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Full text of "Pompejanische Beiträge"

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POMPEJANISCHE 

BEITRÄGE 



August Mau 



Dl 

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Pompejanische Beiträg 



von 



August Mau 




Mit drei Tafeln 



Berlin 
Druck und Verlag von G. Reimer 
1879 



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Zur 



achtzehnhundertjährigeii Eriniierungsteier 



der 



Verschüttung Pompejis 



gewidmet. 



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Vorwort 



Die Aufgabe der historischen Erforschung Pompeji's ist eine 
doppelte: erstens, die Entstehungszeit aller irgend wichtigen Ge- 
bäude zu bestimmen, ihre ursprüngliche Gestalt festzustellen, die 
späteren Veränderungen genau zu verfolgen und auch ihnen ihre 
Zeit anzuweisen; zweitens, in jedem einzelnen Falle die Ursachen, 
die historischen Bedingungen zu erkennen, aus denen der Bau 
oder Umbau hervorging. Nur so kann das reiche hier vorliegende 
und täglich wachsende Material seine volle Verwerthung finden. 
In H. Nissen's zum Theil auf Grund von Vorarbeiten R. Schöne's 
bearbeiteten „Pompejanischen Studien zur Städtekunde des Alter- 
tums" (Leipzig 1877) sind beide Theile der Aufgabe rüstig in 
Angriff genommen worden, und wir dürfen dem Verfasser dafür 
dankbar sein: nur so war es möglich, den ganzen Umfang der- 
selben und den dabei zu erzielenden Gewinn in grossen Zügen 
darzulegen und der weiteren Detailforschung die Wege zu weisen. 

Diese aber ihrerseits darf nicht in gleicher Weise verfahren; 
sie darf sich nicht der Gefahr aussetzen, die ganze Forschung da- 
durch zu discreditiren, dass ihr irgend welche Vorgänge als mit 
der historischen Entwickelung in Uebereinstimmung, vielleicht als 
höchst bedeutsam für dieselbe erscheinen, nachher aber der Sach- 
verhalt sich als ein ganz anderer herausstellt. Verschiedene 
Capitel Nissen's, z. B. die über den Venustempel und die Basilica, 
mögen das gesagte erläutern: nicht jeder kann durch gleiche 
Vorzüge solche Mängel aufwiegen. Wenn die Resultate der 
grundlegenden Localforschung von verschiedenen Seiten geprüft 
und dieselbe zu einem gewissen Abschluss gelangt sein wird, 



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VI 



Vorwort. 



dann wird es Zeit sein, einmal wieder au die historische Ver- 
werthung derselben zu gehen. 

Die folgenden Beiträge beschränken sich daher auf sorgsame 
Erforschung des Thatbestandes und dessen, was sich unmittelbar 
aus demselben, in Verbindung mit den feststehenden historischen 
Daten, ergiebt. Nissen's „Studien" gaben den Anlass zu ihrer 
Veröffentlichung *, sie würden vermuthlich später und in durch- 
gearbeiteterer Gestalt erschienen sein, wenn ich nicht die Ver- 
pflichtung gefühlt hätte, baldigst das meinige zu thun, um den 
Fachgenossen ein begründetes Urtheil über ein so wichtiges 
Werk zu ermöglichen und von den zahlreichen Irrthümern des- 
selben die hauptsächlichsten zu berichtigen, wozu ich durch 
anhaltende und genaue Betrachtung der Ruinen Pompeji's hin- 
länglich befähigt zu sein glaubte. 

Der Werth des Nissen'schen Werkes soll durch diese Berich- 
tigungen nicht herabgesetzt werden. Wer je mit Forschungen 
dieser Art sich abgab, der weiss, dass Dinge, welche, einmal 
wahrgenommen, auf der Oberfläche zu liegen scheinen, sich doch 
häufig erst nach anhaltender und wiederholter Betrachtung dem 
geübteren Auge offenbaren. Manches sah auch ich erst, nachdem 
mir durch die Schöne- Nissen'schen Untersuchungen der Blick 
geschärft war. In Betreff der Messungen lehrt erst die Erfahrung, 
wie schwer es ist, dieselben in grösserer Anzahl vorzunehmen, 
ohne dass sich Fehler einschleichen. 

Auch meine Arbeit ist durch die stets bereite Gefälligkeit 
der Beamten der Ausgrabungen in jeder Weise erleichtert und 
gefördert worden. Ihnen allen, speciell dem Director, Herrn 
M. Ruggiero, der mir durch eigens zu diesem Zweck vorgenom- 
mene Ausgrabungen die genauere Erforschung der Basilica er- 
möglichte, ferner den Soprastanti Cav. Andrea Fraia und Camillo 
Lembo und meinem Freunde A. Sogliano sei hiermit öffentlich 
der wärmste Dank ausgesprochen. 

Pompeji, 1. September 1879. 



A. Mau. 




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Inhal t 



Seite 

Capitf] I. A 1 Igemcines . 1 

1. Die bisherigen Ermittelungen über Alterskriterien 1 

•2. Wnnddecorationen . , , , , , , , , , , , , , , , fi 

8. Netzwerk 8 

4. Der gelbe Tuff IT 

,5. Römisches und oskischos Mass . , , , , , , , , , . 2ü 

(apitel II. Ein ältestes Bauwerk 40 

('apitel HI. Kalksteinatricn . 47 

(apitel IT« Der Venustempol 03 

Capltel V. Die Stabianer Thermen 117 

(apitel YI. Septa 152 

fapitel YII. Die Basilica 15fi 

(apitel YI1I. Einige der Basilica gleichzeitige Bauten ... 200 

1. Der Jupitertempel 200 

2. Die ältesten Theile des grossen Theaters 209 

3. Thürme, Mauer und Thoie 211 



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viii Inhalt. 



Capitel IX. Die ersten Bauten der römischen Colonie . . . 217 

1. Dift Fnrnm»t.hflrnn>n . . . . . . . . , . . . . . , 212 

2. Der Aesculaptcmpel 225 

3. Porta Marina 230 

Capitel X. Zur Entfostigungsfragc 233 



Capitel XI. Chronologie der Bauten östlich vom Forum . ♦ 252 



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Capitcl L 

A 1 1 g e m e i n o s. 



1. Die bisherigen Ermittelungen über Alterskriterien. 

Welches sind die Kennzeichen, nach denen wir das Alter 
pompejanischer Gebäude bestimmen, verschiedene Epochen in 
der Baugeschichte der Stadt unterscheiden können? Die Beant- 
wortung dieser Frage versuchte zuerst Giuseppe Fiorelli in seiner 
den pompejanischen Studien eine neue Richtung weisenden Schrift : 
Gli Scavi di Pompei dal 1861 al 1872, Relazione al Mi- 
nistro della Istruzione pubblica, Napoli 1873, wo die 
betreffenden Abschnitte sich S. VII — XIII und 78 — 86 finden. 
Nach ihm zerfallen die Gebäude Pompeji's in drei Gruppen, 
entsprechend der oskischen, samnitischen und römischen Periode. 

Der ersten Periode, charakterisirt durch die ausschliessliche 
Verwendung des Kalksteins (pietra di Sarno), gehören von 
öffentlichen Monumenten nur der alte Tempel des Forum trian- 
guläre und die ältesten Theile der Mauern und Thore, von Privat- 
häusern die von Nissen Cap. XX , S. 397 ff. behandelten Kalk- 
steinatrien an. Und zwar unterscheidet Fiorelli innerhalb dieser 
Periode zwei Constructionsarten, den Quaderbau und das von 
Nissen passend so genannte Kalksteinfachwerk: letzteres gehört 
nach ihm auch der ersten Periode an, steht aber schon auf der 
untersten Grenze derselben. 

Die zweite Periode wird charakterisirt durch die Verwendung 
des Tuffs (pietra diNocera) und durch den Säulenbau. Ausser 
einer ansehnlichen Zahl öffentlicher Gebäude (S. X. XI) gehören 
ihr die stattlichen Privathäuser mit Tufffacaden an, endlich die 

Mau, pouipejau. lieiträge. \ 



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2 



Capitol t. 



oberen, nach Fiorelli jüngeren Theile der Mauern sammt den 
Thürmen. 

Alles übrige, charakterisirt durch häufigere Verwendung 
vulcanischer Materialien vom Vesuv, gehört der letzten, römischen 
Periode an. 

Lassen wir die Combination der Haugeschichte mit den drei 
Perioden der politischen Geschichte Pompeji's bei Seite, so ist 
anzuerkennen, dass die beiden wichtigsten Gruppen pompeja- 
nischer Gebäude, welche ohne Zweifel jede eine bestimmte Periode 
aus der Stadtgeschichte repräsentiren , von Fiorelli vollkommen 
richtig erkannt sind. Freilich aber ist seine Charakteristik dieser 
Gruppen nicht erschöpfend und wohl in Folge dessen sind bei 
der auf seinen Tafeln (Relazione t. II. III. IV) versuchten Zu- 
teilung zahlreiche IrrthUmer begegnet, und es haben sich ihm 
daher Resultate ergeben, welche nicht haltbar sind. 

Fiorelli's Charakteristik der beiden ältesten Gruppen ist von 
H. Nissen (pompejanische Studien zur Städtekunde des 
Alterthums, Leipzig 1877) namentlich in 4 Punkten berichtigt 
worden (S. 34 ff.). 

1. Kalksteinquaderbau und Kalksteinfach werk dürfen zeit- 
lich nicht getrennt werden: in den vollkommensten Beispielen 
dieser Gruppe sind sie untrennbar verbunden. 

2. Die erste Gruppe verwendet als Bindemittel durchweg 
nicht Kalkmörtel, sondern Lehm. Erst durch diese Entdeckung 
lernen wir die Technik des Kalksteinfach werks verstehen: der 
Lehm konnte seiner Natur nach keinen constructiven Werth 
haben ; er diente nicht, wie der Kalkmörtel, die Mauer zusammen- 
zuhalten, sondern sie dicht zu machen, die Fugen zwischen den 
Steinen zu füllen. Das Zusammenhalten der Mauer beruht viel- 
mehr auf der Art wie zwischen dem aus Quadern bestehenden 
Fachwerk die der Ziegelform sich nähernden kleineren Steine 
geschichtet sind: mehrfache Beispiele, wo der Lehm sieh in Staub 
auflöst, beweisen, dass auch ohne ihn die Mauer allenfalls stehen 
konnte. 

8. Der Kalkstein war nie ausschliesslich im Gebrauch, 
namentlich ist Tuff schon in der ältesten uns erkennbaren Zeit 
angewandt worden: die mit Ausnahme der Capitelle aus Tuff 
bestehenden Reste des dorischen Tempels beweisen dies unwider- 




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Allgemeines. 



3 



sprechlicb. Damit fallt auch Fiorelli's Annahme, dasjsdie Stadtmauer 
ursprünglich nur 3—4 Meter hoch gewesen und erst in der zweiten 
Periode durch Tuffquadern erhöht worden sei. Diesen von Nissen 
angeführten Beispielen alten Tuffbaues kann ein drittes, besonders 
evidentes hinzugefügt werden, welches namentlich den Tuff- 
quaderbau zum Kalksteinfachwerk in chronologische Beziehung 
setzt: der im Südwestwinkel der «vierzehnten Insel der siebenten 
Region erhaltene grosse monumentale Brunnen aus Tuffquadern, 
von dem weiterhin (Cap. II) die Rede sein wird; seine Anteriorität 
gegenüber der über ihn hingebauten Fachwerkmauer der casa 
della regina d'Inghilterra (No. 5) unterliegt keinem Zweifel. 

4. Kalksteinquadern wurden auch in der Zeit der zweiten 
Gruppe (der „Tuffperiode") — nach Nissen auch noch später - 
ftir die stark beiasteten Wandpfosten um die Atrien verwandt: 
so finden sie sich durchweg in den grossen Häusern der Tuff- 
periode. Fiorelli's Annahme, als sei hier jedesmal ein alter 
Kern durch spätere Anbauten erweitert worden, ist unhaltbar. 

Was sich aus diesen Berichtigungen, im Verein mit allge- 
meineren Erwägungen, für die älteste Gestalt, für die Gründungs- 
geschichte der Stadt ergiebt, kann hier übergangen werden: in 
Betreff der weitgehenden Folgerungen, welche Fiorelli an die 
Zahl und Vertheilung der ältesten Kalksteinhäuser geknüpft hat, 
ist bei Nissen alles nöthige gesagt worden. 

Es ist richtig (Nissen S. 57), dass sich für den Bruchsteinbau 
mit Kalkmörtel (opus incertum) nicht wohl bestimmte Alters- 
kriterien feststellen lassen, dass aber im Allgemeinen für die 
ältere Zeit eine vorzüglichere Technik unter Anwendung kleiner 
Steine, gleichmässigeres Material, mit Vorliebe Lava (Nissen 
S. 57 f.), und besserer Mörtel (a. a. 0. S. 43) charakteristisch ist. 
Ein einigermassen geübtes Auge wird das Incertum der Tuff- 
periode meist mit ziemlicher Sicherheit von dem späterer Zeiten 
unterscheiden: es kann z. B. an der Basilica und an den jüngeren 
Theilen der Stadtmauer, namentlich auch den Thürmen östlich 
vom Herculanerthor, mit Bequemlichkeit studirt werden. Nament- 
lich der Mörtel, welcher meist durch beigemischte Lavabrocken 
schwarz punktirt erscheint, ist durchaus charakteristisch. In 
Privathäusern ist besonders häufig in den unteren Theilen aus- 
schliesslich Lava, weiter oben andere Steinarten, unter denen 

1* 



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4 



( apitel I. 



entweder der Kalkstein oder die Cruma vorwiegt, angewandt. 
Ganze Mauern aus Kalksteinincertum gehören im Allgemeinen 
einer späteren Zeit an; ein annähernd datirhares Beispiel aus 
älterer Zeit bietet die Mauer, welche den Peribolos des Venus- 
tempels von der Strada della Marina scheidet. Ob sie den 
offenbar der Blüthe der Tuffzeit angehörigen Pfeilern, in welche 
sie an der Thür und an der Ecke des Forums endigt, gleich- 
zeitig ist, kann wohl nicht mit Sicherheit ausgemacht werden. 
Soviel aber steht fest, dass nach dem Bau derselben der Eck- 
pfeiler am Forum theil weise beschädigt und seine oberen Steine 
nach Osten (gegen das Forum) verrückt wurden, dass dann von 
der Forumseite durch Abmeisseln der in Folge dieser Verrückung 
vorstehenden Theile eine ebene Fläche hergestellt und auf diese 
die programmata antiquissima C. I. L. IV, 35. 36 gemalt 
wurden. Andererseits finden wir das vorzüglichste Lavaincertum 
in den unteren Mauertheilen des sogen. Pantheon (nach Nissen 
Macellum), dessen Bau nach Nissen's sehr wahrscheinlicher An- 
nahme in die Jahre 14 — 19 n. Chr. fallt. 

Ziegel sind in dieser Periode für die Mauern nur ganz aus- 
nahmsweise verwandt worden: so für die Front der Basilica 
gegen das Forum; dass es mit den Ziegelpfosten der Südthür 
desselben Gebäudes eine andere Bewandtniss hat, werden wir 
weiterhin sehen. Ziegelsäulen aus dieser Zeit finden wir eben- 
falls in der Basilica, ferner im zweiten Peristyl der casa del 
Fauno, welches schwerlich, wie Nissen meint, in römischer Zeit 
hinzugefügt worden ist. Vielmehr weist alles darauf hin, dass 
die casa del Fauno in ihrem gegenwärtigen Umfange auf ein- 
mal, und zwar in der Tuffperiode, erbaut worden ist: die Nord- 
westecke, aus Kalksteinquadern bestehend, kann kaum einer 
anderen Zeit angehören. Wesentlich gleichzeitig ist die casa 
del Laberinto, wo ebenfalls die Säulen des Peristyls aus 
Ziegeln bestehen: auch dies Haus ist auf einmal in seinem 
jetzigen Umfang erbaut worden. Für Thürpfosten und die Pfeiler 
um's Atrium wurden regelmässig Kalksteinquadern verwandt. 
Aus Tuffquadern bestehen die Pfosten des nördlichen Einganges 
der Basilica; sie finden sich an den Hauseingängen natürlich da, 
wo für die Fagade derselbe Stein verwandt ist. Mörtelschichten 
zwischen den Kalksteinquadern sind häufig, während in anderen 




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Alljioiiieine.H. 



5 



Fällen die Quadern so genau auf einander passen, dass ein Binde- 
mittel nicht coustatirt werden kann. Aus solchen Unterschieden 
auf zeitliche Verschiedenheit zu schliesseu, ist kein genügender 
Anhalt vorhanden. Es kann als Regel gelten, dass Thürpfosten 
und Ecken aus ziegeiförmig zugehauenen Kalk- und Tuffsteinen 
dieser Periode fremd sind; einige vereinzelte Beispiele dieser in der 
folgenden Periode ganz allgemein verbreiteten Constructionsweise 
werden sich uus weiterhin wenigstens als sehr wahrscheinlich 
ergeben. 

Durch diese Kennzeichen können wir eine bedeutende An- 
zahl pompejanischer Gebäude aus der ganzen Masse ausscheiden. 
Offenbar repräsentiren sie eine wichtige und vermuthlich nicht 
kurze Periode der Baugeschichte, innerhalb deren die Stadt eine 
gründliche Umgestaltung, einen umfassenden Neubau erfahren 
haben muss. Was Nissen S. 31 ff. über den Flickbau der Pom- 
pejaner sagt, gilt für die grösseren Bauten dieser Periode nur 
in sehr beschränkter Weise. Ohne Zweifel war der Platz der 
Basilica, der Stabianer Thermen früher von Häusern eingenommen: 
aber nicht der mindeste Rest alten Mauerwerks ist für diese 
umfassenden Anlagen verwandt worden. Dasselbe gilt von den 
grösseren Privathäusern, der casa del Fauno, der casa di 
Pansa, der casa del toro (V, 1, 7), dem Haus des L. Caecilius 
Jucundus (V, 1, 26), den Palästen der Insel VII, 4(casade' ca- 
pitelli colorati u. s. w.): hier überall ist erst vollständig auf- 
geräumt und dann von Grund auf neu gebaut worden. Beim Bau 
der casa del Laberinto ist für das Nordende der Ostmauer 
die Front eines alten Hausos benutzt worden ; sonst ist auch hier 
alles aus einem Guss. Alle vorrömischen öffentlichen Gebäude, 
mit Ausnahme des dorischen Tempels, des alten Brunnens der 
Insel VII, 14 und der älteren Theile der Stadtmauer, tragen den 
deutlichen Stempel dieser Periode: auch die Thürme, wenigstens 
der Mehrzahl nach, und die innersten Theile der Thore. Wir nennen 
diese Periode — von Fiorelli als samnitische Zeit bezeichnet — 
nach Nissen's Vorgang die Tuffperiode, da die Verwendung dieses 
Steins zu Facaden und Säulenhallen für sie charakteristisch ist. 

Es ist sodann von Schöne (Quaestionum Pompeiana- 
rum specimen, Lipsiae [1868], wiederholt bei Nissen, pompej. 
Studien S. 132) auf eine Gruppe öffentlicher Gebäude aufmerk- 



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6 



Capitel I. 



sam gemacht worden, welche durch ähnliche Construetionsart 
sich als zeitlich zusammengehörig erweist, und den Anfängen der 
römischen Colonie angehört: das Amphitheater, das theatrum 
tectum, die Forumsthermen. Charakteristisch für diese Bauten 
ist ein dem Reticulat sich annäherndes Mauerwerk — wir 
können es Quasireticulat nennen — aus Lava, mit Eckpfosten 
entweder aus Ziegel (Theater, Forumsthermen) oder aus ziegei- 
förmigem Haustein (Amphitheater). Von zwei weiteren, dieser 
Zeit angehörigen Gebäuden soll weiterhin (Capitel VIII) die 
Rede sein. 

Dies sind die Gruppen, welche bisher als zeitlich zusammen- 
gehörig aus der ganzen Masse haben ausgeschieden werden 
können, nämlich: 1. die sicher oder mutmasslich vor die Zeit 
der Kalksteinatrien fallenden Bauten: der Tempel auf dem Forum 
trianguläre, der Brunnen VII, 14, die alten Theile der Stadt- 
mauer; 2. die Kalksteinatrien; 3. die Gebäude der Tuflfperiode; 
4. einige Bauten der ersten Zeit der Colonie, und endlich 5. alles 
was später entstanden ist. Wenn gewisse, besonders neu aus- 
sehende Bauten, namentlich solche, die noch nicht vollendet 
waren, der letzten Zeit, nach dem Erdbeben von 63 n. Chr., zu- 
gewiesen werden, wenn sonst für einzelne Bauten eine Datirung 
möglich ist, so handelt es sich mehr um Indicien, die sich aus 
dem einzelnen Fall ergeben, als um allgemein anwendbare 
Kriterien. 

2. Wanddecorationen. 

Ein wichtiges Alterskriterium ist bisher nicht ausgebeutet 
worden: die Decoration der Wände'). Die Punkte, auf welche 
es hier ankommt, sind folgende: 

Die älteste der uns vorliegenden Decorationsarten (Basilica, 
casa di Sallustio, casa del Fauno) ahmt eine Wandbeklei- 
dung mit farbigem Marmor so nach, dass sowohl die Marmor- 

') Meine darauf bezüglichen Untersuchungen finden sich im Giornale 
degli Scavi di Pompei, Nuova Serie, Bd. II, S. 386 ff., 439 ff., und wer- 
den demnächst durch eine im Auftrage des deutschen archäologischen Institut« 
erscheinende, mit den nothigen Tafeln versehene Darstellung zugänglicher ge- 
macht werden. 



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AlItremiMiiPs. 7 

platten mit F ilgenschnitt als auch die sie trennenden Gesimse — 
namentlich ein selten fehlendes mit Zahnschnitt — auch in plasti- 
scher Stückarbeit dargestellt werden. Die in diesem Stil aus- 
geführte Decoratiou der Basilica bestand schon im Jahre 78 v. Chr., 
in welchem C. Pumidius Dipilus seinen Namen und die der Cou- 
suln des genannten Jahres darauf schrieb (C. J. L. IV, 1842). 

Der zweite Decorationsstil ahmt theils ebenfalls eine Marmor- 
bekleidung nach, aber nur durch Malerei, ohne plastische Stuck- 
arbeit, theils schmückt er die Wände mit Architecturmalerei, von 
der Charakterisirung einzelner Wandglieder — Gesimse, Sockel — 
bis zur Darstellung ganzer Gebäude, Portiken u. dgl. Classische 
Beispiele sind die casa del Laberint o und das Haus des Ger- 
manicus auf dem Palatin (Visconti und Lanciani, Guida del 
Palatino, S. 117). 

Der dritte Stil, dessen Entstehung man einer Reaction gegen 
die Ausartungen des vorigen zuschreiben möchte, giebt die archi- 
tectonische Charakterisirung der einzelnen Wandtheile ganz auf; 
namentlich an die Stelle der horizontalen Gliederungen (oberer 
Vorsprung des Sockels, Gesimse) treten einfache Ornamentstreifen: 
die Wand giebt sich einfach als mit Ornamenten zu decorireude 
Fläche. Nur in der Mitte derselben erscheint mit Vorliebe ein 
zur Aufnahme eines als Tafelbild gedachten Gemäldes bestimmtes, 
baldachinartiges Gerüst. Die Farbenstimmung und das System 
der flachgemalten Ornamente, die Abneigung gegen Modellirung, 
unterscheiden diese Wände auf das bestimmteste von denen der 
letzten Zeit. Eine derselben trägt einen Graffito aus dem Jahre 
17 n.Chr. (C. I. L. IV, 1552). Es ist wahrscheinlich, dass um 
die Zeit des Erdbebens (63 n. Chr.) dieser Stil schon nicht mehr 
üblich war (Bull. d. Inst. 1874, S. 141 ff.). Beispiele: das Haus 
des M. Spurius Mesor (VII, 3, 29) und das kürzlich ausgegrabene 
des L. Caecilius Iucundus (V, 1, 26). 

Die ganze übrige Masse gehört im wesentlichen den letzten 
Jahrzehnten Pompeji's an. 

Suchen wir nun diese Decorationsarten mit den bisher ge- 
fundenen Gruppen älterer Gebäude in Verbindung zu setzen, so 
handelt es sich wesentlich um die erste Manier. Diese steht in 
einer unverkennbaren, schon früher (Giorn. d. sc. d. Pomp. a.a.O. 
S. 444; vgl. Nissen S. 57) hervorgehobenen Beziehung zu den Ge- 



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8 



• 

Oapitel [. 



bäudeu der zweiten Gruppe Fiorelli's, der Tuffperiode Nissen's. 
Kur gauz ausnahmsweise, z. B. in der Basilica, findet sie sich 
auf Ziegeln. Das jüngste datirbaro Beispiel bietet wahrscheinlich 
der aus sullanischer Zeit stammende Aesculaptempel; im übrigen 
haben die Bauten aus der ersten Zeit der Colonie — Forums- 
thermen, kleines Theater, Amphitheater — keine Spur derselben 
bewahrt. Dagegen war das kleine Theater — vermuthlich von 
Anfang an — im zweiten Stil gemalt: wir dürfen also wohl an- 
nehmen, dass auch dieser schon in sullanischer Zeit üblich war. 
Und wenn wir nun das im reinsten Reticulat, mit Eckpfeilern 
aus ziegeiförmig behauenem Tuff („ Tuffziegeln") erbaute Haus 
des Germanicus auf dem Palatin in diesem Stil ausgemalt finden, 
wenn wir weiter (S. 10) finden, dass gleiches Mauerwerk — es war 
nach Vitruv in seiner, der Zeit des Augustus, allgemein üblich 
geworden — auch in Pompeji wahrscheinlich in diesem Stil be- 
malt war, so werden wir wohl nicht allzusehr irre gehen, wenn 
wir annehmen, dass er von der sullanischen Zeit bis in die erste 
Zeit des Augustus im Gebrauch blieb. — Für den dritten Stil bleibt 
dann die erste Kaiserzeit bis etwa zum Jahre 50 n. Chr. übrig. 

Uebrigens ist klar, dass die Decoration für die Entstehungs- 
zeit der betreffenden Mauer stets nur die untere Grenze giebt, 
da ihr ja eine andere vorhergegangen sein kann, dass also der 
Werth der späteren Decorationsarten für die Zeitbestimmung der 
Bauten geringer ist als der der früheren. Andererseits freilich 
ist zu beachten, dass in Privathäusern, wo einst eine ältere 
Decoration vorhanden war, sich meist in irgend einem Winkel, 
einer vernachlässigten Kammer, ein Rest derselben erhalten hat 
Fehlen also in einem einheitlich decorirten Hause solche Reste, 
so mögen wir es immerhin mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, 
wenn nicht Gegenindicien vorliegen, der Zeit des betreffenden 
Decorationsstils zuweisen. 

3. Netzwerk. 

Neben dem Iucertum tritt seit den Anfängen der römischen 
Colonie, zuerst in unvollkommener Gestalt, dann völlig ausge- 
bildet das Netzwerk auf (Nissen S. 58 ff.), ohne doch je eine 
ausgedehnte Verbreitung zu erlangen oder gar das Incertum zu 



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Allgemeines. 



9 



verdrängen: das Quasi reticulat der sullanischeu Zeit finden wir 
an den öffentlichen Gebäuden jener Periode, das ausgebildete 
Reticulat an einer nicht grossen Anzahl von Privathäusern. In 
Betreff dieser Bauart muss eine von Nissen a. a. 0. aufgestellte 
Behauptung näher besprochen werden. 

Wir lesen daselbst: „Bei Beschreibung alter Bauwerke, auch 
mit Bezug auf Pompeji ist öfters von opus reticulatum aus 
Ziegeln die Rede; desgleichen begegnet öfters die Ansicht, das- 
selbe sei bestimmt gewesen Verputz zu erhalten. Die Wahrheit 
ist, dass opus reticulatum aus Backstein Uberhaupt äusserst 
selten, in Pompeji nie vorkommt, und dass es wenigstens in 
pompejanischen Bauten Überall bestimmt war, roh zu bleiben". 
Mit dem Reticulat aus Ziegeln hat es seine Richtigkeit, und es 
verdient kaum erwähnt zu werden, dass einzelne kleine, orna- 
mental als Ausfüllung der Verzahnung von Ziegelpfeilern ange- 
brachte Stücke aus zurechtgehauenen Ziegeln oder Topfscherben 
gemacht sind. Für die zweite, überraschende und allem, was wir 
über den Geschmack der Alten zu wissen glaubten, direct wider- 
sprechende Behauptung werden folgende Gründe geltend gemacht. 

1. Die Sorgfalt in der Herstellung eiuer glatten Oberfläche, 
welche so weit geht, dass der Verputz schwer gehaftet und 
schlecht gehalten haben würde: „in der That wäre es unbe- 
greiflich, warum man sich so viele unnütze Mühe mit der Aussen- 
seite einer Mauer hätte geben sollen, die man mit Stuck über- 
ziehen wollte". 

2. Die mit verschiedenfarbigen Steinen eingelegten Muster. 

3. Die an einigen derartigen Gebäuden unter dem Stuck 
zu Tage gekommenen gemalten Inschriften. 

Zwischen dem ausgebildeten Netzwerk und dem Mauerwerk 
des kleinen Theaters u. s. w., welches demselben sich nur nähert, 
wird kein Unterschied gemacht. Es wird jedoch gerathen sein, 
diese beiden doch recht verschiedenen Gattungen getrennt zu 
halten. 

In Betreff des eigentlichen Reticulat ist gar keine Berech- 
tigung vorhanden, durch den Zusatz „wenigstens in pompeja- 
nischen Bauten" diese z. B. von den römischen zu trennen, zumal 
Nissen's Gründe allgemeiner Natur sind, und, wenn sie für Pompeji 
zwingend sind, auch den Beweis flir Rom liefern. Nun ist in Rom 



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10 



Capitel I. 



das Haus des Germanicus auf dem Palatiu im schönsten und 
sorgfältigsten Keticulat aus Tuff erbaut, mit Stuck bekleidet und 
im zweiten pompejanischen Stil ausgemalt. Der Reticulatbau 
war nach dem Zeugnisse Vitruv's zu seiner Zeit, der Zeit des 
Augustus, allgemein üblich geworden: er mag also in der letzten 
Zeit der Republik aufgekommen sein; eben damals inusste die 
Zeit jener Decorationsweise sich stark ihrem Ende nähern. Wäre 
also hier die Decoration nicht gleich von Anfang an in Aussicht 
genommen sondern in eiuer spätem Periode, auf Grund ver- 
änderter Geschmacksrichtung, hinzugefügt worden, so würde sie 
sicher in einem andern Stile gehalten sein. Und wer möchte 
auch glauben, dass man in Korn zur Zeit des Augustus oder kurz 
vorher in einem durchaus nicht ärmlichen Hause die nackten 
Tuffwände geduldet habe? Mag man also die verschwendete 
Mühe noch so unbegreiflich finden, in diesem Falle lässt sich 
das Factum nicht bezweifeln. 

Es kann aber auch für Pompeji derselbe Beweis fast mit 
gleicher Evidenz geführt werden. Das grosse mehrstöckige Haus 
nördlich der scuola archeologica (VI ins. occid. 24) ist in 
Reticulat erbaut, mit Eckpfeilern aus ziegeiförmigem Tuffstein, 
und im dritten Decorationsstil ausgemalt. Es lässt sich jedoch 
nachweisen, dass dies nicht die erste Decoration des Hauses ist: 
in der Rückwand des Mittelraumes im Mittelstock ist ein grosses 
Fenster mit unregelmässigem Incertum, in der Nordwand des 
nördlichsten Zimmers desselben Stocks eine Thür mit grobem 
Kalksteinreticulat zugesetzt worden, beides bevor die Decoration 
dritten Stils gemacht wurde. Auf der Nordwand des Mittel- 
zimmers konnte an einer Stelle, wo der Stuck abgefallen war, 
am 14. August 1878 constatirt werden, dass unter der Decoration 
dritten Stils Reste einer älteren vorhanden sind. Im Allgemeinen 
zwar scheint nur die grobe Unterlage erhalten zu sein, doch 
war ziemlich in der Mitte der Nordwand ein kleiner Rest eines 
schwarzen Sockels sichtbar. Im nördlichsten Zimmer ist die 
Wand mit Ziegeln belegt und auf diesen die Decoration dritten 
Stils ausgeführt. Unter den Ziegeln ist die Wand mit Sandstuck 
bedeckt, auf dem eine dünne Lage weissen, nicht besonders sorg- 
fältig bearbeiteten Stucks liegt. Letztere ist unter den Ziegeln 
zwecklos: vermuthlich haben wir auch hier einen Rest einer 




Allgemeines. 



11 



älteren Decoration zu erkennen. Da nun eine Decoration, welche 
der dritten Stils vorherging, wahrscheinlich der Zeit des zweiten, 
spätestens den Anfängen des dritten Stils angehört hahen wird, 
so können hier, da das reine Reticulat doch schwerlich für 
Pompeji wesentlich älter anzusetzen sein wird, als für Koni (das 
Haus liegt ausserdem auf der ehemaligen Stadtmauer), ziemlich 
dieselben Betrachtungen angestellt werden, wie in Betreff des 
palatinischen - Hauses. 

Damit ist Nissens erstes Argument factisch widerlegt. Die 
eingelegten Muster beweisen, wo sie sich, was meistens der Fall, 
auf der Aussenseite der Gebäude finden, doch nur für diese, und 
auch so nur für den jedesmal vorliegenden Fall. Und dasselbe 
gilt von den Inschriften, welche ausserdem aus der Zeit stammen 
können, wo der Bau unvollendet, oder vollendet aber noch nicht 
getüncht war. Indess soll nicht bestritten werden, dass man auf 
der Aussenwand gelegentlich den Bewurf sparte und sich mit der 
durch das Netzwerk hergestellten glatten Oberfläche begnügte. 

Eingelegte Muster finden sich z. B. in dem eben besprochenen 
mehrstöckigen Hause, wo sie durch Crumastücke hervorgebracht 
werden, welche in das aus Tuff bestehende Reticulat eingestreut 
sind: besonders deutlich ist das auf der Nord wand des der 
Strasse zunächst liegenden Raumes. Nun ist freilich dieser Raum 
ein Garten, und es könnte deshalb eher jemand geneigt sein zu 
glauben, die Mauer sei ursprünglich bestimmt gewesen roh zu 
bleiben. Die Möglichkeit mag zugegeben werden, obgleich es 
kaum wahrscheinlich ist, dass man zur Zeit des zweiten oder 
dritten Decorationsstils in einem grossen und offenbar ohne Spar- 
samkeit erbauten Hause von der zwei Jahrhunderte hindurch zu 
verfolgenden Sitte, auch die Garten wände gleich den Zimmer- 
wänden zu decoriren, abgewichen sein sollte. Einen unwider- 
sprechlichen Beweis giebt uns aber eines der jüngsten Häuser 
Pompeji's. In derselben Insel macht das Haus No. 36 durch die 
vollkommene Erhaltung des Mauerwerks den Eindruck später 
Entstehung. An der Front und an den Thürpfeilern ist in aus- 
gedehnter Weise Backstein verwendet, dazwischen aber sind die 
eigentlichen Wandflächen sorgfältig gearbeitetes Netzwerk aus Tuff 
mit reihenweise eingelegten Crumastücken , so dass auch hier 
Muster entstehn. Rechts und links vom Atrium sind beide Seiten 



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12 



Capitrl |. 



der Mauern, auch gegen die Zimmer, auf diese Art behandelt: 
es ist eine anerkannte Sache, dass diese Bauart jünger ist als das 
der ersten Kaiserzeit angehörige Reticulat mit Eckpfeilern aus 
Tuflfziegeln. Je jünger nun aber das Haus ist, um so unglaub- 
licher ist es, dass die Decoration im letzten pompejanischen Stil, 
welche in den Zimmern am Atrium erhalten ist und nach sicheren 
Spuren auch Uber dieses selbst sich erstreckte, ein nachträglicher 
Zusatz, nicht von Anfang an beabsichtigt gewesen sein sollte, 
zumal es auch hier sich um ein ziemlich grosses und jedenfalls 
reiches Haus handelt: es kann als sicher gelten, dass geräumige 
und regelmässige Atrien, wie wir es hier- finden, wenigstens in 
der letzten Zeit nur in wohlhabenden Häusern angelegt wurden. 

Es ist mithin ganz unzulässig, aus derartigen Mustern Fol- 
gerungen zu ziehen, wie sie Nissen gezogen hat: in ihnen zeigt 
sich nur jene Freude an sorgfältiger und zierlicher Arbeit, welche 
allein die Herstellung von Reticulatmauern wie die im Hause 
des Germanicus ermöglichen konnte. Und da wir auch den In- 
schriften keine zwingende Beweiskraft zuerkennen konnten, so 
wird nicht einmal für die Aussenwände die von Nissen aufge- 
stellte Regel allgemeine Geltung beanspruchen können. 

Noch weniger glaublich aber erscheint dieselbe in Betreff 
des dem Reticulat nur sich nähernden Mauerwerkes. Das unter 
1 aufgeführte Argument findet hier nur eine beschränkte An- 
wendung: zwar ist mehr Mühe aufgewandt als nothwendig ge- 
wesen wäre, aber doch nicht in dem Grade wie beim eigentlichen 
Netzwerk, und namentlich ist eine glatte Oberfläche nicht vor- 
handen, und stösst das Haften des Stucks auf keine Schwierig- 
keit. Inschriften zeigt hier nur das Amphitheater, und es ist 
recht wohl denkbar, dass in Anbetracht der bedeutenden Kosten, 
welche die Stuckbekleidung eines so umfänglichen Baues ver- 
ursachen musste, man ihn längere Zeit so stehen Hess. Dass 
aber die Nacktheit der Mauern in der Intention der Erbauer 
gelegen habe, für eine solche Annahme liegt kein Grund vor, 
und noch weniger darf aus diesem vereinzelten und zweifelhaften 
Fall eine allgemeine Regel abgeleitet werden. Ein eingelegtes 
Muster findet sich über dem Eingang der Forumsthermen: über 
die geringe Beweiskraft solcher Muster ist schon gesprochen 
worden; ferner handelt es sich auch hier um eine Aussen wand 



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AlltTWioinos. 13 

und würde also selbst im günstigsten Falle für die Innenwände 
nichts bewiesen sein. Es ist aber dies Quasireticulat mehrfach 
auch für Innenwände verwandt worden: im Eingang der Forums- 
thermen, iu dem Gange, der ebenda aus dem Apodyterium zum 
Heizraum führt, in den Hottegen ebenda und im Aesculaptempel. 
Diese Art Mauerwerk gehört der ersten Zeit der römischen Colonie 
an (Schöne, Quaest. Pomp, spec, S. 9, Nissen S. 132; in Betreff 
des Aesculapternpels s. weiter unten Cap. VIII), einer Zeit, welche 
auf die Blüthe des ersten Decoratiousstils folgte, wo also vermuth- 
lich alle öffentlichen Gebäude — sicher z. B. die Basilica (auch auf 
der Aussenseite), der Venustempel mit dem Peribolos (auch hier 
die Aussenseite nicht ausgenommen) und die Stabianer Thermen, 
höchst wahrscheinlich auch der Jupitertempel, ferner alle einiger- 
massen ansehnlichen Privathäuser — die sehr zahlreichen Reste 
lassen darüber keinen Zweifel — jene sorgfältige, stilvolle und 
namentlich für grössere öffentliche Gebäude durchaus angemessene 
Decoration zeigten. Dass nun damals eine Zeit, welche mit bedeu- 
tenden Mitteln grosse Bauten in's Werk setzte, es ertragen haben 
sollte, diese trotz der Annäherung an das Netzwerk recht rohen 
Wände so nackt stehen zu lassen, ist unglaublich, am unglaublich- 
sten in Betreff der Innenwände des Tempels. Aber auch für die zu 
den Forumsthermen gehörigen, an zwei Hauptstrassen liegenden 
Läden — es sei hier bemerkt, dass die mühevolle Decoration 
der ersten Periode auch in den Läden angebracht wurde: Reg. 
VII ins. 2 n. 17, — und für den Eingang der Thermen selbst ist 
eine solche Annahme unzulässig. In Betreff der Aussenwände 
der Thermen und des kleinen Theaters könnte man allenfalls 
zustimmen, wenn nur irgend ein zureichender Grund vorläge 
um eine Abweichung vom gewöhnlichen, der Stuckbekleidung, 
anzunehmen: dass eine solche in dem über der Thür der Thermen 
angebrachten Muster nicht gefunden werden darf, wurde schon 
bemerkt 

Entscheidender aber als diese allgemeinen Betrachtungen ist 
der Gegenbeweis, welcher für den Aesculaptempel genau so wie 
für das Haus des Germanicus, nur in noch zwingenderer Weise 
geführt werden kann. Von der Wanddecoration dieses Tempels 
ist jetzt nichts mehr erhalten, doch waren wenigstens von der- 
jenigen der Nordwand ansehnliche Reste noch zur Zeit Gau's 




14 



Capitel f. 



vorhanden; sie sind von ihm gezeichnet und abgebildet bei Mazois 
Bd. IV, Taf. 4: ein ziemlich hoher Sockel, dann ein schmaler 
dunkler Streifen und über diesem imitirte Marmorbekleidung in 
stehenden, abwechselnd breiten und schmalen Rechtecken, alle, 
wie es scheint, von gleicher Farbe. Nun lässt zwar die Abbil- 
dung natürlich nicht erkennen, ob die Marmorplatten auch durch 
plastische Stuckarbeit oder nur durch Malerei auf der glatten 
Wand nachgeahmt waren; doch spricht alles dafür, dass das erste 
der Fall war, dass wir also hier den ersten Decorationsstil zu 
erkennen haben. Diese Form des Sockels — eine einfarbige, 
durch einen dunkeln Streifen abgeschlossene Fläche — ist dem 
zweiten Stil fremd, welcher ihm vielmehr eine architectonische 
Form, mit Karnies uud Ablauf, giebt. Hingegen für den ersten 
Stil ist eben diese Form fast regelmässig, und es wird hier mit 
Vorliebe ein helles Gelb angewandt: eine Farbe, welcher die 
Schattirung der Gau'schen Zeichnung nicht widerspricht. End- 
lich liegt auch ein ausdrückliches Zeugniss vor, welches ich der 
Freundschaft A. Sogliano's verdanke, der auf meine Bitte nach- 
forschte, ob etwa sich unter den älteren Custoden Pompeji's eine 
Erinnerung an jenen Decorationsrest erhalten hätte. Auf sein 
Befragen versicherte der älteste derselben, der ßrigadiere Gia- 
como Cacace, er habe auf der nördlichen Wand des Vorhofes, 
an der Treppe, einen Decoratioirerest gesehn, bestehend aus 
rothen, in Relief ausgearbeiteten Rechtecken; als man ihm die 
Decoration der casa di Sallustio zeigte, erklärte er, es sei 
eben dieselbe Art gewesen. Dies Zeugniss verliert kaum an 
Werth dadurch, dass hier offenbar ein. Gedächtnissfehler vorliegt: 
ohne Zweifel sah Cacace den Decorationsrest auf der Nordwand 
des Tempels selbst, wo ihn Gau verzeichnet, welcher dagegen 
(vor 1837) die Wand an der Treppe ohne solche Reste fand. 

Nun ist es absolut undenkbar, dass eine Decoration, welche 
der Tempel erst nachträglich erhalten, im ersten Stil ausgeführt 
sein könnte; denn offenbar gehört der Bau der allerletzten Zeit 
dieses Stils an, und wenn nicht die ausdrücklichen Zeugnisse 
vorlägen, so würden wir schwerlich vermuthen, dass er in einem 
Stil decorirt gewesen sei, dessen Reste sich fast ausnahmslos 
auf Mauern finden, welche durch die oben beschriebenen Kenn- 
zeichen sich als der Tuffperiode angehörig zu erkennen geben. 




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Alltremeines. 



15 



Die Decoration in diesem Falle später als den Bau selbst anzu- 
setzen, ist unmöglich. 

Drei Arten von Reticulat kommen in Pompeji vor: das 
Quasireticulat der sullanischeu Zeit, das reine Reticulat, d. h. 
mit Ecken aus ziegeiförmigen Stücken desselben Steins, das Re- 
ticulat mit Ziegelecken. Das reine Reticulat war zu Vitruv's 
(II, 8, 1) Zeit allgemein üblich: es wird also gegen das Ende 
der Republik aufgekommen sein. Dass das Reticulat mit Ziegel- 
ecken einer jüngeren Zeit (etwa bis auf Hadrian) angehört, ist 
eine anerkannte Thatsache (s. z. B. Bullett. d. commiss. arch. 
munic. di Roma 1874, S. 147 f.): das älteste datirbare Beispiel 
dieser Constructionsart bietet wohl die Südwand des nach Nissen's 
einleuchtender Beweisführung in den Jahren 14 — 19 n. Chr. er- 
bauten sogen. Pantheon oder Macellum; ein schon oben (S. 11) 
erwähntes, in dieser Weise gebautes Privathaus gehört offenbar 
der letzten Zeit Pompeji's an. 

Damit stimmt das Zeugniss der Wanddecorationon. Für das 
Quasireticulat ist uns in einem Falle die erste Decorationsart 
bezeugt. Keines der übrigen hierher gehörigen Gebäude zeigt 
Reste derselben, dagegen das kleine Theater solche zweiten Stils: 
wir dürfen sagen, dass das Quasireticulat auf der Grenze steht 
zwischen der Zeit des ersten und der des zweiten Stils, dass 
aber der zweite Stil damals schon überwog. 

Bei dem vollständigsten Beispiel reinen Reticulatbaues (oben 
S. 10) fanden wir unzweideutige Spuren, dass der Decoration 
dritten Stils eine ältere, vermuthlich dem zweiten Stil ange- 
hörige — denn ein schwarzer Sockel müsste im ersten Stil sehr 
auffallen — vorherging. Die gleiche Bauart und gleichfalls eine 
Decoration dritten Stils zeigt die sogen. Accademia di musica 
(VI, 3, 7). Auch hier sind Veränderungen zu constatiren : zwischen 
dem Gang, der vom Atrium zu den hinteren Räumen führt und 
dem nördlich daran stossenden Zimmer ist eine Thür vermauert; 
die Thür, welche aus dem Zimmer in der Südostecke des Hauses 
nach Westen führt, ist verengert oder weiter nach Norden ver- 
legt worden; und zwar sind auch hier diese Veränderungen — 
namentlich bei der ersten ist es deutlich — älter als die Deco- 
ration dritten Stils. Und nach der in dem oben besprochenen 
Falle gemachten Erfahrung werden wir geneigter sein anzu- 



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Capto! !. 



nehmen, dass der Decoration dritten Stils eine ältere vorherging, 
als dass diese Aenderungen während des Baues, vor der Tunchung 
der Wände, vorgenommen wurden, wenu auch diese Möglichkeit 
nicht auszuschliessen ist. — Die an die Stadtmauer angebauten Theile 
der casa delle Vestali (VI, 1, 7), das dritte einigermassen aus- 
gedehnte Beispiel reinen Keticulats, tragen eine Decoration dritten 
Stils, ohne Spuren einer älteren. Setzen wir darauf hin das reine 
Reticulat in die letzte Zeit des zweiten und die erste des dritten 
Stils, so stimmt dies mit dem, was an römischen Gebäuden beob- 
achtet werden kann : auch hier finden wir auf Wänden dieser Art 
Decorationen zweiten Stils, wie in dem Hause des Germanicus 
und in dem weitläufigen Hause, welches eben jetzt (Juni 1879) 
durch die Tiberarbeiten im ehemaligen Garten der Farnesina auf- 
gedeckt wird, und dritten Stils, wie in dem sogen. Auditorium 
des Maecenas 1 ) und auf mancherlei Mauern, die in Rom gelegent- 
lich zu Tage kommen. 

Endlich auf Reticulat mit Ziegelecken ist keine andere De- 
coration als die der letzten Zeit Pompeji's erhalten; doch werden 
wir sehen, dass der erhaltenen Decoration des Pantheon eine 
andere vorhergegangen sein muss, welche wir, in Anbetracht 
der Erbauungszeit, 14 — 19 n. Chr., uns wohl sicher als im dritten 
Stil ausgeführt zu denken haben. DaRs hingegen in dem schon er- 
wähnten Hause VI, ins. occid. 36 die erhaltene Decoration letzten 
Stils auch die ursprüngliche ist, wird wohl niemand bezweifeln. 

Es mag noch erwähnt werden, dass sehr häufig bei Mauern 
aus Incertum, welche in verzahnte Pfeiler endigen, diese Ver- 
zahnungen mit Reticulat ausgefüllt sind: ein Verfahren, welches 
wohl nur auf einem Einfall des Arbeiters beruht. Nissen hat 
dies nicht beachtet und zieht deshalb (S. 247 f.) aus einem solchen 
Beispiel ganz unberechtigte Folgerungen. Einige Beispiele sind 
folgende: Die Südseite der Südostecke der Insel VI, 13; VII, 2, 20 
(domus Popidi Prisci) links am Eingang; VII, 3, 7, links 
am Eingang des Ladens; VII, 3, 25, links der Thür des Zim- 
mers rechts vom Eingang (hier aus Ziegel); VII, 10, 14, links 
der Thür; VII, 12, 14, auf der Ostseite der Nordostecke der 
Insel; IX, 4 (neue Thermen) an der Südwestecke. 

') Bull. (1. comm. arcb. lnunic. di Roma 1874, S. 137 ff. Vgl. meine 
Bemerkungen Bull. d. Inst. 1874, S. 141 ff. 1875, S. 89 ff. 



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Allgemeines. 



17 



4. Der gelbe Tuff. 



Ein von Schöne aufgestelltos Kennzeichen von Bauten aus 
der letzten Zeit Pompeji's ist oben nicht erwähnt worden: die 
Verwendung des dort nicht eben häufigen gelben, weichen Tuffs! 
Schöne sagt von diesem Material (bei Nissen S. 15): „Sein Ge- 
brauch scheint auf die letzten Zeiten der Stadt beschränkt. Das 
zeigt am deutlichsten diejenige Stelle, wo gelber Tuff am aus- 
gedehntesten verwendet ist, die (sUd-)östliche Ecke der Strada 
Stabiana und der Strada Nolana". Es wird dann nachgewiesen, 
dass dieser Bau der letzten Zeit Pompeji's angehört: eine An- 
nahme, welche durch- die neueren Ausgrabungen — es sind die 
Bull. d. Inst. 1877, S. 214 ff., 1878, S. 251 ff. beschriebenen un- 
vollendeten Thermen (IX, 4) — bestätigt worden ist. Weiter 
heisst es: „Vereinzelt findet sich gelber Tuff auch sonst noch 
und immer unter ähnlichen Verhältnissen. Diese Stellen sämmt- 
lich aufzusuchen und zu verzeichnen schien mir zwecklos". 

Dass sich der gelbe Tuff stets unter ähnlichen Verhältnissen 
findet, d. h. in Gebäuden, die auch aus anderen Gründen der 
letzten Zeit zugewiesen werden müssten, ist nicht genau. Und 
wenn unter den „letzten Zeiten" dio Zeit nach 63 zu verstehen 
ist — und so ist es doch wohl gemeint — so ist obige Behaup- 
tung unhaltbar. Es sprechen dagegen folgende Facta. 

1. Für den Bau des unter dem Namen Accademia di mu- 
sica bekannten Hauses (VI, 3, 7), namentlich des östlichen Theils 
desselben, ist viel Tuff verwandt worden, welcher an der Aussen- 
seite der Ostwand, vereinzelt auch im Innern, als Netzwerk er- 
scheint, mit Thürpfeilern und Ecken aus demselben Stein in Ziegel- 
form. Im Innern ist auch gelber Tuff ohne Unterschied mit zur 
Anwendung gekommen: aus ihm ist namentlich die Westwand des 
Zimmers (Triclinium), welches man, durch den hinteren (östlichen) 
Eingang eintretend, gleich zur Linken hat (es sind da die Bilder 
Heibig 1381, 1381 b ): offenbar gehört alles derselben Zeit an und 
ist auf einmal gebaut worden. Nun aber ist das ganze Haus, 
auch die aus gelbem Tuff bestehenden Theile, wie die erwähnte 
Wand, im Stil der dritten Periode der Decorationsmalerei aus- 
gemalt, uud wir mussten oben (S. 15) die Wahrscheinlichkeit, 

Mau. pomp^jan. »WMträu»'. 2 




18 



Capitcl I. 



wenigstens die Möglichkeit zugeben, dass dieser Decoration noch 
eine andere vorherging, dass also der Bau in noch frühere Zeit 
hinaufreicht. Wie dem aber auch sei, jedenfalls haben wir an 
der Epoche des dritten Decorationsstils eine sichere untere Zeit- 
grenze, es gehört mithin in diesem Fall der Bau aus gelbem 
Tuff keineswegs der letzten Zeit Pompeji's an. 

2. Das Haus VI, 14, 5 zeigt in keinem Theil eine besonders 
alte Bauart: wir finden Iueertum mit Eckpfeilern grösstentheils 
aus Ziegeln, die bisweilen auch mit ziegeiförmig behauenem 
Kalkstein wechseln; die Eckpfeiler zwischen Flur und Atrium 
bestehen aus ziegeiförmig behauenem gelben Tuff. Entsprechend 
der geringen Solidität des Steines erstreckt sich dies Mauerwerk 
ungewöhnlich weit über die beiden hie* zusammenstossenden 
Wände und nimmt so ziemlich die ganze Vorderwand des 
Atriums ein. 

Nun trägt die rechte Wand des Atriums eine Stuckdecoration 
im dritten Stil, welche zu den wenigen gehört, deren Alter wir 
bis zu einem gewissen Grade bestimmen können: die daselbst 
eingekratzten Inschriften bieten Consulate, welche bis zum Jahre 
17 n. Chr. hinaufreichen '). Also damals bestand diese Decoration 
schon, und wenn wir annehmen dürfen, dass man die nicht ohne 
Sorgfalt ausgeführte Wand, so lange sie neu war, mit diesen 
Kritzeleien verschont haben wird, so können wir sie immerhin 
als noch etwas älter betrachten. 

Es ist aber ganz klar, dass dieselbe Decoration auch die aus 
gelbem Tuff bestehende Mauer bedeckte : deutlich sieht man, wie 
sie an der Ecke umbog, wie die grobe Stucklage, welche noch 
jetzt die Tuffmauer bedeckt, die Fortsetzung ist derjenigen, welche 
der genannten Decoration als Grundlage dient, und zum Ueber- 
fluss ist am Boden ein Rest rothbemalten Stucks übrig geblieben, 
entsprechend dem rothen Streifen, welcher auf dem erhaltenen 
Stücke unter dem schwarzen Sockel sich hinzieht. — Es ist also 
klar, dass diese Tuffmauer vor dem Jahre 17 n. Chr. schon bestand. 

3. Im Peristyl der domus M. Gavi Rufi (VII, 2, 16) findet 
sich auf der linken Seite, ziemlich nach hinten, auch gelber Tuff 

') C. I. L. IV, 1552 — 1556. Es ist nicht richtig, wenn Zangomeistor an- 
giebt, einige dieser Inschriften seien in tectorio rudi: sie stehen auf im 
dritten Stil bemaltem Stuck; auch nicht in pariete summo. 




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Allgemeines. 



19 



in ziegeiförmigen Stücken verwandt. Der betreffende Pfeiler 
(zwischen zwei Thüren) hat seine Stuckbekleidung bewährt und 
ist, wie das ganze Haus, im zweiten Decorationsstil bemalt. 

4. Im Hause VII, 2, 11 besteht die Ostwand des letzten 
grossen Zimmers auf der linken Seite des nach der Theilung 
des Hauses als Eingangsraum und Werkstätte dienenden Peristyls 
in ihrem südlichen Theil aus Incertum, in welchem ausschliess- 
lich Lava verwandt ist, während das nördliche Ende, wohl in 
Folge theil weiser Zerstörung, aus gelbem Tuff ergänzt ist; den 
Abschluss bildet ein Ziegelpfeiler. Die ganze Wand aber, auch 
der aus Tuff bestehende Theil, ist im Stil der zweiten Decorations- 
epoche bemalt. Und dass gerade in diesem Hause die Malereien 
zweiten Stils einer älteren Epoche angehören, zeigt sich zum 
Ueberfluss in den Zimmern auf der Rückseite des Peristyls, wo 
die im zweiten und dritten Stil gehaltenen Decorationen der 
Rückwände evident älter sind, als die Wände, welche die Zim- 
mer trennen. 

5. Die Südmauer des meistens Pantheon, von Fiorelli 
Augusteum, von Nissen Macell um genannten Gebäudes, zeigt 
auf der Aussenseite Reticulat, unten aus grauem, oben aus gelbem 
Tuff. Die Verzahnung mit den Ziegelpfeilern des Südeinganges, 
welche den ältesten Ziegelpfeilern des Gebäudes gleichartig sind, 
beweist, dass diese Mauer nicht späterer Restauration, sondern 
dem ursprünglichen Bau angehört, welchen Nissen wohl mit 
Recht in die Jahre 14 — 19 n. Chr. setzt. 

6. Aus dem kleinen Hofe hinter der Frauenabtheilung der 
Forumsthermen führt ein niedriger gewölbter Gang unbekannter 
Bestimmung unter das Männercaldarium. Er theilt sich gleich 
im Anfang in zwei Arme, deren einer sich links wendet, der 
andere gerade aus unter die schola labri geht; unter der Mauer 
derselben ist dieser Arm später vermauert worden. Die Eingangs- 
wölbung des Ganges besteht aus gelbem Tuff und ist offenbar 
so alt wie die ganze Mauer ; diese selbst aber haben wir keinen 
Grund fiir jünger zu halten als den Bau der ganzen Thermen- 
anlage, den Schöne nach der Aehnlichkeit mit dem kleinen 
Theater in die sullanische Zeit setzt. Ferner finden sich an den 
Forumsthermen mehrfach Thürpfosten aus gelbem Tuff, nicht 
nur auf der Westseite, welche Schöne für jünger hält, aondorn 

2* 



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20 



Capitel t. 



auch in den Räumen oberhalb des Männerbades, in Verbindung 
mit dem für die erste Zeit der Colonie charakteristischen Quasi- 
reticulat aus Lava. 

Es ist durch diese Beispiele festgestellt, dass man seit den 
ersten Zeiten der römischen Colonie sich nicht scheute, den 
gelben Tuff als Baumaterial zu verwenden. 



Den vom Material und der Bauart hergenommenen Alters- 
kriterien hat Nissen in seinem dritten Capitel ein weiteres, sehr 
wichtiges hinzugefügt: das Mass. Seiner auf die Angaben der 
Feldmesser gegründeten Beweisführung, dass der oBkische Fuss 
0,275 M. mass, wird es schwer sein sich zu entziehen. Es ist 
ferner unzweifelhaft richtig, dass bei den älteren, vorrömischen 
Bauten Pompeji's die Mauerdicke durchweg 0,41 = V/ 3 Fuss os- 
kisch, bei den späteren 0,44 = 1% Fuss römisch beträgt, dass 
bei einer Anzahl von Bauwerken aus der letzten Zeit das römische 
Mass evident ist, und dass an älteren Bauten manche Masse sich 
zwanglos auf den oskischen Fuss reduciren lassen. Wenngleich 
in letzterer Beziehung Nissen's Angaben vielfacher Berichtigung 
bedürfen, so ist doch der Beweis, dass in älterer Zeit nach einem 
Fuss von 0,275 gemessen wurde, für geführt zu erachten. 

Welchen praktischen Werth haben nun aber diese beiden 
Masse als Alterskriterien? Principiell liegt die Sache einfach 
und ist von Nissen vollkommen klar gestellt: kein städtisches 
Gebäude mit römischem Mass kann vor, keins mit oskischem 
nach 80 v. Chr. entstanden sein, während im Privatbau der os- 
kische Fuss noch etwas länger angewandt worden sein kann. Ist 
aber jederzeit mit einiger Sicherheit festzustellen, nach welchem 
Mass gebaut ist? Durch Nissen's Darstellung erhält man den 
Eindruck, als brauche man überall nur die Messschnur anzulegen, 
um Masse zu finden, die sich entweder nur auf den oskischen 
oder nur auf den römischen Fuss mit Leichtigkeit reduciren 
lassen. Ist dies wirklich so? haben die pompejani sehen Archi- 
tecten mit einer solchen Genauigkeit nach Mass gearbeitet? 
Diese Frage verdient die genaueste Prüfung, da sie für die 



5. Römisches and oskisches Mass. 




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Allgemeines, 



21 



Metbode künftiger pompejauischer Studien von grösser Wichtig- 
keit ist. Kann nun auch eine erschöpfende Behandlung derselben 
hier nicht gegeben werden — die Beschallung aller hier in Be- 
tracht kommenden Masse würde mehr Zeit erfordern als der 
Verfasser dieser Schrift darauf verwenden konnte — so werden 
doch die folgenden Angaben jene durch Nisseu's Darstclluug 
hervorgerufene Vorstellung wesentlich berichtigen. Bei den zu 
Grunde gelegten Messungen lagen Nisseu's Angaben vor, und 
die häufigen Abweichungen von denselben sind jedesmal sorg- 
fältig constatirt worden. 

Ein sicheres Beispiel oskischen Masses bietet die sogenannte 
Curia Isiaca (nach Nissen Palaestra). Die Plätze der Säulen 
sind hier durch Querlinieu bezeichnet, welche, ehe die Säulen 
gesetzt wurden, den Centren derselben entsprechend, in den 
Stylobat eingeritzt wurden. Wir stellen zuerst die sich ent- 
sprechenden Distanzen der Nord- und SUdhalle einander gegen- 
über und lassen dann die der kürzeren Westhalle folgen. 

Nor.lhallo (vou 0.) Sudballe (von 0.) 



Die vorletzte Säule der Nordhalle steht vielleicht nicht an 
ihrem Platz; ebenso ist dies von der vorletzten der Westhai lc 
nicht ganz sicher. 

Die Summe der Distanzen auf der W'estseite — der einzig 
vollständig vorliegenden — ist 9,523 = 34' 8" osk. (32' 2" rom.). 
Den ganzen von der Säulenreihe eingenommenen Kaum erhalten 



2,695 

(2,67) 
(2,77) 



2,<>S5 

2,<;89 




2,689 

2,69 

2,695 

2,698 

2,1)94 

2,709 

2,740 



W^thulle (vou N.) 




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22 



Capitel I. 



wir durch Hinzuzählung eines Säulendurchmessers: 9,523 -j- 0,39 
= 9,913, wie auch bei Nissen berechnet ist, = 36' osk. (33' 
6" röin.). 

Die Ausdehnung der längeren Säulenreihen lässt sich eben- 
falls berechnen, und meine Rechnung giebt dasselbe Resultat 
wie die Nissen's. Die Summe der 7 vorliegenden Distanzen der 
Südseite ist 18,92. Es kann nach den Raumverhältnissen nicht 
zweifelhaft sein, dass noch 2 fehlen. Da nun die beiden ersten 
(W.) etwas grösser sind als die übrigen, so nehmen wir dies 
auch flir die letzten an und rechnen sie gleich jenen zu 5,454. 
Dann beträgt die Distanz der beiden äussersten Centren 24,374. 
Dazu ein Säulendurchmesser 0,39 giebt 24,704, was 90' osk. (24,75) 
noch näher kommt als die von Nissen berechnete Ausdehnung 
von 24,78. — Dieselbe Rechnung ergiebt flir die Nordseite 24,711, 
so dass die Ausdehnung der Säulenreihen auf 36 und 90' osk. 
wohl als sicher gelten kann. 

Die Theilung von 90' in 9 Intercolumnien würde sehr ein- 
fach gewesen sein, wenn nicht, um von Centrum zu Centrum 
rechneu zu können, von obiger Summe ein Säulendurchmesser 
0,39 (l f 5") subtrahirt werden müsste. So musste die Distanz 
jedesmal etwas weniger als 10' betragen; man knappte von den 
beiden ersten Distanzen, nach einer auch sonst — z. B. in der 
Basilica — zu beobachtenden Praxis, nur ganz wenig ab, von 
den übrigen je c. 2": so haben diese Distanzen keinen Anspruch, 
ein rundes Mass zu repräsentiren. — In der Westreihe mussten 
von 9' (m. 2,475) je etwa 4" abgezogen werden, was auch mit 
geringer Ungleichmässigkeit geschehen ist. 

Es scheint sicher, dass der Architect in seinem Plan von 
dem Verhältniss der Säulenreihen (2 : 5) ausging: die Länge 
und Breite des ganzen Hauptraumes (mit Ausschluss der Zimmer 
im W.) stehen yi keinem so einfachen Verhältniss, was sich natür- 
lich daraus erklärt, dass sie nur durch HinzufÜgung von je 28' 
(doppelte Breite der Porticus) zur Länge der Säulenreihen ent- 
standen sind. So ergeben sich 64 X 118'. Meine Messung stimmt 
ziemlich mit dieser Zahl: Breite im 0. 17,52 (63' 8V 3 " osk.), im 
W. 17,56 (63' 10" osk.); Länge in der Linie der nördlichen 
Säulenreihe 32,18 (117' osk.). Auch die Hinzurechnung der Mauer- 
dicke giebt keine rundercu Verhältnisse. 




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Allgemeines. 



23 



Die Breite des Haupteingangs mass ich 1,045 (Nissen 1,65) 
was 6 Fuss oskisch — die Nissen's Messung genau entsprechen 
würden — so nahe kommt, dass dies als das beabsichtigte Mass 
gelten kann. 

Unzweifelhaft oskisch sind nach Nissen (S. 171) die Masse 
der Portiken des Isistempels: die Schmalseite 13,75 = 50', die 
Langseite 16,50 = 60'. Doch sind diese Masse nicht genau. 
Die Westporticus, zwischen den Centren der Ecksäulen, misst 
13,50, die Ostporticus 13,65; dazu ein Säulendurchmesser, giebt 
13,85 und 14,00. Die Südporticus misst 16,25, die Nordporticus 
16,35, resp. 16,60 und 16,70. Wir haben also hier keineswegs 
genau zutreffende runde Grössen, sondern nur eine freilich sehr 
auffallende Annäherung an dieselben. Wollen wir eine solche 
Annäherung nicht für zufallig halten, so ertheilen uns doch diese 
Portiken eine eindringliche Lehre in Betreff der Genauigkeit, mit 
welcher die beabsichtigten Masse innegehalten wurden: die Ab- 
weichungen sind so gross, dass jede Beweiskraft wegfallen 
würde, wenn es sich nicht um so runde Zahlen wie 50 und 60 
handelte. 

Die Hauptcolonnade der Stabianer Thermen misst nach Nissen 
(S. 156) 34,37 = 125' oskisch. Genauer jedoch misst sie von 
Centrum zu Centrum 33,90: dazu ein Säulendurchmesser mit 0,42 
giebt 34,32 = 124' 5" oskisch. lndess so gut wie die 50 und 
60' des Isistempels mögen wir auch hier 125' als beabsichtigt 
gelten lassen, müssen dann jedoch die hier wie dort constatirte 
Ungenauigkeit der Ausfuhrung als sehr bemerkenswertlies Factum 
wohl im Gedächtniss behalten. Die übrigen von Nissen S. 156 
nach Breton angeführten und auf den oskischen Fuss reducirten 
Masse der Stabianer Thermen kann ich nicht controliren. 

Besonders überzeugend scheinen die von Nissen (S. 258) auf 
Grund der Angaben Breton's berechneten Masse der Gladiatoren- 
kaserne: Länge 55 M. = 200', Breite 41,10 = 150'. Doch sind 
leider diese Messungen nicht genau: die wahren Dimensionen 
des ganzen Raumes sind folgende: 



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24 



Capitel I. 



Meter oskiscb römisch 

östl. Länge . 55,83 = 203' (+0,005) = 188' 7" (+ 0,009) 
westl. Länge 56,075 = 203' 11" (_o,oo3)- = 189' 5" (+0,008) 
nördL Breite 45,03 = 163%' (-0,003) = 152' 2%" 
sttdl. Breite. 45,32 = 164%' (+0,013) = 153' 1" (+0,007) 
Auch flir die Länge der Säulenreihen ergiebt sich kein Re- 
sultat; dieselbe beträgt 

Meter oskiscb römisch 

im Osten . . . 48,10 = 174' 11" (-0,003) = 162%' 
im Westen . . 47,945 = 174' 4" (+0,003) = 162' (-0,007) 
im Norden . . 36,57 = 133' (-0,005) = 123' 7" (-0,011) 
im Süden . . . 36,75 = 133' 8" (-0,009) = 124' 2" (-0,003) 
Und wenn wir von diesen Massen je einen Säulendurch- 
messer mit 0,515 abziehen, d. h. nur die Entfernung der Centren 
der Ecksäulen in Rechnung bringen, so erhalten wir 

Meter oskiscb römisch 

im Osten .... 47,585 = 173' (+0,01) = 160%' (-0,003) 

im Westen . . . 47,43 — 172 V./ (-0,008) = 160%' (-0,005) 

im Norden . . . 36,055 = 131' 1" (+0,007) = 121' 10" (-0,008) 

im Süden .... 36,235 = 131%' (+0,003) = 122' 5" 

Die Säulendistanzen (von Centrum zu Centrum) sind ungleich- 
massig; sie variiren im Osten von 2,20 bis 2,43 (Durchschn. 2,265), 
im Westen von 2,14 bis 2,33 (Durchschn. 2,258), im Norden von 
2,17 bis 2,35 (Durchschn. 2,253) , im Süden von 2,21 bis 2,39 
(Durchschn. 2,264): Gesammtdurchschnitt 2,26. Auch hier also 
kein Resultat; denn 2,269 sind = 8%' osk. = 7%' röni. 

Am Venustempel ist der Unterbau 80 Fuss lang, die seit- 
lichen Umgäuge je 10 Fuss breit, der Eingang 12 Fuss weit: 
auch hier wird der Schluss berechtigt seiu, dass der Tempel 
nach oskischem Mass gebaut ist. Wenn dagegen Nissen auch 
für die den Tempelhof vom Forum trennende Reihe von Pfeilern 
mit den dazwischen liegenden Oeffuungen denselben Beweis führen 
will, so werden schon die vielen Brüche (Nissen S. 220. 221) 
misstrauisch machen. Der Venustempel soll weiterhin in einem 
eigenen Abschnitt behandelt und dabei nachgewiesen werden, 
dass diese letzteren Masse Rieh eben so leicht auf den römischen 
wie auf den oskischen Fuss zurückfuhren lassen. 



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Allgemeines, 



25 



Einige Masse der Basilica scheinen sehr beweisend. Wenn 
auch die Länge des Hauptraums nicht genau 200, sondern etwas 
über 199 Fuss beträgt, so ist es doch auch hier schwer, die An- 
näherung an eine so runde Zahl für zufällig zu halten. Ferner 
sind die den Seitenschiffen entsprechenden Eingänge der Ostseite 
10 Fuss weit. Das nähere darüber soll in dem betreffenden 
Abschnitt dargelegt werden: es wird sich dabei zeigen, dass auch 
bei diesem sorgfältig ausgeführten Bau die beabsichtigten runden 
Masse keineswegs genau innegehalten sind, dass daher die Re- 
duction der wichtigsten Dimensionen auf oskisches und römisches 
Mass kein sicheres Resultat ergiebt. 

Nissen (S. 89 f.) glaubt beweisen oder doch sehr wahrscheinlich 
machen zu können, dass der alte Tempel auf dem Forum trian- 
guläre nach oskischem Mass erbaut, und zwar dass er ein Ileka- 
tompedos war. „Auf der obersten Stufe gemessen beträgt die 
Breite 17,25 M., die Länge 27,30 M. — Allein die Einfassung 
der Stufen ist in tollster Weise zusammen gewürfelt .... die 
alten Tuffstufen sind nur theil weise in den unteren Lagen au 
der östlichen Laug- und Schmalseite erhalten. Wir sind voll- 
kommen berechtigt den ursprünglichen Stylobat um 0,15—0,20 
breiter und länger anzusetzen .... Die jetzige Länge von 27,30 
streift zu nahe an 100' oskisch, als dass hier ein blosser Zufäll 
walten könnte .... Setzen wir den Durchmesser (der Säulen) 
zu 1,2375 = 4 1 //, so ergiebt sich für die Langseite das luter- 
columnium zu V/ l0 Durchmesset, die Länge der Säulenreihe 99', 
dazu an beiden Enden ein freier Rand, von je '//• L)as Schema 
wäre also 

i + (11 X 41) + 10 fti X 4*) + 4 = 1W = 27,50 M." 

Wir begegnen hier dem gefährlichen, von Nissen mit Vorliebe 
angewandten Argument, dass dies oder jenes nicht zufällig sein 
könne. In diesem Falle lässt sich der Gegenbeweis auf das be- 
stimmteste führen. 

Es ist richtig, dass der Unterbau vielfach, und wie es scheint 
modern, geflickt ist: wenigstens konnten auf diesen Steinen die 
Säulen nicht stehen. Am besten ist die Erhaltung an der nord- 
östlichen Langseite, wo auch die oberste Stufe, da wo die beiden 
SäulenstUmpfe stehen, alt ist. Diese ist sonst nirgends erhalten; 



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26 



Capitel L 



doch ist von den unteren Stufen auf der südöstlichen Schmal- 
seite und der südwestlichen Langseite genug vorhanden, und die 
Breite derselben (0,40 — 0,41 = l 1 /,' oskisch) steht hinlänglich 
fest, um die ursprüngliche Ausdehnung der Oberfläche ziemlich 
genau bestimmen zu können: sie kann von der jetzigen nur ganz 
unwesentlich verschieden gewesen sein, und es ist ganz unmög- 
lich, die Breite um 0,15—0,20 , d. h. um die halbe Breite einer 
Stufe, grösser anzunehmen. Etwas anders steht es mit der Länge : 
auf der Nordostseite ist wohl kein Stein alt, wir müssen also, 
um hier die ursprüngliche Ausdehnung zu finden, andere Er- 
wägungen anstellen, für welche glücklicherweise das Material 
vorhanden ist. 

Die jetzige Länge ist NO. 27,15, SW. 27,185, die Breite SO. 
17,20, NW. 17,18. Das Intercolumuium, am Boden gemessen, 
beträgt 1,386; subtrahiren wir dies von der am Stylobat sicher 
messbaren Entfernung der Säulencentreu , 2,57, so erhalten wir 
deu Durchmesser (ganz unten) mit 1,185. Das hintere Ende der 
nordöstlichen Säulenreihe musste mithin vom Oentrum der er- 
haltenen vorletzten Säule noch 2,57 -f 5 = 3,162 entfernt 

sein. Die Entfernung von diesem Punkte (0,098 vom jetzigen 
Nordrande) bis zum Vorderrand müsste nach Nissen (bei einem 
Rande von wie er ihn annimmt) 99*// = 27,362 betragen, 
beträgt aber in Wirklichkeit nur 27,052, es müsste also vorn 
eine Verkürzung um 0,31 , d. h. um c. % der Breite einer Stufe, 
stattgefunden haben, eine Annahme, die nach dem oben Gesagten 
ganz unstatthaft ist. Nur hinten ist die alte Ausdehnung nicht 
festgestellt; es bliebe also, um die 100' zu retten, nichts anderes 
Übrig, als hier eine Verkürzung um 0,31 anzunehmen, so dass 
hier am Fuss der Säulen ein freier Rand von 0,098 -f 0,31 = 0,408 
geblieben wäre. Dies aber ist gänzlich unglaublich. Denn da die 
Säulenreihe nach unserer Rechnung (10 X 2,57) -f 1,185 = 26,885 
lang, ihr nördlicher Endpunkt aber vom Vorderrande des Sty- 
lobats 27,052 entfernt war, so bleibt vorn nur ein Rand von 
0,167 übrig: in Wahrheit mag er vielleicht, wenn die Distanzen 
und Durchmesser der Säulen nicht ganz gleich waren, 0,138 = '/,' 
betragen haben; der Rand an den Langseiten misst 0,11. Dass 
nun dem an der Rückseite ein dreimal so breiter Rand ent- 



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Allgemeines. 



27 



sprochen haben sollte, ißt bei einem von allen Seiten frei stehenden 
und sichtbaren Tempel nicht anzunehmen und wäre wohl ohne 
Beispiel. 

War hinten und vorn der von uns berechnete Rand von 
0,167, so betrug die Gesanimtlänge 27,219 = 99' (— 6 MilL). Sie 
stellt sich auf 27,19 = 98' 10'/,", wenn wir den Rand zu 0,138 
annehmen. Endlich dürfen wir die Möglichkeit nicht ausschliessen, 
dass der vordere und hintere Rand dem der Laugseiteu (0,11) 
gleich war: dann ergiebt sich eine Länge von 27,162 = 98%. 
Die Breite beträgt reichlich 62 y/. • 

Die von Breton angegebene Weite der Thür des Pronaos, 
2,20, lässt sich auf die runde Zahl von 8' oskisch reducireu. 
Doch misst diese Thür 2,50'): eine Grösse, welche 9' oskisch 
um 0,025 überschreitet. Im übrigen erschwert die Geringfügig- 
keit der vorhandenen Reste eine genügende Untersuchung : etwas 
mehr würde sich wohl feststellen lassen, wenn man sie von der 
manches verbergenden Erde befreite. — Die Mauer der Cella 
ist da, wo sie an der Nordseite gut erhalten ist, 0,66 = V 5", 
an der Rückseite (Lava) 0,74 = 2 a /,' (+ 6 Mill.) dick. — Die Länge 
des eigentlichen, von Mauern umschlossenen Gebäudes ergiebt 
sich mir folgendermassen : 

Von der Schwelle des Pronaos 

(incl.) bis an die der Cella . 5,36 

Schwelle der Cella 0,40 

Tiefe der Cella 6,97 (25 '//) 

Rückwand 0,74 

13,47 = 49' (— 5 Mill.). 
Die innere Breite der Cella (in der Westecke sind Reste der 
Stuckbekleidung und des Fussbodens aus opus Siguinum er- 
halten) ist 4,16 = 15' iy f ". In der Mitte der Rückwand war 
nach der Aussenseite ein Vorsprung, dessen Reste aus 2 Quadern 
bestehen, einer (0.) aus Kalkstein, der anderen aus Tuff; dieselben 
springen um 0,46 = V/J vor die Mauer vor; Breite 1,60 = 5%' 
(— 4 Mill.). Die Verschiedenheit des Materials weist deutlich 



') Ich verdanke dies Mass A. Sogliano, den ich um Vcrih'eirun«r der Breton- 
schen Angabe bat. Um die Schwelle messen zu können, musste erst die Erde 
entfernt werden. 



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28 



Caj.itel I. 



auf eine von Anfang au in Aussicht genommene Stuck bekleidung. 
Rechnen wir diesen Vorsprung ein, so stellt sich die Länge des 
Gebäudes, ohne die Umgänge, auf 50% Fuss. 

Sollen wir nuu wieder sagen, die Annäherung dieser letzten 
Grösse an f)0, die der Gesammtlänge an 100 Fuss könne nicht 
zufallig sein? Sollen wir die Abweichung auf ungenaue Ausfüh- 
rung schieben? In diesem Falle, bei einem Tempel, wo, wie 
Nissen richtig bemerkt, die Hundertzahl eine sacralo Bedeutung 
haben musste, bei gänzlich freier Lage, wo die genaueste Aus- 
führung durch nichts behindert war, wurde dies Auskunftsmittel 
doch sehr grosse Bedenken haben. Es würde nahe liegen zu 
sagen: wenn die Annäherung an 100 Fuss nicht zufallig, wenn 
der Tempel ein Hekatompedos ist , so ist er nach einem noch 
etwas kleineren Fusso gebaut worden: eine Annahme, die freilich 
sonst durch nichts unterstützt wird. 

Wer aber doch hier 100 Fuss für beabsichtigt halten will, 
der wird um so mehr einer Folgerung beistimmen müssen, die 
wir schon aus unseren Beobachtungen beim Isistempel und bei 
den Stabianer Thermen ziehen können. Wenn hier eine so be- 
deutende Abweichung vom beabsichtigten Mass möglich war, 
welchen Grad von Genauigkeit dürfen wir dann da erwarten, 
wo das bestimmte Mass keine solche Bedeutung hatte, wo man 
sich ferner allerlei localen Bedingungen anbequemen musste? 
Wenn die alten Architecten so wenig genau nach Mass arbeiteten, 
so ist es reiner Zufall, wenn sie einmal dasselbe genau inne 
gehalten haben. Es ergiebt sich uns daraus die Regel, dass dem 
blossen Aufgehen eines Masses in ganze oder gar in halbe oskische 
oder römische Fuss nur bei kleinen Entfernungen irgend welche 
Beweiskraft innewohnen kann : so wie die Entfernungen wachsen, 
müssen wir uns auf Ungenauigkeiten gefasst machen, welche der 
DilTerenz zwischen der scheinbar sich ergebenden Grösse und 
der nächsten Fusszahl des anderen Masses leicht gleich kommen 
können. Bei einigermasseu grösseren Entfernungen sind die 
Reductionen nur dann als Argumente für die Auwendung des 
einen oder anderen Masses brauchbar, wenn sie sich runden und 
au sich überzeugenden Grössen — wie oben 50, GO, 125 Fuss, 
iu auffallender Weise nähern. Ein grosser Theil der bei 
Nissen als beweisend angeführten Reductionen wird durch diese 



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Allgemeines. 20 

Regel, für die wir noch manche Bestätigung finden werden, 
beseitigt. 

Vom Jupiter- und Aesculaptempel wird weiterhin die Rede 
sein. Beide sind, wie Nissen glaubt, evident nach oskischem 
Mass erbaut: es wird gezeigt werden, dass bei keinem von beiden 
dieser Beweis erbracht werden kann. Beim Aesculaptempel er- 
giebt sich das merkwürdige Resultat, dass seine Dimensionen 
von aussen gemessen, wie Nissen thut, oskisches, von innen 
römisches Mass zu ergeben scheinen. 

An den Privathäusern hebt Nissen mit Recht als besonders 
beweiskräftig hervor die Länge der Facade, die Thlirweite und 
die Dimensionen des Hofes (Atrium) : hieraus sucht er S. 87 f. zu 
erweisen, dass die ältesten Häuser (Kalksteinatrien) nach oski- 
schem Fuss erbaut sind. 

Nissen giebt S. 87 die Masse von 14 Facaden, von welchen 
sich 12 auf ganze, 2 auf halbe oskische Fuss reduciren lassen, 
der Art, dass nur zweimal die geforderte Grösse um 0,02 über- 
schritten ist. Gewiss ein höchst wichtiges und eminent beweis- 
kräftiges Resultat. 

Doch ist vor allem eins zu bemerken. Die Länge der 
Facade geht nicht auf den Bau, sondern auf die Assignatiou 
zurück: von einem Zwischenraum zwischen den Häusern (ani- 
bitus) ist, wie Nissen richtig hervorhebt, in Pompeji keine Spur, 
sondern die Front entspricht und entsprach von Anfang an der 
ganzen Strassenseite des dem Bürger zugewiesenen Grundstücks. 
Da nun, wie auch von Nissen hervorgehoben ist, die Stadt durch- 
aus mit parietes communes erbaut ist, der Art, dass hinter 
jeder Strassenfront eine Seitenmauer steht, so darf, um obige 
Grösse zu finden, eben auch nur eine Seitenmauer mitgemessen 
werden. Die von Nissen angegebenen Masse umfassen aber im 
Allgemeinen, wie aus seiner Besprechung der betreffenden Häuser 
hervorgeht, beide Seitenmauern; einmal (No. 18) ist keine der- 
selben, die hier beide hinter den Facaden der Nachbarhäuser 
stehen, eingerechnet; in drei Fällen (47, 48, 49) geht aus seiner 
Darstellung nicht hervor wie er gemessen hat; indess zeigt die 
Vergleichung mit meiner Messung, dass bei 47 wohl beide, bei 



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30 



Capitel I. 



49 keine Seitenmauer mitgeniessen ist. Die 15,95 von 48 um- 
fassen ohne Zweifel beide: hier wie bei 11 habe auch ich beide 
mitgemessen, da diese Häuser jedes am Ende einer Insula liegen 
und doshalb ausser dem eigentlichen pari es communis noch 
eine Strassenmauer hinter ihrer Front haben. Daraus ergiebt 
sich, dass die von Nissen gefundenen Masse sämmtlich um 0,41 
= l 1 // reducirt werden müssen, so dass nun überall, wo nur 
ganze Fuss vorzuliegen schienen, der Bruch von eintritt, und 
umgekehrt. Schon hierdurch, und indem so eine Anzahl runder 
Grössen (24, 36, 50, 56) verloren geht, wird die Ueberzeugungs- 
kraft des Nissen'schen Resultats vermindert. 

Ferner sind Nissen's Messungen nicht immer ganz genau. 
Suchen wir die wirklichen Masse der Facaden auf den oskischen 
und auf den römischen Fuss zu reduciren, so ergiebt sich keines- 
wegs ein entschiedenes Resultat zu Gunsten des ersteren, wie 
die folgende Uebersicht zeigt. In derselben sind bei Nissen's 
Messungen, wo nichts bemerkt ist, beide parietes communes, 
bei den meinigen einer einbegriffen. Der römische wie der 
oskische Fuss ist, um eine genauere Reduction zu ermöglichen, 
in 12 Zoll getheilt; in Klammern sind die Abweichungen des 
effectiven Masses von der Grösse, auf welche es reducirt ist, 
angegeben. Die Zahlen der ersten Columne beziehen sich auf 
das Verzeichniss der Kalksteinatrien bei Nissen Cap. XX. 



Nissen. 



Meter 




oskisch 


meine Messung 


oskisch 




römisch 


l. 15,40 




56' 


15,06 




54' 9" (+o,oo3) 




50' 11" 


(-0,011) 


5. 12,(55 




46' c. 


