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Full text of "Aus Vergils Frühzeit"

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Frühzeit 




Franz Skutsch 




7 



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AUS VERGILS FRÜHZEIT 



VON 



FRANZ SKUTSCH 



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LEIPZIG 

DRUCK UND VERLAG VON £. G. TEUBNER 

1901 

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ALLE RECHTE 

BINSCHLIKSSLICH DBS ÜB£RS£TZUNGSKJBCHTS VORB£UALT£N 



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GEORG WISSOWA 

M£IN£M L£HR£R UND FREUNDE 



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Seit langem ist es mein Wunsch gewesen Ihnen, 
lieber Freund, ein Werk meiner Feder zu widmen, 
um auch in dieser Weise auszudrücken, was ich Ihnen 
in Wissenschaft und Leben verdanke. Wenn es nun 
blofs ein kleines Büchlein ist, das ich Ihnen über- 
reiche, so hat es dafür eine besondere Beziehung zu 
Ihrer Person: es ist aus der Arbeit für Ihre Real- 
encyklopädie herausgewachsen und soll hegenden, 
erweitem und verbessern, was ich dort in dem Artikel 
über C Cornelius Gallus angedeutet habe. 

Was bei Urnen eine Entschuldigung braucht, die 
Kürze des Buchs, mag ihm bei anderen Lesern ge^ 
rade zur Empfehlung gereichen. Ich hätte Fragen, 
die ich nur berühre, in ihrem ganzen Umfang auf- 
rollen, hätte mit Polemik gegen die übliche Inter- 
pretation z. B. der Vergilischen Eklogen viele Seiten 
füllen können. Ich habe namentlich das letztere 
durchaus vermieden. Mag es mir der I.eser damit 
vergelten, dafs er mich nicht gar zu eilig liest. Nicht 
jeden wird alles gleich bei der ersten Lektüre über- 
zeugen, umsomehr als nicht blofs die ersten Kapitel 
eine Voraussetztmg für die folgenden sind, sondern 
auch umgekehrt die letzten zum Beweise der ersten 
dienen. Erst wer den ganzen Beweisgang in sich 
angenommen hat, kann urteilen. Die Exkurse sind 
mit dem Hauptteil minder eng verknüpft. 



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— VIII — 

Manchen Wohlwollens hat sich das Büchlein schon 
vor seinem Erscheinen zu erfreuen gehabt. Durch je 
eine wichtige Mitteilung haben mich die Herren Bü- 
cheler und V. Wilamowitz-MöUendorfF zu Dank ver- 
pflichtet. Meine Freunde Norden und Wünsch haben 
meine Untersuchungen von ihrem Anfang an bis zum 
Abschlufs des Druckes mit thätiger Teilnahme be- 
gleitet; zum Verständnis der vierten Ekloge haben 
Wünsch und ich uns gegenseitig verholfen, so dafs 
im vierten Exkurse nur die Formulierung ganz mein 
Eigentum ist. Die Schritte auf das historische Gebiet, 
die ich in diesem Exkurs nicht vermeiden konnte, 
haben in liebenswürdigster Weise die Herren Cichorius 
und Kromayer kontrolliert. An der Druckkorrektur 
haben sich auch Kroll und Vollmer beteiligt und mir 
bei der Gelegenheit manches Förderliche bemerkt 
Dem verehrten Herrn Verleger habe ich insbesondere 
dafür zu danken, dafs er sich bereit erklärte das 
Büchlein mit einem Abbild der jetzt in der vatika- 
nischen Bibliothek befindlichen Scylladarstellung von 
Tor Marancio (Heibig Führer' II 169) zu schmücken. 

Breslau 30. Juli 1901. 



INHALTSVERZEICHNIS 



Seite 



Erstes Kapitel. 






Zweites Kapitel. 




. 28 


Drittes Kapitel 




. SO 


Viertes Kapitel. 




. 61 


Fünftes Kai)itcl. 




. 103 


Exkurse 






Erster Exkyrs. 






Zweiter Exkurs. 


Obertus Gifanius und die Ciris 


. 136 


Dritter Kxkurs. 


Gallus im 4, Buch der Georpica . 


141 


Vierter Exkurs. 







Register 



161 



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AUS VERGILS FRÜHZEIT 



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GALLVS ET HESPERIIS ET GALLVS NOTVS EOIS 



Mit dunkeln Ratselaogen schauen VergUs Eklogen 
uns an, und wer einmal recht tief hineingeblickt hat, 
den lassen sie nicht wieder los. Ich will erzählen, 
wohin mich der Rätselblick zweier unter ihnen ge- 
lockt hat, und wenn es dem Leser wohl manchmal 
scheinen mag, als ob ich schwindelnd unsichere Pfade 
gewandelt sei, so möge er mich doch bis zu Ende 
hören. Auch schwache, schwankende Hölzchen geben, 
gegeneinander gelehnt, wohl einen Bau, der selbst 
einem starken Druck oder Stöfs Stand hält; von 
meinen Deutungen mag diese oder jene für sich ge- 
nommen unsicher scheinen, um so mehr als nicht wenige 
überraschen werden, aber Argumente so drückend, 
dafs das ganze Gefuge unter ihnen zusammenbräche, 
sind, wie ich glauben darf, nicht vorhanden. So er- 
bitte ich denn vom Leser nicht Nachsicht, wohl aber 
etwas Greduld, dies noch um so mehr, als ich nicht 
weniges wiederholen muls, was schon von andern ge- 
sagt freilich aber auf Zweifel gestolsen ist 



Skatseh, Ans VstgiU Prühidt. 



I 



ERSTES KAPITEL. 
DIE ZEHNTE EKLOGE. 

Tibullus 

succetior fnit hic tibi, Galle, Propertius iUL 

Ovid. 

I. 

Am Ende des Eklogenbuchs steht das letzte 
bukolische Gedicht, das Vergil geschrieben, der ex- 
tremus labor, den er von Arethusa erbeten hat. Den 
Mittelpunkt des Gedichtes bildet C. Cornelius Gallus, 
mit dem Vergil von der Schulzeit her bekannt, dem 
er seit zwei Jahren tief verpflichtet war für seine 
Vermittelung bei Octavian: Gallus hatte mit anderen 
zusammen nicht nur ausgewirkt, dafs Vergil sein be- 
drohtes Landgut behielt, sondern dadurch auch die 
nähere Bekanntschaft des Dichters mit Octavian 
herbeigeführt^). 

Gallus hatte also schon damals von der auf- 
steigenden Bahn , die ihn ex infima fortuna^ bis 
zur Präfektur Ägyptens führte, ein gut Stück zurück- 
gelegt. Aber der Ruf des Dreifsigj ährigen war nicht 
blofs der eines verwendbaren Beamten und einflufs- 



1) Probus schol. p. 6 Keil; Verg. ecl. I 42 ff. 

2) Saeton Aug. 66. 



— 3 — 



reichen Höflings. Auch die Dichtungen, denen er 
im Altertum wie heute seine litterargeschichtliche 
Stellung eigentlich allein verdankt, müssen, als Veigil 
die zehnte Ekloge schrieb, wenigstens zum Teil 

schon vorgelegen haben: Elegien, in denen Gallus 
nach dem Muster des J^uphorion seine geliebte Ly- 
coris feierte^), waren im Jahr 39 bereits veröffent- 
licht. Denn es mag zwar unsicher scheinen, wenn 
Haupt mit den Worten cantores Euphorionis Cicero 
schon im Jahr 44 gerade über Gallus spotten läfst*). 
Aber gewils ist, dals die zehnte Ekloge jene Dich* 
tungen des Gallus zur Voraussetzung hat: Gallus 
spricht hier selbst von Poesieen im chalcidischen Vers 
(V. 50), und alles, was Vergil von Lycoris zu sagen weüs 
(V. 22 f. 46 ff.), ist nicht eine direkte Wiedergabe von 
Thatsachen, sondern ein Wiederschein von Gedichten 
des Grallus. Bas hat nicht nur schon J. H. Vofs, dessen 
Kommentar zu den Eklogen alle andern an Tiefe 
der Auffassung weit übertrifft, durch den Vergleich 
mit ähnlichen Elegieenmotiven angedeutet, sondern 
auch Servius zu V. 46 ausdrücklich bezeugt. 

Ist das alles, was die zehnte Ekloge über die 
Dichtung des Gallus lehrt? Oder macht nicht viel- 
leicht gerade der letzterwähnte Umstand die Hoffnung 
rege, dafs auch sonst Vergil sich hier in noch er- 
kennbarer Weise an Gallus angelehnt haben möge? 
Wer diesem HofGnungsschimmer nachgehen will, muls 
zweierlei untersuchen: die Anlage des ganzen Ge- 
dichts und seine einzelnen Motive. 

1) Euphorien als Vorbild der Elcgieen des Gallus: vergl. Diomedes 
GLK I 484, 22 und vor allem Vergil selbst ecl. X 50 f. (s. u.); ähnlich, 
ab€r nicht ganz so bestimmt Probus zu ecl. X 50, Servius zu X I. 

2) Tusc. III 45; Haupt opusc. III 206. 



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— 4 — 



2. 

Sehen wir von den einleitenden Versen i — 8 zu- 
nächst ganz ab, so zeigt sich, dafs Vergil zur Ein- 
kleidung für Gallus' Liebesklagen das, wir können 
wohl sagen berühmteste, bukolische Gedicht gewählt 
hat: die Situation des liebeskranken Gallus ist, zum 
Teil in genauer Übersetzung, geschildert wie die des 
liebeskranken Daphnis in dem ersten Gedicht der 
theokriteischen Sammlung; ich werde die einzelnen 
Entsprechungen, die ja in allen Kommentaren an- 
gegeben sind, nicht erst aufzuzählen brauchen. Aber 
ein Unterschied ist im Lokal: so sicher wie Daphnis 
in Sicilien^), so sicher liegt Gallus in Arkadien. 
Zwar den arkadischen Pan, der den Gallus zu trösten 
kommt (V. 26), ruft auch Daphnis nach Sicilien (Theokr. 
123 ff.). Aber Maenalus und Lycaeum, die bei Theo- 
krit nur in der Anrufung Pans erscheinen, beweinen 
bei Vergil den Gallus sola sub rupc iacentem (V. 14), 
auf dem Maenalus will sich Gallus mit den Nymphen 
ergehen, in den Schluchten des Parthenius der Jagd 
obliegen (V. 55 ff.). Und so sollen denn die Arkader 
(V. 31 ff.) jedenfalls seine Liebe und sein Leid nicht 
blofs darum singen, weil bei ihnen der Hirtengesang 
blüht, sondern weil er selbst unter ihnen lebt und leidet. 

Mit dieser so bestimmt bezeichneten Ortlichkeit 
setzen sich aber die Klagen des Gallus bisweilen in 
einen unbestreitbaren Widerspruch. Noch V. 42 f. 
hic geltdi fontesj hic 7nollia prata^ hie tecuin con* 
Sumerer aevo mufs nach dem Zusammenhang, wie ihn 



I) Theokrit I 124 f., 68 f., 117; 0ü)Lißpic u8 ist der Ätna, Bü- 
cheler Rhein. Mus. 48, 86. 



