Die mechanik
der
leucipp-dem..
atome unter
besonderer ...
Hugo Liepmann
et /i/S-o
J?artoarti College Htbraru
FROM THE
CONSTANTIUS FUND.
Kstablished by Professor E. A. Sophocles of Harvard
L'niversity for " tlie purchase of Greek and Latin
books (the ancient classics) or of Arabic
books, or oi b< oks illustraling or cx-
plaining such Greek, Latin, or
Arabic books." (Will,
dated i &o.)
Received IAM31887
I
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ie Mechanik
dfläP
Leucipp-i temocritscheii Atome
unter besonderer BferüVksirhtigung'
der
Frage nach dem Ursprung der Bewegung derselben
v
Dr. Hugo Carl Liepmann.
Leipzig
Gustav Fock
— Verlag Von Gustav Fock in Leipzig. —
Hervorragende» W Brk-&bet r Lant- Physiologie.
Die Sprachlaitfi ii allgemeinen
wl die Laote des Eueliscnen, Frauzösiscben nnd Dentscnen
im besoDdern
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Dr. Moritz Trautmann,
Professor an der Universität Bonn.
Mit Abbildungen. Subskriptions-Preis: M. 6. — .
Iui allgemeinen Teile werden zunächst akustische Dinge behandelt, dann das
Sprachorgan beschrieben (dieser Abschnitt enthält 10 erläuternde Abbildungen), weiter-
hin das Vokal- und Konsonantensystem aufgestellt und zuletzt die Arbeiten anderer
auf diesen Gebieten beurteilt; im besondern Teile werden die Laute der einzelnen
drei Sprachen behandelt, immer mit kritischer Berücksichtigung der
Forschungen anderer.
Von der fachwissenschaftlichen Presse wurde das Trautmann'sche Buch in der
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-
«
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Inhalt.
Seite
Interesse des Gegenstandes.
Bedürfniss nach erneuter Prüfung der Quellen.
Uebersicht Uber die den Gegenstand betreffende Literatur.
Ein eigenes Urtheil aus 2 Quellen zu gewinnen: 1. Den Kosmo-
gonieen der Atomiker; 2. den Zeugnissen der Alten.
I. D i c K o sm ogonjeen d er A to miker 17
Orientirung über die vorhandenen atomistischen Darstellungen der
Weltbildung.
Erweis der Epicnreischen Herkunft der Kosmogonieen bei Pseudo-
plutarch und Galen.
Vergleich der Kosmogonieen bei Diog. Laert. und Pseudorig. mit
denen hei Pseudoplutarch und Galen.
Unterschied in dem mechanischen Aufbau der Deinocritischen und
Epicnreischen Kosmogonie.
Bio siegung der in den altatom. Kosmog. enthalten, mechan. Ele-
mente.
II. Die Zeugnisse der Alten 31
A. Solche, welche unmittelbar auf den Mechanismus der Be -
wegung gehen
1. üeber das Gewicht der Atome, als einzige^treitige Eigen-
schaft derselben.
2. lieber die Bewegung der Atome.
a) Bei Aristoteles.
ß) Bei den Nacbaristotelikern.
B. Zeugnisse, welche mittelbar Schlüsse auf den Mechanismus
der Bewegung gestatten.
III. Vereinigung der aus beiden Instanzen erhaltenen Er -
gebnisse 49
Versuch die Zeugnisse auf die Elemente der Kosmogonieen zu
beziehen.
Gesammtergebniss.
Gegeninstanz.
Verhältniss des hier gewonnenen Ergebnisses zu den bisherigen
Auffassungen der Leucipp-Democritischen Bewegungslehre.
Bedeutung desselben für die Beurtheilung des allgemeinen Cha-
rakters der atomist. Philosophie.
Anhang: Die Atommechanik der Epikureer 66
Interesse des Gegenstandes. Allein durch die Bewegung der
Atome im Leereu kommt das Weltgebäude der Atomiker zu
Stande.
Hatten die griechischen Kosmogonieen ganz allgemein die
Aufgabe, den „Kosmos" werden zu lassen aus Etwas, was noch
nicht Kosmos ist — Kosmos in des Wortes ursprünglicher Be-
deutung „Schmuck", „Ordnung" — und war ihnen hierdurch Ziel
und Ausgangspunkt gemeinsam gegeben, nämlich das gegenwär-
tige Weltgebäude einer- und der vorkosmische Urzustand an-
drerseits, so geschah die Vermittelung dieser beiden bei den
Atomikern nicht durch den Eingriff einer übersinnlichen Macht,
wie etwa des weltbildenden Nus, oder der mythischen Gewalten
der Liebe und des Hasses, vielmehr erfolgte dieselbe auf rein
mechanischem Wege.
Haben nun schon überhaupt die besonderen Vorstellungen,
welche die einzelnen Philosophen sich von jenem Urzustände
machten, ein hohes Interesse für die kritische Betrachtung, indem
sie die Stufe darstellen, auf welcher die die Kausalitätsleiter her-
absteigende Vernunft Halt machen zu können glaubte, diejenige
Seinsform also, welche nach der Meinung des Urhebers der Kos--
mogonie das Verlangen nach weiterer Erklärung, wenn auch
nicht völlig unterdrückt, so doch vorläufig beschwichtigt — kenn-
zeichnen sie somit Art und Grad des kausalen Bedürfnisses ihrer
Urheber, — so steigert sich dieses Interesse ganz besonders ge-
genüber denjenigen Kosmogonieen, welche ohne Zuhülfenahme
einer tibersinnlichen Gewalt den Uebergang zu der Pracht und
scheinbaren Zweckmässigkeit der gegenwärtigen Welt gefunden
haben.
Während nämlich der „Sphäros" eines Empedocles und das
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„Chaos" eines Anaxagoras in loserem Zusammenhange mit dem ^
Ganzen ihres Systems stehen, da sie nur zum Theil die Keime
der zukünftigen Welt in sich tragen, deren anderer Theil von
jenen geistigen Mächten hinzugebracht wird, so muss der Urzu-
stand einer Kosmogonie, welche sich ohne derartige dynamische
Prinzipien behilft, welcher also die Bedingungen seiner Entwicke-
lung in sich selbst trägt, somit schon allein „potentieller" Kosmos
ist, in weit höherem Grade den Niederschlag der ganzen Vorstel- I
lungsweise seiner speculativen Urheber darstellen. Dort ist der
besondere Character der vorkosmischen Periode zum Theil der
Willkür der Einbildungskraft tiberlassen, hier wird er der strenge v
Ausdruck der letzten Auskunft sein, auf welche sich die an der
Hand des Satzes vom Grunde fortschreitende Vernunft verwiesen
sah. Hier hat das Bild von dem Urzustände nicht nur den Werth
einer, vielleicht durch gelegentliche Beobachtung mitbestimmten
Phantasiegeburt, ist vielmehr der bei der Zurückführung der
Dinge auf ihre Ursachen gebliebene, nicht weiter erklärbare Rest, '
der selbst die Erklärung des Uebrigen in sich tragen soll.
Der akosmische Urzustand des Leucipp und Demokrit, sowie
ihrer Anhänger, bestehend in ewiger, unablässiger Bewe-
gung der Atome, die Gesetze, welchen diese Bewegung folgt,
ihre Mechanik, verdient daher unseren besonderen Antheil. Auf
sie findet das Gesagte in ganz vorzüglichem Grade Anwendung;
denn da die unvollkommenen Versuche der altionischen Naturphi- ,
losophen noch ganz im Hylozoismus befangen sind, ist das ato-
mistische System das einzige der Alten, welches durchgängig auf
dem Boden der mechanischen Naturerklärung steht.
Hierzu gesellt sich ein anderes, ein naturwissenschaft-
liches Interesse an den mechanischen Vorstellungen der Atomisten
über die Bewegung der Atome, welche den Urzustand ihrer Welt
darstellt. Nicht nur formal, in der Anwendung der mechanischen
Erklärungsweise, sondern auch inhaltlich durch ihre Atomtheorie
selbst, sind Leucipp und Demokrit die ältesten Vorgänger der
neueren Naturforscher. Wir betrachten daher ihre Lehre nicht
nur mit den Augen kritischer Philosophen, sondern auch mit
denen dankbarer Erben!
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*
Bedürfnw nach erneuter Prüfung der Quellen. Das BedUrf-
niss aber, aufs Neue zu den Quellen zurückzugehen, um einen
Einblick in ihre mechanischen Vorstellungen zu erhalten, ergiebt
sich aus der Uneinigkeit der verschiedenen Beurtheiler. Schon
die Alten hegten die verschiedensten Auffassungen von den Grund-
ztigen der atomistischen Mechanik. Ebensowenig ist unter den
Neueren eine Einigung erzielt worden.
Uebereinstimmend wird noch berichtet, dass sich bei den
Atomisten seit Ewigkeit eine unbegrenzte Anzahl untheilbarer,
stofflich identischer, aber verschieden gestalteter Körper im unend-
lichen Leeren bewegen.
Aber schon in der Angabe der Ursache dieser Bewegung
und der Prinzipien des besonderen Verlaufs derselben, wie er zur
Gestaltung dieser Welt führt, gehen die Stimmen völlig aus-
einander.
Gerade auf die Frage hat sich die Diskussion über die me-
chanischen Grundvorstellungen der Atomisten zugespitzt, ob die
Schwere, welche zweifellos die Ursache der Bewegung bei Epicur
ist, ebenfalls als der Grund derselben bei Leucipp und Democrit
anzusehen sei, ob somit auch bei ihnen die „ursprüngliche Be-
wegung" d. h. diejenige, welche nicht wieder Folge einer anderen
Bewegung, vielmehr die Mutter aller übrigen ist, die des senk-
rechten Falls sei, oder ob etwa die Atombewegung an ein anderes
Prinzip geknüpft werden und damit eine Differenz zwischen
alt- und neu-atomistischer Schule angenommen werden müsse.
Da in dieser Form die Forschung uns die Frage nach dem
Kern der atomistischen Mechanik darbietet und damit in der That
auf den Nerv derselben trifft, wird auch eine Prüfung der Quellen
mit besonderer Rücksicht auf dieses Problem vorzunehmen sein.
■
Innerhalb der älteren Schule eine Scheidung vorzunehmen,
liegt kein Grund vor, da weder die Vorstellungen des Leucipp
und Democrit in den wesentlichen Punkten auseinandergingen,
noch von Abweichungen erheblicher Art seitens des Metrodorus oder
Anaxarchus von der Lehre der Meister berichtet wird. Es kann
daher alles der älteren Anschauungsweise Angehörige unter dem
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Namen des Democrit gegeben werden, von welchem am Meisten
überliefert ist.
üebersicht der Literatur über die ältere Atommechanik.
Bezüglich ihrer Stellungnahme zur Frage des Ursprungs der
Bewegung der democritschen Atome zerfallen Monographieen und
Darstellungen der Geschichte der Philosophie der Neueren in
zwei Gruppen, je nachdem sie die Bewegung mit der Schwere
in Verbindung bringen, oder nicht. Die zu der letzteren Auffas-
sung geneigte Gruppe muss, als die im Ganzen ältere und neuer-
dings im Allgemeinen von der ersteren verdrängte, vorangestellt
werden.
Die derselben Angehörigen lassen also die Schwere der Atome
nicht als Erklärungsgrund ihrer Bewegung gelten, obgleich sie
diese Eigenschaft den einfachen Körpern zuertheilen. Die Atome
haben Gewicht und dennoch ist ihre ursprüngliche Bewegung
nicht die senkrechte nach unten. Die zu dieser Gruppe Gehö-
rigen schliessen sich gemeiniglich dem schon von Aristoteles er-
hobenen Vorwurf an, „die Atomiker hätten nicht genügend Aus-
kunft über den Ursprung der Bewegung gegeben ", womit sie sich
der Pflicht überhoben meinen, die behauptete Schwere der Atome
mit dem doch nicht ursprünglich senkrechten Fall derselben in
befriedigender Weise zu vermitteln.
Gruppe I. Schon Papencordt (de atomicorum doctrina)
vermisst die Ableitung der Bewegung aus einem „höheren Prinzip".
Von ihm rührt die Zweitheilung der Prinzipien der Bewegung her,
indem er sagt: „Duo motus principia sunt distinguenda alterum
quod motuum universitatem efficit eique praeest, alterum quod
elementis singulis inest", wobei er in richtigem Gefühle hinzu-
fügt, dass sich das zweite mehr beziehe „ad rationem, qua res
quaeque moveantur".
Hieraus hat Mullach (Dem. Abd. op. fr. 1843), der Haupt-
träger dieser Anschauungsweise, die unbegründete Annahme zweier
„Arten" der Bewegung gemacht: „Atomorum motus duplex est,
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alter ad universas pertinens . . ., alter ad singulas spectans",
indem er das Prinzip des „niotus universalis" in der „Necessitas"
findet, daB des „m. singularis" in Stoss und Wirbel, deren sich
die „Nothwendigkeit gleichsam wie zweier Werkzeuge" bedient
(S. 382). Hiermit sind aber zwei durchaus nicht koordinirbare
Dinge, die Ursache der Bewegung überhaupt und die beson-
dere Art derselben, in logischer Gleichberechtigung nebenein-
ander gestellt.
Gewicht theilt er den Atomen zu, wenn auch mit der Be-
merkung, dass dieser Punkt von Democrit nicht ganz klar gestellt
sei, leitet aber nicht die Bewegung von ihm ab. Vielmehr spricht
er ihnen in ausdrücklicher Gegenüberstellung gegen die epikurei-
schen Urkörper einen „inneren Trieb", ein „natürliches Prinzip
der Bewegung" ab, lässt sie dagegen gewaltsam durch fremde
Macht bewegt werden, nämlich durch jene Necessitas mit ihren
Werkzeugen, Stoss und Wirbel.
Sowohl die oben erwähnte formelle Eigentümlichkeit der
Mullach'schen Darstellung, als auch ihr materieller Gehalt, wo-
nach die ursprüngliche Bewegung an eine fast personifizirte Not-
wendigkeit, die er dem „Fatum" (tlfxaQfj^ytj) gleichsetzt, geknüpft
wird, und die Schwere der Atome nicht als innerer Trieb auftritt,
ist in eine Reihe von Einzelabhandlungen übergegangen. So in
Bindseils quaestiones Lucr. (Anklam 1867) und Hildebrandts
T. Lucretii de primordiis doctrina (Magdeburg 1864). Bei Braun
(Guil. Braun, de atomis doctrina 1857) ist der Mullach'sche Stand-
punkt ohne ersichtliches Bedürfniss dahin modifizirt worden, dass
die allgemeine Bewegung zwar der „Nothwendigkeit", die beson-
dere aber der Schwere zuzuschreiben sei.
Einen weniger persönlichen Character hat bei Ritter die
Nothwendigkeit, welche sich die Atomisten nach ihm „als die
Grundlosigkeit der ins Unbestimmte zurückgehenden Bewegung
dachten". Ritter nimmt an „Democrit habe Uber den ersten Grund
der Bewegung Nichts aus seiner Lehre sich zu entwickeln gewusst,
sondern die Bewegung überhaupt als eine uranfängliche sich ge-
dacht, eine jede einzelne Bewegung aber von einer äusseren,
mechanischen Ursache abgeleitet".
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Wieder auf Mullach zurück geht Erdmann (Grundr. d. Gesch.
d. Ph.), wenn er die das Werden regelnde Notwendigkeit in Be-
ziehung Dringt mit der „feuerähnlichen Weltseele", als die einer
alten Nachricht zufolge Democrit Gott erklärt haben soll (S. 53).
Die Schwere als Bewegungsgrund verwirft noch Guy au (mo-
rale d'Epicure 1878 S. 74), indem er jede einzelne Bewegung Er-
gebniss sein lässt „d'un choc fatal et d'un räbondissement des
atomes non moins fatal". Den hier genannten Autoren scbliesst
sich seinem Standpunkt nach noch an A. Brieger, dessen jüngst
(1884) erschienene Arbeit aber weil sie schon auf die Argumente
der gegnerischen Gruppe eingeht, er6t nach dieser eingehend be-
rücksichtigt werden kann.
Gruppe IL Die älteren zu der anderen Gruppe Gehörigen
befleissigen sich keiner allzugrossen Klarheit.
So ertheilt Tiedemann (Geist d. spek. Ph.) zwar den Leu-
eippschen Atomen allen „ein und die nämliche Bewegung", dereu
Ursache jedenfalls die Schwere sei; bei der Characteristik aber
des Democrit giebt er nicht nur allen Bedenken, welche sich aus
der Annahme einer im Unbegrenzten der Schwere folgenden Be-
wegung ergeben, Raum, sondern fiigt ausdrücklich hinzu „dass die
Schwere jedenfalls nicht als Erklärungsgrund gebraucht wurde",
ohne diese Bemerkung als nur auf die Qualitäten bezüglich einzu-
schränken.
Ebenso unbestimmt und blaas, vor Allem einer detaillirten
Ausführung baar, ist der Bescheid bei Brandis. Im gross ge-
druckten Text ist die Bewegung „nicht eigenthümliches Prinzip,
sondern ewige nothwendige Folge der ursprünglichen Manigfaltig-
keit der Atome im Räume" (Handb. S. 310). Ebenso ist es S. 311
„nothwendige und ewige Folge der Atome und des Leeren" und
erst S. 312 heisst es: „Vermöge ihrer Schwere und weil sie durch
den leeren Raum getrennt sind, ist daher die Bewegung ihnen eigen-
thümlich, ohne inne wohnende Kraftthätigkeit derselben zu
• Li
sein".
Erst mit der Angabe eines den ursprünglich senkrecht nach
unten gehenden Trieb mit dem späteren Wirbel vermittelnden
Gliedes, gewann die Ansicht der ersten Gruppe einen bestimmten
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«in schaulichen Ausdruck, bei dem sich etwas vorstellen liess.
Diese Vermittelung fand Zell er (Ph. d. Gr. I. 604) in der mit
der verschiedenen Schwere gegebene Ungleichheit der
Fallgeschwindigkeit der Atome, welche die schwereren auf
die leichteren stossen lässt und somit erst einen Verkehr der
vorher isolirten Körperchen ermöglicht. Während sie «an und
für sich in ihrer Bewegung alle diselbe Richtung verfolgen wür-
den", treffen sie nun auf einander, «die leichteren werden von
den schwereren in die Höhe gedrängt und aus dem Gegenlauf
dieser beiden Bewegungen erzeugt sich eine Kreis- oder Wirbel-
bewegung. Damit ist also bei Democrit, wie bei Epicur, die ur-
sprüngliche Bewegung die lothrechte nach unten. Erst
die als seine Lehre hypostasirte Ungleichheit der Geschwindigkeit
der verschieden schweren Atome führt einen Zusammenstoss und
damit den Uebergang zu den übrigen Bewegungen, insbesondere
zu dem weltbildenden Wirbel herbei.