12,87 (2 p.c.) 




46' 10" (-0,01) 




43' 6" 


(- 0,006) 


6. 14,03 




51' 


14,91 (2 p.c.) 




54' 3" (-0,009) 




50' 4" 


(+ 0,011) 


11. 10,31 




37«/.; 


10,35 (2 p.c.) 




37' 8" (- 0,009) 




35' 


(— 0,010) 


13. 12,93 




47' 


12,55 




45' 8" (- 0,009) 




42' 5" 


(- 0,005) 


14. 9,09 




33' 


8,56 




31' 2" (-0,011) 




28' 11" 




16. 9,07 




33' 


8,53 




31' ( + 0,005) 




28' 10" 


(+ 0,006) 


18. 6,60 




24' (ohne p.c.) 


6,60 (oh. p.c.) 




24' 




22' 4" 


(- o,o") 


26. 9,90 




36' 


9,35 




34' 




31' 8" 


[— 0,011) 


40. 13,74 




50' 


13,07 




47'/./ (+0,007) 




44' 2" 


(— 0,003) 


47. 9,35 




34' \ 


8,97 




32' 7" (+0,009) 




30' 4" 


(- 0,009) 


48. 15,95 




58'} PC? 


16,067 (2 p.c.) 




58' 5" (+o,oo-2) 




64' 3" 


(+ 0,009) 


49. 9,90 




36' (whi.oh.p.o.) 9,85 (oh. p.c.) 




35' 10" (-0,006) 




33' 3" 


(+ 0,006) 


55. 13,88 




50'/; 


13,78 (»p.«.) 




50' 0,007) 




46' 7" 


( - 0,009) 



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Allgemeines. 



31 



Es können also von diesen 14 Facaden drei (IG. 18. 26) 
einigermassen genau auf den Fuss von 0,275 reducirt werden; 
ob aber 16 je die Strassenseite eines alten Grundstücks reprä- 
sentirte, ist mehr als zweifelhaft: die Facade ist jetzt in dieser 
Länge massiv, das Haus aber dehnte sich schon in der Kalkstein- 
periode nach beiden Seiten weiter aus. Und bei 18 ist keine 
Zwischenmauer mitgerechnet, weil keine hinter der Facade steht; 
wenn die östliche ursprünglich zu dem Grundstück gehörte, so 
erhalten wir 25 V, statt 24. Dem gegenüber lässt sich 11 besser 
auf den römischen Fuss reduciren; drei (1. 49. 55, davon 49 ohne, 
55 mit 2 p. c.) nähern sich so ziemlich einer runden Grösse 
oskischen, drei (6. 40. 47) einer solchen römischen Masses; für 
die übrigen (13. 14. 48) ergiebt keine der beiden Reductionen ein 
wahrscheinlicheres Resultat als die andere. Es muss also der 
von der Länge der Facaden hergenommene Beweis als gänzlich 
verfehlt bezeichnet werden. 

An zweiter Stelle untersucht Nissen die Thürweite. Hier 
durfte mit grösserer Sicherheit ein Resultat erwartet werden. 
Die Thürweite konnte vom Architecten frei bestimmt werden, 
mit Rücksicht theils auf Zweckmässigkeit, theils auf ein ange- 
messenes Verhältniss zur Facade und zu den Dimensionen des 
Atriums. Auch hier mussten Nissen's Messungen vielfach be- 
richtigt, ferner die Gegenprobe der Reduction auch auf den 
römischen Fuss angestellt werden. Das Resultat ist aus der 
folgenden Uebersicht der von Nissen S. 87 f. aufgezählten Thür- 
weiten ersichtlich. Bei einer (1) ist die ursprüngliche Ausdehnung 
rechts nicht ganz genau festzustellen. Da eine Reduction auf 
z. B. 5*/, a Fuss keine Wahrscheinlichkeit hat, so sind keine an- 
deren Brüche angenommen worden als V 4 , '/,, 3 / 4 » V 3 > V 3 i die 
eingeklammerten Zahlen bezeichnen diejenige Grösse, welche 
dem angenommenen oskischen oder römischen Mass genau ent- 
sprechen würde. Ungenauigkeiten sind zugelassen bis zu zwei 
Centimetern. 



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32 



Capitel I. 



I. 

5. 
8. 
17. 
I). 21. 
60. 
27. 44. 
42. 48. 
55. 

12. 20. 47. 
28. 
11. 
10. 
52. 53. 
3. Ii». 24. 25. 40. 

4. 
6. 
26. 
13. 31. 
16. 
23. 
58. 
49. 
14. 
50. 
56. 
41. 



8 ) 



Mrtor nach im 

Messung 

(2,47) 
2,20 
2,02. r i 
2,01 
2,0 
1,96 
1,90 
1,8«! 
1,86 
1,78 
1,77 
1,76 
1,685 
1,66 
1,65 
1,64 
1,63 
1,62 
1,60 
1,59 
1,51 
1,50 
1,43 
1,38 
1,26 
1,24 
1,23 



tner 
oskisch 

9' (2,475) 

8' 

7'/ 3 (2,017) 

W (1,994) } 



6 3 // (UM) 

6'/./ (.,788) 

6V» (»,«») 

6' (l,«50) 



rüioisch 
7'// (M*) 

6»/ 4 ' (2,001) 
6»/,' (1,973) 

6Vf (U«5) 
6 1 /*' (l,»50) 

6' (1,77«) 

5 2 / 3 ' (',«") 



5»/; (i/m) 



5 3 // (',582) 

5«/; (M») 

5»/ 4 ' (1,444) 
5' (1,375) 

4W (1,238) 



5' (1,480) 

4%' (',381) 
4'/,' (',258) 



Es ergiebt sich aus dieser Uebersicht, dass von den 38 Thür- 
weiten 19 sich besser auf oskisches als auf römisches Mass re- 
duciren lassen, und zwar 11 (1. 5. 52. 53. 3. 19. 24. 25. 40. 4. 14) 
auf ganze, drei (23. 56. 41) auf halbe Fuss, 6 (8. 13. 31. 16. 49) 
mit kleineren Brüchen. — Denen stehen 9 gegenüber, die besser 
in den römischen Fuss aufgehen, und zwar 2 (28. 11) in ganze, 
2 (6. 26) in halbe Fuss, 5 (60. 42. 48. 10. 50) mit kleineren Brüchen; 
und von diesen können 28 und 6 ohne allzu grosse Ungenauigkeit 
auch auf 6 und 6' osk. reducirt werden. Von den 10 übrigen lassen 
sich Nn. 12. 20. 47. 58 gleich gut auf halbe oskische wie auf ganze 
römische Fuss reduciren, 4 (17. 9. 21. 55) geben in beiden Massen 
kleinere Brüche, während endlich No. 44 iu keinem ein brauch- 



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Allgemeines. 



33 



bares Resultat giebt. Also hier tritt allerdings das oskiscbe Mass 
häufig sehr deutlich hervor. 

Dabei ist ferner zu beachten, dass die in den oskischen 
Fuss aufgehenden Thürweiten vorzugsweise den Quaderfacaden 
sorgfaltig gebauter Häuser angehören; 1, casa del chirurgo; 
5, casa degli scienziati; 40, domus M. Spuri Mesons; 
4, casa del naviglio (Seitenthür); 14, massive Fa$ade VI, 11; 
52. 53, zwei ganz gleiche Thüren in zwei gleichen Quaderfacaden 
IX, 1. Sehr bemerkenswerth und überzeugend ist ausserdem die 
so häufig mit nur geringen Ungenauigkeiten wiederkehrende 
runde Grösse von 6 Fuss. 

Was nun die leichter auf den römischen Fuss reducirbaren 
Masse betrifft, so ist natürlich nicht daran zu denken, dass diese 
unzweifelhaft alten Häuser nach römischem Fuss gebaut sein 
sollten; nur No. 58 ist jüngeren Datums. Wir müssen also 
entweder annehmen, dass hier nicht gemessen, sondern nach 
Augenmass gearbeitet ist, oder dass die beabsichtigten Masse 
sehr ungenau zur Ausführung gelangt sind. — Wenn nun aber 
so viel Ungenauigkeit und Willkür constatirt ist, wenn ferner 
constatirt ist, dass durch diese Willkür, also durch Zufall, Masse 
entstanden sind, welche sehr annehmbaren Grössen römischen 
Masses mit hinlänglicher Genauigkeit entsprechen, dürfen wir 
da dem Zufall die Fähigkeit absprechen, auch gelegentlich an- 
nehmbare Grössen oskischen Masses hervorzubringen? Und 
dürfen wir unter diesen Umständen Zahlen wie 7'/,, 7'/ 4 etc. 
noch für beweisend halten, da sie doch von 67 4 , 6*/,' römisch 
so wenig entfernt sind, dass die kleinste Ungenauigkeit die beiden 
Masse confundiren konnte? Vielmehr müssen wir, um die Thür- 
weite chronologisch zu verwerthen, uns an die Masse halten, 
welche mindestens auf halbe Fuss, ohne bedeutenden Rest (etwa 
0,01) sich reduciren lassen. Dann aber bleiben von den 38 Thür- 
weiten nur 14 übrig, in denen der oskiscbe Fuss mit hinläng- 
licher Klarheit zu Tage tritt, und es wird deutlich, dass der 
Werth des Masses als Alterskriterium auch hier ein beschränk- 
terer ist, als es bei Nissen den Anschein hat. 

An dritter Stelle hebt Nissen die Dimensionen des Hofes 
(Atrium) hervor, indem er mit Recht darauf hinweist, dass diese 

Mau, pompejan. Beiträge. 3 



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34 



Capite) I. 



eine besondere Beweiskraft haben; dann nämlich, wenn sich aus 
ihrer Untersuchung ein deutliches Resultat ergiebt. Hier konnte 
der Architect frei disponiren : die umliegenden Kammern mussten 
sich mit dem Raum begnügen, der eben übrig blieb; und wir 
lernen aus Vitruv, dass man auf gute Verhaltnisse des Atriums 
Gewicht legte. Nissen giebt die Masse von 10 alten Atrien, 
indem er sehr verständig diejenigen bei Seite lässt, deren Breite 
der des ganzen Hauses gleich ist. Ich gebe auch hier die ge- 
nauen Masse und die denselben zunächst liegenden einigermassen 
runden Grössen in römischen und oskischen Fussen. 



Oskisch. 



Römisch. 



1 

1. 


T 1 1 11 m\ VA Ahfü 

L*ange rccuis 


<» 71 
















links 


9,75 


9,763 




35%' 


9,768 




33' 




Breite vorn 


8,25 







30' 










hinten 


8,20 








8,288 




28' 


o. 


Ljange reciits 


Q Q7 

«7,«/ 1 
















links 


10,0 


10,038 




36%' 


10,065 




34' 




Breite vorn 


8,32 
















hinten 


8,20 


8,25 
* 





30* 


8,28 





28' 


9. 


Länge rechts 


10,70 
















links 


10,00 


10,725 




39' 


10,656 




36' 




Breite vorn 


8,65 
















hinten 


c. 8,70 


8,663 




31V,' 


8,732 




29%' 


5. 


Länge rechts 


10,1)0 
















links 


10,81 


10,863 




39'/,' 


10,804 




36'/./ 




Breite vorn 


8,09 
















hinten 


8,19 


8,113 




29'/,' 


8,14 




27'// 


7. 


Länge rechts 


7,61 
















links 


7,51 


7,563 




27 V/ 


i ,o48 




25%' 




Breite vorn 


5,50 






20' 










hinten 


5,62 








5,626 




19' 


29. 


Länge rechts 


8,95 
















links 


8,91 


8,962 




32' 


8,88 








Breite vorn 


6,60 






24' 










hinten 


6,63 








6,66 




22%' 




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• Allgemeines. 



35 



Oskisch. Romisch. 



37. 


Länge rechts 


11,47 














links 


11,43 


11,413 


= 


41'/,' 


11,39 


= 38%' 




r> reite vorn 














hinten 


7,88 


7,975 




29' 


7,844 


= 26V.' 


• 

2. 


Länge rechts 


9,73 














links 


9,60 


9,025 


= 


35' 


9,020 


= 32'/; 




Breite vorn 


7,H7 














hinton 


7,90 


7,838 




28V.' 


7,844 


= 26'/.' 


30. 


Länge rechts 


8,12 














links 


8,17 


8,112 


= 


29V./ 


8,140 


= 27%' 




Breite vorn 


7,42 














hinten 


7,42 


7,425 




27' 


7,44 


= 20' 


40. 


Länge rechts 


0,59 














links 


6,56 


6,60 




24' 


0,512 


= 22' 




Breite vorn 


0,73 


0,738 




24%' 


6,808 


= 23' 




hinten 


? 













Die Untersuchung ist hier etwas complicirter. Wir hahen 
nicht nur zu fragen, auf welchen Fuss sich die vorhandenen 
Masse ohne zu grossen Rest reduciren lassen, sondern auch, oh 
sich ftir die Länge und Breite solche Zahlen ergeben, welche 
ein einfaches Verhältniss ausdrücken , wie z. B. 30 : 40, 30 : 36. 
In letzterem Falle dürfen wir glauben, die vom Architecten be- 
absichtigten Masse und den Fuss, nach welchem er baute, ge- 
funden zu haben. Wir dürfen endlich auch da, wo eine Reduction 
auf runde, oder überhaupt auf ganze Zahlen nicht möglich ist, 
fragen, ob etwa die beiden sich ergebenden Grössen solchen 
Zahlen sich der Art annähern, dass wir diese für beabsichtigt 
halten und die Abweichung auf Rechnung ungenauer Ausführung 
schieben dürfen. 

Es ergiebt sich nun aus obiger Uebersicht, dass erstens in 
der That eine ganze Anzahl runder Summen oskischer Fusse 
deutlich hervortritt; wir finden 30 (1. 6), 20 (7), 32 (29) 24 (29. 
40), 35 (2), 27 (30) Fuss. Daneben aber ergeben sich auch 28 
(6), 30 (9) und 20 (30) Fuss römisch. Dass dies zufällig ist, 
kann bei diesen alten Häusern nicht zweifelhaft sein ; aber eben 

3* 



30 



Capitcl I. 



die Möglichkeit eines solchen Zufalls muss uns für die Fälle, 
wo die Zeit des Baues nicht feststeht, sondern mit Hülfe der 
Masse gefunden werdeu soll, zur äussersten Vorsicht mahnen: 
nicht das Aufgehen in ganze Fuss kann beweisend sein, sondern 
höchstens eine runde und an sich wahrscheinliche Zahl. 

Fragen wir nun weiter, ob die sich ergebenden Zahlen ein- 
fache Verhältnisse deutlich ausdrücken, so tritt eigentlich nur in 
No. 29 (24 : 32) das oskische Mass klar und unzweifelhaft zu Tage. 
Wenn wir ferner annehmen, dass in No. 6 das beabsichtigte Mass 
36 : 30, in No. 5 30 : 40 war, so müssen wir schon grössere Un- 
genauigkeiten annehmen, so dass bei No. 5 die Reduction auf 
36 : 27' römisch nicht wesentlich schwieriger ist. Es können 
mithin auch Zahlen, die an sich überzeugend scheinen, wenigstens 
annähernd durch Zufall entstehen; sie dürfen also, wo sie nicht 
ziemlich genau aus dem effectiven Mass resultiren, nur mit grösster 
Vorsicht und im Verein mit anderen Indicien als Beweis ver- 
werthet werden. So dürfen wir, da das Alter dieser Häuser 
ohnehin feststeht, wohl vermuthen, dass ähnliche einfache Ver- 
hältnisse bei No. 1 (36 : 30), 9 (40 : 30), 2 (35 : 28) beabsichtigt 
waren; doch müssen dann so grosse Ungenauigkeiten in der 
Ausführung angenommen worden, dass es verwegen sein würde, 
aus solchen Zahlen allein auf das Alter eines Hauses schliessen 
zu wollen. Denn schliesslich war es doch sehr wohl möglich, 
und die räumlichen Bedingungen konnten dazu zwingen, Länge 
und Breite in ein angemessenes Vorhältniss zu setzen, ohne dass 
dies durch so einfache Zahlen ausdrückbar gewesen wäre. Ver- 
langen wir aber dies nicht, so können wir, sobald wir so grosse 
Ungenauigkeiten zulassen, in jedem Mass auf ganz annehmbare, 
aber doch nicht beweisende Zahlen kommen. 



Wenn wir also finden, dass die metrologische Untersuchung 
der Häuserfacaden, der Thürweiten und der Dimensionen des 
Hofes nicht so häufig klare und sichere Resultate ergiebt, als es 
nach Nissen den Anschein hat, wenn wir zugeben mussten, dass 
die sich ergebenden Zahlen gelegentlich auch Producte des Zu- 
falls sein können, so findet die hieraus resultirende Unsicherheit 
der einzelnen Masse als Alterskriterien ein Correctiv in der 
grösseren Anzahl der in einem Privathause möglichen Messungen. 




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Allgemeines. 



37 



Wenn die Weite des Haupteinganges, die Dimensionen des Hofes, 
ferner die Weite der Thüren um's Atrium, die des Tablinum und 
der Alen alle, oder doch grösstentheils auf oskisches Mass weisen, 
wenn keine oder sehr wenige Masse auf den römischen Fuss 
reducirbar sind, da dürfen wir wohl mit Sicherheit die Anlage 
des Baues der Zeit vor Einführung des römischen Masses zu- 
schreiben, und umgekehrt. Und zwar müssen wir bei derartigen 
Untersuchungen so viel wie möglich die Entstehung des Grund- 
risses zu verfolgen suchen, indem wir unterscheiden zwischen 
den auf freier Disposition des Architecten beruhenden und den 
als Rest oder sonst aus äusseren Verhältnissen sich ergebenden 
Massen. So werden wir nicht nur sichere chronologische Re- 
sultate erzielen, sondern auch das Verfahren der alten Architecten 
uns anschaulicher machen können, als bei der meistens von 
Nissen befolgten Methode, alle Entfernungen zu messen und dann 
diejenigen Masse, die sich auf den einen oder anderen Fuss re- 
duciren lassen, als Beweismaterial zu verwenden. 

Da es sich hier mehr um Feststellung der Methode als um 
die Erzielung neuer Resultate handelt, so mag das Gesagte an 
einem Hause erläutert werden, dessen Ursprung in oskischer Zeit 
keinem Zweifel unterliegt, der casa del chirurgo (Nissen 
Cap. XX, No. 1), um so mehr, als hier in Wahrheit das oskische 
Mass noch deutlicher hervortritt, als es nach Nissen der Fall 
zu sein scheint. Die im Folgenden angegebenen Masse beruhen 
auf eigenen sorgfaltigen Messungen, bei denen Nissen's Angaben 
stets verglichen wurden, von Mauer zu Mauer, nicht von Stuck 
zu Stuck, und die Differenzen gegen Nissen's Masse sind nament- 
lich in den Seitenzimmern meist das Resultat einer genaueren 
Berücksichtigung der Stuckschicht. Unter Breite ist stets die 
Richtung der Queraxe, unter Länge die der Längenaxe des gan- 
zen Hauses verstanden, ohne Rücksicht auf die Form des ein- 
zelnen Zimmers. 

Die Form des Haupthauses — wir lassen die südlich an- 
Btossenden Dependenzen bei Seite — ist die eines Paralleltrapezes: 
die Nord- und Südseite sind parallel, während die Ost- und West- 
seite nach Süden convergiren und beide mit den Langseiten schiefe 
Winkel bilden. Wie gewöhnlich in solchen Fällen ist für die 
Vorderzimmer und für den Hortus je ein schiefwinkliges Stück 



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38 Capitel I. 

abgeschnitten worden , so dass auf der in der Mitte übrig blei- 
benden Fläche das Atrium mit den Seiten- und Hinterzimmera 
rechtwinklig angelegt werden konnte. 

Die Front misst 15,06 = 54 '//; hinter ihr steht der süd- 
liche paries communis (Nissen's Mass 15,40 umfasst sie beide): 
rechnen wir diesen zu 1'//, so bleibt hier die Breite von 53 1 //. 
Dagegen beträgt die senkrechte Entfernung der Seitenwände 
(messbar am Anfang der Alen) nur 14,51 = c. 52%': dies also 
sind die beiden Querseiten des für die Vorderzimmer abgeschnit- 
tenen Stücks. Die nördliche Länge desselben (Nordwand des 
Ladens) beträgt 3,38, die südliche 2,45 (Nissen 2,41), wenn wir 
die Wand gegen das Atrium mit 0,41 hinzurechnen, 3,79 resp. 
2,86: mittlere Länge 3,325 = 12' (+ 25Millim.); Länge des Flure 
3,70 (N. 3,75, S. 3,65) == 13'/./ (—0,013), weil hier die Dicke 
der Frontmauer hinzukommt. Es scheint also, dass man zunächst 
von der Innenseite der Frontmauer ab ein im Mittel 12 Fuss 
tiefes Stück für die Vorderzimmer abschnitt. Wenn wir die Front- 
mauer mitrechnen, so erhalten wir für die Südseite so ziemlich 
dieselbe runde Grösse ( — 0,03). 

Demnächst handelte es sich um die Quertheilung dieses Stücks. 
Uebereinstimmend mit Nissen mass ich die Breite des südlichen 
Vorderzimmers zu 5,64 = 20 l /,' t die des nördlichen nach der 
Strasse 5,64, nach dem Hofe 5,57 = 20 Hingegen ist es nicht 
genau, wenn Nissen die Breite des Flurs zu 2,38 = 8 1 /,' angiebt; 
er misst vielmehr von Stein zu Stein 2,52 = 9%' (— 0,01), woraus 
hervorgeht, dass er von der 9' breiten Hausthür aus sich nicht 
verengert, wie Nissen annehmen niuss, sondern um ein weniges 
erweitert: wohl nur eino kleine Uugenauigkeit der Ausführung. 
So ist die Quertheilung der, wie wir sahen, 52'// messenden 
Rückseite dieses ersten Abschnittes, wenn wir die beiden Zwischen- 
mauern zu 1'/,' annehmen, folgende: 

20'/, + 1% + 9 + 1% + 20 y 4 = 52%: 
eine Theilung, wie sie sich einfacher und einleuchtender nicht 
leicht finden lüsst. 

Alsdann war die Tiefe des rechtwinkligen Theils zu bestim- 
men. Atrium und Tabliuum messen 9,75 -f 5,40 = 15,15 = 55' 
(+ 0,025); der auf das Atrium fallende Theil überschreitet 35» 
um 0,125 = c. 5'/./', während die Tiefe des Tablinums um 0,10 




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Allgemeines. 39 



hinter 20* zurückbleibt: wir dürfen sieher annehmen, dass die 
einfachen Zahlen 35 und 20 beabsichtigt waren, und dass von 
denselben, sei es aus Ungenauigkeit, sei es aus irgend einem 
Grunde, um ein weniges zu Gunsten des Atriums abgewichen 
wurde. 

Darauf war der Querschnitt des mittleren Theiles zu be- 
stimmen. Die südlichen Seitenzimmer sind 2,76, die Ala 3,14 
breit: die Differenz von 0,38 bezeichnet die Dicke der Mauer 
zwischen Atrium und Seitenzimmern. Von den nördlichen Zim- 
mern misst das erste c. 2,75, das zweite 2,765, die Ala 3,12: 
also Mauerdicke hier 0,355. Das Atrium ist 8,25 breit Wie- 
derum kann es nicht zweifelhaft sein, dass man die Gesammt- 
breite von 52% Fuss so theilen wollte, dass man den Seiten- 
zimmern je 10, dem Atrium 30 Fuss gab, und die übrig 
bleibenden 2% Fuss auf die Zwischenmauern verwandte, die 
also durchschnittlich nur 1% statt V/ 2 Fuss dick werden konnten. 
Die Mauerdicke direct zu messen ist wegen der auch von Nissen 
S. 406 erwähnten Abschrägung an den Thüren nicht möglich, 
doch schien es mir deutlich, dass die gewöhnliche Dicke von 
0,41 nicht vorhanden ist. Der beabsichtigte Querdurchschnitt 
war also wiederum sehr einfach und einleuchtend: 

10 + 1% + 30 + 1% + 10 = 52%. 
oder: 2,75 + 0,38 + 8,25 + 0,38 -f 2,75 = 14,51. 
der wirkliche ist: 2,765 + 0,355 + 8,25 + 0,38 + 2,76 = 14,51. 
Die kleinen Abweichungen werden uns nicht hindern, diese in 
einfachen Zahlen oskischer Fusse ausdrückbare Anordnung für 
beabsichtigt zu halten. 

Weiter handelte es sich um die Länge der Seitenzimmer: 
an jeder Seite sind deren zwei und die Ala. Sie messen rechts 
(S.) 2,76, 3,48 (nach Nissen 3,45: es haben übrigens hier in jün- 
gerer Zeit Veränderungen stattgefunden), 2,74, links (N.) 2,73, 
3,45, 2,755. Auch hier kann die beabsichtigte Eintheilung durch 
kleine Ungenauigkeiten nicht verdunkelt werden: man gab dem 
ersten Zimmer und der Ala je 10 Fuss, so dass jenes quadratisch 
wurde, diese nur um die Mauerdicke davon abwich, und Hess 
den Rest für das zweite Zimmer. 

Wenn wir mit Recht in der annähernd 20 Fuss betragenden 



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40 



Capitel L 



Tiefe des Tablinums ein auf freier Disposition des Architecten be- 
ruhendes Mass erkannt haben, so kann dies von der Breite des- 
selben (vorn 4,65, nicht 4,56, wie Nissen angiebt, hinten 4,64 
= 17' — 0,025, resp. 0,035) nicht gelten; denn offenbar war für 
die Disposition der Hinterzimmer die Absicht massgebend, den 
beiden Eckzimmern quadratische Form zu geben. Die Masse 
derselben sind folgende: Nördliches Eckzimmer, Breite vorn 4,58, 
hinten 4,55 ; Länge rechts 4,56, links 4,58. Südliches Eckzimmer, 
alte Breite einschliesslich der Südmauer, 4,94, ohne diese also 
etwa 4,53; Länge links 4,58, rechts 4,54. Nun kann aber freilich 
die durchschnittlich 4,56 = c. 16'// (4,538) betragende Seite des 
Quadrats auf doppeltem Wege entstanden sein. Entweder man 
setzte zunächst, wie oben angenommen wurde, die Tiefe auch 
des hintersten Theils des Hauses fest: dann ergab sich die Seite 
des Quadrats der Eckzimmer von selbst aus eben dieser Tiefe 
nach Abzug zweier Mauerdicken, und das Tablinum repräsentirt 
den zwischen den Eckzimmern Übrig gebliebenen Raum. Oder 
man bestimmte zuerst die Breite des Tablinums (3 Fuss weniger 
als das Atrium): alsdann ergab sich die Seite jenes Quadrats 
als der rechts und links neben dem Tablinum und dessen Seiten- 
mauern Übrig bleibende Rest der Gesammtbreite, und es bestimmte 
sich danach die Tiefe auch des Tablinums. Also entweder in der 
Breite oder in der Länge des Tablinums haben wir die zuerst 
angenommene Grösse zu erkennen, aus der sich dann alles übrige 
ergab. Sowohl das eine wie das andere ist möglich: dass sich 
bei Zugrundelegung der Länge für Atrium und Tablinum die 
einfachen Zahlen 35 und 20 mit geringer Abweichung ergaben, 
sahen wir schon oben; aber auch die Quertheilung der Hinter- 
zimmer ist so einfach, dass nichts hindern würde, auch sie als 
aus freier Disposition hervorgegangen zu betrachten: 

16 1 /, + 1% + 17 -f- 1% + 16% = 53. 
Da die Breite des Hauses nur 52 3 / 4 beträgt, so muss %' in klei- 
nen Beträgen, namentlich wohl an den Mauern erspart worden 
sein. Da aber 35 und 20 eminent runde Zahlen, die der Quer- 
theilung aber nicht runder sind als sie eben sein mussten, sobald 
man die beiden Eckzimmer gleich breit machte und die kleineren 
Brüche in der Mauerdicke ausglich, so werden wir wohl lieber 
bei unserer ersten Annahme bleiben. Und vielleicht dürfen wir 



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Allgemeines. 



41 



noch annehmen, dass von der ursprünglich zu Grunde gelegten 
Längentheilung 35 -f- 20 zu Gunsten des Atriums abgewichen 
wurde, um, ohne die quadratische Form der Eckzimmer zu be- 
einträchtigen, dem Tablinum, welches sonst nur 16' breit sein 
konnte, eine etwas grössere Ausdehnung zu geben. 

So bietet, abgesehen von den, wie auch Nissen angiebt, so 
ziemlich 1,24 = 4'/,' breiten inneren Thttren, der ganze Grundriss 
nur 4 willkürlich angenommene Masse, 1)', 10', 20', 35', aus denen 
sich alle anderen mit Nothwendigkeit ergeben, und wir dürfen 
wohl sagen, dass, auch wenn über das Alter des Hauses sonst 
nichts fest stände, doch seine Erbauung nach oskischem Mass 
keinem Zweifel unterliegen könnte. 




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Capitel IL 

Ein ältestes Bauwerk. 



Die Ansicht, als ob der Kalksteinquader- oder Fachwerkbau 
stets älter sei, als der Hau mit Tuffquadern, ist von Nissen S. 36 ff. 
widerlegt worden durch den Hinweis auf den griechischen Tem- 
pel, die Stadtmauer und eiuigo Beispiele in Privathäusern. Unter 
diesen nennt er mit Hecht als vorzüglich beweisend die casa 
della regina d'Inghilterra (VII, 14, 5, Fiorelli Descr. S. 300, 
Nissen Ca]). XX , No. 38) — und fügt nach Besprechung dieses 
Hauses hinzu (S. 443): „Mit einem Worte erwähnen will ich nur 
drei eigentümliche Behälter nach dem vico della maschera 
hin, von denen der mittlere aus Quadern aufgeführt ist. Zwei 
derselben sind c. 1,45 M., der dritte 2,80 M. breit und mit hy- 
draulischem Kalk ausgestrichen. An den Wänden hat sich eine 
Art von Kochstein, der kalkige Niederschlag des pompejanischen 
Wassers angesetzt." 

Diese drei Behälter verdienen eine nähere Untersuchung ; 
denn wir haben hior eines der ältesten Bauwerke Pompeji's vor 
uns, einen grossen monumentalen Brunnen mit einem viereckigen 
Bassin an jeder Seite, dessen Zeit sich nicht genau bestimmen 
lässt, der aber keinenfalls jünger, vielleicht wesentlich älter ist 
als die Kalksteinatrien: ein Alter, wie es keinem anderen öffent- 
lichen Bau ausser dem griechischen Tempo) und der Stadtmauer 
zugeschrieben werden kann. ' Ich habe nirgends eine Erwähnung 
desselben gefunden. 

Der Brunnen und der Raum vor demselben ist gegenwärtig 
nicht ohne Uebersteigung von Mauern zugänglich. Man steigt 




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Capitel II. Eiii ältestes IJuuwerk. 



43 



über die Südmauer des südwestlichsten, auch von Westen (vico 
della raaschera) zugänglichen Raumes des erwähnten llauses 
No. 5 und gelangt so in das westliche der beiden Seitenbassins, 
von wo man dann wieder in den Raum vor der nach Süden, 
gegen die Abbondanzastrasse gewaudten Front des Brunnens hin- 
absteigen kann. Durch eine antik vormauerte Thür war dieser 
Raum vom vico della maschera aus zugänglich. Auch in der 
Südwand — gegen das Hinterzimmer des Ladens No. 1 — ist 
eine Oeffnung zugesetzt, doch gleicht diese mehr einem durch- 
gebrochenen Loch als einer Thür. 

Der Brunnen selbst präsentirt sich nach Süden als ein c. 2,75 
= 10* osk. hoher massiver Bau, dessen Front in 3 Theile zer- 
fallt, entsprechend dem Brunnen selbst und den beiden Seiten- 
bassins. Die Front des linken (westlichen) Bassins misst 2,34 = 8'/,', 
die des rechten wird eben so gross gewesen sein, doch misst 
man, da die Ostmauer in der Mauer des Hauses steckt, nur 1,98. 
Die Front des Brunnens selbst misst 2,48 = 9', die Tiefe (N.-S.) 
des ganzen Baues 2,55 = 9'//. Der Brunneu ist von Süden 
durch eine die Osthälfte seiner Front einnehmende Thür zu ebener 
Erde zugänglich: ihr entspricht eine gerundete Aushöhlung zum 
Hinablassen des Schöpfgefasses ; er ist , vom Rande des west- 
lichen Bassins gemessen, 11,0 = 4C, also von ebener Erde 30' 
tief. Die Tiefe der Bassins beträgt bis an den Boden aus opus 
Signinum nur etwa 0,70, so dass dieser noch c. 2,0 über der 
Erde liegt. Der ganze Bau besteht aus schmucklosen Tuffquadera; 
nur die oberste Schicht — die Wände der Bassins — ist aus 
Kalkstein. 

Die Bassins konnten nie zu ebener Erde zugänglich sein, 
dienten mithin nicht zum Tränken des Viohs, sondern vermuth- 
lich zum Waschen. Die Zugänge sind wohl beim Bau oder bei 
der Erweiterung des Hauses verloren gegangen. Auf der Nord- 
seite des Brunnens sieht man seine alte Bekleidung mit Ziegel- 
stuck, älter als die ähnliche spätere Wandbekleidung des be- 
treffenden Raumes. Es mag noch bemerkt werden, dass der 
„hydraulische Kalk u der Bassins nichts anderes ist, als der in 
Pompeji so häufig vorkommende Ziegelstuck; ferner dass die 
westliche Brüstung des westlichen Bassins nicht alt, sondern 
später aus schlechtem Incertum hergestellt ist. Ursprünglich war 



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44 



Capitel II. 



hier keine Brüstung: unter der jetzt vorhandenen setzt sich das 
Siguinum des Bodens bis an den Rand des hier offenbar ab- 
schliessenden Quaderbaues fort, und hat auch hier keinen Ab- 
schluss. War hier etwas ursprünglich kein Bassin, sondern ein 
Aufgang? Leider kann das Ostbassin nicht auf diesen Gesichts- 
punkt hin untersucht werden. Auch an der Stelle der nörd- 
lichen Brüstung des Westbassins ist nur die junge Incertums- 
niauer des Hauses; doch beruht dies auf nachträglicher Zer- 
störung, von der auch die Nord wand des Oberbaues über dem 
Brunnen selbst nicht verschont geblieben ist; denn hier biegt 
sich das Signinum am Rande in die Höhe und bezeichnet so 
den Abschluss. 

Den Rest eines alten Einganges von der Abbondanzastrasse 
finden wir in dem die Läden No. 1 und 2 trennenden Pfeiler. 
Dieser besteht nämlich aus zwei Theilen, von denen der west- 
liche und ältere, an No. 1, ein gegen No. 1 (W.) roh rechtwinklig 
behauener, nach der anderen Seite schräg abgeschnittener Tuff- 
pfeiler ist. An diese Seite wurde dann später ein entsprechend 
schräger Kalksteinpfeiler angesetzt und so der jetzige, c. 1,10 
breite Pfeiler hergestellt, dem zwischen No. 2 und 3 ein 
c. 1,54 messender Kalksteinpfeiler entspricht. Die ursprüng- 
liche Form des alten Tuffpfeilers ist nicht ganz deutlich; doch 
sind Reste von Cannelüren erhalten, und es scheint sicher, dass 
es eine vor die Wand von No. 1 vorspringende Halbsäule war, 
welche östlich in die Wandfläche von No. 2 durch Vermittelung 
einer schrägen, ihr als Tangente sich anschliessenden Fläche 
überging. 

Die Eigenthümlichkeiten im Mauerwerk des Hauses No. 5 
sind von Nissen (S. 442 f.) hervorgehoben worden: wir haben 
hier den seltenen Fall von Quadermauern, die nicht an der 
Strasse liegen, sondern theils (südlich) das erste linke Seiten- 
zimmer von den Hinterzimmern der Läden an der Abbondanza- 
strasse, theils (westlich) die linken Seitenzimmer von den aus 
dem vi co della maschera zugänglichen Räumen trennen. Die 
Südwand schliesst sich an die Südfront des Brunnens als ihre 
Fortsetzung an: sie liegt nur, wie mir scheint, eine Mauerdicke 
weiter südlich. In die Sarnoquadern ist eine Reihe Tuffquadern 
eingemischt : sie ist da, wo die Mauer von Westen an den west- 




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Ein ältestes Bauwerk. 



45 



lieh des Einganges zum Atrium liegenden Schrank stösst, die 
zweite üher der Grundschicht, und kehrt in gleicher Hohe in dem 
Pfeiler östlich vom Eingange wieder, während westlich desselben 
nur der unterste Stein erhalten ist. Ueber der Tuffquader folgt 
hier wie dort eine sehr niedrige Kalksteinquader (0,26—0,28). 
Diese Correspondenz — welche freilich weiter oben aufhört, wie 
übrigens auch weiter nach Westen die Mauer nicht eben grosse 
Gleichmässigkeit zeigt — macht es sehr wahrscheinlich, dass 
wir hier immer noch Reste der Fortsetzung jener massiven, an 
die Front des Brunnens sich anschliessenden Mauer vor uns 
haben. Sie war älter als die älteste für uns erkennbare Ge- 
stalt des Hauses, gleichaltrig vermuthlich mit dem Brunnen, 
und wir dürfen wohl annehmen, dass mit Rücksicht auf sie, um 
sie benutzen zu können und nicht zerstören zu müssen, das 
Atrium so ganz ungewöhnlich weit von der Strasse angelegt 
worden ist. In einen Stein dieser Mauer, sichtbar in der Rück- 
wand des Hinterzimmers des Ladens No. 3, ist das Zeichen X 
eingehauen. 

Die andere, westliche, Quadermauer ist die Fortsetzung der 
Ostmauer des Brunnens. Ueber ihre Construction spricht Nissen 
S. 443: Grundschicht Kalkstein, darüber 4 (nicht 3) Schichten 
Tuffquadern, eine Schicht Kalksteinquadern , zum Schluss Kalk- 
steinfachwerk. Die Tuffquadern sind hier ungewöhnlich klein 
(Höhe 0,405 — 0,425 = c. 1 */,'), kleiner als die Quadern der Süd- 
mauer. Wir werden wohl kaum irre gehen, wenn wir annehmen, 
dass auch hier die aus Quadern bestehenden Theile älter sind 
als das Haus, eine Annahme, welche einen sehr hohen Grad von 
Wahrscheinlichkeit dadurch erhält, dass sie eine befriedigende 
Erklärung für zwei sonst unerklärliche Umstände bietet: den 
Quaderbau an dieser Stelle, und die ganz unerhörte, c. 11 Meter 
von der Strasse entfernte Lage des Atriums. Man legte es so 
weit zurück, weil auf diese Art rur zwei Seiten des von ihm 
mit den Seitenzimmern gebildeten Rechtecks die besten und 
solidesten Mauern schon vorhanden waren. Das südliche Ende 
der Westmauer ist nichts anderes als dio Ostmauer des Brunnens : 
auch auf dieser liegt oben das Kalksteinfachwerk. Letzteres 
lässt sich auch, entgegen dem was Nissen angiebt, in der ganzen 
Ostmauer des Hauses constatiren, auch in der der Porticus 




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46 



Capftel 11. 



vor dem Garten; doch liegt diese um eine Mauerdicke weiter 
nach Westen. 

Es mag noch kurz hingewiesen werden auf das Stück Mauer 
aus Lavaquadern am Ostende der Nordseite der Insel (Nissen 
S. 6). Sollten wir vielleicht in alle dem Reste einer ausgedehnten 
Anlage aus einer vor der Zeit der Kalksteinatrien liegenden 
Periode vor uns haben? Leider lässt sich über das Alter dieser 
Lavaquadern nichts feststellen. 



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Capitel HI. 

Kalk steinatrien. 



Nissen hat in seinem zwanzigsten, die Kalksteinatrien be- 
handelnden Capitel besondere Sorgfalt darauf verwandt, nach- 
zuweisen, dass der Flächeninhalt dieser Häuser jedesmal ein 
bestimmtes Landmass in runder Ziffer darstellt". Und zwar muss 
nach ihm „als Inhalt derjenige Raum berechnet werden, den die 
vier Aussen wände einschliessen; denn da die letzteren loco 
communi errichtet sind, so kann nur der innere freie Raum ein- 
stens dem Bürger zum vollen Eigenthum assignirt worden sein". 

Nissen sieht voraus, dass seine Leser bei diesen Sätzen 
vielleicht die Köpfe schütteln werden, und gesteht ihnen das Recht 
zu, strengen Beweis für dieselben zu verlangen. Diesen Beweis 
führt er dann a posteriori, indem er nachweist, zunächst au 
drei ausgewählten Beispielen, dann bei der Beschreibung der 
einzelnen Häuser, dass die Berechnung des Inhalts eine runde 
Grösse giebt, sobald man die Aussenwände ausser Betracht lässt, 
nicht aber wenn man dieselben mitrechnet. 

In der That sind obige Sätze so unglaublich, dass sie nur 
auf Grund zwingendster Beweise acceptirt werden könnten. Zu- 
nächst, wenn wir überhaupt irgendwo ein rundes Mass suchen 
dürfen, so müssen wir doch am ehesten erwarten, dies von den 
ganzen Inseln repräsentirt zu finden : und so denkt aucti Nissen 
S. 587. Diese runde Grösse wurde dann in so viele gleiche oder 
ungleiche Theile zerlegt, als hier Häuser gebaut werden sollten. 
Dass nun auch diese Theile jeder eine runde Grösse repräsen- 
tirten, dafür war doch die Wahrscheinlichkeit eine geringere, 



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48 



Capto! III 



sobald man nicht einfach durch Linien theilte, sondern den Platz 
für die muri communes besonders absteckte. 

Ganz unglaublich aber erscheint dies Verfahren, sobald wir 
die Art in's Auge fassen, wie Nissen's runde Grossen entstehen. 
So z. B. 

No. 19: 63% X 31 = 2000 □' 

" 251 37 V 3 X 66 1 = 2500 □' 
„ 30: 42 % X 58% J 

n 6: 61% X 44% 

„ 7: 63% X 43% 

„ 25: 37% X 66 

„ 47: 94 x 29% 

„ 9: 43% X 69 - 3000 □' 



= 2750 □' 



Also die runden Flächenmasse sind nicht etwa so entstanden, 
dass man die Länge und Breite der Insel in Abschnitte zerlegte, 
die durch runde Zahlen ausdrttckbar gewesen wären, sondern 
sie sind das Product ganz irrationaler, die Länge und Breite 
bezeichnender Zahlen. Wenn wir bedenken, wie unendliche Mühe 
es machen musste, diese zum grossen Theil nicht einmal recht- 
winkligen Vierecke so einzurichten, dass als Product der meist 
irrationalen Längenmasse sich ein rundes Flächenmass ergab, 
uud dann wieder sie so au einander zu passen, dass die Fläche 
der Inseln ausgefüllt und nicht überschritten wurde, so wird, 
glaube ich, diese Erwägung hinreichen, um das Unwahrschein- 
liche der Nissen'schen Ansicht klar zu machen. 

Es wäre ja denkbar, dass man dem Bürger gestattet hätte, 
die Strassenmauer nicht auf, sondern vor das ihm angewiesene 
Gruudstück zu bauen, und die Strasse um die Dicke derselben 
zu verengern. Hingegen ist nicht abzusehen, wie die assignirende 
Behörde zu der Arbeitsverschwendung kommen sollte, den Platz 
jeder Trennungsmauer zwischen zwei Häusern besonders abzu- 
messen, anstatt einfach die Grundstücke abzutheilen und zu ver- 
fügen — falls dies nicht durch Herkommen fest stand — dass 
jedes den Grund für einen, sei es den rechten, sei es den linken 
paries communis herzugeben habe. Und dass man so verfuhr, 
scheint auch da, wo die alten Häuser reihenweise an einander 
liegen, der Thatbestand zu ergeben: so auf der Ostseite der 



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Kalksteinatrien. 



49 



Insel VI, 11 , wo jede Facade nur die südliche Zwischenwand 
hinter sich hat. 

Trotz alle dem müssten wir glauben, dass in der von Nissen 
angenommenen Weise verfahren worden sei, wenn wirklich aus 
dem effectiven Flächeninhalt der Häuser, wie er meint, sich dies 
erweisen Hesse. Es bleibt -uns also nichts anderes übrig, als auch 
unsererseits den Thatbestand zu prüfen: das Resultat einer solchen 
Prüfung soll im Folgenden gegeben werden. 

Nissen hebt S. 401 drei Beispiele hervor*, die ihm offenbar 
ganz besonders beweisend erscheinen. Der einer runden Grösse 
oskischen Landmasses genau entsprechende Inhalt des von den 
Ausseumauern eingeschlossenen Raumes, meint er, könne unmög- 
lich ein Product des Zufalls sein: es sind die Nummern 2, 30 
und 14 seines Verzeichnisses. Wir werden sehen, dass der Flächen- 
inhalt von No. 2 ein ganz anderer ist als der von Nissen ge- 
fundene , dass No. 30 erstens nicht der hier in Rede stehenden 
Classe von Häusern angehört, und zweitens sowohl die vordere 
als die hintere Grenze des Hauses da angenommen worden ist, 
wo sie gewiss nicht war, während der wahre Flächeninhalt 
wenigstens bei dem jetzigen Stande der Ausgrabung nicht be- 
rechnet werden kann, dass endlich bei No. 14 die von Nissen 
angenommene Rücklinie durch nichts als solche verbürgt, viel- 
mehr eine andere Rücklinie weit wahrscheinlicher ist. 

Es ist nun unumgänglich, das Nisson'sche Verzeichniss auf 
diesen Gesichtspunkt hin durchzugehen. Vielleicht werden sich 
bei der Gelegenheit auch sonst Beobachtungen von einigem Inter- 
esse machen lassen. 



No. 1: VI, 1, 10, casa del chirurgo. 

Dies Haus ist das einzige, dessen Flächeninhalt zur Zeit der 
Kalksteinatrien sich mit einiger Sicherheit berechnen lässt. Es 
kann keinem Zweifel unterliegen, dass es sich von jeher durch 
die ganze Insel erstreckte; ferner sind die Seitenmauern erhallen, 
sowohl die des eigentlichen Hauses als die südliche der muth- 
masslich später damit vereinigten Pertinenzen. Also, ob nun 
diese letzteren ursprünglich zum Hause gehörten oder nicht, für 

Mau, poiupcjau. Beiträge. 4 



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50 



Capitel III. 



beide Fälle ist die Berechnung möglich. Weil Nissen glaubte, 
für eine ganze Anzahl Häuser den Flächeninhalt berechnen zu 
können, ist ihm die in dieser Beziehung ganz einzige Bedeutung 
dieses Hauses nicht klar geworden, sonst würde er doch wohl 
für den wahrscheinlichsten und nächstliegenden Fall, dass näm- 
lich die Pertinenzen ursprünglich selbständig waren, eine genaue 
Rechnung angestellt und sich nicht mit einem ungefähren Taxat 
auf 5000 □' begnügt haben. 

Die Strassenfront des eigentlichen Hauses misst 15,06, ein- 
begriffen einen paries communis, ohne diesen also 14,65. Die 
Rückseite misst 15,05, netto 14,64, also von der Vorderbreite 
kaum verschieden, = 53 %'. Die Länge ist nicht bequem fest- 
zustellen: eine Messung im Hause selbst ergab auf der Nordseite 
28,98, eine andere in der anstossenden casa delle Vestali 
29,08, wenn wir also 105 ! / t ' (29,013) annehmen, so werden wir 
uns von der Wahrheit nicht weit entfernen. Südseite 24,62 = 89'//; 
also mittlere Länge 97%', Flächeninhalt 53 % X 97 % = 5192 □', 
nicht 5000, wie Nissen taxirt. 

Ebenso wenig aber giebt die Berechnung des ganzen Grund- 
stücks, mit den Pertinenzen, eine runde Summe. Die Front, 
einschliesslich eines paries communis, misst dann 19,68, netto 
19,27, die Rückseite (2 p.c.) 25,28, netto 22,28, also mittlere 
Breite 20,775 = 75%'; Nordlänge 105%, Südlänge 21,45 = 78, 
mittlere Länge 91%'; Flächeninhalt 91% X 75% = 6927 □'. 

Von den Massen im Innern des Hauses war schon oben 
S. 37 ff. die Rede. 

Im Innern fehlt es nicht an Resten alter Stuckbekleidung. 
Reste des ersten Decorationsstils enthält der Laden. Vielleicht 
noch älter sind die im südlichen Vorderzimmer erhaltenen Reste 
feinen weissen Stucks. Die Wölbung in der Südwand — wohl 
nicht eine Nische, sondern durchgehend, vermuthlich einer ver- 
mauerten Thür angehörig — ist bekleidet zunächst mit einer 
Lage Sandstuck von ganz ungleicher Dicke, um die Unregel- 
mässigkeiten der Steine auszugleichen, dann mit einer kaum 
0,002 starken Schicht ganz feinen Marmorstucks. Reste feinen 
weissen Stucks sind auch in der Südwestecke desselben Zimmers, 
dessen Wände später mit Ziegelstuck bekleidet wurden, und in 
der Südwestecke des linken Hinterzimmers erhalten. 



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Kalksteinatrien. 



51 



Beachten swerth sind Steine mit älterer Stuckbekleidung, 
welche im Fachwerk vermauert sind. Verschiedene solche Reste 
finden sich in der unzweifelhaft alten Wand zwischen der linken 
Ala und dem Hinterzimmer, darunter ein Stein, der zuerst mit 
einer 0,01 5 starken Schicht Sandstuck, dann einer c. 0,002 starken 
Lage feinen, gelblich weissen, steinharten Stucks bekleidet ist. 
Auch in der Nordwand desselben Hinterzimmere sind Steine mit 
Stuck enthalten. 

No. 2— 4: VI, 10, 11, casa del naviglio. 

Von Nissen an erster Stelle als besondere beweisendes Bei- 
spiel für seine Ansicht von dem Flächeninhalt der ältesten Häuser 
angeführt: „In dem Vorderhause der casa del naviglio ist ein 
Kalksteinatrium vollständig erhalten: es ist genau 78' lang, 53' 
breit; es bedeckt, die Aussenmauern eingerechnet, 4134 □', d. h. 
keine rationelle Fläch engrösse, es bedeckt im Lichten 3750 □', 
d. h. % Voreus. Soll dies haarscharfe Zusammentreffen ein Werk 
des Zufalls heissen?" 

Wir müssen diese Frage bejahen: allerdings ist es ein Werk 
des Zufalls, genauer das Product einer Reihe offenbarer Irr- 
thümer. 

„Die Länge des Atriums beträgt 78', die Breite 53'. Man 
sieht alsbald, dass die Aussenwände bei der Feststellung der 
Proportionen und des Flächeninhalts nicht berücksichtigt wurden; 
denn 75 : 50 = 3 : 2 und giebt als Inhalt 3750 □'. Dass hierauf 
das älteste Haus sich beschränkte, geht aus der gesammten An- 
ordnung zweifellos hervor". 

Darauf ist zu erwidern, dass weder die Länge 78' beträgt, 
noch auch es wahrscheinlich ist, dass sich das älteste Haus auf 
die von Nissen berechneten Theile beschränkte. 

Am geringsten ist die Ungenauigkeit in der Berechnung der 
Breite. Die directe Messung zwischen den Rückwänden der beiden 

alae ergiebt 14,09 

dazu zwei Stuckschichten, mindestens 0,05 

und die beiden Mauern (nach Nissen) 0,83 




Und ziemlich das gleiche Resultat ergiebt sich, wenn wir die 
Messung in derselben Weise anstellen wie Nissen (S. 415: „Ebenso 




14,97 



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52 Capitol III. 

am Ende etc."), welcher theils namentlich das Tablinum nicht 
genau genug gemessen, theils die Stuckbekleidung der Wände 
nicht in Anschlag gebracht hat 

Westl. Hinterzimmer 4,24 + 0,1 (2 Stuckschichten) 4,34 

Tablinum 4,79 + 0,04 (Stuck) 4,83 

Küche 4,07 + c. 0,05 (2 Stuckschichten). . . . 4,12 

2 Aussen- und 2 Iunenwände 1 ,65 

14,94 

Das giebt also in diesem hinteren Theil des Hauses fUr die Breite 
54' und 4 — 5" oskisch. 

Schwieriger ist die Feststellung der vorderen Breite. Nur 
der nördliche (hintere) Theil der Ostmauer, etwa bis zur Mitte 
des zweiten Seitenzimmers, ist alt und in Fachwerk ausgeführt. 
Er ist nicht der Westmauer parallel, sondern convergirt etwas 
mit ihr nach Süden : es ist kein Grund zu zweifeln, dass die Mauer 
in dieser Richtung sich bis an die Strasse fortsetzte. Von dem 
bezeichneten Punkte an ist sie später in Lavaincertum erneuert 
worden, und dieser jüngere Theil weicht von der Richtung des 
älteren etwas nach Osten ab, so dass von hier an die Breite 
wieder um eiu weniges wächst oder doch nicht mehr abnimmt. 
Aber auch diese jüngere Mauer setzt sich nicht bis an die Strasse 
fort, sondern die Ostwand des Ladens No. 12 ist noch weiter 
nach Osten gerückt. Die alte Front wird etwa 14,40 (netto 
13,58), eher noch etwas weniger, die mittlere Breite des Hauses 
also 14,67 = 53' (+ 0,032) betragen haben. 

Weit gewichtiger sind die bei Berechnung der Länge began- 
genen Irrth inner. Die Südfront des Hauses, einschliesslich des Süd- 
endes der übrigens aus Kalksteinquadern bestehenden Westmauer, 
ist in späterer Zeit in Backstein hergestellt. Die Westmauer 
einschliesslich dieser Backsteinecke misst 21,90 = 79' 7%" osk.; 
Nissen nimmt aber an, dass bei Herstellung der Ziegelfront die 
Ecke — und doch wohl die ganze mit ihr in einer Linie liegende 
Front — um 0,45 M. = l 1 /,' röm. gegen die Strasse vorgerückt 
worden sei. Der Beweis für diese Annahme ist seltsam. Nissen be- 
rechnet nämlich die innere Länge (Tiefe) des Hauses, von der Rück- 
wand des linken Hinterzimmers bis zum Vorderende der fauces 1 ), 

') Fauces ist der Gang zwischen Strasse und Atrium: s. Ivanoff, Ann. d. 
Inst. 1859, S.82ff. 




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Kalksteinatrien. 



53 



also in der Mitte des Hauses, auf 21,44 (21,45 ist wohl Druck- 
fehler): „wenn nun die Quaderwand mit vorgelegter Ziegelecke, 
wie bemerkt, 21,90 niisst, so ersieht man daraus, dass bei der 
Herstellung der Bottegen um 0,45 M. 1 '/„' röm. die Ecke gegen 
die Strasse vorgerückt ward". 

Die fragliche Ecke und die Pfeiler an der AusmUndung der 
fauces auf die Strasse sind aus demselben Ziegelwerk, ihre 
Vorderseiten liegen in einer Flucht: sie sind ohne allen Zweifel 
zu einer Zeit und nach einem Plaue gebaut. Wie also aus ihrer 
verschiedenen Entfernung von der Rückwand des Hauses auf ein 
Vorrücken gegen die Strasse soll geschlossen werden können, 
ißt ganz unerfindlich: wurde damals vorgerückt, so betraf dies 
die ganze Front, nicht blos die Ecke: jene Verschiedenheit muss 
einen anderen Grund haben. Und dieser Grund liegt ganz ein- 
fach darin, dass die Front gegen die Queraxe des Hauses schräg 
liegt und nach Westen weiter vorspringt: die Abweichung ist so 
gross, dass das vor der Schwelle liegende Stück der fauces an 
der Ostwand 1,06, an der Westwand 1,16 tief ist, dass die Tiefe 
der östlichen Bottege am Ostende 4,02, die der westlichen am 
Westende 4,66 beträgt. Mit einer Verrückung der Front haben 
diese Differenzen nichts zu thun. 

Eine solche aber hat in der That stattgefunden, nur ist die 
Front nicht vorgerückt, sondern zurückgezogen worden. Ohne 
Zweifel lief die Front der Insel ursprünglich in einer Flucht mit 
derjenigen der östlich anstossenden Inseln (die der westlichen, 
jenseits der Mercurstrasse, springen noch weiter vor); sie lief 
ohne Zweifel parallel mit der Front der Inseln auf der gegen- 
über liegenden Seite der Strasse, die sich hier, nur vor 
dieser Insel, ganz unnatürlich verbreitert, so dass die beiden 
Trottoirs einen bedeutenden Winkel bilden. Auch die Nordfront 
der Insel läuft ganz in gleicher Flucht mit der der anstossenden 
Inseln. Aller Zweifel wird gehoben durch die Beobachtung einer 
Terrainerhöhung genau in der eben postulirten Richtung: von 
der Südostecke ausgehend entfernt sie sich allmählich von der 
jetzigen Front, bis sie an der Südwestecke um c. 1,10 vor 
dieselbe vorspringt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir 
hier die Fundameute der alten Frontmauer zu erkeuuen haben. 
Endlich ist auch die Ursache dieser Veränderung allenfalls zu er- 



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54 



Capitel III. 



rathen: es handelte sich vielleicht darum, den im Anfang der Mer- 
curstrasso errichteten Triumphbogen von dieser Seite sichtbar zu 
machen. Es war also die Westmauer ursprünglich nicht kürzer, 
sondern um etwa 1,10 länger als gegenwärtig: 23 M. = c. 83'//. 

Die östliche Länge des Hauses zu finden ist schwierig. Das 
hintere Ende der westlichen Quadermauer entspricht der Rück- 
wand des linken Hinterzimmers. Dies ist um 1,0 tiefer als das 
Tablinum (den Stuck zu 0,05 gerechnet). Rechnen wir nun die 
Rückmauer des Hinterzimmers zu 0,41 und nehmen als Ausgangs- 
punkt für die Messung einen östlich vom Tablinum 1,41 hinter 
der Rückwand desselben gelegenen Punkt, so ergiebt die Messung 
durch den Gang, der östlich vom Tablinum aus dem Atrium zu den 
hinteren Räumen führt, bis an die Vorderwand des Atriums 16,25 
dazu die Dicke der Vorderwand, mit Stuck, etwa . . 0,48 
östliche Tiefe des Ladens (bis an die alten Fundamente) 5,25 

21 98 

d. i. 8(y weniger 0,02. 

Es ergiebt sich also eine mittlere Länge von 22,49 = 81 3 / 4 ' 
(+ 0,008). 

Da die mittlere Breite etwas über 53, die mittlere Länge 
etwas unter 82' beträgt, so dürfen wir, da wir doch vollkommene 
Genauigkeit nicht beanspruchen können, den Flächeninhalt auf 
82 X 53 = 4346 □' berechnen. Wenn wir alsdann von jeder 
Dimension die beiden Mauern mit 3' abziehen, so erhalten wir 
79 X 50 = 3950 □'. 

Es ist damit hinlänglich erwiesen, dass jenes haarscharfe 
Zutreffen auf 3750 □' ein Product des Zufalls, genauer des Irr- 
thums ist: ein weiterer Beweis für die Gefährlichkeit des Argu- 
ments, „dass dies nicht Zufall sein kann". Die von uns gefundene 
Zahl ist zwar von 4000 nicht allzu weit entfernt, doch ist das 
Zutreffen bei weitem nicht genau genug, um als Beweis für die 
Einzelheiten des bei der Assignation beobachteten Verfahrens 
geltend gemacht zu werden. 

Ferner aber sind wir mit unseren Betrachtungen noch nicht 
zu Ende. Es bleibt noch zu erweisen, dass das älteste Haus 
sich nicht wohl auf den von Nissen berechneten Raum beschränkt 
haben kann. 

Dass das Nordende der Quadermauer an der Mercurstrasse 



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Kalkstoiuatrien. 



55 



auch das hintere Ende des ältesten Hauses und Grundstückes 
bezeichne, erweist Nissen folgendennassen: 

„Ich bemerkte, dass dieselbe (die Quadermauer) an der Nord- 
ecke einen Abschluss findet und mit der ßinnenmauer gebunden 
ist: die letztere aber besteht aus Kalksteinfach werk. Sie schliesst 
das Tablinum hinten ab, offenbar aus dem Grunde, weil das 
Atrium ursprünglich keinen Hortus besass". 

Von alledem ist nichts richtig. 

1. Die an der bezeichneten Stelle ansetzende Quermauer 
ist mit der Strassenmauer nicht gebunden, sondern nur an die- 
selbe angelehnt. 

2. Sie besteht nicht aus Kalksteinfachwerk. Nissen ist 
vielleicht dadurch getäuscht worden, dass sie allerdings durch 
zwei, übrigens nicht in der Art des Fachwerks gebildete Kalk- 
steinpfeiler in drei Theile getheilt ist: die Oeffnungen zwischen 
denselben messen (von 0.): 0,92, c. 1,75, 0,87. Die erste ist aus- 
gefüllt mit altem Lavaincertum , die mittlere mit Incertum aus 
Cruma, Lava, Kalkstein und anderem Material; in dem Incertum 
der westlichsten wiegen Lava und Tuff vor. Die mittlere Oeff- 
nung war ursprünglich eine Thür: man sieht dies deutlich an 
dem auf der Westseite des östlichen Pfeilers erhaltenen Stuck 
(der westliche Pfeiler ist bei der Zusetzuug der Thür stark be- 
schädigt worden). Später wurde diese Thür geschlossen und 
eine andere in der westlichen Abtheilung der Wand geöffnet, 
endlich aber auch diese wieder zugesetzt. Dass dies die Reihen- 
folge war, orgiebt sich daraus, dass der weisse Stuck, welcher 
die Vermauerung der Mittelthür bedeckt, die westliche Seitenthür 
noch anerkennt. 

3. Diese Mauer ist die Rückwand des westlichen Hinter- 
zimmers, nicht aber die des Tablinums, welche auch mit ihr nicht 
in einer Flucht, sondern um c. 1,20 weiter nach vorn (Süd) liegt: 
es reicht also das Tablinum nicht, wie man nach Nissen's Dar- 
stellung annehmen muss, bis an das hintere Ende des Hauses, 
sondern bleibt um 1,20 von demselben entfernt. Und zwar han- 
delt es sich nicht etwa um eine nachträgliche Verkürzung des 
Tablinums: vom linken (westlichen) Hinterzimmer aus sieht man 
deutlich, wie die alte Fachwerkmauer des Tablinums nach hinten 
mit einem Kalk Steinpfeiler abschliesst: der Rest der Ostmauer 



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56 



Capto! III. 



des Hiiiterzimmers ist später daran gesetzt und besteht aus Iu- 
certum, unten Lava, oben Kalkstein. 

4. Die Rückwand des Tablinums ist ganz späten Ursprunges. 
Dasselbe hatte anfänglich nur Seiten mauern und war vom und 
hinten in ganzer Breite geöffnet, wie an dem alten hinteren 
Ende der Ostwaud noch deutlich zu erkennen ist. Später 
wurde sowohl der vordere als der hintere Eingang verengert; 
der vordere durch Wandstücken (c. 1,25) aus Ziegeln und ziegei- 
förmigem Tuff, der hintere durch 2 Ziegelpilaster, welche durch 
einen aus ziegeiförmigem Kalkstein gebildeten Bogen verbunden 
waren. Noch später endlich wurde der hintere Zugang ganz zu- 
gesetzt, ohne Zweifel um das nördlich anstossende grosse Tri- 
clinium zu bauen. War aber das Tablinum hinten offen, so 
musste das Haus tiefer sein, als Nissen annimmt, denn es war 
unmöglich, dass nur c. 1,20 M. von der hinteren Oeffnung des 
Tablinums die Mauer des Nachbarhauses folgte. Ohne Zweifel 
öffnete es sich, wie in der casa del chirurgo, auf einen vor 
dem Hortus liegenden Gang; da wir nun auf Gang und Hortus 
nicht wohl weniger als 5—6 M. rechnen können, so bleibt für 
ein zwischen diesem und der weiter nördlich liegenden Quader- 
• mauer liegendes Haus — das zweite der drei . von Nissen auf 
dem Boden der casa del naviglio angenommenen — kein ge- 
nügender Raum übrig, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass 
wir statt dreier nur zwei Häuser anzunehmen haben, von denen 
das erste sich bis an das zweite Stück Quadermauer erstreckte. 
Damit wächst die Länge des Hauses um 10,93 = c. 40*, und 
wenn wir unter dieser Voraussetzung den Flächeninhalt berech- 
nen, so erhalten wir 122 X 53 = 6466, netto 119 X 50 = 5950 □'. 

Es ist nicht zu leugnen, dass die letztere Zahl der runden 
Grösse 120 X 50 = 6000 nahe kommt, doch ist wiederum das 
Zutreffen nicht genau genug, um eine an sich so wenig überzeu- 
gende Annahme damit beweisen zu können. 

Die Westseite der casa del naviglio besteht aus drei 
Theilen (Nissen S. 413): zuerst (von Süden) ein Stück Quader- 
mauer, dem eigentlichen Hause einschliesslich Tablinum und 
Hinterzimmer entsprechend, dann ein Stück Bruchsteinmauer und 
am Nord ende wieder Quaderbau: beide letztere Stücken dem 
Garten entsprechend. Nissen nimmt an, dass dem entsprechend 




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Kalksteinatrien. 



hl 



hier ursprünglich drei Häuser standen: es ergab sich uns als 
wahrscheinlich dass das vorderste Haus bis an den Beginn der 
zweiten Quadermauer reichte, dass also nur 2 Heuser da waren. 

Nissen giebt die Länge der beiden letzten Wandstucken auf 
22 M. = 80' an, indem er das Sudende der anstossenden casa 
dell' ancora (No. 7) als Endpunkt nimmt. Es ist aber dies 
Haus in späterer Zeit Uber seine ursprüngliche Südgrenze er- 
weitert worden: messen wir bis zu dem noch sicher kenntlichen 
Nordende der Quadermauer, so ergeben sich 22,78 M., von denen 
11,86 (42' l 1 /,") auf das erste (von N.), 10,92 (39* 8'/,") auf das 
zweite Stück kommen. Da nun hinter der Front jedes Hauses ein 
pari es communis steht, so stellt sich die „Nettobreite" des 
hintersten Atriums auf reichlich 38'. Da ferner die Tiefe des 
Gartens — im Lichten geraessen — 14,26 = 51' 10" beträgt, 
so würde der „Nettoinhalt" c. 38 X 52 = 1976 □' betragen, eine 
Zahl, die sich zwar wiederum von 2000 nicht allzuweit entfernt, 
aber doch weit genug, um «eine Entscheidung der Frage, ob bei 
der Assignation die muri communes in das runde Mass ein- 
begriffen gewesen seien, unmöglich zu machen. 1 ) 

In dem aus Kalksteinfachwerk bestehenden Theil der West- 
wand des Tablinums ist ein ziemlich grosser Kalksteinblock ver- 
baut, welcher auf seiner vermauerten (Süd-)Seite eine ältere 
Ziegelstuckbekleidung bewahrt hat. 



Es ist schon im Bull. d. Inst. 1876, S. 262, darauf aufmerk- 
sam gemacht worden, dass die casa degli seien ziati ehemals 
einen hinteren Ausgang auf einen angiportus hatte: die Thür ist 
noch als blinde Thür erhalten ; die Mündung des Angiportus auf 
die via de IIa Fortuna wird durch den Laden No. 9 repräsentirt. 
Ich glaubte damals, dass der Angiportus sich nicht weiter er- 
streckt habe, als bis etwa in die Mitte der Rückseite des in Rede 

l ) Nach Nissen's Berechnung hatte das von ihm angenommene mittlere 
Atrium ziemlich denselben Inhalt: 39 X 51 — 1989 Aus obigem ergiebt 

sich, dass die Rechnung nicht genau ist. Wenn das vordere Ilaus im Lichten 
51'/./ breit (s. oben), das nördlich austossonde bl*/ b tief war, so müsson wir 
auch hier mindestens 51'/.,' Tiefe annehmen. Also 40'/ a X 51 '/a = 2086 □'• 



No. 5: VI, 14, 42, casa degli scienziati. 




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58 



Capitel III. 



stehenden Hauses, dass die Sudmauer des Stückes, um welches 
die Nordporticus weiter als das Viridarium nach Westen vor- 
springt, seinen Abschluss gebildet habe. Nachdem aber jetzt die 
ganze Insel ausgegraben ist und man die Vertheilung der Häuser 
in derselben Ubersieht, scheint es sehr wahrscheinlich, dass hier 
nicht ein Angiportus war, sondern ein die ungewöhnlich grosse 
Insel von Nord nach Süd durchschneidender Vicus. Gewisse 
Ungleichheiten in der Tiefe der Häuser, ein gewisses Hinüber- 
greifen bald der westlichen, bald der östlichen Häuser Uber eine 
Linie, die man zwischen beiden ziehen könnte, erklären sich am 
einfachsten durch die Annahme, dass bald von der einen, bald 
von der anderen Seite her der Vicus occupirt wurde. Weiter 
nach Norden lässt sich dies nicht verfolgen und im einzelnen 
nachweisen. Doch scheint sicher, dass in dem in Rede stehenden 
Hause eben jener weiter nach Osten vorspringende Theil der 
Nordporticus und das nördlich in gleicher Flucht anstossende 
Zimmer auf dem Boden des Vicus liegen. Letzteres greift in 
das Peristyl der nordöstlich anstossenden, nach Osten mundenden 
casa d'Orfeoein und verursacht dessen unregelmässige Gestalt: 
nur am Nordende der Westseite ist nämlich eine kurze Säulen- 
halle, dann folgt nach Süden ein kleines Zimmer, dann das er- 
wähnte Zimmer der casa degli scienziati: offenbar liegt auch 
jenes Stück Porticus mit dem anstossenden kleinen Zimmer auf 
dem Boden des Vicus, der hier von Osten her occupirt worden 
ist. Dann hat sich die casa d'Orfeo noch weiter, über den 
Vicus hinaus, auf Kosten der westlich anstossenden Häuser aus- 
gedehnt Ueber das Alter dieser Veränderungen lässt sich nur 
sagen, dass sie nicht nach der Zeit des dritten Decorationsstils 
vor sich gingen, in welchem die betreffenden Zimmer der casa 
d'Orfeo ausgemalt sind. 

Ferner muss constatirt werden, dass auch hier die Rück- 
wand des Tablinums nicht ursprünglich ist, dass also Nissen's 
Schluss, das Haus habe keinen Hortus gehabt, seine Hauptgrund- 
lage verliert. Die Rückwand besteht aus Lavaincertum mit Kalk- 
steinblöcken an der Thür, und ebenso sind die hintersten Stücke 
der Seitenmauern gebildet: das alte Stück ist rechts 3,57 lang. 
Ob letzterer Umstand auf eine Vergrösserung des Tablinums oder 
auf theilweise Zerstörung der alten Mauern zurückzuführen ist, 



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Kalksteinalrien. 



59 



lässt sieb wohl nicht mit Sicherheit entscheiden. Jedenfalls aber 
ist kein Grund zu der Annahme, dass dies Haus nicht, wie alle 
ältesten Häuser, seinen Hortus gehabt haben sollte. Dann aber 
wird der Raum für ein zwischen diesem und dem ehemaligen 
Vicus liegendes Atrium doch sehr knapp, und es gewinnt die 
Annahme an Wahrscheinlichkeit, dass sich das Haus schon in 
der Periode der Kalksteinatrien durch die ganze Breite der Insel 
erstreckte. In diesem Falle war seine Tiefe c. 34,0 M. = 123' 7'/,". 
Da nun die Breite c. 47' beträgt (s. oben S. 31), so erhalten wir 
einen Flächeninhalt von 5784 V, □', nach Abzug der Aussenmauern 
44 X 120 Vi = 5288 □'. Doch ist natürlich die Annahme, dass 
das Haus die ganze Breite der Insel einnahm, eine ganz unsichere. 
Man könnte dagegen anfuhren, dass sich das Haus in seinem 
hinteren Theil verbreitert; südlich beginnt die Verbreiterung mit 
dem Anfang des Viridariums, nördlich in der Mitte des zweiten 
Zimmers links am Peristyl: von hier an sind hinter dem ge- 
nannten Zimmer noch Wirthschaftsräume, während die folgenden 
Zimmer tiefer sind. Nehmen wir an, dass mit der so gegebenen 
Linie das Haus abschloss, so erhalten wir eine Tiefe von c. 24 M. 
= 87'//, einen Flächeninhalt von 47 X 87% = 4090% resp. 
44 X 84 f / 4 = 3697 □'. Zur Zeit des ersten Decorationsstils 
hatte das Haus schon seine jetzige Ausdehnung; denn wir finden 
ihn auf den Wänden des Gartens. — Ist unsere letzte Annahme 
richtig, so blieb zwischen der Rückwand und dem Vicus eine 
Entfernung von c. 10 M. = 36 — 37', es konnte also möglicher- 
weise hier noch ein kleines Atrium Platz finden. 

Dass das Haus manche Veränderungen, auch Beschränkungen 
seines Umfauges erlitten hat, ist von Nissen hervorgehoben wor- 
den. Die alae sind in geschlossene Zimmer verwandelt wor- 
den. — Der Gaug, welcher links neben dem Tablinum in's Peristyl 
führt, war sicher anfangs nicht so ganz ungewöhnlich eng: er 
wurde es erst durch den Bau des links (N.) an ihm liegenden 
grossen Tricliuiums, welches über die Linie der entsprechenden 
Seitenzimmer des Atriums hinaus nach S. vorspringt. — Rechts 
vom Tablinum ist das Tablinum und das rechts anstossende Zim- 
mer des nach S. mündenden Hauses No. 5 von unserem Hause 
abgenommen worden: hier sind neben dem Tablinum nur zwei 
kleine Schräuke, einer vom Atrium, einer vom Peristyl aus zu- 



00 



Capitel 111. 



gänglich, übrig geblieben. Von den Seitenzimmern rechts am 
Atrium ist, wie auch Nissen erwähnt, das mittlere abgetrennt 
und mit dem südlich anstossenden Hause vereinigt worden. Es 
kann als sicher gelten, dass alle diese Veränderungen in der 
Tuffperiode, zur Zeit des ersten Decorationsstils, gemacht sind. 
Reste des letzteren finden wir in den beiden Schränken, so wie 
au der den Eingang zu dem verengerten Gange enthaltenden 
blinden Thür, und das Mauerwerk aller dieser Umbauten ist ganz 
das jener Periode: die Alen sind durch Mauern aus Crumaincertum 
mit Thttrpfosten aus Kalksteinquadern in Zimmer verwandelt wor- 
den ; die Rückwand des Tablinums, so wie die an die Seitenwände 
hinten angesetzten Stücke bestehen aus Lavaincertum mit Thür- 
pfosten ebenfalls aus Kalksteinquadern; Crumaincertum ist in der 
Rückwand des hinteren Schrankes sichtbar; Incertum, von dessen 
Material wenig zu erkennen ist (Cnima, Tuff), mit Kalksteinpfosten 
hat auch die Südmauer des grossen, im zweiten Stil ausgemalten 
Tricliniums links neben dem Tablinum. In gleicher Weise ist das 
vorletzte Zimmer links am Peristyl gebaut, und auch da, wo sich 
die südlich vom Atrium abgetrennten Räume in das Nebenhaus 
öffnen, finden wir die gleichen Kalksteinpfosten. 

Nissen glaubt in dem am Impluvium stehenden Tisch den 
ehemaligen Heerd zu erkennen: eine durch nichts zu rechtferti- 
gende Annahme. Zunächst ist seine Beschreibung ungenau: man 
muss nach derselben annehmen, dass die eine Fontaine enthal- 
tende Aedicula und der Tischfuss identisch seien, dass in einer 
Nische des einstigen Heerdes, jetzigen Tischfusses, welche einst 
zum Kochen gedient, später die Fontaine angebracht worden Bei. 
In Wahrheit aber ist die Aedicula vom Tisch ganz getrennt und 
steht selbständig zwischen ihm und dem Impluvium. 

Nissen scheint Gewicht darauf zu legen, dass der Tischfuss 
ein gemauerter „Klotz" sei. Derselbe hat aber eine für seine 
Bestimmung ganz geeignete, für einen Heerd möglichst unpas- 
sende, nach oben sich verbreiternde Form, und dürfte mit seiner 
Stuckbekleidung nicht allzu „klotzig" ausgesehen haben. Ein 
ganz ähnlicher Tischfuss findet sich in dem südlich austossenden 
Hause VI, 14, 5. Die Oeffnung hatte keinen anderen Zweck, als 
das Wasserrohr für die Fontaine durchzulassen, dessen Richtung 
von hier aus gegen die Wasserwerke des Peristyl deutlich ver- 




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Kalksteinatrien. 



61 



folgt werden kann: hier lag es frei wegen der hier angebrachten 
Hähne. Zum Kochen — wie Nissen meint — kann eine solche 
Oeffnung am Boden nie gedient haben. Nachträglich, wie es 
scheint, obgleich es nicht erweislich ist, hat man dann noch die 
vier Greifenfiisse angebracht; jedenfalls dienen sie mehr zur 
Decoration als zum Tragen; ganz das gleiche kann im Hause 
VI, 5, 3 (casa di Nettuno) beobachtet werden. 

No. 6: VII, 1, 40, casa di Marte e Venere. 

Nissen's Angaben über dies Haus, welches die Nordwestecke 
der Insel VII, 1 bildet, sind ganz besonders unrichtig. 

Es ist unrichtig, dass die Seitenmauer (W.) alten Kalkstein- 
bau theils massiv, theils in Fachwerk, aufweist (Nissen S. 422): 
die von Nissen angegebenen Stücke Quadermauer sind vorhanden, 
das übrige Mauerwerk aber ist gewöhnliches Incertum aus Kalk- 
stein, Tuff, Cruma und Ziegelfragmenten. Wir finden auf der 
Westseite, von Norden beginnend, zunächst den Eingang (No. 42) 
des auch nach N. geöffneten Ladens. Der südliche Pfosten dieses 
Einganges — aus Kalksteinquadern — schliesst auch nach Süden, 
wo die Mauer an ihn ansetzt, senkrecht ab: eine Bauart, welche 
darauf zu deuten scheint, dass dieser Pfeiler einst isolirt stand. 
Und in der That finden wir 3,35 weiter nach S. einen zweiten 
Pfeiler, der nach N. senkrecht abschliesst, nach Süden aber mit 
der Mauer verbunden ist. Offenbar führen diese beiden Pfeiler 
zu der Annahme, dass das zwischen ihnen liegende Mauerstück 
jüngeren Ursprungs ist, dass hier einst eine zweite, später zuge- 
setzte Ladenöffnung war. Es soll nun nicht verschwiegen wer- 
den, dass eine solche Annahme ihre Bedenken hat: die innere 
Eintheilung stimmt nicht zu derselben, und das Mauerwerk zeigt 
keinen abweichenden Charakter : indess, wie dem auch sei, jener 
zweite, das Incertum unterbrechende Pfeiler ist das einzige, was 
dieser Mauer eine gewisse Aehnlichkeit mit Fachwerk geben 
könnte. 

Hingegen ist Quaderbau nicht nur am untersten (S.) Ende 
erhalten, sondern am Boden entlang kann man von da bis an 
den besprochenen Pfeiler ununterbrochen die Kalksteinquadern 
Verfolgen: nur in jener vermauerten Oeffnung fehlen sie gänzlich. 



62 



Capto! III. 



Ferner hat, was Nissen leugnet, am unteren (S.) Ende die Mauer 
ihren bestimmt charakterisirten Abschluss: wenn irgeud wo, 
so ist hier der zweite Stein von unten nach innen gebunden: 
seine Dicke beträgt 0,41. 

Auch die Fa^ade (N.) besteht keineswegs aus Kalksteinfach- 
werk, sondern aus Iucertum mit Thür- und Eckpfeilern aus Kalk- 
stein ; nur gegen den Laden schliesst die Mauer mit einem Pfeiler 
aus Tuffziegeln ab, was wohl auf spätere Veränderungen sch Hessen 
lässt. — 

Die Westmauer, sagt Nissen, „läuft ausser Richtung mit der 
Strasse, das Trottoir am oberen Ende des Atriums ist viel breiter 
als am unteren, die Pflasterung und Regulirung der Strasse muss 
später fallen als der Bau der Mauer". 

Ein wunderbarer Schluss! Wenn, als der Vicus gepflastert, 
als Trottoir und Fahrweg gesondert wurden, das Haus schon 
stand, so war es doch natürlich, das Trottoir in gleicher Breite 
an der Hausmauer entlang zu fuhren: die Erklärung der hier 
vorliegenden Abweichung wird also durch obige Annahme im 
Gegentheil erschwert. Denn man kann nicht etwa sagen, hier 
sei die gleichmässige Breite der Fahrstrasse massgebend gewesen, 
man habe die beiden Trottoirs parallel gehalten und sei deshalb 
von der Richtung des älteren, damit nicht stimmenden Hauses 
abgewichen. Die Fahrstrasse ist nämlich hier keineswegs gleich- 
mässig breit, sondern erweitert sich beträchtlich nach Norden, 
wie auch der kleine Fiorelli'sche Plan deutlich zeigt, und die 
Trottoirs divergiren dem entsprechend: es lag also gar nichts 
im Wege, dasjenige der Ostseite dem vorhandenen Hause parallel 
zu machen. 

Zunächst lehrt der Augenschein, dass das Haus durch seine 
schiefwinklige Gestalt den unregelmässigen und daher schwerlich 
ursprünglichen Gang des Vicus im Allgemeinen anerkennt: es 
dürfte daraus zu seh Hessen sein, dass wir hier den Anfängen 
der Stadt schon ziemlich fern sind. — Ferner aber ist der jetzige 
Gang der Mauer, trotz der Kalksteinquadern, nicht ursprünglich. 
Wie bei der casa del naviglio (s. oben S. 52), so ist auch hier 
das Fundament der alten Seitenmauern noch vollkommen kennt- 
lich : eine Erhöhung des Bodens, welche, an der Ecke am unteren 
Ende der Quadermauer beginnend, nach N. sich allmälig ver- 



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Kulksteinatrien. 



63 



breitert und kurz unterhalb des Ladens schon c. 0,75 breit ist. 
Vor dem Laden selbst ist sie durch eine spätere Aufhöhung des 
Trottoirs unkenntlich geworden ; hingegen ist die alte Ecke in 
der Höhe von zwei Steinen stehen geblieben, genau in der Linie 
jener Erhöhung: sie ist spitzwinklig, wie es die Form des Hauses 
verlangt; von den beiden Steinen springt der untere um 0,17 
und 0,18 nach beiden Seiten vor. Da, wo sie den jetzigen Eck- 
pfeiler berühren, ist jüngeres Material darauf gelegt, welches den 
Stuck desselben bedeckt: bei flüchtiger Untersuchung könnte 
dies verleiten, diesen ganzen Rest, der in der letzten Zeit Pom- 
peji's wohl als Sitz diente, für jünger zu halten. Diese alte 
Seitenwand ging vollkommen parallel mit dem jetzigen Trottoir. 
Die besprochene Veränderung hatte wohl den Zweck, diesen 
Theil des Hauses etwas weniger spitzwinklig zu machen. 

Stammen nun die Quadertheile der jetzigen Mauer aus der 
Kalksteinperiode, so müssen wir einen doppelten, vielleicht einen 
dreifachen Umbau annehmen: Zurückziehung der Mauer in der 
Kalksteinperiode — Neubau in opus incertum — Schliessung 
des südlichen Ladens, letztere verbunden mit einem Umbau im 
Innern. Unmöglich ist nun dies nicht. Doch ist es immerhin 
wohl denkbar, dass auch das Stück Quadermauer und die als 
Fundamente dienenden Quadern in späterer Zeit aus den Resten 
der alten Quadermauer hergestellt und an dieser Stelle dem In- 
certum der jüngeren Mauer gleichzeitig sind. Es spricht dafür 
eine gewisse Gleichartigkeit in den verschiedenen Bestandtheilen 
der Mauer: am Südende tritt die nach innen gebundene End- 
quader der zweiten Schicht etwas nach N. gegen die obere und 
untere zurück, so dass eine Art Verzahnung entsteht, welche 
sich dann nach oben in dem entschieden zum Incertum gehörigen 
Eckpfeiler fortsetzt. 

In keinem Falle aber können wir aus dem vorliegenden 
Hause die Grösse des ursprünglich assignirten Grundstücks be- 
rechnen. Versuchen wir es dennoch unter der Voraussetzung, 
dass das Südende desselben durch das Südende der Quader- 
mauer bezeichnet ist, so erhalten wir keinerlei überzeugende 
Grösse. Die westliche Länge beträgt 18,35, die senkrechte — 
von der die östliche nicht wesentlich abweichen kann — 18,0 
(bis hinter das Tablinum): mittlere Länge 18,18 = 66' (+ 0,03). 



G4 



Capitel III. 



Alte Front 14,93, hintere Breite c. 12,35: mittlere Breite 13,64 
= 49%' (+ 0,027). Also Inhalt 66 x 49% = 3267 □', netto 
63 X 46% = 2929% □'. 



Dass der Flächeninhalt 2750 □' gewesen sei, findet Nissen 
mehr durch ungefähre Schätzung als durch Berechnung. Es ist 
aber auch diese Schätzung werthlos, da wir nicht die mindeste 
Gewähr haben, dass die jetzige Tiefe des Hauses auch die ur- 
sprüngliche ist ; denn die Rückmauer ist, wie die meisten Mauern 
des Hauses, durchaus jung. Dass diese Tiefe nicht ursprünglich 
ist, wird wahrscheinlich durch die Erwägung, dass wir dann 
ein hinten geschlossenes Tablinum annehmen müssten: eine 
Form, die sich bei keinem dieser alten Kalksteinhäuser nach-" 
weisen lässt. 