— 5 — 



die Überlieferung giebt, auf Arkadien gehen Aber 
im folgenden Verse hei&t es auf einmal: 

nunc insamis Amor dwi me Muüs in annis 
td» iater media* «tque «drenoi detinet liostei. 

Ja, ist denn Krieg in Arkadien? Und wie kommt 
Gallus plötzlich in Waffen und unter Feinde, er, den 
noch eben die friedlichen Schafe umstanden, wie er 
so/a sub rupe lag, wo nur Schaf- und Schweinehirten, 
nur Silvanus und Pan ihn besuchten (V. 14, 16, 19 £, 
24 ff.)? Weiter aber: wenn er in Arkadien ist» warum 
beklagt er sich denn in V. 46, da& Lycoris pracul a 
pairia lebt? Was wurde es ihm denn helfen, wenn 
sie im Vaterland wäre, da er ja selbst fem von 
Italien weilt? 

In V. 52 — 54 faist daim Gallus den Entschluis 
sich in eine andere Umgebung zu versetzen: 

certumst in silvis, inter spelaea ferarum 
malle pati. 

Grewifs sind die Schafe, unter denen wir ihn in 
V. 17 fenden, keine ferae, aber die beabsichtig^te Ver- 
ändenuig der Situation ist doch nicht wesentlich genug, 
um die Emphase gerechtfertigt erscheinen zu lassen, 
mit der jener Entschluß ausgesprochen wird. Sola 
sub rupe 'unter einsamem Felsen'"), nur von Schafen 
umgeben, nur gelegentlich (vergL Daphnis) von den 
andern Hirten, von Silvanus imd Pan besucht, hat 
Grallus eigentlich schon so viel Einsamkeit, als er sich 



1) Ribbeck setzt freilich vor V. 42 eine Lücke an. Sein Be- 
denken war swar hier einmal gerechtfertigt, wie wir gleich sehen 
werden, sein Heflangtnittel alMr so wenig glückUcb wie sonst 

2) Über diese Bedeutung der Worte vergL W. Schulse Qnaestiones 
«picae S. 



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— 6 — 



nur wünschen kann. Weit begreiflicher wäre jeden« 
ßüls seine Absicht, wenn er sie als Gegensatz zum 
Larm der Stadt oder zum Tosen der Schlacht (V. 45) 
falste. 

Aus an diesen Schwierigkeiten helfen wir uns 

mit der Wendung: „der Dichter hat sich die örtlich- 
keit nicht bestimmt genug vorgestellt" nicht heraus. 
Denn er hat sie sich vielmehr vollkommen bestimmt 
vorgestellt; so bestimmt, wie an andern Stellen Ar- 
kadien bezeichnet ist, so bestimmt in V. 44 ein Kriegs- 
schauplatz xmd in V. 46, wie ich oben richtig erschlossen 
zu haben meine, das Vaterland. Ist Vergü wirklich 
so wenig Herr seiner Gedanken gewesen, dais er 
nach zehn oder zwanzig Versen sich nicht mehr 
erinnerte, seinen Helden nach Arkadien in eine ganz 
scharf gezeichnete Situation des Hirtenlebens ver- 
setzt zu haben? Dazu kann doch wohl selbst eine 
so scharfe Kritik, wie man sie jetzt an des Dichters 
Denkkraft zu üben anfangt, nicht ja sagen. Um so 
weniger, als abermals zehn Verse weiter Vergil ja 
offenbar wieder ganz gut weifs, dafe Gallus im arka- 
dischen Gebirge weilt (V. 55ff.)^). 

i) Ein Anstofs, der vermutlich wirklicli nur aus Ungeschicklich- 
keft des Dichten sich erklärt, liegt, wie nebenbei bemerkt eei, in 
V. Ii: „Wo wut Ihr, Neiden, als Gallus dahinschwand? Denn auf 
dem Faraab oder Findos oder an der Aganippe wart Ihr nicht,** 
Erstannt fragen wir, woher der Dichter das weifs nnd was es denn 
für Gallus ausgemacht hStte, wenn sie dort gewesen wären. Gallus 
liept ja in Arkadien; was konnte ihm also die Anwesenheit der 
Naiden in Nordgriechenland nützen? Offenbar hat der römische 
Dichter sehr wenig glücklich die Verse Theokrits I 66 — 69 kon- 
taminiert": 

Ttfy ttok' öp' ric9', ÖKO Adqpvic irdKcro, iroKa Nu|ji9ai; 




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— 7 — 



* 



3- 

Nicht blols in dem aufiaUigen Wechsel des Lokals 
zeigt sich eine zunächst unerklärliche Disharmonie in 
der Anlage des Gedichtes. Von V. 35 an erscheint 
Gallus und seine Lycoris in einer Reihe wechselnder 
Situationen: erst er als arkadischer SchSfer, dann als 
Krieg-er, den auch im Schlachtgewühl Amor nicht 
verläfst (V. 44!,), hernach sie im Schnee der Alpen 
(V. 46fF.), darauf wieder er, dem Walde sein Leid 
klagend (V. 52 — 54), im Parthenischen Gebirge jagend 
(V. 55fF.), endlich verzweifelnd an der Heilbarkeit 
seiner Liebe (V. 60 ff.). Diese Bilder, einzeln für sich 
genommen, sind makelfrei, ja zum Teil vortrefflich 
gelungen. Aber untereinander sind sie nur notdürftig, 
bisweilen ntir recht äufserlich verknüpft. „Wäre ich 
doch ein arkadischer Hirt gewesen«', hebt Giallus seine 
Klagen an (V. 35 S.), „dann würde memo PhylUs oder 

oö -f&p b9\ «©«1^010 li^yav f>öov €tx€T* 'Avdnw 

ou6' AiTvac CKOTTidv ou6' "AKifeoc lepöv iibwp. 
Hier ist alles in schönster Ordnunjj: „Ihr müfst wohl am Peneios 
oder Pindos gewesen sein; denn da, wo Ihr hättet helfen sollen, bei 
Daphnis in Sicilien, wart Ihr nichL*' Der Römer, der die ganze 
Situation nach Arkadien venetet batte, konnte die sicilischen Namen 
in V. 6St nicht gehnradien. Er nnirste andere einsetzen, veranchte 
aber sngleich sieh mSf^idist der Form des Originals an nBhem. So 
hat er denn nidit mir die Konstraklum von Y. 68£ beibehalten (nam 
n*guf Parnasi vobis iuga . . . moram fecere II »>-> oö ydp 
TTOTaiiolo \x.k^<x\ {)6ov ctxcr' 'AvdTruu), sondern auch noch die el^ante 
Anapher aus V. 67 hineingenommen {nam neqtie . . . nam neque 
Pindin^ f) Kaxd .. .i\ Kaxdi TT(vöu»). Über all dem scheint er übersehen zu 
haben, dafs in diesem negativen Satze, wie bei Theokrit nur sicilische, 
so bei ihm nur arkadische Namen einen Sinn geben konnten, und 
daft er nicfat^rkadisdie, wie Theolcrit 67 die nicfat>sieilischen, nur 
in Form eines Fragesatxea bitte bringen dfirien. 



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— 8 — 



mein Amyntas hier mit mir im Gebüsche liegen, mir 
Kränze winden, mir singen." Dieser Wunsch stimmt 
mit der Situation, in der uns die Einleitung den Gallus 
gezeigt hat, recht schlecht zusammen. Wie konunt 
er denn nach Arkadien, wie kommt er unter die 
Hirten und die Schafe (V. 17), wenn er nicht selber 
Hirt ist? Wenn er aber ein arkadüscher Hirt ist, 
wozu dami der Wunsch $Utnam ex vaäis unus vesirique 
/uissem cmtos gregisi Man wird sagen:- das ist der 
Zwiespalt, in den der Dichter so häufig dadurch gerät» 
dais er die Maske vergilst, die er seinen Personen 
angezogen hatte, der Zwiespalt, den ja aus der 
ersten Ekloge keine Interpretationskünste hinaus- 
deuten können. Aber es folgt nun auf den ersten 
Wunsch des Gallus ein zweiter, der nicht sowohl mit 
der ganzen Situation als mit dem ersten nicht recht 
harmoniert: „Hier sind kalte Quellen, hier weiche 
Wiesen, hier Haine, Lycoris; hier möcht' ich mit dir 
mein Leben ausleben."*) Wir sind überrascht, wie 
plötzlich hier Lycoris erscheint. Bisher hiefs es ja, 
dais ein Amyntas, eine Fhyllis in Arkadien dem 
Gallus das Dasein versüist haben wurden. Die irreale 
Form des Bedingungssatzes, in dem die beiden Lieb- 
chen erscheinen, darf daran nicht irre machen. Der 
Dichter will mit dieser Satzform nicht etwa sagen: 
„Wemi ich Phylfis oder Amyntas hätte, die würden 
mir gefallig sein; nun ist aber diese Möglichkeit 
diu-ch mein Verhältnis zu Lycoris ausgeschlossen." 

i) hic ipso tetum eomtumemr aevo. Wie ich, gewib über- 
fliissigmreiae, Idnmsetsen «ÜI, stdit ipnm aevum im GegeoBatse 
zn den Waffen nnd dem Eis, den Gefihren, die in der nrahen Wirk- 
lichkeit ihr Leben bedrohen; dort in Arkadien irfiiden eben nur die 
Jahre seibat allmählich ihr Leben beenden. 



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— 9 — 

Vielmehr scheint mir ganz deutUch, dafe V. 36 imd 37 
durch den nicht ausgesprochenen, aber sich aus demfol- 
• genden leicht ergebenden Gedanken vermittelt werden: 
„Wäre ich doch ein Arkader gewesen [und hatte ich 
doch irgend eine Phyllis oder einen Amyntas geliebt]. 
Denn gewifs, wäre es dieeine oder der andere oder welche 
Liebschaft dieser Art sonst gewesen, sie würden mit 
mir lagern und mir dies und das zu Liebe thun.**^) 

Und jetzt ist nun offenbar wirklich der Wunsch 
,J-ycoris, lebtest du doch mit mir in Arkadien*' ein 
Widerspruch. Um so mehr als der Dichter ihn auch 
formell gar nicht mit dem vorangegangenen aus- 
geglichen hat. Wir wissen wohl, wir sind in Arkadien, 
aber es ist schon eine ganze Reihe von Versen her, 
seit der Dichter uns das gesagt hat, und so wirkt 
das plotzUch hereinfahrende hü unangenehm über- 
raschend. Man sucht im nachstvorangehenden nach 
einem Anschluls daför, findet aber keinen. So war 
denn hier, wie g^agt, Ribbecks Anstofe an tmserem 
Texte wirklich einmal berechtigt Aber seine Ein- 
dichtung zwischen V. 41 und 42: 

o ntmam hic esset potins meaim Ipaa Lycoris 

hilft nur dem einen Bedenken ab, und dals die Er- 
klärung der Schwierigkeiten nicht in der Lücken- 
haftigkeit unseres Textes gesucht werden darf, ist 
heute wohl für niemanden zweifelhaft 

Was nun zunächst folgt, kann man, von dem 
früher erörterten Wechsel der Örtlichkeit abgesehen, 

unbeanstandet passieren lassen. Aber mit V. 50 heben 

. . . « 

I) Kolster, Vergils Eklogen in ihrer strophischen Gliedening, 
Leipzig 1882, S. 216 scheint etwas der Art empümden zu haben, 
kommt aber zu ganz verfehlten Folgerungen. 