Dieser Fassung, welche die ganze atomistische Welt zu einer
durch den Stoss modifizirten Function der Schwerkraft macht,
haben unter Anderen sich Ueberweg (Gr. d. Gesch. d. Ph.) und
Schwegler angeschlossen , letzterer nicht ganz consequent,
wenn er (S. 49 Gesch. d. gr. Ph.) die Schwere als Grund des
Nichtruhens der Körper angiebt, dann aber (S. 50) von dem
„Gegenstoss und der Wirbelbewegung, als dem einzigen Grunde
der xlvtjtog" spricht. Auch A. Lange in seiner Gesch. d. Mate-
rialismus folgt der Zellerschen Auffassung. —
Die erwähnte Ostern 1884 erschienene Abhandlung von
Dr. Ad. Brieger, Halle a./S. Gymnasialprogr., betitelt: -Die Ur-
bewegung der Atome und die Weltentstehung bei Leucipp und
Democrit* schliesst sich ihrem Standpunkt nach der Mullachschen
Auffassung an, gehört also in die erste Gruppe d. h. sie erteilt
den Atomen Schwere, lässt diese aber nicht Veranlassung der
„Urbewegung" sein; in dieser erkennt sie vielmehr ein „wirres
Durcheinanderfliegen nach verschiedenen Richtungen" (welches
letztere Ergebniss sich ganz mit dem in der folgenden Arbeit er"
langten deckt). Sie unterscheidet sich von den Arbeiten Papen-
cordts und Mullachs wesentlich dadurch, dass sie auf die gegue-
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rische Ansicht eingeht und die Zellerschen Argumente Air die-
selbe zu widerlegen unternimmt. Sie will gegenüber seiner ftir
irrig gehaltenen Darstellung die wahre Gestalt der Democritscben
Urbewegungs- und Weltentstehungslehre wiederherstellen, worin
sie mit meinem eben dahingehenden Versuch fast überall
zusammentrifft. Es ist aber nicht ihre Absicht, die den ge-
nannten Processen gemeinsamen mechanischen Elemente zu
enthüllen, vielmehr erklärt Brieger selbst von einer Reihe me-
chanischer Probleme S. 13 (§ 19) „diese und andere nahe liegende
Fragen vermag ich nicht zu beantworten". Dabei bleibt der auf-
gewiesene Widerspruch der ganzen ersten Gruppe eines vorhan-
denen, aber nicht zur Geltung kommenden Zuges nach
Unten, bestehen.
Somit fehlt zu dem von Brieger getreulich wiederhergestellten
Bilde, der erklärende Text, zu dem reconstruirten Gebäude der
ins Innere führende Schlüssel*).
Der gegenwärtige Stand der Forschung liefert uns somit im
Grossen zwei sich widersprechende Vermuthungen Uber den Cha-
racter der Bewegung der Democritschen Atome, von welchen sich
die eretere von vornherein durch den Widerspruch verurtheilt,
einerseits den Urkörpern einen mit ihrer Existenz gegebenen
Trieb zuzugestehen, andererseits diesen nicht ursprünglicher sein
zu lassen, als von aussen kommende Impulse, vielmehr ihn völlig
in dem Bilde, das sie von der Bewegung entwirft, zu verleugnen.
Dagegen empfiehlt sich die zweite a priori durch Vermeidung
*) Die * erwähnte Uebereinstimmung des negativen Theiles meiner
Arbeit, nämlich der Bekämpfung der Ansicht vom ursprünglich senkrechten
Fall, mit der Briegerschen , sowie die spätere Veröffentlichung der mei-
nigen, legen die Vermuthung einer Benutzung jener meinerseits nahe.
Demgegenüber weise ich darauf hin, dass meine Arbeit in ihren Grund-
zügen schon 1883, also vor Erscheinen der Briegerschen, verfasst und
am 4. Mai 1884 der Berl. phil. Fak. vorgelegt worden ist. Beide Arbeiten
sind also gleichzeitig unabhängig von einander entstanden. Dass die
meinige dennoch in so vielen Punkt "*■>. mit der eines bewährten Forschers,
wie Brieger, zusammentrifft, ist mir eine erfreuliche Bestätigung der Trif-
tigkeit der versuchten Erweise. Die Briegerschen Ansichten über die
verschiedenen Fragen trug ich nach, als mir dessen Arbeit kurz vor dem
Druck der meinigen zu Gesicht kam.
15
jenes Widerspruches, dadurch nämlich, dass sie die Eigenschaften
der Urkörper in einen ursächlichen Zusammenhang mit ihrem
Wirken bringt und dazu Uebereinstimmung der alt- und neu-ato-
mistischen Lehre herstellt Hinwiederum wird man nicht anneh-
men können, dass die Vertreter der ersteren Ansicht sich ohne
triftigen Grund der so erwünschten Einheit und Geschlossenheit
begeben hätten.
Wird man sich darum auch nicht sofort der anderen Fas-
sung ergeben, so machen doch ihre augenscheinlichen Vorzüge,
sowie die Bedeutung ihres Urhebers eine gründliche Prüfung ihrer
Berechtigung zur Pflicht.
Ein selbstständiges Urtheil über die mechanischen Vorstel-
lungen Uber die Bewegung der Atome bei der älteren Schule
können wir aus zwei Quellen schöpfen. Diese sind:
1. Ihre Darstellungen von der Bildung der Welten, in denen
sich ihre mechanischen Vorstellungen gewissermassen objek-
tivirt haben, so dass sie implicite in ihnen enthalten sind
— d. h. ihre Kosmogonieen.
2. Die jenen und anderen uns nicht zugänglichen Quellen
entnommenen Urtheile der Alten.
Die eretere ist, weil am unmittelbarsten und reinsten, die für
uns werthvollste. Die zweite giebt die Thatsachen schon unter
der kritischen Beleuchtung irgend eines Standpunktes, so dass
zur Bloslegung derselben eine völlige Durchschauung der Absich-
ten des Kritikers erforderlich ist, um z. B. eine willkürliche Zu-
rechtlegung einer fremden Behauptung bestimmten Demonstrations-
zwecken zu Liebe herauszuerkennen. Ueberdies ist ein Irrthum
des Zeugen nicht ausgeschlossen. Wir haben also hier schon
mit mehreren Unbekannten zu rechnen.
Dieses gegen die unbedingte Beweiskraft aller Zeugnisse ge-
richtete Misstrauen erscheint besop^ers angebracht für den vorliegen-
den Fall wegen der schon erwähnten Uneinigkeit der Alten, deren
Berichte über den Gegenstand sich noch mehr widersprechen, als
die der Neueren. Wir weiden uns daher zunächst an jene reinere
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■
Quelle der Kosmogonieen halten müssen, mit Hülfe deren wir ge
wissermassen durch Autopsie einen Einblick in die Democritscb»
Mechanik gewinnen. Nachdem aber einmal durch Zergliederung
der Kosmogonieen die implicite in denselben enthaltenen mecha-
nischen Elemente aufgefunden worden sind, werden die Zeugnisse,
wo sie mit jenen nicht im Widerspruch und unter sich einstimmig
auftreten, eine willkommene Ergänzung der nur aus den Bruch-
stücken gewonnenen Einsicht bilden, im Uebrigen aber einen er-
wünschten Prüfstein für die Ergebnisse der Kosmogoniezergliede-
rung abgeben: sie müssen aus den letzteren begriffen, unter
Berücksichtigung des Standpunktes des Zeugen auf sie bezogen,
die Wurzel etwaiger Missverständnisse, der Keim der Widersprüche
in ihnen aufgewiesen werden können. Gelingt es die Zeugnisse
mit jener anderen Instanz in einen solchen Einklang zu bringen,
so werden sie eine ausserordentliche Bestätigung derselben ab-
geben.
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I.
Die Kosmogonieen der älteren Atomistik.
Orientirung über die vorhandenen atomütüchm Darstellungen
der Weltbildung, Eine Analyse des Weltbildungsvorganges, wie
er sich im Geiste der Atomisten darstellte, wird nicht nur die
allgemeinen mechanischen Vorstellungen derselben enthüllen, son-
dern insbesondere einen etwaigen konstanten Faktor, wie den
Trieb nach unten, herauszufinden verhelfen. Wenn auch nicht
herrschend, müsste derselbe sich doch in der Mannigfaltigkeit der
Bewegungen geltend machen.
Unter den Darstellungen der Weltenbildung stehen in erster
Linie die unter Leucipps Namen eingeführten bei Diogenes Laer-
tius und Pseudorigenes. Dazu kommt ein Bruchstück bei Sim-
plicius ad Ar. Phys. fol. 73 b.
Daneben exi stiren zwei Schilderungen desselben Prozesses
mit atomistischem Gepräge, welche als Beleg Leucipp-Democriti-
scher Anschauungen herangezogen worden sind (Zeller die Phil,
d. Gr. Band III) — nämlich das vierte Kapitel des ersten Buchs
der Placita und ein offenbares resume jener ausführlichen Dar-
stellung bei Galen bist. ph. 7.
Aus diesen letzteren würde unzweideutig hervorgehen, das»
das eigentliche Bildungsprinzip der atomistischen Welt die Schwer-
kraft gewesen sei.
Von beiden Texten sagt Zeller in der 2. Aufl. „ihr Bericht
ist augenscheinlich aus derselben Quelle geflossen, wie die An-
gaben des Diogenes und des falschen Origenes" I. S. 605. Später
änderte er seine Ansicht dahin, dass er schrieb (III. S. 411 Anm. 1
4. Aufl.) „Auch die letztere Darstellung (nämlich die in den Pla-
citis) wird zunächst aus einer epikureischen, nicht unmittelbar aus
einer der älteren Atomistik ungehörigen Quelle geflossen sein.
Denn theils ist ihre Verwandtschaft mit der Stelle aus Lucrez
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doch noch grösser, als mit den Berichten über Leucipp und
Democrit . . theils verräth eine andere Stelle . . . den Epiku-
reer unverkennbar."
Schon diese Erkenntniss sollte doch ausreichen, jene Stelle
und mit derselben ihren Auszug bei Galen nicht zur Klarstellung
des Democritschen Standpunktes heranzuziehen.
Nun flihrt überdies ein ins einzelne gehender Vergleich, der
sicher der älteren Schule angebörigen Darstellungen mit derjenigen
der Placita dazu, weiter zu gehen: nämlich, nicht nur einen ge-
waltigen Unterschied zwischen denselben zu konstatiren, welcher
die letztere zweifellos als Erzeugniss der jüngeren Schule erschei-
nen lässt, sondern gerade die auf Grund der aufgefundenen Dif-
ferenz als alt- und jung-atomistisch gekennzeichneten Darstel-
lungen zur Grundlage des Erweises der völligen Heterogenität in
den Anschauungsweisen der beiden Schulen zu machen.
Bei Diogenes Laertius (Hb. IX, 31, se. qq) heisst es: „yiyve-
cd-cu zovg xoüfiovg ovzco' (piqsad-cu xaz anozo^v ix zov dmiqov
noXXa öiapaza, TxavxoXa zotg ax^ccatv eig piya xsvov' aneq cc&qort-
&svxa diviiv ansqyd&öd-ai, filav, xa& fp nqogxqovovza xal navzo-
öanäg xvxXovpsva diaxqtvsa&ai x°*Qk xa o/*o*a nqog zd öfiota,
lao{>QQn(av d& diä zo nXtj&og [xrjxttt dvvapiwv mqKpiqsa&ai , zd
p&v Xenzd %ft>()«iV *b xsvov } cäcmq diqzzopeva, zd d& Xot7td
tiVfAfjbivsw xal nsqmXsxöpeva cvyxazazqixeiv aXXijXotgj xal noislv
zo nqtozov <Jv<Jzrj[xa ayatqosidig. Tovzo d& otov vpiva dtpitizaaxhai,
7uqUxovza iv eavzw navzoXa atopaza' dov xatd zijv*) zov piöov
dvzi'qtiaiv mqtöivov[i4v(ov , Xembv ylvec&ai zbv 7i£qi% vfiiva,
cvqq6qvz(üv ael zutv Gvv&x&v xaz* inttfjavöiv zyg öivijg. xal ovzu>
pkv ysvfo&ai zijv yyv avfxfjksvövzcov zwv ivsx&tvzwv inl zo picov,
avzov zs nctXiv zov nsqUxovza, otov Vfiiva^ av^sod-ai xazä zip
inixqv&v ztav s%a>&£V ücofidztov , 6lvi\z6 (psqopevov avzov <av av
imipavöfi, zavza imxzäa&ai. zovzwv 6s ziva övpnXexöpsva notsiv
avGzijfta zo nqäzov xd&vyqov xal ntjXdSdeg, tyqav&dvza xal
*) Brieger schiebt hinter z^v „mei" ein, zum Vortheil des Sinnes.
Er tibersetzt „in Folge des Kampfes um die Mitte" S. 19.
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Ttegtcpegopeva övp xif xov '6 Xov 61pji* eh" ixnvga&ipxa xtjp xcav
daiigoap anoxeXiöai (pvötp u .
Der Verfasser der Philosopbumena schreibt (I. 10): „Kööpove
6k ylypeö&ai Xiyei ovxwg* bxav elg xevbv ix xov neqie%opxog
a&QOKf&ri noXXd <s<apata xai (fv$$vj[ ngogxgovopxa dXXyXotg av^k-
nXixEGdai xd bpoiotixqpopa xai naqanXijo'ta xdg fiog(pdg xai mgi-
nXsxd-evxwv daxigag (Diels Dox.) yipeG&ai?
Das kurze Citat bei Simplicius lautet: „Jtjpoxgtxog ip olg
(prjai divji (ßeipop?) anb napxbg dnoxglpsa&ai napxoitap et6i(ap.
Dagegen die Stelle in den Plac. I, 4: „6 xoipvp xocfpog
avvitstfi mgtxexXao'fAs'pqt tiyiipaxt iöximaxiöpepog xbp ngonop xovtov*
xwv axofnop öatfidxcop dngopoijxop xai xv%a%ap i'fppxtop xi\p xivi\GhV
cvvs%(ag xe xai xd%i6xa xivovps'vwv eig to avxb 7wXXd Gwpaxa
üvp^d-gota&ij xai 6id xovxo noixiXiav e%opxa xai o^tjfidxutp xai fw-
ye&cÜP. ä&Qoßops'paiv ffip xavxa xovicop xd pkp oöa tjp [tei£opa
xai ßagvzaia ndvxiag vnexd&fev' oöa 6k fiixgd xai nsgupsQt] xai
Xela xai evdXio&a, xavxa xai Qe&Xtßexo xaxd xr\p x&v oa/jMxxaip
Gvpodop, eXg xe xo fjtexicogop dpe<pegexo. (log 6* ovp e^iXiTie fikp ij
nXyxxtxtj dvpapig nexeoagitflvGa ovxixi 6'tjyev tj nXtjyq ngbg xo fis-
xiooQOP, exwXvexo 6k xavxa xdxoa (pigea&at, emi&xo ngbg xovg xo-
novg xovg dvpapipovg öi^aö&ai* ovxoi 6'y<fap ol nigi% xai ngbg
xovxoig xb nXtj&og xcop Gcopdxcop negisxXdxo. negtnXexopepa 6'aX-
XtjXoig xaxd xtjp negixXatitP xbp ovgapbp iye'ppijo'ap , xyg avxfjg
ixofispai (fvüsdag al axopot noixlXai owfai ngbg xb fiexicagop e£<o-
&ovfispa xr(p x&v dcxigtop (pvGiv anexiXovp, xb 6e nXij&og xcop
äpa&Vfucofiipcop GwpdxtoP enXtjxxe xbp äiqa, xai xovxop i^i&Xißs'
7XPevfiaxovfiepog 6k ovxog xaxd xijp xlptjöiPj xai oVfjtnegiXafjtßdpcov
xd aöxga avfineg^ye xavxa xai xijp vvp negnpogdp alxap fieximgop
iipvXaxxe. xaneixa ix fjtkp xap vnoxa&i£opxcop iyyepij&ij tj yrj ix 6h
xüop (isx€(ügi£ofi4p(op ovgapog nvg, dijg u
Erweis der Epikureischen Herkunft der Kosmogonieen bei
Pseudoplutarch und Galen. Zunächst verbietet die Art der Wie-
dergabe der letzteren Stelle bei Plutarch, sie auf die ältere Ato-
mistik zu beziehen. Wenige Zeiieu vor derselben wird nämlich
erklärt, dass Democrit im Gegensatz zu Epicur seinen Atomen
keine Schwere beigelegt hätte (plac. I, 3). Wir müssten nun dem
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Verfasser der Placita die Kopflosigkeit zutrauen, gleich darauf
Democrit oder Leucipp von den „schwersten" Urkörpern sprechen
zu lassen, wenn wir die Darstellung auf jene beziehen wollten.
Dem Inhalt nach kennzeichnet sich diese Kosmogonie als
von der Leuoipp-Democritsehen, wie sie bei Diogenes und Pseud-
origenes vorliegt und dureh weitere Zeugnisse sicher gestellt ist,
durchaus abweichend und rein Epikureisch durch folgende Kenn-
zeichen:
I. Die Art der Entstehung der Gestirne. Democrit lässt
die Gestirne nicht aus demselben Wirbel hervorgehen, dem Erde
und Himmel ihr Dasein verdanken, vielmehr entstehen jene durch
von aussen „hinzuströmende" (i7t4xgv(fig) von dem Erdwirbel
nachträglich in seine Bewegung hineingezogene, „hinzu erwor-
bene" (imxxa<t9ai) Körperchen. Dagegen ist es specifisch epiku-
reisch Sonne, Mond und Sterne dadurch entstanden sein zu lassen,
dass die leichteren und kleineren Atome nach oben gedrängt
wurden, wo sie die himmlicben Feuer bildeten. Steigen sie doch
bei Democrit nicht schon als „Feuer" in die Höhe, sondern sind
vielmehr ursprünglich „feuchte, lehmartige Gebilde" (S. d. Kosm.
K Diog. Laert), welche sich erst später entzündet haben, können
also gar nicht aus den leichten und kleinen wegen dieser
Eigenschaft herausgepressten Atomen bestehen. Jene massiven
Massen hätten ja nie wegen ihrer „Feinheit" das Wirbelcentrum
mit der Peripherie vertauscht. Bestätigt wird diese Vorstellung
von den Gestirnen noch durch verschiedene Aussagen: Diog.
Laertius sagt ganz allgemein von den Welten, dass sie durch
Zuwachs (xora t^v av&i&v) die Gestirne erhalten. IX. 6 „Ix <te
xvvfjtecas xatd %ipr av^diV avrup yiyvrt&at xijv h»v cuKiqwv
Ferner Plut. b. Eus. pr. ev. I. 7, wo es von Sonne und Mond
heisst: xax > Uiav {pSqetf&at %amct (jujdtnü) TOTvaqänav s%ovxa &€Q-
pijv (pvütv . . wwavriov QwfMHüpiytjv ksqI x^v yqv (pwfsi . . . .
sxcctsqov dk tovt(ov .... vdisqov ivanoXtiyd-tjvai iv avxüo xo twq.
Diese verschiedene Entstehungsweise der Himmelskörper bei De-
mocrit und Epicur entspricht ganz der verschiedenen Würdigung,
welche beide denselben zutheil werden lassen.
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21
Die Sonne ist bei ersterem „pttfpoc i} nitgov duxTcvqov" Stob.
Ecl. I. 26, der Mond (freQsvpa duinvQQV, e%ov iv avtä mdla xal
oQtj xal <pdQayyas a . Sie sind der Erde gleichwertige, selbstständig
entstandene Weltkörper. Bekannt ist dagegen die untergeordnete
Stellung, welche sie im Kosmos des Epicur einnehmen. Sie sind
bei ihm „wahrscheinlich nicht viel grösser, als sie uns erscheinen".
Demgemäss wird mau mit Zeller die Polemik des Epicur bei Diog.
Laert. X. 90 (wahrscheinlich schon 89) als gegen Democrit gerichtet
ansehen. Die Stelle lautet: „ov yäq cc&qoujixqv Set fwrov yevfo&at
ovdk ötvov ip «ö fadi%e%ai xÖGpov yiyvsod-ai xevA tatet to do$a-
£6(jksvov 2% avdyx^g, avgea&cu & icog äv rrlpa nQogx^ov(ffjy xa&dneQ
xCliv (pvütxav xakov^ivcov <pf]Gl ug nfadt w *«l tieXyvt]
xal %d Xomä aCvQa u (xal oca ye <ty Oto'Cs*) avra yiyvo-
fjupa vGzfQOV iftrteQ$eXaixßctve&' vnb wv xoVpev", aXX ei&v$ öts-
likxvtexQ xal afttycrtv ildfißavev . . . . a
Dieselbe Vorstellung von dem Ursprung der Gestirne findet
sich bei Lucrez (V. 453). Die Darstellung der Placita schliesst
sich also durchaus in diesem Punkt den neu-atomistischen
Lehren an.
