WIDENER LIBRARY
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| IN COMMEMORATION OF THE VISIT OF
* HIS ROYAL HIGHNESS
PRINCE HENRY OF PRUSSIA
MARCH SIXTH,1902
ON BEHALF OF HIS MAJESTY
THE GERMAN EMPEROR
ESENTEDBYARCHIN) ALD "CART CO0LIDGE PHD. &
:ABSISTANT PROFESSOR OF BARRTONE —
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AN
der
Stadt Pforzheim.
Bearbeitet
von
3..6. $. Müger,
Direktor ver höhern Töchterſchule in Pforzheim.
Pforzheim, 1862.
Drud und Kommilfionsverlag von J. M. Flammer.
(VB. Behrens.)
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816
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Inhaltsverzeichnißz.
Seite
Zweites Kapitel. —— (600 v. Ehr. — ST n. br.) 4
$ 1. Die Kelten. ; s ; ; ö 4
N 2. Die Germanen (Suesen, Warfomanıen) ; ; 6
Drittes — Römerzeit (10 -5400) . ROT It TE -
$ 1. Allgemeines j ’ A . ; . . 8
$ 2, Römerftraßen .190
$ 3. Leugenzeiger, Grabheine, Mtäer, Biihde, Münzen . 13
$ 4. Römifhe Gebäude und Mauerrefte ; . . 3
. Pforzheim, eine Nomerftadt . j i ; u
Diertes Kapitel. Pforzheim während der großen —
und Völkerkämpfe in den nachfolgenden Jahrhunderten (240—900) 26
8 1. Die Memanen . : ; i : ’ ; 26
$ 2. Die Franken } j . i wo 29
$ 3. Der Enzgau r
Fünftes Aupitel, Die früpehen Derren von Dreh 00-1200
$1. Die Grafen von Calw ; i 5
$ 2. Die Grafen von Cherflein ; : i ; . 37
3. Das Klofter Hirfchau . r 40
$ 4 Die Herzoge von Swan (Bopenflaufen) . 44
$5. Die Pfalzgrafen bei Rhein ; ’ ’ . 4
Sechstes Kapitel, Pforzheim badifh (um 1220) ee
$ 1. Die Markgrafen von Baden . ’ : i . 50
g2 > Yforzpeim wird babifch ’ } ; . 2
Ciebentes 8 itel. Pforzheim im 13. Saprbunbert 55
e $ 1. Allgemeines j j A 2 55
$ 2. Befonveres. (Borzpeim Außen, Üelegefhlehter
der Umgeaenvd) . R R . j R ; 47
VI Inhaltsverzeichniß.
Seite
$ 3. Innere Verhältniſſe Pforzheims. (Schultheißen, Stadt»
rath, ftädtifche Abgaben, Klöfter 2c.). R 70
84. Umfang, Ausſehen, Theile, Namen und Siegel ber
Stadt; Spradprobe aus dem 13. Jahrhundert : 77
$5 forsheimer Gef un es : : ; r 81
$ 6. Eine Sage ; A . 87
Achtes Kapitel, Pforzheim während — mehrfach er * T lan
en und Zerflüdelungen der Marfgrafichaft Baden bie
Wiedervereinigung des Getrennten (meift 14. Jahrhundert) . 91
$ 1. Allgemeines ; ; ; ; : , 91
2. Befonderes * eim nach Außen 94
3. Inneres . 101
a, Shultpeißen j ö j R - 4101
J b. Klöſter, Kirchen, Spitäler : 104
c. Ausſehen und einzelne Theile der Stadt «120
d. Gewerbe, Handel ıc. _. . ß ’ ä 123
e. Pforzheimer Bürgergefchlecter . . : ee
Neuntes Kapitel, Pforzheim unter den Markgrafen Bernharb I.,
Jakob I, und Karl L (größtentpeils 15. Jahrhundert) . 4136
$ 1. Allgemeines : j A ß ‚ ; j . 4136
$ 2. Befondered ; ; R ; ; ’ i . 142
3. Inneres . . 147
a. Stävtifhe Berhättniffe im Allgemeinen . . 4147
b. Kirche und Schule (Errichtung eines Rollegiatflifts,
Reformation der Klöfter, Gründung einer Iatei-
nifhen Schule) . s : . j i . 148
c. Gewerbe und Handel, herrfchaftlihe Einkünfte in
Pforzheim, Bruderſchaften, Preife der Lebensmittel 155
d. Staptheile, Bürgergefhlechter i i r . 162
SA Sohann Reuchlin a
Zehntes Aopieen Bay unter Martgraf Chriftopp —
$ 1. Allgemeines i j i } ’ A s
$ 2. Befonderes A 177
$ 3. Gründung einer ———— in "Pforzheim Com 1500) 189
$ 4 Die Pforzheimer Gelehrtenfchule Cum 1500) 193
$ 5. Gründung der Singergeſellſchaft se) ü ä . 1%
$ 6. Zur Gittengefchichte jener Zeit . ; ' 206
Elftes Kapitel. Stapvtverfaffung (von 1500) ; an
$ 1. Borbemerfungen. „DOrbnung und Polizei“ von 1491. 213
$ 2. Der Ortsvorftand : - ’ ? .
a. Schultheiß und Gericht A R ‚ i i . 2331
b. Bürgermeifter und Rath ER i A . 28
Inhaltsverzeichniß. VII
Seite
$ 3._ Die Gemeindedienſte . . ’ . i 37T.
$ 4. Die Bürgerfehaft ; j ; «__247
$ 5. Polizeiliche —— und — 248
a, Allgemeine Polizei ; i r ._ 249
b. Befondere Polizei j i .__253
Zwölftes K itel, forzheim unter den Mart — ilipp, Ern
und Karl I. (15015 - 1577) A ’ s 264
$ 1. Allgemeines : i ’ 264
$ 2. Befonderes. Dforzpeim — Sürften gegenüber) . 270
$ 3. Inneres, CVerſchiedenes, Stiftungen, Fe
fhaft und Schügenfeft 1561, fonftige Ereigniffe) 282
$4 Die Stadt felbft : ä 292
$ 5. Kirchliche Berpälmifte Pforgpeims im ———
zeitalter 302
a, Bor der Einfügrung ber Reformation ” Baden-
Durlah (1517—1556 . j . 302
b. Einführung ver Reformallon (1556 n) . 319
$ 6. Berüpmte Pforzheimer aus dem Reformationgzeitalter 330
obannes Unger . ö : ; ’ : 230
b. Johannes Schwebel 336
c, Vikolaus Gerbel 3444
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim unter der vormundſchaftlichen
Regierung und den Markgrafen Ernſt Friedrich und Geor
Sriedrib (1577—1622) ; : ö n . ’ 3
$ 1. Allgemeines . i . 351
§ Beſonderes. Prorgpeim feinen Fürften gegenüber) . 354
$ 3. Inneres. (Stiftungen, Berfchievened, Angeftellte in
Pforzheim um 1600) . : 0.360
4. Religionsunruhen in Pforzheim 16011604 365
Dierzehntes Kapitel. Afonselm während des — ẽrie
ges (1618— 1648) ; : ; i R j ; . 375
$ 1. Eineitung . ’ ’ . 375
§ 2. Die erften Jahre des Rrieges (16181622) 377
$ 3. Die Schlacht bei Wimpfen am 26. April (6. Dai)
17223 —————380
$ 4 Bon der Schlacht von Wimpfen bis zur Schlacht von
Nördlingen (1622— 1634) 394
$5 Die Schlacht von —— uud * Folgen F
—1636) . 404
& 6. Religionsbebrüdung in Pforzheim (16351643) 412
$ 7. Fortfegung. Glaubendtreue der Pforzheimer (168) . 423
- 8. Letzte Jahre des Krieges (1643—16489) . . 437
VIII Inhaltsverzeichniß
nfzehntes Kapitel, Pforzheim in der Zeit vom weſtyhäliſchen
— bis zum ¶ac {nen au — F . 444
au emeines
3 Blice in’s ſtädtiſche — * Buͤrgergeſchlechter.
4. Zunft- und Gewerbsverhältniſſe. Preiſe ver wichtigften
tebensbedürfniffe. Maaß, Gewicht ꝛc. . 485
5. Zur Sittengefbidte . i 493
86. Zum holländiſch-franzöſiſchen ciicembirghcen) Kriege
(1672—1679) . i 902
Seisgebntes Mapitel. Wozkeim im orianeraen Arig 108
— 508
Einleitun : 5
e 63 Brieged 68 zum erfen Bram
(Herbft 1688 bis Januar 1699). . . . SA
$ 3. _Bom_erfien bis zum zweiten Brand. (anuar bie
Auquf 16899) . — , . . . . . 518
$ 4. Zuftand ver Stadt nach dem zweiten Brand. Bemügun-
gen zur Berbefferung deöfelben (1689-1691) _ _. 518
5, Neue Berwüftungen. Berennung und Plünderung Pforze
eims. Treffen bei Pforzheim und dritter Brand (1691
un 169) . . —— — 94
$6. Die folgenden ur Der a zu —
(16931697) . . 530
1697 — 1746 938
ı
$ 2. Beſonderes. Wieveraufbau der Stadt; Berfuge zur
Herbeifüprung beferer Zuftände_ . . . . 4
$ 3. Bortfegung des Borigen; Bevölferungsverhältnifie
nad dem Krieg; weuc Einwanderungen . . _. 598
und im polnifchen Krieg (1733-1735) . . . 563
$ 5. Gründung des Waifenpaufes zu Pforzheim (1714) . 572
$ 6. Der Privilegienftreit (1716-1730) , ,» . . 57
a. Johann Heinrich My. . . —226
b. Johann Burkard My. . . . . . 99
c. Karl Zofepp Bongine , . .» : . 58
Achtzehntes Kapitel. Yforzpeim unter Karl Brieoric bis zum Aug-
bruc der franzöfifpen Revolution CITA6-1789) , . . 5%
S 1. Algemeine 0 98
Anbaltsverzeihniß. IX
Seite
2. Beſonderes i i A . 602
$ 3._ Inneres (Räbtifche Berpäftniffe, Gewerbe, Handel,
Kirchliches, befondere Ereigniffe) r ‚ i « 610
g 4. Entftepung und Entwidlung ver Bijeuleriefabeitatien
in Pforzheim (1767 ff.) . ‚ 624
a. Erfte Anfänge, Errichtung einer Uprenfabrit . . 624
b. Erweiterung der Uhrenfabrik zu einer AJumelen-,
Gold- und Stahlwaarenfabrit f - . 627
ce. Trennung der Quincailleriefabrik von der Ühren-
fabrif . i z A : i ’ j 6333
d. Weiterer Fortgang der Uhrenfabrikation 643
e Weiterer Fortgang der herrſchaftlichen Stahlfabrik;
Verkauf derſelben; Entſtehung neuer Kabinete . 652
f, Einführung ver Golpfontrofe; weitere summietunn
der Pforzheimer Bijouteriefabrikation . 656
Neunzehntes Kapitel, Vom Beginn ver Ieangeffgen Revolution
bis auf die neuefle Zeit (1789— 1862 : \ z . 668
$ 1. Allgemeines i j : 668
Pforzheim während der Franzöf fen Brige ‚677
$ 3. Innere Verhältniſſe Pforzheims; Schluß j 683
Bormort.
Nach Iangjährigen Vorarbeiten übergebe ich hiemit der Deffentlichkeit
die Gefchichte einer Stadt, die eine der Älteften unferes Landes ift, Jahr:
hunderte hindurch auch die größte Stadt der alten Markgrafſchaſt Baden
und geraume Zeit die Nefidenz ihrer Fürften war, bei vielen wichtigen
Ereigniſſen, welche dieſe und ihr Land betrafen, eine hervorragende Rolle
geſpielt, eine große Zahl bedeutender Männer hervorgebracht hat und
heute in Bezug auf Gewerbthätigkeit unter den badiſchen Städten den
erften Rang behauptet. Ich Habe weder Mühe noch Zeit gefpart, aud)
fonftige Opfer nicht gefcheut, um eine möglichft zufammenhängende und
ausführliche Darftellung der Vergangenheit Pforzheims liefern zu können,
und ich hoffe, in erfter Reihe den Bürgern und Einwohnern diefer Stadt
jelber, jodann Überhaupt Allen, welche fich für vaterländifche Gefchichte
intereffiren, eine nicht unmilltommene Gabe zu bieten. Muß es für
jene doppelt wichtig erfcheinen, mit den Begebenheiten und Veränderungen
näher bekannt zu werden, weldye ſich auf dem Stüd Erde, auf dem fie
fih tagtäglich bewegen, ſchon zugetragen haben, fo ift auch für den Freund
der Gejchichte überhaupt die Darftellung der Hiftorifhen Vergangenheit
eines einzelnen Ortes Schon darum von Bedeutung, weil fich einerfeits
darin im Kleinen Alles wiederholt, was die Meltgeichichte im Großen
aufweist, und weil andererfeitS zu eben diefem Großen und Ganzen der
Geichichte jenes Kleine und Einzelne die erforderlichen Baufteine liefert,
Erzibt fi) daraus die Bedeutung des Einzelnen für das Ganze,
\e kann wiederum Jenes nur in Zufammenhang mit Diefem richtig auf-
gefaht und vwerftanden werden. Es wird deshalb eine Ortsgefchichte nur
dann ihrem Zweck entſprechen, wenn fie nicht bloße abgeriffene Einzel:
beiten zufammenhangslos aneimanderreiht, wie das fo häufig in Chroniken
xſchieht, jondern wenn Alles, was fie enthält, nicht nur in möglichft
II
enger Verbindung unter fich, jo daß eine ftete Entwicklung des Einen
aus dem Andern erfichtlich ift, fondern au im Zuſammenhang mit der
vaterländiichen, ja der allgemeinen Geſchichte dargeftellt wird. Sch babe
diefem Grundfat bei Ausarbeitung des vorliegenden Werkes durchweg
gehuldigt. Jedem Kapitel ift das, was zum allgemein gefchichtlichen
Verftändnig und zur Feithaltung des hiftorifchen Zufammenhangs des
Einzelnen mit dem Ganzen zu wiffen nöthig iſt, worangeftellt, und es
wird mir Freude machen, von kompetenten Beurtheilern meines Buches
zu vernehmen, daß ich darin nach richtigem Plane gehandelt und auch,
indem ich mid auf das Maaß des Nöthigen beſchränkt, das Mechte
getroffen habe.
Dei Abfaffung vorliegender Geſchichte Pforzheims konnte ich mehrere
Vorarbeiten benügen, da ſchon früher einige Verſuche gemacht worden
find, manches Wichtige aus der Gefchichte diefer Stadt zufammenzuftellen.
Dies geſchah zuerft gegen Ende des fiebzehnten Jahrhunderts durch dem
von Pforzheim gebürtigen Dr. 3. H. May in feinem „Leben Reud:
lins“ (Durlah, 1687), fpäter durch E. L. Deimling im Vorwort
zu feinem Drama: „die vierhundert Pforzheimer” (1788), durch Gehres
in feiner „Heinen Pforzheimer Chronif“ (1795 und 1811), theilmeiie
auch durch Noller in feinem „Verſuch einer Beſchreibung Pforzheims“
(1811); Fragmentarifhes hat Lotthammer in feiner Zeitſchrift:
„Biorzheims Vorzeit“ (1835) geliefert. Alle dieſe Schriften enthalten
für eine zufammenhängende Geſchichte Pforzheims manches brauchbare
Material, aber auch Vieles, was ohne forgfältige Prüfung nicht benußt
werden konnte, weshalb ich überall, wo es möglich war, auf die Quellen,
aus denen die Verfaffer jener Schriften ſchöpften, felber wieder zurüds
gegangen bin. Am fleifigften und gründlichiten unter den Genannten
hat Lotthammer auf dem Gebiete der Geichichte feiner Vaterſtadt ge
arbeitet; doch ließ ihn der Tod fein Werk nicht vollenden. Geine
Manuferipte, die ſich im Großh. Generallandesarchiv zu Karlsruhe be:
finden, haben mir manche ſchätzbare Ausbeute gewährt, obgleich auch hier
wieder auf Grund neuerer Forfhungen und der Ergebniffe derſelben
Vieles zu berichtigen und zu ergänzen war.
An fonftigen Quellen, und zwar gedrudten und ungedrudien,
HI
babe ih, wie mein Verzeichniß derfelben nachweist und wie auch aus
ihrer unten folgenden Angabe erfichtlich ift, eine ſehr große Zahl benükt,
und es ift mir durch Verarbeitung des aus denſelben geichöpften Materials,
das, in Zufammenhang gebracht, oft ganz überrafchende Ergebniſſe lieferte
und ein Weiterbauen gejtattete, auch gelungen, über manche Barthien der
Geſchichte Pforzheims, die bisher noch wenig aufgehellt waren, Licht zu
verbreiten, Anderes, was irrig anfgefaßt und demgemäß auch nicht ganz
der Wahrheit entfprechend und lückenhaft dargeftellt war, zu berichtigen
und zu verpollftindigen, und überhaupt ein zufammenhängenderes und
mehr ins Einzelne gehendes Bild der Vergangenheit Pforzheims zu ent-
rollen, als dies bei frühern Verſuchen der Art geſchehen. Ungedrucdte
Duellen fanden fich zunächſt im biefigen Stadtarchiv, und obgleich
ein großer Theil desfelben den Flammen des orleans'ſchen Krieges zum
Dpfer fiel, fo ift doch noch eine Anzahl für den Geſchichtsforſcher werth—
voller Urkunden, alter Lagerbücher, Kopialbücher, Raths—
protofolle, Bürgermeifter- und Stiftungsrehnungen ıc.
vorhanden, die nebft Akten des Großh. Oberamts und der Heil:
und Pflegeanftalt dahier, fowie alten Kontraktenbüchern des
Großh. Amtsreviforats, ferner alten Kirchenbüchern, Zunftrech—
nungen, Familienaufzeihnungen u, f. w. vielen Stoff zur
Verarbeitung lieferten. In noch höherm Grad war dies beim Großh.
Generallandesarhiv in Karlsruhe der Fall, das mir durch die
iberalität Großh. Minifteriums des Innern zugänglich gemacht wurde,
und aus dort aufbewahrten Urkunden, Nepertorien, Kopial:
und Lagerbüchern, Akten ꝛc. konnte ich für meine Zwecke ein fehr
reiches Material erheben. Die Quellen, aus denen ic) geſchöpft habe,
find in meinem Werk überall angegeben, und zwar in der Regel die
Hauptquellen zu Anfang eines jeden Kapitels, andere Duellen unter dem
Tert, Alle einzelnen Stellen mit Citaten zu belegen, wie das in ge:
lehrten geſchichtlichen Arbeiten zu gefchehen pflegt, hielt ich dem Zwecke
meines Buches nicht entfprechend ; doc) ift diefes in meinem Manuſeript
geihehen, und ich bin deshalb im Stande, Jedem, der vielleicht eine
derartige nähere Auskunft wünſcht, im Einzelnen Rede zu ftehen und
meine Quellen zu nennen,
IV
Schließlich muß ich mich der Pflicht der Dankbarkeit gegen die:
jenigen Männer entledigen, deren freundlicher Unterftüßung ich bei meiner
Arbeit mic, zu erfreuen hatte. Es find dies zunächft in unferer Stadt
die HH. Oberamtmann Fecht und Oberbürgermeifter Zerrenner,
fodann die HH. geh. Hofrath Dr. Vierordt in Karlsruhe und Pro⸗
feſſor Dr. Fiedler in Mannheim. Zu ganz befonderm Danke aber bin
ih den HH. Archivdirektor Dr. Mone, Archivrath Dambaher und
Archivrath Dr. Bader in Karlsruhe verpflichtet, die mir im Allgemeinen
wie im Einzelnen aufs Bereitwilligfte mit Nath und That an die Hand
gegangen find und in Ausarbeitung meiner Pforzheimer Drtsgefchichte
fo wefentlichen Vorſchub geleijtet haben.
Und fo möge diefelbe dern hinausgehen und um fo nachfichtigere
Beurtheilung finden, als ich nicht Gefchichtfchreiber vom Fach, fondern
auf dieſem Feld bloß Dilettant bin, wenn auch das Studium der Ge:
ihichte von jeher zu meinen Lieblingsbefchäftigungen gehörte, Weiß mein
Buch aber nicht allein bloße Neugier zu befriedigen, fondern auch zu
belehren und Freude und Intereſſe an der Gejchichte einer Stadt, die
mir eine zweite Vaterſtadt geworden, zu erwecken, ſowie innigere An:
bänglichfeit an diefelbe und den vaterländifchen Boden überhaupt, nament-
lich aber auch Liebe zu einem Fürftenhaus zu pflanzen, das Pforzheim
immer zu feinen Kleinodien zählte und von dem fo manche erlauchte
Ahnen der Stadt mit ganz befonderer Gunft zugethan waren, fo find
erfüllt die Wünfche
Pforzheim, im Sommer 1860.
des Berfaffers.
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Grfies Kapitel,
Sagenhaftes.
Die Ältefte Gefchichte Pforzheims ift in ein Dunkel gehüllt, das
völlig zu durchdringen auch der gründlichiten Forſchung nie gelingen
wird, weil die Quellen, aus weldyen Zuverläßiges gejchöpft werden Könnte,
gar jpärlich fließen. Kaum ijt für fpätere Jahrhunderte einzelnes Ab—
gebrochene, Fragmentarifche aufbewahrt worden, und es erjcheint oft
als eine ſehr undankbare Mühe, alle die an nnd für fich faft nichts:
fagenden Notizen zu fammeln, nm aus deren Vergleihung ein Ergeb:
niß zu erzielen, das eine gut erhaltene zuverläßige Quelle in einigen
Zeilen uns ficherer gewähren kann. Für ältere Zeiten ift man faft
ganz auf Fombinirende Urtheile und Vermuthungen verwiefen.
Mo indeffen die Gejchichte fchmweigt und oft kaum Vermuthungen
geitattet, dan ift die immer rege Phantafie des Menfchen um fo gejchäftiger,
die vorhandenen Lücken auszufüllen und an die Stelle der gefchichtlichen
Thatſache die Sage zu ſetzen. Zeigt ſich diefe Erſcheinung in der
Geſchichte Faft aller Völker, warum follten wir ihr nicht aud) in dem
engern Nahmen begegnen, in welchem ſich eine Stadtgejchicdhte bewegt ?
In der That hat es aud in Bezug auf die älteſte Geſchichte Pforz—
heims, namentlich auf die Gründung der Stadt, an Verſuchen nicht ges
ſehlt, dieje im die graue Vorzeit zu feßen und Pforzheim den Rang
unter den Älteften Etädten der Melt anzumeifen.
As die Griechen, jo erzählt der berühmtefte aller Pforzheimer,
Johann Reuchlin,1) nach zehnjähriger Belagerung die in Kleinafien ge
legene Stadt Troja im Jahr 1184 vor Chriftus erobert und zerftört
hatten, da fuchten fich manche ihrer bisherigen Bewohner, weldye vom
Schwert verſchont geblieben waren, eine neue Heimath. Der befanntefte
unter diefen trojanifchen Flüchtlingen ift Aeneas, der nah Stalien
) Reuchlin, de verbo mirifico, 1494, — J. M. Maji vita Reuchlini, p. 95— 97.
Pflüger, Pforzheim, 1
2 Erfies Kapitel. Sagenhaftes.
ging und deſſen Sohn Askan dafelbft die Stadt Albalonga gründete,
welche fpäter die Mutterftadt von Rom wurde. Aber ein anderer ed:
ler Trojaner, Namens Phorkys, jegte feinen Wanderſtab noch weiter
und kam endlich in den Schwarzwald. An einem Haren Fluſſe machte
er Halt, und als er von einem alten Manne den Namen „Enz“ ver:
nahm und dafür Aeneas verſtand, rief er begeiftert aus:
Bift du jener Aencas, welchen dem Troer Anchifes
Venus die Schöne cebar an des Simois phryaiihem Etrome?
Und nun beſchloß Phorkys, an diefer Stelle eine Stadt zu bauen, die
er, als es geichehen, nacı feinem Namen Phorka taufte, woraus dann
ipäter der Name Pforzheim entitanden ift.
Ob diefe Sage von der Gründung der Stadt Pforzheim durch
die Trojaner älter als Neuchlin iſt und von ihm nur wiedererzählt
wurde, oder ob fie in feinem eigenen Kopf gewachfen: das will ich
nicht enticheiden. Letzteres möchte indeß das MWahrfcheinlichere fein, und
dürfen wir ung darüber nicht wundern, da es ganz im damaligen Ge:
ſchmacke lag, den Urſprung der Städte möglichit weit zurücd zu datiren.
Aehnliches geihah ja auch bezüglih der Stammbäume der Adelsge—
ſchlechter, die manchmal bis zur Are Noahs zurüdreihten. Es fehlt
zu obiger Erzählung, um die Aehnlichfeit der Gründung Pforzheims
mit der Roms in noch belleres Licht zu feßen, nur noch ein Albalonga,
und es ift zu verwundern, daß Meuchlin nicht an Langenalb gedacht
und daflelbe in Beziehung zur Entitehung Pforzheims gebracht hat,
was doch fo nahe gelegen wäre. Zu bemerken ift bier noch, daß fich
Melanchthon über dieje Erzählung Neuchlins Tuftig machte, In einem
zu Ende des 17. Jahrhunderts erfchienenen Büchlein, 1) worin der
Gründung Piorzheims durch die Trojaner auch Erwähnung gejchieht,
fett der Verfaſſer treuherzig hinzu: „Ich fürchte aber, die guten Tro—
janer feyen bieher über das Gebürg nie kommen.” Wir dürfen als
fiher annehmen, daß der Mann Recht hat.
In eine nur wenig fpätere Zeit fett ein württenbergifcher Chronift 2)
die Entftehung von Pforzheim, bringt diefelbe aber auch, vielleicht von
1) Der Durchlauchtigften Zürften und Marggraien von Baaben
Leben, Regierung, Großthaten und Abjterben ꝛc. x. (Frankfurt und Leipzig bei
Riegel, 1695.) ©. 91.
2) M. Ib. Srifchlin, Hiftorifche Veichreibung des Landes Württemberg
(v. 1614), 11, 43.
Erftes Kapitel. Sagenhaftes. 3
Reuchlin verleitet, mit flüchtigen Trojanern in Verbindung. Er erzählt,
im Fahr 2I00 nad Erfhaffung der Welt hätten fih Grunius und
Phorcis vom Stamm des Aeneas Sylvius (eines jüngern Sohnes
des Trojaners Aeneas, den dieſer nach der Angabe des Dichters Birgil
in Italien mit Ravinia, der Tochter des laurentiniſchen Königs Latinus
erzeugte,) in der Gegend des Schwarzwaldes niedergelafien. Grunius habe
die Stadt Gröningen (Mart:Gröningen in Württemberg), Phorcis aber
die Stadt Pforzheim an der Enz gebaut.
Es ift ſchon in der Weberfchrift dieſes Kapitels gefagt, wohin
derartige Erzählungen verwieſen werden müßen, nämlic in das Neid)
der Sage, oder, da die Eage doch in der Regel noch einen gejchicht
fihen Untergrund hat, in das Gebiet der vollftändigen Erfindung.
1*
— —
— — — —
weites Kapitel,
Urgefchichte,
(600 v. Chr. — 15. n. Ehr.)
61. Die Kelten.
Die älteften Bewohner Mitteleuropas, alfo auch Deutfchlandg,
waren die aus Hocafien um 600 vor Chriſti eingewanderten Kelten
oder Celten. Namentlich fcheinen das Nheinthal und die dasſelbe be-
grenzenden Borhügel des Schwarzwaldes ſchon frühe durch die Kelten
angebaut worden zu fein, und bis auf unfere Tage haben fih Spuren
feltifcher Niederlaffungen und Eeltiicher Kultur als Denkmäler einer dun—
feln Vorzeit erhalten. Es gehören dazu die Erdwälle und Gteinringe
die Trichtergruben und Hünengräber, die man ſchon in verfchiedenen
Theilen unferes Landes aufgefunden hat, und namentlich find die Grab:
hügel mit Steinplatten und die beim Nachgraben zum Vorſchein gefom:
menen Schmudjachen von Gold, Kupfer oder Bronce und geſchmolzener
Erde zuverläßig Keltifcher Herkunft. Auch die Namen mandyer unferer
Städte find Feltifhen Uriprungs, fo Juliomagus (Stühlingen), Bodumgo
(Bodmann), Brigobanne (Bräunlingen), Briſiacum (Breifah), Lupodunum
(Ladenburg), Bruchſal (von brug sal, was fo viel als großes Haus oder
Wohnfit bedeutet). 1)
Es ift kaum zu bezweifeln, daß auch der Nordabhang des Schwarz—
waldes fanımt dem fich daran anfchließenden Hügelland und den dasſelbe
durchichneidenden Thälern von den Kelten bewohnt war, wenn aud)
hiefür ein beſtimmter Beweis durch aufgefundene keltiſche Alterthümer big
jetzt nicht geliefert werden fan, Der Umftand jedoch, daß das Alb: und
Pfinzthal mit dem durch eine Teicht zu überfteigende Wafjerfcheide davon
getrennten Enzthal von jeher einen bequemen Uebergang vom Nheinthal
) Mone, Zeitfchrift zur Gefchichte des Oberrheins, VII, 281.
Zweites Kapitel. Urgefchichte, 5
in das Neckarthal boten, ſomit ohne Zweifel auch die Kelten bei ihren
Wanderungen dieſen Weg eingeſchlagen haben, berechtigt zu dem Schluſſe,
da dieſelben ſchon früh auch in die Gegend von Pforzheim gekommen
fein und Einzelne davon ſich da, wo die Vereinigung dreier nie verfie-
genden Flüffe und ein fruchtbarer Thalgrund zur Anfiedelung einluden,
niedergelaffen haben mögen. Unverfennbare Spuren feltijcher Abſtam—
mung finden fi bei manden Orts- und andern Namen der Gegend
von Pforzheim.) So läßt fi) der Name des Fluſſes Nagold von
dem Feltifchen an aghallt, oder mit abgefürztem Artikel 'n aghallt,
ableiten, was auf deutſch Dirfhbad heißt. Es ſpricht dafür
nicht nur der ſpätere Name des Fluſſes und des Städtchens Nagold,
der in Urkunden aus dem achten and neunten Jahrhundert Nagalt
und Nagalta lautet, fondern es ftimmt damit aud der Name des
an der Magold liegenden, im neunten Jahrhundert gegründeten Kloſters
Hirfchan überein. Der Name Enz kann vom keltiſchen an, Waſſer
gebildet fein, dem fpäter das deutfche t angefügt wurde, das ſich dann
wie bei vielen andern Wörtern, in s oder z verwandelte. Aus uchel, was
jo viel als hoch, luftig, thurmartig bedeutet, faın Huchenfeld eben
jo gut entftanden fein, als Heuchelberg, (alt Huchelberg), Heuchelheim ꝛc.
(Daß diefe Namen nicht von Hugo herkommen, zeigt ihre Schreibung.)
Nielleiht ift and der Name der Anhöhe Hachel von diefem uchel
berzuleiten, fowie die Struoth oder Strutt, wie die fog. Strüt:
oder Strietäcker rechts der Wurmberger Siraße früher (jo noh 14392
hießen, von sruth, d. b. Bad, Fluß abgeleitet werden kann, indem
wirklich ein Bach in der Nähe jenes Feldes entfpringt, der dafelbft früher
Weiher bildete. Ittersbach heißt auf Feltifh Wachholderbadh, De
ihelbronn wäre gleih Binfenbronn, Niefern läßt fich von ’n ibhar,
Eibenbaum, herleiten u. ſ. w.
Auch für den Namen der Stadt Pforzheim darf man um Feltifche
Ableitung nicht verlegen fein. Es liegt wenigftens nahe, denfelben mit
dem wälſchen ffordd in Zufammenhang zu bringen, was fo viel als
Straße, Durchgang bedeutet und dem deutichen Pforz (altdeutſch Phorz)
genau entjpricht. Jene Bedeutung ftimmt auch vollfommen mit der
Lage der Stadt, über welche fchen in frühefter, vielleicht Feltifcher Zeit
—
) Man vergl. zum Folgenden Mone, Urgefchichte Badens, II, 81.
2) Sahs, Einleitung im die Geſchichte der bad. Markgrafſchaft, 1. 323.
6 Zweites Kapitel. Urgeichichte.
wichtige VBerbindungsitraßen führten, überein. Der Name Pforzheim
würde alfo in diefem Falle die Bedeutung von Straßenheim haben.
Es fehlt nicht an Beijpielen von Ortsnamen, die von alten Straßen
herrühren, 3. B. Straßenheim bei Ladenburg, Straßen bei Luremburg.!)
Auch der Name Straßburg ijt verwandter Bedeutung.
Ob übrigens, wenn man die Berechtigung diejer Ableitung aner-
fennen will, nad der erften Einwanderung der Kelten, melde, wie be—
reits erwähnt, ſchon mehrere hundert Jahre vor Ehrijtus erfolgt fein mag,
oder bei der Rückwanderung feltifcher Abkömmlinge aus Gallien, die ing erjte
Sahrhundert der chriftlichen Zeitrechnung füllt und von ber im folgen-
den Kapitel die Rede fein wird, am Einfluß der Nagold in die Enz
eine keltiſche Niederlaffung gegründet und ihr der erwähnte Name ge
geben wurde, läßt fich natürlich nicht ermitteln.
$ 2. Die Germanen (Sueven, Marfomannen).
Die Keiten blieben nicht im ruhigen Befit des Landes. Vom
hohen Norden Europas ber, als ihrer eigentlichen Heimath, drangen
noch vor Deginn der chriftlichen Zeitrechnung die wilden Germanen
oder die Deutfchen immer weiter gegen Süden vor, und die Kelten,
oder wie man fie Später auch hieß, die Galen oder Gallier, mußten
ihrem unwiderftehlichen Andrang weichen und, jedoch nicht ohne Tange und
blutige Kämpfe, auch das rechte Nheinthal, alſo damit unfere Gegend,
verlaffen und ſich auf das linke Ufer des Stromes zurücziehen. Obne
die ſpätere Dazwiichenkunft dev Mömer wäre e8 den Germanen ficher
gelungen, die Sallier ſich ganz unterwürfig zu machen.
Die Germanen bildeten nicht ein großes, zufammenhängendes Volk,
jondern zerfielen in viele, theils größere, theils Kleinere Völkerſchaften
oder Volksſtämme. Derjenige von ihnen, welcher den ſüdlichen Theil des
heutigen Deutichlands, alſo auch das jebige Baden und Württemberg,
einnahm, hieß Sueven oder Hermionen Aus eriterm Wort ift
fpäter der Name Schwaben entftanden. Die verfchiedenen Gaue oder
Heinern Staaten derſelben, namentlich die zwifchen dem Nheine, der
Donau und dem Maine liegenden, errichteten unter fi) ein Bündniß,
eine Art Eidgenoſſenſchaft, und nannten fih Martmannen, aud
) Mone, Zeitfcrift für die Geichichte des Oberrheins X. 202.
Zweites Kapitel. Urgeichichte. 7
Markomannen, d. h. Grenzmannen. Dieſer Suevenbund wurde
beſonders den Galliern furchtbar, uud endlich zog ein ſueviſcher Fürſt,
Arioviſt oder Heerveſt, 72 Jahre vor Chriſti Geburt, mit einem
Heer, das bis zu 120,000 Mann anwuchs, über den Rhein, um ſeinem
Bell im heutigen Burgund fchönere und fruchtbarere Wohnpläße zu
verichaffen, als fie die bisherige Heimath bot. In ihrer Noth wandten
fih die am meiften bedrohten galliſchen Völker an den römiſchen Feld—
herrn Julius Cäſar; zwiihen ihm und Ariovift Fam es darauf im
Sahr 58 bei Befangon zur blutigen Schlacht, in welcher die Kriegskunſt
der Römer den Sieg davon trug. |
Dbgleich Cäſar bald darauf das linfe Rheinufer mit dem römifchen
Reiche vereinigte, jo wagte er doch nicht, in Deutjchland jelbft Erobe—
rungen zu machen; nur am Mittelvhein verfuchte er zwei Uebergänge
(bei Trier in den Jahren DD und 53 v. Ghr.), die jedoch feine weitere
Folge hatten.
Die Marktomannen mochten indefen in den Nömern doch allzu gefähr:
lihe Nachbarn erkannt haben und für ihre Unabhängigkeit beforgt gewefen fein.
Sie bejchlofjen deshalb, ihre bisherigen Wohnfite zu verlaſſen und ander:
wärts, entfernt won der vömiichen Uebermacht, ein fetes Neich zu grün:
den. So zogen fie alfo um das „Jahr 9 oder 15 n. Chr. unter Anz
führung des Fugen und muthigen Marbod oder Marobod nad
Böhmen. Es genüge hier die Bemerkung, daß ſich diefer Fürft zwar
im Anfange den Römern jehr furchtbar machte, jpäter aber durch Ver:
rath im deren Hände gerietb und als Gefangener in Navenna ruhm—
[08 ſtarb.
Drittes Bayitel,
Nömerzeit. ')
(15 — 400.)
$ 1. Allgemeines.
In dem durch den Wegzug der Marfomannen faft menfchenleer
gewordenen Landſtrich zwifchen Main, Donau und Rhein, demnach auch in
unferen Gegenden, ließen fih Einwanderer aus Gallien, alſo Nachkom—
men der frühern Bewohner des Landes, der Kelten, nieder, mit denen
ſich vermuthlih die wenigen zurüdgebliebenen Germanen vermifchten,
Da fie fich unter römischen Schutz ftellten, fo fcheinen fie von den Rö—
mern als Gegenleiftung zur Entrihtung von Natural- und Geldabgaben,
vielleicht des Zehnteng, verpflichtet worden zu fein, weshalb man davon
den Namen Zehntland (Agri decumates) abgeleitet hat. (Letzterer
Name wird übrigens auch „vermeffenes Land” überſetzt von dem Kreuz
[>< = einem römiſchen Zehner], welches die römischen Geometer zogen,
ehe fie ihre Feldmeffungen begannen?) Indeſſen faßten die Römer
jelbft immer mehr Fuß in dem für fie und ihre Zwecke fo günftig ge:
Vegenen Land, und namentlich jcheinen noch im Laufe des erften Jahr:
) Hauptquellen: Mone, Urgeſchichte Badens; Mone: Zeitichrift zur
Geſchichte des Oberrheins; Stälin: Württembergifhe Geſchichte; Leichtlen:
Forſchungen im Gebiet der Geſchichte, Alterthums- und Schriftenkunde;
Creuzer: Zur Geſchichte altrömiſcher Cultur am Oberrhein und Neckar;
Wilhelmi: Sinsheimer Jahresberichte; Rappenegger: Aurelia aquensis
(Beilage zum Mannheimer Lyzeumsprogramm für 1853); Arnsperger:
Bericht Über die im Hagenfchieß bei Pforzheim 1832 aufgefundenen Alterthümer
(Pforzh. Teobadhter von 1832, No. 68—65); Memminger: Beichreibung
von Württemberg; Paulus: die Römerftraßen, fowie deffen archäologiſche Karte;
bie Schriften des bad, Altertbumsvereins x. Wo no andere Schriften
benügt wurden, find fie an dın betreffenden Etellen angegeben.
2) Niebuhr, römische Geſchichte.
Drittes Kapitel. Römerzeit. 9
hunderts folche Römer und römiſche Provinzialen den Kern der Be
völferung gebildet zu haben, welche urfprünglih als Beteranen und
Linientruppen eingezogen waren und als Belohnung für treu geleiftete
Kriegsdienfte Ländereien erhalten hatten. Die fürmliche Aufnahme der
fühweftlihen Ede Deutichlands in das Syſtem der römischen Provinzial:
verwaltung mag um das Jahr 34 nad Chr. erfolgt fein, während das
Land ſchon vorher, vielleicht fhon unter Kaifer Auguſtus, militärifch bes
feßt war, (Das ältefte römische Denkmal unferes Landes mit Zeitan-
gabe Fällt in die Megierungsperiode des Kaifers Trajan, alſo zwiſchen
98 und 117 n. Chr.) Das Land zwifchen der Donau und der rauhen
Alp wurde zur Provinz Rhätien, der obere Theil unferes jetigen Groß:
berzogthums zu Sequanien, der untere zu Obergermanien gefchlu
gen, deſſen Oberbefehlshaber der Herzog (dux) zu Mainz war, und der
vermuthfich für unfere Gegend, wie für die ganze fpätere ſpeier'ſche Diö—
zefe, feinen Unterbefehlshaber in Speier hatte,
Unter der Herrichaft der Römer gelangte das neuerworbene Land
bald zu befferem Anbau , namentlich da diefelben manche Gewächſe des
Südens, wie die Nebe, in das Rheinthal verpflanzten, und als auch
in Folge der wachfenden Bevölkerung und der Nermebrung der Ort:
ihaften, der Handel in Aufnahme kam, bauten die Nömer ſowohl zur
Begünftigung desfelben, als auch zu militäriichen Zwecken, ausgedehnte
Heerſtraßen, die fih zum Theil bis auf unfere Zeiten erhalten
baben. Außerdem Tegten fie eine Menge von Bädern, Tempeln,
Landhäufern, Kaftellen, Wartthürmen ꝛc. an, die heute noch von dem
regen Leber, welches damals in unfern Gegenden geherricht haben mag,
Zeugnig geben. Bei dem bedeutenden Handelsverkehr, der fogar zur
Gründung ftändiger Handelsgefellfchaften, führte, 1) it es natürlich, daß
unter den römischen Gottheiten namentlich der Beſchützer des Verkehrs,
Merkur, ſich einer befondern Verehrung erfreuen durfte. Aber auch
andern Göttern der Kultur, fo dem Apollo, dem Aeskulap, dem
Bulfan, dem Neptun, der Diana u. A. wurden Denkiteine geſetzt und
Altaͤre errichtet, von denen die Gegenwart noch eine Anzahl aufzuweifen
!) An Ettlingen beftand 3. B. ein contubernium nautarum, db. b, cine
Schiffergeſellſchaft. Da indeſſen die Alb nie jhiffbar war, fo können darunter
nur Flößer verftanden fein, wie man ja auch heut zu Tage noch die Flößer
re Schiffer heißt und in Gernsbadh darum eine „Schiffergejellichaft”
titebt,
{0 Drittes. Kapitel. Römerzeit.
bat, Daß übrigens durch die Römer auch frühe, ſchon das Ehriften-
thum in unfere Gegenden fam, ift jehr alaublich, wiewohl Beweife durch
Schriften und Denkmäler fehlen. Mandye Städte unferes Landes haben
den Römern ihre Gründung zu verdanken; der Hauptort des weftlichen
römischen Vorlandes jcheint aber die Civitas Aurelia aquensis, das
heutige Baden, gewejen zu fein. Diefe Stadt bildete einen Haupt:
jtraßenfnoten und erſtreckte fich ihr Gebiet, nach aufgefundenen Leugen—
fteinen zu fchließen, in ziemlicher Entfernung gegen Eüden , nody weiter
aber (17 Leugen zu 7500 Fuß, alſo etwa 10 Stunden) nad) Norden,
demnach bis in die Gegend von Pforzheim.
$ 2. Bömerftrafen.
Pforzheim war, wie nebenftehendes Kärtchen zeigt, ein Knotenpunkt
für eine größere Anzahl von Nömerftraßen. Die wichtigfte derfelben war und
ift wohl diejenige, welche von Straßburg und Baden her über Ettlingen und
Pforzheim nadı dem Nedar führt. Cie zieht von Baden aus zuerft in nörd—
Yicher Richtung längs des Gebirges hin, wendet fi) aber von Ettlingen an,
wo eine andere Hauptſtraße von Xauterburg her eingemündet haben
muß, nah Dften. Hinter Ettlingen, wo ein Seitenweg nad Spiel:
berg, Ittersbach ꝛc. ausläuft, führt fie im Albthal bei der fogenannten
Mattmühle durch einen Wald den Berg hinan, wo die Quaderfteine
mit tiefen Geleifen noch fichtbar find, und geht dann an Reichenbach
und Langenfteinbach vorbei, wo fie zwei bis vier Fuß tief unter dem
Aderfeld Hinftreicht und Steinſtraße heißt. Weiter führt fie durch
MWiefengelinde in den Eichbuſch an Auerbach Hin über die fogenannte
Bernhälden, auf deren höchitem Punkt fie die heutige Straße durch:
jchneidet, und fteigt dann ins Pfinzthal hinab, woſelbſt eine Zweigſtraße
vom Kraichgau her einzutreffen scheint. Zwiſchen Nöttingen und Ell—
mendingen, an der Kelter des letztern Orts, gebt die Straße wieder
aufwärts unter dem Namen Hochſtraße, führt ſodann ſchnurgerade
über feſte Schichten von Kalkftein, über welche. fie nur als ein bie und
da wohlerhaltener 12 Fuß breiter Damm von kleinen Steinen hervor:
ragt, (weil die Grundlage eine Funftmäßige Straße überflüffig machte),
links an Dietlingen, wo wieder eine Eeitenftraße nad) Birkenfeld fich
abzweigt, am obern Saum der Weinberge, denen die Straße bie und
da hat weichen müfjen, vorbei, in das Brößinger Feld, und von bier
Drittes Kapitel. Römerzeit. i 11
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I. Straße von Baden und Ettlingen her über R = Reichenbach,
L Langenſteinbach, E = Gllmendingen, D —= Dietlingen, Br =
Brögingen, P = Pforsheim, Th — Tiergarten, S = Seehaus und
T = Tiefenbronn nad) Leonberg und Kannftatt. — II Seitenftraße
über Spielberg und ttersbad gegen Bi — Birkenfeld. — II. Sei:
tenftraße über N — Möttingen und Königsbach in den Kraichgau. —
IV. Seitenftrate von D — Dietlingen nah Bi — Birkenfeld. —
V. Straße über K — Siefelbronn und D = Dürm an den Nedar.
— VI. Seitenftrafe von Th = Thiergartn an R = römiſchen
Ruinen im Hagenfchieß vorbei nad) O — Oeſchelbronn. — VI. Straße
von Baden und Gernsbach ber über N — Neuenbürg nad Pforzheim.
— VII Straße von Baden und Gernsbach her über den Dobel nad)
Porsheim. — IX. Straße über die höchſten Höhen des Schwarzwaldes,
zulegt über Langenbrand und S — Salmbach nad Pforzheim. --
X Straße von Neuhaufen, Ho — Hohenwartb, an Hu — Huchenfeld
vorbei nach Pforzheim führend. — XI. Straße über E — Eutingert,
an N — Miefern ꝛc. vorbei nad Illingen und Bietigheim, —-
XI. Straße von Pforzheim über den Wald nad) O — Oeſchelbronn.
— XII. Straße von W — Wurmberg nad) Illingen.
12 Drittes Kapitel. Römerzeit.
dur den Wald Mittelsberg und über den Wallberg binter Brö-
Bingen auf die das Enzthal bei Pforzheim auf der linken Seite be
gränzende Anhöhe, wo die Nömerftraße, nachdem fie die jeßige Durlacher
Straße surchichnitten hat, unter dem Namen alte Boftftra ße oder Kut—
ſcherweg befannt ift. Von der Springer Höhe an, wo fich wieder
eine Seitenſtraße abzweigt, die durch die Gemarfungen von Göbrichen,
Kiefelbronn, Dürrn ꝛc. an den Nedar führt, ift unfere Nömerftraße als
- folhe eine Stredte weit nicht mehr zu verfolgen. Doch ift gewiß, daß
fie von dort rechts ab in das Enzthal hinunter, hinter der Schloßkirche
vorbei, durch die Lindenftraße oder das frühere Zigeuner gäßchen,
defien Namen abermals auf eine Römerſtraße Hinmweift, durch die
Altftadt und unterhalb der jetigen Altjtädter Brüde, wo fich eine
hölzerne Römerbrücke befand, mit ned andern bier zufammenlanfenden
Straßen über den Fluß führte und fi) am Schafhof vorbei den jenfei:
tigen Bergabhang wieder hinaufzog. Oberhalb des Thiergartens, da wo
der Wald anfüngt, ftößt man auf die Fortſetzung der Straße, woſelbſt
fie als dammförmige, durch Duaderfteine gebildete, in der Mitte gewöhn—
lich) etwas gewölbte Erhebung Teicht zu erfennen und durch den Hagen:
ſchieß zu verfolgen ift. Sie zieht dafelbft am Seehaus vorbei durch den
fog. Hegelsbuſch, Folgt der jetigen Landftrake, die fie zwei Mal durch—
ichneidet, nad) Tiefenbronn, und feßt ſich ſodann über Leonberg gegen
die Solitübe und von dort nad Kannſtatt fort.
Diefer interefjante Straßenzug hatte wie die meiften Römerftraßen
die Eigenthümlichkeit, daß er, abweichend vom heutigen Gebraudy Bei An:
fegung neuer Straßen, nicht den Ihälern nachzog, fondern fich, wo
immer möglich, auf den Landhöhen hielt, und bei unvermeidbaren Thal
einfhnitten die Höhe und Waſſerſcheide raſch wieder zu gewinnen ver:
ftand. Auf diefe MWeife waren die römiichen Straßen feindlichen Ueber:
fällen weniger ausgeſetzt, dienten vielmehr jelbft als eine Art Schutzmauer
gegen biefelben und litten ohnehin weniger durdy die zerftörende Witte
rung. Gegen Teßtere ſchützte überdies der Bau der Straßen, dem bie
Römer eine folche Dauerhaftigkeit zu geben verftanden, daß unfere Zeit
den römiſchen Strafenanlagen kaum etwas Aehnliches an die Ceite
ſetzen kann. Einige Mitteilungen hierüber dürften noch am Plate
fein. Die Bauart der römifhen Straßen verlangte einen erhabenen
Damm, beftehend aus großen, manchmal viercdig gehauenen, unten
feilförmig zugeipisten Steinblöden, welche die Grundlage bildeten und
=
Drittes Kapitel. Römerzeit. 13
durh Gips, Kalt, ja jelbft Eifen mit einander verbunden wurden.
Darüber ftampfte man einen Lehmboden, und erſt auf diefem lag die
eigentliche Fahrbahn, beftehend aus einer Lage von Kies und Steinen,
die durch Mörtel dicht verbunden waren. Natürlich bradıten die ver:
ihiedenen Gebirgsarten, durch welche diefe Straßen zogen, in den allge:
meinen lan auch wieder manche Befonderheit.
St der eben befchriebene Straßenzug der am beiten nody erfenn-
bare, fo haben audy die andern mehr oder minder deutliche Spuren
binterlaffen. Mehrerer Seitenftraßen ift ſchon Erwähnung geſchehen.
Ein anderer Straßenzweig läßt fi vom Thiergarten aus in der Rich—
tung gegen Dejchelbronn durch den Hagenſchieß ebenfalls verfolgen, und
it ein Stück derfelben auf der Höhe zwifchen Eutingen und Niefern
unter dem Namen der „alten Poſtſtraße“ wohl bekannt. Gie
führt an den römifchen Nuinen im Hagenſchieß vorbei und mochte haupt:
ſächlich dazu beftimmt fein, die Verbindung zwifchen diefen Gebäulich—
keiten ac. und den Hauptftraßenzügen zu unterhalten. Die übrigen
Römerftragen "der Umgegend von Pforzheim find auf vorftehendem
Kärtchen verzeichnet. Alle diefe verfchiedenen Straßen mögen aud) ver:
ihiedenen Zwecken gedient haben, wie das bei den Römern der Fall
war, bei-denen es bejondere Militärftraßen, Handelsftraßen, Boten:
wege ıc. gab.
Der Zeitpunkt der Erbauung unſerer Nömerftraßen, namentlich
der Hauptzüge derfelben, läßt fich mit Sicherheit nicht beſtimmen; nad)
den Jahrzahlen aufgefundener Leugenzeiger (Meilenſäulen) zu ſchließen,
mag die Anlegung derjelben etwa in die Zeit zwifchen 200--225 nad)
Chr. fallen, wenn nicht manche davon ſchon einem frühern Jahrhundert
ihre Entftehung verdanken.
$ 3. Sengenzeiger, Grabfteine, Altäre, Bildfläche, Münzen.
Die Gegend von Pforzheim weiſt eine große Zahl römischer Alter:
thümer auf, die daſelbſt zu verfchiedenen Zeiten aufgefunden wurden,
und da fie ſehr wichtige Zeugen römischer Kultur find, weldye dem Un—
tergang nicht anheim fielen, jo ergibt fich hieraus ihre große Bedeutung
für die Erforſchung unferer ältern Gefchichte von feltit, Aus diefem
unde mag es gerechtfertigt erfcheinen, wenn alle derartigen Alterthümer
14 Drittes Kapitel, Römerzeit.
bier aufgezählt werden. 1) Es find hauptſächlich Leugenzeiger, Grabſteine,
Altäre, Steinbilder und Münzen. Von den Ueberreften vömifcher Ge:
bäude wird unten die Rede fein.
Leugenzeiger oder Meilenfäulen wurden bei Nöttingen und
Ellmendingen, und zwar an Stellen, wo die Römerſtraße durchzog,
aufgefunden. Es find deren drei, und wurden diefelben zu Ehren der
ſeveriſchen Kaiferfamilie (nämlih der Kaifer aracalla, Clagabalus
und Alerander Serverus) in dein Zeitraum von 213 bis 223 errichtet.
An Grabfteinen fand man in Pforzheim den eines Mehr:
mannes der 4. Kohorte der achten Legion, fodann einen andern eine
Viertelftunde oberhalb der Stadt an der Enz, den ein gewiſſer
Duintus, und endlic einen dritten, von dem aber nur noch die Hälfte
vorhanden und in dem Altar der Kirche zu Eutingen eingemanert
it, den eine Mutter, Arruntia Victoria, bat feten laſſen. Bezüglich
des erften Grabfteines jei hier bemerkt, daß die darauf genannte achte
Legion, weiche die Beinamen Augusta. Augusta Pia, Fidelis Con-
stans, Antoniniana führte, für den Schuß und die Kultur des Land:
ſtrichs diesſeits des Rheins neben der 22. Legion von befonderer
Michtigfeit war, und fcheinen ſich einzelne Kohorten derfelben in unferer
Gegend aufgehalten zu haben, (namentlich im zweiten Jahrhundert,)
fowie außer in Pforzheim aud in Offenburg, Straßburg und Mainz.
Nah der Provinzialifirung des ſüdweſtlichen Deutſchlands kommen
außerdem noch die 1., 14. u. 21. Legion vor.
Ein römifcher Altar wurde bei Brößingen, ein anderer bei
Nemdingen aufgefunden. Auf den vier Seiten des erfteren befinden
fi) verfchiedene Figuren, darunter Vulkan als Fräftige männliche Ge:
ftalt, in kurzem, leichtem Gewand, mit Zange, Hammer und Ambos.
Der letztere ftellt auf drei Seiten Bilder aus der Odyſſee dar; die vierte
Seite ift Ieer,
Am bedentendften iſt die Zahl der aufgefundenen Steinbilder
und Bildſtöcke. Dahin gehören, überfichtlich zufammengeftellt: Br ö-
kingen: a) ein Bildſtock, auf allen vier Seiten mit Tiguren, darunter
Vulkan unverkennbar, in den übrigen Jupiter und Victoria ꝛc. zu ver:
muthen; b) ein Kubus, abermals mit dem Bildniß Vulkans, wahrfcein-
1) Diefelben befinden ſich theils noch an den unten angegebenen Orten,
theils in der Mltertbumshalle zu Karlsruhe, theils find fie wieder verloren
gegangen.
Drittes Kapitel. Römerzeit. 15
fich auch des Merkur und der Leda. Dietlingen: ein Stein mit dem
Bildnig Merfurs, und ein anderer mit einer männlichen und einer weib—
lihen Figur, mit nicht ungeibtem Meifel erhaben ausgehauen. Ell—
mendingen: ein Bildnik Aeskulaps mit dem Schlangenſtab. Nöt:
tingen: ein Merkur mit Sclangenftab und Geldbeutel, ferner ein
Hirtenftüc, beide in erhabener Arbeit. Remchingen (jegt ein Hof,
fonft ein Dorf zwiihen Wilferdingen und Singen) früher an der nicht
mehr vorbandenen alten Kirche eingemauert: ein Merkur und ein Bild:
ſtock mit Satyrn und fonfligen Figuren. Wilferdingen: Botifftein mit
römischer Inſchrift, früher im Garten des Pofthaufes dafelbft eingemauert;
man fand darunter Münzen von Trajan und Hadrian.t) Königsbad:
eine reitende weibliche Figur, Flachbild. Göbrichen: Nelieffiguren, in
tanzender Stellung. Dürrn: ein Stein oder Altar, worauf in erha—
bener Arbeit die Thaten des Herkules und die Befreiung der Andro:
meda durch Perſeus abgebildet find. Endlich wurden auch bei den im
Fahr 1832 im Hagenſchieß bei Pforzheim (fiebe unten) veranftalteten
Nachgrabungen Bruchſtücke verſchiedener Bildftöde aufgefunden, von denen
einer die Buchftaben „.. NOBE (Abnobe, vollft. Deae Abnobae, d. i.
der ſchwarzwäldiſchen Göttin Diana), der andere die Inſchrift MIIRCV,
d. h. Mercurio (dem Merkur) zeigte,
Schließlich jei auch nod der römischen Münzen erwähnt, welche zu
verjchiedenen Zeiten in bedeutender Zahl in und bei Pforzheim aufge:
funden worden find. Sie reihen von Galigula bis Walentinian, alfo
vom Jahr 37 bis 378, und gehören den Negierungszeiten der Kaiier
Baligula (37 — 41), Trajan (98—117), Bolufian (251), Tacitus (276),
Valens und Nalentinian (364— 378) u. U. an.
$ 4 Nämiſche Gebaude und Mauerreſte.
Von eben fo großer Wichtigkeit für die Ältere Geſchichte Pforzheims
find die in der Nähe der Stadt noch vorhandenen Ueberreſte römiſcher
Gebäude, Mir reihen den ſchon aufgeführten Alterthümern eine Be-
ſchreibung derfelben an.
Etwa eine Viertelftunde hinter Brögingen, in einem einfamen Thale,
1) Bei MWilferdingen wurde 1859 beim Eiſenbahnbau aud ein römifches
Schwert einem uralten Todtenfelde enthoben.
16 Drittes Kapitel. Römerzeit.
am Abhang des oben ſchon erwähnten Mittelbergs Liegen die Trüm—
mer von einem unter dem Namen altes Schloß beim Wolfe befann-
ten Gemäner, das ganz mit Bäumen bewacfen if. Man kann die
Grundmauern von drei oder vier Gebäuden von nicht ganz gleicher
Größe noch deutlich unterjcheiden. Diefelben find wieder von einer ge:
meinjchaftlichen Mauer umgeben, welche etwa 80 Schritte in die Breite
und 100 Schritte in die Tiefe, den Berg hinauf, mißt. Die Regel:
mäßigfeit der Anlage; der Umſtand, daß diefes fogenannte Schloß gar
feine Gegend beherricht, vielmehr von höhern Bergen überragt wird,
alfo Feine jener freigelegenen Ritterdurgen fein kann; daß es ferner,
gegen die Gewalt der Nordwinde geſchützt, gerade dem Sonnenaufgang
zugefehrt iftz die alte Ueberlieferung, nad welcher die Kirche zu Brö—
Bingen aus den Steinen diefer Trümmer erbaut fein ſoll und aljo
wahricheinlich auch die oben erwähnten Bilditöde eben daher find, nicht
weniger die Nähe der Nömerftraße, welche nur einige Hundert Schritte
oberhalb vorbeiläuft: — alles Diejes zufammengenommen läßt vermutben,
daß fein Schloß, fondern eine römiſche Kapelle hier geftanden habe.
Auf dem Vorſprung einer Höhe, eine Viertelftunde von Kiefelbronn
und eine halbe won Dürrn entfernt, finden fich die Ueberreſte eines
großen Gebäudes mit einem Heinen Nebengebäude, Man hielt dasjelbe
früher immer für eine mittelalterliche Nuine ; allein Haufen von römi—
ichen Leiftenziegeln und römische Wärmeleitungsröhren, die man dafelbit
fand, ſowie die ganze Bauart laſſen keinen Zweifel, daß es römijchen
Ursprungs: ift.
Ein Alterthumskenner 1) bringt auch das fogenannte Eifinger
Loch, einen Erdfall zwifchen Eifingen und Göbrichen, mit den Römern,
und zwar mit römischen Bergwerken in Verbindung , welde die Nömer
dajelbft eröffnet hätten. Daß die Nömer auf diefer Höhe, welche weit
hin, ja bis Yandau fichtbar it, bejchäftigt waren, jcheint dev Name
Heidenfeller anzuzeigen, den ein erſt jeit Anfang diefes Jahrhun—
derts völlig verichwundenes altes Gemäuer in der Nähe diefes Erd:
falles führte,
Noch umfangreicher und wichtiger, als alle bisher aufgeführten
Mauerrefte, find aber die Gebäudetrümmer im Hagenſchieß. Wenn
man von dem Wege, welcher auf dem rechten Enzufer von Pforzheim
1) Meinbrenner im Morgenblatt v. 1807, No. 199.
»
Drittes Kapitel. Römerzeit. 17
nach Eutingen führt, etwas näher an letzterem Orte, als an Pforzheim
rechts abbiegt und dajelbit denjenigen Theil des Hagenſchießes, welcher
der Kanzler heißt, betritt, jo gelangt man ſchon nad) einer Kleinen
Biertelftunde an einen Theil jener Baurefte, welche, auf eine Fläche von
beinahe einer halben Quadratmeile zerftvent, ſich an mehr als zwanzig
verfchiedenen Orten befinden, Sie beftehen zum Theil freilih nur noch
aus moosbedeckten Haufen von Steinen nnd Ziegeljtüden, zum Theil
aber auch aus wohlerhaltenen Grundmauern, welche bald Kleine, bald
größere, oft auch von Quermauern durchzogene Räume umfchließen, über
denen fich einft Gebäude erhoben haben. Namentlich läßt der größte
diefer Räume, der ungefähr 300 Fuß im Geviert mefjen mag, troßdem,
daß er jest ganz mit Tannen überwachſen ift, noch mandye Gebäude:
trümmer erkennen. Nur wenige Schritte von jener Umfafjungsmauer
entfernt, befinden fich die Trümmer eines andern Gebäudes, das drei
Heine, nad einer Seite abgerundete, nifchenartige Kabinete mit eben
jo viel anftoßenden kleinen vieredigen Gemächern enthält. Diefe Ein-
richtung, fowie die doppelten Böden mit dazwiſchen durchführender Röh—
venleitung, welche man bei Nacgrabungen vorfand, gaben früher zu der
Anficht Veranlafiung, daß das Gebäude ein römiſches Bad gewefen fei,
während jene Vorrichtungen mit den Möhren ac. wahrfcheinlih nur zum
Heizen der verfchiedenen Zimmerchen angebracht waren, deſſen die Römer
in unjferm Klima noch mehr, als die eigentlichen Bewohner des Landes
ſelbſt, bedurften. Solche Heizeinrichtung beftand immer in einem Heiz:
lekal, das unter dem ganzen Zimmer durchlief (hypocaustum),. Auf
den vielen Backſteinpfeilern desjelben ruhte der Boden der Zimmer, der
aus Stein: oder Ziegelplatten, oder aus geftampfter Erde beſtand; übri-
gens ftrömte die Hige nicht bloß durch die Steinplatten, jondern auch
durdy die vieredigen Badfteinröhren (tubuli), weldye die ganze Zimmer:
wand befleideten und mit einem Anwurf von Gips bedeckt waren. Diefe
Röhren ftanden ſenkrecht über einander; ihre wagrechte Verbindung unter
fi) wurde durch vieredige Löcher bewerfjtelligt, die in der Mitte der:
jelben angebradyt waren. Großen Flächenraum hatten die einzelnen
Zimmer nicht, nad dem allgemeinen Charakter der bürgerlihen Wohnungen
bei den Römern. ine ähnliche Heizeinrichtung zeigte fih beim Nach
graben auch in dem Geitengemady eines anderen Gebäudeüberreites.
Tiefer im Hagenſchieß Liegen weitere Bautrümmer, die unter dem Namen
des Fohlenſt alles und des Hardheimer Schlößchens befannt
Pflüger, Pıorzbeim, 2
18 Drittes Kapitel. Römerzeit,
find. Nachgrabungen förderten bei erftern verſchiedene Alterthümer,
darunter den Kopf eines Denkſteins, den Numpf eines Neiterbildes, ver:
fchiedenes Geräthe von Bronce, viele Scherben von Gefäßen aus Siegel:
erde, Glasſcherben, Bruchſtücke von Ziegen, ja eine völlige Begräbniß-
ftätte mit Trümmern von Ajchenfrügen mit noch daranhängender Ajche
zu Tage!) Bei diefem Fohlenftall ftand früher ein unter dem Namen
„Taufſtein“ bekannter großer Stein, in Form eines Beckens, mit Iatei-
niſcher Umfchrift. Leider wurde derfelbe von einem Steinhauer zu einem
wirffihen Taufſtein umgearbeitet und befindet fich jett als folcher in
der Kirche zu Eutingen. Das fogenannte Hardheimer Schlöfchen bes
fteht aus einer etwa 3 Fuß dien Umfangsmauer, weldye ein vollkom—
menes Viereck bildet, das nach jeder Seite 125 Fuß mißt. Innerhalb
desfelben miüfjen mehrere Gebäude geftanden haben, von denen das größte
etwa 50 Fuß lang und 30 Fuß breit war. Hier wurden verſchiedene
Alterthümer,, jo unter andern ein Bruchftüd von einem Altar aufgefun:
den, aus deſſen Anfchrift hervorging, daß derjelbe und vermuthlich das
ganze Gebäude, das vielleicht ein römischer Tempel geweſen fein mag,
dem Merkur gewidmet war. — (Siehe oben.) Auch in noch andern
Theilen des Hagenjchießes wurden zu verfchiedenen Zeiten allerlei alter:
thümliche Gegenftände aufgefunden, jo Ueberreſte eines Ziehbrunneng,
thönerne Platten, Nöhren von gebranntem Thon , Bruchftüicde von Ge:
füßen aus Siegelerde, Glasſcherben mit eingebrannten Farben, große,
in YMattenform gebildete Hufeifen, Waffenſtücke ꝛc. Ber Urbarmahung
des früheren Meurah: Waldes, (Mäurach, Mäuerich, Gemäner), welche
zu Anfang diefes Jahrhunderts erfolgte, follen mancherlei merkwürdige
Geräthſchaften von Metall zum Vorſchein gefommen fein, find aber, vote
es ſcheint, unbeachtet geblieben und nicht gefammelt worden. — An der
nad) Tiefenbronn ꝛc. führenden Nömerftraße ftieß man bei Aufgrabung
eines Hügels, der ſchon Lange die Aufmerkſamkeit erregt hatte, auf römt-
ſches Mauerwerk "mit. römifchen Ziegeln und einem Haufen ifenerz
im verjchiedenften Zuftand der Bearbeitung durch Feuer, nämlich theils
ganz roh, theils halb gejehmolzen, theilg als völlige Schladen. Dafelbft
war ohne Zweifel eine römifche Eifenfchmelze, und an den Bergabhängen
1) Viele folcher Gegenflände waren bis 1842 im Seehaufe aufbewahrt;
jet find fie in der Altertbumspalle zu Karlsruhe. Dort befindet fi auch
eine im Jahr 1849 zu Pforzheim aufgefundene römiſche Wafferleitungsröhre
aus Thon.
Drittes Kapitel. Römerzeit. 19
des nahen Würmthals, wo vor nicht langer Zeit nody Bergbau auf
Eijenerze im Sandfteingebirge betrieben wurde, beurfunden mehrere tiefe
und breite Gräben, mit denen die Erzgänge verfolgt wurden, daf dort
ſchon die Römer den einfachen Bergbau unternommen haben.
Auf Spuren des frühern Anbaus des Bodens ftößt man allent-
balben ; ſogar von ehemaligem Weinbau find fichere Zeugen vorhanden,
indem am Hardheimer Rain nod einzelne Stöde der wilden oder ver:
wilderten Rebe ftehen, welche weit umher wildwachjend nicht angetroffen
wird, Diejenige Fläche des Hagenfchießes, wo fi) alle diefe Ueberrefte
römiſcher Niederlafjungen und römischen Anbaues finden, fcheint alfo
früher nicht mit Wald bededt geweſen zu fein.
Zu welchen Sweden haben wohl diefe Gebäulichkeiten ꝛc. gedient
und wer hat fie bewohnt? Es ift natürlich nicht möglich, auf diefe
Fragen eine beftimmte Antwort zu geben. Das Mahrfcheinlichfte ift,
daß die römiſchen Gebäude im Hagenſchieß ein fog. Präfidium, d. h.
eine vorgefchobene Militärftation waren, die beim Einrücken der Römer
in das Land angelegt, aber von den Soldaten wieder verlaffen wurde,
als man die Linien wieder weiter vorfhob. Die Gebäude fammt dem
umliegenden Lande mögen alsdann mit friedlichen Koloniften beſetzt wor:
den fein, die unter dem Schub des nachher angelegten Römerkaſtells
an der Enz (fiehe unten) Feldbau trieben, aud die Erzgänge des Ha:
genſchießes ꝛc. anszubeuten fuchten. Jedenfalls deutet es auf eine zuletzt
friedliche Niederlaffung, daß auf feinem der aufgefundenen Ziegel ꝛc.
eine Zegionszahl zu finden war. Daß es aber urfprünglic eine foldhe
war, läßt ſich auch darum bezweifeln, weil die praftifchen Römer der:
gleichen Tandwirthichaftliche Anlagen wahrfchemlich nicht an dem gegen
Norden gerichteten Abhang des Thales gemacht, fondern dazu lieber die
fonnigere Südfeite gewählt haben würden.
Es ift in diefem Kapitel bereits eines Merkurstempels Crwäh—
nung gejchehen, Ein ſolcher befand ſich höchſt wahrfcheinlich auch da,
wo jegt die Schloß- oder Michaelstirche fteht. Es kann nämlich ber
Beweis geliefert werden 1) daß man am Oberrhein nad Einführung
des EhriftenthHums die Heinen Merkurstempel in Michaelskapellen ver:
wandelt und an die Stelle des römischen Handelsgottes einen chriftlichen
Erzengel gejeßt hat. Dies geſchah beifpielweife zu Niegel am Kaiſer—
1) Mone, Urgeſchichte Babens, J. 293 und 264. 2
20 Drittes Kapitel. Römerzeit.
ftuhl, bei dev Michaelskapelle in der Nähe von Bruchſal, Ähnlich beim
Michelsberg bei Gundelsheim und Bönnigheim ꝛc. Alle diefe Punkte
find durch Ausgrabungen als Römerftätten erwiefen. ft e8 da um:
wahrfcheinfich, daß auch an der Stelle der heutigen Michaelsficche früher
eine Michaelsfapelle ftand, in weldhe der Merkurstempel bei Einführung
des Chriftenthums verwandelt wurde? Der weitere Umftand, daß die
Römerhaupiſtraße an diefer Stelle vorbeizog und letztere ſich ſehr zur
Errichtung eines Tempels eignete, mag die ausgefprochene Vermuthung
nod weiter unterſtützen. 1)
55 Pforzheim, eine Nömerſtadt.
Zu welchen Schlüffen berechtigen nun die bisherigen Zufammen:
ftellungen und Beichreibungen in Bezug auf’ Pforzheim? Denn
nur auf Schlüffe ift man bei dem Umſtande angewiejen, daß Fein römi—
ſcher Schriftiteller einer Stadt erwähnt, die da gelegen fein könnte, wo
fich jetzt Pforzheim findet, und daß auch auf feiner vömifchen Haupt:
ftraßenfarte, wovon zwei auf unfere Zeit gefommen find und von denen
eine ?) auch das füdliche Deutfchland umfaßt, an der Stelle, wo jett
Pforzheim liegt, ein römiſcher Ort verzeichnet ift. Letzterer Umftand
darf Übrigens weder befremden, noch überhaupt von etwaigen nähern
Unterfuhungen und daraus zu ziehenden Schlüffen abhalten, da zu ber
Zeit, wo jene Karten gefertigt wurden, nämlich gegen Ende des 4. Jahr:
bunderts, die Nömer nahezu aus unfern Gegenden vertrieben waren.
Aus diefem Grunde findet man darauf auch Keine der Heerjtraßen ver:
zeichnet, welche vom NRheinthal in das Innere des Zehntlandes führten.
Wenn indeffen auch Beweiſe durch Schriftiteller fehlen, fo ſprechen die
bereit8 angeführten römiſchen Alterthümer, als Altäre, Grabfteine,
Leugenzeiger, Münzen, Gebäudetrümmer, Straßenzüge ꝛc. um fo dent:
1) Klüber, (Baden, 1.) ſpricht fogar von ſchönen römischen Ruinen , die
man in der Amtsfellerei, alio der heutigen, Hinter der Schloßkirche liegenden
Domäncnverwaltung bemerken könne. Diefelben fcheinen indeß nicht mehr
vorhanden zu fein, oder jene Angabe beruht auf einem Jirthum.
2) Die peutinger'fche, fo genannt nach einer Augsburger Ratricierfamilie,
in deren Befig fie früher war. Seht ift fie in Wien, Sie befteht aus 12
Blättern, ift im Ganzen 20 Zuß lang und 1 Fuß bod.
Drittes Kapitel. Römerzeit. 21
licher, und berechtigen, da ſie für die Anweſenheit der Römer in der
Gegend von Pforzheim unumſtößliche Beweiſe liefern, zu weitern
Schlußfolgerungen.
Die Römer unterließen aus ſtrategiſchen Gründen, die bei ihnen
überall in erſter Reihe in die Wagſchale fielen, es ſelten oder nie, die
Ausmündungen (Débouchés) der Gebirgsthäler durch Schanzen und
Kaſtelle zu decken. Zur Anlegung eines ſolchen Kaſtells an der Enz
waren nun mehrere Gründe vorhanden. Einmal münden bei Pforzheim
zwei Thäler in ein drittes aus, und zwei von dieſen drei Thälern,
nämlich das Enz- und Nagoldthal, Öffnen zugleich den untern Schwarz:
wald. Da wo jet Pforzheim liegt, war alfo jedenfalls ein fehr wich
tiger Punkt für Befeftigungen, da er gleichjam die Pforte des Schwarz:
waldes bildete und ficherlich von Seite der Römer jede mögliche ftrategifche
Beachtung fand. Zu diefer Annahme drängt aber noch der weitere
Umftand, daß, wie ſchon gezeigt, bei Pforzheim eine größere Anzahl der
Römerftraßen zufammenliefen. Die Nömer legten überall längs ihrer
Straßen in entfprechender Entfernung von einander Kaftelle an, damit
erftere immer offen bleiben und vom Feind nicht unterbrochen oder abge:
fchnitten werden konnten. Mit manchen folcher Kaſtelle, namentlich wenn
fie an wichtigern Punkten lagen, mochten vielleicht auch befeftigte Lager
verbumden geweien fein, die eine größere Beſatzung aufnehmen und
dadurch auch den benachbarten Kaftellen zur Dedung dienen konnten.
Der Enzübergang mit feiner Brüde war zur Anle:
gung eines ſolchen Kaftells wihtig genug, und da Tebtereg,
wie erwähnt, auch zugleich den Zweck hatte, den Eingang in zwei wich
tige Schwarzwaldthäfer zu beherrichen, fo dürfen wir wohl annehmen,
daß das an der Enz liegende Kaftell nicht nur einen bedeutendern
Umfang hatte, fondern daß auch ein feites Standlager zur Auf:
nahme einer größeren Truppenabtheilung damit verbunden war, und aus
Beidem nad) und nad) eine eigentlihe Stadt mit nicht umbedeutender
Bevölkerung fi) bildete.
Hiemit ift auch die fpecielle Lage derſelben oder des römiſchen
Pforzheim feſtgeſetzt. Wie oben bemerkt wurde, war der Straßenüber:
gang über die Enz unterhalb der jetzigen Altftädter Kirche, wo eine
hölzerne Brüde die Verbindung zwifchen den beiden Flußufern herſtellte.
Dort ftand alfo audy das Nömerkaftell und nahm mit feinem Lager ıc.
den größten Theil der heutigen Altftadt ein, die auch daraus hervor
22 Drittes Kapitel, Römerzeit.
gegangen ift. Dafür, fowie für den römifchen Urfprung der Altftadt
überhaupt, die ſich dadurch als dem älteſten Theil N forzheims ausweist,
ſprechen noch andere gewichtige Gründe. Faſt alle römifchen Münzen,
die man in Pforzheim (fo 3. B. 1832) ausgrub, wurden in der Alt:
ftadt gefunden; ebenfo iſt diefe auch der Fundort römischer Steindentmäler
und Inſchriften. Es ift ſogar wahrfcheinlich, daß die Fundamente der
jegigen Attftädter Kirche römifchen Ursprungs find.
Ein weiterer gewichtiger Beweis für eine Nömerftadbt an der
Stelle der jetigen Altftadt it der Name der letzteren. Es ift darunter
überall, wo er vorkommt, nicht ſowohl ein alter Theil einer Stadt,
als vielmehr eine alte Stadt zu verftehen. „Das Wort Stadt
(auch Dorf, Weiler, Burg) findet man häufig mit Alt verbunden.
Wenn daneben eine Neuftadt vorfommt, fo hat man feinen Grund,
aus der Bezeichnung alt auf einen römischen Ort zu ſchließen; ſteht es
aber allein, fo ift es nicht des Unterichiedes wegen geſetzt, jondern be—
deutet hohes Altertum, und ift dann eine römiſche Niederlaffung zu
vermuthen.“ 1) Das Alles trifft nun bei der Pforzheimer Altſtadt voll-
fommen zu, und es find jedenfalls zwei weitere Umftände bezeichnend
genug, um folche Vermuthung der Gewißheit näher zu bringen. Einmal
Kennt der Sprachgebraudy bis auf den heutigen Tag keine Altftadt, fon-
dern eine „alte Stadt"; ſodann wird nod in Urkunden des Mittel:
alters die Altftadt nie als integrivender Theil des fpätern Pforzheim
aufgeführt, fondern e8 heit immer: Die Stadt Pforzheim, die „alte
Stadt“ (alfo auch nicht Altftadt) ſammt den Vorſtädten.
Mit der Nömerftadt am Enzübergang war vermuthlih auch eine
Boftftation verbunden. Auf allen Römerftraßen befanden ſich nämlich
folhe Etationen, und waren diefelben entweder Städte und Dörfer,
oder wenigſtens ſog mansiones, wo man übernachten Eonnte, oder
mutationes, (Geſpannwechſel), wo Pferde und Wagen untergebracht waren.
Daß eine folche mit dem römifchen Pforzheim verbunden war, dafür fpricht
nicht nur eine halbverflungene Sage, daß einmal jenfeits der Altftädter
Brücke, da, wo jest der Schafhof fteht, in uralter Zeit eine „Poſt“ ge:
weſen fei, fondern auch der Umſtand, daß die Nömerftraßen, die über
Pforzheim führen (fiehe oben), auf zwei Streden in der Nähe Pforz
heims, nämli auf ber Iſpringer Höhe gegen die Durlacher Straße
1) Mone, Urgeſchichte Badens, J., 208.
Drittes Kapitel, Römerzeit. 23
und im Hagenſchieß zwiſchen Eutingen und Niefern, heute noch „alte
Poſtſtraßen“ genannt werden.
Das Nömerkaftell zc. an der Enz ftand jedenfalls einerjeits mit dem
Präfidium oder der Niederlaffung im heutigen Hagenjchieß , andererfeitg
mit einem römiſchen Wartthurm auf dem in der Nähe liegenden
Wartberg in Berbindung. Dort diente das Kaftell zum Schuß; hier
mußte ihm der Wartthurm in allen Fällen, wo ſich dies als nöthig
erwies, die erforderlichen Signale geben. Der jeßige Thurm auf dem
Wartberg ift zwar ſchwerlich römischen Urfprungs, fondern ſtammt wahr:
ſcheinlich aus dem Mittelalter. Das hindert aber nicht zu glauben,
daß auch die Nömer auf diefem höchſten Punkt der linken Seite des
Thals einen Thurm erbaut hatten, der wiederum einerſeits mit dem Kaftell
auf dem Thurmberg bei Durlah, deſſen ältefte Theile nachgewieſener
Maßen römiſchen Urfprungs find, andererjeits mit dem Wartthurm zu
Befigheim, vielleicht auch zu Leonberg korreſpondirte; doch geſchah Letz—
teres, da eine direkte Verftändigung von dieſen Thürmen bei der Lage
derjelben faft nicht möglich war, vermuthlich mit Hülfe eines andern
Thurmes, der ſich auf einem noch höhern Punkt unferer Gegend als der
Wartberg ift, und zwar jehr wahrfcheinlich zu Hohenwarth, befand,
wo ohnehin aud eine Römerſtraße vorbeiführte, denn der Name
dieſes Drtes deutet offenbar auf eine früher dort geweſene „hohe
Warte“ Hin, Diefelbe mochte wohl auch wieder mit der Niefenburg
in Liebenzell in Verbindung ftehen, von der ein großer Theil noch
in ihrer jetigen Geftalt von den Nömern herrührt. Alle diefe Wart—
thürme (specula) waren fo angelegt, daß fie für Signale gebraucht
werden Tonnten, und zwar Tags durch Rauch und eine Art Telegraphen,
Nachts durch Pechfakeln. Solche Signale gaben aber die Wartthürme
nicht nur fich ſelbſt gegenfeitig, jondern auch den Burgen und Kaſtellen,
welche in den Thälern und namentlich, wie in Pforzheim, an den Fluß:
übergängen lagen, um fie zu warnen. Manche folcher römiſchen Warten
wurden von den Alemanen zerftört, worunter wohl auch die bei Pforz—
heim gehört haben mag, die alfo dem Schickſal der Niederlaffung im
Hagenſchieß nicht entging. Diefe Thürme wurden aber meift im Mit
telalter wieder aufgebaut, um zu gleichem Zwed, wie zur Römerzeit
zu dienen.
ir haben nun noch Unterfuchungen über den Namen anzuftellen,
der dem römijchen Pforzheim gegeben worden fein mag. Wie oben
24 Drittes Kapitel. Römerzeit.
ſchon erwähnt, finden wir einen ſolchen weder bei einem römiſchen Schrift:
fteller,, no) auf römischen Straßenkarten. Wir find deshalb auch hier
wieder auf Vermuthungen angemwiefen. Hatten bereits die Kelten da,
wo jett Pforzheim liegt, eine Niederlaffung gegründet, fo wurde vielleicht
der Ältefte Name der Stadt von den Nömern beibehalten und in ihrem
Munde Tatinifirt. Es kann jedoch auch fein, daß die Nömer ihrem
Kaftell und Standlager ꝛc. an der Enz jelbitftändig einen entiprechenden
Namen gaben, und da dürfte denn die Bezeichnung Porta, die Thüre
oder Pforte, Vieles für fi) Haben; denn die Stadt lag ja wirklich am
Eingang des Schwarzwaldes und des römischen Zehntlandes, und mit
geringer Lautveränderung und durch Anhängung der urdeutſchen Silbe
bein oder heim, aud hain und haim, welde die Franken jpäter gern
an fremde Ortsnamen fügten, wäre der dermalige Name der Stadt her:
geftellt. Unwahrfcheinlicher ift der Jufab, „„Hercyniae“ zu Porta; denn
derfelbe ift zur Ableitung des Namens Pforzheim nicht mur überflüffig,
fondern e8 kann auch Teicht nachgemwiefen werden, daß der Schwarzwald
zur Zeit der Römerherrſchaft gar nicht mehr Hereynia oder Orcynia
(weßhalb man früher Pforzheim von „Orcynheim“ ableiten wollte 9),
bieß, fondern Abnoba, aud) Silva Martiana. ?)
Ohne auf Berechtigung Anſpruch machen zu wollen, dürfte bier
auch der möglichen Ableitung der erjten Silbe des Namens Pforzheim
von „portus“, der Hafen, die Schifflände, die Anfurt, Erwähnung ges
ſchehen. Wenn e8 nämlich richtig ift, daß die Nömer auf den Flüffen
Enz, Würm, Nagold und Nedar Flößerei getrieben haben, (und daran
it faum zu zweifeln), jo war die Stelle, wo jet Pforzheim liegt, da:
mals ſchon, wie heute noch, für einen Anlandungs: und Haltpunkt fehr
geeignet. Sowie mın das lateiniſche Wort, nauta eben fo gut einen
Flößer, als einen Schiffer bedeutet, eben fo kann auch unter portus ein
Halt: und Anbindeort, eine Anfurt für Flöße verftanden werden. Der
1) Beatus Rhennans, Lih, rer. germ. (Basil., 1531.)
2) Der Grieche Eratosthenes erwähnt zuerft eines „orcynischen‘‘ Waldes.
Cäſar kennt einen „Hercynia silva“ ebenſo Etrabo, Tacitus einen „Abnoba“,
verſchiedene andere Schriftfteller haben vafür ‚„‚Rauraci montes“, Ammianus
Marcellinus (ein römiſcher Geicichtichreiber aus dem vierten Jahrhundert) nennt
den Schwarzwald Silva Martiana und fo heißt ev auch auf der peutinger’ichen
Tafel. Für Abnoba ſprechen auch mehrere aufgefundene römifche Denkiteine.
(Müllenbach: Deanae Abnobae; Rötbenbady im Würtmb: Abnoba ; Hagenſchieß:
.. nobe. .; Mühlburg: Deae Abnobae),
Drittes Kapitel. Römerzeit. 25
Üebergang des Wortes portus in Porz, Phorz, Porz, liegt mindeftens
eben jo nahe, als der des Wortes porta oder des keltifchen ffordd, und hat
auch) einige Analogien für fih. Bei Altenwört an der Donau (in Ober:
öfterreich) war früher ein Drt Porz oder Pforz, der aber längft vom
Fluß weggefpült worden ift, und als Hafenort feinen Namen von portus
erhielt. Dasjelbe ift ficherlichh auch der Kal ‚mit dem Flecken Pforz
zwifchen Lauterburg und Rheinzabern,
Lebterer gibt bier noch zu einer Bemerkung Anlaß. Man hat
nämlich früher den Namen Porca, den ein römijcher Schriftiteller (der
fog. Geograph von Ravenna) anführt, auf Pforzheim bezogen. Da
indeffen alle andere Orte, die er mit Porca nennt, auf der linfen Seite
des Nheines liegen und Porca zwifchen Speier und Straßburg. aufge:
führt ift, fo ift unter diefer Bezeichnung ficherlich nicht Pforzheim, fon:
dern der erwähnte Flecken Bforz zu verftehen.
Viertes Kapitel
Pforzheim während der großen Völkerbewegungen und Völker:
Fämpfe in den nachfolgenden SFahrhunderten. !)
. (400— 900.)
$ 1. Die Alemanen.
Zwei Jahrhunderte Yang hatte ſich das oberrheinifche Grenzland
eines Friedens erfreut, der durch zweimalige Einfälle der wilden Katten
in den Sahren 51 und 161 wohl vorübergehend gejtört wurde, aber
doch die ungehinderte Entwicelung diefer römiſch gewordenen Provinz ge:
ftattete. Wenn nun aud die Römer viel für die Kultur derfelben
thaten, jo darf man dabei freilich nicht vergeffen, daß die Beſitznahme
der Länder am Oberrhein zu einer Zeit erfolgte, da in Rom der alte
Geift, den wir fonft an den Römern fo jehr bewundern, längft ver:
ſchwunden, und mit der damaligen römischen Kultur ein Sittenverderbniß
verbunden war, das die Bezeichnung eines deutfchen Gefchichtsjchreibers :
„glänzendes Elend“ vollkommen rechtfertigt. Und fürwahr, theuer
genug, nämlich mit dem Berlüft des Vermögens, der Freiheit und der
Sprache, mußten die unterworfenen Völker diefe römische Scheinkultur
bezahlen, und endliche Verarmung, Erfterben alles nationalen Bewußt-
feing und geiftige Verwirrung waren die unausbleibliche Folge der römi—
ſchen Herrichaft. Bald indeffen traten Ereignifje ein, welche die letztere
und die durch fie herbeigeführte Kultur nicht nur ſchwer bedrohten, jon-
bern zulegt Beidem ein Ende machten.
1) Benügt wurden bauptlählih: Mone: Urgeihichte Badens; Bader:
badiſche Landesgeſchichte; Preuſchen: badiſche Gefhichte; Leichtlen: Bei:
träge; Häuſſer: Geſchichte der rheiniſchen Pfalz; Stälin: Württembergiſche
Geſchichte; der Codex Laureshamensis; Dumbeck: Geographia pagorum
u. ſ. w. Andere benutzte Quellen find bei ben betreffenden einzelnen Stellen
angegeben. j
Viertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 27
Die Römer hatten zur Sicherung ihrer Erwerbungen im füdlichen
Deutichland nicht nur eine größere Zahl von Kaftellen und Thürmen,
ſowohl im Innern, als hauptfählih an den Grenzen angelegt, jondern
außerdem auch zur Dedung der Djtgrenze des Zehntlandes einen fog.
Landhag oder Pfahlhag, d. h. einen Grenzwall, errichtet, der fi von
der Donau (bei Megensburg) bis an den Main (bei Aſchaffenburg)
und von dort an den Unterrhein zog, und zum Theil aus ordentlichen
Mauerwerk oder Steinreihen, zum Theil aus bloßen Verhauen, einfachen
Erddämmen oder manerartig aufgeführten Nafenftüden beftand. Jen—
jeits dieſes Grenzhags wohnten ſueviſch-germaniſche Stämme, namentlich
die Hermunduren, zu denen übrigens die Nömer lange Zeit in durchaus
friedlichen Verhältniſſen ftanden.
Ums Fahr 240 jedoch durchbrachen die Deutichen, durch die Ge:
waltthätigfeiten und Graufamfeiten der Nömer gereizt, diefen Landhag.
Es vereinigten ſich die verjchiedenen ſueviſchen Volksſtämme zu einem
Bündniffe, von dem fie den Namen Alemanen oder Alamanen
befamen. Diefe fielen nun verwüftend in das römiſche Gebiet ein. Es
erhob fich dadurch zwifchen ihnen und den Römern ein Kampf, der mit
wenigen Unterbredungen weit über 100 Jahre dauerte. Wenn e8 auch
dem einen oder andern der römischen Kaifer gelang, die Alemanen zu:
rüdzudrängen, wie 3. DB. dem Probus, der fie fogar über den Pfahlhag
zurücdwarf und diefen ftärker befeftigte, jo wiederholten fich die Eins
fälle doch immer wieder, bis endlich zu Anfang des fünften Jahrhun—
berts der römiſchen Herrichaft am Oberrhein gänzlidy ein Ende gemacht
war und die Alemanen ſich in ungeftörtem Befite des Landes befanden.
Bei diefen unaufhörlichen Einfällen und Kämpfen ging auch die
Kultur, welche die Römer herbeigeführt hatten, wieder zu Örunde, und
namentlich wurden alle römischen Städte und Kolonien verwüſtet. Dieſes
Schickſal traf auch — vielleicht Shen in der Mitte des 3., wahrjcheinlich
aber erit gegen Anfang des 5. Jahrhunderts, um welch leßtere Zeit 3. B.
auch Baden zerftört wurde — das römische Pforzheim und die Kolonie
im Hagenfchieß. Bei näherer Unterfuchung der an lebterm Ort vorbhan-
denen Bautrümmer zeigt es fich, daß über die Niederlaffung, welche ich
dafelbit befand, eine allgemeine und fo gräulihe Beraubung und Zer—
ftörung, Tettere theils durch Menſchenhände, theils durch Fener erging,
daß faft auch nicht das geringite Zeichen, das davon noch eine beftimmte
Kunde geben könnte, unzertrümmert gelafien wurde. Doch kommt non
28 BViertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert.
diefen Zerftörungen auch viel auf die Rechnung anderer Völker, fo der
Bandalen, Alanen, Hunnen (fiehe unten), die im 5. Jahrhundert dieje
Gegenden verheerend durchzogen.
Indeſſen fcheint im Allgemeinen hauptſächlich die Städte, Kaſtelle
und Mititärkolonien der Römer diefe Zerftörung betroffen zu haben, weni—
ger die Hütten: des Landvolkes, deſſen Loos e8 war, in die Leibeigenſchaft
der neuen Herren zu gerathen und ſich nach und nach mit den neuen
Einwanderern zu verfchmelzen. Dieſe Hütten waren fehr einfach; denn
fie beftanden gewöhnlid nur aus über einander gelegten Balken oder
dichten Flechtwerk, darüber ein Strohdach. Doc ahmten die Alemanen
fpäter auch die Baufunft der Nömer nad. Feſte Wohnfige in größern,
ummauerten Städten waren ihnen aber damals noch verhaßt ; fie er:
fchienen ihrem Freiheitsſinn als Gefängniffe und Grabftätten. Doch mochten
die Hütten, die von neuen Anfiedlern neben den Ruinen unferer zerftörten
Nömerftadt erbaut wurden, wie das anderwärts ebenfalls geſchah,
mit einander alg Ort (villa) den Namen des römischen Pforzheim auch
ferner führen, der jedoch im Munde dev Alemanen vermöge der rauhen
Klänge ihrer Sprache jedenfalls eine Veränderung erfuhr, welche ſchon
damals den Uebergang zur fpätern Bezeichnung vermittelte,
Das den Römern entriffene Rand theilten die alemanifchen Heer:
führer oder Fürften unter fih, jo daß jeder derjelben ſein befonderes
Gebiet (pagus) erhielt. Es ift nicht unwahrſcheinlich, daß diefe Gebiete
oder Randbezirke in den fpätern Gauen fortgedauert haben. Derjenigen
alemanifchen Fürften, welche auf diefe Weife in den Beſitz des oberrheis
nifchen Grenzlandes kamen, waren es eilf: Suomari, Hortari, Ehnodo:
mari, Serapio, Uri, Urficin, Wefteralp, Gundomad, Badomari, Macrian,
Hariobaud. Welchem von denjelben die Gegend von Pforzheim gehörte,
ift unbefannt. Vermuthlich war e8 aber Hortari, defjen Gebiet als den
Städten Worms und Speier gegenübergelegen bezeichnet wird.
Koch während die Kriege zwiichen den Alemanen und Römern
dauerten, begann die Völkerwanderung. Die aus Afien nad)
Europa vordringenden wilden Hunnen machten 375 befanntlih damit
den Anfang. Wenn fich aud die Wellen ihres erſten Stoßes nicht bis
an den Oberrhein fortpflanzten, jo wurde die Gegend von Pforzheim
jedenfalls durch) den Zug des Hunnenfönigs Attila berührt, der 450
aus Ungarn, mit 5— 700,000 Mann aufbrach, der Donau entlang
und durch die Ränder des Oberrhein, wahrfcheinlich dabei die frühern
Biertes Kapitel, Pforzheim vom 5, bis 10, Jahrhundert. 29
Römerftraßen benügend, nad Gallien vordrang, umd nach der Schlacht
von Chalons nad, Italien ging, wo er an einem Blutfturze ftarb. Eine
alte Sage, die wohl gefhichtliche Wahrfcheinlichkeit für ſich hat, will
wijjen, daß zu den von den Hunnen auf ihrem Verwüftungszug zerftörten
Drten au Pforzheim gehört habe.) Minder wahrfcheinfich ift
ber ebenfalls behauptete Wiederaufbau des Ortes durch den fränkischen
Statthalter Emmerich im Jahr 510; denn damals war das rechtsrheinifche
Alemanien ſicherlich noch gar nicht in fränkiſchem Beſitz.
$2. Die Franken.
Faſt gleichzeitig mit den Mlemanen am Oberrhein hatte fi am
Niederrhein ein anderes deutfches Volk, die Franken, gegen die römifche
Herrihaft erhoben. Sie gingen über den Rhein, durchzogen Gallien,
und es dauerte nicht lange, fo befand fich der nördliche Theil dieſes
Landes, dem fie alsdann ihren Namen gaben, troß des Widerftandes
der Nömer, in ihren Händen. Nun hatten ſich aber in einem großen
Theil Galliens auch Alemanen niedergelaffen; zwifchen beiden Völkern
entjtand Eiferjucht, und endlich Fam es zum offenen Kampfe, der 496
zur Schlacht von Zülpich führte und mit der Unterwerfung der linke:
rheinifchen Alemanen endigte. Aber auch auf das eigentliche Alemanien
am rechten Rheinufer blieb diefe Schlacht nicht ohne wichtige Folge; die
Franken ſchoben ihre Grenze vom Main her gegen Süden immer weiter
vor, und endlich bildete die Dos die Scheidelinie zwijchen fränkiſchem und
alemanifchem Land. Diefelbe zog fi von der Dos über die Murg am
Enzurſprung vorbei über die Höhen zwifchen der Nagold, Würm und Glems
gegen den Nedar ꝛc. Auf folche Weife Fam — wahricheinlid um das
Sahr 536 — auch die Gegend von Pforzheim unter fränfifche Herr:
haft und bildete einen Theil des ausgedehnten Herzogthums Deutjch-
franfen, welches jpäter in ein Rhein- und Oſtfranken abgetheilt
wurde. |
Aber auch andere deutiche Stämme vermochten der wachjenden
Kriegsmacht der fränkischen Könige auf die Dauer nicht zu widerjtehen,
und bald bildeten auch die Herzogthümer Sachen, Baiern und Alema—
nien oder Schwaben Beftandtheile der großen fränkischen Monardie.
ı) M. 3b. Friſchlin, biftorifche Beichreibung von Württemberg.
30 Biertes Kapitel, Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert.
In welches Verhältniß die jett badiſchen untern Landestheile, da:
runter auch die Gegend von Pforzheim, zu den fränfifchen Eroberern
getreten find, läßt fich bei dem Mangel genauer Nachrichten im Einzelnen
nicht beſtimmen. Doc icheint es, daß mit den Befiegten bier härter
verfahren wurde, als im füdlichen Theil Alemaniens. Der Kern ber
alemanijchen Bevölkerung wurde wahrjcheinlich hinausgedrängt und durch
fränfiihe Einwanderer erſetzt; namentlich jcheint eine größere Anzahl
fränkiſcher Grafengefchlechter in den eroberten Landestheilen Wohnſitz ge
nommen zu haben.
Durch die Franken kam auch das Chriſtenthum in unfere Gegenden
und trug ſehr viel dazu bei, die Sitten zu mildern und den Segnungen
allmäliger Givilifation den Weg zu bahnen. Wann und dur wen
indeß die neue Lehre zuerft verbreitet wurde, kann nicht angegeben werden.
Sicherlich aber hatte fie bereits im 7. oder 8. Jahrhundert bei ung
Wurzel geihlagen, und es mag bald auch mit dem Bau hriftlicher Kirchen
begonnen worden fein. Die hieroglyphiſchen Figuren über dem Haupt
eingang der Altjtädter Kirche find jedenfalls uralt und mögen wohl aus
der Zeit der Einführung des Chriftentfums ftammen. Wahrſcheinlich
follen fie den Sieg desfelben über das Heidenthum ſymboliſch darftellen.
Auf ein hohes Altertfum deuten aud die Drudenfüße am Portal.
Die Gründung mandyer unfer älteften Kirchen fällt in das 8. und 9.
Jahrhundert, alſo noch in die Farolingifche Zeit, die überhaupt an
religiöfen Schöpfungen fehr reih war. In dem von Pforzheim nicht
weit entfernten Illingen wurde ſchon 775 eine Kirche gebaut, in Hoch—
dorf bei Vaihingen 812, in Dürrmenz 836. In das 10. oder 11,
Sahrhundert iſt wohl aud der Anfang des Baues der Schloß ober
Michaelskirche zu jeßen, wenn er nicht fchon in eine frühere Zeit füllt.
Schon ihr Name deutet auf ein hohes Alterthum. Vielleicht ging fie
aus einer Michaclstapelle hervor, in welche der wahrjcheinlich früher an
ihrer Stelle geftandene Merkurstempel (S. 19) bei Einführung des
Chriſtenthums verwandelt wurde. (Kine Michaelsfirhe wurde beifpiel-
weife fchon 793 auf dem Michaelsberg bei Bradenheim in Württemberg
gebaut). Der ältefte Theil der Schloßkirche ift das Portal und die
Vorhalle, über welcher fich jest die Orgel befindet. Beide zeigen den
byzantiniſch⸗romaniſchen Bauſtyl, deſſen Hauptkennzeichen halbkreisrunde
Bögen auf würfelförmigen Säulenknäufen ſind, welch letztere wieder auf
ſchwerfälligen Säulen ruhen. Bei vielen ältern Kirchen trifft man dieſe
Viertes Kapitel. Pforzbeim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 31
Bauart. Aehnliche Drudenfüfe, wie an der Kirche der Altftadt, finden fich
auch am Portal der Schloffirhe. Man verfteht darunter die Bündel oder
Neftel, welche im Kreis, oder auch A=, 6: und Bedig künſtlich verichlungen,
fo daß man weder Anfang noch Ende erkennt, an den Thüren folcher
Gebäude in Stein ausgehauen find. Der Druden:, eigentlich Druiden:
füß (Druiden hießen die keltiſchen oder gallifhen Priefter) kommt ſchon
auf keltiſchen Münzen vor. An Gebäuden fcheint er geheime Maaß—
verhältniffe angedeutet zu haben, zugleich aber auch ein Seichen der
Treue und des Heils und ein Bannntittel gegen böfe Geifter geweſen zu
fein.2) — Sedenfalls ift aber die Altftädter Kirche (d. h. die jebige
nur noch in einzelnen Theilen) älter als die Schloßkirche; denn wir fin
den, daß jene noch i. J. 1344 die Mutterkirche, letztere die Tochterkirche
oder das Filial derfelben heißt.
- Zur Verbreitung des Chriftenthums und zur Pflege desfelben
wurde fchon früh eine Anzahl Bisthümer errichtet, jo auch eines im
Speier, wohin Pforzheim mit Umgegend gehörte, Diefes Bisthum
blühte unter den ſächſiſchen und jalifchen Kaifern in Folge reicher Schen-
tungen bald auf.
In allen den Rändern, welche nunmehr die Franken in Befiß ge—
nommen hatten, wurden auch die fränkischen Militär: und Staatsein-
richtungen eingeführt, welche fi in der Gauverfaſſung vereinigten.
Nach der ungeführen Hundertzahl (Centen) der Männer oder Yamilien
ftand die in einzelnen Höfen oder fonftigen Niederlaffungen angefiedelte
Einwohnerfchaft unter einem Gentvorfteher oder Centgrafen; (ſchon
im 8. Jahrhundert Sculthaizeo, Schultheiß genannt); viele folder Hun-
derte bildeten mit einander einen Gau, an defien Spite ein Gaugraf
ftand. Diefe Gangrafen, als Oberrichter und Kriegshauptleute der ver:
fchiedenen Bezirke, waren königliche Amtleute, über denen der Herzog als
oberfter Gerichtshere und Heerführer waltete. Die Namen mander fol:
her Gaue haben fi) bis auf unfere Zeit im Gebrauch erhalten, jo des
Breisgaus, des Hegaus, des Kraichgaus u. f. w.
83. Der Enzgau.
Zu den Gauen unferer Gegend gehörten der Nagold:, Wirm: und
Enzgau. Letzterer erftredte fi über dag mittlere und untere Gebiet
1) Mone, Anzeiger, 1833, S. 251—53.
3% Biertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert.
der Enz, alfo hauptfächlich iiber die heutigen Oberamisbezirke Pforzheim,
Baihingen, Maulbronn und zum Theil nod) Neuenbürg und Bretten,
während der Wir mgau einen Theil des Würm- und Nagoldthales
ſammt anliegenden Orten, der Nagoldgau dagegen das jeßige würt:
tembergijche Dberamt Herrenberg und Theile der Oberämter Horb,
Freudenftadt und Nagold umfaßte. AS zum Enzgau gehörig erfcheinen
in den Urkunden des Klofters Lorſch,) aus denen man überhaupt von
dem Vorhandenfein eines Enzgaus etwas weiß, zum Theil auch in
andern Schriftſtücken, folgende (jebt meift württembergifhe) Orte: 765
Illincheim (Illingen), 766 Breteheim (Bretten, wird aber jpäter immer
im Kraichgau aufgeführt), 766-Linzingen (Lienzingen), 767 Rotmars-
heim (vermuthlich ein Schreibfehler ftatt Lotmarsbeim, Lomersheim)
769 Helmufisheim (Helmsheim, D. U. Bruchſal, fommt fonft immer
im Kraichgau vor), 769 Mulner marca, (Mühlader), 770 Hubestat
(Ubſtadt O. A. Bruchſal, fonft zum Kraichgau gehörig), 774 Eseincheim
(2), 779 Turmenz (Dürrmenz), 781 Reginhershusen (?), 782 Glate-
bach (Glattbach), 734 Horoheim (Horrheim), 789 Budincheim (Bie-
tigheim), 791 Autinesheim (Detisheim), 792 Saraesheim (Sershein),
793 Alaolfingen (Eilfinger Hof) und Rutgisingen (Rieringen), 800
Lotmarheim (2omersheim), 801 Hochtorph (Hochdorf), Horoheim
(j. o.) und Hasalah (Haslah, D. U. Vaihingen), 801 Lengenfeld
(Reinfelder Hof), 813 Reod (Ried bei Vaihingen oder Ruith bei Bret-
ten), 836 Tardingen (Dertingen), 854 Lotmasen (LXomersheim),
Gladebach (f. o.), Nessenbrunn (Oeſchelbronn ?) und Andensen (Detis-
heim), 892 Gumboldeshusen (?), Mulnhusa (Mühlhaufen a. d. €.)
und Hadardesheim (?), 1100 Zeizolfeswilre (Zeiſersweier), Lenzin-
gon, Durminzi (beide f, o.), Cussilbrunnin (Kiefelbronn), Enzeberch
(Enzberg), Dagelvingen (?). — Vom anftogenden Pfinzgau werden
in den Lorſcher Urkunden aufgeführt: 769 Sigengen (Singen), 895
Vulvirincha (Wilferdingen), und aus dem Kraichgau: 770 Nuz-
boumen (Nußbaum), und 900 Gebergingen (Göbrihen). Schen im
9. Jahrhundert Hatte auch das Klofter Reichenau Beſitzungen in der
Gegend von Pforzheim , jo zu Nettingen (Nöttingen), Singen, Theo-
1) Es wurde 763 duch den Grafen Gancor geftiftet, der durch feine
mütterlihen Borfahren wit dem farolingiichen Königsgeichledht verwandt war.
Es Tag in dem heutigen Großherzogthum Hefjen zwischen Bensheim und Worms.
Biertes Kapitel, Pforzheim vom 5. bis 10. Jahrhundert. 33
telenhusen (Dietenhaufen), Almousdingen (Ellmendingen), Ysingen
(Eifingen), Uitingen (Eutingen), Chuningespahe (Königsbach) ꝛc.
Es geht daraus hervor, daß die Zahl der Dite des Enzgaus die
theil® villa, theils marca genannt werden, jchon vom 8, bis zum
12. Jahrhundert eine ziemlich bedeutende war, Der Name Pforzheim
kommt in diefen Urkunden nun freilich nicht vor.) Ueberhaupt fehlt
für die Gegend zwifchen Neuenbürg und Pforzheim jede urkundliche
Gaubezeichnung. Daraus darf aber keineswegs der Schluß gezogen
werden, daß andere Drte, als die oben angeführten, noch nicht vorhanden
waren und der Enzgau nicht noch manche umjchloß, die eben zufällig
mit dem Klofter Lorſch zc. in keine Berührung Famen.
Der Enzgau felbft. wird in den erwähnten Urkunden Enzingowe,
Enzigowe, Encingowe, Entzgowe, Enzgowe genannt. Cine Unterab:
theilung desjelben jcheint dev Schmiegau gebildet zu haben,
Db der Enzgau feine bejondere Grafen gehabt hat, ift zweifelhaft.
Es kommt zwar jchon im Jahr 902 ein Graf im Enggau, Namens
Walaho, ein Glied des ſaliſch-fränkiſchen Haufes, vor; er war aber auch
zugleid, Graf des Worms, Speier:, Kraich- und Einrichsgaus (letzterer
nördlih von Mainz.) Es ereignete ſich überhaupt nicht felten, namentlich)
gegen das Ende der Farolingifchen Zeit, daß einzelne Grafen über
mebrere Gaue gleichzeitig gejet waren. So finden wir um das Jahr
1100 einen Bruno von Laufen als Grafen des Elſenz-, Kraich- und
Enzganes, Nicht jelten waren die Gaunamen auch bloß geographiiche
Benennungen, unabhängig von aller politifchen Eintheilung, und vielleicht
noch ererbt aus der altalemanifchen Zeit, welche dem Eindringen der
Franken vorherging. Es ift möglich, daß dies aud beim Enzgau der
Fall war. Auch das darf nicht überfehen werden, daß zwiſchen
einem obern und einem unten Enzgau unterfchieden werden muß.
Pforzheim gehörte zu erfterem, und es könnte fein, daß deſſen Geſchicke
fogar mehr mit dem angrenzenden Wirmgau, als dem untern Enzgau
verfnüpft waren, und daß, wo bisher von Grafen im Enzgau die Rede
geweſen, bloß der untere damit gemeint war, namentlich wenn derjelbe
feinen für ſich abgefchlofienen, felbftftändigen Grafenfprengel bildete,
1) An der Gott’sauer Chronik von Leitlin ift (S. 14) zwar gelagt,
daß als zum obern Enzgau gehörig genannt würden: Brögingen, Pforzheim,
Euffilsronnen und Novum castrum (Neuenbürg). Es ift jedoch nicht anzugeben,
wo biefe Orte mit folcher Bezeichnung vorkommen.
Pflüger, Pforzheim, 3
34 Viertes Kapitel. Pforzheim vom 5. bis 10, Jahrhundert,
Es dürfte hier der Ort fein, auf einen früher vielfach begangenen
Irrthum aufmerkſam zu mahen, Bon der Annahme ausgehend, daß
Pforzheim und Umgegend immer zu Schwaben gehört hätten, glaubte
man auch die Geſchicke der Stadt mit der Gefchichte diefes Herzogthums
verflochten und. gelangte durch diefe irrige Vorausſetzung auch zu ganz
unrichtigen Schlüffen und Folgerungen. Pforzheim und der Enzgau
gehörten aber zu Rheinfranfen (Franeia teutonica), wie bereits
auseinander gejeßt wurde. Es kann deshalb auch in der Mitte des
zehnten Jahrhunderts wohl fein Herzog Leopold von Schwaben in Pforz-
heim feine Nefidenz gehabt haben, wie ſchon behauptet wurde.1) Heberdies
lebte damals gar Fein fchwäbifcher Herzog dieſes Namens, fondern von
949 His 954 (+ 95T) regierte in Schwaben Herzog Kiutolf, ein
Sohn von Kaifer Dito J. (Sein Vorgänger: war Herzog Herrmann I.
von 926-948, und fein Nachfolger Herzog Burkhard von 954--973).
Was es deshalb mit der weiten Erzählung, daß jener (erdichtete) Her:
zog Leopold im Jahr 985 Stuttgart angelegt habe, auf- ſich hat, können
die Leſer ſelber ermeſſen. nme N
) Bon Ib. Friſchlien a. a. D;, u. von &ebhres- in feiner Pforzheimer
Ehronif, ER A
Sünftes Rapitel.
Die frübeften Herren von Pforzheim. ')
(900 — 1200.)
$ 41. Die Grafen von Calw,
Zu den fränfifchen Gefchlechtern, welche, wie oben bemerkt, nad
Befiegung der Mlemanen bei Zülpich in das linksrheiniſche Land zogen,
das zum fränfifchen Neich gefchlagen worden war, gehörten auch, tie
fi) mit Sicherheit annehmen läßt, die Grafen von Calw, und ihre
Stellung muß um fo wichtiger geweſen fein, als ihr Wohnfig unmittel-
bar an der alemanifchen Zandesgränze Tag, wo fie das vorherrichende
Gefchlecht waren. In ihre Hände wurden fpäter auch die Grafenämter
mehrerer Gaue, fo des Wirm-, Zaber: und Murr-, insbefondere aber
des Uf- und Pfinzgaues, gewiß auch des von diefen Landfchaften ganz
eingeichlofjenen Enzgaues, wenigftens des obern, gelegt, (wenn näm—
lich derfelbe mehr als ein geographifcher Begriff war. ©. 33.)
Als die Gaugrafenimter nach und nach erblich wurden und die
Grafen ihre große Dienftgewalt hauptfächlic dazu benügten, in ihren
Sprengeln möglichft viel eigene Güter zu erwerben, gelangten auch die
Grafen von Calw zu ausgedehnten und zahlreichen Familienbefißungen,
die in dem ganzen Landftrich zwifchen dem Nhein und Nedar, alſo im
uf⸗, Pfinz:, Wirm:, Glems-, Enz, Zaber:, Murr- und Schotzachgau,
1) Benüßt wurden hauptfählih: Mone: Quellenfommlung ber badiſchen
Landesgeſchichte: Mone: Zeitſchrift zur Geſchichte des Oherrheins; Bader:
Wahrer Urſprung Badens; Bader: Badenia (die ältere); Krieg: Geſchichte
der Grafen von Eberſtein; Preuſchen: Badiſche Geſchichte; Fecht: Geſchichte
der badiſchen Landſchaften; Sachs: Einleitung in die Geſchichte der badiſchen
Markgrafſchaft; Häuſſer: Geſchichte der Pfalz; Stälin: Württembergiſche
Geſchichte; Cruſi us: Schwäbiſche Chronik; ber Codex Hirsaugiensis (eine der
füt die ältere Geſchichte Pforzheims wichtigſten Quellen) u. . er
36 Fünftes Kapitel, Die früheften Herren von Pforzheim.
zerftreut lagen. Es wird darunter eine Menge von Orten aus der
Gegend von Pforzheim urkundlich genannt, fo im jetigen Oberamt
Pforzheim namentlich Schellbronn und Hohenwarth, im jetigen Würt—
temberg: Liebenzell, Möttlingen, Münklingen, Merklingen, Döffingen,
Weil, Vaihingen, ebenfo Neuenbürg und Umgegend. Es darf mit
Sicherheit angenommen werden, daß nody manche andere Orte, fo
namentlih Pforzheim, zu den Befigungen der Grafen von Calw ge:
hörten, und es fehlt nicht an Stimmen, welche fogar behaupten, daß
Pforzheim der Sit derfelben war, und daß mit dem Bau der Schloß:
kirche jhon durch die Grafen von Calw begonnen worden fei, 1)
Die älteſte Geſchichte diefer Grafen liegt übrigens im Dunkeln.
Ein Erlafried und fein Sohn Noting, Biſchof von DVercelli, fowie ein
im. Jahr. 870 vorkommender Graf Adalbert, welcher nach einer Urkunde
des Klofters Lorfch im Nagoldgau Güter eintaufcht, find als Altvordern
der Calwer zu betrachten, Ein anderer derjelben ftiftete im Jahr 830
oder 832 das Klofter Hir ſchau. In den Zeiten, wo ſich die Geſchlechter
nod nicht durch. die Namen ihrer Burgen von einander unterfehieden
— dieſer Gebrauch Fam erft im 14. Jahrhundert auf — Haben zum
Geſchlecht der Calwer vermuthlic, einige Gaugrafen gehört, weldye den
Namen, Adalbert trugen, den gewöhnlichen Taufnamen des calwiſchen
Geſchlechts und. welche Gaue verwalteten, worin ſpäterhin Beftandtheile
ber calwiſchen Befitungen vorlommen, fo der Zabergaugraf, der im
Jahr 1003, der Murrgaugraf, der im Jahr 1009, ein Ufgaugraf, der
in. den „Jahren 1041 und 1046 auftritt. Der erfte, der mit der Be—
zeihnung von Calw (Comes de Kalewa) vorkommt, ift Adalbert I.
1037. Ihm folgte fein, Sohn. (oder Enten) Adalbert IL. Diefer machte
fh durch Gründung des Klofters Sindelfingen, neue Stiftung des
Klofters Hirſchau, ferner als Anhänger des Gegenkönigs von Kaifer
Heinrich IV., Rudolph von Schwaben, berühmt. Zu dem Glanze dieſes
Grafen und feines Haufes mußte überhaupt nicht wenig beitragen, daß
in Leo IX. (1050) ein Schwager, in Viktor IL, (1055), vielleicht ein
Bruder, in Stephan IX, (1057), der Oheim einer Gattin den päpft-
lichen Thron zierte. Der berühmtefte feiner Söhne war der jüngfte,
Gottfried, von welchem weiter unten noch die Rede fein wird.
!) Bergl, Fickler, in „das Großherzogthum Baden * von Heunifh und
Bader.
Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim, 37
Da die Geſchichte Pforzheims mit der der Grafen von Calw
fpäterhin nicht mehr zufammenhängt, fo fei nur in Kürze bemerkt, daß
fi ihr Gefchleht in der Mitte des 12, Jahrhunderts in 3 Linien
fpaftete, Calw-Calw, welche 1262, Calw-Löwenſtein, welche um
1300 und Calw-Vaihingen, welche in der Mitte des 14. Jahr⸗
bunderts erloſch.
$ 2. Die Grafen von Eberfein.
Daß die Grafen von Eberftein von den Calwern abjtammten,
unterliegt nach dem dermaligen Stand der gejchichtlichen Forſchung keinem
Zweifel mehr. Alle eberfteinifchen Beſitzungen, ſammt der Burg, wovon
das Gefchleht den Namen - erhielt, waren nrfprünglich calwifch, und fielen
dem Aſte als Erbichaft zu , den das Gefchlecht der Calwer jenſeits des
Gebirges getrieben hatte.
Es wurde nämlich oben ſchon erwähnt, daß die Herrn von Gatto
aud) Grafen im Ufgau oder Oosgau geweſen feien. Als die Grafen:
ämter nach und nad) erblich wurden, fheint das im Ufgan auf einen
Seitenzweig diejes Geſchlechtes übergegangen und Tängere Zeit als Graf
haft Vorchheim oder Forchheim bei demfelben geblieben” zu fein,
nachdem nämlich die Gewohnbeit aufgefommen war, die Grafenfprengel
nicht mehr bloß mit dem Gaunamen zu bezeichnen, fondern häufiger mit
dem Namen der gewöhnlichen Grafenfige oder Gaugerihtsftätten. Die
älteften Grafen im Ufgau, die in Urkunden vorkommen, waren Gebhard
(um 950) und Conrad (987). Ob diefe beiden ſchon Calwer waren,
läßt ſich nicht beſtimmen; wohl aber dürfte dies von dem Grafen Adal
bert (alfo wie die Calwer gewöhnlich hießen), behauptet werden, ‚der
in der Mitte des 141. Jahrhundert Tebte (er wird, wie ſchon bemerkt,
in Urkunden von 1041 und 1046 genannt), Diefer ſcheint nun vier
Söhne und eine Tochter hinterlaſſen zu haben, unter welche er feine Güter
vertheilte. Von der Tochter wird weiter unten die Rede fein. Nach
den Beſitzungen und Schlöſſern, welche den Söhnen zufielen, nannten
ſie ſich: Anſelm von Forchheim (im jetzigen Bezirksamt Ettlingen,
unfern des Rheins), Burkhard von Staufenberg (bei Gernsbach)
Berthold von Eberftein (bei Gernsbach) und Adalbert, wahrſcheinlich
von Hohenberg (bei Berghauſen im Oberamt Durlach). Es mag.
38 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim.
bier bemerkt werben, daß Berthold von Eberftein der erfte Graf ift, der
unter diefer Bezeichnung vorkommt, Indeſſen hätte fich fchon fein
Vater diefelbe eben fo gut beilegen können, als er fich Graf von Ford:
heim oder im Ufgau nannte, da der Sit der Grafen im Ufgau von
Forchheim auf die Burg Eberftein übergegangen war, Neben den ges
nannten Grafen erjcheint um diefelbe Seit, wahrfjcheinlih von frühern
Theilungen berrührend, ein Graf Neginbot von Malſch (bei Ettlingen)
und ein Graf Wezel von Grötzingen (bei Durlach). Alle dieje
Geſchlechter farben bald wieder aus, und nur das der Eberſteiner hat
fih länger erhalten.
Nicht umfonft habe ich mich bier etwas ausführlicher, als dem
Zweck diefes Buches angemeſſen erjcheint, auf genealogifche Verhältniſſe
eingelafien; denn aus noch vorhandenen Hirſchauer Urkunden geht hervor,
daß von dreien der genannten vier Brüder jeder im Befit des achten
Theils von Pforzheim war. Ohne Zweifel befaß auch der vierte
Druder, Burfard von Staufenberg, den gleichen Antheil; wenigſtens
war er bei Pforzheim begütert, — ein dort Tiegendes Gut, welches
Vogt Ebert von Speier dem Klofter Hirſchau theilweife vermachte,
hatte früher dem Herrn von Staufenberg gehört; — und wenn diefer
Burkard nun felber dem genannten Klofter neben 3 Huben?) Landes
zu Niefern 1/5 der dortigen Kirche (d. h. des Kirchenſatzes) vermachte;
wern Gleiches durch Berthold von Eberſtein geſchah; wenn auch die
Brüder Herrmann und Alwig von Forchheim, die Söhne Anfelms von
Forchheim und Erben Adalberts von Hohenberg, zufammen 1/, der Kirche
zu Niefern an Hirfchau vergabten und alfo ſich daraus ergibt, Haß die vier
dbengenannten Brüder mit einander die Hälfte der Kirche zu Niefern beſaßen:
jo mag dies Alles nicht nur abermals dafür fprechen, daß wirklich dieſe vier
Brüder zufammen das halbe Pforzheim ihr Gigenthum nannnten, fon:
dern auch die Vermuthung zur MWahrfcheinlichkeit, ja Gewißheit erheben,
daß fie dasfelbe von ihrem Water Adalbert ererbt hatten, welcher dem:
nad) die ganze Hälfte wie von Pforzheim, fo auch von der Kirche zu
Niefern, ungetheilt befefen haben muß. Vielleicht hatten die Grafen
vou Forchheim oder Eberſtein auch die andere Hälfte im Beſitz, und
ein badiſcher Geſchichtſchreiber 2) ſagt auch wirklich, daß Pforzheim
Eine Hube war 30-40 Morgen groß.
) Fecht, Geſchichte der badiſchen Landſchaften S. 219. Die Quelle iſt
jedoch nicht angegeben.
Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim, 39
im Jahr 1002 als eberfteinifches Dorf Marktrecht erhalten habe,
Bielleiht war auch die eine Hälfte von Pforzheim im Beſitz des Haupt:
ftammes der Calwer geblieben, während die andere an den: Seitenaft
im Ufgau, alſo an die Eberfteiner übergegangen war. Ich werde auf
dieje Annahme weiter unten zurückkommen. So viel wird aber aus dent
Bisherigen, wie zum Theil auch aus dem Nachfolgenden herporgehen,
daß die damaligen Verhältniſſe Pforzheims noch ehr zerftüdelt und
wecjelvoll waren. Zu bemerken ift, daß im den erwähnten Urkunden
Pforzheim nicht Stadt. genannt, fondern mit dem Worte ‚‚villa“ be
zeichnet wird. Es bedeutet dasfelbe nicht fowohl einen „Weiler“, wie
man abzuleiten leicht verfucht it, fondern überhaupt eine zufammen:
hängende Niederlaffung oder einen Flecken, und zwar, weil in den
betr. Urkunden bereits von einem Markte in Pforzheim die Rede ift,
(S. 40) einen Marktflecken. Es ſcheint alfo Pforzheim damals das
Hauptmerkmal der Städte des Mittelalters, Mauern und Gräben, noch
nicht befefjen zu Haben, fondern ein offener Ort gewefen zu fein.
Zwar gab es im Mittelalter auch befeftigte Flecken und Dörfer, die
indefien in der Negel bald die Rechte und Einrichtungen der Städte
und auch den Namen von foldhen erlangten,
Es mag bier die Bemerkung eine Stelle finden, daß einige Ge
ichichtfchreiber und Chroniften behaupten, Pforzheim ſei im der- Zeit, da
es nach den bisherigen Auseinanderfeßungen calwiſch oder eberjteiniich
war, der Wahlort zweier deutjchen Könige geweſen, nämlidy Mi Kon:
rads I.,t) und 1077 Rudolfs von Schwaben, des Gegenfaifers von
Heinrich IV.?) Beide Angaben beruhen aber auf einer Verwechslung Pforz⸗
beims mit Forchheim bei Bamberg in Baiern, wie aus Urkunden und
andern Duellen nachgewiefen werben fann.3) Immerhin mag aber bie
Angabe intereffant fein, daß im Jahre 1067 Kaifer Heinrich IV. zu
Pforzheim eine Urkunde ausftellte?) nach welcher er dem Grafen
Eberhard von Nellenburg einen Wildhbann in den Gauen Gletgau und
Hegau verlieh. |
796% 3.8. 3. Bed in feinem Lehrbuch der allgemeinen Gefchichte III., 40,
2) So Zeiler, ſchwäb. Ehronif, ©. 14, Erufius, ſchwäb. Chronik,
U, Thl. 7. Buch, 9. Kap., ©. 468, Schopper, historia eccles. Germanorum
I1., 763 u. X.
3) Vergl. namentlih Luden VL, 316 und IX, 126.
4) Sie befindet ſich abichriftlih im Echaffhaufer Arhiv und es erwähnt
ihrer Stälin I, 618,
40 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim.
Mir können den Zeitabfchnitt, bis zu welchen die Darftellung der
Geſchichte Pforzheims bis jetzt gediehen ift, nicht verlaſſen, ohne noch der
Einfälle der Ungarn in Deutjchland zu erwähnen, die ihre Verheerungs-
und Plünderungszüge mehrmals, fo in den Jahren 909, 910, 913,
915, 917, 937 und 955 bis an den Schwarzwald und noch weiter aus⸗
dehnten. Am Jahr 917 drangen fie z. B. durch Schwaben bis nad
Lothringen vor, 937 überfchritten fie ebenfalls den Rhein, 955 kamen
fie bis in die Echwarzwaldgegenden. In letzterm Jahre jedoch befreite
Kaifer Otto I, nachdem die Ungarn fchon 933 durch Kaifer Heinrich L
bei Merfeburg befiegt worden waren, durch die Schlacht auf dem Lech—
felde Deutichland auf immer von diefer Plage.
83. Das Kloſter Hirſchau.
Die in 4 Achtel getheilte Hälfte von Pforzhein wurde indeffen
bald wieder vereinigt. Um das Jahr 1085 vermachte Graf Berthold
von Eberftein neben andern Gütern in der Ortenau und im Ufgau
fein Achtel von Pforzheim, mit Ausnahme des Marktes, dem Klofter
Hirſchau. Zwei weitere Achtel erfaufte ſodann dieſes Klofter von
Graf Herrmann, dem Sohne des obengenannten Anfelm und Neffen
Adalberts, defjen Erbe er auch war, um 70 Mark. Ueber das vierte
Achtel, das Burkhard von Staufenberg bejaß, geben die Hirfchauer
Klofterurfunden, denen diefe Notizen entnommen find, feinen Aufſchluß;
es ift indeß anzunehmen, daß diefer Graf nach dem Beifpiel feines
Bruders und Neffen dem Klofter Hirſchau, dem alle Eberfteiner aus
alter Familienanhänglichkeit jehr zugethan waren und als deſſen Wohl
thäter fie häufig erjcheinen, fein Achtel ebenfalls entweder (um billigen
Preis) verkauft oder verſchenkt habe. Gleiches that er ja auch, wie oben
bemerft, mit dem ihm gehörigen 1/, der Kirche zu Niefern, So kam
alfo das halbe Pforzheim an das Klofter Hirſchau. (Um dieſelbe Zeit
gab auch Siegfried, Dechant zu Pforzheim, nachmals Mönch zu Hirfchau,
dem Klofter 200 Malter reiner Frucht, die zu 20 Mark gerechnet
worden; ferner ftiftete er 4 Mark und wieder 7 Markt, ebenfo em
Pferd, das für 5 Mark verfauft wurde und noch verjchiedenes Andere,
fo 24 Talente zum Ankauf eines Eigenthums zu Münzesheim und 7
Talente zum Ankauf eines Weinbergs in Zeutern bei Bruchſal.)
Fünftes Kapitel, Die früheften Herren von Pforzheim, 4
Srlangte auf folhe Weife das Klofter Hirfhau das Hoheitsrecht
über einen anfehnlichen Theil der Stadt, fo beſaß es, wie aus Hirfchauer
Urkunden hervorgeht, ſchon früh auch eigene Güter dafelbft, die im Laufe
ber Zeit durch Schenkung und Kauf noch vermehrt wurden, und zu
denen allerlei fonftige Berechtigungen kamen. Die meijten der lebten
gingen in der Folge durch Kauf oder Tauſch an das Frauenklofter der
Dominikanerinnen zu Pforzheim über. Zu folhen Rechten gehörte auch
die Rollatur der beiden Pfrümden in der Kirche der Altftadt und der St. Niko—
lauskapelle, ſowie die Frühmeßpfründe dajelbft, das Fiſchwaſſer in der Enz bei
Pforzheim, der Zafelzins von Häufern, Scheuern ꝛc. zu Pforzheim, der
große Zehnten zu Pforzheim (ſpäter mit Lichtenthal getheilt), der Wies
fenzing aus Meurach, Kappelwiefen (d. h. St. Nikolaus-Kapellenwieſen)
x. Mit der Bewirthichaftung der eigenen und Lehengüter, jowie der Er:
hebung und Aufbewahrung von Zehntfrüchten hing ficher der Hirſchauer
Hof zufammen, der in der Altftadt bei der St. Nikolausfapelle lag und
deſſen ſchon in den früheften Urkunden Erwähnung geichieht. (Wir erfahren
beifpielweife, daß Markgraf Rudolph J. diefen Hof, der jchon feinem
Vater verſetzt geweſen war, 1282 dem Kloſter zurüdgab, wahrſcheinlich
weil die darauf ruhende Schuld bezahlt wurde.) Der Umftand, daß bei
ben erwähnten Pfründen und dem Hirfchauer Hof immer nur die Alt-
ftadt genannt wird, berechtigt zu der Vermuthung, daß diefe damals,
als Pforzheim in den theilweifen Befit des Klofters gelangte, noch den
wejentlichften Theil der Stadt bildete und die nene Stadt erſt in ihren
Anfängen vorhanden war, Der Hirfchauer Hof, wenn aud längſt
verihwunden, hat fi doch dem Namen nad als „Kappelhof“ oder
„Sapellenhof” erhalten, (von ber dabei befindlichen Nikolauskapelle fo
genannt) und wurden vor etwa 30 Jahren die Ruinen des alten Hof:
gebäudes aufgegraben. — Diefes muß fehr umfangreich gewefen fein, da
der Hirſchauer Hof ipäter (1565) als in 3 Höfe getheilt erjcheint, deren
jedem ein anjcheinlicher Theil von Gütern zugemwiefen war. Zum erjten
berfelben gehörten beifpielmeife: Haus, Hofraithe, Scheuer und Garten,
1 Stüd Krautgarten, 40 Morgen Ader und 81/, Morgen Wiejen, zu
allen Hreien etwa 140 Morgen Feld.1) Diefer Hirfchauer Hof ſcheint
im SOjährigen Krieg mit der ganzen Altſtadt abgebrannt und nachher
nicht wieder aufgebaut worden zu fein.
1) Erneuerung und Beihreibung ber Gülten und Zinje bes Frauen
Hofters von 1565,
42 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim.
Das Aureliusffofter Hirihau, vier Stunden von Pforzheim ent-
fernt, im Nagoldthale gelegen, wurde im Jahre 830 oder 832, wie
oben ſchon erwähnt, dur die Grafen von Calw gegründet.1) E8 zeich-
nete ſich ſchon unter den erſten Aebten Liudebert, Gerung und Regen:
bodo namentlich durch trefflihe Schuleinrichtungen aus, gerieth aber
bald in Verfall, bis e8 in Folge feiner im Jahr 1075 erneuerten Stif—
tung aud zu neuer Blüte gelangte, befonders unter dem vortrefflichen
Abt Wilhelm, dem großen Reformator des Benediktinerordens (+ 1091).
Da der Raum des urfprünglichen Klofters, welches auf dem rechten
Nagoldufer ftand, die Mönche nicht mehr faßte, fo baute Wilhelm, hie:
bei unterftügt von dev Marfgräfin Judith von Baden, (fiehe unten) das
neue Klofler auf dem linken Nagoldufer, von welchem noch ein Kirch:
thurm vomanifcher Bauart über Ruinen emporragt.
Unter Abt Wilhelm kam auf oben bemerften Wege das halbe
Pforzheim an das Klofter Hirſchau, blieb indefjen nicht lange in deſſen
Beſitz, weshalb bier zur Gefchichte des Klofters, das indeſſen lange
nachher noch in Pforzheim viele Eigengüter und Berechtigungen beſaß,
nur noch Furz bemerkt werden mag, daß Hirſchau nach etwa fiebenhun-
dertjährigem Beftehen zur Zeit der Neformation fäfularifirt und im Jahr
1692 ſammt einem Jagdichlok, das fi) Herzog Friedrich) I. von Würt-
temberg auf einer Anhöhe, ganz in der Nähe des Klofters, erbaut hatte,
niedergebrannt wurde. Die maleriichen Ruinen find heute noch eine
Zierde des freundlichen Thales.
Am Ende des 11. und im 12. Jahrhundert hatte Hirſchau weit
ausgedehnte Befitungen, und war durch diefelben wohl eines der reichften
Klöfter des ſüdlichen Deutjchlands. Außer der Hälfte von Pforzheim
1) Die Geſchichte der angeblichen Gründerin des Kfoflers, Helizena,
weche in das Jahr 645 gelegt wird, muß dem Reich der Sage zugewiefen
werben, Sie lautet: Einer reichen adeligen Wittwe, Helizena v. Calw, welche
finderlos war, eriheint ald Traumbild eine Ebene, wo aus einem Stamm brei
Tichtenbäume bervorjproßten, mit der Mahnung, bier eine Kirche zu gründen.
Diefem himmliſchen Winfe folgend, zieht fie gleich mit Anbruch des nächſten
Tages, von zwei Dienern und einer Magd begleitet, hinaus, trifft das ihr im
Traum erichienene Wahrzeichen, küßt ben Boden und ftiftet nach eingeholter
Einwilligung ihrer Verwandten, namentlih Eawarbs und Leopolds , eine mit
Gütern reich ausgeftattete Kirche. Ihr Sündenkleid, ihren Schmud ꝛc. übergibt
fie an bie St. Nifolaifapelle in Calw, Fleidet fich als Nonne und flirbt darauf
in Tübingen.
Zünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim, 43
befaß das Klofter, wie zum Theil ſchon erwähnt, aus Schenkungen und
Käufen des 11. und 12. Jahrhunderts in den nächften Kadifchen und
württembergifchen Umgebungen der Stadt urfundlich Güter bei oder zu
Niefern (3 Huben und 1/, der Kirche fchenfte um 1100 Burkhard
von Staufenberg, 4 Huben und 1/; der Kirche Berthold von Eberftein,
Herrmann von Sulz 6 Huben, 2 Huben Rapsto von Breitenau, 1/,
der Kirche Herrmann und fein Bruder Alwig von Forchheim, 5 Huben
Ludwig, Graf von Arenftein), Brötzingen (Adelbert, wahrſch. von
Hobenberg, ſchenkte 2 Huben dafelbft, Rudolf, Graf von Himmelsberg,
41/, Huben), Dietlingen (Volker und defien Bruder Seliger von
Stettfeld 1/, Hube und 1 Weinberg, Berthold von Eberftein 2 Huben,
Sunderad von Thalader 2 Huben), Ellmendingen (Berthold von
Eherftein 2 Huben, Winther von Deweil 4 Huben und die Kirche),
Göbrichen (Schwigger von Eberdingen 21/, Huben, deſſen Söhne
Simon und Schwigger 1 Hube, Efbert von Speier u. A. 12 Huben),
Hohenwarth (Gottfried von Calw gab das Dorf mit Allem, was
dazu gehörte), Huchenfeld (Gerhard von Oberader 4 Huben), Neu:
haufen (ob aber der Ort im Bezirk Pforzheim gemeint ift, weiß ich
nicht: Adelbert, Priefter in Plieningen und fein Bruder Wolfram
1 Hube, Hiltebert von Neuhaufen 1/, Hube daſelbſt), Defhelbronn
(Buggo von Ruthmarsheim 2 Huben, Kleriter Adelbert 1 Hube, deffen
Sohn 1/, Hube, Etiho von ertringen 1/, Hube,) außerdem beſaß
Hirſchau Güter in Schellbronn und Tiefenbronn; — ferner hatte
das Klofter Befikungen in Liebenzell, Schömberg, Biefelsberg, Calm-
bad ꝛc., ſodann in andern Theilen Badens bei Stupferih und Wein—
garten (Amt Durlach) bei Zeutern (Amt Bruchſal), bei Burbach und
Forchheim (A. Ettlingen), bei Kuppenheim und Raftatt (A. Raftatt),
bei Sasbach und Achern (A, Achern), bei Oppenau (X. Oberkirch), bei
Endingen und Forchheim (N. Kenzingen), bei Sinsheim (U, Sinsheim);
ferner außer dem, was aus den württembergifchen Nemtern Calw und
Neuenbürg ſchon angeführt wurde, noch andere Befitungen in denfelben,
fowie in den Bezirken Freudenftadt, Herrenberg, Horb, Nagold, Nür-
tingen, Reutlingen, Rotenburg, Sulz, Tübingen, Urach, Ulm, Aalen,
Hal, Mergentheim, Backnang, Befigheim, Böblingen, Bradenheim,
Sannftatt, Eßlingen, Heilbronn, Leonberg, Ludwigsburg, Marbach,
Maulbronn, Nedarfulm, Stuttgart, Vaihingen; — endlich auch noch
in Hechingen, in Bätern nnd im mittlern Rheinlande.
44 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim.
$ 4 Die Herzoge von Schwaben,
Eine Hirfhauer Urkunde gibt uns Auskunft, in wefen Hände
Pforzheim, das nad) den bisherigen Auseinanderfeßungen nach einander
calwiſch, eberjteinifh und, wenigjtens zum Theil, hirſchauiſch war, in
der Folge gelangt fein muß. Laut jener Urkunde hatte nämlich Herzog
Friedrich) von Schwaben einen Dienftmann, Dragebot von Pforzheim,
dem er die Erlaubniß gab, eine Hube Landes zu Pforzheim dem Klofter
Hirfhau zu vermachen. Für diefe Erlaubnig mußte der Kämmerer deg
Klofters, Walcuno, dem Herzog eine Mark ausbezahlen. Aus diefer
Urkunde läßt fi nun wohl mit Grund der Schluß ziehen, daß Pforz-
beim damals entweder theilmeife, oder vielleicht ganz, den Herzogen von
Schwaben, alfo den Hohenftaufen gehört haben muß; denn das Recht,
die Erlaubniß zu einem Verkauf oder einer Vergabung von Gütern zu
ertheilen, fteht doc offenbar nur demjenigen zu, der die Landeshoheit
oder das Eigenthumsrecht desjenigen Ortes hat, in deſſen Gemarkung
die weggegebenen Güter liegen.
Auf welche Weife Pforzheim an die Hohenftaufen kam, läßt fi
gejchichtlich nicht nachweifen; doch ijt es ſehr wahrfcheinlich, daß diefelben
durch Heirath in nahem verwandtfchaftlihen Verhältniß zu den Grafen
von Calw ftanden und von diefen wenigſtens das halbe Pforzheim’ an
die Hohenftaufen überging. Wielleicht erwarben fich letztere dann auch
die andere Hälfte durh Kauf, Tauſch oder im fonftiger Weife vom
Klofter Hirihau , fo daß alfo die ganze Stadt in ihre Hände gelangte,
Wann diefes gefhah, läßt fih um fo weniger mit Beftimmtheit
fagen, als obige Hirſchauer Urkunde Feine Jahrzahl zeigt, alſo derjelben
auch nicht entnommen werden kann, welcher der hohenſtaufiſchen Schwa:
benherzoge, die den’ Namen Friedrich trugen, darin gemeint ift. Da
indefien der ebenfalld darin erwähnte Kämmerer Walcuno in andern
Urkunden mit dem Hirſchauer Abt Bolmar zuſammengenannt wird, der
von 1120—1157 den Krummftab führte, jo muß jene Schenkung auch
um diefe Zeit, jedenfalls aber nicht viel früher oder fpäter erfolgt fein,
(wenn auch Walcuno den Abt Nolmar überlebte.)
Nun regierte über Schwaben von 1079 — 1105 Herzog Fried:
rich IL, von 110541147 Herzog Friedrih II. und von 1147 -1152
Herzog Friedrich III., der in letztgenanntem Jahre deutſcher Kaifer
wurde und unter dem Namen Friedrich I, der Rothbart in der Ges
Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 45
ſchichte genugſam bekannt if. Der in obiger Urkunde genannte Herzog
Friedrich ift alfo ficher entweder Friedrich IT. oder III., mwahrfcheinlich
aber der eritere.
Für die Art und Weife, wie die Hobenftanfen in den Beſitz von
Pforzheim famen, ift jedoh noch eine Möglichkeit vorhanden, die hier
nicht unberührt bleiben kann. Es ift oben die Bermuthung ausgefprochen
worden, daß das halbe Pforzheim noch in Beſitz der Grafen von Calw
verblieb, als die andere Hälfte an die verfchiedenen eberfteinifchen Zweige
diefes Gefchlechtes und fodann an das Klofter Hirſchau überging. Zu
Anfang des 12. Jahrhunderts Hatte Graf Gottfried von Calw in Folge
des Umftandes, daß fein Älterer Bruder Adalbert III. noch vor feinem
Bater ftarb und der jüngere Bruder den geiftlihen Stand ermählte,
alle Macht feines Haufes wieder auf fi) vereinigt; er befaß fomit auch,
wenn obige Annahme richtig ift, das halbe Pforzheim. Es liegt nun
jedenfalls nicht außer dem Bereich der Wahrfcheinlichkeit, daß er auch
die andere Hälfte von Pforzheim als uraltes Familiengut dur Kauf
ober Tauſch oder auf irgend anderm Wege von Hirfchau nieder an fich
brachte, was er um fo leichter Konnte, als er als Vogt des Klofters zu
deinfelben in nahen Beziehungen ftand, und als ein Mann bekannt
war, der, wenn e8 darauf ankam, ſich auch nicht ſcheute, mit folchen
geiftlichen Anftalten nicht eben jehr glimpflich zu verfahren, namentlich
aber für die Dienfte, welche ev ihmen leiftete, ſich theuer bezahlen zu
laſſen. Da Gottfried das Unglück hatte, feinen einzigen Som früh ing
Stab finken zu fehen, fo fiel jein reiches Hausgut an feine Tochter
Uta, melde um 1130 die Gemahlin Herzog Welfs VI. wurde, und
ihm ein reiches Erbe, darunter wahrfcheinlich auch Pforzheim, (menigftens
urkundlich nachgewiefen Orte in der Nähe von Pforzheim, wie Lieben:
zel, Ernftmühle, Schömberg, Biefelsberg ꝛc.) zubrachte. Sie lebte aber
mit diefem Welf in Feiner glüclichen Ehe, fo daß bald wieder eine
Trennung der Ehegatten erfolgte. 1) Welf gerieth fpäter häufig in Geld:
verlegenheiten, aus welchen ihn fein Schwefterfohn Kaifer Friedrich der
Rothbart bereitwillig befreite. Zum Lohn dafür wurden dem Kaifer
und jenem Haufe viele welfiſche Befigungen, darunter auch erheirathete
1) Uta zog fih auf das Schloß Echauenburg in der Ortenau zurid, wes—
halb fie öfters Herzogin von Schauenburg genannt wird, und gründete 1196
in hohem Alter das Klofter Allerheiligen,
46 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim,
calwifche Güter, auf die Zeit des Ablebens Herzog Welfs VI. (+ 1191)
zugefagt und jogleich zu Leben, Einiges aud bereits zu eigen
gegeben. Könnte darunter nicht auch Pforzheim geweſen fein?
Da indefien Herzog Welf mit Verſchleuderung feiner Güter erft
nach dem Tod feines einzigen 1167 gejtorbenen Sohnes begann, fo
müßte unter dem Herzog Friedrich der oben genannten Hirfchauer Ur:
kunde entweder Friedrich IV,, ein Gefchwifterfind von riedrih dem
Rothbart, (1152 —1167), oder noch wahrfcheinlicher Friedrich V., der
zweite Sohn Rothbarts (1167 — 1191) verftanden und angenommen
werden, daß letterer diefem feinem Sohne das von Herzog Welf erwor:
bene Pforzheim übergeben habe.
Die Hohenftaufen, die nach und nad zu jo großer Macht und fo
hohem Anfehen gelangten und dem deutfchen Reich eine Neihe der treff-
lichften Kaifer gaben, nannten fich urfprünglic Herren von Büren (jo
ſchrieb ſich z. B. noch der Urgroßvater von Friedrich Barbaroffa), bie
Friedrich I. in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts die Burg
Staufen oder Hohenftaufen zwifchen Göppingen und Gmünd erbaute
und fein Gejchlecht fi) davon benannte. Dieſer Friedrih I. gelangte
in Folge jeiner Anhänglichfeit an Kaijer Heinrich IV. (1056 — 1106),
defien Tochtermann er auch wurde, in den Befit des Herzogthums
Schwaben, wodurch er den nachmaligen Glanz jeines Haufes begründete.
Sein zweiter Sohn beftieg den deutfchen Kaiferthron unter dem Namen
Konrad II. (1137—1152); diefen folgte als Kaifer fein Neffe Frieds
rich I. der Rothbart (1152— 1190), hierauf defjen Sohn Heinrich VL
(41190—1197), diefem zuerſt fein Bruder Philipp (1198— 1208), dann
jein Sohn Friedrih I. (1212 — 1250), deſſen Sohn Konrad IV.
(1250— 1254) die Reihe der hohenftaufiichen Kaifer beſchloß. Mit
dem Tode Konradins, des Sohnes von Konrad IV., der auf Befehl
Karls von Anjon in Neapel 1268 enthauptet wurde, erloſch das glor—
reiche Geflecht der Hohenftaufen. —
Dasfelbe war nad und nad) zu reichen Familienbeſitzungen gelangt,
die in Schwaben, Franken, dem Elſaß, Burgund, dem heutigen Baden ıc.
zerſtreut Tagen. Von den leßtern führen wir außer Pforzheim hier noch
an: die Städte Sinsheim, Eppingen, Durlach, Ettlingen, Gengenbach,
Zeil am Hammersbach, die Burg Mahlberg, und eine Zeit Tang gehörte
auch das Schloß Badenweiler den Hohenftaufen.
Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim. 47
55. Die Pfalzgrafen bei Uhein.
Noch einmal follte indeffen Pforzheim feinen Herrn wechfeln, bevor
es an dasjenige fürftliche Haus kam, in deſſen Beſitz es bis auf den
heutigen Tag faft ununterbrochen geblieben ift. Auch über dieſem Theil
der Gejchichte der Stadt ſchwebte früher ein Dunkel, bis dasjelbe vor
nicht langer Zeit durch eine Urkunde theilweife aufgehellt wurde, welche
dem verloren geglaubten, aber glüdlicherweife wieder aufgefundenen 1) und
für die ältere Geſchichte Pforzheims fehr wichtigen Archiv des Klofters
Herrenalb angehört. In jener Urkunde, auf welcher ſich die Jahrzahl
1195 findet, thut nämlich Heinrich, der Sachſen Herzog und Pfalz
graf bei Rhein jeinem Schultheißen und feinen Bürgern
zu Bforzbeim (Phorceim) zu wiſſen, daß er das Klofter Herrenalb
und Alles, was demfelben gehöre, in feinen Schub und Schirm genom—
men und dasjelbe von Zoll und aller ungebührlichen Dienftbarfeit bes
freit habe.2) Wer war nun diefer Pfalzgraf Heinrich) und wie kam
Pforzheim in den Beſitz desfelben? Die erfte Frage läßt ſich mit Be—
ſtimmtheit, die zweite wenigitens in einer Weiſe beantworten, die‘ den
Stempel der Wahrfcheinlichkeit trägt, Es ift jedoch nöthig, zu dieſem
Zwede etwas auszuholen, |
Nachdem die Würde eines rheinifchen Pfalzgrafen, die ihren Ur—
fprung am fränfifchen Königshof in Aachen hatte, erblich geworden und
lang bei einer und derjelben Familie geblieben, auch durch Kaifer Hein-
th V, im Jahr 1113 dem oben fchon genannten Grafen Gottfried
von Calw zur Belohnung für gefeiftete Dienfte verliehen worden war,
fam die rheinifche Pfalzgrafichaft bald nad dem (11431 erfolgten) Tod
Gottfrieds an das Haus Hohenftaufen, indem fie Kaiſer Friedrich I. der
Rothbart 1156 feinem Bruder Konrad übertrug. Defien einzige Tochter
und Erbin Agnes hätten nun die Hohenftaufen gerne mit einem ihres
Namens vermählt, um die Pfalzgrafenwürde bei ihrem Haufe zu erhal:
ten; aber die Liebe flegte über die Politik, und Agnes heivathete den
ſchönen und ritterlihen Sohn eines Verbannten, nämlih Heinrich
den Yangen oder den Schönen, deflen Vater der — freilich durch
eigene Schuld — unglücliche Welfe Heinrich der Löwe von Braunfchweig
1) 1842 durch Archivrath Dr. Bader in Salem.
2) Diefe Urkunde ift vollftändig abgedrudt in ber (Altern) Badenia IM,
189 von Bader,
48 Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheint.
war. Nach dem Tode feines Schwiegervaters 1195 wurde Heinrid)
der Zange audy der Nachfolger desjelben als rheinifher Pfalzgraf, und
zwar mit Zuftimmung Kaifer Heinvihs VL, und eben diefer Pfalzgraf
Heinrich war es nun, der das oben erwähnte Schreiben an feinen
Schultheißen und feine Bürger zu Pforzheim richtete. Herzog von Sad:
fen nannte er fich zugleich darin, um anzudeuten, wie wenig vechtlic, be—
gründet es ihm erjchien, daß ihm oder eigentlic) feinem Vater, der durch
feine Treulofigkeit gegen Kaifer Friedrih den Rothbart fi ſchwere
Strafe zugezogen hatte, auch die ſächſiſchen Stammgüter entrifjen wor:
den waren,
ie war aber Pfalzgraf Heinrich in den Befis Pforzheims ge
langt? Dffenbar auf feinem andern Weg, als dem der hohenftaufiichen
Erbſchaft. Mar ja doch fein Schwiegervater Konrad der Sohn jenes
Herzogs Friedrich IL, den wir oben bereits als wahrfcheinlichen Herrn
von Pforzheim kennen gelernt haben. Bon diefem vererbte fich wohl
manches hobenftaufifche Beſitzthum, darunter ficher auch Pforzheim, auf
Pralzgraf Konrad, der es wiederum nad) feinem 1195 erfolgten Tode
feiner einzigen Tochter und damit zugleich feinem Schwiegerfohn hinterließ.
Nehmen wir jedoch an, daß Piorzheim auf dem oben auseinander
gejetten welfifchen Ummeg an die Hohenftaufen, und zwar durch Kaifer
Friedrich I. den Nothbart an feinen zweiten Sohn, Herzog Friedrich V.
fam, fo müßte die Stadt entweder ſchon bei den Lebzeiten des letztern,
oder nad) feinem 1191 erfolgten Tod in die Hände feines Onkels, des
Pfalzgrafen Konrad übergegangen ſein, was um fo leichter gefchehen
fonnte, als Herzog Friedrich V. unvermählt und kinderlos ftarb.
So viel dürfte aus dem Bisherigen hervorgehen, daß Pforzheim
im zwölften Jahrhundert, aljo während der Zeit, da es hobenftaufiich
und pfäßiih war, feine entfcheidende Entwidlungsperiode durdylebt hat
und aus einem Flecken zur Stadt berangeblüht fein mag, die bereits
mit Mauern und Gräben umzogen war und überhaupt ftädtifche Ein:
richtungen hatte. Doch wird, was wir hier anzuführen nicht verfäumen
wollen, Pforzheim in einer zwifchen 1490 und 1197 ausgeftellten Ur:
funde noch villa (©. 39) genannt.) Ms folhe muß es aber ſchon
von Bedeutung gewefen fein, fonjt wäre wohl die Burg Enzberg darin
4) Stälin, I. 384, wo mitgetheift ift, daß der Erzbiſchof Johann von
Trier die bei ber „villa“ Pforzheim gelegene Burg Enzberg an fi gebracht
babe,
Fünftes Kapitel. Die früheften Herren von Pforzheim, 49
nicht al® „bei Pforzheim liegend” bezeichnet. Schon zu biefer
Zeit beftand auch ein Nonnenklofter in Pforzheim. Da unter den
8 Klöftern, welche Pforzheim fpäter befaß, 2 Frauenklöfter waren, näm—
ih der Eifterzienferinnen und der Dominifanerinnen, der Or:
den der Letztern aber erft im 13. Jahrhundert (1206) geftiftet wurde,
der erjtere aber bereits 1099, fo kann das erwähnte Pforzheimer Frauen:
flofter nur den Eifterzienferinnen angehört haben. Es ſpricht dafür der
weitere Umftand, daß im 12. Jahrhundert noch mehr Gifterzienferklöfter
in der Gegend von Pforzheim gegründet wurden, jo Maulbronn um
1140, Herrenalb 1148. Die Cifterzienfer hatten ihren Namen von
dem Stammflofter des Ordens, nämlich Citeaux unweit Dijon in
Frankreich, das der Benediktiinerabt Robert gründete. Durd die Thä—
tigfeit des heiligen Bernhard von Clairvaux, der diefem Orden angehörte
war derjelbe fhon 100 Jahre nach feiner Stiftung in den Beſitz der
reichften Abteien Europas gelangt.
Noch ift zu bemerken, daß das Kloſter der Cifterzienferinnen zu
Pforzheim nach fpätern urfundlihen Andentungen in der Altſtadt lag —
wo, das läßt ſich nicht mehr beftimmen.
Pflüger, Pforzheim, 4
Scehstes Anpitel,
Pforzheim badifch.!)
(Um 12%.)
81. Die Markgrafen von Baden.
Wir haben im vorhergehenden Kapitel gefehen, wie die Hoheitsrechte
über das getheilte oder ganze Pforzheim nad) einander in verfchiedene
Hände gelangten. Es bleibt nun noch die Aufgabe, zu zeigen, wann und
auf welche Weife die Stadt an dasjenige Fürftenhaus kam, in defien Befit
fie Schon mehr als ſechs Jahrhunderte hindurch faft ununterbrochen ges
blieben ift. Zum beffern Verſtändniß diefes Nachweifes, ſowie der fpä-
tern Gefchichte Pforzheims überhaupt, ift es nothwendig, auf den Ur:
iprung des Haufes Baden und die Gründung der Markgrafichaft, welche
diefen Namen trug, zurückzugehen.
Ungefähr zu derjelben Zeit, als Pforzheim in den Beſitz ber
Grafen im Ufgau oder von Eberftein übergegangen fein mochte, nämlich
im 11. Jahrhundert, Iebte als Graf im Breisgau und Thurgau Ber:
tbold I, ein Nachkomme der alten Grafen, welche vielleicht ſchon mehrere
Jahrhunderte lang diefe Gauen, fowie die anftopende Baar, verwalteten
und vielleicht fogar von den alten Herzogen von Alemanien abftammten.
Als Entfhädigung für das ihm von Kaifer Heinrich” III. für geleiftete
Dienfte verfprochene, aber nad defien Tod vorenthaltene Herzogthum
Schwaben erhielt er das Herzogthum Kärnthen und die Mark Verona,
welch Tetere er feinem zweiten Sohn Hermann übertrug, der ſich
deshalb „Markgraf von Verona“ nannte. Beide wurden zwar
in den Kriegen, welche unter Kaifer Heinrich IV. ausbrachen, im Jahr
1073 ihrer Würden wieder entfest, behielten aber aud ihre Titel
N) Quellen: Verſchieden.
Sechstes Kapitel, Pforzheim babiſch. 51
bei,t) Daher kommt es, daß die Nachkommen und Nachfolger Bertholds
in directer Linie, als fie ſich fpäter, wie die meiften Gaugrafen, richt
mehr nach ihrem Gau, fondern nad ihren Mohnorten nannten, den Titel
„Herzoge von Zähringen“ führten, obgleich es Kein Herzogthum
Zähringen gab, Auf gleiche Weife ift eine „Markgrafſchaft Ba-
den“ entitanden, Denn jener Herrmann vermählte fih mit Judith,
einer Tochter des Hauſes Calw-Eberſtein und vermuthlich Schweiter der
oben ſchon (S 37) angeführten vier Brüder Berthold, Anſelm, Burk—
bard und Adalbert, welche ihm als Mitgift oder als Erbſchaft verſchie—
dene Befigungen im Uf- und Murrgau, darunter die Stadt Baden,
zubrachte, und ihn, den Markgrafen von Verona, num auch zum
Herrn von Baden machte.?) Ueberdies hatte er als väterliches Erbe
Befisungen im Breisgau, namentlich die Burg Hochberg erhalten. Unter
den fpätern Nachfolgern Herrmanns I, wurden im 12. und 13, Jahr:
Bundert die beiden Titel „Markgraf von Verona“ und „Herr zu Baden“
in den einen: „Markgraf von Baden“ verfchmolzen.
Bon Herrmann I, mag noch erwähnt werden, daß er 1074 im
Kiofter Elugny in Burgumd, wohn er fi — bis zum Tode umer:
kannt — zurücgezogen hatte, fein Leben befchloß, weshalb er auch der
„Heilige“ heißt. Ihm folgte fein Sohn Herrmann Il. (1074—1130),
der wahrſcheinlich das alte Nömerkaftell bei Baden zu einer bewohnbaren
Ritterburg einrichtete und in den letzten Urkunden, welche feiner erwäh—
nen, bereit8 marchio de Badin, d. h. Markgraf von Baden genannt
wird. Wie fein Vater, jo nahm auch Herrmann II. (1130 — 1160)
an Neichsgefchäften Iebhaften Antheil, weshalb wir ihm fehr häufig im
der Umgebung der hohenſtaufiſchen Kaifer Konrads III. und Friedrichs J.
finden, welch letztern er auch auf einigen ſeiner Züge nach Italien be⸗
gleitete. In ähnlicher Weiſe nahm ſein Sohn und Nachfolger Herr⸗
mann IV. (1160-1190) an dem Kreuzzuge Theil, den Friedrich J.
in hohem Alter machte und wobei er ertrant, Auch Herrmann IV.
follte nicht mehr in fein Vaterland zurüdtehren, indem er 1190 in
Antiochia von der Peſt Hinweggerafft wurde, Er hinterließ 3 Söhne:
1) Ein fpäterer Herrmann (III.) erhielt zwar bie Mark Verona durch Kaifer
Friedrich I. zurüd, war jedoch nur kurze Zeit in ihrem Beſitz.
2) Dieſe Judith ſtarb 1091 zu Salerno in Italien, wo ſie den Papſt
Gregor VII. beſucht hatte. Sie iſt eben ſchon als Miterbauerin des auf dem
linken Nagoldufer liegenden neuen Kloſters Hirſchau genannt er
52 Sechstes Kapitel. Pforzheim badiſch.
Herrmann V,, Friedrich und Heinrich. Lebterer wurde auf die Herr:
ſchaft Hochberg mit der Landgrafſchaft im Breisgau abgetheitt, während
die beiden andern das väterliche Erbe gemeinfchaftlic übernahmen, Nach
dem Tode Friedrichs, der auf einem Kreuzzuge ftarb, war Herrmann V.
(1190 — 1242) alleiniger Herr der vom Vater ererbten Befikungen,
die indefjen noch keine fehr große Ausdehnung hatten, da fie bloß die
Herrichaft Baden mit zerftreuten Gütern im Uf- und Pfinzgau, die
Herrichaft Iburg mit der Burg gleichen Namens und den Kirchipielen
Steinbach und Sinsheim, die Vogtei Selz und endlich verfchiedene Güter
und Lehensherrlichkeiten in Schwaben umfaßten.!) Was Herrmann V.
als Neichsfürft Teiftete, daß er 3. DB. ein treuer Anhänger der hohen:
ftaufiichen Kaifer Heinrichs VI, Philipps von Schwaben und Friedrichs II.
war und namentlich letztern auf vielen feiner Züge, jo audy 1241 gegen
die Mongolen oder Tataren begleitete, die verwüftend im öſtlichen
Deutſchland eingefallen waren: das Alles mag bier nur kurz berührt
werden. Um fo mehr müflen wir aber bei diefem Fürften deswegen
verweilen, weil er die Macht und das Anfehen des badifchen Haufes
durch neue Zändererwerbungen, darımter auch der Stadt Pforzheim, um
ein Bedeutendes vermehrt bat,
$ 2. Pforzheim wird badiſch.
Herrmanns V. Gemahlin, Jrmengard, war eine Tochter eben
jenes vheinifchen Pfalzgrafen Heinrich, der 1195 an feinen Schultheißen
und feine Bürger zu Pforzheim das oben (S. 47) erwähnte Schreiben
richtete. Als Mitgift erhielt diefelbe neben andern Be:
fißungen fiher die Stadt Pforzheim.?) Das war ein jehr wich:
tiger Zuwachs für die damals noch fehr Kleine Markgafihaft Baden! In
welchem Jahr aber Pforzheim mit diefer vereinigt wurde, läßt fich nur
annähernd beftinnmen, da bei der Feititellung der eben erwähnten That-
ſache doch über die Zeit des Anfalls beftimmte Angaben fehlen.
Irmengard war um 1203 geboren,3) und wurde nach einer Sitte, die
) Bader, wahrer Urſprung Badens ©. 45 und Bader, Herrmann V.
2) Majus, vita Reuchlini, ©, 109, — Bader, Herrmann V., ©, 45,
Bader, Rubolf IL, S, 11. Tolner, L. 33, u.a. a. O.
°) Vergl. Häuſſer, Geſchichte der Pfalz.
Sechstes Kapitel. Pforzheim babifch, 53
damals bei den fürftlichen Käufern herrſchte, vermuthlich ſchon zwiſchen
1210 und 1212 mit Herrmann V, verlobt, während die Bermählung
erjt mit den mannbaren „Jahren derfelben erfolgte. Mean wird nun nicht
fehl gehen, wenn man annimmt, daß diefe um 1220 ftattgefunden habe.
Erhielt num Irmengard die ihr zugebachten Ländereien wirklich als Mit:
gift, jo muß Pforzheim um das Jahr 1220 badiſch gewor-
den fein. War jenes nicht etwa der Fall, fondern fiel Pforzheim erft mi,
dem Tod des Schwiegerwaters Herrmanns V., welher 1227 erfolgtet
als Erbichaft an Lebtern (was umyaßrfeinticher ift), jo bleibt jedenfalls
jo viel gewiß, daß Pforzheim zwifchen 1220 und 1227 von der Pfalz
an Baden überging.
As Erbſchaft feiner Gemahlin erhielt Herrmann V, im Jahr 1227
gemeinfchaftlich mit feinem Schwager, Dtto dem Erlauchten, auch bie
welfiiche Stadt Braunfchweig. 1) Da indeffen die weite Entfernung und
der getheilte Beſitz den Werth diefes Gewinnes fehr verminderten, fo
ergriffen beide Fürſten mit Freuden den Antrag Kaijers Friedrichs IL,
dag braunſchweigiſche Erbe gegen andere Beſitzungen an ihn abzutreten.
Dr Markgraf ging einen Tauſch mit ihm ein, wornad er für fein
Haldtheil die Stadt Durlach zum Eigenthum, die Stadt Ettlingen
als Lehen, und die Städte Sinsheim, Eppingen und Yaufen
für die Summe von 2300 Mark Silber als Pfandichaft erhielt.
Letztere jcheint jedoch im der Folge bald wieder abgelöst worden zu
fein. Gewiß iſt indeß, daß die Erwerbung jener zwei Städte eine
dauernde und darum von großer Wichtigkeit war, da biefelben, in Ver:
bindung mit Baden und Pforzheim, als vier fefte, bald auch mit bür—
gerlichen Einrichtungen, befuchten Märkten, anfehnlichen Gemeindegütern
und geiftlichen Stiftungen ausgeftatteten Orte, die Hauptfäulen bildeten,
auf denen die Marfgrafichaft Baden emporwudhs, 2)
As Markgraf Herrmann V. ftarb, konnte er feinen Söhnen fchon
ein anfehnliches Fürſtenthum hinterlaffen, das theils everbt, theils ertaufcht,
theils auf verfchiedene andere Weile, auf die hier nicht eingegangen wer—
den kann, erworben war, Es beitand dasſelbe zunächſt aus den ges
nannten wier Städten, denen noch Steinbach als ſolche, ſowie die Schlöffer
Mühlberg und Gröbingen angereiht werden können; alsdann in einer
1) Bergl. Bader, Markgraf Herrmann V., ©. 46, und Sachs, Einlei-
tung im die Geſchichte der bad. Markgrafihaft I., 346.
2) Bergl. Bader, Markgraf Herrmann V.
54 Sehstes Kapitel. Pforzheim badiſch.
ziemlichen Anzahl von Flecken, Dörfern und‘ Höfen, welche dieſe Städte
umgaben, und endlich in einigen zerfireut und entfernt liegenden Be—
figungen , wie in den Städten Baknang und Befigheim, in einem An:
teil an Altenfteig, wahrjcheinlich auch in dem Amt Lindenfels im Dden-
wald, welches aber jpäter 1277 wieder an die Pfalz verkauft wurde, ?)
und in den Pfandſchaften von Selz, Eppingen, Sinsheim und Laufen,
Bon diefen Städten war Pforzheim auch deshalb noch) von befonderer
Wichtigkeit, weil e8 einen geeigneten VBerbindungspunft zwifchen ben ba—
diſchen Befigungen im Nheinthal und denen am untern Nedar und
. Schwarzwald bildete.
Noch jei erwähnt, daß die Gemahlin Herrmanns V., Irmengard,
im Jahr 1245 „zum Geelenheil ihres (1242) verftorbenen Gemahls,
zur Sühne ihrer Vergehungen und zum bleibenden Gedächtniß ihrer
Söhne” das Klofter Lichtenthal gründete und beide Ehegatten dort
begraben Tiegen.
i) Vergl. Häuſſers Geſchichte der Pfalz, I, 127.
Siebentes Kapitel
Pforzheim im 13. Jahrhundert‘)
$ 1. Allgemeines.
Als Markgraf Herrmann V. im Jahr 1242 geftorben war, folgten
ihm in der Negierung feine beiden Söhne Herrmann und Rudolf,
welche diefelbe gemeinſchaftlich führten, bis evfterer 1349 durch die Hand
der verwittiweten Herzogin Gertrud von Defterreih die Regentſchaft
diefes Landes erhielt.2) Von diefer Zeit an regierte Nudolf I. allein,
Er war ein Mann von großer Umſicht, Thätigkeit und Kraft, und
namentlich ſtets eifrig bemüht, jede fich ihm darbietende Gelegenheit zur
Vergrößerung feines Landes zu benüßen, was ihm auch fo fehr glückte,
daß er als der eigentliche Gründer der- Markgrafihaft Baden betrachtet
wird.) Die wichtigfte Erwerbung war die eines Theils der Grafichaft
Eberftein, wodurch das badiihe Befigthum nicht nur anfehnlich erweitert,
fondern auch abgerundet wurde.
) Benügt wurden bei biefem Kapitel außer einigen der früher ſchon an:
geführten Gefhichtswerfe namentlich die Urkundenarchive der Klöfter Herren:
alb, Lihtenthal und Rehenshofen, zum Theil auch Bebenhauſen, in
der Zeitjchrift für die Gefchichte des Oberrheins, Band I. bis IX. ; ferner ber
Codex Hirsaugiensis; Klunginger: Geihichte des Klofters Maulbronn;
Urkunden, Repertorien, Kopialbüder und Lagerbüch er des Lan-
desarchivs, ſowie auch des Stadtarchivs; Kolb: Lerifon von Baben; Baber:
Markgraf Rudolfl.; Kausler: Beichreibung des Oberamts Neuenbürg u,a. m.
2) Herrmann ftarb jeboch ſchon 1250, nachdem er noch einen Erben gezeugt,
jenen Prinzen Friedrich, welcher mit Herzog Conradin, feinem unzertrenn—
lihen Freunde, auf dem Schaffot in Neapel 1268 fo traurig geendet hat.
Derjelbe erjcheint in der Geſchichte, was durch die eben berührten Verhältniſſe
erflärlih wird, bald als „Friedrich von Baden“, bald als „Friedrich von
Oeſterreich.“
3) Ausführlicheres über dieſen Fürſten in Baders Schrift: Markgraf
Rudolf 1. von Baden.
56 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert,
Die Regierung NRudolfs I, war eine äußerft unruhvolle. Sie fiel
großentheils in jene „kaiſerloſe, jchrecliche” Zeit, die man das Interreg⸗
num zu nennen pflegt. Unter die Fürften, welche die Auflöfung des
oberften Neichsverbandes dazu benüßten, fi) Länder zu erwerben, und
fürftliche Hoheit, ſowie reihsunmittelbare Selbjtftändigfeit zu erlangen,
gehörte auch Markgraf Rudolf. Solche Zus und Mebergriffe verwickelten
ihn natürlich in eine Neihe von Händeln mit feinen Nachbarn, aus
denen der ritterliche Degen indefjen größtentheils ſiegreich hervorging.
Im Jahr 1273 wurde Rudolf von Habsburg zum deutjchen Kaifer
gewählt. Es ift bekannt, welche Mühe fich derſelbe gab, die Verhältnifie
des deutjchen Meiches, das ganz aus feinen Fugen zu gehen drohte,
wieder mit Fräftiger Hand zu ordnen und die innere Sicherheit herzuftellen.
Zu dem Ende begann er feine Reichsverwaltung damit, Alles entſchieden
zurüdzufordern, was die Fürſten und Herren während des Interregnums
dem Neiche widerrechtlich entzogen hatten. Eine jolche Forderung mußte
die DBetheiligten, darunter Markgraf Rudolf, empfindlich treffen, und es
bildete fi) deshalb in Schwaben und am Rhein ein Bündniß wider
den bemeideten und verhaßten Habsburger, defjen Häupter der Markgraf
von Baden und der Graf von Württemberg waren. Kaifer Rudolf
aber befetste vafch die Länder feiner Gegner, noch ehe der Widerftand
gehörig organifirt war, und unfer Markgraf mußte fi) dem neuen
Neichsoberhaupte unterwerfen, Doch fand der fehdeluftige Herr auch
in der Folge wieder Anlag zu Händeln, namentlih mit dem Biſchof
von Straßburg.
Dar Markgraf Rudolf auf der einen Seite ein ritterlicher Degen,
der fein halbes Leben in Fehden zubrachte, fo war er auf der andern
Seite auch gläubig und fromm im Geifte feines Zeitalters, Kirchen
und Klöſter, unter letztern befonders Lichtenthal, Herrenalb, Gottesau
und Maulbronn erfreuten fich feiner freigebigen Hand oder feiner wohl:
wollenden Gefinnung. 1)
1) In jener Zeit des Minnefängerthums fand au die Dihtfunft am
Hofe des Markgrafen willige Pflege. Ein Minnelänger, Boppe, ber fih an
demfelben aufhielt, viihmt „den von Baden und ouch von Berne (Verona), den
alten (Rudolf) und den jungen (Herrmann VIl,)“ als Einen „der ere gert“;
wenn cr Unmöglihksiten aufzählen will, nennt er die, daß „der edel vürste
von Baden das alte Gebzenstein (Gebjenftein im Amt Blumenfeld) durch
vorhte ufgit (durch Furcht aufgibt).“ (Stälin.)
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 57
Alt und lebensſatt, und nicht ohne Manches, was er gethan oder
veranlaßt hatte, bereut zu haben, verfchted Markgraf Rudolf im No:
vember 1288 auf feinem Schloffe zu Eberftein, und wurde in Kichten-
thal beigefeßt.
$ 2. Befonderes.
(Pforzheim nah Außen, Adelsgefhlehter der Umgegend.)
Daß auch die Stadt Pforzheim in jener bewegten Zeit vielfach
in den Strudel der Ereigniſſe hineingezogen wurde, wird wohl begreiflich
erſcheinen, wenn ung auch die Geſchichte Einzelheiten darüber nicht auf—
bewahrt hat. Als Rudolf von Habsburg bald nach ſeiner Erwählung
zum deutſchen Kaiſer die widerſpenſtigen Fürſten, darunter Markgraf
Rudolf, zur Ordnung brachte und raſch das Land und die Städte des
letztern bejeßte, da mag auch Pforzheim neben Baden, Mühlberg, Dur:
ah und Größingen Taiferlihe Truppen in jenen Mauern beherbergt
haben, Als im Jahr 1287 Herrmann, der ältefte Sohn Nudolfs, au
der Stelle feines alten Baters, deſſen Fauft das Schwert nicht mehr zu
führen vermochte, begleitet von zwei Söhnen und an der Spibe von
6000 Man, darunter ficherlidh auch Pforzheimer, ins hintere Nagold:
thal z0g, um mit dem Grafen von Hohenberg einen Strauß um das
Städtlein Altenfteig auszufechten, zu welchem Zweck er bei der Stadt
Pforzheim ein Anlehen gemacht zu haben fcheint, (fiehe unten) und als
er hierauf, nad) erfämpftem Siege, verheerend in das Gebiet des Pfalz:
grafen von Tübingen einfiel: da mochte man wohl aud in Pforzheim
mit Beforgniß den Gang der Ereignifje verfolgen, da bei einer Nieder:
lage Herrmanns vielleicht das gleiche Schickſal die badifchen Lande ge—
troffen hatte, wie e8 über die eines andern Fürften erging, Es waren
verhängnißvolle, fchwere Zeiten!
Markgraf Rudolf hatte feine Reſidenz theils zu Baden, wo er
dann das obere Schloß bewohnte, theils zu Pforzheim. In den
legten Jahren feines Lebens hielt er ſich meift auf der (alten) Burg
Eherftein auf, wo er auch ftarb.
Im Sahr 1263 übergaben die Brüder Berthold und Belreim von
Wizenftein) (Weißenſtein) laut einer zu Etheningen (Ettlingen) aus:
gefertigten Urkunde dem Markgrafen Rudolf „in Anerkennung der vielen
58 ° GSiebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
Wohlthaten, welde ihnen vom Markgrafen und feinen Vorfahren zuge:
fommen“ alle ihre Nechte auf die Burg Lie benegge mit der aus—
drücklichen Willenserklärung, daß „das vollfommene Herridaftsrecht, der
freie, unbeſchränkte Beſitz ſowohl auf genannter Burg, als dem Dorf
MWirme und allen andern dazu gehörigen Befitungen in Höfen und
Feldern, bebauten und unbebauten, in Lehensleuten und Xeibeigenen,
Miefen und Waiden, befahrenen und unwegfamen Gegenden, Wäldern
und Gebüfchen, Mühlen und Mühlwerten, Waflern und Wafferabfällen,
Tifchereien und Jagden und allen damit verbundenen Rechten, welche
anf irgend eine Weiſe zur Burg felbft gehören” dem genannten ihrem
Herren mit vollem Rechte zugehören folle. Bloß das Dorf Huoden-
delt (Hucenfeld) wurde von diefer Eigenthumsübergabe ausgenonmen,
welches die Brüder von Weißenftein mit Vorbehalt ihrer Lehensherrſchaft
an folgende Perſonen als Lehen überließen: Cunrad, genannt Colbe,
Sohn Albert Colbos, dem auf Burg Vurftenede (Fürftened . bei
Dberfirh), Bertold, genannt Wiedener von Ingersheim (zii:
ſchen Ludwigsburg und Befigheim), Liotwin von Glatebach (Glatt-
bach bei Vaihingen), Sibotto von Hule (2), Albert von Helfen:
berg (bei Marbad), Conrad und Sibotto, Gebrüder von Scho—
nowe (Schönau hinter Heidelberg), „Wir erlauben aber”, beißt es
am Schluß der Urkunde, „daß die vorgenannten Perſonen freie Macht
haben follen, das genannte, von ung zu Lehen gegebene Dorf in bie
Hände und Gewalt unferes oft genannten Herin, des Markgrafen zu
überlafien, ohne daß die ung fchuldige Lehenspflicht dabei ein Hinderniß
fein folle.” Der Urkunde find die Siegel der beiden Ritter von Weis
Benftein, ferner Con rads von Roffewac (Roßwag bei Vaihingen),
Reinhard Kimons von Baden und Bertholds von Nemdingen
(bei Wilferdingen) angehängt und in derfelben find als weitere Zeugen,
aufgeführt: Conrad von Node,t) Hugo von Werbenwac (Wer:
ı) Rod, von roden, reuten, ausreuten abgeleitet, mag es mehrere
gegeben haben, Ein Ort Rod lag nad einer Herrenalber Urkunde. vom
48, Februar 1263 zwifchen Pforzheim und Weißenftein, und trägt bafelbit eine
Anhöhe diefen Namen nad. Bielleiht war biefer Ort aud ber Sig eines
Rittergefchlechtes, das ſich darnach benannte, und von weldem oder von einem
andern Rob die heute noch blühende Adelsfamilie der v. Röder abftanımt,
welche dieſem Namen noch ben ihrer Burgen beifegten, 3. B. Röder von Diers:
burg, Röder von Mberg, Röder von Hohenrod, Röder von Rodeck. Ein Burk:
hard von Rode erſcheint ſchon im Gefolge Hermanns V., ein Udalricus de Rode
im Cod, Hirsaug,, 72.
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert. . 59
venwag, Sifrid von Ottenkeim (Detigheim), Borhhard, genannt
Burner, Heinrih von Barchuſen, (Berghaufen) und Walther
von Eberftein, Conrad, Schirmvogt von Remdingen und
Blicger von Steinach (am Nedar).
Der Inhalt diefer Urkunde ift hier etwas ausführlicher angegeben,
einmal um darzuthun, welche wohlwollende Gefinnung die Weißenfteiner
gegen den Markgrafen hegten, die überhaupt auf das Verhältnig dee:
jelben zu feinen Bafallen ein günftiges Licht wirft, ſodann um zu zeigen,
wie zerftüctelt damals die Verhältniffe mancher, felbft Heiner Orte, wie
Huchenfeld waren, und endlich, um überhaupt die Form folher Urkunden
einigermaßen kennen zu lernen, wie fie in damaliger Zeit ausgeftellt
wurden, |
Daß fih Markgraf Rudolf auch von Zeit zu Zeit im Schloß
Liebened aufgehalten habe, bezeugt ein Schreiben vom Februar 1268
(oder 1269), das er von dort aus an die Stadt Straßburg richtete.
Bon feiner wohlwollenden Gefinnung gegen die der Stadt Pforz-
heim nahe liegenden Klöfter Hirihau und Maulbronn zeugt, daß
er erfterm 1282 einen Hof zu Pforzheim zurüdgab , der feinem Vater
ehemals verſetzt geweſen war, (S. 41) und daß er lehteres von feinem
Schloß Mühlberg aus am 16. Januar 1258 „wegen feines großen
Eifers in Uebungen der Andacht bei Tag und Nacht“ vom Zoll und
Umgeld der Stadt Pforzheim befreite. Dieje Freiheit wurde unterm
38. Januar desjelben Jahres von der Stadt Pforzheim felbft beftätigt. Solche
Gefinnung jheint fein Enkel, Friedrich IE. getheilt zu haben, indem er
im Dezember 1295 den jeweiligen Schaffner des Klofters Herrenalb zu
Pforzheim mit Zuftimmung der dortigen Bürgerfchaft von allen Steuern,
Abgaben und Dienftleiftungen gegen jährliche Entrichtung von 5 Pfund
Heller, welche jedes Mal an Oftern und — an die Stadt bezahlt
werden mußten, befreite.
Endlich ſei auch noch erwähnt, daß in einer Schenkungsurkunde vom
27. Ditober 1288, durch welche Rudolf dem Kloſter Lichtenthal zu
einem Seelgerette für feine „Miſſethat“ verfchiedenes Eigenthum ver:
macht, der marfgräflihe Schreiber zu Pforzheim, Konrad, als Zeuge
genannt ift.
Da manche Glieder derjenigen Nittergefchlechter, welche in der
nähern oder entferntern Umgebung Pforzbeims auf ihren Burgen faßen,
in die Geſchichte der Stadt vielfach verflocdhten find und einige derfelben
60 Siebentes Kapitel, Pforzheim im 13. Jahrhundert,
fpäter fogar eigene Häufer in Pforzheim befagen, fo möge eine Zuſam—
menftellung diefer Gefchlechter, wie fie mit Benutzung der manchfachften
Quellen ermöglicht war, bier folgen. Wir beginnen mit den vorhin
genannten
Herren von Weißenſtein (Mizzenftein, Wyſſenſtein).
Bekanntlich waren früher in und bei Weißenftein drei Burgen, die
im Munde des Volkes heute noch Rabeneck, Kräheneck und Ho—
heneck genannt werden. Die Ruinen der erftern finden fich bei der
Kirche von Weikenftein , der zweiten etwas weiter oben im Wald; von
der dritten, die jenfeits der Nagold am Kallert lag, ift faft jede Spur
verfchwunden. In MWeißenftein hatte einft ein angefehenes und begütertes
Adelsgefchlecht feinen Sit, und wir begegnen verſchiedenen Gliedern des-
jelben, namentlich in den Urkunden der Klöfter Herrenalb, Frauenalb,
Maulbronn und Nechenshofen oder Marienfron (bei Hohenhaslach im
Amt Baihingen, jest Hof und Domäne), ſowie anderwärts, So finden
wir eines Berthold von Meißenftein als Zeugen bei der Hochzeit des
Ritters Kuno von Menzenberg im Tübingen 1231 erwähnt. Im Jahr
1240 find die drei Brüder Berthold, Belreim?) und Helferid
von Weißenſtein als Zeugen in der Stiftungsurfunde des Kloſters Re:
henshofen aufgeführt, weldes von einem Ritter Efel von Efelsberg
gegründet wurde. Die beiden Erftern finden fich ebenfalls als Zeugen
in Herrenalber Urkunden von 1254 und 1256, An das Klofter Nechens:
hofen vergabten, bez. verkauften 1354 Berthold und fein Bruder Gott:
bert von MWeißenftein, letzterer Pfarrer zu Haslach, fpäter 1265 Rektor
der Kirche zu Brötzingen, ihre Güter, Zinſe nämlih und Weinberge
mit allem Andern (Leibeigene ausgenommen) ſammt dem Patronatrecht
der Kirche zu Haslach; doch behielt fich Gottbert eine Tebenslängliche
Benfion von 50 Pfund Heller vor. Im Jahr 1257 verkauft Ber:
tholhd von Weißenftein an Herrenalb Güter in Neuſatz (am Dobel) und
verzichtet 1257 zu Gunften des Klofters Nechenshofen auf feine Güter
und das Patronatsrecht in Heffelbah (DO. A. Vaihingen). Berthold
und Belreim von Meißenftein erfcheinen 1263 wieder als Zeugen in
einer Herrenalber Urkunde und übergeben, wie ſchon erwähnt, in dem:
jelben Jahr Liebeneck ꝛc. an den Markgrafen Rudolf von Baden.
N) Diefer Belreim oder Belrem von Weißenftein ift der Gegenftand einer
anzichenden Eage, welche Ludwig Auerbach bichterifch verarbeitet hat.
Siebentes Kapitel, Pforzheim im 13. Jahrhundert. 61
Berthold von Weißenſtein fommt 1265 wieder als Zeuge vor, umd
fein Bruder Belreim verkauft 1276 an das Klofter Maulbron feinen
Hof in Zaifenhaufen mit einem Drittel des großen und Kleinen Zehntens
daſelbſt, nebſt Leibeigenen an verjchiedenen Drten um 255 Pfund Heller,
und verzichtet auf jeinen Antheil an zwei Mühlen dafelbft, welche fein
Bruder Berthold, von dem das Franenalber Salbud) 1277 zwei Töchter,
Gertrud und Metze fel., anführt, dem Klofter geſchenkt. Das Klofter
Maulbronn erhält 1281 von Betriffa, der Witwe des (Ältern)
Berthold von Weißenftein 24 Pfund Heller und einen Nachlaß von
10 Schilling jährlicher Gefälle zu einem Jahrestag für fie und ihren
verftorbenen Mann mit weißem Brod, Wein und Fiſchen. Berthold
(der jüngere) won Weißenſtein ſchenkt 1295 dem Klofter Maulbronn
alfe feine Güter zu Magftatt (DO. U. Böblingen), einen Hof, beide
Mühlen, (die aber ſchon 1276 theimeife werfchenkt wurden), und einen
Theil des großen Zehntens in Zaifenhaufen, fammt dem Patronatrecht
der dortigen Kirche, und übergibt im nämlichen Jahr alle feine Lehengüter
feinem Better Rudolf von Roßwag. Er kommt noch einmal 1301 im
Trauenalber Salbud) vor.
Bon diefer Zeit an verſchwinden die Weißenfteiner aus der Ge:
ſchichte, und Berthold mag, wie fich dies aus feinen Schenkungen ergibt,
der letzte feines Gefchlechts gemweien fein. Auf das weitere Schiefal der
Burg Weißenftein werden wir unten zurüdtommen. Das Siegel und
Wappen der Weikenfteiner zeigte einen dreiedfigen, vierfach quergetbeilten
Schild.
Die Herren von Niefern (Mievern, Nieuern, Nieffern,
Nuffran ꝛc.).
Bon ihrer Stammburg Hohenniefern, die auf einer Höhe bei dem
Dorfe Niefern Tag, ift feine Spur mehr vorhanden. Doc ſcheint im
Drte Niefern felbft noch eine zweite Burg vorhanden gewefen zu fein,
und zwar an ber Stelle, wo jetzt die Niefernburg fteht; denn im Jahr
1555 übergab Markgraf Karl IL. feinem Kanzler Achtſinit „den alten
freiadeligen Burgftadel” in Niefern, um darauf zu bauen. Die Edeln
von Niefern waren, wie Viele andere Nitter der Gegend, Dienft
leute der Grafen von Vaihingen, Sie kommen vom 12. bis 14. Jahr⸗
hundert in zahlreichen Gliedern vor.) So ift fhen 1186 ein Hein:
1) Hauptlählih in Maufbronner, Herrenalber, Franenalber, Rechenshofer
und Lichtenthaler Urkunden,
62 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
ri von Niefern in einer Herrenalber Urkunde als Zeuge aufgeführt;
41203 übergaben Albredht und Konrad v. N. dem Klofter Maul:
bronn ihren Theil des Patronatsrechts zu Delbrenn und Elfingen,
1251 und 1266 erfcheint wieder ein Konrad v. N., 1258 ein Ger:
lad v. N, 1277, 1279 und 1281 em Heinrich v. N. (Hohimnie-
vern), in leßtgenanntem Jahr aud ein Adalbert v. N., der mit feiner
Tochter Elifabeth (1284 Gifela genannt) Schenkungen an Herrenalb
macht; im Jahr 1285 verzichten die Brüder Albert und Konrad
von Niefern zu Gunften des Klofters Maulbronn auf alle Anfprüche
an die Hälfte des Vogtrechts über den Hof Elfingen und den Ort Oel:
bronn, 41289, 1293 und 1299 kommt diefer Albert von Niefern
wieder als Bürge und Zeuge vor und verfauft 1294 mit feiner Frau
Kunigunde wegen vielfacher Unglücsfälle und unerträglicher Schuldenlaft
fein Fifchwafler bei der Stadt Mulnagger (Mühlader) um 30 Pfund
- Heller an Maulbronn; 1296 treffen wir auf Konrad, Gerlad und
Heinrich von Niefern, auf den Erftern wieder 1314, 1321 auf Hein
rich und Gerlad von Niefern; 1332 erſcheint wieder Heinrich
v. N. mit feiner Frau Guta von Eifingen und Beider Sohn Rein:
hard, 1338 Heinrih v. N; 1342 ftiftet Klara v. N., Wittwe
Heinrichs von Roßwag, eine Präbende zu Roßwag und begabt fie. 1365
wird eines Heinrich von N, erwähnt. In den Jahren 1412, 1422
und 1436 treffen wir einen Hans von Niefern, als defien Kinder 1496
Bernhard, Jörg und Margaretha genannt werden. Nach dem
Kichtenthaler Todtenbuch ftarb dafelbft am 6. Januar 1541 die Nonne
Dorothea von Nieffern und 15. April 1546 die Nonne Urfula
von Nieffern.
Die Herren von Enzberg (Entberg, Enzeberg, Enzebere, Enceberc,
Encenberch ꝛc.)
Von ihrer am 14. Sept. 1384 durch Pfalzgraf Ruprecht J. in
Folge eines Streites mit dem Kloſter Maulbronn zerſtörten Stammburg
ſind noch wenige Ueberreſte vorhanden.
Die Herren von Enzberg werden ſchon im 10. Jahrhundert ge—
nannt und waren, wie die von Niefern, Lehensleute der Grafen von
Calw und Vaihingen, ſpäter aber der Markgrafen von Baden. Nach
einer zwiſchen 1190 und 1197 ausgeſtellten Urkunde (vergl. S. 48)
ging die Burg Enzberg zu jener Zeit von Konrad, Graf von Calw,
an den Erzbiſchof Johann von Trier über, der ſie aber jedenfalls nicht
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 63
lange behielt. Die Herren von Enzberg kommen in Urkunden vom 13,
und 14. Jahrhundert jehr häufig und im äußerſt zahlreichen Gliebern
vor, zum Theil mit allerlei Beinamen, 3. B. 1368 Reinhard von
Enzberg, genannt der Nix, 1381 und 1395 Albrecht, genannt Schü-
helin von Enzberg, 1436 Friedrich von Enzberg, genannt Bitfcher,
(derfelbe beſaß 1443 ein Haus zu Pforzheim;) 1314 Frie drich von
Enzberg, genannt von Hohenriet, Albrecht won Enzberg, genannt von
Gemmingen, Konrad, Heinrich, Friedrich und Gerhard, die
Rummeler genannt, 1363 Albrecht von Enzberg, zu Öteichenberg,
Amt Eppingen) gefeffen, 1378 Albrecht von Enzberg, zu Ochſenberg,
(Zabergäu) geſeſſen ꝛc. Won den drei Schleglerfünigen, welche Graf
Eberhard von Württemberg 1395 in Heimsheim gefangen nahm,
waren zwei Enzberge, nämlich Reinhard und Friedrich, Die Enz:
berge hatten im 13. Jahrhundert das Vogtrecht überMaulbronn, was
zu manden Händeln Beranlafjung gab. Sie befaken Güter und
Rechte zu Zaifenhaufen, Delbronn, Tiefenbach, Elfingen, Detisheim,
Weißach, Kiefelbronn, Schmie, Lienzingen, Zaifersweiler, Schübingen,
Knittlingen, Dertingen, Oeſchelbronn und Rauenthal, Klingen, Düren,
Bauſchlott, Lomersheim, Gölshanfen, Richen, Stockheim, Steppach,
Iſpringen, Roßwag ꝛc. Alle dieſe Beſitzungen ꝛc. gingen aber nach
und nach durch Verkauf oder Vergabung in andere Hände, namentlich
an verſchiedene Klöſter über, und 1405 verkauften Georg von Enzberg
und feine Söhne Konrad und Georg nach Zerſtörung ihrer Burg
auch al ihr Einfommen und ihre Nechte zu Enzberg, Düren, Bau:
ſchlott und Kiefelbronn um 770 Gulden an das Klofter Maulbronn,
und verfpracdhen, ſich megen der Brechung ihrer Burg nicht zu rächen.
1443 finden wir noch einen Triedrih und 1456 einen Hans von
Enzberg. |
Die Herrenvon Dürrmenz (Durmenze, Dormenk, Durmencze),
aus welchem Geſchlecht Ulrich J., Biſchof von Speier 1161 zu diefer
Würde erhoben worden, waren bis in das 15. Jahrhundert im Beſitz
von Dürrmenz, welches aber dann ganz an das Klofter Maulbronn
und jpäter mit diefem an Württemberg fam. Ein Albrecht von Dürr-
men; war 1412 Vogt in Pforzheim. — Die Herren von Dürrmenz,
von Niefern und von Enzberg mögen urfprünglih nur einen Stamm
gebildet haben; denn alle drei Gefchlechter führten einen Ring im Wap-
pen, Die Trümmer der Burg zu Dürrmenz, welche auch Löffelſtelz
64 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
beißt, find nocdy vorhanden. — Aus ihrer Nachbarſchaft erwähnen wir
noch ferner dei
Eden von Illingen,
deren Güter ebenfalls nah und nah an Maulbronn übergingen, der
Edeln von Lomersheim,
von deren Stammburg noch ein Thurm übrig ift, und von denen Einer,
Walther, um 1140 das Klofter Maulbronn ftiftete, welches nach dem
Ausfterben der von Lomersheim zu Anfang des 16. Jahrhunderts den
ganzen Ort an fi brachte, — der
Herren von Roßwag,
deren Stammſchloß bei dem gleichnamigen Dorfe an der Enz lag. Sie
gehörten im Mittelalter zu den reichſten und angeſehenſten Rittergeſchlech—
tern unferer Gegend. Sie waren Dimaften vom erften Rang, denen
urkundlich das Anfehen „erlauchter Perſonen“ gegeben ward. Verwandt
mit ihnen waren die Herren von Weißenftein. Die Herren von Roß—
wag kommen bereits im 12., noch mehr im 13. Jahrhundert in Urkun—
den häufig vor, ftarben aber ſchon im 14. oder 15. Jahrhundert aus.
Die Roſe im Wappen deutet auf Verwandtſchaft mit den Eberfteinern
‚bin. (Der Grabftein einer am 13. Dezember 1291 geftorbenen Irmen⸗
gard von Magenheim, Gemahlin Rudolfs von Roßwag, wurde im
Frühjahr 1858 auf dem Schulplatz in Pforzheim ausgegraben.) —
Endlich, fei auch noch der
Eden von Mühlhauſen und
derer von Detisheim erwähnt.
Fragen wir nach den Adelsgeſchlechtern, welche nördlih von Pforz⸗
_ gewohnt haben, fo treffen wir zunächſt auf die
Herren von Neidlingen (Nidelingen).
Wir finden ihrer fchon im 12. Jahrhundert erwähnt, wo (in
Hirfhauer Urkunden) ein Adelwig und ein Arnold von Nidlingen
vortommen. Das Dorf Neidlingen fammt der Burg des gleichnamigen
Adelsgeichlechts Tag zwifchen Kiefelbronn und Göbrichen, weſtlich von der
Straße von Pforzheim nad; Baufchlott, und bezeichnet der fog. Neulinger
Berg no die Stelle, wo jenes Dorf geftanden Es fcheint indefjen
ſchon zu Ende des 14. Jahrhunderts nicht mehr eriftirt zu haben, fon=
dern bereits in Iſpringen, das früher ein Filtal von Neidlingen war,
aufgegangen gewefen zu fein. Als Gemarkungsname wurde indefjen ber
Name Neidlingen noch lange beibehalten. 1321 lebten die Brüder
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 65
Johann und Marquard von Neidlingen, vorher ihr Vater Berthold
von Neidlingen. Marguards Frau war Gifela von Horkheim (D. A.
Heilbronn) und ihre Kinder hießen Kraft, Anna und Johann.
jener ältere Johann fehenkte dem Kloſter Lichtenthal den halben Laien:
zehnten in Eifingen, Die beiden Brüder Johann und Kraft v. N.
fommen wieder 1344, 1355 und 1357 vor. Mit dem Dorf jheint
auch bald das Adelsgeſchlecht verſchwunden zu fein. Die von Neidlingen
waren Minifterialen der Markgrafen von Baden. Ihr Wappen war ein
dreiedfiger Schild mit einer Hag: oder Schafſcheere. —
Bon den
Herren von Eifingen (fingen, Mingen)
bat die Gefchichte nur wenig aufbewahrt. Doc finden wir 1197 einen
Siegmund von Eifingen, und ift derfelbe in einer Schuldurkunde,
welhe Markgraf. Herrmann V. und fein Bruder Friedrich dem Abt
Helmwich in Selz für geliehene 200 Markt Silbers ausftellen, mit An:
dern als Bürge genannt. Die Frau Heinrichs von Niefern war 1332
eine Guta von Eifingen Eine Chriftine von Illingen, genannt
von Mpingen, ift 1431 als Frau des Bürgers und Nichters in Pforz—
beim, Großhans Roth, genannt v. Vaihingen, bezeichnet. Wahrſcheinlich
war e8.diefelbe Chriftine von fingen, welche 1447 (in zweiter Ehe)
als die Gemahlin Erhards von Königsbach aufgeführt ift. Im Jahr 1495
verfauft Ludwig Illinger, genannt von Eifingen, das ihm gehörige letzte
Viertel von Eifingen an Markgraf Ehriftoph von Baden um 1519 fl.
Ein Ludwig von Eiſingen hatte 1501 ein Haus in Pforzheim, ein
Peter von Mfingen kommt 1519 vor.
Die Herren von Stein, (Amt Bretten).
Auf den Grundmauern des alten Schlofjes daſelbſt fteht jet das
noch von einem Graben umgebene Pfarrhaus. Ein Ulrich von Stein
fommt 1252 ff. in Urkunden vor, fo beifpiehveife in dem Freiheitsbrief,
den Markgraf Rudolf I. 1258 dem Klofter Maulbronn gab (fiehe unten).
1370 treffen wir einen Wolfgang von Stein, und 1631 war bei
einer Geſandtſchaft, welche der ſchwäbiſche Kreis nach Wien ſchickte, ba-
diſcher Seits ein Friedrid von Stein, Es gab aber fo mande
Adelsgefchlechter Hiefes Namens, daß nicht mit Beftimmtheit ausgemacht
werden Kann, ob die Genannten dem Geſchlechte der Herren von Stein
bei Pforzheim angehörten. Der ziemlich verftümmelte Grabftein eines
Eden von Stein findet ſich in der — Kirche. Ihr Wappen war
Pflüger, Pfotzheim. 5
66 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
ein dreiediger, von der Nechten zu Linken getheilter Schild, wovon
der untere fchraffirtt mit Goldpunften, der obere geſchacht mit einem
Goldpuntt in jedem Viered, Die
Herren von Königsbach (Konngespach, Küngespach, Küngſpach,
Kingespach, Kungsbach,)
finden wir vom 13.—15. Jahrhundert in vielen Gliedern und Zweigen
vertreten. Im Jahr 1259 ericheint Heinrich v. K. mit feinen Söhnen
Herrmann, Helwig und Heinrich; 1271. übertragen die Brüder
Herrmann, genannt Veſe, und Sigmund v. K. dem Schultheißen
Diether von Ellmendingen und Diether bei der Kirche alle ihre Güter
in der Gemarkung von Ellmendingen und Weiler zu Eigenthum; als
Zeugen erfcheinen u. A. die Gebrüder Herrmann und Kuno von
Königsbady; die Schweiter Beider, Bertha, war die Gemahlin Alberts
von Sicingen. Bon 120 an fommt häufig en Simon von Königs:
badı vor, als deſſen Kinder 1303 Simon, Emehard, Herrmann,
Reinbot, Gifela, Agnes, Kunigunde und Engela genannt
werden, in welchem Jahr fie einen Hof in Spranthal an Herrenalb
verfaufen. 1336 erſcheinen Kuno, Grozbott, Klainbott, und
Balfam von K., 1338 ein Diem v. K., 1363 Herrmann und
Konrad nv K., im 15. Jahrhundert Wilhelm v. K., 1423 Pele
v. K., Wittwe Wolfs von Grafened, 1447 Erhard v. K., der 1458
mit feiner Fran dem Markgrafen von Baden alle feine Güter zu
Königsbah für den Fall ihres Abſterbens vermacht. Noch finden wir
1482 und 1491 einen Hans von Königsbach, der Vogt zu Pforze
beim war und dort ein eigenes Haus beſaß. Später ſcheint das Ge-
ſchlecht erloihen zu fein. Das Wappen desjelben zeigte zwei von einan—
der abgewandte halbe Wafferräder mit quadratifcher Abtheilung.
Die Herren von Remdingen,
die zum alten deutfchen Adel gehörten, bejaßen zwei Burgen, die den
Namen Remchingen trugen. Die eine lag zwifchen Wilferdingen und
Singen, da wo jest noch ein Hof diefes Namens fich befindet. Die
andere lag zwiſchen Dietlingen und Schluttenbah im O. A. Neuenbürg.
Ein Wolfardt von Remchingen wohnte ſchon 1165 einem Turnier in
Züridy bei. In den folgenden Jahrhunderten erſcheint diejes Geſchlecht in
äußerst zahlreichen Gliedern, von denen mandye im weitern Werlauf der
Geſchichte Pforzheims noch vorkommen werden. Die Burg Remchingen
(bei Wilferdingen) mit Zubehörde wurde 1429 von Markgraf Bern:
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 67
hard von Baden an Gumpolt von Giltlingen auf Wiederloofung um
4000 Gulden verkauft. Die von Remchingen beſaßen jedoch in der
Mitte des 16. Jahrhunderts wieder einen Theil des Schlofjes, den fie
mit dem Dorf Langenfteinbad 1562 an Markgraf Karl I. um 45000
Gulden verkauften. — Das Wappen der Remchingen zeigte auf drei-
eckigem Schild kreuzweis auf Stäbe gelegte Lilien.
Die Herren von Gräfenhaufen (Grauenhufen),
die ihre Burg beim Dorf gleiches Namens im Oberamt Neuenbürg
hatten, fcheinen frühe ausgeftorben zu fein. Ein Adalbert und Liut-
fried von Gr. kommen fhon im 11. Jahrhundert in Hirſchauer Ur-
Eunden vor, In der Mitte des 13. Jahrhunderts treffen wir als
Dienftmann der Grafen von Baihingen einen Kraft von Gr., zu gleicher
Zeit einen Albert von Gr. und defien Sohn Heinrich, welche den
Beinamen der Drofcheler, Troffiler, Troschelarii hatten. Letzterer erfcheint
noch 1294.
Grafen von Neuenbürg (Nuwenburc, Novum Castrum)
nannten fi) mand Mal auch die mächtigen Grafen von Vaihingen, fo
1289: Konrad von Vaihingen oder von Neuenbürg, — von denen
bereits als eines Zweiges der Grafen von Calw (S. 37) die Rede mar.
Stadt und Schloß Neuenbürg waren zuerft calwifch, dann eberfteinifch,
dann vaihingiſch; hierauf erhielten Beides die Markgrafen von Baden
und zulest die Grafen von Württemberg.
Die Herren von Strubenhart (Strobenhart, Straubenhart)
befaßen eine Burg in der Nähe von Neuenbürg. Sie kommen in
Hirfhaner Urkunden ſchon im 11. und 12. Jahrhundert vor. Ein
Eberhard v. St. ift in der Stiftungsurfunde des Klofters Herrenalb
von 1148 aufgeführt und kommt im 12. Jahrhundert noch mehrfach
vor. Die Straubenharte befaßen ziemlich ausgedehnte Güter, To zu
Gräfenhaufen, das ihnen fait ganz gehörte, zu Pfinzweiler bei Neuen:
bürg, zu Spranthal ꝛc. Im Jahr 1364 ftiftete ein Berthold von
Strubenbart fammt feiner Gemahlin Gera eine Frühmefje auf Marta
Magdalena Altar im Frauenkloſter zu Pforzheim. Die Straubenharte
waren im 14. Jahrhundert Mitglieder des Schleglerbundes, welcher gegen
die immer mächtiger werdenden Grafen von Württemberg gerichtet war.
Ihre Veſte wurde 1367 von Eberhard dem Greiner erobert. Die
Straubenharte erhielten diefelbe zwar 1374 wieder zurück; bei der Forts
ſetzung des Schleglerkrieges jedoch wurde die Burg a amd Eher:
68 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
bard und fein Sohn Ulrich von Württemberg gaben dem Markgrafen
Bernhard von Baden 1381 die Zufiherung, den Wiederaufbau derfelben
niemals zu gejtatten, Man fieht noch Mefte davon im Wald bei
bei Neuenbürg. — Die Straubenbarte, deren einer, Schönhard von
Straubenhard, in der Kirche zu Weiler begraben Tiegt, wie fein Grab:
ftein zeigt und die auch in Pforzheim anfäßig waren, (ein Meb von
Strubenhart befaß um 1400 ein Haus hinter dem Prediger » Klofter,
und der alte Obervogt in Pforzheim, Ehriftoph Scherer von Strauben-
hart stiftete 1590 100 fl. ins dortige Almofen), beſaßen die Burg im
14, Jahrhundert gemeinfchaftlich mit den
Herren von Schmalenftein (Smalenitein),
nachdem diefe ihre bei Weingarten gelegene Stammveſte an die Pfalz
verkauft hatten. Bei der Eroberung Strubenharts 1374 wurden fünf
diefer Herren, nämlich Hans, Großkunz, Kunz der Meutterfohn, Klein:
funz und Reinhard gefangen genommen. 1382 vearfauft Kunze». Schm.
feinen Antheil an Strubenhart ſammt Jugebör, fein Dorf Langenalb,
ein Viertel des Dorfes Dobel, jeinen Hof und feine Reben zu Niebels-
bach, auch alle feine Leibeigenen, um 900 fl. an die Markgrafen Bern:
hard, und Rudolf von Baden. Das Geſchlecht der Schmalenftein erſcheint
noch am Ende des 15. Jahrhunderts, nachdem faft alle feine Befigungen
an Württemberg gefonmen waren,
Die Herren von Kapfenhart (Kapbenhart)
befaßen eine Burg beim Dorf gleiches Namens in einem Seitenthal der
Nagold bei Reichenbach. Diefelbe wurde 1299 von Hedwig, Wittwe
Heinrichs von Kapfenhart, und ihrem Schwager, Friedrich von Enzberg,
zum ewigen Heil ihrer Seelen dem Klofter Maulbronn übergeben gegen
ein Leibgeding für die Frau und Kinder und Anfprüche der Iettern auf
freie Wohnung im Klofter, ſowie gegen Entrichtung von 100 Pfund
Heller an genannten Friedrich. Diejelbe Edelfrau machte 1305 ein
Vermächtniß von 15 Pfund Heller an das Klofter Nechenshofen. Die
Burg Kapfenhart bejaßen am Ende des 13. Jahrhunderts die Herren
von Enzberg und von Nippenburg.
Die Herren von Liebenzell, (Liebencelle, Libincelle, Libuncelle)
faßen auf der fog. Niefenburg auf einer Anhöhe bei der Stadt Lieben:
zell an der Nagold, wo noch die anfehnlihen Ruinen derfelben, darunter
ein Thurm römischen Urfprungs, fichtbar find. Im 13. Jahrhundert
kommt namentlich ein Lubwig von Xiebenzell mit feinen Vettern Nein:
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 69
hard und Wolfram vor. Bon feinem Streit mit der Markgräfin Ir—
mengard von Baden wird unten die Nede fein. In der Folge machte
er auch mehrfad Schenkungen an Herrenalb. Auf der Burg Liebenzell
(in castro Libincelle) jtarb am 21. April 1254 Kunigunde, die Ge:
mahlin Rudolfs I. von Baden. Die Sage erzählt, daß die Burg Lie-
benzell einjt von einem Markgrafen von Baden erobert und der Befiter
derjelben, unter dem Namen des Tyrannen von Merklingen befannt, von
dem Thurm berabgeftürzt worden ſei. — Das Wappen der Herrn von
Liebenzell bildeten zwei von einander abgewendete, vierzähnige Schlüfjel.
Der Herren von Stein zu Steined,
welche im Befiß der mun in Trümmer liegenden Burg gewejen zu fein
icheinen, bevor diefelbe jammt dem jog. Gebiet an die Herren von
Gemmingen gelangte, finden wir jchon im 12. Jahrhundert erwähnt,
zu welcher Zeit ein Adalbert von Steine mit feinen Söhnen Reinbot,
Reinhard und Konrad vorkommt. Ferner erfahren wir, daß 1324 ein
Wolf von Stein und Wolf, feines Bruders Sohn, einen Vertrag mit
Maulbronn fchließen, Fraft deſſen jene Fein Recht an den Wald Hagel:
hieß, und das Klofter feines an den Wald bei Steinegg haben,
letzteres auch verbunden fein jolle, dem Herrn von Stein jährlich zwei
Bundſchuhe und einen Gürtel im Werth von 1 Schilling zu geben. —
Ein Wolf von Stein war einer der drei Schlegelfönige, welche Graf
Eherhard der Raujchebart von Württemberg 1395 zu Heimsheim ges
fangen nahm. Im Jahr 1442 kauft Dietrich von Gemmingen von
einem Hans von Stein zu Steined die Hälfte des Städtchens
Heimsheim, der felber wieder diefes Beſitzthum von den Pflegern der
Wittwe feines verftorbenen Bruders, Margaretha von Stein, und
ihrer Kinder erftanden hatte. (Der Grabftein eines „Hans von Stey—
ned” von 1519 mit Wappen [Mühlrad] ift in der Schloßkirche zu
jehen).
Die Herren von Neuhauſen (Newhuſen)
find auch wenig bekannt. Ein Hildebert und ein Helmwig von Neu:
haufen kommen um 1100 in Hirfchauer Urkunden vor. Zu Anfang
des 16. Jahrhunderts gelangte ein Reinhard von Neuhaufen in den
Befib von Weißenftein, und findet ſich fein Wappen (ein Löwe, der einen
Aft hält,) dafelbit eingehauen,
Die Herren von Lehningen (Xoningen)
müfjen früh wieder ausgeftorben fein, da ſchon im 15. Jahrhundert
70 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
die von Gemmingen den Ort Lehningen als badiſches Lehen befaßen.
Im Zahre 1272 wird ein Werner von Lehningen genannt, deſſen
Wittwe, Adelheid von Weil, ihrem Sohn Konrad im Klofter zu Her:
renalb Verſchiedenes vermacht, wovon fie ſich jedoch die Tebenslängliche.
Nutznießung vorbehält. Dieſer Mönch, Konrad von Lehningen, kommt
1275 in einer andern Herrenalber Urkunde als Zeuge vor.
Die Herren von Heimsheim (Haimeshain, Haimishain,
Haimensheim, Heimitheim)
kommen jchen in frühern Hirfchauer Urkunden vor. Ein Heinrid v.
H. ericheint 1181 als Zeuge in einer Herrenalber Urkunde, ein Albert
v. H., welcher Mönd im Kloſter Bebenhaufen (bei Tübingen) war, ift
1279 und 1281 mehrmals als Zeuge in Bebenhaufer Urkunden genannt,
In Heimsheim hatten übrigens noch mehrere Adelsgeſchlechter ihren Sik.
Stadt und Schloß Heimsheim (Heimfen) fpielten im Schleglerfrieg eine
Rolle. (Ein Heinrich von Heimsheim kommt 1263 aud als Pforzheimer
Bürger vor.)
Bon Gliedern anderer Adelsgefchlechter der Umgegend, die (in
Hirſchauer Urkunden) fhon im 11. und 12. Jahrhundert genannt wer-
den, aber jehr bald wieder ausgeftorben zu fein fcheinen, möge bier noch
eines Helwinus von Bilfingen, eines Birtilo von Brößingen
und 1075 eines Buob von Grunbad Erwähnung gefchehen.
$ 3. Innere Verhältniſſe Pforzheims.
(Schultheißen, Stadtrath, ftädtifhe Abgaben, Klöfter ıc.)
Ueber die innern Verhältniſſe Pforzheims zur Zeit des Anfall an
Baden und unter der Regierung Hermanns V. und Rudolfs J., alfo
im Laufe des 13. Fahrhunderts, läßt fich im Allgemeinen nicht viel
Ausführliches angeben, da die Quellen noch immer ſehr fparjam fließen.
Indeſſen geftatten manche noch vorhandenen Urkunden, ſowie verfchiedene
furze Notizen, denen wir da und dort in Ältern und neuern Gefchichte:
werfen begegnen, wenigitens einige Anhaltspunkte.
Es iſt bereis gejagt worden (©. 47), daß Pforzheim ſchon zur
Pfälzer Zeit feinen eigenen Schultheißen beſaß. Welches der Geichäfte-
freis desfelben war, wird im zehnten Kapitel ausführlicher auseinander
gejegt werden. Es gemüge hier einftweilen die Bemerkung, daß der
Siebentes Kapitel, Pforzheim im 13, Jahrhundert. 71
Schultheiß ohne Zuthun der Gemeinde vom Fürſten ernannt wurde.
Doch fiel dabei feine Wahl meiſt auf angeſehene Bürger der Stadt
jelber. Der Schultheiß führte im Gericht der Stadt im Namen des
Fürften den Vorſitz, wie in der Folge Namens ber Stadt im Rath ber
Bürgermeifter. Deswegen beginnen auch alle ältern Erlaſſe der ftädtifchen
Dberbehörden mit der ftändigen Formel: Wir Schultheig, Bürger:
meifter, Gericht und Math der Stadt ꝛc. Später wurde das Amt des
Schultheigen einem jeweiligen Beamten übertragen. |
Um die Mitte des 13. Jahrhunderts, nod zur Zeit Herrmanns V.
und vielleicht ſchon, als Pforzheim badiſch wurde, bekleidete jenes Schult-
beigenamt Erlewin Liebener. Er gehörte einem angejehenen Patri—
ciergefchlecht der Stadt an, wird in manchen wichtigen Urkunden als
Zeuge aufgeführt und darin Häufig vor andern Adeligen genannt. So
fommt er am 25. März 1240 bei einer Schenkung des Pforzheimer
Bürgers Wernher an das Klofter Herrenalb vor; ferner bei einer
Schenfung, welde die Söhne Herrmanns V. ihrer Mutter im März
1245 machten, um fie in den Stand zu jeßen, den Bau des Kloſters
Lichtenthal zu vollenden; jodann im Juli 1246 in einer Urkunde, laut
welcher Biſchof Heinrich II. von Speier und das Domkapitel dafelbit die
eben erwähnte Schenkung betätigen, und endlich 1256 in einer weitern
Urkunde, nad) welcher die Mönche von Herrenalb einen Theil des Zehn:
tens zu Dietenhaufen an fich gebracht. Daß Liebener auch ein reicher
Mann geweſen fein muß, geht daraus hervor , daß er im Jahre 1257
in feinem Teftamente feine Güter in der Altftadt dem Nonnenklofter der
Dominikanerinnen in Pforzheim vermachte, daß er am 26. Januar 1259
dem Klofter Maulbronn em Gut zu Königsbach fchenkte, wobei die
Brüder Reinhard und Ludwig von Liebenzell, von denen er es gekauft
hatte, fich verbindlich machten, das Klofter in ruhigem Befib davon zu
lafjen, wenn fie noch 25 Pfund Heller von Erlewin erhielten; — und
daß er gemeinschaftlich mit feiner Frau Mechthild vom fteinernen Haus
am 22. Juni 1259 ein Hofgut vor dem Grötzinger Thor zu Durlad)
kaufte, das letztere nah dem noch im nämlichen Jahr erfolgten Tode
ihres Gemahls dem Kloſter Herrenalb ſchenkte. Als Zeugen find in
der Schenkungsurfunde unter Andern aufgeführt: Godibertus, Kleriker
von Wizinftein und Hugo, Priefter von Brediheim (Brögingen ?).
Auf Schultheiß Liebener mochte wohl unmittelbar Schultheiß
Friedtich gefolgt fein, der am 22, Februar 1290 einen Vermächtniß—
72 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
brief des Priefters Konrad von Neibsheim beglaubigt. Inı Jahr 1292
war bereits Heinrih von Steimar an feine Stelle getreten, welcher
am 12. März j. J. eine Urkunde ausjtellt, laut welcher der Priefter
Eberhard, Sohn Albert Liebeners, dem Kloſter Herrenalb eine Schen:
kung macht. Wichtiger ift ein anderes Schriftftüd vom Dezember 1295,
weil daraus hervorgeht, daß unter dem Schultheißenamt Steimars be:
veits zwölf Bürger der Stadt als Gefhworene oder als Stadträthe
gewählt waren. Mit ihnen erfahren wir auch verſchiedene Namen der da:
maligen Patriziergefchlechter in Pforzheim (ſiehe unten). Sie hießen:
Steimar der Ältere, Heinrih v. Durlach, Berthold, Sohn
Gozolds, Albert Weife, Gotbold Weiſe, fein Bruder, —
Erlewin, genannt Rümmelin, Gozzold Liebener, Heinrich
Rovte, Walther v. Vaihingen, Eberhard Steimar, Hein:
rich, Sohn Kunos — und Boldmar,
Welche immern ftädtifchen Einrichtungen Pforzheim im 13. Jahr:
hundert ſonſt befaß, ift im Einzelnen ſchwer zu ermitteln. Wenn Mart:
graf Rudolf 1258 das Klofter Maufbronn von Entrichtung des „Zolles
und Ungelts” zu Pforzheim befreite; wenn ferner Markgraf Friedrid)
dem in der Stadt wohnenden Echaffner des Kloſters Herrenalb mit
Zuftimmung der Bürger eine ähnliche Befreiung von ftivre (Steuern)
bete (Grund und Gewerbfteuer), vsziehen (Ausziehen), bureſchaft
(Bürgihaft), wahtphennige (Machtpfennig), torlon (Xhorlohn),
rovbbete (Maubbete), überhaupt von allen Bürgerleiftungen, Ab:
gaben und fonftiger Dienftbarfeit gegen alleinige Entrihtung von jährlichen
5 Pfund Heller angedeiben ließ, jo geht daraus hervor, daß in Pforz:
beim dergleichen Abgaben damals erhoben worden find. Auch der
Zehnten fpielte eine wichtige Nolle, und befand fich das Recht zur
Erhebung desjelben nicht nur in den Händen des Adels und der Klöfter ꝛc.,
fondern ging durch Kauf auch vielfach an Privatperfonen über, So kaufen
die Brüder Wernher, genannt Hopphin von Pforzheim, den Zehnten
an der Straße nad) Vaihingen von Wernher von Roffewac und feiner
Frau Elifabetb am 23. Juni 1279 um 100 Pfund Heller; fo finden
wir ferner, daß im Jahr 1295 (18. Nov.) Heinrich Hopfen (vielleicht
der Sohn eines der eben Genannten) und feine Frau Ellinde dem
Klofter Herrenalb neben einem halben Hof zu Hochdorf aud die Nutz—
nießung des achten Theils des dortigen Zehntens ſchenken ꝛc.
Haben wir oben geſehen, daß Markgraf Rudolf ſich wohlwollend
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert. 13
gegen das Klofter Maulbronn bewies, jo können wir dasjelbe auch von
einigen Bewohnern Pforzheims fagen, wie denn bereits einer Schenkung
des Scyultheigen Erlewin Liebener an diefes Klofter erwähnt wurde. 1)
Am 8, Dftober 1266 übergibt Mengozo, Bürger zu Pforzheim, dem
Abt und Konvent in Maulbronn alle feine Gefälle bei Pforzheim um
9 Pfund Heller, Am 411. September 1291 vermacht Wortwin
(MWörtwein), Rektor oder Dekan der Kirche zu Pforzheim, dem Klofter
Maulbronn 30 Schilling Heller und 21/, Ohm jährlichen Weingefälle
in Kürnbach, auch 13 Ohm Wein und 4 Quartalien in Gindertbach
zu einem Jahrestag, der mit weißem Wein, Waizenbrod und Fiſchen
begangen werden fol. Am 27. Sanuar 1293 vermacht Neinlind,
MWittwe des Konrad Zehner in Pforzheim dem nämlichen Klofter ein
Haus zu Speier in der Herdgafie und 4 Morgen Weinberg in Dür-
renzimmern.
Das Kloſter Maulbronn, deſſen um das Jahr 1140 erfolgter
Gründung bereits (S. 49) gedacht worden iſt, gelangte nach und nach
zu ſo reichem Beſitz, daß es an mehr als hundert Orten begütert war.
So gehörten ihm u. A. Güter, Rechte und Gefälle im württembergiſchen
O. A. Maulbronn (in den Orten Dürrmenz, Enzberg, Illingen, Mühl—
acker, Oelbronn, Oetisheim, Wiernsheim, Wurmberg), in den Oberäm—
tern Beſigheim, Brackenheim, Heilbronn, Leonberg, Mergentheim, Neuen:
bürg, Stuttgart, Vaihingen, im jebigen Großherzogthum Baden in
den Aemtern Bretten, Bruchfal, Bühl, Carlsruhe, Durlach, Eppingen,
Pforzheim (in den Orten Pforzheim mit Kollaturrecht, [vergl. unten]
Bauſchlott mit Kollaturredyt der Frühmefje, Düren, Kiefelöronn,
Niefern, Oeſchelbronn), Philippsburg, EC chwebingen ; außerdem in der
Pfalz noch viel Eigenthum. Im Befib des Klofters war auch ſchon
1285 der Wald Hagenfhieß, (wenigftens ein Theil davon), über
welchen damals zwijchen dem Klofter und den Herren von Enzberg ein
Streit entftanden war. Derfelbe wurde dahin entſchieden, daß dem
Klofter der Hagenſchieß gehöre; doch follten die von Enzberg das echt
haben, unter Aufficht des Klojters zum Bau von Speichern in ihrer
Burg tannene Dielen daraus hauen zu laſſen. Ein ähnlicher Streit
entftand fpäter 1324 wegen des Hagenfchießes mit den Herren dv. Steined,
1) Vergleiche hiezu die Negeften in Klunzingers Gechichte von Maul:
bronn, S. 1541,
74 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert,
der im Mey des Vergleichs (S. 69) ebenfalls zu Gunften des Klofters
feine Entfcheidung fand. — Noch mag hier. bemerkt werden, daß die
Wappen der Eden, welche Maulbronn begabten, dort großentheils noch
zu jehen find, fo aus unferer Gegend die der Herren von Dürrmenz,
. Enzberg, Königsbach, Niefern, Remchingen, Roßwag, Lomersheim, Vai:
hingen, Weißenſtein ꝛc.
Solche Schenkungen an Klöſter lagen im Geiſte der damaligen
Zeit, die gegen Kirchen und Klöſter im Allgemeinen ſehr freigebig war.
Man gab Güter hin für ſein und der Seinigen Seelenheil, für ein
Begräbniß in der Kirche, bei eigenem Eintritt in ein Kloſter, für ein
aufgenommeues Kind, für ausgewirkte Abſolution, vor Antritt eines
Kreuzzuges und dgl. Wie viel ächte Frömmigkeit dabei mitwirken
mochte, mag hier ununterſucht bleiben. So viel iſt gewiß, daß Mancher
ſich durch derartige Gaben und Vermächtniſſe mit ſeinem Gewiſſen am
Beſten abfinden zu können glaubte.
Wurden Schenkungen von Pforzheimer Bürgern vielfach an aus—
wärtige Klöſter gemacht, jo hatten ſich auch die Klöſter der Stadt ſelbſt
gleicher Gunft zu erfreuen, Zu dem ſchon 1150 gegründeten der
Cifterzienferinnen kamen im Laufe des 13. Jahrhunderts auch die Klöfter
der Dominitanerinnen, der Franziskaner und der Domini:
taner,
Der Drden der Dominikaner, oder der Mönche und Frauen
des Predigerordens, welcher zu Anfang des 13. Jahrhunderts (1206)
dur den Baftilianer Dominitus Guzmann geftiftet wurde, fand fchnell
große Verbreitung, und ſchon um 1250 muß den Do minifanerinnen
ein Klofter in Pforzheim gebaut worden fein, Zum erften Mal geichieht
desfelben 1257 bei einer Schenkung Erlewin Liebeners Erwähnung
(S. 71). Sodann kommt e8 wieder in einer Urkunde vom Jahr 1265
vor. Die Gebäulichkeiten diefes Klofters, welches auch oft das Frauen:
Hofter zu Maria Magdalena oder der Büßerinnen heißt, be
fanden ſich da, wo jeßt die Heil: und Pflegeanftalt fteht, und zwar da—
mals und jpäter noch außerhalb der Stadtmauer („vswendik der more").
Das Kloſter der Dominikanerinmen erwarb ſich nach und nad) ver:
fchiedene Güter und gelangte dadurch bald zu bedeutendem Beſitz. Co
verkaufte Graf Konrad von Vaihingen den großen Zehnten dafelbft am
30, Zuni 1265 an bejagtes Klofter, fo übertrug am 26. Oktober 1269
der Geiftlihe (decanus) Gottfried von Vehingen (Vaihingen) feinen
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 75
Antheil am Zehnten zu Baihingen an das Frauenklofter vom Orden
der Büßerinnen bei (apud) Pforzheim. Unter den Zeugen erfcheinen
in der betreffenden Urkunde außer einigen Bürgern von Pforzheim auch
Gottebreth von Weißenſtein, Rektor der Kirche zu Breccingen
(Brögingen) und Heinrih, Pfarrer (plebanus) von Kuffelbrunne
(Kiefelbronn); jo geftatten ferner am 28. Juli 1287 die Grafen Kon:
vad und Heinrich von Vaihingen dem Frauenkonvent des Predigerordeng,
unter gewiſſen Vorbehalten eine Hofftatt zu Vaihingen zu kaufen ꝛc. —
Die Franziskaner (bier auch Barfüßer, Minoriten, mindere
Brüder,) deren Orden 1209 vom heiligen Franziskus von Aſſiſi geftiftet
wurde, fiedelten fich im Jahr 1270 in Pforzheim an, und vier Jahre
nachher wurde ihnen bereits eine prächtige Kirche gebaut, die mit einem
in gothiſchem Styl aufgeführten Thurm gefhmüdt war. Das Franzis:
fanerflofter ftand da, wo ſich jest die Taubjtummenanftalt befindet, und
noch ift das Chor der Kirche erhalten und wird zu den Gottesdienften
der katholiſchen Gemeinde benutzt. Auf die Gründung dieſes Kloſters
war ficher die Anweſenheit des berühmten Franzistaners Berthold (Lachs)
von Regensburg (+ 1272) in Pforzheim nicht ohne Einfluß. Dieſer,
eis feuriger Redner, der überall herumreifte, durdy die überwältigende
Macht jeiner Worte rohe Gemüther erjchütterte, die Ablaßprediger bes
fümpfte, als riedengftifter auftrat und auf eine Verehrung Gottes im
Geift und in der Wahrheit drang), predigte im Oktober 1259 unter
ungebeuerm Zulauf aud in Pforzheim ?), und «8 liefert einen fchönen
Beweis von der eindringlichen Gewalt feiner volfsthümlichen Rede, ſowie
von feiner Wirkſamkeit als Triedensapoftel, daß er den Ritter Ludwig
von Liebenzell zu bewegen verftand, von feinen langjährigen Feindſelig—
keiten gegen die verwittwete Markgräfin Irmengard abzulaffen und fi
nicht nur bezüglich einer ZJehntabtretung an das Klofter Lichtenthal dem
Ausſpruch eines Schiedgerihts zu fügen, ſondern auch diefen Kloſter
das Patronatsrecht der Kirche zu Iffezheim mit allen anklebenden
1) Hafe, Kirhengeichichte, 3. Auflage, S. 338, und Kling, Berthold des
Sranzisfaners Predigten (Berlin 1824).
2) Schon 3 Jahre vorher war er aud in Konftanz aufgetreten. Die
Konftanzer ZJahrbücer (in Mone, bad, Arhiv IE. 193) enthalten darüber
folgende Notiz: „Anno Domini 1256 Brediet Bruoder Berchtolt ze Eoftenk
zem erften.“
76 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
Rechten abzutreten. 1) Auch diefes Klofter erwarb fi) im Laufe der
Zeit anfehnliche Beſitzthümer, was fpäter den Mönchen nicht zum Vor:
theil gereichte, So finden wir, daß Wernher von Roſewach und feine
Frau, eine geborne v. Sternenfels, am 30. Juni 1284 demfelben
einige Befitungen in Urach ſchenkten, während Letzteres mieder feinerjeits
diejenigen Befitungen, welche ihm daſelbſt von Albert won Urach zuge:
fallen waren, im April 1291 dem Klofter Herrenalb übergibt ıc. Aus
leßterer Urkunde erfahren wir auch, daß der damalige Guardian (Abt)
des Kloſters Dietrich hieß. Der Urkunde ift das Klofterfiegel (in
bräunlichgelbem Wachs an Pergamentftreifen) angehängt. Cs läßt ſich
darauf, Jo weit es noch übrig, ein Engel mit einer Fahne tiber dem
Fegfeuer erkennen.
Dis Dominifanerflofter, auch Prebigerkloſter zu
St. Stephan, wurde an die Stelle gebaut, wo fich jett die beiden
Schulhäufer und der Schulplat befinden, Es fcheint dies im Jahr
1279 gefchehen zu fein; denn damals bewilligt Markgraf Herrmann VII.
den Predigermönden, in Pforzheim ein Haus (d. 5. ein Klofter) zu
bauen. Dieſes Klofters ift in einer Urkunde des Klofters Nechenshofen
von 1336 als beftehend zum erften Mal beftimmte Erwähnung gethan.
Am Jahr 1340 ftiftete Mechthild, Witte des Heinrich Not, einige
Pfründen in diefes Klofter. Bei der Aufzeichnung der geiftlichen Pfrün—
ben und Gülten, welche 1580 ftattfand, war der ältefte noch vorhandene
Kapitalbrief 1348 ausgeftellt. Diefes Klofter gelangte überhaupt bald
auch zu großem Befitthum, (Mäheres weiter unten.)
Einer eigenthlimlichen Beftimmung bezüglich der geiftlichen Güter
begegnen wir im Jahr 1287 (30. März). Diefelben waren nämlich
in der Negel frei von Abgaben und Dienftlaften. Dadurch entging der
Herrfchaft ein Bedeutendes an Steuern, ebenfo den Gemeindeeinnahmen,
was den Bürgern um fo empfindlicher fiel, als die Gemeindelaften,
namentlich auch die perfönlichen Leiſtungen an Frohnden, Wachten ıc., auf
das Grundeigenthum gelegt waren. Die Bürger von Pforzheim, in deren
Gemarkung ſehr viele Kloftergüter lagen, fuchten fich Erleichterung zu ver:
ichaffen, und wußten den Markgrafen Herrmann VII. der vermuthlich ein
Anlehen bei der Stadt machen wollte (S. 57), als Bedingung desfelben, die
1) Vergl. das Urkundenarchiv des Klofters Lichtenthal in Mones Zeit:
ſchrift VII, 95 umd die von Dambacher gemachte Bemerkung.
Siebentes Kapitel, Pforzheim im 13. Jahrhundert. 77
wahrſcheinlich dem Markgrafen ſelbſt nicht unerwünſcht war, zu einem Erlaß
zu bewegen, durch welchen eine Verminderung der Güter in todter Hand
verfügt und den Klöſtern aufgegeben wurde, all ihr liegendes Eigenthum
auf Pforzheimer Gemarkung binnen Monatofriſt zu veräußern, Dadurch
war aber den Klöftern auch wieder eine Begünftigung gewährt. Wurden
isre Güter zum Verkauf ausgefest, jo konnten diefe die Bürger aller:
dings erwerben ; thaten leßtere dies aber nicht, jo Fonnten fie fich in der
Folge auch nicht mehr über Schmälerung ihrer Gemeindeeinnahmen be:
Hagen.?)
Außer den Klöftern und ihren Kirchen begegnen wir in dieſer
Periode wiederholt auch der Kirche zu Pforzheim. Ob damit die
Kirche der Altftadt oder die Schloßkirche gemeint it, weiß ich nicht.
Vielleicht die erftere, da die Schlofirche noch im folgenden Jahrhundert
als Filial der Altftadtfirche bezeichnet wird. In einer Urkunde von 1240
fommt ein Morhard, Proviſor der Kirche zu Pforzheim vor. In
einer andern von 1277 finden wir einen Dekan „„Wortwinus“ (Wört:
wein) als Zeugen aufgeführt. Daß derfelbe 1291 eine Schenkung an
Maulbronn machte, ift ſchon (S. 73) erwähnt worden. In einer
weitern Urkunde von 1282 wird bereits au die St. Nikolauska—
pelle in der Altitadt genannt. Diejelbe lag neben dem Hirſchauer
Hof, von welchem ©. 41 die Rede geweſen.
$4 Umfang, Ausfehen, Cheile, Mamen und Siegel der Stadt,
Eine Spracprobe aus dem 13. Jahrhundert.
Treudig war Pforzheim, nachdem aus dem Flecken eine Stadt ge:
worden, berangeblüht, und es erfcheint fhon im 13. Jahrhundert neben
Baden als der bedeutenöfte Ort der Marfgraffchaft, der mit Mauern,
Zwinger, Wall, Graben und Thürmen verjehen und vermöge folder
Befeftigung zu einer Zeit, wo das Schiekpulver noch nicht erfunden war,
jedem feindlichen Anfall trotzen konnte. Es ift ſehr wahrſcheinlich, daß
die Befeftigungswerke, deren Reſte fich bis auf unjere Zeit erhalten
haben, wie z. B. die zwei alten Thürme in der Aue, der vieredfige
Thurm bei Kupferſchmied Machlet, die an verfchiedenen Stellen noch
1) Vergl. die Bemerkungen von Dambadher in Mones Zeitihrift, II.
236 ff.
78 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrbunbert.
vorhandene Stadtmauer ꝛc., lettere wenigftens zum Theil, aus dem
13. Jahrhundert ſtammen.
Ein recht ſtattliches Ausſehen, das ſich auch in den folgenden Jahr—
hunderten wenig veränderte, mochte Pforzheim ſchon damals gewähren
mit feinen eben erwähnten Befeſtigungen, ſeinen Mauer: und Thorthürmen,
wozu auc noch die Thürme mehrerer Kirchen kamen, die, wie aus dem
Borhergehenden erfichtlic, damals ſchon gebaut waren, namentlic aber
auch mit feinen drei Vorftädten, deren Namen ſchon in fehr früher Zeit
vorkommen. Die Altjtadt, die, mie bereits erwähnt, älter als die eigentliche
Stadt ift und darum nicht, wie die Brößinger Vorftadt, erft angebaut
wurde, war von jener ganz getrennt, da der Zwiſchenraum zwiſchen Stadt
und Altſtadt, alfo das fpätere ſog. Pfläfter (jet Sophienſtraße), damals
noch nidyt überbaut war, hatte eigene Mauern und Thore, und war
überhaupt die Altftadt nicht in dem engen Verband zur eigentlichen
Stadt, wie das heut zu Tag der Fall. In dem Teftamente bes
Schultheißen Erlewin Liebener von 1257, worin er den Pforzheimer
Nonnen Güter vermacht, ftehen die bezeichnenden Worte: In veteri
eivitate juxta Phorzhein, d. h. in der alten Stadt bei Pforzheim.
Noch im Jahr 1352 finden wir Konrad den Weingärtner, Wortwin
den Weber und Konrad den Schopperer als befondere Richter der Alt-
ſtadt bezeichnet. Die Altitadt fcheint früher auch größer als jetzt ge
weſen zu fein und erſt im SOjährigen Krieg nicht nur ihre Befeftigungen,
fondern auch viel von ihrem Umfang verloren zu haben. Aber auch
damals noch finden wir immer noch einen befondern „Viertmeiſter“ der
Altſtadt. Wie die Altftadt, fo waren auch die Aue und die Brösinger
Vorſtadt mit befondern Befeftigungsmwerken verſehen. Jene iſt ſehr alt,
was ſchon der Umſtand beweiſt, daß viele der älteſten Familien der
Stadt aus der Aue abſtammen. Die Brötzinger Vorſtadt wird zum
erſten Mal 1323 genannt. (Siehe unten.)
Wenn Markgraf Rudolf I. feine Reſidenz, mit Baden und Eber—
ftein abwechſelnd, zu Pforzheim hatte, jo kann daraus dev Schluß ge:
zogen werden, daß in letzterer Stadt damals auch ſchon ein fürſtliches
Schloß erbaut war. Jedoch fehlen alle fichern geſchichtlichen Nachweiſe
über die Zeit der Erbauung eines jolhen. Der Name Schloßberg
fcheint indeß erſt fpäter aufgefommen zu fein, da wir denjelben 1383, ja
noch im 16. Jahrhundert als „Kilchberg“ oder „Kirchberg“ bezeich—
net finden. Bon jonftigen Häufern und andern einzelnen Theilen der Stadt
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert, 79
finden wir in alten Urkunden) erwähnt: „Des Liebeners Hof“
in der Altſtadt 1257 und 1284, das „Haus des Blochelins“ 1256,
ein „Frauenthor“ (porta dominarum) 1290, — und endlich außer:
halb der Stadt: „des Kürfhners Wingert“ (vinea pellificis) 1284.
Was den Namen betrifft, den Pforzheim im 13. Jahrhundert
trug, jo begegnen wir am bäufigften der Schreibweife Phorzbein,
und da dieſelbe auch in dem damaligen Stadtfiegel vortommt, fo muß
fie als die offizielle und richtige betrachtet werden,
. Diefes Stadtfiegel, das fi, in Wachs abgedrüdt, an vielen Urkun—
den des 13., 14. und 15. Jahrhunderts, das erſte Mal 1256 an einer
Herrenalber Klofterurfunde vorfindet, ift vund, zeigt, wie aus der bier
befindlichen Abbildung zu erjehen ift, einen dreiedigen, gewölbten Schild
mit dem badifchen Schrägbalten und der Umſchrift: SIGILLVM CIVIVM
IN PHORZHEIN, b. h. Siegel der Bürger in Pforzheim.
Bei der ſchwankenden deutfchen Orthographie jener Zeit, die natür-
ih noch Feine allgemeine war, jondern immer nur den betreffenden
Mundarten, diefen in der Negel aber mit größter Treue entſprach, darf
e8 ung nicht wundern, wenn wir noch auf verfchiedene andere Schreibweifen
des Namens der Stadt ftoßen. So wird diefelbe in der oben erwähnten
Pfälzer Urkunde von 1195 „Phorceim”, in einer andern aus jener
1) Meiftens Herrenalbern.
80 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
Zeit „Porzeim“ (S. 48) genannt. In den Jahren 1256 und 57
finden wir neben der richtigen Schreibweife auh Phorzheim, Phortzeim
und Phorcezen, 1266 Phorſhleim, 1279 und 1284 au Phorz-
bain, 1287 neben Phortzhein auch Pforzein, und tritt im folgen:
den Jahrhundert neben dem Ph das Pf immer häufiger auf. Wir
finden diefen Webergang auch bei andern Ortsnamen, fo 3. B. bei
Poren (bei Donanefhingen), das in Urkunden aus dem 9. Jahrhundert
unter dem Namen Forra, Phora, Phorra vorkommt.
As Probe der damaligen Spradye unferer Gegend möge die
ältefte deutſche Urkunde des Klofters Herrenalb bier ftehen. Sie
it vom 28. Juni 1287. Alle Altern Urkunden, ſowie auch viele fpätern,
find in lateinischer Sprache abgefaßt. Doc begann im 13, Jahrhun—
dert die deutſche Sprache fi) nach und nad daneben geltend zu machen.
Das erfte befannte Beifpiel, daß ein König, Konrad IV., eine Urkunde
deutfc) »ausftellte, ift vom Jahr 1240. Zu beflerm Verſtändniß unten:
ftehender Urkunde muß bemerft werden, daß die Grafen Conrad und
Heinrih von Waihingen darin dem Frauenfonvent des Predigerordeng
in Pforzheim zwar” geftatten, das darin bezeichnete Eigenthum in Vai—
hingen zu Kaufen und frei zu befiten; aber von andern Gütern, die fie
noch in Bau nähmen, müßten fie Bete geben; ohne Benilligung der
Grafen follten fie feine neuen Güter erwerben; Güter, die ihnen ge-
ſchenkt würden, follten fie den Grafen oder ihren Bürgern binnen Jahres:
frift zu kaufen anbieten ıc. Man fieht daraus, daß. die Grafen von
Baihingen zu ganz Ähnlichen Maaßregeln wie Markgraf Herrmann VII.
griffen, um ſich ihre Einkünfte an Steuern nicht fchmälern zu laſſen.
„Wir grade Cuonrat und grave Heinrich von Veihingin duen Hunt
allen den, die diien brief horent leſen, daz wir den frouwen von dem
conuente der predier ording ze Pforzein mit bedadhtem muote und mit
vnſerm ganzem willen und vnſerre erben han erlonbet zefoufenne eine
houeftat ze Vaihingen, da fie mugen vf gebumwen ain büs, ain fehiw:
ern, vnd ain Gäden, 1) daz fie in der houereit iv zehenden, ir wagen,
und ir Farreche mugen geftellen, vnd ſol div felbe honereite vri fin, ez
fi deine, daz fi ander guot buwen, egger, wifen, oder garten, der fol
bete geben von ir wegen vnd won finen wegen nach dem guote, az er
denne buwet. Sie fuln auch dehein guot furbaz me da gewinnen, wan
1) Hier wohl Schopf, Schuppen.
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 81
mit vnſerm willen. geminnent fie ez dar vber, jo fuln wir, oder vnſer
erben der ſelben guotes onderwinden. ft aber, daz in Albreht Kalt:
ifen durch got, oder zekovfe dez felben zehenden dailit 1) git, daz fol in
dem felben rehte fin, alfe da vor geſchriben ſtat. Furbaz me ift, daz
man im durch got deheinerflahte?) guot da git, daz fuln fie in der jars
vrifte uns, oder vnſern burgern geben ze kaeufe. Die vor geſprochen
frovwen vergebent ovch des mit vns am difen gegemmartigen briefen,
daz fi durch vnſer liebe, und durch vnſer bete ſuln begen aller vnſerre
pordern järgezit, vnſer felbes, vnd aller vnſerre nach kumen an dem
fritage vor dem palme tage. Diz fint die gezuge, die an vnſerme
dinge 3) waren, die da nach gefchriben ftant: ber Albert der Firchere
von Beihingin, Heinrich der Fircherre von Sarweſhein, Guonrat von
Sterrenvelz, Volrih von MWefingin, Heinrih von Remihingin, Lodewie
und Stofelin von Horhein, dar nad die rihter von Vaihingin, Albreht
Kaltifen, Dietmar, Cuonrat der Smit, Anjelm von Damme, und ander
biderbe livte, die dar an waren. Daz diz ftete belibe vnd fefte, dar
vmbe han wir vnſer jnfigel, des marcgrauen Hermans von Baden, vnſers
iwefter mannes graue Eberhardes von Tuwingen, der rihter von Spire,
der vor gefprochen frovwen, hern Dietrihes eins ritters von Lomerfbein,
und des von Enziberg bern Cuonrat, an difen gegenwartigen brief ge
bentet. Diz geſchach, da von gotes geburte waren dufent jär, zewai
hundert jar, vnde fiben und achizig jar, an dem Mendage nad) fante
Jacobs dage.“
85. Pforzheimer Geſchlechter.
Es it bereits (©. 71) angedeutet worden, daß Pforzheim eine
Anzahl patriziſcher Gefchlechter beſaß, die fich‘ durch ihren Neichthum
auszeichneten. Es find dazu einige Erläuterungen nothwendig. Man
muß im Mittelalter zwijchen einem Land: und einem Stadtadel unter:
ſcheiden. Jener wohnte auf feinen Burgen, diefer in den Städten und
bildete hier den angefehenften Theil der Bevölkerung. Man findet diefe
Erfheinung im vielen Altern Orten. In den Händen diefes Stadtadele
oder der Patrizier, die man Häufig auch einfach „Geſchlechter“ oder
1) Getheilt, nur in Theilen.
2) Keinerlei.
) Berhandlungen.
Pflüger, Pforzheim. 6
82 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
„Hausgenoſſen“ hieß, und die aus militärifchen Beſatzungen der Städte
von frühern Jahrhunderten, in Pforzheim vielleicht fchon von der Calwer
Zeit, hervorgegangen fein mochten, lagen alle Theile der obrigkeitlichen
Gewalt, und e8 wurde forgfältig darüber gemacht, daß fich kein Unberufener
eindrängte, Als ſich aber in manchen Städten nach und nad) die Korporatio-
nen der Zünfte bildeten und diefe am jtädtifchen Regiment ebenfalls ihren
Antheil beanipruchten, Fam es vielfach, fo 3. B. um 1330 in den Städten
Speier, Worms und Mainz, zu Zunftempörungen, wodurch die Regie—
rung der Patrizier geftürzt wurde und die Vertreter der Fünfte die
Gewalt an fi riſſen. Ob Aehnliches auch in Pforzheim gefchah, ver:
mag ich nicht zu fagen; wohl aber ift daraus, daß wir Glieder patri-
zifcher Gefchlechter no im 15. und 16. Jahrhundert fortwährend obrig-
feitliche Stellen befleiden fehen und neben ihnen auf Handwerker als
ihre Kollegen ftoßen, dev Schluß zu ziehen, daß die Gewalt fpäter eine
geteilte war. Die Geſchlechter wermifchten ſich übrigens in der Folge
fo jehr mit den anderen Bürgern, daß der Unterſchied wegfiel und man
nur noch zwifchen Bürgern (darunter der frühere Adel) und Nichtbirgern
unterfchied. Das Aufzählen der vwornehmjten und bekannteſten jener
frühern Patriziergefchlechter mag der Jufanmenftellung der Namen von
fonftigen Bürgern vorausgehen, wobei der Bollftändigfeit wegen in der
Zeit fowohl etwas zurück- als vorwärtsgegriffen werden muß. Noch ift
zu bemerken, daß ſich das Andenken mancher Glieder diejer Patrizier:
gefchlechter in Grabfteinen erhalten hat, die ſich in der Schloßfirche vor:
finden, welche Begräbnißftätte, im Vorübergehen gejagt, auch wieder ein
Beweis für den höhern Stand ift, dem die Betreffenden im Leben an:
gehört haben.
Ktebener, _ |
Des Schultheißen Erlewin Liebener ift bei den Jahren 1240,
1246, 1256, 1257 und 1259 bereits gedacht worden. Seinen hohen
Stand mag das beweifen, daß er 1245 als Zeuge vor dem Ritter
Kymo von Baden und im gleichen Jahr und im gleicher Eigenfchaft vor
Konrad Schenk von Winterftetten genannt wird. Wir finden im 13.
und 14. Jahrhundert noch mehrere dieſes Gefhlechts, jo 1256 einen
Eberhard L., 1265 Heinrich L., 1275 Eberhard 8, (älteſter Grabftein
in der Schloßfirche, 1) wahrfcheinlich der nämliche 8, wie 1256), 1292
1) Er fteht an der Wand einer Seitenkapelle, und find Name und Jahr—
zahl noch Teicht zu entziffern.
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 83
wieder einen Eberhard und einen Albert %., 1295 Gozold und feinen
Sohn Berthold L., 1339 Albert L., 1380 Gozold 8, Für den Reich:
thum der Liebener zeugt, was oben bereits davon gejagt worden ift,
Weiß (Meife, Weiſo, Waife).
Die Weiß find ein uraltes Pforzheimer Geichleht. Schon in einer
Urkunde von 1179 kommen ein Udalrieus und ein Herrmann Meiie,
wabrjcheinlid von Pforzheim, mit der Bezeichnung ingenui viri, d. h.
freigeborene Männer, vor, Erſterer wird auch 1186 wieder als Zeuge
in einer andern Urkunde genannt, worin Kaiſer Friedrich I. Barbarofja
den Verkauf von Gütern in Dertingen an Herrenalb beftätigt. Ferner
finden wir von diefem Gejchleht: 1256 Albert W., 1234 Berthold,
Albert und Gottbold W., 1295 Albert und Gottbold W, (als Stadt:
räthe), 1302 Gottbold W., 1319 Sigfried W. und feine Frau Hedwig,
eine Edle von Mönsheim, Albrecht, Trautwein und Gotthold W,, 1321
Aldrecht, Erlewin und Gotthold W., 1328 Gotthold W., 1329 Heila
W., 1336 und 1338 Sigfried W,, 1345 GSigfried und Werner W,,
(Beide haben Antheil an Gräfenhaufen), 1352 Sigfried, Hartmann,
Wilhelm W., 1358 Walther W., 1376 Priefter Wortwein W., 1383
Wernher W. ꝛc. Bon dem ausgedehnten Befit und dem Neichthum
der Weiß mag das zeugen, was unten noch über ihre Verkäufe und
Vergabungen geſagt werben wird.
Roth (Route, Rovte, Renten, Rotte, Rot), genannt Vai—
hinger oder von Vaihingen.
Ein Geſchlecht, das ſich bis in die neuere Zeit verfolgen läßt.
Ein Heinrich, genannt Veyhinger, kommt ſchon 1259 vor; der nämliche
als Heinrich von Vaihingen 1263 und 1265; ein anderer Heinrich
Rovte (vielleicht auch derſelbe) iſt 1295 Mitglied des Stadtraths, ebenſo
ein Walther von Vaihingen; 1328, 1332, 1347 und 1358 ſtoßen wir
wieder auf einen Heinrich R., welcher in leßtgenanntem Jahr Schieds:
mann in einem Streit zwifchen der Pfalz und. der Stadt Speier ift!);
1358 kommen and ein Eucdarius und ein Günther R. vor; 1371 it
Günther von Vaihingen unter den Pflegern des Franziskanerkloſters;
1396 Heinz R. und fein Sohn, (verf. ein Haus ꝛc. in der Altftadt) ;
1400 Konzlin und Heinrich Not; 1420 ein Johannes R., Priefter
(Grabftein in der Schloffirhe), 1428 Petrus Roth, genannt Vaibinger,
1) Lehmann, Speierer Chronik, 769.
84 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert,
(Grabftein ebendafelbft); 1431 Großhans R., Richter (verkauft 1/, des
Zehntens zu Nußbaum an Herrenalb), 1442 Hans R., ein württem:
bergifcher Lehensmann, 1468 Peter Not, genannt Baihinger; 1487 Hans
R., Pfarrer zu Mönsheim; 1515, 1939 und 1544 Eucharius Bai-
binger, 1552 Hans R., 1609, 1623, 1643 Ulrich R., genannt Vai—
hinger, 1610 Bitus R., genannt Baihinger, Pfarrer von Dietlingen ;
41676 Beter R., (Zeugmacher) ift letzte Spur diefes Geſchlechtes. Das
Wappen desfelben fcheinen drei verfchränfte, mit den Spiten in fenkrechter
Richtung zufammenftoßende Vierecke geweſen zu fein,
Hopf, Goppho, Hopphin, Hopfen).
Ä Diefes Patriziergefchlecht jcheint bald wieder ausgeftorben zu fein.
Ein Eberhard H. ift z. B. 1256 Zeuge in einer Urkunde, welche die
Gebrüder Berthold und Belreim von Weißenſtein ausftellen; derſelbe
ericheint audy 1265 wieder; die Gebrüder Wernher, genannt Hopphin
1279, ein Heinrih Hopfen 1295 :c.
Imhof (im Houe, im Hove).
Die Gebrüder Einhart und Günther (im Hove) kaufen 1279 die
Dörfer Eutingen und Rieſch (2) von den Herrn von Roßwag. Ein
Volkmar ift 1295 Stadtrath, wahrjcheinlih ein Imhof, denn diefer
Name kommt bei diefem, Gefchleht noch mehrfah vor, fo 1319,
1339 (Richter), 1347, 1396 (Richter); — 1321 erfcheinen ein Gün:
ther J., 1354 eine Frau Mechthold, genannt die Einhardin im Hofe,
ihre Tochter Pele, die Klofterfrau (jtirbt 1360 und wird in Maulbronn
begraben), und ihre Schweftern, die Legelerin und die Rappenherrin, die
aljo an Angehörige anderer Patriziergeſchlechter verheirathet waren.
Legel (Legelin, Xegeler).
1339 find Heinrich und Konrad L. Bürger und Richter in Pforz—
beim; 1348 ift ein Kraft, genannt Legelin, Herrenalbifcher Klofterpfleger
in Pforzheim, 1400 kommt ein Webel Legelin vor ıc.
Rappenherr.
Ein jehr veiches und angefehenes Geſchlecht, das aber erſt im
14. Jahrhundert vorfommt, 1343, 1354 und 1356 begegnen wir einer
Guta Rappenherr, von deren Reichthum ihre Verkäufe und Schenkungen
von Gütern, Rechten ꝛc. an verichiedene Klöfter Zeugniß geben. (Siebe
unten). Gie ftarb 1372 (Grabftein in der Schloßkirche) Im Jahr
1345 verfauft ein Günther Rappenherr mit Sigfried und Wernher Weiß
feinen Antheil an Gräfenhaufen um 414 Pfund Heller an Württemberg.
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 85
Im Fahr 1380 kommt ein Dietrich Rappenherr vor; ein anderer Rap:
penherr ift 1392 badifcher Kanzler. 1400 wird eines Conz Rappenherr
erwähnt; 1429 ftarb Elsbeth, Tochter von Albert Wels und Gemahlin
von Günther Rappenherr (Grabitein in der Schloßkirche); ein Johannes
R. it 1434 und 1452 Pfarrer und 1452 ein Dietrih Rappenherr
Vitar; 1460 ift ein Theodor R. Vicar des Michaelſtifts; ein anderer
diejes Geſchlechts ericheint 1442 als württembergifcher Lehensmann ꝛc.
Dieies Geflecht war auch in Weil der Stadt anſäßig und begütert.
Unter den 1388 bei der Schlacht von Döffingen durch Graf Eberhard
von Württemberg Gefangenen war auch ein Rappenherr von Wyl. Die
Grabfteine der Rappenherre in der Schloßfirche find an dem Wappen
mit 2 gegeneinander gekrümmten Fiſchen Tenntlich.
Steimar oder Steinmar.
Ein Heinrid von Steimar erſcheint 1292 und 1295 als Schultheiß
in Pforzheim, ein Steimar der Aeltere und ein Eberhard St. gleichzeitig
als Stadträthe. Ein Steimar vermacht mit feiner Frau Edelind 1324
den Klöftern Herrenalb und Kichtenthal eine Gült von 8 Mealtern Rog—
gen zu Förch und Sandweier (bei Naftatt), 1371 kommt wieder ein
Eberhard Steymar fel. vor, deſſen Tochter Heilentrud eine Beguine
(fiehe unten) war,
Tlad, (Vlade, lade).
Am Fahr 1312 erjcheint ein Heinrich Flad ‚mit feinen Kindern
Konrad, Heinrich, Dietmar, Konrad, Elifabetb und Meta Flad.
1322 wieder Heinrich F., derſelbe 13285; 1347 und 1351 kommen
eine Sanne lad und ihre Söhne Heinz, Günther und Dietrich vor,
und ftiften diefelben eine Frühmefje zu St. Michael; 1371 Dietrich
ad, der won Lichtenthal ein Gut bei Au am Rhein lehnt; fein Bruder
Günther F. ift gleichzeitig Pfarrer in Pforzheim; 1400 und 1402 Hart
mann lad; 1401, 1407 und 1422 Heinz Flad, Schultheiß. Ein
Bernhard Flad war 1460 unter den erften Kanonikern des Michaelſtifts.
Die Grabfteine von Konrad F. geit. 1422 und noch anderer diefes Ge:
ichlechts find in der Schloßkirche. Sie find an dem Wappen mit einem
laden (Kuchen) leicht zu erkennen,
Goldelin, Göldelin, Goldener von Tiefenau.
Ein reiches und angefehenes Gefchlecht, won dem unten mehr die Rede
jein wird, das wir aber bier der Zufammenftellung wegen aufführen.
Diefem Gefchlecht gehörte unzweifelhaft ſchon ein Berthold an, der
86 Siehentes Kapitel. Pforzheim ım 13. Jahrhundert.
1298 unter dem Namen „der Goldmann“ vortommt. 1328 war
Wernher Göldlin Schultheig in Pforzheim; 1371 ftirbt nad einem
Epitapd in der Schloffirhe, über welchem ſich Inteinifche Verſe
befinden, Luitgarde, die Frau des Schultheigen Heinrich G., ber ohne
Zweifel identijch ift mit dem Schultheißen Heinz, Kunzen fel, Sohn,
welcher 1359 eine Pfründe in der Schloßkirche ftiftete und auch 1361
erwähnt wird; 1371 kommen ein Heinrich und ein Wernher Goldelin
vor; 1397 begegnen wir wieder eimem Heinrich G. Mehr von ihm
unten. Ein Wernher Göldlin machte 1412 dem St. Thomas und
Andreas Altar in der St. Michaelskirche eine Stiftung von 1 Schill.
6 Schillg. Pi. und 3 Faftnachtshühnern, die auf der Bleichwiefe am
Mebelgraben rubte.
Goßlin oder Gößlin.
Ebenfalls ein durch Reichthum ausgezeichnetes Geſchlecht. 1340
kommen Wernher und Walther Gößlin, 1348 und 1402 kommt ein
Aberlin Gößlin vor, der u. A. auch Beſitzungen in Heimsheim hatte;
diefem Goßlin jchuldete beifpielmeife auch Heinrich II., Graf von Eher:
ftein, 20 Pfd. Heller, und erbot fi, im Fall er acht Tage nach erfolgter
Mahnung nicht zahlen könne, einen Knecht mit einem Pferde auf feine
Koften in eine öffentliche Herberge zu legen bis zur gänzlichen Tilgung.t)
1368 und 1371 beffeidete ein Gößlin das Schultheigenamt, und ift der:
jelbe vielleicht die nämliche Perfon mit dem Schultheigen Albert, der 1383
dem Stift St. Maria zu den Greden mn Mainz ein PBarthie Holz
ſchenkt. Um 1400 kommen ein Mernher und Walther Gößlin, 1402
wieder ein Schultheiß Goßlin vor; 1419 ein Aberlin Göflin, 1454
ein Werner Gößlin; 1460 gehörten Peter und Ib. Gößlin zu den
erften Kanonikern des Michaelitifts; 1466 ift Ib. Gößlin Pfarrer zu
Pforzheim; 1533 und 1585 war ein Peter Goflin Bürgermeifter in
Pforzheim ꝛc.
Wels.
Bon diefem Geſchlecht kommt ein Aberlin Wels fchon 1376 vor
und beſaß derjelbe ein Haus im der Bröbinger Gaſſe. Doch fpielten
die Welfe in Pforzheim erft im 15. Sahrhundert eine Rolle. Nach
einem Grabfteine der Schloßkirche ftarb 1400 Anna Welfin, Ehefrau
des Marquard Plus. 1400 und 1422 Iebten ein Hans, Konz und
) Krieg, Geſchichte der Grafen von Ekerftein.
Siebentes Kapitel, Pforzheim im 13. Jahrhundert. 87
ein Mbert W.; des letztern 1429 geftorbener, an Günther Rappenberr
vermählt geweſener Tochter Elsbeth ift ſchon Erwähnung geichehen.
Balthafar Wels war 1470 und 1473 Schultheiß im Pforzheim und
ftarb 1476, Die Grabfteine der Welje in der Schloßkirche (fie Tiegen
rechts vom Hanpteingange) jind gewiß fchon Jedem durch das riefige,
gefrönte W., das ſich darauf befindet, aufgefallen.
Rumelin, Rümelin.
Ein Erlewin Rumelin ift 1295 Stadtrath; derjelbe wird noch
einmal 1296 und wieder 1304 mit feiner Tochter Frau Heilmig genannt,
die an Herrenalb eine Schenkung macht.
v. Durlach.
Ein Konrad v. Durlach erſcheint 1240; ein Heinrich der Jüngere
v. Durlady 1256; derjelbe (wahrſcheinlich) 1279; ein Heinrich v. Dur:
(ah ift 1295 auch unter den oben angegebenen Stadträthen. Ein Traut:
wein v. Durlach ift 1347 nnter den Stadtridtern.