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— 10 — 



die Bedraiken wieder an. In welchem Verhältnis steht 
der Entschltüs des Gallus, fortan nicht mehr elegisch» 
sondern bukolisch zu dichten — das muls ja doch offen- 
bar der Sinn von V. 5of. sein^) — , zur Untreue seiner 
Lycoris, die er eben beklagt hat? Darauf giebt uns 
weder Vergil eme Antwort noch sehen wir sie ab, 
wo uns für solchen Fall doch gerade die Elegie die 
naturgemäfse Dichtungsart scheint. Aber es ist nun 
einmal so: Gallus entschliefst sich zur Bukolik, und 
wir mögen es in Ordnung finden, dafs er darum sich 
in die Waldeinsamkeit zurückzieht und seine Liebe 
in alle Rinden einschneidet (V. 53); gerade dies letzte 
Motiv ist ja nicht blofs der £legie, sondern auch der 
Bukolik eigen ^. Crescent illae, sagt er von den Bäumen, 
die die Träger seiner Herzenseigieisungen sein werden, 
cresceHs amores. 

Folgen wir ihm so weit wieder willig, so stocken 
wir von neuem beim nächsten Wort: „Inzwischen 
will ich auf Bergeshöhn mit den Nymphen wandeln 
und der Jagd mich ergeben." Inzwischen? Also bis 
die Bäume wachsen? Bis die Liebe wächst, die er 
ihnen eingeschnitten hat? Schon Vofs hat gefühlt, 
wie absonderlich das ist; so meint er denn, dafs 
interea hier durch den Zusammenhang die Bedeutung 
'zwischendurch', ^manchmal' erhalte,*) Aber so oft 

1) Veigl. Abschnitt 7! 

2) Tbeokr. XVHI 47. Dilthey de Callim. Cydippa S. 82. Rolide 

Rmnan S. 162 Anm. i. Rothstein zu Properz 1 18,22. 

3) Über diese Bedeutung von interea habe ich in der Festschrift 
für C. F. W. Müller (Jahrb. f. Pbüol. Supplem. XXVII) S. 89 Anm. i 
gesprochen und sie mit Lydia V. 7, Sil. Ital, VII 395 belegt. Letztere 
Steile fuhrt auch Vofs an, doch zwingt gerade diese uicht zur An- 
Bflluiie der ungewöhnlichen Bedeslnng. Aveh in der I«ydin kann 
man sie zur Not entbehren. 



•k. 



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— II — 

Vergil interea hat (ein Dutzend mal), nie erscheint 
es in anderem Sinne als dem gewöhnlichen. Voi&' 
Deutung annehmen heilst also eine Ausnahme sta- 
tuieren» während sich durchaus an die Regel hält» wer 
in intirea ^unterdefe' nur wieder eine von den zahl- 
reichen Unebenheiten unseres Gedichtes sieht Eskommt 
hinzu, dafs Grallus von den beabsichtigten Bergfahrtai 
und Jag^den durchaus nicht als von etwas Gelegentlichem 
zu sprechen, sondern sie als seine regelmafsige Be- 
schäftigung in der Zwischenzeit anzusehen scheint: 

non mc ulla v etabunt 
frigura Parthenios canibus circumdare saltus. 

Wie könnte er auch sonst darin zunächst ein 
Heilmittel für seine Liebe zu finden glauben (V. 60)? 

Der Entschhils, der mit dem sonderbaren inUrea 
eingeleitet ist, wird dann ganz plötzlich wieder auf- 
gegeben. Ehe noch der Versuch gemacht ist» ihn 
zur Ausführung zu bringen, ja im Augenblick schon, 
wo er gerade erst ausgesprochen ist» weüs Gallus 
bereits (V. 60), dafs auch er ihm in seinem Liebes- 
leide nichts helfen kann. Und mit der Jagd wird 
gleich auch der ganzen Waldeinsamkeit Valet gesagt 
— das alles, mufs man annehmen, von dem Lager 
sola sub rupc aus, wo Hirten und Herden den leidenden 
Dichter umgeben. Es giebt wohl Inteq^reten, die 
hierin einen wunderbar ergreifenden Wandel in der 
Stimmung des Liebesiechen sehen; uns erscheint 
der Gallus Vergils vielmehr, solange wir nicht 
tiefer in den Sinn d^ Ekloge blicken» wie ein 
launisches Kind» das das verlangte Spielzeug» wenn 
man es ihm eben reichen will» verdrieislich wegweist» 
um nach einem andern zu greifen» dessen es ebenso 
schnell wieder überdrussig wird. 



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— 12 — 



4- 

Von den drei Einheiten des Ortes, der Zeit, der 
Handlung, müssen wir nach all diesem sagen» ist in 
unserer Eldoge in Wirklichkeit nicht eine vorhanden. 
Anfserlich sind sie dadurch hergestellt» dais die ganze 
Reihe disparater Stimmungen, Absichten, Situationen 
als Subjekt den Grallus hat und diesem als Monolog 
in den Mund gelegt ist; die Nähte zwischen den 
einzelnen Teilen des Monologs fühlen wir aber noch 
so deutlich wie ihre Widersprüche. Eines glauben 
wir hier sofort zu ersehem: gerade daraus, dafs Gallus 
selbst uns all dieses, liebesiech auf seinem Lager 
liegend, im Monolog verkündet, erklärt es sich, dals 
alle seine Absichten über eine flüchtige, kindische 
Wallung nicht hinauskommen; hätte Vergil sie ihn 
wirklich ausfuhren lassen wollen, wo wäre da die so 
muhselig hergestellte Einheit geblieben? 

Von den konstatierten Thatsachen scheint mir 
ein scharfes Licht auf den Sinn, die Absicht der 
zehnten Ekloge zu fallen. Aber wir wollen es noch ver- 
schieben, diese in Worte zu fassen, bis wir auch die 
einzelnen im Monolog des Gallus verwendeten dichte- 
rischen Motive auf ihre Art geprüft haben. 

5- 

Ich sagte schon, dafs Vo& in den Versen 22 f. 

und 46 ff. den Wiederschein eines Motivs der ele- 
gischen Dichtung erkannt hat Was hier von Lycoris 
erzählt wird: 

tu procul a patria 

Alpinas, a, dura nives et frigora Rheni 

me sine sola vides. a, te ne frigora laedant! 

a, tibi ne teneras glades secet aspera plantas! 



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hat allerdings die sprechendste Ähnlichkeit mit 
Properz I 8, 7 £, nur daJs Cynthia nicht an den 
Rhein, sondern nach niyrien mit dem begünstigteren 
Liebhaber ziehen will: 

tu pedibus teneris positas fiilcire pruinas, 
ta potes iotolitas, Cyndiia, fem nives? 

Diese von Vofs beobachtete P^ntsprechung zwischen 
der zehnten Ekloge und der elegischen Dichtung ist 
aber keineswegs die einzige, ja vielleicht noch nicht 
einmal die deutlichste. Als solche betrachte ich viel- 
mehr das Verhältnis, das zwischen den Versen 52 — 54 
und Properz I 18 obwaltet; jene drei Verse könnte 
nian geradezu als Inhaltsangabe der Properzischen 
Elegie ansehen. Man vergleiche nur 

certum est in silvis, inter spelaea ferarum 
malle- pati tenerisque meos ioddere amores 
arboribas ...... 

mit den Properzischen Versen 

haec certe deserta loca et tacittuna ^pwtenti 

et vacuum Zephyri possidet aura riemus; 
hic licet occultos proferre impune dolores, 
si inudo sola queant saxa tenerc ildem. 

ah, quodens tenms retonaiit me» verba rab nmbrM 
•eribitur et vestris Cynthia cortkibas. 



et qnodcnmqne meae possnnt narrare qverdM, 
cogor ad anigntas dicere solus aves^. 

Mehr im allgememen Stimmungsgehalt berühren 
• sich die Verse 42 ff., die die Sehnsucht des ge&hren^ 
umtosten Kriegers nach ruhiger Liebe in landlichem 

I) über das Motiv der Waldeinsamkeit in der elegischen Poesie 
überhaupt Rohde, Roman S. 158 Anm. x. 



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— 14 — 



Frieden schildern, mit TibuU, dem einzigen unter 
den erlialtenen Elegikem, der der Schilderung des 
anmutig-genügsamen Landlebens breiten Raum giebt. 
Man erlaube mir auch hier, einige Verse auszuheben: 

I I. I Divitias alivs fulvo sibi congerat auro 

qnem labor assidnus vicino tenreat hoste, 

Martia cni somnos classica pnlsa fugent 

me mea panpertas vita tradncat merti « 

ipse seram teneras matnro tempore irües 

rusticus et facUi grandia poma mami. 

Darauf folgt dann die bekannte ausfuhrliche Be- 
schreibung der ländlichen Freuden, bis mit V. 53 das 
Gegenspiel des Kriegs- und Friedensmotivs abermals 
einsetzt, nur dais jetzt an Stelle des Hirtenlebens 
das liebesieben tritt: 

Te bellaie decet terra, M easaHa, maiiqne, 
vt domns hostOes praeferat cxavias 

non ego kudari curo; mea Delia, tecum 

dvmmodo sim, quaeso segnis inersqne vocer* 
te spectein, suprema mihi cum venerit hora, 

te teneam moriens 



inteiea dum &te dnunt, iungamus amovea: 
iam veniet tenebtis mors adoperta caput 



hic tgo duz molesque bomist vos, sigmi tnbaeqne, 
ite procul! ...... 

So konnte ja auch wohl mit geringen Verände- 
rungen der Gallus sprechen, dem Vergil die Worte 
in den Mund legt: 

hic gdidi fontes % hic mdüa prate, Lycoii, 
hic nemns, hie ipso tecum coosnmerer aero. 
nunc insaaus Amor doii me Marlis in aimis 
tela ioter media atque adyersos detinet hostes. 

X) Selbst die fehlen bei TibuII nicht, V. 27 1 



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— 15 — 



Derselbe Gegensatz zwischen dem Schlachtge- 
wühl und dem Frieden auf dem Lande, wo man sich 
ruhig mit der Greliebten ausleben will, liegt bei Tibull 
auch der zehnten Elegie zu Grrunde; einzeln findet 
sich das Motiv des Amor rusticus wieder 1 $, 2 t &, 
n 3. 3 ff., das des Amor militans II 6. i ff. 

Auch das Jagdmotiv (ed. X 56 ff.) dürfte der 

Elegie nicht fremd gewesen sein. Wie es auch sonst 

gelegentlich anklingt (Tibull I 4. 49 ff.), so erscheint 

es gewöhnlich an Milanion geknüpft, so dafs also wie 

bei Vergil Arkadien der Tummelplatz des Jägers wird. 