II. Der Kreislauf der Gestirne ist bei Democrit nicht
durch die „gedrängte Luft" bewirkt worden, sondern, wie aus
*) Die Stelle acheint mir nur einen Sinn zu geben, wenn man die
Negation ob zu Ifimqitkafißavtro zieht, nicht zu xa&' avra yiyvöfxtva (wie
in den Ausgaben von Nürnberger und Cobet geschieht) also das Komma
erat nach ob setzt. Damit würde die in Anführungsstriche eingeschlossene
Behauptung des Democrit mit ov verneint und ihr die Epicursche gegen-
übergestellt mit akk' tv&vs ... Es handelt sich nämlich darum: Sind die
Gestirne unabhängig von dem Erdwirbel, selbstständig (xa&' avm) ent-
standen, und erst nachher hineingezogen, oder sind sie durch ?x&fotpi$ aus
demselben zugleich mit der Erdbildung herausgepresst worden? Es stehen
sich also gegenüber xa&' avm y$yv6f4tva vcuqov ijtneoMkafißävtJo und ob
xit& avra ytv. ov vcrtqov . . akk' (t&ve • • Wird dagegen ob zu xa&' avra
ytyv. gezogen, so geht nicht nur der Sinn verloren, sondern das akk' wird
ganz unbegründet. Dass aber ijktos, cekqvti u. s. w. durch xal, nicht durch
obdi verbunden sind, rechtfertigt sich dnrch ihre Voranstellung und da-
durch, dass das Ganze als Ausspruch Democrits gegeben wird. Die Ueber-
setzung würde dann: Non „sol et luna et cetera sidera, per se facta, po-
8tea a mundo comprehendebantur - (seil, ut dixit Democritus) sed statim
universa formam et incrementum ceperunt . . .
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22
Diocl. Laer tiu 8 ersichtlich (negitpsgofisva vi\ %ov oXov divji) ist
dieser eine Fortsetzung des grossen bei der Weltbildung wirksam
gewesenen Wirbels. Dagegen ist diese Vorstellung eine von den
Epicureern unter anderen als möglich zugelassene Erklärungs-
weise der Bewegung der Gestirne, so Lucr. V. V. 510—515:
Motibus astrorum nunc quae sit causa canamus
Principio magnus caeli si vortitur orbis,
Ex utraque polum parti premere aera nobis
Dicendum est extraque tenere et claudere utrimque-,
Inde alium supra fluere atque intendere deorsum,
Hinc alium supter, contra qui subvehat orbem;
Ut fluvios versare rotas atque austra videmus.
Die aus dem Diog. Laert. gewonnene Vorstellung von der
Entstehung des Kreislaufs der Gestirne bei Democrit, wonach
selbstständige, durchaus massive Atomcomplexe, hinter denen wahr-
scheinlich eine ähnliche Vergangenheit, wie hinter dem Erdkern
lag, in den Erdwirbel hineingezogen wurden und ihre ursprung-
lichen Bahnen aufgeben mussten, unter der Gewalt des sie zur
Folge zwingenden Erdwirbels — wird noch durch anderweitige
Zeugnisse bestätigt.
In manchen nämlich von Epicur als zulässig angegebenen
Hypothesen wird man wohl eine Bezugnahme auf Democrit finden
müssen. Am nächsten lagen ihm jedenfalls die auf atomistischer
Grundlage aufgestellten. Ueberdies kennzeichnen sie sich durch
die Art ihrer Einfuhrung mit „i£ äväyxyg oder i% agxys dipq u
als democritisch, einem Kriterium, dessen Berechtigung noch an
anderer Stelle zur Sprache kommen wird.
So bei Diog. Laert. X. 93 vag d& xwytfeig avxCov ovx advvatov
fjbiv ylyveüd-ai xava v^v tov oXqv ovgavov dlvfjv, y tovtov fi£v
tfraW, ccvuov 6i dlvijv. . . xata tjjv aQXfj$€V iv tov xotipov
ysvtesi, avdyxtjv anoysvti&eXaav in % ävavoXfi.
Also: dieselbe Nothwendigkeit, aus welcher von Anfang an
die Weltbildung hervorgegangen ist, erzeugt auch den Kreislauf
der Gestirne.
Kurz darauf n fj xal <XQXV$ toiavnjv dlvijv xavsdtjv^vat
toXg aazQoig wvroig <ag otov thxa xivsta&ou?. Die Art der Bil-
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düng der Gestirne und die Entstehung ihres Kreislaufs in den
Placitis sind somit zwei Striche in dem Bilde, welche allein den
epikureischen Pinsel verrathen. Mit dieser Stelle werden wir auch
ihren kurzen Auszug hei Galen für die jüngere Atomistik in An-
spruch nehmen. Für die ältere Atomistik sind wir somit auf Diog.
Laertins und Pseudorigenes angewiesen.
Der somit auf Grund ihrer Abweichungen von den anerkannt
der älteren Atomistik aDgehörigen Darstellungen, sowie auf ihrer
Ueberein8timmung mit zweifellos neu-atomistischen Vorstellungen
für die Kosmogonieen der Placita und des Galen erbrachte Beweis
der epikureischen Herkunft, wehrt nicht nur alle Versuche
ab, aus dem Inhalte jener Schlüsse zu ziehen auf die demokriti-
sche Mechanik, sondern ermöglicht auch, durch Vergleich der beiden
Darstellungen von dem Weltbildungsprozesse gerade die Unter-
schiede in den mechanischen Vorstellungen beider Schulen auf-
zufinden. Ein solcher Vergleich wird dazu dienen, durch stete
Gegenüberstellung der parallelen Stellen bei dem epikureischen
Autor gerade die Eigenthümlichkeiten der Demokritischen Anschau-
ungsweise markanter hervortreten zu lassen.
Vergleich der Kosmogonieen bei Diog. Laert. und Pseudorig.
mit denen bei Pseudoplutarch und Galen. Dabei gelangt man bei
genauerer Aufmerksamkeit auf die einzelnen Züge der bei ober-
flächlicher Betrachtung so überaus ähnlich erscheinenden Schil-
derungen zu der überraschenden Bemerkung, dass dieselbe in An-
lage und Voraussetzungen ein völlig verschiedenes Gepräge haben,
ja eine prinzipielle Divergenz in den mechanischen Vorstellungen
ihrer Urheber erschliessen.
Vergegenwärtigen wir uns in den einzelnen Stadien den Vor-
gang der Weltbildung bei Diogenes, indem wir unser besonderes
Augenmerk auf die Rolle richten, welche darin die Schwere
spielt.
Diogenes beginnt mit der Lostrennung einer Reihe von Ur-
körpern „aus dem Unendlichen*. Damit wird der Bildungspro-
zess localisirt, unsere Aufmerksamkeit aus dem unendlichen
All einem bestimmten Atomkomplex zugewendet, der für uns das
ganz besondere Interesse hat, dass ihm der Erdball entsprossen
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ist, den wir bewohnen. Die Körper stossen aufeinander, verei-
nigen sich und erzeugen einen Wirbel. In diesem Wirbel wird
das Aehnliche zusammengeführt: da bisher nur von einer Ver-
schiedenheit der Formen die Rede war {navtoXa totg <%w*<K0'«>'),
müssen wir auch diese „Aehnlichkeit" auf die Formen beziehen.
Diese Sichtung wird sogleich specialisirt: die „ feinen" Theile
(XsTtia) gehen an „das äussere Leere", d. h. an die Peripherie,
ohne Bevorzugung also einer besonderen Richtung. Die „Uebri-
gen" (Xoma) bleiben in der Nähe des Wirbelcentrums. Aus den
in die Mitte getragenen wird die Erde, welche nach allen Seiten
mit einem »Mantel" oder einer „Haut" der ocopaia Xsnta um-
geben ist, so dass das Ganze in Kugelform um die mittlere Axe
kreist. Der an der Peripherie befindliche Mantel der „feinen"
wird verstärkt von aussen durch hinzuströmende Körper, die, ob-
gleich nicht zu jener zart-atomigen Masse gehörig, vielmehr feucht
und lehmartig, dennoch nicht dem Mittelpunkt zugeführt
werden, sondern durch die Schnelligkeit der Bewegung ge-
trocknet und entzündet, die Gestirne bilden.
Im Folgenden sind die Hauptmomente dieser und der Plu-
tarchischen Weltbildung nebeneinander gestellt.
Kosmogonie
bei
Diogenes Laertius IX. 6.
Lostrennung einer Atommasse
vom Unendlichen.
Vereinigung einer grossen An-
zahl von Körpern.
Dadurch erzeugt: ein Wirbel.
Zusammentreten desGleich-
artigen.
Plutarch plac. I. 4.
(Der Hintergrund des Unend-
lichen, von welchem sich der
besondere, unseren Kosmos
bildenden Prozess abhebt,
fehlt.)
Vereinigung einer grosseu An-
zahl von Körpern.
(Kein besonders hervorgeho-
bener Wirbel.)
Herabsinken des Schwersten
nach unten.
25
Das „Feine" tritt nach Aussen.
Das Uebrige „Nichtfeine"
bleibt in der Mitte.
Aus dem in die Mitte Getra-
genen wird die Erde.
Das nach Aussen Gegangene
Luft und Himmel.
Von Aussen in die Drehung des
kugelförmigen Gebildes hin-
eingezogene Massen bilden die
Gestirne.
Die kleinen, runden, glatten
Theile nach oben.
Die unteren, schwersten
Körper bilden die Erde.
Die emporgestiegenen Kör-
per Luft, Aether, Gestirne.
Unterschied in dem mechanischen Aufbau der Democritschen
und Epicureiscken Kosmogonie. Der durchgreifende Unterschied
in den zur Erzeugung des Kosmos angewandten Mitteln, so-
wie in der Anschauung von dem fertigen Gebilde ist unverkenn-
bar. Zunächst sind die Worte ßdqog, ota&pog, xovyozyg, und die
entsprechenden Adjectiva in der ganzen Schilderung des Diog.
Laertius, wie auch in der derselben vorangehenden, allgemeinen
Characteristik der Leucippschen Lehre, durchweg vermieden, ja
da, wo die Sache sie zu erfordern scheint, wird ihrem Gebrauch ge-
flissentlich ausgewichen, was besonders durch die parallelen Stellen
in den Placitis auffällig gemacht wird. Zweimal wird Xsmbg,
also eine Formbestimmung, angewandt, wo der unbefangenen An-
schauung „leicht" viel näher liegt. Statt des einfachen ßccgvg,
einmal ra Xoma und ein anderesmal tcc dg piaov ivexStwcc. Die
Richtungen sind: elg to fUaov und dg zo s£a> xevov. Dieses Alles
da, wo die Placita getrost mit den üblichen „schwer" und „leicht"
oben und unten operiren*). Indess nicht nur die Worte werden
bei Diogenes vermieden.
*) Einen bemerkenswerthen Beleg zur „Assimilation" liefert Mnllach
(Dem. Abd. op. fr. S. 387) mit seiner Wiedergabe der altatomistischen Kos-
mogonie bei Diog. Laert., indem er die Formbestimmungen des griechi-
schen Textes unbeirrt durch Gewichtsbestimmnngen übersetzt (levis, pon-
dus). Dies ist derselbe Vorgang, wie das Hin weglesen über Druckfehler;
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i
Gleich nach dem Zusammenstoss der Atome geht der Prozess
in beiden Darstellungen auseinander. Dort entsteht ein Wirbel,
in dem sich das Gleiche zusammen sichtet, hier senkt sich
das Schwere nach unten, das Leichte nach oben. Wenn
die Leucippschen „feinen" Atome gleichbedeutend wären mit
„leichten", so würden sie sich, wie die Epicureischen schlechthin
nach oben schlagen, nicht aber nach allen Seiten an das „Aeus-
sere", so dass das Ganze eine „kugelartige" Gestalt gewinnt.
Dem entsprechend würde das dem „Feinen" Entgegengesetzte,
wenn es eine Umschreibung von dem „Schweren" wäre, sich schlecht-
hin nach unten schlagen, nicht in die Mitte getragen werden.
Ueberhaupt würde die Wirksamkeit des Gewichts nicht zu einer
ganzen Kugel, nur zu einer Halbkugel wie bei Plutarch führen.
Die flüchtigere, den Wirbel weniger in den Vordergrund
rückende Beschreibung des Pseudorigenes bestätigt völlig das
aus dem Diogenes gewonnene Bild: Wieder keine Sonderung
nach Gewicht, sondern Verflechtung des nach „Gestalt" und
„Form" Aehnlichen (ia 6(jbotooxij(iova xctl naganX^ta zag fiOQ(pdg) f
also Betonung des Geometrischen, Beiseitelassung des Dyna-
mischen!
Statt der blossen Vermeidung der gewöhnlichen Orts- Be-
zeichnungen, welche man vielleicht noch einem allerdings merk-
würdigen Zufall zuschreiben könnte, sind wir somit dahin gelangt,
eine bewusste Verwerfung der absoluten Orts-Bestimmungen
zu konstatiren und an deren Stelle Einführung relativer Raum-
Bestimmungen, bezogen auf einen, durch das Wirbelcentrum ge-
gebenen Punkt.
Dem entsprechend finden auch die Bewegungen nicht von
unten nach oben, sondern vom Centrum zur Peripherie statt.
Innerhalb des Wirbels spielen sich alle Vorgänge ab. Das Ge-
wicht, als ein nach absoluten Raum -Bestimmungen wirkender
die epiknreische und uns geläufigere Vorstellungsweise wird in die Dar-
stellung bei Diog., welcher eine ähnliche, aber doch von jener verschie-
dene zu Grunde liegt, einfach hinein verlegt. Hier kommt also jene
Illusion zu Stande, „die uns über die wirkliche Beschaffenheit der Dinge
täuscht." (Wundt, Phys. Psych. II S. 294.)
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Trieb, kann hier nicht Sonderungsprinzip sein, wie bei Epicur.
An seiner Stelle steht als sichtender Faktor das Sichzusam-
menfinden des Gleichartigen, nämlich des der Form und
Gestalt nach Gleichartigen. Und zwar findet die Sichtung in dem
Sinne statt, dass die kleinen, feinen Atome an den äusseren
Umkreis getrieben werden, während die Grossen sich in der
Mitte lagern.
Blosslegung der in den altatom. Kosmog. enthaltenen mechan,
Elemente. Bei der Absicht, die in dieser altatomistischen Welt-
entstehung implicite enthaltenen mechanischen Grundvorstellungen
blos zu legen, kommt uns eine als Democrits eigener Ausspruch
Uberlieferte, schon in Form eines physikalischen Gesetzes auftre-
tende Stelle bei Sextus Empiricus zu statten. Sie lautet (adv.
math. VII. 116. 117) ^Siaavxmg dk xal mol twv d\pv%(av (Es war
davon die Rede, dass die zu einer Gattung gehörigen Thiere sich
zusammenfinden) xaxdnsQ oQrjv naqeGzi im ts xtiav xocxipsvofiipav
dmQfAccTWv , xal inl %e zcov xvfjHxtcoytpt tptjcptdwv' "Oxov ydg
xaxd tov %ov xoöxlvov divov diaxgmxdog (paxol psxa <paxwv xaö-
Vorrat, xal xQi&cti pera xqi&£(ov xal nvool peiä m>Qäv' oxov d£
xard Typ tov xvpatog xivr\o*iv al p&v impijxeeg xjjtiyldeg elg tov
avtov xonov typt im[*qxea wd-iovxai, al d£ mQKpeQhg xrp* mot-
<f€QiGi' tag av Igvvaytoyov m ixowfyg rüv norjyfjuxTCW ttjg iv %ovxo%"
6t opowTfjTog' *AXV 6 ptv Jripoxoixog ovzag.
D. h. Körper, welche der Wirkung irgend einer Kraft aus-
gesetzt sind, sei es der Erschütterung des Siebes, oder dem Schlag
der Wogen, folgen derselben in verschiedener Weise, je nach
ihrer Gestalt, letztere in qualitativer und quantitativer Hinsicht:
nämlich nach Form und Grösse (im Beispiel moHpsotig und
imfujxfig) in Folge dessen findet sich das Gleichartige zusammen.
Bemerkenswerth ist, dass selbst hier, wo nicht von einfachen
Körpern die Rede ist, das Gewicht aus dem Spiel gelassen ist
und lediglich die geometrischen Differenzen benutzt sind, weil
Democrit jedenfalls jene Vorgänge zur Exemplifikation auf die
Atome verwandte.
Mit diesem Gesetz ist uns der Schlüssel zur altatomistischen
Mechanik gegeben. Jetzt wissen wir, warum das Aehnliche zum
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j Aehnlichen sich gesellt. Es ist „die gleiche Reaction gegen
! erfahrene Einwirkungen, welche das Gleichartige zusammen
führt. Damit ist der Grund für die Art des Wirkens der
Atome in ihre Beschaffenheit verlegt. Diese Beschaffenheit
wird erst sondernd Air die Körper, wenn sie ein und demselben
Impuls unterworfen sind. Dieser ist bei der Weltbildung der
Wirbel. Der Wirbel entlockt den Atomen erst die Betä-
tigung ihrer verschiedenen Beschaffenheit.
Indess in dieser Allgemeinheit reicht das Gesetz noch nicht
aus, die bei der Weltbildung statthabenden Prozesse vollkommen
zu erklären. Jener Grundsatz reicht nämlich wohl aus, um eine
Sonderung überhaupt des Verschiedenen in unter sich gleich-
artige Gruppen zu begründen, aber es fehlt eine ausreichende
Motivirung für die bestimmte Anordnung derselben. Die Tren-
nung von Erde, Wasser, Luft überhaupt wäre damit wohl er-
klärt, aber nicht, warum die Erde sich gerade an diesem Ort
und jene an dem ihrigen sich befinden, kurz diejenige Anordnung
deren Ursache die Epikureer durch die Gewichtsunterschiede
geben. Und wenn Democrit nun hierzu die grösseren Atome
um den Mittelpunkt sich lagern, die kleineren zum Umkreise hin-
eilen lässt, so liegt darin die Anerkennung eines den Atomen
neben den ausdrücklich zugestandenen, geometrischen Eigen-
schaften und der Undurchdringlichkeit zukommenden Prädikates.
/ Die damit eingeführte Eigenschaft ist zwar völlig der Gestalt
untergeordnet, als lediglich durch die Grösse bestimmt, aber sie
ist keine Folge der rein mathematischen Gestalt, sondern der
physischen, der die Form ausfüllenden Masse, hat somit schon
einen dynamischen Character.
Die in seiner K osmogonie enthaltene stillschweigende Vor-
aussetzung des Democrit ist die, dass eine grössere Masse eine
grössere Kraft zu ihrer Bewegung erfordert, oder, was dasselbe
ist, dass die gleiche Kraft die kleinere Masse weiter treibt, als
die grössere. Diese mit der Grösse des Atoms wachsende Wi-
derstandskraft gegen das Bewegtwerden kann man vielleicht
„ Schwere" nennen, wenn es auch eine ganz passive Schwere
ist, und durchaus nicht nach einem absoluten Unten treibt.
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Indess ist es, wie gesagt, eine Eigenschaft der einfachen Körper,
welche ihnen ausser der blossen Form und Raumerfllllung zu-
kommt; hat mit dem gemeinen Gewicht die in dem Widerstand
gegen Einwirkungen liegende Bejahung der Körperlichkeit gemein-
sam, nimmt die Stellung ein, welche jenes in anderen Kosmogo-
nieen hat und erzielt endlich im Ganzen denselben Effekt (jedoch
nur unter Mitwirkung des Wirbels) wie z. B. die Aristotelische
Schwere. Somit können wir sie unter gewissem Vorbehalt die
„Schwere" der Democritschen Atome nennen. Hierüber wird
noch später zu sprechen sein.