Bon nod) anderm Bürgeradel, dem wir in einzelnen Gliedern begeg:
nen, mögen hier angeführt werden: Sifried genannt v. Heimsheim 1263,
Konrad der Schmied, genannt von Nußdorf 1279, Konrad Bernhufer
(von Bernhaufen) 1279, Wri von Winrefheim (Miernsheim) 1319,
u. ſ. w. Bon andern Pforzheimer Bürgern, bei denen nicht unterfucht
werden foll, ob fie zu den Patriecirn gehört haben oder nicht, kommen
im 13. Jahrhundert vor: Wernher und feine Frau Judela 1240,
Diether und Heinrich Gozold 1240, Guntram 1245, Berthold Mar-
fhall 1256, Heinrich Snabil (Schnabel) 1256, Albert der Krämer 1256,
Blochelin 1256, Rufelin 1256, Konrad Genfelin 1256, Mengozo 1266,
Mahtolf 1272, die Gebrüder Diethmar und Marquard 1279, Konrad
Zehner 1293, Berthold, Sohn Gozolds 1296, Berthold Widmann 1300.
Auch von diefen Bürgern fcheinen viele ſehr bemittelt geweſen zu
fein. Wenn ferner, wie ©. 76 erwähnt, Markgraf Herrmann VII in die
Rage kam, bei der Stadt Pforzheim ein Anlehen machen zu müffen, fo
mag fich diefelbe auch in Feinen ungünftigen Vermögensverhältniſſen be—
funden haben,
86. Eine Sage.
Unter ber Regierung Rudolfs L, nämlich im Jahr 1260 oder
1267, fol fi) in Pforzheim eine Begebenheit zugetragen haben, welche
88 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13, Jahrhundert.
in ältern Chronifen mit bald mehr, bald weniger wunderbaren Zuthaten
erzählt wird. Da fie unzweifelhaft einen geichichtlichen Kern bat und
einen Blick auf eine dunkle Schattenfeite der damaligen Zeit eröffnet, fo
möge eine Furze Erzählung derjelben aud hier ihre Stelle finden. 1)
Ein altes Weib — fo lautet die Gefchichte — verkauft aus ſchnö—
der Gewinnſucht ein fiebenjähriges Mägdlein, mit Namen Margaretha,
an die Juden. Dieſe verftopfen ihm den Mund, öffnen ihm die Adern,
und umwinden es, um fein Blut aufzufangen, mit Tüchern. Nachdem
das Kind unter dev Marter geftorben war, wird es von den Juden
unterhalb des Scleifthors in die Enz geworfen und mit einer Menge
von Steinen beſchwert. Nach einigen Tagen reckt e8 die eine Hand im
die Höhe, Die Schiffer eilen voll Schreden Hinzu und zeigen das
merkwürdige Ereigniß in der Stadt an, Der Markgraf kommt felbft
herbei, und als das Kind aus dem Waſſer gezogen wird, richtet es fich
auf, bietet dem Fürften die Hand und fordert ihn zur Rache auf.
Darauf finft es wieder todt zurüd. Man wirft nım einen Verdacht
auf die Juden, und läßt fie zujammenfordem; und wie fie ſich dem
Leichnam nähern, fangen die Wunden von Neuem an zu bluten.2) Da—
rauf hin geftehen die Juden die Greueltbat, das alte Weib ebenfalls,
und werden nun allefammt theils gerädert, theils gehenft. Der Leichnam
des Kindes, das vom Volke als Märtyrerin betrachtet wird, kömmt in
einen fteinernen Sarg, der in der Schloffirche beigefeßt wird und die
Aufſchrift erhält: Margaretha a Judaeis oceisa ob. (it) feliciter
Anno Domini MCCLXVII Cal. Jul, fer. VL, d. h. „Margaretha,
von den Juden umgebracht, ftarh jeliglich am Freitag den 1. Juli 1267.“9)
1) Quellen für diefelbe find: Sachs, IE,, 16, der aber feinen Gewährs:
mann, ben Thom, Cantipratanas (IL. 11, Miraculorum et Memorabilium sui
temporis) zitirt, welcher wiederum erzählt, daß er die Geihichte aus dem
Munde zweier Ordensbrüder vernommen. Man fieht, daß viel „Hörenjagen“
dabei ift.
2) Der Glaube, daß die Wunden eines Gemordeten wieder zu fließen ans
fingen, wenn ber Mörder in bie Nähe des Leichnams fomme oder ihm berühre,
war im Mittelalter allgemein verbreitet, und diente fogar als Mittel, um bie
Schuld oder Unſchuld deſſen, der eines Mordes bezichtigt war, an ben Tag
zu bringen. Man nannte ein folhes Verfahren das Bahrrecht.
3) Bon der Jahrzahl MCCLXVII Tann übrigens das VII. aud zu Cal,
Jul, gehören; dann wäre ber Mord am 25. Juni 1260, (der auch ein Freitag
war,) erfolgt.
Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert. 89
Sämmtlihen Schiffern aber verlich der Markgraf zur Belohnung für
das Auffinden des Kindes und zugleich als beitändige Erinnerung an
diejes wunderbare Ereign iß für fih und ihre Nachkommen auf ewige
- Zeiten die Machtfreiheit in der Stadt Pforzheim, zugleich aber aud)
das Vorreht, daß alle Jahre am Frühjahrsmarkt 24 Schiffer mit
Hingendem Spiel und Ober: und Untergewehr auf dem Markte aufziehen
und an diefem Tage die Stadt allein bewachen, fowie für Sicherheit
des Marktes forgen durften.
Zur Ergänzung öbiger Wundergefchichte wird weiter, erzählt,1) daß
nad; eimer Aufzeihnung im Heiligenbuch des Dominikanerinnenklofters
das Grab des Kindes im Jahr 1507 im Beiſein des Kardinals Bern:
hardinus geöffnet und der Leichnam noch ganz unverwest gefunden worden
ſei. Im Jahr 1647 Hätte man denfelben jedoch in einem andern Zu—
ftande, nämlich ganz dürr, doch fo, daß man die Nägel noch hätte
wahrnehmen fünnen, und mit abgefondertem Haupte im Sarge ange:
troffen, und fei der Leichnam fo nad) Baden gebracht worden,
Die ganze Gefchichte von dem „durch die Juden getödteten Mägd—
lein® ift ein wunderliches Gemifch von richtigen Angaben und abergläu:
bigen Zuthaten. Daß der Mord, abgejehen von allen Nebenumftänden,
eine gefchichte Thatſache ift, läßt fich wohl nicht bezweifeln, da der fteinerne
Sarg, der den Leichnam des gemordeten Kindes barg, in der Schloß:
firche noch aufbewahrt und als folcher bezeichnet wird. Er fteht rechts
vom Haupteingang an der Wand. Die Inſchrift, die Übrigens nicht in
den Sarg eingehauen, fondern darauf gemalt ift, Kann nicht mehr ent:
ziffert werden, wenn ſich auch noch einzelne Buchftaben derfelben erkennen
laſſen. (Ein anderer, aber größerer fteinerner Sarg mit Dedel fteht
neben dem des Kindes.) Sodann war es im jenen Zeiten gar nichts
Seltenes, daß man die Juden der Ermordung von Chriftenfindern be:
ſchuldigte, angeblich, weil fie das Blut derfelben zu magischen Zwecken
migbrauchen wollten. Solche Fälle ereigneten ſich nicht nur in Pforze
beim, fondern auch im noch andern Orten. Es waren überhaupt die
Auden im 13. und 14, Jahrhundert bei jedem Anlaſſe den fchredlichiten
Berfolgungen ausgefebt, Brach irgendwo eine anſteckende Krankheit aus,
jo hieß es, die Juden hätten die Brunnen vergiftet, und es mochte wohl
häufig vorkommen, daß die Unglüclichen, um den Qualen der Folter
1) Bon Gamans; ebenjo in Maji vita Reuchlini, p, 109 seq.
90 Siebentes Kapitel. Pforzheim im 13. Jahrhundert.
fich zu entziehen, Verbrechen eingeftanden, die fie nicht begangen hatten.
Bon den gräßlichen Judenverfolgungen des 14. Jahrhunderts wird weiter
unten die Rede fein,
Was num den AJufammenhang betrifft, in welchen die Pforzheimer
Flößerzunft mit diefer Wundergefchichte gebracht wird, fo ift fo viel
richtig, daß die Flößer bis auf die neuere Zeit allerdings wachtfrei waren
und von ihrem Ehrenreht, am Märzmarkt öffentlich aufziehen und die
Stadt bewachen zu dürfen, unausgeſetzt Gebrauch machten. Der uralte
Flößermarſch, der jedes Dial beim Aufzug geblafen wurde, bat ſich
bei Vielen noch in Tebendiger Erinnerung erhalten. 1) Ob folder Ge:
brauch ſammt Wachtfreiheit fi) wirklich von oben erzähltem Ereigniß
herſchrieb, müſſen wir dahin geftellt fein laſſen. Daß übrigens im
13. Jahrhundert ſchon eine geordnete Flößerzunft in Pforzheim beitand,
ift ſehr wahrjcheinlich, wen auch die Urkunden erft im folgenden Jahr:
hundert über das Floßweſen jener Zeit helleres Licht verbreiten. 2) Die
Flößerei ift jedenfalls in Pforzheim fehr alt (©. 24), und mag den
früheften eigenthümlichen Nahrungszweig der Bewohner gebildet haben.
2) Verfaſſer diefer Geſchichte Hat fich dieſen Marſch von einem alten Flößer
vorpfeifen Taffen und ihn in folgender Weiſe notirt:
2) Auf eine Spur von Flößerei ſtößt man in einer Herrenalber Klofter-
urfunde vom 28, März 1294, —
Achtes Aapitel
Pforzheim während der mehrfach erfolgten Theilungen und Zer⸗
ftückelungen der Markgrafſchaft Baden bis zur Wiedervereinigung
des Getrennten. (Meift 14. Jahrhundert.) ‘)
$ 1. Allgemeines.
Die Gefhichte der Markgrafſchaft Baden bietet nad) dem Tode
Rudolfs I. und faft während des ganzen vierzehnten Jahrhunderts das
unerfreuliche Bild mehrfacher Theilungen und Zerftücelungen, wodurch
nicht nur eine weitere kräftige Entwidlung der Markgrafichaft in der
Weife, wie foldhe unter Herrman V. und Rudolf I begommen, unmöglid,
gemacht wurde, fondern auch eine auffallende Abnahme des früher erwor:
benen Anjehens erfolgte. Indeſſen wand fich doch das badifche Fürſten—
geichlecht durch alle diefe Theilungen am Ende noch glücklich hindurch,
bis Nudolf VI. oder der Lange im Jahr 1368 die getrennten Lan:
destheile wieder vereinigte und fein Nachfolger Bernhard der Große,
wenn auch erft nach nochmaliger, aber vworübergebender Halbirung
(1380 bis 1391), als der dritte Gründer der Marfarafjchaft Baden
auftrat.
Nah dem Tode Nudolfs I., welcher im Jahr 1288 erfolgte,
wurde fein Land unter feine 4 Söhne, Herrmann VII, Rudolf IL,
Heſſo und Rudolf III., getbeilt. Die Stadt Pforzheim kam dabei
an Herrmann VII, welcher übrigens ſchon bei Lebzeiten feines Vaters
Antheil an der Negierung genommen und unter Anderm die ſchon
(S. 76) erwähnte Verminderung von Gütern im todter Hand (im
Jahr 1287) verfügt hatte. Diefer Herrmamı VII war aud der
Fortpflanzer des markgräflichen Stammhauſes, indem zwei feiner Brüder,
1) Die Hauptquellen find größtentbeils diefelben, wie im vorhergehenden Kapi:
tel, Wonoch amdere Quellen benügt wurden, find fie unter dem Text angegeben,
92 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
nämlich die beiden Rudolfe, kinderlos verſtarben, der andere, Heſſo, zwar
zwei Söhne (Herrmann VIII. und Rudolf Heſſo) hinterließ, die indeſſen
ebenfalls ohne männliche Nachkommen mit Tod abgingen. Dadurch,
ſowie durch Heirathen gelangten ihre Beſitzungen ſpäter wieder an den
Hauptſtamm ihres Geſchlechtes zurück. Aber auch hier erfolgten noch
mehrfache Theilungen. Markgraf Herrmann VIL, der feinen Vater nur
um drei Jahre überlebte, und ſchon im Jahr 1291 ftarb, Hinterließ
drei Söhne, Friedrich I, Rudolf IV. und Herrmann, weld
Yeterer aber ſchon als Kind feinem Vater in die Ewigkeit nachfolgte.
Rudolf war in feiner Jugend für den geiftlichen Stand beftimmt wor:
ben und beffeidete 1302 bereits die Stelle eines Chorherrn zu Speier.
Er legte indeffen fpäter das Priefterfleid wieder ab und verwaltete mit
feinem ältern Bruder Friedrich gemeinſchaftlich die Landestheile, welche
ihnen ihr Vater als Erbe binterlafien. Diefe gemeinfame Regierung
hörte aber bald auf, da die beiden Brüder es für gerathener
fanden, zu einer Theilung ihres Landes zu ſchreiten. Rudolf IV. erhielt
dabei nebſt andern Befigungen die Stadt Pforzheim, die er nad)
erlangter Volljährigkeit zu feiner Nefidenz wählte und von weldher er
den Namen: „Herr zu Pforzheim“ führte, Zum Unterfchied von
feinem damals noch Tebenden Oheim, Rudolf II, heißt Rudolf IV. auch
ber Junge; mand Mal wird er au der Weder genannt, Es wird
weiter unten von ihm noch mehrfach die Rede fein,
Bezüglich des Stammes Friedrichs II. fei nur in Kürze bemerkt,
daß derjelbe mit feinem Sohn Herrmann IX, wieder ausftarb, weshalb
alsdann die dahin gehörigen Befigungen an die Nachkommen Rudolfs IV,
fielen. Deſſen Söhne waren Friedridy II. und Rudolf V, Erſterer
nahm feinen Sit zu Baden, Lebterer zu Pforzheim, weshalb er auch
den Titel feines Baters: „Herr zu Pforzheim” fortführte. Gleich
dieſem und noch häufiger als der Bater heißt auch Nudolf V. der Weder.
Er ftarb 1361 in Pforzheim kinderlos, weshalb alle badischen Befigungen
in der Hand des Sohnes feines Altern Bruders, nämlich Rudolfs VL
oder des Yangen, wieder vereinigt wurden. In dem Lehenbrief, den
ihm Kaifer Karl IV. 1362 ausftellte, ift zum erſten Mal offiziell von
„einem Fürſtenthum der Markgrafſchaft Baden” die Rede,
Kam es aud) bald nad) feinem Tod, welcher 1372 erfolgte, zu einer
neuen Theilung feines Landes unter feine zwei Söhne Bernhard I. und
Rudolf VIL, fo fielen doc des Lebtern Befitungen bei feinem Abfterben
93
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert.
nahe ds Rudolf I. + 1288.
Rudolf von Habsburg j Le en,
A on Ra Herrmann VII. +1291. Rudolf II. + 1295. Hefe + 1297. Nubolf IN. + 1332.
1291—1298. CPforzheim.)
Albrechtl 1298—1308. —
Gen VE, iz,Friedrich IT. 41933. Rudotf IV. F1348. Herrmann ; 1300. Herrmann VI. Rudolf Heffo + 1335.
Ludwig ber Baier und (Herr zu Pforzheim.)
price! von Defterreid) BEE — — — — — — — —
313—1330.bez. 1347.
Karl IV. 1347—1373.)Heremann IX. 7 1353. Friedrich II. 7 1353 Rudolf V. 7 1361, Margaretha, Adelheid,
(Herr zu Pforzheim.) Gemahlin Gemahlin
— — — —
Friedr. III. Rudolfs V.
Wenzel 1378 — 1400 Friedtich und Rudolf Rudolf VI + 1372.
Pals Kinder. (Pforzheim.)
—— — ——— — —
Bernhard I. 7 1431. Rudolf VII. 7 1391.
Pforzheim.)
94 Achtes Kapitel. Piorzheim im 14, Jahrhundert.
im Jahr 1391 wieder an jenen zurücd, jo daß Bernhard. oder der
Grofe wieder Herr der ganzen Markgrafichaft Baden war.
Vorſtehende genealogifhe Tabelle, welche die Zeit von Rudolf J.
bis zu Bernhard I umfaßt, wird behufs leichterer Meberficht ſowohl der
badifchen Gefchichte im Allgemeinen, als der Stadt Pforzheim, ſoweit
fich diefelbe auf die Herren von Pforzheim bezieht, eine nicht uner:
wünfchte Zugabe fein, Die damit verbundene Neihenangabe der deutichen
Kaifer mag demjenigen, der eine nähere Kenntniß der deutfchen Gejchichte
befitt, ebenfalls zu befierer Orientirung dienen,
$ 2. Defonderes.
(Pforzheim nah Außen.)
Da Pforzheim in damaliger Zeit die bedentendfte Stadt der Mark:
graffhaft und Nefidenz mehrerer Markgrafen war, die fich zum Theil
nad) ihr benannten, fo kann es nicht auffallen, daß fie bei manchen
Negierungshandlungen, namentlich Fehden ihrer Herren, die in jener
unruhvollen Zeit jo häufig waren, genannt wird, und nicht felten auch,
wie fchon früher, in den Strudel der Ereigniſſe hineingezogen wurde,
Im Jahr 1314 war e8 nach dem Tod des Kaiſers Heinrich VIL
von Luxemburg bei der Erwählung eines neuen Kaifers leider zu einer
Doppelwahl gefommen, indem fi ein Theil der Stimmen auf Ludwig
von Baiern und der andere auf Friedrich den Schönen von Defterreic)
vereinigte. Daraus entitand ein achtjähriger werheerender Krieg, der erft
1322 dur die Schladht von Mühldorf, in welcher Friedrich gefchlagen
und gefangen genommen wurde, fein Ende fand. Die Markgrafen von
Baden ftanden zuerſt auf der Seite Friedrichs von Oeſterreich, und da
die nahegelegene Stadt Speier dem Kaiſer Ludwig gehuldigt hatte, fo
wurde fie vom Bruder Friedrichs, dem Herzog Leopold von Oeſterreich,
mehrmals belagert, jo im Jahr 1320, wobei ihm Markgraf Rudolf IV.
Hilfe Teiftete. - Unter den Städten, welche das Ahre dazu beitrugen,
wird neben Durlach, Stollhofen, Befigheim und überhaupt 88 andern
auch Pforzheim genannt. 1) Nachdem ſich jedoch das Kriegsglück für
Ludwig von Baiern entichieden hatte, fchloffen fich die Markgrafen von
N Lehmann, Chronika der freien Reichsſtadt Speier, ©. 761.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 05
Baden an diefen an; Rudolf IV. fühnte fich alsdanır auch mit der Stadt
Speier wieder aus, und erjegte ihr den Schaden, den er ihr zugefügt,
dur Erlegung einer Summe Geldes,
Im Jahr 1338 trat die Burg Weißenftein fammt Zubehör, 1)
jowie tbeilweife auch Pforzheim, in ein eigenthünliches Lehenverhältniß
zu Mainz. Nach den wenigen und Furzen Notizen darüber, welche noch
vorhanden find,2) mag der Sachverhalt folgender geweſen fein: die erfte
Gemahlin Markgraf Rudolfs IV. war Luitgarde, Wittwe des Grafen
Albrecht von Löwenſtein. Bald nad ihrer VBermählung, welche 1322
erfolgte, gab fie für ihren minderjährigen Sohn erjter Ehe ihrem nun:
mehrigen Gemahl das Städtchen Bönnigheim und die Burg Magen:
heim 3) zu Kaufen, eine Veräußerung, welche 1329 der indeß volljährig
gervordene Sohn Xuitgardens, Graf Nikolaus von Löwenſtein, beftätigte.?)
Nun ftanden aber jene beiden Orte unter mainzifcher Oberlehensherr:
fichkeit, weshalb Markgraf Rudolf von dem Erzbifhof von Mainz damit
belehnt wurde. Bald darauf, nämlich 1338, verkaufte ex jedoch Bönnig-
heim wieder an einen Edeln von Sachſenheim. Es ſcheint dabei
die Xehensverbindlichkeit gegen Mainz unter der Bedingung aufgehört zu
haben, dag der Markgraf andere eigenthümliche Güter an Mainz über:
gab, und von dort wieder als Lehen zurücdempfing, und zwar die Burg
MWeißenjtein ſammt Zubehör, ferner das Schultheißenamt, das
alte Ungeld und alle Mühlen zu Pforzheim. Dieſes Lehen:
verhäftnig dauerte mehrere hundert Jahre.
Auf Ludwig den Baier folgte Kaifer Karl IV. Als derſelbe nach
Beendigung des Neichstages von Nürnberg 1347 die oberrheinifchen
Städte befuchte, hielt er fih, von Leonberg fommend, auch bei dem
Markgrafen Nudolf IV. am 9. Dezember zu Bforzheim auf und
nahm in der Stadt, wahricheinlih im markgräflichen Schlofie, fein
Nahtquartier. Bon bier aus befahl er den Landvögten Eberhard (dem
) Tiefe beftand in dem Thal Weißenftein mit den Höfen und Häufern
Dillftein und Falkengarten und andern dergl. Höfen und Häufern, allen Steuern,
Bülten, Strafen, Frobndienften, Benügung von Wald, Waide und dem Zehn:
ten von Büchenbronn, ferner der Mühle zu Weißenſtein, den Wäldern Waſſer-,
Mühl: und Zwerchhalde und dem Waflerzoll.
2) Bergl. Sachs, I, 200 und Lotthbammer, Pforzheims Vorzeit, 169,
3) Beide liegen im heutigen wilrttembergijchen Oberamt Beſigheim.
4) Stälin, IH,, 683.
»
96 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert,
Greiner oder Rauſchebart) und Ulrich von Württemberg, das Kloſter
Herrenalb, das er in feinen Schirm genommen, zu ſchützen, und beftätigte
der Deutihordensfommende zu Ulm den Beſitz der Pfarrkirche zu Herr:
lingen. Am folgenden Tag ſetzte der Kaifer feine Reife nach Bafel fort.
Auf Markgraf Rudolf IV., der 1348 ftarb, folgten, wie ſchon
erwähnt, feine Söhne Friedrich III, und Rudolf V, Beiden huldigt
am Dienftag nad) St. Nikolaustage 1348 die Bürgerfhaft von Pfor z—
beim und ſchwört „ben hochgeedelten Markgrav Friedrihen und Mark:
gran Nudolfen, genannt dem Weder, Gebrüdern von Baden und Herrn
zu Pforzheim, ſich mit ihrem Leib und Gut, mit ihren Weibern und
Kindern niemals von ihnen zu entfremden.” Durch ſolche Huldigungen
fuchten die Fürften einerjeits die Landftädte ſelbſt fefter an ſich zu Fetten,
damit fie nicht von den Meichsftädten, die damals in Fräftigfter Blüte
ftanden und zur Beſchränkung der fürftlichen Macht fich durch Bündniſſe
fefter aneinander fchloffen, in ihr nterefje gezogen und vom Gehorfam
gegen ihren Landesherrn abwendig gemacht werben möchten; andererfeits
wollten fie dadurch auch verhindern, daß nicht einzelne Bürger ſich von
den Reichsftädten als fogenannte Pfahlbürger aufnehmen Tießen oder zu
andern Herrn zögen. Es läßt ſich annehmen, daß die benachbarten
jhwäbiichen Neichsftädte es Pforzheim gegenüber an ſolchen Verſuchen
nicht fehlen Liegen. Aehnliche VBerficherungen wie der Markgrafen von
Baden ließ ſich um jene Zeit auch der Graf von Württemberg von den
Städten Böblingen, Bradenheim, Leonberg ꝛc. geben, und fogar noch
den Zuſatz machen, daß fie im Tall der Entfremdung „als treulog,
ehrlos und meineidig feiner Herrichaft mit Leib und Gut gänzlich ver-
fallen wären. #9) Im Jahr 1382 Tieß fi) Markgraf Bernhard fogar
ein Privilegium von Kaifer Wenzel darüber ausftellen, daß Niemand
von Fürſten, Herren oder Städten einen badifchen Unterthan in fein Land
oder Burgrecht aufnehmen ſolle.
Zu den vielen ftaatlichen Wirren gefellte fi) damals noch eine
andere Noth. Der Shwarze Tod, eine furdtbare Seuche, melde
Erdbeben, furchtbare Stürme und Hungersnoth vorausgingen, war durch
Kaufleute aus dem Morgenlande nad Italien verfchleppt worden und
verbreitete fi von dort aus über ganz Europa mit folder Wuth, daß
in wenigen Jahren vielleicht zwei Drittel der ganzen Bevölkerung unferes
‘) Stälin, HL, 331.
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bau euch Phovanfı I
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Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert, 97
ErötHeiles Hinmeggerafft waren. Beſonders viel Opfer forderte diefe
Vet in den Städten, von denen manche ganz verödeten. So ftarben
3. B. in Villingen 4000, in Bafel 14,000, in Straßburg fogar 16,000
Einwohner. 1) Es fehlen ung nähere Nachrichten über das Auftreten
diefer Seuche in Pforzheim und die Verheerungen, weldye fie dafelbft
angerichtet; fie mag indefjen in diefer Stadt nicht weniger als ander:
wärts gewüthet haben. Damals war e8 auch, daß fich der rohe Fana—
tismus des Volkes gegen die Juden wandte und diefe ohnehin vechtlofe
Bewohnerklaſſe beichuldigte , die Peft durch Vergiftung der Brunnen ꝛc.
herbeigeführt zu haben, Es ergingen deshalb über die Juden die blu:
tigiten Verfolgungen. In Konftanz z. B. mwurden 27 Juden, denen
man Läfterlihen Muthwillen mit dem Saframent des Altars vorwarf,
lebendig verbrannt, und 1348 mußten fogar alle Juden, welche ſich
nicht zum Webertritt in die chriftliche Kirche verftanden, den Feuertod
erleiden. In Baſel wurden die Unglüdlichen in eine hölzerne Hütte,
die auf einem Rheinfloß erbaut war, eingefperrt und ſammt diefem
und jener 1349 den Flammen preisgegeben, Einige Tage nachher über:
lieferte die Stadt Freiburg alle Juden dem Feuertode; Gleiches geſchah
zu Dreifah, Neuenburg und Endingen. Der Magiftrat der Stadt
Straßburg ließ im nämlichen Jahr 900 Juden lebendig verbrennen,
In Eplingen verfchloffen fich die Juden jelber in ihre Synagoge und ſteckten
folche m Brand. In Pforzheim mag man mit ihnen nicht glimpflicher, als
anderwärts verfahren fein; denn daß Juden dafelbft wohnten, beweist der
ichen früh vorkommende Name der „Judengaſſe.“ (Vergl. auch ©. 88.)
Man rechnet, daß in dem einzigen Jahr 1348 nicht weniger als 12,000
Juden durch ſolche Verfolgungen ihren Tod gefunden haben.) Waren
leßtere der ftärkite Ausfluß des Fanatismus, den der ſchwarze Tod
erzeugt hatte, fo veranfaßte auf der andern Seite der tiefe Eindrud der
herrfchenden Peſt das Aufkommen einer Sekte, welche durch Geifelungen
und Geifelaufzüge den Zorn Gottes verföhnen wollte. Man nannte fie
deshalb Geisler, (Hlagellanten, Flegler). Sie zogen von Dit zu Ort
in ganzen Schaaren, gewöhnlich eine prächtige Fahne woraus, wurden
mit Glodengeläute empfangen und trugen Mäntel und Heine Hite mit
rothen Kreuzen, Ihre gemeinfchaftlichen Selbitpeinigungen beitanden
1) Bader, bad. Landesyeihichte, ©. 292,
2) Vergl. Bader, bad. Landesgeihichte, S. 292 und Stälin TIL, 244,
Pflüger, Pforzbeim. 7
98 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert,
darin, daß fie fich der Reihe nad) auf die Erde niederlegten, worauf
ihr Meifter ihren entblößten Rücken fo lange geifelte, bis das Blut
ftrommeis herunterlief. Ein ſolcher unbeimlicher Geislerihwarm z0g im
Frühjahr 1349, von Würzburg bertommend, auch durdy unfere Gegen:
den,!) und mag neben Weil der Stadt, Calw, Herrenberg, Tübingen
und andern benachbarten Städten, wo fein Erfcheinen gejchichtlich nach:
gewiefen werden kann, auf feinem Zug, der zuleßt durdy Baden nad
dem Elſaß ging, au Pforzheim berührt haben.
Im Sahr 1361 am Dienftag nah Oculi verlieh Kaifer Karl IV.
dem Markgrafen Nudolf VL, (dem Langen) zu Nürnberg die Freiheit,
für fi und feine Nachkommen in der Stadt Pforzheim vom Wein
und Getreide ein Ungeld zu erheben, und zwar in ähnlicher Weiſe,
wie dies durch andere Fürften auch gefchehe. 9) Die betreffende Urkunde
lautet: 3)
„Wir Karl von Gottes Gnaden, römiſcher Kaifer, zu allen Zeiten
Mehrer des Reichs und König zu Boheimb, bekennen und thun Fund
öffentlicy mit diefem Brief allen denen, die ihn fehen und hören leſen,
daß wir haben angejehen ftete und getrene Dienſte, die ung und dem
heiligen Reiche der bochgeborene Nudolf der Jüngere, Markgraf zu
Baden und Herr zu Pforzheim, oft gethan hat und thun foll und mag
in fünftigen Zeiten, und haben ihm von unfern fonderlichen Gnaden
ſolch Gnad gethan und thun auch mit diefem Brief, daß er und feine
Erben in feiner ehgenannnten Stadt Pforzheim ein Ungeld auf Wein
und Korn aller Früchte fegen, und davon nehmen mag und jollend, nad)
des Landes Recht und Gewohnheit und ohne alle Gefährde, als wir und
des Reiches Fürften und Herren in Unferen und ihren Städten pflegen
zu nehmen. Mit Urkund diefes Driefes, verfiegelt mit Unferm kaiſer—
lichen Infiegel, der geben ift zu Nürnberg nach Ehrifti Geburt dreyzehn—
hundert Jahr, darnach in den einundfechszigften Jahr des nächſten Dien-
jtags nad) dem Sonntag, als man jaget Oculi, Unferer Reiche in dem
fünfzehnten und des Kaiſerthums in dem jechsten Jahr. *
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts herrſchten faſt fortwährende
Kämpfe zwifchen den ſchwäbiſchen Neichsftädten, die ſich zu einem Furcht:
1) Stälin, 111,246; Tifhendorf, die Geisler (Leipzig 1810), S. 19 ff.
) Sachs, IL, 163.
3) Akten des Generallandesardivs.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, 99
baren Bunde 1) vereinigt hatten, und den Herren, deren Länder an
ihre Gebiete gränzten, bejonders aber dem Grafen von Württemberg.
Dagegen ſchloſſen die Herren auch wieder ihre Bündniſſe, von denen
der Löwenbund und der Schlealerbund, die ſich aber felbft oft wieder
in den Haaren lagen, die befannteften geworden find, 2) fo daß bei der
Ohnmacht und Untüchtigfeit des damaligen Kaifers Wenzel ganz
Deutſchland, namentlich das füdliche, das Bild einer wilden Zerrifien-
heit bot. Auch die Markgrafen von Baden nahmen an diefen blu:
tigen Kämpfen, bei denen gegenfeitige Mordbrennerei an der Tages:
erönung war, mehrfach Theil, was unter Anderm im Jahr 1388
eine Verheerung der badifchen Lande, 3) jedenfalls im erſter Reihe
der den ſchwäbiſchen Neichsjtädten nahe Tiegenden, aljo auch der Ge:
gend von Pforzheim, zur Folge hatte. Heiß entbrannte namentlich)
der Kampf im Auguſt 1388 um den befeftigten Kirchhof des Dorfes
Döffingen, (d Stunden von Pforzheim und 1 Stunde von Weil
der Stadt entfernt); wohin die württembergifhen Bauern beim Ein:
bruch der Stüdter ihr Vieh und ihre Habe geflüchtet hatten. ber:
hard der Greiner brachte aber den letztern mit Hilfe des Pfalzgrafen Rup—
vecht, des Markgrafen Rudolf VII. von Baden und anderer Herrn,
freilich mit Verluſt feines Sohnes Ulrich, eine empfindliche Niederlage
bei. Bald nachher, nämlich 1395, eroberte er durch unvermutheten
nächtlichen Ueberfall das Städtchen Heimsheim (Heimfen) und nahm
dafelbjt mehrere Häupter des Schleglerbundes gefangen. Unter den:
jenigen, welche bei der Niederbrennung des Städtchens Verluſte er:
litten batten und deßhalb gegen den Grafen Eberhard auf Schadlos-
haltung Elagten, war auch der Bürger Aberlin Gößlin aus Pforz—
heim, der cine Forderung von 500 Gulden ftellte. 3) Ob er diefe
Summe vom Grafen erhalten, weiß ich nicht. Da die Schlegler
) Es gehörten dazu die Städte: Augsburg, Ulm, Konftanz. Eplingen,
Reutlingen, Rottweil, Weil die Stadt, Ueberlingen, Memmingen, Biberach),
Ravensburg, Lindau, St. Gallen, Kempten, Kaufbeuern, Leutkirch, Ißnuy,
Wangen, Pfullendorf, Weyl in Thurgau, Buchhorn, Buchau, Nördlingen,
Dinkelsbühl, Bopfingen, Aalen, Rottenburg a. T., Gmünd, Hall, Heilbronn,
Wimpfen, Weinsberg. Später Famen noch mehrere andere dazu.
2) Namentlih durch Uhlands „Eberhard der Greiner.“
3) Sachs 11, 1%,
*) Gchres, Ehronif von Weilerftadt, ©. 75. 7.
100 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert,
troß diefer Niederlagen und Verluſte nicht ganz unterdrüdt werden
Fonnten und auch eine gegen fie gerichtete Verordnung des Kaifers
Wenzel unbeachtet blieb, jo gaben die Fürften ihren Bündniffen gegen
die Schleglev eine weitere Ausdehnung, und es vereinigte fich zu
dem Ende am 18. Dez. 1395 in Pforzheim cine größere Ans
zahl von Fürften, fo der Erzbiſchof von Mainz, der Biſchof
von Speier, der Pfalzgraf, der Markgraf von Baden, Herzog Lupolt
der Die von Deftreih, Graf Eberhard von Württemberg und bie
Abgeordneten von 15 jchwäbiichen Städten. Aehnliches geſchah bald
nachher auch zu Mergentheim. Da verzweifelte die Schleglergejellichaft
an einem weiteren Grfolge ihres Widerftandes und Tieß fih am
3. Februar 1396 in Pforzheim zu nachgiebigen Verhandlungen
mit dem Grafen von Württemberg herbei. Noch im nämlichen
Jahr erloſch der Bund. ')
Es ift fo eben von dem befeftigten Kirchhof zu Döffingen die
Rede geweſen. Dergleichen gab es damals in vielen Dörfern, und
fie dienten den Landbewohnern bauptjächlich dazu, den werthvollern
Theil ihrer Habe bei Kriegsgefahr dahin zu flüchten. 2) Ueberreſte
derartiger DBefeftigungen finden fi) noch in manden Orten, jo 3. B.
in Niefern, Dietlingen, Eifingen ꝛc. In Oeſchelbronn find fie mit den kaſſe—
mattenähnlihen Gewölben in neuerer Zeit verichwunden; dafelbjt waren
fie mindeftens ſchon im 14. Jahrhundert vorhanden, 3) An Diet:
Uingen und Eifingen hatte früher jeder Bürger des Orts auf dem
Kirchenſpeicher einen einen Bretterverfchlag, Gaden genannt, wo er
jeine wertbuollfte Habe bergen konnte. In Gifingen mußten für
jeden Gaden jährlih 1 bis 3 Kreuzer Zins bezahlt werden, und
es vererbten fich diefelben in den einzelnen Familien. %)
Wie in Schwaben, jo fehlte es auch anderwärts an Fehden
zwifchen dem Adel und den Städten nicht. So war 1373 ein
heftiger Streit zwifchen Speier und den Herren Konrad, Heinrich
und Ulrich von Remchingen und dem Ritter Miprecht von Helmftätt,
Vogt zu Pforzheim, entjtanden. Bei einem Streifzuge erichlugen die
) Stälin, II. b
2) Vergl. Mone, bad. Archiv, IL, 148,
3) Mone, Anzeiger VL, 241.
A Pforzheimer Diozes, Kirchen: und Schulbefhreibung von 1735 (Landes:
archiv).
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14, Jahrhundert. 101
Söldner von Speier den Nitter Ulrich von Nemchingen vor feinem Haufe ;
bei einem amdern Zug jedoch erlitten fie auf dem Feld von Bruch—
fal und Möffingen großen Verluft, da fich der Adel durch Bürger
von Bretten und Pforzheim verftärtt hatte. Einige Tage nachher
wurden jedoch wieder einige Bürger von Pforzheim gefangen nad)
Speier gebracht. So fcheint das Kriegsglück noch mehrmals gewechjelt
zu haben, bis endlich Bifhof Adolf von Speier zwifchen beiden
Theilen zu Germersheim am Samstag nad Urban deſſelben Jahres
Frieden ftiftete, ')
$. 3. Inneres.
a) Schultheißen.
Im Anſchluß an das, was oben (©. 70 ff.) über die erften
Schultheißen Pforzheims gejagt ift, möge hier die Reihenfolge der
jelben um jo mehr ergänzt werden, als diefe Beamten auf die
innern Verhältniſſe der Stadt einen großen Einfluß ausübten und
wifchen Megierung und Bürgern ein weſentliches Mittelglied im
damaligen ftaatlihen Organismus bildeten. Auf Heinrich von Stei—
mar folgte wieder ein Schultheiß Friedrich oder Frizze (Frizzo.)
Derjelbe wird in verichtedenen Urkunden genannt, jo in einer ſolchen
vom 1. Septbr. 1300, worin das Stadtgericht in Pforzheim eine
Schenkung des Bürgers Berthold Widmann und feiner Frau Nichenza
au das Klofter Herrenalb beglaubigt; ebenfo kommt er wieder im
Februar 1302 vor, an weldhem Tage Schultheiß und Stadtgericht
zu Pforzheim 2) urkunden, daß Diether, Schultheiß von Ellmendingen,
und feine Frau Irmentrut um 60 Pfd. Heller, die fie empfangen
haben, an das Klofter Herrenalb den von diefem um 1 Malter
Spelz jährlichen Zinfes bisher als Zinslehen befefienen vierten Theil
des Groß: und Kleinzehntens zu Ellmendingen verkauft, übergeben
und auf alle ihre Rechte daran verzichtet haben, doch fo,
I) Lehmann, Epeierer Chronif 814.
2) Die Urkunden beginnen mit der ftändigen Formel: Nos Fridericus
scultetus, jurati, ceterique cives in Phorzhein :c., d. h. Wir Ehultheißgriebrich,
bie Geihworenen (Stadträthe) und die übrigen Bürger zu Pforzheim ac,
102 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
daß der Irmentrut und ihrem Sohn Diether der Kleinzehnt auf
ihre Lebenszeit verbleiben, nad ihrem Tode aber dem Kloſter zu:
fallen ſolle. ) Endlich wird Schultheiß Frizze als Bürge in
einer Kaufurfunde vom Juli 1303 genannt, nach welcher der Nitter
Simon von Königsbad und feine Kinder einen Hof im Spranthal
um 30 Bd. Heller an Herrenalb verkaufen, — Im Mai 1312 dagegen
urfundet bereits ein Schultheiß Heinrid mit dem Gtadtgericht eine
Schenkung des Bürgers Heinrich Flade und feiner Kinder (von Weinbergen
in Dertingen an Herrenalb), und finden wir dieſen Schultheißgen in
einer Urkunde vom 24, Dez. 1319 als Heinrich von E berdingen oder
Eberdringen?) bezeichnet. Daß derjelbe in Pforzheim ein eigenes Haus,
und zwar „am Waffer vor dem Tränkthor“ bejaß, geht aus ber
Stiftungsurfunde der früheften Siechenanftalt vom Jahr 1322 hervor.
(Siehe unten.) I) Doch fcheint er damals nicht mehr Schultheiß
geivejen zu fein, da bereits am 20. Juni 1321 ein Schultheiß
Wacker in einer Urkunde genannt wird, nad welcher die Bürger
Albrecht, Erlewin und Gottbold Weiſe als Pfleger und VBormünder
der Kinder des verftorbenen Goltbold für ihre Mündel eine Schuld
von 20 Pd. Heller mit Zinſen und Gefällen zu Ellmendingen und
Schellbronn bezahlen, Im Sabre 1328 bekleidete das Schultheißen-
amt Wernher Göldelin, und wird mit den Bürgern und Rich—
tern „Öozzolt der Waife und Gunter in dem Hone” -in einer Ur:
kunde vom 17. Dftober jenes Jahres aufgeführt, nach welcher ber
Bürger „Hainrid) der Rife zu Pforzhain um jiner fele hailes willen
und aller jiner vordern vnd nad) fummen” den vierten Theil des Laien:
zehntens zu Weingarten, „daz aim fehztail ift alles zenhenden zu
MWingarten in dem Dorf und vf der marg, ze velde und ze valde,
an korn, an wine, an ballern oder an andern nüben, wie die haiz—
) Allen diefen Urkunden (meift aus dem Herrenalber Ardhiv) ift oder
war das Seite 79 abgebildete Siegel der Stadt Pforzheim angehängt.
2) Eberdingen vder Eberdringen am Strudelbah im O. A. Vaihingen
war ehedem ein badiſcher Ort, der mit andern calwilchen Befigungen an Baden
gekommen war. Die v, Eberbingen waren Lehensleute der Grafen von
Calw, jpäter von Löwenftein und fommen vom 12, bis 14. Jahrhundert vor,
3) Eein Grabftein ift nod vorhanden und fteht an der Wand der vordern
rechten Seitenkapelle der Schloßkirche. Bon der Umſchrift Taffen fi noch bie
Worte entziffern: 7 Anno dmni, 1324 in die, ,... Henricus de Eberdringen
“+. scult, requiescat in pace am,
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert. 103
zent oder wie man die nennet”, dem Kloſter Herrenalb übergab.
Die Familie der Göldlin ftand im 14. Jahrhundert in Pforzheim
in großem Anfehen ') (S. 85) und hatten diejelben ihren Namen ihrem
Neichthum zu danken; denn eigentlich hießen fie ven Tiefenau, 2)
und werden deßhalb fpäter auch als Göldlin von Tiefenau aufge:
führt. 3) Das Schultheißenamt fcheint auch während eines großen Theiles
des 14, Jahrhunderts bei diejer Familie geblieben zu fein; wenigſtens
ipricht dafür eine in der Schloßkirche noch erhaltene Inſchrift 4) auf
Luitgarde, genannt Göldenerin, Gattin des Schultheißen Hein:
vich, welhe 1371 ftarb. (Daß Göldener und Göldlin identifch
find, ift wohl nicht zu bezweifeln.) Im Jahr 1345 hieß der Schult:
heiß Seßelin; 1367 und 1371 Goßlin; 1383 Albert, wahr:
iheinlich auch Göldner oder Goßlin. — Vogt zu Pforzheim war 1356
Wiprecht von Helmftett, Herr zu Biſchofsheim und Buchelbach, 1373
Gerhart Utzlinger, 1388 und 1391 Hans Conzmann. Diefer be:
fiegelt im erfterm Jahre einen zwiſchen Württemberg und Baden zu
Leonberg gejchloffenen Einigungsvertrag; 5) in letzterm Jahre iſt er
Mitbürge für die Summe von 400 fl., weldhe Markgraf Bernhard I.
zu einem Seelgeräthe für feinen verftorbenen Bruder Nudolf dem Kloſter
Lichtenthal ausgejeßt hat. Conzmann wurde fpäter Amtmann in Baden,
wo er fich viele Vergehungen zu Schulden kommen ließ, weßhalb er
abgejegt wurde und Entſchädigung leiſten mußte,
1) Vergl. Lotthammer, Piorzheims Vorzeit, ©. 146, Sachs Il, 235,
Tihudi, Schweizerchronif 1, 624, Leichtlin, Beiträge, 186.
:) Das Stammſchloß Tirfenau lag wahricheintich bei Sinzheim (DU.
Baden, und trägt dafelbit ein Hof dieſen Namen noch.
) Ein Heinrich Göldlin von Tiefenan gerieth zu Ende des 14. Jahrhun—
derts) im heftigen Streit mit bem Markgrafen Bernhard. Es wird ſpäter mehr
daven die Rebe fein.
+) Diejelbe findet fih am der Wand ber einen Seitenfapelle und lautet:
Anno domini 1371 feria sexta post dnicam letare obiit Luitgardis dieta Göln-
denerin uxor heinrici Stulteti, amen. Pfortzheim. Requiescat in pace. D. h. „am
Jahr des Herrn 1371 am Samstag nach Lätare ftarb Luitgard, genannt Gölnd:
nerin, Gemahlin des Echultheißen Heinrich, Amen. Pforzheim, Sie ruhe in
Frieden!“
5) Stein hofer, württemb. Chronik, IL, 464.
104 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
b. Klöfter, Kirchen, Spitäler ꝛc.
Vielfach finden wir wieder in Urkunden zc. des 14. Jahrhunderts
verschiedener Klöfter und der Beziehungen gedacht, in welche die Stadt
Pforzheim oder einzelne ihrer Theile, auch Familien und Bürger darin
zu denfelben getreten find. Sehen wir, um folhe Verhältniffe aus-
einander zu feßen, zuerit nach den betreffenden auswärtigen Klöſtern, um
fodann in der Stadt felbft wieder die nöthige Umfchau zu halten.
Bon jenen ift im erfter Reihe Lichtenthal zu nennen Der
Gründung diefes Gifterzienferflofters durch Marfgräfin Irmengard (1245)
ift im vorigen Kapitel bereits gedacht worden. In Folge frommer Ver:
mächtniffe, ſowohl von Seiten der badifchen Markgrafen, als des benach:
barten Adels, war dasjelbe nach und nad zu bedeutendem Befisthum
gelangt, 1) umd namentlich waren ihm auch die Kirchenfäte von Baden,
Ettlingen, Mali, Steinbach zc. und damit das Patronatvecht diefer
Kirchen gefchentt worden. Gleiches geſchah 1344 auch mit den beiden
Kirchen in Pforzheim.) Am 21. Februar jenes Jahres ftellte Mark:
graf Rudolf IV. eine Urkunde aus, nach welcher er mit feiner Gemahlin
Maria, Gräfin von Detingen, und mit ZJuftimmung feiner Söhne, der
Markgrafen Friedrich IT. und Rudolf V. und ebenfo feines Neffen, des
Markgrafen Herrmann IX. und defjen Gemahlin Mechthild, Gräfin von
Vaihingen, mit Berathung der Aebte Mernher von Neuburg und Nupert
von Herrenalb und mit Wiffen ihres Wetters, des Grafen Berthold von
Eberſtein und des Nitters Burfard von Spät, das Batronatrecht über
die Kirche zu Pforzheim mit allen anflebenden Nechten und Nutzungen
an das Klofter LichtentHal vergab, welches fortan das Einkommen der:
jeden nach erlangter Inkorporation der Kirche in das Klofter beziehen
und auf Lebensunterhalt und Kleidung feiner Angehörigen und die Auf:
befferung feiner Pfründen verwenden, dafür aber auch ihr, ihrer Vor—
fahren, Erben und Wohlthäter und insbefondere ihres Oheims, des
Markgrafen Nudolf III. Gedächtniß begehen follten. Die Inkorporation
wurde am 5. Juli 1344 durch Biſchof Gerhard von Speier mit Zus
ftimmung des dortigen Domkapitels vollzogen, um, wie es in der betr,
1) Vergl. Herr: Das Klofter Lichtenihal, jeine Kirche und Kapelle (1833) ;
Bader: Kurzgefaßte Geſchichte des altbadiſchen Franenklofters Lichtenthal (1845) ;
Bader: Die Stifter des Klofters Lichtenthal ꝛc. (1845),
2) Vergl. Mones Zeitihrift VII, 482, 490, VII. 81, 456,
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert. 105
Urkunde beißt, der großen Noth, worin fich das Klofter befand, dadurch
abzubelfen. Die päpftliche Beſtätigung aller diefer Inkorporationen
(Baden, Ettlingen, Pforzheim ꝛc.) erfolgte erſt 1379. — Unterm
26. Juni 1347 wurde das neue Verhältniß, im welches die beiden in-
forporinten Kirchen von Pforzheim, nämlih die Mutterfirde von
St. Martin (Altftadt) und die Filialkirche von St. Midael
(Schloßkirche) zu dem Kloſter treten follten, ebenjo das Verhältniß diefer
beiden Kirchen zu einander, durch den Speierer Propſt Ulrich von Wir:
tenberg geregelt. Dem Klojter war nämlich ſchon in der Uebertragungss
urfunde die Verpflichtung auferlegt worden, für die Pforzheimer Kirche
einen eigenen Pfarrer oder doch einen ftändigen Pfarrverweſer (vicarius
perpetuus) zu halten und aus dem Kirchenfage, der jedenfalls ſehr bes
deutend gewefen fein muß, zu bejolden. Es wurde nun feſtgeſetzt, daß
ber Pfarrverweier alle Nccidenzien, die Zinfen der für Jahrestage ges
machten Stiftungen, und den Kleinen Zehnten in Stadt und Altjtadt,
jowie den umliegenden Filialien (Würm, Huchenfeld, Dillften, Weißen:
ftein) als fein Einfommen erhalten, aber verpflichtet fein jolle, daraus
jähriih 30 Pfund Heller an das Klofter Lichtenthal abzugeben. Er
mußte zwei Hilfspriefter halten, von denen einer bei Tag und Nacht in
dem dazu beftimmten Haufe bei der Altjtädter Kirche bleiben mußte, um
mit Hilfe des dortigen Hirſchauer Präbendarius (wahrjcheinlich der
St. Nikolauskapelle) alle kirchlichen Funktionen zu verrichten, namentiic
Sterbende zu verjehen. Alle Kinder, der alten Stadt jowohl, als der
neuen und der Filialgemeinden, jollten nur in der Kirche zu St. Martin
und nicht zu St, Michael, und zwar entweder vom Pfarrverweſer jelber,
oder von einem feiner Hilfspriefter getauft, und in derfelben Kirche aud)
alle Bekanntmachungen, Verfündigungen ıc. vorgenommen werden, Der
Pfarrverwefer, oder irgend ein Anderer, der einen großen Theil des
Kirchengutes beſäße, jolle auch verpflichtet fein, das erforderliche Zucht:
vieh, nämlich den Farren, Eber und Widder zu halten, Käme der
Pfarrverweſer jeinen Verpflichtungen, namentlich bezüglich der Verſehung
von Sterbenden und der an Kichtenthal zu bezahlenden 30 Pfund Heller,
nicht nach, fo folle er ohne Weiteres vom Biſchof abgefet werden können.
Die Urkunden, denen alle diefe Beftimmungen entnommen wurden,
find jehr belehrend für manche der damaligen Verhältniſſe Pforzheimse.
Zum erjten Male ijt darin mit Bejtimmtheit von den beiden Haupts
106 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert.
firchen der Stadt, nämlich der St. Martins: ') und der St. Michaels—
Ficche die Mede, und wird jene die Mutter- und diefe die Tochterkirche
oder das Filial genannt, Doch drohte die Tochter der Mutter bereits
über den Kopf zu wachen, was daraus zu entnehmen, daß der Pfarrer
für beide Kirchen in der neuen Stadt, in der alten dagegen nur ein
Hilfspriefter die Wohnung zu nehmen hatte, Immerhin blieb aber da—
mals St Martin vor St. Michael das Necht der Proklamationen, der
Taufen ꝛc. gewahrt. Es geht aus allen dem von felbft hervor, daß
die Altſtadtkirche die ältere it und daß, wenn früher im Allgemeinen
von einer Kirche in Pforzheim die Nede war, zumächft diefe und in
zweiter Reihe die Schloßkirche gemeint fein fonnte, Daß letztere Kirche
aber in der Mitte des 14, Jahrhunderts vollendet daftand, ift eben jo
wenig zu bezweifeln. Vom älteften Theil diejer Kirche und der wahr:
icheinfichen Zeit feiner Erbauung it oben (S. 30) ſchon die Nede ges
weſen. Die Erbauung des Langhauſes ijt mindeſtens in das 13. Jahr—
hundert zurüczuverießen. Es fpricht dafür nicht nur die ganze Bauart
desjelben, jondern auch die über dem füdlichen Eingange befindliche In—
ihrift: Petite et aceipietis (d. h. bittet, jo wird euch gegeben), deren
Buchftabenform ganz die Tateinifch = gotbifche ift, wie fie im 12. und
13. Jahrhundert üblib war. Das Chor der Kirche ift, wie wir fpäter
nody berühren werden, vom Jahr 1460, ein Anbau auf der Nordjeite
von 1487. — Die jetige Altſtädter Kirche ift natürlich nicht mehr die
ursprüngliche, mit Ausnahme der Grundmauern und des Steins mit
den Hieroglyphen über dem Portal, vielleicht auch noch andern Mauer:
werks. Die dermalige Kirche mag erft nach dem dreißigjährigen Krieg,
in welchem die Altftadt abbrannte, gebaut fein. Ihre Vorgängerin, die
der Nachfolgerin noch mandye Reſte binterließ, wurde vielleicht 1419
aufgeführt; denn noch zu Anfang des laufenden Jahrhunderts war an
einem Grundpfeiler der Kirche ein Wappen wahrzunehmen, welches einen
Berſchfiſch vorftellte, in deffen Rücken eine Gabel jtad. Darüber jtand
der Name Friedrih Berfh und die Jahrzahl 1419, womit vielleicht
der Baumeijter dev Kirche und die Zeit des Wiederaufbaues derſelben
bezeichnet werden follte.
— —
1) Sachs IV., 135 ſagt, daß die Altſtadtkirche nach einer Urkunde von
1385 St. Maria geheißen habe. Es ift dies aber fi.yerlih ein Druck- oder
Schreibfehler oder eine unricgtige Lesart, anftatt St. Martin.
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert, 107
Wie die Kirchenfäge jelber, jo ging auch das Recht der Vergebung
des Mepneramtes der Altjtadt, und damit zugleid das Einkommen
desjelben, an Lichtenthal über. Im Jahr 1352 verkauften die Pforz—
heimer Bürger Walther, Albrecht, Wernher und Berthold Weiß
ihren Antheil am Meßneramte der Altftadt, das ihre Familie bisher zu
verleihen hatte, um 24 Heine gute Gulden von Florenz. ') Ebenfo ver:
Faufte die Wittwe von Siegfried Weiß, Hedel von Mönsheim, fammt
ihren Söhnen Hartmann umd Wilhelm Weiß 1353 ihren Antheil am
Mepneramt um 30 fl. ebenfalls an Lichtenthal. Von diefem Kloſter
ging jedoch fragliches Meßneramt bereits 1359 um die Verkaufsſumme
von 130 Pfund guter Heller mit aller Zubehörde an Hirichau über.
Um darauf nicht wieder zurüdtommen zu müffen, fügen wir bier noch
bei, daß dag Recht der Verleihung des Meßneramtes bei Aufhebung
letztgenannten Klofters an Württemberg und 1563 durch Tauſch an die
Markgrafen von Baden Fam.
Es möge bier auch der Stiftung zweier Pfründen aus dem Seit:
raume, in welchem die Pforzheimer Kirchen an Lichtenthal fielen, erwähnt
werden. Im Jahr 1544 ftiftete die Pforzheimer Bürgerin Guta
Bhennerin eine ſolche Pfründe in die dortige Kirche und verlieh das
Kollaturrecht dem SKlofter Maulbronn. Im Jahr 1359 hing Mark:
graf Rudolf V., Herr zu Pforzheim, fein Siegel an einen Brief, in
welchen Agnes und der Konvent des Frauenkloſters zu Büren (Beuern,
Drt, zu welchem Lichtenthal gehört), grauen Ordens von Cytlers (Gifterz),
dem Schultheigen Heintz, Kunzen ſel. Sohn, erlauben, eine Frühmefie
zu ftiften in der Pfarrkirche zu Pforzheim zu St. Michael,
Der erjte Geiftliche, den Lichtenthal 1347 anftellte, hieß Rudolf.
Im Jahr 1353 war ihm bereits Johann Steimelin oder Stenne
fin nachgefolgt. Das Einkommen desjelben wurde wegen Unzuläng:
fichfeit dev Pfarrbefoldung um 1 Fuder Wein, (oder ftatt defien 12 Pfd.
Heller), 1 Fuder Heu und 1 Fuder Stroh erhöht. Dafür mußte er
aber verjprechen, nicht nur die Verbindlichkeiten gegen Lichtenthal pünkt—
licher als bisher gejchehen, zu erfüllen, fondern auch die 19 Pfund
Heller Rückſtände, welche das Klofter noch zu fordern hatte, in Terminen
abzubezahfen. Eine abermalige Nufbefierung der Pfründe erfolgte 1357
1) Man vergl. zu diefer und zu andern Stellen das, was weiter unten
über den Geldkurs des 13. bis 16. Jahrhunderts gejagt if.
108 Achtes Kapitel. Pforzheim ım 14. Jahrhundert,
unter Pfarrer Johann Eifenmenger, der fich beklagt hatte, „daz die
phründe zu fleine were, und daz ev fich vnd die zu im horten (gehörten,
nämlich) die beiden Hilfspriefter,) von der jelben phründe nüczen nit
herneten und begen mohten“ (nicht zu ernähren und zu erhalten ver:
möchte). Er erhielt darauf bin 12 Malter Roggen weiter, auch wurde
ihm das Mekneramt geliehen. Doch mußte er verfprechen, fich mit der
nun wiederholt aufgebefierten Pfarrpfründe bei Strafe des Verluſtes
derfelben fortan begnügen zu wollen. Sein Nachfolger Günther
Flad vertaufchte 1384 die Pfarrei Pforzheim gegen eine andere Pfründe
an Berthold Trautmwein, welcher die fchriftliche Verficherung geben
mußte, daß er „jelbe pharre zuo Phorkhein in finen händen haben
wil und ein pharrer dar uf bliben die wile er gelebe, und fol da mit
feinen wechjel vmb eine andere pfruonde nummerme getun in deheine
wife, dann mit einer eptifjen zuo Xiechtental guoter wille.” Er wird
auch 1385 als Pfarrer genannt. 1)
Außer dem Kircheniate und dem, was daran hing, machte Lichten-
thal in Pforzheim noch verichtedene andere Erwerbungen, Im Jahr 1347
faufte e8 von dem Schultheigen Eberhard von Iptingen (württemberg.
DU. Maulbronn) und feiner Fran Lugart ihr Haus, Scheuer und
Hof zu Pforzheim unten am Prediger-Kloſter, welches Alles von dem
ebenfalls befagtem Schultheigen gehörigen Steinhaus und Garten getrennt
und unterfteint war, um 8 Pfund Heller Gült, mit der Auflage, daß
jährlich auf Pfingſten dem Kloſter Hirſchau 6 Heller Erbzins entrichtet
und zwifchen der Scheuer und dem Steinhaus nie gebaut werde. Im
Jahr 1363 vermadht diefer Eberhard, der nach dem Tod feiner Frau
und feiner Tochter Irmel in das Dominikanerkloſter zu Pforzheim ge:
gangen war, an Lichtenthal auch befagtes Steinhaus, nebſt Keller und
Hof, wofür alljährlich für ihn, feine Frau und alle feine Kinder ein
Jahrestag gehalten werden ſollte. Diefes Steinhaus lag einerfeits neben
ben Frauen von Lichtenthal (vergl. 1347), andererfeits neben dem
Garten des Frauenklofters zu Pforzheim, und hatte früher Konrad Wet:
mäanteln gehört. Wenn wir nun noch weiter hören, daß das Kloſter
Lichtenthal 1347 von den Dominikanern in Pforzheim auch deren hinter
dem Kloſter gelegenen Speicher ſammt Zehnticheuer um jährlihe 12
Schillinge pachtete und jpäterhin käuflich erwarb, jo folgt aus dieſem
) Urkunde in ©. L. Archiv.
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert, 109
Allen, dar Lichtenthal im Beſitz aller der Häuſer war, die in der Spi—
talſtraße dem jegigen neuen Mädchenfchulhaufe gegenüber liegen oder
lagen; denn der Lichtenthal'ſche Zehnthof war befanntlih an der Stelle,
wo jetzt das Haus von Fabrikant Kübeleberle fteht und wurde evt zu
Anfang der 1850er Jahre abgeriffen. — Auch einen Garten befaß
Lichtenthal dafelbft, der beiſpielweiſe 1396 um jährlih 1 Pfund Heller
verpachtet war, Noch verdient bemerkt zu werden, daß der Pforzheimer
Bürger Dietrich Flad 1371 von den Lichtenthaler Nonnen ein Gut zu
Au am Rhein (O.-A. Raftatt) pachtete; endlich daß Lichtenthal von
Heinz Nötte (Neth) 1396 ein Haus fammt Hof und Scheuer in der
Altstadt um 29 Pfund Heller erfaufte,
Wie im 13., fo finden wir auch im 14. Jahrhundert, daß das
Klofter Hervenalb!) der Gegenftand der Aufmerkjamteit und der
Begabung mancher Pforzheimer Bürger und Bürgerinnen war, von
andern auch Dies und Jenes käuflich erwarb. So ſchenkte 1301 der
Bürger Berthold Widmann (S. ST) und feine Frau Richenza dem
Kloſter Herrenalb ihr ganzes Vermögen, das fie in Pforzheim und an
andern Orten befaßen; (1302 verkauft Schultheig Diether von Ellmen—
dingen mit feiner rau Irmentrut den von ihnen bisher bejeffenen
vierten Theil des großen und Kleinen Zehntens in Ellmendingen um
60 Rund Heller); im April des nämlichen Jahres (1302) reverfiren
ber Pforzheimer Bürger Gottbold Weiß und feine Frau Adelheid, daß
fie an Herrenalb um 300 Pfund Heller verkauft haben: zwei Theile
an der Mühle zu Pforzheim, genannt „der VBoglerin Mühle", den dritten
Iheil des großen und fleinen Zehntens in den Dirfern und Markungen
Brößingen und Birkenfeld, ferner Güter in Brögingen, Ellmendingen,
Neidlingen und Göbrichen und den vierten Theil des großen und Meinen
Zehntens daſelbſt; — alle diefe Güter und Zehnten erhält aber Gott-
bold Weiß vom Kfofter als Zinslehen wieder zurück um einen jährlichen
Zins von 44 Malter Roggen, 27 Malter Spez, 42 Malter Haber
und 10 Pfund Heller und 5 Schilling. Da Weiß den bemerkten An:
theil des Zehntens in Brögingen und Birkenfeld vom Markgrafen Trieb:
rich II, zu Lehen trug, das Klofter ihn aber als freies Eigenthum
erwarb, fo mußte Weiß dem Markgrafen einen Hof neben der Kirche zu
Pforzheim als Lehenerfat geben und empfing denfelben wieder zu Lehen. —
1) Vergl. hiezu die Herrenalber Urkunden in Moncs Zeitichrift,
110 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert.
Im Jahr 1304 ſchenkt Heilwig, die Tochter Erlewin Rumelins, zu ihrem
und ihres verftorbenen Gemahls Heinrich Hegening Seelenheil, dem
Klofter Herrenalb 221/, Pfund Heller. Ebenſo ſchenken 1312 Heinrich
lad und jeine Kinder Konrad Pfarrer zu Hirichlanden, O.A. Leon:
berg), Heinrich, Dietmar, Konrad, Elifabetb und Meta dem Kiofter
als eine Gabe unter Lebenden fünf Morgen Weinberge zu Dertingen;
Sigfried Weiß, Sohn des obengenannten Gottbold Wei, und feine
Tran Hedwig, (eine geb. won Mönsheim) geben 1319 mit Zuftimmung
der Pfleger der minderjährigen Gefchwifter Sigfrieds und des Mark:
grafen Rudolf IV. an Herrenalb, um des bei 1302 genannten Lehen:
zinfes ledig zu werden, die dort bezeichnete Mühle mit allen dazu ge
hörigen Nechten und Nutzungen, nämlich verſchiedene Brodichrannen zu
Pforzbeim, wovon alle Woche 5 Heller oder ebenfoviele Hellerbrode
fallen, jammt 1/, des großen und fleinen Zehntens zu Brötingen und
Birkenfeld.) — 1321 bezahlen die Pfleger der minderjährigen Kinder
des Gottbolds Weit eine Schuld von 20 Pfund an Herrenalb mit
Zinfen und Gefällen in Ellmendingen, Dietlingen, Nöttingen, Schell:
bronn ꝛc. — Am Jahr 1328 übergibt der Pforzheimer Bürger Hein:
rich Riſe um feiner, feiner VBordern und Nachkommen Seelenheils willen
dem Kloſter Herrenalb den vierten Theil des Laienzehntens zu Wein—
garten (O.-A. Durlach) (S. 102), den er felber vier Jahre vorber von Pe—
triffa von Remchingen, Wittwe Heinrichs von Roßwag, um 300 Pfund
Heller erlauft hatte. — Im Jahr 1336 nehmen Rudolf der Nenner von
Pforzheim und jeine Fran Mechthild, „der Zurgelern Tochter”, vom
Klofter um jährlih 2 Pfund Hellers in Erbbeitand die Hofitatt und
das Steinhaus und was dazu gehört, den Keller ausgenommen, zu
Pforzheim unten am Markt, „zwifchent der Hederinen bus und der
Zurgelerin® gelegen. — 1336 verkauft Albert Liebener von Pforzheim
an Herrenalb alle feine MWeingärten in und bei Dertingen um 90 Pfd.
Hellers. — Bon Pforzheim aus nahm Kaifer Karl IV. 1347 aud
Herrenalb in feinen bejondern Schirm, — und endlich erfahren wir aus
einer Urkunde von 1348, daß diefes Klofter einen befondern Pfleger
oder Guftos, Namens Kraft, in Pforzheim hatte.
Wenden wir ung num nod nad) dem Klofter Maulbronn, um
von diefem das, was auf Pforzheim Bezug bat, anzugeben. ?2) Es ift
1) Die Urkunde folgt unten ganz.
*) Bergl. Klunzinger, Geichichte von Maulbronn, S. 25 ff, der Regeſten.
Achtes Kapitel. Piorzbeim im 14, Jahrhundert. 111
dies bei verfchiedenen Vermächtnifien und Berfäufen der Fall. Im Jahr
1302 ftiftet die Beguine Guota (jiehe unten) von Pforzheim, genannt
Schwertfeger, 8 Schilling jährliher Zinſe in den beiden Glattbach (DO. X.
Baihingen) zu einem Wahslicht auf den Altar zum heiligen Kreuz in
Maulbronn, mit der Bedingung, daß, wenn dies nicht genau eingehalten
würde, die Gefälle an die Kirche zu Pforzheim fallen ſollten. — Im Jahr
1328 verkauft Sigwart, genannt Herzog zu Pforzheim, dem Klofter
etliche Güter zu Bauſchlott. — Das Jahr darauf (19. April 1329)
verfauft Heila Waifin (Weiß) den Kloſter 6 Malter Roggen, 6 Malter
Hafer und 86 Schilling jührlicher Einkünfte zu KRußelbrunnen (Stiefel:
bronn) für 34 Pfund Heller. Am 17. Jannar 1343 verkauft Guta
Rappenherrin von Pforzheim dem Klofter Maulbronn einen Hof zu
Flacht. Diefelbe verkauft im Juli 1356 dem Kloſter den Gailingshof
ſammt einer Mühle und dem Patronate zu lacht nebjt "/, des
Laienzehntens daſelbſt um 350 Fund Heller. — Am 10. April
1344 übergibt Guta Pfennerin oder Phennerin von Pforzheim,
Gerungs Wittwe, dem Klofter Maufbrenn die Kollatur der von ihr
in ber Pfarrkirche zu Pforzheim geftifteten Prründe (S. 107). Dies
jelbe „edle Matrone“ ftiftet 1359 zu einer täglichen Meffe auf dem
Altar des heil, Beneditt zu Maulbronn 400 Pfund Heller, Eine
andere dieſes Geſchlechts, Irmela, wahrſcheinlich Tochter der Guta, ver:
macht am 25. Februar 1975 dem Klofter einen Hof zu Speier. —
Am 25. Mai 1359 vermaht Guta Veſenmayerin von Pforzheim dem
Klofter zu einem Seelgeräthe ebenfalls 400 Pfund Heller, —
Mas num die Klöfter der Stadt Pforzheim felber betrifft,
jo ift der Gründung von vieren derielben, welche im Laufe des 12. und
13. Jahrhunderts erfelgte, bereits Erwähnung gejchehen, nämlich der
Gijterzienferinnen, dev Dominifanerinnen, der Domini:
faner und der Kranzisfaner. Am meiften begegnen wir im Laufe
des 14. Jahrhunderts dem zweiten diefer Klöfter, und wir finden dasjelbe
namentlich bemüht, fein Befisthbum zu vermehren. So erfauft es am
d. Auguft 1325 von Markgraf Friedrich IL und feinem Sohn Herr:
mann IX. 3 Pfund Keller Gült an der Mühle zu Nöttingen, — um—
gekehrt verkaufte Priorin und Konvent des Klofters an das Frauenkloſter
zu Nechenshofen am 7 Nov. 1336 einen halben Hof mit der halben
Kelter im Dorfe Haslach und einige Weingärten und Acer dafelbit mit
Bewilligung des Markgrafen Rudolf IV. von Baden und „des geiſch—
112 Achtes Kapitel, Pforzheim im 14, Jahrhundert.
lichen heven des priors und des conventes der prediger zu Phortzhein.“
Im Jahr 1338 erfauft diefes Klofter wiederum von dem Bürger Geis
fried Weiß zu Pforzheim und feiner Frau eine Hube in der Neidlinger‘)
Mark, ihren Theil des großen Zehntens zu Göbrichen und 1 Simri
Delgeld vom Heinen Zehnten daſelbſt. — Am St. Marrentag 1344
„verſchreibt jich das Frauenkloſter Predigerordeng zu Pforzheim über
das gekaufte Dorf Ellmendingen, (das dem Klofter bereits 1313
verpfändet geweſen war,) einer MWiederlofung gegen ihren Herrn Mark:
graf Herrmann IX.” — Am Jahr 1355 befak dus Klofter auch den
Dberhof zu Springen und gab ihn in diefem Jahr dem Walther Faul-
feder in Erbbeitand.?2) 1350 verlieh ein Graf von Eberftein gemein:
Ichaftlich mit dem Markgrafen von Baden diefen Klofter den Pfarrſatz
zu Dürvenglattbad).3) Am Jahr 1365 verkaufen die Edelknechte Ber:
thold Göler und feine Brüder Konrad und Hans, alle von Enzberg,
Söhne des Nitters Konrad von Enzberg, mit Willen und Rath ihres
Vaters an die Priorin Lutgard von Asberg ) und den Konvent des
Vredigersffrauenklofters auswendig der Stadtmauer (S. 74) ihre Kirchen:
fäße zu Iſpringen und Nydelingen um 1500 Gulden, und „geloben fie
zu fertigen mit ihres hochgeborenen Herren Hand, ihres Lehensherren,
) Bergl. ©. 64, wo von biefem bald verfchwundenen Ort die Nede ift.
Ein anderer unterzegangener Ort im Bezirf Pforzheim tft Bonlanden, der
zwifchen Pforzheim und Meil der Stadt, bei Steinegg, gelegen haben muß.
Er kommt in einer Herrenalber Urfunde (Bonlanden apud Steinecke) von
1310 vor. — Daß früher aud zwiſchen Tforzheim und Weißenftein ein Dörf-
hen Rod lag, ift Eeite 58 bemerft worden.
) Aften des Großh. Dberamts Pforzheim.
2) Krieg, Grafen von Eberftein, ©. 62 (nad Gabelfofer).
4) Das Andenken diefer 1377 geftorbenen Qutgard (Lucgard, Quitgarbde),
welche jhon 1340 Kloiterfrau in Pforzheim war (Stälin, IM., 709), erhält
noch ein Grabjtein, der ihr und einer Lutgard von Tübingen gemeinjchaftlich
nefegt wurde und im Hof der Helle und Pflegeanftalt zu Pforzheim in einer
Mauernifche aufbewahrt wird. Es befindet fih darauf das Bildniß einer Frau
in Nonnentracht mit der Umichrift: + ANNO DNI MCCCLXXIHE PRIDIE
ANTE GREGORI ORUT SOROR LUCGARD PALATINA DE TUWINGEN
ET POSTEA IN TERCIO ANNO FELICIS ET ADAUCTI OBIIT DOMINA
LUCGARD PALATINA DE ASBERG SOROR NOSTRA + d. b.: „Im Jahr
1374 am 11. März ftarb die Schwefter Lucgard, Pfalzgräfin von Tübingen,
und im britten Jahre nachher am 30. Auguft ftarb die Frau Lucgard, Pfalze
gräfin von Asberg, unſere Schweſter.“
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert. 113
des von Leuwenſtein“, der ſodann im folgenden Jahre (1366) diefe
Kirhenfäge zu feinem und feiner Vordern Seelenheil dem Klofter als
freies Eigenthum übergibt. Am 13. Februar 1376 verkaufte diejenige
Prisrin, welche auf Lutgart von Asberg folgte, nämlich Anna von Balz:
bofen, mit der Sanımmung (Konvent) des Franenflofters an Maulbronn
verihiedenes Einkommen zu Unterömwisheim. Daß 1363 die Domini:
fanerinnen einen Garten hinter dem Dominikanerklofter befaßen, ift oben
(S. 108) fchon gejagt worden, Aus einem Vergleich, der zwifchen den
Herren von Württemberg und Baden 1402 gefchloffen wurde,t) erjehen
wir, daß die Dominikanerinnen ein ftenerfreies Höflein zu Vaihingen, (mahr-
ſcheinlich das ſchon S. 75 u. 80 angeführte) und einen Weingarten zu Di:
zingen befaßen, wegen deffen fie damals in einen Rechtsſtreit mit Hans von
Gültlingen verwidelt waren; daß fie ferner an Pfaff Seifried und Hug
von Venningen 20 Pfund Heller Guts und an Eberhardt Sölern
3 Pfund und 2 Sch. Heller forderten, welch Tettere Summe ihnen
erblich zugefallen fei zu einem Geelgerette von ihrer Mitſchweſter
Alhaußen von Gröningen, daß fie endlich in Eberdringen eine halbe
Ohm Wein und Zinfe von Fritz von Xiebenftein zu beziehen hatten 2c.
Außer den bereits genannten Priorinnen lernen wir 1370 auch zwei
Nonnen dieſes Klofters Kennen, nämlich Gerhus, Schweſter des Bürgers
Heinrich Pforzheim von Grüningen (Marfgröningen) und deren Mubme,
Alhus von Damm (Than, O. U. Ludwigsburg). Sie beftimmten im
angegebenen Jahr, daß nach ihrem Tode 1/, des Laienzehntens zu Vai:
hingen und 2 Meingärten in Horrheim (O. U. Vaihingen) an das
Klofter fallen follten. Um diefelbe Zeit war aud eine Pfalzgräfin
Elsbeth von Tübingen, genannt Schererin, „Cloſterfrow“ zu Pforzheim.
Das Klofter der Dominikanerinnen wurde überhaupt nah und nad) jehr
reih. Außer den Schon genannten Beſitzthümern, Einkünften ꝛc. erwarb
ſich dasfelbe noch ein Viertel des Zehntens zu Birkenfeld, Brötzingen
A), Neidlingen (*/,), Kiefelbronn (1), Mipringen (ganz), Glap—
pach, Nußdorf (1/4), Vaihingen (1), Dürm (1), Dizingen ('/ı),
Utingen (Eutingen), Ingersheim (.); — ferner Gülten und Renten zu
Uttelsburg, Mutſchelbach, Nußdorf, Vaihingen, Düren, Enzberg, Utingen,
Sngersheim, Merklingen, Wurmberg, Erfingen, Dingen, Bietigheim,
) Steinhofer, Württemb. Chronik IM,, Gehres, Chronik von Wels
lerſtadt, ©, 72,
Pflüger, Pforzheim, 8
114 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Sahrbundert.
Geberhingen (Göbrichen), Friolzbeim, Illingen, Mühlhauſen, Asberg,
Baden, Backnang, Bradenheim, Boppenweiler, Bönnigheim, Baufchlott,
Kannjtatt, Dürrmenz, Elfingen, Ellmendingen, Eßlingen, Gartach, Groß-
fachjenheim, Grönningen, Güglingen, Gruppenbad, Gertringen, Gem:
mingen, Gabelnberg, Heidelsheim, Hefligheim, Hutigheim, Heimsheim,
Hirſchlanden, Hohenhaslach, Hefnerhaslach, Illingen, Kirnbach, Königs:
bach, Lienzingen, Liebenzell, Münſingen, Mönsheim, Magſtatt, Mühl—
hauſen, Münſter, Nußdorf, Nußbaum, Niefern, Nippenberg, Oberöwis-
beim, Oeſchelbronn, Pfaffenhofen, Reutlingen, Schmieheim, Stein, Stutt-
gart, Steinach, Seelbach, Tuttlingen, Weiler, Weilerjtadt, Weiler im
Zabergau, Wafferburg, nzweihingen, Wiernsheim, Würm, Wimpfen,
Waiblingen, Warmbrunn, Zaberfeld, Zaijersweiher, Zuffenhaufen
u. a. a. O.!)
Zu der Zeit, als die erwähnte Lutgard von Asberg Priorin des Domi—
nikanerinnenkloſters war und auch die andere Lutgard von Tübingen darin
den Schleier trug, beherbergte dasſelbe längere Zeit einen auf eigene
Weiſe dahin gekommenen vornehmen Gaſt, nämlich Euphemia oder
Eugenia, eine Tochter Eduards III., Königs von England. Ihr
Vater hatte ſie für einen Grafen von Geldern zur Gemahlin beſtimmt.
Da dieſe Verbindung aber gegen ihre Neigung ging, ſo entfloh ſie aus
England nach Flandern, reiſte von da aus zu Fuß nach Köln und ver—
richtete in einem dortigen Gaſthofe unter dem angenommenen Namen
Gertrud längere Zeit Magddienſte. Da ſie ſich durch Fleiß und Ge—
ſchicklichkeit vor allen andern Dienſtboten auszeichnete, ſo erregte dieſes
große Eiferſucht, und eine ihrer Nebenmägde wußte ſie dadurch in den
Verdacht des Diebſtahls zu bringen, daß ſie ein Kleid, das ſie zu die—
ſem Zweck entwendete, unter Euphemiens Kopfkiſſen verſteckte. Ihre
Abſicht gelang ihr vollkommen. Euphemie oder Gertrud wurde des
Diebſtahls beſchuldigt und zu einer für ſolche Fälle üblichen Strafe,
nämlich zur Tragung des Halseiſens am Pranger, verurtheilt. Sie
ertrug dieſelbe mit Gelaſſenheit, wäre aber von einigen Engländern, die
ſich unter den Zuſchauern befanden, beinahe erkannt worden, wenn ſie
nicht ihr Geſicht durch ihre Thränen unkenntlich gemacht hätte. Nach
überſtandener Strafe wurde fie aus der Stadt gewieſen, kam nad
langen Beichwerden nach Pforzheim, wo. fie im Kloſter der Domini:
1) Vergl. Gültbeſchreibung des Frauenkloſters zu Pforzheim (Landes-Archiv.)
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 115
fanerinnen gaftlihe Aufnahme fand und nach abgelegtem Gelübde bis
an ihren Tod verblich, welcher um das Jahr 1367 erfolgt fein folt. ')
Des Prediger: oder Dominifanerflofters finden wir in
diefer ‘Periode auch mehrmals wieder erwähnt. Daß der frühere Schult-
heiß von Sptingen, Eberhard, als Mönd in dasfelbe trat, nachdem
feine Frau und feine Tochter geftorben waren, ift bereits gejagt worden.
Im Jahr 1368 finden wir darin aud feinen Sohn Johanues als
Lesmeiſter, d. h. als Lehrer für den jungen Klerus, und 1373 war der—
jelbe bereitS zur Würde eines Priors aelangt. Als foldhen finden
wir diefen Johannes von Iptingen in einer Urkunde von gedachten
Jahr, worin er namens jeines Klofters von Engeline Pfaff in Weil
der Stadt vierthalb fund Heller entlehnt und ihr dafür Pfaff Heinrich
Schribers Haus, zu Weil am Kirchhof gelegen, verpfündet. An diefer
Urkunde hängen die Siegel des Klofters und des Priors. Auf erfterem
befindet fih ein Marienbild mit der Umichrift: CONVENTUS FRAT-
RUM PRAEDICATORUM PHORZHEIMENSIS (Konvent der Pre—
digermöndhe zu Pforzheim). Das andere iſt dadurch intereffant, daß
auf demfelben dargejtellt ijt, wie ein Abt einen neuangehenden Mönch
auf diefelbe Weiſe mit einer Ruthe Eräftig züchtigt, wie dies auf einen
gewifjen Körpertheil bei Kleinen Kindern zu geichehen pflegt. Es fol
diefer Gebrauch deshalb eingeführt worden fein, um die Herren vom
Adel, die durch ihren Stolz die Ordnung in den Klöftern vielfach ftörten,
vom Eintritt in diefelben abzuhalten. 2)
Dom Klofter dev Kranzisfaner oder Barfüßer erfahren wir,
daß dasfelbe 1371 von Schweiter Heilentrud aus Pforzheim (wahrſchein—
lich; einer Beguine) ihren Hof zu Gölshaufen (B. U. Bretten) um
60 Pfund Heller erkaufte. Dieſen Hof ſchenkten die Barfüßer in der
Folge dem Spital in Pforzheim, von welchem er 1451 um 155 Gulden
an Herrenalb kam. Als Pfleger des Klofters werden 1371 genannt:
Heinrih Golbdelin, Günther von Vaihingen, Schultheiß Goßlin, Günther
lad und Wernher Goldelin,
Vom Kloſter der Eifterzienjerinnen, über defjen Gefchichte
fortwährend ein Dunkel Liegt, habe ich auch für dieſe Periode nichts
Beftimmtes in Erfahrung bringen können.
9) Die Quelle für diefe Erzählung ift Maji vita Reuchlini, pag. 116 - 118,
Man vergl. auch das anı Echluffe diefes Kapitels folgende Gedicht,
2) Gehres, Chronik von Weilerftadt, S. 27,
116 Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert.
Sonſtige Klöjter, die vermuthlic dem 14. Jahrhundert ihre Ent:
ftehung verdanften, waren in Pforzheim :1) Ein geboppeltes, regulirtes
Auguftinerflofter, das aus zwei Flügeln beitand. Der eine diente
den Kanonikern, der andere den Eremitern zur Wohnung. Die
Kanoniker oder vegulirten Chorherrn Tebten, aßen und fchliefen gemein-
ihaftlih unter der ummittelbaren Aufficht des Biſchofs oder Abtes.
Nah der Reihenfolge der kanoniſchen Stunden begannen noch tief in
der Nacht ihre frommen Uebungen. Für ihren Unterhalt forgte der
Biſchof aus dem Kirchengutz doch war ihnen Einiges zu befigen erlaubt.
Den Eremitern verlieh Papſt Merander IV. 1256 die Privilegien der
Bettelorden. Sie entſtanden aus verfchiedenen zerftreuten Mönchsvereinen.?)
Die Klofterficche gehörte den Kanonifern und Eremitern in Pforzheim
gemeinſchaftlich. Wo diefes Klofter geftanden, läßt fich nicht ermitteln,
und ift überhaupt wenig davon bekannt. — Außer demfelben wird
aber noch eines andern Auguftinerflofters erwähnt,3) das
wenigftens 1380 ſchon beftanden haben fol. 2) Näheres darüber ift auch
nichts befannt. Es foll da geftanden haben, wo fidh jebt das Schlacht:
haus und das Maifenhaus befinden.) Erwähnung gefhhieht bloß 1499
einmal eines Altars „St. Nicolai in ecel, monial, St. Augustini“,
d, h. „zu St, Nikolaus in der Auguftiner Kloſterkirche.“6)
Den Klöftern ift aud em Beguinenhaus anzureihen, deſſen
41379 gedacht wird, indem die Beguine Katharina Arnoldin in jenem
Jahre ein folches in Pforzheim bauen ließ, während Beguinen ſchon in
früherer Zeit dafelbft vorkommen (jo 1302 20). Beguinen oder Be:
gutten (weibl), forwie die Begharden (männl.) hießen ſolche Perfonen,
welche fid), ohne Kloſtergelübde gethan und die Regeln eines Ordens
angenommen zu haben, zu Vebungen der Andacht und Wohlthätigkeit
vereinigten und Geſellſchaften bildeten, in eigenen, oft durch Schenkungen
fehr bereicherten Beguinenhäufern zufammenlebten und fi) durch Fleiß
und Gittlichfeit, fowie durch Sorgfalt für die Jugend auszeichneten,
1) Vergl. Kolb, Lerifon von Baden, I, 61.
2) Vergl. Hafe, Kirchengeſchichte, S. 200 und 334.
3) Bon Peter Lancillotus, der ein Verzeichniß aller Auguſtinerklöſter
ber ganzen Welt machte. Vergl. Kolb, II, 61.
*) Jüngler, Notate.
5) Franc. Petri Suev, Eccl., pag. 666 und Kolb a. a. O.
6) Nepertorium des Generallan desarchivs.
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert, 117
Solcher Geſellſchaften waren feit Ende des 11. Jahrhunderts viele vor:
banden; fie mußten aber durch die Eiferfucht der geiftlichen Orden ſchwere
Verfolgungen erleiden. Klausſchweſtern, wahrſcheinlich Beguinen, kommen
noch 1511 in Pforzheim vor.
Zu diefen Klöftern ꝛc. Famen im Laufe des 14, Jahrhunderts
auch einige Stiftungen, deren Zweck vwerbefierte Krankenpflege war, und
von denen eine auch Höfterliche Einrichtung hatte. Im Jahr 1323
gründete Markgraf Rudolf IV. mit feiner Frau Luitgard in der Bröbin:
ger Vorftadt das „ Hofpitalhbaus des heiligen Geiftes." Das:
jelbe hatte klöſterliche Einrichtung und waren die Hofpitaliter, die nad
der Regel des heiligen Auguftin lebten, zur Kranken: und Armenpflege
verpflichtet. Soldyer Hofpitalhäufer des heiligen Geiftes gab es im
Allgemeinen nur wenig, fo in Schwaben, außer in Pforzheim, noch in
Marfgröningen, Memmingen und Wimpfen. 1) Der Anfang des Stif:
tungsbriefes?) Tautet (im heutigen Deutfh): „Wir Markgraf Rudolf
von Gottes Gnaden, Markgraf von Baden der Jüngere (IV.) und
Fran Luitgard, die Markgräfin, unfere eheliche Frau, Kunden allen denen
die diefen Brief immer gefehen oder leſen hören, daß wir mit guter
Betrachtung angefeben haben die große Würde und fondere Gnade,
die der göttliche Orden des heiligen Geiftes in dem Spital zu Nom
erworben hat vom heiligen Water der Ghriftenheit und Papſten des
Stuhles von Rom, und darum fo haben wir mit gutem Willen und
Andacht dem Meifter und Brudern desfelben Ordens aufgeben zu rechter
Gab, die man nennt unter Lebenden, den Spital, den wir geftiftet haben
in der Vorftadt unferer Stadt zu Pforzheim ꝛc.“ — War diefes Heilig.
geiftfpital oder Heiliggeiftklofter ſchon bei feiner Gründung mit den erfor:
berlihen Einkünften verfehen worden, (auch Hirſchau verzichtete damals
auf 28 Heller Zins ab dem Platz, auf welden das Kloſter gebaut
wurde,) fo hatte es ſich aud in der Folge reiher Schenkungen und
noch einmal der Huld feines Stifters zu erfreugn. Am Freitag nad)
St. Walpurgtag 1336 vermadten Markgraf Rudolf und feine eheliche
MWirthin Maria 3) dem Spital die Summe von 25 Pfund als jährliches
) Stälin, I, 712.
2) Sachs, II., 129.
3) Die zweite Gemahlin des Markgrafen, Wittwe des Grafen Wernber
von Hobenberg. Seine erfte Gemahlin war die ſchon erwähnte Luitgarb, Wittwe
des Grafen Albreht von Löwenftein, welche fchon 1324 farb, Vergl. ber
durchlauchtigſten Fürſten und Markgrafen von Banden x. ©, 151,
118 Achtes Kapitel, Pforzheim im 14, Jahrhundert,
und ewiges Hellergeld, Als Meifter des Spitals wird 1367 ein Heinrich
von Nau genannt; ſchon 1323 hatte fich ein Bruder, Heinrih von
Mainsheim (Mönsheim), in dasjelbe eingepfründet, Zum Heiliggeift:
jpital gehörte wahrfcheinfich das demfelben gegenüber liegende Kreuz:
firchlein, das als beftehend zum erſten Male 1454 genannt wird.
Der Gründung des Hoipitalhaufes zum heiligen Geifte war aber
die eines Siechenſpitals im Pforzbeim vorausgegangen. Am 25.
Juli 1322 kaufte die bereits erwähnte Marfgräfin Luitgard, Gemahlin
Nudolfs IV., laut eines alten, abjchriftlich noch vorhandenen Stiftung:
briefes 1) das Haus des Schultheißen Heinrich von Eberdringen (S. 102)
zwifchen den Waſſern vor dem Tränfthor, und beftimmte es zu einem
Spital für elende und arme Siehen. Dieſes Haus ftieß an das Frauen:
Elofter der Dominifanerinnen und lag alfo, wie ſchon die Bezeichnung
„vor dem Tränkthor“ beſagt, außerhalb der Stadtmauer. Das Siechen-
ipital gelangte mach und nach zu reihem Einkommen und bezog 2) Gülten
und Zinfe aus Pforzheim, Gräfenhaufen, Ellmendingen, Büchenbronn,
Huchenfeld, Ispringen, Eifingen, Stein, Nußbaum, Göbrichen, Kiefel:
bronn, Deichelbronn, Glattbach, Wurmberg, Nußdorf, lacht, Weißach,
Eberdringen, Mönsheim, Wimsheim, Brötzingen, Birkenfeld, Dietlingen,
Würm, Merklingen, Simotzheim, Heimsheim, Eutingen, Lomersheim,
Illingen, Sersheim, Großſachſenheim, Detigheim, Bönnigheim, Kirchheim
a. N., Boppenweiler, Ditzingen, Stuttgart, Rechenshofen, Dürrn, Klein
ſachſenheim, Brackenheim, Gernsbach, Lehningen, Iptingen. Für dieſes
Spital wurde ſpäter eine eigene Kirche gebaut, und zwar ganz in der
Nähe deſſelben, nämlich unterhalb des jetzigen Gaſthauſes zur Kanne,
wo ſpäter die Stadtmetzig war und jetzt das Haus von Bäcker Schuſter
iſt. Vorläufig ſei hier bemerkt, daß bald nach Aufhebung des Frauen—
kloſters (LITT) das Siechenſpital durch die Gebäulichkeiten des letztern
vergrößert wurde, aber 1689 abbrannte. Im Jahr 1714 erbaute ſo—
dann auf der Stelle, wo dasſelbe geſtanden, Markgraf Karl Wilhelm
ein Landeswaiſenhaus, deſſen Räumlichkeiten aber nach einander ver—
ſchiedenen Zwecken dienen mußten, bis die Anſtalt ihrer urſprünglichen
Beſtimmung, ein Siechenhaus oder eine Heil: und Pflegeanftalt
zu fein, im Jahr 1854 zurücgegeben wurde.
1) Akten der Großh. Heil- und Pflegeanſtalt Pforzheim,
?) Zinebuch bes Spitals zu Pforzheim im Landesarchiv.
Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert. 119
Zu diefen zwei Spitälern Fam nod ein drittes. Außerhalb der
Vorjtadt Are Tag auf einer Anhöhe das St. Georgenftift, das
iheon 1348 vorhanden war. 1) Es beftand damals aus einem großen
Haus mit einem gefchloffenen Hof; fpäter Famen noch eine Kapelle und
andere Gebäulichkeiten, 31/7, Morgen Ader und 1 Morgen großer Wald
dazu, und gelangte überhaupt das Stift nah und nach zu bedeuten:
dem Wermögen, jo namentlich vielen Kapitalien, die zu Anfang des
vorigen Jahrhunderts, obgleich viele bderfelben in den Kriegen des 17,
Jahrhunderts verloren gegangen waren, noch ein jährliches Einkommen
von 741 fl. 291), tr. abwarfen. 2) Das St. Georgenftift diente als
Ant für anſteckende Kranke, war alfe, wie aus allen Andeutungen ber:
vorgeht, ein ſogenanntes Leproſenhaus. Solcher Anſtalten, die auch
Gutleuthäuſer, Miſelhäuſer, (von Miſelſucht, Ausſatz), Malazhäuſer
(vom franzöſiſchen malade) hießen, gab es im Mittelalter ſehr viele,
ſelbſt in kleinern Orten. Sie waren in der Regel außerhalb derſelben
erbant, um die Verbreitung der anſteckenden Seuchen zu hindern. 3)
Das war auch bei dem St. Georgenftift der Fall. Daß ein ſolches Le—
profenhaus ſchon zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Pforzheim be:
ftand, geht daraus hervor, daß damals die Erlaubniß zur Erhebung
einer Kollekte für den Bau einer Leproſenkapelle ertheilt wurde, 9)
und wenn fpäter mehrfach angegeben wird, 5) daß leproſe ‘Berfonen in
das St. Georgenftift aufgenommen wurden; wenn den jtädtiichen Metzgern
verboten war, Schweine ꝛc. aus diefem Stift zu Faufen; 6) wenn endlich
die Bauart desfelben ganz mit der von andern Leprofenhäufern überein:
ftimmte: jo geht wohl mit Sicherheit daraus hervor, daß aud dag
St. Georgenftift ein ſolches Leproſen- oder Gutleuthaus war. Berühmt
war von jeher das Waſſer des Stiftsbrunnens, und man hielt dasjelbe
für befonders beiffräftig bei Lähmungen und fonftigen Uebeln. Nach
einer alten Sage foll dasfelbe fegar unter der Enz hindurch in die
Stadt geleitet und dafelbft zu Bädern benüßt worden fein, jo z. B. in
der vorhin erwähnten Siehenanftalt. In einer um die Mitte des
1) Repertorium des Generallandesardivs.
2) Aften der Großh. Heile und Pflegeanitalt Pforzheim,
3) Mone, Zeitichriit IL, 259.
#) Aften des Landesarchivs.
5) An Rathsprotofollen (im Stadtarchiv).
6) Metzgerordnung von ca, 1500 (im Stadtarchiv).
120 Achtes Kapitel, Pforzheim im 14. Jahrhundert,
vorigen Jahrhunderts erfchienenen Schrift 1) Heißt es u. A: „Die
Heilkraft des Waſſers ift berühmt, und man hat dasfelbe, fowie in der
Stadt und auch anderwärts, aljo auch beim Waifenhaus in vielerlei
Umjtänden, befonders dei Eontracturen, Lähmungen, zu der Verbefferung
des verdorbenen Geblüts und fonften vielmal gar fonderbar bewährt
gefunden. Der Geſchmack gibt nicht das geringfte Kennzeichen von
einigen darin enthaltenen Meineraltheifen, fondern es ift nur ein fehr
reines Waſſer. Dasſelbe, Furmäßig getrunken, thut ebenfalls gute
Wirkung,“ Es war deßhalb auch in dem ehemaligen Waiſen-, Toll—
und Zuchthaus ein eigenes Bad eingerichtet, zu welchem das Waſſer
des St. Georgenbrunnens benützt wurde. Ein ſpäterer Sachverſtändiger 2)
ſagt über dieſes Waſſer: „Es wird in viele Häuſer als ein beſon—
ders gutes Waſſer geholt, indem es die Krätze bei ſolchen, die eine
Anlage dazu haben, auf die Haut treiben, aber auch wieder heilen
ſoll. Das Waſſer enthält ſalzſauren Kalk ꝛc.“ Heut zu Tage ſcheint
man von der Heilkraft dieſes Waſſers — und mit Recht — keine ſo
günſtige Meinung mehr zu haben. Der St. Georgenbrunnen, ſowie die
St. Georgenfteige find dermalen noch die einzige Erinnerung an dag
längſt verſchwundene St. Georgenftift,
ce. Ausſehen und einzelne Theile der Stadt.
(Zum Theil aus dem Bisherigen hervorgehend.)
Das allgemeine Ausfehen der Stadt mag fi vom 13. zum
14. Jahrhundert und während des letzteren nur wenig verändert haben.
Durch die beiden Auguftinerklöfter, die Kreuzkirche, die Spitalkirche zc,
erhielt Pforzheim einen nicht unbedeutenden Zuwachs zu den zahlreichen
Thürmen, die früher eine Hauptzierde der Stadt waren. Deutete der
Umftand, daß ſchon im 13. Jahrhundert die badiichen Markgrafen ab:
wechjelnd ihren Sit in Pforzheim hatten, auf das Vorhandenfein eines
fürftlihen Schlofjes hin, fo kann ein ſolches um fo weniger im 14,
Jahrhundert gefehlt haben, als die Stadt bald nach 1300 längere Zeit
Refidenz der Herren von Pforzheim wurde, und die Markgrafen mehr:
1) Umftändlihe Nachricht von dem Waiſenhaus in Tforzheim. Karlsruhe
bei Maflot, 1759,
) Roller, Beihreibung von Pforzheim, 1811,
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 121
fach hohe Befuche, fo im Jahre 1347 den Kaifer Karl IV., und zwar
fiherlih in ihrem Schlofje beherbergten. Sehr umfangreich kann das:
jelbe übrigens nie gewefen fein, da die zum Theil noch vorhandenen
Befeftigungsmauern, welche das Schloß mit den dazu gehörigen Ge:
bäulichkeiten von der Stadt abjondern und dasſelbe früher zu einer
Art Eitadelle machten, feinen ſehr großen Raum einfchliegen, von
dem überdies die Schloßkirche mit andern Gebäulichkeiten, die jetzt
meift nicht mehr vorhanden find, einen ziemlichen Theil in Anſpruch
nabın. Einen Hof neben der Kirche beſaß 1302 der Bürger
Gottbold Weife. Welche Kirche damit gemeint fei, ift aus der Urkunde
nicht zu entnehmen. Dielleiht war e8 der Hof in der Altjtadt, den
wir 1257 und 1284 (©. 79) unter dem Namen des „Liebeners Hof”
fennen gelernt haben. Vom Marktplatze, der wermuthlic von jeher
diefelbe Geftalt wie jett hatte und bei Anlage der Stadt einen praftis
ihen Sinn bewies, ift 1336 die Nede, und wir erfahren bei der näm—
lichen Gelegenheit, daß das Klofter Herrenalb unten am Markte ein
Steinhaus mit einer Hofftatt befaß, an welches rechts und linls
die Häufer der „Hederin® und der „Zorgelerin“ anſtießen.
Die ausdrücdlihe Bezeihnung „Steinhaus“, der wir mehrfach begegnen,
berechtigt zu dem Schluß, daß fteinerne Häufer damals in Pforzheim
noch etwas felten und die meiften Gebäude nur „unterfteint“ und wahr:
ſcheinlich mit Riegeln aufgeführt waren. Wenn jogar noch im folgenden
Sahrhundert, nämlich in der Landesordnung von 1495, Herzog Eber:
hard im Bart verordnen mußte, daß wenigftens in den Städten ber
Unterbau der Häufer von Stein fein und leßtere mit Ziegeln gedeckt
werden müßten, 1) fo läßt fich) daraus entnehmen, wie es im Allge—
meinen beim Bauen vorher gehalten wurde. Der jührliche Beſtand von
2 Bid. Heller, der für dieſes Steinhaus und die dazu gehörige Hofftatt
bezahlt werden mußte, läßt einen Blick auf die Geldverhältniffe und die
Miethpreife der damaligen Zeit thun. Bei diefem Steinhaus, das in
einer Urkunde vom San. 1304 abermals genannt ift, Tag auch dag
Haus Liebeners, und kommt ferner am nämlichen Ort das Haus
der „Soltfmidin” vor, Eines Haufes, das Heinz Roth und fein,
Sohn in der Altjtadt beim Brunnen befaßen und das hinten an die
„Wydem“ und vornen auf die „freie Reichsſtraße“ ſtieß, iſt'
ı) Stälin, Ul, 784,
122 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
bereits gedacht worden. Mehrfah wird aud der Wogelerin
Mühle („der Voglerin mon”) aufgeführt, fo 1302 und 1319.
Mahricheinlih ift damit die Obermühle, die in fpätern Urkun—
den au Zwingelmühle heißt, gemeint, 1348 ift die Pfriemen—
mühle außerhalb Pforzheims, alfo die Nonnenmühle, fammt
einem dazu gehörigen Stampfrad erwähnt, — Daß das Fllofter
Tichtenthal hinter dem Dominikanerkloſter, alfo in der heutigen Spital:
itraße, verfchiedene Erwerbungen machte und dafelbft auch die Domini:
fanerinnen einen Garten befaßen, ift oben ſchon bemerft worden. Won
den damaligen Straßen der Stadt werden aufgeführt: die Brötzinger
Gaſſe 1366 und 1376, eine Fiſchergaſſe („des Tchulers Haus in
der Fiſchergaſſe“ in der Au), die Brunnengafie, (jet verlängerte
Lammgaſſe bei der Synagoge hinunter), wo das Begninenhaus war ıc.
— Die Straßen der Stadt waren damals noch nicht gepflaftert; denn
diefe Sitte Fam erft im folgenden Jahrhundert auf. Im Jahr 1416
gab Augsburg ein Beifpiel, vielleicht das erſte, mit der Pflaſterung, das
andere Städte im Lauf der Zeit nachahmten. Des „Altorfer- oder
Altſtädter Thors“ erwähnt eine Urkunde von 1389. Sodann wird
auch noch 1322 eines „Tränkthors“ gedacht, vor welchem, und zwar
zwifchen dem Waſſer, das Hans des Schultheißen Heinrich von Eber:
dingen Tag, das die Markgräfin Luitgard ankaufte und zu einem Siechen—
haus beftinmte, Dasfelbe ftieß, wie ſchon erwähnt, an das Kloſter ber
Dominikanerinmen, das (S. 74) ebenfalls außerhalb der Stadtmauer war.
Sowohl dag Tränkthor, als das früher (S. TI) genannte Frauen:
tbor, die beide gegen das Kloſter hinführten, mußten verichwinden, als
jpäter die Stadtmauer erweitert und das Kloſter ſammt manchen an:
ftoßenden Häufern ebenfalls mit derſelben umfchlofien wurde. Wenn
das Haus Heinrichs von Eberdingen als „zwiſchen dem Wajfer“
liegend bezeichnet wird, To geht daraus hervor, daß damals (1322) der
Mühlkanal, der ja mit der Enz und dem Nommenmühlfanal den
Stadtteil einfchließt, wo fich jenes Haus befand und die Heil: und
Plegeanftalt jetzt fteht, fchen vorhanden war. Auch des Metzelgra—
bens und der daran ftoßenden Bleichwiefe geichieht chen früh Er:
wähnung (S. 86). Die Auer Brüde wird unter dem Namen
„Stevnin Bruden” zum erften Male 1365 genannt, (Kirfchau
befaß das Fiſchwaſſer oberhalb dieier Brücke und unterhalb bis Et, Martin.)
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 123
Der Altftädter Brücke gefchieht 1383 Erwähnung, und war der
Zimmermann Conzlin Zurn (Zorn) mit der Auffiht darüber betraut.
d. Gewerbe, Handel x,
Daß nicht bloß der Mühlbach im 14. Jahrhundert ſchon vorhan—
den war, fondern daß überhaupt die Stadt damals ſchon von noch
andern Kanälen, jowie heut zu Tage, durchftrömt worden fein muß, be
weist der Umftand, da in einer Urkunde von 1342, nämlich dem unten
folgenden Floßvertrag, bereits vier Wehre in der Enz bei Pforzheim
genannt werden, alſo nur eines (das Finkenſtein'ſche) weniger, als es
heut zu Tage noch find. Daraus läßt fich auf das frühere Norhanden-
fein noch mehrerer Viühlen, deren ohnehin auch 1338 als mainziſcher
Lehen Erwähnung geichtebt, und fonftiger Waſſerwerke, (Delfchlagen,
Schleifmühlen, Walkmühlen, Lohftampfen ıc.), wie wir derjelben beute
noch längs des Gewerbfanals finden, ein Schluß ziehen, und man darf
wohl annehmen, daß fchon im 13. und 14. Jahrhundert eine ähnliche Tebhajte
Gewerbthätigfeit geherricht haben muß, wie wir derfelben in den folgen—
den Jahrhunderten, am meijten aber freilid in der neueften Zeit bes
gegnen. Wurde eine foldhe ſchon durch die Lage Pforzbeims ſehr be
günftigt, das von jeher über bedeutende und nie verfiegende Waſſerkräfte
verfügen konnte, jo mochte auch der Umfland nicht wenig zur Erhöhung.
jenev Gewerbthätigkeit und zur Belebung des Verkehrs überhaupt beis
tragen, daß jchen im 14. Jahrhundert zwei Reihshauptftraßen
über Pforzheim gingen. Die eine, bereits (S, 121) erwähnte, führte
vom Rhein ber nach Kannjtadt. Dort war, wie fehon zur Mömerzeit,
ein Hauptftraßenfnoten, und Tiefen daſelbſt noch zwei andere wichtige
Straßen aus, nämlich eine, die von Bruchſal über Maulbronn, und eine
andere, die von Heilbronn über Laufen dahin 309. Die gemeinfchaftliche
Fortſetzung diefer drei Straßen ging über Eßlingen, Plochingen, Göp—
pingen, Geiflingen nad) Ulm ꝛc. Cine andere NReichshauptftraße führte
von Frankfurt ber über Bretten, Pforzheim, Merklingen, Weiler:
ftadt 2c. nad) Ulm, und von dort in die Schweiz und nach alien.
Diefe Straße war früher wichtiger, als die andere, was ſchon die vielen
Verträge über das Geleit auf derfelben beweifen, denen wir fpäter bes
gegnen. Zu al dem kommt noch, daß die Stadt Pforzheim, die. bes
4124 Ahtes Kapitel, Pforzheim im 14, Jahrhundert.
deutendfte der alten Markgrafichaft Baden, von ihren Fürſten immer
jehr begünftigt wurde und ihren Bürgern die freiefte Negfamteit, joweit
ſich diefelbe mit den damaligen Verhältniffen vertrug, eben fo gut, als
den Bewohnern der Neichsftidte verftattet war, Pforzheim zeigte fich
auch den badijchen Fürften feit dem Anfall der Stadt an diefelben be:
ftändig treu ergeben, Wird ihnen doch ſchon in der Studtordung von
1491 von Markgraf Chrifteph das Zeugniß ertheilt, daß fie fich gegen
feine „vordern Löblicher gedechtnis allwegheer zü ſchympf vnnd zü ernnſt,
mit getruwen darjtrefen, hilff vnnd ſtuvr gehorſamlich erzeigt, willig vnnd
wolgehalten hand.“
Wie in anderen Städten unſeres Landes,!) jo mochte ſich auch in
Pforzheim ſchon im 14. Jahrhundert ein geregeltes Zunftweſen aus:
gebildet haben, wie wir demfelben fpäter jo häufig begegnen. (Vergl.
©. 82). Die ſtädtiſchen Zünfte fpielten feiner Zeit eine wichtige Nolle,
und brachten, wie ein badifcher Gejchichtsfchreiber bemerkt,2) „nicht nur
Ruhe und Ordnung, fondern auch eine nützliche Miſchung der verichie:
denen Bürgerftände, ihrer Grundſätze und Eitten, eine ftrenge Ehrbarkeit
und, einen fichern Wohlftand hervor, worüber man e8 gerne vergißt, daß
fie ihren Urfprung doch in einer engherzigen Abſchließungs- und Bor:
theifsfucht hatten,” Nebenbei hatten aber die Zünfte auch einen mili-
täriſchen Zweck, und erfchienen bei drohenden Gefahren wohl geritftet,
jede unter der Anführung ihres Zunftmeifters, um den gemeinfamen
Feind muthig zu befimpfen. An Gelegenheit dazu fehlte e8 in den da—
maligen unruhvollen Zeiten nicht.
Ueber die einzelnen Gewerbe und Zünfte, weldhe in Pforzheim
damals beftanden, erfahren wir übrigens urkundlich Näheres jet noch
nicht, und finden wir nur über einige derjelben unbeftimmte Andeutungen.
Der Mühlen ift ſchon gedacht worden. Diefelben waren meiſtens
Eigenthum der Fürften, Klöſter ıc., und wurden an dazu geeignete ‘Ber:
fonen in Erblehenpacht gegeben. Zu der „Vogferin Mühle“ gehörten
1319 fünf verichiedene Brodfhrannen der Stadt, nämlich Die
Schrannen „der Ranfaltin, Heinrich Getzinf, Vlrichs von Winrefheim,
1) &o 3. B. in Villingen, Freiburg, Konftanz, Ucberlingen, Kenzingen
u. a. In Villingen wurden ichon 1324 die Zunftmeifter mit 4 Beifigern in
den Rath aufgenommen und Pfullendorf erhielt 1383 cine Zunftverfaffung,
(Bader, bad. Larndesgeichichte, Seite 303 ff.)
2) Bader, a. O.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14, Jahrhundert. 125
Counratz Schvmels vnde der Volmarin fehrannen, vnde der Nanfaltin
Baches (Backhaus),“ und fielen von denfelben allmöchentlih 5 Heller
oder eben fo viel Hellerbrode der Mühle zu. Des Haufes einer
„Goltſmidin“ ift auch ſchon Erwähnung geſchehen, ein Beweis, daß
das Gewerbe der Goldichmiede damals ſchon in Pforzheim vertreten war.
Emmen Weber Wortwin und einen Weingärtner Konrad, die
beide in der Altjtadt wohnten, haben wir bereits auch kennen gelernt,
Ein Bäder Heinrich Hagen kommt 1347, ein Seifried Ferwer (Für:
ber) 1361, Guntram der Schmied 1366, zwei Fiſcher Entlin 1363,
ein anderer Friedr, Krieg 1383, ein Zimmermann Zurn 1365,
ein Götz Krämer 1395 vor.
Am meiften tritt im 14. Jahrhundert das Floßweſen aus dem
Dunkel, welches früher noch über demfelben geſchwebt. Wichtig dafür
ift der Vertrag, der in Betreff des Flößens auf dem Nedar, der
Enz, Nagold und Würm zwifchen Baden, Württemberg und Heilbronn
im Jahr 1342 abgefchlojfen wurde. Es geht daraus hervor, wie bes
deutend ſchon damals die Flößerei auf diefen Flüffen war, fo daß eine
Regelung derfelben nothwendig erſchien. Nach dem Vertrag, welcher bie
Deffnung der erwähnten Flüffe bezwedte, hatten die Flößer zwar an
beftimmten Mehren Zölle zu entrichten, doch follten diefe Wehre und
die Waſſerſtraßen überhaupt ohne Unfoften für die Flößerei erhalten und
von dem Holz, welches auf den Flößen Tiege, nichts bezahlt worden,
Das fichere Geleit, welches den Flößern und den Kaufleuten, die Holz
fauften, zugefagt wurde, follte auch in Kriegszeiten nicht beeinträchtigt
werden. Bei der Michtigfeit diefer Vertragsurfunde mag fie bier voll
ftändig mitgetheilt werden. ')
„Copie Vergleichs zwijchen den fürftlihen Häufern Baden und Mürtem-
berg wegen Flößens auf der Würm, Nagold, Enz und Nedar von
1342.
Wir Marggraff Rudolph von Baden, vnnd Wir Graue Ulrich von
Würtemberg verjehen ?) offentlih an dieſem Brieff für Vns, Vnſer
1) Eine Abſchrift derſelben befindet ſich bei den hieſigen Flößerzunftakten,
und iſt ſie hier benützt. Für ihre Korrektheit kann ich nicht gutſprechen.
Gin (vermuthlich fehlerhafter) Abdruck derſelben ſieht Kausler, Beſchreibung
des Oberamts Neuenbürg, S. 154 ff.
2) bejahen oder bekennen.
436 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
Erben, vnnd all vnſer nachkommen, vnndt thuen fundt allen denen, die
In Immer anſehendt, lefendt, oder hörendt leßen, das Wir durch nub
vnndt fronmen Vnſer, Vnſeren Erben, vnndt aller Vnſer Nachkommen,
vnndt auch durch Bitt der Erſamen weißen Leut, der Burgermeiſter, des
Rhats vnnd der Burger gemeinlich zu Heilbron ſeyn vbereinkommen,
vmb das Floſſen vff der Würm, vff der Nagold, vff der Entz, vnndt
vff dem Nekher, alſo das Wir dieſelben Waßer vnnd auch die Straßen
vff denſelben Waſſern haben geoffnet, vnndt gevffet, und das es Immer—
mehr, ewiglich ein geoffnete, vndt gevffente Straß vff denſelben Waſſern
ſein ſoll vndt bleiben zu gleicher Weiß alß hernach geſchriben ſtett.
Von Erſt jo haben Wir die Würm gevffent, biß geen Pfortzheim
in die Entz, vnd wer daruf Floſſen will, der ſoll von jedem Hundert
Zimmerholtz, oder von jedem Hundert Dilen geben zu Zoll, zu Lieben—
egge an dem Were ſechs Heller.
Darnach haben wir die Nagolt gevffent, bis gehn Pfortzheim in
die Ent, vnnd wer darauff Floſſen will, der foll von Jedem hundert
Zimmerholtz oder von Jedem hundert Dilen geben zu Liebenzell an dem
Miere zu Zoll ſechs Heller, vnndt zu Wißenſtein zehn Heller.
Darnach jo haben Wir die Entz gevffent, allg fern man darauf
gefloffen mag bis gehn Beffigkfheim in den Nekher. Darnach jo haben
Wir den Nekher gevffent zu Beifigheim bis gehn Hailbronnen an die
Stattmauer, mit ſolcher Beicheidenheit 1) wer darauf flofjen will, der joll
von Jedem hundert Zimmerholtz, oder von Jedem hundert Dilen geben,
zu ber Newenburg?) zu Zoll von zweyen Wehren zwankig Heller,
darnach zu Pforkhein von vier Wehren viersig Heller, zu Vtzingen 3)
von einem Mehr vier Heller, zu Nüffern von einem Wehr vier Heller,
zu Dürmünge von einem Wehr vier Heller, zu Lomerßheim von einem
Mehr vier Heller, zu Mühlhaußen von einem Wehr vier Heller, zu
Roſſenwage von einem Wehr vier Heller, zu Vayhingen von zweyen
ehren zwantig Heller, zu dem obern Rixingen von einem Mehr zehen
Heller, zn dem niedern Niringen an einem Wehr vier Heller, zu Ne:
midheim von einem Wehr vier Heller, zu Buffingen von einem Wehr
vier Heller, zu Beifigkheim von zweyen Mehren, zwanzig Heller; Es ift
ift auch geredt, zu welchem Wehr man Zoll gibt alß vorgeſchriben ftehet,
da ſoll Jeder Herr, oder Jeder Armmann) dem man den Zoll gibt,
1) mit ſolchem Beſcheid, d. h. mit ſolcher Beſchränkung. *) Neuenbürg.
8) eigentl. Uttingen, Uitingen, Eutingen. *) arme Mann, Leibeigener, ber
mit der Erhebung des Zolles beauftragt war.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 497
Schußbretter an dafjelb Wehr machen, das zwiſchen den Seulen fen
zwölff Schue weit, vnndt jollen die Schußbretter bawen vnnd machen,
on dev Fuhrleüt!) ſchaden. Man joll aud zu keinem Viſchs vahe 2),
noch „Jjendert 3) anders, dan alß vorgejchriben ift, feinen Zoll, nod)
nichtzit?) geben, were auch, das daß Waßer Jendert vergruße, oder
vergrundt 5) würdt, oder jenft vnützs würde, das man nicht wohl ges
flofjen möchte, bey weß Wehr oder Mühlen das gefchehe, der foll es
vffrichten vnnd vertig macen ohn der Furleüt ſchaden. Es iſt aud
geredt, was vff den flofjen leit wngeuerlich 6) von Holtzs, es jene vff dem
Zimmerholßs, oder vff den Dilen, oder Wehre das man jchelleich 7)
oder Legichiff $) an die Floß hend, das fell alles freilihen®), und ohn
allen Zoll faren, vnnd geen, vnnd jell auch niemandt den andern wor:
bietten, noch befümmtern 10), das an den Flöſſen geirren oder gehindern
möchte, in feinen Weeg ohn alle geuehrde 1),
Es iſt auch geredt, was vff den Floſſen liege von Holtzes, oder
was darauf fehrt von Feileuten, das foll vff und ab fridt vnnd Gleidt
baben, vor allermenniglich, es ſeye in Krieg, oder ohne Krieg, dafjelb
Gleidt follen auch die Nauffleut die Kauffendt, oder vngeuehrlich Fauffen
wollen, fie fahren vff den Floſſen, oder fie gangen, oder fie Neiten vff
dem Landt vff oder .ab, haben ohn alle geuehröt, Were Aber darwider
thett, vnnd den Friden und das Gleidt!?) wberführe oder breche, das follen
Wir Marggraff Nudolff von Baden, wnndt Wir Graff Vlrich von
türtemberg, vnndt Vnſer Erben, vnnd all Vnſer Nachkommen, weren
vnnd wenden, alß fern Wir Fünden und mögen ohn alle gevehrde. Dep
zu Vhrkundt vnnd zu einer ewigen Gezeugnuß, baben Wir Marggraff
Rudolff von Baden, vnndt Graue Vlrich von Würtemberg, die vorge:
nanndten, dieſen Brieff befiegelt mit Vnſern Inſiegeln, die daran hans
gende, der geben iſt zu Stuttgartten an dem weiſſen Sonntag da man
zhalt von Chriſti Geburth, dreyzehen hundert Jare, vnndt in dem zwey
vnndt vierzigſten Jare.“ —
— — — — —
1) nämlich der Flößer. *) Fiſchfang. 3) jo viel als etwa. 4) nichts.
5) verſchlammt. 9) ungerähr. 7) Echäfeichen. 9) Nadyen. *) frei. 10) bes
läftigen. 1) Gefährde. 12) Geleite. Durch gegenicitige Berträge hatten bie
meisten Fürften die in jenen unrubigen Zeiten zur Eicherbeit des Hanbels fo
notbwendige Verpflichtung übernommen, die durch ihr Gebiet reifenden Kauf
leute zu ſchützen. Natürlich mußte für jolches Geleit auch etwas bezahlt werden.
Von ſolchen Geleitverträgen wird weiter unten mehr die Rede fein.
158 Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
Es ift zwar nun im diefer Urkunde nicht gefagt, daß eine geordnete
Flößerzunft in Pforzheim damals ſchon beftand; es kann indeß aus dem
ganzen Anhalt derjelben mit Cicherheit gefchlofien werden. In Porz:
beim mußte wohl eine Hauptitation fein, da die Enz durch Aufnahme
der beiden andern Flüſſe hier erft völlig flößbar wird, und es läßt ſich
mit Gewißheit annehmen, daß da, wo zu einem Erwerbszweig fi) eine
fo Schöne Gelegenheit bot, auch viele Hände ſich damit befaßten und die
Flößerei im ntereffe der Ordnung und eines geregelten Betriebs, wie
jedes andere Gewerbe in damaliger Zeit, fehr früh ſchon zünftig wurde.
Daß die Pforzheimer Flößer 1383 ihr Gefchäft bereits bis nach Mainz
ausdehnten, zeigt ein Eintrag im Seelbuch des Stifts Mariä zu den Gre—
den zu Mainz, welcher lautet: Anno dom. 1383 Albertus scultetus
de Porzheim dedit ad edificia beate Marie virginis in lignis emptis
erga ipsum 35 libr. hall, cujus memoria habeatur in perpetuum, t)
d. h. Albert der Schuftheiß von Pforzheim gab zum Bau der feligen
Jungfrau Maria an von ihm erfauften Hölzern 35 Pfund Heller, defjen
Andenken beftändig bleiben möge.
Zum beſſern Verſtändniß mancher Angaben, wie fie dag gegen:
wärtige Kapitel fowohl, als die frühern enthalten, und auch die folgen-
ben Abſchnitte bringen werden, und um überhaupt einen allfeitigern
Maapitab zur BVergleihung der Vergangenbeit mit der Gegenwart zu
haben, ift es nothwendig, auf die Geldverhältniſſe früherer Zeit
näher einzugehen. 2) Die Vergleihung der alten Münzwerthe mit den
jetzigen ift übrigens fehr fchwierig, weil diefelben früher in einzelnen,
oft nahliegenden Drten und Bezirken ganz verfchieden waren und auch
der Münzfuß fi Häufig änderte. Das ältefte und gemwöhnlichte
Rechnungsgeld war das Pfund, weldhes aber niemals in einem
Stück ausgeprägt wurde, weil man feine Prägftüde für fo große Mün—
zen hatte. Die unbeholfene Prägung der Theilftücke, die Feine beftimmte
Größe und feinen fcharfen Nand hatten, machte e8 nöthig, diefelben aufs
Pfund abzumwägen, während man ſich heut zu Tage mit dem Zäh—
fen begnügt, weil die Scheidemünzen genauer geprägt find. Am meiften
ift Bis jebt die Dezeihmung „Pfund Heller” vworgefommen. Gleichbe—
deutend damit war ein „einer Gulden von Florenz." Diefe Gulden
1) Mone, Zeitichrift XL, 260.
2) Vergl. Mone, Zeitichrift IT, 385 ff., III., 309 fi, Vl., 257 ff. IX, 189 ff.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 129
waren von Gold und wurden zuerjt in der Stadt Florenz geprägt,
daher der lateinische Name florenus (franz. florin) und das Zeichen
fl. für Gulden. Ein Pfund Heller beftand gewöhnlid aus 20 Schil-
fing Heller, auf jeden Schilling Heller gingen 12 Heller, fo daß alfo
ein Pfund Heller durchichnittlich 240 Stück Seller zählte. Aehnlich
war die Pfennigrechnung; 12 Pfennige waren 1 Schilling Pfennig,
und 20 Schilling Pfennig waren 1 Pfund Pfennig; nur war 1 Pen:
nig das Doppelte von 1 Heller, 1 Schilling Pfennig das Doppelte von
1 Schilling Heller und 1 Pfund Pfennig das Doppelte von 1 Pfund
Heller. Auf 1 Pfund Pfennig gingen alſo durchfchnittliih 240 Stüd
Pfennig oder 480 Stück Heller. Der Werth von einem Pfund
Heller war aber nun nah Zeit und Ort außerordentlid ver:
ſchieden; namentlich wurde derſelbe im Lauf der Zeit immer geringer.
Während er 3.2. zu Anfang des 14, Jahrhunderts für die Gegend von
Pforzheim etwa 6 fl. 15 fr. betrug, aljo 1 Schilling Heller 183, kr.
und 1 Seller etwas über 1'/, Kreuzer unferes Geldes werth war,
ftand das Pfund Heller 1321 auf 6 fl. 12 fr. und um 1350 war der
Werth desjelben bereits auf 4 fl. AL fr. gefunfen. Hundert Jahre
ipäter, nämlid um 1460, galt 1 Pfennig ungefähr 11/, (genau 125/54)
Kreuzer des jeßigen Geldes, alfo 1 Schilling Pf. etwa 153/, Kreuzer,
1 Pfd. Pfennig demnach 5 fl. 14 kr., 1 Pfund Heller 2 fl. 3T kr.
Nah Pforzheimer Lagerbüchern aus dem 16. Jahrhundert (1527,
1565 und 41574) waren die damals üblihen Münzen noch die
nämlichen, wie früher, nur daß fich der Pfennig noch in 4, und
der Heller in 2 Ortlin oder Dertlin abtbeilte. Auf den Ned:
nungsgulden gingen zu jener Zeit 14 Schilling Pfennig oder
23 Schilling Heller. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts war nun
der Werth eines Rechnungsguldens gleich 2 fl. 52%, Fr. unfereg
Geldes; alfo galt 1 Pfund Pfennig 4 fl. 6'% kr., 1 Pfund
Heller 2 fl. 31, kr., 1 Schilling Pfennig ungefähr 12%/, kr.,
1 Pfennig alfo etwa 1 kr, 1 Heller war gleich 1/, Kreuzer. Gegen
Ende des 16. Jahrhunderts betrug der Nechnungsgulden nur noch
2 ft. 16 Mr. unferes Geldes, alſo war 1 Pfund Pfennig = 3 fl.
14 kr., 1 Pfund Heller 1 fl, 37 kr., 1 Schilling Pfennig =
/z kr., ein Pfernig etwa 3/, Kreuzer u. ſ. w. Als der alte Pfen—
nig und Heller nach und nad auf den jegigen Werth (1/, und 1/5
Kreuzer) herabjanten, jo wurde die Pfundrechnung der Guldenrech—
Pflüger, Pforzheim. 9
130 Achtes Kapttel. Pforzheim im 14. Jahrhundert,
nung gleich, deshalb Fam jie als unnöthig außer Gebrauch; denn
1 Pfund Pfennig war alsdann 1 Gulden und 1 Pfund Heller
1/, Gulden.
Neben dem Handel und den Gewerben blühten in den meiften
damaligen Städten auch Wiſſenſchaft und Künfte in erfreulicher Weife.
Bürgerlihen Schulunterricht findet man im 14. und 15. Jahrhundert
ihon in jehr vielen Orten. Pforzheim mag darin hinter andern Städten
nicht zurüdgeblieben fein. Zu den reihen Kontingent der Sänger und
Dichter, welcher damals hen und im der Folge noch zahlreicher aus
den Städten hervorgingen, bat auch Pforzheim feinen Mann gejtellt.
Es ift dies Meifter Heinrich von Pforzheim. Leider it von ihm
weiter nichts, als fein Name und ein einziges Gedicht befannt, das die
Ueberſchrift: „Des Fifhers Rache“ führt. ') Dasjelbe befteht aus
nicht weniger als 425 Verszeilen umd erzählt in launiger Weife ein
Abentheuer, das ein Fiſcher mit einem Geijtlichen hatte. Es beginnt
mit den Worten:
Merfe nad) der welte pblicht
Ir kurtze wil ift anders nicht
Waz man finget oder fait
Vuzucht vnd da bu trumchenbait
Hat man für ein toren Ipiel
Da von ich nit fafen wil
Aller welt ze für
Wil ich jagen ain auentür
Bon einen viicher wol gemuot
Der ye vor ſchaden was behuot
Der vnder Burg jaz ze tal
Da nam ain wazzer bin fin val ꝛc.
' Läßt fi) aus dem Anfang diejes Gedichte, ſowie aus den mitgetheil-
ten Bruchftücen ꝛc. einiger Urkunden die Sprache des 14. Jahrhunderts,
wie fie in der Gegend Pforzheims üblich war, erfehen, fo mag zu diefem
Zwede noch in ausgedehnterm- Maaße eine ganze Urkunde fich eignen,
welche Schultheiß und Gericht der Stadt am 24, Dezember 1319 aus-
geftellt haben. Diefelbe ift fchon mehrmals citirt worden und mag alfo
1) Es ſteht in Lapbergs Lieberfaal, Thl. 3, S. 217. — Bezüglich des
Nomens bes Dichters ift indeß auch zu vergleichen, was ©, 133 iiber das Adels:
geigleht „von Pforzheim“ gefagt ift.
Achtes Kapitel. Piorzheim im 14. Kahrhundert. 43
auch zum Beleg für verfchiedene Thatjachen und Angaben dienen, deren
bereitg Erwähnung gejchehen it, oder die mitgetheilt worden find. ")
„Bir Heinrich von Eberdringen (S. 102), der fchulteiz, vnde die ribter
gemeinlich von Phorzhein, vergeben offenlich an diſem briefe, daz an ge—
vihte vor vns ſtuont unſer burger Sifrit von Phorzhein, Gotboltes
jeligen des Weifen fon, vnde Hedewig, fin eliche wirtin, vnde veriahen
vnd erfanten fich des, das fie vm den cinf, den fie ſcholdie warn ze ge
ben eweclich dem clofter der monde von Albe, den dei vorgenanten
Sifrides vater vnde mooter verkouften vm driv hundert pfonde guter
heller, der fie gewert wurden von dem vworgejeriben clofter, aber def
vorgenanten cinjes waf alle jar vier vnde vierzie malter rocken, jiben
vnde zweinzic malter dinfeli, und zwei vnde vierzic malter habern, vnde
eilf pfont heller ame fvnft jchillinge, von den guoten, die hie nach aeferi-
ben jtent, daz ift div zweiteil der mvln zu Phorzhein, die man heizzet
der Vogelerin moln, des zehenden daz britteil, clein vnde groz, zu Bre—
gingen vnde zv Birkenvelt, beidiv in den dorfern wnde vf den marken,
vnde och vf anderme gvote, die fie haut zu Bretzingen, zu Nidelingen,
Geberhingen, vnde zu Elmendingen ligen. Daz fie des vorgenanten
cinfes ledic wurden eweelich, dar vm jo hant die vorgenanten Sifrit vnde
Hedewig vor vnſ vf geben ewechcd, dem vorgejeriben clofter die moln,
die da vor genennet ift, mit allem dem reht vnde notzen, die 30 derſel—
ben mol horent, daz ift mit namen die brotjchrannen der Ranfaltin,
Heinrichs Getzinſ, Wrihs von Winrefhein, Conratz Schumels, vnde der
Volmarin fchrannen, vnde der Nanfaltin bachvs, da von alle wochen
vallent fvnf heller, oder alf’maniget heller brot, vnde daz dritteil dez
zehenden , beidiv groz vnde clein, vber die marke zu Brebingen vnde zu
Birkenvelt, vnde och in denjelben zwein dorfern. Difiv vorgenanten guot
hat Sifrit vnde fin wirtin, die da vor genennent fint, geben reht vnde'
redelich dem vorgeferiben clofter zu Albe ze har eweclich vnde ze niezzen,
jwie ef im gvot oder notze mac gefin. Wir Heinrich, dev fcholteiz, vnde
die rihter von Phorzhein, die vor geferiben, vergehen och an dieſem
briefe, wan der vorgenante Sifrit hat gefwifterit, Wernhern, Criſtin, vnde
Elſebeten, die nit fint zu irn tagen Eomen, fo hat her Abreth der alte
Weife, Drvtwin, Gozfolt, och die Weife, der vorgenannten Einde pfleger
— —
) Sie iſt aus dem Herrenalber Kloſterarchiv und ſteht in Mone's
Zeitſchrift, V., 466. g*
139? Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
vnde fvrmont, in der hant Gotbolt jelic jatte vnde gab vor den rihtern
mit irme gvote ze tun, ſwaz fie wolten, die hant vergehen vor vnſ an
der Finde ftat, fwaz Sifrit vnde Hedewig fin wirtin hant gerihtet vm
den vorgenanten cinf mit dem clofter von Albe, alf da vor geferiben
ftet, wan ez mit ir willen vnde vate geſchehen ift, ftete vnde gan ze
ban an alle geverde. Vnde dar om fo git vf vnde verziehet ſich Sifrit
vnde Hedewig, vnde her Abreth der alte Weife, Drutwin vnde Gozſolt
och die Weiſen, die da vor genennet ſint, der vor geferiben kinde formont,
an der jelben finde ftat, für fich, für alle iv erben vnde nachkumen aller
der reht vnde anfprache, die fie jolten oder mohten gehan oder gewinnen,
nv oder hernach, an geiflichem oder an weltlihem geriht, vnd globent
och, daz vorgenante clofter niemer ze irrent oder ze hindern mit worten
oder mit werfen an den vorgenanten geten beinlich oder offenlih. Daz
aber diz allez gant vnde ftete blibe dem vorgenanten clofter ze Alte,
dar vm jo han wir Heinrich der ſcholteiz, vnde die rihter von Phorzhein
durch der vorgenanten Iote bete willen, Sifrides, Hedewige, vnde od) der,
die da formont fint der vorgeferiben Kinde, zvo dem ingefigel vnſers her:
ren, margraven Rudolfes, des jungen, von Baden, vnſere ftete ingefigel
gehenfet an diſen gegenwertigen brief. Wir der vorgenante marcgrave
Ruodolf von Baden vergehen offenlic an diefem Briefe, daz allez, daz
da vorgeferiben ftet, mit vnſerm gonſte vnde guten willen gefcheben fi,
vnde globen, daz vorgenante clofter von Albe niemer ze irren an den
vorgenanten guten vnde dar vm fo henken wir vnſer ingefigel zoo dem
ingefigel unfer borger von Phorzhein an difen gegenmwertigen brief zu
einer gezivenifje der vorgeferiben ſache. Dirre brief wart gegeben an
dem heiligen abent zoo wihennaht, do man zahlte von gotz geburte driv-
zehen Hundert jar, da nach in dem nivnzehenden jar.“
e. Pforzheimer Bürgergeſchlechter.
Die Patrizierfamilien, welche fi) im 13. und 14. Jahrhundert zu
Pforzheim befanden, find ſchon im vorigen Kapitel aufgezählt worden.
Es mögen hier nody andere Namen, die im 14. Jahrhundert in Pforz:
heim vorkommen, zufammengeftellt und dabei unentjchieden gelafjen werden,
ob fie zu den Pakriziern gehörten oder nicht:1) Guta, genannt Schwert:
1) Diejenigen Gefchlechter, welche fich feit jener Zeit bis bente in Pforzheim
erhalten haben, find durch gefperrten Drud bezeichnet.
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert. 133
feger 1302, Heinrich Hegening 1304, Ranfalt 1319, Heinrich Getin
1319, Konrad Schumel 1319, Volmar 1319, Heinrich Nies 1321,
Konrad Netmantel 1321 und 1368, Sigwart, genannt Herzog 1328,
Rudolf der Nenner 1336, Heder 1336, AZurgeler 1336, Wernher
May 1339, Guta Phennerin 1344 und 1359, Künlin, Sohn Kuno
Mayſers 1346 1), Sigfried Seßhelin (Nichter) 1347, Heinrich Hagen,
Bäder 1347, Konrad der Weingärtner 1352, Walter Wolff 1352,
Wortwin der Weber 1352, Konrad der Schopperer 1352, Heinzlin der
Suter 1352, Berthold der Schürer 1352, Benz Korn 1352, Alb:
vecht der Schüb 1352, Johannes Schreiber von Straßburg 1358,
Guta Veſenmayerin 1359, Seifried Ferwer 1361, Walter Entlin der
At und Walter Entlin der Jung, zwei Fiicher aus der Au 1365,
Guntram der Echmied 1366, Aberlin Sturmler 1367, Einhart Drud:
herr und Volkmar, jein Sohn 1368, Irmela Phennerin 1375, Kunzlin
Zurn der Zimmermann 1383, Friedrich Krieg der Fiſcher 1383, Cunz
Glos 1394, Götz Krämer 1394, Berthold Männlin 1395, Albrecht
Hofe (Richter) 1396, Einhard Ziegelkolb 1399.
Aus Urkunden von 1316 und 1320 erfahren wir aud, daß es
damals, wie früher fhen (S. 44), ein Adelsgefchleht gab, das fich
von Pforzheim fchrieb, Am erftgenannten Jahr wird eines Speierer
Fürgers, Herrmann von Pforzheim, erwähnt, und im Jahr 1320
hat Ritter Ulrich von Kröwelsau (bei Weilerftadt) einen Tochtermann,
Günther von Pforzheim, Auch jpäter kommt der Name Pforz:
heim noch mehrmals als Gefclechtsbezeihnung vor. So hatte Kaifer
Marimilian I, 1492 und 1493 einen Sekretär, Lukas von Pforz
heim, den er im erftgenannten Jahre zu feinem „oberſten Auffeher und
Gegenfchreibergeneral aller ſeiner Auffchläge, auch jeiner und feiner
Dienftleute Steuern im Defterreih ob und unter der Eng und zu
Gmunden“ ernennt. — 1502 bis 1508 Tebte zu Bafel der Buchöruder
Jakob von Pforken Er war aus Kempten gebürtig; es kann
alſo das „von Pfortzen“ nur der Familienname gewefen fein, wenn
er nicht aus dem nicht fehr weit von Kempten entfernten Pforzen an
der Mertach bei Kaufbeuern gebürtig war, ein Ort, der in Urkunden
jogar auch unter dem Namen Pforzheim vorkommt, wie unfere Stadt
9) Diefer Name zeigt, auf welchen Urfprung die verfchiebenen Pforzheimer
Geichlehtsnamen ber Kienle, Kiehnle, Kienlin ꝛc. zurücdzuführen find. Künlin
beißt jo viel, als der junge oder Kleine Kuno;
134 Ahtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert.
an der Enz. Vielleicht war auch der erwähnte Faiferliche Schreiber aus
dieſem Pforzen oder Pforzheim gebürtig. — Daß 1370 in Markgrö—
ningen ein Bürger und Richter Heinz Pforzheim hieß, ift oben auch
ſchon bemerkt worden.
AUnbang.
h 2 1
Euphemia.“
Von A. Banspach.
Die Glocke zu der Hora war verklungen
In Pforzheim bei den frommen Kloſterfrau'n;
Ein Bußpſalm, von der Nonnen Chor gelungen,
Drang ſchwer und bang durch's frühe Morgengrau'n:
Da tönt das Glöckchen an des Haules Pforte ;
Doch ungehört verhallt ver leiſe Klang,
Berhallet gleich dem ſchmerzgehauchten Worte,
Das fi empor aus wunder Seele vang:
„> möge mir dies nicht zum Zeichen werben,
Daß aus mich jchließt dies heilige Aſyl!
Kennt doch mein cinzig Hoffen noch auf Erden
Nur dieſes eine, dieſes legte Ziell!“ —
Rauh durch den Garten fährt der Sturm, der wilde,
Der neue Tag beginnet feucht und falt;
Da knieet fill vor dem Madonnenbifde,
Im Frofte zitternd, betend die Geſtalt.
So ward fie von den frommen Frau'n gefunden
Und dann geleitet zu der Oberin,
Die ſchon erfannte in den erjten Stunden
Der Fremden reinen, glaubensvollen Einn;
Denn ob fie auch, geheimnißvoll verschwiegen,
Nicht Kunde gab aus ihrer frühern Zeit:
Der Seele Adel iprach aus ihren Zügen; —
Die Freiftatt war für immer ihr bereit.
— — — —
) Vergl. S. 114,
Achtes Kapitel. Pforzheim im 14. Jahrhundert, "135
So lebte fie denn manches Jahre im Stillen
In Pforzheim’s Klofter, dienend Allen gern;
Sie kannte nur den einz'gen Wunſch und Willen,
Zu wandeln auf dem rechten Pfad zum Herrn.
Erſt als fih nahte ihre Tegte Stunde,
Da löste endlich fie der Zunge Band,
Und nannte mit jchon Halberblih'nem Munde
Den Namen von dem fernen Baterland:
„Am Thron von England ftand einft meine Wiege;
Mein Bater ift der König Eduard.
Man jagte oft, ich trage feine Züge,
Als von der Welt mir noch gehuldigt ward.
Da follt! ich dem von Geldern mid vermählen,
Dem lngeliebten, dies trieb mid zur Flucht.
Was ih erlitten — laßt mich's nicht erzählen ;
Mir ward des Ungehoriams bitt’re Frucht.
„Ich bab’ gefehlet — und ich hab’ gebüßet ;
Gott ift gerecht, doch er ift gnädig auch;
Er bat zulegt den Leidensfelch verfüßet,
Gerührt von der Gebete Opferraud.
Grüßt mir den Vater! — Mög’ er mir vergeben —
Die Palme winft — der Sieg ift endlich da.’ —
Sie lächelt jelig, es entihwand ihr Leben,
Und ausgelitten hat Euphemia.
Neuntes Kapitel
— —
Pforzheim unter den Markgrafen Bernhard J., Jakob J.
und Karl I")
(Größtentheils 15. Jahrhundert.)
$ 1. Allgemeines.
Die beiden Söhne, welche Rudolf VI. oder der Lange hinterließ,
nämlih Bernhard IL und Rudolf VII. (S. 95), waren bei dem Tode
ihres Vaters noch minderjährig, weshalb fie unter die Vormundſchaft
von Kurfürft Ruprecht I. von der Pfalz geftellt wurden. Dieſelbe
icheint jedoch um 1380 zu Ende gegangen zu fein; denn in diefem
Jahr nahmen beide Brüder eine Theilung der väterlichen Lande vor,
wobei Bernhard I. die Städte Pforzheim und Durlach ſammt ber
untern Markgrafichaft, Rudolf aber Baden erhielt. Mit dem Tode des
Letztern, welcher 1391 erfolgte, wurde die ganze Markfgraffchaft in die
Hand Bernhards wieder vereinigt. Schon bei ihrem Negierungsantritt
hatten die beiden Brüder, denen nicht entgangen war, wie ſchädlich die
vielen bisherigen Theilungen auf das Anfehen des marfgräflichen Haufes
eingewirkt hatten, einen Erbvertrag miteinander abgefchloffen, worin feft:
gefeßt wurde, daß die Markgrafichaft Baden Fünftig nie mehr als zwei
Herren haben, das Recht der Erſtgeburt gelten und eine Linie der
andern beim Ausfterben in ihrem Landestheile nachfolgen ſolle. Ebenſo
wurde die Veräußerung von Land und Leuten gänzlih unterfagt und
beftimmt, einerfeitS wie es mit Verpfändungen gehalten werden, anderer:
feits, welches das Einkommen nachgeborener Söhne und die Ausfteuer
der Prinzeffinnen fein folle. Diefer Vertrag ift eine der wichtigften
) Die allgemeinen Geihichtsquellen find meift die frühern; die befondern
find Überall angegeben,
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15, Jahrhundert, 137
Handlungen Markgraf Bernhards, und es ift nur zu bedauern, daß er
unter feinen Nachfolgern nicht immer beachtet wurde,
Die vielen Fehden, welche Bernhard I. theils zur Wahrung jeiner
Linder und der Ehre feines Haufes, theils zur Unterftüßung von Bun—
desgenofjen Tınd Freunden unternahm, Können bier füglich übergangen t)
und nur fo weit berührt werden, als die Stadt Pforzheim dabei
in irgend einer Weife genannt wird. So beldenmüthig im Krieg, ebenfo
thätig und umfichtig war er in friedlichen Geſchäften, und forgte nicht
nur für die Vermehrung feiner Länder, fondern auch für deren innere
Drdnung und den Wohlftand jeines Volkes. Markgraf Bernhard ftand
deshalb auch bei den andern deutjchen Fürften in hohem Anſehen, und
mag den Beinamen des Großen, der ihm vielfach gegeben wird, eben
jo gut, wie mandye andere Fürften verdienen, denen man diefe Benen—
nung beizulegen pflegt, Wenn er auch von allzu großer Leidenfchaftlichkeit
nicht frei zu Sprechen iſt.
Bon den drei Söhnen Bernhards I. überlebte ibn nur einer,
Jakob I, der deshalb auch in den ungetheilten Beſitz der badiſchen
Lande gelangte. Er regierte fie von 1431 bis 1453 mit dem Lobe
eines ebenjo gerechten und weifen, als friedliebenden Fürſten. Durch
ihn wurde die Markgrafichaft abermals nicht nur mit neuen Erwer—
bungen anfehnlich vergrößert, jonden auch für Ordnung, namentlich
aber auch für die öffentliche Sicherheit beftens gejorgt. In feinem
Teftamente beftimmte Markgraf Jakob, daß von feinen fünf Söhnen
drei, nämlich Karl, Bernhard und Georg feine Yänder unter ſich theilen,
die beiden andern aber, Johann und Markus, fich dem geiftlichen Stande
widmen follten. 2) Nach dem Tode Jakobs ging jene Iheilung auch
wirklich vor fi, und fam dabei Stadt und Amt Pforzheim, wel
letteres damals aus den Orten Würm, Dietlingen, Ellmendingen,
Langenalb, Friolzheim, Tiefenbronn, Neuhaufen, Steinegg, Hamberg
und Lehningen beftand, an Bernhard, diefes Namens der Zweite. Er
heißt auch der Heilige, weil „in feinem ſchönen Leibe eine noch ſchönere
Seele ihre Wohnung hatte, die er mit Demuth, Mlitleiden und Heilig—
—
1) Ausführlicheres darüber bei Sachs, II., 177— 296, zum Theil auch
bei Baber, bad, Landesgeihichte, S. 326 fi. Preuſchen, 504 — 516, jowie
in andern Gejchichtewerfen.
*) Erfterer wurde Erzbifchof von Trier, Letzterer Biſchof von Lüttich.
138 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15, Jahrhundert,
keit, als der Krone aller Tugenden, zu ſchmücken fuchte.”') Aber fehen
im folgenden Jahre, nämlich 1454, trat Markgraf Georg zu Pforzheim
jeinen Länderantheil an feine zwei Altern Brüder gegen eine Summe
von jährlichen 1000 Gulden ab, widmete fich ebenfalls dem geiftlichen
Stande und wurde jpäter Bischof von Metz. Als nun auch Bernhard IL,
feinem Bruder Karl die Negierung jenes Yandes übertrug und auf
einer Gejandtichaftsreife, die er im Auftrag des Kaifers Friedrichs III.
an alle europäiſchen Höfe zum Zweck eines Kreuzzuges machen jollte,
in Oberitalien 1458 plöglic jtarb, jo gelangte Karl I. in den Befit
der ganzen Maͤrkgrafſchaft, und die Gefahr, die dem Anfehen des ba:
diſchen Haufes durch abermalige Länderzerſplitterung gedroht batte, war
für jet wieder befeitigt.
Markgraf Karl I. regierte von 1453 — 1475. Diefe Zeit war
eine äußerſt unruhvolle, da der kriegeriſche SM des Markgrafen, der
ihm auc den Beinamen des Kriegers zuzog, ihn mehrfach verleitete,
ih in Händel zu mifchen, von denen er ein umbetheiligter Zuſchauer
hätte jein Können, Wem ihm auch das Lob eines guten und verftän-
digen Regenten gezellt wird, fe tadelt man auf der andern Seite das
an ibn, daß er in jeinen Entſchlüſſen nicht die nöthige Feſtigkeit zeigte.
Unter den Kriegen Karls I. ijt feiner bekannter geworden, als der:
jenige, den ev mit dem Kurfürften Friedrich dem Siegreichen von der
Pfalz führte. Da derfelbe auch Pforzheim mehrfach berührt, fo
muß bier ausführlicher darauf eingegangen werden, 2)
Im Jahr 1461 entjtanden nach dem Tode des Erzbiſchofs von
Mainz heftige Streitigkeiten bezüglich der Perſon des Nachfolgers. Auf
der einen Seite machte ein Graf Diether von Iſenburg, auf dev andern
Graf Adolph von Naſſau Anſprüche auf den erledigten Biſchofsſitz.
Des Erftern nahm ſich der Kurfürſt Friedrih von der Pfalz an, für
den letztern traten insbejondere der Markgraf Karl von Baden, Graf
Wrid von Württemberg und Biſchof Georg von Metz, des Mark:
grafen Bruder, in die Schranken, und da eine friedliche Beilegung diefes
Streites nicht gelang, jo wurde zum Schwert gegriffen.
Kleinere VBerwüftungen gingen voraus; im ebruar 1462 aber
1) Sad, 11, 509.
2) Bergl. Sachs, M., .432 ff. Bader, bad. Geſch. 354 ff., Häuſſer,
Geſch. der Pfalz, I, 369 ff, Stälin, württemb. Geſch. TIL, 535 ff, Mone,
Quellenſammlung, TIL, 140 ff,
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 139
wurde der Krieg ernftlich begonnen. Der Kurfürſt fiel mit jtarker
Heeresmacht in die Markgrafichaft ein, drang bis gegen Pforzheim
vor, verbrannte dafelbft drei Dörfer und verheerte das Remchinger Thal
(das Seitenthal der Pfinz, das von dem frühen Dorf Remchingen oder
auch von Singen aus nad Königsbach und Stein führf,) mit Feuer und
Schwert. Dafür erfchienen im März verheerende Schaaren aus Würt:
temberg und Baden in der Pfalz, drangen bis gegen Heidelberg vor,
verwüjteten die ganze Umgegend und Tegten eine Menge von Dörfern
in Aſche. Im Mai ging Markgraf Karl über den Nhein und ver:
heerte die pfälzischen Befitungen im Elſaß. Dieſes Iangfame Hinzögern
und Länderverwüften ohne entjcheidenden Schlag mußte Niemand vers
derblicher fein, als dem Pfalzgrafen. Es Ing ihm darum Alles daran,
eme raſche Gelegenheit zur Entſcheidung zu erhalten, und diefe wurde
ihm von feinen Gegner geboten. Durch falſche Beurtbeilung der
Kräfte des Pfalzgrafen und fonftige irrige Nachrichten getäufcht, ent:
ichlofien fich die verbündeten Kürten, in Maſſe in der Yfalz einzufallen
und den Gegner durch einen gewaltigen Schlag zu überwältigen. Am
25. Juni vereinigten fich die badischen und württembergiichen Heere bei
Pforzheim, eimfchlieglih der Hilfstruppen von Trier und Meb in
einer Geſammtſtärke von SUOO Mann zu Fuß und zu Roß.1) Beim
Eintritt in die Pfalz (bei Bretten) begann ein wahrer VBerwüftungszug.
Manche Reiter Ganden ihren ‘Pferden breite Baumäfte an die Schwänze,
um in den KTornfeldern, durch welche fie ritten, die Nerwüftung zu ver:
größern. Ein Angriff auf die pfälziſche Veſte Heidelsheim mißlang,
weil der Kurfürft, den die Verbündeten fern in Baiern glaubten, felber
darin war. Bon dort zog das Heer weiter unter Brandlegung in allen
Dörfern bis gegen Heidelberg hin, mit Fühnen Abfichten auf das dortige
Schloß und in der fihern Hoffnung, in Kurzer Zeit die ganze Pfalz
einzunehmen. Bei St. Leon wurde eine Wagenburg geichlagen und
das Fußvolk dafelbit zurücgelafien, während die Fürften mit ihren TOO
Pierden in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni einen Streifzug gegen
Zedenheim am Nedar bimumter machten. Am andern Tag aber
) Graf Ulrich hatte vorber an Markgraf Karl geichrieben , er möge Fürs
fchung thun, daß ihm und den Seinigen, wenn fie bei Pforzheim Nachtlager
bätten ober bis folgenden Freitag verziehen würden, Wein und Brod um billige
Bezahlung widerfahren möge. Steinhofer, TIL, 59,
140 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
brady der Pfalzgraf, der ganz im der Stille feine Leute (über 2000
zu Fuß und 1000—1200 zu Pferde) gefammelt hatte, plötzlich aus
dem Schwetzinger Wald hervor und überrafchte mit feiner Weberzahl
die Gegner, welche, von ihrem Fußvolk abgefchnitten und zwifchen den
Nedar und Rhein eingeflemmt, die ungünftigfte Stellung hatten.
Heiß entbrannte die Schlacht, in welcher troß der muthvollften Ge—
genwehr feiner Feinde der Pfalzgraf einen glänzenden Sieg erfocht
und den Markgrafen Karl von Baden, den Grafen Ulrich von
Mürttemberg und den Biſchof Georg von Meb nebit vielen Herren
vom Adel gefangen nahm.?) Letzterer wurde auf das Schloß Eicholz-
beim bei Mannheim, die beiden Erſtern aber nad Heidelberg ge:
bracht und nach erfolgter Heilung ihrer Wunden auf dem Schloß
daſelbſt eingekerkert. Nach einjähriger Gefangenichaft, während welcher
die Fürften äußerſt ftreng gehalten und nicht mur in Feſſeln gelegt,
fondern fogar einmal fünf Wochen lang in den Stock geſchloſſen
wurden, jchlug endlih die Stunde dev Befreiung, aber unter welchen
Bedingungen! Außerdem, daß die Fürſten verfprechen mußten, nie
mehr feindfelig gegen den Pfalzgrafen aufzutreten und ihn mit
dem Papſte, der ihn in den Bann getban, binnen Jahresfriſt aus:
zuföhnen, im alle der Nichterfüllung bei einer Strafe von 30,000
!) „Als ein A mit einem I aeziert, (M)
Vier Hufeifen waren formirt, (CCCC)
Eine Art und der Apoſtel Zahl, (LA)
Geſchah die Schlaht am Nederthal.
Da ſchlug und fing ein junger Pfälzer
Einen Bader, Jäger und Sälzer,
Friedrich, der Eiegreiche wohlgenannt,
Der Kurpfalz Zier dur alle Land,“
jo heißt cs in einem Liede aus damaliger Zeit. (Der Jäger ift der Württem—
berger wegen bes Jägerhorns, das er auf dem Helm führte, und ber Sälzer
ift der Bischof von Meß wegen der reichen Salzgefälle diefes Hochſtifts). Be:
kannt ift auch die Ballade von Guftav Ehwab: „Das Mahl zu Heidel:
berg,” worin der Dichter die Sage behandelt, daß der Pfalzgraf feine Ge:
fangenen am erften Abend (Andere jagen bei der Freilaſſung) föftlich bewirthet,
ihnen jedoch fein Brod vorgejegt habe , weil fie ihm „leine Mühlen verbrannt
und feine Fruchtfelder -verwüftet hätten,“ — Unter den Gefangenen, welde in
Mones Qucllnfammlung, III., 147 und 148 aufgezählt find, jcheinen auch
Pforzheimer gewefen zu fein, jo Wernher Plus, Martin Dietrih, Konrad Flach,
Hans Wolf, Ulrich Schoch, Hans Felder u, 4.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 4141
Gulden für den Markgrafen: mußte Lebterer auch noch verichiedene
Lindereien abtreten oder Anſprüche, die er darauf geltend gemacht
hatte, aufgeben, die Stadt Pforzheim zu einem pfälzifdhen
Lehen machen, das dur nichts, als die Bezahlung von 40,000
Gulden aufgefagt werden könnte, und endlich außer den Aufrechnungen
für die Beköſtigung im Gefängniſſe als Löſegeld die für die dama—
lige Zeit ungeheure Summe von 100,000 Gulden, wovon 20,000
Gulden baar, bezahlen.1) In der betreffenden Urkunde wurde auch
fejtgefeßt, daß der Kurfürſt das Geleit?) von Pforzheim nad Bretten,
der Markgraf dagegen das von Bretten nad) Pforzheim haben folle,
Bei folhen Bedingungen durfte Friedrich den Markgrafen fchon
feierlich entlaffen, was auch unter dem Schalle von Trompeten und
Pfeifen gefchab.
Bon der Zeit an war die Megierung des Markgrafen eine
durchaus friedliche, Es wird zwar von einem Chroniſten 3) erzählt,
der Markgraf ſei 1469 dem Grafen von Württemberg mit SOO Mann
zu Pferd ins Land gefallen, habe ihm etliche Dörfer in Brand ges
ſteckt und bei 2000 Schafe hinweg nah Pforzheim treiben laſſen.
Es ift dies indeffen darum unmwahrfcheinlich, weil beide Nürften damals
in jo guten Einvernehmen ftanden, daß fogar Graf Eberhard von
Württemberg für die Zeit feiner Abweſenheit (er wollte eine Pilger:
fahrt ins heilige Land machen) 1468 dem Markgrafen Karl die Re
1) Stälin, II, 543. Wie fih der Markgraf diefe Gelder verichaffte,
leien wir in Eifhart Arktes v. Weiſſenburg Geſchichte feiner Zeit,
(Mone, Archiv II., 269), wo es heißt: „Am obaenanten jare (1463) gab
feifer Friederich der Dritt dem marfgraven von Baden, feinem fwager, bie
Judden-ſchatzung, alfo das ein iglicher Judde, ber do was uber brei jare, follt
geben ein gulden bevor us und darnad je den britten (nad anderer Lesart
den zehnten, vergl. die Urkundenmittheilung des Wiener Archivs in ben
Schriften des bad. Alterthumsvereins, Bd. IE, ©. 243.) pfenning alles fins
guts, alio, das dem marfgraven me dan zweimal hundert taufend gulden, als
man jagt’, wurden, baburd er fing fchadens wider zu fam. Zu bem bet er
au alles fin fand geichegt.! (Der Markgraf mußte jedoch [Baben,
12. März 1464] verſprechen, bie Hälfte des reinen Ertrags der Judenſteuer,
nad Abzug der Einfammlungstoften, dem Kaiſer nah Frankfurt oder Ulm zu
übermaden, Bergl. die Echriften des badiſchen Alterthumsvereins Bd. IL,
S. 243.)
2) Bergl. ©. 127.
s) Bernhard Herzog in der „Elfaßiichen Chronik.“
142 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert,
gierung der öfterreichiichen Vorlande übertrug. 1) Beſonders war Mark:
graf Karl darauf bedacht, feine Linder zu vermehren, was ihm gleich
feinen Vorfahren auch gelang. Von mehreren jeiner Negierungshandlungen,
welche Pforzheim betreffen, wird unten die Rede fein. Karl I
farb am 24 Februar 1475 an der Peſt in feiner Mefidenzitadt
Baden,
$ 2. Befonderes.
Markgraf Bernhard I. hielt oft feinen Hof in Pforzheim,
wenn ihm auch fein unruhiger Geift nicht gejtattete, in irgend einer
Stadt jeine ftändige MNefidenz zu nehmen. Im Befite aller ritter:
lichen Eigenſchaften, Friegerifch jein ganzes Leben hindurch, war Bern:
hard beftindig von einer großen Zahl jeiner adeligen Vaſallen um—
geben, welche ihn im Krieg unterftüten, im Frieden aber den Glanz
feines Hofes erhöhen mußten. Inter denjelben vagte durch Reichthum
vor Allen hervor: Heimrih Göldlin von Tiefenau,?) einem alten
Patriciergefchlechte Pforzheims angehörig (S. 85). Seine Vorfahren
hatten mehrfach das Schultheigenamt daſelbſt bekleidet (S, 103), und
es jtand überhaupt die Familie Göldlin in der Stadt in großem
Anfehen. Mit dieſem Heinrich Göldlin gerietd Markgraf Bernhard
in einen heftigen Streit, dem wahrjcheinlich Geldforderungen zu Grunde
lagen, und der jo weit führte, daß der Markgraf feinen Vaſallen zu
Pforzheim für feinen Feind erklärte, jo daß Göldlin aus Pforzheim und
der Marfgrafichaft fliehen mußte. Da wurde er von tiefem Haß gegen
den Markgrafen erfüllt, und überall fein Necht, oder feine Rache gegen
denjelben, oder vielleicht Beides fuchend, begab er fich in den Schuß
de8 Grafen von Württemberg. Darüber beflagte fid) der Markgraf,
und es entjtand daraus ein heftiger Streit zwifchen beiden Fürſten, der
1399 durch ein Schiedsgericht zu Leonberg beendigt werden follte. Die
Aufammenkunft war aber eine fruchtlofe, ebenfo eine andere zu Weil
der Stadt, bis endlich 1402 in Vaihingen die Streitfache dahin ent-
ihieden wurde, daß Graf Eberhard dem Markgrafen gegen Göldlin
behilffich fein müſſe.
) Stälin, UI. 564.
2) Bergl. Lottbammer, Pforzbeims Vorzeit, 147 ff.
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 143
Diefer zog nunmehr nad Zürich, wo er ſich als Bürger aufnehmen
ließ I) und alsbald auch zum erften Neichsvogt gewählt wurde, Bon
dort aus verfuchte er aufs Neue feine Nechte gegen den Markgrafen
geltend zu machen, und legte fogar zu dem Ende dem Kaifer Nuprecht
von der Pfalz Briefe und Urkunden vor mit der Bitte, ihm zu dem
Seinigen zu verbelfen.?) Die Urkunden wurden aber ſowohl von dem
Markgrafen, als von den kaiſerlichen Räthen für unächt erklärt. Nach
dem Tode Göldlins ernenerte fein Sohn Heinrich 1414 jeine Forde—
rungen an Bernhard, und als fie ihm nicht gewährt wurden, Fam es
zu offener Fehde, da fich die Zürcher ihres Mitbürger annahmen.
Doch wurde ned im mämlichen Jahre der lange Streit durd einen
Vergleich beendigt, bei welchem fich der Markgraf zu Gunften der Fa—
milie Göldlins zu einer Entſchädigung verjtanden zu haben fcheint, 3)"
Nie Pforzheim jehr häufig von den Kürten der an die Markgraf:
ichaft angrenzenden Länder zu ihren Zuſammenkünften gewählt wurde,
wenn irgend gemeinfchaftliche VBerabredungen zu treffen oder Streitigkeiten
zu fchlichten waren, fo jchlofien auch am 14. Januar 1400 der Kur—
fürft Nuprecht von der Pfalz und der Herzog Lupold der Dide, dem
die Megierung der öfterveichtichen Dorlande übertragen war, zu Pforz-
heim wahricheinlichh unter den Augen Markgraf Bernhards, —
einen Vertrag mit einander, welder zwar zunächſt auf die Erhaltung
der Ruhe und Sicherheit ihrer Länder abzielte, aber den hochgehenden
Planen Ruprechts, der wenige Tage nachher zum römiſchen Kaiſer ge
wählt wurde, auch jonft fürderlich jein mochte, Welches Inhalts diejer
Vertrag war, geht daraus hervor, daß Graf Eberhard von Württem—
berg darin von den zu DBefehdenden ausdrücdlich ausgenommen wurde.
Das oben (S. 96) ſchon erwähnte Privilegium, weldyes Kaifer
Menzel dem Markgrafen Bernhard 1382 verlieh, nach welchen „kein
1) — — „Derjeib vih Göldlin was von Piorzheimb vB des Marg:
grafen Land, von ſinen vordern, und bat ouch eiwas Rechtung an der Stadt
ze Pfortzheim, und was vor Jaren als er etwas Spänne mit dem Marggraven
gehebt, gen Zürich gezogen, und dba Burger worden“ ꝛc. Tſchudi, Schweizer
Chronik, I., 674.
2) Nach einer Notiz im Piorzheimer Archiv belief fich feine Schuldforberung
an den Markgrafen auf die ungeheure Eumme von 60,000 Gulden.
3) Vergl. Tihudi, J., 674 und Sachs I., 235. Das Geſchlecht der „
Göldlin von Tiefenan fommt ſpäter in Pforzheim nicht mehr vor,
444 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
Fürſt, Herr oder Stadt oder ſonſt Jemand keinen der Seinen zu
Burger abempfahen, und, wenn es ſchon vorher geſchehen wäre, ſolches
null und nichtig ſein ſolle,“ verwickelte den Markgrafen in mehrfache
Händel, namentlich mit den Städten, gegen welche er nie die freund—
lichſten Geſinnungen hegte, jo unter Anderm 1397 mit der Stadt Speier,
weil der Math derjelben um 1394 einige markgräfliche Unterthanen und
Reibeigene aus Pforzheim und Ettlingen zu Bürgern aufgenommen
batte.') Diefer Streit kam bis vor den Kaifer Wenzel, der ihn zu
Gunften der Stadt Speier entſchied,?) jedodh den Herren das Recht
zugefland, ihre Leute innerhalb Jahresfrift zurücfordern zu dürfen. Aus
ähnlicher Urfache, die verfchiedene Pladereien im Gefolge hatte, erhob
fh um 1420 ein Streit zwijchen Bernhard und den breisgauifchen
Städten, der 1424 eine Verwüftung dev Marfgrafichaft nach ſich zog
und durch den Vertrag von Mühlburg beendigt wurde.3) Zwiſchen
Markgraf Bernhard und Württemberg, das auch am Kriege theilge:
nommen batte, kam es zu einem befondern Vergleich, bei welchem feitge-
jest wurde, daß die Richtung, zu Pforzheim gemadt (2), bei Strafe
von 5000 Gulden beibehalten werden ſollte. — Berührte dieſe Ver:
heerung des Landes die Gegend von Pforzheim und die Stadt felbft
weniger, als die im Rheinthal gelegenen Theile der Markgrafichaft, fo
war dafür ein Krieg im Jahr 1402 dem an Württemberg anjtoßenden
marfgräflichen Rande um jo verderblicher gewefen, weil Graf Eberhard
in Württemberg, mit welhem Markgraf Bernhard ohnehin nicht im
freundſchaftlichſten nachbarlihen Verhältniſſe lebte, mit andern Fürften,
die der auf Bernhard wegen Ungeborfams erboste Kaiſer Ruprecht gegen
ihn aufgeboten hatte, nebjt diefem felbjt verwüſtend in die ihm zunächft
gelegenen Theile von Baden eingefallen war. Ob Pforzheim aud) ba:
bei gelitten habe, iſt nicht bekannt.
Am 9. Auguft 1418 beherbergte Pforzheim in feinen Mauern
wieder einen hohen Saft, nämlich den Kaifer Sigmund, von dem Konzil in
Konftanz wohl zur Genüge, aber gerade nicht von der vortheilhafteften
1) Nebenbei auch, weil die Speierer dem Markgrafen für verfchievene Be—
Ihädigungen, welche feinen Ländern in ‚vorhergegangenen Kriegen erwachien
waren, feine Entihädigung leiften wollten.
?) Lehmann, Speierer Chronik, ©, 848,
3) Bergl. Königshofen in Mone, — — I. 255 u. 285,
und Sads, II, 264 fi.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 145
Seite bekannt. Er reiste damals in Schwaben umher und hatte fich
einige Tage in Baden aufgehalten, von wo er über Ettlingen, Pforzheim
und Weil der Stadt nach Eflingen ꝛc. Fam. Markgraf Bernhard erwies
dem Kaifer viel Aufmerkfamkeit und veranftaltete ihm zu Ehren namentlich
große Jagden,) wozu die ausgedehnten Waldungen des Landes, zu denen
damals der Hagenſchieß 2) ſchon gehörte, reichlich Gelegenheit boten.
Daß die Lehensverbindlichkeit gegen Mainz wegen Meißenftein ꝛc.
(S. 95) noch unter Markgraf Bernhard fortdauerte, erfehen wir daraus, daß
derfelbe am Dienftag nah Audica 1426 von dem Kurfürften Konrad
von Mainz zu Pforzheim anfs Neue mit Burg Weißenftein ſammt Zu:
bebör, dem Schultheißenamt, dem altem Ungeld und den Mühlen zu Pforz:
beim belehnt wurde, Dieſes Vehenverhältnig nahm indefjen bald nachher ein
Ende;3) denn im Jahr 1444 trug bereits Dietrich von Gemmingen
das Schloß Weißenftein fammt Zugehör von der Markgrafichaft zu
Lehen, nachdem derſelbe 1439 mit feiner Ehefrau Agnes von Sidingen
die Dörfer Neuhauſen und Lehningen, den fechsten Theil an den Dör—
fern Tiefenbronn, Friolsheim und Mühlhaufen, desgleihen feinen Theil
an den Weihern auf der Struott, wie auch feine Zinſe und Rechte zu
Reichenbach, Hohenwarth, Scellbronn und Mödlingen um 4200 fl.,
fowie im Jahr 1440 feinen Theil an Steinegg, Burgitadel und Thal,
um 450 Gulden an den Markgrafen Jakob I, verfauft hatte. Das
Schloß Steinegg ſammt dem Thal, der Mühle und Sägmühle, aud)
verjchiedene Waldungen erhielt ſodann Dietrich von Gemmingen von
Jakob I. 1448 als Erblehen zurücd; das Gleiche geſchah nochmals 1461
durch Markgraf Karl I, und wurde dabei die Erbbelehnung auch auf
N) Der Markgraff von Baden tet dem Konig große Ere und furte in umb
in feinem Land jagen. Eberb. Windeck bei Stälin, HL, 415.
2) Weber ben Hagenſchieß vrgl. auch ©. 72. Die Älteften Nachrichten über ben:
felben in einem der Lagerbücher, die in der Regiftratur des Forftamts Pforzheim
fih befinden, reichen zwar nur bis 1499; doc geichieht des Hagenſchießes als
Eigentgum der Markgrafen von Baden ſchon um 1460 (S. 157), 1461 bei
Sachs, I, 427 undin einer Urkunde des ftädtifchen Archivs von 1480 Erwähnung.
9) d. h. 88 begann von Neuem, als Weißenftein wieder an die Markgrafen
zurüdgefallen war, So finden fich Lehenbriefe über Burg Meißenftein, Schult:
beißenamt, Weinungeldb und Mühlen zu Pforzheim vom 17, April 1583, aus:
geftellt von Erzbilhof Wolfgang und vom 7. Februar 1711 von Erzbiihof Lo:
thar Franz. Wann dirjes Lehensverhältnig aufgehört bat, weiß ich nicht.
(Bgl. Lünig, corp. jur. feud, Il, 189 bis 192.)
Pflüger, Pforzheim, 10
146 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
die Dörfer Tiefenbronn, Hamberg, Schellbronn, Hohenwarth, Neuhanfen,
Müůhlhauſen und Lehningen, mit den dazu gehörigen Unterthanen, Steuern,
Wildbännen und befonders den Wald, der Hagenichieß genannt, ausge:
dehnt, nachdem der gleiche Markgraf zwei Jahre vorher, nämlich 1459,
auch die Belehrung mit Weißenſtein erneuert und die Dörfer Huchen-
feld und Büchenbronn hinzugefügt hatte, Letzteres Lehen blieb indeffen
nicht bei der von Gemmingen’ihen Familie. Denn ſchon 1464 murde
es nebſt Dillftein von Karl I an Heffo von Kaltenthal als
Mannlehen (d. h. nur auf die männliche Nachkommenſchaft forterbend)
übertragen, und zwar unter den gleichen Bedingungen, wie es Diet
rich von Gemmingen erhalten hatte, namentlich mit Vorbehalt des Deff:
nungsrechtes, d. h. der Beſitzer von MWeißenftein mußte den Lehensherrn
zu allen Zeiten ohne Weigerung in das Schloß aufnehmen. Doc
blieb Weißenſtein auch nicht bei diefem Gejchlecht, fondern wechſelte feine
Befiger nod) mehrmals, So bejaß es 1488 ein Edler von Ehingen,
41512 kam e8 an Reinhard von Neuhauſen (©. 69), 1566 an
Martin von Remchingen, der es aber nicht lange behielt, fondern
an den Markgrafen von Baden, wie die Sage berichtet, wieder verfpielt
baben fol. Von der Zeit an verfchwindet Meißenftein allmählig aus
der Geſchichte, und ſcheint das untere Schloß nie gewaltfam zerftört,
fondern nad und nad, zerfallen zu fein.
Im Jahr 1451 jah Pforzheim, wie das früher ſchon mehrmals
der Tall geweſen war, eine Anzahl Fürften in feinen Mauern verfammelt,
Es war nämlich zwifchen Ludwig, Herrn zu Lichtenberg, und den Grafen
von Leiningen ein heftiger Streit entbrannt, der nach der rohen Sitte
feiner Zeit fogleih auch zu gegenfeitigen Länderverwäftungen führte.
Markgraf Jakob fuchte Frieden zu ftiften, und nachdem zwei Konvente,
zu Heidelberg und Speier, nicht zum erwünfchten Ziel geführt, kamen
die ftreitenden Parthien nebft den Friedensvermittlern, darunter Biſchof
Reinhard von Speier, Markgraf Albrecht von Brandenburg, Markgraf
Jakob von Baden und der Deutjchmeifter Zoft von Benningen, zu Pforz:
beim zufammen, wo der früher fchon gefchlofiene Waffenſtillſtand bis
auf den Dreilönigstag des folgenden Jahres verlängert wurde. Der
Streit ſelbſt aber ging erft bei einer neuen Zuſammenkunft zu Straß:
burg 1452 vollftändig zu Ende, R
Am 27. Juni 1473 beherbergte Pforzheim wiederum einen
hohen Saft, nämlih den Kaifer Friedrich III, Derjelbe fam vom
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert, 447
Reichstag, von Augsburg, wo er. vergeblich verfucht hatte, die Fürſten zu
einem Kriege. gegen die Türken und zu einem Feldzug gegen Karl den
Kühnen von Burgund zu beftimmen, und reiste nun über Um, Göp—
pingen, Eßlingen, Stuttgart, Leonberg, Weil und Pforzheim nad
Baden, um dort feinem Schwager, dem Markgrafen Karl, ſowie feiner
Schweſter einen Beſuch zu machen!) Welche Ehrenbezeugungen dem
Kaijer von der Stadt Pforzheim bei der Durchreife erwieſen wurden,
darüber ift nichts befannt. Groß werden fie Übrigens nicht gewefen fein,
da Friedrich III, in Deutfchland in feiner befondern Achtung ftand und
in feiner Perſon die Hoheit des Neihs nicht wenig herabgejunfen war.?)
$ 3. Inneres.
a, Städtifhe Verhältniffe im Allgemeinen.
Was die Entwicklung der ftädtifchen Verhältniſſe, insbefondere bie
Einrichtung des, Ortsregimentes betrifft, wie ſich daffelbe im fünfzehnten
Jahrhundert geftaltete, jo hat fi nod eine merfwürdige „Ordnung,
wie Gericht, Rath, Bürger: und Baumeifter erwählt wer:
den follen“, vom 10. November 1409, aljo aus der Regierungszeit
Bernhards I, erhalten.d) Da diefelbe indefjen mit der Stadtordnung
von 1491 und den in den folgenden Jahren als Zufäße und Ergän—
1) Karl I, hatte zur Gemahlin Katharina, eine Tochter von Herzog Ernft
dem Eifernen von Deftreih, dem Bater Friedrichs IM, Die Hochzeit mit ber:
jelben war 1447 in Pforzheim aufs Prachtvollfte begangen worben.
2) „Er reit alfo in dem lande umb alß ein betteler und ſchatz ein flatt
nod ber anderen. Zuoleſt ritt er gon Metze und betitelt ouch da ſelbeß. Er
bett dem rich ouch nie fein guots, die wil er Feiffer was, — — Darnach z0ge
er in Swoben und bettelt in allen richftetten draffter, fo in Swoben ligen.
Zuo left fam er gon Dugsburg, do er vor ouch gewellen was und zertte do
und wolt nyeman nuch geben umb das fir.“ Fortjegungen des Königs—
bofen in Mone, Quellenfammlung, 3,, 265. — Auf dem folgenden Reiche:
tag zu Augsburg blieb der Kaifer an Zehrungstfoflen 6736 Gulden ſchuldig;
bie Kölner mußten ihn auslöjen. Als der Kaifer abreifen wollte, hielt der
BZunftmeifter der Hufichmiede wegen einer Forderung, die er er an den Hof zu
machen hatte, die Faiferlichen Pferde auf. Stälin. III, 569.
8) Kopialbuch im ftädtifchen Archiv, S. 194 fi. — Markgräflicher Vogt
zu Pforzheim, der wahrfcheinlich bei der Abfafjung diefer Wahlordnung mit-
wirkte, war um jene Zeit (ficher 1412) Albrecht von ih 63).
148 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert.
zungen bderfelben gegebenen andern Ordnungen im engjten Zufammen-
bang fteht, jo mag fie auch erft weiter unten am gehörigen Ort
umftändlicher berüdfichtigt werden. Nicht unerwähnt kann ich bier
laſſen, daß die Stadt Pforzheim mehrfach die Ehre hatte, für Kleinere
und größere Anlehen, welche die Markgrafen, namentlih Karl I., mad;
ten, Bürge und Mitfchuldnerin zu werden, fo 1454 für eine Summe
von 13 fl. 20 Er,, welche Markgraf Bernhard von Wernher Goplin
aufgenommen, ferner für 1200 Gulden, welche Bernhard an Heinrich
von Berwangen und Albrecht von Zeutern fchuldete, fodann für andere
Schulden desjelben im Betrag von 1950 Gulden, — ebenfo für 100
Gulden, welche Markgraf Karl I. 1459 von Berchtold Horder von
Gertringen, für 1000 Gulden, melde er 1469 von den Wormfern zu
Straßburg, für 1000 Gulden, welche er im nämlichen Jahr von Dechant,
Kapitel und Vikarien des Chores im Hocftift zu Speier, fiir 400 Gul:
ben, die er ebenfalls im Jahr 1469 von Dechant, Kapitel und Vikarien
des Hochftifts zu Straßburg, für 1200, weldye er abermals 1469 von
Probft, Dechant und Kapitel des Stiftes zum jungen St. Peter, für
40 Gulden, welche er 1472 von unferer lieben Frauen Kirche zu Tie—
fenbronn aufnahm u. ſ. w. Bei der Stadt felbft wurden ebenfalls An-
Vehen gemacht, jo 3. B. 1450 von den Söhnen Jakob I., Karl, Bern:
hard und Georg. Die Summe ift jedoch nicht genannt. 1) Es brachten
folche Umftände die Stadt, die felber mehr als einmal in der Lage war,
zu Geldaufnahmen jehreiten zu müffen, häufig in Verlegenheit, und die
auf ſolche Weiſe entitandenen Schulden, zu denen fpäter noch) verfchiedene
andere kamen, lagen wie ein Alp auf der Stadt und wurden namentlich
im 17. Jahrhundert, während deſſen faum die Zinfen derfelben bezahlt
werden konnten, immer größer und drückender. Ich werde darauf
zurückkommen.
b. Kirche und Schule.
(Errichtung eines Kollegiatſtiftes, Reformation der
Klöſter, Gründung einer lateiniſchen Schule.)
Das Wichtigſte, was in kirchlicher Hinſicht im Laufe des 15. Jahr:
bunderts geſchah, war die Umwandlung der Pfarrkirche zu St. Michael
2) Alle diefe Angaben find ehemaligen Aufzeichnungen im Stadtarchiv
entnommen,
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 149
in ein Kollegiatftift. Das Beifpiel, das Jakob I, in der Stadt Baden
gegeben hatte, indem er dafelbft 1452 die Hauptpfarrlicche zu einer
Stiftskirche erhob, ahmte fein Sohn Karl I. zu Pforzheim im Jahr 1460
nach, nachdem der Papſt Pius II, am 29. November 1459 von Mantua
aus feine Zuftimmung zu diefer Umwandlung gegeben und den Bifchof
Johann zu Speier, fowie den dortigen Domherrn Rutker von Lauter:
burg mit der Einrichtung des Stifts, foweit diefelbe die geiftliche Be—
börde anging, beauftragt hatte. Ferner verordnete der Papft auch die
Kleidung , deren ſich die Stiftsherren bedienen jollten. 1) Das Kapitel
des neuen Gtiftes beftand aus einem Dedant, 12 Kanonikern, 12 Vita-
rien oder Kaplänen, welche den Gottesdienft nach der ihnen vorgefchrie-
benen Ordnung beforgen mußten und die Erjpeftanten für die Stifte:
pfründen waren, ferner 2 Miethlingen (Helfern) und 4 Chorichülern. 2)
Erfter Dekan war 3) Jodokus Bonet. Zu den erſten Chorherrn gehörten:
Magifter Sebaſtian, Mag. Melchior, Lizentiat Peter Gößlin, Jakob
Gößlin, Ambrofius von Kirchheim, NIE. Dorfe, Nik. Dude, Bernhard
Flad, Joh. Eberlin, Peter Dufer; es kamen noch dazu: Joh. Gerud
und Loft Müller; — zu den Bilarien gehörten: Joh. Bader, Joh.
Boner, Leonhard Bannwarth, Joh. Befideym (Befita), Math. Zürcher,
Joh. Bender, Heinrich von Durlach, Theodor Rappenderr, Joh. Kubder:
mann, Job, Weiler. Bon den Chorherin wurde fpäter einem das Amt
eines Kuftos, einem andern das des Sängers übertragen. Eine Probftei
des Michaelftiftes wurde jedoch erſt jpäter (1505) errichtet. Bezüglich der
Beſetzung aller dieſer Pfründen, joweit das Necht dazu nicht in andern Hän-
ben war, behielt fid) der Markgraf das Patronatrecht vor, und mußte das
Kapitel jedem neuen Randesfürften, wie das z. B. 1521 geſchah, Huldigen
und bekennen, daß die Mitglieder desjelben „Sr. fürftl. Gnaden gehor:
fame Kapläne, und derſelbe ihr Landesfürſt und Superattendens fei.“
Das Beſetzungsrecht aller Pfründen fuchte Markgraf Karl durch Tauſch
und Kauf nah und nach am ſich zu bringen, und taufchte unter andern
ihon 1460 an Herrenalb das Patronatreht der Kirche zu Nußbaum
1) Der betreffende Akt wurde am Mittwoch vor Allerheiligen (27. Okt.)
1460 durch den Taiferlihen Notar Johann Seelbah aufgenommen. Vergl.
Alten des Landesarchivs.
2) „Die geiftlihen Güter im Land betreffend und deren Meftitutiongeres
fution“ im Lanbesargiv.
s) Akten des Landesarchiv,
150 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
und der Frühmeffe zu Göbrichen gegen die Leihung der Pfründen unferer
lieben Frauen und St. Johannes des Täufers. Solcher Pfründen mit
den entiprechenden Altiven in der Kirche war es eine bedeutende Zahl,
und fie hatten zum Theil fehr reiche Einkünfte, So treffen wir einen”
St. Fabians- und St. Sebaftians-Altar, einen St. Yauren:
tiug: Altar, einen St. Ratharinen: Altar, einen St. Matthäus—
Altar, einen Altar der heil. drei Könige, einen Altar der Heil.
Dreifaltigkeit, einen St. Mar. Magdalenen: Altar, einen
St. Thomas: und Andreas: Altar, einen St. Peter: und Pauls:
Altar (ſchon 1347), ein St. Johannes des Täufers: und Evan-
geliften=- Altar, einen Altar Circumeisionis Domini oder der
Beichneidung des Herrn, (von Graf Wilhelm von Eberftein 1431 ge
ftiftet), 1) einen St. Jakobs-Altar, einen St. Niflaufen:- Altar,
einen St. Koften=- Altar, einen Altar Omnium sanctorum oder
Allerheiligen, unferer Franen: Altar (ſchon 1413 erwähnt) und
einen St. Michaels: Mltar.2) Andere Pfründen waren noch: bie
Pfarrei zu St Michael (durch Lichtenthal zu vergeben, ©. 104), bie
Prädikantenpfründe und die Spitalpfarrei. 3) Das Einkommen des
St. Michaelftiftes war eim jehr anfehnliches und weist z. B. das Stifte:
lagerbuch von 1502 Gülten auf zu Glappach, Nüßbom, Ufpringen,
Kuffelbronn, Würm, MWurmberg, Dürn, Buchinpron, Hamberg, Wyſſen⸗
ftein, Nieffern, Entzberg, Bresingen, Tütlingen, (Dietlingen), Birkenfeld,
Menshenm, Woffach, Löchkeym, (Löchgau), Wimßheym, Utingen, Tilſtein,
Dürmentz, Küngspach, Birkenfeld, Pfortzheim, (hier am meiſten); ferner
2/, des Kornzehntens zu Reichenbach (das andere 1/, bezog die St. Mar:
tingfiche), und es jcheint, daß hauptfächlich zur Aufbewahrung diefer
Fruchtbezüge das Stift 1482 vom Bogt Hans von Königsbach namens
de8 Markgrafen den alten Herrichaftsipeicher erfaufte. Sonft mußten
die Stiftsherren zu Pforzheim verfprechen, Keine Güter am fich zu
bringen, welche der Herrichaft eigen, betbar, ftenerbar oder dienſtbar
— —
) Der Grabftein desjelben ift in ‚der Schloßkirche, links vom nördlichen
Eingang.
2) Mehrere diefer Pfründen waren 1365, 1411 und 1414 geftiftet worben,
bie zweitleßte buch Pfaff Wernher und feine Schwefter Irmel.
) Vergl. Hiezu das Stiftslagerbuh von 1502 und das Stifts-, Lager:
und Zinstud von 1559 im Landesarchiv,
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15, Jahrhundert. 151
wären, (um die Einkünfte der Herrfchaft nicht zu jchmälern, weil alle
geiftlichen Güter abgabenfrei waren, vergl. ©. 76), und follte dem
Markgrafen, wenn das Stift je dergleichen Güter in der Markgraf:
ihaft Baden oder den dazu gehörigen Herrichaften erwerben würde,
das Wiederloofungsvecht zuftehen. — ntiprechende Wohnungen wur:
ben ben GStiftsherren unterhalb der Schloßfirhe in ber Prediger:
oder Pfarrgafje eingerichtet. Diefelben brannten jedoch im orleang’:
ſchen Kriege 1689 mit der Stadt nieder. Die Trümmer dev Stifte:
berrenwohnungen ftanden aber noch 1778, wurben indeß bald da:
rauf abgebrochen und der Pla in einen Garten verwandelt, unter
welchem fich aber die GStiftsfeller zum Theil bis heute erhalten haben.
Ueber die innere Organifation des Stifts ift weniger befannt, Da
indeffen anzunehmen ift, daß diefelbe der des Chorberrenftiftes in Baden
entſprach, fo mögen einige Mittheilungen aus dem Statut des legtern
bier ihre Stelle finden. 1) Als Einkommen follte der Probft jährlich
100 Gulden, der Dechant 50, der Euftos und der Sänger jeder 40,
ein anderer Canonikus oder ein Bilar 30 Gulden beziehen, 2) Die
Stiftsgeiftlichen hatten von dem Wein, den fie zu eigenem Gebraud)
einlegten, kein Ungeld zu bezahlen; doch durfte ein Prälat nicht mehr
ala vier, ein Canonikus nur drei, ein Vikar nur zwei Fuder Wein eins
legen. Dem Markgrafen blieb das Präfentationsrecht vorbehalten. Unter
ben zwölf Stiftsherren follten vier Doktoren oder Lizentiaten, die andern
aber fromme und gelehrte, aus vechtmäßiger Che erzeugte Männer fein,
Was den letzten Punkt anbetrifft, jo behielten fi die Markgrafen das
Recht vor, ausnahmsweife ihre eigenen natürlichen Söhne in Vorſchlag
zu bringen, und folkten diefelben ohne Widerrede angenommen werben.
Im Falle zwifchen den Markgrafen, ihren Beamten oder Untertanen,
und den Siftsheren und dem Kapitel ein Streit entftehen würde, jollte der:
felbe durch ein Schiedsgericht erledigt werden, von deffen vier Mitglies
dern zwei aus den Mäthen des Fürſten und zwei aus dem Kapitel
ernannt wurden. Wenn diefelben nicht einig werden Fonnten, mußte noch
eine fünfte Perſon als weiterer Schiedsrichter erwählt werden, und zwar,
je nachdem der Streit eine geiftliche oder weltliche Sache betraf, entweder
durch die Geiftlichen oder die Näthe. Beim Ausſpruch des Schiedsge-
1) Sachs, IH. 358 ff., nad dem Cod, dipl. Bad.
2) An Pforzheim müſſen indeß die einzelnen Pfründen beſſer dotirt ges
weſen fein, ben die zu Mar, Magd, Altar trug 3. ®, 42 fl.
152 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
richts in feiner derartigen Zuſammenſetzung > es alsdbann fein
Bewenden haben.
Eine wichtige Veränderung war ſchon 1443 mit einigen Klöftern: ber
Stadt vorgegangen. Es kann als bekannt vorausgejeßt werden, tie
traurig ſich nach und nach die Juftände der Kirche geftaltet Satten, und
wie namentlich die Klofterzucht in Verfall gerathen war. . Allgemein
theilten deshalb alle Beflergefinnten den Wunſch einer Reformation der
Kirche an Haupt und Gliedern, und der Ruf nad) einer folchen hatte
bauptfächlich die Kirchenverfammlung in Konftanz veranlagt, welche von
1414 — 1418 jtattfand, aber bezüglich einer Kirchenverbeſſerung leider
fein Ergebniß hatte, fondern im Gegentheil den frommen Johann Huß,
der eine folche angeftrebt hatte, zum Scheiterhaufen verurtheilte. Bald
nach Beendigung des Konftanzer Konzils trat ein anderes zu Baſel
zufammen 1431 — 1443, das troß der Proteftationen des Papſtes zur
Berbefferung des Kirchenregiments und der Kirchenzucht energiſche Bes
fchlüffe faßte und unter Anderm eine Reformation der Klöfter: befahl.
Alsbald berief Markgraf Jakob I. den Franzistaner-Guardian Nikolaus
Caroli von Heidelberg zu diefem Zwecke nah Pforzheim. Derfelbe
gehörte zu den ſog. „Objervanten,“ oder „ben mindern Brüdern von
ber Objervanz”, zum Theil auch „Necolleften“, d. h. „Eingezogene” ges
nannt, welche einen bejondern Zweig des Franziskanerordens bildeten,
als ſolcher nach Langen Verfolgungen von der Kirchenverfammlung zu
Konftanz anerkannt worden waren, und ſich durch ftrengere Beobachtung
der Kloftergelübde auszeichneten, beftändig barfuß gingen (daher der
Name „Barfüßer *), und ſpäter über die übrigen Franziskaner, oder
„Sonventualen, Minoriten der gemilderten Regel” die Dberhand befamen.
Bereits hatte Earoli auch das Franzisfanerklofter in Heidelberg, wohin
er mit drei Ordensbrüdern auf den Wunſch des Kurfürften Ludwig
aus Frankreich gefommen war, reformirt, und vollführte diefes Merk
nun auch in Pforzheim. Im Einverftändnig mit dem Bevollmächtigten
des Markgrafen, Baul Lutran (Leutrum) von Ertingen t) und einem”
1) Wahrſcheinlich derjelbe, dem Markgraf Karl 1458 „einen Garten zu
Pforzheim vor dem Altorfer (Altſtädter) Thor am Waffer und an ber Prediger
Garten, genannt Friedrich Tyfels Wyer Garten“ gegen eine Schuld abtrat,
welche Lutran namens feiner Frau an den Markgrafen zu fordern hatte.
Sads, I, 405,
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15, Jahrhundert. 153
Experten, den der Markgraf ebenfalls ernannt hatte,1) wurde das ord⸗
nungswidrig erworbene Vermögen des Franziskanerkloſters eingezogen
und dem Spital in Pforzheim mit der Bedingung überwiefen, an das
Siechenhaus zum heiligen Georg (S. 119) jährlih 10 Gulden abzu:
geben, wovon 5 zur Erhaltung der Gebänlichkeiten und 5 zu
jonftigen Bedürfnifien verwendet werden follten. Den Mönchen wurde
bloß ein Kapital von 400 Gulden zur Unfhaffung von Büchern und
zu der Bauerhaltung des Klofters beftimmt. Auch im Innern bes
Klofters wurden Reformen vorgenommen, die Zucht verfchärft, die Mönche
zu ernftern Befhäftigungen angehalten und überhaupt die Umwandlung
der bisherigen „Konventualen” in „Obfervanten” bewerfftelligt, (Bei den
Barfüßern wurde am 8. September 1467 begraben: Johann Nir von
Hoheneck, gen. von Entenberg, ehemals Biſchof von Speier. Er hatte
dieſe Würde freiwillig niedergelegt und fi) mit Vorbehalt eines jähr:
lichen Einkommens 1464 zu feinen Freunden nad) Pforzheim begeben.) ?)
Hehnliche Veränderungen gingen mit dem Frauenkloſter der Domi-
nitanerinnen vor, Mochten ſich auch hier, wie allenthalben, die
Nonnen gegen die Reformen noch widerfpenftiger als die Mönche zeigen, 3)
jo gelang es dem Markgrafen doch, das Klofter durch feine Maafregeln
in fo guten Ruf zu bringen, %) daß fünf Bewohnerinnen desfelben 1463
ins MWiürttembergifche berufen wurden, um dort ähnliche Ordnung ein-
zuführen, fo namentlih in dem Kloſter Offenhaufen oder Gnabenzell,
befien Nonnen durd ihre ausjchweifende Lebensart großes Aergerniß
erregten. Sie fanden aber gar feine Folgſamkeit, trafen Scherben an,
auf die Treppen geftreut, damit man die Ankunft der Mufternonnen
befier höre und Zeit gewinne zum Verſtecken fehr ungeiftliher Gegen:
jtände. Da weinten die fünf armen Schweftern beftändig, und ließen
1) Vergl. Vierordt, Geſchichte der Reformation in Baden, I., 33,
?) Lehmann, Speierer Ehronif, S. 1009.
3) Der von feiner Zeit hochverehrte Kartbäufer zu Güterflein bei Urach,
Conrad von Mündingen, hatte ſchon einige Wochen nad Beginn ber Refor:
mationsbeftrebungen bes Markgrafen einen beiftimmenden Brief an benfelben
geichrieben und ihn aufgeforbert, auch unter bie geiftlichen Frauen Zucht unb
Ordnung zu bringen, jeboch die charakteriſtiſche Aeußerung beigefügt: „Ver:
knöpfet einen Sad Flöhe, fo viel ihr möget ; dannoch enthupfen und verfchlupfen
fie.” Bierorbt, L, 35.
+) Es war, fagt ber ſchwäb. Ehronift Grufius, mit hohen Mauern umgeben
und wohl beichloffen, und waren viel ehrlicher und frommer Jungfrauen/darin,
154 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15, Jahrhundert.
fi, auch durch die zürnende Frage eines Karthäuſers wenig tröften :
„Meint ihr, man habe euch ins Paradies geholt und nicht zur Befferung
Ihlimmer Sitten? Und würdet ihr euch in Pforzheim nicht ſchämen,
wenn ihr unverrichteter Sache heimkämt?“ — Dennoch mußten die armen
Nonnen ohne vollzogene Reformation zurüd.')
Markgraf Jakob Hatte auch mit noch andern Klöftern Verbeſſe—
rungen im Sinme. Leider gingen aber die Früchte des Bafeler Konzils
durch die Miener Concordate, welche dev ſchwache Kaifer Friedrich III.
mit dem Papſt Eugen IV. 1448 abſchloß, wieder verloren, weshalb
auch der Markgraf die weitere Neformation feiner Klöſter nicht durch—
ſetzen Konnte, fo daß wahrfcheinlich die Mehrzahl derfelben in Pforz:
heim unangefochten blieb. (In dem der Eifterzienferinnen hatte
ſich Kurz vorher eine Tochter des Markgrafen Bernhard, Margaretha,
als Nonne befunden und ftarb darin 1431.2)
Aber auch fonft hatte fi in Pforzheim das Bedürfnig nah Kir:
chenverbefferung geltend gemacht und ſogar die huffitifche Lehre Eingang
gefunden. Ein huffitiicher Priefter, Friedrich Reifer, kam mehrmals, fo
auch 1446 nad) Pforzheim und gab ſich dafelbft, wie anderwärts, Mühe,
die Zahl der „Bekannten“, wie man die heimlichen Huffitenfreunde
nannte, zu vermehren. In Straßburg aber fpünten ihn die Domini:
faner aus, und er wurde daſelbſt 1458 nebft vielen feiner Anhänger
verbrannt. Unter andern Zeugen der Verhöre erjcheint auch eine Pforzs
beimerin, welche eimen Belenner der verfolgten Lehre mit dem Namen
„Johannes vom Nhein” bezeichnete; diejer habe ihr zu Pforzheim in
ihres Vaters Haus den Entfchluß, Nonne zu werden, ansgeredet und
fie an einen andern Ältern Prediger gewiefen, durch welchen ihr Glaube
an die herrichende Kirche vollends wanfend geworden fei.3)
Eine recht erfreuliche Erfcheinung in dem fünfzehnten Jahrhundert
ft zu Pforzheim die Gründung einer lateinifhen Schule Das
Bedürfnig nach ſolchen von Klöſtern unabhängigen Anftalten war in
damaliger Zeit um jo fühlbarer geworden, je mehr die Klofterjchulen
in Verfall gerathen waren. Wer in Pforzheim jene Schule ing Leben
rief und wann dies geſchah, iſt unbekannt. Möglich, daß ihre Grün-
dung mit der des St. Michaelſtiftes zufammenbing, deren vielen Geift-
1) Vierordt, I, 36.
2) Kolb, Lerifon IL, 62.
3) Bterordt, I, 59. ff,
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 155
fichen duch den Unterricht am der lateiniſchen Schule eine paſſende Be:
ihäftigung geboten war. Gewiß ift, daß die Schule fchen in den fetten
Fahrzehnten des Fünfzehnten Jahrhunderts fich in Blüte befand und
viele andere ähnliche Anjtalten weit überragte, Hatte doch ſchon Jo—
hann Reuchlin zwifchen 1460 und 1470 feine erfte gelehrte Bildung
an diefer Anftalt geholt, und war nach feiner eigenen Verficherung *)
eine große Zahl von Gelehrten aus Pforzheim hervorgegangen, die den
Grund ihrer umfaffenden Bildung ebenfalls auf der Mittelichule diefer
Stadt gelegt hatten:
e. Gewerbe und Handel, herrſchaftliche Einkünfte in
Pforzheim, Bruderjhaften, Breife der Lebensmittel,
Wurden jo die geiftigen Intereſſen in erfrenlicher Weife gepflegt, fo
mag die Frage am Plate fein, was denn im fünfzehnten Jahrhundert
zur Förderung der materiellen Intereſſen Pforzheims gejchehen fei und
welchen Fortgang, namentlich die gewerbliche Entwiclung, der Handel der
Stadt ꝛc. in diefer Zeit genommen. Die Frage it fchneller geitellt,
als beantwortet, da die vorhandenen fpärlichen Notizen nur wenig Auf:
ſchluß geben. Durch die vielen Kriege, welche namentlich Bernhard L,
fpäter auch jein Enkel Karl I führten, mußte der Verkehr natürlich
vielfältig. beeinträchtigt werden, und wie groß die Unficherheit beiſpielweiſe
zu den Seiten Karls I war, geht daraus hervor, daß um 1460 Nies
mand ſich unterftchen durfte, nur eine Stunde weit zu reifen, ohne der
Gefahr der Plünderung ausgeſetzt zu fein, und daß wegen dev allgemein
berrichenden Unficherheit fogar an vielen Orten verboten wurde, die
Frankfurter Mefje zu befuchen.?) Unter ſolchen Umftänden waren die
Bürger der Städte, wenn auch hinter den Mauern derfelben ficher, doch
in der Regel auf ein Feineres Feld gewerblicher Thätigkeit angewieſen,
1) De verbo mirifico, ed. Tub,, 1514, p. 3.: „Literatorum ingens numerus
inde genitorum.“ Wer diefe frübeften Gelehrten Pforzheims waren, fagt uns
bie Gejchichte nicht; wohl aber wirb weiter unten von andern ausgezeichneten
Männern dieſer Art, die ber folgenden Zeit angehören, die Rebe fein.
2) So warf unter Anderm auch ohne Scheu vor ber geiftlichen und weltl.
Macht 1440 der Ritter Sigfried von Zyllnhart ben Kämmerer bes Papftes, ber
von Frankfurt heimkehrte, nieder und jchleppte ihn als Gefangenen in das
Schloß Steinegg bei Pforzheim. Vierordt, I, 10,
156 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert,
welche zunächſt nur örtliche Bedürfniſſe umfaſſen konnte, und erft eimer
fpätern Zeit war es vorbehalten, derfelben einen erhöhten Aufihwung zu
geben. Immerhin aber mochte in den friedlichen Jahren, welche zwiſchen
den einzelnen Fehden lagen, Pforzheim ſich eines in Anbetracht
der Verhältniſſe lebhaften Verkehrs erfreuen, da, wie jchon bemerkt
wurde, mehrere Neichshauptitraßen über diefe Stadt zogen und Pforz:
beim eine jehr einträgliche Zollftation für die Markgrafen war. Welch
Gericht letztere auf diefe Einkünfte legten, iehen wir daraus, daß Karl L
im Jahr 1468 bei Kaifer Friedrich II. ein Privilegium ausmwirkte, nach
welchem diefer, um den Betrügereien der Fuhrleute ein Ende zu machen,
die zur Umgehung des Zolles zu Pforzheim und Durlach von der
Straße abfuhren,, diefen Fuhrleuten bei einer Strafe von zehen Mark
löthigen Goldes befahl, den gewöhnlichen Zoll alsdann entweder zu
Singen, oder wo es fonjt dem Markgrafen gefällig wäre, zu entrichten.
Wie viel in Pforzheim an Zöllen bezahlt wurde, darüber gibt une
ein altes Verzeichniß der herrichaftlichen Einkünfte in Pforzheim, Huchen-
feld und Büchenbronn, 1) Auffchluß. Nach demfelben mußte um bie
Mitte des 15. Jahrhunderts in Pforzheim an Wafferzoll entrichtet
werden: von 100 Hölzern oder Borden, groß oder klein, 8 Schilling
Pfennig (2 fl. 6 Er. vergl. ©. 129) von gezimmertem Holz von
40 Schub Länge und darunter, für jedes Stüd 1 Pfennig (19, kr.);
— an Landzoll: ein Magen voll Eifen zahlt 14 Pfg. (etwas über
18 kr.), Salz oder Wein 8 Pfg., ein Karch voll Wein 2 Pfg., eine
Tonne voll Honig, Häring, Fiſche zc. 3 Pfg., ein Zentner Wachs 3 Pfg.,
ein Karren voll Wildwerf für Kürfchner und Schubmader auf jedes
Pferd 15 Pig, ein Karren voll gebrochenen Knoblauchs das Pferd 15
Pfg., Knoblauch mit Kraut daran 4 Pfg., ein Wagen voll Gewand, bie
für die Frankfurter Meſſe beftimmt find, für das Pferd 3 Sch. Pfg.,
ift der Wagen nicht voll, jedes Stück Tuch 2 Pfg., ein Magen voll
ausgeführter Butter, Schmalz, Unfchlitt ꝛc. jedes Pferd 15 Pig., ein
Wagen voll ausgeführter Speichen, Reife, Felgen 2 Pfg., ein Wagen voll
Frucht in die Stadt 2 Pfg. ein Pferd, das Frucht trägt, 1 Heller, jeder
Magen voll Frucht aus der Stadt 1 Heller, ein Pferd, das auf dem
Biehmarkt gekauft oder verkauft wird, 1 Pfg., 2 Schafe 1 Pfg., ein Pferd,
2) Es befindet fi im Landesarchiv und wurde um 1460 aufgeftellt.
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 157
das durch die Stadt geführt oder getrieben wird, 2 Pfg., ein Rind
2 Pig., 2 Schweine 2 Pfg., 2 Schafe auch 2 Pfg. u. ſ. w. — Außer
dem Zoll bezog der Markgraf in Pforzheim an Bete: von jedem
100 Gulden Steuerfapital 1 Gulden, auf Michaeli zu bezahlen; doch
wurde 1471 der Stadt Pforzheim von Markgraf Karl ein Freiheitsbrief
ausgeftellt, daß die Bürger von ihren Gütern, liegenden oder fahrenden,
mehr nicht, als 1 Schilling von 100 fl. bezahlen jollten. Im nämlichen
Jahr übergab auch Markgraf Karl, was ein nener Beweis feiner wohl:
wollenden Gefinnung gegen die Stadt Pforzheim war, bderjelben das
am Markt gelegene Kaufhaus ſammt allen Gefällen. — Ungelbd:
von je 15 Maaß Wein 1 Maaß, wovon jedod die Stadt die Hälfte
bezog (unter Markgraf Karl aus befonderer Gnade bis auf Wiederruf
das Ganze); — Zinfe: z. B. von den 26 erblid, verliehenen Metel-
bänfen von jedem 10 Sch. Pfg. (2 fl, IT kr.) außer 9 Sch. Pig. Zunft:
geld, das die Metzger zu bezahlen hatten; von den Brotbänten der Bäder
zahlte jeder 10 Sch. Pig. (neben 15 Sch. Pfg. Zunftgeld); außerdem
bezog die Herrichaft Zinſe von ihrer Walkmühle und Delmühle an der
Enz (damals aber in den Händen der Stadt), ihrer Ziegelichener,
3 Schleifmühlen, 2 Kupfermühlen, Sägemühle im Hagenfchieß, von
Weingärten, Häufern, Jahrmärkten ac,; — Wafferzinfe: vom Fiſch—
wafler unterhalb der Altftädter Brüde und oberhalb der jeßigen Non:
nenmühle bis Birkenfeld, Fiſchbankzins ꝛc. — Wiefenzinfe: von der
Scheuern-, Bleichwieſe x. Mühlzinſe: von der Wagmühle
(vergl. unten) jährlich 39 Malter Kernen und 39 Malter Roggen, und
zwar alle 14 Tage von beiden Fruchtgattungen je 12 Simri (dag Malter
faßte aljo 8 Simri); von der andern Mühle oder Spitalmühle
bei der untern Badftube, alfo der jegigen Eichmühle, jährlid 39 Malter
Kernen umd eben fo viel Roggen; von der Schepplers Mühle, jest
Kloftermühle, jährlich 291/, Malter Kernen und eben fo viel Roggen;
von der Göppingers- oder Pfriemenz, jet Nonnenmühle von
beiden Fruchtforten 26 Malter; von der Zwingelmühle jet Ober:
mühle 26 Malter; — ferner gehörten der Herrſchaft fümmtliche
Frevel, groß und Hein, — endlich eine Anzahl Wälder in der Ge
gend von Pforzheim, darunter namentlich der Hagenichieß, über den ein
eigener Förſter gefegt war. Was den Zehnten betrifft, jo bezog den-
felben noch 1404 das Klofter Hirfchau allein, und zwar den großen und
158 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert,
Heinen SZehnten,?) mußte aber dafür in Pforzheim dem Markgrafen
beftändig ein Pferd mit einem Knecht und einen wohlgerüfteten Wagen
zu Reifen halten und den Jägern bei Jagden Zehrung geben. Später
war der Zehnten zwiſchen Hirſchau und Lichtenthal getheilt, und wird der
Verpflichtung zur Stellung eines Wagens nicht mehr erwähnt, wohl
aber der Lieferung von 200 Bund Stroh in den fürftlihen Marſtall,
und der Verpflichtung, die Jagdhunde des Fürften zu füttern, wenn ders
jelbe in der Gegend von Pforzheim jage.
Eine nicht unbedeutende Einfommensquelle war für mande Ger
bietsherin auch das Geleit (5, 127). In den gerade im 15. Jahr:
hundert durch die wiedererwachte Raub: und Fehdeluſt des zahlreichen
Adels ſehr unruhigen Zeiten war diefelbe Vorficht für den Handel nothe
wendig, welche im 13. Sahrhundert die mächtigen Verbindungen ber
Hanfa und des rheinischen Städtebundes hervorgerufen hatten. Die
Fürften hatten auch allmählig einfehen gelernt, daß ein ficherer. Verkehr
fowohl ihren Untertbanen — was num freilich weniger in Anfchlag ger
bradyt wurde — als namentlich den fürftlichen Kaffen von Vortheil fei,
und um die öffentliche Sicherheit zu befördern, wurden häufig Veran
ftaltungen bezüglich des Geleits der Kaufleute und der Kaufmannswaaren
getroffen und Berträge darüber abgeſchloſſen. Die erfte Nachricht über
einen folchen Vertrag, welcher Pforzheim betraf, ift von 1452. Im
biefem Jahr verabrebete fi) Markgraf Jakob mit dem Kurfürften von der
Pfalz dahin, dat Baden die Handelsleute von Pforzheim nad Bretten
zu dem alten Galgen und auf der andern Straße zu der Ziegelhütte in
Rinklingen, Pfalz aber von diefen beiden Punkten nad) Pforzheim geleiten
ſollte. Diefer Bertrag wurde 1463 (©. 141) dahin abgeändert, daß umge:
tehrt Baden das Geleit von Bretten nad) Pforzheim, und Pfalz von Pforz⸗
heim nad) Bretten haben follte. Es hielt jedoch ſehr fchwer, die gefchlofienen
Verträge über das Geleit immer aufrecht zu erhalten. Bald wurde geflagt,
daß Diefer zu wenig Mannfchaft jchife und die Straßen nicht ficher
balte, bald follte Jener den Kaufleuten zu viel Geleitsgeld abnehmen.
Daher kommt es, daß wir von Zeit zu Zeit neue Beitimmungen über
das Geleitweien finden,
Welche Gewerbe in Pforzheim bejonders blühten, geht aus mehreren
) Vergl. „Snftrumentirte Kundſchaft iiber die Präftationes, jo das Klofter
Hirſchau“ ac. im Landesardiv.
Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert. 159
Urkunden, insbefondere den verſchiedenen Gewerbordnungen hervor, welche
zum Theil noch im fünfzehnten, zum größten Theil aber zu Anfang des
fechszehnten Jahrhunderts für die Stadt gegeben wurden. Es wird
davon meiter unten ausführlich gehandelt werden. Daß aber im
fünfzehnten Jahrhundert ſchon eime große Gewerbthätigkeit in Pforzheim
geherricht haben und Kunft wie Wiſſenſchaft jorgfältig gepflegt worden
fein muß, geht daraus hervor, daß Reuchlin bereits 1503 feine Water:
ftadt „‚honor artificum fabricatrix ingeniorum“ nannte, ) d. 5b. eine
Ehre oder Zierde der Künftler und Hervorbringerin bedeutender geijtiger
Kräfte. Aus Pforzheim war der finnige Holzichneider Johannes Kern,
der die Chorftühle in der Stiftskirche zu Baden verfertigte, In Pforz—
beim, als der wichtigften Stadt der Markgrafichaft, war auch die fürft:
liche Münzftätte, denn wir finden unterm Jahr 1413 einen „Jakob
Pröglin, Miüngmeifter, zu Pforzheim gefeflen,“ aufgeführt. (Unterm
25. November 1421 verkaufte Markgraf Bernhard an denfelben und
defien Frau Anna die Badſtube, zu und um die Stadt gelegen, die
früher Heinrich von Berwangen zu Lehen befefjen, auch einige Stüde im
Hagenſchieß, aud zu Eutingen und Söllingen gelegen, ſowie verſchiedene
Gefälle und Zinjen zu Darmsbach, Pforzheim und Ottenhaufen, Güter
und Zinſe zu Dietlingen und endlich den vierten Theil von Nußbaum
und der dort fälligen Bete und Zinfen um 550 fl.) 2) Daß Pforzheim
auch einen fehr geſchickten Armbruftmacher beſaß, erfehen wir daraus,
daß Markgraf Karl I. 1466 diefen „Michael Armbrufter den Jungen
zu Pforzheim von befundern unfern Gnaden, auch das er den unferu
zu Pfortzheim mit ſinem Handtwerf deiterbaß vor gefin möge,“ alfo
wegen feiner für die damalige Zeit, in welcher Schießgewehre noch wenig
verbreitet waren, wichtigen Kunft, von allen Steuern, Frohnden und
fonjtigen Laſten befreite. Der Name „Armbrufter” ift in der betreffen-
den Urkunde Handwerks: und Gefchlechtsname zugleich, wie wir folchen
Bezeichnungen in damaliger Zeit häufig begegnen. So finden wir um
1400 3) unter den Pforzheimer Bürgern einen Heinrich Goldſchmied,
Klaus Kantengieker, Heinz Wollenfchläger, Hans und Berthold Spengler,
Überlin Schreiner, Kunz Murer, Arnold Fiiher, Weblin Taugenhauer
) So fagt Schwarz im Heidelberger Univerfitätsprogramm bei ber
Preisvertheilung von 1811, S. 21.
2) Herrenalber Archiv.
2) In Reperiorien und Urkunden des Landesardhins.
160 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert,
u. U. m. Unter den Gewerben jcheint das der Wollenweber ſchon
damals jehr ftark vertreten gewejen zu fein. Neben dem obengenannten
Goldſchmied fommt gleichzeitig auch ein Bürklin Kremer der Ringlein:
macher vor,
> Intereſſant find die verfchiedenen Bruderihaften, die ſchon im
Zaufe des 15. Jahrhunderts unter den Angehörigen verfchiedener Zünfte
beftanden. Das Handwerk hatte nämlich eine doppelte Innung oder
Vereinigung, eine rechtliche, die in der Zunftordnung enthalten war, und
eine religiöfe, wofür die Bruderfchaft beftimmt wurde, Beide Beziehungen
hielten das Gewerbe in Ehrbarkeit zufammen, führten zu gegenfeitiger
Hilfeleiftung und gaben der Arbeit Weihe und Xeoft. 1) So ift
1423 2) einer Bruderſchaft zwifchen den Bäckerknechten und den
Meiftern und Pflegern des Siechenipitals zu Pforzheim, und zus
gleich der Stiftung eimer Jahreszeit durch die Bäckerknechte erwähnt.
Durch jene war die Pflege und Verforgung erfrankter oder arbeitsun-
fühiger Handwerksangehörigen gefichert, durch diefe den gegenfeitig ein:
gegangenen Verbindlichkeiten die veligiöfe Weihe gegeben. Einer ähnlichen
Bruderſchaft von Geiten des Schneiderhandwerts begegnen wir im
Jahr 1410, der Tucher und Weber 1469, der Weingärtner 1491,
(diefelben beſaßen in der Mltftädter Kirche einen eigenen Altar, den zu
St. Pantaleon), der Zimmerleute 1509, der Schuhmacher 15293) ꝛc.
— Neben diefen Bruderſchaften bei einzelnen Zünften beftand aber unter
der Bürgerfchaft Schon 1407 auch eine allgemeine Vereinigung, welche
man „St. Matthiejen Bruderihaft” hieß.) Das Vermögen
aller diefer Bruderfchaften wurde fpäter (1533) zu einem allgemeinen
Almofenfond verfchmolzen. Wir werden darauf zurückkommen.
Wie wichtig die Mühlen der Stadt waren, gebt daraus hervor,
daß diefelben nebft Weißenftein und dem Schultheigenamt zu Pforzheim
1338 zu einem mainzifchen Xehen gemacht wurden (S. 95), in welchem
Verhältniß fie noch lange ſich befanden. Sie find im VBorftehenden
bereit8 genannt. Man fieht daraus, daß die vier Mühlen, weldye
Pforzheim heute befitt, ſchon vor 400 Jahren vorhanden waren, bie
fünfte aber, die Wagmühle, verfchwunden iſt. Sie lag in der großen
N) Bergl. Mone, Zeitichrift IT, 3,
2) Urkunde des Landesarchivs.
3) Lagerbuch des Almoſens — (Stadtarchiv.)
) Lagerbuch des Almoiens (Stadtarchiv),
Neuntes Kapitel, Tforzheim im 15. Jahrhundert. 161
Gerdergaffe, wo ein Mühlrad mit der Rahrzahl 1568 am Haufe des
Särtners Frank den Ort diefer Mühle, die hinten an den Mühlkanal
ſtieß, noch bezeichnet. Außerdem werden an andern Waſſerwerken auf:
geführt: Huf: und Waffenfchmiedmühlen, (befanden fi da, wo jekt
der obere Hammer ift), weiter abwärts am Kanal Walk- und Schleif—
mühlen , andy eine Delfchlage, die obere und untere Stampf- oder Rin-
denmühle der Gerber, Kupfermühlen ꝛc., die Oelſchlag- und Schleif:
mühle in der Altſtadt bei der St. Nikolauskapelle. Auch an Sägmühlen
war fein Mangel, und befand ſich die Stadt felbit im Beſitz einer folchen,
welche einem „Stadtfäger” zur Belorgung übergeben war. ') Daß auch
die Flößerei im 15. und 16. Jahrhundert in Blüte war, jagt ung ein
geographiicher Schriftiteller, der in der Mitte des 16. Jahrhunderts
Tebte, in folgenden Worten:2) „Das Volt, fo bei der Kinzig wohnt,
bejonders um Wolfach, ernähret fih mit den großen Bauhöfzern, die fie
durdy die Kinzig in den Rhein flözen und groß Geld jährlich erobern.
Desgleichen thun die von Gersbach und andern Fleden, die an der
Murg gelegen find, gleichwie die von Pforzheim groß Flöz
in den Nedar treiben.“ Ausführlicheres über die gewerblichen
Verhältniſſe der Stadt im folgenden Kapitel,
Es waren oben die Gehalte erwähnt, die den Stiftsheren zu Baden
und aud in gleihem Werhältniffe denen zu Pforzheim ausgeworfen
wurden. Wen jene Summen nieder vorkommen, der vergeffe nicht, daß
ihnen die damaligen Preife der wichtigften Lebensbedürfniffe entſprachen.
Einige Mittheilungen darüber dürften nicht am unvechten late fein.
Zu Anfang des 15. Jahrhunderts wurden zu Durlach ein Mlalter 3)
Korn um 4 bie 5 Schillinge (48 fr. bis 1 fl.), eine Ohm Wein um
10 Schilling (2 fl. 3 fr.), ein Hammel oder ein Echaf um 41/, Schil—
ling (56 fr.), zwei Kühe und ein Kalb um 5 Pfund (20 fl. 30 fr.)
verfauft und für einen (auswärtigen) Schüler jährlich 4 bis 41/, Pfund
(16 fl. 24 — 18 fl. 27 %.) fammt einem Sad Korn als Kojtgeld
bezahlt. %)
Nach ftatiftiichen YJufammenftellungen über die Preife der Lebens:
1) Kopialbuch im Stabtardhiv, ©. 239: „Stabtjägersorbnung,“
?) Seb. Münfter, Cosmographia,
3) Ein damaliges Malter batte 8 Simri oder Mepen, 1 Simri hatte
4 Vierling, ein Vierling — 4 Viertel oder Meßlein.
9) Sachs, I. 387.
Pflüger, Pforzheim, : 41
162 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
mittel während der letzten ſieben Jahrhunderte, 1) die auf die jetzt üb-
lichen Maaße, (aljo bei den Getreideforten und Hülſenfrüchten auf das
neubadifhe Malter) berechnet find, Eoftete im 15, Jahrhundert das
Malter Kernen oder Waizen im heutigen Baden durchfchnittlih 1 fl.
30 kr., Halbwaizen, Erbjen und Linfen 1 fl. 19 fr., Kom, Molzer und
Bohnen 1 fl. 2 fr., Gerfte und Weljchkorn 56 fr., Dinkel 36 kr., Haber
32 kr., der Zentner Heu 9 Fr., ein Bund Stroh 1 fr. Dem entſprechend
waren die Holzpreife. Im Jahr 1517 koſtete bei Pforzheim das Klafter
Holz 34, bis 4 kr.?), und noch am Schluſſe des 17. Jahrhunderts
wurde das Klafter (gemifchtes) Brennholz in den Pforzheimer Stadt:
waldungen um nicht mehr als 30 fr, verfauft, und ein Klafter Gipfel-
oder Abholz kam nicht höher, als auf 4—8 Kreuzer zu ftehen. 3)
d. Stadttheile, Bürgergejhledter.
Schließlich mögen noch diejenigen Stadttheile, ftädtifchen Anftalten zc.,
welhe im 15. Sahrhundert zum erften Male vorkommen, fowie
die Namen mander Bürger aus diefer Zeit aufgeführt werden, Bon
Stadttboren finden wir des Brötzingerthors und Häufer
vor demfelben, aljo in der Brößinger Vorſtadt, die ſchon 1323 vor:
kommt, ferner wieder des Altorfer: oder Altftädter Thors, des Schleif:
thors fammt dem Plab davor, noch immer auch eines Tränfthors
und Predigerthorg, in weld, letzteres fi das Frauenthor (S. 79)
verwandelt zu haben jcheint, erwähnt. Letztere beiden Thore beweifen,
daß das Klofter der Dominifanerinnen fammt andern Gebäuden noch
immer außerhalb der Stadtmauer (extra muros) lag, was auch durd)
Urkunden beftätigt wird; ferner findet fih ein Steinthörlein. Don
Straßen werden außer den im vorigen Kapitel fchon genannten die
Altftädter Gafien, die obere und untere Lauergaſſe (Xower: aud)
Löwergafie, d. h. Loh- oder Gerbergaffe), eine Judengajfe, das
Barfüßergäßle, die „Slappergaffen” (ſchon 1400), wie die
jetige Baumftraße vor ihrer Umtaufe hieß, die Schelmengajfe (untere
Augafje), die Kloftergaffe, die Brunnengaffe (verlängerte Lamm:
') Bergl. Heunifd und Bader, „das Großherzogtfum Baden.”
2) Gött. hist, magaz., VIII, 347 und 352,
®) Pforzheimer Bürgermeifterrehnung von 1688,
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 463
ſtraße) aufgeführt. — Bon den Gebäuden, welche für Gefundheits-,
Armen» und Krankenpflege beftimmt waren, miüfjen neben den drei
Spitälern, die Pforzheim damals beſaß, nämlich dem Giechenfpital,
dem Spital zum heiligen Geift und der St. Georgenpflege, auch das
Seelhbaus und die zwei Badftuben genannt werden, “jenes Tag in
der Brötzinger Vorftadt, beftand ſchon 1456 und hatte die Auf:
gabe, nicht nur Arme überhaupt, fondern namentlich Franke und durch:
veifende Bettler mit „Hol, Schmalz und Salz" nad Nothöurft zu
verjehen. 1) Die eine Badftube, die obere, lag am Mühlbach ummit-
telbar hinter dem Schofßgitter, die untere befand fi beim jeßigen
frädtifchen Waiſenhaus. An ſolchen Badftuben, die entweder Eigenthum
der betreffenden KHerrichaft oder der Gemeinden waren und durch Ver:
fauf oft auch in Privathände übergingen, fehlte e8 früher in feiner Stadt,
ja faum in Dörfern, und e8 wurde fehr darauf gehalten, daß fie im
gutem Zuftand blieben und Gefunden wie Kranken dienen Fonnten.
Gewöhnlih waren Dampfbadeinrichtungen damit verbunden. — Bon
fonftigen Häufern der Stadt möge hier noch der adeligen erwähnt
werden, deren Pforzheim als bedentendfte Stadt des Landes, die an den
adelreihen Kraichgau anftieß, ſchon im 15. Jahrhundert eine ziemliche
Zahl aufweifen konnte. Es gehörten dazu: 1400 das Haus Eberhards
von Gertringen, 1401 des Hans von Wachingen, 1443 das
Haus Friedrihs von Enzberg, genannt Bitjcher, beim Barfüßer Kirch
hof; 1451 das von Paul von Leutrum beim Prediger Klofter; 1468
das von Dietrih) von Gemmingen in der Kloftergafie; 1477 die
Flehingen'ſche Behaufung, die früher Wendel von Remchingen
gehört hatte; 1478 das Haus von Hans von Berwangen am Kirch—
oder Schloßberg; 1480 das freiherrlih von Nippenburg’fche Haus,
ebenfalls am Kirchberg; 1482 Haus und Garten von Hans von Kö—
nigsbach bei der obern Badſtube; 1491 das Haus von Hans Eber:
hard von Reiſchach, in der Altftädter Gaſſe, das früher denen von
Storfhedel gehört hatte; 1492 das Haus Wilhelms v. Neipperg.
Pforzheimer Bürger, deren Namen im 15. Jahrhundert in Urkun—
den, Lagerbüchern, auf Grabfteinen ꝛc. vorfommen, waren: 2) Michael Arm:
1) Lagerbuch des Almofens von 1711 im Stadtarchiv.
N Diejenigen Gefchlechter, die ſich feit jener Zeit bis heute in Pforzheim
erhalten haben, find wie früher durch gefperrten Drud er 2
464 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
brufter, Hang Bauer 1411, Hänslin Beh 1400, Kunzlin Bender,
Friedrich Berfch der Zimmermann (vielleicht der Erbauer der frühern Altitädter
Kirche? Vergl. S. 106), Ulrich) Blau, Kunz Bradyert, Ulrich Brodbed,
Hans Buchmüß, Hänslin Bull, Jerg Dreier, Hans Dulwer, Lutz Dürr:
mann, Klaus Dürrmenz, Hans Engelhard, Heinz Fallinbach, Hans Filer
der Schloffer, Hans Fink 1400, Arnold Fiiher, Hans Fiſchlin, Hans
Frank, Aberlin Fürft, Hans Geiger 1400, Michel Gerwig 1486,
Jakob Gilg, Hänslin Goldeifen, Heinrich Goldfhmidt, Klaus Göppinger,
Hans Groß der Eeiler 1447, Heinrich Güldenmeijter, Konrad Gürtler,
Heinz Hagdorn, Heinrich Hemler, Friedrich Heintz, Konrad Hintermeier,
Hirtenhans (pachtet 1403 von Markgraf Bernhard das obere Bad in
Liebenzell um jührlihe 20 fl.), Peter Hubenfchmied, Aberlin Huter,
Soft Hutmader, Ulrich Kayſer 1460, Klaus Kantengießer, Job.
Kern, Schreiner (vielleicht der S. 159 genannte Künftler?), Soft
Kepler, Jakob Kiefer 1479, Kunz Knebel, Berthold Kittel, Klaus
Koch 1480, Nikolaus Kommerell 1430 (Grabftein in der Schloß:
firhe), Hans Kraft, Friedrich Krieg, Walther Künlin (400 (vergl.
©. 133), Jakob Landzwinger, Werner Liefh, Hans Lungel, Joſt Lu &
1460, Kunz Mäulin (Mäule, Meulen, Meyle) 1401, Hans Maler
1491, Berthold Mennlin, Peter Meslin, Mathis Müller 1400, Kunz
Murer, Burkhard Narr, Joh. Nettinger (Grabftein in der Schloßkirche),
Benz Oeſchelbronn, Thomas Palm, Bertſche Pfenner, Herrmann
Pfiiter, Hans Ratmann, N. Neinfleifh, Michael Reinhard, Michael
Räpple 1413, Georg Reuchlin, Wernher Riſch, Kunz Ruf, N. Rüf—
lin (Mieflin, Riefle) der Meber 1400, Günther Sattler 1400,
Hänfel Schäfer 1455, Kunz Scheff, N. Scheppler, Fritlin Scherer,
Uin Schmidt 1400, Otto Schneider 1400, Burkhard Schreiber,
Aberlin Schreiner, Stephan Schuhmacher, Reinhard Seyler der Waffen:
ihmied, N. Sigelin (Siegele, Eiegle) der Schwertfeger 1400, Peter
Suler (Grabftein in der Schloßkirche), Peter Start, Michael Strub,
Hans Stuberlin, Klaus Stump, Weblin Taugenhauer, Hans Traut:
mann, Albert Trechſel, Friedrich Tyfel oder Teufel (Grabftein in der
Schloßkirche mit einer abſcheulichen Teufelsfrage, vergl. S. 152), Hänslin
Unger oder Ungerer der Gerber 1411, Hänslin Vetter, Konrad.
Wagner 1419, Hans Wappeler, Endris Weeber 1480, Aberlin
Wegener, Heinz Weidenbufh, Hans Weidenlaub, Kunzlin Weinzieber,
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 165
Heinz Weißenbach, Burkhard Weblin, Wendel Milderfinn 1471,
Heinz Wirme, Heinz MWollenichläger, Aberlin Wücklinger, Raul Wyler.
$ 4 Johann Meudlin.
Diefer ausgezeichnete Mann, einer „der Brennpunkte literariſcher
Beftrebungen in dem Zeitalter der Morgenrötbe bumaniftifcher Geiftes-
bildung, ein Hauptbegründer der ernſtern Beichäftigung mit der griedhi-
hen Sprache,“ und — für die dhriftliche Welt — „Bahnbrecdher zur
Kenntniß des Hebräiſchen,“ 1) auch „Vorläufer der Neformation ,“ wie
er ſonſt vielfach genannt wird, verdient wohl in einer Gefchichte feiner
Vaterſtadt befondere Berückſichtigung. Wenn er auch feine umfafjende
Thätigfeit nicht innerhalb der Manern derielben entfaltete, ja feine Wirk:
jamfeit, ſoweit diefelbe mit dienftliher Stellung verbunden war, größten-
theils nicht einmal feinem Waterlande angehörte, fo mag doch Pforzheim
immerhin darauf jtolz fein, den Mann erzeugt zu haben, der einjt einen
jo nahhaltigen Einfluß auf feine Zeit ausgeübt hat, daß noch heute
„die Anfänge und Grundlagen unferer Bildung vielfach auf ihn zurüd:,
weifen“, und der dadurch, daß er zu dem in feinem Zeitalter „beginnen
den Kampf des freien Geiftes gegen menschliche Autorität, der Glaubens:
freiheit gegen Glaubenszwang” 2) einen Sauptanftoß gegeben, der ganzen
Menſchheit angehört.
Johann Neuchlin wurde am 23. Dezember 1455, alfo während
der Negierung des Markgrafen Karl J., geboren. Sein Vater war
Georg Reuchlin, und bekleidete wahricheinlih das Amt eines Verwalters
des Klofterguts bei den Dominikanern, Derfelbe batte außer Johann
noch einen Sohn, Dionyſius, der fpäter ebenfo wie fein Bruder eine
wiſſenſchaftliche Yaufbahn betrat, und eine Tochter, Elifabeth, welche den
1) Stälin, IN, 717.
2) Vergl. die Schrift: „Johann Reuchlin, eine biographiſche Skizze“
von Lamey, die hier hauptſächlich zu Grund gelegt iſt. Bekannt—
lich hatte Reuchlin ſchon früher auch feine Biographen gefunden, ſo
namentlich feinen Landsmann May (Vita Reuchlini, Durlach 1687), ferner
Schnurrer, Mayerhoff, Erhard x. Auch Gehres gikt in feiner Fleinen
„Pforzheimer Chronik” einen Lebensabriß Reuchlins nach „Schubarts literari⸗
ſchen Fragmenten.“
166 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
eben fo reichen, als gründlich gebildeten Johann Reuter in Bretten
heirathete und dadurd die Großmutter Melanchthons wurde, ')
In feiner Jugend befuchte Johann Reuchlin die damals blühende
Schule feiner Vaterftadt und legte hier einen guten Grund in der lateis
nifchen Sprache und in der Muſik. Im Alter von 141/, Jahren bezog
er die Univerfität Freiburg, wo er am 19, Mai 1470 als afademifcher
Bürger eingefehrieben wurde und aufs Eifrigfte philoſophiſche Studien
betrieb. Nach feiner Rückkehr von Freiburg wurde er wegen feiner
ſchönen Stimme unter die Hoffänger aufgenommen, und e8 mag wohl
während diefes Aufenthalts in feiner Vaterſtadt geweſen fein, daß er
an ber Anftalt, der er früher als Schüler angehörte, nun auch aushilfg-
weife als Lehrer unterrichtete. Markgraf Karl, der auf den talentvollen
Jüngling aufmerffam geworden war, erwählte ihn 1473 zum Begleiter
feines dritten Sohnes, des Prinzen Friedrich,?) auf die Hochſchule zu
Paris. Hier feste Reuchlin nicht nur feine in Freiburg begonnenen
Stubien fort, fondern er warf ſich auch mit großem Eifer auf die Er:
lernung der griechifchen Sprache. Aber noch im nämlichen Jahr mußte
er Paris wieder verlaffen, wahrſcheinlich um den Prinzen Friedrich in
bie Heimath zurück zu begleiten. Doc ſchon im folgenden Jahr 1474
finden wir den ftrebfamen Jüngling auf der Univerfität zu Bafel, mo
mit Lernen, aber aud mit Lehren drei fruchtbare Jahre vergingen ; denn
Reuchlin hielt dafelbft bereits Vorleſungen über die Iateinifche Sprache
und erklärte feinen Zuhörern die Klaſſiker. Zugleich arbeitete er dafelbft
ein Yateinifches Wörterbuch aus, das erfte Merk, welches von ihm erfchien. 3)
a, der junge Mann, der bereits 1474 Baccalaurens und 1477 Magifter
ber Philoſophie geworden war, eröffnete fogar Vorlefungen über die
griedhiiche Sprache, die ihm aber von Seiten der Mönde unter ben
Basler Lehrern, welche befürchteten, daß derartige Studien von der
Religion abführen möchten, ſolche Anfendungen zuzogen, daß Reuchlin,
vielleicht in Folge derfelben, Baſel verließ und zum zweiten Mal nad
Paris ging. Dort wußte er fi) durch Abſchreiben griechiſcher Schriften
) Ihre Tochter Barbara wurde nämlich die Frau Georg Schwarzerds,
Rüftmeifters zu Bretten; aus diefer Ehe ging Philipp Schwarzerb ober Me:
lanchthon hervor.
2) Derfelbe war 1458 geboren, wurbe 1496 Biſchof von Utreht und flarb
1517. Sads, IL, 627 fi.
) Es erlebte von 1477—1504 nicht weniger als 23 Auflagen.
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 167
nicht nur die Mittel zu feinen weitern Studien und zur Anfchaffung
von Büchern, die damals noch jehr theuer waren, zu verichaffen, jondern
jenes Abſchreiben brachte ihm auch großen geiftigen Gewinn, da er da:
durch tiefer in die Schriftfteller eindrang und ganze Stellen feinem Ge:
dächtniß einprägte. Schon 1478 begab fich aber Reuchlin nad, Orleans,
wo er zuerft Vorlefungen über griechiiche und lateinifche Sprache hielt,
auch eine griechifche Grammatik ausarbeitete, nebenbei aber auch juriftifche
Studien betrieb. Diefelben ſetzte er nachher in Poitiers fort und kehrte
1481 als Lizentiat des bürgerlichen Nechtes in feine Heimath zurüd.
Da er bier für feine Kenntniffe und fein wifjenfchaftliches Streben ‚den
rechten Boden nicht finden mochte, fondern nach einem umfafjendern Wir:
kungskreis Verlangen trug, fo wählte er die Univerfitätsftadt Tübingen
zu feinem Aufenthalt. Dort praftizirte ev zuerft als Advokat, wurde
aber noch im Jahr 1481 als Licentiat der Univerfitit immatrikulirt,
las als Privatdocent über griechiſche Sprache und erwarb ſich den Grad
eines Doktors der Rechte. Dort verheirathete er ſich auch und lebte
mit feiner Frau in langer und glüdlicher, wenn auch Finderlofer Che,
Don Tübingen aus bejuchte er wohl auch von Zeit zu Zeit feine Vater:
ftadt Pforzheim; doch fcheint es zu einem längern Aufenthalt. dafelbft
nie mehr gekommen zu fein.
Durch jeine Fertigkeit im Lateinifchiprecben wurde Neuchlin mit dem
Herzog von Mürttemberg, Eberhard im Bart bekannt, der ein ſolches
Vertrauen zu ihm faßte, daß er ihn zu feinem täglichen Gejellichafter,
Geheimfchreiber und geheimen Rath machte. Den Herzog mußte Reuchlin
aud auf einer Neife nach Nom begleiten, wo eine lateinifche Rede, welche
leßterer vor dem Papſt und den Kardinälen hielt, große Verwunderung
erregte. Nach der Rückkehr nahm er mit dem Hofe feinen Wohnfit
in Stuttgart, wo er 1484 Aſſeſſor beim Hofgeriht und 1485 zum
Anwalt de8 Dominikanerordens für ganz Deutjchland gewählt wurde,
Bon Stuttgart aus machte er auch mehrere Gefchäftsreifen, jo 1492
mit dem Herzog Eberhard zu Kaifer Friedrich III. nad Linz, wo
er fih bis ing folgende Jahr aufhielt und fammt feinem Bruder
nicht nur im den Adelsftand erhoben wurde, fondern auch den Titel und
die Mechte eines Faijerlihen Pfalzgrafen erhielt. Dort fand er endlid)
auch die langgefuchte Gelegenheit, die hebrätfche Sprache zu lernen, indem
er darin von dem kaiſerlichen Leibarzt Loans, einem Juden, unter:
richtet wurde,
168 Neuntes Kapitel, Pforzheim im 15. Jahrhundert.
Bald nad feiner Rückkehr nad) Stuttgart gab er feine berühmte
Schrift: „Vom wunderthätigen Wort“ 1) heraus, Leider war feines
Bleibens daſelbſt nicht mehr lange; denn ala Herzog Eberhard 1496 jtarb,
mußte Reuchlin Württemberg als Flüchtling verlaffen, da Eberhard der
Jüngere fein Feind war, Er wandte fi) nach Heidelberg, wo er frobe
Tage verlebte und mehrere Werke jchrieb, jedoch ein akademiſches Lehr:
amt nicht bekleidete, Der Kurfürſt ernannte ihn 1497 zum furfürftlichen
Rath und oberften ZJuchtmeifter der kurfürſtlichen Söhne gegen hundert
Gulden Gehalt, ein Hofkfeid und Entſchädigung für zwei Pferde. Auch
Reuchlins Bruder, Dionys, war damals in Heidelberg, ftieß aber in feinen
Bemühungen, einen Lehrſtuhl für griechiſche Sprache an der Univerfität
zu errichten, auf den entjchiedenten Widerftand der dortigen Mönche.?)
Bon dort machte J. Neuchlin im Auftrag des Kurfürften 1498 feine zweite
Reife nach Nom, erntete dajelbft durch feine Gelehrfamfeit von Neuem
allgemeine Bewunderung, und hatte die Freude, bald nachher wieder nad)
Württemberg zurüdfehren zu können, da fich die Verhältniſſe unterdejjen
geändert hatten. Aufs Neue gab er fich dort wifjenfchaftlichen Arbeiten
bin, die mehrere Schriften zur Folge hatten, 3) aber freilich auch durch
die. Gefchäfte eines Bundesrichters des ſchwäbiſchen Kreiſes, wozu er
1502 mit einem Gehalt von 200 Gulden ernannt wurde, häufige Une
terbrechungen erlitten. Nebenbei fette ev das Studium der hebräifchen
Sprache fleißig fort, und es ift faſt unbegreiflich, wie er zu allen dieſen
Beichäftigungen und Studien, wozu neben einer Korreſpondenz, die. fich
auf die gelehrte Welt in Deutichland, Frankreich und Italien ausdehnte,
noch verfchiedene Neifen und Gejandtichaften kamen, Zeit und Kräfte
finden Tonnte. Im Jahr 1506 erfchienen feine „Anfangsgründe
de8 Hebräifhen“ Pforzheim bei Anshelm), ein Werk, wodurch
Reuchlin auf diefem Gebiet die Bahn brach. Von Stuttgart aus mochte
) De verbo mirifico. Die erften Auflagen erichienen in Baſel, die ſpätern
in Tübingen.
2) Diefer jüngere Reuchlin fieht im Matrifelbud der Univerfität Heibel-
berg am 26. Juli 1498 eingefchrieben ald M. Dionysius Rüchlin de Pforzen.
3) So auch die Gelegenheitſchrift: „Doktor johanes Reuchlins tütfch mifftve,
warumb die Juden fo lang in ellend find, Datum in Wyhenacht
feiertagen zu einem guten feligen jar. Ad anum 1505. Gebrudt zu Pforzheim.“
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15, Jahrhundert. 169
er auch dann und warın wieder nach Pforzheim gekommen fein, und vermuth:
fich hielt er bei einem folchen Beſuch die Vorträge, an welche der fogenannte
Reuchlin'ſche Hörſaal in der Schloßkirche, das einzige Denkmal, das
jeine Vaterſtadt noch aufzumeiien bat, erinnert, ') Bei feinem jedesma-
ligen Aufenthalt in Pforzheim, wo fih von 1507 an der Grofneffe
Reuchlins, Philipp Melanchthon aus Bretten befand, ?) prüfte er auch)
immer forgfältig die Kortichritte des Knaben und belohnte fie bald mit
griechiichen, bald mit Lateinifchen Büchern. Bei einer diefer Befuchsreifen
wurde Reuchlin von den gerade verſammelten Geiftlichen des Pforzheimer
Landfapitels zum Gaftmahl geladen; da trat nad) Beendigung des Mahles
der geliebte Knabe mit Irenikus und andern Mitſchülern vor die Gäfte
und führte eine Lateinische Komödie auf, welche Reuchlin damals
herausgegeben hatte. Bei diefer Gelegenheit verwandelte auch Reuchlin
‚den beutichen Namen des Knaben, Schwarzerd, in das griechifche
Melandthon. 3)
Bald darauf begann der „Judenſtreit“, der die Übrige Lebenszeit
Reuchlins fo ſehr verbittern follte. Ein getaufter Jude, Johann Pfeffer:
korn, griff teils aus eigenem Haß gegen feine ehemaligen Neligionsgenoffen,
theils als Werkzeug der Dominikaner zu Köln, die Juden durch Wort
und Schrift aufs Heftigfte an und beſchuldigte fie, daß in ihren Schriften
gottesläfterliche Dinge enthalten wären. Die Sache erregte großes Auf:
fehben und kam bis vor den Kaifer Marimilian, der die Vernichtung
aller hebräifchen Bücher gebot, welche eine Schmähung des Chriſtenthums
1) Diefes „Collegium Reuchlinianum“ befindet ſich über ber ehemaligen
Eafriftei (Südſeite der Schloßfirhe). Dort war auch die Bibliothek Neuling
(S. 171) aufgeftelt, Der Grabjtein, den Reuchlin feiner Mutter mit ber
Inſchrift ſetzte: „Elissae Eckinae Georgii Reuchlin uxori, Johannes Capnion filius
matri pientissimae posuit,‘* ift Jeiber nicht mehr aufzufinden, obgleich er noch
vor wenigen Jahren vorhanden gewelen fein muß.
2) Nah bem Tode des Baters und Grofvaters Melanchthons zog bie
Wittwe des Lebtern, die Schweiter Reudlins, 1507 mit ihren zwei Enkeln nad
Pforzheim, wo Philipp bie lateinische Schule befuchte.
3) Nach der Sitte der Gelehrten jener Zeit. Der griehiiche Name Reuch:
lins war Kapnion. Es ift auffallend, daß Reuchlin unter diefem Namen
wenig, Melanchthon dagegen unter feinem deutichen Namen Schwarzerd fait
gar nicht befannt iſt.
170 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert.
enthielten. Da letzterer Umftand aber ſchwer zu ermitteln war, fo ging
Pfefferforn noch weiter und verlangte, daß alle Bücher ber Juden, mit
Ausnahme des neuen Teftamentes, verbrannt werden follten. Darüber
wurden von mehreren Univerfitäten und Gelehrten, unter andern auch
von Reuchlin, Gutachten eingeholt, und diefer erklärte ſich 1010 ent:
ſchieden gegen ein folches gewaltthätiges Verfahren, das ficher die erwartete
Wirkung nicht haben, fondern nur Erbitterung erzeugen werde, und das
ohnehin aud gar nicht gerechtfertigt fei, da die Bücher der Juden nichts
Schlimmes, fondern im Gegentheil recht viel Gutes enthielten, das fich
auch der Chrift zu nu machen könnte, Sebt fielen aber die Domini:
kaner mit aller Gehäffigfeit über ihn her, und Pfefferforn gab gemein:
ichaftlih mit dem Profeffor und Dominifanerprior Jakob von Hoog:
ftraten eine Schrift unter dem Titel „ Handipiegel” heraus, welche die
gröbften Schmähungen gegen Reuchlin enthielt. Neuchlin blieb aber feinen
Gegnern die Antwort nicht ſchuldig und jchrieb feinen „Augenfjpiegel,“ 1)
worin er fih auf das Kräftigfte vertheidigte. Damit hatte er aber
Del ins Feuer gegofien; denn jebt fing der Streit erft recht an, und
namentlich wandte fich der Angriff der Mönche nunmehr gegen die eben
genannte Schrift. Es würde zu weit führen, bier den ganzen Verlauf
des literariihen Kampfes zu verfolgen; es genüge die Bemerkung, daf
faft das ganze gelehrte Deutfchland daran Theil nahm, und die aufge:
Härtern Geifter auf der Seite Neuchlins ftanden, darunter auch die be:
rühmten Ritter Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen. Nament:
ih war es letzterer, der durch fein emergifches Auftreten für Reuchlin
die Dominikaner in Köln dahin brachte, daß fie in Nom am Ende felber
die Niederfchlagung des gegen Reuchlin eingeleiteten Prozefies erwirken
und diefem die durch denfelben erwachjenen Koften wieder erfeßen mußten.
Nach Außen bin aber hatte diefer Streit mächtig gewirft und die
Geifter jo aufgeregt, dak er den Mönchen gegenüber mit der Feder noch)
lange fortgefegt wurde. Nicht wenig trug auch das Zuſammenſchaaren
der ausgezeichnetften Männer Deutichlands um Reuchlin dazu bei, daß
dadurch für die bald darauf erfolgende Neformation eine breite Grund:
lage gewonnen wurde und Luther mit feinem entjchiedenen Auftreten
nicht vereinzelt daſtand. Dieſer Neformator hatte vor Reuchlin die
') 1511 bei Anshelm in Tübingen erfchienen,
Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15. Jahrhundert. 171
größte Hochachtung, was namentlich ber Brief beweist, den er am
14. Dezember 1518 an ihn fehrieb, und Neuchlin rief bei der erften
Nachricht von dem offenen Auftreten Luthers erfreut aus: „Gott Rob,
nun baben fie einen Mann gefunden, der ihnen fo blutfaure Arbeit
machen wird, daß fie mich alten Mann wohl in Frieden werden Hin
fahren laſſen!“
Doch follte den alten Mann noch verfchiedenes Ungemach treffen.
Wegen gefährlicher Kriegsunruhen war er 1509 genöthigt, nach Ingol—
ſtadt zu flüchten, ohne die Liebe feines Lebens, feine Bibliothek, mitneh—
men zu können. Im Anfang litt er dafelbft bittern Mangel; fpäter
befierten fich aber feine Berhältniffe wieder, namentlich als er an der
dortigen Univerfität Vorlefungen über griechifche und hebräiſche Sprache
eröffnete. Bald aber vertrieb ihn die Peſt wieder aus Ingolſtadt und
er kehrte nach Stuttgart zurüd, wo er fein Hauswefen wieder einzurich
ten gedachte. Aber die Univerfitit Tübingen ließ ihn einladen, daſelbſt
feine Borlefungen fortzufeßen. Schon waren die nöthigen Einleitungen
dazu getroffen; bereits hatte die Kunde, daß der berühmte Mann wieder
lefe, viele Studenten, namentlich aus Heidelberg herbeigezogen: als die
andauernde Kränklichfeit Neuchling in ein gefährliches Fieber ausichlug.
Bergebens war 1522 eine Badkur in Liebenzell; man bradte den
Kranken nah Stuttgart zurüd und am 30. uni. 1522, in feinem
67. Jahre, fam Reudlin zur Ruhe. Auf dem Lazarethirchhofe in
Stuttgart liegt er begraben.
Seiner PVaterftadt hatte er ſchon ein Jahr vor feinem Tode feine
reihe Bibliothet mit der Beſtimmung vermacht, daß diefelbe im
St. Michaelsſtift dafelbft zu freiem Gebrauch aufgeftellt werben follte.
Pforzheim befitt aber diefe Bibliothek Tängft nicht mehr. Sie wurde
nämlich im dreißigjährigen Krieg nad) Weilerftadt geflüchtet, und nach
mancherlei Verſchleppungen kam der Reft davon in die Großherz. Hof:
bibliothet in Karlsruhe, wo ſich namentlich auch noch die auf Pergament
geſchriebene hebräifche Bibel befindet, welche Kaifer Friedrich III. Reuch—
Iin in Linz gefchenft hatte. — Zu Anfang diefes Jahrhunderts war in
der Schloßlirche noch der Katheder und Bücherkaſten Reuchlins zu fehen. 1)
Das Geſchlecht der Reuchlin, das in Pforzheim längſt nicht mehr
) Roller, Beſchreib. von Pforzheim, ©. 15.
172 Neuntes Kapitel. Pforzheim im 15, Jahrhundert.
vorfonmt, bat der Bruder von Johannes, Dionys, fortgepflanzt. Derfelbe
wurde nämlich fpäter Geiftlicher im Elſaß, nahm eifrigen Antheil an der
Reformation und verheirathete fi. In jenem Land und im gleichen Stand
blieben fpäter auch die meiften feiner Nachkommen, und blüht das Ge—
ihleht der Reuchlin fowohl in den Niederlanden, als in Württemberg
nody fort. 9)
) Frühere Biographen Reuchlins ftellten unter Mittheilung von Geſchlechts—
vegiftern die Behauptung auf, daß das Geichlecht der Neuchlin 17383 mit einem ,
in diefem Jahre au Straßburg verftorbenen Geifllihen, Friedrih Jakob R.
erloichen fei. Es hat jedoch ein 1782 ebınfalla zu Etraßburg mit Tod abae:
gangener Wunbarzt, Andreas Franz Reuchlin, männliche Nachkommenſchaft
binterlaffen, und ftammen die noch lebenden Reuchlin (darunter der Ge:
Ihichtichreiber Herrmann Reuchlin) von ibm ber, — Das diefem Abichnitt
beigenebene Bildniß Johann Reuchlins ift nach dem Delporträt gemacht,
welches aus der VBerlafjenichaft des erjten ausführlichen Biographen Reuchlins,
des Profeffors Mai in Gießen, in ber bortigen Univerfitätsbibliotbef aufbe:
wahrt wird und auch ſchon Thorwaldfen für feine Walhallabüſte gedient bat.
Das Facfimile ift einem der Reuchlin'ſchen hebräifchen Godices in der Großh.
Hofbibliotgef zu Karlsruhe entnommen. — Beides, Porträt und Facfimile,
findet fich bereits als Titelbild in der oben angeführten Schrift: „Johann
Reuchlin, eine biographiihen Skizze v. Dr. Ramen“, und fonnte der noch
vorhandene Stein, der dort ſchon zu lithographiſchen Abzügen diente, auch
bier benüßt werben,
Schntes Bapitel,
Pforzheim unter Marfgraf Ehriftoph,
(1475 — 1515.)
$ 1. Allgemeines. 1)
Markgraf Karl I. Hatte drei Söhne hinterlaffen. Der jüngfte,
Friedrich, betrat die geiftliche Laufbahn, während die beiden ältern, Chri—
ftoph und Albrecht, 1475 vom Kaifer die Belehnung mit den badifchen
Landen empfingen und diejelben auch gemeinfchaftlic vegierten. Im
Jahr 1482 geſchah jedoch eine Theilung zwischen den beiden jungen
Markgrafen; allein ſchon nad 6 Jahren vereinigte Chriftoph nach erfolg:
tem Tode feines Bruders Albrecht ſämmtliche badische Lande wieder in
feiner Sand. Diejelben beftanden damals aus der Markgrafſchaft Ba:
den, weldhe die Aemter Pforzheim, Durlach, Ettlingen, Mühlburg,
Graben, Kuppenheim, Naftetten, Steinbah, Neu-Eberſtein, Bühl und
Stollhofen umfaßte, aus der Herrſchaft Hachberg, der halben Graf:
haft Eberjtein, der halben Herrichaft Lahr (pfandweife), den Aem—
tern Altenfteig und Liebenzell und der halben Grafſchaft Spon-
beim. Während feiner langen Regierungszeit aber vergrößerte Mart:
graf Ehriftoph fein Land durch zahlreiche Erwerbungen, fo namentlich
in Folge eines Erbvertrags mit dem letzten Sprößling des hachbergifchen
Hauſes durch die Landgrafihaft Saufenberg mit den Herrichaften
Nöten und Badenweiler. Bon fonftigen Erwerbungen in der Näbe
von Pforzheim find folgende zu nennen: Im Jahr 1483 übergab
Bartholomäus von Gertringen an Markgraf Chriſtoph zwei Theile an
dem Dorf Wyler (Meiler), die Theile an den Vogteien zu Singen
1) Vergl. hiezu neben Sachs und andern mehrfach ſchon angeführten
Merken für badiſche Gefchichte namentlich den Auflag : Eine altbadiiche Fürſten-
geftalt, von Bader in feiner Babenia (Jahrgang 1858),
474 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
und Mutſchelbach mit allen Zugehörungen, den Hof zu Treyß (Trais
bei Königsbach), zwei Huben zu Nöttingen, 1'/, Huben zu Wilferdingen,
den halben Kirhenfab und halben Raienzehnten zu Nöttingen, wie er
(Gertringer) und feine Vorfahren Solches von der Markgrafihaft Baden
zu Lehen getragen, gegen ein jährliches Leibgeding von 1400 Gulden.
Schon das Jahr vorher 1482 hatte er von Abt Johannes und dem
Konvent des Klofters Maulbronn ein Viertheil des Dorfes Niefern
um 1200 Gulden gekauft; zwei weitere Viertel des Ortes erftand der
Markgraf 1510 von Ritter Georg von Bad um 2400 Gulden und
ein gegen der Frühmeſſe zu Altenfteig übernommenes Kapital von 1000
Pfund Hellers, nebft der Verbindlichkeit einer jährlichen Gülte von
2 Pfund Hellers und 8 Malter Korngelds an die Frühmeſſe zu Nie:
fern. Im eben genannten Jahr 1482 erfaufte der Markgraf von Elfe
Billing, Wittwe des Heinrich Wyler zu Pforzheim, ein Viertheil des
Dorfes Eifingen um 550 Gulden; ein weiteres Viertel diefes Ortes
erftand er 1495 von dem Nitter Ludwig von Illingen, genannt von
Mingen, um 1519 Gulden. 1) Einen Theil des Dorfes hatte ſchon
Markgraf Bernhard 1415 von Reinhard Hofwart von Kirchheim erkauft,
fo daß aljo jeßt das ganze Eifingen badiih war. — Bemerkt mag bier
noch werden, daß Markgraf Ehriftoph im Jahr 1499 die Burg Liebened,
welche ſchon 1466 nebjt dem Dorfe Würm von den beiden Markgrafen
Bernhard und Karl um die Summe von 800 fl. an den Pforzheimer
Obervogt Paul Leutram (Leutrum) von Ertingen verpfändet worden
war, an den Sohn besjelben, Ludwig Leutrum von Ertingen, fammt
dem Dorfe Würm mit „Leuten, Gütern, Beten, Steuern, Zinfen, Ge:
fällen, Gerichten, Freveln, Einungen, Dienften und Frohndienften, Wald,
Waſſer, Aedern ꝛc.“ als Erblehen übergab, und daß Liebened bis zum
Jahr 1828, wo ein Austaufch verfchiedener Herrichaftsgüter gegen
') Bon den beiden Zeugen: Konrad von Enzberg und Erhardt Theurlinger
oder Thorlinger findet fich der Grabftein des letztern, ber 1480 das freiherrl.
von Nippenburg’she Haus am Schloßberg Faufte, in ber Schloßkirche. Auf
demſelben erblickt man die Geftalt Ihorlingers in ritterlichen Gewand, neben
ihm die feiner Frau. Der Grabftein trägt die Umſchrift: Anno dni 1528 vff
den fünft tag mertz starb der vest Erhart Thorlinger, Anno dni 1472 vfl sundag
nach philippi vnd Jacobi starb die ersam fraw vrsel Thorlingerin der sel in
friden ruhe. — Konrad von Enzberg ftarb 1497 und wurde bei den Barfüßern
begraben. (Cruſius, ſchwäb. Chronik.)
Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 175
Leutrum'ſche Beſitzungen ftattfand und die Burg felbft fammt dem
umliegenden Grundeigenthum wieder an den Staat fiel, im Befiß ge
nannter Familie war. 1)
Außer den angeführten Erwerbungen wurde Markgraf Chriftoph von
Kaifer Friedrich III, und deſſen Sohn Kaifer Marimilian I., denen er
wichtige Dienfte leiftete, als Belohnung dafür mit verfchiedenen Ländereien
belehnt und unter Anderm aud) zum Gouverneur des Herzogthume
Luremburg ernannt.
Obwohl ſich nun Ehriftoph an Neichsgefchäften lebhaft betheiligte
und dabei wie wenige andere Fürften das volle Vertrauen der beiden
genannten Kaifer genoß, am deren Hof er fich deshalb auch häufig be:
fand, fo war er dennoch für das eigene Haus und Volk fo landesväterlich
beforgt und thätig, daß man ihn mit vollem Recht den „Karl Friedrich“
feiner Zeit nennen darf, Denn abgefehen von den Ergänzungen und
Erweiterungen feiner Yande, lag ihm deren innere Sicherheit und Ord—
nung zunächſt am Herzen.
Strenge hielt der Markgraf in feinen Gebieten auf die Handhabung
des vom Kaifer Marimilian 1495 verfündeten ewigen Landfriedeng,
deſſen Einführung durch ihn ſelbſt fo jehr gefördert worden war, und
ebenjo trat er gemeinfchaftlih mit andern Neichsftänden dem Unweſen
ber-Vehmgerichte Fräftig entgegen. Irrungen und ftreitige Verhältniſſe
im Land oder mit benadhbarten Herren und Städten fuchte der friedfame
Fürſt durch Verträge zu fehlichten und zu vereinigen, während jeine
Schukbündniffe mit den angeſehenſten Häufern die Markgrafſchaft nad)
— —
1) Da die Herrn von Leutrum in ber Geſchichte Pforzheims vielfach vorkommen,
jo mögen einige Notizen über diefelben hier fteben. Die Familie von Ertingen ent«
fprang aus dem Orte Ertingen (jegt ein Marftfleden von etwa 2000 Einwohnern)
bei Riedlingen (Württemberg) an der Donau, wo fie auf der benachbarten Höbe
eine Burg erbaut hatte. In Urkunden des Eifterzienfer:Klofters Salem fommen
ſchon 1280 ein Adelbert, Heinrih und Bertbold von Ertingen vor. Die Er:
tinger gebörten urfprünglich zu den Lehensleuten der Grafen von Wartftein,
verbreiteten fich aber nachmals in verfchiedenen Gegenden. Ein Aft der Familie
fiedelte fich zu Biberach bürgerlich an und erlofch 1440 mit dem dortigen Bür—
germeifter Sigmund von Ertingen. Der andere Aft dagegen pflanzte fi in
dem Zweig ber Leutrum von Ertingen bis auf unſere Tage fort, wobei ber
alte alemanifche Mannsname Liutram in ber Familie erblih und durch Vor:
fegung anderer Perjonennamen Gejhlehtsname wurde. (Die Schreibart
Leutrum ift eigentlich unrichtig.) Vergl, hiezu: Bader, Herrmann V., ©, 101,
176 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftoph.
Außen hin befeftigten. Hauptſächlich aber war Chriftoph auf eine zeit:
gemäße Erneuerung der alten Landes: und Stadtordnungen bedacht.
Mas er darin für Pforzheim that, wird in einem befondern Kapitel
ausführlicy gezeigt werden. Es darf uns deshalb nicht wundern, wenn
ihm ein Zeitgenofje 1) folgendes Zeugniß gibt: „An Seelenavel und
Biebderkeit übertrifft der Markgraf von Baden alle übrigen Fürften in
Deutichland; die ganze Seit her hat der Kaifer nichts Wichtiges ohne
ihn unternommen, da er aucd einer der verftändigften und tapferften
Herren des Reiches iſt.“ Don feiner durd und durch ehrenhaften Ge:
finnung zeugt namentlich, jein Benehmen gegen den Pfalzgrafen Philipp.
Diefer war vom Kaifer in die Acht erklärt worden, und verjchiebene
Türften benüßten diefen Umftand, um im Trüben zu fiſchen und
Zändereien des geächteten Fürften an fich zu reißen. Auch dem Mark:
‚grafen muthete man zu, bei einer fo günftigen Geleyenheit dasjenige
wieder an fich zu bringen, was der Pfälzer Fritz feinem Vater ab:
genommen hatte. Allein Ghriftoph wies ſolch Anfinnen mit den
Worten von fih: „Ehr’ und Eid geh'n über Land und
Kent!"
Nur einen großen Fehler beging der edle Fürft für die Yu:
funft feines Landes: die Wertheilung desjelben unter feine drei
weltlichen Söhne! Er traf nämlich 1515 die leidige Verfügung, daß
nad) jeinem Tode fein älteſter Sohn Bernhard die ſponheimiſchen
und luremburgifchen, fein mittlerer Sohn Philipp die badiſchen,
eberfteinifchen und Iahrifchen, der jüngfte aber, Ernft, die hadybergi-
hen, faujenburgifchen, rötelnfchen und badenweilerihen Lande und
Befigungen erhalten ſolle. Wegen Kränklichfeit übergab er feinen
Söhnen ſchon damals die Werwaltung der bezeichneten Länder auf
vier Jahre, Bald jedoch gejellte fi) bei ihm zu des Leibes Blödig—
feit aud noch eine Gemüthsfrankheit, fo daß er unter die Vormund—
fchaft feiner eigenen Söhne gefegt werden mußte. Der greife Herr
erlangte feine Gefundheit nicht wieder, lebte aber noch bis 1527,
in welchem Jahr er in feinem Schloffe zu Baden verfchied.