Wenn die Westmauer au ihrem ursprünglichen Platz steht, 
so mass die Front 12,92 = 47', wobei eine Zwischenmauer ein- 
begriffen ist. Nissen's Vermuthung (er misst 12,86), dass die 
Front 48' brutto betragen habe, wobei auf die entsprechende 
Strecke 46 %' = 12,79 kommen würden, ist unzulässig. 

Alt ist nur was vor dem Hofe liegt, und wohl der linke 
Pfeiler des Tablinums. So ist auch die von Nissen angegebene 
Breite des Hofes (5,64 = 20 %') jüngeren Datums: die Seiten- 
wände bestehen aus Lavaincertum mit Thürpfeilern aus Tuflf- 
ziegeln. Offenbar ist beim Bau derselben die Breite des Hofes 
verringert worden; der Ostpfeiler der Thür des Zimmers östlich 
vom Eingang ist erhalten, und man erkennt an ihm die Stelle, 
wo die alte Ostmauer des Hofes ansetzte: es ist hier ein Absatz 
im Stein selbst, etwa um 0,25 weiter östlich als die spätere Mauer. 
Auch westlich vom Eingange ist der entsprechende Pfeiler kennt- 
lich; doch ist hier die spätere Westmauer über ihn hinaus vor- 
gerückt worden, so dass auch die Thür dadurch verengert worden 
ist. Nehmen wir an, dass der Eingang der Mitte des Atriums 



entsprach, so erhalten wir als Vorderbreite (2 X 2,23) -f 1,72 = 6,18 



No. 7: VII, 9, 63. 



= 22%'. 




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Kalksteinatrien. 



65 



No. 8: VI, 8, 20, Fullonica. 

Hier ist nur die Front erhalten und eine Berechnung des 
Inhalts unmöglich. 

No. 9: VI, 9, 2, casa di Meleagro. 

Nissen's Berechnung ist nicht genau. Das südliche Stück 
der Front wird am besten im Zimmer rechts vom Eingang ge- 
messen: 6,08, dazu zwei Stuckschichten c. 0,06, und die Mauer 
0,41; giebt 6,55, was mit der vou aussen allenfalls kenntlichen 
Ausdehnung gut übereinstimmt. Die Thür misst 2,0, das nörd- 
liche Stück ohne paries communis 3,67: der Endpunkt ist hier 
genau zu bestimmen, da man die Bindung der ungeraden Schichten 
mit der Binnenmauer sieht. Die Front misst also netto 12,22 
= 44' 5". Die hintere Breite ist nach möglichst genauer Messung 
12,06 = 43' 10", die Tiefe bis zur jetzigen Rückwand des Ta- 
blinums netto 19,52 = 71'. Der Flächeninhalt beträgt also 44 X 71 
= 3124 □'. Auch hier bestätigt sich Nissen's runde Zahl 
(3000) nicht. 

Uebrigens liegt kein Grund vor, die jetzige, junge Rück- 
mauer des Tablinums für die Grenze des alten Hauses zu halten: 
der Gaug neben dem Tablinum beweist vielmehr, dass von jeher 
hintere Räume vorhanden waren. 

Die rechte Wand des Flurs hat Reste von Fachwerk, sonst 
ist im Innern des Hauses nichts, was auf die Kalksteinperiode 
führt, so dass in Wahrheit für die Berechnung des Flächen- 
inhalts nichts vorliegt als die Länge der Front. 

No. 10: VI, 7, 23, casa di Apolline. 

Auch hier beruht der von Nissen berechnete Flächeninhalt 
von 2016, rund 2000 □' auf einer Reihe von Irrthümern. 

Die Facade, nach Nissen jetzt 8,37, ursprünglich 9,90 lang, 
misst in Wahrheit 8,48, nicht mehr und nicht weniger, und war 
nie länger. Das Stück nämlich von 1,53, um welches sie nach 
Nissen verkürzt wurde, um eine Treppe (No. 24) anzulegen, ge- 
hörte ohne allen Zweifel dem Nachbarhause an : das ganz iden- 
tische Mauerwerk — Incertum aus Lava — und die ebenso 

Man, pomprjsii. Beitrüge. 5 



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66 Capitel III. 

übereinstimmenden Reste des ersten Decorationsstils sprechen in 
gleicher Weise dafiir. 

So ist es auch vollkommen klar, dass die Zimmer rechts am 
Atrium vom Nachbarhause abgenommen sind: von einer Ein- 
schränkung des Hauses wegen „reducirter Verhältnisse" ist keine 
Spur vorhanden, sondern hier wie in den hinteren Theilen er- 
kennen wir nur, dass es sich bedeutend ausgedehnt hat. Die 
Mauer zwischen diesen Zimmern und dem Atrium ist der dem 
nördlichen Nachbarhause augehörige paries communis — In- 
certum aus Lava, wie das ganze Nachbarhaus — die sichtlich 
später durchgebrochenen Thüren sind dann mit allerlei Material 
zurechtgeflickt worden. 

Ist also die Breite des Hauses falsch angenommen , so ist 
die Ansetzung der Tiefe ganz willkürlich: „An dem Tablinuni 
sehen wir einen alten Kalksteinpfosten 0,41 ; dasselbe ist 4,26 M. 
15 1 /,' tief. Folglich Hauslänge etc. etc." Jener Pfosten ist relativ 
alt, weist aber keineswegs mit Bestimmtheit auf die älteste Bau- 
periode. Gesetzt aber auch, er hätte dem ursprünglichen Kalk- 
steinatrium angehört, so folgt aus seiner Gestalt, dass schon da- 
mals das Tablinuni nach hinten offen, also das Haus hier nicht 
abgeschlossen war. Ferner lag dann schon damals das Tablinum 
nicht in der Mitte der Rückwand, sondern mehr nach links, der 
Art, dass links von demselben kein Zimmer, sondern nur der 
noch jetzt vorhandene schmale Gang sein konnte. Nun hat aber 
diese Lage des Tablinums nur Sinn durch die so gewonnene 
Perspective auf den Garten, und auch der Gang musste doch 
irgendwohin führen: es stammt also der Pfosten, den Nissen 
seiner Berechnung zu Grunde legt, aus einer Zeit, wo keinenfalls 
hier das Haus zu Ende war. 

Im ganzen Inneren des Hauses ist nichts erhalten, was sich 
auf die Zeit der Kalksteinatrien zurückführen Hesse. Das Zim- 
mer rechts vom Eingang zeigt in der Wand gegen das Atrium 
Kalksteinpfeiler ohne sichtbares Bindemittel in Verbindung mit 
gewöhnlichem Incertum aus Lava. Auch der südliche paries 
communis ist nicht alt: wie der nördliche hinter der Facade 
des Nachbarhauses, so lag er ohne Zweifel ursprünglich hinter 
der des in Rede stehenden, während er jetzt südlich an dieselbe 
angesetzt ist. 



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Kalksteinatrien. 



67 



No. 11. 12: VI, 9, 1, casa del Duea d'Aumale. 

Nissen's Behandlung dieses aus zwei älteren Häusern ent- 
standenen Hauses erfordert einige Bemerkungen. 

In Betreff des ersten Hauses handelt es sich nur um eine 
unwesentliche Berichtigung der Masse: erstes Stück von der 
Mauer 4,32, Thür 1,76, zweites Stück 4,27, Länge der Facade, 
hinter der der südliche partes communis und die der Stadt- 
mauer zugekehrte Wand liegen, 10,35 = 37' 7*/ 8 " oskisch. 

Zu dem zweiten Hause hat Nissen den gegen die Strasse 
vermauerten Laden, der sich an das Südende der Facade an- 
schliesst, hinzugerechnet. Dass derselbe zur casa di Meleagro 
„schwerlich zu irgend einer Zeit gehört haben kann", ist unerweis- 
lich: der anstossende Theil der casa di . Meleagro ist das Peri- 
styl, ein junger Bau, dem mindestens ein, vermuthlich zwei Atrien 
haben Platz machen müssen: nichts steht der Annahme im Wege, 
dass jener Laden ein Rest eines derselben ist. Der Pfeiler an 
der Nordseite seines Einganges kann sehr wohl auch der alte 
Eckpfeiler des zweiten Hauses der casa del Duca d'Aumale 
sein. Bis dahin misst die Front des alten Hauses : erstes Stück 
3,92 (14V/), Thür 1,78 (6%' - 0,008), zweites Stück 4,20 (15' 
3" — 0,006), zusammen 9,90 = 36'. 

Von eben dem Eckpfeiler bis zu den alten Theilen der 
casa di Meleagro sind c. 22,60 = c. 82', was für 2 Atrien gerade 
passen würde. 

Auch ist es schwerlich richtig, dass aus dem Vorderzimmer 
eine jetzt vermauerte Thür in jenen Laden führte*- dieselbe müsste 
eine Höhe von 2,04 bei nur 0,60 Breite gehabt haben, ein doch zu 
unwahrscheinliches Verhältniss. Es war wohl sicher ein Fenster. 

Endlich ist es nicht richtig, dass die Fach werkmauern des 
zweiten der beiden Atrien mit „kalklosem Lehmmörtel" gebunden 
sind: dass der Mörtel Kalk enthält, lässt sich bis tief in's Innere 
der Mauer constatiren. Eigentümlich ist es, dass vielfach der 
Kalk in grösseren Massen unvermischt als feines weisses Pulver 
beisammen geblieben ist: es kommt dies noch öfter vor, und ist 
der Aufmerksamkeit dessen, der einmal den Mörtel Pompeji's 
einer technischen Untersuchung unterziehen wird, dringend zu 
empfehlen. 

5' 



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68 



Capitel III. 



No. 13: VI, 11, 12. 

Nissen verzichtet auf die genaue Berechnung des Inhalts, 
weil das auf die Ostseite der Insel (vico del Laberinto) mün- 
dende Haus mit einem nach W. (vico del Fauno) mündenden 
(VI, 11, 7) verbunden, und die Grenzlinie zwischen beiden nicht 
zu finden ist. 

Diese Grenzlinie lässt sich aber doch mit grosser Wahr- 
scheinlichkeit bestimmen. Die beiden Häuser liegen nicht genau 
eines in der Verlängerung des andern, sondern No. 7 liegt etwas 
weiter nördlich. In Folge dessen berührt sich No. 12 auch mit 
dem südlich an No. 7 anstossenden Hause No. 8, No. 7 auch mit 
dem nördlich an 12 anstossenden No. 13. Nun ist erstlich das 
Stück Mauer zwischen No. 8 und 12, mit der Nordostecke des 
ersten Hauses, offenbar recht alt und liegt femer genau in einer 
Linie mit der Grenze zwischen 7 und dem südlichen Theil von 
13: wir werden also schwerlich irren, wenn wir in dieser Linie 
die alte Grenze auch zwischen 7 und 12 erkennen. 

Alsdann ist die Länge im Süden 16,38, im Norden 16,45 
netto: mittlere Länge 16,42 = 59'//. Die Front misst 12,55 (4,68, 
Thür 1,59, 6,28) = 45' 8" (— 9 MOL), netto 44'//, denn hinter 
der Front steht nur ein paries communis; hintere Breite 12,20 
= 44'/,, netto 42 5 / 6 : mittlere Breite 43 »//. Daraus ergiebt sich 
der Flächeninhalt 59% X 43'/, = 2599 □', also keine runde 
Summe im Sinne Nissen's. 

No. 14: VI, 11, 13. 

Eines der drei von Nissen als besonders beweisend hervor- 
gehobenen Beispiele. Der Inhalt wird auf 53 x 33, netto 50 X 30 
= 1500 □' = % 0 Vorsus berechnet. 

Doch verliert diese Berechnung allen Werth dadurch, dass 
die von Nissen angenommene hintere Grenze des ursprünglichen 
Hauses durch gar nichts als solche bezeugt ist. „Die Rückwand 
des Hinterzimmers zeigt alte Construction und bestimmt dadurch 
die ursprüngliche Länge des Atriums." Das ist der ganze Beweis, 
und er ist nichtig, weil das behauptete Factum auf das bestimm- 
teste verneint werden muss: die Mauer zeigt unten Incertum aus 
Lava und Fragmenten von opus Signinum, oben lange, hori- 



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Kalksteinatrien. 69 

zontal liegende Kalksteinstüeke, gemischt mit Ziegeln, alles auf- 
gemauert mit Kalkmörtel; von der Bauart der Kalksteinatrien 
keine Spur. Vielmehr sieht dies Mauerwerk ganz vorzugsweise 
jung aus: hier die hintere Grenze des alten Hauses anzunehmen 
würde reine Willkür sein. Die ursprüngliche Länge ist unbe- 
kannt. 

Es ist nach Nissen eine sehr bedeutsame Erscheinung, dass 
in dem Nordwestwinkel des Hofes der Heerd steht. Dagegen 
muss bemerkt werden, dass die betreifende Aufmauerung ebenso 
gut ein irgend einem Gewerbsbetrieb dienender gemauerter Tisch 
sein kann und durch nichts als Heerd charakterisirt ist. Ferner 
aber ist sie keineswegs ein Rest aus alter Zeit, sondern jünger 
als der durchaus nicht alte Stuckbewurf der Wand, an die sie 
angelehnt ist. 

No. 15: VI, 11, 16. 

Nissen's überraschend runde Zahl von 58 1 /, X 30 = 1750 □' 
Flächeninhalt beruht auch hier auf Täuschung. 

Die Front, hinter der ein pari es communis steht, misst 
8,65, netto 8,24, die hintere Nettobreite ist etwa 8,10: mittlere 
Breite 8,17 * = 29 s / 4 '. Die Tiefe beträgt einschliesslich der 
Strasseninauer 16,50 = 60*, netto 58 '/ a \ Also 

58% X 29% = 1740% □. 

Es muss freilich bemerkt werden, dass von den Seitenmauern 
nur die nördliche aus Fachwerk besteht, die südliche aber jünger 
ist; mithin ist es nicht unmöglich, dass einst das Haus wie in 
der Front so auch in seiner ganzen Ausdehnung 30' breit war. 
Dann würde Nissen's Resultat so ziemlich richtig sein: 

58'/, X 30 = 1755 □'. 
Aber der Inhalt des uns vorliegenden Hauses ist dies nicht. 

No. 16: VI, 11, 19, 

Die Quaderfront misst genau 8,53 = 31'; sie entspricht der 
Breite des Hofes. Es wurde aber schon oben (S. 31) bemerkt, 
dass schon in der Kalksteinperiode das Haus breiter war. Be- 
sonders deutlich ist dies auf der rechten Seite, wo die Wand des 
Atriums mit den Thüren, und die Wand zwischen Ala und Seiten- 



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70 Capitel III. 

• 

zimmer unverkennbar das Mauerwerk jener Periode zeigen. Wie 
breit damals das Haus war, wissen wir nicht, da sowohl die 
Seitenmauern als das südliche Nebenhaus jünger sind. Ferner 
schioss das Haus in der Kalksteinperiode trotz der Verschieden- 
heit des Niveaus der rückwärts anstossenden Räume nicht wie 
jetzt mit der Rückwand des Atriums ab. Das südlichste Stück 
dieser Rückwand (c. 0,80) besteht aus Kalksteinfachwerk mit 
Lehm und endigt nach Norden mit einem auf eben dieser Seite 
senkrecht abgeschlossenen Pfeiler, einem unverkennbaren Thür- 
pfoBten, von dessen alter Stuckbekleidung auch auf der Nord- 
seite Reste sichtbar sind. Also hier war schon in der Kalkstein- 
periode ein Durchgang zu hinteren Räumen. 

Ob die 8,53 lange Quadermauer wirklich eine abgeschlossene 
Facade ist, wird vielleicht nach ihrer vollständigen Ausgrabung 
beurtheilt werden können. Gehen wir auf Nissen's Voraus- 
setzungen ein, so beträgt die Nettobreite 28'; denn da das Haus 
den nördlichen Abschluss einer Reihe von Häusern bildet, deren 
jedes die südliche Seiten wand hinter seiner Front hat, so müssten 
hier deren zwei in Rechnung gebracht werden. Die Nettotiefe 
ist 13,95 = 50%', also Flächeninhalt 50% X 28 = 1421 □'. 

No. 17: VI, 11, 4. 

Nissen giebt hier nur eine ungefähre Schätzung. Eine Nach- 
prüfung derselben können wir uns sparen, da sie doch auf Be- 
weiskraft keinen Anspruch erheben kann. 

No. 18: VI, 7, 7. 

Front netto 6,53 = 23%. Breite hinter dem Tablinum 6,10: 
mittlere Breite 6,315 = 23' (— 0,01). Tiefe netto 13,80 (reichlich 
gemessen) = 50 (-f- 5 Cent.). Also 50 X 23 = 1150 □'. 

Nissen erhält 1200, indem er das Tablinum gesondert be- 
rechnet; doch beruht die Differenz namentlich auf der irrthüm- 
lichen Angabe der Tiefe (3,57 + 7,56 + 3,71 = 14,84). Er ge- 
winnt dann die runde Zahl 1500, indem er noch den Hortus 
hinzurechnet. Da derselbe 6,10 = 22%' tief ist, so wächst dadurch 
der Flächeninhalt um 22'/ 8 x 22% = 491 V 3 , und wir erhalten 
jetzt 1641V,. 



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Kalksteinatrien. 



71 



Wir haben aber keinerlei Bürgschaft, dass, wenn das Haus 
ursprünglich einen Hortus hatte, dieser gerade so tief war, wie 
der jetzige. Ueberhaupt ist ausser der Mauer und dem Pfeiler 
links am Eingang nichts alt, auch nicht die Rückwand des Ta- 
blinums, welches ganz dünne Mauern hat, so dass auch die Tiefe 
ohne den Hortus durchaus nicht feststeht. 

No. 19: VI, 5, 3, casa di Nettuno. 

Nissen berechnet den Flächeninhalt auf 2000 □', indem er 
die Rückmauer des Tablinums als hintere Grenze des Hauses 
annimmt. Wir enthalten uns seine Rechnung zu controliren. 
Erstlich gehört das Haus nicht zu den ältesten, von Nissen als 
Kalksteinatrien bezeichneten Häusern. Nur an der Thür und an 
der Ecke findet sich, wie auch sonst, ein Pfeiler aus abwechselnd 
stehenden und liegenden Kalksteinquadern-, dazwischen Incertum, 
zu unterst ganz gewöhnliches aus Lava, darüber aus Kalkstein 
mit horizontaler Schichtung, die allerdings an die Fachwerk- 
technik erinnert. Als Mörtel kommt hie und da eine schwärz- 
liche, wenig consistente Masse zum Vorschein, die Nissen wohl 
meinen wird, wenn er von Lehm spricht. Aber der Eckpfeiler 
ist gleichzeitig auch mit der Frontmauer des Nachbarhauses 
No. 4 gebunden: also sind beide gleichzeitig. Diese aber hat 
zwischen ähnlichen Pfeilern ganz gewöhnliches Incertum aus 
Lava mit Puzzolanmörtel. 

Ferner aber ist eine Berechnung des Flächeninhalts unmög- 
lich, weil wir weder die alte hintere Grenze des Hauses kennen — 
wenn es nämlich nicht von jeher die ganze Breite der Insel ein- 
nahm — noch seine ursprüngliche Breite. 

Die Rückwand des Tablinums ist nicht alt: sie besteht aus 
gewöhnlichem Incertum mit Kalkmörtel und enthält am Nord- 
ende eine vermauerte Thür mit Pfosten aus ziegeiförmigem Tuff 
und Kalkstein. Endlich: ist die jetzige Disposition des Hauses 
alt — und ist sie es nicht, so fehlt uns jeder Anhalt — dann 
ist es auch der Gang rechts neben dem Tablinum, der doch 
jedenfalls zu irgend welchen hinteren Räumen unbekannter Aus- 
dehnung führen musste. 

Die ursprüngliche Breite ist uns unbekannt, da weder die 
nördliche Seitenmauer noch der nördliche Theil der Facade alt 



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72 



Capitel III. 



ist. Nissen freilieh sagt: „das erste (nördliche) Stück der Fa^ade 
in Bruchstein beträgt jetzt 6,93, betrug früher — wie sich aus 
dem Hofe ergiebt — 3,78 M. 13'//" — und berechnet daraufhin 
die Front auf 9,35 = 34 resp. 31'. Wie sich dieB aus dem Hofe 
ergeben soll, ist unklar. Nissen nimmt an, dass die Nordgrenze 
des Hofes einst auch die Nordgrenze des Hauses gewesen sei, 
eine Annahme, für welche nicht der mindeste Anhalt vorhanden 
ist. Die zum Theil vermauerten Thüren der Nordseite sehen 
mit ihren Kalksteinpfeilern durchaus alt aus (zwischen ihnen 
ist freilich hie und da mit Ziegeln ausgebessert worden); es waren 
also hier von Alters her Zimmer. Wohin führte ferner die Thür 
links neben dem Tablinum? doch wohl in ein Zimmer, welches, 
um nur einige Breite zu haben, jedenfalls über die Nordmauer des 
Atriums hinaus reichen musste. 

No. 20: VI, 5, 5, casa dei vasi di vetro (del Granduca 

Michele). 

Wir verzichten auch hier darauf, Nissen's Rechnung, welche 
einen Flächeninhalt von 1750 □' ergiebt, im einzelnen zu contro- 
liren; denn erstlich gehört auch dies Haus nicht zu den alten 
Kalksteinatrien, zweitens sind die Daten, auf welche sich jene 
Berechnung gründet, theils offenbar irrig, theils ganz willkürlich 
angenommen. 

Das Mauerwerk gleicht dem der casa di Nettuno (No. 19), 
nur mit dem Unterschied, dass hier am Boden keine Lava ver- 
wandt ist, und dass durch hie und da eingestreute grössere, theils 
horizontal, theils vertical liegende pfeilerartige Steine das Ganze 
eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Fachwerk erhalten hat, je- 
doch ohne die für dieses charakteristische Anordnung. Die Front- 
mauer habe ich rechts oben bis in's Innerste hinein untersuchen 
können, und constatirt, dass sie mit gutem, festem Puzzolanmörtel 
gemacht ist. Wenn also wirklich die Front der casa di Nettuno 
mit Lehm gemacht ist, so verliert dieser seinen Werth als chro- 
nologisches Kriterium. 

Irrig ist die Annahme einer Erweiterung auf Kosten des 
südlichen Nachbarhauses No. 7. Der Laden No. 6 gehörte immer 
zu No. 5, und seine Südmauer gleicht vollständig der Front, 
während in No. 7 Lava und Cruma verwandt sind. — Ganz will- 




I 



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Kalkstoinatrien. 



73 



ktirlich ist die, wie Nissen meint, überaus wahrscheinliche An- 
nahme, dass die Säulen des Peristyls auf der alten Hinter wand 
stehen. 

Wie No. 3 und 4 nur links, so hatte dies Haus nur rechts 
am Atrium Zimmer. Vermuthlich ging, wie 4 und 5 noch jetzt, 
so einst auch 3 durch die ganze Insel: dies bei 4 und 5 für 
nicht ursprünglich zu halten, wie Nissen thut, liegt gar kein 
Grund vor; es spricht dagegen die sich ganz gleich bleibende 
Breite, während z. B. in der 11. Insel derselben Region die Seiten- 
grenzen der an den beiden Langseiten liegenden Häüser nicht 
übereinstimmen. In den Räumen hinter No. 3 — jetzt durch 
allerlei späte Bauten (No. 22) ausgefüllt — stehen noch 2 Kalk- 
steinsäulen: sicher aus der Zeit, wo hier der Hortus war. 

Keines der 3 Häuser scheint ursprünglich ein Peristyl mit 
Zimmern gehabt zu haben: No. 4 hat noch jetzt die alterthüm- 
liche Form mit nur einer Querporticus hinter dem Tablinum, auf 
die dann der Hortus folgt. Bei 5 zeigt alles, was hinter dem 
Atrium liegt, junges Mauerwerk, mit Ziegelpfeilern. Auch die 
Säulen sind, so weit es sich feststellen lässt, aus Ziegeln, mit 
Capitellen theils aus Tuff, theils aus Lava. 

Um die Zeit .dieser drei, offenbar zusammengehörigen Häuser 
zu beurtheilen, müssen wir namentlich No. 4 als das besterhaltene 
in's Auge fassen. Hier finden wir auf den Thürpfosten, die in 
Häusern der Tuffperiode (Peristylhäusern) so sehr häufigen Würfel 
aus Tuff. Darüber lag dann zunächst eine hölzerne Bohle und 
auf dieser ein grosser Sturz aus Kalkstein. Darüber ist endlich 
ein Gesimsstück aus Tuff eingemauert, mit Abschluss nach beiden 
Seiten, und offenbar für diesen Ort gemacht. Die Tuffwürfel 
wiederholen sich auf den inneren Ecken der fauces gegen das 
Atrium (links erhalten). — Eigenthümlich ist das corinthische 
Atrium: es hat 4 Ecksäulen, zwischen denen nur auf der linken 
Seite — wo die Zimmer sind — noch 2 weitere Säulen stehen. 
Sie sind hier wie am Hortus aus Tuff, dorisch ohne Cannelüren, 
mit Fugenschnitt, wo die Trommeln zusammentreffen, von häss- 
lichen Verhältnissen, hoch 4,34 bei 1,55 Umfang. Sie waren, 
wenigstens am Peristyl — am Atrium ist nichts davon erhalten — 
anfangs mit feinem weissen Stuck bekleidet. Später, nachdem 
sie durch ein Podium verbunden waren, wurden sie — wenigstens 



74 



Capitcl III. 



unten — schwarz übertüncht. Von einer noch späteren Stuck- 
bekleidung sind nur Theile der groben Unterlage erhalten. . 

Die alten Mauern aus Kalkstein sind 0,41 dick. Jüngere, 
mit Pfeilern aus ziegeiförmigem Tuff, messen nur 0,38. 

Es finden sich Decorationsreste ersten Stils im ersten Zim- 
mer rechts am Atrium No. 5 und in einem kleinen Raum nörd- 
lich des linken Hinterzinimers von No. 4, der einst als eine 
Nische für einen lectus zu eben diesem Hinterzimmer gehörte, 
in welchem auch in der Nordwestecke noch Reste derselben 
Decoration sichtbar sind. 

Wir werden also diese Häuser in den Anfang der Tuffperiode 
setzen dürfen, später aber als die Kalksteinatrien, an deren 
Technik das Mauerwerk der Front von 3 und 5 noch erinnert. 



Die Facade besteht aus ungewöhnlich niedrigen Steinen und 
sieht nicht recht alt aus; dazwischen zwei der gewöhnlichen 
grossen Quadern. — Länge der Front 10,90 = 39'// (39' 7 '/,"). 
Ziehen wir davon einen paries communis mit l 1 // ab, und 
rechnen mit Nissen die Tiefe auf 55' (Hälfte der Insel), so er- 
halten wir einen Flächeninhalt von 2090 Q (Nissen 2000). 

Zwischen den Thüren VI, 5, 6 und 7 (Nissen 20 und 21) ist 
in einer Bruchsteinmauer aus Lava und Cruma mit Kalkstein- 
pfeilern eine Thür zugesetzt und dabei ein Mörtel verwandt, der 
sich bei der leisesten Berührung in Pulver auflöst. Doch scheint 
er nicht ganz ohne Kalk und ist jedenfalls jünger als die Mauer 
selbst, deren Kalkmörtel ausser Zweifel ist. Sie ist wohl gleich- 
zeitig mit No. 4, 5, 6. 

No. 22. 23: VI, 5, 8. 9. — No. 24. 25: VI, 2, 22. 28. 

Nissen giebt für diese Häuser nur ungefähre Schätzungen 
des Flächeninhaltes, keine auf Beweiskraft Anspruch machenden 
Berechnungen. Wenn er für No. 25 aus der Front von 37 V,' • 
und der Tiefe von 69 resp. 66' einen Inhalt von 2475, rund 
2500 □' berechnet, so mag hier kurz bemerkt werden, dass zwar 
die Front auch nach meiner Messung netto 10,31 = 37'/»' beträgt, 
die Tiefe aber netto 19,20 = 70' (genau 69' 10") , woraus sich 
ein Flächeninhalt von 2625 □' ergiebt. Ferner ist zwar der 



No. 21: VI, 5, 7. 




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Kalksteinatricn. 



75 



nördliche Theil der Rttckmauer alt, im südlichen Theil derselben 
aber ist eine Verbindung mit dem westlich anstossenden Hause 
vermauert. 

No. 26: VI, 2, 14, casa delle Amazzoni. 

Gesammtinhalt nach Nissen 2000 □'. Die Froüt misst, so- 
weit sie diesem Hause entspricht, 9,45, einschliesslich der nörd- 
lichen Zwischenmauer, nicht 9,90, wie Nissen angiebt. Das nörd- 
liche Stück nämlich (2,95 netto) greift ausserdem noch um 0,84 
vor das Nachbarhaus über. Hier hat sie keinen Abschluss, son- 
dern ist gebrochen: wie weit sie ursprünglich noch ging, entzieht 
sich jeder Berechnung. Nur so viel können wir sagen, dass, 
da sie gleich nach einem der bekannten Fachwerkpfeiler ge- 
brochen ist, sie noch nicht gleich zu Ende sein konnte. Da 
ausserdem die Beschaffenheit der nördlichen Zwischenmauer 
nirgends kenntlich ist, so wissen wir von der Breite des ursprüng- 
lichen Kalksteinatriums gar nichts und ist also Nissen's Berech- 
nung des Flächeninhalts gänzlich illusorisch. 

No. 27: VI, 2, 13. 

Wird auf c. 1750 □'berechnet. — Erstens aber ist von ältester 
Construction hier nichts zu finden — einige Kalksteinpfosten 
deuten keineswegs mit Bestimmtheit auf dieselbe; zweitens ist 
auch hier die Inhaltsberechnung illusorisch. Nissen rechnet näm- 
lich die Tiefe bis an die Rückwand des Tablinums. Nun ist 
allerdings jetzt dies und die rechts und links daneben liegenden 
Räume hinten geschlossen; doch ist leicht, namentlich von der 
Rückseite, zu sehen, dass. dies erst nachträglich geschehen ist: 
alle diese Räume waren ehedem aufs Peristyl geöffnet, und das 
„sehr schmale" Zimmer ist eben nichts als der gewöhnliche Gang 
neben dem Tablinum: anders ist auch seine Form gar nicht er- 
klärlich. Das rückwärts anstossende Haus giebt sich deutlich 
genug als früheres Peristyl zu erkennen. Dass nun dies seiner- 
seits in einer noch früheren Periode aus einem Atrium entstanden 
ist, ist nicht unwahrscheinlich, da in dieser Insel die Grund- 
stücke nicht gerade durchgehen, also eine Theilung der Länge 
nach ursprünglich stattgefunden zu haben scheint. Wo dann 
aber die Grenzlinie war, das wissen wir nicht: dass sie ursprüng- 



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76 



Capitel III. 



lieh da gewesen sei, wo jetzt das Tablinum endet, wie Nissen 
annimmt, ist das allerunwahrscheinlichste. Denn wenn die 
jetzige Disposition der Räume hinter dem Atrium alt ist — und 
ein Kalksteinpfeiler rechts am Tablinum spricht dafür — so 
führte auch schon in alter Zeit der erwähnte Gang zu hinteren 
Räumen. Die jetzige Rückwand des Tablinums liegt noch c. 1,50 
westlich der Mitte der Insel. 

Zu Nissen's Berechnung, 30 X c. 60 = c. 1750, ist noch zu 
bemerken, dass bei dieser Methode, wenn man nämlich eine Ab- 
weichung von 50 □' als unwesentlich betrachtet, */» aller denk- 
baren Zahlen den von Nissen S. 588 an eine runde Grösse osk. 
Landmasses gestellten Anforderungen genügen, nämlich durch 
250 theilbar sind. 

Der Heerd, sagt Nissen, scheint im Hofe gewesen zu sein. 
Es braucht nach dem gesagten kaum noch bemerkt zu werden, 
dass dies höchstens für die Zeit nach der Abtrennung vom Peri- 
styl gelten kann. 

No. 28: VI, 2, 12. 

No. 27 und 28 haben eine gemeinsame Frönt: Incertum aus 
Lava mit Kalkmörtel, Thttrpfeiler aus Tuff- und Kalksteinquadern. 
Auch in 28 findet sich keine Spur ältester Construction. — Die 
von Nissen angenommene nachträgliche Erweiterung ist wenig 
glaublich, da die Seitenwände bis an's Ende gerade durch gehen. 
Eine Berechnung des Flächeninhalts ist nicht versucht worden. 

No. 29: VI, 2, 11. 

Auch hier bestehen die Mauern aus Incertum, für welches 
in der Front Kalkstein, im Innern auch Lava verwandt ist; der 
schadhafte Zustand gestattet, bis in's Innerste der Mauern den 
Kalkmörtel zu constatiren. Fach werk findet sich nicht, wohl 
aber Thttrpfeiler, deren aufrecht stehende Steine sehr dünn sind, 
ähnlich wie bei No. 19 (e. di Nettuno). 

Die jetzige Grösse ist nicht die alte: der jetzt zum rückwärts 
anstossenden Hause gehörige Garten war einst mit diesem verbun- 
den. Die Seitenmauern gehen auch neben ihm gerade durch; er 
bewahrt die auch im Atrium erhaltene Decoration ersten Stils, und 



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Kalksteinatricn. 



77 



die links des grossen Fensters vermauerte Thür ist noch deut- 
lich zu erkennen. 

Es folgt (südlich), nach Nissen, Fach werk 4,90 M.: es ist 
aber kein Fachwerk, sondern Incertum. 

No. 30: VII, 6, 7. 

Das letzte der drei von Nissen S. 401 als besonders bewei- 
send für Reine Ansicht über den Flächeninhalt der Kalksteinatrien 
hervorgehohenen Beispiele. Doch verhält es sich mit diesem 
Hause ganz anders. 

Es ist von dem westlichen Nebenhause durch eine Quader- 
mauer getrennt; diese aber ist auch das einzige, was mit einiger 
Sicherheit auf die Periode der Kalksteinatrien zurückgeführt wer- 
den kann : im übrigen finden wir zwar Eckpfeiler aus Kalkstein, 
aber das Mauerwerk ist Incertum aus Kalkstein mit Kalkmörtel; 
nirgends Fachwerk, oder Lehm als Bindemittel. Jene Mauer 
aber beweist nur, dass in alter Zeit hier Gebäude standen, ohne 
irgend einen Schluss auf die damalige Form und Grösse der- 
selben zu gestatten. 

Ferner berechtigt uns nichts, mit Nissen die Rückseite des 
Tablinums zum Ausgangspunkt der Messung zu nehmen. Dies ist 
hinten offen, und man sieht hinter demselben, in den noch un- 
ausgegrabenen Theilen, Mauern, welche denen des Atriums ganz 
gleichartig, also doch wohl auch gleichaltrig sind. — Auch die 
Verbindung mit dem westlichen Nebenhause ist nicht jünger als 
die ganze uns vorliegende Gestalt des Atriums. 

Und ebenso unberechtigt ist Nissen's Annahme, dass die 
Front einst weiter zurück gelegen habe. Der „Rest des alten 
Thürpfostens aus Kalkstein", den Nissen in der Ostwand des 
Einganges wahrnimmt, ist eine Quader, welche aber nicht auf 
dem Boden steht, sondern Incertum unter sich hat; sie liegt c. 
0,80 Uber dem Boden, ist in die Verzahnung des Ziegelpfeilers 
hinein geschoben, und es unterliegt gar keinem Zweifel, dass 
man sie eben hier vermauert hat, weil sie gerade vorhanden 
war. Die Front liegt in gleicher Flucht mit der der anliegenden 
Häuser, die Strasse hat gerade hier ihre vollkommenste Breite, 
und nichts ist unwahrscheinlicher, als dass sie jemals noch breiter 
gewesen sein sollte. 



78 



Capitel III. 



Wir haben also hier nur ein weiteres Beispiel dafür, dass 
auch eine so runde Zahl wie 2500 □' dem Zufall, d. h. auch 
hier dem Irrthum, ihre Entstehung verdanken kann. 

Für No. 31—39 hat Nissen keine Berechnung des Flächen- 
inhalts versucht. 

No. 31: VII, 7, 21. 

Auch hier nichts, was mit Sicherheit über die Zeit der Peri- 
stylhäuser hinausführt: das Mauerwerk ist in der Front das 
gleiche wie in der casa di Nettuno (No. 19); an den Thtiren 
der Zimmer rechts und links vom alten Eingang sind Kalkstein- 
pfeiler, wie in so vielen Peristylhäusern. 

Richtig ist, dass zu dem von Nissen als b bezeichneten Hause 
auch c, das westlich anstossende, früher gehört haben muss: so- 
wohl das Zimmer westlich vom Atrium als auch der links da- 
neben liegende Gang waren einst dahin geöffnet. 

No. 32: VII, 7, 23. 

Die Thür- und Eckpfeiler sind aus Kalkstein, die Mauern 
aber sicher mit Kalkmörtel gemacht. In der Frontmauer, nörd- 
lich vom Eingang, sieht man c. 0,55 vom Boden eine c. 0,40 
hohe Schicht gewöhnlichen Lavaincertums. — Ein Pfeiler rechts 
am Atrium ist aus ungleichen Kalksteinblöcken aufgeschichtet, 
aber in ganz anderer Weise als in den ältesten Häusern : grosse 
und kleine Steine liegen unregelmässig bei einander, er bildet 
den Abschluss einer Incertumsmauer aus dem verschiedensten 
Material. Das ganze ist ein Bau aus Trümmern. Darauf deutet 
.auch die nur auf einer Seite des Durchganges zum Garten sich 
findende verstümmelte korinthische Säule. 

Die von Nissen hervorgehobene Gleichheit der Bemalung mit 
No. 31 stammt aus später Zeit, da von alten Decorationen hier 
wie dort kaum etwas erhalten ist. In der Südwestecke des 
Atriums ist ein Rest eines gelben Sockels, vielleicht aus der Zeit 
des ersten Decorationsstils, welcher für den Sockel diese Farbe 
liebte, erhalten. 

No. 36: VII, 7, 10. 

Die im Innern erhaltenen alten Theile reichen hin, um zu 
constatiren, dass die Form des Atriums, einschliesslich des Ta- 



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Kalksteinatrien. 79 

bliniims, auf die Zeit der Kalksteinatrien zurückgeht. So ziem- 
lich die ganze Westseite ist alt; das Tablinum ist gesichert durch 
den linken Rückpilaster; vermuthlich sind auch die beiden Vorder- 
pilaster alt. Ferner der östliche Theil der Rückwand des linken 
Hinterzimmers: man sieht, dass dies früher eine Thür nach hinten 
hatte. Zwischen dem Laden No. 11 und dem ersten Zimmer links 
vom Atrium, zwischen dem zweiten Zimmer ebenda und der Ala 
ist deutliches Fachwerk. 

Es steht nun unzweifelhaft fest, dass diese alten Theile — 
und sicher gerade die, in welchen das Fach werk kenntlich ist — mit 
Kalkmörtel gemacht sind. Die Pfeiler um's Atrium sind, so weit 
kenntlich, nicht massiv, wie im Hause des Chirurgen, sondern 
die Zwischenräume zwischen den Quadern sind mit kleineren 
Steinen ausgefüllt. Dies kaun man mit Sicherheit schon daraus 
schliessen, dass die Quadern an den Thüren aufrecht stehen. 

Die alten Reste im nördlichen Theil des Hauses reichen hin, 
am festzustellen, dass es in der Zeit der Kalksteinatrien gegen 
Nordwest denselben Winkel hatte wie jetzt. Die ganze West- 
wand bezeugt, dass der Vicus damals schon genau den jetzigen 
Gang hatte. 

No. 37: VIII, 3, 4, casa di Ercole ed Auge. 

Dies Haus enthält weit weniger älteste Bestandtheile als 
Nissen annimmt. Ganz alt sind nämlich nur die Quaderreste 
der Ostmauer und die Zwischenmauer gegen den westlichen (nicht 
nördlichen) Laden; letztere ist nicht massiv, sondern aus Fach- 
werk. Um irgendwie die Form des alten Atriums festzustellen, 
reichen natürlich diese Reste bei weitem nicht aus. 

Die Wandstücke am Atrium sind nicht massiv, sondern be- 
stehen aus Quaderpfosten an den Thtiren, deren Zwischenräume 
mit kleinen Steinen — stellenweise ausschliesslich Lava — aus- 
gefüllt sind; die letzteren sind sicher durch Kalkmörtel verbunden. 
Die Quadern haben zwischen sich zum Theil recht starke Schichten 
theils Kalk, theils Kalkmörtel. Besonders deutlich ist diese Con- 
struction auf der rechten Seite; links sind etwas mehr Quadern 
verwandt, doch auch hier findet sich die Füllung mit kleinen 
Steinen und zwischen den Quadern Mörtelschichten bis zur Stärke 
von fast 2 Centimetern. Sind also diese Wandstücke jünger als 



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80 



Capitel III. 



die ältesten Bestandteile, so sind die Zwischenwände der Seiten- 
zimmer, wenigstens theilweise, noch jünger. Deutlich ist dies an 
der linken Ala, wo am Fuss des Eckpfeilers ein Rest einer 
älteren Zwischenmauer — Incertum aus Lava und wenig Kalk- 
stein — stehen geblieben ist. Es ist dies nicht etwa ein späterer 
Zusatz; denn ohne diesen Rest hätte der Pfeiler sich nicht halten 
können. 

Irrig ist es endlich, wenn Nissen aus einer wirklich und 
zwei vermeintlich vermauerten Ziegelsäulen folgert, „dass das 
Atrium einmal ganz als Peristyl behandelt gewesen ist". Viel- 
mehr stammt die in der westlichen (nicht nördlichen) Wand des 
Tablinums vermauerte Säule aus einer Zeit, wo das Haus kein 
Tablinum, sondern nur einen Durchgang zu dem um so viel 
grösseren Peristyl hatte. Die beiden Dreiviertelsäulen am Eingang 
des Tablinums sind überhaupt nicht vermauert, sondern gehören 
der jüngsten Form des Hauses an und vertreten die Stelle der 
an diesem Ort gewöhnlichen Eckpilaster. — Unabhängig davon 
sind die vier Ziegelsäulen des Atriums. 

No. 38: VII, 3, 4, casa della regina d'Inghilterra. 

Ueber die in diesem Hause enthaltenen merkwürdigen und 
lehrreichen Reste alter Constructionen konnte Nissen nicht iu's 
Klare kommen, weil ihm der hier verbaute alte monumentale 
Brunnen entgangen ist. S. darüber oben S. 42 ff. 

No. 40: VII, 3, 29, domus M. Spuri Mesoris. 

Das Alter dieses Hauses erhellt nach Nissen schon aus dem 
Umstände, dass die Front nicht zur Strassenflucht stimmt, viel- 
mehr um 0,75 M. hinter das östlich anliegende Haus zurücktritt. 
Die Bemerkung ist richtig, bedarf aber näherer Präcisirung, um 
nicht missverstanden zu werden. Die Front liegt nämlich mit 
der des westlich anstossenden alten Hauses in gleicher Flucht, 
und die der weiteren Häuser bis zur Westecke weicht nur un- 
wesentlich ab. Dagegen springen die nach Osten hin folgenden 
Häuser in den Vicus vor, bilden dann bei No. 24 einen stumpfen 
Winkel und weichen von da an wieder zurück, der Art, dass 
die Ecke gegen die Via Stabiana (0.) ziemlich in der Verlängerung 



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Kalksteinatrien. 



81 



der Front jener westlichen Häuser liegt. Also das Haus des 
Spurius Mesor gehört einer genau regulirten Strassenlinie an, 
weiter nach 0. ist man später von derselben abgewichen. Unter 
diesen abweichenden Häusern gehört der östliche Theil des Hauses 
No. 24 der Tuffperiode an. Trottöir und Pflaster folgen diesen 
Unregelmässigkeiten, sind also jünger als dieselben. 

Die Front misst 13,07 =47'/,' osk., hinter ihr steht ein pari es 
communis (W.): Nettobreite 46'. Etwa in der Mitte ist die 
Breite 12,73: da dies von der vorderen Nettobreito um 0,07 ab- 
weicht, dürfen wir für die weniger leicht zu constatirende hintere 
Breite c. 12,80 voraussetzen. Und dies ergab auch eine so 
sorgfältig wie möglich angestellte Messung: 



kleiner Hof in der Nordwestecke 2,0 

Mauer mit zwei Stucklagen 0,50 

Zimmer hinter dem Tablinum 2,61 

noch innerhalb der alten Ostgrenze liegender 
Theil des auf den Garten (0.) geöffneten 

Tricliniums c. 4,45 

Mauer zwischen diesem und dem Zimmer hinter 

dem Tablinum 0,42 



Mauer gegen das westliche Neben haus .... 0,42 
abgetrennt zu Gunsten des letzteren .... 2,39 • 

Nettobreite 12,79 = 46 '/,' 
Die Tiefe beträgt einschliesslich der Frontmauer 17,50 =s 63 */,'. 
Berechnen wir danach den Flächeninhalt, so erhalten wir 
Netto 46 '/ 4 X 62 = 2867 □', 
Brutto 47 % X 64 '/ 4 = 3068 □', 
(bei letzterer Rechnung ist die halbe. Dicke der Rückmauer und 
eine Seiteumauer eingerechnet). Also in keinem Falle ergiebt 
sich eine runde Summe und am wenigsten bestätigen sich die 
von Nissen gefundenen 2500 □'. 

Das hinten geschlossene Tablinum ist junger Construction. 

No. 41. 42: VII, 11, 9. 10. 

Eine Berechnung des Flächeninhalts ist hier nicht versucht 
worden. Die erste Front von W. misst einschliesslich der zwei 
parietes communes 10,80 = 39*/ 4J ohne die parietos com- 

Mau, pompejan. Beiträge. (J 



82 



Oapitel III. 



munes 37'// (Nissen 37'/,), die zweite ohne parietes com- 
munes 10,30 = 37%' (Nissen 38). 

Die erste Front, No. 9, gehört übrigens wohl nicht hierher: 
weder Fachwerk noch Lehm ist hier zu constatiren, sondern 
nur der namentlich in späten Mauern häufige schlechte gelbliche 
Mörtel. 

Im östlichen Theil der Frontmauer No. 10 — Fach werk mit 
Lehm, habe ich das Vorhandensein von Kalkmörtel ganz im Inneren 
der Mauer sicher constatirt. Ihn von der Berappung herzuleiten 
ist unmöglich, vielmehr muss er wohl den betreffenden Steinen 
Vor ihrer Vermaucrung angehaftet haben : ob als Bindemittel oder 
als Bewurf, das lässt sich nicht feststellen. Da wir aber von 
Mauern mit Kalkmörtel als Bindemittel vor der Zeit der Kalk- 
steinatrien nichts wissen, während Spuren älteren Stuckbewurfs 
auch sonst nicht fehlen, so werden wir letztere Annahme wohl 
auch hier vorziehen. 



Der Garten ist nach Nissen auf dem Boden eines 1750 □' 
messenden Kalksteinatriums hergestellt worden. Die Möglichkeit 
der Berechnung (gemacht nach dem Plan bei Fiorelli Relazione 
tav. VIII) beruht darauf, dass in der Westwand ein Stück Quader- 
mauer, in der Nordwand „ansehnliche Reste von Kalksteinfach- 
werk" erhalten sind. 

Diese letzteren Reste aber sind kein Fachwerk, sondern 
horizontal geschichtetes Mauerwerk mit reichlich verwandtem 
grauen Kalkmörtel. Ferner ist in eben diesem Mauerwerk deut- 
lich eine später zugesetzte .Thür zu erkennen : es war also das 
Haus hier nicht zu Ende, und die obige Berechnung ist mithin 
illusorisch. 



Bei Nissen's Besprechung dieser Häuser muss ein Irrthum 
untergelaufen sein. Er bezeichnet sie zuerst mit den Nummern 
11 — 14, rechnet nachher aber auch No. 10 hinzu und betrachtet 
die Mauer zwischen 9 und 10 als Scheidemauer gegen das vor- 
angehende Haus: dass diese „offenbar an alter Stelle und mit 



No. 43: VII, 10, Südostecke. 



No. 44. 45: VII, 3, 10—14. 




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Kalksteinatrien. 



83 



altem Material aufgeführt" sein soll, dafür liegt gar nichts vor; 
es ist einfach eine junge, in einen Ziegelpfeiler endigende Bruch- 
steinmauer. Auch springt mit No. 10 die Front vor. Hingegen 
enthält die Mauer zwischen 10 und 11 Kalksteinquadern und 
endigt in einen Kalksteinpfeiler: offenbar ist obige Mauer mit 
dieser verwechselt worden. 

In der linken Mauer des Atriums No. 11. 12 (Fachwerk) ist 
links neben dem senkrechten Stein, etwa in der Mitte des dort 
sichtbaren Stücks, 1,62 vom Boden, ein ziegeiförmiger Stein 
siebtbar , welcher auf der jenem senkrechten Stein anliegenden 
Seite mit Stuck bekleidet ist. Die unterste, 0,02 starke Schicht 
besteht aus Sandstuck, dann folgt eine feinere, aber auch noch 
mit Sand gemischte Schicht in der Stärke von 0,002. — Etwas 
weiter links und etwas niedriger ist ein Loch in der Mauer: man 
sieht hier, dass noch verschiedene Stücke ganz ähnlichen Sand- 
stucks verbaut sind. 

Die Breite von 11. 12 ist 6,76 = reichlich 24'/,', die dos 
Einganges No. 11 ist 1,90 = fast 8'. 

Eine Berechnung des Inhalts ist hier so wenig versucht 
worden wie für No. 46 (VII, 3, links neben No. 3), wo nur ein 
Stück Mauer erhalten ist. 

No. 47: I, 4, 2, südwestliches Eckhaus der Insel. 

Front incl. Südmauer 8,97, netto 8,56: hintere Breite netto 
7,08: Mittelbreite 7,82. Länge der Südseite incl. Westmauer 
25,95, netto 25,54; nördliche Länge netto 26,73: mittlere Länge 
26,135. Also Flächeninhalt 26,135 X 7,82 = 95 X 28%' = 2684 □'. 

Es erweist also auch hier Nissen's auf Grund des Fiorel ti- 
schen Planes gemachte Berechnung (2750 □') sich als trügerisch. 

Nissen hebt als besonders merkwürdiges Factum hervor, dass 
hier der Heerd „seine alterthümliche Stellung neben dem Im- 
pluvium bewahrt hat". — Indess dürfte Fiorelli ihn doch mit 
Recht mit der Taberne No. 3 in Verbindung gebracht haben. 
Wie erklärt sich sonst sein ganz seltsamer Platz, c. 0,30 von 
der linken Vorderecke des Impluviums entfernt? Nissen meint: 
„vermuthlich weil sich hier auch der Brunnen befand". Dieser 
ist aber eben an dieser Stelle nicht vorhanden, sondern findet 
sich hinten am Peristyl. Sollte dagegen der Heerd für jene 

6* 



84 



Capitel III. 



Taberne dienen, so lag er sehr bequem. Ferner ist seine Form 
durchaus nicht die sonst übliche. Er ist, wie auch Nissen angiebt, 
„oben hufeisenförmig ausgehöhlt", d. h. er enthält nur eine Vor- 
richtung, um einen grossen Kessel aufs Feuer zu stellen: genau 
die Form, wie sie in Thermopolicn Üblich ist. Meist bildet eine 
ähnliche Vorrichtung das Ende des Ladentisches (I, 2, 1. 5; 3, 2; 
IX, 3, 11); alleinstehend finden wir einen solchen Heerd z. B. 
Reg. VI, ins. occid. No. 19. Wenn „eine Küche im Plan dieses 
Hauses fehlt", so kann dies sehr wohl auf spätere Umgestaltungen 
zurückgehen. Möglicherweise diente in der letzten Zeit das 
ganze Erdgeschoss als Caupona, und hatte sich die Familie des 
Besitzers sammt ihrer Küche in den Oberstock zurückgezogen. 

No. 48. 49 : IX, 6, 4. 5. 

Eine Berechnung des Flächeninhalts war unmöglich, weil 
nur die Fa^aden sichtbar, im übrigen die Insel nicht ausgegraben 
war. Sie ist jetzt zum grössten Theil freigelegt worden; die 
ursprüngliche Tiefe der Häuser lässt sich aber nicht feststellen. 

No. 50: IX, 3, 21. 

Von Nissen ohne Hortus auf 1000 □' (24 x 42) berechnet. 
Die Nettohinge ergab sich mir als 11,80 = 43' (— 25 Mill.); in 
der Front weicht meine Messung (7,37 brutto) nur unbedeutend 
ab: 43 X 24 = 1032 □'. Mit dem Hortus, der doch wohl ohne 
Zweifel dazu gehörte, beträgt die Länge netto 16,G3 = 60%'. 
Also 24 x (50 V t = 1452 □'. Dabei ist vorausgesetzt, dass die 
Breite überall der Front gleich war. Da wir dies aber nicht 
wissen, so fehlt eigentlich der Berechnung die Grundlage. 

No. 51 (IX, 3) ist nur ein Stück Mauer erhalten. Für 52. 53 
(IX, 1, 29) giebt Nissen nur eine approximative Schätzung. No. 54 
gehört einer nicht ausgegrabenen Insel an. 

No. 55 : I, 3, 25. 

Nissen nimmt, freilich zweifelnd, an, dass das Haus ursprüng- 
lich keinen Hortus besessen, und berechnet unter dieser Voraus- 
setzung den Flächeninhalt desselben auf 2250 □'. Jene Voraus- 
setzung ist aber falsch. Das Haus hatte von Alters her ein 
Tablinum und einen Gang rechts daneben. Letzterer ist erst 



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Kalksteinatrien. 



85 



später vermauert nnd in eiueii Schrank verwandelt worden: 
man sieht vom deutlich die vor der Vermauerung gemachte 
Stuckbekleidung. Es waren also sicher hintere Räume, und 
zwar nach aller Analogie ein Hortus vorhanden. Ob dieser stets 
die jetzige Ausdehnung hatte, ist freilich fraglich: aus der von 
Nissen erwähnten vermauerten Thür in der jungen West wand 
kann für ältere Zeiten gar nichts geschlossen werden. 

No. 56: IX, 3, 25, Domus L. Clodi Vari l ). 

Nissen's Masse weichen hier von den meinigen wenig ab: 
Front netto 6,33 = 22' 10". 'Hefe brutto 15,50 = 56'/,', netto 
54 s / 6 ' (Nissen 23 X 55). Jedoch sind im hinteren Theil des Hauses 
weder die Seitenwände noch die Rückwand alt. Jene stehen, 
wie Nissen selbst angiebt, nicht auf ihrem alten Platz ; dass dies 
in Betreff der Rückmauer der Fall ist, dafür haben wir nicht 
die mindeste Sicherheit. Und was die Breite betrifft, so hat es 
ganz den Anschein, dass auf der Ostseite die Ecke kurz vor 
dem Ende des Atriums ursprünglich oder doch sehr alt ist, dass 
also schon früh hier das Areal sich nach Osten erweiterte. Der 
Anfang des zurücktretenden Theils der Mauer, bis etwa der 
Rückmauer des Atriums gegenüber, ist jedenfalls alt und endet 
mit einem massiven Kalksteinpfeiler, an den später die südliche 
Fortsetzung — Incertum — angelehnt ist. Es wird also gerathen 
sein, auf jede Berechnung des ursprünglichen Flächeninhalts zu 
verzichten. 

Das Haus bietet mehrfache Beispiele von Resten älteren 
Stucks, die auf den Steinen des Fachwerkbaues erhalten sind. 
Der westliche Pfosten der Hausthür hat auf der Westseite Stuck; 
etwas weiter nach Westen folgt eine grosse Quader mit Stuck 
auf der Ostseite. Man könnte vermuthen, dass es sich hier um 
eine vermauerte Thür oder Fenster handle; doch ist dies offenbar 
nicht der Fall: beide Stuckbekleidungen sind verschieden und 
nicht bestimmt einander zu entsprechen. Auf dem westlichen 
Stein liegt zunächst grober grauer Stuck von ganz ungleicher 
Dicke, letzteres wegen der Unebenheiten des Steins, dann eine 

') Zu No. 56—58 ist zu bemerken, dass die Numeriruntr der Insel IX, 3 bei 
Kiorelli Relazione tav. XI nicht die jetzt officielle ist, welche am Nordende 
der Westseite beginnt. Fiorelli's Zahlen sind richtig, wenn zu jeder lOaddirt wird. 



m Capitd III. 



gleichmässig dicke Schiebt (0 — 7 Millim.), die weisslich punetirt 
aussieht, weniger Meersand, aber, wie es scheint, keinen Marmor 
enthält; östlich hingegen liegt auf dem gleichen grauen Stuck 
nur eine dünne Schicht Ziegelstuck, die wohl nicht weiter bedeckt 
werden sollte. Sollte aber dennoch hier eine Oeffnung vermauert 
sein, so würde dadurch wenig geändert; denn das zwischen den 
beiden Steinen liegende Mauerwerk ist das vollkommenste Fach- 
werk mit Lehm, welches also hier in jedem Falle jünger ist als 
die Stuckbekleidung. — Ferner hat der westliche Eckstein des 
östlich anstossenden Hauses auf seiner Westseite Reste ziemlich 
feinen weissen Stucks, welche auf das deutlichste vom Lehm 
des Fachworks bedeckt werdeu. — Ein weiterer stuck bekleideter 
Stein, der einst eine Ecke an einer Thür oder einem Fenster 
gebildet haben niuss, ist im östlichen Theil der Froutmauer, 
zwischen Thür und Fenster, näher diesem, vermauert und von 
aussen sichtbar. 

No. 57: IX, 3, 24, Nördl. Theil der casa di Lucrezio. 

Wenn Nissen ausrechnet, dass das Haus bis incl. Tablinum 
12f)0 □' hält (1254 7 4 ), so ist diese Berechnung ganz werthlos. 
Denn entweder ist die jetzige Disposition der Räume hiuter dem 
Atrium ursprünglich — das Tabliuum mehr nach rechts, nur 
links ein Zimmer, rechts ein Gang — und dann war auch von 
Anfaug an ein Ilortus oder hintere Räume vorhanden, zu denen 
jener Gang führte. Die Ausdehnung derselben zu bestimmen 
ist unmöglich ; wenn Nissen sie auf 250 Q' ansetzt , so ist das 
gauz willkürlich. Oder diese Disposition ist nicht ursprünglich, 
und dann fehlt uns wiederum jeder Anhalt, um die ursprüngliche 
Tiefe des Hauses zu bestimmen. 

No. 58: IX, 3, 23. 

Vou einem Kalksteinatrium im Sinne Nissen's ist hier keine 
Spur. Dass das Material einem solchen entnommen ist, ist mög- 
lich, aber nicht beweisbar. Dass die Ausdehnung des Hauses 
der eiues alten Kalksteinatriums entspricht, dafür ist die Wahr- 
scheinlichkeit hier nicht grösser als bei unzähligen anderen pom- 
pejauischen Häusern. 

No. 5«) sind unbestimmte Reste. 



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Kalkstriuatrieu. 



S7 



No. CA): I, 5, 1. 

Hier giebt Nissen's Inhaltsberechnung das iuteressante Re- 
sultat, dass, um ein rundes Flächenmass anzuweisen, über die 
Fläche der Insel hinausgegriffen und ein Stück der Strasse zu 
Hülfe genommen wurde. Doch ist auch hier die Berechnung 
illusorisch, da es vollkommen feststeht, dass das Haus auf seinen 
gegenwärtigen Umfang erst durch nachträgliche Veränderungen 
reducirt, vielmehr von einem grösseren Complex abgetrennt wor- 
den ist. Eine Thür, die aus dem Hinterzimmer nach Osten führte, 
ist erst vermauert worden, nachdem ihr südlicher, noch voll- 
kommen kenntlicher Pfosten schon mit Stuck bekleidet war. 
Auch die Südmauer desselben Zimmers scheint durchbrochen 
gewesen zu sein: der südöstliche Eckpfeiler zeigt in einem Balken- 
loch auf der Südseite der Mauer Reste von Stuck auf seiner 
jetzt vermauerten Westseite. Doch ist dies weniger sicher. — 
Sodann ist im vorderen Theil die Ostmauer jung, jünger als die 
Stuckbekleidung der Nordmauer, wie oben deutlich zu sehen. 
Die Frontmauer setzt sich denn auch ohne Unterschied vor dem 
östlichen Nebenhause fort, unten massiv, zwei Schichten ausser 
der Grundschicht, oben vortreffliches Fachwerk. Auf eine Strecke 
kann man sie im Zimmer rechts vom Eingang No. 2 verfolgen; 
dann ist sie von innen durch die nachträgliche Verstärkung der 
Mauer, von aussen durch den Stuck verdeckt. Jenseits der Thür 
kommt sie wieder zum Vorschein, wenig kenntlich, doch ist der 
östliche Abschluss, 19,83 (reichlich 72') von der Westecke, voll- 
kommen deutlich. Es können also sehr wohl 2 Facaden gewesen 
sein, deren Grenze jedoch nicht bestimmbar ist. — Die Seiten- 
(We8t-)mauer ist neben dem Hinterzimmer nicht Fach werk, son- 
dern späteres Incertum ; doch ging die alte Mauer, wie man am 
Boden sieht, einst weiter als jetzt, ohne dass ein Abschluss wahr- 
nehmbar wäre. Für die Tiefe des alten Hauses ergiebt sich kein 
Indicium, es kann mithin von einer Berechnung des Flächen- 
inhalts nicht die Rede sein. 

Von dem eigentümlichen Vorbau dieses Hauses ist der öst- 
liche Theil älter als der westliche. Von jenem ist der vordere 
Pfeiler massiv aus Tuffquadern, welche auch in die Ostmauer — 
lucertum aus Kalkstein — übergreifen. Der westliche Theil 



88 



Capitel III. 



steht auf einem Fundament, welches an das Haus und seine 
Fundamente offenbar nachträglich angesetzt worden ist. Der 
vordere Pfeiler hat nur eine Quader (Tuff), dann ziegeiförmigen 
Tuff; in der Westmauer (Iucertum, unten Lava, oben Kalkstein) 
sind vielfach stuckbekleidete Steine verwandt worden. Hier also 
muss einmal eine Veränderung vorgegangen sein. 

Noch ist zu beachten eine Kalksteinquader, welche am 
westlichen Fuss des östlichen Pfeilers nur wenig über den Boden 
ragt. Sie nähert sich, schief gegen die Front liegend, der West- 
ecke des Hauses und liegt ziemlich in gleicher Flucht mit den 
Häusern der westlich anstosseuden Insel I, 1. Bedenkt man 
nun, dass hier die Strasse, namentlich das Trottoir, sich in ganz 
unerhörter Weise verbreitert, so liegt es nahe, in dieser Quader 
einen liest einer früheren, weiter vorspringenden Hausfront zu 
erkennen. 



Nach diesem gänzlich negativen Resultat dürfen wir wohl 
darauf verzichten, auch die seit 1873 ausgegrabenen Reste von 
Kalksteinatrien auf den Flächeninhalt zu untersuchen. Zwei in 
dem schon früher ausgegrabenen Theil vorhandene, von Nissen 
übersehene derartige Beste mögen hier kurz erwähnt werden. 

I, 3, 20 besteht das erste Stück der rechten Mauer des Flurs 
aus Kalksteinfachwerk mit Lehm. In demselben ist eine Quader 
der schlechten, bröckeligen Lava des Stadthügels, von violetter 
Farbe, verbaut, welche auf ihrer Südseite (die Mauer geht von 
Nord nach Süd) eine ältere Stuckbekleidung bewahrt hat. 

I, 4, Südseite: In die Südmauer des südlichen Peristyls der 
casa del citarista ist die Front eines Kalksteinatriums ver- 
baut worden. Westliches Stück, wenigstens 3 Schichten, wegen 
des Putzes wenig sichtbar: 3,75 = 13' 7 1 /,"; Thür 1,65 = 6'; 
vom östlichen Stück ist nur ein Stein (1,60) in der zweiten 
Schicht über der Grundschicht sichtbar. Sichtbare Höhe 
3,20. In dieser Höhe ist ein Schlitzfenster mit feinem weissen 
Stuck. 

Aus den bei dieser Durchsicht der Kalksteinatrieu nebenher 
gemachten Beobachtungen ergeben sich uns einige Resultate, die 
es wohl der Mühe werth ist, hier kurz zusammen zu fassen. 



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KalkteinalritMi. 



89 



1. Nissen betrachtet, im Gegensatz zu seiner früheren Auf- 
fassung (Templum S. 140) das Tahliuum als einen ursprünglich 
hinten geschlossenen Kaum, und nimmt an, dass hier in alten 
Zeiten der Platz des Ehebettes war. Er ist der Meinung, dass 
diese ältere Form in einigen der ältesten Häuser Pompeji's er- 
halten sei, und führt an die „casa del naviglio, degli scieu- 
ziati u. a." (S. 643.) 

Dass das älteste italische Haus — das Bauernhaus — 
hinten geschlossen war, wird niemand bezweifeln. Violleicht gilt 
dies auch für das in Pompeji seit der Zeit der Kalksteinatrieu 
uns vorliegende, zu einem festen Typus entwickelte Haus: dioso 
Frage soll hier nicht erörtert, sondern nur festgestellt werde«, 
dass die pompejanischen Kalksteinatrion für die Bejah uug der- 
selben keinen Anhalt bieten. Wo immer uns die älteste Form 
des Tablinums kenntlich ist, da ist es nach hinten in seiner gauzen 
Breite geöffnet; wo es jetzt geschlossen erscheint, da ist stets 
der jüngere Ursprung dieser Form nachweisbar. Das Tablinum 
der casa degli scienziati (No. f>)ist in der Tuffperiode, das der 
casa del naviglio (No. 2) erst viel später geschlossen worden, spät 
auch, nachdem schon andere Umbauten vorhergegangen waren, 
das des Hauses No. 27 (VI, 2, 13). Offenbar juuges Mauerwerk 
zeigt die Rückwand in der casa di Meleagro (No. 9) und in 
der von Nissen zu den Kalksteinatrien gerechneten casa di 
Nettuno (No. 19); junger Construction ist auch das Tablinum 
der domus M. Spuri Mesoris (No. 40). Diejenigen Fälle, wo 
Nissen ungeachtet des alten, wohl erhalteneu, hinten offenen 
Tablinums und meist auch noch eines Ganges daneben doch an- 
nimmt, die betreffenden Häuser hätten ursprünglich keinen Hortus 
gehabt, können wir Ubergehen : zur Zeit der Kalksteiuatrien hatten 
sie ihn sicher. 

2. Dass der Heerd einst seinen Platz auf der Rückseite des 
Atriums hatte, ist bekannt und wird von niemandem bezweifelt 
werden; dass in ihm der Ursprung jenes Tisches zu suchen sei, 
der sich so häufig am hinteren Rande des Impluviums findet, ist 
eine ansprechende Vermuthung Nissen's (S. <>41). 

Wenn aber Nissen meint, dass in zwei Fällen (No. 14. 47) 
der Heerd seine alte Stelle behauptet habe, und dass in auderen 



90 



Capitcl III. 



Fällen die Form des Tisches deutlich an jenen Ursprung erinnere, 
so mu8s dem widersprochen werden. Von den beiden Heerden 
ist keiner alt; keiner von beiden steht da, wo Nissen mit grosser 
Wahrscheinlichkeit seinen ursprünglichen Platz findet: auf der 
Rückseite des Impluviums; in Betreff des einen, der ganz beson- 
ders jung ist, steht nicht ganz fest, dass er überhaupt ein Heerd 
ist; der ganz eigentümliche Platz und auch die Form des anderen 
erklären sich dadurch , dass er einem Thermopolium diente. — 
Ein weiteres Beispiel eines Heerdes im Atrium ist seitdem ge- 
funden worden: VI, 14, 37, s. Bull. d. Inst. 1878, S. 187. Er 
hat auch hier die den Thermopolien eigenthümliche Form, und 
es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass wir in dem ganzen Hause, 
welches bei geringem Umfang zwei grosse Speisezimmer enthält 
(s. den Grundriss a. a. 0. S. 86), eine Caupona zu erkennen haben. 
Von dem vermeintlich aus dem Hoerd entstandenen Tische der 
casa degli scienziati (No. 5) war oben ausführlich die Rede. 
Nissen citirt S. 641 noch die casa del naviglio (No. 2); von 
dem Tische derselben heist es S. 416: „Der Untersatz 2,40, resp.' 
3,07 im Umfang, hat hinten eine Oeffnuug 0,62 hoch, 0,67 breit. 
Es sieht wie eine Feuerstelle aus, dient aber vielmehr als Ueber- 
dachung des Brunnens". Letzteres ist richtig: um die eben hier 
befindliche Oeffnung der Cisterne zugänglich zu machen, ist der 
Tischfuss von hinten ausgehöhlt worden, und damit ist diese 
Aushöhlung vollständig erklärt. Dass sie aber einer Feuerstelle 
gleicht, niuss bestritten werden, vielmehr ist sie dafür ganz un- 
geeignet: die Alten zündeten ihr Küchenfeuer auf, nicht unter 
dem Heerd an. 

3. „In Pompeji war bereits der griechische Tempel mit 
einem Stucküberzug versehen, ob ursprünglich oder nachträglich, 
wissen wir uicht. Die umfassendere Auwendung desselben ist 
jedoch äusserst langsam von statten gegangen. Die Quader wände 
aus Kalksteiu haben keinerlei Bewurf erhalten, wie sie auch 
nicht darauf berechnet sind. Eher möchte man solches von den 
Fach werks wänden voraussetzen: ein gr egale tectorium, wie 
Seneca a. a. 0. 10 von den alterthümlichen Badestuben angiebt. 
Mir ist kein Fall aufgestossen, wo unter dem späteren Bewurf 
Spuren eines älteren sich gezeigt hätten: doch würde dieser 



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Kalksteinatrieii. 



91 



Gesichtspunkt eine schärfere Prüfung verdienen*. (Nissen 
S. 54). 

Dagegen ist verschiedenes zu bemerken. Zunächst kann 
nicht füglich bezweifelt werden, dass der dorische Tempel von 
Anfang an seinen Stucküberzug hatte, so gut wie die Tempel 
von Paestum, Selinunt und Girgeuti:' die Bearbeitung der Säulen- 
reste ist der Art, dass sie einen Stucküberzug auf das dringendste 
verlangt; nie konnte endlich die aus ganz verschiedenen Steinen 
bestehende Cellamauer unverkleidet bleiben. Die Stuckreste der 
Säulen unterscheiden sich von allen Stuckarbeiten römischer Zeit 
dadurch, dass der Marmorstuck ohne Unterlage von Sandstuck 
auf dem Stein liegt, von denen der spätoskischeu Zeit durch 
die unvergleichlich grössere Stärke uud Festigkeit im Ver- 
gleich z. B. mit dem Stucküberzug der Tuflsäulen im ersten 
Peristyl der casa del Fauuo oder der Thüren der Stabianer 
Thermen. 

Dass ferner die Faeaden aus Kalksteinquaderu ursprünglich 
ohne Bewurf waren, dass die durchweg erhalteneu Reste eines 
solchen aus späterer Zeit stammen, ist möglich, aber unerweis- 
lich: nirgends sind unter denselben alte oskische Iuschriften zu 
Tage gekommen. Man kann indess dafür anführen, dass die 
fast durchgängige Beschränkung des Quaderbaues auf die Strassen- 
wände, während innerhalb der Häuser und zwischen denselben 
das Fachwerk vorherrscht , so am leichtesteu ihre Erklärung 
findet. Dass aber die Fachwerkwändo ihren Stucküberzug hatten, 
darf wohl als sicher gelten. Dass man schon in sehr früher Zeit 
die Wände mit Stuck bedeckte, ist bekannt, und es ist kaum nöthig, 
Solon's Verbot, die Gräber zu tünchen, dafür anzuführen. Dass 
in Pompeji dieser Gebrauch schon vor der Zeit der Kalkstoin- 
atrien verbreitet war, beweisen die nicht seltenen Fälle, wo im 
Kalksteinfachwerk Steine verwandt sind, die schon älteren Bauten 
angehört und den dort erhalteneu Stucküborzug bewahrt haben: 
wir beobachteten solche Reste in No. 1, 2, 42, 45, 56 des Nissen- 
schen Verzeichnisses uud weiter in I, 3, 20. Es ist ferner klar, 
dass die Fach werkmauern mit Lehm des Stuck Überzuges gar 
sehr bedurften; denn der Lehm konnte wohl die Zwischenräume 
zwischen den Steinen ausfüllen, hatte aber als eigentliches Binde- 
mittel geringen Worth ; das unvermeidliche Abbröckelu desselben 



92 



Capitel III. 



musste sich in unbehaglichster Weise bemerklich machen. Dass 
also eine Zeit, welche Mühe und Kosten nicht scheute, um die 
gewaltigen Quaderfa^aden herzustellen, welche sich auf die Be- 
reitung des Stucks sehr wohl verstand, dass diese Zeit auf den 
für die Festigkeit sowohl als ftir die Schönheit und Behaglich- 
keit der Wohnungen so wichtigen Stuckuberzug verzichtet haben 
sollte, ist doch allzu unwahrscheinlich. 



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Capitel IV. 

Der Venu Stempel. 



Es ist längst beobachtet worden, dass der sogen. Venus- 
tempel in der letzten Zeit Pompeji's eine gründliche Umgestaltung 
erfahren hat, bei welcher Gelegenheit die älteren, feineren For- 
men unter einer dicken Stuckschicht verborgen wurden. Nun 




haben Nissen und Schöne auf Grund verschiedener scharfsinniger 
Beobachtungen und mit ZuhUlfenahme der inschriftlichen Zeug- 
nisse (I. R. N. 2198. 2201) noch eine Reihe von Thatsachen aus 
der älteren Geschichte des Heiligthums zu erweisen gesucht. Die 
interessanten und überraschenden Resultate verdienen die ge- 
naueste Prüfung. 

Die einzelnen Theile, deren Verhältniss zu einander unter- 
sucht wird, und auf deren chronologischer Anordnung die Ge- 



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Capitel IV. 



schichte der ganzen Anlage beruht, sind folgende: 1. der Tempel 
selbst; 2. die ihn umgebende Porticus; 3. die Südmauer mit dem 
Haupteingang; 4. die 10 breiten Pfeiler von ungleicher Dicke, 
welche auf der Ostseite den Tempelhof vom Forum trennen und 
die Verschiedenheit der Orientirung ausgleichen; 5. die Mauern, 
welche die Zwischenräume dieser Pfeiler ausfüllen. 

Nissen's Darstellung beginnt mit dem Satze, dass der Venus- 
tempel zu den ältesten Gebäuden der Stadt gehöre. Als Beweise 
für ein hohes Alter werden angeführt: 

1. Die nur aus sacralen Vorschriften erklärliche Abweichung 
der Orientirung von der des Forums. 

2. Gewisse Reste alterth Unilicher Construction. 

3. Die Masse, welche sich auf einfache Summen oskischer 
Fusse reduciren lassen. 

4. Ein weiterer indirecter Beweis ergiebt sich aus den oben 
unter 4 erwähnten Pfeilern, welche doch nicht wohl älter als 
der Tempel selbst sein können, nach Bauart und Massen aber 
in die oskische Zeit fallen. 

Von diesen Beweisen dürfen 1. 3 und 4 bei Seite gelassen 
werden. Die Orientirung der Tempel nach sacralen Vorschriften 
nimmt doch Nissen nicht blos für die älteste Zeit in Anspruch, 
und das oskische Mass blieb nach seiner höchst glaublichen An- 
nahme bis zur Zeit der römischen Colonie im Gebrauch. — Was 
die Reste alterthttmlicher Construction betrifft, so sagt Nissen 
darüber Folgendes: „Von älterer Construction war früher an dem 
„Tempel wenig noch mit Sicherheit zu erkennen; durch die jüngste 
„Restauration ist auch dieses verschwunden. Zunächst besteht 
„am Tempel unten eine Blockschicht der Fundamente aus Kalk- 
stein; ebenso werden die vier Ecken der Cella und die Pfosten 
„der Thür aus Sarnoquadern gebildet (links ein Block von 1,68 M. 
„Höhe). Die Eckquadern haben gegliederte Basen von Tuff, 
„deren Arbeit nicht eben auf hohes Alter hinweist. Wahrschein- 
lich gehören bereits diese nicht mehr dem ursprünglichen Bau 
„an. Das gleiche gilt von dem Ablauf des Podiums aus Tutf ..." 
Nun sind sicher die Eckquadern aus Kalkstein kein Beweis be- 
sonders hohen Alters: sie finden sich regelmässig an den Atrien 
der grossen regelmässigen Häuser aus der von Nissen so ge- 
nannten Tufifperiode. Ferner erkennt Nissen an, dass die ge- 




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Der Venustempel. 



95 



gliederten Tuffbasen derselben nicht eben auf hohes Alter hin- 
weisen: sie weisen auf eben jene Tuffperiode, welche nach den 
Inschriften der Tufffagaden noch in oskische Zeit fallt, den An- 
fangen Pompeji's aber fern steht und wesentlich jünger ist als 
die ältesten Kalksteinhäuser. Wenn nun diese Basen „wahr- 
scheinlich bereits nicht mehr dem ursprünglichen Bau angehören", 
so werden wir nicht umhin können, dieselbe Wahrscheinlichkeit 
auch auf eben jene Eckquadern auszudehnen, welche so glatt 
nnd fest auf den Tuffbasen stehen, dass an ein späteres Unter- 
legen der letzteren absolut nicht gedacht werden kann. Und wenn 
nun dasselbe von dem Tuffablauf des Podiums gelten soll, dessen 
nachträgliche Einfügung in den Unterbau des Tempels schwer 
denkbar ist, so dürfen wir wohl fragen, was denn unter dem „ur- 
sprünglichen Bau" zu verstehen ist : jedenfalls ein früherer Tempel, 
von dem wir so wenig wissen, als etwa von dem „Quaderbau", 
welcher (nach S. 320. 321) einst an der Stelle des Jupitertempels 
gestanden haben soll; denn eine Blockschicht aus Kalkstein in 
den Fundamenten kann doch als chronologisches Kriterium nicht 
verwerthet werden. Uebrigens habe ich in der untersten erkenn- 
baren Schicht des Unterbaues, welche stellenweise (an 2 Stellen 
der Ostseite und einer der Westseite) von Stuckbekleidung frei 
geblieben ist, nur Tuffblöcke erkannt ; doch ist hier nur ein sehr 
geringer Einblick möglich. — Das Mauerwerk der Cella ist kein 
Quaderbau, sondern opus i nee r tum,* zu dem freilich auch ziem- 
lich grosse Blöcke verwendet zu sein scheinen; von aussen ist 
dann die Mauer mit scherbenförmig zerschlagenem Tuff bolegt, 
der mit einem gelben Mörtel befestigt ist; doch kann dies aus 
späterer Zeit stammen. 

Aus den Massen 1 ) ergiebt sich, dass einige Distanzen sich 
auf einfache Grössen oskischen Fusses reduciren lassen : Länge 

') Die Abweichungen meiner Messungen von denen Nissen's sind unwesent- 
lich und beruhen theils auf verschiedener Taxirung der Stuckbekleidunff, theils 
darauf, dass der Unterbau kein ganz regelmässiges Rechteck bildet, sondern die 
Westseite etwas länger ist. Doch dürfte die Mauerdicke (nach N. 0,55 = 2') 
schwer zu bestimmen und N.\h Annahme kaum richtig sein. Die halbe Differenz 




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96 



Capttol IV. 



dos Unterbaue» 80* , Breite der Umgänge an den Langseiten ltf, 
Thür weite 12'. Auf weniger einfache Zahlen möchte ich kein 
Gewicht legen : wir haben gesehen und werden weiterhin sehen, 
wie leicht dabei der Zufall sein Spiel treibt. 

Ausser den Massen kann noch Folgendes über das Alter 
des Tempels gesagt werden. 

In) Inneren des Tempels sind unter der späten Stuckver- 
kleidung Reste einer älteren Decoration, in der Art, wie sie die 
Basilica hat, sichtbar: das diesem Stil eigentümliche Gesims 
mit Zahnschnitt ist am hinteren Ende der linken Wand deutlich 
erhalten, und an dem grössten Theil derselben Wand erscheint 
etwa in derselben Höhe der feine weisse Stuck jener Decoration 
unter dem gelblichen späteren. Und Reste desselben Stils finden 
sich an der Südostecke der Einfassung des Tempelhofes, welche 
selbstverständlich nicht älter sein kann als der Tempel selbst, 
an der Aussenseite gegen Süden. Also zur Zeit dieser Deco- 
rationsart, in welcher die Basilica um's Jahr 78 v. Chr. (C. J. L. 
IV, 1842) schon decorirt war, bestand der Venustempel. — Da- 
mit stimmen die oben erwähnten auf die Tuffperiode deutenden 
Glieder; denn diese fallt höchst wahrscheinlich mit der Zeit jener 
ersten Decorationsart zusammen. Und eben dieser Tuffperiode, 
und zwar der Blüthezeit derselben, gehören in evidentester Weise 
die Pfosten des Uaupteinganges und die Südostecke der Um- 
fassungsmauer au, ferner (lie Porticus und die Säulen des Tem- 
pels: auch diese Theile sind natürlich nicht älter (nach Nissen 
vielmehr jünger) als der Tempel selbst. 

Ferner trägt die an der zweiten Säule (von W.) der Süd- 
porticus stehende Statuenbasis — die doch auch nicht wohl älter 
sein kann als der Tempel, sei es auch in einer früheren Gestalt — 
eine meines Wissens noch nicht bemerkte oskische Inschrift; sie 
ist in den groben Stuck, welcher die Grundlage einer feineren 
Lage bilden sollte, mit einem stumpfen Instrument eingeritzt, als 
er noch nass war, und lautet 

* 

gegen das Ende wird sie unleserlich. — Auch diese Inschrift 
aber führt uns nicht weiter hinauf, als die Decoration und die 



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l)i»r Vt'iiustompel. 



97 



Bauart des Einganges; ein oskischer Maurer konnte noch recht 
spät seinen Namen da einritzen. 

Weiteres kann meines Erachtens über das Alter des Tempels 
nicht gesagt werden. 

Die Hauptpunkte der Nissen -Scböne'schen Argumentation 
Über das Verhältniss der verschiedenen Theile der Anlage sind 
nun folgende. 

1. Der Haupteingang kann nicht ursprünglich auf der Süd- 
seite gewesen sein; denn da die Südporticus 9 Säulen hat, der 
Eingang aber einem Intercolumnitim entspricht (westlich der 
Mittelsäule; auf dem Plan nicht deutlich), so liegt er nicht in 
der Axe des Tempels. Diese Abnormität, welche, wenn von An- 
fang an hier der Eingang sein sollte, leicht zu vermeiden war, 
erklärt sich nur durch Annahme nachträglicher Eröffnung des- 
selben, während er früher auf der Ostseite, vom Forum her, ge- 
wesen sein mu8s. 

2. Dies wird bestätigt durch Betrachtung der Pfeiler und 
der sie verbindenden Bruchsteinmauern auf der Ostseite. Denn 
letztere sind mit den Pfeilern in keiner Weise gebunden ; in den 
Zwischenräumen der Pfeiler finden sich fast überall Lavastufen 
zur Ausgleichung des Terrains zwischen Forum und Tempelhof, 
mit Löchern an jedem Ende zur Aufnahme einer Holzverkleidung, 
wie sie bei Thüren üblich war. Es wird nun geschlossen, dass einst 
jene Zwischenwände offen waren, dass sich auf die Schliessung 
derselben die bekannte, vom ius luminum opstruendorum 
handelnde Inschrift bezieht, und dass diese Schliessung mit der 
Oeffnung des Südeinganges im Zusammenhang steht. Demnach 
ist der Südeingang und die von ihm nicht zu trennende Süd- 
mauer gleichzeitig den Füllmauem der ehemaligen Lumina, jün- 
ger aber als die Pfeilerreihe. Die genannte Inschrift, und damit 
die Schliessung der Lumina, fallt etwa in's Jahr 10 v. Chr. 

3. Ferner aber können die Pfeiler nicht der ihnen parallelen 
Säulenreihe der Ostporticus gleichzeitig sein; denn zwischen 
Pfeilern und Säulen „waltet kein irgend rationales Verhältniss 
in Bezug auf Mass und Anzahl ob" (S. 218), so dass diese Säulen 
und diese Pfeiler ohne die Füllmauern das Dach einer Porticus 
nicht hätten tragen können, da „doch nothwendig die Dachbalken 

Mau, pompejan. BeiträKC. 7 



98 



Capitel IV 



auf Pilastern (richtiger Pfeilern) und Säulen hätten aufliegen 
müssen" (S. 227). Mithin ist die gegenwärtige Porticus, da sie 
die Füllmauern voraussetzt, jünger als 10 v. Chr. Da Vitruv I, 
2, 6 die Verbindung ionischer Säulen mit dorischem Gebälk, wie 
sie hier vorliegt, missbilligt, so kann die Erbauung der gegen- 
wärtigen Porticus etwa in seine Zeit gesetzt und mit der Ver- 
bauung der Lumina in Verbindung gebracht werden (S. 227. 228). 

4. Die Pfeiler hingegen werden durch Bauart (Kalkstein- 
quadern) und Masse der oskischen Zeit zugewiesen (S. 218. 220. 
224). Nur die beiden ersten (von S.) verrathen durch ihre dem 
jetzigen Eingang ähnliche Construction aus Tuff einen späteren 
Ursprung (S. 224. — S. 218 heisst es, dass die Pfeiler 1. 3. 5 
nach aussen Tuffblöcke von der gewöhnlichen sorgfältigen Bear- 
beitung, wie sie an den Privathäusern vorkommt, zeigen). 