Dass wir aber thatsächlich nicht Uber diese Pseudoschwere
hinausgehen dürfen, etwa nur zu der Aristotelischen der Neigung
nach dem Mittelpunkt, dies beweist das Verharren der massiven
Gestirne an der Peripherie. Hierdurch erhellt, dass das Grosse
nicht zum Wirbelcentrum hingetrieben, sondern nur, weun einmal
dort, nicht weggeschleudert wird.
Ein weiterer Beleg ftir die passive Rolle, welche ursprüng-
die ältere Atomistik der Schwere ertheilte, ist eine Aussage De-
mocrits bei Plutarch plac. III. 13: xixt' aq%äq fiiv nXd&c&cu ujv
yip> qnjOtVj 6 JypoxQirog d$d ts fjuxQoz^ra xal xovtfOTijTa, Ttvxvca-
d-tlaav di «5 XQ° V( ? *"» ßaQW&tXGav xaratfrijp'a«. Also nicht ge-
senkt hat sie sich, sondern ist stille gestanden, als sie schwerer
wurde. (Die Stelle kann sich übrigens nur auf eine sehr kurze
Uebergang8periode beziehen und enthält kaum die eigenen Worte
des Democrit.)
An der Hand einiger sonstigen Aussagen des Democrit, na-
mentlich jenes physikalischen Gesetzes, haben wir in dem Welt-
bildungsprozess der älteren Schule folgende mechanische Elemente
herausgefunden:
1. Die von Democrit, ebenso wie von Epicur, als selbstver-
ständlich angenommene Elastizität der Urkörper, wodurch das
Abprallen zu Stande kommt — unkonsequenter Weise bei poren-
losen Körpern.
2. Das Auftreten eines mit centrifugaler Gewalt behafteten,
durch das Zusammenstossen vieler Körper erzeugten Wirbels.
3. Den Grundsatz, dass unter der Einwirkung einer Kraft
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sich die gleichgestalteten Atome zusammen finden, welchen man be-
zeichnen könnte als das Gesetz von der gleichen Reaction
der Gleichgestalteten und
4. Öass hierbei sich die grosseren weniger vom Ansatzpunkt
der Kraft entfernen, somit beim Wirbel nur die kleinen nach
Aussen geschleudert werden.
Dagegen haben wir Nichts gefunden von jener angeblich de-
mokritischen Vorstellung, dass die Sonderung von Erde, Luft und
Aether dadurch zu Stande kommt, dass die schneller fallenden
schweren Atome auf die leichteren stossen und diese in die Höhe
drängen.
Für die Frage aber nach dem Ursprung der Bewegung hat
sich Folgendes ergeben: Die zum Beleg des ursprünglich senk-
rechten Falls der Demokritischen Atome herangezogenen Kosmo-
gonieen im Plutarch und Galen sind nicht altatomistiscb.
Die echt Leucipp-Democritischen zeugen von einer durchaus von
jenen verschiedenen Vorstellungsweise, indem sie keine, die
Atome von vornherein in bestimmte Richtung treibende Neigung
annehmen, sondern die unter dem Einfluss des Wirbels sich gel-
tend machende verschiedene Reaktion der verschieden geformten
Körper zum Sonderungsprinzip erheben. Jene Neigung zum senk-
rechten Fall hätte unmöglich während der besprochenen Vorgänge
latent bleiben können.
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II.
Die Zeugnisse der Alten.
A. Zeugnisse, welche unmittelbar auf den Mechanismus der
Bewegung gehen.
I. Ueber das Gewicht der Atome, als einzige streitige Eigenschaft
derselben.
Einige haben den einfachen Körpern des Democrit das Ge-
wicht schlechthin abgesprochen, indem sie dieselben im strengsten
Sinne ihrem Namen cxypccn* entsprechen lassen wollten.
1. Pseudoplut. plac. I. 3. JijfAoxQnog ptv eteys 6vo % piye-
xfo'g %s xai <%//ua. « & *EnixovQoq tovtoig xai tgitov tb ßccQog
XbV.
2. Stob. ecl. I. S. 348 ed. Heeren. Jtjpoxgnog %a ngatd
<pq(fi (fwfuxta tavzcc d ovta vaota ßdgog pkv ovx fysiv.
3. Alexander Aphr. zur Metaph. I, 4, 985 b Bonitz
S. 27, 26, aßaQq <pa<tw tlvat, aßagäv cvyxstfitvcov ncog av ßdqog
yivquu, Indess ist die Begründung dieses Urtheils, welche
Alexander durch den Hinweis auf III, 1 Ar. de coelo fuhrt, irrig
(S. Zeller Phil. d. Gr. I, 593,3). Auch Cicero zählt de rat. d.
I. 26, 73 Alles auf, was Epicur dem Democrit entnommen hat,
ohne darunter die Schwere zu nennen.
Auf der anderen Seite sprechen glaubwürdige Zeugen den
Atomen das Prädikat „schwer" zu.
Vor Allem Aristoteles de gen. et int. I, 8 xafrot ßaqvts-
q6v. ys *<*nx vrtSQOXfjv <pfi<sw dvai, JtjpoxQiTog Ixaatov %nv ädtat-
Qinav, eine Stelle, von welcher zwar Tiedemann (G. d. sp. Ph.)
meint „ihre Auslegung erheische mehr als einen Oidipus", deren
Rätselhaftigkeit aber durch einige Parallelstellen gemindert wird.
So heisst es Ar. d. coel. IV, 2: xd 6k nqwta xai azoptt xolg pkv
inimda Xiyovöiv i£ (av (fvyianjxe xd ßdqog %%ov%a xav atoftaxcov
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32
(was die Platoniker thaten) voTg dt atsqsa püXXov ivStystai Xi-
ysw 16 fieT^ov elvai ßaqvxsqov avrtav.
Ferner Theophr. de sensu 61: Buqv pkv ovv xai xotxpov
%<a peyföei SuctgsZ JijpoxQnog' sl yaQ duxxqi&ür} $v ixaarov, (so
Mallach) sl xal xaxä oyjjpa dtatpigoh axa&pov av ini psytösi z^v
(pvatv sxetv und ebendaselbst 71, xaltoi %o ys ßagv xai xowpov
ovav dioqifyi totq psyi&stov . .
Unter den HDiOT^vs?, welche nur vo/jlo» existiren, wird auch
die Schwere nirgends genannt weder Diog. Laert. IX. 72, noch
Sext. Emp. adv. m. VII. Dies entspräche auch durchaus nicht
der Democriti8cben Erkenntnisslehre, welche nur die Qualitäten
ins Subject verlegt, denen objectiv quantitative Verhältnisse ent-
sprechen. Das Gewicht ist aber in unserer Empfindung schon ein
unmittelbar den quantitativen Verhältnissen Anhängendes, als mit
der Masse Wachsendes. Es konnte also bei den Atomikern gar
nichts ftir die Versetzung desselben unter die secundären Eigen-
schaften sprechen.
Im Besonderen wäre also nach Aristoteles und Theophrast
das Gewicht der untheilbaren Körper abhängig von der Grösse
gewesen, genau wie es sich bei der Analyse der Kosmo-
gonieen ergeben hatte. Diese Auffassung gliedert sich auch
durchaus dem Ganzen des Systems ein. Die Erklärungsweise
der Gewichtsunterschiede bei zusammengesetzten Dingen durch
den grösseren oder geringeren Gehalt au „Leerem* versagte
bei den „ganz Vollen", das Gewicht derselben musste somit
schlechthin zu einer Dependenz der Grösse gemacht werden.
Wir werden daher den Aussagen des Aristot. und Theophr.
mehr Glauben schenken, als den vorher angeführten, und anneh-
men, dass den Atomen des Democrit das Prädikat „schwer" ge-
geben wurde.
Indess wird die Thatsache, dass drei Zeugen kein Bedenken
tragen, den Atomen des Democrit die Schwere schlechthin abzu-
sprechen, dass selbst im Aristoteles nur zweimal im Fluge davon
die Rede ist, die aus der Analyse der Kosmogonieen gewonnene
Ansicht bestätigen: dass die Democritsche Schwere nicht die ge-
meine absolut nach unten ziehende, dass sie in einem Sinne
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Schwere, und im anderen Sinne doch nicht Schwere war. In
keinem Falle aber lässt sich denken, dass Plutarch, Stobaeus und
Alexander eine Eigenschaft geradezu abgeleugnet hätten, die für
das atomistische System die fundamentale Bedeutung eines Trä-
gers der ursprünglichen Bewegung und damit der Bewegung
überhaupt gehabt hätte.
2. Zeugnisse über die Bewegung der Atome.
A. Aristoteles.
Bei ihm finden wir zunächst eine Reihe von Bemerkungen,
in welchen er die Angabe der Ursache der Bewegung vermisst.
Ganz allgemein macht er den Atomisten den Vorwurf, Uber Ur-
sache und Art der Bewegung leichtsinnig hinweggegangen zu
sein: mgl d$ xwijösatg 6&ev ? nwg vnctQx** xoXg own xai ovxo*
7taQanXfi<sl<aq xoXg aXhug §a&v(Mog aytXcav (Met. I, 4). Bestimmter
tritt derselbe Vorwurf XII, 6 gegen Leucipp auf: asl yaQ efoctl
ifatiw xlvijtfiVj dXXä d$ä xi xai %iva, ov Xiyovoiv, ov 6k (adl, ovdk
tfjv alxlav. Am unzweideutigsten aber gegen die Annahme einer
ursprünglich nach unten gehenden, Schlag und Stoss erst erzeu-
genden Bewegung spricht die Stelle de coelo III, 2. Aristoteles
spricht davon, dass jeder gewaltsamen Bewegung eine naturge-
mä8&e gegenüberstehen müsse und knüpft daran den Ausfall gegen
die Atomisten: Jio xai Atvxiivma xai JtjpoxQlxcp xoXg Hyovöiv
asl xwsXti&ai, xä ngcoza awpaxa Iv xm xsvm xai xto dmlQm Xsx-
xiov xiva xivy<fiv, xai xlg y xaxä yvoiv avxüv xivyGig' ei
yaQ aXXo vn aXXov xwsXxai ßia xwv <Sxo%%Bi<av y äXXa xai xaxä
<pwftv, dvdyxtj xiva elvat xivffiw kxa<fiov 3 na$ tj ßiaiög £&uy.
xai del xr t v nQoixijv xwovöav pt] ßlq xw&Xv äXXd xaxd <pv<ttv' elg
änstQOP yaQ sUsiv, si firj « scncu xatä (fvtiiv xivovv nQcoxoVj aXX'
asl t6 nQQx&Qov ßia xwovfievov xtv^dsi. Wie kann Aristoteles, dem
der Fall des Steines eine naturgemässe Bewegung ist, diese bei
L. u. D. vermissen, wenn ihre Atome senkrecht fielen von Natur,
wie es eine Reihe von Forschern annimmt?
Wie aber die Atomiker den Mangel einer ausreichenden Ur-
sache für die Bewegung rechtfertigten, zeigt folgende Gruppe
3
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aristotelischer Zeugnisse. Phys. VIII, 1 oXtog dt tb vofii&iv ccgx^v
slvcu tavtijv Ixavtjv, bxi dsi i\ sativ ovxcag y yiyvsxai, ovx bg&dSg
£%ei vnoXaßsXv, S(f' b JtjfioxQitog avdyet tag nsgi (pvffscog ahktg,
<og ovno xai xb ngotsgov iyiyvsxo' xov dt äsi ovx a£iot dgxijv
gen. anim. II. 6 ov xaXcog dt Xiyovoiv ov dt tov dta xi zip
avdyxrp, otfo* Xeyovaiv, on ovxcog dsi yiyvsxai, xai xavxr\v tlvai
vo(ii£ovaw dgxv v %v avxolg wgneg Jijftoxgixog 6 ^Aßdijgix^g, oxi
tov fitv asi xai dmigov ovx söxw dgxfj, tb dt dtd xi dgx^, *b dt
dsi ansigov, (ogxs tb igcaxäv xb dta xi nsgi twv xotovxutv xwbg tb
fypsXv slvai q>tiöi tov ansigov dgx^v.
Sie lehnten es also ab, über die Lehre: „Es ist seit Ewig-
keit so" hinauszugehen.
Dieser ausdrückliche Verzicht auf weitere Begründung ver-
anlasst dann den Aristoteles zu dem sehr bemerkenswerthen
Ausspruch Phys. II, 4 anb tavxopdxov yäg yiyvsc&ai t\v divtjv
xai tijv xivijMVj xyv diaxgivacav xai xaxaaxytiartav sig xavxijv xtjv
td^tv tb nav. Hierin liegt aber nicht nur, dass Wirbel und Be-
wegung aus keiner „Zweckthätigkeit" hervorgehen (Zeller Bd. I.
600 2. Aufl.). Denn hier ist tb avxopaxov noch nicht in dem
eingeengten Sinne gebraucht, in welchem ihm Aristoteles im fol-
genden Kapitel allein Geltung zugestehen will, nämlich als xb
„xaxä <rvpßsßt]xbg u bei Zweckhandlungen d. h. als das für den
Zweck nicht Nothwendige. Dies beweisen die Beispiele*): wenn
*) Man könnte geneigt sein, die ganze Stelle nicht anf die Atoraisten
zu beziehen wegen des Passus: kiyovrtg <pvotv y vovv 7 7» totovrov trtQov
th'ca to ctim?, was keineswegs auf jene passt, wenn nicht die gegebenen
kosmogonischen Daten durchaus auf dieselben verwiesen. So bezieht
schon Simplicius die Stelle auf sie, unter dem Zusatz: o/xtag ov kiyovci. ri
noii ion 10 abj6(AKTov (3 Phys. p. 196a 11—65). So müssen wir denn an-
nehmen, dass Arist., um die Behauptung, dass die Atomisten die Organismen
nicht ursachlos entstehen Hessen, zu belegen, nicht auf ihre besonderen
Bestimmungen darüber einging, sondern aus den möglichen Ur-
sachen eine Reihe beliebiger herausgriff, worunter denn auch der vovg
war. Sonderbar bliebe immerhin eine solche Flüchtigkeit bei Arist. Liessen
sich nicht die Worte akk' ijro» (pvotv rj vovv rj n xotovrov (TtQov tlvcct to alnov
als von Glossatoren eingeschoben erweisen? Der Zusammenhang
litte hierunter nicht. Im Gegentheil schlösse sich „oi> ydg 6't* iwx*y*
u. s. w. sehr gut an „und tvxis w n dvm fttj rt yiyvto&at* an.
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Empedocles die Luft nicht immer nach oben gehen lässt, sondern
„wie es sich eben treffe", so vermisst Aristoteles hierin wohl
kaum eine Zwecktbätigkeit, vielmehr die Anerkennung der durch-
gängigen Bestimmtheit der Folge durch die Ursache. Ist
die Luft leicht, so muss sie nach oben gehen nach der Meinuug
des Aristot., ist sie schwer, nach unten; geht sie aber bald nach
oben, bald nach unten, so fehlt ein ihr Verhalten erzwingender
Grund — sie gehorcht dem Zufall.
2. Noch deutlicher zeigt den Sinn von anb xaviopdtov an
dieser Stelle die gleich auf die zitirten Worte folgende Illustration.
Ar. sagt nämlich: Xiyovveg ydq xa {ikv £<»a xal xa tpvxa anb
tvx*I? pfa hlvcn fj>ijt£ yiyveä&aij äXX" fjxoi yvciv «7 vovv totov-
xov ixsoov etvai xb aixtov {ov yäq oxi sxv%ev ix xov öniq-
paxog sxdüxov yiyvsxai äXX* ix ptv xov xotovdl iXaia
ix dk xov xotovdl av&qanog) xbv 6'ovqavov . .
Es wird also den Atomikern vorgehalten, dass sie die Be-
gründung, welche sie der Existenz der Einzeldinge gaben, dem
Ganzen versagt hätten. Nun Hessen aber die Atomiker weder
Thiere, noch Pflanzen das Produkt einer „Zweckthätigkeit" sein,
also kann diese letztere auch nicht das bei dem Universum Ver-
misste, für jene aber Angenommene bedeuten. Vielmehr wird
dem anb xavxofidxov, das durch eine Ursache noth wendig
Bediugtseiu gegenüber gestellt. Nämlich nicht so, wie der
Oelbaum noth wendig bedingt ist durch seinen Samen, ist die
welterzeugende Wirbelbewegung nothwendige Folge irgend einer
Ursache. Nach einmal gegebenem Oelsamen ist jede andere
Folge z. B. ein Mensch ausgeschlossen; dagegen giebt es kein
dem Wirbel Vorausgehendes, welches jeden anderen Erfolg aus-
schlösse. Diesen Sinn dem avxöpaxov au der zitirten Stelle unter-
zulegen, erfordert das Beispiel. durchaus. Ihm entspricht die
Uebersetzung bei Prantl mit dem „Grundlos von Selbst Eintre-
tenden"*).
*) Diese Deutung des «btöfiarov im IV. Kapitel muthet dem Ar. keinen
Widerspruch mit seinen eigenen Darlegungen im V. u. VI. zu.
Folgendermassen geht Ar. vor: Wir gebrauchen oft die Worte „grund-
los" und „zufällig", welche eigentlich die Nichtbedingtheit durch ein
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Damit wird aber die Stelle, welche viel Befremden erregt
hat, wegen ihres scheinbaren Widerspruchs gegen die sonst ver-
bürgte „avdyxif des Democritschen Geschehens, zu einer bedeut-
samen Instanz gegen die Ansicht, dass die Schwere Ursache der
Bewegung und somit Mutter des Wirbels sei; denn sie bedeutete
ja eben ein solches Vorhergehendes, dessen nothwendige Folge
eben dieser Wirbel wäre. Darum mussten auch die Vertreter
jener Ansicht in dem awöpaxov nur den Gegensatz einer „Zweck-
thätigkeit" sehen.
Dass Aristoteles die behauptete Grundlosigkeit des Wirbels
mit der Anerkennung einer die einzelnen Vorgänge beherrschen-
den Notwendigkeit für vereinbar hielt, beweist die folgende
Stelle gen. anim. V. 8: JtjfioxQttog d£ w ov lv«ea ayslg Xiynv,
ndvta avdysi elq avdyxyv. Hier ist Etwas ausdrücklich dem Ge-
schehen nach Zwecken gegenüber gestellt, nämlich die avdyxtj.
Dies wird zum Verständniss der bei den Späteren eine grosse
Rolle spielenden Democritschen avdyxq beitragen.
Den Urtheilen des Aristoteles Über 'die Ursache der Atom-
bewegung schlie88t sich noch die Bemerkung Phys. VIII. 9,
S. 265 b XXIII. an. Es wird bekundet, dass die Atomisten
keine Ursache der Bewegung annahmen, wie veTxog und <piUa
oder vovg } sondern der Ansicht waren, dass „ vermittelst des
Leeren Bewegung sei". Dies ist dem gleichbedeutend angesehen
worden (Zeller I. 602 2. Aufl.), als ob gesagt wäre, „die Schwere
ist Ursache der Bewegung."
Vorhergehendes besagen. In diesem Sinne gebrauchen es irriger-
weise Emped. und die Atomisten. Indess scheint es doch Falle zu
gehen, wo die Ausdrücke angebracht sind. Besinnen wir uns aber, so ist
dies nicht wirklich bei Folgen ohne Ursache der Fall, sondern wir ertappen
uns darüber, den eigentlich die Nichtbedingtheit durch ein Vorhergehende s
bedeutenden Ausdruck angewandt zu haben auf die Nichtbedingtheit durch
ein Folgendes, d.i. die Nebensächlichkeit zur Erreichung eines Zweckes.
So ist die Weisse des Hauses wohl nothwendige Folge einer Ursache (z. B.
des Willens des Streichers), und kann dennoch zufällig genannt werden,
in sofern sie nicht nothwendige Bedingung des Hauses ist, welches ebenso
gut roth sein könnte. — In dieser (eigentlich verschobenen Bedeutung)
kann man also von einem avTÖfMTov und tv^alov sprechen.