Die Regierung des Markgrafen Chriftoph ſowohl, als feiner
nächſten Nachfolger fiel in eine Außerft bewegte Zeit. Unter ben
1) Beroaldo, der Erzieher des erften Sohnes von Ghriftopp, in ber
Widmung einer von ihm herausgegebenen Echrift.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Ehriftoph. 177
altherfömmlichen Einrichtungen, Berfaffungen, Gefegen, Sitten und
Anfhauungen, welhe dem Mittelalter jein eigenthümliches Gepräge
verliehen, hatten fi) gar manche überlebt, während eine Menge fo
bedeutender Neuerungen in das öffentliche und Privatleben eindrangen
und fich dort geltend machten, daß dadurch für die menjchliche Ge—
jellichaft eine neue Sulturperiode begründet wurde. Es gejchah dies
bauptfählih dur die fo wichtigen Erfindungen und Entdedungen,
welhe im 15. Sahrhundert und zum Theil ſchon früher gemacht
wurden. Don erftern ift namentlich die des Schiekpulvers und
ber Buchdruderfunft, von den Entdedungen die des Seewegs nad)
Dftindien und insbejondere von Amerifa zu nennen. Durch alle
diefe Ereigniffe traten in Wiflenfchaft und Kunft, in Kirche und
Staat, in Politik und Kriegswefen, in Handel und Gewerbe, folche
Veränderungen ein, daß jene Zeit wohl mit der unfern, in der Dampf:
mafchinen, Eifenbahnen und Telegraphen eine fo wichtige Rolle fpielen
und bereits fo mächtige Umgeftaltungen zu Stande gebracht haben,
wohl verglichen werden fann. Am meiften machte ſich aber die Er:
regtheit der Geifter auf kirchlichem Gebiete geltend, und es fällt noch
in die leßten Lebensjahre des Markgrafen Chriſtoph, die freilich bereits
geiftig umnachtet waren, jenes folgenveiche Ereigniß, welches in der
Gefchichte unter dem Namen der Reformation befannt ift, Dei
ihr wird jedoh erft im 12. Kapitel ausführlicher verweilt werden,
$ 2. Beſonderes.
Markgraf Chriſtoph hatte feine gewöhnliche Reſidenz in Baden, wo
er zuerft im obern oder alten, fpäter aber in dem von feinem Vater
Karl I. gebauten neuen Schlofje wohnte. Im Stadtbrief von 1510
erflärte Chriftoph die Stadt Baden für die „erjte und fürnehmſte“ feines
Fürſtenthums; doch machte ihr darin Pforzheim als größte Stadt
des Landes immerhin Konkurrenz, Vorübergehend mag ſich der Mark:
graf auch in Pforzheim aufgehalten haben; zu einem längern Verweilen
ſcheint e8 nie gekommen zu fein; wenigftens findet ſich über foldyes nir—
gends eine Andeutung Wie wohl übrigens Chrifteph der Stadt wollte
und welchen Werth er auf fie Iegte, zeigt fi) am Beiten in der „Orb:
nung und Polizei,“ welche er ihr 1491 verlieh. Wir werden im
Pflüger, Pforzheim, 12
178 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
folgenden Kapitel ausführlicher dabei verweilen. Wir bemerken nur bier
ion, daß fich der edle Fürſt durch feinen Freiheitsbrief in der Stadt
Pforzheim ein Denkmal gefetst hat, das mehrere Jahrhunderte überbauerte;
und wenn der Brief auch bei veränderten Zeitverhältnifien feine Bedeu:
tung verlor und zuletzt ganz außer Kraft trat, jo verdient doch der Fürft,
der einft Pforzheim jo manche Vortheile zumandte und damit eigentlich
ben eriten Grund zur fpätern Bedeutung der Stadt Iegte, für immer
ein danfbares Andenken
Sehen wir ung nad diefen Vorausſchickungen näher nach demjeni—
gen um, was für die innere Gefchichte der Stadt in mehrfacher Be—
ziehung von Bedeutung it. Den Zoll, der dem Markgrafen Karl I.
von Kaifer Friedrich III. von allen Fuhrlenten auf allen Straßen inner-
halb einer Meile von Pforzheim zu erheben verftattet wurde (©. 156),
beftätigte derjelbe Kaifer 1477 aud dem Markgrafen Chriftoph, wodurch
biefem eine nicht unbedeutende Duelle des Einkommens offen blieb, die
er auch fpäter für fi allein in Anfpruch nahm, als er von andern in:
direften Steuern einen Theil der Stadt überließ. Am Jahr 1482
verficherte Markgraf EChriftoph eine Summe von 600 Gulden, melde
Markgraf Albrecht von Brandenburg dem Stift Baden, wo kine Toch—
ter Amalie begraben war, gegeben hatte, auf die Städte Pforzheim und
Ettlingen. 1) Der Entwidlung des Handels und der Gewerbe war ber
ber Stadt 1491 verliehene Privilegienbrief äußerſt günftig, da verſchie—
dene Beftimmungen bdesfelben, wie 3. B. die Errichtung eines Geld:
wechfels, hauptjächlic darauf berechnet waren. Zu den Giemerben, die
damals, wie früher fhon, in befonderer Blüte ftanden, fcheint in erjter
Reihe das der Tuchmacher gehört zu haben, Diefelben waren entweder
Tucher, die ganzes Tuch machten oder Sergenweber, die Sarſch
(serge) oder leichten Mollenzeug verfertigten; es gehörten zum Hand:
wert aber auch nod) die andern Gewerbe, die ſich mit der Verarbeitung
ber Wolle beichäftigten, alfo Spinner, Kämmer, Walker u. dgl. Für
dies Mollengewerbe, das damals in der ganzen Marfgraffchaft von
großer Bedeutung gewefen zu fein fcheint, erſchien 1486 eine eigene
„Wollenwebersrönung”, die nicht weniger als 128 Paragraphen zählte
und als frühes Beifpiel einer Gewerbeordnung für ein ganzes Fürften:
‘) Sachs, II, X.
Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 179
thum alle Beachtung verdient. ') An die Tucherzunft verkaufte
bie Stadt mit Genehmigung des Markgrafen unterm 13. Februar 1497
ihre „walkmuele mit dev oelſſahin und ſlyffmuele an der Enk, auch die
bofftatt dazwueſchen ußwendig Bretzynger vorftat by der ziegelhuette,
funder auch den vamgarten underhalb dem nuwen thurn binder der
obermuele gelegen, mit ix aller begriffe, rechten und zuogehorungen.” 2)
Dafür mußte das Gewerbe auf Martini eines jeden Jahres bezahlen:
an die herrſchaftliche Amtskellerei zu Pforzheim 7 Pfund 6 Sch. Pfg.,
dem Spital auf Frohnfaften 1 Pfd. 21/, Ch. Pfg. an Et. Antonien
Altar 1 Pd, an St. Michaels Stiftsbau 10 Sch. Pfg., ebeudahin auf
Pfingften 2'/, Sch. Pf. und dem Frauenklofter (dev Dominikaneriimen)
vom Nahmgarten 10%/, Sch. Pf. Dafür erhielt aber dag Gewerbe
auch den Ertrag von der mit der Malkmühle verbundenen Delfchlag
und Schleifmühle mit jährlihen 4 Ps. 21), Sch. Pig. Aus diefen
Raften, die ein Kapital von über 1000 Gulden vepräfentirten, gebt her—
vor, daß die Zahl derer, welche dem Wollengewerbe angehörten, fehr
bedeutend gewejen fein muß. Ohne Zins wurde den Tuchern ferner
überlafien „um ire tuochramen fuerter zuftellen und ufzurichten” der
„platz ußwendig der ftatt ffeifthore underhalb der ſteynyn Brucken zwiſchen
der ſtattmuere und der Ente.” Ebenſo wurde ihnen bei der Walkmühle
felbft ein Plat eingeräumt, um „zwo vamen zuo wiflingen (grober, ge:
wöhnlich ſchwarzer Zeug, defien Zettel Leinengarı, der Einſchlag Wolle,)
oder tuochen zu ſetzen.“ Ferner wurde ihnen vom Markgrafen zuge:
fihert, daß er ihnen, wenn fie „ein nuw waldmuele an der Wirm bu:
wen woelten”, zu diefem Zwecke „ein gelegen bofftatt dartzuo auch one
fundern zins und andere befwernis geben und volgen laſſen moelle,“
Man fieht hieraus, wie fehr der Markgraf diefes wichtige Gewerbe zu
beben bemüht war. chen einige’ Jahre nach dem Uebergang der
Walkmühle an die Tuchmacher geriethen diefe 1604 in Streit mit dem
Obermüller Theus Müller wegen des Neinigens des Mühlkanals, der
durdy den Markgrafen geichlichtet wurde. 3)
1) Sie ift abgebrudt in Mones Zeitſchrift, IX, 147 ff. Ein Sergenweber
war auch Hans von Lienzingen, deſſen Grabftein fib außen an der Südſeite ber.
Schloßkirche befindet und der 1519 ftarb,
2) Urfunde im ftädtiichen Archiv. Vergl. auch Zeitfchrift für Gefchichte
bes Oberrheins, IX,, 160.
2) Vergleich im ftädt, Archiv.
12*
180 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
Aus den Gemwerbeordnungen, die Markgraf Chriftoph gegeben hat
und von denen unten mehr die Rede fein wird, läßt ſich entnehmen,
da auch noch andere Gewerbe damals in Pforzheim von großer Be
deutung waren und Pforzbeim überhaupt, wie früher ſchon, den Rang
als erfte Gewerbftadt der Markgraffchaft behauptete, Weiter oben
(S. 159) war bemerkt, daß Pforzheim einen geichieften Armbruftmacher
gehabt hätte. Einen „Hubenſchmied“, (S. 164) d. h. Hauben- oder
Pickelhaubenſchmied erhielt e8 1491 und wurden demfelben in Anbetracht,
daß er „feines handwerks geübt und ſubtyl“ fei, vom Marfgrafen be
fondere Freiheiten verliehen, wie dies im Mittelalter bei Waffenfchmieden
nicht felten gejhah.t) Letztere waren in Pforzheim natürlich ſehr noth:
wendig, da jeder Bürger wehrhaft fein mußte. — Wie früher des ge
ſchickten Holzichnigers Johannes Kern erwähnt wurde, jo treffen wir
4502 auf einen ähnlichen Pforzheimer Künftler, Antonius Bild—
ſchnitzer,?) bei dem, wie in andern Fällen, letzterer Name zugleich
Geſchäfts- und Gefchledhtsbezeihnung war. Näheres über ihn und feine
Geſchicklichkeit ift jedoch nicht befannt.
Der Pforzheimer Gelehrtenſchule, die unter der Negierung Markgraf
Chriſtophs ihre größte Blüte erreichte, werden wir einen befondern Abfchnitt
widmen. Gleiches ſoll bezüglich der Buchdrucderei geichehen die Pforzheim
fhon 1502 erhielt. Erwähnenswerth find aber bier noch zwei Männer,
die ſich als Schriftfteller in ihrem Fach ausgezeicdnet haben, Der eine
ft Alerander Hug, Stadtichreiber zu Pforzheim ſchon um 1487 big
noch 1529 (vorher in gleicher Eigenschaft zu Calw). Er gab ein Buch
heraus unter dem Titel: „Nhetorica und Kormulare beinah aller
Schreiberei.“ Dasfelbe wurde im 16. Jahrhundert in Tübingen häufig
aufgelegt; 3) — Der andere, der einen großen Namen in der Arznei:
tunde hatte, ift Johann Widmann, in lat. Ueberfegung Salicetus,
— — — —— — nn
1) Vergl. Mone, Zeitſchrift, VE., 186.
2) Pforzheimer Lagerbuch von 1502, ©. 35 und Mones Anzeiger, V., 390.
3) Vergl. Stälin, IM, 777. — Ein Brief, der wahrſcheinlich von ihm
berrührt und am Samftag nad Martini 1486 geichrieben ift, (er ift bloß
„Stadtſchreiber von Pforzheim” unterzeichnet), findet fih im Landesarchiv.
Derfelbe ift an den damals in Baden ſich aufbaltenden Vogt von Pforzheim, Hans
von Küngſpach, gerichtet und betrifft Ungeld- und andere Einzüge. Eine
Nachſchrift am Schluß lautet: „Lieber junkher wüft ich das ir ein brettipil zu
Baden vermöchten, jo wölt ich zu euch fomen.“
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 181
genannt Möchinger (nah Maichingen, feinem Geburtsort), In Pavia
in der Arzneifunde ausgebildet und mit dem Doktorhute geſchmückt,
wurde er 1480 marfgräflich badifcher Leibarzt zu Naftatt und 1484
ordentlicher Lehrer der Arzneikunde an der Univerfität zu Tübingen, wo
er großen Beifall fand. Im Auguſt 1492 bejtellte ihn Kaifer Mari:
milian zum Lehrer der Arzneitunde in Freiburg; doch zog ihn bereits
im September des Jahres 1493 Eberhard im Bart wieder zu ſich als
Leibarzt und Profefjor in Tübingen. Am Jahr 1506 wurde Wid—
mann Ulmer Stadtarzt, bald darauf markgräflich badifcher Leibarzt in
Pforzheim, als weldyer er 1524 ftarb. Als Schriftjteller machte er ſich
verdient durch feine gedrucdten Abhandlungen: „Traetatus de pustulis
quae vulgato nomine dicuntur Mal de Franzos,“ (Tübingen,
1497), — „Von der Peſt“ (De pestilentia perutilis, Tübingen,
41501, vermutbhlih 2, Auflage, da diefe Schrift ſchon im der vorher:
gehenden citirt wird), — „Bom Wildbad“ (Tractatus de balneis
thermarum ferinarum vulgo Wildbaden, Tübingen, 1513), —
„NRegimen, wie man fih in pejtilenzialiihem Lufft halten
fol”, (Straßburg, 1519). Letztere Schrift ift ein umgearbeiteter Aus:
zug der erjtgenannten, den Widmann laut der Vorrede feinen Töchtern
zu Liebe in deutſcher Sprache gemaht und zum Velten des gemeinen
Volkes dem Drud übergeben bat. ')
Menden wir ung nunmehr zu den Kirchen und Klöftern der Stadt.
Die durh Markgraf Karl I. durd den Anbau eines neuen Chores
vergrößerte Stiftskirche zu St. Michael erhielt auch duch Markgraf
N) Vergleihe Fuchs, die älteſten Schriftiteller über die Luſtſeuche in Deutjch:
land, Göttingen 1843, S. 396, fowie die Schriften des Alterthumspereins zu
Baden, H., 244 und Stälin, II, 774, — Das Andenfen Bidmanns erbält
in Pforzheim cine fteinerne Tafel an einem der vordern Pfeiler der Schloßkirche,
worauf fih die Inichrift findet: Anno dni 1522 bat der wirdig bochgelert
ber Johan Widman genannt Moechinger der Argnei doctor fin ampt von
Ho KHwirdigen Sacrament des fronlihnams unſers bern Iheſu crifti
allen Donerftag In einigfeit zu Singen geftifft uff dem alltar der heiligen drey
kunig.“ Nach, der Stiftungsurfunde im Landesarchiv beftimmte er dazu ein
Kapital von 190 fl. Der Grabftein ciner 1551 gejtorbenen Tochter Wid—
manns, Cordula, verebelichten Grempin, befindet ſich ebenfalls in der Edhloß-
fire. Sie wird in der Vorrede der letzten der oben angeführten Schriften
genannt,
182 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Ehriftoph.
Chriſtoph 1487 einen Anbau auf der Nordfeite, wie die dafelbft noch
fichtbare Jahrzahl beweist. Freilich wurde die Symetrie des Baues
dadurch nicht wenig geſtört. Doch hat man in neuerer Zeit (1858)
wenigitens das Dach des Anbaues, das die ſchönen gothiſchen Fenſter des
Mittelihiffs ganz verdedte, wieder entfernt, Daß der Dechant des
Stiftes 1496 Paul Plus hieß, erfahren wir aus einer Kaufurfunde,
nach welcher Markgraf Chriftoph von ihm und dem Amtefeller Hans
Bremgarten zu Pforzheim, als VBormündern dev Kinder Hanfens von
Niefern, den achten Theil von Söllingen ſammt verfchiedenen Gütern
und Gülten daſelbſt und in Berghaufen erfaufte, 1) Ihm fcheint Jo—
hann Schölderlin gefolgt zu fein, der 1517 eine Abjchrift des Pforzheimer
Privilegienbriefes mitbeglaubigt. 2) Im Jahr 1505 errichtete Chriſtoph
eine Propſtei des Michaelitiftes, (S. 149) wozu der Biſchof von Speier
unter der Bedingung feine Einwilligung gab, daß ein Biertheil der
Gefälle des eriten Jahres bei der Einſetzung eines jeden neuen
Propſtes an ihn bezahlt werden müßte. 3) Es rief diefe Beftimmung
mehrfach Neklamationen hervor, jo 1538 bei Ernennung des Propftes
Aſtmann und 1552 bei Georg Bod. +) — Das Patronatsrecht behielt
fich inde der Markgraf vor. 5) — Im nämlichen Jahr erwarb berfelbe
von der Stadt Pforzheim das Recht der Leihung der Kanonien von
St. Fabian und St. Sebaſtian, wofür er der Stadt die Gerechtigkeit
zu St. Laurentius Altar einräumte. 65) Hauptfählih aus Grabſteinen
der Schloßkirche erfahren wir auch die Namen einiger Stiftsgeiftlichen,
fo 1485 des Vikars Johann Beſecka (S. 149), 1506 des Vikars
Sohann Mayer, 1491 geichieht Hanfen Malers, des Kaplans des
Atars St. Peter und Pauls im Stift zu Pforzheim Erwähnung , 7)
1497 des Mag. Koh. Sram, der Canonikus geworden, 8) von 1510
1) Sads, Ill, 54.
2) Städtiſches Archiv,
8) Lib. spirit, Spirit, VIII, 106.
) Landesarchiv.
5) Sachs, IIl., 75.
6) Sachs, HL, 75,
°) Hiſtoriſch geneal. Nachrichten ber Jam. Maler, ©, 1.
®) Lib, spirit, dioec, Spir. ©. 34.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Ehriftoph. 183
findet ſich der Grabftein des Canonikus Nikolaus Wyler, 1) der ſchon
1484 als Vikar des Stifts vorkommt. 2) 1521 wird Joh. Pleuß als
Ganonifus und Cantor genannt, nahdem Markgraf Philipp das Jahr
zuvor „des Sängers Amt” geftiftet hatte. Daß der Pforzheimer Stadt:
Pfarrer bis 1510 ein Dr. Peugler 3) war, und fein Nachfolger Lukas
Schleppel 1511 Weihbifhof zu Speier wurde, mag bier auch Erwäh-
nung finden, ebenſo, daß fich zwiſchen feinem Nachfolger Mathis in
Pforzheim und den dortigen Bettelmönchen ein heftiger Streit erhob, den
der Bifchof von Speier durdy den nach Pforzheim gefandten Dr. Gallus
ichlichtete. 5) Auf Mathis folgte 1520 Pfarrer Paul Pfeffer, der in
genanntem Jahr der St. Matthifenbruderihaft (S. 160) 20 fl. mit der
Bedingung vermachte, dag der Zins von 1 Gulden jährlih zur Aus:
teilung von Brod an arme Leute verwendet werden jollte, 6) 1539
wird ein Dietrih Weiler als Pfarrer in Pforzheim genannt. Dem
Ruralkapitel wurde 1539 geftattet, ein eigenes Haus zu bauen; das—
jelbe wurde jedoch 1559 wieder verfauft. — Außer den ſchon genann-
ten Grabmälern der Schloßfiche mögen noch folgende, die dem 15. und
16. Jahrhundert angehören, hier angeführt werden, fo weit fie nicht
fonft vorfommen: Don 1518 findet fih ein Denkſtein, betreffend die
Stiftung einer Mefje durch Burfard von Reiſchach, Landhofmeifters 7)
zu Baden, am Altare der heil, Dreifaltigkeit zu leſen, 1532 von Io:
1) Der Grab: oder eigentlich Gedenkftein it an einem Pfeiler des Mittels
ſchiffs befeftigt. Die Anfchrift lautet: Anno dui 1510 uff den 10. tag July
ift der wirdig her Niclaus Wyler canonid dig Stifts geftorben Ein ftifft Zweye
meß uff heilig crüß altar ein von der beilligen drivaltigfeit uff Suntag zu »
fefen, die andere uff mitwoch von dem liden crifti zu fingen Zu troft fin vatter
und mutter gefchwifterig Auch die ev injunderheit vermeynt und allen glaubigen
felen Die beilig drivaltifeit und das liden Grifti wol ir Selen gnedig barm—
hertzig tröftlich fin. In Pace quiescant Amen,”
2) Pforzheim, Renovation 1580 (im Landesarhiv).
3) Sein Grabftein ift in der Schloßkirche.
4) Remling, I, 221.
5) Adami theol, v. Pelican.
6) Nepertorium im Landesarchiv.
?) Da biejer Name, wie ber des Haushofmeifters noch mehrmals vorfommen
wird, fo fei bier bemerkt, daß der Landhofmeiſter überall im Lande ben
Fürften als defien oberjter Befehls- und Willensträger vertrat, während dem
Haushofmeifter die Leitung alles desjenigen oblag, was den Hofflaat .
und bie Hoföfonomie beiraf, Vergl. Bader, Babenia, I., 65.
184 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftoph.
hannes Hochberg und feinem 1543 geftorbenen Bruder Sebaftian Hoch:
berg; (erfterer war Propft des Michaelftifts und beglaubigte als folcher
1517 eine Abichrift des Privilegienbriefes, nachher wurde er Kanzler
des Markgrafen, — Sebaſtian Hochberg bekleidete das Amt eines
Küchenmeiſters); 1533 von Veit Breitfchwert dem eltern; von 1543
findet fich eine hölzerne Gedenktafel für Ama von Ehingen, Bernhard von
Hartens Ehefrau; von 1558 ift der Grabftein von Bernhard Friedrich
Widergrin von Stauffburg (Staufenberg), der am 12. Juli 1558 durch
‚den markgräflihen Kammerjunker Wolf Kifcher im Schloffe zu Pforz-
beim entleibt wurde. 1) Die übrigen Denkmäler werden an den dazu
geeigneten Orten genannt werben,
Ein intereffantes Grabmal der Schloßfirhe vom Jahr 1498 verdient
indeffen noch befondere Erwähnung Es ift das eines „Johann,
Freigrafen von Kleinegypten.“ Der Stein lag früher im
mittlern Gang der Schloßkirche vor der Kanzel, ift aber jet an dem
Pfeiler aufgejtellt, der bei der Safriftei das Mittelfhiff von der vordern
Yinfen Geitentapelle fcheidet. Die Umfchrift Tautet wörtlihd: Anno
dni 1498 vf mentag nach vrbani starb der wolgeborn her Johan
frygraf vsz klein egipten dem got gnad des sel got barmherzig
sy.2) Auf dem Grabftein befindet fich ein viergetheiltes Wappen;
auf zmei einander übers Kreuz entgegenftehenden Feldern befindet fich
je ein fpringender Hirſch, auf jedem der beiden andern ein Stern über
einem liegenden Halbmond, Auf dem Schild fitt ein gefrönter Helm,
über welchem abermals Stern und Halbmond erfcheinen. Diefer rei:
. graf Johann war ein Oberft der Zigeuner, diejes morgenländifchen,
wahrſcheinlich aus Indien oder aus Nordafrifa abftammenden Volkes,
das 1417 zum erften Mal in Deutichland auftauchte, wohin einzelne
Horden desjelben, immer mit einem Führer an der Spite, aus der
Moldau eingewandert zu fein jcheinen. Nach der Schweiz kamen ihrer
im Jahr 1418 auf einmal 14000, Man hielt jie anfangs für Pil-
ger, die aus dem gelobten Land kämen, that ihnen nichts zu Leide und
ertheilte ihnen jogar Schuß: und reiheitsbriefe, fo Kaiſer Sigismund
im Jahr 1423, Ahr erftes Erfcheinen in den jeßt badifchen Landes:
!) Lagerbud) des Almojens von 1711 im Stadtarchiv.
2) In ber „Ihwäb, Chronik“ von Cruſius find Thl. III, noch zwei andere
ähnliche Grabſchriften von Ziegeuneranführern aufgezeichnet. Wo fich biefelben
befinden, ift nicht angegeben.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftoph. 185
theilen fällt ins Fahr 1422.1) Nah Konftanz und Umgegend kamen
fie 1430. Man hatte jedoch bereits erfannt, weß Geiftes Kinder fie
feien 2) und unterließ nicht, die nöthigen Norfichtsmaßregeln gegen fie
zu gebrauchen. Sicherlich geſchah dies auch, als eine Horde der Zigeuner
1498 vor den Thoren Pforzheims erſchien und, mie die Sage berichtet,
genöthigt wurde, um die Stadt herum zu ziehen, weil ihr die Thore
verfchloffen blieben. Das Zigeunergäßchen, N jetzt Yindenftraße,
foll davon den Namen erhalten haben, ine Ausnahme foll bloß mit
dem Franken Zigeuneroberft gemacht worden fein, der dann in der Stadt
ftarb und in der Scloffirche beigelegt wurde Noch fei übrigens
bier bemerft, daß früher (fo noch 1735) eine Ähnliche Tafel, wie der
eben befchriebene Grabſtein, fich auch in der Kirche zu Brößingen befand.
Sie zeigte das Bild eines Mannes, mit einem Kinde an der Hand,
fammt einem Wappen und der Umfchrift: „Anno domini 1552 den
28. April ftarb der Mohlgeborne Herr Antoni Frey: Graff aus Klein:
Egipten des Seel Gott gnädig und barmherzig ſeye.“ 4)
Gehen wir von der Gtiftsfirhe zu St. Michael über zu der
1) „ATS die beiden genamt Arraciner des erften in bis lant
fament 1422. An dem vorgeſchriben jare an Dornftag vor ſ. Mleriontag
(16. Juli) do fam ein Hergog, bieß hertzog Michel von Egiptenland, bar in
das Wielental wol mit 50 Pferden und was ein ungeftalt jwarges Volt und
warent vor me ze Bajel und anders wo gefin. Das jelbe Volk was aller
menglichen unwert und warent allewegen zuo velde und unter feim tache. und
battent von dem babeft und unferm herrn dem fung und von andern berrn
guote geleigbriefe, das halfe ſy alles nutz, man hatt ſy dannocht ungern, und
warent ouch frowen under inen.“ Fortfegungen bes Königshofen in Mo:
nes Duellenfjammlung, I., 298.
2) In dem 1430 jar do fam ein ſchwarz folf gezogen, hieſſ man Ziginer
und warent uff dem mindern Egipten x. Die zugent mer ben ichs oder
fiben jar in allem land mit groffer armuot und cllend un) mit groffer untruw,
wan fie ſtalent, was fi an foment und wic es in (ihnen) werden mocht mit
zoberliften, warfagen, und menger hand fund und liſt, die fi tribent ꝛe. Kon-
Ranzer Chronik in Mones Quellenfammlung, I, 334.
3) Der Name desfelben kommt ſchon 1565 vor. Es ift indeffen bereits
(S. 12) bemerkt worden, daß der Name Zigeunerjtraße oder Zizeunergäßchen
auf römischen Urſprung hindentet.
4) Pforzheimer Diozeß, Kirchen: und Schul : Beihreibung von 1735 (im
Landesarchiv).
186 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriftoph.
St. Martins: oder Altftädterfirhe, fo finden ſich auch über
diefe für den gegenwärtigen Zeitraum einige kurze Notizen. Noch immer
waren neben Würm die Orte Huchenfeld, Dill: und Weißenftein (S. 105)
in diefelbe eingepfarrt und mußten aud) ihre Todten zur Beerdigung dahin
verbringen. Für Huchenfeld trat 1496 darin eine Aenderung ein, indem
nach einem zwifchen dem Weihbiſchof von Speier, dem Pfarrer der
Altftadt und der Gemeinde Hucenfeld zu Stande gekommenen Vergleich
letztere ihre Todten von nun an im Orte jelbjt beerdigte. ') Im Lahr 1504
ftifteten Konrad Stahel und feine Frau eine Wieſe zu dem Altar
St. Anna in der Martinskirche.?) Ferner erfahren wir, 3) daß im
Jahr 1512 der Altjtadtpfarrei eine neue Einrichtung gegeben wurde.
Morin diefe bejtand, weiß ich nicht zu fagen. In ebendemfelben Jahre
erfolgte daſelbſt die Präfentation eines neuen Geiftlihen, und zwar wie
gewöhnlich durch einen Abgejandten des Biſchofs von Speier, dies Mal
durch den Domherrn Thomas Truchjeß. %) Diefe Geiftlihen waren
aber eigentlihh nur Helfer oder Diakonen, da die Altſtadtkirche von
St. Michael aus paftorirt wurde,
Daß das Tranzistanerklofter fein Vermögen 1443 verlor
und auf das Nothwendigfte beſchränkt wurde, ift bereits (©. 152) er:
zählt worden. Von der fpätern Armuth der Mönde zeugt ein Brief
aus der Zeit von 1483—1490, den der Straßburger Kanonikus Peter
Schott ſchrieb und der vermuthlih an einen einflußreichen ‘Prediger in
Straßburg gerichtet war. 5) Er fagt darin unter Anderm: „Die
Tranzisfaner wollen für nächſten Sonntag Cantate ein Kapitel halten
in” ihrem Pforzheimer Klofter, das aber aus Armuth eine jo große
Verſammlung nicht zu ernähren vermag, zumal da wegen der vorzu—
nehmenden Wahl eines Provinzial die Zahl ungewöhnlich groß fein
wird. Sprid dem Volk zu, daß es dem auf Almojenfammeln ausge:
fandten Pater reichlich fpende, welder in Bologna mein Beichtvater
(1478 ff.) mehrere Jahre lang geweſen ift. Diefe Pforzheimer find
9) Urkunde im Landesarchiv.
2) Generalia, Religion, Kirchengut x. in der Markgrafichaft Baden betr.
1629, Generallandesardiv.
3) Aus Sachs, IV, 135.
NEbendaſelbſt.
5) Siehe deſſen Schrift: Lubrucatjunculae, ©, 154.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 187
gute Leute und fogenannte Dbfervanten.” Das endliche Schickſal dieſes
Klofters wird unten bei der Gejchichte der Reformation erzählt werden,
Das Spital oder Klofter zum heiligen Geiſte in der Brößinger
Borftadt erhielt 1500 in der Perfon des Matthias Hütlin einen
fehr wadern Meifter, Der Generalvifitator der alemanifchen Klöfter
zum beiligen Geift, Rulin Kyſel, Meifter zu Stephansfeld im Elſaß,
befahl nämlich, daß das Spital zu Pforzheim einen andern Meifter
wählen müffe. Der Markgraf präfentirte dazu den genannten Hütlin, der
die Stelle auch erhielt, 1) und fie im Jahr 1514 noch bekleidete, wo
er mit Joh. Bet, Präzeptor und Meifter zu Oröningen einen Bertrag
abſchloß. Sein Nachfolger war wahrfcheinlich Nikolaus Faßmann, wegen
deſſen Verlafjenichaft der Markgraf 1544 mit Marr von Ruffach, dem
Drdensmeifter zu Stephansfeld, einen Vergleich traf. 2) Abm folgte
Johann Fabri, der aber ichen 1547 als Ordensmeiſter nad) Stephans:
feld berufen mwurde.3) Daß zu den damaligen Brüdern des Heiliggeifie
Hofters auch Joh. Schwebel gehörte, wird unten bei der Geſchichte der
Reformation erzählt werden. Ein anderer Sonventual hieß 1528
Barth, Schweizer.
Das Frauenklofter der Dominifanerinnen zu Maria
Magdalena nahm Markgraf Chriftoph im Jahr 1487 in feinen
befondern Schuß, nebſt deflen Dörfern Brögingen, Springen und
Eutingen. Zugleih nahm er dasfelbe von der neuen (1486 pro:
viforifch gegebenen) Ordnung aus, d. 5. er befreite es von der
Bezahlung des Ungelds von Wein, Fleifh und Frucht ꝛc. Dagegen
verfehrieben ihm die Nonnen An jährlihes Echirmgeld von 25 ul:
den und verftanden fi dazu, dem Markgrafen mit ihrer Unter:
thanen Fuhr und Dienjt gewärtig zu fein. Genannte drei Dörfer
erhielten darum aud 1509 einen Frohndienitbrief. 4) Daß der fog.
Oberhof, ähnlich wie der dortige Schafhof, bei Iſpringen ebenfalls den
Klofterfrauen gehörte und 1486 in Erbbeitand gegeben wurde, erfehen
wir aus einer Urkunde von jenem Jahr, 5) Einer Kleinen baulichen
1) Generalia, Religion, Kirhengut, Spitäler ac, in der Marfgrafihaft
Baben betr.
2) Sachs, IV., 43.
3») Aften des Landesarchivs.
4) Sachs, IL, 127.
5) Alten Großh. Oberamis,
188 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Ehriftoph.
Veränderung des Klofters mag hier auch erwähnt werden, In ihren
Garten an der Stadtmauer machten die Kloſterfrauen ftatt des bisherigen
hölzernen Gedrills eine Mauer, wovon das Kloſter die eine, die Stadt
die andere Hälfte bezahlen mußte. 1) Da indejjen nicht lange nachher
die Stadtmauer um das Frauenkloſter gezogen wurde und dasſelbe als:
dann nicht mehr extra muros (auswendig der Mauer) war, fo verpflich—
tete ficy die Stadt, dafür zu forgen, daß das Geficht der Mauer nicht
gegen das Klofter gerichtet werde, und zu diefem Behufe das erforder:
fihe Dielwerk machen zu laſſen und ewiglich zu unterhalten. Dafür
bezahlten die Nonnen der Stadt die Summe von 200 fl. — Vom
Klofter der Eifterzienjerinnen, das mur felten aus. dem Dunkel
hervortritt, in weldyes die Geſchichte desjelben gehüllt ift, erfahren wir,
dag Ottilia, die zweite 1430 geborene Tochter Markgraf Chriftophe,
die den geiftlichen Stand erwählte, Aebtiſſin desjelben war. 2)
Verweilen wir noch eimen Augenblick bei den Namen derjenigen
Perjonen, welche vorzugsmeife die Obrigkeit in Pforzheim bildeten. Als
Dbervogt in Pforzheim wird 1484 Hans von Kingsbad (Königs:
bay), 1512 ff. Binder oder Blyckardt, Landſchad von Steinad genannt, 3)
deſſen Unterfchrift auch die 1517 gefertigte Abſchrift des Privilegienbriefs
trägt.) Das Amt eines Schultheifen befleideten bis 1476 Bal-
thafar Wels (vergl. oben ©. 87)5) 1484 Hans Tulwer, 6) 1499
Paul Hofmanır, 7) 1501 Laurenz Ganshorn, gen. Widmann. 8) — Zum
eriten Male erfahren wir auch in diefem Zeitabfchnitte die Namen einiger
Pforzheimer Bürgermeifter. Im Jahr 1486 bekleidete diefe Stelle
Sohannes Meibel, 9) 1498 Konrad Whler, 19) um 1510 Laurenz Gang:
1) Freiungen der Markgrafichaft Baden. Landesarchiv.
%) Petri Suev, Eccles. €. 667.
3) Zeitfchr. f. d. Geſch. des Oberrheins, I, *
+ Im ſtädtiſchen Archiv.
5) Sein Grabſtein befindet ſich in der Schloßkirche. Auf demſelben er—
blidt man das Wappen der Welſe, drei Thürme, und unter diefen ein großes
Yateinifches W.
s) Seneralia, Kirchen ꝛc. ©. 173,
N Regifter, darnach allerhandt der Stadt Handlungen zu juchen, Lade O.
(Stadtardiv).
> 8) Generalia, Kirchen ac.
9) Stabtordnung von 1486 im Landesarchiv.
10) Ertract Vertrags, wie es in der Mühle an der Würm, Tiefenbronner
Gemarkung, gehalten werden fol, (Stadtarchiv.)
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Ehriftoph. 189
born, 1) 1517 Heinrich Lueſch,?) um 1520 Peter Wynzieher 3) zc.
— Die „zwölff ratshern die ouch vrteil ſprechen follen” (vergl. unten
„Stadtordnung,”) hießen 1486: 4) Hans Plus, Konrad Wyler, (diefe
Beiden gehörten zugleich zu den 4 Megenten, vergl, unten), Hans Dul⸗
ber, Hans Lueſch, Balthaſar Scholl, Gabriel Engelhart, Kunk Sattler,
Wendel Heilgenhoupt, Thomann Sattler, Klaus Göppinger, Laurenz
Widmann, Michael Nüfflin. Die „zwölff von der gemeinde” (Aus:
ſchuß) waren: Dietrich) Wyler, Ludwig Lienzinger (diefe Beiden Re:
genten), Hänfin Kumerell, Hänfin Teſchlin, Hänfin Lienhart, Hanns
von Hall, Martin von Biberach, Joß Hutmacher, Gerwig Pur (Bauer)
der Jung, Michel Gerwik, Martin Badanen und erg Tryer (Dreier).
$ 3. Gründung einer Ducdrucerei in Pforzheim. (1502).
Nachdem Johann Guttenberg um das Jahr 1440 die fegensreiche
Erfindung der Buchdruderkunft gemacht hatte, war nad) wenigen Jahr—
zehnten fchon eine ziemliche Anzahl von Drucdereien in Deutfchland ge:
gründet. Die ältefte Spur einer Drudichrift, welche in unferm engern
Vaterlande erfchienen ift, findet fih 1466, und zwar zu Heidelberg,
Augsburg erhielt eine Druderei 1468, Ulm, Eflingen und Rauingen
1473, DBlaubeuern 1475, Freiburg 1480, Urach 1481, Reutlingen
und Memmingen 1482, Stuttgart 1486, Konftanz 1489, Offenburg
1496, Tübingen 1498.
In Pforzheim wurde die erfte Druderei dur Thomas Ans:
beim oder Anfelm aus Baden im Jahr 1502 gegründet. Der
Umftand, daß er fich ſelbſt bei der Unterfchrift eines durch ihn gedruckten
Werkes als Magifter bezeichnet und daß er in den freundfchaft:
lichſten Beziehungen zu Reuchlin ftand, der ihm fogar folhe Titel
gab, wie fie damals nur Gelehrten zufamen — mag beweifen, daß er
fein gewöhnlicher Bucydruder war, fondern eine fehr umfaffende, ja
gelehrte Bildung beſaß. Daß gelehrte Männer die Gründung von
Drudereien unternahmen, war überhaupt in feinen Zeiten nichts Seltenes,
1) Abichrift des Priv. Briefs von 1517 im Stadtardiv,
2) Ebendaſelbſt.
%) Lagerbuch von 1527.
) Stabtordnung von 1486 im Landesardiv.
190 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markaraf Chriſtoph.
Am Verlag Anshelms erfchten während der Zeit, da er in Pforzheim
fein Gefchäft betrieb (1502 — 1511), eine Menge von Schriften, die
fich durch feld ſchönen und Forreften Druck auszeichneten, daß Anshelm
zu den berühmteften Buchdrudern feiner Zeit gezählt wurde. Daß diefes
Lob ein durchaus werdientes war, wird Jeder anerkennen, der Gelegen:
beit hatte, einzelne noch vorhandene Erempfare folher Schriften zu fehen.
E83 gehören dazu: ) „Dr. Brants Traum” (1502); — „Behend
und hübſch Nehnung vf allen Kauffmannicaften” (1502); —
„Memorabilesevangelistarum figurae“ (1502, 2. Auflage
1504); — Johannis Reuehlini L. L. Doctoris Liber conges-
torum de arte praedicandi (1504 und 1508); — „‚Magneneii
Rabani Mauri de Laudibus sanctae Crueis“ :ıc. (1503); —
„Rabani Mauri de Institutione Clericorum opusculum
aureum‘ (1504, zweite Auflage 1505); — „Henrici Bebelii
opuscula varia“ (1504); — „Rationarium Evangelistarum
omnium* :c.; (1505, neue Auflagen 1507, 1510); — „Doktor johanes
Reuchlins tütſch miffive warumb die Juden fo lang in
ellend find. Datım in Wyhenacht feiertagen zu einem guten
feligen jar. Ad anmım 1505. Gedruckt zu Pfortzheim;“ —
„Joh. Reuchlini Phorcensis Rudimenta hebraica“
(1506 ; eines der am vorzüglichiten ausgeftatteten Druckwerke
Anshelms, das allein fehon Hinreichen würde, ihm einen ehrenvollen
Platz in der Geſchichte der Buchdruckerkunſt zu fihern); — „Ja-
cobi Wimphelingii Apologia pro republica christiana“ ꝛc.
(15066); — „Grammatica Jacobi Henrichmanni“ x.
(1506, 2. Auflage 1507, weitere Auflage 1508); — „Epistolae
Francisci Philelfi ex originario transsumptae“ (1506); —
„Roberti Gaguini de arte metrificandi libelli“ x.
(1506); — „Opusculum de sagis maleficeis Martini Plantsch
concionatoris Tubingensis“ (1507); — „Jac. Wimphelingii
Schlettstattensis Theosophi Oratio desanceto spirituzc. (1507).
„Cassiodorus senator de anima“ ıc, (150%); — „Bucolica
Antonii Geraldini poetae laureati et protonotarii apostolici‘
(1507); — „Joh. Reuchlini Phorcensis Sergius vel Capitis
caput cum commentario Georgii Simleri“ (1507, 2. Ausg. 1508);
) Vergl. Banzers Annalen der ältern deutſchen Literatur, 8. Bd.
Behntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftoph. 19
— „Commentaria epistolarum conficiendarum Henrici Be-
belii‘ ⁊c. (1508, neue Aufl. 1509, 1510); — „Joh. Reuch-
lini Phorcensis Scenica progymnasmata cum commentario Georgi
Simleri‘“ (1508, neue Aufl. 1509); — „Ein nußlid vegiment wider
die boſen frantzoſen mit ettlihen Fugen fragſtücken, von Alexander
Sytz“ (1509; der Aebtiſſin Eliſabeth Schötlin gewidmet); — „Opera
Bebeliana“ (1509); — „Jacobi Wimphelingii Sletstadiensis
Elegantiae majores“ zc, (1509, neue Aufl, 1510); — „Bartholo-
maei Coloniensis Dialogus mythologieus‘“‘ (1509); — „P. V.
(Virgilii) M. opuscula cum familiari expositione‘“ (1510); —
„Annotationes Phil. Beroaldii Bonomiensis in commentarios
Servii, Virgiliani commentatoris“ (1510); — „Joh. Brassicani
institutiones‘ ıc, (1510); — „Vocabularius Joh. Altenstaig
Mindelheimensis‘“ ac. (1511); — „Liber hymnorum in metra
noviter redactorum, Apologia et defensio po&tice ac oratorie
majestatis“ ⁊c. (Jahr ungewiß),
Man wird aus diefem Verzeichniß, das anf Vollftändigkeit keinen
Anſpruch macht, entnehmen Können, weld ein rühriger Verleger und
Drucder Anshelm war und welche ausgezeichneten Schriften aus feiner
Offizin bervorgingen. In feiner Druderei fol Melanchthon, der fich
damals auf der Pforzheimer Schule befand, eine Zeitlang das Amt eines
Korreftors verfehen haben. Im Jahr 1511 zog Anshelm von Porz
heim nad Tübingen ') umd ließ fih 1515 in Hagenau nieder. An
beiden Orten errichtete er Drudereien und verlegte eine Menge der frei:
finnigften Werke, in Tübingen namentlih viele Schriften Reuchlins.
Kräftige Unterftüßung fand er dabei an Wolfgang Aext, Druder,
Philolog und Dichter zugleich. Diefer war ein vertrauter Freund Reuch—
ling, des Erasmus und Ulrichs von Hutten, und hatte feinen geringen
Antheil an der Ausarbeitung der epist. obscurorum virorum (Briefe
ber Dunkelmänner). Wahrſcheinlich arbeitete er als Gehilfe bei Anshelm,
was er bei feinen zahlreichen Verbindungen gewiß nicht gethan haben
1) Wir begegnen übrigens dem Namen Anshelm auch fpäter noch in Pforz:
heim. Im Zahr 1548 fommt ein Johann Anshelm, 1565 ein Kalpar und
ein Hand Anshelm vor; fpäter 1632 ein Anton, 1650 ein Martin und 1662
ein Hans Anshelm. Db dies Nachfommen von Thomas Anshelm waren, weiß
ih nicht,
192 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
würde, wenn nicht Anshelm ein feines Umgangs würdiger Mann ge:
wejen wäre.
Ob bei dem Wegzug Anshelms nad) Tübingen 1511 aud) zugleid)
eine Verlegung feiner Pforzheimer Druderei dahin ftattfand, oder ob er
in Tübingen ein neues derartiges Geſchäft begründete und feine Druderei
in Pforzheim in andere Hände überging: das vermag id) nicht anzugeben.
So viel ift gewiß, daß die Behauptung von Gehres in feiner „Pforz—
heimer Chronik,“ Pforzheim babe von 1011 an bis zum Beginn des
19. Jahrhunderts Feine Druderei mehr gehabt, entichieden unrichtig ift;
denn in den Sahren 1522 und 23 treffen wir als Buchdruder in
Pforzheim Johannes Greiffenberger, Neben diefem feinem eigent:
lichen Gefchäft beflig er fi aud der Malerei ') und war überdies der
Verfaſſer mehrerer Schriften, die er felber drudte und verlegte.) Man
erfieht dies aus der erften diefer Schriften, die gegen „bie falfchen
Propheten” gerichtet” ift. Nachdem ſich Greiffenberger auf dem Titel-
blatt als Verfafjer derjelben genannt hat, fteht am Ende der Schrift, fo
daß hierin die Angabe des Druders und Drudortes zu erkennen ift:
Bon mir Johannes Grepffenberger zu Pforzheym, 1524. Wahrjchein:
lich verlegte er auch Schwebels „Ermahnung zu den Queftionirern”
1522 und defien „Predigt vom guten Hirten,” 1524. 3)
Zur Vervollſtändigung diefes Abichnittes mag, wenn wir auch ber
Zeit etwas vorauseilen, bemerkt werden, daß die Grenffenberger’iche
Offizin in der Folge vwermuthlic wieder erlofhen ift und Pforzheim
vorübergehend feine Druderei beſaß. Es läßt ſich dies daraus fchließen,
dag Markgraf Karl IL bei Einführung der Reformation 1556 bie
„neue badifche Kirchenordnung” nicht in feiner Nefidenz Pforzheim druden
ließ, (mas doch ficher geſchehen wäre, wenn diejelbe eine Druderei gehabt
hätte), ſondern in Tübingen. Allein ſchon vom Dezember 1557 an
erfchienen bei Georg Rabe in Pforzheim wieder nad) einander mehrere
Schriften, meift theologiſchen Inhalts, jo 3. B. eine von einem Edelmann
am Hofe des Markgrafen in Iateinifcher Sprache verfaßte und von
Pfarrer Iſrael Achatius in Pforzheim ins Deutjche überſetzte Schrift:
„Wahrhafter Bericht alter und neuer, das ift evangelifcher und papiſti—
1) Nürnberger Gelehrienlerifon von Will, I, 571.
2) Vergl. unten Geſchichte der Reformation in Pforzheim.
2) Bergl. unten Schwebels Lebensbefchreibung und „Geſchichte der Nefor:
mation“ in Pforzheim.
Zehntes Kapitel, Pforzheim wirter Markgraf Chriſtopb. 193
{cher Lehre.“ — Im Jahr 1559 verlegte Nabe die „geiftliche immer:
währende Praktik (Kalender) auf das Jahr 1560° v. Mag. Kaſpar
Brunnmpl, lutheriſchem Prediger in Geißlingen, — ferner die zweite
Auflage einer ſchon 1557 zu Tübingen herausgefommenen Schrift:
„Kurzer und einfältiger Bericht von de8 Herren Nachtmahl,“ von
Dr. Andrei, mit einer Vorrede von Brenz, endlich das „verbütfchiert
mit 7 Siegen verfchloffene Buch” von Seh. Frank. Im Jahr 1560
erfchten bei Nabe ein Merk über „forſtliche Oberherrlichkeit“ von Noe
Meurer, wohl die Altefte Schrift diefer Art und heut zu Tage noch
brauchbar.
Mit der Verlegung der Nefidenz von Pforzheim nah Durlach
1565 ſcheint Pforzheim auch feine Druckerei wieder verloren zu haben,
MWenigftens verlautet von einer ſolchen in der folgenden Zeit nichts mehr.
Erft dem laufenden Jahrhundert war es vorbehalten, Pforzheim wieder
mit einer Preffe zu verfehen. Ich werde weiter unten darauf zurück—
fommen.
$ 4 Die Pforzheimer Gelehrtenfchule um 1500,
Welch ebrenvollen Rang die lateinische Schule zu Pforzheim unter
ähnlichen Anftalten bald nach ihrer Gründung einnahm, ift jchen oben
(S. 155) gefagt worden. Die Zeit ihrer größten Blüte ſcheinen aber
die zwei erften Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts gewefen zu ſein Eine
Reihe ausgezeichneter Lehrer und eine große Menge fpäter berühmt ger
wordener Schüler liefern Zeugniß, in welch vortrefflihem Stande fi
die Pforzheimer Schule befand. Von jenen verdienen folgende befondere
Erwähnung: Georg Simmler. Er war zu Wimpfen geboren, hatte
fi) zu einem der ausgezeichnetften Schüler Reuchlins herangebildet und
wurde Rektor in Pforzheim, weldye Stelle er bis 1511 beffeidete, Von
feiner Befähigung als Lehrer und feinem erfolgreichen Wirken zeugen
die Morte eines feiner Echüler, Franz Sreniens, welcher fi‘) über
Simmler alſo ausſpricht: „Daß ich ja des trefflichen Lehrers nicht zu
erwähnen vergeffe! Immer werde ich die vielfeitigen Kenntnifle Georg
Simmlers rühmen, der lange mein Lehrer war, und unter deſſen Zucht:
ruthe ich zuerst geftanden und meine geringen Fähigkeiten ausgebildet
‘) Jrenicus, Exeges. Germ,, II,
Pflüger, Pforzheim, 13
194 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
babe, dem ich mehr, als meinem eigenen Vater verpflichtet bin, ja dem
ich nächft Gott Alles verdanke, was ich gelernt. Diefer Mann unter:
wies mich in beiden Sprachen (in der Tateinifchen und griechifchen).“
Auch Melanchthon jpendet diefem feinem Lehrer das größte Lob. Am
Jahr 1511 verließ Simmler Pforzheim, um einem Ruf als Lehrer ber
Rechte an die Univerfität Tübingen zu folgen.?) An jeine Stelle trat
Sohann Unger (1511 — 1524), Bon ihm wird unten ausführlicher
die Nede jein. Auf Unger folgte als Rektor Martin Hilsbad. Ein
Kollege von ihm war Job. Meifter, ber 1538 in Pforzheim ftarb.
Später befleidete die Stelle eines Neftors Bobhard, genannt Schüß,
ber 1552 dem Meagijtrat zu Pforzheim ein Buch: „de studio literarum‘‘
widmete. Schon früher hatte an der Pforzheimer Schule Jakob
Wimpfeling aus Schlettjtadt gelehrt und während feines dortigen
Aufenthaltes (er war um 1502 in Pforzbeim) eine große literarifche
Thätigkeit entfaltet.?) Er wird in der Geſchichte der Neformation
weiter vorkommen. Gin Kollege Simmlers in Pforzheim war Johann
Hildebrand aus Schwebingen, der früher feine Bildung an der näm—
lichen Schule erworben hatte, an welcher er nun als Lehrer und Kon:
reftor wirkte, Bei ihm batte Melanchthon das Studium der griedifchen
Sprache begonnen. Im nämlichen Jahr wie Simmler (1511) zog auch
Hildebrand nad) Tübingen, wo er Profeffor, fpäter Ephorus wurde.
Sein Vorgänger in Pforzheim fcheint Gerhard Lift gemweien zu fein,
den Irenicus 3) feiner ausgezeichneten Sprachkenntniſſe wegen einen zwei—
ten Reuchlin nennt. 2) Gleichzeitig mit Simmler und Lit lehrte in
Pforzheim Nikolaus Gerbel. Ausführlicheres über ihm wird unten
folgen. Unter den fonftigen Pforzheimer Lehrern der damaligen Zeit
ft oh. Knoderer aus Notenburg a/R. nicht zu vergeffen, der
früher auch ein Zögling der Pforzheimer Anftalt gewefen war. Er
trat im der Folge in wirttembergifche Dienfte und ftieg dort zur Würde
eines Nathes und Kanzlers empor.
Bon denjenigen ausgezeichneten Männern, welche auf der Pforz—
— — — —
1) Vergl. Camerarius, Vita Melanchth, 7, Adami vita philos., 85, Secken-
dorf, hist. Luth, 11., 158. Letzterer nennt ſogar Simmler den Gründer ber.
Pforzheimer Schule (S. 203).
?) Riegg. amoen. Frib., 267.
3) A. a. O. |
) Vergl. über ihn auch Lampadius, Beiträge, S. 208 ft.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftopb. 195
heimer Schule den Grund zu ihrer Bildung legten, die aber
zum Theil fchon einer frühern, zum Theil einer fpätern Zeit ange
hören, find befonders zu nennen: Melanchthon, Kapite,
Schwebel, Frei, Glaſer, Grynäus, Haller, Hedio,
Srenicus, Weftheimer, die beiden Wertwein. — Melde
Umftände Philipp Melanchthon nach Pforzheim führten, wird
fpäter bei der Lebensgefchichte Johann Ungers erzählt werden. Daß er
Profeſſor in Wittenberg und der treue Gehilfe Luthers beim Werte
der Reformation wurde, kann ich als befannt vorausſetzen. — Wolfgang
Kapito, einer der ausgezeichnetften Zöglinge der Pforzheimer Schule,
1478 zu Hagenau geboren, wurde fpäter Doftor in drei Fakultäten,
Prediger in Bruchſal, befleidete vor- und nachher akademiſche Stellen
zu Freiburg, Bafel und Straßburg und ftarb 1541 an der Peft. Er wirkte
eifrig für die Sadye der Neformation. (Siehe ımten.) 1) — Von Johann
Schwebel werde ich ausführlicher reden. — Adam Frei, ein ges
borener Pforzheimer, wurde Magifter und Kantor an der Stiftskirche
zu Baden. Gr begleitete den älteſten Sohn Markgraf Chriftophs , den
Prinzen Jakob, 1489 nad Rom, und wurde fpäter markgräflicher
Kanzler. Er wurde zu den ansgezeichnetften Juriſten feiner Zeit gerechnet
— Kaſpar Glaſer war ebenfalls zu Pforzheim geboren, wo fein
Geſchlecht damals in mehreren Gliedern blühte, 2) Er ift als gründlicher
Gelehrter bekannt. Am Jahr 1592 war er Lehrer an der lateinijchen
Schule zu Gemmingen, ging aber im folgenden Jahr nach Zweibrücen
als Erzieher des dortigen Erbpringen. Daſelbſt wurde er nad) Schwebels
Tod 1540 Generalfuperintenden. — Simon Grynäus, eigentlich
Gruner oder Greiner, war 1493 zu VBeringen im Hohenzoller'ſchen
geboren. In Pforzheim, wo er den bereits in feinem Vaterland erhal:
tenen Unterricht fortſetzte, ſchloß er innige Freundſchaft mit Melanchthon
und begleitete denjelben wahricheinlich auch nad Tübingen. Von dort
ging er nad Wien, wo er Profeffor der griechiſchen Sprade wurde,
Einige Jahre nachher finden wir ihn als Schulrektor in Ofen, wo ihn
aber feine Hinneigung zum Proteftantismus ins Gefängniß brachte, aus
—
1) Näheres über ihn in Adami, vit. Theol. und Seckendorf, hist,
Luth. I, $ 41, Nro. 4, Iſelin, IL, 428, 6b.
2) Wir finden 1519 und 1520 einen U Glaſer, Philipp Glaſer, Hans
Glaſer, Wilhelm Glaſer.
13 *
196 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
welchem ihn nur die eifrige Fürſprache des ungarifchen Adels rettete,
Bald darauf Fehrte er nach Deutjchland zurüd und nahm in Heidelberg
eine Profefjur der griechiihen Sprade an. Noch einmal drohte ihm
in Speier das Gefängniß; doch entfam er mach Baſel, wo er nad
einem bewegten Leben endlich Ruhe fand. Er ftarb dafelbft am 1. Auguft
1541.1) — Berthold Haller,?) zu Rotweil geboren, erhielt feinen
erften Unterricht. in Pforzheim zur Zeit, als die dortige Schule unter
Simmler in ſchönſter Blüte ftand. Lehrer und Mitjchüler, unter letztern
wieder Melanchthon, waren geeignet, den ohnedem lernbegierigen Jüng—
ling zu ausgezeichnetem Fleiß anzufpomen. Melanchthon erinnerte fich
Haller auch in jpätern Jahren noch mit großem MWohlwollen. Im
18. Lebensjahre ging Haller auf die hohe Schule nah Köln, von wo er
in jeine Vaterftadt zurückkehrte. Im Jahr 1513 ging er nad Bern,
wo er das Werk der Reformation begann und vollendete. 3) — Kafpar
Hedio, eigentlich Heydt, 1494 in Ettlingen geboren, auf der Schule
zu Pforzheim, ſpäter auf der Hochſchule zu Freiburg gebildet, war in
ber Folge Lehrer in Baſel, Hofprediger in Mainz, Domprediger im
Straßburg, wo er für die Sache der Neformation aufs Eifrigfte wirkte,
Er ſtarb dajelbft am 17. Oktober 1553. — Franz Srenicus, eigentlich
Triedlieb, ebenfalls aus Ettlingen gebürtig (um 1495), erhielt feinen
eriten Unterricht in feiner Waterftadt, vertaufchte jedoch denfelben bald
mit dem der Schule in Pforzheim, wo er mit Melanchthon gleich Gry:
näus, Haller u. A. fi innig befreundete. Dort nahm er auch an dem
Schaufpiel Theil, welches vor Reuchlin aufgeführt wurde, als biefer
einft von Stuttgart in feine Vaterftadt kam (S. 169). Später ftudirte
Irenicus in Tübingen und Heidelberg, wurde an letzterm Orte Magifter
1518 Nektor der dortigen Katharinenſchule und Mitglied der philofophi-
Ihen Fakultät, 1524 Stadtpfarrer in Ettlingen, 1530 nad) feiner Ver:
treibung von dort Pfarrer in Gemmingen, Er ftarb um 1565. 9) —
Bartholomäus Weftheimer, 1499 in Pforzheim geboren, fcheint
um 1525 Kaplan in Raftatt geweſen zu fein, wo er den Drud einer
) Näheres über ihn Riegg. amoen, Frib., p. 211.
*) Vergl. über ihn: Kirchhofer, Berth. Haller oder die Reformation in
Bern, Zürich, 188.
°) Eijenlohr, Kirchengeihichte und Melch. Kirchhofer, a. a. O.
*) Camerarius, vita Melanchth, p. 8, und Cent epist. Henr. Schweb,
No. 23, p. 68.
Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 197
Schrift des württembergijhen Neformators Brenz: „Bon Milterung
der Fürften gegen die auffrürifchen Bauern“ veranftaltete, Er zeichnete
ſich auch ſpäter nicht nur als theologiſcher Schriftjteller, fondern auch
als gelehrter Buchdrucker aus. Er ftarb als Greis in Horburg in der
Grafſchaft Mömpelgard, unter deren Neformatoren er einen ehrenvollen
Plag einnimmt. Gleich feinem Landsmann Reuchlin vermachte er feiner
Vaterftadt feine Bibliothek. (Diejelbe wurde im vorigen Jahrhundert
nah Durlad gebracht und jpäter mit der Hofbibliothek in Karlsruhe
vereinigt.) -— Chriftopb Wertwein war um 1510 in Pforzheim
geboren. Er ſtammte aus einer alten Jamilie (S. 77).1) Im Jahr
1536 kam er nach Freiburg, nachdem er porher in Tübingen ftudirt
hatte, wurde ſpäter Doktor in Padua, worauf er nach Wien ging. Dort
wurde er Almofengeber und Hofprediger von Kaiſer Ferdinand I. und
endlich Biſchof von (wieneriſch) Neuftadt. Nach dem Tode des Biſchofs
Naufen von Wien erbielt er deſſen Stelle und wurde nun auch dee
Kaifers Gewifjensrath. Er ftarb dajelbft 20. Mai 1553, nachdem er
noch vor feinem Tode feiner Vaterftadt ein Kapital von 300 Gulden
zum Beten armer Ztudirender vermacht hatte, — Mathias Wert:
wein, des Vorigen jüngerer Bruder, geboren um 1520 in Pforzheim,
jtudirte von 1541 an in Freiburg. Später folgte er feinem ältern
Bruder nad Wien, wurde 1552 Domherr an der dortigen Metropolis
tanfirche, am 17. September 1553 Dekan des Domtapitels, 1556
Dompropft und Kanzler der Univerfität, und erhielt die Würde eines kaiſer—
lichen Pfalzgrafen. Im Jahr 1559 gab er jenen Poften auf, wurde
alsdann Domherr in Augsburg, fpäter im Briren und zugleih Kanzler
des dortigen Fürftbiihofs, wo ev 6. Nov. 1580 ftarb. Er machte vor
feinem Tode eine Stiftung im Betrag von 6000 Gulden für ſechs
ftudirende Sünglinge, theils von Briren, theils von Pforzheim. Diefelbe
ging jedoch im dreikigjährigen Krieg wieder verloren.
Andere ebenfalls berühmte Männer, theils geborene Pforzheimer,
theils Zöglinge der dortigen Schule, waren aus diefer und etwas fpä-
terer Zeit: Hieronymus Ju dus, Doktor beider Rechte und Rektor zu
1) Aus derjelben fommen noch vor: Peter Wertwein 1521, Philipp W.
1565; ein anderer Peter W., wahricheinlid Sohn des eben genannten, war
1565 Amtmann bes Frauenflofters zu Pforzheim. Chriſtoph Wertwein, der
um 1620 ftarb, ift der fette dieſer Familie gemejen.
i98 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Ehriftoph.
Freiburg, 1523 (aus Pforzheim); 1) Mart. Mercator aus Pforzheim,
1526 Lehrer an der Tat. Schule zu ſchwäb. Hall; 2) Johann Lorhard,
vermuthlich ebenfalls aus Pforzheim, Profefjor des Gymnaſiums in
Durlach, ftarb 1609 in hohem Alter als Prediger zu St. Gallen; 3)
oh, Marquard, Doktor der Rechte, aus Pforzheim gebürtig, gehörte
zu den Räthen des Markgrafen Ernft und murde von diefem auf den
Neichstag nach Negensburg gejchielt LOL 54) Konrad Detinger, eben:
falls ein geborener Pforzheimer, trat in den Dienft des Landgrafen von
Hefien und war 1534 Hofprediger des Herzogs Mlrih von Württem—
berg; 3) Peter Bilfinger, Johann Schopf, Schroppius, Not
u. U. m.
Bereits im zweiten Viertel des fechszehnten Jahrhunderts, ale
Pforzheim feine berühmteften Lehrer verloren hatte und feine ebenbürtigen
Kräfte an ihre Stelle traten, hörte dev Ruhm derfelben allmählig auf.
Biel trug nun allerdings auch der Umftand dazu bei, daß andere ähn—
liche Anftalten gegründet wurden und raſch zur Blüte gelangten, fo
namentlich die Schule zu Straßburg, ſpäter (1586) auch das Gymna—
fium zu Durlach.
$5. Gründung der Singergefellfhaft. (1501.)
In diejenige Zeit, deren Darftellung die Aufgabe dieſes Kapitels
ift, fällt auf die Entjtehung des älteſten Vereins unferer Stadt, nämlich
der Singergefellfhaft, Schon ihr Alter, in gleihem Grade aber
auch die Veranlafjung ihrer Gründung läßt fie intereffant genug erjchei-
nen, um ihr einen bejondern Abjchnitt zu widmen und Unterjuchungen
über ihre Entſtehung anzuftellen.
Die älteſte, urkundlich belegte Nachricht von dem Beſtehen der
Singergejellihaft it von 1695. Am 17. Dftober jenes Jahres nämlich
erjhien laut noch vorhandenen Rathsprotokolls Herr Niklaus Burkard
der Goldſchmied Namens der Singergejellihaft als damaliger
1) Riegg. amoen. Frib.
2) Pfaff, württemb. Geſch. ©. 9,
3) Eijenlohr, Kırdengeichichte.
) Sachs, IV., 41.
°) Fischlin, memor. theol. Wuert. L, 3,
Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 199
Obermeifter derfelben und Flagte gegen Hans Knaus, daß diefer 20 fi.
in die Gefellichaft ichulde, die zur Kirche in Pforzheim verehrt (vermacht)
worden ſeien. Weitere zuverläffige Kunde über den Verein gibt das
im Jahr 1701 angelegte und noch vorbandene neue Stammbuc des:
jelben. Damals erfolgte nämlich, nachdem während des verheerenden
orleans'ſchen Krieges die alljährlihen Verſammlungen der Gefellichaft
unterblieben waren, ihre neue Konftituirung, und zwar durd) diejenigen
Männer, welche fhen im Jahr 1694 Mitglieder des Vereins geweien
und 1701 noch am Leben waren. Zu diefen gehörte u. A. auch der Hafer
Chriſtoph Wilderfinn, der nach feiner eigenen Angabe im Stammbuch
der Geſellſchaft 1684 beigetreten war und 1689 die Stelle eines Ober:
meifters befleidet hatte. Auf der eriten Seite des Buches findet fich
num folgende Bemerkung: „Diefe löbl. Sengergefelichaft rühret von
Einer erjchredlichen peft Zeit ber, im Jahr 1501, wo fich niemant
mehr zu dem andern getrauet, ohne jeinen Dodt zu ſuchen, md ift
das erfte Buch durch den Brant verbrant worden ano 1692. niemant
ift berechtigt. ſolche aufzuheben, oder weg zu nehmen.” Wer diefe Zeilen
geſchrieben, ift dabei nicht angegeben. Es ijt indeß mit Sicherheit an-
zunehmen, daß es durch ein Mitglied der Geſellſchaft geſchah, welches
das Ältere, 1692 verbrannte Stammbuch geleſen und obige Mittheilung
über das Jahr der Gründung des Vereins und die Deranlaffung dazu
daraus geichöpft hatte. Ob mun jenes ältere Stammbuch, welches in
erwähnter Notiz als das „erfte” bezeichnet wird, auch das urfprüngliche,
d. b. ein bei der Gründung im Jahr 1501 begomnenes war, ob über:
haupt damals, oder nicht erjt ſpäter ein folches angelegt und die An:
gaben über die Gründung der Veberlieferung oder gefchehenen Aufzeich-
nungen entnommen wurden: das Alles läßt fi nicht mehr ermitteln.
Ammerhin aber fteht die Weberlieferung, die ſich bis heute lebendig er:
halten bat, jener Angabe im dermaligen Stammbuch beftätigend zur
Seite und weiß diefelbe noch mehr zu vervollftändigen. Ms im Jahr
1501, jo erzählt fie, eime fürchterliche Peft wüthete, dev Nachbar den
Nachbar verließ, jeder fein Hans verſchloß, die hilfloſe Lage der Kranken
noch jehredlicher war, als der Tod felbft und manche Geftorbene in den
Kammern, wo fie verfchieden waren, vermesten: da bildete ſich in
Pforzheim ein Verein der biederften Menſchen, welche fih unter einander
verbanden, ihren erkrankten Mitbürgern unentgeldliche Hilfe zu leiften,
feinen im Tod zu verlaffen und nicht nur für ihr Begräbniß Sorge zu
200 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
tragen, fondern fie auch unter Abfingung frommer Lieder zu ihrer letzten
Ruheſtätte zu begleiten (daher der Name „Singergefellihaft”“),
Zu fteter Erinnerung an dieje Peſt und am die aufopfernde Nächten:
liebe, die fich dabei Fundgegeben, dauerte der Verein auch noch nad)
dem Aufhören der Seuche fort, und er Hat ſich, wie bekannt, bis auf
den heutigen Tag, wenn auch felbtverjtindlich mit verändertem Zweck
erhalten,
An dem Hohen Alter der Singergejellichaft läßt fi) nach dem
Bisherigen eben jo wenig zweifeln, als der Erzählung von der Veran:
lafjung derfelben irgend gegründete Bedenken entgegen ftehen. Nahe aber
liegt dabei noch die Frage, von welcher Art denn eigentlich die Peſt
gewefen, die zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Pforzheim fo ver:
-beerend aufgetreten fein fol. Weder mündliche, noch fchriftliche Ueber:
lieferungen geben in Pforzheim felber auf diefe Frage Beſcheid. Es
it darum nöthig, denfelben anderweitig zu ſuchen. Er läßt ſich aud
finden, fällt aber auf eine Weiſe aus, die eine erläuternde Einleitung
wothwendig macht.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderes tauchte in Deutfchland eine
abjcheuliche Krankheit auf, von der die Chroniften jener Zeit behaup:
ten, daß dieſelbe durch deutſche und ſchweizeriſche Landsknechte, die.
in franzöſiſchem Dienft nad Neapel gelommen waren, nad) Deutfch:
land gebracht worden ſei. Ihre Verbreitung war eine fo raſche, daß
fie im Verlauf weniger Jahre ganz Europa durchzog, und in man:
hen Gegenden, namentlich in Süddeutſchland, ſogar mit großer Hef⸗
tigkeit epidemiſch auftrat. Das Uebel ſchonte keines Geſchlechts, keines
Alters, 1) keines Standes.?) Geiſtliche wie Weltliche, Vornehme wie
Niedrige wurden befallen. Fragen wir, wie das möglich war, fo geben
ung medizinische Schriftfteller jener Zeit darüber Auskunft, Sie erklären,
') Hieronymus Emfer von Um zählt in einer 1510 von ihm erſchie⸗
nenen Schrift eine Menge von Kindern auf, welche von der Seuche befallen
wurden.
) Man weiß heute noch eine Menge von Namen theils durch ihren Rang,
theils durch ihre Bildung hervorragender Perfonen, welche zwijchen 1495 und 1510
von der Seuche ergriffen wurden, fo Ulrich von Hutten, ber auch jpäter daran
farb, der Bischof Hieronymus von Brandenburg, Herzog Ernft von Sachen,
Heinrich III., Graf von Echaumburg u. A Aud der Markgraf Philipp von
Baden mußte 1533 der Krankheit erliegen.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 201
daß die Anſteckung ſchon durch das Zuſammenwohnen mit Kranken, die
Benügung von Kleidern, Betten, Badanftalten, chirurgiſchen Inſtrumen—
ten, Trink- und Tifchgeräthen, welche in ihrem Gebrauch geweien, das
Küffen und einfache Berührung mit der Hand erfolgt ſei; ja man be:
hauptete fogar, daß der Athem der Kranken und die von ihnen aus:
gehende Luft hinreichend fei, um ebenfalls von der Seuche befallen zu
werden. Wenn wir nun weiter erfahren, wie jehr die Gefundheitspolizei
damals no im Argen lag, wie die Abfonderung der Angeftecten,
namentlich in der erſten Zeit des Auftretens der Seuche, wirklich fo ſehr
vernahläffigt wurde, daß in Bädern, Gaſthäuſern, Barbierftuben :c.,
Kranke und Gefunde durch einander fich derfelben Gefäße bebdienten , fo
daß beifpielweife der Kurfürft von der Pfalz durch eine eigene Verord—
nung diefem Mißbrauch Einhalt thun mußte; 1) wenn ferner, wie es
befannt ift, die Aerzte fich ganz rath- und thatlos zeigten, und bei ber
Neuheit der Seuche ihnen fein Mittel gegen diefelbe bekannt war: fo
dürfen wir ung nicht mehr wundern, daß diefelbe jolche allgemeine Vers
breitung finden und jo verheerend auftreten fonnte, namentlich) da auch,
wie verfichert wird, ihr Charakter ein noch viel bösartigerer war, als er
e8 heut zu Tage if. Alle Zeitgenofjen jchildern die Krankheit, wie fie
damals auftrat, als ein häßliches, furchtbares, bösartiges und giftiges
Uebel, vor dem die Menfchheit zurüdichaudere, das den Leib auszehre,
ben Geift erfchöpfe nnd die Kranken in lebendige Leichen verwandte,
Sie that fi in der Negel bald nad ihrem Beginn dadurch fund, daß
fie ihre Gift über den ganzen Körper ergoß und diefes einen Hautaus—
ſchlag erzeugte, der fi) entweder zu dien Kruften gejtaltete, oder in
warzen⸗ oder zapfenartige Geſchwüre überging, die ſchwarzes Blut und
ftinfende, giftige Jauche ergoffen, nicht felten bis auf die Knochen drangen
und Fäulniß Über den ganzen Körper verbreiteten. Nicht wenigen Kran:
fen fielen die Nafen ab, andern brannte das Uebel die Wangen hinweg
oder Löcher in den Leib, zumeilen wurden ſelbſt die Augen zerftört und
die Knochen blosgelegt. Der Berlauf der Krankheit war in der Negel
ein fehr Iangwieriger und darum um fo qualvollerer, und endigte in
den meiften Fällen mit einem janmervollen Tod, namentlich wenn den
Kranken Löcher in den Hals fielen, daß fie Feine Nahrung mehr zu fich
nehmen konnten. Aber auch diejenigen, die wieder genafen, trugen von
1) Pfälzer Kop. Buch XVIL, und Häuſſer, Gel. der Pfalz L, 457,
202 Zehn tes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
der Krankheit lebenslängliche Gebreſten davon. „Es ward vil armer
leuthen darvon vergifftet, lamm, feldſiech, etliche kamend umb hand und
füß,“ ſagt ein Schriftſteller der damaligen Zeit. 1)
Wenn nun dieſe Krankheit ſo fürchterliche Erſcheinungen zeigte und
ſo leicht ſich auf Andere übertrug, ſo darf es uns nicht befremden, wenn
der Freund den Freund, der Bruder den Bruder floh, wenn manche
Kranke auf die elendeſte Weiſe, oft durch Hunger, zu Grunde gingen,
wenn felbit die Ausiägigen, deren es damals nicht wenige gab, nicht
mit folhen Kranken zufammenwohnen und verkehren wollten, weil fie
fürdhteten, von einem noch ſchlimmern Uebel, als das ihre war, befallen
zu werden. )
Daß es eine derartige Seuche und feine andere Peſt war, die zu
Anfang des 16. Jahrhunderts in Pforzheim fo entfetzliche Verheerungen
anrichtete und die Gründung der Singergefellichaft veranlaßte, läßt fich
wohl nicht bezweifeln. Es fprict dafür auch der Umstand, daß jene
Krankheit zu gleicher Zeit, wie in Pforzheim, aud im andern jebt
badischen Städten geherrſcht bat, fo 3. B. in Freiburg, wo 1501
dev Peſt ausdrüclich erwähnt wird, 3) jo in dem näher Tiegenden
Bretten, wo dieje Krankheit, an der aud der dortige Schulmeifter litt,
Veranlaffung wurde, daß der Großvater Melanchthons diefen aus der
Schule nahm und für feinen Enkel einen eigenen Hauslehrer hielt, —
fo namentlich in Heidelberg, wo, wie ein Gefchichtsichreiber verfichert, 4)
die Seuche in Stadt und Umgegend zu Anfang des 16. Jahrhunderts
gränzenlos wüthete, und, wie oben ſchon erwähnt, ein Eurfürftliches Dekret 5)
N) Siebold Schilling, Priefter in Zürih, bei Meyer-Ahrens:
Gefchichtliche Notizen über die Luftfeuche in der Schweiz, 1841, ©. 17.
2) Zu dieſer Darftellung der Entſtehung und Berbreitung der Seuche und
ihrer äüußern Erſcheinung wurde bauptjählid bemügt: Fuchs, die älteſten
Echriftfteller über die Luftienche in Deutſchland von 1495— 1510. (Göttingen,
1843.) In diefem Bud find 13 folder Schriften, darunter auch Job. Wid—
manns „Tractatus de pustulis‘“ (jiche oben ©. 181) vollſtändig abgedrudt
und aus vielen andern (fo aud aus Wibmanns „de pestilentia“*) Belegſtellen
mitgetheilt. Am Schluß gibt der Herausgeber eine Furze Darftellung der epis
demiſchen Luftieuche in Deutichland.
3) Sautier, Philantropen von Freiburg, oder die Stifter und Wohlthäter
der Univerfität, ©. 144,
4) Häuſſer, Geſchichte der Pfalz, I, 457,
5) Ebendaſelbſt.
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgtaf Chriſtoph. 208
hervorrief, das mit den Morten beginnt: „Als der allmechtig got ein
ſchwere anbengig Tangwierig Franfheit difer Ziten vber die menſchen diejer
gegend verhengt, die Yon einem zum andern greiffet, genant die franzufen,
und es nun Etlich Jar gewert und noch Fein wfhoren hat“ x. Ummahr:
ſcheinlich iſt bloß das, daß die Seuche in Pforzheim nur im Jahr 1501
geherrfcht bat. Sie mag ſchon einige Jahre vorher dafelbft fich gezeigt,
ſcheint aber 1501 ihren Höhenpunkt erreicht, und damals neben ander
Maßregeln dagegen auch die Gründung der Singergefellichaft als eines
freiwilligen Vereins zur Folge gehabt zu haben, deſſen Mitglieder ſich
die Pflege der ſonſt verlaffenen Kranken und die Beftattung der der
Seuche erlegenen Zodten zur Aufgabe machten.
Daß die Krankheit auch in den folgenden Jahren noch fortdauerte,
erfehen wir aus einer 1509 in Pforzheim (vergl. S. 191) erſchienenen
Schrift, die zugleich „wiederum einen Beweis dafür liefert, daß bie
peitartige Seuche in Pforzheim wirklich von der bezeichneten Art
gewefen. Die Nebtiffin des Dominikanerinnenklofters zu Pforzheim,
Eliſabeth Schöttin, Hatte dem Meifter (Arzte) Alerander Sytz (Seiz)
dafelbjt Fünf Fragen über die herrfchende Seuche vorgelegt. 1) Diejer
beantwortete fie in einer Echrift, welche den Titel führte: „Ein
nuglich vegiment wider die bofen Frangojen mit ettlichen klugen rag:
ſtücken.“ Der Verfaffer behauptet darin, daß die Krankheit im Jahr
1491 in Alvernia (Auvergne) angefangen habe und „eine rut und ftraff des
Himmelsfürften, unfer Sind damit zu ftraffen,“ jei.?2) Wenn Eeiz feine
Schrift unbefangen der erwähnten Aebtiſſin widmete, wenn auc ber
mehrfach angeführte Johann Widmann 14519 feinen Töchtern zu lieb
einen deutjchen Auszug aus jeiner jchon 1497 über diefen Gegenjtand
erfchienenen Schrift machte; wenn endlih aud Ulrich ven Hutten eine
Schrift über den gleichen Gegenjtand 1519 ganz argles dem Erz:
biihof von Mainz widmete: fo gebt darans hervor, dak die Krankheit
damals nicht den anrüchigen Charakter trug, wie das heut zu Tage der
4) Vergl. Bierordt, Geſchichte der evang. Kirche in Baden, II, 99.
2) Die Anfiht, dab die Seuche cine Strafe Gottes jei, welche ſich die
Menſchen durch ihre unverbeſſerlichen Sünden, dur ihre Gottesfäfterungen,
ihren Hochmuth, und vorzüglich durch das häßliche Laſter der Unfeufchheit zu-
gezogen hätten, fand weite Verbreitung. Am Jahr 1495 erließ Kaifer Mari-
milian ein Edift gegen bie Göttesläfterer, worin ausdrücklich erwähnt wird,
daß neben andern Plagen vorzüglich die Luſtſeuche Beranlaffung gebe, die Frevler,
welche den Zorn Gottes erregten, ſttenge zu beftrafen.
204 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftoph.
Tall iſt. Es erklärt ſich diefes ohnehin aud) daraus, daß eine Anſteckung
ganz leicht erfolgen und jomit den meijten der von der Seuche Behafeten
ber Vorwurf der Unfittlichkeit nicht gemacht werden konnte. Groß aber ift
das Verdienſt jener Männer, welche die Zingergefellihaft gründeten und
bereitwillig Gefundheit und Leben aufs Spiel fegen, um ihren von der
efelerregenden Seuche befallenen Mitbürgern oder deren Angehörigen
Troft und Hilfe zu bringen oder, wenn fie dejjen nicht mehr bedurften,
ein ehrliches Begräbniß zu verfchaffen. Wenn die Namen diefer Edeln
auch nicht bekannt find, jo wird doch ihr Andenken in beftändigem
Segen bleiben !
Anbang.
Die Peſt in Pforzheim (1501).
Welch Lärmen, welch Gebränge
Stört Pforzheim's Morgenrub’?
Was treibt in bunter Menge
Das Bolf dem Rathhaus zu ?
D wär e8 nie geſprochen
Das ſchauervolle Wort:
„Die Peſt ift ausgebrochen!“
So tönt’ von Drt zu Ort.
Heute roth,
Morgen todt —
Hilf uns, Herr, in der legten Noth !
Und wer nod wandelt im goldnten Licht,
Gedenke des Todes, der Chriſtenpflicht!
D Leid! An jedem Haufe
Kehrt Klag’ und Jammer ein;
Die Würgerin, die graufe,
Berihont nicht Groß und Klein;
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftoph.
Das Kind, ben fräft’gen Gatten,
Das Weib im Schönheitsglanz,
Din Greis, den altersmatten,
Die Braut im Myrthenkranz.
Heute roth,
Morgen tedt —
Hilf uns, Herr, in ber fetten Noth!
Und wer noch wandelt im golden Licht,
Gedenke des Todes, der Ehriftenpflicht!
Verbdet ftehn die Straßen,
Es ſchweigt der Arbeit Schall,
Des Hirten muntres Blaſen,
Gefang und Peitſchenknall;
Die Sterb'glock' hört man hallen,
Der Nonnen Klageplolm,
Biel hundert Opfer fallen
Jach wie bes Graſes Halm.
Heute roth,
Morgen todt —
Hilf ung, Herr, in ber letzten Noth!
Und wer noch wanbelt im goldnen Licht,
Gedenke des Todes, der Ehriftenpflicht !
Der Kirchhof wird zu enge,
Er firäubt fi mehr und mehr,
Der Todten ſchwere Menge
Zu faſſen nad Begehr;
Am Wege, vor den Thüren
Häuft ſich der Leichen Zahl;
Kein Menſch will fie berühren,
Es fteigt die Angft und Dual,
Hente roth,
Morgen todt —
Hilf uns, Herr, in ber letzten Noth!
Und wer noch wandelt im golduen Licht,
Gedente des Todes, der Chriftenpflicht!
Der Bruder flieht die Schwefter,
Den Hausherren das Gefind,
Den Freund ber Freund, fein befter,
Die Mutter felbft ihr Kind.
Geſprengt find alle Bande
Der Sitte, der Natur;
205
206 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
Ver übt noh Macht im Lande?
Die Peſt ift Harrin nur!
Heute roth,
Morgen todt —
Hilf uns, Herr, in ber legten Noth!
Und wer noch wandelt im goldnen Licht,
Sedenfe des Todes, der Ehriftenpflicht !
Derweil nun, pefigepeinigt,
Die Stadt voll Jammers war,
Hat Rathes fi vereinigt
Von Bürgern eine Schaar
Und glaubensjtarf geichlofjen
Ten edlen Singerbund;
Biel wadre Gildgenofjen
Gelobten ſich's zur Stund:
„Was euch droht,
Qual und Tod,
Laßt uns lindern der Kranken Noth!
Und wer noch wandelt im goldenen Licht,
Er üb' an den Todten die Chriſtenpflicht!“
So führten ſie mit Singen
Ihr Amt, der Stadt zum Heil,
So Hohen als Geringen
Ward Hilf' und Troſt zu Theil;
Die Lieb' und Treue kehrte
Zurück in's Thal der Enz,
Und Gott im Himmel wehrte
Dem Grimm der Peſtilenz.
Heute roth,
Morgen todt —
Hilf dem Nächſten nach Gottes Gebot!
Wer weiß, wann die Noth in's Haus dir bricht!
Gedenke des Todes, der Chriſtenpflicht
86. Zur Sittengefdicdhte jener Deit. 1)
Die vorhandenen Quellen geftatten zwar die volljtändige Entwerfung
eines GSittenbildes für jene Zeit nicht; indeſſen find einzelne Pinfelftriche
1) Hauptſächlich nach vereinzelten Notizen aus Schriftſtücken des ſtädtiſchen
Archivs.
Behntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. 207
zu einem folchen immerhin interefjant genug, um bier in möglichitem
Zufammenhang mitgetheilt zu werden,
Daß die damaligen Sitten zum Theil ftrenger als die heutigen
waren, erjehen wir aus einigen Beſtimmungen der Yandesordnung ?) von
1495. So follten z. B. Gottesläfterer, die bei Gottes oder jeiner lieben
Heiligen Namen, Öliedern oder jonft ſchwören oder in anderer Weife
Gott dem Schöpfer Unchre than, auch alle, die mit ſolchen Leuten ver:
kehren, fie beherbergen oder ihnen zutrinken würden, hart beftraft und
im Lande gar nicht geduldet werden. Wer der Ehre einer Jungfrau
zu nahe trat, mußte ihr, wenn er fie nicht ehelichen wollte oder Fonnte,
dafür eine bedeutende Geldjunme als Entihädigung bezahlen. Auf
Ehebruc war eine Strafe von 10 Pfund Pfennig (etwa 42 fl.) geſetzt ıc.
Trotz der ſtrengen Strafen, welche für derartige Vergeben beftimmt waren,
ſah es im Punkte der Sittlichkeit in damaliger Zeit im Allgemeinen viel
ihlimmer aus, als heut zu Tage, und diejenigen haben ſehr Unredt,
weldhe meinen, daß man in der „guten alten Zeit” in diefer Beziehung
weniger zu Flagen gehabt hätte.
In Pforzheim, wie in manchen andern deutfchen Städten, machte
damals der jteigende Luxus, der Üübertriebene Aufwand bei Taufen, Hoch:
zeiten 2c. Gejeße dagegen nothwendig. So wurde 5. B. im Jahr 1495
beftimmt, daß bei Strafe von zehn Pfund Pfennig zu einer Hochzeit
nicht mehr als fünfzig Perionen geladen und über „fünf gemeiner Efjen“
nicht gegeben werden dürften in Hochzeitgeſchenk durfte nicht über
2 Schilling Pfennig (gegen ZU kr.) betragen ; nur nahe Verwandte und Aus:
ländiſche durften geben, jo viel ihnen beliebte. KRindbettgejchenfe waren bei
Strafe von 30 Schilling Pfennig verboten; Tauf- oder Pathengeſchenke
durften den Betrag von 2 Schilling Pfennig nicht überfteigen. Nehnliche
Berbote mußten gegen das Spielen erlafien werden, Damals übliche
Spiele waren namentlih das Damenbrett, 2) die Würfel und die Kar—
ten. Letztere, bekanntlich eine franzöfiihe Erfindung aus dem Anfang
des 15. Jahrhunderts, waren ſchon zu Ende desjelben in Pforzheim
—r.
3) Eiche elftes Kapitel.
2) Verſprach ja doch der Pforzheimer Stadtichreiber A. Hug dem in Baden
befindlichen Piorzbeimer Vogt, Hans von Königsbach, zu ihm zu fommen, wenn
er „ein Brettjpiel vermöchte“ (S. 180).
208 Zehntes Kapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
befannt, 2) Damals wurden aber alle dergleichen Spiele unterfagt, und
nur geftattet, „um Kurzweil“ und nicht höher, denn um einen Pfennig
zu fpielen. Einzelnen ftädtifchen Bedienfteten, wie namentlich den Büt—
teln, waren die Karten und Würfel im Wirthshaus ganz verboten und
nur auf dem Nath: oder Kaufhaus erlaubt.
Daß man in der „guten, alten Zeit“ eben jo wenig als heut zu
Tage einen fchmadhaften Biffen und einen guten Trunk verfchmähte,
dafür laſſen fich manche Beweiſe beibringen. Namentlich aber wurde
ein „Trunk“, wo e8 immer anging, mit jedem Gejchäft verbunden und
auch immer zum Voraus bedungen. Sehr häufig mußte auch der Ger
meindefädel dazu herhalten, und die Mitglieder der ftädtifchen Behörden
pflegten darin _am wenigſten zu knauſern, wenn ihnen felbft etwas davon
zu gut kam. Es «boten ſolche Anläffe, Etwas zu „verzehren“, Erſatz
für Diäten, von denen in Geld Feine ausbezahlt wurden. Wie man
ſich dafür ſchadlos hielt, zeigt unter Anderm eine Schäfereirechnung, die
zwar aus etwas fpäterer Zeit ftammt, 2) aber zu der Annahme beredh-
tigt, daß es früher auch nicht anders gehalten worden. Die ganze Ein—
nahme der Schäferei, die damals in Stadt und Altftadt aus 1356 Etüd
Schafen beftand, belief ſich auf 145 fl. 14 fr. Davon blieb außer den
unumgänglich nöthigen Ausgaben, worunter z. B. für Papier 2 fr., für
Stellung der Rechnung 24 fr. und ein Ertragejchent für den Skribenten
von 13 fr., nicht mehr reine Einnahme übrig, als 13 fl. 48 kr.; dae
Uebrige wurde größtentheils „verzehrt“, und zwar nahmen Alle daran
Theil, die mit der Echäferei irgend Etwas zu thun hatten. So heißt
e8 unter Anderem: „Als mit den Echäfern das Lamm nad alter
Gewohnheit verzehrt worden, gingen bei Schwertwirth Chriftoph Leonhard
drauf 7 fl. 24 fr.” ; ferner: „Bei Einziehung des Salzgeldes wurden
durch Bürgermeifter, Ban: und Pferchmeifter, die Schäfer und ihre
Meiber verzehrt 10 fl. 52 fr.” u, ſ. w. So finden wir auch in den
alten Zunftrechnungen bei jeder Gelegenheit einen „Trunk“ verrechnet.
Driginell ift jedenfalls auch der Umftand, daß auf dem Rathhauſe zur
Bequemlichkeit der Gerichts: und Nathsverwandten ein eigener Koch be:
ftellt war, Auch an einem „Tanzboden“ fehlte e8 auf dem Rathhaus
) Die bebeutendften Epielfartenfabrifen waren zu jener Zeit in Ulm, von
wo biefelben in Jäſſern bis nad Sizilien, ja in alle Welt verſchickt wurden.
2) Bom Jahr 1629,
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriftoph. 209
nicht. Don Weinen waren damals die befannteften und getrunfenften :
Landwein, Ortenaner, Breisgauer, Elſäßer, Rheinwein. Keine biefer
Weinforten durfte aber bei hoher Strafe mit einer andern gemifcht wer:
den; ebenfo war das Weinanmachen ꝛc. ftreng unterfagt und nur das
Schwefeln geftattet. Ein Berfahren, den Wein füß zu erhalten, war
damals ſchon befannt. Nener Wein durfte jedoch ohne Erlaubniß Bür-
germeifters und Raths vor Martini nicht ausgefchentt werden. Daß
man auch zu Haus dem Weine fleißig zuſprach, bemeist eine Beſtim—
mung der Ungeldordnung, wornac bei Bezahlung eines Averfums für
das MWeinungeld auf eine Perfon jährlih 3 Ohm gerechnet mwurden;
dabei zählten vom Gefinde zwei Perfonen für eine. Dem unbefchränften
Zehen in den Wirthshäufern ſchob der damals fchon übliche „Nacht:
gulden” einen Riegel vor, den nad) der ‘Polizeiftunde, weldhe im Som:
mer auf 10, im Winter auf 9 Uhr feitgefeßt war, Gaft und Wirth
bezahlen mußten, Die Maaß gewöhnlichen Weins koſtete durchfchnittlich
2 Pfennig, Daß neben dem Wein- damals auch das Biertrinken
üblich) war, davon babe ich Feine Spur gefunden, wenn nicht der Aus:
druck „Maltzenſchow“ (Malzſchau?), der fich in einem Beſcheid vom
Jahr 1507 findet, ) etwa auf die damals bier übliche Kunft der Be—
reitung des edeln Gerjtenfaftes eine Folgerung geftattet. In dem Pri—
vilegienbrief (fiehe unten) kommt übrigens ein Ungeld vom Bier nicht vor;
dasfelbe würde doch ficherlich nicht gefehlt haben, wenn fchon ein Bier—
verzapf in größerm Umfange ftattgefunden hätte. Erſt im Lagerbuch von
1615 ift die Rede vom Ungeld von Wein und Bier.
Die üblichften Speifen, welche namentlich die Wirthshäufer ihren
Gäſten boten, waren Suppe, Eier, Fleiſch, Fifche, letztere gebraten, ge
baden, gejotten und gefulzt, ferner Stodfiiche und Häringe, weld
leßtere, nad dem Umftand zu fchließen, daß ein eigener Häringfchauer
in der Stadt beftellt war, vielleicht in verhäftnikmäßig größern Quan—
titäten als heut zu Tage verzehrt wurden. Das Stüd galt 1 Pfennig.
Eier Faufte man damals 5 Stück um 1 Pfennig. An Fifhforten wur:
den verfpeist: Forellen, Karpfen, Hechte, Barben, Eichen, Nafen, Schupps
fiſche. Auch Krebfe ſcheinen belicht gewefen zu fein. Daß der Markt
gewöhnlich auch mit Geflügel vwerjehen war, iſt verfchiedenen Angaben
') Beſcheid vff Allerhand Punkten, vßbeth Abzug, Prieſter gueter, Meifige
Knecht, hußweinungelt der vom Adel, vnd ber Maltzenſchow halb, anno 1507
(früher in der Lade Q im ftädtifchen Archiv, ſpäter verloren gegangen),
Pflüger, Pforzheim, 14
210 Zehntes Rapitel, Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph.
zu entnehmen. Was die Fleifchpreife betrifft, jo galt damals 1 Pfund
Kalb:, Lämmer- und Kützfleiſch 4 Pfennig und fo nach Verhältnig auch
die übrigen Fleiſchſorten; ein Kalbsgekrös Koftete 5 Pfg., ein Küslein-
oder Lämmergekrös 4 Pfg., ein Kalbskopf I Pfg., vier Kalbsfüße 3 Pfg.,
ein Ochfenmagen 1 Sch. Pfg., ein binterer Darm 8 Pfg., ein Engbeutel
6 Pig., ein Fuß d Pfg. Auf den Umfang des Fleifchverbrauhs läßt
fih aus dem Viehſtande, der jehr bedeutend war, einigermaßen ein
Schluß ziehen, Natürlich waren die eben angegebenen Preife die nor=
malen; zur Zeit einer Theurung ftiegen fie auch und riefen jogar außer:
ordentliche Maaßregeln hervor, So wurde 5. B. im Jahr 1548 (Sonn:
tag nach Medardus) wegen der Theurung des Fleiſches und der Fiſche
den Wirthen ftreng unterfagt, an Fleiſchtagen Beides zufammen zu be—
reiten; an verbotenen, d. h. an Fafttagen durften fte, außer für Krane,
bei ſchwerer Strafe fein Fleiſch kochen.
Bon Gewürzen wurden außer den gewöhnlichen (Salz, Kümmel zc.)
auch Ingwer, Zimmt, Nägelein, Muskatnüſſe ꝛc. benützt. Aus denfelben
machte man verjchiedene Mifchungen, die mit den Namen Süßwürz,
Speifwürz und Pfefferwürz bezeichnet wurden, Das vorgefchriebene
Rezept derfelben war folgendes: Zu einem Pfund Süßwürz nahm
man 14 Loth Ingwer, 4 Loth Mustatnüffe, 6 Loth Zimmt, 2 Loth
Nägelein, 6 Loth Pariskörner und 31/, oder 4 Loth Safran; zu einem
Pfund Speiswürz kamen 12 Loth Ingwer, D Loth Zimmt, 4 Loth
Mustaten, 4 Loth Pfeffer, 6 Loth Pariskörner und 31/, Loth Safran;
zu einem Pfund Pfefferwürz wurden 14 Loth Ingwer, 3 Loth
Mustaten, 6 Loth Zimmt, 2 Loth Nägelein, 4 Loth Grenn (grains ??)
und 3 Loth Pfeffer genommen. 1) Die einzelnen Beftandtheile diefer
Würzen mußten vorher forgfältig getrocknet und geftoßen werden. Den
Berkauf beforgten eigene Würzfrämer, die namentlich auf Jahrmärkten
und Kirchweihen ihre Gefchäfte machten, und denen ftreng auf die Finger
gejehen wurde, damit fein Betrug unterlief. 2)
Die Kleidungsftoffe, welche im jener Zeit verwendet wurden, bes
ftanden hauptfächlih aus Linnen und aus Wolle. Zum vollftändigen
1) Die Rechnung bei diefen Rezepten ift eine etwas wunbderliche; beim
erften kommen auf das Pfund 351/, —36, beim zweiten 24°/,, beim britten
32 Roth,
2) Vergl. hiezu Würzkrämerorbnung, von Markgraf Chriftoph am Montag
nah St. Maria Magdalenentag 1515 gegeben, (Stadtarchiv.)
Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Chriſtoph. >11
Anzug einer Bürgersfrau gehörten: ein Unterhemd, ein Unterrod, ein
Dberrod, ein Schaubenrod, 1) ein Gürtel, der manch Mal mit Silber
ober Gold beſetzt war, ein Mantel und ein Schleier.
Daß damals die Leichen nicht nur auf den Kirhhöfen, fondern noch
immer auch in den Kirchen felbft begraben wurden, ift bekannt. Der
Gebrauch der hölzernen Särge fcheint jedoch noch nicht allgemein geweſen
zu fein, Es geht dies aus einigen Beftimmungen der im nächſten Ka:
pitel folgenden „Zodtengräberordnung” hervor. Wurden nämlich mehrere
Leichen (auf einander) in ein Grab gelegt, fo mußte diefes für jede der⸗
felben einen Schuh tiefer gemadyt werden. Wären fie in Särgen ge:
weien, jo hätte ein Schuh nicht hingereicht. Ferner heißt es darin:
Kommt eine Leiche von Fremden ber in einem Baum (Todtenbaum, wie
im Oberland der Sarg noch heute genannt wird), oder begehrt Je—
mand, in einem Baum begraben zu werden, jo mag das gejchehen ıc,
Die Werkleute und Taglöhner mußten Sommers und Winters
Morgens an die Arbeit gehen, ſobald es fo hell war, daß man eines
Pfennigs Münz oder Gepräge erkennen konnte. Feierabend wurde ges
macht, wenn man das Salve läutet. Zu welcher Zeit dies gefchehen
follte, hatte der Bürgermeifter nad Beschluß Gerichts und Raths zu
beftimmen. In ähnlicher Weife wurden Morgens auch bie Thore der
Stadt „aufgeläutet,”
Der Glaube an Heren ftand in jener Zeit nody im jchönften
Flor, und wie allgemein verbreitet derfelbe war, ehrt die Bulle von
Papft Innozenz VIII. vom Jahr 1484, durch welche die Herenprozeffe
eine feitere und geordnete Einrichtung bekamen. Auch in Pforzheim
fcheint e8 an folchen nicht gefehlt zu haben. 2) So erwähnen alte Akten 3)
einer Ama Nocdin von Nfingen (Eifingen) als einer Here vom Jahr
1491, ebenfo der alten Hebamme von da; ferner der Barbara Dres
berin und Brigitta Segerin von Dietlingen von 1532, der Doro:
thea Hugin von Huchenfeld von 1524, der Hebamme von Pforzheim,
die deswegen den Namen der Unholdin erhielt, von 1491, der Katha—
1) Ein Tſchauben- oder Tſchobenrock, mit einem Tſchoben, d. h. einem
befondern Leibchen.
2) In Pforzheim wurde 1507 auch eine Schrift: „Ueber bie Hexen“ gebrudt,
deren Berfaffer der Pfarrer Mart. Plantih von Tübingen war (S. 190).
3%) ‚Regiſtrum, darnach allerhandt der Stadt Pforkheym Handlungen zue
ſuchen,“ früher im hieſigen Stadtarchiv, jegt aber nicht mehr —
192 Zehntes Kapitel. Pforzheim unter Markgraf Ehriftoph.
rina Hedin und der Menſchin von Bilfingen aus der nämlichen
Zeit. Wie die Prozeſſe ausfielen und ob und mie die der Hererei
Beſchuldigten beftraft wurden, ift in den Alten nicht gefagt. Meiſt
traf der unglüdjelige Verdacht der Hexerei die Weiber, befonders
wenn fie alt, gebeugt und triefäugig waren; aber e8 kamen aud
Beiipiele von Männern vor, die fi mit dem Verheren abgaben, fo
zwei Männer aus Dietlingen, Edart und Schnefels, im Jahr
1533. — Eines Herenprozefies, der zwar in eine etwas jpätere Seit
fällt, kann bier gleich mit ermähnt werden. Derfelbe fpielt in Er-
fingen im Jahr 1576. Als der franenalbiiche Amtmann Chriftoph
Rothfuß am 23, Oktober jenes Jahres in Erfingen Herrengericht
hielt, wurde die dortige Hebamme, Margareta Banerbader, all
gemein der Hexerei befchuldigt. Cie verhere die Weiber, wenn fie
niederfommen wollten, greife das Vieh an, lähme und tödte «8.
Meiber und Kinder in Erfingen und Bilfingen entſetzten ſich vor ihr,
und die Pfarrherrn beider Orte wollten fein Kind mehr taufen, wenn
die Hebamme dabei fei. Auf diefe Klagen bin wurde diefelbe ge-
fangen gefeßt und am 1. Dezember zu Ettlingen verbrannt. Schon
einige Jahre vorher (1573) waren drei Weiber aus Erfingen wegen
Hererei in Unterfuhung genommen worden, Zwei davon, Mar:
garetfa Burfard und Katharina Hildebrandin, ftarben in Bas
den auf dem Scheiterhaufen,; die dritte, Anton Rots Frau, ent
leibte fich felbit im Gefängniffe. 1) Ergötzlich ift eine Bittfchrift, welche
Schultheiß, Gericht und Gemeinde zu Erfingen und Bilfingen unterm
7. Februar 1577 an den Markgrafen zu Baden richteten, und mo:
rin fie ihn um Gottes willen baten, daß er fie doch von ihren
vielen böfen Weibern (Heren), die mit Lähmung und Tödtung des
Viehs fortwährend großen Schaden anrichteten, befreien möchte, Ob
und wie der Markgraf diefer Bitte entiprochen bat, vermag ich nicht
zu fagen. 2)
1) Vergl. hiezu: Deduftion, das Recht des marggr. Haufes Baden auf
bas Klofter Frauenalb, S. 134, 252 und 334,
2) Andere Beiträge zur Sittengefhichte des 15. und 16, Jahrhunderts
find im folgenden Kapitel zu finden.
Glftes Kapitel,
Stadtverfaffung von 1500, ')
$ 1. Vorbemerkungen. „Ordnung und Polizei“ von 1491. 2)
Zu denjenigen Städten, deren innere Verhältniſſe unter Markgraf
Chriſtoph und durch denfelben in einer Weile geregelt wurden, die ſo—
wohl den frühern Herkommen die Tebenskräftigen Elemente entnahm,
als denfelben auch neue zeitgemäße Beitimmungen anfügte, weldye bie
Grundlage zu weiterer fröhlicher Entwicklung bildeten, gehörte auch Pforz-
heim. Bon jeher ein Kleinod in der Krone ihrer Fürften und darum
immer der Gegenſtand befonderer Aufmerkſamkeit derfelben hatte fich
die Stadt feit ihrem Anfall an Baden ihren Landesherrn beftändig fo
ergeben gezeigt, daß Markgraf Ehriftoph befchloß, ihr in Anerkennung
der feinen Borfahren bewiefenen Treue und um ihren Wohlftand und
ihre Blüte zu befördern, befondere Nreiheiten zu verleihen und alle ihre
innern Verhältniffe im Sinne derfelben zu ordnen und zu befeftigen.
Der Anfang dazu wurde gemacht durch eine „Ordnung vnd fry—
heit der ftat pfortzheym“, welche der Markgraf der Stadt auf
1) Der nachjtehenden Darftellung find hauptſächlich Urkunden, Kopialbücher.sc,
des Stadt, zum Theil auch des Landesarhivs zu Grunde gelegt. Berglei-
Hungsweife wurden auch die „Ordnungen“ anderer Orte, fo z. B. von Rafatt,
(Mone, bad, Archiv, I. und Eifinger: Zur Topographie und Geſchichte von
Raftatt, Beilage zum Lyzeumsprogramm von 1855), Baden ꝛc. (Zeitichrift
für die Gefchichte des Oberrheins, IV., 291 und 129 ff.) benützt.
2) Es fommen in dielem Kapitel viele Geldangaben vor. Um ben Lejern
die Reduktion auf den heutigen Geldwerth zu erleichtern, bemerfe ich mit Hin-
weifung auf das ©. 129 und 130 Gefagte, daß der Heller zu "/, Kreuzer, ber
Pfennig zu 1 Kr., der Schilling Pfennig zu 12 Kr., das Pfund Heller zu
2 Gulden, das Pfund Pfennig zu 4 Gulden in runder und bequemer Summe
berechnet werben Tann.
214 kit Kaptiel. Exraktverfafiung von IHM.
St. Michels bes beiligen Erzengel Tag (29. Sept.) 1356, und zwar
vorläufig auf 6 Jahre und unter der Bedingung verlieh, „daß, ob im
ſechs jaren, ben nehiten nah dato dißs brieffs nachennander vollgende,
wir oder ennhere erben, an vnſſelbs vnnd an rat, befunnden würden,
das iellibe erönungen, frobeiten vnnd vfffagungen, innhalt der gemelten
verſchrybungen, vns end den von Piortzheym nit guet noch nützlich
werent, das mir dann jelihs gang vnnd gar widderumb abtuon
vnnd vffheben“ ꝛc. An die Etelle diejer provifortihen Stadtorönung
trat noh vor Umfluß genannter 6 Jahre eine definitive „Ordnung und
Polizei”, welhe Markgraf Chriſtoph der Stadt am Montag nah Neu:
jahr 1491 ertheilte, und melde in der Hauptſache mit der erften „Orb:
nung und Freiheit” von 1456 übereinftimmte, in Manchem aber auch
Veränderungen eintreten ließ, welche ſich durch die gemachten Erfahrungen
als eine Nothwendigkeit berausgeftellt hatten.
Im Allgemeinen enthielten die von Markgraf Chriſtoph ertheilten
Städteordnungen eine Menge theil$ gemeinfamer, theils befonderer, den
Dertlicykeiten der betreffenden Städte angepaßter Beitimmungen, welche
unmittelbar auf Förderung der Freiheit, Sicherheit, Ruhe und Gedeih—
ficykeit ihrer Bewohner berechnet waren. Doch darf nicht überfehen wer:
ben, daß fie auch eine Vermehrung der fürftlihen Einnahmen bezweckten,
indem fie die direkten Steuern aufhoben und dafür die Verbrauchsaccife
einführten, welche weit mehr abwarf, da ihr die Geiftlichkeit, der Adel
und die herrichaftlihen Diener, wenn auch theilweife unter etwas ver-
änderten Beftimmungen, ebenfo unterlagen, wie die Bürger. (In einer
Woche Oftobers 1486 gingen beifpielweije in Pforzheim ein an Salzgeld,
MWeinungeld, Fleifhungeld, Frucdtungeld und Stättgeld beinahe 57 Pfb.
Pfennig oder gegen 300 Gulden, was jährlich an 15000 fl. machte, —
eine bedeutende Summe für jene Zeit.) 1) Die gleihmäßiger ver
theilte Steuerpflicht mußte aber wohlthätig auf das ftädtifche Leben wirken
und vermögliche Fremde herbeiziehen, wodurdy Gewerbe, Handel und
Wandel nur gewinnen konnten. So mußten fih bald die Stadtbriefe
als eine Einrichtung bewähren, welche alljeitig von den fegensreichiten
Folgen begleitet war, 2)
Der „Ordnung und Polizei” folgte für Pforzheim nach und nad),
1) Stabtorbnung von 1486 im Lanbesardhiv.
2) Bergl, Baders (neue) Babenia, I, 68.
Elfies Kapitel. Stadtverfaffung von 1500, 215
— nicht auf ein Mal, fondern wie ſich unter Zugrundlegung derfelben
das Bedürfniß dazu ergab — eine Menge anderer „Ordnungen,“ durch
welche das Ortsregiment, das Gewerbsweſen zc. zeitgemäß geregelt wurden,
Diele derfelben wurden aus früherer Zeit beibehalten, andere neu ges
geben, zum Theil noch von Markgraf Chriftoph felber, zum Theil von
und unter feinen nächſten Nachfolgern, und ſpäter nach Bedürfniß ergänzt
und verändert. Alle aber bildeten ein ineinandergreifendes Ganzes, das
ung über die innen Verhältniſſe der Stadt, wie ſich diefelben zu Ende
de8 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts geftalteten, die intereſſan—
teften Aufſchlüſſe ertheilt und darum bier ausführlicher beſprochen wer:
den muß. Che ich es jedoch verfuche, ein Bild diefer Verhältniſſe zu
entwerfen, müffen einige Bemerkungen vorausgeſchickt werden. Die wid;
tigfte der erwähnten „Ordnungen“, nämlich die „neue Ordnung und
Polizei“ von 1491, ift no im Original vorhanden und zwar im ftäd-
tischen Archiv, Es ift ein ehrwürdiges Dokument, aus 8 zufammenges
befteten Pergamentblättern bejtehend, wovon 6 beichrieben find und 2 den
Umschlag bilden. An der durchgezogenen roth- und gelbfeidenen Schnur
hängen die Siegel des Markgrafen und der Stadt Pforzheim. (Lebtereg
ift das fhen ©. 79 beichriebene). 1) Bon den übrigen „Ordnungen“
find bloß Kopien vorhanden, die in ein Buch 2) gefammelt find. Sie
alle ausführlich mitzutbeilen, wäre zu umſtändlich und würde allzu viel
Raum in Anfprucy nehmen. Sch werde ftatt deſſen verfucdhen, den
wefentlichen Inhalt derfelben in einem Gefammtbild darzuftellen und
diefem, wie es gerade nöthig tft, einzelne Stellen aus jenen Ordnungen
ausführlicher einzufchalten. Die Schwierigkeit diefes Gefchäfts dürfte etwaige
Mängel in der fachlichen Bollftändigkeit entihuldigen. Die Stadtordnung
von 1491 felber aber möge zuerft ganz folgen.
1) Außerdem find im ftädtifchen Archiv 3 Kopien davon, eine von 1517,
eine zweite von 1698 und eine dritte von 1716, Eine größere Anzahl von
Abichriften befindet fih im Landesarchiv bei jpätern Akten, namentlid den—
jenigen, welche ben zu Anfang des 18. Jahrhunderts ausgebrochenen Privi—
legienftreit betreffen.
2) Dasfelbe bildet einen ftarfen Folianten von 339 beichriebenen Blättern,
und fheint gegen Ende des 17. Jahrhunderts vom damaligen Stabtichreiber
Boch angelegt worden zu fein. Die Aufeinanderfolge der Einträge ift durchaus
feine chronologiiche, fondern es herricht darin die größte Willfür, was aud bie
Meberficht ſehr erſchwert.
216 Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500.
Derer von Pforzheim nene Ordnung und Polizei. 1)
A, Einleitung.
Wir Chriftoph, von Gottes Gnaden Markgraf zu Baden ꝛc. und
Graf zu Sponheim, befenmen öffentlich mit diefem Brief und thun kund
allen denen, die ihn immer anfehen, Tefen oder hören leſen: Nachdem
wir aus angeborner fürftlicher Natur geneigt und begierig find, den
Unfern, die ſich täglich gegeri ung gehorſamlich erzeigen und halten, ung
auch mit Willen und Treuen dienen, folde unfere Hilfe und Gnade
gnädiglich mitzutheilen, durch die fie mit Förderung des gemeinen Nutzens
an Ehre und Gut mögen zu Aufgang kommen: darum, und fo die
ehrfamen unfere lieben und getreuen, Bürgermeifter, Gericht, Nath und
Gemeinde unferer Stadt Pforzheim ſich gegen unfere Vordern Löblicher
Gedächtniß und ung allwegher, zu Schimpf und zu Ernſt, mit getreuen
Darjtreden, Hilfe und Steuer geborfamlich erzeigt, willig und wohl ge
halten haben, und dergleichen biefür auch thun follen uns, allen unfern
Erben und Nachkommen, die Markgrafen zu Baden, und der Stadt
Pforzheim regierende Herren zu fein geordnet werden, und dann auch
bedenken, wiewohl die gemeldte unfere Stadt Pforzheim mit fammt
der Altenftadt und den Worftädten daran in unferm Fürftenthum der
Markgrafichaft ein merklich Glied, und zum Handel und Wandel am
Beiten gelegen: fo ift fie doch bisher nicht höher, denn anders unfere
Städte im der gemeldten unferer Markgrafichaft, gefreit, und lange Zeit
mehr zum Ab- denn Aufgang gerichtet geweien. Solches auf beffern
Weg zu bringen, han wir aus ehgemeldter fürftlicher Mildigfeit und
fonders gnädigen Willens, fo wir zu der gemeldten unferer Stadt Pforz-
beim und ihren Einwohnern tragen, mit guter Vorbetrachtung und nad)
unferer Freunde und Näthe gepflogenem zeitigem Gutbedünfen und Rathe
die Obgemeldten von Pforzheim etwas mehr und weiter wollen freien,
Polizeien und Ordnungen geben, durch die in künftigen Zeiten diefelbe
unfere Stadt von ihr felbjt gebeffert und zu mehrerer Achtung, Bau
und unzergänglichem Weſen gehalten und gehandhabt, diefelben Einwohner
) Des befjern Berftändniffes wegen ift die Urkunde in heut zu Tage übli-
her Orthographie und Interpunktion mitgetheilt. Die einzelnen Paragraphen,
die im Original bloß durch etwas größere Schrift der erften Worte angedeutet
find, wurben bier nummerirt, mit Ueberfchriften verfehen und der leichtern
Ueberfiht wegen unter vier Hauptrubrifen gebracht.
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 217
auch an Ehren und Gut zunehmen und Andere von auswendigen Orten
befto mehr gereizt und hinein zu ziehen begierig werden mögen, infon-
derheit jo Alle, die jebund da wohnen oder hinfür dahin ziehen, mit
ihren Nahrungen in allerlei Werbungen frei und umverborgen dafelbit
dar und dannen handthieren, üben, brauchen und handeln mögen zu
ihrem Beſten; freien und geben auch jetund den genannten Einwoh:
nern zu Pforzheim, in der Altenftadt und den Vorftädten daran, gegen:
wärtigen und künftigen, ihren Erben und Nachkommen, eine neue Freiung,
Ordnung, Sabung und Polizei für ung, alle unfere Erben und Nach:
fommen Markgrafen zu Baden, wifjentlih und unwiderruflich in Kraft
dieſes Briefes, als wir denn Soldhes von eigener Macht wohl thun
mögen und hiemit gethan haben wollen, Alles in der förmlichiten Weife,
wie das in- und außerhalb der Nechte und Gewohnheiten am kräftigſten
und beftendlichiten fein fol, kann und mag, inmaßen und wie von
Punkten zu Punkten hernady eigentlich gefchrieben ſteht.
B. Ordnung. |
4. (Steuer: und Frobndfreiheit) Zum Erjten jo haben
wir fie frei gemacht und gejeßt und freien fie auch williglich und wohl-
bedachtlich durch Kraft diefes Briefes aljo, daß fie auch alle ihre Nach:
kommen in berfelben unfrer Stadt Pforzheim, auch im der Altenftadt
und in den Vorftädten, nun fürbaß mehr aller Bete, Schatung, Steuer,
Frohndienft, Landſchadens, Führung und aller Beſchwerniß, nicht ausge
nommen, in künftigen Zeiten und Lagen ewiglich ganz frei, ledig, unbe—
fünmert und ungedrängt fein und bleiben, fondern das Alles nicht mehr
geben oder thun, wir auch ihnen Soldyes nicht mehr auffegen oder zu:
muthen, noch das von unfern Wegen fchaffen oder geftatten follen noch
wollen in feiner Weiſe weiter, denn wie nachfolgt.
2. Perſönliche Freiheit.) Weiter haben wir fie auch gefreiet,
daß mir, noch unfere Erben oder Nachkommen, noch Jemand von unfern
Megen keinen Bürger oder Einwohner unfrer Stadt Pforzheim, auch
in der Altenſtadt und Vorftädten, nun und hernachmals an ihren Leibern
oder Gütern nicht anders, denn zu Recht angreifen und fahen, fie auch
mit Thürmen oder Blöden, 1) no Solches zu gefchehen fchaffen follen,
1) An den Fußblod einfchließen, Der Gefangene mußte figen nnd feine
Füße ausftreden, die zwiſchen zwei burchlöcherte Balken eingeichloffen wurden.
218 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500.
noch wollen, e8 fei denn vorhin durch unfer Gericht dafelbit zu Pforzheim
mit Recht erkannt, — ausgeſchieden,) ob es wäre, daß derjelbe Bürger
oder Einwohner zu Pforzheim um feine Verhandlungen nicht Bürgen
hätte oder für fich felber an feinem eigenen Gut nicht vermöchte, dafelbft
dein Nechte nachzukommen und genug zu thun, und dann Bürgermeifter
und Rath zu Pforzheim fich des- oder derſelben auch nicht wollten ans
nehmen, uns, oder an unfrer Statt unferen Amtleuten oder Schultheißen
zu Pforzheim, den= oder diejelben auf unfer Gefinnen zuräcdhalten und
handhaben, als wir ihnen hierin zu thun Macht geben: alsdann fo
mögen biefelben unfere, unferer Erben und Nachkommen Amtleute oder
Schultheißen, fo je zu Zeiten fein werden, den: oder diefelben im Thurm
oder fonft behalten, damit man des Rechten von ihnen ficher jein und
befommen möge. Doc in allweg ausgenommen, ob die That oder der
Mißhandel den Leib oder das Leben berührte; um Solches mögen wir,
unfere Erben und Nachkommen den: oder diefelben mit Nedyt und nicht
weiter ftrafen laſſen.
3. (Strafreht über die fürftlihen Diener) Wir haben
ung doch infonderheit vorbehalten, unfere Amtleute, Diener und Knechte
zu Pforzheim zu jedem Mal um ihre Händel ihres Amtes halber im
Thurm und fonft zu ftrafen, wie wir das bisher dafelbft zu Pforzheim
und in andern unjern Gebieten zu thun Macht han.
4, (Freizügigfeit.) ir geben, gönnen und erlauben —
hiemit den genannten unſern Bürgern und Einwohnern und allen ihren
Nachkommen der vorgenannten unſern Stadt und den Vorſtädten einen
freien Zug, alſo daß ſie mit ihren Leibern und allen ihren Gütern aus
und ein mögen ziehen, fahren, wohnen und kommen, wann und wohin
einem Jeglichen, ev ſei reich oder arm, je zu Zeiten füglich eben und
gelegen wäre, Doc daß derfelbe, der alfo von Pforzheim ziehen wollte,
dies thue mit Wiffen eines Schultheißen dafeldft, und daß ex ſich zuvor
mit allen feinen Schulönern vertrage. Und ob fich Icht 2) in Zeit feines
Weſens dafelbft begeben hätte, darum foll er dem Schultheißen Ver:
ſprechniß thun, daß Solches mit Recht zu Pforzheim, und nirgends
anderswo gerechtfertigt und ohne ferneres Ziehen ausgetragen werde,
und darauf auf Stund nad foldher Verſprechniß feiner vorgethanen
Pflicht, desgleichen feines Leibes und Gutes ganz unverhindert ledig fein,
1) ausgenommen. *) Etwas,
Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 219
Eie mögen auch in- oder außerhalb der Stadt Pforzheim und außer
unferm Fürftenthfum der Markgrafichaft Baden an fremdem Ende,
wohin und wann fie wollen, mannen und meiben !) dazu mit ihrem Gut,
ltegendem und fahrendem, werben und handeln, das verfeen, verkaufen,
verändern, fich felbft damit verfehen und in allweg damit gefahren, 2)
thun und lafen, wie einen Jeden zu jeder Zeit allergefälligft und nütß:
lichſt ift und fein mag, ohne Irrung, Eintrag und Hinderniß unfer,
unferer Erben und Nachkommen und Männiglihs von unfern Wegen,
Es fol und mag auch eim jeglicher unfer Bürger und Einwohner zu
Pforzheim fein Gewerbe mit Gewahr aus und ein und zu Pforzheim
treiben und führen, und einem jeden davon die Stadt mit Ein= und
Ausfahren ganz offen fein, e8 wäre denn, daß feiner Gewahr in der
Stadt bedürflic und noth wäre.
5. (Gemeindsgut und Nukungen.) Wir erneuern und be
ftätigen aud) für uns, unfere Erben und Nachkommen in Kraft dieſes
Briefs den genannten Bürgermeifter, Gericht, Nath und ganzer Ge:
meinde zu Pforzheim, auch in der Altenftadt und den Vorftädten und
ihren Nachlommen, alle ihre Almenden, Wälder, Waffe, Wonn, Waibde,
Zwing und Bänn, befonders auch ihre Almend und Kallhartwälder der:
maßen, daß fie die Dehmen 3) von denfelben beiden Wäldern einen jeg-
fichen Fünftigen Jahres nutzen und nießen follen und mögen. Doch
follen fie eines jeglichen Jahres, fo die Eder tragen, um ſolche Nutzung
und Nießung ung und unfern Erben ein Pfund Pfennig zu Bekenntniß
unfrer fürftlichen Obrigkeit geben und ausrichten, Darnach fo erneuern
und beftätigen wir auch für uns, unfere Erben und Nachkommen ihnen
und ihren Nachkommen alle ihre Nechte und reiheiten, gönnen und
laſſen ihnen auch dazu ihre Gefälle, Weggeld, Meßgeld, Waggeld, Kauf:
haus, Stättgeld darauf, Rathhaus, Zwingolf, %) Stadtgraben, Siegel
hütten, Waltmühle, Schleifmühlen, Fijchenzen, 5) Wafchhäufer, und auch
die Nügungen der Mebger, Bäder und Müller, Felder und Wälder,
ob und wie fie das Alles und Jedes befonders bei weiland unfern
Bordern und Voreltern löblicher Gedächtnig und uns bis auf heut
1) Einen Mann oder ein Weib nehmen. *) verfahren, 3) Walbertrag
bezüglih der Eichelmaft oder des Ederichs, +) Zwinger, ber Zwiſchenraum
zwijchen ber Heinen äußern und ber größern innern Stadtmauer, 5) Fiſchwaſſer,
Fiſchrecht.
220 Elftes Kapitel. Stadtverfaflung von 1500.
Datum diefer Ordnung mit Briefen oder fonft hergebracht und noch
haben, fie dabei bleiben zu lafen, alſo daß fie das alles Jetztgemeldete
binfür ausrichten, befetsen und entjegen, und zum Bejten und Nützlichſten
"zu allermalen verhandeln follen und mögen. Und um daß Solches
nach Nub und füglich geicheben und gehandelt werden möge, jo jollen
fie zu jeder Zeit, fo ſie deßhalb Ordnung machen wollen, unfern Schult-
heißen dazu berufen, und wo demjelben nichts Befjeres, denn ihre Auflag
oder Fürnehmen wäre, bedünken wollte, jo joll er Macht haben, Solches
aufzuhalten, weitern unfern Rath darunter zu haben,
6. (Deffentlihe Ruhe.) Item fürder, jo haben wir geordnet,
ob oder wann es fich füge, daß zween Bürger oder Einwohner uneins
würden und dem Schultheigen dephalb Sage füme, jo mag er jeder
Partei gebieten unjern Frieden bei zehn Pfund Pfennigen, Oder fo,
zween auf der Gafje, oder wo das wäre, in Gezänk oder Hader kämen
io ſollen ein Schultheiß, Bürgermeiſter, ein jeder Nichter oder Gebüttel,
die das fehen oder hören, denfelben auch unfern Frieden gebieten bei
fünf Pfund Pfennigen; und welder dann über fold Gebot dem Andern
Schmah, Schande oder Schaden zufügen würde oder zu geſchehen
ſchüfe, e8 wäre mit Worten oder Werfen, derſelbe brüchige Theil fol
dann ſolcher obgemeldten Poen, 1) bei der dann einem “Jeden Frieden
geboten wäre, verfallen fein, davon uns drei Theile und der Stadt das
vierte zuftehen fol.
7. Ausnahme der herrihaftliden Rechte.) Doch fo
haben wir ung, unfern Erben und Nachkommen, Markgrafen zu Baden,
in dieſer vorgefchriebenen Freiung namentlic, vorbehalten unfere fürftliche
Obrigkeit und Herrlichkeit, Geleit und Wildbänne, Gebot und Verbot,
dazu alle unfere Gülten, Zinfe, Nenten und Gefälle, wie und wovon
uns die bisher zu Pforzheim in der Stadt, der Altenftadt und Bor:
ftädten gefallen, eingebracht und verrechnet find, oder binfür zuſtehen
würden, es fei von Käufern, Hofitätten, Mühlen, Aedern, Wiefen,
Gärten, Waſſern, Wäldern, Feldern, Dehmen, Zöllen, Freveln, Unrechten,
Einungen, Bußen, Megelbänfen, Brodbänken u. A., wie folches Alles
auf ung kommen, und wir es bisher ingebabt, und nad) laut unferer
Zinsbücher dur unfere Amtleute, Keller und Knechte haben einbringen
1) Strafe.
Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500, 221
fafjen, genübt und genofjen, und gemeinlich alles das, fo unfrer Dbrig-
feit anhängig, und durch weiland unfre Vordern feliger Gedächtnig und
uns über das, jo wir den Unſern von Pforzheim, wie vor und nach in
diefem Brief begriffen und mit ausgedrückten Worten geſetzt und beftimmt
ift, zugeftellt, dnfelbit zu Pforzheim bergebracht und bisher gebraucht und
inne gehabt haben, gar nichts ausgenommen.
8. (Kriegsftener und Kriegspflihten) Wir haben un
auch ansgedungen, wäre es Sach, 1) daß wir, oder unfere Nachkommen,
Markgrafen zu Baden, einer oder mehrere, der dann unferer Stadt Pforze
beim rechter Fürſt oder vegierender Herr wäre, gegen Jemand nieder:
legen 2) oder gefangen würden, davor Gott der Allmächtige uns allzeit
behüten wolle, daß wir dann nach Gelegenheit der Sache von den Uns
fern von Pforzheim in der Stadt, auch in der Altenſtadt und in den
Vorſtädten eine ziemliche Steuer und Schakung fordern, auffeßen und
nehmen mögen, fie auch fchuldig und pflichtig fein follen, die zu geben,
in der Summe und Mafje ungefähr, als fie von andern eigenen Leuten
unfers Fürſtenthums aufgefett, geheifchen und genommen würde; und
foll doch darnach, fo oft das gefchehe, dieſe unſere Freiheit gleichwohl
ungefhwächt, ſondern allweg zu ihren Kräften bleiben, gehalten und
dadurch nicht überfahren fein, noch werden. Die von Pforzheim follen
auch in allen SKriegsgeichäften ung mit aller Hilf gehorfam fein und
bleiben, wie andere unfere Lande und Leute, ungefährlich ; desgleichen mit
Stallungen zu Schimpf 3) und zu Ernft, die zuzuräften nach unfern
Geboten und Gelegenheit der Sache gehoriam fen. Dazu, ob oder
warn einiger Zugriff, Beſchädigung oder andere Aufruhren in unſrer
Markgrafſchaft gefchehen ‚und gemeinlich fo die unfere Amtleute fie zu
Zeiten Noth bedünken und die Unfern von Pforzheim deshalb von ihnen
oder ihretiwegen ermahnt würden, daß fie dann nacheilen, retten und
helfen follen nach allem ihrem Vermögen, wie andere die Unfern das
zu thun auch fchuldig find,
I. (Fürſtliche Schulden) Db aud wir, unjere Erben und
Nachkommen hiefür einigerlei Hauptguts zu vergulten aufnehmen) und
die von Pforzheim, ſammthaft oder fonderlich, 5) mit und zu uns oder
1) Wenn es geichehen ſollte. *) unterliegen. 3) Bei Feierlichkeiten, wie
Aufzügen, Turnieren 2. *) Ein verzinsliches Kapital aufnehmen, 5) Mit
andern Städten zufammen, oder für fich allein,
229 Elftes Kapitel. Stadtverfaijung von 1500,
ohne ung für fich felbit, zu Bürgen und Mitfchuldnern geben und feßen
würden, da follen fie auf unfere Schadlosbriefe, jo wir ihnen die im
ziemlicher Form zuichiden und geben laſſen, allweg auch gehorſam ſein,
zu thun ohne Widerrede.
10. (Verbindungen) Es ſollen auch die obgenannten Bürger:
meiſter, Gericht, Rath und Gemeinde noch Einwohner, ſammthaft noch
ſonderlich, unter ihnen ſelber noch mit jemand Anderm keinerlei Bündniß
machen, zuſammen verſchreiben, geloben, ſchwören noch verheißen ohne
unſer, unſerer Erben und Nachkommen Wiſſen und Willen.
11. (Gericht sweſen.) Es ſoll auch hinfür unſer Gerichtsſtab
zu Pforzheim gehalten und gehandhabt werden durch unſere Amtleute
und Schultheißen, ſo wir jederzeit zu Pforzheim haben, nach laut der
Ordnungen, die wir ihnen zu allen Malen geben werden, mit aufgeſetzten
ziemlichen und billigen Poenen darin begriffen, zu Handhabung desſelben
unſeres Stabs. Doch ſoll dieſelbe Amtsordnung den Punkten, hierin
ausgedrückt, denen von Pforzheim keinen Abbruch bringen. Dieſelben
Gebote und Poenen ſollen auch alle von unſerm Schultheißen und Amt:
mann aufbewahrt, ung und unfern Erben drei Theile, und der Stadt
Pforzheim und auch ihren Nachkommen der vierte Theil zur Befferung der
Stadt folgen und werden, Ob aber wäre, daß Einer folhe Poene
nicht zu geben hätte, den mögen wir aus der Stadt verbannen; doch
ausgeſchieden unſer Geleit, Mildbänne und hohe Obrigkeit, mögen wir
mit Geboten und Strafen verbieten und halten nad unferm Gefallen.
12. (Stadtwahe) tem, wenn Thurmknechte, Wächter und
Thorwarte von ber Stadt beftellt und gedingt werden, das foll ge:
ſchehen im Beifein unferes Schultheißen an unferer Statt, demfelben fie
auch von unfern Wegen zuvorderft follen geloben und ſchwören und
darnach der Stadt, wie fich denn einem Jeglichen nach Gelegenheit feines
Dienftes zu ſchwören gebührt,
13. (Thorſchluß.) tem, die Schlüffel zu allen Thoren unferer
Stadt- Pforzheim fol haben unfer Schultheiß, und es mit Auf und
Zuſchließen derfelben Thore Tag und Nachts halten nach unferm Beſcheid.
14. Bürgerannahme) tem, ein jeglicher Fremder, der gen
Pforzheim ziehen will, foll von unferm Schultheißen angenommen werben
und geben einen Schilling Pfennig der Stadt, einen Schilling Pfennig
dem Schultheißen und einen Schilling Pfennig den Gebütteln,
Eiftes Kapitel, Stadtverfaffung von 1500. 223
C. Polizei,
Und um daß den genannten Bürgermeifter, Gericht, Rath und
Gemeinde und Einwohnern unferer Stadt Pforzheim mit ſammt ber
Mtenftadt und den Vorftädten und ihren Nachkommen diefe vorgefchrie-
bene unjere Freiung und Begnadigung defto fruchtbarlicher und ftattlicher
erichiegen und ihnen zum Aufgang und Nuten, als e8 denn in ung aus
ehrbaren und nothdürftigen Urſachen gemeint und angefehen ift, dienen
möge: fo haben wir gejett und geordnet dieſe nachgefchriebene Polizei,
binfür von ihnen gehalten zu werben,
15. (Mehlaccis.) Zum Eriten, daß ein jeglicher Bürger oder
Einwohner, geiftlich und weltlich, auch ein jeglicher Bäder und Müller,
Niemand ausgenommen, zu Pforzheim, der Altenftadt und den Vorftädten
von allen Früchten, die er zur Mühle thut und zu Brod verbaden läßt
oder jelber verbadt, zu vechtem Ungeld geben fol, nämlich von einem
jeden Malter Kernen zwölf Pfennig, von jedem Mealter Roggen
neun Pfennig, von jedem Malter Dinkel fehs Pfennig und von jedem
Malter Gerfte, die geſtampft ') oder gegerbt würde, drei Pfennig. Und
ob des etwas mehr oder minder ungerad wäre, darnad von jedem
Simri Kernen anderthalb Pfennig und von einem ungeraden Simri
Roggen auch anderthalb Pfennig, von zwei Simri Roggen dritthalb
Pfennig, von einem ungeraden Simri Dinkel einen Pfennig, oder von
zwei Simri Dinkel anderthalb Pfennig und von einem jeden ungeraden
Simri Gerfte einen halben Pfennig.
16. Beeidigung des Mühlgefindes auf die Accife)
tem, kein Müller, feine Hausfrau, Knechte, Mägde, Kinder noch Ge:
finde ſollen bei ihrem Eide, fo fie deshalb jährlich umd zu jedem Geding
oder Eingeng eines neuen Gefindes ſonderlich ſchwören werden, feinem
Bürger noch Einwohner zu Pforzheim keinerlei Frucht, weder Kernen,
Noggen oder Dinkel zu mahlen noch keinerlei Gerfte zu ftampfen oder
zu gerben auf die Mühle fehütten, fie haben denn zuvor dagegen die
Wortzeichen 2) von dem, des die Frucht ift, in ihren Händen und Gewalt,
1) gerollt, 2) Wortzeichen waren die Wahr- oder Beweiszeichen für ben
bezahlten Accis. Sie beftanden in Pforzheim in runden Blechſtücken von ber
Größe eines halben Guldens, auf denen mit Buchftaben und Zahlen ber Name
der Mühle, fowie die Menge und Gattung der zu mahlenden Frucht angegeben .
war. Später traten Zettel an deren Stelle.
224 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500.
17. (Desgle ichen der Bäder.) tem und desgleichen jo fol
ber Bäder feinem Bürger nod Einwohner zu Pforzheim, der Altenftadt
und den Vorftädten, geijtlichen noch weltlichen, noch auch feinem Müller
oder ihm felber, — dam die Müller und Bäder gleicher Weife wie
Andere hierin auch begriffen fein follen, — feine Frucht oder Mehl zu
Brod baden, er babe denn zuvor auch die Wortzeichen, deshalb erlöst,
in jeinen Händen und Gewalt. Es foll auch Kein Bürger nody Ein:
wohner, geiftlich noch weltlich, nody ihr Gefinde fein fremd Mehl kaufen,
und ob “Jemand anders, denn die Bäder, ihm jelbft baden wollte, der
fol doch Fein Brod davon verkaufen.
18. (Mehlverkauf.) Auch foll Kein Müller einer Perfon auf
einmal mehr denn ein men!) Mehls verkaufen oder zu Kauf geben,
aber wie die?) eine oder mehrere Perfonen kommen und Mehl be—
gebren zu Faufen, jo mag ers ihnen geben und fein Mal mehr denn
ein men,
19. Weinihanf) Zum Andern, den Weinfchanf betreffend,
ordnen und jeßen wir: Welcher Bürger oder Einwohner, geiftlich oder
weltlic, Niemand ausgenommen, zu Pforzheim, in der Altenftadt und
den Borftädten Mein ſchenken will, der foll Kein Faß zu verfchenfen
anjtechen, es fei denn zuvor von den Gefchworenen verjiegelt. Wann
aud ein Faß, alſo verfiegelt, zu ſchenken angeftochen würde, fo foll e8
ganz verungeldet und von jeder Ohm 8 Maaß Weins in Geld ge-
geben werden,
20. Weinaccis.) tem, welcher Bürger oder Einwohner zu
Pforzheim, der Altenftadt und den Vorftädten Wein einlegen will, der
jo von dem, jo er in feinem Haus vertrinft, zu Ungeld geben von jeder
Ohm 6 Piennig.
21. (Fleiſchaccis.) Zum Dritten, das Fleiſch betreffend, ordnen
wir, daß ein jeder Mebger von einem jeden Zentner Fleiſch von Rin—
dern, Ochſen, Kühen, Kälbern und Schweinen, das fie meßgen und
verkaufen, 185 Pfennig zu rechtem Ungeld geben joll; und ob des etwas
minder oder ungerad wäre, fo geben je fünf Pfund 1 Pfennig, und wie
fi des nach Markzahl je zu Zeiten begibt und gebührt, — tem, von
einem jeglichen Milchkalb foll man geben zu Ungeld 5 Pfennig, —
stem, ob auch ein Bürger oder Einwohner, geiftlich oder weltlich, zu
*) Imi, der vierte Theil eines Simris. ?) oft.
Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500, 225
Pforzheim in feinem Haus einigerlei Vieh, was das wäre, nichts aus—
genommen, meßgen lafjen wollte, davon foll er zu Ungeld geben und
thun, mie vorfteht, gleicher Weiſe der Metger davon geben und thun
muß. Ausgenommen jeglicher Haushabe *) follen ungeldfrei fein eines
jegliches Jahres die allererften zwei Schweine und nicht mehr, fo fie in
den Häufern meßgen nnd brauchen; die übrigen Schweine alle, die ein
Jeder desjelben Jahres mebgen laſſen würde, foll er verungelden wie
anderes Fleiſch, und alſo von jedem Zentner 18 Pfennig geben, und
allmeg fo ſoll ein jegliches Jahr damit ans und ausgehen auf St. Mar-
- tins Tag. Und doc vorbehalten die Priefterfchaft und den Adel, die
jest zu Pforzheim find und fünftiglicy dahin ziehen: wie wir Markgraf
Chriſtoph oder unfere Erben diefelben des Ungelds Halb halten und
lafien werden, dabei foll es bleiben, und wie fie alfo von uns gelaffen,
davon foll denen von Pforzheim ihr Viertheil werden, wie von Andernt.
22. (Salzverfauf.) Zum Vierten ordnen wir, daß hinfür der
Salzkauf zu Pforzheim ung Markgraf Chriftoph, unfern Erben und
Nachkommen und der Stadt zuftehen und bleiben, alfo daß Niemand
dafelbft oder außerhalb in der Altenftadt und den Vorftädten, geiftlich
noch weltlich, bei Poene Leibs und Guts in feinem Haus Feinerlei Salz,
woher ihm das kommen möchte, brauchen foll, er habe denn dasselbe Salz
von der Stadt erfauft. Und ob wohl etliche Bürger oder Einwohner
zu Pforzheim mit Salz werben ?2) wollten oder würden, fo follen fie doch
davon in ihren Häufern bei worgefchriebener Poene ganz nichts verbrauchen,
noch ihr Gefinde davon. brauchen laſſen. Db aber Emes Hausfrau
oder Gefinde das thäten, die follen auch alfo, wie vorſteht, geftraft wer:
den und das obgemeldte der Stadt Salz von der Stadt zum Nützlichſten
gefauft und verfauft werden mit ziemlichem befcheidenem Gewinne, Der:
ſelbe Gewinn foll auch zu Ungeld gegeben und verrechnet werden.
23. (Strafe der Uebertreter,) Welcher Bürger oder Ein:
wohner , wer der wäre, Niemand ausgenommen, durd, fich felbft, ferne
Hausfrau, Kinder oder Gefinde an obgefchriebenen Ordmungen und Uns
gelden, es wäre von Brod, Fleiſch, Wein, Salz oder Anderem, Icht ver
halten oder verichlagen würde, der: oder diefelben follen darum geftraft
werden an Leib und an Gut, alfo, daß ein Jeder, welcher das von dem
Andern gefehen oder wifjens hätte, bei feinem Eid unferm Vogt oder
1) Haushaltung. 2) handeln.
Pflüger, Pforzheim, 15
226 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500. |
Schultheißen zu Pforzheim auf Stund anbringen, biefelben denn mit
fammt dem Bürgermeifter gegen dem- oder denſelben ſtrack die Strafe
an Leib und Gut vornehmen und auffegen jollen nach der Berfchuldigung.
24 Beihränfung der Unterfäufe) tem alle Unter:
käufe follen binfür aufzuheben, durch unfre Bürger zu Pforzheim, Ges
riht, Rath und ihre Nachkommen beftellt und verfehen, und aljo zu:
ſammt dem GStättgeld, fo fürder auf dem Markt zu Pforzheim wird
fallen, in unfere Theilung wie von anderm Ungeld, als vorftehet, gegeben
und gelegt werden.
2%. (Pfundzoll)t) Aller Pfundzoll von Gewerbe und Kaufe
mannjhaft glerhand Gewaare ſoll fürohin gemindert fein, und von
jedem Gulden nicht mehr denn ein Pfennig gegeben werden. Doch une
ergriffen den Landzoll; derjelbe Pfundzoll und Landzoll joll uns, unfern
Erben und Nachkommen allein zuftehen und bleiben wie von Alters ber.
26. (Grund: und Kapitalfteuer der Ausmärker.) tem,
was Ausleute, fie jeien geiftlich oder weltlih, Güter zu Pforzheim Haben
oder überfommen werden, die von Alters her nicht gefreiet find, es ſeien
Pfennig, Gülten, Häufer, Aecker, Weingärten, Wiefen, Gärten oder
Anderes in der Bet Herkommen, auch die ſolche Güter jelber nicht bes
figen, joll ziemliche Bet gejeßt und von ihnen gegeben werben.
27. (Geldwechſel.) tem «8 foll auch ein Gold» und Geld-
wechfel zu Pforzheim aufgerichtet und allweg von einem Schultheißen
mit ſammt dem Bürgermeifter zum Höchiten verliehen werden.
28. Derrehnung, Bertheilung und Verwendung der
Steuergefälle; Beftellung der Steuerbeamten) Das ob:
geihriebene Ungeld alles, von Frucht, Brod, Wein,. Salz, Tleifch mit
der Ausbet, ſoll durch die Schreiber und Knechte, die man dazu ordnet,
getreulich aufgehoben, eingefammelt und alle Jahre auf eine beftimmte
Zeit uns Markgraf Chriftoph, unfern Erben und Nachkommen Mark:
grafen, oder unfern Räthen, die wir zu allen Malen an unferer Statt
dazu ordnen und ſchicken, vor Bürgermeifter, Gericht und Nath, auch
einer Anzahl der Gemeinde, von denen von Pforzheim dazu gemäblt,
bafelöft zu Pforzheim Einnehmens und Ausgebens ehrbarlich verrechnet
und in 4 Theile getheilt werden, Davon follen wir aufheben und
nehmen 3 Theile, und die von Pforzheim den übrigen 4, Theil. Mit
1) Raufaccis von Waaren.
Eiftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500. 227
demfelben 4. Theil jollen fie in gutem, gebührlihem Bau, Befferung ,
und billigem Weſen unzergänglich balten und handhaben und davon
verlohnen der Stadt Graben, Zwingolf, Mauern, Thore, Thürme,
Brüden, Wege, Stege, Straßen und andere der Stadt Bann und
Zugehörde, dazu alle Wachten, Huten, nichts ausgenommen; dann das
Schloß, Frohndienſt und andere ihre anliegende Nothdurft, und fich feldft,
noch feinen Einwohner, zu feinem Wege ferner beſchweren, noch drängen,
Aber den Knechten und Sammlern obgefchriebenen Gefälls alles follen
wir, unfere Erben und Nachkommen nad Anzahl unferer aufgehobenen
3 Theile allweg geben und ausrichten 3 Theile an ihrem Lohn, darum
fie werden gedingt, und die von Pforzheim nah Markzahl ihres Vier:
theils auch den 4. Theil an ihrem Lohne geben, Diejelben Schreiber,
Knete und Diener follen aud jest anfänglich von ung, mit fammt
unfern Bürgern zu Pforzheim beftellt und angenommen, auch bei ihren
Handlungen und Dienften getveulich gehandhabt und beſchirmt werden,
Wenn aber derjelben Knechte einer hinfür Todes abgeht oder fonft ab:
geſetzt wird, als wir des nad) eines Jeglichen Verſchulden Macht haben,
fo jollen wir, unfere Erben und Nachkommen und darnad die von
Pforzheim, je Einen um den Andern zu beftellen benennen, aljo, daß
fein Theil darin Vortheil haben oder fuchen möge; doch fo follen fie
ung und der Stadt allweg getreulich geloben und ſchwören, als fich ihr
jedes Dienftes halb gebührt.
29. (Rechnungsabhör.) Es follen aud die Obgemeldten von
Pforzheim um den obgefchriebenen 4. Theil des Ungelds, auch anderer
ihrer Gefälle, vor ung, unſern Räthen oder Amtleuten, oder wen wir
dazu ordnen oder ſchicken werden, eines jeden Jahres auf einen benannten
Tag Rechnung thun, wo und wie Solches angelegt und verwendet jet;
doch ob uns eines Jahres auf den benannten Tag die Unfern zu ſchicken
oder zu ordnen nicht füglich oder gelegen fein würde, fo mögen wir foldhe
Rechnung Ändern oder fürfchieben nach unferm Gefallen.
D. Schluß.
30. (Befehl zur Aufrehthaltung diefer Ordnung.)
Und wir Markgraf Chriſtoph obgenannt gereden und verfprechen bei
unfern fürftlichen Treuen, Würden und Ehren für uns, alle unfere
Erben und Nachkommen Markgrafen zu Baden ꝛc., de 2 vorfteht,
228 Elftes Kapitel. Stadtverfafiung von 1500.
regierende Herrn zu Pforzheim find, die vorgemeldten Bürgermeiſter,
Gericht, Rath, ganze Gemeinde und Einwohner der Stadt Pforzheim
mit der Altenftadt und den Vorftädten und ihre Nachkommen bei allen
obgefchriebenen Stüden, Punkten und Artikeln, und auch bei andern
obgemeldten Freiheiten zu handhabeu, zu ſchützen und zu ſchirmen umd
darein nichts zu legen, oder zu tragen, durch uns felbft, unfere Amtleute
oder Jemand von umfertwegen, aud Niemand, welches Standes ber ei,
wider dies obgejchriebene Ungeld, Drdnung und Neuerung zu freien,
denn mit der Unfern von Pforzheim Willen, ausgenommen Priefter und
Eheleute, mit denen follen wir e8 Macht Haben, zu halten, wie in
einem befondern Punkt hievon begriffen ift. Sondern wir heißen und
gebieten ernftlih und feſtiglich für uns, unfere Erben und Nachfommen,
allen unfern Amtleuten, Vögten, Schultheigen, Kellern, Zollern und
allen Andern, die jeßt in unferm Dienft zu Pforzheim find und hernach
immer dargefegt werden, daß fie bei ihren Eiden und Pflichten, uns
jeder Zeit gethan, die vielgenannten unfere Tieben getreuen Bürgermeifter,
Gericht, Rath und Gemeinde und alle Einwohner der Stadt Pforzheim,
auch in der Altenftadt und in den Vorftädten und alle ihre Nachkommen,
bei Allen vorgefchriebenen Almenden, Wäldern, Waflern, Wonnen und
Waiden und bei allen obgerührten Freiheiten verbleiben laſſen und ſich
nicht dawider legen, Hinderung thun, oder dazu tragen noch gejchehen
laſſen, mit Worten oder Werken, fo lieb einem Jeden fei, ſchwere Un:
gnad deshalb zu vermeiden, Endlich jo jeßen und ordnen wir, daß die
von Pforzheim in der Stadt, Altenftadt uud den Vorſtädten, und ihre
Nachkommen, nah unferm Tode unſern Erben und Nachkommen Mark:
grafen, wie vorfteht, nicht Huldigen, geloben noch ſchwören ſollen, es ſei
denn, daß diefelben unfere Nachkommen Bürgermeiftern, Gericht, Nath
und ganzer Gemeinde daſelbſt zuvor in ziemlicher Form verjchrieben
und verfprochen haben, fie bei allen obgemeldten Freiheiten, Satungen
und Ordnungen inhaltlic, diefes Briefs verbleiben und weiter ungedrängt
zu laſſen, fie auch dabei zu jchirmen und zu handhaben.
31. (Revifion diefer Ordnung, Gelöbnif der Stadt.)
Wir behalten auch ung und ihnen hierin vor, alfo ob diefe Neuerung,
Gnade und Freiheit jekund nicht fo gründlich als noth bedacht wäre,
fondern fich bernad) etwas Mehreres, Minderes oder Anderes erfinden
würde, uns und der Stadt auch nutz und gut: daß wir dann zu beiden
Theilen ſammthaft, und doch kein Theil ohne des andern Gunft, Wiffen
Elftes Kapitel. Stabtverfafjung von 1500. 229
und Willen, infonderheit dasſelbe alfo zu Beſſerung auch feßen , ordnen
und handeln mögen, es ſei von Pfundzoll, Brüdenzoll oder allerlei
anderer Gewaare und Zufällen, wie fih Sölches jederzeit nach Gelegen-
heit erheijchen würde, alle Gefährde, Untreue und Arglift hierin gänzlich
vermieden und ausgefchieden, Und des Alles zu wahrer Urkunde, fo
haben wir Markgraf Chriſtoph unfer Infiegel öffentlich thun henken
an eine jeidene Schnur, durch diefen Brief, in Buchsweiſe auf jechs
Blätter gefchrieben, gezogen; und wir vielgenannte Bürgermeifter, Gericht,
Rath und ganze Gemeinde der Stadt Pforzheim, mit der Altenftadt
und den Vorftädten, bekennen und verjehen alle einhellig und unfcheidenlich,
daß mir Alle und egliche des oftgenannten unfers gnädigen, Tieben
Heren Markgrafen Chriſtophs Freiung, Ordnung und Neuerung inhalt
lich diefes Briefes zu befondern großen Gnaden in billiger Dankbarkeit
aufgenommen haben; wir, unfer aller Erben und Nachkommen follen
und wollen auch allen Punkten und Artikeln, hierin begriffen, ganz
unabbrüchlich, getreulich, ehrbarlih und aufrichtiglich nachfommen, die
vollziehen und vollführen, wie das in allen und jeglichen Worten bievor
von ung gefchrieben fteht, ohne alle Gefährde. Und des Alles auch zu
wahrer Urkunde und mehrerem Gezeugniß, fo haben wir der Stadt
Pforzheim Inſiegel zu des benannten, unferes gnädigen Herrn Inſiegel
an dieſelbe ſeidene Schnur auch gehängt an dieſen Brief, der zween
gleichlautende geſchrieben ſind, uns Markgraf Chriſtoph der eine, und
ung, Bürgermeiſter, Gericht, Rath und ganzer Gemeinde der Stadt
Pforzheim, der andere — Gegeben auf der Kanzlei zu Baden auf
Montag nad) dem heiligen Jahrstag zu Latein Circumeisionis domini 1)
genannt, als man zählt nad) Chriſti unfers Herrn Geburt Taufend
Vierhundert Neunzig und Ein Jahr.
Ein wichtiges Seitenſtück zu diefer „Stadtordnung ” bildete die
„Landsordnung, bey Leben Marggraf Chriftophen vßgangen.“ 2)
Wie ſchon ihr Titel jagt, galt fie nicht bloß der Stadt Pforzheim, fon=
dern überhaupt der Markgrafſchaft Baden; dod mag fie für Pforz-
beim befonders zuredyt gemacht worden fein, um mit der einige Jahre
vorher gegebenen Stadtordnung im Einklang zu ftehen. Darauf deuten
1) Montag nad Neujahr.
) Diefelbe ift datirt vom Montag nad Kreuzerhöhung 1495 und füllt im
Copialbuch 27 Blätter.
230 Elftes Kapitel. Stabtverfafjung von 1500,
wenigftens alle die Stellen, in denen von der Stadt befondere Rebe ift.
Nach entfprechendem Eingang, welcher die Beftimmung enthält, daß bie
Landesordnung alle Jahre ein Mal öffentlich vorgelefen werden folle,
fommt zuerft der Befehl, daß alle Bürger, Einwohner, (fo auch Knechte,
Bürgersföhne zc.) die über 14 Jahre alt wären, dem Fürften den Hul—
digungseid ſchwören müßten; alsdann folgen Bejtimmungen über Erb:
ichaftsangelegenheiten, über Pflegſchaften, ſowohl für Minderjährige, als
für die kirchlichen Fonds, Beitrafung von Gottesläfterern, Verbot der
Spiele, Beftrafung von fleifhlichen Vergehen, wie Ehebruch, Beftrafung von
Geiftlichen bei etwaigen Vergehen, Verkauf ꝛc. von herrichaftlichen Lehen:
ober Zinsgütern, Inſtandhaltung öffentlicher Gebäude, baupolizeilicye
Beitimmungen, Bewachung der Stadtmauern und Stadtthore und Ber:
fahren bei Deffnung der leßtern zu ungewöhnlicher Zeit, Strafen für
Verderbung von Landgräben, Wehrhägen ꝛc., Verpflichtung zum Nach—
eilen und Retten bei Ueberfällen und Angriffen, Anftandhaltung der
Straßen, Verbot von Bündniffen und Gefellichaften gegen die Regierung,
Verbot von allzugroßem Aufwand und Geſchenken bei Hochzeiten, Kind:
taufen 2c., Verbot des Stationivens (mit Ausnahmen), 1) Verbot des
Anbringens einer Klage anders, denn beim zuſtändigen Gericht, Verbot
des Wuchers, der Weinverfälfhung, der Vermiſchung verichiedenartiger
Weine, Strafen für Umgehung des Zolles und Ungeldes, Strafen für
verfchiedene Frevel, (Berlegungen, Verwundungen) ohne Zulaffung einer
Appellation, Strafen für Wilddiebftahl 2. — Den „fürftlihen Amtleu—
ten” wird in diefer Landesordnung vielfach eingefchärft, fich ftreng dar-
nach zu richten und die gefetlichen Beſtimmungen derfelben überall, wo
es erforderlich ei, zur Geltung zu bringen.
Was nun die übrigen „Ordnungen“ betrifft, jo laſſen fich die
wefentlichften Beftimmungen derfelben jammt andern dahin gehörigen
Notizen, die fih da und dort zerftreut vorfinden, fowie endlich das, was
fi als Ergebniß von Vergleihungen herausftellt, des Leichtern Verftänd-
niffes wegen am beften unter gewifje allgemeine Gefichtspunfte zuſam—
menbringen, die eine geordnete Meberficht gewähren. Es foll deshalb
in den nachfolgenden Paragraphen zuerft vom Ortsvorftand, ſodann
von den Gemeindedienften, hernach von der Bürgerſchaft und
1) Auch im Hochftift Speier wurde ben Pforzheimer Dominikanern 1541
das Betteln verboten, (Archivakten.)
Eiftes Kapitel. Stabtverfafiung von 1500. 231
zuletzt von der allgemeinen und befondern Polizei, foweit diefelbe in
der Stadtordnung nicht fchon berührt ift, gehandelt werden.
$ 2. Der Ortovorſtand.
Derfelbe theilte fih im eine rihterliche und eine verwaltende
Behörde, jo daß alfo Juſtiz und Adminiftration von einander getrennt
waren, Erftere wurde beforgt duch Schultheiß und Gericht,
Vegtere dur Bürgermeifter und Rath. Diefe uralte Einrichtung
zweier ftädtifhen Kollegien war in der proviforifhen Stadtordnung von
1486 zu Ändern verfucht worden. Vom Gericht wurde darin Umgang
genommen und deſſen Befugniffe dem Rathe übertragen, von dem bei
gerichtlichen Verhandlungen der Bürgermeifter nicht Mitglied war, fondern
der aladann vom Schultheißen präfidirt wurde. Der ganze Rath wurde
nur bei wichtigen abminiftrativen Angelegenheiten zufammenberufen und
auch mandmal nod, „wenn die Sach dapffer und treffenlich“ war, die
„42 von der Gemeinde” als weiteres Kollegium dazu genommen, bie
indefjen nur rathen, nicht beſchließen, aber bei der Bürgermeifterwahl
mitwirken durften, Die gemeinen täglichen Händel follte der Bürger:
meifter mit den 4 ſog. Regenten ohne Zuziehen des Nathes erledigen.
Bon lestern wurden 2 aus dem Rathe und 2 aus den Zwölfen von
der Gemeinde genommen, und zwar follten es aus beiden Kollegien
die „vernünftigiten, tauglichſten und weifeften” fein. Diefe Einrichtung
fcheint fich indefjen nicht erprobt zu haben; denn es wurde jchon 1487
die Zahl der Negenten auf 2 ermäßigt und fpäter wieder ganz auf die
frühere Einrichtung zurücdgegangen, als der Privilegienbrief von 1491
definitive Geltung erhielt. Die Kompetenz beider Kollegien, aljo des
Gerichts und Raths, war indefjen nicht ſcharf abgegränzt, und vertraten
ſich audy die Mitglieder derfelben, wenn es nöthig war, gegenfeitig bie
Stellen. Manche wichtige Berathungen und Beichlußfaffungen fanden
in gemeinfchaftlicher Sitzung ftatt,
A. Schultheiß und Geridt.
Den Shultheiken (fpäter „Untervogt” oder „Amtmann“) er:
nannte der Landesherr ohne Zuthun der Gemeinde, Seine Pflichten
232 Elftes Kapitel, Stadiverfaffung von 1500.
und Befugniffe waren ihm in einer befonden Schultheißenordnung
vorgezeichnet, Laut derfelben war ihm mit Hinweiſung auf der Stadt
Freiheiten unterfagt, einen Bürger anders, als unter den dort angegebenen
Vorausſetzungen gefünglic einziehen zu laſſen. LXebteres durfte aber unbe.
dingt gefchehen, wenn ein Bürger wegen Schulden oder Bergehungen
flüchtig ging und ergriffen wurde, Blieb Einer wegen Schulden über ein
Vierteljahr weg, fo mußte der Schultheig durch gerichtlichen Zugriff auf
das Vermögen des Flüchtigen defjen Schulönern zur Zahlung verhelfen.
Mer einer Worladung des Schultheißen „aus Verachtung oder ohne
redliche Urſache“ Leine Folge leiftete, durfte vor ihm rechtlich belangt und
wegen Ungehorfams zur Strafe gezogen werden. Gegen Strafen, welche
von Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und Rath erkannt worden waren,
fand, ſofern fie nicht Leib und Leben betrafen, Appellation an ben
Schultheißen ſtatt; wurde jedoch das erfte Urtheil beftätigt, jo mußte
der Beklagte eine weitere Strafe von 10 Schilling Pfennig „für feine
Widerſetzlichkeit“ bezahlen. Weigerte er fich defien, jo wurde ihm aus:
gepfändet; im Fall weiterer Widerfeglichfeit durfte ihn der Schultheif
in den Thurm werfen laſſen. ingriffe in die Nechte und Freiheiten
der Stadt waren dem Scultheißen ftreng unterfagt. *) Dem Wegzug
eines Bürgers oder Einwohners durfte er Feine Echwierigfeiten in ben
Meg legen, wenn derjelbe dabei die vorgefchriebenen gejeglichen. Formen
beobachtete. Bei Pfändungen und Zugriffen auf Tiegende Güter durfte
der Schultheiß ohne Wiffen des Bürgermeifters, Gerichts und Raths
gegen den Beklagten nicht vorfahren. Am Schluß der Schultheigenord-
nung folgen einige Beftimmungen über gerichtliche VBorladungen, über
die Bedingungen bei Bürgerannahmen, welche ebenfalls Sache des Schult-
heißen waren (fiehe unten), über Schuldflagen ꝛc. — Weber das Ber:
fahren bei gerichtlichen Pfändungen waren dem Schultheißen, in deſſen
Kompetenz fie hauptſächlich gehörten, ausführliche Vorſchriften ertheilt.
Die betreffende „Ordnung“ enthält die Meberfchrift: „Wie man um
Schulden nad) der Stadt Recht pfänden, Klagen und angreifen mag,“
mit den Unterrubriten: Wie man pfänden fol; von fahrenden Pfän-
bern; von lebenden Pfändern; wer des Schultheißen oder Bürgermeifters
1) Daß dies nicht immer befolgt wurde, erhellt aus einer Klagichrift, welche
um 1500 Bürgermeifter und Rath beim Markgrafen einreichten, und worin
fie fih in 13 Klagpunkten über bas Benehmen des Schultheißen befchwerten.
Eiftes Kapitel, Stadtverfafiung von 1500. 233
gemachte Ziel nicht hält; fo Einer nicht zu bezahlen hätte; auf wen
und wie man Klagen foll; wie Lidlohn bezahlt werden ſoll; was Lidlohn
ift; von Bezahlung des Hauszinfes; wie Kinder bezahlen follen; wie
geftorbener und verdorbener Leute Schulden bezahlt werden follen; t) wie
liegende Güter umgefchlagen oder angegriffen werden ſollen um verfallene
Gült, ebenfo von Schulden wegen ꝛc.; am Schluß: Feſtſetzungen im
Einzelnen darüber, was fahrende und liegende Güter feien ꝛc. Neben
derartigen Funktionen hatte der Schultheiß die Schlüffel fämmtlicher
Thore der Stadt zu verwahren (©. 222), die von der Stadt ange:
ſtellten Thurmknechte, Wächter und Thorwarte im Namen des Fürften
zu beeidigen (©. 222) ꝛc. — Die Zahl der Richter war zwölf,
und wurden diefelben aus der Bürgerfchaft genommen. Die Art und
Weiſe der Wahl der Richter beftimmte eine befondere Wahlordnung.
Diefelben wurden jedes Mal für ein Jahr gewählt. Nach Umlauf
diefer Zeit verfammelten fich ſämmtliche Richter, erhielten vom markgräf—
lichen Landhofmeijter und Näthen, oder an deren Stelle vom Vogt und
Schultheiß ihren Abſchied und verließen das Zimmer, in welchem mur
Zandhofmeifter und Räthe, oder Vogt und Schultheiß fammt dem Bür—
germeifter und Stadtjchreiber zurückblieben. Der Bürgermeifter ſchlug
nun einen bisherigen Richter zum Mitglied des neuen Gerichts vor, und
wenn die anmwefenden fürftlichen Beamten gegen denfelben nichts einzu:
wenden wußten, fo wurde er hereingerufen, vom Stadtſchreiber als Nichter
ins Brotofoll eingetragen und nahm feinen Plab ein. Diefer erfte
Richter ernannte den, zweiten, der zweite dem dritten ꝛc., alle aus dem
bisherigen Gericht, und immer mit Genehmigung der anweſenden fürftlichen
Beamten, bis zehn Richter ihre Plätze eingenommen hatten, Diefe
wählten dann gemeinfchaftlih die zwei noch fehlenden Mitglieder des
Kollegiums, durften dazu jedoch die zwei noch außen ftehenden Mitglieder
des alten Gerichts nicht nehmen. Auf diefe Art mußte fi) das Gericht
innerhalb 6 Jahren nad) und nach nen ergänzen, indem jedes Jahr
2 Mitglieder austraten Mehr durften e8 ohne merfliche Urfache nicht
fein; doch follte, wenn folhe vorhanden, die Zahl der überhaupt aus:
tretenden Mitglieder 4 keinesfalls überfteigen. — Die Kompetenz des
Gerichts, fowie das Gerihtsverfahren beftimmte theils die Ge:
rihtsordnung, theils eine Menge einzelner, darauf bezüglicher
1) Angefangen auf Thomae Apostoli An, 1508,
234 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500.
Artikel, welche folgende Ueberfchriften führen: Wie um liegende Güter
erfannt werden fol, — wie Einer den Andern feiner Ehre befagen
mag, — wie das Gericht erkennen foll in Sachen, die Ehre betreffen,
— von Belohnung des Gerichts, und zwar: von gewöhnlichen Gerichts:
tagen, von Teftamenten und Gemächten, von Verunterpfandung, von
vertagten fremden Parteien, von Verurtheilen von Fremden, von Urs
teilen, fo die Untergericht holen, von-Kaufgerichten, von verfammelten
Gerichten, außerhalb der gemeinen Gerichte, von Kundfchaften der
Bürger; Poenen, fo dem Gericht zugehörig; Belohnung von Untergängen ;
von verganteten Gütern; — von den Ungeborfamen, fo die verfchuldeten
Poenen nicht geben wollen. Es geht daraus, ſowie aus dem ziemlich
ausführlichen Nichtereid hervor, daß das Ortsgericht die Civilgerichts—
barfeit in erfter Inſtanz beſaß, auch verichiedene polizeiliche
Geſchäfte zu erledigen hatte, ferner die Auffiht über die Waifenpflege
führte ꝛc. Davon, daß diefem ftädtifchen Untergericht auch die Nechte:
pflege in Kriminalſachen zuftand, habe ich kaum Beweiſe auffinden
fönnen. Diefelbe fcheint im Gegentheil den hiezu angeftellten fürftlichen
Aumtleuten faft in allen Theilen überwiefen gewefen zu fein. Den vor Ge
richt erfcheinenden Parteien durften Fürſprecher berathend zur Seite
ftehen und fie auf Verlangen wohl auch ganz vertreten. Näheres da:
rüber enthielt die „Ordnung der Fürſprecher“, denen die nöthigen
Beftimmungen über „Belohnung der Fürſprecher“ nadfolgten,
Jeder Fürfprecher oder Fürſprech mußte, wenn er nicht rechtzeitig vor Gericht
erfchien, ſechs Schillinge Strafe bezahlen. Wer einen fremden oder andern
Fürſprech, als die geſetzten, brauchte, mußte letztern nicht deſto weniger
ihren Lohn geben. In gewöhnlichen Streitſachen durfte kein Fürſprech
vor Gericht ohne beſondere Erlaubniß desſelben mehr als zwei Mal
reden und ſollte ſich dabei möglichſter Kürze befleißigen „ſonder Spitz
oder Reitz oder Schmähwort der Parteien;“ in ſchweren und wichtigen
Sachen jedoch durften die Fürſpreche reden, jo oft und „did“ fie woll⸗
ten, damit „feine Partei gefäumt werde." Keiner durfte dem Andern
in feine Rede fallen mit fpiten Morten bei Strafe eines Schillings
Pfennig; wer ungegründete Klage erhob oder in Schuldfachen eine
größere Summe einflagte, als er zu fordern hatte, wurde um 10 Schi
fing Pfennig geftraft. Wer mit feinem Fürſprech nicht zufrieden war,
durfte einen andern nehmen, jedoch nicht den des Gegners, Kein Fürs
Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500. 235
ſprech durfte nad Austrag der Sache weder auf der Parteien Koften
in einem Wirthshaus zehren, noch font „Koften auf diefelben treiben, ?
auch Fein Geſchenk nehmen. Von jeder gemeinen Sache durfte der Für⸗
ſprech nicht mehr als einen Schilling Pfennig Lohn nehmen; bei wich—
tigern Rechtsſachen erhielt er dns Gleiche von jedem Gerichtstage, auf
welchem diejelben verhandelt wurden ; doch durfte er ohne der Parteien
Rath und Willen die Sache nicht Hinausziehen, um etwa mehr Lohn
zu befommen, Ein Fremder mußte den doppelten Kohn bezahlen. In
ſchweren Sachen fonnte der Fürfpreh dem Schultheißen und Gericht die
Feſtſetzung einer entiprechenden höhern Taxe überlafien. Was ein Für⸗
ſprech außergerichtlich für eine Partei that, darüber hatte er ſich ſelbſt
mit derſelben zu verftändigen; wurden fie nicht einig, fo ſetzte dag Gericht
bie Taxe feit ꝛc. Ä
B. Bürgermeifter und Rath,
Wie ſchon erwähnt, bildeten diefelben den ad miniftrativen Theil
der Ortsbehörde. Der Rath wurde auf gleiche Weiſe, wie das Gericht
gewählt (jiehe oben), und bejtand wie dieſes ebenfalls aus zwölf Mit:
gliedern. Gericht und Rath wählten gemeinfchaftlich den Bürger:
meifter, aud) immer nur auf ein Jahr. Aud) bier ſchrieb die mehr
erwähnte Wahlordnung das Verfahren vor. Nachdem fi) alle Richter
und Räthe verjammelt hatten, mußten fie ſammt dem bisherigen Bürgers
meifter ab: und dann nad einander einzeln wieder eintreten, um vor dem
Landhofmeifter und Näthen, oder Vogt und Schultheik ihre Stimmen
abzugeben, die der Stadtjchreiber in das Protokoll eintrug. Zuerſt
flimmte der alte Bürgermeifter, dann ein Math, dann ein Nichter,
dann wieder ein Rath u. f. f., bis Alle ihre Stimmen abgegeben hatten,
Wer die meiften Stimmen erhielt, war für das nächte Jahr Bürger:
meifter. Den Dienſtkreis und die Befugnifie desjelben enthielt einestheilg
die „Ordnung eines Bürgermeifters“, amnderentheils der Eid,
den derfelbe bei Antritt feines Amts zu ſchwören hatte, Im erften
Monat feines Amtsjahres mußte er Schultheiß, Gericht und Rath um
fh verfammeln und Jeden auf feinen Eid fragen, ob er „inwendig oder
auswendig der Stadt etwas gehört oder für fich ſelbſt gedacht oder
256 Elftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500.
wiffend hätt, das unferm gnädigen Herrn, oder der Stadt oder der
Bürgerfchaft zu Nuß oder Schaden komme.” Das Alles mußte dann
der Stadtfchreiber notiren, und es wurde gelegentlich durch Gericht und
Kath darüber berathen und die nöthigen Beichlüffe gefaßt. Der
Bürgermeifter hatte überdies das Gemeindsvermögen zu verwalten, die
Einnahmen und Ausgaben zu beforgen, am Echluffe feines Dienftjahres
Rechnung abzulegen und durfte jeinem Nachfolger keine Ausftände hinter:
Iafien. Er hatte die Beichlüffe des Gerichts und Naths zu vollziehen,
und jollte „Für fich felbft wider den Rath ganz nichts handeln, fondern
er foll dem Gericht und Nath ihr Befehl gehorfamen und nicht wider:
wärtig ſein;“ auch follte er auf der Stadt „Freiheiten, Recht und Ge:
wohnbeiten, auch ihre Gerechtigkeit, Gefäll, Nutzung und Gebau ein
fleißig Auffeben haben.” Ihm Tag ferner ob die Aufſicht über alle Be:
dienfteten der Stadt, die Handhabung der Polizei in Stadt, Feld und
Wald, gemeinschaftlich mit dem Baumeifter die Aufficht über alle ſtäd—
tischen Gebäude und Neubauten fc. So oft er es für notwendig fand,
mußte er Gericht und Nath zufammen berufen. Die Beobachtung des
Amtsgeheimnifjes war ihm zur ftrengen Pflicht gemacht. Wie weit be:
züglich mancher Ausgaben feine Kompetenz ging, ficht man daraus, daß
er 3. B. feinen „Bau der Sadt halb für fich felbft ohne Beſcheid Ge:
richts und Raths thun durfte über zwei Pfund Pfennig“ u. dgl. Sein
jährlicher Gehalt betrug 16 Gnlden. — Cine Ordnung des Raths
finde ich nirgends; wohl aber einen „Raths-Eid“, der jedoch in ganz
allgemeinen Ausdrücken abgefakt ift. Webrigens ift aus dem Bisherigen
der größte Theil der Amtsbefugniffe des Rathskollegiums ſchon zu ent:
nehmen, Durch Schultheiß, Bürgermeifter und Rath wurde 3. B.
auch die Brunnenordnung vom 13. Sept. 1526 erlafien, während
die Baupolizei von Schultheik, Bürgermeifter und Gericht gehand-
babt wurde.
Mie fchon oben bemerkt, ſaßen in manchen Angelegenheiten Ge:
richt und Nath gemeinihaftlih, und diefe gemeinfame Kompetenz
ſcheint eine ziemlich umfängliche gewejen zu fein. So wurden alle jtäb-
tifchen Dienfte durh Gericht und Nath defekt. Die „Beckhenord⸗
nung” von 1514 wurde durch Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und
Rath gegeben, die Mühlenvifitationen wurden ebenfalls durch Abgeord-
nete Gerichts und Raths vorgenommen ıc.
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 237
$ 3. Die Gemeindedienfte.
Die Zahl derfelben war jehr groß. Jeder der Bedienfteten erhielt
feine einfache, klar abgefaßte Dienjtinftruftion; auch war jedem derfelben
ein bejonderer Eid vorgefchrieben, den er bei Antritt feines Dienftes zu
ſchwören hatte. In dieſen Eidformularen waren zum Theil die Dienfts
verrichtungen wieder enthalten, die jedem Cinzelnen zur Pflicht gemacht
wurden, nur in etwas abgefürzter Form. Die Dienfteide fingen faft
alle mit den Worten an: „Ahr werdet mit Treuen geloben und zu
Gott dem Allmächtigen fchwören, unſerm gnädigiten Herrn und der Stadt
getreu und Hold zu fein, ihren Nuten zu fördern und vor Schaden zu
warnen“ ꝛc. Alle diefe ftädtiichen Dienfte wurden bezahlt, aber in der
Negel immer nur auf ein Jahr verliehen. Da die Dienftinftruftionen
fich in der Hauptquelle, woraus diefe Mittheilungen gefchöpft wurden, 1) in
feiner beftimmten Ordnung folgen, jondern darin zerſtreut enthalten find,
fo will ich im Aufzählung der ftädtifchen Dienfte die Neihenfolge der
vorgejchriebenen Eide, die Feine zufällige zu fein fcheint, beobachten, und
bloß noch bemerken, daß dieſe Dienfte theils polizeilicher, theils ökono—
mifcher, theils jonjt anderer Natur waren.
f. Der Stadtſchreiber.?) Er hatte alle ftädtifchen Schrei:
bereien zu bejorgen, umd Konnte ſich dabei von einen oder mehreren
Gehilfen unterftügen laſſen. Diefen war ein befonderer Eid, der „Sub:
ftituten- Eid“ vorgeichrieben, wenn einer von ihnen die Stelle des Stadt:
fchreibers in feinem „Abwefen oder jonft“ vertreten mußte, Ueber die
Belohnung des Stadtichreibers finde ich Aufſchluß in der Anftellungs-
urfunde von Dioniſius Kefil3) als Nachfolger Werander Hugs
(S. 180), dem die Stadtjchreiberei fein Lebtag verſchrieben gewest und
noch iſt.“ Diefer Keil erhielt jährlich auf Martini 20 Gulden Britt:
bald Schilling Pfennig (1486 hatte die Stadtjchreibersbefoldung nur
412 Gulden betragen), dazu 10 Klafter Holz und verſchiedene Gefälle,
mußte fich aber eine halbjährliche Kündigung gefallen laſſen, „wenn er
ſich Erenhalb oder ſunſt jo liederlich vnnd vnfängklich bielte, das es
nit möcht geduldet werden.“ Sonſt war die Anſtellung eine lebenslängliche.
1) Dem mehrfach erwähnten Kopialbuch.
2) Eine „Stadiſchreibersordnung“ finde ich nirgends, wohl aber einen
„Stadtſchreibers-Eid“.
9) Sie befindet ſich im ſtädtiſchen Archiv und iſt vom 7. April 1529 datirt.
8 Eiftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500.
2. Der Baumeifter. Derfelbe jcheint neben dem Stadtfchreiber
die wichtigfte Perfon unter den ftädtifchen Bedienfteten geweſen zu fein.
Ich fchließe dies namentlich daraus, daß ev nach der Wahlordnung von
1409 unmittelbar nady dem Bürgermeifter und auf gleiche Weiſe wie
diefer gemählt wurde. Er konnte aus dem Rath oder aus der Bürger:
jchaft genommen werden. Im letztern Falle: erfolgte feine Wahl auf
unbeftimmte Zeit. Der Baumeifter hatte die Oberauffiht über alle
frädtifchen Gebäude, Thore, Mauern, Brunnen, Brüden, die Schoß:
gitter ꝛc. zu führen, (die nächite Aufficht über die Brücden, Brunnen und
Schofgitter Hatten die anweſenden Nachbarn, bei den Schoßgittern
namentlich die betr. Waſſerwerksbeſitzer,) gemeinfchaftlih mit dem Bür-
germeifter oder einem von diefem Beauftragten die Weggeldftöde aufzu—
jchließen, an den Jahrmärkten mit einem Mitglied des Gerichts oder
Raths das Stättgeld einzuziehen, die ftädtiichen Taglöhner und Arbeiter
auszubezahlen, Letzteres jedech nicht, ohne einen „Gezeugen“ bei fi zu
haben. Einen Bau, deſſen Anfchlag über 1 Pfund Pfennig betrug,
durfte er nur in Beiſein des Biürgermeifters verdingen, ohne Erlaubniß
Gerichts und Mathe durfte er der Stadt Feines Jahres über 1 Pfund
Pfennig abverdienen, auch ihr nichts zu kaufen geben oder abfaufen ac,
(1486 waren es jogar zwei „Buwhern“, von denen derjenige, der das
Geld „innympt und vßgipt“, jährlih 3 Gulden, der andere 2 Gulden
bezog).
3. Die Ungelder, die laut $ 28 der Stadtordnung bon ber
Stadt und der Herrfchaft, und zwar abwechſelnd angeftellt wurden, hatten
das Ungeld vom Wein zu erheben. Wegen der Einziehung des Mein:
ungeldes bei Privaten mußten fie alljährlih um Martini in alle Keller
gehen, (Die Ohm Wein foftete 6 Pfennig. Vergleihe $ 20 ber
Stadtordnung.)
4. Der Kornfhreiber mußte das Ungeld von der Mahlfrucht
erheben und zugleich die Bäder und Bürger Kontroliren, ob fie fein
fremdes Mich! verbadten, beziehungsweife verbaden ließen, Zu dem
Ende hatte er zwei Bücher zu führen ; in dem einen waren alle Müller
mit ihren Kunden, in’ dem andern alle Bäder mit ihren Kunden
verzeichnet. Jeden Samftag Mittag nad 1 Uhr mußte er auf das
Rathhaus kommen, um fein Ungeld, gleich den übrigen Erhebern des—
jelben, abzuliefern. Dort mußten auch fämmtlihe Müller und Bäder
der gegenjeitigen SKontrole wegen erjcheinen, Das eingenommene Ungeld
Elftes Kapitel. Stadtverfaflung von 1500, 239
hatte der DBürgermeifter alljährlich mit der Herrichaft zu verrechnen. —
Der Kornfchreiber bezog einen jährlichen Gehalt von 10 Pfd. Pfennig,
9. Der Salzmefsfer hatte den Salzverfauf, welcher laut $ 22
des Privilegienbriefs Negal der Herrichaft und der Stadt war, zu be
forgen. Es war ihm zur ftrengen Pflicht gemacht, Neichen und Armen
gleich zu mejjen, (das Salz wurde nämlich) damals nicht ausgewogen,
fondern ausgemefjen, oder e8 fam in Scheibenform in den Handel,)
gegen Fremde freundlich zu fein und Niemand zu lang warten zu laſſen.
Bei Licht Salz herzugeben, war er nicht verpflichtet, ebenſowenig an
Sonn = und Feiertagen, ausgenommen an Fremde. Das erlöste Geld
mußte er getreulich abliefern. Machte er ſich einer Verlegung der ihm
vorgejchriebenen Ordnung ſchuldig, oder rechnete er „einen unmäßigen
Abgang”, fo Konnte ihm durch Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und
Rath „über Nacht” der Salzverfauf abgenommen werden. Sein jähr:
licher Gehalt betrug 5 Pfund Pfennig.
6. Die drei Fleiſchwäger und der Fleiſchſchreiber mußten
bei jedem Mebger alle Fleiſchtage das vorhandene Fleiſch auf der Fleifch
wage wägen, ſammt der Zahl der Kälber, Hämmel und Schafe auf:
zeichnen und von etwaigen Defraudationen die Anzeige machen. Jeden
Samstag Nachmittag mußten fodann alle Mebger aufs Rathhaus
fommen und in Gegenwart des Fleiſchſchreibers nach den Notizen des—
felben das Ungeld bezahlen. Fleiſchſchreiber und Fleiſchwäger bezogen
einen jährlichen Gehalt von je 31/, Pfund Pfennig.
7. Die Weinfiegler und Weinfchreiber hatten jedes Faß
Mein, das in einen Keller gelegt wurde, auf dem einem Boden zu
„verpitichaften“, jedes Faß, das angeftochen wurde, zu verfiegeln und
feine Größe und den Preis des Weines zu notiren. Jeder bezog dafür
jährlich 31/, Pfund Pfennig.
8. Die zwei Faßeicher und der Eichſchreiber. Jene mußten
beim Eichen „die Mefier ſtecken“ und nach erfolgter Eichung die „Kerfen
gegen einander abzählen,“ jede Woche wenigftens ein Mal in die Keller
aller Wirthe und Weinſchenken gehen, um nad) den Siegeln auf den
Fäfjern zu jehen, und alle leeren Fäſſer, die fie vorfanden, alsbald mit:
nehmen und eichen, Von einem Faß, das bis zu drei Ohm hielt, bes
kamen fie 1 Pfennig, bis zu 6 Ohm 2, über 6 Ohm 3 Pfennig ꝛc. Der
Eicherlohn in der Altjtadt dagegen betrug von jedem „Vierling“ auf oder ab
5 Pfennig, von einem halben Fuder 7 Pfennig. Das Maaß der Fäſſer
240 Stiftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500.
hatte der Eichſchreiber zu notiren. Letzterer hatte ein jährliches Ein-
fommen von 6 Pfund Pfennig.
9. Die Brodſchauer Y mußten jede Woche ein bis drei Mal
bei Tag oder bei Nacht bei jedem Bäder das Brod und zwar fowohl
zu Haus, als „unter den Hütten oder auf den Brodbänten“ befichtigen,
und wenn e8 zu Klein, oder vermwäflert oder nicht weiß genug war, fo
batten fie die Befugniß, es zu Eonfisziven und den Bäder jedes Mal
um 10 Schilling ‘Pfennig zu ftrafen. War dies drei Mal nach einander
geſchehen, jo Fonnte im fernen Wiederholungsfall eine noch höhere Strafe
angefegt, ja dem Bäder das Handwerk für eine Zeit lang niedergelegt
werden.
10. Die drei Fleiſchſchauer oder Fleiſchſchätzer, von denen
der eine vom Gericht, der andere vom Rath und der dritte von der
Gemeinde ernannt wurde, mußten jeden Morgen mit zmei gefchworenen
Mebgern in die Mebig gehen und mit bdenfelben das Fleiſch befehen
und ſchätzen, jegliches nach feinem Werth. Cie hatten überhaupt die
Aufficht über den Fleifchverfauf, und mußten nöthigenfalls dem Bürger:
meifter die Anzeige machen, wenn fie etwas nicht in Ordnung fanden.
Fleiich, das „pfennig (finnig), beinbrüchtg oder fonft nicht Kaufmannsgut
oder währſchaft“ war, durften fie in der Mebig nicht feil bieten laſſen,
fondern mußten e8 aus derfelben auf die fog. „Pfinnbank“ (Finnigbanf)
vermweifen. Wenn ein Schauer zu fpät kam oder ausblieb, fo wurde
er geftraft,
11. Der Fiſchſchauer Hatte die Aufficht über den Fiſchmarkt.
Denn er irgend verbotene Garne, Hamen ꝛc. von fremden oder heimi-
ſchen Fiſchern auf dem Markt oder fonft auffand, fo mußte er es rügen
und dem DBürgermeifter die Anzeige machen, Keinen Fiſch, der nicht
Kaufmannsgut war, durfte er verkaufen und feinen Salmen oder Lachs
ungeſchätzt ausjchneiden laſſen.
12. Der Häringſchauer mußte dem Aufbrechen einer jeden
Tonne Häringe beiwohnen, und wenn die Häringe nicht in der Ordnung
waren, fo durften fie nicht verkauft, fondern die Tonne mußte fogleich
wieder zugejclagen werden. Bon jeder Tonne zu befehen erhielt der
Häringfhauer einen Häring oder einen Pfennig, Bei Strafe von 5
1) Die Ordnung der Brodjchauer enthält einen Zufagartifel vom 16. Sep:
tember 1555,
Giftes Kapitel. Stadtverfafjung von 1500, 24
Schilling Pfennig durfte keiner eine Tonne Häringe aufbrechen ohne in
Gegenwart eines Schauers. |
13. Die Eicher für Meß, Maaß, Wag und Gewicht
durften ihren Dienft nicht anders, denn in Gemeinfchaft beforgen und
mußten dazu das Mufter: Gewicht, -Maaß und -Meß beim Bürger:
meifter, der es in einem befondern Tröglein verwahrte, ablangen. Alle
Sabre mußten fie in der Stadt das Gewicht und Maaß bejehen und
probiren und nöthigenfalls umändern, was aber nicht mehr zu ändern
war, oder fi zu Hein erfand, zerjchlagen.
14. Die zwei Markttmeifter mußten die Aufficht über die Märkte
führen, den Verkauf von Allem, was nicht Kaufmannsgut war, verbieten,
alle Vorkäufe vor Beginn des Marktes verhindern, und durften auch nicht
zulafien, daß Einer dem Andern in den Handel fiel ıc.
15. Die Kornmeffer durften feine Frucht, die nicht Kaufmanns:
gut oder des Marktes nicht werth war, verkaufen belfen und fie auch
nicht mefjen, ebenjo feine Frucht, die nicht vorher um eine beftimmte
Summe gekauft worden war. Sie durften von Niemanden ein Geſchenk
annehmen, mußten ehrlih und unparteitich mefjen, jeden Betrug anzeigen
und den auf die Stadt fommenden Antheil am Meßgeld getreulich ab-
liefern. Der Ungeldtontrole wegen durfte in Keinen Sad mehr, als ein
Malter gemefjen werben.
16. Der Wagknecht mußte alle Frucht auf der ftädttichen
Mage wägen, bevor fie in die Mühle fam, ebenio das aus der Mühle
zurüdfommende Mehl ſammt der Kleie; auch mußte er beim Ab: und
Aufladen behifflich jem. Dafür erhielt er für einen Sad von 6 Simri
an 1 Pfennig, unter 6 Simri 1 Heller.
47. Der Weinftiher hatte die Aufficht über den Wein zu führen,
der zu Markt gebracht wurde. Er durfte den Wein, den er nicht als
Kaufmannsgut erfand, vom Markt zurüchveifen und hatte, wenn er ihn
für verfälicht hielt, die Anzeige zu machen. Niemand als der Wein:
ftiher oder die, denen er es erlaubte, durften Wein anftechen und ver:
ſuchen laſſen, aber an Marfttagen nirgends anders, denn auf dem Markt,
im Winter nicht vor 9, im Sommer nicht vor 8 Uhr. Ein Fremder,
der Wein zu Markte brachte, durfte ihn ausſchenken, aber nur auf ber
Achſe; er mußte fein Pferd, Schiff und Gefchirr dabei behalten, jeden
Tag einen Heller an der Maaß abſchlagen und durfte keinen Wein
mehr binwegführen.
Yflüger, Pforzheim. 16
242 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500.
18. Die Untergänger waren fowohl Feldmeffer als Markt:
ſteinſetzer. Bon einem Morgen zu mefien erhielten fie 4 Pfennig,
von einem Stein zu feßen von jeder Partei 3 Pfennig.
19, Die Büttel oder Stadtknechte waren Gerichtsdiener,
Gerichtsvollzieher, Gerichtsboten, Gefangenwärter, Polizeidiener, Aus—
rufer 2c. Jeder von ihnen erhielt außer feinem Dienftkleid und außer
den Accidenzien jährlid 21 Gulden Kohn. Wer ihnen eine Garbe von
dem Felde gab, der war ihnen für jenes Jahr Fein „Fürbietgeld“ vor
Gericht ſchuldig.
20. Die Biertleute oder Viertmeifter mußten im den
Vorſtädten ein fleißiges Auffehen haben auf alle „Spiel, Gezänf,
Hader, Aufruhr und ander Unfuhr,” ebenfo auf alle verdächtigen Leute
„zu Fuß und Roß“, um nöthigenfals fogleich die erforderliche Anzeige
machen zu können.
21. Die Thorwarte und Thorzufhließer in der Stadt
und den Vorftädten hatten neben forgfältiger Wache den Zoll und das
. Weggeld zu erheben und in die betreffenden Stöde zu legen; ferner
durften fie von jedem Karren Holz, das ein Fremder einführte, ein
Scheit und von jedem Wagen zwei Scheiter für fich nehmen. Eine
befondere Inſtruktion hatte der „Obere-Mühl-Thürleins-Zuſchließer.“
22. Die Schar: und Nachtwächter in Stadt und Borftäbdten
mußten, wenn fie ihre ftündlichen Rundgänge durch die Stadt machten,
die Schlöffer und Ketten an den Thoren rütteln, was fie fanden, aufheben
und am Morgen abgeben, die Stunden rufen, nächtliche Ruheſtörer zur
Ordnung weifen oder auch verhaften ꝛc. Die Vorſtadt-Nachtwächter
hatten denen der Stadt, wenn fie von der Stadtmauer zu ihnen
berüberriefen oder jchellten, zu antworten, alles Verdächtige ihren
Viertmeiftern oder dem Bürgermeifter anzuzeigen 2c. Die Scharwächter
auf der Mauer wurden jede Nacht drei Mal abgelöst. Der Wächter,
der über St. Michaels Kirchhof ging, mußte dem Wächter auf dem
Schloßthurm jede Naht ein oder zwei Mal zurufen.
23. Der Stadtzimmermann und Stadtmaurer mußten
gemeinschaftlich mit den Thorwärtern die Thore, Werren (Wehre) und
Zugbrüden, mit den dazu beauftragten Nachbarn die Brüden, Brunnen
und Schofgitter, mit den Scharwäctern die Stadtmauern in Acht
Haben und werm fie etwas mangelhaft fanden, dem Bürger- oder
Baumeifter die Anzeige machen. Keiner durfte für ftädtifche Arbeiten
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 243
mehr als zwei Gefellen verwenden; wenn er aber einen Afford ge:
macht hatte, fo viel er wollte Ein Meifter erhielt 2 Schilling 9 Pfg.,
ein Gefele 2 Schilling 4 Pig. Taglohn. Ueberdies durfte der
Zimmermann alle Späne behalten, die unter dritthalb Schuh Yang
waren. |
2A. Der Tuch- oder Wollenfhauer mußte, fo oft er «8
für nöthig bielt, das von den Tuchmachern verfertigte Tuch an den
Rahmen oder auf der Tafel nach Farbe, Breite, Stoff ꝛc. unter:
fuchen, ebenjo die Gewichte, Gefchirre und was fonft zu des Hand:
wert Ordnung gehörte, und wenn er etwas nicht recht erfand,
fo war er verpflichtet, Anzeige zu machen. (Solde Schauer Le
ftanden bei allen Zünften und hatten über die vrönungsmäßige Be:
jchaffenheit der Waaren zu wachen. Der Tuchſchauer möge als Beifpiel
für alle übrigen gelten.)
25. Die Feldſchützen. Ihre Dienftverrichtungen wichen von
den heute üblichen nicht ab, An Lohn befamen fie außer ihrem An:
theil an den Strafen von den Feldbefigern nad) Umftänden 4, 2 oder
1 Garben Frucht. ')
26. Die Waldſchützen.
27. Der Schäfer hatte eine ſehr umfafjende Dienftinftruftion,
welche die damalige Nichtigkeit der Schäferei beweist. Eigene Schafe
durfte er nicht über 125 halten, Kein Bürger durfte mehr als 16
Schafe oder Hämmel halten, von Fremden durfte der Schäfer feine
annehmen ꝛc. An Belohnung erhielt er von jedem Schaf oder Hammel
5 Pfennig und von jedem Lamm 1 Pfennig. Dem Schäfer zur Seite
ftanden
28. Die Pferhmeifter, nämlich zwei für die Etadt und einer
für die Altſtadt. Sie hatten alle auf den Pferd bezüglichen Anord—
nungen zu treffen, nach denen ſich der Schäfer richten mußte.
29, Die Hirten. Die Zahl derfelben muß groß gewefen fein,
da das Vieh aus der Stadt, der Altjtadt und den Vorſtädten gefondert
gewaidet werden mußte, und die einzelnen DViehgattungen abermals ges
trennt waren. Genau war vorgejchrieben, wohin die Pferde, die Kühe,
die Schweine, die Schafe, die Ziegen und die Gänfe getrieben werden
1) Die Feldihlikenoronung ift wie bie meiften andern Orbnungen ohne
Datum, enthält aber einen Nachtrag vom Tonnerftag nad — 1551.
244 Elftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500.
durften und welche Waiden zum Grafen benütt werben follten. Ebenfo
finde ich genaue Bezeichnungen darüber, wie weit fi) das Waidrecht
der umliegenden Dörfer erſtreckte Den Hirten war ein bejonderer Eid
vorgeichrieben. Einen eigenen Eid aber mußten wiederum die Eckerich—
birten ſchwören, weldye die Schweine in den Wald zu treiben hatten,
wo diefen die Eicheln, Bucheln, wilden Wepfel und Birnen zur Nahrung
dienten. Der Ederidy galt nämlich als ein Maftmittel, auf das damals
nod) großer Werth gelegt wurde. (Es geht dies au aus $ 5 ber
Stadtordnung hervor.) |
30, Der Meßner. Neben dem Fürften und der Stadt mußte
er auch den Geiftlichen Gehorfam ſchwören, auf Kirchen und Glocken
fleißig Acht haben, die Kirchen rein und fauber halten, deren Gefäße
und Zierden fleißig verwahren, die Uhren in gehörigem Stand halten
und weder zu früh, noch zu fpät läuten, Sein Jahrlohn beftand in
3"/, Pfund Pfennig, die er vom St. Michaels Pfleger erhielt; dazu die
Accidenzien.
31. Der Todtengräber Er mußte zwei Maße haben für die
Tiefe der Gräber, ein D1/,[chühiges für Kinder, ein 69/, ſchühiges für
Erwachſene. Gräber in der Kirche mußten aber nod einen Schub tiefer
fein. Kamen mehrere Leichen in ein Grab zufammen, jo mußte für
iede noch ein Schuh Tiefe zugegeben werden. Arme Leute aus dem
„elenden Haus” mußte er umfonft begraben. Leichname von Hingerich:
teten war er zu beerdigen nicht verbunden. Ihm Tag die Verpflichtung
ob, den Kirchhof fauber zu erhalten.
32. Der Wafenmeifter. Auf beide Wochenmarkttage mußte
er in das Schindhaus gehen, um die Ausihindlinge hinweg zu tragen.
Erfuhr er, daß in einem Drt zwei Rinder oder zwei Kühe gefallen
feien, jo mußte er die Mebger darauf aufmerffam machen; ftarben aber
in einem Orte fchnell nacheinander drei Rinder ober Kühe, fo mußte
er den Mebgern denfelben verbieten, und dies Verbot blieb fo lange in
Kraft, bis innerhalb ſechs Wochen und drei Tagen dafelbft fein Vieh
mehr gefallen oder erfranft war. Für das Abziehen zc. eines geftorbenen
Stückes Vieh erhielt er feinen vorgefchriebenen Lohn, mußte aber dem
Befiger die Haut ins Haus liefern. Von diefem Lohn mußte er jedes
Jahr auf Martini dem Nachrichter in Baden den Gulden bezahlen, den
die Stadt demfelben zu entrichten ſchuldig war.
33. Der Shulmeifter. Alle Schüler, die über 14 Jahr alt
Elftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500. 245
waren, mußte er dem Fürften und der Stadt Treue ſchwören Yaffen und
die Kinder ſämmtlicher Bürger und Fremden nad beftem Verftändnik
und zu ihrem Nuten und Künften, guten Sitten und Tugenden lehren
und unterweifen. Er jelbft follte feinen Schülern mit gutem Beifpiel
vorangehen, fich nicht mit weltlichen und ungebührlihen Händeln unter
die Laien mifchen, zu feinem Tanz, auch ohne redliche Urfache des Nachts
nicht auf die Straßen geben, dafelbft nicht hofiren, (1) noch andere Un:
gebühr treiben, auch kein Spiel thun ꝛc. Bon den Schülern bezog er
fein Schulgeld, nämlich auf Frohnfaften von jedem Kind 2 Schilling
Pfennig, von armen Kindern aber nur 1 Schilling Pfennig und an
Dftern 50 Eier oder dafür 10 Pfennig; fonft durfte er fie, mit Aug:
nahme eines Scyeites Holz, das jedes Kind während des Winters all:
täglich bringen mußte, (oder ftatt defien für die Dauer eines Winters
1 Pfennig), mit andern Forderungen, als Defen:, Fenſtergeld ꝛc. nicht
behelligen; ebenfo von feinen Helfern feine Beſchwerung der Schüler
leiden, ausgenommen, wenn ſie denfelben befondere Unterrichtsftunden
ertheilten ꝛc. Wie jeder andere ftädtifche Bedtenftete mußte auch der
Schulmeifter jedes Neujahr von Neuem „um die Schule bitten.” Aus
Orten, wo anfteddende Krankheiten berrfchten, durfte er feinen Schüler
aufnehmen.
34. Die Windwächter mußten bei entftehenden ftarken Winden
die ganze Nacht hindurch alle Straßen der Stadt durchgehen und auf
etwaige Feuersgefahr Acht geben, Gegenftände, welche der Wind von
den Häufern auf die Straßen geworfen hatte, aufheben und dem Eigen:
thümer wieder zuftellen zc.
35, Der Stadtfäger. Er war zur Beforgung der der Stadt
gehörigen Sägmühle geſetzt und erhielt für das Sägen von Borden,
Ratten ꝛc. die vorgefchriebene Belohnung. Der Lohn von Privaten,
welche die ftädtifche Sägmühle benüßten, fiel zur Hälfte der Stadt zu.
36. Der Viehſchauer f) hatte alles gefallene Vieh zu befichtigen
und fogleich die Anzeige zu machen, wenn ſich etwas Verbächtiges vorge:
1) Diefe Stelle, jowie auch die Mehrzahl der folgenden, jcheint erſt ſpäter
freirt worden zu jein. Es ftammen überhaupt die Eide, welche ven noch fol-
genden und theilweife auch den bisherigen Angaben zu Grunde liegen, aus
ſpäterer Zeit. (Sie ftehen nicht im Kopialbuch, ſondern auf zerftreuten Blät—
tern, die in bemjelben liegen.)
246 Eiftes Kapitel, Stabtverfaffung von 1500,
funden, Er mußte überhaupt die „bei dem Nindvieh, Pferden, Schafen,
Schweinen und anderm im gemeinen Leben vortommenden Vieh obwaltenden
Krankheiten fleißig erforichen und die Merkinale, woraus die etwa vor:
bandenen Mängel ficher abzunehmen, auch wohl befannt machen”, die
Urkunden und Atteſtate gewifienhaft ausftellen und namentlid) bei drohen:
den Seuchen alle Maßregeln treffen oder veranlaffen, welche die Nerbrei-
tung derfelben verhindern konnten.
37. Der Waghausinſpektor mußte auf die im Waghaus be-
findlihen Waaren Acht haben, Wag und Gewicht in Ordnung halten,
jedem Fremden und Einheimifchen auf Verlangen feine Waare getreulich
wägen, von Zeit zu Zeit das Gewicht prüfen und das mangelhafte in
gehörigen Stand bringen lafjen, das Waggeld erheben und auffchreiben,
und der Stadt wie der Herrichaft den daran gebührenden Antheil all-
jährlich abliefern, !
38. Der Hanfwäger hatte Ähnliche Funktionen.
39. Die Stadtprofuratoren hatten die Verpflichtung, jebes
Mal, wenn es nöthig war, vor dem Oberamt und Bürgermeifteramt
pünktlich zu erjcheinen, jeden Klienten nach beſtem Wiſſen zu be-
rathen, Alles gewifienhaft vor Gericht mündlich oder ſchriftlich vorzutragen
und Niemand über die geſetzliche Belohnung zu fordern, die Ordnung
bei Taufen, Hochzeiten und Leichen zu überwachen, bei Todesfällen be
bufs der Obfignation fogleich dem Stadtfchreiber die Anzeige zu machen,
bei Inventuren und Theilungen als Taratoren zu fungiren, anvertrautes
Geld getreulich zu verwalten ꝛc.
40. Die Holzmeſſer.
41. Der Heubinder. Jeder Bund Heu mußte 21 Pfund
wiegen ꝛc.
42. Der Feuerfhaner.
45. Die Wingerthüter.
44, Der Armenfranftenwärter hatte über das Seelhaus
(S. 163), die Kreuzkirche umd den anftoßenden Gottesader die Aufficht
zu führen und diefelben in gutem Stand zu erhalten, die Uhr in der
genannten Kirche aufzuziehen und zu richten, die ihm übergebenen Ge-
räthe, Bettgewand ꝛc. zu reinigen und in gutem Stand zu erhalten, die
im Seelhaus aufgenommenen Armen menfchenfreundlih zu behandeln,
die Kranken zu pflegen ꝛc.
Eiftes Kapitel, Stadtverfaffung von 1500. 247
$ 4 Die Dürgerfchaft,
Vergleichen wir den Eid, den die Bürgerſchaft Pforzbeims im
Jahr 1348 ihren Fürften hatte ſchwören müſſen (S. 96), mit den
Beftimmungen des Privilegienbriefes von 1491, worin volle Freizügigkeit
geftattet, jede Art von Frohndienſt, Schagung, Steuer ꝛc. aufgehoben
und die Dürgerfchaft überhaupt auf alle Weife „gefreit“ war, fo
kann uns nicht entgehen, wie fehr ſich die Verhältniffe zum Vortheil der
Bürger geändert hatten. Mußte doch nach der neuen Ordnung jeder
Bürger ſchwören, daß er feinen „nachfolgenden Leibesherrn“ (d. h. feinen,
der von früher Anfprüche auf ihn machen könne,) babe und namentlich,
aller Leibeigenſchaft ledig feil Nirgends finden wir auch eine
Spur mehr von Verbindlichkeiten und Dienftleiftungen, wie diefelben mit
dem Verhältniß der Leibeigenfchaft zufammenhiengen,
Es ift oben des Bürgereides gedacht worden. Derjelbe enthält
außer dem erwähnten Eingang das Verſprechen, ſich nad der Stadt
Drdnung zu richten, ohne Erlaubniß des Schultheigen (Untervogts) nicht
wegzuziehen, ohne den im Privilegienbrief vorgefchriebenen Verpflichtungen
nachgekommen zu fein. Ferner mußte beſchworen werben, daß das vorgezeigte
Gewehr Eigentum und nicht emtlehnt ſei, und daß es der betreffende
Bürger nicht verkaufen wolle, Der Schultheiß, der die Bürgeranmahmen
zu beforgen hatte, durfte nämlich feinen annehmen, der nicht fein Mann:
recht Cd. h. Freiheit von Leibeigenfchaft), ziemliche Habe, einen Harniſch
und ein Gewehr, damit er für die Noth gerüftet fei, befaß. Daß diefe
Bedingungen noch lange aufrecht erhalten wurden, erfehen wir aus den
Ratheprotofollen des folgenden Jahrhunderts, worin ausdrüdlic gefagt
it, daß jeder aufzunehmende Bürger fein Mannrecht beweifen müffe und
feiner fein Bürgerrecht antreten dürfe, ev habe denn zuvor fein Gewehr
präfentirt und feine Schuldigfeit (wegen Bürgerannahme) entrichtet,
Ebenfo durfte auch Feiner heirathen, der nicht vorher ſich feine Waffen
anſchaffte, und diefe konnten einem Bürger, der zahlungsunfähig wurde,
jo wenig, als fein Handwerkszeug genommen werden. Bezüglich der
Wehrhaftigkeit der Bürger hatten die fürftlichen Amtleute überhaupt
fireng darauf zu fehen, daß, wie es in der Landesordnung von 1495
beißt, „die Unjern mit ihrem Harniſch, Gezelten, Neiswägen, Gewehren
und Anderm zum Krieg, desgleichen mit Leitern, Hafen, Eimern und
anderer Bereitfchaft zu Feuersnöthen allweg und in fteter Nüftung be:
248 Elftes Kapitel, Stadtverfaſſung von 1500.
ftelit und geordnet feien.” Aber auch in Friedenszeiten mußten die
Bürger, wenn e8 die Noth erforderte, „nacheilen und retten“ (S. 230),
. im Falle die Stadtfnechte allein nicht fertig werden konnten. So lange
"die betreffenden Bürger auswärts und ihrer nicht über 15 waren, erhielt
jeder „für einen Tag und eine Nacht, für Lieferung und alle Ding”
3 Schilling Sold; bei größerer Zahl war man ihnen zu verabreichen
nichts fchuldig, wenn nicht Gericht und Rath aus befonderer Urfache
anders beichlofien. Zu Kriegszeiten durfte Fein Bürger ohne Urlaub
de8 Schultheigen auf einen Jahrmarkt ziehen; wenn es nothwendig er:
fchten, konnte der Schultheif die Bürger, die das thun wollten, „mit
Drdnung eines Hanptmanns und mit ziemlichen Gewehren” dahin ziehen
laſſen. — Das Bürgereinfaufsgeld betrug Taut MPrivilegienbriefs
3 Schilling Pfennig; einen davon erhielt die Herrichaft, den zweiten die
Stadt und der dritte fiel den Bütteln zu (S. 222). Jeder Bürger war
zn allen Nemtern wählbar, wenn auch das aktive Wahlrecht ein beſchränktes
war. Doch wurden jedenfalls and Gericht, Rath und Bürgermeifter
urfprünglich von der ganzen Genteine gewählt.
Daß die ganze Bürgerſchaft in Zünfte eingetheilt war und diefe
auch einen militärifchen Zweck hatten, ift früher ſchon (S. 124) bemerkt
worden Wie groß die Zahl derfelben im 15. und 16. Jahrhundert
war, ift nirgends angegeben; wohl aber ift fpäter immer von 24 Zünf:
ten die Rede. Daß dazu ſchon um 1500 die der Mebger, Bäder,
Mirthe (und Kauflente), Flößer, Fiſcher, Schneider, Schuhmacher, Küfer,
Goldſchmiede (und Glaſer) u. A. gehörten, geht aus den unten folgen:
den Gewerbeordnungen hervor.
65. Polizeiliche Einrichtungen unb Anordnungen.
Manche derjelben find ſchon im Bisherigen, namentlich auch in der
Stadtordnung felber berührt worden, da die amtlichen Werrichtungen
fehr vieler DBedienfteten polizeilicher Natur waren. Indeſſen wurden
dabei mehr die Perfonen als die Sache berücfichtigt; andere Verhältniffe,
die in dem vielgegliederten ſtädtiſchen Gemeinweſen von großer Wichtig:
feit waren, konnten dort weniger berührt werden, fo daß eine befondere,
wenn auch gedrängte Darftellung derfelben nothwendig erfcheint, um das
Stadtbild, defien Ausmalung der Zweck diefes Kapitels ift, zu ergänzen.
Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500. 249
Am beften laſſen fich jene polizeilichen Einrichtungen und Anorb-
nungen in folhe, welche mehr allgemeiner Natur waren, und in
folche, welhe auf bejondere Verhältniffe, wie z. B. auf das Gewerbe:
weien Bezug hatten, eintheilen,
A. Allgemeine Polizei.
1. Feldordnung.
Das, was fid) aus dem mehrerwähnten Kopialbuche unter dieler
Ueberſchrift zufammenfaflen läßt, bejteht aus ſechs verfchiedenen Artikeln,
welche folgende Meberfchriften führen: Vom Bau des Feldes und Zu:
adergeben, von der Feldalmend, von Feldbäumen, vom Wegſchneiden in
der Ernte, vom Megmähen, von Feldrügungen, Jeder diejer Artikel
zerfällt wieder in einzelne Stems oder Paragraphen, welche meifteng
Verbote enthalten und denfelben die auf die Uebertretung geſetzten Stra>
fen beifügen. So mußte z. B., wer ohne Erlaubniß über einen einge
fäeten Ader fuhr, 10 Schilling Pfennig, wer von einer Almend fich
etwas aneignete, 2 Pfund Pfennig, wer ohne Erlaubniß des Bürger:
meifters einen Daum auf feinem Feld umhieb, 10 Schilling Pfennig
Strafe bezahlen ꝛc.
2. Waldordnung,
An bierher gehörigen Bejtimmungen finde ich nichts, als einen
Artikel, überfchrieben: Von der Stadt MWaldeingung. Er enthält u. A.
die Beftimmung, daß, wenn ein „gemeiner Hau“ erfolgte, der Plat
eine Zeitlang von dem Vieh gebegt werben follte, damit der Wald
wieder wachfe; ferner, wer ftehend Holz abhieb, jo groß als ein Geifel:
ftecten oder größer, mußte Strafe oder MWaldeinigung im Betrag von
171, Schilling Pfennig bezahlen ꝛc. Wer aber in der Nacht oder
Morgens ohne Erlaubniß im Wald Holz bieb, wurde gerichtlich geitraft.
3. Marftordnung.
Jede Woche waren zwei Wochenmärkte, am Mittwoch und
Samftag, beide mit urfprünglich gleichen Freiheiten, Das wurde aber
fpäter 1) dahin abgeändert, daß nur der Mittwoch ganz frei fein, am
Samstag dagegen ein fremder Krämer auf erhobene Klage nicht feil
1) Auf Montag nad Qubilate 1556 durch Beichluß des Schultheißen,
Bürgermeifters, Gerichts und Raths.
250 Elftes Kapitel. Stabtverfafjung von 1500,
haben dürfe, damit „den Bürgern nicht das Brod von dem Mund ab:
geſchnitten werde.“ Alle Gegenftände, die zu Markt gebracht wurden,
durften nur auf dem Markt jelbft verfauft werben, und fein Thorwart
oder Zuhüter durfte fi) unterftehen, unter dem Thore etwas an Schmalz,
Käfe, Eiern, Hühnern, Vögeln, Obft u. dgl. zu Faufen oder zu beftellen.
Ebenfo durfte auch Fein Händler, und zwar Sommers (von Georgi big
Michaeli) vor 10 Uhr und Winters (von Michaeli bis Georgi) vor
11 Uhr bei Strafe von 5 Schilling Pfennig Etwas Faufen oder beftellen,
und aud an andern Tagen mußten die Waaren zuerft wenigſtens zwei
Stunden feil geboten worden fein. jeder Bürger, der feil Gut über
einen Gulden an Werth Faufte, mußte Andere auf Verlangen am Kauf
Theil nehmen laffen, damit „Feine Theurung gemacht werde.” Was
den Frucht markt betrifft, fo durfte Keiner, geiftlich, weltlich, fremd
oder einheimifch bei Strafe von 1 Pfund Pfennig „Fruchtred haben
oder feilfen”, jo lang das Marktfähnlein noch ausgeftet war. Alle
Fruchtläufe durften nur im Kaufhaus gefchehen. Kein Bäder noch
Anderer durfte mit unbeftimmten Worten, wie: was die Frucht gelten
werde, fo viel wolle er aud zahlen u, ögl. kaufen, jondern er mußte
immer mit beftimmten Worten erflären, wie viel er geben wolle, Müller
und Berfäufer durften ohne befondere Erlaubniß des Bürgermeifters
vor 412 Uhr Feine Frucht kaufen. Wer größere uantitäten Frucht
Taufte, mußte Andere auf ihr Verlangen daran Theil nehmen Yaffen.
Roggen oder Dinkel follte vor dem Hafer ausgemefien werden, Wer
einen Sad, voll oder leer, auf den Zahltifch legte oder ftellte, mußte
dafür 5 Pfennig Strafe zahlen ꝛc. Die Fruchtverkäufer durften ihr
eigen Maaß mitbringen, doch mußte es vor dem Gebrauch in der Stabt
geeicht werden. Wer Fein eigenes Maaß mitbrachte, durfte nur dag der
Stadt benutzen, mußte aber 1 Pfennig bezahlen; dafür befam er auf
einen Tag „ein Simmerin, ein halb Simmerin und einen PVierling.”
Ueber die Vieh- und Jahrmärkte finde ich wenig, von Yebtern nur
den Betrag des Standgeldes für Tuchkrämer und daß ihrer jährlih 4
gehalten wurden. — Die Ordnung des Marktes bandhabten zwei
Marktmeifter (©. 241).
4. Brunnenordnung. ')
1) „Durch Schultheiß, Bürgermeifter und Rath fürgenommen und beihlof:
fen auf ven 13. Sept. Anno domini 1526.“
Elftes Kapitel. Stabtverfafjung von 1500. 251
Bon einem untergefehten Kübel durfte Niemand weglaufen, und
den vollen mußte man gleich binwegtragen. In die Brunnenfäften durfte
fein Fiſchkorb gelegt, darin Fein Tuch genetzt, Fein Stodfifh, Häring,
Reif, Beſen, Schaub, Gefchirr u. dgl. geſtoßen oder gewaſchen, dabei
fein Kraut, Wendel, Fenfter, Kübel, Zuber, Schub u. dgl. gewaschen
und zu den Brunnen kein Feget, Wuft, Mift u. dgl. getragen nod) ge
fchlittet werden. Auf alles Zuwiderhandeln waren angemefjene Geld:
ftrafen geſetzt. Die zwei nächſten Nachbarn eines jeden Brunnens hatten
darüber zu wachen, daß derſelbe ſich (S. 238) immer in gehörigem
Stand befand, und im entgegengefeßten Tall dem Bürger- oder Bau:
meifter die Anzeige zu machen.
5. Bauordnung (Dom Bau von Häufern und Scheuern.)
Der einen Neubau aufführen wollte, durfte den alten nicht eher
abreißen, bevor er von Schultheiß, Bürgermeifter und Gericht oder den
von ihnen dazu Geordneten befehen worden war, damit ‘der neue Ban
auf der Almend nicht weiter vorgefeßt werbe, als der alte Ein Ueber-
ftoß an einem Haufe durfte ohne Erlaubniß nicht über 11/, Schub
herausgeben, und war in engen Gaffen beim unterften Stod gar nicht
geftattet. Wer gegen einen Nachbar Traufrecht haben follte, mußte wie
diefer 11/, Schub Tiegen lafien, wenn nicht Recht und Billigfeit es
anders verlangten, Unterfagt war, ohne befondere Erlaubniß des Schult:
heißen, Bürgermeifters und Gerichts Abtritte in Winkel zu richten, mo
vorher Feiner geweien, Waflerfteine in eine gangbare Straße zu richten
ohne Kanal am Haus herunter, dem Nachbarn ohne deſſen Bewilligung
„ein Geficht ins Haus zu machen“, das Licht zu verbauen, auf feinen
Nahbar „zu ſchütten oder zu werfen ohne befondere Gerechtigteit oder
rebliche Urſache.“ Ein „Gefiht vom Himmel herab“ Fonnte jedoch nicht
verwehrt werden. Wer ohne Berechtigung auf einen Almendplat baute,
mußte den Bau binnen Monatsfrift wieder abthun. — Die Landesord-
nung von 1495 enthält überdies folgende baupolizeiliche Beftimmungen :
Jeder Neubau muß wenigſtens kniehoch von der Erde untermauert ei,
damit die Schwellen nicht fo bald faulen. Alle alten und neuen Ge:
bäude follen mit „Leimen, Schornfteinen und fonften Feuers halber ver:
ſehen fein.“ Zwei vom Gericht müfjen jedes Jahr wenigſtens zwei
Mal behufs der Fenerfchau zc. umgehen.
252 Elftes Kapitel. Stabtverfaifung von 1500.
6. Reinlichkeitspolizei.9
In den Straßen durfte von Niemand, der einen eigenen Hof oder
Miſtplatz hatte, Miſt gemacht werden, und überhaupt fein „Geſperr“
ftattfinden, (mit Ausnahme einiger Häuferbefiter); ebenfo mußte der Platz
beim Schleifthor in- und auswendig der Stadt unbelegt und unverfperrt
bleiben, mit Ausnahme von Holz oder Dielen, die man drei Tage da-
jelbft aufgeſetzt Lafien durfte. „Kerich, Gemüll, Aſchen, zerbrochene
Häfen“ ꝛc. durfte man nicht auf die Straßen und in Winkel werfen,
ebenfo wenig „einig todt Thier, Schelm, Hund, Kaben, Schwein, Gäng,
Hühner, Natten, Mäuß u. dgl.”; erftere Gegenftände mußte man vor
die Stadt hinaus (in die „Krüpfen bei der Bleichftaffel”) tragen, letztere
entweder ins Waſſer werfen oder dem Wafenmeifter abliefern, (Von
MWaflerfteinen und Priveten fiche Bauordnung.) Fließende Kloaken durf:
ten nur bei großem Negen, und wenn das alsdann nicht gefchah, jedenfalls
nur bei Nacht gereinigt werden. Andere zu bejchütten, bei Tag oder
Nacht, oder zu bewerfen, namentlich wenn die betr, Perfonen bei Nacht
ein Licht trugen, war bei Strafe unterfagt, In jeder Gaffe waren ein
oder zwei Bürger aufgeftellt, „ein Nuffehen zu haben“ und Ungehörig-
feiten dem Bürger: oder Baumeifter anzuzeigen,
T. Sicher heitspolizei.
Ich finde hierüber nur zerſtreute Beſtimmungen, von denen bie
meiften in den Dienftinftruftionen und den Eiden der Büttel, Schar:
wächter 2c. enthalten und fchon zum Theil berührt worden find. Es
gehört hierher noch: Man durfte Niemanden ohne Erlaubniß des
Schultheißen oder Bürgermeifters länger als 8 Tage beherbergen,
8. Maaß und Gewidt,
Nach vereinzelten Angaben und darauf geſtützten Vergleichungen
und Berechnungen betrug :
Längenmaaß: eine Ruthe — 16 Schub oder 8 Pforzheimer
Ellen; ein Schub — 12 Zoll, Dabei die Bemerkung: „Die Längen
der Ruth findet man am Glodenthurm zu St. Michael gegen der Gruft
bei der Ziegelformb.“ (Dies ift, fo viel mir befannt, auch beim Ein-
1) „Ordnung bes Mifts, Keritt, der Wafferftein und Priveten“
(ohne Datum). Ferner: „Ordnung Mifts“, duch die Rathsverordneten
in Beifein bes Kanzlers Oswald Gutt, des Vogts Volder von Uetzlingen
und bes Dr. Marquard, allen fürftlihen Räthen, verfaßt auf Dienftag nad
Pfingiten 1539,
Eiftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500, 253
gang in das Freiburger Münfter der Fall.) Bei wen man eine Elle
fand, die um zwei-Heller zu kurz war, wurde um 11/, Schilling ge
ftraft; 3 oder 4 Heller zu kurz koſteten 5 Schilling; noch mehr zu
kurz zog gerichtliche Strafe nad fih. In der Stadt durften Ellen:
waaren nur nach Ellen verkauft werden, welche der Stadt Zeichen trugen,
Klaftermaaß: Jedes Klafter mußte 61, Schub hoch umd
61/, Schuh weit oder breit, jedes Sceit Holz 41, Schub lang fein.
Ungemefjenes Holz durfte nicht verkauft, auch nicht verfchiedenes Holz
vermifcht werden,
Getreidemaaß. Ein Matter hatte 8 Simmerin, 1 Sim:
merin faßte 4 Imi oder 4 Vierling oder 3 Dreiling. Von rauber
Frucht (Spelz, Haber) hatte das Malter 10 Simmerin.
Flüſſ igkeitsmaaß. Eine Ohm betrug 12 Viertel, ein Viertel
6 Maaß.
Gewicht Genaue Beltimmungen darüber finde ich nicht; es
feinen indeß die verfchtebenen Gewichtsahftufungen diefelben wie heut
zu Tage (Zentner, Pfund, Loth, Quintchen, Gerftenförner) gewefen zu
fein, ebenfo ihr Verhältniß zu einander, Ob der fpätere Unterjchied
zwifchen Frohngewicht und Kramgemwicht (meld Tebteres etwas
leichter als erfteres war,) fchon beftand, vermag ich nicht anzugeben, —
Die Krämer durften an Wagen und Gewichten fein Blei, Eifen ober
Stein ꝛc. hängen bei Poen von 1 Pfund Pfennig, War ein Pfundge-
wicht um 1/5 Roth zu leicht, fo zog das eine Strafe von 3 Pfund
Pfennig nad) ſich; ein ganzes Loth koſtete 5 Pfund Pfennig; noch mehr
wurde gerichtlich beftraft. .
B, Beiondere Polizei,
Diefelde umfaßte, mie ſchon oben bemerkt, die verſchiedenen Ge:
werbeordnungen. Diefe wurden natürlich nicht alle auf ein Mal
gegeben, auch nicht auf längere Zeit unabänderlich feſtgeſetzt, fondern
erhielten nad Bedürfniß und Umftänden zeitgemäße Zufäge und Um:
wandlungen, weshalb fich beifpielmeife in dem vielerwähnten Kopialbuche
neben der von Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und Rath im’ Jahr
4511 gegebenen „Beckhenordnung“ noch eine alte „Bedhenord-
nung von der Cantzley geben” von 1506 findet. Von allgemeinen
254 Elftes Kapitel. Stabtverfaffung von 1500.
Beftimmungen über das Gewerbsweſen ftoße ich auf wenige, jo auf das
Berkot der Benübung auswärtiger Handwerksleute ohne Erlaubniß des
Bürgermeifters bei Strafe von 10 Schilling ‘Pfennig u. ſ. w. Alle
Gewerbeordnungen hier vollftändig mitzutheilen würde natürlich zu weit
führen. Ich befchränfe mich deshalb auf die wichtigen und gebe
dag Mejentlichfte derjelben im Auszug. Meine Quellen enthalten deren
folgende: Müller, Bäder:, Metzger-,Wirths-, Würzkrä—
mer-, Fiſcher-, Flößer:, Ziegler:, Dahdederordnung,
Nach einem noch eriftirenden Verzeichniß deſſen, was das ftädtifche Archiv
vor 1689 enthielt, fanden fich in der Lade B. B.: Drdnungen aller
Handwerke, davon fpeziell angeführt: Deß ſchnyderhandtwerkhs, ber
fhuhmadyer, der Bader (gar Alt), des Fueffer handtwerkhs u, ſ. w.
1. Müllerordnung.
Nach verſchiedenen Beftimmungen über die Art und Bejchaffenheit
der Getreidemaaße der Müller, die Mühlfteine und fonftige Mühlein-
richtungen wird ihnen das Kaufen von Frucht im Haus oder auswendig
der Stadt ohne befondere Erlaubnig des Bürgermeifters, aber auch in
diefem Fall nur zu eigenem Gebrauch, nicht um fie wieder zu verkaufen,
bei hoher Strafe unterfagt, ebenfo die Annahme und das Mahlen von
Frucht ohne erhaltene Wortzeichen (S. 223), und wenn damit die
Truchtmenge nicht übereinftimmte, jo mußten fie die Anzeige machen,
Jeder Müller durfte nur feinen Kunden mahlen. Er durfte feinen
Mühlknecht noch Lehrling länger als acht Tage behalten, ohne daß der—
jelbe dem Schultheißen gelobt hatte, die Ordnung des Ungeldes zu be:
obachten. Der den Mühlfnechten vorgeichriebene Eid war ein fehr aus—
führliher, Sie mußten ſich darin verbindlich machen, den Müller des
Ungeldes wegen zu kontroliren und nicht ohne Urlaub des Schultheißen
hinweg zu wandern. Auch die Frauen, Kinder und Dienftboten der
Müller mußten ſchwören, ohne die Meifter oder Knechte Teine Frucht
anzunehmen (S. 223). Die Miller mußten die Frucht aus den Kun—
benhäufern abholen und das Mehl wieder dahin verbringen Che aber
die Frucht in die Mühle kam, mußte fie auf der ftädtifchen Wage durch
den dazu beitellten Wagknecht gewogen werden, ebenfo, wenn Mehl,
Kleie ꝛc. aus der Mühle zurückkamen. Molzer und Abgang durften
von einem Malter Kernen 16 Pfund, von gemifchter Frucht 15 Pfund
und vom Roggen 14 Pfund betragen. Ohne Wiffen und Willen des
Eigenthümers durfte Feine Frucht genegt werden. Geſchah es, fo mußte
Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500. 95
der Müller den Wagknecht in Kenntniß fegen, um den Abgang darnach
bemefjen zu fünnen An Mülter oder Molzer durften fie nehmen:
Bon einem Malter Kaufkernen einen gehäuften Vierling Kernen
und einen geftrichenen Vierling Mehl; von einem Malter Gerbfernen,
den man mahlt und gerbt, 1/, Simri Kernen und einen geftrichenen
Bierling Mehls; von einem Malter Roggen oder gemifchter Frucht
1/5, Simri geftrihen und fein Mehl; von einem Malter Haber, zu
Mehl gemahlen, 1 geſtrich. Vierling Mehl. Ferner von einem Malter
Dinkel zu gerben 2 Pfennig; von einem Malter Kernen oder Roggen
zu beuteln 1 Kreuzer. Sämmtlihe Mühlen mußten jährlich 2 bis 4
Mal durch Abgeordnete Gerichts und Raths vifitirt werden (S. 236).
2. Biderordnung. 9)
Ein neuangehender Bäckermeifter mußte das Mann: und Bürger:
recht haben und als Einftand 4 Pfund Heller und eine „mäßige Kan:
ten”, jowie der Herrihaft 10 Schilling Pfennig „Hüttenzins“ geben.
Er mußte der Meifter Stubenknecht fein und ihnen Wein und Brod
zutragen,, bis ein anderer neuer Meifter an feine Stelle kam. An ge:
botenen Feiertagen durfte vor der Predigt nicht ausgetragen werden.
Die verordneten Meifter und Stubenmeifter mußten jedes Jahr Rech:
nung ablegen. Kein Meifter durfte von einem Lehrknaben weniger
Lehrgeld nehmen, als 3 Pfund Pfennig; außerdem hatte diefer „ge:
meinem Handwerk” zu geben eine mäßige Kanten und 1 Pfund Wachs
oder 21/, Schilling Pfennig, und den Knaben auch 1 Pfund Wade
oder 21/, Schilling Pfennig. Kein Meifter durfte einem andern einen
Knecht abdingen, auch feinen nehmen, der, wenn er vorher einem andern
Meifter irgend Schaden angerichtet, diefen nicht zuvor erfegt hatte. Die
Beftimmungen über „Fruchtlauf von Bädern und Müllern“, von der
„Bäder Schwein und wohin fie die treiben follen”, von der „Bäder
und Müller Metzeln“ — mögen bier übergangen werden. Alle Tage,
mit Ausnahme von Sonn: und Feiertagen, mußten die Bäder frifches
Brod haben, und dasfelbe unter „den Hütten“, d. h. in einem gemein-
ſchaftlichen Verkaufhaus gleich den Mebgern feil bieten. Zu Haus durf⸗
ten fie nur an Fremde und ausnahmsweife zur Nachtzeit verkaufen,
Das gewöhnliche Brod beftand in Zweipfenniglaiben und Hellerwecken,
1) Bon 1511, mit Zufägen v. 12. Eept, 1558, 13. Nov. 1562 u. 14. Mai
4582, und Dinweiſung auf eine ältere Bäckerordnung von 1506, \
356 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500.
im Falle eines Fruchtaufſchlags auch in Vierpfenniglaiben, doch nur mit
Erlaubniß des Bürgermeifters. Die Preife änderten ſich alſo nicht,
wohl aber das Gewicht, Herrſchte Mangel an feilem Brod, fo wurden
die Bäcker geftraft. Keiner durfte an mehr als einem Laden feil haben.
Schlecht gebadenes Brod durfte nur mit Erlaubniß der Brodfchauer und
zwar um ermäßigten Preis und außerhalb der Hütte verkauft werben.
Die Bäder durften Niemand Brod verweigern und mußten Dreinbrod
geben. Eine bejondere Abtheilung der Bäder bildeten die „Haus:
beckhen“, die den Leuten ihr Brod aus dem ihnen überbrachten Mehl
baden, erforderlihen Falls auch in den Häujern fneten mußten, alsdann
aber für fich zum Verkauf nicht baden durften. Sie erhielten von einem
Malter Mehl zu baden 1 Schilling 10 Pfennig. Frudt:, Mahl
und Badproben wurden von Zeit zu Zeit von Vürgermeifter, Gericht
und Rath vorgenonmen. Am Schluß der Bäderordnung wird ange:
geben, wie fi) die Bäder des Ungeldes wegen in den Mühlen halten
follten.
3. Mepgerordnung.
Jeder neuangehende Meifter zahlte in die Zunft 10 Gulden; eines
Mebgers Sohn oder eines Bürgers Sohn, der eine Mebgerstochter bei:
rathete, bezahlte nichts. in angehender Lehrling zahlte ins Handwerk
5 Schilling Pfennig, eine mäßige Kanten und 2 Pfund Wade „an
unferer lieben Frauen Kerz.” Keiner durfte einen Knecht nehmen, der
nicht gute Zeugniffe aufmweifen konnte, Kein Metger durfte einem andern
in einen Kauf fallen. Ungeſchätztes Fleifch durfte nicht verkauft werden.
Alles Vieh mußte im Schlachthaus gefchlachtet werden. Kein Metzger
durfte das Fleiſch in feinem Haufe ausbauen, fondern nur „unter den
Hütten”, d. h. in der gemeinfhaftlichen Mebig, wo jeder jeine Trleifch:
banf hatte, die aber nicht länger als 7 Schuh fein durfte In Som:
mer durfte vor 5 und im Winter vor 7 Uhr kein Fleiſch in die Metzig
gebracht und alle Fleifchjorten mußten gejondert aufgehängt werben.
Tanden die Fleiſchſchauer das Fleiſch übelriehend und überhaupt nicht
in der Ordnung, jo durfte es nicht in der Mebig, ſondern mußte außer:
balb derfelben um geringern Preis auf der ſog. „Pfinnbank“ (S. 240)
ausgehauen werden. Dahin gehörten auch die Farren, die geringen Schafe,
das Eherfleifch, das Fleifch von unverheilten Schweingmüttern u. f. w.
Wurde aber das Fleiſch ganz verdorben erfunden, fo mußte e8 der Mebger
bei BVerlierung des Handwerks dem Wajenmeifter überliefern. Diefem
Elftes Kapitel. Stabtverfaſſung von 1500. 257
wurden auch finnige Schweine zuerkannt, Wer am Dfterabend fchlachtete,
übernahm dadurch die Verpflichtung, die Mebig das ganze Jahr bin-
durch mit Fleiſch verforgen zu helfen; wer das Schlachten an jenem
Abend unterließ, hatte das Schlachtrecht für das ganze “Jahr verwirkt,
(Krankheitsfälle ausgenommen). Alles Fleifh muRte mit dem Rücken
gegen die Mebig aufgehängt werden. Niemand durfte einem Fleiſch—
füufer entgegen Taufen oder ihm zurufen. Wer Schweine oder Rind:
fleifch feil hatte, durfte Fein anderes Tleifc daneben aushauen, im leßtern
Fall nur Kalbfleiſch, Kigene und Lämmerfleiſch. Das Loos entichied,
welche zwei Mebger eine Woche bindur Hammel: oder Schaffleiſch
(getrennt) und Fein anderes daneben feil haben mußten; doch durften
Schafe und Himmel nah St. Andreastag (30. November) nicht ge:
ftochen werben, letztere höchſtens mit Erlaubniß des Bürgermeiiters,
Zur Abgabe von Kalbfleifch waren die Metger nicht verpflichtet, wenn
man nicht Nindfleifch dazu nahm; eine Ausnahme davon machten Kranke,
Schwangere und Kindbetterinnen. Sonft mußte der Metzger Jeder—
man, Meichen und Armen, das Fleiſch geben, wo man es verlangte;
der Ausfchlag durfte nicht mit einer andern Fleiſchſorte gemacht werden,
Blut von verſchiedenen Thieren durfte nicht vermiſcht, und die Würſte
von jedem Schwein mußten gefondert verkauft werden. Bratwürfte durften
nicht gemacht werden „denn von Duallen, damit fie das Gebein nicht
zu genau fchinden”; anderes Tleifch dazu zu nehmen, war unterfagt.
Ein Kalb mußte wenigftens vierthalb Wochen, eine Geiß 16 Tage alt
fein; Vieh, das erft innerhalb 14 Tagen gerindert hatte, durfte nicht
geichlachtet werden bei Berluft des Handwerks; cbenfo war unterfagt,
Vieh von St. Georgen (dem Leprofenhaus) zu faufen u. f. w.
4. Wirtbsordnung. 1)
Zwifchen Gaftgebern und Weinfchenfen wurde ein Unterfchied ges
macht. Gaftgeber Fonnte nur fein, wer Stallung für 10 Pferde beſaß
und mit Futter ꝛc. dafür verfehen war, ebenfo auch 10 Perfonen über:
nachten konnte. Bloße Weinfchenten durften Niemand beherbergen, aud)
feine andern Speifen hergeben, als Käs und Brod; bloß die Jahrmärkte
1) Am Dienftag nad Pauli Bekehrung 1541 entworfen vom Vogt Bolfer
von Neglingen, Dr. Marquart, dem Schultheißen Ulrich Sayler, dem Bürgers
meifter Peter Goiflin und etlichen des Raths, beftätigt von Markgraf Ernft,
mit Berufung auf einen Abfchied von 1531 und mit einem Zufag vom Sonn:
tag nach Medardus 1548. j
Pflüger, Pforzheim, 17
| 258 Elftes Kapitel. Stadiverfaffung von 1500.
geftatteten eine Ausnahme, Jeder Gaftgeber mußte feinen Schild haben,
jeden fremden Gaft beherbergen und nad feinem Wunſch bewirthen ;
wer einen Fremden ohne genügende Urjache ausichlug, mußte 1 Pfund
Pfennig Strafe bezahlen. Jeder Wirth und Weinſchenk war verbunden,
alle „Frevel und Unfuhr“, die ſich in der Wirthichaft erhoben, deu
Schultheißen, Bürgermeifter oder den Stadtknechten anzuzeigen; Teiner
durfte bei Strafe von 1 Gulden einen Bürger im Sommer nad 10,
im Winter nad) 9 Uhr in feinem Haufe dulden, ausgenommen, wenn
er einem Fremden Gefellichaft leiftete, oder ſonſt ein ehrhaftes Geſchäft
hatte. Kein Bürger durfte am Sonntag unter der Predigt im Wirths—
haus fiten, auch nicht im dev Stadt herumftehen oder fpazieren, bei
Strafe eines Guldens, die im erften Falle auch den Wirth traf. —
Ein jeder Wirth oder Weinfchent, der ein oder mehrere Faß Wein aus:
ſchenken wollte, mußte den Wein bei Strafe durch den Büttel ausrufen
(affen, der dafür eine Maaß Wein oder 2 Pfennig erhielt.
6. Flößerordnung. 1)
Kein Schiffer oder Flößer durfte angenommen werden, wenn er
nicht in Pforzheim oder der Markgraffhaft anfäßig war und fein Manns
recht hatte, Kein Holzhauer durfte zugleich Flößer fein und umgekehrt.
Seder, der im Lauf eines Jahres fein Handwerk auszuüben dachte,
mußte auf einen beſtimmten Tag einen halben Gulden erlegen; die da:
durch erzielte Summe jollte auf Erhaltung der Floßwege, unbefchadet
ber Wehre und der Mühlkanäle, verwendet werden. Eines Flößers
Sohn, der an die Stelle feines verftorbenen Vaters trat, mußte ' fl.
Einftand bezahlen; ein Anderer, der das Flößerhandwerk ergriff und
nicht eines Meifters Sohn war, 1 Gulden; wer lebtern nicht auf den
beftimmten Tag pünktlich entrichtete, verlor für jenes Jahr das Recht,
für ſich felber zu flößen, Die kinderlofe Wittme eines Flößers durfte
nod ein Jahr Yang mit Hilfe eines tauglichen Knechtes das Handwerk
fortfegen; hatte fie Kinder, von denen eines über 10 Jahre alt war,
fo übte fie das Gewerbe ihres verftorbenen Mannes unbeichräntt aus,
wenn fie ſich nicht wieder verheirathete. Werzichtete fie auf ihr Hecht,
wollten aber das die Kinder nicht, jo follte jedes derjelben zur „Hand:
babung ihrer Erbgerechtigkeit“ jährlich einen Schilling Pfennig in die
1) Am 19. April 1501 „von wegen und bevelhe“ des Markgrafen Chriſtoph
„der Schifferfhaft zu Pforgheym geben“.
Eiftes Kapitel. Stadtverfaſſung von 1500, 259
Zunfttafie bezahlen. Ueber die Kaufs- und Verkaufsplätze des Holzes
am Rhein, Nedar und den Nebenbächen follten jedes Jahr fefte Beftim-
mungen getroffen werden. Wer, wie oben erwähnt, feinen halben Gul-
den bezahlt und fich damit das Recht des Flößens für ein Jahr er:
worben hatte, follte bei Strafe von 6 Gulden feinen Knechtslohn "zu
verdienen fuchen; nur im Falle von großem Waſſer, wenn. nicht genug
Knechte aufzutreiben waren und die Noth fchnelle Hilfe gebot, durfte
folhe von Meiftern in Anfpruc genommen werden. Bei Verzollung,
Ausbindung und Ablieferung des Holzes durfte im Verbinderungsfall
Stellvertretung ftattfinden. in Flößer, der mit einem Floße in Pforz
beim gerade abzufahren im Begriff war, durfte Knechte, die eben von
einer Tloßfahrt zurückehrten, in Anfprucd nehmen, auch wenn ihr bie:
beriger Meifter fie bereits mit dem Auftrag zu weiterer Arbeit nad
Haufe geſchickt hatte; einem Meifter jedoch, der nicht in diefer Ordnung
begriffen war, durften Knechte, bei denen dies der Fall, nicht helfen bei
Strafe von 1 Gulden, Gleiches galt von den Meiftern bezüglich der anzu:
fteflenden Knechte. Jeder, der ein Jahr hindurch Knecht fein wollte,
mußte fih auf einen beftimmten Tag vor dem Amtmann und den vier
verordneten Meiftern, die jedes Jahr durch das Loos gezogen wurden,
ftellen und ſich einfchreiben lafjen, mußte aber bdesfelbigen Jahres ein
Knecht und durfte Fein Schiffer fein bei Strafe von 3 Gulden. Dingte
ein Meifter einen Knecht und kam der eine oder der andere feinen Ver:
pflihtungen, der Knecht im Arbeiten, der Meifter im Arbeitgeben, nicht
nad), jo hatte das für den Schuldigen die Folge einer Strafe von einem
Ort (5.129) für jeden Tag, wovon bie eine Hälfte der Obrigkeit, die andere
dem Betbeiligten zufiel. Welcher Flößer Holz verkaufte im Werth von
60 His 100 Gulden, der mußte einen andern Meifter am Handel Theil
nehmen laſſen; betrug der Werth 130 Gulden und darüber, jo mußte fich
der Betreffende 2, bei 160 Gulden und darüber 3 Theilnehmer gefallen
laſſen, die durchs Loos beftimmt wurden. Wenn ein Fremder behufs
Holzkaufs nach Pforzheim kam, dem durfte Feiner nachlaufen, fondern er
mußte vor den Amtmann und die DVerordneten gewiefen werden, welche,
dann einen billigen Preis machten und immer zwei von den Schiffern
der Reihe nach beftimmten, die den Handel übernehmen follten. Kein
Schiffer durfte jährlich mehr denn 5000 Stüd Holz oder Bord vom
Walde beftellen und verführen; was darüber war, verfiel der Herrſchaft
und der Schifferichaft. Die Floßzeit follte an Oftern Ru und am
60 Elftes Kapitel. Stadtverſaſſung von 1500,
Sallustag (16. Okt.) aufhören, damit die Schiffer „die heylig zyt der
vaften und oftern, auch zu wyhennachten deßbas mögen anheym biyben
und inen uff dem wafjer Feltin und wynters halb nit ſchade erwachſe;“
auf die Uebertretung diefer Beſtimmung war eine Strafe von 10 Gul—
den gefeßt. Knechte, welche im Walde arbeiteten, erhielten täglich nebjt
der Koft 2 Plappart (nad unferm Gelde 18— 20 fr.), auf dem. Waffer
ohne Koft 4 Plappart. Auf einen Sanıftag oder Vorabend eines Feier:
tages in Pforzheim mit einem Floß anzufahren, war bei Strafe von
2 Pfund Pfennig unterfagt. Unterhalb Pforzheim durfte Fein Holz an
Sägmühlen verkauft werden bei Strafe von 5 Pfund Pfennig; dafür
mußten aber die Pforzheimer Beamten den Flößern behilflich fein, daß
ihre Sägflöße zu Pforzheim von den Sägern rechtzeitig beforgt wurden.
Welcher Pforzheimer Flößer mit einem Waldichiffer, (dev das Holz auf
Enz Würm und Nagold nad Pforzheim brachte,) einen Holzfauf zu
feitem reis auf ein Jahr abgejchlofjen hatte, der war bei einer Strafe
von JO Schilling Pfennig daran gebunden, wenn nicht beide Theile fich
gütlich verglichen. Wenn ein SJimmermann das Holz zu einem Bau
auf dem Waſſer transportiren wollte, jo mußte er das Geſchäft durch
die Floßknechte um den Taglohn bejsrgen laſſen, oder er mußte es den
Meiftern im Accord übertragen. Alles Holz mußte nach einer beftimm:
ten Größe gehauen werden, dod) nur was als „Kaufmannsgut“ gelten
fonnte, Alle Jahr fand vor dem Amtmann und den verordneten 4
Meiftern Rügung ftatt, wobei Meifter und Knechte bei ihrem Eide Alles
angeben mußten, was irgend gegen die Flößerordnung gefchehen jei, um
jedes Zumwiderhandeln mit der vorgefchriebenen Strafe zu belegen. Wer
nicht erfchien, durfte für jenes Jahr dag Gewerbe nicht ausüben und
wurde, wenn das Ausbleiben ein „frevenliches“ war, noch obendrein um
10 Gulden geftraft. Am Montag nad) Dreifönig jeden Jahrs mußte
Bruderfchaftstag gehalten werden bei Strafe von 1 Pfund Wachs
„unferer lieben rauen“ ; demfelben folgte eine Seelenmefje für die ab:
geftorbenen Zunftgenofjen; zum Nügungstag wurde immer der darauf fol:
gende Montag angejebt; an einem weiter anberaumten Tag jedes Jahr
mußte die Tlößerordnung verlefen werden. Welcher Flößer einen andern
Flößer an einem Kauf oder Verkauf hinderte, verfiel in eine Strafe
von 5 Pfund Pfennig Don allen Strafen fiel der Herrſchaft und der
Stadt die eine Hälfte, der Scifferichaft die amdere zu; erftere Hälfte
Elftes Kapitel, Stadtverfaffung von 1500. 261
wurde zwifchen Herrfchaft und Stadt wie das Ungeld getheilt (zu 37,
und 1/,). —
Die Flößerordnung wurde 1555 bedeutend abgeändert und auf
die kurzen Beftimmungen von 17 Paragraphen redueirt, die im Weſent—
lichen folgende Beftimmungen enthalten: 1) Wer noch nie geflöht hat,
muß vorerft 5 Sch. Pfg. erlegen. — Wer feinen Flößer zum Vater
hat und Feines Meifters Tochter zur Ehe nimmt, muß wor dev Meifter:
fchaft erft Bürger werden und 10 Gulden bezahlen, heiratet er aber eines
Meifters Tochter, nur dfl. — Wird eines Meifters Sohn Meifter ohne
ſolche Heirat, jo zahlt ev 2 fl., nimmt er aber eines Meifters Tochter,
fo gibt er nichte. — Das Flößen fängt an auf Mitfaften und Hört an
Martini auf. — Wem ein Meifter oder fein Knecht zu Pforzheim
angefahren it, fo fell ihm fein anderer das Land hinab verlaufen oder
fchiden und feine Waare anbieten, damit dem erften der Nerkauf nicht
verdborben werde, — Schmähen fid die Flößer über ihr Gefährt, To
verliert der Knecht wie der Meifter die Arbeit, bis fie fich rechtlich ver:
tragen haben. — Kein Flößer darf von dem Andern Holz leihen, aud)
ohne beiondern Befehl Fein zurück gebliebenes Holz nachführen. — Ein
Schiffherr darf mur mit einem Flößer einen Jahrkauf abſchließen und
feinem andern Holz geben, bis der erite Käufer fein bedungenes Quan—
tum empfangen hat. — Jeder Meifter darf nur 2 Flöhe auf, einmal
abführen, nur beim Hochwaſſer kann er daraus 3 machen. — Wenn
ein Knecht zur Minterszeit aus Noth von einen Meifter Geld auf
Arbeit Teiht, fo darf er feinem andern Meifter arbeiten, bis er den Nor:
ſchuß abvwerdient hat, — Keiner darf dem Andern fein Holzzeichen ab:
hauen oder fich zueignen, fonft wird ihm die Waſſerſtraße verboten. —
Wenn ein Holzbauer falfche oder gar Feine Zeichen auf das Holz macht,
fo verliert er feinen Lohn und wird geſtraft. — Ein Knecht, der mit
dem Meifter das Land Hinabführt, muß bei demfelben bleiben, jo lang
er ihn braucht. — Kein Knecht darf ohne Wiſſen und Willen feines
Meifters etwas auf den Floß laden; wenn aber ein Knecht den: Meifter
vom Walde hilft (alfo von oben herab), fo foll e8 mit der Ladung wie
bisher gehalten werden, — Wer diefer Ordnung nicht nachkommmt, und
ihre Strafen nicht erlegt, wird aus ber Gefellfchaft ausgefchloffen und
um 5 fl. geſtraft. — Von allen Einnahmen der Schifferfchaft gehört
i) Vergl. Mone, Zeitichrift, AI, 274,
262 Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500,
die Hälfte der Herrfchaft, ein Viertel der Gefelihaft und ein Viertel
dem Almofen zu Pforzheim. — Es werden 2 Flößer aufgeftellt, um
diefe Ordnung zu handhaben. — Im Jahr 1588 wurde diefer Flößer—
ordnung noch beigefügt, daß derjenige, der flößen wolle und ſchon ein
Gewerbe treibe, 20 Gulden zu bezahlen habe, —
Die übrigen Ordnungen übergehend, füge ich nur noch den wefent-
lichen Inhalt einer andern am, weil diefelbe fih auf die jetzige Haupt:
induftrie Pforzheims bezieht und vielleicht Stoff zu Vergleichungen bietet.
Ich meine die
6. Soldfhmiedsordnung.
Sie umfahte auch zugleich alle Silberarbeiten, und waren Iebtere
viel häufiger, als goldene, Gegoſſene filberne Waaren mußten 14, ge
ſchmiedete 141/, löthig fein. Wurden fie von den Schauern, die alle
richtigen Waaren zu zeichnen hatten, geringer an Gehalt gefunden, fo
hatten diefe das Recht, fie zufammenzufchlagen, und der Goldichmied
wurde noch obendrein für jede Mark um einen Gulden geftraft. Legirt
durfte das Silber nur mit Kupfer oder Meffing werden. Uebertretungs:
fälle wurden mit Konfiskation der Waaren beftraft. Silberne Waaren
wurden häufig vergoldet oder golöplatirt; konnten fie aber die Kratzbürſte
nicht aushalten, fo waren fie bei Strafe verboten. Vergoldete Waaren
durften nicht von Neuem, meffingene gar nicht vergoldet werden, mit
Ausnahme von Monftranzen. Keiner durfte eine Münze jo vergolden, daß
fie dem Gold oder Gulden gleih war, ohne ein Loch hindurchzuſchlagen.
Kelche, Kruzifire und andere Kirchengeräthe durfte man von verbächtigen
Leuten nicht kaufen. Glasflüffe und falfche Edelfteine in Gold zu faflen,
galt für Betrug, und war Solches nur für einen Fürften erlaubt. Das
Gold wurde für den gewöhnlichen Verkehr bezüglicd, feines Gehalts nicht
nad Karaten berechnet, ſondern im Allgemeinen nur rheiniſch, ungariſch,
und Dufaten- Gold unterfchieden. Bei Strafe war verboten ungarifch
oder Dukatengold für fein Gold, vheinifches Gold für Dufatengold und
überhaupt „böferes für beſſeres“ auszugeben.
Schlußbemerfung.
Werfen wir noch einmal einen prüfenden Rückblick auf die Beftim-
mungen diefer „Stadtordnung” und alle die verfchiedenen fonftigen Ein:
rihtungen, welche damit im Zuſammenhang ftanden, fo können wir ihnen
-
Elftes Kapitel. Stadtverfaffung von 1500. 263
unfern Beifall, ja unfere Bewunderung nicht verfagen. Nirgends ver:
läugnet fi, wenn auch mande Beftimmungen etwas Heinlich erfcheinen,
der Geift der Humanität und der Billigfeit, dem fie entſprungen, und
diefer Umftand mag namentlich diejenigen eines Beſſern belehren, welche
mit Geringſchätzung, ja Verachtung auf die Gebräuche und Einrichtungen
älterer Zeit zurüdzubliden pflegen und mit Bezug auf diefelben ſich fo
gern der Ausdrüde „Roheit“ und „Barbarei” bedienen.- Zugleich ver:
rathen aber auch alle diefe Borfchriften eine Erfahrung, eine fo tiefe
Kenntniß der Kebensverhältniffe bis in die ſcheinbar geringfügigften Eins
zelheiten, daf fie gegen manche auf dem Bureau und Hinter dem Schreib-
pult gemachten Verfügungen und Verordnungen fpäterer Zeit nicht wenig
abftehen und feinen Augenblick zweifelhaft fein Fan, wohin ſich beim
Vergleich die Schale größerer Zweckmäßigkeit neigen muß. Es iſt daher
auch nicht zu verwundern, wenn die Bürger von Pforzheim auf ihre
Privilegien und ihre ganze Stadtverfaffung ftolz waren und mit Eifer:
fucht darüber wachten, daß auch nicht der Mleinfte Buchftabe davon ver:
Yet wurde. Es wird fpäter Gelegenheit geben, zu zeigen, wie diefer
Geift , der dem in den Meichaftädten zur Zeit ihrer Blüte herrfchenden
wenig nachgab, Großes und Schönes bewirkte, aber auch auf der andern
Seite‘ die Stadt mehr als ein Mal in unangenehme und fehrwierige
Händel verwidelte,
Swölftes Kapitel
Pforzheim unter den Markgrafen Philipp, Ernft und Karl IE. !)
(1515 — 1577.)
$A1. Allgemeines.
Es iſt Shen S. 176 bemerft worden, in welcher Meife die durch
Markgraf Chriſtoph vorgenommene Theilung ftattgefunden und daß fein
zweiter Sohn Philipp dabei die Markgrafihaft Baden fammt den
eberfteinifchen und geroldsedifhen Befigungen erhalten habe. Diefer Fürft
hatte Kriegsluft und Kriegskunft ſchon als Jüngling unter franzöfifchen
Fahnen im Kampf gegen die Türken bewährt und war aud ein Treund
der Miffenfchaft. Von feiner Stellung zur Neformation und feinen
Sympathien für die evangelifche Lehre wird in einem beſondern Ab:
fchnitt die Rede fein, Wie fein Bater auf die Vermehrung feiner Land:
fchaften bedacht, wußte er verfchiedene neue Erwerbungen zu machen.
So erfanfte er u, A. 1529 den vierten Theil des Dorfes Niefern
fammt dem Burgftadel, auch den halben Antheil an der Kelter dafelbft
von Konrad von Mallftein, der all dies Beſitzthum von den Herren
von Enzberg erftanden und von den Markgrafen von Baden zu Lehen
getragen hatte, um 1500 Gulden. 2) Damit war nunmehr (vergl.
©. 174) das ganze Dorf Niefern badifch geworden, (Das Patronat-
recht der dortigen Kirche hatte fhon 1323 Markgraf Rudolf vom Klofter
Sinsheim erworben und Markgraf Pernbard um 1417 diefelbe an bie
Präfenz der St. Michaelskirche in Pforzheim gegeben, jedoch der Kirche
zu Niefern daraus jährlich 45 Malter Korn, Dinkel und Heu, 1 Fuder
Mein, den Heinen Zehnten ꝛc. zugefchieden.) Ebenſo kaufte Markgraf
1) Die gefichtlichen Hauptquellen find die nämlichen wie früher; die be—
fonbern find überall angegeben.
») Sachs, III., 184.
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 265
Philipp im Jahr 1531 vom Klofter Herrenalb das Dorf Göbrichen
fammt allen Nutungen, Gerechtigkeiten und Zubehörden, und löste
gleichzeitig den Zehnten von Göbrichen und Stein von den Stiftsherren
von Baden um 3000 fl. ein. (Bon genanntem Dorf hatte Herrenalb
die Hälfte 1290 von den Herrn von Enzberg, die andere Hälfte 1390
von Heinrich von Hovingen erworben.) ') Bon Mürttemberg fam um
1528 das Dorf Dietlingen durch Taufch an das markgräfliche Haus,
und wurde dafür die Hälfte des Dorfes Schwann, ein Viertel des
Dorfes Dobel, ein Viertel von Dennah und die Burg Straubenhart
(S. 67) hingegeben. 2) (Dietlingen hatte, che es württembergifch wurde,
den Herrn von Straubenhart und von Nemchingen gehört, und war 1335
und 1346 an Württemberg übergegangen.)
Mährend der Negierungszeit des Markgrafen brach der Bauern
frieg aus, bei dem wir um jo mehr verweilen müfjen, als er auch
in der Markgrafichafi Baden und in der Nähe von Pforzheim fpielte.
Der Zuftand der Bauern am Ende des 15. Jahrhunderts war
ein trauriger. Sie hießen „arme Leute“, und waren das in der That.
Die Laft der Leibeigenfchaft, der Steuern und Abgaben verfchiedenfter
Art lag ſchwer auf ihnen, und rückſichtsloſe Behandlung der Bauern,
namentlidy von Seiten des Adels, war an der Tagesordnung. Mecht
fonnten die Unterdrüctten in der Megel nicht finden, und auc die Yand-
tage verfchafften Feine Abhilfe, da der Bauernftand auf denfelben nicht
vertreten war. Zu all diefer Noth kam vielfache Bedrängniß, herbei:
geführt durch die Landsknechte, die fich, da fie oft fich felber überlaſſen
waren, auf Plünderung des Landmannes verlegten. Auf der einen Scite,
nämlich bei Fürſten, Adel und Geiftlichkeit herrichte Lurus und Schwel-
gerei, auf der andern die bitterfte Noth. Unter foldyen Umftinden ift
es micht zu verwundern, wenn unter den Bauern nad und nach eine
Gährung entftand und bald vereinzelte Erhebungen derfelben von der
übeln Stimmung Zeugniß gaben, die unter ihnen Platz gegriffen hatte.
Solches geihah ſchon 1476 im Taubergrund und 1493 im Elſaß, we
die Bauern ihr Bündniß „Bundfhuh” nannten. (So hieß die all:
gemeine Fußbekleidung der Bauern, und da fie diefelbe auch auf Stangen
veraustrugen oder auf ihre Fahnen malen ließen, fü galt bald der Aus:
1) Sachs, III., 185.
) Sachs, IV, 17,
266 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
drud „Bundſchuh“ als gleichbedeutend mit Banernaufrubr.) Im Jahr 1502
trat in dem bijchöflich = jpeterifchen Dorfe Untergrembad die Unzu:
friedenheit mit den bejtehenden Verhältniſſen, insbefondere der Haß gegen
die überreiche Geiftlichkeit, ebenfalls in einem Bundſchuh zu Tage, Der:
jelbe fand bald auch in andern Ortichaften Theilnehmer, fo in Bruchjal,
Kislau, Jöhlingen, Weingarten, bis nah Erfingen, wo der Bürger:
meifter ermordet wurde, und Pforzheim berüber, („von Pforten
viel und von andern Orten und Gnden”,)1) jo daß ihre Zahl auf
etwa 7000 angewachfen fein foll. Die Bauern legten ihre Wünſche
und Forderungen in 14 Artikeln nieder und hatten nichts Anderes im
Sinn, als die bifhöflichen und fürftlichen Amtsſitze und die Klöfter zu
überfallen und Fürſten, Adel und Geiftlichkeit zur Bewilligung deifen,
was fie verlangten, zu zwingen. An der Spite des Bundſchuhes ftand
ein Grombacher Bauer, Joß Frit. Die Lofung und das Erkennungs—
zeichen der Verſchworenen war der Spruch:
Mas iſt das für ein Weſen?
Bor den Pfaffen fann man nicht geneſen.
Aber die Sache wurde durch einen Mann aus der Markgraffchaft
Baden, Namens Laur Rapp, an die Biſchöfe von Speier und Straf:
burg und an den Markgrafen von Baden verrathen.2) Raſch wurde
nun eine große Anzahl von Bundſchuhern feftgenommen, 10 derfelben
enthauptet und geviertheilt und an den Straßen als Warnıngszeichen
aufgehängt; Andern wurden die Finger abgehauen, drei des Landes ver:
wieſen, noch Andere am Vermögen geftraft. Frit von Grombach, der
„des Bundſchuchs haubtmann und anfenger geweßt“, wußte zu entkommen.
Laur Napp aber erhielt als Belohnung nicht nur reiche Geldgefchente,
fondern auch eine Stuhlbrüderpfründe zu Speier. — Bon Theilnehmern
diefes Bundſchuhs aus Pforzheim und Umgegend kommen vor: Kon:
vad Beiperleuter von Pforzheim, Ambrofius und Kafpar Eberle von
Brößingen und Martin Kreußler von Erfingen.
Achnliche vereinzelte Vereinigungen und zum Theil Aufftände fan:
den 1512 unter dem Namen „der arme Konrad” in Württemberg,
4513 zu Lehen bei Freiburg, 1514 zu Bühl und Umgegend ftatt, bis
endlih 1525 die Flamme des Bauernkrieges allenthalben, im jetzigen
1) Bericht des Landfchreibers Brenz in Mones Archiv, IL, 165.
°) Bergl, Mone, bad. Archiv IL, 165 fi.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 267
Baden namentlich im Seefreis und im Taubergrund, blutig emporloderte
und die fchredlichjten Gräuel im Gefolge hatte. Eine ausführliche
Schilderung diefes Krieges kann nicht unfere Aufgabe fein. Es genüge
die Meittheilung, daß nicht nur in manchen Gegenden Württembergs,
von wo fi nad der Schlaht von Böblingen der dortige Vogt Leon:
hard Breitſchwert fchußfuchend nad Pforzheim flüchtete, *) fondern
auch im Brurbein wieder Aufftände losbrachen und die Bauern der untern
Marfgraffchaft ſich demjelben anſchloſſen. Sie zogen in der Palmwoche
1525 vor Durlah, wo die Dürger 2500 der Aufrührer aufnahmen
und ihren Vogt ins Gefängniß warfen. Ein anderer Haufe fand zu
Berghaufen günftige Aufnahme. Die Bauern fielen namentlich über
die Klöfter her und Gottesaue, Herrenalb, Frauenalb und Schwarzach
wurden ausgeplündert und verbrannt. Markgraf Philipp ſuchte zuerft
den Aufftand mit Gewalt zu unterdrüden und ließ 3. B. in Berghaufen
durch feine Meifigen mehrere Häufer niederbrennen. Bald aber gewann
er die UÜeberzeugung, daß er auf diefem Weg nicht zum Ziele gelangen
fönne, Er trat deshalb in friedliche Unterhandlung mit den Bauern
und. hatte die freude, zu ſehen, daß fie freiwillig wieder zum Gehorſam
zurückkehrten. Aehnliches gefchah im Oberland, wo Markgraf Ernft der
Empörung ebenfalls ein baldiges Ende machte, Anderwärts aber wurde
bie, Flamme des Aufruhrs mit Strömen von Blut gelöfcht; mehr als
100,000 Bauern fellen in diefem Kriege das Leben verloren haben und
das Roos der Befiegten wurde noch härter, als es vorher gewejen.
Markgraf Philipp ftarb 1533 zu Baden, wo er aud) beigefeßt
wurde. Seine Gemahlin hatte ihm 6 Kinder geboren, von denen aber nur
eine Tochter den Vater überlebte. Es kam deshalb zu einer Theilung feiner
Rande unter feine zwei Brüder Bernhard und Ernft, nachdem fie zuerft
verfucht hatten, dieſelben gemeinichaftlic zu regieren. Dabei erhielt Ernſt
zu feinen oberländifchen Befitungen aud den untern Theil der Mark:
graffchaft mit der Hauptftadt Pforzheim, Bernhard aber den obern
heil, mit der Stadt Baden. Diefe Markgrafen find die Gründer
der zwei Linien Baden-Baden, weldhe auch die bernhardinifche,
und Baden: Pforzheim, fpäter Baden-Durlach, welche auch die
erneftinifche genannt wurde. Beide Linien wurden erft nach dem
N) Zimmermann, Geichichte des Bauernkriegs, III., 147 fi.