So bei Ovid AA. II 187 ff., besonders aber bei 

Properz I j. 9 ff., wo gerade wie bei Vergil V. 57 das 

Partheniosgebirge den Schauplatz bildet Aber es 

fehlt freilich in all diesen Fällen der Zug, der den 

Worten des Gallus die besondere Färbung giebt. 

Der liebeskranke Gallus will die Schluchten des 

Parthenios mit seinen Hunden umstellen, dahinziehen 

im Wiederhall der Felsen und Haine, die Cydonischen 

Pfeile vom parthischen Bogen schnellen» um sein 

liebesleid zu vergessen; die äußere Erregimg soll 

die innere übertäuben. Dafür giebt es eine genaue 

Entsprechung bei Euripides. Die liebeskranke Phaidra 

ruft aus (Hipp. V. 215 ff.): 

TT^liueT^ |n' €lc öpoc- elm iTp6c öXav 
Kai -rrapd TieuKac, Kva 6?)po<]>övoi 

CT£{ßOUCl )CÜV€C 

ßoXtalc iXdq)oic i^XPi^^^^MCvai* 
irp6c Oebv, Spafun Kud dutOEot 
Kai irap& xottwt Eoveftv (/t^fm 

iv xofX ßiXoc. 

Für zu^ig kann ich bei diesem Zusammen- 
treffen nur eins halten, nämlich da& Phaidra wie 



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— i6 — 



Gallus dies von ihrem Schmerzenslager aus spricht; 
wir haben ja bereits angedeutet und werden weiter- 
hin noch näher begründen, dafs das Jagdmotiv ur- 
sprünglich nicht für den liegenden Gallus bestimmt 
war. Davon abgesehen aber kann ich allerdings 
hier nicht an Zufall glauben; wir sehen an diesem 
Beispiel wieder einmal, wie ein tragisches, speziell 
Euripideisches Motiv zum elegisdien wird, eine Er- 
schemung, über die man nach dem ausgezeichneten 
dritten Kapitel von Leos Plautinischen Forschmigen 
wohl kein Wort mehr zu verlieren braucht 



Ob man die letzte Zusammenstellung gut heilst 
oder nicht, die Verwendung von Elegiemotiven för die 
zehnte Ekloge ist ja wohl durch alles Vorangegangene 
völlig gesichert Neben den elegischen Motiven aber 
sind bukolische zu bemerken. Den Amor kann man 
nicht umstimmen, heifst es in V. 65 — 68, 



Das ist, wie man längst gesehen hat, aus Theo- 
krit geflossen (VII 1 1 1 ff.), wo es freilich in ganz 
anderem Zusammenhange steht: wenn Du mir den 
Geliebten nicht zuführst, Pan, 

€\t\c 'Hbuuvüjv ^^v i&pca X€(H<XTt Ilt^CCip 
"€ßpou iTÄp iTOTa|iöv TCrpanM^voc, ^rV^Qev äpioru», 
iv e^pei 1n)^dT0la näp Aldiönccci vojjieOoic 
TT^xpa ÜTTÖ BX€|jOujv. 

Sonst erinnert an Theokrit in den Klagen des 
Gallus V. 42, der übrigens in der vorhin behandel- 
ten an Tibull anklingenden Stelle steht: 



6. 



nec si frigoribus mcdiis Hcbrumque bibamus 
Sithoniasque nives hiemis subeamus aquosae 
nec si, cum moriens alta Uber aret in ulmo, 
Aethiopiim versemas otIs snb sidere caacri. 




nioiti7fvi hv Gonole 



— 17 — 



hie gelidi fontes, hic moUis pnta < . 



vergl Xheokrit V 33: 



Höfa %& cnfMtc 9ht* 
Femer ist V. 38 £: 



qoSd tmn, si fiueiis Amyntaa? 



et «iolae nigiie sont et vaodiiia nlgi» 
ein offenbare Kachklang von Xheokrit X 26: . 

CupOV KOX^Ovri TU TrdVT€C 

tqcvdv äXiÖKiaucrov, tfih bi fidvoc ^eXix^uupov* 
Kol t6 fov iidXav icri xal A YpcnirA tdinvSoc 

Doch nicht nur diese anderthalb Verse, die ganze 
Reihe 35 — 41 hat bukolisches Kolorit; läge das nicht 
auch sonst klar, so würde es der Name Amyntas be- 
weisen (Theokr. VII 2 und 132). 



So losen sich also die Klagen des Gallus ganz 
in elegische und bukolische Elemente auf — bis auf 
die zwei Verse» die wir noch nicht besprochen haben, 
50 £: 

ibo et ChalriiHco qme sunt veStd condita ven« 
earmiiui pastoris Sicnli moduUibor avena. 

Das druckt deutlich den Entschluls aus» von 
Euphorien zu Xheokrit überzugehen, das, was im elegi- 
schen Vers gedichtet ist, auf den bukolischen Ton zu 
stimmen^). Es ist ohne weiteres klar, dafs Vergil 
einen solchen Entschlufs seinem Gönner nur in den 
Mund legen konnte, wenn der ihn schon selbst aus- 
gesprochen oder auch zur Ausführung gebracht hatte. 

l) ÜB der ReakncyklopSdie IV 1346 habe ich Propen I 9. 1 1 
vef^idwn: 

plns in amore valet Mimnermi yersos Homero. 
Skntich» Aoi Tbi^ FMhnit. 2 




— i8 — 



Jetzt brauchen wir uns nur noch einmal an die 
Bemerkung' des Servius zu V. 46 zu erinnern: hi 
autem omnes versus Galli sunt, de ipsius translati 
carmtntbus, und ich denke, es würde einen ganz ähn- 
lichen Fall, der uns sogleich im Serviuskommentar 
zu der sechsten Ekl<^ begegnen wird, nicht erst 
brauchen, um den Gedanken aufzudrängen: SerWus' 
Bemerkung ist richtig, nur zu eingeschränkt; sie ist 
auszudehnen auf die ganze Reihe der verliebten 
Klagen des Gallus und wird diese Ausdehnung denn 
auch wohl in den ältesten und besten Vergilkommen- 
taren gehabt haben, von denen uns bei Servius, 
Probus u. s. w. ja leider nur noch traurige Rudimente, 
mit groiser Willkür namentlich in der Auswahl des 
Stoffes gemachte Auszüge vorliegen^). 

Vergils zehnte Ekloge hat demnach offenbar den 
Zweck, einen Überblick über die el^rischpbukolische 
Poesie seines verehrten Gallus zu geben. Der Dichter 
hat dafür den Rahmen geschickt genug gewählt Es 
war ein an sich vortrefflicher Gedanke, den Hebes- 
kranken (xallus in die Maske des liebeskranken 
Daphnis zu stecken und ihm nun,, um eine Art 
poetischen Katalog seiner Liebesdichtung zu geben, 
Inhaltsangaben und Citate daraus in den Mund zu 
legen. Die Ausführung mufste freilich darunter leiden, 
dafs eine Sammlung Elegieen nun einmal weder Ein- 
heit des Ortes noch der Handlung noch der Zeit 
noch der Stimmung hat imd dafs bei dem Mangel 
dieser Einheiten die Verknüpfung der einzelnen Ge- 
dichte untereinander nicht immer tadellos gelingen, 

i) Im fnnfien KapÜd wird sich der iHtttfinmte Nachweis filum 
lassen, daTs thatritrlilich s. B. a«di die Worte mmm vmeU amot 
V. 69 ans Gallus Stammes. 



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— 19 — 

nicht immer unfulübar gemacht werden kann. Wir 
empfinden diesen Umstand heute gewils als eine 
ästhetische Schwäche der zehnten Ekloge, aber vnr 
danken es den Widersprüchen und Nähten, die wir • 
fühlen, wenn wir auch jetzt noch uns nicht nur von 
jenen vier Büchern auf Lycoris im allgemexnen eine 
Vorstellimg machen, sondern auch einzelnes daraus 
ziemlich zuversichtlich rekonstruieren können. 

Denn wir sehen jetzt, wie die Grenzen der 
einzelnen in Abschnitt 5 und 6 besprochenen Motive 
zusammenfallen mit jenen Nähten, wir sehen die 
Motive aber auch durch die in Abschnitt 2 und 3 auf- 
gedeckten Widersprüche sich voneinander sondern. 
So giebt also wohl V. 35 — 41 ein bukolisches Ge- 
dicht wieder, in dem Gallus sich nach Arkadien in 
die Arme einer Phyllis oder eines Amyntas gewünscht 
hatte. Dann sahen wir ein neues Motiv mit V. 42 
ungeschickt genug an das Vorausgfehende ange- 
schlossen: das war ursprünglich dne El^e, in der 
Grallus mit Lykoris auf dem Lande zusammenzuleben 
sich wünschte, wie Tibull in den vorhin citierten 
Elegieen mit Deila. Zu dem hic gelidi fontes"^ . 42 gab 
7iimc tnsanus Amor V. 44 einen imversöhnbaren 
Gegensatz: mit V. 44 hebt also eine neue Elegie an, 
in der Gallus seine selbst im Kriegsgetümmel fort- 
dauernde Liebessehnsucht schilderte. Einen deut- 
lichen Einschnitt erkannten wir sodann erst wieder ^ 
zwischen V. 49 und 50; es könnte also Gallus das 
Motiv: „Lydia im Alpenschnee" mit jenem eben er- 
wähnten: „Liebe in Waffen" zu einer Elegie vereinigt 
haben. Wahrscheinlicher ist aber doch wohl an sich, 
insbesondere aber durch die oben erwähnte Parallele 
Properz I 8 dringend empfohlen, die beiden Motive 

2* 



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— 20 — 

ZU trennen; wie die ungetreue Lydia durch Eis und 
Schnee dem begünstigteren Liebhaber zum Rheine 
folgt, der Verlassene aber auch jetzt nur zu wünschen 
. vermag» dals ihr das Wagnis nicht Schaden bringen 
möge, das ist auch wohl ein ausreichender und ab« 
gepafeter Stoff für eine Elegie. Die nächste Fi^e 
JdaSte nach V. 54* Aber wieder wird man es hi 
dieser in sich zwar ohne gr5beren Anstois zusammeo- 
sclilielsenden Versreihe dodi wohl mit zwei Ge- 
dichten des Gallus zu thun haben. Denn wieder 
sahen wir die letzten dieser Verse (52 — 54) sich in- 
haltlich genau mit einer ganzen Elegie des Properz 
decken. So käme denn also das Programm, das 
Galiu.s für eine neue Richtung seiner Poesie aufge- 
stellt hatte, V. 50 f., für sich zu stehen. Ob diese 
beiden Verse oder ihr Lihalt in dem Prologe eines 
der vier Lycorisbücher standen (man denke etwa an 
die einleitenden Gedichte bei Properz II und III), oder 
ob wir es mit einer mehr beiläufigen Aulsening in 
einem andern Gedichte zu thun haben, wer mochte sich 
getrauen, darüber etwas zu vermuten? Es folgt die 
Jagdiel^e(V*5sff.). Dafe derjähe Stimmungsumschlag 
in V, 60 wohl nur Vergil zur Last fallt, ward schon 
gesagt. Diese Elegie war also wohl auf den einheit- 
lichen Ton einer Schwannerei wie die der Phaidra ge- 
stimmt, und erst in .einem andern Gedichte mit buko- 
lischem Charakter wurde die schwermütige Resig- 
nation laut, in der die Klagen des Gallus abschlielsen. 