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Zunächst erhebt sich hier, wie bei Betrachtung der Kosmo-
gonieen, die Frage: Warum diese Scheu vor dem rückhaltlosen
Zugeständniss „die Körper bewegen sich vermöge ihrer Schwere",
wenn dies wirklich im Sinne der Atomistik wäre? In den acht
Büchern der Physik, in denen über das Himmelsgebäude, über
Entstehen und Vergehen, in welchen soviel von der Schwere und
den Atomisten die Rede ist, sollte jene für das ganze System
grundlegende Urbewegung nur einmal erwähnt sein, und dann
in der Umschreibung: dtä %6 xsvdv xwovvtcu?
Ueberdies hat Aristoteles im 4. Buch (Phys. IV. 7 S. 214 a.
24) selbst erklärt, wie er den Ausdruck „das Leere sei Ursache
der Bewegung* verstanden wissen will (natürlich im Sinn der
Atomisten) mit der Bemerkuug: n at%iov dk xwijöscog otovza*
*?va* %6 xsvbv oviobq tog iv w xivsXxcu. Damit sind wir
jeder selbstständigen Deutung überhoben. Das Leere ist da-
nach conditio sine qua non der Bewegung, nothwendige, aber
nicht zureichende Bedingung derselben*).
Zu demselben Schluss aber, wie die ausdrücklichen Urtheile
des Aristoteles, berechtigt seine ganze Art der Polemik gegen die
Atomisten. Hätten diese aus dem lothrechten Fall alle übrigen
Bewegungen hervorgehen lassen, so würde Aristoteles geradezu
seine Kritik gegen diese Anschauung gerichtet haben. Statt
dessen finden wir, dass er überall die verschiedenen Möglich-
keiten, welche sich aus den beiden Grundsäulen des atomistischen
Systems, den untheilbaren Körpern und dem Leeren, ergeben,
selbstständig nach allen Seiten diskutirt, ohne zu entscheiden,
welches die eigentliche Ansicht des Leucipp und Democrit ge-
wesen sei.
Ein Beispiel hierfür ist die Argumentation im 7. Kap. des
1. Buches de coelo: „Democrit und Leucipp nehmen viele stoff-
lich identische Körper an; deren Bewegung muss folglich Eine
sein: denn wohin eine Scholle, dahin geht die ganze Erde, wo-
hin ein Funken, dahin das ganze Feuer, folglich werden alle ent-
*) So nennt auch Brieger S. 7 das „Leere" im Sinne jener Stelle
(Phys. vm, 9, 265 b 22) das „ov ovx ävtv* der Bewegung.
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weder absolut schwer, oder absolut leicht sein. (Ob sie aber
schwer oder leicht waren, das sagt Aristoteles nicht.)
„Falls sie nun schwer, oder leicht sind" — argumentirt er
weiter — „muss es ein Aeusserstes oder einen Mittelpunkt geben".
„Im Unbegrenzten existirt aber keins von beiden; also wird
in ihm gar keine Bewegung möglich sein." Diese ganze Deduk-
tion besagt nur: die Annahme eines Unbegrenzten auf atomisti-
scher Grundlage führt, wenn man die Consequenzen im Aristote-
lischen Sinne zieht (denn „schlechthin schwer und leicht", sowie
„Bewegung von Aeusserem nach dem Mittelpunkt" sind speci-
fisch Aristotelisch) ad absurdum. Nicht aber liegt darin die
Zurückweisung einzelner Vorstellungen der Atomisten ausser der
vom Unbegrenzten*).
Ebenso entscheidet Aristoteles de coelo III. 2 nicht, ob „Eins
das Bewegende war, oder Mehreres." Zugleich theilt er den
Atomen eine „unordentliche" Beweguug zu, ohne etwa hinzuzu-
fügen, dass diese erst Ergebniss einer „ordentlichen" sei.
Aus beiden Stellen ist ersichtlich, dass Ar. sich nicht einer so
scharf bestimmten Bewegungsvorstellung gegenüber befand, wie
die des senkrechten Falles wäre. Vielmehr geht aus dem, was
Aristoteles sagt und verschweigt, hervor, dass die Atomiker den
Wirbel nicht aus einer ursprünglicheren naturgemässen Bewegung
herleiteten.
B. Die nachartstotelischen Zeugnisse.
Ein gewisses Misstrauen gegen die Zeugnisse der Nacharisto-
teliker über die ältere Atomistik rechtfertigt sich durch Ver-
gegenwärtigung der an jene herantretenden Versuchung, Epicu-
reische Lehren mit denen der älteren Meister zu vermischen und
Lücken im Democritschen System mit neuatomistischer Weisheit
*) Eine der hier angeführten ganz analoge Stelle (Phys. IV. 8, 214 a
12 ff.) in welcher, um die Möglichkeit des Leeren zu bestreiten, die An-
nahme eines ungleich schnellen Falles in demselben widerlegt wird, fasst
Brieger S. 10 (§ 11) ganz ähnlich auf. Er sagt: „Er (Ar.) erörtert ohne
Rücksicht auf ein bestimmtes gegnerisches System, vielmehr unter still-
schweigender Voraussetzung gewisser Sätze seines Systems "
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auszufüllen. Dabei haben wir, wie begreiflich, nur ein Zuviel,
nicht ein Zuwenig zu befürchten für Democrit, werden also darauf
bedacht sein, ihm Aufgewalztes abzuladen, ohne zu sorgen, dass
ihm Zukommendes ihm vorenthalten würde.
Nur Eine Stimme findet sich, welche die Bewegung von
oben nach unten, absolut genommen, als die ursprüngliche der
Atome kennzeichnet. Sie gehört dem Kommentator des Aristoteles
Simplicius an. Derselbe schreibt Phys. ed. Aldin 310, a „o* nsgl
JjjfioxQiwv sUyov, xatä t^v iv avtoXg ßagvtijta xivovpeva
tarnet, xatä zonov xtvsta&at . . xai ob fiovov ngtattiv äXXä xal
fxovrjy tavtijv ovzot, xlvtjCiV totg OTOi/sioig dnodidoaot." Auch
folgende Stelle wird in demselben Sinne gefasst. Simpl. fol. 140, b
„o* ydg mgl Jypoxgnov xal vatsgov ^Enixovgog tag ätopovg nd-
Cag ofioipveTg ovöag ßdgog s%eiv (paal, tta de elval nva ßagvtsga j
i%w&ovfi£va tä xov(f6tsga vri avtmv vqu&avovxmv inl to av<a \
ifigeö&a* xal oviio Xiyovtov ovtoi öoxstv tä fih xov(pa slvat, td
dt ßagia". Diese sind denn auch als Hauptbeweisstellen für
die Schwere als Ursache der Bewegung herbeigezogen worden ■
(siehe Zeller, Phil. d. Gr. I S. 603, 2. Aufl. u. 604, Anm. 2).
Nun ist aber gerade Simplicius von allen anzuführenden Zeugen
fttr Democrit's Lehren der unglaubwürdigste: denn er hat das De-
moeritsche Original nicht mehr in Händen gehabt. Dies geht daraus
hervor, dass er ad lib. de anim. I. fol. 6 mit seinem Urtheil über
Democrit zurückhält, mit der Begründung, „Aristoteles spräche
sich über den vorliegenden Fall nicht ganz klar aus" (S. Mullach
quaest. Dem. II. 18). Brieger bemerkt S. 7, dass das doxstv darauf
hindeute, dass es sich um „den Bereich der Erscheinung" handele.
Nun ist allerdings zuzugeben, dass hier von intramundanen Vor-
gängen, nicht von der Urbewegung die Rede ist. Aber abgesehen
davon, dass man bei Democrit nur in Bezug auf die Qualitäten
(Süsse, Wärme . . .) von „Erscheinung" reden darf, kann man
dem Schluss von einer centripetalen Neigung der Stoffe in den
einzelnen Naturprozessen auf eine solche allgemeine ursprüng-
liche Eigenschaft auch der extramundanen Atome nur dann vor-
beugen, wenn man nachweist, wie die vorher nicht vorhandene
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Tendenz, erst unter den Bedingungen des Weltprozesses zur Gel-
tung kommt.
Ferner aber hat doxetv hier nicht den Sinn von „erscheinen*
als mit den nothwendigen subjektiven Elementen der Auffassung
behaftet sein. Ueberhaupt muss die Stelle etwas anders gegeben
werden, als bei Brieger. Welchen Sinn hätte es, das „Schwere"
und „Leichte" bei D. dadurch zu Stande kommen zu lassen, dass
das „Schwerere" das „Leichtere" emporpresst? Das hiesse ja
„schwer" und „leicht" durch „Schwereres" und „Leichteres" er-
klären. Vielmehr will Simpl. sagen: „Relative Gewichtsunter-
schiede gesteht D. zu. Dadurch nun, dass das relativ Schwerere
das relativ Leichtere am Niedersinken verhindert, entsteht der
Anschein, als ob Letzteres einen Trieb nach Oben, ersteres nach
Unten hätte, als ob also jenes schlechthin leicht, dies schlecht-
hin schwer wäre. Die Comparative müssen daher unter Zusatz
von „relativ" die Positive mit „schlechthin" leicht und schwer
übersetzt werden. Joxstv also heisst hier lediglich: zu einem fal-
schen Urtheil verleiten.
Ist aber auch das „doxtfv" kein Beweis dafür, so ist doch
die Annahme zulässig, dass Simpl. hier an Erklärungen sekun-
därer Art von Naturphänomenen gedacht hat, die Democrit sicher-
lich eben so gegeben bat, wie ein moderner Physiker, der von
der Wellennatur des Lichtes tiberzeugt ist, dennoch vom „gerad-
linigen Lichtstrahl" spricht.
Indess bedarf es zur Entkräftung der obigen Aussagen gar
keiner auf Verdächtigung der Glaubwürdigkeit des Simplicius hin-
zielender Bemühungen: Simplicius widerspricht seinen eige-
nen Zeugnissen an anderem Orte mehrfach selbst, so zu
de coelo fol. 144 a Schol. 300 b sleyov aei xwsZa&at tä nqutta
(caofiaza) . . . $v %& ämigto xeva ß i q und vor Allem Phys. 9 b
JrjfiöxQrtog (pvtfei axlv^xa Uynv %a äzofMX nXijri xiveta&al
Zudem zeigt seine de coelo 56 b. schol. in Ar. 484. a. 27
gegebene Schilderung der Atomverflechtungen, zwar kein Ver-
ständniss für die Rolle des Wirbels, schliesst sich aber in der
ausschliesslichen Betonung geometrischer Verhältnisse unter
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Vermeidung von „schwer, leicht, oben, unten" ganz den echten
Democritischen Stils an. Es wird da nur mit <s%fift,a 3 fjb4ys&og,
&&cig und xd%ig operirt. Die Aussagen des Simplicius heben
sich daher in ihrer Gegensätzlichkeit mindestens auf. Unter Be-
rücksichtigung aber dessen, dass sich eine irrthümliche Einfügung
des senkrechten Falls in die Democritscben Vorstellungen seitens
Jemandes, der die Originalwerke des Philosophen nicht mehr in
Händen hatte, leicht als Verwechslung mit der neueren Lehre
aufklärt, die Beraubung derselben aber um ein bedeutsames me-
chanisches Element in den zuletzt angeführten Stellen durch Nichts
ruotivirt erscheinen würde, werden wir den Simplicius eher als
Zeugen gegen als für die Theorie von der ursprünglich senk-
rechten Bewegung in Anspruch nehmen zum Mindesten aber sein
Zeugniss für die vorliegende Frage gar nicht verwerthen.
Das Zeugniss bei Theophrast. Theophrast's Worte (de sensu 71)
xal to* to ys ßagv xai xovtpov bxav diog^r} xoJg psyi&sffw avay*n
xä anXa ndvxa xov avxov sytw oqov xijg ftogqifjg (Editio Wimmer.
Paris 1866) werden auch in folgender Fassung gegeben (So bei
Zeller Ph. d. G. S. 602 2. Aufl.) xä änla ndvxa xqv avxt[V
oQpiiv xijg (fOQäg, womit die Stelle ganz der bei Ar. de coelo
I. 7. entsprechend gemacht wird. Sie kann daher ebensowenig,
wie jene, für den senkrechten Fall geltend gemacht werden. Es
wird nämlich so argumentirt: Wenn die Schwere proportional mit
der Masse wächst, dann kann es kein absolut Leichtes, oder
absolut Schweres geben, sondern Alles wird relativ schwer
und hat daher keinen Grund zu entgegengesetzter Bewegung.
Dies ist aber ein rein peripatetischer Schluss ohne Bezug auf
eine bestimmte Aeusserung bei Democrit. Denn für diesen wäre
ja, selbst wenn er den Atomen die Lotbrichtung ertheilte, die
Grösse oder Kleinheit des Gewichts für die Richtung
der Bewegung ganz belanglos. Die völlig auf der peripateti-
schen Vorstellung vom absolut Leichten und Schweren gezogene
Folgerung ist somit von Theophrast ausgehend, wenn nicht ein-
fach eine Wiederholung des Passus bei Ar. de coelo I. 7. Auch
Brieger sagt S. 6: „Das, was den Nachsatz zu dem Satze mit
oxav bildet, kann kein von Dem. selbst ausgesprochener
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. . . . Gedanke sein". Er geht sogar weiter, indem er annimmt,
dass „der Satz mit viav und das avdyxy %a anXä xtX. gar nicht
zusammen gehören", dass „mehr als zwei oder drei Worte aus-
gefallen siud a , welche Annahme nach der hier gegebenen Deu-
tung gar nicht einmal nothwendig erscheint.
Wie wenig gerade Theophr. als Zeuge für die Schwere, als
Ursache der Bewegung, herangezogen werden darf, beweisen seine
Worte bei Simpl. in Ar. Ph. 7 r 6—26 (Diels, Doxogr.), wo er
dieselbe nicht einmal unter den Ureigenschaften, durch welche
sich die Atome unterscheiden, aufführt. Von den „diayogaTg av-
%wv" sagt er vielmehr: rgeig di sldtv avzcu. gvapog, Tgonrjj
dtattyij xtX.*). Wenn derselbe also in den oben angeführten
Stellen (de sens. 61 und 71) vom Gewicht der Atome spricht,
und dessen Verschiedenheit, so kann er nicht im strengen Sinne
eine ursprüngliche primäre Beschaffenheit derselben damit meinen,
sondern die von dem (tvapog, einem der drei duxqoQcd, abhängige
Reaktionsweise gegen den Wirbel, welche ja ein ähnliches Ver-
halten der Atome bedingt wie die Schwere. Diese „Schwere"
fällt aber weg, wo kein Wirbel ist, setzt also letzteren voraus.
Zahlreich dagegen sind die Zeugnisse derer, welche in dem
Democrit8chen Wirbel keine Funktion der Schwerkraft sehen.
Unmittelbar auf die Art der Bewegung bezüglich sind fol-
gende:
Cic. de fato XX. 46 aliam enim quandam vini niotus habe-
bant a Democrito impulsionis, quam plagam ille appellat
a tc gravitatis et ponderis (Seil, atomi Ep.).
Plut. plac. I. 23 J. $v yivog v^g xivrfiecog: to xazä naX-
J*op. EnixovQog dvo eiSij tyg xivijaecog to xaxa axad-ptiv xul
td xaxa nccgiyxXHfip.
Dies wird wörtlich wiederholt bei Stobaeus eclog. I. 20.
Alex. Aphr. zu Met. I, 4. 985 b. Bon. 27, 21 ovtoi yäg U-
, yovdiv aXXt}XoTV7iov<rccg xai xgovofiipag nQog aXXrjXag xivtlaÖcu tag
atopovg. Zu Met. XI, 6. 1072 a, Bon. 664. 19 Tig s<mv arty
*) Vgl. dazu Diog. Laert. 44 über Epikurs Atome: ptjdi notönjT«
nva nt^i mg tiroitovs tivtu nktjv oxrjuccTog xai (Atyi&ovs xtti ßtxQovg.
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tj xtpijfog noztgov tj xvxXa> y dXXfj ng . . tovtoov %rpt aizlav ov Xi-
yovötv. Zu Met. XI, 6. 1072 a. Bon. 664. 28 edsi ovv tovzoav trjv
atziav Xiysw xal ngog zovzotg noia täv xwrjaeoöv stiziv r) ngoittj.
Er vermisst also nicht nur die alzia, sondern auch das 7täg und
noXov der Bewegung und ausdrücklich die Angabe einer ersten,
also ursprünglichen.
Auf den unbestimmten Begriff des „Prinzips" der Bewe-
gung gehen die folgenden Zeugnisse, von denen die ersten sie
mit der Notwendigkeit, die zweiten scheinbar im Gegensatz zu
ihnen mit dem Zufall verknüpfen.
Bei Sextus Empiricus steht die "Avdyxti über dem Wirbel,
wenn er sagt: xat dvdyxijv xal vno dlvfig y cog sXsyov, ol nsgl
JfjpoxQtTov ovx av xwoXto 6 xööpog. Dass in der Wahl von
xazd und vno Absichtlichkeit liegt, beweist die noch zweimalige
Wiederkehr desselben Ausdrucks „xat ävdyxtjv xal vno divyg"
kurz hintereinander. (Hiervon ging Mullach aus, als er Wirbel
und Schlag zu „Werkzeugen" der dvdyxri machte.)
Andere setzen Notwendigkeit mit Wirbel und Stoss schlecht-
hin gleich : Plut. plac. I. 24 Ilagfjbsvldrjg xal Jtjfioxgtwg navtd xat'
avdyxqv tijv tfavtyv eivai xal eljjiagfisvtjv xal dlvtjv (dtxijv?) xal
ngovotav xal xoaponoiov . .
Fast ebenso Stob. Ecl. phys. Lib. I, Cap. 4 und Galen hist.
phil. Cap. X. Heeren S. 158 J^fioxgnog dk tijv avzwvniav xal
tpoqdv xal nXtiyi\v trjg vXtjg.
Stob. Ecl. phys. p. 160 ed. Heeren Lib. I. Cap. 4. Asvxtnnog
navtd xar' ävdyxtjv tyv d'avtijv vndg%eiv (zijv) slpagpivtjv.
Ferner Plut. plac. I. 26 J. trp> dvztzvniav ztjv <pogdv xal
nXqyyv ttjg vXtjg (ävdyxtjv).
Mehr attributiv tritt die dvdyxtj bei folgenden auf: Diog.
Laert. IX. 7 navtd ts xat' ävdyxtjv vr\g divrjg altlag ovöijg
tfjg yev&aewg ndvtcov. Ebenso Diog. Laert. IX. 33: . . . xatä
tfjv ävdyxtjv, tj bnota iatlv ov foaöayeZ.
Pseudorig. Phil. I. S. 891 : zig av ety ij dvdyxtj ov duagiöev.
Epicur selbst spricht bei Diog. Laert. X. 93 von dem Demo-
critscben Wirbel: dtvov iv w $vdi%szai xoapov yiyvsöd-at xevm
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xatd zb öo%al6fisvov i% avdyxijg . . . xa&änsQ x&v (pvGixwv
xaXovpivwv (pyci ng.
Auch in einer weiteren Stelle am nämlichen Orte X. 93 wird
man wohl eine Bezugnahme auf Democrit finden müssen, wie
schon bei Besprechung der Kosmogonieen erwähnt wurde in einer
Stelle, deren Analogie mit den genannten unverkennbar ist und
deren Inhalt mit der anderwärts bezeugten Democritschen Vor-
stellungsweise von der Entstehung der Gestirne übereinstimmt.