268 Zwölftes Kapitel. Pforzbein im 16. Jahrhundert.
Ausfterben der Markgrafen von Baden Baden im Jahr 1771 wieder
dauernd vereinigt.
Markgraf Ernft war ein gerechter und friedliebender Fürft, aus
deffen Handlungen überall Mäßigung und Klugheit bervorleuchteten.
Sein Verhältniß zur Neformation und zur evangelifchen Lehre wird
weiter unten gefchildert werden. Im Jahr 1537 machte er einen Ent:
wurf zur Theilung feines Landes unter feine drei Söhne Albrecht,
Bernhard und Karl. Indeſſen ftarb Albrecht noch vor feinem Vater
1552, und auch defien Bruder Bernhard, der dem Vater durch fein
zügellofes Leben viel Kummer bereitet hatte, folgte ihm zu Anfang des
Jahres 1553 nad. Er wurde in der fürftlichen Gruft unter der
Schloßkirche zu Pforzheim, die Markgraf Ernft als Familienbegräbnik
hatte erbauen laſſen, beigefeßt. Sein Standbild befindet ſich am der
rechten Seitenwand des Chores (von der Kirche ausgefehen), und trägt
das Fußgeftell eine entfprechende Inſchrift. Auch auf dem Boden des
Chores ift eine Grabjchrift des Prinzen. — Markgraf Ernft ſelbſt ftarb
am 6. Februar 1553 und wurde ebenfalls in der Schloßkirche zu Pforz:
heim begraben. Mitten im Chor derfelben ift das prachtwolle Denkmal
dieſes Fürſten mit Umfchrift zu fehen. Es zeigt die liegende geharnifchte
Geftalt des Markgrafen, neben ihm die feiner zweiten Gemahlin Urſula
von Nofenfeld. Zu deren Füßen liegt ein in Stein ausgehauener Hund,
ber diereheliche Treue, und zu denen des Markgrafen ein Löwe, ber
die Stärke oder Tapferkeit voritellen fol, (Die erite Gemahlin von
Markgraf Ernit, Elifabeth von Brandenburg ift in Stuttgart, die dritte,
Ama Bombaftin von Hohenheim, in Sulzburg bearaben.) ')
Der Erbe aller Beſitzungen des Markgrafen Ernſt war fein jüngfter
Sohn, Markgraf Karl Il. der von 1553—1577 regierte. Vorzügliche
Anlagen des Gemüthes und trefflihe, auf religiöfe Grundſätze geſtützte
Erziehung ließen ihn des Vaters mürdigfter Nachfolger werden. Geine
wichtigfte Negierungshandlung war die Einführung der Neformation in
feinen: Lande, von der unten ausführlicher die Nede fein wird. Geachtet
von dem Kaifer und den Fürften des Neiches und geliebt von feinen
N) An der Schloßkirche befindet fich der Grabftein einer 1546 geftorbenen
Anna von Hohenheim, genannt Bombaftin, geb. Schilling von Kanıftadt. Sie
war wahrfcheinlich die Mutter der Obengenannten und vermutblich die Ge:
mahlin von Ulrich Bombaft von Hohenheim, ber den Markgrafen Ernft 1530
auf einer Reife nach Augsburg begleitete. Bergl, Sachs, IV,, 2.
Zwölftes Kapitel, Piorzheim im 16, Jahrhundert. 269
Unterthanen nimmt Karl IE eine der erften Stellen unter den badifchen
Fürſten ein, Wie alle guten Negenten wußte auch er trefflihe Diener
zu wählen, und unter ihnen hatte namentlich fein Kanzler Martin Acht:
ſynit oder Amelius, aus Freiburg i. DB. gebürtig, den der Markgraf
ſchon in defjen 28, Jahre zu diefer Würde und der Kaifer Yerdinand J.
in den Adelftand erhob, großen Antheil an der Wirkfamfeit des Mark:
grafen. Es mag hier bemerkt werden, daß derfelbe 1556 das Schloß
Niefernburg erbaute, das ein Denkmal der vom Fürſten erhaltenen
Gnadenbezeugungen fein und ihm zum ruhigen Aufenthalt im Alter
dienen follte. Zu diefem Zwecke hatte ihm der Markgraf den „frei
abelichen alten Burgjtadel zu Niefern fammt Zubehör“, darunter 46 Vior:
gen Waldungen, von denen ein Diftrift heute noch das „Treibern:
wäldchen“ heißt ') 1555 übergeben, Er jchrieb fich deshalb au: Herr
zu Niefernburg. Einige noch vorhandene Inſchriften am Schloſſe, das
nach dem Tod Achtſynits in die Hände feines Tochtermanns, des Amt:
manns Johann Wolf von Mundelsheim fam, und 1741 fammt den
dazu gehörigen MWaldungen wieder an die Herrfchaft zurüdfiel, 2) nad)
einander verjchiedenen Zwecken gedient und fich vor etlichen Jahren im
eine Kinderreitungsanftalt verwandelt hat, beziehen fid) auf die Erbauung
desfelben. Das Grabmal Achtipnits ift in der Schloßkirche zu Pforz—
beim, und zwar gleich Iinfs vom nördlichen Eingang. Man erblidt auf
demjelben die in Stein ausgehauenen Geftalten des Kanzler jelber und
rechts und links von ihm zweier Frauen, alle drei aber fehr bejchädigt.
Ueber bdenjelben fteht auf einer Tafel von ſchwarzem Marmor eine
größere lateiniſche Inſchrift. Nicht weit von diefem Denkmal findet fid)
an der Wand auch der Grabftein der Gemahlin Achtſynits, Elifabeth,
einer geboren von Meitetten, geftorben 1579. Achtſynit ſelber ſtarb
1592. Ich werde auf ihn bei der Geſchichte der Neformation in Pforz-
heim zurückkommen.
Markgraf Karl II. ftarb 1577 in Durlach, wo er an der Stelle
eines Jagdſchloſſes ein geräumiges Schloß nad) eigenem Plane und unter
eigener Aufficht hatte aufführen lafien, das nad feinem Gründer bie
Karlsburg.genannt wurde. Der Türft, welcher feine Arbeiter eigen:
1) Beichreibung bes Forftreviers Seehaus von Arnsperger in der Regiftratur
des Forſtamts Pforzheim.
2) Nieferner Lagerbuch.
970 Amölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert.
bändig ausbezahlte, erhielt davon den Beinamen: Karl mit der Tafche.
Die Stadt Durlach, die er verichönerte und mit neuen Thoren verfah,
ſprach ihre Dankbarkeit durch Aufitellung feines Standbildes auf dem
Marktbrunnen aus, wo e8 heute noch zu fehen it. — Der Leichnam
des Fürften wurde in der Gruft zu Pforzheim beigeſetzt. In der Mitte
der Hintern Ghorwand befindet fich fein prachtvolles Monument, und
zeigt das Standbild des Markgrafen, rechts und links davon die Stand-
bilder feiner beiden Gemahlinnen Kunigunde von Brandenburg und Anna
von Veldenz. Außerdem ftehen im Chor noch die Statuen eines
Sohnes von Karl II, des Prinzen Albrecht, der in Folge feiner Aus:
ſchweifungen ſchon 157% im 20. Lebensjahre ftarb, und der beiden in
jugendlichem Alter verblichenen Prinzeffinen Maria (+ 1561) und Anna
Maria (+ 1573).
$ 2. Befonderes.
Bforzheim feinen Fürften gegenüber.
Mit der Marfgrafichaft war bei der Yandestheilung von 1515
auch Pforzheim an den Markgrafen Philipp gekommen. Es mag
bier bemerkt werden, daß im Theilungsvertrag unter Andern auch Bür:
germeifter, Gericht und Rath der Stadt Pforzheim als Zeuge aufgeführt
find. ) Die Bürgerfchaft dafelbft hatte dem Fürften indeſſen ſchon 1510
gehuldigt, weil damals (ja ſchon 1505) eine Dispofition zur Theilung
getroffen worden war, wogegen der Markgraf ihr folgenden Revers aus:
ftellte: 2) „Wir Philips von gottes gnaden Marggraue zuo Baden ꝛc.
Bekennen mit dieſem brieffe: Nachdem der Hochgeborn furft und herr
herr Chriftoph Marggraue zuo Baden onnd Hochberg, Grafe zu Spanheim,
herr zu Roteln vnnd Sufemberg, vnfer aller Tiebfter herr vnnd vatter
in feiner vätterlichen gnaden ſatzung, ordnung, zuſcheidung, vwertheilung
vnnd letſtem willen zwiſchen vnnſern gebrüdern vnnd vnns jüngftes zu
Mulinberg vffgericht, vnns vnnd vnnſer eelich libserben mennlichs ge:
ſlechts, nach finer Vätterlichen gnaden abgang todes, den gott lanng vff⸗
zuhalten hatt, zu rechten regierenden fürſten vnnd erben des löblichen
1) Sachs, III., 105.
2) Er befindet ſich im ſtädtiſchen Archiv.
Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert, 271
fürſtenthumbs der Marggrauefchaft Baden fampt andern geordnet vnnd
zugefcheiden hatt, vnnd die erfamen vnnſern lieben getruwen Burgermeifter,
gericht, rate vnnd gemeinde der Statt Pfortzheim vnns vff deffelben
vnnſers lieben herrn vnnd vatters jchriftlichen befigelten benelhe huldung
vnnd vorpflicht getun, Nach abgangk finer Vätterlichen gnaden vnns,
vnnd ob wir alsdann nit im leben weren, das gott gnediglich verhüten
wölle, vnnſere eeliche Inbserben, Mannesperjonen, So wir die hinter
vnns verlaffen betten, zu iren waren vnnd rechten regierenden fürften,
bern vnnd erben anzunemen, gewonlich buldung zu thund vnns oder
denjelben wunnjern erben, Mannsperfonen, als irer rechten herrfchafft zu
gehorjamen vnnd gewertig zu find, inn aller maſſe fie benannten unnjerm
lieben herrn vnnd vatter by irem eben vnnd bisher geweit vnnd noch
find, — So haben wir inen die fruheit, Polizei vund Ordnung, die
gemelter vnnſer Lieber herr vatter inen vor jaren thun geben am Datum:
„Sehen vif der Cantly zu Baden vff Mentag nad) dem heiligen jars—
tage, zu Iatein Circumciſionis domini genant, als man zalt nad) Erifti
vnſers lieben herrn geburt Tuſend Vierhundert Nuntzig vnnd ein jare*
— gnediglich confirmiert vnnd beſtetigt, Confirmieren vnnd beſtetigen
inen die hiemit inn kraft dies brieffs. Gereden vnnd verſprechen auch
by vnnſerer furſtlichen wirden vnnd eren, ſie dabei gnediglich bliben zu
laſſen, zu ſchützen, ſchirmen vnnd handhaben, dawidder nit zu ſind oder
zu tund, noch ſchaffen getun werden in kheiner wege alles one geuerde.
— Unnd des zu urckhunde han wir vnnſer inſigel tun hencken an dieſen
brieffe, der Geben iſt zu Pforzheim vff Mittwoch nach der heiligen Eilf
tuſend jungkfrauwen tag anno domini Milleſimo Quingenteſimo Decimo
(1610).“ — Die Beſtätigung der Freiheiten der Stadt wurde nach dem
Tod des Markgrafen Chriftoph unterm 29. Auguft 1527 erneuert. ?)
Wenn nun auch obige Urkunde von Pforzheim datirt ift, fo hatte
doch Markgraf Philipp feine Nefidenz nicht in diefer Stadt, fondern in
Baden. Er fcheint jedody dann und wann herüber gefommen zu fein,
vielleicht um des edeln Waidwerks zu pflegen; es jpricht wenigitens da—
für der Umftand, daß in einem PVerzeichniffe von Urkunden des alten,
im orleans'ſchen Kriege größtentheils verbrannten und verlorenen Stadte
archives ſich folgende Notiz findet: „In der Laden B ift die Eopie einer
1) Urfunde im Stabtardiv.
272 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Dankfagung derer von Pforzheim gegen meinen gnädigen Herrn, den
Markgrafen, von wegen eines geſchenkten Hiriches anno 1522.“
Zwifchen dem Markgrafen von Baden, und dem Herzog von Würt—
temberg wurde 1516 ein Vertrag weges des Geleits (S. 158) in der
Gegend von Pforzheim abgefchloffen. 1; Der Markgraf folle, fo wurde
beftimmt, das Geleit von Pforzheim bis an das Thor von Neuenbürg,
der Herzog von da bis an die Norftadt von Pforzheim haben. In
ähnlicher Weiſe jollte es zwiſchen Neuenbürg einerſeits und Ettlingen,
Gernsbach und Ellmendingen andererjeits gehalten werden Diejenigen
Perſonen, welche von Pforzheim nah Gernsbach, ohne nad Neuenbürg
zu gehen, ſich begeben wollten, jollte der Markgraf bis nah Schwann,
der Herzog von da bis Gernsbach begleiten; bei umgekehrter Neife aber
jollte erfterer das Geleit von Gernsbad nad Schwann, leßterer von da
nach Pforzheim haben. Befondere Beftimmungen über das Geleit erließ
Markgraf Philipp unterm 11. April 1530 von Baden aus an feinen
Vogt zu Pforzheim ,2) worin gefagt ift, daß man in Betrachtung ber
jegigen geſchwinden (d. 5, gefährlichen) Zeiten allerlei „Nothöurft des
Geleites” vornehmen müfje. Es wurde darum fortgefeßt: Das Geleite
jolle befehligen der Vogt felber, oder ein Wirth, oder ein ehrbarer Ge:
jelle, und zwar fo, „daß derjelbe denjenigen, jo zu Zyten der Frankfurter
Mefien oder fonft kommen und Glaits begehen, es ſeyen Kauffleute
oder andere, von unfertwegen by dem Wyer oder See jenſeits Dieffen-
brunn gelegen, da unfer Glait anfahet, dafjelb unfer Glait empfahe
und annehme.“ Hierauf follten die Geleitleute den Reifenden mit ihren
Geleitbüchfen durch Tiefenbronn und den Hagenſchieß nad) Pforzheim
begleiten, jedod) nicht weiter, und von jedem ©eleiteten nicht mehr ala
12 Pfennig fordern und annehmen. Wenn Einer etwas Vedächtiges
erbliden würde, folle er e8 fogleich anzeigen, ebenfo der eleitfuchende,
wenn er etwas über den Geleitsmann zu Flagen babe.
Eines Vertrages, den Baden mit Württemberg wegen des Flößens
auf der Enz, Nagold und Würm 1517 abſchloß und der eine Er-
neuerung des Tloßvertrages von 1342 (©. 125) war, mag bier aud)
gedacht werben.
Im Jahr 1532 konnten die Bewohner Pforzheims Zeugen eines
1) Steinhofer, württemb. Chronif, I., 265. ,
2) Akten des Randesardivs.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 273
militäriihen Schaufpiels fein. Die beiden Markgrafen Philipp und
Ernft hatten nämlich beichloffen, den Kaifer Karl V. in dem damals
ausgebrochenen Türkenkrieg mit Truppen zu unterftüßen. Ueber diefelben
wurde im Juli genannten “Jahres bei Pforzheim eine große Mufterung
gehalten, der die beiden Fürſten beimohnten, t)
Nach dem Tode des Markgrafen Philipp huldigte Pforzheim feinen
beiden Brüdern Bernhard und Ernſt gemeinschaftlich, und wurde auch
der Stadt von denfelben unterm 1. Dezember 1533 der übliche Revers
‚wegen ihrer Freiheiten ausgeftellt. 2) Als jedoch die oben bereits er:
wähnte Theilung vorgenommen war, verlegte Markgraf Ernft
1535 feine Refidenz von Sulzburg nah Pforzheim, dag
nun nad) längerer Unterbredjung wieder ein ftändiger Fürſtenſitz wurde,
Aus melden Theilen damals das Schloß in Pforzheim beftand, erfahren
wir aus der Lagerbucherneuerung von 1527, aus der unten Mit:
theilungen folgen. Ueber die Hofhaltung des Markgrafen in Pforzheim
find noch einige intereffante Einzelheiten anf unjere Zeit gefommen, die
von Bartholomäus Saftrow, einem geborenen Pommer, berrühren,
welcher eine Zeitlang Schreiber auf der markgräflihen Kanzlei zu Pforz-
heim war und feine wechjelvollen Lebensſchickſale jelber beſchrieben hat. 3)
Zu Hofe, fagt er, wurde jparfam bausgehalten, daß es gleichwohl fürft-
lic und löblich herging. Die Lebensweife war von der pommerſchen
Art fehr verfchieden, an Fleisch und Fiſchen, allerlei Zugemüß, gefottenen
Feigen, Haferbrei und mancherlei Kraut, Dazu gab es ziemlich Brod,
und ein Jeder befam in einem zinnernen Becher bei anderthalb Stüd
Tiihwein, womit. man, namentlih des Sommers, Tange nicht reichen
konnte. Auf der Räthe Tifche wurde zwei Mal eingefchenkt, . während
die Schreiber fi) mit einem geringern Maaß begnügen mußten. Den
Kanzler Oswald Gutt ſchildert Saſtrow als einen alten, grämlichen
Mann, der den Schreibern fehr auf die Finger gefehen habe. (Diefen
Eindrud macht aud) fein Bild auf feinem Grabftein in der Schloßkirche.)
Bon dem Markgrafen Ernft wird gefagt, daß er ein frommer Herr und
1) Sads, IV., 26.
2) Urkunde im Stadtarchiv,
®) Bergl. Bartholomäi Saftrowen Herfommen, Geburt und Lauff feines
ganzen Lebens, herausgegeben v. ©. Eh. F. Mohnife, (Greifswald, 1823)
Thl. II., ©. 266 ff, und Bartholomäus Saftromw, ein merfwürdiger
Lebenslauf des 16, Jahrhunderts, von Ludw. Grote. (Halle, J. Fride 1860.)
Pflüger, Pforzheim, 18
274 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
iparfamer Haushalter geweſen fei, der feinem Lande wohl vorgeftanden
habe. Sein Gemach hatte der Fürft unmittelbar iiber dem Haupteingang
des Schlofjes, um Alles überfehen zu Fönnen, was vorging. Bei feiner
fleigigen Aufficht konnte nicht leicht ein Verſehen oder eine Untreue feiner
Diener unentdecdt bleiben. Dabei trugen fid) dann zuweilen ſehr poſſir—
riche Scenen zu, worüber der Markgraf fein Gelächter und feine Kurze
weil hatte. Cinsmals, jo erzählt Saſtrow, wollte der Küchenmeijter
einen ichönen großen Karpfen ftehlen und verftedte ihn unter den Mantel,
um ihn jo mit hinunter zu nehmen. Allein der Fiſch war fo groß, daß
fein Schwanz unter dem Mantel bervorgudte. Als der Markgraf es
bemerkte, rief er den Küchenmeifter zurück und fagte: „Hörſt du,
wenn du wieder einen Karpfen ftehlen willft, fo nimm entweder einen
Heinern Fiſch oder einen längern Mantel! — Ein ander Mal kamen
zwei Köche aus der Küche, um hinunter zu gehen. Der eine hatte
zwei rein gemachte Kapaunen Hinten in die Riemen gehängt. Nun
brachte man gerade etliche Fäaſſer Wein in den Keller. Als der Mark:
graf die beiden Köche vorüber geben ſah, rief er ihnen zu, fie follten
Hand mit anlegen. Sogleich fprangen fie zu und warfen ihre Mäntel
ab; aber der, welcher die Kapaunen genommen hatte, vergaß derfelben,
Als er nun mit am Geile arbeitete, wippten ihm die Kapaunen auf
den enden. Der Markgraf mußte herzlich lachen; feine Gemahlin mußte
auch kommen, um die Kurzweil mit anzufehen, und fo wurde der Dieb
vor dem ganzen Hofgefinde beſchämt. — Wenn Markgraf Ernft einen
Gefangenen fiten hatte, den man abthun follte, jo hatte er folgenden
Gebrauh: Er ließ den Miffethäter, wenn er zum Richtplatze hinaus:
geführt werden follte, vor fid) fommen und vwerbat ſich mit ihm, daß ers
ihm verzeihen follte, was er ihm thun laffen müßte. Dann redete er
ihm zu, er follte nicht verzagen; denn der Sohn Gottes hätte nicht um
der Gerechten, jondern um der Sünder, alfo auch um feinetwillen fein
Blut mildiglich vergofen, daran follte er nicht zweifeln, Damit gab er
ihm die Hand und Tieß ihn abführen, 1) —
1) Wie fih Saftrow jelber einmal in einer großen Verlegenbeit zu helfen
wußte, erzählt er in erwähnten Buch ın ſehr Tauniger Weife. Er hatte ein
wichtiges Dokument zu Fopiren. Es war, jagt er, To viel, daß man bie größte
Kälberhaut dazu nehmen und noch wohl enge fchreiben mußte. Bartholomäus
war zwar nicht wenig darob bekümmert, weil er es dem grämlichen Kanzler, der
mit Scheltworten und Strafen gleich bei der Hand war, nicht vecht zu machen
Awölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 275
Bei den wohlwollenden Gefinnungen ‚des Markgrafen ift eg natür—
lich, daß ihm auch die Pforzheimer fehr zugethan waren. Zum Zeichen
ihres Dankes für erwiefene fürftlihe Huld ließen fie 1938 ein fteinerneg
Standbild des Fürften anfertigen, das fie auf den Marktbrunnen ftellten,
wo es heute noch zu ſehen iſt. Es zeigt die geharnifchte Geftalt des
Markgrafen, jedoch mit entblößtem Haupte; die rechte Hand ſtützt fich
auf feinen Schild, die linke umfaßt das Schwert. Unten am Brunnen
war früher die Infchrift: AN. MDXXXVII PRINZIPE HERNESTO
MARCHIONE BADENSI CIVITAS PHORCENSIS F. FECIT,
d. h. „Im Jahr 1538 hat die Stadt Pforzheim dem Markgrafen
Ernft von Baden (diefes Denkmal) errichten laſſen.“ 1)
Da der zweite Sohn Ernfts, Markgraf Bernhard, dem die Stadt
Pforzheim bereits 1550 gehuldigt hatte, 2) gleich dem erjten noch vor
dem Vater ftarb, fo Fam die ganze Markgraffchaft mit Pforzheim an
Karl II. Den üblihen Revers bezüglich der Stadt Freiheiten ftellte er
fürchtete; doch ging er fleißig an die Arbeit, Nun hatte er bereits zwei Tage
an biefem Briefe gefihrieben, da entdedte er, daß er glei zu Anfange mehr
als eine ganze Zeile im Goncepte Überfchlagen hatte. Bartholomäus wußte
erft feinem Leibe feinen Rath; doc befann er fid) und fiel auf folgende Kriegs:
lift. Das Haus Pforzheim Tag auf einem hoben Berge, die Kanzlei unten in
der Stadt. Als man nun Mittags zu Tijche blies, blieb er bis zulegt in ber
Kanzlei, ergriff eine Kage, tunfte der den Schwanz ins Zintenfaß und jagte
fie dann über den Brief. Da wurde der ganze Brief mit Tinte bejubelt, und
bie Spuren ber Kapenfüße waren nicht zu verfennen. Nach diefem Kunſtſtücke
ſchloß Saftrow die Kanzlei zu und ging auch zu Tiſch. Nach dem Eſſen ließ
er die andern Kanzleiverwandten vor fi hinunter gehen. Als die bie Kanzlei
aufichloffen, ſprang ihnen die Kate unter die Augen. Zugleich ſahen fie, wie
auf dem Tiiche Hausgehalten war. Hernach fam auch Saſtrow. Nun zeigten
ihm bie Andern den Brief und erzählten, wie die Kaße gegen ihnen aus ber
Kanzlei gefprungen wäre. Cie fünnten nicht wiffen, fagten fie, wer bie Kate
verſchloſſen hätte. Saftrom flellte fich ſehr verdrießlih und war übel zufrieden,
daß er den Fleiß und die Arbeit umfonft gethan hätte. Die Andern mußten
ihn noch zufrieden fprehen. Aljo ift er mit allen Ehren beftanden, Hätte er
feine Zuflucht nicht zu diefer Lift genommen, fo würde es nicht ausgeblieben
fein, er hätte etliche Tage im Thurme panem doloris (Schmerzensbrod) efjen
müſſen.
Ein Stein mit dem badiſchen Wappen, deſſen Umſchrift mit ber Jahr—
zahl 1537 auf Markgraf Ernſt Idutet, ſteht in der Schloßkirche.
2) Revers im Stabtardhiv, 8
18 *
276 | Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
unterm 10, Februar 1553 aus.) Der bald nad feinem Regierungs:
antritt zu Pforzheim verfammelte Landtag bemilligte dem Markgrafen
„zur Erzeigung unterthänigen Gehorfams, auch Ningerung und Erleich—
terung feiner merflichen hohen und gar unerträglichen Schulden und
Randesbefchwerden” eine fünfzehnjährige Hilfe, die in einer Abgabe von
1 Ort (1, Pfennig) von 100 fl. Steuerfapital und dem Maaßpfennig
beftand. Dabei hatte fi auch die Stadt Bforzheim dazu verftans
den, dem Markgrafen auf 15 Jahre lang jährlih 1000 Gulden zu
bezahlen, „doch ihrer Freiheit (wornad fie von Entridytung jeder direkten
Steuer befreit war) in alle Wege unnachtheilig und unſchädlich.“ Das
gegen erlaubte der Markaraf, daß die Stadt Pforzheim während diefer
15 Jahre von jeder Maaß Wein, die in Pforzheim in Wirthshäufern
oder fonft ausgefchenft würde, 1 Heller erheben dürfe?) Noch vor
Umlauf diefer Zeit jedoch hatte ſich der Markgraf mit der Landichaft
dahin verftändigt, daß die bewilligte Steuer wieder wegfallen, der Maaß-
pfennig dagegen nicht nur 45 Jahre lang, fondern für immer bezahlt
werden folle. ine ähnliche Zumuthung, die auf 15 Jahre bemilligten
1000 Gulden „ewiglich“ zu entrichten, wies die Stadt Pforzheim zurüd,
da fie „eine ſolche ewigliche Beſchwerde nicht auf ſich laden wolle.“
Doch verftand fie fich dazu, jene Summe zu bezahlen, „jo lang Sr. fürft:
lihen Gnaden männliche Leibserben und Erbers-Erben in abfteigender
Linie vorhanden”, erbat ſich aber, da wegen vielfältigen Mißwachſes und
daraus entftandener Theurung (fiehe unten) der bisher erhobene Maaf-
beller zur Entrichtung der 1000 Gulden nicht hingereicht hätte, die. Erz
laubniß, fünftig ftatt defien einen Maaßpfennig, ähnlich wie im ganzen
Zand, erheben zu dürfen. Dies wurde ihr am Dienstag nad Judica
1573 vom Markgrafen Karl auch geftattet. 3) Wir werden auf diefe
gegenfeitigen Bewilligungen weiter unten zurückkommen.
Das wichtigfte Ereigniß für Pforzheim, das ſich unter der Regie—
rung des Markgrafen Karl II. zutrug, war die 1565 erfolgte Ber:
legung der Refidenz von Pforzheim nah Durlach. Als Urfache
derjelben wird gewöhnlich angegeben, daß die Pforzheimer deshalb den
) Er ift im Stadtarchiv und trägt bie eigenhändige Unterfchrift des
Markgrafen, während ben frühern Reverfen nur das Siegel ber betreffenden
Fürften angehängt if. j
2) Urkunde im Stabtardiv v, 11. Nov.’ 1554,
2) Urkunde im Stabtardiv.
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert, 277
Unwillen des Markgrafen erregt hätten, weil fie fich zu einer Jagdfrohnd
nicht verftehen wollten, die er ihnen — allerdings ihren Privilegien ent
gegen — zugemuthet habe. Der Grund der Verlegung ift aber wohl
eher darin zu fuchen, daß der Markgraf mehr in der Mitte feiner eigent-
lich badifchen Landestheile wohnen wollte und darum Durlach zu feiner
Refidenz wählte. Bon ber Klugheit Karls IL. ift nur ein wohlüber:
Vegter Beweggrund für folhen Entſchluß zu vermuthen. In Durlach
war ſchon 1532 ein fürftliches Schloß; 1) feit 1563 wurde es aber
erweitert und vom Markgrafen Karl II. Karlsburg genannt. Es war
alfo die 1565 gefchehene Verlegung nicht die Folge eines plötzlich ges
faßten Entſchluſſes. Nach der Sage fol längere Zeit eine Tafel am
Schloſſe in Pforzheim befeftigt gewejen fein, worauf die Urfache ſolcher
Veränderung angegeben geweſen wäre. 2) Intereſſant bleibt immerhin
noch das, daß der Markgraf 1558, alfo nur wenige Jahre vor der
Verlegung, innerhalb des Echlofjes zu Pforzheim eine neue Kanzlei er:
bauen ließ. Von derjelben iſt noch ein Denkftein vorhanden, der ſich der:
malen hinter der Domänenverwaltung befindet, Unter der Jahrzahl ift
bas badifche Wappen mit dem Bildnif des Markgrafen Karls IL, und
darunter jtehen folgende Iateinifche Diftichen : 3)
Carolus has princeps Badensis construit aedes,
Ut sint consiliis Curia sancta bonis,
Hic populo par est aequas präescribere leges,
Omnibus ex merito reddere jura suo;
Ambiguas justo decidere tramite causas
Et celeri miseras fine juvare preces,
Hinc procul affectus animi seponere pravos
Et rem judicio noscere quamque bono,
Auf deutfh: „Der badifche Fürft Karl führte diefes Gebäude
auf, daß es fei ein geheiligter Gerichtshof für gute Urtheilsfprüce, Hier
geziemt es fich, dem Volke gleiche Geſetze vorzufchreiben und Jedem nad
Verdienſt Gerechtigkeit widerfahren zu Laffen, auf gerechtem Weg zweifel:
bafte Fälle zu entfcheiden und durch fchnellen Entſcheid die Bitten des
— — — »
1) Durlader Lagerbuch von 1532 (vergl, Bierordt, Geſchichte der Karls:
ruher Mittel ſchule, ©. 9).
) Sachs IV., 140.
) Die auch Sachs IV., 140 und nach ihm Gehres, ©. 22, aber mit
Auslaffung zweier Zeilen mittheilen.
278 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert.
Elenden zu erledigen, weit von hier die verkehrten Xeidenfchaften zu
verbannen und jede Sache durch gerechtes Urtheil zum Austrag zu
bringen!” — Ein anderer Stein mit Wappen aus der Megierungszeit
Karls II, nämlich von 1575, befindet ſich über dem Schloßthor.
Von dem 1577 erfolgten Tode des Markgrafen und feiner Bei:
feßung in Pforzheim ift oben (S. 270) ſchon die Rede gewefen.
Es ift [hen im neunten Kapitel (S. 156 ff.) eine Ueberficht der
Einkünfte gegeben worden, welche die Markgrafen von Baden (bez. die
Herrihaft) in Pforzheim bezogen. Bei Anlegung eines neuen Lager:
buchs im Jahr 1527, 1) alfo unter Markgraf Philipp, wurden diefelben
abermals verzeichnet und zufammengeftellt, und zwar in größerer Boll:
fändigkeit als früher, weshalb es um fo weniger überflüffig fein dürfte,
das Verzeichniß ebenfalls hier mitzutheilen, als dasfelbe manche belehrende
Einzelheiten enthält,
Die Lagerbucherneuerung gefhah durch „Leonhard Weibel,
Kellner, und Leonhard Maler von Calw, weiland des Stadtſchreibers
Diener zu Pforzheim, von kaiſerlicher Macht offenen (öffentlichen) No—
tarius.“ Zeugen waren: Philipp Vollandt, Schultheiß, Auguftin Leon:
hardt, Vürgermeifter, Peter Wonzieher, alter VBürgermeifter und Hang
Braun des Raths, alle zu Pforzheim. — Es wurden in Pforzheim an
Strafen bezahlt: Für einen Blutrinsfrevel, d. h. wenn Einer
einen Andern blutrünftig ſchlug, 4 Gulden 4 Schilling Pfennig; 2) für
einen Klein- oder Trodenfrevel, d. h. für eine thätliche Beleidigung,
die nicht mit einer Verwundung verbunden war, 1 fl. 4 Sch. Pig;
für ein groß Unrecht, d. h. eine grobe, abfichtliche Verletzung oder
Nichtachtung der Polizeiordnung 1 fl. 1 Sch. Pfg.; für ein klein
Unrecht, alfo eine minder bedeutende Vernachläſſigung derſelben
5 Sch. Pf.; für eine Lügainung, d. 5. eine abſichtliche Tãuſchung
richterlicher Perſonen 3 Sch. Pf.; für eine Spielainung, wenn
Säfte in einem Wirthshauſe verbotene Spiele ſpielten, 5 Sch. Pfe.
Alle diefe Strafen gehörten dem Markgrafen allein. Dagegen gehörten
von einem Friedbruch, d. h. wenn Einer, nachdem ihm Friede ge:
4
) Dasſelbe befindet ſich im Landesarchiv zu Karlsruhe.
*) Vergl. ©. 129 und die zweite Note S. 213, Zu vergeffen ift nicht,
daß der Rehnungsgulden zu Anfang des 16. Jahrhunderts 2 fl. 524/, kr,
des heutigen Geldes betrug und daß 14 Sch. Pig. auf 1 Gulden gingen.
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 279
boten war, mit Schimpfreden ꝛc. fortfuhr, ſowie von fonftigen Strafen
und dem Ungeld 3/, dem Fürften und 1/, der Stadt, wie es F 28
des Treiheitenbriefes von 1491. vorſchrieb. — Diejenigen Bewohner
Pforzheims, welche Teibeigene Ausleute waren, auf die alfo die Freiheiten
der Stadt Feine Anwendung fanden, wurden behauptredtet, db. 5.
nad) ihrem Tode hatte der Markgraf das Necht, den beiten Theil ihrer
Habe, namentlich das ſchönſte Stück Vieh, für fih in Anſpruch zu
nehmen,
Die Verleihung und Präfentation der Pfründen geht, jo heißt
es weiter, an die Kanzlei nach) Baden, — Der große Zehnten in Pforz:
beim gehört den Klöftern Lichtenthal und Hirſchau zu gleichen Theilen
zu. Davon geben fie jährlid an den Marftall zu Pforzheim gut
Roggenſtroh 200 Bürden. Auch müfjen die Lichtenthaler Nonnen die
Sügerpferde und Hunde des Markgrafen, jo oft diefe zu ‘Pforzheim liegen,
beftreuen (S. 158).
Des Markgrafen eigene Güter find: 1. Das Schloß
mit dem Zwingelgarten gegen die Stadt herab, aud mit Marſtall,
Scheuer, Hof und Hofraithe, dazu „dem nähern Zwingel ufjerhalben
zwifchen den beiden Stadtmauern von Schloß hinab bis an den Keit-
gaſtthurm, auch der Kirchhof (felbftveritändlih auch die Schloßkirche)
— ohne alle Befchwerung der Stadt." Zum Schloß gehört ferner
der Scloßgarten am Eifinger Weg (dev fpätere Waifenhausgarten).
Der SKlofterfrauen zu Pforzheim arme Leute (Leibeigene) in ihren
Dörfern zu Brößingen, Eutingen und Springen müſſen das gemeldte
Schloß in Frohnd beholzen. — 2, Die Bleihwiefe am Mebelgraben.
Diefelbe zinst auf Martini an Sankt Thomas und Andreas Altar zu
Et. Michael in Pforzheim 1 fl. 6 Ch. Pig. und 3 Faftnachtshennen
oder dafür 2 Sch. Pig., geftiftet durch weyland Wernher Göldlin laut
der Gonftrmation von 1412 (©. 86). Die Büchendbronner und Huchen—
felder müfjen diefe Wieſe in der Frohnd beforgen, und die Brößinger
müffen das Heu beimführen in den Marftall. — Die Kelter in der
Altjtadt (vor dem jebigen Gafthaus zum Ochſen) gehört dem Mark:
grafen; dahin find die Pforzheimer Weinberge gebannt; das Fuder gibt
4 Viertel Kelterwein. — Der Lande, Weg: und Waſſerzoll ges
bört dem Marfgrafen allen. — Vom Stättgeld am freien Markt
gehört 1/,, an Jahrmärkten das Ganze der Stadt, — Die Mebger geben
Zunftgeld 9 Sch. Pig. Jede Metzelbank, deren 26 find, zinst
280 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
10 Sch. Pig, macht alfo 18 fl. 8 Sch. Fig. — Die Bäderzunft gibt
von ihren 2 Metelbänten, um ihre Schweine dort auszubauen, des
Jahres 1 fl. 6 Sch. Pig. — Jeder Mebger, der Feine eigene Bank
bat und doch metzelt, zahlt dem Markgrafen 5 Sch. Pig, — Die
Bäderzunft zahlt 1 fl. 1 Sch, Pfg. Ein Bäder, fo allein gebeu-
telteg oder Roggenmehl badt und in feinem Haus feil hat, zahlt dem
Markgrafen 5 Sch. Pig.; trägt er e8 aber in die Hütten, 10 Sch. Pig.
Mer 1, Jahr vor Martini anfängt oder aufhört zu baden, zahlt für
diejes halbe Jahr 5 Sch. Pig. — Jeder Fiſcher zu Pforzheim oder
nächfte Nachbar, der auf der Fiſchbank in Pforzheim feil hat, zahlt dem
Markgrafen jährlih 3 Sch. Pfg.; ein Fremder aber zahlt 6 Sch. Pig.
Der Fiſchbankzins erträgt ungefähr 10 Sch. Pig. — Das Wein:
ungeld 9 beträgt für Wirthe je die zehnte Maas, Jeder Bürger, wenn
er nicht deswegen gefreit ift, gibt von jeder Ohm Legweins 6 Pfg. Haus:
ungeld, und welcher Bürger oder Anwohner Malvafier, Neinfaldt, Ver:
netfcher 2) oder dergl. ſüßen Mein vom Zapfen ſchenkt, gibt davon ent—
weder die zehnte Maaß von der Ohm, oder die alte große Maas. —
4 Malter Kernen gibt Fruchtungeld 1 Sc. Pig, 1 Mitr. Kom
9 Dig, 1 Mltr. Dinkel 6 Pig. — Bon jedem gemebelten Zentner
Fleiſch beträgt das Ungeld 18 Pfg., und von 5 ungeraden Pfd. je
1 Pig; von 1 Kalb 5 Pig; von 1 Hammel, Schaf, Geiß, Bock
4Pfg.; wenn ein ſolches Thier noch ſehr jung ift, fo wird nichts bezahlt.
Bon allem diefem Ungeld gehört der Stadt 1/,. — In den Salzkauf
legt der Markgraf 3/,, die Stadt 1/,, und der Gewinnft wird auch fo
getheilt, — Mühlenzins (vergl. ©. 157): Claus Müller von
Mühlhauſen hat erblich die Wagmühle, zinst alle 14 Tage 12 Simri
Kernen und 12 Simri Korn (Pforzh. Maas); Georg Herichner hatte
erblicy die Spitalmühle, zinst alle 14 Tage 10 Sr. Kernen und
10 Sr. Roggen; Henfin Leonhardts Erben (1527 Michael Geiger)
haben erblicy die Kloftermühle an der Ichbrücke (Cihmühle), zinfen
alle 14 Tage 9 Sr. Kernen und I Sr. Roggen; Klaus Göppinger
(1527 Hans Geiger) bat erbli die Nonnen: oder Bfriemenmühle
1) Man vergl, zum Folgenden die Beftimmungen des Privilegienbriefes
von 1491, S. 224,
2) Malvafier — ein griehifher Wein aus Napoli di Malvafia in Moren ;
Reinfaldt war Wein aus Rivoglio in Stalien. Woher der Vernetfcher ftammte,
weiß ich nicht.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 281
am Trauenklofter und der Stadtmauer, zinst alle 14 Tage 8 ©r. Ker⸗
nen und 8 Sr. Roggen; Peter Müller hat erblih die Zwingel:
mühle (DObermühle) bei dem obern Bad, zinst alle 14 Tage 8 Sr.
Kernen und 8 Sr. Roggen. — Der Nonnenmader (Kaftrator)
zahlt für die Erlaubnig, das „Amt Pforzheim zu beſchnyden“, 1 fl. —
Stefan Engelfried der Plattner (Harniſchmacher) zinst von feiner Balier:
mühle, genannt Keffelmühle, an der Enz bei der Walfmühle herab,
gegen Melchior Waffenichmieds Mühle über, 1 Pfund 6 Sch. Pf.;
Melch. Waffenfchmied zinst von feiner Schleifmühle 1 fl.; Us
Melchior Lederlin, Pulvermader und Alt und Jung Hubenjchmied zinfen
von der Baliermühle, oberhalb der Walkmühle an Stoffel Waffen:
ichmied gelegen, 1 Pfd. Pfg.; Valtin und Stoffel Waffenſchmied zinfen
von ihrer Schleifmühle unten an beiden KHubenjchmieden 10 Sch.
Pfg.; die Meifter Gerber Handwerks zinfen von ihrer neuen Ninden:
mühle, fo vorher eine Balier: und Schleifmühle und Conrad Huben-
ſchmieds geweſen ift, gegen ihrer andern Mühle über an dem von Nip—
penburg’schen Garten gelegen, 11 fl. 11 Cd. Pig; Hs. Kepler zinst
von jeiner Kupfermühle im Sirebenweiler an der Enz vorm Alt:
ftädter Thor unter der Lohmühle 1 fl. 6 Sch. Pig; Hs. Lutz der
Säger hat erblich die Sägmühle ober der äußern Ziegelhütte gelegen,
zinst jährlih 4 fl, 4 Sch. Pfg.; Bürgermeifter und Rath zu Pforzheim
zinfen jährlih aus der unten Sägmühle, unter dem großen Weg
auf dem Wörth gelegen, dem Markgrafen 1 fl. — Jährlicher Waffer:
zins in die Kellerei: Hs. Beil fammt feinen 3 Gebrüdern, ferner H8.
Lungel im Spital, Erhard Vetter mit feinen Brüdern, Leonhard Better,
Georg Bauer jammt feines Bruders Sohn, Claus Billing, Wendel
Reinhard und Hs. Reinhard haben das Fiſchwaſſer von der St. War:
tinsficche und der Altftadt bis zur Meuracher Kling, geben für jede
Trobnfaften 33 Sch. Pfg., thut jährlich 9 fl. 6 Sch. Pfg.; wenn Einer
von ihnen ohne männliche Erben mit Tod abgeht, fällt fein Antheil dem
Markgrafen wieder zu. So viel Lächſe darin gefangen werden ſollen
fie in die Kellerei geliefert werden, und befommen die Fifcher für jeden
Lachs 3 Sch. Pfg. Von genannten Mannlehen find vergangenen Jahres
4 Stüd, genannt Hillerwed, unferm Herrn Markgrafen zugeftorben.
Das Fiſchwaſſer an der Enz von der Spitalmühle über Birkenfeld bis an
die Tennenfurt hat Ib. Geiger, zinst 12 fl.; Claus Göppinger zinst jährl.
vom Waſſerabfall oder Lager bei feiner Mühle 7 Sch. Pfg.; 98.
282 Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16 Jahrhundert.
Nüfflin vom Wafferabfall bei der Wagmühle 1 fl. 4 Sch. Pla; —
Us Ritters Wittwe zinst von einer Haus: und Hofraithe in der Kloſter—
gaffe, zwifchen der gemeinen Straße und Math. Meerwein gelegen, 1 fl;
Ambrofius Stark, genannt Holzſchuhmacher, zinst von feinem Haus
bei der obern Badftube zwifchen Wendel Eattlers und Matern Weilerg
Scheuer Hinter Junker Hans Kechlers von Schwandorf Gärtlein 2 fl. ;
die Herrſchaft zinst auf Michaelis 15 Sch. Pig. vom neunten Theil
de8 Zehnteng in Dietlingen an die Pfründe zu St. Georg zu Pforz-
beim; — item zinst aud die Herrſchaft 2 Sch. 3 Pfg., ferner 200
Eier, 1 Halb Huhn, 1 Malter Korn, 1 Malter Dinkel, 1 Malter Haber
an St. Cath. Altar zu St. Michael vom halben Xaienzehnten zu
Nöttingen, der auch dafür Unterpfand ift laut eines Briefes v. 1494.
$ 3. Amneres.
Wir ftoßen in diefem Zeitabjchnitt mehrfach auf Streitigkeiten,
welche fich zmifchen Pforzheim und etlichen Nachbarn der Stadt erho—
ben haben. Ging aud die Maidberehtigung im Hagenſchieß, welche
den Herrn von Leutrum zuftand, im Jahr 1524 im Wege friedlichen
Vertrags von MWurmberg auf Pforzheim über, das fi dafür zur
Ablieferung von jährlichen 18 Mealter Hafer an die Herren Ludwig
Ehriftoph, Georg und Philipp von Leutrum verpflichtete, *) jo entbrannte
dafür ein heißer Streit zwifchen Pforzheim und Würm wegen Holzbe:
rechtigung. Derſelbe kam bis vor dag Neichsfanmergericht in Speier und
wurde nad jahrelanger Dauer des Prozeſſes 1060 zu Gunften Würms
entjchieden. 2) Die Sache ift nicht wichtig genug, um ausführlid darauf
einzugehen. Wegen des Waidgangs auf dem Node, der zu mehrfachen
Serungen Beranlafjung gegeben, kam es 1543 zu einem Vergleich zwifchen
Pforzheim und dem Junker Reinhard von Neuhaufen zu Weißenftein,
und abermals wegen Markungsitreitigleiten und Viehtrieb im Kallert
zwifchen den beiden gleichen Theilen 1547 zu einer gütlicyen Weber:
einkunft. 3) —
1) Kopialbud im ſtädtiſchen Archiv.
2) Urtheilsbrief im ftädtifchen Archiv. Außen darauf ſteht: Tara zwölf
Gulden.
3) Urkunden im Stadtarchiv.
Zwölftes. Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 283
Am Jahr 1569 übergab Markgraf Karl der Stadt Pforzheim
den Ederih im Hagenſchieß auf Pforzheimer Gemarkung gegen einen
jährlichen Dehmen (hier Ederihzins) von 200 Gulden, die unablöslich
fein follten; doch blieb mehreren Perfonen das Recht vorbehalten, ihre
Schweine dehmenfrei laufen zu Iaffen, fo dem Vogt zu Pforzheim 2,
dem Amtskeller 2, dem Waldförfter 2, dem Herrn von Leutrum 20,
den Kanzler Achtſynit oder dem — von Niefernburg 12 Schweine. 1)
Man mag daraus wiederholt (vergl. S. 244) entnehmen, welcher Werth
damals auf die Eichelmaft gelegt wurde. Der Dehmen von 200 fl.
wurde indeflen, wie wir ſpäter jehen werden, felten oder nie- bezahlt, fo
daß er zuleßt zu einer ungehenern Summe anwuchs und zu Streitig—
feiten zwiſchen Stadt und Herrſchaft VBeranlaffung wurde. — Des Kaufs
von einem Stück Wald an der Strutt, zwiichen der Stadt und St. Geor-
gen Wald gelegen, den die Etadt Pforzheim 1531 von dem Bürger
Hans Dütlinger und feiner Frau Anna Nüflerin um 50 fl. erftand,
mag bier ebenfalls Erwähnung gejcheben. 2)
Bon größerm Intereſſe dürfte es fein, zu erfahren, daß die Stabt
Pforzheim im Jahre 1538 die Ehre hatte, beim Vehmgericht ver:
Magt zu werden. Dies gefchah durch einen gewiſſen Jerg Fünfſtetter —
aus welcher Urfache, weiß ich nicht — und zwar bei dem Freiſtuhl zu
Medenbach in Weſtphalen. Aus dem fpäter in diefer Sache erfolgten
Urteil des Reichsfammergerichts zu Speier 3) läßt fich entnehmen, daß
einer der „angemaßten“ Stuhlherrn, ein gewiſſer Heinrich Beckmann,
der fi) nannte „einen Freigrafen und Richter des Treiftuhls in Weſt—
phalen zu Medenbach“, einen „nichtigen, muthwilligen, freventlichen
Spruch” Hatte ausgehen und auch durch einen heimlichen Boten an das
Rathhaus in Bretten anfchlagen laſſen. Ebenſo hatten die Stuhlrichter
Philipp Schent von Echmeinsberg und Johann Farmund oder Vor:
mund nebft dem genannten Beckmann gemeinschaftlich eine Ladung an
die von Pforzheim ergehen laſſen, die man an der „Stadtporten” ein:
gefteckt fand, und als derfelben Feine Folge geleiftet wurde, fo hatten fie
die von Pforzheim für ungehorfame, unehrliche, verfäumte, verachtetete,
1) Urfunde im Landesarchiv.
2) Urkunde im Stadtarchiv. An — hängt das Siegel des Vogtes
Eberhard von Reiſchach.
3) Es befand ſich früher auf dem Pforsheimer Stadtardiv, iſt aber jet
nicht mehr vorhanden.
284 Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert.
verurtheilte, treulofe und meineidige Leute erklärt, die alles Rechts ent:
feßt, vom Frieden in den Unfrieden ꝛc. gefeßt fein, Da man in Pforz-
beim aber allen diefen Urtheilsiprüchen feine Gültigkeit beilegte, jo wurde
ihrer Etliche, die auf die Frankfurter Meſſe gereist waren, nämlich der
Bürgermeifter Peter Gößlin, Klaus Engelhard, Jakob Ryſyſin (Reiß—
eifen), Klaus Vaihinger und Stoffel Hochſt, am 14. September 1538
von einem, der von genannten Stuhlrichtern als Anwalt gefendet worden
war, nämlich Peter Scheyd von Medenbach, „angefallen und angeregt,
vermeinter nichtiger heimlicher Acht halben und zu ihrem großen Schaden,
Berluft und Nachtheil daſelbſt in der Meſſe, da fie ihrer Handierung
und Kaufmannfchaft warten und einkaufen follten, aufgehalten.“ Ueber
alle dieſe Unziemlichkeiten führte Markgraf Ernft Klage bei dem Reiche:
fammergericht, welches alle Urtheile der erwähnten Freiſchöppen für nichtig
erflärte, den Beckmann in die Gerihtsfoften verurtheilte, die verklagten
Stuhlherrn aber, jowie den Jerg Fünfſtetter freifprad).
Rühmend muß hier einiger im Lauf des 16. Jahrhunderts ges
machten Stiftungen zu wohlthätigen Sweden gedacht werden, die fich
zum Theil bis auf unfere Tage erhalten haben. Es gehört dazu in
erfter Reihe die des ftädtiichen Almojens Um das Jahr 1533
wurden ſämmtliche Bruderichaftsfonds von Pforzheim (vergl. ©. 160)
fammt dem des Seelhauſes (S. 163) mit dem Haus felber zu einem
gemeinichaftlihen Almojenfond verjchmolzen, 1) woher fich auch defjen
Urfprung datirt. Da derfelbe von der Bürgerſchaft und den Zünften
herrührte, jo erhielten Bürgermeifter, Gericht und Nath die Aufficht nnd
das Verfügungsreht darüber, hatten die Almojenpfleger ein: und abzu—
feßen und die jährliche Abhör der Nehnung in Gegenwart der Beamten
und des erjten Stadtgeiftlichen vornehmen zu lafien. Das Almojen er:
hielt in der Folge mandye zum Theil veiche Bermächtniffe, fo 1548 von
Joh. Luk, Vikar des Domftifts zu Speier 300 fl., 1552 von Peter
Gößlin 100 fl., 1554 von Thomas Heppler 100 fl. 1557 von Lukas
PBiftorius 100 fl., 1568 und 1575 von Marzolf Wolff und Frau
200 fl., 1570 und 1572 von Peter Gößlins Wittwe 120 fl. u. f. w.
Bon frühern Stiftungen hatte das Almofen auch die Verpflichtung über:
2) Lagerbuch des Almojens von Pforzheim (im Stadtardiv). Es ift darin
auch von ber Älteften Almofenrehnung von 1533 die Rede; dieſelbe ift aber
nit mehr vorhanden.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 285
nommen, arme Kindbetterinnen zu unterftügen, an die lateiniſche Schule
für Pflege des Kicchengefangs jährlich 12 Gulden zu bezahlen u. dgl. m.
— Einer Stiftung von 300 fl., welhe Chriftoph Wertwein, ein
geborner Pforzheimer, ſpäter Bifchof in Wien und Beichtvater von Kaifer
Ferdinand I. (vergl. S. 197), 1555 in das Almofen aus Dankbarkeit
dafür, daß er felber als Unterftüßung beim Studiren etliche Gefälle
einer Pfründe von St. Michael bezogen, zum Beten armer Studirender
machte, muß deshalb noch befondere Erwähnung gefchehen, weil diefe
Summe fpäter (1763) aus dem Stadtalmofen wieder ausgefchieden wurde
und feither befondere Rechnung darüber geführt wird,
ine ähnliche Stiftung von 600 Gulden, wozu 1564 weitere 200
Gulden famen, machte 1559 ein anderer Pforzheimer, nämlih Peter
Geiger, Kanonikus des Stiftes zu Baden, Die Zinfen follten nad)
dem Tode des Gtifters für 6 junge Knaben, darunter für einen, der
Theologie ftudiren würde, beftimmt fein. Diefelben mußten aber dem
Geiger'ſchen Gefchlechte angehören, und nur im Fall davon nicht genug
vorhanden wären, durften auch andere fromme und unvermögende Bür-
gergkinder, insbejondere von Pforzheim, genommen werden, Jeder auf
zunehmende Knabe folle 7 Jahre alt fein und 7 Jahr lang das Schul:
geld. für ihn bezahlt werden. Bei einem alsdann in Gegenwart Bür-
germeifters, Gerichts und Raths, ſowie der zwei Aelteften des Geigerichen
Geſchlechts vorzunehmenden Prüfung folle der fähigfte und gefchictefte
der Knaben zum Studium der Theologie beftimmt, die andern aber zu
Handwerkern in die Lehre gethan werden. Der Ausgewählte hatte num
Grammatik, Dialektik und Rhetorik zu ftudiren und ſodann auf diejenige
Univerfität zu geben, wo die Wifjenfchaft der Theologie am reinften ges
Vehrt würde. Dem Stipendiaten, der 6 Jahre lang jährlich 25 Gulden
erhielt, wurde zur Pflicht gemacht, fleißig und anftändig, letzteres beſon—
ders auch in der Kleidung zu fein. Nach vollendetem Studium follte
er verpflichtet fein, feinem Vaterland, namentlich der Stadt Nforzheim
mit hriftlicher Lehre, Predigen, Austheilen der Saframente ıc. zu dienen,
und wenn er in Pforzheim feine Anftellung erhalten könne, fo folle er
ein Jahr die Bürgerskinder in Pforzheim im Katechismus unterrichten,
und wenn er dies zur Zufriedenheit gethan, fo folle er das Stipendium
mit 25 Gulden erhalten Wer fi aber von den Stipendiaten nicht
gut aufführe, der folle 2/3 des Etipendiums wieder erftatten. Wer
den erwähnten Katechismusunterricht vermweigere, der folle i/; zurüd-
986 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert.
erſtatten. Wenn derjenige, der ein Stipendium genoffen, im Inland
feine Anftellung finde, fo dürfe er auch ins Ausland gehen. Wer
während des Studiums die Theologie aufgebe, folle das Stipendium
nicht mehr befommen. Wer durch Krankheit unfähig werde, das geiftliche
Amt zu führen, dem folle der oben vermerkte Erſatz erlafjen fein. 1) —
Peter Geiger ftarb 1569 zu Baden und befleidete, wie auf feinem in
der Marienkapelle der dortigen Stiftskirche befindlichen Grabftein erficht-
lich, zuleßt das Amt eines Vicedefans des Stiftes. 2)
Eine Stiftung anderer Art darf hier nicht vergeffen werden. Der
Kanzler Achtſynit vermachte um 1560 ein Kapital von 100 Gulden mit
der Beitimmung, daß die Zinſen davon mit jährlichen 5 Gulden jedes
Jahr oder alle 3 Jahre bei Abhör der Bürgermeifterrechnung vertrunfen
werden follten, und zwar in Niefernburger Gutedelmein. 3) Diejer Auf:
lage kamen die betreffenden Väter der Stadt viele Jahre hindurch ges
treufich nad), verſchmähten indeffen aud einen befjern Trunk nicht, wenn
fie die Luft dazu anwandelte. In Jahren, wo megen unterbliebener
Abhör der Rechnung auch Fein Stiftungswein vertrunfen wurde, ift dies
in fpätern ftädtifchen Nechnungen als etwas ſehr Wichtiges immer ge-
treulich bemerkt.
Um diefelbe Zeit, als mehrere diefer Stiftungen gemacht wurden,
tritt auch ein heute noch in Pforzheim beftehender Verein aus dem
Dunfel hervor, das über feiner Entftehung ſchwebt. Es ift dies die
Schüsengefellihaft Sie muß ſchon ſehr früh gegründet werden
fein, vielleicht gleichzeitig mit den Schüßengefellichaften anderer Städte,
wie folche beifpielweife ſchon 1451 zu Offenburg und 1459 zu Villingen
betanden, 2) Gewöhnlich erwählten fie den heiligen Sebaſtian, welder
der Sage nach mit Pfeilen erſchoſſen worden fein foll, zu ihrem Schuß:
patron und gaben ſich deshalb den Namen „St. Sebaftiansbruderichaf:
ten," Die Mitglieder derfelben gebrauchten bei ihren Webungen ur:
2) Diefe Beſtimmungen find dem Nathsprotofoll von 1711 entnommen,
Der Stiftungskrief if bier nicht mehr vorhanden.
2) Auf dem Kirchhof zu Pforzheim, und zwar an ber jüdlichen Wand ber
Kapelle, befindet fich der Grabftein einer „Urſula Geigerin“, Wittwe bes
Forftverwalters Ib. Meerwein, weldye 1718 ftarb und auf dem Grabftein als
die Letzte des Geſchlechtes des Geiger'ſchen Stipendienftifters bezeichnet if.
2) Sads, IV,, 179.
) Mone, Zeitfehrift V., 486 und VI, 76,
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 27
ſprünglich die Armbruſt, ſpäter, nachdem das Schießpulver erfunden und
andere Schießwaffen in Gebrauch gekommen waren, die Büchſe. Arm—
bruſt- und Büchſenſchützen kommen in Pforzheim ſchon im Jahr 1487
vor. Damals wurde nämlich denſelben „zu Handhabung der Stadt zu
Schimpf und zu Ernſt etwas Freiung zugelafien, alſo daß ein Jeder
fein Gefhüß frei tragen und damit furzweilen und jchießen mag, es fei
Vogel, Enten u. dgl. Ob aber einer Hafen oder Gewild ſchießen würde,
fo foll er von jedem eine geſetzte Ppoen geben, wie das im Land zu
Württemberg und anderswo wird gehalten." ) Bon Markgraf Philipp
erging 1529 die Weifung an die Stadt Pforzheim, Armbruſtſchützen
nad) Speier zu ſchicken.?) Intereſſant ift das Schüßenfeft, das die
Schütengefellihaft zu Pforzheim im Jahr 1561 veranftaltete, und ver-
dient dasfelbe eine eingehendere Bejchreibung. Als 1561 die Schügen-
gefellichaft zu Pforzheim den Markgrafen Karl II. um die Erlaubniß
bat, ein Schicken halten zu dürfen, geftattete e8 dieſer nicht nur, fondern
ſchenkte auch der Gejellichaft als Hauptgewinn für das Schüßenfeft einen
fetten Ochſen, und beauftragte einen feiner Edeln, Hans Sebold von
Siglingen, 3) die nöthigen Anordnungen für diefes Felt zu treffen. Dem:
felben wurden zu diefem Zweck von Seiten des Raths und der Schüßen-
gefellichaft einige Mitglieder beigegeben, Zunächſt wurden nun durd)
öffentliche Ausichreiben die auswärtigen Schüten zu diefem Schießen
feierlichft eingeladen und dabei bekannt gemacht, daß derjenige, welcher
unter 15 Schüffen nad der Scheibe diefelbe am öfterften treffen würde,
beim Hauptſchießen den erwähnten Maſtochſen oder ftatt defien in Geld
30 Gulden, beim Nachſchießen aber 12 Gulden erhalten follte. Neben
dem wohl gebauten Schübenhaufe, das vor dem brößinger Thor ftand
und außer den Schiefftänden einen weiten Saal ſammt einer freund:
lichen Sommerlaube enthielt, wurden noch zwei Hütten errichtet, in denen
man die Büchſen wijchen und laden Konnte; überdies hatte man für die
1) Akten des Landesarchivs, mit ber Weberichrift: Allerhand Ordnung und
Polizeiſachen 1487.
2) Schreiben des Markgrafen, im Stabtardiv.
3) Der Grabftein desfelben findet fih in ber Kirche zu Stein. Er zeigt
folgende Anichrift: Anno domini 1570 d. 29. Nov. ift in Gott verſchieden ber
edel und firenge Herr Hans Sebold von Siglingen, des durdl. und hochgeb.
Herrn Ludwig von Bourbon, Prinzen zu Conde, Herzogen zu Angien, gewester
Obriſter über ein Regiment Landsfnecht, dem Gott genad, Amen,
a8" Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
hohe Herrichaft ſechs Zelte dabei aufgefhlagen. Scheiben waren in
Menge da und daneben Hütten, hinter denen die Zeiger ficher ftehen
konnten. Am 3. October begannen die Teftlichkeiten. Man z0g mit
Pfeifen und Trommeln unter dem VBoraustritt eines Fahnenträgers auf
den Schübenplan hinaus, wofelbft der Stadtfchreiber Johann Groß die
Eröffnungsrede hielt. Alsdann erwählte man die fogenannten Neuner,
denen das Geſchäft oblag, Alles, was das Schießen jelbft betraf, zu
ordnen. Hiezu wurde Namens des Markgrafen, des weifen Raths der
Stadt, der Schütengejellichaft, ferner von Kurpfalz, Württemberg, der
Stadt Straßburg, der Nitterfchaft, der Markgrafihaft Baden und der
geiftlichen Fürftenftädte je ein Mitglied ernannt. Dieſe Neuner erwähl-
ten die Zeiger und andere zuverläffige Männer, die auf die Schüffe
Acht geben ſollten; hierauf wurden die Schießregeln verlejen, die Büchſen
unterfucht und die betrügerifch zugerichteten verworfen. Nun machten
die Neuner ſechs Xoofe, um die Reihenfolge der Schügen zu beftimmen,
nämlih: für den Markgrafen, feine Ritter und Dienerfchaft, für
Kurpfalz, für das römische Reich, für Württemberg, für die
untere Markgrafſchaft, und endlich für die Ritterſchaft und den
Adel, Ein jeder Schüße mußte jodann einen Gulden einlegen, um
daraus Gewinnfte machen zu können. Sonntage den 5. Oktober
fing das Scheibenſchießen an, Wenn ein Schüße die Scheibe getroffen
hatte, gab man ihm eine Fahne in die Hand und führte ihn zum
Schreiber hin, der den Schuß einfchrieb. Den Schüten hatte der Mark:
graf ein Fuder Wein geſchenkt; alle Priticher Hatte er neu gekleidet und
ihnen filberne Schilde gegeben; auch Ind der freigebige Fürft die Neuner
oft zu Gaſte. Auf dem Schießplane waren zur Beluftigung des Volkes
auch Spielbuden errichtet, in denen man um mäßigen Einſatz Silber:
und Zinngefhirr gewinnen konnte. Die Pritfcher hatten allenthalben
vollauf zu thun; denn fo oft Jemand einen ungeſchickten Streid) machte,
befam er die Pritſche. Am Freitag den 10, Dftober fing man an, zu
ftehen; am folgenden Tage wurde der Preisochſe aufgeführt. Zwei
Jünglinge in weißem Anzug, mit Fähnlein in der Hand, gingen voraus,
und zwei fchöne Jungfrauen, ebenfalls weiß gekleidet, führten den Ochjen,
den man mit einer feidenen Dede geziert hatte, auf welche des Mark:
grafen und feiner Gemahlin Wappen geftictt waren, ine große Anzahl
Bürger, mit Harnifhen angethan, folgte mit Trommeln und Pfeifen.
Den Zug beſchloß der Stadtrath. Als derjelbe an Ort und Gtelle
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 289
angekommen war, ftellten ſich die Herren in einen Kreis und nahınen
die Jungfrauen mit dem Ochfen binein, Cine berfelben trug einen
goldenen Kranz in der Hand, den fie dem Sieger im Mettfchießen,
Hans Schatz aus Straßburg (der den beiten Schuß gethan hatte), feier:
Lchft überreichte. Den Preisochſen aber gewann Jakob Laſtner von
Kuppenheim. Nun ging es an die Austbeilung der Gelöpreife, die ſich
in ledernen Sädeln befanden, welde man an lange, oben mit Fahnen _
gezierte Stangen aufgehangen hatte. Es waren deren im Ganzen 38,
Einem Schüten wurde fein Preis ſammt Fahne wieder abgenommen,
weil fich feine Büchfe nachträglich als unrichtig erwies. Dem Schützen Hang
Balthas Mutſchaß aus Zürich wurde ein Schwein zu Theil, damit er
den weiten Weg nicht umfonft gemacht haben möchte. Man hatte auch
nach einem hölzernen Mann gejhoffen, und für die drei beiten Schüffe
darauf waren ebenfalls Preife ausgejeßt. Dev Stadtjchreiber Groß
erklärte hierauf das Schießen für beendigt und jtattete fowohl den
Neunern, als allen auswärtigen Schügen im Namen der Stadt und
der Schübengefellichaft feinen Dank ab, worauf Hans Schatz aus
Straßburg einige pafjende Worte ermiderte, Sonntags darauf begann
das Nachſchießen, weldyes zwei Tage dauerte. Den erften Preis dabei
gewann Jakob Bachofen aus Zürich. Damit ſchloß das Schüßenfeft.
Unter den auswärtigen Bejuchern desfelben war and) der Leineweber
und Meifterfänger Heinrih Gehring aus Züri. Derfelbe bejchrieb
nachgehends das Feſt mit allen jeinen Einzelheiten in einem langen Ge:
dichte, das er dem Markgrafen Karl II. widmete. 1) Er jildert darin
unter Andern auch verfchiedene Arten von Volksbeluſtigungen, welche
außer den fchon angeführten mit dem Schützenfeſt verbunden waren,
Es mögen zwei darauf bezüglicye Stellen aus feinem Meiftergefang, je:
doch zu beffevem Verſtändniß im jet üblicher Schreibweife, bier ange
führt werden:
9) Dasſelbe ift diefer Beichreibung zu Grund gelegt. Es befindet fich heute
noch auf Großh. Hofbibliotget in Karlsruhe, hat 33 Blätter Tert und auf 12
weitern Blättern, die Abbildung des Preisochien mit feiner Dede (fogar von 2
Seiten) und ſämmtlicher Schützenfahnen, von denen aber eine ausfieht, wie bie
andere, nur daß fie bald links, bald rechts flattern. Poffelt hat diefe inter:
teffante Handſchrift zuerft benügt zu einer Schilderung des Pforzheimer Schü⸗
Benfeftes in feinem wifjenichaftlihen Magazin MI, 642, (1788).
Pflüger, Pforzheim, 19
290 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
Ein’ Pritfhenbrüd’ war auch gemacht,
Der hat gar Mancher a’nug gelacht,
Denn fie war g’bauen auf ber Enz.
Ach wünſch' den Narr'n die Peitilenz,
Sie haben mid, geworfen d’rein,
Ich acht', fie find mir feind gefein,
Sie hätten mid) fonft nicht gebabet;
Doch hat es mir nicht viel geichabet ꝛc.
Ferner:
Potz Lung, Eins hätt' ich ſchier vergeſſen:
Man thät auch da die Mäuler meſſen,
Und welcher die größte Goſchen hätt',
Der gewann ein'n Käs gleich an ber Stätt'.
Des Meſſens Mancher g’nug thät lachen,
Man maß, daß Mancem die Lefzen krachen.
Es fam cin Bau’r, derjelb’ war voll,
Ohn' Zweifel war’s ein grober Droll,
Hieß Stoffel Ruf von Weißenftein.
Er hatt’ ein Mündlein, als ich mein’,
Was mehr denn fieben Zollen weit;
Der g’wann den Käs zu jelber Zeit.
Bon dem ih Abenteuer muß fagen:
Den Küs hat er nit heimgetragen,
Eondern ift mit unter die Bauern g’feflen,
Und baben ihn gleich von bannen g’frejien.
So weit die Älteften Nachrichten über die Pforzheimer Schüßenge-
ſellſchaft. Wir werden auf diefelbe fpäter zurückkommen.
Es mag hier noch einiger fonftigen Creigniffe gedacht werden, bie
gewöhnlich in Chroniken eine große Nolle fpielen, immerhin aber für
diejenigen Bewohner Pforzheims, die damals lebten, von Wichtigkeit waren,
Wir meinen damit Feuersbrünfte, große Waffer, Theurung,
wohlfeile Zeitzc. — Daß Pforzheim früher von Bränden heimgefucht
wurde, erjehen wir aus einer Abjchrift des Privilegienbriefes, die im
Jahr 1517 angefertigt wurde, 1) und worin es heißt, daß „viele ber
Stadt nützliche Briefe verbronnen“ ſeien. — Ein Eisgang riß 1522 die
„Steynin Bruden” (S. 122), nämlich die Auer Brücke, mit ſich fort, 2)
und abermals gejhah dies 1573. Unter Markgraf Karl wurde hierauf
1) Stabtardiv,
2) Stadtarchiv.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 991
diejenige Brücke erbaut, deren Pfeiler der großen Ueberſchwemmung des
Jahres 1824 zum Ofer fielen. Ein heute noch erhaltener Stein gibt
von jenem Brüdenbau von 1573 Zeugniß. Seine Infchrift lautet :
Anno MDLXXII.
Das Eys vnd gros Wassergüssen
Die Bruck mit Gwalt zv Stvckn rissen
Darvmb ein Rat zv nuz der gmaind
Den Pfeiler sezt von starken Stein
Der Landsfürst Marggrav Carolvs
Den ersten Stein legt on Verdruss,
Der Theurung von 1548, die fogar eine Verordnung des
Markgrafen Ernſt hervorrief, durch welche das Fleiſcheſſen beſchränkt
wurde (S. 210), gingen 1539 und 1540 zwei Meinjahre voraus, wie
ſolche nicht oft vorfommen. Schon 1539 gab es fo außerordentlicy viel
Wein, daß nah dem Chronikreim
Tauſend fünfhundert dreißig und neun
Galten die Fäffer mehr als der Wein.
Der Wein von 1540 übertraf aber an Menge und Güte feinen
Borgänger noch. Im Elſaß gab es Orte, wo man die Schweine mit
Trauben fütterte, und im Breisgau gebrauchte man Wein ftatt Waffer
zum Eichen der Fäffer.!) Viele Leute foffen fich, wie ein alter Bericht
fagt, zu todt. Ein Edelmann Tieß feine Bauern feinen Wein in der
Frohnd austrinfen, und wöchentlich zweimal gingen fie, mit Brod und
Käſe verfehen, an diefes luſtige Geſchäft. Händel und blutige Köpfe
gab e8 dann genug, und der Edelmann ftand ſich als Gerichtsherr dabei
befier, als wenn er den Mein verkauft hätte, 2) — Der großen Theus
rung von 1563 gedenken folgende Zeilen, die man heute noch an der
in jenem Jahr gebauten Scheuer der Niefernburg Iefen kann:
Als ich thet bauen biefe Scheuer,
Da war bie Frucht fehr clemm und thener;
Fünf Gulden galt ein Malter Kern,
Der Roden fünfzig Batzen gern;
Mit zwanzig Bagen warb bezahlt
Der Hafer und zu Mehl gemahlt.
ergl. Bader, Babenia (die neue), I., 40.
*) Häuffer, Gedichte der Pfalz, I, 586. 19 *
292 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Und ftund die Frucht im Feld jo reich,
Daß man nit dendet der geleich;
Auch als die Ernt’ warb g'ſchnitten cin,
Gleich ward geftillt des Hungers Bein.
5 Die neue Frucht um halbes Geld
Man näher fauft, denn obgemelt.
Dem lieben Gott jey Danf und Preik
Um Leibes und der Seelen Speiß. x
$4 Die Stadt felbfl.
„Pfortzheym ift nicht groß, bat nur eine Kirche (2), Tiegt gar im
Grunde an einer jchönen Iuftigen Wifen, dadurch laufft ein clares, ge
fundes Wafjer, gibt allerlei wohlſchmeckende Fiihe, daran man bes
Sommers gar gute Kurzweile haben fan, zwuſchen vberaus hohen Ber:
gen, jo mit Holgungen, einer Wiltnuſſen nicht ungleich, bewachſen, fo
guth Wildbreth gibt. Das fürftlihe Schloß ligt woll niderich, aber
respectu oppidi (im Vergleich zur Stadt) zimblid hoch; font hat die
Statt viel gelerter, beicheidener, freuntlicher, wollerzogener Leute, vnnd
Alles, was man zur Leibes Notturft, auch Erhaltunge zeitliches Lebens
in Geſuntheit vnnd Kranchheit von Nöten, an Gelerten, Ungelerten,
Apothekern, Balbiern, Wirthsheufern, allerlei Handtwerfern, nichts aus:
genommen, in Predigen vnnd Gefängen Euangeliſche Neligion,” So
fchildert der ſchon ©. 273 ff. erwähnte Saſtrow die Eindrücke, welche
Pforzheim auf ihn während eines Aufenthaltes in diefer Stadt machte,
der vom 24. Juni 1544 bis 16. April 1545 dauerte. 1) — Der
Meifterfänger Heinrid; Gehring, der 1561 das Schütenfeft zu Pforz-
beim bejchrieb, weiß für das Lob der Stadt nicht genug Worte zu
finden; er vühmt ihren weitverbreiteten Handel, ihre Gewerbe, den da—
binftrömenden Ueberfluß, namentlih aber aud) die vielen und guten Her:
bergen. — In einem 1543 erftmals erfchienenen, berühmten geographifchen
Werke 2) wird von Pforzheim, nachdem von Gründung der Etadt und
ihren frühern Herrn die Rede gewefen, Folgendes gejagt: „Es ift faft
1) B. Saftrow, Herkommen ꝛc., berausgeg. von Mohnike (Greifswald,
18331 1., 266, — neu bearbeitet von Grote (Halle, 1860) S. 142,
2) Cosmographey, oder Beichreibung aller Länder ꝛc. durch Eebaftia-
num Diunfterum. Gedrucdt zu Bajel 1543,
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 2953
die fürnemfte ftatt fo die Marggrauen in jver herrſchafft haben, wiewol
Baden des heiſſen waſſers halbs eines groffen anfehens und namens.
Es ligt Pfortzheim in einer gegend genannt am Hagenſchieß.“ Ya,
Münfter ftellt uns fogar ein Bild des damaligen Pforzheim vor Augen;
da indeffen derfelbe Holzichnitt noch verfchiedene Male in der „Cosmo:
graphey“ vorkommt und auch als Abbildung anderer Städte dient, fo
dag man nicht weiß, welche Stadt ev eigentlich bedeuten fol, jo unter:
laffen wir die Mittheilung diefer Abbildung, und zwar um fo mehr,
weil fie mit dem wirklichen Pforzheim jener und jetiger Zeit gar feine
Aehnlichkeit bat,
Was Saftrom über die Einrichtungen der Stadt für Gefundheite:
pflege jagt, läßt fih aus andern Quellen allerdings belegen. in Lud—
wig Germann oder Germey der Arzt, auch kurzweg Meifter Ludwig ges
nannt, tommt 1502, 1514 und 1520 vor. Zweier weitern Aerzte aus
jener Zeit, nämlich Johann Widmanns und Alerander Seiß’s ift bes
reits (S. 180 und 203) Erwähnung geichehen. in fpäterer Kollege
von ihnen war Philipp Schopff, wahrfcheinlich aus Pforzheim felbft
gebürtig, der 1565 Magifter zu Tübingen, 1575 Arzt in Kreuznach
und fpäter Arzt in Pforzheim war und 1587 die Stelle eines Pro:
feffors der Naturwiffenihaft an dem meugegründeten Gymnaſium zu
Durlach bekleidete. Schon während feiner Amtsthätigkeit in Pforzheim
machte er fich als mediziniſcher Schriftiteller bekannt. 1) Als Apotheter
zu Pforzheim wird 1562 bereits Michael Gröninger genannt, Zweier
öffentlichen Badftuben ift oben (S. 163) ſchon erwähnt. Auch an
PBrivatbadeinrihtungen muß es nicht gefehlt haben; dem 1536 verkaufte
„Margarethe von Velberg, Witwe Sebaftiang von Gültlingen, an
Dietrih) von Gemmingen Haus, Hofraithe, Brunnen, Badftube, Stal-
fung und Zubehörde im Predigergäßlein.” 2) Minder gefund waren
damals die Wohnungen, in denen man durchichnittlich ſehr beichränft
wohnte. Man traf deshalb in faft allen Häufern behufs der Raumge—
winnung jene Einrichtung, nach welcher die Betten auf einer Art Empor:
bühne, zu der man auf einer Treppe binaufitieg, ſich befanden, und
ı) Bierordt, Gejchichte der Karlsruher Mittelihule, S. 15. — Der
Grabftein eines Peter Schopff, der 1574 ftarb und vielleicht ein Bruder des
Dbigen war, befindet ſich auf dem Kirchhofe, wahrfcheinlich vom Kreuzkirchhofe
dahin gebracht.
3) Repertorium im Landesarchiv.
294 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert.
zwar oft fo nahe an der Dede des Zimmers, daß man faum ins Bett
gelangen konnte und leicht den Kopf an der Dede anftieß, wenn man
denfelben, im Bett Tiegend, etwa erhob. Auch die Winkel zwifchen dem
Häufern, die man heute noch jo Häufig trifft, die aber damals nirgends
fehlten, trugen vwermöge der Ausdünftungen der dorthin einmündenden
Abtritte, Waflerfteine ꝛc. zur Pflege der Gejundheit eben nicht ſonderlich
bei. Wie e8 mit der Straßenveinlichkeit beftellt war, mag bie bereits
(S. 252) angeführte „Miftordnung” von 1538 beweifen.
Mas Saftrom und Gehring über die große Gewerbthätigkeit
Pforzheims fagen, hatte allerdings feine Richtigfeit, und find dafür im
Frühern ſchon mehrfach Nachweiſe geliefert worden, namentlich in den
vielen Gewerbordnungen und in der Angabe der Namen der einzelnen
Handwerksmeifter, in Zufammenftellung der vielen Mühlen, als Mahl:,
Schleif:, Balter-, Säg-, Oel-, Rinden:, Kupfer:, Waltmühlen ꝛc. Wird
ja aud in der Stadtordnung von 1491 ausdrüdlich gefagt, daß Pforz—
heim unter den Städten der Markgrafſchaft für „Handel und Wandel
am beiten gelegen ſei.“ Sehr ftarf waren fortwährend die Gewerbe
der Tuer und Seidenweber („Engeljeitweber“), fowie der Ger:
ber vertreten, und wurden mit den Erzeugnifjen derjelben viele auswärs
tige Märkte, auch die Meffe zu Frankfurt bezogen. Pforzheim bejaß
1527 auch einen Bildhauer, 58. Zimmermann von Tiefenbronn, 9)
1533 einen „Urlinmader” (Ührmader), 2) 1566 einen Orgel:
macher Gg. Schweizer, 3) und waren nod andere, zum Theil feltene
Gewerbe dafelbft vertreten. War ſchon früher eines Armbruſtmachers
(S. 159) und eines Pidelhaubenihmieds (S. 180) erwähnt, jo kom—
men nun auh Waffenſchmie de überhaupt (S. 231), darunter ein
Plattner oder Harniſchmacher vor, fo genannt, weil damals für die
Panzerhemden die Harnifche mit Eifenplatten in Gebrauch kamen, Auch
das Gewerbe der Sporer war in Pforzheim vertreten und hatte fchon
Karl L einem Angehörigen desfelben verichiedene Freiheiten verliehen.
Eines Pulvermachers Lederlin gefchieht 1527 Erwähnung (S. 81).
Daß es auch an Juden nicht fehlte, zeigt der früher fehon vorgefommene
1) Lagerbucherneuerung von 1527,
2) Artiful und Beihwerniß ber Stadt xc., früher in ber Lade B im Stadt:
archiv, und 1539 im der Beichreibung ber Gefälle des Frauenkloſters.
9) Beichr, ber zehntfreien Acder von 1566.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 295
Name einer Judengaſſe, fowie verichiedene Stellen in alten Urkun—
ben, wo von ihnen die Rede ift. Obiger Name dürfte ſogar der Ver:
muthung Raum geben, daß die Juden mit ihren Wohnungen auf einen
beftimmten Theil der Stadt befchränft waren, wie es auch in andern
Städten vielfach der Tall war.
Daß Piorzheim aud, wie Saftrow fagt, viel gelehrte Leute bes
fefjen habe, dafür folgen in den nächſten Abſchnitten dieſes Kapitels
einige Belege. Das jechszehnte Jahrhundert mit feinen gewaltigen Er:
eignifjen, namentlich der Neformation, wedte überhaupt manche geiftige
Kraft, und in Pforzheim trugen die dortige Gelehrtenſchule, die Buch:
druderei 2c. das Ihre dazu bei. Auch die edle Dichtkunft muß in
Pforzheim forgfam gepflegt worden fein; denn in einem Straßburger
Meiftergefang von 1597, der alfo einer kaum fpätern Zeit angehört,
als diejenige ift, welche in diefem Kapitel behandelt wird, heißt es:
Noch leben Heut
Zu Leipzig und zu Dresden,
Zu Eflingen, Nördlingen, Wien, Breslau,
Zu Danzig, Balel, Steyer,
Zu Kolmar, Frankfurt, Hagenau,
Am römiſchen Neich zur Speier,
Weißenburg gleich,
Pforzheim ift rei
An Dihtern, wie wir lee. 4)
Wenn Saſtrow nur von einer Kirche in Pforzheim fpricht, fo meinte
er damit wohl die Stiftsfirche zu St. Michael. Die Kirche der Altftadt bes
trachtete er als nicht zur eigentlichen Stadt gehörig; die übrigen Kirchen
hatten als Klofterfichen ihre befondern Beſtimmungen, waren alfo eigent:
lich keine Etadtlirhen. Erſt nach Aufhebung der Klöfter, von der im
nächiten Abſchnitt bei der Gefchichte der Neformation in Pforzheim die
Rede fein wird, trat darin ein anderes Verhältniß ein. Es möge hier
bemerkt werden, daß die Kollatur der Stiftsfirde, die 1344 an Lich—
tenthal übergegangen war, unterm 15. Mai 1555 vom SKlofter dem
Markgrafen Karl wieder abgetreten wurde. Es mußte aber zur Kom:
petenz aus feinem Zehnten zu Pforzheim 15 Malter Korn, 40 Malter
Dinkel, 10 Malter Haber und 15 Ohm Mein abgeben, wogegen der
Markgraf verſprach, das Klofter am Einzug feiner dortigen Gefälle nicht
1) Lobſtein, Geſchichte der Muſik im Elſaß (1840) ©. 2.
2% — Zwöfftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
hindern zu wollen. Gegen Erlegung einer Summe ton 250 Gulden
wurde Lichtenthal auch von der Verpflichtung der Fütterung der fürft:
lichen Jagdhunde in Pforzheim (S. 158) in feinem dortigen Zehnthauſe
und der Scheuer, fowie von andern Koften entbunden, mußte fich aber
dazu verftehen, jährlih 100 Bund Zehntſtroh in das Schloß und 150
‚ weitere Bund zur Streuung der Hunde abzugeben, wogegen der Mift
ber letztern den Zehntbeftändern überlaffen wurde. in ähnliches Ueber:
einfommen wurde mit Lichtenthal 1573 wegen des Novalzehntens zu
Pforzheim, d. 5. des Zehntens von nenangelegten Feldern getroffen,
und mußte fih das Klofter u. A. dazu verftchen, dem Markgrafen für
die Vergangenheit eine Entſchädigungsſumme von 1500 fl. zu bezahlen.
Noch fei hier erwähnt, daß 1577 die Negierung ein Haus in der Pre:
diger- oder Pfarrgaffe, das bis 1536 einer Frau von Gültlingen, dann
den Gemmingen im Hagenfchich gehört hatte (S. 293), 1543 an
Chriſtoph von Landenberg und fpäter in noch andere Hände übergegangen
war, anfaufte und dasfelbe zur Diafonatsmwohnung beftinmte.
In den frühern Kapiteln find immer die Theile der Stadt, bie
zum erften Mal genannt werden, als Straßen, Thore, Brüden ꝛc. mit
den in den betreffenden Zeitabjchnitten vorkommenden Bürgergeichlechtern
überfichtlich zufanmengeftellt worden. Es mag dies aud bier wieder
geichehen, jedoch bezüglich der letztern nur mit denjenigen, die heute noch
eriftiren, da die Angabe aller Bürger, welche in den für die Darftellung
ber Berhältniffe des 16. Jahrhunderts benüsten Quellen vorkommen, zu
weit führen würde, 1)
Es werden genannt: A, Stadttbore (außer den frühen):
1500 da8 Steinbrüderthor (an der Auer Brüde), 1500 das
Erkerthor (in der Altſtadt), 1500 dag Auer Brunnenthor (am
Ende der Kreuzftraße in der Au; auch dies wird manch Mal Erkerthor
genannt), um 1500 das obere Mühltbörlein (bei ber obern
Mühle), 1502 das obere Grabenthor oder obere Brötzinger—
thor (am Ende der obern Vorftadt), 1502 das Hillerthor (am
Ende der obern Augafje), 1502 das Schelmen: oder Gaucht hor
(am Ende der untern Augaſſe; erfterer Name deutet darauf Hin, daß
1) Eine vollftändige und zufanımenhängende Veſchreibung bes alten Pforz:
heim folgt im 15. Kapitel; diefelbe paßt aber in den meiften Theilen ſchon auf
bas Pforzheim des 16. Jahrhunderts.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 297
vor demfelben eine Begräbnißftätte oder ein Schindanger war, denn
„Schelm“ heißt altdeutfc ein Kadaver; der andere Name datirt fich
von Erhard Gauch, der dort wohnte und auch einen Garten, den Gauch—
garten, befaß;) 1502 das obere Brunnenthor (wahricheinlic das
Schäferthor bei der Schäferbrüde); 1527 das Heiligfreuzthor (am
Ende der Vorftadt bei der jetigen Beckh'ſchen Bierbrauerei); 1530 das
Thörlein unterhalb des Schleifthors, wo die Jahrzahl der Erbauung
noch vorhanden. Des Brökinger: und Altftädterthors it fchon
früber Erwähnung geſchehen. ;
B. Straßen: Die Brögingergaffe, die obere Lamm gaffe,
die Brüder: oder Brüderbronnengafte, das Barfüßergäßle,
die Scheuerngafle, der Kirch: oder Schloßberg, das Höllgäßle,
die Tränkgaſſe (jett Deimlingsftraße), die Kloſter gaſſe (beim Schwert),
der Klofterhof (Waifenhausplag), das Mühl gäßlein (beim Kloſter—
bof), der Hiller (obere Augafie), die Schelmen gaffe (untere Augaffe),
die beiden La uer gaſſen (Gerbergafien), die Vieh gaſſe (Spitalftrake),
die Kutzen bach (Kauzenbah, jetzt Theaterftraße), das Roß gäßle
(Roſenſtraße), die Kirch gaſſe (Schloßkirchenweg), die Predigergaſſe
(Pfarrgaffe), die Altſtädter-, Altborfer- oder Altheimer: (Alte:
mer=) gaffe, die St. Niklaufengafe (in der Altftadt an der Kapelle
gleiches Namens vorbei). *
C. Namen von Saffen oder Plätzen ac. in der nähern
ober entferntern Umgebung der Stadt: Der Viehmarkt
(vor dem Altftädter Thor unten am Maffer), das Pfläfter (Sophien—
ftraße), der Bucdenberg, das Nennfeld, das Nagoldfeld, bie
Bleihwiefe, der Metzelgraben, die Wart, außerhalb der 3 Aune,
das Rod, der Meiherberg, das Weihergäßle, der Kreben:
weiler, das Bronnengäßle (vor dem Mltftädter Thor), das Zigen:
nergäßlein (1565), der Egelfee (1565, der jett verſchwundene fog.
Nägelfee), der Tilgraben (1565), die Wifflinger Steige, ber
Schloßgar ten im Srebenweiler u. ſ. w. Es geht aus diefem Allem
bervor, daß Umfang, Eintheilung ꝛc. der Stadt ſchon vor 300 Sahren
faft diefelben wie heute waren, wenn diefe nun freilich damals noch ihre
Befeitigungswerfe vollftändig beſaß. Daß fie auch mit Gefchüß verfehen
war, ergibt fih daraus, daß 1523 „zwei Feldfchlangen und etliche Stein“
(Steinkugeln zum Schießen) nad Pforzheim gefchiett wurden, und 1534
298 Zwölftes Kapitel. Piorzheim im 16. Jahrhundert.
die Markgrafen Bernhard und Ernſt einen Büchjenmeifter dahin entfand-
ten, um das Geſchütz zu befichtigen. 1)
Fragen wir nad) einzelnen wichtigern, namentlich auch öffentlichen
Gebäuden, die fih damals in Pforzheim befanden, und deren Bau zum
Theil in das 16. Jahrhundert fällt, fo mögen folgende genannt werden:
Das Rathhaus, unter Markgraf Karl II. 1557 gebaut, und zwar
an der Stelle des bisherigen Kaufhaufes am Markt, das dann damit
verbunden wurde; (das frühere Rathhaus lag in der Brötzinger Gaffe,
wie eine Urkunde von 1502 beweist; das jetige Rathhaus iſt aber auch
nicht mehr das von 1557, ſondern erjt nad dem orleans'ſchen Krieg
gebaut); — die Stadtſchreiberei (das jegige Rupp'ſche Haus am
Markt), unter Markgraf Ernft 1552 gebaut, wie aus dem daran befind:
lichen Wappen mit Jahrzahl noch Heute erſichtlich; — das freiherrlich von
Schauenburg'ſche Haus am Schloßkirchenweg (jegt Veltmann und
Maier) mit der Inſchrift: Melcher von Schaumwenburg, Hofmeifter von .
foren, 1556; — das freiberrli von Flehing en' ſche Haus (jetzt Die-
terlin’fche Bierbranerei) mit dem Flehingen'ſchen und Göler'ſchen Wappen
und der Inſchrift: „Anno dmni 1567 bat Ludwig Wolf von und zu
Flehingen und Anna von Flehingen, geborne Gollerin (d. h. Gölerin
von Ravensburg) diefe Behaufung erbaut;“ 2) -- das Schlachthaus
1568 erbaut. — Im Jahr 1588 wurde auch unterhalb der Altjtadt ein
neuer Kirchhof angelegt,3) der jet noch benüßt wird. Das erfte Ein-
gangsthor auf der Nordfeite des Kirhhofs wurde, wie die darüber bes
findliche Jahrzahl zeigt, 1587 gebaut. Der Erfte, der auf diefem neuen
Kirchhof feine Nuheftätte fand, war 1588 Klaus Engelhard des Ges
richts. Mit der Anlegung diejes Triedhofes ging der Kirchhof um die
Schloßkirche ein, und reichen auch die Jahrzahlen der Denkmäler dajelbft
nur big 1579; bloß der Kanzler Achtſinit + 1592 ſcheint nod dort
begraben worden zu fein. Es mögen die übrigen in Pforzheim noch
vorhandenen Jahrzahlen und Inſchriften aus dem 16. Jahrhundert,
foweit fie nicht fchon vorgefommen, der Reihenfolge nad) zufammengeftellt
werden: 1527 Stein im Garten von ©. L. Kiehnle, in einer Seiten:
wand eingemauert, (über der Jahrzahl fteht noch die von 1698); 1531:
1) Notizen aus dem Stabtardhiv,
2) Der Nämliche hat auch 1556 das Schloß zu Flehingen erbaut, wie bie
baran befindliche Infchrift beweist,
9) Notiz im Kirchenbuch von 1717,
Zwölftes Kapitel.- Pforzheim im 16. Jahrhunderi. 299
Jahrzahl über einer zugemanerten Gartenthüre unterhalb der Schloßkirche;
1542: Jahrzahl über einer zugemanerten Gartenthür in der Pfarrgaffe;
1554: Stein mit zwei Wappen, (bei einer im Juli 1858 im Thal abge:
brochenen Brüde aufgefunden); 1554: Stein mit Pforzheimer Stadt:
wappen am Fuchs'ſchen Haus in der Bröginger Vorſtadt; 1555: Haus
von Schreinermeifter Veihl unterhalb der Schloßkirche (es ſoll früher
den Herrn von Sachſenheim gehört haben); 1558: artenpfoften am
Holzgartenweg, (am andern Pfoften fteht: ren. 1784); 1560: Jahrzahl
auf einem Gartenpfoften in der verlängerten untern Augaffe (jet nicht
mehr vorhanden); 1560: Pfoſten in der Theaterftraße von Baltas
Jelin (jetzt nicht mehr vorhanden); 1561: Gartenpfoften in der Altftadt;
1564: Stein mit einem lateiniſchen Diftihon (Chronoſtichon), früher
am Testen Haus der Calwer Straße, jet im Befige des Herin Fabri—
fanten Neuhäuſer; die Inſchrift lautet:
TeMpora qVe ponant rogltas sepes operosas
Litera Verba refert ponDere nota tlbl,
d. 5, „du fragft, welche Zeit diefe mühfamen Umzäunungen feste? Der
durch feine Bedeutung bekannte Buchftabe gibt dir darüber Auskunft.“
(Unter folhen Buchftaben find in obigen Verfen diejenigen zu verftehen,
welche zugleich Zahlen bedeuten und des befjern Auffindens wegen
groß gedrudt find; aljo M = 1000, D = 50, L=50, YYV/ =
10, IHI+I+I = 4, zufammen 1564.) Diefer Stein rührt wahrfchein-
lich von einer Umfriedigungsmauer der frühen St. Georgs- Pflege, die
in der Nähe ftand, oder von der ehemaligen Stadtmauer, vielleicht auch
von einem Garten herz; — 1565: Gartenpfoften am Holzgartenmeg ;
1566 : Gartenpfoften in der Altftadt ; 1566 (und 1570): Jahrzahlen mit
Mappen am Gartenhaus von W. Neuhäufer an der St. Georgsiteige ;
1568: Haus von Gärtner Frank in der großen Gerbergaffe; es ſtand
dafelbft, wie auch das darauf befindliche Mühlrad zeigt, früher die Wag—
mühle (S. 160); 1574: ältefter Grabftein auf dem Kirchhof (Peter
Schopf und Frau); 1584: älteſter Grabftein auf dem Friedhofe bei der
Altftädter Kirche (Joachim Giftheil, Pfarrer zu Nöttingen) ; 1584: Gar:
tenpfoften in der Altftadt; 1584: Stein in einer Mauer an der Dill:
fteiner Straße; 1587: Jahrzahl mit zwei Wappen über dem üftlichen
Eingang ing Amtshaus; 1594: Thörchen in der Stadtmauer bei der
300 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrbundert.
Gruner'ſchen Lohſtampfe; 1595: Gafthaus zum Karpfen in der Au;
1596 : Jahrzahl mit Wappen am Rohreck'ſchen Hauſe; 1596: Grabitein,
im Hof von Peter Dittler eingemauert (Hans Veit Breitfchwert); 1599:
Grabjtein von Schiffer Abrecht, mit hübjcher bildlicher Darftellung, auf
dem Altſtädter Kirchhof.
Auf die Lage einzelner Privathäufer der Stadt einzugehen, würde
zu weit führen, obgleich dazu Anhaltspunkte genug geboten wären; es
möge deshalb nur noch wie früher der adelihen Käufer gedacht werden,
deren Zahl aud im 16. Jahrhundert ehr bedeutend war, da Pforzheim
als größte Stadt der ganzen Markgraffchaft und Nefidenz derfelben auf
den ummohnenden Adel Feine geringe Anziehungskraft übte, Es waren
folgende : 1500 von Hertingshaufen (am Viehmarft); 1501 Bern:
hard von Bad; 15014 Ludwig von Eifingen; 1502 Hans von
Weiſſach (Gerberyafie); 1502 Hans von Komersheim (große Ger:
bergafie); 1502 Anton von Gertringen (Hinter dem Predigerffofter);
1502 Jürg von Münchingen (Bröginger Vorftadt); 1502 Philipp
Leutrum von Ertingen (bein Predigerflofter); 1536 Sebaftian von
Gültlingen (Predigergäßlein, ging an Dietrich von Gemmingen ıc.,
fiehe oben); 1537 Ludwig von Neipperg (Kirch oder Schloßberg);
1539 Konrad von Wallftein; 1544 von Riepur (beim Schloß);
1548 Chriſtoph von Landenberg (beim Prediger: Kirchhof); 1555
Ehriftopg von Mündingen (beim Prediger Klofter); 1556 Melchior
von Schauenburg!) (unterhalb des Schloffes), ging 1560 über an
Mäntel von Steinfels, (der noch zwei Häufer in Pforzheim befaß);
1558 Peter von Menzingen; 1560 Sebold von Siglingen; 1560
von Kaltenthal (am Schloßberg); 1560 Gred von Kochendorf;
1567 Ludwig Wolff von Flehingen (in der Lammftrake); 1569
Kehler von Schwandorf (beim obern Bad), 2) 1570 Daniel von
Remchingen (am Viehmarkt);3) 1572 Ludwig von Neuhauſen
1) Der Grabftein einer 1555 geitorbenen 11 Monat alten Kunigunde von
Schauenburg, wahrſcheinlich eines Töchterchens bes Obigen, ift in der Schloß:
kirche.
2) Der Grabſtein eines Hans Kechler von Schwandorf und feiner dran
Margaretha von Winded vom Jahr 1507 ift in der Schloßfirdhe.
2) In der Schloßkirche ift der Grabftein einer 1562 geftorbenen Katharina
von Remchingen, geb. Schenfin von Winterftetten.
Zwölftes Kapitel, Pforzbeim im 16. Jahrhundert, 301
(im Predigergäßlein); 1577 Hans Dietrih von Nothafft (am Brö-
singer Thor); 1579 Gremp von Freudenftein (am Viehmarkt).
Bon jest noch vorhandenen Bürgergefchlechtern kommen ſchon im
16. Zahrhundert vor: 1) Aab (Ab, Ap, Ch, Obb,) Baftian, Simen
Hans, Bartle 1519, — Abrecht (Abricht, Obrecht, Obricht, Obrich,),
Hans, 1602, — Baumann, Hans, 1565, — Becker, Wilhelm,
1502, — Bub, Hans 1519, — Bud, Alban, 1539, — Deim—
ling, Bechtold und Valentin 4565, — Dittler, Mathias, 1519, —
Enderle, Peter, 1519, — Erhard, Peter, 1519, — Effig, Hans,
1539, — Eudele (Eihlin, Aichelin, Nichelein,) Simon und Hans,
1519, — Fauler, Erhard, 1502, — Felner oder Feldner, Michel,
1583, — Heinzelmann, Georg, 1565, — Jaifer (Haile, Jeisle,
Jaißlin), Jakob, Hafner, 1583, — Keller, Hans, 1519, — Ker:
her, Matth. 1502, — Lenz, (Xenk, Link, Linz, Lone, Leine), Jörg,
1502, — Leyerle, Jakob, 1539, — Lotthammer, Serg, 1502, —
Meerwein, Matth., 1502, — Meier, Klaus, 1519, — Ringer,
Adam, Leineweber, 1565, — Rothader, Alerander, 1509, — Saif,
Jakob, 1519, — Schäfer, Endris, 1565, — Schanz, Joh., 1533,
— Schmidt, Stoffe, Steffen, Jakob, Wendel, Simon, Bartlin, 1519,
— Stief, Jakob, 1519, — Türk, erg, 1519. —
Schließlich mögen bier noch, wie immer, die Namen der erften Ber
amten der Stadt überfichtlich zufammengeftellt werden. (Vergl. ©. 188.)
Dbervögte waren: 1518 Blicker Landſchad von Steinah, 1526
Stephan von Gültlingen, 1531 Eberhard von Reiſchach, 1541 Volker
von Uzlingen, 1565 Chrift. Meyer, Vogtamtsvermefer, 1565 Chriftoph
Kechler von Schwandorf, 1580 Chriſtoph Schöner von Straubenhart,
1588 und 1589 Valentin Kurz, Ober: und Untervogtamtsverweier,
1589 Hans Jerg Stein von Neichenftein, 1590 bis 1596 Piſtor von
Seuslig. — Us Schultheigen werden genannt: 1521 Joh. Wild.
Heß, 1527 Philipp Vollandt, 1541 Ulrich Sayler, 1567 Joh. Hörger.
— Bürgermeifter waren: 1527 Auguftin Lennhardt, 1533 bie
1538 Peter Gößlin, 1566 Jakob Simmerer, 1580 Veit Breitichwert,
1582 Hang Krumm, 1585 Peter Gößlin,
1) Man vergleiche dazu die Zufammenftelungen S. 133 und 164.
302 Zwölftes Kapitel. Pforzbeim im 16, Jahrhundert.
$5. Kirchliche Verhältniſſe Pforzheims im Weformationszeitalter. 1)
A. Bor der Einführung der Reformation in
Baden-Durlach.
(1617 - 16566)
Die geſetzliche Einführung der Reformation in Baden-Durlach, alſo
auch in Pforzheim, erfolgte zwar erſt im Jahr 1556; aber die erſten
Verſuche, der Lehre Luthers in diefer Stadt Eingang zu verfchaffen,
fallen in eine weit frühere Zeit, und es ift jedenfalls eine eigenthümliche
Erſcheinung, daß diejenigen Männer, an denen der Faden der Refor-
mationsgefchichte in unferm Vaterlande fortläuft, meift geborene Pfor-
beimer oder Zöglinge der Pforzheimer Schule waren. Ebenfo darf
nicht unbemerkt gelaffen werden, daß die Pforzheimer, in deren früherer
Geſchichte als eigener Charakterzug das Beſtreben, Alles, was fie unter
nahmen, ganz, Nichts halb zu thun, mehr als einmal zu Tage tritt,
ſich der neuen Lehre eben fo entjchieden zumandten, als fie bisher eifrig
Eatholifch gemwejen waren. Sie bewieſen fi in der Folge auch als
foldye, welche nie wankten, fondern der evangelifchen Xehre, wie fie von
Mittenberg ausgegangen, unter allen Umftänden treu blieben. Die Vor:
fälle der Jahre 1601, 1604, 1622, 1635 und 1643, die weiter unten
erzählt werden follen, mögen dafür den Beweis liefern.
Es kann als befannt vorausgejeßt werden, welches große Verderben
nad) und nach in der Kirche eingerifjen und wie der Ruf nad) einer
Reformation derfelben an Haupt und Gliedern immer lauter und drins
gender geworden war. Sehr viel zur Berbreitung foldher Ideen trug
die um das Jahr 1440 von Guttenberg aus Mainz erfundene Buch—
druderkunft bei, Die Schriften, welche die Zuftände der Kirche beleudhe
teten und durch die Preſſe mit fo leichter Mühe vervielfältigt werden
konnten, wurden allenthalben begierig gelefen und bereiteten die Gemüther
auf die wichtige Veränderung vor, welche nun bald erfolgen jollte,
Auch in Pforzheim wirkten verfcjiedene Umftände zujammen, der
) Hauptquellen: Vierordt, Gefhichte der evangelifchen Kirche in Bas
den; — Vierordt, de Johanne Ungero, Pforzhemiensi (Beilage zum Karls:
ruber Lygeumsprogramm für 1844), Alten und Manuferipte des Landesarchivs,
verihiedene Schriftftüde des Stadtarchivs. Wo aus nod andern Quellen ge
Ihöpft wurde, ift dies unter dem Tert bemerkt.
Awölftes Kapitel, . Pforzheim im 16. Jahrhundert, 303
neuen Lehre einen günftigen Boden zu bereiten, Daß früher fchon
die huffitifche Xehre in Pforzheim Eingang gefunden, ift bereits (S. 154)
erwähnt worden, und mochte diefer Umftand nicht wenig dazu beigetragen
haben, mandye Bewohner der Stadt auf das, was noth that, aufmerkſam
zu machen. Die damals jo blühende Pforzheimer Schule, in weldyer
die klaſſiſchen Studien mit Eifer gepflegt wurden und aus ber fo viele
für die Reformation begeifterte Männer bervorgingen, mochte auch dazu
mitwirken, die Köpfe ihrer fonftigen Pforzheimer Schüler zu erhellen und
für Reformationsideen empfänglic zu machen. Aus der Druderei von
Anselm in Pforzheim (Seite 189 ff.) gingen verfchiedene Schriften
hervor, welche Firchliche Gegenftände betrafen und ohne Zweifel auch in
der Stadt, in welcher fie ans Licht traten, mit Begierde gelefen wurden.
Außer den Schriften Reuchlins ift hierher namentlid, ein Bu Wimpfe
lings 9 zu rechnen, weldes im Jahr 1506 in Pforzheim erfchien und
in dem er unter Anderm über die pofjenhaften Auftritte klagt, welche in
der Kirche vorkämen, 3. B. wenn Möndye einen Laien unter ihren Zu:
börern dazu beftellten, daß er ihnen mitten in der Predigt allerlei Furz-
weilige Cinwürfe made. So habe er unlängft mit angehört, wie ein
Brediger mit den Worten unterbrocdyen worden fei: „Du lügft, du feifter
Mönch!“ Gewöhnlich erhebe dann das Volk ein fchallendes Gelächter,
und fo werde die evangelifhe Wahrheit in elende Poſſenreißerei verkehrt.
— Wie durch ſolche Schriften, fo wurden auch durch ſatyriſche Bilder,
die man da und dort fogar an und in den Kirchen antraf, manche Miß-
bräuche und Mißftände gegeißelt. So befand fi in der Stiftskirche
zu Pforzheim bis zum Jahr 1556 ein fehr altes, kunſtreich geftidtes
Kiffen an der Rückwand besjenigen Lehnftuhls, auf welchem der Probft
bes Stiftes zu fiten pflegte. Es ftellte einen Wolf vor mit einer
Mönchskapuze, aus der eine geraubte Gans auf feinem Rüden herab:
ing. Der Wolf ftand auf einer Kanzel, unter welcher ein Fuchs lauerte,
las aus einem Buche vor und hatte als Zuhörer eine Menge Gänfe,
1) Bergl, S. 190: Jacobi Wimphelingii Apologia pro republica christiana,
Jakob Wimpfeling aus Schletiftabt war einer der eifrigften Vorkämpfer für
die Reformation. Er griff in zahlreichen Schriften bie kirchlichen Mipbräude
an und wirkte auch im Geifte der religidien Aufflärung auf feine Schüler ein,
während er als Lehrer im Heidelberg, Freiburg, Straßburg und Schlettſtadt
thätig war.
304 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
die im aufgeiperrten Schnabel Paternofter trugen. Nings um den Wolf
ftand der Reim:
Ich will euch guitte Fablen sagen,
bis ich füll den meinen Kragen,
Mit welchem Eifer ſelbſt Kloftergeiftliche den Lehren, welche durch
die Neformation zur Geltung kamen, ſchon im Voraus zugethan waren,
und mit welcher Entjchiedenheit fie fich dazu befannten, davon gibt ein
Beifpiel der Guardian des Franzisfanerflofters zu Pforzheim, Konrad
Kürsner, auch Pelikan genannt, Derfelbe war ein Schüler Reuch—
fing, wurde 1501 im Pforzheim ordinirt und hatte ſchon 1506 in Bafel,
wo er noch vor feinen Lehrer Neuchlin (1503) eine Anleitung zum
Studium der hebräiſchen Sprache herausgegeben hatte — der frühefte
gedructe Verſuch dieier Art — feine Zweifel bezüglich verfchiedener Lehren
der Kirche nicht geheim gehalten. Während er die erwähnte Stelle im
Nranzisfanerffofter zu Pforzheim (4511 — 1514) beffeidete, 1) ftand er
in den freundfchaftlichften Beziehungen zu Dekolampad (Hausfchein)
in Heidelberg 2) und dem Prediger Wolfgang Capito (S. 195) in
Brucfal. Die Freunde famen oft zufammen, und bei einer der Unter:
vedungen, welche fie bei folchen Gelegenheiten pflogen, theilte Kürsner
dem Prediger von Bruchfal auf deffen Bitte feine Anficht vom heiligen
Abendmahl mit und fügte Hinzu, es fei Pflicht des geiftigen Menjchen,
nicht alle Lehren der beftchenden Kirche ohne Weiteres hinzunehmen,
fondern fie nad) dem Haren Ausdruck der bibliichen Offenbarung, ale
der höchſten Einficht, einer Prüfung zu unterwerfen. Als Kürsner noch
Manches in ähnlichem Sinn über die ſogenannten kirchlichen Autoritäten
binzufügte, verficherte Eapito, der Meifter habe ihm aus der Seele ge:
redet, und anf die Zeit habe man fi zu freuen, wo die erkannte
Wahrheit nimmer in der Bruft verfchloffen werden müſſe. Es läßt ſich
1) Gleichzeitig mit Kürsner war auch Sebaftian Münfter in diefes Klo:
fier getreten. Er verließ basjelbe aber bald wieder, um 1515 in Tübingen ges
meinfchaftlich mit, Melanchthon feine Studien fortzufegen, und wurde jpäter
Profeſſor der hebräiſchen Sprache und Hofprediger zu Heidelberg. Unter feinen
zahlreihen Schriften ift bejonders die deutche Kosmographie zu bemerken, bie
er zuerſt 1543 herausgab. (Bergl, S 292.)
2) Damals Lehrer der griehiihen Sprache dafelbft, jpäter Profeffor an ber
Univerfität in Baſel. Bekanntlich nimmt er unter ben fchweizeriichen Refor—
matoren eine ehrenvolle Stelle ein. Er farb zu Bajel im Jahr 1531.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16 Jahrhundert. 305
wohl annehmen, daß Kürsner auch bei andern ähnlichen Beranlaffungen
aus feinen Anfichten über manche Kirchenlehren fein Hehl machte, Daß
er es beifpielweife feinem jüngern Freunde Schwebel 1) gegenüber gethan,
ift gewiß.?)
Als Luther in Wittenberg ſich gegen den Ablaß erhoben und feine
Anfihten über den Mißbrauch, den die Kirchengewalt damit trieb, am
31. Oktober 1517, dem Geburtstag der Neformation, durch jeine 95
Sätze ausgejprochen hatte, waren letztere im wenigen Wochen mit Hilfe
der Preffe in ganz Deutjchland verbreitet, und fanden gleidy andern
Schriften Luthers, die jenen Thefen bald nachfolgten, wie 3. B. über
„den ehelichen Stand,“ über das „Papſtthum“, an den „chriſtlichen Adel
deutfcher Nation“ ꝛc. allenthaiben die lebhafteſte Zuftimmung. Aus
verfchiedenen Theilen unjeres Landes erhielt Luther Jufchriften, worin die
Freude über fein Auftreten ausgeiprochen war und der fühne Neformator
ermuntert wurde, auf der betretenen Bahn fortzuichreiten, — fo von
einem Geiftlichen in Ettlingen, ferner von dem Domherrn Johann von
Bobheim aus Konſtanz, von Kafpar Hedio, damals in Bajel, von Se
baftian Hofmeifter, Profefjor im Franziskanerkloſter zu Konftarz u. A. m.
Kürsner hörte die 95 Sätze in der Gegend von Bafel an der Tafel
eines Kommenthurs öffentlich vorleien, und bekannte fich in Gegenwart
aller Gäfte mit freudiger Entſchiedenheit zu den darin ausgefprochenen
Anſichten. Wie der alte Reuchlin die Nachricht von dem Auftreten
Luthers aufnahm, iſt oben ſchon (S. 171) erwähnt worden.
Auch in Pforzheim felbft follte es an einem Manne nicht fehlen,
der den Muth hatte, öffentlich die Sache Luthers zu der jeinigen zu
machen. Johann Schwebel, ein geborener Pforzheimer und damals als
junger Mönd im Heiliggeiftklofter feiner Vaterſtadt fich aufhaltend, durch
Kürsner und feinen Jugendfreund Melanchthon längft für die Ideen
der Neformation gewonnen, fing im Jahr 1519 mit großer Entſchie—
denheit im Sinne Luthers zu predigen an. Allen fein Auftreten batte
für ihn die Folge, daß er vom Markgrafen Philipp den Befehl erhielt,
Pforzheim zu verlaſſen. Daß jedoch der ausgeftrente Same nicht ver:
1) Man vergleiche hier wie überall, wo von Echwebel die Rebe tft, deſſen
Lebensbeichreibung. ;
2) Es fei über Kürsner hier noch in Kürze bemerkt, daß er im erften Jabr
der Reformation fein Ordenskleid ablegte, fih verehelichte und in hohem Alter,
als Profefjor der griechiſchen und bebräifhen Sprache in — ſtarb.
Pfluͤger, Pforzheim. 0
306 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
foren war, zeigt die Gefchichte der folgenden Jahre, und mag das Auf:
“treten Schwebelg mit Urfache geweſen fein, daß ſchon 1520 und in den
folgenden Jahren viele Konventualen des Predigerkiojters zu Pforzheim
dasfelbe verließen und in den weltlichen Stand zurüdtraten. Zu den-
jenigen, welche in ‘Pforzheim alsbald für die Sache der Reformation
gewonnen worden waren, gehörte auch Georg von Leutrum, und wenn
Schwebel ihn und die andern Pforzheimer Freunde der evangelifhen
Wahrheit von feinem Eril aus zur Standhaftigfeit ermahnt, jo geht da=
raus hervor, daß die Lehre Luthers in Pforzheim auch jonftige Anhänger
zählte. Diefe mochten nicht wenig darüber erfreut fein, daß Schwebel
vom Markgrafen noch im nämlichen Jahr die Erlaubniß erhielt, in feine
Vaterſtadt zurücdzufehren. Sicher war audy ein vorübergehender Aufent-
halt Huttens 1) in Pforzheim in Sommer 1521 nit ohne Einfluß
auf die Entwicklung der VBerhältnifje geblieben. Was den Markgrafen
Philipp betrifft, dem damals, wie bereits erzählt, die untere Markgraf:
haft und fomit auch Pforzheim gehörte, jo darf aus der Vertreibung
Schmwebels Feineswegs geihloffen werden, daß jener Fürft der Sache der
Reformation abhold gewefen wäre. Er zeigte ſich im Gegentheil in den
folgenden Jahren als Gönner gemäßigter Neformationsmaßregeln, und
zwar nicht bloß in Bezug auf fein eigenes Land, fondern bald nachher
als kaiſerlicher Neichsftatthalter oder Worfibender des Neichsregiments,
wozu er 1524 durch das Vertrauen in feine anerkannten Einſichten be
rufen wurde. Freilich mochte gerade dieſes wichtige Amt auch mit Ur:
fache fein, daß Philipp fich ſpäter nicht entfchieden in die Reihe ber
evangeliichen Reichsſtände ſtellte. Schon ſeit 1520 hielt er die Kollas
toren badifcher Pfarreien mit Strenge an, für gewifienhafte Beſetzung
2) Bei Gelegenheit eines Beſuches, den er Franz von Eidingen machte,
welcher fih damals in Wildbad aufbielt. Vergl. „Ulrih von Hutten,“ von
Dr, D. F. Strauß. 1857 Thl. IV. ©. 196, wo von dieſem „Ritt nad Pforze
beim” in wenigen Worten die Rebe ift. „Ulrih von Hutten, ber geiftvolle,
mutbige Kämpfer für Licht, Freiheit und Recht, ber Luther feinen Schuß an«
geboten hatte, der Mitbefämpfer ber Mönche in den Briefen der Dunfelmänner,
der trefflihe Dichter, der deutihe Mann, der 400 Kronen Zahresgehalt ver:
ihmähte, weil Frankreich, nicht Deutjchland fie ihm bot, ber in freiwilliger
Armuth lebte und nur feine Feder Kinterließ, vom Papft verfolgt und von ben
Fürſten aufgegeben war, ftarb 1523 einfam und verbannt auf der Infel Ufnau
im Züricher See, ſchon im 36, Jahre feines Lebens, aber unvergefjen von ber
Nachwelt.” (Böttiger, deutſche Geſchichte, S. 398.)
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 307
ber leßtern zu forgen. Ebenſo befahl er in einem Ausfchreiben an die
Pfarrer vom 6. September 1522, den Frieden der Kirche zu erhalten,
ohne Zankſucht das Volk aus der heiligen Schrift als der Quelle des
göttlichen Wortes zu belehren, aber feine Aenderung in der Weffe oder
im übrigen ottesdienft vorzunehmen, ehe eine ſolche Aenderung durch
eine allgemeine Kirhenverfammlumg angeordnet werde. Da:
rauf bauten Philipp und die folgenden badiichen Markgrafen ihre Hoff:
nung bezüglich einer Kirchenverbefjerung, und die Hoffnung auf eine
geſetzliche Löſung der Firchlichen Fragen auf folhem Wege war der Haupt:
grund, daß die Neformation in Baden erft fpäter als in manchen andern
deutjchen Ländern eingeführt wurde, Ebenſo wird es daraus erklärlich,
warum auch Markgraf Philipp bei feiner Achtung vor der Kaiferlichen
Autorität und den Beichlüffen der Neichsverfammlungen, je nachdem die-
felben den NReformationsbeftrebungen günftiger lauteten oder ihnen ent:
gegentraten, auch fein Benehmen in feinem Lande diefen Beftrebungen
gegenüber einrichtete, jo jehr er im Allgemeinen von der Nothwendigfeit
einer Kirchenverbeſſerung überzeugt war.
As die Prefien Pforzheims im Sinne der Reformation thätig
zu werden begannen, legte ihnen bev Markgraf Feine Schwierigkeiten in
den Weg. Datirt vom 1. Dezember 1522 erjdien in Pforzheim eine
Drudichrift Schwebels unter dem Titel: „Ermahnung zu den Queftio:
nirern, überflüffige Koften abzuftellen.” (Bergl. ©. 192.) Eine Pre:
digt: „Weber den guten Hirten Chriftus”, welche Schwebel bei einem
neuen Befuche in feiner Vaterftadt 1524 in der Spitalkirche dafelbft - ge:
balten hatte, erſchien ebenfalls im Drud, und erlebte in kurzer Zeit
drei Auflagen, deren eine von einem Brief Gerbels 1) begleitet war,
worin er feine Tandsleute zu Pforzheim ermahnt, der einmal erkannten
evangeliihen Wahrheit treu zu bleiben. Sogar ein Laie trat damals
zu Pforzheim für die Sache der Reformation als Schriftfteller auf:
Johannes Greyffenberger, Buchdruder und Maler zugleich (S. 192).
Eine feiner Schriften richtete fi gegen „die falfchen Propheten, vor
benen ung Chriftus gewarnt bat,” und fordert die Melt auf, die Augen
zu öffnen bei den „Gräueln der Möndye, Biihöfe und Doktoren der
hoben Schulen, welche nicht Ehriftum predigen.* In einer andern
1) Man vergleiche die Lebensbefchreibung biefes ſo ausgezeichneten Zöglings
und jpätern Lehrers der Pforzheimer Schule. 90 *
308 Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Schrift, welche unter dem, Titel erfchien: „Dieß Biechlin zaygt an,
was ung lernen und gelernt haben unfer Maifter der Gefchrift” —
vertheidigt er Luthers Lehre vom rechten Glauben gegen die Werkheilig—
keit. ine dritte, welche die Auffchrift führt: „Die Welt fagt, ſy
ſehe kain Befjerung von denen, die ſy lutheriſch nennt“, erlebte gleich
nach ihrem Ericheinen 1524 eine zweite Auflage. Eine vierte, gleichfalls
vom Jahr 1524, enthält „eine chriftenliche Antwordt denen, die da Iprechen,
das Evangelium hab’ jein Kraft von der Kirchen,” m einer fünften,
mit dem Wahlfpruche: „Den Armen würdt das Evangelium gepredigt”,
veripricht Grenffenberger „ein troftliche ermanung den angefochtenen im
Gewiſſen,“ und fo läßt er ſich noch im drei andern gleichzeitigen Fleinen
Schriften über Ähnliche Gegenftände aus, 1)
Sobald die Reichstagbeſchlüſſe zu Nürnberg nimmer fo ungünftig
gegen die Neformation lauteten, beförderte auch Markgraf Philipp ent—
fchiedene Neformationsfreunde zu wichtigen geiftlihen Stellen. Als
Stadtpfarrer zu Ettlingen ericheint 3. B. der gelehrte Irenicus
(S. 196), und befand fich derielbe fogar im Gefolge des Markgrafen,
als diefer fi 1526 zu dem Meichstag nach Speyer begab. Hier pres
digte Irenikus offen in evangelifchem Sinne. Die Predigerſtelle an der
Stiftskirche zu Pforzheim überting der Markgraf 1524 dem aus diefer
Stadt gebürtigen Jugendlehrer Melanchthons, Johann Unger oder
Ungerer,?) nachdem derſelbe von 1511—1524 die Stelle eines Rek—
tors an der dortigen lateiniſchen Schule befleidet hatte, und erlaubte ihm
fogar 1527 die Ehe, ohne ihm feine Pfründe zu entziehen. Im Ge:
gentheil erhielt Ungerer mehrfach, Beweife der Gewogenheit feines Fürften.
Hatte Markgraf Philipp in folher Weife weientlih im Sinne
firchlicher Verbeſſerungen gewirkt, jo nahm er jeit dem Jahr 1525 noch
andere wichtige Neformen vor, namentlich als der Neichstag zu Speyer
1526 den Beihluß gefaßt Hatte, daß bis zum Zuſtandekommen einer
allgemeinen Kirchenverfammlung jeder Reichsſtand es in feinem Gebiete
in NReligionsjachen io halten könne, wie er e8 vor Gott und dem Kaifer
zu verantworten ſich getraue. So ftellte er in feinem Lande feine
Geiftlihen mehr an ohne ftrenge Prüfung ihrer Tauglichkeit, drang auch
nicht auf Chelofigkeit derfelben, weil diefe auf Volt und Priefter gleich
1) Banzers Annalen, I., 96, 180, 285, 331.
?) Näheres über ihn im feiner Lebensbeichreibung.
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 309
ſchädlich wirke. Sole Kleriker, die, ftatt ihren Dienftpflichten nachzu—
fonımen, die Pfründen anderswo verzehrten, erklärte er derfelben für
verluftig und zog die Pfründen zum Vortheil der Kirdhe ein. Dies
geihah unter Anderm dem Frühmeßner Jakob Sehemann in der Alt
ftadt zu Piorzbeim Ihm wurde, weil er nicht Präſenz leiftete, feine
Pfründe, deren Kollatur das Jahr vorher dem Markgrafen dur das
Klofter Hirfchau übergeben worden war, faut fürftlihen, an den Vogt
Stefan von Gültlingen zu Pforzheim gerichteten Schreibens vom 26. Juli
1526 genommen und beftimmt, daß die Cinfünfte derjelben, die im
Geld, Hühnern, Früchten und Zehnten bejtanden, durch zwei ehrbare
Männer verwaltet und zur Wiederherſtellung des Langhauſes der Alt:
ftädter Kirche verwendet werden ſollten. (Ueberhaupt wurde aud die
Altſtadt damals wieder zu einer eigenen Pfarrei erhoben, nachdem fie
‚ lange Zeit bindurh von der Schloßkirche aus durch Helfer verfehen
worden war. Als Filiale gehörten dazu: Würm, Huchenfeld, Dillftein
und ein Theil von Meißenftein (wo die jeßige Kirche ſchon 1521 ftand),
fowie das Sonderfiehenhaus zu St. Georg.) Auf der andern Seite
fuchte aber auch der Markgraf die gefuntenen Pfarrfompetenzen wieder
zu erhöhen, wie ein Schreiben vom Jahr 1525 (Samftag nad) Dionys)
an Vogt, Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und Nath der Stadt Pforz-
beim beweist. Wie früher fhon, jo ertheilte er auch im dieſem Jahr
einigen Pforzheimer Dominifanern die Erlaubniß zum Austritt aus
ihrem Klofter. 1) Ihre Namen find: Balthaſar Sarhirt aus Xieben-
zell, Andreas Biel aus Gartach, Balthafar Wurm aus Liebenzell, Bal-
thafar Haen aus Pforzheim, Alexander Frei aus Mertesheim und
Peter Walter aus Enfisheim. Außerdem ſuchte der Markgraf die
Prozeſſionen allmälig abzufchaffen, die Feier der Meſſe auf die Sonn:
und Feſttage zu befchränten, die Belehrung durch Predigten zu verviel-
fültigen, weshalb er ſolche auch an den Werktagen zu halten gebot. Als
Slaubensnorm empfahl er den Geiſtlichen die heilige Schrift, die er
1529 in deufher Sprache zu Durlach druden ließ. Beim Gottesdienft
führte er deutſche Geſänge ein und erlaubte den Geiftlichen, Kranken, bie
es verlangten, das Abendmahl unter beiderlei Geftalt zu reihen. Sonft
geftattete jedoch der Markgraf am äußern Gottesdienft feine Aenderung,
und ließ namentlich die Abſchaffung dev Meſſe nicht zu, obgleih ihm
') Züngler Notate: Religion, Kirhengut, Spitäler x. 1629.
310 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
ſchon i. J. 1526 Männer, wie der erwähnte Irenikus, wiederholt zu:
iprahen. a, er beftrafte fogar ſolche Geiftliche, welche fich in äußern
Kultformen Willkürlichkeiten erlaubten, und ließ 3. B. den Pfarrer von
Düren bei Pforzheim, welcher an manchen Sonntagen Feine Meſſe oder
doch nur eine deutiche las, and Salz und Waſſer nimmer fegnete, durd)
den Vogt Stefan von Gültlingen zu Pforzheim, indem er in die an
Anfehen jehr geſunkene Strafgewalt der Biſchöfe eingriff, geradezu eins
iperren. Sonjt nahm ſich der Markgraf evangeliſch gefinnter Geiftlichen,
welche in andern bdeutfchen Gebieten ihres Glaubens wegen bedrängt
wurden, gerne an, und übertrug unter Anderm dem Subprior des
Klofters Herrenalb, welcher der Tutherifchen Lehre zugethan und aus dem
Kloſter in feine Vaterſtadt Pforzheim geflohen war, 1530 die Pfarrei Weiler.
Es ift oben ſchon bemerkt worden, daß Markgraf Philipp ſich in
Neligionsfadhen immer gern an die Reichstagsbeichlüffe hielt. Wenn diefe
den Neformationsbeitrebungen günftiger lanteten, jo war er auch nicht
abgeneigt, manche zeitgemäße Aenderungen zu geftatten; doc konnte er
fi) mit rafchen Neformen nie befreunden und drang befonders feit 1528
auf Beibehaltung der hergebrachten Kultformen und Wiedereinführung
vieler Ceremonien, die durch manche Geiftliche eingeftellt worden waren.
As der Markgraf jedoch auf dem Reichstag von Speier 1529, auf
dem bekanntlich die evangelifchen Neichsftände wegen ihrer Proteſtation
‚gegen den Neichstagsabichied den Namen Proteftanten erhielten, um:
fonft bemüht geweſen war, der neuen Kirche einen gefetlichen Beftand
zu verichaffen, als vollends von dem Reichstag in Augsburg 1530 auf
welchem die Proteftanten dem SKaifer ihr von Melanchthon verfaßtes
Glaubensbekenntniß, die fogenannte Augsburger Konfeffion, über:
reichten, nur feindjelige Beſchlüſſe gegen die ewangeliiche Lehre erfolgten:
da fügte ſich auch Philipp in den meiften Stüden dem Sinn der Reiche:
abjchiede und fiel, wie fich ein damaliger Chronift ausdrüdt, „fein ge
mad wieder zum Papftthum abe.” Möglich, daß auch das Zureden
zweier Eaiferlichen Näthe, die den Markgrafen 1528 in feiner Refidenz
Baden beiucht hatten, nicht ohne Erfolg geblieben war, und daß bie
Furcht vor der Ungnade des wieder nad) Deutſchland zurückgekehrten
Kaifers 1) ihm mit bewog, im feinen Begünftigungen der Reformation
1) Karl V. hatte vorher in Italien einen blutigen Krieg mit Franz I.
von Frankreich geführt, und war überhaupt mehr im Ausland, als in Deutſch—
land jelbft beſchäftigt.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 314
manche Beichränfungen eintreten zu laſſen. Diele der Neformation
ftreng zugethane Geiftliche, die anderswo ein Unterfommen finden konn:
ten, ſuchten deshalb die badifchen Dienfte zu verlafien, fo z. B. ber
mehrerwähnte Irenikus in Ettlingen, der 1530 einem Ruf nad) Gem:
mingen folgte; andere legten geradezu ihre Stellen nieder. Diefe Ver:
änderung in den Öefinnungen und dem Benehmen des Markgrafen war
auch nicht ohne Einfluß auf die Geftaltung der kirchlichen Verhältniſſe
zu Pforzheim.
Die Bewohner diefer Stadt waren bereits der Lehre Luthers eifrig
zugethan und hielten fehr darauf, daß ihnen das Wort Gottes nicht nur
recht fleißig, fondern auch im Sinne der heiligen Schrift verfündet
würde. So fehr man nun auch mit dem Gtiftsprediger Unger zufrie:
den war, dem deshalb manche Beweiſe der Liebe und Verehrung, fo:
wohl von Seiten des Markgrafen, als der Bürger, zu Theil wurden,
fo wenig ſchien Teßtern ihr Pfarrer zu genügen, woran mun freilich
fein Förperlicher Zuftand hauptfächlich die Schuld trug. Es wendete ſich
deshalb Schultheiß und Geriht am Mittwoch nah St. Thomas 1529
mit folgender Bitte an den Markgrafen: „Wiewol wir ein gut Zytt
nit wenig gebrechen und mangel an unjerem Pfar befunden, derohalb
wir gut fug gehapt, folidy gebrechen an Ewre fürftlihe Gnaden langen
ze laſſen; Haben wir uns doch gelitten, der hoffnung, es folle fih mit
ime gebeffert haben. Diewyl aber fih fon Krankheit täglich mert, alfo
daß er ganz felten ußgon, und, wann er gleich webern (d. h. predigen)
mag, ift er doc) fo heißerer Ned, dag man ine nit merden noch veriton
fann, und zu dem allem er fein geſchickten oder touglihen Miethern
(Vikar oder Diakon), mit dem ein Gemeind verfehen (wäre, hat): haben
wir nit follen unterlajien, Ewrer Fürftlichen Gnaden def anzuzeigen, und
bitten underteniglih, Ewrer Fürftl, Gnaden welle hierzu gnedigs Inſehen
thon, unferen jeßigen Pfarh mit einer andern pfrund in ander weg,
bargegen uns mit einem geſchickten Pfarhern, fo der gemeind mit ver—
fündung des Wortes Gottes und fonft vorſton konde, gnediglich vers
fehen.” — Diefer Bitte war noch eine andere beigefügt, woraus einer:
jeit8 hervorgeht, wie fehr der ftädtifchen Behörde daran gelegen war, die
Predigten möglichit allen Bewohnern der Stadt zugänglich zu machen,
andererjeits entnommen werden kann, daß ähnliche Klagen, wie man fie
heut zu Tage noch oft vernimmt, fchon vor mehr als 300 Jahren laut
wurden. „Am Andern,“ jo beißt es weiter in der erwähnten Bittfchrift,
319 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
„nachdem, daß dev Kirchgang zu St. Micheln in die Pfarrkirch etwas
mühſam und findenden wybern, alten Franken Lüten, ouch fonderlih den
armen, fo mit Kindern beladen und der Kirchen wytt geſeſſen (d. h.
weit von der Kirche entfernt wohnen), befchwerlich, alfo daß viel Volkes
das Gottes wort nit hören, (darzu «8, wo zu den Parfußern oder Pre:
digern dasjelb verfund wurde, mit gutem Fug kommen mocht) : were
unfer meinung und undertenig bitten an Ew. Fürftl. Gn., zu bewilligen,
daß die Predigt Trevtags und Werktags beichehe in einem der clöfter
durch den Pfarrer und Predifanten. Die Brüder (Mönche) könten in
derjelben zutt mit ivem gefang abjton und dem Worte Gottes
rum (Raum) geben” — Weder Beſcheid auf die letztere Bitte
erfolgte, weiß ich nicht; was das erftere Anfuchen betrifft, jo fcheint der
Markgraf den Pforzheimern den Nath gegeben zu haben, einen Theil
der pfarramtlihen Gefchäfte durch Ungerer beforgen zu laffen; wenn
dies aber nicht ginge und der Diakon feiner Stelle nicht gewachien fei,
fo möchten fie fich jelber nach einem andern tauglichen Pfarrer umfehen
und von ihrer Mahl der fürftl. Kanzlei in Baden die erforderliche
Anzeige machen. Darauf erfolgte eine zweite Eingabe, bdatirt vom
Sonntag nah Eirtus 1530, worin Schultheiß und Gericht die Noth—
wendigkeit eines andern Pfarrers wiederholt darlegten, da der bisherige
mit dem beten Willen wegen fortdauernder Krankheit feinen Verpflich—
tungen nicht nachkommen könne, der Miethling aber ein junger Gejell
und der Bürde nicht gewachien fei, und der Prädikant (Unger) mit
Predigen genug zu thun habe. 1) — Um gleichen Tage (7, Auguft)
wandten ſich Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht und Nath mit folgendem
Schreiben an den Pfarrer Melchior Hellwerk zu Löchgau (bei Befig-
heim im heutigen Mürttemberg): „An den wolgelerten erfamen-
Meifter Melchior, Pfarhern zu Lockheim, unfern fonders guten Freund.
— Nachdem unjer Pfarher Lyps halb zur Verfehung der Pfar untaug-
(ich, haben wir won unfers gnädigen Hern Räth bevelch, umb ein an—
dern umbgeiehen und inen anzuzeigen. Dewyl wir dann bericht (find),
daß der almechtig üch mitt ler und fynen gaben gnediglich begabt, fo
it am üch unfer frundlich bitt, iv wellet üch folih pfarr (darzu mir üch
1) An dielem Schreiben ift von „fRerbenden Läufen“ in Pforzheim
die Rede; auch in Freiburg herrſchte damals bie Veit, d. h. eine anſteckende
Krankheit.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 313
beruffen) unterziehen und zu ung verfügen. Wellen wir ung gern der
maß halten, daß ir darob wolgefallens tragen, und zwyfflen nitt, der
allmechtig Gott werd hiezu ſyn gnad ouch geben, alfo daß es zu ſynem
Lob und unnfer aller Befferung dienen werde, und jo üch gelegen wer,
unnfer Bitt zu hören, wellet üch mit zeiger diß zu ung verfügen, um
von Sachen zu reden; wo nitt, bitten wir doch Euer Antwort, Datum
fonntags nad Sirti anno XXX. Schultheiß, Bürgermeifter, Gericht
und Rath der Stadt Pforzheim.“ — Schon unterm 10. Auguft erfolgte
eine Antwort „Meifter Melchiors an ſyne günftigen Lusherrn in Pfortz—
heim”, worin er jagt, daß er mehr „erjchredt als erfreut“ fei, in eine
„sold fürftlihe Stadt zu geben“, und fich Bedenkzeit ausbittet. Er
nahm auch wirklich den Ruf nach Pforzheim nicht an, weshalb der bie-
berige alte Pfarrer, der fein Unvermögen, den pfarramtlichen Pflichten
nachzukommen, ſelbſt einfab, dem Markgrafen den Kanonitus Marr an
der Stiftäfirche zu Pforzheim zu feinem Nachfolger vorſchlug. Auf eine
vom Markgrafen an die Vorgeſetzten zu Pforzheim unterm 1. März
1532 gerichtete Anfrage, ob der Empfohlene zu fraglicher Stelle auch
geeignet jei, erfolgte unterm 12. März der Beicheid, daß fie nicht wüß—
ten, und auch nicht zu beurtheilen im Stande wären, wie er predigen
könne; was aber feine Perſon angebe, jo hätten fie Bericht, daß er
„von den franzofen ſchaden, dazu das podagra habe, allio das er die
Zytt Hin mit vil inn der Kirchen gewest, wo er dann lips bledigkeit halb
nit mocht webern ꝛc.“ — Endlich im Juni jenes Jahres erhielten die
Pforzheimer einen Pfarrer in der Perfon des Johann Wieland, eines
gebornen Heimsheimers und bisherigen Dechanten des Ruralkapitels
Dberrieringen im Herzogthum Württemberg, welches ſich damals noch
in öfterreichtfcher Gewalt unter ſtreng-katholiſchen Kirchenformen befand.
Schon am 6. Juli trat derjelbe in den Stand der Ehe, wobei der
Prediger Unger die Trauung vollzog und drei andere Pforzheimer
Geiftliche, nämlich Dr. Not, genannt Baihinger, Johann Wild und So:
dann Schwarz Zeugen waren. So hatte Unger einen Kollegen gefun—
den, der ihm in feinen veformatorifchen Beitrebungen aufs Kräftigfte
unterjtüßte,
Diefelben ftießen jedoch bald auf große Schwierigkeiten, da fid)
mittlerweile die Verhältnifje in der oben angegebenen Weiſe zu Unguniten
kirchlicher Meformen geändert hatten. Markgraf Philipp hatte unterm
13. Juni 1531 ein Ausfchreiben an alle feine Amtleute, jo auch an
314 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
den kurz vorher nad) Pforzheim gekommenen Vogt Eberhard von Rei:
ſchach, erlaffen, welcher dasjelbe auch ſogleich publicirte, und worin den
Beamten befohlen war, genau darüber Bericht zu erftatten, wie es bie
einzelnen Geiftlichen ihres Bezirkes mit der Taufe, der Beichte, dem
Abendmahl, der Mefje, den Geremonien ꝛc. hielten. Zugleich ertheilte
der Markgraf dem Benannten die Inftruftion, fireng darliber zu wachen,
daß die heilige Schrift nur im Sinne der kath. Kirche ausgelegt, alle
Feſttage gefeiert, am jedem derfelben Predigt und Meſſe gehalten, alle
Faſttage und Geremonien genau beobadytet, das Volk jedoch hinreichend be—
lehrt werden folle, damit es nicht auf dieſe Äufßerlichen Uebungen, ſon—
dern auf Chriſtum allein fein Vertrauen ſetze. Jeder Beamte follte
überdies eine fchriftliche Erklärung der einzelnen Pfarrer, ob fie diefen
firchlichen Anordnungen nachzukommen gefennen feien, der Regierung
überfenden, die das Meitere ſodann anordnen werde,
Da diefe Negierungsbefehle und ebenfo ein anderer gegen bie
deutſche Sprache bei Taufen den frühern Erlaß, nad welchem den
Kranken der Kelch beim Abendmahl bewilligt worden war, nicht
aufhoben, fo blieb der Kelch auch in Uebung; ebenfo war die Priefterehe
durch jene Verordnung nicht verboten, wie auch aus der Verheirathung
Mielands hervorgeht. Als jedoch bald darauf der Helfer desfelben, den
Chorrod am Arm, mit Hoftie und Kelch, beides bededt, zu einem
Kranken gehen wollte, fo traten ihm auf Befehl des Vogtes Eberhard
von Reifhad die Stadtfnechte in den Weg, mit dem Bebdeuten, „er
folle ſolches fürder abftellen.” Darauf wandte fih Mieland zwei Mal
mit Beſchwerden an den Stadtrath und ftellte demfelben vor, daß ſchon
manche Sterbende, ſeit dev Kelch nicht mehr gereicht werden bürfe, er
Härt hätten, lieber „unverfehen und uff Gottes Barmherzigkeit fcheiden
zu wöllen.“ Auch über die Wiedereinführung der lateinischen Sprache
bei Taufen als einer Sprache, die ja doch Niemand verftehe, befchwere
fi die Gemeinde, und Viele drohten, die Neugeborenen in andere Drte
zu tragen. Er bitte alfo, dahin zu wirken, baß die frühern Verwil—
ligungen aufrecht erhalten würden; geſchehe dies nicht, fo müſſe er bitten,
ihn der Pfarrei, auf welche er ohne fein Zuthun berufen worden fet,
wieder zu entheben. Beide VBorftellungen Wielands überfandte der
Stadtrath mit einem Beibericht an den Markgrafen. Geht aus jenen
hervor, welche Gefinnungen in der Gemeinde über Taufe und Abend-
mahl herrſchten, jo erfahren wir aus diefem die Anfichten des Stadt:
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 315
raths darüber, und können aus Beiden erfehen, wie jehr ſchon mande
Lehren der Reformation in Pforzheim Wurzel gefaßt hatten und mit
welcher Entſchiedenheit diefelben auch von der weltlichen Behörde der
Stadt geltend gemacht wurden. Der Bericht des Stadtraths Tautet
wörtlich (mit Hinweglafiung des Eingangs und Schluſſes): „I. Er ſt—
Lich dewil in reichung des touffs by ung nie nichts geendert, ſondern
alle wefentlihe Stud und Geremonien bisher gehalten worden find, ußer
dag mit Wiſſen Ew. Fürftl. Gnaden die latiniſch ſprach im die tütjch
verdolmetfcht oder verteufcht, damit ein jeder wiffen mag, wozu der touff
nub, was gehandelt, welche inſatzung und wie der touff beſchehe, und
damit der verderplichen Sect des Miedertouffs merklicher widerftand be:
ſchehe, wie fi) dann diefelb Sect allhie offtmals inflichen wollen: 1)
fo bitten wir Em. Fürftl. Gn. underteniglih und Tut, umb Gottes Ehr
und der armen Gewiffen und der Selen Geligfeit willen, die wolle gne—
diglich zulaffen, die Kinder teutfch zu touffen. — 2. Am Ans
dern, dewil Ew. Fürſtl. Gn. ußfchreiben, fo in Ew. Fürſtl. On. Land
allenthalb offentlidy verfündt, ußtrudlih, vermag, daß den Kranken in
Todesnöten das heilig Nachtmal Chriſti (d. h. unter beiberlei
Geſtalt) gehalten werden möge, und dewil vil erlih und fromme Lüt
bisher mit Nießung des heiligen Nachtmals uß diefer Zyt ungezwyvelt
Gott gefelliglich gefcheiden find: fo bitten wir Ew. Fürftl. On. abermals
unbderteniglichft, die wolle daßelb Hinfüro uns und andern gnediglichſt
nitt verhalten, fondern, unfres Herrn Chriſti Inſatzung nad, ſyn heiligft
Lip und: Blut im heiligen Sacrament in Nöten gedyhen, und den ellen-
ben Siwermern und Zwingliſten (!) nitt Naum geben, den armen Grey:
Ben in legten Nöten iv Heil und Troſt nitt entziehen, noch dahin kom:
men lafjen, daß fie ohne dieß göttlich und höchſt Sacrament mit größter
geverd irer Selen hinfaren.“
Diefe Bitten des Pfarrers und der Gemeinde hatten den gewünſch—
1) Zu den Wiedertäufern aus unferer Gegend, welche namentlich in bem
unter öſterreichiſcher Herrichaft ftehenden Württemberg aufs Graufamfte verfolgt
wurben, gehörte auch Georg Baumann, ein Bürger aus Baufchlott, der zwar
anfangs duch jchredliches Foltern zum Widerrufe gebraht wurde, nleich darauf
aber feine Reue barüber zu erkennen gab und von Neuem der furchtbar ftrafen:
ben Gewalt unter das Antlig trat. Zwei andere Wiebertäufer aus Bilfingen,
Eberlin Schott und Konrad Schütz ergriffen 1543 die Flucht, als man fie als
folche erkannte. Ihre Güter wurden hierauf konfiscirt,
⸗
316 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
ten Erfolg nicht. Im Gegentheil mehrten ſich fogar die Verfolgungen
und Entlaſſungen proteftantiih gefinnter Geiftlihen, und namentlich
mußte auch aus Pforzheim Melanchthons gelehrter und frommer Freund,
der Schulreftor Michael Hilsbach (S. 194) fortziehen,; er fuchte und
fand mit feiner zahleihen Familie eine Unterkunft im Zweibrückiſchen.
Aulegt wurden fjogar Unger und Wieland gefänglih von Pforzheim
nad; Baden geführt, um dort durch die Räthe des Markgrafen verhört
zu werden. Sie erhielten zwar nad) gehöriger VBertheidigung in Bälde
ihre Freiheit wieder und wurden ihres Amtes auch nicht enthoben; doch
benütte Wieland die erfte Gelegenheit, welche fich ihm barbot, die
Markgrafichaft zu verlafien, und, vom Herzog Ulrich von Württemberg
als Superintendent nach Vaihingen berufen, in fein Vaterland zurüdzu:
tehren, das 1534 den Defterreihern wieder entriffen worden mar,
Markgraf Philipp ftarb am 17. September 1533, nachdem er
wenige Monate Bor feinem Tode das Verbot kirchlicher Veränderungen
in Gebeten, Gefüngen und Geremonien wiederholt hatte.
An feinen Nachfolger Markgraf Ernſt fand die Neformation zwar
feinen ftrengen Gegner, aber aud) feinen Beförderer. Mild von Charakter
und allen gewaltfamen Maßregeln abgeneigt, ließ er in Pforzheim den
Religionszuftand fo, wie er ihm angetroffen. Dem Prediger Unger gab
er vielfältige Beweije feines Wohlmwollens und feiner Hochachtung, erklärte
die Ehe desfelben für rechtmäßig und nahm ihn, feine Frau und feine
Kinder in feinen befondern Schuß. Inter ſolchen Umſtänden darf es
nicht auffallen, wenn der oben jchon (S. 273) erwähnte Saftrow fid)
bei feiner Befchreibung der Stadt Pforzheim des Ausdrucks bedient :
„Pforzheim hat in Predigten und Gefängen evangelifche Religion.” —
Mie fein verftorbener Bruder Philipp hielt Markgraf Ernft jedoch die
Hoffnung feſt, daß die Erledigung der Tirchlichen Streitigfeiten durch ein
allgemeines Konzil erfolgen und auf dieſem gefetlichen Wege auch eine
Kirchenverbejlerung zu Stande gebracht werden würde. In diefem Sinne
war auch die Inſtruktion abgefaßt, die er dem Dr, Aftmann, PBropft
des St. Michaelftiftes zu Pforzheim, nah Hagenau zu einem Reli—
gionsgefpräch mitgab, das dafelbft zwifchen Fatholiihen und evangelifchen
Theologen ftattfinden follte. Aftmann wurde beauftragt, dahin zu wire
fen, daß die Beſeitigung der Lehrftreitigkeiten einem allgemeinen oder
nationalsdeutihen Conzil itberwiefen, die Geiftlihen aber zu einem gott:
jeligen Leben mit aller Strenge angehalten werden jollten. Wie er jelber
Awölftes Kapitel, Piorzheim im 16. Jahrhundert. 317
darauf drang, zeigte 1538 jein Verfahren gegen den Pforzheimer Kano—
nifer Michael Hahn, den er, weil er mit einer gejchiedenen Ehefrau in
verbotenem Umgang lebte und mit ihr Kinder erzeugte, gefänglich nad)
Speyer führen und deſſen DBeihälterin er des Landes verweifen ließ. 1)
Auch in feinem Teftamente, welches der Markgraf ſchon 1537 verfahte,
verordnete er, daß ohne Gonzile und Reichtagsbeſchluß nichts an der
alten Religion geändert werden folltee Cr mußte fpäter freilich die
Ueberzeugung gewinnen, daß auf diefem Wege eine Neformation nicht
zu Stande fommen fonnte. Unter den Geiftlichen unferer Gegend, welche
um jene Zeit (1536) fich offen zur evangelifchen Lehre befannten und
nicht nur zur Ehe fchritten, fondern auch das Abendmahl unter beiderlei -
Geftalt zu reichen anfingen, befand fi der Pfarrer Düjfing von Er—
fingen, 2) das dem Kloſter Herrenalb gehörte, aber, wie das ganze Ge-
biet diefes Klofters, der LYandeshoheit des Markgrafen von Baden-Baden
unterworfen war. Der damalige Markgraf Bernhard IH. befannte
fich ebenfalls zur augsburgifchen Konfeffion.
Der evangelifchen Lehre, die fich feit 30 Jahren gegen alle Erwar:
tung faft in allen Theilen Deutſchlands verbreitet hatte und bereits
Millionen von Anhängern zählte, drohte indeflen noch ein Mal eine
große Gefahr, die ihren ferneren Beſtand eine Zeitlang jehr in Frage
ſtellte. Immer fchroffer hatte fich nad) und nach das gegenfeitige Ber:
hältniß zwiſchen Katholiken und Proteftanten geftaltet, und der Kaiſer,
der nach Beendigung feiner auswärtigen Kriege wieder in Deutjchland
erfchienen war und aufs Neue Sriegsrüftungen betrieb, gab den evan-
geliichen Neichsftänden auf ihre Frage nad dem Grund derjelben bie
Antwort: Er beabfichtige, mit einigen Ungehorfamen dem Rechte gemäß
zu verfahren. Schnell rüſteten fie fich zur Gegenwehr und erneuerten
im Winter 1545 auf 46 zu Frankfurt den Bund, der bereits 1531
zu Schmalfalden von ihnen abgejchlofeen war. Nod im Jahr 1546
brady der Krieg aus, der in der Gefchichte unter dem Namen des
Ihmalfaldifchen befannt if. Da unter den Proteftanten feine rechte
Einigkeit herrſchte und ihr Heer troß feiner Ueberlegenheit durch unfchlüf:
ſiges Zaudern die günftigfte Zeit verftreichen ließ, jo unterwarf ſich der
Kaifer ſchnell nicht nur die evangelifch gefinnten ſchwäbiſchen Reichsſtädte,
9) Akten des Landebarchivs.
2) Er heirathete fogar eine „Begine oder graue Waldſchweſter.“ (Convents⸗
bericht weg. Pfr. Düſſing v. 1549.)
318 Awölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
fondern auch den Kurfürften von dev Pfalz, rüdte nad Sachen, wo er
.1547 den Sieg von Mühlberg erfoht und den Kurfürften Johann
Friedrih von Sachſen und bald darauf aud) den Landgrafen Philipp
von Heſſen, aljo die beiden Häupter des ſchmalkaldiſchen Bundes, ger
fangen nahm. Das Schidfal des Proteftantismus in Deutjchland märe
entſchieden geweſen, wenn nicht politifche Gründe und das gejpannte
Berhältniß, in welchem der Kaiſer damals zu dem Papſte ftand, fowie
die Meberzeugung, welche jener auf feinem Zuge durch Deutfchland von
der großen Verbreitung der evangelifchen Lehre gewonnen hatte, in Karl V.
eine Veränderung feiner Anfichten und Pläne hervorgebracht hätte, Er
war zu der Einficht gefommen, daß auf dem Wege ftrenger Gewalt
nicht durchgegriffen werden konnte, und ertheilte deßhalb, um die getrenn-
ten Religionsparteien der Vereinigung näher zu führen, drei deutſchen
Theologen, darunter einem evangelifchen, den Auftrag, einen Entwurf
auszuarbeiten, nad) welchem fich die beiden Meligionstheile einftweilen
(interim) zu richten hätten, Es wurden in bemfelben faft alle katholiſchen
Einrichtungen beibehalten und den Proteftanten feine weitere Zugeftänd:
niſſe gemacht, als daß fie den Kelch im Abendmahl beibehalten durften
und ihrem Geiftlichen die Ehe geftattet war. Diefes Interim wurde
auf dem Neichstag zu Augsburg 1548 als Neichsgefek verkündet, troß
der Einfpradhe der Proteftanten und der allgemeinen Unzufriedenheit
welche dasfelbe hervorrief. Denn auch Rom war damit nicht einver:
ftanden, nannte es eine Keberei und zwang durch förmliche Eintzweiung
den Kaifer, auf die proteftantifchen Reichsſtände, wenigftens auf bie
mächtigern, mehr Rückſicht zu nehmen, als dies fonft gefchehen wäre.
In Folge des Interims war der Zuftand der ewangelifchen Kirche
in Deutfchland ein jehr gedrücter und wurde ihre weitere Entwicklung
und Verbreitung dadurch wefentlich gehemmt. Ueberall mußte die Meffe
wieder eingeführt werden, die Faftengebote wurden verfchärft ꝛc. Letzteres
geichah beifpielweife auch durch Markgraf Ernft, der am 8. Juni 1548
in allen badifchen Orten, jo auch in Pforzheim, „mit beleuteter Glockhen“
öffentlich verkünden ließ, daß an den verbotenen (d. h. Faſt-) Tagen bei
Strafe von 10 Pfund Pfennig, Kranke ausgenommen, in feiner Her:
berg ober offenenen Gefellichaft, bei Hochzeiten ꝛc., Fleiſch gegefien wer:
den dürfe, Doc nahm der Fürft dabei nicht das Interim, fondern die
berrfchende Theurung zum Vorwand, und verordnete zugleich, daß auch
an Fleiſchtagen aus diefem Grunde nicht zugleich Fiſche in einem Wirths⸗
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 319
baufe verabreicht werden dürfen, außer an Soldye von der Herrichaft,
an Grafen, Herren vom Adel ꝛc. 1)
Unerwartet fchnell änderten ſich aber nad) einigen Jahren ſchon die
Berhältniffe wieder zu Gunften der Proteftanten. Der Herzog Moritz
von Sadjen, der, obgleich Proteftant, ſich dem ſchmalkaldiſchen Bund
nicht angejchloffen, fondern auf die Seite des Kaifers geftellt Hatte, mochte
über fein Benehmen jeinen Glaubensgenofjen gegenüber Neue empfinden
und jet erſt die Gefahr erkennen, in welche die evangelifche Kirche durch
jein Mitverfchulden gerathen war. Auch war er. nicht wenig darüber
entrüftet, daß der Kaifer die beiden gefangenen Häupter des ſchmalkal—
diſchen Bundes bis jeßt nicht freigegeben hatte. Genug, — Moritz
überfiel den Kaiſer plöglicdy mit anjehnlicher Heeresmacht in Insbruck
und zwang ihn 1552 zu dem Bertrage von Pafjau, worin der Kaijer den
PBroteftanten verfchiedene Jugeftändniffe machen und das Verfprecdhen der
möglichſt baldigen Abſchließung eines fihern und dauernden Religion:
friedens geben mußte. Diefer kam nad) langen Verhandlungen im
Jahr 1555 in Augsburg zu Stande. Durdy ihn erhielt die evangeliſche
Kirhe geſetzliche Geltung und rechtlichen Beſtand.
B. Einführung der Reformation.
(1556 ff.)
Schon nad) der Abſchließung des Vertrages von Paſſau 1552
ging der greife Markgraf Ernft mit dem Gedanken um, der evangelifchen
Lehre öffentlich beizutreten, Er hatte fich überzeugt, daß feine Hoffnung
auf Entfernung der kirchlichen Mißbräuche durch ein Conzil eine vergeb-
liche fei, und glaubte fih jetzt zu jenem Schritte gefeglich berechtigt.
In diefer Anficht wurde er namentlid) durch feinen Hofprediger Truden-
brot beftärft, mit welchem fich der Markgraf über die Einführung der
Kirchenverbefierung bereits bejprochen hatte. Aber der Tod kam der
Ausführung feines Vorhabens 1553 zuvor,
Sein Sohn und Nachfolger Karl TI. war der evangelifchen Lehre
fehr geneigt und hatte fi auf den Wunſch feines Vaters auch mit einer
1) Der Erlaf findet ſich S. 67 des mehrerwähnten Kopienbuches im Pforz⸗
heimer Archiv als Anhang zu ber Wirthsordnung von 1541 und ift ſchon
©. 210 geführt worben,
320 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert
evangelifchen Prinzeffin vermählt. Doch trug er noch Bedenken, in feinem
Sande den gejeßlichen Eintritt der Reformation zu begründen, bevor ber
verheißene Meligionsfriede förmlich abgefchlofen war. Dieſe Bedenklich—
feiten nährte namentlich der alte Kanzler Dr. Oswald Gut. Dod
diefer ftarb nach eimer dreikigjährigen Verwaltung feines Amtes am
28. März 1554 in Pforzheim, 1) und an feine Stelle trat Dr. Martin
Achtſynit (Amelius), eim auf der Hochſchule feiner Vaterſtadt Frei:
burg gebildeter Jurii, und furz vorher vom Kaifer Ferdinand in den
Adelftand erhoben. Kaum mar der Neligionsfriede am 25. September
1555 in Augsburg verkündet, fo trat jest Karl II. unter dem Schuß
der Reichsgeſetze offen an die Seite der proteftantiichen Fürften, und
der lebhafte Antheil, womit er die evangelifche Kirche feines Landes
gründen und bis an feinen Tod befeftigen half, erwarb ihm im Munde
jeines Volkes den Beinamen des Frommen.
Noch im Jahr 1555 begann er das Werk der Neformation damit,
daß er die Zahl der Klöfter in feiner Nefidenz Pforzheim allmählig
zu vermindern fuchte. Die Reihe der Aufhebung traf zuerjt die Klöfter
der Franziskaner und Dominikaner. 2) Bei dem Michaelftift begann er
mit Einziehung einzelner Kanonien, namentlich aber der Dechantei, nad)
dem der bisherige Dechant refignivt und feine Haushälterin geehelicht
hatte, Vergebens rief der Kanonikus Johann Freyermund dagegen,
jowie gegen die Neformationsverfuche des Markgrafen überhaupt, die
Hilfe des Biihofs von Speier an. 3) (Der damalige Probft des Stiftes
bieg Georg Bol.) Damm fah fi) der Markgraf nad) tüchtigen Geift:
lichen um, denen er das Merk der Kirchenverbefferung übertragen konnte,
In feinem eigenen Lande fand er ſolche nicht; denn Unger, der dazu
anı beiten zu gebrauchen yewejen wäre, war 1553 in hohem Alter ge:
ftorben, und andere hervorragende Kräfte jcheinen nicht vorhanden gewefen
zu fein. Deshalb bat fich der Markgraf aus mehreren andern Gebieten
tüchtige Gottesgelehrte aus, damit diefelben namentlich eine neue Kir:
henordnung für Baden-Durlach entwerfen follten. Es kamen alfo
nad Pforzheim Dr. Andrei von Göppingen, Dr. Mar Mörlin,
Hofprediger von Koburg, Dr. Johann Stöffel von Heldburg und der
) Sein Grabftein, worauf jein Bild ausgehauen ift, befindet fich in ber
Schloßkirche linfs vom Eingang in die Sakriſtei. (Vergl. S. 273.)
2) Vergl. Kolb II, 61, und Sachs IV., 80.
’) Alten des Generallandesardhivs.
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Sahrhundert, 321
Hofprediger Michael Diller von Heidelberg. An die Stelle Andreä’g
trat fpäter Dr. Jakob Heerbrand von Giengen. Diefen vier geift-
lichen Herren wurden noch zwei weltliche Näthe beigegeben, und der
Vorſitz in diefer Reformationskommiſſion dem Kanzler Achtfynit über:
tragen. Nachdem der forgfältig berathene Neformationsentwurf die
Genehmigung des Markgrafen erhalten hatte, wurde derſelbe gedruckt
unter dem Namen: SKirhenordnung der Markgrafihaft
Baden, Pforzheimer Theils, am 1. Juni 1556 dem Land ver:
fündet,, und bei der bald darauf folgenden allgemeinen Kirchenvifitation
jeder Gemeinde zur freien Annahme vorgelegt. Weberall wurde fie mit
großer Freude begrüßt; nur von einer Gemeinde wird gejagt, daß fie
der Neuerung widerftrebt habe, nämlich von Neulingen oder Neidlingen
bei Pforzheim. (Vergl. ©. 64.) 1)
Den Inhalt der neuen Kirchenordnung vollftändig anzugeben,
würde bier zu weit führen, Ich theile deshalb nur die Hauptpunfte
berfelben in Kürze mit. Sie handelt zuerft von der Lehre und
VBredigt des Wortes Gottes. Als Duelle des Glaubens wird
die heilige Schrift zu fleikigem Gebrauch empfohlen; auf fie foll
die Predigt gegründet und die deutſche Mutterfprade, fowie
der deutſche Gemeindegefang bei allen Theilen des Gottesdienftes einge:
führt werben. Hierauf wird vorgefchrieben, wie es mit der Spendung
ber Saframente, nämlich der heiligen Taufe und des heiligen
Abendmahls, fowie überhaupt beim Gottesdienſte gehalten werden
folle; endlich wird darin über die Feſttage, das, was bei Trans
ungen, Kranfenfommunionen, Zeihenbegängniffenze, zu be-
obachten fei, das Nöthige feftgefeßt und fchließlich verorönet, daß die
Geiftlichen fich bei allen kirchlichen Verrichtungen des gewöhnlichen Chor:
rods bedienen follten.
Welche Veränderungen mit der Einführung der neuen Kirchenorb:
nung in Pforzheim verbunden waren, wann bafelbjt der erfte evan-
geliſche Gottesdienft gehalten wurde — darüber fchweigen die Quellen.
Die Akten im Staͤdtarchiv, welche nähere Auskunft geben könnten, find
wie noch manche andere bei dem Brande von 1689 zu Grunde ge:
gangen. Nur das erfahren wir, daß allen Fathofifchen Geiftlichen der
1) Diefe Angabe dürfte aber nicht richtig fein, da der Ort Neidlingen ſehr
wahrſcheinlich im 16. Jahrhundert nicht mehr eriflirte,
Pflüger, Pforzheim, 21
322 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Stadt, welche nicht zur neuen Lehre fich befennen wollten, unterm
20. Auguft 1556 der Schub und Schirm aufgefündet wurde. I) Der
erfte evangeliiche Stadtgeiftlihe, Spezial und Superintendent in Pforze
heim nach Einführung der Reformation war der erwähnte Dr. Heer:
brand felber; ihm folgten 1558 Iſrael Achatius, um 1560—1580
Rupreht Dürr, 1600 Benedilt Ungerer, 1607 Konrad Jenni—
chius, 1618 Stephan Rohrfelder, 1630 Georg Wibel, 1648 ob.
Burkhard Erad, 1673 Joh. Phil. Weiniger, 1681 Matthäus
Kummer ꝛc.?) — Pfarrer der Altſtadt war 1561 Erasmus Fes—
tus, 1565 Johann Grave, 1574 Nik. Mollinger, 1579 Kilian
Werner, 1582 Math. Konr. Berblinger, 1601 Ruprecht Grave,
1614 David Rangenberger, 1635 ob. David Sauter, 1645
Petrus Kercher, 1651 Rob. Seuterlin, 1655 Elias Nietham—
mer, 1678 ob. Sat, Bürenftein, 1691 Berthold Deimling,
1736 Ernſt Ludwig Deimling +. — Ws Hofprediger erfcheint um
1556 Jakob Rab, nah ihm 1563 Reißenzahn, als Spitalpfarrer
Lorenz Fuchs, als Diakon ein Kab ꝛe. — Auch von einigen Landorten
find noch die Geiftlichen befannt, welche daſelbſt jchon zur Zeit ber
Einführung der Neformation oder kurz nachher thätig waren, fo in
Brögingen 1558 Leonhard Kiftler, in Ellmendingen um 1560 Beter
Rotenburg (+ 1583), Eutingen 1561 oh. Fleiſchmann, Niefern
1561 Kilian Werner, Baufchlott 1581 Daniel Schrötlin, Eifin:
gen 1580 Joh. Raiter, Göbrichen 1561 Wolfgang Pfennig, Itters—
bad 1569 Thomas Werner.
Im Jahr 1557 hatte der eben genannte erfte evangeliiche Stadt:
geiftliche Pforzheims, Dr. Heerbrandt, noch die Pflicht der Seelforge bei
einem Sterbenden zu üben, der auf eine eigene Art nach Pforzheim
verfchlagen worden war, nämlich beim Markgrafen Albrecht von
Brandenburg, wegen feines unrubigen Geiftes, feines Heldenmutbes
und feiner Schickſale auch der bdeutiche Alcibiades genannt. In die
Kämpfe jener Zeit vielfach verflodhten und diefelben zum Theil felbft
hervorrufend, war er, vom Kaifer geächtet, nach Frankreich geflohen und
kam eben, um Gnade bittend, nad) Deutſchland zurüd, als er bei einem
1) Akten des Landesarchivs.
N Diozeh Pforzbeim, Kirchen: und Echulenbefhreibung von 1735 (Lan:
desarchiv) u. a. Quellen.
Amwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert, 323
Beſuch, den er ſeinem Schwager Karl II. in Pforzheim machte, in der
Blüte feiner Jahre am 8. Januar 1557 einen ſchnellen Tod fand,
Er wurde in der fürftlichen Gruft daſelbſt beigefett. ) Wie fehr das
Unglüd feinen Stolz gebeugt hatte, davon zeugt das von ihm verfaßte
fhöne Lied: „Was mein Gott mil, gefcheh’ allzeit.“
Nachdem die evangelifchen Fürften im Frühjahr 1558 auf einem
Konvent zu Frankfurt ihre unverbrüchliche Anhänglichkeit an die auge:
burgifhe Konfeffion verfichert hatten, fo verfammelten fie fih auf Ein:
ladung Karls II. nochmals im Auguft desfelben Jahres zu Pforzheim,
um das Band ihrer rühmlichen Eintracht aufs Neue zu befeftigen. Um
die gleiche Zeit fuchte ein Edelmann am Hofe des Markgrafen in einer
lateiniſch gefchriebenen Schrift den Beweis zu liefern, daß die evan:
gelifche Lehre umrichtig als neue Meligion bezeichnet werde, fondern weit
älter, als die dermalige Fatholifche fei, Diefe Schrift wurde von Pfarrer
Iſrael Achatius zu Pforzheim ins Deutfche überfeßt und unter dem
Titel: „MWahrhaftiger Bericht alter und neuer, das ift evangelifcher und
papiftifcher Lehre” bei Georg Nabe in Pforzheim gedrudt (S. 192).
Die Aufhebung der Pforzheimer Klöfter nahm indeffen ihren ort:
gang. Diejenige des Auguftinerkfofters, das den Kanonifern und Ere-
mitern gemeinfchaftlich gehörte, mag um 1560,2) und die der andern,
foweit diefelben nicht ſchon bei oder vor der Sinführung der Refor:
mation aufgehoben worden waren, um die nämliche Zeit erfolgt fein,
Der größte Theil der Mönche war indeffen ausgewandert; doch hielten
fi) bis 1561 noch Dominikaner in Pforzheim auf. Am meiften Wider:
ftreben fand der Markgraf bei den Nonnen, in Pforzheim namentlich)
bei den Dominifanerinnen. Er hatte ihre Einkünfte unter die
Aufficht eines Schaffners geftellt und einigen Geiftlichen das eben fo
) Sein fteinernes Standbild findet fih auf ber rechten Seite des Chors
der Schloßfirde. Am Fuße desfelben fteht die Anfchrift: "Anno 1557 den
8. Januarii ist Seligklich abgestorben der Durchleuchtig Hochgeborn Fürst,
Herr Albrecht der jünger, Marggraf zu Brandeaburg, in Preussen, zu Stettin,
Pomern, der Cassuben und Wenden, auch in Schlesien, zu Oppeln und Ra-
tiborn Herzog, Burggraf zu Nürenberg und Fürst zu Rügen, der Deutsch, streit-
bar und manlich Heldt, welcher vmb des Vatterlandts Deutscher nation frey-
heit, Landt und Leut, gut, ehr und blutt treulich zugesetztt und gewagt hot.
Seine alters im 35, vnd regimentzs im 16. jahr, der lieben selen verlihe gott
ein frolich urstendt, A,
2) Kolb, Lerifon II. 61.
21*
324 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
ſchwierige, als nußlofe Geſchäft übertragen, den wiberftrebenden Klofter-
frauen Neligionsunterricht zu ertheilen. Sie beihmerten ſich durch ihren
Provinzialen, Wilhelm Brand, bei Kaifer Ferdinand I. darüber, 1) daß
ber Markgraf fie mit der neuen Religion jo fehr ängftige, fo daß fie
genöthigt feien , den Kaiſer um Hilfe anzuflehen und ihn zu bitten, fie
in dag Klofter Kirchberg in Oeſterreich aufzunehmen. Zu biefem Bes
Hufe möchte der Kaifer dahin wirken, daß ihnen mit Hab und Gut
freier Abzug geftattet oder doch vom Markgrafen ein Jahrgeld zu ihrem
Unterhalt ausgefeßt, oder endlich ein für alle Mal eine Abfindungsjumme
ausbezahlt werde, wobei fie fi) aber, falls die katholiſche Religion in
Pforzheim wieder eingeführt werden follte, ihre früheren Rechte vorbehiel-
ten. Der Kaifer verwies dem Markgrafen fein Vorgehen gegen die
Klofterfrauen und jhicte zwei feiner Näthe nad Pforzheim, um das
Geſuch der Klofterfrauen zu unterftügen. Der Markgraf antwortete
dem Kaifer in einem befondern Schreiben, daß er bereit fei, Sr. Maje—
ftät zu willfahren, obgleich er durch die Reichsgeſetze dazu nicht ge-
zwungen werde, gegen die er ſich auch bisher in feinem Denehmen ben
Dominikanerinnen gegenüber nicht verfehlt habe. Wenn er mit den
Klofterfranen eine Reformation verfucht habe und fie zum fleißigen Anhören
ber Predigt göttlichen Wortes, ſowie zum Leſen hriftlicher Bücher anzu:
halten bemüht gewejen wäre, fo babe er nur gethan, wozu er als ihr
- Randesherr berechtigt fe. Man märe jedoch dabei aufs Schonendfte zu
Werke gegangen. Ihr Vermögen könne er ihnen eben fo wenig ohne
Abzug ausfolgen, als es der Kaifer jelbft in einem ähnlichen Fall thun
würde. Er erbiete fich jedoch, die Klofterfrauen, wenn fie nicht anders
wollten, entweder mit einer Abfindungsfumme oder einer Iebenslänglichen
jährlichen Penſion ziehen zu laſſen. Am 20. Juni 1564 wurde nun⸗
mehr ein Vertrag entworfen und am 24. Auguft ausgefertigt, worin
ſich der Markgraf verpflichtete, ſämmtliche Klofterfrauen nad) Kirchberg
ziehen zu Yaffen und ihnen ein für allemal in kürzeſter Friſt die Summe
von 10,000 fl. (ftatt der von den kaiſerlichen Räthen geforderten
42,000 fi.) auszubezahlen, überdies fie für das, was fie an Wein
Frucht, Vieh ꝛc. zurüdliegen, mit weitern 1000 fl. entihädigen zu
wollen, Dagegen mußten die Klofterfranen auf all ihr bisheriges Be—
ſitzthum und ihre Nechte für immer und ohne Vorbehalt verzichten.
ı) Man vergl. hiezu Sachs, IV., 107 fi.
Zwölftes Kapitel. Pjorzheim im 16, Jahrhundert. 325
Diefer Vergleich 1) wurde in gehöriger Form ausgefertigt, gefiegelt und
von der Subpriorin Anna Juliana Kirferin, (die Priorin Barbara
Schützin war 1562 geftorben), der Schaffnerin Barbara Lychtin, ſowie
von den Konventualinnen Ottilia Heſſin, Apollonia Linhardtin, Apollonia
MWertweinin, Anna Mulmeifterin und Barbara Heinin unterzeichnet,
ebenfo von dem Provinzial. Da der Kaifer Ferdinand I. inzwifchen
geftorben war und die Klofterfrauen befürchteten, die Faiferliche Beftä-
tigung des erwähnten Vergleichs möchte allzulang auf fi) warten laffen,
jo ließ der Markgraf die vorhandenen 39 Schweftern, (1556 waren es
ihrer einfchlieglidy der Laienſchweſtern noch 46 geweſen), auf ihr Bitten
noch vorher abziehen und zahlte ihnen die für die Neife beftimmten 1000
Gulden fogleih aus. Am 1. Dezember 1564 erfolgte die Beftätigung
von Seiten Kaifer Marimilians II., worauf diefe Angelegenheit voll-
ftändig bereinigt wurde und der Markgraf in den Befit des Klofters
und deſſen was dazu gehörte (darunter auch der Waldungen desjelben,
von denen der fog. „Frauenwald“ heute noch an feine früheren Befite-
rinnen erinnert), gelangte,
Ausführlihes über die Vorkommniſſe in diefem Kloſter und
namentlih über das Widerftreben der Nonnen gegen eine Reformation
enthalten die Aufzeichnungen einer Klofterfrau felber aus den Jahren
1556 — 1564. 2) Der Anfang davon lautet: „Sn dem MDL und
VI Jahr (1556) acht Täg vor Georgi: dazumal regiert in allem tüet-
ſchen Landt und allermeift die aller groß Ketzery des Lutterers, und
uß Yngebung etlicher falfcher Nattgeber und predicantten, die vil daruff
geprediget und geleret haben wider die heiligen Sacramentten und den
göttlichen Dienft, wider die geiftlichen in den clöftern, dadurch uffrierifch
gemacht fend worden die Fürften und Hern in etlichen landen und fteten,
aljo daß leider, got erbarms, im der ftatt Pforkheim, in der marggrof:
haft Baden und Hochberg gelegen, in welcher jtatt gelegen iſt unßer
clofter und gotzhuß, dazumal zu dißer Zyt predicant ift geweßen mit
namen Jacob rat, auch ander böß rattgeber, die haben unfern
fürften und bern markgraff Karle dahin gebradht, ung gemalt zu thun
und uff den nüwen glauben zu Bringen, und unf des ein gewalttzbrieff
1) Er ſteht vollftändig bei Sachs, IV. 109-111,
2) Sie find abgebrudt in: Katholiihe Tröfteinfamfeit, XIE,
©. 203-254 (Mainz bei Franz Kirchheim, 1858).
326 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
in unferm clofter vor dem ganzen Convent laſſen lefen, in dem Erfte
ung abgefünnt und abgefchlagen, Fein meß me zu fingen, noch zu lejen,
weder heimlich noch offenlih, und haben uns uffgebept unfern gotzdienſt,
daß wir den nit me follen vollbringen, weder heimlich noch offenlich,
fondern wir daran ergriffen würden, es ſy by Tag oder by nacht, fo werden
wir fallen in des fürften ungnaden. Auch jollen wir in die lutterifch
predig gen und düetſch pfalmen fingen. Auch haben fie ung verbotten
all münd und pfaffen, die da fend uff unſer Neligion, daß die nit me
zu unß jollen gen weder heimlich noch offenlich by hoher großer ftraff,
aber wann man ein by unß ergryff, fol man ihn von ftund an in den
Durn werffen” ꝛc. — Es wird dann weiter erzählt, wie der genannte
Pfarrer Nat ihnen zwei Mal in der Woche gepredigt habe, wie nad)
ihm der Spitalpfarrer Lorenz Fuchs, ein „ußgeloffener münch“, fodann
ein Wrädicant Kap aus Zwiefalten, der Pfarrer Iſrael (Achatius),
Dr. Heerbrand, Dr. Ruprecht (Dürr), der Pfarrer Reißenzahn, kurz in
ſechs Jahren überhaupt 18 verjchiedene Geiftliche fid die fruchtlofe
Mühe gegeben hätten, die Nonnen zu belehren, ja wie jogar einmal
die ganze badifche Neformationsfommijfion (S. 320) mit dem Kanzler,
Doktor erg, Doktor Hänsle Schnydergeisle und Doktor Hans Schmid
zu gleichem vergeblichen Zweck ins Kloſter gefommen fei. Bitter wird
über einzelne diefer Geiftlichen geflagt, jo über Nat, daß er Gott und
die lieben Heiligen ſchändlich ausgerichtet und gefhmäht und zu den
Klofterfrauen gejagt habe, man folle fie ausbrennen wie die [hädlichen
Raupennefter, weil fie mit ihrem ärgerlichen Leben das ganze Land ver:
wüfteten und verunreinigten; über Katz, der auch das Gift der Ketzerei
in die unfchuldigen Herzen haben ausgießen wollen; über Achatius, der
die DBeichtoäter der Nonnen Blatthengfte, Stadtfarren, Meßſäu, Seelen:
mörder ꝛc. geheißen und das erite Nachtmahl nad) lutheriihem Gebraud)
in der Kloſterkirche ausgetheilt habe; über Dr. Ruprecht, daß er fo
ſchändlich und abſcheulich vom heiligen Sacrament und gegen den Papſt
gepredigt und diefen den Antichrift genannt habe u. f.w. Dem Pfarrer
Heerbrandt, der den Nonnen freigeftellt hatte, zu beftimmen, wann es
ihnen eben und gelegen fei, daß er ihnen predige, wurde der Beſcheid,
dag er zu feinem Male ihnen geſchickt ſe. Im Sahre 1561, jo wird
weiter erzählt, ließ der Kanzler durch drei Zimmerleute den Hodyaltar
und das Gitter abbrechen, das ſich zwiſchen der Kirche und dem Chor
befand, damit „man künd jehen, ob wir an die predig gen.” Bald
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert, 327
auch wurde dem Klofter an die Stelle des langjährigen Amtmanne
Peter Wertwein ein neuer Schafiner, Konrad Biſchler von Hall, geſetzt,
den das Klofter mit Weib und Kind umd einer Magd abholen mußte.
Ueber defien gewaltthätiges Benehmen wird in den heftigften Ausdrüden
geklagt, ebenjo über die ftrenge Controle, die er in Verwaltung des
Klofterguts ausübte und wobei er den Nonnen fharf auf die Finger
fah. Im Jahr 1562 ließ er nad dem Tode der Priorin Barbara
Schütz alle Schlöffer inwendig an den Thüren des Klofters abbrechen
und an die Außenfeite derjelben anfchlagen, damit Niemand ohne fein
Wiſſen und Willen mehr ins Klofter gehen konnte; auch mußten ihm
alle Gültbriefe desfelben verabfolgt werden, Auf Kreuzerhöhung wurden
alle Heiligenbilder aus der Kloſterkirche entfernt, ſämmtliche Altäre ab:
gebrochen und „ein abgöttifcher althar mitte in die kirchen gemacht, da—
rauf fie ihre nachtmal geben.” In der Adventszeit 1563 kam ber
Kanzler mit dem dermaligen Prediger des Klofters und den fürftlichen
Räthen, fowie dem nach Pforzheim bejchiedenen Vogt Sebaftian Hor—
nold von Bietigheim, um die Nonnen in die „nüwe und ketzeriſche relis
gion des Lutterers zu incorporpren.” — Er entband fie von allen
Kloftergelübden und den Elöfterlihen Gebräuchen, und verkündete ihnen,
daß überhaupt eine neue Ordnung im Sllofter werde eingeführt werben;
hierauf hielt ihnen Dr. Ruprecht eine ‘Predigt in gleichem Betreff und
wurde ihnen ſodann aufgegeben, immer nur deutſch zu beten, was fie
aber nicht thaten, Auch auf jonftiges Zureden, das bei jeder einzeln
verfucht wurde, namentlich in Betreff ihrer Verheirathung, gaben alle
entfchieden abweifenden Beſcheid. Bon den Büchern, welche die Nonnen
erhielten, um ſich daraus zu belehren, wurde fein einziges gelefen. Weil
die Nonnen nicht in deuticher Sprache zu Tiſch beten wollten, jo aß
der Amtmann jammt feinem Gefind mit ihnen und verrichtete mit diefem
abwechſelnd das Gebet; aber den Nonnen ift dabei „dick weh vor lachen
gefchehen; denn er (der Amtmann) hat eine folliche wieſte ftimm gebept,
als welt er unß zerryßen und zerzerren.” Dem Dr. Dürr, der fie
fragte, wie ihnen feine neuejte Predigt gefallen habe, worin er fie in die
Hölle verfebt, wurde von den Klofterfrauen wißig erwidert: „Mit wels
hem Maße er ihnen mefje, folle ihm wieder gemefjen werden." Einer
Predigt, die ihnen Dürr über den Eheftand hielt, folgte der einjtimmige
Beicheid der Nonnen, daß feine von ihnen einen Mann wolle Wieder:
holt wurde von ihnen darüber geflagt, daß immer fo viele weltliche Leute
3283 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
im Klofter gewejen feien; „yetz ift der Kantler mit den rethen fumen,
ve fein die predicanten zu un kumen, des ift die Fürſtin mit ben
frawen fumen, fo bat die Fanglerin mit ihren Eindern hinen geffen und
it den hinen bliben biß finfter nacht.” — Die Ankunft der kaiſer—
Yihen Kommiffarien erregte im Kloſter große Freude, noch größere die
Hoffnung auf baldigen Auszug aus demfelben. Die Bemühungen Acht:
fonits, die Nonnen zurücdzuhalten, waren natürlich jest um fo weniger
von Erfolg. Auf ihn ift die Aufzeichnerin aller diefer Vorkommniſſe
überhaupt nicht gut zu Sprechen; er fei, fagt fie, oft „in die Zellen ges.
loffen von einer zur andern, als wer er unfinnig und hat fo ein unzüch—
tig weßen und gebert gehept mit füßen und Ieden, jonderlich der jungen,
und ift fein Zell gewefen, er bat gewißt, wo ein jegliche Int, und hat
ihn gar übel verdroffen, wan wir einander verhütt haben; — — er
bat auch etwa die in dem comvent geßen, und hat fid) zu den aller:
jüngften gefeßt, und bat den ein follich Inchtfertig weßen geführt mit
reden und guffern, und bat gejagt, fie follen zu pforten belyben, fo well
er ihnen einen man geben und der gelychen.“ — Ueber die marfgräf:
liche Kommiffion, weldhe die Aufnahme des beweglichen Eigenthums des
Klofters zu beforgen hatte, um darnach die den Nonnen zu Teiftende
Entihädigung bemeffen zu Können, wird weidlich gejcholten, weil fie den
Klofterfrauen gar nichts gelaffen habe; nicht einmal mehr als 3 Kiffen (!)
feien einer jeden geftattet worden; „fie haben unß das hunig genomen
und den gebrenten wein, den eßig, keß, düre öpffel- und birenſchnitz, das
unſchlit, das öl, bivengefafft, und Haben ung gejtolen (!) höfen mit Tatt-
wergen, auch loden mit lattwergen, das wir alles mit großer arbeit und
mit großen foften gemacht haben, auch fanffen; fie haben uns genom:
men die düren fiſch, als ftocfifch, blattyslin, den fped und dem jchmer ;
— — fie haben alle ding verbitfchirt, alle Feften, kamer, alle trög, all
felter, fie fven Klein oder groß geweßen“ ꝛc. — „Da wir mın“, fo heißt
es am Schluß diefer Aufzeichnungen, „uß dem clofter jend kumen, da
ift eine folliche menge volks zugeloffen jung und alt, daß ich all myn
tag nit me volfs gejehen hab. Da haben fie geweint; doc, ift die klag
der armen über fie all gangen, und fend unf weit uß gefolgt. — Dies
Alles und noch me, das zu vil zu ſchryben wer, iſt unß begegnet in
dißen acht jaren, doch aber diß letzt jar hat ung me und fchredlicher
angriffen, und glaub ohne zwyffel, weren wir noch zu pforken, jo weren
wir zerfterrt worden und weren nüme bey einander. Got dem allmäch-
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 329
tigen ſy lob und ehr on end amen!“ — Go weit die Aufzeichnungen
unferer Klofterfrau, die ung troß ihrer Befangenheit manche intereffante
Blide in die Klofterverhältniffe zur Zeit der Neformation thun Täßt.
Durch die Gebäulichfeiten des nun aufgehobenen Klofters wurde
fpäter (1579) das anftoßende, von der Markgräfin Luitgarde 1322 er:
richtete Spital (S. 118) erweitert. 1) Dabei wurde feitgefegt, daß
darin 16 Herrenpfründen für männliche und meibliche Perſonen beftehen
follten, zur Hälfte für Hof- und andere Bediente, zur andern Hälfte
für betagte fromme Leute aus der Markgrafichaft. (In dieſes Spital
vermadhte die Markgräfin Anna, die Wittme- Karls IL, 1586 bie
Summe von 1000 fl.) Da eine befondere Spitalficche jet nicht mehr
nöthig war, weil dazu die bisherige Klofterkirche verwendet werben konnte, fo
wurde die Spitalkirche abgebrochen und an ihre Stelle die Stadtmetzig er:
baut.2) Auch die übrigen Klöfter hatten ſchon andere Beftimmungen erhalten.
Das Heiliggeiftipital in der Brößinger Vorftadt verwandelte ſich ebenfalls
in eine Metig, die fpäter abgebrochen wurde; die Dominikanerkirche
wurde zur Stadtkirche verwandelt ꝛc. — Gleich nad Aufhebung des
Klofters der Dominikanerinnen 1565 ließ der Markgraf eine Erneue—
rung der Gefälle desfelben vornehmen.
Sind im Bisherigen viele geborene Pforzheimer oder Zöglinge der
1) Akten Großh. Heil- und Pflegeanftalt.
2) Vielleicht erhielt damals die Klofters nunmehr Spitalfirhe ein neues
Thürmchen, nämlich, das noch vorhandene hübſche gothifche auf der Heil- und
Pflegeanftalt, an die Stelle des alten Thurmes, wenn ein folder überhaupt
vorhanden geweien war; denn das jeßige Thürmchen ift jedenfalls nicht das
urjprüngliche des jhon um 1250 (&. 74) in Pforzheim erbauten Frauenklofters,
ba es ben jpätern gothiſchen Bauftil des 15. oder 16, Jahrhunderts zeigt. Eine
Veberlieferung will wifjen, daß das Thürmchen der Heil und Pflegeanftalt von
einer andern Stelle, wo es früher neftanden, dahin werfegt worben ſei. Es
ift dies möglich, und Fünnte ſich die Sache fo verhalten, daß ſich das Thürm—
chen früher auf der nahen Spitalfirche (unterhalb der Kanne) befand und eine
Berfegung besfelben erfolgte, als dieſe Kirche, wie oben erwähnt, abgebrochen
wurde. Vielleicht ift fragliches Thürmchen auch das bes frühern Heiliggeift-
fpitals in der Brößinger Vorftadt. Immerhin muß, wenn eine Berjegung
ftattfand, die Aufführung ber diden Grundmauer, welche das Thürmchen jetzt
trägt, gleichzeitig erfolgt fein, ba Beides wie aus einem Guß erſcheint. Auch
das ift möglich, ba bei der Vereinigung ber Gebäulichkeiten des Klofters mit
dem Spital gewiß auch verſchiedene bauliche Beränderungen darin vorgenommen
werben mußten,
330 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
Pforzheimer Schule genannt worden, welche entjchiedene Anhänger und
Beförderer der Neformation waren, fo mag aud eines eifrigen Gegners
derfelben gedacht werden, als deſſen Geburtstadt ebenfalls Pforzheim
bezeichnet wird, Es ift dies der Dominikaner Dr, Wendelin Fabri.
Derjelbe war um das Jahr 1520 Prediger im Nonnenklofter Zofingen
bei Konftanz und wurde ſpäter Generalvitar des Bisthums Konftanz.
As folder jollte er 1527 einem Neligionsgeipräh in Konſtanz, das
aber nicht zu Stande Fam, amwohnen. Zwei Tage nachher, nämlih am
10. Mai 1527, treffen wir ihn als Mitglied des geiftlihen Gerichts,
welches den Frühmeßner Johannes Heuglin von Sernatingen in Meere:
burg zum Sceiterhaufen verurtheilte, weil ſelbſt die Folter dem Uns
glüdlihen das Geftändnig nicht erprefjen konnte, daß in Luthers Schrif—
ten lauter verdammenswürdige Ketzerei enthalten fe. Won der Gefühl:
lofigkeit Fabris zeugt fein Benehmen beim Berhör Heuglins. 1) — Nach
einer St. Galler Handſchrift?) hat er folgende Schriften herausgegeben:
1. „Das ewig hail allen leſenden diſen traftat wunjd ich Wendelinus
von Pforgzen prediger ordens lesmaifter der göttlichen geſchrift.“ Es
ift ein Traktat von dem Sakrament des Altars, und der Verfaſſer fagt
davon in der Vorrede: „Diffe materi hab ich zu tail geprediget zuo
Navensperg in coena domini, und daz mertail zuo Conſtantz in f.
Catherinä Hofter genant Zoffingen.“ Angehängt find diefer Schrift
2. eine Predigt; 3. ein Traktat über die Meſſe und jo noch verfchiedene
andere Schriften und Predigten.
86. Berühmte Pforzheimer aus dem Weformationszeitalter.
A. Johannes Unger.)
(1482 — 1553.)
Zu denjenigen Pforzheimern, die fich nicht nur durch ihre Gelehrſam—
feit, fondern auch, wie wir bereits oben gejehen, durch die wichtige Rolle
1) Bierordt, L. 283.
2) Vergl. Schriften des badiihen Altertfumsvereins, J. 256.
») Hauptquellen: De Johanne Ungero, Pforzhemiensi, von Vierordt;
Geſchichte der evangeliſchen Kirche, v. Vierordt; Manuferipte des Landes:
archivs u. |. w.
Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16, Jahrhundert. 331
ausgezeichnet haben, welche fie zur Zeit der Neformation in der Ge:
fchichte ihres Vaterlandes und zum Theil auch ihrer Vaterſtadt fpielten,
gehört Unger. Diefer Grund, fowie der weitere Umftand, daß er der
Sugendlehrer Melanchthons war, find hinreichend, ihm eine ehrenvolle
Stelle unter den bedeutenden Männern zu fihern, welche jeine Vaters
ſtadt hervorgebracht hat,
Johannes Unger oder Ungerer wurde um das Jahr 1482 zu
Pforzheim geboren. Er ſtammte aus einem Geſchlecht, das zu den
älteften der Stadt gehört und vielleicht fhon im 14. Jahrhundert ſich
in derfelben eingebürgert haben mag. (Im Jahr 1411 kommt vor:
„Henslin Unger, dev gerwer, Burger zu pfortzheym“, 1480 Hans Unger,
der wysgerwer; fpäter, nämlich 1519, finden wir einen Chriſtmann Ungerer,
einen Konrad Ungerer und noch viele andere diefes Namens). Nachdem
er die Schule feiner Vaterftadt abjolvirt hatte, widmete er fih dem
Studium der Theologie und zugleich, wie dies die der Gottesgelehrtheit
Beflifjenen damals nicht felten thaten, aud) der Medizin, Auf welcher
Univerfität dies geſchah, ift nicht bekannt,
Nah Vollendung feiner Studien wurde Unger im Jahr 1504
nach Bretten berufen. Dort war damals für den Unterricht der Jugend
ziemlich ſchlecht geſorgt; denn die Stadt befaß nur einen einzigen Schul:
meifter, der aber jo jehr an einer edelerregenden Krankheit litt (S. 202),
daß mande Eltern Anftand nahmen, ihm ihre Kinder zum Unterricht
anzuvertrauen Aus diefem Grunde ſah fich der Kaufmann und da—
malige pfälziiche Schultheiß in Bretten, Johann Neuter, nad) einem ges
ſchickten Lehrer um, dev feinem Enkel Philipp Schwarzerd oder Me:
landtbon und einigen andern Knaben die nöthige Unterweifung ertheilen
follte. (Diefer Neuter, ein fehr unterrichteter Mann, war der Großvater
Melanchthons von mütterlicher Seite; denn feine Tochter Barbara hatte
den Vater Melanchthons, Georg Schwarzerd, weldyer das Amt eines
pfälzifhen Geſchützmeiſters in Bretten bekleidete, zum Manne.) Einen
zum Hauslehrer geeigneten Mann fand Reuter in Johannes Unger,
Diefer verweilte zum Zwecke ſolchen Unterrichts drei Jahre lang
(von 1504— 1507) in Bretten und fand an dem beim Beginn desjel-
ben erſt fiebenjährigen Melanchthon wohl feinen ausgezeichnetften Schüler.
Hören wir, wie diefer fpäter felbft über die Kenntniffe und die Lehrges
ihiclichfeit feines Pehrers urtheilt. „Ich habe,” fagte er, „die lateiniſche
IN
Grammatik bei Johannes Unger, einem Pforzheimer, gelernt, einem ge—
332 Zwölftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert.
lehrten und beſcheidenen Mann, der mich mehr zum Reden und Ant:
worten getrieben hat, als mir damals lieb geweſen iſt; jet erfenne ich
es dankbar, daß Unger gar nicht aufbörte, zu fragen.” Und an einem
andern Ort fagt Melanchthon: „Ich babe einen Lehrer gehabt, der
ein ausgezeichneter Grammatifer war, und mich ebenfall® mit Macht in
die Grammatik hineintrieb. Für jeden Fehler gab er mir Schläge,
doch mit Mäßigung. Auf folhe Weife machte er mich ebenfalls zum
Grammatiker. Er war ein vortreffliher Mann und liebte mich wie
einen Sohn, ich ihn wie einen Vater, obgleich er ſolche Strenge zeigte.”
In einem furzen Bericht, weldyer 1560 in Wittenberg als Melanchthons
Nekrolog erfchien, ift Ungers ebenfalls gedacht und zugleich) auch der
raſchen Fortfehritte, welche Melanchthon unter feiner Leitung gemacht
babe. Es heißt dert: „Da hielt ihnen Hans Reuter, ein feiner, ver:
ftändiger Mann, der felbft ftudirt Hatte, einen befondern Pädagogum,
Johann Hungerer, von Pfahlheim 1) genannt, der lehret die Knaben in
das Großvaters Haus mit allem Fleiß. Und Iernete Philippus für
Andere feine Grammatifam wohl, daß er fein fertig darinnen war. Da
nun der Großvater den Fleiß fpüret, Fauft er ihnen ein Miffal, damit
den Knaben neben anderer Lehr auch die Kirchengefänge eingebildet wür—⸗
ben; denn fie mußten ihm alle Feiertage mit zu Chor treten. Zu der
Zeit zogen die großen Bachanten 2) im Lande Hin und wieder. Go
denn Einer gen Bretta Fam, fo hetzete der Großvater Philippum mit
Disputation an ihn. Es war aber felten Einer, der ihn beftehen mocht.
Das gefiel dem alten Mann faft wohl und hatte feine fonderliche Freud
daran, Auch gewann der Knab große Luft zum Studiren. So Tief
e8 auch der Großvater an Büchern und andern Dingen nicht fehlen,
damit der Knab ja nicht gehindert würde,”
Am Oktober 1507 ftarb der Großvater Melanchthons, und wenige
Tage darauf folgte ihm der Vater des Knaben nah. Die Wittwe des
Erfteren, die Schwefter Johann Neuling, verließ nun Bretten, kehrte
in ihre Vaterſtadt Pforzheim zurüd und nahm ihre Enkel mit fi, um
ihmere Gelegenheit zu geben, die dortige lateiniſche Schule befuchen
zu können.
) Irrthümlich, ftatt Pforzheim.
2) Reifende Handwerfsburfche des Lehrerftandes, die bald Ichrend, bald
lernend, immer aber beitelnd oder fechtend die Welt durchzogen,
Amölftes Kapitel. Pforzbeim im 16. Jahrhundert. 333
Im Jahr 1511 Fehrte auch Unger in feine Baterftadt zurüd, nachdem
er, wie es fcheint, den in Bretten angefangenen Unterricht mit andern
Knaben bis zu diefer Zeit fortgefeßt hatte, Der feitherige Rektor
Georg Simmler in Pforzheim hatte nämlich einen Ruf als Yehrer der
Mechte nach Tübingen erhalten. An feine Stelle trat nunmehr Unger
und beffeidete diefelbe von 1511 bis 1524, alfo 13 Fahre lang, mit
dem ſchönſten Erfolg. Wie ihn ein innige® Band auch ferner mit
feinem frühern Schüler Melanchthon verfnüpfte, fo entitand auch bald
das freundichaftlihe Verhältniß zwiſchen Unger und ſolchen Männern,
deren Namen wir bei der Gefchichte der Reformation in unferm Bater:
lande fo oft begegnen. Zum Schulfollegen hatte Unger in den erften
Jahren feines Mektorats den Johann Knoderer von Rottenburg
welcher fpäter einen Nuf nad Württemberg erhielt und dort zur Würde,
eines Kanzlers emporftieg (©. 194).
Im Jahr 1524 übertrug Markgraf Philipp an Unger, der wohl
des Schulftaubes fatt geworden war, wahrfcheinlih auf Verwendung
Melanchthons, der um diefe Zeit feine WVaterftadt und au Pforzheim
befuchte , die Predigerftelle am Stifte dafelbft („die Predifanten-Pfründ
am St, Michaelsſtift“). Sicherlich trug auch das Verlangen, im Sinne
der Neformation eine umfaffendere Thätigkeit zu entfalten, als diefe
zwifchen den vier engen Wänden der Schulftube möglih war, nicht
wenig dazu bei, daß Unger fih um erwähnte Stelle bewarb. Dieſe
Thätigfeit konnte eine um fo freiere fein, als Markgraf Philipp, wie
das bereits oben ausführlicher anseinander geſetzt worden ift, damals
manche reformatorifchen Beitrebungen begünftigte und unter Anderm auch
ben Geiftlichen feines Landes keine Schwierigkeiten in ben Weg legte,
wenn fie in den Stand der Ehe zu treten fich entfchloffen. Diefen
Schritt that auch) Unger im Jahr 1527 mit Genehmigung des Mark:
grafen. Wie fehr ihm derjelbe gewogen war, erjehen wir daraus, daß
Ungerer bald nachher (1529), als der Kanonikus Trutwein Mager zu
Pforzheim geftorben war, aus ber eingezogenen Pfründe desfelben (zu
Maria Magdalenen Altar) eine Gehaltszulage von 15 Gulden erhielt, 1)
um auch ferner „Gottes Ehr zu fördern und damit die Bürger zu
) Jenes Kanonikat ertrug 42 Gulden, bavon erhielt Ungerer 15, ber
Stabtpfarrer zu Pforzheim 7 Gulden; die übrigen 20 Gulden follten nad ber
Beftimmung bes Markgrafen zur Erhaltung des baufälligen Haufes verwendet
werden, bas zu biejem Kanonifate gehörte,
!
334 Awölftes Kapitel. Worzbem im 16. Jahrhundert.
Pforzheim an Verkündigung des heiligen Gottesworts nit Abgang haben.”
Auch fonft gab ihm der Markgraf manche Beweiſe feines Wohlwollens.
Daß Unger au in Pforzheim fehr beliebt war, erhellt aus dem ehren:
vollen Zeugniß, das ihm der Magiftrat daſelbſt ausftellte: „Er ver:
ficht ſyne Predigen mit höchſtem Fleiß, erpietet fich ouch, alle tag abends
zu Salve Int ein freiwil Stund ungeverli ermanıng und richtig zu
thun, wie man fich im dieſen fterbenden Leuffen (S. 312) und fonft
gegen Got den Herin halten und mit getroftem Herzen wider den Tod
fechten und kempfen foll,* |
Daß bei Markgraf Philipp in den Iehten Jahren feines Lebens
eine mächtige Sinnesänderung vorging und er faft alle von ihm einge:
führte Neformen felbjt wieder rückgängig machte, ift oben fchon erzählt
worden, ebenfo, wie manche der Lehre Luthers zugethane Geiftliche ver:
folgt, ja ihrer Stellen entießt wurden, wenn fie e8 nicht vorzogen, bie:
jelben freiwillig niederlegen. Auch Unger follte erfahren, daß man, wie
Melanchthon fih darüber ausdrüdte, „um des Evangeliums willen auch
feiden müſſe.“ Mit feinem Freunde und gleichgefinnten Gollegen, dem
kurz vorher nach Pforzheim berufenen Pfarrer Wieland, wurde Unger
gefangen nach Baden, der gewöhnlichen Mefidenz des Markgrafen, ge:
führt, um ſich dert vor den Näthen desfelben jeiner religiöfen Richtung
wegen zu verantworten. Dies gefchah mit ſolchem Freimuth und folcher
Unerfchrodenheit und zugleich in fo bündig fchlagender Weife, daß Beide
ſogleich wieder freigelaffen und ihrer Nemter nicht entfeßt wurden.
Eine ruhige Zeit begann für Unger, als Markgraf Ernft feinem
Bruder Philipp in der Negierung des badifchen Unterlandes 1535
nachgefolgt war und in Pforzheim feinen Sit genommen hatte Er
* trug auf Unger, nachden er deffen perſönliche Bekanntſchaft gemacht,
die Achtung und das Wohlwollen über, das ihm bereits fein Vorgänger
gezollt hatte. Den deutlichiten Beweis bievon gab er Ungern 1542,
Diefer hatte nämlich, weil zu befürchten ftand, daß feine Ehe von Sei:
ten des erzbiichöflich-fpeierifchen Ordinariats angefochten werden möchte,
fih mit der Bitte an den Markgrafen gewandt, ihn, feine Frau und
feine Kinder in feinen befondern Schuß zu nehmen. In dem darauf
erfolgten Erlaß des Markgrafen vom Chrijtabend 1542 erffärte derfelbe,
„daR wir dem Allem nach gnediglih und mildiglih betradyt und erwo—
gen haben den getreuen Fleiß, Mühe und Arbeit und hriftens
lihe Wolmeinung, jo obgemeldter Hanıs Unger mit Berfehung des
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert, 335
Predigambts in unfer Statt Pfortzheim fo lange Jahr erzeigt, und bes
wieien hat, auch fürs mit Gnaden und Hilft Gottes erzeigen und be:
mweifen mag, wie er denn, fo lang ihm Gott Vermöglichkeit verleihen
würdt, zu thon geneigt und erbüttig iftz und ift auch genugfam kundt
und wifjen gemacht, daß e8 mit feiner Eh, wie oben gemelt ergangen,
und dem Allem nach ganz unpillich were, daß gegen feiner Wohlthat
getreuen Dienft und emjigen Vleiß, den er in Lernung des
riftenlihen Volcks mit dem Worth Gottes erzeigt, feine Kinder, ev oder
fein Hausfram an ihrer zeitlichen Habe, jo Ihm Gott verliehen, jollten
dur einig Weg vernachtheiligt werden, und haben demnach, als ber
Landsfürſt und in Crafft unfer Iandsfürftlichen Oberfeit, mit gutem zeit:
lichem Rath mohlbedechtlih und us vielen redfichen gegründeten Urſachen
den obgemeldten Hannfen Unger, fein ebelih Hausfraw und Kinder
in Unfer und Unfer Erben befondern Schub, Schirm und Vorſpruch
empfangen und uffgenommen“ 2. — Am gleichen Tage erhielt Unger
noch einen zweiten Erlaß des Fürſten, worin ihm als Erſatz für bie
Einkünfte des Kanonifats des Altars Petri und Pauli, die er bisher
bezogen aber abgetreten hatte, „feiner Underhaltung, Leipfrund und
Befoldung halben, auch Beſſerung und Merung derfelben, im Anfehen
der merflihen Müe, Arbeit und Vleiß, fo er mit Verkündung
des heiligen Mort Gottes 18 Jar Yang in unfer Statt Pforkheim ges
hapt,“ aus den Gefällen der Wallfahrtsfirche der heiligen Jungfrau
zur Eich in der Nähe von Wilferdingen (ift 1560 eingegangen) jährliche
100 Gulden zugemwiefen wurden. Auch geftattete ihm der Markgraf,
in dem Haus, das zum erwähnten Kanonifate gehörte und das Unger
bisher bewohnt hatte, auch ferner bis an feinen Tod bleiben zu dürfen,
Ueber die lebten Lebensjahre Ungers iſt nichts Näheres bekannt.
Am Sahr 1545 machte er in das Pforzheimer Almofen eine Stiftung
von 50 fl., deren Zinſen zu feinem Gedächtniß jedes Jahr auf Martini
an Arme ausgetheilt werden follten. Sicherlich hatte fich Unger, als
Melanchthon in den Jahren 1536 und 1541 von Wittenberg aus wie:
derum Meifen in fein Vaterland machte, auch des Beſuches desfelben zu
erfreuen, und e8 mochte dem Lehrer nicht wenig fchmeicheln, daß fein
früherer Schüler durch die Nolle, welche er bei der Neformation fpielte,
zu ſolcher Berühmtheit gelangt war, Daß Unger fortfuhr, das Wort
Gottes rein und lauter zu verfünden, erfahren wir von einem Ohren:
zeugen, der 1541 durd Pforzheim kam und über Unger Folgendes
336 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
ſchreibt: „Ich babe in Pforzheim den alten Unger geſehen, diefen
beiten und redlichiten Mann, und habe ihn die reine evangelifche Lehre
vom Sohn Gottes, unferm Herrn Jeſu Ehrifte, den Fürften und dem
Bolt auslegen hören.”
Die geſetzliche Einführung der Neformation in, feinem. Vaterland
follte Unger nicht mehr erleben. Er ftarb im April 1553 in feiner
Daterftadt, nachdem ihm fein fürftlicher Herr im Februar des nämlichen
Jahres vorausgegangen war. Doch hatte er noch vor feinem Tod dur
den 1552 in Paſſau abgefchloffenen Vertrag die freudige Gewißheit er:
langt, daß der neuen Kirche ficheres Fundament gegeben fei.
Bon den nächſten Nachkommen Ungers ift mir nichts Näheres be—
fannt. Ob der Superintendent in Pforzheim, Benedikt Unger, dem
wir weiter unten beim Jahr 1601 begegnen werden, ein Sohn oder
ein Enkel von ihm war, vermag ich nicht anzugeben. Das Geſchlecht
der Unger oder Ungerer aber ift in Pforzheim befanntlic noch in zahl
reichen Gliedern vertreten.
B. Sohannes Schwebel.')
(1490 — 1540.)
Sohannes Schweblin, gewöhnlid Schwebel genannt, wurde
1490 in Pforzheim von vermöglichen Eltern geboren. Diefelben ftamm:
ten aus Wafferburg in Baiern. 2) Don ihnen zum eifrigen Beſuch der
lateiniſchen Schule feiner Waterftadt angehalten, machte Schwebel ſchon
in feiner Jugend die Bekanntſchaft Melanchthons, und es entipann ſich
zwifchen Beiden ein inniges Verhältniß, das auch fpäter noch fortdauerte.
Am Jahr 1514 erhielt Schwebel in Straßburg die Prieftermeihe, wo:
rauf er in das Kloſter oder Spital des heiligen Geiftes zu Pforzheim
1) Quellen: Johannis Schwebelii vita auctore Henrico Schwebelio;
Seckendorf, historia Lutheri, I,; Entwurf einer Kirchen und Reformationg-
zefhichte von Zweibrücken, (Frankfurt 1784); Maji, vita Reuchlini; Lam pa⸗
bius, Beiträge, ©. 200 ff; deutjche Schriften von Schwebel, herausgegeben von
ieinem Sohn (Zweibrüden, 1597); Iſelin, Lexikon; Vierordt, Geſchichte
der evang. Kirche in Baden, I. xc.
2) Das Pforzh. Lagerbuch von 1527 führt einen Hans Shweblin im ber
Altſtadt auf; ein Schweble fommt in einem Müllerzinsbuch v. 1519 vor,
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert, 337
eintrat. Hier wurde er bald mit dem Guardian des Franziskanerkloſters,
Konrad Kürsner oder Pelikan, befannt, und Schwebel ſcheint fich die
aufgeflärten religiöfen Anfichten desfelben raſch angeeignet zu haben. 1)
Auch zu Gerbel ftand Schwebel ſchon während feines Klofteraufenthaltes
in den freundfchaftlichiten Beziehungen.
Als Luther am 31. Dit. 1517 feine 95 Thefen gegen den Ablaß
veröffentlicht hatte und ihnen bald auch noch andere Schriften folgen ließ,
fing Schwebel, der längſt für die Idee einer Reformation begeiftert mar,
in Pforzheim 1519 im Sinne Luthers zu predigen an. Die nächſte
Veranlaffung zu diefem offenen Auftreten mag der väterlihe Freund
Schwebels, Pelican, geweſen fein, der fich aber damals nicht mehr in
Pforzheim befand, fondern in Baſel aufhielt. Ebenſo mag der Brief:
wechſel, den er mit Melanchthon, damals Lingft in Wittenberg, führte,
nicht wenig zu dieſem Entſchluß beigetragen oder ihn doch darin beftärkt
haben. Bon diefen Briefen find manche noch vorhanden. 2) So richtete
Melanchthon an Schwebel am 11. Dez. 1519 ein Schreiben, 3) worin
er unter Anderm fagt: „Im Juni ift mein Bote bei Euch gewefen,
Du fragft nad) unferm Studium? Im Sommer habe ich den Matthäus
erklärt; ich würde Dir meinen Commentar darüber geſchickt haben wenn
der Bote nicht fo ſehr geeilt hätte. Die des Römerbriefs bin ich
Dir zu fchiefen bereit, Wenn ich doch mündlich mit Dir reden könnte!
Grüße Reuchlin und Caſpar (Glafer) und alle Freunde! 11: Dez.
1519." Mehrere andere diefer Briefe geben Zeugniß von dem engen
freundſchaftlichen Verhältniß, das zwiſchen beiden geiftesvermandten
Männern beitand. So theilte Melanchthon Schwebel im Vertrauen
feine von Luther abweichende Anficht über das heilige Abendmahl mit
(1520), % und Melanchthon, deſſen ängftliches und verſchloſſenes Weſen
bekannt ift, würde ficherlich nichts Derartiges Luthern gegenüber, den er
fo unausfprechlich verehrte, geäußert haben, wenn der Empfänger bes
1) Bergl, bier wie überall: „Geſchichte der Reformation in Pforzheim,“
©. 304 fi.
2) Sie ftehen in Centuria epistolarum ad Schwebelium, 1597 herausgege—
ben vom Sohn Schwebels, dem Kanzler Heinrih Schwebel.
2) Dasielbe ift überichrieben: Philippus Mel, Johanni Schwebelio sacerdoti
sancti spiritus, fratri suo carissimo, d. h. Philipp Melanchthon an Job.
Schwebel, Priefter bes heiligen Geiftes, feinem geliebteften Bruder.
*) Der Brief ſteht Seckendorf, hist, Luth,, I., 303.
Pflüger, Pforzheim. 22
338 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert.
Briefes nicht in fo innigem freundichaftlichen Verhältniß zu ihm geftan-
den wäre, Bon letzterm gibt aber auch noch ein weiterer Brief Melanch⸗
thong vom nämlihen Jahr Zeugniß. Er fchreibt darin unter Anderm:
„Du irrft, wenn Du glaubft, mein lieber Schwebel, daß ich von irgend
Jemand angenehmere Briefe erhalte, als von Dir, deſſen Herz mir ſchou
fo Yange erprobt iſt. Meine heimathlichen Freunde haben mich fait alle
vergeffen, aus den Augen, aus dem Sinn. Faft bift Du noch der
Einzige, der an mich denkt. Die Studien find mein Troſt. Luther ift
größer, als ich mit Worten ausdrüden kann; ich bewundere ihn mehr,
als Mecibindes feinen Sofrates. Ich ſchicke Dir einen Brief von Hutten,
Grüße Gerbel und Eafpar Gtafer.” —
Das erfte Auftreten Schwebels in Pforzheim zu Gunften der
Reformation fcheint indeffen nicht ganz den erwarteten Erfolg gehabt
zu haben. Sei es, daß die Gemüther dazu noch nicht gehörig vorbereitet
waren, oder daß Schwebel nicht mit der nöthigen Vorfiht und Klug:
beit verfuhr, oder daß Markgraf Philipp feine Ueberzeugung nicht theilte
oder doc, Gründe hatte, ihr nicht zu folgen: genug, Schwebel mußte 1521
auf marfgräflichen Befehl Pforzheim verlaffen und fah fi) genöthigt,
jenfeit® deg Rheins bei dem Ritter Franz von Sickingen auf der Ebern-
burg Schuß zu fuchen. In diefer „Herberge der Gerechtigkeit”, wie
die NReformationsfreunde Sickingens Burgen zu nennen pflegten, fanden
au Oekolampad und andere Ähnliche Männer bereitwillige Aufnahme, 1)
Dort fanden zwifchen ihnen und Sidingen, fowie den Rittern Ulrich
von Hutten, Dieter von Dalberg und Hartmuth von Eronberg
vielfache Befprechungen über Gegenftände politifher und religiöfer Natur
ftatt, an denen Schwebel den eifrigften Antheil nahm. Einer der
wichtigften Gegenftände ihrer Verhandlungen bildete die Mefje. Sie waren
zuerft uneins, ob diefelbe abgeichafft oder in deutfcher Sprache beibehalten
werben folle. Zu leßterer, als einer vermittelnden Anficht, neigten fich
zulegt die meiften der Anmefenden, was zur Folge hatte, daß Sidingen
bie deutſche Meſſe auf allen feinen Gütern einführt. Die weitern
Punkte, über melche namentlich die beiden Ritter Hutten und Sickingen
1) Befanntlih wurde auch Luther, als er zum Reichstag nad Worms
reiste, von Sicdingen eingeladen, auf der Ebernburg Sicherheit zu ſuchen,
wenn er es für nöthig fünde; aber Luther machte von biefem Anerbieten feinen
Gebraud).
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert. 339
fich einigten, waren: 4. Einführung des Abendmahls unter beiden Ge
ftalten; 2, Abſchaffung des Heiligenkultus; 3. Abichaffung der klöſter—
lichen Gelübde; 4. Abichaffung des Cölibats. Daß Schwebel aud)
dieſer Anficht huldigte, geht aus einer Stelle eines Briefes hervor, wo
er ſchreibt: „Daß ich die Meſſe deutfc) Fee, halte ich für fein Ver—
geben, ſchäme mich auch defjen nicht und brauche das Licht nicht zu
fchenen. Ich thue diefen Schritt öffentlih mit dem Wunſche, daß mir
alle darin nachfolgen möchten, Unrecht war e8 either, daß diefe heilige
Handlung in einer den Laien umverftändlichen Sprache vorgetragen wurde.
Warum foll denn der Jnhalt der heiligen Schrift, den fie mit Andacht
mhören, ein Geheimniß bleiben? Irre ich, fo bitte ich, daß die heilige
Schrift mic auf den Pfad der Wahrheit zurüdführe. ”
Während feines Aufenthaltes auf der Ebernburg machte Schwebel
im Jahr 1522 im zwei Ausgaben ein Schreiben bekannt, das Franz
von Sickingen an den Vater feiner Schwiegertochter, den Ritter Diet:
rich von Handſchuchsheim, gerichtet hatte und worin diefem feine Bedenk-
Vichfeiten gegen die Einführung der Neformation genommen werden
follten. Schwebel begleitete diefe Schrift mit einem Vorwort an Georg
von Keutrum zu Pforzheim. In demjelben (datirt von der Ebern:
burg, 29. Juni 1522) lobt Schwebel jeines „Lieben günftigen Junkers
Georg Luthrumer” hriftliches Gemüth, bittet ihn, die Pforzheimer Freunde
der evamgelifhen Wahrheit zur Standhaftigkeit zu ermahnen, und be
dauert, daß er (Leutrum) nicht Zeuge fei, wie eifrig Franz von Sickingen
am Schickſal des Evangeliums Theil nehme. Die Sachen hätten fich
heutigen Tages feltfam verkehrt; ehemals feien die Laien über dag Geſetz
Gottes durch die Priefter unterrichtet worden; jet müßten umgekehrt die
Briefter durch fromme Ritter, wie Sidingen und Cronberg, an Gottes
Gefe erinnert werben,
Markgraf Philipp hatte fih mit Schwebel ſchon 1522 wieder
verföhnt, und es fcheint Teßterer im nämlichen Jahre entweder von ber
Ebernburg oder von Landftuhl aus, wo ihm Franz von Sickingen nad
bereit3 erfolgter Ablegung feines Drbdenskleides die Pfarrei übertragen
hatte, einen Beſuch im Pforzheim gemacht zu haben. Wenigftens ift
eine Schrift, die er herausgab und die von Hans Greiffenberg dafelbit
gedrudt wurde, datirt: „Pforzheim den 1. Chriftmonat 1522.” Dies
felbe führt den Titel: „Ermanung zu den Queſtionirern (d. 5. Bettel-
mönden), überflüjfige Koften abzuftellen.” Auf dem Somit des
340 Amölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
Titelblattes ift der Papft mit der dreifachen Krone abgebildet, und zwar
hinter einem vollen Sad ftehend , der die Auffchrift trägt: „Umb gelt
ein Ablaß, zu verfundigen gegen gelt.“ Nicht weit davon fchwingt ein
Knabe in jeder Hand eine Schelle; zur Seite fteht eine gefüllte Geld-
fifte und Iniet ein Bauer, der Abla verlangt und dafür einen Hahn
und, wie es fcheint, ein neben ihm liegendes Schmein bietet. Diefe
Schrift, eine der interefjanteften und befannteften Schwebels, beginnt mit
den Worten: „Den würdigen, andechtigen Herren, fo wegen der armen
und fpitalen gunft halten (d. h. kollektiren) und Almueſen fammeln,
wünfchet Joannes Schweblin, Diener der armen, gnab und frieden
Gottes." Der Schrift felbft entnehmen wir folgende Stelle: „Für
die Armen zu forgen und zu ſammeln ift Pflicht, befonders aber derer,
welche dazu gefett find. Letztere haben jchon die Apoſtel verordnet, die,
mit dem Worte Gottes beichäftigt, der Tiſche nicht warten Fonnten.
Noch jebt gibt das Volk willig für die Armen; aber es kommen oft
Unmürdige, welche recht gut arbeiten Könnten, Die römifche Gewalt
läßt zu, daß Almofen gefammelt werden, und wir reiten mit fchmerer
Zehrung gen Rom, zahlen dort die Kopiften, Notarien, Sefretäre und
viele hundert Dufaten in des Papftes Kammer für ein Pergament mit
angehängten Blei, darin wir als päpftliche Bevollmächtigte auf einige
Sabre beftellt werben zur Einziehung des Ablaſſes. Aber wozu die
großen Koften, aus fremdem Land Erlaubniß zu holen? Jeder darf
in Nöthen Almofen jammeln, und wozu römiſchen Ablaß? Chrijtus,
unfer lieber Herr und Seligmacher, hat ung genugfam angezeigt den
höchſten Ablaß: Ihr habt mich gefpeist, gekleidet, getränft. Was wird
Chriſtus zu denen jagen, die fich zueignen, was den Armen gegeben
wird? Das gefammelte Ablapgeld gehört den Letztern. — Wer den
Bann des Papftes fürchtet, der vernehme, was Chriftus zu einigen
Süngern fagte, die gegen eine famaritifche Stadt Teuer vom Himmel
verlangten: Des Menjchen Sohn ift nicht gefommen, zu verderben,
fondern felig zu machen, was verloren if. Die Summe für päpftliche
Bullen fteigt je mehr und mehr; bei jedem neuen Papft muß die ECon-
firmation der vergebenen Freiheiten frifch bezahlt werden mit vielem
Gelde, und doc jagt Chriftus: Meine Worte werben nicht vergehen!
Wollte man einwenden, ſolche Botſchaften und Gunften find nothwendig,
damit nicht Einer aus eigener Gewalt fich deſſen anmaße, fo entgegne
ih: Über nicht foll e8 mit fo großen Koften gejchehen, Die Gelder,
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Sahrhundert, 341
welche die Biſchöfe und Prälaten einſtecken, follen den Armen zufommen.
Für ein Mandat muß man dem Bifchof 40 Gulden bezahlen oder auch
mehr; dann fommen aber erft noch Pfarrer, Frühmeßner, Kaplan, Schul:
meifter, Meßner, Colleftores u, dgl., welche alle ihre Jura haben und
von dem DBettel reich werden wollen. Wenn ein Tyrann die Armen
beraubte, mürde Jedermann Mord über ihn ſchreien. Dazu kommen
noch mancherlei Stationirer, die das unverftändige Volk verführen, aus: »
gelaufene Mönche, die für einen alten Bildftod fammeln, der gut fein
ſoll gegen Peftilenz zc,, der ein Mittel fein fol gegen wüthende Hunde ꝛc.
Kurz, von 1000 Gulden, die gefammelt werden, fommen vielleicht nicht
10 an die Armen. Bedenfet das wohl, auf daß es anders werde.”
Dean fieht fowohl aus einzelnen Stellen diefer Schrift, als aus der ges
nauen Kenntniß, welche Schmwebel über das ganze Mefen hat und an
ben Tag legt, daß er felbft Meifter vom Fach und wohl eine Zeitlang
Dueftioniver geweſen war.
Am Jahr 1523 erhielt Scwebel einen Ruf nad Zweibrücken,
wo Pfalzgraf Ludwig IL. ihn zum Superintendenten ernannte und ihm
das Gefchäft der Neformation in Luthers Sinn und Geift auftrug. Um
fiher zu fein, nichts Voreiliges oder Unbefonnenes zu thun, bevieth er
fich vorher forgfältig mit Johann Sturm aus Straßburg, diefem
gelehrten Mann und eifrigen Neformationsfreunde, uud eine foldhe
Mäßigung war um fo nothiwendiger, als nad) dem Tode Ludwigs II.
von Zweibrüden deſſen Bruder Ruprecht die Vormundſchaft für den
minderjährigen Sohn Ludwigs, Wolfgang, übernahm und fi mit Ein-
führung der Reformation nicht übereilte.
Schwebel befuchte auch tm darauffolgenden Jahr 1524 feine geliebte
Baterftadt wieder, und hielt dafelbft in der Spitalficche am Sonntage
Misericordias eine Predigt, die in mehreren Auflagen unter dem Titel:
„Bom guten Hirten” gedrudt wurde, ine derjelben ift von einem
Driefe des Schwebel innig befreundeten Nikolaus Gerbel in Straßburg
begleitet, worin derfelve feine evangelifch gefinnten Landsleute in Pforz⸗
beim auffordert, der einmal erkannten Wahrheit treu zu bleiben. Die
Predigt (über Joh., 10) ſpricht von der Pflicht des Predigers, bie
Sünde feines Standes zu verfchonen, vom Unterfchied zwiſchen dem
Hirten und dem Miethling, der ſich felbft, nicht die Schafe weide, ihnen
aber ſchwere, ja unerträgliche Laften auflege. „Der gute Hirte Jeſus
Chriſtus aber läßt frei die Speife, welche Gott gefhaffen hat, bindet
342 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
uns ar feinen Tag und Feine Zeit. Wehret auch nicht, ehelich zu werden
den Geiftlichen, fuchet nicht zeitliche Ehre und Herrſchaft; denn Chriſtus
hat fein Leben gelaffen für die Schafe, hat genug gethan für die Sün—
den der Melt, wovon ich nächſt Freitags geredet habe, ?) warne vor
den Blinden, die Andere leiten wollen und mit ihnen in die Grube
fallen. Die „Miethling” aber werfen auf, etliche den Bernhardum,
etliche den Franzisfum, die dritten den Dominifum u. dgl., davon fie
fich nennen, obgleich nicht diefe für uns geftorben find. Am Schlufie
der Predigt heißt e8: „Ich acht, liebe Freund und Brüder, daß Gott
gewollt hat, daß ich noch eins bei end) predigen follt, wie jegund ges
fchehen ift, und eben das Evangelium, damit ich euch ermahnt, bei dem
Hirten zu bleiben, weil ev euch wiederum beimgejucht und fein Wort
euch mittheilt. Iſt meine Bitte um Gottes willen, ihr wollet bei dem
Evangelium bleiben und Niemand laſſen abwenden; ob mir ſchon Gott
die Gnade nicht mehr thut, daß ich bei euch Könnte predigen, will idy
jetst ermahnt und gebeten haben, bei göttliher Wahrheit zu bleiben und
Gott für mich zu bitten, daß ich im rechten Glauben bleibe, will ich
auch thun für euch. Hiemit Gott befohlen, Amen.“
Daß Schwebel mit dem Markgrafen Philipp jest auf beftem Fuße
ftand, geht daraus hervor, daß er auf Verwendung bdesfelben, als er
fih nod im Jahr 1524 verebelichte, einen großen Theil des Vermögens
zurück erhielt, weldyes er einft als junger Mönch feinem Klofter in Pforz—
beim zugewendet hatte. Schwebel hatte indeffen den Markgrafen, mit
dem ihn das Schieffal mehrfach zufammenführte, durch und durch erkannt,
und ihm in einem Briefe, indem er ihm zu feinen Reformen Glück
wünfchte, zugleich and die Warnung angerufen : „Ne respiceres Aegyp-
tum“, d. 5. daß er fich nicht nach den Fleiſchtöpfen Aegyptens umfehen
folfe. Der weitere Verlauf der Reformation in Pforzheim beweist, wie
gegründet diefe Warnung war.
Sein wichtiges Amt als Superintendent in Zweibrücken beffeidete
Schwebel mit treuem Fleiße bis zu feinem Tode, welcher am 19. Mai
1540 erfolgte, nachdem er namentlich eine Reihe von Jahren hindurch
in freundfchaftlichitem Umgang mit Johann Bader, dem Stadtpfarret
zu Landau , gelebt hatte. Von feiner ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit und
1) Beweis, daß Schwebel während diefes Aufenthaltes in Pforzheim nicht
nur ein Mal dafelbft gepredigt hat.
Zwölfles Kapitel, Pforzheim im 16, Jahrhundert, 343
der ausgebreiteten Korreſpondenz, welche er führte, zeugt eine. größere
Anzahl von Schriften, die er theils felbit herausgab, theils fein ältefter
Sohn Heinrih zum Drude beförderte,
Der Nachfolger Schwebels in Zweibrücden wurde aud wieder ein
Pforzheimer, Kajpar Glaſer (S. 195), den er 1532 als Lehrer
und Erzieher des noch minderjährigen Herzogs Wolfgang dahin berufen
hatte, 5
- Was den Charakter Schwebels betrifft, fo zeigte ſich derjelbe ftets als
ein milder und verföhnlicher, und um des lieben Friedens willen war Schw.
oft mehr zur Nachgiebigkeit geneigt, als feine Freunde billigen wollten.
So wurde er von Gerbel, als er 1521 eine Schrift herausgeben wollte,
deren Druck diefer beforgen follte, wegen der darin enthaltenen Stelle:
„Damit will ich dem Papſt feinen Ablaß nicht verworfen haben”, ges
tadelt und von Gerbel aufgefordert, diefelbe zu ftreihen, Daß er auf
der Ebernburg nicht für Abſchaffung der Meffe ftimmte, ift bereits er-
zählt worden.
Unter den Theologen feiner Zeit nahm Schwebel eine bedeutende
Etelle ein. Sein Lieblingsftudium mar das Hebräifche, weshalb er oft
mit Juden verkehrte, was ihm die Katholiken nit wenig zum Vorwurf
machten, indem fie fagten, er fite des Sabbaths unter den Juden und
lehre das Volk das Judenthum. Seine freiern Anfichten über manche
theologischen Streitpunfte brachten ihn fpäter bei den Xutheranern in
den für die damalige Zeit entjelichen Verdacht, daß er ein Zwinglianer
fi. Daß er fid) namentlich in Bezug auf die Lehre vom heiligen
Abendmahl mehr der Auffaffung der reformirten Kirche zuneigte, geht
aus mehreren Stellen feiner Schriften und ſodann auch daraus hervor,
daß er die damit ziemlich übereinftimmende Confessio tetrapolitana,
d. b. das von ben oberbeutichen Neichsftädten Straßburg, Konftanz,
Memmingen und Lindau dem Kaifer auf dem Reichstag in Augsburg
4530 neben der Augsburger Gonfeffion noch befonders überreichte lau:
bensbefenntniß förmlih annahm. Don allem Parteieifer und Partei:
Haß war er aber weit entfernt, und wollte auch weder lutheriſch noch
paulinifch heißen; nur ein Chrift wollte er bleiben; „denn“, fagte er,
„wicht Luther ift für mich geftorben, fondern Chriſtus.“
Was die Familie und Nachkommen Schwebels betrifft, jo ift feines
älteften Sohnes Heinrich, der zweibrücdifher Rath, fpäter Kanzler
wurde und nicht nur feines Vaters Briefmechjel herausgab, fondern aud
344 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
deffen Leben befchrieb, mehrfach erwähnt worden. 1604 lebte Joh.
Ludw. Schwebel, zweibrüdifcher Beamter; ) 1777 ftarb Nitol.
Schwebel, ein Gelehrter aus Nürnberg, Rektor an der Schule dafelbit
und zu Ansbach, welcher mehrere Werke herausgab; — 1778 bis 1782
war Friedrich Schwebel Pfarrer zu Bifchweiler. 2) Der franzö—
fifche Generaltonful in Tripolis 1833 hieß Schwebel. ) In Porz
beim ſelbſt ift das Gefchlecht der Schwebel Tängft erlofchen,
C. Nikolaus Gerbel.®)
(1490—1560.)
Nikolaus Gerbel war um 1490 in Pforzheim geboren und ber
Sohn eines Malers dafelbft. Er befuchte in feiner Jugend die fo be
rühmte Schule feiner Vaterftadt und begab ſich fpäter zur Fortſetzung
feiner Studien nah Köln. Schon damals (1507) knüpfte er einen
lebhaften Briefwechfel an mit Tritheim, dem berühmten Chroniften von
Hirſchau, 5) wie er denn auch fpäter in bejtändigem fchriftlichen Verkehr
mit faft allen ausgezeichneten Männern feiner Zeit ftand. — Von Köln
ging ©erbel nad) Tübingen, wo er 1508 Magifter wurde, 6) und Fehrte
dann auf eine Zeit lang nad) Pforzheim zurück, wo er an der nämlichen
Schule, der er früher als Schüler angehört, und an welder damals
Simmler und Lift wirkten, nunmehr auch als Lehrer thätig war. Um
feinen Kenntniſſen einen noch weitern Umfang zu geben, begab er fich,
mit Empfehlungen feines väterlichen Freundes Reuchlin, namentlich an
den ausgezeichneten Juriſten Crifpinian verfehen, 1512 auf die Univer-
fität nad Wien, Er ſcheint zuerft unfchlüffig geweſen zu fein, welchen
Studien er ſich vorzugsweife hingeben follte; denn er jchreibt an Pfing:
ften 1512 von Wien aus an Reuchlin: ) „Sch erwarte, was Du aus
N) Kulmann, Geſchichte von Biſchweiler, S. 33, 136.
2) Ebendaſelbſt, S. 116 und 139,
2) Greuzer, zur Gefhichte altrömifcher Kultur, ©. 105.
) Quellen: überall angegeben.
8) Siehe die zwei Briefe in Trithemii Abbati Spanhemiensis epistolarum
familiarium libri duo, Hagenau, 1536, ©. 273; Jung, Beiträge, IL, 19.
6) Erufius, ſchwäb. Chronik, II, 368,
?) Der Brief fteht in; virorum illustrium epistolae ad Joh. Reuchlin,
lb I, Tub. 1514, (Jung, Beite, IL, 195.)
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert. 345
mir machen willft. Soll ich die Griechen ftudiren? Soll ih Platonilker
werden? Sol ih den Livius leſen?“ — Sein Hauptftubium fcheint
aber nunmehr die Rechtswifjenfchaft geworden zu fein, in welcher er fo
glänzende Fortfchritte machte, daß er in Wien felber, wenn auch nur
vorübergehend, den Lehrftuhl befteigen Konnte. 1) Auch trat Gerbel ſchon
damals als Schriftfteller auf 2) und begann damit eine Zaufbahn, auf
welcher er in der Folge eine ungemeine Fruchtbarkeit entfaltet, Nach
zweijährigem Aufenthalte in Bafel (1514 und 1515) ließ ſich Gerbel
in Straßburg als NRechtskonfulent nieder. Schon früher war er außer
mit dem fchon erwähnten Tritheim auch mit Ulrich von Hutten in
Yiterarifche Verbindung getreten, welcher ihn zu den hauptfächlichiten Be—
förderern der Haffishen Studien zählte, 3) ferner mit dem Freiburger
Auriften Zafins, welcher ebenfalls höchſt ehrenvoll über ihn urtheilt, 2)
ebenjo mit feinem Sugendfreunde Melanchthon und mit Erasmus
von Rotterdam, der ſich in einem Briefe 5) alfo über Gerbel ausſpricht:
„Seit mandem Jahr habe ich an keinem Umgang mehr Freude gehabt,
als an feinem, und von feinem Menſchen veripreche ich mir Größeres,
als von „Beatus Nhenanus und von Gerbel,“
Sn Straßburg entwidelte er neben den Gejchäften, welche fein
Beruf mit fih bringen mußte, und zu denen auc die Löfung der
Nechtsftreitigfeiten des dortigen Domftiftes gehörte, eine erftaunliche
wiſſenſchaftliche Thätigkeit, namentlich auf den Gebieten der alten klaſ—
fifchen Literatur und der Geſchichte, und gehörte ſchon 1518 zu den
berühmteften Männern feiner Zeit. So gab er in den Jahren 1515
und 1516 unter Anderm Ovids Metamorphofen, (Straßburg bei
Shurer) und den Terenz heraus, Als Luther das Werk der Refor—
mation begann, gehörte Gerbel zu denjenigen Männern, welche ſich als:
bald mit großer Entfchiedenheit auf die Seite des kühnen Möndyes in
Wittenberg ftellten und überhaupt an den Neligionsangelegenbeiten jener
Zeit den eifrigften Antheil nahmen, Aus diefem Grunde Tag er mit
Ausdauer dem Studium des neuen Teftamentes, der Kirchenväter und
1) Vergl. Denis, Gefchichte der Wiener Buchdruckerei, 1782.
?) Denis, Gefhichte der Wiener Buchdruckerei, S. 85 und 19.
3) In ber Borrebe zur erften Ausgabe des Livius (Mainz, 1518), welde
in Deutſchland erſchien.
*) Riegger, Udal, Zasi opist. ©, 2 und 284. (Qung, I., 194.)
5) Röhrich, Reformationsgefchichte des Elſaßes, I, 126.
346 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
der neuern theologifhhen Schriften ob, vielleicht auch mit zu dem Zweck,
um feinen Freund und Lehrer Reuchlin in den Berfolgungen, welche
diejer damals auszuftehen hatte, nicht nur mit feiner Jurisprudenz und
feinen bumaniftifhen, fondern auch feinen theologiichen Kenntniffen um
fo kräftiger unterftüßen zu können. Noch mehr als alle Straßburger
Theologen jebte er fih mit den Mittenberger Neformatoren in engite
Berbindung, und er war es hauptſächlich, dev durch Verbreitung ber
Schriften Luthers gemeinfhaftlih mit Math. Zell in Etraßburg am
meiften dazu beitrug, am Oberrhein die Gemüther für die Lehren
Luthers zu gewinnen, Dies gefhah vorzüglich dadurch, daß alle Schrif—
ten Luthers, um die große Nachfrage zu befriedigen, nachgedruckt wurden,
und zwar oft wenige Mochen nach dem Erſcheinen des Originals, Mit
den Straßburger Geiftlichen, mit Ausnahme des erwähnten Matth. Zell,
war übrigens Gerbel nicht zufrieden; er fchreibt darüber an Schwebel:
„Hier. in Straßburg find wir im zwei fich haſſende Parteien getheilt.
Straßburg ift mein Tod; nur Wenige haben Chriftum lieb; nur ein
Prediger (Zell) predigt das Evangelium; die anderen find Kalt.“ 9)
Sein freundſchaftliches Verhältniß zu Schwebel zeigt ein ſchon früher
(Juli. 1519) an denfelben gefchriebener Brief. Gerbel fagt darin
u. A.: „Wenn Du aud) über mein Nichtichreiben Hagft, jo bin ich
doc, Dein alter Freund, bejonders da Du von Kindheit an zu meinen
Freunden gehörft. Schreibe mir von Deinen Studien nnd grüße den
Meifter (nämlich des Heiliggeiftipitals, in welchem ſich Schwebel damals
noch befand, wahrſcheinlich Hütlin, S. 187) und Deine Brüder daſelbſt!“
An Luther fchreibt Gerbel (18. Mai 1521), als jener auf dem
Reichstag in Worms war, einen Brief voller Liebe und Theilnahme;
aber derfelbe fcheint Luthern erft auf der Wartburg zu Handen gekom—
men zu fein. 2) Mit defien übrigen Treunden war Gerbel übrigens in
größter Angit über Luthers plößliches Verſchwinden bei der Rückreiſe von
Worms, wurde jedoch von Luther in einem Brief, den er unterm
4. Nov. von der Wartburg aus an Gerbel fehrieb, beruhigt. Er vers
ſprach, ihm feine neueften Schriften durch Spalatin zu ſchicken und
wünschte ihm Glück zu feiner neulich vollgogenen Heirath. Luther wurde
ı) Kung, Beiträge, IT, 61.
2) Seckendorf, hist. Luth,, V., 361,
Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16, Jahrhundert 347
ſpäter auch Pathe jenes erfigebornen Sohnes. 1) Noch im Jahr 1524:
beforgte Gerbel eine Ausgabe des neuen Teftamentes im Urterte (Has
genau in 49), da die Nachfragen nach biefem Buche kaum zu befriedigen
waren, Mit Eifer bekämpfte er in der Vorrede den Grundſatz, daß
es in der hriftlichen Lehre Geheimniffe gäbe, melde der Menge nicht
mitgetheilt werden könnten, weil fie nicht empfänglich dafür fei, und führt
dagegen an, daß Ehriftus ja auch feine befeligende Lehre vor Fiſchern
u. oͤgl. gepredigt habe.
Ein abermaliges Schreiben Luthers an Gerbel ift vom 29. März
1522 datirt, „Ohne Zweifel“, heißt es darin, „ilt mein Brief aus
der Müfte (Wartburg) Dir durch Phil. Melanchthon zugefchiett worden.“
Luther erzählt in diefem Briefe unter Anderm, daß er in Wittenberg
babe Ruhe jtiften müflen. Im nämlichen Jahre ließ Gerbel als Frucht
feiner theologifchen Studien der Kirchenväter die Schriften des Hermas
in Straßburg druden ?) und fuhr auch jonft fort, die Schriften Luthers
in Straßburg, Hagenau und zum Theil auch in Bafel fo ſchnell als
möglich durch die Preſſe vervielfältigen zu laffen Wie er dadurch der
Sache der Reformation vortreffliche Dienfte Teiftete, jo nahm er fich
auch willig der Anhänger der Neformation an, wie unter Anderm ein
Empfehlungsbrief beweist, ben er einem Geiftlichen an Zwingli mitgab.
„Der Mann“, fchreibt Gerbel, „it lange im Gefängniffe gewefen und
wohl im Stande, fih, Frau und Kinder mit Hülfe einer Vehrſtelle
durchzubringen.“ I) Wie umfaffend die Studien Gerbeld waren, zeigt
eine Stelle aus einem Briefe von 1523, worin er felber fagt, daß er
fi jest am liebſten mit dem Hebräifchen befchäftige im Verein mit
feinem Tiebften Straßburger Freunde Hebdio. *)
Mit Luther ftand Gerbel aud in den folgenden Jahren in une
unterbrochener Korrefpondenz. Betrafen ihre Briefe meift theologifche
Gegenftände, jo einige derfelben die Verirrungen Karlftadts, den Luther
des Ehrgeizes beſchuldigt 5) und den Gerbel den Verläumder Luthers
nenmt: fo blieben auch ihre gegenfeitigen häuslichen Werhäftnifie darin
) Röhrich, I, 309.
2) Jung, Beitr.
) Schuler, I, 192.
*) Centuria epist, theol, ad Schweb., p. 38.
5) Luthers Werke, herausgegeben von Wald, XV., ©. 2445, und 2452,
348 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert,
nicht unberührt. Als Gerbel fih im Jahr 1525 zum zweiten Male
mit einer gewifien Dorothea (es ift nichts Weiteres über fie bekannt)
verheirathete, erhielt Luther ſogleich Nachricht davon, und fehrieb deshalb,
an Gerbel:1) „Grüßet Eure Frau und bittet fie mir auf Pfingften
zur Gevatterin, wo e8 ein Töchterlein iſt; ift e8 aber ein Sühnlein, fo
müßt Ihr Gevatter fein, wo hr mic; deffen würdig adhfet.“ (Der
Sohn hieß Johannes und wurde des Vaters Liebling.) Und 1527
ihrieb wiederum Gerbel an Luther: „Ich bin wohl und erwarte näch—
fter Tage Segnung vom Herrn; denn meine Gattin ift in Hoffnung,
und ich weiß nicht, welche nahen Freuden, welche Süßigfeit fie mir ver:
ſpricht. Wenn das Ereigniß mit göttliher Gnade gut vorüber geht,
was gibts, fage mir, Glüclicheres und Erhabeneres, als Gerbel?“
Als Probe des derben Briefftyls Gerbels , deſſen er fih manch Mal
bediente, wenn er an Bekannte fchrieb, mag folgende Stelle aus einem
Schreiben an Luther vom 23. März 1525 dienen:?) „Zu ganz ge
legener Zeit haft Du mich, mein Luther, gemahnt, mich nicht darüber zu
wundern, daß, wenn wir unfere Mannjchaft aus dem Lager führen, der
närriihe Satan ſogleich auch Alles in Bereitichaft ſetzt, um das Voll
Gottes zu bekämpfen. Wie wenn er (der Satan) nicht wüßte, daß die
- Evangelifhen durch den heiligen Geift aufs Beſte gepanzert feien, und
daß derjenige, der recht hinterliftig zu fein meint, gerade zu allererft in
die Grube fällt! Ms Du vor einigen Jahren die römischen Prieſter
und den ganzen römifchen Sklaventroß derb durchhechelteft, wie fie es
verdient hatten, da war ihnen das doc) etwas zu hart” ꝛc. — In einem
andern Brief vom 21. Oft. 1530 mit der Aufichrift: „Dem durch
Frömmigkeit und Ausdauer ehrwürdigen Mann Martin Luther, dem
Beihüger, feinem -Gevatter, feinen freundlichften Gruß Nikol. Gerbel,"
ermahnt er am Schluſſe Kuthern zur Standhaftigkeit mit den Worten :
„Dleibe Div gleich, wie Du Dir bisher beharrlich gleich geblieben bift,
und laß Dich durch Feine Menfchengunft von Gottes Gnade abwenden.”
Einer der letzten Briefe Gerbels, vom 1. Auguft 1544, ift an Melandh:
thon gerichtet. Er empfiehlt demſelben darin einen jungen "Mann, Na:
mens Hieron. Bopp, der im Begriff war, die Univerfität Wittenberg zu
beziehen.
1) Wald, XXL, 1004,
2) Schadaei, epist, de re sacramentaria, 1.
Zwolftes Kapitel, Pforzheim im 16. Jahrhundert. 549
Das Amt, das Gerbel in Straßburg zuletzt bekleidete, war das
eines Profefiors der Gefchichte, worin er, wie in manchen andern Wiffen:
haften, gründlich bemandert war. Auch die Mufe feines Vaters war
ihm Hold, und wenn er fi) von den Sorgen eines fo vielfach thätigen
Zebens zurüdziehen konnte, fo füllte nicht felten die ftille Beichäftigung
mit Malerei feine Stunden aus, wie aus manchen feiner Briefe an
Luther und aus einer gemalten Anſicht von Genua hervorgeht, mit der
er, als den Werke feiner Hand, 1540 auf dem Tage zu Hagenau
einen feiner Gönner (den franz. Geſandten Baif) beſchenkte. 1) Gerbel
ftarb in hohem Alter zu Straßburg den 20. Januar 1560.
Auf den Charakter und die Gefinnung Gerbels laſſen fi ſchon
aus dem Bisherigen, namentlih aus den mitgetheilten Bruchſtücken
feiner Briefe, manche Schlüſſe ziehen. Unter allen Straßburger Ge:
Vehrten, die zur Zeit der Reformation Tebten, zeichnete fich Feiner fo fehr
durch Eifer und Thätigfeit aus, als Gerbel, der neben feinem Rechts—
ftubium auch die theologifhen Wiffenihaften in dem Umfang, den bie
Reformation ihnen gab, emfig verfolgte. 2) Er war einer der eifrigiten
Beförderer der Reformation und hing mit glühender Verehrung nament:
ih an Luther. Von feiner Entichiedenheit in Abſchaffung der Firchlichen
Mißbräuche zeugt fein Brief an Schwebel, worin er bdiefem über die
Aeußerung: damit will ich dent Papfte feinen Ablaß nicht verworfen
haben — gegründete Vorwürfe macht. Wegen feiner Gelehrſamkeit und
feinen unermüdlichen wifjenichaftlichen Beftrebungen ſowohl, als wegen feiner
Zuverläffigkeit und Nectichaffenheit ftand er bei feinen Zeitgenoffen,
namentlich denjenigen, welche der Neformation zugethan waren, in höchfter
Achtung. Einen Beleg dazu liefert die allgemeine Entrüftung , welche
darüber entftand, daß ein Ungenannter in einem Buche über die Rhe—
torit Gerbel als Beiſpiel eines Kirchenräubers hingeftellt hatte, Gerbels
Freunde, aufs Tieffte erbittert über eine ſolche Schmach, wandten ſich
an Melanchthon, der den Verläumder Fannte und dahin zu bringen
wußte, daß er öffentlich Abbitte that. Schließen wir die Worte des
Lobes über unfern Landsmann mit denen eines damaligen Schriftftellers,3)
dann wird uns, indem wir auch auf das oben angeführte Urtheil be-
rühmter Zeitgenoffen über Gerbel nochmals verweiſen, nichts mehr Hin:
2) ung, IL, 61.
®) Thuanus, lib. 26.
350 Zwölftes Kapitel. Pforzheim im 16. Jahrhundert.
zuzufegen übrig bleiben. „Nikolaus Gerbel von Pforzheim”, fo heißt
es bdafelbft, „ein vortreffliher Mann, ausgezeichnet ebenfowohl durch
Gelehrſamkeit, als durch Feinheit feiner Sitten und feines Benehmens.“
Bon den Nachkommen Gerbels find nur wenige befannt, Sein Enkel,
Teodor Gerbel, war Rathihreiber in Straßburg.t) Ein Nikolaus
Gerbel ftand 1573 in württembergifchen Dienften,2) Ein Georg
Gerbel kommt 1540 in Straßburg vor.3) Ein anderer Gerbel (ohne
bek. Bornamen) ebendafelbjt 1590. 99 ine Enkelin desfelben war die
Ehefrau des Joh. Pappus (um 1600). In Pforzheim ſelbſt ift das
Geſchlecht der Gerbel, gleich dem der Schwebel, Tängft nicht mehr
vorhanden.
1) Röhrid, I, 170.
2) Sattler, 5, 168.
s) Kolb, 3, 163.
*) Fecht, epist., ©. 877,
Dreischntes Rapitel.
Pforzheim unter der vormundfchaftlihden Negierung und den
Markgrafen Ernft Friedrich und Georg Friedrich. !)
(1577 — 1622.)
GA. Allgemeines.
Karl II. Hinterließ drei Söhne, Exrnft Friedrich, Jalob und Georg
Friedrich, über weldye aber, da fie beim Tode ihres Vaters noch min-
derjährig waren, eine Vormundfchaft niedergefeßt wurde, Dieſe Vor:
münder febten wiederum eine Landesregierung unter dem Statthalter
Hans Landſchad von Steinach ein, dem der Kanzler Achtſynit zur Seite
ftand, Von Beiden ift auch der wegen der Freiheiten der Stadt Pforze
beim übliche Revers unterzeichnet, der unterm 1. Juni 1580 ausgeftellt
wurde. 2) Die vormundichaftliche NMegierung nahm jedoch ſchon 1585
ein Ende, nachdem diefelbe nad dem Wunſche der drei Brüder eine
abermalige Theilung der baden=durlachiichen Lande beſchloſſen hatte,
Ernft Friedrich erhielt die untere Markgrafichaft, 3) nebft Befigheim,
Mundelsheim und Altenfteig; Jakob befam die hochbergiihen Befitungen
nebft Sulzburg; Georg Friedrid wurde Saufenberg, Röteln und Ba—
denweiler zugetheilt. Jakob ftarb jedoch ſchon 1590, nachdem er vorher
noch zur Tatholifchen Kirche übergetreten war und bereits Anftalt ges
troffen hatte, auch feine Untertanen wieder katholiſch zu machen; %)
1) Die allgemeinen gefchichtlihen Quellen find die frühen; die bejondern
find überall angegeben.
2) Städtifches Archiv.
3) Der im ftädtifchen Archiv befindliche Beftätigungsbrief der Freiheiten
der Stabt ift vom 3. Februar 1585 datirt,
*) Markgraf Jakob Tiegt in der Gruft zu Pforzheim begraben. Fein
Standbild, welches die ſchöne Keibesgeftalt dieſes Fürſten zeigt, befindet ſich im
Chor der Schloßlirche, und zwar, von ber Kirche aus gejehen, auf ber linfen
Seite desſelben.
352 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
und da ihm 1591 fein einziger männlicher Leibeserbe im Tode nach—
folgte, fo theilten fich feine Brüder in feine Befigungen. Wurde dadurch
das Gebiet Ernft Friedrichs vergrößert, jo dehnte er bald nachher feine
Herrſchaft auch in noch anderer Weiſe aus. Markgraf Eduard Fortunat
von Baden-Baden hatte ſich und fein Land durch feine Verſchwendungen
in tiefe Schulden geftürzt und ging zufegt mit dem Gedanken um, die
Markgraffchaft janımt dem Erbrecht zu verkaufen. Nun waren beide
Markgraffchaften wegen älterer Schulden ungetrennt verpfändet worden,
Mährend aber der durlachifche Antheil daran längſt bezahlt war, Hatten
die badifchen Schulden ſich immer mehr gefteigert, und zuleßt fuchten
die Ältern Pfandgläubiger bei Baden: Durlady Befriedigung. Um ſich
fiher zu ftellen, ließ Ernft Friedrich 1594 Baden-Baden befegen und
fi als Adminiftrator huldigen. Alle Bemühungen Eduard Fortunats,
fein Land wieder zu erhalten, waren vergebens, ob er gleich feinem
Vetter Ernſt Friedrih mit Gift, Zauberei and gedungenen Mördern
nad) dem Leben trachtete, Nachdem er noch Kalihmünzerei und Stra:
Benraub getrieben, flarb er 1600 in Folge eines Sturzes von einer
fteinernen Treppe. Von den Anfprüchen, die fein Sohn Wilhelm auf
Baden-Baden geltend zu machen fuchte, wird unten bei der Gefchichte
de8 breißigjährigen Krieges die Rede fein. Ebenſo energifh, wie gegen
Eduard Fortunat, bewies fi Ernft Friedrich gegen das Klofter Frauen:
alb. Weil die dortigen Nonnen durch ihre unfittliche Lebensart viel
Aergerniß erregten, fo vertrieb er fie aus dem Klofter, worauf einige
nad Lichtenthal gingen, andere ſich vermählten. Die Priorin Paula
von Meitershaufen begab fi nad Pforzheim, wo fte 1609 ftarb. 1)
Wegen Baden-Baden war Ernit Friedrich genöthigt, immer eine größere
Truppenmacht zu unterhalten, als es fi) mit den Kräften feines Landes
vertrug. In feiner Geldverlegenheit nahm nun der Markgraf zwei
Handlungen vor, die fpäter bitter bereut wurden, aber nicht mehr unges
ſchehen gemacht werden fonnten, Im Jahr 1595 verkaufte er an den
Herzog von Württemberg die Nemter Befigheim und Mundelsheim um
die Summe von 334,486 fl, — und 1603 ging er mit dem nämlichen
Fürften einen Taufch ein, der für diefen eben fo vortheilhaft, wie für
Ernft Friedrich und feine Nachfolger nachtheilig war. 2) Der Markgraf
I RoI6, Saiten, 1, 206
2) Der Taufchvertrag ift abgebrudt bei Kausler, Beichreibung bes Ober⸗
amts Neuenbürg, ©, 162,
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert, 353
gab an Württemberg Stadt, Schloß und Amt Altenfteig mit allen
Dörfern; ferner Stadt und Burg Liebenzell nebſt den Dörfern Meiler
Hangitett, Beinberg, Biejelsberg, Ober: und Unterlengenhardt, Maifen:
bach, Ernftmühle, Dennjächt, Schwarzenberg, Kollbach, Igelsloch, Schön:
berg, Monakam und Reichenbach mit allen Waldungen, Berechtigungen
20; — dafür erhielt er von Württemberg die Orte Malſch, Yangenftein:
bach, Auerbah, Dietenhaufen, Itters bach, Spielberg, die Mar:
fung von Obermutſchelbach zc. nebit einer Ausgleihungsjumme von
481,700 Gulden. Diefes Geld ging fort, und die herrlichen Wal:
dungen, wie fie die obere Nagolögegend aufweist, blieben für Baden
verloren!
Die religiöfen Wirrſale, weldye der Hinneigung Ernft Friedrichs
zur veformirten Lehre entjprangen, wird ein bejonderer Abſchnitt behan—
dein. Der Markgraf ftarb 1604 und wurde in Pforzheim beigejett.
Sein Standbild im Chor der Schloßkirche (das erſte links, von der
Kirche aus gefehen,) zeigt die ftattliche Leibesgeſtalt dieſes Fürften. 1)
Im Gefichte drückt fich jene ftarre Unbengfamfeit aus, die ein Haupt:
harakterzug Ernft Friedrihs war. Da derielbe feine Nachkommen
hinterließ, fo fam die ganze Markgraffchaft, wie fie Ernſt Friedrich theils
ererbt, theils an fich geriffen hatte, an feinen Bruder Georg Fried:
rich, 2)
Im Jahr 1573 geboren und fehr forgfältig erzogen, hatte diefer ſchon
frühe eine wifjenfchaftlihe Richtung erhalten, die indeffen fo wenig, als
der urfprünglic ſchwächliche Körper den kriegeriſchen Sinn des Fürften
zu unterdrücken vermochte. Schon 1600 machte er einen Heerzug gegen
die Türken mit, 1610 befehligte er mit dem Kurfürften von Branden:
burg im Effaß, 1618 jchleifte er Udenheim (Philippsburg) ꝛc. Bon
feiner Theilnahme am dreißigjährigen Krieg wird im folgenden Kapitel
gehandelt werden Er war ein Meifter in der Kriegskunſt und fchrieb
— —
Nah Sachs, IV., 273 ſoll Ernſt Friedrich, der im ſchönſten Mannes:
alter ftarb, (er war erft 44 Jahre alt,) in ben letzten 10 Jahren feines Lebens
an den untern Extremitäten gelähmt geweſen fein, jo daß er fih im einem
Seſſel oder einer Sänfte tragen laſſen mußte.
*) Der im Stadtarchiv befindlihe und von Georg Friedrich eigenhändig
umterfchriebene Revers wegen der Privilegien ift vom 2, Mai 1604 batirt.
Pflüger, Pforzheim, 23
354 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert.
felber ein Werk darüber; 1) — doch murde er bei feinen kriegeriſchen
Unternehmungen im Allgemeinen vom Glück wenig begünftigt.
Megen der Behauptung von Baden-Baden mußte aud) er fort:
während eine ftarfe Truppenmacht auf den Beinen erhalten, namentlich
da die Söhne Eduard Fortunats ihre Anfprüche zu erneuern nicht
unterliegen. Bon neuen Erwerbungen ift bier des Schloſſes und des
halben Fledens Baufchlott zu erwähnen, welche beiden Befigungen
Georg Friedrih von Hans Chriftoph von Landenberg 1604 um
16000 fi. erfaufte,
Mit der Wiffenfchaft des Krieges verband Georg Friedrich aber
auch eine genaue Kenntniß der Angelegenheiten und Bedürfniffe feines
Landes, und er fuchte darauf alle feine Sorge zu verwenden. Die
Kirchenzucht überwachte er ftrenge, und der fromme Fürft fol felber die
heilige Schrift mindeftens fünfzig Mal ganz durchgelefen haben. Beſon—
ders war er auch auf eine pünktliche Mechtspflege bedacht und Tieß zu
dem Ende ein eigenes Geſetzbuch bearbeiten.
Auf Georg Friedrid folgte nad Niederlegung der Megterung
(fiehe unten) 1622 fein ältefter Sohn Friedrih V. (bis 1659), Er
wird in der Geichichte des dreißigjährigen Krieges vorkommen.
$ 2. Befonderes.
Pforzheim feinen Fürften gegenüber.
Hatte fih die Stadt Pforzheim troß ihrer Privilegien ſchon unter
Karl II. dazu verftehen müfjen, ausnahmsweiſe direfte Abgaben, ſelbſt—
verjtändlich in der Hoffnung zu Teiften, davon baldmöglichit wieder be—
freit zu werden, jo wurden ſolche Anmuthungen in der Folge wiederholt.
Dies gefhah 3. B. ſchon unter der Vormundſchaft 1582 in Betreff der
Longueville'ſchen Hilfsgelder. Damit hatte es folgende Bes
wandtnig. Im Jahr 1503 war Philipp, der letzte Markgraf von
Hachberg-Saufenberg-Röteln geftorben und feine Länder waren laut Erb:
vertrags von 1490 in Ermangelung männliher Nachkommen auf den
Markgrafen Chriftoph von Baden übergegangen (S. 173). As fih
') Die drei Foliobände bdesfelben, von des Markgrafen eigener Hand, be
finden fih in der Manuferiptenfammlung ber Großherzoglichen Hofbibliothel
zu Karlsruhe. ö |
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert, 355:
jedoch die einzige Tochter des verftorbenen Markgrafen Philipp, Johanna,
1504 mit dem Herzog Ludwig von Yongueville vermäßlte, erhob diefer
Ansprüche auf die Länder jeines Schwiegervaters, und es entjtand da:
rang ein Prozeß, der beinahe SO Fahre dauerte, bis er endlih am
28. Auguft 1581 durch Vergleich feine Erledigung fand. Die Familie
der Longueville entfagte allen Anfprüchen auf bemerkte Linder, wofür
fie eine Entfchädigungsfumme von 225,000 Gulden erhielt. Diefe
wurde nunmehr auf das Land zu einer „Fünfzehnjährigen Hilfe“ in der
Meife umgelegt, daß von 100 Gulden Werthgut jährlih 8 Batzen be:
zahlt werden ſollten. Auch von der Stadt Pforzheim wurde troß ihrer
Privilegien die gleiche Beiftener verlangt. Ein beſonders erwählter Aus:
ſchuß begab ſich mit Bürgermeifter, Gericht und Rath am 3. Februar
1582 zur Verhandlung über diefen Gegenftand in das Schloß zu Pforz:
beim, wo eine fürftlihe Gommiffion ihrer harıte, die aus Hans
Philipp Landſchab von Steinach, kurfürſtlich pfälziihem Fauth (Vogt)
zu Bretten, dem Statthalter Hans Landihad von Steinach, dem Kanzler
Achtſynit, dem Doktor Chr. F. Kircher und dem Kammerrath
Wilh. eurer beftand. Wie früher ſchon, fo beriefen fich die Pforzheimer
auch jebt wieder auf ihre „Ordnung und Polizei von 1491”, Taut
welcher fie von allen direkten Steuern ꝛc. befreit feien; fie klagten, daß
die 1554 bewilligte jährliche Hilfe von 1000 Gulden (S. 276) fie
in bedeutende Schulden gejtürzt habe, da der Maaßpfennig zur Beftreis
tung diefer Summe nie binreihe; fie brachten auch fonft verfchiedene
Beſchwerden vor, namentlich daß die Stadt Pforzheim fi „nit vmb
ein gering bauptgutb, als Bürgen und mitſchuldner, inn viel weg bißhär,
neben der Landſchafft, vmb große Summa verſchrieben:“ — fie mußten
eben in den fauern Apfel beißen, und fich zur Bezahlung der 8 Batzen
vom Hundert, freilich „ihrer Freiheit unbefchadet”, verftehen. Doc) erlang:
ten fie wenigſtens jo viel, daß ihnen für die Dauer dev Bezahlung diejer
Longueville'ſchen Hilfsgelder die früher abverlangten jährlihen 1000 Gul:
den erlafjen und fie auch chen jo lang jeder Reichs- und Kriegshilfe
enthoben fein follten. Weit der Entbindung von den 1000 Gulden
durfte natürlich aud; die Stadt den Maafpfennig nicht mehr einziehen,
ſondern es nahm ihn die Herrfchaft wie im ganzen Land für ſich in
Anſpruch; dody wurde der Stadt davon als einem neuen „vfſatz“ der
vierte Theil bewilligt, den fie laut ihrer Privilegien von allem Umgeld
anzusprechen hatte. Die über ſolche Beſtimmungen — Ur:
%
356 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Jahrhundert,
Funde 1) trägt die Unterfchriften der oben genannten fürftlihen Kommiſ—
fton, und es hängen an ihr die Siegel des Markgrafen, des Vogts
Schöner von Straubenhardt und das Siegel der Stadt, das aber nicht
mehr das frühere einfache, jondern bereits in zwei Hauptfelder getbeilte
itt.2) Da in der Urkunde die Namen der damaligen Mitglieder des
Gerichts und Rath, fowie der Deputinten der Bürgerfchaft genannt
find, fo mögen diefelben auch hier eine Stelle finden. Gericht: Hans
Krumm, Bürgermeifter, 3) Veit Breitichwert, Hans Ruef, Baumeifter,
Kaſpar Rohr, Klaus Engelhart, Hans Forcheimer, Dietrih Weiler,
Konrad Gupp, Konrad Pfuderer, Beat Vifcher, Jakob Simmerer, Peter
Gößlin. Rath: Peter Geyger, Mathis Meerwein, Fabian Stieß,
Mich. Ib. Grieninger, Hans Lienhart, Hs. Ib. Klein, Hans Defchler,
Ib. Kercher, Matern Dolmetih, Mathis Klotz, Marzolf Schoch, Ege—
nolf Geyger. Von der Gemeinde: Jak. Jößlin, Georg Schlund,
Hans Haan, Hans Silbereifen, Wendel Genger, Klaus Spitz, Heinrich)
Mayer, Schreiner, Mart. Mang, Mid. Muolin, Georg Hofmann, Mel:
chior Kieß, Hans Widmann, Theus Schoh, Ib. Meerwein, Georg
Flacht, 35. Pfifterer, Hans Enderlin, Paulin Scheff, Hans Heuſchlof,
Michel Beh, Peter Hügelin, Ib. Safhoier und Peter Plochinger.
