bedeut-
samsten Erscheinungen der geschichtlichen Litteratur der letzten Zeit zu rechnen
ist. Beloch betont selbst, dass er das Gebäude fast überall von den Grund-
lagen neu aufgeführt habe und manche Gebiete, wie die Wirtschaftsgeschichte,
bei ihm zum er stenmal zu ihrem Recht kommen; ebenso, dass er kein Neben-
einander von Sondergeschichten (athenische, spartanische u. s. w.) biete,
sondern die Entwicketung der ganzen hellenischen Nation von einheitlichen
Gesichtspunkten zu erfassen suche. Dabei hüte er sich, ein Phantasicgcmäldc
der ältesten Zeit zu entwerfen, und richte seine Absicht vielmehr darauf, nur
das mitzuteilen, was wir auf Grund des archäologischen Befundes, des homer.
Epos, der sprachgeschichtlichen Forschung mit Sicherheit zu erkennen ver-
mögen. Man wird nicht bestreiten können, dass alle diese Züge, in denen
Beloch selbst die charakteristischen Merkmale seiner Art zu forschen und zu
arbeiten erblickt, wirklich in dem Buche hervortreten.
.... Wir hoffen, dass das gediegene Werk den Absatz findet, den es ver-
dient, und wüssten denen, welche sich in verhältnismässiger Kürze über den
jetzigen ungefähren Stand unseres Wissens von griechischer Geschichte unter-
richten wollen, nichts Besseres als Beloch zu empfehlen. In 2 Bänden wird
der ganze Stoff völlig bewältigt werden und zwar so, dass neben einem an-
ziehend, manchmal glänzend geschriebenen Text, zahlreiche Anmerkungen
hergehen, die alle wesentlichen Quellen- uud Litteraturnachweise darbieten . . . .
Die Ausstattung des Werkes ist vorzüglich; der Preis von 7 M. 50 Pfg. für
40 Bogen ein überaus massiger.»
Prof. G. Fgelhaaf, Würlt. Korrespcmdcvzblatt f. Gelehrten- u. Realschulen, 1S94 Heft /.
«Der eigentliche Vorzug des Werkes liegt auf dem Gebiete der Dar-
stellung d er wirtschaftlichen und socialen Grundlagen des Lebens,
in denen B. die materiellen Grundlagen erkennt, auf denen sich die gross-
artigen Umwälzungen, auch der geistigen und politischen Entwickclung voll-
zogen. Da B. gerade in dieser Beziehung das Material beherrscht, wie nicht
leicht ein anderer Forscher, so durfte man hierin von seiner Darstellung Aus-
führliches und Vorzügliches erwarten .... Glanzpunkte sind der VII. Abschnitt:
Die Umwälzung im WiiUsch.nltsleben (vom 7. zum 6. Jahrh.) und der XII. :
Der wirtschaftliche Aufschwung nach den Perserkriegen .... Uebcr die Be-
völkerungsvcrhältnissc, über die Getreideeinfuhr, über das Aufhören der
Natural- und den Beginn der Geldwirtschaft, die Erträgnisse der Industrie und
des Handels, über Zinsen, Arbeitslöhne etc. erhalten wir die eingehendsten
Aufschlüsse und wundern uns, wie diese wichtigen Dinge bei der Dar-
stellung der griechischen Geschichte bisher unberücksichtigt
bleiben konnten. . . . Die Form der Darstellung ist eine ausserordentlich
gewandte und fliessende. > Bl. f. d. Gymnasialschulwcscn, XXX. Jalir^. S. 671.
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44
<
VERLAG von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
GESCHICHTE
PER
GRIECHISCHEN PLASTIK
VON
MAXIME COLLIGNON
aiToLHO d«s Institut«, i»«ork*«o* AN t>«R vmvtmult im nma.
Erster Band : Anfänge. — Früharchaische Kunst. — Reifer Archaismus.
— Die grossen Meister des V. Jahrhunderts. Ins Deutsche über-
tragen und mit Anmerkungen begleitet von Eduard Thraemer,
a. o. Professor an der Universität Strassburg. Mit 12 Tafeln in
Chromolithographie oder Heliogravüre und 2S1 Abbildungen im
Text. Lex. 8°. XV, 592 S. 1897. Broschirt M. 20.—, in eleg.