8. 

Wenn ich bis hierher im grofsen und ganzen 
über Vermutungen zu Beweisen hinausgelangt zu sein 
meine, so steht es anders mit dem, was doch noch ge- 



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— 21 



sagt werden miils. Es knupfon sich an tmser Ergebnis 
so viele Fragen,- dais wenigstens auf einige noch eine 
Antwcnt gesilcht werden mnis. DaTs wir damit aus 
dem Hellen uns ins Dunkle« vielfach sogar sehr Dunkle 
begeben, ist mir bewufst. Aber es muft gewagt sein. 

Wir glauben neben den elegischen Dichtungen 
des Gallus, von deren Ruhm das Altertum voll ist, 
auch bukolische oder doch bukolisch gefärbte er- 
kannt zu haben. V. 50 f. liefs sich nicht anders deuten 
als auf die Absicht, auch solche zu schreiben. Und 
nicht nur V. 35 ff. zeigte uns einen Stoff, den man 
sich eigentlich wohl nur bukolisch behandelt denken 
kam, wir fanden auch in 42 einen deutlichen An* 
klang an Theokrit, und von V. 6$1L werden vtir ja 
jetzt wohl au6h behaupten dilrfen, dafe nicht Vergil 
erst ^e aus Theokrit herubeigenommen hat, sondern 
dafe sie so oder ähnlich schon bei Gallus gestanden 
haben; wenn der Leser Vergil eine solche Entlehnung 
nicht glaubt zutrauen zu können, so möchte ich ihn 
bitten, sich der Bemerkung des Servius zu V. 46 Ztt 
erinnern oder, wenn ihm das nicht genügt, abzu- 
warten, was sich uns weiterhin über die Benutzimg 
des Gallus durch Vergil ergeben wird. 

Dafs Gallus bukolische Gedichte geschrieben hat, 
findet eine gewisse Bestätigung in Wissowas von 
Wendel a. a.O. S. 47 näher ausgeführter Vermutung, dals 
einige der bukolischen Namen bei Vergil aus Gallus 
stammen. Es kann aber auch in keiner Weise über« 
raschen, da es in der Richtung seiner Zeit lag. 
Messalla hat griechische Bukollka geschrieben^); der 

I) Fllegic auf Messalla (catal. IX) 13 ff. t'ber diese Gedichte 
ist von Koaack, Realencykl. III lolo und Wendel, De norain. buco- 
licis, Jahrb. t Fbil. Svpplem« :ttVI S. 46 einiges gesagt WordcSy 



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— 22 

Elegiker, der mit ihm eng befreundet war, hat auch, 
wie wir sahen, auffiülende Neigung zum Pastoralen. 
Pirae und Lydia, von denen erstere deutlich auf das 
Jahr 41 hinweisen, lassen idyllischen Elementen 
breiten Raum. Auch den Culex, dessen Inhalt, von 
den pompösen Exkursen abgesehen, nur Hirtenleben 
ist, kann ich nur als ein Produkt jener Gähning 
verstehen, aus der erst allmählich sich die klassische 
Poesie der Römer entwickelt; jemand, der nach 
Vergils Tode schrieb, würde, je mittelmäfsig-er er 
war, umso, sicherer sich auf der breiten Heerstrafse 
der nunmehr entwickelten Dichtersprache gehalten, 
nicht in Harten, Absonderlichkeiten, Unldarh^ten, 
wie der Verfasser des Culex sie fast zu lieben scheint, 
sich verloren haben So hat auch den Vergil selbst 
zur bukolischen Dichtung nicht die Stimme des 
Gottes getrieben, sondern der Zug der Zeit und der 
Rat wertgeschätzter Gönner, insbesondere des Asinius 
PoUio (ecl. Vin Ii; Servius Bd. I S. 2, 8 Th.); auch 
der Phoebus, der ihn vom Epos zur Bukolik wieder 
zurücktrieb (ecl. VI 3 ff.), wird Fleisch und Bein ge- 
habt haben. Was hat es also Befremdendes, wenn in 
einer Zeit, wo alles sich in das vSchäferkostüm stecke 
Gallus die Maskerade mitmacht? 

dem ich nicht beistimmen kann. So ist es mir durchaus nicht so un- 
wahmhriiJich wie Wcndd, da& Vergil die Namen Hoeria .imd Hdi- 
boeos ans Measalla (cataL a. a. O.) lut. IHIiasinia litnsanun exerdtia 
mögen die Eklogen Measallaa immediin gewesen sein; eine angesehene 
Person konnte ffir Vetgfl aber andb als Qndle dienra, wenn sie kein 
gtoCter Dichter war. Nur soll man nun nictt wieder mit Knaack 
wegen catal. IX 17 p^lauben, dafs Vergil ecl. I i aus Messalla ent- 
lehnt sei. Das ist einfach darum immöglich, weil Messallas Gedichte 
ja griechisch waren (übrigens merkwürdigerweise attisch, wenn man 
catal. IX 14 wörtlich nehmen wollte)! i) Vergl. den ersten Exkurs. 



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— 23 — 



Die Frage ist nur: wie mögen seine Bukolika 
zu seinen El^een gestanden haben? waren sie ein 
Teil der vier Bücher auf Lycoris? gingen sie neben- 
her? Darauf haben wir nur eine Antwort, deren 
Schachen ich so wenig veikenne wie der Leser. 
Unmittelbar auf die gewissermafsen programmatischen 
Verse 50 f. spricht Gallus seine Absicht aus, teneris 
meos iricidere amores arboribus. Man hat sich dadurch 
wiederholt schon an Ovids Elegieentitel amores sowie 
an die Bemerkung des Servius zu V. i amonun stwrum 
de Cytheride scripsit lihros quattuor erinnert gefühlt^). 
Darf man wirklich folgern, dafs Gallus sdne vier 
Bücher auf Lycoris amores betitelt hatte, so würden 
die Verse 52 — 54 besondere Bedeutung gewinnen 
gewissermaßen als der Schlüssel der ganzen Rät- 
selei, und dann wird man kaum annehmen können, 
daß in der 10. Ekloge noch etwas anderes ex.- 
cerpiert ist aulser diesen amores. Es ist auch 
weder formell noch inhaltlich etwas dagegen zu er- 
innern, wenn sich unter eine Elegieensammlimg 
Bukolika mischen. Für das Formelle braucht man 
ja eigentlich nur anzuführen, dafs den Dichtem der 
Vergilischen Frühzeit Theokrits achtes Idyll jeden- 
falls schon in der Gestalt wie uns, mit eingeschobenen 
Distichen, vorlag*); umgekehrt ist bei der Zusammen- 
stellung der TibuUischen Sammlung unbedenklich 
zwischen die El^een der Panegyrikus auf Messalla 
eingeruckt worden, obwohl nur aus Hexametern be* 



1) So z. B. Völker, De Coraelii Galli vita et scriptU Elber- 
idd 1844, S. 10; Conington-Nettlesbip zu X 53. 

2) Vergl. Theokr. 47 u. 44 mit Vergil VII 55 f.; Th. 57 f. mit 
Verg. ni 80 f. Noch anderes bei Wendel a. a. O. S. 44 Anm. 



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— 24 — 

stehend. Inhaltlich aber konnte bei der Bedeutung» 
die das erotische Element auch schon in der grie- 
duschen Bukolik gehabt hatte, gar kein Bedenken 
dagegen bestehen» bukolische Gedichte, wie sie durch 

ect X 35 — 41 und 62 — 68 vorausgesetzt werden, nicht 
nur zu schreiben, sondern auch einer Elegieensamm- 
lung einzureihen. 

Man kann nun weiter fragen, ob die beiden Be- 
standteile, der bukolische und der elegische, sich bei 
Gallus etwa auch innerhalb der einzelnen Gedichte 
gemischt haben mögen. Es ist namentlich wieder 
die Bemerkung des Servius zu V. 46, die zu dieser 
Frage reizt: hi onmes versus GaUi sunt, de ipsius 
iramlaH carmmibus. I>enn wenn wir das so ver- 
stehen wollten, als ob die ganze Versreihe, wie sie 
da bei Vergil steht, aus Grallus entnommen wäre 
(also etwa 46 — 49), dann hatten wir ja stichisch ge* 
brauchte Hexameter, also in gewissem Sinne bu* 
kolische Form, bei einem Inhalt, der, wie wir früher 
gesehen haben, durchaus elegischer Natur ist Nun 
werden wir allerdings späterhin wirklich Fälle kennen 
lernen, wo Vergil ganze Reihen von drei bis vier 
"Versen aus Gallus entlehnt. Aber ebensowohl werden 
uns andere Fälle begegnen, wo Vergil centoartig 
einzelne Verse und Versteile des Gallus zu einem 
neuen Ganzen zusammensetzt. Grrade aber, weil der 
Inhalt der Verse 46 — 49 (ebenso wie der.jier voraus- 
gehenden) durchaus elegischer Natur ist, werden wir 
hier lieber das zweite Verfahren von Vergil ange- 
wendet glauben. Gallus hatte hier elegische Distichen 
gesetzt, Vergil hat sie geschickterweise in Hexa- 
metern wiedergegeben, ohne dais er doch vom Wort- 
laut des Gallus abgewichen zu sein brauchte, und 



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— 25 — 



also auch ohne dafs wir an dem Zeugnis des Servius 
irgendwie zu deuteln hätten. 

Mit mehr Recht könnte man vielleicht umgekehrt 
venniiten, dafs bisweilen bei Gallus in die elegische 
Fonn etwas bukolischer Inhalt gekommen sei. Wenig» 
Staus eine Theokritnachahmong (V. V 33) ist 

ims in einem Zusammenhang begegnet, der im 
übrigen doch der dner Elegie zu sein schien. Trifft 
diese Vemmtung das richtige, dann hätten mr in 
Gallus nicht bloJs einen Vorilufer der EigentOmlich^ 
keiten der Properzischen, sondern insbesondere auch 
der TibuUischen ülegie zu erkennen, die, wie schon 
gesag"t, mit ihren pastoralen Elementen bisher so 
gut wie allein stand. Es mag" befremden, den ge- 
lehrten und komplizierten Euphorionjünger in der 
Gesellschaft des schlichtesten aller Elegiker zu finden. 
Aber wer hätte je zu behaupten wagen mögen, dals 
mit den paar Schlagworten, die wir auf Gallus an- 
wendeten, sein Wesen erschöpft sei? Wülsten wir 
doch in Wirklichkeit von ihm bisher so wenig wie 
von den Elegieen des Euphorion. 

9. 

Was wir bisher eingehend betrachtet haben, ist 

eigentlich nur der Kern der zehnten Eklog« gewesen, 
der Monolog des Gallus. Dieser Kern aber ist in 
zwei Schalen gehüllt, und wir wollen doch auch 
diesen noch ein paar Blicke widmen. 