Zu diefer nicht umbedeutenden Steuer Fam nach dem Negierungs:
antritt Ernſt Friedrihs noh eine andere. Theil zur Tilgung der
ſchweren Schulden, die auf dem Lande Tagen, theils zur Beftreitung der
1) Eie befindet fih im ſtädtiſchen Arhiv und ift vom 3. Februar 1582
datirt. Eine andere barauf ebenfalls bezügliche Urfunde trägt das Datum bes
10, Mai 1582.
*) Während an der Etadtordnung von 1491 noch das alte Siegel von
1256 Fi. (S. 79) hängt, findet fi im ftädtifchen Archiv bereits von 1521 an
ein neues Siegel, und zwar ift der Etod desjelben noch vorhanden und trägt
auf der Rüdfeite die Jahrzahl 1521. Dies fcheint das Fleine Siegel der Stadt
Pforzheim geweſen au fein; denn neben bemfelben findet ſich auch ein bedeutend
größeres. Beide zeigen ben Wappenſchild in zwei Hauptfelder getheilt; bas
linke enthält ben badiihen Wappen mit dem Querbalken; das rechte ift in
4 Heinere Querfelder getheilt mit ber Bezeichnung für vothe, weiße (Silber-),
blaue und gelbe (Golb:) Farbe — alfo wie das Wappın heute noch ift. Die
Umicrift jenes Siegels von 1521 lautet: S,\SECRETVM,CIVIVM,IN,PHORZ-
HEIN,. Wann, dur wen und bei was für einer Veranlafjung Pforzheim
das neue Wappen erhielt, ift unbefannt.
3) Hier war alfo der PBlirgermeifter Mitglied des Gerichts, wenn auch
nicht Borfigender desſelben.
Dreizchntes Kapitel, Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 357
Koſten der fürftlichen Hofhaltung legte der Markgraf feinen Unterthanen
neben den Longuevillefchen Hilfsgeldern noch eine weitere Steuer von
4 Basen von 100 Gulden Werthgut auf, die jo lang als jene bezahlt
werden follte, und ftellte au eine Erhöhung des Maafpfennigs in
Ausficht. I) Und die gefreite Stadt Pforzheim? Sie mußte fi aber:
mals troß ihrer Privilegiem glei dem ganzen Lande zur Bezahlung
diefer Abgabe verftehen, natürlich nicht ohne Verwahrung, daß fie dies
ihrer Freiheiten unbejchadet thue; umd der Markgraf ftellte ihr auch
einen dahin Yautenden Nevers aus. 2) Alle diefe papierenen Verwah—
rungen und BVerfiherungen hatten aber feinen großen Werth; denn die
Stadt kam aus der Bezahlung folder Abgaben gar nicht mehr heraus,
jondern fie wurden fpäter zur regelmäßigen und ordentlichen „Schatzung“,
wie wir weiter unten fehen werden. Damit war aber der $ 1 des
Privilegienbriefs thatfächlich außer Kraft gejekt.
Es find im vorigen Kapitel (S. 278 ff.) aus der Lagerbud:
erneuerung von 1527 allerlei Mittheilungen gemacht worden. Cine
ſolche wurde auch 1615 wieder vorgenommen. Es möge bier dasjenige,
worin ihre Ergebniffe von den frühern abweichen, Überfichtlich zufammen:
geftellt werden. Zeugen bei der Kagerbucherneuerung waren die „ehren:
baften, ehrſamen und beſcheidenen Valentin und Berthold Deim:
ling, Mathes Ejfig, Georg Art und Paulin Lotthammer.“ Zuerſt
folgen die nöthigen Beitimmungen über das Geleit. Diefelben ent:
ſprachen no immer den Verabredungen von 1516 (©. 272) und
1581, find aber durch folgende Beltimmungen ergänzt: Baden hat
das Geleitreht Tiefenbronn zu bis an das MWäfferlein, beim See
genannt; Wurmberg zu bis Mönshein an dem Bach; Vaihingen
zu bis Mühlader; Speier zu wird von Pforzheim aus geleitet bis
Stein und von da nad Grombach zum hölzernen Bildftod; Durladı
zu bis Durlach) und von da nah Mühlburg oder Graben. — Die
Kaufleute, die zur Frankfurter Meſſe ziehen und durch den Hagenſchieß
fontmen, zahlen 13 Kreuzer (früher 12 Pf.); die, fo den Beutel (zwi-
ſchen Huchenfeld und Reichenbach) herabziehen, zahlen 9 Kreuzer
Seleitgeld..
4) Urkunde im Stadtarchiv vom 15. Juli 1585.
°) Er befindet fih im Stadtarhiv und iſt vom Marfgrufen eigenhändig
358 Dreizehntes Kapitel, Pforzheim vom 16. zum 17. Sabrhunbert.
Trevel und Unrecht: Berg. ©. 278 ff.) Ein Blut:
runsfrevel, 8 h. mit Meffer, Kolben, Stod, Waffen verwundet
oder blutrünſtig gemacht, zahlt 3 Pd. Pfg. an den Fürften; ein Heiner
oder trodener Frevel mit trodenen Streichen, ohne daß ein Glied ge-
lähmt wird, zablt 1 Pd. Pfg.; mit der Fauſt em Stoß, daß Nafe
oder Mund bfutet, zahlt 1 Bid. Pfg.; wer nach dem Andern zudt oder
fticht oder jchlägt, zahlt 1 Pfd. Pig; wer nach dem Andern wirft und
ihn trifft, daß er blutrünftig wird, zahlt 3 Pfd. Pfg.; wer nach dem
Andern wirft und ihn trifft, aber nicht blutrünftig macht, zahlt 3 Pfd.
Dig. Ein groß Unrecht zahlt 15 Ch. Pig; ein Flein Unredt
5 Sch. Pig; eine Lügainung 3Sch. Pig. ; eine Spielainung 5Sch.
Pfg.; alle diefe Strafen gehören dem Markgrafen allein. Ein Frie—
densbrud zahlt I Sch. Pf.; davon gehören 3/, dem Fürften und 1/,
der Stadt. — Abzug. Die Bürger find frei laut Privilegienbriefs
von 1491. Fremde zahlen von 100 fl. 10 fl., 1/, dem Markgrafen,
1/, der Stadt gehörig. — Bon den Gütern außerhalb Pforzheimer
Markung gehört der Abzug dem Fürften allein. — Hauptreht und
Abzug von zugefefienen Leuten. Jeder Manns: und Frauensperion,
fo fonft Teibeigen it, nach Pforzheim zieht und der dortigen Polizei
einverleibt ift, wird die Leibhennen- oder Leibfteuer zc. erlaffen, nicht aber,
wenn die Leute wieder wegziehen. — Fruchtzehnten. Der große
Fruchtzehnten auf Pforzheimer Gemarkung gehört zur Hälfte dem Mark—
grafen, zur andern Hälfte dem Klofter Lichtenthal, ausgenommen einige
Heer 2.1) Vom großen Zehnten hat Kichtenthal jährlich) zu liefern
dem Markgrafen 450 Büſchel Roggenſtroh; nad) neuerm Bertrag mit
der Aebtiffin zu Tichtenthal von 1555 (S. 277) bloß noch 250 Büſchel.
— Der Kleinzehnten auf Pforzheimer Gemarkung von Sommergerfte
Hirfen, Erbſen, Linfen, Hanf ꝛc. gehört der Pfarrei in der Altſtadt. —
Dem Markgrafen gehören eigen (vergl. ©. 279): a. Das Schloß
mit dem Zwingelgarten daran gegen die Stadt zu, nebſt der Kanzlei,
dem Speicher, Marftall, Wagenpferdftall, der Hoffchmiede, auch dem
Nebenzwingel außerhalb zwijchen beiden Stadtmanern vom Schloß hinab
bis an den Leitgaſtthurm, und der neue Garten außerhalb der Stadt
und dem Schloß an der Straße (1d Morgen groß, auf 3 Seiten neben
1) Diejenige Hälfte des großen Zchntens, welche früher (©. 279) dem
Klofter Hirſchau gebört hatte, war alfo an den Markgrafen übergegangen,
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 359
der Almendftraße gelegen und oben an die Bremenhofäder ftoßend). b. Wie:
fen: Die Bleichwieje am Metzelgraben; (die Büchenbronner und Huchen-
felder müfjen fie beforgen und mähen, aber der Markgraf muß das Heu
fahren laſſen); 1) die Schenerwiefe zwifchen dem Scheuerberg und der
Nagold; die Seewieſe, die Landſchaftwieſe, die Frauen-Langewieſe, die
MWeiherwieje. e. Die Sägmühle. d. Die Kelter in der Altſtadt.
e. Der Zoll.
Das Weggeld gehört der Stadt. Bezüglih des Standgel:
des, Umgeldes und Salzverfaufes fiehe 1527. In Betreff
des letztern enthält das Lagerbuch, von fpäterer Hand geichrieben, die
Bemerkung: Der Markgraf bat den Salzhandel allein admodirt und
der Stadt dafür als ihr Viertel 97 fl. durch die Obereinnehmerei Karls—
burg reihen laſſen. —
Jährliche Bet. Alle Bürger und Anwohner, fo der Stadt
Pforzheim Polizei, Begnadigung und Freiheiten unterworfen find und
bürgerlich dafelbft wohnen, find frei von der Bet. — Jährlicher
Bogtgulden. Bürgermeifter und Nath von wegen gemeiner Etadt
Pforzheim geben dem Markgrafen zum rechten, jährlichen, ewigen, unab—
läſſigen Bogtgeld oder Gült auf Martini 10 fl — Jährl. beftän:
diges Zunftgeld und Metzelbankzins (wie früher), — Jährl.
Brodbanktzins Die Brodbank neben der Metelhütte vom am Markt
ift abgefchafft und Jeder hat in feinem Haus feil; alfo fällt kein Zins
mehr. — Hährl. Fiſchbankzins. Die Fiſchbank ift auch vom
Markt abgeſchafft; alſo Fällt auch Fein Zins mehr. — Nunnenmader
(Viehverſchneider). Der Markgraf bat das Necht, Nunnenmacher anzu—
nehmen und ihnen die Waide zu verleihen, trägt bisher 11/, Pfund. —
MWafenmeifter Die Wafenwaide zu Pforzheim, der Altftadt und
dem ganzen Pforzheimer Amt verleiht der Markgraf. Jedoch iſt der
Mafenmeifter bisher von der Stadt beftellt und vom Schultheißen ver:
pflichtet worden und bezahlt jührlih dem Markgrafen 5 Pfund, —
Jährl. beftändiger Zins von Walk-, Schleif-, Balierz,
Sig: und Kupfermühlen (wie früher). — Ziegelhütte. Georg
Haas als Inhaber der Ziegelhütte vor dem Bröbinger Thor zingt jähr:
1) Früher hatten es die Brößinger als Hörige des Frauenkloſters thun
müſſen (S. 279); Ießteres war aber bei der Reformation eingezogen worden,
wodurch die Berpflichtung des Heuführens auf den Markgrafen felber überging.
360 Dreizehntes Kapitel. Pforzbeim vom 16. zum 17. Jahrhundert,
fich dem Markgrafen 10 Sch. Pig. (der fpätere Inhaber war Joachim
Leibbrand). -— Jährl. Waſſerzins, Gnadenlehen (wie früher).
— Wafferzins von Abfällen oder Kagen (wie früher). —
Jährl. beftändige Fruhtgülten, von den Mahlmühlen zu
Pforzheim gefallen, umd follen folhe Früchte auf den Speicher
geliefert werden, (wie früher; es waren immer noh 5 Mühlen: die
MWagmühle, die Spital- oder Efelsmühle, jest Kloftermühle —, die
Eichmühle, die Nonnenmühle und die Zwingelmühle, ſonſt Obermühle
genannt). —
$ 3. Inneres.
Den Stiftungen zu wohlthätigen Zwecken, deren im letzten Sa:
pitel gedacht wurde, müfjen hier einige weitere angereiht werden.
Am Jahr 1580 ftiftete der aus Pforzheim gebürtige Mathias
Werthwein, ein jüngerer Bruder des oben genannten Chriſtoph Werth:
wein, — früher Domberr in Augsburg, zuletzt Domherr und erzbiichöf:
licher Kanzler zu Briren in Tyrol, ein Kapital von 6000 Gulden
(S. 197), deſſen Zinfen an ſechs Jünglinge aus feinem oder feiner
Mutter (einer geb. Münzinger aus Baufchlott) Geſchlecht, die in Frei—
burg ftudiren würden, alljährlich ausbezahlt werden follten. Im Falle
feine väterlichen oder mütterlichen Verwandten von ihm vorhanden wären,
jollten drei junge Pforzheimer und drei Jünglinge aus Briren die
Stiftung zu genießen haben. Ein bei den Freiburger Univerfitätsakten
niedergelegtes Verzeichniß weist nad, daß wirklich Studirende aus Pforz:
heim in den folgenden Jahren im Genuß des Stipendiums waren, fo
1588 ein Martin Mangold, 1606 Chriftoph Gerwig, 1615 Johann
Gerwig In den Sriegen des 17. und 18. Jahrhunderts jcheint aber
das Stiftnngsfapital verloren gegangen zu fein, wie das bei noch vielen
andern Freiburger Studienftiftungen der Fall war. Unterſuchungen da:
rüber, welche im vorigen Jahrhundert angeftellt wurden, 1) haben zu
feinem befriedigenden Ergebniß geführt.
Am 29, Auguft 1602 machte der Pforzheimer Bürger und Hans
delgmann Kafpar Chriſtoph Rohr vor einer Meife, die ev nach Stalien
„zu Erlernung der Sprachen und mehrerer Erfahrung” zu unternehmen
) Von Gehres. Bergl. deſſen Heine Pforzheimer Chronik, ©. 133 fi.
Dreizehntes Kapitel. Piorzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 361
gedachte, fein Teftament und beftimmte darin ein Kapital von 2000 ft.
„zur Unterhaltung zweier Studenten, welche der rechten augsburgifchen
Konfeffion zugethan, oder (wie fie genannt werden) lutheriſch feien; und
foll jährlich ein jeglicher von den ertragenen Zinſen 40 Gulden acht
Jahre lang erhalten, die übrigen zwanzig Gulden aber follen zur Beſſe—
rung de3 Stipendii gereichen.” — „Es foll aber,” jo heißt es im
Teftament weiter, „die Kollatur bei einen ehrſamen Nath zu Pforzheim
ftehen, doch dergeftalt, daß derfelbe zuvörderſt bedenfe meine Befreundte
von Vater oder Mutter; wo aber feine Befreundte vorhanden wären, die,
fo aus der Stadt Pforzheim gebürtig, Andern preferiven; fo auch deren
Keiner mit Ernft ftudiren oder feine Studia continuiren wollte, die
Markgräfiihen vor andern Ausländifchen damit begabe und immer
vaciren laffe. Auch fol Keinem befagtes Beneficium conferirt werden,
er feie denn allerft bei einer Academie oder Univerfität, Letztlichem
follen folche beede Beneficiarp alle 2 Fahre durch qualificirte Perſonen
entweder bei der Akademie, da fie ftudiren, oder zu Pforzheim exami—
nivt werden, Beides in der Neligion und ihren Studis, und fo fie in
der Religion irrig oder in Studiis nachläffig befunden werden und fc)
nicht auf den rechten Weg wollten weifen laſſen, ſoll ein ehrſamer Rath
ihnen gemelt Beneficium entziehen und Andere, die e8 beſſer werth,
conferiren.“ Auch dem Almojen vermachte Rohr 200 fl., von deren
Zinfen alle Jahre 8 Gulden vor der Pfarrkirche an Hausarme, der
Reſt an fonftige Arme ausgetheilt werden follten. Eine Anzahl fonftiger
Legate möge hier unberührt bleiben. Zu Teftamentsvollitredern er:
nannte Rohr den marfgräflihen Rath Martin Sigwardt und den Ge:
richte: und Rathsherrn und nachmaligen Vürgermeifter Peter Maler. 1)
Seinen fünmtlihen Erben hatte Rohr die Verpflichtung auferlegt, feiner
Mutter einen Grabftein jeßen und für fie wie für ihn ſelbſt nad) feinem
Tode je ein auf einer Tafel gemaltes Epitaphium in der Pfarrficche
anbringen zu laſſen; feines diejev Denkmäler dürfe aber unter DO fl.
koften. (Mad) der Stipendienrechnung von 1604 wurden dafür 182 fl
ausgegeben.) Nach den noch vorhandenen älteften Stipendienrechnungen 2),
die bis 1636 reichen, betrug der Grundſtock 1607 exit 2044 fi, 1614
1) Vergl. hiezu: Lagerbuch des Rohr'ſchen Stipendiums im Stadtarchiv,
angelegt im Auguſt 1710,
2) Im Stadtardiv.
| 362 Dreizehntes Kapitel, Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
bereits 2144 fl., 1623 war er auf 2533 fl. und 1632 auf 2785 ft.
geftiegen. Bon dem urfprünglichen Kapital waren 500 an die Stadt,
150 an die Gemeinde Niefern, das Uebrige an Pforzheimer ausgeliehen.
Verrechner des Fonds war von 1604 bis 1613, aljo bis zu feinem Tod,
Peter Mealer, von 1615 bis 1625 Seremias Defchler, 1628 bis 1636
Joachim Bub. (1636 hören, wie jhon erwähnt, die Rechnungen auf.) 1)
Am Jahr 1616 machte auch der Bürger und Handelsntann Niko:
[aus Kontelin eine Stiftung von 1000 Gulden, deren Zinſen eben-
falls als Beneficien an ftudivende Jünglinge verabreicht werden follten.
(Die Ältefte noch vorbandene Schuldverſchreibung vom 29. Sept. 1625,
ausgeftellt won Jeſajas Hündlin von Springen über 56 fl., 2) nennt als
Verrechner Job. Erat, Baumeifter und Hans Ritter.) 3)
Nicht unerwähnt mag bier auch eine Stiftung des Pforzheimer
Bürgers Dito Beh bleiben. Aus den Zinjen eines Kapitals von
1200 fl., das er für verfchiedene wohlthätige Zwecke ftiftete, follten
jährlich 8 fl. für die Geiftlichkeit und 5 für die Mufifgejellihaft der
Stadt Pforzheim zu einem gemeinfchaftlichen Schmauſe verwendet wer:
den, der fpäter gewöhnlich am Felt des heil. Laurentius ftattfand und
erjt in meuerer Zeit nicht mehr gehalten wird. )
Es iſt oben bereits von der Schütengejellfhaft und ihrem
frühen Beftehen die Rede geweſen. Wir finden, daß Markgraf Georg
Friedrich ein befonderer Freund derfelben war und ihr zu einem beftän:
digen Gedächtniß ein Gnadengeld von jährlichen 15 fl. beftimmte, woran
) Nach dem Schober’ihen Familienbuche ftebt diejes Geſchlecht in weiblicher
Linie zu Rohr fowohl, als dem Stifter eines andern Stipendiums, nämlich
Peter Geiger, in verwandtichaftlicher Beziehung.
2) Im Stadtarchiv.
) Auf dem Kirhhofe, und zwar an ber vordern Wand der dortigen Ka:
pelle befeftigt, ficht der von ber Kreuzkirche dahin gebrachte Grabftein, ben
Nifolaus Fontelin feiner 1606 geftorbenen Frau Barbara geb, Grieninger hat
ſetzen laſſen. Die Ueberſchrift Tautet:
Ihr liebe Brüder und Schweſtern mein,
Die hier im Herrn entſchlafen ſein,
Gott helf mir auch zu euch hinein!
Dies Nikolaus Fundtelin bitt
Von Gott, der wirds abſchlagen nitt.
) Das Grabmal Otto Bechse, der am 1. Januar 1625 ſtarb, iſt im Chor
der Altſtädter Kirche.
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert, 363
die Stadt mit der Hälfte Antheil nahm. ') Georg Friedrich war über:
haupt der Stadt Pforzheim ehr zugethan, auf den dieſe ſchon
große Hoffnungen fegte, als er nod nicht ihr Herr war. Die unten
folgende Geſchichte der Neligionsbedrüdungen von 1601 und 1604 gibt
davon Zeugniß. In den Taufbüchern aus der Zeit von 1607 an ft
er oft als Pathe von Bürgerfindern genannt. Am Jahr 1618 hatten
fidy die Bürger von Pforzheim befhwerend an den Markgrafen gewandt,
weil ihnen von Geiten der marfgräflichen Kanzlei bezüglich der Abholung
eines neuen Spezial verjchiedene Zumuthungen gemacht worden waren,
die fie mit ihren Privilegien nicht vereinbar fanden. In einem unterm
6. Sept. erlafienen Beſcheid erklärte der Markgraf, daß die Pforzheimer
bie „ohne fein Wiſſen an fie begehrte Abholung zu thun nicht fchuldig,
und von ihnen, daß fie fich deren verweigert, ganz recht geichehen, wie
er fie denn weder dies Orts, noch fonften wider ihre Privilegien im
Geringften zu bejchweren nicht gemeint, jondern dabei der Gebühr hand:
zuhaben und vielmehr diefelben nad) Gelegenheit zu vermehren, als zu
ichwächen gedenke.“ — Der Markgraf befahl feinem Ober: und Unter:
vogt zu Pforzheim, Johann Heinrih Mosbach von Lindenfels und
Stephan Heinrich Haffner, diefen feinen Befehl dem Bürgermeifter, Ge:
richt und Nath der Stadt in deren Verſammlung vorzulefen und ihnen
zugleich zu erkennen zu geben, daß fie, wenn ihnen Fünftig wieder der—
gleichen zugemuthet oder fonft wider ihre Privilegien etwas zugefügt
würde, fie fich bei ihm „um Hülf, deren fie ſich unfehlbar zu getröften,
anmelden follten.“ 2) Dies Alles mag e8 erklären helfen, warum die
Pforzheimer dem Markgrafen Georg Friedrich fo fehr zugethan waren.
Den Schluß diefes Abſchnittes möge die Zufammenftellung ber
Namen der Angeftellten machen, die fich zu Anfang des 17. Jahr:
bunderts in Pforzheim befanden. 3)
1) Statuten der Schügengejellihaft. — Im Jahr 1824 jollte die herrichaftt.
Gabe von 7 fl. 30 fr. aufhören, auf erfolgte Verwendung jedoch gab Groß:
berzog Ludwig die Weifung, daß die ganze Summe von 15 fl. fünftig vom
Domänenärar übernommen werden jolle. Die Schüßengefelihaft ftiftete aus
dieſer Beranlaffung einen filbernen Pokal mit den Bildniffen Georg Friedrichs
und Ludwigs.
2) Kopialbuch im ftäbtifchen Ardiv.
sy Eie fommen im älteften Taufbuch (1607 — 1646), in Kopialbüchern,
Urkunden x. vor.
364 Dreigebnt:s Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
Dbervogt: Johann von Münfter 1601, Martin von Zandt
1607, Hang Reinhard Mosbad von Lindenfels 1611—18, Johann
Georg Bertram von Herihbah 1621--34. — Foritmeifter: Emft
Jak. von Nemdingen 1608 — 14, Phil. Joach. Gremp von Freuden:
ſtein 1618-A, Heinrich Truſchſeß von Hoffingen 1624— 27. — Forſt—
verwalter: Hans Jak Deimling 1623. — Untervogt: Hieron.
Bechler 1607, Steph. Heinr. Haffner 1609 —23, Joh. Ib. Dienſt
1629—34, Georg Faber 1642. — Syndikus: Georg Zobel
1608—W. — Amtskeller: Thomas Drach 1605—18. — Land—
ſchaftseinnehmer: Joh. Pfiſterer 1613—16, Wendel Lang 1617,
Joh. Jak. Geiger 1636. — Münzmeiſter: Joh. Jakob 1609 und
10 (Münzgeſell: Klemens Feuchter 1610). — Geiſtlicher- und
Stifts-Verwalter: NE Kaufmann 1607—9, Melchior May
1610—20, Job. Mart. Schmidt 1626—31. — Gegenſchreiber:
Hans Aychele 1612. — Aerzte: Dr. Mathäus Müller, Phyſikus
41608 —11l, Dr, Zach. Herler 1609, Dr. ob. Gemp 1611 — 34,
Dr. Rob. Pet. Auchter 1615— 21, Dr. Dav. Camerarius 1516—18.
Apotheker: Joh. Joach. Grieninger 1608 — 34, oh. Barthold
1615 --42. — Getftliche, und zwar erfter Stadtgeiſtlicher- und
Superintendent: Benedikt Ungerer 1601, ob. Conr. Jenichius
1607 — 17, M. Stephan Rohrfelder 1622 — 29, Joh. Grg. Wibel
1630-46. — Mltftädter Pfarrer: M. Ruprecht Graf 1607 —14,
M. Dav. Langenburg 1617— 38, Joh. Dav. Sauter 1641 —45. —
Spitalpfarrer: Sirtus Sartor 1608, Leonh. Kiftler 1612 —14,
M. Joh. Berloher 1617, M. Ehrift. Heinz 1619, Nif. Emmic 1633,
M. Wolfgang Schaupp 1634—42. — Mitprediger: Dr. Thom.
MWegelein 1613 und 14. — Diakonen: Joh. Konrad Roßnagel
1607, M. Rupr. Hammer 1608—10, M. Joh. Berloher 1609 und
—10, M. oh. Jak. Rülich 1612, Ad, Seiffner 1616 und 17, Joh.
Agritola 1618—23, Joh. Mel. Büchelein 1623 — 33, Peter Walz
1625 — 30, (1632 Pfarrer in Niefern), Eberh. Lug 1633, (erſter
Diafonus), M. Conr. Stalp 1633 (zweiter Diak.), Joh. Säuterlein
1656. — Lehrer an der lateiniſchen Schule, und zwar Rektor:
M. Joh. Oder 1607—10, M. Dav. Langenberg 1613, Chr. Welſch
1629, Albert Herold 1640—42. — Praeceptor primarius: M. Dav.
Zangenburg 1612 und 13, Tob. Gartelius 1615 —17. — Praeceptor
seeundae classis und Cantor: Alb, Herold 1626. — Deutſcher,
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16, zum 17. Sahrhundert. 365
Schulmeifter: Konrad Heyderlein 1607, Eudjarius Demuth 1612,
Andr. Tarer oder Daher 1618— 34, Job. Fenn 1646. — Organiit:
38. Ib. Schertlein 1615 — 17 (in letzterem Jahr wird er „Organift
und Zoller” genannt). — Das Amt eines Bürgermeifters be
Meidete 1607 — 1609 Peter Maler 1), 1611 Ib. Simmerer, 1614 —
1621 Jeremias Deichler, 1622 — 1627 Wolf Karle, 1629 — 1639
abwechſelnd Joachim Bub und Hans Felder, 1642—1665 abwechielnd
Georg Weeber, Hans Beckh und Hans Friedrich Kern ıc.
$ 4A MWeligionsunruhen in Pforzheim,
(1601 — 1604.) 2)
Markgraf Ernft Friedrich hatte Freude am Umgang mit gelehrten
Männern, der indeß auf feine Glaubensanſichten einen gewaltigen Einfluß
ausübte. Lebterer ging, da diefe Männer alle der kalviniſchen Lehre
zugethan waren, zuleßt jo weit, daß der Markgraf fih 1599 selber
öffentlich zu dieſer Lehre bekannte und feine Glaubensanfichten in einem
Religionsbuch, dem jog. Stafferter Buch, niederlegte. Ernſt Friedrid)
verlangte nun, daß das ganze Land ebenfalls die reformirte Lehre an—
nehmen jolltee Der Stadt Durlach wurden Prediger dieſes Bekennt—
niſſes anfgedrungen, und das Gleiche follte auch in Pforzheim geſchehen.
Hier aber traf der Markgraf auf einen Widerſtand, den er in folder
Stärke ficher. nicht erwartet hatte. Es verdient das, was fi) damals
in Pforzheim ereignete, eine ausführliche Darftellung.
Am 2. Auguft 1601 predigte der Superintendent Benedikt Ungerer
über das Evangelium von den faichen Propheten und wandte ſolches
) Sein Bildniß, wie das feiner Frau Barbara, geb. Kercher, befindet fich
auf dem Rathhaus.
2) Quellen: Beltendiger und warhaffter Bericht, Erflärung und Defen-
fionihrift Herin Peter Ebergen, der Rechte Doktorn, nnd deß ꝛc. Kammer:
gerihts zu Speyr Abvocaten, wider die newe Staffortiihe Kalvinifter und
Zwinglianer, betrefjend die fürgefallene Neligionshandlungen mit ber Stadt
Pforzheym u. ſ. w. Lebt aufs New überjehen, marginirt und mit Bewilligung
deß Auctoris nachgednrudt im Jahr 1603 (4%); — Bierordt, Gelhichte der
evangelifchen Kirche in Baden, II. ©. 33-36; — Manufcripte des Landes:
archivo. Die weitere Literalur Über dieje Vorfälle ſiehe Sachs, IV., 269.
EZ
366 Preizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Sahrhundert.
auf die reformirten Geiftlihen an. Darüber fing der Obervogt
Johann von Münfter, der dem Gottesdienft anwohnte, in der Kirche
felbft einen ärgerlichen Lärm an und ftieß die Drohung aus, „daß er
die Iutherifchen Geiftlihen in ihrer Religion zu Schanden machen oder
ein Schelm fein wolle.” Der Superintendent befchwerte ſich darüber
bei dem Fürften, erhielt aber ftatt einer Antwort nad) einigen Tagen
janımt dem Diakon, dem Spitalpfarrer und dem Pfarrer der Altftadt
feine Entlaffung. Die Bürger baten um Wiedereinfeßung ihrer Geift-
lichen oder doch um andere augsburgifcher Konfeffion aus dem Oberland
oder den benachbarten Württemberg, fanden aber bei Hofe fein Gehör,
fo daß die Stadt einige Zeit ohne Seelforger war.
Am 29. Auguft kam eine Kutfhe („mit vier weißen Pferden be:
ipannt“) in Pforzheim an, welche den Statthalter Wilhelm Beblis
fammt drei reformirten Geiftlihen brachte. Auf die Nachricht davon
liefen die Bürger auf ihre Zunftſtuben zufammen und verpflichteten fich
dur Handtreue, daß fie die kalviniſchen Prediger nicht annehmen woll-
ten, Am folgenden Tag (30. Auguft) ließ der Statthalter die Bürger:
ihaft auf das Nathhaus zufammenberufen („in ein Zimmer, welches
fonft ein Tanzboden war,") bielt in Gegenwart des Obervogts, des
Sefretärs Grell und der reformirten Geiftlichen eine Anrede wegen der
„Abſchaffung“ ihrer bisherigen Prediger und ftellte den Bürgern ihre neuen
Seeljorger vor. Er Eonnte aber feine Rede nicht vollenden, weil die
Bürger zu räufpern, zu fchreien und mit den Füßen zu ftampfen an-
fingen, viele auch fi) aus der Verfammlung entfernten. Es blich dem
Statthalter zulegt nichts Anderes übrig, als das Gleiche zu thun und
fi) auf das Schloß zu begeben; er wurde aber auf der Straße von
der Tieben Jugend und dem Pöbel verhöhnt. 1) Nachmittags verfam:
melte fi die Bürgerfchaft abermals und befhloß, an den Markgrafen
die dringende Bitte zu richten, der Stadt die kalviniſchen Prediger ab:
zunehmen und ihr dafür lutheriſche zu geben. Zugleich wurde das Un—
weſen entfchuldigt, das die Jugend und das Gefinde angefangen. - Auch
darauf erfolgte Feine Antwort; es fehlte jedoch nicht an Anzeichen von
gewaltſamen Maaßregeln, welche man gegen die Stadt im Sinne hatte.
Darauf deutete man wenigftens auch die Anwefenheit eines pfälziſchen
Hauptmanns aus Bretten, der mehrmals über den Markt ging, was
) „Sie bohrten ihm den Efel nad und jchabten Rübchen.“
Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Sabrhundert, 367
auch nicht ohne Verfpottung des Pöbels ablief. Auch ein kalviniſcher
Geiftliher, welder aus dem Wirthshauſe berausfehen wollte, wurde
ausgelaht, bis er endlich die Stadt wieder verließ. 1) Da die Pforz-
heimer von Hofe feinen Beicheid erhielten, waren fie auf ihrer Hut,
nahmen den Neichsfammergerichtsadvofaten Eberb 2) zu ihrem Sad)
walter an und jchwuren am 11. Sept. auf öffentlihem Markt unter
freiem Himmel, daß fie bei der reinen Lehre der angsburgifchen Kon:
feffion leben und fterben wollten. 3) Hierauf ließen fie ſich ein beſon—
deres filbernes Siegel machen, auf welchem um das Bild des aufer-
jtehenden Erlöjers die Norte eirgegraben ftanden: „Siegel der Ein-
tracht zu Pforzheim” (Sigillum Concordiae Phorcensis), verfiegelten
damit eine jchriftlihe Erflärung, weldhe fie dem Markgrafen nad) Dur:
lad fandten, und wählten einen Ausihuß von 13 angefehenen Männern,
welche die Neligionsgeichäfte beforgen und ſich durd einen feierlichen Eid
verpflichten mußten, die augsburgifche Konfeffion unverändert den Nady:
fommen zu überliefern. Der Ausſchuß ſchickte auch auf Verlangen des
Magiftrats und der Bürgerfchaft den Stadtjchreiber nebft einigen andern
Bürgern an Markgraf Georg Friedrich, als ihren Fünftigen Erb:
herrn, auf die Hochburg ab, um feinen Beiftand in ihren Religionsbes
drüdungen zu erbitten, Er gab ihmen die Erklärung, daß er an ihrer
Beftändigkeit, mit welcher fie in der einmal erfannten Wahrheit verharren
wollten, ein gnädiges Wohlgefallen habe; fie möchten fich aber in Allem
1) „Aber jo vol, daß man hätte die Thür mit ihm aufrennen können,“
fagt Ebertz a. a. O. ©. 218,
2) Er war aus Jeny gebürtig und mit einer Pforzheimerin verbeirathet.
(Bierordt, U,, 35.)
°) Derjelbe Eid lautet (in heutigem Deutih): „Ich gelobe und jchwöre
freiwillig, ungezwungen und ungedrungen einen leiblichen Eid zur Gott dem
Allmächtißgen, daß ich zur Ehre Gottes, zur Erhaltung der wohlhergebrachten
augsburgifchen Konfeffion und zur Verhütung alles Verweiſes bei den lieben
Nahfommen einer ganzen Gemeine Pforzifhen Bürger: und geichworenen
Brüderichaft zur Behauptung der väterlichen Religion mit Leib, Gut und Blut
treuen Beiftand leiften und was dem Einen Wibriges begegnet, jo anſehen
wolle, als jei es mir ſelbſt widerfahren; dem Gegner, wer der auch fein möge,
nichts Geheimes offenbaren, auch auf des von der Bürgerjchaft erwählten Ge:
ihwornen:Ausihuffes begehren aud da, wohin ich bejchieden werde, einftellen
wolle; jedoch unferm gnädigen Fürften und Herrn in weltlihen Saden unter:
thänigen gebührenden Gehorfam zu Ieiften unbenommen. So wahr mir Gott
helfe und das heilige Evangelium |”
368 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
einer chriftlichen Beſcheidenheit befleißen, Fir den Nothfall ſagte er
ihnen jeinen Beiftand vor dein Meichsgerichte zu.
In Durlach ſchienen die kalviniſtiſchen Räthe des Fürſten mittlere:
weile eingefehen zu haben, daß man in Pforzheim etwas zu plump
vorangegangen wäre. Sie juchten deshalb alle Schuld der Unruhen,
die darob entitanden, auf den dortigen Obervogt zu wälzen, und theilten
dem Rathe der Stadt in einem fürftlihen Schreiben mit, man wolle
den Obervogt, weil man bemerkte, daß er in Pforzheim gehaßt wäre
und daß wohl feinetwegen die dortigen Unruhen entjtanden feien, von
dort verfegen. Er befam aud wirklich die Weifung, fi nad Rem—
hingen zu begeben, verließ aber Pforzheim nicht, ohne den Bürgern noch
eine Heine Abjchiedsrede zu halten. Es war nämlid am Tage feines
Abganges (17. Sept) Morgens 2 Uhr ein heftiges Erdbeben entjtan:
den; darauf hin hatte Münfter die Schwachheit, zu fagen, das ſei ge:
ſchehen, weil die Pforzheimer nicht Ealwiniich werden wollten. („Für
einen proteftantifchen Edelmann ift dies fait zu läppiſch“, fett Ebertz
hinzu.)
Am nämlihen Tag entftand aber in Pforzheim noch die größte
Verwirrung. Es hatte ſich nämlih das Gerücht verbreitet, daß die
Stadt in der fommenden Naht durch einige Hundert Mann Krieges
knechte vom Schloßthor aus Üüberrumpelt werden folle, Es fand dies
Gerüht um fo mehr Glauben, da der Obervogt in Begleitung eines
marfgräflihen Hauptmanns an diefem Tage fehr fchnell abgereist war,
verjchiedene verdächtige Bürger ihre Effekten geflüchtet hatten und mehrere
Kaufleute, welche von der Frankfurter Meſſe kamen, in Pforzheim nicht
übernachten wollten, ſondern nad, Tiefenbronn weiterritten, Ueberdies
vermutbete man einige Kompagnien pfälzifher Truppen in dem nahen
Heidelsheim, welche ſich daſelbſt im Einverſtändniß mit dem Markgrafen
zufammengezogen hätten. Alles in der Stadt geriethb nunmehr in Be—
wegung. Die Bürger rüfteten ſich zu emergiicher Gegenwehr und ver:
ſammelten fich auf ihren Zünften; man verftärkte die Wachen und ftellte
auch außerhalb der Stadt an mehreren Orten Spähwachen aus, fo auch
eine am Klaffnert (dem Wald gegen Durlach). Gegen Morgen er:
blifte diefe von ferne mehrere Fackeln, welche fich gegen die Stadt zu
bewegten. Aufs fchnellfte eilten nun die Spähwächter mit der Kunde
in die Stadt, daß der Feind im Anzug begriffen je. Der Wächter
am Brößinger Thor meldete es fogleich dem Dr. Ebertz; noch ſchneller
Dreizchntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert. 369
aber verbreitete ji in der Stadt die Kunde, daß bereits 400 Mann
in das Schloß eingelafjen worden feien und die Gefahr den höchſten
Grad erreicht habe. Ebert nahm fi faum Zeit zum Ankleiden, hing
ſich jelbft die Lärmtrommel um und flug durch einige Straßen tüchtig
drauf los, bis dev Stadttrommler fam und ihn ablöste. Ebenjo wurde
die Sturmglode geläutet, Schnell hatte ſich die Bürgerfchaft, der fich
die in Pforzheim Wohnenden vom Adel anjchloffen, auf dem Marktplatze
verfammelt, und Ebertz rüdte mit einem Theil derfelben vor das Schloß
mit der Aufforderung, ihm das Thor augenblicklich zu öffnen. Dem
Verlangen wurde durch des Amtskellers Schreiber jogleich entſprochen;
man fand aber im Schloß keine Spur von Truppen, beſetzte es jedoch
mit entiprechender Mannfchaft und ließ c8 mit einer Wagenburg umgeben,
Endlich brach der Tag an; allein es war von Kriegsvöltern weit und
breit nichts zu ſehen; wohl aber erfuhr man, daß wegen des Todes des
Ritters Wolfgang Dietrih von Gemmingen, welcher Tags zuvor in
Durlach geftorben, zwei Boten abgeſchickt worden jeien, weldye fich der
Dunkelheit halber mit Fackeln verjehen hätten. Dieje hatten nun den
Alarm in der Stadt veranlaßt. Es mag an diefem Tag in Pforzheim
an langen Gefichtern nicht gefehlt haben.
Die Bürger mochten wohl denken, daß der Markgraf die Nachricht
von dieſen Borgängen nicht gleichgiltig aufnehmen werde, und fchieten
deshalb am nämlicyen Tag noch (18, Sept.) ein Entihuldigungsfchreiben
nach Mühlburg ab, wo der Fürſt damals ſich aufhielt. Diefer, aufs
Heftigite erbittert, verfammelte ſogleich feine Räthe um fi; aber fie
fanden die Anwendung von Waffengewalt unförderlih. Zwar der per:
jönlich beleidigte Statthalter Peblis ſchrieb drohend an die ftädtifche
Dbrigkeit zu Pforzheim, er werde fie alle mit Weib, Kind und Gefind
peinlich belangen; aber dod) rieth er dem Markgrafen, man folle dem
veformivten Kult vorerit nur eine der Pforzheimer Kirchen zu öffnen
ſuchen. Auch der Obervogt Münfter rieth von gewaltfamem Vorgehen
gegen eine Bürgerſchaft ab, mit der er nicht fertig hätte werden Können,
obgleich er als Amtmann zu Wied am Niederrhein eine ganze Graffchaft
zur vechten Lehre befehrt habe. Es fei namentlich zu befürchten, daß
viele von der Bürgerſchaft am Ende auswandern und dem Markgraf
bedeutende Einnahmen an Zoll, Steuer und Schatzung verloren gehen
Pflüger, Pforzheim, 24
370 Dreizehntes Rapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
möchten. Ebenſo war ein anderer rechtsgelehrter Rath, Juſtus Reuber,
der Anficht, daß man die Sache etwas fubtiler hätte angreifen und nicht
drein fahren follen, wie „der Hagel in die Häfen.“ Hätte man vorerft
gefucht, einige Pforzheimer für die veformirte Lehre zu gewinnen und
dahin zu bringen, felbft um eimen kalviniſchen Geiftlihen anzuhalten, fo
wäre es ficherlich beffer gegangen und die neue Lehre würde den Bür—
gern ſelbſt nicht mißfällig gewefen fein. In gleihem Sinn ftimmten die
übrigen Räthe (Joh. Rupr. Tiichelin, Jakob Commali und Karl Paul);
fie wiefen auf die Gefahr eines allgemeinen Aufjtandes bin, da auch
dag Landvolf gut lutheriſch gefinnt ſei und die Stadt Pforzheim auf
den Beiltand des Markgrafen Georg Friedrich zähle,
Darauf hiu beſchloß der Markgraf, der Sache einen mehr politischen
Charakter zu geben, die Neligion weniger insg Spiel zu bringen, aber
gegen die unrubigiten Köpfe unter den Bürgern, namentlich) gegen ihren
Nechtsbeiftand Dr. Ebertz, einen peinlichen Prozeß einzuleiten. Er
jandte darum am 25. September zwei Difiziere, den Hauptmann Karl
von Scyornitetten und den Lieutenant Weinſchenk, nah Pforzheim und
gab ihnen ein Schreiben mit, worin er der Bürgerichaft ihr Benehmen
gegen den Statthalter Peblis, den Obervogt v. Münſter, ihren Troß,
ihre Halsftarrigfeit und ihr aufrühreriihes Weſen vorbielt und ihnen
gebot, ihr Bündniß aufzugeben; denen, die davon abgingen, follte ver
ziehen, die übrigen aber mit peinlichen Strafen belegt werden. Am
26. September Vormittags 9 Uhr verfammelten diefe Abgeordneten
die Bürgerſchaft und laſen nach vorausgegangenem Trompetenihall den
fürftlichen Befehl vor. Die Bürger verlangten eine Mbfchrift und Be
denfzeit; erſtere wurde verweigert, lebtere bis Mittags 1 Uhr geftattet.
Während der Zwiſchenzeit verfaßten die Bürger eine Erklärung und
laſen fie öffentlich ab. Sie fagten darin, daß es nie ihr Wille gewefen,
noch wirklich fei, ihrem Fürſten ungehorfam zu fein; fie verlangten nur:
1, bei ihrer bisherigen lutheriſchen Neligion gelafjen zu werden; nur
diefe hätten fie beſchützen wollen, was fie bei ihrem Eide bezeugen
könnten; 2. verlangten fie, bei ihrem Neligiongeide zu bleiben, weil folcher
gegen Niemanden gebe; 3, bäten fie aud) um einen lutheriſchen Super-
intendenten und um Bejorgung von Kirche und Schule durch lutheriſche
Geiftlihe, und 4, um Mittheilung des fürftlichen Befehls, um fich ver-
Dreizebntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert. 371
antworten zu Fünnen. Die fürftlihen Abgeordneten gingen auf diefe
Begehren nicht ein, bemühten ſich aber, die Bürger zum Abfall von
ihrem Religionseid zu bewegen und betheuerten dabei mit derben Flüchen
(„der Teufel jolle fie mit Leib und Eeel! holen”), daß der Neligion
der Pforzheimer fein Eintrag mehr gejchehen und daß Ebertz ficher
Geleit haben jolle. Ja, der Hauptmann von Schornftetten erbot fi)
fogar, ihnen die Kapitalbriefe über viele taufend Gulden, die er bei der
Zandichaft liegen habe, als Unterpfand für die Aufrichtigfeit feiner Be—
theurungen zu hinterlegen. Die Bürger ſchienen nicht ganz abgeneigt,
denfelben Glauben zu fchenten, wurden aber von Eberk bald wieder
„herumgebracht.“ Mittlerweile war vom Markgrafen der Befehl einge:
laufen, Ebertz zu verbaften und gefangen nach Durlach abzuführen,
As deshalb am andern Tage die beiden Abgeſandten fi) abermals auf
dem Nathhaus eingefunden hatten, um diejenigen Bürger aufzunehmen,
welche bei dem bürgerlichen Huldigungseid verhawen wollten, (dazu
waren wohl alle geneigt,) wurde jedem Einzelnen bei jchmerer Leibes—
ftrafe geboten, ſich des Dr. Ebert in feiner Weife anzunehmen und
ruhig nah Haufe zu gehen. Um 4 Uhr Nachmittags wurde nun aud)
Ebert vorgerufen, Er ſäumte nicht, zu erfcheinen, da er fich zu jeder
Verantwortung bereit finden laſſen wollte, war aber nicht wenig erftaunt,
als. man ihm Arreft anfündigte und ihm befahl, alle Akten, die Huldi—
gung betreffend, fowie auch das Geld, das die Bürger zuſammengeſchoſſen,
auszuliefern, Ebertz erklärte fi) zu Allem bereit, ſogar zum Arreft,
wenn man ihm die Verficherung gebe, daß ihm feine Gewalt angethan
werde. Das wurde von den Abgeordneten zugejagt, jedoch am folgenden
Tage bei Fortſetzung dev Verhandlungen dazu bemerkt, daß Ebert laut
eingetroffenen fürftlichen Befehls nach Durlach verbracht werden müſſe.
Dagegen proteftirte Ebertz, weil ihm natürlich bei der Sache nicht wohl
zu Muthe war, und da ihm ohnehin Verfchiedenes, was in feiner Gegen:
wart vorging, ſehr verdächtig erichien, jo paßte er einen günftigen Augen:
bi ab und jprang umverfehens zur Thüre hinaus, Unter dem lauten
Zurufe, daß man ihn halten folle, folgte ihm Schornftetten nad, faßte
Ebert beim Aermel, als diefer eben das Treppengeländer ergriff, Fonnte
ihn aber nicht zurücziehen, und fo purzelten Beide miteinander die halbe
Treppe hinunter. Mittlerweile war auch der Lieutenant Weinihent
24 *
372 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17, Jahrhundert.
nachgefprungen, brachte den Kopf Ebertz's unter feinen Arm, verftopfte
ihm, da er fortwährend laut nach den Bürgern ſchrie, den Mund und
griff ihm nach der Gurgel. Durch das Rufen und Schreien aufmerkfam
gemacht, fprang jest ein Bürger, ein Wollenweber, mit einer Art herbei,
ſchwang dieſelbe drohend gegen Weinfchent und rief aus: „Daß euch
potz Saferment ſchänd! Heißt das Fried und Geleit zugefagt ?" Es wäre
jedoh um Ebert gefchehen geweſen, da jebt auch einige Kriegsknechte
die Treppe herab nad) ihm ftießen, wenn ihm nicht der Schreiner Jo—
hann Eichelin mit einer Hellebarde zu Hilfe gefommen wäre, Wein—
fchent mußte nun von Ebertz ablaffen, der mit einem Sat die Treppe
hinunter fprang und auf den Marktpla eilte, wo fich bereits die Bür-
gerichaft in Waffen aufzuftellen begann. Alles war aufgebracht über
das Benehmen der Offiziere, die nun im Rathhaus in fiherm Gewahr:
ſam gehalten wurden, („fie hatten fi) im Adler eine Mittagsmahlzeit
beftellt; daraus wurde aber eine Abendmahlzeit, weil fie bis 6 Uhr
Abends eingefperrt waren; nach mancherlei Veriprechungen wurden fie
endlich fortgelaffen und im Wirthshaus bewacht,“) bis Ebert ins Würt⸗
tembergifche in Sicherheit gebracht war. Bon dort ging er über Bruch:
fal nach Speier, wo er zwar auf Begehren des Markgrafen durch den
Magiftrat gefänglich eingezogen, aber durch das Neichsfammergericht
bald wieder befreit und auch gegen die ferneren Verfolgungen Ernſt
Friedrichs in Schuß genommen wurde.
Man follte nun glauben, die Erbitterung des Markgrafen müßte
einen noch höheren Grad erreicht und ihn zu nod) fhärferen Maafregeln
gegen die Pforzheimer bewogen haben. Won Beidem fand aber das
Gegentheil ftatt. Es fcheint, daß es den Bemühungen einiger Bürger,
darunter namentlich des Apothefers und Rathsherrn Mich. Koh. Gries:
ninger, gelang, den Markgrafen zu bejänftigen und ihm fiber die
BVerhältniffe zu Pforzheim eine andere Anficht beizubringen. Auch war
ja jet derjenige, den der Fürft für den Hauptanftifter und Rädels—
führer bei den Pforzheimer Unruhen hielt, nämlicd Ebert, aus der
Stadt entfernt. Genug, es lief am 29, September ein Schreiben an
jene beiden Offiziere ein, worin der Markgraf ſich anheiſchig machte,
zur „Erklärung feines fanftmüthigen Gemüths“ den Bürgern ihre bes
gangenen hochſträflichen Frevel zu „condoniren und nachzufehen”, wenn
Dreizehntes, Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert, 373
fie die Bewachung der beiden fürftlichen Gefandten aufgeben nnd ver-
ſprechen wollten, fi) des Dr. Ebert, diefes ehr: und eidvergeflenen Ge:
fellen, welcher uns am unjerer fürftlichen Ehr und Neputation und in
anderm Meg ehrendiebifcher, freventlicher Weiſe angegriffen,“ nicht mehr
anzunehmen. In einem Poftferiptum zu diefem Schreiben heißt es fer:
ner: „Uns jammert der armen unverftändigen und verblendeten Leute
zu Pforzheim, daß fie um des ehr: und eidvergefienen Mannes, Peter
Ebert willen, neuen Tumult angefangen und unter fo viel Hunderten
nicht Einer geweſen, der da bedacht hätte, daß foldhes Ehrendiebes Ver—
baftung ihnen mehr zur Gnade, denn zur Ungnade angefehen, ja mehr
zur Ehre, denn zur Unehre, wie auc ihren Weibern und Kindern zum
Beiten gereicht 2c.* Genug, die Pforzheimer fcheinen bezüglich der bei:
den Gefangenen dem Markgrafen zu Willen geweſen zu fein und aud
bald darauf ihre Iutherifchen Prediger, mit Ausnahme des Superinten:
denten,, wieder erhalten zu haben. Damit war ja auch der Grund zu
weiterer Widerſetzlichkeit für jet befeitigt.
Allein nach faſt drei Jahren brad der Sturm, und zwar ernftlicher
als je, von Neuem los. Es follte ein wiederholter Verſuch gemacht
werden, die Stadt Pforzheim zur veformirten Lehre zu bringen, und
zwar, da andere Mittel fruchtlos erjchienen, durch Gewalt. Am
14, April 1604 309 der Markgraf an der Spite einer Anzahl Solda-
ten, die er durch bewaffnete Bauern verftärkt hatte, won Durlach aus gegen
die unfügfame Stadt, Als die Nachricht davon in Pforzheim eintraf,
verrammelten die Bürger ihre Thore mit Laftwagen und ähnlichen
Mitteln, wie fie die Eile des Augenblickes ihnen darbot und griffen zu
ben Waffen, um die drohende Gefahr mit ftandhaften Muthe zu em:
pfangen. Doch die weitere Kunde, die bei ihnen eintraf, lautete auf
eine ganz andere und unerwartete Weife. In Remchingen, dem ſchon
mehrerwähnten Flecken, der fich zwifchen Durlach und Pforzheim befand 1),
—— —
‘) Im Jahr 1735 war von demſelben noch die Kirche vorhanden und
wohnten bei derjelben aber nur noch 6 Haushaltungen,. Die Orte Wilferbingen,
Singen und Kleinfteinbah waren damals bahin eingepfarrt. (Pforzheimer
Diozes-⸗, Kirchen: und Schulbeihreibung von 1735 im Landesardiv.)
374 Dreizehntes Kapitel. Pforzheim vom 16. zum 17. Jahrhundert.
wurde der Markgraf an jenem 14. April vom Schlagfluß getroffen, der
jeinem Leben noch am gleichen Tage ein Ende machte. Die Tradition
gibt ald Grund davon den Aerger an, welchen der fehr ftarf beleibte
Ernſt Friedrih in Remchingen bei der eben eintreffenden Nachricht em:
pfunden habe, daß Pforzheim fich zur entichloffenften Gegenwehr rüfte.
In ftillem Zuge kam feine Leiche in diefer Stadt an, um im fürftlichen
Erbbegräbniß daſelbſt beigefeßt zu werden. Mit feinem Tode und
dem Negierungsantritt Georg Friedrichs hörten alle Religionsbedrückun—
gen auf.
Viersehntes Bapitel
Pforzheim während des dreigigiährigen Krieges. ')
(1618 — 1648.)
$ 1. Einleitung.
Der im Jahr 1555 zu Augsburg abgeſchloſſene Neligionsfriede
(S. 320) war leider nur ein äußerlicher gewejen. Unter den evange:
lichen und Fatholifchen Ständen Deutjchlands und den verfchiedenen
Neligionsparteien überhaupt herrſchte feine Eintracht, fjondern der Riß
wurde von Jahr zu Jahr größer, der Hader immer bitterer, bis endlich
ein Krieg ausbrach, biutiger und anhaltender, als jelbft die ſchwärzeſte
Ahnung ihn hätte vomusfagen fünnen,
Da das gegenfeitige Mißtrauen zwiſchen Katholiken und Proteſtan—
ten allmälig einen hohen Grad erreicht hatte und durch jeden ausgeho—
. benen Soldaten, jeden reifenden Gefandten, jeden Kourierwechſel genährt
wurde, jo traten die meiften evangelifchen Fürſten Deutichlands 1608
zu einem Bündniß zufammen, das fie Union nannten. Zu den eif-
rigften Mitgliedern derjelben gehörte Markgraf Georg Friedrich von
Baden-Durlach. Ihm wurde das Kommando über einen Theil der
aufzuftellenden Unionstruppen, nämlich die Neiterei, übertragen, während
der Kurfürft von der Pfalz das Direktorium des Bundes erhielt. Die
Gründung der Union rief bei den Fatholifchen Fürften eine ähnliche Ber:
einigung, die Riga, hervor, an deren Spite der Kurfürft Marimilian
von Baiern fich ftellte. Auf beiden Seiten wurden die umfafjendften
Kriegsrüftungen betrieben, und auch in Baden-Durlach wußte der Mark:
graf die Zahl feiner Truppen nad und nach fo zu vermehren, daß er
im Jahr 1617 über eine Heeresmaht von 15,000 Mann, darunter
ı) Quellen verfchieden, meift betr, Orts angegeben.
376 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
viele geworbene Truppen, Mufterung halten konnte. Es gehörten dazu
auch die 4 Landmwehrregimenter, die er gleich den übrigen Fürften der
Union errichtet hatte, nämlid) Unterbaden, Oberbaden, Hochberg und
Kötteln. Das erfigenannte hieß auch das weiße Regiment und beftand
aus Angehörigen aller zwifchen Pforzheim und dem Rhein gelegenen
Drte. Eine der 9 Kompagnien des Megimentes hatte die Stadt
Pforzheim geftelt. — Solche Kriegsrüftungen Tegten dem Lande
fchwere Laften auf. „Man ift im diefem Jahre”, jo klagt 1614 die
Chronik des badiſchen Dorfes Britingen, 1) „mit Muftern und Ererziven
der Unterthanen heftig umgegangen und bat, mit Veränderung der
Mehren zu Fuß und zu Roß, auch mit Röcken und Kleidungen der
ausgewählten Truppen große Koften gemacht.“ Nicht ange nachher
erging auch ein Befehl des Markgrafen an feinen Vogt und Oberft-
lieutenant Bertram v. Herſchbach zu Pforzheim, nach welchem er bezüig-
ich der Befeftigungswerfe der badischen Städte und Schlöffer genaue
Aufpektion halten und, wo nöthig, zu Herftellung derjelben das Exrfor:
derliche vorfehren follte. 2) Vielleicht zu theilmeifer Deckung ſolcher Koften
oder ähnlicher Ausgaben war der Markgraf genöthigt, am St. Thomas:
tag (21. Dez.) 1617 bei den Pforzheimer Amtsfleden ein Anlehen
von 1720 Gulden zu machen, das 4 Jahre lang nicht, nach Umfluß
berfelben aber, wenn noch nicht heimbezahlt, mit 5 vom Hundert verzinst
werden follte. 3) :
Zur Erhöhung feiner Truppenmacht hatte nun freilich Georg Fried: -
rich noch einen befondern Grund. Wie ſchon (©. 354) erzählt, befand
fich die Markgrafihaft Baden-Baden fortwährend in feinem Befit, weil
er den Kindern des Markgrafen Eduard Fortunat, der 1600 geftorben
war, die Erbfähigfeit nicht zugeftehen wollte. Sowohl die Mittwe
desjelben, als ihr äHtefter Sohn Milhelm fuchten die Anfpriüche des
Kestern auf Baden: Baden zur Geltung zu bringen. rftere reiste
überall umher, und bei den Fatholifchen Fürften und dem Kaifer felbft
fand fie ein um fo bereitwilligeres Ohr, als ihr Sohn eben diefer Kirche
1) Bierodt, IE, 152.
2) Akten bes Generallandesardivs.
s) Obligatio von Herrn Markgraf Georg Friedrich Durchlaucht geg. bie
Pforzheimer Amtsfleden ; im Stabtardiv.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigjährigen Krieg. 377
angehörte, während Georg Friedrich ein eifriger Lutheraner war. Bei
Ausbruch eines Krieges ftand, fo fürchtete der Markgraf, der Befit von
Baden-Baden auf dem Spiel, und um fi denfelben zu fichern und
nöthigenfalls ſelbſt durch Waffengewalt zu verteidigen, hatte er fo aus:
gebehnte Nüftungen veranftaltet. Es follte fich Später zeigen, daß feine
Befürchtungen nicht ungegründet waren.
Am Fahr 1618 brad in Böhmen der Krieg endlich aus, ber
Deutichland dreißig Jahre lang verheeren und fo unfägliches Elend auch
über unfer engeres Vaterland und über Pforzheim bringen follte. Aus
den Trümmern zweier böhmifchen Kirchen, welche die proteftantifchen
Unterthanen Fatholifter Gutsherrn gebaut hatten, die aber auf Befehl
ber letztern wieder niedergerifien wurden, fehlug die verderbliche Flamme
des Krieges empor,
82. Die erften Jahre des Krieges.
(1618— 1622.)
Die Böhmen hatten dem Kaifer Mathias den Gehorfam aufge:
fündigt und wollten nad deſſen Tode, durch glückliche Waffenthaten er:
mutbigt, auch feinen Nachfolger, den bigotten Kaifer Ferdinand IL,
niht als ihren König anerkennen, jondern beriefen den Kurfürften Fried:
ih V. von der Pfalz auf den böhmifchen Thron, zu welchem er aber
weder Kopf, noch Herz, noch eine zum Kampfe geeignete Fauſt mit-
brachte. In kurzer Zeit hatte fich deshalb das Waffenglück gewendet,
und mit Blitzesſchnelle ftürzte das vereinigte Heer der Liga und des
Kaifers, unter dev Anführung Marimilians von Baiern, über das un-
glückliche Böhmen. Am weißen Berg bei Prag wurde das Heer Trieb:
richs 29. Dit. (8. Nov.) 1) geichlagen, und der König begab fich auf
1) Die Leer werben in ber Geichichte des 30jährigen Krieges jowohl, als
während bes ganzen 17. Jahrhunderts, immer boppelten Daten begegnen.
Dies rührt von der Kalenderverbeſſerung ber, die 1582 durch Papft Gregor XIII.
deswegen vorgenommen wurde, weil fi) herausgeſtellt hatte, daß der bisherige
julianifche Kalender unrihtig und man damals in der Zeitrechnung um 10
Tage zurüd war. Es wurden deshalb im genannten Jahr 10 Tage ausge:
378 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
die fchleunigfte Flucht. Da während feiner Abweſenheit aus dev Pfalz
die Spanier unter Spinola in diefe eingedrungen waren, jo juchte er,
vom Kaiſer geächtet und feiner Würde und feines Landes für verluftig
erklärt, feine Zuflucht in Holland. Seine Sache jchien vettungslos ver:
loren, erhob fih aber von Neuem gegen die furchtbare Uebermacht
Oeſtreichs, Spaniens und der Liga durch die Tapferkeit einiger Män—
ner, welche für den Kurfürſten und zugleich für die gefährdete proteftans
tifche Kirche das Schwert ergriffen. Es waren dies der Graf Ernſt
von Mansfeld, der Herzog Chriftian von Braunfchweig und bald darauf
au der Markgraf Georg Friedrih von Baden.
Mar der Schauplab des Krieges in den erjten Jahren feiner
Dauer auf Böhmen und Deftreich beſchränkt geweien, jo breitete er
fi) bald über ganz Deutjchland aus und wurde jhon im Jahr 1621
in unfere Gegenden verlegt. Mangfeld, aus Böhmen verdrängt, hatte
fih bis in die Rheinpfalz durchgeichlagen und kämpfte bier nicht ohne
Erfolg gegen die eingedrungenen Spanier. Im Spätjahr 1621 brands
ſchatzte er Bruchſal und die übrigen bijchöflichen fpeierifchen Orte, und
bei diefem Anlafje erhielt Pforzheim feine erſten Kriegsgäjte, welche
duch ihre Ankunft nur zu deutlich verrietben, daß ihnen bald jchlim-
mere nachfolgen würden. Es waren dies Einwohner von Bruchſal, fowie
der umliegenden Orte, namentlich von Grumbach und Heidelsheim, welche
in Pforzheim vor den Mansfeld'ſchen eine Zuflucht fuchten. (13., 30,
Nov., 12.— 21., 26. Dez. 1621, 9. Jan. 1622). Der Graf von
Mansteld begab fi indefjen bald auf die linke Nheinfeite zurüc, wo er
dem biichöflih jtraßburgiichen Gebiet ein gleiches Schickſal wie dem
fpeierifchen bereitete. Mittlerweile war auch der Liguiftifche General
Tilly vom Main her durch den Odenwald und das Nedarthal in die
Pfalz vorgedrungen, um den vechtsrheinifchen Theil derfelben für den
Herzog Mar von Baiern zu bejeten, während der Spanier Spinvla
laffen und die erforderlichen Einrichtungen getroffen, um der Wiederkehr ähn—
licher Jrrungen vorzubeugen. Den neuen verbeflerten oder gregorianiichen Ka—
lender nahmen aber damals nur die Katholifen an; die Broteftanten entjchloffen
fi viel jpäter erit dazu. Man hatte deshalb noch lange zwei Kalender neben
einander, nämlich ben „alten“ und den „neuen Stils“, daher bie doppelten
Daten. Das Datum neuen Stile ift oben immer in Klammer beigefeßt.
1) Städtiſches Kirhenbudh von 1607—1646, S. 140, 141 und 142,
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 379
in ber überrheinifchen Pfalz ftand. Zu diefen zwei feindlichen Heeren
kam noch ein drittes, welches der Biſchof von Straßburg, Erzherzog
Leopold, im Elfaß zufammengezogen hatte, — Grumd genug für Mark—
graf Georg Friedrich, auf feiner Hut zu fein, um ſich von dem drohen:
den Gewitter, das fich über ihm zufammenzog, nicht umworbereitet
überfallen zu Laffen. Er ſuchte deshalb feine ſchon ſehr beträchtliche
Truppenmacht noch mehr zu vergrößern, nahm den Herzog Wilhelm
von Weimar und deſſen fpäter jo berühmt gewordenen Bruder Bern:
bard, fowie den Herzog Magnus von Württemberg in feine Dienfte
und Tieß in der Schweiz, den ſüddeutſchen Neichsftädten und Weſtpha—
len erneuerte MWerbungen anſtellen. Es fcheint, daß die Söldlinge,
weldhe Herzog Magnus dem Markgrafen zuführte, jammt ihm einige
Zeit in Pforzheim in Garnifon lagen, Wenigfteng wird der Küchen—
meifter des Herzogs als in der Stadt anweſend aufgeführt. Ein Ka:
pitän diefer Truppen hieß Georg Wolf von Landsberg, der ung am 26.
Dez. 1621 und 9. San. 1622 begegnet. Das Korps, weldes im
März als in der Stadt liegend erwähnt 1) und von weldem ein Ka:
pitän Gültlinger, ein altwürttembergiicher adeliger Name, genannt wird,
it wohl dasjelbe gewejen.
Noch hatte indeffen der Markgraf am Kriege keinen thatſächlichen
Antheil genommen, und Oeftreih gab fih alle Mühe, ihm nicht nur
davon abzuhalten, jondern ihn auch zur Entlafjung jeiner Truppen zu
bewegen. Der Erzherzog Leopold fuchte ihm namentlich darzuthun,
daß feine Befürchtungen wegen der Herausgabe von Baden-Baden ohne
allen Grund jeien, Allein der Marggraf traute ſolchen Verficheruns
gen nicht, und als vollends der vertriebene König Friedrid von Böhmen
aus feinem Eril unerwartet in Landau ankam, mit Mangfeld in Ger:
mersheim zufammentraf und einen Eilboten um den andern an Georg
Friedrich mit der Bitte um Hilfe jandte, da brachte die ritterliche Ge:
finnung des Markgrafen für den verlaffenen Pfälzer den Entſchluß zur
Reife, fih offen am Kampfe zu betheiligen. Am 15. (25.) April
brach er mit einem KHeere von 15,000 Mann von Durlad auf und
309 über Stafforth in den Kraichgau. Dahin fette fih auch Mansfeld
in Bewegung, und bei Wiesloch fam es zwiſchen ihm und Tilly am
') Städtiſches Kirchenbuch.
380 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigiährigen Kricg.
17. (27. April) zu einem Treffen, welches legterer verlor. Tilly zog
fi nunmehr über Einsheim nach Wimpfen zurüd, während Mansfeld
die Belagerung von Ladenburg unternahm,
$ 3. Die Schlacht bei Wimpfen
am 26. April (6. Mai) 1622. 1)
wi es
Das Schlachtfeld von Wimpfen.
H = Heilbronn, NG = Nedargartah, BH — LBellinger Hof,
OE — Obereifisheim, TUE — Untereifisheim, Wi = Wimpfen, Bo
— Bonfeld, F = Fürfeld, Sch = Schmaigern, Bi — Biberach;
— N = Nedar, BB = Bellinger Bad, Br = Brüde darüber,
Wa — Wartberg bei Biberach, DW = Dome Wald; — L =
erfte Aufftellung Markgraf Georg Friedrichs, I. — zweite Aufftellung
Georg Friedrichs, IT. —= Tilly, IV. —= Cordova.
1) Quellen für diefen Abichnitt der Pforzbeimer Geſchichte, der von jeher
für einen Glanzpunkt berfelben galt, find: Alten und Manufcripte Großh-
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 381
Nach dem Abzug Tilly's nahm der Markgraf Sinsheim, Hilsbach
und noch andere Orte ein, und folgte alsdann auf der Straße von
Schwaigern und Biberad den Tiguiftiihen Truppen nad. Bei letzterm
Drte nahm der Markgraf feine Stellung, während Tilly näher bei
MWimpfen ftand. Georg Friedrid) war feinem Gegner an Macht über:
legen, weshalb Tilly in aller Eile den nicht weit entfernten General
Gonzalo de Cordova zu feiner Unterftübung herbeirief: ein Umftand,
———-
Generallandesarchivs, darunter namentlich ein Schreiben, welches Georg Fried—
rich Über die Wimpfener Schlaht acht Tage nad derielben, nämlih am 3,
(13,) Mai, von Durlad aus an ben Markgrafen Joachim Ernft von Branden—
burg richtete, — ferner ein Schreiben des Sefretärs Abel an den Nürnbergi«
[hen Stadtoberften v. Leubelfingen,, „wie es in ber Wimpfener Schlacht herges
gangen.” — Alten aus den Archiven der Stäbte Heilbronn und Wimpfen, —
Bericht eines ungenannten Augenzeugen, (vaterländiiche Blätter von
Schreiber, 1812). — Deimling, E. 8, die vierhundert Pforzheimer (1788),
— Der durchlauchtigſten Fürften und Marfgrafen von Baden Leben ꝛc.
(Frankfurt und Leipzig, 1693), — Heyd, Geſchichte der Stadt Wimpfen
(Darmftadt, 1836) mit der gleichzeitigen „Relation eines Wimpfener Dominis
kaners.“ — Jäger, Geihichte der Stadt Heilbronn nah bandichriftlichen
Duclen. — Khevenmüller, Annales Ferdinandei, Band IX., (Leipzig,
1724), — Kontraktenbücher auf Großh. Amtsreviforat zu Pforzheim. —
Laroche, die Schlacht bei Wimpfen, (Abhandlung in der Zeitichrift für Kunſt
und Wiſſenſchaft des Krieges, Jahrgang 1846, Heft 7 und 8, Berlin). — Las
roche, der breißigjährige Krieg vom militärischen Standpunkt. (Schaffhauſen,
1848). — Leichtlen, Badens Kriegsverfafjung, bejonders Landwehr und Land:
fturm im 17. Jahrhundert, (Karlsruhe, 1815), — Mallinger, Th. Tags
bücher 1613—1660, in Mone's Quellenfammlung I,, (Karlsruge, 1854). —
Münd, E., Erinnerung an die Schlacht bei Wimpfen, (Freiburg, 1824). —
Nicolai Helvieci Chronicon (1641). — Poſſelt, Dr. dem Baterlandstob,
der. 400 Pforzheimer, (Karlsruhe, 1788). — Stiftungsrehnungen im
Stadtarchiv zu Pforzheim (1604-1633). — Taufbuch, älteſtes, der Stadt-
pfarrei Pforzheim (1607— 1646). — Theatrum Europaeum, I, (&. 626). —
Bekanntlich ift auch der Heldentod der 400 Pforzheimer bei Wimpfen vielfach
bichteriich gefeiert worden, fo von Ferrand, Brauer, Vogel, Babo, Hofmann,
Dieter, Kempte u. U, Auch Tromlig bat benfelben zum Gegenftand einer
Novelle gemacht. — Die nachfolgende Echilderung der Schlacht iſt nach ihrer
militärischen Eeite meift nach Larodhe, als einem Mann vom Fach, gegeben,
der dazu hauptſächlich die betreffenden Akten aus den Archiven ber Stäbte
Heilbronn und Wimpfen zu Grund gelegt bat. Selbſtverſtändlich ſind aber
auch die andern Quellen dabei mitbenügt worden.
382 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
der im Verlauf der Schlacht fehr zum Nachtheil des Markgrafen in
die Wagfchale fallen follte,
Das ganze ftreitbare Heer Georg Friedrichs beftand, wie oben
bereit8 bemerkt, aus etwa 15,000 Mann, melde fih auf 6--8 Regi:
menter Fußvolk, 24 — 28 WReiterfähnlein und die Geſchützmannſchaft
vertheilten. Zur Änfanterie gehörten die vier jchon erwähnten Land:
wehrregimenter Oberbaden, Hochberg, Nötteln und Unterbaden oder
das weiße Negiment. Xebteres zählte 9 Kompagnien, wovon 2
auf Stadt und Amt Durlah, 1 auf das Amt Graben, 1 auf das
Amt Mühlburg, 1 auf die Stadt und 2 auf das Amt Pforzheim,
41 auf das Amt Stafforth (und nody einen Theil von Durlach) und 1
auf die Aemter Stein und Langenſteinbach kamen. Jede Kompagnie
war 300 Wann, das ganze Regiment alfo 2700 -Vtann ftart, Das:
jelbe wurde vom Oberften v. Helmftädt befehligt. Stadt und Amt
Pforzheim jtellten aber gemeinjchaftlich mit Stein und Langenſteinbach auch
ein Reiterfähnlein, das 100 Mann zählte und, weil Pforzheim den
größten Theil davon ausrüftete, das „Pforzheimer“ genannt wurde.
Bon den „400 Pforzheimern”, die in der Schladht von Wimpfen
mitfämpften, war alfo weitaus der größte Theil won der Stadt Pforz
heim gejtellt. Außer den 4 Landwehrregimentern zählte das Heer Georg
Friedrihs 1 Pfälzer und 1 Weimarer Regiment. Diefe beiden hatten
dem Markgrafen die Herzoge Wilhelm und Bernhard von Weimar
zugeführt, Andere Theile des Fußvolkes waren ſolche Truppen, bie
der Markgraf felber in der Schweiz ꝛc. geworben, in ganzes Re:
giment Schwabenreiterei, 1500 Mann jtark, hatte Herzog Magnus von
Mürttemberg dem Markgrafen zugeführt. Die Kavallerie zählte über:
dies auch einige Abtheilungen Franzojen. In der nächſten Umgebung
des Markgrafen war feine Reibwache, eine 154 Mann ftarfe Abtheilung
Neiterei und ein Fähnlein Fußvoll. Die Mannſchaft des letzteren trug
glänzende Nüftungen, und war Jeder mit zwei Rohren und außerdem
mit Schwert und Lanze ausgerüftet. Das ſchwere Geſchütz zählte 40
Feldſtücke und außerdem 70 fogenannte Spit: oder Spießwagen. ‘Dies
jelben waren eine Erfindung des Markgrafen. Eine Haubiße, die leicht
gedreht werden konnte, ruhte auf zwei Balken, welche wieder auf zwei
bis drei Achſen mit vier oder ſechs Nädern auflagen, doch jo weit von
ben Nädern entfernt, daß diefe mit dem Wagen leicht gewendet werden
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg 383
tonnten. Die Balken waren mit nad) außen gerichteten eifernen Spitzen
befchlagen, daher der Name Spitwagen. Diefelben Teifteten vortreffliche
Dienfte gegen die Neiterei und wurden gewöhnlich in die vorderfte Neihe
der Magenburg geſteckt. Theils zur Errichtung einer folchen, theils zur
Fortihaffung von Proviant, Munition, Sturm- und Schanzzeug, auch
von Schiffen zu einer Sciffbrüde, verfügte der Markgraf über 1800
Magen. Geſchütz, Wagen ꝛc. ftanden unter dem Befehl des Feldzeug—
meiſtets Oberften» Klaus von Bödln Als Unterfeldherr fommandirte
der Wild: und Nheingraf Otto, Graf zu Salm; einzelne größere Ab:
theilungen der Truppen wurden, außer von den ſchon gemeldeten Her:
zogen von Weimar, dem Herzog Magnus von Württemberg und dem
Dberften von Helmſtädt — von zwei Söhnen de8 Markgrafen, den
Prinzen Karl und Ehriftopb, von dem Wild: und Nheingrafen Johann
Kafimir und den Herren v. Waldmannshaufen, Bertram v. Herſchbach,
Dbervogt in Pforzheim und Sturzel von Buchheim geführt.
Kehren wir nad diefen Angaben zur Schilderung der Schlacht
jelber zurüd, Der Markgraf ftellte fein Heer am Morgen des 26.
April (6. Mai) links und rechts der Straße auf, die von Biberach,
den Bellinger Hof vechts laſſend, nach Obereifisheim führt. Er benügte
dazu bauptfächlih die Anhöhen. Im Rücken des Heeres befand ſich
ber Bellingerbadh, der in damaliger Zeit, wo berlei Gewäfjer noch nicht
fo wie heut zu Tage regulirt waren, eine nicht unbedeutende Breite
und viele verſumpfte Stellen gehabt haben muß; Letzteres namentlich
war wenigſtens nach Karten der damaligen Zeit auch bei andern ähn—
lichen Bächen auf der benachbarten Gemarkung Heilbronn der Fall.
Diefe Umftände müfjen den Uebergang über diefen Bach nur mit.
Hilfe von Stegen und Brüden geftattet haben, namentlid wenn
derfelbe, wie es am Schlachttag in Folge von vorausgegangenen
Regengüffen der Fall gemefen ſein fol, aud noch angeſchwollen
war, Eine ſolche Brücke befand fich jedenfalls beim Bellinger Hof; eine
andere, von der unten weiter die Mede fein wird und die von
größerer Bedeutung war, führte und führt noch auf der Landftraße von
Mimpfen nad Heilbronn über den Bad, der ſich bald unterhalb der:
jelben in den Nedar ergießt. — Tilly ftand verdedt im Obereifisheimer
Walde, der fi längs eines Theils der Front der Badener hinzog.
Bald aber rückte er ans demielben hervor und begann ein lebhaftes
384 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
Feuer auf die badijche Meiterei, womit er die Schladht eröffnete. In
kurzer Zeit nahm das Gefecht eine größere Ausdehnung an, und Tilly
ftürzte ſich mit Heftigfeit auf den Markgrafen. Aber unerfchütterlic
kämpften die Badener; Tillys Truppen mußten weichen, ein Theil feiner
Meiterei ergriff fogar die Flucht, und die größte Unordnung drohte in
feinem Heer einzureißen. Da jandte er — es war mittlerweile nahezu
Mittag geworden — zum Markgrafen und ließ um einen Waffenftill-
jtand nachſuchen, den diejer allzu großmüthig bewifligte, jtatt feinen
‚Gegner zu vernichten, I) Während der Dauer desjelben veränderte
Georg Friedrich feine Stellung, indem er Truppen, Geſchütz, Wagen zc.
von den Höhen herab auf das flache Feld gegen Obereifisheim führte, das
er bejegte. Hinter jich hatte der Markgraf jein Lager und feine Bagage,
zur Rechten den Nedar, zur Linken und im Rücken den Bellingerbad
mit feinem Brücenübergang. Dieje Veränderung der Aufjtellung, (die
in alten Chroniken jehr getadelt wird,) bejchäftigte die Badener während
der brennenden Mittagshike, indeß die Liguiten im Schatten des Wal:
des ausruhen und ſich erguicen Fonnten. Das badifhe Heer überließ
ſich jedoch fpäter auch. der Ruhe.
Nah 1 Uhr jah der Markgraf im Rüden des liguiftiichen Heeres
Staubwolfen auffteigen; und da er nicht anders glaubte, als daß
Mansfeld herbeiziehe, jo gab er raſch Befehl, die Schlacht zu erneuern
und, um für diefelbe mehr Raum zu gewinnen, fämmtlihe Lransport:
wagen über den Bach zu führen. Nicht Mansfeld aber war «8, der
berbeieilte, jondern Gordova, der Tilly mit anſehnlichen Streitkräften zu
Hilfe kam und ihm dadurch die Uebermacht verſchaffte. Als die beiden
liguiſtiſchen Feldherrn die Abfahrt der Bagagewagen bemerften, glaubten
fie, der Markgraf habe ihre Bereinigung erfahren und beeile fih, dem
Rückzug anzutreten. Deshalb beſchloſſen fie, ungefäumt vorzugehen und
den Gegner anzugreifen, Bald entbrannte die Schladht von Neuem,
und die Geſchütze feuerten jo heftig, daß die Chronik erzählt, es habe
gedonnert und geprafielt, als wenn Himmel und Erde zufammenbreden
wollten, Bald nady dem Wiederbeginn der Schlaht hauchte Herzog
Magnus von Württemberg fein Heldenleben aus, Er wurde, da er
— — —
1) So die Heilbronner Akten. Andere Quellen ſprechen nur im Allgemei—
nen von einer zweiſtündigen Waffenruhe.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigiährigen Krieg. 385
mit allzu großer Kühnheit fih unter die Feinde wagte, von feinen
Leuten getrennt und durch mehrere Schüfje und Hiebe zu Boden geftredt.
Bon den badifchen Truppentheilen, welche Obereifisheim bejetst hatten,
wurde nach Erſtürmung des Ortes dur die Baiern eine Kompagnie
gefangen und fpäter unter das liguiftiiche Heer eingetbeilt.
Während diefer Vorgänge hatte fich der Markgraf mit dem Haupt:
theil feines Heeres ruhig im Hintertveffen bei der Wagenburg gehalten
und nur nad) Bedürfniß Verftärfungen dahin entjandt, wo es noth—
wendig erſchien. Jetzt aber, da die Feinde immer mehr drängen, ftürmt
der tapfere badifche Fürſt mit voller Macht auf feinen Gegner ein und
jeine Truppen verrichten ſolche Wunder der Tapferkeit, daß die Liguiften
auf allen Seiten weichen und ein Theil ihrer Neiterei nach der bei
Wimpfen über den Nedar gejchlagenen Schiffbrüde Hin fich flüchtet.
Der Markgraf rückt mit feinen kampfbegeiiterten Badenern nach und der
Sieg fcheint nicht mehr zweifelbaft.
Plötzlich aber bricht Cordova aus einer bis jetzt nicht gefehenen
Verihanzung hervor und ftürzt ſich unvermuthet den raſch Wordringen:
den entgegen. 1). Zwar richten die badiſchen Truppen große Verheerun⸗
gen unter. den Spaniern an, jo daß fürmliche Gaſſen in deren Reihen
entftehen, Aber die Weichenden hatten indeffen Zeit gewonnen, fich wieder
zu jammeln und von allen Seiten auf die Badener zu werfen, die fi
zum Rückzug entichliegen mußten. Allein ſchon auch hatten fich die
Liguiften in ſtürmiſchem Andrang auf die Rückzugslinie des Markgrafen
geworfen, und es entſpann fich jest ein blutiger Kampf, in welchem
wegen des aufgerworfenen Staubes Freund und Feind kaum von einan-
der unterfchieden werden konnten, Noch aber hielten die Badener wader
Stand; noch hatte der Markgraf Hoffnung, dem Feinde alle Vortheile
zu entreißen: da zündete ein Schuß den Pulvervorrath auf einem oder
mehreren der rückwärts ftehenden badifhen Wagen an, die mın mit —
ungeheurem Getöje in die Luft flogen und mehrere hundert Menfchen
und Thiere verwundeten, was bei den Vordern die Meinung erzeugte,
der Feind fei ihnen ſchon im Nücen. 2) Das vermehrte die Unordnung,
9 Nach den Annal, Ferdinand, ®b. IX,, S. 1706 batte er Tilly 4000
Mann Fußvolt und 22 Neiterfähnlein zugeführt.
*) In der „Relation eines Wimpfener Dominifaners* wird erzählt, ein
Soldat von dem fpanifchen Regiment des Cordova habe während ber Schlacht
in ber Luft die Jungfrau Maria in glänzendem Gewande geieben, welche die
Pflüger, Pforzheim, 25
386 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigjährigen Krieg.
den Schreden und die Verwirrung, welche Rauch, Staub und Schlacht:
lärm bereits veranlakt hatten, und ſchon fingen einzelne Heerestheile des
Markgrafen zu meiden an. Zuerſt flohen die franzöfiichen Weiter,
welche die Spiekwagen und das Geſchütz decken jollten, und eilten Nedar-
gartah zu. Noch immer aber hält der Markgraf mit dem größten
Theil feines Fußvolkes und feines Geſchützes Stand, und ſucht nament-
fi) feine Wagenburg zu vertheidigen, die von Tilly mit großer Heftig—
feit angegriffen wird. Hier, jo wie an der nahen Brüde über den
Bellinger Bach, verrichtet nun das badifche weiße Regiment
Munder der Tapferkeit und kämpft mit ſolchem Muthe und foldyer
Todesverachtung, daß in kurzer Seit zwei baierifche Negimenter völlig
aufgerieben wurden, Tilly rief jofort die Spanier berbei, und nad
blutigem Kampfe gelang es ihm, neun badiſche Geichüße zu erobern,
die jofort gegen die Truppen des Markgrafen gerichtet wurden. Aber
auch jett noch leijtete das weiße Negiment verzweiflungsvolle Gegen:
wehr, 1) und es war dabei — jo ſetzt die Tradition Hinzu — nament:
lich den Bforzbeimern die Aufgabe zugefallen, den Zugang oder ben
Mebergang über die Brücke des Bellinger Baches zu vertheidigen und
damit den Nüdzug des Fürften zu decken, der jetzt — e8 war Nach—
mittags gegen 4 Uhr — angetreten wurde, weil an eine Wiederher:
ftellung der Schlacht nicht mehr zu denken war. „AS nun,“ fo erzählt
die ins Einzelne gebende und poetiſch ausgeſchmückte Ueberlieferung weis
ter, „in faufendem Galopp und unter donnerndem Viktoriarufen die
Katholifchen mit Znwinken zum Streite ermuntert und ihnen ben Sieg ver:
Iprochen habe. Darauf ſei der Eoldat ein wenig vorgegangen und habe zu:
fällig mit dem under feines Gewehres ein Geihüg Tosgebrannt. Auf einmal-
ſeien die Kugeln mit ungeheuerer Gewalt herausgefabren und bätten die Puls
verwagen des Feindes entzündet,
1) „Der Oberſt Helmftädt hat fich mit dem weißen Regiment bis auf den
legten Mann gewehrt, hätte auch die Viktorie erhalten, wenn nur bie Reiteret
Stand gehalten hätte, welche fih aber jogleich davon gemacht, weil fie gar feine
Netirade hinter ſich gehabt.” So berichtet der oben genannte „Augenzeuge*,
und mit ihm übereinitimmend das Theat, Europ. 4, 627, ferner das aud
ſchon erwähnte Büchlein: „Der Fürften und Marggrafen zu Baaden Leben 2.“
(Frankfurt, 1695), Seite 352, Auch in Nicolai Helvici Chronicon (1641)
S. 351 wird die Tapferkeit des weißen Regiments mit begeifterten Worten
gerühmt.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigjährigen Krieg 387
feindliche Neiterei heranjagte, prallte ihr wilder Anlauf ab an der eher:
nen Bruft der Pforzheimer, welche die Brücke über den reißenden Bel:
finger Bad) gefperrt hielten, während ihre Musketire, am Ufer hinter
Meiden aunfgeftellt, manchen Geharnifchten von feinem Noffe nieder:
ſchoſſen. Drei Mal griff die Kavallerie an; drei Mal ward fie zurüd:
geichlagen. Micht beffer ging es einem Infanterie-Regiment. Zwar
ftrectten feine Kugeln den vierten Theil der Pforzheimer in den Sand;
durch einen heftigen Ausfall ward es zerriffen und zurück gedrängt, und
in fchönfter Ordnung zog ſich die Heldenichaar in ihre alte Stellung
über die Brüde zurück. Tilly, erftaunt, erfchüttert, begeiftert ob folcher
Kühnheit, ließ das Häuflein durch einen Trompeter auffordern, die
Brüde gegen freien, ebrenvollen Abzug zu räumen. Der Antrag
ward verworfen, und der letzte Kampf, der heißeſte, nahte heran.
Während nun aber die Liguiſten in zahllofer Menge fich aufftellten,
jogar eine Feldſchlange auffuhren, um alſo die Tapfern zu vernich—
ten, während fie unter Trommelwirbel und Trompetenklang beran-
rückten zur blutigen Entſcheidung: kniete die dem Tod neweihte Schaar
nieder, und über den Leichen ihrer Brüder und über den Leichen ihrer
Feinde jtieg der Geſang zum Himmel empor: „Ein’ feſte Burg ift
unfer Gott!“ — Der Reind felber war aufs tiefite ergriffen und
wagte nicht, fie im ihrer Andacht zu ftören. Der letzte Kampf
beginnt. Gleich einem Cherub tritt Berthold Deimling , der Anführer
der Heldenichaar, die flatternde Fahne in der Hand, auf die Brücke vor
das zujammengeichmolzene Hänflein und ruft: „Gedenkt eures Schwu—
ves und fteht!” Ein Musketenſchuß zerfchmettert ihm das rechte Bein;
er kniet auf das linke und ſchwingt die Fahne hoch empor. ine Tran:
benkugel zerreißt ihm den vechten Arm; er nimmt die Nahne in die linfe
Hand, Noch einmal hebt er fie emper und finft alsdann, von feind:
licher Kugel durchbohrt, zu Boden. Gin Jüngling (dev Waffenſchmied
Rofer) ergreift die Fahne, und gleich Löwen ſtürzen die Übriggebliebenen
Achtzig dem Feinde entgegen über die Brücke. Furchtbar wüthet der
Tod; denn er mäht mit feiner fchärfften Senfe, mit der Verzweiflung.
Leichen thürmen ſich auf Leichen; immer tiefer dringen die Piorzbeimer
ein in den Feind. Gin Regiment desjelben öffnet fich, es ſchließt ſich;
verſchwunden it die SHeldenfchaar, wie von einem Waſſerwirbel ver:
Ihlungen. Siehe, noch einmal flattert die weiße Fahne; noch einmal
biigt ihre goldene Inſchrift: „Ein' feite Burg iſt nuſer ge iiber das
5 +
388 Bierzebntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
Teld des Todes: da jaust ein Schwert durdh die Luft; die Fahne
finft; der letzte der Pforzheimer ift nicht mehr.“
Der Markgraf aber befand fich bereits in Sicherheit. Er traf
gegen Abend allein am Landtburm ein, der an der weltlichen Gränze
der Markung der Stadt Heilbronn am Waffergraben ftand. Bon
Staub bededt und von Durſt gequält, ruft er dem Zoller hinauf:
„Gebt mir einen Trunk, ich bin der alte Markgraf von Baden.” Der
Zoller aber hatte feinen Wein und reichte ihm unter vielen Entſchul—
digungen einen Trunk Waſſers. Er Ieerte den Becher und ritt weiter.1)
Tilly verfolgte den Markgrafen nicht, einestheils wohl, weil e8 zu
ſpät dazu mar, amderntbeils, weil er fich zu ſchwach dazu fühlte,
Nur die Spanier kamen bis Nedargartah. Am Abend jedoch war die
ganze liguiftifche Armee wieder in ihrem alten Lager verfammelt.
Die Schlacht hatte blutige Opfer gefordert, Won beiden Geiten
bedecten je 5000 Todte die Wahlftatt. 2) Unter den badiiherfeits Ge:
fallenen waren außer dem Herzog Magnus von Württemberg aud der
Pfalzgraf Chriſtoph von Birkenfeld und fonft viel edle Herren. Außer
der gebliebenen Mannſchaft verlor aber Georg Friedrich auch fein
ſämmtliches Geihüß, eine bedeutende Zahl von Wagen, viele Muni:
tion und endlich feine ganze Kriegstaffe, die an Geld über 225,000
Reihsthaler enthalten haben foll. 3)
AUnbang.
Dies die Schilderung einer Schlaht, wobei fowohl zuverläffige
gefchichtliche Duellen zu Grund gelegt wurden, als auch, wo dieje nicht
ausreichten und namentlich über mande Einzelheiten des Kampfes bei
1) Tilly (in feinem fehr einfeitig gehaltenen Schladhtbericht) und nad) ihm
bie Ann, Ferd. erzählen, der Markgraf bat auf feiner Flucht fogar bie Leib:
rüſtung weggeworjen, die bernac als Siegeszeichen dem Erzherzog Leopold
übermacht worden jei.
2) Die Angaben darüber lauten indeß fehr verfchieden. Der Sekretär
Abel (S, 381) fagt, es feien von badiſcher Seite nur 600 Mann auf ber
Wahlftatt geblieben, während man vom Feind 2500 Mann erlegt gefunden
babe.
2) Mallinger (fiebe oben) gibt den Verluft des Markgrafen außer
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 389
MWimpfen fich nicht verbreiteten, der Tradition ihr Recht widerfuhr.
Jedenfalls darf diefe nicht ignorirt werden, wenn auch davon alles das
wegfallen muß, was mit umwiderlegbarem gejchichtlihem Nachweis im
Widerſpruch fteht, oder ſich auch nur damit nicht vereinigen läßt. Es
find hiezu noch einige Bemerkungen nothwendig.
Daß fih das weiße Megiment bei Wimpfen vor allen andern
durch Tapferkeit auszeichnete, ift gefchichtlich bewiefen. Keine der oben
angeführten Quellen aber erwähnt etwas davon, daß fich irgend ein
Theil des Negimentes noch bejonders hervorgethan hätte. Daraus
fließt aber nicht die Berechtigung, die Behauptung aufzuftellen, daß bie
Geſchichte von der Heldenthat der Pforzheimer bei Wimpfen eine Mythe
fei, wie dies von verichiedenen Seiten gefchehen it. Wollte man über:
haupt mit dem silentio inter aequales (dem Stillfchweigen unter den
Zeitgenofien) bei der Gefchichtichreibung eimen Maaßſtab anlegen und
darnach feine hiſtoriſche Kritit einrichten, fo müßten auch die Thaten
eines Leonidas, eines Tell, eines Winkelried zc. aus dem Buch der Ge:
ſchichte geftrichen werden. Die VBerfaffer der erwähnten Schlachtberichte
fagen vielleicht deswegen nichts von der That der Pforzheimer, weil fie von der
wadern Haltung des weißen Negiments nur überhaupt, und nicht auch
einzelner Fähnlein desjelben vernahmen, oder weil fie die Beſtandtheile
des Negimentes nicht Fannten, alfo auch Kein beftimmtes Fähnlein des:
jelben bezeichnen Fonnten, oder endlich, weil fie dies für unnöthig hielten,
da mit Nennung des weißen Negimentes im Allgemeinen der Pflicht
eines Berichterftatters Genüge gethan ſchien. Das kommt auch fonft
vor. Wie oft mag es ſchon der Fall geweſen fein, daß beiſpielweiſe
ein ganzes Armeekorps nach erfochtenem Siege als dasjenige bezeichnet
wurde, das am meiften zum günftigen Erfolg beigetragen babe, während
vielleicht nur ein einzelnes Negiment am rechten Ort und zu rechter Zeit
den Ausichlag gegeben batte, Aber der Markgraf felber erwähnt nichts
davon, jo höre ich weiter einwerfen. Ich frage dagegen: Sind denn
alle feine Briefe oder fonftige Schriftitücte, worin er Notizen über bie
Schlacht von Wimpfen niederlegte, no vorhanden? ferner, — müßte
tonfequenter Weiſe die tapfere Haltung des weißen Regimentes über:
haupt nicht ebenfalls in Zweifel gezogen werden, weil der Markgraf,
weil die Berichte Anderer ihrer auch nicht erwähnen? Und doch nimmt
fämmtlihem Geſchütz auf 50 Spiswanen, 450 Munitions: und Bagagewagen
und an Geld auf 125000 Thaler, ferner auf 1100 Gefangene an, melde
Tilly machte. Vergl. Mone's Ducllenfammlung, I, 530. Der Markgraf
felber ſchlug indeffen feinen Verluft nicht hoch an. In feinem fhon erwähnten
Schreiben an ben Markgrafen von Brandenburg fagt er, die Echlacht fei „ohne
befonders großen Berluft abgegangen, außer daß die Artillerie und etlich Geld,
welches doch noch wohl zu verichmerzen und boffentlih ins Fünftige wiederum
anderwärts einzubringen, dahinten verblieb,” e
390 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breigigjährigen Krieg.
man diefelbe als richtig und bewiefen an. Daß der Webergang über
den Bellinger Bad) wichtig genug war, um zur Sicherung des Rüdzugs
des Markgrafen mit Aufbietung aller Kräfte vertbeidigt zu werben,
feuchtet ein, ebenso, daß zur Beſetzuug der Brücke felber Fein ganzes
Regiment erforderlidy war, weil ein ſolches darauf oder zunächſt dabin-
ter und eine Strede längs des Baches kaum Platz gefunden Hätte.
Awar wird bezüglich dev Bertheidigung der genannten Brücke entgegen
gehalten 1) daß eine ſolche ganz überflüfiig gewefen fei, indem die Brücke
bei der Seichtigkeit und der geringen Breite des Bellinger Bades auf
beiden Seiten von Fußvolk und Reiterei mit Xeichtigfeit hätte umgangen
werden Fünnen. Dieſer Annahme aber halten wir diejenige entgegen,
von ber bereits oben (5. 383), auf gute Gründe gejtüßt, ausgegangen
wurde, Es wird nun freilic) auch noch geltend gemacht, daß für die Wagen,
die der Markgraf bei Wiederaufnahme der Schlacht am Nachmittag
über den Bach zurücdbeordnete, bei ihrer großen Zahl eine Brücke
unmöglich hätte genügen können, folglih mande Wagen den Bach felber
hätten paſſiren müſſen. Um über die eine Brücke zu kommen, brauch—
ten die zahlreichen Wagen allerdings viel Zeit; gerade daraus aber, daß
nachher eine ſo große Anzahl derſelben in die Hände des Feindes ge—
rieth, muß wohl mit Recht gefolgert werden, daß man wirklich nicht
Zeit genug gefunden hatte, ſie alle über den Bach und damit eher in
Sicherheit zu bringen. Beweist nicht gerade dieſer Umſtand, daß in
der Nähe des Schlachtfeldes nur ein Uebergang vorhanden war? —
Aber der Markgraf hätte doch ohne Zweifel, wenn der Bach ſelber
wirklich nicht paſſirt werden konnte, ſchon um ſeiner Sicherheit willen,
noch mehr Brücken ſchlagen laſſen, To höre ich ferner einwerfen. Biel:
leicht geſchah dies auch und die Brücken (wohl einſchließlich derjenigen,
welche ſich beim Bellinger Hof befand,) wurden beim Andrängen des
Feindes raſch wieder abgebroden, um ihm die Möglichkeit des Weber:
gangs zu benehmen. Vielleicht geihab es auch nicht, weil der Mar:
graf in feiner Siegesgewißheit derlei Vorlichtsmaßregeln für überflüffig
hielt. „Sie müfjen unfer fein, die Baiern, und das heute noch, mein
Leben jeß’ ih dran und werd's nicht jchonen. Was will der Haufe
gegen ung? Und an Succurs it für ihn gar nicht zu denken. Laßt
fie nur ein paar Mal anprallen und fidy verbluten, fie weichen gewiß
xc. 20”, diefe Worte des Markgrafen, die er beim Beginn der Schladht
an feine Generäle richtete, drücken gewiß einen hohen Grad folcher Sie—
gewißheit aus.
| SM im Bisherigen dargethan, daß der Annahme, daß ſich ein
Theil des weißen Negimentes neben der tapfern Haltung des letztern
im Allgemeinen nody beſonders ausgezeichnet habe, durchaus Feine ftich-
haltigen Gründe entgegen jtehen, jo erhebt die Tradition diefen Umſtand,
1) Bon Laroche, a. a. O.
®
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 391
fowie, daß das Lob einer befonders heldenmüthigen Wertheidigung dem
Pforzheimer Fähnlein gebühre, zur Gewißbeit, wenn man
nämlich nur den Kern derielben feithält und fie aller fonftigen Yu:
thaten, die mit der neichichtlichen Wahrheit nicht beitehen fünnen, ent:
Heidet. Um diefer Doppelpflicht eines Geichichtichreibers zu genügen,
müſſen wir ſolche Tradition näber ins Nuge fallen,
Am Jahr 1788 gab der Pforzheimer Bürger und Kaufmann,
Ernſt Ludwig Deimling, dur das Leſen des franzöfiichen Dra—
mas: „Die Belagerung von Galais” dazu vweranlaßt, unter dem Titel:
„die vierbundert Pforzheimer“ em Bud heraus, Worin eine
Erzählung, die ſich in feiner Familie durch Weberlieferung lebendig er:
halten hatte, dramatisch bearbeitet war. Am Nachwort zu feinem Schau:
fpiel jagt er, da er die Erzählung von der Heldenthat der 400 Pforz⸗
heimer nicht nur von feinem Water, Bechthold Deimling, der felber ein
Geſchichtskundiger geweſen, ſondern ſchon als Knabe auch von alten Leu—
ten, die das Grab längſt decke, häufig vernommen. Seinem Vater habe
deffen Vater, der geweſene PRürgermeifter Chriſtoph Deimling , diefe
Gefchichte auch oft erzählt, und diefer babe fie wieder aus dem Munde
feiner Großmutter, der Frau des Bürgermeiiters Berthold Deimling,
die ihren Mann zur Schlacht von impfen begleitet babe, vernommen.
Diefelbe fer eine Tochter des Pfarrers Faber von Markgröningen und
eine Frau von befter Erziehung und beroiichem Charakter geweſen und
babe ein Alter von 78 Jahren erreicht, alfo Tange genug gelebt, um
ihren Kindern und Enkeln die Begebenbeit mit allen Umftänden wieder:
holt mittheilen zu können. Die aanze Grzäblung lief alfo während
eines Zeitraumes von etwa 150 Jahren durch den vierten Mund, bis
fie niedergefchrieben wurde und zur Oeffentlichkeit gelangte. Es war
diefe Zeit einerfeits nicht zu lange, um nicht, wie bereits bemerkt, einen
geichichtlihen Kern treu feitzuhalten, andererfeits aber lange genug, den:
jelben mit ſolchen Zuthaten auszuſchmücken, die, weil als erdichtet
leicht nachzumeiien, vielfach Zweifel an der Michtigfeit der ganzen Er—
zäblung, miewohl mit Unrecht, erweckt haben. Verſuchen wir ſchließlich
noch ſolchen Nachweis.
Beim letzten Kampfe an der Brücke des Bellinger Bachs bat ſich
wahrſcheinlich nur noch das 300 Mann ſtarke Fähnlein Fußvolk, das
Pforzheim ſtellte, betheiligt, da die Reiterei am Schluſſe der Schlacht
keine Rolle mehr ſpielte. Wenn daher auch 400 Pforzheimer bei
mpfen kämpften, To gebührt der Ruhm beſonderer er ‘erfeit neben
en Regiment im Allgemeinen insbelondere den Dreibunder:
hi don Pforzheim.
: Diefe 300 fünnen aber bei Wimpfen — alle
EEE fein. Es läßt nö dies zwar nicht aus den Todtenbüchern
er damaligen Zeit beweisen, da Tolche nicht mehr eriftiren; wohl aber
kann man e8 auf Grund des älteften der noch vorhandenen Taufbücher,
392 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
das von 1607 bis 1646 reicht, Nach demielben wurden in Pforzheim
(ausſchließlich der Altitadt, für welche aus jener Zeit feine Kirchenbücher
mehr vorhanden find) geboren: 1607: 146 Kinder, 1613: 126 K.,
1618: 124 K., 1619: 116 8. 16%: 137 8, 1621: 127 K..,
1622: 114 8., 1623: 121 K., 1624: 143 8, 1625: 144 K.,
16236: 129 K., 1627: 103 K., 1628: 140 K., 1629: 122 K.,
1630: 133 8. u. 1. w Man fiebt aus diefer SJufammenftellung,
daß eine Abnahme der Geburten nad dem Jahr 1622 nicht ftattfand
was doch durchaus hätte der Fall fein müſſen, wenn 300 oder gar &
Bürger und Bürgerföhne einer Stadt bei Wimpfen geblieben wären,
deren Bürgerfchaft, wie im nächſten Kapitel nachgewiefen werden wird,
im erjten Drittel des 17. Jahrhunderts höchſtens 600 Köpfe zählte,
Eine größere Anzahl von Gefallenen des Pforzheimer Fähnleins ift nur
unter der Worausießung anzunehmen, daß die Mehrzahl der Mann:
ihaft desfelben nicht aus geborenen Pforzheimern, jondern aus gewors
benen Yeuten bejtand. 1)
enden wir uns nunmehr zur Perſon des Berthold Deim:
ling, welcher nad) der erwähnten Weberlieferung Bürgermeijter von
Pforzheim und Anführer des weißen Negimentes geweſen fein fol.
Daß er leßteres nicht war, fondern daß ein Herr von Helmftädt
das Negiment befebligte, it oben ſchon bemerkt worden. Wohl aber
kann Deimling Hauptmann des Pforzheimer Fähnleins geweſen fein.
Ein Berthold Deimling war aber 1622 nicht Bürgermeifter von
Pforzheim. (Man vergleiche die Namen der Bürgermeifter, wie fie ©. 365
für das erjte Drittel des 17. Jahrhunderts bereits angegeben find.)
Nenn ein Berthold Deimling bei Wimpfen mitkämpfte und dort ben
Heldentod jtarb, jo muß die Frage aufgewworfen werden: Welcher
Berthold oder Bechthold Deimling es eigentlih war?
Denn das Taufbuch jener Zeit führt zwei Ddiefes Namens auf, Der
eine, defien Frau Katharina bie, wird in den Jahren 1609— 1624,
der andere, der eine Efther zur Frau hatte, von 1618—1635 darin
genannt, beide aber ohne die Dezeihnung „Bürgermeifter“, (wie aus
dem Vorhergehenden ſich ergibt), Der letztere dagegen wird mehrfach
„Bed“ oder „Weißbeck“ genannt. Nun heißt e8 auf dem 1823 ver:
— — — — — —
) Auf dem in der Schloßkirche befindlichen Denkmal der 400 Pforzheimer
ſtehen nur folgende (dem Lagerbuch von 1615 entnommene) 61 Namen: Berthold
Deimling, Aab, Abrecht, Bauer, Baumann, Bedb, Breibt, Brenner, Bub, Bud,
Eichelin, Erhardt, Eſſig, Fauler, Fink, Geiger, Gerwig, Hafner, Heinzelmann,
Holzhauer, Jaiſer, Kercher, Keller, Kiefer, Kienle, Koh, Korn, Kornmann, Leib-
brand, Lenz, Lotthammer, Lug, Maler, Mäule, May, Mayer, Meerwein,
Merkle, Merz, Mürrle, Neudörfer, Nojer, Sattler, Echäfer, Schanz, Scheerle,
Schmidt, Schneider, Schober, Siegele, Sold, Stich, Trautz, Türf, Webelhör,
Ungerer, Wagner, Wecber, Weit, Wilderfinn, Wolf,
vu m mu du HE
>: 17“
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im bdreißigiährigen Krieg. 305
faßten Stammbaum der Deimling’fchen Familie, von dem ein Eremplar
fi im obern Rathshausſaal zu Pforzheim befindet: „Berthold
Deimling, Bürgermeifter und Weißbäck, geboren 1586, vermäßlt
mit Efther, Tochter des Spezials Faber von Markgröningen. Er
war Chef und Commander jener Pforzheimer, welde das weiße
Regiment genannt und, als Garde des Markgrafen Georg Friedrich,
am 6. Mai 1622 in ver Schlacht bei Wimpfen den Heldentod für
Religion, Fürſt und Vaterland geſtorben ſind.“ Dieſer Bäckermeiſter
Deimling, der eine Eſther zur Frau hatte, kann aber unmöglich bei
Wimpfen geblieben fein, wenn es auch denkbar tft, daß er da-
ſelbſt mitfämpfte; denn er kommt nach dem Jahr 1622 noch mehrfach
vor. So wird er am 8. Februar 1625 (Taufbuch Seite 171) als
Bater eines Knaben Baltbajar, am 24. Nov. 1627 (T.-B. ©, 199)
als Bater eines Knaben Vechthold aufgeführt, am 6. Dez. 1628 ſtellt
er über eine Summe von gelichenen 100 fl. eine Schuldurfunde aus:
die mit den Worten beginnt: „Ich Berthold Deimling, Bürger und
Weißbeck zu Pforzheim und mit Ihme Ich Eſther, feine eheliche Haus:
frau 20.” (Kontrattenbuh auf Großh. Amtsreviforat); am 4. April
1629 (Taufb. S, 215) wird ihm wieder ein Töchterlein Eſther gebo:
ven; am 12, April 1631 (TB. ©. 241) ſteht er zu Gevatter; am
26. Auguft 1631 (TB. ©. 246) wird er als Water eines Sohnes
Hans Walther und am —* Februar 1635 (T.B. ©. 302) einer
Tochter Maria Barbara genannt. Diefe wird aber in dem betreffenden
Taufbucheintrag als „posthuma“, d. h. als nad) dem Tod ihres Va—
ters auf die Welt gekommen bezeichnet und fteht überdies noch dabei:
Bater: Berthold Deimling, gewefener Bürger und Bed, Er muß
dbemnach 1634 oder 1635 geſtorben fein.?) — Wenn alfo ein Ber:
thold Deimling bei Wimpfen das Pforzheimer Fähnlein befehligte und
dort feinen Tod fand, jo Kann es nur der erfte von den beiden Oben-
genannten gewefen fein, Es jprechen dafür auch verichiedene Umftände,
Einmal kommt er im Taufbuch zum lebten Mal am 10. Mat 1621
(TB. ©. 185) und nachher, nicht wieder. vor. -(Als Vater von Kin—
dern wird er darin vorher in den Jahren 1609, 1610, 1613 und 1614
aufgeführt). Sodann Beweifen die Namen der Pathen, die bei den
Kindern der beiden Deimlinge im Taufbuch eingetragen find, daß
2 er an Deimling der Vornehmere geweien fein muß und darum
ßvolk befehligt haben kann; denn als ſolche Pathen
” ur aufgeführt: der Untervogt Heinrich Haffner, der
— h und Syndieus Georg Zobel und der Bürgermeifter Se
remias — 1621 dieſelben, mit Ausnahme Zobels. Wenn daher
ein Berthold Deimling 1611 und 1615 „Spitalpfleger“ genannt wird,
1) Seine Wittwe Efther wird noch am 1. April 1657 in einem Kontraf-
tenbuch Großh. Amtsreviforats als Tebend aufgeführt.
394 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
fo werden wir nicht fehlgeben, wenn wir darunter den Ebengenannten
um fo mehr wieder verftchen, als die Bermögensverhältnifje des Andern
nicht der Art gewefen zu fein jcheinen 1), daß ibm die Verwaltung der
reichen Einkünfte des Pforzheimer Spitals ohne Bedenken hätte über:
tragen werden können, — Wenn nun bei Aufjtellung des Deimling’
[hen Stammbaumes eine Verwechslung zwiichen den beiden Deimling
geſchah, und der Mann der Ejther als der Held von Wimpfen bezeich—
net wurde, fo ift dies um fo erflärlicher, als auc; Ernſt Ludwig Deim—
ling bei Abfafjung feines Dramas den Vornamen feiner Ur-Urgroßmutter
nicht gekannt zu haben fcheint, da er fie Sophie heißt.
So die Darftellung der mit der Wimpfener Schlaht in Ver:
bindung ftehenden Umstände, wie fie dev Gefchichtsichreiber geben kann,
ber fih die Wahrheit zum oberiten Geſetz gemacht und alle dabei zu
Gebote geftandenen Quellen gewiſſenhaft und mit größter Unparteilichkeit
benütt bat. Wurden bei diefem Geichäft auch manche Einzelheiten, mit
denen man jonjt die Erzählung von dem Heldentod der 400 Porz
heimer bei Wimpfen ausfhmüdte, vor dem Auge gaenauerer Unter:
fuhung nicht probehaltig gefunden, jo bleibt doc als wahr jtehen,
daß fi) das badifhe weiße Negiment bei MWimpfen unverwelk—
liche Zorbeeren errungen bat, und wir dürfen auch der Tradition glau—
ben, daß fich dabei in erfter Neihe die beim Megiment befindlichen
Pforzheimer ausgezeichnet und darum wohl verdient haben, daß die
Nachwelt die Helden von Wimpfen in bejtändigem ehrendem An:
denfen behält.
g 4 Yon der Schladt von Wimpfen bis zur Schladt von
Nördlingen.
(1622 — 1634.)
Der geichlagene Markgraf war über Heilbrom und Laufen nad)
Stuttgart geflohen, wo der wahrfcheinlich ſchon vor der Schlacht gefaßte
Entſchluß, die Regierung von Baden an feinen Sohn zu übertragen,
zur Ausführung kam. Lebterer, nunmehr Markgraf Friedrich V.
1) Nach den mehrerwähnten Kontraftenbüchern.
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 395
notifizirte die Abdanfung dem Kaifer am 2, (12.) Mai und am 13.
(23.) Mai kam fie zur Ausführung. "Am 21. (31.) Mai Huldigte
die Bürgerfchaft von Pforzheim bereits ihrem neuen Fürften, ‚der am
gleichen Tage die Privilegien der Stadt beſtätigte. , Da Tilly den
Markgrafen Georg Friedri nah der Schlacht von Wimpfen nicht. hatte
verfolgen Können, weil ev noch zwei andere Feinde, nämlich den im ber
Pfalz ftehenden Grafen von Mansfeld und den vom Niedermain fich
ebenfalls nähernden Herzog Ghriftian von Braunfchweig aufzufuchen
hatte, jo gewann der Markgraf Zeit, feine zerfprengten Truppen. bei
Durlad) wieder zu jammeln, Trotz der Vorftellungen feines Sohnes,
der dem flegreichen Tilly bereits das Verfprechen gegeben hatte, daß
die badiſchen Truppen entlafjen werden follten, vereinigte fich doch Georg
Friedrich mit Mansfeld und. beide eilten zunächſt in das untere Elſaß,
wo fie das biſchöflich ſtraßburgiſche Heer zurüchvarfen. Nun brachen
fie ins Darmftädtiiche ein, um ſich mit. Chriftian von Braunſchweig zu
vereinigen. Ehe dies aber geſchehen Konnte, wurde Letzterer am 10.
(20) uni. 1622. von Tilly bei Höchſt geichlagen, worauf Georg
Friedrich den dringenden Vorſtellungen feines Sohnes endlih nachgab
und feine Truppen am 12. (22.) Juni entließ.2) Gleiches that Mang-
feld jammt dem geächteten Böhmenkönig einige Tage nachher, worauf
leßterer wieder im Ausland, Georg Friedrich aber zuerft auf feiner Feſte
Hochberg, ſpäter in Genf perjönliche Sicherheit fuchte. Allein der Der:
gleich mit dem Kaifer, auf den fie Beide gebofft hatten, ſchlug leider fehl.
Kehren wir nad diefer kurzen Auseinanderfegung, die zum Ber:
ftändnig des Ganzen nothwendig ift, ‚zur eigentlichen Geſchichte Pforz—
heims zurüd, Es gebt aus dem Obigen hervor, daß unmittelbar, nad
der Schlacht von Wimpfen wohl keine liguiftiichen Truppen nad), Pforz-
heim gekommen fein können, wie dies von den frühen Chroniften be-
1) Meuers Herrn Friedrichen Marggrauens zue Baden vnd Hochberg ꝛc.,
vff Ihrer frftl. Gnaden vnderthänige geleifte Erbhuldigung, Burgermeifter, Ge—
richt, Rath vnnd Gemeindt der Stadt Pforzheim gegeben Dienstags den 21.
May Anno 1622. (Städtifches Arhiv.) — Schon aus dieſen Nevers geht
hervor, daß die Mitiheilung mancher Gejchichtichreiber, Georg Friedrich habe
vor ber Schlaht abgedankt, unrichtig ift.
2) Man vergleiche hiezu das Schreiben, das er an feinen General Pleifarb
von Helmftätt richtete. Sachs IV., 440 und 41.
396 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breigigjährigen Krieg.
bauptet wird. 1) Doch blieb die Stadt von den Schreden des Krieges
nicht Tange mehr verſchont. Bald nachdem Georg Friedrich feine Trup—
pen entlafjen hatte, nämlich im Juli, wurde das badifche Unterland von
baierifchen, polnischen, ungarifchen und andern Völkern, welche in kaiſer—
lichen Dienften unter dem Erzherzog Leopold ftanden und über den
Nhein herüber kamen, überſchwemmt und durch Sengen und Brennen,
Plündern und Morden ſchrecklich verwüftet.2) Markgraf Friedrich hatte
fih fchon vorher mit feiner Familie nad Stuttgart geflüchtet. Damals
icheint jedoch Pforzheim wenigftens von Brand verfchont geblieben zu
fein. Noch im nämlihen Monat wandten fich die kaiſerlichen Truppen
ins Württembergiiche, wo fie ebenfalls aufs ſchändlichſte hausten, unter
Anderm das benachbarte Delbronn verbrannten und dafelbit 450 Ein:
wohner erfchlugen. Der Schaden, den allein das Maulbronner Amt
erlitten, wurde auf 64,000 Gulden berechnet. 3) Die Opfer, welche Pforz:
heim und Umgegend bringen mußten, waren ficherlich noch bedeutender, da
Baden als Feindesland behandelt murde. Mit dem Einfall diefer kaiſer—
lichen Truppen hängt fiherlih auch die Flucht vieler Bürger aus Pforz:
beim und die Nettung der Rohr'ſchen Stipendienaften zufammen, wofür
die Pfleger 6 fl. verrechneten.2) Aber nicht allein von den Truppen
Leopolds, fondern auch von denen Tillns wurde das Land heimgefucht,
nachdem Letzterer fiegreih vom Main zurücgefehrt war und die Belage:
rung Heidelbergs und Mannheims eröffnet hatte. inzelne Schaaren
derfelben drangen vom Juli an auch in die untere Marfgrafichaft ein,
und nicht fie allein übten fchwere Mache für Georg Friedrichs Theil:
nahme an dem Kampf der lebten drei Monate; denn hinter den Tillv-
hen Truppen zogen ganze Schaaren von Bauern aus dem bifchöflich
ſpeyeriſchen Gebiet herüber und halfen rauben, um Andern die ſchwere
— |
1) So von Deimling und. Gehres. Wie Beide erzählen, fol ber
Diebl: oder Thilgraben in ber Bröbinger Vorftadt feinen Namen von
Tilly haben, Allein jener Graben fommt unter dem Namen Dihlaraben ſchon
41565 im Lagerbuch des Pforzheimer Frauenkloſters (S. 329) und 1580 im
Pforzheimer Lagerbuhb vor. Wenn Tilly 1622 nit in Pforzheim war, jo
können aud bie Shanzäder nicht von folden Echanzen ihren Namen baben,
welche Tilly gegen Mansfeld aufiwerfen fick.
2) Sachs IV, 441.
9) Steinhofer, L, 488.
*) Roh r'ſche Stipendienrechnung von 1623.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißtgjährigen Krieg. 397
Mißhandlung heimzugeben, welche ihnen durch Mansfeld zugefügt wor:
den war. 1) „In unferer Gegend”, fo ſchreibt ein Gymnaſiallehrer
ans Durlah am 6. (16) Auguft, „haben die Kaiferlihen und Baie—
rifchen entfeglich gehaust und thun es noch; fie haben geplündert, haben
Dörfer verbrannt und eine Menge Unſchuldiger niedergemeßelt. Lie—
dolsheim, Königsbach, Neureuth, das feſte Mühlburg fammt feinem
Schloffe, ferner die Orte Muggenfturm, Wörth, Bühl Tiegen faft ganz
in Afche.” 2) Der Pfarrer von Stein Joh. Ehriftopb Keller, wurde
von den plündernden Kroaten drei Mal in der Pfarrſcheune aufgehängt,
body am Leben erhalten. 3)
Zu den Gräueln des Kriegs gejellten fih noch Hungersnoth,
Seuchen und unerhörter Geldmangel, weldher eine Tolge ber
fhon lange dauernden Kriegsrüftungen und der heillofen Verwirrung
war, die damals im deutfchen Münzwefen berrfchte. Im Jahr 1619
ftand dev Reichsthaler, der ſonſt 1 fl. 30 Er. galt, bereits auf 1 fl.
48 fr, im Jannar 1621 auf 2 fl. 20 kr., im Januar auf 2 fl. 24 kı.
und im Dezember desfelben Jahres bereits auf 6 fl. 30 fr. Der
Dukaten, deſſen Werth im Februar 1621 3 fl. 30 fr. betrug, flieg
während diefes Jahres auf 142 Gulden, der Goldgulden in der gleichen
Zeit von Afl 830 kr. auf 8 Gulden. Sa der Dufaten fam fpäter
noch anf 16, der Goldgulden auf 12 fl.d) Unter ſolchen Umſtänden
und in Folge von Mißernten und Wucher erreichten die Preife der Le—
bengmittel eine fait unerfchwinglice Höhe. Im angränzenden Württems
berg Eoftete im Spätjahr 1623 der Laib Brod zu 6 Pfd. 1 Gulden,
die Maas ordinären Weins 2 fl, 1 Pfund Schmalz oder Lichter 1 fl.
) Vierordt, IL, 175.
2) Vierordt, a. a. O.
) Kirchenbuch von Stein. Vergl. Vierordt a. a. O.
*%) Steinhofer, I, 484 ff. Am Jahr 1623 machte die „von ben Sol—⸗
daten zimblich lang Betrengt geweßene uud in großen Nöthen geftedte* Ges
meinde Langenalb bei den Pforzheimer Gerichtsverwandten Hans Trauz ein
Anleben von 2000 Gulden, welche Summe im Jahr 1630 durch gegenfeitiges
Uebereinfommen wegen der veränderten Geldverhäftniffe auf 800 Gulden herab:
gelegt wurde. (Vergl. Eontraftenbudh von 1653, ©. 5.) Diefelbe „mit Ein-
quartirung baierifcher Reiter fehr grapirte Gemeinde* nahm auf Pfingften 1623
bei Math. Krauß in Malſch 1200 fl. auf, wobei ber Reichsthaler zu 6 fl. 15
kr. berechnet wurde. Es erfolgte deshalb fpäter eine Reduktion diefer Summe
auf 283 fl, (Eontr, Buch von 1657),
398 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
20 &.1) Im März und April 1623, fo verfichern gleichzeitige Briefe
aus Durlach, war das Malter Korn nur ſchwer um 30 fl. zu befom-
men, das Pfund Fleiſch nicht unter einem Gulden, die Ohm Wein faum
um 60 Gulden; das Land fei bereits verarınt durch ungeheure Lieferungen
an das feindliche Heer, das nad) längft erfochtenem Siege an fein Fort:
geben denke. 2) Im Breisgau galt 4 Viertel Waizen 30, Korn und
Gerſte 24, Haber 12, 1 Sefter Salz 7 Gulden, 4 Pfund Schmalz
12 Basen, 1 Pfund Nindfleifh 5 Basen und Kalbfleiih 6 Basen, 1
Saum weißer Wein 50, vother 60 fl.; eine doppelte ſpaniſche Piftolette
galt 22, ein Dufaten 12, ein Neichsthaler 7 und ein filberner Könige:
thaler 8 Gulden. 3) — Die tiefe Noth entwölferte das Land fo fehr,
daß in wenigen Jahren viele Dörfer in Baden und Württeniberg leer
ftanden. In den Straßen wuchs Gras; ganze Schaaren bettelnder
Familien überfchwenmten diejenigen benachbarten Gegenden, welde noch
weniger von der Noth des Krieges empfunden hatten, %)
Am 16. (26.) Auguft 1622, alfo gerade 4 Monate nad der
Schlaht von Wimpfen, fprach der Kaifer das Urtheil, daß der Markt:
graf Baden» Durlad die ſeit 1594 widerrechtlich beſetzte Marfgraf-
ihaft Baden » Baden dem redytmäßigen katholiſchen Erben zurückgeben
und ihn für die Zeit, da diefelbe im Befit der durlachiſchen Fürften
geweſen, entichädigen müſſe. Dem mehrerwähnten Erzherzog Leopold,
der mit feinen Truppen bereits das Land befest hatte, wurde die Exe—
eution übertragen. Derſelbe jeßte den jungen Markgrafen Wilhelm in
die Regierung ein. Das erfte Geſchäft des neuen Fürften war, die
katholiſche Lehre mit Gewalt wieder in feinem Lande einzuführen. Ver—
gebens waren alle Proteftationen Markgraf Friedrichs V,, namentlic)
gegen die Entihädigung für den bisherigen Befit von Baden-Baden.
Mit Mühe brachte er e8 beim Kaifer dahin, daß die Erefutionstruppen,
welche ganz Baden-Durlach und fomit aud Pforzheim beſetzt hielten,
am 20. (30.) Mai 1623 abzogen, 3) und fo fein Land von diefen un:
gebetenen Gäften, die fich überall die roheſten Gewaltthätigfeiten erlaub-
ten, befreit wurde. -
ı) Steinhofer, L, 487,
2) VBierordt, II, 186,
3) Hiſtoriſch-genealogiſche Nachrichten von der Familie Maler ©, 14.
#%) Vierordt, IL, 187.
5») Sachs, IV, 517.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 399
Die Ruhe, die num folgte, war indeffen von kurzer Dauer. Weil
Friedrich V. gegen die ihm zugemutheten Entjhädigungen an den nuns
mehrigen Markgrafen von Baden-Baden fortwährend proteftirte und
wahrfcheinlich auch bei der Höhe derfelben gar nicht im Stande war,
fie zu leiſten, fo rücten im folgenden Jahr 1624 aufs Neue Exeku—
tionstruppen, diesmal Tiguiftiiche unter Tilly, in das Land ein, und
Pforzheim fah wieder feindliche Völker vor feinen Mauern. Erft
nach zwölfſtündiger tapferer Gegenwehr öffnete die Stadt dem General
Tilly ihre Thore, Näheres über diefe Belagerung und Einnahme von
Pforzheim ift nicht bekannt. 1) Eines der erften Geſchäfte Tillys nad) der
Eroberung der Stadt war die Wiedereinführung der Franziskaner und
Dominikaner, deren Klöfter, wie oben (S. 320) erzählt ift, 1555 auf:
gehoben worden waren. Diefe Mönche fcheinen indeß aus Pforzheim
bald wieder verjagt worden zu fein; auf welche Weife und durd, wen,
läßt fich nicht angeben, 2)
Vergebens bemühte fih Markgraf Friedrih V., das Loos feiner
ſchwer heimgejuchten Unterthanen durch dringende Bitten beim Kaiſer
zu linden, Am Mai 1627 reiste er jelbft nad Wien, theild um die
Entfernung der Truppen zu veranlafien, die fein Land ausfaugten, theilg
um eine Herabfegung der Summe zu bewirken, welde er an Markgraf
Wilhelm auszahlen follte. Da er aber der Zumuthung, katholiſch zu
werden, Sich ftandhaft widerfeßte, jo wurde jene Summe auf eine in
folder Nothzeit unerichwingliche Höhe feitgefeßt und dem Markgrafen
Wilhelm ein Theil des badensdurlachtichen Gebietes, nämlich die Aemter
Remchingen und Stein, als Verſatz zugefagt. 3) Ja, als es zur Kunde
des Kaifers Fam, daß der alte, im Eril Iebende Markgraf Georg
Friedrich aufs Neue die Waffen gegen den Kaijer trage, wurde vers
ftärkte Erefution ins Land gelegt, damit diejes noch fehwerer für die
1) Eine kurze Notiz darüber findet fich in Theatr, Europ., I., 820, bei
Steinhofer, 1, 493, Sads, IV., 446 und 517.
?) Die eben angefilyrten Quellen jprechen die Wiedereinführung der Franz
zisfaner und Dominikaner im Jahr 1624 zu beftimpt aus, ald daß daran ger
zweifelt werden fünnte, Andere Quellen, wie 3. B. das über ſolche Vorkomm⸗
niſſe genau berichtende Petri Suev, eccles. kennen dieſelbe nicht, ſondern nur
die von 1631, von welcher weiter unten die Rede ſein wird. Auch in den
Protokollen des wefiphälifchen Friedensſchluſſes iſt das Jahr 1624 mit dieſer
Wiedereinführung in Verbindung gebracht.
s) Bierordt, A, 187.
400 Vierzehntes Kapitel. Piorzheim im breißigjährigen Krieg.
Handlungen feines ehemaligen, feit fünf Jahren von der Regierung
zurüdgetretenen Negenten büße. Es war nämlid Georg Friedrich ber
Antrag gemacht worden, ſich als dänifcher Generallieutenant an die
Spite von 5000 Söldnern zu ftellen, die er aufftoften Englands und
Dänemarks werben und gegen die kaiſerlichen nach Norddeutſchland
führen ſolle. Der nod immer friegsluftige Mann ging bereitwillig
auf diefen Vorſchlag ein, die Truppen waren bald geworben und an
den Ort ihrer Beftimmung gebradt. Allein der Markgraf wurde vom
kaiſerlichen General Schlid in Holftein im Ceptember 1627 gejchlagen,
und zog ſich über Holland nad) Straßburg zurüd. Theils hier, theils
in Genf brachte er die letten Jahre feines Yebens zu, ohne an den
folgenden Kämpfen weitern Antheil zu nehmen. Nur von Zeit zu
Zeit, wenn befreundete Waffen fiegten, ſah der greife Fürſt fein Vater:
land, vielleicht auch die Stadt Pforzheim wieder. Er ftarb am
14. September 1638, wahrfheinlih in Straßburg. Wo er begraben
liegt, iſt nicht bekannt. In der fürftlihen Gruft zu Pforzheim befindet
fid) fein Leichnam nicht.
Die Zuftände in Pforzheim und der Markgrafichaft überhaupt
feinen in der Zeit von 1627 bis 1629 wieder etwas erträglicher
geworden zu fein. Näheres darüber kann indeß nicht mitgetheilt wer:
ben, weil alle Nachrichten aus diefen Jahren fehlen. Mehr läßt ſich
aus der darauffolgenden Zeit jagen.
Der Kaifer Ferdinand IT. hatte am 6. März 1629 das joge-
nannte Reſtitutionsedikt erlaflen, nad welchem alle feit dem
Paflauer Vertrag 1552 eingezogenen Kirchen: nnd Kloftergüter zurüd:
gegeben und den Neformirten die weitere Uebung ihrer Religion unter:
fagt werden ſollte. Es war dies ein Donnerfchlag für die proteftantifchen
Türften, die in Gefahr ftanden, durch eine derartige Herausgabe einen
großen, ja den größten Theil ihrer Macht einzubüßen. Vergebene
waren alle Proteftationen gegen einen ſolchen Machtſpruch, zu welchem
den Kaiſer hauptfählich die Jeſuiten getrieben hatten. Der Markgraf
erhielt von den zur Erefution des Reftitutionsediftes im ſchwäbiſchen
Kreis ernannten Kommiffarien die Mittheilung, daß man im Januar
1631 durch fubdelegirte Räthe in feinem Lande zu erequiven anfangen
werde. Auf diefe Nachricht Tieß der Markgraf allen feinen Unterthanen,
vornehmlich den Bürgern zu Pforzheim, deren offener MWiderftand
gegen den Vollzug am meiften befürchtet wurde, durch Beamte und
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 401
Prediger ein ruhiges Verhalten empfehlen und ertheilte Letztern die
MWeifung, nur der Gewalt zu weichen. 1) Am 3. (13.) Januar 1631
erfchienen die Kommifjarien und verlangten vor allen Dingen die Her:
ſtellung des Michelftiftes in Pforzheim und der früher bedeutendſten
der dortigen Klöfter, nämlich der beiden Dominikaner: und des Tran:
zisfamerflofters, ebenfo des Haufes zum heiligen Geifte und des Hir—
ſchauer Hofes nebit den dazu gehörigen Gütern. Am 29. Jan. (8. Febr.)
wurden die Dominikaner und Franziskaner durch die Faiferlihen Kom:
miffarien, welche eine Truppenabtheilung bei ſich hatten, felbft in Pforz:
heim eingeführt und in den Befig der Kloſtergebäude eingewiefen. 2)
Bon der ehemaligen Dominikanerkirche, die feit der Aufhebung des
Kloſters als Stadtkirche gedient hatte, wurde den Dominikanern jebt
das Chor zur Benützung zugeichieden. Der Markgraf ließ es an Ein:
ſprachen gegen das Verfahren der Kommiſſion nicht fehlen und gab dem
württembergiichen Kanzler Löffler, der auch für Baden-Durlach zu dem
vom Kaifer berufenenen jogenannten Kompofitionstage nad Frankfurt
veiste, Folgende Erläuterungen: 3) Das St. Michelsftift Tiege
innerhalb der Mauern des Schloſſes, enthalte die fürſtliche Hofkapelle
und die Stiftsperjonen feien die Kapläne des Markgrafen (S. 149).
Das Stift fei, ehe es zum Stift erhöht wurde, die Pfarrkirche geweſen
und ſchon vor dem Paſſauer Vertrag jei das Exercitium Augustanae
Confessionis introdueirt worden. Die Markgrafen Hätten das
Stift fundirt, feien Erbkaſtenvögte und Patrone desfelben und hätten
dort ihr Erbbegräbnig. «Das Dominikanerkflofter jei gleichfalls
von dem Markgrafen fundirt und dotirt und 1561 die Mönche fort:
gefchafft worden ıc. Das Dominifaner:Weiberklofter fei jet
Spital, feitden es 1564 von den Nonnen mit aiferliher Bewilligung
verlafjen worden, Das Franzistanerklofter betreffend finde man
gar Feine Nachricht, warn dieſes fchlechte Bettelklofter zur Neformation
gezogen worden ſei. Das alte Spital, das Haus des heiligen
Geistes, fei nicht mehr vorhanden, fondern „abgebrochen und uff ſolchem
platz die jezige Mezig“, und wegen der langen Zeit könne man feine
1) Fascikel: Neflitutionserefution 1630—1631 im Karlsruher Archiv,
2) Petri Suev. eccles. 665.
) Schreiben, betr. den zu Frankfurt angeftellten Kompofitionstag, oder
gütl. Handlung wegen Reftitution der geiftl. Güter (Landesarchiv).
Pflüger, Pforzheim, 26
409 Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen Serien.
Nachricht geben. Wegen des Hirſchauer Hofes feien nach dem Reli—
gionsfrieden zwifchen Württemberg und Baden, auch durch Privatperjonen
unterfchieöliche Kontrakte geichloffen worden. Die Befiter hätten oft
gewechjelt und ihr Recht jei verjährt. 1) — Die Kommiffarien jcheinen
fih vor der Hand mit Herftellung der genannten zwei Klöſter begnügt
zu haben. Die der übrigen, jowie des St. Michelitiftes ftieß allerdings
auf größere Schwierigkeiten, welche zu heben die in kurzer Zeit wieder
veränderten Zeitverhältnifie nicht geftatteten; denn bald darauf erfchienen
die Schweden auf dem Kriegsſchauplatze.?)
Mit einem nicht jehr großen, aber tapfern Heldenheere von nur
45000 Mann war der hochherzige König Guſtav Adolph von
Schweden am 25. Juni 1630 in Pommern gelandet, um feinen Glau—
bensgenofjen in Deutjchland zu Hilfe zu kommen. Wie im Triumphe
durchzog er das nördliche Deutfchland, und zwang in ihrem eigenen In—
terefje mehrere proteftantifche Fürften, gemeinichaftlihe Sache mit ihm
zu machen. Zu denjenigen , welche warme Sympathien fir den König
von Schweden empfanden, gehörte Markgraf Friedrid) von Baden-Dur:
lach, und im Geheimen verabredete er mit andern evangeliihen Ständen
Süddeutfchlands die Sammlung von Truppen. Allein diefe Abficht
wurde durch den Erzherzog Leopold, der nach Abtretung feiner beiden
Bisthümer Strapburg und Paſſau an feinen zwölfjührigen Neffen
Negent von Vordersiterreich geworden war, durch eine neue militärifche
Beſetzung des Landes, welche im uni 1631 erfolgte, vereitelt. 3) Bald
aber Fam die Nachricht von dem großen Siege, den Guſtav Adolph am
7. September 1631 über Tilly bei Breitenfeld unweit Leipzig erfoch—
ten. In raſchem Triumpheszug drang der Schwedenfönig in Franken
ein, war Ende November ſchon in Frankfurt, wo ſich zu feiner Bes
grüßung Markgraf Friedrich von Baden, fowie auch der aus dem hol:
ländiſchen Eril fchnell herbeigeeilte pfälziſche Kurfürſt Friedrich V. ein-
fand, und nad) der Einnahme von Mainz, Speier und Mannheim und
nachdem der größte Theil der untern Pfalz am Ende des Jahres 1631
— — —
1) Dieſen Hirſchauer Hof (S. 41) beſaß 1631 Greck von Kochendorf; vor:
ber gehörte er durch Kauf vom Klofter Hirſchau dem Kanzler Achtſynit.
2) Doch Hatte der Markgraf auch das jo theuer erworbene Amt Langen—
ſteinbach (S. 353) dem Klofter Herrenalb zurücgeben müſſen.
®) Theatrum Furopaeum, IM,, 397, Bierordt, II, 198,
Vierzehntes Kapitel. Pforzbeim im dreißigjährigen Krieg. 403
von den Schweden erobert war, wieder in fein Land eingejeßt wurde,
Am Frühjahr 1632 begleitete er Guſtav Adolph nach Baiern. Aus
der Pfalz waren einzelne Abtheilungen des jchwediichen Heeres auch
in die Marfgrafihaft eingedrungen, um diefelbe von den Faiferlichen
Truppen zu jänbern, und eine derjelben fam über Bruchſal und Bret:
ten am 23: Jan. (2. Febr.) nah Pforzheim. Hier fanden fie die
Klöſter, welche erit das Jahr vorber wieder bergeftellt worden waren,
von den Mönchen verlafien. Nur der Guardian des Franzisfaner:
Elofters, Petronius Widmann, hatte es gewagt, nicht zu entfliehen, und
fiel der rohen Gewaltthätigfeit der Schweden, die ihn, man fagt am
Altar der Kirche, erdrofjelten, zum Opfer. Es jcheint, daß noch mehr:
mals ſchwediſche Iruppentorps entweder durch Pforzheim zogen und
vorübergehend Quartier in der Stadt nahmen, oder diefelbe eine kleine
ichwedische Beſatzung behielt. Wir finden nämlich in der Folge mehr:
fach ſchwediſche Truppenabtheilungen als bier anmejend aufgeführt, 1)
jo im Dezember 1632 unter Oberſt Emich von Venen, 1633 jehwe:
diſche Meiter unter Oberjt Eberhard Bedermann, im Auguſt des näm—
lichen Jahres das gräflih von Solms'ſche Negiment und 1634 vom
Aprit- bis. September den jchwediichen Mittmeifter Philipp Georg
Glockengießer von Braunfels mit Soldaten, ebenſo im April 1634 den
chwedifchen ‚Rittmeister Nikolaus Dimpfel. Kurz vor dem gänglichen
Abzug der Schweden aus Pforzheim Fam von Vaihingen ber am
12. Auguft 1634 auch der ſchwediſche General Rheingraf Otto Lud—
wig mit einer Abtheilung fchwediicher Truppen, welche in den Elſaß
eilten, durch Pforzheim. Wir finden von diefer Zeit an auch häufig
Pforzheimer in fremden Kriegsdieniten, bejonders in jchwediichen. Sie
mögen bier, jo weit fie befannt, auch für die folgenden Jahre zufam:
mengeftellt werden, 2) Bernhard Gremp, ein Flößer, war fchwedticher
Soldat im Mai 1633, Andreas Erbach, Wagner, kommt ebenfalls
als foldher vor im Aprit 1636 und im März 1644; Beide batten
Weib umd Kinder, Hans Effig, ftand 1686 (März) in Tiguiftifchen
Dienften; Johann Nietham mer war Neiter unter Herzog Bernhard
1) Am ftäbtifchen Kirchenbuch.
2) Nach dem ftäbtifchen Kirchenbuch. Es waren ihrer ficherlich weit mehr,
als oben aufgeführt find, Das Kirhenbud nahm eben von ihnen nur bei bes
jondern Anläffen Notiz.
26 *
404 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
von Weimar 1638 (Aug.); Abreht Weeber, Schuhmacher, war
Fahnenfattler unter dem baierifhen Hauptmann von Erlisheim 1644
(13. Dez.), und Kaſpar Schoch jtieg zum ang eines ſchwediſchen
Oberſten empor und wird als folher am 17. November 1645 und
29. Mai 1646 genannt.
Die bejtändige Anweſenheit ſchwediſcher Truppen in dem vor feind-
licher Meberrumpelung gefiherten Pforzheim moechte wohl den Mark:
grafen Friedrich veranlaffen, mit feiner Familie bier feine Sicherheit
zu juchen, als die kaiſerlichen Generäle Oſſa und Montecuculi vom
Elſaß aus verheerende Streifzüge auf das rechte Nheinufer in die ba—
den-durlachiſche Markgrafchaft, mit welcher feit Ankunft der Schweden
aud Baden-Baden wieder vereinigt worden war, unternahmen. Am
Abend vor Dftern brandichagten fie Durlach, eroberten im Auguft
unter den fchredlichiten Verwüſtungen Bretten, und legten Rnittlingen
in Aſche, wurden aber durch den ſchwediſchen Feldmarſchall Guftav
Horn bei Wiesloch gefchlagen und in den Elſaß zurücdgemworfen.
Ueberall waren die jchwediichen Waffen jebt fiegreich und unter ihrem
Schuße blieben unfere Gegenden für einige Zeit von den Gräueln des
Krieges gefihert. Zwar hauchte der große König von Schweden fein
Heldenleben am 6. (16.) November 1632 bei Füben aus; allein
tapfere Feldherrn, unter ihnen namentlidy der Herzog Bernhard von
Weimar, traten in feine Fußtapfen und wußten nod längere Zeit den
Sieg an die ſchwediſchen Fahnen zu feſſeln.
85. Die Schlacht von Mördlingen und ihre Folgen.
(1634 — 1636.)
Allein im Jahr 1634 follte fich das Kriegsglüd auf fchredliche Weife
wenden. Bei Nördlingen erlitten die Schweden am 27. Auguft (6.
Sept.) unter ihren Feldherrn Guſtav Horn und Bernhard von Weimar,
welche auch badifchen Landfturm zu diefem Kampfe mitgenommen hat—
ten, durch die Kaiferlichen eine furdhtbare Niederlage. Die Trümmer
des gejchlagenen Heeres eilten, grimmig haufend und vom Sieger ver:
folgt, auf verfchiedenen Wegen, jo zum Theil auch über Pforzheim
auf das Finke Rheinufer, und dahin, nämlic nah Straßburg, flohen
Thnell der Herzog von Württemberg und der Markgraf Friedrih von
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg 405
Baden. Wie ein reigender Strom ergoßen fich die kaiſerlichen Schaa—
ren, verheerend und mordend, zunächſt über Schwaben und näherten
fich raſch auch der Markgrafſchaft. Angſtvoll ftrömten die Landleute
aus der Umgegend don Yforzbeim, fo aus Brößingen, Dietlingen,
Oeſchelbronn, Birkenfeld, Eiſingen, Nöttingen, Hucenfeld, Kiefelbronn,
Baufchlett ꝛc. in die Stadt, um dort Schuß zu fuchen. 1) Allein bie
Bewohner der Lestern hielten ſich felbft fo wenig hinter den Mauern
derielben jicher, und jo groß war der Schreden vor den Gräueln, welche
das fiegreiche Heer jhen im Württembergifchen verübte, daß Jeder,
der nur irgend Konnte, ſich auf die fchleunigfte Flucht begab und in
Pforzheim bald weder ein Pferd, noch ein Fuhrwerk mehr zu haben
war. In diefer Noth wußte der Pforzheimer Amtsfeler, Kafpar
Maler, zur Rettung feiner betagten Mutter Barbara, geb. Kercher,
keinen andern Natb, als fie auf einen Karren zu feßen und denfelben mit
Hilfe feiner beiden Söhne in das zwölf Stunden entfernte Yandau zu
ziehen — ein erbebendes Beifpiel Findlicher Liebe.“) Auch die übrigen
Beantten, ſo der Dbervogt Hans Georg Bertram von Herſchbach, der
Untervogt Dienft, der Einnehmer Pfifterer, ergriffen die Flucht, gleicher:
weife die Lehrer des Pädagogiums. Die Geiftlichen der Stadt dagegen,
nämlich’ der Spezial Georg Wibel, der Spitalpfarrer Schaupp, der
Dinkonns Lutz der aber bald ftarb und deſſen Nachfolger Peter Ker:
dyeriwar, ſowie der Ultftädter Pfarrer Job. David Langenberger hielten
muthig aus, ebenio der wadere deutiche Schulmeifter Andreas Tarer.
Auch der Stadtphyſikus Dr. Ludwig Mögling konnte ſich nicht entfchlie-
Ken, feinen Poſten zu verlaffen.
Traurig genug war aber aud das Loos derer, die in der Heimat
zurüicgeblieben, Viele wurden von den Soldaten in der erften Muth
tiedergehauen ; Alle Jeplündert; ſelbſt diejenigen, welche in den Wäl—⸗
dern Schub fuchten und dert noch den folgenden Winter zubrachten,
!) Kirchenbucd von 1634.
2) Kalpar Maler Fehrte fpäter wieder nad Pforzheim zurüd und ftarb
daſelbſt am 13. (23.) Januar 1648. Er beſaß in Pforzheim ein eigenes Haus
im Höll- (obern Apotbefer-) Gäßle. Seine Söhne waren Johann Joſeph,
ber 1671 als Kammerratb und Untervogt zu Karlsburg, und Heinrich Wil:
beim, der 1709 im 91. Lebensjahre als Rechnungsrath und Stadtichreiber zu
Emmendingen farb. Vergl. die hiſt. geneal, Nachrichten der Familie Maler,
S. 12 16 und 17.
406 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjäbrigen Krieg.
wurden mit Hunden aufgeipürt, zurücdgejchleppt und jo lange gequält,
bis fie die etwa verborgene Habe den Naubgierigen preisgaben. Im
Dberland wurde vielen Unglüdlichen ein Holz in den Mund gejtedt
und jo lange Waffer eingegofjen, bis fie 20--30 Reichsthaler Ranzion
verſprachen; Schaaren junger rauen und Mädchen wurden zufammen:
geiperrt, entkleidet und unter Hohngelächter preisgegeben.
Hatten ſchon in den vorhergehenden Jahren anſteckende Seuchen
viele Menſchen binweggerafft, jo traten fie jet um jo verheerender auf,
als fich zu ihmen und den Gräueln des Krieges auch noch eine andere
Plage gejellte. Die Entvölferung der Dörfer, in deren Folge viele
Felder umangebaut blieben, während die nothdürftig angebauten nicht
felten von durchziehenden Truppen abfouragirt oder zertreten wurden,
erzeugte eine fürchterliche Hungersnoth. Im benachbarten Durlach ftieg
das Malter Korn, welches das Jahr vorher noch ganz wohlfeil geweſen
war, auf 24 Gulden, ein Pfund Schmalz foftete 3 Baten, ein Meß:
fein Salz eben jo viel, der Vierling Schwarzbrod 6 Kreuzer, 1 Ei
einen Basen, ein Hubn 2 Gulden, 1) In Württemberg galt der
Sceffel Kernen, der bei der Ernte 1634 noch 4 Gulden gekoſtet hatte,
zwei Jahre fpäter das Sechs- bis Zehnfache, ja in manden Gegenden
fo viel, als man damals für 50 — 60 Morgen Feldes bot.2) Tau—
jende von Menfchen ftarben Hungers, obgleich das Fleiſch von Fröſchen
Katzen, Hımden und gefallenen Pferden mit Gier verfchlungen wurde ;
ja e8 Kam fogar vor, daß man Leichname aus den Gräbern auf:
wühlte, um fie zu verzehren, und daß Mütter ihre eigenen Kinder ſchlach—
teten, um den quälenden Hunger zu ftillen. 3) Im benachbarten Wei:
ferftadt vafften Hunger und Peſt von Pfingften bis Weihnachten 1635
nicht weniger als 621 Perfonen hinweg. 2) Im nämlichen Jahr wur:
den in Dietlingen nicht weniger als 143 Perſonen begraben. 5) Nicht
geringer waren die DVerwüftungen, welche die Geifeln des Krieges,
der Seuchen, der entfetlichen Theurung und der Hungersnoth in
Pforzheim anrichteten. Hatte chen in den Jahren 1633 und 34
1) Sachs, VI, 549,
2) Steinhofer, J. 474-581.
5) Ochs, Geſchichte von Balel, VI., 636, 641 fi.
4) Gehres, Chronik von Weilerftadt, ©. 129,
) Didzes Pforzheim, Kirchen: und Schulbeihreibung von 1735 (im Lan:
desardhiv).
Bierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißinjährigen. Krien. 407
eine große Sterblichkeit in dev Stadt geherrſcht, jo rafften die erwähn—
ten Plagen im der Folge noch mehr Menſchen hinweg. Nur allein
durch die Mebeleien der Kaiſerlichen fcheinen vom Spätjahr 1634 big
zum Jahr 1635 folgende hiefige Bürger ihr Leben verloren zu haben: 1)
Chriſtoph Jakob Maier, Georg Mitfchdorfer, Hans Georg O fter:
tag, Martin Rüb, Martin Straub, Martin Deßmann, Rudolf
Eihelin, Hans Martin Hartmann, Michael Kienle, Georg
Weiß, Hans Peter Merwein, David Vichmann, Michael Ung e—
rer, Hans Baumhauer, Martin Breidt, Georg Karlin, Mi—
chael Dreyer, Hans Jakob Hertenſtein, Michael Kiefer, Va—
lentin Koch, Zacharias Vogeler, Hans Eiſinger, Chriſtoph Wil—
derſinn, Chriſtoph Abrecht, Hans Abrecht, Chriſtoph Deimling,
Hans Jakob Geiger, Chriſtoph Geiger. Der Peſt und dem Hun—
ger fielen in den Jahren 1635 und 1636 folgende Bürger zum
Opfer: Marr Mangold, Hans Jakob Mann, Hans Jakob
Miyaer, Peter Schoch, Hans Simmerer, Peter Abreht, Hans
Katob Bed, Paul Berblinger, Jobſt Dages, Michael Deng:
Ler, Hans Jakob Eichelin, Wendel Link, Konrad Link, Philipp
Hartmann, Hans Jakob Jung, Hans Joachim Kiefer, Hans
Chriſtophh Kienlin, Hans Georg Wolf, Konrad Landazwinger,
Leonhard Meyer, Chriftoph Diterried, Math. Schroth, Lorenz
Kienlin, Peter Bauer, Georg Bauer, Berthold Deimling,
Chriſtohh Doll, Martin Fifher, ob. Joachim Grieninger,
- Hans Jakob Hertenftein, Michael Jelin, Konrad Kaftner, Peter
Kienlin, Lorenz Kienlin, Math. Riidenbrod, Ludwig Meyer,
Satob Ringer, Gall Ungerer, Hans Jakob Bürger, Peter Gei-
ger, Chriſtoph Geiger, Chriftopb Lienhard, Hans Georg Reh:
ling, Hans Joachim Schneider, Hans Burkard, Niklas Fink,
Balentin Heink, Hans Knaut. Bedenkt man, daß die Zahl der
bier Angegebenen eher unter alg über der Wahrheit fteht, was fchon
daraus hervorgeht, daß im “fahre 1643 die Menge der durdy Hunger
und andern jammervollen Tod feit der Nördlinger Schlacht umgekom—
menen Bürger auf 1350 angegeben wurde; daß von den Altftädtern,
die namentlicy vom Kriege am meiften erdulden mußten, aus Mangel
) Die Quelle diefer,, fowie mancher jonftigen Angaben find die hiefigen
Kirchenbücher,
405 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
an Nachrichten feiner genannt iſt; daR ferner eben jo wohl Greife, als
Weiber und Kinder unter den Streichen des Schwertes und den Qualen
der Peſt und des Hungers fielen: jo wird die Behauptung, dag 1634
—1636 und zum Theil noch in den folgenden Jahren mindefteng ein
Drittel der Bevölkerung Pforzbeims zu Grunde gegangen fein muß,
nicht als eine übertriebene bezeichnet werden können.
Die ftarke Abnahme der Bevölkerung, die bis zum Schluß des
Krieges 1648 noch mehr ſank, ift auch aus der Liſte der in jenen und
den darauf folgenden Jahren Gebornen erfichtlih. Ich fee die Zahl
berfelben her, und zwar der DVergleichung wegen fchon von 1630 an
bis zu 1646. (Die Altjtädter find darunter nicht begriffen.)
Im Sabre 1630 wurden geboren 137 Kinder.
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Nie mande Soldatenkinder mögen ſich aber unter den von jedem
Jahr angegebenen Geborenen befunden haben!
Shen 17 Jahre hatte bis zu dem Zeitpunkt, an weldem wir
mit unferer Erzählung jet angelangt find (1635), der unfelige Krieg
gedauert und überall in Deutichland unfäglichen Sammer verbreitet.
Fügen wir hier die Schilderung des damaligen Juftandes unferes deut-
ihen Vaterlandes ein, wie fie Schiller in feiner Geſchichte des dreißig—
jährigen Krieges gibt:1) „Das Elend in Deutichland war zu einem
N) Band IX, feiner ſämmtlichen Werte, S. 434 ff. (Cotta, 1838).
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigjährigen Krieg. 409
fo ausfchweifenden Grade geitiegen, daß das Gebet um Frieden von
taufendmaltaufend Zeugen ertönte, und auch der nachtbeiligfte noch
immer für eine Wohlthat des Himmels galt. Wüften Tagen da, wo
jonft taufend frohe und fleißige Menfchen wimmelten, wo die Natur
ihren herrlichſten Segen ergofien und Wohlleben und Ueberfluß geberrfcht
hatte. Die Felder, von der fleiigen Hand des Pflügers verlaffer,
lagen unangebaut und verwildert, und wo eine junge Saat aufſchoß
oder eine lachende Ernte winfte, da zerftörte ein einziger Durchmarſch
den Fleiß eines ganzen Jahres, die letzte Hoffnung des verichmachtenden
Volkes. Berbrannte Schlöffer , verwüftete Felder, eingeifcherte Dörfer
lagen meilenweit herum im grauenvoller Zerftörung, während ihre
verarmten Bewohner bingingen, die Zahl jener Mordbrennerheere zu
vermehren, und, was fie jelbft erlitten hatten, ihren verfchonten Mitbürz
gern fehreclich zu erftatten. Kein Schuß gegen Unterdrüdung, als jelbft
unterdrüden zu helfen. Die Städte feufzten unter dev Geifel zügellofer
und räuberifcher Befatungen, die das Eigenthum des Bürgers verfchlangen
und die Freiheiten des Kriegs, die Licenz ihres Standes und die Bor:
rechte der Noth mit dem graufamften Muthwillen geltend machten,
Wenn fchon unter dem kurzen Durdzug einer Armee ganze Länder:
ftredten zur Einöde wurden, wenn andere durch Winterquartiere ver:
armten oder durch Brandſchatzungen ausgefogen wurden, fo litten fie
doch nur vorübergehende Plagen, und der Fleiß eines Jahres konnte
die Drangfale einiger Monate vergefien machen. Aber Feine Erholung
wurde denjenigen zu Theil, die eine Befakung in ihren Mauern oder
in ihrer Nachbarſchaft hatten, und ihr unglückliches Schickſal konnte
felbft der Wechſel des Glückes nicht verbeffern, da der Sieger an den
Platz und in die Fußtapfen des Befiegten trat, und Freund und Feind
gleich wenig Schonung bewiefen. Die Vernachläſſigung der Felder, die
Zerftörung der Saaten und die Vervielfältigung der Armeen, die über
die ausgefogenen Felder daherftrömten, hatten Hunger und Theuerung
zur unausbleiblihen Folge, und in den legten Jahren vollendete noch
Mißwachs das Elend. Die Anhäufung der Menfchen in Lagern und
Duartieren auf der einen Seite und Völlerei auf der andern brachten
peitartige Seuchen bervor, die mehr als Schwert und Feuer die Länder
verödeten. Alle Bande der Ordnung lösten in diefer langen Jerrüttung
fih auf, die Achtung für Menfchenrechte, die Furcht vor Gefegen, die
410 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißiajährigen Krien.
Reinheit der Sitten verlor fih, Treue und Glaube verfiel, indem die
Stärke allein mit eifernem Scepter herrichte; üppig ſchoſſen unter dem
Schirme der Anarchie und der Straflofigkeit alle Lafter auf, und bie
Menfchen verwilderten mit den Ländern. Kein Stand war dem Muth:
willen zu ehrmwürdig, fein fremdes Eigenthum der Noth und der Raub:
fucht heilig. Der Soldat, (um das Elend jener Zeit in ein einziges
Wort zu prefien,) der Soldat herrſchte, und dieſer brutalfte der
Despoten ließ feine eigenen Führer nicht felten feine Obermacht fühlen.
Der Befehlshaber einer Armee war eine wichtigere Perfon im Lande,
worin er fich fehen ließ, als der rechtmäßige Regent, der oft dahin ges
bracht war, fich vor ihm im jeinen Schlöffern zu verkriechen. Ganz
Deutfchland wimmelte von folchen Kleinen Tyrannen, und die Ränder
Yitten gleich hart von dem Feinde und von ihren Vertheidigern.“
Zu den oben erwähnten Folgen der Schlacht von Nördlingen ka—
men für Pforzheim auch noch andere. Ueber die Marfgrafichaft
Baden-Durlach wurde vom Kaifer wie über ein erobertes Land verfügt.
Der obere Theil derielben erhielt einen befondern Statthalter und
mußte im Auguft 1635 der Wittwe des 1632 verftorbenen Erzherzogs
Leopold von Defterreih, Claudia von Medicis, huldigen; den untern
Theil aber mit Pforzheim fchenkte der Kaifer am 5. Mai 1635
feinem General, dem Fatholifhen Markgrafen Wilhelm von Baden-Baden,
der in diefer Stadt alsbald die Klöfter der Tranzisfaner und Domini-
faner fowie das St. Michaels:Stift wieder berftellte, jene mit Mönchen
bevölferte und zum Propft von diefem feinen neunjährigen Sohn, Leo—
pold Wilhelm, imveftiven ließ. Allein der neue Beſitz blieb in feinem
ganzen Umfange nicht Yange in den Händen des Markgrafen Wilheln.
Der Kurfürft Marimilian von Batern hatte fich auch der Pfalz wieder
bemächtigt.. Da nun das Lehensverhältniß, in welchem fich die Aemter
Pforzheim und Graben zu der Pfalz befanden, nech immer fortdauerte,
der Markgraf von Baden: Durlah aber feiner Ränder für verluftig er
Märt und auch von der den übrigen evangeliſchen Reichsſtänden ange—
botenen Amneſtie (fammt dem Herzog von Mürttemberg) ausdrücklich
ausgeſchloſſen war, fo hielt der Kurfürft diefe Zeit für geeignet, fein
Recht auf diefe beiden Aemter geltend zu machen, und riß im Dezember
1635 diefelben an fih. Am 13. (23.) Dezember erfchienen die beiden
baierifchen Kommifjarten von Ungelter und von Peldhofer in Pforz-
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 411
beim und nahmen im Schlofje dafelbft, nachdem WBeldhofer, um den
Widerwillen der Bürger zu mildern, die fernere Uebung des protejtan-
tiſchen Gottesdienjtes mehrfach mündlich zugefagt Hatte, für den Kur:
fürften die Huldigung vor. 1) Zu noch mehrerer VBerfiherung, daß es
ihm mit dem Zugeſtändniß der Meligionsfreiheit ernft fei, hatte Pelck—
bofer den Vater Chryſoſtomus Speth, Bilar des Dominikanerkloſters,
und den Spezial Wibel auf das Rathhaus fommen lafien, wo er⸗in
Beifeim Gerichts und Raths im Namen des Kurfürſten die Kirche im
Predigerflofter mit beiderfeitiger Zuſtimmung fo feparirte, daß die Domini—
faner das Chor erhielten, das Pelckhofer fogleic mit einem neuverfertigten,
beſchlüſſigen hölzernen Gitter unterfchlagen lieh, der Stadt aber wie zuvor
das Langhaus zum Gottesdienft überlaſſen bliebe. Mit bitterer Beſchwerde
über die Gewaltthat des Kurfürſten wandte fih Markgraf. Wilbelmuan
den Kaiſerz /ev Könne nicht: dulden, daß die beiden Aemter Pforzheim
und‘ Graben vom uralten Haus Baden wegen eines Pfanbſchillings
andie Pfalz Enten: Allein. die Bemichungen des Kaiſers, dieſe Sache
wieder: rückgängig zu machen, waren vergebens; denn als er den Grafen
von: Sulz nach Pforzheim fandte, wo dieſer am 9. (19.) Mar 1636
in» Beiſein der von Baden-Baden gleichfalls dahin geſchickten Näthe „mit
lãutender Aydtglocken d. i. Sturmglode)-die/Bürger verſammelte und
ihnen unter allerlei Verſprechnmgen zuredete, dem! Markgrafen Wilhelm
zu hulbigen/ ſo weigerten ſich die Pforzheimer ganz entſchieden, dies zu
thun/ "obgleichi ihnen von! Seiten der baden-badiſchen Nätherebenfalls
vollftändifcher Freiheit. iin Ausübung der enangelifchen Religion und ſtrenge
Beobachtung: der ſtadtiſchen Rechte zugeſichert wurde, Sie mochten eben
ſo wenig einem einmal geſchworenen Eide untreu werden, als unter bei
Herrſchaft eines Fürſten ſtehen der im ganzen Krieg "eben nicht ie
rühmlichite Rolle ſpielte und namentlich „dem angeſtammten Fürſten der
Pforzheimerögegenüber weder verwandiſchaftliche, noch überhaupt edle
Geſinnungen gezeigt hatte.
Alſo ſtand jeßzt Pforzheimunter-pfälzifſche bareriſchem
Scepter!
— — ran —
1) In einem Schreiben, das die Pforzheimer ſpäter an den Herzog von
Württemberg richteten, nannten fie bdiejelbe eine „Pfandſchillingshul—
bigung.“
412 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
86. Weligionsbedrükung in Pforzheim.
(1635 -—1643.)
Pforzheim behielt auch in den folgenden Jahren eine ftändige baie-
riſche Garnifon, die, weil bei den verarmten Bürgern einguartivt und zu
Ausfchreitungen bei jedem Anlaß geneigt, Feine geringe Plage für die
ihon ſchwer genug beimgejucdhte Stadt war, Unter den Offizieren diejer
Garnifon begegnen wir 1) 1636 (Sept.) und 1637 (16. Jan.) dem
baierifchen Generalfriegstommiflir Junker Wolfgang Pelckhofer, alfo
demfelben, der jchon das Jahr vorher als Huldigungsfommiflär (S. 410)
in Pforzheim gewefen war, ebenjo einem Offizier Rudolf Bed 1637
(Mei und Juni), Im Juni finden wir Theile des alten Piccolomini*
chen Neiterregiments und des Metternicyichen Negiments, wahrfcheinlich
in ein Korps vereinigt, in Pforzheim, Vom Januar bis November
1638 werden Soldaten und Regimentsquartiermeifter aus dem Regi—
mente des Oberften Heinrich Chriſtohh Gailing von Altheim genannt,
Ein malifches (italienifches) Negiment war theilweiſe, vielleicht aud ganz
bier im März (29.) 1639, fcheint aber mit dem Gailing'ſchen Korps,
welches nur eine Kompagnie zählte, beifammen geweſen zu fein; denn
Dberft Sailing war nebit Oberft Kolb, der als Kommandeur eines
bejondern nad ihm benannten Regiments bezeichnet wird, einem Haupt:
mann Hans Georg Yauermeier aus dem Cbdelftettifchen Regimente
und einem Oberftlieutenant Herrv. Ganua (viell. Gannois) am 30. No:
vember bier beifammen. Lauermeier wird am 16. Dezember als Kom—
mandant der Stadt bezeichnet. Im Januar 1640 mar ein General:
fommiffir Schäffer und 23. April ein Hauptmann Aegvpdius hier.
Bon 1641 (26. April) an erfcheinen das Gill de Hafffche und das
Horſt'ſche Negiment, oder Theile desjelben in Pforzheim. in Lieute:
nant des Lebtern, Hans Völkel ift 1641 (23. Aunt) und 1642
(21. März) als Kommandant der ftädtifchen Garnifon genannt. Daf
Theile diefer Truppen längere Zeit ununterbrechen in Pforzheim Tagen,
geht daraus hervor, daß 1643 (1. Nov.) Oberft von Gailing, das
Lapier'ſche Negiment (ſchon 10. Sept.) und Oberft Wolfs Reiterregi:
ment als anmwefend genannt werden. 1643 finden wir acht Tothringifche
Kompagnien nebſt Reiterei unter dem Befehl des Dberften Juver—
1) In den ſtädtiſchen Kirchenbüchern.
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigiährigen Krieg. 413
court in Pforzheim, und gleichzeitig werden als anmwefend bdafelbft ge—
nannt ein General Graf von der Wahl, der ſchon erwähnte General:
fommiffär Schäffer und ein Generalquartiermeifter Holk. Welche
ſchwere Laſt diefe Truppen für die Stadt waren, erjehen wir aus einem
Schreiben Bürgermeifters und Raths vom 22. März (1. April) 1643
an den ebengenannten Schäffer, der ſich damals bereits wieder in Tü—
bingen befand, worin es unter Anderm beißt: „Seit 35 Tagen liegen
8 Kompagnien zu Roß und zu Fuß in Pforzheim, weldye die Stadt
bisher 11,800 Gulden gefoftet haben und noch täglih 300 Gulden
koften, Viele Leute, die großen Laften auszuhalten ferner außer Stand,
find bereits von Haus und Hof entflohen.”
Zur diefer drückenden Einquartirungslaft kamen aber noch Bedräng-
niffe anderer Art, die hier eine um fo ausführlichere Darftellung ver:
fangen , als die Pforzheimer dabei neue Proben jenes Glaubensmuthes
ablegten, von welchem schon früher die Jahre 1565, 1601, 1604,
1622 und 1629 Zeugniß negeben hatten. Die Gefhichte der zu Pforz-
beim „durd; Menfchen zwar vorgenommenen , von Gott aber hintertrie-
benen Religionsänderung“ 1) bildet einen der Glanzpunkte in der Dar:
ftellung der wechjelvollen Schidiale der Stadt.
Waren, wie oben jchon erzählt, durh Markgraf Wilhelm von
Baden-Baden bei der Beſitznahme Pforzheims im Mai 1635 die
Mönde und mit ihnen der katholiſche Gottesdienft in der Stadt wieder
eingeführt worden, jo wurde, als der Kurfürft von Baiern ſich Pforze
heims bemächtigt hatte, auch der Kapuzinerpater Friedricd von Xichten-
ftein am 18, März 1636 nebit einer Anzahl Mönde von Weilerftadt
nach Pforzheim berufen, und ihmen dafelbft das St. Georgsftift als
Hofpiz angewiefen. Zwar zwang die Eiferfucht der Franziskaner und
Dominikaner die Kapuziner bald, ihre in Pforzheim eröffnete Miffton
1) Sp heißt die Auffchrift eines durch Brand ziemlich beichädigten Akten—
aszikels, welcher fih im Generallandesarhiv zu Karlsruhe befindet, Vier—
ordt hat denfelben bereits für jeine „Geſchichte der evangeliſchen Kirche in
Baden“ benügt und in dieſem Werke von S. 218—231 eine ziemlih umftänd-
liche Darftellung der Ereigniffe des Jahres 1643 gegeben. Indem id bem
Gang feiner Erzählung folge, gebe ih mit Zugrundlegung der erwähnten
Quelle, fowie der biefigen Kirchenbücher, bei dem großen Intereſſe, das bieje
Ereigniffe erwerfen müjfen, Manches ausführlicher, als. dies Vierordt bei
einem nicht bloß für Pforzheim beftimmten Gefhichtswert hat thun können.
414 Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
wieder zu verlaffen; Letztere brachten es jedoch zu Anfang des Jahres
‚1643 zu eimer zweiten Berufung nad Pforzheim. Im November
1636 wurden den wenigen noch vorhandenen evangelifchen Geift-
lichen in Stadt und Yand dur die baierifche Negierung die Gehalte
entzogen. Sie durften zwar jeßt noch in Funktion bleiben und gottes-
dienstliche Handlungen wie bisher vornehmen, waren jedoch bezüglich,
ihres Unterhaltes auf die freiwilligen Beiträge der verarmten Gemeinden
angewiefen, die von ihren Seeljorgern nicht lafjen wollten, und darum
auch ihren Wegzug durd alle Mittel zu verhindern fuchten. Als der:
artige Maaßregeln jowohl, als auch die eifrigften Befehrungsverfuche der
Mönche an der Zähigfeit jcheiterten, mit welcher die Pforzheimer ihrem
evangelifchen Glauben anhingen, jo wurde nach einem Anlaß gefucht, um
den Kurfürften zu einem gänzlichen Verbot des enangeliichen Gottesdienjtes
zu bewegen. Solcher Anläffe fanden fich endlich fogar zwei. Im
Verein mit dem Kapuzinerpater Fulgentius, der kurz vorher die evan—
gelifche Lehre öffentlich dem Teufel übergeben batte, berichtete nämlich
der baierifche Untervogt Georg Faber nah Münden:!) Erfteng,
bei der Nachricht von dem Siege, welden der Schwede Torftenjon im
Herbit (23. Okt.) 1642 unweit Leipzig über den Faiferlichen Feldherrn
Leopold Wilhelm, Biſchof von Straßburg, erfochten halte, fei in der
Pforzheimer Stadtlirhe am Martingfeft ein jubilivender proteftantifcher
Bettag gehalten worden; dabei habe die Bürgerfchaft mit Begleitung
der Orgel (die zu „schlagen“ an ſolchen Tagen fonft nicht Sitte war)
ein Te Deum laudamus und das ſeit Jahren Hier nimmer gehörte
Lied: Erhalt’ ung Herr bei deinem Wort — gefungen; zweitens,
als das ſchwediſch-franzöſiſche Heer von Breiſach aus neulich auf einem
Streifzuge bis in den Kraichgau vordrang, habe ſich der Etadtrath in
Unterhandlungen mit den Vorpoften eingelafjen,
Wie es ſich im Wirklichkeit mit diefen beiden Anflagen verhielt,
zeigt eine „Supplifation aller Kirchen- und Schuldiener der Stadt und
Amts Pforzheim an den Kurfürften” vom 5. (15.) April 1643, ebenfo
eine andere Supplifation won demfelben Datum, welche Bürgermeifter,
1) Auch der Amtskeller Johann Wolf Geiger (vieleicht felbft ein Pforz:
heimer) jcheint mit im Bunbe gewefen zu fein. Wenigftens werfen ihm bie
Geiftlihen vor, daß er „durch falfche Anklagen am meiften Holz zu biejem
Teuer getragen habe.“
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreikigjährigen Krieg. 1415
Gericht und Rath durch zwei beiondere Abgeordnete (fiehe unten) nad
München fandten. Bezüglich des jubilirenden Gottesdienftes erflären .
die Geiftlihen: „Diefe Erzählung ift uns bochbetrübt und zugleich,
da wir durch Beweiſe des Gegentheils leicht unjere Unſchuld darthun
können, erfreulih. Wahr ift, daß wir 1642 am Martinitag : Erhalt’
ung Herr bei deinem Wort zc. gefungen, aber nicht wahr, daß die Orgel
dabei geichlagen worden, woraus unfere Ankläger em Tedeum und Ju—
belgefang erzwingen wollen. Bloß die drei erften Geſetze (Verſe) find
gefungen worden. Der Gefang paßte für die SJahrespredigt, womit
Luthers p. m. (piae memoriae d. h. jeligen Angedentens) „Ehr und
Sehr modeste defendirt“ wurde, ift alt und bei allen Qutheriichen im
Gebrauch, fteht in gedrudten Geſangbüchern und wurde felbft in der
evangeliichen Kirche im Negensburg kei dem Reichstag gejungen, in
Pforzheim war er niemals verboten worden. Wir würden ihn aud
beftändig gejungen haben, hätten ihn unfere Mißgünſtigen nicht nebit
andern Geſängen aus den Geſangbüchern herausgerifien. Wäre ev ein
Tedeum laudamus, jo würde der Kurfürjt von Sachſen ihn abgejchafft
haben; er läßt ihn aber unferes Wiſſens noch immer fingen, obwohl er
an jener Niederlage feine Freude haben konnte,“ 1) u. ſ. w. — Ueber
die Beichuldigung der Unterhandlung mit feindlichen Truppen gibt der
Stadtrath am angeführten Orte folgenden Aufihluß : „Daß es unwahr
jei, daß der Magiftrat jammt Bürger: und Bauerſchaft ſich bald auf
dieje bald auf jene Seite gewendet und ohne Befehl fich mit den fran—
zöfifchen in Kontributionsafford eingelafjen babe, das bezeugen wir bei
dem allmächtigen Gott und dur die MWerficherung der Heidelberger
Megierung, ſowie der kurfürftl. Generalität, ohne deren Verwilligung wir
nichts unterbandelt haben. Als nämlich der end die ganze mittlere
Markgraffhaft und die benachbarten öfterreichifchen Orte, ſowie die ade
liche Ritterſchaft am Nedar und Schwarzwald zur Kontribution ges
zwungen und uns bis auf Ettlingen in die Nähe Fam, und uns zum
dritten Mal drohend aufforderte zur Kontribution, bei deren Verweige—
rung er aud das Kind im Mutterleib nicht verfchonen wolle, jo haben
— nn — — — —— ——
!) Der Kurfürſt Johann Georg von Sachſen hatte ſich ſchon 1635 von
den Schweden losgeſagt und mit dem Kaiſer Friede geichloffen, wofür ihm
Schweden den Krieg anfündigte, der in den folgenden Jahren zur fürchterlich:
ten Verwüftung der fächfiihen Länder Veranlaffung gab.
416 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
wir durch Abgeordnete unjerer Stadt unfere große Noth der Generalität
geichildert, worauf der Generalkommiſſär Schäffer dem General Grafen
von der Wahl in Beifein des Generalquartiermeifters Hol Relation
gethan und die Nefolution erwirkt hat, daß, da uns die Reichsarmee zu
ferne ftehe und nicht helfen könne, wir uns einftweilen zur Rettung von
Haus, Hof, Weib und Kind mit dem Feind in eine leibliche Kontri-
bution einlaffen durften. Der Feind rückte unterdejjen unter General
Erlach mit 1200 Pferden heran, und nachdem wir die Sache bis auf
den Nothknopf verzogen hatten, fchicten wir zum Kommifjariat Tachſtein,
wo wir mit Bitten und Beten das erlangten, daß das Volk gegen Ver-
iprehung monatliher BO Reichsthaler fontramandirt und für geiftliche
und weltliche Diener beider Religionen in der Etadt und im Amt Pforz-
beim eine jchriftlihe Salva Guardi (Sauvegarde, d. 5. hier ein Sicher:
beitsbrief) ansgemwirkt wurde Die Völker rücten endlich gegen Weiler:
ftadt und Kannftatt (Jan. 1643) und haben ung Gottlob überhüpft,
und an der verfprochenen Kontribution ift ihnen weder Heller noch
Pfennig erlegt worden. Unterdeffen zog die ganze weimar’iche Armee
fich gegen Heilbronn, nahm bei Laufen die Brüde weg, plünderte würts
tembergifche Orte, und auf das Gerücht, fie ziehe gegen Pforzheim, ließ
der Untervogt und der Stadtjchreiber Nachts zwiſchen 9 und 10 Uhr
den Stadtrath aufs Rathhaus rufen, es folle ihr Jemand wegen einer
Salva Guardi für uns entgegengefchidt werden, Der Rath, weil die
Stadt von allen Seiten mit feindlichen Partien bedroht und nicht fo
beichaffen ſei, daß fie fich vertheidigen könne, fchiete alfo nach Laufen
und erwirkte beim Kommandanten eine jchriftliche Salva Guardi. Außer:
dem .jchickte die Weimar'ſche Generalitit ohne unfer Begehren auch zwei
lebende Salva Guardi, nämlich einen Kornet und einen Korporal, nad)
Pforzheim mit dem fchriftlihen Auftrag, wir. follten diefe in die Stadt
aufnehmen. Aber wir hielten fie von Mittag bis in die Nacht in der
Vorftadt auf und verficherten, daß wir fie nicht verlangt hätten. End—
lich zogen fie in der Nacht wieder zurück“ u, ſ. w.
Ohne daß jedoch der Untervogt Faber die Beichuldigten über die
erhobenen Anklagen zur Verantwortung aufforderte, ließ er durch bie
beiden Stadtknechte, „allem Herkommen zuwider,” die evangelifchen
Geiftlichen der Stadt, nämlih den Spezial Johann Georg Wibel, 1)
!) Er war aus Augsburg gebürtig, wurde als Diakon in Ettlingen ange:
ftellt, aber rag ber Schlacht von Wimpfen durd den Fatholiihen Markgrafen
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreifigjährigen Krieg. 417
die beiden Diakone Säuterlin und Kercher, den SZjährigen Spitalpfarrer
M. Wolfgang Schaupp und den Pfarrer der Altftadt Johann David
Eauter, ferner den Rektor der Inteinifchen Schule, (vermuthlich Albert
Herold) und den „Teutſchenſchuelmeiſter,“ (entweder den früher ſchon
genannten Andreas Tarer oder feinen Nachfolger Johann Penn), endlich
auc diejenigen drei Yandgeiftlichen, die in den 14 Dörfern des Amtes
Pforzheim allein noch übrig waren, nämlich die Pfarrer von Brößingen,
Eifingen und Niefern, auf Dienftag vor Oftern 21. 81.) März ohne
Wiffen und Willen Bürgermeifters und Raths in das Amthaus vor:
laden. Nachdem fie Alle an diefem Tage Morgens 8 Uhr nad) der
Frühpredigt (die Diafonus Säuterlin über die Geißelung Chrifti ge-
balten,) daſelbſt erfchienen waren und der in der Amtsjtube zuerft an-
wejende Dberfeller Geiger und der Amtsverweſer Brunner von Stein fich
entfernt hatten, eröffnete dev Untervogt den Vorgeladenen mit troßigen
Worten, daß er durch die Negierung zu Heidelberg vom Kurfürften ben
Befehl erhalten habe, die evangelifchen Geiftlichen in Stadt und Amt
alsbald abzufchaffen und das unkatholiſche Erercitium Tutberifcher Reli—
gion unverzüglich einzuftellen. Zugleich fügte er hinzu, daß er die
Geiftlihen nur noch zwei Tage dulden werde. Als Wibel feine Be-
fremdung über einen ſolchen Befehl, (von welchem Faber jede Abſchrift
verweigerte,) zu erkennen gab und am das bei der Huldigung, fowie
von der Megierung zu Heidelberg mehrfach gegebene Verfprechen freier
Religionsübung erinnerte, erwiderte Faber: Der Kurfürft könne in
feinem nunmehr eigenthümlichen Lande dispeniven, wie er wolle; doch
babe man in Pforzheim felbft dadurch Anlaß zu der Menderung gege:
ben, daß man gegen die Katholiken gepredigt 1) und das Lied: Erhalt
ung Herr. bei deinem Wort — gefungen Hätte. Sogar mehrere
Rathsverwandte der Stadt hätten fich über diefen Gefang, an welchem
don dort vertrieben, worauf er als Hofprediger nach Durlach und 1638 als
erſter Stadtgeiſtlicher, Spezial und Superintendent nad Pforzheim kam. Er
309 1646 von ba nad) Schwäbifch:Hall, wo er 1651 ſtarb.
) Mas das den Geiftlichen hier vorgeworfene Predigen gegen bie **
liken betrifft, jo ſagen fie darüber in der ſchon erwähnten Supplication Wh
5. (15.) April: „Wir müfjen uns gegen die Orbensleut vertheidigen, die uns
zuerſt angegriffen haben, fonderlich Pater Fulgentins, ein Kapuziner, der gegen
—— hitzig fulminirt, fie dem Teufel übergeben hat. Uns ſelbſt müßten
wir für liederliche Leute halten, wenn wir ung nicht ie
Pflüger, Pforzheim.
®
418 Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
nicht viel Gutes fer, (Mibel hatte das Lied dem Untervogt Zeile für
Zeile vorgelefen und erklärt) und den man feit 8 Jahren in Pforzheim
nicht mehr gehört, fehr geärgert. Auf den Wunſch Wibels, die Namen
diefer Nathsverwandten zu erfahren, entgegnete Faber umwillig: In
Pforzheim hätte Einer viel zu thun, wenn er alle Anlagen jelber an:
hören wolle; denn bier ſei es Brauch, weder Geiftliche noch Weltliche
zu fchonen, As MWibel um Auffchub der Erekution bat, bis nad)
Heidelberg und München berichtet fei, erklärte der Untervogt, daß er
noch fo lange warten wolle, bis Antwort von Heidelberg eingelaufen
ſei; er fei bereit, den von Pforzheim abziehenden Geiftlihen eing Ab—
theilung der in der Stadt liegenden Tothringifchen Truppen zur Bes
deckung mitzugeben. An den Kurfürjten ſelbſt könnten fie fi) nachher
wenden. — Gleichzeitig mit diefer Eröffnung an die Geiftlichen erließ
der Untervogt an alle Amtfchultheißen den Befehl, bei Strafe Feine
evangeliichen Kirchen außer Landes mehr zu befuchen, aller Pſalmen
und evangelifchen Gefänge, fowie ihrer Pfarrer ſich zu enthalten, alle
Todesfälle, Ehefegnungen und Kindstaufen bei ihm anzuzeigen, damit
er die Anordnung treffen könne, daß das Alles durch katholiſche Geift-
liche beforgt werde, Tags darauf 22. März (1. April) wurde der
ganzen Bürgerfchaft in Pforzheim nad) dreimaligem Läuten mit der
„Andtgloden“ ein vom Untervogt felbjt aufgefegtes und unterjchriebeneg
Mandat vorgelefen, nad welchem er mit der ausgefprochenen Auswei-
fung der Geiftlihen auch die bisherige unkatholifche Neligionsübung für
abgejchafft erklärte und im Namen des Kurfürften befahl, daß Jung
und Alt Morgens und Abends dem Fatholifchen Gottesdienft beimohne
und nicht etwa andere Kirchen befuche, den neuen Kalender wohl obfer:
vire, die Feſttage der Fatholifchen Kirche feire und während bevorftehen-
der heiliger Zeit, alſo auf Gründonnerftag, Charfreitag und Oftern, da:
mit den Anfang mache. Mährend Alles dies gefchah, waren auf
Weifung Fabers durch den Oberften Juvercourt 50 Mann Musfetiere
auf dem Marktplat aufgeftellt worden, und Neiter zogen durch alle
Straßen, damit fie, wo irgend zwei oder mehr Menſchen beieinander
jtanden, folde Zufammenrottungen auseinander trieben.
Gegen diefen unerwarteten Befehl wandte fh die ftädtifche Obrig-
keit noch am gleichen Tag, zuerft an den feit 1638 aus dem Eril heim:
gefehrten Herzog von Württemberg, er wolle von der Stadt und dem
Amt Pforzheim, wo nicht weniger als 1350 Bürger durch den Hunger
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 419
und andern jammervollen Tod umgekommen ſeien, mitteljt feiner Für—
ſprache das neue „noch ſchwerere“ Kreuz abzuwenden fuchen. Hierauf
fhicdte die Stadt ſelbſt zwei Abgeordnete, nämlih den Bürger Ernſt
Friedrich Hennenberger und den Apothefer Johann Barthold, an die
baierifche Negierung nach Heidelberg. Hier vernahmen fie, wie entjtellt
mit unwahren Zuſätzen der Inhalt des fraglichen Liedes hinterbracht
worden war, Man hatte dem Kurfürſten beiipielweife berichtet, die
zweite Zeile des erſten Berfes (— „und ftener des Papſtes und Türken
Mord” —) laute: „Und jtener’ des Papftes, des Kaiſers, des Teufels
und des Türken Mord.” Diefen Theil der Beſchuldigung wibderlegten
die Deputirten ohne Mühe und betheuerten zugleidh, an jenem verhäng—
nigvollen Bettage fei weder an ein Tedeum gedacht, noch ſonſt eine
Freude über die Leipziger Niederlage geäußert worden; die Dominikaner,
die jeden Schritt ſähen, jedes Wort hörten, das im evangeliichen Theil
der Kirche vorkomme, folfe man ſelbſt darüber vernehmen. Endlich be
riefen fie jich auch auf die Zeugniſſe der baierifchen Generalität und
lieferten dieſe Zeugniffe wirklich nah, daß Pforzheim nur in der
ſchrecklichſten Noth und nur nad eingeholter Erlaubniß jener Generali:
tät dem jo nahe und grimmig drohenden Feinde eine Gontribution zu:
gejagt, aber jelbft diefe nicht abgeliefert habe, da der General Gerlad,
ohne einen Verſuch zur Eroberung der Stadt zu machen, aus der Ge:
gend bald wieder abgezogen fei.
Der Befcheid, den die Algeoröneten in Heidelberg erhielten, war
offenbar nur auf einftweiliae Beruhigung und vielleicht audy all:
mählige Bearbeitung der Gemüther abgejehen. Dem Untervogt, bieß
es, jeien dergleichen Gewaltsübungen durchaus nicht befohlen, der Kur:
fürjt jei nicht im Geringften Willens, eine Neformation der Religion
in Pforzheim vorzunehmen oder gar die Untertbanen zur Fathotifchen
Religion zu zwingen, fondern jie jollten durch ihre Pfarrer in den
Häufern taufen und Ehen einfegnen, aud die Kranken befuchen lafjen;
ebenjo fei ihnen das Predigen und Pſalliren in den Häufern nicht une
terfagt; nur in der Kirche bleibe ihr „vermeinter Gottesdienft” durch
aus verboten. Die Geiftlihen müßten nicht fort, und ebenfowenig fei
der Untervogt angewiefen geweien, die deutjchen und Lateinischen Schul:
meifter in Pforzheim abzufchaffen. Die armen Kinder hätten nichts
zu entgelten, und man follte die Schulen wieder wie zuvor halten Taf:
fen. Auf die von den Abgeordneten nun auch Ku Vorſtellun⸗
*
420 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
gen gegen das Verbot des öffentlichen Gottesdienſtes wurde ihnen
erwidert, die desfallfige Nefolution vühre vom Kurfürften felber ber,
und an ihn follten fie fich in diefer Sache unmittelbar wenden,
Auf den hierüber erſtatteten Bericht der beiden Abgeordneten be=
ſchloß der Magiftrat, fogleidh eine Deputation nad Münden zu jchiden,
um beim Kurfürften die Wicdergeftattung des öffentlichen Gottes:
dienſtes auszuwirken, zugleich) aber aud, um ihn um Verminderung der
unerträglichen Laften zu bitten, welche ihnen der Krieg auferlegte. Dies
felbe beftand aus dem ſchon genannten Apotheker Barthold und dem
Raths- (oder Gerichts-) Verwandten Johann Kafpar Aberlin. Diefe
Deputation wurde nicht nur mit einer Vollmacht von den Gemeinden
der Amtsbezirte Pforzheim und Graben, !) fondern auch mit Empfeh-
lungschreiben verfchiedener vornehmer Herren verfehen. Auch wurden
ihnen die beiden oben (S. 414) ſchon erwähnten Supplifationen des
Magiftrats und der Pforzheimer Geiftlihen und Schuldiener mitgege:
ben. Noch am nämlichen Tage, an welchem diefe Schriftitüde verfaßt
. wurden [5. (15.) April], reisten die beiden Deputirten von Pforzheim
ab.2) Sie nahmen ihren Weg über MWeilerftadt und Tübingen nad
Um, und fuhren von dort auf der Donau zunächſt nad Höchſtadt, um
den dnjelbft wohnenden Umgelter, der mit Pelkhofer im Jahr 1635 in
Pforzheim als Furfürftliher Kommifjär die Huldigung vorgenommen
hatte, (S. 410) aufzufuchen und ihn um Einfihtsnahme der nod in
feinen Händen befindlichen Huldigungsakten zu bitten. Diefe wurde
ihnen bereitwilligjt gejtattet; allein fie enthielten fein Wort davon, daß
den Pforzheimern bei der Huldigung irgend DVerfprehungen wegen der
freien Ausübung ihrer Neligion gemadyt worden feien. (Jene Zufage
war, wie oben (©. 411) erzählt, aud) nur mündlich gegeben worden
und wurde in der Folge von beiden Kommiſſarien wieder in Abrede
geftellt.) Sie muften deshalb ihre Supplifation in Augsburg um:
ſchreiben Yafjen. Dort wurde ihnen gerathen, dem Kurfürften nur diefe
1) Der Pfarrer Johann Krager von Graben jchrieb darüber an Wibel, das
Amt Graben babe die von der Etadt Pforzheim begehrten 50 Gulden Reife:
koſten verwilligt und vorgeſchoſſen. Da man aber gegenwärtig nicht jeber
Stunde trauen bürfe, jo feien die beiden Ueberbringer diefes Briefes angemiefen,
bas Geld in Pforzheim aufzunehmen,
2) Ihren ausführlichen Reifebericht babe ih in den Nummern 4 und 5
bes Pforzheimer Beobachters von 1858 mitgetbeilt.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. RO] |
zu überreichen, dagegen die Gupplifation der Pforzheimer Geiftlichen,
die den Kurfürſten nur noch ungelegener ftimmen würde, zurückzubehal—
ten, auch von den Empfehlungsichreiben nur im Nothfall Gebrauch zu
machen. In Münden, wo die Abgeordneten am 13, (23.) Aprif
ankamen, fuchten fie zuerft den Kanzler des Kurfürften auf, um ihn
um Cinftellung der vom Untervogt in Pforzheim angeordneten Nefor:
mations: Prozedur und um Audienz beim Kurfürſten zu bitten. Sie
wurden aber fehr ungnädig empfangen und mußten wegen des „Kubel:
feftes, der Mahlzeiten und des Bettags”, fo die Pforzheimer wegen
ber Leipziger Niederlage angeftellt und weil fie gefungen: Erhalt uns
Herr bei deinem Wort und ſteur' des Tapftes, des Kaifers, des Teu—
fels und Türken Mord — bie bitterften Vorwürfe Hören, das hätten
fie, meinte der Kanzler, bleiben Tafjen und ihre Mäufer halten können.
Am Sonntag Abend erhielten die beiden Pforzheimer Aubienz beim
Kurfürften, als diefer gerade im Begriff war, in die Vesper zu gehen,
Sie übergaben ihm ihre Supplif und trugen ihm mündlich ver, wie
Stadt und Amt Pforzheim bereits 4 Tonnen Gold (400,000 fl.) an
Kriegskontributionen habe bezahlen müſſen und wie über 1900 Bürger
um Leib und Leben gelommen und die übrigen in höchfte Armuth ge:
rathen feien; der KHurfürft möge ihnen doch gnädigft Erleichterung ver:
ſchaffen. Der Kurfürft antwortete darauf, daß ihnen darüber Beſcheid
werden follte,; wäre fein Krieg, fo brauchten fie auch nicht zu kontri—
buiren. Weiter ftellten ihm die Abgeordneten vor, wie ihr übelaffet:
tionirter Beamter durch ungleiche und ungegründete Berichte die fehnelle
Abſchaffung ihrer Prediger und Seeljorger verurfacht habe, und fügten
die Bitte hinzu, ihnen ihre Geiftlichen wieder zufommen zu laſſen und
die öffentliche Ausübung ihrer Neligion zu geftatten, für welche fie
ſchon feit 8/, Jahren den rühmenden Schuß des Kurfürften genofien.
Lebterer bemerkte darauf, daß die Deputirten ihren Beſcheid ſchriftlich
erhalten würden, und ging in die Hoffapelle. -
Am Dienftag darauf wurde ihnen ein verfchloffener Befehl an bie
Negierung zu Heidelberg eingehändigt, und alle ihre Bemühungen, eine
Abſchrift zu erhalten oder auch nur feinen Inhalt zu erfahren, waren
vergebens. (Sogar ein Beſtechungsverſuch, den fie deshalb beim ge:
beimen Gefretär mit 6 Neichsthalern machten, war umfonft.) Sie
reisten alfo von München wieder weg, um das erhaltene Schreiben in
Heidelberg perfönlich abzugeben, Dort erhielten fie mündlich die un-
4» Vierzehntes Kapitel. Nforzbeim im bdreifinjährigen Krieg.
erwartete Weifung, daß es bei Abſchaffung des Fatholifchen Gottes:
dienjtes fein Verbleiben babe und den Geiftlichen der 17. (27.) Mai
zur Auswanderung anberaumt fei.
Nicht abgeſchreckt durch den übeln Erfolg diefer Deputation fandte
der Meagiftrat in den erften Tagen des Mai durch den Seidenweber
Hans Ulrich Roth eine zweite fchriftliche Bitte, begleitet von den In—
terceffionsichreiben des Herzogs von Württemberg und des Landgrafen
von Hefjen, nah Münden. Er wurde gar feiner Antwort gewürdigt.
Hierauf wandten fih DBürgermeifter und Rath aufs Neue an den Her:
zog von Mürttemberg (Ueberbringer der fchriftlichen Bitte an denfelben
war der ſchon erwähnte Hans Kafpar Aberlin), damit diefer Fürft zu
einer Fürbitte von Eeiten des Kurfürften von Sachſen verhelfe und
erlaube, daß die zum Exil verurtheilte Geiftlichkeit, welche in den trüb
feligften Zeiten getreulich in Pforzheim ausgehalten und dort längſt
ohne Befoldung ihres Amtes unausgefegt gewartet habe, in Württem—
berg fih aufhalten dürfe. Beides wurde bereitwilligft gewährt, und
auf den Rath de8 Herzogs richtete der Magiftrat zu Pforzheim feine
Bitten auch an den evangelifchen Theil der Meichsftinde, deren Ge:
fandte damals zu Rranffurt am Main verfanmelt waren, 1) desgleichen
unmittelbar an den Kurfürften von Sachſen. Er, „die Säule der
evangelifchen Kirche unveränderter augsburgiicher Konfeſſion“ — fo
nannten fie ihn, — follte nicht till zufehen, wie man, allen Reichs:
verträgen zuwider, abermals in 20 Kirchen dieje Konfeſſion nimmer zu
dulden drohe.
Mittlerweile war auch der Tag herangerüdt, an welchem bie
evangelifchen Geiftlichen und Lehrer mit ihren Familien Stadt und
Amt Pforzheim verlafien mußten. Vergebens hatte fi) der SZjährige
Spitalpfarrer, Wolfgang Echaupp, auf feine Armuth berufen, da er
fhon feit 9 Jahren ohne Befoldung feiz vergebens hatte er darauf
hingewiefen, daß von einem des Gehörvermögens beraubten Greife ja
nichts zu befürchten wäre; umfonft war feine Bitte, daß man in gnäbi-
ger Rückſicht auf fein und feiner Gattin hohes und gebrechliches Alter
Beiden vergönnen möchte, den geringen Neft ihrer Tage in ihrer Ge—
2) Ueberbringer dieſes Schreibens war der mit einer Pforzheimerin ver:
mählte Joh. Ib. Kaufhelmann, chemals Hof- und Ehexerichtsprofurater zu
Durlach, aber durch den Fatholiihen Markgrafen entlaflen, jest im Begriff, in
darmſtädtiſche Dienfle zu treten.
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreigigiährigen Krieg. 493
burtsjtadt Pforzheim zuzubringen. , Am Mittwoch nad Pfingſten 17.
(27.) Mai 1643 zugen die Verbannten hinaus, von ihren tranernden
Gemeinden unter vielen Thränen nad der württembergifchen Grenze
gegen Neuenbürg begleitet, und erhielten von ihnen, fo weit deren eigene
Armuth es gejtattete, einen „Zehrpfennig“, den man für ihr Eril ge:
fammelt hatte. Bon Seiten der Stadt wurden den Geiftlichen zu
ihrem Wegzuge die Fuhren unentgeldlicy geitellt und außerdem auf ein
Vierteljahr monatliche Unterftübungsgelder verſprochen.
Unterdefjen hatte der Untervogt durch die Heidelberger Regierung
bereits die Ermächtigung erhalten, diejenigen Bürger, welche den katho—
liſchen Gottesdienft nicht befuchen oder ihre Kinder nicht bei den katho—
liſchen Geiftlihen taufen laffen würden, um Geld zu ftrafen. Obgleich)
jedoch diefe Reſolution ſchon vom 11. (21.) Mat datirt war, fo jcheint
er doch. Urfache gefunden zu haben, in Pforzheim noch eine Zeitlang
zuzuwarten und wie er fih auszudrüden pflegte, „einen Neif um den
andern fpringen zu laſſen.“ Gr rückte deshalb erſt ſpäter mit der
Strafandrohung heraus, wobei ev am 24. Mai (3. Juni) der ftädtifchen
Dbrigkeit fchriftlic bemerkte, boffentlic, werden Bürgermeifter und Rath
den Bürgern mit dem guten Exempel des unterthänigften Gehorfams
gegen Ihro Kurfürſtliche Durchlaucht vorangeben, und um der hiemit
angedrohten Geldftrafe auszumeichen, fid) gleich morgen am Frohn—
leichnamsfefte bei dem heiligen Gottesdienfte einfinden; zur Prozeſſion
wollte er fie dermalen noch nicht gezwungen haben. Mit den Bewoh—
nern der 14 Amtsfleden glaubte er lettere Nüdficht nicht nehmen zu
dürfen; er berief ihre Vorgejeßten, nachdem er aud ihnen mit Geld:
jtrafen gedroht, zu dem Feſte in die Stadt, Doch fie erfchienen nicht,
fondern fandten eine Erklärung ein, daß fie fi) demgemäß halten wür:
den, was die Stadt beichliegen werde,
F 7. Sortfehung, GÖlaubenstreue der Pforzheimer.
In der Stadt aber verfammelten ſich am Frohnleihnamstage
25. Mai (4. Juni) 1643 Biürgermeifter, Gericht und Rath fammt
den 24 Zünften, um über das drohende Anmuthen dev Negierung abzuftim:
men, Der Bürgermeifter Georg Weeber eröffnete die Sitzung mit
den Worten: Gr habe dag Dekret erſt geftern Nadymittag erhalten,
424 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
daher erft heute ihnen befannt gemacht, damit in dieſer Gewiſſens- und
Seelenſache jede Gerichts: und Nathsperfon ihre Stimme befonders an
den Tag geben könne. Geine Meinung ſei: Nachdem die Stadt,
feit fie vom Kurfürften in Eid genommen, in allem Grdenflichen dem
Kurfürften gehorfam geweſen und es auch in Zukunft fein werde, fei
doch diefe Sad, welche die Gewiſſen und Seelen betreffe, von der Art,
daß er wenigftens ſich von dev Religion nimmermehr trennen laſſen könne,
die er fein Leben lang bekannt habe, jollte er auch alles Zeitliche da-
rüber eimbüßen. Gott der Herr wolle ihm dazu feinen guten und
heiligen Geift verleihen! — Nach einander gaben num ſämmtliche Mit:
glieder des Nathes und Gerichtes in folgender Weife ihre Meinung
zu Protokoll: Joachim Bub: Auch er wolle im politifchen Wefen
ber gnädigſten Herrichaft thun, wie einem getrenen Unterthanen gebühre,
und habe er es bisher getban; was aber die Religionsſach berühre, fo
werde Fein Menfch ihn zu einer andern Neligion abtreiben in feinem
71. Lebensjahre. In Gottes Wort babe er fo viel gelefen und ges
Vernt, daß er bis an feinen Tod dabei zu verharren und feiner Seelen
Geligfeit darbei gewiß zu erlangen gedenke. Gr laſſe fich alfo rund
in die Fath. Kirch nicht zwingen, und follte er auch fein Leben darüber
einbüßen. — Altbürgermeifter Hans Kriedrih Kern: Was er
anno 35 dem Kurfürften gefehworen, werde er balten. Aber weil Gott
der Allmächtige ihn durch die heilige Taufe in feinen Gnadenbund ein-
geſchloſſen und feine Tieben Eltern ihm im chriftlichen Glauben wohl
informirt hätten, er ſich auch getraue, in feiner Religion mit Gottes
Hilfe das ewige Leben zu erwerben, fo werde er dabei verbleiben big
an fein Ende. Er behalte fich vor, die evangelifche Kirche zu befuchen,
worin er feinen freien Willen haben wolle, — Hans Beh (if
wegen Unpäßlichfeit nicht zugegen und feine Meinung durch Martin
Faßnacht abgeholt worden. Diefem antwortete Bedh, er werde
diefelbe in einer Supplikation an die Negierung zu Heidelberg [chriftlid)
abgeben.) 1) — oh. Barthold, Apothefer: Auch er werde ber
Huldigung in allen Stüden beftändig bleiben, hoffe aber auch, daß der
) Am Taufbuh von 1643 heißt Beckh Bürgermeifter, und gehört zu denen,
bie ihre Kinder „ohne Noth“ in ber Dominifanerfirche taufen ließen (fiehe
unten), Er jiheint ber Einzige geweſen zu fein, der die Entichiedenheit feiner
Kollegen nicht theilte, jondern fid) den Anmuthungen des Untervogts und ber
baieriſchen Regierung gefügig zeigte.
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Kricg. 425
Kurfürft das Verfprechen, bei der Huldigung gethan, manuteniren und
das Erercitium lutheriſcher Neligion fchüten werde. Er habe diefe Re:
ligion bis in fein hohes Alter bekannt und gedenfe auch in ihr zu fter:
ben mit Verhoffen, daß man ibn zu feiner andern Neligion oder in bie
katholiſche Neligion zwingen werde. — Wendel Fiſch: Er habe von
feinem Seelforger aus Gottes Wort fo viel erlernt, daß er dabei leben
und fterben und in die Fatholiiche Kirche ſich nit zwingen laſſen wolle,
dba felbiges gleich dem Eingang zu einer andern Religien wäre, — Pe:
ter Schoch: As 74jähriger Mann begehre er feinen andern Glau—
ben anzunehmen, laſſe ſich auch nicht in die Fatholifche Kirche zwingen,
obwohl er, wie die Uebrigen, in weltlichen Sachen der Furfürftlichen
Durchlaucht immmer getreu und gehorfam bleiben wolle. — CE ebaftian
Scherb, Baumeifter desgleihen. — Jacob Herm(P): 1) Er werde,
falls man ihn zur Fatholifchen Kirche oder Religion zwingen wolle, eher
fein Bürgerrecht aufgeben 2. — Hans Bernhard Erat (oder Er:
hard): Er jei fat um Alles gefommen in beftändigem Gehorfam gegen
die Befehle des Kurfürften; aber in dem ewangelifchen Glauben werde
er leben und fterben, und in die katholiſche Kirche gehe er durchaus nicht,
— Hans Michel Feldner: Auch er nicht und noch viel weniger
mit der Prozeffion. Wolle man ihn dazu zwingen, fo ziehe er mit
Meib und Kind zur Stadt hinaus, — Hans Caspar Aberlin:
Zur augsburgifd unveränderten, wahren, allein feligmachenden Religion,
worin er mit Weib, Kind und Gefind geboren und erzogen und von
Jugend auf durch feine Eltern, Schulmeiiter, Lehrer und Prediger aus
Gottes Wort genugfam gegründet worden fei, werde er und die Sei—
nigen fich die Tag Lebens bekennen, fei aud gewiß, unter Beiftand
Gottes und des heiligen Geiftes darin die Krone der ewigen Seligkeit zu
erwerben. Daher könne er fih rund nur dahin erflären, daß er ein
offenbarer Heuchler fein und Gottes Strafe erwarten müßte, wenn er
fi) gezwungen zum Beſuch der Fatholifchen Kirche verſtünde. Chriftus
fage: Wer mich befennt vor den Menſchen, den will ich auch befennen
vor meinem himmliſchen Water, und deswegen habe man Gott mehr zu
gehorchen, als den Menſchen. Aber in politifchen Sachen werde er
Ihrer Kurfürftlihen Durchlaucht als getreuer Unterthan wie immer fo
1) Manche biefer Namen find in dem Protokoll etwas unleferlich ge:
ſchrieben.
496 Bierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
auch ferner redlich Gehorſam leiſten. Hans Stiß (Stieß, Schwarze
färber): Auch er jo; wolle man ihn aber zur katholiſchen Kirche zu
gehen zwingen, fo wäre es nit Fatholifch, jondern zwingiſch. (Un—
paffender Wiß in einer fo ernſten Sachel) — Michel Simmerer:
Dafür wolle Gott ihn behüten, in feinem hohen Alter die Neligion zu
verändern oder in die Fatholifche Kirche fich zu begeben. — Chriſtoph
Ganß (oder Gauß): Auch feine Nefolution ſei gefaßt und er nicht
Willens, einem Menfchen in der Stadt Aergernuß zu geben. So lange
Gott ihm Leben und Gnad und feinen heiligen Geijt verleihe, begebre
er bei dem zu verbleiben, worin ev von feinen Eltern und Vorgeſetzten
unterrichtet worden. Im Nothfall werde er nach andern Mitten trach-
ten, wohin er fich mit feinen Kindern begeben könne, — Philipp
Frauenpreis will bei derjenigen Religion beftändig fein, auf die er
getauft umd erzogen worden ſei. Alles habe er bei diefem Elend und
Kriegswefen eingebüßt; um. den Seelenfhaß ſich bringen zu laſſen, das
thue er nun einmal nit. — Chriſtian Fleiſchmann: Er jei Ihrer
Kurfürftlihen Durchlaucht mit Pflicht und Eid zugetban, begehre auch,
davon nit abtrünnig zu werden, fo viel die politische, Teibliche Sach be—
treffe. Was aber die Nelinion als eine Gewiſſensſach betreffe, habe er
jo viel von feinem lieben Vater felig, welder ein evangeliſcher Lehrer
gewest, 1) aud von feinen Seelforgern erlernt, daß er von feiner Reli—
ligion mit Weib und Kind nit abzumweichen gedenke. Alſo laſſe er fich
weder zur Tatholifchen Kirche, noch zu ihren Geremonien zwingen; er
wolle aber aud) feinem Menſchen einige Aergernuß damit geben, von
einer oder der andern Religion los zu werden. — Klaus Aicheli
(Archelin, Eucele): Ws feine Eltern ihn in diefes elende Jammerthal
der Welt geboren, haben fie ihn frühzeitig durch die Herrn Präzeptores
in dem heiligen und alleinfeligmachenden Wort Gottes und in der evan-
gelifchen Lehre unterrichtet, darin er fich bis auf diefe Zeit geübet; und
er getraue ſich auch, dabei felig zu werden und fein Leben dabei zu
enden, Dazu wolle Gott durch feinen Sohn Ehriftus feinen guten hei—
ligen Geift verleihen! Zur Fathofifchen Kirche und Religion laſſe ev fich
nicht zwingen. — Martin Faßnacht: m diefer Seelen: und Ge:
wiſſensſach, die wir uns bei der Huldigung erpreffe neben unfern reis
heiten vorbehalten und uns haben verfprechen laſſen, bekenne er ſich zu
) Johann Fleiſchmann, 1628 als Spitalpfarrer in Pforzheim geftorben,
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißiajährigen Krieg. 497
feiner andern Neligion, als zur evangeliichen unveränderten augsburgifcher
Konfeffion. Man folle wiederum fuppliciven um einen evangelifchen
Prediger im Rathhaus, falls uns die Kirch nit verftattet werde, oder
um die Erlaubniß, im MWürttembergifchen benachbarte Kirchen zu bez
inchen, wie das vor diefem auch in andern Städten, wie Donauwerth,
Weilerſtadt und vielen andern gefchehen. — Jacob Wanner: Auch
er befenne fich nicht zum begehrten katholiſchen Kirchengehen, habe auch
feine Quft darzu. Er fer hier oder dorten auch vielmalen in der katho—
liſchen Kirche geweien, habe aber feinen Troft darin finden können und
Taffe fich von feiner Religion nicht abwendig machen. Werde man ihn
aber durch Gewalt dazu zwingen wollen, fo werde er auch wiffen, fich
anders zu verantworten. — Balthafar Schill: Bei der wahren,
alleinfeligmachenden evangelifchen Religion bleibe auch er, To gehorſam
er auch in weltlichen Begehren Ihrer Kurfürftliden Durchlaucht als
ehrlicher Unterthan fe. Aber in diefer Gewiſſensſach befinde er fich
gar zu hoch beſchwert und werde niemals nit darauf eingeben. — Ru—
dolf Sold (Lammwirth): Diefes traurigen Begehrens der Fatholifchen
Neligion halber Fünne er fich nicht zum Kirchgehen bekennen. Man
folfe ihm und andern ein Bierteljahr Bedenkzeit geben, zwar ohneradht
der katholiſchen Neligion (d. h. nicht ob er die Katholische Religion an—
nehmen wolle oder nicht, fondern Krift zur Auswanderung.)1) — |
Nach diefen Abſtimmungen von Bürgermeifter, Rath und Gericht
gaben die 24 Zünfte im folgender Weife ihre Erklärungen ab:
1. Die Mebgerzunft erflärt durch die 2 Zunftmeiſter Phi:
lipp Frauenpreiß und Chriftian Trauz, daß fie einhellig und ein:
ftimmig der Meinung feien, bei ihrer evangelifhen Religion zu leben,
und zu Sterben; zur Fatholifchen Kirche zu gehen, wollen fie fid im
Geringſten nit verftehen. — 2. Die Bäder erflären durch Hs. Ja.
Blauß, Junftmeifter, daß fie ftandhaft bei der Neligion, in der fie
geboren und erzogen, verbleiben und nicht in die Fatholiiche Neligion
fi) zwingen laſſen wollen. Ehe fie fich aber zwingen laſſen wollten,
wollten fie cher die Stadt meiden. Im Uebrigen winden fie dem
Kurfürften wie bisher gehorfam fein. — 3. Die Rothgerber.
1) Da die Zahl der Raths- und Gerichtsberen, welche bier abgeftimmt
haben, nur 22 ftatt 24 beträgt, fo Icheinen damals die Kollegien in Folge von
Todesfällen oder freiwilligen Rüdtritts nicht vollftändig geweſen zu ſein.
+
498 Vierzehntes Kapitel. Pforzhein im breißigjährigen Krieg.
Zunftmeifter Hans Ulrich Kercher: Geftern Abends hätten die Meifter
über de8 H. Untervogts Begehren einhellig erklärt, von ihrer wahren,
alleinfeligmachenden evangeliichen Religion werden fie fich nicht abwen-
den, noc in die Fatholifche Kirche fich zwingen laſſen; in allen welt:
lihen Sachen aber wollen fie Ihrer Kurfürſtlichen Durchlaucht treu
und hold fein, wie bis dato, — 4. Die Schuhmacher. Zunftmei—
fter Albrecht Werber: Die ganze Zunft habe fich vefelvirt auf gleiche
Weiſe. Cher wollten fie mit Weib und Kind die Stadt quittiren. —
5. Krämer und Wirthe. Daniel Meeber, AZunftmeifter: Er
habe die ganze Zunft in der Krone beifammen gehabt und ihre ein:
heilige Meinung vernommen, daß fie bei ihrer Neligion Teben und fter:
ben wollten, nicht in die katholische Kirche ſich zwingen laſſen, eher fich
an andere Orte begeben und lieber VBeruft an Hab und Güterw
als an der Seele leiden. — 6. Seidenweber. Hans Uri Roth,
Zunftmeifter: Er habe der ganzen Zunft H. Untervogts Begehren vor:
gehalten und fie erklärten fid) einhellig, unferm gnädigſten Kurfürften
in allen leiblichen Sachen getreu und gehorfam zu fein, wie es Unter:
thanen wohl anftehe; aber in diefer Gewiſſensſach erklären fie ſich rund,
eher als fie fich in die katholiſche Kirche zwingen laſſen, Tieber Alles
zu Jeiden, was Gott um feiner Ehr und Lehr willen ihnen zu leiden
zuſchicken werde. — 7. Tucher. Joſeph Sold, der Zunftmeifter er-
Hirt, daß er die Zunft nit beifammen haben Fönne, weil 4 Meifter
nit bier; der Gegenmwärtigen Meinung aber fei, fi zur Befuhung des
katholiſchen Gottesdienftes nit zwingen zu laſſen; fie leben der Hoffnung,
Ihre Kurfürftlihe Durchlaucht werde fie bei ihrer Religion erhalten,
wie man ihnen bei der Huldigung verſprochen. — 8. Weißgerber.
Hang Michel Feldner gibt der Zunft einhellige Meinung damit, daß
fie eher mit Meib und Kind die Stadt meiden, als von der evange-
Yifchen Religion fic, abwenden würden. In weltlichen Dingen dagegen
wollten fie dem Kurfürften getreu fein. (Diefen Zuſatz machen über:
haupt die Zünfte faft alle) 9. Schloſſer. Andreas Fur (Fuchs)
Zunftmeifter: Die Zunft habe fih rund vefolvirt, bei ihrer evangeli—
ihen Religion ftandhaft zu verbleiben, eher die Stadt mit Weib und
Kind zu verlafen, als ſich zur Fatholifchen Neligion und Kirche zwin—
gen zu laſſen. — 10. Schmiede und Wagner. Jakob Bartholdt,
Zunftmeifter: Sie wollen fih nicht im Geringjten zum Fatholifchen
Kirchengehen verftehen, fondern bei ihrer Religion beftindig verbleiben. —
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjähtigen Krieg. 429
11. Seiler. Sind anfangs nit erfchienen, haben ſich aber hernach durch
Chriſtoph Hertenftein erklärt, bei der evangelifchen wahren Neligion
zu leben und zu flerben und werden fi niemals in die Fatholiiche Kirche
zwingen laſſen — 12. Hafner. Hans Jakob Hauß, der Zunftmeis
fter, hat von der Zunft Befehl befommen, zu antworten, daß fie ein:
helliger Meinung feien, bei ihrer angeborenen evangelifchen Religion
ftandhaft zu verbleiben und ſich nicht im Geringften zur Fatholifchen
Kirche noch Neligion zwingen zu laſſen gedenfen. — 13, SKüfer.
Georg Erbach, Zunftmeifter: Sie verftehen fih nicht im Geringften
zur katholiſchen Religion noch Bejuchung dergleihen Kirche, — 14.
Hutmader und Dreher. Hans Joachim Kiefer, Zunftmeifter:
desgleichen. — 15, Schneider, Peter Gerner, Zunftmeifter: Lies
ber die Stadt meiden ꝛc. — 15. Leineweber. Oswald Knopp,
Zunftmeifter: Die ganze Zunft habe ſich rund erklärt, fich eher thür—
men und blöden zu laſſen, als die katholiſche Kirche zu befuchen, oder
derfelben Religion ſich theilbaftig zu machen. Sie wollten ftandhaft bei
ihrer evangelifchen Neligion, in der fie geboren und erzogen, verbleiben.
— 17. Sattler. Georg Reiß, Zunftmeifter: Wollen eher die
Stadt quittiren. — 18. Goldihmiede und Ölafer. Jakob Sa—
lomon, Zunftmeifter: Wollen mit der Fatholifchen Neligion oder Be—
fuchung derfelben Kirche nichts zu thun haben, ſondern bei ihrer evanz
geliihen Religion verbleiben 0. — 19, Flözer. Hans Michel Ger:
wig, ZJunftmeifter: Die ganze Zunft jei „geftert obeds uf der Zunft
ftub beifamme gwest,“ und habe fich erklärt, Ihro Kurfürftlicher Durch—
laucht in leiblichen Sachen getreu und gehorjfam zu fein; aber in diefer
Gewiſſensſach erklären fie fih rund, bei ihrer evangelifchen Neligion
jtandhaft zu verbleiben und wollen ſich zur Fatholifhen Kirchenbefuhung
im Geringſten nit verftehen, vielweniger ſich derſelbigen Religion theil-
baftig machen. 20, Zimmerleute und Maurer. Hang
Georg Rehling, Zunftmeifter: Sie wollten bei ihrer evangelifchen
Religion leben und fterben. — Die Altftädter erklären ſich durch
den DViertmeifter, welcher die ganze Bürgerfchaft in der Altenftadt beis
1) Es fehlen bier die bei andern Gelegenheiten noch mitangeführten Zünfte
ber Schreiner und der Kürſchner. Da indeh immer von 24 Zünften bie
Rede ift, fo find wohl zu diefen 22 noch die auch oft als zünftig genannten
Waffenihmiede zu zählen, Vielleicht wurden aud die Aliſtädter noch da—
zu gerechnet, um die Zahl 24 voll zu machen.
430 Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
fanımen gehabt, rund dahin, daß fie lieber die Stadt und Alles ver-
laſſen, als begehrtermaßen die katholiſche Kirche befuchen, viel weniger
jelbige Religion annehmen.
Da fich alfo Feine einzige Zunft, jo wenig als Gericht und Rath
durch Drohung des neuen Neligionsmandats einſchüchtern ließ, fo ergoß
fi) der Zorn des Beamten unverweilt in einer verichärften Publikation.
Hundert Neichsthaler Strafe kündigte er gleih am folgenden Tag den
tvoß ihrer Verwarnung noch fo unbeugfamen Bürgern an, wen Einer
am nächſten Sonntag in der Fatholifchen Predigt und Meſſe ſich nicht
einfinde; ja ev werde diefe Strafe gegen Widerfpenftige nicht nur „dup—
liven und alfo fortan felbige vermehren“, jondern auch noch mehr Kriegs:
völker in die Stadt zu bringen wilfen.
Wiederholt wandte fih nunmehr der Stadtrath an die Regierung
zu Heidelberg, um diefelbe zu mildern Maßregeln zu bewegen. Am
27T. Mai (6. Juni) ftellte er ihr vor: Von der Pforzheimer Bürger:
haft, welche 1635 bei der Huldigung aus 800 (?) Köpfen bejtanden habe,
feien in diefen achthalb Jahren unter baierifcher Landeshoheit mehr als
die Hälfte durdy Hunger und fonft elendiglid) ums Leben gefommen, die
Amtsorte an Hab und Gut faft zu Grund gegangen. Noch neulich
habe an Lothringifchen Völkern ein ganzes Negiment zu Pferd und ein
gleiches zu Ruß, nachgebends Herr Obriſt Juvercourt mit 8 Kompag-
nien 14 ganze Wochen lang der Stadt auf dem Hals gelegen und
über 44,000 Gulden gefofte. Sogar unter den faft wermöglichften
Bürgern habe Mancher bis zur nächſten Ernte fein Stüd Brod mehr
zu genießen, Selbſt die hochlöbliche baieriſche Generalität trage jet
mit Pforzheim theils wegen der erjchredlichen Einquartirungslaſt, theils
wegen der gejchwinden Neligionsprozedur ein großes Mitleid, und finde
fo wenig, als andere hohe und niedere Offiziere, einen Gefallen daran,
jondern halte dafür, daß derjenige, fo dem Kurfürſten in jeßiger Zeit
zu ſolchen Neligionsjchritten vathe, groß Unrecht thue, Nirgends fei
wohl bei diefem allgemeinen Jammer dergleichen gegen Chriften jo jchnell
vorgenommen worden. Möge alfo die hohe Negierung auf Bitten hören,
dem Unterwogt bis auf zu boffende Furfürftliche Nefohution fein Strafen
und Droben einftellen, den unlautern Berichten diefes Mannes nimmer
jo leicht Glauben ſchenken, jedes Mal auch die Verantwortung der bes
drängten Bürger vernehmen, einftweilen aber den letztern die entzogene
Bierschntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen rien. 431
Uebung ihrer Neligion, gemäß dem bei der Huldigung gethanen Ver:
iprechen, wieder geftatten.
Die zwei Abgeordneten, welche diefes Schreiben nad) Heidelberg
überbrachten, nämlich der Bürgermeifter Weeber und der Apothefer
Bartbold, erbichten dafelbft wenigftens die VBertröftung, daß man über
das voreilige und indiskrete Strafverfahren des Untervogts ſehr unge—
halten ſei und auf nachdrückliche Weiſe dafür ſorgen werde, daß er eg.
einftelle. Natürlich machten die beiden Abgeordneten bei ihrer Rückkehr
feinen Hehl aus diefem Beſcheid, und man erzählte ſich fogar in Pforz—
beim mit Rreuden, daß der Untervogt einen jcharfen Verweis bekom—
men habe und mit Entfernung von feinem Amte bedroht worden fei.
Diefer fuhr jedoch fort, den ihm wohlbefannten Abjichten dev Ne:
gierung durch ſtrenge Maßregeln jeder Art mit Eifer nachzukommen.
So wurde unter Anderem and der Pfarrer von Göbrichen, einer da—
mals zum badischen Amt Stein gehörigen Ortichaft, deſſen Familie in der
Stadt Piorzheim Sicherheit gefucht hatte, auf Befehl des Untervogts durd)
den Amtsknecht aus der Stadt gewiefen, als er einft die Seinigen wie:
der bejuchen wollte. Sein gnädigſter Kurfürſt, jo ließ ihm der Unter:
vogt bedeuten, dulde Teinen lutheriſchen Prädifanten mehr auf feinem
Boden.
Am meiften Aerger aber bereitete dem Boat das Benehmen der
Pforzheimer. Nicht nur befuchten fie den Katholischen Gottesdienft in
der Stadt nicht, ſondern fie zogen im Gegentheil in Menge zum Got:
tesdienft in die benachbarten evangelifchen Ortjchaften, namentlich in die
wirttembergiichen hinaus. Auch die Neugeborenen wurden zur Taufe
dahin getragen, und die Zradition erzählt, daß die Noth dazu allerlei
Mittel erfunden habe. Um die aufgeftellten Wachen zu täujchen, zog
oft der Vater fein ſchmutzigſtes Werktagskleid an, packte den Täufling
in einen Rückkorb, füllte den oberen Theil desielben mit einer Lage
Stroh oder felbft Dung aus und trug fo das Kind hinaus zur luthe—
tiihen Taufe. Die Namen der Väter mancher auf dieſe Art getauften
Kinder find noch bekannt. 1) Es waren folgende:
) Als nämlich dev Spezial Wibel aus dem Exil zurüdfehrte, trug er die
während feiner Abweienbeit vorgenommenen Taufen in das Kirchenbuch nach—
träglih mit der Bemerfung ein: „Folgende Kinder jeindt innwehrendem ohn—
verihufdten Exilio Ministerii Phorcensis in vieinis Pagis Würtemb, getauft
worden.” Berge. Kivchenbuh von 1607—1646, ©, 369,
432 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breigigjährigen Krieg.
T. Juni ein Kind des Glaſers Otto Beh, getauft in Birkenfeld.
7. nn u Tlögers Joh. Georg Kienlin, getauft bafelbft.
8 v» # nn Fürbers Joh. Ulrich Roth, getauft in Neuen:
bürg (wo der vertriebene Diakonus Säuterlin
Bathe war.)
11. 7 on mn Junkers Heinrich Storfhedel und feiner
Frau Ama, geb. Leutrum, getauft in aedi-
bus Phorcensibus (d. 5. in ihrem Haus zu
Pforzheim.)
WB. , nn Emft Friedrich Niepurg, (aud Haustaufe),
wobei der baierifche Generalquartirmeifter Holz
und eine adelige Dame aus Baden Pathen
waren.
MH 4» nn Tlözers Bechthold Geiger, getauft in Würm.
2. u» Leinewebers Joh. Georg Gintersdorfer,
getauft in Birkenfeld.
1. Juli 4» 9 Leinewebers Joh. Soldidh, get. in Würm.
(Unter den Pathen ift der Amtskeller Kafpar
Maler.)
1. 4» un» Schneiders Joſeph Eichlin (Euchele), getauft
in Würm. (Unter den Pathen ift auch der
unter Georg von Steinfeld mit Gemahlin.)
%. "Ho Hu Mebgers Jerg Brenner, getauft zu Würm.
10. 4» Kuuappen Hans Georg Knobloch, getauft zu
Würm. (Unter den Pathen ift wieder Georg
von Gteinfels.) 1)
12. HH m Sattlers Mart. Simmerer, getauft zu Bir:
fenfeld. (Unter den Pathen ift Bürgermeifter
Georg Weeber.)
14. u» » nn Glafers Mathis Meerwein, get. zu Defchel:
Ä bronn.
1) Die Familie Männlin von Steinfels ſchloß fi mit ächtadelichem
Sinne an die Bürger, unter welchen ſie Schutz und Wohnung gefunden, in
Freud und Leid an und machte mehrere dieſer gefahrvollen Taufgänge mit.
Gleiches thaten, außer den oben ſchon Angeführten, die Bürger Bud, Herter,
Trauz, Kiefer, Deſchler, Faßnacht, Fiſch, Kern, Aberlin, Scherle, Abrecht, Beckh
u. A. Ehre ihren Namen!
Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im dreißigjährigen Krieg. 433
16. Juli ein Kind des Kühhirten Thomas Werner, get. zu Würm.
(Pathe iſt Joh. Kaſp. Aberlin.)
Dieſen Kirchenbuchseinträgen folgt die kurze Bemerkung: Folgende
Perſonen haben ihre Kinder in der Dominikanerkirche (alſo nach
katholiſchem Ritus) taufen laſſen nulla urgente necessitate, d. h. aus
keiner zwingenden Nothwendigkeit: Hans Beckh, der Bürgermeiſter, —
Peter Gintersdorffer, ein Hausmetzger, — Suſanna Kercherin,
welche zu früh niedergekommen, — Ruprecht Lotthammer aus der
Altenftadt, 1)
Um den Beſuch des evangelifchen Gottesdienstes in den umliegen:
den Tutherifchen Orten und zugleich aud die Taufgänge, die er bis jet
troß feiner Gewaltmaßregeln nicht hatte verhindern können, auf andere
Weiſe zu hintertreiben, jchrieb der Unterwogt am 10. (20.) Juni an
die württembergifche Yandvogtei Neuenbürg: Da feine Amtsuntergebenen,
zu nicht geringem Dejpeft gegen des Kurfürften Durdlaudt, in den
württembergiichen Orten Birkenfeld und Gräfenhaufen, ſowie zu Neuen—
bürg felbft, ihren Gottesdienft fuchten und ihre Kinder taufen ließen, To
jolle der Landvogt dergleihen Neuerungen nicht dulden, vielmehr den
Geiftlichen befehlen, daß die „zu ihnen auslaufenden Gefellen“ an deren
ordentlihe Pfarrer zurüdgewiefen würden. Die Antwort des Land—
vogts lautete: Für folhe Fälle müßte das Pforzheimer Amt fih nicht
an ihn, der den Pfarrern nichts zu verbieten babe, fondern an das
Spezialat Wildbad oder an das Gonfiftorium zu Stuttgart wenden.
Das verjuchte aber der Untervogt entweder gar nicht, oder doch ohne
Erfolg. Dagegen erwirkte er fich in Heidelberg aufs Neue die Ermäch—
tigung, in Religionsſachen allerdings um Geld zu trafen, und fchrieb
unterm 7. (17.) Juli an Bürgermeifter und Rath zu Pforzheim: Die
Heidelberger Negierung trage großes Mißfallen ob dem öffentlichen und
freventlihen Hinausreiten und Nachlaufen des Stadtraths und der gane
zen Bürgerfchaft auf die württembergifchen und edelmännifchen Flecken
zum lutheriſchen Neligiongerereitium, und habe daher den in Abfchrift
beiliegenden Befehl anher gefendet. Er hoffe, die Herren werden fi
fünftig befier beobachten und nicht verurſachen, daß er die wirflichen
Beitrafungen an die Hand nehme, vielmehr nebft der Bürgerſchaft beim
katholiſchen Gottesdienft ſich einftellen. Gefchehe das nicht, fo fei er
1) Die Namen ber Kinder und ihrer Pathen fiehen nicht im Kirchenbuche.
Dflüger, Pforzheim. 283
434 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
von der hochlöblichen Regierung angeiiefen, über halsftarrige Uebertreter
je nad) ihrem Vermögen unnachfichtliche Geldftrafen zu verhängen. Dem
fügte der Unterwogt weiter bei, es fei ihm zu Obren gefommen, daß
der Bürgermeifter Weeber und der Apotheker nach ihrer Heidelberger
Reiſe ausgefagt hätten, es wäre dem Untervogt ein fo großer Filz
(Verweis) zugelommen und gefagt worden, wenn er mehr alſo proce:
dire, fo werde man ihn vom Dienfte „geheyen“ (werfen). Er Tege
deshalb eine Abichrift des Befehls der Heidelberger Negierung bei, da:
mit fie diefen nad ihrer Meinung erfolgten gräulichen Verweis felber
nachlefen Tönnten ꝛc.
Mittlerweile war der Stadt von dem oben fhon erwähnten Rechte:
gelehrten Kaufchelmann, der ihre Angelegenheiten in Frankfurt betrieb,
berichtet worden, daß dort ihr treues Fefthalten an dem evangelifchen
Glauben große Theilnahme finde; fie folle kein erlaubtes Mittel zu
ihrem Zwede verfäumen. Auch der kurſächſiſche Gefandte nehme fich
der bedrängten Pforzheimer lebhaft an, und fchon habe deflen Kurfürft
ein dringendes Interceffionsfchreiben nach München abgehen laſſen. Ein
ähnliches Schreiben der gefammten in Frankfurt verfammelten evangeli=
hen Abgeordneten wurde, fobald die Straßen zwiſchen Frankfurt und
Pforzheim wieder etwas ficherer vor den umberftreifenden Lothringern
waren, dem Stadtrath felber überliefert, welcher nun am 8. (18.) Juli
beichloß, fich zum dritten Mal perfönlih an den Kurfürften Marimilian
von Baiern zu menden.
Zu den Unfoften der neuen Deputatign fchoffen die Dorfgemeinden
der beiden Aemter Pforzheim und Graben abermals ihren Antheil bei.
Der vorhin erwähnte Mechtsgelehrte wurde beauftragt, die neue Bitt-
fehrift der Pforzheimer zu überreihen. In derfelben flehten fie den
Kurfürften, zu deffen Armada fie ihr ganzes Vermögen beigefteuert
hätten, aufs beweglichſte an, er wolle ihren fchwer geängftigten Ge:
wiffen den evangelifchen Gottesdient, der nun ſchon feit 16 Wochen ge:
fperrt fei, „um Gottes Barmberzigkeit willen” gnädigft wieder geftatten.
Tür den gebdeihlichen Erfolg diefer dritten Münchener Reife wurden
auch in allen denjenigen Kirchen des badischen Unterlandes, wo pro:
teſtantiſcher Kultus ftattfinden durfte, öffentliche Kirchengebete angeorbd-
net. — Doc die Hilfe fam nicht direft aus München, fondern aus
dem Elfaß, und zwar durch einen Württemberger, welcher die unfreis
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breifigjägrigen Krieg. 435
willige DBermittlung der Sefuiten und Kapuziner zu erwirken
verſtand.
Oberhalb Straßburg liegt das Städtchen Bennfelden, vom Biſchof
von Straßburg ſtark befeſtigt, damals aber im Beſitz der Schweden
und ein Hauptwaffenplatz ihres Heeres. Hier war Kommandant der
Freiherr Friedrich Moſer von Filſeck, bei Göppingen in Württem—
berg gebürtig. Dieſer durch ſeine Tapferkeit berühmte ſchwediſche Oberſt
drohte, daß er, wenn Baiern die Bitte der Pforzheimer nicht erfülle,
Repreſſalien gebrauchen und alle Kapuziner und Jeſuiten verjagen
werde, ſo weit ſeine Gewalt reiche. Dieſe, reichte aber unter Anderem
auch nach Molsheim, wo die Väter der Geſellſchaft Jeſu ein großes und
prachtvolles Kollegium beſaßen. Was alle Bitten und Verwendungen
nicht erwirkt hatten, das brachte dieſe Drohung, und zwar ſehr raſch,
zu Stande. Schon unterm 2. (12.) Auguſt 1643 eröffnete die Re—
gierung zu Heidelberg den Beamten- zu Pforzheim und Graben einen
9 Tage zuvor vom Kurfürften unterzeichneten Befehl, worin derfelbe
refolwirt hatte: Obwohl den Bewohnern der Stadt und des Amts Pforz:
beim und Graben, wie aus neuerdings eingeholten Berichten der Herren
von Ungelter und Pelckhofer hervorgebe, bei der Huldigung durdaus
fein freies Neligionserercitinm zugefügt worden fei, und er darum alle
Urfache hätte, e8 bei vorgenommener Abſchaffung der Prädifanten und
Einftellung des unfatholifchen Erercitii bewenden zu laffen, namentlich)
da ihnen als feinen verpflichteten Unterthanen keineswegs gebührt hätte,
über der Neichsfeinde wider die Faiferlichen Waffen erhaltene „Victori“
ein folches Frohloden anzuftimmen: fo wollen er ihnen dody auf ihr in-
ftändiges Bitten auf Fünftiges Wohlverhalten hin „die wohlverdiente
Straf Hiemit wieder indulgiren“, weife jedoch die Beamten an, „auf
die Actiones (Handlungen) ihrer Untergebenen ein fonderbares (befon-
deres) Aufmerken zu beftellen und, fo fie fich fürder ungebührlich ver:
halten, fogleich Bericht zu erftatten.“
Am 4. (14.) Auguft Schon kehrten die vertriebenen Geiftlichen nad)
Pforzheim zurüd. Die Freude, mit welcher fie von Seiten der Bürger,
der Verdruß, womit fie vom Untervogt empfangen wurden, läßt ſich
aus dem bisher Gefagten Teicht ermeffen. Ueber diefer Freude
vergaß aber auch der Stadtrath der Pflicht der Dankbarkeit gegen
diejenigen Fürſten nicht, welche fich ihrer Sache fo eifrig angenommen
hatten, und richtete deshalb unterm 10. (20.) Auguft we Danf:
436 Pierzehntes Kapitel, Pforzbeim im breigigjährigen Krieg.
fagungsichreiben an die evangelijchen Neichsftände in Frankfurt, an den
Kurfürften in Sachſen, den Landgrafen von Heffen und den Herzog von
Württemberg. „Wir können,” fo beißt es im erfigenannten Schreiben,
„mit dem königlichen Propheten ausrufen: Der Herr bat Großes an
ung gethan!“ — Mit befonderer Wärme dankten Bürgermeifter, Gericht
und Rath dem Herzog von Württemberg nicht nur für feine Verwen—
dung, fondern auch dafür, daß „Ihre Durchlaucht unfern Seelforgern,
nebit deren Weibern und Kindern im Herzogthum Schuß gewährt, und
ung, fowie der gefanmten Dürgerfchaft, das liebe Wort Gottes in dero
nächitgelegenen Ortichaften anzuhören, desgleichen die heiligen Saframente
zu gebrauchen, geitattet haben.” — Davon aber, daß der mit Mofer
von Filſeck fehr vertraute Herzog wahrfcheinlich die eigentlichite Veran—
lafjung zu der ihnen gewordenen Hilfe war, tft in dem Schreiben nicht
die Rede: mag es nun gefliffentlich unberührt geblieben und der münd—
lichen Dankfagung des Schriftüberbringers aufgetragen worden, oder
auch dem Stadtrath ſelbſt noch unbekannt geweſen fein.
Als jedoch der evangelifche Gottesdienft in der Stadtkirche wieder
beginnen follte, jo erhoben die Dominikaner Schwierigkeit und wollten
die Benütung der Kirche zu diefem Zweck nur unter der Bedingung
zugeben, daß ihnen dafür ein jährlicher Zins bezahlt und darüber ein
Revers ausgeftellt würde, daß die Stadt auf die Kirche Feinen Anſpruch
babe. Da vom Untervogt Feine Abhilfe zu erwarten war, jo wandte
fi die Stadt am 7. (17.) Auguft mit einer Beſchwerde an die Regie—
rung zu Heidelberg, worin fie fih auf das ſchon 1629 wegen Berthei:
lung der Kirche getroffene Abkommen berief und die Negierung erfuchte,
die Mönche zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Sollte das nicht gefchehen
oder nicht gelingen, fo bäte fie, weil die andern Kirchen für die große
Gemeinde zu Hein feien, für den evangeliichen Gottesdienft den Gebrauch
der Stiftskirche zu geftatten, die jet nicht benützt werde. Es fcheint
Letzteres gefchehen zu fein, da fich die Dominikaner bei ihrem Weg—
zug von Pforzheim 1649 noch im Befit der Schlüffel zur Stadtkirche
befanden. |
Alſo war den Pforzheimern, obgleich die Stadt no bis zum
Schluß des Krieges mit Mönchen bevölkert blieb, jebt wieder geftattet,
„ihres Glaubens zu leben.” Allein die folgenden Jahre follten neues
und ſchweres Unheil über Pforzheim bringen!
Bierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 437
$ 7. Sehte Jahre des Krieges.
(1643— 1648.)
Auf allen Seiten war man des langen verwüftenden Krieges über:
drüffig geworden und fehnte fih nad Frieden. Es wurden deshalb
bereits im Jahr 1643 Unterhandlungen begonnen. Leider follten die-
felben erft nad fünf traurigen Jahren, die über manche Theile Deutſch—
lands, fo auch über die Stadt Pforzheim, neuen Jammer brachten, zum
Abſchluß gelangen,
Längft hatte der Krieg feinen Charakter als Neligionskrieg verloren,
namentlich feitdem auch Frankreich (1635) an demfelben theilnahm. Er
war mehr ein politifcher Kampf um das Mein und Dein, das Mehr oder
Weniger auf Deutjchlands Koften geworden. Der tapfere Bernhard
von Weimar führte feine treffliche Armee unter der Hoheit Frankreichs,
und als der Held 1639 geſtorben war, wußte ſich dieſe Macht ſchnell
in den Beſitz jenes Heeres zu ſetzen und mit Hilfe desſelben die Ueber—
legenheit im Felde zu erlangen. Wir ſehen deshalb auch dieſes fran—
zöſiſch-ſchwediſche Heer in den letzten Jahren des Krieges meiſt mit
Glück gegen die öſterreichiſch-baieriſchen Truppen kämpfen.
Noch bis zum Auguſt 1644 finden wir eine baieriſche Beſatzung
in Pforzheim, und zwar Truppen vom Gailing'ſchen, Lapier'ſchen,
Kolb'ſchen und Spork'ſchen Regimente. Im Auguſt 1644 erſchien jedoch
ein ſchwediſch-franzöſiſches Heer unter der Anführung des Herzogs von
Enghien vor Pforzheim, nahm die Stadt durch Sturm ein und
vertrieb die baieriſchen Truppen ſammt den Kapuzinern aus derfelben. 1)
Der Kommandant des jeht in Pforzheim verbleibenden ſchwediſchen
Neiterregimentes war der Oberſt Reinhold von Nofa. Um die Geift-
lichen und Lehrer der Stadt für die früher erlittenen Bedrängniffe zu
entfhädigen und ihnen einen Beweis feiner freundfchaftlichen Gefinnung
zu geben, wies er ihnen ein Quantum Früchte und Wein als Geſchenk
zu.2) Im November treffen wir diefen Mofa nicht mehr hier; am fei:
) Theatr, Europ. I, p. 720 u. 21.
2) Diefe Naturalien verlangte jedoh am 9. Nov. desfelben Jahres der
Amtskeller von den Betreffenden wieder zurüd. Der Spezial Wibel ſchrieb
deshalb am VBürgermeifter und Nath, daß die wenigften Bürger bie Früchte und
den Wein geliefert, das was die Geiftlichen und Lehrer jedoch erhalten hätten,
438 Vierzebntes Kapitel, Pforzheim im dreißigjährigen Krieg.
ner Stelle wird ein Hauptmann von Erlisheim angeführt, nebjt einem
Nittmeifter Leylin und einem Major Hellfeld. Dasfelbe Negiment war
jedoch nod) bis April 1645 hier, und kommen in diefer Zeit noch ein Oberft
Kafpar Shod (S. 404) und ein Nittmeifter Job. Bull vor. Indeſſen
hatten aber die Baierifhen Succurs erhalten durch den Erzherzog Leo:
pold von Defterreich, und dadurch gelang es ihnen, den General Turenne,
der fich vorher mit dem Herzog von Enghien vereinigt hatte, wieder
zurüdzutreiben. Unter Johann von Werth nahmen hierauf die baie-
riſchen Truppen alle von den Schweden und Franzofen bisher befeßten
Städte wieder weg, fo au im DOftober 1645 Pforzheim. Sobann
von Mertb nahm felber in der Stadt Quartier (er logirte bei Kronen—
wirth Schnellin), und die Gemeinde Dietlingen follte die Koften für
denjelben beftreiten helfen, 1) obgleich fie felber nicht weniger als 300
Merthifche Neiter insg Quartier bekam. Nicht nur ſchrieb Werth ftarke
Kriegskontributionen aus, fondern Pforzheim mußte auch noch in anderer
Meife den Zorn des Giegers empfinden. Die Stadt wurde vor dem
Abzuge der Baiern angezündet und ein großer Theil derfelben brannte
ab, nämlich die Au, die Brötzinger Vorftadt (hier unter Anderm auch
die Herberge zum Trappen), die Altftadt, die Altftädter Straße, die
große Gerbergaffe, das Kaltenthal’ihe Haus (am Schloßberg) die Bru—
dergafie 2.2) Iſt alfo noch Etwas von der Stadt ftehen geblieben, fo
können dies nur die Brößinger Gaffe, der Markt, einige Häufer unter:
halb des Schulplates und die Schloßgebäude gewefen fein. Im folgen:
den Jahre (1646) wurde die Stadt wieder von den Schweden, und
zwar dem Schoch'ſchen Regiment, befekt.
Endlich im Jahr 16483) wurden die in den Städten Münfter
ihnen an ihrem Guthaben bei der Stadt abgezogen werden fünne. Der Rath
verlangte genaue Spezifikation, was die Geiftlihen befommen hätten und wie
viel fie zu reftituiren im. Stande wären,
1) Piorzheimer Ratbsprotofoll vom 2. Dez. 1662. Nach bemfelben
Hagt Profurator Dages namens ber Schnellin’fhen Kinder auf Schadenerfag
im Betrag von 106 fl. 36 fr. gegen die Gemeinde Dietlingen, welche aber durch
Profurator Zidwolf erklärt, daß fie felbft durch die Werthifchen einen Schaden
von 3000 fl. gehabt.
2) Nah) ben Rathsprotofollen von 1662— 1667.
) In weldem aud württembergifhe Unterthanen zu Pforzheim gefangen
lagen. Klunzinger, Geh, von Maulbronn, ©. 81 der Regeflen.
Vierzehnies Kapitel, Pforzheim im dreißigjägrigen Krieg. 439
und Osnabrück verfammelten Friedensgefandten mit ihren langwierigen
und mühſamen Unterhandlungen fertig, fo daß der Friedensſchluß am
24. Oktober erfolgen konnte. Es ift hier der Ort nicht, auf die Be
ftimmungen degfelben, fo weit fie Deutfchland überhaupt betrafen, aus:
führlich einzugehen. Es genüge deshalb die Bemerfung, daß einige wich—
tige Theile vom deutſchen Reichskörper losgeriſſen wurden und Deutſch—
land überhaupt auf Koften der Franzoſen und Schweden dabei am
ſchlechteſten wegtam. Der Markgraf Friedrich V. von Baden-Durlach,
der bisher theils in Straßburg, theils in Baſel in der Verbannung ges
Iebt hatte, erhielt fein Land zurücd und wurde von allen Verpflichtungen
von Erfageldern an Baden-Baden (S. 398) entbunden. Hinfichtlich
ber Kirhhlichen Angelegenheiten wurde im weftphälifchen Frieden feftgefebt,
daß fie in den Stand gebracht werden follten, den fie am 1. Januar
1624 gehabt; nur für die vorher jchen übermältigten Länder, alfo aud)
für Baden: Durlad), wurde das Jahr 1618 als Normaljahr angenom:
men. Nah Maafgabe dieſes Befikitandes follten Katholiken und
Broteftanten freie Religionsübung genießen; Beiden, fowie den Refor—
mirten, folle Gleichheit auch der bürgerlichen und politifchen echte
zufommen.
Bei der umendlichen, mitunter ins Kleinlichſte gehenden Genauigkeit
der Friebensartikel ift 8 nicht zu verwundern, wenn diefelben — natür:
lich unter Jugrundlegung der allgemeinen Normen — auch einige Be—
ftimmungen über Pforzheim enthielten. So wurde u. W. darin
feftgefeßt, daß die Aemter Pforzheim und Graben von der Pfalz wieder
an Baden zurüdgegeben und die Dominikaner und Franzisfaner in
Pforzheim abgefchafft werden follten, weil fie 1618 dafelbft nicht be-
ftanden hätten, Waren die nach ihrer 1644 gefchehenen Vertreibung
durch die Schweden wieder zurüdgefehrten Kapuziner ſchon 1647 von
Pforzheim abgezogen, fo wurde nun auch den übrigen Mönchen durch
einen fürftlichen Befehl (d. d. Bafel, 9. Februar 1649) ) aufgegeben,
ihre Klöfter zu räumen und die Stadt zu verlaffen. Die Franziskaner
baten noch um einige Tage Frift, um ihre Angelegenheiten zu ordnen,
und zogen fodann am 20, März von Pforzheim ab, nachdem fie die
Schlüffel zur Kirche und zum Kloſter an das Oberamt überliefert.
1) Schreiben des Oberamts an ben Fürften (ohne Datum und Unter:
ſchrift).
440 Bierzehnted Kapitel. Piorzheim im dreißigjährigen Krieg.
(Obervogt war damals Engelhard Göler von Ravensburg.) Die Do:
minifaner machten indeß Schwierigkeiten, wollten noch bis nad den
Dfterfeiertagen im Kloſter bleiden, und als dies nicht geftattet wurde,
fo zogen fie zwar aus dem Klofter weg, hielten fich jedoch noch über
die Ofterzeit im Haufe der Wittwe des Freiheren von Ow, einer geb,
Gerlach auf, und zogen alsdann nach Philippsburg, begleitet von der
Frau des gewefenen Kommandanten de la Noue, nachdem fie ihre
Klofterichlüffel nicht an das Dberamt, fondern an den erften ewangelifchen
Stadtgeiftlichen, den Spezial Johann Burkard Erad, abgeliefert hatten.
„Ufo iſt,“ ſo heißt es in dem erwähnten Schreiben des Oberamts an
den Markgrafen, „die Poſſeſſion der zwei Klöfter wie auch des Stifte
zu St. Michael Gottlob völlig eingenemmen. und bereits in allen drei
reftituirten Kirchen das Erereitium (d. 5. dev erſte enangelifche Gottes:
dienst) öffentlich, und in großer Frequenz gehalten worden.“
Aber melden Anblid gewährte Deutjchland und befonders unfer
Vaterland nach Beendigung des unheilvollen Krieges! Es ift oben
ſchon angegeben worden, weld) entfetzliches Bild grauenvoller Verwüſtung
ſich dem Auge ſchon nach Umfluß der erſten Hälfte des Krieges bot.
Es trug nach gänzlicher Beendigung desſelben noch ſchwärzere
Farben. Die Hälfte, ja in manchen Städten und Ländern zwei Drittel
ber Bewohner hatte der Krieg hinweggerafft. Die fruchtbarften Meder
waren mit Dorngeftrüppe überwachen, und Hunderte von Dörfern Tagen
in Trümmern. Die von Krieg, Hunger und Peſt Verſchonten Hatten
theifweife alle Arbeit verlernt; wer im Krieg gemeien, verachtete das
ehrlihe Handwerkszeug und den Pflug; ganz Deutfchland mimmelte
von Gaunern und Strolchen, welche bettelten, plünderten oder das Haus
über dem Kopfe des Befiters anftedten. Die Eittlichfeit war tief ge-
funten, Handel und Verkehr lagen darnieder, Kirchen und Schulen waren
verödet. Deutfchland, bis im feine verborgenften Winkel mit Blut ge:
tränft und mit Trümmern erfüllt, war nahe daran, in völlige Barbarei
zurücdzufinfen oder eine große Wüfte zu werden! Noch jetzt find die
Spuren des dreifigjährigen Krieges nicht überall verwifcht.
Auch in Pforzheim hat diefer Krieg bittere Nachwehen zurüd-
gelafjen. Ein großer Theil der Stadt war durch Brand zerftört, und
die Bewohner waren viel zu arm, um ihre Wohnungen aus dem Schutt
neu erjtehen zu laſſen. Noch in den Jahren 1660 — 66 fanden fidh
allentdalben in der Stadt öde Pläte, fo daß fogar am 17. April 1667
Bierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen Krieg. 441
deshalb ein fürftlicher Befehl erfchien, welcher dahin Tautete, daß die
baufälligen Häufer von den Eigenthümern reparirt und auf die öden
Plätze wieder gebaut, oder aber deren Verkauf angeordnet und der Er:
188 alsdann dem Eigenthümer zugeftellt werden follte. 1) Aller Wohl:
ftand in der Stadt war vernichtet, die Bevölkerung außerordentlich ver:
mindert, der Handel, der früher im nicht geringer Ausdehnung nad)
Frankfurt, Sachſen, Württemberg, Schweiz und Italien betrieben
worden war, hatte gänzlich aufgehört. Und als endlich die Wunden,
die der Krieg gefchlagen, wieder zu heilen begannen, als die Bürger ſich
wiederum zu erholen anfingen: da zerftörte nach Faum 40 Jahren ber
eben fo fehrekliche, ja zum Theil noch verheerendere orleans'ſche Krieg
Alles wieder !
Anbang.
Kindestreue)
Pon Eduard Brauer.
Schwer lag des Krieges Eiſenhand
Auf Deutihlands wundem Haupte ;
Durh Trübfal, Pet und Hunger ſchwand,
Mas Feindesichwert nicht raubte.
Die Filrften lebten herzentzweit
An blut'ger Glaubensfehde,
Und weidlich nützten ihren Streit
Der Franzmann und der Schwede.
Gen Pforzheim auch wälzt unheilſchwer
Die Heerflut ihre Wogen,
Wie Windsbraut kommt des Kaiſers Heer
Siegbrauſend hergezogen.
Hilf Gott! Verlaſſen und allein
Steh'n Pforzheims wack're Bürger,
1) Rathsprotokoll vom 9. Sept. 1667,
2) Bergl, ©. 405.
442 Vierzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
Rings flieht das Volk bergauf, walbein,
Gnteilend feinem Würger.
Berzweifle, wer nicht laufen kann,
Der Lahme jammt dem Blinden!
. Kein Roß, fein Fuhrmann, fein Geſpann
Iſt meilenweit zu finden.
Ein Lichtes Vorbild wird erſchaut
An diefen dunklen Tagen ;
Ein Mann, in edlem Stand ergraut,
Zieht einen Bauerwagen.
Bon Weib und Kindern, groß und Hein,
Wird hilfreich er begleitet,
Hoch oben figt Großmütterlein,
Auf Deden weich geipreitet.
Sp ziehen fie voll Freubdigfeit
Wohl mande ſchwere Meile,
Der Weg ift ſchlimm, die Reif’ ift weit,
Nah Landbau geht's in Eile.
Die ehr auch Drangſal, Hohn und Spott
Sie plagt auf allen Pfaden,
Fort geht's in immer luſt'gem Trott,
Bis zu der Queich Geſtaden.
Sie fpüren nicht der Sonne Glut
Auf ſchattenloſer Haide,
Des Regens Grimm, des Donners Wuth
Thut ihnen nichts zu Leibe,
Der Schwarm der Söldner ſchreckt fie nicht,
Bor dem der Landmann ſchauert,
Des Räubers Blick entdedt fie nicht,
Der tief im Walde lauert,
Ein Bote Gottes, hold und zart,
Schwebt ſchützend über ihnen.
Beglüdt, wen auf ber Lebensfahrt
Der Engel ift erichienen !
Ein Lamm an Güt’, an Muth ein Leu’,
Befiegt er die Gefahren,
Das ift der Enkel Kindestreu,
Er wird die Scinen wahren,
Vierzehntes Kapitel, Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
Ein Stündlein noh — jetzt ruh'n fie aus
An Landau’s feſtem Walle,
Dort in bes biedern Freundes Haus
Eind fie geborgen Alle,
Und freuen ſich der Pilgerfchaft,
Und danken dem im Frieden,
Der ihrer Liebe Muth und Kraft
Und Rettung bat befchieben,
Biel Jahre ſchwanden, nicht verblid
Des wadern Mannes Name;
Amtskeler Maler nannt' er ſich,
Noch blüht fein Stamm’ und Same,
In prächt'ger Kutiche wohl ftolzirt
Mandy’ herzensarmer Prahler;
Den nenn’ ich reich, der fo kutſchirt,
Wie einft die alte Maler.
443
Sünfscehntes Bapitel.
Pforzheim in der Zeit vom weftphälifchen Frieden bis zum
orleans’fchen Krieg. ')
(1648 — 1688.)
$1. Allgemeines.
Markgraf Friedrich V. war nad der Rückkehr in fein Land
ernftlich bemüht, die Wunden, welche der Krieg gefchlagen hatte, wie—
der zu heilen. Auch dem Kirchen: und Schulweſen widmete er befon-
dere Anfmerkfamfeit. Seine Frömmigkeit, deren Ausflug eine große
Abneigung gegen Pracht und Verſchwendung und Liebe zur Einfachheit
war, balf ihm aud die Stürme einer fo unbeilvollen ‘Periode, wie der
dreißigjährige Krieg war, mit Standhaftigfeit ertragen. Er überlebte
denfelben um 14 Jahre, indem er 1659 in der Karlsburg zu Durlach
ftarb. Sein Leichnam wurde in der fürftlichen Gruft zu Pforzheim
beigefeßt; dort ruhen auch zwei von feinen fünf Gemahlinnen, nämlich
die 1627 geftorbene Barbara von Württemberg, auf welche eine Grab:
fchrift auf dem Boden des Chores der Schloßkirche Tautet, und die 1633
mit Tod abgegangene Eleonora von Solms, deren ebenfalls ein Grabitein
gedentt. Die drei andern Gemahlinnen des Markgrafen liegen in Bafel
und Sulzburg begraben. In Pforzheim dagegen wurde auch der zweite
Sohn Friedrihs V., Karl Magnus, beigefeht, der im fchwedifchen Heer
unter Baner, ZTorftenfon und Wrangel mit Auszeichnung gedient hatte
und 1658, alfo noch vor feinem Water, ftarb.
Auf Friedrih V, folgte von 1659 bis 1677 fein ältefter Sohn
Friedrich VI Auch diefer Fürſt hatte im dreißigjährigen Krieg das |
Waffenhandwerk erlernt; duch fand er größere Freude an den Künften
des Friedens. Reich an Wiſſen, an tiefes Nachdenken gewöhnt und im
1) Hauptquellen: NRathsprotofolle, Bürgermeifterrechnungen, Kontrak—
tenbücher, Kirchenbücher, Zunftrechnungen ꝛc.
Flinfzehntes Kapitel. Pforzheim von 16481688. 445
Beſitz der mandhfaltigften Erfahrungen, hochſinnig und milde, war
Friedrich VI. ehrfurchtgebietend auch in der äußern Erfcheinung. Seine
Regierung erwies fich als eine wohlthätige nnd glückliche Im Umgang
mit Büchern und Gelehrten fand er Erholung und Genuß. Für feinen
Baufinn war reicher Stoff vorhanden; denn Vieles, was der Krieg zer-
ftört hatte, war noch nicht wieder aufgebaut. Namentlich aber ließ ev feine
Schlöfjer im Lande, darunter aud das zu Pforzheim, neu berftellen
zur Sicherheit der Bewohner von Stadt und Land in Kriegsgefahr.
Im holländiſchen Krieg, von dem unten Weiteres erzählt werden wird,
zum Oberfeldherrn des Neihs ernannt, nahm er 1676 Philippsburg
ein, ftarb aber fchon im folgenden Jahr in Durlady und wurde in der
fürftlichen Gruft zu Pforzheim beigefeßt. An feiner Seite ruht auch
feine 1662 geftorbene Gemahlin Ghriftine Magdalene v. Zweibrüden,
Außer feinem Thronnachfolger, Friedrih Magnus, hinterließ Friedrich VI.
noch einen jüngern Sohn, Karl Guftav, der dem Kriegsdienſt ſich wid:
mete, zuerft unter den ſchwediſchen Fahnen, dann als Feldherr der
ſchwäbiſchen Kreistruppen in Ungarn und am Rhein mit Auszeihnung
focht und nad) feinem 1703 in Pforzheim erfolgten Tode ebenfalls
in der dortigen Gruft feine letzte Nuheftätte fand. 1) Das Gleiche war
der Fall mit einer Tochter Friedrichs VI., dev 1703 im hohen Alter
undermählt geftorbenen Katharina Barbara, diefer ſchönen, geiftreichen
und frommen Pflegerin der Kirche und der Armuth. Sie hatte die
Hand des Kaijers Leopold I. ausgefchlagen, weil fie in treuer Anhäng—
lichkeit an das augsburgifche Bekenntniß ficy zu dem bedungenen Ueber:
tritt zur katholiſchen Kirche nicht werftehen wollte. Eine Tafel mit
ihrem Bildniß, das fih im Reuchlinszimmer der Schlofficche zu Pforz—
heim befindet, erhält ihr Andenken,
Bon 1677 bis 1709 regierte Friedrih Magnus, diefer um:
glüclichfte aller badifchen Fürften, über deffen Länder während feiner
Negierungszeit die blutigften Verheerungen ergingen. Mehr davon und
über Friedrich Magnus folgt im 16. und 17. Kapitel,
1) Er war von mehr als mittlerer Größe und außerordentlich beleibt,
ſchrumpfte aber nad) feinem Tod zur vollftfändigen Mumie ein, bie als fog.
„leberner General” bei fpätern Eröffnungen der Gruft immer als Schred-
mittel für umberufene und zubringliche Befucher derſelben dienen mußte, bis
ber Leichnam bei Gelegenheit der Beifegung ber Großherzogin Stephanie 1860
in einen neuen Sarg gelegt wurde,
446 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688.
8 2. Befchreibung der Stadt. Devölkerungsverhältnife.