Halbfranzband M. 25. — .
Zweiter Band: Der Einfluss der grossen Meister des V.Jahrhunderts. —
Das IV. Jahrhundert. — Die hellenistische Zeit. — Die griechische
Kunst unter römischer Herrschaft. Ins Deutsche übertragen von
Fritz Baumgarten, Professor am Gymnasium zu Freiburg i. B.
Mit 12 Tafeln in Chromolithographie oder Heliogravüre und 377
Abbildungen im Text. Lex. 8°. XII, 763 S. 1898. Broschirt
M. 24. — , in cleg. Halbfranzband M. 30. — .
Urteile der Presse.
„Collignon's Histoire de la sculpture grecque ... hat mit Recht überall
eine sehr günstige Aufnahme gefunden. Der Verf. steht von vorn herein aul
dem Boden, der durch die umwälzenden Entdeckungen der letzten Jahrzehnte
geschaffen ist, und betrachtet von diesem neu gewonnenen Standpunkte aus
auch die älteren Thatsachcn und Forschungsergebnisse. Er beherrscht die
einschlägige Literatur, in der die deutsche Forschung einen bedeutenden Plati
einnimmt, und weiss die Streitfragen oder die Thatsachen in geschmackvoller
Form und ohne ermüdende Breite darzustellen. Eine grosse Anzahl gut aus-
geführter Textillustrationen, nach zum grössten Teil neu angefertigten Zeich-
nungen, dient dem Texte zu anschaulicher Belebung und bietet eine vornehme
Zierde des Buches, sehr verschieden von jenen oft nichtssagenden Umrissen,
welchen wir in ähnlichen Büchern so oft begegnen. So war es ein glücklicher
Gedanke, Collignon's Werk dem deutschen Publikum, nicht blos dem gelehr-
ten, durch eine deutsche Uebersetzung näher zu bringen. Der Uebersetzer,
Dr. Ed. Thraemer, hat seine nicht ganz einfache Aufgabe vortrefflich gelöst:
die Darstellung liest sich sehr gut und man wird nicht leicht daran erinnert,
dass man eine Uebersetzung vor sich hat. Hier und da ist ein leichtes that-
sächlichesVersehcn stillschweigend berichtigt, anderswo durch einen (als solcher
bezeichneten) Zusatz ein Hinweis auf entgegenstehende Auffassungen, auf
neuerdings bekannt gewordene Thatsachcn, auf neu erschienene Literatur ge-
geben ... Im Ganzen jedoch handelt es sich um eine Uebersetzung, nicht um
eine durchgehende Bearbeitung des Originalwcrkes, so dass der Leser überall
Collignon's Auffassungen ohne fremde Acndcrungen kennen lernt ....
fs. Liter. Ctnlralblatt 1894- Nr. 53.
„ ... Es mag ja betrübend sein, dass gegenüber der Fülle von Einzel-
forschungen die deutsche Archäologie die Aufgabe ungelöst lässt, einmal das
Facit aus dem gegenwärtigen Stande der Forschung zu ziehen (Overbeck's viel
verbreitetes Buch hätte dazu einer weit durchgreifenderen Umarbeitung bedurft);
man wird auch vielen Ansichten und Aufstellungen C.'s nicht beipflichten (wie
könnte das in dem Fluss der Forschungen und Meinungen anders sein?); da«
aber wird sich nicht ableugnen lassen, dass C.'s Buch von allen vorhandenen
Kommune liehe n&chite Seit*
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburc.
-15
der
Collignon, Geschichte der griechischen Plastik (Fortsetzung).
Darstellungen der griechischen Plastik am meisten den Anforderungen der
Gegenwart entspricht, am besten über den Stand der Forschung orientirt und
sich am besten liest. Wenn C. von der deutschen Forschung einen sehr
ausgiebigen Gebrauc h macht und ganz vorzugsweise auf deutsche Arbeiten ver-
weist, so kann uns das ja nur freuen; es ist ein Beweis mehr dafür, das •
wenigstens auf diesem Gebiete keine nationalen Schranken bestehen, sondern
überall gemeinsame Arbeit herrscht . . . Die Ausstattung des Buches ist der
der Originalausgabc durchaus ebenbürtig, und trotzdem ist, ein seltener Fal ,
Preis nicht unerheblich geringer. . . '* Litcrar. CentraUdalt lSi)j Nr. 44.