5. Ein scheinbarer Widerspruch (mit 3) ergiebt sich aus 
der Dedicationsinschrift des grossen Altars vor dem Tempel, 
welche als vermuthlich der Zeit 80 — 60 v. Chr. angehörig nach- 
gewiesen wird. Denn die Setzung des Altars war nicht möglich 
ohne eine neue Limitation der Area (des offenen Raumes inner- 
halb der Porticus), und dies muss die noch jetzt vorliegende 
(nach den Massen römische) sein, da bei einer späteren Limitation 
ein neuer Altar hätte geweiht und der alte exaugurirt werden 
müssen. Da nun die Area durch die Portiken limitirt wird, so 
müssen auch diese 80 — 60 v. Chr. angelegt worden sein. Hierzu 
passt vortrefflich die bei dem jetzigen Eingange (nach 1) abnorme 
ungerade Säulenzahl der Schmalseiten ; denn (nach 1 und 2) war 
ja damals der Eingang noch nicht von Süden, sondern östlich 
durch die Lumina vom Forum her (S. 226. 227). Nun aber ist 
(nach 3) die Porticus jünger als 10 v. Chr. 

6. Dieser scheinbare Widerspruch wird aber gehoben durch 
eine weitere Beobachtung. Es sind nämlich auf dem Stylobat 
Spuren einer älteren Säuleustellung vorhanden. Diese Spuren 
sind rund, deuten also auf Säulen ohne Basis, d. h. dorische, 
entsprechend dem jetzigen Gebälk: es ging also der jetzigen, 
pseudoionischen Säulenstellung — welche nach 10 v. Chr. erbaut 
sein mag — eine ältere, dorische vorher, welche — das muss 
man hinzudenken — so disponirt war, dass die Säulen den 
Pfeilern entsprachen, der Art, dass die Dachbalken auf Pfeilern 



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I >or Venu stoinpel. 99 

und Säulen aufliegen konnten. Zu dieser älteren Porticus stimmt 
der alte und einfache Stylobat, und auf ihr Dach bezieht sich 
das usque ad tegulas der vou Schliessung der Lumina han- 
delnden Inschrift. 

Es ergeben sich also 4 Perioden der Geschichte des Tempels : 
L oskische Zeit: Bau des Tempels und der Pfeiler am Forum; 
II. c. 80— 60 v. Chr. Dedication des grossen Altars; Limi- 
tation der Area und Errichtung von Einfassungsmauern 
und Portiken in dorischem Stil; 

III. 10 v. Chr. Vermaucrung der Lumina. Neuer Eingang von 
der Strada della Marina (davon unzertrennlich die 
Herstellung der Südmauer). Umwandlung der Portiken 
aus dorischem in pseudoionischen Stil; 

IV. Restauration seit 63 n. Chr. 

Es scheint ausserdem (nach 4), dass Nissen eine Erneuerung eines 
Theils der Pfeiler in der dritten Bauperiode annimmt. 

Offenbar liegt der Schlüssel zur Geschichte der ganzen An- 
lage in der richtigen Würdigung der durch Füllmauern verbun- 
denen Pfeilerreiho am Forum und ihres Verhältnisses zu den 
übrigen Theilen. 

Es ist nun ohne weiteres zuzugeben, dass die Zwischen- 
räume der Pfeiler einst offen waren: die darauf bezüglichen 
Beobachtungen sind durchaus richtig, und es wird daher auch an 
der Deutung der Inschrift nicht gezweifelt werden können. Im 
Uebrigen aber kann die Nissen- Schöne'sche Behandlung dieser 
Theile nicht aufrecht gehalten werden. 

Dass die Pfeiler neben dem Tempel den ältesten Theil der 
ganzen Anlage bilden, wird aus der Constructionsart und aus 
den Massen derselben geschlossen. 

Von der Construction wird gesagt (S. 218), dass sie „ziemlich 
„hoch hinaufreicht. An dem 5 — 9. (richtiger 10), von der Ba- 
„silica aus gerechnet, sind auf der Innenseite deutlich die Kalk- 
Steinquadern zu erkennen, aus denen sie aufgebaut sind; 1— 3. 
„5 zeigen nach aussen Tuffblöcke von der gewöhnlichen sorg- 
„faltigen Bearbeitung, wie sie an den Privathäusern vorkommt, 
„und an ihnen sind vereinzelt alterthümlicho aufgemalte Inschrif- 
„ten erhalten". 

7* 



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100 



Capitel IV. 



Hier ergiebt aber eine genauere Betrachtung andere Resul- 
tate. Die Pfeiler zeigen nach 3 Seiten (N., W., S.) Kalkstein- 
quadern, nur gegen das Forum liegt das zur Ausfüllung verwandte 
opus incertum (vorwiegend auch Kalkstein) bloss, sofern es 
nicht durch die auch über die Vorderfläche der Pfeiler sich er- 
streckende späte Füllmauer verdeckt wird: sollte dies die 
ursprüngliche Form sein? Ferner hat jenes opus incertum 
gegen das Forum hin eine senkrechte und gleich massige Ober- 
fläche, die gleichwohl keine Spuren der Maurerkelle zeigt, wie 
dies wohl sonst der Fall ist, eine Oberfläche vielmehr, wie sie 
nur dann entstehen kann, wenn das betreffende Mauerwerk nicht 
frei hingestellt, sondern an eine schon bestehende Fläche ange- 
lehnt wird. Und alsbald zeigt sich auch, welcher Art diese 
Fläche war: nicht nur 1 — 3 und 5, sondern jeder dieser Pfeiler 
hatte gegen das Forum eine Fagade aus Tuffquadern. Nur am 
4. Pfeiler ist sie nicht sichtbar, sonst kommt sie Überall mit voll- 
kommener Deutlichkeit unten am Boden — hier stets aus drei 
Blöcken bestehend — zum Vorschein. Die ersten Pfeiler sind 
wegen ihrer geringen Dicke gleich ganz aus Tuff aufgesetzt; 
4 ist ganz modern aufgemauert, 10 hohl und auf das Forum 
geöffnet: bei den übrigen die oben beschriebene Construction. 

Mithin ist kein Grund vorhanden, die ersten Pfeiler zeitlich 
von den übrigen zu trennen: wenn aber ihre Construction auf 
eine jüngere Epoche deutet, so ist dieser Schluss ohne weiteres 
auf die ganze Reihe auszudehnen. In der That berechtigt uns 
nichts, diese Pfeiler einer anderen Zeit zuzuweisen als die ähn- 
lichen Constructionen an Privathäusern, an der Basilica und über- 
haupt rings um einen grossen Theil des Forums, an welchem 
wir jetzt von der Abbondanzastrasse bis an die sog. Curien und 
dann wieder bis an's Ende der in Rede stehenden Anlage eine 
fortlaufende Reihe solcher Pfeiler nachweisen können: überall 
da also, wo es nicht durch jüngere, ganz oder theilweise aus 
Ziegeln aufgeführte Gebäude begrenzt wird. 

Es sei hier noch bemerkt, dass der die Nische mit dem Mass- 
tisch enthaltende Pfeiler (10) einen späten Umbau erfahren hat: 
der grösste Theil der Rückseite zeigt opus incertum aus Lava 
mit Eckpfeilern aus Ziegeln, weiter oben opus incertum aus 
Kalkstein. Doch ist nicht daran zu denken, dass durch den 




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Der Venustempel. 



101 



Umbau erst die Nische entstanden wäre: die Vorderenden (gegen 
das Forum) der Seitenwände hatten dieselbe Tufffront wie die 
übrigen Pfeiler und zeigen deutlich, dass die Nische von Anfang 
an vorhanden war. 

Die von Nissen (S. 220 f.) als oskisch berechneten Masse 
der Pfeiler und Lumina sind, wie er selbst angiebt, von innen 
gemessen. Nach dem gesagten ergiebt sich, dass dies nicht das 
richtige Verfahren war: die massgebenden Grössen waren doch 
sicher die Längen der Tufflfacaden und ihre Entfernungen von 
einander, nicht die von hinten an dieselben angelehnten Pfeiler. 
Dazu kommt, dass diese auf der Innenseite mit einer mindestens 
0,05 starken Stuckverkleidung bedeckt sind: durch Nachmessen 
ergiebt sich, dass bei den von Nissen benutzten, wohl nicht zum 
Zweck metrologischer Untersuchungen gemachten Messungen, 
diese mitgemessen worden ist, wodurch jeder Pfeiler um etwa 
0,10 zu breit, jeder Zwischenraum um das gleiche zu klein er- 
scheint: es ist klar, dass die so gewonnenen Zahlen und ihre 
Reduction auf oskisches Mass für die hier verfolgten Zwecke 
werthlos sind. 1 ) Es mussten vielmehr vom Forum aus die Pfeiler- 
fronten und ihre Entfernungen gemessen werden. 

Ehe aber auf die nunmehr sich ergebenden Masse eingegangen 
werden kann, ist es nothwendig, das Verhältniss der Pfeiler zu 
der hinter ihnen liegenden Porticus, und das von Nissen darüber 
gesagte (s. oben 3) einer näheren Prüfung zu unterziehen. 

Durch den Mangel eines „rationalen Verhältnisses" zwischen 
Pfeilern und Säulen ist jeder Gedanke an gleichzeitige Errichtung 
beider ausgeschlossen (S. 218); die jetzige Säulenreihe konnte 
mit den Pfeilern vor Schliessung der Lumina nicht verbunden 
sein, weil doch „nothwendig die Dachbalken auf Pilastern und 
Säulen hätten aufliegen müssen." Es drängt sich sofort die Frage 
auf, wie denn die frühere dorische Porticus zu denken sei, die 
doch mit den Pfeilern verbunden gewesen sein soll, und wie man 



') Nissen giebt auch die Entfernungen an, um welche die Pfeiler (ein- 
schliesslich des Stucks) vor die späte Füllmauer vorspringen: welchen Werth 
und welchen Anspruch, ein rundes oskisches Mass zu repräsent iren, sie haben 
sollen, ist unerfindlich. Abgesehen von allem anderen werden doch die Seiten- 
flächen determinirt durch die nach Norden stetig wachsende Entfernung der 
beiden Linien längs des Forums und längs des Tempelhofes. 



102 



Capitel IV. 



es deim damals auge fangen habe, um jeden „Dachbalken" auf 
einen Pfeiler und eine Säule zu stutzen. Da nun einmal die 
Säuleu nicht so weitläuftig stehen konnten — mit doppelt so 
grossem Abstände wie jetzt — dass jedem Pfeiler nur eine ent- 
sprochen hätte, so war nur auf zweifache Art ein rationales 
Verhältniss möglich: entweder die Säuleu entsprachen abwech- 
selnd einem Pfeiler und einem Lumen, und dies ist die Stellung 
der Säuleuspuren, aus deuen Nissen die ältere dorische Porticus 
erschliesst, auf welche wir noch zurückkommen, oder sie standen 
je 2 und 2 vor jedem Lumeu, so dass den Intercolumnien ab- 
wechselnd ein Pfeiler uud ein Lumen entsprach, durch jedes 
Lumen vom Foruni aus zwei Säuleu sichtbar waren. Es genügt 
ein Blick auf den Plan, um sich zu überzeugen, dass letzteres 
die Anordnung der erhaltenen Porticus ist. Von einem Aufliegen 
der „Dachbalken" aber, wie es sich Nissen denkt, kann weder 
im eiueu noch im anderen Falle die Rede sein. 

Also das rationale Verhältniss ist doch vorhanden: lehr- 
reicher aber noch als dieses selbst sind gewisse Ungleichmässig- 
keiteu in der Auordnuug der Pfeiler, welche sich ganz allein 
durch die Kucksicht erklären, die mau auf die Säuleu nahm: 
mithin sind letztere entweder den Pfeilern gleichzeitig oder älter. 
Obige Hegel ist nämlich durchgeführt bis zu den beiden Enden, 
wo eben die Reihe der Säuleu aufhört und an ihre Stelle die 
Enden der Querhallen treten: hier linden sich die bezeichneten 
Ungleichmässigkeiten. 

Am Südeude entspricht dem letzten Intercolumnium ein 
Lumen. Hätte man nun diesem (dem 2.) Lumen die Grösse 
der übrigen (etwa 3,50) gegeben, und ebenso dem folgenden 
Pfeiler (etwa 2,25), so blieb bis zur Südwand noch eine Ent- 
fernung von c. 2,0. Grösser also konnte dann das letzte, 
der Sttdporticus entsprechende Lumen nicht werden, und 
selbst dauu musste es gegen alle Symmetrie bis in die Ecke 
ausgedehnt werden. Indem man hingegen sowohl das Lumen 
(2,71) als den Pfeiler (1,35) erheblich kleiner machte als die 
übrigen, wurde es möglich, der Südporticus ein hinreichendes 
Lumen, von 3,12 entsprochen zu lassen, welches nicht bis in die 
Ecke reichte, sondern durch das 0,5;") betragende Stück, um 
welches der erste Pfeiler vor die Südmauer vorspriugt, von der- 




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Der Venustempel. 



103 



selben getrennt war. Dem gegeuüber konnte man es sich ge- 
fallen lassen, dass nun allerdings das vorhergebende Lumen 
kleiner wurde : die beiden entsprechenden Säulen konnten nicht, 
wie bei den übrigen, vom Forum aus gesehen werden, sondern 
die Ecksäule war durch den Pfeiler verdeckt, der noch 0,50 
über sie hinaus nach N. vorsprang. So erklären sich in völlig 
befriedigender Weise die sonst ganz unverständlichen wesentlich 
kleineren Dimensionen des ersten Lumen und des zweiten Pfei- 
lers, während im übrigen die Differenzen unerheblich sind. 

Etwas anders lag die Sache im Norden. Hier kam auf das 
letzte Intercolumnium ein Pfeiler : es war also hier nicht unmög- 
lich, demselben die gewöhnliche Ausdehnung zu geben und ein 
weites, der Ecksäule und der Nordporticus entsprechendes Lumen 
zu lassen. Nun aber sollte dies letzte Lumen den Zugang zur 
nördlichen Querhalle bilden, es mochte also augemessen scheinen, 
es dem mittleren Theil derselben entsprechen zu lassen, während 
es bei gewöhnlicher Ausdehnung des letzten Pfeilers auch die Eck- 
säule mit umfasst haben würde. Und in demselben Sinne musste 
sich die Forderung der Symmetrie mit dem Eingang zur Süd- 
halle geltend machen. Um aber die so verlangte Anordnung 
zu erhalten, musste dem letzten Pfeiler eine grössere Ausdehnung 
gegeben werden; und das ist denn auch geschehen, indem er 
gegen das Forum offen gelassen und eben hier die Nische für 
den Masstisch angebracht wurde: der Pfeiler misst jetzt 3,15 
und überragt die Ecksäule noch um etwa 0,32. Dennoch blieb 
dieser Zugang zur Nordporticus grösser als der zur südlichen: 
mau wollte wohl den die Nische enthaltenden Pfeiler nicht zu 
sehr über das Bedürfniss hinaus vergrössern. 

Es dürfte durch diese Bemerkungen hinlänglich festgestellt 
sein, dass die Pfeilerreihe von Anfang an bestimmt war, dem 
jetzigen Säulengange, oder einem ganz gleich dispouirten, zu 
entsprechen, dass sie also nur entweder gleichzeitig mit dem- 
selben oder später, keineufalls aber früher erbaut sein kann. 

Es nmss aber ferner gleich jetzt der Nissen-Schöne'schen 
Darstellung gegenüber constatirt werden, dass die Südmauer mit 
dem jetzigen Haupteingange, weit entfernt aus der Zeit der Ver- 
mauerung der Lumina zu datireu, vielmehr schon vorhanden 



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104 



Capitel IV. 



war, als die Pfeiler erbaut wurden. Dies ergiebt sich aus einer 
genaueren Betrachtung des ersten Pfeilers, an der Ecke der 
Strasse, die vom Seethor aufs Forum führt (auf Taf. I von der 
Ost- und Südseite abgebildet). Hier läuft nämlich die Südmauer 
in einen Pflaster aus, dessen östliche, die Dicke der Mauer 
repräsentirende Seite 0,50 breit ist; d. i. 1' 10" osk. — 5 Milli- 
meter. Er endet oben in ein Capitell, welches offenbar bestimmt 
war, ein Epistyl zu tragen, dessen anderes Ende auf der nächsten 
der in der Ausmüudung der Strada della Marina stehenden 
Säulen aufliegen musste. Dieser Endpilaster nun ist in seiner sehr 
sorgfaltigen Arbeit durchaus dem östlichen Pfeiler des Einganges 
gleichartig und sicher gleichzeitig (der westliche ist irgend wann 
einmal zerstört gewesen und trägt die Spuren späterer Restau- 
ration). — Um mm diesem Eckpilaster gegen das Forum eine 
den übrigen Pfeilern einigermassen entsprechende Breite zu 
geben, und gleichzeitig um den Zugang zur Südporticus sym- 
metrischer zu machen, hat man nördlich ein Stück an denselben 
angesetzt, welches sich deutlich von ihm unterscheidet, wie die 
Tafel zeigt. Es ist aus kleineren Steinen aufgesetzt: 0,385 — 0,35 
—0,405, während die des Eckpfeilers 0,627 — 0,675 hoch sind. 
Die Gleichartigkeit dieses angesetzten Stücks mit den folgenden 
Pfeilern kann nicht in Frage gestellt werden: Steine von 0,395 
bis 0,40 kommcu auch im zweiten Pfeiler neben solchen von 
0,525 — 0,54 vor, während die des dritten 0,635-0,655 hoch 
sind. Ferner ist die Bearbeitung des angesetzten Stücks weniger 
sorgfältig als die des Endstücks der Südmauer, während sie der 
der folgenden Pfeiler gleichartig ist: wenn bei Nissen die beiden 
ersten Pfeiler als dem Südeingang gleichartig bezeichnet werden, 
so ist das entschieden ungenau. Nördlich schliesst sich die 
Schwelle oder Stufe mit dem viereckigen Loch für die Ante- 
pagmenta an; Programmata antiquissima stehen auf bei- 
den Theilen des Pfeilers (C. I. L. IV, 36 erstreckt sich über 
beide). — Die Priorität aber des sorgfältig gearbeiteten, soliden 
eigentlichen Eckpfeilers vor dem aus kleinen Steinen bestehen- 
den Ansatz, welcher allein kaum hätte stehen können, ist evident; 
und damit auch die Priorität des ganz gleichartigen Südeinganges 
erwiesen. 



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Der Venustempul. 



105 



Es ist also Nissen-Schöne gegenüber festzuhalten: 

1. dass die Pfeiler alle gleichartig und gleichzeitig sind; 

2. dass sie der jetzigen Porticus, oder einer ganz gleich 
disponirten, entweder gleichzeitig, oder jünger als die- 
selbe sind; 

3. dass sie jünger sind als die Südmauer mit dem jetzigen 
Eingange , welche ihrerseits der Blüthe der sog. Tuff- 
periode angehört. 

Wie verhält es sich nun aber damit, dass nach S. 227 die 
Existenz der jetzigen Porticus vor Errichtung der Füllmauern 
unmöglich gewesen sein soll, da „noth wendig die Dachbalken 
auf Pilastern und Säulen hätten aufliegen müssen"? Nisseu's 
Ausweg, eine anders disponirte dorische Säulenhalle anzunehmen, 
ist uns durch obige Betrachtungen abgeschnitten. 

Es beruht aber jene Unmöglichkeit auf nichts anderem, als 
auf einer irrigen Anschauung von antiker Dachconstruction. Es 
wird offenbar angenommen, das Dach sei gebildet worden durch 
auf den Säulen aufliegende schräge Balken; diese seien dann 
durch horizontale Latten verbunden gewesen, auf welchen die 
Dachziegel geruht hätten: eine Construction, welche den Architrav 
mehr oder weniger überflüssig gemacht haben würde. Dass dem 
aber nicht so war, sondern die Alten den Architrav wohl zu 
verwerthen wussteu, zeigt schon daB am Peristyl des Hauses 
Reg. VII. ins. 2 n. 8 nach den erhaltenen Spuren restaurirte Dach : 
man sieht daselbst, dass solche Dachbalken nicht vorhanden 
waren, vielmehr das Dach durch auf Architrav und Kückmauer 
aufliegende, etwa 0,150 von einander entfernte mässig starke 
Latten gebildet wird. Wurde also die Rückwand durch eine 
Pfeilerreihe vertreten, so war genaue Responsion derselben mit 
den Säulen für die Dachconstruction werthlos, da ja die schrägen 
Latten nicht direct von Säulen und Pfeilern, sondern vom Ge- 
bälk und einem auf den Pfeilern aufliegenden und sie verbindenden 
Holz- oder Steinbalken getragen wurden. Schräge Balken kommen 
nur in den Ecken vor, wo sie den unteren Enden der Latten als 
Stütze dienen. Die Construction mit schrägen Balken ist not- 
wendig beim freistehenden Giebeldach, wo die gegen einander 
gestemmten Dachbalken sich gegenseitig stützen müssen; wo das 



106 



Capitcl IV. 



obere Ende des Daches eine feste Stütze hat, würden sie eine 
sinnlose Holzverseh Wendung sein. Demgemäss hat der antike 
Dachziegel wohl an jeder Seite eine Erhöhung, über welche der 
Hohlziegel gelegt wird, nicht aber einen hakenartigen Vorsprung, 
wie der moderne, um ihm auf horizontalen Latten einen Halt 
zu geben. 

Uebrigens ruhte auf dieser Porticus zunächst nicht das Dach, 
sondern eine horizontale Bedeckung: in der Rückseite der Ge- 
bälkstücke mit dem Triglyphenfries sind die Löcher vorhanden 
für solide, -horizontale, auf die schmälere Seite gestellte Balken 
(stark c. 0,30x0,15), von denen 7V 4 auf jedes Intercolumnium 
kommen. Die« Stärke und geringe Distanz derselben scbliesst 
den Gedanken au eine getäfelte Decke aus: ohne Zweifel haben 
wir hier den Fussboden eines oberen Umganges zu erkennen, 
dem das obere, vorspringende Gebälkstück mit den Tropfen als 
eine Art Brüstung diente. Dass dann noch ein von einer oberen 
Säulenstellung getragenes Ziegeldach folgte, ist an sich wahr- 
scheinlich und folgt auch doch wohl aus den tegulae, welche 
in der auf die Schliessung der Lumina bezüglichen Inschrift er- 
wähnt werden, und unter denen man schwerlich wird Boden- 
ziegel verstehen wollen, die etwa den Fussboden des oberen Um- 
ganges gebildet haben könnten. Dass von oberen Säulen nichts 
erhalten ist, darf nach den Verwüstungen des Erdbebens vom 
J. 63 nicht Wunder nehmen. 

Die Irrigkeit aber der Meinung, als sei die Existenz der 
jetzigen Porticus vor Schliessung der Lumina unmöglich gewesen, 
wird in noch handgreiflicherer Weise dadurch demonstrirt, dass 
einige Lumina bis zuletzt offen geblieben sind. Das 6., 7. und 
8. Lumen sind nie geschlossen worden; es ergiebt sich dies mit 
Sicherheit aus dem Umstände, dass die evident (s. auch Nissen 
S. 215) der letzten Zeit Pompeji's angehörigo Stuck bokleidung 
der Pfeiler hier an den Vorderecken derselben umbiegt, um auch 
die dem Forum zugewandte Seite zu bedecken. Wer sich die 
Mühe nimmt, die moderne Füllmauer zu ersteigen, kann dies 
von oben jederzeit mit aller Sicherheit constatiren. Wollte man 
also die Vermauerung auch dieser Litmina fUr antik halten, so 
könnte sie jedenfalls nur in der allerletzten Zeit Pompeji s statt- 
gefunden haben, später noch als die durch das Erdbeben von 




Der Veuusk'inpol. 



107 



63 n. Chr. veranlasste Modernisirung. Das im 6. Lunien ver- 
mauerte Gebälkstück (Nissen S. 219) kann dagegen natürlich 
nicht beweisen* Gegenuber dem 7. Lumen ist der Stylobat unter- 
brochen , vermuthlich um bequemeren Zutritt zur unbedeckten 
Area zu gewähren. — Auch das letzte Lumen (10) wurde nicht 
vollständig geschlossen, behielt vielmehr eine Thür von c. 1,82 
(dies die Länge der Lavaschwelle). — Und bei Gelegenheit des 
auch die Aussenseite der Pfeiler bedeckenden Stuckes sei be- 
merkt, dass spätestens bei Vermauerung der Lumina die Tuff- 
facaden zerstört wurden, mit Ausnahme der 1., 2., 3. und 5. Die 
oberen Steine nahm man fort, von den unteren, die man nicht 
aus dem Boden entfernen wollte, schlug mau, soweit sie hervor- 
ragten, vorne ein Stück ab, theils um Platz für die Stuckbeklei- 
dung zu gewinnen, theils benutzte man wohl die Gelegenheit, um 
die Forumsporticus um ein weniges zu verbreitern. 

Wir können aber mit ziemlicher Sicherheit in unseren 
Nachforschungen über das Alter dieser Pfeilerreihe noch einen 
Schritt weiter gehen, und zwar müssen wir zu diesem Zweck au 
den lehrreichen Punkt zurückkehren, wo die verschiedenen Con- 
structionen, die Pfeiler und die Südmauer, zusammeustossen: an 
den Eckpfeiler der Strada della Marina. Nämlich der schon 
oben besprochene Eudpilaster der Südmauer ist nicht ganz un- 
versehrt in seinem ursprünglichen Bestände. Nur die untersten 
Steine stehen auf ihrem alten Platze, die oberen sind — viol- 
leicht in F olge von Zerstörungen, die ein früheres Erdbeben an- 
gerichtet haben mochte — etwas nach dem Forum zu verrückt 
worden (um c. 0,11). Die alsdann über die unteren Steine nach 
dem Forum zu hervorragenden Theile sind abgehauen, und au 
die so entstandene Fläche ist nördlich das Stück angesetzt 
worden, welches diesen Eckpilaster in einen Pfeiler gleich den 
übrigen verwandeln sollte. Aus diesem Grunde, und weil auf 
die so entstandene Ostfläche programmata antiquissima ge- 
schrieben sind, kann an das Erdbeben von 63 in keinem Falle 
gedacht werden. Nacli der Strada della Marina zu springt das 
letzte Stück der Mauer pilasterartig ein wenig vor: dieser Vor- 
sprung ist in Folge der angedeuteten Verschiebung au den oberen 
Quadern um 0,11 schmäler als an den unteren, dio auf ihrem 



108 



Capitel IV. 



Platz geblieben sind. Mithin ist die Pfeilerreihe jünger nicht 
nur als die Erbauung der Südmauer, sondern auch als ihre theil- 
weise Zerstörung. 

Betrachten wir nun etwas naher die der Strada della 
Marina zugewandte Seite des Eckpilasters, so finden wir da- 
selbst Reste eines alten Stucküberzugs (auf der Tafel mit a be- 
zeichnet), welche unverkennbar der ersten der uns bekannten 
Decorationsarten angehören, derjenigen Decoration, welche in 
plastischer Stuckarbeit eine Marmorbekleidung nachahmt, und 
von der die Basilica unter den öffentlichen Gebäuden das einzige 
Beispiel bietet. Es ist aber weiter klar, dass diese Decoration 
hier älter ist als die erwähnte Beschädigung und Umgestaltung 
des Eckpilasters. Denn wäre sie jünger, so hätte man unfehlbar 
entweder jene Ungleichheit des an den oberen und unteren 
Steinen nicht übereinstimmenden Vorsprunges durch den Stuck 
ausgeglichen, oder auch man hätte, was ja leicht war, an den 
unteren Steinen so viel von jenem Vorsprung fortgenommen, 
dass er in eine senkrechte Linie mit dem der oberen Steine 
gekommen wäre, wenn nicht von vorn herein jene sorgsam und 
genau arbeitende Periode eiue sorgfältigere Restauration des 
ganzen Pfeilers geliefert haben würde, als sie jetzt vorliegt 
Von dem ist aber nichts geschehen. Diese Decorationsreste 
sehliessen sich genau an die Formen der Steine an: ein bei ihrer 
jetzigen verschobenen Lage widersinniges Verfahren, welches 
aber, die alte Lage vorausgesetzt, ganz der Uebung jener ersten 
Decorationsepoche entspricht. 

Es ergiebt sich hieraus, dass die Herstellung der Pfeiler 
später fällt als die Blüthezeit der ersten Decoratiousmanier, deren 
Zeit durch die 78 v. Chr. schon mit ihrer jetzigen Decoration 
vorhandene Basilica ungefähr bestimmt wird, und deren Spuren 
wir auch im Tempel selbst fanden. 



Wenden wir uns nun endlich zur Betrachtung der Masse 
der in der oben bezeichneten Weise von der Forumseite aus ge- 
messenen Pfeiler und Lumina. Ich glaube die folgenden An- 
gaben als genau bezeichnen zu dürfen, da eine Gesammtmessung 
und die Summirung der Einzelmessungen ein ganz überein- 
stimmendes Resultat ergaben. Bei den eingeklammerten Zahlen 




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Der Venustempel. 



109 



war die Pfeilerfront nicht vollständig erkennbar, und mussten 
die Dimensionen approximativ festgestellt werden: doch ist auch 
hierauf alle mögliche Sorgfalt verwandt, und werden die Zahlen 
kaum wesentlich von der Wirklichkeit abweichen. Da, wie oben 
gezeigt wurde, die Pfeiler und Lumina den Intercolumnien ent- 
sprechen, so könnte leicht die Vermuthung entstehen, als ob die 
Ungleichheiten derselben mit Ungleichheiten der Intercolumnien 
in Beziehung ständen: es sind daher die Masse der entsprechen- 
den Intercolumnien beigefügt. Der erste Pfeiler besteht, wie 
schon gesagt, aus 2 Theilen: 

0,50 (1' 10" osk. — 5 AGIL, 1' 8" röm. - 8 Mill.) 
+ 0,55 (2' osk. 1' 10" röm. -+ 7 Mill.) 

Der am Schluss aufgeführte Pilaster ist an die Nordwand des 
Tempelhofes angesetzt und bildet den nördlichen Thürpfosten 
des letzten Lumen. 





Meter 




oskisch 




Intcr- 

r5mi8ch columnium 


1 Pfeiler 


1,05 


3' 


10" 


(- 0,005) 


3' 


7" 


( - 0,01) 




1 Lumen 


3,12 


11' 


4" 


(- 0,008) 


11' 


7" 


(— 0,012) 




2 Pfeiler 


1,35 


4' 


11" 


(- 0,003) 


4' 


7" 


(— 0,006) 




2 Lumen 


2,71 


9' 


10" 


(+0,005) 


9' 


2" 


(- 0,003) 


2,85 


3 Pfeiler 


2,26 


8' 


3" 


(— 0,009) 


V 


8" 


(- 0,008) 


2,89 


3 Lumen 


(3,47) 


12' 


7" 


(-1- 0,009) 


11' 


9" 


(— 0,007) 


2,84 


4 Pfeiler 


(2,18) 


7' 


11" 


(— 0,002) 


7' 


4" 


(+ 0,01) 


2,84 


4 Lumen 


(3,52) 


12' 


10" 


(- 0,01) 


11' 


11" 


(— 0,006) 


2,81 


5 Pfeiler 


2,205 


8' 




(+ 0,005) 


7' 


5" 


(+ 0,01) 


2,88 


5 Lumen 


3,525 


12' 


10" 


(— 0,005) 


11' 


11" 


(— 0,001) 


2,89 


6 Pfeiler 


2,14 


7' 


9" 


(-f 0,008) 


7' 


3" 


(— 0,005) 


2,84 


6 Lumen 


3,47 


12' 


7" 


(+ 0,009) 


11' 


9" 


(- 0,007) 


2,86 


7 Pfeiler 


2,27 


8' 


3" 


(-f 0,001) 


7' 


8" 


(+ 0,001) 


2,84 


7 Lumen 


3,43 


127/ 


(- 0,008) 


11' 


7" 


(+ 0,002) 


2,78 


8 Pfeiler 


2,25 


8' 


2" 


(-f 0,004) 


V 


7" 


(+ 0,006) 


2,93 


8 Lumen 


3,505 


12' 


9" 


(— 0,002) 


11' 


10" 


(-f- 0,003) 


2,85 


9 Pfeiler 


2,165 


7' 


10" 


(+ 0,01) 


7' 


4" 


(— 0,005) 


2,88 


9 Lumen 


3,56 


12' 


11 " 


(+ 0,007) 


12' 




(+ 0,008) 


2,87 


10 Pfeiler 


3,15 


11' 


5" 


(+0,01) 


10' 


8" 


(— 0,007) 


2,85 


10 Lumen 


3,55 


12' 


11" 


(— 0,003) 


12' 




(— 0,002) 


Pilaster 


0,265 


1' 




(- 0,01) 




11" 


(— 0,005) 





110 



< 

Capitol IV. 



Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass weder die Re- 
il uction auf oskisches noch die auf römisches Mass so runde und 
einfache Grössen giebt, auch die gefundenen Grössen nicht so 
genau den vorhandenen Massen entsprechen, dass sie eine un- 
mittelbare Ueberzeugungskraft hätten. In beiden Fällen wird 
anerkannt werden müssen, dass, wenn ein bestimmtes Mass für 
Pfeiler und Lumina zu Grunde liegt, doch von demselben viel- 
fach abgewichen worden ist. Die ganze Linie, einschliesslich 
der mit dem 0,5 (1' 10" osk.) dicken Pilaster endigenden Süd- 
mauer beträgt, 55,146 = 200' ti" osk. (+ 7 Mill.) = 186' 4" 
röm. (—9 Mill.). Dass hier die oskische Summe einer einfachen 
Grösse sich mehr nähert, beweist nichts, da ja diese Dimension 
längst vor dem Bau der Pfeiler feststand. Beseitigen wir nun 
zunächst die Pfeiler und Lumina 1, 2, und 10, sowie das Pfeiler- 
stück am Kordende, deren Grösse aus den oben dargelegten 
Gründen abweicht, so sollten die übrigen eigentlich gleich gross 
sein, da für eine Verschiedenheit absolut kein Grund vorliegt; 
auch entsprechen die vorhandenen Verschiedenheiten keineswegs 
den gleichfalls vorhandenen Verschiedenheiten der Intercolumnien: 
wir dürfen also die Ungleichheiten getrost auf Rechnung ungenauer 
Ausführung setzen und können immerhin versuchen zu finden, 
welches das festgesetzte Mass war, von welchem abgewichen 
wurde. Die fragliche Strecke vom 3. Pfeiler bis zum 9. Lumen 
beträgt 39,950= 135' röm. = 145' 3" oskisch. Die Lumina 
haben alle etwas weniger als 13' oskisch oder 12' röm. — nur 
einmal (9) wird diese Grösse erreicht — die Pfeiler bald etwas 
mehr, bald etwas weniger als 8' osk. 7 1 // röm. Nehmen wir 
nun als oskisches Normalmass 8' für die Pfeiler, 13' für die Lu- 
mina, so gaben 7 Pfeiler und 7 Lumina 147', also 1' 9" mehr 
als die auszufüllende Entfernung. Nun ist es sehr wohl mög- 
lich, dass man dies Normalmass annahm, mit der Absicht jedoch 
alle Einzelmasse etwas knapp zu nehmen, um die 1' 9" zu ge- 
winnen, dass dagegen in der Ausführung auch ein Paar Mal 
jenes Mass überschritten wurde: finden wir doch Ungenauigkeiten 
auch in den Distanzen dor Säuion. Gerade so möglich ist es aber 
auch, dass man mit einem römischen Normalmass von 12 und 
7'/ 3 ebenso verfuhr, und wir werden wohl eingestehen müssen, 
dass die Masse hier keine Entscheidung geben. 



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Ihr Yctiufttempel. \\\ 



Es mag hier hinzugefügt werden, was über die Masse der 
Porticus zu sagen ist. 

Auf Grund von Messungen Breton's will Nissen nachweisen, 
(lass diese Masse römisch sind, dass also die gegenwärtige Dis- 
position des Hofes aus römischer Zeit stamme. Die Area näm- 
lich, der unbedeckte Raum mit den Altären, misst nach Breton 
44,40 x 22,20, was genau 150 X 75 Fuss röni. entsprechen würde. 
Indess so genau trifft das doch nicht zu. Sorgfältige Messung 
am Rande des Stylobats (wo offenbar auch Breton gemessen) 
ergab für die Ostseite 44,90, für die Westseite 44,86, für die 
beiden kurzen Seiten genau übereinstimmend 22,35, d. h. 151' 
7-8" X 75'/,' röm. oder 163' 1—3" X 81' 3" osk. Mithin haben 
wir statt jenes genauen Zutreffens nur eine grössere Annäherung 
an runde Zahlen bei Reduction auf römisches als bei der auf 
oskisches Mass, was doch auf keinen Fall hinreicht, um die An- 
lage der Porticus in römische Zeit 1h i abzurücken, zumal dies 
nach obigen Untersuchungen mindestens sehr unwahrscheinlich 
ist. — Die Masse der Südwand mit dem Haupteingang ergeben 
kein Resultat: Thürweite: 3,18 = 11' 7" (— 6 Mill.) osk. = 10* 
9" röm. Dicke des östl. Thürpfeilors (der westliche ist jüngeren 
Ursprungs): 0,63 = 2' 3" (-f 6 Mill.) 08k. = 2' 1%" röm. Dicke 
des Pfeilers, mit dem die Mauer nach 0. abschliesst: 0,50 = 1' 
10" (- 5 Mill.) osk. = 1' 8" (+ 7 Mill.) röm. 

Nach Nissen freilich haben wir noch ein weiteres Zeugniss 
für die Erbauung der Porticus in römischer Zeit: die Errichtung 
des grossen Altars, welche durch die Inschrift etwa in die Jahre 
80—60 v. Chr. gesetzt wird, ist nach ihm unzertrennlich von einer 
neuen Limitation der Area, diese wiederum vom Bau der Portiken. 
Also stammen auch diese aus den Jahren 80 — 60 v. Chr. — 
Ohne aber auf die Unzertrennlichkeit der Stiftung des Altars 
und einer neuen Limitation einzugehen, wird doch wohl be- 
zweifelt werden dürfen, dass diese letztere nothwendig mit eiuem 
Neubau der Porticus verbunden sein niusste: die Cpnsequenz einer 
solchen Annahme würde sein, dass bei einem von einer Porticus 
umgebenen Tempel nie ein schadhafter, verfallener Hauptaltar 
durch einen neuen hätte ersetzt werden können, ohne zugleich 
die Porticus einzureisaen. Es wird aber doch wohl möglich ge- 
wesen soin, die neue Limitation auf eine einfache Förmlichkeit 



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112 Capitel IV. 

zu reduciren, der An. dass sie sich mit der alten deckte und 
die Porticus stehen bleiben konnte. 

Noch einmal kommen wir auf die dorische Porticus zurück, 
welche nach Nissen der gegenwärtigen dorisch-ionischen vorher- 
ging, und von der sich auf dem Stylobat noch die Spuren finden 
sollen. Das von ihm aus der vermeintlichen Unverträglichkeit 
der jetzigen Säulenstelluug mit der Pfeilerreihe hergeleitete Argu- 
ment für die Existenz derselben ist oben schon beseitigt worden. 
Es ist aber zu bedauern, dass Nissen auf die Disposition jener 
älteren Porticus, die ja doch aus den Spuren der Säulen sich 
musste erschliessen lassen, gar nicht eingeht: es würde ihm 
dann nicht entgangen sein, dass auch sonst seine Annahmen auf 
unüberwindliche Schwierigkeiten stossen. Nach ihm ist die jetzige 
Porticus im Jahre 10 v. Chr. erbaut, während die noch jetzt vor- 
liegende Limitation der Area, des unbedeckten Raumes, gleich- 
zeitig sein muss mit der Weihung des grossen Altar's (80 — 60 
v. Chr.) ; es kann mithin nur die Vertheilung der Säulen vor dem 
Jahre 10 v. Chr. eine andere gewesen sein als jetzt: nach Nissen 
so, dass die Dachbalken auf Säulen und Pfeilern aufliegen 
konnten; der Stylobat musste auf der gleichen Stelle liegen. 
Betrachten wir nun die auf dem Stylobat vorhandenen, von 
Nissen auf eine frühere Säulenstellung bezogenen Spuren, so 
finden wir dieselben — mit einiger Sicherheit nur an den Lang- 
seiten — stets in der Mitte der Intercolumnien; das Verhältniss 
zu den Pfeilern würde sich dabei so gestalten, dass abwechselnd 
eine Säule einem Pfeiler und eine einem Lumen entsprochen 
haben würde. Wir kommen jedoch in's Gedränge, sobald wir 
uns den Ecken nähern: hier ist jedesmal die letzte Spur der 
früheren Säulenstellung nur um ein halbes Intercolumnium von 
der Ecke des Stylobats entfernt: diese Ecke müsste also ent- 
weder an der Stelle jener Säulenspur, oder noch ein halbes 
Intercolumnium über die jetzige Ecke hinaus gelegen haben, 
was nach Nissen nicht möglich ist. Also die Area müsste jeden- 
falls eine andere gewesen sein: wir müssten absehen von dem, 
was Nissen über die Verbindung der Limitation derselben mit 
der Weihung des Altar's sagt, und, indem wir uns auf ganz 
anderen Boden stellten, annehmen, dass bei der Umgestaltung 
der Porticus auch die Area um ein halbes Intercolumnium im 



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Der Vennstempe]. 



113 



N. verkürzt und im S. verlängert worden sei, oder umgekehrt. 
Allein es sind noch andere Erwägungen welche die Annahme 
verbieten , als ob je auf dem jetzigen Stylobat — dessen alter- 
tümlichen Charakter Nissen als Argument für die Annahme einer 
älteren Porticus anführt — die Säulen anders disponirt gewesen 
seien, als jetzt. Es stehen nämlich die jetzigen Säulen auf 
eigens zu diesem Zweck zwischen die langen Steine des Sty- 
lobats eingeschobenen breiteren uud dem Quadrat sich nähern- 
den Steinen, die zum Theil auch etwas erhöht sind und eine 
Art Basis bilden: doch ist dies letztere nicht bei allen und nicht 
in regelmässiger Weise der Fall. Also der ganze jetzt vor- 
liegende Stylobat ist von Anfang an für die jetzige Disposition 
der Säulen bestimmt gewesen. — Sollen wir uun also annehmen, 
da88 bei Herrichtung des jetzigen Stylobats ein älterer benutzt 
und in ihn die Steine, welche jetzt die Säulen tragen, einge- 
schoben worden seien? Und dies sollte möglich gewesen sein, 
ohne irgend welche Verrückung der alten Steine, der Art, dass 
die übrig bleibenden Säulenspuren noch bis heute ganz genau 
die alte Disposition zeigen könnten? Es müssten also schon 
vorher die langen Steine des Stylobats in diesen ganz regel- 
mässigen Zwischenräumen von kürzeren unterbrochen gewesen 
sein, die sich von den jetzigen nur etwa durch die Abwesenheit 
der grösseren Breite unterscheiden konnten. Da dies absolut 
zwecklos gewesen wäre, so müsste man es auf Zufall zurück- 
führen — einen Zufall, an den zu glauben doch allzu schwer ist. 
Oder sind die alten Steine doch verrückt worden, und ist die 
jetzige, ganz regelmässige Vertheilung der Säulenspuren, in der 
Mitte der Intercolumnien, je der Mitte eines Lumens oder eines 
Pfeilers entsprechend, ein Werk des Zufalls? noch weniger 
glaublich. Und endlich, eine solche Einschiebung neuer Steine 
musste doch irgend welche Spuren hinterlassen, die eingeschobenen . 
Steine müssten neuer aussehen; von alledem keine Spur: der 
Stylobat erscheint durchaus wie aus einem Gusse, zeigt überall 
das gleiche, auch von Nissen S. 228 hervorgehobene altertüm- 
liche Aussehen. 

Es bleibt also wohl nichts übrig, als den Gedanken an eine 
frühere dorische Porticus fallen zu lassen, und anzunehmen, dass 
jene vermeintlichen Säulenspuren einen anderen Ursprung haben; 

Mau, potnpejan. Beiträge. $ 



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114 



Capitel IV. 



welchen? das wird Bich kaum feststellen lassen. Es sind übrigens 
nicht bei Bearbeitung des Steins stehen gelassene runde Er- 
höhungen, wie in der Porticus des Isistempels, sondern sie unter- 
scheiden sich von der übrigen Oberfläche der Steine nur durch 
eine andere Farbe, bedingt durch eine abweichende Entwickelung 
der Cryptogaraenflora, die ihrerseits durch eine von früherem 
Druck herrührende Modifikation der Oberfläche bewirkt sein wird. 
Was nun einmal hier gestanden haben mag, das wird wohl, wie 
so vieles, uns unbekannt bleiben ; selbst ein moderner Ursprung 
dieser Flecken gehört kaum zu den Unmöglichkeiten: sollten nicht 
irgendwann einmal Säulentrommeln, ehe sie aufeinander gesetzt 
wurden, hier gestanden haben können? Wie aber dem auch sei, 
wenn wir keine gonügende Erklärung finden, so berechtigt uns 
das doch nicht, zu einer Annahme zu greifen, welche aus den 
oben dargelegten Gründen unstatthaft ist. 

Am allerwenigsten aber durfte aus der runden Form jener 
Spuren geschlossen werden, dass die vermeintliche ältere Säulen- 
stellung eine dorische gewesen sei. Denn auch die jetzigen 
pseudoionischen Säulen stehen ohne Vermittelung von Basen 
auf dem Stylobat: die vorhandenen Basen bilden keine Unter- 
lage, sondern sind au den Fuss der Säule hinangemauert, ihrem 
ganzen Charakter nach wohl erst bei der Modernisirung nach dem 
Erdbeben von 63. Wenn sie aber auch älter sein sollten, so üben sie 
doch keinen nennenswerthen Druck auf die von ihnen bedeckten 
Theile und könnten kaum eine dauernde Spur auf dem Stylobat 
hinterlassen. Ganz dasselbe wiederholt sich häufig genug in 
Privathäusern, z. B. VIII, 3, 8 (casa del cinghiale) und VIII, 
6, 10; im letzteren Falle ist die nachträglich hinangeputzte Basis 
rund. Also runde Säulenspuren gestatten durchaus keinen Schluss 
auf dorische Ordnung. 

Die Baugeschichte des Venustempels gestaltet sich also 
wesentlich anders als bei Nissen. Folgendes sind die im vorher- 
gehenden festgestellten Ergebnisse. 

1. Der Tempel, die Porticus und die Sttdmauer sind in der 
jetzigen Gestalt in der sog. Tuffperiode, d. h. vermuthlich im 
zweiten Jahrhundert v. Chr., eher gegen das Ende desselben, 
erbaut und vermuthlich gleich damals im Stil der Basilica deco- 



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IVr Vonustciupel. 



115 



rirt worden. Die innere Decoration der Cella dürfen wir uns 
ähnlich vorstellen, wie die des Tribunal, die Innenwände der 
Porticus, und wobl auch die Aussenwand der Cella, wie die des 
Hauptraums der Basilica. Endlich für die Strassenwand, wo die 
erhaltenen Reste zu gering sind um ein Urthoil zu gestatten, 
können wir mit grosser Wahrscheinlichkeit eine einfache Deco- 
ration voraussetzen, gleich der, welche die Vorhalle und die 
Aussenseite der Basilica zeigt: gelben Sockel, rothen Streifen 
über demselben, im übrigen glatte weisse Wand. — Für eine 
zeitliche Trennung von Tempel, Porticus und Südwand liegt 
kein Gruud vor: den Tempel weisen der Tuffablauf des Unter- 
baues, die Tuffbasen der Thürpfosten, ondlich seine Säulen, 
welche denen der Porticus durchaus ähnlich sind, der bezeich- 
neten Epoche zu; ob hier früher ein älterer Tempel stand, dar- 
über wissen wir nichts. Sicher ist ferner, dass die Porticus nicht 
jünger sein kann als die Südmauer mit dem Haupteingang, da 
ja die Lage des letzteren neben der Tempelaxe nur durch sie 
ihre Erklärung findet. Wie damals der Tempelhof vom Forum 
geschieden war, ob durch eine Mauer mit einem oder mehr Ein- 
gängen, ob die Porticus von zwei Säulenreihen gebildet wurde, 
oder endlich pb ähnliche Pfeiler wie später schon damals vor- 
handen waren, das lässt sich nicht feststellen. 

2. An dieser Seite wurden alsdann die Pfeiler erbaut, in 
so früher Zeit, dass auf den ersten derselben zwei auf die Wahl 
eines Quaestor bezügliche Programme gemalt werden konnten 
(CIL. IV, 35. 36). Durch die Zwischenräume stieg man über 
eine Stufe vom Forum in die Tempelporticus; jeder dieser Ein- 
gänge war zu beiden Seiten mit hölzernen Antepagmentis ver- 
ziert; dass sie auch verschliessbar waren, wie Nissen S. 220f. 
229 annimmt, ist nicht erweislich : die viereckigen Löcher in den 
Stufen deuten eben nur auf Antepagmenta, nicht auf Thürangeln. 
Wenn aber Thürflügel da waren, so konnten die Angeln nur in 
der oberen Stufe angebracht sein, welche nicht darauf hin unter- 
sucht werden kann; denn wären sie in dem unteren Stein ge- 
wesen, so hätten die Thüren sich auf die Forumsporticus ge- 
öffnet und dort die Passage gehindert. Waren sie hingegen in 
der oberen Stufe, so konnten die ThürflUgel nach innen geöffnot 



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116 



Capitel IV. 



und an die Seitenflächen der Pfeiler angelehnt werden, wo sie 
wenigstens weit weniger unbequem waren. 

3. Später , um's Jahr 10 v. Chr., wurden dann diese Ein- 
gänge vermauert und nur der 6., 7. und 8. von S. offen gelassen, 
ausserdem eine schmälere Thür am Nordende, der Nordporticus 
entsprechend. 

4. Endlich erfolgte nach dem Erdbeben von 63 n. Chr. die 
letzte Erneuerung und Modernisirung; gewiss mit Recht hat 
Nissen eben dieser Zeit die Malereien der Porticus zuge- 
schrieben. 



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Capitel V. 

Die Stcibianer Thermen. 

(Hierzu Taf. III.) 

Dass die sogen . Stabianer Thermen durchgreifende Umge- 
staltungen erfahren haben, dass namentlich die Tubulation der 
Wände erst nachträglich hergestellt worden ist, dass vorher die 
Wände beider Tepidarien und Caldarien zwei Reihen aus Tuff 
gebildeter Nischen zeigten, ist schon früher von Schöne (Quae- 
stionum Pompeianarum specimen, Lipsiae 1868) nach- 
gewiesen worden. Und indem Schöne darauf aufmerksam macht, 
dass der Nischenfries des nördlichen Apodyteriums niedriger ist 
als der des südlichen, erweist er die Richtigkeit der für die 
nördlichen Räume üblichen Bezeichnung als Frauenbad; er macht 
es ferner wahrscheinlich, dass die Thür, welche aus dem Frauen- 
apodyterium in einen an die Paläestra stossenden Raum führt, 
erst später durchgebrochen worden ist, dass also ursprünglich 
das Frauenbad nur durch die beiden mit keinem anderen Theil 
der Anlage communicirenden Gänge von der via stabiana und 
vom vico del lupanare zugänglich war. Alles dies dürfen 
wir als sichere Resultate annehmen : für das letzterwähnte Factum 
werden wir noch eine weitere Bestätigung finden. 

Wenn aber ferner Schöne, und mit ihm Nissen, meint, dass die 
Badezellen an dem Gang, der von der Nordseite der Paläestra 
nach Westen führt, einer älteren Periode angehören als die 
übrige Anlage, so bedarf dies doch noch einer näheren Prüfung. 
Und noch mehr gilt dies von der in Nissen's siebentem Capitel, 
S. 140 ff., entwickelten detaillirten Geschichte der Anlage, nament- 
lich der Heizvorrichtungen. Caldarien und Tepidarien sollen 



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118 



Capitel V. 



danach ursprünglich nicht nur ohne doppelte. Wände, sondern 
auch ohne suspendirten Fussbodou gewesen sein, und zwar sollen 
diese Einrichtungen allmählich entstanden sein. Zuerst, in sulla- 
uischer Zeit, die Suspension des Frauencaldariums; denn auf 
diese wird, wenigstens vermuthungsweise, das laconicum — 
faciund. — locarunt der bekannten Inschrift (C. I. L. I, 1251) 
bezogen. — Wunderbarer Weise soll dann erst später, etwa 
1 bis 30 n. Chr. die Suspension und Tubulation des Manner- 
caldariums erfolgt sein, endlich etwa 40 — 60 n. Chr. die Sus- 
pension der beiden Tepidarien und die Futterung der Wände 
derselben so wie der des Frauencaldariums mit tegulae mam- 
matae. — Erst nach dem Erdbeben von 63 erhielt das Männer- 
tepidarium einen alvous; zugleich wurde die Westseite der 
ganzen Anlage umgebaut und die Eingänge geändert; aus der- 
selben Zeit stammt die jetzige Decoration. 

Um Uber alles dies uns ein Urtheil zu bilden, wird es am 
geeignetsten sein, dass wir die Anlage durchwandern, mit sorg- 
faltiger Beachtung alles dessen, was zur Bestimmung des Alters 
der einzelnen Theile dienen kann, und aller Spuren nachträg- 
licher Veränderungen. Und zwar werden wir am natürlichsten 
da beginnen, wo Schöne und Nissen die ältesten Theile finden, 
mit dem Gang (a) vor den Einzelzellen (6). 

Die aus TufYquadern bestehende Thür, durch welche wir 
eintreten, weist mit aller nur möglichen Deutlichkeit auf eine 
ganz bestimmte Zeit, die von Nissen so genannte Tuffperiode. 
Dass diese Periode zugleich die des ersten Decorationsstils ist, 
kann eben hier ziemlich deutlich erkannt werden; denn das 
mit weissem Stuck überzogene Zahnschnittgesims über der Thür 
entspricht genau demjenigen, welches sich fast regelmässig auf 
Wänden dieses Stils findet. 

Was wir drinnen finden, stimmt damit vollkommen Uberein: 
rechts und links haben wir unten sorgfältiges Lavaincertum ; 
namentlich rechts, etwas von der Thür entfernt, ist deutlich, 
dass dies, in ziemlich gerader Linie endigend, bis 1,10 hinauf- 
reicht. Gleich links sind einige Kalksteinstücke eingemischt, 
deren dem Ziegel sich nähernde Form es wahrscheinlich macht, 
dass sie früher einmal in einem Fachwerkbau verwandt gewesen 
sind. Weiter oben folgt allerlei anderes Material, Kalksteiu, 




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Die Stahianur Thermen. 



119 



Cruma, Tuff, alles in grösseren Stücken. Der Mörtel, in den 
oberen und unteren Theilen identisch, ist von vorzüglicher Qua- 
lität: er erscheint als eine weissliche, schwarz punktirte Masse; 
denn statt der Puzzolanerde ist schwarzer Meersand und Lava- 
brocken verwandt worden. Die sorgfaltigere Behandlung der 
unteren Theile, speciell die Herstellung derselben aus Lava, ist 
bei Bauten der Tuffperiode ungemein häufig. An den Thüren 
der Badezellen wird das Incertum abgeschlossen durch Pfosten 
aus mässig grossen Kalksteinblöcken, die abwechselnd horizontal 
und vertical gelegt sind: eine Constructionsart, wie sie an den 
Pfeilern der Atrien aus der Tuffperiode ganz gewöhnlich ist. Ob 
zwischen den Blöcken Mörtel liegt, und in wie starken Schichten, 
ist bei der grossen Aehnlichkeit desselben mit der untersten 
Schicht des Bewurfs schwer zu erkennen, doch passen die Steine 
nicht genau genifg auf einander, um das Fehlen des Mörtels 
glaublich erscheinen zu lassen. Aehnlich gebildet ist der Eck- 
pfeiler rechts, da wo sich der Gang nach rechts in rechtem 
Winkel zur Palaestra wendet. Der linke Pfeiler der ersten Zelle 
ist in seiner unteren Hälfte mit ziegeiförmigen Tuffsteinen aus- 
gebessert. Von den beiden Thüren rechts ist die erste, zu dem 
kleinen Zimmer (c) mit gemauertem Bett, nicht so gebildet, son- 
dern das Incertum reicht ganz bis an die Thür. Bei der zweiten 
(d) ist wegen der Stuckbekleidung nichts zu erkennen; ebenso 
links am Eingang des Durchgangsraumes (e) zum Abtritt (/"). 
Ohne Pfosten aus Quadern ist auch die Thür der einzigen auf 
der Ostseite des kurzen nach Süden gewandten Theils des Ganges 
befindlichen Zelle. — Der Gang war bis kurz vor den Zellen 
horizontal überdeckt, von da an gewölbt. Die Wölbung beginnt 
mit einem construirten Bogen aus Kalkstein in nicht allzu grossen 
Stücken, mit reichlichem Mörtel. In der Wölbung sind weiterhin 
vier nach oben sich verengende viereckige Oeffnungen. 

Die unterste Schicht des Bewurfs ist eine dem Mörtel ähn- 
liche, nur noch grobkörnigere, steinharte Masse; durch sie ist 
eine ebene Fläche hergestellt worden, der Art, dass die Vorder- 
fläche etwas mehr vortretender Steine frei blieb; an der Innen- 
seite der Tuffpfeiler des Einganges hat man diese Schicht ge- 
spart. Dann folgt eine feinere Schicht, c. 0,06 — 0,08 stark, mit 
Meersand, endlich die letzte aus feinem Marmorstuck, stark am 



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120 



Capitel V. 



rotheu Sockel 0,001—0,002, oben, wo sie weiss ist und weiter 
vortritt 0,003—0,004: am Hervortreten des oberen Theils gegen 
den Sockel erkeuuen wir sofort den ersten» DecorationsstiL Er- 
halten ist diese Decoration, d. h. die oberste Schicht, an der 
liuken Wand bis zur ersten Zelle, in zerstört crem Zustande 
zwischen den beiden ersten Zellen. Doch sind auch die unteren 
Schichten so charakteristisch, dass sie mit Hülfe derselben noch 
weiter verfolgt werden kann. Sie war also in dem ganzen Gang 
vorhanden, auch auf der Vorderfläche der Wölbung ist sie deut- 
lich; dagegen ist es wohl zweifelhaft, ob der weisse Stuck des 
Gewölbes selbst dazu gehört. An der rechten Wand, oberhalb 
des Lavaincertums, ist diese Decoration irgendwann einmal zer- 
stört worden, und zwar auch die unteren Schichten: nur Reste 
derselben finden sich unter einer groben Mörtelschicht, die wohl 
einer späteren Decoration als Grundlage diente. Sicher waren 
ferner die Zellen so decorirt : der Stuck des Ganges, dessen Zu- 
gehörigkeit zu dieser Decoration ausser Zweifel ist, erstreckt 
sich in die zweite Zelle; in den folgenden sind die unteren 
Schichten mit hinlänglicher Sicherheit zu erkennen; in der ersten 
ist nach Abfall der obersten Schicht die zweite roh weiss an- 
gestricheu. Im Abtritt und dem Vorraum desselben ist durch 
den jüngeren Stuck jede Spur älterer Decoration verdeckt. In 
der Zelle (g) östlich des der Palaestra zunächst liegenden Theils 
des Ganges sind Reste der alten Decoration — der untersten 
Schicht — nur auf der Rückwand erhalten: es ist wohl möglich, 
dass die Vorderwand, mit der Thür ohne Kalksteinpfosten, jün- 
geren Ursprunges, d. h. diese Zelle erst später vom Gange ab- 
getrennt worden ist. Jüngeren Ursprunges sind wohl auch die 
beiden Räume rechts (c, d): an den Thüren ist keine Spur alter 
Decoration; die erste (c) war anfangs mit Ziegelstuck verkleidet 
und erhielt später, nach theilweiser Zerstörung desselben, einen 
anderen groben Bewurf; bei der zweiten (d) ist alles mit moder- 
nem Stuck bedeckt. Werfen wir femer einen Blick in diese 
Räume selbst, so finden wir sofort, dass ihre sämmtlichen an- 
deren Mauern jünger sind als die, welche sie vom Gange trennt, 
gemacht als diese letztere schon Stuck hatte: namentlich im 
ersten Raum ist die ältere Stuckbekleidung, älter als die im 





Die Stabiauor Thermen. 



121 



Räume selbst erhaltene, in einem Balkenloch in der Nordost- 
ecke sehr deutlich zu erkennen. 

Es sei noch erwähnt, dass die Ausbesserung an der Thür 
der ersten Zeile, mit ziegeiförmigem Tuff, jünger ist, als die alte 
Decoration. Ferner, dass in der Mauer Steine mit Resten älteren 
Stucks verwandt sind: ein der Ziegelform sich nähernder Kalk- 
stein in der linken Wand, c. 2,0 von der Thür, 0,90 vom Boden, 
hat auf der Ostseite eine c. 0,008 dicke Schicht mit Meersand 
bereiteten Stuckes, der einer Decoration als Unterlage gedient 
haben muss. Ein ähnlich geformter Kalkstein in der rechten 
Wand, 0,80 jenseits der zweiten Thür, 1,30 vom Boden, hat auf 
der Westseite feinen weissen Stuck auf einer c. 0,01 starken mit 
Meersand bereiteten Unterlage. 

Das Resultat unserer Untersuchung dieses nach Schöne und 
Nissen ältesten Theils ist also dies, dass in demselben alles, so- 
wohl Bauart als Decoration, auf die Tuffperiode, die Zeit des 
ersten Decorationsstils hinweist, nichts auf ältere Zeiten, während 
allerdings einige spätere Veränderungen nachweisbar sind. 

Wir finden aber bei Nissen (S. 147) noch folgendes Argu- 
ment fUr ein höheres Alter dieser Einzelzellen: „Ferner sind 
„die Badewannen aus opus incertum aufgemauert; aber weder 
„hier noch an dem sonst in den Zellen verwandten Mörtel 
„sind Ziegelstückchen zu bemerken, wie mau solche sonst 
„einzumengen pflegt, wo es Feuchtigkeit abzuhalten gilt; in 
„der obersten Stucklage am rothen Sockel des Ganges finden 
. „sie sich. Darnach unterliegt es keinem Zweifel, dass der Bau 
„der Einzelzellen früher fällt." Es ist bekannt genug, dass 
man der Feuchtigkeit stark ausgesetztes Mauerwerk mit einem 
Stuck überzog, welchem statt des Marmorstaubes Ziegel ent- 
weder in Pulverform oder in grösseren Brocken beigemischt 
wurde. Ob in diesem Falle die oberste Stuckschicht Ziegelstaub 
enthielt, wissen wir nicht, da sie an den Wannen und überhaupt 
in den Zellen nirgends erhalten ist. Sollte es nicht der Fall 
gewesen sein, so würde daraus nichts folgen. Die Beimischung 
von Ziegelstaub aber in der Stuckbekleidung des Ganges hat 
mit der Abhaltung der Feuchtigkeit gar nicht« zu thuu: in zahl- 
losen Fällen ist solcher Ziegelstuck als billigeres Surrogat des 
Marmorstucks verwandt worden; er findet sich oft genug am 



122 



Capitel V. 



Sockel von Wänden, die im Uebrigen mit Marmorstuck bekleidet 
sind, ohne dass daraus irgendwie eine zeitliche Verschiedenheit 
abgeleitet werden könnte. Von dem Verhältnis des in den Zellen 
erhaltenen Stucks zu dem des Ganges war schon oben die Rede : 
es kann als sicher gelten, dass derselbe nichts anderes ist, als 
die grobe Unterlage der im Gange erhaltenen Decoration ersten 
Stils. In der zweiten Zelle ist die niedrige Mauer, durch welche 
die Wanne gebildet wird, gebaut worden, als die Wand der Zelle 
wohl diesen groben Stucküberzug erhalten hatte, noch nicht aber 
den obersten und feinsten. 

Dass der Vorraum (e) der Latrina (f) aus einer fünften Zelle 
zurecht gemacht sei, indem man ihre vordere und hintere Wand 
einriss, scheint mir ganz unerweislich. Das „Fehlen der üblichen 
Eckenverkleidung durch Quadern" kann eben so gut auch durch 
eiue blosse Erweiterung der Thüren veranlasst worden sein. Auch 
weiss ich nicht, welche Umstände es sind, die nach Nissen 
(S. 148) darauf hindeuten, dass die Zellen ursprünglich sich bis 
an die Rückwand des Apodyteriums der Frauen fortsetzten, so 
dass ihrer sieben gewesen wären. 

Der parallele Gang h, welcher weiter nördlich von Westen 
ins Frauenapodyterium i führt, ist ganz ähnlich. In der Bauart 
ist der Unterschied, dass in der rechten Wand, um die Mitte, 
auch unten Kalkstein in ziemlich grossen Stücken verwandt ist. 
Am Durchgang z^m Apodyterium finden wir Kalksteinpfosteu. 
Die Ecke rechts am Gange ist mit ganz unregelmässigen Ziegel- 
stücken nachträglich zurecht gemacht worden. — Die Deco- . 
ration — es fehlt der rothe Sockel: die Wand ist weiss bis ganz 
unten — ist viel mehr erhalten, theilweise aber mit Ziegelstuck 
ausgebessert, welcher gleich im Anfang einen ziemlich hohen 
Sockel bildet. — Der Fussboden besteht im Anfang aus quadra- 
tischen Bodenziegeln, weiterhin aus opus spicatum, im letzten 
Stück aus rautenförmigen, durch Mosaikstreifen getrennten Zie- 
geln, übereinstimmend mit dem Fussboden des Apodyteriums. 
In der eigentümlichen, schrägen, gerade in die Ecke des Apo- 
dyteriums mündenden Thür ist der Boden mit zwei Reihen läng- 
licher, gerade in der Richtung des Durchganges liegender Lava- 
platten belegt. Denselben Stein finden wir in einem Theil des 
Apodyteriums. 




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« 



Die Stabianer Thermen. 123 

Treten wir nun in dieses ein, so können wir zu dem von 
Schöne beobachteten noch einiges hinzufügen. Die Nischenreihe 
war ursprünglich auch hier, wie in den Tepidarien und Caldarien, 
eine doppelte. Von der unteren ist nur ein kleiner Theil in der 
Südwand Über der Wanne ä erhalten, doch ist sie längs der ganzen 
Südwand deutlich zu erkennen an der verschiedenen Färbung, 
die der Stuck angenommen hat, je nachdem er über den ehe- 
maligen Nischen oder den sie trennenden Steinen liegt. Und in 
derselben Weise erkennen wir, dass auch die obere Nischenreihe 
ursprünglich auf der ganzen Südseite, auch Uber der Wanne, wo 
sie später ausgefüllt worden ist, und ebenso auch auf der West- 
seite vorhanden war. 

Es geht schon hieraus hervor, dass die Wanne später in das 
Apodyteriuni hineingebaut worden ist: wäre sie von Anfang an 
beabsichtigt gewesen, so hätte man hier gleich die Nischen fort- 
gelassen und nicht nöthig gehabt, sie später auszufüllen. Die 
Ostmauer der Wanne endet gerade in einer der unteren Nischen : 
diese wenigstens würde man ausgelassen haben, wenn die Wanno 
im ursprünglichen Plan gelegen hätte. Ihr späterer Ursprung 
wird bestätigt durch die Bauart — sie besteht aus Ziegeln — , 
sowie dadurch, dass das Paviment ringsum in unregelmässiger 
Linie abbricht, also wohl nachträglich gebrochen worden ist. 

Vom Fussboden war schon oben die Rede. Die rautenför- 
migen, durch Mosaikstreifen getrennten Ziegel haben eine Art 
Glasur von grosser Härte; die ganze Arbeit ist von äusserster 
Sorgfalt und Solidität und stammt sicher auch aus der sorgfältig 
arbeitenden Tuffperiode. Doch war niemals der ganze Fussboden 
in dieser Weise behandelt ; an der Ostwand entlang ist ein c. 1,75 
breiter Streifen, als Verbindung zwischen der Nordost- und Süd- 
ostthür, mit eben solchen Steinen belegt, wie wir sie im Nord- 
westeingang gefunden haben. Jetzt berührt sich dieser Streifen 
nur an seinem Südende mit jenem Ziegelfussboden; im übrigen 
schiebt sich dazwischen ein Stück späten rohen Paviments, 
welches nach Art des opus Signinum, nur mit Verwendung von 
Lavabrocken statt der zerstampften Ziegel hergestellt ist uud 
sich auch am grössten Theil der Nordwand entlang zieht. 

Aus Lava besteht auch die Schwelle des Einganges von der 
Stabiauerstrasse (/), und mit oben solchen Lavaplatteu ward 



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124 



Capitel V. 



der Durchgang zum Tepidarium m gepflastert zu einer Zeit, wo 
er eine von der jetzigen abweichende Form hatte. Der jetzige 
Durchgang, der schon durch die Ziegelverkleidung der Pfosten 
als jttngeren Ursprunges kenntlich ist, steht senkrecht auf den 
Langseiten beider Räume und ist 1,05 (reichlich 3V 3 ' röm.) breit, 
während der frühere schräg durch die Mauer ging, genau wie 
der Nordwesteingang des Apodyteriums; seine Breite betrug etwa 
0,80, oder etwas mehr, vielleicht 0,825 = 3' osk. Damals konnten 
die hier fortlaufenden Steine des Nischenfrieses zugleich als Ar- 
chitrav dienen; bei der Umgestaltung aber kam eine Stossfuge 
im Apodyterium am Westende, im Tepidarium am Ostende über 
die Thür; man hielt es daher flir nöthig einen horizontalen Bogen 
aus Ziegeln darunter zu spannen. Dass die Pfosten auch hier 
ursprünglich aus Kalksteinquadern bestanden, wie an dem er- 
wähnten Nordwesteingang, dürfen wir wohl nicht bezweifeln. Wie 
es in dieser Beziehung mit dem Nordosteingang (/) steht, der 
offenbar seine alte Form bewahrt hat, ist bei der vollkommen er- 
haltenen Stuckbekleidung nicht zu erkennen. Hingegen hat die 
nach Süden in einen an die Palaestra anstossenden Raum (V) 
führende Thür, wie keine Kalksteinpfosten, so .auch keine 
Schwelle: die Fundamente liegen hier einfach zu Tage, zum 
Theil höher als der Fussboden: eine offenbare Bestätigung für 
Schöne's Annahme, dass diese Thür späteren Ursprunges ist. 
Diese Annahme wird aber zu völliger Gewissheit erst durch die 
Beobachtung, dass die Rückwand einer der beiden durch die 
Anlage der Thür zerstörten Nischen — der zur Rechten — noch 
vollkommen deutlich erkennbar ist: sie ist mit einer c. 0,02 
starken, mit Meersand zubereiteten Stuckschicht bedeckt. — Das 
Fenster in der westlichen Lünette hat keine Pfosten: es ist 
entweder erst später hergestellt, oder doch nachträglich erweitert 
worden. 

Eine junge Decoration bedeckt die Wände bis zu dem über 
den Nischen sich hinziehenden Gesims; unter ihr kommen Reste 
der alten Decoration zum Vorschein. Das die beiden Nischen- 
reihen trennende Gesims besteht aus Kalkstein; die sorgfältige 
Profilirung ist nur in der denselben bedeckenden dicken Stuck- 
schicht ausgeführt. Dagegen ist das Profil des oberen, aus Tuff 
bestehenden Gesimses aus dem Stein selbst hergestellt, und nur 




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Die Stabianer Thermen. 



125 



mit einer dünnen Stuckschicht überzogen. Die Gesimse sind ein- 
fach und geschmackvoll, nur vertical gegliedert, ohne die klein- 
liche Ornamentirung, welche auf den Stuckgesimsen der letzten 
Zeit Pompeji's nicht leicht fehlt. — Das Tonnengewölbe ist ein- 
fach glatt und weiss, an dem gewölbten Rande der Lünetten 
zieht sich ein einfaches, nur vertical gegliedertes Gesims hin, 
ganz in der Art des ersten Decorationsstils. Die nach oben sich 
verengenden runden Oeffnungen sind analog denen des Ganges. 

Von der Bauart der Mauern ist von innen wenig sichtbar. 
Ueber der durchgebrochenen Südthür constatiren wir denselben 
trefflichen alten Mörtel, wie in dem Gang. Und gehen wir durch 
diese Thür hinaus, so können wir von aussen (n) ganz ähnliches 
Mauerwerk wie dort erkennen: gutes Incertum, vorwiegend aus 
Lava, mit demselben vorzüglichen Mörtel. Darauf liegen Reste 
der unteren Schichten einer alten Stuckbekleidung, unter der 
jüngeren, ganz ähnlich der in den Gängen beobachteten. Dieser 
Bewurf ist älter als das erste Stück der Mauer, welche den Raum, 
in welchem wir stehen, von der Porticus trennt; doch ist das 
so als jünger bezeugte Mauerstück nur 5,20 lang: die dann fol- 
gende Thür mit dem links anstossenden Stück (1,02) aus ziegei- 
förmigem Kalkstein (in ähnlicher Weise ist die Thür überwölbt) 
ist wieder älter, wenn gleich, in Anbetracht der ziegelformigen 
Steine, jünger als die bisher besprochenen Theile. Den Zu- 
sammenhang dieser Veränderungen festzustellen ist mir nicht 
gelungen. — Ganz gleiches Mauerwerk ist endlich auf der öst- 
lichen Aussenseite des Apodyteriums zu constatiren. 

Das Resultat unserer bisherigen Untersuchung ist also, dass 
die besprochenen Theile, einschliesslich der Einzelzellen, einen 
durchaus einheitlichen Charakter, und zwar den Charakter der 
Tuffperiode tragen. Mauerwerk, Thürpfosten, Decoration, alles 
stimmt, wo nicht nachweislich spätere Veränderungen stattgefunden 
haben, vollkommen überein. 

Weiter zum Tepidarium (m) tibergehend betrachten wir zu- 
nächst von aussen die Westwand desselben. Hier sehen wir 
sofort, dass einmal ein gründlicher Umbau, oder Aufbau nach 
theilweiser Zerstörung, stattgefunden haben muss. Wir finden 
auch hier dasselbe alte Mauerwerk mit Resten desselben alten 



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126 



Capitel V. 



Bewurfs, aber nur bis zur Hohe von c. 3,70. Dann folgt augen- 
scheinlich jüngeres Mauerwerk. Zunächst eine sechsfache Zie- 
gelschicht. Darauf in der Mitte ein viereckiges Fenster mit 
Pfosten von Ziegeln, ziegeiförmigen Kalk- und einzelnen Tuff- 
steinen, welches aber nicht in ganzer Höhe erhalten und später 
weder zugesetzt worden ist. Darauf ist endlich ein höher lie- 
gendes und breiteres Fenster gemacht worden. Wir unterscheiden 
also an dieser Wand deutlich drei Perioden: nur die untersten 
Theile (3,70) gehören der Tuffperiode und der Zeit des ersten 
Decorationsstils an. Die Posteriorität der zweiten Periode auch 
dem Bewurf der unteren Theile gegenüber ist vollkommen deut- 
lich, da ihr Mörtel Uber denselben gestrichen ist; das Zusammen- 
treffen des Mauerwerks der zweiten und dritten Periode ist wegen 
des erhaltenen Stucks nicht recht zu erkennen. 

Wir constatiren zugleich, ebenfalls von aussen, dass an der 
anstossenden Westwand des Caldariums (o) genau derselbe Vor- 
gang wahrnehmbar ist, nur ist hier der Rest des ältesten Mauer- 
werks um 0,50 niedriger. 

Dasselbe alte Mauerwerk zeigt ferner, von aussen (p) be- 
trachtet, die Ostmauer des Tepidariums, wenigstens bis zur Höhe 
des Ansatzes der Wölbung; ebenso die vom Laden No. 16 (q) 
aus sichtbare Nordmauer. Dieso setzt sich nach Osten über die 
Nordostecke hinaus fort, als Trennungsmauer zwischen p und q. 
An der Thür zwischen diesen beiden Räumen endigt sie in einen 
Ziegelpfosten, doch ist deutlich genug zu erkennen, dass derselbe 
erst nachträglich angesetzt worden ist. Der andere Pfosten der- 
selben Thür besteht aus abwechselnd horizontal und vertical 
gelegten Kalksteinblöcken, genau wie bei den Thüren der Einzel- 
zellen: es kann keinem Zweifel unterliegen, dass ursprünglich 
beide Pfosten so beschaffen waren, und dass wir uns immer 
noch in dem gleichen Bau aus der Tuffperiode befinden. 

Dagegen zeigt die Ostmauer des Caldariums einen ganz an- 
deren Charakter: hier ist viel Tuff verwandt, der Mörtel ist 
weit geringer, die Mauer voller Risse, was bei den alten Mauern 
nicht der Fall ist; endlich, um dies vorweg zu nehmen, sind auf 
der Innenseite derselben die bekannten Nischenreihen nie vor- 
handen gewesen. Offenbar haben wir hier mit einer späteren Re- 
stauration zu thun. Die Verschiedenheit von dem alten Mauer- 




Die Stnbianer Thermen. 



127 



werk ist besonders deutlich am Ostende der Nordmauer, sichtbar 
von p aus: man sieht hier ganz klar, wie die mit der Ostmauer zu- 
sammenhängende Ziegelecke nachträglich an die alte Nordmauer 
angesetzt ist, und nichts kann deutlicher sein als das Zusammen- 
treffen des älteren und jüngeren Mörtels. An der Südecke ver- 
bietet die moderne Verputzuug dies zu constatiren; da aber die 
ganze Mauer, sammt der südlichen Ziegelecke, mit der als 
zweifellos jung erkannten Nordecke untrennbar zusammenhängt, 
so kommt darauf wenig an, und es steht hinlänglich fest, dass 
wir für die alten Theile keine Ziegelecken zu constatiren haben. 
Das der Ecke zunächst liegende Stück der Südmauer gehört 
noch zu den jungen Theilen: es sieht eben so aus und hat die- 
selben Risse. Im übrigen ist die nur in geringer Höhe erhaltene 
Südmauer alt, wenn auch vielleicht stellenweise ausgebessert: 
die bekannten Nischen zeugen dafür. Es mag gleich hier er- 
wähnt werden, dass aus demselben Grunde an dem Alter der 
Trennungsmauer zwischen Tepidarium und Caldarium nicht ge- 
zweifelt werden kann. 

Treten wir nun nach dieser äusseren Besichtigung der 
Schwitzräume zunächst in das Tepidarium (m), so ergänzen sich 
unsere bisherigen Wahrnehmungen glücklich mit dem, was von 
innen beobachtet werden kann. Denn auf der Westwand ist 
von innen der Stuck und die Tubulation vollständig erhalten, 
während auf den drei übrigen Wänden der von Schöne entdeckte 
doppelte Nischenfries deutlich zu erkennen ist: dass er auch auf 
der Westseite war, kann bei dem von aussen constatirten Alter 
der Mauer nicht bezweifelt werden. Die übrigen von innen 
wahrnehmbaren Veränderungen sind von Schöne nur theilweise 
berichtet worden. 

Die Tubulation wurde anfangs nur bis an den Ansatz der 
Wölbung gemacht, erst in einer späteren Periode auf die Lünetten 
und die Wölbung ausgedehnt. Es geht dies aus Folgendem 
hervor. Ehe Wölbung und Lttnette tubulirt wurden, war erstere 
mit glattem weissen Stuck bedeckt, letztere hatte an ihrem ge- 
krümmten Rande ein aus einem Eierstab und zwei Rundstäben 
bestehendes Gesims; beides war gleichzeitig: man sieht, dass der 
Stuck der Lünette an den der Wölbung hinangestrichen wurde, 
als dieser noch frisch war. Diese Decoration konnte einerseits 



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128 



Capitel V. 



selbstverständlich nur gemacht werden, ehe man daran dachte, 
Wölbung und Lünette zu tubuliren, sie kann aber andererseits 
auch nicht einer ganz alten Periode, vor der Tubulation der 
Wände, angehören. Denn erstens verbietet sowohl die Beschaffen- 
heit des Stucks als die Form des Gesimses — der Eierstab — 
auf das bestimmteste, an eine Decoration ersten Stils zu denken, 
deren Reste wir im Apodyterium an den entsprechenden Stellen 
fanden. Zweitens wurden die Wände zum Zweck der Tubulation 
nach Abhauung der Gesimse und Ausfüllung der Nischen zu- 
nächst mit Ziegelstuck überzogen. Nun aber lässt sich nament- 
lich auf der Südwand mit Bestimmtheit constatiren, dass der 
weisse Stuck der Wölbung über diesen Ziegelstuck gestrichen, 
also jünger ist. Es folgt daraus, dass man bei der Tubulation 
der unteren Wände, oder gar noch später, der Wölbung und 
den Lünetten eine Decoration gab, welche selbstverständlich 
sichtbar bleiben sollte. 

Dass dieselbe nicht den Anfangen des Baues angehört, er- 
giebt sich übrigens noch aus einem anderen Umstände. In der 
östlichen Lünette war ursprünglich ein rundes, nach aussen sich 
verengendes Fensterchen: später ist es zugesetzt worden, und 
die Vermauerung wird von dem fraglichen Stuck bedeckt. 

Dass jedoch dieser ein gewisses Alter hat, folgt theils aus 
der Einfachheit desselben — man vergleiche z. B. den Lünetten- 
schmuck im Caldarium und im Männerbad — theils daraus, dass 
er auf der Westmauer nur die alten Theile bedeckt. Wo das 
alte Mauerwerk aufhört, genau da bricht auch die Decoration in 
gerader Linie ab: weiter oben folgt ein roher Bewnrf, wie es 
scheint Ziegelstuck, welcher nur der Tubulation als Grundlage 
dienen sollte. Es ist mithin der zweimalige Umbau der West- 
wand — die Oeffnung eines Fensters, und die Schliessung des- 
selben um ein anderes, höher gelegenes, zu öffnen — jünger als 
die fragliche Decoration mit dem Eierstabgesimse. 

Andererseits ist die Tubulation der Decke und Lünette nicht 
jünger als der erste Umbau der Westwand. Denn wenn damals 
die Lünette noch frei geblieben wäre, so hätte sie eine Deco- 
ration erhalten müssen, und dieser hätten die Reste der alten 
Decoration, namentlich das Gesims mit dem Eierstab, weichen 
müssen: dasselbe konnte nur bleiben weil die ganze Wand so- 



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Die Stabianer Thermen. 129 

fort von den tegulae mammatae bedeckt wurde. Das jetzige 
Fenster ist also angelegt und das ältere zugesetzt worden, als 
die Lünette schon tubulirt war. Damit stimmt es, dass der Stuck 
des abgeschrägten und mit Stuckornamenten — Rosette und vier 
Scorpionen — verzierten Stücks der Decke nicht ordentlich an 
den Stuck der Wölbung hinangestrichen ist, sondern über ihn 
hinausragt: er schloss sich eben der Tubulation an. 

Von der Umgestaltung des Einganges aus dem Apodyterium i 
war schon die Rede. Die damals hergestellten Ziegelpfosten 
werden von der Tubulation bedeckt, sind also älter als dieselbe, 
oder, was wohl wahrscheinlicher, ihr gleichzeitig. An dieselben 
wurde später von der Seite des Tepidariums eine Art Pilaster aus 
Incertum angeklebt, zu keinem anderen Zweck, als um eine 
Marmorbekleidung darauf anzubringen. Auf der Westseite ist 
dieser Pilaster erhalten, auf der Ostseite sieht man, wie bei Her- 
stellung desselben die Ziegelverkleidung theilweise herunterge- 
schlagen worden ist, unter Beschädigung auch des Ziegelstucks, 
welcher der Tubulation als Grundlage dient. Gleiche Pilaster, aus 
viel schlechtem Mörtel und wenig Stein, hat man auch zu beiden 
Seiten der Thür zum Caldarium angebracht; endlich hat man 
— offenbar gleichzeitig — ringsum die Wände bis zur Höhe von 
0,35 mit Marmor bekleidet, von dem jedoch nur geringe Reste 
an den Thüren vorhanden sind, während er im Caldarium voll- 
ständig erhalten ist. Nichts ist klarer, als dass dies eine nach- 
trägliche Zuthat und jünger als die Tubulation ist, deren Ziegel- 
stuck östlich der Thür aus dem Apodyterium und westlich der 
zum Caldarium damals beschädigt wurde. Wo die Westwand 
an die Thür aus dem Apodyterium stösst, ist klar zu sehen, dass 
der Ziegelstuck bis in die Ecke ging, während der Marmor- 
pilaster noch c. 0,20 von der Südwand bedeckt; und auch öst- 
lich der Thür zum Caldarium bedeckt er einen c. 0,27 breiten 
Streifen Ziegelstuck. — Eben so klar ist aber auch, dass die 
erhaltene, über der Tubulation liegende Decoration des ganzen 
Raumes an diese theilweise Marmorbekleidung hinangestrichen, 
also entweder jünger, oder, was wahrscheinlicher, gleichzeitig 
ist. Keinenfalls ist also diese Decoration noch dieselbe, welche 
der Raum gleich nach Herstellung der damals nur die Wände 
umfassenden Tubulation erhielt. Die Neudecoriruug der Wände, 

Mau, pompejan. Beiträge. 9 



130 



Capitel V. 



in Verbindung mit theilweiser Marniorbekleidung, kann gleich- 
zeitig sein mit der Ausdehnung der Tubulation auf Wölbung 
und Lünetten. Doch haben wir gesehen, dass auch später noch 
bedeutende Veränderungen stattgefunden haben: es ist mindestens 
eben so möglich, dass mit dem zweiten Umbau der Westwand 
und der Anlage des grösseren Fensters eine Neudecorirung des 
ganzen Raumes verbunden war. 

Es ergiebt sich uns also folgende Geschichte dieses Raumes: 

1. Ursprünglicher Bau in der Tuffperiode, mit doppelter 
Nischenreihe. 

2. a. Aenderung und Erweiterung des Einganges aus dem 

Apodyterium: Ziegelpfosten. Tubulation des unteren 
Theils. 

b. Neudecorirung der Wölbung und Lünetten : Schliessung 
des kleinen Fensters nach Osten. 