Epicur erwägt die verschiedenen zulässigen Erklärungsweisen für
die Bewegung der Gestirne: rag xwrfisig ccitav ovx advvaxov
pkv yiyved&cu xa%ä %tp> %ov bXov ovoavov divfp, rj zovtov pkv atd-
<fw, ainav 6k dlvfjv xata tjjv dq%V^ ev * v T fl ™*> *o<spov yevfaet
avdyxiiv anoyevfj&eZöav in avaioXy. Aus alledem geht
hervor, dass die „ewige Notwendigkeit" ein Characteristikum des
Democritschen Geschehens gewesen sei, woher wir auch die Hy-
pothesen bei Epicur, welche (Diog. Laert.) mit „i% avdyxtjg" oder
„££ aQxys M>*i u eingeführt werden, ohne Angabe ihres Urhebers,
auf Democrit beziehen können. So ausser den beiden ge-
nannten Stellen noch in demselben Paragraphen: y xal i% äoxrjs *
toutvirp divffy xaietXtj&ijyat %oXg atitgoig tovroig^ ag otov &' sXixa
xwetod-cu, Vergl. auch IIB den Ton der auf das ovrco aQXys
xaTyvayxd<f&ai. Ferner Cic. de fato 10, 23. Id Democritus
accipere maluit necessitate omnia fieri, quam a corporibus in-
dividuis naturales motus avellere. (Dies geht auf die spätere
Declinatio bei Epicur.)
Ebensowenig wie sich Aristoteles scheute das amo^axov und
die avdyxri als gemeinsame Glieder der Atomistik aufzufassen,
glaubt Cicero sich zu widersprechen, wenn er trotz der aner-
kannten durchgängigen Notwendigkeit des Geschehens, den Zu-
sammenlauf der Atome einen „zufälligen" nennt. De nat. deor. I.
24, 66: Nulla cogente natura sed concursu quodam fortuito.
Tusc. 11, 22 „concursu quodam fortuito" (was hier auf die Seele
geht) und 18, 42 „Illam . . concursionem fortuitam" (zu bemerken ist
Übrigens, wie getreu sich Cicero an die alte Lehre hält,
indem er an allen jenen Stellen die corpuscula nur als „glatt,
rund, rauh, eckig, hakig, gekrümmt" also nur mit Formbestim-
! '
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mungen characterisirt). Bei Lactanz I. 22 wird Democrit gar
der Anführer aller derer genannt, welche der Meinung gewesen,
dass „fortuitu vel facta sint omnia vel gerantur."
Welche Geltung dem „fortuitu facta sint omnia" zuzuge-
stehen sei, wird noch später erörtert werden. Das „fortuitu ge-
rantur" aber muss schon hier abgewiesen werden als tendenziöse
Yerketzerung des antiteleologischen Standpunktes von Seiten eines
Gläubigen, dem die Verkennung einer göttlichen Weltleitung Alles
dem blinden Zufall zu überlassen scheint Denn das fortuitu ge-
runtur steht im Widerspruch mit allen übrigen Berichten. Wie
könnte man dem Manne jene Ansicht zutrauen, der gesagt hat,
dass die Menschen den Zufall nur ausgesonnen, um ihre eigene
Unkenntniss zu verbergen (Stob. ecl. eth. II. 8, S. 344) und weiter
ausdrücklich, dass Nichts ohne Grund geschieht, sondern Alles
nach Naturgesetz und Noth wendigkeit?
Das Bild aber, welches die Atomiker sich von dem Urzu-
stände, der dort, wo kein Kosmos ist, immer noch herrscht,
machten, scheint dem Stürmen der Sonnenstäubchen entnommen
zu sein. Dieses Bild kehrt bei ihnen oft wieder, ist auch von
der jüngeren Schule übernommen worden. Schon Ar. de an. I.
2. S. 404 a 1, 8 spricht von der Anwendung desselben: olov iv
t&, äigt %ä xaXovfJteva $v<Spata a (palvsrcu iv zatg did icav &v-
qldoav aynXdtVj womit wohl nicht nur, wie Piloponus meint, die
Existenz gewöhnlich nicht wahrnehmbarer Dinge erwiesen werden
soll. Denn selbst noch bei Lucrez wird der Zustand der Sonnen-
stäubchen vergleichsweise herangezogen, nicht bloss zur Demon-
stration jener Wahrheit, sondern um die Anschauung der nicht
zu Welten vereinigten Atome an eine geläufige Vorstellung an-
lehnen zn können.
Diese Anlehnung' an die bekannte Erscheinung wird von
Democrit am bestimmtesten bei Lactanz bekundet: Haec inquit,
per inane irrequietis motibus volitant et huc atque illuc feruntur,
sicut pulveris minutias videmus in sole, cum per fenestram radios
ac lumen immiserit (De Ir. X. 3).
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B. Zeugnisse, welche mittelbar Schlüsse auf den
Mechanismus der Bewegung gestatten.
Nachdem wir die Zeugnisse über Art, Ursache und bildlich-
anschaulichen Ge8ammteindruck der Bewegung überblickt haben,
wenden wir uns solchen zu, welche nicht direkt auf den Mecha-
nismus der Bewegung gehen, aber doch unter Voraussetzung der
inneren Folgerichtigkeit des Systems Schlüsse auf jene zu ziehen
gestatten.
Die Anfangslosigkeit der Bewegung. Ganz sicher verbürgt,
als unablösbares Glied des ganzen Systems ist die Ewigkeit der
Bewegung (Xiyovci asi xwsto&ai rä ngwia dcofiaza, Ar. de coelo
III. 2 300, b äei yag elvai <pa<ft xiv^atv Met. XII. 6. *Asl xwov-
[jt4vu>vta>v ovxwv iv zw xsvut. Orig. Phil. I, XL, I, IX. zfjv xlvijfav
aldiov sXeyov Simpl. fol. 257 ad phys. ex aeterno tempore . . . Fin.
I. 6, 17 u. a.)
Will man die Democritschen Urkörper aus dem ursprünglich
senkrechten Fall in das Stadium des Stosses, Abprallens und
Wirbeins Uberleiten, so muss man dem Democrit die Anschauung
beilegen, dass die schwereren Atome schneller fielen, als die
leichten, wodurch erst ein die Körper zur Vereinigung bringendes,
die spätere Declinatio vertretendes Prinzip gewonnen ist. Denn
ohnedem würden sie, wie die „Regentropfen" ewig isolirt im
Leeren fallen, es könnte also keine Welt zustande kommen. Die
Interpolation jener Anschauung hat denn auch, wie erwähnt, Zeller
vorgenommen.
Damit wird die Aufeinanderfolge gegeben:
1. Lothrechter Fall —
2. Stoss der Schwereren auf die Leichteren —
3. Wirbel.
Ein derartiger Prozess erscheint aber durchaus unvereinbar
mit der, wie wir sahen, sicher verbürgten Ewigkeit der Be-
wegung.
Jene Vorstellung unterscheidet nämlich zwei Perioden der
Atombewegung:
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1. Diejenige, in welcher die Gewichtsunterschiede noch nicht
znr Geltung gekommen sind.
2. Die des Wirbels, nachdem jene wirksam geworden
sind.
Damit wird aber ein Anfang der Bewegung gesetzt. Denn
die Dauer der ersten Periode kann ja nur eine unendlich kleine
sein, weil unmöglich das Gesetz von der ungleichen Geschwindig-
keit verschieden schwerer Körper, längere Zeit unwirksam
geblieben sein konnte. Deragemäss fiele kurz vor dem
Uebergang des ersten in den zweiten Zustand der
Anfang der Bewegung. Der ganze Vorgang wäre nur
fassbar, wenn die Atome ursprünglich in einer Zwangslage
festgehalten wllrden (denn ohne Zwang hätten überhaupt nie
die schwereren über die leichteren — bei angenommener
Schwere — gelangen können) plötzlich sich selbst überlassen,
auf einander stürzen. Ohne solche Zwangslage ist die genannte
Vorstellung mit einer zugestandenen Ewigkeit unvereinbar, wir
mögen uns wenden, wie wir wollen: Legen wir den Zeitpunkt des
Uebergangs aus der ordentlichen*) in die unordentliche Bewegung
noch soweit zurück, einmal stattgefunden muss er doch haben
und dann giebt es kein dauerndes Vorher, oder wir lassen schon
die unordentliche Bewegung ewig sein — dann fällt eben die ur-
sprünglich senkrechte Bewegung überhaupt fort.
Die Erkenntniss dieser Unvereinbarkeit ist aber nicht das
Ergebniss spitzfindiger Grübelei, sondern unmittelbar durch die
naive Anschauung eingegeben.
Bei Epicur fällt diese Unverträglichkeit der ursprünglich
senkrechten Bewegung mit ihrer Anfanglosigkeit weg, weil bei
ihm das die „unordentliche" Bewegung erzeugende Prinzip, die
*) Was hier von rein geometrischem Gesichtspunkt „ordentlich"
heisst, als gleichmässig senkrecht gegenüber dem Durcheinander der durch
Stoss und Prall erzeugten verschiedenen Bewegungen ist vom teleo lo-
gisch-ästhetischen Standpunkte gerade die unordentliche Bewegung,
da ja die Ordnung und Zweckmässigkeit dieser Welt eben aus jener geo-
metrisch „unordentlichen" hervorgegangen ist. Dementsprechend die hier
„unordentlich" genannte, sonst: die zur Ordnung führende.
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Deklination, nicht Folge der ursprünglich senkrechten ist, somit
nicht noth wendig später gedacht werden muss, vielmehr seiner
Lehre gemäss anabhängig von jener zu unbestimmter Zeit eintritt.
Was den dem Democrit zugeschriebenen Prozess mit der
Anfanglosigkeit des Geschehens in Widerspruch setzt, ist also
gerade, dass die unordentliche Bewegung als Folge der ordent-
lichen nothwendig' später gedacht werden muss, diese ordentliche
nicht aber unendliche Zeit stattgefunden haben kann. Und dieser
Widerspruch ist nicht etwa einer von denen, in welche sich die
durch den „transcendentalen Schein" geblendete Vernunft mit Be-
tretung des Gebiets der „kosmologischen Ideen" nothwendig ver-
wickelt, sondern ein noch leicht zu vermeidender, wie ihn denn
die Epicureische Lehre und die Auffassung von der Demokrit-
schen, wie sie die Betrachtung der Kosmogonieen erzeugt, in der
That vermeidet. Sollten wir aber selbst einem Physiker, wie
Democrit, eine derartige Auskunft zutrauen, wie können wir
m
glauben, dass eine solche Blösse der Kritik des Aristoteles ent-
gangen wäre?
Und liegt nicht das Wesentliche der hier versuchten Wider-
legung schon in Democrits eigenen Worten: „nach einer Ursache
des Ewigen zu fragen, hiesse dem Unbegrenzten einen Anfang
geben?"
Somit verbieten auch die Zeugnisse von der Ewig-
keit der Bewegung eine ursprünglich senkrechte anzu-
nehmen*).
*) Einen weiteren Beleg für den ursprünglich vertikalen Fall der
Atome, entnommen der angeblich gegen Democrit gerichteten Polemik bei
Epicur und Lucrez (Diog. Laert. X, 61 n. Lncr. II, 225) widerlegt Brie-
ger S. 8 (8). '
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III.
Vereinigung der aus beiden Instanzen
erhaltenen Ergebnisse.
Versuch die Zeugnisse auf die Elemente der Kosmog omeen
zu beziehen. Nachdem sich einige Zeugnisse (Simpl. in. Phys.
310, a, m u. 510, b, 30 sowie Lact. I, 22) durch Widerspruch mit
anderen desselben Zeugen, oder mit zweifellosen Thatsachen, selbst
eliminirt haben, stellt sich die Aufgabe, die übrigbleibenden an
die Auskunft der ersten Instanz — der Kosmogonieen — zu
legen, um zu einem Gesammtergebniss aus beiden zu gelangen.
Zunächst liefern beide Instanzen übereinstimmend das nega-
tive Resultat, dass nicht die Schwere als Ursache der Bewegung
angesehen wurde. Die Darstellungen der Weltbildung, welche zu
dieser Meinung Anlass gegeben, erwiesen sich als gar nicht
alt-atomistisch, sondern Epicureisch, die Zeugnisse, welche
sie begünstigen, als unglaubwürdig. Dagegen bestätigten
die zahlreichen Aussagen des Aristot., Plut., Stob., AI. Aphr.,
Cic. u. a. aufs Bestimmteste, das aus den ächten alt-atomistischen
Kosmogonieen sich ergebende Gegentheil jener Meinung, wo-
naeh das Gewicht nicht nur als Mutter der Bewegung überhaupt
ausgeschlossen erschien, sondern als schlechthin nach unten zie-
hender Trieb sich auch in den besonderen Bewegungsvorgängen
verleugnete.
Dass ferner von drei Seiten das Gewicht den Democritschen
Atomen schlechthin abgesprochen wurde, dass desselben bei Ari-
stoteles so selten und dann so unbestimmt Erwähnung geschieht,
diente dazu, die aus dem Weltbildungsprozess gewonnene Einsicht
in sein eigentümliches Wesen, wonach es nicht an sich, son-
dern erst unter Mitwirkung des Wirbels sondernd wird, zu festi-
gen. Umgekehrt macht die Erkenntniss desselben aus^ den Kos-
mogonieen erst die Widersprüche der Zeugen verständlich.
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Aber nicht nur die Schwere als Ursache der Bewegung,
sondern jede Ursache derselben überhaupt, wird in den Zeug-
nissen verworfen. Diese so oft wiederkehrende Versicherung,
dass die Atoraiker die Ableitung der Bewegung aus einem höheren
Prinzip abgelehnt hätten, passt vollkommen zu der Auskunft der
Kosmogonieen. Auch hier ist die Bewegung mit Stoss und
Wirbel die letzte nicht weiter .gestützte Voraussetzung
alles Geschehens. Nur auf den besonderen Verlauf ist das
Erklärungsbedürfniss gerichtet, die Bewegung selbst aber gilt als
gegeben. Die hier schon bemerkte Unterlassung erscheint nun
unter dem Lichte der Zeugnisse als bewusste Ablehnung.
In der Aristotelischen und Ciceronianischen Characteristik
der Bewegung als einer „grundlosen" werden wir daher nichts
weiter suchen, als jene in positive Form gebrachte, objectivirte
Abweisung einer weiteren Begründung derselben seitens der Ato-
misten. Aus dem Satz: „Wir begründen die Bewegung nicht
weiter" wurde: „die Bewegung hat keinen Grund". Weil kein
A genannt wird, welches als nothwendiges B Stoss und Wirbel
nach sich zieht, weil es vielmehr immer heisst: „Wo gerade ein
Wirbel entstand, da u. s. w." theilt Aristoteles diesen das Prä-
dikat avTopajog zu. Er ist das letzte Glied in der Kette der
Ursachen, von dem es vorwärts, aber nicht rückwärts geht. Bis
auf ihn, oder eigentlich eine zu seiner Entstehung Gelegenheit
gebende Bewegung, die Dinge zurückgeführt zu haben, befriedigt
den Kausalitätstrieb der Atomiker. Mit dem „ae* xivowra*"
schliesst die Leucipp-Democritsche Welterklärung ab.
Dem entsprechend kann denn auch die avdyxtj nicht als
Ursache, als Erzeugerin des Wirbels aufgefasst werden.
Eiuige bekundeten, dass Democrit sich nicht darüber ausgelassen,
was eigentlich die avdyxri sei. Andere lassen sie den Wirbel
selbst sein; wieder Andere geben ihr einen mehr attributiven
Character.
Unter Vergegenwärtigung des Weltbildungsprozesses und der
Gegenüberstellung bei Aristot.: „Democrit, unterlassend, das
Wozu anzugeben, führt Alles auf die Notwendigkeit zurück",
werden wir in der Betonung dieser avdyxy nichts Anderes er-
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blicken können, als die Anerkennung der völligen Dur chfüh ruug
der mechanischen Naturerklärung bei Democrit, welche alle
Vorgänge nach unumstösslichen Gesetzen ablaufen und nirgends
einen planmäßig eingreifenden Willen zur Geltung kommen lässt.
Nun liegt aber durchaus keine grössere Notwendigkeit in
dem Gesetz der Schwere, als in denen des Stosses, wenn auch
ersteres durchsichtiger ist. Wenn daher Cicero meint, es wäre
dem Democrit wohl entgangen, dass, wenn die Atome nicht will-
kürlich von ihren Bahnen abwichen, Alles der Notwendigkeit /
unterworfen würde, also auch der menschliche Wille, so zwingt
dies nicht dazu, wie Zeller will, als die nothwendigen Bahnen,
die der Schwerkraft folgenden anzusehen: vielmehr ist die
complicirteste Kurve, welche ein Atom im Lauf beschreibt, wenn
sie nur den Gesetzen des Stosses gemäss ist, ebenso notwendig,
und begründet ebenso sehr den Determinismus, wie der senk-
rechte Fall.
Nur der Abstand dieser rein mechanischen ErkTärungsweise
von dem teleologischen Standpunkte der Mehrzahl xler Alten, so-
wie das Verlangen, für dieselbe nun auch ein der „Vernunft",
oder der „Vorsehung" der Uebrigen analoges Prinzip anzugeben,
hat wohl der Notwendigkeit der Atomisten den grossen Nach-
druck in allen Berichten verliehen, und sie insbesondere dem
xoGponotog und der etpaQpsvfi geradezu gleich setzen lassen.
Alles geschieht nach Notwendigkeit, ist also nur der naive
Ausdruck für die geschehene Einsetzung der causae efficientes
an Stelle der causae finales, welche dem noch nicht durch
die moderne Methode der naturwissenschaftlichen Untersuchung
gereiften Sinne der Alten begreiflicherweise viel weniger geläufig
war, als es einem Kinde unserer Zeit ist.
Wenn daher Cicero u. A. von einem coneursus fortuitus sprechen,
so geben sie damit entweder einfach das Aristotelische alnöfjkaTog
wieder, oder wahrscheinlicher bezeichnen sie damit den Mangel
eines Planes, indem sie hier „zufällig" in dem Sinne fassen, in
welchem Aristoteles ihm schliesslich allein Berechtigung zugestehen
will, als nicht durch einen Zweck bedingt, (während ja das
avtofiazog, welches Ar. selbst im 4. Cap. der Phys. II auf den
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Democritscben. Wirbel bezieht, wie wir sahen, noch in dem un-
kritischen erst später berichtigten Sinne gilt, als das nicht durch
eine Ursache bedingte. So spiegelt sich in den verschiedenen
Systemen der Beurtheiler ein und dasselbe Ding verschieden, wie
derselbe Gegenstand anders in einem ebenen, anders in einem
sphärischen, wieder anders in einem parabolischen Spiegel er-
\^ scheint: Der blinde Mechanismus der Weltbildung tritt auf als
\ eine personificirte Nothwendigkeit, als Weltbildner, Zufall oder
\ gar Vorsehung. Dabei ist eine Objectivirung und Substantivirung,
\subjectiver, verbaler und attributiver Bestimmungen unverkennbar,
^us „Wir begründen A nicht" wird „A ist grundlos" oder gar
„das Grundlose ist der Grund von A d. h. der Zufall". ( < Aus
„|Uies geschieht nach Nothwendigkeit": „Die Nothwendigkeit ist
Erzeugerin von Allem".
Wie sich die Berichte von den sog. „Prinzipien" der Bewe-
gung ohne Zwang mit den kosmogonischen Daten vereinigen
liessen, so stehen auch die Zeugnisse, welche eine Beschrei-
bung von ü^r Art der Bewegung geben, durchaus im Ein-
klang mit den thatsächlichen einzelnen Vorgängen der Weltbildung.