Es mag bier am Plage fein, auf eine ausführliche Beſchreibung
de8 „alten Pforzheim”, wie e8 vor der gänzlichen Zerftörung der Stadt,
alfo vor 200 Sahren war, näher einzugehen, Cine noch vorhandene
Abbildung Pforzheims aus dem Jahr 1643 1), die indeffen nicht durch:
weg richtig ift, ſowie verfchiedene Erhebungen aus ältern, zum Gfüd
noch vorhandenen Quellen aus der Mitte und der zmeiten Hälfte des
17. Sahrhunderts mögen dabei zu Grunde gelegt werden,
Wie früher fhon und wie heute noch beftand Pforzheim damals
aus der eigentlichen Stadt, der Vorftadt Au, der Brößinger Vor-
ftadt und der Altjtadt. Verweilen wir fürs Erfte bei der eigentlichen Stadt,
um zunächſt ihre ehemaligen Befejtigungswerke kennen zu lernen. Es
ift darin wieder zwifhen „Stadt“ und „Schloß" zu unterfheiden. Un:
ter Tegterm ift nicht bloß das ehemalige Schloßgebäude, ſondern der
ganze, befonders befeftigte Naum zu verftehen, den das Schloß mit der
Schloßkirche und noch mehreren dort ftehenden Gebäuden (fiehe unten)
einnahm. Vermöge dieſer befondern Befeftigung und der Lage des
Schloſſes auf dem höchſten Punkt der. Stadt diente es diefer gleichſam
als Gitadelle. Schloß wie Stadt waren rings mit Wall, Graben
und doppelter Ringmauer umgeben. Mauer und Graben laffen
fi) noc heut zu Tage um einen großen Theil der Stadt herum ver:
folgen, und auch der Zwinger, d. h. der freie Raum zwiſchen der
ordern niedrigern und der Hintern höhern Mauer ift noch an vielen
Stellen erhalten, wenn auch in der Regel die Jwingermauer ent
weder theilmeis abgetragen, wie beim Garten des Taubftummeninftituts,
oder ganz verfchwunden ift, wie 3. B. bei der Schäferbrüde. Die
eigentliche Stadtmauer war um die ganze Stadt herum nad) Außen
mit einer Bruftwehr verfehen, fo daß man, von derfelben geſchützt,
gegen Feinde, welche die Mauer zu brechen oder zu erfteigen fuchten,
zu kämpfen vermochte, Auch diefe Bruftwehr ift da und dort noch er:
halten. Die Stadtmauer hatte eine durchfchnittliche Höhe von 34 Schub,
und bis zur Hälfte der Höhe eine Dide von 4, nad) oben von 3
Schuh.
1) Diejelbe findet fi in Zeilers Topographie von Ehwaben mit Merian’:
ſchen Kupfern, 1643. Die vorliegenden Werk beigegebene Anficht von Pforz-
beim iſt eine Kopie davon,
Fünfzehrites Kapitel, Pforzheim bon 16481688. 447
Verfolgen wir nad diefen VBorausfchidungen nun den ganzen Lauf
der Befeftigungswerfe und beginnen wir zu dem Ende beim obern
(in neuefter Zeit abgebrochenen) Schloßthor. Bon dort ans zogen fi)
Mauer, Graben ꝛc. binter dem jetzigen Taubftummeninftitut und an der
obern Vorſtadt vorbei zum Gafthaus zum Schiff hinunter, wo aud)
noch ein gutes Stück des Zwingers erhalten ift. Dort ftand das
Brößinger Thor mit feinem hohen und finftern Thurm, der mit
einer Uhr verfehen war und auf welchen ſich wieder ein kleineres,
ſpitziges Thürmchen erhob (wie heute noch auf dem Thurm der Schloß:
fiche.) Bor dem Thor führte über den Stadtgraben eine Zugbrücke,
wie das and bei den übrigen Thoren der Fall war, Don bier aus
309 fih die Stadtmaner ꝛc. gegen die Schäferbrüde hinunter und als:
dann dem Mühlkanal entlang, der den Stadtgraben erjeßte, bis zur
obern Mühle. Diefe war zwifchen die beiden Stadtmauern hineinges
baut, weshalb fie auch früher die Zwingermühle hieß, unterbrad aber,
wie auch die Nonnenmühle, zum Theil die äußere Mauer, was bei
Belagerungen mehrfach mißliche Folgen hatte. Bei der obern Mühle
ermöglichte das „Dbermühltbörlein“, für welches von Seiten der
Etadt ein eigener Beſchließer beftellt war, den Eingang in die Stadt.
Unterhalb diefer Mühle, wie auch bei der Nonnenmühle gewährten je
zwei Schoßgätter, die mit Fallgittern vwerjehen waren, dem Waffer
Durchlaß durch die Mauer,
Auf der Südfeite der Stadt, alfo gegen das Waſſer, fehlte der
Stadtgraben; dafür waren die beiden Mauern um fo fefter. Die in:
nere Mauer war mit einer Anzahl Kleiner runder Thürme verjehen,
die aber jet alle verfchwunden find, wenn auch die Stadtmauer, nament-
lich unterhalb der Auer Brücke, noch erhalten ift und nod) immer, wenn
aud nicht gegen feindliche Ueberfülle, doc gegen Hochgewäſſer Schuß
gewährt. Bloß hinter der Gruner'ſchen Gerberei, wo dem Waſſer des
Gerberbächleins ebenfallg ein „Schoßgatter“ den Durchgang durch die
Stadtmauer geftattet, ift noch der maffive Unterbau eines folhen Mauer:
thürmchens zu bemerken. Außer diefen runden Thürmchen erhob fid)
an der obern, dem Waſſer zugefehrten Ede des frühern Spitals oder
der jegigen Heil: und Pflegeanftalt ein hoher vierediger Thurm,
oben mit einer Galerie umd einer Wohnung für den Thurmmächter
verjehen. Aber auch die Zwingermauer zeigte bei der Nonnenmühle
einen ziemlich hohen und runden Thurm, den fogenannten „weißen
448 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688,
Thurm“, in defjen Nähe fich zwei Ausgänge durch die Zwingermauer
auf das Waſſer befanden. Jenſeits des Waſſers ftand auf dem Lin-
denplaß in der Nähe der Nuerbrüde, und zwar am nördlichen Ende
einer Mauer, melde den Plab von der Brüde fchied, abermals ein
maffiver runder Thurm, der aber auf dem erwähnten Bilde von 1643
bereit8 die Spur ftarken Zerfalls zeigt. Bei der Anerbrüde gewährte
das nod) vorhandene „Schoßgätter” dem Waſſer des unter dem Spital durdy:
laufenden Bächleins den Auslaß. Am Eingang eben erwähnter Brüde
erhob fih mit Thurm und Zugbrüde dag Auer: oder Steinbrüden:
tbor, über welchem ſich außer einem Gefängniß die Wohnung des
Thurmwächters befand. Gleich daneben führte das Schleifthor zur
Enz hinunter, und außer demfelben ebenfalls nad dem Fluße mehrere
„Zwingerthörlein.“ Ueber dem einen derjelben fteht die Jahrzahl 1530,
über einem andern (bei der Gruner'ſchen Gerberei), das aber neuern
Datums ift, befindet fih ein eingemauerter Stein mit dem faft ganz
verwitterten badischen Wappen und der Jahrzahl 1495. Ueber einem
Thürden, das innerhalb der Stadtmauer zu dem bier befindlichen
Scofgatter Hinunterführt, fteht die Jahrzahl 1594. Bon bier an
bis hinauf zum Gafthaus zur Traube ift die Stadtmauer theilmeis
auch noch vorhanden. An letztere lehnen fich manche Häufer an. Auch
bier muß der eine oder andere Durchgang angebracht gewefen fein. Bei
der Traube befand fid) das Altftädterthor, auch Altheimer-, Alt
dorfer- und utinger-Thor genannt, ebenfalls mit Thurm (fammt
„Kefficht“), Zugbrüde und Zwinger verfehen. Dabei ftand ein Wacht:
haus, Berfolgen wir von hier die Stadtmauer und den Stadtgraben
weiter, jo gelangen wir in kurzer Zeit wieder zum obern Schloßthor,
von welchem wir ausgegangen find.
Den fefteften Theil der Stadt bildete, wie ſchon gefagt, das Schloß.
Weil ringsum, jo war dasfelbe auc gegen die Stadt durch eine ftarfe
Mauer befhütt, durdy welche am Schloßberg das untere Schloßthor zur
Stadt hinunter führte. Den nördlichen Ausgang des Schloſſes bildete das
obere Schloßthor mit gewölbtem doppeltem Thorbogen, über welchem
fi) eine Wohnung befand, die wiederum einen Heinen hölzernen Thurm
mit Wendeltreppe trug. Bor diefem Thor führte eine Zugbrüde über
den Stadtgraben. Innerhalb der Ringmauer befand ſich eine größere
Anzahl von Gebäuden, darunter namentlich das alte und das neue
Schloßgebäude. Letzteres ftand da, wo ſich jetzt (im frühern Zehnt:
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 16481688. 449
fpeicher) die Dbereinnehmerei und die Zollverwaltung befinden. Das:
ſelbe brannte im orleans’schen Kriege ab, während das „alte Gebäu“
ftehen blieb. Von anderen Gebäuden find zu erwähnen: die Amtsfel-
Vereiwohnung ſammt anftoßendem, mit drei Gemwölben verfehenem Thurm,
die Schloßküferswohnung jammt Bandhaus (1743 abgeriffen), ein
Fruchtſpeicher, darunter Stallungen und ein großer Keller, ein Heuhaus,
ebenfalls mit Kelle, Das nöthige Waffer verfchaffte den Schloßbe-
wohnern ein 77 Fuß tiefer Ziehbrunnen. Im Jahr 1681 kam noch
ein laufender Brunnen dazu (fiehe unten). Den übrigen Kaum nah—
men außer der Schloßfirhe und einigen alten Thürmen Gartenanlagen
ein. Diefe hohen und feften Thürme, von denen namentlich der eine
weithin fichtbar war und auf welchem der Hochwächter hauste, dienten
zur Vertheidigung diefer „Burg“ Pforzheims, in melde fi die käm—
pfenden Bürger: oft noch zurüdzogen, wenn der Feind in die Stadt
eingedrungen war. Der genannte hohe Thurm, der als Wahrzeichen
der Stadt galt, wurde im vorigen Jahrhundert (1763) abgebrochen,
um Steine zu dem erwähnten neuen Speichergebäude (1766--1768)
zu gewinnen, (Diefer Thurm war 102 Schuh hoch, 52 Schub lang,
38 Schuh breit und hatte 12 Schuh dide Mauern; auf denjelben be—
fand fih noch ein 7 Schub hoher Aufjag.) Ein anderer Thurn wurde
erft in diefem Jahrhundert niedergerifjen. So ift überhaupt hier ſchon
manches ehrwürdige Alterthum dem Teidigen Nüslichkeitsprinzip zum
Opfer gefallen. Ein dritter Schloßthurm ift theilweife noch vorhanden,
und befindet fich in demfelben die Merkjtätte von Kupferihmied Mach—
let. Ein Heinerer runder Thurm erhob fih auf der von Markgraf
Karl I. 1558 erbauten fürftlihen Kanzlei.
Mie Schloß und Stadt, fo waren auch die Vorftädte im Beſon—
dern befeftigt.. Die Brößingervorftadt hatte drei Thore. In
der obern Vorftadt ftand das obere Grabenthor mit Thorhäuschen;
von bier aus z0g auf der Nordſeite der Vorjtadt der Dieblgraben
bis zum Heiligkreuzthor hin, welches ſich am weftlichen Ende der
Vorſtadt (bei der jetzigen Beckh'ſchen Bierbrauerei) befand und feinen
Namen von der dabei ftehenden Heiligkreuzfiche hatte. Das am Fuchs:
fhen Haus eingemauerte Stadtwappen mit der Jahrzahl 1554 rührt
wahrſcheinlich von diefem Thore her. Am Ende der untern Vorftaöt
ftand bei der Schäferbrüde das Schäferthor, befchüßt durch den
dicht dabei ftehenden, feften und runden Waſſerthurm, fowie einen
Pflüger, Pforzheim, 29
450 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688,
auf der andern Seite befindlichen vieredigen Thurm, von welchem aus
fih die Stadtmauer und vor derfelben abermals eine Zwingermauer
am Mühlkanal hinauf fortſetzte. — Die Au war ebenfalls mit einer
ftarten Mauer und einem Graben umgeben, die nur auf der Flußfeite
fehlten, weil die eng zufammengebauten Häufer, in welchen erft in ziem:
licher Höhe über der Nagold die Fenſter begannen, bier felber eine
Mauer bildeten und die Nagold den Graben erfehte. Auch in der
Au find Mauer und Graben zum großen Theil noch zu fehen. Am
Ende der dur die Au führenden Hauptitraße erhob fi, und zwar
außerhalb der damals ſchon Hier befindlichen Herberge zum Einhorn,
das Auer Brunnentbor, aud Erkerthor genannt; dasjelbe zierte
ein Thurn mit einer Uhr. Am Ende der obern Augaffe, die auch
der „Hiller hieß, ftand das Hillertbor, am Ende der untern
Augafje das Gauch- oder Schelmentbor. (S. 297.) Außerdem
führten mehrere Thörlein zur Nagold und Enz, fo ein Leyerthörlein,
ein oberes und unteres Fiſcherthörlein mit Fiſchergäßchen u. f. w.
Außer dem Thurm des Brunnenthors beſaß die Au noch mehrere
Thürme. Zwifchen dem Hiller: und Brunnenthor erhob fi) da, wo,
die Mauer eine Ede bildete, ein runder Thurm. Ein gleiher Thurm
befand ſich am der entgegengejehten Ede der Stadtmauer (unten am
jeßigen Holzgartenweg), und ift ein Theil desjelben heute noch erhalten.
Am Ende der Stadtmauer, mo diefe jenfeits des Gauchthors wieder
an die Enz ftieß, ftand abermals und fteht heute noch ein runder
Thurm, der Schelmenthurm genannt. — Die Altftadt, die als
ältefter Theil der Stadt früher ebenfalls ſtark befeftigt gewefen, aber
im SOjährigen Kriege (S. 438) ganz abgebrannt war, befaß nad
demfelben feine Thore mehr, und es wurden auch die Befeftigungs-
werke nicht mehr bergeftellt, was im Jahr 1661 von Seiten der Alt:
ftädter eine lebhafte Beſchwerde hervorrief. Des ehemaligen Stadt:
grabens, ſowie eines abermalign Erker-Thors gefchieht aber in
der Folge nod) häufig Erwähnung.
Die Pflicht der Unterhaltung der Mauern, Thürme, Zwinger,
Gräben ꝛc. Tag der Stadt ob, mit Ausnahme der Befeftigungen des
Schloſſes, deren Inftandhaltung Sache der Herrfchaft war. Zu diefem
Zweck war der Stadt laut Privilegienbriefes der vierte Theil des Um:
geldes von Brod, Wein, Salz, Frucht und Fleiſch, fowie der Ausbete
zugewiefen (S. 227). Deffenungeachtet Fam fie mehr als ein Mal in
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 —1688. 451
den Fall, bei umfafjendern Neparaturen die Hilfe der Herrichaft in
Anspruch zu nehmen, namentlich nach dem SOjährigen Krieg, wo die
Finanzen der Stadt, wie unten gezeigt werden wird, ſich in einem ganz
zerrütteten Zuftand befanden. Ein Beifpiel davon findet ſich ans dem
Sahr 1665. Am d. April j. J. trug der Baumeiſter Aichelin in der
Nathefigung vor, dag in der Brötinger Vorſtadt beim Waſſerthurm
am Schäferthor ein großes Stück Stadtmauer eingefallen fei, was mit
dem, was noch abgebrochen werden müſſe, etwa 160 Klafter betrage,
Er habe bereits mit einigen Maurern behufs der Wiederheritellung um
2 fl. 71/g Kreuzer das Klafter affordirt. Die Stadt beſchloß ſich wegen
diefes allzu foftbaren Bauweſens (zu 340 Gulden!) um Hilfe:
leiftung an den Landesfürften zu wenden. Am 29. Mai 1665 erfchien
darauf hin eim fürftlicher Befehl, daß wegen dieſes Bauweſens bie
Zünfte zufammengefordert und ihnen die Nothwendigfeit desjelben darz
gelegt werden ſollte. Allein die Zünfte zeigten ſich dazu nicht ſehr ges
neigt. Die einen beflagten ſich über den Pfundzoll; die andern er—
Härten, fie feien jo arm, daß fie ihr Eigenes nicht bauen könnten u, f. w.
Was nun geihah, weiß ich nicht. Es jcheint jedoh, daß die Negies
rung wenigjtens einen Theil der Koften übernahm, was auch um fo nö:
thiger war, als gerade damals die Stadtmauer noch an mehreren andern
Orten, 3. B. in der Kauzenbach, neu bergeftellt werden mußte, mo fie,
bis diefes geſchehen, einftweilen mit Latten verjchlagen wurde. — Be
merfenswerth dürfte auch fein, daß die Herrichaft im Stadtgraben be-
fändig Wild unterhielt und dafür der Stadt einen jährlichen Pachtzins
von 15 Gulden bezahlte.
Kehren wir nad) diefer kurzen Abſchweifung zur eigentlichen Be:
fhreibung der Stadt zurüd, Schon aus dem Bisherigen wird hervor:
geben, daß Pforzheim cine fehr thurmreiche Stadt, alfo gerade das
Gegentheif von dem war, was fie jeßt ift. Zu den vielen Thor: und
Mauerthürmen kamen aber noch manche andere. Wenn wir dem
ſchon erwähnten Bilde von 1643 glauben dürfen, jo erhob fi auch
auf der Schloffirche ein hoher, ſchlanker Thurm. Einen noch höhern
Thurm befaß das Barfüßerklofter, und foll derjelbe nach gothifcher Art
gebaut und eine befondere Zierde der Stadt gewejen fein. Was aber
die Flammen des orleans'ſchen Krieges verſchonten, das fiel fpäter der
Furcht zum Opfer, daß diefer Thurm einmal in die Brößinger Gaffe
berabfallen möchte. Gin hoher und fchlanfer Thurm a ſich auch
459 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688,
auf dem Predigerflofter, ein kleinerer gotbifcher auf dem Spital oder
der jeßigen Heil: und Pflegeanftalt, wo er noch fteht. Won den ühri-
gen Kirchthürmen erwähnen wir den der Altftädter Kirche, auf wel-
chem fich, wie bei den Schlogthürmen und dem Brößinger Thorthurm,
noch ein Fleineres, fpitigeres Thürmchen erhob, und die Heinern Thürme
der Heiligkreuzfirche in der Brötzinger Vorftadt und der Kapelle ber
St. Georgspflege.
Haben wir im Bisherigen die Stadt hauptſächlich fo ins Auge
gefaßt, wie fie fich mit ihren Befeftigungen und Ihürmen von Außen
darftellte, fo wollen wir uns auch in das Innere derfelben begeben,
um diefes näher fermen zu Ternen. Die Namen der Straßen und ein-
zelnen Theile der Stadt waren ſchon vor 200 Jahren faft durchgängig
diefelben, wie wir fie noch heut zu Tage finden, denn wenn auch Pforz:
beim in den Jahren 1689 und 1692 durch Brand gänzlich verheert
wurde, fo erlitt doch beim Wiederaufbau der Stadt ihre Straßenein-
teilung wenig Veränderung, wenn feßtere auch bei manden Häufern in
der Weife eintrat, daß oft mehrere frühere Hauspläge zu einem Ger
bäude verwendet, oder umgekehrt mancher größere Hausplatz getheilt
wurde. Bon der vom Bröginger Thor zum Mearktplat führenden en-
gen und finftern Brötzinger Gaſſe liefen rechts aus: die Kamme
gaffe, auch manhmal Brudergaſſe genannt; (der erfte Name rührte
vom Gafthaus zum Lamm ber, das ſich damals in diefer Straße da
befand, wo fie in die Brötinger Gaffe einmündete; den andern Nas
men hatte fie von dem fog. „Bruderhaus” (ſ. u.);) 2. Die Scheuern-
gaffez 3. die Blumengaffe, ebenfalls vom dort befindlichen Gaft:
haus zur Blume fo genannt, wie denn früher auch in Pforzheim, wie
anderwärts, der Löbliche Gebrauch berrichte, die Straßen nad den
Wirthshäuſern zu benennen, Die von der Scheuer: zur Blumengaffe ꝛc.
laufende Quergaſſe, die jetige Brüderftraße, hieß ebenfalls die Scheuerns
oder auch untere Höllgaſſe. Links von der Bröbingergaffe finden
wir als Fortſetzung der Scenerngaffe die Barfüßergaffe, die fi
an dem Barfüßerflofter vorbeizog und auf den Schloßberg ausmündete;
3. dag Kirhgäßlein, das (beim jetzigen Kürfchner Gengenbach'ſchen
Haus) ebenfalls zur Barfüßerkirche führte und als Fortfeßung der Blu:
mengaffe diente. Umkreiſen wir, von der Brößinger Gaffe herkom—
mend und rechts hinuntergehend, den Marktplag, der feit Jahrhunder⸗
ten diefelbe Größe und Geftalt wie heute noch hat, fo treffen wir zus
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 453
nächſt das Höllgäßchen, das fpäter nach Errichtung der obern Apo-
thefe im Jahr 1690 aud den Namen oberes Apothefergäßhen
erhielt. Jenen frühern Namen hatte es von der Herberge „zur Höllen, "
die ſich da befand, wo jetzt das Conditor Trommerſche Haus fteht
und hinten an bemeldetes Gäßchen ſtieß. An der untern Apotheke vor-
bei führte da8 Apothekergäßchen, an der Kyone vorbei die Pro:
nengaffe, die gegen die Eichmühle auch Eichgaſſe hieß und von
welcher aus die Mebgergaffe zur obern Mühle Hinführte, In Ieb-
tere mündeten, wie heute noch, die von der Brößingergaffe berführenden
Lamm, Scheuern- und Blumengaſſe ein, und erftere ſetzte fich bis zum
Mühlkanal fort. Links unten am Marftplage öffnete fih die Tränk—
gaffe (jebt Deimlingsitrake) und zog bis zum Auer-Thor hin. Don ihr
ober eigentlich noch vom Markt ging links aus: 1. die Ochfengaffe
(jegt Reuchlinsſtraße), vom dort befindlichen Gaſthaus zum Ochfen fo
benannt; 2. die Biebgaffe, (iebt Hofpitalftrake), von welcher ſich
rechts bei der Eſels- (jet Klofter-) Mühle das Eſelsgäßchen (jekt
Kloſtermühlgäßchen), und an ihrem Ende nahe an der Stadtmauer
hinunter (beim jegigen Theater) die Ka utzen bach abzweigte; 3. die
große und 4. bie Fleine Gerbergaffe, (früher die beiden „Lauer—
gaffen”), die ihren Namen nicht mit Unrecht führten, da fie von faft
lauter Gerbern bewohnt waren, mie das die an fehr vielen Häufern
vorhandenen Abzeichen der Töblihen Gerberzunft (Schabeifen und Falz)
heute noch beweiſen. Auf der rechten Seite ging von der untern Tränf:
gaſſe aus: 1. das Pfinngäßchen zwifchen dem Gaſthaus zum Schwert
und der ehemaligen Stadtmetzig, fo genannt, weil fih hinter letzterer
die fog. Pfinnhütte und Pfinnbant befanden, wo das Fleiſch finniger
Schweine ıc. ausgehauen wurde. (Bergl. ©. 240 und 256.) Das-
felbe führte auf den Klofterhof, wie früher der jetige Waiſenhaus—
plaß genannt wurde; in noch älterer Zeit hieß derfelbe die Badgaſſe,
weil fich dafelbit (hinter der Kanne) das untere Bad (f. u.) befand;
2. das Thäle, dag zur Nonnenmühle binführte, Kehren wir wieder
zum Marktplat zurüd, um von dort zunächſt den Schloß: frühern
Kirchberg zu befteigen und dann die Altftädter- oder Alt:
dorfer-Straße entlang zu gehen. Vom Schloßberg gingen links
das Saugäfßhen (unterhalb der Blume) und die ſchon erwähnte
Barfüßgergaffe, rehts die untere und obere Pfarrz,
auch Pfaffen- oder Predigergaffe aus, die ihren Namen
454 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648-1688,
urfprünglih von den Chorherrnwohnungen hatten, die fih am Ende
derfelben befanden und die fpäter mit andern dort ftehenden Häufern
theilweife zu Pfarrherrnwohnungen benüßt wurden. 1) Verfolgen wir
die Altftädterftraße, fo ftoßen wir zuerft links (beim Anker) auf das
Rathhausgäßchen, ſodann rechts und Tinte (bei Kaufmann Hepp)
auf das Schulgäßchen, das fi jet nach unten in eine Schul:
ftraße verbreitert. Bei der jetigen Unter&der’fhen Bierbrauerei Tief
Yints die Kirhgaffe, rechts die vordere Nofengaffe von
der Hauptftrake aus, letztere von dem dort ftehenden Gafthaus zur Roſe
benannt. (Statt Nofengaffe Tiest man auch manchmal Roßgaffe,
welcher Name mit Ochſen-, Vieh-, Tränk-, Eſels- und Saugaffe ıc.
im Einklang ftchen würde.) Ein Quadrat weiter führte beim jebigen
Proreftoratsgebäude die hintere Roſengaſſe, die mit der vordern
durch eine Quergaſſe verbunden war und nod) ift (der jebigen Stifte:
ſtraße), zur Viehgaſſe, um ſich jenfeitS derfelben als ſchon erwähnte
Kauzenbach fortzuſetzen. Vor dem Altftädter Thor begann das fog.
Pfläſter, das damals noch nicht überbaut war, (nur unmittelbar vor
dem Thor ftanden einige Häufer), fondern aus faft Yauter Gärten be:
ftand, von denen in den Kaufkontrakten des 17. Jahrhunderts vielfach
die Rede ift. Die weiter entfernte Altftadt hatte während des dreißig:
jährigen Krieges von ihrem frühern Umfang ziemlich verloren, fo daß
fie nach demfelben nur noch etliche AO Bürger zählte. Außer der die
Altſtadt zur Kirche hinunter ziehenden Straße finde ich des „Effig-
gäßchens“, ſowie des oberhalb der Altſtadt vorbeiführenden und ſchon
1565 vorfommenden Zigeunergäßchens erwähnt. — Die Gaffen
der Au find oben ſchon angeführt, — in der Brötzinger Vorftadt ift
des uralten Schlappergäßchens (jet Baumftrake) noch zu ges
benfen.
An Effentlichen Pläten befaß die Stadt nur den Marttplak,
befien fchen oben gedacht wurde, und den Lin denplatz. Letzteren
zierten Gartenanlagen, in welchem wir die noch vorhandenen majeftäti-
ſchen Linden bereits erblicken, aber mit Ausnahme einer einzigen noch
in jugendlicher Kleinheit. Diefe Linden wurden in befondere Pflege
genommen und im Jahr 1684 unter Anderm wieder aufgebunden und
1) Aucy mehrere auswärtige Pfarrer befaken 1665 eigene Häufer in biefer
Gaſſe, 3. B. Friefenegger in Stein und Frank in Baufclott.
Bünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 —1688, 455
ausgeputzt. ines befonderen „Viehmarktes“ ift auch mehrfach er:
wähnt; derfelbe war vor dem Altftädter Thor, und zwar unten am
Waſſer.
Der durch die Stadt fließenden Kanäle und Bäche, ſowie der
Brücken iſt zum Theil ſchon gedacht worden. Die damalige Auer:
brücke über die dort ſich vereinigenden Flüſſe Enz und Nagold, die
auch Steyninbrucken, Steynbruden hieß (dahier der Na—
men „Steinbrücker-Thor“) war 1573 von Markgraf Karl II. erbaut
worden. (S. 291.) Sie mußte in der Zeit, in welcher wir mit un:
unferer Schilderung ftehen, mehrere Ueberſchwemmungen aushalten, fo
1648 und 1687. Kurz vor diefer Testen Ueberſchwemmung, nämlich
1684, waren die 3 Fallbrücken derfelben rveparirt worden. In der
Altftadt führte fchon zur Nömerzeit (S. 12) eine Brüde über
die Enz, Der Roßbrücke geſchieht vielfah Erwähnung, ebenfo
des KRantenbrüdleins und dr Eichbrücke, wo früher, als
die Stadtmauern noch enger gezogen waren und das Frauenkloſter
außerhalb derfelben Tag, das „Frauenthor“ ftand. Ebenſo kommen die
Namen des dort aus dem Mühlkanal abfließenden Klaren- oder
Shönbähleins, über welches mehrere Steghen und Brückchen
führten, die indeffen Feine befondern Namen hatten, häufig vor. Außer
verfchiedener Heiner Brücken in der Stadt wird aud ein Brüdlein
beim Nägelfee (oder wie er früher richtiger hieß, Egelfee,)
genannt.
An Brunnen war in der Stadt Fein Mangel, obgleich die Zahl
der Yaufenden Brunnen etwas befchränfter war, als jet. Ich erwähne
zunächſt des Schloß: und des oben Marktbrunnens. Sur
Speifung derfelben wurde im Mai 1681 das Waffer des Stockbrunnens
hinter Brößingen in die Stadt geleitet und betrug der Koftenantheil der
letztern 158 fl. 31 kr., die aber auf 100 fl. ermäßigt wurden. Schon
1684 mußte indeflen die Stadt für diefe MWafferleitung neue Brunnen:
kacheln und bleierne Deichel anfchaffen, welche abermals 242 ff. 44 kr. koſteten.
Im Jahr 1686 wird jedoch fehr darüber geflagt, daß die beiden Brun—
nen faft niemals Waſſer gäben, während doch die neue Wafferleitung
die Stadt fo viel gefoftet habe, Letztere fei, fo heißt es in einer Ein-
gabe an die Megierung, darüber zum Gefpötte geworden und man bitte,
die beiden Brunnen lieber ganz eingehen zu Yafien. — Am Jahr 1687
wurde der „Mann auf dem obern Marktbrunnen”, d. h. das Stand:
456 Finfzehntes Kapitel. Pforzheim im breißigjährigen Krieg.
bild des Markgrafen Ernft, von Maler Wolf Walter erneuert und ge:
malt, wieder aufgezogen und friich gefeßt. Oberhalb des Marktbrun-
neng war ned ein befonderr Schöpfbrunnen. Der untere
Marktbrunnen hieß auch der Fifhbrunnen Don fonftigen
Brummen werden erwähnt: Der Brunnen in der Vorftadt, der
Brüderbrunnen in der Brubdergaffe, der Brunnen im Apo—
thefergäßchen, der Ochſenbrunnen in der Ochfengaffe, der Zu:
hbariasbrunnen ebendafelbft (vielleicht der nämliche), der Brunnen
in der Viehgaſſe, der Eſelsbrunnen kei der Eſelsmühle, der
Aner Brunnen, der Altftädter Brunnen, ferner ein Vogts-,
Rohr-, Krebs: und Maienbrunnen ıc.
Bon den öffentlichen Gebäuden des alten Pforzheim, die Eigen:
thum theils der Herrichaft, theils der Stadt waren, find mande im
Bisherigen jchon genannt worden. Die frühern Klöfter der Stadt
hatten andere Beitimmungen erhalten. Das Dominifanerklofter
diente zur lateinifhen Schule und zur Mohnung für die Lehrer,
die Klofterkirche war zur Stadtkirche geworden. Eine zur Renovation
berfelben im Jahr 1684 auf Veranlafjung des Spezials Math. Kum—
mer erhobene Kollekte Tieferte einen Ertrag von 410 fl. 16 fr. Da
jedoch die Ausgabe nur 406 fl. 26 Fr. betrug, alfo no 3 fl. 50 kr.
übrig waren, fo erhielt der Mefner davon 1 fl. 30 kr., des Kunft-
malers Gefell und Tochter jedes 45 kr., der Neft wurde zu einem
„Trunk“ bei der Rechnungsablage verwendet. — Die Räumlichkeiten
des früheren Maria-Magdalenenkflofters waren dem Spital zugemiefen
worden (S. 329), das fie noch beſaß. Wozu damals das Barfüßer:
Hofter verwendet wurde, weiß ich nicht; im der Kirche desfelben wurde
aber aud Gottesdienst gehalten. Dieß war in jener Zeit in der Schloß-
firche nicht der Fall; doch ſcheint diefelbe von 1683 am wieder zu Got:
tesdienften benüßt worden zu fein; denn es ift in diefem Jahre von
einer „Einweihung“ derjelben die Rede.) Des Seelenhaufes in
1) 1683, 15. April wurde getauft Hs. Kalpar, H. Bernhard Minderers
Kind. Dabei ift bemerft: Dies ift extra ordinem bei Einweihung ber Schloß:
fichen geſchehen. Pathen waren: Marfgräfin Auguſta Maria, Prinzeſſin
Kath. Barbara, Herr de Macaire von Steinfels, der Spez. Math. Kummer,
9. Joh. Kaſp. Zocher (Amtsfeller), H. 3b. Deimling, Bürgermeifter, (Kir:
chenbuch Fol. 113a). — Es ift möglich, daß dieſe neue Einweihung ber Kirche
mit dem Brand zufammenbing, der im Sommer 1682, wahrſcheinlich in Folge
eines Wetterfirahls, im Schloß ftattgefunden hatte,
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688, 457
der Bröbinger Vorftadt, das zur Aufnahme armer, kranker und ge:
brechlicher Perfonen diente, ift früher fchon Erwähnung gefhehen. Diefem
gegenüber ftand die Kreuzkirche; dabei lag der Gottesader „zum
heiligen Kreuz“, auf welchem nur Soldye begraben werden durften, die
dazu eine „Gerechtſame“ beſaßen. Wer die nicht hatte, mußte für bie
Erlaubniß der Beerdigung dafelbft einen Gulden bezahlen. Ein
anderer, für die Altſtädter beftimmter Kirchhof Tag um die dortige
Kirche. Der dritte Kirchhof war der 1588 ebenfalls in der Altftadt
für die Stadtgemeinde angelegte (S. 298). Tem bereits genannten
Spital und Seelenhaus find auch nod die St. Georgspflege und
das fog. Bruderhaus anzureihen. Jene ftand auf einer Anhöhe
außerhalb der Au und war, von unten betrachtet, einem Klofter oder
großen Hofe ähnlich. Sie beftand aus einer ziemlich geräumigen Kapelle,
einem Krankenhaus, den Wohnungen des Hausmeifters (1654 Hans
Uri Mayer) und Unterförfters und einigen Defonomiegebäuden.
Das Vermögen und die Einkünfte diefer wohlthätigen Anftalt waren
vor dem orleans'ſchen Kriege fehr bedeutend, weshalb immer ein eigener
Pfleger in der Stadt dafür beitellt war. Diefes Amt verfah z. B.
23 Jahre Yang der 1613 geftorbene Bürgermeifter Peter Maler; 1)
Mac, ihm werden als St. George: Pfleger genannt: Konrad Gilg 1639,
Mendel Lang und Jakob Hormann 1654, Chriſtoph Ganfer 1655,
Jakob Zickwolf 1657, Johann Heinrich Bachmann 1685. — Welche
Beftimmung das in der Brudergaffe liegende „Bruderhaus“ hatte, ob
e8 ebenfalls eine MWohlthätigkeitsanftalt war oder einer der frühen
1) Er ließ 1607 die Kapelle renoviren, weshalb noch lange nachher baielbit
folgende Reime zu leſen waren:
Als man zählt und eben war
Das taufend fehshundert und fiebte Jahr,
Diefe Eapell warb renovirt,
Und, wie vor Augen, ſchön geziert
Durch dieſes Stifters Pflegers Fleiß
Peter Maler der älteſt er beißt;
Jeronimus mit zugleich,
Beförberten Gottes Ehr’ und Preis,
Der belf, baß fein Wort lauter und Far
Hier werb geprebigt immerbar.
Amen.
(Nachrichten ber Familie Maler ©. 10.)
458 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648— 1688,
geiftlihen Kongregationen oder einer Zunft, oder vielleicht den Beghar—
den angehört hatte, weiß ich nicht. Die herrſchaftliche Stifts- oder
geiftliche Verwaltung (jest Diakonatshaus in der Roſenſtraße) wurde
wahrfcheinfich 1619 gebaut, da diefe Jahrzahl über der Kellerthür bieſes
Haufes fteht.
In der Bürgermeifterrehnung von 1687 und an andern Orten
werben folgende Gebäude als ftädtifche aufgeführt: 1. Die Stadt:
ſchreiberei. Sie ftand am Markte (wo jest das Rupp'ſche Haus)
und war vermuthlich 1551 erbaut worden. Auf ihr erhob ſich ein
Thürmchen mit einer Uhr; 2, das Rath- und Kaufhaus, unter
Markgraf Karl II. 1557 gebaut. Es ftand an der Stelle des jebigen
Rathhaufes und mar ebenfalls mit Thürmchen und Uhr verſehen; 3. die
deutſche Schule in der untern Pfarrgaffe; 4. das Schafhaus in
der Brößinger Vorftadt beim Schäferthor, wovon fowohl diefes, - als
auch die Schäferbrüde den Namen hatte; 5. das Schafhaus im
ber Mltftadt, wo jebt der Schafhof fteht; 6. die Kleemeifterei,
ebenfalls in der Altſtadt; 7. das obere Bad unterhalb der Obermühle
bei den Schofgättern am Mühlfanal; 8, das untere Bad an dem
nämlichen Kanal und zwar hinter der Kante; 9. die Eichbehauſung
bei der Eichanftalt ; in derfelben wurden namentlich die Eichgeräthichafte®
aufbewahrt; nahe dabei war 10. das Werkhaus im Slofterhof (vor
dem jetigen Waifenhaus), worin ſich allerlei ftädtifche Geräthfchaften
befanden und auch verfchiedene Arbeiten für die Stadt beforgt wurden ;
11. das Armbrufthbaus oder Armbrufthüttlein auf dem Linden:
plat bei der Auer Brücke; 12. das Schießhaus oder Schießhütt—
fein außerhalb der Bröginger Vorftadt an der Enz. Es Hatte 3
Schiekftände, deren Neparatur im Jahr 1685 4 fl. 10 kr. koſtete;
43. die Brodhütte, worin die Bäder morgens ihr Brod verkauften,
infofern e8 von den Kunden nicht beftellt war, in welchem Fall es den:
felben in das Haus getragen wurde; 14. die beiden Branntweinhüt-
ten, die eine vor dem Schleifthor, die andere in der Schlappergaffe,
mit Einrihtung zum Branntweinbrennen; 15. der Stadt Badhaus
in der Bruder: (Lamm-) gaffe bei der Obermühle; dasjelbe hatte einen
ähnlichen gemeinnüßigen Zweck, wie die Branntweinhütten; 16. der Stadt
Waſchhäuſer beim Steinbrüderthor; 17. das Seelenhaus in der
Brötzinger Vorſtadt; dasfelbe verwaltete ein eigener Armenkranfenpfleger,
ber auch die Aufficht über das gegemüberftehende Kreuzkirchlein, den
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 16481688, 459
anftoßenden Kirchhof u. ſ. w. führte, auch die Thurmuhr dafelbit zu
beforgen hatte; 18. die verſchiedenen und oben jhen erwähnten Thore,
Thorthürme fammt Thorhäushen und ſonſt dazu gehörigen Ge-
bänden. Zu den dafelbft befindlichen „Kefitten“ Fam nod das Nar-
venhänslein auf der Auer Brüde, als Strafort für leichtere polizei:
liche Vergehen, fpäter mit ähnlicher Beftimmung der Efelsftall an
der Stelle der jetzigen Synagoge, und endlich das Blodhaus vor dem
Brößinger Thor. Der Stadt hatte früher aud ein unterhalb des
Rathhauſes Tiegendes Haus gehört; aber es wurde 1658 an den Unter:
vogt Ferber verkauft. Außer den ſchon aufgeführten herrſchaftlichen
Gebäuden, ald Schloß, Klöftern, Kirchen, Epital, St. Georgspflege ıc.
find noch zu erwähnen: Das an dem Marktplag ftehende Amthaus,
mit Thürmchen und Uhr; die 3 Pfarcherrnwohnungen im der
untern Pfarrgaffe, (befonders erwähnt find davon die „Obere-Diafonats-
wohnung” und der „Diakonatsgarten“),; das Landſchafts- oder
Handlungshaus in der Brötzinger Gaſſe (zwifchen Schend und
Trommer), der außerhalb der Brößinger Vorftadt befindliche Schmelz:
ofen fammt der Hammerfhmiede, die Zehntſcheuer bei der
Nonnenmühle, die Ziegelhütte vor dem Brößinger Thor in der
"Nähe des Schieghaufes, die Nindenmühle in der Altſtadt, Die
Metig nebft Pfinnhüttleim unterhalb der Kante, die Kelter in
der Altftadt (vor dem Ochfen) u. f. w. (Vergl. hiezu das Lagerbuch
von 1615, ©. 325). — Von Gebäuden, welche auswärtigen Klöftern
gehörten oder früher gehört hatten, finden wir erwähnt: den Lich—
tenthalſchen Zehnthof Hinter dem ‘Predigerffofter (mo jetzt das
Kübeleberlefche Haus fteht), den ſchon oft erwähnten, damals aber be:
reits dreigetheilten Hirfhaner Hof in der Altitadt mit feinen vielen
Gütern, die heutigen Tages noch den Namen „Hirihauer Güter“ tra
gen. Ein ähnlicher Hof ſcheint der oft vorkommende, in der Altſtadt
Yiegende Bremerhof, zu welchem ebenfalls viele Güter gehörten, ge:
weſen zu fein. Auch der Name „Bremerhof = Aeder“ Hat fi bis auf
die heutige Zeit erhalten, und liegen diefelben oberhalb der Schloßkirche.
Bon Gebäuden, zum Theil mit Waſſerkraft, die einzelnen Zünften
gemeinſchaftlich gehörten, werden erwähnt: Die Waltmühle der
Weißgerber am Scießhüttenplag, der Tucher Farbhaus bei der
Nonnenmühle, die Rin den mühle (beim jegigen Theater), endlich noch
anderer NRindenmühlen, fodann Sägmühlen, Waltmühlen
460 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688.
Delfhlagen, darunter die 1617 gebaute jegige Kompagniefägmühle.
Jede Zunft hatte bekanntlich auch ihre Zunftitube, wo die Verſamm—
lungen ftattfanden. Die Rothgerber verkauften dieſe ihre „Herberg“
1663 um 310 Gulden, die Färber ihren Hausplatz (die Herberge war
wahrfcheinlic im SOjährigen Krieg abgebrannt) in der Kautzenbach um
30 Gulden ꝛc. — Endlich kann hier auch noch der Mühlen gedacht
werden. Vor dem IOjährigen Krieg waren es noch ihrer 5, nämlich
die Ober:, Nonnen, Eich-, Ejels: (Klofter:) und Wagmühle
(S. 360). Der Ießtern gefchieht noch 1661 Erwähnung; aber 1683
und 1688 wird fie unter den Mühlen nicht mehr genannt.
Bis zum Jahr 1690 beſaß Pforzheim nur eine Apotheke,
nämlich die untere (jebt Pregizeriche‘, und fcheint diefelbe von jeher an
derfelben Stelle wie jet geftanden zu haben. Sie war von 1608
bis 1634 in den Händen Michael Grieningers, von welchem fie an
Johann Barthold überging, der bei der Erzählung der Religionsbe:
drüdung von 1643 mehrfach genannt worden if. Nach dem Tode
desfelben kam die Apothefe um 1656 als Erblehen an defien Tochter,
beziehungsweife an deren Ehemann, Chriftoph Müftemann, und nad
diefem 1689 an defien Schwiegerfohn Johann Michael Salzert), ein
Gefchlecht, bei welchem die Apotheke mehrere Generationen hindurch
blieb.
Sehen wir uns nunmehr aud ein wenig nad den damaligen
Gaftbäufern und Herbergen-der guten Stadt Pforzheim um, ſo—
weit fie in den Quellen genannt werden, aus denen diefe Darftellung
geihöpft ift. Ihre Zahl war faum geringer, als jebt. In der Brö—
Singer Vorftadt treffen wir neben den drei heute noch an derjelben
Stelle wie vor 2 Jahrhunderten befindlichen Gafthäufern zum Trap:
pen (Poft), zum goldnen Adler und zum Bären, der damaligen
Poft, auch die Herberge zur Sonne, melde beim obern Grabenthor
ftand. Ihr Eigenthümer war Gebaftian Scherlin, während der Gaft-
geber zum Trappen Balthas Nentfchler, 2) der zum goldenen Adler
ı) Der Grabflein biefes erften Salzer, eines für jene Zeit ausgezeichneten
Apothefers und Chemifers (F 1709), befindet fi auf der Südſeite der Fried—
boffapelle.
2) Ein „Trappenbans“ kommt fhon 1502 vor, ein Beweis, daß biefes
Wirthohaus fehr alt ift.
Sinfgehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 461
Hans Georg Dftertag und der zum Bären Mathis Kiefer, nah ihm
Ambros Defchler hieß. In der Aue finden wir die Gafthäufer zum
weißen Rößle von Otto Beh, zum Einhorn von Ehriftian Beckh,
beide an derfelben Stelle, wie heute noch, ferner den Hirſch von Jo—
bann Hafner und den wilden Mann von Ambros Lötterlin. In der
Altftadt waren die Gafthäufer zum Engel von Ehriftoph Haffert, zum
Sternen von Hans erg Lotthammer und zur Tanne bei der Alt-
ftädter Brücke. Die eigentliche Stadt befaß folgende Gafthäufer :
Zum Lamm, welhes das Ed der Bröginger: und Lammgafje bildete
Calfo wo jet Kaufmann Schad) und Rudolf Sold gehörte; zum wei—
Ben Laub (Ehriftian Sold) in der Lammgafje neben dem von le:
hingen'ſchen Haus; zur Höllen (Chriſtoph Ganfer, fpäter Otto Beckh)
am Et der Brößinger: und Blumengafje (wo jet Konditor Trommer);
zur Blume (Hans ‘erg Schönherr und nach ihm Heinrich Bauer) in
der Blumengafjez zum goldenen Laub auf dem Markte neben dem
Ihwarzen Adler, der auf der gleichen Stelle wie jegt ftand und
damals einem Geiger gehört zu haben feheint; zur Krone unten am
Markte, welches Gaſthaus Martin Scnellin und nad ihm Bernhard
Heufchlof gehörte und das Recht hatte, jährlich) 15 Ohm Wein frei auszu—
Schenken; zum goldenen Kalb in der Mebgergaffe; zum Rappen
in der untern Tränfgaffe, zuerft Ulrich Lutz, dann Philipp Sold und
zuleßt Georg Stieß gehörig; zur Kante (1654 Hans Peter Vol,
fpäter Chriſtoph Abrecht), ebenfalls in der Tränkgaſſe an derfelben
Stelle wie jest; zum Ochſen (Martin Zoller) in der Ochfengafle;
zum Löwen (Hans Jakob Mitjhdörfer und nad ihm Balth. Hoppius)
in der Altftädter Straße unterhalb des Nathhaufes; zur Roſe (Hans
Beh) in der Roſengaſſe. Außerdem geſchieht auch der Gafthäufer zum
Schwert (Chriftoph Yeonhardt) und zum goldenen Schwan (H8.
Ib. Schickh, nad ihm Hs. Ib. Scheidlen), ebenfo einer Herberge zum
„Lainbalhier“ (2) von Johann Michael Defchler Erwähnung. Da
ferner aud ein „Judenhof“ in der Tränkgaſſe genannt wird, der ver:
muthlich die Herberge der Iſraeliten war; da auch in jener Zeit
noc jeder Weinbergsbefiger das Recht hatte, feinen Wein felber aus-
zufchenfen und die Zahl folher „Gaſſen-“ oder „Heckenwirthe“ nicht
gering angefchlagen werden darf; da e8 endlich auch an Bierfiedern nicht
fehlte (1676 Jakob Beth, 1679 Joh. Beder aus Straßburg, wozu
1695 noch Michael Peter Stieß kam), ja die Stadt felbft fogar einen
469 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688.
Bierhandel betrieb, für welchen ein eigener Verwalter (1664 Johann
Schauber) gefett war: 1) — fo mag daraus entnommen werden, daß
in Pforzbeim vielleicht mehr als hinlänglich Gelegenheit vorhanden war,
den Durft zu ftillen, ja aud etwas darüber zu trinken. Wenn die
Zahl der Wirthe im Juni 1692, alfo während der traurigften Zeiten
des orleans'ſchen Krieges und nach zwei vorausgegangenen furdhtbaren
Bränden, denen der dritte im September desjelben Jahres nachfolgte,
noch zu 30 angegeben wird, fo läßt fich daraus ſchließen, daß fie vor
dem Krieg ungleih bedeutender war. Ob alle Wirthe gute Geſchäfte
machten, ift nun freilich eine andere Trage, die in Anbetracht des Um:
ftandes, daß betipielweife 1658 gegen drei Wirthe, nämlich den Löwen⸗,
Kronen: und Bärenwirth, faft gleichzeitig das Gantverfahren eingeleitet
wurde, vieleicht nicht ganz günftig beantwortet werden Tann,
Die Zahl der damaligen Privathäufer der Stadt genau anzugeben,
ift nicht mehr möglich. Jedenfalls waren es ihrer bedeutend weniger,
als e8 jet find, da feither gar viele, früher Teere Pläbe überbaut wur-
den und vor 200 Jahren manche öffentlichen Gebäude, wie die Klöfter,
bie Klofterhöfe, die Chorherrnwohnungen 2c. außerordentlich viel Raum
einnahmen. Die meiften Häufer, mit Ausnahme derer der Adeligen
und der vermöglichern Bürger, waren Hein, oft nur einftödig, unbequem
gebaut und mit dem Giebel gegen die Straße gerichtet. Jahrzahlen, die
aus der Zeit vor dem orleans'ſchen Krieg ftammen, finden fih an Häu—
fern ꝛc. noch folgende: A612 Weberrefte eines Poſtamentes an einem
Haus im Kappelhof (Wittwe Schufter), 1612 Jahrzahl über einer
Kellerthüre im Kloftermühlgäßchen, 1617 Gartenpfoften oberhalb der
obern Augaffe, 1618 Haus in der untern Augaſſe (jetzt übertündt)
41620 Haus in der Kauzenbach, 1636 Scheuer im Schulgäßchen,
1643 Grabftein in der Thorfahrt der Menzihen Brauerei
(Handelsmann Reh mit Frau und fünf Kindern, von dem
frühern Beſitzer des Hauſes, dem Zimmermann und DBierbrauer
K. L. Mutſchelknauß, deſſen Frau dem Geſchlechte des Reſch ent:
ſtammte, bei Abbruch des Kreuzkirchleins dahin verbracht), 1664 Gar:
1) Diefer Handel wurde nun freilih zum Theil mit fremdem Geld betrie-
ben, wie daraus entnommen werben kann, daß 1665 der Spezial Erab von
ber Stadt bie 100 Reichsthaler (ſammt 3 verfallenen Zinfen) zurüdverlangte,
bie er berfelben zum Bierhandel geliehen habe. Lebterer wurde erft zu Anfang
bes vorigen Jahrhunderts aufgegeben.
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688, 463
tenpfoften in der Mtftadt, 1667 Gartenpfoften im Holzgartenweg. —
Der adeligen Häufer gab es vor 200 Jahren in Pforzheim immer noch
fehr viele und es dürfte nicht unintereffant erfcheinen, diefelben unter
Angabe ihrer Lage, fo weit dies möglich ift, hier abermals aufzuführen.
Beim Brößinger Thor, wo jet das Erhardt'ſche Haus fteht, befand
fi) das freiherrlih von Hohenberg-Hochdorf'ſche Haus, und ein
Beweis für feine Größe ift der Umftand, daß es 1661 um die für die
damalige Zeit bedeutende Summe von 2000 Gulden an den Amtsfeller
ob. Bernd. Weiller verkauft wurde. Nahe dabei lag das von Hall
wyl'ſche Haus. In der Bruder: oder Lammgaſſe Tagen das 1567
erbaute von Flehingen’she und das von Remchingen'ſche Haus,
unten am Schloßberg das von Menzingen’sche und das von Kal:
tentbalihe, weiter oben am Scloßberg das Göler von Ravens—
burg'ſche; da, wo jeht Chriſtoph Beder, ftanden vor 1648 das von
Schornftetteniche, 1649 das Schen? von Winterftetten’fche und
das von Remchingen'ſche Haus, auf dem ehemaligen Kirchhof der
Barfüßer das von Gemmingen-Steined’fhe und in der obern
Pfarrgaffe unterhalb des Schlofjes das 1555 erbaute von Schauen:
burg’iche fpäter Mäntel von Steinfels'ſche Haus (jegt Maier und
Beltman). Unten am Marktplat (wo jest Auguft Kayſer) finden wir
die freiberrlih von Rieppur'ſche Behaufung, die 1681 dem Hofmeifter
des Markgrafen Karl Guſtav, Eitel Friedrich von Nieppur zu Ober:
mönsheim, gehörte, der noch ein zweites Haus vor dem Altftädter Thor
befaß. Nicht weit davon, nämlich bei der Eichmühle, Tag das von
Reyſchach'ſche Haus (wahrfcheinlih wo jebt Schneider Krimmer),
defien jchon 1658 als dort ftehend erwähnt wird und das am 27, Juli
1676 der Küfer Hans Balthas Saif von Jakob von Reiſchach, Fort:
meifter zu Leonberg und feinem Vetter, bez. Bruder Ludwig Eberhard
und Georg von Reiſchach, um 400 Gulden käuflich erwarb. Abermals
in der Nähe war ein anderes hochadeliches Haus, nämlih das Kech—
ler von Schwandorfihe in der Mebgergaffe, eigentlich 2 Häufer,
ein altes und ein neues, mit einem ummauerten Hof und Garten, zu:
fammen der „Kechlerhof“ genannt, welches hinten auf den von
Reiſchach'ſchen Garten ftieß, und am 15. Dezember 1679 am den Fuhr:
mann Hans Raufcher um 450 Gulden verkauft wurde, Die Kechler
befaßen aber nod ein Haus in der Ochſengaſſe (etwa wo jetzt Johann
Kiehnle), wofelbft auch 1658 das Haus Bernhards von Baden
464 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688.
ftand. In der Viehgafje war das Gred von Kochen dorf'ſche, in der
Artftädter Straße das von Storfhedelihe Haus, das 1687 Bier:
fieder Beder in Pacht Hatte. In letzterer Straße befaßen aud bie
Herrn von Leutrum zwei Häufer (jett Kaufmann Hepp bis hinunter
zu Fabrikant Groß, und Unter&deriche Bierbrauerei). Endlich ift 1681
auch no von einem Gremp von Freudenſteinſchen Hausplag vor
dent Altenftädter Thor neben dem von Rieppur'ſchen Haus die Rebe,
Außer diefen Adelsfamilien werden auch noch andere als zu jener Zeit
in Pforzheim wohnend angeführt, 3.3. die von Dw, von Hartungs-
haufen, von Sternenfels In das Mäntel von Stein
fels’ihe Haus heirathete damals ein Franzoſe, Herr de Macaire, deſſen
Nachkommen noch Tange ihren Sit in Pforzheim hatten. Unter den
Adelichen, welche wenigjten Güter bei, wenn auch, vielleicht Feine
Häufer in Pforzheim befagen, war auch der Herr von St. Andre zu
Königsbady.
Zur Bervollftändigung des Bildes, das hier vom „alten Pforz-
beim“ entworfen ift, mögen noch einige Notizen über die Bevölferungs-
verhältniffe der Stadt im 17. Jahrhundert bier angeführt werden. Die
Zahl der Einwohner ift in den Quellen, woraus dieſe Darftellung
geihöpft und zufammengetragen wurde, nirgends angeführt ; doch läßt
fie fih nach der Anzahl der Geburten, über welche die alten Kirchen:
bücher Auskunft geben, annähernd beredinen. Die Durhfchnittszahl der
in den Jahren 1607—1634 in der Stadtgemeinde jährlich Geborenen
ift 126. Zählen wir hiezu die im der Altjtadt Geborenen mit der
doppelten Durchſchnittszahl der fpätern Zeit, nämlich mit 22 (ein Alt:
ftädter Kirchenbuch aus jener Zeit ift nicht mehr vorhanden,) und neh:
men wir an, daß nad dem gewöhnlichen Verhältniß ein Nengeborener
auf 26 Seelen kam, fo ergibt fidy für Pforzheim eine Bevölkerung von
3848 oder in runder Summe von 3900 Seelen für dag erfte Drittel
des 17. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte des dreißigjährigen
Krieges nahm die Bevölferung bedeutend ab, jo daß fie, wenn mar bie
gleihe Rechnung, wie fo eben, wieder zu Grunde legt, um 1650 faum
2400 Seelen betragen haben kann. Bon diefer Zeit an aber zeigt fi
wieder eine allmälige Zunahme, fo daß die Zahl der Einwohner vor
dem Ausbruch des orleans'ſchen Krieges wieder zwifhen 3 und 4000
betrug und die Bürgerfchaft, die nocdy 1676 nicht viel über 370 Mann
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 465
ſtark war, im Sabre 1688 deren wieder 548 zählte, wovon auf die
Altjtadt zwiſchen 40 und 50 Eamen. \
Ueber die Tage und nähern Umgebungen Pforzbeims fteht in oben
ſchon erwähnten Werke, das eine Abbildung Pforzheims enthält, 1) unter
Anderm Tolgendes: „Pforkheim liegt am Hagenſchieß vnnd den Grän-
zen dep Craichgows, dadurch die*Enb, ein mittelmäßig Waffer fliefjet,
fo gar fiſchreich, jonderlih an Eichen ift, vnnd füllet darben die Nagolt,
vnd in dieſelbe vnfern die Wirm, dareyn. Es machen derjelben Ge—
ſtad, die Wieſen herumb, vnnd die nahliegende Berg, da man zu dem
Schwarzwald kommt, vnnd auff der andern Seiten die fruchtbare Aecker,
vnnd ſchöne Gärten, allda eine gewaltige Luft. Unnd kommt beſagter
Fluß Entius nicht gar ſonders weit von dannen in den Neckar; da es
eine vber die maſſen luſtige Gelegenheit am Neckarſtrom hat, daß man
es wol einen Garten nennen kann, darvon die Charitini, ſo hierumb
gewohnt haben ſollen, vielleicht ihren Namen bekommen. — Das alte
Schloß, wie auch die Kirch allda ſeyn wol zu ſehen, darinn etlicher
Herrn Marggraffen von Baden Begräbnuß, wie auch Marggraff Alb—
rechts von Brandenburg” u. ſ. w. — An einem andern Ort?) heißt
e8: „Pforgheim ift ein feine wolgebaute durlachifche Stadt an der Eng,
allda die Naab darein kommt, an denen Grentzen des Greichtgavs, am
Eingang des Schwarkwaldes, wenn man von Speyer kommt, in einer
wegen der Wiefen und nahe anliegenden Bergen überaus Iuftigen Gegend
gelegen.” — „Das alte Schloß, wie auch die Kirch ift da wol zu jehen,
darinn der Herin Marggrafen eines Theils Begräbniß, unter welchen
dann auch Marggraf Albrecht von Brandenburg ift“ ꝛc.
$ 3. Blicke ins ſtädtiſche Gemeinleben.
Die Zufammenfebung der ftädtifchen Behörden war noch immer .
diefelbe, wie wir fie bereits früher (S. 231) kennen gelernt haben, An
der Spite des ftädtifchen Gemeinweiens jtand der Bürgermeifter,
der in dem aus 12 „NRathsverwandten” zufammengefeßten Rathe den
Borfig führte Das Gericht Hatte diefelbe Zahl von „Gerichtsver—
1) Zeilers Topographia Sueviae,
2) Der durchleuchtigſten Firften und Marggrafen von Baaden Leben, Res
gierung, Großthaten und Abfterben ac, Frankfurt, 1695.
Pflüger, Pforzheim,
466 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688.
wandten”, und wurde jetzt vom Untervogt (früher Schultheiß) präfidirt.
Die Stelle eines Bürgermeifters beffeideten in der Zeit von 1650 bie
1690: Georg Weeber, Nikolaus Euchele, Hans Martin Faß:
naht, Hans Gall Kittel, Michael Peter Stieß, Johann Jakob
Deimling und Martin Zoller. Als Mitglieder der beiden ſtäd—
tiſchen Kollegien, die aber häufig nicht volljtindig waren, werden ges
nannt 1665: Gg. Weeber (Bürgermeifter), Wendel Fiih, Scherle, Hs.
Stieß, Balth. Schill, Fleiſchmann, Frauenpreis, Michael Peter Stich,
Ehrift. Ganſer, Wanner, Rud. old, Hs. Gall Kittel, Abrecht, Schau:
ber, Melter, Krenkel, Kanzler, Flacht, Zoller, Langjahr; 1656: Mart.
Zoller (amtstragender Bürgermeifter), Job. Fb. Deimling, Mi, Pet.
Stieß, Hs. Ulrih Kiefer, Eberle, Holdmann, Scheidlin, Wilderfinn,
Herbfter, Kercher, Ungerer, — Meerwein, Fauler, Mol, Burkhardt,
Bub, Schnell, Maier, Kornmann, Abrecht, Lötterle, Oftertag. — Ge:
meinjchaftlihe Situngen beider Kollegien follten eigentlich) jede Woche
ftattfinden, und nahm der Obervogt dann und wann, der Untervogt
häufig daran Theil. Indeſſen fielen auch manche Situngen aus. (1684
waren 39 'ſolcher Situngen; der Oberwogt allein nahm 3 Mal, ber
Untervogt allen 16 Mal, beide Beamten zufammen 9 Mal daran
Theil.) — Die Stelle eines Obervogts bekleidete um 1650 Engelhard
Göler von Ravensburg, 1658 und die folgenden Jahre Hugo
Ernſt von Landenberg, 1663 Tobias Spindler, fpäter in den
1670er Jahren Phil. Jak. von Botzheimb. Als Untervögte wer:
den aus diefer Zeit genannt: 1657 Joh. Sb. Ferber, 1675 ob.
Burkhardt Keller, nad diefem Erhardt Kieffer. — Außer den
ordentlichen Sitzungen Gerichts und Raths Tonnten in Partiefacdhen auf
befonderes Verlangen auch außerordentliche ftattfinden; doch mußte jede
der ftreitenden Partien dafür eine Taxe von 4 Gulden bezahlen, welche
ber gewinnende Theil vom andern wieder verlangen durfte. Jedes Mit:
glied des Raths und Gerichts durfte den Ehrentitel „Herr“ führen, der
fonft nur den fürftlichen Beamten und Geiftlihen zufan. Die voll:
ftändige Anrede an Bürgermeifter, Gericht und Nath, welche im Dienft-
wege gebraucht werden mußte, Iautete: „Wohlehrenfefte, ehrenfefte, hoch—
und mohlgeachtete, fürfichtige, ehrfame, hoch- und wohlweiſe Herren amts-
tragender Bürgermeifter, Gericht und Nath, gnädigfte, hochgeehrtefte,
hoch- und vielgeehrte Herren!“ — Ihre Amtswürde wußten die Herrn
ftreng zu wahren, und jede Verletzung derfelben wurde jcharf geahndet,
Fünfzebntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688, 467
Eine Beleidigung des Bürgermeifters hatte für den Thäter troß feiner
Bitte um Verzeihung 1678 eine Gefängnißitrafe von 24 Stunden und
eine Geldftrafe von 2 Pfund Pfennig zur Folge. Als Einer 1683
einen Rathsherrn einen Stadtfnecht geheißen, mußte er, weil er ein
„groß Unrecht” begangen, 1 fl. 41/, Strafe bezahlen. Noch jchlimmer
kam eine Zuhrmannsfrau weg, die 1664 einen Rathsherrn einen „Narren“
und Heinen „A—wifch” geheißen hatte, Schwer mußte auch der Bürger
Hans Lug 1666 die Folgen einer Verläumdung empfinden. Von Sei—
ten der ftädtiichen Behörde war nämlich an die Zünfte in jenem Jahr
die Eröffnung gemacht worden, daf fie fich aller geheimen Zufammen:
fünfte enthalten und nicht gleich mit jeder Klage am die fürftliche
Kanzlei wenden, fondern dieſelbe zuerft bei Amt und Rath vorbringen
follten, Darauf bin machte befagter Lutz bei fürftlicher Kanzlei die
Anzeige, es feien die Zunftmeifter aufs Rathhaus befchieden und ihnen
eröffnet worden, daß Feiner mehr bei 10 Thaler Strafe bei Sr. fürſtlichen
Durchlaucht etwas Hagen folle, oder man werde Einen oder Etliche
nehmen, nach Durlach führen, ihnen die Köpfe vor die Füße legen und
ihre Weiber und Kinder zur Stadt hinaus jagen; dabei fei ihnen bes
fohlen worden, zu der ganzen Sache ftill zu fein ac. — Da fich bei
vorgenommener Unterfuhung diefe Angaben als grobe Verläumdung
herausftellten, jo wurde Lutz zur Strafe ins Käficht des Brößinger
Thors geſteckt, mußte fi aller ehrlichen Zuſammenkünfte, Gejellihaften
und Zehen bei Strafe von 10 Pfund Pfennig enthalten und durfte
bis auf Weiteres außerhalb der Pforzheimer Gemarkung bei gleicher
Strafe keinen Fuß ſetzen. Solch ftrenges Verfahren mußte nun freilich
einen heilſamen Schreden einflößen und zur Wahrung der Autorität
der Ortsobrigkeit Fräftigft beitragen. In ähnlicher Weiſe wurde aber
auch. das Anfehen fonftiger ftädtifcher Bedienfteten geſchützt. Der Met:
ger Rapp wurde 1689 um 10 Schilling Pfennig geftraft, weil er ges
fagt, man müfje den Fleiſchſchätzern Brillen auffegen, und Metzger Mid).
Bud mußte gar 1 Pfund Pfennig Strafe bezahlen, weil er die Aeuße—
rung gethan, man henke Keinen, man babe ihn denn zuvor.
Die Mitglieder der ftädtifchen Kollegien bezogen feine Bejoldungen;
nur der Bürgermeifter erhielt aus der Stadtkaffe jährlih 10 fl. 40 kr.
welhe Summe jedoch 1683 auf 32 fl. erhöht wurde, Auch Diäten
wurden nur felten ausgeworfen; dafür wurde, wie früher ſchon (S. 208)
erwähnt, ein „Trunk“ gethan, aud eine Mahlzeit — Am
468 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688.
Tage der jährlichen Bürgermeifterwahl wurden von Gericht und Rath
die Zinfen der oben (S. 286) angeführten Stiftung des Kanzlers Acht:
ſynit zu einem Trunk verwendet. Dafür wurden 1683 verzehrt 4 Maaß
jpanifchen Weins a 1 fl. 4 kr., für Maftir (!) wurden 4 kr., für
Semmeln 15 fr. ausgegeben. Wehnliches ſcheint damals jedes Jahr ge
ſchehen zu fein; wenigitens ift davon auch 1687 wieder die Nede, nur
daß es dort zu 4 Maaß und 24, Schoppen des fpanischen Weine
reichte, den der Apotheker Wilhelmi zu liefern hatte. Ebenſo wurde bei
der jährlihen Abhör der Bürgermeifterre[hnung immer eine Mahl:
zeiten gehalten, an weldyer die fürftlichen Kommiſſarien (1683 die geh.
Hof: und Kammerräthe Johann von Efjen und Joh. Heinr, Abrecht),
die Beamten, der Bürgermeifter und ſämmtliche Mitglieder des Gerichts
und Naths Theil nahmen, und deren Koſten der Stadtſäckel tragen
mußte, Diefe beliefen ſich 1693 auf 31 Gulden 18 Kreuzer, wozu
noch 4 Gulden Fuhrlohn, die Diäten dev fürftlichen Kommiſſarien und
des Kanzliften famen. Da folde und andere, wie es fcheint des Jah—
res mehrfady fich wiederholenden Mahlzeiten die Stadt viel Geld
fofteten, fo fam dafür der Gebrauch auf, allen Perſonen, die fonft da-
ran Theil genommen hatten, jilberne Xöffel auf GStadtkoften zu
verehren. So wurden bei der Abhör der Bürgermeiſterrechnung
1688 30 folcher filberner Löffel ausgetheilt, nämlich an die fürftlichen
Kommiffarien, geh. Rath Johann von Efjen und Kammerrath Kipling,
bie Pforzheimer Beamten, den Stadtichreiber, die Protofolliften und
die 24 Gerichts: und Rathsherrn, und erhielt dafür der Goldſchmied
Nikolaus Burkhardt 92 fl. 74/, Er. ausbezahlt. Trotz diefer Aende-
rung wurden im Jahr 1684, wo folche Schon ftattgefunden hatte, 244 fl.
281/, tr. für „Zehrung” ausgegeben. — Als am 7. November 1688
der neue Wein auf dem Rathhaus verſucht wurde, um die Tare ‚des-
ſelben zu beftimmen, ift ein Trunk gethan und dabei verzehrt worden
2 f. 15 fr.
Ale fonftigen ſtädtiſchen Bedienfteten bezogen Bejoldungen, denen
num freilich) der Geldwerth jener Zeit zu Grunde lag. Diefelben fchei-
nen im Jahr 1683 neu regulirt worden zu fein, wie ſchon aus dem
oben angegebenen Einfommen des Bürgermeifters hervorgeht, Es dürfte
für die Leſer von Intereſſe fein, dieſe Bejoldungen hier angegeben zu
finden. Folgende Zufammenftellung mag damit zugleich als Ergänzung
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688,. 469
der Liſte der ftädtifchen Angeftellten dienen, die oben (S. 237 ff.) mit:
getheilt worden ift. Es erhielten:
Der Stadtichreiber Götz
an Befoldung . . 2 2.40 fl. — fr. (1682 noch 12 fi. dr.)
für. Bapier und Dinte . . 8.20.
für den Hausverbraud an Holz 40 fl. — fr.
zufammen 85 fl. 20 fr., |
Der Stadtphyſikus Joh. Burkh. Mögling 20 i, der Baumeiſter 20
fl., der Kornfchreiber 5 fl., der Weinſiegler 4 fl. 171/, fr, der Maß:
pfennigeinziehev 2 fl. 20 Er., der Fleiſchwäger 5 fl., der Waſchhausver—
walter 6 fl, der deutfche Schulmeifter 15 fl. (1682 noch 3 fl. 45 kr.),
der Zinkeniſt 10 fl. (1682 noch 2 fl. 30 kr), 3 Hebanımen jede 7 fl.
und 3 SKlafter Holz (1682 jede mur 1 fl. 45 fr.), der Waldſchütz
24 fl., der Stadtneht 26 fl., die Brodbeſchauer je 2 fl. SO kr.,
die Fleiſchſchätze 2 fl. 30 kr., Organift Dürr 10 fl, der Thor:
wächter des Altftädter Thors 7 fl. IL Er, der Büchfenhalter, Wer:
renſchließer und Beſchließer dafelbft 6 fl. 30 kr., der Thorwächter
am Bröginger Thor 14 fl. 21 Fr., der Beſchließer dafelbft 2 fl.,
der Thorwächter am Steinbrüderthor 7 fl. 51 fr., der Beſchließer da-
ſelbſt 2 fl., der Thorwächter am Auerbrunnenthor 8 fl. (derfelbe war
zugleih VBormitternachtsmächter in der Au und mußte auch die Uhr
dafelbft aufziehen), 2 VBormitternachtswächter jeder 13 fl., 2 Nacmitter:
nachtswächter jeder 11 fl., der Hochwächter auf dem Bröbinger Thor
16 fl., die Schließerin des Hillertbors 1 fl., des Schäferthors 2 fl., für
dag Auf: und Zufchließen der Werren (Wehre) an der Altftädter Brücke
1 fl. 30 kr., Thorwächter am Heiligkreuztbor 3 fl., Thorwächter beim
obern Grabenthor 2 fl., Sägverwalter 20 fl, Außerdem werden theils
als ftädtifche, theils als folche Bedienftete, gegen welche die Stadt wenig:
ſtens DVerbindlichfeiten hatte, erwähnt: Der Stadthauptmann (hatte
freie Station von der Stadt anzufprechen), die 2 Stadttrommler erhiel:
ten zufammen 10 ft. 1) (1687 wurden für diefelben 2 neue Trommeln
aus Ettlingen bezogen und Tofteten 7 fl. 15 kr.), eine Wärterin auf
1) Zu Stadttrommlern wurden 1687 Ernft Friedrih und Tobias Heild
beflimmt. Die „faulen Kerle” wollten aber zuerft nicht, weshalb ihnen zur
Strafe unterjagt wurde, bei Hochzeiten und Tänzen aufzufpielen,
470 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688.
dem Rathhaus oder die fogenannte Rathhausfrau. — Die Math.
Buck'ſche Witwe, welche die ordinäre Poft (d. h. Botengänge) nad
Durlach verfehen ließ, erhielt 4 fl. (Meben diefer „oft“ wird 1684
noch einer „Straßburger Landkutſche“ erwähnt, die wöchentlich nad
Stuttgart ging. Derfelben war Meggeldermäßigung zugeftanden.)
Die Gefammtjumme der Befoldungen belief fi 1683 auf 387 Gul-
den 48 Kreuzer.
Um die jährlichen Ausgaben, welche die Stadt in jener Zeit hatte,
fowie die Einnahmen, welche zur Dedung derfelben dienen mußten, ganz
überfehen zu können, möge hier ein Auszug aus der Bürgermeifter:
rechnung von 1683 folgen, welcher zugleich Stoff zu intereffanten Ver:
gleihungen bieten mag.
Einnahme
Betrag. Reit.
fl. fr. fl. kr.
DIEB: ut 598 ATi, — —
JJ 354 45 — —
Stanogeld. .. — 10 391), — —
Hanfwage, Wagtiſch ib Dip > ä 5 34 — —
Mepgld . . . . — 12 36 — —
Umgeld mit Mafpfennig . Er 244 11 ee N
CHEUBEN sn 4 45il, — —
Biehunterfuf 2 2 2 2 nn nn 04 19 — —
Sahewim . 2 2 2 2 20. 97 .— er ie
Hausweinumgld . . 2. 2.2. 5 413/, _ —
Biundil . 2 2.2 4% 396 45 er
Jährl. Gülten . . 2 2 20. ..10964 271% 10896 32
Unbeftändige Gülten . . 2... 247 531%, 34 50
Gültrükftände von früher. -. . . 144 491), 48 45
Alte Rüdftände. -. 2 2 2.20. .629 5617, — —
Landadt . . . . . — 30 — —
Von den Waſchhaufern Er — — — 50 — 50 —
Aus Aſche rlött . . 2 2 2. 738 — —
Bom Aus. 2... 220% 8 423), — —
Bürgergelder. . .. end. 149 12 70 58
Zu Hilf der Armbruft: u, Bücjfenfhüßen 126 4 414 58
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648 -1688. . 471
Betrag
fl. fr.
Strafen und Rügung . . » . - 50 464,
Rüdfinde - » 2: 000. 68 le
Eiherlft . «2 2 000. 3 16
She. . 2 0000“ 295 31
Bom Sägmeifr . . . . 450 4115,
Ausftände v. a. Brüsten . — 32
Debmengeld . .. : 316 3
Ausftände dvon 2... 3 22
Pirhed - -» 2000. 24 56
Vom Zieglerzeug.. — 2
Ausſtände von Lagergeldern . . . d —
Erfaß für Zehruung 2 —
Beifibgelder . » - 2 ee. 17 46
In Gemein.. 116 19
Ausſtände in Gemein. 12 221),
Summa . 15399 333/,
11294 51
11294 51
Mirkliche Einnahme . 4104 423,
Ausgaben.
Angelegte Hauptgült .
Jährliche Gülten
Bejoldungen
Zehrungen
Berehrungen
Schmebende Späne — Gerichtshandei
Poſtritt und Botenlohn . F
Verbaut
Fuhrlohn von Klafterholz
Verpfläftert .
Für Tuch . .
Den Armbruft: — Biöfniken
Tür Brennbo . » > er.
472 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688.
2 fl. tr.
SOrtterlohnn 5 et 2 9
Hanerlon zo 0 0 0 0: 19 4
I EUcseL. « u. ae. Be ee er, 31 38
Reifach zu hauen 200 1 30
SEHIEGBRONEN > car 17 16
Shmengele &..02.. 0% ee AN
Um Gotteswillennn. 11.37
MSOUHOlE: 2 13 —
AO 5 6060
EIERN 5. % 81%
3709 39
3ufammenftellung.
fl. fr.
Wirkliche Einnahmen . 2 2 2 424104 423,
— 5 2 Sr. ee ea u 0
Kaſſenreſt . 395 33,
Zu manchen diefer Einnahms- und Ausgabspoften find einige Be:
merfungen nothmwendig. Als bedeutendfter unter den erftern erfcheint der
Pfundzoll. Darunter ift die Kauf-, Erbſchafts- ꝛc. Accife zu ver:
fteben, welch erftere aber niht nur von Gütern und dgl, fondern auch
von Waaren, ja vom Holz erhoben wurde. Im Privilegienbrief von
149 (©. 226) war aller Pfundzoll von Handel und Gewerben in
Pforzheim auf 1 Pfennig vom Gulden ermäßigt worden, wogegen ſich
die Herrichaft din alleinigen Bezug desfelben nad hergebrachter Sitte
vorbehielt. Dieſe Beſtimmung wurde jedoch 1675 durch einen Vertrag
zwifchen der Stadt und der Herrfchaft dahin abgeändert, daß der
Pfundzoll in Pforzheim auf den gleichen Betrag, wie er im ganzen
Land erhoben wurde, unter der Bedingung erhöht werden follte, daß
die Stadt davon den vierten Theil beziehe (der ihr indeß fehr un:
regelmäßig ausbezahlt wurde, was ſchon 1678 und 79 Klagen hervor:
rief), Diefe Menderung, obgleich fie der Stadt eine bedeutende Ein:
nahmsquelle eröffnete, erregte jedoh unter der Bürgerfchaft große
Unzufriedenheit, wie oben fchon angedeutet worden ift, und bildete
auch einen der Beichwerdepunfte, die beim fpäter ausgebrodhenen
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 — 1688. ‚473
Privilegienftreit zur Sprache kamen. — Einen anſehnlichen Einnahme:
poften bildete aud) das Weggeld, das ziemlich Hoch war umd darum
von Seiten nahliegender Gemeinden, jo 1678 von Stein, Beſchwerden
bervorrief. Ein Jude, der 1672 während der Mittagpredigt mit Vieh
durch die Stadt zog, mußte 6 Kreuzer bezahlen; (Teider vertranf es
die Thorwartin!) — ein anderer zahlt für 60 Stüd Vieh 1 Gulden;
zwei find durchs Brötzinger Thor gefahren, zahlen 2 Baten, 2 Schwei:
zerwägen 4 Baten, 1300 Stüd Schafe koſten 5 Gulden Weggeld.
Daß von der Einnahme an Gülten fait die ganze Summe im Rück—
ftand blieb, erfcheint auffallend, rührt aber ohne Zweifel daher, daf
diefe Zinfen oder vielmehr die Kapitalien, aus denen fie floffen, im
Grund nicht mehr eriftirten, da faft ſämmtliche Häufer, auf welche die
Stadt ihre Kapitalien ftehen hatte, im dreigigjührigen Krieg abgebrannt
waren. Deffenungeachtet wurde diefer Posten in den Stadtrechnungen
fortgeführt, vielleicht um das Andenken daran, daß die Stadt auch eins
mal bedeutende Kapitalien beſeſſen, lebendig zu erhalten. — Unter
Landacht oder Nachzelg ift eine Einnahme von Almendgütern zu
verftehen. Was den Abzug betrifft, jo erfehen wir aus dem Umftand,
daß 1684 ein Strumpfweber aus Bretten, von in Pforzheim ererbten
135 fl. — 16 fl. 12 tr. Abzug bezahlen mußte, daß letzterer 12 Pro:
zent betrug, wovon die Stadt 5 Prozent, alfo 6 fl. 45 fr. erhielt. —
Bon den Strafen und Nügen bezog die Stadt ebenfalls nur einen
Theil, und zwar beifpielweife von einem Blutfrevel, welcher 4 fl. 20 Er.
foftete, 1/3 mit 1 fl. 26 fr., von einem Xrodenfrevel a 1 fl. 28 tr.
ebenfalls 1/, mit 29 kr., von einem großen Unreht 22 fr., einem Kleinen
T kr, von jedem Nachtgulden 13 kr. Es dürfte nicht unintereffant
fein, bier den Betrag noch anderer Geldftrafen angegeben zu finden,
Mehrere, die am 9. Jan. 1665 die Nacht durchgezecht und gefpielt haben,
zahlen 1 Nachtgulden und 5 Schilling „Spielainung“. — Hans Bölfter:
lin der Efelsmüller muß, weil feine Ejel im Feld öfters Echaden ge:
than haben, 1665 für jeden der 4 Efel 22 fr. „Feldrügung“ bezah—
len. — Hans Würz kommt 1665 wegen „Fluchens“ 1 Tag und 1
Naht in „Keffit“ und muß 10 Schilling Pfennig ins Almofen zahlen.
— Zwei Männer, welhe am Bronnenwörth durch Einbiegung von
Weiden ꝛc. ihre Miefen vergrößerten, werden 1667 wegen „Markver: _
letzung“ jeder um 15 fl. geſtraft. — Ein Jude zahlte 1673 wegen
zu leichten Gewichts d Sch. Pfg., ein anderer 4 Sch, Pfg. — Ein
474 Fünfzehntes Kapitel. Piorzheim von 1648— 1688.
Bürger, der Wache fteht, it 1673 mit den Thorſchlüſſeln ing Mirthe-
haus gelaufen, zahlt 10 Sch. Pig. — Ein Bäder zahlt 1674 wegen
zu Heinem Brod 10 Sch. Pig. — Zwei haben 1674 am Sonntag
gefifcht, zahlt Jeder 10 Sch. Pig. — Ein Mebger zahlt 1678 wegen
Schlachtens eines beinbrüdigen Ochfen 10 Sch. Pig. — Ein Bäder,
ber zu ſpät gebaden, muß 1686 die große Flaſche mit Wein und 10
Sch. Pig. bezahlen. — Wer feinen Feuereimer bat, muß (1684)
22 tr. bezahlen. — Winkelſchreiberei koſtete 1676 1 Gulden Strafe,
ein verbotener Gartendurchgang 5 Pfd. Pfennig, unerlaubter Viehtrieb
2 Sch. Pig. — Eine Frau, welche 1673 eine andere eine bucklichte
Here hieß, mußte 3 Pfd. Pfg. Strafe bezahlen; eine andere Injurie
foftete 1675 zwei Gulden ꝛc. — Vergehungen der Iektern Art wurden
auch in noch anderer Weiſe beftraft. Im Lahr 1662 wurde Heinrich
MWürz wegen Injurie und Zrodenfrevel in den Efelsftall geſetzt, feine
Frau aber wegen böfen Mauls in die Geige gethan. — in Soldat
(d. 5. Bürger), der 1678 feine Muskete im Rauſch auf feinen Offizier
anfchlug, mußte zur Strafe bei der Hauptwache zwei Stunden lang zwei
Doppelhafen tragen. — Tür Vergeben ſchwererer Art ftand auf dem
fogenannten Galgenrain auch ein Hochgericht bereit. Dasfelbe wurde
1697 reparirt, nachdem der Baumeifter Kercher die Anzeige gemacht,
daß e8 verfault und dem Einfallen nahe ſei. — Unter den in ben
Ausgaben vorkommenden „Verehrungen“ find Geſchenke zu ver⸗
ſtehen. Trotz ihrer oft mißlichen Finanzlage ließ die Stadt den alten
löblichen Brauch nicht abkommen, ſich bei beſondern Anläſſen, namentlich
Hochzeiten, zu welchen die ſtädtiſchen Behörden geladen wurden, ſplendid
zu zeigen und auf die Einladung mit einem Geſchenk zu antworten.
Ein ſolches von 6 Reichsthalern erhielt z. B. 1662 der Rechneirath
Obrecht (Abrecht) zu Karlsburg, ebenſo der Diakonus Pauli; dem
Untervogt Ferber wurde 1664 auf ſeinen hochzeitlichen Ehrentag ein
ſilberner Becher verehrt von 29 Loth und 3 Quintlein Gewicht und
32 Gulden Werth; Daniel Meeber erhielt 1665 eine Hochzeitsgabe
von 8 Thalern für feine Tochter; Profeffor Arnold in Durlach 1665
für die Einladung zu feiner Hochzeit 3 Rthlr.; 1682 befam ein Raths—
berr zu feiner Hochzeit 3 fl.; der Sohn eines Gerichtsherrn ebenfalls
3 fl. f. w. Meagifter Joh. Joachim Kiefer, der feine in Straßburg
gehaltene Disputation dem Magiftrat widmete, erhielt dafür in ber:
kömmlicher Weiſe 6 Ntblr., der Student Phil. Sigm. Elos in Durlach
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 475
für feine „disputatio de purgatorio* 6 fl.; — dem neuen Diafonus
Sutor wurden 1694 (alfo fogar im Krieg!) 4 Gulden zum Willkomm
verehrt; 1672 erhielt der Herr von Kroned, geh. Rath und Präfident
zu Karlsburg, von der Stadt einen filbernen Becher und 2 Salzbüche:
fein (von den Amtsfleden 2 Biertel Nedarwein), 1697 die Gemahlin
des Präfidenten von Gemmingen eine filberne Suppenſchüſſel (30 Loth
fehwer); der Oberrathsfefretäv Joh. Frd. Boch erhielt 1662 die von
der Stadt verlangten Rahmenfchenkel wegen erwiefener Gefülligfeit um
fonft u. f. w. — Die Ausgaben „um Gottes willen“ waren
ebenfalls Gefchenfe oder Unterftügungen an Arme und Nothleidende.
Sp erhielt 1684 ein Erulant aus Ungam 20 fr; der Marktfleden
Pfalz: Sulzbah, wo „die Papiften die Kirche, Pfarr: und Schulhaus
weggenommen haben,“ zur Erbauung einer neuen 1 Gulden; 1689
wurden einem armen melandolifchen Studenten verehrt 3 fr, Solche
Geſchenke an vertriebene Geiftliche, Schullehrer, invalide Offiziere und
Soldaten, alte Leute ꝛc. kommen noch öfter vor. — Das in den Aus:
gaben aufgeführte Dehmengeld ift der Zins für Benützung ber
Herrfhaftswaldungen zum Eckerich (vergl. S. 219) oder zur Tichelmaft.
Wie aus oben mitgetheiltem Rechnungsauszug erſichtlich, war zur
Beftreitung der Gemeindebedürfniffe von der Erhebung einer fhädtifchen
Umlage feine Rede, und die Bürger bezahlten eben fo wenig eine ftäd«
tifche, als eine berrichaftliche ftändige und direkte Steuer. Deſto
mehr wurden fie aber mit indirekten Steuern, als Umgeld, Mafpfennig,
Pfundzoll ꝛꝛc. ins Mitleid gezogen, von denen die Herrfchaft und bie
Stadt jede ihren Antheil erhielt. (Vergleiche den Privilegienbrief von
1491.) In letzterm waren die Bürger von jeder direkten Steuer ohn:-
Hin ausdrüdlich befreit; doch begegnen wir nad dem dreißigjäh—
rigen Krieg ſchon öfters dem Namen der „Schatzung“, alfo einer
Vermögensfteuer, die indeſſen nur den Charakter einer vorübergehenden,
nicht einer ftändigen Steuer trug. (Bergl. ©. 357.) Sie wurde
in Monatgeldern erhoben, welche 1663 zufammen 216 fl. alfo jährlich
an 2600 fl. betrugen, eine für feine Zeit nicht unbedeutende Summe.
Diefe Steuer erregte unter der Bürgerfchaft große Unruhe und Unzu—
friedenheit und rief viele Beſchwerden hervor. So finden wir, daß
1665 Veit Raub ſich über diefe Steuer, namentlich daß er zu hoch
angelegt ſei und monatlich 1 fl. 431/, Fr. (alſo jährlih 20 fl. 42 tr.)
bezahlen müſſe, bitter beklagt und um Mobderirung bittet. Die Herr
476 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688,
ſchaft Fonnte indejfen in Zeiten der Noth auch die „gefreiten” Städte
von diefer Steuer nit ausnehmen, und die Bürger mußten fich, wenn
auch ungern, zur Zahlung derfelben veritehen. Der lang verhaltene Uns
wille darüber fam indeR, wie unten erzählt werden foll, erft zu Anfang
bes 18, Jahrhunderts in Pforzheim im Privilegienftreit zum Ausbruch.
Außer diefer Schatung begegnen wir 1663 aud einer „Türkenſteuer.“
Wie viel diefelbe betrug, weiß ich nicht. (MS fie 1663 eingezogen
wurde, äußerte Jemand: Der Türk käme doch, man möge zahlen, fo
viel man wolle.) Daß der Stadt im Miderfpruch mit den Beftim:
mungen des Privilegienbriefes auch von Zeit zu Zeit Frohnden zu:
gemuthet wurden, gebt aus mehreren. Stellen der Rathsprotofolfe jener
Zeit hervor. Wenn jedoch aud die Stadt in manchen Fällen den Be-
fehlen der Regierung Folge Teiftete, fo geihah es nie ohne heftige Pro:
teftation. Auch ſonſt entftanden mehrfach Streitigkeiten zwifchen Stadt
und Regierung, deren Beilegung in der Negel bei Abhör der Bürger:
meilterrehnung verfudht wurde umd, wenn es möglich war, auch
erfolgte. So trug u. U. die Stadt 1679 verichiedene „Gravamina“
vor, und zwar 1. wegen des Salzhandels; 2. wegen des Dehmengeldes ;
3. wegen gegenfeitiger Forderungen; 4. wegen des Umgeldes vom Vieh,
da8 die Juden fhächten; 5. wegen des fundzolles von Jud Wolf,
ber nur von der Herrichaft erimirt; 6. wegen des Umgeldes vom herr:
ſchaftlichen Weinſchank; 7. wegen der Singener Schuld,
Ein an dem Wohlftand der Stadt au im der Folge immer
nagender Krebs waren ihre ſchweren Schulden. Es ift ſchon früher
auf diefen fhlimmen Umstand bingewiefen worden. Waren der Stadt
einerfeitS die meilten Kapitalien, welche fie auf Häufern ftehen hatte,
durch das Megbrennen derfelben verloren gegangen, fo war fie anderer:
feits ſehr oft genöthigt, zur Dedung dringender Bedürfniffe, insbefondere
während des dreißigjährigen Kriegs und zum Theil vorher ſchon, Kapi—
talien aufzunehmen. So finden wir, daß die Stadt 1611 bei Dr. Sig:
mund Hafner zu Speier ein Anlehen von 2000 Gulden machte. Die
Zahlung des Zinſes gerieth aber während des dreikigjährigen Krieges in
gänzlihes Stoden. Im Jahr 1667 ftellte Dr. Kühorn als Hafner’
her Erbe das Anfinnen, daß die Stadt doch wenigſtens an den feit
30 Sahren (!) aufgelaufenen Zinfen etwas entrichten ſollte. Diefelben
wurden aber jet fo wenig, als in der Folge bezahlt, fo daß fie bis
1689 auf 5276 fl. 22 fr. angewachfen waren. Damals erbot fi
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688, 477
die Stadt, für Kapital und Zinfen 300 Gulden zu geben, was
aber nicht angenommen wurde. Wie es in der Folge mit diefem
Schulöpoften ging, weiß ich nicht. Das Wahrfcheinlichite tft, daß weder
Kapital noch Zinfen bezahlt wurden. — Wegen eines am 24. Juni
1600 aufgenommenen Kapitals von 300 fl. wurden 1677 mit dem
derzeitigen Gläubiger Joh. Karl Allgeyer, Kanzlift in Durlah, Ver:
bandlungen angefnüpft und begnügte ſich derfelbe „in Anfehung der der
Stadt obliegenden großen Schulden” mit einer Abfindungsfumme von
112 fl. für Kapital und vieljährige rückſtändige Zinſen. — Ein anderes
Anlehen von 1100 fl. machte die Stadt 1629 bei Melchior und Mar:
tin Nördlinger, die aber nie Etwas erhielten. Im nämlichen Jahr
ſchoß die Gemeinde Singen der Stadt 390 fl. vor. Davon wurde
aber nie ein Kreuzer Zins bezahlt, jo daß letterer im Jahr 1689 auf
das dreifache des Kapitals, nämlich auf 1170 fl. angelaufen war. Die
bedeutendste Schuld aber, die im dreißigjährigen Kriege, und zwar zu
verichiedenen Malen in Poſten von 400, 1200, 1000, 800, 400 und
500 Fl. (vergl. Bürgermeifterrehnung von 1684) gemadyt wurde, war
die ans Klofter Frauenalb. Sie betrug alfo im Ganzen 4300 fi.,
eine für jene Zeit fehr große Summe. Auch bier häuften fich die
Zinsrückſtände fo an, daß fie nach und nad) faft die Höhe des Kapitals
erreichten. Schon: 1662 wurde deshalb zwiſchen den beiden heilen
unterhandelt; allein die Vorſchläge der Stadt, welche gänzlichen Nach—
laß der alten Zinfen, Herabjegung des Kapitals und der neuen Zinfen,
leßterer anf %/,, höchſtens 1/z ihres Betrages verlangte, fagten dem
Klofter nicht zu. Doch ſcheint man ſich wegen der Zinfen verjtändigt
zu haben. Aber vom Jahr 1677 an wurde wieder Fein Kreuzer Zins
bezahlt, bis fich endlich 1717 die Stadt mit dem Kloſter abfand, indem
fie diefem für Kapital und rüdjtändigen. Zinfen, welche die doppelte
Höhe des Kapitals erreicht hatten, die Summe von 2300 fl. in drei
Terminen abzuzablen fich verpflichtete. In welcher Weile dies geſchah,
wird weiter unten erzählt werden. — Wie hier, fo wurde viele Jahre
lang an den dem Almojen ſchuldigen 290 fl. nichts bezahlt. Eine
andere Schuld war durch Zinsrüdjtände auf 949 fl. 17 kr. angewachſen.
Sp fünnten noch verfchiedene andere Schuldpoften angeführt werden, von
denen die Stadt nicht einmal die Zinſen bezahlen konnte, von der Til-
gung der Schuld felbft gar nicht zu reden. (1670 verlangte eim
Herr von Sperberseck 300 fl. von der Stadt, die fie ihm, von feiner
478 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688,
Schwiegermutter Elsbeth von Reutrum herrührend, ſchulde; Ludwig Eber—
hardt, Friedrich Jakob und Heinrich) von Reiſchach fordern 1676 100
fl. von der Stadt, der Rektor Bulyowsky in Durlad 1679 300 ft.
u. f. mw.) Nicht beffer als den andern Gläubigern ging e8 der Herr:
Ihaft, die der Stadt auch mehrfach mit Geldvorſchüſſen aus der Ver:
legenbeit geholfen hatte, fo 1661 mit 4000 Reichsthalern zur Anfchaf:
fung von Brodfrüchten. Auf eine Mahnung, welche deshalb 1672
erfolgte, wurde eine Supplik an den Fürften beichloffen, und als bie
Mahnung 1673 wiederholt wurde, gab die Stadt den einfachen Be:
ſcheid: Man folle Geduld haben. Als 1679 die erwähnte Summe
nochmals zurüdverlangt wurde, fo erfolgte die Erklärung: Da bie
Stadt fein Geld habe, jo wolle man die ſchuldigen 1000 Reichsthaler
an den 3000 Gulden, weldye die Herrichaft der Stadt ſchulde, abziehen.
Erſt 1730 wurde bei einer allgemeinen Abrechnung zwiſchen der Stadt
und der Herrfchaft auch diefe Angelegenheit geregelt. — Zu einem Anz
Iehen von 300 fl., welches 1663 gemacht wurde, mußte der Bürger:
meifter Georg Weeber feinen Namen hergeben, wahrjcheinlich, weil bie
Stadt jelbft zu wenig Kredit hatte. Vom Jahr 1672 findet fi im
Rathsprotokoll eine bittere Klage über die „allzufchweren Schulden“ ber
Stadt. Leider vereitelten fowohl der Iuremburgifche, als in noch höherm
Grade der orleans’fche Krieg alle Bemühungen, mehr Ordnung in bie
zerrütteten Finanzen der Stadt zu bringen, und erft dem folgenden
Jahrhundert war es vorbehalten, wieder beffere Verhältniſſe herbei:
zuführen.
Es möge in diefem Mbfchnitt endlich auch noch der Schulen in
Pforzheim erwähnt werden. Wir finden dafelbft wie früher eine Iatei-
nifhe und eine deutjche Schule. Bon erfterer ift ſchon mehrfach
die Rede gewefen. In dem Zeitraum, deſſen Schilderung die Aufgabe
diefes Abſchnittes ift, zählte diefe Anftalt 3 Lehrer. Rektor oder Prae-
ceptor primarius war 1638 — 1654 Albrecht Herold; auf ihn folgte
bis 1663 Georg Rumpler, von da an durch eine lange Reihe von
Jahren hindurch Sebaftian Kempf. (Er Iebte noch 1698, wird aber
dort emer. praeceptor primarius genannt.) Ihm folgte Barthol.
Mayer. Der, Rektor befleidete zugleich die Stelle eines Kantors in
der Stadtkirche. (Wegen Kränklichkeit desfelben wurde letztere Stelle
1683 dem deutſchen Schulmeifter Probfthan übertragen.) Die Stelle
des zweiten Lehrers oder des praeceptoris secundae classis, jowie bes
4
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648— 1688. 479
dritten, der bald Präceptor, bald Provifor heißt, befleideten in der Zeit
von 1650 bis 1690: Lorenz Mäulin, Joh. Friedr. Eradt, Martin
Mauritii (1680, Fam 1721 wieder als Pfarrer nad) Pforzheim), Job.
Ib. Rothenbach, Joh. Friedrich Frau, Anton Mannhart. Ueber die
innern Verhältniſſe diefer gelehrten Mittelfchule, die den Rang wie früher
längft nicht mehr einnahm, vermag ich nichts Befonderes anzugeben.
Sie entfprachen jedenfalls denen ambderer ähnlicher Anftalten, Die
Schüler konnten ſchon mit dem 6. oder 7. Lebensjahre in die Schule
eintreten und mußten in jeder Kaffe 2, auch 3 Jahre zubringen. 1)
Der Hanptunterrichtsgegenftand war natürlich die lateiniſche Sprache,
mit welcher ſchon in der unterften Klaſſe der Anfang gemacht wurde,
Beſonderer Pflege durfte ſich aud der Gefang erfreuen, und wurde zu
dem Ende 1688 ein eigenes Poſitiv, das gerade zu haben war, um
8 Thaler angeſchafft.“ Wie gewöhnlich mußte dazu eine der Stiftungen
herhalten. Aus den nämlichen Mitteln wurden auch die Prämien be—
ſtritten, die ſeit 1683 alljährlich beim Schülerfeſt auf dem Rennfeld
(fiehe unten) an die Zöglinge der lateiniſchen Schule ausgetheilt wur—
den. Sie betrugen für jeden Schüler der unterften Klaffe 5, der mitt:
leren 8, der oberften 15 Kreuzer. Denjenigen jungen Leuten, welche
ihre Studien weiter fortfegen wollten, kamen natürlich die vorhandenen
Etipendien jehr zu ftatten. So erhielt z. B. Bechthold Deimling, der
Sohn des Bürgermeifters, in den Jahren 1664—73 aus dem Geiger
hen Stipendium im Ganzen 280 fl., Lukas Day, Sohn des Pfarrers
May in Baufclott, der anfangs auf dem Gymnaſium in Durlach war,
jpäter in Mittenberg ftudirte, in den Jahren 1664—1676 im Ganzen
440 fl. Als weitere Geiger’ichen Stipendiaten werden genannt: Lukas
Krenkel (90 fl.), Fried. Dages (150 fl.); als Fontelin'ſche Stipen-
diaten: Hans Joachim Kiefer (90 fl.), Ib. KRaufchelmann (20 fl.),
Wilhelm Walter (24 fl. 45 kr., ftud. zu Straßburg), Joh. Burkhardt
Mögling (233 fl. 171), kr.); als Rohr'ſche Stipendiaten: Joh. Fleifch:
mann (200 fl.), Elias Niethammer (80 fl), Joh. Burkhardt Nietham
mer (400 fl.), Kleinöl, Pfarrers Sohn zu Stein AW fl., ftud. zu
Wittenberg), Joh. Burkhardt Mögling (28 fl. 56 kr.), Ernſt Friedr,
1) Vergl. hiezu: Vierordt, Geſchichte der Mittelfchule zu Durlach
(und Karlsruhe). Beilage zum Karlsruher Lyzeumsprogramm für 1858,
%
480 Fünfzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1648—1688,
Zickwolf (2O fl.) ꝛc. Aus diefen Stipendien wurde auch das Schulgeld
für arme Kinder beftritten. ) —
Die deutſche Schule theifte ſich in eine Snakes: und eine
Mädchenſchule. „Bubenichuelmeiiter" war bis 1679 Georg Cd:
bardt, auf ihn folgte bis 1692 Mathäus Probitdan, dem in diefem
Fahre N, Erad nachfolgte. Die Stelle de8 „Mägdleinsichuelmeifters“
beffeidete von 1669 — 1675 Job. ak. Kaufchelmann, nad) ihm, aber
nur kurze Zeit, Friedrih Menzing, der vorher Schulmeifter in Stein
geweien; ihm folgte Math, Probjthan, und als diefer zum Knabenſchul—
meifter befördert wurde, 1680 Benedikt Niethammer. Die Knabenſchule
beitand viel früher als die Mädchenichule, und wenn in Ältern Schrift:
ftüden von „dem teutichen Schuelmetiter“ die Rede tft, jo ift darunter
der Knabenlehrer zu verftehen. Diefer bezog aus der Stadtkaſſe einen
firen Gehalt von jährlichen 3 fl. 45 kr., der indeffen fpäter auf 15 fl.
erhöht wurde, erhielt freie Wohnung und freies Holz und bezog über:
dies das Schulgeld, Der Mäschenlehrer war bloß auf Teßteres ange:
wiefen und hatte weder freie Wohnung noch Holz anzufpreden. Doc
wurden ihm 1665 und 1666 auf fein Anfuchen je 3 Klafter Holz
bewilligt, „obgleich das fonft nie geſchehen“; er mußte aber das Holz
jelber im Walde holen laſſen. Für die Schulen mußte die Stadt
natürlich das Holz auch liefern, Die Iateinische Schule erhielt jährlich
181/, Klafter, wovon die Huchenfelder 8 frohndweis führen mußten,
und 200 Wellen. Zur Knabenfchule kamen 20 Klafter (7 für Huchen-
feld) und 200 Wellen, und zur Mädchenſchule 12 Klafter, wovon die
Huchenfelder abermals 41/, Klafter führen mußten. Der Fuhrlohn für
das Klafter betrug 28 bis 30 Kreuzer. Wie viel das Schulgeld aus-
machte, Tann ich nicht angeben; da indeffen dasfelbe 1690 wegen bes
Krieges auf monatlich 5 Kreuzer, alſo jährlich einen Gulden herabgeſetzt
wurde, jo geht daraus hervor, daß e8 vorher höher war, aljo verhältnigmäßig
viel mehr betrug, als im jebiger Zeit. Wie oben fchon bemerkt, wurde
das Schulgeld für arme Kinder aus den Stiftungen, theilweiſe auch aus
dem Almofen bezahlt. So beftritt die Geiger'ſche Stiftung 1682 das
Schulgeld für 6 arme Kuaben, das Almofen für 7 arme Mädchen,
für andere Knaben das Fontelin’fchen Stipendium, und die Schulbücher
) 1665 wird auch noch eines „Gößlin'ſchen“ Stipendiums erwähnt,
Näheres Über dasjelbe weiß ich indeffen nicht anzugeben.
Fünfzehnttes Kapitel. Pforzbeim von 1648— 1688. 481
wurden ihnen aus dem Rohr'ſchen Stipendium angefchafit. Obgleich
das Einkommen der Lehrer für jene Zeit nicht unbedeutend genannt
werden Kann, jo betrieben fie doch neben dem Schuldienſt meiftens noch
ein anderes Geſchäft. Der Mädcenichulmeifter Menzing war zugleich
Tuchmacher, fein Nachfolger Niethammer Tuchicheerer, und der Knaben:
fchulmeifter Probſthan war 1635 ſogar Zunftmeifter der Tuchmacher
und Schneider. Doch Tiefen Letzterm Schuldienit und Handwerk nod)
Zeit zu Privatitunden, die befonders von Mädchen befucht wurden,
weshalb manche derfelben gar nicht in die Schule gingen. Dies hatte
16852 mehrfache Klagen des Mädchenfchulmeiiterg Niethammer zur Folge.
Es wurde darauf hin dem Probithan die Privatinformation der Mäd—
hen unterfagt, und den Eltern befohlen, diejelben bei Strafe von 5
Schilling ‘Pfennig, die im Fall Ungehorjams verdoppelt werden jollte,
pünktlich in die Schule zu schien. Am Sabre 1689 wurde jedoch
diejelbe Klage wicderholt, worauf Probſthan erwiderte, daß er 1682
dein erhaltenen Befehl zwar Folge geleiftet, aber nachher, weil Niet:
hammer feine Privatitunden gebe, vom Epezial Weniger und feither
auch vom jeßigen Spezial (Kummer) die Erlaubniß erhalten babe,
Mädchen in Privatinformation zu nehmen. Es fei bekannt, wie „übel
er (Niethammer) die Kinder traftive.” Probſthan wurde hierauf be—
deutet, Feinen Anlaß zur Klage mehr zu geben, t) indem man fonft
jtrengitens gegen ihn verfahren werde. Man fieht bievans, daß das
tollegialifche Einvernehmen der beiden Herren nicht das befte war, Doch
hatten fie ſich zu gemeinfchaftlicher Klage vereinigt, als es 1680 einem
Schmied, Hans Georg Wagner, einfiel, eine Privatſchule zu errichten,
was demfelben fogleich unterfagt wurde.
Das Pröfentationsrecht der beiden Schulftellen beſaß die Stadt, ?)
Zur Schulmeifterswahl verfammelten fih auf erfolgten Bericht fürft-
lichen Kirchenraths die Beamten, der Spezial, der Bürgermeijter und
die Mitglieder Gerichts und Raths. Vor feinem Dienftantritt mußte
der Schulmeifter folgenden Eid ſchwören: „Ihr follet mit Treuen ge:
1) Das Verbot, daß der Knabenichulmeifter den Mädchen Feine Privat:
flunden geben dürfe, wurde jogar 1715 wieder ernenert.
2) Dies war auch bei den beiden Diakonatsftellen der Fall. Als 1690
Konrad Stattmann an bes verftorbenen Diafonus Fleifhmann Stelle berufen
werden ſollte, notirten Gericht und Rath in alsbald abgehaltener Sigung,
daß er Sehr beliebig ſei. Die Zunftmeifter wurden aufgefordert, ihre
Suffragia (Wahlſtimmen) bei der Stadtfchreiberei anzubringen,
Pflüger, Pforzheim, 31
482 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688,
loben und zu Gott dem Allmäctigen ſchwören, unferm gnädigften
Herrn und der Stadt Prorzbeim netreu und hold zu fein, ihren Nuten
und Frommen zu fhaffen und vor Schaden zu warnen, ihren Geboten
und Berboten, jo viel eudy als Schulmeifter gebühret, gehorſam zu fein,
der Bürger und Fremden Kinder, jung und alt, arm und reich, nach
Euerm beiten Verftändnig und ihrem Nutzen zu jeder Gelegenheit in
Künften, guten Sitten und Tugenden nad) der reinen evangelifch-Tuthes
rischen Religion mit ganzen Treuen zu lehren und zu unterweifen, and)
Ihaffen nach Euerm Vermögen, daß fie gelchret und unterwiefen werden,
deshalb auch Eure Ordnung, die Euch gegeden, fleißig zu vollziehen
und darin feine merkliche Aenderung zu thun, ohne Wiſſen und Willen
eines Bürgermeifters und Raths — ohne alle Gefährde.” Die Ent:
laſſung eines Lehrers konnte jedoch nur mit fürftlicer Genehmigung
erfolgen. Als im Jahr 1679 die Schule des Knabenſchulmeiſters
Erhardt im Eramen fchlecht bejtand, wurde der Megierung der Bor:
schlag gemacht, deſſen Stelle mit dem Mädchenfchulmeifter Probfthan
zu beſetzen umd für die Mädchen einen andern Lehrer anzuftellen, was
Beides bald darauf geſchah. Ars 1675 der Mädchenſchullehrer Kau—
ſchelmann befehuldigt wurde, daß er „Itatt ſchuldigen eremplarifchen Lebens
ſehr unchriſtlich und leichtfertig lebe und ſich nicht ſcheue, aus den
herrſchaftlichen Haus ein Sauf- und Luderhaus zu machen, ja mit
dem Schinder Tag und Nacht zu freſſen“, ſo wurde er „abgeſchafft“,
und ſeine Stelle durch den bereits erwähnten Menzing beſetzt. Es
reichten jedoch auch ſchon minder erhebliche Anläſſe hin, eine ſolche
Maßregel herbeizuführen. Als 1687 der Mädchenſchulmeiſter Niet
hammer über die Verordnung des Spezials, dak er am Nachmarkt
Schule halten folle, feine Unzufriedenheit äußerte und die Bemerkung
machte, daß es noch nie der Brauch geweſen fei, am Roß- und Nach—
markt Schule zu halten, der Spezial könne ihm nicht abſetzen, auch
befümmere ev fi) nichts darum u. dgl. m., — da erhielt er die Wei—
fung, fi) des Schuldienftes bis auf anderweitige Verfügung zu enthal:
ten. (Schon 1684 war den Lehrern bedeutet worden, daß fie ohne
Erlaubniß des Spezials Feine Ferien machen dürften.) Er wurde jedod)
nah 3 Wochen auf fein Bitten wieder angenommen, jedoch unter der
Bedingung, daß er die Kinder nicht mehr fo hart behandeln jolle.
Schon das Jahr vorher hatte er nämlich wegen Mißhandlung der
Kinder einen Verweis befonmen, ebenfo der Knabenſchulmeiſter Probſthan.
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 --1688, 483
Außer den obligaten „Prügeln” wird unter den Strafmitteln der
Schule auch des Ejels erwähnt. Im Jahr 1683 wurden nämlich für
diefelbe 3 Täfelein angefchafft, welche bei Maler, Schreiner und Sattler
1 Gulden Fofteten und worauf Eſel gemalt waren, Diefe Täfeldyen
wurden mit Niemen auf den Rücken des zu Strafenden gebunden- und
andere weniger Schuldige mußten die „Zipfeln“ halten. In der bald
nad dein orleans'ſchen Kriege gegründeten Waifenhausjchule wurde der
Efel auf eine befondere Tafel von der Größe einer Kommode gemalt
und dabei der Spruch angebracht:
Mer nicht lernen will
Und nur Faulheit ſchwitzen,
Der muß an dieſe Tafel
Zu dem Ejel ſitzen.
Trotz diefer Dizipfinarmittel, die in Verbindung mit noch manchen
andern häufig genug angewendet worden fein mögen, wurden 1679
Klagen laut über ſchlechte Zucht in der Stadtſchule, ſchlechten Gefang
in Kirhe und Schule und Mulhwillen und Verſäumen des Gottes:
dienfteg durch die Schuljugend. Um diefen Mipftänden zu begegnen,
erhielten die Diakonen die Weiſung, die Schulen fleifiger zu befuchen
und den Lehrern der Tateinifchen ſowohl, als der deutichen Schule
wurde ftreng eingefchärft, beſſere Ordnung zu halten und im Nothfall
zu berichten,
Der Schulunterricht jelbft war ziemlich einfach. Er umfaßte nur
Religion, Lefen und Schreiben. Das Rechnen wurde zwar aud)
gelehrt, war aber fein obligater Unterrichtsgegenftand. Diejenigen
Bürger, die ihre Mädchen im Rechnen informiren laſſen wollten, muß:
ten fogar vom Spezial zuerft Erlaubnig dazu einholen. Die Schul-
bücher, die damals in den Pforzheimer Schulen gebraudht wurden,
waren: der Sirach, der luther'ſche Katechismus und ein Gefangbüch-
fein mit den Evangelien (d. 5. den Berifopen). Obwohl die Pforz:
beimer Stadtfchulen damals befjer, als die meiften auf dem Land ge:
weſen fein mögen, fo kam es doc noch häufig vor, daß felbft Bürger
nicht die geringften Schulfenntniffe befaßen. As am 9. Januar 1665
der Rothgerber Wendel Eberlin zum Zunftmeifter gewählt wurde,
wollte er die Wahl damit ablehnen, daß er erklärte, weder leſen noch
fhreiben zu können. Der Rath, an den die Sache fam, ertheilte ihm
jedoch den Befcheid, daß er die Wahl annehmen müſſe, ae er ja einen
484 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688,
Geſellen habe, der Beides verſtände. Beſſer als früher waren bie
Schulen vor dem orleans'chen — beſtellt, hauptſächlich durch die
Bemühungen des Spezials Kummer, fo daß, wie er ſelbſt jagt, „keine
Bürgerstinder gefunden wurden, die nicht hatten beten und ſingen, leſen
und ſchreiben können.“ 1)
Eine jhöne Einrichtung waren die Schülerfefte, die alljährlich und
zwar in einem der Sommermonate auf dem Nennfeld gehalten wurden.
Es iſt derfelben namentlich in den Jahren 1692 und 1684 erwähnt.
Sämmtlihe Schüler und Schülerinnen zogen unter Muſikbegleitung,
mit Fahnen und Kränzen gefhmüct, auf das Nennfeld hinaus, wo
Zelte und Laubhütten aufgefchlagen waren. Dort ergößte ſich bie
Jugend nicht nur am allerlei Spielen, jondern wurde auch auf öffent:
liche Koften jo reichlich bewirthet, daß letztere 1684 ſich beifpielweife
auf 63 fl. 12 fr. beliefen. Daß bei diefen Feſten an die Zöglinge
der lateinischen Schule auch Prämien ausgetheilt wurden, ift oben ſchon
“erwähnt worden.
Es mag ſchließlich hier aud) noch de8 Organiftendienftes gedacht
werden. Derjelbe wurde von feinem der ftädtifchen Lehrer, fondern von
1658 an von Hans Kaſpar Dürr verfehen, dem fpäter dazu auch noch
die Stelle eines Zollers übertragen wurde, fo daß er 1674 Zoller
und Organift genannt wird, Er bezog als Organift aus der Stadt:
faffe einen jährlihen Gehalt von 10 Gulden.
Wie in den frühern Kapiteln, fo mögen auch bier diejenigen noch
blühenden Bürgerfamilien verzeichnet werden, deren im 17. Jahrhundert
zum erften Mal Grwähnung gefchieht. 2) Es kommen vor: Georg
Wendel Autenrieth, Rothgerber 1640, Joh. Barthold, Apotheker
1624, Jakob Breidt 1611, Georg Brenner, Mebger 1615, Georg
Bronner 1608, Hans Jakob Bürger, Kübler 1625, Hans
Effig 1615, Hans Fegert, Küfer 1630, Hans Friedrich Fühner,
Bäder 1628, Andreas Fuchs, Stadtſchloſſer 1634, Benedift Günther
1642, Hans Jakob Heiſch 1685, Jakob Herrmann von Dürrn
1604, Hans Georg Hohmweiler 1678, Hans Konrad Holzhauer
) Schriftlicher Abſchied ftatt einer Baletpredigt von Kummer, Ulm, 1694,
?) Berg. hiezu ©, 133, 164 und 301,
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688, 485
1615, Martin Hörter 1608, Konrad Kap, Notbgeber 1625, A.
Kornmann 1645, Hans Ulrich Krenkel, Waffenihmied 1636,
Joachim Leibbrand 1615, Michel Peter Leit 1622, Martin
Merkle, Glaſer 1615, 9. Merz 1615, Hans Mürrle 1614,
Hans Georg Neubäufer 1698, Hans Georg Dftertag, Bäder
und Gaffenwirtb in der Au 1616, Georg Richter 1611, Kilian
Rößle, Schreiner 1697, Hans Georg Rühl, Eichmüller 1686,
Ehriftop Schall, Küfer 1623, Sebaſtian Scheerle 1615, Michel
Scheuffele 1609, Hans Martin Schnell 1625, Konrad Schober,
Kürſchner um 1600, 1) Hans Georg Schönauer, Hutmacer ang
Dornftetten 1697, Hans Schwarz 1626, Joſeph Sold 1607,
Hans Georg Stahl, Wagner 1698, Hans Ulrich Staib 1668,
Chriſtoph Trautz, Mebger 1607.
$ 4 DBunft- und Gewerbsverhältniffe. Preife der wichtigſten
Sebensbedürfnife. — Maaß, Gewicht ıc.
Von welcher Bedeutung früher die Genofienichaften der einzelnen
Zünfte waren und wie fie neben und oft gegenüber dem Gericht und
Rath in ihren verfchiedenen Gliederungen die Bürgerſchaft vertraten,
das ift oben ſchon ausführlicher dargeftellt worden. Die VBerhältniffe
batten fi) darin wenig geändert. Wie die Zünfte bei entjcheidenden
Fragen oft ein bedeutendes Gewicht in die Wagfchaale Iegten, haben
wir beifpielmeife bei der Erzählung der reigniffe des Jahres 1643
gefehen. Zu welch heftigen Zerwürfnifien eine Meinungsverjchiedenheit
zwiichen den ftädtiichen Behörden und den Zünften oder der Bürger:
ihaft führen Tonnte, wird unten bei der Gefchichte des Privilegien:
jtreites ausführlicher gezeigt werden,
Die alten Zunftordnungen waren größtentheils nod in Kraft.
Sch finde nur vom Jahr 1693 einer neuen Seiler: und 1663 einer
neuen Müllerordnung erwähnt. Wie die einzelnen Beftimmungen folder
Zunftordnungen gehandhabt wurden und wie fie dem Aufſchwung der
Gewerbe, der nad dem verheerenden dreißigjährigen Krieg fo noth—
wendig gewejen wäre, verrottete Feſſeln anlegten, wie ferner ſich nad
und nach allerlei Mißbräuche eingefchlihen hatten: von allem Dem
mögen bier einige Beifpiele folgen.
N Nah ihren damilienaufzeichnungen ſiammen die Schober aus Siehl:
mingen bei Stuttgart,
486 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 16481688.
Mande Zünfte waren in damaliger Zeit außerordentlich zahl:
veich vertreten. Im Jahr 1688 befanden fih in Pforzheim 41
Metzger, 49 Bäder, 23 Rothgerber, 34 Schuhmader, 16 Krä-
mer und Wirthe, 38 Zeugmacher und Färber, 18 Tuchmacher, 17
Weißgerber, 10 Schloſſer, 147 Schmiede und Wagner, 8 Geiler, 9
Müller, 10 Schreiner, 10 Hafner, 23 Küfer, 19 Hutmader und
Dreher, 16 Schneider, 37 Goldſchmiede und Glaſer, 33 Leineweber,
8 Sattler, 17 Maurer und Zimmerleute, 55 Flößer. (Die zur Ge:
fanımtzahl der Bürger von 548 noch Tehlenden waren entweder Ge:
freite, oder Altftädter, oder Unzünftige, 3. B. Weingärtner, Fuhrleute
u. f. w.) Man fiebt hieraus, daß weitaus die meiften Bürger (etwa
10,,,) Handwerfer waren, wodurch ziemliche Nahrungstofigkeit entſtehen
mußte, wenn gleih die Stärke einiger Zünfte, 3. B. der Meißgerber,
Zeugmacher ꝛc. auf Rechnung der Xebensweife, der Mode und damit des
Umftandes zu feten war, daß diefelben ihre Waaren vielfach auch aus—
wirts abſetzten. Die große Zahl der Meifter erklärt ſich indeß bei
manchen Zünften daraus, daß es nicht geftattet war, mehr als einen
Geſellen zu halten, und wenn der Meifter auch für mehrere Arbeit
gebabt hätte. In der Megel aber war derfelbe an beftimmte Kunden
gebunden, und es hatte Strafe zur Folge, wenn Eimer dem Andern
einen Kunden abwendig machte, Als 1684 ein Küfer einem Mitmeifter
einen Kunden abfpannte, mußte ev 15 Kreuzer Strafe bezahlen. Bei
berfelben Zunft durfte Keiner das Handwerk ledig betreiben. Im
Jahr 1665 behaupteten die Schneider, es dürfe feit unvordenflichen
Zeiten Fein Jungmeiſter (d. 5. der nicht ſchon 2 Jahre Meifter fei)
einen Jungen annehmen, Die Gerber Ulrich's Wittwe mußte 1686
6 Gulden Strafe zahlen, weil fie neben ihrem Knecht einen Lehrjungen
in Arbeit gehabt, was dev Ordnung zuwider fei. Diefelbe mußte eine
weitere Strafe von 1 fl. 12 fr. bezahlen, weil fie in einer. Woche 9
Häute im Schlachthaus gefauft hatte, während nur 3 erlaubt waren.
Durch ſolche und andere Ähnliche Beftimmungen waren dem Unterneh:
mungsgeift und der Spekulation von vornherein hemmende Echranfen
gezogen. Mar der einzelne Meifter dadurch auf ein Heineres Feld der
Thätigfeit angewiefen, fo wurde bdasjelbe um fo mehr auch gegen alle
Vebergriffe forgfältig gehütet, und Klagen wegen Gewerbsbeeinträdh:
tigungen kamen deshalb fehr häufig vor. Im uni 1665 klagte der
Waffenſchmied Joh. Barthold gegen zwei Dreher, daß fie durch Ver:
Fünfzehntes Kapitel. Piorzheim von 1648 - 1688 4857
kauf von Sicheln und Senfen ihm und der Zunft Abbruch thäten.
Im Jahr 1666 kam von den Hafnern Baihinger Amts eine Klage
ein, daß die Pforzheimer Hafner ins Württembergifche führen und
ihnen Abbruch thäten. Zwiſchen den biefigen Zeugmachern und denen
in Calw entjtanden in Folge derartiger gegenfeitiger Vorhalte ſolche
Zerwürfniffe, daß die Meifter in letzterer Stadt den Beſchluß faßten,
es dürfe Fein Zeugmachergefelle mehr in Pforzheim fehlafen oder arbei:
ten, ev würde denn geftraft, — und daß den Pforzheimer Meiftern
fogar der. Vorwurf gemacht wurde, fie feien nicht fo ehrlich, wie die in
Calw. 1675 beflagten fich die Mebger, daß das fürftliche Dekret,
nach welchem aufer den Juden Niemand anders als die Mekger
Fleiſch ausbauen dürften, fehr oft übertreten werde, was für fie um
fo nachtheiliger fei, als fie mit dem Bankzins und dem Poſtreiten
große Koften hätten. (Der Bankzins bezog ſich auf die Abgabe, die
jeder Mebger für feine Fleiſchbank in der gemeinſchaftlichen Mebig zu
entrichten hatte. Das Poftreiten war ein altes Servitut, das ber
Mebgerzunft oblag und dem die einzelnen Meifter der Reihe nad)
nachfommen mußten, und zwar natürlich mit eigenen Pferden, die ges
wöhnlich jeder Metzger beſaß. Im orleans'ſchen Krieg begegnen wir
indeſſen 1694 einer Klage der Metzger, daß fie die Poſtritte nicht
mehr thun Könnten, weil fie keine Pferde mehr hätten oder diefe uns
tauglich feien. Die Verpflichtung des Poftreitens durch die Metzger
Hat ſich indeß da und dort bis auf die neuere Zeit erhalten.) 1662
führten die Mothgerber wegen des Schaugeldes (jedes Handwerk hatte
befanntlic feine „Schauer“, welche fih von der Preiswürdigfeit der
Waaren überzeugen mußten), der Steigerung der Nindenpreife, insbes
fondere aber wegen der „niederländifchen Gerberei” , weldhe die Herr:
haft in Pforzheim errichtet habe, Bittere Klage. Leptere hätte allen
Zugang, wodurd ihnen ihre Kunden verloren gingen, weshalb fie
dringend um Aenderung bitten müßten. Darauf ward ihnen folgender
Beſcheid: Es ſeie dem Handwerk wohl bekannt, wie fich die fürftlichen
Käthe und das Amt bemüht hätten, fie dahin zu bringen, ihre Gerbe—
rei nad maeftrichter oder niederländifcher Art einzurichten, wobei ihnen
durch Geld und andere Weife geholfen worden wäre, wie fie ſich aber
widerfpenftig gezeigt; ferner, wie defienungeachtet, als ſchon die nieder:
ländifche Gerberei bei der Hand gewefen, der Fürſt ihnen erlaubt, mit
in diefe Gerberei einzutreten und fie auch dies ausgeſchlagen hätten, —
Ass Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648- 1688,
Bei jo bewandten Umftänden hätten es mun freilich die Gerber fich
jelber und ihrem Cigenfinn zuzuichreiben, wenn fie dur die neue,
jedenfalls vortheilhaftere Einrichtung in Schaden kämen.
Daß die Herrſchaft ſich auch im noch andere gewerbliche Unter:
nehmungen und den damit verbundenen Handelsbetrieb einließ, ift ſchon
mehrfach angedeutet worden, und die Konkurrenz, welche dadurch für
die Genofjen der einen oder andern Zunft entftand, gab zu mancher
Beſchwerde Beranlaffung. In Verbindung mit der eben erwähnten
Gerberei betrieb die Herrſchaft eine eigene Leder und Zeughandlung,
und wurde dazu das fogenammte „Landſchaftshaus“ in der Bröbinger
Gaſſe (fiehe S. 459) verwendet. Mit Beforgung derjelben war ein
eigener Handlungsverwalter beauftragt, der 1680 Hang Georg Leib:
fein ') bieß und dem damals ein Buchhalter in der Perſon eines
Mathäus Schub beigegeben war. Schon 1677 war für biefe Hand:
fung von fürftlicher Herrſchaft auch ein befonderer „Handlungsmangen“
und Fuhrmann mit einem Gehalt von 100 Gulden nebft freier Mob:
nung und Holz angeftellt worden — Im Jahr 1654 Tief die Herr:
haft außerhalb der Brötzinger Vorftadt emen Schmelzofen und 1678
dazu eine Hammerſchmiede bauen, gab aber Beides in Pacht. Be—
ftänder oder Aömodintor war 1687 Joh. Friedr, Sahler. (Derſelbe ließ
in diefem Jahr am Eifinger Weg nad Erz graben, verdarb aber diefen
fo, daß er verffagt wurde.) Nach Sahler übernahmen den Pacht auf
gemeinfhaftliche Nehnung Johann Heinrich Maier und Johann Jakob
Hoff. — Außer dieſem herrſchaftlichen Etabliſſement geſchieht 1673
auch einer durch Michel Bachmann in der Nähe der Schießhütte er—
richteten Pulvermühle Erwähnung. Der Unternehmer hatte ſich er—
boten, für die Erlaubniß dazu der Stadt jährlich 11/, Centner Pulver
zu Viefern. Ebenfo finden wir, daß 1663 der Obervogt und Oberft:
feutumt Tob. Scheidler die Erlaubniß erhielt, an der Mürm einen
Kupferhammer, eine Rohrſchmiede und eine Sigmühle bauen zu
dürfen. Das Bauholz dazu befam er unentgeldfich, und er durfte auch
alle auf fein Werk gehenden Waaren zollfrei einführen.
Um wieder auf die Zünfte oder die verfchiedenen Handwerke zu—
rückzukommen, die damals in Pforzheim vertreten waren, fo find die
1) Der Grabftein der Frau bdesfelben, Anna Barbara, geb, Grünewald
(r 1680) befindet fih auf der Südfeite der Friedhoffapele,
Fünfzebntes Kapitel, Pforzheim von 16485— 1688. 489
zünftigen Gewerbe oben beim Jahr 1643 (©. 427 ff.) ſchon ange:
führt worden. Natürlich fehlte es auch an anzünftigen nicht. Dahin gehörte
beifpielmeife das der Buchbinder. Ein ſolcher war 1650 in Pforz—
heim nicht vorhanden, weshalb ein biefiger Bürger um die Erlaubniß
einfam, am Jahrmarkt Bücher verkaufen zu dürfen, weil ja „kein Buch,
binder bier ſei.“ 1684 ijt jedoch bereits eines Buchbinders erwähnt,
und 1686 erlangte abermals ein „Buchhändler und Buchbinder“ dag
Bürgerrecht. — 1684 hatte ſich in Pforzheim auch ein „Tabakmacher“
niedergelaſſen. Wir werden auf das edle Schmauchkraut, das derſelbe
verarbeitete, fpäter ned einmal zu ſprechen kommen.
Noch vorhandene alte Zunftrechnungen und fonftige Quellen be
weifen, daß aud bei den Zünften, wie im ftädtifhen Haushalt, der
„Trunk“ eine große Nolle fpielte. As im Jahr 1673 die Gerber:
zunft eine neue Lohmühle bauen lief, fo gingen für einen Trunk darauf:
Zimmermann Joh. Gerhardt und 2 Sefellen. . . — fl. 40 fr.
Zwei Zunftmeifter, Waldſchütz und Zimmermann beim
Buchenauszeichnen im Wa . . 2 2 2 1 —n
Zimmermann und Eger. . . — „48,
Büchenbronner Bauer, der die Eiche ae dohlrog
bergefühtt. ... I, —u
Zehrung für das — —— —— —
Vollendung der Lohmühle. . .. 3,15,
Da nun zu jener Zeit die Maaß Wein nur 4 bis 5 Kreuzer foftete,
fo läßt fih aus obigen Anſätzen entnehmen, welche durftige Kehlen
die Theifnehmer an einem ſolchen Trunk im der Negel zu demfelben
mitbradyten. Als bei der nämlihen Zunft 1662 bei Stellung ber
Rechnung ein Trunk gethan wurde, verzehrten dev Subftitut und beide
Zunftmeifter zufammen 41 fl. 30 fr. Wurde ein neuer Meifter in die
Zunft aufgenommen, fo mußte er feinen Zunftgenoffen mindeftens ein
Biertel (6 Maaß) Wein bezahlen. Gleiches gefhah durch die Betref:
fenden beim Antritt der Lehrzeit und der Gefellenjahre. Als 1665
die Gerber einen neuen Zunftmeiſter wählten, wollte derfelbe die Wahl
nicht annehmen und erbot fi, dafür ein Viertel Wein zu zahlen. Es
wurden aber 11/, Viertel verlangt. Als 1665 ein Schneider wegen
ungebührlicher Neden von dem Handwerk geftraft werden follte, fo
weigerte er fich, den Betrag zu bezahlen, weil die Strafen doch alle ver-
trunfen würden. Die Zunft erhält deswegen die Auflage, ein Ber:
490 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688.
zeihnig der Strafen einzureichen. Im Wuguft 1672 tranten zwei
Männer im Vorübergehen in der Kante 2 Maaß Wein ꝛc.
Auch über die Höhe der Arbeitslöhne damaliger Zeit geben die
Quellen, die bei diefen Auseinanderfegungen benützt worden find, einigen
Aufſchluß. Im Jahr 1678 wurde feſtgeſetzt, daß ein Schneider für
Anfertigung eines Modes nicht mehr als 4 Batzen fordern dürfe. 1696
wurde der Flickerlohn für ein Paar Mannsihuhe auf 5 Kreuzer und
für ein Paar Weiberfhuhe auf 4 Kreuzer feftgefeht. Im Jahr 1698
wurde folgende amtliche Webertare gemacht: 1 Pfund werfen Garn
gibt 7 Viertel bis 2 Ellen Tuch, koſtet die Elle zu weben 11,—2
Kreuzer; 1 Pfd. Hänfenes Garn aibt 21, —3 Ellen, koſtet die Elle
2 Kreuzer; 1 Pfd. flächfenes Garn gibt 31, —5'/, Ellen, koſtet die
Elle nah Umftänden 21/,—41/, Kreuzer. Ein Zimmermeijter arbeitete
mit Gefellen 1663 1/, Tag an der Nindenmühle der Gerber, erhielt
Lohn 16 Kreuzer. Im Jahr 1683 wurde ein Theil der Stadt neu
gepflaftert und erhielten die Pfläfterer für das Klafter 16 Kreuzer
(nämlich für das Beifhaffen der Steine und den Arbeitslohn). Die
Feldmeſſer befamen 1665 für ihre Arbeit vom Morgen 20 Kreuzer, für
das Seen eines Markſteines 4 Kreuzer. (Auf fürftlichen Befehl muß:
ten diejelben 2 Mal im Jahr herumgehen und Alles befichtigen.) Für
die Raminfeger wurde 1673 eine Tare von 4—6 Kreuzen (jehr viel!)
für das Kamin feftgefegt. Als 1665 ein Theil der Stadtmauer ein:
fiel, wurde mit den Maurern behufs der Wiederherftellung derfelben
auf 2 fl. 7, Kreuzer das Klafter affordirt. (S. 451.) Ein Maler
erhielt 1687 dafür, daß er das herrfchaftliche und das ftädtifche Wappen
auf zwei neuangefchafften Trommeln angebradt hatte, 1 fl. 30 kr.
Ein Paar Strümpfe zu ſtricken Toftete damals 4 bis 5 fr. u. f. w.
Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß dieſe Arbeitslöhne zu
ben Preiſen der wichtigjten Lebensbedürfniffe, fowie der Häuſer und des
Grundeigentfums überhaupt im Verhältniß ftanden. Es mögen diefe
PBreife Hier angegeben werden: 1. Frucht und Brod. Im Jahr
1667 war die Frucht fo wohlfeil, daß für das Simri Kernen nicht
mehr als 13—16 Kreuzer bezahlt wurde, Der Laib Kernenbrod zu
4 Kreuzer wog 5 Pfund., der Kreuzerfemmel 28 Loth, der 1/, Freu:
zer: oder fogenannte Straßburger Semmel 14 Loth. Im Jahr 1679
berrfchte dagegen große Theurung. Das Simri Kernen galt bis zu
43 Kreuzer, der Batzenlaib wog nur 21/, Pfund, und der Kreuzer⸗
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688. 49
femmel 11 Loth. — 2. Fleiſch. Im März 1667 galten 2 Pfund
Rindfleiſch 51/, Kreuz., das Pfd. Kalbfleiſch 21/, fr, im Mär; 1676
das Pfund Ochſenfleiſch 3—31/, kr., Kalbfleiſch 3 kr., Schweinefleiſch
31,, —4 kr., im Jahr 1698 das Pfund Fleiſch aller Sorten 4— 41,
kr. — 3. Wein 9m November 1664 foftete die Maag neuen
MWeins 5—6 kr., im Oktober 1666 nur 5, im Oktober 1677 nur
45 tk, — 4 Salz Das Salz war früher ungleich theurer als
jett, da diefes umentbehrlihe Gewürz um hohen Preis aus dem Aus:
land bezogen werden mußte. Bor dem Jahr 1697 Eoftete das Pf.
4 Er, nad) diefer Zeit 31/, fr. — 5. Holz. Im Jahr 1698 wurde
dag Klafter Holz im Hohberg zu 15 Er. verkauft. Um diefelbe Zeit
wurden im Schulerwald 90 Stämme Eichenholz zu 1 fl. bis 1 fl. 20
das Stüd verfteigert, und aus 100 Stück Tannen zum Bauen 12 fl,
zum Flößen aber 24 fl. erlöst. Im November 1673 kofteten 100
Dielen 6—7 fl. 1665 wurden eine ‘Partie Zweiling und Nahmen:
Schenkel durcheinander das 100 um 6 fl. 30 fr. verkauft; 50 Latten
fofteten 50 Kreuzer. 1663 wurden an die herrichaftliche Forſtverwal—
tung für 2 Dielen und 2 Schwarten 2 kr. bezahlt. — 6. Lichter.
Am Februar 1662 wurde die Taxe für das Pfund Lichter wegen
Mangels daran auf 10 Kreuzer erhöht. — 7, Güter: und Häufer
preife Im Jahr 1662 wurden 11/, Morgen Garten an der St.
Georgsfteige um 30 Gulden, im Juli 1666 41/, Morg. Aeder um
150 fl., im Jahr 1667 1, Morg. Rain am Bronnenwörth und 4,
Ader um 14 fl. 30 kr, im Auguft 1676 */, Morg. Wiefen um 21
Gulden, im Februar 1679 2 Morg. Aecker im Hachel um 103 fl.,
im Mai desjelben Jahres 2 andere Morgen Aecker um 90 Gulden
verkauft, im März 1667 wurden 5 Viertel Weinberg am Wartberg
als Unterpfand für 50 Gulden Bingegeben, im Juli 1678 1/, Morg.
Weingarten, ebenfalls am Wartberg, um 12 fl., 1682 1/, Morgen
Wald an der Wurmberger Straße um 15 fl. verkauft. — Im März
1665 wurde da8 Trautwein'ihe Haus um 300 Gulden, ein Hausplab,
Höflein und Garten in der Brösinger Vorftadt um 54 fl., im Juli
1676 das Kauſchelmann'ſche Haus um 250 fl., im Auguft 1676 ein
Häuslein in der Ochſengaſſe um 190 fl., im April 1677 eine halbe
Behaufung in der Au um 130 fl., 1653 ein Haus in der Kirchgaffe
um 464/, fl., 1656 die Herberge zum Ochſen um 450 fl., 1662 die
492 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688.
drei Häufer von Peter Gößlin am Markt (mo jetzt A. Schend und
J. Märdlin) um 1115 Gulden verfauft.
Zum Schluß mögen zum beſſern Verſtändniß des fo eben Mit
getheilten aud die Gewicht, Maaß- und Geldverhältniffe jener Zeit
berührt werden. Im Gewicht herrichte Fein geringer Durcheinander,
da man nicht nur im ganzen Land, fondern fogar in der nämlichen
Stadt von einer Gleichheit weit entfernt war. Ws am 23. und 24,
März 1675 zu Pforzheim eine Gewichtprobe vorgenommen wurde, fo
zeigte fich im üblichen Gewicht folgende Verfchiedenheit: Vom Gewicht
in der Frohnwag ift der Centner 100 Pfd., 1/, Ein. 50 Pfd.,
1), Ctnr. 25 Pd. und 1 Bid. 32 Loth ſchwer; doch vom Kram:
oder Raufmannsgewicht find 104 Pfund gleich 100 Pfd. in der
Frohnwag; ebenfo thun 52 Pfund Kramgemicht 1/, Gentner in der
Frohnwag, und ebenfo find 26 Pfd. Kramgewicht gleich 1/, Ctnur. in
der Frohnwag; und 1 Pfd. Kramgewicht, was gleich ift 32 Loth in
der Frohnwag, iſt 33 Loth 1 Quintlein und 10 Gerſtenkorn fchwer.
Man fieht daraus, daß die Herrn Kaufleute im Kleinverkauf nicht zu
kurz Tamen, wenn fie aus dem Gentner 104 Pfund herausbrachten,
alfo ſich ſchon am Gewicht einen Auffchlag von 4 Prozent, oder von
22/,; Kreuzen auf den Gulden erlaubten. Als Grund dafür wurbe
der Pfundzoll (hier alfo Waarenaccis) vorgefhoben. In ähnlicher
Meife mußten ſich die Metzger zu helfen. Der Centner, mit welchem
der Fleiſchwäger wog, hatte 105 Pfund Frohngewicht. Das Metsger:
pfund war aber nur 291/, Loth Kaufmannsgewicht ſchwer. Auf diefe
Meile profitirten die Mebger fchon beim Umaeld, und beinahe 8
Prozent beim Berfauf, alfo im Ganzen über 8 Prozent, oder
5 Kreuzer auf den Gulden. Das war auch mehr als binreichender
Erfab für das Umgeld vom Fleiſch, das die Mebger zu entrichten
hatten. Nod am 14. Jan, 1714 wurde an die Mebger die Anfrage
geitellt, ob fie lieber das Umgeld entrichten, oder auf das Teichtere
Gewicht verzichten wollten. Sie erklärten einftimmig, daß ſie ohne
Perftärfung des Gewichts bei dem Fleiſchumgeld verbleiben wollten.
Beim Feldmaag war 1 Morgen 100 Ruthen groß. Intereſſant ift
es, daß im Jahr 1682 der Verſuch gemacht wurde, im ganzen Sand
einerlei Maaß, Gewicht und Elle einzuführen. Der Rath in Pforz-
heim wurde darüber zum Bericht aufgefordert und gab folgenden
Beiheid, aus dem wir auch Auskunft über die Maaßverhältniſſe erhal:
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688, 493
ten, wie fie in Pforzheim damals üblich waren: In Pforzheim könne
man nur fagen, daß man big Dato der alten Polizei und Gerechtig—
feit nachgegangen und mit der Nachbarichaft gar füglich geftanden;
man bitte deshalb die Regierung felbft um Vorſchlag. In Pforzheim
fei 1. das Pfund zu 32 Loth wie in Württemberg, außer dem Metzger—
gewicht, welches nur 294/, Loth halte, weil die Metger Umgeld vom
Fleifch gäben, was in Durlach nicht gereicht werde; 2. die Elle jei
wie zu Durlach; 3. Simri und Viertel feien vermuthlich (1) bier wie
in Durlach; nur rechne man bier bei rauber Frucht 9, in Durlad)
aber 10 Simri auf das Malter; 4, in Pforzheim werde das alte
Schenkmaaß gebraucht, in trüb Eich 13, im lauter Eidy 12 Viertel
anf die Ohm. — Die Regierung wird unter damaligen Verhältniſſen
mit ihrem Projeft der Maaß- und Gewichtsregulirung nicht weit ge-
fonmen fein. Exit der neuern Zeit war es vorbehalten, darin größere
Einheit zu erzielen,
Was das Geld betrifft, fo wurden neben ber immer mehr zur
Geltung kommenden Gulden: und Kreuzerrehnung die Pfunde, Schil—
linge und Pfennige noch beibehaften, namentlich in Strafanſätzen, die
nach der alten Rechnung normirt waren. Bon einzelnen Münzforten
finde ic) Dufaten, Thaler, bayerijche Montforter, Dreibägner, Halbe
baten, Echildlinspfennig ꝛc. erwähnt, Von letztern galten 2, von
1663 an 3 einen Kreuzer. Die marfgräflichen Dreibätner wurden
1684 auf 10 Kreuzer abgefhäßt, was der Stadt einen Berlujt von
16 fl. 26 kr. verurfachte,
F 5. Dur Sittengeſchichte.
Zur Ergänzung des Bisherigen mögen hier auch einige Züge zu
einem Sittenbild zuſammengeſtellt werden, ſoweit dies mit Benützung
der dabei zu Gebot ſtehenden Quellen möglich iſt. Daß in jener Zeit
die Kirchen zucht noch eine ſehr ſtrenge war, iſt bekannt, und war
der weltliche Arm zur Unterſtützung der Kirche gern bereit. Beſonders
eifrig hielt die Geiſtlichkeit auf die äußere Feier des Sonntags. So
wurde um 1683 verordnet, 1) „daß nicht nur an Sonn-, Feier: und
1) Schriftlicher Abſchied ftatt einer Valetpredigt von Kirchenrath M. Kum—
mer, Ulm, 469 (©. 9 ji)
494 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1638,
Tefttagen unter währendem frühen und nachmittägigen Sottesdienft, fons
dern auch in der Moden zwifchen der Treitags: Amts: Predigt alle
Thore verichloffen, die dazwiichen aus: oder einpaffirende Spaziergänger,
Viehhändler und Fuhrleute, SKegelihieber und andere der Sonntags:
entheiligung verdächtige Leute genau obferviret, die Schlupfwintel, Heden
und Wirthshäufer fleigig vifitiret, alle Buden und Kramläden zuge
ſchloſſen, und aud fogar alle diejenigen, fo zwiichen denen Gottes
Dienften von denen Kirchenrügern nur auf den Gaffen oder vor 'einem
Haufe angetroffen würden, unter was Vorwand es auch befchehen fein
möchte, nur diejenigen, welche nad; der Apotheke gehen oder eine
Hebamme holen wollen, ausgenommen, ohne einiges Anfehen der Per—⸗
jon, des Geſchlechtes, Standes oder Alters, gleichbalden aufgezeichnet,
bei Rath und der Kirchencenfur eingegeben, auch dafelbft mit ohnnach—
läßlicher Geldftrafe in das Almofen, oder nach Beichaffenheit der Sache
mit bhärterer Strafe angefehen werden follten. Wer nothwendiger Ge
häfte halber über Feld reifen wolle, jolle vorher eine fchriftliche
Erlaubnig bei dem Spezialat ausbringen und fo er wiederum heim-
komme, einen Schein oder fchriftlicyes Atteftat von dem Pfarrer des Orts,
dahin er gegangen, daß der Neifende dem Gottesdienft daſelbſt mit
beigewohnt, vorweiſen.“ — Einige fpezielle Beifpiele mögen für die
Strenge der damaligen Kirchenzucht Belege bilden. Als der Bäder
H8. Erg. Norr am 14. Advent 1861 zwei Schweine jchladytete, fo
wurde er, troß feiner Entjchuldigung, daß es nad der Mbendpredigt
- gefchehen fei, wegen „unverantwortlicher Entheiligung des Feſtes“ um
2 Pfund Pfennig in das Almofen und mit Gefängniß beftraft. Als
1686 der Auer-Thorwart David Drerel am Tage, da er zum Abend:
mahl gegangen, ſich „vollgefoffen” und nicht nur feine und eines Nach:
barn Frau mit Schlägen traftirt, fondern auch über die Geiftlichen ges
fhimpft hatte, Fam er zur Strafe einen Tag in das Narrenhäuslein
auf der Auerbrüde, In gleicher Weiſe wurde aufs Strengfte gegen
Flucher und Gottesläfterer eingefchritten. Im Februar 1666 erhielt
der Schufter Albrecht Werber wegen „graufamen Schwörens und
Sottesläfterns, auch gräulihen Schmähungen“ eine Gefängnißftrafe von
zwei Mal 24 Stunden und mußte dem Spezial und Untervogt Abbitte
thun. In gleicher Weife war am 23. Dt. 1665 Hans Würz wegen
Fluchens und andern ungebührlihen Weſens mit 24 Stunden Käfiht
und 10 Schilling Pfennig ins Almofen geftraft worden. — In Bezug
Fünfzebntes Kapitel, Pforzheim von 1648— 1688. 495
auf geichlechtliche Nergehen wurde ebenfalls eine ftrenge Zucht gehand-
habt, und den bezüglichen Einträgen in den Kirchenbüchern, fei es, daß
fie fih auf die Geburt unebelicher oder folder Kinder bezogen, die
allzubald nach der Verehelichung der Eltern das Licht der Welt er:
blicten, find immer Ausdrüde des Abſcheus beigefügt. An einer Seit,
wo die Tortur noch nicht abgeichafft war, darf es ung nicht wundern,
daß die Hebammen bei ſolchen unehelichen Geburten die Weiſung
hatten, der Mutter, wenn dieſelbe vorher nicht hatte dahin gebracht
werden können, den Vater ihres Kindes anzugeben, während der Geburts:
ſchmerzen fo Lange zuzufeßen, bis fie ſolches Bekenntniß ablegte. Der:
gleichen unebelide Geburten kamen übrigens nur felten, höchſtens dann
hänfiger vor, wenn Eingquartierung oder eine Garnifon in der Stadt lag.
So kam 1607 auf 146 Geburten gar feine uneheliche, 1678 auf
122 nur 2, 1679 auf 93 Geburten 3 unebelihe, 1682 auf 113 gar
feine ꝛc.) — Wie groß die religiöfe Toleranz in jener Zeit noch war,
ift auch fonft bekannt, Als im Mai 1698 Einer Bürger in Porz:
heim werben wollte, wurde er nicht angenommen, weil er katholiſch war,
Dem gleichen Geſuch eines andern Katholiken wurde das Jahr darauf
ftattgegeben, unter der Bedingung, daß feine Kinder evangeliſch erzogen
würden und er felber ftill und unärgerlic feines Glaubens lebe. Der
lichtenthal'ſche Schaffner Delendroit, welcher der Stadt während des
Krieges mehrfady wichtige Dienfte geleiftet hatte, wurde am 23. Auguft
1694 ohne Klang und Sang, überhaupt ohne alle „Ceremonie“ bes
graben, weil er kalviniſcher Neligion war.
Die erwähnten Bemühungen zur Handhabung einer ftrengen Sir:
chenzucht und zu der dadurch bezwedten Aufrehthaltung der Mtoralität
ſcheinen jedoch nicht durchweg die erwarteten Früchte getragen zu haben.
Wenigftens wurde den Pforzheimern mehr als ein Mal von der Kanzel
herunter vorgehalten, wie fehr fie den Sabbath entheiligten „mit fchnd-
der Verachtung der Predigt des göttlichen Wortes, unnöthigem Auf:
{hub der Communion, Tiederlicher Verſäumung der Gottesdienfte, hin—
gegen aber öfters angeftellter weltlicher Ergötzlichkeiten, fündlicher Zeit
vertreibungen, 3. B. Spazierengehen, Reiten und Fahren, Schießen,
Spielen, Frefien, Saufen, Mufiziven, Tanzen, Ererziven, Tribuliven,
oder fonft der Nahrung halber Ausreifen, Handeln und Wandeln,
Kaufen und Verkaufen, Arbeiten und Schaffen ꝛc zc., wie ferner „ihre
Töchter und Dienftmägde mit deutfhen und undentichen Soldaten Uns
496 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 - 1688.
zucht getrieben,” wie manche Bewohner die Rache des Himmels heraus:
gefordert hätten durch „ihr unfinniges Tanzen, welches fie wider alle
dagegen publicirten hochfürſtlichen Mandate auf ihre verfluchten Faſt⸗
nachtſchmäuſe, die ebenſowohl ſcharf verboten waren, und bei Nachhoch—
zeiten hin und wieder in abgelegenen Scheuern angeſtellt“ u, ſ. w. 1)
Gegen übertriebenen Lurus und andere Ungehörigfeiten bei
Taufen und Hochzeiten mußten mehrere Mal Verordnungen erlaffen
werden, jo namentlid) gegen die übergroße Anzahl von Tauf—
pathen. Am 5. Dezember 1696 kam der Pforzheimer Geiftlichfeit
durch den Kirchenratb Kummer, der fih damals am fürftlichen Hof
zu Baſel aufhielt, der Befehl zu, daß Fünftig nicht mehr als 4 Tauf—
pathen zugelaffen und in das Kirchenbuch eingetragen werden dürften.
Nie wenig man aber diefer Beftimmung nachkam, zeigt die mehrfach
erfolgte Wiederholung derfelben (fo 12. November 1709) Außerdem
kam es nicht felten vor, daß gewöhnliche Bürger mit Pathen ihres
Standes nicht mehr zufrieden waren, fondern fih zu ſolchem Amte
adelige Perſonen, fürftliche Beamte, ja nicht felten ſogar Glieder des
fürftlihen Haufes erbaten, namentlich wenn fich foldye zufällig gerade
in Pforzheim befanden. Nie fehlte es aber aud an WUllerwelts-
genattern. Don 1675 an finden wir als folhe bei faft allen Taufen
eine Frau von Göler, nah ihr eine Frau von Menzingen, geborne
von Leiningen. (An die Stelle ſolcher Gevatterinnen trat von Anfang
bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts ein Gevatter, der Haupt:
mann und fpätere Oberft Joſeph Marimilian v. Popp?). — Eine
bezüglich der Gebräuche bei Hochzeiten am 17. November 1684 vom
Stadtrath erlaffene Verfügung feste Folgendes feit: Bei Hochzeiten
fol künftig eine Mannsperfon 8, eine Weibsperſon 7 Batzen Zeche
geben. Die Gefchente follen der Hochzeiterin über den Ehrentifch ges
reicht werden. Die Spielleute follen nicht mehr als 1 Gulden jeder
erhalten. Den erften Tag follen um 3 Uhr nach altem Gebrauch in
der Hochzeiterin Haus die ledigen Meibsperfonen zufammen kommen
und den jogenannten Pfeffer genießen. Die ledigen Gefellen follen
nach Belieben in ein Wirthshaus gehen und einen Trunk thun, Nachts
N) Kummer, a. a. O.
) Sein origineller Grabſtein ſteht auf dem Kirchhof an der öſtlichen Wand
ber dortigen Kapelle, Popp ſtarb 1. Aug. 1741.
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688. 497
aber, wenn die Hochzeitsgäfte nad) Haus gegangen, zu dem Gchlafen-
fingen kommen und nachher einen Tanz thun. Den andern Tag
betreffend bleibt e8 bei der bisherigen Ordnung; der dritte Tag aber,
der niemalen üblich geweſen, folle, weil es unnöthige Koften mache,
völlig abgefchafft fein. — Als Ergänzung zu diefer Verordnung folgte
am 14. Juli 1686 eine andere, die alfo Yautet: „Weilen zeither bei
den Hochzeiten mit den Schenkungen einige Unordnung vorgegangen,
bie Mufitanten auch mit ihren Zehen allzuviel Untoften verurſacht,
alfo ift heute Verordnung geſchehen, daß fürderhin, wie es vor Alters
gewefen, vor Anftragung des dritten Ganges die Schenkung vor ſich
gehen, den Mufikanten aber Vormittags zwiſchen der Predigt ein Früh:
ſtück auf des Wirths Koften, Nachmittags aber zwiſchen dem andern
und dritten Gang auf des Hochzeiters Koften ein Abendzehrgericht
gegeben werden folle. Und weil es fi mit Auftragung des erjten
Ganges bisher allzulang verzogen, alfo folle der Wirth fürbderhin
präzis um 1/12 Uhr anrichten laſſen, wo nicht, wird nad Umftänden
der Wirth oder der Hochzeiter geftraft.” — Die Hoczeitstänze wurden
fehr häufig auf dem Rathhauſe gehalten, wofür eine Tare von 5 Schil⸗
ling bezahlt werden mußte. Davon erhielt der amtstragende Bürger:
meifter 12 und der jüngfte Procurator 10 Kreuzer; letzterer mußte
aber dafür bei Jolchen Tänzen die Aufficht führen. (Beiläufig gefagt,
fanden im Rathhausſaal von Zeit zu Zeit auch theatraliſche Vorftel:
lungen ftatt. So fpielten z. B. am 30. Juli 1688 und Samftags
barauf die Komödianten von Düren auf dem Rathhaus und zahlten
dafür eine Taxe von 30 Kreuzen. Kurz vorher hatten fi auf dem
Marktplatz auch Seiltänzer und Luftfpringer product.) Wie ftrenge
es mit Eheverfprehungen genommen und wie jelbft die Kabinetsjuftiz
angerufen und zum infchreiten veranlaßt wurde, zeigt ein Vorfall
aus dem Fahr 1697. Ich feße den betreffenden Eintrag des Kirchen:
buchs wörtlich her: „Den 17. Juni 1697 wurde nach gehaltener Bet:
ftunde auf fonderbaren (befondern) Hochfürftlichen Befehl copulirt
Lorenz Jung der Anwald zu Göbrichen mit Anna Margaretha Gerfte:
nauerin, einer Wittib daſelbſten. Nota: Weilen der Anwald feinen
Eheverſpruch zurückgehen und nicht Halten wollen, hat ſich feine Braut
bei Serenissimo beffagt und darauf diefes erhalten, daß der Bräutigam
nolens volens fopulirt werde. Es hat bei der Kopulation aber dieſes
ſich ereignet, daß er Anwald anftatt des Jaworts „Nein” gefagt und
Pflüger, Pforzheim. 32
498 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 —1688,
auf meine des Archidiakoni (Stattmann) Frage geantwortet: Ich fag
Nein! Darauf hab ich diefe Wort gebraudht: Ob Ihr mir fchon mit
Nein antwortet, fo fage doch Ich als ein Diener Chrifti auf Befehl
unferes gnädigften Randesfürften in Euerm Namen Ja! Weilen nun
die Braut das Ja willig von fich gegeben, jo geihab darauf die Kon:
firmation, e8 mochte auch den guten Gefellen jo fauer ankommen, als
es wollte. Indeſſen wünfche ich ihnen den Geift der Einigkeit, daneben
auch alles Glück, Heil und Segen von dem Dreieinigen Gott im
Himmel!! Der Wunfch des Geiftlichen wird unter ſolchen Umftänden
wohl fhwerlih in Erfüllung gegangen fein. 1)
Neben den oben angeführten Hochzeitstängen waren auch bie foge-
nannten „Hoppeltänz“, die auf öffentlichen Plätzen gehalten wurden,
jehr beliebt. In Folge vielfachen Unfugs, der damit verbunden war,
fand fich jedoch der Stadtratb im Dezember 1665 veranlaßt, diefe
Tänze abzuftellen. Das Halten von Spielleuten auf offener Gaffe
von Seiten der jungen Burfche fam jedoch nod immer vor, und gab zu
lauter Befchwerde Anlaß, wenn der Lärm, wie einmal im Auguft
1673, die ganze Nacht hindurch dauerte. Aehnliche vielfältige Klagen
über Unfug auf den Gaffen und in den Wirthshäuſern, ſowohl Nachts
als an Sonn: und Feiertagen, verlauteten im November 1680, was
eine verfchärfte Aufficht und vermehrtes Patrouilliren durch die Schaar—
wächter zur Folge hatte. Auf eine im Oktober 1686 eingelaufene
Beihwerde, daß am Sonntag zwifchen der Abendpredigt in etlichen
Wirthshäufern mit „Zehen, Spielen und Jauchzen große Ueppigkeit
verübt werde“, erhielten die Kirchenrüger die Weiſung, fleißiger nad)
zufehen. Ein ähnliher Unfug war mit dem Singen vor den Häufern
in der Woche zwijchen Weihnachten und Neujahr eingeriffen, weshalb
1) Eines Vorfalls, ber fi 1660 in Dürrn ereignete, mag bier gleich mit
Erwähnung geihehen. Damals gabs nämlich in Düren, das früher ein Filtal
von Kiefelbronn war, großen Streit wegen der Pfarreibefegung, indem Dürrn
noch 4 Herrihaften hatte. Die Württemberger fuchten mit bewaffneter Hand
einen Pfarrer in die Kirche zu bringen, welche die Markgräfiſchen ſchon befegt
hatten, und bieben ein Loch in die Kirchthüre. Der Pfarrer des Orts ftand etliche
Stunden auf der Kanzel. Der Pfleger zu Detisheim, der die würit. Truppen
führte, fagte: Der Pfaff muß mir von der Kanzel herunter und follte ihn
ber Donner berunterfchlagen. Als er aber wieder abzog, brach cr unterwegs
den Arm. (Diefe Erzähtung findet fih in: „Diozes Pforzheim, Kirchen: und
Schulbeſchreibung ven 1735.*)
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688, 499
1686 verordnet wurde, daß dergleichen Singen künftig nur in den
Feiertagsnächten erlaubt fei, und zwar müßten mindeftens 3 oder 4
Knaben, welche fingen Fünnten, zufammenftehen und eine Zaterne haben.
Diejenigen, weldhe in andern Nächten oder ohne Laterne fängen, follten
aufgefangen und in den Ejelsftall gefperrt werden. Um mehr Orb:
nung im diefen Geſang zu bringen, wahrfcheinlich aber auch, um Etwas
zu verdienen, erbot fi fpäter der Schulmeifter Lötterle, mit ein paar
Buben herumzufingen. Dem Unfug des Neujahrichießens traten eben:
falls ſchon damals Verbote entgegen, jo 1686, wo eine Etrafe von
1 Pfund Pfennig darauf geſetzt wurde,
Dielen Berdruß bereitete den Behörden auch das nach dem dreißig:
jährigen Krieg bei ung mehr und mehr in Aufnahme gefommene
Tabafrauchen 1) oder „Zabaktrinken“, aud „Tabakſaufen“, wie man
damals diejen Gebraudy bezeichnete. Der Bannjtrahl des Papſtes
gegen das Tabafraudyen, den derſelbe 1664 fchleuderte, die da und
dort mit Gefängniß, Pranger und Geldftrafen, ja felbft mit Nafen:
abfchneiden begleiteten Verbote vermochten jo wenig, als das Eifern der
Geiftlichen, die das Tabakrauchen als ein Merk de8 Teufels verdammt:
ten, dieſes einmal eingewurzelte Kraut wieder zu verdrängen. Auch
die Mühe, welche ſich einzelne Schriftfteller gaben, diefem Unfug ent:
gegenzutreten, war umfonft. So fagt der als Satyriker befannte (aus
Willſtett gebürtige) Moſcheroſch: Diejer Teufelsrauch mache die Leute
trunfen, fei nicht bloß für die Spanier und Franzofen ein unentbehr:
Viches Lebensbedürfniß geworden, fondern leider „nebſt anderem welſchem
Ungemah auch zu den nachäffichten Deutichen” gedrungen, jo daß
nun felbft Bauern und Weiber „Tabak faufen”. Daß dies bereits
1667 auch in Pforzheim vielfach geſchah, zeigt ein im April jenes
Jahres erlafienes Verbot, daß bei hoher Strafe Niemand in Feld und
Wald Fener anzünden oder „Tabak trinken“ dürfe ohne der Forſtbe—
dienten Wiffen und Erlauben, As aber im Auguſt 1688 auf der
gebeten Auer Brüde durch das „liederliche Tabaktrinken“ beinahe
ein gefährlicher Brand entitanden wäre, wurde vom Gtadtrath beichlof-
fen, das „Ichändliche Tabaktrinken“ nicht mehr zu dulden, ein Verbot
1) Der 1496 von dem ſpaniſchen Mind Roman Pane zuerfi nad Europa
gebrachte, anfangs nur zu mebizinishen Zweden benützte Tabak wurde in
Deutihland durch die ſpaniſchen Soldaten Karls V. um 1540 IT befannt.
*
500 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim won 1648- 1688.
dagegen öffentlich anſchlagen zu laſſen und eine Strafe von 3 Pfund
Pfennig darauf zu ſetzen. Wie ſchon bemerkt, hatten alle dieſe Ver—
bote und Strafen den erwarteten Erfolg nicht, indem im Gegentheil
das Tabakrauchen mehr und mehr überhand nahm.
In den Jahren 1666 und 1682 herrſchten an vielen Orten
anſteckende Krankheiten, die namentlich im erftgenannten Jahr viele
Opfer forderten. Es dürfte intereffant fein, zu erfahren, welche Maap-
regeln ergriffen wurden, um der weitern Verbreitung der Seuche ent-
gegen zu treten und namentlic Pforzheim davor zu bewahren, Unterm
21. Auguft 1666 wurde vom Stadtrath verfügt, daß an bequemen
Orten Rauchwerk von Wacholder, Forchen- und Eichenholz oder Ge:
ſträuch, auch etwa mit Schwefel und Pulver gemacht werden folle.
Ferner wurde ein fürftlicher Erlaß befannt gemacht; nach diefem durfte
man 1. an feinen verdächtigen Ort handeln; 2. keine Tyroler, Schwei—
zer oder Baiern ohne Amtserlaubniß in die Stadt laffen; 3. überhaupt
Niemand ohne Atteftat einlaſſen; 4. im Haus und Gafjen fleißig keh—
ren, auch fonft jauber Haushalten; 5. die Gänfe und Enten aus der
Stadt thun (9); 6. jollen fich beherzte Leute zur Pflege der Kranken
melden. — Bei wachſender Gefahr wurde unterm 27, Auguft weiter
verfügt: 1. Die Bauern follen an der Einfhaffung des von den
Tyrolern und Schweizern gehauenen Wachholdergeſträuches Antheil
nehmen; 2. die Stadt ſoll Rauchfeuer in den Straßen machen, und
zwar auf dem Schloßberg, beim Marktbronnen und vor des Obervogts
Haus; 3. an der äußern Ziegelhütte ſoll ein Steg gemacht werden,
damit die nicht mit Atteſt Verſehenen darüber können; 4. zur Kranken—
pflege hat ſich Niemand gemeldet, man hat alſo eine Anzahl aufge—
zeichnet; 5. ein Krankenhaus iſt beſtimmt. Am 3. September erſchien
ein Befehl an ſämmtliche Barbiere, alle 8 Tage die Zahl der Patien:
ten einzuſchicken. — Da jedoch bie Stadt dies Mal von der Seuche
glüclicherweife verfchont blieb, fo hörten alle diefe außerordentlichen
Maapregeln im April 1667 wieder auf.
Daß der Umgang mit gewiffen Leuten, fo namentlich dem Wafen-
meifter, Schinder und Nachrichter früher für äußerſt fhimpflich gehalten
wurde, ift befannt. Ein Beifpiel davon ift oben ſchon mitgetheilt wor:
ben, ein anderes mag hier nod) folgen. Am 2. Mai 1664 erſchien
Peter Meerwein Namens der Mebgerzunft vor dem Stadtrathe und
trug demfelben vor: As fürzlich einige Meifter vom Tübinger Markt
Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648—1688. 501
zurüdgefommen und in Weil der Stadt eingefehrt jeien, hätten einige
Meifter von dort gefagt, was für Zunftgenoffen fie hätten, die mit
dem 3. v. Schinder und Wafenmeifter in Compagnie fäßen und zechten,
und hätten Hans Martin Hörter namhaft gemacht; das fei aber dem
Handwerk Ihimpflih. Diefer wurde alsbald vorgefordert und erklärte:
Als er, ziemlich betrunken, im Begriff gemefen fei, nad Haufe zu
gehen, jo babe ihm der Mafenmeifter gerufen; er fei auch hinauf:
gegangen und habe da einen Marktfchreier gefunden umd zwei oder drei
Mal ihnen Beſcheid gethan; er bitte um Nachſicht ꝛc.
Der Glaube an Heren, Gefpenfter, Vorbebeutungen u. dal. ftand
damals noch in feiner vollften Blüte, was uns nicht wundern darf,
da ſelbſt unfer Jahrhundert, das ſich fo gern das aufgeflärte nennt,
von ſolchem Aberglauben nicht frei ift. — Im Fahr 1699 befchmwerte
fi die Anna Barbara Fauler bitter darüber, daß fie überall als
Here verfchrieen werde. Es erging deßhalb ein fürftlicher Befehl, daß
daß man die Faulerin damit verſchonen folle; oder wenn Jemand fie
defien übermeifen könne, folle er es bei gmädigjter Herrfchaft anzeigen.
— Der fürdhterliche Krieg, der 1688 ausbradh und für Pforzheim
fo verderblih werden follte, war ſchon lange vorher durch verſchiedene
auffallende Ericheinungen in der Natur angedeutet worden. „Denket
nur”, fo ruft Spezial Kummer in feinem mehrerwähnten Abdfchiedsbrief
(S. 19) aus, „denket nur zurüd an die entfegliche Größe desjenigen
Schweif-Kometen, der uns zu allervorderft von der Höhe des
Himmels erfchredte (ein folder war 1680 erſchienen; fein Schweif
war mindefteng 70 Grad oder 40 Millionen Meilen lang 1); auch 1682
erfchien wieder ein Komet, aber ohne Schweif); an die öftermals mit
großem Schein und Krachen aus der Yuft Herniedergefallenen Feuer:
fugeln, fo ung gleichwie viel Taufend Andere anderswo nicht wenig
ergeifterten; an das abfcheulihe Stüdgedonner aus den Wolfen, fo
1) Der damalige Lehrer an ber Tat. Schule Mauritit, der AN Jahre fpäter
wieder als Stabtpfarrer nah Pforzheim fam und 1721 Mitglied der Singer:
gefellichaft wurde, zeichnete ein Gedicht in das Stammbuch berjelben ein, das
mit ben Worten anfängt:
Werthes Pforzheimb, beine Mauern fchlofjen mich vor vierzig Jahren,
Als der große Gott der Wunder damals deine Kriegsgefahren
Durch den Wunderſtern gezeiget, welder an bes Himmels Dad
Dir und Deutihland künden mußte eitel Zammer, Web und Ad,
502 Fünfzehntes Kapitel, Pforzheim von 1648 — 1688.
ein- und andersmal nicht anders aus der Ferne fi) hören laſſen, als
ob immer ein Kanonenſchuß über den andern in der Nachbarſchaft
geſchehe, allerdings, wie das Kanoniren aus den Neichsfeftungen getönt
hatte; an das Strahlſchießen in unfern Schloßthurm und mehrere
dergleichen hohe Gebäude im Lande hin und wieder, dadurd fie kurz
vor diefem heftigen Kriege, gleichjam als ob Feines aufrecht bleiben
müßte, in Wetter angezündet und ausgebrannt worden; an bie nad
Yauter Schwefel riehenden Wetterregen, fo eben auch vorhero
ſich bet ung niedergelaffen, und unſere Stadt und Gegend ganz feuer:
roth iluminirt hat, indem die Häufer und Alles am hellen Tag nicht
anders gefchienen, als wenn fie in vollem Feuer und Brand ftünden.*
Sn weitern Verlauf feines fhriftlihen Abſchieds führt Kummer fort:
„Und fo Könnte ich euch auch bei diefer Gelegenheit zu Gemüthe füh—
ven, was nach dem andern Brand kurz vor der dritten großen Plünde-
rung (Juli 1694) mit dem bewußten nadenden Mann wunderfelt-
fams paffirt, welcher von Vielen unter uns am hellen Tage außerhalb
der Stadt hin und wieder gefehen worden, und darauf Hin die meiften
unter uns fo rein ausgezogen und ihrer in den innerftern Kellern und
Gewölbern vergrabenen und vermauerter Güter, fo vorher niemals
geichehen‘, gänzlich beraubt worden, daß fie hernach bloß genug daher
gehen und fi) kaum mehr bededen können.” Diefen nadenden Mann
wollte damals auch der Herrn von Leutrum in der Nähe feines Schlof-
jes Liebeneck im Hagenfchieß gefehen haben und fiehe da — wenige
Mochen nachher wurde auch das Schloß Liebeneck ausgeplündert (Siehe
unten). Endlich erinnert Kummer feine Pfarrfinder noch daran, wie
wenige Moden vor dem letten Brand, bei welchem aud die Au ein-
geäfchert wurde (September 1692), in den Gärten dieſer Vorſtadt
Teuerflammen ziemlich hoch aus der Erde gejchlagen hätten,
$ 6. Zum holländifd-franzöfifchen (Iuremburgifchen) Kriege.
(1672—1679.)
Noch war Fein Nierteljahrhundert nach dem weftphälifchen Frieden
verfloffen, als ein neuer Krieg ausbrach. Befand fich auch der eigent-
lihe Schauplat desfelben nie in der Gegend von Pforzheim, fo hatte
doch die Stadt nicht wenig davon zu leiden und Lieferungen aller Art,
Kriegsfontributionen, Brandfhagungen, Cinguartierungen ꝛc. Tießen
Fünfzehntes. Kapitel. Pforzheim von 1648— 1688, 503
weder geordnete Verhältniffe, nod) jenen Moblftand wieder auffonmen,
defjen fih die Stadt noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts hatte
erfreuen dürfen.
Aus Gründen, deren Auseinanderfekung nicht hierher gehört, die
aber zumächft in dem Uebermuth und der unerfättlichen Ländergier
Ludwigs XIV. zu ſuchen find, war diefer Fürft im Jahr 1672 mit
einem ſowohl durch feine Zahl, als feine Ausrüftung furchtbaren Heere
in die Niederlande eingefallen, und feine Feldherrn Türenne und Condé
machten ſolche Forſchritte, daß die Nepublit in der größten Gefahr
ftand. Da nahm ſich Deftreich der bedrängten Niederländer an und
ſchloß mit ihmen 1673 ein Bündniß; das deutſche Reich folgte im
März 1674 nad, und da fid noch mehrere andere Fürften am Kriege
beteiligten, fo wurde derfelbe bald ein allgemeiner. Der Hauptfampf
309 ſich an die deutfchen Grenzen, und leider behauptete der Muth und
die Kriegserfahrenheit Türennes das entſchiedene Uebergewicht der fran—
zöfifchen Waffen gegen die Feldherrn des Kaifers, bis der Graf Monte:
cuculi den Seeresbefehl übernommen hatte. Türenne mußte ſich zurüd:
ziehen, iedoch nicht ohne vorher die Länder, die er verließ, namentlich
die Pfalz, aufs Gränlichfte verwüftet zu haben. Im Juli 1675
machte bei Sasbach eine Kanonenfugel dem Leben des berühmten
Feldherrn ein Ende.
Der untern Markgrafſchaft bereitete die Nähe der Feſtung Phi:
lippsburg, welche feit dem meitphälifchen Frieden (eigentlich feit 1644)
eine franzöfiiche Befabung hatte, vieles Ungemach, beſonders die Aus:
fälle und Streifereien der Teßtern. Es wurde zwar die Belagerung
der Teftung beichloffen und dies Gefhäft dem Markgrafen Friedrih VI.
von Baden-Durlah, der vom Kaifer und Reich zum Generalfeldmar:
Ihall ernannt worden mar, übertragen. Allein die Reichsſtände beeilten
fi) gewöhnlich nicht allzu fehr mit Stellung der ihnen zufommenden
Truppen, jo daß die Belagerung erft im April 1676 beginnen konnte,
Schon vorher hatte jedoch der Krieg auch auf Pforzheim feine Wir:
fungen zu äußern angefangen.
Bei herannahender Kriegsgefahr (März 1674) war den Wachen
an den Thoren der Stadt doppelte Vorficht anbefohlen und eine Per:
ftärfung der Wachmannſchaft beichloffen worden. Auch das Schloß ward
bald darauf mit der nöthigen Munition verfehen. Diefe Vorfichte:
maaßregeln wurden während des Krieges noch vermehrt. Die Offiziere
504 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648 — 1688,
mußten jeden Abend die Gewehre der wachltehenden Soldaten (d. h.
Bürger) vifitiren und nachſehen, ob fie mit Kraut, Loth und Lunten
verfehen feien. Bei einem entftehenden Tumult follten Weiber und
Kinder daheim bleiben. Der Wächter auf dem Thurm im Schloß
follte wachſam fein, auf die anfommenden Weiter Acht geben und dann
ſchnell feine Fahne ausſtecken. Als fpäter die Naturallieferungen
begannen und viel Heu ımd Stroh in die Stadt Fam, mußte jeder
Bürger mit einem großen Zuber voll Waffer verfehen fein und genaue
Auffiht auf Fener und Licht haben. Auch wurde beichloffen, wegen ber
großen Feuersgefahr alle Häufer zu vifitiven und alle Feuereimer zu
befichtigen. Die Stadt hatte im Mai die Auflage erhalten, einige
Dragoner zu werben und zu montiren und dadurch, ſowie in Folge
anderer Auflagen, erwuchſen ihr ſchon bedentende Kriegskoſten 1)
Zur fonftigen Kriegsnoth gefellte fih fhon vom Spätjahr 1674 an
ein bedeutender Preisauffchlag aller Yebensmittel. Der Sefter Kernen,
der vor dem Krieg noch um 14—16 Kreuzer verkauft worden war,
ftieg uf 30 — 36 kr., ja im Juni 1675 fogar auf 45 kr., und
„wegen der anmarjchirenden Faiferlichen Völker“, fo heißt es in einem
Stadtratbprotofoll, „Sei an Teinen wohlfeilern Kauf zu denken.” Bezüg—
lich fonftiger Kriegsnoth waren indeß die Bewohner der Stadt, da
dieſe befeftigt war, immer noch befier daran, als die des flachen Landes,
und die größere Sicherheit, welche der Aufenhalt hinter Mauern und
Gräben bot, war auch der Grund, daß ſich im Sommer 1674 eine
Menge Bauern von Grombach, Bruchſal, Mali, Mingolsheim, Oben:
heim, Gohsheim, Ettlingen und Heidelsheim mit dem werthvollſten
Theil ihrer Habe nad Pforzheim flüchteten. 2) Doch kamen ftreifende
Partien mehrmals in die Gegend von Pforzheim, und die Unficherheit
war im Sommer 1675 fo groß, daß man während der Ernte die
Früchte nicht auf dem Felde liegen laſſen konnte, Vorher ſchon hatten
die Einquartierungen durchmarfchirender oder längere Zeit in Pforzheim
fi) aufhaltender Truppen begonnen, und fcheinen überhaupt in diefem
Sabre bedeutende Durchmärfche, fo namentlich aud) der brandenburgifchen
1) So koſtete ein Boripann für Markedenter ber Kreistruppen und 3
marfgräfliche Trompeter bis Straßburg und Pleßheim 28 fl. 24 fr,
2) Eie braten diefelbe beim Kantenwirth unter und mußten Einzelne
bafür vierteljährlich 1 fl., Andere monatlich 28 fr. bezahlen.
Funfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648-1688. 505
Urmee, ftattgefunden zu. haben. Es wurden deshalb auch die dazu
nöthigen Maaßregeln getroffen, Billetſchreiber ernannt, eine Proviant-
bäderei errichtet 2c. 1)
Mehr als durch Cingquartierungen, Durchmärſche und Garniſon
wurde die Stadt durch die Kriegsgelder gedrückt, die ihr unter allerlei
Namen aufgebürdet wurden. So wurden bald ordinäre Philippsburger
Kriegstontributionen, bald ertraordinäre Kriegshilfgelder, bald Heu—
und Strobgelder, bald Brandſchatzungen, bald Winterquartier-, bald
Salvaquardi (Sauve garde- d, h. Schuß: und Sicherheitsgelder) von
der Stadt verlangt, zu deren Bezahlung regelmäßige und aufßerordent:
liche Monatsumlagen gemacht werden mußten. Die Bürger waren aber
nicht felten, namentlich in den letzten Jahren des Kriegs, gänzlich außer
Stande, diefelben zu entrichten und mußte gegen Manche mit Erekution
vorgefchritten werden. Es wurde zu diefem Behufe ein eigenes Exe—
utionsverfahren feftgefeßt: 1. die Etadtfnechte follten die Meftanten
gleich ins Käficht ſtecken; 2. diejenigen, die Pferde haben, follen nicht
zur Stadt hinaus gelaffen werden; deswegen follen die Namen den
Thorwarten angegeben werden. Sind dieſe fahrläffig, fommen fie in
den Thurm. 3, Wer ſich von den Reftanten bei Tag nicht ſehen läßt, ſoll
Nachts durch die Stadtfnechte aufgehoben und gelacht werden. — Dazu
kamen noch die Frohnden, namentlich die Echanzarbeiten, welche während
ber Belagerung Philippsburg geleiftet werden mußten. Die Stadt
mußte bdafelbft einen eigenen Schanzwagen unterhalten und daneben
noch Schanzgelder bezahlen, bie ſich in kurzer Zeit auf 300 Gulden
beliefen, und bald auf 542 Gulden ftiegen. Ws nun im Auguſt
1675 von Stadt und Amt Pforzheim gleich den übrigen Orten der
untern Markgrafſchaft gar noch eine freiwillige (1) Fruchtiteuer im
1) Als einquartiert werben angeführt: Im Mai 1675 bie feefelfifche Kom:
pagnie (Hauptmann Seefels, Lieutenant Goslowsky), andere Truppen im Mat,
November und Dezember 1676 (Lammwirth Defchler reichte fpäter für Einquar:
tierung eine Rechnung von 9 fl, 47 fr. ein, erhielt aber nur 5 fl.), im Som:
mer 1677 ein General Kopp mit vielen Leuten (foftete die Stadifaffe 146 fi.
26 kr.), ebenjo ein Hauptmann Weder von ber holfteinifchen Kompagnie, im
Winter 1677 auf 78 Rittmeifter Wernier mit Truppenabtheilung (feine Reiter
wollen mit Hausmannstoft nicht vworlieb nehmen, fondern Wein und Bier
haben), fowie Offiziere von den beiden ötingen'ſchen Kompagnien und ein
Rittmeifter Stein x.
506 Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688.
Betrag des Zehntens verlangt wurde, weil aus dem Dberlande bes
Krieges wegen gar nichts eingebe, und Pforzheim gleichzeitig auch
200 Gulden Ealvaquardigelder bezahlen follte, da erflärte der Stadt:
rath in einer Supplif an den Fürſten (jeit 1677 Friedrich Magnus),
daß die Erfüllung diefer Forderungen unmöglich fei. Die Bürgerfchaft
fei durch die harte Sinquartierung ganz erichöpft, jo dak man das Tiebe
Brod nicht ins Haus ſchaffen könne. Dabei liege Handel und Wandel
gänzlich darnicder, und Fein Bürger dürfe der zu Teiftenden Machtdienfte
wegen zum Thore hinaus. Durch diefelben feien die Bürger auch fo
abgemattet, daß fie an ihrer Arbeit gänzlich verhindert wären; denn die
Reihe treffe einen Jeden wähentih 3 Mal. Trotz der bisher ge-
Yeifteten Sauvegardegelder fei die Haferernte größtentheils verderbt wor-
den, (die Kaiferlihen hatten in der Ernte um Pforzheim fouragirt,)
während die Amtsunterthanen durch der Bürger Hilf und Convoyirung
ihre Früchte meift hätten in Sicherheit bringen können ꝛc. Diefe Bitte
hatte den erwarteten Erfolg nicht, denn neben Kriegsfrohndgeldern wurden
auch diefe 200 fl. Salvaquardigeld im folgenden Monat aufs Neue
verlangt, und Forderungen anderer Art hörten gar nicht mehr auf. Am
November des nämlichen Jahrs follte die Stadt an Kommiffär Silber:
mann zu Philippsburg abermals 112 fl. 30 fr. unter irgend einem
Titel bezahlen. Der Stadtrath behauptete, nur 52 fl. 30 fr. ſchuldig
fein, da der Kommandant von Philippsburg 60 Gulden erlaffen habe.
Da man fich nicht verftändigen Eonnte, fo wurde beichloffen, einen eigenen
Deputirten nach Philippsburg zu ſchicken (September 1678) und dem:
felben einen Fifcher mit einer Tracht Grundeln und Korellen als Ge
fhent für den Kommandanten mitzugeben. Der Fiſcher wurde nach
Erledigung feines Auftrages in Gnaden wieder entlafjen, der Deputirte
aber (Hans Jakob Holzhauer) im Arreft behalten und der Stadt für
feine Auslieferung 150 Neichsthaler abverlangt. Ob die Bitte um
Berwendung, welche hierauf an den Fürſten gerichtet wurde, den er:
warteten Erfolg hatte, vermag ich nicht anzugeben. Daß aber der
Kommandant von Philippsburg auch fonft ein ziemlich gemaltthätiger
Mann gewefen fein muß, erhellt aus einer Klage, welche der Schanz-
wageninfpektor zu Philippsburg, Georg Paul Pfeffer von Durlach, an
den Stadtrath richtete (Dezember 1678). Er fagt darin, daß er wegen
des Pforzheimer Schanzwagens von dem Kommandanten geprügelt und
ing Stockhaus geſetzt worden fei und 6 Rthlr. babe bezahlen müflen.
Fünfzehntes Kapitel. Pforzheim von 1648—1688. 507
Als Entihädigung wurden ihm vom Stadtrath 5 Pfund „Pfennig
bewilligt.
Noch im nämlichen Monat kam eine Forderung von 375 Gulden
MWinterquartiergeldern und von 14/, Monatgeldern zum Philippsburger
Schanzwagen. Es war aber fchlechterdings bei den Bürgern nichts
mehr zu holen. Kaum 20 Berfonen, fo heißt es im Etadtrathspro:
tofoll vom Jänner 1679, haben daran bezahlt, und man mußte ſich
deshalb zu einem Anlehen verſtehen, wodurch die vielen Schulden der
Stadt noch vermehrt wurden. Die fortwährende Theurung machte die
Noth noch größer. Zu Anfang des Jahres 1679 koftete das Malter
Kernen ned immer 8 bis 9 Gulden und wog der Laib Brod für
4 Kreuzer nur 2%), Pfund, mährend dieſes Gewicht in gewöhnlicher
Zeit 4 bis 5 Pfund betrug. Auch die Mebger waren um Erhöhung
der SFleifchtare eingefommen, und mußte für das Pfund Ochfenfleifch
3—31/, Kreuzer, Kalbfleifh 3 Kreuzer, Schweinefleifh 31/,—F Krz.
bezahlt werden. Dieſe Theurung hatte auch ein ungewöhnliches Sinken
der Güter: und Hauspreife zur Folge. Ein Baum-, Küchen- und
Grasgarten in der Bröginger Vorftadt, der gegen eine Summe von
250 Gulden verfegt, alfo mindefteng 2— 3 Mal fo viel werth war,
fonnte um diefen Preis nicht verfauft werden Für ein Haus am
Marktplat wurden 150, für ein anderes größeres in der Tränkgaſſe
350 Gulden bezahlt. Zu Anfang des Jahres 1679 wurden 1'/,
Morgen Ader am Kiefelbronner Meg um 16 Gulden, 16 Viertel
Ader um 30 Gulden und 2 Ohm Mein, 13 Viertel Ader und 11/,
Viertel Wiefen um 34 Gulden verkauft; gegen eine Kapitalaufnahme
von 60 Gulden wurden als Unterpfand verfeßt ein Haus, ein Stüd
Garten, 11/, Viertel MWiefen und 1 Viertel Ader ꝛc.
Der Friede von Nymwegen, der am 5. ebruar 1679 abge-
ſchloſſen wurde, machte diefen „Kriegstroublen“ ein Ende, freilich um
ihnen die ſchmachvollſten Zeiten für Deutfchland und bald darauf einen
andern Krieg nachfolgen zu Taffen, gegen welchen alle bisher erzählten
Trangfale Faum nennenswerth ericheinen,
Schssehntes Anpitel
Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. ')
(1688 — 1697.)
$ 1. Einleitung.
Nicht nur der dreigigjährige Krieg, fondern auch der weſtphäliſche
Triebe, der ihm ein Ende machte, hatte dem bdeutfchen Reich unbeilbare
Wunden gefhlagen. In letzterm wurde den einzelnen deutfchen Fürften
bie volle Landeshoheit zuerfannt und das Necht eingeräumt, zu ihrer
Erhaltung und Sicherheit Bündniffe mit auswärtigen Mächten einzu:
gehen. Bei einer folchen Gerechtſame der Fürſten war die Neichsein-
beit zum leeren Namen geworden! Bald genug zeigten fich die unbeil-
bringenden Folgen diefer Spezial-Souverainität. Die einzelnen Reichs—
fürften, Neichsgrafen, Reichs barone fuchten nur ihre Intereſſen zu ver—
folgen und ihre eigene Macht durch alle Mittel zu vergrößern, obne
das große Ganze dabei im Geringften im Auge zu haben. Die In—
terefjen der einzelnen Neichsglieder aber ftanden einander oft fo feind-
Ti) gegenüber, daß eine Ausgleihung ſchon einer ftarfen Central:
Staasgewalt Mühe gemacht haben würde. Nun mar aber eine foldhe
nad dem weftphälifchen Frieden eigentlich gar nicht mehr vorhanden,
vielmehr die Macht des Kaifers bei Streitigkeiten mit und unter
den Fürften nur auf gütlihe Worftellungen und Bitten beichränft.
Diefe waren aber meiftens fruchtlos, da das Souveränitätsfieber der
Fürften auch die letzten Regungen von Patriotismus erftidt hatte. So
nahm die Kraftlofigkeit des deutſchen Reiches und feine innere Ser:
2) Neben verjchiedenen allgemeinen gefhichtlichen Quellen wurden im
Belondern benügt: Pforzheimer Rathsprotofolle, Kontraftenbüder,
Bürgermeifterrehnungen, Kirhenbücder, eine hierher gehörige ges
Ihichtliche Abhandlung von Lotthammer; ferner: Kummer, fchriftlicher
Abſchied ftatt einer Valetprebigt (Alm 1694) u. a. m,
Schszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 509
rüttung von Jahr zu Jahr zu; die Anzeichen des völligen Verſchwin—
dens jeder wahrhaft vaterländifhen Gefinnung wurden immer häufiger
und verfündeten den Untergang des Reiches, deſſen Fugen mehr und
mehr auseinander gingen,
Diefe Zerrifienheit Deutichlands war für fremde Mächte eine
verführerifhe Verlockung zur Einmiſchung in die innern Angelegenheiten
desfelben. Solcher Verfuhung konnte namentlih Ludwig XIV. von
Frankreich um jo weniger widerftehen, als biefem übermüthigen, ehr:
und Tänderfüchtigen Fürften die Gelegenheit günftig genug ſchien, feine
Macht auf Unkoften Deutſchlands zu vergrößern, deſſen Schwäche er
im dreißigjährigen Krieg, noch mehr aber in den erften Jahrzehnden
nad) demfelben genugfam kennen gelernt hatte, Wie tief Deutichland
erniedrigt war, zeigte ſich im hellften Lichte, als Ludwig 1680 mit
einem Plan bervortrat, der an Schamloſigkeit alle ähnlichen Verſuche
übertraf. Er errichtete die fogenannten Reunionsfammern in Metz
und Breifah, welche ausmitteln und ausſprechen jollten, was irgend
einmal, wenn auch in unvordenklichen Zeiten, Zugehör der in den letzten
Kriegen an Frankreich abgetretenen Länder und Gebiete gewefen. Was
diefe Kammern für foldhe ehemalige Zugehör erflärten, das wurde
alsbald in Befik genommen, und fo eine Menge deutfcher Fürften,
darunter auch der Markgraf in Baden, ihrer linksrheiniſchen Befigungen
auf die frechſte Weiſe beraubt. Nicht genug, der König nahm 1681
mitten im Frieden die reihe und ftarfe deutfche Neichsftadt Straßburg
mit Gewalt weg und vereinigte fle mit Frankreich. Alles erſchrak über
diefe neue Gewaltthat; denn mit folhem Hohne war Deutichland noch
nicht behandelt worden. Aber feine Hand rührte fih, um Ludwig für
dieſe Verlegung alles Völkerrechtes zu züchtigen, Der Kaifer war zu
ſchwach, um die Fürjten zu einem gemeinfamen Unternehmen gegen
Frankreich zu bewegen, und feine eigene Hausmacht war gegen bie
Türken bejchäftigt, die 1683 bis vor Wien drangen. Unter den Fürften
war Fein Zufammenhalt; jeder hatte zunächſt fich ſelbſt im Auge,
unbefümmert um das, was vielleicht im Nachbarland vorging; nur in
einem Punkt waren fie einig: im gegenfeitigen Mißtrauen. Zwar
batten fich auf die Nachricht von den Anmaßungen der Reunionstam-
mern und die darauf gefolgten Gewaltthaten die Reichsſtände in Frank:
furt verfammelt; aber man konnte vor lauter Etiquetteftreitigfeiten zu
feinem Beſchluß kommen. Leider Hatten die Angriffe der Türken auch
510 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’ichen Rrieg.
den Kaifer genöthigt, mit Frankreich einen zwanzigjährigen Waffenftill-
ftand abzuſchließen; Ludwig blieb im Beſitz feines jüngften Raubes,
und das deutfhe Reich erhielt für die erlittene Beſchimpfung nicht die
mindefte Genugthuung. Je mehr aber das Glück die Franzoſen be—
günftigte, deſto höher ftiegen ihre Anmaßungen gegen Deutjchland, und
bald wurde wieder eine Urfache vom Zaune gebroden, um in Ber:
bindung mit andern angeblichen Gründen einen Krieg zu entzünden,
der leider für unfer Vaterland und mit ihm für die Stadt Pforzheim
jo verderblich werden follte,
Im Sahr 1685 war der Kurfürft Karl IL von der Pfalz ohne
tachfommen gefterben, Nun forderte Ludwig XIV, im Namen feines
Bruders, des Herzogs Philipp von Orleans, defjen Gemahlin eine
Schweſter des verftorbenen Kurfürften war, aber in ihrem Heiraths—
vertrag ausdrüdlich allen Anfprüchen auf die Pfalz entfagt hatte, einen
Theil der Kurländer, fowie Sit und Stimme auf dem deutjchen Reiche:
tag und ließ im September 1688 feine Truppen in die Pfalz ein-
rücken. Um die Deutfchen durch furchtbare Grauſamkeiten von dem
Miderftand gegen Frankreich abzufchreden und zugleih einen Angriff
auf letzteres unmöglich zu machen, wurde zu einem wahrhaft teuflifchen
Miittel gefchritten: die ganze Pfalz fammt den angränzenden Ländern
follte auf ausdrüdlichen Befehl des Königs in eine Wüſte verwandelt
werden. Nur zu getreufih wurde diefer Befehl befolgt. Städte,
Dörfer und Fleden mußten geräumt werden und die Einwohner, ihrer
Habe beraubt, mußten in die Wälder oder außer Lands flüchten, wo
die meiften ohne Obdach und Brod in Hunger und Elend zu Grunde
gingen, Worms, Speyer, Heidelberg, Mannheim, Frankenthal, Neu:
jtadt, Ladenburg u. f. mw. — furz die ganze blühende Pfalz wurde
von den rohen Eoldatenhaufen in eine ungeheure öde Brandftätte voll
rauchender Trümmer, vol umermeßlihen Jammers und Elends ver:
wandelt. Aber auch die angränzenden badifhen Länder wurden von
der gleichen Nerwüftung betroffen und Durlach, Naftatt, Baden und
andere Städte gingen in Flammen auf, ohne daß ihnen der Markgraf
nur die geringfte Hilfe hätte angedeihen Iafjen können. Er felber war
fogar genöthigt, fih wor den franzöfifchen Mordbrennerbanden mit feinem
ganzen Hof zu flüchten und feinen Wohnſitz in Bafel zu nehmen,
Dort befagen die badischen Markgrafen ein Schloß, das ihnen in Kriegs:
zeiten häufig als Zuflucht diente. Bon bier aus wandte er fi, wies
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. Stil
wohl vergebens, um Hilfe an den Neichstag, und von hier aus mußte
er zufehen, wie fein jchönes Land verwüftet und eine Stadt, ein Dorf
um das andere den Flammen preisgegeben wurde.
Auch die Stadt Pforzheim hat in diefem jammervollen Kriege
die traurigften Schidjale erlebt. Sie jollen in Nachfolgendem ausführ:
lic) erzählt werden,
$ 2. Vom Beginn des Krieges bis zum erflen Drand,
(Herbft 1688 bis Januar 1689).
Am 21. September (1. Oktober) 1688 begann die Belagerung
von Philippsburg durch die Franzoſen. Sie bildete wie früher fchon
jo aud) jebt wieder den Anfang der langen und ſchweren Leiden, die
Pforzheim im orleans’fchen Kriege treffen follten, Die Stadt wurde
mit Naturallieferungen hart bedrüct. Aber allmählig rüdte die Gefahr
der Markgraffchaft näher. Die Herrichaft ließ ſchon ſeit dem 4. (14.)
Dftober alle Früchte von den Dörfern einholen, wozu aus der ganzen
Gegend die uhren requirirt wurden. Am nämlichen Tage fam ein
Befehl hierher, ſich bei der herannahenden Kriegsgefahr ruhig zu vers
halten. Es mußte beftändig eine Anzahl Pferde bereit ftehen. An
den Thoren berrfchte die größte Wachſamkeit, und fein Bürger durfte
ohne Anzeige und erhaltene Erlaubnig die Stadt verlafjen.
Endlich näherte ſich den 10. (20.) Oktober eine ſtarke Abtheilung
franzöfifcher Truppen unter den Generalen Montelar und Defequier
der Stadt. Die Bürger, in erfter Neihe Johann Ungerer, zeigten große
Neigung, Widerftand zu leiften; allein die Aengftlichfeit des Stadtraths,
der freilich noch feine Ahnung davon hatte, was der Stadt durch dieje
Säfte würde bereitet werden, öffnete den Franzoſen die Thore. General
Meontelar nahm feinen Sit im Schloffe, Defequier zuerft in dem
v. Göler'ſchen Haus auf dem Schloßberg, nachher in dem v. Menzingen’
ſchen (jet Schenck'ſchen) Haus am Markt. Die übrigen höhern Offi:
ziere, fo der Marquis Delancere, Obriftleutenant Larode, Major
Erozel ze. laſen fich andere jchöne Häufer der Stadt zum Quartier
aus. Die Hauptwace war in der Herberge zur Höllen v. Otto Bedh
(wo jest Conditor Trommers Haus). Da der Befehlshaber den Un:
willen der Bürger merkte, jo verficherte er aufs Höchſte, daß ihnen
nicht das geringfte Unrecht gejchehen ſolle; fie feien ja Freunde und
512 Schszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’fchen Krieg.
wollten die Bürger auch als Freunde, nicht als Feinde behandeln, Es
wurde auch Anfangs ziemlich Ordnung gehalten. Billetichreiber wurden
ernannt und die Soldaten regelmäßig einquartiert. Aber alles das
war nicht vermögend, die Unzufriedenheit zu bejchwichtigen, befonders
da die Vorftädte, (die indeffen ihren Beitrag in Geld geben mußten,)
von Einguartierung befreit waren und deswegen die ganze Laſt ber Gar-
nifon, die mehrere Taufend Mann betrug, allein auf den Bewohnern
der eigentlichen Stadt lag. Zu diefem Drud kamen noch Schikanen
anderer Art. Zwar verließ der rohe Defequier bald die Stadt und zog
nad Franken, wo er überall brandſchatzte und zerftörte. 1) Ihm folgte
als Kommandant Charmazel, der aber, wie die Erfahrung lehrte, feinen
Suftruftionen gemäß nicht anders, als feine Vorgänger verfahren durfte.
Kein Bürger follte ohne ausdrüdliche Erlaubniß des Kommandanten
die Stadt verlaffen, noch weniger Mobilien ꝛc. außerhalb der Stadt
verfaufen, wodurd ſich mande Bürger in ihrer Geldnoth hatten helfen
wollen, Die anfänglihe Zucht der Truppen hatte bereits aufgehört,
und diefer Umftand, verbunden mit den Schanzarbeiten, die den Dürgern
zugemuthet wurden, ließ das Schlimmfte befürdten. Die Franzofen
beſchloſſen nämlich, bier Winterquartier zu nehmen und fuchten daher
die Stadt in befiern DVertheidigungsftand zu ſetzen. Da der Strid
zwifchen der Dber: und Nonnenmühle die ſchwächſte Stelle der alten
Befeftigungen war, fo follte fie durch Wälle und Paliſaden gebedt
werden, Die Bürger mußten nidyt allein das nöthige Holz herbei:
Ihaffen, fondern auch „Handdienſte“ thun. Dies reizte fie noch mehr,
da fie fich von jeher vor Allem eifrig bewahrt hatten, was nur ent-
fernt an Xeibeigenfhaft erinnerte. Zur Unterhaltung der Gamifon
hatte die Stadt bereit ein Kapital von 4541 fl. aufnehmen müſſen,
da ihre Einnahmsquellen mehr und mehr verfiegten. 2)
ı) Während feiner Anweſenheit in Pforzheim hatte ihm bie Stabt zu
eigenem Gebraud liefern müſſen: 2 Ohm 7 Viertel 3 Maag Wein (d 18 fl.
221/, kx.), 366 Pfd. Fleiſch (A 3 fr. macht 18 fl. 18 kr.), 45 Pfd. Speck
(d 12 fr. madt 9 fl.)
2) Diefes Kapital wurde fpäter auf Stadt und Amt Pforzheim, fowie
bie Aemter Stein und Langenfteinbah umgelegt und traf es:
die Stadt Pforzheim bei 138,929 fl, 244/, fr. Steuerfapital 1322 fl, 20 Fr.,
bas Amt j „ 212,640 fl. 22 fr. A 2023 fl. 40 fr.,
bie Aemter Stein und
Langenfteinbach bei 125,560 fl. 9, Er. a 1195 fl. — Fr,
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 513
Viele Bürger hatten ſich verabredet, die Stadt nöthigenfalls mit
Gewalt zu verlafien, wenn der Drud, oder doc wenigſtens die Zahl
der einguartierten Truppen nicht gemindert würde; die Franzoſen dagegen
drohten, die Stadt zu plündern und niederzubrennen, jobald ein Bürger
zu entrinnen verfuche, In diefer Noth beſchloß der Stadtrath den
29. November (9. Dezember), der Regierung sie Lage der Sade
vorzutragen und bei derfelben, fowie beim Kommandanten, um Ber:
minderung der Einguartierung einzufommen, Aber es half nichts; die
Regierung konnte nichts thun, und der Kommandant beachtete das
Geſuch nicht, obgleich auf Befehl des Markgrafen Alles aufgeboten
wurde, um diefen Mann, der das Schickſal Pforzheims in der Hand
hatte, bei guter Stimmung zu erhalten. Am 11. (21.) Jenner des
folgenden Jahres 1689, fei es unter dem Vorwande, daß Bürger die
Stadt gegen das Verbot verlafien hatten, oder aus Muthwillen, oder
um die Bürger durdy ſolche Maaßregeln einzufchlichtern — legten die
Franzoſen an verfchiedenen Orten in der Stadt Feuer ein, jo daß ein
Theil derfelben, darunter das Kaufhaus, abbrannte, obgleich die Bürger
furz vorher bedeutende Brandſchatzungen hatten zahlen müſſen. Unter
den Gebäuden, welche damals in Gefahr ftanden, von den Flammen
verzehrt zıı werden, war auch die Schloßkirche. Daß. das ehrwürdige
Gebäude verfchont blieb, hatte man hauptſächlich den Bemühungen eines
Zimmermanng (Sebaftian Bechthold) zu danken, der mit Lebensgefahr
die nöthigen Mittel zur Nettung des Gotteshaujes anmwandte, was aud
fpäter von der Stadt und Negierung mit reichen Belohnungen aner-
fannt wurde,
F 3. vVom erflen bis zum zweiten Brand,
(Januar bis Auguft 1689).
Obgleich das, was fid bisher ereignet hatte, nur das Vorfpiel zu
dem bildete, was noch kommen follte, jo waren doch die Stadt an fich
ſowohl, als aud die einzelnen Bürger in große Noth gerathen. Die
ſtädtiſchen Einkünfte hörten zum Theil ganz auf; der vierte Theil des
Pfundzolles, den die Stadt anzusprechen hatte und der im Monat
Auguft noch 30 fl. 50 fr. betragen, warf im Oftober nur noch 9 fl.
30 kr., im November nur 5 fl. 50 kr. ab. Im Sabre 1689 fiel in
Folge der durch die Franzojen erzwungenen Sperre bis zum Auguft
gar Fein Pfundzoll mehr. Handel und: Gewerbe lagen darnieder, die
Pflüger, Pforzheim, 33
514 Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Märkte konnten oft gar nicht gebalten werden, und der Ertrag des
Teldbaues, des hauptſächlichſten Nahrungszweiges der hiefigen Bewohner
in jener Zeit, ging durch Einguartirung, Fourageure ꝛc. zu Grunde.
Der geringe Erlös, welcher der Stadtfaffe noch durch Verkauf von Holz ꝛtc.
zufam, mußte für die einguartierten Truppen zu Holz, Bau von Wadıt:
bäufern, Lieferungen von Heu ꝛc. ſowie zur Unterftüßung armer Bürger
verwendet werden.
Auch die umliegenden Orte wurden hart geplagt, zum Theil völlig
geplündert. Nur die Huchenfelder blieben von der Plünderung verichent,
Sie hieben eine bedeutende Anzahl Bäume um und verfperrten durch
diefe Verhaue den Fourageurs und Marodeurs, die den ganzen Hagen
ſchieß durchitreiften, den Weg,
Pforzheim felbft blieb auch nad dem eriten Brande bis in den
Sommer von den Franzoſen bejeßt unter dem Befehle des Herzogs
von Bellefont. 1) Die Bebrücdungen und Quälereien der Bürger nah:
men zu. Außer jenen Brandfchaßungen, weldhe die Stadt vor dem
Brand für fich allein hatte zahlen müſſen, wurden nun noch größere
Summen eingefordert. Die damals noch kleine Markgrafſchaft Baden—
Durlah mußte 24,000 Gulden Brandſchatzungs- und 45,000 Gulden
Winterquartiergelder bezahlen, wovon es Pforzheim, damals nod) die
bedeutendite Stadt des Landes, das Meifte traf. Mie ſchwer und
drücdend dieſe Kriegsgelder den Bürgern waren, läßt fi daraus
abnehmen, daß am 18. (28.) April, um diefe Gelder einzugiehen, alle
Thore der Stadt gefperrt werden mußten.
Im Laufe des Sommers zogen die franzöfiichen Truppen wieder
ab, nachdem fie die Stadt in eine ſolche Noth gebracht hatten, daß es
faft unbegreiflich erfcheint, wie die Bürger im Stande waren, die noch
fommenden, ungleich; größern Leiden zu ertragen. Wie weiter oben
fhon bemerkt wurde, war der Wohljtand der Stadt ohnehin nicht groß,
da die Wunden, welche ihr der dreißigjährige Krieg geichlagen hatte,
noch lange nicht alle geheilt waren.
Am 24. Juli (3, Auguft) 1689 zog eine neue franzöfifche Heeres:
1) Derfelbe wohnte, wie der frühere Kommandant, in bem v. Menzingen’:
[hen Haus am Markt. Es muß aber darin mit ben Fenftericheiben übel
umgegangen worden fein; benn ber Glafer Chriſtoph Wilderfinn gab fpäter
für gemachte Glaferarbeit eine Rechnung von 15 Gulden ein,
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 515
abtheilung bei Philippsburg unter General Düras über den Rhein,
verbreitete ſich fchnell am ganzen Strom und brannte Bruchfal und
Bretten nieder. Gin Theil diefes Korps zog den 3. (13.) Auguft vor
Durlach; ein anderer hatte ſich ſchon einige Tage früher, nämlid am
31. Juli (10. Auguft), unter General Melac der Stadt Pforzheim
genähert und diefelbe zur Uebergabe aufgefordert. Allein die Bürger
waren um fo weniger Willens, ſich wieder wie im vorigen Jahr durch
freundlihe Worte und Verſprechungen täufchen zu laſſen, als Melac
bereitS durch feine in der Pfalz verübten Mordbrennereien eine traurige
Berühmtheit erlangt hatte und ſich jelbftgefällig nicht umfonft den
„Bruder des Teufels” nannte, ES wurde deshalb beichlofien, die
Stadt bis aufs Aeußerſte zu vertheidigen, obgleich fie ohne Garnifon
und ohne Hoffnung auf Entjaß war, und obgleih Markgraf Friedrich
Magnus den Bürgern den Rath gegeben hatte, jo weit es die Um:
ftände geftatteten, mit dem Feinde zu unterhandeln. Jedoch verließen
auch viele Bürger mit ihren Familien die Stadt, um in den umliegen:
den Wäldern Zuflucht zu fuchen; allein die umherſchwärmenden Frans
zojen hatten bereits in der ganzen Umgegend die Lebensmittel aufge:
zehrt. So waren diefe Flüchtlinge theilweiſe der bitterften Noth preis:
gegeben, die auch Viele von ihnen hinwegraffte. (So ftarben beifpiel-
weife damals Hungers Flößer Joh, Georg Kienlin mit Frau und
Kindern, Krämer Michael Zocher, Flößer Joh. Ib. Mäule u. U.
Es gingen überhaupt während des Krieges mehrere Hundert Einwoh—
ner der Stadt durch Hunger zu Grund). Die Geflüchteten ſchlugen
im Hagenfchieß ein Lager auf und befeftigten es durch Verhaue.
Die Franzoſen hatten fih auf dem Nod gelagert und begannen
von dort ihre Angriffe auf die Stadt, und zwar auf der Wafferfeite
zwifchen der Ober- und Nonnenmühle. Dort war ungeachtet der im
vorigen Jahre angelegten Wälle und Palliſaden der ſchwächſte Theil
ber Befeftigungen, weil die Stadtmauer durdy die Mühlgebäude unter:
brochen war. Zwar wehrten fich die Bürger aufs Verzweifeltite; die
im Hagenſchieß fi) aufhaltenden Pforzheimer fügten den Franzoſen vom
Kallert aus großen Schaden zu, indem fie manchen diefer Mordbren-
ner im Lager auf dem Mod erfchoffen. Allein durch die Trägheit und
Treulofigfeit der ſchwäbiſchen Kreistruppen gelang es den Franzojen
do, in die Stadt einzudringen. Jene Truppen hatten nämlih im
33 *
516 Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Hagenſchieß ein verfchanztes Lager ") bezogen, um dadurch das Herzog:
thum Württemberg zu deden. Nun wurde zmifchen ihnen und den
Bürgern von Pforzheim die Verabredung getroffen, daß die Kreistrup:
pen die Franzoſen angreifen und die Pforzheimer gleichzeitig einen Aus:
fall machen follten. Letzteres geſchah ſogleich, als man in der Stadt
die Kreistruppen die St. Georgsſteige herunterfommen fah; allein diefe
ließen die Bürger auf ſchändliche Weiſe im Stich und zogen ſich, ohne
nur einen Schuß gethan zu haben, in den Hagenfchieß zurüd, Der
Ausfall war mit ſolcher Heftigfeit gemacht worden, daß die Bürger
großen Berluft erlitten und es dem ſtark zufammengefchmolzenen Häuf:
fein derfelben nur mit Mühe gelang, fich durch die Feinde zur Stadt
zurüdzufchlagen. Diefe benüßten aber die herrichende Verwirrung, er:
ftiegen die Mauern und wurden in furzer Zeit Herren der Stadt.
Die Bürger wuhten, was fie zu erwarten hatten. Die Stadt Dur:
lach hatte fih gleih am Tag nah Deginn der Belagerung ergeben;
und wenn gleich die Stadt niedergebrannt wurde, fo erhielten doch die
Bürger vorher die Erlaubniß, auszuwandern, fie durften ihre Lebens:
mittel mitnehmen und der franzöfiiche General fchenkte ihnen fogar 80
Gulden (freilich geranbtes) Geld. Die Bürger Pforzheims konnten
von den durch den hartnädigen Widerftand erbitterten Franzofen feine
Schonung erwarten. Wer daher noch fliehen konnte, floh; manche
wateten bei der Wagmühle durch die Enz und verfuchten, ſich in den
Hagenſchieß zu retten; aber Viele wurden auf der Flucht niedergehauen.
Andere, die durch das Andrängen der Feinde überrafcht wurden, fprans
gen die Stadtmanern hinunter und fielen todt, oder brachen Arme und
Beine, (darunter war auch der Amtmann Kiener von Langenfteinbach.)
Viele wurden beim Eindringen der Franzofen in die Stadt erichoffen,
(fo Rothgerber Chriſtoph Eberlin, Weißgerber Hans Michel Teldner,
Seiler Jakob Flach). Noch Andere hatten Befinnung genug, fich fech—
tend in das Schloß zu werfen und fich dort zu wehren (darunter Bern:
hard Sattler); aber auch fie wurden überwältigt und gefangen genom—
men. Das Schiejal der Bürger, die mit den Waffen in der Hand
ergriffen worden, war Tod oder Gefangenſchaft. Nun wurde die -
Stadt von Melac zur Plünderung preisgegeben, und die beutegie—
rigen Sieger vannten von Haus zu Haus, um die Bürger ihrer letzten
Habe zu berauben. Aber das Maaß der Leiden war nod) nicht voll;
%) Weberrefte diejer Verſchanzungen find heute noch im Hagenſchieß fichtbar.
Schözehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 517
die ganze Stadt wurde dem Untergang geweiht. Vergebens warfen fich
die wenigen noch in Pforzheim befindlichen Bürger — ältere Chroniken
geben ihre Zahl auf nur 36 an — auf dem Marktplate vor Melac
auf die Kniee nieder, um ihn um Schomung der unglücklichen Stadt
zu bitten. Melac äußerte zwar — gegen feine Gewohnheit — einiges
Mitgefühl, und rief den ihn umgebenden Offizieren die befannten Worte
zu: „Ich glaube, daß dev Teufel im Kriegsrath zu Paris Präfident
ift.“ (Je crois que c’est.le diable qui preside au conseil de guerre
& Paris) Aber Pforzheim ftand auf der Yifte der 1200 Städte und
Dörfer, die verbrannt werden follten, und darum durfte feine Schonung
eintreten. Am 5. (15.) Auguft, dem Tage, an welchem die Franzofen
abzogen, wurde vorher unter alle Brüden und Thore, in alle bedeuten-
bern. Gebäude der Stadt, fo in das Schloß, das Rathhaus, die Stadt:
fehreiberei 2c. Feuer eingelegt, und die Thore von außen verrammelt,
um, recht teuflifch, die Einwohner am Entweichen zu verhindern. Am
Abend diefes Tages Toderte die Stadt an vielen Orten zugleich in
Tener auf. Die auswandernden Durlacher fahen auf ihrem Zuge nad)
Zangenfteinbah auf einer Höhe im Walde bei Grünmettersbach die
gräßlichen Flammen des Brandes von Pforzheim, der faft die ganze
Stadt in einen Aichenhaufen verwandelte, Nur ein Theil derfelben,
nämlih der Strich vom Miftädter Thor bis zur Enz, ſodann die
Schloßkirche ſammt einigen in dev Nähe ftehenden Gebäuden, und end—
lich das Dominifanerflofter mit der Stadtkirche blieben vom Feuer
verichent, weil e8 dem aufopfernden Muth einer Anzahl Bürger gelun-
gen war, mit Lebensgefahr durch die franzöſiſchen Wachen zu dringen
und an mehreren Orten das untergelegte Feuer und Pulver wegzu—
bringen. Auch die Vorftädte blieben, obwohl fie bei beiden Bränden
vom 21. Januar und 15. Auguft geplündert wurden, von der Ser:
ftörung frei; die Franzoſen hatten feinen Verſuch zu ihrer Niederbren—
nung gemacht, da dieſelben für feindliche Truppen feinen Haltpunft und
ſelbſt nicht einmal fichere Hoffnung auf Quartiere gewähren konnten,
Es würde zu weit führen, alle die Drangfale zu erzählen, welche
einzelne Bürger und familien damals ausftehen mußten. Diele hatten
fi, um dem Feuer zu entgehen, in die Keller verborgen, weil ja wegen
der geiperrten Thore Niemand die Stadt verlaflen konnte. Dasfelbe
hatten auch mande Andere noch vor der Anzündung der Stadt gethan,
um nicht als Geifeln fortgeführt zu werden, fo der Spezial Mathäus
518 Sechszehntes Kapitel, Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Kummer, dem mit 12 andern angefehenen Einwohnern jenes Schickſal
bevorftand. Indeſſen, als die Stadt angezündet wurde, brannte auch
das Haus nieder, in deffen Keller fih Kummer fammt dem Diafonus
Fleiſchmann befand, und fie wären Beide umgelommen, wenn nicht
einige WVorübergebende ihren angeftrengten Hilferuf vernommen und fie
herausgezogen hätten. m. ähnlicher Weile gelang es noch Dem und
Jenem, jein Haus gegen die Kugeln und gegen den Brand, feine befte
Habe gegen die Plünderung, feine Kinder aus den Flammen zu retten,
Die gefangen genommenen Bürger wurden von den Franzofen
bei ihrem Abzuge fort und nad dem Elſaß geichleppt. Die meiften
derfelben laſſen fih angeben. Es waren: Rößlewirth Joh Beckh,
Küfer Heinrich Braun, Metzger Johann Buck (wurde in der Gefangen:
ſchaft Soldat und war 1698 franzöſiſcher Hauptmann), Bäder Mid.
Dengler, Hafner Sebaft. Dien, Schneider Peter Denninger, Kaufmann
Mathäus Enderlin, Schreiner Lukas Flachmüller, Math. Gerung,
Flößer Hans Georg Gerwig, Schloffer Hans Georg Kechler, Roth:
gerber Michael Kercher (einer der Wenigen die wieder zurückkehrten),
Matthäus Lotthammer, Schreiner Joh. Lang, Mebger Joh. Ib. Meer:
wein, Schuhmader Joh. Peter Mutſchler, Zeugmacher Joh, Martin
Niclus, Sigmund Pfinder, Johann Schwarz, Tuchmacher Fried. Solb,
Schmied Math. Sattler, Mebger Jakob Wirth u. A. m. Die ges
fangen genommenen Bürger hatten meift ein fonderbares Schickſal.
Sie wurden mit andern aus der Markgraffchaft fortgefchleppten Ein:
wohnern auf die Galeeren gefchmiedet, fpäterhin aber 1300 davon von
Ludwig XIV. dem vertriebenen englifchen König Jakob Stuart zu
Hilfe geſchickt. (Won den gefangenen Pforzheimern war u. U. dabei:
Math. Gerung, Andreas Hertenftein, Joh. Meart. Niklus und Johann
Schwarz) Ihr Anführer, Mathäus Steig, ergab ſich jedoch mit fei-
nen Truppen an das Haus Hannover, wofür ihn König Georg von
England zum Oberften ernannte, Don den Pforzheimern haben aber
die meiften ihr Vaterland nicht wieder gefehen.
F 4 Dufland der Stadt nad) dem zweiten Brande. Bemühungen
zur Werbefferung desfelben,
(1689 — 1691.)
Die Stadt gewährte einen traurigen Anblid. Sie war faft nur
eine weite Brandftätte. Die meijten Häufer waren bis auf den Grund
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 519
niedergebrannt, von andern, wie 3. B. von der Stadtfchreiberei, wo
indefjen ein Theil der Regijtratur ein Raub der Flammen wurde, 1)
dem v. Ehingen'ſchen Haus am Markt, dem v. Flehingenihen Haus
in der Lammgafje, dem Schloß ſammt einigen unterhalb desſelben
ftehenden Käufern, dem Schlachthaus ꝛc. waren ein Theil noch ftehen
geblieben. Die Gaffen Tagen jo mit Schutt und Afche angefüllt, daß
felbft in den obern Theilen der Stadt die Keller, welche eine Zeitlang
bei vielen Bürgern die Stelle der Wohnungen vertreten mußten, fi
mit Waſſer füllten und faft überall in den ohnehin engen Straßen die
Durchfuhr gehemmt war. Diejenigen Bürger, welche fi bisher im
Hagenſchieß aufgehalten hatten oder font geflohen waren, kehrten nun—
mehr wieder zurüd. Das Lager der Erftern war mehr als einmal
den Angriffen franzöſiſcher Streifkorps ausgeſetzt gewefen; aber die
Plünderungsluft derfelben fjcheiterte an dem Muth, der Verzweiflung.
Die Bürger kämpften, nachdem der Brand fie faft aller ihrer Habe
beraubt hatte, um ihr Letztes. Jetzt drängte ſich Alles in den noch
übrigen Reſt der Stadt zufammen, Wer gar feinen Raum mehr fand,
erbaute fih an einem beliebigen Plat eine Hütte. Auch der Markt:
platz mußte dazu dienen. Auf NRegelmäßigfeit oder gehörige Breite der
Straßen, auf einige Schub mehr oder weniger Pla wurde dabei nicht
geſehen.
Nicht minder groß als die Unordnung war die Noth der Bürger
und ihrer Familien, da ſie durch Plünderung und Brand faſt Alles
verloren hatten, und das, was verborgen und gerettet worden war,
gegen das Verlorene unbedeutend erſchien. Aller Verkehr, aller Handel
war vernichtet, und die meiſten Bürger waren ohne Mittel zum Unter:
halt. Zwar hatte man nach dem erjten Brande zwei Bürger, näm—
lid die beiden Stadtgerichtsprofuratoren Maurer und Mauch, mit einem
Patent ausgefchidt, um Beiträge für die Abgebrannten zu fammeln.
Sie braten zwar auf ihrer Neife durch faft ganz Deutichland eine
erffedliche Summe zufammen; aber da die Zahl der Unterftüßungs:
bedürftigen durdy den zweiten Brand viel größer gemorden war,
jo erhielt jeder Bürger, der fein Haus verloren hatte, nach Be:
1) Ein am 26. Auguft 1689 wieder begonnenes Gontraften = Brotofoll ift
„angefangen nach dem franzöfiihen Brand, in welchem die vorhergehende pro:
tocolle (von 1687 und 1683) zu Grund gangen,“
520 Sechszehntes Kapitel, Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
ſchluß Gerichts und Raths vom 14. (24) Auguft 1689 1) nur
10 Gulden, woran aber die Bedingung des MWiederaufbaus der Woh—
nung gefnüpft war. Woher aber die weitern Mittel zum Bau neh-
men? Diele Bürger hatten Fein Brod, und fahen fi am Ende ge—
nöthigt, auszuwandern. „Der Sammer war fo groß," jagt ein Augen:
zeuge (Kummer), „daR ich mich beinahe felbft nicht mehr zu fafien
wußte, und, wenn ich wollte, denjelben Teichtlich jo befchreiben könnte,
daß Einem beide Ohren davor gellen und alle Haare empor ftehen
müßten.“ 2)
Es war feine leichte Aufgabe Für den damaligen Stadtrath, in
diefes wirre Durcheinander einige Ordnung zu bringen. Indeſſen ent:
ledigte er ſich diefer Obliegenheit jo gut, als ihm dies der faft gänz-
liche Mangel an Hilfsmitteln geitattete. Cine der erften Sorgen bei
den unruhvollen Zeiten mußte Sicherheit genen Außen fein. Von den
Thoren der Stadt waren dur die beiden Brände das Schlok- und
das Auerthor vernichtet, die Übrigen mehr oder minder beſchädigt wor:
ben, Letztere wurden, fo gut es ſich thun ließ, wieder hergeftellt und
fo ſtark befett, als es die verringerte Zahl der Bürger geftattete. Diefe
Maafregel war nicht nur gegen äußere Feinde, fondern auch gegen bie
Bürger felbft nothwendig, um das allzuhäufige Entweichen derfelben
zu verhindern. Es ftand, wenn nicht Einhalt gethan wurde, eine gänz-
Yiche Entvölferung der Stadt zu befürchten. Teich nach dem Brande
(den 14. [24.] Nuguft) wandte ſich deshalb der Stadtrath mit einer
Eingabe an die Negierung, worin er den elenden Zuſtand der Stadt
fchilderte, die Befürchtung, daß diefelbe durch Megziehen der Bürger
entoölfert werden möchte, ausſprach und als Mittel dagegen vorſchlug:
1. Befreiung von der Schabung; 2, die Aufhebung des Pfundzolfes ;
3. die Ausſchaffung der Juden, welche den Bürgern in ihrer Nahrung
1) Anweſend dabei waren: Bürgermeifter Martin Zoller, Altbürger:
meifter Stieß, Kiefer, Eberlin, Scheidlin, Holdmeyer, Herbiter, MWilderfinn,
Kercher, Meerwein, Burkard, Bub, Lötterlin, Schnellin, Meier, Kornmann,
Dftertag. Die Rathsſitzungen wurben nah Abbrennung bes Rathhaufes im
Haufe des Färbers Andr. Kienlin nehalten. — Zoller war in den erſten Jah—
ren bed Krieges Bürrgermeifter, 1691 Georg Eberlin (+ 1693 nad dem Grab:
fein auf dem Kirähof), in den folgenden Sahren abwechlelnd Leonhard
Herbfter und Chriſtoph Wohnlich.
2) Schriftlicher Abſchied ꝛc.
Echs;ehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’fchen Krieg. 524
bisher ſehr ſchädlich geweſen, und 4. die Verftattung des freien Handels
und Mandels in allen Sachen. Diefe Freiheiten wurden auf 15 Jahre
verlangt, nach deren Umfluß die vielfach verfürzten Privilegien von
1491 wieder in volle Kraft treten follten. Die Negierung zu Niefern:
burg befürwortete dieſe Forderungen bei der fürftlichen Regierung zu
Basel, und es Scheint au, daß von diefer auf den elenden Zuſtand
der Stadt gebührende Nüdficht genommen und in einem bald darauf
erlaffenen fürftlichen Befehl, daß die Bürger die Stadt nicht verlaffen
follten, das Wefentliche der erwähnten Forderungen zugeftanden wurde.
Indeſſen nöthigte die immer fteigende Noth noch Manchen zur Aug:
wanderung.
Bei weitem die fehwierigfte Arbeit aber war die Gintreibung ber
vielen nothwendigen Gelder. Da die Einkünfte der Stadt entweder
ganz verloren waren oder nur jehr unregelmäßig eingingen, fo mußten
die vielen außerordentlihen Ausgaben für Herftellung der öffentlichen
Gebäude, Thore ꝛc., die noch fortdauernden Kontributionsgelder und
Lieferungen an die Franzofen, wie an die ſchwäbiſche Kreisregierung
für die nun endlich mit arößerm Eifer betriebenen Kriegsrüftungen ıc.
durch außerordentliche Umlagen gededt werden. Das war feine leichte
Aufgabe und wurde bei der herrichenden Noth und dem Mangel an
Gemeinfinn — eine natürliche Folge der bisherigen vergeblichen Auf:
opferungen — oft geradezu zur Unmöglichkeit. Die Unzufriedenheit
ber Bürger, die fidh oft auf die heftigſte Weiſe Luft machte, wurde
aber größer, als noch Anforderungen anderer Art einliefen. Weil
die Pforzheimer Bürgerſchaft noch glücklich fchien im Vergleich mit
andern Städten, 3. B. Durlach, da in Pforzheim doch noch ein Theil
der Stadt gerettet worden war, während Durlad gänzlich in Aſche
Yag, fo fiel auch der größte Theil der Laſten, welche die untere Mark:
grafſchaft zu tragen hatte, auf Pforzheim. So wurde der Stadt zuge:
muthet, gemeinschaftlich mit dem Amtsbezirt 56 fl. zur Unterftügung
des in franzöfiiher Gefangenſchaft zu Philippsburg ſitzenden Inter:
vogts Scheid und des Bürgermeifters Wild von Durlach zu bezahlen,
obgleih der Stadtrath die Unmöglichkeit darlegte. Aus ähnlichen
Gründen wurde auch das Durlaher Gymnaſium nad) Pforzheim in
das vom Brand verfchont gebliebene Predigerkloſter verlegt, und ſchon
am 8. (18.) September kam der Rektor des Gymnaſiums, Michael
522 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Bulyowsky, nah Pforzheim, um die nötbigen Einrichtungen zu
treffen. 1)
Gteichzeitig gelangte auch ein Befehl des franzöfifchen Generals
Düras nad Pforzheim, daß der daſige Obervogt in Lichtenau vor ihm
ericheinen ſollte. Da in diefer Zeit fih gar fein fürftlicher Beamter
in Pforzheim befand, fo wurde der lichtenthal'ſche Schaffner, Mathias
Delendreit, abgefandt. Düras verlangte die völlige Zerſtörung aller
Feſtungswerke, Niederreißung der Stadtmauern und Ausfüllung der
Gräben. Endlich ließ er ſich doch mit Abtragung der in dem Iebten
Sabre angelegten Mälle und Pallifaden begnügen, die auch in der
erfreufichen Ausficht geſchah, beim nächſten Xruppeneinmarfch wieder
berftellen zu müffen, was man jeßt niederrig.
Der größte Kammer entjtand aber in Pforzheim, als fich im
November 1689 das Gerücht verbreitete, daß die Stadt im bevor:
ftehenden Winter mit einer ftarfen Garnifon befest werden folle. „Das
fei rein unmöglich,” äußerte fih darüber in einer Rathsſitzung der
damalige Bürgermeifter ob. Jak. Deimling, „da die Stadt in zwei
Bränden faft gänzlich in Aſche gelegt und die Einwohner um Habe
und Nahrung gebracht worden feien.“ nn einer deshalb an die Regie—
rung in Niefernburg gemachten Eingabe hieß e8 ferner: „Die wenigften
Einwohner hätten über Naht das liebe Brod im Haufe; die noch
übrigen Häufer feien bdergeftalt mit Einwohnern überfüllt, daß fein
Platz meiter vorhanden, Jemanden unterzubringen; zudem würde es
{hen unmöglich fallen, nur das Nöthige an Holz und Xichtern für die
Machen beizufchaffen, weil die dazu erforderlichen Mittel weder bei
gemeiner Stadt, nod bei der Bürgerichaft anzutreffen feien.” Ein
ähnfiches Schreiben erging auh an den Markgrafen Karl Guftan,
Bruder von Markgraf Friedrih Magnus und damals Generalfeldzeug-
) Von den 10 alten Mönchszellen, welche genen Oſten lagen, richtete
Bulyomwafi 4 zu Schulzimmern ein; das Schiff der Kirche wurde zu Gebeten, Vor:
fefungen, ſpäter auch zum Predigen benützt. Much die beiden Auditorien, welche
an bie genannten Zellen jtießen, wurden für das Gymnafium verwendet, bas
eine als Konferenzzimmer, das andere zu Borlefungen, 1690 den 13. März
wurde ber Unterricht mit 60 Schülern eröffnet, deren Zahl nah Erridtung
einer 4. Klaffe 1691 ſchon auf 150 geftiegen war. Außer dem Rektor wirkten
damals an der Schule die Lehrer Bendel, Ludovici und Wagner. (Vergleiche
hierüber; Vierordt, Gedichte der Karlsruher Mittelſchule, ©. 35.)
Schdjehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’fchen Krieg. 523
meifter des ſchwäbiſchen Kreifes. Statt einer Antwort Fam unterm
8. (18.) November ein fürftlicher Befehl, daß die Stadt ſich auf die
Einguartierung von einigen hundert Mann bereit halten folle, und ſchon
10. (20.) November zogen MO Mann Truppen des ſchwäbiſchen Krei—
fes zu Fuß und zu Pferd unter Hauptmann von "Hagen in bie
Stadt ein. Der Kommtandant verlangte fogleib Näumung der Stadt:
mauern, Erbauung von Wachhäuſern, Verſchanzung des Scleifthorg,
PBallifaden an mehreren Orten ꝛc., fodann Licht und Holz auf bie
MWachtftuben. Das in der Stadtkaſſe vorhandene Geld war aber nicht
einmal hinreichend, um die dazu benöthigten zwei Pfund Lichter täg—
lich anzuſchaffen; man wußte feinen andern Rath, als einen Weggeld—
ſtock aufzufchliegen und befam dadurd 26 fl. 25 fr. Dies reichte natür:
Yich nicht weit. Die auf die Bürger umgelegten Kriegsgelder gingen
nicht ein, denn die wenigften Fonnten fie bezahlen.
Am Dezember rüdte unter dem Befehl des Oberften Palffy neue
Garniſon in Pforzheim ein 1), welche das ganze Jahr 1690 hindurch
die Stadt hart drüdte, und am Ende des Jahres Fam noch eine
Abtheilung Hufaren dazu. Zwar ſollte befchloffener Maßen die Stadt
Augsburg die Verpflichtung haben, diefe Garniſon zu “unterhalten,
und Pforzheim follte ihr nur Obdach gewähren; aber das aroße
und reihe Augsburg kam, wie e8 fcheint, diefer Verpflichtung nicht nach,
und fo fiel die ganze Laſt der Einquartierung wieder auf die Bürger
von Pforzheim. Es gebt dies wenigſtens aus den rührenden Schilde:
rungen der allgemeinen Noth in den öfters an die Negierung gemachten
Eingaben, aus den immer wiederfehrenden Klagen über die Wegnahme
und Vernichtung der Feldfrüchte durch die Fourageurs der Garnifon,
die beftändige Lieferung an Naturalten 2c. deutlich genug hervor. Dazu
famen nod die Kriegsgelder am die franzöftichen Kommandanten in
Straßburg und Philippsburg. Diefe mußten fast jedes Mal mit
militärifcher Exekution eingezogen werden. Der Schulöner mußte die
mit der Erefution beauftragten Soldaten, denen er fogleich einen Batzen
Gebühr zu entrichten verpflichtet war, fo lange behalten, bis er zahlte,
und überdies Foftete jede Stunde wieder einen Batzen Entihädigung.
2) Palffy quartierte ſich beim Faiferlichen Pofthalter, Bärenwirth Ambros
Deichler ein, welcher, fo lang der Kommandant bei ihm wohnte, wöchentlich
1 Klafter Brennholz ertra erhielt.
524 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Um das Maaß des Ungemachs voll zu machen, mußte zu Anfang
des Jahres 1690 ein Eisgang mit Ueberſchwemmung die Auer Brüde
gänzlich und die Altjtädter Brücke größtenteils zeritören und faft alle
Dämme und Wehre befhädigen. Die zur Wiederherftellung derſelben
erforderlihen Mittel waren auf feine andere Art aufzutreiben, als dag
auch den gefreiten ‘Perfonen (Adelihen und Staatsdienern), fowie den
Juden, die ſonſt auch keine außergewöhnlichen Abgaben bezahlen durf—
ten, Beiträge angefegt und von ihnen erhoben wurden, Das gab
Miphelligfeiten, die nody vermehrt wurden, als im Laufe des Jahres
die Mebgerzunft fich hartnädig weigerte, die ertraordinären Kriegsgelder
zu bezahlen und aud die übrige Bürgerfchaft fehrwierig zu werden
anfing. Willfommen war es daher dem Stadtrathe wie der Bürger:
haft, dab im Dezember Markgraf Friedrih Magnus felbft hierher
fam. Alles ſchöpfte neue Hoffnung und wartete auf Erleichterung und
Hilfe, aber vergebens. Was konnte der Markgraf auch ‚beim beiten
Willen thun ?
F 5. Menue Verwüſtungen. Berennung und Plünderung Pforzheims.
Treffen bei Pforzheim und dritter Brand.
(1691 und 1692.)
Der Zuftand der Stadt, wie er zu Ende des Jahres 1690
gewefen, dauerte auch bis über die Hälfte des Jahres 1691 fort. Im
Juli diefes Jahres drohte jedoch die franzöſiſche Armee von der Rhein:
ebene nah Schwaben durdhzubrehen. Die Stadt Pforzheim zu be-
ſchützen, war Aufgabe des ſchwäbiſchen Kreisregiments, defjen Führung
eben erft dem Grafen Karl Egon von Fürftenberg, einem im Türken—
frieg erprobten Difizier, übertragen worden war. 1) Er hatte zur Ver—
ftärtung 500 Mann gedienter Soldaten erhalten. Als fi jedoch die
Gefahr zu verziehen jchien, da der Feind fih auf Graben zurüdzog,
fo entjandte er 200 Mann zur Verſtärkung feines Oberftlieutenants
v. Remchingen nad) Ettlingen. Er jelber bezog Quartier in Weil der
Stadt und Tieß den Reſt feiner Leute zu ihren im Kinzigthal ftehenden
1) Man vergleiche zum folgenden: Fickler, Geihichte von Fürftenberg, IV.,
S. 172 fi.
Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'fchen Krieg. 535
FKompagnien ſtoßen. In Pforzheim blieb eine Kompagnie unter der
Führung von Hauptmann Zichwolf. 1)
Unvermutbet fette fich jedech die fFranzöfifche Armee, 30,000 Mann
ftarf, von Graben her gegen Pforzheim und Stuttgart in Bewegung.
Bei ihrer Annäherung floh, wer irgend fliehen konnte, und fuchte feine
beite Habe zu retten. Viele aber wurden vor der Stadt von dem
Ichnellanrüdenden Franzofen ergriffen und beraubt. Dem Grafen von
Fürſtenberg war durch Hauptmann Zidwolf von dem Erſcheinen ber
franzöfiichen Armee vor Pforzheim raſch Nachricht gegeben worden, und
er eilte feiner bedrohten Kompagnie fo ſchnell zu Hilfe, daß er früh
7 Ubr bereits auf den Anhöhen füdlih von der Stadt angelangt war.
Bon bier fah er ſchon den Vortrab des Marſchalls von Villeloi in
der Nähe Pforzheims angelangt; die Neiterei tummelte fih auf dem
Anger zwifhen Mauern und Gebirg. Fürſtenberg fchlug fi durch
diefelbe, tödtete dem Feind zwei Offiziere und mehrere Gemeine und
erreichte mit 35 erbeuteten Pferden glücklich die Stadt. Der Feind
lieg aber nicht fo leichten Kaufes von derſelben ab; fein Fußvolk,
untermengt mit Dragonern, rücdte gegen die Brötinger Vorftadt vor,
drängte die dort aufgejtellten Roften in die Stadt zurüd und fing
Vegtere mit 6 Stüden, worunter 4 ganze Kartbaunen, zu beichießen
an, Die Garniſon konnte nur mit 3 Stücken Heinen Feldgeſchützes,
etlichen Doppelhafen von einem Thurme und mit dem wirkungslofen
Teuer der Musketiere von den Mauern herab antworten. Bis Abends
9 Uhr war in lebtere bereits eine fo bedeutende Breſche gelegt, daß
fie mit 15 Pferden in der Front zugänglih war. Von dem erwarte:
ten Entjab war weder Spur, nad) Nachricht vorhanden. Da hielt der
Graf auf Bitten der Bürgerfchaft Kriegsrath und bot nach deffen
Ausſpruch Uebergabe der Etadt genen freien Abzug der Mannſchaft
mit voller Nüftung, Kraut und Loth an. Der Feind beftand mit
Hinweifung auf den Mauerbruch auf unbedingter Uebergabe. Mittler:
weile hatte ein Bote des Grafen Palffy durch Schwimmen die Stadt
erreicht mit der Nachricht, er werde des andern Tages Entſatz mit
4000 Mann dringen, wenn die Stadt fh noch fo lange halten könne,
1) Der Grabftein eines „Ernſt Friedrih Zickwolf, Hauptmann unter
dem hochlöbl. Tandgräflih Fürſtenbergiſchen Kreisregiment zu Fuß, geftorben
36 Jahre alt am 12, Oktober 1694* befindet fih auf dem Kirchhof.
596 Schsichnies Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Das hob die Hoffnung der Garnifon und Bürgerſchaft wieder, und es
wurde von leßterer fogar, fei es aus Mißverſtändniß, fei es aus
Siegeszuverfiht, auf einen franzöfiichen Parlamentär geſchoſſen, was
das Schickſal der Stadt Teider fehr erfchwerte. Des andern Tags
erfchienen die öſtreichiſchen Truppen ; allein ſtatt 4000 Mann nur in
der Stärke von 800 Hufaren und 600 Kommandirten. Sie wurden
von den Franzofen in der Ebene vor der Stadt empfangen und zurüd-
geichlagen, und in das Lager des Feindes rüdte Verftärfung von 3000
Dann Fußvolk unter dem Herzog von Bourbon ein. Set war jede
Hoffnung auf eine erfolgreiche Vertheidigung abgefchnitten; Garniſon
und Stadt ergaben fi) auf Gnade und Ungnade. Erftere wurde mit
den vornehmften Bürgern, die man in Ketten flug, gefünglicd nad
Frankreich abgeführt. (Diele der Bürger wurden nachher unter die
franzöfifhen Truppen geſteckt und mußten mit diefen. den fpanifchen
Erbfolgefrieg mitmadhen.) Der Graf von Fürftenberg wurde bis aufs
Hemd ausgeplündert; kaum daß man ihm ein Pferd erlaubte, den
Weg in die Gefangenschaft anzutreten. Das Schickſal der von Ein-
wohnern leeren Stadt war ebenfalls eine gänzliche Plünderung. Die
Franzoſen nahmen aud) die noch vorhandenen Glocken, jo namentlich die
4 der Altitädter Kirche mit fort (die der Barfüßer- und Stadtkirche
waren ſchon beim zweiten Brande 1689 geraubt worden), und dies
Mal war e8 wohl auch, daß die fürftliche Gruft in der Schloßkirche
erbrodhen und die dort befindlichen zinnernen Särge zerfchlagen wurden.
Die franzöfiihe Armee mußte jedoch fchnell nad Stuttgart vorrüden,
und fo blieb wenigftens ein Vorrath an Mehl und Wein übrig. Das
war aber auch Alles, Kurz vorher hatten die Bürger das, was fie
vor dem zweiten Brand glüdlih in andere Städte, namentlich nad
Um, gerettet, nad) und nad) wieder geholt; jetzt war Alles geraubt.
Das, von Durlach nad Pforzheim verlegte Gymnaſium wurde wieder
aufgelöst und die Profefjoren zerftreuten fid) im Auslande, Der Rektor
Bulyowsky wurde Rektor des Gymnafiums in Dehringen, fpäter zu
Stuttgart. 1) Bendel kam nad) Schleswig, und Ludovici farb.
Bei der Lage Pforzheims an einer Hauptftraße war die Stadt
bei allen Durchmärſchen der Einquartierung und Mißhandlung ausgefekt,
und jo kommt es aud, daß faft jeder Zug einer Armee durch eine
——— — — —— —
) Nach dem Ryswiker Frieden kehrte er jedoch wieder ins Badiſche zurück.
Eechdzehntes Kapitel, Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 59
Plünderung oder Verwüftung Pforzheims begleitet ift. Dies Schickſal
traf die Stadt im Jahr 1692 doppelt fchwer.
Die Bürger, die vor der eben erzählten Plünderung die Flucht
ergriffen hatten, fammelten ſich nah und nach wieder mit Ausnahme
derer, welche ſich an andern Orten bäuslid, niedergelaffen, Obgleich
die Zahl der Bürger Klein war, jo erfcheint es doc, fait umbegreiflich,
wie anch dieje Menigen ſich nod ernähren konnten; denn der Mangel
und das Elend waren fo allgemein, daß felbft einige Mitglieder des
Gerichts und Raths, die fonft unter die wohlhabendften Bürger der
Stadt gehörten, mit den fchuldigen Zahlungen innehalten mußten. In
einem fchreienden Mifverhältnig ftanden damit die bedeutenden Geld-
forderungen an die Stadt auch im dieſem Jahre. Die Summe ber
1692 zu zahlenden franzöfifchen Kontribution betrug 833 Gulden.
Zur Montirung von 3 Reitern, 3 Dragonern und 24 Infanteriſten,
welche der Stadt und dem Amt Pforzheim zu werben anbefohlen
waren, mußte die Stadt 410 Gulden bezahlen. 1) Dazu kamen auch
bie beftändigen Koften der im Straßburg noch immer gefangen
figenden Pforzheimer Bürger, denen für diefes Jahr 200 Gulden
gefandt wurden. Ein wiederholter Verſuch, die gefreiten Perjonen zu
ſolchen Forderungen beizuziehen, führte erft jpäter zum Ziel.
Im September 1692 war der Oberbefehlshaber der franzöfifchen
Armee, der Herzog von Lorges, von zwei Seiten von den verbündeten
Truppen angegriffen worden und zog fich jchnell nad) Fortlouis zurüd.
Unerwartet aber brach er von dort wieder auf in der deutlichen Abficht,
Württemberg zu überſchwemmen. General Chamilly z0g mit einem
Theil des Heeres voraus und rücte rafch vor Pforzheim, das er am
14. September einnahm, nachdem die Franzoſen an mehreren Orten
die Stadtmanern gefprengt oder doch, wie beim Schleifthor, unterminirt
hatten. Die meijten Bürger waren wieder geflüchtet. Der Aöminiftra-
tor von Württemberg, Herzog Friedrich Karl, 2) der in die Gegend
von Pforzheim gefchiet worden war, um Württemberg zu decken, konnte
bie Bejegung Pforzheims nicht mehr hindern. Hier bei Pforzheim
ı) Ein Reiter Foftete damals 130, ein Dragoner 120, ein Infauteriſt
20 Gulden.
2) Er war der Onkel des noch minderjährigen Thronerben Eberhard
Ludwig.
528 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
wurde er aber von dem Herzog von Lorges, der unterdefjen mit ber
Hauptarmee über Durlady und Wilferdingen nachgerüdt war, mit folder
Heftigkeit angegriffen, daß feine Truppen in die größte Unordnung ges
riethen und alle ihn verließen. Er jelbjt wurde nebft dem General
Seyer, 60 Gemeinen, einigen Standarten und dem ganzen Gepäde
gefangen und nach Straßburg geführt.
Nun begannen wieder die Verheerungen durch Plünderung und
Brand. Chamilly, der bisher Pforzheim bejeßt gehalten, hätte «8 wohl
nicht gewagt, Pforzheim zu verwüſten, ehe er den Ausgang des Treffens
kannte. Als aber die württembergiihen Truppen fo völlig gefchlagen
waren, verbreiteten jich die Franzoſen in der ganzen Umgegend und
„wütheten mit Brennen und Plündern in den Städten und Dörfern.”
Am 18, und 19. September plünderten fie Knittlingen, Vaihingen,
Neuenbürg, Liebenzell und andere Orte, am 20. verbrannten fie Calw
und Hirihau, am 24. Knittlingen.
Auch in Pforzheim wurde nunmehr faft Alles ein Raub der
Nlammen, was bei den beiden frühern Bränden verjchont geblieben
war. Der öftliche Theil der Stadt, den die Todesverachtung der Bürger
1689 gerettet hatte, das Predigerkloſter nebft der Stadtkirche, insbes
jondere aber auch die bisher ftehen gebliebene Brötzinger Vorftadt uud
die Au mit der Auer-Brüde — Alles wurde in Aſche verwandelt.
Auch eine Menge jener fchnell Hingebauten Hütten, fowie mehrere ber
feit dem letzten Brande neuaufgeführten Häufer nahm das euer
wieder hinweg.
Diesmal kamen die Tranzofen auch nad, Liebeneck, das wegen
feiner verborgenen Tage bisher von Plünderung und Brand verjchont
geblieben war. Dorthin hatte man fchen früher das Stadtarchiv ver-
bracht, und auch Spezial Kummer, der bereits bei zwei Plünderungen
hart betroffen worden war, hatte mit andern guten Freunden Kleider,
Biltualien, Bettwerf, — Kummer namentlich auch feine fchöne Biblio:
thek dorthin geflüchtet, Alles ging aber jebt verloren, und was bie
Franzoſen nicht mit fortnehmen konnten oder was für fie feinen Werth
hatte, wie die Papiere des Archivs, murde muthwillig verdorben und im
Hagenſchieß umher zeuftreut. (ES finden ſich noch Nechnungen von
Perfonen vor, die mit Sammlung der auf ſolche Weife zerrifjenen und
zerftreuten Urkunden ꝛc. beauftragt waren.) Bei ihren Abzug ftedkten
die Franzoſen das Schloß in Brand,
Schözehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 529
Schon vorher hatte ſich Spezial Kummer, diefer für das Wohl
feiner Gemeinde unermüdlich thätige Seelforger, der bisher in allem
Leid getreulich zu derfelben geftanden, aber jest beim Wiederheranrücken
der Franzoſen mit den größten perfönlichen Gefahren für feine Sicher:
beit, ja fein Leben bedroht war, nad Ulm geflüchtet, wohin auch die
Kirchengeräthe 2c. gebracht worden waren. Von dort aus richtete er,
als er die Unmöglichkeit einſah, unter obwaltenden Umftänden nad)
Pforzheim zurüdzufehren, und eben eine Aufforderung erhalten hatte,
fih an den markgräflichen Hof nach Bafel und in die Herrihaft Nötteln
zu begeben, an feine Gemeinde den bereits mehrfady angeführten Ab:
jchiedsbrief, 1) der, wenn man jett auch allerlei daran auszufeßen finden
dürfte, doc überall von der Liebe Zeugniß gibt, mit welcher diefer
würdige Geiftliche feiner Gemeinde zugethan war, und von dem Eifer,
mit welchem er fich das geiftliche Wohl derfelben angelegen fein ließ.
Nachdem fich die Franzofen am 8. (18.) Oktober wieder aus
der Gegend entfernt hatten, kehrten die Bürger nah und nad zu
ihren Schuttftätten zurücd und bauten ſich wieder Hütten. Pforzheim
gewährte ein trauriges Bild. „An der ganzen Stadt ſah man nur
vauchende Trümmer, und aus diefen ragten die noch ftehenden, aber
zum Theil ihrer Thürme beraubten, ſchmuckloſen Kirchen düſter empor.
Eine Menge Hände war befchäftigt, aus den Schutthaufen das noch
erhaltene Hausgeräthe berauszufuchen. Auf dem Markte vor den
Bäckerläden ftanden die Kinder haufenweife und fehrieen um Brod, und
die Bürger liefen ängftlich umher, bald da, bald dort um Hilfe an-
ſprechend.“ So ſchildert ein Augenzeuge den damaligen Zuftand der
Stadt.
Um die Noth noch größer zu machen, kam kaum 8 Tage nah
1) Der vollftändige Titel desjelben Tautet: Das Nichtiehen und Wieder:
jehen über ein Kleines, oder Matthaei Kummers Hochfürſtl. Marggräfl.
Badischen Kirchenraths Sp. Superintendenten und Stattpfarrer in Pforgheimb
Schriftlicher Abſchied. Welchen Er anftatt einer verlangten Valet-
Predigt, von feinen allerfeits vielgeliebten, und ohnedem über den Häglichen
Zuftand, darinn Sie auß Gottes gerechtem Strafgerichte, zu verſchiedenen
mahlen geratben, höchſt Betrübten Pfarr: und Beichtsfindern bafelbft, auf eine
Zeitlang nehmen müfjen. — Psalmi CXXXVH, 8.5 u. 6: Vergeſſe id bein
(Pfortzheimiſches) Serufalem, fo werde meiner Rechten vergeflen, meine Zunge
müße an meinem Gaumen Heben, wo ich Dein nicht gedenke. — ULM. Drudts
Ferdinand Maud, 1694.
Pflüger, Pforzheim. 34
530 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
dem Brande ein Befehl des franzöfiihen Kommandanten zu Straß:
burg, daß die Stadt Pforzheim für das Jahr 1693 A000 Reichsthaler
zahlen und einen Theil diefer Summe innerhalb 14 Tagen entrichten
- folle. Die Bürger mußten mit ihrer noch übrigen Habe haufiren gehen,
um aus deren Erlös die Kriegsgelder bezahlen zu können.
$ 6. Die folgenden Rriegsjahre. Der Friede zu Uyswik.
(1693 — 1697,
Die Bürger hatten nicht lange die traurige Freude, wieder in ihren
Häufern und Hütten zu wohnen; denn bald nad) dem Brande zog
wieder eine neue franzöfiiche Garnifon ein unter General Molineaur.
Die ganze Umgegend wurde von den Franzofen bejegt; ihr Haupt:
quartier war zuerjt in Graben, nachher in Größingen. Die Bürger
von Pforzheim waren, ehe noch diefe Garniſon einrücte, um eine Salva
guardi (Sauve garde) eingefommen und mußten deshalb auch bedeutende
Schub: und Sicherheitsgelder erlegen; aber fie erlangten damit nichts
Weiteres, als daß die Stadt von einem neuen Brande verfchont blieb;
die Plünderung, die im Juli 1693 erfolgte, war fo hart und drüdend,
wie die frühern. Die ftarfe Garnifon, die vielen Truppen in der Gegend
hatten faft alle Lebensmittel aufgezehrtz der Feldbau Tag bei den
unaufhörlihen Truppendurchmärſchen ganz darnieder. Der damalige
Stadtrath fagt in einem Bericht, daß nicht mehr als noch 9 Pflüge in
Pforzheim fein, während es font 70 — 80 geweien. Das verurfachte
bedeutenden Fruchtmangel, wodurch auch der Preis des Kernens auf
die für die damaligen fo geldarmen Zeiten höchſtbedeutende Summe
von 27 Gulden ftieg. Viele Bürger wußtensfich nicht anders zu bel-
fen, als daß mande ihre Güterftücde, theils um Mittel zur Stillung
ihres Hungers zu erhalten, theils um die ſchweren Kriegsſteuern ent-
richten zu Können, um eine Kleinigkeit weggaben. 1) Wie fehr der Preis
1) Aeltere Chroniken (Deimling) erzählen, daß bamals Güterftüde um
einen ober mehrere Laibe Brod, einmal um einen Saumagen, (wovon das Ed
zwilchen ber Durlacher und Ettlinger Straße ben Namen erhalten haben joll,)
weggegeben, ein ander Mal ein Ader unter der Bedingung bergeichenft worben
fei, daß ber Empfänger für den bisherigen Eigenthümer ein Vaterunſer bete,
wovon der Ader den Namen „BVaterunferader“ erhalten babe. BDerjelbe trug
indeſſen jhon vor dem orleans’ihen Krieg biefen Namen.
Schözehntes Kapitel, Pforzheim im orleans’fchen Krieg. 531
der Güter gefunken war, davon einige Beifpiele. Ein Morgen Aders
am Kiefelbronner Weg wurde damals um 10 Gulden, 1/, Wiefen auf
den Weiherwiefen und 11/, Viertel Ader bei der Blumenhede um 33
Gulden, 3 Viertel Ader in den Stidelhälden um 2 Gulden, 13,
Morgen Ader im Brößinger Feld um 30 Gulden, 1/, Morgen Ader
in der Zeil um 10 Gulden, 1/, Morgen Ader am Brettener Weg um
10 Gulden, 1, Morgen Ader am Mingertweg um 8 Gulden, 31,
Viertel Ader im Hachel um 10 fl. 30 &., 6 Morgen Eichen: und
Tannenwald im Weyrih um 40 fl., 11/, Morgen Wald ebendafelbft
um 9 fl. 14 kr. verfauft. (Die Gemeinde Baufchlott verfeste am
23. April 1694 gegen 300 fl., welche zur Bezahlung von Kontributio:
nen aufgenommen worden waren, 40 Morgen Eich: und Buchwald.)
Die dadurch verurfachte Noth war fo ſchrecklich, daß viele Men:
ſchen Hungers ftarben. Manche Bewohner der Stadt wanderten wieder
aus; andere hielten fich in den umliegenden Waldorten verborgen. So
kam es auch, daß jich zu Ende des Jahres 1693 kaum noch der vierte
Theil der frühern Bevölkerung in Pforzheim befand, Wie ein Spottlied
Hangen in diefen allgemeinen Sammer einige Befehle an die Bürgerfchaft.
Eine Dienerin aus dem Gefolge des franzöfifchen Intendanten Ragrange
zu Straßburg war lange an einem Beinbrudy bier gelegen; nun mußte
die Stadt nicht allein die Kurkoften, welde 2 Dublonen (14 Gulden)
betrugen, bezahlen, fondern auch, da eine Empfehlung, d. h. ein Befehl
des Intendanten felbft vorlag, ihr das Neifegeld bis nad Straßburg
mitgeben. Sie erhielt 10 Gulden aus den Sriegsgeldern, die aber,
da nichts vorhanden war, erft exekutoriſch eingetrieben werden mußten.
Um einer franzöftihen Magd Neifegeld zu verſchaffen, erhielten die
mit dem Hunger fümpfenden Bürger Erefution!!) Ein Befehl ähn—
lihe Art kam von der Landesregierung felbft. Vermuthlich um größerm
Unheil vorzubeugen, beſchloß diefelbe, dem franzöfifhen Kommandanten
von Philippsburg, von defien Laune das Schidfal der Markgrafſchaft
faft ganz abhing, ein Gefchent mit einem Pferde zu machen. Pforzheim
mußte dazu 42 Gulden hergeben. Gleich nach der Testen Plünderung
war aud eine aus ſchwäbiſchen Sreistruppen beftehende Garnifon ein:
1) Der Roſenwirth Beckh'ſchen Verlaffenihaft wurde damals beijpielweile
zur Bezahlung rücftändiger Kontributionge und anderer Kriegsgelder Güter
im Zwangsweg verfleigert, 94°
539 Sechszehntes Kapitel, Pforzheim tm orleans’ihen Krieg.
gezogen. Sie war aber freilich nicht nur läftig, fondern aud über
flüffig; denn fie gewährte durchaus feinen Schutz. So oft ſich fran—
zöfifche Truppen näherten, zogen fich diefe Garnifonen jedes Mal zur
Hauptarmee zurüd.
Auf ähnliche Weife verlief das Jahr 1694. Das ganze Jahr
lag das Durlachiſche Regiment bier unter dem Marihall v. Men-
zingen, dem Oberftwachtmeifter Barth, den Hauptleuten Piſtorius, von
der Nida, Borkheimer, Krummhaar, Wucherer ꝛc., auch Abtheilungen
des fürftenbergifchen Regiments unter Klizing und Zickwolf, ſowie des
bornifhen Regiments. - Diefe Garniion betrug fich aber fo roh, daß
ber Stadtrath 1) zuletst Elagend einfommen mußte. In der betreffenden
Eingabe heißt e8 unter Anderm, „dah aus Mangel an Kafernen die
Bürger die Soldaten in ihren Stuben liegen Tafjen müßten, wovon
beide Theile erkrankten; ferner daß die Offiziere die Soldaten nad)
eigenem Belieben einquartierten, was doch die Franzoſen nicht einmal
getban.” Damit hängt auch der Befehl zufammen, feinem Soldaten
Etwas abzufaufen; denn die- Bürger wurden faft öffentlih von den-
felben beraubt,
Die Geldlieferungen an die Franzoſen und den fehwäbifchen Kreis
dauerten fort. Unter den außerordentlihen Lieferungen waren die fog.
Melac'ſchen Fouragegelder, eigentlich ein Einkommen für die Privatkaſſe
bes General Melac. Die Stadt Pforzheim mußte 140 XTrentefols
(à 45 £r.) bezahlen. Und da doch einmal außerordentliche Forderungen
an ber Tagesordnung waren, jo wollte auch die badifche Negierung
nicht zurücbleiben. Sie erlie den Befehl, daß von den hiefigen Bürgern
außer dem gewöhnlichen Zehnten von Frucht, Heu (Heuzehnten war in
Pforzheim nie gegeben worden) und Wein auch der Dreißigſte geliefert
werden ſollte. Die Vorftellungen dagegen hatten wenigſtens den Exfolg,
daß die zuerft geforderte Averfalfumme von 600 Gulden auf 200
Gulden ermäßigt wurde.
) Derjelbe beftand ſammt Gericht damals aus folgenden Mitgliedern:
(Herr DOberamtöverweler Heyland, Stadtichreiber Götz), amtstragender Bürger:
meifter Martin Zoller, Altbürgermeifter Joh. Ib. Deimling, Hs. Ulrich Kiefer,
Seb. Sheiblin, Mid. Holdmayer, Leonhard Herbfter, H8. Ag. Kercher, Nikl.
Burkard, — Joh. Fauler, Joh. Ib. Lötterlin, Hs. Mart, Meier, Rud. Korn:
mann. Chriſt. Abrecht, Hs. Gg. Oftertag, Chriſt. Wohnlich, Bernhard Minderer,
Konr. Kap, 98. Gg. Feldner.
Sechszehntes Kapitel, Pforzheim im orleans'ſchen Krieg. 533
Im Monat Mai 1695 näherte fi) die franzöfifche Armee unter
Marſchall Delorges wieder unferer Gegend und lagerte ſich bei Bruch—
fal. Dieſe Nähe des Feindes verurfachte abermals allgemeine Flucht 1)
und was davon unzertrennlih war, neue Verluſte. Doch blieb es
dies Mal bei der bloßen Angſt, und die Bürger konnten Mitte Juni
wieder in ihre Wohnungen zurüdfehren. Es wiederholten ſich indeß
bald die Klagen über das rohe Betragen der Garniſon ımter Haupt:
mann Krummhaar. Noch mehr Tag jedoch dem Stadtrath die gute
Stimmung des Kommandanten zu Philippsburg am Herzen. Man
wurde einig, bdemfelben im Namen biefiger Stadt ein gut Eſſen Forellen
zu übermahen. Im Oftober war bier vorübergehend das Hauptquar:
tier der Alliirten;) im November war Obriftwachtmeifter Breitholz
Kommandant zu Pforzheim, 3)
Mit dem Jahr 1695 fchloß fich die haͤrteſte Leidenszeit der
Pforzheimer. Die Noth blieb zwar noch groß genug, und ſie waren
nichts weniger als völlig befreit von fernern Kriegslaſten. Sie wurden
noch immer mit Garniſon gedrückt; noch immer währten die Zahlungen
und Gelderpreſſungen; aber ſie konnten doch wenigſtens wieder in ihren
Hütten wohnen, ohne mehr einem Brande oder einer allgemeinen
Plünderung preisgegeben zu ſein. Als Beiſpiel der damaligen Noth
ſtehe nur das hier, daß die Tochter des vorher ſehr wohlhabenden Alt:
bürgermeifters J. J. Deimling aus Mangel anderweitiger Nahrung
durch Lohnwäſchen ihren Unterhalt ſuchen mußte.
Ein im Mai 1696 befürchteter, jedoch nicht zu Stande gekomme—
ner, abermaliger Uebergang der Franzoſen über den Rhein ging mit
der bloßen Angft vorüber, hatte jedoch eine Rathsſitzung zur Folge, in
welcher auf den Vorſchlag des Bürgermeifters Leonhard Herbiter be—
fhloffen wurde, dem Herrn Kommandanten und Kommiffario zu Phi:
Tippsburg bei Ueberſendung einer Abichlagszahlung zur franzöfifchen
Kontribution auch „eine gute traget grundel und forellen zu überſchicken.“
1) Am Kirchenbuch von 1695 ift als getauft aufgeführt: 1. Juni: Daniel,
Dat. Herr Rudolf Kornmann, und dabei bemerft: NB. Wurbe in ber Flucht
zu Tiefenbronn von Herrn Deimling, Pfarrer in der Altenftabt, getauft.
2) Es befand fich dabei ein Generalwachtmeifter v. Thüngen, und fland
berjelbe bei einem Kinde bes Sattlers H8. Jerg Siegele zu Gevatter.
3) An diefem Monat war auch die Marfgräfin Augufta Maria auf Beſuch
in Pforzheim und verfah dafelbft bei mehrern andern Kindern Pathenſtelle.
534 Sechs zehntes Kapitel, Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Kommandant war zu Pforzheim in diefem Jahr der Obriftwachtmeifter
Ludwig Friedrih Schilling v. Cannſtatt.