3. Neubau der Westwand mit einem 0,90 breiten, ganz 
innerhalb der Lünette liegenden Fenster. Tubulation 
der Lünetten und der Wölbung. 

4. a. Zweiter Umbau der Westwand, mit einem 1,05 brei- 

ten, oben Uber die Lünette hiuausreichenden Fenster. 
b. Neudecorirung mit theilweiser Marmorbekleidung. 

Hierbei ist zu bemerken, dass die mit a, b bezeichneten 
und unter einer Nummer zusammengefassten Vorgänge nur ver- 
muthungsweise als gleichzeitig bezeichnet werden können: wollte 
jemand 46 lieber zu 3 ziehen, so könnte dem nicht mit Bestimmt- 
heit widersprochen werden; 2b kann möglicherweise etwas später, 
nicht früher, als 2 a stattgefunden haben. 

Im Ca Mari um (o) sind die Nischen nur auf der Südseite zu 
constatiren. Dass sie in der Nordmauer — wo sie im Tepidarium 
sichtbar sind — und in der von aussen als alt kenntlichen, von 
innen ganz durch die Tubulation bedeckten Westmauer nicht 
fehlen, dürfen wir wohl annehmen. Dagegen fehlen sie in der, 
wie wir sahen, jüngeren Ostmauer. 

Decoration und Tubulation waren zur Zeit der Verschüttung 
von der des Tepidariums nicht verschieden. Die Tubulation um- 
fasst Decke und Lünetten; sie ist mit tegulae mammatae 
hergestellt; der an der Thür übrig bleibende Streifen ist mit 
rechtwinkligen Thonröhren, die Wölbung mit länglichen Ziegeln, 




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Die Stabianer Thermen. 



131 



die an jeder Ecke einen Vorsprung haben, belegt. Das Fenster 
nach Westen reicht auch hier über die Wölbung hinaus. — Die 
Decoration setzt auch hier Marmorbekleidung an den Thllren 
und am Boden entlang voraus; ganz gleichartig ist auch die 
Marmorbekleidung der Wanne: es ist schon daraus klar, dass 
diese Decoration der des Tepidariums gleichzeitig ist; eine 
andere, gleich nach der Tubulation angelegte, muss ihr voraus- 
gegangen sein. 

Ein Unterschied vom Tepidarium ist der, dass hier an der 
Wölbung und den Lünetten unter den tegulae mammatae 
nicht eine ältere Decoration, sondern derselbe Ziegelstuck zum 
Vorschein kommt, welcher unten, an den Wänden, der Tubulation 
als Grundlage dient. Es ist also eine nahe liegende Vermuthung, 
dass die Tubulation hier nicht gleichzeitig ist mit der der ent- 
sprechenden Theile im Tepidarium — denn dann würde man 
doch wahrscheinlich in beiden Räumen auf gleiche Art verfahren 
sein — sondern dass man sie gleich anfangs, um grössere Hitze 
zu erzielen, auf Lünetten und Wölbung ausdehnte. 

Im Uebrigen wird die Geschichte dieses Raumes von der 
des Tepidariums nicht verschieden sein; nur kommt hinzu der 
Neubau der Ostwand. Derselbe ging der Tubulation voraus, 
deren Ziegelstuckunterlage gleichmässig alte und jüngere Mauer- 
theile bedeckt, womit es stimmt, dass die Ecken, wie die Pfosten 
der ebenfalls vor der Tubulation umgebauten Thür zwischen 
Apodyterium und Tepidarium, aus Ziegeln bestehen. 

Die Heizeinrichtungen (r), aus Ziegeln erbaut, sind in ihrer 
jetzigen Gestalt augenscheinlich nicht sehr alt ; dass sie aber auch 
früher eben hier ihren Platz hatten, kann nicht bezweifelt wer- 
den, da die Disposition der ganzen Anlage darauf begründet ist. 

Wenden wir uns nun zu der den Männern bestimmten Ab- 
theilung des Bades, so haDen wir zunächst auch hier, wo nicht 
spätere Veränderungen stattgefunden haben, dasselbe alte Mauer- 
werk zu constatiren: Lavaincertum mit dem oben beschriebenen 
trefflichen Mörtel. Thürpfosten aus Kalkstein sind in diesem 
Theil nicht erhalten, wohl aber etwas ihnen analoges. In der 
Nord wand nämlich des Caldariums (s) befindet sich auf der Aussen- 
seite, da wo die schola labri beginnt, eine später ausgefüllte 

9* 



132 



Capitel V. 



gewölbte Nische — dass es nicht etwa eine Thür ist , kann an 
der nach innen sich verengenden Wölbung deutlich erkannt 
werden — deren Pfosten aus abwechselnd horizontal und ver- 
tical gelegten Kalksteinquadern — ganz in der bekannten Art — 
hergestellt sind. Wir werden demnach nicht zweifeln, dass wir 
uns immer noch in demselben aus der Tuffzeit stammenden Bau 
befinden, und wenn wir an der Thür zwischen Apodvterium (m) 
und Tepidarium (/) Ziegelpfosten finden, so werden wir diese 
ohne Bedenken einer später vorgenommenen Veränderung zu- 
schreiben, wie wir sie ja an der entsprechenden Thür des Frauen- 
bades mit aller nur wünschenswerthen Sicherheit constatiren 
konnten. 

Späteren Restaurationen verdanken jedenfalls die Ostwände 
des Caldariums und Tepidariums ihre Entstehung. Die Nordost- 
ecke des Caldariums (s) ist aus Ziegeln, ebenso ein Entlastungs- * 
bogen am Südende der Ostmauer und das Mauerwerk über wie 
unter demselben: nach den im Frauencaldarium gemachten Er- 
fahrungen werden wir nicht bedenklich sein, dies als Beweis 
geringeren Alters anzunehmen. — Die Ostwand des Tepidariums (/) 
ist schon dadurch verdächtig, dass sie keinen Nischenfries hat, 
während er in der entsprechenden Wand des Frauentepidariums 
constatirt werden kann. Die Nordostecke besteht aus ziegel- 
formigem Tuff, eine den alten Theilen fremde Constructionsart; 
auch das Incertum zeigt einen durchaus abweichenden Charakter, 
namentlich viel schlechteren Mörtel. Die Ostwand des Apody- 
teriums kann bei der vollkommenen Erhaltung des Stucks nicht 
untersucht werden; die Ziegelpfosten der Thür können jünger 
sein als die Mauer selbst. Ohne Zweifel sind alle diese Um- 
bauten auf der Ostseite der Anlage, auch die der Heizvorrichtungen 
und der Mauer gegen die Stabianer Strasse, zu gleicher Zeit 
und aus einer gemeinsamen Ursache vorgenommen worden. Die 
Zeit derselben konnten wir bei der Betrachtung des Frauen- 
caldariums dahin bestimmen, dass sie von der Tubulation voraus- 
gesetzt werden. Wir werden sehen, dass dem auch im Männer- 
bade nichts widerspricht. 

Ueber das Innere des Tepidariums und Caldariums und die 
dort zu constatirenden Veränderungen hat Nissen S. 144 ff. be- 
sonders ausführlich gehandelt: doch bedürfen seine Ausführungen 



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Die Stabianer Thermen. 133 

mancher Berichtigungen und Ergänzungen. Um über die Ge- 
sebiebte dieser Räume in's Klare zu kommen, ist es nothwendig, 
dass wir mit den jüngsten wahrnehmbaren Veränderungen be- 
ginnen. 

Zu diesen rechnet Nissen mit Recht den Bau der Wanne 
am Ostende des Tepidariums; denn wenn (S. 151) aus der Ver- 
wendung einer 9/8 v. Chr. dem Augustus geweihten Inschrift 
auf die Zeit nach dem Erdbeben des Jahres 63 geschlossen wird, 
so ist dagegen nichts einzuwenden. 

Dagegen finde ich weder bei Nissen und Schöne noch sonst 
irgendwo bemerkt, dass auch die Wanne am Ostende des Männer- 
caldariums späteren Ursprungs ist, und dass dieser ganze Theil 
des Raumes seine letzte Gestalt einem Umbau verdankt, welcher 
später fällt als die Tubulatiou der Wände. Das Ostende jeder 
der beiden Langwände ist in einer Länge von c. 2,10 durch eine 
c. 0,62 dicke Ziegelmauer verstärkt, und unter den entsprechenden 
Theil des Gewölbes ein zweites aus Incertum gesetzt worden, so 
dass das ganze Ostende des Raumes als eine Art Nische er- 
scheint. — Dieser Umbau ist später als die Tubulatiou der Wände, 
also auch als die Suspension des Bodens: der Ziegelstuck, welcher 
der Tubulatiou als Grundlage dient, wird von den neuen Mauern 
bedeckt, die Röhren selbst — das Caldarium ist mit viereckigen 
Röhren tubulirt — sind bei Anlage derselben theilweise zerstört 
worden. Die neuen Maueru wurden dann mit tegulae mara- 
matae belegt, während auf der Ostwand die gleichen Röhren, 
wie auf den anderen Wänden, liegen. Allem Anschein nach haben 
wir hier die ursprüngliche Tubulation des Raumes vor uns, 
welcher also der Neubau der Ostwand vorherging. 

Diese Ziegelmauern stehen natürlich auf dem untersten Boden; 
es war unvermeidlich, dass beim Bau derselben die der Wand 
zunächst stehenden der den oberen Fussboden tragenden Ziegel- 
pfeilerehen zerstört wurden; dennoch aber lässt sich kein Unter- 
schied zwischen den hier noch jetzt vorhandenen, also damals 
erst hergestellten, und denen des übrigen Raumes feststellen. So 
liegt auch das sehr dicke opus Signinum des oberen Fuss- 
bodens gleichmässig in diesem Theil — wo es doch damals zer- 
stört sein musste — und in dem übrigen Räume, ohne dass ein 
Ansatz oder eine Verschiedenheit bemerkbar wäre. Mithin wird 



134 



Capitel V. 



die Wahrscheinlichkeit, mindestens die Möglichkeit einer eben 
damals erfolgten vollständigen Erneuerung des oberen Paviments 
und der dasselbe stutzenden Pfeilerchen nicht in Abrede gestellt 
werden können. Es würde danach die uns vorliegende Suspensur 
des Caldariums einer nicht genau bestimmbaren, jedenfalls aber 
ziemlich späten Epoche angehören. Wenn dem gegenüber bei 
Nissen (S. 153) bemerkt wird, dass in dem Fehlen der Stuck- 
bekleidung der Pfoilerchen sich eine ältere weil unvollkommenere 
Technik zeige, und daraus im Verein mit dem verschiedenen 
Charakter des unteren Bodens — längliche, aus Dachziegeln 
zurechtgemachte Platten, während im Tepidarium die gewöhn- 
lichen quadratischen Bodenziegel verwandt sind — auf höheres 
Alter der Suspensur des Caldariums im Vergleich mit der des 
Tepidariums geschlossen wird, so ist darauf erstens zu bemerken, 
dass durch diese Art von Argumenten wohl Resultate, die aus 
anderen Gründen schon einigermassen feststehen, noch weiter be- 
stätigt werden können, dass aber sie allein keine Beweiskraft 
haben, am wenigsten wo aus entscheidenderen Thatsachen sich 
andere Resultate ergeben. Das Fehlen der Stuckbekleidung 
kann mindestens eben so gut auf die geringere Sorgfalt einer 
späteren Epoche — vielleicht nach dem Erdbeben — wie auf 
die minder entwickelte Technik einer älteren Zeit zurückgeführt 
werden. Das andere Argument aber — die Verschiedenheit der 
Ziegelplatten — beweist doch höchstens die Existenz irgend 
einer Suspensur, nicht die der noch jetzt erhaltenen, in 
einer der Suspensur des Tepidariums vorausliegenden Epoche. 
Im Gegentheil, wenn es in diesem Sinne beweisend ist, so 
beweist es auch, dass das erhaltene obere Paviment, und 
damit auch doch wohl die Pfeilerchen, dieser älteren Zeit nicht 
angehören können ; denn das obere Paviment ruht genau auf den- 
selben Boden ziegeln, welche den unteren und oberen Boden des 
Tepidariums bilden. Und in der That werden wir vielleicht so 
schliessen dürfen. Denn stammt die jetzt vorliegende Suspensur 
aus so junger Zeit, ist sie jünger als die Tubulation der Wände, 
so ging ihr selbstverständlich eine ältere vorher: tubulirte Wände 
sind nicht denkbar ohne Suspensur, diese ist mindestens so alt 
wie jene. 

Eine andere Frage ist die, ob auch vor Anlage der Tubu- 




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Die Stabianer Thermen. 



135 



latioD, zur Zeit der Nischenfriese, der Boden suspendirt gewesen 
sei. Nissen (S. 146) leugnet es auf Grund folgender Argumen- 
tation: „Es ist ein Stück Tuffgesims als Fundament für die 
Wanne" (nämlich das Labrum am Westende des Caldariums) 
„benutzt worden. Dasselbe kann nicht weit hergeholt sein, son- 
dern rührt aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Gesims her, 
das ursprünglich den Nischenfries krönte. Daraus ergiebt sich 
aber des Weiteren mit Wahrscheinlichkeit, dass das Caldarium 
anfänglich auch keinen Doppelboden besass, denn die kleinen 
Ziegelpfeiler, die denselben tragen, müssen ihrer Anordnung nach 
zu derselben Zeit wie die Wanne mit ihrem Fusse errichtet 
worden sein." 

Die Schwäche dieser Beweisführung geht schon aus dem 
oben gesagten hervor. Gesetzt wirklich, das Labrum sei, wie 
Nissen aus jenem Gesimsstück schliesst, erst gleichzeitig mit der 
Zerstörung des Nischenfrieses und der Tubulirung der Wände 
gebaut worden, so folgt doch aus der Anordnung der Pfeilercheu 
um dasselbe nur, dass eben diese jetzigen Pfeiler und das auf 
ihnen ruhende Paviment nicht einer älteren Zeit angehören kann; 
denn dass es noch jünger sei, dem steht auch nach Nissen nichts 
entgegen. Ist aber unsere obige Vermufrhung richtig, so ging 
dem jetzigen suspendirten Fussboden ohne allen Zweifel ein ähn- 
licher vorauf, der sehr wohl auch älter sein konnte als das 
Labrum und als die von Nissen mit demselben in Verbindung 
gebrachte Zerstörung des Nischenfrieses. 

Ferner aber ist jenes Gesimsstück mit Unrecht benutzt 
worden, um die Erbauung des Labrums mit der Zerstörung des 
Nischenfrieses, und folgeweise mit der Anlage der Tubulation 
in Verbindung zu bringen. Erstlich liegt es keineswegs in den 
Fundamenten sondern oberhalb des Fussbodens, könnte also 
auch einer späteren Umgestaltung des Labrums angehören 1 ). 
Zweitens ist es durchaus nicht erwiesen, vielmehr recht unwahr- 
scheinlich, dass es jenem Nischenfries angehört hat. Von dem 
über den Nischen sich hinziehenden Gesims wurden, wie deut- 
lich sichtbar, nur die vorstehenden Theiie abgeschlagen und zur 
Ausfüllung der Nischen benutzt, nicht aber die Steine aus der 



') Dies bemerkt auch A. Holm in Bursian's Jahresber. 1876/77, S. 257. 



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136 



Capitel V. 



Mauer gerissen: hier aber haben wir einen vollständigen c. 0,70 
tiefen Stein, der vorn in ein Gesims endigt. Es fallt mithin 
jeder Beweis flir die Gleichzeitigkeit des Labrums mit der Aus- 
füllung der Nischen und der Tubulation. Es sind aber nicht nur 
die vermeintlichen Gründe gegen ein höheres Alter der Suspen- 
sur als der Tubulation hinfällig, sondern es lässt sich auch der 
positive Beweis für dasselbe führen. 

Zum Zweck der Tubulation wurde die Wand zuerst mit 
einem durch eine Beimischung von Ziegelstaub gelblich gefärbten 
Stuck überzogen, dann die Röhren gelegt und über diese die 
sichtbar bleibende Stuck bekleidung. Wäre nun damals die 
Suspensur gemacht worden, so könnte auch die nur dieser dienende 
Vertiefung des Bodens nicht älter sein, und wir würden ohne 
Zweifel die Wände, bis auf den untersten Boden, gleichmässig 
mit jenem selben Ziegelstuck überzogen sehen. Statt dessen aber 
finden wir unterhalb des oberen Fussbodens einen anderen und — 
dies kann nicht zweifelhaft sein — älteren Ziegelstuck: nicht 
nur sein Aussehen beweist für höheres Alter, sondern man 
sieht auch an verschiedenen Stellen deutlich, dass da, wo die 
beiden Stuckbekleidungen zusammenstossen, die untere gebrochen 
war, die obere aber an sie hinan gestrichen wurde. — Also: ent- 
weder war, als der Nischenfries zerstört und die Wände tubulirt 
wurden, ein suspendirter Fussboden schon vorhanden, oder jener 
obere Ziegelstuck sammt den Röhren ist nicht der damals ge- 
machte, sondern gehört einer späteren Erneuerung an. Für 
letztere Annahme aber ist durchaus kein Anhalt vorhanden; am 
wenigsten darf sie mit der von uns vermuthungsweise ange- 
nommenen Erneuerung des Fussbodens bei der Herstellung der 
grossen Wanne in Verbindung gebracht werden: dass damals 
die vorhandene Tubulation blieb und theilweise beschädigt wurde, 
ist schon oben bemerkt worden. Uebrigens würden, bei dem 
Zustand dieser Wände, von einem älteren Stuck sicher Reste 
sichtbar sein. 

Also ein suspendirter Fussboden bestand schon zur Zeit des 
Nischenfrieses; der jetzige ist vielleicht der grossen Wanne am 
Ostende gleichaltrig. 

Das Labrum hat auf der Aussenseite unter dem Fussboden 
den älteren Stuck, und es ist kein Grund vorhanden, es für 



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Die Stabianer Thermen. 



137 



jünger zu halten als die erste Anlage der Suspensur. Jenes 
Gesimsstück gehört vielleicht nicht seiner ursprünglichen Gestalt 
an, sondern es kann sehr wohl irgendwann einmal, vielleicht 
gleichzeitig mit der Anlage der grossen Wanne, eine Umgestal- 
tung erfahren haben. Woher und wie das Gesimsstück hierher 
kam, das zu errathen können wir keinen Anspruch machen. 

Dass nun aber in einer noch früheren Periode auch der 
suspendirte Fussboden nicht vorhanden war, sondern die Heizung 
auf andere Weise besorgt wurde, werden wir doch wohl an- 
nehmen müssen. Denn nach dem gesagten ist nicht zu be- 
zweifeln, dass die uns hier vorliegenden Räume nicht etwa der 
von P. Aninius und C. Uulius geleiteten thcilweisen Erneuerung, 
sondern der alten oskischen Anlage angehören. Auch weist der 
Charakter des Mauerwerks, die massenhafte Verwendung sorg- 
sam gefügter Tuff blöcke zur Herstellung der Nischenfriese, ent- 
schieden über die Anfänge der Colonie hinaus in oskische Zeit. 
Da mithin die Entstehung des schon in der ersten Zeit der Co- 
lonie restaurationsbedürftigen Baues ohne Zweifel weit vor die 
Zeit des Sergius Orata, des Erfinders der Suspensur, fällt, so 
ist obige Annahme unvermeidlich, wenn gleich es ansprechender 
wäre, die Gruppirung der Caldarien und Tepidarien um den ge- 
meinsamen Heizraum auch durch das ursprüngliche Vorhanden- 
sein suspendirter Fussböden erklären zu können. Das Caldarium 
muss also ursprünglich, wie auch das Tepidarium, auf andere 
Weise, durch Kohlenbecken, heisse Steine u. dgl. erwärmt wor- 
den sein. 

Und in der That scheint es, dass hierfür auch die tech- 
nische Analyse ein bisher freilich nicht beachtetes Indicium bietet 
Die Mauer der schola labri des Männercaldariums (s) springt 
da, wo sie an die geraden Lang wände ansetzt, etwas vor, so 
dass hier an jeder Seite eine Ecke entsteht. Diese vorsprin- 
genden Ecken nun sind aus Ziegeln, einem Material, welches wir 
an den unzweifelhaft alten Theilen sonst nicht gefunden haben. 
Eine nähere Prüfung ergiebt aber, dass hier an die vorspringende 
gerundete Wand ein 0,87 langes Stück nachträglich angesetzt wor- 
den ist, und dass eben nur dieses Stück aus Ziegeln besteht, dass 
aber andererseits dieser Zusatz unterhalb des oberen Paviments 
von dem älteren Ziegelstuck bedeckt wird. Wenn wir also nicht 



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138 



Capitel V. 



annehmen wollen, dass der durch diesen alten Ziegelstuck reprä- 
sentirten Suspensur, welche älter ist als die Tubulation der 
Wände, doch noch eine ältere vorherging — eine Annahme, die 
nicht eben wahrscheinlich ist, wenn gleich ein Gegenbeweis be- 
greiflicherweise sich nicht fuhren lässt — so bleibt nur Übrig, 
dass dieser Zusatz — jünger als der ursprüngliche Bau, während 
er doch die Vertiefung des Bodens, mithin eine Suspensur oder 
die Absicht, eine solche anzulegen, voraussetzt — gleichzeitig ist 
mit der ersten Anlage der Suspeusur, woraus sich wiederum 
ergiebt, dass der ursprüngliche Bau eine Zeit lang ohne Sus- 
pensur war. 

Anders liegt die Frage in Betreff des Tepidariums (/). Hier 
geht der hinter der Tubulation liegende Ziegelstuck gleichmässig 
bis auf den untersten, mit gewöhnlichen quadratischen Bodeu- 
ziegeln belegten Boden, so dass von dieser Seite nichts im Wege 
ist, Tubulation und Suspensur hier für gleichzeitig zu halten. 
Nehmen wir dazu die auffallende Verschiedenheit des unteren 
Bodens, und bedenken wir, dass in den Forumsthermen, sowie 
in wenigstens zwei Bädern in Privathäusern, das Tepidarium der 
Suspensur entbehrt, so scheint es allerdings wahrscheinlich, dass 
hier die Suspensur jünger als im Caldarium ist und erst gleich- 
zeitig mit der Tubulation der Wände hergestellt wurde. Und 
zwar steht nichts der Annahme im Wege, dass jene erste Sus- 
pensur die noch jetzt erhaltene ist; denn bei Anlage der Wanne 
am Ostende fand keine Erneuerung derselben statt, vielmehr 
wurden die schon früher mit Stuck bekleideten Pfeilerchen unter 
der Wanne, um diese tragen zu können, durch Anmauerungen 
verstärkt. 

Ferner haben wir das merkwürdige Factum zu constatiren, 
dass Wölbung und Lünetten hier nicht, wie im Frauen- 
tepidarium, in der letzten Zeit tubulirt waren. Aber unter der 
Decoration der Wölbung und der Lünetten wird Ziegelstuck 
sichtbar, wie der, welcher unter der Tubulation liegt, und zwar 
kann er bis ziemlich hoch hinauf, bis an den oberen Rand des 
Frieses mit deu Schiffen, etwa 1,0 weiter, als bis wohin die 
Tubulation reicht, constatirt werden: es darf also wenigstens 
vermuthet werden, dass auch hier die Tubulation sich einmal 
über diese Theile erstreckte, dass man sie aber später, weil man 




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Die Stabianer Thermen. 139 

ftir das Tepidarium eine gemässigtere Temperatur wünschens- 
werth fand, entfernte, während man sie im Frauentepidarium 
bestehen Hess. Diese Annahme erfährt keinen Widerspruch von 
Seiten der offenbar der letzten Zeit Pompeji'» angehörigen De- 
coration mit Stuckreliefs; sie befreit uns von der Noth wendigkeit, 
entweder an eine verwunderliche Bevorzugung des sonst eher 
vernachlässigten Frauenbades, oder an ein daselbst vorgenom- 
menes experimentum in corpore vili zu glauben: beides 
gleich unwahrscheinlich. Trifft sie das wahre, so dürfen wir 
vermuthen, dass etwa gleichzeitig mit dem Bau der Wanne die 
Tubulation von Wölbung und Lünetten wieder entfernt ward. 

So ist die Geschichte der beiden Räume, jeder für sich be- 
trachtet, vollkommen klar. Und zwar ergab sich: 

a. fUr öas Caldarium: 1. ursprüngliche Erbauung ohne Sus- 
pensur und Tubulation; 2. Anlage der Suspensur; 3. Neubau 
der Ostwand; Anlage der Tubulation mit Zerstörung des Nischen- 
frieses; 4. Erbauung der Wanne und der Ziegelmauern am Ost- 
ende; Erneuerung der Suspeusur, nicht aber der Tubulation. 

b. Für das Tepidarium: 1. ursprüngliche Erbauung ohne 
Suspensur und Tubulation; 2. Neubau der Ostwand; gleichzeitige 
Anlage der Suspensur und Tubulation; 3. Erbauung der Wanne, 
ohne Erneuerung der Suspensur (Entfernung der Tubulation von 
Wölbung und Lünetten), Neudecorirung. 

Hingegen kann man zweifeln, wie diese beiden Reihen von 
Daten mit einander zu combiniren sind. 

Es liegt in der Natur der Sache, dass Suspensur und Tubu- 
lation des Tepidariums jünger sind als die Suspensur des Cal- 
dariums, und nicht älter als die Tubulation eben desselben. Sind 
sie aber dieser letzteren gleichzeitig oder noch jünger? Nach 
Nissen ist letzteres der Fall, und zwar schliesst er dies aus der 
verschiedenartigen Herstellung der gefutterten Wände, im Cal- 
darium mit viereckigen Thonröhren, im Tepidarium mit tegulae 
mammatae: in der Anwendung der letzteren glaubt er (S. 153) 
eine jüngere Constructionsart erkennen zu dürfen. Darauf ist 
zu erwidern, dass ohne Zweifel die jüngere Constructionsart 
vielmehr die mit Röhren ist. Es liegt dies zunächst in der Natur 
der Sache; denn die Röhren sind eigens für diesen Zweck ge- 
brannt, während die Warzenziegel schon früher benutzt werden 



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Capitel V. 



konnten, um Wände vor Feuchtigkeit zu schützen. Ferner, wo 
immer in Deutschland, England und Frankreich Badeanlagen 
aus spätrömischer Zeit gefunden werden, da finden sich auch 
diese Thonröhren. Sie finden sich in einem offenbar recht späten 
kleinen Bade auf der Südwesteeke des Palatin, endlich in Pom- 
peji selbst in den neu entdeckten, zur Zeit der VerschUttung 
noch im Bau begriffenen Thermen am Kreuzpunkt der beiden 
Hauptstrassen (Reg. IX ins. 4: s. Bull. d. Inst. 1877, S. 221 f.). 

Dennoch würde es Ubereilt sein, nun den umgekehrten 
Schluss ziehen und die Futterung der Wände im Tepidarium 
für älter halten zu wollen als im Caldarium: man müsste 
dann in letzterem eine Erneuerung annehmen, von der sonst 
keine Spur zu finden ist. Entweder ist in beiden Bäumen gleich- 
zeitig diese Vorrichtung hergestellt worden, und man hat, vielleicht 
um mit beiden Systemen eine Probe zu machen, hier das eine, 
dort das andere zur Anwendung gebracht, oder, wenn wir mit 
Rücksicht auf die in Rede stehende Verschiedenheit Gleichzeitig- 
keit nicht annehmen wollen, so ist aus allgemeinen Gründen, 
wie schon angedeutet, die Futter ung der Wände des Tepi- 
dariums für jünger zu halten. Man könnte für diese letztere 
Annahme geltend machen, dass ja im Caldarium ursprünglich 
die Röhren, nach dem Umbau aber die Warzenziegel zur An- 
wendung gekommen sind. Indess ist die Gleichzeitigkeit viel 
wahrscheinlicher und kann fast als gewiss gelten. Denn wir 
dürfen doch wohl in keinem der beiden Räume den Neubau der 
Ostwand ohne Nischenfriese von der Zerstörung des letzteren 
auf den anderen Wänden, d. h. von der Anlage der Tubulation 
trennen. So lange wir also an der äusserst wahrscheinlichen 
Annahme festhalten, dass der durchgreifende Umbau der ganzen 
Ostseite auf einmal erfolgt ist, so lange können wir auch die 
Suspension und Tubulation des Tepidariums zeitlich nicht von 
der Tubulation des Caldariums trennen. 

Es wurde schon oben die Vermuthung geäussert, dass die 
mangelnde Stuckbekleidung der Pfeilerchen des Caldariums auf 
einen eiligen Bau nach dem Erdbeben zurückgehe. Eben- 
dahin führt die Verstärkung der Mauern und des Gewölbes, 
welche durch damals stattgefundene Beschädigungen ihre beste 
Erklärung finden würde. Hat nun Nissen aus der Verwendung 




Die Stab inner Thermen. 



141 



einer Inschrift des Augustus zum Bau der Wanne des Tepidariums 
mit Recht geschlossen , dass auch dieser Bau in die unruhige 
Zeit nach dem Erdbeben von 63 fällt, so wird es wahrscheinlich 
dass beide Wannen und die Einbauten im Caldarium zu gleicher 
Zeit entstanden sind. 

Es ergiebt sich uns also folgende Geschichte dieser Räume: 

1. Ursprünglicher Bau, ohne Suspensur und Tubulation. 

2. Suspension des Caldariums. 

3. Suspension des Tepidariums. Neubau der Ostwand, Zer- 
störung des Nischenfrieses und Tubulation in beiden Räumen. 

4. Bau der beiden Wannen, im Caldarium mit weiteren Um- 
bauten und Erneuerung der Suspensur verbunden. 

Da die Untersuchung des Frauenbades unmöglich ist, können 
wir nur vermuthen, dass Suspensur und Tubulation dort gleich- 
zeitig mit der der entsprechenden Räume im Männerbade her- 
gestellt wurden. 

Ueber die Decorarion beider Räume vor der Tubulation 
finden wir bei Nissen (S. 145) nur die Notiz, dass die Nischen mit 
einer feinen Stuckschicht Uberzogen uud roth bemalt waren. 
Spuren dieser rothen Bemalung finden sich aber nur im Tepi- 
darium und sind auch hier auf die untere Nischenreihe beschränkt, 
während in der oberen sich hinlängliche Reste eines offenbar 
derselben Decoration angehörigen weissen Stucks finden. Die 
grobe Unterlage ist sehr dick, so dass die Gesammtstärke 
des Bewurfs oben (auf Tuff) 0,02, unten (auf Kalkstein) 0,05 
beträgt. 

Dass dies die ursprüngliche Decoration sei, ist nicht glaub- 
lich. Dass der Tuff keine so starke Stuckdecke bekommen 
sollte, beweist schon die in beiden Apodyterien sichtbare de- 
taillirte Ausarbeitung der Profile: es ist nicht denkbar, dass hier 
in der gleichen Periode nach ganz anderen Grundsätzen verfahren 
sein sollte. Auch die Beschaffenheit des Stucks deutet auf spä- 
teren Ursprung: die grobe- Unterlage ist sehr bröckelig, der feine 
Stuck keineswegs so fein und hart, der weisse nicht so weiss, 
wie wir ihn in der Zeit des ersten Decorationsstils erwarten 
mlissten. Entscheidend ist das Vorhandensein eines älteren Restes 
auf der Ostwand der östlichsten Nische in der obersten Reihe 



142 



Capitel V. 



der Nordwand, einer dünnen Schicht feinen weissen Stucks, 
deren Stärke etwas wechselt nach den Unebenheiten des Steins, 
nirgends aber sich über 6 — 7 Millimeter erhebt. 

Im Caldarium ist mit voller Sicherheit zu constatiren, dass 
die Nischen zuletzt, ehe sie ausgefüllt wurden, mit Ziegelstuck 
ausgeputzt waren. Dagegen trägt ein in die zweite Nische gleich 
links vom Eingang vermauertes abgeschlagenes Gesimsstück einen 
6 — 7 Millim. starken weissen Stuck. Ziegelstuck in den Nischen 
bei weissen Gesimsen konnte unmöglich die ursprüngliche De- 
coration sein: stellenweise Verwendung von Ziegelstuck — ab- 
gesehen etwa vom Sockel — auf einer übrigens sorgfaltig deco- 
rirten Wand wäre unerhört. Und auch hier fehlt es nicht an 
einem älteren Rest: in der östlichsten Nische der unteren Reihe 
der Nord wand finden wir feinen, harten, weissen Marmorstuck 
auf einer mässig dicken Sandstuckunterlage, welche bei dem für 
die untere Reihe verwandten Kalkstein nothwendig war und auf 
dem Tuff der oberen Nischen wohl gefehlt haben wird: das ganze 
ist c. 0,02 stark. 

Es ist nun eine nicht unwahrscheinliche Annahme, dass man 
bei Anlage der ersten Suspensur, für welche ja auch Ziegelstuck 
verwandt wurde, mit eben demselben auch die Nischen, wo der 
alte Stuck schadhaft geworden sein mochte, ausputzte. Da das 
Tepidarium damals wahrscheinlich keine Veränderung erfuhr, so 
kann die dort beobachtete jüngere, rothweisse Decoration auch 
etwas später gemacht worden sein ; früher kaum, da die geringe 
Beschaffenheit des Stuckes verbietet, ihn über die Anfange der 
Colonie hinaufzudatiren. 

Gehen wir von der wahrscheinlichen Voraussetzung aus, dass 
die wichtigeren Veränderungen gleichzeitig im Männer- und im 
Frauenbade vorgenommen wurden, so ergiebt sich uns diese 
Reihenfolge derselben: 

1. Ursprünglicher Bau in vorrömischer Zeit, mit Nischen- 
friesen, ohne Suspensur und Tubulation. 

2. a. Suspension der Caldarien. *Im Männercaldarium wird 

die Decoration der Nischen in Ziegelstuck erneuert. 
b. Rothweisse Decoration des Männertepidariums. 

3. a. Neubau der Ostwände in beiden Caldarien und im 

Männertepidarium. Erweiterung einiger Thüren und 




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Die Stabianer Thermen. 143 

Verkleidung derselben mit Ziegeln. Tubulation der 
Caldarien; Suspension und Tubulation der Tepidarien 
mit Ausschluss der Wölbungen und Lttnetten. Zer- 
störung der Nischenfriese. 
b. Neudecorirung von Wölbung und Lünetten wenigstens 
im Frauentepidarium; ebenda Schliessung des kleinen 
Fensters in der Ostwand. 

4. Neubau der Westwaud des Frauenbades, mit 0,90 breiten, 
innerhalb der Lünetten liegenden Fenstern. Tubulation 
der Lünetten und Wölbungen der Tepidarien. 

5. o. Umbau der Westwand des Frauenbades mit 1,05 

breiten, über die Lünetten hinausreichenden Fenstern. 
b. Neudecorirung mit theilweiser Marmorbekleidung; 
Entfernung der Tubulation von der Wölbung und den 
Lünetten im Männertepidarium. Bau der Wanne im 
Frauenapodyterium und Männertepidarium; Erneue- 
rung derselben, verbunden mit anderen Ziegelbauten, 
im Männercaldarium (und im Frauencaldarium? jeden- 
falls wurde sie hier damals mit Marmor bekleidet). 
Erneuerung der Suspensur im Männercaldarium. 
Hiervon fallt wahrscheinlich 2 in die sullanische Zeit, 5 nach 
63, 3 und 4 in die Zwischenzeit. Wann das Frauenapodyterium 
durch die Herstellung einer Thür in der Südwand von der Pa- 
laestra aus zugänglich wurde, das zu bestimmen fehlt jeder Anhalt. 

Endlich ist noch eine merkwürdige Veränderung zu erwähnen, 
deren Zeit aber dunkel bleibt und welche überhaupt noch näherer 
Aufklärung bedarf. Es scheint nämlich sicher, dass in dem 
kleinen, von der Porticus und früher auch von der Strasse (bei z) 
zugänglichen Vorraum v des Männerbades, aus dem man nörd- 
lich in's Frigidarium «?, östlich in's Apodyterium u gelangt, früher 
einmal ein Badebassin war, weiches den ganzen westlichen Theil 
des Kaunies, mit Freilassung nur eines nicht breiten Randes, ein- 
nahm. Das Mauerwerk, namentlich aber die dicke Schicht einer 
dem opusSigninum ähnlichen Masse, mit der es bekleidet ist, 
ist auf der Westseite — gleich an der Thür aus der Porticus — 
und auf der Ostseite — gerade vor der Thür in's Frigidarium — 
aufs deutlichste sichtbar. Eine nähere Untersuchung wäre 
äusserst wünschenswerth. 



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144 



Capitel V. 



Es ergiebt sich dabei, dass von den beiden Thüren — der 
aus der Porticus und der in's Frigidarium — die eine durch 
dies Bassin gewissermassen gesperrt war, wenn gleich der Rand 
breit genug ist, um allenfalls auch als Passage zu dienen, die 
andere einen unbequemen Platz hatte. In Betreff der Thür aus 
der Porticus konnte man allenfalls vermuthen, sie sei, wie die 
des Frauenapodyteriums, erst nachträglich, nach Ausfällung des 
Bassins, durchgebrochen worden, so dass ursprünglich auch 
das Männerbad keine directe Verbindung mit der Palaestra ge- 
habt hätte. Und flir eine solche Vermuthung könnte angeführt 
werden, dass auch diese Thür keine Kalksteinpfosten hat, 
sondern das Incertum unmittelbar an sie hinantritt. Hingegen 
musste das Frigidarium doch wohl immer von dieser Seite zu- 
gänglich sein; denn eine frühere Verbindung mit dem Tepidarium 
anzunehmen verbietet der Charakter der Zwischenmauer, welche 
mit ihrem alten Incertum und dem Nischenfries offenbar dem 
ursprünglichen Bau angehört und keine Spur einer etwa zuge- 
setzten Thür zeigt. Wenn wir nun aber finden, dass die Pfosten 
der Thür des Frigidariums aus ziemlich grossen ziegeiförmigen 
Kalksteinen bestehen — eine dem ursprünglichen Bau fremde, 
etwa auf sullanische Zeit deutende Constructionsart — so müssen 
wir doch wohl annehmen, dass hier nach Ausfüllung des Bassins 
eine Veränderung stattgefunden hat, über die wir aber bei der voll- 
kommenen Erhaltung des Stucks näheres nicht ermitteln können. 

Die Ausfüllung des Bassins könnte man mit der Anlage der 
Piscina x an der' Palaestra in Verbindung bringen; denn alle 
die Räume auf der Westseite der Palaestra gehören nicht dem 
ursprünglichen Bau an, sondern zeigen jüngeres Mauerwerk. 
Es steht nichts im Wege, anzunehmen dass hier Uulius und Aninius 
thätig waren, und z. B. das Destrictarium , wie auch Nissen 
(S. 157) thut, hier zu suchen; doch sind dann die jetzt vorlie- 
genden Bauten, abgesehen von der Piscina, schwerlich noch die 
damals von ihnen hergestellten: ihr Mauerwerk gleicht etwa 
dem des Umbaues der Ostseite. 

Eine weitere Steigerung der Hitze finden wir in den, 1877 
ausgegrabenen Thermen, die ich wegen ihrer Lage im Centrum 
der Stadt, am Kreuzpunkt der beiden Hauptstrassen, die Cen- 



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Die Stabianer Thermen. 145 

tralthermen nenne: s. Bull. d. Inst 1877, S. 214 ff. 1878, S. 251 ff. 
Hier ist ausser Tepidarium und Caldarium noch eine runde 
Schwitzkammer mit Kuppelwölbung, gelegen an der dem Hofe 
abgewandten Schmalseite des Tepidariums, mit diesem und dem 
Caldarium durch Thüren verbunden. Ohne allen Zweifel war 
dies der heisseste Raum; man konnte entweder aus dem Tepi- 
darium direct hineingehen, oder die Mittelstufe des Caldariums 
durchmachen. Diese Thermen gehören der allerletzten Zeit 
Pompeji's an, ja sie waren im Jahre 79 noch im Bau begriffen: 
im Hofe war man mit der Legung des Stylobats beschäftigt, 
und unter den Fussböden zeigt sich keine Spur von Feuer oder 
Rauch. Sie entbehren jeden Schmuckes, sind aber grösser als 
die bisher bekannten derartigen Anlagen und überbieten die- 
selben auch an Bequemlichkeit: hierher sind ausser dem ge- 
nannten stärksten Schwitzbad die grossen Fenster zu rechnen, 
durch welche, der Vitruv'schen Vorschrift gemäss (V, 10, 1), die 
Westwand des Tepidariums und Caldariums und die Südwand 
des letzteren durchbrochen ist: Seneca in dem bekannten Brief (86, 
8. 11) bezeichnet diese Fenster als einen Fortschritt seiner Zeit. 

Noch einmal begegnet uns in Pompeji ein solcher runder 
Schwitzraum: in der 1755 und 1756 ausgegrabenen sog. Villa 
der Julia Felix (Mon. d. Inst. I, T. XVI, Ann. 1830, S. 42 ff., 
Fiorelli Descrizione S. 448 ff.). Es ist vielleicht nicht mög- 
lich, über den Charakter des ganzen, nicht mehr sichtbaren Baues 
mit Sicherheit zu urtheilen, doch ist wohl kaum zu zweifeln, 
dass die darin enthaltene Badeanlage kein blosses Privatbad, 
sondern dem Publicum zugänglich war; sowohl die Dimensionen 
als die Zugänglichkeit von der Strasse deuten darauf hin (vgl. 
Fiorelli a. a. 0.). Hier nun verzeichnet der Plan Weber's an 
dem einen schmalen Ende des Tepidariums, und zwar an der 
dem nicht abgerundeten Ende des Caldariums zunächst liegenden 
Ecke, einen runden, als stuf a mit hohlen Wänden bezeichneten 
Raum, von c. 8 palmi napol. (M. 2,12) im Durchmesser, mit zwei 
Nischen. Hier ist er vom Tepidarium aus zugänglich, mit dem 
Caldarium in keiner Verbindung. 

Es kann nach Vitruv V, 10, 5 (cf. VII, 10) nicht zweifelhaft 
sein, dass wir hier in beiden Fällen das laconicum zu erkennen 
haben. Dass es in der Villa der Julia Felix nur vom Tepi- 

Mau, poiupejan. Beitrüge. 10 



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146 



Capitel V. 



darium aus zugänglich war, entspricht vollkommen der Vorschrift 
Vitruv's (a. a. 0.) und der Bestimmung dieser Räume. Denn das 
Tepidarium benutzten noch alle Besucher; von da aus aber gingen 
die einen in's warme Bad (caldarium), die anderen in's Laco- 
nicum (oder assum, Cic. ad Qu. fr. III, 1, 2) um hier im siccus 
calor (Cels. II, 17, 1) zu schwitzen. Auch Vitruv dachte sich 
das Laconicum mit tubulirten Wänden: ipsumque ad circinum 
fieri oportere videtur, ut aequaliter a medio flammae 
vaporisque vis per curvaturae rotundationes perva- 
ge tu r. Diese Worte sind doch wohl nur so zu verstehen, dass 
in dem runden Raum die Wärme leitenden Hohlwände überall 
gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind. Nissen's Zweifel 
(S. 152), ob die Tubulation der Wände Vitruv bekannt gewesen 
sei, wird hierdurch widerlegt. 

Einen solchen Raum enthalten die Stabianer Thermen nicht, 
während doch die bekannte, in einem Zimmer an der Nordseite 
der Palaestra gefundene Inschrift den Duumvirn C. Uulius und 
P. Aninius die Hersteilung eines solchen zuschreibt. Die Inschrift 
lautet: 

OVVLIVS C F P ANINIVS C F II V I D 
LACONICVM • ET • DESTRICTARI VM 
F AC I VND • ET- PORT I CVS- ET P AL AESTR 
REFICIVNDA LOCARVNT EX D D EX 
EA • PEQVNIA • QVOD • EOS • E • LEGE- 
IN LVDOSAVT IN MONVMENTO 
CONSVMEREOPORTVITFACIVN 
COERARVNTEIDEMQVEPROBARV 

Dass sie sich auf eben diese Thermen bezieht, ist nie be- 
zweifelt worden. Nachdem nun aber in nicht allzu grosser Ent- 
fernung (IX, 4) eine Thermenanlage mit einem Laconicum ge- 
funden ist, wird es vielleicht nicht überflüssig sein, zu bemerken, 
dass an eine Verschleppung von dort her nicht gedacht werden 
kann. Es darf als sicher gelten, dass diese neuen Thermen zur 
Zeit der Verschüttung nicht reparirt, sondern ganz neu angelegt 
wurden, dass speciell die Hallen der Palaestra auf einem Grunde 
angelegt wurden, der bisher von ganz anderen, auf verschiedenem 
Niveau liegenden Räumen, vermuthlich Privathäusern, einge- 



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Die Stabiancr Thermen. 



147 



oommen war. Also hierauf kann sich die der sullani sehen Zeit 
angehörige Inschrift nicht beziehen. 

Ferner ist von Nissen mit vollem Recht hervorgehoben 
worden, dass es unthunlich ist, das Laconicum anderswo zu 
suchen, als in dem um den Heizapparat gruppirten Complex 
erwärmter Räume. Auch verwirft er mit Recht den Ausweg, 
anzunehmen, dass die schola labri hier Laconicum genannt 
sei, theils, wie er selbst hervorhebt, weil dies eben der vom 
Ofen entfernteste Theil des Caldariums ist, theils weil, wenn das 
Caldarium später um diesen Theil erweitert worden wäre, dies 
sicher kenntlich sein würde. So bleibt wohl nichts anderes übrig, 
als mit Nissen unter laconicum hier das Caldarium zu verstehen 
und laconicum fecit mit balineum suspendit zu erklären. 
Ein weiterer Gebrauch des Wortes laconicum dürfte auch bei 
Dio Cass. TiTTT, 27 anzunehmen sein; denn Agrippa baute doch 
wohl nicht nur ein Laconicum im engeren Sinne, sondern eine 
ganze Badeanlage. Obige Erkläruug können wir uns um so mehr 
aneignen, als wir zu dem Resultat gekommen sind, dass das 
Männercaldarium nicht, wie Nissen annimmt, zu einer Zeit, wo 
man auch die Wände tubulirte, suspendirt wurde, sondern schon 
früher, so dass wir nicht gezwungen sind, mit ihm bei laco- 
nicum fecit nur an die Suspension des Frauenbades zu denken. 

Aus diesen Gründen, und weil die Suspensur nicht wohl 
dem ursprünglichen Bau angehören kaun, haben wir oben die 
mit 2 bezeichneten Vorgänge in die sullanische Zeit versetzt, d. h. 
auf die Thätigkeit des C. Uulius und P. Aninius zurückgeführt. 

Ueber die Portiken handelt Nissen S. 149 ff. Die gekanteten 
dorischen Tuffsäulen, der Stylobat mit der durch viereckige 
Bassins unterbrochenen Rinne, stimmen zu dem Charakter der 
alten Theile des Baues und weisen gleichfalls auf die Tuffperiode. 
Ihre letzte, im Geschmack der letzten Zeit Pompejis gehaltene 
Umgestaltung, mit Einhüllung der Säulen in einen dicken Stuck- 
mantel, erfuhren sie ohne Zweifel nach 63. 

Nun wird aber bei Nissen S. 150, nach Beobachtungen 
Schöne's ausgeführt, dass damals auch die Anordnung der Säulen 
verändert, sie weiter aus einander gerückt worden seien: die 
Distanzen von Centrum zu Centrum seien ursprünglich 1,70 ge- 

10* 



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« 



148 



Capitel V. 



wesen, jetzt aber 1,92. Die ehemalige Anordnung soll aus den 
theilweise stehen gebliebenen Lehren noch vollkommen zu er- 
kennen sein. 

Ich weiss nicht, ob es sich hier vielleicht um ein Missver- 
ständniss handelt. Meine Beobachtungen sind folgende. 

Die Säulendistanzen der Ostporticus sind nicht sehr gleich- 
massig; von Norden an betragen sie (von Centrum zu Centrum): 
1,885. 1,845. 1,84. 1,83. 1,89. 1,91. 1,84. 1,89. 1,86. 1,83. 1,92. 
1,88. 1,91. 1,93. 1,91. 1,85. 1,92. 1,96. Von den Säulenlehren 
habe ich keine Spur gefunden. Dagegen entsprechen die vier- 
eckigen Bassins, durch welche die Regenrinne unterbrochen wird, 
regelmässig jeder dritten Säule, was doch wohl darauf führt, 
dass die Anordnung der letzteren so alt ist, wie die Rinne mit 
ihren Bassins, d. h. viel älter als die Umgestaltung und Ver- 
dickung der Säulen. — Richtig ist es, dass auf der Südseite, 
dem jetzigen, späteren, Eingang (y, der ältere bei z ist ver- 
mauert) entsprechend, nachträglich eine weite Oeffnung geschaffen 
worden ist: diese nebst den zwei länglichen Pfeilern mag etwa 
4 Säulen entsprechen: ähnlich ist auf der Nordseite verfahren 
worden. — Auf dem Westende sollte das letzte Intercolumnium 
dem Sphaeristerium, oder was es sonst ist, entsprechen, und 
musste deshalb weiter sein, als die übrigen. Es ist aber auch 
das zweite weiter, und zwar kommt die Rechnung ziemlich genau 
aus, wenn man annimmt, dass hier zwei Säulen fortgenommen 
und nur eine etwa in die Mitte des Intercolumniums gestellt 
worden ist. Wir können also auch hier mit einiger Wahrschein- 
lichkeit eine nachträgliche Aenderung vermuthen. 

Die östliche Säulenreihe misst von Centrum zu Centrum 33,90; , 
rechnen wir dazu einen Säulendurchmesser 0,42, so nimmt die ganze 
Reihe einen Raum von 34,32 = 124' 5" osk. = 115' 11%" röm. 
ein. Es ist mithin eine nicht ganz von der Hand zu weisende 
Annahme, dass 125' osk. beabsichtigt waren, und dass die Ab- 
weichung um einen halben Fuss auf Rechnung der nicht ganz 
genauen Ausführung zu setzen ist: für einen stringenten Beweis 
ist das Zutreffen nicht genau genug. 

Erst bei Gelegenheit des Thermenbaues sind, wie es scheint, 
zwei Inseln zu der ungewöhnlich grossen VII, 1 vereinigt wor- 




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Die Stabianer Thermen. 



149 



den. Zwischen dem Frauenapodyteriüm t und dem Gange h 
einerseits und dem Garten der domus Sirici (No. 25 und 47) 
andererseits ist, wie auch unser Plan zeigt, ein enger, jetzt un- 
zugänglicher Gang übrig geblieben. Durch den Thermenbau war 
er so eng geworden, dass er dem Verkehr nicht mehr dienen 
konnte und man daher vorzog, ihn zu schliessen. Wenn wir 
nun sehen, dass aus dem erwähnten Garten zwei später ver- 
mauerte Thüren auf diesen Gang führten, ebenso fünf Fenster, 
von denen drei später vermauert wurden, so dürfen wir wohl 
hier einen Rest des Vicus erkennen, der hier einst zwei Inseln 
trennte. Nach Schliessung desselben und der erwähnten Thüren 
ward ein neuer Ausgang in der Ostwand des Gartens, nahe der 
Südostecke, eröffnet und später gleichfalls wieder vermauert. Er 
mündete in No. 18 auf die Stabianer Strasse. Wie es sich mit 
dem von N. nach S. gerichteten Arm des Ganges verhielt, kann 
nicht untersucht werden. 



Da einmal die Frage nach der allmählichen Vervollkomm- 
nung und Steigerung der Heizeinrichtungen aufgeworfen ist, wird 
es nicht ohne Interesse sein, die jetzt schon ziemlich zahlreichen 
Bäder in Privathäusern daraufhin durchzusehen. Bei einigen 
derselben erlauben Decorationen älteren Stils eine annähernde 
Datirung. 

1. Das Bad der casa del Fauno (VI, 12) ist das einzige, 
welches keine Reste der Wanddecoration erhalten hat. Die 
Eintheilung des Hauses geht im allgemeinen auf die Zeit des 
ersten Stils zurück, doch ist gerade das Mauerwerk dieser Theile 
offenbar jünger. Tepidarium und Caldarium haben suspendirten 
Fussboden, der auf eigens dazu gebrannten, mit einem Fuss 
versehenen Thoncy lindern ruht, und mit tegulaemammatae 
belegte Wände. 

2. VI, ins. occid. *Jo. 13 (Fiorelli Descr. S. 441). Das 
Caldarium war früher im zweiten Stil ausgemalt und damals 
ohne Tubulation; später erhielt es diese (mit runden Röhren) 
und zugleich eine neue Bemalung im dritten Stil. Der Fuss- 
boden war suspendirt mit eben solchen Cylindern wie in 1; ob 
schon zur Zeit des zweiten Stils, also vor der Tubulation der 



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150 



Capitel V. 



Wände, ist nicht festzustellen: die für die Wanne bestimmte 
Nische am Ostende, mit dem Loch in der Mauer für die Heizung 
unter dem Fussboden, ist jünger. — Das Tepidarium (Malerei 
im dritten Stil) hat weder Suspensur noch Tubulation, sondern 
wurde erwärmt durch die aus dem Caldarium vermittelst eines 
runden Loches in der Zwischenwand einströmende warme Luft. 

3. Domus M. Caesi Blandi (VII, 1, 40 Fiorelli Descr. 
S. 174), decorirt im zweiten Stil. Das Caldarium hat Suspensur 
auf Ziegelpfeilern ohne Stuck, au den Wänden Tubulation mit 
tegulae mammatae. Das Tepidarium hat keine Leitung in 
den Wänden, wohl aber Suspensur, wie der eingesunkene Boden 
beweist. In der Zwischenwand ein Loch. 

4. VII, 15 1. 2, das Caldarium im zweiten, das Tepidarium 
im dritten Stil gemalt, wie es scheint gleichzeitig, also aus der 
Uebergangszeit zwischen beiden Stilen. Das Caldarium hat 
Suspensur auf Ziegelpfeilern ohne Stuck, an den Wänden tegulae 
mammatae. Im Tepidarium keine Tubulation, wohl aber, wie 
es scheint, Suspensur. 

5. Casa del Toro (Domus L. Pont. Successi, V, 1, 7), 
gemalt im dritten Stil. Caldarium und Tepidarium suspendirt; 
auf welche Art, ist nicht festzustellen. Hohle Wände (mit tegulae 
mammatae) nur im Caldarium. In der Zwischenwand ein 
rundes Loch. 

6. Casa del Laberinto (VI, 11, 9. 10); Malerei im dritten 
Stil. — Caldarium und Tepidarium haben Suspensur auf Cylin- 
dern, wie 1, und an den Wänden tegulae mammatae. 

7. Casa del citarista (Domus L. Popidi Secundi 
Augustiani, 1,4, 5); Malerei im letzten Stil. Caldarium und 
Tepidarium sind suspendirt (wie, ist nicht kenntlich) und haben 
an den Wänden tegulae mammatae. 

8. Villa di Diomede (Fiorelli Descr. S. 410.). Malerei 
im letzten Stil. Das Caldarium hat Suspensur — deren Be- 
schaffenheit nicht deutlich — und tegulae mammatae, das 
Tepidarium, wie es scheint, keins von beiden, dagegen -ein rundes 
Loch in der Zwischenwand. 

9. IX, 7, 1, erst jetzt (1879) ausgegraben, gemalt im letzten 
Stil. Caldarium und Tepidarium haben Suspensur auf Thon- 
cy lindem und tegulae mammatae. Im Tepidarium sind letz- 



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Die Stabianer Thermen. 



151 



tere nur auf zwei Wänden, und auch hier erst nachträglich ge- 
legt: man sieht unter der Tubulation die ältere, aber auch schon 
im letzten Stil gehaltene Decoration. 

Es ist also die Steigerung der Wärme auch hier zu verfolgen. 
Unter den 3 zur Zeit des zweiten Decorationsstils schon vor- 
handenen Bädern (2. 3. 4.) ist zwar nur eines (2), welches im 
Caldarium sich mit blosser Suspensur — denn diese wird doch 
wohl vorhanden gewesen sein — ohne hohle Wände begnügte; 
dasselbe erwärmte das Tepidarium nur durch die aus dem 
Caldarium durch ein Loch in der Zwischenwand — welches auch 
in 4, falls hier keine Suspensur sein sollte, vorausgesetzt werden 
muss — einströmende warme Luft; die beiden übrigen begnügten 
sich im Tepidarium mit der Suspensur. Und so ist es auch noch 
in 5, dessen Malerei dem dritten Stil angehört, während wir 
neben demselben Stil in 6, und in 7 bei Malereien der letzten 
Zeit, auch im Tepidarium den vollständigen Heizapparat finden. 
Auffallend scheint es auf den ersten Blick, dass in 8, bei 
Malereien letzten Stils, die Heizvorrichtungen mit 2 stimmen; 
doch löst sich das Käthsel sehr einfach. Die sog. Villa des 
Diomed erhielt ihre jetzige Gestalt schon zur Zeit des zweiten 
Decorationsstils, dessen Malereien noch in verschiedenen Räumen, 
sowohl oben als auch unten am Garten, erhalten sind. Es ist 
demnach kaum zu bezweifein, dass aus derselben Zeit die Ein- 
richtungen des Bades stammen und unverändert blieben, auch als 
man in der letzten Zeit Pompeji's die Wände neu bemalte. Aus- 
nahmsweise glaubte man in 9 noch zur Zeit des letzten Stils 
anfangs sich für das Tepidarium mit blosser Suspensur begnügen 
zu können, kam aber bald davon zurück. 



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Capitel VI. 

Septa. 



Der von Nissen (S. 185 ff.) als Septa, früher meist als Schule 
Dezeichnete Bau wird von ihm (S. 190 f.) einschliesslich der Tuff- 
pfeiler am Forum auf Grund der Masse in römische Zeit gesetzt. 
Seine Masse sind im wesentlichen genau und gegen die Reduc- 
tion auf römische Fuss wäre an sich nichts einzuwenden; freilich 
gieht er selbst an, dass das erste und zweite Lumen genau 9' 
oskisch misst. In Betreff des ersten ist dies nicht ganz genau: es 
misst nur 2,45 = 8' 11" oskisch, doch würde es keine Schwierig- 
keit haben, dies auf Rechnung ungenauer Ausführung zu setzen, 
wie auch die Möglichkeit keineswegs ausgeschlossen sein dürfte, 
dass für die beiden letzten Lumina (2,435 und 2,44) das beab- 
sichtigte Mass eben 9' oskisch (2,475) war. Wenn wir nun 
auch anerkennen, dass dieselben Masse sich auf 8' 3 — 4" röm. 
reduciren lassen, dass also das beabsichtigte Mass 87/ röm. 
— eine durchaus nicht unannehmbare Grösse — gewesen sein 
kann, so erfordert doch die Billigkeit, nun auch andererseits 
anzuerkennen, dass die meisten der von Nissen auf ganze römische 
Fusse reducirten Entfernungen, wenn wir sie auf oskisches Mass 
reduciren, auch keine grösseren Brüche geben, als */ 4 Fuss. 
4' röm. sind etwas mehr als 47/ osk., 3' röm. = 37/ osk. Das 
gewichtigste Argument für römisches Mass liefert der von Nissen 
auf l(y berechnete mittlere Eingang: er misst 2,98 = 10' 1" röm. 
= 10' 10" osk. 

Ich gebe im folgenden die Masse der dem Forum zuge- 
wandten Pfeiler und Oeffnungen in derselben Reihenfolge und 



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Septa. 



153 



mit denselben Bezeichnungen wie Nissen, indem ich sie auf os- 
kisches und römisches Mass reducire. 



S.-Eckpilaster (unten) 1,18 = 4'3y,"osk. = 4' röm. (-0,004); 
doch scheint derselbe verkürzt worden zu sein und ursprunglich 
gemessen zu haben: 





1,29 




4 r 8" 


osk. 


= 


4' 


4" 


röm. (—0,008) 


Lumen . . 


. . 2,45 (sie) 




8' 11" 






8' 


37; 


» 




Pilaster . . 


. . 0,895 




3' 3" 


n 




3' 




n 


(4- 0,007) 


Lumen . . 


. . 2,475 




9 1 


n 




8' 


4" 


n 


(+ 0,009) 


Pilaster . . 


. . 0,890 




3' 3" 


n 




3' 




n 


(+ 0,002) 


Eingang. . 


. . 2,98 




1(7 10" 






\<y 


1" 






Pilaster . . 


. . 0,895 




3' 3" 


n 




3' 




n 


(+ 0,007) 


Lumen . . 






8' 10" 


n 




8' 


3" 


n 


(— 0,007) 


Pilaster . . 


. .0,890 




3' 3" 


n 




3' 




n 


(+ 0,002) 


Lumen . . 


. . 2,44 




8' 10 '/," 


n 




8' 


3" 


n 




N.-Eckpilaster 1,165 




4' 3" 


n 




3' 


11" 




(+ 0,007) 



Soll nun aus diesen Massen geschlossen werden, dass der 
Bau in römische Zeit fällt, so ist es nothwendig, sich eine Con- 
sequenz dieser Annahme klar zu machen: es fallen dann auch 
die Tuffportiken des Forums in römische Zeit. Diese haben 
nämlich hier, wie auch auf der Südseite, zwei Säulenreihen, von 
denen die zweite nicht der ersten entspricht: statt 9 Säulen hat 
sie deren nur 8, und diese stehen in ungleichen Zwischenräumen, 
eine Erscheinung, für welche es nur eine, aber auch völlig aus- 
reichende Erklärung giebt, dass nämlich diese Säulen angeordnet 
sind mit Rücksicht auf die eben besprochenen Pfeiler und Lu- 
mina. Die beiden ersten Säulen von N. entsprechen der Nord- 
seite und der Mitte der Abbondanzastrasse , die beiden letzten 
den beiden Reihen der Südporticus; von den dazwischen liegenden 
entsprechen 3, 4, 5, 6 genau den Pfeilern, 7 steht etwas weiter 
nach N., weil sie sonst der 8. Säule, deren Platz durch die Süd- 
porticus bestimmt war, zu nahe gekommen wäre. 

Dass die Tuffsäulen des Forums alle aus einer Zeit stammen, 
steht durch ihr ganz gleichartiges Aussehen hinlänglich fest. Die 
hintere Reihe steht auf eben solchen Tuffbasen, oder vielmehr 
stehen gebliebenen Resten eines alten Stylobats, wie die vordere. 
Man müsste also, um die Pfeiler für jünger halten zu können, 
als die Entstehung der ganzen Porticus, eine Umstellung der hin- 



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154 



Capitol VI. 



teren Reihe annehmen, welche stattgefunden haben müsste, ehe 
jener alte Stylobat bis auf die genannten Basen fortgehauen 
wurde: eine höchst bedenkliche Annahme, da eine solche Um- 
stellung wegen der dann nicht mehr passenden Gebälkstücke 
sehr schwierig sein musste. 

Das südlich an die sog. Schule anstossende Haus — regel- 
mässiges Atrium aus Kalkstein — muss schon früh — spätestens 
als die Forumsporticus gebaut wurde — links von seinem Ein- 
gange zu Gunsten des Forums verkürzt worden sein, wenn es 
nicht, was auch nicht unmöglich, gleich von Anfang an mit Rück- 
sicht auf das Forum so gebaut wurde. Dagegen hatte es ur- 
sprünglich die Zimmer links (N.) vom Atrium und wurde der- 
selben erst später zu Gunsten der sog. Schule beraubt: die 
offenbar späte Vermauerung der Thüren liefert den Beweis. 

Das Haus hat links am Eingang einen unten c. 0,55 dicken 
Tuffpfeiler, der zugleich den linken Eingangspfeiler der via 
delle scuole bildete. Und ein eben solcher Pfeiler stand, wie 
es scheint, auch ganz im Anfang (S.) des zu Gunsten des Forums 
zurücktretenden Theils der Front, den Abschluss der Ostseite 
des Forums bildend: jetzt ist davon nur der unterste, c. 1,07 lange, 
c. 0,08 aus dem Boden ragende Stein erhalten. Nissen S. 192 
hält diesen Stein für die Schwelle einer vermauerten Thür, durch 
welche einst das Tribunal einen separaten Zugang vom Markte 
aus gehabt habe. Eine Schwelle aus Tuff ist schon an sich 
verdächtig; sie müsste, bei der Beschaffenheit des Steines, sehr 
abgenutzt sein, was durchaus nicht der Fall ist ; der Augenschein 
lehrt ohne Weiteres, dass wir es hier mit dem untersten Stein 
eines der gewöhnlichen Tuffpfeiler zu thun haben. Es folgt dann 
(nach N.) ein weiterer Tuffpfeiler (2,075) und das von Nissen 
S. 193 erwähnte Suggestum (2,995): beide aber sind jüngeren 
Ursprungs; denn sie stehen auf Fundamenten aus Incertum, 
welche c. 0,17 aus der Erde ragen, also sicher nicht von Anfang 
an bestimmt waren, Tuffpfeiler zu tragen, deren unterster Stein 
stets im Boden liegt. — Es stand" also das Tribunal wohl in 
Verbindung mit einer Vorrichtung, um irgend etwas aufs Forum 
hinaus zu verkünden, war aber nicht von dieser Seite zugänglich. 

Zur Vervollständigung obiger Tabelle folgen hier noch die 
Masse der eben besprochenen Theile: 




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Septa. 



155 



der alte Pfeiler .... 1,07 = 4' 11" osk. (-0,007) = 3' 7" röm. (+ 0,01) 
der jüngere Pfeüer . . 2,075 = 7' 6V1" , = » (+ 0,003) 

Suggestum 2,995 = 10* 11" „ (-0,008) = 10' V/," „ 

Es ist klar, dass die einzelnen Bestandteile des Baues ver- 
schiedenen Zeiten angehören. Die Reihenfolge, soweit sie sich 
feststellen lässt, ist folgende: 

1. Pfeiler am Forum, jedenfalls als Front eines im allge- 
meinen dem jetzt vorliegenden ähnlichen Raumes. 

2. Pfeiler der Nordseite ander stradadell'Abbondanza; 
Herstellung der West- und Südmauer in ihrer jetzigen Gestalt 
(Quasireticulat mit Ziegelecken); Vergrösserung auf Kosten des 
Nebenhauses zum Zweck des Baues der Tribüne. — Dass alles dies 
gleichzeitig ist, geht daraus hervor, dass erstens das Ziegelwerk 
der Südostecke und der Südmauer dem der Pfeiler auf der Nord- 
seite ganz gleichartig ist, auch im Mörtel, bestimmt geschieden 
von dem östlichsten Stück der Nordmauer, zweitens die Thüren 
nördlich am Atrium des Nebenhauses mit eben jenem Quasi- 
reticulat vermauert sind. 

3. Herstellung des Ziegelstücks am Ostende. der Nordmauer 
und des anstossenden Stücks der Ostmauer. Die Ziegel haben 
hier eine hellere Farbe, auch der Mörtel ist anders: ihm fehlen 
die grossen Lavabrocken, er sieht gelblich aus statt weiss und 
schwarz und ist viel weniger hart. — Das erwähnte Stück der 
Ostmauer hat Reticulat nur als Ausfüllung der Verzahnungen, 
und hier unterscheidet es sich bestimmt von dem der älteren 
Theile: es ist hier viel Cruma und Tuff, dort durchweg Lava 
und Kalkstein verwandt — namentlich an solcher Stelle kommt 
Cruma dort nicht vor; ferner ist das Reticulat hier feiner, die 
Mörtelschichten dünner. Im übrigen besteht dies Mauerstück 
aus Incertum. 

4. Vermauerung der Lumina : kann mit 3 gleichzeitig sein. 



> 



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Capitel VH. 

Die B a s i 1 i c a. 

(Hierzu Taf. II.) 





Dass die Basilica 
einstmals ein ganz an- 
deres Aussehen hatte als 
in der letzten Zeit, dass 
das Tribunal (a), welches 
jetzt die Mitte der Rück- 
seite einnimmt, nicht der 
ursprünglichen Anlage 
angehört, sondern später, 
vermuthlich in römischer 
Zeit, „hineingezwängt" 
worden ist, dies ist das 
wichtigste Resultat der in 
Nissen's dreizehntem Ca- 
pitel (S. 194 ff.) enthal- 
tenen interessanten und 
geistvollen Untersuchun- 
gen. Und wie Nissen 
auch sonst die Bauge- 
schichte mit Vorgängen in 
der Geschichte der Stadt 
in Verbindung zu bringen 
liebt, so soll auch die Er- 
bauung des Tribunal be- 
dingt gewesen sein durch 



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Die Basilica. 



157 



die unter römischer Herrschaft eingetretene Umgestaltung der 
Rechtspflege, welche fortan von viel weniger Personen besorgt 
wurde als in oskischen Zeiten. Während früher das Gericht den 
ganzen Mittelraum einnahm — in der Basilica Julia zeichnet ihn 
ein feinerer und geschonterer Marmorfussboden aus — konnte 
es später in dem kleinen Tribunal untergebracht werden. 

Vor der Erbauung des Tribunals war die Basilica auch von 
hinten in gleicher Weise wie von vorn zugänglich; sie ist aus 
einer „Hallenbasiiica" in eine „Apsisbasilica" verwandelt worden. 

Dies Resultat ergiebt sich nach Nissen aus folgenden Er- 
wägungen: 

1. So lange die an der Rückseite der Basilica entlang 
führende Strasse dem Verkehr überlassen war, musste von ihr 
ein Zugang in die Basilica fuhren; denn ihrer Bestimmung, der 
Bequemlichkeit von Handel und Wandel zu dienen, entsprach 
sie so am besten. 

2. Die Analogie der Basilica Julia in Rom spricht eben 
dafür. 

3. Erst jetzt erklärt sich der Grundplan, der auf kein Tri- 
bunal berechnet war. 

4. Besonderheiten der Construction und Decoration be- 
weisen die nachträgliche Entstehung. 

5. Der Mittelraum war, wie aus der Analogie der Basilica 
Julia zu schliessen, ursprünglich feiner getäfelt (d. h. es war ur- 
sprünglich hier, nicht auf dem Tribunal, der Sitz des Gerichtes). 

Von diesen Gründen "können die der Basilica Julia ent- * 
nommenen (2. 5) nicht ins Gewicht fallen gegenüber dem, was 
sich aus der Betrachtung der pompejanischen Basilica selbst ergiebt. 
Zudem ist die Analogie nicht zutreffend, da bei der fünfschiffigen 
Basilica Julia der Mittelraum verhältnissmässig viel kleiner ist; 
in Pompeji würde doch der dem Publicum zugängliche Raum 
im Verhältniss zu dem für die Richter * reservirten allzu knapp 
bemessen gewesen sein. Und auch das unter 1 aufgestellte 
Postulat kann gegenüber der Untersuchung des Thatbestandes 
keine Geltung beanspruchen. Dass der Grundplan auf kein Tri- 
bunal berechnet sei (3), dass er, die Existenz desselben ange- 
nommen, eine „arge Verkehrtheit" enthalte (S. 207), ist eine so 
neue Behauptung, dass der Beweis dafür Nissen zugeschoben 



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158 



Capitel VII. 



werden darf: denselben zu liefern ist nicht versucht worden. Ist 
der Grundplan nicht auf ein Tribunal berechnet, so können die 
beiden an den Vorderecken des letzteren stehenden und zum Theil 
in die Mauern desselben eingebundenen Säulen dem ursprüng- 
lichen Grundplan nicht angehören; denn theils sind sie mit dem 
Tribunal untrennbar verbunden, theils erklärt sich ihre von den 
Dreiviertelsäulen des Haupteinganges abweichende Stellung nur 
durch die Rücksicht auf dasselbe: ein Blick auf den Plan lässt 
darüber keinen Zweifel. Eine solche Annahme aber stösst auf 
erhebliche Schwierigkeiten, auf die wir noch zurückkommen. Es 
kommt also alles darauf an, ob der unter 4 aufgeführte Grund 
stichhaltig ist, d. h. ob sich Spuren eines Umbaues, wie ihn 
Nissen annimmt, nachweisen lassen. 

Diese Untersuchung wird dadurch erleichtert , dass die Ba- 
silica wie aus einem Guss gebaut ist; Steine, Mörtel und Bauart 
sind überall gleich: jeder fremdartige Zusatz müsste als solcher 
ohne weiteres kenntlich sein. Das Mauerwerk ist treffliches 
opus incertum, ausschliesslich aus Lava; der Mörtel erscheint 
wegen der Beimischung zerstossener Lava schwarz punktirt; die 
Säulen, sowie die ganze Ostfront, sind aus Ziegeln. Die Pfeiler 
der Vorhalle, Gebälkstücke und kleinere Säulen, Halb- und Drei- 
viertelsäulen, über deren Bestimmung man nicht im Reinen ist, 
die Pfosten des Nordeinganges, endlich auch die Basen der Halb- 
säulen sind aus Tuff. Ganz besonders charakteristisch ist die 
Art wie die Ecken gebildet sind: grössere, aber lange und flache 
. Lavastücke (an der Südwestecke 0,13—0,22 hoch) sind so gelegt, 
dass sie mit ihrer Länge sich abwechselnd in die eine und in 
die andere Mauer erstrecken. An den beiden frei liegenden 
Flächen sind sie ziegelartig behauen, im übrigen roh. 

Schon im J. 1873 habe ich es ausgesprochen (Giorn. d. 
ScavidiPompeillS. 390 f.), dass das Tribunal nicht jünger sein 
kann als die im Jahr 78 v. Chr. schon vorhandene (C. I. L. IV, 
1842) Stuckdecoration der Basilica, welche in ganz gleicher 
Weise auch die Vorderseite desselben bedeckt. Nissen stellt 
dem eine Aussage Schöne's gegenüber, nach welcher die Deco- 
ration des Tribunals einen etwas abweichenden Charakter („sehr 
hoch aufgetragene Quaderfelder und complicirtere Einfassungen") 
zeigt (S. 198); ausserdem wird für ihn der Werth meines Zeug- 



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Dio Basilica. 



159 



nisses sehr wesentlich dadurch beeinträchtigt, dass ich auch in 
der Bauart des Tribunals nichts finde, was auf nachträgliche Ent- 
stehung deutet. 

Der scheinbare Widerspruch zwischen Schöne und mir klärt 
sich dadurch auf, dass wir von verschiedenen Dingen reden: 
Schöne von der inneren Decoration, ich von der der Vorder- 
(Aussen-)Seite, während in Betreff der Innend ecoration raein 
Zeugniss (S. 391) mit dem Schöne's übereinstimmt. Ich füge 
jetzt hinzu, dass auch die innere Decoration sich trotz einiger 
Verschiedenheit zu eng an die der ganzen Basilica anschliesst, 
um eine spätere Entstehung glaublich scheinen zu lassen, und 
dass auch die Bauart den positiven Beweis für die gleichzeitige 
Entstehung des Tribunals und des ganzen Baues liefert. 

Der Unterbau nämlich und die Mauern des Tribunals zeigen 
genau dasselbe ausschliesslich aus Lava bestehende opus in- 
c er tum, genau denselben Mörtel wie die ganze Basilica, und 
genau in der oben bezeichneten Weise sind auch hier die Ecken 
gebildet (die Steine sind 0,11 — 0,20 hoch). Da diese Bauweise 
keineswegs häufig ist, sondern nur noch an einigen wenigen Ge- 
bäuden sich findet, da ferner an eine absichtliche Nachahmung 
nicht gedacht werden kann — denn nicht nur sollte der Unter- 
bau des Tribunals von Anfang an mit Stuck bekleidet werden, 
sondern, wenn es nachträglich hinzugefügt worden wäre, so 
hätten, als dies geschah, die Ecken des alten Baues wegen des 
Stucks nicht sichtbar sein können ; endlich fehlt für eine solche 
Nachahmung jede Analogie — so ist diese Gleichheit eine voll- 
gültige Widerlegung der Nissen'schen Hypothese. Zu dieser Bil- 
dung der Ecken passt vortrefflich die horizontale Wölbung des 
nördlichen der beiden Fenster des Souterrain, sorgfältig herge- 
stellt aus ähnlichen flachen Lavasteinen, die aber nicht genau 
an einander gepasst, sondern durch Mörtel verbunden sind. Nur 
das südliche Fenster liegt in dem Theil, dessen geflicktes Aus- 
sehen Nissen, statt auf eine Restauration, lieber auf den ur- 
sprünglichen Bau des Tribunals zurückführen möchte. Ferner 
sind, wie schon bemerkt, die Säulen an der NO und SOecke 
des Tribunals von diesem selbst, in desson Mauern sie zum Theil 
eingebunden sind, unzertrennlich. Auch ihre Stellung erklärt 
sich nur durch die Rücksicht auf dasselbe : sie liegen nicht ganz 



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160 



Capitel VII. 



in gleicher Linie mit den Säulenreihen der Langseiten, sondern 
etwas mehr gegen die Seitenwände, während die entsprechenden 
Säulen am Eingang in entgegengesetzter Richtung, gegen die 
Mitte hin, abweichen: ohne allen Zweifel sind jene beiden Säulen 
aus einander gerückt, weil zwischen ihnen das Tribunal „einge- 
zwängt" werden sollte. Nun sind aber diese Säulen ganz in 
derselben eigen thumlichen Weise aus Ziegeln von ganz besonderer 
Form hergestellt, wie die übrigen Säulen, und gleichen ihnen so 
vollkommen, dass auch hier an einen späteren Ursprung nicht 
gedacht werden kann. 

Nicht weniger zwingend ist der von der Stuckdecoration 
hergenommene Beweis. Die Decoration der Westseite des Haupt- 
raumes, d. h. der kurzen Wandstücke zwischen den Vorderecken 
des Tribunals und den eben erwähnten Säulen ist einerseits voll- 
ständig identisch mit der des ganzen Hauptraumes, sieht auch 
nicht im geringsten neuer aus als die der übrigen Wände, anderer- 
seits bedeckt sie Mauertheile, welche dem Tribunal untrennbar 
angehören, ja die Mauerstücke selbst zwischen den Säulen und 
dem Tribunal konnten ohne dies letztere gar nicht existiren. 
Ganz besonders deutlich ist es an der nördlichen Ecke, dass die 
Decoration dieser Mauerstücke, wo sie mit derjenigen der vor- 
springenden Seitenmauer des Tribunals zusammentrifft, über der- 
selben liegt, also später gemacht ist. Mithin ist das ganze Tri- 
bunal älter als die Decoration, deren Existenz im J. 78 v. Chr. 
inschriftlich bezeugt ist. 

Die innere Decoration des Tribunals weicht allerdings 
von der des Hauptraumes ab: sie zeigt namentlich reichere Pro- 
file, und die imitirten Marmorplatten treten mehr aus der Wand 
hervor; doch sind diese Abweichungen um nichts grösser als 
z. B. diejenigen der verschiedenen Räume der casa del Fauno, 
und erklären sich hinlänglich aus dem verschiedenen Charakter 
der beiden Räume: dass ein reservirter Raum mit grösserer 
Sorgfalt decorirt ward, ist nur natürlich, und daraus auf zeitliche 
Verschiedenheit zu schliessen ganz unstatthaft. Bei aller Ver- 
schiedenheit aber schliesst sich in einer Beziehung die Decoration 
des Tribunals genau an die des Hauptraumes an. Im Hauptraum 
wird in jedem Intercolumnium der Sockel durch ein 0,85 hohes 
Rechteck, violett mit grünem, nach der Art dieser Decora- 



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Die Basilica. 



161 



. Hon vertieftem Rande gebildet. Dann folgt ein 0,12 hoher gelber 
Streif, und über diesem je zwei neben einander stehende schwarze 
Rechtecke (hoch 0,90); dann ein niedriges (0,21), in der Breite 
das ganze Intercolumnium einnehmendes Rechteck, roth mit 
gelbem Rande, und darüber vier erhaltene Reihen (Mazois 
verzeichnet Reste einer fünften) verschiedenfarbiger Rechtecke. 
Hieran nun schliesst sich die Decoration des Tribunals so an, 
dass, wegen der höheren Lage, der Sockel und der ihn 
begrenzende gelbe Streif wegfallen, die schwarzen Rechtecke 
aber wiederkehren und hier den Sockel bilden, der Art, dass ihr 
oberer Rand hier und im Hauptraume genau in gleicher Höhe 
liegt. Ein solches Verfahren entspricht vollständig dem streng 
architectonischen Charakter dieser ersten Decorationsart: genau 
dasselbe Verhältnis* findet statt zwischen dem Tablinum der casa 
di Sallustio und dem links anstossenden , höher liegenden 
Triclinium (s. Giorn. d. Sc. d. Pomp. N. S. II S. 393), und wir 
dürfen daraus zum mindesten schliessen, dass man sich in der 
Decoration des Tribunals genau an die des Hauptraumes an- 
schliessen wollte, mit grosser Wahrscheinlichkeit aber, dass beide 
Decorationen gleichzeitig sind; denn ein so verständnissvolles 
Eingehen in den Geist einer älteren Decoration ist ohne Ana- 
logie und dürfte nur auf Grund zwingendster Beweise angenommen 
werden. 

Wie steht es nun aber mit dem geflickten Aussehen des 
Tribunals, welches Nissen (S. 206 f.) auf die nachträgliche Hinzu- 
ftigung desselben zurückführen möchte? Das Verhältniss der 
alten und jüngeren Theile zeigt am besten die auf unserer Tafel II 
abgebildete Rück-(West-)seite der Basilica. Wir sehen hier, dass 
die beiden alten Endstücken der Rückmauer, auf unserer Tafel 
durch dunklere Farbe und kleinere, unregelmässig liegende Steine 
kenntlich, genau dasselbe Mauerwerk zeigen, wie die ganze Ba- 
silica, dass die Ecken, mit denen sich die Rückmauer an die 
Langmauern ohne irgend welche Spur späteren Ansatzes an- 
schliesst, genau so gebildet sind wie die Nordostecke, da wo die 
Nordmauer der Vorhalle mit der des Hauptraumes zusammen- 
ßtösst: es kann kein Zweifel obwalten, dass alles dies dem 
ursprünglichen Bau angehört. Nun ist aber ganz klar, dass diesen 
alten Theilen auch die Rückmauer des Tribunals angehört, ein- 

Mau, pompejau. Beiträge. \\ 



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162 



Capitel VII. 



schliesslich des nördlichen Kellerfensters, von dessen Construction 
oben die Rede war. Es ergiebt sich also hier mit Sicherheit, 
dass das Tribunal mit seinem Souterrain und dessen Fenstern 
unzweifelhaft der ursprünglichen Anlage angehört, und dass von 
dieser Seite die Basilica stets geschlossen war. 

Die Ausflickung hielt Schöne (S. 197) für „nicht durchaus 
modern", ich glaube aber mit Bestimmtheit versichern zu können, 
dass sie dies doch ist. Das Mauerwerk ist ganz gleichartig, 
so dass nur die Wahl bleibt, es entweder für ganz antik oder 
für ganz modern zu halten, und zeigt, aus Fragmenten der 
verschiedensten Art bestehend, durchaus den Charakter vieler 
modernen Restaurationen Pompeji's. Es ist so hoch geführt, dass 
eine gerade Linie hergestellt ist: ein Verfahren, welches genau 
so noch jetzt bei den Restaurationen üblich ist, während es un- 
glaublich scheint, dass die zerstörende Wirkung der Zeit zu eben 
diesem Resultat geführt haben sollte. 

Betrachten wir nun die Rückwand des Tribunals von innen. 
In den Ecken ist je eine Viertelsäule angebracht, zwischen ihnen 
vier Halbsäulen. Von allen diesen ist nur die Basis und noch 
ein 0,18—0,21 langes Stück des Schaftes aus Tuff. Darüber ist 
die Viertelsäule der linken Ecke aus Lavastücken aufgemauert, 
wie auch die Halbsäulen der Seiten wände: da die Halbsäulen 
des Hauptraums der Basilica ebenso gebildet, nur statt des Lava- 
bruchsteins dort Ziegel verwandt sind, so ist dies ein weiteres 
Argument gegen eine nachträgliche Einfügung des Tribunals. Ohne 
Zweifel waren in gleicher Weise auch die Halbsäulen der Rück- 
wand und die Viertelsäule der rechten Ecke aufgemauert: jetzt 
stehen auf den Füssen der Halbsäulen Stücke von ganzen Säulen, 
noch mit Stuck bekleidet. Man könnte auf den Gedanken kom- 
men, als sei die Mauer mit den Halbsäulen nur ganz niedrig 
gewesen, und diese letzteren oberhalb der Mauer durch frei- 
stehende Säulen fortgesetzt gewesen; und dies scheint die Meinung 
Mazois' gewesen zu sein (ni pl. XVII, coupe en travers). 
Doch ist dies schon aus Zweckmässigkeitsgründen nicht glaub- 
lich; die auf dem Tribunal befindlichen Personen würden dem 
lästigsten Zugwind ausgesetzt gewesen sein, und wenn sie, was 
doch sicher der Fall war, gegen die Basilica hin zu sprechen 
hatten, so wurde es ihnen durch den Mangel einer Rückwand 




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I>io Basilica. 



163 



sehr erschwert, sich verstund lieh zu machen. Und auch der 
Thatbestand ist obiger Annahme nicht glinstig. Die beiden 
Trommeln der ersten Halbsäule (von 1.) ergeben sich durch 
flachere Cannelliren und breitere Stege als nicht zu dem Fusse, 
auf dem sie stehen, gehörig; dasselbe gilt von den beiden Trom- 
meln der folgenden, welche überdies beide auf dem Kopfe stehen. 
Von derselben abweichenden Art sind die Trommeln der beiden 
übrigen Halbsäulen; auf dem Fuss der rechten Viertelsäule 
steht gleich das oberste Endo einer Säule. Alle diese Flickerei 
wäre undenkbar, wenn dies der Anfang zu wirklichen Säulen 
oder Halbsäulen wäre, erklärt sich aber vollkommen, wenn es 
sich nur um einen ristauro bis zu der jetzt vorhandeueu Hohe 
handelte, und ist ohne Zweifel modern. Das Tribunal war hinten 
geschlossen durch eine Mauer mit Halbsäulen, welche Uber Tuff- 
baseu aus dem Lavaincertum der ganzen Basilica aufgeinauert 
waren. — Auch an den Vordereckon des Tribunals sind auf die 
theilweise zerstörten Dreiviertelsäulen Trommeln ganzer Säulen 
aufgesetzt, welche links (S.) auch auf dem Kopfe stehen: es wird 
wohl alles dies moderne Flickerei sein. 