„Stoss" und „Schlag" füllen die Lücke aus zwischen dem embryo-
nalen Kosmos, dem a&Qoufpog und dem Wirbel. Der „Abprall"
ist die Wirkung der, wie wir sahen, dort stillschweigend
vorausgesetzten Elastizität der Urkörper. Das grosse Ge-
wicht, welches auf den Wirbel, als divfi und vertigo in allen
Berichten gelegt wird, allerdings meist ohne Erkenntniss seiner
eigentlichen Bedeutung, ist durchaus begründet durch seine
schöpferische Wirksamkeit bei der Weltbildung, wo er
dem wilden Durcheinander den Kosmos abringt, indem
er den Atomen die Bethätigung ihrer verschiedenen Be-
schaffenheit entlockt und dadurch zum sichtenden Prinzip
wird. Die in den Zeugnissen selbst nicht recht motivirte Be-
tonung des Wirbels, weil ohne Würdigung seiner eigentlichen
Funktion, wird erst aus der Betrachtung der Aufgabe, welche
ihm bei der Erzeugung des Kosmos zufällt, verständlich. In der
Kosmogonie der Placita hatten wir schon das Fehlen des Wir-
bels bemerkt; als sichtender Faktor trat an seine Stelle die ver-
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schiedene Schwere der Atome. Wir werden später sehen,
dass bei Epicur der Wirbel überhaupt seine wichtige Rolle ver-
loren hat. Dieses Fallenlassen des Wirbels mit Einführung
der Schwere als Bewegungs- und Sichtungs-Ursache be-
weist, dass beide nebeneinander sich beeinträchtigen, eins das
andere entbehrlich macht, dass sie somit im Verhältniss von
Substituenten stehen und bestätigt damit nicht wenig die hier
gewonnene Einsicht in den Mechanismus der Leucipp-Democrit-
schen Atome.
Gesammtergebniss. Um das aus Kosmogonieen und Zeug-
nissen gewonnene Ergebniss zusammen zu fassen zu eiuer Recon-
struetion der Democritschen Bewegungslehre, werden wir am
besten eine chronologische Ordnung inne halten, indem wir die
mechanischen Elemente immer in den Stadien des Weltbildungs-
prozesses hervorheben, in welchen sie zur Geltung kommen. Da-
mit gelangen wir zu folgender Anschauung: Grundlagen und Vor-
aussetzung des ganzen Geschehene ist ein seit Ewigkeit gegebenes,
wildes, ungeordnetes, dem Spiel der Sonnenstäubchen vergleich-
bares Durcheinanderstürmen von unzähligen, einfachen, verschieden
gestalteten Körpern im Leeren, denen kein ursprünglicher
Trieb nach einer bestimmten Richtung im Räume inne
wohnt*). Wo diese irgendwo auf einander stossen, prallen sie
vermöge ihrer Elastizität ab und bilden unter Umständen eine
Kreisbewegung, welche andere Körper, die sie erfasst, mit sich
reiset. Wo irgendwo die Bedingungen zu einem solchen Wirbel
gegeben sind, wächst aus demselben ein Kosmos heraus. In dem
Wirbel spielen sich alle Vorgänge zwischen Centrum und Peripherie
ab. Durch diese sind alle Raumbestimmungen gegeben, letztere
sind also nicht absolut, sondern relativ.
Die Einrichtung und Ordnung des Kosmos geschieht nicht
durch die Schwere, wie bei Epicur, sondern durch das Zusam-
menwirken des Wirbels und der verschiedenen Formen
der Atome, deren ursprünglich dynamische Indifferenz erst durch
*) Auch Brieger S. 4 sieht in der Urbewegung ein wirres Durchein-
anderfliegen nach verschiedenen Richtungen.
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den Reiz des Wirbels zur Activität gelangt: nach den Gesetzen
1) von der gleichen Reaction der Gleichgestalteten und
2) dem mit der Grosse wachsenden Widerstand gegen
erfahrene Einwirkung. Ersteres motivirt das Zusammensein
des Gleichen überhaupt, dass Erde mit Erde, Luft mit Luft,
Aether mit Aether sich gefunden haben, letzteres die besondere
Anordnung der Dinge: die kleineren Körper werden an die Peri-
pherie des Wirbels geschleudert, die grosseren entfernen sich we-
niger von seinem Ansatzpunkte. Dieser von der Grösse abhängige
Widerstand ist „das Gewicht" der Democritschen Urkörper.
Kurzum:
Das kinetische Chaos bietet Gelegenheit zu einer Anhäu-
fung (ad-QotCfiög) Stoss und Abprall ermöglichen darin
einen Wirbel und dieser Wirbel mit jenen beiden Gesetzen bringt
dann das zu Stande für den Kosmos, was anderen Systemen
Schwere, Vernunft, Vorsehung u. s. w. leisten: die Einrichtung
und Ordnung der Welt, wie sie ist, mit Erde, Wasser, Luft,
Himmel, Gestirnen.
Vor dem Wirbel geschieht zwar Nichts nach Willkür, aber
die Regeln des Geschehens sind für uns nicht erkennbar, die Vor-
gänge uncontrolirbar ; daher erscheint Alles problematisch: es
hei8st »wo gerade eine Anhäufung entsteht, da wird ein Wirbel
möglich u u. s. w.
Erst mit Eintritt des Wirbels spielt sich der Prozess vor
unseren Augen verfolgbar mit eherner Nothwendigkeit ab ; wo ein
Wirbel eintritt, da muss der Prozess so verlaufen wie er
verläuft. So hebt sich von dem für uns undurchdringlichen
Dunkel der Urbewegung die durchsichtige Gesetzmässigkeit der
Wirbelschopfung ab, wie die regelmässige schimmernde Gestalt
des Krystalls herauswächst aus der gemeinen Masse amorphen
Gesteins!
Gegeninstanz. Gegenüber der Uebereinstimmuug der ver-
schiedenen Instanzen, die wir angerufen zur Ermittelung der me-
chanischen Natur der Demokritschen Atome, erhebt sich auf an-
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derer Seite eine Schwierigkeit. In verschiedenen einzelnen Be-
merkungen behandelt Democrit die Schwere der zusammen-
gesetzten Körper ganz im üblichen Sinne, ohne dass wir wissen,
wie er sich den Untergang des passiven Gewichts der einfachen
Körper zu dem mit den Sinnen wahrnehmbaren Trieb der zusam-
mengesetzten nach der Erde hin gedacht hat. Von der Schwere
des Bleis und des Eisens spricht er bei Arist. und Theophr. ganz
in der Allen geläufigen Bedeutung. Wenn sogar Arist. berichtet,
Dem. habe sich das Verharren der Erde im Mittelpunkt dadurch
möglich gedacht, dass die unter ihr befindliche Luft sie trug, was
ihre platte Form begünstigt hätte, so werden wir uns diese, mit
der in der Kosmogonie niedergelegten und sonst bestätigten An-
schauung durchaus nicht in Einklang zu bringende Vorstellung
damit erklären müssen, dass in der so grossen Anzahl Demo-
critscher Schriften sich Stellen befanden, in denen Democrit ledig-
lich, als der naive Naturbeobachter mit Erklärungsweisen
auftrat, welche der gewöhnlichen Anschauung Rechnunng trugen.
Die grossartigste Analogie hierfür hat ja Parmenides geliefert,
wenn er, nachdem er die Mannigfaltigkeit und das Werden als
„Nichtsein" gekennzeichnet hatte, es unternahm dieses Nichtsein,
diesen Schein zu erklären. Mit welchem Recht wollte ein Spä-
terer Kant die Lehre von der Idealität des Raumes und der Zeit
absprechen, mit dem Hinweise auf seine bekannte Weltbildungs-
theorie, welche sich ganz im Rahmen von Raum und Zeit be-
wegt? Die Trennung von Naturforscher und Philosophen existirte
auch schon im Alterthum, wenn auch nicht in so bewusster Weise,
wie in der Neuzeit. Ueberhaupt findet sich aber kein System, in
dem nicht Widersprüche einzelner Behauptungen mit den Grund-
lehren nachgewiesen wären, was auch durchaus begreiflich ist
aus den verschiedenen Entwickelungsperioden und den wech-
selnden Gesichtspunkten, aus denen die Ansichten hervorge-
gangen sind.
Solche Widersprüche sind bei Plato und Aristoteles aufge-
wiesen worden.
Dass also Dem. sich bei der Besprechung einzelner Natur-
phänomene der gewöhnlichen Anschauungs- und Ausdrucksweise
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unterwarf, ist begreiflich. Der Mangel einer Vennittelung jener
primären Vorstellungen in diesem Punkt und der secundären bleibt
aber bestehen. Die Hebung dieser Schwierigkeit fällt einer De-
mocritschen Erkenntnisslehre anheira. Gerade aber in dieser
Lücke ist die Wurzel der späteren Verwirrung in der Frage nach
der Schwere zu suchen, indem die Einen von der Physik aus-
gingen, die Anderen aus der Erkenntnisslehre heraus postulirten.
In keinem Fall aber bilden jene verstreuten Bemerkungen eine
wirksame Instanz gegen die aus den Kosmogonieen — der unge-
trübtsten Quelle — gewonnene, durch die Zeugnisse bestätigte
Anschauung von der Mechanik Democrits. Sie verschwinden im
Vergleich zu den Widersprüchen, auf welche die übri-
gen über sie aufgestellten Vermuthungen, wie darzu-
legen versucht ist, führen.
VerhältnÜ8 des hier gewonnenen Ergebnisses zu den bishe-
rigen Auffassungen der Leucipp-Democritschen Bewegungslehre,
Von den beiden Grundansichten, welchen sich, wie wir vor dem
Eintritt in die Untersuchung ausführten, die Beurtheilungen, die
der Gegenstand bisher erfahren, einordneten, stellt sich der-
jenigen, welche in der Schwere den letzten Hebel des Ge-
schehens sucht, die hier erlangte Auffassung unbedingt ent-
gegen.
Ebensowenig kann sieaber mit der zweiten, in der Not-
wendigkeit die Ursache der Bewegung finden.
Dem Widerspruch der zweiten Ansicht, einen Trieb nach
unten als ursprüngliche Eigenschaft der Atome anzunehmen,
ohne ihm die Priorität vor allen gewaltsamen Impulsen zuzuge-
stehen, unter Abweisung also der Consequeuz der ersten Ansicht,
nämlich den senkrechten Fall zur ursprünglichen Bewegung zu
machen, ja ohne diesen Trieb überhaupt zur Geltung kommen zu
lassen — glaubt sie zu entgehen durch die Einsicht, dass eine
Schwere im gemeinen Sinne als Drang nach einer absoluten
Richtung den Democritschen Atomen Überhaupt nicht zu-
kam.
Indem sie sich der durch die Ableugnung jener ihr erwach-
sendenden Aufgabe entledigt, die gerissene Lücke auszufüllen,
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d. h. die Faktoren aufzuweisen, welche die von jenen Forschern
der Schwere zugewiesenen Effekte zu Stande bringen, gelangt sie
zu zwei mechanischen Grundsätzen und einer Bedeutung des
Wirbels, verschieden von der bei den Uebrigen, welche ihr erst
die ihm in allen Berichten beigelegte Wichtigkeit zu begründen
scheint.
Damit ist begreiflicher Weise auch das Verhältniss des Wir-
bels und Stosses zur Noth wendigkeit, als zweier Werkzeuge zu
der sie handhabenden Kraft, aufgegeben.
Bedeutung der gewonnenen Auffassung der Democritschen
Mechanik für die Beurtheilung des allgemeinen Characters der
atomist Philosophie. Sind dies die hauptsächlichen einzelnen
Punkte, in welchen das Ergebniss dieser Untersuchung von den
älteren Darstellungen der altatomistischen Mechanik abweicht, so
fragt sich nun, ob und in wiefern diese Divergenzen die Ge-
sammtauffassung der Leucipp- Demokritschen Lehre berühren.
War schon von Früheren die Grundtendenz des Systems
darin gefunden, den von den Eleaten veranlassten Streit der Ver-
nunfterkenntniss mit der Erfahrung beizulegen, so ist von Zeller
überzeugend dargethan, dass der Ausgangspunkt der atomistischen
Philosophie das Interesse war, das Eleatische Sein mit dem He-
raklitischen Werden zu vermitteln (so auch Schwegler und
Strümpell Gesch. d. theor. Phil. S. 70). Die Frage, welche sich
die Atomisten damit vorlegten, kann man folgendermassen fassen:
Wie ist Veränderung möglich? Nämlich, ohne zur Aufgabe
des Axioms von der Unveränderlichkeit des reinen Seins zu zwingen.
Die Eleaten hatten das von den Sinnen uns zugetragene Werden
jenem Axiom zuliebe für Trug erklärt, Heraclit umgekehrt das
letztere der wahrgenommenen Veränderung geopfert. Wie Beide
retten? Nun, die sinnenfälligen Veränderungen durften nicht an
dem reinen Sinn vorgehen, dieses musste unberührt davon
bleiben. Dann blieb nichts übrig, als es in eine Vielheit von
mit den Attributen des reinen Seins behafteten Einzelexistenzen
aufzulösen und durch deren Mischung und Entmischung d. h. durch
deren Bewegung in dem dadurch wieder geforderten
Leeren den Wechsel der Sinnenwelt zustande kommen zu lassen.
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Die Antwort auf die Frage: „Wie ist die erfahrene Veränderung
möglich?" lautet also: als Bewegung des an sich unveränder-
lichen Vielen im Leeren. Die Aufgabe ihrer Beantwortung postu-
lirte somit die Grundsäulen des Systems: I. die Atome, wie sie
sind, IL ihre Bewegung und III. das Leere. Dem Axiom
zu genügen, mussten die Atome die Attribute des reinen Seins
haben: 1. Einfachheit, 2. Unveränderlichkeit, 3. Stoff-
liche Indeterminirtheit — der Erfahrung zuliebe, insbeson-
dere der Mannigfaltigkeit der Sinnen weit, als der verschie-
denen Erscheinungsweise des Werdens musste ihnen: 4. die
Verschiedenheit der Form und Grösse zukommen. War
somit die Beschaffenheit der Atome durch apriorische und apo-
steriorische Momente bestimmt, so waren Bewegung und Leeres
beide durch den Inhalt der Erfahrung, nämlich die wahrge-
nommene Veränderung, postulirt.
Damit ergeben sich also die Pfeiler des atomistischen Lehr-
gebäudes, die eigentlich letzte Auskunft des Systems, als Frucht
eines Kompromisses zwischen Vernunft und Erfahrung.
Jenes Grundinteresse führt also unmittelbar auf den Begriff:
der Bewegung von Atomen (mit den Seins -Prädikaten) im
Leeren!
Alle weiteren Bestimmungen indessen und Setzungen des
Systems waren durch das Interesse an dieser Frage nicht ge-
geben, die besonderen mechanischen Vorstellungen über
die Bewegung der Atome durch sie in keiner Weise determinirt.
Diese muss ihnen vielmehr ein zweites Interesse zudictirt haben.
War es die Frage nach dem Ursprung der Bewegung, dem
nq&xov xtvovvj jenes die Physiker aller Zeiten so vorzüglich be-
schäftigende Problem? Diejenigen, welche in der Schwere, oder
Not h wendigkeit die Ursache der Bewegung erblicken, werden
zu jener Vermuthung geneigt sein. So heisst es auch z. B. bei
Sch wegler „bei Democrit erhebt sich noch weit mehr, wie bei
Empedocles die Frage nach dem Woher der Veränderung und
Bewegung". Diese Frage würde allerdings unmittelbar zu einem
jener Prinzipien führen, so zur Schwere, und dann in diesem
»9
Falle weiter die grössere Geschwindigkeit der schwereren Atome
fordern, um zu dem wirklichen Geschehen Uberzuleiten u. s. w.
Die Betrachtung des mechanischen Aufbaues des Democrit-
schen Weltgebäudes lehrt nun, dass es nicht diese Frage war,
deren Beantwortung den Atomisten am Herzen lag, sondern eine
ganz andere. Es ergiebt sich vielmehr, dass dieselbe lautete:
Wie ist Ordnung möglich — nämlich ohne Ordner?
Wie ein Kosmos ohne Kosmopoios? Galt es also bei der
ersten Frage, den Begriff des reinen Seins mit den durch die
Erfahrung gegebenen Begriffen der Veränderung und Vielheit, dem
Extract des Erfahrungsinhaltes überhaupt zu vermitteln, so kommt
es hier darauf an, die Besonderheit des Erfahrenen, nämlich die
Ordnung und Schönheit der Welt mit dem Grundsatz von dem
Walten der blinden Naturnotwendigkeit in Einklang zu bringen.
Denn die Ordnung ist jenem Grundsatz gemäss nicht die Selbst-
vermittelung einer Idee, nicht Verwirklichung eines
Planes, kein in der Natur begründetes, sich das Ganze
Unterwerfendes . — Wie ist sie trotzdem möglich? Die Ant-
wort lautet: Als Specialfall unter unzähligen Möglichkeiten,
eigentlich nur als Ausnahme von der Unordnung, als welche
die Regel der Normalzustand ist.
Jene erste rein begriffliche Reflexion hatte direkt auf den
Begriff einer Bewegung reiner Seinsformen im Leeren geführt.
Die Versinnlichung dieses Begriffs ist aber nichts anderes, als
die richtungslose Bewegung Uberhaupt, kurzum: das kine-
tische Chaos, welches wir als letzte Voraussetzung in den
Kosmogonieen erkannt hatten. Unmittelbar also an dem End-
punkt der ersten Ueberlegung setzt die zweite Frage an: Welche
Faktoren müssen zu den aus jener hervorgegangenen hinzukommen,
um von dem kiuetischen Chaos zu der wirklichen Ordnung der
Natur zu gelangen? Die Antwort geben die mechanischen Ele-
mente der Kosmogonieen: Stoss, Schlag, Elastizität, Wirbel,
Widerstand gegen erfahrene Einwirkungen, mit der Grösse des
sie Erleidenden wachsend, die gleiche Reaktion der gleich- und
die verschiedene der verschieden -Gestalteten. Dieses sind die
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Bedingungen, welche zeitweise die Ordnung Uber die Unordnung
triumphiren lassen, zeitweise, denn die Welten sind zerstörbar.
Die Vergegenwärtigung jener beiden Hauptinteressen der
Atomisten wird auch mehr Licht auf den springenden Punkt der
ganzen Frage nach der Mechanik Democrits werfen: auf das Ge-
wicht der Atome.
Das erste Interesse setzte den Atomisten das Ziel, mit einem
Material, dem ausser dem der Körperlichkeit unerlässlichen Attribut
der Raumerfüllung, nur die negativen Eigenschaften der Untheil-
barkeit und Un Veränderlichkeit zukamen, durch rein quantitative
Combinationen den Wechsel der Qualitäten zustande zu bringen.
Demgemäss schwebte ihnen in den Atomen ursprünglich das vor,
was der Ausdruck besagt: „cr^/ua nafinlti&ds erfüllte Form".
Diesen geometrischen Urcharacter der Atome beweist auch ihre
andere Bezeichnung mit löiai. Jetzt aber trat die zweite Frage
in ihr Recht. Indem die Atomisten nämlich es unternahmen, diese
Bausteine der „erfüllten Formen" ohne inneren Trieb sich zum
Weltgebäude zusammen Aigen zu lassen, mussten sie ihnen eine
dynamische Beschaffenheit beilegen, bestehend in der Eigenschaft,
einer auf sie wirkenden Kraft einen mit der Grösse wachsenden
Widerstand entgegen zu setzen. Das Zugeständniss also einer
Schwere, selbst in diesem Sinne, als einer Eigenschaft, welche sie
selbst sicherlich nicht Schwere genannt hätten, wenn ihnen nicht
die Aufgabe obgelegen hätte, die Schwere der zusammengesetzten
Körper schon irgendwie in den einfachen vorzubereiten, scheint
somit den Atomisten erst allmälig abgerungen zu sein, als
durch die wirkliche Ordnung der Welt gefordert.
Aus dem zu dem ersten hinzugenommenen zweiten Grundinter-
esse ergeben sich somit ungezwungen die einzelnen mechanischen
Vorstellungen der Atomisten.