,,Das vorliegende
Werk bedarf nach den
in diesen Blättern zu-
letzt Band 33 (1897)
S. 498 f. gegebenen
Ausführungen für die
Bibliotheken der Gym-
nasien und Gymna-
siallehrer keiner Em-
pfehlung mehr, doch ist
es erfreulich, die Ver-
breitung desselben an
baycrischcnGymnasien
bereits feststellen zu
können, und erwünscht,
nochmals der Hoffnung
Ausdruck zu verleihen,
dass durch die Anschaf-
fung desselben die qual-
volle Leetüre von Over-
becks bekanntem
Buche immer seltener
wird. Denn es bleibt für
jeden billig und unab-
häng; 1 urtheilenden Ar-
chäologen die That-
sache bestehen, dass
die deutsche archäolo-
gische Literatur eine so
sachgemäss, klar und
anregend geschriebene
Darstellung der griechi-
schen Sculptur nicht
aufzuweisen hat und
deshalb gernedasdurch
die Freigebigkeit des
Verlegers und die ge-
wissenhafte Mühewal-
tung des Uebcrsetzcrs
in seinem Werte er-
höhte Buch des franzö-
sischen Gelehrten
Collignon in deutscher
Uebcrtragung entge-
gennimmt . . ."
Heinrich Ludwig Urlichs, München,
Blätter für das bayr. Gynmasialu/esen 1897 Htft II\l2.
„ . . . Schon die vier bisher erschienenen Lieferungen lassen die Wahr-
heit des [in der Ankündigung] Gesagten deutlich erkennen; der Herr Verfasser
zeigt sich über das grosse Gebiet, das von der Kunstgeschichte eingenommen
wird, wohl unterrichtet, er weiss einen festen Standpunkt innerhalb der noch
auf- und abwogenden Meinungen zu gewinnen und, was er bietet, mit solcher
Liebenswürdigkeit vorzutragen, dass der Leser sich von ihm gern durch das
Labyrinth der verschiedenen Ansichten hindurchgeleitcn lässt . . . Dem Buche ist
weite Verbreitung zu wünschen." Zeitschrift f. d. Gytnnasialwesen tSQJ Nr. 10.
Probe der Abbildungen.
II. Band, Fig. 235. Dionysos. Marmorkopf aus den
Caracallathermen. (Britisches Museum.)
46
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
3uc
fEnalgJte irer H$>trMidjketf.
Gute ©rörtcnmg ber ©runbprobleme bcr 5Pfnloiopf)te
oon
Bfto lie&mann.
dritte oerbefierte unb öermefjrte Auflage.
8°. X; 722 6. 1900. - «Preis : brofeftirt 3». 12.-, gebunben 2H. 14.-
3nbalt: SBorroort jur britten Auflage. — ^rolegomena.
(vrftcr SJ1 htdittt ft : Rux (Srfcnntuifsfrittf unb IranSfccnbentalpbilo»
fopbie. — ^bealtdmuS unb SRccdtömuä. — Ucber bic 'ißbänomcnalüät beä JRaumed. —
Ünfaang. — ytaumcfmiaficriflif unb SRaumbcbucIton. — lieber fubiectioe, obiectioe unb
abfolute Reit. — lieber rclalioc unb abjolutc ©ctoegung. — Rm Ibeorie b*3 Siebend.
CSrficd fiopttel. Id. 3n>citcö Äapitcl. — $ic ßogif bcr Xfyarjachcn ober Gaufalüät unb
3citfolgc. — 3>ic ÜJlctamorpbofcn be3 9lpriori.