Also mehr Eingänge als in der letzten Zeit hat die Basilica, 
so viel sich erkennen lässt, nie gehabt: wohl aber lässt sich 
wenigstens mit grosser Wahrscheinlichkeit erweisen, dass einer 
der vorhandenen Eingänge, und zwar der südliche, erst nach- 
träglich angebracht worden ist. 

Es ist schon Verdacht erregend, dass die Pfosten dieser 
Thür aus Ziegeln, die des entsprechenden Nordeingauges aus 
grossen TufTblöcken gebildet sind, welche theils aufrecht stehen, 
theils liegend sich bis zu 1,30 in die Mauer erstrecken. Letzteres 
ist wichtig, weil dadurch die Annahme ausgeschlossen wird, als 
sei ursprünglich der Südeingang dem Nordeingang gleich gewesen 
und erst nachträglich geändert worden: diese grossen liegenden 
Steine, oder doch ihre Spuren, würden jedenfalls sichtbar sein, 
ganz abgesehen davon, dass für eine solche Veränderung sich 
schwer ein Grund denken lassen würde. Der Verdacht wird 
bestärkt durch die Beobachtung, dass die Ziegel von den für 
die Säulen und für die ganze Ostfront des Gebäudes verwandten 
verschieden sind. Die Dicke der letzteren beträgt mit sehr ge- 
ll* 



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164 



Capitel VII. 



ringen Variationen 0,048 — 0,05, während die des Sttdeinganges 
wesentlich dünner sind und von 0,03 — 0,04 sich nicht merklich 
entfernen. 

Westlich der Thür ist die Mauer his auf eine sehr geringe 
Höhe zerstört. An der Ostseite aber können wir sehen, in welcher 
Weise das Incertum der Mauer und das Ziegelwerk des Ein- 
ganges in einander greifen. Und da fallt es sofort auf, dass eine 
regelmässige Verzahnung, wie sie sich stets findet, wo eine 
Mauer aus Incertum von Anfang an in einen Ziegelpfeiler endigte, 
hier nicht vorhanden, sondern die Berührungslinie der beiden 
Constructionen eine ganz unregelmässige ist, was sich in ein- 
fachster Weise dadurch, aber auch nur dadurch erklärt, dass hier 
die Mauer gebrochen und der Ziegelpfosten an den natürlich un- 
regelmässigen Bruch hinangemauert wurde. Der Mörtel des Ziegel- 
werks ist von dem der alten Theile verschieden; wo sie zusammen- 
stossen, ist schon dadurch die Ansatzlinie genau bezeichnet. 

Es ist ferner klar, dass beim Durchbruch auch die westlich 
anstbssende Halbsäule beschädigt wurde. Ueber der Tuffbasis 
folgen nur 5 (vielleicht 6) Schichten der alten, für alle Säulen 
und die Ostfront gleichmässig verwandten Ziegel: die dann fol- 
genden sind identisch mit denen der Thürpfosten. Wie hoch die 
Zerstörung ging, ist bei der geringen Höhe, bis zu der Mauer 
und Halbsäule erhalten sind, nicht festzustellen. 

Ferner ist klar, dass die an den Langwänden sich hinziehende 
Stufe, auf der die Halbsäulen stehen, hier ursprünglich fortlief 
und erst nachträglich gewaltsam unterbrochen worden ist. Ein 
Vergleich mit dem Nordeingang lehrt dies unwidersprechlich. 
Jede Halbsäule steht auf einer Kalksteinquader, welche nach 
beiden Seiten noch etwa 0,30 über den Halbsäulenfuss hinaus 
reicht ; neben dem Nbrdeingang aber sind diese Quadern kleiner 
und reichen nicht einmal ganz an die Peripherie des Halbsäulen- 
fusses. Diese geringere Breite, welche nothwendig ist, um den 
Eingang frei zu lassen, haben sie auch neben dem Südeingang: 
doch sieht man deutlich an der unregelmässigen Bruchfläche, 
dass dies ursprünglich nicht der Fall war, sondern hier eine nach- 
trägliche Verkürzung stattgefunden hat. Und auch zwischen 
diesen beiden Steinen, vor dem Eingang selbst, sind die Reste 
der Stufe deutlich zu verfolgen. 



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Die Basilica. 



165 



Der äussere Aufgang zu dieser Thür ist offenbar erst her- 
gestellt worden, als die Wand schon ihre Stuckbekleidung ersten 
Stils erhalten hatte. 

Die Schwellen der unzweifelhaft alten Osteingänge sind aus 
Lava und stark vernutzt. Dagegen haben sowohl der Süd- als 
der Nordeingang Schwellen aus Travertin und von einer Er- 
haltung, welche hohes Alter ausschliesst. Zwischen den beiden 
Eingängen aber findet der Unterschied statt, dass im Norden 
die Schwelle offenbar nachträglich unter die Thürpfosten ge- 
schoben worden ist: sie passt nicht genau, so dass ansehnliche 
Zwischenräume bleiben. Eben so klar aber ist es, dass die Ziegel- 
pfosten des Südeinganges auf die schon da liegende Schwelle 
gemauert worden sind. Das heisst, als diese Schwellen gelegt 
wurden, war der Nordeingang schon vorhanden, während der 
Südeingang eben damals hergestellt wurde. 

Die alte Decoration der Basilica erstreckt sich nicht auf die 
fraglichen Theile. Vielmehr ist es zweifellos, dass der Streifen 
Stuck, welcher die Innenseite des östlichen Pfostens bedeckt, 
nachträglich ergänzt ist: er schliesst sich östlich an den offenbar 
gewaltsam gebrochenen Stuck der ersten Halbsäule an, und reichte 
westlich bis an die Holzverkleidung, an der er roh aufgebauscht 
ist: letzteres Factum schliesst den Gedanken an modernen Ur- 
sprung dieses Stuckstreifens aus. Er hat mit dem Stuck der 
alten Decoration nicht die entfernteste Aehnlichkeit , weder im 
Material noch in der Bearbeitung: es fehlt die oberste, mit Mar- 
morstaub gemischte Lage, und der ganzen Masse bis an die 
Oberfläche ist nur Meersand beigemischt; die Glättung der Ober- 
fläche ist von der rohesten Art. 

Vom Südeingang abgesehen erschweren uns also nicht spätere 
Veränderungen, sondern lediglich der Zustand der Zerstörung die 
Erkenntniss der ältesten Form der Basilica. War ihr Mittelraum 
bedeckt? Hatte sie eine zweite Säulenordnung, einen oberen 
Umgang, und stammen von diesem die Fragmente kleinerer Säulen 
aus Tuff, die in der Basilica gefunden sind und noch dort liegen? 
Ich glaube, auf beide Fragen wird sich wenigstens mit grosser 
Wahrscheinlichkeit eine Antwort geben lassen. 

Bedeckung des Mittelraumes war zunächst doch offenbar die 



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« 



166 



Capitel VII. 



Regel : Vitruv spricht in der Beschreibung seiner Basilica in Fanuni 
von der mediana testudo als von einer selbstverständlichen 
Sache (V, 1, G); die Vergleichuug des oocus Aegyptius mit 
der Basilica (VI, 5, 9) setzt die Bedeckung voraus. Auch die 
von ihm (V, 1, 4) vorgeschriebenen Verhältnisse des Grundrisses 
— dass die Breite des ganzen Hauptraumes nicht die Hälfte der 
Länge überschreiten dürfe, wobei natürlich der Mittelraum eine 
noch weit mehr langgestreckte Form erhält — haben doch nur 
dann Sinn, wenn die Bedachung dadurch ermöglicht werden 
sollte; und dies Verhältniss ist auch in der pompejanischen 
Basilica (16 : 7) eingehalten. 

Eben dahin führen andere Betrachtungen. War der Mittel- 
raum unbedeckt, so waren die Portiken der Theil, auf den es 
ankam; der Mittelraum, der Vormittagsonne und dem in diesen 
Gegenden häufigen Regen ausgesetzt, war nur der zwischen ihnen 
übrig bleibende Raum und von geringerer Bedeutung. Handelte 
es sich aber nur um die Portiken, so erscheint es geradezu un- 
glaublich, dass man um deren willen diese gewaltigen, über 1,0 
starken, gegen 10,0 hohen Säulen aufgeführt haben sollte. Eine 
so colossale Kraftvergeudung ist am wenigsten da glaublich, wo 
man mit Ziegeln gebaut hat, und liegt durchaus nicht im Cha- 
rakter der Epoche, welcher die Basilica angehört. Und dass 
auch derartige Verhältnisse ihrem Geschmack nicht entsprachen, 
lehren uns die Portiken des Venustempels, des Forums, des Forum 
trianguläre u. s. w. Endlich erreichte man durch diese gewaltige 
Anstrengung nichts anderes, als dass die gegen 10,0 hohe Por- 
ticus ohne entsprechende Tiefe ihrem Zweck, gegen Sonne und 
Regen zu schützen, weit weniger entsprach, als sie bei gewöhn- 
lichen Proportionen gethan haben würde. 

Der letzterwähnte Uebelstand fiel fort, sowie der Mittelraum 
bedeckt war. Ferner war dieser alsdann das Centrum der ganzen 
Anlage; durch die Rücksicht auf ihn bestimmte sich die Grösse 
der Säulen, und diese konnten sehr wohl, ja sie mussten so sein 
wie sie sich uns aus den Resten ergeben. Und nehmen wir 
hinzu, dass die Säulen die Aufgabe hatten, den jedenfalls sehr 
schweren Dachstuhl entweder ganz zu tragen oder doch zu stützen, 
so werden wir uns über ihre ungewöhnlichen, sonst nicht erklär- 
lichen Dimensionen nicht mehr wundern. 




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Die Basilica. 



167 



Die hier entwickelten Anschauungen liegen auch den Vor- 
schriften Vitruv's zu Grunde und sind von ihm selbst beim Bau 
seiner Basilica in Fanum befolgt worden. Die Portiken, schreibt 
er vor, sollen die Höhe gleich der Breite haben; der Mittelraum 
aber muss höher sein, und dies wird durch eine obere Säulen- 
gtellung erreicht. In Vitruv's eigener Basilica ruhte das Dach 
des Mittelraumes auf 50 Fuss hohen Säulen, die Portiken aber 
waren niedriger: ihre Decke wurde getragen von an die Säulen 
angelehnten, 20 Fuss hohen Pilastern, welche auch die 18 Fuss 
hohen Pilaster des oberen Umganges trugen: also zwei ganz 
getrennte Systeme: hohe Säulen fiir die Mittelhalle, niedrige 
Pfeiler für die Umgänge. Es ist mithin ganz im Sinne Vitruv's, 
wenn wir aus der Höhe der Säulen schliessen, dass sie vorzugs- 
weise zum Mittelraum in Beziehung standen, dass dieser der 
Hauptraum, dass er deshalb bedeckt war. 

Gegen die Bedachung des Mittelraumes hat Breton geltend 
gemacht, dass die Säulenreihen der Schmalseiten dann fehlen 
würden, man sich vielmehr, wie in den christlichen Basiliken, 
mit zwei den Langseiten parallelen Säulenreihen begnügt haben 
würde. Diesem Einwand begegnet Schöne (S. 200 f.) mit Hinweis 
auf den oberen Umgang: es sei doch natürlich gewesen, diesen 
rings herum zu führen und nicht die beiden langen Schenkel 
getrennt zu lassen. Nissen deutet in der Anmerkung S. 201 an, 
dass durch seine eigenthümliche Anschauung von der ursprung- 
lichen Form der Basilica diese Schwierigkeit eine sehr einfache 
Lösung finden werde. 

Wenn ich recht verstehe, haben Schöne und Nissen jenen 
von Breton nicht näher begründeten Einwand von zwei ver- 
schiedenen Seiten aufgefasst, und in der That beruht derselbe, 
so viel ich sehe, auf zwei Betrachtungen. Erstlich sind bei Be- 
deckung des Mittelraumes die Säulen der Langseiten von con- 
structiver Bedeutung, da sie das Dach stützen mussten: die 
fraglichen vier Säulen aber sind, so meint Breton, constructiv 
betrachtet, werthlos. Dies räumt Schöne ein, so weit es sich 
auf das Tragen des Dachstuhls bezieht, meint aber, sie hätten 
den aus praktischen Gründen erforderlichen oberen Umgang 
getragen. Zweitens aber verdecken die beiden hinteren Säulen 
für den, der im Mittelraum, d. h., wenn er bedeckt war, im Haupt- 



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168 



Capitel VII. 



räum steht, das Tribunal. Dem könnte man begegnen durch 
Breton's Annahme, dass der Mittelraum unbedeckt, also kein 
Hauptraum war; Nissen hingegen glaubt durch seine Annahme 
einer späteren Einfügung des Tribunals helfen zu können. 

Breton's Einwand ist von grossem Gewicht: ein den ganzen 
Hauptraum bedeckendes Giebeldach ist in der That unwahr- 
scheinlich wegen der alsdann eintretenden Functionslosigkeit 
dieser vier Säulen. Von den drei Annahmen aber, durch die 
man ihre Existenz hat rechtfertigen wollen, ist keine haltbar. 
Von Breton's Annahme, der Mittelraum sei unbedeckt gewesen, 
war eben die Rede. Nissen's Annahme einer späteren Einfügung 
des Tribunals ergab sich uns als ganz unmöglich; dass ein oberer 
Umgang fehlte, soll sogleich gezeigt werden. Ueber die con- 
structiven Functionen dieser Säulen können wir jetzt noch nicht 
urtheilen; wir sehen einstweilen nur, dass sie die kurzen Portiken 
vom Mittelraum trennten. Die kurzen Portiken mussten vor- 
handen sein; denn gewiss machten die Erfordernisse des Verkehrs 
es wünschenswerth, den Umgang rings herum zu fuhren, statt 
die beiden langen Schenkel getrennt zu lassen. Vitruv schreibt 
vor, dem pluteus des oberen Umganges eine hinlängliche Höhe 
zu geben, uti supra basilicae contignationem ambulantes 
ab negotiatoribus ne conspiciantur (V, 1, 5). Natürlich 
konnten diese Spaziergänger nur vom Mittelraum aus gesehen 
werden, und wenn hier nur die negotiatores genannt werden, 
so werden wohl diese hier vorzugsweise ihre Verkaufstellen auf- 
geschlagen haben, während das kaufende Publicum vorwiegend 
in den unteren, das ambulirende in den oberen Umgängen cir- 
culirte. Wie wünschenswerth es nun aber sein musste, dass 
diese Circulation ringsum ungehemmt war, dass man nicht, um von 
einer Seite auf die andere zu kommen, sich zwischen den Tischen 
der Verkäufer durchdrängen musste, das bedarf wohl keiner 
weiteren Ausführung. 

Einen oberen Umgang glaubte man nicht annehmen zu 
dürfen, weil, wie man allgemein annahm, die Halbsäulen an den 
Wänden niedriger waren als die freien Säulen. Dieser Annahme 
hat Schöne widersprochen, oder wenigstens geleugnet, dass die 
Gründe dafür zwingend seien. Die Stärke der -Säulen verhält 




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Die Basilica. 



169 



sich nach ihm zu der der Halbsäulen wie 165 : 130, oder rund 
wie 5:4. Dafür nun, dass eine solche Differenz mit gleicher 
Höhe nicht unverträglich sei, wird Vitruv (IV, 4, 2) angeführt, 
welcher vorschreibt, dass diejenigen Säulen, welche beim Tempel 
in antis rückwärts zwischen den Anten, hinter den Frontsäulen 
stehen, nicht, wie diese letzteren, '/ 8 , sondern nur V 10 ihrer Höhe 
als Dicke haben sollen. Diese grössere Schlankheit hält Vitruv 
für zulässig wegen der Dunkelheit, in welcher die hinteren Säulen 
stehen, und meint ausserdem, man könne die Ungleichheit durch 
eine grössere Zahl von CannelUren verbergen. Da nun hier die 
Rundsäulen für das Auge gegen den Mittelraum standen, welcher 
(nach Schöne) jedenfalls der hellste des Gebäudes war, ferner 
die Halbsäulen im Querschnitt etwas mehr als einen Halbkreis 
(11 Cannelüren statt 10) zeigen, so sollen die beiden nach 
Vitruv die Ungleichheit verhüllenden Umstände hier zutreffen 
und deshalb der gleichen Höhe der Säulen und Halbsäulen nichts 
im Wege stehen, alsdann aber die natürlichste Annahme die 
sein, dass über ihnen ein Umgang war, wie ihn Vitruv (auch 
VI, 5, 9) als regelmässig voraussetzt. 

Dennoch aber wird wohl die frühere Annahme, dass ein 
solcher Umgang nicht da war, festzuhalten sein. Und zwar aus 
folgenden Gründen: 

1. Die Gleichheit der Rundsäulen und Halbsäulen erscheint 
nach Erwägung aller Umstände doch sehr unwahrscheinlich. 

2. Es ist kein Aufgang zu einem oberen Umgang vorhanden. 

3. Die grosse Höhe der Säulen ist der Annahme eines solchen 
nicht günstig. 

Betrachten wir diese drei Punkte nach einander. 

1. Die verschiedene Stärke gleich hoher und correspon- 
dirender Säulen ist sicher nur unter ganz besonderen Umständen 
gestattet : in dem bei Vitruv besprochenen Falle deshalb, weil die 
dünneren Säulen in einem weniger hellen Räume standen. Dies ist 
nach Schöne auch mit den Halbsäulen der Basilica der Fall, weil 
der Mittelraum jedenfalls der hellste des ganzen Gebäudes ge- 
wesen sei. — Die Berechtigung dieses letzteren Satzes kann sich 
nur aus der Restitution des ganzen Baues ergeben — Nissen und 
Schöne sind auf die hierfür äusserst wichtige Frage nach der 
Erleuchtung des Raumes nicht eingegangen — keinenfails aber 



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170 



Capitel VII. 



dürfen wir ihn von vorn herein zu Grunde legen und wichtige 
Punkte der Restitution durch ihn begründen. 

Was ferner die grössere Zahl der Cannelüren (11 statt 10) 
angeht, so ist dies erstens — wie Schöne richtig bemerkt — 
nur das bei Halbsäulen, auch wenn sie den Säulen an Stärke 
gleich sind, gewöhnliche Verfahren; zweitens entspricht die Ver- 
mehrung der Cannelüren keineswegs der Verschiedenheit der 
Stärke (5:4); noch weniger ist das Verhältniss das von Vitruv 
geforderte (4 : 3). 

Andererseits sprechen gewichtige Gründe gegen die Annahme 
Schöne's. Es geht aus seiner Darstellung nicht deutlich genug 
hervor, dass es sich keineswegs bloss um die Halbsäulen handelt, 
sondern auch um die Säulen des Einganges (2 freistehende und 
2 Dreiviertelsäulen) und um die beiden Dreiviertelsäulen an den 
Vorderecken des Tribunals, welche alle nur die Stärke der Halb- 
säulen haben. Bei den Eingangsäulen aber trifft nicht nur keiner 
der Umstände zu, welche nach Vitruv eine geringere Stärke recht- 
fertigen, sondern das Verhältniss ist genau das umgekehrte: nach 
Analogie der Frontsäulen zwischen den Anten und der hinter 
ihnen stehenden müssten doch offenbar vielmehr die Eingang- 
säulen stärker sein als die des inneren Raumes. Wenn sie statt 
dessen dünner sind, so haben wir allen Grund, anzunehmen, dass 
sie auch kürzer waren. 

Betrachten wir ferner etwas genauer die erhaltenen Theile. 
Wenn die Halbsäulen gleiche Höhe mit den Säulen, also schlan- 
kere Proportionen haben sollten, so musste sich das schon an 
den unteren, erhaltenen Theilen zeigen: der Säulenfuss musste 
bei den Rundsäulen und Halbsäulen gleiche Höhe, also bei den 
Halbsäulen schlankere Verhältnisse haben. Wie es damit steht, 
zeigt deutlich die Zeichnung beider in verhältnissmässiger Grösse 
bei Mazois III, pl. XX, Fig. III. IV. Die Halbsäulen stehen auf 
einer an der Wand entlaug laufenden Stufe von c. 0,21 Höhe 
(ohne die Bekleidung mit opus Sign in um), die Säulen auf 
isolirten quadratischen Lavaunterlagen von ziemlich gleicher Höhe, 
vielletcht noch etwas höher (c. 0,23): doch konnte dieser Unter- 
schied bei der ungleichen Beschaffenheit des Terrains nicht mit 
Genauigkeit festgestellt werden und soll darauf kein Gewicht 
gelegt werden. Darüber nun besteht der Säulenfuss aus einer 



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Die Basiliea. 



171 



Hohlkehle, einem Torus, einer zweiton Hohlkehle und einem 
zweiten Torus: die Gesammthöho ist bei den Säulen 0,32, bei 
den Halbsäulen 0,24. Also die Hohe des Fussos ist bei den 
letzteren geringer nicht nur im gleichen Verhältuiss wie die 
Dicke (c. 5:4), sondern in noch stärkerem (4:3). Die obere 
Hohlkehle (von der äussersten Peripherie der beiden Toren) misst 
bei den Säulen 0,135, bei den Halbsäulen 0,09: hier also ist das 
Verhältuiss fllr letztere noch ungunstiger, und es ist klar, dass 
dadurch bei den Säulen der Eindruck der in der That vorhan- 
denen grösseren Schlankheit noch verstärkt wurde. — Also die 
erhaltenen Theile deuten vielmehr auf gedrücktere Verhältnisse 
bei den Halbsäulen und lassen es als ganz unglaublich erscheinen, 
dass diese trotz ihrer geringeren Stärke sich zu gleicher Höhe 
mit den Säulen erhoben haben sollten. 

Es mag noch erwähnt werden, dass die Säulen und Halb- 
säulen des Tribunals, ohne Zweifel alle von gleicher Hohe, keino 
Verschiedenheit der Stärke zu Gunsten der Säulen zeigen. Drei 
Cannelüren messen an den letzteren am Fuss, ohne Stuck, 0,255, 
an den Halbsäulen der Seitenwände mit dem ziemlich dünnen 
Stuck 0,27 — diese sind also eher etwas stärker — an den 
Viertclsäulen der Rückwand 0,26, an der ersten Halbsäule von 
L 0,24, an den anderen 0,25—0,255. Auch hier haben die Halb- 
säulen 11, die Viertelsäulen 0, die Dreiviertelsäulen 16 Cannelüren. 

Meine Messungen ergeben, dass je 3 Cannelüren bei den 
grossen Säulen — sie haben deren 20 — ohne Stuck 0,50 — 0,51 
betragen, bei denen des Einganges und den Halbsäulen 0,37 — 0,39; 
nur ganz unten kommt man einzeln auf 0,40 — 0,41, an der Halb- 
säule rechts am Südeingang, an dem Fuss aus Tuff, wo also 
genaue Arbeit und genaues Mass vorauszusetzen ist, kaum auf 0,37. 
Der Durchmesser der grossen Säulen c. 0,80 Uber der Basis ist 
ziemlich constant 1,05, der der Säulen am Eingang 0,79; das 
Mass der Durchmesser ist sicherer und brauchbarer als das der 
sehr zerstörten und nicht eben gleichmässigen Cannelüren. — 
Die Säulenstellung (Intercolumnium = 2*/, Durchmesser) steht 
in der Mitte zwischen dem Eustylos und dem Diastylos (Interc. 
= 2'/ 4 resp. 3 Durchmesser) des Vitruv (III, 3, 4. 6). Bei jenem 
war nach demselben die Höhe der Säulen gleich 9'/ a , bei diesem 
gleich 87 3 , hier also vermuthlich etwa gleich 9 Durchmessern. 



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172 



Capitel VII. 



Bei einer solchen Höhe würden die grossen Säulen 9,45, die 
Eingangs- und Halbsäulen 7,11 hoch gewesen sein: die Differenz 
— 2,34 — wird um 0,70 grösser, wenn man mit Mazois korin- 
thische Capitelle für die grossen Säulen annimmt; denn da 
(Vitr. IV, 1, 1) das korinthische Capitell gleich dem Durch- 
messer, das ionische gleich V 3 Durchmesser ist, so haben wir V, 
Durchmesser = 0,70 hinzuzufügen. 

Waren aber die Säulen und Halbsäulen nicht von gleicher 
Höhe, so ist die Annahme eines auf ihnen ruhenden oberen Um- 
ganges hinfallig. 

2. Ein Aufgang zu einem oberen Umgang ist nicht vor- 
handen. Ganz abzusehen ist hier natürlich von der auf die 
Forumsporticus führenden Treppe an der Südostecke der Basilica: 
sie ist, wie Schöne S. 198 richtig bemerkt, erst später an die 
Basilica angebaut, nachdem dieselbe bereits auf der südlichen 
Aussenseite ihren Stucküberzug hatte. Dagegen kommen zwei 
Punkte in Betracht: der kleine Raum südlich neben der Vorhalle, 
zwischen dieser und der erwähnten Treppe, und gewisse Reste 
auf der Westseite. 

Hier nämlich sah Schöne (S. 203) „ungefähr in der Mitte 
zwischen der (Nordwest-)Ecke und der ersten Tribunalwand" (d. h. 
der Nordwand des nördlichen Treppenraums) „drei Stufen, welche 
sich weiter fortgesetzt zu haben scheinen; endlich folgt, der 
zweiten Tribunalswand (d. i. der Nord wand des eigentlichem 
Tribunals) ungefähr entsprechend, ein an die Wand angelegter, 
ziemlich quadratischer Pfeiler von gelblichem ziegeiförmigem 
Tuff, welcher auf der Nordseite eine rechtwinklige Rinne nach 
Art der Wasserleitungspfeiler hat". Schöne hält es nicht für 
unmöglich, „dass hier eine Treppe nach dem Obergeschoss ge- 
führt hätte, vor allem nach der Decke des Tribunals, von der 
dann Treppen in die schmalen Seitenräume herabführen konnten". 
Hiermit bringt Schöne eine Notiz der Rapporti in Verbindung, 
wo unter dem 27. Febr. 1814 berichtet wird: alla Basilica si 
e incominciato a vedere dalla parte di ponente una 
scala che ascendeva sul portico, il quäle circonda 
questo edifizio; resta questadall' altra parte di quella 
trovata pochi mesi fa e che serviva allo stesso uso 
(d. h. die Treppe an der Südostecke der Basilica). Diese An- 




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Die Basilica. 



173 



gäbe kann nach Schöne sich nicht anf die Treppe in der Süd- 
ostecke des Forums beziehen, weil diese doch nicht als westlich 
der Basilica liegend bezeichnet werden konnte, wenn gleich unter 
dem Namen der Basilica die Ausgrabungsberichte den ganzen 
sudliehen Theil des Forums begreifen, auch nicht wohl auf die 
Treppe nördlich des Venustempels, weil dahin vermuthlich die 
Ausgrabungen noch nicht vorgedrungen waren. Letzterer Grund 
ist nicht ohne Gewicht, doch glaube ich nicht, dass bei dem 
Charakter der Ausgrabungsberichte hierauf ein sicherer Schluss 
zu bauen ist. Es wird doch wohl kaum etwas anderes übrig 
bleiben, als eben diese Treppe zu verstehen, auf welche die Be- 
zeichnung dalla parte diponente trefflich passt, wenn man 
annimmt, dass Basilica auch hier das Forum ist. Dafür spricht 
vor allem die Beziehung, in welche diese Treppe sofort zu der in der 
That ganz entsprechenden an der Südostecke der Basilica gesetzt 
wird; ferner der Ausdruck si e incominciato a vedere: man 
sah also den Beginn der Treppe, während die Fortsetzung noch 
vom Schutt bedeckt war, was bei den dürftigen Resten hinter 
der Basilica doch schwer denkbar ist. Und die vom damaligen 
Stande der Ausgrabungen hergenommenen Bedenken lassen sich 
eben so gut gegen Schöne's Annahme wenden: dass man im 
Febr. 1814, wo man auf der Südhälfte des Forums beschäftigt 
war und dort interessante Entdeckungen von Tag zu Tag er- 
warten konnte, nun auf einmal in jenem wenig versprechenden 
Winkel hinter der Basilica gegraben haben sollte, ist nicht wahr- 
scheinlich, und die Ausgrabungsberichte melden nichts davon. 

Eine Treppe an der von Schöne bezeichneten Stelle, welche 
in das Obergeschoss oder auf die Decke (in den oberen Raum) 
des Tribunals führte, erforderte bedeutende Substructionen, 
welche an die Rückwand der Basilica angelehnt sein mussten und 
nicht so spurlos hätten verschwinden können; selbst bei absicht- 
licher Demolirung würden an der Mauer Spuren geblieben sein. 
— Aber nicht nur fehlen diese Substructionen, sondern der 
Platz, wo sie stehen müssten, wird durch den von Schöne (a. a. 0.) 
und Gau (Mazois III, S. 39) erwähnten Pfeiler aus ziegeiförmigem 
gelbem Tuff eingenommen: derselbe ist sicher nicht ein Rest einer 
zweiten Treppe, wie Nissen (S. 205) annimmt, sondern vermuth- 
lich, worauf auch Schöne hindeutet, ein Wasserleitungspfeiler, 



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174 



fapitel VII. 



findet sich auch nicht nördlich, wie es bei Nissen a. a. 0. heisst, 
von den drei \ou Schöne gesehenen Stufen, sondern südlich, 
gehört endlich nach Material und Construction einer wesentlich 
jüngeren Zeit an, als die Basilica, wenn gleich Nissen mit Unrecht 
die Verwendung des gelben Tuffs auf die letzte Zeit Pompeji's 
hat beschränken wollen. Eine Treppe aber, welche, an dem 
von Schöne bezeichneten Punkte beginnend, den Oberstock der 
Basilica oder des Tribunals erreichen sollte, musste sich mit 
ihren Unterbauten weit über diesen Punkt erstrecken: also als 
der besagte Pfeiler gebaut wurde, bestand eine solche Treppe 
nicht. — Uebrigens hat schon Callot (Mazois III, S. 39) hier 
eine Treppe (zum Tribunal) angenommen, welche er an eben 
diesen Pfeiler anlehnen wollte. Gau verwirft diese Annahme, 
weil dadurch die nur 7 Fuss breite Strasse die Hälfte ihrer 
Breite verloren haben würde, und weil auf dem (mir nicht be- 
kannten) Plan Donaldson's (le plan de l ouvrage de M. Do- 
nald son) dort, wo die Treppe sein müsste, Strassenpflaster ver- 
zeichnet sei. In der That bleibt zwischen den von Schöne 
bemerkten vermeintlichen Stufen und der gegenüber liegenden 
Mauer ein Zwischenraum von nur 1,40 M. 

An der fraglichen Stelle, wo einige Steine sichtbar waren, 
deren Zugehörigkeit zu einer Treppe mir von Anfang an sehr 
zweifelhaft erschien, Hess im October 1878 auf die Bitte Herrn 
Sikkard's, den ich um Anfertigung der auf Taf. II veröffent- 
lichten Zeichnung ersucht hatte, der Director der Ausgrabungen, 
Herr M. Ruggiero, mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit nach- 
graben, und es ergab sich mit voller Sicherheit, dass hier keinerlei 
Reste einer Treppe vorhanden sind '). Am Fuss der Mauer der 
Basilica ist aus Gusswerk eine ebene Fläche hergestellt, welche 
vermuthlich einst das Strassenpflaster trug. Auf dieser Gusswerk- 
fläche lagen theils unregelmässig neben einander, theils über 
einander, einige Stücke Kalkstein (auf der Tafel mit i bezeichnet), 
welche keine Aehnlichkeit mit einer Treppe, wohl aber grosse 
mit den weiter oben zur Restauration verwandten Steinen haben: 
es ist äusserst wahrscheinlich, dass sie eben damals hierher ge- 



') leb war damals nicht mehr in Pompeji und verdanke die folgenden 
Notizen Herrn Sikkard; die Genauigkeit derselben babe ich jetzt (1871)) verificirt. 




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Die Basilica. 



175 



kommen und liegen geblieben sind. Denn es war ersichtlich, 
dass diese Partien schon früher einmal aufgegraben waren. 

In dem kleinen Raum südlich der Vorhalle verzeichnet Mazois 
Treppen, und in der That scheint der Raum einzig dazu geeignet; 
Schöne hebt jedoch selbst hervor, dass man nicht sieht, wie eine 
solche Treppe zugänglich war. Ein Zugang ist nun freilich vor- 
handen, wenn gleich ich nicht finde dass schon jemand ihn bemerkt 
hätte: ein in seinen oberen Theilen zerstörtes Thürchen, c.2,20 Uber 
dem Boden der Vorhalle, ganz am Anfang der linken Seitenwand, 
zu dem man also mit einer Leiter aufsteigen musste. Es ist 
ohne weiteres klar, dass dies nicht der dir das Publikum be- 
stimmte Aufgang zu einem oberen Umgang sein kann; wohl 
aber konnte hier eine enge Treppe sein, um den Dachraum zu 
besteigen : eine Vorrichtung, deren Nothwendigkeit Schöne (S. 202) 
hervorhebt. Wenn wir' aber mit Recht eine solche hier erkennen, 
so beweist sie gegen einen oberen Umgang; denn, wäre ein 
solcher vorhanden gewesen, so würde man doch von diesem, 
nicht vom unteren Räume aus, den Dachraum bestiegen haben. 

3. Die ausserordentliche Höhe und Stärke der Säulen haben 
wir schon für die Bedeckung des Mittelraumes geltend gemacht; 
sie spricht aber eben so sehr gegen die Existenz eines oberen 
Umganges. Zunächst wird durch sie die für den letzteren an- 
geführte Autorität Vitruv's hinfällig. Es geht zwar aus seineu 
Worten (V, 1, 5; VI, 5, 9) hervor, dass er einen oberen Um- 
gang in der Basilica als etwas ganz gewöhnliches betrachtet, 
zugleich aber auch, dass dann ganz andere Proportionen üblich 
waren, als sie hier vorliegen. Die Höhe der Säulen soll der 
Breite der Porticus gleich sein : hier ist diese 5,10, während die 
Säulen doch wohl mindestens 9,45 hoch waren. In Vitruv's 
Basilica in Fanum zwar waren die Säulen 50' hoch, während 
die Porticus nur 20* mass: aber hier hatten Säulen und Porticus 
nichts mit einander zu thun: das Dach der letzteren ruhte auf 
eigenen, an die Säulen angelehnten, 20' hohen Pilastern; die 
gleichartigen Pilaster des oberen Umganges massen 18,50, so 
dass auch dieser noch von den Säulen tiberragt wurde und oben 
zwischen den letzteren das Licht in den Innenraum fiel. 

Wir dürfen, wenn der Mittelraum bedeckt, und wenn mit 
Rücksicht auf ihn die Höhe der Säulen bemessen war, die 



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176 



Capitel VII. 



Autorität Vitruv's eher gegen den oberen Umgang in's Feld führen. 
In der von ihm gebauten Basilica war der Mittelraum 60 / breit, 
die flir ihn berechneten Säulen 50' hoch, das Verhältniss ist also 
wie 6:5. Die Breite des inneren Raumes der pompejanischen 
Basilica ist ziemlich 40* oskisch (10,85, zwischen den Säulen- 
basen, wie bei Vitruv inter columnas); die Säulenhöhe be- 
rechneten wir approximativ zu 9,45, d. i. etwa 35' oskisch. Also 
das Verhältniss ist hier so ziemlich 8 : 7 und weicht schon von 
dem, welches Vitruv einhielt, zu Gunsten der Säulen ab. Rechnen 
wir nun aber noch Zwischengesims und obere Säulen hinzu — 
zusammen doch wohl nicht viel weniger als 20* — so übersteigt 
die Säulenhöhe die Breite des Mittelraums und verhält sich zu 
ihr wie 11:8, ein nicht nur den Angaben Vitruv's wider- 
sprechendes, sondern auch an sich übertriebenes nnd unglaub- 
liches Verhältniss. 

Kurz: um der Portiken willen sind, wie schon oben erörtert 
wurde, diese gewaltigen Säulen nicht gemacht; sie erklären sich 
nur durch die Beziehung auf den Mittelraum, aber auch so nur 
unter der Voraussetzung, dass sie keine obere Säulenstellung 
trugen; mit dieser Hess sich eine genügende Höhe in weit weniger 
kostspieliger und sicher dem Geschmack jener Periode besser 
entsprechender Weise erreichen. 

Wenn im vorhergehenden die Beschaffenheit der Säulen 
gegen das Vorhandensein eines oberen Umganges geltend gemacht 
wurde, so geschah dies nur theils von Seiten des ästhetischen 
Eindrucks, der Richtigkeit der Verhältnisse, theils mit Beziehung 
auf die Angaben Vitruv's. Doch kommt hier noch anderes in 
Betracht. Es wurde schon bei Gelegenheit der Frage nach der 
Bedeckung des Mittelraumes angedeutet, dass die ausserordent- 
liche Stärke der Säulen auch dadurch motivirt sein dürfte, dass 
sie bestimmt waren den Dachstuhl zu tragen oder doch zu 
stützen. Es ist aber klar, dass sie diesem Zweck nicht dienten, 
und also in dieser Beziehung ihre Stärke verschwendet war, so- 
wie eine obere, viel schwächere Säulenstellung zwischen sie und 
den Dachstuhl eingeschoben war. Die weitere Verfolgung dieses 
Gesichtspunktes wird uns zwingen, die Fragen, welche wir an 
die Ruinen richten, etwas allgemeiner zu fassen. Wie haben 




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Die BasiHea. 177 

wir uns den gaiizen Bau zu denken? Wie wurde der Dachstuhl 
getragen, und wie verhielt er sich zu den Säulen? Wie war die 
verschiedene Höhe der Säulen und Halbsäulen ausgeglichen? 
Woher kam das Licht? Wie sind die in der Basilica gefundenen 
kleineren Säulen aus Tuff verwandt gewesen? Was ist endlich 
von der auf drei Seiten am Fuss der Säuion sich hinziehenden 
Rinne zu halten? Alle diese Fragen können nicht wohl anders 
als gemeinsam erledigt werden. 

Wenn wir eine obere Säulenstellung Über den grossen Säulen 
annehmen, so verlieren wir nicht nur einen Erklärungsgrund flir 
die Stärke derselben, sondern wir müssen uns auch die Frage 
vorlegen, welche Mittel denn vorhanden waren, um den Dach- 
stuhl zu stützen. An die Stelle der sehr trag- und widerstands- 
fähigen Säulen von 1,05 Durchmesser, aus compacter Backstein- 
masse, treten alsdann Säulen von nur 0,52 Durchmesser, aus 
einzelnen Tufftrommeln, welche ausserdem sehr weitläuftig, reich- 
lich 3,80 von einander entfernt standen: gewiss war der Tausch 
ein sehr ungünstiger, und es scheint nicht eben wahrscheinlich, 
dass man die durch die Backsteinsäulen erreichte grosse Soli- 
dität auf diese Art wieder preisgegeben haben sollte. 

Freilich konnten auch die Aussenwände ihren Antheil am 
Tragen des Dachstuhls haben; sollte man aber, wo es nicht 
nöthig war, Dachbalken von 14 Meter angewandt haben? Be- 
nutzte man die zwischen First und Wand in der Mitte stehende 
Säulenreihe, so konnte man sich mit Balken der halben Länge 
behelfen. Dann aber fiel dieser Säulenreihe die Hauptlast zu. — 
Ferner müssen wir fragen, ob denn die oberen Theile der Seiten- 
wände eine besonders grosse Tragkraft haben konnten. Und 
um darauf zu antworten, müssen wir uns einer weiteren Frage 
zuwenden: wie kam Licht in das Gebäude? 

Dass das Dach nicht ganz geschlossen gewesen sei, dürfte 
doch nur im äussersten Nothfall angenommen werden. Die 
Dachbalken mussten natürlich oben zusammengehen; hatte man 
sie nicht ganz bis oben mit Ziegeln belegt, so mussten die leeren 
Balken einen unschönen Eindruck machen, und es ging der 
Vortheii der Bedachung des Mittelraumes zu einem guten Theil 
verloren. War aber das Dach ganz geschlossen, so mussten in 
den langen Wänden Fensteröffnungen sein. Da nun die Mauern 

Mau, pompejan. Beitrüge. 12 



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178 



Capitel Vn. 



bis zur Höhe von c. 6,0 erhalten sind oder zu Mazois' Zeit er- 
halten waren — die von ihm (III pl. XVIII) verzeichneten Reste 
der Wanddecoration gestatten dies ziemlich genau zu berechnen — 
ohne dass sich von Fenstern eine Spur zeigte, die Höhe der Halb- 
säulen aber von uns auf etwa 7,11 veranschlagt wurde, so bleibt 
kein genügender Raum für Fenster von solcher Grösse, dass ein 
so ausgedehntes Gebäude durch sie genügendes Licht hätte er- 
halten können. Dann aber muss oberhalb dieser Halbsäulen- 
stellung die Wand durchbrochen gewesen sein: in welcher Weise, 
um das zu beurtheilen müssen wir untersuchen, was von den 
in der Basilica gefundenen Tuffsäulenfragmenten zu halten sei. 

Dass dieselben der Basilica angehören, ist mehr als wahr- 
scheinlich. Zunächst, wie sollten sonst diese unter sich ganz 
gleichartigen, offenbar einem Gebäude angehörigen Säulenfrag- 
mente hierher kommen? Sie sind ferner auch den Säulen des 
Tribunals durchaus gleichartig und zeigen endlich ganz besondere 
Formen, welche für ihre Unterbringung an der Basilica deut- 
lichen Anhalt bieten, es aber sehr unwahrscheinlich machen, dass 
sie anderswo verwerthet gewesen sein sollten. 

Besonders charakteristisch und für die Restitution des Baues 
von hoher Wichtigkeit sind die Fragmente von Dreiviertelsäulen, 
welche mit einem keilförmigen, aus demselben Stein gearbeiteten 
Stück in die Wand, deren Abschluss sie bildeten, eingefügt 
waren. Und zwar diente die eine Fläche dieses keilförmigen 
Stücks zugleich als Wandfläche: sie setzt an dem Punkt, wo die 
Cannelüren aufhören, als Tangente an, ist glatt bearbeitet und 
trägt eine feine, in wenigstens einem Falle zunächst der Säule 
weisse, weiterhin roth gemalte Stuckschicht. Die andere Fläche 
sollte in der Wand verborgen sein: sie ist nicht bearbeitet und 
läuft von dem Punkt, wo die Cannelüren aufhören, auf jene 
erste Fläche zu, um sich mit ihr in spitzem Winkel zu treffen. 
Es ist nun klar, dass die Säule nicht vor die bearbeitete, als 
Tangente sich ihr anschliessende, wohl aber als Halbsäule vor 
die andere, aus Mauerwerk hergestellte Fläche vortrat. Dies 
hatte nur dann Sinn, wenn auf dieser Seite Halbsäulen an die 
Mauer gelehnt waren, wie in der Basilica. Nehmen wir also 
mit Recht an, dass diese Fragmente hierher gehören, so haben 
wir die letzterwähnte Seite als die Innenseite zu betrachten, 



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Die Basilica. 



179 



und in der That finden wir hier zu ebener Erde ganz ent- 
sprechende Dreiviertelsäulen: an den beiden Vorderecken des 
Tribunals, mit dem sie durch ein Mauerstllck verbunden sind. 
Dass diese Uebereinstiinmung in einer doch nicht eben häufigen 
Form zufällig sei, wird man schwerlich annehmen wollen, viel- 
mehr ist nichts wahrscheinlicher, als dass über diesen zwei Säulen 
am Tribunal zwei der erwähnten kleineren Säulen standen. Frei- 
lich aber werden damit nur zwei derselben untergebracht, während 
wir das Vorhandensein von vieren (so viel Capitelle und Ober- 
enden von Schäften sind erhalten) constatiren können, von denen 
eine nach rechts (von innen gesehen), drei nach links hin ein 
Wandstück abgeschlossen haben. Da aber ohne Zweifel eben 
so viele nach rechts wie nach links abschlössen, so dürfen wir 
sechs solche Säulen für bezeugt halten. Das links vorne am 
Tribunal liegende Dreivierteleapitell hat einen etwas anderen 
Maueransatz und gehört zu der an die rechte Ante des Tribunals 
angesetzten Säule. Es lehrt uns, im Verein mit den erhaltenen 
Säulenfüssen, dass die Säulen des Tribunals — und zwar die 
des unteren Stockwerks — den in Rede stehenden ganz gleich- 
artig waren, so dass es nicht möglich ist, zu entscheiden, ob 
ein Fragment hier oder dorthin gehört, wenn nicht, wie in 
diesem Falle, die ganz besondere Stellung zu Hülfe kommt. 

Sodann sind unter den Fragmenten vier Fttsse von Halb- 
säulen und drei Halbsäulencapitelle, ferner das oberste Stück 
des Schaftes einer Dreiviertelsäule, welche jedoch die Wand so 
abschliesst, dass beide Flächen derselben mit der Peripherie den 
gleichen Winkel bilden und eine die Mitte der Mauer repräsen- 
tirende Fläche die Säulenaxe treffen würde. Für die Halb- 
säulen wie für die Dreiviertelsäule lässt sich in dem übrigen uns 
bekannten Pompeji keine Verwendung finden, während auch sie 
im Erdgeschoss der Basilica ihr Gegenstück haben: die Dreiviertel- 
säule in den beiden äussersten der vier im Eingang stehenden 
Säulen, an deren jede gegen die den Seitenschiffen entsprechen- 
den Eingänge hin ein Wandstück genau in der bezeichneten Weise 
angesetzt ist (Gau's bei Overbeck wiederholte Ansicht der Ba- 
silica, Mazois III pl. XVI, ist in diesem Punkte ungenau, der 
Grundriss zeigt das richtige). 

Ferner sind 15 Capitelle von freien Säulen erhalten, von 

12* 



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180 



Capitel VII. 



denen freilich zwei so beschädigt sind, dass man nicht mit Sicher- 
heit sagen kann, ob sie nicht vielmehr den an erster Stelle be- 
sprochenen Dreiviertelsäulen angehört haben, und Schaftfragmente 
von mindestens 11 Säulen. Es sind also alle im Erdgeschoss 
vorkommenden Formen vertreten, mit Ausnahme der gekoppelten 
Ecksäulen. Diesen aber konnten in den Vorderecken einfache 
Viertelsäulen entsprechen; und in der That ist ein Viertel säulen- 
capitell erhalten, welches freilich auch dem Tribunal angehören 
kann. Nur für zwei Capitelle lässt sich unten nichts entsprechen- 
des nachweisen. Von diesen ist eines ein Doppelsäulencapitell, 
ringsum freistehend, mit Ausnahme der Hälfte einer Langseite, 
wo eine Mauer angesetzt zu haben scheint; es liegt rechts vorn 
am Tribunal. Das andere — östlich am Sudeingang — ist ein 
Pilastercapitell, von dem man nicht recht sagen kann, ob es 
von zwei oder drei Seiten sichtbar war. Dass alles dies zufallig 
sein und die Säulenfragmente doch anderswoher stammen sollten, 
wäre eine äusserst gewagte Annahme: gehören sie aber der 
Basilica an, so bieten sie für die Restauration derselben ein 
wichtiges und noch keineswegs ausgenutztes Material. 

An sich wäre es nicht gerade unmöglich, dass die ver- 
schiedene Höhe der Säulen und Halbsäulen einfach der Schrä- 
gung des unmittelbar auf ihnen ruhenden Daches entsprochen 
hätte. Die Neigung des Daches würde dann etwa 23°, die 
Länge der Dachbalken 14 Meter gewesen sein; doch brauchten 
ja letztere, in Anbetracht der in der Mitte zwischen First und 
Seitenwand stehenden Säulenreihe, nicht aus einem Stück zu sein. 
Diese Annahme, auf den ersten Blick die einfachste, muss so- 
fort verworfen werden, weil so die besprochenen Tuffsäulen- 
fragmente keine Erklärung finden. Ausserdem wUrden wir mit 
dem Licht in's Gedränge kommen, da, wie schon bemerkt, die 
Wand zwischen den Halbsäulen zu weit erhalten ist, als dass für 
hinlängliche Fenster der Platz übrig bliebe. 

Die Seitenwand muss noch höher gewesen sein als die 
Halbsäulen mit ihrem Gebälk, und muss in diesem oberen Theil 
durchbrochen gewesen sein, um Licht einzulassen. Damit stimmt 
das auf anderem Wege gefundene Resultat, dass von den Tuff- 
säulenfragmenten zunächst die Halbsäulen und die nur vor die 
eine Wandfläche vorspringenden Dreiviertelsäulen — welche 



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Die Basilica. 



181 



letztere eine durchbrochene Wand bezeugen — eben demselben 
oberen Theil der Seitenwände angehören, mit Ausnahme zweier 
von jenen Dreiviertelsäulen, welche an den Vorderecken des 
Tribunals ihren Platz finden. Die vor beide Wandflächen vor- 
springende Dreiviertolsäule findet den ihrigen über dem Eingang, 
ebenso zwei der freien Säulen. Von den Übrigen 13 können 4 
dem Tribunal angehört haben; betrachten wir weiter 2 als un- 
sicher, so müssen mindestens 8 in den durchbrochenen Theilen 
der Seitenwände verwandt gewesen sein und bezeugen eine starke 
Durchbrechung derselben; womit wieder die geringe Zahl der 
Dreiviertelsäulen, deren je zwei ein Wandstück nach rechts und 
links abschlössen, trefflich Ubereinstimmt. Um die freien Säulen 
unterzubringen, müssen wir an einander stossende offene Inter- 
columnien,um die Halbsäulen und Dreiviertelsäulen unterzubringen, 
einige an einander stossende geschlossene Intercolumnien an- 
nehmen. Die Anordnung derselben kann in verschiedener Weise 
gedacht werden: 4 je 2, oder 3 je 3, oder 2 je 4 Intercolumnien 
umfassende Oeffnuugeu. Das Pilastercapitell könnte allenfalls 
über einem der Eingänge seinen Platz gehabt haben; räthselhaft 
bleibt nur das Doppelcapitell. Die Wand war etwa 0,27 stark. 

Hieraus ergiebt sich nun eine weitere Bestätigung unserer 
bisherigen Resultate. Es vermindert sich nämlich immer mehr 
die Tragfähigkeit der Seiten wände, und es wird also immer 
unwahrscheinlicher, dass sie die Hauptlast des Dachstuhls trugen; 
dieselbe muss vielmehr auf den grossen Säulen geruht haben, 
und zwar ohne Vermittelung einer oberen, schwächeren Säulen- 
stellung. 

Bis hierher können unsere Resultate als sicher oder doch 
in hohem Grade wahrscheinlich gelten. Fragen wir nun weiter 
nach der Art der Bedachung, namentlich wie sich die Bedachung 
des Mittelraumes zu der der Portiken verhielt, so sind wir frei- 
lich gezwungen, uns auf das Gebiet der Vermuthung zu begeben. 

Die Sache wäre einfacher, wenn wir das Höhenverhältniss 
der Seitenwand zu den Säulen mit ihrem Gebälk mit Sicherheit 
feststellen könnten. Nehmen wir für die Halbsäulen dasselbe 
Verhältniss an, wie oben für die grossen Säulen, die Höhe gleich 
9 Durchmessern, für die kleinen oberen Säulen, die im Verhältniss 



182 Capitel VII. 

zu ihrer Stärke viel weitläufiger stehen, das von Vitruv (III, 
3, 10) für weitläuftige Säulenstellungen (araeostylos) geforderte 
Verhältniss, die Höhe gleich 8 Durchmessern, und berechnen wir 
das Gebälk beider ebenfalls nach den Vitruv'schen Verhältnissen 
(III, V, 8 ff.), so erhalten wir eine etwas grössere Höhe für die 
Seiten wand: 

grosse Säulen . 10,15 (mit korinthischen Capitellen) 
Gebälk. . . . 2,14 

12,29 

• 

Halbsäulen . . 7,11 
Gebälk .... 1,37 
obere Säulen . 4,16 
Gebälk. . . . 0,f>0 



13,24 

Danach wäre die Seitenwand um 0,95 höher gewesen, und da 
die Porticus (bis zu den Centren der Säulen) 5,80 breit ist, so 
würde ein das Gebälk der grossen Säulen mit der Seitenwand 
verbindendes Dach eine Neigung von 10° gegen den Innenraum 
gehabt haben. Dass die grossen Säulen korinthische Capitelle 
hatten, wie bei dieser Rechnung (mit Mazois) angenommen wurde, 
ist mit Rücksicht auf die obere Säulenstellung der Seitenwände 
wahrscheinlich: war es nicht der Fall, so wird dadurch die Höhen- 
differenz und die Neigung des supponirten Daches noch grösser. 

Indess dies Verhältniss, wenn es uns auch als wahrscheinlich 
erscheint, kann doch nicht als erwiesen gelten. Vielleicht war 
die sich uns ergebende Höhendifferenz durch gedrücktere Ver- 
hältnisse, namentlich der unteren Halbsäulen, vielleicht auch durch 
erhöhtes Gebälk der grossen Säulen ausgeglichen, so dass letz- 
teres und das der oberen Halbsäulen die gleiche Höhe erreichten: 
eine sachverständigere technische Untersuchung wird hier vielleicht 
bestimmteres ermitteln können. 

Wir nähern uns mit dieser Annahme der Restauration Ma- 
zois' (in, pl. XVII. XVIII). Auch nach ihm hatten die Seiten- 
wände über dem Gebälk der Halbsäulen noch einen oberen 
Wandtheil, aus dem gleichfalls Halbsäulen hervortraten; zwischen 
je zwei Halbsäulen war ein hohes viereckiges Fenster. Die Ca- 
pitelle der oberen Halbsäulen erreichen die gleiche Höhe mit 



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Die Hasilk-a. 



183 



denen der grossen Säulen. Auf den letzteren liegt zweierlei 
Gebälk: ein niedriges, gleich dem der oberen Halbsäulen, nach 
der Seite der Portiken, ein höheres, der Höhe der Säulen selbst 
angemessenes, gegen den Mittelraum. Sowohl über diesem als 
über den Portiken nimmt Mazois eine cassettirte Decke an. Die 
so entstehende Höhendifferenz ermöglicht einen grossen, den 
ganzen Hauptraum bedeckenden Dachstuhl. 

So ohne weiteres kann nun diese Restauration keinenfalls 
acceptirt werden, schon weil sie den erhaltenen Tuffsäulen- 
fragmenten keine Rechnung trägt: wir müssen sie zunächst dahin 
modificiren, dass die Durchbrechung des oberen Wandtheils so 
war, wie oben dargelegt wurde. Ferner ist doch die Annahme 
wenig befriedigend, dass die grossen Säulen gegen die Portiken 
nur ein niedriges, den kleinen oberen Halbsäulen der Wand 
entsprechendes Gebälk gehabt haben sollen. Lieber werden wir 
annehmen, dass die Säulen von den Halbsäulen um ein weniges 
tiberragt und die Differenz durch das Gebälk, welches über den 
Säulen nach beiden Seiten gleich war, ausgeglichen wurde. Damit 
verlieren wir nun zwar die für den Dachstuhl erforderliche Höhen- 
differenz, doch konnte diese durch eine Aufmauerung über dem 
Gebälk der grossen Säulen hergestellt sein. 

Ferner : ein der ganzen Länge des Hauptraumes entsprechen- 
des, über der Ostfront und über den Säulen zwischen Haupt- 
raum und Tribunal durch Tympana abgeschlossenes Dach ist 
schwerlich anzunehmen; schon deshalb nicht, weil dann die je 
zwei Mittelsäulen der kurzen Portiken nur dienten, diese vom 
Mittelraum zu trennen, constructiv aber werthlos waren, was um 
so bedenklicher ist, als durch diejenigen der Westseite in uner- 
wünschter Weise das Tribunal für den im Mittelraum stehenden 
verdeckt wird. 

Zu weiteren Bedenken führt der Versuch, die Ostfront, gegen 
das Forum, zu reconstruiren. Die Säulen und Dreiviertelsäulen 
derselben setzen die Halbsäulen der Langseiten fort; sie sind 
ihnen an Dicke und selbstverständlich auch an Höhe gleich, 
mussten also auch in entsprechender Weise eine obere Säulen- 
stellung tragen; und wir sahen (S. 178), dass eine Dreiviertel- 
säule erhalten ist, welche eben nur hier passend untergebracht 
werden kann. Bedeckte nun aber ein grosses Giebeldach den 



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184 



Capitcl VII. 



ganzen Hauptraum, vom Tribunal bis zur Vorballe, bo war es 
unvermeidlicb, dass eben bier, dem Forum zugewandt, ein Tym- 
panon lag, welches scbon wegen seiner ausserordentlichen 
Breite nicht ganz leichte und zierliche Verhältnisse haben konnte. 
Wenn wir nun zu der Annahme gezwungen sind, dass dies auf 
einer doppelten Säulenstellung lag, deren obere Säulen noch 
dazu verhältnissmässig leicht waren, so ist dies sicher ein für 
den Schönheitssinn sehr unbefriedigendes, auch jeder Analogie 
entbehrendes Resultat. Und es bleibt nicht einmal die schlechte 
Ausrede übrig, als sei dieser Uebelstand von dem nun einmal 
aus anderen Gründen für zweckmässig befundenen Bauplan un- 
zertrennlich gewesen; denn nichts hinderte den Architecten, hier 
an die Stelle- der doppelten Säulenstellung eine einfache zu 
setzen, die Eingangsäulen an Dicke und Höhe nicht den Halb- 
säulen, sondern den grossen Säulen der Portiken gleich zu machen 
und auf ihnen direct das Tympanon aufliegen zu lassen. Wir 
werden also wohl schliessen dürfen: weil hier eine doppelte 
Säulenstellung war, so war kein Tympanon, also auch kein bis 
hierher reichendes Giebeldach. Hatte der ganze Hauptraum ein 
gemeinsames Dach, so muss dies nach allen vier Seiten geneigt 
gewesen sein, so dass die Länge des Firstes noch geringer war 
als die des von den Portiken eingeschlossenen Mittelraumes. 
Hierbei ergiebt sich der Uebelstand einer Dachtraufe über dem 
Haupteingange, ein Uebelstand, der durch höhere Eingangsäulen 
und ein über denselben angebrachtes Tympanon leicht vermieden 
werden konnte. 

Wenn wir also eine solche Constructionjiicht als unmöglich 
abweisen dürfen, so werden wir doch wohl thun, auch eine andere 
Möglichkeit in's Auge zufassen, die nämlich, dass die mediana 
testudo nur den mittleren, von den Portiken eingeschlossenen 
Raum bedeckte, diese letzteren aber ihr gesondertes Dach hatten. 
Eine solche Construction aber ergiebt sich von selbst, sobald 
wirklich die Seiten wände, wie wir oben ausrechneten, höher 
waren als die Säulen mit ihrem Gebälk: das nach innen sich 
senkende Dach der Portiken musste dann auf eben diesem Ge- 
bälk mit dem des Mittclraumes zusammentreffen. Letzteres 
konnte vorn und hinten entweder in Tympana endigen, welche 
auf den Säulen der kurzen Portiken ruhten, oder auch hier al>- 




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Die Basiliea. 



18Ö 



geschrägt sein. Das Tribunal und die beiden daneben liegenden 
Zimmer hatten verniutblich ihr gesondertes, nach hinten geneigtes 
Dach; die Vorhalle dürfte unbedeckt gewesen sein. 

Es erhebt sich alsdann die Frage: wo blieb das zwischen 
den beiden Dächern zusammenfliesseude Regen wasser? Zunächst 
ist klar, dass der Boden der so entstehenden Kinne an einer 
oder mehreren Stelleu durchbohrt sein und das Wasser durch 
Bleiröhren aufgefangen und seiner weiteren Bestimmung zu- 
geführt werden niusste. Dass Bleiröhren zur Abführung des 
Regenwassers benutzt wurden, scheint allerdings nicht die Regel 
gewesen zu sein, wie die in Privathäusern und öffentlichen Por- 
tiken durchaus üblichen steinernen Regenrinnen beweisen, kann 
aber doch mit Sicherheit belegt werden: zwei solche Fälle habe 
ich im Bull. d. Inst, verzeichnet: 1874, S. 65 (VII, 15, 8) und 
1876, S. 244 (V, 1, 23). Im letzteren Falle ist die weite (0,08) 
senkrechte Röhre, oben mit gefassförmiger Erweiterung, unteu 
in den Brunnen einmündend, erhalten, während am erstoren Ort 
eine solche Vorrichtung aus der Abwesenheit der steinernen 
Regenrinnen erschlossen wurde. Ein weiteres Beispiel, mit er- 
haltenem Rohr, bietet die Fullonica VI, 14, 23; vgl. auch Vitruv 
VI, 3, 2, nach welchem beim atrium displuviatum sowohl 
horizontale (canales) als verticale (fistulae) Regenrinnen zur 
Anwendung kamen. 

Fragen wir weiter, wohin das Wasser geleitet wurde, so 
denken wir naturgemäss zunächst an die am Fuss der Säulen 
auf drei Seiten (mit Ausnahme der Westseite) sich hinziehende, 
an den Ecken uud noch zweimal auf jeder Langseite durch 
Bassins unterbrochene Rinne (Mazois III, pl. XV). Die Bassins 
betrachtet Gau (bei Mazois III, S. 138) als offen und zur Auf- 
nahme des Wassers bestimmt: in diese, könnte man denken, 
mündeten die Bleiröhren. 

Von dieser Rinne sah man bisher nichts als die Ziegel, 
mit denen sie zugedeckt war; Schöne (bei Nissen S. 201) glaubte 
deshalb, die ganze Rinne sei aus Ziegeln. Da es, um über die 
ganzo Anlage in's Klare zu kommen, dringend wünscheuswerth 
war, die Beschaffenheit der Rinne genau zu kennen, so Hess 
Herr Director Ruggiero dieselbe auf meine Bitte wieder auf- 
graben. Es ergab sich, wie zu erwarten, dass Mazois' Zeich- 



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18(> 



Capitel VII. 



uung vollkommen genau ist, ausserdem aber einige Eigentüm- 
lichkeiten, die aus der Zeichnung nicht ersichtlich sind. Der 
Durchschnitt der Rinne bildet ziemlich ein Quadrat von 0,15; 
sio ist aus Incertum hergestellt und mit Ziegelstuck von geringer 
Festigkeit bekleidet, an den von Mazois bezeichneten Stellen 
durch Bassins von annähernd quadratischer Gestalt unterbrochen: 
die Seiten derselben variiren von 0,52 bis 0,59. Und zwar bilden 
sie mit der Rinne ein eigenthümliches System: die letztere senkt 
sich nämlich von einem Bassin zum anderen, so dass sie in jedem 
derselben, mit Ausnahme der Endbassins, an der Nordwest- und 
Slldwestecke, und desjenigen an der Nordostecke, eine Einmün- 
dung und einen höher liegenden Auslauf hat. Der Ausgangs- 
punkt dieses Systems ist nämlich eben das Nordostbassin: von 
da senkt sich die Rinne gegen das nach Westen nächste, und 
so weiter die Nordseite entlang bis an das Westende derselben, 
andererseits gegen das südöstliche Eckbassin und weiter bis zum 
Westende der Südseite. Das Nordostbassin ist 0,30 tief, die der 
Nordseite 0,48; 0,49; 0,50; die der Südseite von Osten 0,45; 
0,48 — 50; 0,49; 0,49. Die Rinne liegt da, wo sie vom Nord- 
bassin ausgeht, so hoch, dass sie mit demselben sich nicht mehr 
berührt, namentlich auf der Südseite; sollte aus dem Bassin 
Wasser hineinlaufen, so niusste der Boden wesentlich höher sein, 
als er jotzt erseheint. Sie ist bedeckt mit fragmentirten Ziegeln, 
auf denen sich wiederholt der oskische Stempel 3inVfTIN 
findet. 

Die Rinne also, statt die Reconstruction des Gebäudes zu 
erleichtern, giebt uns nur neue Räthsel auf. Dies System der 
immer von eiuem Bassin zum anderen sich senkenden Rinne kann 
nur eiueu Zweck haben: das Wasser, welches von der Nord- 
ostecke aus durch die Bassins hindurch an die Südwest- und 
Nord westecke gelangte, wurde unterwegs in den Bassins abge- 
klärt. Wo es aber schliesslich blieb, zu welchem Zweck es in 
die Kndbassius, welche keinen Abfluss haben, geleitet wurde, 
das bleibt räthselhaft. Auf die Frage, wohin das vom Dache 
kommende Wasser geleitet wurde, giebt uns diese Rinne keine 
Antwort; denn durch das auf eiu so grosses Dach fallende Wasser 
musste sie in einem Augeublick überfällt werden: selbst für das 
Wasser der Toniken allein würde sie nicht im mindesten genügt 



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Die Basilica. 187 

haben; und vor allem niüsstc ein Abflugs da sein. Am aller- 
wenigsten kann natürlich eine nur 0,15 breite Rinne mit qua- 
dratischem Durchschnitt einfach einer Dachtraufe entsprochen 
haben, zumal unter einer so hohen Porticus; ohne Zweifel würde 
man für solchen Zweck eine breite Tuffrinne gemacht, sie auch 
an allen vier Seiten herumgeführt haben: in dieser Beziehung 
bleibt das von Schöne (bei Nissen S. 201) gesagte vollkommen 
bestehen. 

Was über diese räthselhafte Rinne allenfalls gesagt und 
daraus geschlossen werden kann, ist folgendes. Da sie nach dem 
gesagten zur Fortleitung des Wassers nicht dienen konnte, so 
bleibt nur übrig, dass man zu irgend einem uns dunkeln Zweck 
Wasser hierher, und zwar an die Nordostecke, von wo das 
System ausgeht, leiten und durch dies ganze System abklären 
wollte. Dann aber ist schwer anzunehmen, dass dies anderes 
als Regenwasser gewesen sein sollte, und wenn Gelegenheit war, 
an diese Stelle Regenwasser zu leiten, so scheint das für die 
in Rede stehende, von beiden Seiten auf das Gebälk der grossen 
Säulen geneigte Dachconstruction zu sprechen. Für die Haupt- 
masse des Regenwassers musste dann freilich ein anderer Abfluss 
vorhanden sein. Indess wird es gerathen sein, allen aus einer 
Vorrichtung so unklarer Bestimmung* gezogenen Schlüssen ge- 
ringes Gewicht beizulegen, zumal die wenig solide Construction 
und die dürftige Beschaffenheit des Stucks nicht eben auf hohes 
Alter deuten. 

Fragen wir also von neuem, wohin denn bei der ansrejfe- 
benen Dachconstruction das Regen wasser geleitet werden konnte, 
so ergiebt sich uns eine weitere Frage, die wir auch nicht be- 
antworten können; nämlich: gab es Ci-ternen in der Basilica? 

Eine scheinbare Brunnen" nainz linden wir auf der Nord- 
seite, gegenüber dem Eingang: ein Marm<ji>tein , OfA— 0,90 im 
Quadrat, hoch 0.23. mit runder Öffnung von 0.43—0,45 im 
Durchmesser, die sich nach unten etwas erweitert: um dieselbe 
läuft ein etwa u.03 hoher 0.13 brei:er Rand, dessen Oberfläche 
für die Aufnahme des Püteal raun bearbeitet Ist. Es ist die* 
aber eben nur eine schein Irare Brunnen »"»ffnung and liegt a-if 
einem auch innerhalb der Oeffnung nicht unterbrochenem Pig- 
ment aus opus Signinum. welches drinnen rings arn Rau le i*r 



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t 



188 Capitel VII. 

Oeffnung eine ringförmige Erhöhung hat: es geht daraus hervor, 
tlass diese Brunnenmündung hier schon lag, als das Paviment 
geglättet wurde. Ein Bleirohr — äusserer Durchmesser nicht 
über 0,04 — senkt sich aus dem inneren schräg gegen Süden, 
und kommt unten am Rande des erhaltenen Pavimentstücks, 
hier etwas nach Westen gebogen, zum Vorschein. — Ein ähn- 
lich geformter Stein aus Lava liegt weiter östlich auf dem 
Fundament der Säulenreihe; auch hier ist keine Oeffnung; von 
Paviment ist hier nichts erhalten. Dasselbe gilt endlich von 
dem Fragment eines dritten derartigen Steines, «auch aus Lava, 
welcher dem letztgenannten gegenüber zwischen den Säulen der 
Südseite liegt. Nun können zwar Brunnenöffnungen aus so un- 
scheinbarem Stein nicht wohl als blosse Zierde verwandt gewesen 
sein; doch niuss uns jene Marmoröffnung, die keinem Brunnen 
entsprach und doch irgend einem Zweck diente, etwas miss- 
trauisch machen, und wir werden die Existenz von Cisternen, 
welche das Regenwasser hätten aufnehmen können, nicht für 
erwiesen halten dürfen. Nachgrabungen würden hierüber Ge- 
wissheit geben können. 

Gab es keine Cisternen, so bleibt immer noch die Möglich- 
keit, dass das Wasser irgend wie durch Röhren auf die Strasse 
geleitet wurde. 

Also: diejenige Bestätigung für eine Dachconstruction wie 
die in Rede stehende, welche sich ergeben würde, wenn wir 
nachweisen könnten, wie für den Ablauf des Regenwassers 
gesorgt war, ist nicht vorhanden; andererseits aber ist eben so 
wenig erweislich, dass die bezüglichen Vorrichtungen fehlten. 
Es ist mithin möglich, dass das Dach die bezeichnete Form 
hatte. Das Vorhandensein von Stirnziegeln aus der Basilica be- 
weist nicht dagegen: sie können dem nach hinten gesenkten 
Dache des Tribunals und der beiden Seitenzimmer angehören, 
und in der That wurde einer, ähnlich oder gleich dem einen 
(palmettenförmigen) der beiden bei Gell und Gandy (Pompejana 
Tafel 50) abgebildeten, bei der schon erwähnten Nachgrabung 
auf der Rückseite der Basilica gefunden. 

Waren aber doch Wand und Säulen gleich hoch, so konnten 
die Portiken zunächst mit einer horizontalen, vermuthlich casset- 
tirten Decke versehen sein; doch musste über derselben durch 



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Die Kasilica. 



189 



ein schräges Dach für Abfluss des Wassers gesorgt sein. Und 
zwar konnte dies einfach so gemacht werden, dass man über 
dem Gebälk der oberen Halbsäulen noch etwas aufmauerte und 
von da das Dach sich gegen die grossen Säulen hin senken Hess, 
so dass dann die Dachconstruction wesentlich die gleiche war 
wie bei der vorigen Annahme, und auch in Betreff des Wassers 
auf die gleichen Fragen sich die gleiche Antwort ergiebt. Oder 
es konnte über dem Gebälk der Säulen aufgemauert und das 
Dach der Portiken nach aussen gesenkt sein; auch dann bleibt 
die Frage wegen des Wassers dieselbe, nur dass das auf die 
Portiken fallende nicht in Betracht kommt. Vielleicht konnte 
auch das Dach der letzteren mit seinem oberen Ende auf dem 
des Mittelraumes, etwas oberhalb seines Fusses, aufliegen und 
von da sich gegen die Strasse senken, auf welche dann das 
ganze Regenwasser abfloss. 

Es ward schon bemerkt, dass in der scheinbaren Brunnon- 
öffnung gegenüber dem Nordeingang und rings um dieselbe ein 
Stück Paviment aus opus Signinum erhalten ist. Abgesehen 
von dem durch die dunkle Bestimmung des scheinbaren Brunnens 
aufgegebenen Räthsel ist das Factum noch in anderer Beziehung 
bemerkenswerth, nämlich durch das hohe Niveau des Fussboden- 
restes. Die Oberfläche desselben liegt nämlich in gleicher Höhe 
mit derjenigen der Lavabasen der Säulen und der Stufe, auf der 
die Halbsäulen stehen, etwa 0,18 über dem jetzigen Boden; und 
zwar beruht diese Hphe nicht etwa auf einer Aufmauerung, so 
dass man annehmen könnte, es sei gerade nur an diesem Punkte 
eine Erhöhung gewesen, sondern nur auf der Dicke der Pavi- 
mentmasse. Auf einen Fussboden in dieser Höhe scheinen ferner 
vielfache Stuckreste an den Seitenflächen der Säulenbasen zu 
deuten ; bedeutender als anderswo sind sie z. B. an der West- 
seite der Säule links vom Südeingang, an der Ostseite (also 
dem Mittelraum zugekehrt) der Säule südlich vor dem Tribunal, 
an der Säule links vom Nordeingang: Uberall ist es harter Sand- 
stack, wohl geeignet zur Unterlage für opus Signinum. Wirk- 
liche Reste von Signinum sind vielleicht auf der Westseite einer 
Säule der südlichen Porticus, der dritten von Westen, erhalten: 
wenigstens ist in dem dort erhaltenen Stuck eine starke Bei- 
mischung von Ziegel zu constatireu. — Die Seitenflächen der 



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190 



Capitel VII. 



Säulenbasen sind keineswegs einfach vertical und gleichmässig 
bearbeitet, sondern der obere Kand (c. 0,05) tritt etwas weiter 
zurück und ist in vielen Fällen deutlich glatter gearbeitet. Es 
lässt dies kaum eine andere Erklärung zu, als dass nur dies 
obere Stück bestimmt war, aus dem Fussboden hervorzuragen. 
Wenn aber eine solche Absicht bestand, so scheint dieselbe nicht 
zur Ausführung gekommen zu sein; denn wenn wir sehen, dass 
an der Säule links vom Stideingang die erwähnten Reste ganz 
bis an den oberen Rand der Basis gehen, und hier noch gar 
nicht einmal Signinum sind, so wird es wahrscheinlich, dass 
hier, wie bei den Halbsäulen, die unterste Hohlkehle im Signi- 
num verborgen war: es würde dies mit der Höhe der bei der 
Brunnenöffnung erhaltenen Reste übereinstimmen. 

Wie weit erstreckte sich nun dieser so hoch gelegene Fuss- 
boden? So viel ist klar, dass die Portiken tiefer lagen: das 
Niveau der Eingänge, die Stuckbekleidung auf der Seitenfläche 
der Stufe für die Halbsäulen lassen darüber keinen Zweifel auf- 
kommen. Da es nun nicht wohl denkbar ist, dass nur der Sty- 
lobat, auf dem sich die Brunnenmündung befindet, durch eine 
Erhöhung bezeichnet gewesen sei — abgesehen von allem an- 
deren würde man eine solche Erhöhung doch ohne Zweifel aus 
Incertum, wie die Stufe für die Halbsäulen, mit den Fundamenten 
zusammen aufgemauert haben — so sehen wir uns zu der aller- 
dings seltsamen und überraschenden Annahme gedrängt, dass 
der Mittelraum einschliesslich des Stylobats höher lag als die 
Portiken. Und dafür scheinen auch die dem Mittelraum zu- 
gewandten Stuckreste an den Säulenbasen zu sprechen, wenn 
gleich diese auch allenfalls als Reste einer Stuckbekleidung auf- 
gefasst werden könnten. — Einen höheren Fussboden scheint 
auch die Basis vor dem Tribunal vorauszusetzen, denn ihre 
Seitenflächen bestehen erst etwa von der Höhe der Säulenbasen 
an aus Tuffziegeln, weiter unten aus ganz unregelmässigem Incer- 
tum, welches namentlich nach Westen stark vorspringt, also doch 
wohl als Fundament zu fassen ist. Freilich könnte es sich hier 
nur um ein sehr junges Paviment handeln: am Fuss der Basis 
ragt östlich ein Fragment von einer jener kleineren Tuffsäulen 
hervor, und es scheint — nähere Untersuchung wäre wünschens- 
werth — dass es schon da gelegen haben muss, als die Basis 



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Die Kasilica. 



191 



errichtet wurde. Endlich konnte in einem höheren Fusshoden 
die oben besprochene Rinne mit dem Bassin an der Nordostecke 
in Verbindung stehen: eine solche Verbindung ist jetzt nicht 
vorhanden, und konnte nur oberhalb der jetzigen Oberfläche 
stattfinden. 

Diese Thatsachen, über deren Zusammenhang für jetzt keine 
genügende Aufklärung gegeben werden kann, mögen hiermit 
kurz erwähnt und der Beobachtung Mitforschender empfohlen sein. 

Von der Wanddecoration der Basilica war schon oben kurz 
die Rede. Sie zeigt im inneren die gewöhnliche Form des ersten 
pompejanischen Decorationsstils, Nachahmung bunter Marmor- 
platten, in der Vorhalle und auf der Aussenseite — im Süden 
und Norden erhalten — einen gelben Sockel, der durch einen 
etwas vorspringenden Streifen von der oberen, weissen Wand- 
fläche getrennt ist: auch dies eine häufige Form jenes Stils. 
Durch neuen Stuck ersetzt ist diese Decoration namentlich auf 
dem östlich des Einganges liegenden Stück der Nordwand, Hier 
ist zunächst, beginnend an der Holzverschalung der Thür, in 
einer Länge von 12,75 der alte Stuck vom Boden an bis zur 
Höhe von 2,45 entfernt und durch einen jüngeren rothen Stuck 
ersetzt worden, welcher in der Mitte des bezeichneten Stücks eine 
2,95 lange, c. 1,25 hohe rechtwinklige Ausbiegung nach oben 
hat. Die völlig geraden Linien, mit denen der alte und der 
neue Stuck zusammentreffen, lassen keinen Zweifel, dass der 
erstere nicht durch die Zeit oder Zufall zerstört war, sondern 
absichtlich entfernt wurde, um der Mauer einen zeitge- 
mässeren Schmuck zu geben. Von da nach Osten folgt in der- 
selben Höhe ein noch jüngerer Stuck, von hellerem Roth, mit 
zwei eben solchen Ausbiegungen nach oben, deren zweite der 
Vorhalle entspricht: dass dieser zweite rothe Stuck jünger ist 
als jener erste, ist da, wo sie zusammenstossen, deutlich kennbar. 
Dieser rothe Stuck bietet den einzigen Ort, wo die in den 
Rapporti unter dem 10. Februar 1814 erwähnten Malereien ge- 
wesen sein können: grandiose architetture grottesche e 
nel mezzo di queste delle figure. Nach den Resten des 
ornamentalen Theils der Malereien zu urtheilen kann es mit der 
Grandiosität nicht weit her gewesen sein, doch ist es sehr wohl 



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192 



Capitcl VII. 



denkbar, dass die durch die erwähnten oberen Ausbiegungen ge- 
bildeten grösseren Felder in der Mitte Figuren enthielten. Waren 
diese auf den rothen Grund gemalt, so ist ihr in den Rapporti 
erwähntes Abfallen in Folge der starken Fröste wohl begreiflich, 
da alles, was auf schon bemalten Grund aufgesetzt ist, von ge- 
ringer Haltbarkeit zu sein pflegt. 

Die durch diese jüngeren Malereien bezweckte Verschöne- 
rung galt nicht der Basilica, sondern dem an's Forum anstossen- 
den Theil der strada della Marina: wir finden nämlich den 
rothen Stuck jenes ersten, dem Eingang zunächst liegenden Ab- 
schnittes in ganz gleicher Weise auch auf der gegenüberliegenden 
Umfassungsmauer des Venustempels. Nur jene Ausbiegungen 
nach oben finden sich dort nicht; theilweise zwar sind die be- 
treffenden Theile zerstört, doch war gegenüber der dem Forum 
zunächst liegenden sicher keine vorhanden. Hier ist dieser Stuck 
jünger als eine den ersten Stil imitirende, sicher aber einer 
späteren Periode angehörige Decoration dieser Umfassungsmauer. 

Dass die Basilica in oskischer Zeit erbaut sei, hat Nissen 
aus den Massen zu erweisen gesucht. Da mir eigene sorgfältige 
Messungen zu Gebote stehen und es wichtig ist, über die für dies 
Alterskriterium anzuwendende Methode möglichst in's klare zu 
kommen, so dürfte eine Revision der Frage, welche bei Nissen 
doch einfacher erscheint, als sie ist, wohl am Platze sein. 

Es ist hier wohl zu unterscheiden zwischen denjenigen Ent- 
fernungen, welche durch die dem Bau vorausliegenden localen 
Verhältnisse von vom herein gegeben waren, und denen, welche 
der Architect nach freiem Ermessen bestimmen konnte. Nur die 
letzteren beruhen auf einer bei Anlage des Baues vorgenommenen 
Messung, nur bei ihnen können wir darauf rechnen, dass sie — 
wenn eben genau nach Mass gearbeitet wurde — ein mehr oder 
weniger einfaches Mass repräsentiren. Wenn dies trotzdem auch 
bei den durch die Verhältnisse vorgeschriebenen Entfernungen 
der Fall sein sollte, so hat es natürlich für den vorliegenden Bau 
keine Beweiskraft, sondern kann eben so gut auf eine ältere, 
nach Mass gemachte Disposition des Raumes zurückgehen. 

Dass zunächst die Länge des ganzen Baues gegeben war, 
lehrt die auf jedem Plan erkennbare unregelmässige Gestalt des- 



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I>ie ßasilica. 



selben, welche nicht bloss auf einer Anboquemung der Ostfront 
an die etwas abweichende Richtung des Forums beruht: auch 
das südliche der neben dem Tribunal liegenden Zimmer ist tiefer 
als das nördliche. Hier beträgt die Differenz 0,565 (5,515 und 
4,95); in der Vorhallo 0,62 (5,14 und 4,52), während im Haupt- 
raum die Nordseite (54,92) um 0,03 länger ist als die Südseite 
(54,89). Die Differenz also ist im ganzen 0,565 -\ 0,62 - 0,03 
= 1,155, über doppelt so gross als sie Nissen nach Kreton 
angiebt (67,08 - 66,60 = 0,48). In der That ist auch die von 
Nissen berechnete mittlere Länge von 243' osk. keine über- 
zeugende Grösse. Auch auf die Breite des Ganzen ist nicht 
viel Gewicht zu legen; denn es hat ganz den Anschein, als sei 
das Gebäude auf dem Boden einer zu diesem Zweck expro- 
priirten Insula errichtet worden und entspreche genau dem 
Umfang derselben: sollte die Breite der Insel einem runden 
Masse entsprechen, so hat das mit dem uns beschäftigenden Bau 
nicht nothwendig zu thun. Nissen berechnet die Breite auf 
92 V 4 Fuss oskisch: auch dies ist keine runde und überzeugende 
Grösse, übrigens auch nicht genau richtig. Folgendes ist die 
Breite an der Vorderseite, so genau ich sie habe ermitteln 
können: 

Innere Breite . . . 23,86 
2 Stucklagen . . c. 0,06 
Nordmauer .... 0,685 
Südmauer 0,65 

25,255 = 91' 10" osk. 

Hierbei ist noch zu bemerken, dass die Dicke der Südmauer 
an der einer späteren Zeit angehörigen Thür gemessen ist. Wir 
werden annehmen dürfen, dass die Südmauer an Stärke der 
Nordmauer gleich ist und erhalten so eine Gesammtbreite von 
25,29 = fast .92' osk. (— 10 Mill.). Rechneu wir hinzu, dass 
hinten die innere Breite um 0,04 grösser ist, so können wir für 
das ganze Gebäude ziemlich genau 92' annehmen, eine Zahl, 
welche ich nicht für metrologisch beweisend halten möchte: 
schon die kleine Verschiedenheit der Vorder- und Rückseite 
muss uns warnen, das blosse Aufgehen in Fusse, ohne Bruch, 
für entscheidend zu halten. 92' osk. entsprechen 85' 5" Wim. 

Mnu, |>»iiip<-jan. Beitrüge. 



194 



Capitel VII. 



Wichtig aber sind die Verhältnisse des grossen Hauptraumes. 
Zwar die Breite war auch hier gegeben : vorn 23,86, hinten 23,90, 
dazu 2 Stuckbekleidungen, also c. 23,95 = 87 f 1", was eher knapp 
gerechnet ist (röm: 80' 11"). 

Die Länge ist auf der Nordseite 54,92, auf der Südseite 
54,89, bleibt also um 5 Zoll unter den von Nissen berechneten 
200*; doch liegt es allerdings nahe, eine so vorzugsweise runde 
Zahl trotz diesem nicht ganz genauen Zutreffen für beabsichtigt 
zu halten. — Reduciren wir jedoch dieselbe Entfernung auf 
römisches Mass, so erhalten wir auch hier eine von einer sehr 
annehmbaren Grösse nicht weit entfernte Zahl: 185'/,. Und 
wenn wir bedenken, dass 80' 11" von 80* nicht eben viel weiter 
entfernt sind, als 199' 7 resp. 2" von 200\ so können wir, mit 
einiger Abrundung der Zahlen, die Dimensionen des Ilauptraumes 
so feststellen: 

oskisch: 87 x200 
römisch: 185 X 80 
Die Zahlen für sich geben hier keine Entscheidung: sie sind 
eher dem römischen Masse günstig; für das oskische spricht nur 
der Umstand, dass eben die auf ganz freier Messung des Archi- 
tecten beruhende Länge der «eminent runden Zahl so nahe 
kommt, und allenfalls die Erwägung, dass auf die grössere 
Distanz die Ungenauigkeit leichter eintreten konnte. 