Dass nicht das Woher der Bewegung die Atomisten beschäf-
tigte, dass es nicht ihre Absicht war, die Reihe der Ursachen
bis zu einer letzten zu durchlaufen, sondern vielmehr von einem
Gliede aus, dem die ihrer Meinung nach erklärungsbedürftige
Qualität der Harmonie fehlt, den jetzt erreichten Endpunkt her-
zu leiten, ergiebt sich nicht nur aus ihren bestimmten Erklärungen
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und der praktischen Betbätigung derselben in dem mechanischen
Aufbau der Welt, sondern leuchtet auch ein als Konsequenz jenes
ersten Grundinteresses. Denn nimmt zugestandenermassen das
atomistische Philosophiren seinen Ausgang von der Bemühung,
Sein und Werden zu vermitteln, so erscheint die Bewegung, das
Produkt der Vermittelung, als die einzige Möglichkeit der Ver-
einigung jener beiden Begriffe. Die Bewegung ist also nicht
nur mögliche, sondern nothwendige Form des Existirenden.
Damit schwebt sie aber garnicht so ungestützt in der Luft,
wie allenthalben behauptet wird, sie hat zwar keinen Werde-
grund, aber einen Erkenntnissgrund. Die Bewegung an sich
war unmittelbar aus dem Lösungsbedürfniss jener Grundfrage her-
vorgegangen als subjectiv nothwendiger Ausgleich zwi-
schen unab weislichen Bewusstseins- und Erfahrungs-
tatsachen. Was konnte dazu veranlassen, ihrer so sicher als
nothwendig begründeten Existenz die zweifelhafte Stütze weiter
zurückliegender Werdegründe zu geben? Wäre das nicht ein
plötzliches Zurückgreifen, welches nicht nur die gesicherte Po-
sition der Bewegung wieder in Frage stellte, sondern auch ohne
Grund aus der Gedankenfolge herausspränge, wogegen sich völlig
konsequent an die als nothwendig gesicherte xlvtjdig die Frage
anschliesst, wie nun aus ihr, der unbestimmten, daher unharmo-
nischen, chaotischeu die vorhandene Ordnung der gegenwärtigen
Welt hervorgegangen sei?
Damit stellt sich das Unternehmen der atomistischen Weisen
dar: als ZurUckführung der nicht nothwendig erschei-
nenden und darum erklärungsbedürftigen Wirklich-
keit auf einen subjectiv nothwendigen und darum
keine Räthsel aufgebenden Zustand. Diese Fassung ihrer
Aufgabe werden wir aber gewiss nicht so tadelnswerth finden,
wie die meisten Aelteren und Neueren. Daraus, dass sie sich
nicht von dem Irrlicht der letzten Ursache verlocken Hessen,
werden wir ihnen kaum einen Vorwurf machen. Was soll es
heissen, wenn man desshalb bei ihnen einen „zureichenden Grund
aller Erscheinungen des Werdens" vermisst? Denn abgesehen
davon, dass ein Nachkantianer wohl kaum irgend einem der
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übrigen dogmatischen Systeme, zugestehen wird, einen solchen
gegeben zu haben, unterscheidet sich denn wirklich die „Bewe-
gung" des Democrit so erheblich von den Endursachen der An-
deren? Sind denn „Vernunft", sittlicher Wille u. s. w. in Wahr-
heit letzte Ursachen, welche die Frage nach einem weiteren
Woher in der That unmöglich machen, oder verdanken sie nicht
vielmehr den Vorzug, der ihnen vor jedem beliebigen anderen
Gliede der Ursachenkette eingeräumt wird, dem Umstand, dass
sie uns an sich begreiflich sind, dass sie Analoga in un-
serm Bewusstsein haben? Meist sind dieselben nun begreiflich
ihrer Absicht nach, welche auf das Vollkommene und Gute ge-
richtet ist. In diesem Sinne nun ist allerdings die ultima ratio
der Atomisten uns nicht verständlich, wohl aber hat sie das mit
jenen gemeinsam, dass sie an sich begreiflich, ja sogar als
nothwendig begriffen ist, dass sie ebenfalls ein subjectiver
Abschluss der Reihe des Geschehens, kein objectiver,
ist; denn ebensowenig, wie hier die Frage nach dem Wo- und
Vorher der Bewegung, verstummt dort die Frage nach dem
Wo- und Vorher der Vernunft oder des Willens. Was aber in
beiden Fällen die Philosophen bei dem betreffenden Punkt halt-
machen und sich bei demselben beruhigen liess, war, dass sie in
ihm die ihnen fremden unbegriffenen Einzelheiten der Natur auf
eine Seins jjtnfe ^ ur^^^ hrt ha lte n, wel c he in der inneren Er-
fah rung, in d em e igenen Bewusstsein et wa s Entsprech endes
hat^e^ wodurch s ie in sich be greiflic h wurde; den n ^ wenn ich den
Weltprozess z. B. als Ausfluss eines sittlichen Willens auffassen
zu dürfen glaube, so sehe ich darin zwischen Folge und Ursache
ein Verhältniss, wie ich es oft au mir zwischen meinen Hand-
lungen und mir selbst erfahren s habe: es ist mir begreiflich.
Während die eigentlichen „Endursach"- Philosophen mit Wille,
Vernunft u. s. w. materiell den Inhalt des Bewusstseins in die
Aussenwelt versetzen, entspricht die letzte Stufe der Atomisten,
die Bewegung der Einfachen im Leeren, nur der formalen be-
grifflichen Widerspruchslosigkeit, als einzig möglicher Ausgleich
zwischen Sein und Werden. In diesem formalen Character ist
auch der eigentliche Unterschied der letzten Auskunft der Ato-
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misten von der der Uebrigen zu suchen; denn als solche ist sie
nicht schöpferischer Hebel des Geschehens, sondern nur der Zu-
stand des widerspruchslosen Seins. Indem jene geistigen Prin-
zipien mit einem mystischen Schatten die Vergangenheit verdecken,
erheben sie den Anspruch, den Anfang des Geschehens zu bilden.
Die Urbewegung des Democrit giebt sich nur als subjectiven
Ausgangspunkt der physischen Welterklärung.
Es ergiebt sich also die Ungerechtigkeit des Vorwurfes, dass
die Atomisten nur die „abstrakte Idee einer unendlichen Kausali-
tätsreihe gegeben hätten" als ob sie nicht in ihrem kinetischen
Chaos einen kausalen Halt- und Ruhepunkt aufzuweisen hätten,
in gleichem Sinne, wie Andere in ihren geistig dynamischen Prin-
zipien! Dass sie nicht das Materielle des Seins, als ein unserem
Bewusstsein Inkommensurables, begreifen wollten, sondern nur
aus formal Verstandenem formal Unverstandenes herleiten,
werden wir ihnen vielleicht als weise Selbstbeschräukung anrechnen,
ihr Fernbleiben von der Jagd nach der letzten Ursache als fast
uachkritische Besonnenheit bewundern!*)
Für die Gesammtauffassung der atouiistischen Lehre hat also
der hier gewonnene Einblick in die Mechanik der Atome vorzüg-
lich die Bedeutung, dass er den von den Atomikern selbst mit
der Ablehnung einer weiteren Begründung der Bewegung erhobenen
Ansprüchen, wie sie sich auch als Konsequenz aus dem Grund-
interesse ihres Philosophirens ergeben, zu ihrem Rechte ver-
hilft, nämlich ihre Philosophie aufgefasst zu sehen, nicht als
einen Versuch, das Sein überhaupt aus einem an sich Evidenten
zu erklären, sondern aus seinen noth wendigen Bedingungen, die
besondere Gestaltung desselben, wie die Erfahrung sie zeigt,
herzuleiten, d. h. aus der als nothwendig erkannten unbestimmten
Urbewegung der Atome im Leeren, dem ordnungslosen kinetischen
Chaos, die Ordnung, Pracht und Schönheit des gegenwärtigen
Wellgebäudcs ohne Ordner, ohne Plan zustande zu bringen, mit
einem Wort, das Phänomen der Ordnung zu erklären.
*) Vgl. Brieger S. 12 (§ 16) „So bietet der Vollender der ältesten
Atomistik . . ein in der Geschichte der griechischen Naturspekulation einzig
dastehendes Beispiel wissenschaftlicher Bescheidenheit".
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Hatten wir in der Einleitung die Erwartung erregt, dass eine
Betrachtung der Bewegungslehre der Atomisten im Allgemeinen
einen Einblick in ihr kausales Bedürfniss gewähren würde, so
glauben wir hier den Versuch gemacht zu haben, dieselbe zu
befriedigen.
Gerade aber darin, dass jene Ansprüche meist nicht anerkannt
worden sind, dass man immer wieder versuchte, die atomistische
Lehre in die Schablone einer „Prinzipen"- Philosophie hineinzu-
zwängen, ist der Grund zu suchen für die vielen Missverständ-
nissc, welchen die Democritsche Mechanik begegnet ist. Der
Vater der Entelechieen sieht in dem Mangel einer Endursache
schon mehr eine Verlegenheit, als bewussten Verzicht, indess tritt
bei ihm noch am ungetrübtesten die Tendenz des Systems hervor.
Indem er aber jenen Mangel als Grundfehler in der Anlage be-
kämpft, vertieft er sich nicht in die einzelnen mechanischen Vor-
stellungen, welche als auf falscher Grundlage beruhend, sich für
ihn ja von vornherein verurtheilen, und spricht sich desshalb so
unbestimmt über dieselben aus.
In einer instinktiv apologetischen Absicht suchen dann
die späteren Teleologen, wenn auch keine Zweckursachen, so
doch überhaupt Ursachen, Prinzipien zu finden. Sie erheben
irgendwelche Elemente in den Rang solcher, z. B. die Noth wen-
digkeit oder den Wirbel. Da diese begreiflicherweise nicht
ausreichen, erheben sich dann wieder Klagen über ungenügende
letzte Begründung. Auch die Schwere ist in letzter Linie in sol-
cher vermeintlich „rettenden" Absicht zur Ursache der Bewe-
gung gemacht worden. Diese Annahme wurde ganz besonders
begünstigt durch den Hinblick auf die Epicureische Mechanik und
die Widersprüche, in welche die Ablehnung jener Funktion der
den Atomen doch zugeschriebenen Eigenschaft verwickelte, so-
wie endlich durch das Bedürfniss, das Gewicht der zusammenge-
gesetzten Körper in den einfachen vorbereitet zu sehen.
So wurde die Democritsche Mechanik nicht unter den Ge-
sichtspunkten, unter denen ihr Urheber sie gegeben hatte, son-
dern unter ihr fremden — durch die teleologische Brille, statt
durch die Lupe des unbefangenen Forschers, betrachtet. Man
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kam nicht aus der Frage heraus „wo ist die Endursache?" statt
Notiz zu nehmen von der Erklärung der Atomisten: „Wir geben
keine" und dann zu prüfen, was sie geben.
Die Urväter der heutigen Naturbetrachtung, welche derselben
schon darin vorangingen, möglichst nicht in die Dinge hinein-,
sondern aus ihnen herauszulesen, können beanspruchen, dass ihre
Lehre nach diesem ihrem eigenen Grundsatz beurtheilt, nicht nach
fremdem Maasse gemessen, dass sie entzogen dem Streite der
Schulen und den wechselnden Anschauungen der verschiedenen
Zeiten, in ihrem historisch thatsächlichen Bestände sine ira et
studio erfasst und gewürdigt werde!
Anhang
Die jüngere Atomistik.
Die Anschauungen des Epicur sind schon mehrfach bei Ge-
legenheit des Vergleichs der Leucippschen Kosmogonie mit der
bei Plutarch besprochen worden.
Ganz im Gegensatz zu Democrit führt Epicur das Gewicht
schon unter den Grundeigenschaften der Körper auf, entsprechend
der fundamentalen Bedeutung, welche dasselbe für seine Physik,
als Träger des ganzen Geschehens, besitzt. Diog. Laert. 44 fj,fjdi
noioTfjTcc nva negl tag äwpovg slvcu nXfjv (S%i[\katog xai peyi&ovg
xai ßägovg. S. die schon citirte Stelle Plut. plac. I. 3.
Dass die Stellen Pseudoplut. Plac. I, 12 und Stob. Ecl. pbys.
Lib. I. Cap. 14 ed. Heeren p. 346, welche zunächst das Gegen-
theil auszusagen scheinen, dass nämlich nur den zusammenge-
setzten Körpern Schwere zukäme, verdorben sind, siehe Zeller,
III, 405, Anm. 3 und Diels, Doxogr. 52. Dagegen heisst es
Plac. I, 12 xwslG&ou dh tä atofia to fih xatä azcc&firjy xai xatä
TzaQiyxluSiv, tä 6 äv(a xwovptva {xatä ßägog Reiske), xarä nXijyrjf,
xazä naXpov und I, 23 ^EnlxovQog övo fi'cfy tyg xivrjaecog to xatä
aidd-[Hjv xai xatä naqiyxXiaiv .
Dieselbe ursprünglich lothrcchte Bewegung der Urkörper wird
oft bei Lucrez bekuudet. De rer. nat. II. 84:
• „aut gravitate sua ferri primordia rerum"
und II. 288 „pondus enim prohibet ne plagis omnia fiant externa
quasi vi". Hier wird also gar der Anspruch erhoben, mit der
Einführung der dem Gewicht folgenden Bewegung den Deter-
minismus einer nur nach Stössen erfolgenden Bewegung
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gebrochen zu haben. Die Epikureer sehen somit schon in dem
Gewichte eine Art spontanen Dranges!
Der ursprünglich senkrechte Fall der epikureeischen Atome
wird auch bei Cicero oft bestätigt. De fat. 10. 22 „gravi täte
feruntur ad perpendiculum corpora individua rectis lineis, ut Epi-
curo placet".
Ebenso de fat. 20. 46 und de nat. d. 25. 69. Ferner de h'n.
6. 18 anter der Einführung: „illae Epicuri propriae ruinae: censet
enim cadem illa individua et solida corpora ferri deorsum suo
pondere ad lineam, hunc naturalem esse omnium corporum motum".
Ueberail also steht das Gewicht bei Epicur im Vor-
dergrund, gemäss der grundlegenden Bedeutung, die es in seiner
Mechanik hat.
Entsprechend seinem engen Anschluss an die sinnliche Wahr-
nehmung, welche ihn zu der bekannten Ansicht Uber die Grösse
von Sonne und Mond führte, folgte Epicur auch nicht dem De-
inocrit in seiner Abstraction von den gewöhnlichen Raumvorstel-
lungen, indem er zwar kein Oberstes und Unterstes, aber doch
ein Oben und Unten anerkannte. (Diog. Laert. X. 60.)
Mit der Einführung des Gewichtes als bewegendes Agens
sank der altatomistische „Wirbel" zu ganz untergeord-
neter Bedeutung herab. Epicur hatte ein Sonderungsprinzip
in der Schwere, damit war er der Nothwendigkeit überhoben,
einen nicht nach absoluten örtlichen Zielen wirkenden mechani-
schen Factor, wie die dlvy zu Hülfe zu nehmen; daher spielt er
bei ihm nur die Rolle einer der vielen durch avntvnia und ncdfxm
hervorgerufenen Bewegungen, welche den allgemeinsten Zustand
eines stürmischen zu Verflechtungen führenden Durcheinanders
darstellt. Dass aber aus einem Wirbel der ganze Kosmos heraus-
wächst, als eine durch ihn erst der allgemeinen Unordnung
abgerungene Ordnung, davon finden wir bei Epicur nichts.
Weder Diog. Laert. 44 noch 62 zeigt sich etwas derartiges.
Nicht einmal das Wort „Myy" ist dort gebraucht. 90 aber ist
gerade von dem Wirbel des Democrit die Rede, gegen deu er
sich, wenigstens in seiner Ausschliesslichkeit, erklärt. 93 bezieht
sich divi\ auf den Kreislauf der Gestirne.
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Um aber den Zusammenstoss der Atome, die avnwnia, zu
Stande zu bringen, nahm er die berüchtigte Declination zu Hülfe.
Seine ursprüngliche Bewegung der Atome ist also der senkrechte
Fall, welcher aber eine sehr kleine, unbestimmte Abweichung von
der Lothlinie zulässt. Also der weltschöpferische Wirbel des
Democrit war verkümmert zu einem überflüssigen Gliede,
wie die Flossen gewisser ehemaliger Seethiere, deren veränderte
LebensbediDgungen jene einst so wichtigen Organe entbehrlich
gemacht haben. An seine Stelle ist die Schwere getreten und
diese zog das naturwissenschaftliche Monstrum der Declination
nach sich. Relative Raumbestimmungen hatten hier keinen Platz
mehr. Formunterschiede traten zum grösseren Theil zurück gegen
Gewichtsunterschiede. Die Herrschaft der Schwere, als des
Haupthebels alles Geschehens lässt sich im Gang der Epikurei-
schen Weltbildung verfolgen. So weit sich derselbe bei der be-
kannten problematischen Haltung Epicurs in naturwissenschaftli-
chen Dingen überhaupt bestimmt angeben lässt, war er folgender.
(Siehe Lucr. V. 416 u. f.) In dem Stadium, in welchem die
Körper schon durch ein Abweichen von der Falllinie zum Auf-
einauderstossen gebracht sind, ist eine Stauung in dem Abwärts-
streben hervorgerufen. In dem entstandenen Sturm (tempestas)
sondert sich unter „steten Kämpfen" das Gleiche zum Gleichen
und zwar sinken die schwereren Thelle nach unten in die Mitte,
pressen die leichten und runden empor. Der Aether und viele
leichte Feuer steigen in die Höhe, in der Art, wie sich Nebel
aus Seen erheben. Auch Sonne und Mond bilden sich aus den
emporpetriebenen Theilen, zu schwer, um an den äussersten Rand
zu steigen, zu leicht, um sich zur Erde zu schlagen, schweben sie
zwischen beiden. Der Aether jagt die Luft und fuhrt die Feuer
herum. Dass die Erde mitten im Weltall ruhen bleibe, erklären
sich die Epikureer durch die Analogie mit den menschlichen Glie-
dern, welche auch dem Körper nicht zur Last fielen. Unconse-
quent ist es, wenn nach dieser Schilderung die Erde im Mittel-
punkt des Alls liegen soll, so dass dieses kugelförmig wird; denn
nach dem Verlauf des Prozesses kann der Kosmos nur eine
Halbkugel darstellen, welche in der Mitte des Grundkreises die
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Erde enthält. Die leichteren Theile sind ja nicht, wie bei De-
mocrit, nach allen Seiten (also nicht auch nach unten) gestiegen.
Die ganze Schilderung schliesst sich durchaus der Pseudoplutarchi-
schen Kosmogonie an, nur dass noch einige in dieser vorhandene
Democritsche Rudimente, wie die Formverschiedenheiten, als Fak-
toren der Sichtuug (nsQKpsgijy xai Xsta xai svoXiad-a, welche statt
xovcpoiaiaj den vorhergehenden ßagvtata entgegengesetzt werden)
mehr in den Hintergrund treten. So sehen wir den Plutarchschen
Satz bestätigt: JfjiAOxgizog Zv yivog tyg xivfosug tb xatä naXpov.
*Enixovgvg 6vo sidtj tyg xivrjöEOog to xatä <ftä&tJttp> xai tb xatä
nagtyxliöiv. Der Grund aber ftlr diese Abweichungen Epicurs
von der Lehre der alten Meister wird sowohl im Allgemeinen in
seiner Oberflächlichkeit und Gleicbgiltigkeit bei der Behandlung
physikalischer Fragen zu suchen sein , welche ihm nicht auf die
scharfsinnigen Erwägungen und subtilen Bedenken Democrits ein-
gehen vielmehr zu dem Nächstliegendsten und Geläufigsten
greifen Hessen, als auch ganz vorzüglich im Besonderen, in seinem
engen Anschluss an die Zeugnisse der Sinne, seinem unbedingten
Vertrauen zu ihrer Glaubwürdigkeit, im Gegensatz zu den sensu-
alistischen Skepticismus des Democrit, dem die Sinneswahrneh-
mung nichts weiter war, als eine yvcäfnj axotltj.
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