Die innere Schale ist, wie wir schon sagten, 
aus Theokrits erstem Idyll entlehnt, und wenn das 
auch nicht ganz glücklich abgelaufen ist, so war es 
.doch immerhin ein geistreicher Gedanke. Man wird 
nur jetzt zweifehi dürfen, ob die Verwandlung des 



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— 26 — 



Daphnis in Gallus ganz Vergils geistiges Eigentum 
ist Denn dafs die Theokritreminiscenzen in V. 38 f., 
in V. 42 und in V. 65fF. ihm nur durch Gallus ver- 
mittelt sind, kann bei der Art der zehnten Ekloge, 
wie wir sie erkannt zu haben meinen, nicht zweifel- 
haft sein. Vielleicht also hatte sich auch Gallus 
selbst schon als liebeskranken Daphnis dargestellt, 
und nur der Gedanke, diesen Daphnis-Gallus den 
Katalog seiner elegisch-bukolischen amores selbst 
recitieren zu lassen, gehört Vergil an. Ist das so (es 
bleibt natürlich eine reine Vermutung, die man leider 
nie definitiv bestätigt oder widerlegt zu sehen hoffen 
kann), dann haben wir hier abermals eine Spur von 
des Gallus bukolischen Dichtungen und zugleich 
einen Beleg dafür, dafs er sie ins Elegische zu wenden 
wufste ^). 

Um diese innere Schale aber schliefst sich noch 
eine äufsere. In V. i — 8 und 70 — 77 fuhrt Vergil sich 
selber als den Hirten ein, der jenes Lied von Daphnis- 
Gallus singt: 

2 pauca meo Gallo, sed quae legat ipsa Lycoris 

carmina sunt dicenda 

6 . . . soUicitos Galli dicamus amores. 

Mufs ich erst noch sagen, was für einen be- 
sonders pointierten Sinn diese Zeilen gewinnen, wenn 
sie wirklich, wie wir erwiesen zu haben meinen, 
etwas wie einen Katalog der Lycoris-Lieder ein- 



I) Um alle Möglichkeiten zu erschöpfen, mufs freilich auch zu- 
gegeben werden, dafs sich Gallus' Thätigkeit darauf beschränkt haben 
kann, einfach Theokrit I lateinisch wiederzugeben, und dafs dies Vergil 
den Gedanken eingegeben haben mag, für sein Gedicht diesen Rahmen 
unter Ersetzung des Daphnis durch Gallus zu wählen. 



— 27 — 



leiten? der lieder, die vielleicht den Xitel axnores 
trugen? Auch der Plural carmina konnte jetzt zu 
seinem vollen Rechte kommen; denn dals carmm 
schon in der Zeit Vergils so viel wie *Vers* sein konnte, 
glaube ich nicht'). 

Und nun der Abschluß: 

70 Haec sat erit, divae, vestrum cecinisse poetam, 
dam sedet et gracili fiscellam texit iUioo, 
Pierides: vos haec fiMietis nundma Gallo. 

Auch darin mag- ein besonderer Bezug liegen: 
ich habe nur excerpiert, bei Gallus steht das alles 
ausführlicher. Und damit wäre wenigstens ein Sinn 
für das maxima gefunden, das bis heute unerklärt 
ist. Aber genug der Vermutungen! Wir wollen uns 
wieder auf sichereren Boden begeben und wenden uns 
darum der sechsten Ekloge zu. Das was wir für die 
zehnte sicher gestellt zu haben meinen, dafs sie ein 
Kataloggedicht ist, hoffen wir in ganz ähnlicher Art 
auch für die sechste erwdsen zu können. 

I) Durch Aen. m 2B8 wird es natürlich nicht bewiesen; die 
Weihung heifst dort Carmen aidit weil» sondern ofagleiGk sie ans 
einem Verse besteht. 



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ZWEITES KAPITEL. 



DIE SECHSTE EKLOGE. 

TÖv CciXtfrAv t6 |yiiv irpArov oöMv 

iO^Xciv eitrciv dXXÄ ciunräv dppriKTUuc ' 
iirei&i^ bt TToxe ^löfic näcav nrj- 
XaviP|v ^r]xavdi)i€voc irpoaiT<iTCTO, 
«(MrEoceoC Ti irpöc aOrAv oOtwc 

PluUrcb. 

I. 

Die 86 Verse, die in unserer Überlieferung" die 
sechste Ekloge ^bilden, zerfallen in zwei an Um- 
fang sehr ungleiche und inhaltlich völlig unzusammen- 
hängende Teile. Die ersten zwölf Verse sind eine 
Widmung anVarus, dann hebt der Dichter mit den 
Worten Pergüe, Pierides völlig neu an^), und in der 
Geschichte vom gefesselten Silen und seinen Liedern, 
die nun folgt, ist von Varus weder die Rede noch 
irgend eine Beziehung auf ihn zu entdecken. Denn 
dais unter dem Chromis und MnasyUos des zweiten 
Teils der Dichter sich selbst und Vanis verstanden 
bat, ist eine Interpretenweisheit, die wenige dem 
Servius zu glauben bereit sein dürften; der damit in 
Zusammenhang stehende Gedanke, dals unter dem 
Silen selber Siron gemeint sei, beweist, wie wir nach- 
her sehen werden, dals dem Servius und seiner Quelle 

l) Pergite agüe, Vtrgüius: PtrgU* Pitrües Fftvl. F. 215. 



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— 29 — 

der Sinn unseres Gedichtes völlig verschlossen ge» 
blieben ist Wir sind sonach berechtigt, nnsm Er- 
klärung auf die Verse 13 — 86 zu beschränken. 

Bekannt genug ist die l^nkleidung, die Vergil 
hier wählt Die Geschichte vom Silen, der im Schlaf 
gefesselt wird und durch das Aussprechen seiner 
tiefsten Weisheit sich lösen mufs, haben Theopomp 
und Aristoteles ausführlich erzählt, aus letzterem ist 
sie durch Krantors Vermittelung zu Cicero und Plu- 
tarch gedrungen^). In diese Filiation reiht der er- 
weiterte Servius zu ecL VI 13 die Vergilische Er- 
zählung mit den Worten ein: sane hoc de Süeno wm 
dicitur fictum a Vergüio^ sed a Theopompo trans' 
lahm. Das hat wohl mir den Wert einer schnell- 
fertigen Kombination. Der Gewahrsmann des Servius 
wuiste, dais die Geschichte hei Theopomp erzählt 
war, und einfach darum liels er Veigil aus Theopomp 
schöpfen. Eine innere Berechtigung dazu existiert 
nicht Die Züge, die bei Vergil allein auf eine jener 
älteren Quellen zurückgehen können, die Fesselung 
im trunkenen Schlafe, die Lösung durch Rede (oder 
Gesang), gehören zum Fundament des ganzen Mythos 
vom Silen und waren bei Aristoteles, Krantor u. s. w. 
genau so g^t erzählt wie bei Theopomp; was aber 
bei Vergil das Individuelle der Erzählung ausmacht, 
das war bei Theopomp so wenig zu finden wie bei 
Aristoteles und den andern. 

Diese Eigenartigkeit der Vergilischen Fassung 



i) Die Naehwebe namentlich bei Rohde, Roman S. 204 da& 
Bacchylides fragm. 2 Bgk. nicht hierher gehört, zeigt uns jetzt der 
Zusamroeohang: Bacchyl. V 160. Häufig auch bildliche Darstellungen 
der Sage; darüber zuletzt Lucas Mitteilgn. d. Körn. Instituts XV 229, 
wo weitere Angaben. 



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— Jo- 



des Silenmythos besteht darin, dafs er einen durch- 
aus heitern Zug bekommen hat. Wie die Fesselung 
hier nur im Scherz geschieht, so singt Silen nicht, 
um sich von den Blumenketten zu befreien, sondern 
freiwillig, bis der Abend her einsinkt Und was er 
singt, das geht auch nicht auf die letzten Fragen des 
Menschenlebens. Wohl hebt er in hohem Ton an 
nnd singt von der-Weltschopfnng und des Menschen- 
geschlechtes Entstehung und Urzeiten (V. 31 — 42). 
Aber es folgt sodann eine bunte Fülle mythischer 
Histörchen, von Hylas (V. 43 f.) imd von Pasiphae 
mit einer Einschaltung über das einigermafsen ähn- 
liche Geschick der Proitostöchter (V. 45 — 60), von 
Atalante und von den Phaethonschwestem (V. 61 — 63), 
dann nach einem Zwischenspiel, über das weiterhin 
zu reden sein wird, von Scylla und von Philomele 
(V. 74 — 81). Den Beschlufs machen alle die Lieder, 
die einst der Eurotas von Phoebus hörte. Denn so 
hat man offenbar die Schlulsverse aufzufassen: 

omnia qnae Phoebo qvondam meditante beatns 
mndiit Enratu iosntqiie ediacere laurot 

üle cuat , 

'cogere donec oves stabolis 

tusit et invito processit Vesper Olyinpo.' 

Wer mit Ribbeck ^) hierin eine Zusammenfassung aller 
bisherigen Themen sieht, so dafe die Lieder Apollos 
eben auch die Mythen von Hylas, Pasiphae, Ata- 
lante u. s. w. behandelt hätten, verschliefst sich in 
ganz unnötiger Weise das Verständnis der Stelle und 
des ganzen Gedichtes. Wie sollten sich die zwei 
verschiedenen Rahmen für diese Mythen (der singende 

I) RSm. THxSbtmg U* aS. 




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— 3^ ~ 



Silen und der singende Apollo) miteinander vertragen? 
Vielmehr wird Ider ein letzter Stoff bezeichnet, den 
Silen den übrigen am Schlusse anhangt: tUe canü 
fugt ein neues Thema des singenden Silen an, wie in 
V. 6t ■ und 64 das tum eanit; dieser letzte Gesang des 
Silenus aber schildert Apollo am Eiuiotas und giebt 
die sämmtlichen Lieder wieder, die Apollo dort ge- 
sungen hat. Es mag wohl sein, dafs damit das Liebes- 
werben des Gottes um Hyakinth gemeint ist^). 

2. 