3>octtcr Slbfönitt: Rur Waturpbilof opbjc unb 9Jf ndjologte. SJorbc«
tradrtungeu. ©rfle «Mebttarton. Id. ^roette 97lcbitarton. — Heber ben ptjilofoprjifdKrt
SBcrtb, bcr matbemariferjen 9iolunoiffenfdiaft. — Ginige SBortc über ba3 9(tom. —
^latontemuS unb $anointömu3. £a3 Problem bc3 fiebenS. — SIpborißmcn jut
ftoemogonie. («Dlntbologte unb ^Jl)>Iofoplne. Mtorifcbe 3n"fd>enbcmcrfung. Siebenten,
©cogonie. Gaufalüät unb Ideologie. Gioige ^alingcncftc. 3b«cnorbnung im llnioer<
fum.) — . lieber ben Snftmct. — 2>ie Sln'ociation ber SB orftcUungcn. — lieber bic ©ritten^
abftracter begriffe. - üJlcnfdwn= unb Ibicrocrftanb. — ©ebirn unb ©eift. — 2>ic ©inbeit
ber 9iotur.
dritter »bfdjnttt: Rur Mbetif unb Gtljif. - 3beal unb SBir«id)feit. -
£a§ äftbcrifcfce Obcal. - 2>a3 etböcbc Obcal.
(Betranken untr Stfjatfarfjen.
Wilo|opl>ifd)C Wanbluiißcn, SMoriSmcn unb Stobien
oon
J0fto Xiefratantt.
Grfter 33anb: 8° XI, 470 ©. 1899. 9Jt. 9.—.
^nbalt. 1. fteft: Die Birten ber 9iotf)n>cnbtflfctt. 3Jie ntcdjomicnc 9iaturcrflärung.
3bec unb Gntelecftie. — 2. $eft: ©ebanfen über «Jfatur unb sJJaturcrtcnntni&. 1. «Ratur
im Ungemeinen, 2. ©efeije unb Äräftc, 3. 2>ic Sltomiflif, 4. Crganifche Uialur unb Icleo«
logic, 5. 2;ie Waturbcfcclung unb bcr ©eift. ©rblim. — 3. $cft: 3)ic ©Uber bcr
^bnntaftc. 2)a§ 3citbcroußtfctn. 2!ic Spradjfäljigtcit. ^jnd)oIogifd)c MpboriSmcn.
3roeiter Sanb, 1. £>eft: 8°. 90 ©. 1901. 9W. 2.—.
Inhalt: ©eift bcr XranäicenbentalpbÜoi'opbic.
2. #cft. 8°. S. 91-234. 1901. «Dl. 3.-.
^nbalt : ©runbriß bcr Jtritijcben «Dcctapbnftf.
3. ^Kfft. 8°. S. 2.r»-302. 1902. ÜK. 3.-
3n()Qlt: Irilologic bcö ?(kfnmi*mu3. ©ebanfen über Sdjönljeit unb ftunfl.
Das Werk enthält eine planmässig und methodisch angeordnete Sammlung
philosophischer Schriften, die sich auf dem Faden einer charakteristisch-be-
stimmten Weltauffassung aneinanderreihen, und zwar derjenigen philosophischen
Weltauffassung, die in des Verfassers früherem Werke «Analysis der Wirklich-
keit» ihre wissenschaftliche Begründung erhalten hat. Nach Vollendung des
zweiten Bandes, der wie der erste in einzelnen Heften erscheint, wird sich
die Sammlung über sämtliche Gebiete der Philosophie hinerstrecken.
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Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
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Soeben erwarb ich das Verlagsrecht der
Zeitschrift für Assyriologie
und verwandte Gebiete
in Verbindung mit J. Oppert in Paris, E. Schräder in Berlin und anderen
herausgegeben von
Carl Bezold in Heidelberg.
Die Zeitschrift für Assyriologie erscheint in Heften von je mindestens
5 Bogen. 8». Vier Hefte bilden einen Band. Preis pro Band M. 18.— .
Der XVI. Band ist unter der Presse. Das erste soeben erschienene
Heft enthält:
Oppert, J., Sogdianus, König der Perser.
Schlössinger, M., Ibn Kaisän's Commentar zur Mo'allaqa des 'Amr
ibn Kultüm nach einer Berliner Handschrift.
Nöldeke, Th., Ein neuer Tigrc-Text.
Kahle, P., Fragmente des samaritanischen Pcntateuchtargums, heraus-
gegeben und erläutert.
Littmann, E., Aus den abessinischen Klöstern in Jerusalem.
Sprechsaal: Mitteilungen von P. Jensen.
Bibliographie.
Für die weiteren Hefte des Bandes sind in Aussicht genommen die
Artikel:
Virollcaud, Ch., Presages tires des eclipses de Soleil et de
l obscurcissement du Soleil ou du ciel (par les nuages).