Wie geringe Hoffnung auf baldigen Frieden man fi) machte,
gebt aus den im Jahr 1696 von Seiten des Oberkommandos ber
deutichen Truppen mit neuem Gifer begonnenen Operationen hervor.
Um hier nur das anzuführen, was in der nächſten Umgebung Pforzs
beims geſchah, fo wurden durch den ganzen Hagenſchieß Verhaulinien
angelegt, woran das ganze Jahr gearbeitet wurde, und gegen Ende
des Jahres bis in das folgende Jahr hinein geſchah dasſelbe auch im
Kallert. Aud wurden im Hohberg allein 1230 Stüd Pallifaden
gehauen. Dadurd wurden natürlich diefe Waldungen nicht wenig
ruinirt.
Zu den auferordentlihen Geldern, welche die Stadt Pforzheim
in den Jahren 1696 und 97 bezahlen mußte, waren: 500 Gulden
„Beihilfsgelder der untern Markgraffhaft” an die badifche Regierung,
631 fl. 30 fr. Fonragegelder an die Franzofen, 128 fl. 30 fr. Haber-
geld an diefelben, fodann eine Menge von Auslagen für die Kreis:
truppen, obgleich eigentlich Pforzheim nur das Obbdach für die Gar:
niſon zu leiden, keineswegs aber fie zu verpflegen hatte. Außerdem
mußte die Stadt auch mehrfah zur Verpflegung auswärtiger Garni:
- fonen beitragen, z. B. für die damals in Menzingen und Flehingen
liegenden Hufaren.
Endlich nad neunjährigem Kampfe, der faft ohne entfcheidendes
Treffen geblieben war, zeigten fic; alle Theilnehmer des Krieges müde,
Die Triedensunterhandlungen gediehen am 30. September 1697 (mit
England, Holland und Spanien) und am 30. Oktober (Kaiſer und
Reich) in dem Schloß Ryswik bei Haag in Holland zum endlichen
Schlufje Ludwig XIV. mußte alle reunirten Orte an Deutichland
zurüdgeben, ebenfo die gemachten Eroberungen, u. A. Philippsburg,
Kehl, Altbreifach, Freiburg, durfte aber den Elſaß mit der Reichsſtadt
Straßburg behalten. So endigte ein Krieg, der nach der Verficherung
eines Zeitgenofien und Augenzeugen (Kummer) „mehr zerftört Hatte,
als der ganze alte deutfche Krieg im feinen 30 Jahren.“
Sechs zehntes Kapitel. Pforzheim im orleansfchen Krieg.
Anbang.
Melacr in Pforzheim.
Bon Ludwig Auerbad,
Dumpf bröhnet die Glode jhrillen Klang,
Berzweiflung reißt an dem zudenden Strang,
Berzweiflung irrt durch die Straßen.
Gebrochen nad) langer und tapferer Wehr
Der Mauern Wälle durch Melac's Heer,
Durch Freunde, die Treue vergaßen,
Die Pforzheim in tieffter, bitterfter Noth
Berließen und heimlich entwichen!
Die Bürger ftanden, bis feig der Tob
Als Peſt in die Reihen geichlichen.
Die Glocke ruft bange — ihr dumpfer Klang
Begleitet ben ernften, fchweren Gang
Der legten der tapfern Bürger;
Sie fchreiten zum Marfte, wo Melac ftebt,
Die blutrotbe Fahne des Schredens weht
Aus der lagernden Horde der Würger.
Im dunkeln, unheimlihen Auge glüh'n
Der Morbluft büftere Flamnten,
Die Funken teufliiher Woluft fprüh'n,
Bricht ein Opfer der Dual zufammen.
Die Letzten der tapfeın Bürgerihaar —
Meift Greife im Iodigen Silberhaar —
Bor Melac fnieen und flehen:
„D Herr, Taß genug fein ter Pein, der Noth !
Nimm nicht den Hungrigen Obdad und Brot —
O Tafie vorübergeben
Das Schredensgericht, das im Iohenden Brand
Einäfchert die Heimath der Armen,
Befledde mit Blut nicht Deine Hand —
Sei mild und übe Erbarmen!*
Still Taufchet der Lenker ihres Geſchicks:
Ein Strahl der Milde im Leuchten des Blicks
Verkündet die menſchliche Seele,
536 Sechszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans'ſchen Krieg.
Und menſchlich fühlend verbammt er die That:
„Der Teufel figt im Pariferrath
Und jchreibt mir die Blutbefehle!
Doch muß ich gehorhen!" — Melac wintt,
Die Bürger eilen von bannen.
Der Attila Deutihlands winkt — es blinft
Blutgleißend die Wehr der Tyrannen.
Der Attila Deutihlands winkt — «8 Taufcht
Die Horde ber Söldner gierberaufht —
Da jhmettern belle Fanfaren.
Und bligesichnell ſich die Horde zertheilt —
In jeder Fährte des Windes eilt
Ein Troß der wilden Barbaren.
Schon züngelt das Feuer bier und dort!
Bald Hält es im riefigen Schlangen,
Sturmathmend fih dehnend fort und fort,
Zermalmend bie Stadt umfangen.
. Zum Himmel jchweift fehnend der Flammenftrahl,
Die Gloden wimmern, zum Bachanal
Des bürftenden Mordes zu laden ;
Der Himmel erglüht vom Flammenroth,
Roth färbt die Erde mit Blut der Tod,
Der Würger ohne Gnabden.
Ein wildes üppiges Siegesfeft
Hat Melac's Troß ihm bereitet,
Der mähenden Schwertes blutdurchnäßt
Auf zudenden Leichen fchreitet.
Nah jedem Morde ein Jubelſchrei!
Und brüllend flürzet die Bande vorbei,
Nah neuen Opfern zu fuchen.
Sie ſchreckt nicht des Greifen geweihtes Haupt,
Nicht der Kinder Kammer, die vaterberaubt
Den jauchzenden Mördern fluchen.
Der Ruf der Verzweiflung, der allerwärts
An liebe Todte ſich klammert,
IR ihnen Mufit — fie entzückt der Schmerz,
Der über den Opfern jammert.
Umfonft, daß die Mutter zu retten fucht
Die bebenden Kleinen auf eiliger Flut —
Umſonſt, mit erhobenen Händen,
Schszehntes Kapitel. Pforzheim im orleans’shen Krieg. 537
Die Kinder bededend mit ihrem Leib,
Erflehet fie Schonung; — «8 fieht das Weib
Die heiligen Leben enden —
Die Leben der Liebe! — Bon ihrer Bruft
Wirft in die gierige Flamme
Das entichte Kleine — bes Henfers Luft:
„Das Feuer fei deine Amme!“
Verderben ringeum! Verzweiflung und Pein
An graffen Bildern vom Flammenjhein
Beleuchtet mit ſchrecklicher Helle;
Die ſtürzenden Häufer in tofendem Fall
Begraben der Flüchtigen kämpfenden Schwall;
Nicht rettet des Fußes Schnelle.
Dort ftürzen verbunden Hand in Han,
* Verfolgt von den Tigerſeelen,
Sich Frauen und Mädchen in lohenden Brand,
Den Tod ſtatt der Schande zu wählen!
Nur Einen im wilden Siegesfeſt
Des Mordes die Ruhe nicht verläßt:
'S iſt Melac auf ſchauendem Thurme.
Starr blickt ſeine Auge und ſeelenlos
Auf Pforzheim, das in des Verderbens Schooß,
Im rieſigen Flammenſturme
Zuſammen vor ſeinen Blicken bricht;
Er höret der Sterbenden Stöhnen,
Und Ihn verwünſchend als letzt Gericht
Die Seufzer Erblaſſender tönen.
Sicehzehntes Bapitel
— ı—
Die erſten Jahrzehnde des 18, Jahrhunderts, ı)
(1697 — 1746.)
$ 1. Allgemeines.
As Markgraf Friedrih Magnus im Jahr 1698 nach faft zehn:
jährigem Eril mit feiner Familie und feinem Hof von Bafel aus
wieder im fein Land zurüdkehrte, fand er dasfelbe aufs Entſetzlichſte
verwüſtet. Von ſämmtlichen Ortfhaften waren faum 50 unbefhädigt
geblieben, und die Bevölferung des Landes hatte ſich auf den vierten
Theil des früheren Beftandes vermindert. Der durh Brand, Plünde:
rung und Verheerungen aller Art der damals noch Meinen Markgrafſchaft
zugefügte Schaden wurde auf I Millionen Gulden berechnet. In ſämmt—
lichen Schlöffern des Markgrafen, fo zu Durlah, Pforzheim, Mühl—⸗
burg, Berghaufen, Remchingen, Staffort, Graben, Emmendingen, Sulz:
burg, Badenweiler und Nötteln hatten die Flammen gewüthet. Zu
allem Unglück mußte auch bei den Feierlichkeiten, welche der Fürft
wegen des erfehnten Friedens in Baſel veranftaltete, in feinem dor:
tigen Schloffe während der Nacht ein Brand ausbredyen, den bie
marfgräffiche Familie nur mit Noth entrinnen konnte und der das
Gebäude fammt allen darin befindlichen Vorräthen, Mobilien und Koft-
barfeiten verzehrt. Manches, das in Kellern und Gemwölben dem
Feuer entgangen, wurde wenige Tage darauf durch den Einfturz einer
Mauer zu Grunde gerichtet.
Kaum hatten die Bemühungen des Markgrafen, die vom Krieg
zerftörten Einrichtungen feines Landes wieder herzuftellen, begonnen,
jo wurden diefelben durch den 1701 ausbrechenden fpanifchen Erb—
) Quellen: Berfhieden, hauptſächlich aber Rathsprotokolle, Bürger:
meiſterrechnungen, Kirchenbücher, Zunftrechnungen, Archivalakten, Familien⸗
aufzeichnungen ꝛc.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 539
folgefrieg wieder unterbrochen, fein Land neuer Bedbrängniß preis:
gegeben und der Markgraf zu abermaliger, wenn auch nur Kurz an-
dauernder Flucht in fein neu erbautes Haus zu Bafel genöthigt. Das
Ende des Krieges follte jedoch der unglückliche Fürſt nicht mehr erleben.
Er ftarb, 63 Jahre alt, 1709 zu Karlsburg und wurde am 13. Juli
in der Fürftfichen Gruft zu Pforzheim beigefest. Eine Tafel im
Reuchlinszimmer der Schloßkirche zeigt das Bildniß diefes Fürften in
rothem Kleid auf dem Paradebette. Ihm folgte, SO Jahre alt, 1738
feine Gemahlin, die fromme Augufta Maria, eine eifrige Verehrerin
der Dichtkunſt und ſelbſt auf diefem Gebiete thätig. 2) Unter ben
11 Kindern, die diefer Ehe entfproffen, waren zwei Söhne, Karl Mil:
helm und Chriſtoph. Erfterer folgte feinem Water im der Negierung
nach, letzterer beffeidete verſchiedene militärische Würden und nahm ins-
befondere am ſpaniſchen Erbfolgefrieg eifrigen Antheil. Er ftarb 1723
und wurde in Pforzheim begraben. In der Schloffirche zeigt eine
gemalte Tafel das Bild des auf dem Paradebett Tiegenden Fürften.
Markgraf Kart Wilhelm hatte ebenfalls im fpanifchen Erb—
folgefrieg mitgefämpft; es rief ihm jedoch des Waters Ableben 1709
daraus zurück.) An Regierungsgefhäften nahm er eifrigen Antheil
und zeigte fich überhaupt als einen Fürften, dem es darum zu thun
war, das Miebderaufblühen des Landes nah Kräften zu fördern. Die
erſchöpften Finanzen desfelben wußte er wieder flüffig zu machen und
in Ordnung zu bringen, fo daß es ihm gelang, die fchwere Schuldenlaſt
des Landes bis auf den Meinften Betrag zu tilgen. Wohlthätig geſinnt
unterftügte er Verunglückte, MWittwen und Maifen und gründete für
Yetstere das große Landeswaiſenhaus zu Pforzheim, von dem
unten mehr gefagt werden wird. Ueber das adelihe Fräuleinſtift,
das Amalie Elifabeth von Menzingen, geborene Bettendorf, mit ihrem
Gemahl Gottfried von Menzingen am 2. Mai 1721 zu Pforzheim
ftiftete, übernahm er für fi und feine Nachkommen die Schußherrfchaft
und ertbeilte ihm verſchiedene Privilegien, 3) Unter die Erwerbungen,
1) Bergleihe die Schrift: Leben, Lieder und Liederpflege ber Augufta
Maria, Markgräfin von Baben:Durlah, von K. Dreber (Berlin, Schlawik
1858.)
2) Die Privilegien ber Stabt Pforzheim beflätigte er unterm 1. Auguft
1709 (Stadtardiv).
) Das Stift wurde am 7, November 1721 feterlichit eröffnet und zugleich
540 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
welche er zur Vergrößerung feines Landes machte, gehörte auch 1726
das Schloß zu Bauſchlott, das zwar ſchon Markgraf Georg Fried:
rich 1604 am fich gebracht, aber wieder veräußert hatte, 1) Auf gleiche
Weiſe erwarb er 1730 das Schloß Karlshaufen fammt einem Theil
de8 Fleckens Dürrn?) von Karl Magnus von Leutrum.
Bekanntlich ift Karl Wilhelm auch der Gründer von Karlsruhe
Urfprünglich nur ein Jagdſchloß, das er 1715 im Hardwald erbaute
und als großer Blumenfreund mit den herrlichten Gartenanlagen umgab,
lockte e8 bald noch mehr Anfiedler herbei, und es entftand um dasfelbe
nach und nad) eine, anfangs nur aus Holz aufgeführte Stadt, in welche
der Markgraf von Durlady aus feine Reſidenz verlegte.
Mie fein Vater, fo war aud Karl Wilhelm durch einen Krieg, und
zwar den polnifhen (17T33—1735), gezwungen, fein Land zu ver:
laſſen und in Baſel Schutz zu fuchen. Seine Gemahlin mit ihren
Kindern ließ er jedoch in Durlach zurüd, Sein Aufenthalt in Bafel
dauerte indeffen nur Furze Zeit.
Karl Wilhelm ftarb 1738. Seine Eingeweide wurden in die fürft-
liche Gruft nah Pforzheim gebracht, fein Leihnam aber unter dem
Altar der (1807 abgetragenen) Concordienkirche zu Karlsruhe beigefett.
In der Schloßkirche erfterer Stadt befindet fih das Bildnig des auf
dem Taradebett Tiegenden Markgrafen. Er war vermählt gewejen mit
der württembergiihen Prinzeſſin Magdalene Wilhelmine, die ihrem
Gemahl 1742 in die Ewigkeit nachfolgte und in der fürftlichen Gruft
zu Pforzheim begraben wurde. In der Schloßkirche ift das Bild der
Fürftin zu feben, wie fie in ſchwarzem Kleide auf dem Paradebett
Tiegt. 3) Die beiden Ehegatten mußten den Kummer erleben, alle ihre
bie erfte Aebtiſſin, Rofine Suſanne Katharine Pbilippine von Benningen, ein:
geweiht, auch die erften Stiftsbamen einneführt. Das adelihe Damenfift
befand ſich bis 1858 in Pforabeim, in welchem Jahr es nach Karlsruhe vers
Tegt wurbe, Das Haus von Fabrifant A. Nösgen in ber Leopoldäftraße war
das Stiftsaebäube, vorher das von Chriſtoph Beer am Schloßberg.
1) 1609 an Erhard von Rammingen, von dem es an Johann Leonhard
v. Sternenfels überging. Von biefem brachte e8 der Markgraf wieder an das
badiihe Haus. Beral. Sachs V., ©. 127.
2) Der andere Theil von Düren war ſchon 1687 durch Taufh von
Württemberg an Baden-Ourlach gefommen.
3) Neben biefem Bild hängt das ihres Älteiten Sopnes, bes im 11.Lebens⸗
jahr geftorbenen Prinzen Karl Magnus,
Sichzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 541
Kinder vor ihnen in das Grab ſinken zu fehen. Dem eritgeborenen
Prinzen folgte auch der andere und noch einzige, Friedrich, der 1732
in feinem 29. Lebensjahr mit SHinterlaffung zweier Söhne, Karl
Friedrich und Wilhelm Ludwig, ftarb. Er ruht in der Gruft zu
Pforzheim. 1) Der Erziehung diefer Prinzen nahm fich ihre Großmutter
Magdalene Wilhelmine um fo eifriger an, als die immer leidende
Mutter derjelben diefer Pflicht nicht nachlonmen konnte. Als Karl
Wilhelm 1738 ftarb, hatte fein 1728 geborener Enkel, der nunmehrige
Erbprinz Karl Friedrich, fein zehntes Lebensjahr noch nicht zurückgelegt.
Es wurde deshalb eine vormundichaftliche Regierung eingefett, die aus
der Großmutter des Erbprinzen, feinem Oheim Karl Auguft und dem
geheimen Staatsfollegium beftand. Die Beftätigung der Privilegien
der Stadt dur die Vormundichaft erfolgte am 26. Juli 1738, 2)
jedoch mit dem (ans unten folgender Darftellung des Privilegienftreites
erffärlihen) Zuſatz, daß „da inmitteljt wegen Veränderung der Zeiten
dabei dag Eine oder das Andere nothwendig hat geändert werden
müffen, fie ſich der bisherigen Obſervanz und dem des wegen unterm
12. Juli 1723 ergangenen Befehl nad) Ausweis des fammergerichtlichen
Urtheils vom 12. Januar 1724 gemäß zu bezeigen fhuldig und gehal:
ten fein follen ꝛc.“ — Die vormundfchaftlihe Regierung wirkte bei
pflichtgetreuem Eifer der beigeordneten Räthe wohlthätig acht Jahre
lang für das Land, bis der vom Kaifer für volljährig erflärte Erb:
prinz 1746 die MNegierung antreten konnte. hr wird das nächſte
Kapitel gewidmet fein.
$ 2. Befonderes. Wiederaufbau der Stadt. Verſuche zur Berbei-
führung befferer Buftände.
Bei der Rückkehr in jein Land bezog Friedrich Magnus das
jeinev Gemahlin Augufta Maria gehörige Schlößchen oder fogenannte
hohe Haus zu Grögingen, das nachher von feiner Beſitzerin den
Namen Auguftenburg erhielt, den es heute noch trägt. Dasfelbe war
aber noch nicht ausgebaut und bot für einen fürftlihen Haushalt
nur beſchränkten Naum. Der Markgraf ſah fi) deshalb genöthigt, bis
1) In der Schloffirche befindet ſich auch fein Bild,
2) Diefe Beftätigungsurfunde ift bie einzige, welche im ftädtifchen Archiv
fehlt. Eine Abjchrift davon babe ich in dem Alten des Landesarchivs gefunden.
&
542 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
zur Vollendung des Baues, welcher mit möglichfter Eile betrieben
werden jollte, 1) feine Reſidenz einfimeilen nah Pforzheim, wo der
Markgraf ſich fchon im Dezember 1697 vorübergehend aufgehalten hatte,
zu verlegen, was im Dftober 1698 geihah. Ein Theil des dortigen
Schloſſes, das fog. „alte Gebäu“ (S. 448) war nämlich von den
Flammen verfhont geblieben und darum noch bewohnbar. Die be
treffenden Räume bejtanden in 12 Stuben, 12 Kanımern, 4 Küchen
und 2 Gewölben, welche Gelafje im Sommer 1698 im Ganzen 1609 fi.
45 fr, Herftellungsfoften erforderten,
Hatte die Stadt ſchon bei der Vermählung des Erbprinzen Karl
Wilhelm mit der württembergifchen Prinzeffin Wagdalene Wilhelmine,
welhe am 20. Juli 1697 ftattfand, an dem Geſchenk von 4000 fl.,
das die untere Markgrafihaft laut fürftlihen Anmahnungsſchreibens
der Braut machen jollte, ihren Antheil mit 266 Gulden bereitwillig
entrichtet, jo überfandten die Pforzheimer audy, als fie die Zurüdkunft
ihres Fürſten und deſſen Brandunglüd in Bafel erfuhren, ihm als
Zeichen ihrer Liebe und Theilnahme durch Bürgermeiſter Chriftoph
Wohnlic 1) die für damalige Zeit nicht unbedeutende Summe von
200 Gulden ohne Anmahnung als Geſchenk. Dasjelbe ift um fo
höher anzufchlagen, als die Verhältniſſe in Pforzheim durchaus noch
nicht dev Art waren, daß fie den Bewohnern erlaubt hätte, viel herzu—
) Auch an den Wiederaufbau ber Karlsburg zu Durlah wurbe raſch
Hand gelegt; aber der bald wieder ausgebrochene Krieg hinderte bie Vollendung
bes Schlofjes, fo daß nicht mehr als der vierte Theil desfelben zu Stande fam
und das ganze Schloß auch nie ausgebaut wurde,
2) Bürgermeifter waren in ber Zeit von 1698 — 1725 Chriſtoph
Wohnlich, Leonhard Herbfter, Heinrich Baurittel, Joh. Chriftoph Deimling
und Konrad Schober. — Das Amt eines Obervogts beffeidete zu Anfang
bes 18, Jahrhunderts Molfgang Kuno v. Waldbrunn, 1710 Johann Daniel
v. Et. Andre, 1712 Wilhelm v. Traubnik, nad ihm bis 1723 Daniel Dietrich
Scheidt, auf diefen Joh. Wilhelm zur Gloden, als befjen Nachfolger 1734
Friedrih Erdmann von Glaubig genannt wird, Bezüglich eines Bürgermeifter:
interregnums ift in dem Kirchenbuch von 1716 vom damaligen Spezial Wei:
ninger Folgendes als große Merkwürdigkeit aufgezeichnet: „Den 25. März
1716 warb Herr Chriftoph Deimling des Gerihts und Weißbed, nachdem
Herr Heinrich Baurittel, fo den 24. zum Bürgermeifter erwählet worden, fols
ches aber bei Ser. abyebeten, — nad) dem Gottesdienft zu einem Bürgermeifter
erwählet, ift alfo ein Interregnum von 24 Stunden in ber Stabt geweien,
daß Keiner das Vürgermeiſteramt exerciret.“ ö
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von. 1697-1746. 543
geben. Mit dem Markgrafen war auc der vielgeprüfte Spezial und
Kirchenrath Kummer nad Pforzheim zurücgefehrt.
Der Aufenthalt des Hofes dauerte etwa ein halbes Jahr, wäh—
rend welcher Zeit der Markgraf Gelegenheit fand, den Wiederaufbau
der Stadt, wozu er ſchon von Baſel aus Häufermodelle nah Pforze
heim gefchict hatte, und zu welchem Behuf er auch mehrere Verord-
nungen erließ, felber zu leiten. Mehrfach findet er fich ſammt feiner
Gemahlin, theilweife auch mit dem Erbprinzen und der Erbprinzeſſin
ſowie mit verfchiedenen Perfonen feines Hofes in dem damaligen Tauf—
buch als Pathe eingetragen. Am Frühjahr 1699 wurde die Nefidenz
nach Grögingen, Später nad) Durlach zurücverlegt.
Bei’ dem eben erwähnten Wiederaufbau der Stadt müſſen wir
etwas ausführlicher verweilen, da fie durch denfelben größtentheils ihre
gegenwärtige Geftalt erhalten hat und die meiften der noch vorbandenen
ältern Häufer damals aufgeführt worden find,
Es ift oben ſchon erzählt worden, daß die Flammen von 1692
nicht nur viele der nah dem zweiten Brand (Auguft 1689) errichteten
Hütten zerftört, fondern auch eine Anzahl der nad; demfelben wieder
aufgebauten Häufer abermals in Aſche gelegt hätten. Doc fcheinen
manche derfelben auch verfchont geblieben zu fein, unter andern die
Häufer neben dem Gafthaus zum Waldhorn am Cingang in die
Karl: Friedridhg Straße, die ſchon 1689 wieder aufgeführt wurden.
Manche Häufer fcheinen auch bei den verfchiedenen. Bränden nicht ganz
zeritört, fondern ein Theil derfelben, namentlid das untere Stockwerk,
noch erhalten worden zu fein, da wir in verfchiebenen Theilen der
Stadt heute noch Jahrzahlen begegnen, die ältern Datums find, als
der orleans’iche Krieg. Möglich, daß auch da und dort der betreffende
Stein mit der Jahrzahl, dem Wappen ıc. beim Wiederaufbau des
Haufes am geeigneter Stelle wieder eingefügt wurde. Solche Häufer
find früher ſchon (S. 298 ff.) angeführt worden. Gleich nach dem
dritten Brand oder doch noch während des Krieges wurde eine Anzahl
der zerftörten Häufer wieder aufgebaut. Es ift zu beffagen, aber
freilich mit den Umftänden zu entfchuldigen, daß dabei ziemlich planlos
verfahren wurde, woher aud die große Unregelmäßigfeit rührt, die
wir da und dort in den Straßen noch finden. Namentlih muß
bedauert werden, daß man nicht darauf bedacht war, die Brößinger
Straße breiter anzulegen. Zu ſolchen noch während des Kriegs gebau:
544 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
ten Häufern gehören: das Haus von Bäder Müllers Erben in der
Theaterftraße, gebaut 1693, ein Haus in der untern Augaffe, gebaut
1695, insbefondere aber die neu errichtete obere Apotheke, vollendet
169. Der Apotheker Konrad Wilhelmi hatte von dem Pfarrer
Erad in Eutingen den Plab eines abgebrannten Haufes am Marft
gekauft, ebenfo einen bejondern Wpothefergarten beim Kechlerhof
(S. 463), nachdem ihm unterm 24. April 1690 vom Markgrafen ein
Privilegium mit ausgedehnten Freiheiten verliehen worden war. (Er
durfte laut desjelben feine Art Schatzung, feine bürgerlichen Abgaben,
für feine Apothefermwaaren weder Land: noch Pfundzoll, weder Accis
noch Weggeld bezahlen, war frei von Einquartierung, Frohnden und
Wachten ꝛc. An Pforzheim war weder deutichen noch welſchen Kräs
mern, noch Bruchichneidern, Alchymiſten, Marktichreiern, Juden ꝛc.
Apotheferwaaren zu verfaufen erlaubt, namentlich keine Purganzen ;
ebenjowenig durften Barbiere, noch andere Perſonen praftiziren und
dejtilliven, was einem Apotheker etwa zufam. Dagegen - mußte fid)
Wilhelmi verpflichten, die Apotheke in gutem Stand zu halten, die
Medikamente billig zu verkaufen, an den fürftlihen Hof, wenn derfelbe
im Pforzheim fei, die verlangten Blumen und Kräuter unentgeldlih
abzugeben, auch den Dürftigen jährlid für wenigſtens 10 Gulden
Medifamente gratis zu verabreichen.) 1) Die Zeit des Ausbaues
diefer Apotheke befundet ein Stein im Hausgang derfelben, worauf
über dem Namen des Erbauers die Morte Sirach 38, 4—7 ftehen. 2)
Zwei Jahre darauf, nämlich 1697, wurde auch die untere Apotheke
durch den oben ſchon erwähnten Johann Michael Salzer wieder auf—
1) Upotheferprivilegium, ertheilt von Markgraf Friedrih Magnus
am 24. April 1690 dem Apotheker Konrad Wilhelmi. (If nebft ben Erneue:
rungen des Privilegiums vom 20. Februar 1700, 10. Dezember 1736, 19.
Februar 1740, 20. Mai 1776 und der Berkaufsgenehmigung vom 27. Mai
1807 in den Händen bes jeßigen Eigenthümers ber Apotheke, Karl Märdlin.)
2) Dieje Apothefe ging 1700 an den Ehenachfolger Wilhelmis, Heinrich
Baurittel, 1736 durch Kauf an Johann Friedrich Salzer, 1776 abermals durch
Kauf an Ernft Viktor Salzer über, der nun beide Apotheken in eine Hand
vereinigte, bis die obere Npothefe vom Tochtermann bes legtern, Proreftor
Zandt, 1806 an Job. Gottlieb Märdlin, den Vater des jetzigen Beſitzers, Karl
Märklin, verkauft wurde.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746. 545
gebaut, ) 1698 erftand das gegenüberftehende Haus, das jetzige
Muſeum, aus der Aiche, in demfelben Jahr auch das von Fabrikant
J. Schneider in der Spitalftraße, und jo wurden nad und nad) auch
noch andere Häufer neu aufgeführt, fo beifpielweife 1705 das Haus
von Kaufmann Franzmann am Markt, 1706 das Schend’iche Haus
am Markt (von Apotheker fpäter Bürgermeiſter Heinrich Baurittel
und feiner Frau Marg. Barb, geb. Faßnacht erbaut), 1707 das Haus
von Hirkel (Fint) am Schleifthor, im nämlichen Jahr das jekige
Gaſthaus zum Bären, 1709 in der Deimlingsftraße die Häufer von
Kaufmann MWallerftein und Bäder Heintz ꝛe. In den Jahren 1709
und 1710 bauten auch die Leutrum ihre beiden Häufer in der Alt
ftädter Straße (S. 464) neu auf. 2) Das ältefte Haus in der obern
Augaſſe trägt die Jahrzahl 1697, an den übrigen Häufern daſelbſt
bemerkt man die Jahrzahlen 1705, 1707, 1712, 1716, 1717, 1718,
1719, 1726 u, ſ. w. (Mit der Wiederherftellung der Auer Brüde
war Schon im Juni 1694 begonnen worden, Viele hatten eine
Hängebrüde verlangt), Durch die vielen Neubauten waren in den
erften Jahren des 18. Jahrhunderts die ftädtiichen MWaldungen fo in
Anſpruch genommen worden, daß die Behörde im Mai 1709 Heichlog,
fein Bauholz mehr herzugeben, bis der Wald wieder angewachſen fei.
Indeſſen ftogen wir troß diefer Baurührigfeit noch 1713 auf die Klage,
daß in der Stadt noch immer fo viel Schutt herumliege,
) Von dem bei ber Gefchichte des ZOjährigen Krieges. mehrerwähnten
Apotheker Barthold war die untere Apotheke an deſſen Tochtermann Chriſtoph
Wüftemann, von diefem an einen zweiten Tochtermann Bartbolds, den oben
genannten Joh, Michael Salzer, 1689 übergegangen. Bon dieſem vererbte fie
fih auf deffen Sohn Chriſtoph Michael Salzer, ber fie bis 1757 bejaß und
1776 auch die obere Apothefe dazu kaufte. Im Jahr 1808 gelangte beffen
Schwiegerſohn Zob. Samuel Vulpius in den Pefit der untern Apothefe, ber
fie wiederum an feinen Schwiegeriohn Lubwig (jet Apotheker in Emmendingen)
vererbte; dieſer verkaufte fie 1855 an den jetzigen Beſitzer Guſtav Pregizer.
2) An ber jetigen Unter&der’fchen Bierbrauerci findet fih ein Stein
mit folgender Inſchrift: Friedrich Chriſtoph Leutrum von Ertingen hochfürſtl.
Mürtenbergifcher VBorftmeifter am Stromberg und feine Fraw Anna Juliana
geborne v. Gemmingen haben dieſes Freyadeliche Hauß nach beme es Anno 1689
von Franzofen verbrant worden burd Gottes Beyſtand Anno 1710 wieberum
neu auferbauet welches feine Göttliche Allmacht under feinem Schutz und
Seegen vor allen wider wertigfeiten in gnaben bewahren wolle.“ Ueber diefer
Inſchrift befinden fih das Leutrum’fche und das Gemmingen’ihe Wappen.
Pflüger, Pforzheim. 35
a —
546 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746.
Wie die Privatbauten, fo erhoben fih nah und nad) auch bie
öffentlihen Gebäude wieder aus der Aihe. In den Jahren 1698
und 1699 wurden das 1692 abgebrannte Kreuzkirchlein und das
gegenüberftehende Seelen: oder Armenhaus wieder aufgebaut, wozu das
Almoſen vorzugsweife in Anfprud) genommen wurde, Weil indefjen
die Mittel desjelben nicht hinreichten, fo richteten die beiden Almofen-
pfleger Leonhard Herbiter und Konrad Kat die Bitte an den Stadt:
rath, derjelbe möge auf Abjchlag der Zinfen, welche die Stadt ins
Almofen fehulde, zum Neubau die nöthigen 200 Stämme Holz bewil-
ligen, was auch geihah. 1) Am Fahr 1704 ftiftete der Poſthalter
Kieffer eine Uhr in diefe Kirche, und im folgenden Jahr erhielt fie
auch ein Glöcklein dazu. — Im Jahr 1700 wurde mit dem Wieder:
aufbau des Rathhauſes begonnen und dasſelbe am 14, Februar
41701 aufgefchlagen, nachdem zuvor eine allgemeine Fürbitte auf den
Kanzeln verkündet worden war, Im März desielben Jahres erbot
fih der Zinkeniſt Kolb, altem Herkommen gemäß, von dev Altane des
Rathhaufes jeden Mittag wieder die Zinken und Pofaunen zu blafen.
Eine Glode wurde im Rathhaus 1715 aufgehängt, und 1730 aud
eine Uhr für dasjelbe angefchafft. Der Anbau, welcher jest die Frucht:
halle und die Wohnung des Stadtverrechners enthält, wurde 1723
aufgeführt. Schon 1718 findet ſich aber eine Klage über Baufälligfeit
des neuen Nathhaufes, die vornen wegen Anfchlags des Wetters die Auf:
führung eines ganz fteinernen Giebels nothwendig machte. — Im
Jahr 1710 wurde auc mit dem Bau der Kapelle auf dem Fried:
1) An ber Wand der Sakriftei biefer Kirche wurben folgende Berje
angebracht:
Anno 1692.
Als man zählt dieſe Zahl, und der Franzos einrickt,
Hat Mavors feine gludt Aber bie Kirch ausgichitt;
Es war nicht guung an dem, Es muß das Gruzifir,
Daß auff dem Kirchhoff ftunth, zerſchmelzen durch bie Hik.
Eß hat doch Gott der Herr durch frommer Menſchen rath
Herr Leonhardt Herbfter, der da feine mich geipardt,
Herr Conrad Kat mit ihm, Sein Helfer und Conforben,
Habens mitt Gottes Hilff Erbaut, das es ift worden
Ein Hauf, da Gott neriembt, Und tröftedt die Bedribten;
Gott wohl «8 für wed für Vor Feinden gnebig hieben.
Erbaudt 98 u. 99. j
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 547
bof begonnen und diefelbe 1711 vollendet. Die Mittel dazu wurden
theils der Stadtkafje, theils dem Almoſen, theils den Stipendien ent:
nommen, theils dur eine Kollefte in Stadt und Land zufammenge-
bracht. Im nämlichen Jahr wurden auch das Auer- und das Heis
ligkreuzthor wieder hergeftellt. Gleiches geſchah 1714 mit der
Stadtmauer, wo dies nöthig war. Auch ein befonderes Mei:
bergefängniß hatte auf fürftl. Befehl 1713 gebaut werden
mäfjen.
Sm Sabre 1715 kam es auch zum Bau eines neuen Schul-
baufes Nah dem Brande von 1692, der das Predigerkfofter
in Aſche legte (S. 528), war fowohl die Knaben: als die Mädchen:
ihule ing obere Bad (S. 163) verlegt und mit einander vereinigt
worden, da beim Verſiegen aller Quellen der ftädtifchen Einkünfte
die Fompetenzmäßige Salarirung der Lehrer endlich unmöglich wurde
und die Zahl der Schulkinder ohnehin auch viel geringer geworden
war, Es ift rühmend anzuerkennen, daß der Stadtrath, als die Ber:
hältniſſe fich wieder günftiger geftaltet hatten, im Auguſt 1696, alfo
noch während des Krieges, bei der Negierung fupplizivend um Verbeſſe—
rung der Schulanftalten einfam. Die Schulen feien, fo hieß es in
der Eingabe, feit dem letzten Brand fo ſchlecht beftellt, daß die Schul:
jugend unverantwortlidy verfäumt werde, und das rühre zum Xheil
daher, daß Feine wöchentlichen Viſitationen oder Eramina mehr gehalten
würden, weshalb aud ein großer Mangel an jchreibfähigen Bürgern
zu befürchten fei. Im Mai 1697 fchlug der Stadtrath dem damals
am Hofe in Bafel fich aufhaltenden Superintendenten Mathäus Kum—
mer vor, die vereinigte Knaben: und Mädchenſchule wieder von einander
zu trennen, welche Trennung auch im Juli jenes Jahres zu Stande
fam. Weil aber nod fein Schulhaus vorhanden war, fo blieb die
Mädchenſchule einftweilen im obern Bad, und die Knabenſchule wurde
in ein Haus eingemiethet, welches dem Pulvermacher Kichtenfels gehörte.
Schon 1706 wurde der Bau eines neuen Schulhaufes projektirt, wegen
Mangel an Mitteln indefjen einftweilen noch aufgefchoben. Erft 1715
fam er zu Stande, und zwar wurde das neue Schulhaus an bie
Stelle des alten abgebrannten in der untern Pfarrgafie geſetzt. Es
hatte zwei Stodwerfe, und e8 mag zur Vergleihung die Notiz nicht
uninterefjant fein, daß die Maurerarbeit an demfelben um 224 Gulden
veraffordirt worden war, Schon im nächſten Jahr Bun wieder ein
548 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
Schulfeft auf dem Nennfeld gefeiert, nachdem ſchon vorher die regel-
mäßigen Sculeramina wieder in Gang gekommen waren, und aud
die Austheilung von Prämien, 1709 im Betrag von 33 fl. 24 kr.,
wieder begonnen hatte. 1) — Die Iateinifche Schule, die während des
Krieges ebenfalls fo zufammengefchmolzen war, daß nur zwei Lehrer
an berjelben den Unterricht ertheilten, wurde 1718 auch wieder in
befiern Stand gefest. Am 17. Juni wurde der bisherige Præc. prim.
Sch. Nuding ?) im „eollegio Reuchliniano“ (S. 169) als Proreftor
präfentirt, ebenjo Jeremias Möller als Præc. II. Klaſſe, „welche
Serenissimus Carolus wiederum gnädigft vergünftigt und Alles auf
den alten Fuß vor dem Teidigen Brand zu feßen beſchloſſen hat.“
Doch scheint ein dritter Lehrer erft 1730 auf Antrag der ftäbtifchen
Behörden wieder angejtellt worden zu fein. Dem Pädagogium war
die dreiftöcige Pfarrwohnung in der Pfarrgaffe zur Benützung einge:
räumt worden. Im eriten Stock war die Schule, im zweiten die
Wohnung des Proreftors, im dritten des Kantors. — Knabenſchul—⸗
meifter war damals noch immer der alte Mathäus Probfthan, den
aber fein Sohn oh. Philipp Probſthan als Adjunft unterftüßte,
Mädhenfhulmeifter war E. F. Heiſch, vor diefem Joh. Ib. Lötterle,
zugleih Profurator und Zeugmader, nach ihm 1732 Job. Ib. Finner
aus Niefern, der 1735 auch Profurator wurde. Der junge Probfthan
erhielt feines Vaters Stelle 1721. Weil damals die Zahl der Kinder
) Diefe Cchülerfefte wurden bis 1749 regelmäßig gehalten, hörten aber
von dieſem Jahr an auf, Drei Jahre vorher hatte es dabei noch bedeutende
Händel abgelett, indem eine Anzabl Eoldaten bes in Pforzheim liegenden
burlachiihen Regiments die Muſik, welche zum Vergnügen ber Kinder auf dem
Rennfeld war, für fih in Anipruch nehmen wollte, Das litten namentlich
die Flößer nicht und ſchlugen mit den ſchnell herbeigeholten Flößerflangen
einigen Soldaten Arme und Beine entzwei. Wahrfcheinlih hätte es ein hef—
tiges Blutbad abgefegt, wenn es nicht dem Kommandanten des durladiichen
Regiments, Oberfi v. Drais, gelungen wäre, bie Streitenden zur Ruhe zu
bringen.
2) Ihm war als erfter Lehrer Barth. Meyer, und biefem um 1701 Joh.
Grg. Lobenftein vorausgegangen. Es folgte von 1720— 1728 Chr. Theodor
Kunradi, 1728 Elias Thilemann Figgen, bis 1735 Emft Fürglin 1736 Brod—
bag, 1739 Sonntag, 1742 Erg. Ab. Fröplih, 1748 Deimling 20, Zweiter
Lehrer war lange Jahre Präceptor Wolff, der 1733 der Stadt ein neues
Leihengefangbüchlein dedicirte, wofür er ein Geſchenk von 4 Gulden befam,
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 549
in beiden” Schulen auf je 140 geftiegen, fo wurde ihm die Haltung
eines Proviſors zur Aufgabe gemacht, der Vormittags in der Knaben—
ſchule und Nachmittags in der Mädchenſchule Aushilfe Teiften mußte.
In letzterer ging jedoh 1735 in Folge von Krieg und Krankheiten
(fiehe unten) die Zahl der Kinder von 120 auf 60— 70 zurück.
Es mag bier wiederholt bemerft werden, daß diefe Lehrer Fein Einkommen
von der Herrfchaft und auch nicht viel von der Stadt bezogen, fondern
faft ganz (der Mägdleinfchulmeifter ausſchließlich) aufs Schulgeld ange:
wiefen waren, welches von jedem Kind vierteljährlid 25 Kreuzer
betrug. Am Jahr 1741 erhielt der damalige Provifor Neftler einen
jährlichen Gehalt von 15 Gulden. Die Lehrer befanden fich deshalb
auch oft in fo kümmerlichen Umſtänden, ‘daß beifpielmeife 1729 dem
Mädchenfchulmeifter Heifch eine wöchentliche Unterftütung von 15 Kreuzern
aus dem Almofen bewilligt wurde, und der Knabenſchulmeiſter fammt
Kantor an Weihnachten herumfingen mußten, um etwas zu verdienen.
Auch der Prorektor des Pädagogiums hatte das Recht, dabei mitzu-
wirken, und durfte, wenn es geſchah, den vierten Theil der Einnahme
beanfpruchen. — Wie aus den Trümmern des Spitals, dem nad
Einführung der Neformation die Lokalitäten des ehemaligen Frauen:
Mofter8 der Dominikanerinnen eingeräumt worden waren, ſich 1714
ein Landeswaifenhaus ıc, erhob, wird unten ausführlicher gezeigt werden.
Da Pforzheim bei den verfchiedenen Plünderungen, welche der
Krieg gebracht, alle feine Glocken verloren hatte, fo war die Noth—
wendigfeit eingetreten, neue anzufchaffen. Schon 1693 hatte die Stadt
durch Vermittlung und Vorfchuß des damaligen Kammerraths Zandt
wieder ein Glöclein erhalten. Am Fahr 1699 machte die Margräfin
Auguſta Marta der Stadt ein Gefchent mit einer in Baſel genofienen
Glocke, welche nebft einer andern zu gleicher Zeit von der Stadt ange: )
hafften im Thurm der Schloffirche aufgehangen wurde. Dort befinden
fich beide noch. Auf der erftern fteht der Name der Stifterin nebft
Widmung und der Jahrzahl 1699, auf der andern finden fich nebft
dem Stadtwappen die Namen: Matheus Kummer Consitorial. Superint.
Spec. Leonhart Herbster consul. ine dritte Glocke erhielt die
Schloßkirche 1715, zu welder Zeit 5 neue Glocken beftellt wurden,
und zwar bei Glodengießer Goßmann zu Landau, der fie am 2. Sep:
tember jenes Jahres ablieferte. Zwei davon Kamen in die Kirche der
Altftadt, von den übrigen drei, wie ſchon erwähnt, je eine auf das
550 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697-1746,
Rathhaus, in die Kreuzkirche und in die Schloßkirche. Lebtere Glocke
fheint aber fpäter wieder unbrauchbar geworden zu fein; denn die dritte
Glocke der Schloßkirche, die fleinfte, zeigt die Jahrzahl 1779. —
Don fonftigen Anſchaffungen, welche in diefer Zeit vorkommen, ift die
einer Orgel in die Altjtädter Kirche und der erften Feuerſpritze
zu erwähnen. Jene füllt in das Jahr 1710, und ſteuerten dazu auf
Bitte des Kirchenraths Weiniger die beiden regierenden Fürſtinnen zu
Stuttgart und Durlach, jene 100, diefe 75 Gulden. (Ferner gab ein
Piorzheimer Bürger 100 fl., ein anderer 30 fl., ein dritter 3 fl. 45
fr.) Die Anſchaffung einer Feuerfprite wurde am 3, Januar 1714
beſchloſſen, „weil die Durlacher auch eine hätten, die ſchon mit gutem
Erfolg gebraucht worden wäre.“ Die Anfertigung derfelben wurde
dem Kupferſchmied Nudhardt zu Birkenfeld übertragen. (Der Kaften
follte von Eichenholz, gut mit Kupfer ausgefüttert, 5 Schuh lang,
2 Schuh 1 Zoll breit, die mefjingenen Stiefel 1 Fuß hoch und 5 ZU
weit fein.) Für diefe, fowie noch für eine Kleinere Feuerſpritze, welche
Rudhardt machen mußte, erhielt er 410 Gulden nebſt 2 Spez. Dufaten
Trinkgeld für feine Frau.
Der Geiftlichfeit Tag vor Allem die Wiedererbauung der abge—
brannten Stadtfirde am Herzen. Schon 1698 war der damalige
Dberdiafonus Stattmann in Schwaben und Franken herumgereist, um
zum Wiederaufbau derjelben zu kollektiren. Da indeffen die geräumige
Schloßkirche von den Flammen des Krieges verfchont geblieben und der
Stadtgemeinde zur gottesdienftlihen Benützung eingeräumt worden war,
fo hielt man damals noch das Bedürfnig des Baues der Stadbtkirche
um jo weniger für ein dringendes, als vorerft andere Bauten noth-
wendiger waren und die Bevölkerung der Stadt fih in den erften
Jahren nah dem Krieg noch nicht als fehr bedeutend herausſtellte.
Ueberdies Teiftete der wieder ausgebrochene Krieg (jpanifche Erbfolge:
krieg) foldden Unternehmungen eben feinen Vorſchub. „Gott gab indeg
doch Gnade“, fo jagt Spezial Adam Wild 1) im damaligen Kirchenbuch,
1) Kummer erlebte den Wiederaufbau der Stadtkirche nicht mehr, Er
farb am 27, März 1709, wurde aber fpäter in ber Stabtfirche beigefeßt. Der
lateiniſchen Inſchrift feines Grabfteins, der, wie die ganze Kirche, beim Brand
von 1789 zerftört wurde, waren die treffenden Worte Pialm 66, 12 beigefügt.
„Wir find in Feuer und Waffer fommen, aber Du haft uns ausgeführet und
erquidet.“ Auf Kummer folgte von 1709-1717 Konrad Burkhard Weinis
Sichzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 551
„daß die Stadt ſich bei erlangtem Frieden Ao. 1697, ja auch, fo ſich
zum Verwundern gewejen, während den bald wieder erfolgten Kriegs:
zeiten nach und nach erhofet und groß und volkreich angewachfen, derges
ftalten, daß die hiefige Schloßfirche nicht mehr groß genug war, alle
Leute zu fafjen‘, weswegen man fich entichloffen, die ruinirte Kirche zu
Et. Stephan wieder aufzubauen.” Diefer Beihluß wurde 1714 ge
faßt, und zur Aufbringung der erforderlichen Mittel fejtgefetst: 1. zwei _
Geiftlihe ins Neih, Elſaß, Schweiz und andere Provinzen zu fchiden;
2. eine Rotterie anzulegen von etwa 6000 fl. und den zehnten Pfen—
nig davon zu verwenden; 3. nebjt dem Klingelbeutel für das Almofen
noch einen befondern Klingelbeutel für den Kirchenbau herum geben zu
laſſen; 4. in der Stadt ein befonderes Kollektenbuch zu halten; 5. die
täglich das Almoſen anlaufenden Steigbettler abzuweiſen und die großen
Ausgaben des Almofens zu bejchränfen, um auch daher Etwas nehmen
zu können; 6. auch die von gnädigſter Herrfchaft erhaltenden und dem
Stadtalmofen zugehörigen Kapitalzinfe dazu zu verwenden. — Diefem
Beſchluß zufolge wurden auch wirklich die beiden Diakonen Geufert
und Bergmann fortgefchiett und ihnen Vollmachten und fürftlide Ems
pfehlungsfchreiben mitgegeben. Jeder von ihnen erhielt nebſt Entſchä—
digung für Kleidung ꝛc. eine tägliche Reiſediät von 1 fl. 30 kr.
Seufert reiste ſowohl in die benachbarten Reichsſtädte (in Heilbronn
erhielt er für Pforzheim und Durlach die ſchöne Summe von 132 fl.
30 kr.), als auch ins Heffische, Keiningenfche, Yſenburgiſche, Naſſauiſche,
Anhaltiſche, Sächſiſche, Schwarzburgifche, Brandenburgifhe, Mecklen—
burgiſche und Holſteiniſche, beſuchte auch verſchiedene Univerſitäten und
brachte eine beträchtliche Summe Geldes zurück. Das Gleiche war
bei Bergmann der Fall, der Schwaben, den Elſaß und die Schweiz
bereiste. Schon 1716 waren die erforderlichen Mittel beiſammen, um den
Bau der Kirche veraffordiven zu können. In den folgenden Jahren wurde
ger (der Sohn des oben erwähnten Job. Philipp Weiniger, kam 1717
nad Lörrah), dieſem von 1717—1719 Adam Wild (fam als Kirchenrath
und Stabtpfarrer nad Lahr), 1719 — 1722 Joh. Lorenz Hölzlin, 1722 bis
1734 Georg Philipp Bergmann (vorher Superintendent der Landgrafihaft
Saufenberg und des Kapitels Röteln, noch früher Diafonus zu Pforzheim),
von 1735—1742 Phil. 3b. Bürflin (war vorher Kirchenrath und;Reftor
in Karlsruhe),
552 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697 —1746,
er rüftig fortgefeßt 1) und 1721 vollendet. Am 23. September dieſes
Jahres erfolgte die Einweihung des Gotteshaufes unter entjpredhenden
Feierlichkeiten, wobei durch die damaligen Stadtgeiftlihen Hölzlin,
Mauritii und Seufert nicht nur am Tage der Einweihung, fondern
auch am den folgenden Tagen verfchiedene Predigten gehalten wurden.
In der Folge erhielt die Kirche auch eine prachtvolle Orgel und 1736
zwei Gloden, ferner eine Sammlung von ſchönen Gemälden, welche
die wichtigiten Creigniffe des alten und neuen Teftaments darftellten
u.f.w. Leider follte das Alles nad nidyt TO Fahren wieder ein Raub
der Flammen werden! Wenn nun auch die Stadtkirche wieder erbaut
war, fo fehlte es doch noch an Pfarrhäufern, da, wie fchon erwähnt,
das vorige Spezialat: und Pfarrhaus dem Pädogogium hatte einge-
räumt werden müſſen. Die Hauszinsentihädigung von 15 fl., welche
ein Geiftlicher erhielt, war aber fchon damals unzulänglich. 2)
Sn die erften Jahre nach dem Kriege fällt auch die Nekonftitui-
rung der löbl. Singergejellfhaft. Wie manches Andere, fo waren
auch die jährlichen DVerfammlungen während des Krieges unterblieben,
und ein Verſuch dazu, der am 27. Dezember 1694 gemacht wurde,
blieb vereinzelt. Im Sabre 1701, alſo zur zweiten Säfularfeier
des Vereins, wurde jedoch wieder eine Generalverfammlung veranftaltet,
und da das frühere Stammbud der Geſellſchaft, ſowie überhaupt alle
Tapiere derjelben beim Brand von 1692 zu Grund gegangen waren,
fo wurden neue Statuten entworfen, ein neues Stammbud) (das jebt
noch betehende) angelegt, in dasjelbe die Statuten eingetragen, und
nach diefen die Namen derjenigen Perfonen, welche bei der Zuſam—
menfunft von 1694 Mitglieder der Gefellichaft geweſen und derfelben
i) Ueber der Safrifteithüre befand fich früher folgende Inſchrift:
1717.
Der Tempel, den bein Aug in neuem Schmud erblidt,
Sat Mavors Wuth und Gluth erbärmlich miterfahren,
Da deffen Grauſamkeit den Rheinftrom hart gedrückt.
Er blieb in feiner Ach bei ſechs und zwanzig Jahren,
Bis unter Carols Schuß und Beitrag frommer Ehriften
Er gar mit harter Müh warb wieder aufgericht.
Des Höchften Allmachts-Hand woll diefe Kirche friften,
Bis baß die ganze Welt durch Flammen wird zernicht.
2) Vergl. Pforzheimer Diozes-, Kirchen: und Schulenbeichreibung von
1735 im Landesardiv,
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 553
nun wieder neu beitraten, eingezeichnet. Es waren folgende 49: 1)
Kammerrath Ib. Chrift. Zandt, Kirchenrath und Spezial Kummer,
Kammerratd Erhardt Kieffer, Doktor Joh. Burkhart Mögling, Land—
fhreiber Joh. Ernft Kauffmann, Amtsverwejer Ib. Heyland, Amts—
keller Chriſtoph Meerwein, Archidiakonus Konrad Stattmann, Diako—
nus Konrad Sutor, Altſtadtpfarrer Berchthold Deimling, Kammerrath
Joh. Popp, Joh. Konr. Schäffer, Joh. Kaſp. Zacher, Stadtſchreiber
Götz, Heinrich Bachmann, Joh. Ib. Büchſenſtein, Pfarrer zu Elmen⸗
dingen, Joh. Burkh. Ehrat, Pfarrer zu Eutingen, Ib. Mitſtörffer,
Pfarrer zu Dietlingen, Hammerſchmiedbeſtänder Joh. Theobald Sah—
ler, Bürgermeiſter Leonhard Herbſter, Zoller Joh. Kaſp. Dürr, Apo—
theker Konrad Wilhelmi, Goldſchmied Nikl. Burkhardt (war ſchon
1683 Obermeiſter geweſen), Goldihmied Chriſtoph Wohnlich, Schwert—
feger Rudolf Kornmann, Handelsmann Bernhard Minderer, Zeugmacher
Hs. Grg. Rau, Schönfärber Rudolf Itzſtein, Barbier Joh. Ulrich
Schäffer, Bader Ludwig Ruff, Handelsmann Burkhard Weeber, Hoſen—
ſtricker Joh. Herbſter, Seiler Andreas Hertenſtein, Friedr. Baumann,
Färber Andr. Kienlin, Glaſer Chriſtoph Wilderſinn (war der Geſell—
ſchaft 1684 beigetreten und bekleidete 1689 die Stelle des Obermeiſters),
Schneider Joh. Zugmeyer, Sergler (d. h. Halbtuchmacher) Benedikt
Köhle, Hs. Grg. Knauß, Sattler Hs. Grg. Simmerer, Hs. Ib. Trautz,
Sattler Hs. Grg. Siegele, Dreher Chriſtoph Kieffer, Joh. Ib. Rüding,
Schloſſer Burkh. Knapp, Bortenmacher Joh. Ulrich Herbſter, Nagel:
ſchmied Joh. Leyerlin, Hafner Hs. Grg. Jais, Zeugmacher Joh. Ib.
Lötterle. — Im Jahr 1701 traten neu bei: Stadtſchreiber Karl
Friedrich Boch, geiſtlicher Verwalter Ib. Fried. Mahler, Schatungs-
einzieher %b. Dürr, Forftverwalter Karl Meerwein, Apotbefer Mich.
Salzer, Apotheker Heinrich Baurittel, Barbier Dan. Theodor, Borten-
macher Hans Mid. Günther, Seiler Chrift. Schnellin, Kürfchner
Dietr. Henning, Sergler Joh. Köhlin. Zum Obermeifter wurde neben
Chriſtophh Wohnlih dies Mal Hans Ulrich Herbiter erwählt. In
den folgenden Jahren traten der Gefellihaft immer mehr Mitglieder
1) Das Stammbuh der Singergelellichaft enthält die Wappen, Namen
und Denkſprüche von vielen diefer Mitalieder und von folchen, die ſpäter bei:
getreten find. Der erfte derartige Eintrag ift der von Spezial Kummer, dann
folgen die von Kammerratb Popp, Spezial Wild, Burkh. Ehrat, Bechthold
Deimling, Pfarrer Stattmann, Verw. Schabharbt ꝛc.
554 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697-1746,
bei. Die nenen Statuten des Vereins waren den alten fo viel als
möglich nachgebilbet, um den urfprünglichen Zweck desfelben, natürlich
unter Derüdfichtigung der veränderten Zeitverhältniffe, zu wahren.
Wie in Pforzheim nach und nach Alles wieder ins alte Geleife
am, fo begann aud die Schützengeſellſchaft im Jahr 1700 ihre
Uebungen wieder und erhielt nach altem Gebrauch aus der Amtskellerei
den Beitrag zum Verſchießen mit 15 Gulden, fowie 5 Gulden von ber
Stadt wie früher ausbezahlt. Diefe „Schübentompagnie” war dafür
zu militärifhen Dienftleiftungen, namentlich zu Wachtdienſten verpflich
tet, auch wenn Gamifon in der Stadt lag, was nach dem orleans'ſchen
Krieg eine lange Reihe von Jahren hindurch der Fall war. Meift
war e8 das Durlachiſche Negiment, welches ftändig fich in Pforzheim
befand. Im Jahr 1721 erhielt die Stadt, bez. Schützengeſellſchaft,
eine Einladung zu einem Treifchießen, welches Markgraf Karl Wil:
helm in feiner neuen Refidenz Karlsruhe veranftaltet hatte, Es nahm
eine Anzahl Pforzheimer Schüßen daran Theil. — Neben dem Militär,
das in Pforzheim fein Standquartier hatte und der Schützengeſellſchaft
befaß die Stadt auch ſog. Bürgermilitär, das gleich jener unifor:
mirt und equipivt war, Als der Erbpring Friedrich fih 1727 ver:
mählte und feine junge Gemahlin heimführte, machten ihm in Karlsruhe
aus Pforzheim 3 Kompagnien zu Pferd, nämlich 2 gewöhnliche und
1 Hufarenfompagnie unter ihren Rittmeiftern Kaufmann Meyer, Ritter:
wirth Trautwein und Kaufmann Benezette (Admodiator der herrichaft:
lichen Zeugfabrif) ihre Aufwartung. 1)
Troß der eifrigften Bemühungen, welche ſich die Behörden ſowohl,
als die Bürger gaben, befiere Zuſtände herbeizuführen, blieb fortwäh—
vend gar viel zu wünſchen, namentlich in den eriten Jahren nach dem
Krieg. Die Rinanzen der Stadt waren noch immer in einem fehr
zerrütteten Zuftande. Auf der ftädtifchen Verwaltung Tag wie ein
drüdender Alp eine unverhältnigmäßig große Schuldenlaft, die dadurch
immer mehr anſchwoll, daß nicht einmal die Zinfen der aufgenommenen
Kapitalien bezahlt werden Fonnten. Weber welche Geldmittel die Stadt
beifpielweife im Jahr 1709 verfügte, mag daraus entnommen werden,
daß, als die regierende Fürſtin als ſolche zum erften Mal, und zwar
von Stuttgart ber, durch Pforzheim Fam, und Stadt und Amt ihr
1) Handihriftliche Aufzeichnungen von Ritterwirth Trautwein.
Stebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746, 555
deswegen ein Geſchenk von 28 Louisd’or machten, die Stadt Pforzheint
ben auf fie fallenden Antheil von 106 fl. 23 Er. erft aufnehmen mußte,
um ihn entrichten zu können. Bei diefen äußerſt bedenklichen Verhält—
niffen war e8 fein Wunder, wenn die Gläubiger der Stadt um ihre
Guthaben beforgt wurden und in den Jahren 1715—17 ſich zahlreich
einfanden, um Befriedigung zu erlangen. Der Beſcheid indefjen, den die
ungeftiimen Gläubiger erhielten, ſtimmte mit der Lage der Stadt über:
ein; fie befamen eben einfach nichts, und ein Herr von Bärenfels zu
Hagenheim wurde mit feiner Forderung von 300 fl. ein für alle Mal
abgewiefen, weil die Stadt zu diefem Anlehen im Jahr 1690 durch
franzöfifche Offiziere gezwungen worden fei (wahrſcheinlich gegen wuche—
rifhe Zinſen). Nur mit einem Gläubiger fand fich die Stadt 1717
vollftändig ab, nämlich mit dem Kloſter Frauenalb (S. 477). Die
Schuld an dasfelbe betrug 4300 Gulden; davon waren aber feit 1677
feine Zinfen mehr bezahlt worden, weshalb diefelben bis 1717, alſo in
40 Jahren, auf die doppelte Höhe des Kapitals angelaufen waren.
Alle Mahnungen an die Stadt, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen,
waren bisher vergeblich geweſen. Zuletzt wandte fich die Aebtiffin
des Klofters, Gertrude von Jchtersheim, am die Negierung. Wie es
fcheint auf Veranlaſſung derfelben begab ſich eine Deputation von
Pforzheim nad) Frauenalb und traf mit dem Klofter am 4. Februar
4717 das Abkommen, daß die Stadt im Ganzen für Kapital und
Zins die Summe von 2300 Gulden in 3 Terminen bezahlen und
das Klofter von Entrichtung des Weggeldes, welches dasfelbe bei Ab:
führung feiner Zehntfrüchte aus den Orten Wurmberg und Wiernsheim
bisher in Pforzheim hatte entrichten müfjen, befreit werden ſolle. Im
Sommer 1719 war die Schuld an Frauenalb getilgt, und zwar dadurch,
daß die Stadt im Kallert, der nebit ſämmtlichen ftädtifchen Einkünften
dem Kloſter bis jet verpfündet geweſen war, einen außerordentlichen
Holzhieb vornehmen ließ.
Im Jahr 1714 ftogen wir auf eine Klage, daß die Jahrmärkte
fo jchledht befucht würden. Man glaubte die Urfache theils in dem Um-
ftand, daß auch in benachbarten Orten Jahrmärkte ftattfänden, theils endlich
und wirklich auffallender Weife im verbefferten Kalender zu finden,
ber doch im Jahr 1714 unmöglich mehr Verwirrung angerichtet haben
kann, da er fchon 1701 auch in unferm Lande eingeführt worden war.
Es wurde deshalb bejchloffen, einige Hundert Zettel drucken und in der
556 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
Umgegend vertheilen zu Yafien, Daß Übrigens Handel und Verkehr
noch Tange nicht zu der frühern Blüte gelangt waren, erfehen wir auch
aus einem Vortrag, welchen die Zunftmeifter Namens ber Zünfte am
2. März 1716 vor Dberamt, Gericht und Rath erftatteten, und worin
fie fich über den elenden, nahrungslofen Zuftand der Stadt beflagten,
fo daß die Zünfte nicht nur in gänzlihen Ruin verfallen feien und
aller Kredit außerhalb in Handel und Wandel fich verliere, fondern
auch Fein neuer Bürger mehr in die Stadt hinein ziehe, vielmehr einige
binauszuziehen vorbätten. Die Berbältniffe befferten fih jedoch in
diefer Beziehung bald wieder, namentlich da auch die Neyierung Handel
und Verkehr nad Kräften zu befördern ſuchte. Am Jahr 1735 wurde
3. B. auch zu dieſem Zwecke der Bau einer Heerſtraße (Chaussee)
von Karlsruhe nach Pforzheim und die württembergiiche Grenze pro—
jeftirt und in den folgenden Jahren auch ausgeführt. Diefe Etraße
lief der von Bretten nad) Pforzheim führenden, die früher (S. 123)
ungleich wichtiger gewefen war, bald den Rang ab.
Mährend des Krieges hatten neben den ftädtifchen auch die herr—
Ichaftlichen MWaldungen, namentlich der Hagenichiek, Tehr gelitten. Sie
wieder in beffern Stand zu bringen, war Markgraf Karl Wilhelms
eifrige Sorge. Er ernannte deshalb 1715 den Förſter Kikling von
Eagenftein zum DOberjäger und Forſtamtsverweſer, in der Kolge zum
Forftmeifter in Pforzheim, einen Mann von großer Sachkenntniß und
unermüdlichem Fleiße. Zeuge von letzterm ift auch das von Kißling
angelegte nody vorhandene Forſtlagerbuch, die Arbeit von 35 Jahren,
Dasfelbe ift kalligraphiſch ſehr ſchön ausgeftattet und fängt die origi—
nelle, in Verſen geichriebene Vorrede mit folgenden Worten an:
Weil alle Bücher faft mit einer Vorred prangen,
Die nad dem Titulblatt den erften Platz behält,
Sp will die Vorred auch zu ſchreiben jegt anfangen,
Nachdem ich diefes Werk mit Gott zu End geftellt.
Wann vorher gründlich find beichrieben alle Sachen,
Alsdann kann man erft recht die Vorred drüber machen. ')
Eden jo originell ift auch die Art und Meife, wie Kipling für fein
neues Amt vom Markgrafen felber, und zwar mündlich, verpflichtet
wurde. Nach den eigenen Aufzeichnungen Kißlings lauteten die Worte
des Markgrafen: „Höre Kipling! Ich mache dich zum Oberjäger in
*) Vergl. das betr, Lagerbuch in der Regiftratur bes Forftamts Pforzheim,
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 557
Pforzheim, und befehle dir, fo lieb dir dein Xeben ift, meine Waldum:
gen wohl in Acht zu nehmen, Ich Könnte einen von meinen KRavalieren
dahin ſetzen; wann die aber nicht thun, wie fie follen, fo Kann ich
nichts mit ihnen anfangen. Dich aber kann ich hängen laſſen, wenn
du nicht als ehrlicher Mann handeln wirft.” 1)
Es mag hier gleich mit angeführt werden, daß unter Forſtmeiſter
Kißling auch des Seehaufes bei Pforzhein zuerft Erwähnung gejchieht.
Markgraf Karl Wilhelm kaufte nämlih 1732 von der Stadt Piorz:
heim einen ungefähr 7 Morgen großen Pla an der Tiefenbronner
Straße, der wüfte See genannt, für 200 fl., auf welchem ein Weiher
ausgegraben und mit Fifchen befet wurde. Zugleich jollte diefer Weiher
oder See zur Tränke für dag Wild dienen. Die Fiſchzucht wurde von
einem Fiſchmeiſter regelmäßig betrieben und befondere Rechnung hierüber
jährlich) abgelegt. Anfänglih wurde neben dem See eine Wohnung
für den Fifchmeifter und erft in den 1770ger Jahren auf defien Stelle
das gegenwärtige Seehaus als Jagdpavillon für den Aufenthalt der
höchſten Herrſchaften bei Gelegenheit der Jagden erbaut, daneben eine
Scheuer zu Aufbewahrung des Jagdzeuges. 2)
Es iſt begreiflih, daß während des orleans’schen Krieges mande
Unordnung eingeriffen war, zu deren Bejeitigung der bald nachher aus:
gebrochene neue (ſpaniſche Erbfolge) Krieg eben nicht beitrug. Doc
fuchten das weltliche und das geiftliche Megiment zufammen zu wirken,
um allerlei ſchon länger beftehende Mipftände zu entfernen und neu
wieder eingefchlichenen Mißbräuchen entgegen zu treten. So wurden
unterm 7. Januar 1705 den Zunftmeiftern zur Mittheilung an ihre
Zunftgenofjen vor Dberamt eine Anzahl „Punkten“ publizirt, welche
zur Verbeſſerung der Polizeiordnung dienen follten. Durch diefelben
ſuchte die Polizei jedem Unfug bei Hochzeiten, fo den Mummereien am
zweiten und dem Spielleuthalten am dritten Hochzeitstag, ferner der
Nahtjhmwärmerei, der Störung der Sonntagsfeier, den Ausgelaffen-
beiten in Spinn- oder Kunfelftuben, der Weberfchreitung der Polizei—
ftunde in den Wirthshäufern (Sommers 10, Winters 9 Uhr), dem
Neujahrihiegen und Maienſtecken, dem übertriebenen Aufwand bei
Kindbett: und Pathengejchenken u. f. w. Fräftigft entgegen zu wirfen und
1) Beichreibung der Verhältniffe des Forftreviers Seehaus von Arne:
perger, a. a. O.
2) Beichreibung des Forftreviers Sıehaus von Arnsperger, a. a, O.
558 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
feßte auf die Mebertretung der „Punkten“ zum Theil fehr hohe Stra-
fen. Diefen Beitimmungen reihten fi noch andere an, welche unterm
12. Januar von Seiten löbl. Kirchenzenfur „zur abftellung der ſowohl
verwichene, als dermalen noch fürwehrende Kriegszeit über eingefchliches
nen Sabbathſchändung, auch beybehaltung riftlicher Zucht und Kirchen:
disciplin® ebenfalls den Zünften publizirt wurden. Darin wurde ber
Schützenkompagnie das Schießen am Sonntag unterfagt, die in Abgang
gekommene Kirchenrügung wieder eingeführt, eine neue Ordnung bezügl.
der Bertheilung der Plätze in der Kirche, des Weggehens aus derjelben
und fonftiger Gebräuche feftgefest, unter Anderm auch verlangt, daß
die Bürger, wenn fie in die Kirche gingen, oder bei Amt, bei Rath,
der Kirhenzenfur zu thun hätten, in den früher üblich gewefenen Män-
ten erjcheinen, und die Gerichts: und Nathsperfonen darin mit gutem
Beifpiel vorangehen follten u. f. w. u. ſ. w. — Ein Stoßfeufzer des
Speziald Bergmann, der fih 1722 im Kirchenbuh in den Worten
Luft mat: „Ach Gott, fteure dem überhandnehmenden Lafter der
ſeelenſchädlichen Trunkenheit!“ wirft fein günftiges Licht auf die Mäßig—
feitöbeftrebungen jener Zeit. — Ein Beiipiel von Aberglauben in Bezug
auf Heilmittel Tiefert der fog. Pforzheimer Zauberbalfam, der
nod in der wärttembergiichen Pharmacopde von 1740 aufgeführt wird,
und gegen boshafte Verherungen und Zaubereien fogar innerlich em—
pfohlen wurde. Seine Zufammenfegung war die unfinnigfte, die man
fih nur denken kann. 1)
$ 3. Sortfehung des Vorigen. Bevölkerungsverhältniffe nad dem
Krieg. Neue Einwanderungen.
Wie ſehr die Bevölkerung Pforzheims während des Krieges zuſam—
mengeſchmolzen war, iſt oben ſchon bemerkt worden. Nach geſchloſſenem
Frieden hatte die Regierung, einestheils zur Bemeſſung und Verthei—
fung der nunmehr wieder regelmäßig zu erhebenden Abgaben, anderer:
feit8 um überhaupt die Zahl der vorhandenen Bürger kennen zu ler:
nen und die im Kriege erlittenen Bevölkerungsverluſte genau zu ermits
teln, im März 1698 den Befehl erlafien, ein Verzeichniß fümmtlicher
Bürger, ſowohl derer, die fich vor dem Krieg in Pforzheim befunden
hätten, als derjenigen, welche nach demfelben noch übrig waren, aufzu:
) Roller, Beihreibung von Pforzheim, S. 197.
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746, 559
ftelen und die Angabe der Todesart der DBerftorbenen beizufügen.
Diefe Kifte ift noch vorhanden.
Bon der ganzen Bürgerfchaft, welche vor dem Krieg 548 Mann
betrug, waren nach demfelben nody am Leben . . 295,
geftorben waren . . 226,
verihollen - . . .. 27,
zufammen 548,
Bon den noch lebenden 295 waren 1698 in Pforzheim — 267,
außer Kandes . . . . 20,
im Krieg als Soldaten. . . 8,
295. 1)
In der Liſte ift auch die Zahl der Kinder (d. 5. der unverheiratheten
Söhne und Töchter) ſowohl der verftorbenen, als der noch Tebenden
Bürger mit 849 angegeben. Rechnen wir zu diefer Zahl noch 200
Ehefrauen der in der Stadt anmefenden Bürger, etwa 100 Wittwen,
und nehmen wir dazu noch 20 Gefellen und Dienftboten und 200
Seelen für die Familien der Adelichen, der Angeftellten und der Hinter:
fafien, jo ergibt fih für das Ende des 17, Jahrhunderts eine Bevölfe:
rung von etwa 1290 Seelen.
1) Von Mitgliedern noch vorhandener Bürgerfamilien werden in ber Lifte
als „Hungers geftorben“ bezeichnet: Jakob Barthold jung, Hs. Ib. Beder
(mit Weib und Kind), Chrifimann Kiefer, Dreher, Hs. Grg. Kiefer, Schneider,
98. Jerg Kiefer, der Fromme, Hs. 3b. Kiefer, Dreher, Hs. Irg. Kienle,
Flößer, 98. Irg. Lotthammer, Michel Lottbammer, Hs. Ib. Mäule, Flößer,
Chriſtoph und Mathäus Müller, Leineweber, Friedr. Sold, Schuhmacher,
Chriſtoph Ungerer, Zeugmacher, Johannes Ungerer, Joh. Wolf; — als
„elendiglich“ oder „im Elend umgekommen“: Job. Aab, Metzger,
Hs. Beckh, Bäcker, Otto Bed, Metzger, Klaus Bub, Flößer, Irg. Wolf Feld—
ner, Weißgerber, HE. Michel Gerwig, Flößer, Hans Jerg Kiefer, Echneiber,
Otto Kienle, Michel Lotthammer, Hs. Irg. Stieß, Weißgerber, 98. rg.
Stich, Bäder, H8. Wolf Stieß, Weißgerber, Hs. Irg. Ungerer, Leineweber,
Joachim Ungerer, Leineweber, Ib, Wanner, Abraham Werber, Schuhmadıer;
— als „im Eril geftorben“ oder „verſchollen“: Elias Barthold, Wags
ner, Jerg Barthold, H8. Beh, Roſenwirth, 36. Breidt, Bäder, 36. Beckh,
Flößer, Ehriftoph Bud, Leineweber, Job. Euchele, Tuchmacher, Rudolf Euchele,
Zeugmacder, Math. Enderle, Krämer, 98. 3b. Gerwig, Flößer, Math. Lott:
hammer, Dietrih Meerwein, Hutmader, Hs. Ib. Meerwein, Mebger, Chriſtian
Meyer, Hans Mürrle, Färber, Hs. Schneider, Stieß, Bürgermeifter, Joh,
Ungerer, Leineweber, Niklaus Ungerer, Hafner.
560 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
Nach dem Krieg und befonders im erften Viertel des 18. Jahr:
bunderts nahm die Bevölkerung rafch wieder zu, wie das oben fchon
(S. 551) bemerkt worden ift. Es erflärt fich diefe Erfcheinung zum
Theil aus dem Umftande, daß die Zahl der Kinder, die geboren
wurden, die der Geftorbenen in den meiften Jahren um ein Anfehn:
liches überjtieg; andererfeits fand eine ftarfe Cinwanderung neuer Bür—
ger ftatt, die man natürlicy im jeder Weiſe begünftigte. 1) Die Ber-
mehrung der Bevölferung, welche auf erftgenannte Weiſe erfolgte, betrug
im erjten Viertel des 18. Jahrhunderts allein 814 Köpfe. Nicht viel
geringer war der Zuwachs, den die Bevölkerung Pforzheims durch
Einwanderung erhielt, welche namentlich aus dem benachbarten Württem—
berg zahlreich erfolgte, Zu den Familien, die in den erften Dezennien
des 18. Jahrhunderts in Pforzheim neu genannt werden, gehören u. a.
die Baurittel, die Kurz, die Mutfchelfnauß, die Roller, die Rothacker
(zum Theil), die Hoheifen und die Unter&der. Cimvanderer anderer
Art müffen noch befonders erwähnt werden. König Ludwig XIV.
von Frankreich hatte das von feinem Großvater Heinrih IV. 1598
gegebene Edift von Nantes, worin den Proteftanten oder Hugenotten
in Frankreich freie Neligionsübung und Gleichberechtigung mit den
Katholiken zuerkannt worden war, 1685 wieder aufgehoben. In Folge
defjen wanderten viele diefer Hugenotten aus und wurden von manden
Fürſten nebft andern vertriebenen Glaubensgenoffen, wie Waldenfern,
Wallonen, aufs freundlichite aufgenommen. Zu diefen Fürften gehörte
auh Markgraf Friedrih Magnus, und unter denjenigen Orten, welche
ſchon 1699 eine ſolche franzöfifche Kolonie, anfangs nur aus 5 Familien
beſtehend, erhielten, die fi in der Folge durch neue Zuwanderungen
noch vermehrte, war aud Pforzheim. 2) Den erften Familien wurden
ſolche Hausplätze, welche der geiftlichen Verwaltung und dem St. Georges:
Stift in Folge von Forderungen auf die einft dort geftandenen, aber
) Das Bürgerannahmsgeld betrug damals 10 Gulden für den Mann, 5 für
bie Frau, 5 für je 2 Kinder und 3 fl. Pfundzoll für die Herrſchaft. Im
Jahr 1721 jedoch wurde einem neuangehenden Bürger aufgegeben, nit nur
fein Mannrecht zu beweifen, fondern auch 15 fl. Bürgergeld zu zahlen, 2 Bäume
auf die Almend zu fegen und einen Feuereimer anzufhaffen. Im Jahre 1731
fand eine Erhöhung des Bürgerannahmsgeld auf 30 fl. flatt.
2) Die in der Nähe liegenden wiürttembergifchen Orte Perouse, Pinage,
Villars u, ſ. w, verdanken ſolchen Eingewanderten ihre Gründung,
Giebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 561
abgebrannten Häufer anheim gefallen waren, unentgelölich abgegeben
und auch fonjtige Freiheiten bewilligt, wenn fie neue Gewerbe oder
Beichäftigungszweige ins Land gebracht hatten. Dieſe Refugies ftamme
ten hauptſächlich aus demjenigen Theil von Südoſt-Frankreich, welcher
an die piemontefiichen Waldenſer angrenzte und immer in Verbindung
mit diefen gejtanden war. Die neue franzöfifch=reformirte Gemeinde
zu Pforzheim hatte ihren eigenen Geiftlihen, den fie felbft wählte, und
e8 wurde ihr zu ihren Gottesdienften die St. Georgsfapelle angewiefen.
(Solche Geiftliche waren zuerft Moutoux, 1709 Aubert, 1729 Gon-
zal) Als jedoch 1766 das St. Georgs-Kirchlein — dem bekannten
Nüslichkeitsprinzip zu Tieb — abgebrochen wurde und mit ihm der
legte Reſt des St. Georgsftiftes verſchwand, erhielten die Neformirten
1768 das Chor der ehemaligen Franziskanerkirche (die jebige Fatholijche
Kirche) zur gottesdienftlichen Benützung zugewiefen, 1) bis fie endlich durch
gegenfeitige Heirathen in immer nähere Verhältniſſe mit ihren deutſchen
Mitbürgern traten und fi 1804 ganz mit der deutjch=vreformirten
Gemeinde vereinigten. Bemerkenswerth dürfte noch fein, daß 9 ſolcher
franzöfifch:reformirten Gemeinden in Pforzheim 1704 eine Synode
hielten, welche von 9 Geiftlihen und 9 Laien beichiet war. Wie im
benahbarten Württemberg durch die Nefugies einige neue Dörfer erbaut
worden waren, fo.ging um 1711 auch die badiſche Negierung mit dem
Gedanken um, eine folhe Kolonie im Hagenfhieß, und zwar zwifchen
Pforzheim und Ziefenbronn anzulegen. Man kam jedod von diefer
Idee aus guten Gründen wieder ab. (Schon das Jahr vorher, 1710,
hatten Stephan Künle v. Mühlhaufen und erg Widmann dv. Lehningen
für fid) und eine Anzahl ihrer Mitbürger um eine folde Erlaubniß
nachgeſucht, waren aber abſchläglich befchieden worden.) Von den
Angehörigen der Pforzheimer franzöfifchereformirten Gemeinde find fol-
gende noch befannt: Jean Samuel Brochet oder Brougier, Strumpf:
meber, Jean Bernard, Strumpfftrider, Jean Jacques Faure, Jerome
Lacoste, Barbier, fpäter Feldſcherer, Pierre Morgues, Kaufmann,
Andre Dubout, Strumpfmweber, Jean Henri Benezette, Pierre Jourdan,
Lafont, Breniol u, a. m.
1) Die Einweihungsrede, welche der damalige Geiftlihe, wiederum ein
Moutoux , hielt, erih’en in Karlsruhe im Drud unter dem Titel: »Sermon
prononc& le 16. Oct. ä l’occasion de la dedicace du temple reforme, bäti &
Pforzheim. Par Charles Francois Moutoux.
Pflüger, Pforzheim, 36
562 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
Es war 1732 nahe daran, daß Pforzheim noch durch Einwanderer
anderer Art ftärker bewölfert worden wäre. In jenem Fahr, und zwar
am 24. April, kam nämlich von evangelifchen Salzburgern, melde
durch ihren Landesherrn, den Erzbiſchof, 1685, 1729 und 1731 harte
Bedrängnifie erlitten, jo daß viele Taufende von ihnen ins preußifche
Gebiet auswanderten, eine Zahl von 230 auch in die Gegend von
Pforzheim, und die baden= durlachifche Negierung war zu ihrer Auf:
nahme gern bereit. Aber nur ein Keiner Theil derfelben blieb; bie
Meiften zogen weiter ins Darmftädtifche, von wo aus ihnen ſchon früher
Wohnſitze angeboten worden waren.
Nechnen wir den Geſammtzuwachs zur Pforzheimer Bevölkerung
zufammen, fo dürfte letztere um 1725 wieder zwiſchen 3 und 4000
Seelen betragen haben, Nur langſam nahm fie in der Folge zu, da
dann und warn auch anſteckende Seuchen, wie 3. B. während des pol-
nifchen Srieges in den Jahren 1733, 34 und namentlich 1735, wo
die Zahl der Geftorbenen die der Geborenen um 170 überftieg, ferner
in den Jahren 1740, 1743, 1757, 1762 und 63, 1768, 1772,
1789, 1796 bald geringere, bald bedeutendere Werminderung der Be—
völferung brachten. Erft mit dem Jahr 1800 war die Zahl von
5000 Köpfen überfchritten.
Im Jahr 1723 war die Bürgerfchaft 492 Mann ſtark. Darunter
befanden fid) 45 Metzger (und 8 MWittwen), 41 Bäder (und 5 Witt:
wen), 21 Rotbgerber (und 2 Wittm.), 36 Schuhmacher (und 5 Wittw.),
417 (?) Krämer und Wirthe (und 7 Wittw.), 14 Zeugmacer (und
8 MWittw.), 5 Tuchmacher (und 3 Wittw.), 8 Weißgerber (und 6 Wittw.),
7 Schloffer und Büchſenmacher (und 1 Mittwe), 17 Schmiede und
Wagner (und 5 Wittw.), 7 Seiler, 11 Schreiner, 10 Hafner (und
4 Wittw.), 22 Küfer (und 4 Wittw ), 24 Hofenftrider, Hutmacher
und Dreher (und 7 Wittw.), 19 Schneider (und 2 Wittw.), 25 Gold:
fchmiede und Glaſer (und 3 Wittw.), 16 Yeineweber (und 3 Wittw.),
4 Sattler, 20 Zimmerleute und Maurer (und 8 Wittw.), 9 Müller
(und 2 Wittw.), 70 Flößer (und 6 Wittw.), 22 Atftädter (und 11
Wittw.), 22 Unzünftige (und 9 Wittw.). Dazu kamen noch 34
Gefreite und 9 Juden.
Es möge hier ſchließlich noch, wie früher, einiger Ereigniffe ges
dacht werden, die in ältern Chroniken immer eine bedeutende Rolle [pielen.
Im Jahr 1709 Herrfchte eine große Theurung, und ging derfelben ein
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 563
fo furdtbar ftrenger Winter voraus, daß die Bäume barften, die Vögel
todt aus der Luft herabfielen, und der Boden fo feit und fo tief ge—
froren war, daß man kaum die Todten beerdigen Konnte, — Der
Eommer des Jahres 1724 war ein außerordentlich heißer, jo daß es
nur wenig Frucht, aber vielen und guten Wein gab. 1) — Das Jahr
A728 erzeugte ebenfalls fo viel Wein, daß das Fuder nur 6 Gulden
galt. — Das Jahr 1739 brachte wieder einen fehr ftrengen und dabei
entfeglich Tangen Winter. Gleich nad) dem Herbit fing die Kälte an
und dauerte faft ohne Unterbrehung bis zum 26. März 1740 fort. —
Sm Jahr 1729 riß das Hochgewäfler die 1694 neu erbaute Auer
Brüde mit fi fort. Am 18. Oktober 1740 war abermals ein „groß
Waſſer, wie es feit Menfchengedenten nicht gewefen. Beim Hirſchwirth
lief das Waſſer in die untere Stube; von der Auer Brüde aus konnte
man mit einem Milchhafen Waſſer langen.“ Die Altftädter Brücke
wurde damals mit fortgerifien und erft im folgenden Jahr neu ber:
geftellt. — Am 7. Juli 1731 wurden in Pforzheim die 4 Kleinen
Kinder begraben, welche eine verwittwete Frau von Raſchau auf un:
menschliche Weife ermordet hatte. So erzählt das damalige Kicchen:
buch, ohne indeß Näheres über die That, namentlich die Veranlafjung
derfelben, mitzuteilen,
$ A Pforzheim im fpanifchen Erbfolgehrieg 1701 — 1714 und im
polnifhen Krieg 1733 — 1735. 2)
Vieles von dem, was in den drei vorhergehenden Abfchnitten
erzählt wurde, fällt in die Zeiten des fpanifchen Erbfolgekriegs,
da derfelbe 1701 ausbrad und 1714 zu Ende ging. Einzelne Vor:
fülle diefes Krieges, infofern fie auf Pforzheim Bezug haben, müffen
jedody noch befonders erwähnt werden. Glücklicherweiſe wiederholten
fih in demjelben die Greuel des orleans'ſchen Krieges nicht; doch hatte
Pforzheim durch Durhmärfche, Eingquartierungen, Bezahlung von Kriegs:
geldern 2c. Manches zu Teiden, was das Wiederaufblühen der Stadt
nicht begünftigte,
1) Diefe und die folgenden Notizen nah den Aufzeichnungen bes Ritter:
wirths Trautwein, zum Theil auch nah Rathsprotokollen.
*) Quellen: NRathsprotofolle, Kriegskoftenrehnungen, Kirchenbücher,
Alten des Landesarchivs zc.
36 *
564 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
Der König Karl II. von Spanien war im Winter 1700 ohne
Hinterlaffung eines Leibeserben geftorben. Auf die Thronfolge machten
nun Oefterreih und Frankreich kraft Vermandtichaftsrechtes Anſpruch.
Karl II. hatte zwar einen Enkel Ludwigs XIV. zu feinem Erben ein—
geſetzt; allein Defterreih erkannte das Teſtament nicht an, und fo kam
es denn zu demjenigen Kriege, der in der Gejchicte unter dem Namen
des fpanifchen Exbfolgefrieges bekannt ift. Auf Oeſterreichs Seite traten
das Reich, Holland und namentlich auch England, während der Kurfürft
von Baiern die. Partei des Königs von Frankreich ergriff. Die deutfhen
Heere wurden in diefem Krieg vorzugsweife von den beiden ruhmge—
krönten Feldheren, dem Prinzen Eugen von Savoyen und dem Mark:
grafen Ludwig von Baden, die englifhen Truppen von dem fcharf:
blidenden und umfichtigen Herzog von Marlborough angeführt. Auf
franzöfifcher Seite zeichnete fich der Marſchall Villars aus.
Der Krieg begann 1701 in Stalien, wo Eugen raſche Erfolge
erfämpfte. Schon im folgenden Jahr entbrannte der Kampf aud am
Rhein, indem Markgraf Ludwig mit einer deutfchen Reichsarmee von
16,000 Mann, die er bei Heilbronn gefammelt hatte, im Frühjahr
1702 über diefen Fluß ging, die Belagerung der den Franzoſen gehö-
rigen Feſtung Landau unternahm und diefelbe im nämlichen Jahr
noch eroberte. Im folgenden Jahre vollendete er bei Stolfhofen und
Bühl die ſchon 1701 begonnenen berühmten Linien, durch welche er
den Franzoſen bei etwaigen Gelüften, auf diefer Seite in Deutfchland
einzubringen, einen unüberfteiglihen Damm entgegenfegte. Wirklich
wurden auch, fo lange der Markgraf Iebte, alle Angriffe der Franzofen
auf diefe Linien mit Erfolg zurüdgefchlagen.
Ars 1702. die Gefahr des Krieges der Markgrafichaft näher
gerüct war, Fam unterm 10. März ein fürftlicher Befehl, daß fich bei
den gefährlihen Läufen die Bürger mit gleichförmigen kalibermäßigen
Gemwehren und Flinten verfehen und die Wermöglichern unter ihnen die
Koften baar erlegen, die andern in Terminen bezahlen follten. Das
Sahr 1702 ging indefien ziemlich ruhig vorüber; nur rücten im
November deutfche Truppen in Pforzheim ein, um dort ihre Winter:
quartiere zu beziehen. =
As im April 1703 Marfhall Villars die Stollhofer Linien mit
großer Heftigkeit angriff, glaubte man aud in Pforzheim, auf alle
möglichen Fälle fich vorbereiten zu müſſen. Die Rathsakten wurden
— u mr nn — —
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 565
eingepadt und in das Gewölbe gethan, und die der Stadtſchreiberei
mit den berrfchaftlichen Papieren geflüchtet. Allgemein war die Befürd;-
tung, daß beim Einbruch der Franzofen Plünderung und Brand
wiederfehren möchten. Man kam jedoch dies Mal mit dem bloßen
Schreden davon, da Markgraf Ludwig alle Angriffe der Franzoſen
glücklich zurückſchlug. Doc wurden Stadt und Amt Pforzheim wäh:
rend dieſes Jahrs mit bedeutenden Lieferungen belegt. Im April
mußten die Nemter Stein und Langenfteinbah fammt der Stadt und
dem Amt Pforzheim 110 vierfpännige Mägen ftellen, um der in den
Linien bei Bühl ftehenden Faiferlihen Armee Proviant zuzuführen,
Auf die Stadt traf e8 deren zwölf. Fortwährend mußten auch Schanz—
arbeiter in die Xinien gefandt werden, weldye der Stadt bedeutende
Koften verurfadhten. Am 22. Dezember 1703 erſchien ein fürftlicher
Befehl, daß die Stadt ein Drittel der auf das ganze Amt fallenden
Naturallieferungen an die Truppen übernehmen müffe, nämlich wöchent-
ih 27351/, Pd. Brod, 56 fl. 461/, kr. für Hausmannskoft, 686
Simri Haber, 13,626?/, Pfd. Heu, 8176 Pfd. Stroh; 8 Klafter
Holz und 122, Pid. Lichter. Die vom Stadtrath dagegen gemachten
Borftellungen, daß die Bürgerfchaft Nahrungsmangel habe, daß fie im
vorigen Jahr genug ausgeftanden, ohne daß ihr Jemand geholfen
bätte 2c. mögen wohl fruchtlos gewefen fein. Es kamen im Gegentbeil
im Januar 1704 noch Forderungen anderer Art dazu. Von zwei
Redouten, die am Rhein gebaut werden follten, mußten die Aemter
Stein, Langenſteinbach und Pforzheim einſchließlich der Stadt eine
berftellen. Ebenſo mußte das Dberamt Pforzheim bei. der Flucht des
fürftlihen Hofes nach Bafel zum Fuhrlohn 133 fl. beitragen, wozu
die Stadt 75 fl. beiſchoß.
Mas den Franzoſen troß mehrfacher Verfuhe nicht gelungen war,
nämlich in Schwaben einzubringen und fid) dort mit den Baiern zu
vereinigen, das hatten fie im Jahr 1703 doch noch zu Stande gebradht.
Billars drang durch das Kinzigthal gegen die Donau vor und bei
Tuttlingen vereinigten fi) das franzöfifche und das baierifche Heer.
Mittlerweile kam aber auch der Herzog von Marlborough aus ben
Niederlanden den Rhein herauf, zog durch Schwaben und vereinigte
fi unfern der Donau mit dem Prinzen Eugen und dem Markgrafen
Ludwig von Baden. Während Iebterer die Belagerung von Ingolſtadt
leitete, griffen die beiden andern Teldhern das franzöſiſch-baieriſche
566 Siehzehntes Kapitel. Pforzhelm von 16971746,
Heer unter dem Kurfürften von Baiern und dem Marſchall Villars
bei Höchſtädt am 13. Auguft 1704 an und bradten ihm eine furdht:
bare Niederlage bei. Die Trümmer des franzöfifchen Heeres flohen
über den Nhein zurüd und das rechte Nheinufer war von Feinden
wiederum gefäubert. Dieſer Umftand veranlaßte den Markgrafen Fried—
rich Magnus, feine Nefidenz von Baſel wieder nah Durlach zurüdzu:
verlegen.
In den folgenden Jahren war der Kriegsichauplag mehr am
Niederrhein, jo daß man in Pforzheim und der Martgraffhaft wieder
etwas freier aufathmen konnte. Doch fehlte 8 auch in diefer Zeit an
drückenden Kriegslaften nicht. Wegen des Truppenkontingentes, das die
Markgrafihaft Baden: Durlad) zu ftellen hatte, wurden der Stadt
Pforzheim außer den gewöhnlichen und regelmäßigen Beiträgen für
dasfelbe 1) im Jahr 1705 folgende Auflagen gemacht: fie hatte täglich
66 Mund: und 11 Pferderntionen, Teßtere zu 16 Er. zu bezahlen, an
der zur Kompfetirung des Pferdeftandes bei der letztern aufgewendeten
Summe von 4500 495 Gulden zu tragen, und mußte für das Trup-
penfontingent 21 Mann zu Fuß und zu Pferd fogleich anwerben und
ſtellen. Zumuthungen anderer Art betrafen Fouragelieferungen an die
preußifchen Truppen, Cchiffbrüdenfrohnen, Stellung von uhren zur
Berproviantirung Landaus, Schanzarbeiten bei den Stollhofer Linien
(Pforzheim mußte dazu 33 Mann ftellen), Heugelder und Lieferungen
aller Art. Zur Beftreitung aller diefer Ausgaben mußten außerorbent-
liche Schatungsgelder eingezogen werden, die aber bei vielen Bürgern
ohne Erefution nicht einzutreiben waren. Meberdies hatte Pforzheim
fortwährend die Laften von Garniſonen und Einquartierungen zu tragen.
Verhängnißvoller als die erften Jahre des Krieges follte das Jahr
1707 werden. Der Markgraf Ludwig Wilhelm hatte am 4. Januar
diefes Jahres fein thatenreiches und ruhmgefröntes Leben beſchloſſen.
Nach feinem Tode gefhah, was man längſt befürdhtet hatte, Der fran:
1) Die Markgrafihaft Baden: Durlah hatte zu ben Truppen bes ſchwä—
biſchen Kreifes zu fielen: 3 Kompagnien zu Fuß zu je 185 Mann und eine
Kompagnie zu Pferd, 34 Mann ftarf, im Ganzen alfo 589 Mann. Diele
verurfachten einen jährlichen Aufwand von 41,603 fl. 18 fr. Davon traf es
das badifhe Oberland (Nötteln, Saufenberg und Badenweiler) 30,000 fi.,
das Unterland 11,603 fl. 18 fr. Hiervon kamen auf dag Amt Pforzheim
3867 fl, 59%, Er, auf die Stadt Pforzheim allein die Hälfte davon mit 1934 fl.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746, 567
zöſiſche Marſchall Villars durchbrach im Mai 1707 die Stollhofer
Linien und drang mit feinem Heer zunächſt in die beiden Markgraf:
ichaften ein. Abermals mußte Friedrich Magnus nad) Bafel fliehen,
Die deutfhen Truppen, welche die Linien vwertheidigt hatten, zogen fich
zurüd, und zwar der Haupttheil derfelben unter dem Markgrafen von
Baireuth nad) Bretten, der baden-durlachiſche Erbprinz Karl Wilhelm
mit einer Truppenabtheilung über Durlach) nad Pforzheim, wohin auch
der Herzog von Württemberg über Ettlingen feine Truppen führte,
Sämmtlihe Abtheilungen des deutſchen Heeres vereinigten ſich am
27. Mai wieder bei Dürrmenz, von wo fich die ganze Armee in ber
Richtung nach Kannftatt zurücdzog, weil fie fich nicht für ſtark genug
bielt, dem Feinde die Spike zu bieten. Diefem ftand nun Schwaben
offen, und Villars füumte auch nicht, von dem erlangten Vortheil mög:
lichften Nuten zu ziehen, hauptſächlich durch Eintreiben von Kontribu:
tionen, was diefer General meifterhaft verftand, Der Marfgraffchaft
Baden-Durlady wurde eine foldhe von 100,000 Thalern auferlegt und
den Rändern, welche er nachher durchzog, auf diefe Weiſe die Summe
von nicht weniger als 9 Millionen abgepreßt.
Dei der Annäherung der Franzoſen herrſchte in Pforzheim allge:
meine Beftürzung, die um fo begreiflicher erjcheinen muß, als die im
orleans’ichen Krieg verübten Greuel noch in allzu friſchem Andenken
waren. Die meiften Bürger fuchten den werthvollern Theil ihrer Habe
zu flüchten oder zu verfteden, und aud alle öffentlichen Bücher und
fonftige Papiere, darunter die Kirchenbücher 1), wurden in Sicherheit
gebradht. (In manden Orten de8 Bezirks, wie in Eutingen und
Brötzingen, gingen damals alle ältern Kirchenbücher verloren.) Sogar
die Gloden nahm man herunter, um fie der Gefahr, von den Fran-
zofen mitgenommen zu werden, nicht auszuſetzen. In den lebten Tagen
des Mai erfolgte der Marfch des franzöfifchen Heeres durch Pforzheim.
Dem Bortrab unter General Vieurpont folgte die Hauptarmee unter
1) An dem Pforzheimer Taufbuch von 1707 Heißt es: Als zwiſchen dem
21. und 22. Mai die Bühler Linien von den Gallis überrumpelt worben und
barauf ber verberbliche Einfall erfolgt, alldieweil der Feind die Stadt bejegt
und fo fort die darauf folgenden Kinder getauft worden” (folgen die Namen
berfelben); und unterm 20. Juni (Fol. 122): „In dem Lärmen, ba fein Kir:
chenbuch zugegen gewest, wurde geboren“ ꝛc. — Im Springer Kirhenbud
fieht: Invasio et raptus Gallicus 22. May 1707 Ispringa factus,
568 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
Marſchall Billars felber, welcher am 30. Mai in Pforzheim war.
Ich ſtoße auf eine Klage, daß er den Bürgern viel Frucht gewaltfamer
Meife habe wegnehmen laſſen, auch dem lichtenthaler Klofterhof 300
Malter, dem Obervogt von Wallbrunn 330 Malter ꝛc. Er ließ, als
er feinen Marſch nah Schwaben weiter fortjeßte, im Pforzheim unter
dem Kommando des Obriftlieutenants de Barbaray vom Regiment
Navarra ZOO Mann zu Fuß und 300 Mann zu Pferd als Garnifon
zurüd. Der Kommandant fuchte die Stadt fogleic in beſſern Ver:
theidigungsftand zu feßen und ließ bei der Nonnenmühle, beim Schoß:
gätter, am Altftädter Thor und im Schloß allerlei Schanzarbeiten vor:
nehmen. Um ihn bei guter Yaune zu erhalten, war befchlofen worden,
ihm von Seiten der Stadt gleich anfangs 100 Gulden und feinem
Adjutanten und dem Major jedem 32 Gnlden zum Gefchent zu maden.
Diefe Summen wurden aus den fog. Sauvegardegeldern genommen.
Man war nämlich noch vor dem Einmarſch der Franzoſen in bie
Markgrafſchaft bei Marſchall Villars um eine Sauvegarde eingefom:
men, welcher deren fogar zwei ſchickte. Diefelden lagen vom 24. Mai
bis 11. Juni, alfo 19 Tage in Pforzheim; alsdann ging die eine
davon ab, während die andere noch zurückblieb. Diefe Sauvegarden
verurfachten der Stadt während diefer Zeit einen Koftenaufwand von
nicht weniger als 717 fl. 48 ir. 1) Zur Beftreitung desfelben wurden
1) Es dürfte intereffant fein, denfelben bier näher fpezifizirt zu finden.
Die beiden Eauvegarbebriefe Fofteten (A 1 Louiedor od. 8 fl.) 16 fl. — Fr.
Marſchall Villars bezog für jeden ber nn täglich
1 Ldr., macht für 19 Tage . = r . .304, — ,
Gebühr für die Sauvegarden a1 f. 30 kr... . : 597. -.
Zehrung berjelben . i . 10 „43,
Bom 11. bis 30, Juni, aljo für 20 Lay für eine Sauvegarde
an Marſchall Villars . ; . } r . 160, — „
Gebühr . ; i ; r 5 . DD, — ,
Koſtgeld für letztere 2 u. 30 fr. i i : : . 50. - .
717 fl. 48 fr.
Unter der Zehrung von 100 fl. 48 fr. waren nicht weniger als 158 Maaß
Mein begriffen, welchen die beiden Sauvegarden in 19 Tanen (alfo täglich
81/, Maaß) vertilat hatten, wodurch fih der Name „Saufgarben”, ben ber
Volkswitz diefen Sicherheitswächtern gab, zur Genüge rechtfertigt. Wahricein-
lich um folhen Ausihreitungen eine Schranke zu fegen, wurde für die eine
Sauvegarde ein Koftgeld feſtgeſetzt.
image
not
avallable
570 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
Pforzheim hatte er eine Garnifon zurüdgelaffen, die indeſſen bald
wieder mit der Hauptarmee fich vereinigte, jo daß die Stadt von
Feinden befreit war. An ihre Stelle traten deutfche Truppen unter
dem eneralwachtmeifter v. Enzberg. Nach verfchiedenen Hinz und,
SHerbewegungen beider Armeen, von welchen indeß Pforzheim unberührt
blieb — nur einmal noch drohte Gefahr, indem Villars den General
Vivant mit 6000 Dann zur Brandfhagung nad Schwaben abjchidte,
er Fam aber nur bis Grötingen, wo ihn die Kaiferlichen wieder zurüd:
trieben — ging Villars im Dftober über Raftatt und Kehl über den
Rhein zurücd, um feine Truppen in das fühliche Frankreich zu führen,
wo indeffen Prinz Eugen von Norditalien aus eingefallen war.
So lange der Kriegsfhauplat in der Nähe geweſen war, hatten
natürlich andy die Lieferungen fortgebauert, ebenfo die Beſorgniſſe wegen
eines neuen feindlichen Einfalls. 1) Doch fühlte man fih in Pforzheim
im September fiher genug, um wenigftens die Glocken wieder aufzu:
hängen. Auch die feit dem Einfall der Franzofen im Mai unter:
brochenen Rathefigungen wurden von Ende Juli an wieder regelmäßig
abgehalten. Am 4. Oktober hatte ſich die Stadt des Beſuches des
Markgrafen Friedrich Magnus zu erfreuen, der in der Krone, damals
dem erften Gafthofe, logirte. Mit dem Cinrüden der Truppen in die
Winterquartiere ging das Jahr 1707 zu Ende. Außer fonftigen Laften
hatte dasfelbe der Stadt bedeutende Geldopfer auferlegt. Won den
58.000 fl. welche die Regierung zur Beftreitung der Kontributionen
bei Kaufmann Leisler in Bafel aufgenommen hatte, traf es die Stadt
Pforzheim mit 6444 fl. 26 kr, welche auf Obligation aufgenommen
wurden. An Sauvegarbde:, Verpflegungs:, Einquartierungs- und fonftigen
Geldern Hatte die Stadt 4751 Gulden, an Schanzgeldern — zum
Theil daher rührend, weil die Linien zwifchen Ettlingen und Darlanden
wieder hergeftellt wurden — 1690 fl. zu beftreiten.
In Bezug auf die noch folgenden Kriegsjahre kann ich mich Kurz
faffen. Im Sabre 1708 wurde am Rhein nichts von Bedeutung
1) Wie es um die öffentliche Sicherheit fand, beweist folgender Vorfall:
Anfangs Oktbr. wurde im Klaffnert der Frau des Markedenters Ph. Glaſer
von 3 Straßenräubern die Gurgel abgefchnitten, nachdem biefelben ihren Mann
vorher erfchoffen, die Pferde ausgeipannt und 400 fi. geraubt. Die Frau lebte
zu Sebermanns Verwunderung noch etliche Tage, bis fie Hungers geflorben.
(Kirhenbud von 1707, Fol, 425.)
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 571
unternommen. Deſto mehr gefhah in den Niederlanden durch den
Prinzen Eugen und den Herzog dv. Marlborough. Dort wurden die
Tranzofen völlig gefchlagen, und die Demüthigung Ludwigs XIV. war
fo groß, daß er felbft um Frieden bat und fi) fogar dazu verftchen
wollte, allen bei und feit dem weftphälifchen Frieden gemachten Raub
wieder herauszugeben. Allein die Unterhandlungen zerſchlugen ſich
wieder, weil feine Gegner noch höhere, nur zu Hohe Forderungen ftell:
ten. Noch 6 Jahre dauerte nun der Krieg mit abwechfelndem Glüd,
Das Jahr 1713 Tegte dem badifchen Unterland größere Opfer auf,
indem die Lieferungen an die dafelbft ſich aufhaltende deutfche Armee
gar Fein Ende nehmen wollten. England fchloß jedoch noch im näm—
lichen Jahre den Frieden zu Utrecht, der Kaiſer das Jahr darauf,
nämlich 1714, den Frieden zu Baden in der Schweiz, nachdem bie
Unterhandlungen ſchon vorher zu Naftatt begonnen hatten. Die Ver:
hältniſſe Hatten ſich in den letzten Kriegsjahren in einer Weiſe geftaltet,
daß Ludwig XIV. beim Friedensſchluß nicht nur Nichts verlor, fondern
es auch durchſetzte, daß die Krone von Spanien, die den Anlaß zum
Kriege gegeben, feinem Enkel verblieb,
Es mag bier auch eines andern Krieges mit erwähnt werden,
der in den 1730ger Jahren fpielte und allerlei Bedrängniß brachte,
wenn auch unfere Gegend nicht der Hauptſchauplatz von Schladhten und
dergl. war. Ich meine den polnifhen Krieg in den Jahren 1733
bis 35, Er war in Folge der polnifchen Königswahl entftanden, daher
der Name. Da auch das deutiche Neih daran Theil nahm, fo er:
fchienen bald bedeutende Armeen am Oberrhein, und die Markgrafichaft
wurde von franzöfifchen und deutfchen, auch ruſſiſchen Truppen über:
ſchwemmt. Die Heerführer bewiefen übrigens dem Lande ziemliche
"Schonung. Der Markgraf verglih fi namentlih von Bafel aus
mit dem franzöſiſchen Anführer zu regelmäßiger Zahlung der auferleg-
ten Kontribution, jo daß das Land die fonft mit einem Krieg ver:
bundenen Drangfale weniger empfinden durfte. Doc finden wir, daß
die Stadt Pforzheim vom November 1733 an durch Fouragelieferung
an die Franzoſen, durch Frohndfuhren und Schanzarbeiten ziemlich in
Anſpruch genommen wurde, und im folgenden Jahre wegen Mangel
an flüffigen Mitteln zur Bezahlung der Kriegskoften ein Kapital von
2000 Gulden aufnehmen mußte. Bei Annäherung der Franzofen
ſchon hatten mande Bewohner der Stadt und bes Bezirks, welde von
572 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 186971746.
diefen Gäften nach früher gemachten Erfahrungen nur das Schlimmſte
erwarteten, die Flucht ergriffen und ihre Habe in Sicherheit gebracht. 1)
Dod konnten die dies Mal allzu Aengſtlichen bald wieder zurückkehren.
As der ruffiihe General Byron mit 17,000 Mann heranrüdte
und zum Hauptquartier Grötzingen bei Durlach erkor, kam aud
eine ruſſiſche Heeresabtheilung unter dem General Lacy nach Pforzheim,
um dort Quartier zu nehmen. Ihre Anmefenheit erzeugte eine Seuche
in der Stadt, der viele Bewohner derfelben zum Opfer fielen, fo daß
im Jahr 1735 die Zahl der Geftorbenen die der Gebornen um 170
überjtieg.
Der Friede von Wien machte diejen „Kriegstroublen“ 1735 ein
Ende,
Bon dem öſterreichiſchen Erbfolgefrieg (1740—1748) wurde die
Markgrafihaft Baden und Pforzheim in fo fern aud berührt, als
mehrfach Truppendurchmärſche ftattfanden. Im Februar 1743 beber:
bergte Pforzheim franzöfifhe Kıiegsgäfte, wobei der Küfer Berthold
Gerwig am Gauchthor von einer franzöfiihen Schildwache erichofien
wurde. 2) Als im Auguft 1744 die Defterreiher unter Prinz - Karl
von Lothringen vom Rhein nad) Böhmen zurüdmarfcirten, famen auch
einzelne Heeresabtheilungen, darunter Hufaren, Panduren, Kroaten ꝛc.
durch Pforzheim, 3)
6. 5. Gründung des Waifenhaufes in Pforzheim,
(1714.) %)
Wenn aud die Gefhichte des MWaifenhaufes zu Pforzheim, das
immer eine Staatsanftalt war, mit der eigentlichen Geſchichte der Stadt
1) Ein Eintrag im Tanfbuch von 1734 lautet: Am 25, Mai ift allhier
in der Flucht tempore belli und ber troublen, auch Schwachheit halber im
Haus getauft worden: Jak. Friedrich, des Pfarrers von Niefern Breu Kind.
2) Städtiſches Kirchenbud.
3) Aufzeihnungen von Ritterwirth Trautwein.
4) Quellen: Umftändlide Nahriht von dem Waifenhaufe, wie
auch Tolle und Krankenhaufe zu Pforzheim, ingleichen von dem Zucht- und
Arbeitsbaufe daſelbſt. (Von bem geheimen Rath Joh. 35. Reinhard.) Karls:
ruhe bei Maflot, 1759. — Alten der Großh. Heil: und Pflegeanftalt
(darin namentlid der von dem Irren- und Siechenhausvermwalter Sigm. Gott:
lieb Eifenlohr im Jahr 1810 erftattete Bericht.) — Statiſtiſche Nachrichten
über bie Siehenanftalt zu Pforzheim von Direktor Dr. Müller, (Freiburg
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 573
im Allgemeinen nur in loſem Zufammenhang fteht, fo erſcheint doch
der Umftand, daß die jegt jo blühende Hauptinduftrie Pforzheims aus
jener Anftalt hervorgegangen it, wichtig genug, um derfelben hier eine
größere Berückſichtigung zu ſchenken, als dieg unter andern Verhält-
niffen wohl geſchehen würde.
Bald nach dem Naftatter Frieden faßte Markgraf Karl Milhelm
den Entichluß, ein Landeswaifenhaus, und zwar in der Stadt Pforz-
beim, zu gründen und mit demjelben ein Irren-, Sieden» und Zucht—
haus zu verbinden. Nachdem deshalb im September 1714 ein fürſt—
liches Ausfchreiben in die damals baden-durlachiſchen Landestheile er:
gangen war, wurde der Architeft Johannes Schüß aus Offenbad nad
Pforzheim berufen, um für die nenaufzuführenden Gebäulicykeiten einen
geeigneten Plat ausfindig zu machen, die Baupläne zu entwerfen und
die Ausführung derjelben zu leiten. Anfänglich wurde die Stelle, wo
früher das Dominikanerklofter geftanden hatte, zum Bau augerjehen ;
da fich diefelbe jedoch nicht ganz geeignet erwies, namentlich weil fie
allzufehr mit Häufern umfchloffen war, fo wählte man dazu denjenigen
Platz, melden früher das von der Marfgräfin Irmengard geftiftete
Siehenhaus ſammt dem anftoßenden Dominikanerinnenklofter, deſſen
Gebänlichkeiten nad) der Neformation mit jener Anftalt vereinigt wor:
den waren (S. 329), eingenonmen hatte. Wegen feiner größern Aus:
dehnung und feiner freiern Rage erfihien derjelbe allerdings der Beftim:
mung angemefjener, welche man ihm geben wollte. Der alsbald in
Angriff genommene Bau gedieh nach und nach fo weit, daß am 1 Mai
1718 die Einweihung des Haufes und die Einführung der aufgenom—
menen 60 Waiſen ꝛc. ftattfinden konnte. 1) Für die damit verbundenen
Feierlichkeiten erfchien ein eigenes Programm. 2) Der Markgraf nahm
bei Wangler, 1844). — Beſchreibung der Etadt Pforzheim v. Roller, (Pforz—
beim bei Kag, 1811). — Alten der Großh. Dem inenverwaltung Piorzheim.
— BWaifenpartifularrednungen für Pforzheim. —
) „Eo bat au der Durdlauchtigfte Fürft und Herr, Margraf Karolus
aus dem eingeäfcherten Nonnenklofter und Epital cin berühmtes herrlich er—
bautes Waifene, armen Wittwen: und Zuchthaus erbaut, welches .Ao. 1718
Dom, Nisericordias Dei solenniter eingeweiht worden“ jagt Spezial Wils im
Kirhenbudh von 1717,
2) „Ihro hochfürſtlichen Durchlaucht des regierenden Hern Marngraven
zu Baden und Hochberg gnädigſte Verordnung, wie e8 mit ber vorſeienden
Snauguration des Pforzheimiſchen Wayfenhaufes [ol gehalten werden.“
574 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
in eigener Perfon, begleitet vom SKirchenrathsdireftor Zur Gloden
und dem Kirchenrath Hölzlin, an derjelben Theil und fand fi auch
bei dem im der neuen Anftalt bergerichteten Feftmahle ein. Die
Beamten und fonftigen Bedienfteten des Maifenhaufes wurden vom
Markgrafen felber in Eid und Pflicht genommen und die Anftalt für
eröffnet erklärt. Zur Beauffihtigung und oberften Verwaltung derfel:
ben wurde in Pforzheim ein Verwaltungsrath niedergefegt, welcher ang
dem geheimen Rath und Obervogt Scheid, dem nenernannten Waifen:
hausdireftor Schüß, den Stadtgeiftlichen Bergmann und Seufert, dem
Mitglied des Gerichts, Konrad Kab, und dem Rathsherrn Mathäus
Kummer zufammengefeßt war.
Mittlerweile wurde auch mit dem Bau der Maifenhaugfirche fort:
gefahren und diefelbe am 15. Januar 1719 feierlidy eingeweiht. Um
diefe Zeit war die Zahl ſämmtlicher Pfleglinge der Anftalt fchon auf
200 angewachſen. Einen Theil der Mittel zum Unterhalt fo vieler
Perſonen fuchte man fi) durdy Anlegung verfchiedener Fabriken in der
Anftalt felbft, in denen die Pflege: und Züchtlinge auf eine nuß-
bringende Art befchäftigt werden follten, zu verfchaffen. Mehrere der:
felben, wie eine Papiermühle, eine Hut: und Bandfabrif, aud eine
Buchdruckerei, die man projektirt hatte, kamen jedoch nicht zur Ausfüh-
rung; andere, wie Meſſer-, Scheeren= und Glasperlenfabrifen hörten
bald wieder auf, Nur die Tuch-, Wollenzeuge und Strumpffabrifen
wurden längere Zeit fortgefeßt und follten fpäter für die Stadt Pforz-
beim felbft, in Verbindung mit andern derartigen Unternehmungen, fehr
wichtig werden. — Auf der andern Seite wurden dem Waifenhaus
verſchiedenes Eigentfum und anſehnliche Gefälle zugewiefen. Dazu
gehörten, außer den für die Anftalt neu aufgeführten Gebäulichkeiten,
die vormaligen Spitalgüter, nämlich an 15 Morgen Wiefen im Hagen:
ſchieß, ferner die Gebäulichkeiten und Güter der St. Georgenpflege,
legtere noch in 21/, Morgen Ader und einem 2400 Schritt im Um:
fang baltenden Wald beftehend, — die noch flüffigen Einkünfte des
Spitals in Kapital und Bodenzinfen im Betrag von 638 fl. 221/, Er.
fammt etlichen Naturalbezügen, 1) die Einkünfte der St. Georgenpflege
— — — —
) Der größte Theil des reichen Vermögens dieſes Spitals und bes ehe:
maligen Dominikanerkloſters war im 30jährigen und orleans’fchen Kriege
verloren gegangen.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 525
mit 744 fl. 291/, kr., die Durlacher Spitalgefälle, die Sonderfiechen-
Pflege-Einkünfte vom Hochberg, die Spital- und Almofengefälle von
Ealzburg, die Sonderfiechenpfleggefälle von Rötteln und Saufenberg,
die Ueberichüffe der Almojenfapitalien - und Klingelbeutelgelder, bie
Zotteriegelder, — alle diefe Einkünfte im Gefammtbetrag von jährlichen
6653 fi. 59%/, kr. Dazu kamen ferner als unbeftändige Revenüen
die Kollekten an Yeittagen, die Opfer von Kommunionen, Kindtaufen,
Hochzeiten und Leichen, die Opfer aus den fonntäglihen Sammelbüch—
fen, der Ertrag der Schwörbüchſen, Mufiferlaubnißtaren bei Hochzeiten,
Zanztaren, Taxen vom Gin und Ausfchreiben der Profeffioniften,
Strafen ꝛc. Sodann wurde auch unterm 8. Februar 1718 der unge:
fähr 15 Morgen große Schloßgarten dem Waifenhaus zur einftweiligen
Benützung überwieien. (Der Döftertrag mußte jedody an die mark:
gräfliche Küchenmeifterei abgeliefert werden.) Endlich hatte ſich die neu—
gegründete Anftalt bald anfehnlicher freiwilliger Beifteuern und Ber:
mächtnifje zu erfreuen.
Obgleich nun Alles aufs Befte geregelt ſchien und das Waiſen—
haus unter den günftigiten Ausfichten eröffnet worden war, fo riß doch
in demfelben bald die größte Verwirrung und Unordnung ein. Der
beftellte Direktor (ein Architekt!) entſprach den Erwartungen nicht; unter
den Bedienfteten herrchten fortwährende Zerwürfniffe; die in die Anjtalt
verpfrindeten Pfleglinge wollten fi) der Hausordnung nicht fügen;
die in derfelben angelegten Yabrifen wollten feinen rechten Fortgang
nehmen, weil es an fachverftindiger Leitung derfelben fehlte und die
von auswärts dazu beigezogenen Arbeiter die Unordnung noch vermehr-
ten. Dazu kam noch, daß die Vereinigung fo verfchiedenartiger Pfleg-
linge in eine Anftalt, die zugleich Waifen:, Irren-, Siechen- Pfründ-
ner⸗ und Zuchthaus fein follte, fi), wie vorauszufehen war, auf bie
Dauer als wenig fegensreich erwies und die ſchlimmſten Folgen für
das Haus und feine Bewohner nad) fi) 309. Zum Unglüd war aud)
noch die Oberaufſicht über die Fombinirte Anftalt eine zu wenig ein:
beitlihe. An die Stelle des urſprünglichen VBerwaltungsrathes, der
ziemlich unbeſchränkte Vollmacht befefjen hatte, war eine Waijenhaus-
deputation getreten, die unter den fürftlichen Kollegien zu Karlsruhe
ftand, und zwar beforgte die fürftliche Nentlammer das Haushaltungs—
weien, die Negierung die Hauspolizei, der Kirchenrath die geiftlichen
und Schulangelegenheiten; alle drei Behörden aber mußten die wich—
576 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746.
tigften Angelegenheiten wieder vor das Minifterium bringen. Dies hatte
die üble Folge, daß nicht allenthalben nad gleichen Grundſätzen ver:
fahren wurde, und machte diefer Umftand viele Anfragen und weit:
läufige Kommunifationen nothwendig und „dum deliberabamus Rome,
peribat Saguntus“ jagt ber geheime Rath Neinhard in feinem über
alle diefe Verhältniffe fpäter erftatteten Bericht. Die Anftalt gerieth auch
wirklich in einen folhen Verfall, daß eine ganz neue Organifation ber:
felben nöthig wurde. Diefe erfolgte aber erſt unter Markgraf Karl
Friedrich, weshalb ich im folgenden Kapitel darauf zurückkommen werde.
86. Der Privilegienftreit, 1)
Es ift im Vorgehenden ſchon mehrfah auf diefen Streit hinge-
deutet worden, der zuleßt zu einer merkwürdigen Kataftropbe führen
follte. Eine Darftellung desfelben, bei der wir uns indefjen auf das
MWichtigfte beſchränken wollen, ift um fo nothwendiger, als es fich dabei
überhaupt um einen Kampf der neuern Zeit mit der alten handelte
und die hergebrachte Stadtverfafjung Pforzheims durch denfelben mehr:
fache Veränderungen erlitt.
Welche Privilegien Markgraf Ehriftoph der Stadt im Jahr 1491
verliehen, zeigt die ©. 216 mitgetheilte Stadtordnung. Nah $ 1 der:
felben waren die Pforzheimer von Entrichtung aller Bete, Schatzung,
Steuer, kurz, aller direkten Abgaben, ſowie von allen Herrichaftsfrohn:
den befreit. Trotz bdiefer Befreiung von direkten Steuern mußte fidh
die Stadt „zur Erzeigung ihres Gehorfams, auch zur Verminderung
der ſchweren fürftlihen Schulden, (wofür Pforzheim zum Theil mit
verjchrieben war,) fowie endlich zur Beſtreitung der Koften der fürft-
lichen Hofhaltung” mehrfach zu ftändigen Abgaben verftehen, wie oben
bei den Jahren 1554 und 1573 (©. 276), 1582 (S. 355) und
1585 (S. 357, vergl. auch ©. 475) gezeigt worden iſt. Es geſchah
dies zwar nie ohne Verwahrung von Seiten der Stadt und nie ohne
Revers von Seiten des Fürſten; allein die Stadt fam, wie bereits
©. 357 bemerkt wurde, aus der Bezahlung folder Abgaben nicht mehr
heraus und fie wurden zuleßt zur regelmäßigen und ordentlichen Steuer
) Quellen: Alten bes Landesarchivs, Pforzheimer Rathsprotos
tolle, ein Notabilienbuch des flädtifchen Archivs, Entwurf einer Er:
neuerung ber Privilegien im Jahr 1807 x,
*
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 577
oder „Schatzung.“ Wann letzterer Name an die Stelle der „außer:
ordentlichen Hilfe" trat und man, im Widerſpruch mit $ 4 der Stadt:
verfafjung von 1491, diefe eigentlich vorübergehende Abgabe als regel:
mäßige „Schatung” zu erheben begann, das vermag ich nicht zu jagen.
Schon bald nach dem dreifigjährigen Krieg, fo in den 1660er Jahren,
ift in den Rathsprotokollen der Schatung häufig erwähnt, und da in
jenen traurigen Zeiten die Noth Fein Gebot Fannte, und weder bie
Landesſchulden, noch die Koften der fürftlichen Hofhaltung fich minderten,
fo mußten ſich die Pforzheimer nicht nur zur Zahlung der ordentlichen
Schatzung verftehen, fondern fie wurden auch häufig ‚zu aufßerordent-
lihen Schatungen beigezogen. Nach dem orleans'ſchen Krieg hatten die
gleihfam neue Schöpfung des Landes, die Wiederherftellung der öffent:
lichen Gebäude, die der Krieg faſt alle zerftört hatte, die zunehmenden
Koften des deutſchen Gerichtsverfahrens, insbejondere aber aud die
Veränderung in fo manchen Staatseinrichtungen, wie 3. B. im Mili-
tärwejen, eine Vermehrung der Staatslaften zur nothwendigen Folge.
Es fonnte alfo aud von dem Nachlaß der Schakung in Pforzheim
und andern gefreiten Städten um fo weniger die Nede fein, als die
Bürger durdy das ftändige Militär, weldes zu halten der Mark:
graf von Baden mie alle andern deutfchen Fürſten durch die veränder:
ten Zeitverhältniffe mit gebieteriicher Nothwendigfeit gezwungen war,
aud) wieder von mancher Laft befreit wurden, indem die Kriegspflicht
fie viel weniger in Anipruh nahm Mären indeffen die namentlid)
zur Beftreitung der Koften für das Militär, für Gefandtfchaften, für
Reichs- und Kreisbeiträge ꝛc. erforderlichen Abgaben unter einem andern
Namen, etwa, wie e8 ſpäter geſchah, als Reichs- und Kreisftener
und nicht als Schatung erhoben worden, und wären überhaupt auch
manche berausfordernden Handlungen und nicht zu billigenden Verſuche,
mande Privilegien der Etadt zu beftreiten und zu befchneiden, von
Seiten der fürftlihen Beamten unterblieben, jo würde der bittere Pri—
vilegienftreit wohl nie entbrannt fein. Es wurde eben von allen Seiten
gefehlt, und die Folgen blieben nicht aus.
Der Betrag der Schatung war nicht immer der gleiche. Im
erſten Zehntel des 18. Jahrhunderts wurden monatlih 10 Kreuzer,
alfo jährlih 2 Gulden von 100 Gulden des Steuerkapitals erhoben,
während früher nur 20 Baten bezahlt worden waren. Aber auch diefer
Betrag reichte zur Betreitung der Bebürfniffe nicht aus. Statt jähr-
Pflüger, Prorsbeim, 37
578 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 16971746,
licher 12 Monatgelder wurden 3. B. 1713 deren 18, ja in manden
Jahren 24, alfo gerade das Doppelte verlangt. Das rief in Pforzheim,
wo um 1714 die Zahl der unruhigen Elemente durch neue Einwande—
rungen, namentlich aus Württemberg, fehr vermehrt worden war, große
Unzufriedenheit hervor, und zwar um fo mehr, als von Seiten der
Regierung jeden Augenblick Verſuche gemacht wurden, die Stadt aud
zu Frohnden beizuziehen. Daraus entjtand zugleih Mißtrauen gegen
die Abſichten derjelben. Es kamen auch noch Beſchwerden anderer
Art dazu, die ebenfalls die Verletzung verſchiedener Rechte der Stadt
betrafen, indeſſen nicht immer gegründet waren. Eine ſolche Beſchwerde—
ſchrift reichte die Stadt u. U. 1716 ein, die verſchiedene Punkte ent:
hielt, welche die Schatung, den Pfundzoll, die Maaßkreuzer (zu welchem
der frühere Maafpfennig angewachfen mar), das Fleiſchumgeld, den
Salzhandel, den Umgeldeinzug ꝛc. betrafen, und jest ſchon und fpäter
mit viel fchärferer Betonung wurde ein Zurückgehen auf die Beftim-
mungen des Privilegienbriefes von 1491, den der Markgraf bei feinem
Regierungsantritt 1709 ja jelber feterlichft beftätigt habe, verlangt. Es
wurde bei ſolchen Klagen nun freilich vielfach überfehen, daß manche Para-
graphen jenes Privilegienbriefs feither auf dem Weg gegenfeitiger Ueber:
einfunft abgeändert worden waren, Go war 3. B. das Tleifehumgeld
wegen des gefunfenen Geldwerths 1672 mit Zuftimmung der Mebger-
zunft erhöht worden, 1675 auch der Pfundzoll laut Vertrags zwiſchen
der Stadt und der Herrſchaft (S. 472), und zwar von 1 Pfennig auf
2 Kreuzer vom Gulden, wovon der Stadt ber vierte Theil zufloß; fo
batte die Herrfchaft den Salzhandel, der laut $ 22 des Privilegien
brief8 von 1491 ihr und der Stadt gemeinſchaftlich zuftand, ſchon längſt
allein übernommen und zahlte letzterer dafür eine jährliche Entſchädi⸗—
gungsfumme von 103 fl. u. f. w. — Wo die Beichwerden der Stadt
gerechtfertigt erfchtenen, war die Negierung, e8 darf das nicht unbe—
merft bleiben, ſtets bemüht, denfelben abzuhelfen. Bezüglich der Schatung
und fonftiger Landesunfoften jedoch war fie durchaus anderer Anficht,
als die Stadt, und es wurde letzterer 1717 mit dürren Worten erklärt,
dag man die Stadt Pforzheim von der „Konkurrenz in der Schagung
und andern Landesunköften zum Schaden und Nachtheil unferer übrigen
getreuen Unterthanen Feineswegs erimiren könne, fondern befehle, daß
man die Bürgerfchaft künftig mit allem Ernft zum genauen Beitrag an
Schatzung und Landesunköſten anhalten folle, wovon fit nun faft von
Siebzcehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 579
200 Sahren her niemals befreit, fondern gleidy den übrigen Untertha-
nen im Land gehalten geweien und ihren Antheil daran ohne Wider:
rede entrichtet habe.” (1!) Doch gab der Markgraf in einem fpätern
Schreiben (1. Auguft 1717) die Verfiherung, daß er nicht im Sinne
babe, die Privilegien der Stadt zu ſchmälern; er wolle vielmehr noch
Mehreres verbeſſern.
Bezüglich eben diefer Schatung entjtanden zwifchen dem Magiftrat
und der Bürgerfchaft bald Meinungsverſchiedenheiten. Jener zeigte fid)
nicht abgeneigt, fi, in das Unvermeidliche zu fügen und zur Erhebung
von 12 jährlihen Monatsgeldern als einer freiwilligen Beifteuer zu
dem Staatsaufwand feine Zuftimmung zu geben. Damit war aber die
Bürgerfchaft nicht einverftanden, fondern wollte von der Bezahlung einer
Schatzung überhaupt ganz und gar nichts wiffen. Die Stimmung
wurde eine immer gereiztere, und richtete fi) zuletzt die Erbitterung
ber Bürgerfchaft nicht gegen die Negierung allein, fondern aud gegen
den Magiftrat, Bereits 1720 kam es zu heftigen Auftritten auf dem
Nathhaufe, Has die Dürgerfchaft mit gemwaffneter Hand befett hatte,
und mußte der geb. Rath Scheid als Dberbeamter erft die Aufruhr:
afte verlefen, ehe die Bürger fi) bewogen fanden, wieder abzuziehen.
Schon damals trug das Dberamt auf militäriiche Erefution an, worauf
jedod die Negierung nicht einging. Je entgegenfommender aber die
Negierung — mit Ausnahme der Schatung — ſich zeigte, fo um
jene Zeit namentlidy auch in Betreff des Tabak-, Eifen- und Salz:
monopols, deſto troßiger beharrte die Bürgerfchaft auf ihrem Ber:
langen und war fejt entjchlofjen, nicht nachzugeben.
Mit dem Fahr 1723 nahm die Verwidlung einen immer bedroh-
lihern Charakter an. Als am 12. Januar die jungen Bürger aufs
Rathhaus geladen wurden, um dem Herkommen gemäß dem Fürften
den Eid der Treue zu leiften, erklärten fie, daß fie das nicht eher thun
würden, als bis die Privilegien der Stadt vollftändig wieder hergeftellt
feien. Diefer Schritt gefhah im Einverftändniß mit der Bürgerfchaft,
welche dadurdy eine raſchere Erledigung des Privilegienftreites herbei—
führen wollte. Vergebens waren alle Erläuterungen und Belehrungen
der fürftlichen Beamten in Pforzheim, daß ja mande Beftimmungen
der Privilegien auf die dermaligen Verhältniſſe nicht mehr paßten,
andere durch Verträge abgeändert worden feien, die nicht einfeitig wieder
aufgehoben werden könnten. Ebenſo vergebens erwieſen A die Ber
580 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
mühungen des Stadtraths, welcher die Bürger flehentlich bat, die Stadt
doch nicht ins Unglüf zu bringen. Auf die Drohung einer nad Pforz-
beim geeilten fürftlihen Kommijfion, daß alle jungen Bürger, welche
nicht ſchwören würden, aus der Stadt gewiefen werden follten, erfolgte
die Antwort: „die alten Bürger würden mit den jungen gehen.” Ja,
als der Markgraf felber, um die Bürger zu anderer Gefinnung zu
bringen, der Stadt bezüglich des Antheild am gewiſſen Strafen Zuge:
ftändniffe machte und die Zuficherung gab, er werde, wenn die jungen
Bürger nur erft geſchworen haben würden, ihren Beſchwerden jegliche
Berücdfihtigung angedeihen Yafien, gab die Bürgerfchaft den troßigen
Beſcheid: „Alle ihre Befchwerden würden von felbft wegfallen, wenn
man fie nad) dem urfprünglichen Wortlaut ihrer Privilegien traktire.“
— Da die Regierung in Ergreifung "fonftiger geeigneter Maafregeln
zögerte, fo ging die Bürgerfchaft nody einen Schritt weiter, und erflärte
im April 1723: „daß fie jegt, weil fo lange Fein Entſcheid von fürſt—
licher Herrihaft erfolge, die Privilegien felber interpretiren und vom
nächſten St. Georgstag (23. April) an nichts weiter, als was fie ver:
möge ihrer Freiheiten der Herrſchaft zu geben ſchuldig feien, entrichten
wollten.” 1)
Noch ein Mal verfuchte die Negierung, den Weg friedlicher Ver—
ftändigung zu betreten und erflärte fih, wenn es die Pforzheimer
Bürgerfhaft zu ihrem eigenen Nachtheil durchaus nicht anders haben
wolle, dazu bereit, bezüglich des Salzhandels , des Metelumgeldes und
des Pfundzolls auf die Beftimmungen des Privilegienbriefs von 1491
zurückzugehen, ebenfo der Stadt den vierten Theil des Maaßkreuzers
zu überlafien. Auch der Stadtrath gab fih alle Mühe, die Bürger:
Schaft zu befchmwichtigen und die jungen Bürger zur Abſchwörung des
verlangten Eides zu bewegen. Er Iegte u. U. auf dem Rathhaus eine
Lifte auf, in welche fich diejenigen einzeichnen follten, die feinen Antheil
am Ungehorfam der Bürgerfchaft nehmen wollten. Diefelbe fand jedoch
nur 34 Unterfchriften. 2) Als alle folche Bemühungen, die Bürgerfchaft
1) Als die Haupträbelsführer der Fürgerfchaft find im den betreffenden
Akten genannt: Wagner Chriftoph Schnell, Michel Bruder, Krämer Johann
Ramfer, Sattler Michel Mitſchdörfer, Joh. Ib. Ungerer, Dreifönigwirth Phis
fipp Ungerer, Michel Faut, Hs. Jerg Bauer, Barbier Lacofte und Mathäus
Seybolbt.
2), Es unterzeichneten beifpielmeife Burfhard Beckh, Dietrih Meerwein,
Hs. Mart. Ringer, He. Mi. Holzhauer, Joh. Chrift. Deimling, Joh. 36.
Deimling.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 581
zur Vernunft zu bringen, fich vergeblich erwiefen, jo wuſchen Gericht
und Rath der Stadt in feierlicher Sitzung ihre Hände in Unſchuld
und lehnten jeglihe Derantwortlichfeit für die Folgen, welche folder
Ungehorfam nad fi) ziehen würden, von fi ab. 1) Der Regierung
aber, die fi) zu weiterer Nachgiebigkeit nicht entjchließen konnte und
ber überdies zu Ohren gefommen war, daß „die Pforzheimer fich
wiederholt zufammengerottet und geſchworen hätten, fich eher zu Ajche
verbrennen zu laſſen, als zu ruhen“, blieb fein anderes Mittel mehr
übrig, als die militärifhe Erefution.
Am 30. Juni 1723 morgens 2 Uhr rüdte unter dem Kommando
bes Oberften und Obervogts in Durlach Vaſoldt die markgräfliche
Grenadierfompagnie fammt dem badifchen Reiterfontingent ins Schloß
zu Pforzheim ein, zog um 51/, Uhr mit klingendem Spiel den Schloß—
berg hinab vor das Rathhaus, und wurden alsbald die Thore der Stadt
unter Entfernung der Bürgerwachen militärifch beſetzt. In Begleitung
der Truppen fam eine fürftlihe Kommiffion, beftehend aus dem
Geheimrathspräfidenten von Uexküll, dem geh. Rath Stadelmann und
bem Hofrath Keſſel. Nach der ihr ertheilten Inftruftion follte fie aufs
Strengfte verfahren, zur Erefution nöthigenfalls aud noch die 300
Mann, um welde der Markgraf von Baden den Herzog von Württem:
berg ſchon im Voraus angegangen hatte, requiriren, die Widerjeglichen
gefänglich einziehen, ja im äußerjten Fall auch ihres Lebens nicht jcho:
nen. Am 41. Juli wurden die Mitglieder des Gerichts und Raths
fammt den Vorftänden der 26 Zünfte aufs Rathhaus beſchieden, wo
auch die eidverweigernden jungen Bürger erſchienen. Nach einigem Hin:
und Herreden erklärten fich Iettere bereit, den Huldigungseid ohne
Vorbehalt zu ſchwören. Die Zünfte aber wollten ſich auf nichts Weite:
res, als die einfache Wiederherftellung der Privilegien von 1491 ein-
lafjen. 2) Auch am folgenden Tag, an weldhem die Mitglieder der
) Mitglieder des Raths und Gerichts waren damals: Bürgermeifter
Schober, Altbürgermeifter Joh. Chr. Deimling, ©. W. Schmid, Baumeifter
Höning, Hs. Grg. Siegle, Hs. Gra. Meerwein, Lorenz Katz, Flach, Job.
Günther, Abrah. Trautwein, I. G. Stieß, D. W. Dertle, 3b. Holzhauer,
58. Ph. Erad, 36. Meier, Ib. Gerwig, Dan, Geibel, Burfard Simmerer,
Konrad Kap, E. M, Kummer,
2) Sie beriefen fih dabei u. U. auf eine Aeußerung bes verjtorbenen
Bürgermeifters Wohnlich, die derfelbe auf dem Todbett gethan: „Die Pforz:
heimer follten ihre Privilegien wieder berzuftellen juchen, und wenn fie den
Löffel in ber Schublade nicht behalten würden, *
582 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
fräbtifchen Behörde fammt den Zunftmeiftern wiederholt vor der fürftlichen
Kommiffion erfchienen, um mit derjelben gemeinfhaftlih die Privilegien
Punkt für Punft durchzugehen und in gegenfeitigem Einverftänduiß feft-
zufegen, wie es damit in Zufunft gehalten werben folle, fam man über den
erften Paragraphen, der von der Schatzung handelte, wegen der obmwalten-
den Meinungsverichiedenheiten nicht hinaus, und ſtießen auch die der
Bürgerfhaft auferlegten Kommiſſions- und Crefutionsfoften auf großen
Widerſtand. Die Vermittlungsvorihläge, welche am folgenden Tage
ber Bürgermeifter Schober im Namen der ftädtifchen Behörde machte,
und worin u. A. die Bitte ausgeiprochen wurde, die Regierung möchte
der Stadt erlauben, einen Advokaten anzunehmen, wurden von der
fürftlihen Kommiffion, die Überhaupt jetzt fehr entichieden auftrat, zu:
rücgewiefen. Der Markgraf billigte das Verfahren derfelben, zeigte fich
aber bereit, der Bürgerfchaft zur Berichtigung ihrer Nüdftände an
Schatzung zc. angemeffene Termine zu bewilligen und ordnete an, daß
die Erefutionsmannichaft auf 40 Mann unter dem Befehl eines Lieute-
nants vermindert werden ſolle. Weil der Markgraf indeß zur Ueber:
zeugung gefommen war, daß bezüglich der fo nothwendigen Reviſion
des Pforzheimer Privilegienbriefs eine freie Vereinbarung zwifchen der
Herrſchaft und der Bürgerfchaft Pforzheims, wie ſolche $ 30 der be
treffenden Urkunde felber vorfchrieb, unter obmwaltenden Verhältniffen
nicht zu Stande fommen würde, indem alle bereitS gemachten Verſuche
nicht zum Ziel geführt hatten: fo glaubte der Markgraf zu dem Mittel
der Oktroyirung greifen zu müſſen, jedoch nicht, ohne bei den beiden
Univerfitäten Halle und Gießen juriftifhe Gutachten über feinen Streit
mit den Pforzheimern einzuholen. Weil diefe indeß nicht fo fchnell
erwartet werben konnten, die Verwirrung in Pforzheim jedoch einen
Grad erreicht hatte, der fehnelle Abhilfe nothwendig machte, fo erhielt
die neue Ordnung der Dinge, die der Markgraf unterm 12. Juli 1723
aus eigener Machtvollfommenheit in Pforzheim einftweilen einführte,
den Namen eines Interimsbefehls. Da derjelbe in Verbindung,
mit einigen Erläuterungen und Zuſätzen vom 31. Oktober 1723 und
dem Deflarationserlaß oder Finalbefeh!l vom 29. Auguft 1724
fpäter definitive Giltigfeit erlangte und big auf die neuere Zeit in
Kraft blieb, fo iſt es nöthig, auf feinen Inhalt näher einzugehen.
Bezüglich der Schatzung wurde feftgefeßt, daß die Bürger von
Pforzheim zwar mit dem Schabungsanfak, wie folder auf das ganze
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746. 583
Land repartirt werde, verfchont bleiben, dagegen aber ad prestationes
publicas, wozu fie durdy die Privilegien verbunden feien und denen
fie fich durch Fein Recht entziehen könnten, — wie e8 die Noth erforbdere
und was pro rata der Stadt zufäme, beigezogen werden follten, 1) Der
berrichaftliche Eiſen- und Tabakhandel in Pforzheim follte mit dem 23,
Suli 1723 aufhören. Bezüglich des Hausumgeldes von Frucht wurden
weitere Beftimmungen vorbehalten. Von allen Strafen, weldhe das Ober:
amt gegen Bürger und Cinwohner der Stadt erfenne, ſolle letzterer
der vierte Theil zufallen, ebenfo vom Maafkreuzer, von allem Umgeld,
alfo auch vom Mebgerumgeld, (das nad) dem veränderten Geldwerth
folgendermaßen feitgefeßt wurde: von einem Centner Ochfen:, Stier:
oder anderm Fleiſch, da das Stüd 4 Centn. und darüber wiegt, 12 kr.,
vom übrigen Rindvieh von jedem Gentner 8 kr., von einem Milchkalb
10 kr., Hammel, Schaf, Bod oder Geh 3 kr., Lamm oder Kütlein
2 fr, von einem zweijährigen Schwein 16 fr., von einem Läufer 6 fr.;)
die Mebger mußten aber das volle Gewicht geben, (vergl. ©. 492.)
Entſprechende Erhöhung des Metelumgelds wurde vorbehalten, Fremdes
Fleiſch jolle in der Stadt nicht verkauft, ſondern alsbald Fonfiszirt wer:
den. Dem Oberbeamten wurde zur Pflicht gemacht, die Mebger nicht
zu fehr mit Poftritten (S. 487) zu befhweren. Für das Hausmebeln
follten diefelben Anſätze, wie bei den Mebgern gelten; doc) dürfe jeder
Bürger zwei Schweine frei fchlachten. Mit dem Salzftadel folle es
fo gehalten werden, daß der Stadt wieder, wie früher, der vierte Theil
des Gewinnes zufließe. Das Haufiren mit Waaren, die in der Stadt
zu haben, folle verboten fein, Kein Krämer folle zweierlei Waaren
(d. 5. neben Spezerei etwa aud Tuch und dergl.) führen. Den Juden
jolle aller Verkauf in der Stadt unterfagt fein. Die Oberbeamten
follten die Handwerker und Krämer bei ihren Zunftartikeln möglichft
ſchützen. Der Pfundzoll von Waaren, Liegenſchaften ꝛc. folle auf 1 kr.
vom Gulden ermäßigt fein, und der Stadt davon der vierte Theil zu:
fallen. Die Beiträge zu den Landskoften follen nad) den üblichen Taren
erhoben werden. Umgeldunterfchleife follen ftreng beftraft werden. In
den der Stadt zunächit gelegenen Orten jollen nur Schmiede, Wagner,
Zeineweber und privilegirte Wollenweber, aber feine andern Handwerker
1) Für die Zeit dom Juli 1723 bis dahin 1724 wurde einftweilen be:
fimmt, daß die Pforzheimer 12 Monatgelder zu 10 Er. vom 100 fl. Steuer:
kapital zu bezahlen hätten,
584 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 -1746.
ſich niederlaſſen dürfen, um die Nahrung der Stadt Pforzheim zu
befördern; bloß in Orten mit Badrecht ſolle die Seßhaftmachung auch
Metzgern und Bäckern geſtattet ſein. Ueber die Thorwarte ſolle eine
ſtrengere Aufſicht, als bisher geführt und jeden Abend vom Ober:
beamten die Thorichlüffel wieder zur Hand genommen werden. Die in
Pforzheim wohnenden fremden ꝛc. folle man zur Bezahlung der Bet,
die Stadt jelber, da fie von Strafen, Umgeld und Pfundzoll einen
fo erheblichen Antheil beziehe, zur Anftandbaltung der Manern, Gräben
Zwinger zc. ftreng anhalten. Am Schluß des Finalbefehls ift bemerkt,
daß die der Stadt verliehenen Begünftigungen nur fo lang in Kraft
bleiben follten, als fi die Bürger als treue und gehorſame Untertha-
nen bezeigen und nicht wieder neue Unruben anfangen würden.
Durch diefen Interims- und den Finalbefehl hatte der Markgraf
verfchiedenen Wünschen und Beſchwerden der Pforzheimer Rechnung
getragen, und es leuchtete daraus auch feine Abficht hervor, die Pri-
vilegien der Stadt nicht weiter umzugeftalten, als es die dringende
Nothwendigkeit gebot. Dabei hatte num freilich der Markgraf auf bie
Erhebung einer directen Steuer, welche die Stelle von Kriegs-, Reichs-,
Kreis: und andern Anlagen vertreten und ſolche gleichfam zufammen:
fafien follte, ſelbſtverſtändlich nicht verzichtet; indeffen war body ber
anſtößige Name der Schatzung vermieden worden.
Der Eindrud, den der Anterimsbefehl auf die Bürgerſchaft machte,
war keineswegs ein günftiger. Der Anfab von 10 Kreuzen Monats-
geld erſchien Manchen zu hoch; die Mebger wollten fi) das ſchwerere
Gewicht nicht gefallen laſſen; Alle aber wollten von Bezahlung ber
rüdjtändigen Schabungsgelder fowohl, als der Kommiffions: und Exe—
kutionskoſten nichts wiſſen, und drangen, das alte Lied, auf Wieder:
berftellung der Privilegien nad) ihrem urfprünglichen Wortlaut. Bon
einer Sinnesänderung war alfo wenig oder nichts zu verfpüren. Unter
folhen Umftänden beichloß der Markgraf wieder jchärfere Maafregeln
zu ergreifen. In den erften Tagen des Augufts vücte die bisher in
Kehl gelegene Kreisfompagnie unter Oberft Vafoldt in Pforzheim ein,
und wurde befehlen, den widerjpänftigen Bürgern bis zur Bezahlung
ihrer Nüdftände Soldaten ing Haus zu legen und, wenn diefes Mittel
nicht helfe, ihre Mobilien verfteigern zu laſſen.
Mittlerweile war aber die Bürgerſchaft zu dem Entſchluſſe gekom—
men, auf eigene Fauſt hin, d. h. ohne Vorwiſſen der ftädtiichen Behör—
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746, 585
ben, gegen den Markgrafen wegen feines gemwaltthätigen Vorgehens
Klage beim Reihsfammergeriht in Weslar zu erheben, und
wurden zur perfönlicen Betreibung diefer Sache -drei Pforzheimer
Bürger, nämlich der Ochfenwirth Jakob Würth, der Weißgerber Andreas
Bauer und der Rothgerber Hans Gall Eberle dahin abgeſchickt. Zur
Beftreitung der Koften leiſtete jede Zunft aus ihrer Lade einen Beitrag;
außerdem wurde eine Kollekte erhoben, und endlich verpflichtete fich jeder
Bürger, der mit der Klage in Wetzlar einverftanden war, zur wöchent—
lichen Bezahlung eines Batzens.
Zum Behuf einer verfchärften Erefution Tieß indefjen die Regie—
rung auch den bisher in Karlsruhe gelegenen Reſt der Grenadierfom:
pagnie, und Ende Auguft noch eine weitere Kompagnie, nämlich die
v. Wöllwarth'ſche, fammt einer Abtheilung Landmiliz in Pforzheim
einrüden. Sämmtlihe Mannſchaft wurde in der Stadt einquartiert,
und zwar zunächft wieder bei den widerfpänftigen Bürgern, mit befonde-
rer Berücdfihtigung ihrer Rädelsführer. Die Regierung ſchritt aud)
noch zu Maßregeln anderer Art. Sämmtlichen Mebgern, mit Aus:
nahme des der Regierung willfährigen Abraham Trautwein, wurde das
Handwerk niedergelegt, der Rathsverwandte Geibel, weil er zu den
Prozeßkoſten 14 Batzen beigetragen, feines Amtes entlafjen, der Satt—
fer Mitſchdörfer feiner Stelle als Kornmeſſer entfeßt, und der Amts:
tellerei und geiftlichen Verwaltung befehlen, zu den bevorftehenden Herbft-
beihäftigungen nur gehorfame Bürger zu verwenden. Als am 3. Sep:
tember der Herzog von Württemberg durch Pforzheim kam, wurde den
Bürgern, die bei ſolchen Gelegenheiten jonft immer unter das Gewehr
getreten waren und Parade gemacht hatten, dies unterfagt, weil fie fol-
her Ehre nicht werth feien. Und endli wurde mit ber längſt ge:
drohten Pfändung bei fieben Bürgern der Anfang gemacht, und die
weggenommenen Gegenftände auf das Rathhaus gebracht, um dafelbft
verfteigert zu werden.
Alle diefe Maßregeln erbitterten die Gemüther noch mehr und
erwiefen fich als ziemlich erfolglos. Zur Berfteigerung der gepfänbeten
Möbeln zeigte fich Fein Liebhaber, obgleich man durch Ausjchreiben
nach verfchiedenen Drten die Juden fürmlih hatte nöthigen wollen,
nah Pforzheim zu kommen. Dem Metzger Trautwein blieb fein Fleiſch
größtentheils Liegen, weil die meiften Bürger nunmehr ins Haus meßel:
ten. Dagegen wurde den der Negierung gehorfamen Bürgern jeder Tud
586 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
angethanz; Feiner der widerfeglichen Bürger — und diefe bildeten weit-
aus die größte Mehrzahl — Tieß bei einem derfelben arbeiten oder
kaufte ihm etwas ab; es entftand überhaupt eine folhe grimmige Feind-
[haft zweifchen den beiden Parteien, daß fogar die zarteften Bande,
welche junge Leute mit einander gefnüpft hatten, wieder zerriffen werden
mußten. Dem Obervogt dv. Glaubitz, (Scheid war am 6. Auguft
geftorben), und dem Spezial Bergmann wurden Pasquille ins Haus
gelegt, und der Bürgermeifter Schober mußte tagtäglid) die beftigften
Drohungen und gröbjten Schmäbworte vernehmen, und wurden er, feine
Kinder und Kindeskinder für verflucht und verdammt erflärt. Mit Eifer
fuchte man aud das Gerücht zu verbreiten, daß diejenigen, welche fich
dem Interim unterwürfen, wieder leibeigen werden müßten, und es
gab Teichtgläubige Gemüther genug, welche ein jolches Gerede als baare
Münze nahmen. Es werden alle diefe Einzelheiten genügen, um zu
zeigen, daß die damaligen Verhältnifie in Pforzheim das Bild der
größten Zerriſſenheit boten,
Bon der Univerfität Gießen war indeflen das verlangte Gutachten
eingelaufen. Die Regierung hatte diejer Hochichule, fowie der Juriſten—
fakultät in Halle, in Betreff des Privilegienftreits folgende fünf Fragen
vorgelegt: 1. Ob die Beftätigung der Privilegien durch den Markgrafen
im Jahr 1709 fo verftanden werden müſſe, da er fie nach dem Buch:
ftaben, ohne Berüdiichtigung dejjen, was feither vertragsmäßig geändert
worden jei, wieder herjtellen müſſe? Diefe Frage wurde verneint.
— 2, Db die badische Negierung nicht berechtigt ſei, fih nach dem
feit 1491 veränderten Geldwerth ftatt eines Pfennigs deren je nad
Umftänden 2, 3 oder 4 bezahlen zu laſſen? — Wurde bejaht. —
3. Ob die Bürgerfchaft von Pforzheim nicht verbunden fei, die durch
fie jelbft verurfachten Erefutionskoften zu bezahlen? — Wurde bejaht.
4. Ob fih die Bürger zu Pforzheim durch ihre Widerjeglichkeit ihre
Privilegien nicht geradezu verwirft hätten? — Wurde bejaht. —
5. Ob nicht die Stadt Pforzheim zu den Staatslaften, wie Apanagen,
Ausfteuern, fürftlichen Neifegeldern, Salarirung der fürftlichen Kanzlei,
zur Abtilgung der Schulden und Bezahlung von Zinfen, zu Geſandt—
{haften und dergleichen allgemeinen Nothwendigfeiten des gefammten
Landes durch Bezahlung einer direften Stener beizutragen habe? —
Wurde bejaht. — Der Gießener Beſcheid war alfo für die Pforz—
beimer fehr ungünftig ausgefallen,
Sichzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697-1746. 587
Derfelbe wurde am 4. September 1723 vor verfammeltem Gericht
und Math und den Zunftmeiftern und in Gegenwart des Obervogts
verlefen, 1) jedoch auffallender Weife die verlangte Abfchrift verweigert.
Das erzeugte Mißtrauen. Die Einen fagten, das Gutachten fei gar
nicht in Gießen, fondern vom Oberamt felber verfaßt worden. Andere
behaupteten, man hätte beim Berlefen die Stellen, die für Pforzheim
günftig Yauteten, weggelaffen zc. So blieb das Gießener Gutachten
wirkungslos, und im gleichen Grade audy das von Halle, das bald
nachher ebenfalls einlief, und das mit dem von Gieken, mit Ausnahme
der vierten Frage, welche verneint wurde, übereinftimmte,
Meil es unmöglich fhien, die manchen Bürgern gepfändeten Ge:
genftände in Pforzheim felber zu verwerthen, jo Fam der Befehl, fie
unter militärischer Bedeckung nad) Durlady zu verbringen. Dies ge
ſchah auf 3 und fpäter nad) einander auf 6 weitern Wagen. Der
Verkauf ging indeffen fehr langſam von Statten und fam man damit
erft im Februar 1724 zu Ende. Es wurden im Ganzen 1373 fl.
daraus erlöst, die aber nicht einmal zur Bezahlung der Unkoften hin—
reichten, weldhe in Durlad allein 627 fl. betrugen. — Das Militär
war unterdefien von Pforzheim wieder mweggezogen worden.
Dem Urtheil des Neichsfammergerichts, bei welchem die zur Ver:
nehmlaſſung aufgeforderte badifche Regierung im Oktober 1723 ihre
Erklärung eingereicht hatte, fab man in Pforzheim mit gefpannter
Erwartung entgegen, da die Bürger alle ihre Hoffnung darauf gefett
hatten. Diefes Urtheil erfolgte unterm 12. Januar 1724. Die Pforz:
heimer wurden mit ihrer Klage abgewiefen, ihnen jedoch freigeftellt,
ihre Angelegenheit vor ein Schiedsgericht zu bringen. Den Wunſch
nad) Niederfetung eines folchen fprachen die Bürger der Regierung
gegenüber aus, die fich auch nicht abgeneigt zeigte, darauf einzugehen,
proteftirten jedoch wiederholt gegen die Beſtimmungen des Interims—
befehls von 1723 und der Deflarationsverordnung von 1724, über:
haupt gegen alles Vorgehen der Regierung, namentlich gegen die Ver:
1) Der Krämer Ramſer wollte auf die Schlußbemerfungen des Obervogts
etwas erwidern. Diefer bedeutete ihm jedoch, zu ſchweigen, weil er fchon
Ihwarz genug ſei. „Das müſſe“, erwiderte Ramfer, „wohl daher fommen,
weil er jo nahe bei einem Schmied wohne”. Die Folge dieſes unzeitigen
Echerzes war, daß er auf 10 Tage bei Maffer und Brod in den Thurm Fam,
Auch andere Bürger traf die Strafe der Einthürmung,.
588 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697— 1746.
fügung, daß für 1724 12 Monatsgelder ordentliche und 6 Monate:
gelder außerordentlihe Schagung bezahlt werden follten, erklärten, daß
fie nur 6 Kreuzer (jtatt der verlangten 10) vom 100 Gulden ent:
richten würden und daß der Betrag für 1724 durch Verkauf ihrer
Effekten nad ihrem Dafürhalten bereits gededt fei. Ferner gaben
fie zu verftehen, daß fie am Pfundzol nur den im Privilegienbrief
feftgefeßten Pfennig vom Gulden bezahlen würden und verlangten
ſchließlich — zum wievielten Male? — einfahe Wiederherftellung ihrer
alten Freiheiten.
So fpann fich der leidige Streit immer noch fort, ohne feine end:
giltige Erledigung finden zu können. Ja er entbrannte wieder heftiger,
als das folgende Jahr (1725) eine neue Auflage der Eidesverweige—
rung junger Bürger bradte und das alte Epiel ſich zu wiederholen
drohte. Die Regierung ſchritt wieder mit ftrengen Maßregeln, als
Gelditrafen, Erekution, Handwerksniederlegung, Ausweifung ꝛc. ein und
ließ drei Saupträdelsführer, Sattler Mitihdörfer, Bäder Scheerer und
Hafner Holzhauer einthürmen. Dies rief unter der Bürgerfchaft großen
Tumult hervor, und verfegte namentlich auch die Weiber in Alarm,
die — bezeichnend für die Stimmung, die damals ſchon unter dem
ſchönen Geſchlecht herrſchte — die Aeußerung thaten, es fei eine Schande,
daß fi) die Männer fo etwas gefallen ließen. Zur kräftigen Fortfüh—
rung ihres Prozeſſes aber traten die Bürger zufammen und erwählten
einen Neunerausihuß. Drei Mitglieder desjelben, die ſchon in Weglar
gewefen waren, nämlih Ochſenwirth Würth, Weißgerber Bauer und
Rothgerber Eberle, machten fih, von ihren Auftraggebern mit den nö:
tbigen Geldmitteln verfehen, am 14. November 1725 auf, um beim
Reichshofrath in Wien Klage zu erheben und fid dort das Recht
zu Holen, das ihnen vom Reichskammergericht nah ihrem Dafürhalten
verweigert worden war,
Während ihrer Abweſenheit wurde in Pforzheim zwar mit Ere-
quiren fortgefahren; allein das Dberamt Fagte einmal über das andere,
daß bei den meiften Widerfpänftigen nichts zu holen wäre, da man
ihnen Handwerkszeug und Betten nicht nehmen dürfe, Häufer und Güter
aber verpfändet feien, und auch das Einfperren nichts helfen wolle,
Viele Bürger hatten übrigens, wie ſich nachträglich herausftellte, ihre
bewegliche Habe insg Württembergiſche geflüchtet und waren zum Theil
jelbft dahin gegangen. Am 22. Januar 1726 wurden wieder 20 Mann
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697 —1746. 589
Militär nad Pforzheim beordert, und am 4. Februar erſchien ein
fürftlicher Erlaß, der die äußerſte Strenge anbefahl, Allen, die ab—
weſend feien und ihre Mobilien mitgenommen hätten, wurde eine Frift
von 8 Tagen zur Nüdfehr geftellt; kämen fie nicht, fo folle ihnen das
Bürgerrecht aufgefündet, ihre Weiber und Kinder zur Stadt hinaus
geichafft, au im Lande nicht mehr geduldet, ihre Güter verjteigert,
und wenn dies nicht möglich, eingezogen werden. Den Zurückkehrenden
folle ihre Habe fogleich verfteigert, diejenigen aber, die nichts befäßen,
gefänglich eingezogen und bei Widerfeglichkeit nöthigenfalls in Eifen
und Banden nad) Karlsruhe abgeliefert werden, um fie dort ihre Schule
digfeit abverdienen zu laſſen. Die jungen Bürger, die nicht ſchwören
wollten, follten mit ihren Familien der Stadt und des Landes ver:
wiefen werden. Bezüglich des immer noch umlaufenden und geglaubten
Gerüchtes, daß der Markgraf die Pforzheimer wieder leibeigen machen
wolle, folle das Dberamt den Zunftmeiftern vernünftige Vorftellung
thun, — im Allgemeinen aber jegt und immerdar die Bürger nad
dem Interimsbefehl vom 12. Juli 1723 und der Deklarationsverords
nung vom 29. Auguft 1724 traftiren.
Es trat jedoch nad; wenigen Tagen ſchon eine unerwartete Ka:
taftrophe ein, welche Mafregeln anderer Art nothwendig machte. Am
1. Februar erfolgte die Entſcheidung des Reihshofraths in Wien. Sie
fiel fo aus, wie im Voraus hatte erwartet werden Fönnen, „Nachdem
diefe Sache”, fo Tautete diefelbe, „bereits an das Faiferlihe Kammer:
gericht gediehen, und dafelbft forum praeventum (zuftändige Behörde)
ift, alfo hat das Begehren hiefigen Orts nicht Statt." Diefer Ent:
fheid langte am 18. Februar in Pforzheim an und ſchon am folgenden
Tag ließ geh. Rath und Obervogt Zur Gloden die Bürgerſchaft durch
die Bürgerglode auf das Rathhaus zufammenberufen, um fie im Hin:
blick auf die Vergeblichkeit aller ihrer Schritte, die fie bis jetzt und
zuleßt in Wien gethan, wiederholt zum Gehorfam zu ermahnen. Vor:
ber fuchte er fich noch der Mitglieder des Raths und Gerichts zu ver—
fihern, die fich in der Ratheftube verfammelt hatten. Diefe erflärten
einftimmig, daß fie fi zur Bezahlung von 12 Monatsgeldern zu
10 Kreuzer vom 100 fl. gerne und in der Hoffnung verftünden, daß
man nach dem jetigen Güterwerth die 10 kr. auf 8 ermäßigen werde,
Hierauf verließ der Obervogt in Begleitung des Amtmanns Nut:
bardt und der Raths- und Gerichtsherren die Rathsſtube und trat auf
590 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
den Abſatz der Stiege, die in den Rathsſaal hinunter führte, wo bie
Bürger verfammelt waren. In Yängerer Rede machte er diefelben auf
die Folgen ihres Ungehorfams aufmerffam, verlas auch den Interims—
befehl vom 12. Juli 1723 und den Finalbefhluß vom 29. Auguft
1724, und forderte zulegt alle Bürger, melche ſich zur Unterwerfung
verjtehen wollten, auf, ihre Namen zu Protokoll zu geben. Da trat
der Sattler Mitichdörfer aus der Menge hervor und rief: „Im Namen
der Bürgerſchaft erfläre er, daß diejelbe entfchlofjen fer, bei dem buch—
ftäblichen Inhalt ihres Privilegium zu bleiben, und zur Beftätigung
fordere er die Bürgerfchaft auf, diefen ihren Entſchluß dur ein Ja
zu befräftigen.” Ein lantes „Ja“ eriholl von Seiten der Verſammel—⸗
ten. Hierauf trat der Barbier Lacofte auf und fprah: „Es fei das
Dekret des Reichshofraths nicht fo zu verftehen, als wenn fie mit ihrer
Klage völlig abgemwiefen wären, fondern man habe fie nur wieder zu=
rüd nad) Wetzlar gewieſen, um dafelbft ihre Sache auszumachen, und
hätten fie fich deshalb bereits Raths erholt; wenn die Bürgerſchaft
mit diefer Anficht einverjtanden fei, fo möge fie es ebenfalls durch ein
lautes „Ja“ betätigen.” Mit großem Gefchrei wurde abermals
diefes Ja ausgerufen.
Boller Beftürzung über folches unerwartete Vorkommniß kehrten
die Herren wieder in das Rathszimmer zurüd, wo ſich indefjen nad)
und nach auch etwa 90 Bürger einfanden, die ihre Unterwerfung unter
den Fürftlichen Endentiheid zu Protofoll gaben, während die Wiber-
jeglichen vom Rathhaus fich verliefen. Um den weiteren Hetzereien
der beiden Mortführer derfelben ein Ende zu maden, wurde beichlof-
fen, Mitſchdörfer und Lacofte in Arreft zu feßen. Sie wurden alsbald
geholt, in ein Stüblein de8 Nathhaufes gebracht und vor die Thür
desjelben der Stadtknecht, die Thorwarte und einige der gehorfamen
Bürger als Wache geftellt. „Da diefes gefchehen”, fo fährt das
darüber aufgenommene amtliche Protofol wörtlich fort, „haben: die
Beeden inhafftirten, (wie folches in denen benachbarten Häufern und
fonften gehöret worden), fogleih aus denen Fenftern auf die Gafje
zu denen untenftchenden Buben gerufen: „hr Buben, bolet euere
Väter und Mütter mit Gewehr und Prügeln und helft uns; fie wollen
ung einfperren!" Welchemnach nicht allein die Buben in der Stadt
und denen Vorftädten hin und wieder gelaufen und Alles aufgeboten
und zufammenberufen, fondern es ſeynd auch die in des Laubwirthe
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746. 591
Rüfles Haus ſchon verfammelt geftandenen und andere Weiber, (deren
wenigftens 100 Perſonen geweien), ſogleich auf das Nathhaus hinauf—
gelaufen fommen und anfänglich fi) geftellt, als wollten fie nur vor
die inhafftirten und um deren Loslaſſung intercediren und bitten.
Dieweilen ihnen aber nicht zu willfahren geweſen, jondern Denenfelben
gütlich zugefprochen worden, fid) nad) Haufe zu begeben, und das von
Herrſchaftswegen: fo haben fie, nachdem fie von ihrer mehr als noch
einmal fo vielen und einer ziemlichen Anzahl balbgewachfener Buben
fefundirt worden, erftlihen unbewehrt nach dem Stüblein, worinnen
Racofte und Mitjchdorfer verwahrlicy aufbehalten worden, fich zu dringen
geſuchet. Da man ihnen aber Widerftand gethan und fie zurückge—
ftogen, ſeynd fie nicht allein mit größerer Heftigfeit auf die Ober:
beamten, Magiftratsperionen und gehorfame Bürger losgegangen und
bat injonderheit des Lacoften Frau den Bürgermeifter Schober bei den
Haaren zu paden befommen (fo daß fie, wie fie fpäter im Verhör
jelber ausfagte, die Hand voll Haare behalten), fondern es haben aud)
darauf diefelben, da ihrer Vehemenz und fonderlic der an dem Herrn
Bürgermeifter bewiefenen Gewaltthätigkeit halber, von einigen der Ge:
borfamen (dem Chirurgen Friefenegger, dem Büchſenmacher Lichtenfels
und dem Kuhhirten Prior) ein paar Streihe auf fie gethan worden,
meiftentheilsg mit Bund Schlüffeln, Prügeln und Stöden, vornehmlich
aber mit denen durch fie zertretenen und zerfchlagenen, auf dem Rath:
hausſaal befindlich geweienen, zu Jahrmarktszeiten dafelbft benöthigten
Schrägen und deren Füßen, Beides fi) und die bei ſich habenden Buben
bewehret und mit gefammter Hand auf die Stuben, darinnen die
beiden Nädelsführer inhafltirt geweſen, gedrungen, und endlichen, nach—
deme die Dberbeamte (auch die Nathsheren, die noch Lange nachher
blaue Mäler berumtrugen) völlig von ihnen umgeben, getreten und
geftogen, infonderheit aber dem Herrn Rath und Amtmann Ruthardt
die Peruque vom Kopf gefhlagen worden, auch die Gehorfamen zu
Berhütung von Mord und Todtſchlag (indem der völlige Haufe ber
unten in dem Rathhaus verfammelt gewefenen widerfeglichen Bürger
die Stiege hinaufgefommen), zurüdgewichen, der Wacht fic) bemeiftert
und die Stuben eröffnet, da dann die beiden Hauptrebellen unter bie-
ſem Tumult fid) herausgemachet und auf flüchtigen Fuß gefebet.”
„Auf Solches Hin ift zwar in dem Nathhaus der Tumult sopirt
worden; hingegen ift derfelbe beim Hinuntergehen auf den Markt mit
59% Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
Schimpfen, Schreien und Schlagen von Neuem wieder angegangen,
inmaßen auf einige der Gehorfamen, in speeie auf den Kubhirten Prior
von einigen Weibern zugefchlagen worden, bis endlich der eingefallene
Regen die zufammengelaufenen Tumultanten,, welchen zwar von dem
Dberamt auseinander zu gehen öfters anbefohlen, felbigen aber nicht
parirt zc., auseinander getrieben. ine ziemliche Anzahl halbgewachſener
Buben aber haben auf den Herrn Bürgermeijter Schober, welcher in
des Herrn Geheimenraths und Dbervogts Haus wegen einer ihm zus
geftoßenen Unpäßlichkeit vetirirt, mit Prügeln gepaßt; doch ſeynd diefe
auch wieder auseinander gegangen.” So der amtliche Bericht über
einen Weiberkrawall, der in der Geſchichte nicht gerade viele Beifpiele hat.
Fragen wir nun, welche Weiber die Haupträdelsführerinnen ſolch
tragifch-fomifchen Aufitandes gewefen, fo geben ung die Verhörprotofolle
darüber Ausfunft. An erfter Reihe find die Weiber der beiden in
Arreſt gefeßten Bürger zu nennen, nämlih die 5ljährige Frau des
Barbiers Lacoſte, welche vor Gericht aud fein Hehl aus ihrer Ans
führerfchaft, forwie der Verſchwörung der Weiber madjte, weshalb fie
alsbald ins Gefängnig abgeführt wurde, — und die Adjührige Frau
des Sattlers Mitfchdörfer, die aber ala hochſchwanger und epilep-
tifch wieder entlafjen werden mußte. Sodann erwiefen ſich als befonders
muthige Amazonen die 34jährige Frau des Schloffers Dill, die
6Sjährige Frau des Wagners Schnell, die Hirihwirthin Hafner,
37 Jahre alt, (die mit ihrem Schlüfjelbund dem Amtmann Ruthardt
die Perüfe heruntergefchlagen zu haben fcheint, nachdem fie ausgerufen
hatte: Ihr Taufendfafermenter, gebt ung unfere Männer heraus!), bie
Frau des Hafners Holzhauer, die 36jährige Frau des Blechners
Widmann, die Frau des Stadtfuhrmannsg Schaf ꝛc. 1)
Daß in Folge diejes Vorfalls auf oberamtlichen Bericht bin von
Seiten der Regierung die fchärfiten Mafregeln getroffen wurden, braucht
faum erwähnt zu werden. Es wurden ſogleich 3 Kompagnien Infante—
vie, fodann etwa 100 Mann Landmiliz und eine Abtheilung Reiter
1) Nach einer Familientradition fol fich babei namentlich aud bie Frau bes
Mepgermeifters H8. Grg. Unter@der hervorgethan haben. Sie hieß (mad dem
Kirhenbud) Anna Katharina, geb. Bart und hatte nah dem Tode ihres erften
Mannes, des Mepgermeifters Engelhard Hoppius, 1725 ihren Metzgerknecht,
den erwähnten, von Waiblingen flammenden Unter@der, den erften dieſes
Geſchlechts in Pforzheim, geheirathet.
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746. 593
nad Pforzheim beordert, und rückten diefe Truppen am 22. Februar
mit klingemdem Spiel und fliegenden Fahnen dafelbit ein. Die Miltz
wurde im Rathhaus und im Schloß, die Soldaten bei den ungehor-
jamen und namentlich mit Bezahlung von Abgaben noch im Rückſtand
gebliebenen Bürgern, in vielen Fällen eigentlich nur in deren Häufer
einguartiert, da eine große Anzahl Bürger mit ihren Familien fi) in
die ‚benachbarten württembergiichen Orte geflüchtet hatte, was theil-
weiße mit ſolcher Eile gefhah, daß z. DB. die Metger ihr Fleiſch, das
in der Mebig hing, unter anderm noch zwei vollftäindige Ochſen, im
Stich ließen. Allen Bürgern wurden die Gewehre abgefordert und die '
Häufer nad) ſolchen durchſucht (man fand jedoch jehr wenig), die Wider:
jeglichen jollten, fo lautete der gemefjene Befehl, in Arreft geführt, unter
Umftänden fogar Feuer auf fie gegeben werden, Alle Zufammenkünfte
wurden verboten, die Thore geichloffen und unter Trommelſchlag ver:
fündet, daß die Entflohenen binnen 3 Tagen (der Termin wurde nad)
Ablauf derjelben auf weitere 10 Tage verlängert) bei Verluſt ihres
Bürgerrechts zurückkehren jollten. Die gleiche Bekanntmachung erfolgte
aud in den umliegenden, namentlich württembergifhen Drten. Den
beiden flüchtigen Rädelsführern, Lacoſte und Mitjchdörfer, wurden nad
allen Seiten hin Stedbriefe nachgeſchickt, nachdem deren augenblicliche
Verfolgung fruchtlos geblieben; über deren Vermögen wurde ein Inven—
tar aufgenommen und dasfelbe mit Arreft belegt. Ein folder Schred
batte die Gemüther, jogar der Landbewohner, erfaßt, daß dieſe fich
nicht mehr in die Stadt zu kommen getrauten, wodurd bald empfind-
licher Mangel an Lebensmitteln entftand.
Dezüglih der zurücgebliebenen Pforzheimer Bürger ermies- fich
der Schred als ein heilfamer; denn ſchon unterm 4. März konnte das
Dberamt berichten, daß die meiften, die noch etwas befäßen, ihre Rück—
ftände bezahlt und die zugleich verlangte Erklärung zur Unterwerfung
unterfchrieben hätten. Die Landmiliz wurde wieder bis auf O Mann
entlaffen, und auch von den Truppen blieben nur noch 57 Mann unter
Befehl eines Hauptmanns zurüd, Die entflohenen Bürger, von denen
Anfangs März immer noch etwa 200 in Pforzheim fehlten, fanden fich
nad und nad) wieder ein, was zum Theil darin feinen Grund hatte,
daß fie aus den württembergifchen Orten auf Betreiben der badiſchen
Regierung ausgewiefen wurden. Wie ſehr auch anderwärts die Wirren
in "Pforzheim die Aufmerkjamfeit auf fi zogen und Uebertreibungen
Pflüger, Pforzheim. 38
594 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,
ihte Verbreitung fanden, mag daraus entnommen werben, daß fi das
DOberamt Emmendingen mit der Bitte an die Negierung wandte, eine
Anzahl Unterthanen aus dem Hocbergifchen nad) Pforzheim zu ver:
pflanzen, damit die leer ftehenden Häufer und herrenlofen Güter wieder
in die Hände pafiender Beſitzer übergehen könnten.
Anfangs April hatten die Bürger im Sinn, dem Landesfürften
ihre Unterwerfung anzuzeigen und war deshalb beim Oberamt bereits
die Erlaubniß eingeholt worden, fi auf den Zunftftuben verfammeln
zu dürfen. Allein als von den drei Deputirten, die ſich noch immer
in Wien befanden, die Nachricht einlief, daß vom Neichshofrath nad)
Dftern eine günftigere Nefolution zu erwarten ftünde, fo unterblieb die
Sache wieder, fo daß das Oberamt an die Regierung berichten mußte,
daß „ehe die drei Böfewichter von Wien zurückkämen, feine Beſſerung
von dem verftodten Haufen zu erwarten fei.”
Der Endenticheid des Reichshofraths, auf den die Pforzheimer
ihre legte Hoffnung gejebt hatten, erfolgte am 15. April 1726, und
wurden darin „die Supplicanten, Einwendens ungehindert, auf das
vorige Concluſum vom 1. Februar ein für alle Mal Yebiglicd verwies
fen.” Nun kehrten auch Mitichdörfer und Lacoſte, die fich unterdeflen
in benachbarten Orten, am Tängften in der Reichsſtadt Weil aufgehal-
ten hatten, wieder zurüd, nachdem ihnen auf ihr Anfuchen ficheres
Geleit verheißen worden war.
Am Mai 1726 erjcdhien eine eigene fürftliche Kommiffton, beftehend
aus BVicepräfident von Glaubit und Hofrath Schlotterbed, in Pforz⸗
beim, um wegen des ftattgehabten Aufruhrs felber eine Unterfuchung
vorzunehmen. 1) Da diefelbe die ganze Sache ſchon von vornherein
von einem mildern Geſichtspunkt aus, als das in die Händel felber
verwicelte Oberamt Pforzheim auffaßte, auch die Unterfuchung ergab,
daß letzteres in mancher Beziehung zu ſchwarz gefehen Hatte, fo tauchte
ber Gedanke eines Generalpardong auf, der allen MWeitläufigkeiten ein
Ende machen follte. Auch zeigte fich die Bürgerfchaft, die wohl ein=
jehen mochte, daß alle weitere Schritte doch ohne Erfolg bleiben würden,
nad und nad zugängliher, Sie rief am 1. Oftober 1726 ihre De
putirten von Wien zurüd, und zwei bderfelben, Weißgerber Bauer und
Rothgerber Eberle, leifteten dem Rufe Folge, während Rothochfenwirth
) Die Verbörprotofolle füllen viele Bogen.
Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746,. 595
Würth nocd dort zurücdblieb, angeblich megen Krankheit, 1) Unterm
26. Mai 1727 erklärten die Zünfte in einer Eingabe an den Marf-
grafen, daß fie fich bis zur völligen Erledigung des Streites dem In—
terimsbefehl unterwerfen wollten mit dem Vorbehalt, daß dies aber
ohne Abbruch ihrer Privilegien gejchehe; doch bäten fie den Mark—
grafen, daß er die geeigneten Schritte thun möge, um die Sache vor
ein Schiedsgericht zu bringen. Derſelbe erklärte in einem Erlaß vom
31. März, daß er gegen die Austregas nichts einzuwenden babe, aber
Unterwerfung ohne Vorbehalt verlange; er feie dann erbötig, ihnen an
Freiheiten zum Nuten der Stadt noch Manches zu gewähren, was fie
ihm bezeichnen und von ihm verlangen würden.
Der Streit wurde jedoch von Seiten der Bürgerfchaft nicht fort:
geſetzt, und jomit gab fi) die unbedingte Unterwerfung von felbft.
Das Militär war von Pforzheim Tängft wieder zurückgezogen. So
fehrte nach und nach wieder Ruhe in die Gemüther zurüd, namentlich)
nachdem der verheißene Generalpardon wirklich ausgeiprochen war. Als
Schlußſtein des ganzen Streites ift die Abrechnung zwiichen der Stadt
und der Herrichaft zu betrachten, welche 1730 erfolgte und wodurch
alle gegenfeitigen Forderungen ausgeglichen wurden.
Es mag bier noch bemerkt werden, daß der ganze gehäffige Streit
wegen der Privilegien oder eigentlich wegen dev „Schatzung“ nad eini-
gen Jahrzehnden nochmals auszubrehen drohte. Durd einen Mißgriff
ber betreffenden Beamten wurde der Ausdrud „Reichs- und Kreis—
fteuer“, welche von den Bürgern bisher ohne Widerxede entrichtet wor—⸗
den war, wieder mit dem der „Schatzung“ vertauſcht. Dies rief in
Pforzheim große Aufregung hervor, und e8 wurde deshalb im Dftober
1791 und im November 1794 die Abftellung folchen Mißbrauches
entſchieden verlangt. Die fürftlihe Rentkammer entſprach auch willig
ſolchem Anfinnen und feste durch Verfügung vom 30. Juni 1795
feft, daß das Wort „Schakung” nicht mehr gebraucht, fondern dafür
immer „Reichs: und Kreisftener" geſetzt, auch auf den Steuerzetteln die
Schatungsfreiheit der Pforzheimer ausdrüdlih erwähnt werden folle.
So zog die drohende Wolfe wieder vorüber.
1) Er war im November 1729 noch in Wien, und entftanden feinetwegen
noch Verdrüßlichkeiten, da er damals ber Bürgerfchaft eine Rechnung von
572 fl. 41 fr. machte, welche bdiefe nicht bezahlen wollte. Um ibn von Wien
wenigftens weg zu bringen, wurden ihm 70 Gulden geihidt.
38 *
596 Siebzehntes Kapitel. Pforzheim von 1697—1746.
In folher MWeife begann und endete ein Streit, der Jahre Hin-
durch auf das Verhältnig zwifchen dem Fürften und der Stadt Pforz-
beim, das fonft immer als ein fo inniges ſich zeigte, trübe Schatten
warf. Läßt es ſich auch nicht entihuldigen, daß die Mehrheit der
Bürgerſchaft vernünftiger Belehrung und den berechtigten Forderungen
veränderter Zeitverhältniffe ihr Ohr verſchloß, fo verdient doch auf der
andern Ceite die Zähigkeit und Hartnädigfeit, womit vermeintliche
Nechte vertheidigt wurden, auch ihre Anerkennung. Ausdauer und
Beharrlichkeit gehörten durchaus von jeher zu dem charakteriſchen Eigen:
haften der Pforzheimer, wie wir namentlich bei frühern Religions:
kämpfen gefehen haben, und als Ausflug derfelben erhielt fich auch die
Unhänglichkeit an die alte, in Folge des PrivilegienftreitS in manchen
Punkten geänderte Stadtverfaffung und ein den Beftimmungen und Ein:
richtungen derfelben angemefjenes bürgerliches Leben noch lange, bis
endlich die franzöſiſche evolution mit ihren Kriegen und deren Folgen
die letzten Spuren jener DVerfafjung vollends verwifchte und auch einen
Verſuch zur MWiederherftellung der alten Privilegien, der im Jahr 1807
gemacht wurde, nicht zur Ausführung kommen ließ.
8 7. Berühmte Pforzheimer,
Es ift in frühern Kapiteln immer auch folcher berühmter Männer,
die zu verfchiedenen Zeiten aus Pforzheim bervorgingen, theils em:
gehend, theils nur in Kürze gedacht worden. Auch das 17, und dag
18. Jahrhundert haben einige Pforzheimer aufznweijen, die durch ihre
Gelehrſamkeit und ihre literariſche Thätigkeit fi einen Namen gemacht
haben und darum wohl verdienen, daß ihnen in einer Gejchichte ihrer
Vaterftadt ein Heines Denkmal gefegt wird.
a. Johann Heinrih Map.
Er war am 5. Februar 1653 zu Pforzheim geboren und ftammte
aus einer alten Pforzheimer Bürgerfamilie, deren ſchon 1339 (S. 139)
als in diefer Stadt anſäſſig Erwähnung gefhieht. Ein May fteht
auch auf dem Denkmal der 400 von Wimpfen, das fich in der Schloß:
fiche zu Pforzheim befindet. Johann Heinrich May befuchte zuerft die
lateiniſche Schule feiner Vaterftadt und bezog fpäter die Univerfität
Wittenberg, um dafelbft Theologie zu ſtudiren. Nach Vollendung feiner
Studien machte er verjchiedene Neifen zu wiſſenſchaftlichen Zwecken, und
Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 16971746. 597
lehrte zu Leipzig, Wittenberg und Straßburg namentlich die morgen-
ländiſchen Spradyen mit großem Erfolg. Einem Ruf als Hofprediger
des Pfalzgrafen von Veldenz leitete er zwar Folge, kehrte jedoch in
fein Vaterland zurüd, als ihm vom Markgraf Friedrich Magnus 1679
die Stelle eines Pfarrers und zugleich Lehrers der orientalifhen Spra—
hen am Gymnafium in Durlad) übertragen wurde, Zu feiner Aus:
bildung in diefen Sprachen ließ ihn der Markgraf eine Reife nad)
Hamburg zu dem damals ſehr berühmten Drientaliften Edznod machen,
bei welchem fih May zwei Jahre lang aufhielt, Nachdem er, nad)
Durlach zurückgekehrt, noch mehrere Jahre an der Durlacher Schule,
die damals im fchönften Flor ftand, gewirkt hatte, unterbrach 1689
der verheerende orleans'ſche Krieg die Ihätigkeit der dortigen Lehrer.
Der eine z0g da hinaus, der andere dorthin. May kam als Profeffor
an die Univerfität Gießen, wo er jpäter auch Konfiftorialrath und
Superintendent wurde und eine gefegnete Thätigkeit entfaltet. Dort
ftarb er aud im Jahr 1719. Er Hinterlieg zahlreiche theologifche
und ſprachwiſſenſchaftliche, auch gefchichtlihe Schriften. Die befanntefte
derfelben, die er ſchon 1687 in Durlach herausgab, ift das „Leben
Reuchlins“, worin er zugleich alles das niederlegte, was er feit einer
Reihe von Fahren aus der Gefchichte feiner Waterftadt gefammelt hatte,
Es war dies der erfte Verſuch einer, wenn auch nur abgeriffenen
Geſchichte der Stadt Pforzheim.
b. Johann Burkhard May,
des DVorigen älterer Bruder, war 1652 ebenfalls zu Pforzheim gebo:
ven. (Der Vater der beiden May wurde fpäter Pfarrer in Baufchlott).
Er ftudirte in Wittenberg und bielt fi) ſechs Jahre Yang im Haufe
des berühmten Scurzfleifh auf. Bon bier fam er als Hofmeifter
einiger jungen Edelleute nach Frankfurt, wo er zugleich das Amt eines
Korrektors in einer dortigen Druckerei bekleidete. Nachdem er hierauf
einige Zeit als Dozent in Gießen gewirkt hatte, wurde er gleichzeitig
mit feinem jüngern Bruder an das Gymnaſium nah Durlach berufen,
wo er als Profeffor der Beredtſamkeit und als Bibliothekar wirkte,
Dort gab er u. A. auch eine noch vorhandene 1) Schrift in Lateinifcher
V Auf der Bibliothef in Karlsruhe. Vergleihe auh Vierordt, Ge
ſchichte der Durlacher Mittelfhule, S. 30.
598 Siebzehntes Kapitel, Pforzheim von 1697—1746,
Sprache heraus, worin er zu den am 5. März 1687 zu Durlach zu
begehenden Säkularfeierlichkeiten des dortigen Gymnaſiums einlud und
auch die zahlreichen Reden anfündigte, die in lateiniſcher, griechifcher,
bebräifcher, haldäifcher, fyrifcher, arabifher und äthiopiſcher Sprache
gehalten werden follten. Im orleans'ſchen Krieg hatte er wenigfteng
den Troft, daß feine Bibliothek vor Plünderung und Zerftärung ver:
ſchont blieb; doch war feines DBleibens in Durlach nicht. Nachdem er
verfchiedene Reifen gemacht hatte, wurde er 1692 an des berühmten
Morhof Stelle als Profeſſor der Beredfamkeit und Gefchichte nach
Kiel berufen, wo er 1727 ſtarb. Gleich feinem Bruder hatte er fich
durch feine Gelehrfamkeit, insbefondere durch feine großen philologifchen
und gefchichtlichen Kenntniffe einen ausgezeichneten Namen erworben.
e. Karl Joſeph Bougine, 1)
Er wurde am 22. März 1735 zu Pforzheim geboren. Sein
Vater war der dortige Kaufmann, Zuderbäder und Rathsverwandte
J. 3. Bougind, der früher aus Valenciennes in Frankreich ausgewan-
dert war und fi) in Pforzheim niedergelaffen hatte. Nach vollendetem
Befuch der Schule feiner Vaterftadt und des 1724 von Durlach nad,
Karlsruhe verlegten Gymnafiums bezog er die Univerfität Tübingen,
wo er nicht nur theologifhe Borlefungen befuchte, fondern auch feine
Sprachſtudien fortießte. Nach abgelegtem Pfarrfandidateneramen prak⸗
tigirte er zuerft in feiner Vaterftadt, murde aber ſchon 1758 dritter
Lehrer am Gymnafium in Karlsruhe, wo er 1764 Profeſſor wurde
und nach und nach bis zur erften Klaffe vorrüdte. 1780 erhielt er den
Charakter als Kirchenratb und 1790 wurde ihm das Nektorat des
Gymnaſiums übertragen, das ihn zwar vom Klaffenunterricht befreite,
wogegen er aber Vorlefungen verfchiedener Art übernahm und aud das
von Rektor Sachs 1775 gegründete lateiniſche Redeinſtitut fortſetzte.
Am Jahr 1794 erhielt er den Charakter als geheimer Kirchenrath und
ftarb am 29. Mai 1799, — Unter feinen zahlreichen Yateinifchen und
deutihen Schriften ift feine Literaturgejhidte, die in Zürich von
1789—1792 in fünf Bänden erfchien, am befannteften geworben,
1) Wenn aud in ber Zeit geboren, welde das 17. Kapitel behandelt,
jo gehört doch die Thätigfeit Bougine’s eigentlich der folgenden Periode an,
Ich habe ihm aber gerne eine Stelle neben ben beiden May angewieſen.
Ahtzehntes Gnpitel
Pforzheim unter Karl Friedrich bis zum Ausbruch der fran⸗
zöfifhen Mevolution. ')
(1746 — 1789.)
$ 1. Allgemeines.
An feinem achtzehnten Jahr vom Kaifer mündig erklärt, kehrte
Karl Friedrih von feinen Reifen in Frankreich und den Niederlanden
, in die Marfgraffhaft zuräd, übernahm die Regierung jedoch erſt voll:
ftändig, nachdem er noch eine Meife nah England gemacht hatte,
Alsbald begann die fegensreiche Thätigkeit diefes vortrefflichiten aller
badiſchen Fürſten. Alljährlich erfchienen neue Verordnungen, die ſich die
Beförderung der Wohlfahrt feines Landes zum Ziel fehten und feine
Untertbanen zu einem „wohlhabenden, freien, gefitteten und religiöfen
Volke” machen follten. Sein erftes Geſchäft war, überall im Lande die
nöthige Sicherheit herzifftellen 2), den Verkehr in jeder Weiſe zu erleich-
tern. und die Mechtspflege zu verbefiern. Schon 1799 fchaffte er die
Tortur gänzlih ab. Sodann war die Sorge des edlen Fürften darauf
gerichtet, der Arbeitfamfeit durch Beſchränkung der Feiertage und durch
Abſchaffung der Mißbräuche des Zunftweſens Vorſchub zu Teiften, die
Verwaltung der Gemeinden zu verbefiern, das Armenweſen zu regeln,
gegen Verſchwendung, Sittenlofigkeit, Lotteriewuth 2c. die nöthigen Maaß—
regeln zu treffen. Eingeweiht in die Lehren der Phyſiokratie, diefes .
in Frankreich entftandenen Syſtems, das dem Bürger die Freiheit be
Viebiger Verwendung aller feiner Kräfte und Güter laſſen wollte und
1) Als Hauptquelle wurde benügt: Drais, Gefchichte der Regierung und
Bildung von Baden unter Karl Friebrih, 2 Bände (Karlsruhe bei Müller
1818), außerdem Ratbsprotofolle, Akten, Urkunden, handjchriftliche Aufzeich-
nungen x. Die Quellen find meift angegeben.
*) Wir finden indeß, daß noch Tange fpäter, jo 1767 und 1780, von Pforz:
beim aus auf herumziehendes Gefindel geftreift werben mußte.
600 Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789,
den veinen Ertrag der Grundftüde als alleinigen Gegenftand einer
Auflage bezeichnete, wollte der Markgraf diefe Grundjäge ins Leben
führen, jedoch nicht, ohne vorher in drei Dörfern des Landes, fo z.B.
von 1769 an in Dietlingen im Oberamt Pforzheim, Proben damit
zu machen. Die Probezeit fiel zum Nachtheil des phyſiokratiſchen
Syſtems und der Gemeinden aus, wie es bei der Einfeitigfeit des
erjtern nicht anders möglich war, wenn man auch zugeben muß, daß
es Wahrheit enthielt. Andere wohlthätige Einrichtungen gingen neben
diefen her. Faſt gleichzeitig wurden eine Wittwenkaſſe für Angeftellte
nad) dem Meufter der ſchon vorhandenen Pfarrwitiwenkaffe und eine
Brandkaffe erricytet. Gegenftand befonderer Liebe Karl Friedrichs war
aber die Landwirthichaft. So murde durch ihn der Anbau der Kar:
toffel, des Klees 1) und verſchiedener Handelspflanzen eingeführt und
der Viehftand, der Wieſen- und Dbftbau gehoben, Nicht minder rich—
tete der Markgraf fein Augenmerk auf Beförderung des Gewerbfleißes,
und ertheilte zu dem Ende überall, wo es zweckdienlich erfchien, aus:
gebehnte Begünftigungen. Was in diefer Beziehung in und für Pforz—
beim insbefondere geihab, darüber wird in den nächiten Paragraphen
Ausführlicheres folgen.
In jeglihem Grade forgte Karl Friedrih auch für die geiftige
Bildung feiner Unterthanen. Ueberall verbeflerte er die Volksſchulen,
ober errichtete ſolche, wo fie noch fehlten. Für die der gewöhnlichen
Schule Entlafjenen wurden die Sonntagsfhulen in's Leben gerufen und
damit 1755 in der Diözefe Pforzheim der Anfang gemacht ine
Schulerdnung ging 1768 ebenfall® von Pforzheim, und zwar vom
dortigen Dekan Poſſelt aus. Zur Bildung von Volksſchullehrern wurde
1768 das Seminar in Karlsruhe gegründet, Gleiche Aufmerkſamkeit
wie den Volksſchulen ſchenkte der Markgraf den Mittelfichulen, und
fuchte Höhere Bildung auch durch noch andere Mittel zu erhalten und
zu befördern. Zur Heranbildung guter Seelſorger errichtete er ein
Pfarrfeminar und machte den Geiftlichen zur befondern Obliegenheit,
1) Am Dberamt Pforzheim waren mit Klee und Eiparlette angebaut
im Jahre 1763 nur 17, im Jahr 1767 jhon 278 und im Jahr 1771 fogar
597 Morgen. Dieſes rafche Ueberhandnehmen des Kleebaues beförberte in ber
Gegend von Pforzheim namentlich das Beifpiel, welches bie Kammergüter zu
Bauſchlott, Karlshaufen, Katharinentkal und Niefern gaben. Vergl. Drais, I,
&, 114 und 115.
Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 601
durch die Macht des guten Beifpield zu wirken und Gittlichkeit zu
weden und zu pflegen. Synodalverfammlungen und Kircdhenvifitationen
follten die Wirkfamkeit der Geiftlichen überwachen, ihre Fortbildung
erleichtern, ihre Berufstreue ftärken. Gleich duldfam wie fromm gefimnt,
gejtattete der Fürft den Fatholifchen Bewohnern feiner Hauptftadt und
anderer Städte Bethaus und Schule und vermehrte die Zahl ihrer
Geiftlichen.
Allen feinen Beftrebungen zum Wohl feines Volkes ſetzte aber
Karl Friedrich dadurd die Krone auf, daß er am 23. Juli 1783
die Leibeigenshaft aufhob. Laut jchallte der Jubel des Landes
dieſer Maßregel entgegen, und die Antwort, welche der Fürft auf die
Dankjagungen feiner Unterthanen ertheilte, lebt no, ein Zeugniß
feiner Gefinnungen, im Volke. Die Gemeinde Eutingen febte da:
mals dem Markgrafen das bei der dortigen Kirche ftehende Denkmal
mit der Inſchrift: „Badens Karl Friedrich, dem Bater feines Volkes,
als er die LKeibeigenfhaft mit ihren Folgen, ſammt dem Abzug aufhob
und die Rechte der Menſchheit berftellte, fette diefes Denkmal des
Dantes die Gemeinde Eutingen am 23. Juli 1783. Wanderer diefer
Straße, fag deinem Land und der Welt unfer Glück, bier ift der
edelfte Name Fürſt.“ Wahrlih, wenn je ein Fürft den Namen des
„Vaters feiner Unterthanen“ verdiente, fo war es Karl Friedrich |
Wichtig für die Vergrößerung des Landes war der beim Tode
des letzten Markgrafen von Baden-Baden, Auguft Georg, 1771 erfolgte
Anfall diefes Fürftenthums an die badensdurladhifche Linie. Das Gebiet
der letteren wuchs dadurch von etwas über 29 Quadratmeilen auf bei-
nahe 65, die Benöfferung von faft 100,000 Seelen auf 175,000.
Bon andern Vergrößerungen Badens wird weiter unten bei den fran:
zöfifchen Kriegen die Rede fein.
Einen großen Theil des Verdienftes, das ſich Karl Friedrih um
fein Land und Volk erwarb, theilte mit ihm deſſen erjte Gemahlin
Karoline Luife von Hefjen-Darmftadt. Sie war eine Frau von
reichem Geifte, tiefem Gemüthe und edler Gefinnung, und wurde dee:
halb nicht nur die Begründerin von ihres Gemahls häuslichem Glück,
fondern fie wußte auch fein hohes Streben für des Landes Wohl an—
zufeuern und zu beftärken. „In allen wichtigen Staats: und Haus:
angelegenheiten wurde und ‚blieb fie ihres Gemahls geheimfter Beratber,
weil fie einen durchdringenden und thätigen Geift, eine Erhabenheit über
602 Adtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
eigene Herfchbegierde oder Nebenabfihten mit dem treuen Streben, es
möge nur feine Würde und Befriedigung aus Allem hervorgehen, fo
bejcheiden verband, daß ihr ftiller Einfluß weniger bemerflid, ward.“ 1)
Wie richtig dies Urtheil über die edle Kürftin ift, wird unten bei der
Geſchichte der Pforzheimer Hauptinduftrie an einem Beifpiel von
vielen gezeigt werden. Aus der Ehe mit der Markfgräfin Karoline,
die 1783 ftarb und am 18. April jenes Jahr in Pforzheim beige
ſetzt wurde, gingen außer einer Tochter, welde in der Wiege verblich,
drei Söhne hervor: Karl Ludwig, der als Erbpring 1801 zu
Arboga in Schweden durd den Sturz des Wagens verunglüdte und von
den am 16. Februar 1802 zuerft das Herz, am 2. Juni desfelben
Sahres der Leichnam in der Gruft zu Pforzheim beigefebt wurde;
— Friedrich, geftorben 1817, und Ludwig Wilhelm Auguft,
der 1830 geftorbene Großherzog.
Im Jahr 1787 ſchloß Karl Friedrich fein für das Fürftenhaus
jo wichtiges zweites Ehebündniß mit der Freiin Karoline Geyer v.
Geyersberg, der nachmaligen Gräfin von Hochberg, + 1820. Glücklich
auch in diefer Ehe erzeugte er in derjelben drei Söhne: Leopold,
Wilhelm und Marimilian und eine Tochter, Amalie, die fpätere
Fürftin von Fürftenberg.
Auf Karl Friedrich felbft, fowie auf verfchiedenes Andere, was in
diefem Kapitel berührt wurde, werde ich theils in den jet folgenden
Paragraphen, theils im nächſten Kapitel zurückkommen.
$ 2. Befonderes.
Der Regierungsantritt Karl Friedrihs erregte überall im Lande
die froheiten Hoffnungen. Die drei Städte des badiſchen Unterlandes,
Karlsruhe, Durlach und Pforzheim veranftalteten verfchtedene Feier:
lichkeiten, ſo Pforzheim am 28. November 1746 eine allgemeine Bes
leucytung der Stadt, bei welcher es an finnigen Transparenten mit
pafjenden Inſchriften nicht fehlte. 2) Als der junge Markgraf kurze
Zeit nad) feinem Negierungsantritt der Stadt Pforzheim den erften
1) Drais, Baden unter Karl Friedrich I, ©. 134,
2) Drais in feinem Baben unter Karl Friedrich theilt fie Bd. I, Bei:
Tage II mit, Der Markgraf hatte die Sammlung diefer — Inſchriften
viele Jahre in ſeinem Kabinet hängen.
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 603
Beſuch machte, dem während feiner Negierungszeit noch viele andere
folgten, fo wurde er von dem ftädtifchen Bürgermilitär, welches in’
Infanterie und Meiterei, unter leßterer eine anfehnlihe Kompagnie
Hufaren, beftand, feierlichft abgeholt. Die Stadt hatte auch alle Ur-
fachen, dem Markgrafen jede mögliche Aufmerkſamkeit zu erweifen; denn
Pforzheim wäre ohne ihn nie zu der Bedeutung gelangt, zu welder
fih die Stadt ſchon im vorigen, noch mehr aber im laufenden Jahr:
hundert erhoben bat.
Das Wichtigfte, was unter der Negierung Karl Friedrihs in
Bezug auf die äußern Verbältnifje Pforzheims geſchah, war die Ab—
löfung der Lehensverbindlichkeit gegen die Pfalz. Es ift oben (S. 141)
erzählt worden, daß zu den Bedingungen, welche Markgraf Karl I.
4463 nad) der unglüdlihen Schlacht bei Sedenheim eingehen mußte,
auch die gehörte, dag er feine Stadt Pforzheim zu einem pfälzifchen
Leben zu machen, genöthigt wurde, welches durch nichts als die Be—
zahlung einer Summe von 40,000 fl. aufgefagt werden konnte, Schen
unter der Vormundſchaft, welche während Karl Friedrichs Minderjäh:
rigfeit die Megierung führte, nämlih am 23. Juni 1740, war wegen
Aufhebung des Lehenverhältnifjes ein Vertrag mit der Pfalz abge:
fhlofjen worden, der jedoch nicht zum Vollzug kam, weil fich wegen
des Geldwerths Meinungsverfchiedenheiten ergaben. Am 14. Mai 1750
kam es zu Abſchließung eines weitern Vertrags, in welchem allen An-
ftänden dadurch ein Ende gemacht wurde, daß man wegen des gegen
früher veränderten Geldwerthes die Ablöjungsfumme auf 60,000 ft.
feſtſetzte. Diefelbe wurde auch alsbald an einem Darlehen von 300,000
Gulden, welches Baben-Durlah an Kurpfalz gemacht hatte, abgezogen.
So nahm alfo ein Verhältnig ein Ende, welches Pforzheim im dreißig:
jährigen Kriege fo bittere Früchte getragen hatte. (S. 411 ff.)
Einen Beweis, mit welcher Eiferfucht die Pforzheimer immer noch
ihre Privilegien hüteten, lieferte das Jahr 1765. Damals wurde näm—
lich der Erbvertrag mit Baden-Baden abgeſchloſſen und auf Grund
desjelben in den Landestheilen beider Linien eine Erbhuldigung vorge:
nommen. Obgleih nun Karl Friedrich ſchon bei feinem Negierungs:
antritt die Freiheiten der Stadt Pforzheim beftätigt hatte, fo wollten
doch die Bürger derfelben bei der Forderung der neuen Huldigung
biefelbe nicht eher Yeiften, als bis nad den Beftimmungen der Stadt:
ordnung von 1491 die Konfirmation der ftädtifchen Privilegien voraug:
604 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
gegangen. Es bedurfte eines bejondern beruhigenden Schreibens des
Markgrafen, um die aufgeregten und widerftrebenden Gemüther zu
beichwichtigen. 1)
Es ift im vorhergehenden Kapitel der Gründung des Waifen:
baufes in Pforzheim gedaht worden. Spinnen wir hier die
Geſchichte desjelben und der Veränderungen, die mit diefer Anftalt vor:
genommen wurden , weiter fort. Es ift dies, ich muß es wiederholen,
um fo nöthiger, als die Entwicklung der gewerblichen Verhältnifie in
Pforzheim damit zufammenbängt. 2)
Daß und wie das Waijenhaus in Verfall gerathen war, ift oben
ihon erzählt worden. Auf einen von zwei Angeftellten der Anftalt
1750 mit großer Offenheit erftatteten Bericht Hin wurde eine Kom:
miffton ernannt, um den Zuftand der Anftalt zu unterfuchen und wegen
Verbeſſerung desfelben ein Gutachten zu erftatten. Auf diejes hin wurde
die nämliche Kommiffion auch mit der Reform des Waifenhaufes be-
auftrags und ihr dazu ausgedehnte Vollmacht eingeräumt. Das mit
Energie begonnene Wert wurde auch raſch zu Ende geführt. Alle
Bebdienfteten der Anftalt, mit Ausnahme des VBerwalters, Pfarrers und
der beiden Aerzte, erhielten ihre Entlafjung, und wurde überhaupt der
Anstalt felbft eine ganz andere Einrichtung gegeben, welche mit dem
23. April 1752 ins Leben trat. 3) Insbeſondere hatte man ftrengere
Beftimmungen über die Aufnahme von Pfleglingen getroffen. Da fid
auch das bisherige Zuchthausgebäude in einem fehr fchlechten Zuftand
befand und die gemachten Erfahrungen eine Trennung des Maifen- und
Zuchthauſes durchaus erheifchten, jo wurde auf Staatskoften ein neues
Zuchthaus gebaut, das auf 24,203 Gulden zu ftehen Fam. Die Grund:
fteinlegung fand am 27. April 1752 ftatt %) und wurde das neue
) Dasjelbe befindet ſich im ftädtifchen Archiv.
2) Zur nachfolgenden Darftelung find wieberum die ſchon ©. 572 ange:
führten Quellen benügt worben.
3) Es erihien eine eigene Schrift darüber unter bem Titel: „Ausfchreiben
ber hochfürſtl. marggr. BadensDurlahiihen zu ber Pflege des Waifenhaufes
zu Pforzheim gnädigft verorbneten Kommiffion an geſammte Städte und
Dorfsgemeinden der fürftlichen Lande*. h
9) Der Grundftein befindet fih auf der hintern Ede der jegigen Heil»
und Pflegeanftalt, und zwar auf ber Seite gegen ben Mühlkanal. Er ift Hohl
und liegt eine zinnerne Tafel darin, auf welcher eine ausführlihe Inſchrift
eingegraben if.
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 17461789. 605
Gebäude noch im November des nämlichen Jahres bezogen. Auch im
Innern des Waifenhaufes wurden verfchiedene bauliche Veränderungen
vorgenommen. Da es an einem geeigneten Keller fehlte, jo erhielt die
Anftalt den noch vorhandenen und nody brauchbaren Keller des ehema—
ligen Barfüßerflofters fammt dem ganzen Platz, worauf letzteres ge—
ftanden, vom Markgrafen zum Geſchenk. Die in der Anftalt befind-
lichen Fabriken fuchte die Kommiffion hinauszufchaffen; bloß die Leine:
weberei wurde beibehalten, arbeitete jedoch von diefer Zeit an nur für
den Gebrauch des Haufes. Für die übrigen bisher betriebenen Fabriken,
nämlich die Tuchmacherei, die Strumpfweberei und die Zeugmacherei,
wies der Markgraf ein eigenes Gebäude an, und ließ zu demfelben
die erforderlihen Magazine erbauen. Allein die Bemühungen der Kom:
miffion, diefe Fabriken in gehörigen Gang zu bringen, hatten den er-
wünjchten Erfolg nit, und mehr und mehr machte fich die Weber-
zeugung geltend, daß foldhe Unternehmungen durchaus die unmittelbare
Verwaltung und Aufficht des igenthümers und deſſen beftändige
Gegenwart erforderten. Man Eonnte jedoch die Fabriken ſchon aus dem
Grunde nicht ganz fallen Iafjen, weil das Zuchthaus fonft Feine andern
Einkünfte hatte, als was die Arbeit feiner Anwohner ertrug; auch das
Waiſenhaus erhielt durch das, was die Knaben verdienten, einen nicht
unbedeutenden Zuſchuß. Da fih nun einige Pforzheimer Kaufleute,
nämlih Ch. E. Kipling, D. L. Wohnlich, E. L. Deimling und €.
B. Beder, geneigt zeigten, jene Fabriken mit ihrem ganzen Kapital
und allen ihren Privilegien und Freiheiten zu übernehmen, fo wurde
mit diefen Herren 1753 ein dahin abzielender Vertrag abgejchlofien,
ihnen aber die BVerpflichtung auferlegt, im Zucht: und Waifenhaus
gegen einen bejtimmten reis beftändig für ihre Fabrik arbeiten zu
lafien. Unter der Firma Kipling, Wohnlic und Comp., fpäter Wohn:
ih, Deimling und Comp., der fogar 1778 das Recht des freien
Bezugs von jährlich 100 Klaftern Tannenholz gegen alleinigen Erſatz
von SO Kreuzen Mader: und Seterlohn unter der Bezeichnung „Pri—
vilegienholz für die Wollfabrit Pforzheim“ zugeftanden wurde, fam das
Geſchäft bald in Flor, da die neuen Eigenthümer weder Mühe noch
Koften ſcheuten, und namentlich auch gefchictte Arbeiter und zweckmäßige
Werkzeuge vom Ausland fi zu verfchaffen wußten. Gie fabrizirten
meiftens wollene Zeuge, Strümpfe und ordinäre Tücher, welch letztere
der Fabrik für das Militär und die Livree der Hofbedienten vertrag:
606 Ahtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746-1789.
mäßig abgenommen wurden, Auf diefe Weife hatte ein wichtiger
Fabrifationgzmweig feinen Weg von dem Waifen- und Zucht—
haus in die Stadt gefunden, der bald dadurd einen. größern
Umfang erhielt, daß noch andere Tuch: und Zeugmacher fich in der
Stadt anftebelten und auf eigene Rechnung arbeiteten. t)
War das Waifenhaus ſchon bei feiner Gründung reich dotirt wor-
ben, jo wurden die Einfünfte desfelben auch fpäter vermehrt und zwar
namentlich dadurch, daß die Negierung ihm verfchiedene Taxen zuwies.
Den anfehnlichften Zuwachs erhielt aber der Waifenhausfond im Jahr
1759 dadurch, daß ihm von den Almofenkapitalien der meiften badiſchen
Gemeinden der Betrag von 37,768 Gulden unter dem Borbehalt der
unentgeldlihen Aufnahme der Waifen aus den betreffenden Orten ein-
verleibt wurde. (Weitere 12,000 fl. verwendete man zur Gründung
eines Landes-Almofenfonds). 2) Am Jahr 1768 wurde der Grundftod
des Waifenhaufes um meitere 11,533 fl. 5 fr. durch eine neue Stif⸗
tung, die von Bernhold’fche, vermehrt, von deren Zinfen 12 Waifen
erhalten werden follten. Auch von Seiten des Fürſten hatte ſich das
Waiſenhaus mehrfach der großmüthigſten Unterftügungen zu erfreuen,
namentlich in den Theurungsjahren von 1771 und 72,
Troß der früher im Waiſenhaus bezüglich der Errichtung von
Fabriken gemachten fchlimmen Erfahrungen tauchten derartige Pläne
doch wieder auf. Im Bahr 1767 wurde eine Uhrenfabrit im Waifen-
haus angelegt. Welchen Fortgang diefelbe nahm, wie fie gleich den
früheren Fabriken nach und nah in der Stadt felbft feften Fuß
faßte und dadurch den Grund zu der jetzt fo blühenden Haupt-
Induſtrie Pforzheims gelegt wurde: dies ausführlic, darzuftellen, mag
einem befondern Abfchnitt vorbehalten bleiben. Es genüge hier vorder-
band die Bemerkung, daß das Jahr 1767 als das Geburt
jahr der Pforzheimer Bijouteriefabrifation zu betrad-
ten tft.
2) Bon ben genannten Befigern ging die Tuchfabrik an Wohnlich, Grab
und Söhne und 1801 an Gülih und Finkenflein über, bis fie letzterer ſpäter
allein übernahm und in großen Flor brachte. (Leiber ift biefe jo renommirte
Fabrik im Jahr 1853 eingegangen.)
) 28 Gemeinden des Landes, darunter Pforzheim, gaben ihre Almofen:
Fapitalien nicht an das Waiſenhaus ab, fondern behielten folche unter ber
Bedingung, daß fie wegen Aufnahme ihrer Waifen fi mit der Verwaltung
der Anftalt Über einen angemefjenen Beitrag verftändigen wollten.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 607
Für das Waifenhaus felbft war diefe Fabrik eben fo wenig jegen-
bringend, als dies früher der Fall gemwefen. Die in denfelben beſchäf—
tigten Waifenfinder follten vertragsmäßig 6 Jahre lang für die Gefell-
fchaft, welche die Fabriken unternommen, und fodann 2 Fahre lang
zum Beften des Waifenhaufes arbeiten. Allein jo weit fam es bei den
wenigften, Der größte Theil diefer Tabriflehrlinge wurde noch vor
beendigter Lehrzeit oder nah Umfluß der erwähnten 6 Jahre von den
Fabrifunternehmern entlaffen. Dadur ging für das Waifenhaus der
bon jenen 2 Jahren erwartete Vortheil nicht nur verloren, fondern
dasfelbe büßte auch in Folge der langen Ernährung feiner Pfleglinge
einen großen Theil feiner Fonds ein, namentlih da auch die meilten
Koftgeldforderungen an ſolche (nicht Waiſen-) Knaben, welche zur Lehre
in die Fabriken und deshalb zur Verpflegung in das Waifenhaus aufs
genommen worden waren und für melde man 1770 in der Anftalt,
ein eigenes Haus erbaut hatte, in Abgang gefchrieben werden mußten.
Auch in noch anderer Weife geihah dem Vermögen diefer Anftalt bes
deutender Abbruch, indem nämlich, die Anzahl der Züchtlinge, die eben:
fals dem Waifenhausfond zur Laſt fielen, immer mehr zunahm. Alle
Borftellungen wegen Erſatz des Schadens, den letztere dem Waifenhaus
verurjachten, blieben vergeblich.
Auch ſchlimme Erfahrungen anderer Art trugen nicht wenig dazu
bei, den fernern Beitand des Maifenhaufes als gefchlofjene Anftalt in
Frage zu ftellen. Es Hatte fich gezeigt, daß die gemeinfame Erziehung
jo vieler Kinder in einem Haufe weit weniger tauge, als wenn jedes
derjelben in feinen gewohnten Verhältniſſen verbleibe und ihm der
Segen einer guten Familienerziehung zu Theil "werde. Es wurde des:
halb beichloffen, das Waiſenhaus als ſolches aufzuheben, von der per:
fönlihen Aufnahme und Verpflegung der Waifen demgemäß Umgang
zu nehmen, fie aber dafür alle im geeignete Häufer in Koft zu thun.
Dies gefhah in den Jahren 17731) und 1774 auch wirffih, und
zwar gegen ein jährliches Koftgeld von 4 bis 50 Gulden. Neben der
befjern Erziehung wurde auf diefe Weife auch ber Wortheil erreicht,
daß ftatt der 150 Waifen, welche man bisher als höchſte Zahl in die
1) Die Entfernung der Waifen aus der Anftalt wurde beſchleunigt durch
eine epibemifche Krankheit, die in Pforzheim ausbrach und die auch im Waifen>
Haus deswegen ſehr um fich griff, weil immer 3 Knaben in einem Bett lagen.
608 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
Anftalt Hatte aufnehmen können, deren nunmehr etwa 400 in Ver:
pflegung gegeben werden Tonnten. Die befondere Waiſenhausſchule Tief
man noch bis 1799 fortbeftehen, in welchem Jahr fie ſodann aufge
hoben wurde. Gleiches geſchah mit der Waifenhauspfarrei im Jahr 1805.
Eine Trennung des gemeinfhaftlicdhen Vermögens des MWaifens,
Seren:, Siechen-, Zucht: und Korrektionshaufes, welches auf 279,622 fl.
22 Er. berechnet wurde, erfolgte 1803, und erhielt der Maifenfond
bievon 100,622 fl. 22 fr. zugewiefen. Davon waren jedoch nur
43,022 fl. reelles Vermögen; mit 17,328 fl. 40 Er. wurde der Fond
durch das Recht zu Kollekten und freiwilligen Gaben, und mit 40,249 ft.
20 tr. duch Zutheilung von Tax- und Gtrafbezügen ausgemwiefen,
Erfteres Recht ift dem Fond geblieben, 1) letzteres durch veränderte
Tar: und Sportelerdnungen aufgehoben, und trat die Staatskaffe in
die Bezüge ein, bezahlte jedoch bis 1829 dafür dem Waifenfond eine
jahrliche Averfalfumme von 2949 fl. 20 kr. Diefer „Baden-Dur-
lachiſche evangeliſche Waiſenfond,“ in welchen fich feiner Zeit auch die
3 Herrfchaften Lahr, Mahlberg und Lichtenau mit einer Eumme von
6979 fl. 3 kr. einkauften, betrug am 4. Juni 1858: 116,237 ft.
58 fr. und wird von den vier Partikularverrechnungen Karlsruhe, Lahr,
Pforzheim und Nheinbifhofsheim verwaltet, Im Jahr 1855 wurden
aus demfelben 422 Waifen mit Benefizien zu je 10 Gulden unterftügt.
Letztere find feit 23. April 1857 auf 12 Gulden erhöht. Bei Gefuchen
um ſolche wird unter fonft gleichen Umftänden den Waijen aus den—
jenigen Orten, welche früher ihre Almojenfapitalien zum Waifenhaug-
fond eingeworfen haben oder fonft noch Beiträge Ieiften, den Vorzug
gegeben. .
Hiemit endigt eigentlih die Gejchichte des Waiſenhauſes. Zur
Bervollftändigung des Bisherigen möge übrigens bier noch in gedräng-
ter Kürze erwähnt werden, welche Veränderungen fonft noch in den
fortbeftehenden Anftalten und ihren Gebäulichkeiten erfolgten. Es er:
fpart dies zugleich ein ſpäteres Zurüdtommen auf diefen Gegenftand.
Alle Räumlichkeiten des Waijenhaufes, mit Ausnahme derjenigen, weldye
die Uhrenfabrik inne hatte, wurden nad Aufhebung des Waifenhaufes
1) In Pforzheim bezieht derſelbe überdies bis auf dem heutigen Tag in
Stadt und Altſtadt das Opfergeld, das bei Kommunionen, Taufen, Leichen und
an Bettagen fällt, Dasjelbe beträgt dermalen die jährlihde Summe von
300-350 fl,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 609
allein für das Siechen:, Irren- und Zuchthaus verwendet, was um fo
nöthiger war, als die Zahl der Pfleglinge bez. Züchtlinge diefer kom:
binirten Anftalt mit jedem Jahr zunahm. Am Jahr 1804 wurde die
Trennung des Zuchthaufes vom Irren- und Siecdyenhaufe vorgenommen,
und am 17. September diefes Jahres die ſchwererern Verbrecher (30
an der Zahl) in das Zuchthaus zu Mannheim, die leichtern aber (66)
in das Zuchthaus nad) Bruchfal abgeführt, dafiir aber die in Mann:
beim befindlichen Irren hierher übergefiedelt. Mit der hiefigen Anftalt
blieb blos nody ein Korreftionshaus verbunden, das gewöhnlich aber
nur 7—12 Sträflinge zählte, bis auch diefe 1808 in das in ein Kor:
veftionshaus umgewandelte Zuchthaus in Bruchfal verbracht wurden und
blos die Irren- und Sieden bier zurüdblieben. Die Zahl derjelben
betrug im Jahr 1810 im Ganzen 160, nämlich 119 im Irrenhaus
und 41 im Siechenhaus.
Waren auf folhe Weife nach und nad die Waifen, Pfründner,
Züchtlinge und Korrektionäre ausgefchieden und blos die Irren und
Stechen in einer Anftalt beifammen gelafjen wurden, jo wurde 1824
aud) die Trennung diefer beiden Arten von Kranken befchloffen, und
im folgenden Jahre zur Aufnahme für die Siechen ein eigenes Ge—
bäude im ehemaligen Barfüßergarten zu Pforzheim aufgeführt (das
jetige Taubftummeninftitut). Da in die gleiche Zeit auch die von der
Negierung beſchloſſene Errichtung eines allgemeinen Arbeitshaufes fiel,
fo wurde für dasfelbe das bisherige Lokal der Irren- und Giechen:
anftalt erwählt, und für die Srrenanftalt dagegen eine Lofalität in
Heidelberg beftimmt. Alle diefe neuen Einrichtungen traten mit dem
Jahr 1826 ing Leben.
Bald aber zeigte es fih, daß die neue, auf 7TO— 80 Kranfe be=
rechnete Siechenanftalt zu Fein war, um allen Gefuchen um Aufnahme
zu entfprechen. Das Gleiche war im Heidelberg der Fall, während das
neu errichtete Arbeitshaus zur Hälfte Teer ftand. Es wurde deshalb
1829 befchloffen, im Arbeitshaus eine Filialirrenanſtalt zu errichten,
in welche bauptfächlich Geiftesfieche, wie Blödſinnige, Cretins ꝛc. auf-
genommen werden follten, und in zwei Jahren war auch dieſe Anftalt
von 130 Pfleglingen bevölkert. So blieben die Verhältnifje bis 1842,
In diefem Jahr wurde die allgemeine Landesirrenanftalt Illenau, deren
Bau 1830 beſchloſſen worden war, eröffnet, und alle Irren, ſowohl
von Heidelberg, als der Tilialirrenanftalt Pforzheim, dahin verbracht.
Pflüger, Pforzheim. 39
610 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
In die Rofalitäten der letztern zog nunmehr 1842 die Giechenanftalt
wieder ein, und das neuerbaute Siechenhaus wurde der Taubftummen-
anftalt zugewiefen. So waren jest die Siechen- und die polizeiliche
Berwahrungsanftalt — in eine foldhe war 1840 das Arbeitshaus um:
gewandelt worden — wieder auf einem Areal beifammen. Wieder:
bolte Erfahrungen mußten jedoch wie früher zu der Meberzeugung füh—
ren, daß eine Straf: und eine Kranfenanftalt, in einer Xofalität ver:
einigt, fich in ihrem Gedeihen gegenfeitig nur hinderlich feien. Weberdies
jtellten fich die Räumlichkeiten der Siechenanftalt mehr und mehr als
unzulänglic heraus. Es wurde deshalb im Jahr 1854 die polizeiliche
Berwahrungsanftalt nad Kislau verlegt, und die bisherigen Lokalitäten
derfelben der Eiechenanftalt, die nun den Namen „Heileund Pflege
anftalt Pforzheim” erhielt, ebenfalls zugewiefen. Damit baben
diefelben auch ihren urfprünglihen Stiftungszwed wieder erhalten.
$ 3. Inneres,
(Städtifhe Verhältniffe, Gewerbe, Handel, Kirchliches, befondere
Ereignifje ꝛc.)
Mir find früher mehrfach Klagen über den Zerfall des gemeinen
Weſens in Pforzheim begegnet; auf eine Wiederholung derfelben ftoßen
wir im Jahr 1750 und zugleich auf die Bemerkung, daß der damalige
Bürgermeifter Henning die meifte Schuld daran trage. In wie weit
diefelbe gegründet war, wollen wir bier nicht unterfuchen, wohl aber
bemerken, daß der Bürgermeifter immer noch auch die Rechnung tiber
die ftädtifhen Einnahmen und Ausgaben führte und im Ganzen einen
Gehalt von 100 Gulden bezog. Alle ftädtifhen Nemter, welche oben
(S. 237) in der Stadtordnung von 1491 genannt wurden, beftanden
damals noch und hatte fich ihre Zahl fogar vermehrt, felbftverftändlic
auch der Aufwand dafür, da im Lauf der Zeit die Befoldungen nad
dem veränderten Geldwerth hatten erhöht werden müſſen. So erhielt
der Baumeifter von 1750 an ftatt der bisherigen 20 Gulden deren
jährlih 50. Schon damals wurde der Vorfchlag gemacht, die Zahl
jener Aemter zu verringern, was indeß erft fpäter gefhah. (Auf Bür-
germeifter Henning folgte 1750 Kummer, 1758 Steinhäufer,
nah ihm bis 1770 Weiß, ſodann bis 1775 Kißling, 1783
Günzel, 1795 Geiger x.)
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 611
Bon den 1750er Jahren an fcheinen ſich die Verhältniſſe immer
günftiger geftaltet zu haben. Einen Beweis für das Aufblühen Pforze
heims liefert wenigftens das Steigen mancher Staatseinnahmen. Go
belief fich der jährliche Ertrag des Pfund: und Landzolles in Pforz:
beim von 1757 —1766 durchſchnittlich auf 2498 fl., von 1767—1776
auf 2772 fl., von 1777—1786 aber bereit auf 4139 fl., — des
Dhmgeldes in derjelben Zeit von 1702 fl. auf 1978 und 3303 fl.
Daß vornehmlich durch die gefteigerte Gewerbthätigfeit fol günftigere
Ergebniffe erzielt wurden, wird unten nachgewiefen werden.
Daß der Haupttheil der Wehrpflicht der Bürger bei Einführung
bes ftehenden Militärs auf diefes überging, ift oben (S. 577) gefagt
worden, Dod blieb den Bürgern, wenn fie auch nicht mehr felber
ins Feld rüden mußten, wenigftens immer noch die Bewachung der
Stadt, felbft in dem Fall, wenn eine Garnifon in derfelben lag. Auch
diefes Geſchäft fcheint nad) und nad) ein überläftiges geworden zu fein;
denn im Jahr 1778 wurde die bisher beftandene allgemeine Wehrpflicht
aufgehoben und dafür, wie anderwärts auch geihah, das Inſtitut der
Stadtfoldaten eingeführt. Welcher Autorität fich diefelben erfreuten,
ift allgemein befannt, und noch Tebende Zeitgenofjen wifjen viel von den
Pofien zu erzählen, die diefen Sicherheitswächtern gejpielt wurden.
Sehen wir und nunmehr nad) der weitern Entwicklung der ge:
werblien Verhältniffe in Pforzheim um, fo weit. folde nicht ſchon im
vorhergehenden Paragraphen berührt worden find, und verweilen wir
zuerft bei dem Floßweſen. Cine neue Zunftordnung für die Flößer
war ſchon unterm 26. März 1740 von Seiten. der fürftl, Vormund—
ſchaft erlafjen worden. 1) Nach entiprehendem Eingang enthielt diefelbe
nähere Beftimmungen über die Erwerbung des Meifterrechts, die Lehr:
zeit, die Floßzeit (Mitfaften bis Martini), über etwaige Schmähungen
der Flößer unter einander, Verbot des Holzentlehnens, des Einſtehens
in den Jahrkauf, des Abführeng von mehr als 3 Flößen auf ein Mal,
des Abhauens von Holzzeihen, des Fürfaufs, dev Gemeinfchaften mit
ausländiichen Flößern oder Dienftleiftung an diefelben, des Wegver—
fperrens, des Arbeitens an Sonn: und Feiertagen, Beftimmungen wegen
Floßknechten, Hauern, der Reihenfolge bei Verwendung von Flößern,
wegen Bezahlung von Strafen, Zöllen, wegen Abgabe von Holz zum
1) Das Driginal berfelben befindet fich bei ven hiefigen ———
5*
612 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
Bauen x. — Von Wichtigkeit ift ferner der am 11. April 1747 zu
Wildbad wegen des Scheiterbolzflößens auf den Flüffen Wiürm,
Nagold, Enz, Nedar und Eiach zwiſchen Baden und Württemberg
abgefchloffene Vertrag. 1) Derfelbe wurde, wie fein Eingang befagt,
bauptfählich durch den mehr und mehr überhand nehmenden Mangel
an Brennholz veranlaßt, und darin in 48 Paragraphen das Nöthige
feftgefetst über Zölle und andere Abgaben (im Ganzen nicht mehr als
11/, kr. vom Klafter), Herftellung und Erhaltung von Waflerbauten
zum Behuf des Flößens, Entfhädigung an Mühlen: und andere Waſ—
ferwerfbefiter, Niederfeßung einer desfallfigen Kommiffion, Anweifung
von geeigneten Pläben zum Holzherausziehen, Strafen wegen Holzent—
wendungen (10 Gulden für jeden Kal), Verwendung von Wrbeitern,
Tloßzeit (von Martini bis 30. April des folgenden Jahres), Erlaub-
niß zum Nachtrieb an Sonn: und Feiertagen auf 12 Jahre, Abgabe
von jährlichen 1500 Klaftern Buchen: und Tannholz aus mwürttember:
giihen Stantswaldungen an das Eiſenwerk in Pforzheim, und zwar
zu demſelben bingeliefert das Klafter zu 1 fl. 56 kr., Bengelbolz- zu
1 fl. 30 kr., Beftätigung eines ähnlichen Vertrags wegen Abgabe von
Holz aus den Herrenalber Klofter: und Loffenauer Gemeindewaldungen
an den frühern Bejtänder des Hammerwerks, ©. Burkhardt aus Bafel,
Erlaubniß an den Herrenalber Klofterwirthd Johann Adam Benngießer
(Bendifer) zum Flößen auf der Alb, die Württemberg auferlegte Ver—
pflihtung zur Abnahme von jährlichen 1000 bis 1500 Centnern Eifen
vom Eiſenhammer in Pforzheim, Grlaubnig zum Xransportiren von
Eifen als Ablaft auf den Flößen ıc.
Diele Beftimmungen der oben im Auszug mitgetheilten Zunftord:
nung von 1740 traten wieder außer Kraft, als unterm 18. März
1747 der neue Pforzheimer Flößerzunft-Verein gegründet
wurde. Die Flößer hatten die Erfahrung gemacht, daß, wie das an
obigem Tag verabredete, am 28. Februar 1749 revidirte und von ber
Regierung genehmigte Statut des Vereins?) befagt, „feit einiger Seit
viel ſchädliches Mißtrauen, Stümpelei, Unsrönung und Gebrechen bei
diefer uralten Flößerzunft eingerifjen und dadurch die von unfern Mit:
1) Er befindet fih in Abſchrift bei den Aften der Pforzheimer Flößerzunft.
2) Es befindet ſich ebenfals in Abjchrift bei den Akten der Pforzheimer
Flößerzunft.
Achtzehntes Kapitel. , Pforzheim von 1746—1789. 613
flößern in zugehöriger Handirung vorhin ehrbarlich gefuchte Nahrung
merklich zurüdgegangen.” Auch mochte den ehrſamen Meiftern des
löbl. Flößerhandwerks nicht entgangen fein, daß nur ein Fümmerlicher
Gewinn erziehlt wurde, jo lange Jeder für fich handelte. Sie beſchloſ—
fen alfo die Gründung eines Floßvereins, und legten zu dem Ende einen
Fond von 26,000 Gulden, in 260 Portionen zu 100 Gulden beftehend,
zufammen, (mehr als 12 Portionen durfte ein Theilmehmer, deren e8
zu Anfang 86 waren, nicht baben,) und gelobten fih, alle Holzkäufe
und Verkäufe, Frachtakkorde ꝛc. auf gemeinjshaftliche Rechnung durch
ihren Vorfteher zu betreiben. Dies ſchloß nicht aus, daß der Vorftand
wieder einzelne Glieder in feinen Taglohn anftellte; ja es wurden bes
sondere Beſtimmungen für die möglichft gleiche Vertheilung diefer fpes .
ziellen Beſchäftigungsmittel getroffen. (Sonftige Beftimmungen der Sta:
tuten betreffen den Eintritt fpäterer Theilnehmer, die etwaige Vermeh—
rung des Grundfapitals, Vertheilung des Gewinnftes oder Verluſtes,
Abkauf einzelner Portionen dur die Geſellſchaft, Garantie des Befites
von ſolchen, Feſtſetzung von Vereinstagen, Erwählung der Rechner und
Deputirten und deren Bezüge, Entjcheidung von Streitigkeiten, Länge
der Flöße ꝛc.) — Das Unternehmen, das mit Umſicht und in Ein:
tracht Kegonnen und geleitet wurde, gedieh fo vortrefflih, daß da und
dort noch andere ähnliche Holzbandelsgejellichaften entjtanden, Als in
den 1750er Fahren eine württembergiſche Gefellichaft die Murg ober:
balb Gernsbach flößbar zu machen unternahm, fo brachte e8 der wach:
fame Vorſtand des Pforzheimer Floßvereins dahin, daß derfelbe in die
neue Murgkompagnie als ein Haupttheilhaber aufgenommen wurde.
Der ganze Murghandel wurde in 48 Portionen getheilt, wovon 22 auf
Pforzheim famen. Der Vertrag wurde 1758 auf 30 Jahre gefchloffen.
Aber noch mehr fam dem Floßverein der Umftand zu Statten, daß die
Murgkompagnie ſich bald mit derjenigen württembergiihen Gefellichaft
verband, welche in Calw anfblühte und vorzugsweife auf den drei Flüf-
jen flößte, die ſich bei Pforzheim vereinigen. Die Verbindung wurde
1763 auf 25 Jahre bejchloffen. Nun wurde für den Schiffsbau eine
Menge langer Tannenhölzer von dem Gebirg herab, und zwar nicht
blos in vermehrter Zahl auf dem Nedar, fondern auch auf der Murg
in den Rhein und nad Mannheim gefördert, dort aber an Zwiſchen—
bändler für Holland verkauft. Der Floßverein in Pforzheim dehnte
daneben feinen eigenen Holzhandel, den er fich auf beſondere Rechnung
614 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789.
vorbehalten hatte, nicht über gemeines Bauholz und Sägwaaren aus,
womit er bald einen großen Theil der am Nedar und Rhein Tiegenden
Ortfchaften bis nah Worms hinab verforgte.
Die fpätere Zeit fah ein Sinken und ftärferes Wieberaufleben
diefer Unternehmungen. Im Jahr 1777 hörte for wieder zum Theil
die Verbindung mit der Calwer Geſellſchaft, und 1788 Yöste ſich bie
Murgkompagnie auf. Mittlerweile war eine Faktorie für holländifche
Häufer in Prorzheim gegründet worden, welhe in den umliegenden
MWaldungen die Hölzer einfaufte und ſelbſt für den Transport forgte.
Der Faktor Böhringer führte aber nebenbei noch einen Holzhandel auf
eigene Nechnung, fo daß alfo der Floßzunftverein dadurch Feine geringe
Konkurrenz befam. Um ihn wieder empor zu bringen, feßte Karl
Friedrich eine eigene Kommiſſion nieder, und 1801 kam die größere
Bereinigung der holländifhen Kompagnie zu Stande, die unter
ber Firma Böhringer, Mayer und Komp. nicht mehr blos bi8 Mann:
heim, fondern nach Holland verflößte. Ihr Fond betrug eine Million
Gulden in 250 Aktien zu je 4000 Gulden. Die erwähnten hollän:
difchen Häufer, der Floßverein und Böhringer felbft wurden mit einer
größern Anzahl Aktien bedacht. Für den Floßverein wurde einbedungen,
daß feine Mitglieder allein das Recht haben follten, das bolländer
Holz in den Rhein zu verflößen. (Am 9. April 1802 ging der erfte
große Nheinfloß der holländifchen Kompagnie von Mannheim ab. Er
war 7321/, Fuß lang und 81 Fuß breit, Der damalige Kurfürft
Karl Friedrid ſchenkte mit noch andern hohen Herrſchaften dem neuen
Unternehmen die größte Aufmerffamkeit, fpeiste auf dem Floß zu Mit:
tag und begleitete denfelben bei feiner Abfahrt bis zur Rheinfpite). 1)
Beide Gefellichaften gediehen fo gut mit und neben einander, daß fih
1809 fogar noch ein drittes Comptoir unter der Firma Mayer und
Fritdorf bildete. Doch davon fpäter mehr, da wir ohnehin fchon dem
Zeitraum, defjen Darftellung die Aufgabe diefes Kapitels ift, voraus
geeilt find.
Wir müffen bier auch noch der Flößerwittwenkaſſe oder
Karl-Friedrichs-Stiftung gedenken, die im Juli 1789 ing Leben
gerufen ward. Als nämlih damals mit dem Pforzheimer Floßverein
ein neuer Holzafford errichtet wurde, wies Karl Friedrich aus dem
1) Pforzheimer wöchentliche Nachrichten von 1802,
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 615
herrſchaftlichen Holzerlös auf 10 Jahre die jährliche Summe von 2000,
alfo im Ganzen von 20,000 Gulden zur Gründung eines Fonds an,
aus deſſen Zinfen den Wittwen bez. Waifen der Flößer, die Meifter
geweſen, jährliche Unterftügungen gereicht werden follten, und zwar in
legterm all den Söhnen bis nad) vollendetem 18., den Töchtern bis
zum 16. Jahr. Ich werde auf diefe Stiftung zurückkommen, und bes
merfe bier noch, daß für diefelbe 1791 Statuten entworfen und unterm
29. Dezember 1792 beftätigt wurden.
Das Beifpiel der Flößerwittwenkaffe wurde 1792 die Veranlafjung
zur Gründung einer Bürgerwittwenkaſſe, deren Statuten bie
Regierung 1795 mit der Beſtimmung beftätigte, daß alle neu zugehen:
den Bürger Theil nehmen müßten, Nihtbürgern aber die Theilnahme
freiftehen follte. Diefe Wittwenkaſſe trug indefjen wegen verfehlter Or-
ganifation ſchon von Anfang an den Keim des Todes in ſich, und bie
Verwaltung, die nicht entſchieden genug war, half dazu mit, daß diefes
Inſtitut fpäter wieder aufhörte.
Bon dem herrfhaftlichen Eiſenwerk zu Pforzheim ift früher ſchon
mehrfach die Rede geweſen. Dasfelbe war fortwährend in Wacht
gegeben. Im Jahr 1752 erbot fih der Kammerrath Philipp Jakob
Sion zu Karlsruhe, das fürftliche Eifenwerk zu Pforzheim ober: und
unterhalb der Stadt zu Faufen. Der Regierung erfchien diefer Antrag
erwünfcht, und wurde alsbald eine Kommiffion nad Pforzheim geſchickt,
um Zuftand und Vorräthe beider Eifenwerfe zu unterfudhen, pflicht:
gemäß anzufchlagen und fodann, vorbehaltlich herrichaftlichen Ratifikation,
einen Kaufkontrakt abzufchliegen. Dies gefhah am 7. November 1752.
Die Kauffumme betrug 43,000 Gulden. Von fonftigen Kaufbeding-
ungen, bie in der Kaufurfunde im Ganzen 20 Paragraphen füllen,
erwähnen wir: Der Käufer ift für alle zum Eifenwert gehörigen Häu—
fer und Güter frei von Schatzung, Zehnten, Kriegsanlagen (Kontri—
bution ausgenommen), Be= und Einquartierung, hat Wirthichaftsrecht
auf dem obern und untern Hammer, jedoch nur für Angehörige des:
felben, fowie Fuhrleute, Hauer, Köhler und Dienftboten, darf fein
Dhmgeld bezahlen, hat das Recht, Salz und Viktualien zu verkaufen,
für die er pfund- und landzollfrei ift, — hat Fiſchrecht vom Flotzloch
beim obern Hammer bis Ende des Taktoriegartens und beim untern
Hammer im Blechwehrgraben, — darf für von auswärts bezogenes
Brennholz ebenfalls Leinen Zoll bezahlen, darf Scheiterholz auf der
616 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
Wiürm und Enz beifldzen gegen Entrichtung des Wafferzolls, — er:
hält das Eifenmonopol für das Unterland auf 20 Jahre, muß aber
der Herrichaft dafür jährlich 500 Gulden bezahlen, — hat über die
zum Hammer gehörigen Leute Strafgewalt bis zu 24 Stunden Ge:
fängnig und 4 Reichsthaler Gelditrafe, — zahlt für fein eigenes Fuhr:
werk in der Stadt weder Weg-, noch Pflafter: noch Brüdengeld ꝛc. —
Irion Fonnte ſich jedoch des neuen Erwerbs nicht lange erfreuen; denn
er ftarb ſchon 1755. Da er bedeutende Schulden hinterließ, jo verkauf:
ten feine Gläubiger das Eifenwerf mit allen Gebäulichfeiten, Vorräthen
Berechtigungen 2. um die Geſammtſumme von 28,000 Gulden an den
württembergifchen Kommerzienrath Chr. Ir. Lidell zu Neuenbürg und
an den SKloftetichaffner und Holzhändler Joh. Adam Bendijer zu
Herrenalb. 1) Es mag hier nody bemerkt werden, daß diefe beiden neuen
Befiser, um dem häufigen Zank über die Qualität des Eifens ein
Ende zu mahen, im Jahr 1761 freiwillig und ohne Entſchädigungs—
forderung auf das Eifenmonopol zu verzichten fich erklärten, wenn ihnen
die Zahlung der jährlichen 500 Gulden für dag Negal abgenommen
würde, Markgraf Karl Friedrich, der ein Feind aller Monopole war,
ging auf diefe Bedingung fogleidh ein. Das Eifenwerf blieb in gemein-
ſchaftlichem Beſitz von Lidell und Bendifer, bis der Sohn des erjteren
um das Jahr 1811 jeinen Antheil an Chr. Friedr. Bendifer, den
Nachfolger des erſten Beſitzers aus diefem Gejchlecht, verkaufte, wodurch
das Eijenwerk in den alleinigen Beſitz derjenigen Familie überging , in
deren Händen es fich heute noch befindet. 2)
Der ſchon feit Jahrhunderten in Pforzheim beftehenden herrichaft:
lichen Leinwandbleiche (ihr Alter beweifen die fchon früh vorkom—
1) Diefe Kaufurfunde, ſowie die frühere, ift no in ben Händen ber hie—
figen Befiger des Eijenwerfs,
2) Die bisherigen Befiger aus der Bendifer'ihen Familie waren und find:
Joh. Adam Bendifer (1755)
Chriſt. Frd. Bendijer
* I
Chriftoph Bendifer Joh. Adam Bendifer
— *
Moritz Benckiſer Auguſt Benckiſer.
Der ältere Lidell hatte 1760 den Charakter als Rentfammerratb erhalten
und farb 1793. Er machte vor fiinem Tod bedeutende Stiftungen für Stubi:
rende, Schulfeminariften, für das Karlsruher Bürgeripital und Almoſen.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 617
menden Namen Bleichwieſe, Bleichjtaffel 2c.) wurden in den 1740er
Jahren verjchiedene neue Freiheiten verliehen, und führte diejelbe von
41750 an den Namen „badifche privilegirte Leinwandbleiche.” Damals
wurden zu Gunſten derjelben, als „allein beſtehend“ nicht nur alle
Nebenbleihen in Pforzheim bei Strafe von 10 Gulden unterfagt, fon-
dern ihr auch geftattet, ausländifches Getuch zu bleihen. Die zur
Bleiche gehörigen Güter waren zehntfrei und hafteien nur die gewöhn—
lichen öffentlihen Steuern darauf. Doch mußte ſich der Erblehnpächter
(von 1758 an Ritterwirth Weiß) nad) Beendigung des Auslegens der
Tücher im Spätjahr den Weidgang im Rennfeldgarten gefallen lafſen ꝛc.
Diefe Bleiche gelangte bald zu großer Bedeutung, und wird die Menge
der Leinwand, welche ihr von nah und fern zuftrömte, zu Ende des
18. Sahrhunderts auf mehr als 100,000 Elfen angegeben.
Haben wir das Wefentlichite bezüglich der Entwidlung der ges
werblichen Verhältniſſe Pforzheims, mit Ausnahme der Entftehung der
Bijouteriefabrikation, der ein eigener Abſchnitt gewidmet werden foll, im
Bisherigen berührt, jo mag nunmehr auch noch verjciedener anderer
Berbältnifie gedacht werden. Am Jahr 1764 reihte fich den ſchon feit
längerer Zeit beftehenden Pforzheimer Stiftungen eine neue an, näm—
fh die Wilderfinn’ihe. Am 29. September genannten Jahres
vermachte nämlich der aus Pforzheim ftammende Glafermeifter Johann
Michael Wilderfinn zu Augsburg jammt feiner ebenfalls aus Pforzheim
gebürtigen Frau Agnes Eva geb. Deimling ein Kapital von 1000
Gulden mit folgenden Beftimmungen: Die Adminiftration desfelben
fol dem Magiftrat der Stadt Pforzheim zufommen, zu derſelben jedoch
aus den beiden Familien Wilderſinn und Deimling ein verftändiger
Mann beigezogen werden; die Stiftung darf aber nie mit andern Stif-
tungen vermengt, fondern muß für immer unter dem Namen: „Wilder:
ſinn'ſche Stiftung” abgefondert verwaltet werden. Der Verwalter der
Stiftung, fei es der Bürgermeifter oder eine andere Magiftratsperfon,
foll für feine Mühe aus den Zinfen des Kapitals jährlich 10 Gulden
erhalten. Der Neft des Zinfes fol Angehörigen der Familien Wilder:
. finn und Deimling zu gut kommen, (zu erftern gehörten ftiftungsge-
mäß die Nachfommen des Vaters des Stifters, Chriftoph Wilderfinn,
ferner des Küfermeifters Joh, Martin Eppelin und des Schuhmachers
Chriſtoph Schmid, von letztern beiden jedoch nur bis ins vierte Glied;
zur Deimling’ihen Descendung die Nachkommen des Großvaters der
618 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789.
Mitftifterin, des ehemaligen Bürgermeifters Chriſtoph Deimling, bier
wie dort jedoch mit Ausſchluß der weiblichen Linie); nämlih fo, daß
410 Gulden zur Anfchaffung von Büchern und Mänteln und zur Be
zahlung des Schulgelds für Knaben unvermöglicher Eltern, welche den
beiden genannten Familien angehören, was nad) Abzug obiger 20 Gulden
nod übrig, als Stipendium für folhe, welche Theologie, Jura oder
Medizin ftudiren würden, verwendet werden follen. Der Stipendiat fol
vier Jahre im Genuß desjelben bleiben, jedoch im Genuß des Stipendiums
zroifchen Angehörigen der Familien MWilderfinn und Deimling abgewech—
felt werden, wobei unter Vorausſetzung befonderer Befähigung die Ver:
mögensverhältniffe der Eltern nicht maaßgebend fein follen. Sn Er:
mangelung von Stipendiaten follen die Zinfen zum Kapital gefchlagen
und diefes fort und fort vergrößert werden. At das Verhalten bes
Stipendiaten ein tabelnswerthes oder wird er der evang. Tutherifchen
Religion ungetren, fo verliert er das Stipendium und muß wieder
erjeßen, was er bereits genofjen, weshalb vorher Kaution oder Bürg-
haft zu ftellen it. Sind aus beiden Familien keine Stipendiaten vor:
handen, fo kann daraus eine mittellofe Tedige Tochter, die Waife ift,
vom Ueberſchuß der verfügbaren Intereſſen eine Ausſteuer erhalten,
was unter Umftänden aud) neben einem Stipendiaten gefchehen Kann. 1)
Im Falle des Ausfterbens der beiden bezugsberechtigten Familien kann
nad Ermeffen des Stadtmagiftrats das Stipendium auch auf talent:
volle Kinder anderer Familien übergehen, Sollte von irgend einer
Seite der Verſuch gemacht werden, der Stadt Pforzheim diefe Stiftung
zu entziehen, fo haben bie beiden oben genannten Männer aus den
Familien Wilderfinn und Deimling vollfommen Macht und Gewalt,
das Kapital am fich zu ziehen, und es andern ſichern Händen zu über-
geben. So die urfprünglichen Beftimmungen der Wilderſinn'ſchen Stif-
tung. Diefelben mußten indeß im Lauf der Zeit mehrfach abgeändert
werden, was jedod immer im Sinn des Stifters gefhah. Wir werden
darauf zurückkommen.
Einer andern. Familienftiftung, nämlich der Lamprecht'ſchen, er:
wähnen wir bier nur, weil die Verwaltung derfelben in Pforzheim ihren ,
Sit Hat und zum Theil auch Angehörige des Amts bezugsberechtigt
1) Dieſe Iehtern Beftimmungen ber Stiftungsurfunde, die in Abichrift im
Stadtarchiv fich befindet, find ziemlih undeutlich fund ftehen im Widerſpruch
mit einer früher,
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 619
find. Der Hofrath und Leibmedicus Johann Heinrich Lamprecht zu
Durlach, früher Arzt am Waifenhaus in Pforzheim, beftimmte näm:
lich in feinem am 26. November 1753 verfaßten Teftament, daß im
Tall Ausfterbens feiner und feines Bruders Nachkommenſchaft fein
Vermögen für die männlichen Nachkommen des ehemaligen Schultheißen
Johann Bernhard Lamprecht in Wilferdingen in der Meife nußbar
gemacht werden folle, daß die Zinfen desfelben an junge Leute, welche
fih „denen Stubiis, dem Militär, der Cchreiberei oder einer andern,
der Lamprecht'ſchen Familie zur Ehre gereichenden nicht gemeinen Wif-
ſenſchaft widmen“, zur Beihilfe in beftimmten Summen ausgetheilt
würden, (Das Vermögen bdiefer Stiftung betrug am 1. Juli 1861
19,418 Gulden.)
Verſchiedene kirchliche Verhältniſſe Pforzheims unter ber
Regierung Karl Friedrichs find ſchon im vorhergehenden Kapitel berührt
worden, ſo u. U. die der reformirten Gemeinde daſelbſt. Im Jahr
1783 wurde auch den Katholiten das Recht des "Gottesdienftes in
Pforzheim eingerfumt, 1) nachdem feit dem weſtphäliſchen Frieden fein
folher mehr gehalten worden war. Die Regierung ftellte ihnen dazu
einen Saal des Maifenhaufes zur Verfügung. Eine katholifche Pfarrei
wurde in Pforzheim indeffen erft 1823 errichtet und den Katholiken
alsdann die bisherige reformirte Kirche (Chor der Barfüßerkirche), die
in Folge der 1821 erfolgten Bereinigung der Neformirten mit den
Qutheranern verfügbar geworden war, zur goftesdienftlichen Benützung
zugeniefen. Mehr bievon weiter unten. — Das Chor der eben er:
wähnten Barfüßerfirche war nämlich ftehen geblieben, ald der Thurm
diefer Kirche und fpäter letztere jelbft abgebrochen wurde. Der Abbruch
bes Thurms gefhah im Sommer 1748, weil er, wie e8 in den be
treffenden Akten 2) heißt, in Folge des Brandes im orleans’schen Kriege
„ruinos und dem Einfall nahe gemefen.”3) Die Ueberlieferung befagt,
daß er fi) nad) einer Seite, und zwar gegen die Brößinger Gaffe,
geneigt gehabt Hätte, d. b. daß man befürchtete, er möchte einmal in
diefelbe Hinunterftürzen. Diefer Thurm war bisher eine Zierde ber
1) Vergleiche das Karlsruher Antelligenzblatt No. 37 von 1783.
2) Großh. Domänenverwaltung bier.
2) Beim Abbruch, den Schieferbeder Machtolf aus Böblingen um 150 fl.
beforgte, ergaben fih 419 Pfd. Blei und 628 Pfd. Eifen. Derjelbe erfolgte
unter bem geiftlicden und Stiftsverwalter Olnhaufen.
620 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
Stadt gewejen. Er hatte eine Höhe von 200 Fuß, war „koſtbar auss
gehauen, bis oben auf ohne Dachwerk in Stein zierlih aufgebaut ;“
die Abbildung der Stadt von 1643 zeigt auch wirkfid den gothifchen
Styl diefes Thurmes. — Wir können hier gleich mit anfügen, welche
Alterthümer um jene Zeit auch ſonſt noch in Pforzheim verfchwanden,
wodurd das frühere Äußere und innere Anfehen der Stadt mehr und
mehr verändert wurde. Im Jahr 1754 wurden die Sreuzgänge des
Dominikanerkloſters, die feit dem Brand von 1692 noch ftehen
geblieben waren, abgerifjen und auf dem Plate ein Garten angelegt. 1)
(Dort fteht jett feit 1858 das neue Mädchenſchulhaus.) — Daß 1766
au das St. Georgsfirhlein verſchwand, ift bereits (S. 561)
gejagt worden, wie nicht minder von dem im Jahr 1763 erfolgten
Abbruch des höchſten Thurmes im Schloß zu Pforzheim (S. 449)
Erwähnung geſchah.
Ein ſchwerer Verluſt traf die Stadt Pforzheim nicht lange her:
nach dadurdy, daß die in den Jahren 1716—1721 (S. 550 ff.) neu
aufgebaute, jehr ſchöne Stadtkirche wieder abbrannte, Am 18. Mai
1789 brach in der Nähe derjelben im Haufe des Profurators Kollmar
(wo jet praftifcher Arzt Thumm) Teuer aus, welches bei dem heftig
wehenden Südweſtwind ſich rafch der ganzen Häuferreihe mittheilte und
bald auch den gerade gegenüberftehenden Thurm der Stadtkirche ergriff.
Mit feinem Sturz auf das Kirchendach gerieth auch die Kirche in Brand,
und in wenigen Stunden war ber herrliche Tempel ein Nichenhaufen,
Die Flammen wütheten indeffen fort, obgleich man von allen Geiten
zur Hilfe herbeieilte und fogar der Margraf Karl Friedrich mit dem
Erbprinzen Karl Ludwig auf dem Brandplat erfchien, um die Anftalten
zur Löſchung des Feuers felber zu leiten. Nachdem man lettern Zweck
erreicht glaubte, brach am folgenden Nachmittag durch das verborgen
glimmende Feuer ein neuer Brand aus, der noch mehrere Häufer ver:
zehrte, fo daß die Gefammtzahl der in Aiche gelegten Gebäude 50 be:
betrug. (Die an verichiedenen Häufern der Schulz, Reuchlins-, Roſen—
und Altftädterftrage befindlichen Jahrzahlen beweifen, daß diefelben nad)
dem Brand von 1789 neu aufgebaut wurden.) Die Stadtkirche felber
blieb in Trümmern, bis in den 1820er Jahren mit einem Neubau
. N) Deimlina faat im Vorwort zu feinem Drama: „Die 400 Pforzheimer”,
er babe als Knabe oft in diejen Kreuzgängen geipielt.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 624
begonnen wurde. Man kam jedoch mit bemfelben nicht über die Funda—
mente hinaus. Der Einftellung des Baues folgte in den 1840er Jah—
ven die Ebnung des Platzes, der nun, mit Bäumen bepflanzt, als
Schul: oder Reuchlinsplatz der frößfichen Jugend zum Tummelplatz
dient. Einer Stadtkirche entbehrt aber Pforzheim immer noch. —
Wir dürfen nicht vergeſſen, zu erwähnen, daß ſich ein Andenken an
die ehemalige Stadtkirche erhalten hat, nämlich das hölzerne Heilands—
bild mit fteinernem Boftament, welches auf dem Schulpfat fteht. Das:
ſelbe foll fi unter einem Vordach der Kirche befunden haben und
nicht nur 1789, fondern auch bei frühern Bränden, wo es ſchon vor:
handen gewefen, von den Flammen verſchont geblieben fein.
Faſſen wir diejenigen andern Ereigniſſe von Bedeutung, welde in
den Zeitraum von 1746 bis 1789 fallen, nod in Kürze zufammen.
Sm Jahr 1784, und zwar in den letzten Tagen Novembers, ver:
einigten fi) 20 Theilnehmer zu einer Leſegeſellſchaft, d. b. zu
gemeinfchaftlihenm Halten won Zeitfchriften und Büchern. 1) Die nächfte
Veranlaffung dazu gab der damalige Proreftor und fpätere Kirchen:
rath Zandt ?), der zugleih die Leitung der Gefchäfte übernahm. In
den erjten Jahren hielt die Gejellfchaft ihre Zuſammenkünfte in den
Privatwohnungen der Mitglieder, bis im Jahr 1788 ein eigenes Lokal
gemiethet und Gelegenheit zu täglicher gefelliger Vereinigung und Un—
terhaltung gegeben wurde. Bald vermehrte ſich die Zahl der Theil:
nehmer und betrug 1788 fchon 40, 1801 kereits 80. Im Jahr
1808 erhielt die Gefellihaft gedrudte Statuten, erwarb 1822 ein eige—
nes Haus am Marktplat um nahezu 411,000 fl., erbaute 1826 im
Hintergebäude einen Saal, um die gewöhnlichen Caſinos mit der Ge:
jellihaft zu verbinden, und nahm den Namen Mufeum an.3) Weber
den dermaligen Stand desjelben werden weiter unten Mittheilungen
‚folgen.
Am 29. Januar 1788 wurde in Karlsruhe ein glänzendes Er:
innerungsfet an die Schlacht von Wimpfen gefeiert. Durch das früher
ihon (©. 3A und im Vorwort) erwähnte, von dem Pforzheimer
Kaufmann Ernſt Ludwig Deimling verfaßte Trauerfpiel: „Die vierhun-
) Die ältefte Leiegefellihaft unferes Landes entftand 1775 zu Emmendingen ;
zu gleicher Zeit wie in Pforzheim wurbe auch eine in Karlsruhe gegrünbet,
2) Das Bildnif desjelben hängt im Saal des Mufeums.
®) Vergleiche die Statuten bes Muſeums, (gedrudt 1344).
622 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 17461789,
dert Pforzheimer Bürger,” das diefer bisher als Manufeript in feinem
Pulte verwahrt, aber einmal dem Obervogt Wieland von Pforzheim
und dem geheimen Hofrath Ning von Karlsruhe gezeigt hatte, war
man bei Hof auf die bisher unbefannte Heldenthat der 400 Pforz⸗
heimer bei Wimpfen aufmerkfam geworden. Karl Friedrich beſchloß,
das Andenken derfelben zu ehren und eine Erinnerungsfeier zu veran-
ftalten. Diefelbe fand, wie erwähnt, am 29. Januar 1788 in Karle-
ruhe jtatt, und wurden die Nachkommen der Helden von Pforzheim,
ſowohl zur eigentlichen Feier, bei der Dr. Poſſelt feine befannte Rede
bielt 1) und an weldyer der ganze Hof Theil nahm, als auch zur fürft-
lichen Tafel eingeladen. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß die ganze
Stadt Pforzheim ſich durch ſolch fchmeichelhafte Aufmerkſamkeit hoch—
geehrt fühlte.
Haben wir in frühern Kapiteln mehrfach des Beſuchs nicht nur
badiſcher Fürſten, ſondern auch deutſcher Kaiſer in Pforzheim erwähnt,
ſo dürfen wir nicht unterlaſſen, mitzutheilen, daß am 8. April 1777
auch Kaiſer Joſeph II auf einer Reife nah Frankreich durch Pforz⸗
heim kam, ja ſogar in der Stadt übernachtete. Die Pforzheimer waren
von der Leutſeligkeit dieſes in jeder Beziehung ausgezeichneten Fürſten
ganz entzückt.
Unſere etwas chronikartig gewordene Behandlung des Schluſſes
dieſer Abtheilung müſſen wir nun auch noch, um Seitenſtücke zu dem
eben geſchilderten großen Brand zu haben, auf die Erzählung von
Theurung und Waſſersnoth erſtrecken. In den Jahren 1769
und 1770 waren die Ernten ſchlecht ausgefallen, ſo daß 1771 eine
große Theurung und Hungersnoth entſtand, die auch in Pforzheim und
der Umgegend ſehr fühlbar war. Im Mai 1771 erreichte das Malter
Kernen den für jene Zeit fehr hohen Preis von 22 bis 23 Gulden,
das Korn koſtete 15, die Gerfte 12, der Haber 6, das Welſchkorn im
Juli 20 fl. Sonderbar war es num freilich, Haß zur Zeit der höchſten
Fruchtpreife auf den Wochenmärkten vom 16. und 33. Mai 8 Eier
für 4 Kreuzer verkauft wurden und das Pfund Rindfleifh nur 71/,
Kreuzer, das Pfund Butter nur 16 Kreuzer galt. Was die Frucht
preife betrifft, fo wären fie ohne die Eugen Maafregeln der badifchen
1) Sie erſchien im Drud unter bem Titel: Dr. Poſſelt, dem Vaterlandes
tod der 400 Pforzheimer. (Karlsruhe 1788.)
Ahtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746-1789, 623
Regierung wohl nod höher geftiegen. — Der Anfang des Jahres 1784
brachte in Folge des Eisgangs große Waffersnoth. Am 17. Januar
brach das Eis, und ungeheure Eisftüde bededten die Ufer der Enz und
Nagold von der Altftadt bis zum Kallhart. An der Auer Brüde ftaute
fi das Eis und ftand zuleßt höher, als die Brüde felber, jo daß das
Waſſer in die Stadt nnd die Au eindrang und die Leute flüchten muß:
ten. So blieb e8 drei Tage, bis ein Durchbruch des Eifes ftattfand,
Der Stadtrath Tieß überall die Eisftüde zerſchlagen, die Altftädter
Brüde abtragen. Plötzlich aber entjtand wiederum eine fo große Kälte,
dag die Flüffe faft bis auf den Grund zufroren. Im Februar trat
Thaumetter ein, die Eismafje fette fih am 26. in Bewegung, und
näherte fi) der Au. -Am 27. Februar Morgens 6 Uhr nahm fie ihren
eigenen Weg, bracd durch die Platzgärten hindurch, und alles Holz und
was das immer höher fteigende Waſſer mit fich fortichleppen konnte,
wurde weggeſchwemmt. Mauern, Zäune und Bäume wurden umgewor:
fen und das Wirthshaus zur Tanne in der Mltftadt vom Eis und den
Fluten gänzlich weggerifien. Es war ein Glüd, daß der Eisgang auf
der Nagold und Würm nicht gleichzeitig mit dem auf der Enz erfolgte.