Eine bunte Fülle mytliischer Histörchen habe 
ich genannt, was Silen sangt Und veigebens sucht 
der Leser zunächst nach ihrer inneren Verknüpfung, 
durch die doch erst die äufsere gerechtfertigt werden 

könnte. Man hat wohl an die ähnliche Abfolge in 
Ovids Metamorphosen erinnert, wo ja auch mit der 
Weltschöpfung, mit Deukalion und Pyrrha begonnen 
und danach ebenfalls, nur in anderer Anordnung, 
von Atalante, den Phaethonschwestem, Scylla, Philo- 
mele und, wenn wir uns das denn nach dem eben 

I) Auch MaaTs, Hermes XXXI 421 denkt an Hyakinth. Nur 
kann ich nicht zugeben, dafs „die Gelegenheit, bei welcher Phoibos 
mit diesen Liedern am Eurotas hervortrat, eine tnudige mr . . . 
Seinen Kummer so Undem, hatte der Gott das ähnlich traujge Ende 
verwandter Gestatten sidi und dem Eorotas im liede passend vor- 
fetng«n". Aber den Eurotas, der TkanerUednr hört, w9tde man dock 
WoU nicht beatus nennen. Anderseits ist natürlich nicht aus- 
geschlossen, dafs der Stoff, den Vergil hier für Silen andeutet, aulser 
den Werbeliedem Apollos auch den Tod des Hyakinth einschlofs. — 
Apollo, dem eine Reihe von erotischen Sagen in Form von Weis- 
sagungen in den Mund gelegt ist, war vermutlich der Inhalt von des- 
Alexandros Aitolos Apollon (siehe unten Kap. in 2). Daran wird 
man bei Veigil sdiweriidi denken woUen {meddatiU 82I). 



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— 32 — 



Gesagten anzufügen getrauen, von Hyakinth erzälilt 
wird^). Und es liefse sich wohl noch manches von 
dem, was Silea mehr singt als Ovid, in die Kategorie 
der Metamorphosen einbegreifen. Aber doch eben 
nicht alles, und wenn es selbst anginge, so wäre 
damit der innere Zusammenhang, der Sinn des Ganzen 
auch noch nicht au%edeckt Denn warum smgt Silen 
gerade Metamorphosen? warum nur diese Meta- 
morphosen? warum nur so skizzenhaft, dafs, wer die 
Mythen nicht schon kennt, sie aus den Andeutungen 
des Dichters vielfach kaum herauslesen kann? Die 
ganze Geschichte der Atalante wird mit dem einen 
Hexameter 6i 

tum canit Hesperidum miratam mala puellam 

nur höchst flüchtig bezeichnet, V. 82 £ konnten wir 
nberhaupt nur vermutungsweise deuten. Da(s Ovid 
an der ausführlichen Erzählung von Verwandlungs- 
aagen (wie vor ihm Parthenios und Andere) künstle- 
rische Befrtedigimg findet, begreift man; was die blolse 
Angabe des Themas solcher Erzählungen, was ihre 
gedrängte Epitomierung in einem Gedichte soll, wo 
sogar der Dichter noch selbst mit Wendungen 
wie quid loquar ttt , , . auf ui . . . (V. 74 und 78) 
sein flüchtiges Drüberweghuschen eingesteht, das 
begreift man zunächst gar nicht. 

An einigen dieser „Excerpte" — so werden wir 
aie ja jetzt vielleicht schon nennen dürfen — muis 
noch ein Doppeltes auffallen. £s befremdet erstens, 
dafs bisw^en ein nach unserer Meinung, wenigstens 
bei einer dichterischen Gestaltung der Sage, sehr 
gleichgültiger Zug mit Nachdruck in den Vordergrund 

I) X 560. 1 747 540). vm I. VI 412. X i6a. 



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— 33 — 



geschoben wird. Silen erzählt nicht, dals die Aigo- 
xiauten den Hylas an einer Quelle verloren und nach 
ihm gerufen, sondern an welcher Quelle sie ihn ver- 
loren haben^), nicht da(s Philomele als Nachtigall um 
ihr Haus geflattert und dann in die Einsamkeit ge- 
flogen ist, sondern mit was {Qr Flügeln sie geflattert, 
mit welchem Fluge sie enteilt Ist*). 

Häufiger tritt die zweite auffallende Eigentüm- 
lichkeit ein, aber nicht blofs darum befremdet sie 
noch stärker als die erste. Die einzelnen Mythen 
werden in einer ganz trockenen, schablonenhaften 
Weise eingeleitet; Abwechslung in ihrer Einführung 
scheint der Dichter nicht nur nicht gesucht, er scheint 
sie manchmal geradezu vermieden zu haben. Zum Be- 
weise schreibe ich die Wendungen hier aus: 31 namque 
canebat — 41 hinc refßrt — 43 hisadiungit — 61 tum 
canit — 62 him . • • drcumdat — 64 tum canit — 
74 ptid hquar uf narraverit — 82 omnia . • . ille 
Canitz Namentlich das nach drei Versen sich wieder- 
holende tum canit wirkt unangenehm aufdringlich. 

3. 

Von Vers 64 an schiebt sich unter die Stoffe 
Süens ein ganz fremdartiger. Er singt, wie eine 

1) y. 43! his «diin^, Hylan nautae quo fimte rdiotam 

clamassenft, «t litu 'Hyla Hyla* onme sonaret 
Dasu machen Comngtcm>Netilledup die Bemerkung: ^^guo &a 
gttomodo', the idcntiiication of the actual foimtain would not enter 
into the sonp." Das mag hier stehen als Beweis, dafs ich Vergils 
Ausdruck mit }<.ccht auffallend linde; im übrigen brauchen wir aber 
nicht eine sprachliche, sondern eine sachliche Erklärung. 

2) V. 80: quo cursu deserta petiverit et quibus ante 

isfeUx soft tecta super voUtaverit alis. 
^ttrsus 'Fing' x. B. andi Aen. VI 194. 

Skttta«h, Ant Ytt^ Mlhidt 3 



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— 34 — 

Muse den am Permessus umherirrenden Gallus auf 
die Höhe des Helikon führt, wo des Phoebus ganzer 
Chor sich vor ihm erhebt und Linus ihm die Hirten- 
flöte Hesiods überreicht, damit er, wie einst auch 
der Ascräer gethan hatte den Seherwettkampf des 
Kalchas und Mopsos im gryneischen Hain besinge. 

Über den Sinn dieser Verse ist man heute ziem» 
lieh einig. Nicht eigene Erfindung ist es, was Vergil 
hier giebt; vielmehr wiederholt er mir, was Gallus 
selbst in einem eigenen Gedicht voa sich erzahlt 
hatte, einem Gedicht, das eben die Schildenmg seiner 
Dichterweihe als Prooemium mid danach die Ge> 
schichte vom gryndschen Hain enthielt^ Die Haupt- 
stütze für diese Aufibssung ist die Bemerkung des 
Servius zu V. 72: koc (nämlich den Mythos vom gry- 
neischen Hain) Euphorwnis coiitincnt carmina, quae 
Gallus tra?istulü m sermonem latinu7n. Dafs der Eupho- 
rionjünger diesem Gedicht eine phantastische Dichter- 
weihe vorausgeschickt hat, wie ganz ist das in ale- 
xandrinischer ArtI Wie nahe steht der Traum des 
Kallimachos, 

€Öt4 mv iK Aißünc dvacipac €{c 'EXiKÜüva 
lifa-fec ^^ccatc TTi€pibecci qp^puüv 

al hi ol €(po^^vip d^(p* tbfUTitA'v fipuüujv 
Atxia Kai iLioKdpuJv ei-rrov d|ieißö|aevai'). 

Da haben wir die Entrückung aus den Gefilden 
der Menschen auf die Höhen des Helikons unter den 
Musenchor, da haben wir den Dichter als den tunco- 
q>i^Ti)c der Musen, der nur singt, was sie ihm angeben^ 
seien es mm Aitien, sei es die Greschichte vom gry- 
neischen Hain. Etwas femer liegt die jedenfalls dem 

l) Frgm. 188 R2. 2) Siehe namentlich Reitxenstem, Heimes 
31, I94f.; Muls ebeada 3) Aath. PaL VII 42. 



• 

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— 35 — 



Kallimachos nachempfundene Dichterweihe des En- 
nius im Anfang der Annalen: auch hier der Travin, 
der den Dichter auf den Helikon versetzt, nur dals 
ihm dann nicht die Musen erscheinen, sondern Ho- 
mer^ Wie aber all diese Dichterweihen gewiß im 
letzten Grunde der des Hesiod (Xheog. 22 iF.) nach- 
gebildet sind, so am deutlichsten die des Gallus: die 
Überreichung der Hirtenflöte durch Linus ist offen- 
bar ein Spiegelbild der Überreichung des Stabes 
durch die Musen bei Hesiod V. 30, und die Nach- 
bildung des Hesiod ist gerade da besonders begreif- 
lich, wo der Dichter den Geist und den Stoff des 
Ascräers durch die Muse auf sich übertragen lälst 

Hiemach kann es wohl keinem Zweifel unter- 
liegen: wir haben es hier mit einem eigenen Pro- 
oemium des Gallus zu thun und zwar dem, das er 
dem Gedicht über den gryneischen Hain mit seinen 
Hesiodreminiscenzen^ vorausgeschickt hatte. 

4- 

Aber auch die Interpretation des Einzelnen in 
den Versen ecl. VI 64 — 73 fuhrt zu diesem Ergebnis. 
Es handelt sich um zwei Punkte, in deren einem 
Maafs a, a, O. das Richtige ebenso gewifs gefunden, 
wie er es in dem anderen verfehlt hat. 

Der erste betrifft die Worte: 

tat Linus haee tili (Gallo) dhino cuniiie pastor 

dixerit. 



1) Vahlen, Ennianae poesis reliq. S. XX. Nachlässig, vielleicht 
dem Vers zu Liebe, nennt Persios prolog. 2 den Paraals statt des 
HeUkon, der durch die ^TierrimtfHUHiiiig tob Pkopen iil s* i md 
LnoMB 1 1x6 fir Emdiis feiklieit kt 

2) Vei|^ S. 34 Aam. i. 



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- 36 - 

Hier verbindet noch Reitzenstein S. 195 wie viele 
andere vor ihm pastoT divtno coTtntne : ich bezweifle 
die Möglichkeit, für solche Konstruktion genügende 
Entsprechungen beizubringen, und sehe jedenfalls mit 
' Heyne, Maals u. a. es als das Naturliche an, divino 
carmtne zu äüeerü zu ziehen. Man sieht, was dtvmo 
carmine dann für Bedeutui^ gewinnt: wenn die ganze 
Erzählung von Grallus stammt, dann naturlich auch 
das Lied des Linus, und Vergil macht also dem 
Gallus hier genau dasselbe Kompliment wie X 17 
mit divine poeta 

Dageg^en scheint mir Maafs von der natürlich 
einfachen Interpretation abgeirrt zu sein bei den 
Versen 64 f.: 

tum canit errantem Permessi ad littora Gallum 
Aonas in montis at duzeht ana sororum. 