Es sei noch bemerkt, dass obige Masse bis an die eigent- 
lichen Mauern genommen sind, ohne Berücksichtigung der Stufe, 
auf der die Halbsäulen stehen und der vorspringenden Lavabasis 
der Ostseite. Man könnte aber auch Stufe und Basis zur Mauer 
und den inneren Raum bis an den Fuss derselben rechnen. 
Wir erhalten so für die Länge 

auf der Nordseite 54,67 = 198' 10" osk. = 184' 8" röm. 
auf der Südseite 54,80 = 199' 2" „ = 185' 2" , 
und für die Breite vorn 22,64 = 82' 4" „ = . 76' 6" „ 

hinten 22,68 = 82' 6" n = 76' 7%" „ 
Da aber bei dieser Rechnung die Länge hinter 200' osk. noch 
mehr als bei jener anderen zurückbleibt, auch die Differenz 
zwischen der nördlichen und südlichen Länge grösser wird, so 
werden wir wohl die erste Rechnung vorziehen dürfen. 

Wichtig ist ferner der von den Säulenreihen eingeschlossene 



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I >ie Hasiliea. 



196 



Raum, und die Längen der Säulenreiben selbst. Es fragt sieb, 
wo hier die massgebende, vom Arcbitocten zu Grunde gelegte 
Entfernung zu suchen ist. Zunächst darf es uns niebt einfallen, 
etwa von der Breite der Portiken auszugeben, und den Mittel- 
raum als das alsdann übrig bleibende zu fassen. Ausser dem 
oben (S. 166) über die Bedeutung des Mittelraumes gesagten sei 
hier noch bemerkt, dass die Breite der Portiken ungleich ist: 
die der Langseiten (5,09) sind tiefer als die der Schmalseiten 
(4,65— 4,70). Also auf die Säulenreiben selbst und den von ihnen 
eingeschlossenen Raum kommt es au. Wie ist nun hier zu 
messen? Auf Tuffstylobaten älterer Bauten sind die Centren der 
Säulen durch eingeritzte Linien bezeichnet: man könnte 1) die 
Entfernungen der Centren der Ecksäulen für die zu Grunde ge- 
legten halten, wenngleich bei der curia Isiaca ein rundes Mass 
sich erst dann ergiebt, wenn man die Säulen selbst mitrechnet. 
Da jedoch hier ein Stylobat, auf dem die Entfernungen hätten 
aufgetragen werden können, nicht vorhanden ist, so ist diese 
Annahme wenig wahrscheinlich: die dann sich ergebenden Masse 
sind im Folgenden der Vollständigkeit halber mit aufgeführt, 
Ferner kann man sowohl 2, am äusseren als 3, am inneren Fuss 
der Säulenbasen entlang messen: letzteres würde gut zu der oben 
entwickelten Anschauung passen, dass der mittlere Raum der 
Hauptraum war, mithin seine Verhältnisse für den ganzen Bau 
massgebend sein mussten. Bei diesen drei Annahmen ergeben 
sich folgende Zahlen. 

Meter oskisch römisch 

1. 12,29 x 44,05 = 44' 8" x 160 1 2" = 41' 6" x 149' 6" 

2. 13,72 X 45,48 = 49' 11" x 165' 5" = 46' 4" x 153' 8" 

3. 10,86 X 42,62 = 39' 6" X 155' = 36' 8" x 144' 

• 

Es scheint nun weitaus das wahrscheinlichste, dass man 
vor allem darauf ausging, dem mittleren Hauptsaal angemessene 
Dimensionen zu geben, dass also von den unter 3 verzeichneten 
Zahlen auszugehen ist. Um hier einfache und überzeugende 
oskische Masse zu gewinnen, müssen wir eine kleine Abweichung 
von den eigentlich beabsichtigten Dimensionen annehmen; wir 
müssen die Summe der Breite etwas abrunden und erhalten so 
die sehr annehmbaren Zahlen 40 x 155. Um unparteiisch zu 



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106 



Capitel VII. 



sein, müssen wir aber dasselbe Verfahren auch auf die römischen 
Masse anwenden und zugestehen, dass 36' 8" von 36' nicht wesent- 
lich weiter entfernt sind, als 39 von 40. Dann aber werden 
wir nicht leugnen können, dass die hier sich ergebenden Zahlen 
36X144, welche genau dem Verhältniss 1 :4 entsprechen, fast 
noch grössere Ueberzeugungskraft haben, als 40 x 155. Man 
könnte zu Gunsten derselben noch geltend machen, dass die 
Portiken der Langseiten tiefer sind, als die der Schmalseiten, 
dass also ein Ueberschreiten der für den Mittelraum ursprüng- 
lich beabsichtigten Breite auf Kosten der Portiken auch in diesem 
Umstände eine gewisse Entschuldigung findet, während für ein 
Zurückbleiben hinter derselben sich keine Erklärung geben lässt. 
Wenn wir aber auch bei der Kleinheit der Differenz auf solche 
Erwägungen kein Gewicht legen wollen, so ist doch festzuhalten, 
dass sich für das römische wie fUr das oskische Mass die gleiche 
Wahrscheinlichkeit ergeben hat. 

Betrachten wir sodann die unter 2 aufgeführten Zahlen, so 
nähern sich auch hier die oskischen Masse den runden Summen 
50x165, freilich mit Ueberschreitung um etwa einen halben 
Fuss in der Länge, also auf Kosten derjenigen Portiken, welche 
weniger tief sind als die anderen, während es doch nahe gelegen 
hätte, sie, als Eingangsraum und Raum vor dem Tribunal, etwas 
tiefer zu machen. Das römische Mass ist von 45 X 155 doch 
allzu weit entfernt. — Dass sich in oskischem Mass bei beiden 
Berechnungen, 2 und 3, Summen ergeben, welche runden Zahlen 
sich in gleicher Weise nähern, der Art dass bei 2 die eine, bei 
3 die andere Dimension um etwa Fuss abweicht, während 
bei römischem Mass nur 3 eine annähernd runde Summe ergiebt, 
beruht darauf, dass die Breite der Säulenbasen (d. h. die auf 
den Portiken rechtwinklig stehenden Seiten) constant 1,42 — 1,43 
beträgt, d. i. 5'/ 4 ' osk.; 4' 10" röm. Da nun die Distanzen von 
2 so entstehen, dass zu denen von 3 zweimal diese Breite (10'/ 3 ') 
addirt wird, so ergiebt sich obiges Resultat von selbst: 



Dies zusammenpassen und gewissermassen sich ergänzen der 
Masse kann neben der 200' sich nähernden Länge des Haupt- 



39'/ 3 



155 

iö'/ 2 




165% 




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DiV Hasilica. 



197 



raums als zweites Argument fltr die oskischen Masse angeführt 
werden. 

r 

Mit einer Messung der Intercolumnien ist nichts anzufangen: 
die Säulenbasen, an die man sich dabei halten mttsste, sind da 
nicht gleichmässig genug. Es bleibt nur übrig, von Centrum zu 
Centrum zu messen, und da die Intercolumnien an den Enden 
etwas grösser sind, so wäre es immerhin denkbar, dass man auf 
diese Art für die übrig bleibenden eine gleichmässige, ein ein- 
faches Mass repräsentirende Distanz ermöglicht hätte. Wir 
finden nun, dass diese mittleren Intercolumnien zwischen 3,80 
und 3,83 schwanken — ein Mass, welches sich an 14' osk. bis 
auf 1 resp. 2 Zoll, an 13' röm. bis auf % resp. 2 Zoll annähert, 
also keine Entscheidung ermöglicht. 

Die Breite der langen Portiken ist 5,09 = 18%' osk. = 
17' 2%" röm., so dass der Querschnitt des Hauptraumes reprä- 
sentirt wird durch die Zahlen: 

m. 5,09 + 1,43 + 10,86 + 1,43 + 5,09 = 23,90 
osk. 18% 4- 5% +89% +6% + 18% = 87 

50 

röm. 17' 2%" + 4' 10" + 36' 8" + 4' 10" + 17' 2%" = 8ff 9" 
(oder rund 17% + 4' 10" + 36% + 4' 10" + 17% =80" 8") 

Die Breite der Ostporticus ist bei der nördlichen Ecksäule 
4,72 = 17' 2" osk. = 15' 11%" röm., bei der südlichen 4,65 = 
16' 11" osk. = 15' 8%" röm. — Die der Westporticus bei der 
nördlichen Ecksäule 4,70, bei der südlichen 4,66, also von der 
Ostporticus unmerklich verschieden, so dass der Längendurch- 
schnitt ist: 

m. c. 4,68 + 1,43 + 42,62 + 1,43 + c. 4,68 = 54,84 
osk. 17' + 5%' + 155' + 5%' + 17' = 199%' 
röm. 16' 4- 4' 10" + 144' + 4' 10" + 16' = 185' 8" 

Wenn hier bei beiden Durchschnitten die oskischen Zahlen 
überzeugender erscheinen, so ist das nur eine Consequenz des 
oben dargelegten Verhältnisses der Säuleubasen zu der Länge 
der* Säuleureihen, kann also keinen neuen Beweis liefern. . 



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im 



Capitel VII. 



Der Nordeingang ist weit 

m. 2,11 = V 8" osk. = 7' l'/ 3 " röm. 
der Südeingang 

m. 2,04 = 7' 5" osk. = 6' 107," röm. 
Also hier haben wir keine Entscheidung. 

Hingegen ist von den beiden äussersten Eingangen der Ost- 
seite der nördliche genau 10* oskisch weit (2,75), während der 
südliche (2,765) nur so wenig von diesem Masse abweicht, dass 
man die Abweichung allenfalls auf Rechnung einer kleinen Un- 
genauigkeit in der Ausführung setzen kann: natürlich ergiebt 
sich hier kein einfaches römisches Mass. 

Die Ausdehnung der Front der Vorhalle lässt sich am Süd- 
ende nicht ganz genau feststellen. Die Eingänge derselben haben 
folgende Weite (von N.) 
m. 3,55 = 12' 11" osk. = 12' röm. 

3,13 = 11' 5" „ (- lOMill.) = 10' 7" „ 
3,15 = 11' 5" ff (-f-10 „ ) « 10' 8" , 
3,10 = 11' 3» , (+ 6 . ) - 10'/,' „ 
3,42 = 13' 2" „ - tV 7" ff 

Auch die Mauerstücke oder Pfeiler dieser Front geben kein 
metrologisches Resultat. Ihre Grösse ist (von N.) 
m. 1,87 = 6' 10" osk. (— 10 Hill.) = 6' 4" röm. 

1,71 = 6' 3" ff (—9 n ) = & 9" „ (— 9 Mill.) 

09lH S ' 4 " " (_ 7 " } = ^ V ' r, (~ 1 n ) 

1^75 = 6' 4" ff (+8 „ ) « & 11" ff 
(oben 1,71) 

2,55= 9' 3" ff (+ 6 n ) = 8' 7" „ (+10 n ) 
Dass sich bei den oskischen Massen die einfachen Brüche (*/„ 
'/J öfter ergeben, ist doch ein sehr ungenügender Beweis, zu- 
mal die Ausdehnung des letzten Pfeilers sich nicht ganz genau 
bestimmen lässt. 

Als Mauerdicke fanden wir am Nordeingang 0,685 = 2V Ä ' osk. 
= 2 Vi röm. 

am Südeingang: 2%' osk. (+ 8 Mill.) = 2' 2" röm. (+ 9 Mill.), 
was offenbar kein sicheres Urtheil ermöglicht. 

Es ergeben sich also aus der Untersuchung der Masse fol- 
gende für oskischen Ursprung des Gebäudes sprechende Facfen: 



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Die Rasilica. 



199 



1. Die auf freiem Ermessen des Architekten beruhende, 
an 200* osk. sich auffallend annähernde Länge des Haupt- 
raumes. 

2. Die Länge der langen und kurzen Säulenreihen, welche 
mit der Breite der Basen sich in so eigenthümlicher Weise er- 
gänzen, dass, je nachdem man am äusseren oder inneren Fuss 
derselben misst, das eine Mal die lange Reihe um Fuss die 
runde Zahl überschreitet, das andere Mal die kurze um % Fuss 
hinter ihr zurück bleibt. Daraus ergab sich auch die einfache 
Theilung des Querdurchschnitts: 87 = (10V 3 + 39 V,) + (2 X 18'/,) 
= 50 -}- 37. 

3. Die Weite der beiden Osteingänge, deren einer genau 10 
misst, der andere dies Mass nur wenig überschreitet. 

Hingegen kann zu Gunsten der römischen Masse angeführt 
werden: 

1. Die an 80 X 185 sich stark annähernden Dimensionen 
des Hauptraumes. 

2. Die von 36 X 144 (1 : 4) nur wenig abweichenden Masse 
der Säulenreihen. 

Mag also immerhin die Entscheidung eher zu Gunsten des 
oskischen Masses ausfallen, so kann doch von einem so zwingen- 
den Beweis, wie ihn Nissen (S. 195) hier zu finden glaubt, nicht 
die Rede sein. Die auch auf römisches Mass reducirbaren 
Grössen demonstriren deutlich genug, dass, wenn einmal, wie 
hier, auf genaues Zutreffen einfacher Masse verzichtet werden 
muss, das von Nissen gelegentlich angewandte Argument, der- 
gleichen könne nicht ein Werk des Zufalls sein, von geringem 
Werthe ist. 




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Capitel VIH. 

Einige der ßasilica gleichzeitige Bauten. 



Von der charakteristischen Bauart der Basilica war oheii 
die Rede. Wenn wir nun dieselbe, namentlich die eigentümliche, 
seltene Eckenbildung, an einigen anderen, aus gleichem Incertum 
aufgeführten Bauten finden, so dürfen wir wohl ohne zu grosse 
Kühnheit auf wenigstens ungefähre Gleichzeitigkeit schliessen. Der 
so entstehenden Gruppe gehören ausser der Basilica noch fol- 
gende Gebäude an: der Jupitertempel, die alten Theile des grossen 
Theaters, die Mauerthürme, oder wenigstens eine Anzahl der- 
selben, und gewisse Theile der Thore. Von der Basilica ist eben 
ausführlich gehandelt worden; untersuchen wir nun nach einander 
die übrigen hier in Betracht kommenden Bauten. 

1. Der Jupitertempel. 

Ob der Jupitertempel auf dem Forum nach oskischem oder 
nach römischem Fuss erbaut ist, lässt sich aus den Massen des- 
selben nicht entscheiden. Nissen (S. 90) glaubt den oskischen 
Fuss erkennen zu können, und führt dafür folgende Masse an: 



1. 




. .- 3,71 - 


»■/.' 


2. 






8' 


3. 




. . 14,85 - 


54' 


4. 




. . 12,10 - 


44' 


5. 


Cellamauer (Vordermauer) 


. . 8,25 = 


3' 


6. 


Ccllathür 


4,40 - 


16' 




Einige der ßasilica gleichzeitige Hauten. 



201 



7. Cella breit 12,10 = 44' 

8. Cella tief 15,67 = 57' 

9. hinterer Anbau (richtiger Einbau) 1,38 = 5' 
10. Rückmauer 0,55 = 2' 

Betrachten wir zunächst die Treppe, so sind die genauen 
Masse folgende: 

Meter oskiseh römisch 

L untere Treppe rechts 3,71 = 13%' (- 0,003) = 12'/,' (+ 0,01) 

links 3,58 = 13' (+ o,ooö) = 12' 1" (+0,003) 

2. obere Treppe rechts 2,20 = 8' = 7' 5" (+0,005) 

links 2,12 = 7' 8'//' = 7' 2" 

Wenn nun hier auch die Reduction von 1 auf 13 und 13 1 /,' osk. 
recht genau stimmt, so ist doch weder die eine noch die andere 
Zahl recht rund und überzeugend. Reduciren wir auf 12 und 
12'/,' röm., so bleibt zwar ein grösserer Rest, doch kann dieser 
kaum in Betracht kommen, wo die rechte und linke Seite, doch 
nur in Folge von Ungenauigkeit, um % Fuss differiren. Bei 2 
scheint die Reduction auf 8' osk. schlagend, während in römischem 
Mass sich keine annehmbare Grösse ergiebt; störend ist nur die 
Differenz um 0,08 gegen die linke Seite. Den scheinbar für oski- 
sches Mass beweisenden Ziffern ist aber die Länge der ganzen 
Treppe (rechts), 3,71 -f 2,20 = 5,91 = 20' röm. gegenüber zu 
stellen. 

3. Die Vorhalle ist 

breit: 14,88 = 54' 1" osk. (+ o,oo7) = 50'// röm. (+ 0,006) 

4. Die Vorhalle ist 

tief r.: 12,02 = 43' 8'//' osk. = 40' 7" röm. (+ 0,008) 

tief L: 12,165 = 44 »/,' osk. (-0,004) = 41' 1" röm. (+0,004) 
3 weicht um 0,03 von Nissen's 54' ab, ist also schwerlich noch 
beweisend, wenn gleich die Abweichung von 50' röm. (14,80) 
noch grösser ist. Schwerlich ist übrigens diese Breite eine ge- 
messene Grösse, eher könnte man dies von der Breite des Unter- 
baues erwarten; dieser ward abgeschlossen durch den Carnies, 
und auf diesen legte man die Quadern der Vorhalle (die sich 
hinten als Unterlage der Cellamaueru fortsetzen) so, dass ein 
passender Rand blieb. 

Bei 4 ist 12,10 = 44' osk. so ziemlich die mittlere Tiefe, 
während wir bei 2, um uns Nissen's Resultat aneignen zu können, 



r 

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202 



Capitel VIII. 



uns an die rechte Seite halten niussten. Wo aber die Ausführung 
so ungenau ist, dass die Seitenlängen von der mittleren, nach 
Nissen der beabsichtigten, um 7 — 8 Centim. abweichen, da ist 
eine metrologische Folgerung nur dann erlaubt, wenn es sich um 
eine vorzugsweise runde Zahl handelt ; eine solche aber ist 44 
nicht. Also auch 4 streichen wir aus der Liste der beweis- 
kräftigen Zahlen. Auch in römischen Massen ergiebt sich nichts 
rundes. 

Also weder die Treppe noch die Vorhalle liefert einen Be- 
weis nach der einen oder anderen Seite. 

5. Namentlich überzeugend scheint die 3 Fuss dicke Cella- 
mauer: Mauerdicken geben ja besonders häufig ein metrologisches 
Resultat. Doch ist zu bemerken, dass unten, wo man am ehesten 
erwarten sollte, das beabsichtigte Mass zu finden, die Mauer 
0,84 dick ist; weiter oben freilich mass auch ich 0,82 — 0,825, 
letzteres = 3' osk. In römischem Mass ergiebt sich keine an- 
nehmbare Grösse. Immerhin mag diesem Mass einiges Gewicht 
beigelegt werden. 

6. Cellathür 4,40, genau = 16'. Dreimalige Messung ergab 
aber 4,46 bis 4,47 = 16 *// osk., was keine überzeugende Grösse 
ist. In römischem Mass ist die nächste runde Grösse 15' = 4,44: 
eine Ungenauigkeit von 2 — 3 Centim. ist in der Thürweite doch 
wohl hinreichend, um die Beweiskraft aufzuheben. Allenfalls 
mag also 4,47 = 16 '// für das oskische Mass angeführt werden. 

Die Masse der Cella sind genau folgende: 

7. Breite vorn 12,20 

hinten 12,17 

8. Tiefe rechts 15,635 

links 15,65 

Es ist also in der Breite Nissen's Mass, 12,10 = 44', um 7— 10 Ctm. 
= 3 — 4" tiberschritten. Die Reduction auf römisches Mass ergiebt 
41' 2% resp. l'/ a ": also keines von beiden stimmt in überzeugen- 
der Weise. — 15,67 = 57' osk. würde, wenn es auch richtig wäre, 
ohne Beweiskraft sein; denn 15,68 ist = 53' röm., und keine 
der beiden Zahlen ist tiberzeugender als die andere. 

9. Der Raum zwischen der Rückwand der Cella (diese ein- 
gerechnet) und der des ganzen Gebäudes ist 1,35 (nicht 1,38) 
tief: ein Mass, welches näher an 1,332 = 4'/ 3 ' röm., als an 1,375 



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Einige der Basilica gleichzeitige Hauten. 



203 



= 5' osk. liegt. Ohne die 0,42 starke Zwischenmauer erhalten 
wir 0,93 = c. 3' 5" osk. = 3' 2" röm.: beides keine irgendwie 
überzeugenden Grössen. 

10. Die Stärke der Rückmauer ist reichlich 0,60: Nissen 
muss am Ostende gemessen haben, wo sie von aussen beschädigt 
ist; 0,60 aber liegt näher au 0,592 = 2' röm., als an irgend einer 
annehmbaren Grösse oskischeu Masses. 

Die Breite des Naos einschliesslich der Seitenmauern be- 
rechnet Nissen S. 362 auf 44 -f 6 = 50*, von der Voraussetzung 
ausgehend, dass die Seiteumauern an Dicke der Vordermauer 
gleich sind. Die Seitenmauern ruhen auf Quadern, welche nach 
aussen um 0,48 bis 0,50 vor die Mauern vorspringen: die Erhal- 
tung des Stucks verhindert eine genauere Bestimmung. Die 
Entfernung der Ränder dieser Quadern von einander entspricht 
der Breite der Vorhalle, 14,88, also Breite des Naos mit den 
Mauern 14,88 — c.0,98 = 13,90, was von 13,75 = 50' osk. um 0,15 
abweicht. Doch soll die Möglichkeit, dass dies das beabsichtigte 
Mass war, nicht geleugnet werden. Die Mauerdicke stellt sich 
13 9q 12 ^0 

uns auf — 2 - — = 0,85, was der unteren Dicke der Vorder- 

23 

mauer ziemlich genau entspricht. 

Die Breite des Unterbaues findet Nissen durch Subtraction 
der beiden Flügel des Forums neben dem Tempel von der Ge- 
sammtbreite desselben: 32,85 — (2x8,80) = 15,25 = 55%', eine 
Rechnung, bei der wir uns doch nicht beruhigen dürfen. Wir 
finden die Breite des Unterbaues, indem wir zur Breite der Vor- 
halle, 14,88, die doppelte Entfernung vom Rande der Quadern 
derselben bis an ein am Rande der Stufe am Fusse des Unter- 
baues errichtetes Loth, 1,05, addiren: 16,98 = 61' 9" osk. (—0,02) 
ss 57' 4" röm. (+0,009). 

Bei Berechnung der Gesammtlänge auf Grund von Messungen 
Schöne's lässt Nissen (S. 362) ausser Acht, dass der Unterbau hinter 
der Rückmauer der Cella noch um c. 0,65 (ohne den Cannes) vor- 
springt. Eine directe Messung des ganzen ist wegen der seit- 
lichen Anbauten schwierig und unsicher. Wenn Schöne die Länge 
der Cella bis zur Aussenseite der Frontwand und der Rück- 
wand zu 18,58 gemessen hat,' so kann diese Messung nur unter 
erschwerenden Umständen ausgeführt sein und auf vollkommene 



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204 



Capitel VIII. 



Genauigkeit keinen Anspruch machen. Die Gesammtlänge er- 



giebt sich mir folgendermassen: 






• 




untere Treppe . . . rechts 


3,71 


links 


3,58 


obere Treppe . . . 


» 


2,20 


n 


2,12 


Vorhalle 




12,02 


T) 


12,165 


Cellamauer .... 




0,84 


* 

ff 


0,84 


Cella 


» 


15,64 


ff 


15,65 


hinterer Kaum .... 


• 


1,35 




1,35 


Rückmauer 


• 


0,60 




0,60 


Vorsprung des Unterbaues 


0,65 




0,65 


Gesammtlänge .... 




37,01 




36,955 



Suchen wir nun die nächstliegenden annehmbaren Grössen oski- 
schen und römischen Masses, so finden wir: 

36,998 = 134'/,' oskisch, 

37,0 = 125' römisch. 
Ohne Zweifel ist hier die römische Zahl annehmbarer. Auf 
keinen Fall aber darf behauptet werden, dass an diesem Bau 
der oskische Fuss von 0,275 irgendwie deutlich hervortritt. 

Der Unterbau (sein Profil bei Mazois III pl. XXXV) besteht 
aus vortrefflichem Incertum, fast nur aus Lava, mit gutem, hartem 
Mörtel, dessen Farbe etwas ins violette spielt. Der Ablauf und 
die darunter liegende Stufe sind aus Lava, der Carnies aus Tuff. 
Besonders charakteristisch ist die Construction der Ecken. Die- 
selben bestehen aus quaderartigen Lavastücken, welche so ge- 
legt sind, dass sie mit ihrer Länge sich abwechselnd nach der 
einen und nach der anderen Seite erstrecken, sind also den Ecken 
der Basilica ähnlich, nur dass die Steine hier grösser und etwas 
regelmässiger behauen sind. Kenntlich ist diese Bauart nur an 
der Nordwestecke, da die Nordostecke beim Anbau des Bogens 
zerstört worden ist. 

Die Quadern, welche dem Oberbau als Grundlage dienen, 
sind unter der Cellamauer auf der Westseite alle aus Lava, auf 
der Ostseite in dem hintersten Theil Lava, weiter vorn Tuff 
(doch ist der letzte noch unter der Cellamauer liegende Stein 
wieder Lava), in der Vorhalle Travertin. Die ganze Vorhalle 
ist nämlich mit Travertin gepflastert, was vermuthlich auf eine 
spätere Restauration zurückgeht. Dafür spricht schon die geringe 



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Einige iler Basiliea gleichzeitige Hauten. 



205 



Abnutzung, ferner die Beobachtung, dass auf der Ostseite die 
erste Säule von Norden, und auf der Westseite die erste und 
zweite von Norden nicht auf die schon liegenden Travertinplatten 
gebaut, sondern diese erst später an sie hinaugelegt worden 
sind. Bei diesen drei Säulen sind die Toren aus Taft": alle 
übrigen sind aus Ziegeln aufgemauert und wohl sicher modern; 
auf keinem derselben steht ein wirklicher Säulenfuss, wie auf 
den drei genannten, sondern nur Trommeln aus den oberen 
Theilen. Auf der Westseite steht die dritte Säule von Norden 
deutlich auf den Travertinplatten. Es scheint also, dass man 
bei Legung der letzteren einige gut erhaltene SäulenfUsse con- 
servirte, um sie weiter zu benutzen, die übrigen aber entfernte 
Auch die Mauern der Cella bestehen aus gutem Incertum 
fast nur aus Lava, mit gutem, hartem Mörtel, der aber von dem 
des Unterbaues verschieden und etwas weniger hart ist: an der 
Nordseite, wo der obere Theil des Unterbaues etwas beschädigt 
ist, kann man deutlich sehen, wie die beiden Mörtelarten zu- 
sammentreffen. Wie die Ecken gemacht sind, ist wegen des 
Stucks nicht kenntlich. Auf der Rückseite ist da, wo die eigent- 
liche Wand an die Eckpilastor ansetzt, ziegeiförmiger Tuff ver- 
wandt. Die Thürpfosten bestehen aus Lavaquadern mit reinem 
Kalk als Bindemittel; die Kalksteinblöcke zuoberst derselben sind 
modern. 

Dagegen sind die Pfosten der Thür zu der Treppe in der 
Nordwestecke rechts aus Kalksteinquadern, unter die nur eine 
Lavaquader eingemischt ist, links aus Ziegeln : es liegt kein Grund 
vor, dies sehr gute Ziegelwerk für späteren Zusatz zu halten, 
wenn gleich der Stuck nicht erlaubt, die Ursprünglichkeit positiv 
zu constatiren. Eine gleiche Thür ist in der Nordostecke zuge- 
setzt worden: ob sie zu einer eben solchen Treppe oder zu 
irgend einer Kammer führte, ist nicht auszumachen; die 
Pfosten sind in gleicher Weise gebildet: rechts Ziegel, links 
Kalksteinquadern, nur ganz oben Ziegel. Beide Thüren hatten 
einen Sturz aus Holz und darüber einen doppelten, aus Lava 
(mit Mörtel, wie über dem Kellerfenster der Basilica) construirten 
Entlastungsbogen. 

Die Pilaster, mit denen die inneren Säulenreihen vorn 
und hinten abschliesseu , haben Füsse aus Tuff, sind aber im 



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206 



Capitel Vm. 



übrigen aus ziegeiförmigen KalksteinstUcken, von grosserer Höhe 
als man sie sonst findet, aufgesetzt und mit der Wand nicht ge- 
bunden. Sie für jüngeren Ursprungs zu halten, ist kein Grund 
vorhanden: solche Piiaster mussten hier von jeher sein; die Tuff- 
füsse stimmen trefflich zu dem Charakter des ganzen Baues und 
erinnern an die Halbsäulen der Basilica, welche auch aus ver- 
schiedenem Material auf Tufffüssen aufgemauert sind. — Die 
beiden Anten der Vorhallo bestehen aus dem gleichen Incertum 
wie die Mauern der Cella: von später Restauration (Nissen 
S. 321) ist hier keine Spur. 

Betrachten wir weiter den drei Collen enthaltenden, zum 
Tragen des Cultbildes bestimmten Einbau. Seine Seitenwände 
beginnen hinten mit auf Tufffüssen sorgfaltig in Crumaincertum 
aufgeführten Pilastern. Der oberhalb der letzteren liegende Theil 
der Mauer Bpringt etwas vor die untere Wand (nicht die Piiaster) 
vor, und man kann allenfalls noch erkennen, dass hier im Stuck 
ein Architrav gebildet war. Der untere Rand dieses vorsprin- 
genden Theils ist ein horizontaler Bogen, sehr sorgfältig aus 
Cruma construirt, und zwar so, dass die obere Fläche der Steine 
einen wirklichen Bogen bildet, während sie unten an den beiden 
Enden so viel kürzer sind, dass hier eine horizontale Linie 
entsteht. Die vorderen Eckpilaster waren ebenfalls sorgfaltig 
aus ziegeiförmigen Cruma- und Kalksteinstücken hergestellt. 
• Doch sind hier nur geringe, nirgends sich über 0,60 Höhe er- 
hebende Reste des alten Mauerwerks erhalten. Alles übrige 
geht auf eine späte Restauration zurück, die sich durch das bunt 
gemischte und schlecht gefugte Material und den schlechten 
Mörtel sofort zu erkennen giebt. Noch später sind dann die 
vorderen Eckpilaster gegen die Seitenwände des Tempels zu um 
c. 0,15 verstärkt worden. Die Vorderseite dieses Einbaues trug 
in der letzten Zeit eine Marmorverkleidung, oder sollte sie er- 
halten, wie an den Resten der dicken Mörtelunterlage zu erkennen 
ist. Früher war die Vorderseite mit Stuck bekleidet und durch 
zwei Piiaster (ausser den Eckpilastern) getheilt: von dem Fusse 
des einen ist ein Rest zwischen der mittleren und östlichen Thür 
sichtbar. 

Die Analyse der Bauart ergab uns eine grosse Aehnlichkeit 
mit derjenigen der Basilica: Incertum aus Lava mit dem treff- 



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Billige der Basilica gleichzeitige Bauten. 



207 



liehen harten Mörtel der Tuffperiode; Construction von Ecken 
und Bögen aus demselben Material, welches hier auch, ein 
seltener Fall, für die Pfosten des Einganges verwandt ist; da- 
neben vereinzelt auch Ziegel; aufgemauerte Pilaster mit Füssen 
aus Tuff. Dagegen fanden wir, abweichend von der Basilica, 
auch ziegeiförmig behauenen Tuff, Cruma und Kalkstein, enteren 
an einer Stelle, wo nicht zu ersehen ist, was man damit hat 
bezwecken wollen. 

Wir dürfen also im Jupitertempel nicht nur ein Gebäude 
der Tuffperiode, der spätoskischen Zeit, erkennen — schon die 
Tuffsäulen lassen hieran nicht zweifeln — sondern auch ihn mit 
der Basilica und den ihr verwandten Gebäuden zusammenstellen; 
und zwar wird er, da die Verwendung von Constructionsarten, 
welche eigentlich der Tuffperiode fremd sind, hier weiter vorge- 
schritten ist, der Basilica gegenüber eher für jünger als für älter 
gelten dürfen. 

Schöne macht (bei Nissen S. 321) die Bemerkung, dass man 
„in der Rückwand, besonders links neben den Kammern, einige 
Quadern, vermuthlich Reste eines älteren Baues, erkennt. 0 Diese 
Beobachtung nimmt bei Nissen (S. 320) die Gestalt an, dass die 
technische Analyse „mit grosser Wahrscheinlichkeit schliessen 
lässt, dass vordem ein älterer Quaderbau hier gestanden hat". 
Es muss dagegen bemerkt werden, dass die wenigen Quadern, 
auf denen diese Vermuthung aufgebaut ist, aus Lava bestehen. 
Lavaquadern, sonst in Pompeji selten (Schöne bei Nissen S. 5 ff.), 
sind, wie Schöne bemerkt (S. 320f.) am Jupitertempel mehr- 
fach verwandt worden : zum Ablauf des Unterbaues, am Eingang, 
als Unterlage der Cellamauern. Nichts liegt also näher als die 
Annahme, dass jene Quadern in der Rückwand zum Zweck 
eben dieses Baues gebrochen, und, da sie übrig blieben, an der 
Stelle, wo wir sie sehen, vermauert worden sind. Mag also aus 
apriorischen Gründen die Existenz eines älteren Baues an dieser 
Stelle wahrscheinlich sein oder nicht, der Thatbestand bietet 
einer solchen Annahme nicht den mindesten Anhalt. 

Die innere Decoration (publicirt bei Mazois III pL XXXVI) 
ist zweiten Stils: Nachahmung von Marmorbekleidung durch 
blosse Malerei auf der glatten Wand. Dass aber derselbon eine 



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-20S 



Capitol VIII. 



Decoratiou ersten Stils, des Stils der Tuffperiode, vorherging, 
dürfen wir um so mehr vermuthen, als wir in dem seiner Bauart 
nach offenbar jüngeren Aesculaptenipel eine solche mit grosser 
Wahrscheinlichkeit nachweisen konnten. Und auf diese ältere 
Decoration dürfen wir vermuthlich einige Reste trefflichen alten 
weissen Stucks auf der Ausseuseite des Tempels wie des Unter- 
baues zurückführen. Am deutlichsten sind sie da, wo westlich 
der Bogen, welcher den Zugang zum Forum bildet, an den Tempel 
angebaut ist, sowohl am Unterbau, wo man sieht, dass der später 
formlose Caruies damals reicher und feiner profilirt war, als 
am Eckpilaster des Oberbaues. An letzterer Stelle ist das 
höhere Alter des fraglichen Stucks ganz besonders deutlich: er 
ist älter als der Bogen, welcher ihn hier wie auch am Unterbau 
bedeckt, während der spätere Stuck des Tempels auf der Rück- 
seite deutlich auf dem Bogen liegt. Am Unterbau finden sich 
dann noch auf der ganzen Westseite Reste, welche überall die 
reichere und feinere Profiliruug auch des Ablaufs zeigen. — 
Ferner wird auf die Decoration ersten Stils der alte Stuck der 
Säulen zurückzuführen sein, von dem nur geringe Reste oder 
vielmohr Spuren erhalten sind. Es ist aber zweifellos, erstens, 
dass diese tief ausgehöhlten Cannelüren nicht auf die jetzige 
Stuckdecke berechnet waren, zweitens, dass die Säulen nie roh 
waren. Die Bearbeitung der Oberfläche ist nicht der Art, dass 
man dies voraussetzen könnte, sondern ganz so, wie sie bei den 
regelmässig ftlr Stucküberzug bestimmten Tuffsäulen zu sein 
pflegt, z. B. in der casa del Fauno. Die alte Stuckdecke hat 
hier weisse Kalkspuren zurückgelassen. 

Die Decoration zweiten Stils ist in der ganzen Cella mit 
Ausnahme des Einbaues erhalten. Ihr gehört aber der Sockel 
nicht an; er ist im dritten Stil gehalten, und es ist ganz klar, 
z. B. am Nordende der Ostwand, dass er später angesetzt worden 
ist: der obere Theil endet nach unten offenbar mit einem Bruch. 
Der Stuck ist geringer und weniger glatt gearbeitet. Ein Rest 
des alten Sockels ist in der Nordwestecke erhalten. 

Die Vermauerung der Thür in der Nordostecke der Cella 
ist jünger als die Decoration zweiten Stils, wie die hier erhal- 
tenen Reste jüngeren violettrothen Stucks beweisen. Dagegen 
wird sie von dem Sockel dritten Stils bedeckt, welcher freilich 



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Billige der Basilica gleichzeitige Hauten. 209 



hier viel geringere Arbeit als sonst zeigt. Der Verdacht, dass 
er erst nachträglich auch auf diese Stelle ausgedehnt wurde, kann 
nicht ganz ausgeschlossen werden. 

2. Die ältesten Theile des grossen Theaters. 

Es handelt sich hier um den Eingang von dem Raum hinter 
und neben der Scene, am Westende der Südseite des Theaters, 
in dessen Wölbung der Schlussstein aus Tuff durch den bei 
Nissen S. 224 f. besprochenen jugendlichen Kopf verziert ist, 
und um den entsprechenden Eingang auf dem Ostende der Süd- 
seite. Hier finden wir ein Mauerwerk, welches dem der Basilica 
ganz ähnlich ist: opus incertum aus Lava, mit genau in 
derselben eigenthümlichen Weise gebildeten Ecken. Auch die 
Wölbungen waren ursprünglich in der Art des Kellerfensters 
der Basilica aus Lava hergestellt, und es sind noch beträcht- 
liche Reste der alten Construction vorhanden: auch im Ostein- 
gange ist der Ansatz der Wölbung noch vollkommen sichtbar. 
Wo statt der alten Gewölbeconstruction eine andere, aus ziegel- 
formigem Tuff und Kalkstein, eintritt, da darf sie mit Bestimmt- 
heit auf spätere Restauration zurückgeführt werden: schon die 
Farbe des Mörtels ist eine ganz andere, während Spuren des 
alten, violett -röthlichen Mörtels ganz oben, neben dem erwähn- 
ten Kopf, constatirbar, freilich meist von späterem Bewurf be- 
deckt sind. 

Die alte Mauer scheint auf beiden Seiten mit der dem Zu- 
schauerraum zugewandten Wand der Crypta abzuschliessen: es 
stimmt dies vollkommen mit dem, was Nissen S. 248 f. aus der 
Holconierinschrift folgert, dass nämlich erst in augusteischer 
Zeit das alte Theater durch die Crypta erweitert worden ist. 

Es sei noch bemerkt, dass der mehrfach erwähnte Kopf, den 
ich in nächster Nähe untersuchen konnte, ein unzweifelhafter 
Satyrkopf ist, als solcher durch die langen , stark nach vom ge- 
drehten Ohren auf das bestimmteste charakterisirt. Das bei 
Nissen (S. 245) dem am Nolaner Thor angebrachten Kopfe ge- 
spendete Lob ist auf diesen nicht anwendbar. Die Arbeit ist 
nicht eben fein und dürfte auf einen Stuckttberzug berech- 
net sein. 

Man, pompejan. Beitrüge. 14 



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210 



Capitel VIII. 



Es bleibt übrig, die Masse dieser alten Theile darauf hin 
zu prüfen, ob sie auf oskiscbe oder auf römische Zeit weisen. 

So viel ich sehe deutet nur die Breite der Scene auf oskisches 
Mass. Sie beträgt, einschliesslich der am östlichen und west- 
lichen Eingange 0,59 = 2' röm. starken Mauer genau 124' oskisch 
(34,10 = 115' 2V 3 " röm.). Nehmen wir nun an, dass eine ältere 
Mauer 2 Fuss oskisch statt 2 Fuss römisch stark war, so mass 
die Scene selbst genau 120 Fuss. 

Breite des ganzen Baues vor der Scene: 
47,60 = 172' 11" osk. (-f 2 Mill.) = 160' 10" röm. (- 6 Mill.) 
Weite des Westeinganges: 

2,55 = 9' 3" osk. (- 6 Mill.) = 8' V/ 9 " röm. 
Weite des Osteinganges 2,40, dazu 7 — 8 Ctm. Stuck: 
2,47 bis 2,48 = 9' osk. (+ oder — 5 Mill.) = 8' 4%" röm. 
Mauerdicke an der Westseite des Westeinganges 
1,73 = 6' 3V," osk. = 5' 10" röm. (- 4 Mill.) 
ebenda an der Ostseite: 

1,22 = 4' 5" osk. (+ 5 Mill.) = 4' V/* röm. 
Mauerdicke an der Ostseite des Osteinganges 1,72 weniger 
zwei Stuckschichten von je c. 0,04: 

1,64 = 6' osk. (— 1 Ctm.) = 5' 6'/ 3 " röm. 
ebenda an der Westseite 1,24, weniger eine Stuckschicht von 
e. 0,04: 

1,20 = 4' V/« osk. = 4' '/," röm. 
Es ist klar, dass alle diese Masse keine Entscheidung 
geben '). 



•) Nissen's Untersuchungen über die Theater und die umliegenden Portiken 
(Cap. XV. XVI) sind ganz besonders dankenswerth und überzeugend. Zu be- 
richtigen ist, dass kein Grund vorliegt, die Thürcn, welche aus dem oberen 
Corridor auf die Porticus des griechischen Tempels führen, für nachträglich durch- 
gebrochen zu halten (S. 247 f.): die Ausfüllung der Verzahnung der Ziegel- 
pfosten durch Netzwerk, während im übrigen die Mauer aus Incertum besteht, 
ist ein Verfahren, welches dem Betrachter Pompeji'» auf Schritt und Tritt be- 
gegnet. — Ferner: die kleine Halle mit drei ionischen Säulen, in welche die 
hinter der Bühne des kleinen Theaters zur Gladiatorenkaserne führende Strasse 
mündet, ist nicht eine blosse Fortsetzung der dorischen Porticus an der West- 
seite des kleinen Theaters (S. 258), liegt auch nicht ganz in derselben Linie; 
die Mauer, welche beide trennt, ist nicht modern, wenn gleich jünger als die 
Decorationsreste zweiten Stils auf der Aussenseite des Theaters. 



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Einiffo der Basilica glfirhr.t>itijr«' Hauten. 



211 



3. Thtinne, Mauer nod Thore. 

An den beiden ersten Thürmen östlich vom Herculanerthor 
(XII und XI bei Nissen, Cap. XXI, § 1, S. 462 ff.) muss zwischen 
den unteren, älteren, und den oberen, jüngeren Theilen unter- 
schieden werden. Das alte Mauerwerk ist sorgfältiges Lava- 
incertum, nicht verschieden von dem der anstossenden Mauer- 
stticke, erhalten bis etwas über die Höhe der Mauer. Die Ecken 
sind so gemacht wie in der Basilica. Die Wölbung der Thür, 
welche von der Stadtseite in den unteren Theil des Thurmes 
führt, ist aus Lava mit grosser Sorgfalt hergestellt; jedes Ende 
ruht auf einem grösseren, in die Dicke der Mauer hineingehenden 
Lavastein. Auf diesen alten Theilen, und nur auf diesen, finden 
sich ansehnliche Reste der Decoration im Stil der Basilica; dass 
diese eben nur den alten Theilen angehören, ist besonders deut- 
lich am zweiten Thurm (XI), wo sie bis hart an die Grenze 
derselben hinangehen, dieselbe aber nie Uberschreiten. 

Davon grenzen sich die oberen, jüngeren Tbeile auf das 
bestimmteste ab, schon durch den verschiedenen Mörtel. Hier 
ist in zum Theil grossen Stücken alles mögliche Material ver- 
baut: Tuff, Kalkstein, Lava, Ziegel, Fragmente von Fussböden 
aus opusSigninura, Fragmente feinen Stucks, letztere offenbar 
der Decoration ersten Stils angehörig und den Trümmern der 
alten Thürme entnommen, aus denen diese Tbeile aufgebaut sind. 
An den Ecken sind ziegeiförmige Stücken Tuffs und anderer 
Steine verwandt, so weit sie gerade vorhanden waren, aber ohne 
Regelmässigkeit und Genauigkeit. Das Ganze zeigt die grösste 
Eilfertigkeit und Liederlichkeit. — Die Bögen der auf die Mauer 
führenden Thüren sind auf der Aussenseite doppelt: zu unterst 
sind drei wohlbehauene Bogenfragmente aus Tuff zu einer Wöl- 
bung zusammengesetzt, darüber ein zweiter Bogen aus ziegel- 
förmigen Stücken verschiedenen Materials; der untere Bogen 
steht auf grösseren, in die Mauer hinein, nicht aber ganz hin- 
durch gehenden Steinen. Nach innen ist die Wölbung nur aus 
ziegeiförmigen Stücken, vorwiegend Tuff gebildet 

Zur Zeit der Restauration, welcher diese oberen Theile ihr 
Dasein verdanken, war der dritte Thurm (X, Gell und Gandy 

14* 



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212 



Capitel VIII. 



Pompeiana, 1852, pl. 16) wohl erhalten oder doch die Zer- 
störung weniger fortgeschritten. Hier gehört alles noch stehende 
den alten Theilen an. Auch die auf die Mauer fuhrenden Thllren 
sind hier mit Lava überwölbt, nach aussen mit grösseren, keil- 
förmig behauenen StUcken, nach innen mit kleineren Steinen, wie 
das oben erwähnte Kellerfenster der Basilica. Auch die Decora- 
tion ersten Stils erstreckt sich hier auf die oberen Theile: an 
der erwähnten Wölbung sind die einzelnen Steine im Stuck aus- 
gedrückt. In dem vor die Mauer vorspringenden Theil finden 
sich seitliche Schiesslöcher, auch sie mit dem Stuck derselben 
Decoration verkleidet. 

Wenn Nissen (S. 513) meint, die Thürme seien eilfertig gebaut, 
so ist das durchaus auf die spätere Restauration, der die oberen 
Theile der beiden ersten Thürme angehören, zu beschränken. 
Die unteren Theile zeigen von Eilfertigkeit keine Spur, im Gegen- 
theil, die Gleichartigkeit des Materials, die Güte der Arbeit, 
endlich die Anwendung der mühsamen, Marmorbekleidung nach- 
ahmenden Decoration, alles dies spricht dafür, dass diese Ar- 
beiten in voller Ruhe und ohne Uebereilung ausgeführt wurden. 

In ganz gleicher Weise ist noch der Thurm nordöstlich vom 
Amphitheater (VII) gebaut, und auch hier ist die Decoration 
ersten Stils erhalten. Auch die Bauart zweier sehr zerstörten 
Thürme, südwestlich am Amphitheater (V) und zwischen Ca- 
puaner und Nolanerthor (IX), ist dieselbe. Bei beiden sind Reste 
des Stuckbewurfs erhalten, bei V auf der Westseite, nahe der 
Südwestecke, bei IX auf der Nordseite; und zwar scheinen die 
Reste von IX dem ersten Stil anzugehören: es ist, wie es scheint, 
an einer Stelle der vertiefte Rand zweier Felder erhalten. 

Andere Constructionsarten zeigen sich bei den übrigen 
Thürmen. Die Ecken von VIII (zwischen Sarno- und Nolaner 
Thor) bestehen aus ziegeiförmigem Haustein, und zwar zum Theil 
aus ziemlich grossen Kalk stein ziegeln, die Pfosten der Thür nach 
der Stadtseite aus Tuff- und einzelnen Sarnoziegeln. Das Incertum 
aber hat den gleichen Charakter wie das der oben besprochenen 
Thürme. Ueber der Tuffwölbung der Ausfallspforte (nach Süden) 
ist ein Entlastungsbogen in der bekannten Art des* Kellerfensters 
der Basilica aus Lava hergestellt, und in gleicher Weise sind die 
Schiessscharten überwölbt. — In den Ecken von IV (zwischen 



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Einige der Basilica jjleichzeitigc Bauton. 



213 



Amphitheater und Nuceriner Thor) und in einer inneren Ecke 
von VI wechseln die Kalksteinziegel mit wirklichen Ziegeln; aus 
letzteren ausschliesslich siud die Ecken von III (zwischen Nuce- 
riner und Stabianer Thor) und VI (Südostecke am Amphitheater) 
hergestellt. Decorationsreste sind hier nirgends erhalten; das 
Lavaincertum ist von dem der zuerst besprochenen Thürme nicht 
verschieden: gerade in dem Ziegel werk der Ausfallspforte von 
VI ist derselbe treffliche, schwarzkörnige Mörtel zu constatiren. 

Wenn wir nun bedenken, dass Ziegel in der Basilica und 
im Jupitertempel, in letzterem auch ziegeiförmiger Haustein ver- 
wandt ist, so werden wir wenigstens die Möglichkeit nicht in 
Abrede stellen können, dass auch die in der Bauart nicht genau 
übereinstimmenden Thürme doch derselben Periode angehören. 

In den Massen tritt weder der oskische noch der römische 
Fuss deutlich hervor; doch sind sie eher dem ersteren günstig. 
Von den Hauptdimensionen ist nur die Breite (in der Richtung 
der Stadtmauer) messbar; aber es ist schwer, hier die massgebende 
Grösse zu finden, da sich die Thürme nach oben verjüngen. Auf 
der Mauer gemessen ist VII 7,32, VIH 7,44, XII 7,47, X 7,57, 
XI 7,58 breit, Zahlen, die keine Entscheidung geben ; denn zwar 
sind 7,425 = 27' osk., während in römischem Mass sich keine 
annehmbare Grösse ergiebt; aber wenn 7,28 = 26'/,' osk. sind, 
so sind 7,31 = 24 3 // röm., ebenso 7,563 = 27%! osk., 7,548 
= 25'/,' röm. Auch haben wir hier schwerlich die massgebenden 
Grössen vor uns. XI, von der Stadtseite so niedrig wie möglich 
gemessen, ist 7,68 breit; 7,70 sind 28' osk. oder 26' röm. VI ist 
breiter: c. 7,92; 7,84 = 28'/,' osk., 7,99 = 27' röm. — Die Dicke 
der Seitenmauern variirt von 0,95 bis 1,0; Durchschnitt 0,98. 
Die nächstliegenden Grössen sind 3 1 /,' osk. (0,963) und 3 1 // röm. 
(0,962). — Die Aussenmauer ist bei X 0,70 stark, was in keinem 
der beiden Masse eine überzeugende Grösse giebt. — Die dün- 
neren Mauern gegen die Stadtseite und die zwischen Hauptraum 
und Treppe variiren von 0,55—0,57 (vereinzelt einmal bei VIII 
0,59); Durchschnitt 0,56. Hier liegt es freilich nahe, 2' osk. (0,55) 
für beabsichtigt zu halten. — Die Thürweiten variiren von 1,10 
bis 1,15; Durchschnitt 1,14; die Abweichung von 4' osk. (1,10) 
ist doch reichlich stark. In römischem Mass ergiebt sich nichts 
näher liegendes als 3 s / 4 ' (1,113). 



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214 



Capitel VIII. 



Von den Thürmen werden wohl die aus Lavaincertum auf- 
geführten Theile der Stadtmauer, welche sich grossentheils eben 
an die Thürme anschliessen und ähnliches Mauerwerk zeigen, 
nicht getrennt , werden dürfen. Nissen zwar kommt in Betreff 
des dem Herculaner Thor zunächst liegenden Thurmes zu einem 
anderen Resultat. Wir lesen bei ihm folgendes (S. 460 f.): 

„9,30 M. ehe man au den Thurm gelangt, beginnt oben auf 
„der Mauer sich eine Bekrönung von drei Schichten Kalkstein 
„zu zeigen, welche 1,70 vor dem Thurm wieder aufhört Wo 
„sie beginnt, schneiden die drei Kalksteinblöcke in senkrechter 
„Linie ab, und was wichtiger ist, diese Linie setzt sich deutlich 
„in der Lavamauer fort-, jedoch nicht ganz bis zum jetzigen Boden. 
„Hier muss also noth wendig einmal ein Ab- oder Einschnitt ge- 
wesen sein: derselbe rührt ohne Zweifel von der nachträglichen 
„Hinzufligung des Thurmes her; denn man erkennt, dass der 
„Thurm in ein nach gleichem Princip erbautes, mit drei Kalk- 
„ steinschichten gekröntes Lavastück später hineingesetzt wor- 
den ist." 

Diese Argumentation ist, auch an Ort und Stelle gelesen, 
unverständlich und, wie auch immer zu verstehen, jedenfalls 
unrichtig. Die bezeichnete senkrechte Linie schliesst das mit 
drei Kalksteinschichten gekrönte Stück gegen Westen, nach der 
dem Thurm abgewandten Seite, nicht gegen diesen ab, hat also 
mit seiner vermeintlich nachträglichen Einfügung nichts zu thun. 
Es geht ferner dieser Abschnitt nicht bis auf den Boden, sondern 
nur bis etwa zwei Meter unter die Kalksteinschichten. Das untere 
Mauerwerk aber hängt mit dem des Thurmes ohne irgend welchen 
Ansatz zusammen. — Jene Linie ist so entstanden, dass das an 
den Thurm anstosseude, mit drei Kalksteinschichten gekrönte 
Stück gegen Westen mit einer Ecke — sie scheint ähnlich 
gebildet wie an der Basilica und den Thürmen — abgeschlossen 
wurde, dass aber dann westlich in gleicher Flucht, ohne irgend 
welchen Vorsprung zu lassen, daran angebaut wurde : es ist also 
dies mit dem Thurm zunächst zusammenhängende Stück nicht 
in einen Bruch hineingeflickt, sondern erst fertig gemacht und 
dann die westliche Fortsetzung daran angesetzt worden. Eine 
solche Eckenbildung konnte wohl nur durch die Absicht ver- 
anlasst sein, dies an den Thurm stossende Stück decorativ vor- 




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Einige der Basiliea gleichzeitige Hauten. 



215 



springen zu lassen, vielleicht bis hierher die Stuckdecoration 
des Thurmes auszudehnen; doch muss diese Absicht schon wäh- 
rend des Baues aufgegeben worden sein. 

So dient diese Beobachtung vielmehr dazu, den Zusammen- 
hang der Thiirme mit den Mauerstücken aus Incertum zu be- 
stätigen. Es sei noch bemerkt, dass gegenüber der Mercurstrasse, 
östlich vom Thurm XI, ein solches Mauerstlick nach der Stadt- 
seite eine Quaderwand zeigt. Dass diese gerade hier jüngeren 
Ursprunges sei als anderswo (Nissen S. 463), für eine solche 
Annahme würden sich vielleicht bei vollständigerer Kenntniss 
der Mauer Anhaltspunkte finden, für jetzt fehlen dieselben 
gänzlich, und es dürfte überhaupt gerathen sein, einstweilen 
Uber das Verhältniss dieser Innenmauer zur ursprünglichen 
Aussenmauer und zu ihren Restaurationen kein Urtheil auszu- 
sprechen. 

Dass auch die inneren, überwölbten Theile des Nolaner und 
Stabianer Thors und die entsprechenden Theile der anderen, 
weniger vollständig ausgegrabenen Thore derselben Gruppe von 
Bauwerken angehören, soll nicht mit Bestimmtheit behauptet 
werden, ist aber ziemlich wahrscheinlich. Auf die wesentlich 
gleiche Beschaffenheit des Lavaincertums mag kein grosses Ge- 
wicht gelegt werden. Von der Bauart wird im zehnten Capitel 
weiter die Rede sein. Die Ecken gegen die Aussenseite sind 
ähnlich wie die der Basilica und der Thürme, die Wölbung in 
der mehrfach erwähnten Weise aus Lava gebildet; nur die ober- 
sten Steine sind am Nolaner Thor Tuff: es sind dies nach innen 
fünf grössere, mit dem bekannten Kopf und der Inschrift, nach 
aussen zehn kleinere, nach Art der Tuffziegel; der Kopf kann 
auch für die Zugehörigkeit des Thores zu dieser Gruppe ange- 
führt werden, da er sich eben so an dem hierher gehörigen 
grossen Theater findet. — Die Reste der Stuckdecoration gehören 
offenbar dem ersten Stil an. 

Es handelt sich nun darum, dieser Gruppe ihren chrono- 
logischen Ort zu finden. 

Die Tuffsäulen der Basilica und des Jupitertempels, die 




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216 



Capitel VIII. 



Beschaffenheit des Mauerwerks, namentlich auch des Mörtels, 
die Thürpfosten aus Quadern, die in zweien sicher, wahrschein- 
lich in dreien dieser Gebäude erhaltenen Reste des ersten De- 
corationsstils: alles dies weist deutlich auf die Tuffperiode. Und 
damit stimmt der bekannte Graffito der Basilica aus dem Jahre 
78 v. Chr. 

Wenn die Säulen und Halbsäulen, sowie die grössten Theils 
aus Säulen bestehende Ostfront der Basilica, aus Ziegeln, einem 
im allgemeinen der Tuffperiode fremden Material, aufgemauert 
sind, so erklärt sich dies aus den ungewöhnlichen Anforderungen, 
welche hier au die Eöhe und Stärke der Säulen gestellt wurden. 
Eine Analogie bieten ferner die Ziegelsäulen des zweiten Peristyls 
der casa del Fauno und die der casa del Laberinto: auch 
sie gehören aller Wahrscheinlichkeit nach der Tuffperiode, oder 
doch der Zeit des ersten Decorationsstils an; denn wären ihnen 
ältere Tuffsäulen vorhergegangen, so hätten dieselben doch nicht 
spurlos verschwinden können. Auffallender ist die vereinzelte 
Anwendung von Ziegeln zu Thürpfosten im Jupitertempel. 

Auch die Verwendung ziegeiförmiger Kalk- und Tuffsteine 
zu Ecken und Thürpfosten ist der Tuffperiode fremd. Die ähn- 
lich geformten Kalksteine, aus denen gewisse Pilaster im inneren 
des Jupitertempels aufgesetzt sind, weichen durch ihre Grösse 
wesentlich von der sonst üblichen Form ab, und können fast als 
kleine Quadern bezeichnet werden. Hingegen sind in der Rück- 
mauer des Jupitertempels Tuffziegel vermauert worden, ohne 
practischen Nutzen, vermuthlich nur weil sie eben zur Hand 
waren: sie beweisen aber hinlänglich, dass ihre Verwendung der 
Periode, welcher diese Bauten angehören, nicht fremd war. Aus 
ziegeiförmigen Steinen fanden wir ebenda die Vorderecken des 
Einbaues gebildet. Endlich fanden wir Ziegel und ziegelförmigen 
Haustein, getrennt und verbunden, an einigen wahrscheinlich 
hierher gehörigen Thürmen. 

Wir werden also an die letzte Zeit der Tuffperiode zu denken 
haben, eine Zeit, wo die späteren-Constructionsarten schon sich 
zu verbreiten begannen. Und wenn wir am Nordeingang der 
Basilica und am Eingang des Jupitertempels nicht die in dieser 
Periode so beliebten Pilaster, etwa mit figurirten oder sonstigen 




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Einige der Basilica gleichzeitige Hauten. 



217 



Capitellen finden, sondern an die Stuckverkleidung der Aussen- 
wand sich die Holzverschalung der Thttrpfosten ansehloss, so 
scheint auch dies darauf zu deuten, dass zur Zeit des Baues die 
eigentliche Blüthe der Tuffperiode vorUber war. Wenn wir also 
die in Rede stehende Gruppe von Gebäuden in das Ende des 
zweiten und den Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. setzen, 
so dürfen wir hoffen, uns von der Wahrheit nicht allzu weit zu 
entfernen. 



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Capitel IX. 

Die ersten Bauten der römischen Colonie. 



Schöne und nach ihm Nissen haben darauf aufmerksam ge- 
macht, dass das Amphitheater, das kleine Theater und die 
Forumsthermen offenbar einer Periode, und zwar den ersten 
Zeiten der römischen Colonie angehören. Im folgenden soll zu- 
nächst über die Forumsthermen und die Ansichten Schöne's und 
Nissen's in Betreff derselben (Nissen Cap. V) einiges bemerkt, 
und sodann gezeigt werden, dass derselben Gruppe noch zwei 
weitere Bauwerke angehören. 



Dass das Frauenbad (auf dem Grundriss F,G, H, I) der 
Forumsthermen erst nachträglich zu der ursprünglichen Anlage 
hinzugefügt worden sei, hat Schöne schon in seinem Quae- 
stionum Pompeianarum specimen (1868) zu erweisen ge- 
sucht; Nissen hält dies für zweifellos (S. 131). Und doch steht 
diese Annahme auf schwachen Füssen. 

Wir sehen ab von allgemeinen Erwägungen, wie die, 
dass die sullanischen Colonisten die ältere oskische Thermen- 
anlage mit gesondertem Frauenbad als Vorbild vor Augen hatten: 
haben doch auch die Ausgrabungen der letzten Jahre eine grosse 
Thermenanlage zu Tage gefördert, die kein Frauenbad hat 
(Reg. IX ins. 4. s. Bull. d. Inst. 1877 S. 214 ff. 1878 S. 251 ff.). 
Prüfen wir vielmehr genau den Thatbestand, dem ja auch 
Schöne und Nissen ihre Argumente entnommen haben. 



L Die Forumsthermen. 




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Die ersten Bauten der römischen Colonie. 



219 




Diese Argumente nämlich beruhen darauf, dass vermeint- 
lich erstens das Mauerwerk verschiedenen Charakter hat, zwei- 
tens dass man da, wo beide Arten Mauerwerk zusammenstossen, 
deutlich sieht, wie das ältere von dem jüngeren überdeckt 
wurde, drittens, dass das Tepidarium im Frauenbade Luftheizung 
hat, also einen bemerkenswerthen Fortschritt des Comforts gegen 
das derselben entbehrende Tepidarium des Männerbades zeigt. 
Endlich soll auch ein Blick auf den Plan die spätere Anfügung 
lehren. 

In engem Zusammenhang mit dieser Frage steht die von 
Nissen aufgestellte Vermuthung, dass auch der Säulenhof (A) 
jüngeren Ursprungs sei (S. 132): sie gründet sich darauf, dass 
die südliche und westliche Einfassungsmauer desselben die vor- 



220 



Capitel IX. 



raeiutlich jüngere Constructionsart des Frauenbades zeigen, und 
dass die Arkaden der Portiken aus gelbem Tuff errichtet sind, 
einem Material, welches nach Schöne und Nissen erst in der 
letzten Zeit Pompeji's Üblich geworden ist. 

Hier ergeben sich nun sofort wunderliche Consequonzeu. 
Dass bei Erbauung des Männerbades auch dieser Hof angelegt 
wurde, ist durch die ihm östlich vorgelegte Bottegenreihe (alter 
Construction) durch die auf ihn mündende Exedra (/), durch den 
im Grundplan liegenden hinteren Ausgang des Apodyteriums (e) 
doch wohl hinlänglich gesichert. Dass er ohne Portiken ge- 
wesen sein sollte, ist mehr als unwahrscheinlich; diese können 
aber nach Nissen nicht aus gelbem Tuff errichtet gewesen sein. 
Eine südliche und westliche Umfassungsmauer kann ihm auch 
nicht gefehlt haben, und dass der zwischen diesen und den 
Strassen übrig bleibende Raum schon damals von Bottegen ein- 
genommen war, kann nicht zweifelhaft sein. Dies alles aber 
musste nach Nissen in demselben Mauerwerk wie die Bottegen 
an der Thermen- und Forumstrasse — unvollkommenes Lava- 
reticulat — erbaut sein; denn was wir jetzt dort finden, soll ja 
eben durch die Verschiedenartigkeit des Mauerwerks als jünger 
erwiesen werden. Nun dürfen wir aber wohl fragen, wie denn 
die ursprünglichen Portiken, die alten Umfassungsmauern und 
Bottegen, wenn sie in jener soliden Weise erbaut waren, so spur- 
los haben verschwinden können, da doch die Lavamauern auf 
der Nord- und Ostseite der Insel so trefflich erhalten sind. Wenn 
sie auch schadhaft geworden waren, so war es doch, wie bei 
Nissen (S. 31 ff.) sehr richtig hervorgehoben wird, durchaus nicht 
pompejanische Art, in einem solchen Falle tabula rasa zu 
machen, sondern man benutzte die Reste so viel wie irgend 
möglich. Es wird sich also doch wohl verlohnen, obige Argu- 
mente einer erneuten Prüfung zu unterwerfen. 

Sehr gravirend wäre es in der That, wenn das Mauerwerk 
des Frauenbades deutlich das der vermeintlich älteren Theile 
bedeckte und so sich als jünger erwiese. Nach Nissen (S. 131) 
soll dies in dem Vorraum bei den Oefen (der Eingang auf dem 
Plan mit c bezeichnet) deutlich sichtbar sein: „man erkennt in 
der Westwand den alten sorgfältigen Bau mit Lavabruchstein, 
der dann von dem dicken Gusswerk des neuen Caldariums über- 




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Die ersten Bauten der römischen Colonie. 



221 



deckt wurde." In Wahrheit aher ist die in der „alten sorg- 
faltigen" Art gebaute Mauer einfach die Ostmauer des Frauen- 
caldariums F, nicht etwa die Westwand eines Ladens, welcher 
schon vor dem Bau desselben hätte existiren können. Das 
Quasireticulat aus Lava reicht hinauf bis dahiu, wo die aus gelbem 
Tuff gebildete Wölbung des Caldariums ansetzt, eine Höhe, welche 
für einen Laden ganz unerhört sein würde; es ist mit dem aus 
Ziegelwerk bestehenden nordöstlichen Eckpfeiler des Caldariums 
genau so verzahnt, wie die Wände zwischen den Läden der 
Nordseite mit den Ziegel pfeilern, in welche sie auslaufen. Weiter 
südwärts wird es allerdings von jüngerem Mauerwerk überdeckt, 
doch ist dies eben jünger als das Caldarium: es ist das Mauer- 
werk eines Ausbaues, durch den dasselbe nachträglich erweitert 
worden ist. 

Wenn also das Mauerwerk des Frauenbades bezeichnet 
wird als „ein regelloser Bruchsteinbau, der ohne Rücksicht auf 
Material, Grösse, Form die Stücke bunt durch einander ver- 
mauert", so ist wenigstens dies Stück der Ostmauer, welches 
zugleich die Westwand des später zum Heizraum gezogenen 
Ladens bildet, davon auszunehmen: es ist den von Schöne für 
älter gehaltenen Theilen vollkommen gleichartig; aber freilich 
kommt diese Bauart nur hier vor. Weiter nach Süden ist zu- 
nächst das alte Mauerwerk durch den erwähnten Ausbau theils 
unterbrochen, theils tiberdeckt; weiter oben ist moderne Ziegel- 
verkleidung. Jenseits des Ausbaues ist die Ostwand des Cal- 
dariums (bis zur Thür des Ganges, der in den kleinen Hof K 
führt) mit Stuck verkleidet. Dann folgt in der Ostwand des 
Ganges, welche aber die ununterbrochene Fortsetzung der Ost- 
wand des Caldariums ist, Lavabruchstein, und zwar unten Lava 
allein, nicht alles mögliche Material, an Netzwerk noch stark 
erinnernd: die Steine bilden eine sehr gleichmässige Oberfläche 
und sind vorwiegend eben so hoch wie breit: über der Thür ist 
ein construirter Entlastungsbogen aus ziegeiförmigem Tuff, aus- 
gefüllt vorwiegend mit gelbem Tuff. An den Thürpfosten ist, 
soweit kenntlich, ziegeiförmiger gelber und grauer Tuff nebst 
Kalkstein und Cruma verwandt. Weiter oben geht dann das 
Mauerwerk in Kalksteinincertum über, welches ganz ähnlich be- 
handelt ist und stellenweise sich dem Netzwerk sehr nähert. 



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222 



Capitel IX. 



Und mehr noch ist dies noch weiter oben der Fall, wo auch 
Cruma reichlich verwandt ist. Also keineswegs ist das Material 
regellos durch einander vermauert, sondern mit gutem Bedacht 
hat man, wie so häufig, zu unterst die Lava, als besonders festen 
Stein, gewählt, dann den auch dauerhaften Kalkstein, zu oberst 
endlich das leichteste und am wenigsten feste Material. Ganz 
ähnliches Mauerwerk zeigt die Westwand des schon erwähnten 
kurzen Ganges und des über ihm liegenden Raumes, endlich auch 
die Südwand des Tepidariums G: auch hier finden wir in den 
oberen Theileu reichliche Verwendung von Cruma, welche, 
zwischen dem helleren Material (Tuff und Kalkstein) verstreut, 
den Mauern ein ziemlich buntes Aussehen giebt. Nur wenig ab- 
weichend ist das Mauerwerk des kleinen Raumes, welcher in die 
Nordwestecke des Hofes, zwischen die Westwand desselben und 
die Südwand des Tepidariums (vielleicht nachträglich) hinein ge- 
baut worden ist. Es mag bei dieser Gelegenheit bemerkt werden, 
dass aus diesem Raum einst eine Thür (oder war es nur eine 
Nische?) in's Tepidarium führte, dann aber zugesetzt worden ist; 
jetzt ist er nur durch eine auf dem Plan fehlende Thür von K 
aus zugänglich. Ganz das gleiche Mauerwerk hat aber die Ost- 
mauer des Hofes K 1 d. i. die von Nissen für jünger gehaltene 
Westmauer des Säulenhofes A. Hier ist an manchen Stellen 
geradezu Netzwerk; da die Mauer nichts trägt, ist namentlich 
in den oberen Theilen Cruma reichlich verwandt; gelber Tuff 
findet sich weniger, doch ist aus demselben die Wölbung eines 
hier mündenden unterirdischen Ganges gebildet, der sich gleich 
in zwei Arme theilt, von denen der eine (nach N) bald endet, 
der andere (nach 0) nachträglich unter der Mauer der schola 
labri des Männercaldariums zugesetzt worden ist. Ganz den- 
selben Charakter hat endlich die dem Säulenhofe zugewandte 
Südwand des Männerbades (C, E) (die Westwand ist mit Stuck 
bedeckt). 

Abweichendes Mauerwerk hat nur die Westseite des Frauen- 
bades. Abgesehen von dem mit der Nordwestecke zusammen- 
hängenden, vor den Rest der Mauer vorspringenden Stück 
Ziegelmauer ist die Westwand des Apodyteriums H wohl ein Rest 
eines älteren Gebäudes: das treffliche Lavaincertum , der sehr 
harte Mörtel mit grossen Lavabrocken erinnern an die oskischen 




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Die ersten Hauten Uer römischen Colonie. 



22* 



Bauten. Die Westwand des Tepidariums G, gewöhnliches Kalk- 
steinincertum, ist später daran angesetzt worden. 

Wo bleibt nun also die Verschiedenheit des Mauerwerks? 
Das dem Netzwerk ähnliche Lavaincertum finden wir in den 
Läden an der Nordseite, in dem Eingang ebenda, und in dem 
hinter den Läden aus dem Apodyterium B zum Heizraum führenden 
Corridor, in den Läden def Ostseite und eben daher auch an 
der Ostmauer des Männerbades und des Säulenhofes, welche ja 
zugleich die Rückwand dieser Läden ist. Auch das Frauenbad 
hat da, wo es sich mit der nördlichen Ladenreihe berührt, das 
gleiche Mauerwerk. Im übrigen zeigen die Mauern sowohl des 
Männer- als des Frauenbades das, was Nissen regellosen Bruch- 
steinbau nennt; denn auch die Westmauer des Männercaldariums 
scheint, so weit dies zu erkennen, in derselben Weise gebildet 
zu sein. 

Einem Einwände muss noch begegnet werden: die nördliche 
Strassenwand des Frauenbades zeigt nicht das dem Reticulat 
ähnliche Lavaincertum, wie man doch erwarten sollte, da sie 
mit den Läden der Nordseite in einer Linie liegt. Allein damit 
hat es eine andere Bewandtuiss: die jetzige Frontmauer ist offen- 
bar nicht die ursprüngliche. Zwar ihr jetziges, sehr geflicktes 
Aussehen verdankt sie einem vermuthlich durch die Anbringung 
der Fenster veranlassten Umbau; sie bestand — wenigstens 
grossentheil8 — aus Ziegeln, und weiter oben aus Kalkstein- 
incertum. Aber auch dies ältere Mauerwerk ist weder mit dem 
Tonnengewölbe noch mit dem nordöstlichen Eckpfeiler gebunden, 
sondern offenbar nachträglich unter jenes und an diesen gemauert 
worden, nachdem die Räumlichkeiten, wie am Gewölbe sichtbar, 
vom (N.) verkürzt worden waren. Damit stimmt es überein, dass 
an der unten mit Ziegeln verkleideten Nordwestecke oben, nach 
Norden zu, der Ansatz einer, wie auch die Wölbungen der Bade- 
räume, aus gelbem Tuff gebildeten Wölbung sichtbar ist (s. die 
Abbildung bei Gell, Pompeiana, 1832, II. Taf. XXXIV). Es 
deutet auch dies darauf hin, dass das Gebäude einst nach Norden 
weiter in die Strasse vortrat. Ueber diese Dinge ganz in's klare 
zu kommen, ist nicht leicht; denn andererseits ist der nord- 
östliche Eckpfeiler, welcher die jetzige Länge vorauszusetzen 
scheint, offenbar alt und mit dem Quasireticulat der Ostwand 



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224 



Capitel IX. 



genau in der Weise verzahnt, die wir hier auch sonst beobachten 
können. Dagegen ist die Ziegelverkleidung der Nordwestecke 
jlinger, und setzt die jetzige Frontraauer voraus, mit der sie im 
Mauerwerk ziemlich übereinstimmt 

Betrachten wir nun die südlich vom Frauenbad und westlich 
vom Säulenhofe liegenden Theile, so finden wir, dass die ganze 
Westmauer des kleinen Hofes K jüngeren Ursprunges ist: ihr 
Incertum besteht aus allem möglichen Material, die Thürpfosten 
aus Ziegelwerk, welches mit dem Incertum in der später allge- 
mein üblichen Weise viereckig und regelmässig verzahnt ist. Es 
wurde schon erwähnt, dass zwischen dem kleinen Gelass in der 
Nordwestecke von K und dem Frauentepidarium eine Thür ver- 
mauert zu sein scheint. Sie war niedrig und aus ziegeiförmigem 
Tuff gewölbt. Eben dies kleine Gelass hat nach Westen eine 
modern vermauerte Thür (No. 9) auf die Strasse: ihr nördlicher 
Pfosten ist noch alt und besteht aus grauem Tuff in Ziegelform; 
mit dem südlichen Ziegelpfosten beginnt der jüngere Theil der 
Mauer. Es folgt weiter ein ebenfalls modern vermauerter Zugang 
zu dem kleinen Hofe, mit Ziegelpfosten (No. 10), sodann ein 
Laden (No. 11), mit dessen nördlichem Ziegelpfosten das jüngere 
Stück Mauer abschliesst. Der südliche Pfosten ist aus ziegei- 
förmigem gelbem Tuff sorgfaltig aufgemauert, ebenso der (allein 
erhaltene) östliche Pfosten einer später vermauerten kleinen Thür, 
welche aus dem Laden nach Norden in den kleinen Hof führte. 
Alle drei Wände des Ladens zeigen Quasireticulat, hier aber 
nicht aus Lava, sondern aus verschiedenartigem Material, nament- 
lich Kalkstein, gelbem und grauem Tuff. Dies Quasireticulat 
ist in allen Wänden durchaus gleichartig; in der Rückwand geht 
es oben über in Incertum aus Cruma, und hier, in diesen oberen 
Theilen, ist deutlich zu erkennen, dass diese Mauer die ununter- 
brochene und gleichartige Fortsetzung der Westmauer des Säulen- 
hofes (zwischen diesem und dem kleinen Hofe K) ist, über deren 
offenbare Zugehörigkeit zum ursprünglichen Bau oben gesprochen 
wurde. Daraus ergiebt sich, dass demselben auch dies Quasi- 
reticulat, trotz der Verschiedenheit des Materials, angehört, dass 
es dem Quasireticulat der Nord- und Ostseite gleichzeitig ist. — 
Es folgt weiter südlich ein antik vermauerter Zugang zur La- 
trina d, ein modern vermauerter (a 1 , No. 12) zum Säulenhofe, 




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Die ersten Bauteil «lor römischen Colonie. 



225 



beide mit Pfosten aus ziegeiförmigem gelbem Tuff, endlich ein 
Laden (No. 13), dessen nördlicher Pfosten noch, wie die vorigen, 
aus gelbem Tuff aufgemauert ist. Das übrige StUck der West- 
mauer, beginnend mit dem südlichen Eingangspfosten des Ladens, 
in welchem Ziegel in der späteren regelmässigen Weise mit 
ziegeiförmigem Haustein wechseln, ist jünger; es wird an der 
Ecke durch einen Ziegelpfeiler mit den gewöhnlichen viereckigen 
Verzahnungen abgeschlossen. Die älteren Theile der Westseite 
sind also, abgesehen von dem Quasi reticulat, durch sorgfältig ge- 
arbeitete Thürpfosten aus gelbem Tuff charakterisirt. Ganz 
gleiche Pfosten kommen nun aber auch in den von Schöne und 
Nissen als alt anerkannten Räumen vor, nämlich auf der West- 
seite im Oberstock, in untrennbarer Verbindung mit dem für die 
erste Zeit der Colonie charakteristischen Lavareticulat. Wir finden 
eine solche Thür über der linken Wand des Ladens No. 25, ferner 
in einer hinter der Rückwand desselben Ladens liegenden oberen 
Mauer, und über der Rückwand des Ladens No. 22. Diese Pfosten 
sind nicht, wie es später üblich war, durch viereckige, in das 
Incertum eingreifende Stücke mit der Mauer verzahnt, sondern 
so, dass die Tuffziegel in unregelmässigcr Linie bald etwas mehr, 
bald etwas weniger eiugreifen: man könnte es eine schwache 
Verzahnung nennen. Eine weitere Eigenthttmlichkeit dieser Pfosten 
ist ihre geringe Breite. Ebenso sind die aus Kalkstein bestehen- 
den Pfosten der kleinen Thttren in der Rückwand von No. 25 
und in der von No. 29 (zum Raum unter der Treppe) gebildet. 
Dass keine dieser Thoren einer nachträglichen Aenderung ihre 
Eutstehung verdankt, ist augenscheinlich. In Betreff der Art der 
Verzahnung kann nun freilich ein Vergleich mit den gelben Tuff- 
pfosten der Westseite nur sehr theilweise angestellt werden: die 
Thtiren liegen dort meist dicht bei einander, und man hat des- 
halb die ganzen Mauerstücke zwischen je zwei Thüren aus 
ziegeiförmigen Tuffstücken hergestellt, so dass von Verzahnung 
nicht die Rede ist. Dennoch aber ist klar, dass die einst aus 
dem Laden No. 11 in den kleinen Hof führende Thür (nur der 
Ostpfosten ist erhalten) mit denen der Ostseite übereinstimmt. 
Genau so ist ferner der freilich aus grauem Tuff und Kalk- 
stein bestehende nördliche Pfosten (der andere ist jünger) der 
Thür No. 9 gebildet. Deutlich unterscheiden sich diese gelben 

Mau, ponipejan. Beitrage. 15 



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226 



Capitel IX. 



Tuffpfosten von den jüngeren, nachlässiger und mit viel stärkeren 
Mörtelschichten gebauten des kleinen Vorhofes m vor dem Ein- 
gang zum Frauenbad und der einst Uber dem (selbst später 
erbauten) Wasserreservoir L befindlichen Räume; au beiden Stellen 
sind auch die von ihnen abgeschlossenen Mauern aus gelbem 
Tuff nachlässig aufgeführt. 

Es ergiebt sich uns so eine neue Bestätigung unseres schon 
auf anderem Wege gefundenen Resultats, dass nämlich hier das 
Quasireticulat aus Kalkstein, Tuff und anderem Material zeitlich 
von dem aus Lava bestehenden der Nord- und Ostseite nicht 
verschieden ist. Wir haben vielmehr anzunehmen, dass auch 
diese westlichen und südlichen Theile der ursprünglichen Anlage 
angehören, und dass man in den auf zwei der frequentesten 
Strassen mundenden Läden der Nord- und Ostseite mehr Mühe 
auf das Mauerwerk verwandte; denn die Bearbeitung der Lava 
ist mühsamer. 

Das gleiche Quasireticulat aus Kalkstein finden wir nun in 
den Zwischenwänden der zweiten Hinterzimmer der nach Süden 
gewandten Läden; in diesen selbst aber und den ersten Hinter- 
zimmern jüngeres Mauerwerk. Wir dürfen also, wenigstens mit 
grosser Wahrscheinlichkeit, schliessen, dass auch hier wie auf 
den anderen Seiten anfangs nur eine einfache Reihe von Läden 
ohne Hinterzimmer war, so dass hinter dem Jupitertempel noch 
ein ansehnlicher freier Platz blieb. Nur so erklärt es sich, dass 
diese Läden so unmässig reich mit Hinterzimmern ausgestattet sind: 
es hätte doch sonst nahe gelegen, vielmehr den Säulenhof etwas 
weiter nach Süden auszudehnen. — Die Südostecke der Insel 
kann wegen der modernen Einbauten (Amtslokal der Sopra- 
stanti) nicht näher untersucht werden. 

Wir haben also gefunden, dass die ganze Anlage, Männer- 
und Frauenbad, auf einmal erbaut worden ist, indem für die West- 
mauer des Frauenapodyteriums eine ältere Mauer benutzt wurde. 
Quasireticulat wurde in den auf die Strassen geöffneten Räumen 
und, im Osten wenigstens, in dem darüber liegenden Oberstock, 
ausserdem in dem Corridor hinter der nördlichen Bottegenreihe 
verwandt; und zwar wurde es an der Nord- und Ostseite aus 
Lava, an der West- und Südseite aus geringerem Material her- 
gestellt. Beim Bau der Westmauer des Frauentepidariums gab 



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Die ersten Bauten der römischen Colonie. 



227 



man sich nicht die Mühe, sie dem Mauerwerk der übrigen Anlage 
ähnlich zu machen, da sie ja nur die Fortsetzung einer älteren, 
ohnehin abweichenden Mauer ist. Die Thürpfosten und Eckpfeiler 
wurden im Norden und Osten aus Ziegeln, im Westen und im 
Oberstock aus ziegeiförmigem gelbem Tuff gemacht; auf der Süd- 
seite sind sie in Folge der späteren Zusätze nicht erhalten. 

Wir haben ferner gesehen, dass das Frauenbad Veränderungen 
erfahren hat, dass vorn die Räume verkürzt und hinten wahr- 
scheinlich ein Eingang geschlossen worden ist. Da uns also 
dieser Theil der Anlage nicht in seiner ursprünglichen Gestalt 
vorliegt, so darf auch aus den vollkommeneren Heizvorrichtungeu 
nicht auf jüngeren Ursprung geschlossen werden. 

Die östlichen Arcaden des Säulenhofes A besteheu aus Ziegel- 
pfeilern, welche durch Bögen aus ziegeiförmig zugehaueuem gelbem 
Tuff verbunden sind. Die Zwickel sind mit Quasi reticulat aus 
demselben Stein ausgefüllt. Wenn daraus Schöne und Nissen 
auf Entstehung in später Zeit schliessen, so können wir ihnen 
auch hierin nicht beistimmen, nachdem wir beobachtet haben, 
dass in dem ganzen Bau gelber Tuff von Anfang an hie und da 
zur Anwendung gekommen ist 



2. Der Aesculaptempel. 

Ebenso genau wie Forumsthermen und kleines Theater 
unter einander, stimmt der als Aesculaptempel bekannte kleine 
Tempel mit dem Amphitheater Uberein. Genau dasselbe, dem 
Reticulat sich nähernde Mauerwerk aus Lava, genan dieselbe 
Einfassung desselben mit Pfosten aus ziegeiförmigem Kalkstein 
und Tuff, welche hier wie dort nicht rechtwinklig, wie bei 
späteren Bauten, sondern schwach mit dem Mauerwerk verzahnt 
Bind, d. h. mit stumpfen Winkeln dreieckartig in dasselbe ein- 
greifen. Wir haben nur die Wahl, entweder den auf völliger 
Gleichheit der Bauart beruhenden Beweis anzuerkennen, oder 
überhaupt auf dies Hülfsmittel der Chronologie, das wichtigste 
von allen, zu verzichten. Hat also Nissen mit Recht den Bau 
des Amphitheaters in's Jahr 70 v. Chr. gesetzt, so muss der Aes- 

15* 



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228 



Capitel IX. 



culaptempel in einer hiervon nicht allzu entfernten Zeit ent- 
standen sein 1 ). 

Hier gerathen wir nun freilich in Widerspruch mit Nissen, 
nach welchem der Tempel sicher über das Jahr 90 zurückreicht, 
und sehr wohl etwa dem dritten Jahrhundert angehören könnte. 