Noch jetzt ift an oder in manchen Häufern die Wafjerhöhe jener ver:
bängnigvollen Tage angegeben.
Anbang.
Das alte Heilandsbild zu Pforzheim.
Don Eduard Brauer.
Drei Mal ſank die Stadt in Flammen
Krahend rings um dich zufammen;
Aud dein Haus, bas pfeilerhohe,
Wich der grimmempörten Lohe.
Umgewandelt find bie Straßen,
Andre Site, andre Saſſen,
Andrer Sinn und andre Sitte,
Du nur in des Wechſels Mitte,
Du allein, bift ſteh'n geblieben,
Bild des Heilands, unvertrieben,
Bon ber Glut nicht aufgerieben,
Dauermächtig, wie fein Lieben,
624 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
Alio mag der Brand ber. Zeiten
Mancher Kirche Sturz bereiten:
Hod und bel, der Menjchbeit Stern,
Wirft du leuchten, Bild des Herrn.
$ 4. Entfiehung und Entwicklung der Bijouteriefabrikation in
Pforzheim. 1)
(1767 ff.)
a Erfte Anfänge Erridtung einer Uhrenfabrik.
Es war zu Anfang des Jahres 1767, als ſich der Uhrenfabrikant
und UÜhrenhändler Johann Franz Autran, gebürtig ans Drange in
der Dauphinde, früher in Genf, damals aber in Bern fi) aufhaltend,
in feinem und feiner Afjocies Amedee Chriftin und Johann Viala
Namen an die badifche Regierung mit der Bitte wandte, in der Marf-
grafichaft eine Uhrenfabrif errichten zu dürfen. Er hatte fein Augen-
merk dabei zunächſt auf die Stadt Lörrach gerichtet, und der dortige
Obervogt von Wallbrunn, den er um feine Empfehlung anging, ließ
ihm ſolche Eräftigft zu Theil werden, wie denn auch der. geheime Le—
gationsrath von Schmidt in Bern den Autran und feine Affocies als
Männer fchilderte, die alle „Attention” verdienten. In einer an den
Markgrafen Karl Friedrich gerichteten Denkſchrift machte Antran auf
die großen Vortheile aufmerkfiam, welche ein jolcdhes Unternehmen dem
Lande bringen würde und ftellte eine Erweiterung desfelben in der
Weiſe in Ausfiht, daß auch nod die Verfertigung von Penduleg und
die Nabrifation von Bijouteriewaaren damit verbunden werden könnte.
Zur Gründung feiner Fabrik verlangte aber Autran das nöthige Kapital
von der Negierung, ‚und zwar auf 12 Jahre unverzinglich, und machte
darauf aufmerffam, daß auch die Kaiferin von Rußland, der König von
Preußen und die Negierung von Bern verfchiedene Fabrikunternehmen
in folcher Weiſe unterftüßt hätten. Ferner ftellte er die Forderung,
daß ihm im Lörrach, und zwar im dortigen Pädagogiumsgebäude, die
zur Errichtung und Betreibung feiner Fabrik erforderlichen Lokalitäten
eingeräumt werden müßten. Wenn jedoch der Markgraf diefelbe auf
‘
1) Quellen: Hauptfählihd Akten des Großh. Generallandesarhivs und
des Dberamts Pforzheim.
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746--1789. 625
eigene Nechnung übernehmen wolle, fo ftünden er und fein Affocies ihm
ebenfalls zur Verfügung und würden fich als fleifige und fachverftän-
dige Männer alle Mühe geben, das Geſchäft vecht Iufrativ zu machen,
Autran reiste felbft nach Karlsruhe, um feine Sache perfünlich zu
betreiben. Dort wurde ihm mündlich bedeutet, daß man es zwar fehr
gerne jehen würde, wenn das von ihm beabfichtigte Unternehmen zu
Stande käme, und deshalb geneigt wäre, ihm alle möglichen Begünſti—
gungen einzuräumen; allein auf die verlangte Herſchießung der Fonds
könne man fih nicht einlafjen, da dies gegen die Grundfäte des Marks
grafen gehe. Autran möge deshalb von diefer Forderung abftehen und
neue Vorfchläge machen. Zu weiterer Unterhandlung wurde er an den
geheimen Nath und Kammerpräfidenten v. Gemmingen vertiefen.
Während feines Aufenthaltes in Karlsruhe hatte Autran von der
zur Errichtung von Fabriken fehr günftigen Lage der Stadt Pforz-
beim, fowie von dem dortigen Waifenhaufe nähere Kenntniß erhalten.
Er reichte deshalb eine zweite ausführlichere Denkſchrift ein, worin er
einen neuen Plan, nad welchem feine Fabrik mit dem MWaifenhaufe
verbunden werden follte, näher entwidelte und verſchiedene darauf bezüg—
liche Vorſchläge machte. Diefer Denkſchrift folgte fpäter noch eine
dritte. Es würde zu weit führen, den Gang der Unterhandlungen
umftändlich zu verfolgen, Es genüge deshalb die Bemerkung, daß es,
nachdem von der Waifenhausfommiffion in Pforzheim ein Gutachten,
vom geheimen Nath Reinhard verfaßt, eingefordert worden war, am
6. Aprit 1767 zur Abſchließung eines Vertrages kam, der in 24 Para-
graphen im MWefentlichen folgende Beftimmungen enthielt: Autran und
Comp. verpflichten fih, auf ihre Koften und ihre Rechnung im Laufe
des Monats Juni 1767 in Pforzheim eine Fabrik zur Heritellung
zunähft von Taſchenuhren, jpäter auch von Stoduhren zu errichten und
für Gewinnung der dazu erforderlichen Arbeiter, fowie für Anſchaffung
der nöthigen Werkzeuge, mit Ausnahme derer für die Lehrlinge, welche
die Herrichaft im Betrag von etwa 3 Louisdor für jeden felber bezah—
len muß, Sorge zu tragen. Sie verpflichten fich ferner, fowohl beim
- Beginn des Gefchäfts, als im jedem der kommenden fünf Jahre 20
Knaben und 4 Mädchen, im Alter von mindeftens 12 Jahren, aus
dem Waifenhaufe, dem die Sorge für deren Unterhalt und Bekleidung
während der jechsjährigen Lehrzeit überlafien bleibt, in die Lehre zu
nehmen, jo daß nah Umfluß von 6 Jahren die Er der Lehrlinge
Piluger, Pforzheim.
626 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.,
144, nämlid 120 männlihe und 24 meibliche beträgt. Wenn das
Waiſenhaus fo viel junge Leute nicht liefern kann, fo behält fi bie
Gejellichaft vor, die fehlende Zahl aus der Stadt Pforzheim zu neh:
men, deren Unterhalt aber den Eltern zu überlafien. Die Kinder
follen während ihrer Lehrzeit fo weit gebracht werden, daß fie nad
Beendigung derfelben auf die erlernte Kunft der Uhrmacherei ihren
Lebensunterhalt bauen können, ohne noch in die Fremde gehen zu müf-
fen, wobei fi die Unternehmer verpflichten, die auf ſolche Weife ge-
wonnenen Arbeiter gerade fo zu bezahlen, wie die fonft von ihnen vers
wendeten. Während der Lehrzeit follen den Kindern jeden Tag zu
einer von der Waifenhausverwaltung zu beftimmenden Zeit 3 Stunden
behufs des Schulunterrichts, ferner jede Woche außer dem Sonntag
noch ein halber Tag zur Erholung freigegeben werden. Ein Fabrik
Iofal muß im Waifenhaus eingeräumt werden, ebenfo 7 Zimmer (ſammt
Küche) zur Wohnung für die unverheiratheten Fabrikunternehmer. Für
Beides wird in den nähften 6 Jahren kein Miethzins bezahlt. Für
Möbeln, mit Ausnahme der Fabrikeinrichtung und der Stühle für bie
Urbeiter, haben die Unternehmer felber zu forgen. Das Waiſenhaus
übernimmt aber die Verpflichtung der Heizung ſämmtlicher Lokalitäten
auf die Dauer von 6 Jahren, wozu demfelben von der Herrfchaft
jährlich 20 Klafter Buchenholz geliefert werden. Ferner wird den
Tabrikunternehmern für die erften 6 Jahre eine jährliche Unterſtützungs⸗
fumme von 50 Louisdor oder 550 Gulden zugefiher. Von allen
perfönlichen LZaften, ‚wie auch von der Entrichtung des Pfundzolles für
all ihr Arbeitsmaterial follen fie befreit fein, und das Staatsbürger:
recht fol ihnen gratis ertheilt werden; der Stadt Pforzheim. aber follen
fie für Erlangung des Ortsbürgerrehts die üblihe Summe bezahlen.
Meber die Aufrecthaltung des Vertrags Hat Namens der Herrichaft
die Waifenhausverwaltung zu wachen, und verfegen zur Sicherheit die
Tabrikunternehmer alle ihre Habe als Unterpfand.
So war nun die Sache geordnet. Autran reiste alsbald nad
Genf, um dort Arbeitsmaterial, ſowie die nöthigen Werkzeuge einzu:
kaufen, wozu ihm von der Obereinnehmerei Lörrah 110 Louisdor
(50 als Unterftügungsgeld für das erfte Jahr und 60 zur Anfchafs
fung der Werkzeuge für 20 Lehrlinge A 3 Louisdor) ausbezahlt wurden,
und im Juni 1767 wurde das neue Etabliffement eröffnet. Es bes
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 627
ſchäftigte ſogleich 30 Perfonen und nahm fo guten Fortgang, daß bald
mit dem Derfauf fertiger Waaren begonnen werden Eonnte,
b. Erweiterung der Uhrenfabrik zu einer Uhren-,
Sumwelen:, Gold: und Stahlwaaren-Fabrik,
Schon unterm 24. Auguſt desfelben Jahres reichte die Gefell-
fchaft eine neue, jehr ausführliche Denkſchrift ein, 1) worin nachgewieſen
war, wie leicht fi ihr Geſchäft auch auf die Fabrikation von Juwe—
Vierarbeiten (Jouaillerie), Goldwaaren (Bijouterie) und feine Stahl:
waaren (Quincaillerie) ausdehnen lafje und welche große Vortheile eine
ſolche Erweiterung der Fabrik verfprehe., Zu dem Ende follte noch
ein geſchickter Künftler, Baul Preponnier, der in den bedeutendften
englifchen Fabrifen gearbeitet hätte und fich auf die Anfertigung von
Juwelier, Gold: und Stahlwaaren vortrefflich verftünde und der dazu
auch die nöthigen Arbeiter mitbringen wolle, in die Gefellfchaft auf:
genommen und die Geſchäfte derfelben fo vertheilt werden, daß der neue
Affocie die Leitung der Fabrikation der eben genannten Waaren,
Viala die der Uhrmacherei übernehme, Chriftin als geſchickter Mechaniker
bie Inftandhaltung und Verbefferung der Inſtrumente ſich zur Aufgabe
mache und Autran die Bücher, Korrefpondenzen zc., überhaupt den
faufmännifhen Theil des Geſchäfts beforge. Zur Ausführung eines
folden Plans feien aber wenigftens 30,000 Gulden erforderlich, bie
man mit Hilfe einer zu bildenden Aktiengefellfchaft in der Weife leicht
aufbringen könne, dag 30 Aktien & 1000 Gulden ausgegeben würden.
Markgraf Karl Friedrih nahm ein reges Intereſſe an diefem neuen
Plane und ficherte der Geſellſchaft feine vollfte Unterftügung zu, bielt
jedoch die Ausgabe einer größeren Zahl von Aktien mit geringerm
Betrage für zweddienliher und fette diefelbe auf 100 a 300 Gulden
feft, und zwar fo, daß je 4 Aktien zufammen eine Stimme in der
Soeietät haben follen. Zugleich geftattete der Markgraf, daß alle
müßig liegenden berrichaftlichen Gelder in ſolchen Aktien angelegt werden
dürften; ebenfo erhielten die Städte Pforzheim und Durlach und andere
bedentende Kommunen, ſowie das Waiſenhaus ꝛc. die Erlaubniß, in
diefe Unternehmung mit Aktien fi) einzulaffen. Der geheime Rath
Reinhard, zum Vorfteher der ganzen Unternehmung ernannt, wurde mit
1) Sie war nicht weniger als 70 Folioſeiten ſtark.
40 *
628 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789,
dem Intwurfseines neuen Privilegiums auf 12 Jahre — fo Tange
follte die Aftiengefellihaft dauern — beauftragt, das bereit unterm
5. Oktober 1767 ausgeftellt wurde. Gleichzeitig erfchien eine gedruckte
„Nachricht, die von des regierenden Herin Marggraven zu Baden:
Durlach hochfürſtl. Durchlaucht gnädigft privilegirte Uhren: und feine
Stahlarbeit-Fabrit in Pforzheim betreffend," worin das Privilegium
abgedruckt war und zu zahlreicher Betheiligung an diefem Unternehmen
mit dem Bemerken eingeladen wurde, daß nach hoher fürftlicher Ver:
orönung die Oberämter, in der Stadt Karleruhe aber der Kammer:
rath Kärner den Verlauf der Aktien zu beforgen übernommen hätten.
Melde Hoffnungen man auf diefes Unternehmen gründete, zeigt eine
Stelle diefer Nachricht, wo es heißt: „Es ift nicht nöthig, wegen der
Sache etwas Weiteres anzuführen, als daß diejenige, welchen der Inhalt
derer Privilegien nicht aljobald verftändlich feyn follte, ihre Einlage
derer dreihundert Gulden als ein Anlehen betrachten müßen, wofür fie
ihre jährliche Zinfen zu fünfen von dem bundert richtig befommen, und
daß fie nad zwölf Jahren das Capital nicht allein wieder erhalten,
fondern auch dabei dasjenige, jo annoch ift gewonnen worden, empfan=
gen werden, welches nut denen geringften Berechnungen nad) mehr
als das doppelte diefes Kapitals ausmachen wird; dahero
dan ein jeder ſich zu beeifern hat, fein Geld an einem Orte anzulegen,
wo er nicht allein feine Zinfen jährlich, fondern auch, fein Capital nad
12 Sahren, verhoffentlih mehr als doppelt wieder erhal
ten wird, ohne daß er ſich dabey nur die geringfte Mühe
geben darf.“
Trotz diefer verlodenden Ausfichten, und obgleih der Markgraf
und, wie e8 fcheint, auch die Markgräfin Karoline mit gutem Beifpiele
vorangingen und fich bereit erklärten, felber eine Anzahl Aktien zu neh—
men, fo gelangte man doch bald zu der Meberzeugung, daß „der vor=
gehabte Plan mit denen Aktien zu Erlangung eines hinlänglichen Fonds
für die Pforzheimer Uhrenfabrik allen vorausfehenden Umftänden nad
nicht durchgufegen fein werde, und fcheine daher nicht wohl ein ander
Mittel mehr übrig zu fein, um dieſer Fabrik den erforderlichen foliden
Grund zu verfhaffen, als wenn Gerenifjimus dero Garantie vor ein
Capital von 30 bis 40,000 Gulden zu geben ſich gnädigft entſchließen
wollten.“ 1) Der Markgraf erflärte ſich hiezu auch geneigt, und es
1) Geh, Raths:Protofoll vom 2, Nov. 1767,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 629
wurde der geheime Rath Reinhard, der fchon vorher um ein Gutachten
in diefer Sache angegangen worden war und dasſelbe auch bereits un-
term 30. Dftober erftattet hatte, mit dem Entwurf eines neuen Pri-
vilegiums beauftragt, deſſen Beftimmungen der veränderten Sachlage
entiprechen follten.
Die Ausftellung diejes Privilegienbriefes erfolgte unterm 9. Nos
vember 1767. Er beitand aus nicht weniger als 33 Paragraphen,
deren Hauptinhalt folgender war: Nach entjprechender Einleitung und
ber Zufage des Markgrafen, die Pforzheimer Fabriken in feinen befons
dern Tandesväterlihen Schuß und Schirm zu nehmen, werden den Unter:
nehmern die früher ſchon ertheilten Begünftigungen aufs Neue betätigt
und dazu auf 12 Jahre noch der jährliche Bezug von 1 Ruder Wein
verwilligt; fodann wird ihnen die Erlaubniß ertheilt zur Fabrikation
aller Sorten von Uhren und ihrer Theile, aller Arten von feinen
Stahlwaaren, fo namentlich von Uhrenketten, Degen, Gewehrbeichlägen,
Schnallen, Knöpfen, Scheeren, Befteden zc., von Juwelen und Kleinodien
von Gold und Silber, mit oder ohne Ebdelfteine, von mechanifchen und
mathematifchen Werkzeugen, aud Teilen, — den Unternehmern wird
ein Fond von 40,000 Gulden auf 12 Jahre zu Handen geftellt, für
weldyen der Markgraf, wenn er ihn nicht felber fchießt, den Darleihern
gegenüber Garantie übernimmt; es folgen fodann Beitimmungen über
die alljährliche Aufftellung eines Inventars, die Entrichtung der Zinfen,
bie Vertheilung des Gewinns, die nah Umfluß von 12 Jahren zu
treffenden Maaßregeln, die Betheiligung des Waifenhaufes am Unter:
nehmen, die Beftellung eines Dberauffehers über das ganze Geſchäft in
der Berfon des geh. Raths Reinhard, fowie eines Handlungsverftändi-
gen zur allmöchentlichen Unterfuhung der Handlungsbücher, die Beeidi—
gung des anzuftellenden Buchhalters, die Einrichtung der Bücher, die .
Veftfegung der Firma, die Ausdehnung des Rechts der Verwendung der
Waiſenhauskinder auf Fabrikation aller Waaren, fehsjährige Lehrzeit
derjelben mit dem Beifab, daß fie alsdann noch zwei Jahre für das
Waiſenhaus arbeiten müßten, die Annahme auch anderer Lehrlinge im
Tal der Unzulänglichkeit der Waifenhauszöglinge und die Vortheile, die
ihnen in Ausficht ftünden, die Möglichkeit der Verwendung auch preit-
bafter Perfonen, die Vorausbeftätigung von Privatverträgen zwiſchen
ben Unternehmern unter fih und der Waifenhaustommiffion gegenüber,
wenn folhe „unfern Landen und befonders der Stadt Pforzheim zu
630 Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 17461789,
befierer Nahrung und Gewerbe verhelfen;“ Aufforderung zu Borfchläs
gen bezüglich der Fortfegung des Unternehmens über die beftimmten
42 Jahre hinaus, Weifung an alle betr. Staatsftellen, dem Unterneh⸗
„mer jeden Vorſchub zu leiten.
Es handelte fich jet nur noch um Aufbringung der zu dieſer
ausgedehntern Unternehmung erforderlichen Fonds. Dieſe Frage wurde
dadurch raſch entſchieden, daß der Staat die nöthigen Gelder ſelber
herſchoß. Die Haupttriebfeder, daß dieſes geſchah, ſcheint neben dem
Markgrafen namentlich die Margräfin Karoline geweſen zu fein. Wel-
hen Einfluß diefe vortreffliche Fürftin auf ihren Gemahl und feine
Entſchlüſſe ausübte, ift oben (S. 602) ſchon gejagt worden. Gie war
auch die Frau nicht, die ſich durch Schwierigkeiten abjchreden Tieß.
An folhen follte es nicht fehlen. Es ftellte fich nämlich bald
heraus, daß man bezüglich des Preponnier, den man als vierten Theil
baber ing Gefchäft ziehen wollte, die Nechnung fo ziemlich ohne ben
Wirth gemacht hatte, Derſelbe war bisher in Bern im Auftrag einer
„Stonomifchen Geſellſchaft“ einer Duincailleriefabrik vorgeftanden, die eine
ziemliche Anzahl von Arbeitern beichäftigte, war aber fo tief in Schulden
gerathen, daß die öfonomifche Gejellichaft nicht weniger als 20,000 Pfund
an ihn forderte, die er nicht bezahlen Konnte, Es handelte fich nunmehr
darum, ob man die Bijouterier und Stahlarbeit in Pforzheim nicht ganz
weglafien, ober diefelbe ohne den Preponnier einrichten, oder endlich
diefen in der Societät behalten und bei der ökonomiſchen Gejellichaft
zu Bern mit obiger Summe auslöjen *folle. Autran und Chriftin
waren in biefer Frage verfchiedener Meinung, und auch der geheime
Rath Reinhard, der unterm 23. Januar 1768 darüber ein ansführ:
liches Gutachten erftattete, in welchem alle Gründe für und wiber auf
das Sorgfältigfte abgewogen waren, ftellte feinen beftimmten Antrag,
fondern überließ die endgiltige Entfcheidung der Markgräfin Karoline,
die an der ganzen Sache fo reges Intereſſe nahm, Diefe Entfcheidung,
von der das Schickſal der Duimenillerie und mit ihr der für die Folge
fo wichtigen Bijouterie abhing, harakterifirt fo fehr ben Unternefmmge:
geift, die Entjchloffenheit und Umficht diefer hohen Frau, daß ſie hier
vollftändig ftehen mag. „Ich bin,“ fagt fie, „volllommen der Meynung,
die branche der Quincaillerie als eine der Einträchliſten nicht fahren zu
lafien, und obgleich der Vorſchlag des Christin fehr solid gedacht ift,
fo ift jedoch in Anbetracht aller Einwürffe, jo Autran dagegen machet,
Ad
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 631
bes Yettern feiner vorzuziehen, mithin der Preponnier nebſt allen feinen
machinen und gankem Etablissement auszulößen, doch unter folgenden
Bedüngniffen: 1) follen fih Autran und Christin, weilen fie Beyde
gegenwärtig auf dem lab find, erkundigen um die Geſchicklichkeit des
Preponnier und feiner in der Schweiß verfertigten Waaren, ob ſolche
denenjenigen gemäß, welche er gezeichet. 2) Haben fie den Preponnier
zu engagiren, daß er verfpreche, felbften in der Werkſtatt zu arbeiten,
auf feine Lehrlinge wohl achtung zu geben und fie beftens zu unterrich-
ten; 3) nichts mit dem Commerce zu thun zu haben; 4) alle Samftag
die verfertigte Waaren in das magazin zu lieffern; 5) fein Secret
dem Autran und Christin nicht allein zu communieiren, fondern auch
in deren Beyſeyn Waaren zu verfertigen, indeme der Preponnier ſowie
wir alle der Sterblichkeit unterworffen; 6) Iſt wegen der Zahlung
der 20,000 livres, fo viel e8 ſich wird thun laſſen, dem Vorſchlag des
Autran, ſolche in terminen zu entrichten, nachzufommen. Caroline
M. z. B. g. P. z. H. Markgräfin zu Baden, geborene Prinzeffin zu
Heſſen.) |
Auf diefe Entſchließung Hin erfolgte die Auslöfung des Preponnier
und feiner Fabrifeinrichtung mit allen Effekten und Werkzeugen um die
Summe von 800 Lonisdor. Auch ſämmtliche Arbeiter diefer Fabrik
wurden für das neue Etabliffement engagirt, und Autran und Chriftin
reiften felbft in die Schweiz, um noch weitere Arbeitskräfte zu gewin—
nen. Das ganze Arbeiterperfonal, weldes bis 1. März 1768 in
Pforzheim eingetroffen war, beftand aus 16 Ehemännern, 13 Chen:
weibern (die fehlenden 3 kamen fpäter nach), 14 Iedigen Manns: und
4 ledigen Weibsperfonen, alfo im Ganzen aus 44 Köpfen, nebit 12
Kindern beiderlei Gefchlehts. Acht Uhrenmacher aus Lachaudefond,
die man auch angenommen hatte, blieben aus, weil dafelbft ausgefprengt
worden war, daß alle Arbeiter als Sklaven eingefperrt und behandelt
werden würden. Es wurden fhleunigft Schritte gethan, um fie durch
andere zu erfegen, da man fie fehr nöthig brauchte, um die viele Ar-
beit, welche die Waifenkinder ſchon recht ordentlich zu Stande brachten,
zu finiren. Mer fi in Pforzheim aud nicht einfand, das war der
faubere Preponnier. Mit einem Vorſchuß von 27 Louisdor war er
plöglih unficytbar geworden, Es ftellte fich übrigens heraus, daß der
Verluſt nicht groß war, indem er von der Duincaillerie gar nichts
verftand und fich überall als Lügner und Betrüger gezeigt hatt. Man
632 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 —1789.
bofite, auch ohne ihn fertig zu werden. An die neuen Arbeiter hatte
im Ganzen die Summe von 3390 Gulden als Vorſchuß bezahlt were
den müſſen, theils um fid im der Schweiz los zu machen, theils um
fi in Pforzheim einzurichten. Diejer Vorſchuß follte ihnen an ihrem
Lohn nad) und nad wieder abgezogen werden. Die Arbeiter waren
größtentheils jehr geſchickte Leute. Als ganz vorzüglich erwieſen ſich bald
die beiden Engländer Price und Cashmore, der Graveur Lartique,
der Uhrgehäuſemacher Nendu, der Bijoutier Stähli, der auch die Schiff:
hen von Elfenbein, die man damals in den Obrgehängen trug, fowie
Landſchaften aus Haaren zu machen verftand, endlich der Mechanikus
Plan. Sämmtlihe Weiber wurden ebenfalls in der Fabrik beſchäftigt,
und zwar mit Vergolden, oliven, Weberziehen der Uhrgehäuſe zc.,
wobei fie einen ſchönen Verdienſt hatten. „Zu wünſchen wäre”, fagt
Reinhard in einem unterm 29. April 1768 erftatteten Bericht, „daß
die Weiber dem Kleiderprachte nicht fo jehr ergeben wären!“
Die Arbeiter, größtentheils Franzoſen und franzöftiche Schweizer,
wurden alle nach dem Stück bezahlt und ftellten fich dabei zum Theil
recht gut. So war der durchfchnittliche Monatsverdienft des Graveurs
Lartique und feiner Frau 88 Gulden, Andere ftellten fih auf 55, 44
33 Gulden und fo herunter bis zur Stahlpoliffeufe, welche freilich nur
5 fl. 30 Er. verdiente. Einſchließlich der 30 Waifentinder, welche be-
reits in der Fabrik verwendet wurden, belief fi) da8 Gefammtperfonal
derfelben am Tage der Eröffnung, nämlich am 1. März 1768, auf
74 Köpfe, immerhin ein bedeutender Anfang. Zum Buchhalter der
Tabrit wurde Johann Jakob Ador beftellt, ein feinem Gefchäfte
durchaus gewachfener und ſehr fleifiger junger Mann, der, von fran-
zöſiſchen Eltern in England geboren, eben fo gut franzöfifch und eng—
liſch, als deutſch ſprach und ſchrieb.
So ſchienen nun die Verhältniſſe allfeitig geordnet, und man durfte
um jo mehr hoffen, daß das Unternehmen ſich gut rentiren werde, als
ſich ſchon bei der bisher betriebenen ÜUhrenfabrit bis 1. März 1768,
an welchem Tage ein Inventar aufgeftellt und die Bilanz gezogen wurde,
ein Gewinn von 1127 fl. 24/, kr. Herausftellte, trotzdem, daß das
Geſchäft bisher noch in feiner großen Ausdehnung betrieben worden war.
Zur Fortführung der Fabrit in ihrer dermaligen Ausdehnung hielt
man wenigftens jährliche 24,000 Gulden für nothwendig. Bom 1. März
bis 25. April beliefen fih die Ausgaben für die Fabrik bereits auf
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 633
34% fl. 5 fr. Man hoffte jedoch zuverfichtlich, daß troß des unerwar-
teten Aufwandes, den die Auslöfung der Quincailleriefabrit in Bern
verurfacht hatte, der urfprünglich beſtimmte Vorſchuß von 40,000 fl.
binreichen werde, um die Sache in guten Gang zu bringen, namentlid,
da nicht nur an fertiger Waare immer unter der Hand verkauft wurde,
fondern die Unternehmer auch darauf rechnen durften, die Frankfurter
Herbitmefje mit einem anfehnliden Lager von Uhren, Bijouterie- und
Duincailleriewaaren beziehen zu fünnen, wofür die Zahlung theils baar
einging, theils für die Dftermefje 1769 in Ausficht ftand. — Die
Bergrößerung der Fabrik hatte ſchon im Frühjahr 1768 die Erbauung
einer weitern Werfftätte nothwendig gemacht.
ec. Trennung der Quincailleriefabrif von der
Uhrenfabrik.
Bald jedoch brachen unter den drei Fabrikunternehmern Mißhellig—
keiten aus. Schon in dem bereits angezogenen Bericht des Geheime—
raths Reinhard über den Zuſtand der Fabrik vom 29, April 1768
bedauerte derjelbe, daß ſich zwijchen den Afjocies „einiger Widerwille
anfpinnen wolle.” Er fhildert darin Autran als einen fehr herſchſüch—
tigen Mann, der in gehörigen Schranken gehalten werden müfje, wenn
nicht jelbft die Ordnung des Waijenhaufes über den Haufen geworfen
werden folle. Es war deshalb ſchon unterm 29, April eine Inſtruk—
tion entworfen worden, welche jedem derartigen Beginnen aufs Kräf:
tigfte einen Riegel vorſchob. Chriftin wird das Lob eines gefeßten und
ehrlichen Mannes gezollt, Es fcheint jedoh, daß er häufig deswegen
Unzufriedenheit erregte‘, weil er über -feiner Beſchäftigung mit mecha—
nifhen Arbeiten, die fein Nachdenken und feine Zeit mehr als nöthig
in Anſpruch nahmen, fein eigentliches Geſchäft, die Uhrmacherei, vielfach
vernachläffigte. Von Viala wird gejagt, daß er ein gutes Herz habe,
fehr fleißig fei, aber wegen feiner Jugend noch nicht genug Erfahrung
befige. Die Mißhelligkeiten wurden nad) und nad von der Art, daß
unterm 16. Juni 1768 der Geheimerath Neinhard im Auftrag des
Markgrafen fich jelber nad) Pforzheim begab, um den Frieden wieder
berzuftellen. Ex mußte ſich aber bald überzeugen, daß feine Bemühun-
gen fruchtlos waren, und zeigte fi) deshalb nicht abgeneigt, auf den
von Chriftin und Viala gemachten Vorſchlag einer Theilung der
634 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 17461789,
Fabrik einzugehen, obgleich diefelbe mit feinen geringen Schwierigkeiten
verbunden war. Es war noch eine zweite Reiſe nad) Pforzheim noth-
wendig, um bie Unterhandlungen wegen der Trennung, zu welcher ber
Markgraf feine Zuftimmung gegeben hatte, in jo weit zum Abſchluß zu -
bringen, daß ein darauf abzielender Vertrag vereinbart werden konnte.
Letzteres geihah unterm 28, Juni 1768. Autran übernahm den Theil
der Fabrik, welcher die Duincaillerie umfaßte und affocirte ſich mit dem
bisherigen Buchhalter Ador, fo daß diefes Geſchäft nunmehr unter der
Firma Autran und Ador geführt wurde. Für die Abtretung des
Zweiges der Duincaillerie bezahlten diefelben an Chriftin und Viala
die Summe von 4466 fl. 46 fr. Die Uhren», Bijouterie: und Ju-
welenfabrit blieb bei der Firma Ehriftin und Viala; Hoch behielt
fih auch Autran das Recht vor, feine Fabrik auf ſolche Waaren aus:
zudehnen. Die Arbeiter und Lehrlinge wurden in angemefjener Weife
auf beide Fabriken vertheilt; das Gleiche geſchah mit den Lofalitäten
im Waiſenhauſe, die indeſſen ſogleich nach der Trennung durch einen
Neubau vergrößert wurden, ebenfo mit den bewilligten 20 Klaftern
Holz, wovon jeder Theil LO erhielt, mit dem ebenfalls bewilligten Fuder
Wein, wovon Autran und Ador künftig 4, Chriftin und Viala aber
6 Ohm erhalten follten, und endlich mit der jährlich zu beziehenden
Geldunterftügung von 550 Gulden, wovon den Erftgenannten 250,
letsteren aber 300 Gulden zugefchieden wurden. Beide Theile ver-
ſprachen, Alles zu vermeiden, wodurd in Zukunft das friedliche Ber:
hältniß zwifchen ihren Fabriken und deren Arbeiter geftört werben könnte.
Ihrer Bitte, daß nun auch auf Grund der Trennung jedem Theil die
früber gegebenen Privilegien befonders beftätigt werden follten, wurde
von Seiten der Regierung auf das DBereitwilligfte entiprochen, Bezüge.
Vic der Fabrik von Chriftin und Viala fand es der Geheimrath Rein:
bard nothwendig, einen ausführlichen Plan zu entwerfen, wie die Ge:
ſchäfte Fünftig geführt werden follten. Es ſcheint derfelbe in die Kauf:
männifchen Einfichten Chriftins nicht das befte Vertrauen gehabt zu
haben. Für beide Fabriken erfchien unterm 17. Oktober 1768 in
deutſcher und franzöfifcher Sprache eine gebrudte Verordnung, worin
namentlich das Nöthige über das Verhältnig der Arbeiter zu den Fabrik
unternehmern fefigefeßt wurde. ALS erfte Pforzheimer „Fabrikordnung“
möge fie bier eine Stelle finden.
*
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 635
Berordnung
in Betreff der zu Pforzheim errichteten Uhren-, feinen Stahlarbeit-
Kleinod» und Juwelen-Fabriken, mit denen damit verbundenen
Profeflionen.
Bon GOTTES Gnaden Wir CART FRIDENICH, Marg:
grad zu Baden und Hochberg, Landgrav zu Saufenberg, Grav zu
Sponheim und Eberftein, Herr zu Nöten, Badenweiler, Lahr und
Mahlberg, ꝛc. entbieten allen denen, welche diefes fehen und leſen,
unfern Gruß!
Demnah Wir Unfern Lieben Getreuen, Autran und Ador
einer: auch Ehriftin und Viala andererjeits gnädigſt erlaubt haben,
in Unferer guten Stadt Pforzheim eine Uhren: feine Stahlarbeit: Kleinod:
und Auwelen-Fabrife, mit denen damit verbundenen Kunftäften, zu er:
richten, auch ihnen zu dem Ende verfchiedene Privilegien ertbeilet haben;
als betätigen Wir
I. ſolche durch gegenwärtiges ihrem ganzen Anhalt nach und befeh-
len denen Präfidenten und Räthen Unferer Regierung, ſodann Unjerm
Dberamt Pforzheim, wie auch Unferer Waifenhauscommiffton und
dem Oberaufjeher erfagter Fabrifen, genaue Aufficht zu tragen, damit
ſolchen in allem pünctliche Genüge gefchehe.
I. Wir nehmen die Entrepreneurs gedachter Fabriken nebft ihren
Arbeitern, ihren Weibern und Kindern, fo, wie fonft alle und jede ihnen
zugehörige Leute, in Unfern bejondern Schutz und befehlen Unferm
Dberamt Pforzheim, dem dafigen Stadtmagiftrat und allen denen
Unfrigen, fie mit aller Achtung zu behandeln, ihnen bei allen Vorfälle
geſchwinde Juſtiz zu verichaffen, und bei allen Gelegenheiten Hülfe zu
leiften, wo fie deren benöthiget fein mögten.
III. Die Entrepreneurs werden ihrerfeit fo, wie bie Arbeitere,
ihre Weiber und Kinder, auch fonft alle und jede, fo bei denen Fabriken
fteben, ein wohlanftändiges Leben führen, um fi dur ihre Auffüh-
rung fomwohl, als durch ihre Talente und Gefchielichfeiten von andern
zu unterfcheiden und in dem einen und anderen Betrachte Unfere Gnade
und MWohlwollen zu verdienen.
IV. Sie werden ihren Arbeiten fleifig obliegen, allen Müſſiggang
vermeiden und durch ihre Nemfigkeit trachten, ſich auffer Schulden und
in einem guten Nahrungsftande zu erhalten.
V. Die Arbeitere follen gegen die Entrepreneurs die gebührende
636 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 —1789,
Achtung tragen und diefe hinwiederum gegen jene mit aller Höflichkeit
verfahren. Alle und jede, fo zu der Fabrik gehören, follen ſich aller
Zänkerey, aller Beleidigungen enthalten, und niemahls weder über ihre
Mitarbeitere, noch über fonft jemanden, er ſey, wer er wolle, auf eine
nicht geziemende Art reden.
VI. Fals auch die Arbeitere untereinander Händel befämen, fo
haben fie jolche denen Entrepreneurs vorzutragen, um fie gütlich beizu-
legen; und, wenn biefes fruchtlos abliefe, jo haben fie e8 vor den Prä-
fidenten zu bringen, welder alsdenn freye Macht bat, fie felbit abzu—
thun, oder an das Oberamt gelangen zu laſſen.
VII Es fol aber feiner den Präfidenten perſönlich überlaufen,
fondern bei allen Vorfallenheiten zu Haufe und bei feiner Arbeit blei=
ben, und fein Anliegen durch ein vermittelit der alle Tage abgehenden
Poft anhero zu fendendes Memorial geziemend vortragen.
VIII. Bielweniger follen die Arbeiter, wann einem oder dem
andern von ihnen eine Beleidigung wiederfahren wäre, des Arbeitens
ſich enthalten, fondern der Entſcheidung der Sache ruhig abwarten und
bei ihrem Gejchäfte verbleiben; wiedrigenfalls dafjelbe als eine vorfäß-
liche Meuterei beftraft werden foll,
IX. Diejenigen Zwiftigfeiten, fo ſich zwiſchen denen Entrepreneurs
und denen Arbeitern entjpinnen, follen gleihmäßig vor den Präfidenten
gebracht werden, um fie entweder felbit zu entjcheiden oder dem Ober:
amt zur Entſcheidung zuzuſchicken.
X. Die Entrepreneurs und Arbeitere haben niemahls auffer Acht
zu lafien, daß fie mit den Bürgeren und den Einwohneren der Stadt
in guter Eintracht leben, und ihnen eben fo begegnen, wie fie wünfchen,
daß ihnen von den Bürgeren und Einwohneren begegnet würde.
XI. Diejenigen Händel, fo zwifchen denen Bürgeren und denen
Fabrikanten entftehen, ſollen durch das Dberamt abgeurtheilt werden.
XII. Da das Waifenhaus beftimt ift, die Sitten der Kinder zu
bilden, welche darin aufgenommen werden, und für die dürftigen Kran—
fen zu forgen: fo ift es billig, daß der Wohlftand hauptſächlich darin
beobachtet werde, und daß nichts die Ordnung, Ruhe und Stille dafelbft
ftöhren könne. Daher wird denen, fo bei denen Fabriken ftehen, aufer-
legt, dahin vorzüglich ihren Bedacht zu nehmen; denen Entrepreneurs
aber wird obliegen, die Hand darauf zu halten, widrigenfal® Sie vor
bie Mebertretungen ftehen follen. '
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 637
XII. Niemand fol fi) in die Angelegenheit diefes Haufes mifchen,
noch mit denen aufgenommenen oder darin dienenden Leuten ein Gewerb
haben. Man fol fie auch auf Feine Weife zu feinem Dienft brauchen.
Die Lehrlinge find auf die Stunde, da ihre Arbeit aufhört, zurüd zu
ſchicken und zu nichts, als denen Arbeiten in demjenigen Theile der
Fabrik, fo fie erlernen, anzubalten.
XIV. &s wird hiemit ausdrücklich verboten, Hunde oder Katen
in dem Waifenhaufe zu halten, oder dahin zu bringen. Die Reinigkeit
diefes Haufes leidet dergleichen Thiere nicht, welche in gewiſſen Umftän-
den für den Haufen derer dafelbft befindlichen Kinder fehr gefährlich
werden könten.
XV. Jederman enthalte fih, etwas, jo dem Waifenhaufe zugehört,
zu nehmen; es fei Holz, Kräuter, Blumen, oder fonft etwas, wenn es
auch von ganz feinem Werthe wäre. Ein gleiches ift auch in Anfehung
der Werkzeuge und Hausgeräthe, fo diefem Haufe gehören, zu beobachten.
XVI. Die Entrepreneurs find beredhtiget, nad) ihrem Gefallen
Arbeitere anzunehmen, oder zu entlaffen; allein die Uebereinkünfte zwi⸗—
chen denen Entrepreneurs und denen Arbeitern müfjen von beiden Sei:
ten auf das beiligfte beobachtet werden, anfer in dem Falle einer üblen
Aufführung oder des Mangels an Gefchiklichkeit, in welchem Falle es
jedoch auf die Enticheidung des Präfidenten anfommen wird.
XVII. Wenn die Zeit der Webereinkunft zu Ende ift, fo könen
die Urbeiter die Fabrike verlaffen, und fi) anders wohin begeben, nach—
dem fie vorher die Schulden, fo fie etwan gemacht, bezahlt haben.
XVII. Diejenigen, welche davon gehen, ohne ihre Gläubigere
befriediget zu haben, follen als Diebe behandelt werden; und, woferne
man derer nicht wieder habhaft werden kann, fo follen ihre Namen,
mit Bemerkung ihres Baterlandes, durch den Scharfrichter auf einer
ſchwarzen Tafel, weldhe an den Mauren des Nathhaufes, nahe bei dem
Halseifen, aufgehenkt wird, angefchlagen werden. Man wird aud das
Publikum in verfchiedenen Zeitungen warnen, einen folchen ehrloſen
Menſchen in denen Werkftätten aufzunehmen; fondern vielmehr ihn in
Derhaft zu ſetzen, bis er feine Gläubigere bezahlt hat, und damit wegen
des von ihm begangenen Verbrechens und deſſen Beftrafung gegen ihn
gerichtlich verfahren werden könne.
XIX. Die Arbeiter in den Fabriken haben ſich forgfältig in
Acht zu nehmen, daß fie von ausfändifhen Orten feine Waaren kom⸗
638 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
men lafjen, dergleichen zu Pforzheim verfertiget werden, noch auch damit
Handel treiben, unter welhem Vorwand es auch immer feye, bei Strafe
der Confiſcation diefer alfo zum Vertrieb gebrachten Waaren, und ohne
Ausnahme, ob es mit Bewilligung einer oder der anderen Fabrike
geichehen fete, indem feine der andern in folhem Tal Nachtheil bringen
fol. Auch follen fie ferner fich enthalten, es fey in müfligen Stunden
oder fonften, einige Waaren vor ihre eigene Rechnung zu verfertigen,
bei gleicher Strafe der Confifcation.
XX. Eben fo wenig follen fie unter fich Rotterien errichten,
XXI. Mit dem Gold, Silber und andern Materialien, auch
denen ihnen anvertrauten Werkzeugen, follen fie getreulih und ohne
Gefährde umgehen, bei Strafe des Hausdiebftahls, als welcher weit
ſchärfer, als ein anderer Diebftahl, beftrafet wird. Mit der Ausflucht,
als Hätte man die Abſicht gehabt, ſolche wieder zu erfegen, wird nie
mand gehöret werden.
XXI. Es foll feiner des andern Materialien noch Werkzeuge
nehmen, um fich deren bei feinem Gefchäfte zu bedienen, wenn auch
gleich Keine ſchlimme Abficht dabei wäre.
AXIIL. Jede Uebertretung diefer Gefete fol von dem Präfidenten
mit einer Geldftrafe, oder bewandten Umftänden nad, mit dem Gefäng-
nis und Confifention beleget werden, je nachdem die letztere vermöge
diefer Geſetze ftatt findet. Schmwerere Verbrechen, dergleichen der Dieb:
ftahl und andere diefem beitommende Vergehungen find, follen vor Unfer
Hofgericht gebracht und daſelbſt abgeurtheilt werden.
XZXIV. Sm übrigen hat man ſich überhaupt nach denen Geſetzen
des Landes und denen Verordnungen zu richten, welche noch künftig
ericheinen werden,
Wir befehlen darauf allen denen Unfrigen, vornämlid dem Obers
aufſeher derer beiden Fabriken, auf die Volziehung dieſer unferer Ver:
ordnung ein wachtfames Auge zu haben, ſolche in öffentlichen Drud zu
geben, und an allen Thüren deren Werkftätten beider Fabriken an-
lagen zu laſſen. Gegeben in unjerer Refidenzftadt Carlsruhe, den
17. October 1768,
(L.8.) Earl Friederih, Marggr. zu Baden. J
Vt. A. J. von Hahn. Vt. Seubert.
Beide Fabriken gaben nunmehr gedruckte Cireulare aus, woraus
die Manchfaltigkeit der Arbeiten, welche ſie zu liefern gedachten, erſichtlich
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 639
ft. Das von Chriftin und Viala Tautet vollftändig: „Privilegirte
Fabrik. Chriftin und Viala, zu Pforzheim in dem Markgräflich-
Baden⸗-Durlachiſchen haben unter dem gnädigften Schub und Privilegio
des Herrn Markgrafen von Baden-Durlach eine Manufaktur errid:
tet, in welcher alle Gattungen von Uhren und Juwelen, erftere
verfertigt und leßtere nach dem beiten und neueften Gefhmad gefaßt
werden. Es find dafelbft fertig zu Haben: Stoduhren (Pendüles) von
ber beiten franzöfifchen und englifchen Art, mit fich bewegenden Figuren,
mit Glodenfpielen, Orgeln zc., große Schlaguhren, Saduhren von Gold
und Silber, die repetiven und nicht vepetiren, mit Juwelen befegt, auch
ohne diefelbe, oben und unten durchſichtig oder auch nicht. — Tabatieren
oder Dofen von Gold von verfchiedenem Geſchmack, emaillirt gemalte,
geftochene, in vier Tarben, erhaben (basrelief) gearbeitete ꝛc. Uhrketten
fowohl für Herren als Damen, von Gold mit und ohne Emaille,
Etuis, Stodfnöpfe, Armbänder, Uhrenſchlüſſel, Hemdentnöpfe, alle Gat-
tungen Berloquen von dem nämlichen Metall und von nämlicher Arbeit,
mit oder ohne Juwelen, mit und ohne Emaille Malerei, in Gold von
ein= oder vierfacher Farbe ꝛc. — Dofen oder Tabatieren von Schildfrot,
mit Gold eingelegt, aud mit Mebdaillons in Email, Alles nach dem
beften neueften franzöfifhen und englifhen Geſchmack. — Alle Sorten
Werkzeuge für Uhrmacher und Goldarbeiter ſowohl, als alle Gattungen .
von Teilen für beide Profeffionen, von den ganz feinften an bis zu den
geringften, auf die befte Art. — Alle einzelnen Stüde, jo zu großen
und Heinen Uhren gehören in der Zerlegung, als: Pendulfaften, Sad:
uhrſchalen von Gold oder Silber oder Emaille, mit oder ohne Juwe—
len, emaillirte Zifferblätter, Spiralfedern, Ketten zur Schnede, alles
Mäderwerk, Spindeln, Unruhen, Schließfebern, Platten, gravirte Kloben
ıc. und alle Stüde, die zu einer Uhr gehören, dubendweife, jo daß
jeder nur ein wenig Erfahrene mit Hilfe obiger Werkzeuge felbft Uhren
zufammenjegen kann. — So wie ganz volllommen fertige Uhren von
allen Sorten zu haben find, fo find felbige auch zwar zufammengefest,
doch noch umvollendet (em blanc) zu haben. — Alle diejenigen, denen
es belieben wird, dieſelbe mit eigener Gegenwart, oder mit fchriftlichen
Kommiffionen zu beehren, werden fie nicht allein auf das Befte, fondern
auch auf das fchleunigfte und billigſte, mit ganz vollfommener, vorzüg-
licher, untadelhafter Arbeit zu bedienen ſich zur Ehre machen, wozu fie
um ſo mehr im Stande find, als fie nebft andern Vortheilen ganz
640 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746— 1789.
geheime Werkzeuge befiten, vermittelft welcher die Uhrenſtücke bequemer,
leichter und wohlfeiler, als in andern Fabriken verfertigt werden können.“
Aehnlich Tautet der franzöfiihe Waarencourant von Autran und
Ador; nur fehlen die Stoduhren, die Jumwelierarbeiten, ſowie die Werk:
zeuge und einzelmen Uhrentheile. Dafür findet ſich darin eine reiche
Auswahl von Stahlwaaren verzeichnet, als alle Sorten von Uhrketten,
feine und orbdinäre für Herren und Damen in den mandfadhften Muftern
und im feinften englifchen Geſchmack um den Bbilligften, wie um den
höchſten Preis, ebenfo alle Sorten von Schnallen, Uhrſchlüſſel nad) eng=
lichen und franzöſiſchen Geſchmack, Kleiderfnöpfe, Hafen, UÜhrenzeiger,
Beichläge, Sporen ꝛc. Alles in der Qualität englifäier MWaaren und zu
den billigften Breifen.
Daß beide Fabriken ſich bei der vorgenommenen Trennung gut
befanden, zeigen zwei Berichte des Geheimenraths Reinhard, die er un-
term 27. Januar und 19, Mat 1769 über den Zuſtand derfelben er-
ftattete. Er fand Alles in Ruhe, Friede und guter Ordnung. Bei
Ghriftin und Biala ging die UÜhrenmacherei recht gut von Statten und
hatte der Verſchluß der fertigen Waaren einen günftigen Anfang ge
nommen. As Probe der Gefchidlichkeit der Arbeiter und des feinen
Geſchmackes, defjen fich diefe Fabrik beflig, wurde damals dem Mark:
grafen eine ganz gemalte und in Gold gefaßte Dofe vorgezeigt. In—
defjen gaben Ehriftin und Viala auf den Rath Reinhards die Jouaille—
vie bald ganz auf, einestheild weil fie dies Geſchäft nicht recht verſtan—
den, anderntheils weil dasfelbe zu viel Mittel im Anfpruh nahm, und
„befaßten ſich überhaupt einzig und allein mit der Uhrmacherei. Den
Lehrlingen aus dem Waiſenhaus wird das Lob gezollt, daß ſie viel
Freude und Geſchick zur Arbeit zeigten. Bei Autran und Ador wurde
die Uhrmacherei nur ſchwach betrieben, und beſchäftigte dieſelbe blos
4—5 Urbeiter mit etwa einem halben Dutzend von Lehrlingen. Deſto
mehr befaßte fich diefe Fabrik mit der Duincaillerie und Bijouterie,
damals insbefondere mit Anfertigung der in Mode gekommenen ftähler-
nen, mit Gold garmirten Uhrketten, und zeigten darin namentlich 8 eng«
liche Arbeiter unglaublichen Fleiß, große Geſchwindigkeit und Alkura—
teffe, und machten unter ihrer Leitung auch die Lehrlinge bedeutende
Vortfchritte. Ebenſo zufrieden war man mit dem Schmied und dem
Feilenmacher, beide ebenfalls Engländer, Erſterer wurde bereits von
einem Pforzheimer Nagelichmied unterftüßt, der Glieder zu ben Uhr:
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 17461789. 641
fetten Tieferte. Diefe englifchen Arbeiter hatte Autran auf zwei Reifen,
die er eigens zu dieſem Zweck nad England machte (und deren
Koften fi auf nicht weniger als 2143 fl. 8 fr. beliefen,) zu gewinnen
gewußt. Der vorzüglichfte Arbeiter in ber Bijouterie war Trumeau.
Was der Fabrik noch fehlte, das war ein gefchieter Preßmeiſter, und
man gab fi alle Mühe, einen foldhen ausfindig zu machen. Cbenfo
wurde die Anjhaffung eines Schleiffteins, der zur Herftellung der gro—
Ben Feilen nöthig fei, fowie die Benützung einer fchon vorhandenen Waf-
ferfraft zum Treiben desfelben in Vorſchlag gebracht und auch geneh—
migt und zu bdiefem Behufe ein neues, 102 Schuh Tanges, 16 Schuß
breites, in der Mitte 42 Schuh lang zweiftödiges Fabriklokal erbaut,
wozu wie früher das Holz aus Herrſchaftswaldungen unentgeldlich abge:
geben wurde. Den Engländern wird nachgerühmt, daß fie ſich durch
eine vortrefflihe Aufführung auszeichneten, weshalb fie in Pforzheim
bochgeachtet feien. Sehr gern ſah es daher Reinhard in feinem Bericht,
daß mehrere davon in Pforzheim fich zu verheirathen die Abficht zeig:
ten und knüpfte die Hoffnung daran, daß diefer Umftand fie immer
mehr an das Land binden würde und „eine Nace guter Arbeiter ver:
ſpreche.“ — Den bei Chriftin und Viala befchäftigten Arbeitern, meifteng
Tranzofen und welſchen Schweizern, wird dagegen nicht das befte Lob
gefpendet.” „Die meiften von ihnen, fagt Reinhard, „lieben die Arbeit
nicht, haben eine flüchtige Lebensart, gehen viel fpazieren, und es ift zu
befürchten, daß die Waifenkinder, fo bei ihnen find, eben diefe Unarten
annehmen werden.” Cr rieth deshalb dringend zu ftrengerer Aufficht
und befjerer Zucht und forderte Chriftin und Viala auf, ihren Arbeitern
durchaus Keine Vorfhüffe mehr zu machen, — Eine unterm 8. Mai
von dem hiezu durch fürftlichen Erlaß beauftragten Rechnungsrath-Ad-
juntten Sägerfchmied vorgenommene Unterſuchung der Handelsbücher
beider Fabriken (e8 wurde ihm für diefes Geſchäft, das alle Vierteljahr
wiederfehren follte, fpäter ein Averfum von jährlichen 105 fl. ausge:
worfen, wovon jede Fabrik die Hälfte zu tragen hatte,) ergab bei Autran
und Ador die günftigften Nefultate und waren die Bücher in befter
Drdnung, nicht fo bei Ehriftin und Viala, die fich indefjen mit längerer
Krankheit ihres Buchhalters entſchuldigten. Erſtere Fabrik hatte bis
30. April 1769 bereits 22,822 fl. 28 fr., letztere 12,326 fl. 38 fr.
Vorſchuß erhalten,
Eine Gejchäftsreife, welche Autran im Juni 1769 nach Frankreich
Pflüger, Pforzheim. 4
642 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
antrat und von welcher er im März 1770 zurückkehrte, hatte den beften
Erfolg. Er verkaufte dabei nicht nur für mehr als 6000 fl. Waaren,
an denen durchſchnittlich 250%), verdient wurden, fondern erhielt auch
Beftellungen auf 5—6 Monate, welche einen Reingewinn von 3 bis
4000 Gulden verſprachen. Ueberall, namentlid) in Paris, Lyon, Mar:
feille, Air ꝛc. hatte er Verbindungen angefnüpft, melde einen dauernden
und fihern Verſchluß um fo mehr begründeten, als Autran ſich überall
genau verläffigte, welcher Art Maaren am Beiten gingen, und fi in
Paris und Lyon dazu Zeichnungen verfertigen ließ. Auch mit zwei
Petersburger Häufern war diefe Fabrik bereits in Geichäftsverbindung
getreten, jo daß eine nach Italien und nad andern Rändern projeftirte
Reife nicht ausgeführt wurde, weil fonft am Ende die Fabrik gar nit
im Stande gemefen wäre, allen Aufträgen rechtzeitig zu genügen.
Diefer erfreuliche Fortgang des Duincailleriegefchäftes bedingte einerfeits
die Vergrößerung desfelben und zwar, wie vorgejählagen wurde, durch
Anſchaffung mehrerer Mafchinen (namentlich eines Schlag: und eines
Polirwerkes), durch Vermehrung der Arbeiter und Lehrlinge und endlich
durd einen weitern Vorfhuß von einigen Taufend Gulden, — anderer:
jeits erwuchs daraus die Nothwendigkeit, alle Kräfte und alle Geld-
mittel auf das Duincailleriegefhäft zu Fonzentriren und die Uhrenfabri—
fation gänzlich aufzugeben. Zu dem Ende wurden mit Chriftin und
Biala Unterhandlungen gepflogen und am 15. Mat 1770 mit fürftl.
Genehmigung ein Vertrag abgefchloffen, laut defien Autran und Ador
ihre ganze Ührenmacherei mit allen Arbeitern, Waarenvorräthen, Werk:
zeugen ꝛc., kurz allen Aktiven und Baffiven um die Summe von nahezu
5000 Gulden an Ehriftin und Viala abtraten,
Mit aller Macht warf ſich nun die Fabrik von Autran und Ador
auf die Anfertigung von Stahlmaaren, die nah dem Gefchmad jener
Zeit mit Gold verziert wurden. Die Fabrikation ganz goldener Artikel
wurde vor der Hand aufgegeben. Ich werde auf diefe Fabrik und ihren
fernern Fortgang unten wieder zurückkommen, und will zunächſt über
die weitere Entmwidelung der Uhrenfabrikation das Nöthige bemerken,
Sch füge hier nur noch die Notiz bei, daß zu der Zeit, zu welcher
meine Darftellung jest vorgerüct ift (April 1770), beide Fabriken bes
reits über 100 Perſonen befchäftigten, und die Zahl ſämmtlicher Per:
fonen, welche zu Anfang des darauf folgenden Jahres, Weiber und
Kinder eingefchloffen, zu beiden Fabriken gehörten, ſchon 274 betrug,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 643.
wovon 142 auf Ehriftin und Viala und 132 auf Autran und Ador
kamen.
d. Weiterer Fortgang der Uhrenfabrikation.
Keinen ſo erfreulichen Fortgang, wie die Quincaillerie-, wollte die
Uhrenfabrik nehmen. Zwar zeigten die darin beſchäftigten Lehrlinge vie—
les Geſchick; die Feilenhauerei, ſowie die Werkſtätte zur Herſtellung der
Werkzeuge für die Arbeiter, thaten ihr Möglichſtes; die Uhrgehäuſe
wurden immer beſſer und geſchmackvoller, ebenſo wurde im Zifferblatt⸗
und Schmelzmalen (der Maler Blaremberg hatte eine eigene Zeichen—
ſchule errichtet) ſowie in der Verfertigung der Uhrenketten ꝛc. recht Tüch-
tige geleiftet: allein e8 herrfchte in den Büchern und Rechnungen dies
jes Gefchäftes nicht die befte Ordnung, man hatte zu viel Leute und
mußte fie zu theuer bezahlen, — und, was nun freilich ein fataler
Umftand war, e8 fehlte an Waarenabjat. Die Fabrifunternefmer gaben
ſich zwar alle Mühe, einen folchen zu erzielen, Viala hatte fchon einige
Male die Frankfurter Meſſe, jo auch zu Oftern 1770 mit einem ver:
hältnißmäßig bedeutenden Waarenlager (im Werth von beinahe 7000
Gulden) beſucht; Chriftin hatte im Februar eine Neife in die Gegend von
Augsburg, Regensburg und Nürnberg unternommen und fi) dort mit
17 guten Häufern und 35 Uhrmacher in Bekanntſchaft gefett, welch letztere
auch in Zifferblättern, Uhrgehäufen, Werkzeugen, Teilen, Schmelzmales
reien ꝛc. für etwa 2000 Gulden Beftellungen machten. Das Alles
erſchien aber nicht hinlänglich, um zwiſchen Fabrikation und Abſatz das
richtige Verhältniß berzuftellen. Es wurden deshalb neue Gejchäftsreifen
in die Schweiz, nad) Paris, Holland fowie nach Leipzig projektirt,
meiſt auch ausgeführt, und der Fabrik zur Vermehrung ihrer disponibeln
Fonds ein meiterer Vorſchuß von 6000 Gulden, vom Juli bis Dezem-
ber 1770 in Monatsraten von 1000 Gulden zu erheben, bewilligt,
jedod die Bemerkung daran gefnüpft, daß feine weiteren Vorſchüſſe zu
erwarten feien. Gleichzeitig wurde den beiden Chefs diefer Fabrik bes
deutet, daß fie in ihrem Gefchäft befjere Ordnung halten, die über:
flüffigen Arbeiter entlaffen, Feine Vorſchüſſe an diefelben mehr geben,
namentlich aber auch vor Weberproduftion in einzelnen Artikeln fich
befjer als bisher hüten follten. Die Zahl der Arbeiter wurde darauf
bin aud verringert, und man behielt außer den Lehrlingen nur
vo 8 Uhrenmacher und 6 andere Arbeiter, fammt einigen Frauen,
41 *
644 Achtzehnies Kapitel, PWforzbeim von 1746—1789,
Der Pendülemaler Mergery errichtete nun in der Stadt auf eigene
Koften eine Werkftätte, und ebenfo fing der Schmelzmaler Blaremberg
jelbfländig ein Geſchäft an.
Es kann nicht meine Abfiht fein, in bisheriger ausführlicher
Weife den Fortgang der Uhrenfabrifation in Pforzheim zu jchildern,
fondern id) werde mich dabei auf das Wefentlichfte beſchränken, da dies
ſem Fabrikationgzweig das Glück nicht zu Theil werden follte, in Pforz-
beim joldy feiten Boden und ſolche Ausdehnung zu gewinnen, wie das
bei der Quincaillerie und Bijouterie im Laufe der Zeit der Fall war.
Das Hauptgebrehen der Uhrenfabrifation war der Mangel eines
bandelsverftändigen Chefs. Das hatte der Scharfblid NRein-
hards längft erkannt, das beftätigten Autran und Ador, welche Rein-
hard im Vertrauen um ein Gutachten angegangen hatte, und ber Rech—
nungsrath Jägerſchmied fagt in einem Bericht vom 30. Juli 1771
ebenfalls mit dürren Worten: „Es fehlt diefer Fabrik der arbeitsver-
ftändige Direktor und auf Reifen und Mefjen der erfahrene Handels-
mann,” Chriftin und Viala waren grundehrlihe Männer, diefer der
Uhrmacherei, namentlich auch der Unterweiſung der Lehrlinge vollkom⸗
men gewachfen, jener, wie ſchon früher erwähnt, eine Art von medha-
niſchem Genie und mit dergleichen Arbeiten oft mehr als nöthig be=
Ihäftigt. 1) Er gründete in Verbindung mit Joh. Ib. Ador und dem
Mechaniker Ludwig Philipp MWörfchler neben feiner Uhrenfabrit 1770
nod eine Fabrif zur Anfertigung von mathematifchen Inſtrumenten,
Maſchinen, namentlic, auch Feuerfprigen, wofür den Unternehmern unterm
18. Januar 1770 ein Privilegium auf 10 Sabre ausgeftellt wurde,
Es ſcheinen jedoch mit diefer Fabrik nicht eben die glänzendften Ge—
Ihäfte gemacht worden zu fein, weshalb fie feinen langen Beitand hatte,
) Für feine Kenntniffe in ber Mechanik und dem technifhen Theil der
Fabrikation ipricht eine Broihüre, die er um diefe Zeit (1770) unter dem Titel
herausgab: »Avis aux amateurs de l’utile et de l’agreahble sur une nouvelle
manufacture d’horlogerie que Christin et Viala ont e&tablie dans la Ville de
Pfortzheim au Marggraviat de Bade Dourlach. Par Christin«, Dieje 24 Set:
ten ftarfe Schrift handelt in 9 Artikeln: du Mechanisme en general, avantages
du local de la Ville de Pfortzheim, de la Peinture, de la Gravure, des Pendu-
les et des Montres, des fournitures de l’Horlogerie, de la Bijouterie et de la
Jouaillerie, ouvrages divers, consequence du precedent, — Als Drudort ift auf
ber Broſchüre Pforzheim angegeben, jedoch ohne Bezeichnung des Druders ſelbſt.
Ich wüßte aber nicht, daß damals in Pforzheim eine Druderei beftanden hätte,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 - 1789. 645
Da weder Chriſtin noch Viala kaufmänniſche Kenntniſſe beſaßen, ſo hatte
dieſer Umſtand die üble Folge, daß Viala oft ſehr unglücklich ſpekulirte,
Chriſtin auf ſeinen vielen und theuern Reiſen ſelten ordentliche Geſchäfte
machte und häufig in den Tag hinein fabrizirt wurde, wie denn einmay
für mehrere Taufend Gulden Zifferblätter und Teilen vorhanden waren,
die gar Keinen Abjak fanden, ein ander Mal das vorräthige Gold zu
Bijouteriewaaren verwendet wurde, indefien eine Menge fertiger Uhr:
werke ohne Gehäufe blieb. Diefen Mangel eines handelsverftändigen
Chefs fuchte man dadurch abzubelfen, daß man fich nach einem geeig:
neten Mann umfab, der in das Gefchäft ala Affocid eintreten, in das—
ſelbe jedenfalls auch nicht unbedeutende Mittel einmwerfen und die Lei—
tung besjelben übernehmen follte. Einen foldhen glaubte man in dem
Uhrenhändler Dubois aus Loele gefunden zu haben; allein die mit ihm
angefnüpften Unterhandlungen führten nicht zum erwünfchten Ziel, und
auch der Neuchateler Courvoifier auf den man alsdann verfiel, wollte
fich zur Uebernahme der Fabrik nicht verftehen. ine Reife, welche der
Emailleur Fage zu gleihem Zwecke nad) Neuchatel machte, blieb eben-
falls erfolglos. Mittlerweile geftalteten fich die Verhältniſſe der Fabrik
immer mißlicher. Chriftin hatte im Herbft 1770 eine Reife nady Paris
und Holland angetreten, und für etwa 12,000 fl. Waaren theils fogleich
mitgenommen, theils nachgeſchickt erhalten; allein die Geldfendungen, die
man von ihm erwartete, blieben faft ganz aus, und feine eigene lange
Abweſenheit gab zu allerlei Gerüchten Veranlaffung. Seinem Affocie
Viala gingen in Pforzheim zulegt die Mittel aus, jo daß er einmal
feine eigenen filbernen Löffel hergeben mußte, um Material zur Anfer:
tigung von Ührgehäufen zu gewinnen, und oft in foldhen Geldverlegen-
beiten war, daß er feine Arbeiter nicht bezahlen konnte. Diefe fielen
bei der herrſchenden Theurung dadurch der bitterften Noth anheim ;
manche Eonnten Fein Brod mehr kaufen, und auf Kredit erhielten fie
feines. Die Arbeit in der Fabrif gerieth ins Stoden, und die einlau-
fenden Beftellungen, die befonders in goldenen Uhren beftanden, konnten
nicht mehr ausgeführt werden. Die Gelder, die bis zum Juli 1771
vorgef&hoffen worden waren, hatten bereits die Höhe von 52,214 fl.
erreicht, und doch follten immer noch neue Opfer gebracht werden, um
das Gefchäft aufrecht zu erhalten! Diefer bedenkliche Zuftand der Uhren:
fabrif Tegte die Trage nahe, ob es nicht befjer fer, das Unternehmen
ganz aufzugeben. Viele Gründe ſprachen dafür, manche wieder dagegen,
646 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
namentlich der dabei zu befürdhtende Werluft, den Neinhard auf 25,000
Gulden berechnete und das Schickſal der vielen Arbeiter und Lehrlinge.
Man entfchloß fich endlich noch zu einem legten Verſuch. Die Fabrik
jollte aus der marfgräflichen Münze das nöthige, auf 18 Karat Iegirte
Gold zur Anfertigung von etwa 60 Uhrgehäufen nebft Unterftügung
in Geld erhalten, mehrere Arbeiter follten entlafjen, die Kontrole über
die Fabrik verfchärft werden ꝛc. Zugleich wurde aber bemerkt, daß,
wenn die Fabrik in einigen Monaten durch Verkauf der vorhandenen
Uhren ſich nicht in Stand geſetzt fehen follte, fich felber ohne weitern
Beifhuß zu erhalten, die Aufhebung derjelben ſchon im Voraus als
befchloffen anzuſehen ſei.
Mit Sehnſucht wurde der Rückkehr Chriſtins entgegengeſehen, aber
— er kam nicht. Seine Abweſenheit dauerte nun bald ein Jahr und
zuletzt blieben alle Nachrichten von ihm aus, bis endlich ein vom 7.
September datirter Brief aus Haag von ihm einlief, worin er meldete,
daß er fein Glüd in Amfterdam zu fuchen, die Fabrik in Pforzheim
aber beizubehalten gefonnen ſei; Viala möchte ihm alle noch vorhande-
nen Waarenvorräthe zufenden. Diefer theilte aber feine Beforgnifje dem
geh, Rath Reinhard mit, der alsbald an die Negierung berichtete.
Letztere beauftragte den geh. Legationsrath von Treuer im Haag, auf
ſämmtliche Waarenvorräthe Chriftins gerichtlichen Beſchlag legen, ihn
jelber aber nöthigenfalls verhaften zu laſſen. Es ftellte fich indeß bald
heraus, daß man etwas übereilt zu Werke gegangen war; Chriftin
mußte ſich jowohl brieflich, als bei feiner Rückkehr zu rechtfertigen und
fcheint auch won feiner Neife, troß der jchlechten Geſchäfte, die er im
Allgemeinen gemacht hatte, einigen Baarvorrath mitgebracht zu haben,
fo daß die Fortſetzung der Fabrik wieder für eine Zeitlang gefichert
erſchien.
Das bisher freundliche Verhältniß der beiden Unternehmer ders
felben Hatte jedoch einen gewaltigen Stoß erlitten. Chriftin befchwerte
fi) bitter über feinen Schwager Viala (diefer hatte nämlich eine
Schweſter Chriftins zur Frau), und auch letzterer hielt eine Trennung
ihrer Gejellfhaft und eine Theilung der Fabrik für dag befte Mittel,
allen fernern Meinungsverfchiedenheiten und Mißhelligkeiten vorzubeugen,
und zugleich auch, um eine Befferung der bedenflichen Lage, in welcher
ſich das Geſchäft befand, herbeizuführen. In Bezug auf letztern Um:
ftand ließ ſich wenigftens noch ein Verſuch mahen, wenn aud) feine
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim. von 1746—1789. 647
große Hoffnung vorhanden war, daß alle Verluſte wieder eingebracht
werden würden. Dieſe ftellten fich bei der Unterſuchung der Bücher,
die Rechnungsrath Jägerſchmied am 2. November 1772 vornahm, als
fehr bedeutend heraus. Don den bis dahin von fürftlicher Seite vor-
geichoffenen 54,260 fl. 151/, fr. war nur für 25,227 fl. 37 kr.
Deckung vorhanden; alles Uebrige war feit der Gründung des Geſchäfts
für Fabritunfoften und für Unterhaltung der Fabrikunternehmer darauf
gegangen oder beftand in zweifelhaften oder verlorenen Ausftänden.
Was war nun bei einer Trennung zu ristiren? ebenfalls Konnte Kein
größerer DVerluft dabei herausfommen, als bei der alsbaldigen Auf:
bebung der Fabrik, und die Ausfiht, daß die Sache wieder in ein
befieres Geleife fommen könnte, war wenigſtens, wie fchon bemerkt,
noch eines Verſuches werth. Die Trennung wurde alfo nad) den von
Ehriftin und Biala gemachten Vorfchlägen, nad welchen einfach Alles
balbirt wurde, unterm 9. November 1772 vom Markgrafen beftätigt
und auch alsbald vorgenommen.
In Bezug auf das fernere Schiefal der Chriſtin'ſchen Fabrik, die
aus dem Waifenhaus in das Gafthaus zur Krone verlegt wurde, kann
ich mid) kurz fallen. Trotz eines weitern Zufchuffes von 2000 Gulden,
den fie unterm 17. Mai 1775 aus dem veformirten Kirchenfonds er:
bielt; troß eines neuen Echappemements, das Chriftin erfand und das
Sachkenner als unverbefjerlich bezeichneten; troß der beſſern Geſchäfte, die
4773 auf der Frankfurter Herbitmefje gemacht wurden: troß aller
diefer günftigen Umftände eilte die Fabrik rafch ihrem Untergang ent:
gegen. Bei einer unterm 18. März 1774 durch Rechnungsrath Jäger—
ſchmied vorgenommenen Unterfuchung der Bücher ftellte fi) heraus, daß
die Bafjiven die Aktiven um 7374 fl. 43 kr. überftiegen, ja daß ſich
mit Hinzurechnung der verlorenen oder zweifelhaften Ausjtände, des
Guthabens an Ehriftin und an die Arbeiter, des Verluſtes an Fabri-
taten und Handwerkzeug ein Gejammtverluft von 21,533 fl. 19 kr.
berausftellte. Das ganze Gejchäft war im Häglichften Zerfall. Schon
mehrmals hatte Ehriftin um hohen Zins Geld bei Juden geliehen, um
feine Arbeiter bezahlen zu können, oder er hatte zu gleichem Zweck
fertige Uhren weit unter ihrem Werth verkauft. Unter folhen Um:
ftänden wußte Fägerfchmied Keinen andern Rath, als die Aufhebung der
Fabrik zu beantragen. Da fich indeffen damals ein Schimmer von
Hoffnung zeigte, für die Fabrik einen handelsverftändigen Afjocie zu
648 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
befommen, fo zögerte man von Seiten der Regierung noch, die Aufs
bebung auszufprechen, unterftüßte auch Chriſtin nod einmal mit einem
Vorſchuß von 300 Gulden. Als aber jene Hoffnung nicht in Erfül-
lung ging, fo wurde unterm 30. Mai 1774 vom Markgrafen bie Auf:
hebung der Chriſtin'ſchen Uhrenfabrik befchlofien, und Rechnungsrath
Jägerſchmied erhielt den Auftrag, die Obfignation vorzunehmen und die
Einleitung des Oantverfahrens zu veranlaſſen. Wenn ich Hinzufüge,
daß der amtliche Anſchlag ſämmtlicher Effekten zc, der Fabrik fih auf
9740 fl. 30 fr. belief, daß aber Viala, der die meiften Arbeiter und
Lehrlinge derjelben übernahm, fi nicht dazu verftehen wollte, für das
ganze Inventar 5500 Gulden zu geben, jo mag daraus eninommen
‚werden, welcher Verluſt der Herrſchaft erwuchs, die fait ſämmtliche
Fonds zu diefer Fabrik hergeſchoſſen hatte. Chriftin büßte felbft fein
ganzes in das Gefhäft eingelegte, in Geld, Werkzeugen und Waaren
beftehende Vermögen von etwa 2200 Gulden ein; doc fcheint ihm
dafür einige Entſchädigung gnädigft verwilligt worden zu fein. Auch
wurde ihm auf feine Bitte die Erlaubniß ertheilt, fich gemeinfchaftlich
mit feinem ältern Bruder in Karlsruhe etabliven zu dürfen, und erhielt
er fogar den Titel eines „Hofuhrenmaders.” In ſolcher Weiſe endete
die eine der Pforzheimer Uhrenfabriken.
Verfolgen wir nun auch die fernern Schickſale der andern. Diefe
nahm unter der Leitung von Viala im Anfang recht guten Fortgang,
fo daß fid der bei der Trennung vorhandene Abmangel von 5691 fl.
im März 1774 bereits auf 1885 fl. vermindert hatte und alle Aus—
fit vorhanden war, daß ſich die Verhältniffe diefer Fabrik immer beffer
geftalten würden. Zu dem Ende wurden ihm am 1. Auguft 1774
vom Markgrafen 4 Kreditbriefe, jeder auf 1000 Gulden lautend, aus:
geftellt, auch die 300 fl. und 10 Klafter Holz, welche beide Uhren—
fabrifen als jährliche Unterſtützung bisher gemeinichaftlich bezogen hatten,
der Niala’ihen allein zugewiefen, nachdem diefe urfprünglih nur auf
6 Jahre ertheilte „Penſion“ für weitere Dauer zugeftanden worden war.
Ein ſchwerer Schlag traf die Fabrit durch den am 26. Dezember
1774 erfolgten Tod Biala’s, und die Aufhebung derſelben kam von
Neuem zur Sprade. Da indefien die Wittwe Vialas, eine fehr brave,
fleißige, verftändige und Außerft fparfame Frau, ſchon Tängft fich bei
dem Geſchäft thatfächlich betheiligt und beim Arbeiten tüchtig mitgehol«
fen hatte; da man ferner vorausfah, daß ſowohl diefe Frau mit ihren
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746- 1789. 649
3 unerzogenen Kindern, als auch die 59 Arbeiter (morunter 11 ver:
beirathete), welche die Uhrenfabrit damals zählte, durch die Aufhebung
ber Fabrik brodlos werden und der Stadt Pforzheim, wie dem Waifen-
haus alle VBortheile, welche ihnen bis jeßt durch die Fabrik erwachſen
waren, wieder entgehen würden: jo wurde im markgräflichen Geheim—
rathskollegium unterm 4. März 1775 befchloffen, der Wittwe Viala's
unter Beihilfe des tüchtigen Buchhalters Hofmann die Leitung der Fabrik
zu übertragen. Zugleich wurde ihr der Rückerſatz der 5987 fl. 47 kr.,
die ihr verftorbener Mann feit 8 Jahren von dem Fond der Fabrik
zum Unterhalt feiner Familie verwendet, ferner des noch vorhandenen
Defizits von 1519 fl. 52 kr., ebenfo die rücftändigen Zinfen im Betrag
von 7867 fl. 51 kr. erlaffen und endlich auch die unbeibringlichen Aus:
ftände, die fih auf 3342 fl. beliefen, aus den Aktiven geftrichen, ihr
aber die ftrenge Verpflichtung auferlegt, von jett an die Zinſen des im
Geſchäft ſteckenden Kapitals, das von 27,130 fl. 7 kr. auf 16,280 fl.
zufammengefchmolzen war, pünftlih zu entrichten und fich überhaupt
alle Mühe zu geben, daß die Fonds nicht weiter vermindert würden,
indem man fonft zur Aufhebung der Fabrik fich entichließen müßte,
Machen wir bier einen Eprung von 8 Jahren und zwar über dag
Jahr 1779 hinüber, mit welchem das 1767 auf 12 Jahre ertheilte
Privilegium ablief, aber vorläufig nicht erneuert wurde, da man die
Fabrik einftweilen, und zwar bis 1783, auf Grund des alten noch fort-
zuführen für gut fand. Die Fabrik hatte während diefer 8 Jahre bald
befjere, bald fchlechtere, im Allgemeinen aber Feine guten Geſchäfte ge:
madt. Die Paffiven überftiegen in Folge von Verluften verſchiedener
Art, namentlich aber auch deswegen, weil der arbeitende Fond offenbar
zu Hein war, die Aktiven um nicht weniger als 3639 fl. 45 kr., und
dazu war bisher von den oben erwähnten 16,280 fl. noch fein Kreuzer
Zins bezahlt worden. Abermals kam die Aufhebung der Fabrik zur
Sprache; aber ans den nämlichen Gründen wie früher konnte man fich
dazu nicht entjchliegen, fondern e8 wurde im Gegentheil ein neues Pri—
vilegium auf 12 Jahre, vom 4. Auguft 1783 an beginnend, ber
Wittwe Viala, die fi) unterdeffen mit ihrem Buchhalter Hofmann
afjocirt hatte, ausgeftellt, das fehr günftige Bedingungen enthielt. Die
Fabrik, die Fünftig unter der Firma „Hofmann und Viala“ ge
führt werden follte, wurde mit 5 Kreditbriefen, auf je 1000 Gulden
lautend, unterftügt, den beiden Leitern derfelben ein Jahrgehalt von
650 Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789,
1300 Gulden ausgefett, und außerdem erhielten fie neben der Per-
jonalfteuerfreiheit die Pfundzollfreiheit für alle ihre Fabrikftoffe und
Fabrifate ſowohl, als für ihre Lebensbedürfniffe; von dem mehrerwähn-
Kapital von 16,280 fl. follten fie blos nach Möglichkeit Zins zahlen
dürfen, jedoch felber darauf fehen, daß dasjelbe vermehrt würde u. ſ. w.
So war wieder Hoffnung vorhanden, das Geſchäft in beſſern Gang
zu bringen, namentlich da ſchon im September 1783 die beiden Firma
träger ihre Intereſſen noch feiter mit einander verknüpften, indem fie
ſich ehelich verbanden.
Sm den nächſten Jahren waren die Verhältniffe infofern nicht un:
günftig, als mwenigftens ohne DVerluft gearbeitet wurde, wenn auch bie
Ueberfchüffe nie fo bedeutend waren, daß obiges Kapital auch nur zn
3 Prozent hätte verzinst werden können. Doch hatte man von Seiten
der Regierung befiere Refultate kaum erwartet und war zufrieden, daß
der Fond erhalten, die Arbeiter befchäftigt (etwa 70 Menfchen ge
währte damals die Uhrenfabrik ihren Unterhalt) und Handel und
Mandel in Pforzheim befördert wurden. Die 1789 ausgebrochene
franzöſiſche Revolution und die Kriege, die daraus bervorgingen, blieben
nicht ohne nachtheifigen Einfluß auf den Abfab der Pforzheimer Uhren,
ber überdies durch die Konkurrenz der Schweizer Fabriken, die mit ihren
Uhren ganz Deutfchland überſchwemmten, nicht wenig beeinträchtigt
wurde. Eine andere Konkurrenz war unferer Uhrenfabrik in Pforzheim
ſelbſt erwachſen, wo nad und nad neben derfelben eine Anzahl von
Kabineten enitanden war, deren Zahl zu Anfang des 19. Jahrhunderts
nicht weniger als 32 betrug. Schwer empfand auch umfere Fabrik
einerfeits einen Verluſt von 2490 fl., der ihr durch die Untreue und
Flucht des Uhrgehäuſemacher und Kabinetmeifters Müller 1791 er:
wuchs, andererfeits brachte der Tod Hofmann, der am 7. Juli 1796
inmitten des größten Kriegsgetümmels erfolgte, Feine geringe Störung
in das Gefhäft. Zwar führte die Mittwe Hofmann, der immer bag
Lob einer gefchieten und unermüdlich fleiigen Frau gezollt wurde, das
Geihäft mit Hilfe ihres Tochtermanns, des Mepafjeurs und Remon—
teurs Frangois Maréchal und eines Buchhalters fort, und das Pri-
vilegium wurde ihr auch von Jahr zu Jahr verlängert; ebenjo bewil—⸗
ligte man 1801 der Fabrik eine neue Unterftüßung von 3000 Gulden,
die zu 5 Proz. verzinst werden follten: allein es waren alle Anzeichen
vorhanden, daß über Furz oder Yang eine Kataftrophe eintreten müſſe.
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789. 651
Ein letzter Verſuch, der Fabrik und auch den fonftigen Uhrenkabineten
aufzubelfen, war die Errichtung eines Uhrenkomptoirs, wozu man ben
Juden Levi Bodenheimer veranlaßte, 1) nachdem man fidh vergeblich
bemüht hatte, ein Schweizer Uhrenkomptoir hierher zu ziehen. Wie fehr
auch fonft der Negierung daran gelegen war, die Uhreninduftrie in
Pforzheim vor dem Untergang zu bewahren, zeigt der Vorſchuß von
6000 Gulden, den fie im Januar 1802 den geſchickteſten Uhrmachern
der Stadt (fo namentlih an Schmidt und Stähly) gegen die nöthige
Sicherheit Yeiftete. 2) War durch alle diefe Maßregeln aud für den
Augenblid geholfen, fo begann neues Mißgeſchick in Folge des Wieder:
ausbruchs des Kriegs 1805, und als gar am 15. März 1806
Marehal ftarb und mehrere der Kapitalien, die auf die fürftlichen
Kreditbriefe hergeliehen worden waren, aufgefündet wurden: fo entſchloß
man fih zum Verkauf der Fabrif, nachdem ſich in der Perfon des
an derfelben befchäftigten Nemonteurs Heinrih Caſimir Dürr ein Lieb:
haber dazu gefunden hatte. Um die geringe Summe von 5000 fl.,
die er anbot, erhielt er am 7. Juni 1808 das ganze Geſchäft ſammt
MWaarenvorräthen, Material, Werkzeugen, Tabrikeinrichtungen, Handels—
Aktiven und Paſſiven ꝛc. Die auf der Fabrik noch haftenden Schulden
von 17,000 Gulden übernahm die Herrichaft. Der Hofmann’ichen
MWittwe wurde eine jährliche Penfion von 800 Gulden ausgefett, die
fie auch bis zu ihrem im Jahr 1823 im Alter von 83 Jahren er—
folgten Tod bezog. Seit 1775 waren von Seiten der Herrichaft im
Ganzen nicht weniger ald 48,306 fl. 2 Er. auf diefe Uhrenfabrik ver:
wendet worden. „Wenn man aber,“ jo heißt es in einem fürftlichen
Kammerprotofoll vom 19. März 1808, „in Erwägung zieht, daß
eben diefe Uhrenfabrik die Veranlaſſung zu verfchiedenen andern Etab-
liſſements in Pforzheim gegeben hat, wodurd die Stadt und Gegend
1) gegen das Verſprechen, daß ihm, nadbem ihm die Errichtung einer
Bijonteriefabrit abgeichlagen worden war, ipäter geftattet werden würde, fich
mit einem riftlichen Unternehmer zu affociren, wenn er feine ifraelitijchen
Arbeiter verwenden wolle.
2) Der Obervogt Baumgärtner hatte 17,200 fl. zu diefem Zwecke ver:
langt; allein ber fürftl, Geheimerath erflärte, wegen der Koften, welche ber
Tod bes Erbpringen (Karl Ludwig + 16. Dez. 1801 zu Arboga in Schweden)
— das große Gewäſſer verurſacht hätten, nicht mehr als 6000 fl. geben zu
nnen,
652 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim won 1746—1789,
und deren Induſtrie ungemein zugenommen bat, fowie auch mittelbar
die herrſchaftlichen Kaſſen offenbar auf andern Wegen beträchtlich ge—
wonnen haben: fo mage man zu behaupten, daß der hier nachgemwiefene
direkte Kaffenverluft durch jene größern Vortheile mehr als binlänglich
aufgewogen fein dürfte.“
Die Uhrenfabrif, jest Privateigentfum, wurde nunmehr au aus
den bisher inne gehabten Lokalitäten im ehemaligen Waiſenhaus ver:
legt, und zwar in das Hintergebäude des jetzt Schreiner Veyl'ſchen
Hauſes. Noch einige Jahre friftete fie ihr Dafein, His endlih der
Eigenthümer Dürr es für gerathener fand, das Geſchäft, das haupt:
füchlich wegen der Konkurrenz der Schweizer Uhren nidyt wieder in
or kommen wollte, gänzlich aufzugeben, feinen Wohnfig nach Karls:
rube zu verlegen und dort fich einfach als Uhrmacher aufzuthun. Auch
die kleinern Kabinete, die damals noch beftanden und fi) hauptjächlich
mit Anfertigung von Uhrgehäuſen befaßten, hörten nach und nah auf.
So endete ein Anduftriezweig, der in Pforzheim mit fo großen Hoff:
nungen begonnen worden war.
e. Weiterer Fortgang der herrſchaftlichen Stahlfabrik.
Verkauf derjelben Entftehung neuer Kabinete.
Beflern Fortgang nahm die Stahlfabrik unter der Leitung von
Autran und Ador. In einem Bericht, den der geh. Nath Reinhard
unterm 23. Juli 1770 darüber erftattete, heißt es u. A.: „Bei Autran
und Ador gebet Alles in der beiten Ordnung. Man arbeitet in einer
angenehmen Stille und doch fleißig. Noch 3 Monate Hat man zu
thun, um die beftellte Arbeit zu verfertigen. Die Correfpondenz zeigt,
daß man mit den verfandten Waaren und Preiſen fehr zufrieden ift,
indem immer neue Betellungen gemacht werden. Die im Lande ge:
zogenen Wrbeiter, wozu man allerhand verborbene Handwerksleute
nimmt, formiren ſich jehr wohl, und die Lehrlinge aus dem Waifenhaus
und der Etadt nehmen über alle Hoffnung zu dergeftalt, dag man in
Kurzem verfchiedene Engländer wird entlaffen fönnen, wenn fie nicht
bleiben wollen. Die Gelder von den Kunden gehen ordentlich ein,
die Vorſchüſſe, fo an die Arbeiter gefchehen, vermindern ſich täglich, und
man hat nicht mehr nöthig, ihnen neue zu machen” ıc, Zur Ausdeh—
nung des Waarenabſatzes, der bisher hauptſächlich nad Frankreich und
Achtzehnter Kapitel. Pforzheim von 1746-1789. 653
der Schweiz gegangen war, unternahm Autran noch im Jahr 1770
eine größere Reife über Augsburg und Münden nah Wien, Brag,
Dresden, Leipzig ꝛc. und erhielt bei diefer Gelegenheit fo zahlreiche
Beftellungen, daß eine Erweiterung der Fabrik durchaus nothwendig
erfhien. Zu diefem Behufe erfolgte aus Staatsmitteln ein abermaliger
Zufhuß von 10,000 Gulden, weitere Summen wurden bei eintretendem
Bedürfniß in Ausficht geftellt und überdies der Fabrik bei dem Bankier
Frank in Straßburg ein Kredit von 1000 Louisdors eröffnet.
Auch in den folgenden Jahren geftalteten fi die Verhältniffe der
Stablfabrif immer günftiger, „Sie befteht im Segen,“ fo berichtet
Reinhard unterm 25. Januar 1771, „fie nimmt täglich zu, weil fie
immer neue und fchönere, auch immer wohlfeilere Waaren liefert, mit
Borficht, Klugheit und Ordnung ihre Handlung führt, Jederman mit
ihren Waaren und Preifen zufrieden ift, die Lehrlinge täglich befier
werden, die Arbeiter ſich mehr perfeftioniren, fleißig arbeiten, ihre
Schulden bezahlen, ja zum Theil ſchon vorzufparen anfangen.” Noch
in demfelben Jahr wurde für die Fabrik eine neue Polivmafchine ans
geihafft. Gleich günftigen Fortgang nahm das Geſchäft in den folgen:
den Jahren, obgleich dasjelbe 1773 durch den Fall des Handlungs:
baufes Truite et Dan in Berlin nicht unbedeutenden Verluft erlitt und
in Pforzheim jelber nach nunmehr fehsjährigem Beſtehen der Fabrik
die Bezahlung des Berdienftes an die Lehrlinge und der Haus: und
Fabrikmiethe ihren Anfang nahm und die Unkoſten auch fonft, wie
3. B. durch Anfchaffung einer zweiten Polirmafchine, fich mehrten. In
welchem Umfang bereits in diefem Jahr (1773) Geſchäfte gemacht
wurden, mag der Umftand beweiſen, daß der Rechnungsrath Jäger—
ſchmied, der mit Aufftelung des Inventars beauftragt war, unterm
27. November 1773 berichtete, er könne feinem Auftrage wegen der
vielen Beitellungen, welche die Hauptperfon Ador beforge, nicht nach—
fommen. Längere Zeit müfle Tag und Nacht gearbeitet werden, um
den Beftellungen namentlih aus Berlin, Königsberg und Riga zu ges
nügen, Reifen finde man gar nicht mehr für nothwendig, weil genug
Wege zum Abfag offen feien 2. — Die Zahl der Arbeiter war nad
und nad auf nahezu ZOO geftiegen. Im folgenden Jahr (1774) er-
bielt das Gefchäft einen fehr tüchtigen Buchhalter in der Perſon des
Joh. Fol. Bujard, (geboren zu Riez in der franzöfifchen Schweiz
am 22. November 1751, + 2. Februar 1816).
654 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
Einen wichtigen MWendepunft in der Gefchichte der herrfchaftlichen
Stahlfabrit (wie fie immer noch heißt), brachten die Jahre 1775 und
A776, Weil diefelbe, und zwar hauptfächlich durch die Bemühungen
der Unternehmer Autran und Ador, fo fehr in Flor gelommen war,
fo verlangten die beiden letztern größere Vortheile für fich felber, die
ihnen von der Megierung zwar großentheilsg, aber doch nicht in ihrem
ganzen Umfange bewilligt wurden. Damit aber nicht zufrieden kün—
digten Autran und Ador im Juni177d die fernere Füh—
rung der Fabrik auf. Um jeder Störung im Betrieb des blühen:
den Gefchäfts zuvorkommen und dasfelbe unter allen Umftänden zu
erhalten, trat der Markgraf Karl Friedrihd — gegen feine fonftigen
Grundſätze — felber ins Mittel, Die Fabrit wurde auf berrichaft-
liche Rechnung übernommen, ihr in der Perfon des Rechnungsraths
Jägerſchmied ein Direktor gegeben, diefem eine Stahlfabri-Kommiffion,
beftehend aus dem geh. Rath v. Edelsheim und Hofratd E. Maier, an
die Seite geſetzt, und ihr der Auftrag ertheilt, an alle Gefchäftsfreunde
raſch Circulare zu erlaffen, worin denfelben mitgetheilt wurde, daß fte
ſich in allen Gefchäftsangelegenheiten, in Aktiven und Baffiven, nur an
Jägerſchmied und defien Handihrift halten follten, für welch letztere der
Markgraf zu haften fich verbindlih mache. Es lag nicht in der Abficht
Karl Friedrichs, die Fabrik auf die Dauer auf herrichaftliche Rech—
nung weiter führen zu laffen, fondern nur fie einftw eilen zu erhal:
ten und bei günftiger Gelegenheit zum Verkauf zu bringen, da das
Unternehmen bereits hinreichend auf fichern Füßen ftehen Konnte, um der
Unterftügung von Seiten des Staates nicht mehr zu bedürfen. Ein
Käufer, und zwar der allergeeignetfte, fand ſich auch bald in der Per:
fon Adors felber (der indefjen bereits ein anderes Gefchäft gegründet
hatte) und ging 1778 die ganze Fabrik um eine entjprechende Kauf⸗
fumme an ihn über. Wie fehr der Markgraf deffen Verdienfte um bie
Hebung desjelben anerkannte, beweist die an Ador erfolgte Verleihung
des Titels eines Kommerzienraths.
In welcher Weife fi Autran, der erfte Begründer der jegigen
Pforzheimer Hauptinduftrie, nach feinen Austritt aus der Leitung der
berrichaftlichen Stahlfabrif befchäftigte, vermag ich nicht zu fagen, da
die Akten, woraus diefe Darjtellung der Gefchichte der Pforzheimer
Bijouterie gefchöpft find, hierüber nichts enthalten. Er feheint bei jei-
nem Austritt bedeutende Entfhädigungsforderungen gemacht zu haben,
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 655
und wurde ihm auch eine anfehnliche Summe ausbezahlt. Im Jahr
1781 kam es zwifchen ihm und Kommerzienrath Ador zu verdrüß-
lihen Händeln, die in verſchiedenen Anfchuldigungen ihren Grund
fanden, welche Autran gegen Ador vorbrachte und die fogar zur vor=
übergehenden Verhaftung Beider führte. Ador mußte fich aber glänz
zend zu rechtfertigen, und Autran jcheint bald darauf Pforzheim gänz«
lich verlaffen zu haben und in fein Baterland zurücgefehrt zu fein,
Noch eifimal begegnen wir ihm im Jahr 1798, aber nicht mehr als
Fabrifant, fondern als — Magazinverwalter der franzöfifchen Alpen-
arme. Damals erhob er nachträglich noch Geldforderungen an bie
badische Regierung wegen der frühern Führung der berrichaftlidyen
Fabrik zu Pforzheim, und es gelang ihm auch, noch 460 Louisdors
zu erprefien, worauf er allen weitern Anjprüchen entfagte. Im Ganzen
batte er 40,000 Franken erhalten. Was fpäter noh aus Autran
geworden, weiß ich nicht.
In der erften Zeit, da die Stahlfabrit mit herrfchaftlichen Geldern
betrieben wurde, jah man fie fo an, als ob fie im Befib eines Mono:
pols wäre, obgleich ihr ein foldhes nie ausdrüdlich ertheilt worden war,
Jetzt aber, da der Beweis geliefert war, daß die neue Induſtrie in
Pforzheim nicht nur fich als lebensfähig erwics, ſondern auch zu weite:
rer fröhlicher Entwicklung gegründete Hoffnung gab, jett fuchte man
das Entjtehen weiterer Gefchäfte zu begünftigen, um der Gewerbthätig—
feit eine immer größere Ausdehnung zu verihaffen. Schon im Jahr
1776 finden wir neben der herrichaftlichen Fabrik 13 felbjtitändige
Kabinete, die theils von bisherigen Arbeitern der Stahlfabrik, theils
von Pforzheimer Einwohnern, theils von eingewanderten Franzofen ges
gründet worden waren. Die Namen diefer früheften Pforzheimer
Fabrikfirmen mögen bier ſtehen: Mergery, Jaques Nic, Trumeau,
Will. Fletscher, Pierre Lartique, Grg. Chasmore, ob. Fr. Gerwig,
Jaq. Fred. Benevet, ob. Conrad Hofntann, Dan. Huguenin, Joh.
Kalb, Jean Louis Escuyer, Malice und Sandoz. Im folgenden
Sahr 1777 war die Zahl fämmtliher Kabinete (Gold: und Stahl:
waaren und Uhren) bereits auf 21 yeftiegen.
Die Waaren, welche alle diefe Kabinete lieferten, mußten um fo
ausgedehnteren Abſatz finden, als man es in Pforzheim vortrefflich ver—
ftand, fih dem Geſchmack, wie er fi) im Lauf der Zeit änderte, im—
mer wieder anzubequemen, Statt der einfachen Stahlwaaren kam noch
656 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746 —1789.
in den 1770ger Fahren, wie fchon erwähnt, nach und nach die Stahle
bijouterie auf, bis fpäter das edle Metall das unedle ganz verdrängte,
Man befate fi) nebenbei mit Schleifen und Schneiden von edeln Stei—
nen, man Vieferte Arbeiten aus Elfenbein und Perlmutter (darin zeichnete
fi) namentlich die Nheinboldtiche Fabrik aus), und wußte aus den beiden.
legtern Stoffen durch Schneiden, Biegen ꝛc. Darftellungen von erhöhtem
Zaubwerf und von Tandfcheftlichen Gruppen bis zum Meinen Maßſtab
eines Pinges zu Stande zu bringen, Wir dürfen ung darum nicht
wundern, wenn die Pforzheimer Waaren bald in ganz Europa vers
breitet waren und die Umſatzſumme derfelben bereits ſich auf viele
Tauſende belief.
f. Einführung der Goldlontrole Weitere Entwidlung
ber Pforzheimer Bijouteriefabrifation.
Noch vor dem Verkauf der herrfchaftlichen Fabrik hatte der Mark—
graf, um den Kredit der Pforzheimer Fabrikation, ſoweit fie fi auf
Verarbeitung des Goldes bezog, immer zu heben, ben Entſchluß ges
faßt, bezüglich des Goldgehalts der Waaren, welche in Pforzheim ges
fertigt wurden, fefte Beftimmungen zu treffen und behufs ftrenger
Beobachtung derfelben eine Controle einzuführen. Dies gefhah unterm
13. September 1777, Wir theilen die desfalls erlaffene Verordnung
wörtlid, mit:
„Gleichwie wir von jeher auf den Wohlftand unferer lieben Unter-
thanen mit Beförderung des Flors von ihren Commerzien und vors
nehmlih auf die Vervollkommnung unferer zu Pforzheim etablirten,
von uns gnädigft privilegirten Stahl- und Uhrenfabrik den vorzüglichiten
Bedacht genommen haben, alfo finden wir uns zu diefer unferer landes⸗
väterlichen Abficht näherer Erreihung, was insbefondere die Vermeh⸗
rung des Kredits bei diefer Stahl- und Uhrenfabrik, fowie die fonft
in unferer Stadt Pforzheim ſich niedergelaffenen Arbeiter betrifft, in
Anfehung des Goldes gnädigft bewogen, zu verorbnen: 1. Daß in
Stahl» und Uhrenfabrifen und von den Stadtarbeitern fein maffives
Gold unter 18 Karat und Fein überlegtes Gold unter 14 Karat vers
arbeitet werden dürfe bei Zuchthausftrafe und weiterer Strafe der
Konfiskation. 2. Der Kontroleur fol die Waaren von vorſchrifts⸗
mäßigem Gehalt ftempeln. 3. Alle maſſiv- und überlegt goldenen
“
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789, 657
Waaren follen die Arbeiter dem ontroleur zum Probiren und
Stempfeln vorlegen und bei obiger Strafe feine ſolche Waaren ohne
Probe und Stempfel verfaufen. 4. Der ontroleur darf zu jeder
Zeit und ſoll wöchentlich wenigitens 2 Mal die MWerfftätten befuchen
und die vorrätbigen Waaren probiren. 5. Bei der Strichprobe darf
nur 1/, Karat am vorgefchriebenen Gehalt fehlen; fcheint aber 1/, Ka—
rat zu fehlen, jo bat der Gontroleur die Feuerprobe damit worzuneb:
men und über den bier befundenen vorfchriftswidrigen Gehalt fogleich
bei Dberamt die Anzeige zu machen. (Es wurde ihm darüber ein bes
jonderer Eid zu fchwören auferlegt.) 6. (Betrifft die Unterfudhung der
damals vworräthigen Maaren.) 7. Gontrolgebühren : für Heine 1—4
Deniers haltende Waaren 8 kr., für ein Stüd von 4—8 Deniers 12
fr., von 11/,—2 Unzen 54 fr., von 2 Un. 4 Den. 58 fr, von 3
Unz. 6 Den. 1 fl. A fr. (Die Stablfabrittommiffion traf unterm 31.
Dezember mit dem Gontroleur einen gütlichen VBergleih, wornach fie
für alle Waaren unter 1 Unze eine ermäßigte Tare bezahlte.) 8. Für
Goldblättchen auf Stahl und Kupfer fol jeder Arbeiter, die Lehrlinge
ausgenommen, dem Gontroleur monatlich 30 fr. bezahlen; doch fteht
beiderjeits frei, eine fonftige Uebereinfunft für fich hierüber zu treffen.
Diefe ontrolverordnung wurde in deutfcher und franzöfifcher
Sprace den betreffenden Rabinetmeiftern publicirt, (jo hießen zuerſt die
Tabrifanten felber; fpäter (1786) wurde ihnen geftattet, fich zum Uns
terichied von den Privatarbeitern Kabinetsentrepreneurg zu nen:
nen, eine Bezeichnung, die fpäter mit: Fabrifentrepreneursg ver
taufcht wurde), Wir finden ihrer (alfo 1777) in den Alten folgende
verzeichnet: Ador, Gold- und Stahlwaarenfabrit,.. Bijoutir Mer:
gery, Bijoutir Trumeau, Goldarbeitr Hofmann, Goldarbeiter
Dunft, Goldarbeitr Metzger, die Graveure Lartique, Carron
und Sandoz, die Stahlarbeiter Fletſcher, Cashmor, Joh. Ger—
wig, Ad. Kiehnle in der Au, Panel der Engländer, Ad. Kölliſch,
die beiden Neuhäuſer, Gebauer, die herrſchaftliche Uhrenfabrik,
die Uhrgehäuſemacher Müller und Villeneuve. Als Controleur
wurde der Juwelier Vierordt mit einem Gehalt von 300 fl. und
den Kontrolgebühren bejtellt. 1) Xebtere wurden auf Antrag des Ober:
1) Er war vorher in England geweſen, heirathete 1779 die älteſte Tochter
des Moftmeifters Beder, baute 1787 ein eigenes Haus, wozu er bon ber
Pflüger, Pforzheim, 42
658 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746-1789,
amts, welches darin ein Mittel erblickte, die fremden Fabrikanten, die
meift nur mit kleinem Vermögen arbeiteten und was fie verdienten,
auch wieder durchbrachten, in Pforzheim feftzuhalten, im folgenden Jahr
auf die Hälfte ermäßigt und Vierordt als Entihädigung von der Regie:
rung die Summe von 150 fl. ausgeworfen. Im September 1778
vereinigten fi ſämmtliche Fabrikanten dahin, dem Controleur ftatt der
befondern Gontrolgebühr ein Averſum von ebenfalls 150 fl. auszube-
zahlen: eine Summe, die bei fpäterer Ausdehnung der Induſtrie auch
zunahm und 1788 beifpielmeife 500 Gulden betrug.
Bezüglich des Goldgehalts der Waaren, die nad) der Controlordnung
18karätig fein follten, trat noch im Jahr 1778 eine Veränderung ein, zu
der die fchlechten Geichäfte, welche die Kabinete damals vorübergehend
machten, Veranlaſſung gab. Die Fabrikanten Lartique, Mebger und
Trumeau waren um die Erlaubniß eingefommen, verfhiedenen Waaren
einen Gehalt von nur 14 Karat geben zu dürfen, und das Oberamt
(Dbervogt Wielandt) hatte diefes Geſuch damit unterftüht, „daß ber
Nahrungsftand alle Tage fchwerer werde, die Armuth groß fei und der
fonjt in Blüte geftandene Wohlſtand der Fabrikanten fo zu welfen bes
ginne, daß ihr Umfturz nur zu geſchwind erfolgen könne und alle
fchiklichen Mittel erforderten, fie aufrecht zu erhalten." Daraufhin wurde
von der Negierung geftattet, auch 14karätige maffive Goldwaaren, als
Berloques und Uhrenketten, zu machen, und diefe Erlaubniß wurde
unterm 6. Juli 1780 bis auf Weiteres auch auf Uhrgehäuſe, Stock—
nöpfe, Etuis, Bracelets, Ninge, Dofen ꝛc. ausgedehnt, jedoch unter der
Bedingung, daß der Controleur dies auf den Waaren ausdrüdlich
bemerken müffe und nur auf 1Sfarätige den Stempel jchlagen dürfe,
ie durch forgfältige Handhabung der Controle, fo ſuchte man
auch durch andere Mittel den Kredit der Pforzheimer Fabriken zu
heben, Fälſchungen und Veruntreuungen einen Niegel vorzufhieben und
den Fabritunternehmern jede thunliche Begünſtigung zuzumenden. So
wurde unterm 3. Februar 1779 verfügt, daß bei ſchwerer Leibesftrafe
fein Fabrikarbeiter in feiner Wohnung arbeiten dürfe; ebenfo folle
kein Kabinetmeifter ohne befondere Erlaubnig an einem andern Orte,
Herrichaft um ermäßigten Zins 3000 fl. worgefhoffen erhielt und flarb 1789,
worauf feine Wittwe den Dienft erhielt und ihn fpäter mit Hilfe eines Soh—
nes fortführte,
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 659
als in feinem Kabinet arbeiten. Wohl aber war geftattet, nach ordent:
lid) genommenem Abſchied von dem einen Kabinet ſich an ein anderes
zu wenden. Aehnliche jcharfe Beſtimmungen ergingen im Jahr 1784.
So wurde feftgefeßt: 1. Niemand foll Gold an Sabinetmeifter ver:
kaufen und Niemand Gold erfaufen, welches nicht vorher die Feuer:
probe paffirt hat und controlirt ift. 2. Alle Kabinetmeifter und auf
‚eigene Nechnung Arbeitenden jollen mit einem Eid belegt werden, fein
Gold zu verkaufen, welches nicht, ſowie es zu Blech oder Draht for:
mirt worden, im euer probirt und controlixt iſt. (Auf erhobene Ein:
wendung der Yabrifanten wurden diefe beiden Artikel 1786 in folgen:
der Weiſe abgeändert: Der Einfauf des probirten und nicht probirten
Goldes wird freigegeben ; das Gold darf aber nicht, ohne im Teuer
probirt und auf den gehörigen Gehalt gejeßt zu fein, verarbeitet werden ;
der Gontroleur ſoll prüfen und die gehaltwidrigen Arbeiten zur Kon:
fisfation und ſchweren Beſtrafung der Arbeiter anzeigen; ebenfo foll er
die Goldtüde in den Kabineten von Zeit zu Zeit probiren ; die Juden
dürfen mit Gold handeln, aber bei ſchwerer Strafe Feines einfchmelzen.)
3. Die doublirten Waaren follen mit einem D markirt werden, (Zuſatz
von 1786: Uhrfchlüffel, Berloques u. dergl. Heinere Waaren follen nur
von Gold gemacht werden). 4. Zu allen goldenen Arbeiten ſoll Gold:
ihlagloth zum Löthen genommen werden, und zwar Fein geringeres
als von 8 Karat Gehalt. Damit aber dennoch die Stüde den vor:
[hriftsmäßigen innern Gehalt bekommen, foll fo viel feines Gold zu:
gefeßt werden, bis jene durch das Schlagloth entitandene Gehaltsver:
minderung wieder ausgeglichen it und die Stüde den aufgeprägten
Gehalt auch wirklich in ſich enthalten. (Dagegen wurde Einfprache
erhoben, weil e8 nicht möglich fei, folcher Beſtimmung nachzukommen ;
diefelbe fand aber feine Berücfichtigung, weil die Ador'ſche Fabrik ſchon
lange diefe Vorſchrift befolge. Es fei zwar gejtattet, auch zu 16 Karat
zu arbeiten; jedoch müfje die Controlzahl 16 darauf ftehen, wie 14 auf
den A4farätigen Waaren, aber ohne fürftlihes Wappen.) D. Gold:
controleur Vierordt darf mit Gold handeln und probirtes und contro=
lirtes Goldbleh und Golddraht verkaufen.
Schon 1776 waren ſämmtliche für fi arbeitende Fabrikanten
um Befreiung vom Pfundzoll eingefommen; es wurde jedoch dem
Geſuch nicht ftattgegeben. Zehn Jahre ſpäter jedoch zeigte fich Die
Negierung auf bevorwortenden Bericht des Deal, N hin
660 Achtzehntes Kapitel, Piorzbeim von 1746—1789,
geneigt, den Kabinetsentrepreneurg größere Freiheiten zu bewilligen, und
es wurde deshalb unterm 2. Tebruar 1786 verfügt, daß denfelben, fo
lange fie ihr Gewerbe trieben, die Freiheit von Kopf:, Bürger und
Gewerbeihatung, ſowie vom Pfundzoll bei Verkauf ihrer Waaren und
Einfanf der erforderlichen Materialien widerruflic zugeitanden ſei; auch
follen fie Häuſer- und Hauspläge fteigern können, ohne daß ihnen gegenüber
vom Auslöſungsrecht Gebrauch gemacht werden dürfe. Wenn fie aber
noch ein anderes Gewerbe daneben betrieben, fo müßten fie von letzterm
die Hälfte der Bürger» und Gewerbefhatung bezahlen. Als würdig
folcher Befreiung wurden laut Bericht vom 6. März 1786 erkannt
die Fabrikanten: Ador, Lartique, Trumeau, Hofmann und Biala (Ühren:
fabrif), Huguenin und Menabene, Bujard und Hagen, Lutz und Scheuer:
mann, Charens und Baurittel, Gebrüder Kiehnle, Theurer, Baral, —
ferner die Uhrmacher Graf, Kalb und Huguenin,
Gegen die Goldcontrole, wie fie feit 1777 eingeführt war, erhob
fi von Zeit zu Zeit von Seiten der Fabrikanten eine Oppofition, die
nad und nach immer heftiger wurde, ja zulegt in förmliche Widerſetzlich—
feit überging. Unterm 27. März 1788 wurde von den Fabrifanten,
nachdem mehrere derjelben wegen unterlafiener Controle um Geld ge:
ftraft worden waren, der Vorfchlag gemacht, daß Jeder felber contro:
liren, d. 5. den Gehalt auf der Waare angeben folle. Werde darauf
nicht eingegangen, fo möge man die Staatscontrole wenigftens auf die
Maaren befchränfen, die für das Inland beftimmt feien; denn für das
Ausland habe diefelbe durchaus Feinen Werth, da die Käufer mehr
auf den Namen des Tabrifanten, als auf die Controle Rüdficht näh—
men. Auch finde man es für fehr unbillig, daß die Kabrifanten die
Eontrole bezahlen müßten und fei der Meinung, der Staat folle fie
tragen. Das Oberamt erflärte ſich jedod mit diejen Anfichten der
Fabrikanten nicht einverftanden, und es wurde in Folge eines von bie
fer ‚Stelle erftatteten Berichts unterm 3. September 1788 von der
Regierung die Controlverorönung von Neuem eingefchärft, bezüglich der
auf Unterlaffung der Controle gefegten Zuchthausſtrafe indeß die Er—
läuterung gegeben, daß folche nur dann mit diefer Strafe zu belegen
fei, wenn fie zur Verbreitung unächten und gehaltwidrigen Goldes ge—
dient habe, die alleinige Unterlaffung der Controle nur mit einer
nach den Verhältniſſen zu beftimmenden Thurm- oder Geldftrafe zu
ahnden fei. Um auf diefen Gegenftand nicht wieder zurückkommen zu
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789, 661
müffen, fei bier nur noch in Kürze bemerft, daß die Controle unter
vielem Widerftand, ja Prozeffen der Fabrifanten noch bis 1827 fort:
dauerte, in diefem Jahr aber eine Aenderung der Verhältniſſe in der
Weiſe einträt, daß feither zwar von Staatswegen immer ein Contros
leur beftellt ift, (dermalen Chr. Oechsle, vor ihm feit 1820 nad
dem Tode des jüngern DVierordt deffen Vater Ferd. Dechsle), der jedes
Stüd Gold, das ihm vorgelegt wird, gegen Entrichtung der gefeßlichen
Gebühr auf feinen Reingehalt zu prüfen hat, Niemand aber verpflich
tet ift, diefe Controle vornehmen zu laſſen.
Es ift oben ſchon bemerkt worden, daß ftatt der urfprünglichen
Duincaillerie, auf welche man fi im Pforzheim zuerft verlegt hatte,
nach und nad die Stahlbijouterie aufgefommen war, mit deren Fabri-
fation ſich noch 1782 die bedeutenditen Kabinete befakten, fo die von
Kiehnle, Bujard, Lartique, Trumeau, Baurittel, Lutz, Cachmor, let:
her. Nur wenige Jahre fpäter, nämlich 1788, hatten Stahl und
Gold fih vollſtändig von einander getrennt, fo daß wir z. B. in einem
Verzeichniß, das damals wegen Bertheilung des ontrolaverfums auf:
geftellt wurde, nur noch Bijouterieentrepreneurs und Bijoutiers begeg-
nen, worunter die Kabinete von Charens (Schwager und Nachfolger
von Ador, der zu Anfang des Jahres 1788 von Pforzheim wegge—
zogen war 1) das Kabinet befand ſich im jetigen Mufeum), Lartique und
Grauel, (Erfterer Hatte 1786 Bankerott gemacht, ſich aber ſchon 1788
von Neuem etablirt), Kiehnle, Boranis und Menabene, Bujard und
Comp., Baurittel, Huguenin und PVirhaur, Trumeau, Reinbold,
Dechamps ꝛc. Nebenbei gab es nun freilich auch noch Stahlarbeiter ;
doch waren ihre Zahl ſowohl, als ihre Geſchäfte unbedeutend, weil fich
für Stahlarbeiten von der Art, wie man fie bisher in Pforzheim mit
Gold belegt hatte, gar Feine Nachfrage mehr zeigte. Zu Anfang der
1790ger Fahre Hatte fih der Geſchmack wieder merflich geändert, klei—
nere Stahlwaaren waren wieder gefucht, jo daß beifpielmeife 1794 eine
Menge von Leuten, viele als Nebenbeihäftigung, fih mit Anfertigung
von Stahlwaaren befaßte. (Mir finden in diefem Jahr deren 34 auf:
1) „Sereniffimus nimmt an feinem Wohlergehen immer wahren Antheil,
ba fein Betragen in Pforzheim und feine mit Nutzen für biefe Stabt ver:
bunden gewefene fehr geſchickte Imduftrie immer Ihre größte Zufriedenheit und
gnädigfte Rückſichtsnahme auf alle Zeiten fich erworben habe,“ fo heißt es im
Geheimeratbsprotofoll vom 3. März 1788.
662 Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
gezählt.) In der Folge jedoch nahm diefer Induſtriezweig wieder im—
mer mehr ab, weil die Stahlarbeiten ganz aus der Mode kamen, fo
bag 1800 der Obervogt Baumgärtner berichten konnte, die Stahl—
waarenfabrifation fei fo weit gefunfen, daß die wenigen noch vorhande-
nen Arbeiter kaum da8 liebe Brod verdienten und mit Noth dem Bettel
entgingen, jo daß ihnen nichts Anderes übrig bleibe, als ſich ebenfalls
auf die Bijouterie zu legen, was fie aud) meiftens thäten. Die Duin-
caillerie theilte alfo in Pforzheim zuletzt das Schickſal der Uhrenfabris
fation, mit dem Unterfchied, daß lettere in Pforzheim ganz ohne Er—
folg einging, während ſich aus jener die Bijouterie groß und glänzend
entwickelte,
Mit dem Ueberhandnehmen der letztern mußten auch einzelne
Zweiggefhäfte derfelben aufblühen. So finden wir jchon 1794 befon-
dere Graveurgefchäfte von Batenot, Salomon, Schober, ald Email:
leurs: Fage, Maugray u. Comp., Cabene, Arlaud, Fournier, Hafen-
bad und Dörflinger, in der Folge daneben auch Guillocheurs, Gold-,
Glas- und Steinſchleifer ꝛc.
Hatte das Oberamt in Pforzheim unterm 10. Juni 1788 be—
richten können, daß in Pforzheim, ſeit die Stahl-, Gold- und Uhren—
fabriken aufgekommen, ſich der Wohlſtand vermehrt, die Handwerksleute
viel zu thun hätten, die Landleute vermehrten Abſatz fänden u. ſ. w.,
fo zeigte ſich Ende der 80er und Anfangs der Ler Jahre ein merk—
licher Rückgang oder doch Fein Fortichritt in den Geſchäften, und viele
Kabinete geriethen in fichtlichen Verfall. Wir ftogen deshalb 1793 auf
bittere Klagen der Fabrifentrepreneurs, die wir übrigens nicht durchaus
als gerechtfertigt erkennen können, da die Urfache des Rückgangs ber
Geſchäfte nicht am gehörigen Orte geſucht wurde. Es fei, fo fagen fie,
für Fabriken, die mit vieler Mühe und großem Aufwand errichtet und in
Gang gebradyt worden, ein wahres Unglüd, wenn Leute, die bei ihnen
als Arbeiter geftanden, aber entweder aus fchändlicher Gewinnſucht (1)
ausgetreten, oder als ſchlechte und nachlälfige Arbeiter oder wegen übler
und brutaler Aufführung von den Fabrifentrepreneurs fortgejagt worden,
oder gar folche Leute, die gar nicht vom Metier jeien, gejtattet werde,
daß fie fi) an dem Orte oder in der Gegend, wo folcherlei Fabriken
eriftiven, aufhalten und für fich arbeiten, oder durch Fabrikarbeiter
Waaren, die fie alsdann fo gut wie möglich zu verfchliegen fuchten,
heimlich verfertigen laffen dürften. Schlechte Waaren, für Pforzheimer
Ahtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789, 663
Fabrikat ausgegeben, brächten Mißkredit, trieben die Preife herunter zc.,
verlodten zu heimlichen Entwendungen. Daure e8 fo fort, fo kämen
die guten Fabriken an den Rand des Verderbens. Sie bäten deshalb,
alle heimliche Betreibung zu verbieten und_zu verfügen, daß Keiner,
der nicht im Stande fei, ein öffentliches Kabinet anzulegen, Erlaubniß
erhalte, zu fabriziven oder fabriziven zu laſſen. Ja es wurde fogar
von einigen Fabrifanten laut mit Wegzug gedroht, wenn man die Zahl
der Kabinete allzujehr zunehmen laſſe.
Das Oberamt Pforzheim (Eifenlohr) zeigte fich mit diefen Anfichten
und Beſchwerden einverjtanden und gab der Regierung den Nath, die
Errichtung neuer Fabriken zu erfchweren und nicht Jeden anzunehmen.
Anderer Anficht aber war der Obervogt Baumgärtner, der noch im
Jahr 1794 feinen Dienft in Pforzheim antrat. Er fand die Urfache
des Zerfalls vieler Kabinete nicht in ihrer Menge, fondern in dem
perfönlichen Verhalten der Befiger. „Die erjten Unternehmer,” fo fagt
er in einem damals erjtatteten Gutachten, „waren meift Abentheurer,
Franzoſen oder franzöfifche Schweizer, die ſchon im ihrem Vaterland
ſich nicht zum Beſten aufgeführt hatten. Diefe Leute waren meift gut
zu leben gewohnt, einem übertriebenen Luxus ergeben, und hatten über:
haupt die Feftigkeit und Solidität des Charakters nicht, die dazu ges
hört, wenn ein ſolches Geſchäft gedeihen fol. So bald fie fahen, daß
die Sache ein wenig ging, wie es die natürliche gute Beſchaffenheit
derſelben mit fich brachte, fo wollten fie fogleidy die großen Herren
ipielen, ahmten die reichen Kaufleute und Fabrifanten in großen Städten
nad, und Sant war ihr gewöhnliches Schidjal. Statt vieler Beifpiele
möge nur das eine von Lartique hier angeführt werden, der es nad)
Ador am weiteften gebracht hatte, aber auch viel zu früh fich einem
folhen Luxus hingab, daß ein großer Konkurs zum empfindlichen Scha:
den der übrigen Fabriken über ihn ausbrach.“ (Dies gefhah, wie
oben jchon erwähnt, im Jahr 1786.) Soldye Vorkommniſſe auf der
einen und der Grundſatz der Erſchwerung der Errichtung neuer Fabriken
auf der andern Seite ‚mußte die nothwendige Folge haben, daß die
Zahl der Kabinete fi) verminderte; denn es kamen nad und nad)
manche der Ältern in Abgang und Feine oder nur wenige neue dazu.
Die Zahl derfelben ging z. B. von 1786, dem Konkursjahr Lartiqueg,
der mehrere Kleinere Kabinete in feinen Fall verwidelt hatte, bis zum
Jahr 1787 von 15 auf 8 zurüd, und war bie 1794 nicht wieder
664 Ahtzehntes Kapitel. Pforzbeim von 1746—1789,
über 11 geftiegen. Wenn es fo fortging, war der Ruin der ‚ganzen
Fabrikation zu befürchten; denn es durften nur noch wenige der be=
trächtlicher Kabinete, wie es fo leicht möglich war, aufhören, fo konnten
die meijten Arbeiter Feine Beihäftigung mehr finden, und die Induftrie
hätte fich nur ſchwer wieder erholen können.
Baumgärtner erfannte die Gefahr, in welcher fich diefelbe befand
und fuchte auf geeignetem Wege Abhilfe, obgleih ihm von allen Seiten
vordemonftrirt wurde, daß in der Vermehrung der Kabinete der Ruin
der ſchon beitehenden enthalten wäre. Er fand ſolchen Grundſatz un=
richtig und Heinlih. „ES müfjen,” fo fagt er in dem fchon erwähn—
ten Gutachten, „nicht Tauter große Kabinete fein. Manche eine werden
groß, und ohne jene gibt es diefe nicht. - Kür das Aufkommen der
Fabriken muß es Grundfaß fein, jeden Zwang und jede Einſchränkung
zu entfernen. Beſonders wird es auch zum Fortkommen derfelben
gereichen, wenn jeder Arbeiter Hoffnung hat, einen eigenen Heerd zu
gründen und für fich zu arbeiten, wogegen er mißmüthig werden muß,
wenn ihm diefe Ausficht nicht eröffnet ift” ꝛc.
Für ſolche Anfichten fuchte-Baumgärtner den Stadtrath, die Bürs
gerichaft und felbft einige Yabrifanten zu gewinnen, die Regierung
machte fie ebenfalls zu den ihrigen, und die Folge war, daß mit dem
bisherigen Syſtem entſchieden gebrohen und das Entftehen neuer
Fabriken auf jede Art, ſelbſt durch Borfchüffe aus herrichaftlichen
Kaffen erleichtert wurde. Und der Erfolg? In wenigen Jahren,
nämlih ſchon 1798 war die Zahl der Fabrifen von 11 auf 26
geftiegen, hatte ſich alfo mehr als verdoppelt, und wenn auch ein-
zelne derfelben wenig gebiehen, fo war doch die Anduftrie im
Ullgemeinen, troß der Invaſion der Franzofen im Jahr 1796 und
troß des Geldmangels, der eine Erhöhung des üblichen Zinsfußes von
5 auf 6 Prozent zur Folge hatte, in den ſchönſten Flor gekommen.
Die Arbeiterbevölferung Pforzheims (Arbeiter, Weiber, Kinder) betrug
im Sahr 1798 bereits 721 Köpfe. Der Wochenlohn eines Arbeiters
belief ſich zwiſchen 8 und 30 fl., (während 3. B. ein Wollfpinner in
ber Tuchfabrik kaum 2 fl. verdiente), Zwei der neu entitandenen
Tabrifen kamen der größten unter den ältern, nämlich der Kiehnle'ſchen,
faft glei, und als fi im Jahr 1799 Bohnenberger, der fih 1792
mit Kiehnle affocirt hatte, von diefem wieder trennte, fo mar ein Ge
winn don 200,000 Gulden zu theilen. Darf e8 ung da wundern,
Achtzehntes Kapitel, Pforzheim von 1746—1789. 665
wenn man Pforzheim damals ſchon das „kleine Genf” nannte und
vom weitern Aufihwung der Induſtrie die Schönften Hoffnungen hegte?
— Zwar übte der 1799 wieder ausgebrochene Krieg einen nachtheis
Tigen Einfluß auf diefelbe. Franfreih und Holland waren für den
Abſatz der Pforzheimer Bijouterie ganz gefperrt, nach anderer Richtung,
wie in der Schweiz und in Stalien, lagen Handel und Verkehr dar:
nieder. Doch brachten fich die Fabriken fort und Fam es in Pforzheim,
felbit unter den Kleinen Geichäften, zu keinem Bankerott. Der Grund
davon lag hauptjächlich darin, daß man neue Abjagquellen ausfindig
gemacht hatte, namentlich nach Norden über Leipzig und Hamburg, wo
fich große Niederlagen von Bijouterie befanden, die nad) Dänemark,
Schweden, Rußland und England ging. Biele der größern Fabriken
unterhielten bereits jtändige Neifende, während die kleinern meift für
jene arbeiteten. Die Pforzheimer Goldwaaren, die hauptfächlic in Uhr:
fetten, Halsketten, Ningen und Obrringen, Halsichnallen, Pretenfiong,
Berloques und Medaillons beftanden, (größere Artikel, wie Tabaks—
dojen, goldene Etuis ꝛc. wurden nur auf befondere Beftellung verfer:
tigt), hatten bereits einen folhen Grad von Vollkommenheit erlangt,
daß fie den feinften Parifer und engliihen Waaren nicht nachitanden,
ja daß viele derfelben, die nad) England gingen, von dort als englifche
Waaren wieder zurüdtamen. Um das Jahr 1800 erreichte der Werth
des in Pforzheim verarbeiteten Goldes, wozu meift Dufaten genommen
wurden (Lingots anzufchaffen, bielt man nicht für vortheilhaft,) bereits
die Summe von 300,000 Gulden. Erlitten auch mande Fabrikanten
durch die 1799 in Hamburg ausgebrochenen Bankerotte Verluſte, die
von 6000 bis 20,000 Mark betrugen, jo machte man fich im Allge-
meinen nicht viel daraus, ſondern war froh, daß die Krifis rafch wieder
ihr Ende erreichte, In den nächſten Jahren (1800—1803) nament:
lich nad) dem 1800 abgefhloffenen Frieden von Lüneville, vermehrte
fi zwar die Zahl der Fabriken nicht bedeutend (1800 waren es ihrer
26), aber die Zahl der Arbeiter nahm fortwährend zu und betrug
1803 ſchon 522, die mit 186 Weibern und 398 Kindern eine Gold:
arbeiterbevölferung von 1097 Seelen bildeten.
Die Inhaber jener 26 Fabriken des Jahres 1800 waren: Charens
(früher Ador), Bujard et Comp, (jeit 1787), König, Dechamps,
Cassanova, Baurittel (feit 1791), Hepp, Würz u, Eo., Jakobi, Mad:
let (jeit 1795), Huguenin, Bauer, Kienle u. Ev. (feit 1799), Rhein:
666 Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789.
boldt, Blind, Mezger, Gülich (feit 1798), Urbain, Schober, Lang,
Collin, Fromajer, Zieboldt, Bohnenberger (jeit 1799), Dennig (feit
1800), Maler.
Bei den neuen Fabriken, welche nad) 1794 ins Leben traten, war
die Frage aufgeiworfen worden, ob es nicht nöthig fei, den betr. Unter:
nehmern irgend eine Prüfung abzunehmen, etwa die Fertigung eines
Probeſtücks aufzulegen. Auf eingeholtes Gutachten bei den Fabrifanten
felber gab das Oberamt 1800 und 1802 fein Urtheil dahin ab, daß
eine ſolche Maafregel deswegen nicht durchzuführen fei, weil die meiften
Entrepreneurs keine gelernten Bijoutiers feien, deſſenungeachtet aber
ihrem Gefchäft mit vorzüglihen Ruhm und Glück vorjtinden, wie
3. B. Büjard, der ein Kaufmann, und Kiehnle, der ein Flözer jet.
Wolle man demnach darauf bejtehen, daß nur folden die Erlaubniß
zur Errichtung einer Bijouteriefabrit gegeben würden, welche die Bijoute-
vie förmlich erlernt hätten und denen aljo nur ein Probejtüc aufges
geben werden Fünne, fo würde das Fabrikweſen in Pforzheim unfehlbar
fehr verlieren und wahrſcheinlich noch jchneller wieder herabfinfen, als
es ſich emporgehoben habe, denn alsdann käme diejer fchöne Handels:
zweig einzig und allein in die Hände foldyer Leute, denen es im der
Regel jowohl an Hinfänglichen Fonds, wie an den erforderlichen Kennt:
niffen für ein jo viel umfafjendes Geſchäft ermangle, und die meijten
Entrepreneurg würden ihr Gefhäft nur ins Kleine zu treiben genöthigt
fein und bei weitem der Nutzen nicht herauskommen, der fich bei
Betreibung im Großen herausftelle. — Auf diefen Bericht bin wurde
von der Auflegung einer technifchen Prüfung Seitens der Regierung
Umgang genommen.
Die Gefchichte dev Bijouterie, wie fie fich im laufenden Jahr:
hundert geftaltete, Fönnen wir kurz zufammenfafien. Waren zu Anfang
desfelben die Pforzheimer Fabrifen wieder in Blüte gefommen, fo
drohte der ertödtende Frofthauc des Kontinentaliuftems (feit 1806) dieſe
Blüte vollftändig zu vernichten. Zwar betrug die Zahl der Fabriken
41810 noch 241, in denen von 90 bis herab zu 2 Arbeitern, im Ganzen
420 Berjonen befchäftigt waren, wozu in den Guillocheur-, Emailleurz,
Gold: und Glasfchleifer:, TFeilenhauer- und mechanifchen Werkſtätten
ungefähr 40 weitere kamen, fo daß im Ganzen IOO—1000 Menſchen
— ungefähr der fünfte Theil der Bevölkerung — durch die Yabrifen
ihr Brod fanden, In Folge des fortdauernden Seekrieges und der
Achtzehntes Kapitel. Pforzheim von 1746—1789. 667
Vereinigung der Nordieehäfen mit Frankreich wurde indeß der Handel
immer mehr geſchwächt, fo daß aud in Pforzheim die Fabriken ihre
Thätigfeit fortwährend verminderten und die Zahl derjelben 1812 auf
13 berabgefunfen war, namentlich, nachdem durch die Einäſcherung
Moskaus mehrere der bedeutendften Waarenabnehmer abgebrannt waren.
Erſt nad) dem zweiten Parijer Frieden (1815) blühte die Bijouterie
wieder empor und im Jahr 1816 zählte man wieder 21 Fabriken
mit einem MWaarenerlös von etwa 600,000 Gulden und einer Arbeiter:
bevölkerung (alſo einfchließlich der Weiber und Kinder) von 900— 1000
Köpfen.
Eine Reihe von Jahren verging, ohne daß fich die Fabrikation
in befonderm Grade erhob. Erft in den 1830ger Jahren war dies
mehr der Tall, und 1833 finden wir, wenn aud) die Zahl der Fabriken
nicht befonders vermehrt, doch ſchon eine Arbeiterzahl von 900 — 1000
Köpfen und einen Waarenerlös von etwa 1 Million Gulden. Bis
1838 war die Zahl der Fabriken auf 54 geftiegen. Die 1840ger
Jahre waren der Fabrikation wieder weniger günftig, und gegen Ende
derfelben trat jene verhängnigvolle Krifis ein, welche die Pforzheimer
Induſtrie faft ganz darniederwarf. Eine glänzende Epoche begann für die:
felbe in den 1850er Sahren, nachdem namentlich in Amerika ein neues
Abſatzgebiet eröffnet worden war. Die Zahl der Fabriken, ohne die
Zweiggejchäfte war 1854 bereits auf 82, die Menge der Arbeiter auf
3000-4000 geftiegen. Der Waarenumſatz hatte bei einem jährlichen
Gold:Verbrauh von etwa 60 Gentnern die Höhe von 8 Millionen
Gulden erreicht. Alles das nahm in den folgenden Jahren noch anjehn:
lich zu, und im Jahr 1859 Hatte die Menge der Bijouteriefabrifen
und ihrer Zweiggefchäfte, troß der 1857 eingetretenen Handelskrifis, die
Zahl 206 mit 6000 - 7000 Arbeitern erreicht. — Näheres über
den nenejten Stand der Pforzheimer Goldwaareninduftrie wird weiter
unten folgen.
Aeunzehntes Kapitel.
Dom Beginn der franzöfifchen Nevolution bis auf die neueſte
Zeit.)
(1789 — 1862.)
$ 1. Allgemeines.
Das letzte Drittel der Regierungszeit Karl Friedrichs verlief nicht
fo ruhig und friedlih, wie die erften vierzig Jahre derfelben. Doc
durfte der edle Fürft die Freude erleben, fein Land in Folge der aus:
brechenden Kriege, welche der Karte von Europa, namentlich aber
Deutichlands, eine ganz andere Geftalt gaben, anfehnlid vergrößert,
die Zahl feiner Unterthanen bedeutend vermehrt zu fehen.
Am Jahr 1789 begann die franzöfiiche Nevolution. Die Natio-
nalverfammlung hatte ſich die Umpgeftaltung aller Staatsverhältniffe
zur Aufgabe gemacht, da die beftehenden Zuftände durchaus morfch
geworden waren. Damit unzufrieden, wanderten außer einem Theil der
Prinzen viele vom Adel und der Geiftlichkeit aus, und Schaaren von
Emigranten überfhwemmten audy die badifchen Lande, um Hilfe und
Rache zu fuchen. Die Grundſätze, welche in Frankreich zur Geltung
famen, und die beifpielmeife auch in einzelnen badiſchen Gemeinden
aufregend wirkten, fo daß Karl Friedrid mit Waffengewalt einfchreiten
mußte, die Gefahr, im welcher fi) der franzöfifche Thron befand und
die auc andern Thronen drohte, die Bemühungen der Emigranten:
Alles wirkte zufammen, zwiſchen Kaifer Leopold IL. bez. Franz II. und
dem König von Preußen, Friedrich Wilhelm IL, ein Schuß: und Truß:
bündnig gegen Frankreich für fih und das deutfche Meich zu Stande
zu bringen. Ms aber Frankreich 1792 mit einer Kriegserflärung zuvor
Fam, fielen die Verbündeten in die Champagne ein und errangen ver:
1) Diejenigen Partien dieſes legten Kapitels, im welchen bie neueſte Zeit
berührt oder behanbelt ift, wurben abfichtlich nur furz gehalten. Die Gründe
dafür find Teicht einzuſehen.
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 669
fchiedene Vortheile. Allein die Preußen wurden durch die freiheits-
trunfenen Franzoſen wieder zum Rückzuge genöthigt, die Defterreicher
bei Jemappes gefchlagen, das linke Nheinufer und mit ihm die
Feſtung Mainz ging verloren. In Frankreich felbft erklärte der Na—
tionalfonvent das Königthum für abgefchafft, Frankreich zur Republik
und am 21. Sanuar 1793 fiel das Haupt Ludwigs XVI unter dem
Fallbeil.
Jetzt trat faſt ganz Europa gegen die neue Republik, wo eine
Schreckenszeit begann, in die Schranken. Die Preußen nahmen Mainz,
die Oeſterreicher Brüſſel wieder, die Engländer beſetzten verſchiedene
Städte im Süden Frankreichs, im Innern des Landes wüthete der
Bürgerkrieg. Jetzt griff der Wohlfahrtsausſchuß in Paris zum Mittel
der allgemeinen Vollsbewaffnung. Die Begeiſterung und Entſchieden—
beit der franzöfifchen Heere und ihrer Führer auf der einen, die Un:
einigkeit und die Mißgriffe der Verbündeten auf der andern Seite ver:
ichafften den Franzofen von Neuem den Sieg. Die Generäle Richegru,
Jourdan und Hoche trieben die verbündeten Heere am Rhein und in
den Niederlanden, die im Winter 1794 auf 95 erobert wurden, immer
weiter zurüd, nahmen eine Feſtung um die andere und ergriffen vom
linken Nheinufer Befit. Der Eifer der Verbündeten erlahnıte immer
mehr und ging in Eiferfucht über, und alle Glieder der erften Koali:
tion gegen Franfreih, Defterreih und England ausgenommen, dachten
um fo mehr an Frieden, als auch der Sturz der Schredensherrichaft
in Frankreich erfolgt war. Preußen fhloß 1795 den Frieden von
Bafel, ein fpäterer Vertrag erklärte ganz Norddeutichland für neutral,
Den Ober: und Mittelrhein aber deckte noch Defterreih, und verhins
derte die ſüddeutſchen Neichsftände, dem Beifpiel der norddeutfchen zu
folgen.
Jetzt drangen die Franzofen, die ſchon 1793 Uebergangsverfuche
gemacht hatten, im Juni 1796 unter General Moreau, 80,000 Mann
ftart, auf verſchiedenen Punkten zwiſchen Hüningen und Leopoldshafen
über den Rhein, und zum erften Male wurde die Markgraf:
haft Baden der Schauplatz des Krieges. Karl Friedrich
floh nad) Anſpach, während fich die Reichsarmee den eindringenden
Feinden entgegenwarf, bei Raftatt, Renchen und Ettlingen aber
geihlagen wurde. Seht blieb den Kleinern füddeutichen Fürften nichts
übrig, als dem Beifpiel Preußens zu folgen. Karl Friedrich ſchloß
670 Neunzebntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
mit Frankreich zuerft einen Waffenftilftand, dem am 22, Auguft 1796
ein Separatfrieden folgte. Die Abtretung aller feiner Tinfsrheinifchen
Befitungen und das Eingehen noch anderer Bedingungen, das nur bie
gebieterifche Nothwendigkeit entfchuldigen konnte, waren der abgedrungene
Preis des Friedens.
Unterdefjen waren die Franzofen unter Moreau in Baiern ein-
gedrungen, Jourdan hatte vom Niederrhein her feinen Weg ebenfalls
dahin gefunden, und von Stalien aus machte ein anderer Fühner und
unternehmender General, Napoleon Bonaparte, der die Lombardei
erobert hatte, Veranftaltung, den beiden andern franzöfiichen Feldherrn
die Hand zu bieten. Aber Jourdan wurde von Erzherzog Karl in
drei Schlachten geichlagen, und fein Heer eilte in wilder Flucht, von den
Landbewohnern ned) vielfach bejchädigt, dem heine zu. Moreau be=
werfitelligte nunmehr einen meifterhaften Nüdzug und gelangte, von
Erzherzog Karl zwei Mal geichlagen, in der Nähe von Baſel über
den Rhein. Während defjen aber erfimpfte Bonaparte neue Siege in
Italien und drang im Frühjahr 1797 dur die Alpen gegen Wien
vor, während franzöfifhe Heere wiederum den Rhein überjchritten.
Setzt ſchloß Defterreihh mit Opfern den Frieden von Campo Formio
und ein Kongreß zu Raſtatt follte den Frieden zwiſchen Frankreich
und dem Neiche feftfegen und andere Verhältniſſe regeln. Da indefjen
während desjelben Frankreich feine Macht fort und fort erweiterte, jo ſchloß
Defterreich ein neues Bündnig mit Nufland, England und der Türkei,
und erflärte 1799 den Kongreß von Naftatt, der mit der Ermordung
der franzöſiſchen Gefandten endigte, für gefchloffen, und der Krieg be:
gann von Neuem.
In Italien erfocht der ruffiiche Feldherr Suwarow glänzende
Siege über die Franzofen, und General Fourdan, der die füdlichite der
drei franzöfifchen Armeen befehligte, welche über den Rhein gegangen
waren, wurde von Erzherzog Karl nad der Schlaht von Stodady zum
Nückzug über den Rhein genöthigt. An Jourdans Stelle drang Maffena
fiegreich nach Stalien, die Nuffen wurden von dem launiſchen Kaifer
Paul I. zurücgerufen, Bonaparte kehrte aus Egypten zurüd, wohin er
1798 gegangen und errang am 14. Juni 1800 den Sieg von Ma:
rengo. Mit gleichem Glück befiegte Moreau in Deutjchland nad dem
Nücktritt des Erzherzogs Karl die Defterreicher bei Engen, Meßkirch,
namentlich aber bei Hohenlinden, und zwang den Kaifer zum Friie—
Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 671
den von Küneville, den er am 9. Februar 1801 mit Bonaparte,
damals bereits erftem Konful der franzöfiichen Republik, abſchloß. In
diefem Frieden wurde der Nhein als Gränze zwiſchen Frankreich und
Deutjchland feftgefest und den deutſchen Fürften, die dadurch verloren
oder, wie der Markgraf von Baden, ſchon früher verloren hatten, Ent:
Ihädigung aus Mitteln des Neichs verheißen. ine Neichsdeputation
follte diefe Entſchädigung feitfegen, was im Februar 1803 auch gefchah.
Sämmtliche geiftlihe Neihsftände, mit einer Ausnahme, wurden ſäku—
larifirt, d. 5. fie hörten zu beftehen auf und ihre Länder wurden andern
zugetheilt; von den 48 Reichsſtädten blieben nur nody 6. Der Mark:
graf Karl Triedrih von Baden wurde, theils weil man ihn als Grenz:
fürft gegen Frankreich verftärfen wollte, theils um feiner anerkannten
Tugenden willen, zum Rurfürften erhoben und ihm als Enſchädigung
zugetheilt: das Bisthum Konftanz, Theile der Bisthümer Speier,
Bafel und Straßburg, die pfälziſchen Aemter Ladenburg, Bretten und
Heidelberg mit den Städten Mannheim und Heidelberg, die Herrichaften
Lichtenau und Lahr, die Abteien Schwarzach, Frauenalb, Allerheiligen,
Lichtenthal, Gengenbah, ttenheimmünfter, Petershaufen, Reichenau,
Dehningen, Schuttern und Salem, das Stift und die Probſtei Oden—
beim, die Reichsſtädte Offenburg, Gengenbach, Zell, Ueberlingen, Pful—
Vendorf und die fpäter wieder ausgetaufchten Biberach und Wimpfen.
Diefe neuen Erwerbungen umfaßten beinahe 62 Quabdratmeilen mit
über 250,000 Einwohnern, während die Abtretungen nur 19 Duadrats
meilen mit 65,000 Einwohnern betragen hatten. Das neue Kurfürften-
tum Baden war nunmehr 113 Duadratmeilen groß und zählte
450,000 Bewohner.
Noch war Karl Friedrih mit der Organifation feiner neuen Lan—
destheile beichäftigt, als 1805 der Krieg der dritten Koalition ausbrach.
Defterreih hatte fi) mit England, Rußland und Schweden gegen
Frankreich verbündet. Napoleon, feit 1804 Kaifer der Franzofen, drang
raſch in Deutjchland ein, nahm bei Ulm den öfterreichiichen General
Mad mit feinem Heer gefangen, verfolgte feinen Sieg bis Wien und
erfoht am 2. Dezember 1805 über das vereinigte öfterreichifcheruffifche
Heer den Sieg von Aufterlig, deffen Folge der Friedevon Preß
burg war. Zum erften Mal waren in diefem Krieg die badifchen
Truppen, an 3400 Mann ftark, unter dem Befehl des Generalmajors
von Harrant, mit den Franzofen zu Felde gezogen, da Napoleon nur
679 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit,
zwifchen Anſchluß und Verderben die Wahl gelafien hatte Sie nah—
men aber an den eigentlichen SKKriegsereigniffen keinen Theil, fondern
wurden bauptfählih zum Transport vuffiicher Kriegsgefangenen ver—
wandt. Der Friede von Prefburg "brachte Baden neuen Zuwachs an
Ländern, nämlich den Breisgau, die Ortenau und die Stadt Konftanz.
Am 12. Juri 1806 erfolgte die Gründung des Nheinbundes,
dem 16 deutiche Fürften, darunter der Kurfürft von Baden, unter dem
Proteftorat Napoleons mit vollem Souveränitätsrecht und erhöhter
Würde beitraten. Durch ihre Losfagung vom deutihen Neichsverband
batte ein deutſches Reich feinen Sinn mehr und wurde ein foldyes auch
von Frankreich nicht mehr anerkannt. rang IL legte darum "am 6.
Auguft 1806 die deutfhe Kaiferfrone nieder und erflärte ſich zum
Kaifer von Defterreih. Das war das Ende des deutfhen
Reichs. Karl Friedrich erhielt den Titel eines Großherzogs,
nachdem er die Königswürde abgelehnt hatte. Durd die auf Napo—
leons Gebot erfolgte Mediatifirung verfhiedener Heinerer Reichsſtände
erhielt Karl Friedrich die Souveränität über den größten Theil der
Zande des Fürften von Fürftenberg, des Fürſten von Leiningen und die
gräffichen Aemter, über die Befigungen von Löwenftein- Wertheim am
linfen Mainufer und die des Haufes Salm-Krautheim-Reiferſcheid am
rechten Ufer der Jart. Dazu kamen Heitersheim, Kleinere württem-
bergifche Bezirke, zwei Deutichordenstommenden ꝛc. Das nunmehrige
Großherzogtum Baden umfaßte nad foldhem Zuwachs etwas über
249 QDuadratmeilen mit 900,000 Einwohnern, deren Zahl 1808 be-
reits auf 924,000 geftiegen war.
Dem Großherzog Karl Friedrich wurde durch den neuen Länder:
anfall die Pflicht orönender und gejetgeberifcher Thätigkeit wiederholt
auferlegt, Darum regelten namentlich fieben Konftitutiongedifte die
Eirchliche Verfaffung, die der Gemeinden, der Staats: und Grundherrn,
das Lehenswefen, die Verfafjung der verfchiedenen Stände der Staats—
bürger und die Verhältnifie der Iandesherrlihen Diener. Nach wenigen
Sahren erſchien eine abermalige Landesorganifation, und wurde der
Eode Napoleon mit verfchiedenen Abänderungen als badifches Land:
recht eingeführt.
Mittlerweile war 1806 der Krieg mit Preußen ausgebrochen,
mit dem ſich Rußland verbündet hatte, Die Schlachten von Jena
und Friedland und der Friede von Tilſit 1807 entfchieden über
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 673
das Schickſal Preußens, das um die Hälfte verkleinert wurde und auch
fonft den Zorn des GSiegers empfinden mußte. Auch in diefem Krieg
hatte ein badifches Truppenkorps von 6000 Mann, dem weitere 1400
Mann nachgefendet wurden, unter dem General von Cloßmann mitge:
fümpft und ſich durch Tapferkeit ausgezeichnet. Aber die Koften folcher
Heerzüge Yafteten ſchwer auf dem Lande, namentlich als die eingeführte
Konfeription noch weiter ausgedehnt wurde, Ein Hilfstruppenkorps von
2000 Mann unter Obrift von Porbeck mußte 1805 nad) Spanien ent=
fandt werden, um auch dort feinen Friegerifchen Ruhm zu bewähren.
Im Jahr 4809 erhob fich Defterreih zu neuem Kampf gegen
Frankreich, und blutig entbrannte der Krieg. Aber an der Spike eines
meift aus deutfchen Truppen beftehenden Heeres erfocht Napoleon die
Siege von Abensberg, Eckmühl, und wenn auch bei Aſpern ge
ſchlagen, entjchied die vom franzöftichen Kaifer gewonnene Schlacht von
Wagram den Krieg, Mit großen Opfern mußte Oeſterreich noch in
demſelben Jahr 1809 den Frieden von Wien erfaufen. Aber das
Jahr darauf reichte Marie Luife, die Tochter des Kaifers Franz von
Defterreih, Napoleon die Hand. — Ein badifches Truppenforps von
nahezu 7000 Mann hatte in diefem Krieg unter Generalmajor von
Harrant (ftellvertretend Oberſt v. Neuenftein) mitgefochten. Abermals
hatte die Theilmahme am Kampf dem Lande große Opfer auferlegt.
Doc e8 vergrößerte und ergänzte fi) durdy die von Württemberg abs
getretene Landgrafſchaft Nellenburg, wofür einige Befigungen an Hefjen
abgegeben werden mußten. Unterm 30, November und 5. Dezember
1810 wurden auch die von Württemberg an Baden abgetretenen Drte
Kiefelbronn und Defhelbronn von dem dazu beauftragten Ober:
vogt Roth aus Pforzheim in Befiß genommen. (Ein Theil der ſtädti—
hen Ehrengarde hatte diefen Beamten dahin begleitet.) Baden war
1811 auf 272 QDuadratmeilen mit über einer Million Bewohner
angewachſen.
Das Alles geſchah noch in den letzten Jahren der Regierung Karl
Friedrichs, an welcher aber ſchon ſeit 1806 fein Enkel, der Erbgroß-
berzog Karl, Antheil genommen hatte, da der greife Großherzog am
Körper und Geift fichtlich verfiel. Am 10. Juni 1811 ſchloß Karl
Friedrich nad) Göjähriger Negierung fein Leben, das er auf faft 83
Jahre gebracht Hatte. „Karl Friedrich,” fo fagt ein vaterländifcher
Gelehrter, „hat nie ein Heer geführt, nie mit blutbefledtem Lorbeer
Pflüger, Pforzheim, 43
674 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
Siege gefeiert; feine heiligen Silberhaare umgab die Bürgerfrone; er
bat in der Tugend Eroberungen gemacht und mit milder Weisheit feine
Gränzen vergrößert; er hat nur ein Mal Menſchen gefränft: durch
feinen Verluſt.“ 9)
Es war die Zeit der höchſten Macht Napoleons, als Großherzog
Karl, der ſich 1806 mit Stephanie Luiſe Adrienne, der Adoptivtochter
des franzöfifchen Kaifers vermählt Hatte, den Thron beſtieg. Schon
das Jahr darauf, 1812, unternahm Napoleon an der Spike eines
ungeheuern Heeres, darunter an 9000 Mann Babdenfer, den ruf:
fifhen Feldzug. In Folge der fiegreihen Schlachten bei Smolensk
und an der Moskwa kam das franzöfifhe Heer im September nad
Moskau; aber die Flammen diefer ruffiihen Hauptftadt nöthigten Na-
poleon zu einem Rückzug, auf dem feine Armee vernichtet wurde. Set
erhob ſich Preußen, und überall Ioderte in diefem von Napoleon
niedergetretenen Lande die Begeifterung empor. Aber dem Rufe nad
Befreiung konnte noch nicht überall Folge geleiftet werben, weil Napo-
leon nody zu mädtig war. Er machte erneuerte Anftrengungen und
friſche Kontingente mußten die Rheinbundftaaten — Baden 7000 Mann
— im Frühjahr 1813 ftellen. In einer Reihe von Schlachten wurde
mit abwechfelndem Glück gefochten. Nachdem aber auch Defterreich fei-
nen Beitritt zur deutſchen Sache erflärt hatte, Fam es in ber Völker:
ſchlacht am 16., 18. und 19. Oktober 1813 bei Leipzig zum blus
tigen Entfcheidungsfampf. Napoleon floh über den Rhein zurüd, ber
Rheinbund Töste fi) auf und feine Heere (Baden mit 16,300 Mann)
fochten jet gegen Frankreich, wohin die Verbündeten 1814 eindrangen.
Nach verfchiedenen Kämpfen wurde Paris am 31. März eingenommen,
1) Die Beifepuug der Leiche bes Verblichenen in der Gruft zu Pforzheim
erfolgte unter entſprechenden Seierlichfeiten am 24. Juni 1811, — Am 22,
November 1833 wurde das Denkmal Karl Friedrichs eingeweiht, welches
ihm fein Sohn Leopold in ber Schloßkirche zu Pforzheim hatte fegen laſſen.
Es ftept mitten im Chor und bat bie Geftalt einer gothilchen Pyramide, beren
durchbrochenene Spitzung fi über der Büſte Karl Friedrichs erhebt. Die Ins
ſchrift lautet: Carolo Friederico patri Leopoldus filius UDCCCXXXIII (feinem
Bater Karl Friedrich der Sohn Leopold 1833), und auf der Nücdkfeite ift ber
Wahlſpruch des edlen Fürſten: Moderate et prudenter (mit Mäßigung unb
Klugheit) eingegraben. Der Entwurf ift von Profefior Moosbrugger in Raftatt,
bie Ausführung in weißem Sanbfteine von Belzer in Weißenbach, bie Mars
morbüfte von Bildhauer Raufer in Karlsruhe.
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 675
Napoleon des Thrones für verluftig erklärt und auf die Inſel Elba
verwieſen. Mit feinem Nachfolger Ludwig XVII. fchloffen die Ver:
bündeten am 30. Mai 1814 den für Frankreich jo günftigen erften
Parifer Frieden. Europa fchien beruhigt, und in Wien trat ein
Kongreß zufammen, um die Verhältniffe Europas neu zu ordnen.
Uber ſchon am 1. März 1815 erfchien Napoleon wieder in
Frankreih und ftand in Furzer Zeit abermals an der Spite der Ge:
walt. Von Neuem drangen die Verbündeten in Frankreich ein, (Baden
batte über 22,000 Mann geftellt), und nad) verfchiedenen Schlachten
wurde Napoleon am 18. Juni 1815 bei Waterloo zum zweiten
Mal gänzlich niedergeworfen. Nah St. Helena verbannt, ftarb er
dort am 5. Mai 1821. Beim zweiten Parifer Frieden (20. November
1815) kam Frankreich immer noch glimpflich genug weg.
Durch den Wiener Kongreß wurde Deutichland in einen großen
Staatenbund verwandelt und darüber von den betheiligten Fürften
am 8. Juni 1815 ein befonderer Vertrag, die dbeutfhe Bundes
akte, abgeſchloſſen. Großherzog Karl erhielt hier die volle Souverä-
nität und die feierliche Gemährleiftung der Untheilbarfeit feines Landes
im bisherigen Beftande. Im deutichen Bunde erhielt Baden die fie-
bente Stelle.
Sp ſchien der Friede gefichert, und eine neue Drdnung der Dinge
war bergeftelt. Um indeffen die von außen nicht unangefochtene Un:
theilbarfeit des Landes zu ſichern, bekräftigte er nach dem Tod feiner
zwei Söhne, was ſchon fein Großsater begonnen, indem er den Söh—
nen Karl Friedrichs aus zweiter Che (Leopold, Wilhelm, Marimilian)
den markfgräflichen Titel ertheilte und durch das Hausgefeb vom 4,
Oktober 1817 ihr Nachfolgerecht ausſprach.
Von Griesbach aus, wo der kranke Fürſt Linderung ſeiner Leiden
geſucht, ertheilte Großherzog Karl am 22. Auguſt 1818 ſeinem Lande
eine Verfaſſung. Es war ihm aber nicht mehr vergönnt, das neue
Grundgeſetz ins Leben treten zu ſehen. Er ſtarb am 8. Dezember
1818 zu Raſtatt und wurde in der Gruft zu Pforzheim feierlichſt
beigeſetzt. Seit 7. Februar 1860 ruht an ſeiner Seite ſeine Gemah—
lin, die Großherzogin Stephanie, in der Pforzheimer Fürſtengruft, die
nunmehr. feine Mitglieder der großherzoglichen Familie mehr aufneh—
men wird,
Ihm folgte ala Großherzog fein Oheim —— berief ben
*
676 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neueſte Zeit.
erften Landtag und ergänzte die Verfaffung durch das Dienerebikt.
Bald aber trat zwifchen Regierung und Ständen eine Mißftimmung
ein, die Kammern wurden aufgelöst, und die neuberufene Ständever-
fammlung gab ſich fogar zu einer Schmälerung der Verfaſſung ber.
Ludwig that aber aud Manches zum Wohle des Landes. Unter ihm
vereinigten ſich 1821 die evangelifche und reformirte Kirche Badens zu
einer unirten. 1828 ward der erzbifchöfliche Stuhl in Freiburg errich-
tet; die Hochſchulen erfreuten fich der befondern Pflege des Landesfürften.
Nach dem Tode des Großherzogs Ludwig, welcher am 30. März
1830 erfolgte, bejtieg fein Halbbruder Leopold den Thron. Huld—
volle Herablaffung, Wohlwollen und Herzensgüte bildeten die Grund-
züge feines Charakters. Gleich bei feinem Negierungsantritt ftellte er
die Verfaſſung wieder her, erließ Gefete zur Befreiung des Bodens
von allen Laſten, trug durch eine Reihe anderer Geſetze während der
Dauer feiner Regierung Sorge für des Volkes Wohl, verbefferte das
Schulwefen ꝛc. Unter Großherzog Leopold erfolgte der Anſchluß Badens
an den deutſchen Zollverein, was, wie der Bau von Eifenbahnen durch
das Land und der Anſchluß an den deutſchen Woftverein, einen groß-
artigen Aufſchwung des Verkehrs zur Folge hatte. Wurden auch die
legten Lebensjahre des edeln Fürften durch die Ereigniffe des Jahres
1849 getrübt, jo konnte er doch vor feinem Hingang, welcher am 24.
April 1852 erfolgte, noch die Freude erleben, daß der geſetzliche Zu—
ftand in Baden fi) mehr und mehr wieder befeftigte, fein Land zu
neuer Blüte gelangte und die Herzen feines Volkes ihm mit erneuter
Liebe entgegenſchlugen.
Seit 1852 regiert Großherzog Friedrich. Seine Regierung
gehört der Gegenwart, nicht der Gefchichte an. Dieſe aber wird dereinft
feiner hochherzigen, opferbereitwilligen, vaterländifchen Geſinnung, feines
eifrigen Strebens, den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden und
fi in den Dienft des ächten Fortichrittes zu ftellen, mit Nuhm ges
denken; fie wird in ihre Blätter verzeichnen, daß das Sinnen und
Trachten diefes Fürften nur auf das Wohl feines Volkes gerichtet und
daß er die Freude und der Stolz feiner Badener, ein Teuchtendes Vor:
bild für andere Fürften war. Der Wunfch wird aber jest ſchon dem
Geſchichtſchreiber geftattet fein: „Gott fegne, ftärfe und ſchütze den
Großherzog!”
Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 677
52. Pforzheim während der franzöfifchen Firiege. 1)
Schon von 1792 an ſah Pforzheim Kriegsgäfte verfchiedener Art.
Die erften franzöfifchen Emigranten erfhienen am 28. Dftober jenes
Jahres. Es waren meift Adeliche und Geiftliche aus dem Elſaß, die
fi) auf Weifung der Regierung jedoch bald wieder aus Pforzheim
entfernen mußten, weil dafelbft „wichtige Staatseffeften aufbewahrt
würden und die Emigranten zu einem Weberfall reizen Könnten.“ Auch
zu Anfang des Jahres 1794, als die Franzoſen bis Speier und in
die obere Pfalz vorgedrungen waren, fowie im November desfelben
Kahres, wimmelte die Stadt von Flüchtlingen, die zum Theil betteln
gingen. Der Befehl, daß fie, mit Ausnahme der Kranken, Pforzheim
fchleunigft verlaffen follten, wurde im November 1795 wiederholt, ohne
daß ihm indeß von allen Emigranten Folge geleiftet worden wäre.
Bon 1792 an wurde Pforzheim vielfach auch von Durchmärſchen und
Einguartierungen Faiferlicher Truppen heimgefucht, und Lieferungen und
Kriegsfrohnden aller Art nahmen die Mittel der Stadt bedeutend in
Anfpruh, (fo allein im Jahre 1795 die Summe von 5206 ft.)
In Pforzheim war ein Taiferliches Magazin, und die Stadt diente zu—
glei als Krankenabftoß beim Transport derjelben nach Solitüde.
Ernſter geftalteten fih die Verhältniffe im Sommer 1796, als eine
franzöfifche Armee unter Moreau (S. 669) den Uebergang über den
Nhein erzwang und die Faiferlichen Truppen zurüdtrieb. Bei der An-
näberung der Franzofen ergriffen viele Bewohner Pforzheims die Flucht,
andere fuchten wenigſtens den beften Theil ihrer Habe fo gut wie
möglich zu verfteden. Nach dem Treffen von Raftatt am 5. Juli und
bei Ettlingen und Rothenfol am 9. Juli kampirte die üfterreichifche
und ſächſiſche Armee, die fich nach Pforzheim zurückgezogen hatte, meh:
tere Tage lang auf dem Bergrücken nördlich von der Stadt, fette aber
am 14. Juli, ohne die Ankunft der Franzofen abzuwarten, ihren Rück—
marſch nah Stuttgart fort, jedoch nicht, ohne gegen den ausdrücklichen
Befehl des Erzherzogs Karl Plünderungen zu verüben.
Um 15. Juli 1796 rüdten die erften Franzofen unter Moreau
in Pforzheim ein. Cine Deputation, beftehend aus den beiden Beam:
ten (Baumgärtner und Eifenlohr), drei Mitgliedern” des Magiftrats
1) Quellen: Akten des Oberamts, Rathsprotofolle, Pforzheimer wöchent⸗
liche Nachrichten ꝛc.
678 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
(worunter Bürgermeifter Geiger) und fehs von der Bürgerfchaft
(darunter Bujard, Bohnenberger, Dennig) war den feindlichen Trup—
pen entgegengegangen, um eine milde Behandlung der Stadt zu erwir—
fen. Im Allgemeinen konnte man die Großmuth der Sieger rühmen,
obgleich fie in ihren Forderungen nicht allzu bejcheiden waren. 1) Här-
ter fheinen die Landorte heimgefucht worden zu fein, wo Plünderung
an der Tagesordnung war. Bon Dietlingen kam beifpielmeis bie
Klage, daß troß der großmüthigen Befehle des Siegers am 15, Zuli
die meiften Häufer geleert und die Einwohner von Kopf bis zu Fuß
ausgezogen worden jeien.
Unterm 25. Juli Schloß Karl Friedrich den ſchon erwähnten Waf—
fenſtillſtand mit der franzöfiichen Republik. Der Preis desjelben waren
außer fonftigen für Baden nachtheiligen Bedingungen 2 Millionen
Livres baar, ferner die unentgeldliche Lieferung von 1000 Pferden,
500 Ochſen, 25,000 Gentnern Frucht, 12,000 Säden Haber, 50,000
Gentnern Heu und 25,000 Paar Schuhen oder für jedes Stüd 5 Liv:
res. Plakate von Blech mit der Auffchrift: „Territoire de Bade pays
neutre“ follten überall die Waffenftillftandsbedingungen refpeftiven hel—
fen, was aber vielfach nicht geihah. Die Kontributionen an die Tran:
zofen betrugen für das Oberamt Pforzheim die Summe von 280,000
Gulden, wovon auf die Stadt allein 41,825 Gulden famen. Troß
des Waffenftillftandes dauerten die Frohnden fort. Während des Mo:
nats Auguft mußte die Stadt Pforzheim dazu 16 Karren, 60 zwei⸗,
11 drei-, 32 vierfpännige Fuhren, dazu 98 Vorſpann und 9 Reit:
pferde, im Ganzen 438 Stüd Vieh ftellen. Ungeachtet ſolch ſchwerer
Laſten betheiligte fich die Pforzheimer Bürgerfchaft fehr lebhaft bei dem
Unlehen, welches die Regierung zur Entrichtung der franzöfifchen Kon:
tributionen im Lande felber machte. 2) Beſondern Dank ſprach die
Behörde im September 1796 dem Handelemann Wohnlich aus, der
„in den dringendften und gefahrnolliten Umftänden der Stadt mit fo
anfehnlihen Geld: und andern Vorſchüſſen auf eine bereitwillige und
1) Dies beweilen u. U. die bei den bamaligen Amtsaften Tiegenden Küchen:
zettel für den Offizierstiſch.
2) Wir finden darunter: Handelsmann Dennig mit 7000 fl. Fabrifant
Kiehnle mit 3200 fl., Hammerwerksbefiger Lidel und Bendifer mit 3000 fl.,
Rathöverwandten Dreher mit 2000 Gulden, Andere mit 1000, 800, 600 Gul:
ben x,
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit 679
rühmlihe Weife an Handen gegangen und dadurd die Stadt vor
manchem bevorgeftandenen großen Unglüd zu befreien geholfen hat.“
Als im September 1796 während und nad Moreaus meifterhaf:
tem Rückzug viele Defterreicher wieder durch Pforzheim kamen, hörten
Einquartierungen und Nequifitionen, für weldhe nunmehr feine Ver:
gütungen mehr geleiftet wurden, faft gar nicht mehr auf und bildeten
eine große Laſt bis zum Frieden von Campo Formio und dem Kon:
greß von Raftatt, der aber dem Reich den erfehnten Frieden nicht gab.
Der Hauptihauplag des 1799 wieder ausgebrochenen Kriegs war
Oberſchwaben und die Schweiz. Im Herbft bdiefes Jahres machte
jedoch ein franzöfifches Armeeforps einen Streifzug über den Rhein,
und General Lecourbe lag vom 2. bis 4. November in Pforzheim,
die öfterreichifchen Vorpoſten nur eine halbe Stunde davon. Des Fries:
bens von Lüneville 1801 und feiner Folgen ift bereits Erwähnung
geſchehen.
Das Jahr 1805 brachte den Krieg der dritten Koalition, Eine
Adtheilung öfterreichifcher Nofenberg-Dragoner, welche am 26. Septem:
ber von Hechingen, Nagold und Calw ber nad Pforzheim Fam und
nah Mannheim marſchiren follte, ftieß am 27. zwifchen Pforzheim und
Durlad) bereit8 auf den Bortrab der Tranzofen, welche den Rhein
raſch überfchritten hatten, und mußte fich über Stuttgart zurüdziehen.
Am 28. September erſchienen franzöfifhe Hufaren in Pforzheim, und
vom 29. September bis 2. Oktober ſah die Stadt nady einander die
Korps der Marfchälle Ney und Lannes und des Prinzen Mürat in
ihren Mauern, darunter auch die 10,000 Dann ftarken prächtigen Gre—
nadiere des Generals Oudinot. Am 2, Dftober kam die ganze Faifer:
liche Garde, auch die Mamelufen, und Nachmittags 4 Uhr Napoleon
felbft dur die Stadt, und die Pforzheimer konnten während des
Pferdewechſels ihre Neugierde befriedigen, den merfwürdigften Mann
feiner Zeit von Angeficht zu Angefiht zu ſehen. 1) In wenigen Tagen
marfchirten 60,000 Mann durch die Stadt, wovon nad) einander etwa
40,000 in derfelben einquartiert wurden, jo daß mande Käufer 40
1) Die Kaiferin Joſephine reifte ihrem Gemahl Ende Novembers nad
und fam am 30. November ebenfalls durch Pforzheim, wo ber Erbprinz und
Markgraf Ludwig, bie vorher ichon eingetroffen waren, bie Kaiferin beim Den
nig’ihen Haufe empfingen und von wo fie biefelbe nach eingenommener Er:
friſchung weiter bis an die Grenze begleiteten,
680 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit,
bis 60 Mann beherbergen mußten. Es wurde den Franzofen nach—
gerühmt, daß fie bei diefen Durchmärſchen die ſtrengſte Mannszucht
gehalten hätten. War nun auch diefe Beſchwerung fchnell verſchwunden,
jo wurde bald eine Etappenftraße über Pforzheim eingerichtet, auf wel-
cher auch der Transport der Gefangenen ftattfand, und das war für
die Stadt ein Unglüd, Am 3. und 4. Januar 1806 kamen nämlich
an 6000 Rufen, die am 2. Dezember 1805 bei Aufterliß gefangen
genommen worden waren, unter Bededung von je 600 Mann theilg
badifcher, theils franzöfifcher, theils batavifcher Truppen, und am 12,
und 13. weitere 5—600 ruſſiſcher Gefangener nad) Pforzheim, und
wurden in der Stadt, größtentheild aber in der Schloßkirche einguar-
tiert, wo die Spuren verfchiedener Zerftörungen, weldye die Gefangenen
anrichteten, Heute noch fichtbar find (namentlich) am Grabmal des,
Kanzlers Achtiynit). 1) Vor der Ankunft diefer Ruſſen hatte ſich das
Gerücht verbreitet, daß fie verſuchen wollten, ſich durch Anlegung von
Teuer zu befreien. Man errichtete deshalb Bürgerwachen, die ſowohl
zur Sicherheit der Stadt, als zur Austheilung von Speife und Trant
an diefe unglüdlichen Söhne des Nordens beftimmt wurden, Bon den
durch Strapazen ermatteten und überhaupt im elendeften Zuftand bes
findlichen Gefangenen, von denen viele in Pforzheim rafch mwegftarben, 2)
war nun freilich feine Brandlegung zu befürchten; dafür brachten fie
den Typhus in die Stadt, den fie faft allen, die mit ihnen verkehrten,
raſch mittheilten. Zu dem meift tödtlichen Verlauf der Krankheit
trugen die ungünftigen Witterungsverhältnifie das Ihre bei, und gar
viele Bewohner der Stadt wurden von der Seuche, die erft im Mai
erloſch, hinweggerafft. Die Verbreitung derjelben beförderten auch die
Militärlazarethe, die man in der Stadt felbit, fo 3. B. im Schufhaufe,
errichtet hatte, bis fie endlich außerhalb derjelben, und zwar auf den
Friedrichs- oder Buckenberg, verlegt wurden,
Nachdem Napoleon auf feiner Rückreiſe vom Kriegsſchauplatz am
20, Januar (am 18, aud Prinz Miürat) durch Pforzheim gekommen,
1) Es mag bier fogleich mit bemerkt werben, baß bie Schloßfirdde nachher
zu einem Heumagazin benügt und erft im April 1808 dem gottesbienftlichen.
Gebraud zurüdgegeben wurde. In ber Zwilchenzeit hatte zu letzterm bie
Waiſenhauskirche gedient.
2) Ein fleinernes, auf einer Kleinen Erhöhung bes Friebhofes ſtehendes
Kreuz bezeichnet das gemeinjchaftlihe Grab berjelben.
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit, 681
dauerten den ganzen Sommer 1806 hindurch die Transporte von er=
obertem Geſchütz und erbeuteter Munition, fowie die Durchmärſche von
Truppen fort, bis endlich die Heereszüge wieder eine andere Richtung nah:
men und der Kriegsihauplag in Folge des im Dftober 1806 ausge:
brochenen preußifchen Krieges vom füdlichen Deutſchland in das nörd-
liche verlegt wurde,
Der neue Krieg zwifchen Defterreih und Frankreich brachte im
Frühjahr und während des Sommers 1809 für Pforzheim wieder
bedeutende Truppendurchmärfche und als Einleitung zu denfelben eine
militärifche Heerihau. Das badifche Truppenkontingent, das am Feld:
zug gegen Defterreidh Theil nehmen follte, rüdte am 14. März nad
Pforzheim und in die Umgegend der Stadt, um dafelbt einer Mufte-
rung unterzogen zu werden. Diefe wurde am 19, März in der
Nähe der Stadt, nämlich am Springer Weg, in Gegenwart des Erb:
großherzogg Karl vom franzöfifhen General Maſſena (Herzog von
Nivoli und nachher Fürft von Epling) vorgenommen. Am 2. April
brachen die badifchen Truppen von bier auf, um nah Baiern und
Defterreich zu marfchiren und dort an den Treffen uud Schlachten von
Schärding, Riedau, Ebensberg, Aipern und Eßling, Papa, Raab,
Magram ꝛc. Theil zu nehmen, wobei über 1500 Mann eingebüßt
wurden, Es bedarf kaum der Bemerkung, daß Pforzheim beim Aus:
bruch des Krieges- fowohl, als nad) Beendigung desielben zahlreiche
Truppendurchmärfche jah. So rüdte am 14. März, alſo gleichzeitig
mit dem badifchen Kontingent, ein 820 Mann ftarkfes franzöfifches
Kavallerieforps in der Stadt ein, am 15., 16. und 17. marfcirten
die beiden Divifionen Legrand und St. Cyr durch Pforzheim, vom
24. März an 2 NRegimenter der Faiferlihen Garde, ein Artilleriepart
von 150 Kanonen mit Munitionswägen, 10 bis 12 Bataillone In—
fanterie, am 1., 2. und 4. April franz. Artilleriedepots und Feldrequis
fiten, zu deren MWeitertransport über 800 Pferde erfordert wurden, am
15. April Abends unter dem Geläute aller Gloden Napoleon jelber.
Am 1. Mai ſah Pforzheim bereits die erften kriegsgefangenen Defter-
reiher, 4000 an der Zahl, darunter 80 und etliche Offiziere, am
gleichen umd folgenden Tag abermals 2000 Gefangene, zugleih aber
auch zahlreiche, von Straßburg kommende franzöfifhe Truppenabthei-
lungen, darunter ein Regiment Garde, deſſen Fortihaffung 240 Wagen
erforderte ꝛc. Diefe Truppenbewegungen dauerten den ganzen Sommer
682 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
bindurdy fort. Zur fehnellen Beförderung von Nachrichten wurde
damals längs der über Pforzheim führenden Etappenftraße eine Tele—
graphenlinie errichtet; ein folcher Telegraph, der feine Signale mit
weißen, rothen und blauen Fahnen gab, war auf dem Wolfsberg an
gebracht. Nah dem Frieden von Wien erfolgten wieder lebhafte Trup⸗
penbewegungen, freilich jest in umgekehrter Richtung, und am 24, DE
tober ſah Pforzheim auch den in feine Hauptftadt zurückkehrenden fran-
zöfifchen Kaifer wieder in feinen Mauern. Am 46., 18. und 19.
Sanuar 1810 kamen auc die badifchen Truppen mit dem Ruhm, fich
tapfer gefchlagen zu haben, aus dem Krieg wieder, und wurden an
jenen Tagen von der Stadt Pforzheim feierlih empfangen und aufs
freundfichfte bewirthet. In den nächſten Tagen folgten ihnen verſchie—
bene Abtheilungen franzöfifcher Truppen, am 28. Februar auh Mar:
ihall Berthier, Fürft von Neuchatel. — Am 21. März fah die Stabt
Pforzheim aud die Faiferlihe Braut Napoleons, Erzherzogin Marie
Zuife von Defterreich, auf ihrer Neife nad) Frankreich in ihren Mauern
und begrüßte fie mit Kanonendonner und lodengeläute, (an ber
württembergifchen Grenze bei Niefern war eine Ehrenpforte errichtet
worden). Ob alle diefe Kundgebungen auch recht von Herzen gingen,
foll hier nicht näher unterfucht werden.
Das Jahr 1841 verfloß befanntlidy unter Vorbereitungen für ben
ruffishen Feldzug, der denn auch 1812 jtattfand und für Pforzheim
wiederum Truppendurchmärſche brachte. Schwer Iaftete die. Hand des
franzöfiihen Defipoten auf unferm Vaterlande; aber der Brand von
Moskau und die Schlacht bei Leipzig bradyen den Bann, der auf dem
deutſchen Wolfe lag und auch in Baden fchloß man ſich begeiftert der
deutfchen Sache an, namentlich nachdem Großherzog Karl am 21, No:
vember 1813 feinem Volke in einem Aufruf verkündet hatte, daß neben
der Erhaltung Badens „die Erfämpfung deutfcher Freiheit und Unabs
bängigfeit das große Ziel fei, das erreicht werden müſſe.“ Dem im
Dezember folgenden Aufruf des Majors Holzing in Bezug auf bie
Bildung eines freiwilligen Jägerregiments zu Pferde wurde in Pforz-
beim alsbald mit Zufagen und Zeichnung von Beiträgen geantwortet.
So verpflichtete fich die Kefegefellfchaft zur Ausrüftung von 2 Jägern
zu Pferd, 1) je einen Mann ftellte die Holländer-Holztompagnie, bie
1) Die freiwilligen Beiträge ber Mitglieber derſelben erreichte bie Summe
von 758 fl. 51 Fr. Fabrikant Finkenftein lieferte das Tuch zu ben Uniformen
ber beiden Jäger unentgeldlich.
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit. 683
Salzabmotiationsgefellihaft, der Floßverein, Hammerwerksbeſitzer Bendifer,
Hofkammerrath Böhringer, die Fabrikanten Finkenſtein, Lenz und Sie—
vert, Dennig und Krenkel, Bohnenberger, Kaufmann D. 2. Mayer jun.
und endlich Frau Kiehnle. Jakob Richter ftellte und equipirte fich
felbft zu den Jägern zu Pferde aus eigenen Mitteln, mehrere andere
junge Männer meldeten fich freiwillig zur Infanterie, die Stadt lie—
ferte 220, das Land 242 noch brauchbare Tenergewehre u. f. mw.
Gelbftverftändlih wurden die Kriegsereigniſſe mit lebhaftem Intereſſe
verfolgt, und als am 7. April Nachmittags die Nachricht' nach Pforz-
beim gelangte, daß die Alliirten am 31. März in Paris eingezogen
feien, 1) gab ſich eine lebhafte Freude Fund, der Marktplatz wurde er:
Teuchtet und Muſik ertönte auf demſelben. ine umfafjendere eier
fand am darauf folgenden Sonntag ftatt, und wurde dabei in beiden
Stadtkirchen ein Dankfgottesdienft gehalten.
Beim Rückmarſch der Truppen aus Frankreich Fonnte man in
Pforzheim wieder allerlei Uniformen erbliden, und am 23. Juni 1814
fand bei Pforzheim eine Heerſchau über etwa 8000 Mann badiſcher
Truppen ftatt, die ebenfalls aus dem Feldzug gegen Frankreich zurüd:
gekehrt waren.
Nach der Rückkehr Napoleons von der Inſel Elba begannen die
Truppenbewegungen von Neuem, und gingen diefelben zum Theil auch
wieder dur Pforzheim. So fahen die Bewohner der Stadt Ende
Aprils 1815 verfchiedene Abtheilungen württembergifher Truppen durch:
marfchiren, am 29. April befand fi in Pforzheim das Hauptquartier
des öfterreichifchen Feldzeugmeifters Grafen Colloredo ꝛc. Die Schlacht
von Waterloo am 18. Juni 1815 machte, wie oben fchon bemerkt,
den Kriegszeiten ein Ende, und man fonnte ſich wieder der Segnungen
des Friedens erfreuen.
$ 3. Innere Verhältnife Pforzheims.
Bei ber Erzählung des Privilegienftreits ift gezeigt worden, welche
Aenderungen mit der uralten ftädtifchen Verfaffung vorgingen und, den
Forderungen anderer Zeiten entfprechend, vorgenommen werden mußten.
Sm Jahr 1807 follten die Privilegien der Stadt in zeitgemäßer Weife
erneuert werden, und hatte die Megierung den damaligen Obervogt
2) Heut zu Tage empfängt man dergleichen Nachrichten etwas rajcher.
684 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
Roth 1) mit Ausarbeitung eines Entwurfes beauftragt, Weber letztern
fam die Sache jedoch nicht hinaus, da die fortwährenden franzöfifhen
Kriege ihre Ausführung hinderten und überhaupt im Sturm bderfelben
alle Vorrechte, welche einzelne Städte bisher noch gehabt, untergingen.
Hatte Pforzheim ſchon 1806 auf verfchiedene echte verzichten müffen,
fo verlor es 1808 auch das der Milizfreiheitz; doch blieb der Stadt
wenigftens der Bortheil, daß fie nur zwei Drittel der jungen Leute in
Rechnung bringen und ihre zu ftellenden Rekruten duch Werbung
erfegen durfte. Zur Erleichterung ber leßteren wurde 1810 eine Werb-
fafje ins Beben gerufen, die indefien mit dem Aufhören des TYekten
Neftes auch der Freiheit auf diefem Gebiet ihre Bedeutung wieder ver:
for. Selbftverftändlih wurden auch andere Verhältniſſe der Stadt
umgemodelt, als darüber neue Geſetze, namentlich aber das Gemeinde—
gejeb von 1831 zur Geltung fam, welches faft allen Ausnahmsftellun-
gen der Städte ein Ende machte und bezüglich des Drtsregimentg,
der Verwaltung des Gemeindevermögens ꝛc. für das ganze Rand gleich-
fürmige Beftimmungen traf. 2)
Die Berfafjungsurfunde von 1818 geftand der Stadt Pforzheim
zu, zwei Abgeordnete in die zweite Kammer der Stände zu wählen.
Bon diefem Recht wurde am 9. Februar 1819 zum erften Mal Ges
brauch gemacht, Die beiden Deputirten, welche Pforzheim damals in
die Kammer fandte, waren Minifterialdireftor Reinhard in Karls:
ruhe und Kaufmann Witzenmann in Pforzheim, für den Land-
bezirt wurde Altbürgermeifter und Kaufmann Dreber in Pforzheim
gewählt. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß die weitere Entwiclung
des badifchen Verfaſſungslebens in Pforzheim nicht nur mit regem
Intereſſe verfolgt, fondern auch Eräftigft gefördert wurde. Ms dasſelbe
zu Anfang der 30er Jahre fo ſchöne Blüten trieb und in den 40er
1) Dbervögte oder erfie Beamte waren in Pforzheim (vergl. ©. 542):
feit 1736 Oberamtsverweſer Friebrih Sonntag, 1749 Friedrich Gotthelf v.
Koferig, 1752 Joh. Chr, Fried. Schenk v. Schmiedburg, 1758 zuerſt Ober:
amtsverweſer dann Obervogt Joh. Theophor Rues, 1777 Karl Friebr. Mies
land, 1794 Baumgärtner, 1803 Benjamin Roth, 1823 Deimling, 1843 Böhme,
1844 v. Neubronn, 1847 Flad, 1849 Fecht, feit 1861 iſt es C. Winter,
2) Bürgermeifter waren (vergl. S. 610) von 1798 an Ib. Frd. Dreber,
1815 Krenkel, 1830 Lenz, 1837 R. Deimling, 1848 Erecelins, feit 1849 ift es
K. Zerrenner, neben ihm ift feit 1857 zweiter Bürgermeifter K. Schmibt,
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 685
Jahren heftige Verfaffungsfimpfe entbrannten, da war Pforzheim ein
Haupthort des Liberalismus und hat aud bis auf die meuefte Zeit im
Bezug auf eifrigfte Pflege zeitgemäßer Ideen auf allen Gebieten des
öffentlichen Lebens feinen alten Ruf bewährt. Xebendig war in diefer
Stadt, wie in allen Theilen des deutſchen Baterlandes, die Theilnahme
an der großartigen Erhebung des Jahres 1848. Die Ueberftürzung
und bittere Enttäufhung, weldye das folgende Jahr brachte, fowie die
Greigniffe, welche fi in beiden Jahren im Einzelnen in Pforzheim
zutrugen, eingehend bdarzuftellen: das mag der Feder eines Andern
vorbehalten bleiben, der vielleicht in fpäterer Zeit einmal diefe Ge—
ſchichte von Pforzheim meitet führt und ergänzt. Jetzt find jene Tage
der Geſchichtſchreibung noch nicht verfallen. %
Wie fi) in den Testen 60 und 70 Jahren die Verhältniffe Pforz-
heims bezüglich der Hauptinduftrie der Stadt geftalteten, ift fchon im
18. Kapitel gezeigt worden. Die Thätigkeit nahm aber auch auf andern
gewerblichen Gebieten einen immer erfreulihern Auffhwung. Schon
im Jahr 1800 zählte der damalige Hofrath und Dbervogt Baum:
gärtner in einer von ihm entworfenen Gewerbeftatiftit außer den zunft-
mäßigen Handwerkern und Landwirthen 101 verſchiedene Manufakturen
und Fabriken, nämlich 1 Eifenwert mit 2 Hammerwerfen, 5 Delmüb:
len,1) 2 Sägmühlen, 4 Gipsmühlen, 2 Walken, 2 Hanfreiben, 1 Pul—
vermühle, 2) 2 Lohmühlen, 3 Schleifmühlen, 1 Bleiche, zufammen alfo
24 verfchiedene Wafjerwerke ohne die A Mahlmühlen, ferner 1 Wollen:
fabrif, 24 Bijouteriefabrifen oder Kabinete, 3 Silberfabinets, 22 Uhren:
fabinets, 5 Uhrgehäufefabinets, 2 Kabinets für Elfenbeingraveure, 2
Kabinets für andere Graveure, 2 Gold: und PBerlenfchleifer, 3 Glas:
fchleifer, 2 Vergolder, 2 Guillocheurs, 1 Maſchinenmacher, 3 Emailleurg,
5 Stahlarbeiter, 3 Feilenhauer, 1 englifhe Knopffabrik (Gehres), 1
Schnallenfabrit (Nies), 1 Lederfabrik (damals ſchon im Verfall, die
einzelnen Theilnehmer trieben aber das Geichäft fort), Im Kaufe der
Zeit wurden noch mehr fabrikmäßig betriebenen Gewerbe gegründet,
3. B. zuerft 1801 die Salmiakfabrif, die fih 1804 in eine chemifche
1) Die erfie Delmühle wurde um 1770 vom Floßverein errichtet.
2) Diefelbe flog 1806, und, wieder bergeftellt, 1807 abermals in die Luft
unb töbtete das erfte Mal den Pulvermüller Lichtenfels und 2 Gebülfen, bas
zweite Mal den Pulvermüller allein. Sie wurde alsdann nicht wieber aufs
gebaut.
686 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neueſte Zeit.
Fabrik verwandelte, 1804 eine Schriftgiekerei, 1806 eine Saffiangerbe-
rei, 1809 eine Rotbgarnfärberei u. ſ. w. ine ftatiftiihe Zuſammen—
ftellung der gewerblichen Gefchäfte der Jetztzeit wird unten mitgetheilt
werden. Doch möge bier no die Bemerkung ftehen, daß im Jahr
1821, in Folge eines Kabinetsbefehls, die Errichtung der dritten Pforz-
heimer Apotheke, nämlich der Schuhmacher'ſchen, erfolgte.
Im Sabre 1800 erhielt Pforzheim auch wieder eine Buſch—
druderei. Es ift früher in einem beſondern Abſchnitt (S. 189 ff.)
von den Buchdrudereien die Rede geweſen, die im 16. Jahrhundert in
Pforzheim beftanden, und ebenfo ift bemerkt worden, daß die Stadt
nad der Verlegung der Mefidenz eine: folhe nicht mehr gehabt
babe. Bom Fahr 1794 an erfhien in Karlsruhe für Pforzheim jede
Mode in Oktav ein befonderes Blättchen, die „Pforzheimer wöchent-
lihen Nachrichten.“ Als im Jahr 1800 durdy Chr. Fr. Müller aus
Karlsruhe wieder eine Druderei in Pforzheim errichtet wurde, erfchien
vom Juli jenes Jahres an das Blatt in letzterer Stadt felbft, und
zwar von 14801 an in Quartformat. Die wöcentlihen Nachrichten
verwandelten ſich 1811 in ein „Wochenblatt“, 1832 aber in den
„Beobadhter”, der von da an wöchentlich zwei, jpäter drei, von 1856
an vier, von 1858 an fünf Mal erfchien und fih am 1. Juli 1861
in ein Tagblatt verwandelt hat, Don Müller ging die Druderei auf
J. M. Katz, fpäter auf J. M. Flammer über. In den Jahren
1839—1843 beftand in Pforzheim noch eine zweite ausgedehnte Buch:
drucerei in Verbindung mit einem bedeutenden Verlagsgeſchäft unter
der Firma Dennig, Fink und Kompagnie, aus dem manche ausgezeich—
nete Werke mit vorzüglicher typographiſcher Ausftattung hervorgingen.
In neuefter Zeit hat Buchhändler Schwarz eine zweite Buchdruderei
in Pforzheim unternommen.
Wie früher, fo mögen auch bier einige Mittheilungen über Kir:
hen: und Schulverhältniffe folgen. 1) Die von der Generalfynode des
1) Erfte evang. Stadtgeiftliche waren (vergl. ©. 551) von 1742 an
Joh. Jak. Wechsler, 1746 Joh. Lorenz Maurer, 1755 Ehrift. Pet. Eijenlohr,
1764 Gottfried Poſſelt, 1797 3. K. Herrer, 1893 Ernft Phil. Holzhauer, 1824
Johann Gottihald, 1836 Wild. Frommel, feit 1857 Iſaak Riehm. — Alt:
ftädter Pfarrer waren (vergl. S. 322) von 1742 an oh. Chr. Wucherer,
1746 8, 5. Wechsler, 1756 ©, Eh. Ungerer, 1757 8. 5. Holzhauer, 1768
K. Wagner, 1779 ©. F. Nagel, 1780 ©. 2. Schober, 1786 K. F. 2. Sonntag,
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 687
Jahres 1821 am 26. Juli jenes Jahres befchloffene Vereinigung der
Iutherifchen und veformirten Kirche unferes Landes erfolgte überall, alfo
aud in Pforzheim, am 28. Oftober mit entfprechenden Feierlichkeiten.
Der dadurd eingehenden reformirten Pfarrei (vergl, ©. 561) folgte
ſchon 1823 die Errichtung einer andern, nämlich der katholiſchen.
Es ift im Frühern erzählt worden, daß den Katholiken, die fih —
bauptjächlih in Folge der Entwidlung der Gemwerbsthätigfeit — in
Pforzheim immer zahlreicher niedergelafjen hatten, zuerft nur die Er:
laubniß zur Abhaltung von Privatgottesdienft in einem dazu eingerich-
teten Betjaale ertheilt, diefer Religionsübung fpäter hinſichtlich der pfarr—
lichen Rechte, namentlid durch Anftellung von PBfarrkuratoren, eine
weitere Ausdehnung gegeben und 1805 den Fatholifchen Einwohnern
der jeder Zeit widerruflihe Mitgebrauh der Maifenhausfirche gemein:
ſchaftlich mit den evangelifchen bewilligt wurde. Im Jahr 1812 erfolgte
au die Eröffnung einer Fatholifhen Schule und die Anftellung eines
befondern Fatholifchen Lehrers, wozu die Negierung am 26. Auguft
1811 die Erlaubnig ertheilt hatte. Unterm 26. Juni 1823 erfchien
nun eine Iandesherrlihe Entſchließung, 1) welche den Katholiken die
freie Religionsübung, mit einigen wenigen durch die altkicchlichen Orts:
verhältnifje nöthig gewordenen Beichränfungen (feine öffentlichen Bitt—
gänge, Feine Aufftellung von Bildern und Kreuzen auf öffentlichen
Plätzen, Einholung der Tandesherrlihen Erlaubnig bei Weihungen,
Firmungen ꝛc. durch einen Bifchof) geftattete und die Errichtung einer
ſelbſtſtändigen katholiſchen Pfarrei anordnete. Der erfte Geiftliche, der
dieſe Stelle beffeidete, war Jakob Burkhardt. 2) Wie fhon früher
bemerkt, wurde den Katholiken nicht lange nachher die bisherige refor:
mirte Kirche zum gottesdienftlihen Gebrauche überlafien, und befindet
fi) die Gemeinde heute noch im Befit derjelben. Won dem der katho—
lichen Gemeinde in der angeführten Entſchließung der Negierung ein-
geräumten Recht, eine „eigene Kirche mit Thurm, Uhr, Glocken und
Geläute, aud mit allen zum katholiſchen Gottesdienft erforderlichen
1789 M. 3. Ch. Bartholmeß, 1804 C. G. Bed, 1809 Ph. 2. Romann, 1812
3. 3. Eifenlohr, 1822 Fr. ©. Lindemeyer, 1839 Iſ. Riehm, feit 1852 J. P.
Bod,
1) Regierungsblatt v. 1823, Nr. 18.
ö *) Ihm folgten 1835 Joſ. Kupferer, 1839 Frz. Schindler, 1851 Alois
chuh.
688 Neunzehntes Kapitel. Piorzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit.
innern Einrichtungen” bauen zu dürfen, hat diefelbe bis jet keinen
Gebrauch gemacht. — Die Erbauung einer Synagoge durch die
ifraelitifche Gemeinde, und zwar an die Stelle des 1805 abgebrannten
fog. „Eielsjtalles" erfolgte im Jahr 1812. — Am 23. Oftober 1845
wurde in Pforzheim in Folge des Auftretens von Johannes Ronge
und Dowiat und ihrer Anwefenheit in diefer Stadt auch eine beutfch-
katholiſche Gemeinde gegründet. — Es möge hier fchlieklich noch
bemerkt werden, daß Pforzheim im Jahre 1824 abermals eine feiner
frühern Kirchen verlor, indem damals die Kreuzkirche abgebrodyen
wurde. Die dafelbft befindlichen Grabfteine verbrachte man größten-
theils nach dem Kirchhof, um fie an den äußern Wänden der dortigen
Kapelle wiederum aufzuftellen. Der frühere Kreuzkirchhof war fchon
1800 geſchloſſen worden. Jetzt ift er größtentheils überbaut.
Mit dem Pädagogium in Pforzheim, das feit den 80er
Jahren des vorigen Jahrhunderts fichtlicy wieder aufblühte, wurde 1790
au eine Realſchule verbunden, diefelbe jedoch 1809 wieder auf:
gehoben, Allen mit dem Statut von 1839 wurde eine durch alle
Klaſſen durchgeführte Höhere Bürgerfähule neben das Pädagogium
geftellt. 1) — Im Beftand und der innern Einrichtung der Stadtfchule
(Knaben und Mädchenſchule) gingen feit der Zeit, wo von ihr das letzte
Mal die Nede war (©. 549), wejentliche Veränderungen nicht vor, außer
daß neben der Stadtſchule längere Zeit noch eine fogenannte Freifchule
beftand, Solche Veränderungen erfolgten indeß im Jahr 1847 durch
Errichtung zweier neuen Hauptlehrerftellen, und 1860 durch Anftellung
eines vierten Lehrers an der Knabenſchule, deren Unterricht in Folge
defien nach oben erweitert werden konnte, Schon 1843 war das
Schulgebäude felber einer durchgreifenden Baureparatur mit zweck—
mäßigerer innerer Eintheilung unterzogen worden. 2) — Die wachſende
1) Proreftoren oder BVorftände des Pädagogiums bez. beider Anſtalten
waren (vergl. S. 548): noch 1760 ©. B, Deimling, 1770 N. Sander, 1790
% 5 Th. Zandt, 1807 3%. ©. F. Dreuttel, 1818 W. Frommel, 1838 Ehr,
Kröll, 1842 Salzer, 1846 B. Henn, 1852 ©. Helferich, feit 1854 J. Lamey.
2) Prägeptoren ober erfte Lehrer (vergl. S. 480 und 548) waren und
zwar an ber Knabenfchule: von 1745 an ©. H. Neftler, 1764 3. 3. Leyerle,
1793 Chr. F. Heller, jeit 18% Karl Idler; an der Mädchenſchule: von 1749
—1806 Joh. Zof. Leibfried, 1806 Chr. Mart. Idler, jeit 1847 Chriſtoph
Wantel,
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 689
Zahl der Schüler, die erhöhten Bedürfnifje der Zeit und noch andere
Umftände führten in Pforzheim nah und nad zur Gründung noch
weiterer Schulanftalten. So erfolgte 1832 die Errichtung einer ifraeli-
tifhen Schule, fowie der Winth er'ſchen Privatelementarſchule,
um 41840 bie eins Mädcheninſtituts, 1842 der Öewerbfchule,
(jeit 1846 unter Leitung von Direktor Huber), 1846 wurde dag
ftädtifhe Waifenhans gegründet und 1850 auch eine Schule dazu
errichtet, 1849 entftand die ftädtifhe Höhere Töch terſchule, (feit
ihrer Gründung unter Leitung von Direktor Pflüger,) im nämlichen
Jahr eine Kleinfinderpflege, 1862 eine zweite Privatelemen-
tarſchule unter Lehrer Scifferdeder u. j.w. Schon 1826 war aud
in Pforzheim die Randes:Taubftummenanftalt (Vorftand: Profeffor
Bad) errichtet und derjelben das Gebäude des bisherigen Filialfiecchen-
hauſes zugewiefen worden. Mit der Zunahme der Bevölkerung in den
1850er Jahren wurden die Räumlichkeiten im Schulhaufe, in dem
noch immer alle ftädtiihen Schulanftalten vereinigt waren, nad) und
nad) unzureichend, fo daß die Nothwendigfeit einer Vermehrung und
theilweifen Erweiterung berfelben, ſowie bei dem großen Mangel an
Wohnungen der Herftellung befonderer Lehrerwohnungen, immer dringen:
der hervortrat. Es erfolgte deshalb im Jahr 1858 die Vergrößerung
des bisherigen Schulhaufes und im nämlichen und dem folgenden Jahr
der Bau eines beſonderrn Mädchenſchulhauſes, das nunmehr eine
Zierde der Stadt bildet. Beide Gebäude werden dem Bedürfniß wohl
für eine Anzahl von Jahren genügen. Der dermaligen Gemeindebehörde
Pforzheims, an deren Spike der wackere Oberbürgermeifter Zerrenner
fteht, gebührt das Lob, durch ihre rühmliche Vorforge für das Schul:
weſen der Stadt dasjelbe nad und nach in einen Stand gefeht zu
haben, daß es ſich mit dem aller andern Städte kühn mefjen darf und
mit den fortgefchrittenen Bildungsbedürfniffen der Zeit gleichen Schritt hält.
Bon den Anftalten und Einrichtungen für Unterricht und Erziehung
gehen wir zu ſolchen über, welche für wohlthätige und ähnliche Zwecke
beftimmt find. Seit dem orleans'ſchen Krieg war Pforzheim ohne
Spital. As am 8. Mai 1803 der bisherige Markgraf von Baden
die Kurwürde erhielt, veranftaltete eine Anzahl Pforzheimer eine
Geldfammlung, melde — zum Andenken an foldhe Erhebung — ben
Grundſtock zur Errichtung eines Spitals bilden ſollte. Kebteres kam
auch bald, und zwar im bdermaligen Waifenhaus oder dem frühern
Pflüger, Pforzheim. AA
690 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
„untern Bad” (S. 458) zu Stande, und konnte in Folge von Schenfun:
gen in dasjelbe und mit Hilfe der erhobenen Beiträge bald über ver—
mehrte Mittel verfügen. Im Jahr 1838 wurde fodann das jetzige
Spital fammt Pfründnerhaus gebaut und 1840 bezogen. Das Ber:
mögen des Hospitals beträgt zur Zeit 46,271 fl. 20 fr. und erreichten
die Einnahmen aus Beiträgen im Jahr 1857 die Summe von über
10,000 fl. Der Almofenfond, welcher zum Pfründnerhaus beitragspflich-
tig iſt, beträgt dermalen 38,480 fl. 27 fr. Der größte Theil des
Aufwandes wird jedoch aus Gemeindemitteln beftritten. (Die Stadtfaffe
ſchießt alljährlich im Durchſchnitt 6000 fl. zur Armenunterftüsung bei.)
Der Bau eines neuen großartigern, den dermaligen Verhältniſſen entfprechen-
dern Spitals ift bereits in Ausficht genommen, -- Am Lauf der lebten
Jahrzehende entjtand eine Reihe von Vereinen zu wohlthätigen Zwecken.
Dahin gehören: der allgemeine Kranfenunterftügungsverein
(1835), der Krankenunterſtützungsverein der Öoldarbeiter
(1835), der Männerjterbfaffenverein (1833), der Frauen
fterbfaffenverein (1835), der Srauenverein (1838), der
Armenverein (1862), — neben obigen Krankenkaſſen noch bejondere
für die Arbeiter des Benckiſer'ſchen Eifenwerfs (1805), in der Fabrik
von Aug. Dennig (Statuten feit 1840), der Johanna-Unter—
ftüßungsverein bei Gſchwind und Comp. (f. 1830), ferner feit einigen
Sahren auch Krankenkaſſen für Buchbinder, Schreiner zc. (daneben befteht
für die Flößer nod) immer die Flößerwittwenkaffe (S.614). — An
Bereinen und Einrichtungen zu gemeinnübigeit Zwecken wurden ing
Leben gerufen die Sparkaſſe (1834), der landwirthſchaftliche
Bezirksverein (18351, der Guſtav-Adolf-Verein (1844), der katholiſche
Kreuzerverein (1851), die freiwillige Feuerwehr (neu organifirt
1858), der Turnverein (1834, reorganifirt 1859), der Leſeverein
(in der Kanne 1822), der Brivat:Lejeverein (in der Sonne 1840),
der Arbeiterfparverein (1851), die gemeinnüßige Baugeſell—
haft (1857), der Arbeiterfortbildungsverein (1862), der
Fortbildungsverein für junge Männer (1862). Mit dem
Sparverein verwandt find die in den 1850er Jahren entjtandenen An—
lehbensloogvereine. — Für gefellige, unterhaltende und
fünftlerifche Zwecke entftanden neben den ſchon länger beftehenden
Vereinen. (Mufenm, Schübengefellfhaft 2c.) die Eintracht (1850),
der Frohſinn (1850), der Cäcilienverein (1852), der Muſik—
Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 691
verein (1860), der Männergefangverein (1858, früher Lieder:
franz, 1839), die Freundſchaft (1851), der Sängerfranz
(1858) u. f. w. — Der allgemeine deutjhe Nationalverein (1859)
zählt in Pforzheim eine große Zahl von Mitgliedern.
Die veränderten Zeitverhältniffe hatten auch eine Reform der
Beitimmungen über die Pforzheimer Stipendien: Stiftungen
nöthig gemacht. Schon 1838 war ein neues Statut entworfen worden,
das aber 1852 wieder durch ein anderes außer Kraft gejeßt wurde.
Nach demfelben jollen die Stiftungen in 3 Theilen fortbeftehen, näm—
ih a. dem Geiger'ſchen, b. dem Rohr'ſchen und ce. der Fontelin—
Wertwein’fchen, Weber jeden wird bejondere Rechnung geführt, die
fih in einer Hauptrechnung vereinigen. Von dem Zinsertrag gehen vor
allen Dingen die Bejoldung des Rechners mit 100 fl. und fonftige
Koften ab. Aus dem verbleibenden Neinerträgnig werden die ftatutene
gemäßen Ausgaben bejtritten, der Reſt, fowie das, was etwa in bie
Kaffe zurücdfällt, wird zum Kapital gefchlagen. Ueber die Bewerber.
um die Stipendien wird eine Erfpektantenlifte geführt, in welde nad)
der Reihe der Meldungen die Einzeichnung erfolgt, wenn die Berech—
tigung nachgewiefen ift. Jeder Stipendiat muß fich halbjährlich über
Fleiß und Sittlichkeit ausweiſen. Kann er das nicht, fo geht er des
Stipendiums nicht nur verluftig, fondern er muß auch 1/, der bereits
erhaltenen Bezüge wieder erjeßen. Die Verwaltung der Stiftungen,
Führung der Eripektantenlifte und Kollatur fteht dem Gemeinderath in
Pforzheim zu, der aber jedes Jahr der Staatsbehörde über alle Ver:
bältniffe Vorlage machen muß. Für die Geiger’iche Stiftung find
nur evangelifche Bürgerſöhne von Pforzheim gemußberechtigt, wobei
unter allen Umftänden ſolchen aus der Familie Geiger-Meerwein, bier
wie dort aber den Unvermöglichen vor den Vermöglichen, der Vorzug
gebührt, Ein Viertel des jährlichen Neinertrages foll auf Beftreitung
des Schulgeldes und Anfhaffung von Schulbüdern für eine Anzahl
Knaben vom 7. bis zum 14. Jahr, welche die Volksſchule oder das
Pädagogium befuchen, verwendet werden, ſowie 30 kr. zu einem Prä—
mium für den fleigigften und brävften von ihnen. Die übrigen drei
Diertel erhält 6 Jahre lang ein des Studiums der Theologie Befliſſe—
ner, der fid auf einer gelehrten Mitteljchule oder der Univerfität be—
findet, Geht er im erften Semefter zu einem andern Fach über, fo
verliert er das Stipendium; gefchieht jenes fpäter, y „muß er .
692% Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefte Zeit,
des Bezogenen wieder erſetzen. Nimmt er nach zurückgelegten Studien
feine Anftelung im Inland an, jo muß er 1/, des erhaltenen Stipen-
diums zurüczahlen, weshalb aud Stipendiat für jeden Geldempfang
vorher Sicherheit Teiften muß. — Genußberechtigt zur Rohr'ſchen
Stiftung find auf 31/, Jahre immer 2 evangelifche Bürgerſöhne aus
Pforzheim oder in Ermangelung von ſolchen aus der alten Markgraf-
haft Baden-Durlach, melde ſich auf einer Univerfität, Akademie, im
evang. Mredigerfeminar oder auf der polptechnifchen Schule befinden.
Den Dürftigen gebührt vor den Vermöglihen der Vorzug, — Das
vereinigte Fontelin-Wertwein' ſche Stipendium von jährlichen 100 ff.
können Studirende, zunächſt aus Pforzheim, ohne Unterfchied der Kon—
feffion erhalten, welche ſich auf einer Univerfität, der polytechniſchen
Schule, in einem Schullehrerfeminar oder der Veterinärfchule befinden.
Keiner kann das Stipendium mehr als ein Mal beziehen, wern Teich:
berechtigte da find. Unvermögliche werden zunächft berüdfichtigt. Der
"Neft des Ertrags vom Stiftungskapital fol zur Bezahlung des Schul-
geldes und zu Anſchaffung der Lehrbücher für unvermögliche Knaben ver:
wendet werden, welche das Pädagogium oder die höhere Bürgerfchule
befuchen. — Der Fond der Geiger’ichen Stiftung beträgt zur Zeit
(am Schluß des Jahres 1861) 12,177 fl. 36 Er, der Ro hr'ſchen
11,310 fl. 42 kr., der Fontelin-Wertweinihen 9682 fl. 19 kr.;
— der Wilderfinn’schen 14,006 fl. 58 fr. — Eine weitere im
Jahr 1857 im Betrag von 1000 fl. gemachte Stiftung ift die Ernft
Schweißg ert'ſche, deren Zinfen alljährlih am 8. Dezember an dürf-
tige ledige Frauensperſonen vertheilt werden.
Der MWiedererwähnung von Männern, welche fich durch ihre Stif—
tungen zu Bildungszweden einen Ehrenplatz in der Geſchichte ihrer
Baterftadt gefichert haben, mögen fi) hier aud, die Namen von ſolchen
befannten und berühmten Pforzheimern anreihen, die zum Theil noch
der Gegenwart, zum Theil der jüngften Vergangenheit angehören (vergl.
&. 330 und 596). Wir nennen bier vor Allen Joh. Chriftian
Roller. Er war am 27. Auguft 1773 zu Pforzheim geboren, be-
fuchte zuerft das Pädagogium feiner Vaterftadt, bezog 1789 die Karls—
ſchule zu Stuttgart und Tieß fich nach feinen zu Rena vollendeten Uni-
verfitätsftudten in Pforzheim 1795 als praktifcher Arzt nieder. Im
Jahre 1804 erhielt er eine Anftellung bei der Irrenanſtalt zu Pforze
heim, und wurde dadurch der erfte Irrenarzt des Landes, Cine Be-
© — = — za =. .. — — — — —
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neueſte Zeit. 693
ſchreibung dieſer Anſtalt findet ſich in dem von Roller herausgegebenen
„Erſten Verſuch einer Beſchreibung der Stadt Pforzheim, mit beſonderer
Beziehung auf das phyſiſche Wohl ihrer Bewohner” (Pforzheim, 1811).
Koller ftarb im kräftigſten Mannesalter am 16. März 1814. Als
Menſch, als Bürger und Arzt war Roller gleich hochgeachtet, und zeich—
nete fein Wirken ein raftlofer Eifer, ein über alle Hinderniffe erhabener
Muth aus. Er war in der damaligen Markgraffchaft Baden der erfte
Arzt, der die Kubpoden impfte. Die rrenanftalt verdankt ihm die
erfte Grundlage einer zeitgemäßen Entwidlung, an welcher unter günftigern
Bedingungen fortzuarbeiten feinem älteften Sohne Dr. Chriftian
Friedrih Roller, dermalen geh. Hofrathe und Direktor der Heil-
und Pflegeanftalt Illenau, vergönnet iſt. Unter der ausgezeichneten
Leitung diefes ebenfalls zu Pforzheim geborenen Mannes ift die ge—
nannte Anftalt zu einer folchen Blüte gelangt, daß fie fich allen ähn—
lichen Anftalten kühn zur Seite ftellen kann, wenn fie diefelben nicht
überragt. — Zu Pforzheim. find ferner geboren: Dr. Wilhelm
Eifenlohr, geh. Rath und Profefjor an der polntechnifchen Schule
zu Karlsruhe, als Phyſiker rühmlichſt bekannt, — Ludwig Kachel,
Münzwarth und Münzwardein zu Karlsruhe ; noch verfchiedene andere
Männer, die in Amt und Würden ftehen und zum Theil hervorragende
Stellungen einnehmen, nennen Pforzheim ihre Geburtsftadt.
Gedenken wir nun nod einiger bisher nicht erwähnter Ereignifie
aus dem Zeitabfchnitt, deſſen überfichtliche Darftellung die Aufgabe
diefes Kapitels ift, um fodann die Bevölkerungsverhältniſſe ꝛc. Pforz—
heims zu berühren, wie fich foldhe im laufenden Jahrhundert geftaltet
haben. Zu jenen Ereignifjen gehörten jeweils die zu Anfang des Tau:
fenden Jahrhunderts üblichen Karl: Friedrichsfeite, die beifpielsweife am
45. Juni 1801 und am 30. Mai 1805, ebenfo 1808 und nad) Tanger
Unterbrechung wieder 1824 noch mit großen Feierlichkeiten und Wolfe:
befuftigungen, für welch Yettere der Hauptplat das Nennfeld war, ges
feiert wurden, fpäter aber wieder in Abgang famen, Ein anderes Feſt,
das eine heute noch fichtbare Spur Hinterließ, war das der Einweihung
de8 Dentmals der 400 Pforzheimer im Chor der Schloßkirche
am 6. Mai 1834. Großherzog Leopold, der dasjelbe hatte jeben laſſen,
nahm felber am Tefte Theil und übergab an die Nachkommen derjes
nigen Bürger von Pforzheim, deren Namen in das Denkmal eingegraben
find (S. 392), eigenhändig eine für das Feſt geprägte filberne Medaille,
694 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit.
während die Stadtgemeinde diefelbe in Gold erhielt. Bei diefer Ge-
Yegenheit mag noch bemerft werden, daß auch die gemalten Fenſter
des Chores der Schloßkirche von Großherzog Leopold herrühren, der
überhaupt diefem Gotteshaufe große Aufmerffamkeit ſchenkte. Das
erfte jener Fenſter wurde 1832 eingefügt. 8
Salt diejes Feſt einer That der Vergangenheit, fo wird der Anz
laß und Gegenftand eines andern Feſtes, das wir in allerneuefter Zeit,
nämlih am 3. Juli 1861 feierten, wenn auch fchen wichtig für die
Gegenwart, doch feinen mächtigen Einfluß auf Handel und Verkehr
mehr noch im der Zukunft entfalten. Ich meine die an jenem Tag er-
folgte Eröffnung der Eiſenbahnſtrecke Prorzheim-Wilferdingen, wodurch
auch Pforzheim in die Mafchen des Eiſen bahnnetzes eingeflochten wurde,
das bald ganz Europa überdedt. Daß die Eröffnung durch den
Pandesfürften felber geſchah, geftaltete diefelbe zu einem ſchönen Dop—
pelfeft, das der Veranftaltungen viele hervorrief, um folches zu einem
allgemeinen und freudigen zu machen. 1) Die in Bälde zu erwar—
tende Vollendung auch der Eifenbahnftrede Pforzheim: Mühlader wird
bem ganzen Schienenweg, der über Pforzheim führt, eine erhöhte Be—
deutung verleihen. — Noch ift hier zu bemerfen, daß der Eröffnung
der Eiſenbahn 1855 die Führung des erften Telegraphendrahtes nach
Pforzheim und 1857 die Eröffnung der neuen Straße längs der
Nagold nad) Calw vorausgegangen war,
Um das, worauf in öltern Chroniken immer ein großes Gewicht
aelegt wird, auch Hier nochmals zu berüdfichtigen, müfjen wir von
theuern Zeiten, Hohgewäffern und Feuersbrünften etwas
fagen. Eine große Theurung berrfchte bekanntlich im Jahr 1817,
weil demfelben das Fehljahr 1816 vorausgegangen war. Nach einer
damals gedrucdten Gedächtniftabelle galt zur Zeit der höchſten Noth in
Pforzheim das Malter Kernen (zu 8 Simri) 60 fl., Roggen 34 fl.,
Gerfte 32 fl., das Malter Haber (zu 10 Simri) 28 fl., das Simri
Erbſen 6 fl. 30 kr., Linfen 6 fl., Welichtorn 5 fl. 30 kr. Ackerbohnen
5 fl., Hirfen 7 fl. 45 kr., Kartoffeln 1 fl. 48 kr, das Mäßle Ker—
1) Schon 1854, und zwar am 6. Mai, bem Jahrestag ber Schladht von
MWimpfen, hatte Großherzog Friebrih, bamala noch Prinzregent, ber Stadt
Pforzheim den erften Beſuch gemacht. Das zweite Mal weilte er am 7. Febr.
1860, am Tage der Beifegung der Großherzogin Stephanie, vorübergehend in
ber Stadt.
Neunzehntes Kapitel, Pforzheim von 1789 bis auf die neuefte Zeit. 695
nengriesg 56 fr, Weißmehl 28 Er., das Pfund Reis 24 kr., Schwarz:
brod 16 kr., das Paar Wed zu 6 Loth:4 kr., das Pfund Ochfen:
fleifh 15 kr., Rindfleiſch 14 kr., Hammelfleifh 12 kr., Kalbfleifh 12
kr., Schweinefleifh 18 kr., Schweinefchmalz 48 kr., Rindfhmalz 1 ft.,
Butter 56 kr., Lichter 36— 38 kr., Seife 32 kr., Unſchlitt 26 kr., die
Maag Wein 2 fl., geringerer 1 fl. 36 kr., geringjter 1 fl. 20 kr,
Bier 12 kr., ordinärer Branntwein 1 fl., der Eentner Heu 2 fl. 48
fr., 100 Bund Stroh 40 fl, drei Eier 8 tr. Das Jahr 1817
erwies fich jedoch wiederum als ein recht fruchtbares, weshalb beifpiel-
weife der Preis des Scheffels Haber im Mai 1818 wieder auf 4
Gulden gefunfen war. — Gewaltiges Hochgewäſſer brachten der
29. und 30. Oftober 1824. In Folge heftiger Negengüffe ſchwollen
die Enz, Nagold und Würm zu nie gefehener Höhe, fo daß der Waſ—
ferftand den des Jahres 1784 — den höchſten, den man bisher ges
fannt — um 4 Fuß überftieg. Alle tiefern Gtadttheile ftanden zum
Theil bi8 zum zweiten Stockwerk der Häufer unter Waſſer, das bie
gegen den Marktplatz hinaufreichte. Die Meberfchwemmung richtete gro:
fen Schaden an und riß auch die Brücken mit fort. Letzteres gefchah
auch bei dem zweitgrößten Hochgewäſſer des TYaufenden Jahrhunderts,
nämlih am 1. Auguft 1851, das ebenfalls bedeutende Verheerungen
anrichtete und durch das Umfchlagen eines Nachens bei der Auer Brücke
mehreren Menſchen das Leben koſtete. An die Stelle der alten hölzernen
Brücke trat 1852 die von den Gebrüdern Bendifer in Pforzheim ber:
geftellte eiferne Gitterbrüde, — Bon bedeutenden Feuersbrünſten
blieb die Stadt fehon feit Jahren verfchont. Am ftärkiten wüthete am
2. Mai 1840 der fogenannte Poftbrand, der das Quadrat, in welchem
die Poſt ſich befindet, fait ganz zerftörte. Es wurde in den nächften
Fahren fchöner, als e8 vorher gewefen, wieder anfgebaut,
Merfen wir nunmehr einen Blick auf die Bevölkerungsver—
bältniffe Pforzheims, wie fich folche feit etwa 70 Jahren geftaltet
haben, Wir haben oben (©. 562) beim Jahr 1725 die Seelenzahl
der Stadt auf 3000—4000 berechnet. Am Jahr 1789 war fie auf
4311, 1795 auf 4937 Köpfe geftiegen, darunter 4600 Lutheraner,
83 Reformirte, 154 Katholiten und 100 Juden. Im gegenwärtigen
Jahrhundert zeigten verfchiedene Volfszählungen folgende Ergebniffe:
1800: 5062 Einwohner.
1810: 5572 ü
696 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1784 bis auf bie neueſie Zeit.
1831: 6284 Einwohner.
1837: 7049 —
1840: 7694 —
1843: 8334 ,
1846: 8452
1849: 7951 —
1852: 9183 —
1855: 10711 —
1858: 13520 —
1861: 13854
Die Bevölkerung der Stadt iſt alſo ſeit 60 Jahren um ein Anfehne
liches geftiegen und beträgt mehr als das 2i/,fache des Standes zu
Anfang diefes Jahrhunderts. Bon den Ergebnifen der jüngften Zäh—
lung (Dezember 1861) mögen noch folgende Einzelheiten bier ihren
Plat finden: die Zahl der Familien war 1936; unter der Gefammt-
zahl der Bevölkerung befanden fi männliche über 14 Sabre 5998,
weibliche 4974, männliche unter 14 Jahren 1455, weibliche 1427.
Nach Konfeffionen, bez. Religionen, vertheilte fich die Bevölkerung der
Stadt auf 11,113 Evangeliihe, 2528 Katholiten, 45 Difjidenten
(Lutheraner und reireligiöfe) und 168 Sfraelitn. Die Zahl der
männlichen Gefchäftsgehilfen betrug 3645, der weiblichen 710, der
männlichen Dienftboten 198, der weiblichen 967. — Die Zahl ber
Gebäude betrug im Jahr 1800 erſt 780, bis 4855 war fie auf
1590, und bis 1856, in welchem Jahr eine neue Nummerirung der
Häufer und die Eintheilung der Stadt in 5 Quartiere (jet 6) ftatt-
fand, auf 1629 geftiegen, ine Tebhafte Bauthätigfeit zeigte fih im
den folgenden Jahren, namentlich als die 1857 gegründete gemein-
nüßige Baugeſellſchaft ihre Ihätigfeit zu entfalten begann und
andere Bauunternehmer ihr nadeiferten. So erhob fich feither eine
Reihe von zum Theil großartigen und geſchmackvollen Neubauten, an
der Dillfteiner Straße fogar ein nener Stadttheil, neue Straßen wurden
angelegt, fo die Friedrichs-, Enzftraße (mit dem Enzplatz), die
Dillfteiner:, Weiher-, Weiherbergs:, Bauftraße,
mehrere noch unbenannte Querftraßen zc., fo daß die Gefammt-
zahl der Gebäude am Schluß des Jahres 1861 auf 1845 ge
ftiegen war. Außerdem it im den lebten Jahren eine bedeutende
Anzahl von Häufern dur Anbau, Auffeßung weiterer Stockwerke ꝛc.
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf bie neuefle Zeit. 697
vergrößert worden. Die Zahl der Straßen, Gaffen und Gäßchen
beträgt 68. Diefelben haben in neuerer Zeit zum Xheil andere
Namen bekommen, die Ochſengaſſe hat fi in eine Reuchlinsſtraße,
die Viehgaffe in eine Spitalftraße verwandelt, aus der Tränfgaffe
ift eine Deimlingsftraße, der Brößinger Gaſſe eine Karl-Fried—
rih8-Straße, dem alten Schlappergäßchen eine Baumſtraße, dem
Zigeunergäßchen eine Lindenftrage, der frühern obern Vorftadt eine
Bahnhofſtraße geworden u. ſ. w. Aber auch im äußern Anjehen
der Stadt find vielfache Veränderungen vorgegangen. Die alten finftern
Thore, die längft ihre frühere Bedeutung verloren hatten, wurden nad)
und nad abgebrodhen, jo das SHeiligkreuz:, das obere Graben-, das
Auerbrunnenthor, der Brößinger: und der Altftädter Thorthurm noch
im vorigen, beide leßtere Thore mit dem Schäfer, dem Auer:, dem
Hiller:, dem Gauch-, dem obern und untern Schloßthor fammt dem
Dbermühlthörlein im laufenden Jahrhundert. Ebenſo verichwand, da
und dort die Stadtmauer, Der Stadtgraben wurde theilmeiie ausge:
füllt, viele der ältern, bochgegiebelten und mit dem Giebel gegen die
Straße gerichteten Häufer machten neuern, geſchmackvollern und beque-
mer eingerichteten Gebäuden Platz. Im Jahr 1855 wurde auch das
Rathhaus reſtaurirt, zu welcher Zeit auch das Standbild des Mark—
grafen Ernſt auf dem Marktbrunnen einer Wiederherſtellung unterzogen
wurde. Schon das Jahr vorher hatte eine Neupflaſterung der Stadt,
das Legen von Trottoirs in den Hauptſtraßen derſelben und die Her—
ſtellung einer neuen Waſſerleitung begonnen, nachdem bereits 1853
Gasbeleuchtung eingeführt worden war. So hat Pforzheim nach und
nach ein moderneres Gewand angezogen, iſt vermöge aller dieſer Um—
ſtände aus der Reihe der badiſchen Mittelſtädte in die der größern
Städte des Landes eingetreten und nimmt unter denſelben hinſichtlich
der Bevölkerung die fünfte, bezüglich der Gewerbthätigkeit aber die
erfte Stelle ein. Ueber den dermaligen Stand der letztern mögen noch
einige Mittheilungen folgen.
Nach dem Steuerkatafter für 1862 find in Pforzheim 131 Bis
jouteriefabrifen, 20 Eleinere Fabriketabliſſements (Goldarbeiter), 5 Kräß:
wafchereien, 18 Gravier⸗, 6 Guillochiers, 6 Emaillier-, 8 Juwelierge⸗
ſchäfte, I Etuisfabrifen, — die bisherigen Etabliffements zufammen
ohne die Lehrlinge mit 3519 fteuerpflichtigen Gehilfen — 5 Bijouterie-
bandlungen, 3 ‚Steinhandlungen, 3 Steinfchleiferein, 6 mechaniſche
698 Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis auf die meuefte Zeit,
MWerkftätten (mit 28 Gehilfen), 2 Eifengießereien und Mafchinenbaus
fabrifen (mit 327 Gehilfen), 1 Kupferhammer, 1 Werkitätte für phar—
mazeutifche Apparate (mit 9 Gehilfen), 1 Werkftätte für phyſikaliſche
Apparate und 2 chemifche Fabriken (mit 43 Gehilfen), im Ganzen
alfo 235 gewerbliche Etabliffements mit 3947 fteuerpflichtigen Gebilfen
(ohne die Lehrlinge unter 17 Jahren) und einem Gefammtgewerbe:
ftenerfapital von 3,686,850 fl, oder 2/, der gefammten Gewerbeſteuer
der Stadt, welche im Ganzen die Summe von 5,441,100 fl. beträgt.
Andere Gewerbe find in folgender Zahl vertreten: 3 Apotheker, 5 Bar:
biere, 22 Bäder, 6 Bauunternehmer, 7 Bierbrauer, 1 Bleichinhaber,
2 Branntweinbrennereien, 5 Buchbinder, 4 Buche und Steindrudkereten,
2 Buchhandlungen, 1 Büchſenmacher, 2 Bürftenmacher, 2 Conbditoren,
2 Dreher, 1 Eſſigſieder, 2 Färber, 3 Feilenhauer, 6 Flafchner, 2
Frachtfuhrlente, 1 Friſeur, 10 Gärtner, 1 Gasanftaltunternehmer, 5
Gerber, 2 Gipfer, 7 Glaſer, 1 Glasſchleifer, 2 Gürtler, 3 Hafner,
72 Handelsleute (und zwar: 3 Bankiers, 20 Ellenwaarengeichäfte, 12
Spezereigefhäfte, 6 Quincaillerie- und Merceriegefchäfte, 1 Mein: und
Landesproduktenhandlung, 3 Eifenhandlungen, 3 Holzhandlungen, 2
Putzhandlungen, 7 Viktualien- und Mehlhändfer, 3. Kleiderhandlungen,
3 Trödler, 3 Steintohlenhandlungen, 3 Makler, 3 Kommiffionäre,) —
6 Hauderer, 2 Hutmader, 2 Kammmacher, 1 Korbmacher, 5 Kübler,
8 Küfer, 3 Kürſchner, 70 Landwirthe, 4 Maler und Lafirer, 3 Mau:
ver, 20 Mebger, 3 Müller (mit 4 Mahlmühlen), 4 Pfläfterer, 2
Pofamentiere, 9 Putzmacherinnen, 2 Profuratoren, 3 Sigmühlenbefiter,
7 Sattler, 3 Schirmmader, 12 Schloffer, 10 Schmiede (3 Grob:
fchmiede, 1 Kettenfchmied, 4 Kupferfchmiede, 1 Mefferfchmied, 1 Nagel:
{hmied), 24 Schneider und Kleidermacherinnen, 18 Schreiner, 33
Schuhmacher, 4 Seifenfieder, 3 Geiler, 1 Siebmacher, 1 Strumpf:
ſtricker, 1 Tapezier und Dekorateur, 3 Uhrmacher, 1 Vergolder, 4
Magner, 1 Wafenmeifter, 2 Weber, 8 Weinhändler, 33 Mein: und
7 Bierwirthe, 6 Ziegler, 6 Zimmerleute. Auf alle nicht fabrik—
mäßig betriebenen Gewerbe kommt ein Gewerbfteuerfapital von 1,754,250
Gulden. — Das Grund: und Häuferfteuerfapital der Stadt be
trägt für 1862 die Summe von 3,673,480 Gulden, das Gefammtfteuer:
kapital 9,114,580 Gulden. Am Sabre 1850 betrug dasfelbe erft
4,865,060 Gulden; e8 hat fich alfo in 12 Jahren beinahe verdoppelt.
Was die Vermögensverhältniffe und überhaupt das mufterhaft verwal⸗
Neunzehntes Kapitel. Pforzheim von 1789 bis anf die neuefte Zeit. 699
tete Finanzweſen der Stadtgemeinde felber betrifft, jo weist die Stadt:
rechnung für 1860 eine Einnahme von 101,588 fl., eine Ausgabe von
98,664 fl. 38 fr, und einen Vermögensftand nach, der nad Abzug
von 124,783 fl. 32 fr. Schulden die Summe von 559,368 fl. 56 fr.
beträgt und während des genannten Jahres in Folge von Schulden-
tilgung um mehr als 10,000 Gulden zugenommen hat. Alle diefe
Derhältniffe in Verbindung mit der Zunahme der Bevölkerung und der
Häuferzahl bemeifen die wachfende Bedeutung Pforzheims zur Genüge.
Möge die ſchützende Hand der Vorfehung auch ferner über einer Stadt
walten, die — von jeher ein koſtbares Juwel in der Krone ber
badifchen Fürſten — nad) fo vielen wechfelnden Schickſalen, wie fie
diefe Blätter eingehend gefchildert haben, immer wieder zu neuer Blüte
gelangt ift und einer noch größern Zukunft entgegen geht!
Regiſter.
A.
Aab, Geſchlecht, 301, 392, 559.
Abgeordnetenwapl, erfte 68
Abrecht, Geſchl. 301, 392, 407, 432,
A66, 468, 52.
Abzug 72, 358
Achtſynit, it, Kanzler 61,269, 286, 320,468. 468.
Adel und adelige Häufer in Pfh. 146,
163, 298, 300,
Ador, Kommerzienrath 632.
Albrecht v. Brandenburg 322.
Alemanen 26.
Almofenfond 160, 284, 335, 606.
Altäre der Schloßfirdhe 150.
Altſtadt 21, 78, 104, 121, 450.
Altſtädter Kirche 31, 41,71, 105, ff., 186,
309, 526.
Angeftellte in Pfh. 364.
Anlebensloosvereine 690.
Anshelm, Thom., Buchdruder 189,
Apothefen 460, 544, 686.
Arbeiterzahl der Ka Fabriken 631, 643,
653, 664, 666, 667, 697.
Arbeitsloͤhne 490, 632, 664,
Ariovift 7.
Arlaud, Geſchl. 662.
Armbruftbaus 459.
a. zen v. 673.
Aue 78,
Auauflinerkfofter 116, 7
Aufterlig, Schlaht v.
Autenrieth, Gefchl. 484.
Autran, Gründer der Bij.-Fabr. 624.
B
Baden ein Kurfürſtenthum 671, ein
a Arsen 672. —
Bad, oberes od. unteres 1 5
Baden-Durlah 6.
Baden-Pforzbeim 267.
Badftuben 159, 163, 293.
Bäserorbnung 255.
Baiern in Pf. 412, 437.
Barfüßerkloſter fete. ——
Barthold, veſon 18l 4, 559.
Bafel, Friede v . 66
Bauer, Geſchl. 164, 392, 407, 580,
385, 594,
Bauernfrieg 265.
Baugefellfchaft, gemeinnügige 690.
Fee TE Te ET GUT TTRRET TUT TE Te T
Baumann, Geſchl. 301, 392, 553.
Bauordnung 251.
Baurittel, Geſchl. 542, 544 ff., 9953,
560, 660, 661, 669.
Bauſchlott 73, 111, 114, 315, 322,354,
05, 940
405, 940.
Beder, Geſchl. 301, 559, 605, 657.
Beckh, Geſchl. 164, 356 362, 3 365, 392,
107, 424, 432, 318, 531, 559, 568,
Bedh’iche Stiftung 362.
ee ge 77, 118, 121, 162,
297, 446 ff., 520, 522, ar 568, 697.
Beguinen 111, 115. 116
Belagerung von ‚Pr. 515, Sr
Pendifer, Geſchl. 616, ;, 678, 683, 690.
Beobachter, Pforzh. 686.
Bernhard L, Marfaraf 92, 136, 1. 176.
Berthier, Marſchall, in Pf. 682.
Berthold, Bruder 75.
Befchreibungen d. Stadt 292, 446, 465,
Bevöfferungsverhältniffe 408, 464, 531,
562 695.
28 ff.,
Bierhandel, ftädtifcher 462.
ge 606, 624 ff., 697.
Bilfingen 70, 212.
Birtenfeld 11, 109, 113, 118, 150, 405.
Dfeiche 616.
Bleihwiele 86, 122, 279, 359.
Blockhaus 459.
Bohnenberger, Geſchl. 666, 678, 683.
Bonlanden, früherer Ort 112,
Borgnis, Gefhl. 661.
Bouginé, K. — 598.
Braun, Gefhl. 518.
Breidt, — 392, 407, 484, 559.
Bremerhof 459.
Brenner, Geſchl. 392, 432, 484.
Brodſchauer 240.
Brodfihrannen 124.
Brögingen 11, 14, 43, 70, 109, 113,
118, 150, 137, 322, 405.
Bröpinger Vorſtadt 78, 449.
Bronner, Geil. 184,
Bruderhaus 457.
Bruderfihaften 160.
Brüden 12, 122, 291, 455, 545.
|
Brunnen 455 ff.
Drunnenorbnung 250.
Regifter,
Bub, Geſchl 301, 365, 392, 424, 466, | Düren 11,
520, 559.
Buchdruderei 189 ff, 303, 686.
ER Geil. 301, 392, 432, rn
üchenbronn 118, 146, 150, 15
Bürger, Gefhl. BL —
Bürgereid 247.
Bürgerannahme 222, 248, 560.
Bürgermeifter 183, 235, 301, 365, 423,
166, 522, 532. 342, 581, 610, 678,
a REN ——
rgerſchaft 96, 247, 4
Bürgerfchule, höhere 685
Bürgerwittwenkaſſe 614.
Bujard, Gefchi 653, 660, 661, 665,678.
Bund, deutfcher 675.
C.
Cäcillenverein 690,
Cäſar, J. Z
Calw, Grafen v. 35, 36, 44,
Calwer Straße 694.
Campo Kormio, Friede v. 670,
Chriſtenthum, Verbreitung 30.
Epriftin A. Mitgründer d. Bij.-$. 624 ff.
Epriftopp, Markgraf 173.
Eifterzienferinnen, Klofter 49, 111, 154,
188.
Darmsbach 159.
Dehmen 219, 283, 475.
Deimling, Gefht. 301, 357, 391, 392
407, 456, 466, 522, 532, 533, 582,
580, 581, 605, 617, 621, 684. _
Dentfteine, Denttafeln und Denkmäler
14. ff-, 181, 183, 185, 277, 291, 298,
339 ff., 544, 601, 674, 693,
Dennig, Geſchl. 666, 678, 683, 686, 690.
Deutfchkatholifche Gem., Gründung 688,
Diehlgraben 396, 449.
Dietenhaufen 71, 353.
Dietlingen 11, 15, 33, 43, 100, 110, 118,
137, 150, 159, 211, 265, 405, 438,
600, 678.
Difitein 95, 105, 150, 186, 309.
Dittler, Geht. 301.
Döffingen, Schlacht 99.
Dominikaner⸗Kloſter u. Kirche 7A, 108,
111, 115, 165, 309, 323, 399, 401,
410, 413, 439, 452, 456, 521, 528.
Dominifanerinnen=Klofter 41, 49, 74,
108, 111, 118, 153, 187, 203, 323,
329, 401, 456, 373, 60.
Dreißigiähriger Krieg 375 ff.
Dürrmenz 32, 114, 150.
701
‚113,118,150,310,540.
15,73
Durlach v., Seth. 87.
Durlader Straße —
Eberſtein, Grafen v. 38,
Eberg, Peter 367.
Ederih 283,
Eintracht, Verein 690.
Einwanderer in Pf. 560, 677.
Eifenbahneröffnung 694,
Eifenlohr, Wild. 693.
Eifingen 16, 33, 100, 113, 118, 174,
211, 322, 405.
Eifinger Loch 16.
Eifingen, Herren v. 65.
Elimendingen 11, 14, 15, 33
109, 110, 112, 114, 118, 137,
Emigranten, franz. 677.
Enverle, Geſchl. 301, 356, 559,
Enzberg 32, 113, 150.
Enzberg, Herren v. 62, 174.
Enzgau 31, Örafen darin 33,
Eremiter-Klofler 116, 323.
Erhard, Gefchl. 301, 392, 425.
Ernft, Markgraf 176, 268, 316.
Ernft Friedrich, Markgraf 351.
Erfingen 113, 212, 266, 317.
Eike Sean. 3 392, 403
ig, Geſchl. 301, 357, 392
Euchele, Gefchl. 301, 372, 392, 407,
426, 432, 359.
Euphemia 114, 134,
Eutingen, 11, 33, 113, 118, 126, 150
159, 187, 322, Kol,
Erefution, milit. 581, 584, 588, 5392.
Fabri, Dr. Wendelin 330,
Fabriken, Anzahl 655, 657, 660, 662,
665, 666, 667,
Fabrikordnung, alte 635.
Salfengarten 95.
Sauler, Geſchl. 301, 392, 466, 532.
Feloner, Gefchl. 301, 365, 425, 428, 559.
Felvordnung 209,
Fegert, Gejchl. 484.
Feuersbrünfte 290, 438, 513, 517, 528,
695.
Feuerfpriße, erfte 550.
Sen Get. 164 392, 40
nt, Geſchl. 1 2
Finfenftein, Gefhl. 606, 032.
Sifhwafler i. d. Enz 41, 281,
Slegler 97.
loßweſen 88, 125, 161,258, 272, 611 ff.
Flößerwittwenkaſſe 614.
*
686.
702
Fohlenſtall 17.
Fontelin'ſche Stiftung 362, 692.
Kortbildungsverein
Fräuleinftift, adeliches 539,
Franken 29,
Franzisfaner-Klofter u. Kirche 74, 111,
115, 152, 186, 399, 401, 410, 413,
440, 451, 526, 561, 619,
Franzofen in vf SIi, 914, 525, 527,
330, 567, 677
Fraucnverein 690,
Frei, Adam 195.
Freundſchaft, Verein 691,
Frevel 157, 358.
Friedland, Schlacht v. 672,
Friedrich, Großherzog 676, er
Friedrich IM, Kaifer, in Pfh. 146.
an "Martgraf 55, ll. u. M 92,
94 ff., IV. 94,
Friedrich V., Marfgraf 354, 394, 444,
Vl. 444 f.
— Magnus, Markg. 4158, 538,
Frohnden 217, 476, 565, 678.
Srobfinn, verein
Fuchs, Gefhl. 484.
Fühner, Gefcht. 184
Fürftengruft 268, 270, 351, 353, 374,
445, 526, 539, 540, 602, 674.
Fürftenverfanimlungen zu Pforzh. 100,
323
143, 146,
©.
Gafthäufer 460 ff.
Gauverfaffung 31
rn 696.
Geiger, Geſchl. 164, 285, 356, 392,
407, 432, 568, 678.
Geiger’ he Stiftung 285, 691,
Geiftliche ver Stadt 40, 73, 107, 182
192, 311, 313, 322, 325, 336, 364,
405, 416, 517, 529, 390, 6
Geiftlihe der Altftadt 186, 322, 364,
405, 636.
Gelöwechel 226.
Gelehrte aus Pforzh. 165, 193, 295,
316, 330, 596, 69.
GSefeite 123, 158, 272, 357.
Geldverhaͤltniſſe 128, 278, 397, 493,
Gemeindedicnfte 237,
Gemeindegut —
Gemmingen, Herren v. 145.
Georg — Markgraf 353, 363,
367, 378, 4
Gen io ff.
Georgsſteige 120,
.
Regifter.
Georgäftift 119, 309, 413, 452
561, 57400. —
@erbel, Nik. 344,
Gerichtewefen 222, 231.
Germanen 6.
Gerwig, Gefhl. 164, 392, 429, 518,
559, 572, 381, 655, 697.
Gewerbliche Berbältnifie 125, 158, 161,
178, 253, 294, 459, 155, 513, 550,
583, 603, 611, 685,
Gewerbfhule 689,
ne Kafpar 195, Er er
Öfaubenstreue der Pforzh. 365
Glocken der Schlostiche 549,
Göbrichen 15,32, 43, 109, 114, 265, 322.
Göldelin, Gefhl. 85, 102, ‚ 103, 142,
Goldkontrole 656 fe
Goldſchmiedsordnung 262.
Grabfteine 14, 63, 82 ff., 102, 112, 150,
174, 179, 182 ff., 268, 269, 273, 236,
BE 203.208, 330,360, 460.520,525
a a Herren v. 67.
Graue Schweftern, fiebe Beguinen.
Gregerianifher Kalender 377.
nn * Buchdrucker 307.
Groß, G
Gulich, —— 666, 690.
Günther, Geſchl. 484, 581.
Güter- u. Häuferpreife 491, 507, 531.
Guſtav Adolph v. Schweden 402,
Guſtav-Adolph-Verein. 690.
Gutleutbaus 119.
Butt, Osw. Kanzler 320,
457,
Hachel 5.
Hafner, Gefhl. 392.
Hagenfchieß 15, 73, 145, 146, 159, 357,
514, 516, 519, 534, 557, 561.
Hamberg 137, 146, 150.
Hammer, oberer und unterer 458, 488,
615.
Harpheimer Schlößchen 17:
Hauptrecht 279,
Heerſchau bei ei Dr. 139, 681, 683.
Heidenfeller 16,
Heil» und Pflegeanftalt 118, 610.
Heiliggeiftfpital 117, 187, 329, 401.
Heimaheim, Herren v. 70,
Heinrich IV,, Kaifer, in Fe 39,
Deinzelmann, Gefhl. 301,
Heiſch, Geſchl. 469, — TE
Helmſtädt, Oberſt v.
Herren Pforzheim *
— Kloſter 49, 56, 59, 80, 101,
Regifter,
Hermionen 6.
Herrmann, Gefhl. 434,
Herrmann L—V., Marfgrafen 50 ff.,
Herrmann VI. 55, VIl. 76, 91, VI
und IX. 92.
Herenprogeffe 211, 501. |
Hirfchau, Klofter 5, 36, 38, 40, 42,
44, 59, 148.
Hirfhauer Hof Al, 77, 402,
Hochgemwäfler 524, 563, 622, 695,
Horter, Geſchl. 432, 485.
Hoheiſen, Geſchl. 560.
Hoheneck, un
Hohenlinden, Schlacht v. 670.
Hohenftaufen, die, 44 ff.
Hohenwarth 11, 23, 36, 43, 145, LAG.
Hohmeiler, Geil. 454.
Holzhauer, Gefhl. 392, d, 380,
381, 588, 292,
Holzpreife 161, 491,
Hortari, Fürft 28.
Hoipital und Pfründnerhaus 688,
Huchenfeld 5, 11, 43, 58, 105, 118,
146, 156, 186, 211, 309, 405, 514.
Hug, 4, Stavticreiber 180, 207,
Huffiten in Pforzheim 154.
Hutten, Ulrich v., in Pf. 306.
484, 506,
Jahnablen alte 3, 457, 462, 545,
’
Yaifer, Geſchl. 301, 392.
Jakob 1,, Markgraf 137, 152.
Jakob U., Markgraf 351
Semappes, Schlacht v. 669,
Jena, Schlacht v. 672.
Sllingen, Herren v. 64.
Inſchriften 83, 275, 291, 298, 323,
457, 546, 552,
Snterim 317.
Interimsbefehl 552.
Johann, Freigraf v. Kleinegypten 184.
Sofeph IL, Raifer, in Pf. 622.
Joſephine, franz. Kaiferin, in Pf. 679,
Irmengard, Gemahl. Herrmanns V. 52.
eg Siehen- und Zuchthaus 573,
Springen 64, 112, 113, 118, 150, 187.
Yiraelitifhe Schule 689.
Ittersbach 5, 11, 322, 353.
Judenverfolgungen 88, 97.
Kachel, 8. 693.
Kaifer, Gefhl. 164.
Kaiſerwahlen zu Pforzheim 39.
Kallhart 282, 515, 309.
703
Kanoniker⸗Kloſter 116, 323.
Kanzler, Wald 17.
Kapelle auf dem Friedhof 546,
Kapfenhart, Herren v. 68
Kappelhof und Kappelwiefen M.
Kapuziner in Pf. 413, 439,
Karl, Großherzog 673, 675.
Karl Frievrid, Marfgraf 541, 599, 673.
Karl Krievrihs-Fefte 693.
Karl IV., Kaifer, in Pfh. 35.
Karl 1, Markgraf 138.
Karl I, Martgraf 268, 275, 319,
Karl Wilhelm, Martgraf 539.
Karoline, Markgräfin 602, 628, 630.
Katholifche Gemeinde, Kirche u. Geiſt—
lie 73, 619, 687.
Kap, Geil. 485, 532, 546, 374, 581,
686.
Keller, Geſchl. 301, 392.
Kelten 4.
Kelter, berrichaftlihe 279.
Kercher, Geſchl. 301, 356, 392, 405,
428, A6n, 518, 520, 532.
Kern, Geil. 159.
Kierer, Geichl. 164, 392, 407, 429, 432,
466, 520, 532, 546, 553, 559, 268,
Kienle, (Kiehnle, sienlin) Geſcht 133,
164, 392, 407, 432, 515, 520, 953,
559, 657, 660, 661, 665, 678,
Kiefelbronn 11, 16, 32, 73, 111, 113,
118, 150, 405, 673,
Kirchberg 78,
Kirchenorpnung 320. ä
Kirchenzudt 493 ff., SZ
Kirchhof 298, 457,
Klausichweftern ſiehe Beguinen,
Kleebau 600.
Kleidung 210.
Kleinfinderpflege 639.
Klöfter, Aufhebung derfelben 320, 323,
325.
Koh, Geſchl. 164, 392, 407.
Kollegiatftift zu St. Michael 149, 316,
333, 401,
mu:
Kollmar, Geſchl. 620.
Königsbach 11, 15, 33, 114, 150, 397,
Konigebad, Herren v.
Korn, Geſchl. 133, 392,
Krähened, Burg 60.
Kranfenunterftüßungsvereine 690.
Krenfel, Geſchl. 466, 485, 683, 684.
— —* —
reuzkirche 118,446, 452, 457,546, 6
Kriegstoften 512, 514, 52T, 523, 527,
530, 532, 534, 565, 568,570,571,678.
704 Resifter.
Kruzifir, altes 621, 623. Luremburgifcher Krieg 502.
Kürsner, Konrad 305, 337. Lurusgefeße 207, 496,
Rupferbammer 488.
Kurz, Geſchl. 560 Maaß und Gewicht 232, 492.
Kutfcherweg 12. Maafpfennig 276,
L. Machlet, Gefht. 665.
Lagerbücher 278, 357. Mädkeninftitut 689.
Lamprecht'ſche Stiftung 618. — 691
Landacht 473. Märcklin, Geſchl. 344
Landesordnung 207, 229, Mäule, Geſchl. 164, 392, 515, 559.
Landhag 27. Maler, Geſchl. 164, 365, 392, 405,
Landſchaftshaus 459, 449, 457.
Landwirtbfchaftlicher Berein 690. Mannrecht 247.
Zangenalb 2, 137, Marbod 7,
Langenfteinbach 11. Marehal, Geſchl. 650.
Lannes, Marſchall, in Pf. 679. zen Schlacht v. 670.
Lateintfche Schule 154, 193, 303, 333, | Marie Luiſe, ae Kaiferin, in Pf. 682,
456, 478, 521, 526, 548, 688, Martomannen 6:
Leverner General 445. Marktbrunnen 275, 455.
Legel, Gefhl. 84. Marktoronung 249.
Lehen, Pforzheim ein Diäten, 140, |Marftplag 121, 454.
Lehningen 98 137, 145, 146, Marquard, Foh. 198,
Lehningen, Herren v. 69. Martin, Kirche St., f. Altftädterfirche.
Leibbrand, Gefchl. 392, 485. — Kloſter 49, 56, 59, 73,
Leibeigenfchaft 96, 144, 247, 601. 107, 174,
geibaig, Stadt v. 6A May, Seal 133, 392, 596, 597,
Leis, G Meerwein, Geſchl 301, 356, Bee 407
Lenz, Serst. dr 392, 407, 485, 683,| 432, 466, 518, 520, 559, 58
684. Meier, (Mater, ayır) Gear 301,-
Leopold, Großherzog 602, 675. 356, 392, 407, 532, 559, 581, 033,
Leproſenhaus 119.1 Meplaı Iccie 2,
Lefeverein 689. Melac in Pf. 2, 335,
|
Leutrum v. Ertingen 152, 174, 175, Welanchthon 2, 166, 195, 331.
282, 306, 339, 93 502, 540, Melter, Gefchl. 466.
Beer, Berht. 1. S0L, 553. ⸗ Mertie, Gchdl. 32, 392, ‚85.
a ofter 4° 41, 54, 56, 69, 1 erkurstempe
108. FF Merz, Gefchl 392, 185.
— 2 — 58, 59, 174, 502, 528. Mesnerei 107, 244.
E
tiebener, Gefhl. 71, 82. Meselgraben ' 86, 122,
Liebeners Hof 76, 121. Medgerorbnung 1 119, 256.
Liebenzell 23, 23, 114, Meurah 18, Aı.
Liebenzell, Herren v. 68, Michael, &t. Kirche, fiehe Schloßfirche.
Andenpiatz 454, Militärwefen 577, 684,
Löffelſtelz, Burg 63. Minoritenflofter, er, fiehe Franzisfaner.
Löwenbund 98, Miftordnung —
Lomersheim, Herren v. 64, Moreau in Pf. 677.
Longueville'ſche ⸗ 354, a 95, 109, be, 123, 157, 160,
Lorhard, Joh. 198. 359, 460,
Lorſch, Kiofter 32. Mühlhaufen a. d. W. 145, 146.
Lott kun Geſchl. 301, 357, 392, | Mühlpaufen, Herren v.
Ri rt. 201 7, Vrühfzins 157, 280.
— Senne 602, 675. Müller, Geil. 164, 559.
— Friede v. 67. Mülferorbnung 254,
Lutgard, Priorin 112, Münfter, Seb. 304.
Lug, Geſchl. 164, 392, 467, 660, 661. | Münzftätte in Pf. 159.
Regifter.
Murat, General in Pf. 679.
Mürrle, Gefhl. 392, 485, 559.
Mufeum 545, 621, 6 682,
Mufitverein in 690. -
Mutſchelbach F 174
Dutſcheltnauß ©
N.
Nagoldgau 32,
Ramen der Stadt 24, 47, 79.
— 670 ff., derfelb, ein Pf. 679,
Narrenhauslein 456,
Neidlingen, Herren v. 64.
Neidlingen, Ort 64, ee 112 112
Neudörfer, Geſchl.
Neuenbürg 11, 33 = 126,
Neuenbürg, Grafen v. 67.
Neuhäufer, — 485, 657.
Neuhaufen 11, 43, 137, 145, 146.
Neuhaufen, Dem v. 69, 146, 282.
Ney, Marihall, in Pf. 679,
Niefern 5, a — 43, 73, 100, 114,
150, 174
nn an aut v. 61.
Niefernburg 61, 269,
Nifolaustapelle 41, 77
Nördlingen, Schlacht v. 404,
Nöttingen 11, 14, 12,32, 110, 174, 405.
"162,550.
Nymiwegen, | Sriede v. 507.
Dbervögte zu Pf. 63, 68, 108, 147, 150,
188, -207, 301, m 314, 363, 364,
366, 376, 405, 466, 542, 586. 084.
——— Franzisfaner.
Oechsle, Geſchl. 661.
EDEN 5 S, a, din 43, 73, 100,
114, 118, 405
Orleans ſcher Kri Krieg
Dftertag, Geſchl. 07, 166.485 520,532.
Pädagogium 688.
Fell Seite. 675.
attigiergefcpferhter 72, 3.
Pfälzer Krieg 138.
Pfarrwohnungen 459.
Diinzgau =
Pforz 5,
— 5 Wertach 133.
v. Pforzheim, Dragebot 44, Heinrich
v. Pf. 130, Herrmann, Günther, Lufas
und Jacob v. Br:
Pforzheim, Amt 137.
Pforzheim, baierifch 410, ein pfälzifches
Lehen 141, 603.
Pfundzoll 22 226, 472, 520, 578, 583. Richter, Geſchl
Pflüger, Pforzheim.
705
Philipp, Markgraf 176, 264, 306,
Phorca 2.
Phorcis n
Phorkys 2.
Dpyfiokratifches Spyftem 600.
Plaͤtze, öffentlihe 297.
Plünderung v. Pf. 526, 528, 530.
Polizei 209, 213, 223, 28, 357
Polnifcher S Krieg 520, 57 L
Porta Dercynia 24.
—— der Metzger 487, 583.
oftftraße, alte 12, —
Präfentationgrect | der Stadt 481.
Predigerklofter, ſ. Dominikanerflofter.
Preife ver Febensniittel wu 210, 398,
406, 490, 504, 507, 530,
Prefburg, Friede v. 671,
Privatelementarfohulen 639.
Privilegienbrief 215, 270, 683.
Al 276,
ulvermühle 488.
Duincailleriefabritation 627, 633, 662.
Rabe, Grg., Budrruder 323.
NRabened, Burg
Räpple, Gef Tri
Raftatter Kongreß 670.
Rathhaus 298, 458, 546, 697.
Realfchule 688.
Recollekten, fiehe ——
Reformation in Pf. 302
Reformation der Klöfter in Pf. 152,
Reformirte in Pf. 561, 687.
Roͤfugièes, franz. hl
Negenten, vier 231.
Reich» und Kreisfteuer 577
— — über —— 121
12
Reihsfammergericht 985.
Nektoren u. Lehrer der lat. Schule 194
316, 333, 364, 478, 522, 548, 888.
Religlongfriede zu zu 1 Augsburg 318.
Religionstämpfe 413,
Remchingen 15, 373,
Remchingen, Herren v. 66, 146.
Refi Hr —— 57, 92, 273,276,
Reftitutiongedikt 400.
Reuchlin, 3. 1, 159, 165 ff., 190.
Reuniondfammern 509.
Revolution, franz. 668.
Sun 672.
Rheinfranken, Fe 34.
706
Riefle, Geil. 164.
Ringer, Geil. 301, 407, 580.
Rod 58, 515.
Römerftraßen 10.
Römerzeit 8.
Römifhe Alterthümer 13.
Römiſche Gebäude 15.
Römifche nn 15.
Rößle, Gefhl. 485.
Rohr’fhe Stiftung 360, 692.
Roller, Geſchl. 560, 692.
Roßwag, Herren v. 64.
Rothader, Gefchl. 301, 560.
Rudolf 1. Markgraf, 5 56, U. u, 11. 91,
IV,, V. VI, u. VI. 92, 94 ff., 8.
Rüpf, Geht. 485.
Ruſſen, gefangene in Pf. 680.
Ruffifher Feldzug 674.
Rpswik, Friede v. 534.
Sängerfranz 691.
Saif, Gefhl. 301.
Salzburger, ausgewanderte 562.
Salzgeld, Salzftadel ıc. 208, 214, 225,
578, 583.
— —
ur eig 234.
Saſtrow, B. 273.
Sattler, Geſcht. 164, 392, 516, 518.
Schäfer, Geht. 164, 1,0 392.
Schäuffele, Geil. 485.
of 22.
er Gef. 485.
—— Geſchl. 301, 392.
— — 475, 520 576, 582,595.
atzung 5
Scheerle, Geſcht 392, 432, 46, 485,
Schellbronn 36 5 ae
Schlahtypaus 28.
San — 22 27. 358, 445, 446,
0 1
f., 538, 5:0, 620 20.
Schloßberg
en 459.
Schloßgarten 279, 358, 575.
. * 19, R 36, 77, 105 ff
303.1 2, 316 u; 2, 2a, 0 a
| 1
Shmalfaldifcher Krieg 37
—— 164, 301, 392, 581,
Sönc Geſchl. 466, 485, 580, 592.
Saucen, Gefäht. 164, 392, 407, 545,
Shober, Gefihl. 392, 435, 542, 002,
Regifter.
Schönauer, Gefhl. 485.
Schroth, Geſchi. 07
Skhülerfefte 484, 548.
Schügenfeft 237.
Schügengefellihaft 236, 362, 458, 554.
Schulden der Stabt 145, 476,554, 699.
Schulden fürftliche 221.
Schulhäufer 547, 689.
Schulwefen u. Lehrer 244, 316, 365,
Bass 458, 478, 547, 348, 600, 686,
Schultheißen zu Pforheim 70, 101 ff.,
118, —
— in Bf. 403.
Schwarz, Geſchl. 485.
Schmwebel, 30h. 305, 336.
Schweigert’ fche Stiftung rn
Sedenheim, Schlacht v
Seehaus 11, 357.
Seelhaus 163, 457.
Seuchen 199, 312, 392, 406, 500, 562,
572, 690.
Siehenfpital 115, 118, 329, 452, 574,
Siegel der Stadt 79,
Siegle, Geſchl. 164,392, 333, 553, 581.
Sigismund, KRaifer, in im Porz. 144,
Singergeſellſchaft 198, 552.
Sittengefchichte ‚43 ff.
Sold, Geihl. 392, 427 ff, 466, 485,
518,
Spanifcher re a 963.
Spartaflen 6
Speifen, —28 — 208
Spitalkirche 118, 429.
Spracproben 80 80, 131,
Stadtkirche 76, , 456, 550, 620.
Stadtmauer 118, 1 162,
Stadtmegig 329,
Stanträthe 72, 189, 231, 235.
Stadtrehnung 470.
Stabtfchreiber 180, 237, 298.
Stadtfolvaten AL
Stabtverfaffung 213, 610.
Städtebund, ſchw ‚üb. 98,
Städtifche Gebäude 458.
Stahl, Gefhl. 485.
80, 693. Stahlbijvuterie 656, 661.
Stapltwaarenfabrifation 627, 627, 633, 652,
Statb, Geſchl. 485.
Stein, Herren v. 65.
Steined 69, 137, 145, 155.
Steinhaus 71, 108, 11 110, 121.
Stephan, St, , Rinde, fi iehe Stadtkirche.
Sterbtaffen 690.
Regifter.
707
— —— 72, 157, 217, 355, Verpfändung Pforzbeims 148, 178,
Stieß, Geſchl. 301, 356
466, 520, 559, 568, SBL.
Stiftungen ., 360, 617 ff., 691.
Strafen 278, 358, 474, 583.
——— an
traßen der Stadt 97,122, 151,
297, 452, 543, 696,
Straubendart, Herren v. 67.
Strieth od. Strutt 5, 145.
Sueven 6.
Spnagoge, Erbauung 688.
Synode, franz. reform. zu Pf. 561.
Syphilis, epivemifche 200.
Tabaktrinfen 499.
— Eifen- u. Salzmonopol 579,
Zaubftummenanftalt 75, 609.
Telegraph in Pf. 682, 694.
Theurung 290,
694,
162,
398, 406, 504, 507
562, 622, —
Thiergarten 11.
Thore der Stadt 79, 102, 118, 122
162, 296, 447 ff, 547, 69.
Thorſchluß 222.
Zhorwart 242
ZTiefenau, Göldner v. 103.
Ziefenbronn 11, 43, 137, 145, 146,
357.
Zilly in ‘Pf. 399.
Zilfit, Friede v. 672,
Tod, fhwarzer 96.
Töchterſchule, höhere 689.
— Geſchl. 392, 427, 432, 485,
Türk, Geſchl. 301, 392,
Turnverein 690.
u.
Uhrenfabrifation 606, 624, 643 ff.
Kanne, ihre Züge "
ngeld 72, 95, 98, 157, 214, 238,
279, 280, 578, 59. —
Unger, 3ob. 308, 330 f.
Ungerer, Gejhl. 164, 331, 392,
466, 511, 359, 580.
Union u. Liga 375,
Unter&der, Geſchl. 560. 592.
Unterfauf 226.
Untergänger 242,
Utrecht, Friede v. a
Behmgericht 233,
Verfaſſung, badifhe 675.
307,
Bertreibung der Geiftlihen 422.
392, 426, ı Vermögen, ftädtifches 699.
Biala, J. Mitbegründer der Bij.-Fab.
625.
Piertmeifter 242,
Billars, Marihall, in Pf 568.
Vogtgulden 359,
Bolferwanderung 28.
W.
Wagner, Geſchl. 164, 392, 559, 568.
Wagram, Schlacht v. 67
Wahlordnung 147, 233,
Waiſenhaus, Landes-, 118, 539, 572,
604 ff.
Waiſenhauskirche 574,
Waiſenhaus, ftädtifches 639.
Waldordnung 249,
Wartthurm 23,
Wafenmeifter 244, 359.
Waſſerzins 157, 360.
Waterloo, Schlacht v. 675, 633.
Weeber, Geſchl. 164, 365, 392, 404,
423, 428, 466, 353, 259.
Weggeld 359, 470.
Wehre 123.
er an an
Weiler 68, 114, 173, 310.
Meißenftein, Yurg 60, 95, 143.
Weißenftein, Ort 105, 150, 186, 309.
Weißenftein, Herren v. 57, 60.
Weißes Regiment 376, 336.
Werbfaffe 684.
Werth, Johann v. in Pf. 438.
Wertwein, Gefhl. 73, 197.
MWertwein’fhe Stiftung 285, 360, 692.
Weftheimer, Barth. 196
MWeftppälifcher Friede 439. er
Widdum
Widmann, Joh., Arzt 181.
Wiederaufbau der Stadt 543,
Wiedertäufer 315.
Wien, Friede v. 673.
Wiefen, berrfhaftl. 359.
Wieſenszins 157. |
Wilderfinn, Geſchl. 154, 199, 392,
' 407, 466, 520, 553, 617.
Wilderfinn’fehe Stiftung 617, 692.
Wilferdingen 15, 32, 174,
Mimpfen, Schlacht v. 380 ff., 621.
Windwächter 245.
Winter, firenger 563.
Wirmgau 32.
Wirthsordnung 257.
Wohnungen, Einricht. Fri
5*
708 Regifter.
Wolf, Geſchl. 133, 392, 407, 559. Zehntfpeicher 459.
Würm 105, 114, 118, 137, 150, 174, | Zigeuner 184.
282, 309, Zigeunergäßchen 12, 185.
. 3infe 157, 279 ff., 359.
Zauberbalfam, Pforzheimer 557. Zoll 72, 156, 178, 279, 359.
Zehnten A1, 109, 157, 279, 232, 358. | „älpih, Schlaht v. 29.
Zepnthof, Lichtenthaler 108, 459. Baal 124, 248, 581.
Zehntland 8.
v
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