Myhrman, D.W., Die Labartu-Texte. Babylonische Beschwörungs-
formeln nebst Zauberverfahren gegen die Dämonin Labartu.
Rossini, Conti C, Canti popolari tigrai.
Gottheil, R., AChristian Bahira legend. Translation of the Arabic text.
Roupp, N., Ergebnisse der Collation einer unbekannten äthiopischen
Handschrift der 4 Bücher der Könige. Mit vier Lichtdrucktafeln.
Becker, C. H., Studien zur Omajjadengeschichte. II.
ferner Abhandlungen von Proff. P. Jensen und H. Zimmern,
Sprechsaalbeiträge von Prof. C. Brockel mann und anderen.
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4«
Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.
Soeben erschienen:
BECKER, DR. C. H., Beiträge zur Geschichte Ägyptens
unter dem Islam. Erstes Heft. 8°. VI, 80 S. AI. 2.50.
FRANKE, OTTO, Geschichte und Kritik der einheimischen
Pali-Grammatik und Lexikographie. 8°. VI, 99 S. M. 4. — .
GERMANISTISCHE ABHANDLUNGEN, Hermann Paul zum
17. März 1902 dargebracht von Andreas Heusler, Johannes Hoops,
Emil Koeppel, Friedrich von der Leven, Franz Muncker, Friedrich
Panzer, Emil Sulger-Gebing, Ludwig Sütterlin, Albert Thumb,
Roman Woerncr, Paul Zimmermann. 8°. IV, 332 S. M. 8.—.
Mieraus als Sonderabdrücke:
HEUSLER, A., Die Lieder der Lücke im Codex Regius der
Edda. 8°. 98 S. M. 2.50.
THUMB, A., Die germanischen Elemente des Neu-
griechischen. 8°. 34 S. M. 1. — .
SIEBS, TH., Geschichte der friesischen Literatur. (Sonder-
abdruck aus Paul's Grundriss der germanischen Philologie. Zweite
Auflage.) Lex. 8°. IV, 34 S. M. 1.— .
KLINGLER, DR. OSKAR, Die Comedie-Italienne in Paris
nach der Sammlung von Gherardi. Mit vier Abbildungen
im Text und einer Tafel. 8°. VIII, 236 S. M. 4 — •
Cifbmonn, fttto, ©ebanfen unb "Hjatjacfjcit. ^UoioplM"d)e Slbljanblungen,
?lpf)ori3men unb <3tubien. 3,üe'ter 33onb, britteS .*pcft: Xrilogic be3
^efftnü^itiuS. ©cbanfen über (Scnönfycit unb ttunft. 8°. 3. 235—362.
<m. 3.-.
SCHÖNFELD, DR. E. DAGOBERT, Der isländische Bauern-
hof und sein Betrieb zur Sagazeit. (Quellen und Forsch-
ungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker,
Heft 91.) 8°. XVI, 286 S. M. 8.—.
Unter der Presse:
BÜRGER, OTTO, Beiträge zur Kenntnis des Teuerdank.
(Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgcschichte der
germanischen Völker, Heft 92.) 8°. ca. 10 Bogen.
BERNEKER , DR. ERICH (a. o. Professor an der deutschen
Universität Prag), Slavische Chrestomathie mit Glossaren.
8°. ca. 30 Bogen.
FRANKE, OTTO, Pali und Sanskrit. 8°. ca. 10 Bogen.
ALEXANDER GIL's Logonomia Angli ca. Neudruck der Aus-
gabe von 1621, besorgt von Dr. O. L. Jiriczck (Quellen
und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germani-
schen Völker, Heft 90.) 8°. ca. 16 Bogen.
LANGKAVEL, DR. MARTHA, Die französischen Über-
tragungen von Goethes Faust. Ein Beitrag zur Geschichte%
französischer Übersetzungskunst. 8°. ca. 10 Bogen.
MISTAKES IN ENGLISH. made by Foreigners studying the
Language. Part I. Faulty Scntcnces. Part II. Corrections.
By J. T. Gradon B. A. Kl. 8°. ca. 3 Bogen, geb. M. 1.— .
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ANTHROPOLOGY UZRktil
This publication is due on che LAST DATE
and HOUR stamped below.
V r-
JAN 0 1978
DE^1Q T980 ,
MAR 2 5 1981
~~ SEP 2 2 1931
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