Fünf Umstände sind es, welche Nissen S. 175 bis 177 zur 
Altersbestimmung zu verwenden scheint: 

1. Das alterthümliche, an den Sarkophag des Consuls Scipio 
(298) erinnernde Aussehen des Altars. 

2. Die Tempelstatuen aus Thon, welche auf eine Zeit weisen, 
wo die Verbreitung des Marmors noch eine beschränkte war. 

3. Der Umstand, dass, nach Nissen, der Tempel ursprünglich 
ohne Stuckbekleidung zu bleiben bestimmt war. 

4. Die Beschaffenheit des Mörtels, welcher nicht aus Kalk 
und Puzzolana besteht. 

5. Die oskischen Masse. 

Da es sich in 1 und 2 um unzweifelhafte Thatsachen han- 
delt, beginnen wir mit 3. Nissen's Beweis beruht darauf, dass 
die sichtbaren Wände des Tempels — Front und Innenwände — 
aus Netzwerk von Lava bestehen (richtiger aus dem Netzwerk sich 
näherndem Mauerwerk, wie die ersten Bauten der Colonie), die 
nicht sichtbaren Aussenseiten dagegen aus unregelmässig ge- 
schichteten und geformten Lava- und Kalksteinstucken. Sollten 
nun die Wände verputzt werden, so, meint Nissen, hätte mau 
keinen Grund gehabt, die Verwendung des Netzwerks auf die 
sichtbaren Wände zu beschränken. — Das Argument ist von 
derselben Art, wie das S. 60 in Betreff des Netzwerks überhaupt 
verwandte: „In der That wäre es unbegreiflich, warum man sich 
so viele nnnütze Mühe mit der Aussenseite einer Mauer hätte 
geben sollen, die man mit Stuck überziehen wollte". Und so 
irrig die dort gezogene Folgerung ist, dass das Netzwerk „wenig- 
stens in pompejanischen Bauten überall bestimmt war, roh zu 
bleiben", so irrig ist auch die in Rede stehende in Betreff des 
Aesculaptempels. Es ist nun einmal eine nicht wegzuleugnende 
Thatsache, dass sich die Alten diese „unbegreifliche" Mühe gaben, 
deren Resultat nur kurze Zeit, bis zu der wenigstens bei den 

') So schlieft auch A. Holm in der S. 135 Anm. erwähnten Recension 



S. 258. 




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« 

Die ersten Bauten der römischen Oolonie. 229 



Innenwänden von Anfang an in Aussicht genommenen Bekleidung 
mit Stuck sichtbar blieb, einen praktischen Werth aber nicht 
hatte, vielmehr der Haltbarkeit sowohl der Mauer selbst (Vitruv 
II, 8, 1) als der Stuckbekleidung eher nachtheilig war. Wenn 
man nun hier bei den von der Umfassungsmauer nur durch einen 
ganz engen Zwischenraum getrennten Aussenseiten der Tempel- 
wände diese Mühe sich nicht gegeben hat, da ja diese Theile von 
Anfang an niemandem sichtbar waren, dürfen wir daraus so 
weitgehende Folgerungen ziehen? Darf uns das gentigen, um 
anzunehmen, dass, sei es auch im dritten Jahrhundert v. Chr., in 
einer unter griechischem Einfluss stehenden Stadt so beschaffene 
Innenwände eines Tempels roh geblieben seien? Hatte docli 
der viel ältere dorische Tempel, obgleich man dem Tuff eine 
ganz andere Oberfläche geben konnte, als sie hier vorliegt, doch 
seine Stuckbekleidung erhalten, deren Reste durch ihre ungemein 
solide und treffliche Beschaffenheit ihr hohes Alter hinlänglich 
bezeugen. Dazu kommt, dass, wie Schöne richtig beobachtet 
hat, der Mörtel schlecht ist und gar sehr des schützenden Kleides 
bedurfte. Diese Annahme also ist unglaublich, selbst wenn der 
Tempel dem dritten Jahrhundert angehören, das heisst älter sein 
sollte, als die Zeit des ersten uns bekannten, durch die Basilica 
repräsentirteu Decorationsstils; denn dass man noch nach dieser 
Zeit solche Mauern roh gelassen hätte, kann doch wohl nicht 
ernstlich in Frage kommen, zumal es äusserst wahrscheinlich 
ist, dass der Tempel in eben diesem ersten Stil decorirt war: 
s. oben Cap. I, 3). — Aber wie sind denn die weiteren Gründe 
für ein so hohes Alter beschaffen? 

Aus der Beschaffenheit des Mörtels chronologische Folge- 
rungen zu ziehen, sind wir für jetzt nicht im Stande. Eine 
technische Untersuchung des pompejanischen Mörtels wäre in der 
That, wie auch Nissen hervorhebt (S. 41) höchst wünschenswerth. 
Der Mörtel des in Rede stehenden Baues ist nicht Lehm: er 
enthält Kalk, freilich in unzureichender Quantität und mit der 
schwärzlichen Erde nicht hinlänglich gemischt, so dass die Festig- 
keit eine geringe ist. Aehnlicher schlechter Mörtel findet sich 
auch sonst gelegentlich in späteren Bauten 1 ): keinesfalls ist er 
chronologisch zu verwerthen. 

') Vgl. Holm a. a. 0. 



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230 Capitel IX. 

Die oskischen Masse führen uns höchstens Uber die Zeit der 
sullanischen Colonie hinaus , ja es dürfte uns nicht allzu sehr 
Wunder nehmen, wenn auch später noch gelegentlich nach oski- 
schem Mass gebaut worden wäre; und diese Möglichkeit ist um 
so grösser, wenn der Tempel in der That, wie Nissen annimmt, 
nicht von der Stadt, sondern von einer Corporation erbaut 
worden ist 

Uebrigen8 liegt hier die Frage doch nicht ganz so einfach, 
wie es nach Nissen scheint. Einige Distanzen sprechen aller- 
dings für oskisches Mass: 

Thürweite 1,39 = 5' %" osk. = 4' 8" röm. 
Tiefe der Treppe (links; rechts misst sie 2,78) 

2,75 = l(y osk. = 9' 3'/," röm. 
Wände der Cella von aussen: 

vorn 5,40 = 19' 8" (- 9 Mill.) osk. = 18' 3" (- 2 Mili.) röm. 
hinten 5,49 = 20 (-1 Cent.) „ = 18' 7" (- 1 Cent.) „ 
rechts 5,52 = 20* 1" „ = 18' 8" (- 5 Mill.) „ 

links 5,49 = 20' (-1 Cent.) „ = 18' 7" (- 1 Cent.) , 
d. h. mit Ausnahme der etwas kürzeren Vorderseite, und mit 
geringen Variationen, 20' oskisch auf jeder Seite. Wobei es 
freilich bedenklich ist, dass gerade die einzig sichtbare Vorderseite 
von dem runden Mass abweicht. 

Dem können aber andere Masse gegenüber gestellt werden, 
welche sich besser auf den römischen Fuss reduciren; nämlich: 

Tiefe des Vorraumes 

3.57 = 13' osk. (- 5 Mill.) = 12' röm. (+ 18 Mill.) 

nach Nissen 

3.58 = 13' osk. (-}- 5 Mill.) = 12' 1" röm. (-f 4 Mill.) 
Nissen führt dies Mass zu Gunsten des oskischen Fusses an, doch 
ist die Abweichung von 12 Fuss römisch — einer unzweifelhaft 
runderen Zahl — nicht grösser als die, welche wir oben von den 
20 Fuss oskisch der von aussen gemessenen Wände annehmen 
mu88ten. Ferner die Wände der Cella von innen: 

vorn 4,63 = 16' 10' osk. = 15' 4" röm. (+ 6 Mill.) 

hinten 4,71 = 17' l"/ t " „ = 15' 11" „ 

rechts 4,75 = 17' 3" (+6 Mill.) „ = 16' „ ( + 14 Mill.) 

links 4,71 = 1VV/» H = 15' 11" „ 

Abgesehen auch hier von der etwas kürzereu Vorderseite weichen 



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Die ersten Bauten der römischen Colonie. 231 



diese Masse von 16 Fuss römisch nicht wesentlich mehr ab, als 
die der Aussenseite von 20 Fuss oskisch. 

Andere Masse geben in keinem der beiden Fusse eine runde 
Summe. Die Mauerdicke erhalten wir am besten durch Halbi- 
rung der Differenz zwischen der Innen- und Aussenseite der 
Wände; diese Rechnung ergiebt, übereinstimmend mit directer 
Messung am Eingange, ziemlich genau 

0,39 = 1' 5" osk. = 1' 4" röm. (- 4 MilL) 
Ebenso verhält es sich mit den Massen des Altars: 

1,94 X 1,015 = V 1" (- 8 Mill.) X 3' 8" (+ 6 Mill.) osk. 

= 6' 7" (+ 8 Mill.) X 3' 5" (+ 4 Mill.) röm. 

Da es undenkbar ist, dass man theils nach oskischem, 
theils nach römischem Mass gebaut haben sollte, so haben wir 
zunächst anzuerkennen, dass entweder die 20 Fuss oskisch der 
von aussen gemessenen Wände, die 5 Fuss der Thürweite und 
die 10 Fuss der Tiefe der Treppe, ganz zu schweigen von den 
13 Fuss des Vorraumes, oder aber die 16 Fuss römisch der 
Innenwände und die 12 Fuss des Vorraumes ein Werk des Zu- 
falls sein müssen. . Wir werden ferner nicht umhin können, 
speciell in diesem Falle entweder unser Urtheil zu suspendiren, 
oder, wenn wir uns für das oskische Mass entscheiden, dies mit 
grösster Reserve zu thun, und uns bereit zu halten, unsere Ent- 
scheidung, falls sich Gegenindicien herausstellen sollten, sofort 
zu modificiren. 

Dass endlich von Nissen's Gründen die beiden ersten, von 
der Form des Altars und den Thonstatuen hergenommenen, nichts 
zwingendes haben, wird wohl allgemein zugestanden werden. 
Die Motive des Altars sind zu einfach, als dass auf die Ueber- 
einstimmung mit dem Sarkophag des Consuls Scipio ein sehr 
grosses Gewicht gelegt werden dürfte ; es sind ferner die Motive 
des ersten Decorationsstils (Triglyphenfries in der casa di 
Sallustio und in einem Zimmer des Hauses VIII, 3, 31), und 
wenn es Nissen auffiel, „dass die untere Quaderschicht getheilt, 
die obere ungetheilt vorgestellt ist," so hat schon A. Holm a. a. 0. 
S. 258 bemerkt, dass dies eben nur die (in jenem Stil übliche) 
Nachahmung eines Quaderbaues ist. Die Seltenheit des Marmors 
konnte wohl auch noch in späterer Zeit zur Aufstellung von 
Thonstatuen führen. Endlich treffen diese beiden Argumente 



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232 



Capitel IX. 



nicht den Tempel selbst; sie lassen uns den Ausweg, falls wirk- 
lich Altar und Statuen so alt seiu müssen, anzunehmen, dass 
der uns vorliegende Bau an der Stelle eines älteren errichtet sei, 
eine Annahme übrigens, zu der doch kaum genügender Grund 
vorliegen dürfte. Doch sei immerhin bemerkt, dass durch die- 
selbe auch die nicht ganz genau zutreffenden oskischen Masse eines 
vermuthlich der römischen Zeit ungehörigen Baues ihre Erklärung 
finden würden. 

Dem gegenüber führt, wie wir sahen, der Charakter des 
Mauerwerks mit grösster Bestimmtheit auf die erste Zeit der 
römischen Colonie. Um den Tempel in eine viel frühere Periode, 
etwa mit Nissen iu's dritte Jahrhundert versetzen zu können, 
müsste man annehmen, dass schon damals jene Bauart üblich 
gewesen, daun aber in der Tuffperiode durch die bekannte mit 
Eckpfeilern aus grossen Quadern verdrängt worden und nach 
über hundertjähriger Unterbrechung von den sullauischen Vete- 
ranen und ihren Zeitgenossen wieder aufgenommen worden sei. 
Nachdem uns eben bei Nissen gezeigt worden ist, wie die Ent- 
wickelung des pompeianiscben Bauwesens einen steten Fortschritt 
von überschüssiger Festigkeit zur zweckmässigen Berechnung, 
von Quader zu Ziegel und ziegeiförmigem Bruchstein darstellt, 
wird uns eine derartige Annahme doch wohl schwer eingehen. 

Vielmehr werden wir den Aesculaptempel der der ersten 
Zeit der Colonie angehörigeu Gruppe zugesellen, ohne zu ent- 
scheiden, ob er etwa auf der Stelle eines älteren Tempels er- 
richtet wordeu ist. Auch würden wir zu weit gehen, wenn wir 
aus der genaueren Uebereinstimmung mit dem Amphitheater 
schliessen wollten, dass seine Erbauung dem Jahre 70 näher 
liegt als dem Jahre 75; denn auch am Amphitheater kommen 
Ziegelpfeiler, auch am Theater und den Thermen Pfeiler aus 
ziegeiförmigem Haustein vor. Ja selbst die Möglichkeit, dass 
der Tempel in der letzten Zeit vor der Colonie erbaut worden ist, 
dürfte nicht unbedingt auszuschliessen sein; au die Tuffperiode 
erinnern, ausser der Decoration ersten Stils, die Tuffcapitelle 
mit Stuckbekleidung (Mazois-Gau IV, pL VI). 



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Die ersten Bauteil der römischen Colnnie. 



233 



3. Porta Marina. 

Nichts kaim vollständiger sein, als die Uebereinstimmimg 
der Bauart des kleinen Theaters mit der der Forumsthermen. 
Dasselbe dem Netzwerk sich nähernde Lavamauerwerk, hier mit 
trefflichem, sehr hartem Mörtel, dieselben Ziegelpfeilor an Thllren 
und Ecken, dieselben dreieckigen Verzahnungen, mit denen beide 
in einander greifen: wenn Uberhaupt gleiche Bauart für Gleich- 
zeitigkeit beweisend ist, so ist hier ein solcher Beweis vorhanden. 
Nun findet sich aber ganz genau dieselbe Bauart, einschliesslich 
der dreieckigen Verzahnungen, an der Porta marina, d. h. an 
dem gewölbten Gang, der sich nach der Innenseite an das mit 
einem Nebenweg für Fussgänger versehene Thor auschliesst. 
Dass er erst später an den älteren Bau aus der Tuffzeit ange- 
setzt ist, kann nicht zweifelhaft seiu: es mag noch erwähnt wer- 
den, dass auf der Innenseite des alten Thors die Decorations- 
reste ersten Stils durch die Mauer, welche in dem Gange der 
sullauischen Zeit Fahr- und Fusswog trennt, bedeckt werden, 
also älter sind als dieselbe. 

Die dreieckigen Verzahnungen der Ziegelpfeiler finden sich 
am Ostende der Südwand und zu beiden Seiten der Thür, welche 
in den jetzt als Museum benutzten Raum führt. Am Westende 
der Südwand ist das Incertum einfach an das alte Thor ange- 
mauert. Aehulich verhält es sich mit dem Osteude der Nord- 
wand: auch hier hat man ohne besonderen Abschluss an oiue 
ältere Mauer augemauert. Das Westende der Nordwand ist, wie 
das der Südwand, an das alte Thor angesetzt, trifft aber auf den 
kleineren Durchgang desselben und verengt ihn etwas, so dass 
hier ein Abschluss des Incertums nöthig war. Dieser wird ge- 
bildet durch einen Pfeiler aus ziegelförmigem Kalkstein, wie wir 
sie am Aesculaptempol und am Amphitheater finden. Die Ver- 
zahnungen bilden, abgesehen von den durch die grösseren Stücke 
bedingten Unregelmässigkeiten , hier wie bei den Ziegelpfeileru 
je ein annähernd rechtwinkliges Dreieck, mit dem Unterschied 
jedoch, dass hier die Hypotenuse den Anschluss an den Pfeiler 
bezeichnet, die beiden Katheten schräg in's Reticulat hinein cou- 
vergireu, während dort die eine Kathete den Auschluss an 



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234 



Capitel IX. 



den Pfeiler, die andere die horizontale obere, die Hypotenuse 
die schräge untere Grenzlinie des in das Reticulat eingreifenden 
Stuckes bezeichnet. Eben solche Kalksteinpfosten hat auch eine 
in der Nordmauer nach theilweiser Zerstörung des horizontal ge- 
wölbten Sturzes und des ihn Uberspannenden Entlastungsbogens 
zugesetzte Thür. Sturz und Entlastungsbogen bestehen aus ziegei- 
förmig zugehauenen Kalk- und einzelnen Tuffsteinen. Solche 
Entlastungsbogen über den Thtiren sind für die Bauweise dieser 
Zeit charakteristisch: sie finden sich in grosser Zahl über den 
ThUren der Thermen und namentlich des Theaters. Aehnlich ist 
der Stirnbogen gebildet, mit dem das Tonnengewölbe gegen die 
Stadt abschliesst: hier wechseln regelmässig Kalkstein und Cruma. 

Offenbar ist dieser gewölbte Gang nur ein Theil einer 
grösseren Anlage, deren Gestalt und Zweck sich aber unserer 
Kenntniss entzieht. 




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Capitel X. 

Zur Entfestigungsfrage. 



Nachdem wir an der Porta marina den späteren, römischen 
Zusatz erkannt haben, bleibt uns noch übrig, das alte Thor selbst 
näher zu betrachten, es mit den anderen Thoren zu vergleichen 
und (Iber sein Verhältniss zu den verschiedenen Theilen derselben 
in's klare zu kommen. 

Die einzigen uns ganz vorliegenden alten Thore sind, da 
das Herculaner Thor ganz umgebaut ist, die übrigen aber nicht 
oder nicht ganz ausgegraben sind, das Nolaner und Stabianer 
Thor. Beide bestehen aus drei Theilen: einem äusseren Durch- 
gang, gebildet durch die mit Kalksteinquadern verkleideten End- 
stücke der Mauer, einem inneren überwölbten Durchgange und 
einem um weniges breiteren, beide verbindenden Gange, dessen 
Wände wir am Nolaner Thor mit Tuffquadern, am Stabianer 
Thor mit Kalksteinquadern, unter die jedoch einzelne Tuffquadern 
eingemischt sind, bekleidet finden. Und offenbar sind dieselben 
Theile auch am Vesuv- und Sarnusthor vorhanden oder vorhanden 
gewesen. An ersterem ist nur der äussere Durchgang und ein 
Stück der mit Tuffquadern belegten Westwand des mittleren 
Ganges sichtbar, an letzterem der äussere Durchgang zerstört, 
dagegen die Südseite des inneren und zum Theil des mittleren 
Ganges erhalten: dieser ist auch hier mit Tuffquadern belegt. 

Der äussere Durchgang wird wohl so alt sein, wie die Mauern. 
Der innere ist am Nolaner Thor von dem Meddix tuticus Vibius 
Popidius erbaut und mit dem bekannten Kopf am Schlussstein 
der Wölbung verziert worden. Die Bauart ist hier und am Sta- 



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23G 



Capitel X. 



bianer Thor durchaus gleichartig. Die Innenwände zeigen Lava- 
incertum, näher dem äusseren Ende unterbrochen durch Thür- 
pfosten aus Kalksteinquadern. Die Incertumsmauem finden nach 
der Stadtseite ihren Abschluss durch die Quadern, mit denen die 
hierher gewandte Front verkleidet ist. Diese Verkleidung biegt 
an den äusseren Ecken um, um sich auf den Aussenseiten der 
Seitenwände fortzusetzen. Hier ist sie nun freilich nicht tiberall 
gleich vollständig durchgeführt: am Nolaner Thor findet sie sich 
rechts nur theilweise, links ziemlich vollständig (3 Schichten sind 
sichtbar); am Stabianer Thor ist die Ostseite ganz verkleidet, die 
Westseite nicht sichtbar. Die Quadern bestehen am Nolaner Thor 
aus Tuff, am Stabianer Thor aus Kalkstein. Man möchte nun 
erwarten, dass diese Verkleidung an den Ecken gegen die der 
Stadt abgewandte Front wiederum umböge und auch diese ver- 
kleidete; doch ist dies nicht der Fall. Die Aussenfront, d. h. 
die vor die Wände des mittleren Ganges vorspringenden Ecken, 
bestehen aus Lavaincertum, und sind, soweit kenntlich, aus ziem- 
lich flachen Lavasteinen ähnlich gebildet, wie die Ecken an der 
Basilica. Die äussere Bekleidung der Seitenwände nämlich setzt 
sich in gerader Linie fort, und ihre Fortsetzung ist die Quader- 
bekleidung des mittleren Ganges, deren Material daher auch an 
beiden Thoren mit den Quadern des inneren Durchganges über- 
einstimmt. Es kann hiernach nicht zweifelhaft sein, dass der 
innere Durchgang und der mittlere Gang gleichzeitig sind. Die 
Aehnlichkeit der beiden Thore wird vervollständigt durch die an 
beiden gleiche Decoration ersten Stils: ein gelber Sockel tritt 
gegen die weisse obere Wandfläche etwas zurück. Offenbar war 
der innere Durchgang des Sarnusthores ebenso beschaffen: auch 
hier ist die Aussenfront und ihre Ecken ganz ebenso aus Lava- 
incertum gebildet, die der Stadt zugewandte Front mit Tuff- 
quadern belegt ; von den Aussenseiten der SeitenWäude ist nichts 
sichtbar. Dass es sich mit dem Vesuvthor nicht anders verhielt, 
dürfen wir vermuthen. 

Es ist nun gewiss keine besondere Kühnheit, wenn wir aus 
dieser vollkommenen Aehnlichkeit schliessen, dass alle diese 
inneren Durchgänge zu einer Zeit, oder doch innerhalb eines nicht 
langen Zeitraumes erbaut worden sind. Die Bauart — Lava- 
incertum mit Quadereinfassung — und die Decoration gehören 




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Zur Kntfestipunßsfrage. 



237 



der Tuffperiode an: es wurde oben (S. 215) vermuthet, dass diese 
Bauten in der letzten Zeit derselben ausgeführt worden sind. 
Dass sie noch in vorrömische Zeit fallen, beweist die Inschrift 
des Nolaner Thors. 

Weiter aber ist vollkommen klar, dass die Porta marina, 
abgesehen von der Zutbat aus sullanischer Zeit, dem innere« 
Durchgang der anderen Thore entspricht: wir finden hier dieselbe 
Bauart, Lavaincertum mit Quadereinfassung, dieselben dem 
äusseren Ende näher liegenden Kalksteinthürpfosten, ganz die- 
selbe Decoration ersten Stils. 

Daneben aber finden wir wichtige Unterschiede. Es fehlt 
der äussere Durchgang und der mittlere Gang; beide waren offen- 
bar schon, als dies Thor gebaut wurde, nicht vorhanden. Denn 
von einem Ansatz der Wände des mittleren Ganges miisste doch 
eine Spur geblieben sein; wir sehen aber im Gegeutheil, dass, 
wenn die Seitenwände des vorliegenden Thors auf den Aussen- 
seiten eine Quaderbekleidung haben, diese sich nicht, wie an 
den anderen Thoren, nach vorn hin fortsetzte, als Wand des 
Mittelganges, sondern, an den Ecken umbiegend, die der 
Stadt abgewandte Front bekleidet, wodurch gleichfalls dies 
Thor sich von den anderen unterscheidet. Und prüfen wir nuu 
von aussen das nördlich anstossende Mauerwerk, so finden wir 
zunächst auf eine kurze Strecke (c. 1,0) Incertum, dann aber 
Kalksteinquadern, in denen wir trotz der Stuckbekleidung mit 
Sicherheit einen Rest der Aussen wand der Stadtmauer erkennen: 
wie es scheint, hat man das Stück, welches dem Thor zunächst 
liegen miisste, abgerissen, um beim Bau des letzteren nicht be- 
hindert zu sein. Es ist also klar, dass wir hier nicht einen 
zweiten, inneren Durchgang vor uns haben, sondern dass dieser 
Bau mit seinen Vorderecken vor die Mauer vorsprang. Wir 
haben nämlich keinen Grund, anzunehmen, dass es sich auf der 
Südseite anders verhielt: das dort jetzt in annähernd rechtem 
Winkel vor die Front des Thores vorspringende Mauerwerk ist 
unsolider Construction und späteren Ursprunges, jünger als die 
Stuckbekleidung des Thores: von alten Mauern ist keine Spur. 
Es konnten also im Fall einer Belagerung die Augreifer des 
Thores von den auf der Mauer stehenden Vertheidigern nur un- 
vollkommen beschossen werden; waren sie aber einmal unter 




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238 <>itol X. 

die Wölbung, in deu Raum zwischen den Thorflügeln und der 
Aussenfrout vorgedrungen, so waren sie gänzlich in Sicherheit. 
— Die Nische mit der Statue der Minerva lag ohne Schutz 
ausserhalb des Thorverschlusses. — Neben dem Hauptdurchgange 
ist grösserer Bequemlichkeit halber ein schmälerer (übrigens auch 
verschliessbarer) für Fussgänger angebracht worden, und zwar 
nicht etwa erst nachträglich; die Art, wie sich die Quaderbe- 
kleidung zu ihm verhält, der Charakter seiner aus grossen Kalk- 
steinkeilen mit alterthümlicher Solidität construirten Wölbung, 
ähnlich der Wölbung der Nische, in welcher die Thonstatue der 
Minerva gefunden wurde, kurz, der ganze Thatbestand lässt da- 
rüber keinen Zweifel aufkommen, dass dieser zweite Durchgang 
so alt ist, wie der ganze Bau. — Und wenn wir nun das er- 
wähnte Stück Incertum zwischen dem Thor und den Quadermauern 
näher betrachten, so finden wir, dass es in seinem oberen Theil 
aus Lava besteht und demjenigen dieses und der anderen Thore, 
der Thürme und der jüngeren Theile der Stadtmauer gleichartig 
ist, unten aber allerlei gemischtes Material enthält und entschieden 
jünger aussieht. Wir bemerken weiter, dass diese beiden Theile 
durch einen aus nicht grossen Kalksteinstücken gebildeten Bogen 
getrennt sind, kurz dass hier eine c. 2,20 hohe, 0,80 breite ge- 
wölbte Thür vermauert ist. Und zwar war dieselbe nicht etwa 
nachträglich durchgebrochen, sondern ebenso alt, wie das auf 
ihre Wölbung aufgemauerte Lavaincertum. Wohin sie führte, das 
können wir bei den durchgreifenden Veränderungen, welche hier 
später stattgefunden haben, nicht errathen, wie wir ja auch 
keine Vorstellung haben von den Räumen, zu welchen die ver- 
mauerte Thür in der Nord wand des inneren Ganges führte. 

Wir dürfen nach alledem wohl annehmen, dass dies Thor 
kein eigentliches Befestigungsthor war, dass es, wie das freilich 
jüngere Herculaner Thor, weniger der Vertheidigung, als polizei- 
lichen Zwecken dienen sollte, dass zur Zeit seiner Erbauung 
Pompeji auf dieser Seite gewissermassen entfestigt war, oder 
man doch den Befestigungen nur geringe Wichtigkeit beilegte. 
Da es nun aber dem Bau des Vibius Popidius gleichartig und 
vermuthlich annähernd gleichzeitig ist, jedenfalls aber der Tuff- 
periode und der Zeit des ersten Decorationsstils angehört, so 
werden wir dahin geführt, die Eutfestigung dieser Stadtseite noch 




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Zur EntfestiKiuitfsfrajre. 



239 



in oskiscbe Zeit zu verlegen und in ihr die Wirkung der langen 
Friedensperiode zwischen dem hannibalischen uud Bundesge- 
nossenkrieg zu erkennen. 

Merkwürdig ist daneben die Thatsache, dass etwa um die- 
selbe Zeit die von Natur schwächeren Seiten der Stadt durch 
die Herstellung der Mauer und den Bau der ThUrme neu be- 
festigt worden sind. Wir werden wohl anzunehmen haben, dass 
erst in vollem Frieden die Porta mariua gebaut ward, im übrigen 
aber die Befestigung iu Verfall gerieth, dass dann, als beim 
Herannahen des Bundesgeuossenkrieges eine erneute Befestigung 
beschlossen wurde, mau es unterliess, auf dieser von Natur festen 
Seite das für die Verteidigung nicht zweckmässige Thor durch 
ein anderes zu ersetzen. Aehnliche Befürchtungen mochten später, 
Nissen vermuthet während der Kämpfe nach dem Tode Caesar's, 
eine nochmalige Herstellung der Befestigungen durch T. Cuspius 
und M. Loreius veranlassen (C. L L. IV, S. 189; Nissen S. 511). 
In solchen Fällen wird man, wo ein Thor nicht recht zweck- 
mässig, vielleicht auch die Mauer schon stark überbaut war, sich 
geholfen haben, so gut es eben ging. 

Sehen wir nun zu, was sich etwa auf anderem Wege über 
die Zeit der Entfestigung ermitteln lässt. 

Der zwischen der Stadtmauer und den zunächst liegenden 
Häuservierteln frei gelassene Streifen, das Pomerium, ist bei 
dem jetzigen Stande der Ausgrabungen nur auf der kurzen Strecke 
zwischen Herculaner Thor und vico del Laberinto, d. h. auf der 
Nordseite der Inseln VI, 1. 2. 5. 7. 9. 11, deutlich sichtbar. Hier 
kann vollkommen constatirt werden, dass die Anwohner diesen 
Streifen vielfach occupirt und bebaut haben. Und zwar sind 
diese Occupationen jünger als die Pflasterung der Strasse, welche 
einst sich zwischen den Häusern und dem Pomerium hinzog 
(Mauerstrasse) ; wenn schon früher Occupationen stattgefunden 
haben, so entziehen sich dieselben unserer Kenntniss. Die Mauer- 
strasse, und damit die Breite des Pomeriums vor den Occupationen, 
ist erhalten nördlich der Insel VI, 2 (zwischen vico di Sallustio 
und vico di Pansa) und an der Nordostecke der Insel VI, 7 
(westlich der Mercurstrasse). Auch VI, 11 hat, wenigstens an 



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240 



Capitel X. 



der Nordostecke , wesentlich dieselbe Ausdehnung wie zur Zeit 
der Kalksteinatrien (s. oben S. 69 No. 16). 

Die Breite des Pomeriums war schon vor der Occupation 
der Mauerstrasse nicht Überall gleich. Messungen sind wegen 
des unebenen Terrains schwierig, doch ist obige Thatsache schou 
auf dem Plan zu erkennen. Nissen giebt bei Insel VI, 2 eine 
Breite von 8 — 9 M., bei VI, 7 von c. 15 M. an. 

Die Occupation setzt Nissen in die Zeit nach dem Erdbeben 
von 63, wegen des tumultuarischen Charakters der betreffenden 
Bauten. Dieser Charakter ist aber nur sehr stellenweise nach- 
weisbar, und es sind im Gegentheil hinlängliche Indicien für einen 
älteren Ursprung vorhanden. „An 1 der Labyrinth- wie an der 
Pansagassenecke (VI, 11 Nordost- und VI, 5 Nordwestecke) ist 
man auch vor dem ungefügigsten Material nicht zurückge- 
schreckt, um nur eine Wand zum Stehen zu bringen und damit 
eine vollendete Thatsache zu schaffen." Aber im Eckhaus der 
Labyrinthgasse (VI, 11, 19) handelt es sich um Reparaturen oder 
Umbauten, nicht um eine Erweiterung: s. S. 70. Das nördlichste 
Haus der Insel VI, 5 hat allerdings im inneren manche sehr bunt 
aussehende und offenbar eilig, vielleicht nach dem Erdbeben her- 
gestellte Mauern. Von der Strassen wand aber sieht gerade das 
nordlichste, der Stadtmauer zunächst liegende Stück weder jung 
aus, noch zeigt es die Spuren tumultuarischen Baues: es besteht 
aus Lavaiucertum mit Thürpfosten aus Kalksteinquadem ; der 
treffliche steinharte Mörtel enthält gestossene Lava, die ihm ein 
schwarzpunktirte8 Aussehen giebt, und erinnert durchaus an die 
besten Bauten der oskischen Zeit. Nun brauchen wir zwar nicht 
nothwendig in eine so frühe Periode zurückzugreifen; ähnliches 
Lavaincertum wusste man auch noch später herzustellen , wie 
das sog. Pantheon (Macellum) beweist, und auch Thürpfosten 
aus Sarnoquadern mochten ausnahmsweise später gemacht werden: 
allein dass diese Mauer aus der Zeit nach dem Erdbeben stam- 
men sollte, darf ohne die allerzwingendsten Beweise nicht ange- 
nommen werden '). — Die über die Mauerstrasse hinausgebauten 

') Die Occupation des Pomeriums an dieser Stelle bringt Nissen irriger 
Weise in Verbindung mit der von ihm S. 434 angenommenen Erweiterung der 
casa di Nettuno (VI, 5, 3) um 3,15. Erstlich ist es unerweislich, dass über- 
haupt eine, nachweislich falsch, dass eine so bedeutende Erweiterung dieses 



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Zur Entfesticrunpsfrage. 



241 



Theile der casa d' Apolline und des östlich anstossenden Hauses 
derselben Insel, so wie die nördlichsten Theile von Ins. VI, 9, 
haben zwar keine Kennzeichen höheren Alters, aber auch nichts 
was gerade auf die letzte Zeit Pompeji's führte. Hingegen kann 
mit Sicherheit behauptet werden, dass die an und auf die Mauer 
gebauten Theile der casa delle Vestali (VI, 1) älter sind. 
Von tumultuarischem Bau ist hier keine Spur; die Mauern zeigen 
gutes Reticulat aus grauem Tuff, mit Eckpfeilern aus ziegeiför- 
migen Stücken desselben Materials; die Malerei ist im dritten 
Decorationsstil gehalten und sorgfältig ausgeführt. Letzterer 
Umstand weist uns Uber das Jahr 50 n. Chr. zurück; die Bauart 
passt für die Zeit nach dem Erdbeben durchaus nicht; ähnlich 
gebildete Wände haben öfter Malereien dritten Stils, und sollten 
wir auf denselben einmal eine Decoration zweiten Stils finden, 
so dürften wir uns darüber nicht wundern (s. oben Cap. I, 3). 
Wenn wir also den Bau dieser Räume in die Zeit des Augustus 
setzen, so werden wir — wenn wir uns auch der Unsicherheit 
aller solcher Ansätze bewusst bleiben müssen — doch schwerlich 
zu hoch gegriffen haben. — Es muss endlich noch erwähnt 
werden, dass durch ein Loch (keine Thür) in der Nordwand 
des östlichen der an die Mauer angebauten Zimmer ein enger, 
überwölbter, in der Mauer ausgehöhlter Raum zugänglich ist, 
aus dem man nach Osten in einen zweiten und von da in einen 
dritten ähnlichen Raum gelangt. Dieselben waren allem Anschein 
nach durch die Reticulatmauer gänzlich gesperrt und unzugäng- 
lich geworden: sie beweisen, dass schon in noch früherer Zeit 
weder die innere Steinwand der Mauer noch die östlich und 
westlich des Hauses erhaltenen Stufen vorhanden, und dass an 
ihre Stelle irgend welche andere Anlagen getreten waren. 

Ganz anders stellt sich die Frage auf der West- und Süd- 
seite der Stadt. Nach Nissen's Auffassung haben wir hier in der 
Herculaner Strasse, weiterhin im vico del gallo (westlich von 
Ins. VII, 15 und VII, 7), und auf der Südseite in der via de' 
teatri (südlich von VIII, 3 und 7) die Mauerstrasse zu erkennen. 

Hauses stattgefunden habe: oben S. 71. Zweitens reicht das Haus auch ein- 
schliesslich dieser vermeintlichen Erweiterung immer noch nicht an's Pomerium, 
sondern es folgen da erst noch andere Räumlichkeiten. 

Mau, pompejnn. Beiträge. J(j 



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242 



Capitel X. 



Alles, was zwischen diesen Strassen und der Mauer liegt, setzt 
die Entfestigung und die Occupation des Pomeriums voraus. 
Nach dem Charakter dieser Bauten ist aber dieselbe nicht tumul- 
tuarisch, sondern in aller Ordnung und mit kaiserlicher Geneh- 
migung erfolgt, und zwar unter Augustus, der ja die Stellung 
der Municipien ordnete, vermuthlich etwa um den Beginn unserer 
Zeitrechnung, jedenfalls in der ersten Hälfte des ersten Jahr- 
hunderts. Auf diese Annahme führt nach Nissen auch der That- 
befund: einerseits lässt sich nirgends auf den bezeichneten 
Strecken eine Spur von altem Kalkstein- und Lehmbau nach- 
weisen; andererseits verbietet die Betrachtung der Construction 
und Decoration der betreffenden Häuser sie später als 63 n. Chr. 
anzusetzen. 

Soweit Nissen. Dass ein grosser Theil dieser Häuser nicht 
nach 63 entstanden sein kann, ist ohne Zweifel wahr. Dass 
dieselben keine Reste ältester Construction enthalten, ist ent- 
schieden unrichtig. Durchwandern wir, um uns ein Urtheil zu 
bilden, diese Häuserreihe, indem wir am Herculaner Thor be- 
ginnen. 

Die ersten Häuser (1 — 9) enthalten nichts, was nicht recht 
jung sein könnte; No. 10 aber hat in beiden Seitenmauern an- 
sehnliche Reste von Fachwerk mit Lehm. Namentlich deutlich 
ist dies in der südlichen Zwischenwand, wo das hintere Ende 
der Fachwerkmauer — die aber hier keinen Abschluss hat — 
10 Meter von der inneren Steinwand der hier etwa 5,50 breiten 
Stadtmauer entfernt bleibt. Die Fachwerkmauer ist, nachdem 
sie zerstört war, mit jüngerem Mauerwerk erhöht und fortgesetzt 
worden; sie ist auf beiden Seiten bemalt, nördlich im vierten, 
südlich im dritten Stil: beide Decorationen sind jünger als die 
erwähnte Wiederherstellung. Das Fachwerk der nördlichen 
Zwischenmauer ist vom Atrium selbst aus nicht sichtbar, wohl 
aber von dem Gange, der nördlich an demselben entlang zu 
unteren Räumen führt: es nähert sich der Stadtmauer bis auf 
4,25, ohne hier einen Abschluss zu haben. Die Entfernung 
zwischen den beiden alten Seitenmauern beträgt 14,74 (c. 53V,' 
osk.). Ein Stuckrest in der Sttdostecke des Atriums hat offen- 
bar einer Decoration zweiten Stils angehört. — Der Gang No. 11 
führt zu den unteren Localitäten, welche nicht nur bis auf, rich- 



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Zur Entfestiffunisrsfrafre. 



243 



tiger in die Mauer reichen, sondern von denen die untersten 
sogar an die Aussenseite derselben angelöhnt sind. Das Mauer- 
werk des Mittelstocks , welcher bis an den äusseren Rand der 
Stadtmauer reicht, zeigt gutes, alt aussehendes Lavaincertum mit 
Endpfeilern aus den Tuff- und Kalksteinblöcken der Mauer; hie 
und da sind auch Ziegel verwandt Hier nun finden sich un- 
zweifelhafte Reste einer Wauddecoration zweiten Stils, und selbst 
diese ist jünger als die Erbauung der Räume selbst. Das Zimmer 
nämlich gleich rechts von dem Gang No. 11 ist nachträglich 
durch Zwischenmauern in mehrere Räume getheilt worden. Diese 
Theilungsmauern zeigen einen ganz anderen Charakter: sie ent- 
halten wenig Lava, meist Kalkstein, daneben Tuff und etwas 
Cruma; die Eckpfeiler bestehen aus ziegeiförmig behauenem Tuff 
und Kalkstein; auch der Mörtel ist weit geringerer Güte und 
deshalb vielfach herausgefallen, während der der alten Mauern 
stellenweise die Lava Uberdauert hat. Die Decoration zweiten 
Stils aber ist unzweifelhaft jünger als die Theilungsmauern, wo- 
durch der ursprüngliche Bau dieser Räume in noch ältere Zeit, 
vielleicht in die Zeit des ersten Stils, die Tuflfperiode, zu der 
auch das Mauerwerk passt, jedenfalls aber in die früheren Zeiten 
des zweiten Stils hinaufgerückt wird. Das Mauerwerk der Thei- 
lungswände ist dem der jüngeren Wände des Atriums gleich- 
artig, und, da auch die Decoration übereinstimmt, wohl sicher 
gleichzeitig. Wir haben also in diesem Hause Bauten aus drei 
Perioden, deren jüngste noch in die Zeit des zweiten Decorations- 
stils, d. h. spätestens in die erste Zeit des Augustus, fallt; schon 
in der zweiten aber ward die Mauer überbaut. Wie sich dazu 
die Anlagen aussen am Fuss der Stadtmauer verhalten, ist bei 
dem jetzigen Stande der Ausgrabungen nicht sicher zu consta- 
tiren; das Mauerwerk sieht eher jung aus. 

Es folgt (No. 13) ein in der Weise der Tuffperiode (Lava- 
incertum, eingefasst von Pfeilern aus Kalksteinquadern mit Kalk- 
mörtel als Bindemittel) erbautes Haus. Die Front ist (wie es 
scheint modern) restaurirt bis auf geringe Reste: alt ist der 
unterste Stein des linken Thürpfostens, die Pfosten im Flur, 
die Eckpfeiler zwischen Flur und Atrium; im inneren die ganze 
rechte Seite des Atriums. Auf dem rechten Eingangspfosten 
steht ein vermuthlich hier gefundenes korinthisches Tuffcapitell. 

16 # 



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244 



Capitel X. 



Das Impluvium ist aus Incertum und mit Stuck bekleidet. 
Die Bauart des Souterrain ist ähnlich; hier finden sich einzelne 
Ziegel verwandt, zahlreiche Reste von opus Sign in um nur 
in den hinteren, jüngeren Theilen. — Die Decorationsreste 
gehören verschiedenen Stilarten an. Eine Decoration dritten 
Stils in den beiden ersten Zimmern r. am Atrium ist junger als 
die Zusetzung einer kleinen Thür (neben der noch vorhandenen 
grösseren) zwischen dem ersten der beiden Zimmer und dem 
Atrium. Eine Decoration zweiten Stils im dritten Zimmer der- 
selben Seite ist jünger als die Herstellung eben dieses Zimmers, 
welches früher eine Ala war, und als die Vermauerung einer 
Thür, welche dasselbe mit dem zweiten Zimmer verband '). Nun 
ist zwar die Verwandlung der Ala in ein Zimmer wohl recht 
alt — das Mauerwerk ist von dem des ganzen Hauses nicht 
wesentlich verschieden — und beruht vielleicht auf einer wäh- 
rend des Baues selbst vorgenommenen Aenderung des Plans, 
aber das Mauerwerk der zugesetzten Thür sieht jünger aus, so 
dass wir über die Zeit des zweiten Decorationsstils hinausge- 
wiesen werden. Und es scheint in der That, dass Reste einer 
Decoration ersten Stils vorhanden sind: in der Nordostecke des 
Atriums findet sich ein Fragment eines gelben Sockels: eine Farbe, 
die für diesen Wandtheil im ersten Stil sehr üblich ist, während 
man später — mit besserem Geschmack — dunkle Farben 
vorzog. Ganz in der Ecke ist eben da ein Rest einer starken 
Schicht feinen weissen Stucks erhalten, der nach seiner Qualität 
sehr wohl der ersten Periode angehören kann und vielleicht 
von einem Pilaster an der kleinen vermauerten Thür herrührt. 
Dass letztere von Anfang an vorhanden war, geht aus der Bil- 
dung des Pfeilers der anstossenden grösseren Thür hervor. Doch 
was es auch mit diesen Resten auf sich haben möge, es kann 
nicht zweifelhaft sein, dass wir hier einen Bau aus der Tuff- 
periode, der Zeit der grossen Peristylhäuser, vor uns haben. 

Von den Fachwerkresten in der nördlichen Zwischenmauer, 
gegen No. 10, war schon die Rede. Das südliche Nebenhaus, 
No. 15. 16, liegt etwas tiefer: betrachtet man die Zwischenmauer 



') So notirte ich im Sommer 1878. Jetzt (1879) ist letzteres nicht mehr 
zu constatireii, da weitere Stuckreste abgefalleu sind. 



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Zur Entfestiffungsfrape. 



245 



von dort aus, so erkennt man auch hier unzweifelhafte Reste 
von Fach werk mit sehr deutlichem Lehm; die Mauer ist später 
vielfach geflickt worden. 

No. 15. 16 ist Nebenatrium zu No. 17, welches höher liegt ; 
der untere, nur von No. 16 aus sichtbare Theil der Zwischen- 
wand (Futtermauer) besteht aus recht alt aussehendem Lava- 
incertum. Auch der anstossende Theil der Rückwand, bis zum 
Tablinum, ist alt; er endigt mit einem Kalksteinpfeiler, welcher 
einen schon früher mit Stuck bekleideten Stein enthält, bei 
Bauten der Tuffperiode keine Seltenheit. Alt ist ferner der aus 
einer grossen Kalksteinquader bestehende linke Eingangspfeiler 
des Ladens No. 15 und das etwas formlos, ohne die gewöhnliche 
Profilirung, gebildete Impluvium aus Tuff mit zwei in dem vor- 
deren und hinteren Stein angebrachten Brunnenöffnungen: alles 
dies passt besser für die Tuffperiode als für irgend eine andere. 
Die Lavatreppe zum Atrium No. 15 ist stark vernutzt. Im übrigen 
sind die aus allem möglichen Material bestehenden Mauern 
jung, dürfen aber doch nicht der allerletzten Zeit zugeschrieben 
werden, da sie noch nachträgliche Veränderungen erfahren haben: 
so ist das Tablinum durch spätere Einbauten verengt worden. — 
Reste einer Decoration, wie es scheint dritten Stils, finden sich 
auf der linken Wand des zweiten Zimmers rechts am Atrium 1 ). 
Die weiter rückwärts liegenden Räume sind nicht ausgegraben. 

Im Hauptatrium (17) ist die Wand gegen No. 16 jünger als 
die unter ihr liegende Futtermauer; sie enthält eine wirkliche 
und zwei blinde Thüren. Das erste Wandstück sieht keineswegs 
sehr jung aus: Incertum, unten aus Lava, weiter oben aus Kalk- 
stein und Cruma, mit gutem, altem Mörtel und Pfeilern aus hohen 
und schmalen Kalksteinblöcken, die so genau auf einander passen, 
dass ein Bindemittel nicht sichtbar ist. Weiter rückwärts hat 
die Mauer ein viel bunteres Aussehen, ist aber wohl nicht jünger. 
Aehnlich dem beschriebenen Wandstück sind die Pfeiler an der 
Strassenthür, auf deren südlichem (in seiner jetzigen Form nicht 
antikem) ein figurirtes Capitell steht: es zeigt nach Norden einen 
Satyr mit der Syrinx, nach Osten eine Bacchantin mit dem Tam- 
burin. — Aehnlich ist auch der linke Pfeiler der Thür links 



') Jetzt (1879) nicht mehr zu constatiren. 



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246 



Capitel X. 



von dem (nicht erhaltenen) Tablinum gebildet. Hier wie in den 
Zwischenwänden der Zimmer links am Atrium — dessen Wand 
hier bis auf geringe Reste jung, wenn nicht modern ist — finden 
wir ganz vorzügliches Lavaincertum aus sehr kleinen Stücken. 
Von der Strasse ist das Haus zugänglich durch eine Travertin- 
treppe, welche aber an die Stelle einer alten Tufftreppe getreten 
ist, von der eine Stufe liegen geblieben ist. So sind auch im 
inneren die Schwellen aus Travertin offenbar nicht ursprünglich : 
keine derselben liegt unter den betreffenden Thürpfosten, sondern 
sie haben Ausschnitte, mittels deren sie an den Fuss der Pfosten 
und um dieselben herum gelegt sind. Hingegen erkennt man 
noch in den Pfosten die Einschnitte, in welchen die alten 
Schwellen, vermuthlich aus Lava, lagen: sie sind für die jetzt 
liegenden Schwellen nicht benutzt worden. — Im Atrium sind Reste 
eines guten Mosaikfussbodens, schwarz mit reihenweise gelegten 
weissen Steinen, erhalten. Das Impluvium besteht aus Incertum. — 
Die hinteren Theile sind auch hier nicht ausgegraben; doch sieht 
man bis an die Stadtmauer Mauerwerk aus gutem Lavaincertum 
mit Resten einer Decoration dritten Stils. — Auch hier also weist 
alles auf ziemlich alte Zeit; namentlich das Capitell mit den 
Figuren werden wir uns schwer entschiiessen in eine andere 
Periode als in die Blüthezeit der Peristylbäuser, die Tuffperiode, 
zu setzen: es gleicht ganz den Capitellen der casa de' capi- 
telli figurati (VH, 4, 57), der casa de' capitelli colorati 
(oder d'Arianna, VII, 4, 31) und der casa del toro (V, 1,1). 
— Dass aber schon in noch älterer Zeit hier ein Haus stand, 
beweist ein Stück alten Mauerwerks aus Kalkstein und Cruma 
in der Zwischenwand gegen das südliche Nebenhaus No. 19: es 
ist nicht Fachwerk, aber sorgfaltig horizontal geschichtet, mit 
deutlichem Lehm, ohne Kalkzusatz; Dicke 0,40 — 0,41. Nach 
der Strasse zu ist es fortgesetzt durch die Reticulatmauer des 
Nebenhauses, welche um eine Mauerdicke weiter nach Süden 
liegt, so dass auf einer kleinen Strecke die Mauer doppelt ist, 
nach hinten durch anderes Mauerwerk. Es hat also auch das 
Doppelhaus 15 — 17 in beiden Seitenmauern Reste der ältesten 
uns erkennbaren Bauperiode. 

Es folgt das Atrium der casa di Polibio, des grossen 
mehrstöckigen Hauses (No. 19 bis 25) nördlich der Scuola ar- 



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Zur Eütfestijfunfjsfrafje. 



247 



cheologica, mit dem rechts (N.) anstossenden Garten. Das 
Atrium zeigt durchaus junges Mauerwerk. Aber der Eckpfeiler 
rechts zwischen dem Eingang und der Vorderwand ist an einen 
älteren Kalksteinpfeiler aus horizontal geschichteten Quadern, 
zwischen denen Schichten reinen Kalks liegen, angelehnt: eine 
Constructionsart, welche mit ziemlicher Sicherheit den Beweis 
liefert, dass hier schon in der Tuffperiode ein Haus stand. 

Die Nordmauer des Gartens rechts vom Atrium und die bis 
an den äusseren Rand der Mauer reichenden Zimmer des Mittel- 
stockes zeigen ziemlich gutes Reticulat aus grauem Tuff; nur 
wenige, etwas weiter aufwärts liegende, also wohl ältere Räume 
haben Mauern aus Lavaincertum mit schwach verzahnten Pfeilern 
aus ziegeiförmigem Tuff. Auf den Reticulatmauern sind nicht 
bedeutende aber vollkommen sichere Reste einer Deeoration 
dritten Stils erhalten. Es ist ferner vollkommen sicher, dass 
diese Mauern schon bevor sie diese Decoration erhielten Ver- 
änderungen erfahren haben, und wir fanden Reste einer älteren 
Decoration: s. oben Cap. I, 3. Wir dürfen also mit aller Wahr- 
scheinlichkeit sagen, dass vielleicht schon vor der Periode des 
dritten Decorationsstils, spätestens aber zu Anfang derselben, 
hier die Mauer überbaut wurde, was uns übrigens nach dem im 
Hause No. 10 wahrgenommenen nicht mehr Wunder nehmen darf. 

Das folgende Haus (27 — 30) ist durch den Bau der Scuola 
archeologica unkenntlich geworden. Einige Tuffsäulchen und 
Halbsäulchen, auch ziemlich viel gutes, alt aussehendes Lava- 
incertum, deuten auf relativ alte Zeit. 

Hingegen enthält die Frontmauer des Hauses No. 31 bis 33 
unzweifelhaft alte Bestandtheile. Angefangen vom Laden No. 31 
besteht ein c. 2,20 langes Stück (bis 1,50 vor dem Haupteingang 
No. 32) aus Kalksteinquadern (tfarunter eine Tuffquader), zwischen 
denen dünne Kalkschichten liegen. Ueber diesen folgt ein etwas 
niedrigerer Stein, dann rechts zwei Schichten kleinerer, horizontal 
nach Art des Fachwerks gelegter Steine, dann wieder eine Schicht 
Quadern. Daran schliesst sich das jüngere Mauerstück mit 
dem rechten Thürpfosten von No. 32 an: es besteht aus Lava- 
incertum, der Eckpfeiler aus mässig grossen, nicht regelmässigen 
Kalksteinblöcken (einzelne aus Tuff) mit starken Mörtelschichten; 
darauf liegt ein später unförmlich behauenes Tuffcapitell, ein 



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248 



Capitel X. 



Rest eines gleichen auf dem linken Pfosten. Links der Thür 
folgen wieder Kalkstein- und einzelne Tuffquadern mit dünnen 
Kalkschichten, bis zum Laden No. 33, eine Strqcke von 2,11; 
diese alten Theile sind 0,415 dick. — Das Mauerwerk im inneren 
des Hauses ist jünger und wesentlich gleichartig mit dem des 
rechten Thürpfostens: Lavaincertum mit schwach verzahnten 
Pfeilern aus ziegeiförmigem Tuff; Mauerdicke 0,31. Ein Im- 
pluvium ist nicht vorhanden. Noch jüngeres Mauerwerk, Ziegel, 
mit ziegeiförmigem Haustein regelmässig wechselnd, mit reich- 
licher Verwendung gelben Tuffs, finden wir in den hinteren 
Theilen, von der Rückwand des Atriums angefangen: die Posterio- 
rität desselben ist beim Zusammenstoss mit dem anderen Mauer- 
werk, in der rechten hinteren Ecke des Atriums, vollkommen 
evident; Mauerdicke 0,45 — 0,47. — Wir haben also hier Mauer- 
werk aus drei Bauperioden; auf dem der zweiten finden wir in 
einem gewölbten Raum links am Atrium eine Decoration zweiten 
Stils. Auch die Decoration der Strassenfront — eine Imitation 
der bekannten, den Marmor nachahmenden Weise der ersten 
Periode, jedoch ohne die sorgfaltige Arbeit derselben — bedeckt 
den Thürpfosten aus der zweiten Bauperiode und mag wohl 
jener Decoration zweiten Stils gleichzeitig sein. Wir dürfen 
also die zweite Bauperiode mit der Zeit des zweiten Stils, die 
erste aber mit der Tuffperiode, welche allein reinen Kalk als 
Bindemittel verwendet, identificiren. 

Das nächste Haus (34 — 38) ist jung. Das Souterrain ist 
aus Lavaincertum mit Ziegelecken, die oberen Mauern aus sorg- 
fältigem Tuffreticulat, eingefasst von sorgfältigem, neu aussehen- 
dem Ziegelwerk. Auch hier fehlt das Impluvium. Decorations- 
reste letzten Stils finden sich mehrfach, ältere nicht. Die Strassen- 
wand hat eine Decoration, welche der des vorigen Hauses sehr 
ähnlich, aber doch nicht ganz gleich ist: es scheint, dass man 
sie der Gleichförmigkeit halber nachgeahmt hat. 

Wie es scheint, gehörten die 3 letztgenannten Häuser (27 
bis 38) irgendwie zusammen. Wenigstens war, so viel man sieht, 
der hinter ihnen liegende, noch nicht ausgegrabene grosse Garten 
aus allen dreien in gleicher Weise zugänglich. 

Durch ähnliches Mauerwerk wie das von No. 34 — 38 geht 
man hindurch, wenn man am Westende der strada della For- 



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Zur Entfestiffunffsfrasre. 



249 



tuna Pompeji verlässt. Das dazwischen liegende ist nicht aus- 
gegraben: was man an der Strasse siebt, deutet nicht auf höheres 
Alter. 

Wir haben damit unsere Wanderung durch den ausgegrabenen 
Theil der insula occidentalis der sechsten Region beendet. 
Sie hat uns ein dreifaches Resultat ergeben: 

Erstens, dass wir in der strada d'Ercolano nicht die 
Mauerstrasse vor uns haben, sondern dass zwischen ihr und der 
Mauer von Alters her regelmässig gereihte Häuser standen. 
Obige Annahme Nissen's konnte übrigens schon wegen der grossen 
Breite dieses Streifens nicht für wahrscheinlich gelten. Nissen 
giebt an, dass dieselbe dem Hause des Chirurgen gegenüber 
c. 20 M. beträgt. Schon dies ist im Vergleich mit der Nordseite 
(höchstens c. 15 M.) sehr viel, wenn man bedenkt, dass diese 
Seite die von Natur festeste und am wenigsten stark zu be- 
setzende war. Die Breite wächst aber nach Süden stetig und 
ist schon beim Hause des Polybius (19 — 25) so gross, dass sie 
von keiner der Inseln in der nördlichen Stadthälfte (ausser VI, 
14, welche vielleicht aus zweien entstanden ist) erreicht wird. 
Ganz im Gegentheil ergiebt sich uns 

Zweitens, dass das Pomerium schon in ältester Zeit hier 
weit schmäler war, als auf der Nordseite: wir sahen dass sich 
die alten Trennungsmauern bis auf 4,25 der Mauer nähern, 
ohne hier einen Abschluss zu haben. Ohne Zweifel hängt dies 
mit der natürlichen Festigkeit dieser Stadtseite zusammen; hier 
stand eine geringere Zahl von Vertheidigern und fand weniger 
Verkehr statt. Wir fanden endlich 

Drittens, dass schon in relativ früher Zeit die Besitzer dieser 
Häuser -die Stadtmauer theilweise zerstört ,und bebaut haben. 
Wir sahen, dass eine solche Erweiterung des Hauses No. 10 
vielleicht schon in der Tuffperiode, spätestens aber zu Anfang der 
Periode des zweiten Decorationsstils stattgefunden hat, welche wir 
von der Zeit der sullanischen Colonie bis in die erste Zeit des 
Augustus ansetzen dürfen. Damit stimmt es trefflich, dass wir 
in den entsprechenden Räumen der casa di Polibio eine De- 
coration dritten Stils und Reste einer noch älteren fanden. Schon 
deshalb müsste die erste Zeit des Augustus als untere Zeitgrenze 



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250 



Capitel X. 



für die Oecupation der Mauer betrachtet werden. Es mag darauf 
hingewiesen werden, dass die gleichfalls an und auf die Mauer 
gebaute casa delle Vestali (VI, 1, 7) das gleiche Mauerwerk 
zeigt wie das Haus des Polybius, und also wohl etwa der gleichen 
Zeit angehören wird. Weitere Ausgrabungen würden verniuth- 
lich bestimmtere Resultate ergeben und zeigen, dass schon bei 
dem Neubau einer Reihe dieser Häuser in der Tuffperiode — 
nachdem die Kalksteinatrien bis auf geringe Reste zerstört waren 
— die Mauer nicht mehr respectirt wurde, dass also die lange 
Friedensperiode zwischen dem hannibalischen und dem Bundes- 
genossenkrieg eine erste Oecupation derselben veranlasste: ein 
Resultat, zu welchem uns ja auch die Betrachtung der Porta 
marina führte. 

In der siebenten und achten Region verhält es sich nicht 
anders: weder der vico del gallo noch die via de' teatri 
sind als Mauerstrasse zü betrachten. Reste von Kalksteinatrien 
lassen sich freilich bei dem jetzigen Stand der Ausgrabungen 
hier nicht constatiren, wohl aber ist es sicher, dass in der Tuff- 
periode, zur Zeit des ersten Decorationsstils, diese Strecken 
bebaut waren. 

Am vico del gallo liefert uns den Beweis das grosse Haus 
gegenüber dem Brunnen, nach welchem der Vicus seinen Namen 
erhalten hat (VIII, ins. occid. 13). Die Bauart ist durchaus die 
der genannten Periode: Lavaincertum mit Eckpfeilern und Thlir- 
pfosten aus Kalksteinquadern, die mit Kalkmörtel gebunden sind. 
Das ganze Haus ist im zweiten Stil ausgemalt, doch war die* 
sicher nicht seine erste Decoration. Es lassen sich eine Reibe 
Veränderungen constatiren, welche ihr zeitlich vorausliegen: so 
die Verengerung der Eingänge des Oecus links vom Tablinum 
und des ersten Zimmers links am Peristyl ; ferner die Vermauerung 
einer Reihe von Thüren: derer die aus dem Atrium in die beiden 
Oeci neben dem Tablinum führten, einer zwischen dem letzteren 
und dem Oecus rechts, einer, die den Gang, der am hinteren 
Ende der linken Seite des Atriums in's Nebenhaus führt, mit 
dem Oecus links neben dem Tablinum verband, endlich, wie 
es scheint, noch mehrerer, deren Spuren in der linken Ala 
sichtbar sind. Nun konnte zwar in einigen dieser Räume der 



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Zur Entfestigungsfrage. 



251 



erhaltenen Decoration eine andere gleichen Stils vorhergehen: 
wahrscheinlich war dies der Fall in dem ersten Zimmer links 
am Peristyl, wo unter der späteren Anmauerung der violette 
Stuck des alten Thürpfostens erhalten ist. Dieser letztere näm- 
lich besteht aus ziemlich grossen ziegeiförmigen Steinen, eine 
Constructionsart , welche zum ursprünglichen Bau des Hauses 
und zur Decoration ersten Stils nicht recht passt. Im Tablinum 
ist der Sockel später im dritten Stil erneuert worden, so dass 
seine evidente Posteriorität gegenüber den Dreiviertelsäulen des 
Einganges nichts beweist. Dass aber das Haus einst eine Deco- 
ration ersten Stils hatte, zeigen die unzweifelhaften Reste der- 
selben im Zimmer links vom Eingang und im letzten Zimmer 
rechts am Atrium. — Ob es sich auf die Mauer erstreckt, wie 
Nissen meint, kann wohl einstweilen nicht mit Sicherheit fest- 
gestellt werden: so viel ich sehe, zwingt bis jetzt nichts zu 
dieser Annahme. Sollte es doch der Fall sein, so würde uns 
das nach den in der sechsten Region gemachten Wahrnehmungen 
nicht tiberraschen. Die übrigen Häuser der Insel haben keine 
Kennzeichen besonders hohen Alters: No. 10 ist im dritten Stil 
decorirt; bei der Decoration von No. 12 kann man zweifeln, ob 
sie demselben oder dem zweiten Stil angehört. 

Von der Häuserreihe südlich der via de' teatri (VIII, 2, 
südlich von VIII, 3 und 7) ist wenig sichtbar. Dennoch aber 
erkennen wir mit Sicherheit, dass das Haus No. 34 der Zeit des 
ersten Decorationsstils und der Tuffperiode angehört Die alte 
Construction — Lavaincertum mit Kalksteinpfeilern — finden 
wir am linken Pfeiler des Einganges mit dem anstossenden 
Stück der Front und der linken Wand des Flurs, ferner in 
der Eingang8-(Süd-)wand des hier liegenden Zimmers. Die Nord- 
westecke desselben besteht aus Ziegeln, die mit ziegeiförmigem 
Haustein wechseln; rechts vom Eingang finden wir Ziegel, aus 
denen auch der rechte hintere Eckpfeiler des Flurs gebildet ist. 
Dagegen bestehen die Pfeiler rechts und links des nicht aus- 
gegrabenen Atriums aus Kalkstein. Reste einer Decoration ersten 
Stils finden sich auf den alten Theilen der Strassen wand und 
links im Anfang des Flurs, ebenso in der entsprechenden Ecke 
des Zimmers zur Linken, immer nur auf den alten Mauertheilen. 

Es waren also auch diese Stadttheile schon in der Tuflf- 



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252 



Capitel X. 



periode bebaut, und wir dürfen wiederum hinzufügen, dass ein 
so breites Pomerium, wie es sich auch hier nach Nissen's An- 
nahme ergeben würde, bei der natürlichen Festigkeit auch dieser 
Strecken undenkbar ist. Wenn wir für eine Occupation der 
Mauer, eine Entfestigung schon in so früher Zeit auf dieser 
Strecke keine neue Bestätigung finden, so dürfen wir daraus 
nichts schliessen. Denn nur an einer Stelle (casa dell' Im- 
peratore Giuseppe II, VIII, 2, 38) kann, namentlich nach den 
neuesten Ausgrabungen (1879) auf der Süd Westseite des Forum 
trianguläre, mit Sicherheit constatirt werden, dass die bloss- 
gelegten Gebäude über die hier ganz verschwundene Stadtmauer 
hinausreichen. Hier finden wir Reste von Wanddecorationen 
dritten Stils auf Mauern aus gutem Lavaincertum mit schwach 
verzahnten Thürpfeilern aus ziegelförmigem Haustein, Mauern, 
welche gewissen Mauern an Gebäuden aus der sullanischen Zeit 
wesentlich gleichartig sind, denen nämlich, wo das Quasireticulat 
jener Zeit nicht zur Anwendung gekommen ist: der Eingangs- 
wand des Vorhofes des Aesculaptempels , der Nordwand des 
theatrum tectum. An letztgenannter Steile und noch öfter, 
so in dem oben (S. 245) besprochenen Hause VI ins. oceid. 
No. 32, sind auf solchen Mauern Malereien zweiten Stils erhalten; 
auch das in demselben Stil decorirte Mauerwerk des Hauses 
VI ins. occ. No. 10. 11 (S. 240) unterscheidet sich von diesem 
nur durch das Material des Incertums. Daneben finden wir 
einzelne Ziegelpfeiler, die ja auch an den im vorigen Capitel be- 
sprochenen Bauten mit den Pfeilern aus Hausteinziegeln wechseln. 



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Capitel XL 

Chronologie der Bauten östlich vom Forum. 



Nissen's siebzehntes Capitel beschäftigt sich vorwiegend 
(S. 262 — 306, vgl. auch S. 315 — 317) mit den relativ jungen 
Gebäuden auf der Ostseite des Forums. Der sogen. Mercur- 
tempel wird nach dem Vorgange Garrucci's für den Tempel des 
Genius Augusti, das sogen. Pantheon für ein Macellum, das 
Gebäude der Eumachia für eine Fullonica erklärt. In Betreff 
der sogen. Curie (oder Senaculum) wird vermuthet, dass sie der 
Versammlungssaal eines nicht näher bestimmbaren Collegiums, 
zugleich aber dem Vespasian und seinen Söhnen geweiht ge- 
wesen sei. 

Von diesen Bestimmungen ist die des Tempels des Genius 
Augusti wohl ohne Zweifel richtig, und genügt es in dieser Be- 
ziehung auf den betreffenden Abschnitt Nissen's (S. 270 ff.) zu ver- 
weisen. Auf die Frage nach der Fullonica und dem Macellum 
soll hier nicht eingegangen werden: diese Benennungen können 
weder als erwiesen gelten, noch ist die Möglichkeit derselben in 
Abrede zu stellen. Dass die sogen. Curie dem Vespasian ge- 
weiht war, ist höchst wahrscheinlich unrichtig. 

Von den vier Gebäuden ist nach Nissen der Augustustempel 
das älteste : er ist wahrscheinlich im Jahre 7 v. Chr., keinenfalls 
nach 2 v. Chr. erbaut worden, weil eben in diesen Jahren der 
Cult des Augustus organisirt wurde. — Darauf folgte das Ma- 
cellum, dessen Zeit scharfsinnig aus den in dem mittleren der 
drei Räume auf der Ostseite aufgestellten Statuen auf 14 bis 19 



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254 



Capitel XI. 



n. Chr. bestimmt wird. Mit Recht sieht Nissen keinen Grund, 
den Bau dieser Capelle von dem des ganzen Gebäudes zu trennen. 
Bei der Zeitbestimmung der Fullonica geht Nissen von der In- 
schrift aus, nach welcher das Gebäude der ConcordiaAugusta 
und Pietas „d.h. unsymbolisch gesprochen der Kaiserinmutter 
und dem regierenden Kaiser" dedicirt war. Dies war, wie Nissen 
feststellt, möglich in den ersten 8 bis 10 Regierungsjahren des 
Tiberius (c. 14—24), und zur Zeit der Anfange Nero's (54-59). 
Nissen entscheidet sich für das spätere Datum. Denn da der 
Grund nicht der Erbauerin gehörte, auch nicht der Stadtgemeinde, 
— denn dann müsste die Genehmigung des Stadtrathes erwähnt 
sein — so liegt die Vermuthung nahe, dass dieser Platz — wo, 
wenn ich Nissen recht verstehe, wohl schon früher eine Fullo- 
nica war — einem Tempel gehörte, dass also Eumachia auf 
Kirchengrund, und deshalb mit Bewilligung des Kaisers — da alles 
Kirchengut dem populus Romanus gehört — ihren Bau de- 
dicirte. Da derselbe durch die Dedication das Privilegium der 
Immunität erhielt, so meint Nissen, eine solche Freigebigkeit 
sei dem sparsamen Tiberius, der die Adulation verachtete, nicht 
zuzutrauen, wohl aber Nero, der ja mit öffentlichem Gut durch- 
aus nicht haushälterisch umging. Es wird endlich die Möglichkeit 
angedeutet, dass die Inschrift J. N. 2215: 
iuliae AGRIPPINAE 
germanici cAESARIS • F 
ti. da V Dil • CAESARIS • AVGVSTI 
zu der Statue der Concordia Augusta gehört habe: da dieselbe 
Claudius als lebend voraussetzt, so meint Nissen, man müsse in 
diesem Falle die Dedication, welche auf ihn keine Rücksicht 
nimmt, in seine letzten Jahre 52—54 setzen, wo man ihn bereits 
als abgedankt betrachtete. — Zuletzt endlich wurde die sog. 
Curie erbaut, zur Ausfüllung der Lücke zwischen Augustustempel 
und Macellum, und mit Anlehnung an die Umfassungsmauern 
derselben: wie in Pompeji die früheren Regierungen durch Ca- 
pellen geehrt worden sind, so ist es wahrscheinlich, dass auch 
die Thronbesteigung der Flavier ein monumentales Zeugniss 
hinterlassen hat: daher die Beziehung auf Vespasian und seine 
Söhne, deren Dreizahl für die Hauptapsis und die beiden Seiten- 
apsiden trefflich passt. 



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Chronologie der Bauten östlich vom Forum. 



255 



Um die Chronologie Nissens zu würdigen, ist es nothwendig, 
den in den Gebäuden selbst vorliegenden Thatbestand genauer 
festzustellen, als dies von ihm geschehen ist, und zu erwägen, 
welche relative und absolute Zeitbestimmungen sich aus dem- 
selben ergeben. 

Als festen Punkt dürfen wir den Tempel des Genius Au- 
gusti betrachten: dass dieser zur Zeit desAugustus, und wahr- 
scheinlich in den von Nissen angenommenen Jahren 7—2 v. Chr. 
erbaut worden ist, kann nicht füglich bezweifelt werden. 

Mit dem Augustustempel stimmt aber das Gebäude der Eu- 
macliia in der Bauart so genau überein, dass wir es nicht ohne 
zwingende Gründe einer viel späteren Epoche zuweisen dürfen. 
Die Construction aus ziegeiförmigen grauen Tuffsteinen, die Ein- 
theilung der Mauern in Felder mit abwechselnd spitzem und 
flachgewölbtem Giebel, alles dies kehrt genau so wieder: die 
Umfassungsmauern beider Gebäude sind sich so ähnlich, wie nur 
zwei Mauern in Pompeji sein können. Ferner sind die Wände 
im dritten Stil bemalt: dass dieser noch zur Zeit Nero's üblich 
war, darf mindestens als sehr zweifelhaft gelten. Aus diesen 
Gründen werden wir wohl thun, die Entstehung des Gebäudes 
in die erste Zeit des Tiberius, nicht Nero's, zu verlegen. Was 
Nissen dagegen anführt, ist nicht zwingend genug, um solchen, 
vom Thatbestand hergenommenen Gründen gegenüber in's Gewicht 
zu fallen. Auch dass es sich hier um Tempelgut handelte, ist 
doch keineswegs erwiesen: gesetzt, das Gebäude sei wirklich 
eine Fullonica, so kann doch sehr wohl der Bauplatz schon früher 
dem Collegium der fullones gehört haben. Dass seiner in der 
Weihinschrift keine Erwähnung geschieht, kann auf einer Defe- 
renz desselben gegen seine Wohlthäterin beruhen und darf uns 
überhaupt nicht Wunder nehmen, nachdem wir uns einmal darin 
gefunden haben, dass die Erbauerin einer Fullonica sich an der- 
selben durch eine Inschrift verewigte, in der weder von Fullonica 
noch von fullones die Rede ist. 

Das Gebäude erhielt später, gleichzeitig mit dem Augustus- 
tempel, eine neue, ausschliesslich aus Ziegeln bestehende Front: 
hier finden sich keine Spuren jener Decoration dritten Stils. 

Die Curie ist offenbar jünger als der Augustustempel. Die 



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25(5 



Capitel XI. 



etwas abweichende Orientirung ist durch eine nach Osten dicker 
werdende Anmauerung an die Nordwand des Augustustempels aus- 
geglichen worden. Ganz das gleiche Verhältniss findet dem Ma- 
cellum gegenüber statt , nur dass hier die Anmauerung nach 
Westen stärker wird. Hier wie dort ist die Posteriorität der 
Curie evident. 

Andererseits können wir Veränderungen constatiren, welche 
sie in der Zwischenzeit zwischen ihrer Erbauung und dem Unter- 
gang Pompeji's erfahren hat, und welche uns verbieten, diese 
Zwischenzeit allzu kurz anzusetzen. In der Ostwand des Nord- 
flügels ist eine Thür, entsprechend der in der gleichen Wand 
des Südflügels noch vorhandenen, zugesetzt worden. Die Ver- 
mauerung, welche älter ist als die Marmorbekleidung des ganzen 
Raumes, zeigt Reticulat. Und auf eine der Marmorbekleidung 
vorausliegende Periode weist noch eine andere Spur: an der 
Aussenseite der West wand des südlichen Flügels, nach dem 
Forum zu, ist ein Rest violetten Stucks erhalten, evident einer 
der Marmorbekleidung vorhergehenden Stuckdecoration ange- 
hörig. Dass diese sich auch über den Innenraum erstreckte, ist 
mit Rücksicht auf jene vermauerte Thür mehr als wahrschein- 
lich. Ueber den Stil der Malerei gestattet das geringe Fragment 
kein Urtheil; aber in den aus dem südlichen Flügel zugänglichen 
Hinterzimmern finden wir eine Decoration, welche trotz der grossen 
Einfachheit doch mit hinlänglicher Deutlichkeit den dritten De- 
corationsstil zeigt: wir dürfen also annehmen, dass in diesem 
Stile einst das ganze Gebäude ausgemalt war. Mithin müssen 
wir für die Datirung des Baues jedenfalls über das Erdbeben 
von 63, vermuthlich über das Jahr 50 n. Chr. zurückgreifen. 

Damit stimmt es vollkommen, dass die dem Augustustempel 
später vorgelegte Ziegelfront, und die mit derselben untrennbar 
verbundene des Gebäudes der Eumachia offenbar jünger sind als 
die Curie: wo beide zusammentreffen, sieht man deutlich, wie 
das Ziegelwerk des Augustustempels schlecht und unregelmässig 
mit der offenbar gebrochenen Mauer der Curie verzahnt ist. 

Es ist von Nissen S. 316 hervorgehoben worden, dass an 
der Front des Augustustempels Veränderungen vorgenommen 
worden sind. „Man erkennt an den Fundamenten im Boden, 
dass die beiden Seitenmauern um c. 3 M. weiter vorsprangen, 




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Chronologie der Hauten östlich vom Forum. 



2r>7 



ohne mit den anliegenden Gebäuden verbunden zu sein, der Art, 
dass der Vico nach dem Chalcidicum zu noch frei ausmündete". 
Dies ist nicht hinlänglich klar. Der Sachverhalt ist folgender. 
In der Verlängerung der Südwand des Tempelhofes sind noch 
c. 3,0 weit Fundamente einer Mauer sichtbar. Eine andere gleich 
lange Mauer lief parallel mit dieser etwa 3,0 weiter nördlich; 
der so entstehende, annähernd quadratische Raum war vom Forum 
aus zugänglich, aber nicht in seiner ganzen Breite auf dasselbe 
geöffnet, sondern an die südliche Mauer war noch eine Ante 
angesetzt. Eine weitere parallele und eben so lange Mauer lief 
in der Verlängerung nicht der Nordmauer des Tempelhofes, 
sondern der an sie angesetzten Mauer der Curie: sie bildete mit 
der südlichen Wand des vordersten Theils der Curie einen ähn- 
lichen annähernd quadratischen Raum, dessen Eingang vom Forum 
her ebenso durch eine an die genannte Wand der Curie ange- 
setzte Ante verengt war: der Ansatz der letzteren ist noch sichtbar. 
Der Raum zwischen diesen beiden viereckigen Kammern war 
gegen das Forum durch eine der Front des Tempelhofs parallele 
Mauer abgeschlossen, welche in der Mitte doch gewiss — ob- 
gleich davon nichts sichtbar ist — durch eine Thür unterbrochen 
war. Dass nun dieser Raum mit dem c. 3,0 breiteren Tempelhof 
jemals einfach vereinigt gewesen sein sollte, ist wenig glaublich; 
vermuthlich war doch hier eine Zwischenmauer. Da aber die 
eine der genannten Mauern diejenige der Curie, nicht die des 
Tempelhofes fortsetzt, so ist klar, dass diese ganze Anlage erst 
bei oder nach Erbauung der Curie gemacht worden ist. Der 
Gang zwischen dem Tempel und dem Gebäude der Eumachia 
wird durch die Front des letzteren gesperrt. Ob er etwa bis 
zum Neubau derselben offen war, wissen wir nicht; obige Fun- 
dam entehaben mit dieser Frage keinerlei Zusammenhang. 

Dagegen ist es klar, dass die Marmorbekleiduug der neuen 
Ziegelfront des Augustustempels und des Gebäudes der Eumachia 
gleichzeitig ist derjenigen, welche die Ausseuseite der Curie be- 
deckte, und wir dürfen wohl ohne zu grosse Kühnheit annehmen, 
dass auch im inneren eben nach Vollendung jener Facaden und 
ihrer Verbindung mit der Curie die Stuckdecoration durch Marmor 
ersetzt wurde. 

Nach dem gesagten muss der Gedanke, als sei dies Gebäude 

Mau, ponipejaii. Beitrage. \ " k 



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258 



Capitcl XI. 



unter Vespasian, nach dem J. 70, entstanden, wohl aufgegeben 
werden. Es ist jünger als der Augustustempel, vermuthlich auch 
als das diesem in der Bauart ähnliche Gebäude der Eumachia 
(c. 20 n. Chr.), älter hingegen als das Verschwinden des dritten 
Decorationsstils, c. 50 n. Chr. 

Das Macellum ist, wie wir gesehen haben, älter als die 
Curie, und gegen die Nissen'sche Datirung, 14—19 n. Chr., ist 
nichts einzuwendeu. Doch gilt dies nicht von den Bottegen am 
Forum, welche offenbar erst «päter dem Hauptraum vorgelegt 
worden sind. Betrachten wir nämlich die Vorderseite genauer, 
so lassen sich drei Perioden in der Geschichte des Baues mit 
voller Sicherheit unterscheiden: 

1. Ursprüngliche Erbauung: die Wände bestehen aus treff- 
lichstem Incertum, unten Lava, weiter oben vorwiegend Kalk- 
stein: das Lavaincertum gehört zu dem besten, was in Pompeji 
zu finden ist. Dass es sich hier nicht um verschiedene Perioden 
handelt, sondern um die Verwendung besseren Materials in den 
unteren, stärker belasteten Schichten, wird durch die Ziegelpfeiler 
an den Ecken und Thüren bezeugt, welche durchaus aus einem 
Stück und mit beiderlei Mauerwerk gleichmässig untrennbar ver- 
bunden sind. Und aus demselben Grunde darf auch das sorg- 
fältige Reticulat, aus dem ein grosser Theil der Südwand besteht, 
nicht, wie Nissen (S. 284) meint, für späteren Ursprunges als 
das Incertum gehalten werden: der östliche Eckpfeiler ist mit 
beiden gleich untrennbar gebunden. Auch ist es nicht richtig, 
dass man da, wo beide Arten Mauerwerk zusammenstossen, 
deutlich das Netzwerk als späteren Ansatz erkennt. Vielmehr 
gehen gerade hier beide so in einander über, dass an der Gleich- 
zeitigkeit nicht zu zweifeln ist: man mttsste sonst doch sehen, 
wo der Mörtel des jüngeren Mauerwerks sich an den des älteren 
anschlies8t; aber davon ist keine Spur, derselbe Mörtel geht 
gleichmässig weiter. In derselben Höhe, wo im Incertum die 
Lava dem Kalkstein weicht, tritt im Reticulat an die Stelle des 
grauen der gelbe Tuff; an einer Stelle hat der dem Reticulat 
zunächst liegende Lavastein noch die Form der Reticulat- 
steine. Das Ziegelwerk der Eck- und Thürpfeiler ist vor- 
züglich: die Ziegel, von gleichmässig rother Farbe, sind 0,04 



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Chronologe der Hauten östlich vom Fornm. 251) 

bis 0,05, die Schiebten des trefflichen steinharten Mörtels 0,008 
bis 0,01 hoch '). 

2. Verstärkung der Westmauer, an den beiden Eingängen 
aufs deutlichste erkennbar: die Westmauer wurde von c. 0,45 auf 
die ungewöhnliche Stärke von c. 1,05 gebracht. Die Ziegel 
dieser Verstärkung, von ungleicher, meist mehr ins Graue spielen- 
der Farbe, sind 0,028—0,033, die Mörtelschichten 0,011—0,015 
hoch. Zwischen den beiden Eingängen blieb damals eine Nische, 
welche später einmal durch Einfügung eines Pfeilers an jedem 
Ende und Vorsetzuug zweier Marmorsäulen in eine Aedicula ver- 
wandelt wurde. 

3. Gleichzeitig mit dem Bau der südlich anstossenden sog. 
Curie wurden die Bottegen am Markt hinzugefügt: durch ihre 
ungleiche, nach Norden zunehmende Tiefe wurde eine der Axe 
des Marktes sich einigermassen annähernde Front gewonnen. In 
den beiden nördlichsten dieser Räume (11. 12) hat man auch 
eine dieser neuen Front parallele Rückwand erzielt, indem man 
in No. 11 die schon einmal verstärkte Westwand des Hauptraumes, 
in No. 12 die des westlichsten der Läden auf der Nordseite (14) 
ausgleichend verstärkte. Dass dieser Vorbau mit dem Bau der 
Curie gleichzeitig ist, lallt in die Augen. Der Südpfeiler des 
südlichsten Raumes — es ist kein Laden, sondern nur eine nicht 
sehr tiefe Nische mit einer an die Rückwand angelehnten Basis 
— ist nichts anderes als das Nordende der Westwaud des nörd- 
lichen Flügeis der Curie, und ihm sind die anderen Pfeiler völlig 
gleichartig. Der so entstehende Eingangsraum ist mit Marmor 
bekleidet worden; ob sogleich, kann fraglich erscheinen, und 
da, wie wir gesehen haben, die sog. Curie nicht gleich Marmor- 
bekleidung erhielt, so liegt es nahe zu vermuthen dass es sich 
mit diesen ihr gleichzeitigen Räumen ebenso verhalte. 

Die Läden auf der Nordseite sind älter, wie aus dem mit 
den Mauern des Hauptraums gebundenen und ihnen gleichartigen 
Eingang deutlich genug hervorgeht. Von den sie trennenden 



') Mit Unrecht tiezeichnet Nissen (S. 77) das Zie^elwerk der sojjen. 3 Ourien 
an der Südseito des Forums als das beste Mauerwerk, das die Stadt aufweist. 
Sowohl das in Rede stehende als das der Basilica ist entschieden besser, nament- 
lich der Mörtel. 

17* 



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2(50 



Capitol XI. 



Pfeilern bestehen nur die ersten 5, vom Foruni aus, und der 
letzte aus Ziegeln, die übrigen aus Tuff- und Kalksteinquadern. 
Da diese alterthttmlichen Constructionsarten für die Zeit des 
Tiberius nicht recht passen, so könnte man vermuthen, dass sie 
von früher hier gelegenen Häusern herstammen: man konnte 
dafür anführen, dass sie nicht in einer Linie liegen. Freilich 
aber sind die beiden Tuffpfeiler am Eingang mit den Seitenwändeu 
desselben gebunden, sehen auch ganz so aus als ob sie an ihrem 
ursprünglichen Platze ständen: sie setzen also an eben dieser 
Stelle einen eben so breiten, für ein Privathaus zu breiten Ein- 
gang voraus. Wir werden also diese Pfeiler für nicht älter halten 
als den ganzen Bau, ihre Construction aber so erklären, dass 
wohl gerade die von älteren Bauten stammenden Quadern zur 
Hand waren. 

Auch im inneren sind nachträgliche Veränderungen zu con- 
statiren. Das sogen. Volcanal (Nissen S. 283) ist erst nachträg- 
lich, nach dem Mauerwerk zu urtheilen etwa gleichzeitig mit den 
Veränderungen auf der Westseite, hinein gebaut worden. Und 
zwar ist dieser Einbau älter als die uns erhaltene Wanddeco- 
ration im Stil der letzten Zeit Pompeji's. Das Volcanal selbst 
war mit Marmor bekleidet, die Wanddecoration aber liegt rechts 
auf dem Mauerstück, mit welchem es an die hier etwas vor- 
springende Ostmauer angesetzt ist und welches nicht älter sein 
kann als das Volcanal selbst ; links sieht man deutlich, wie der 
Stuck an den Marmor hinangestrichen wurde. Es ging also der 
jetzigen eine andere, ohne Zweifel im dritten Stil gehaltene 
Wanddecoration voraus. 

Noch jünger ist das kleine, unter dem Namen der Musi- 
kantentribüne bekannte, an die Nordwand angebaute Gehege, 
wo nach Nissen S. 279 Gerippe kleinerer Thiere gefunden wur- 
den: es wurde gemacht, als der Hauptraum schon seine jetzige 
Decoration hatte, und dann in demselben Stil bemalt. 

Es ergiebt sich uns also folgende ziemlich sichere Chronologie 
dieser Gebäude: 

1. Augustustempel, 7-2 v. Chr. 

2. Gebäude der Eumachia, 14-24 n. Chr. 

3. Bau des Macellums ohne die Läden am Markt, 14- 19 




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Chronologie der Hauten östlich vom Forum. 



261 



u. Chr. (also 2 und 3 vielleicht in umgekehrter Reihen- 
folge). 

4. Bau der sogen. Curie und der Läden vor dem Macellum, 
c. 20 — 50 n. Chr. — Alle 4 Gebäude mit Deeoration 
dritten Stils. 

5. Umbau des Augustustempels und des Gebäudes der Euma- 
chia, Herstellung einer fortlaufenden Ziegelfacade mit 
Marmorbekleidung von der Curie bis zur Ecke der strada 
dell' Abbondanza. In der Curie wird die Decoration 
dritten Stils durch Marmorincrustation ersetzt. Vormuth- 
lich etwa gleichzeitig Bau der Aedicula zwischen den 
beiden Eingängen des Macelluras; im inneren desselben 
Bau des sogen. Volcanal und Neudecorirung des ganzen 
im letzten Stil: höchst wahrscheinlich nach dem Erdbeben 
von 63 n. Chr. 

6. Bau der sogen. Musikantentribüue. 



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* 



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MAU, PO MPEi 



taf: n. 




Lichtdruck vAfölWfr 5':rJ:n. 



I 



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• • 4 



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