Maais sucht mit einem grolsen Angebot von 
Gelehrsamkeit zu erweisen, da(s Permessi ad liitora 
ebenso wie Aonas in monfis das Ziel der Führung 
angiebt; wer die Stelle unbefangen liest, wird viel- 
mehr wie alle anderen Interpreten in den Permessi 
littora den Ort sehen, wo Gallus umherirrte, bis ihn 
eine der Musen aus dem niederen Bereich auf die 
Höhen des Helikon leitete. Wenn man darin längst 
eine verschiedene Schätzung zweier dichterischer 
Entwicklungsstufen des Gallus gefunden hat, so hatte 
man dafür die sicherste Stütze aa Properz II 10. 25: 

nondum etenim Ascraeos norunt mea aumuna Amtes, 
sed modo Permesai flmiuiie lavit Amor; 

an dem ganzen Zusammenhang des Gedichtes, an 



I) über die Atiietienuis dieses Venes dnrdi Ribbeck verde ich 
kein Wort ra Teiüereii bnmclieiu VeigL sodem Tibvll 1 1. 29— 32* 



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— 37 — 



den Zei^>artikeln nondum . . . modo . . . wird es klar: 
der Strom des Pennessus bedeutet für Properz die 
niedere, die erotische Poesie, die MnsenqueUen aber 
die höhere, die heroische. Die VeigilsteUe aber nach 
Ma&gabe der Properzischen zu interpretieren, dazu 
ist man um so mehr berechtigt, als die auiserordent- 
liche Ähnlichkeit der beiden einen engem Zusammen- 
hang anzunehmen zwingt. Nur wird man sich diesen 
nicht mit Rothstein ^) so vorstellen, dafs Properz den 
Vergil ausschreibt, wogegen doch Rothstein selbst 
geltend macht, dafs „im einzelnen die Bilder der 
VeigilsteUe nicht genau festgehalten sind"^. Viel- 
mehr geht Properz zweifellos entweder wie Vergil 
auf Gallus selbst zurück oder auf Gallus' Vorbild 
Euphorien ^ 

Dais nun Gallus thatsachüchsich erotischer Poesie 
beflissen hat, darüber haben wir ja im ersten Kapitel 
ausführlich gesprochen. Aber Vergil, der sonst für 
die Erzeugnisse des Gallus nur die respektvollsten 
Wendungen, nur die übertriebensten Lobsprüche 
hat, würde schwerlich für eine Periode in des 
PVeimdes Dichtung den Ausdruck errare gebraucht 
haben, der, mochte er noch so harmlos gemeint 
sein — und diese Möglichkeit wiU ich an sich Maafs 
S. 409 nicht abstreiten — , doch gar zu leicht mifs- 
verstanden werden konnte. Offenbar hat vielmehr 
so Gallus von sich selbst gesprochen, und die 
Art, wie er sein Aufsteigen zu höheren Zielen im 
Prooemium semes Werkes über den gryneischen 
Hain schilderte, war das genaue Widerspiel der 



I) Hermes XXIV 22; Properz II S. 341. 

3) Propen I S. 213. 3) Retticiiiteiii «. «. O. S. 195. 



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- 38 - 



Gründe, die Properz nicht nur an der angeführten 
Stelle, sondern auch sonst oft genug, mit ihm aber 
auch andere Dichter vorbringen, um ihr Veriileiben 
auf der niederen Stufe der Poesie zu erklären^); als 
Gallus selbst sich auf der Hohe des Helikon föhlte, 
mu&te ihm seine frühere Laufbahn freilich als ein 
errare am Permessvis erscheinen. 

5. 

Silen singt an einer Stelle das, was Cornelius 
(jallus gesungen hatte; er giebt in Kürze das Prooe- 
mium wieder, das dessen Lied vom gryneischen 
Hain einleitete. Vorher und nachher aber singt er 
Dinge, die inhaltlich damit in keinem Zusammen- 
hang stehen und doch damit einen Zusammenhang 
haben müssen. Er singt all diese Dinge nicht aus- 
führlich, sondern in mehr oder weniger, zum Teil 
sehr stark epitomierter Form. Also wird das all 
diesen Skizzen Gemeinsame doch wohl sein, dafs sie 
Inhaltsangaben sind, natürlich Inhaltsangaben von 
Werken ein und desselben Verfassers, also des 
Cornelius Gallus. Der Schluß wird manchen viel- 
leicht überraschen und darum zunächst nicht über- 
zeugen. Aber man versuche nur ernstlich sich mit 
ihm anzufreunden; er löst zweifellos das grolse Rätsel^ 
das uns eben entgegentrat, in ebenso leichter wie 
befriedigender Weise. Zudem findet er nicht nur im 
Ergebnis unseres ersten Kapitels, das freilich auch 
er seinerseits wieder zu stützen berufen ist, eine be- 
weiskräfrigfe Parallele, sondern hat sich auch so vielen 
in letzter Zeit aufgedrängt, dafs man in diesem 

I) Fn>pen s. B. noch m 3. 13 ff. 




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— 39 — 



Konsense gtolstenteils voneinander unabhängiger 
Forscher eine Grewähr seiner Richtigkeit sehen 
darf^). 

Aber welcher Art waren denn nun die dichte- 
rischen Erzeugnisse des Gallus, die Veigü durch 
Silen epitomieren lafet? Waren sie zu einem groiseren 
Werke zusammenge&ist nach Art der Ovidischen 
Metamorphosen, die wir oben schon zum Veiigleich 
heranzogen? Oder handelt es sich um einzehie Ar- 
beiten geringeren Umfanges? Die erstere Alternative 
ist auszuschliefsen. Denn sie würde uns wieder 
vor die Frage stellen, in welchen Zusammenhang 
wohl so verschiedene Mythen gebracht werden 
konnten. Und wenn wir demgegenüber schliefslich 
annehmen könnten, dafs Vergil einige Mittelglieder 
gestrichen und damit des Gallus eigenen Vorstellungs- 
ablauf unkenntlich gemacht habe, so entscheidet doch 
eins schlagend zu Gimsten der zweiten Alternative. 
Das Gredicht vom grynelschen Hain hatte sein eigenes 
Prooemium, ein Prooemium, das auch nicht etwa blois 
ein neues Buch eines groiseren Werkes eroffiiet haben 
kann; eine Dichterweihe kann nur ganz im Anfang 
stehen. Folglich stand das Gedicht vom gryneischen 
Hain allein, und also waren auch alle die anderen 
Stoffe, die Silen aufzählt, in einzelnen Epyllien und. 



I) Ribbeck Rom. Dichtung II' 28, MaaTs a. a. O. S. 421 £, 
Wendel a. a. O. S. 48 f. konnte ich in der Realencyklop. IV 1347 
nennen. Dazu ist jetzt noch Kroll getreten (Analecta Graeca, wissen- 
schaftliche Beilage zum Vorlesungsverzeichn. der Univers. Greifswald, 
Ostern 1901, S. 5). Bereits eine Reihe älterer Gelehrter, von denen 
ich im vierten Kapitel sprechen werde, darunter J. H. Vols, hegten 
denidbeii Gcdukeit, iduiiiktai flui aber sonderlMrarwieite «nf die 
der Dichtenreihe folgenden Teile der Ekloge ein. 



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— 40 — 

wie man mit Rücksicht auf V. 31 — 40 hinzufugfen 
mab, Lehrgedichten behandelt 

Dals .wir Gallus als Dichter von Epyllien kennen 
lernen» kann nicht überraschen. Das über den 
gryndschen Hain war Ihm ja schon immer durch das 
Zeugnis des Servius 2U V. 72 gesichert, den nur hier 
wieder wie bei der zehnten Kkloge der Vorwurf 
trifft, seine guten alten Quellen, in denen Gallus 
auch als Dichter aller der übrigen Mythen genannt 
gewesen sein wird, nur zu dieser einen Stelle ausge- 
schrieben zu haben. Aber auch ohne das würde es 
an emem Zeugnis über Gallus' epische Dichtungen 
oder wenigstens seine Pläne zu solchen nicht fehlen; 
Parthenios widmet ihm sein uns erhaltenes Büchlein 
ja zu dem Zwecke, es als Stofisammlung für Elegieen 
und Epen zu benützen Und auch hier ist es wie 
bei den bukolischen Dichtungen wieder nur der Zug 
der Zeit, dem Grallus folgt: man braucht nur die 
Namen Catull Cinna Calvus zu nennen, deren 
Epyllien zum Teil denen des Gallus um nicht viel 
mehr als ein Jahrzehnt xordusliegen mögen und 
deren zum Teil sehr tiefgehender Einiiufs auf Gallus 
uns später noch klar werden wird. 

6. 

Im wesentlichen bl^bt es unserem vierten Kapitel 
vorbehalten, für die Dichtung des Grallus aus unserer 
Deutung der sechsten Ekloge Folgerungen zu ziehen. 
Nur ein paar näher liegende Bemerkungen söllen 
gleich hier angeknüpft werden. 



I) '€piüT. naOfiM. Vorwort: eic ^nrj Kai ^Acytiac dvdY€iv Td 
fidXicra il oOrudv dpfiöbta. 



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_ 41 — 

Die Themen, wie sie die sechste Ekloge 'auf» 
zahlt, darunter mancher nicht eben häufig behandelte, 
mancher absonderliche ^lythos, passen vortrefflich 
für den Schüler des Enphorion, den Freund des 

Parthenios. In einem Fall ist ersterer als Quelle 
gesichert: die Sage vom gryneischen Hain hatte 
Gallus, wie Servius zu V. 72 bezeugt, nach Euphorions 
Muster behandelt^). Haben wir aber vorhin V. 82fF. 
mit Recht auf die Sage von Hyakinth gedeutet, sq 
werden wir auch dies Epyllion als eine Nachbildung 
Euphorions ansehen dürfen. Eines der wenigen Frag- 
mente, die uns aus Euphorions 'YifaavOoc geblieben 
sind (xxxvn M.): 

KidKUToc — jioOvoc dq»* Mhoea vbiiev "Mumv, 
hat man längst mit des Properz Versen auf den toten 
Gallus in Beziehung gesetzt (II ^^sf^i): j 

et modo fbnnoM quam multa Lycoxide GsUvs 
moitans inleinft Tidiieia Unit aqua*). 

Aber so passend die Übertragung des Verses von 
Adonis auf Gallus ist, der wie jener mit der Liebes- und 

der Todeswunde zum Hades hinabstieg, schwerlich 

wäre Properz darauf gekommen, in diesem Zusammen- 
hange einen Euphorionvers zu verwenden, wenn er ihn 
nicht bei Gallus selbst gefunden hätte so hat er ja • 
auch unmittelbar zuvor, wo er von Vergil spricht, es 
möglichst mit dessen eigenen Wendungen gethan^). 

1) Ictig iit der Widenfuradi von Immisdi, JalurbQdiar C FhfloL 
SappL XVn (1890) S. 148 ff. Ober Spnien des Enphorionisclicik 
GedichtB bei Lykopbroa Knaaek Jahrb. £ Bold. 137, 150. 

2) Gegen Meinek^ A]iaLAlex.S. 73 sidie G.Sdiiiltce Eophorionea» 

Strafsburg 1888, S. 54. 

3) Rothstein zur Stelle urteilt ganz ähnlich. 

4) V. 63 f. ~ Aen. I 1 f. ; V. 69 ecl, III 70 ; V. 73 f. r>j ecL 
II I f.; V. 77 G. I I. So mögen übrigens vielleicht auch in 



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— 42 — 

Auch Parthenios und zwar seine Metamorphosen 
lassen sich in einem Falle, dem der Scylla Nisi, wie 
tmser viertes Kapitel zeigen wird, mit grolser Wahr- 
scheinlichkeit als Quelle erweisen« Doch dürfte 
Gallus die Arb^ten des Freundes, der sich im Vor- 
wort der IpumicA 1ra^lfi^aTa mit solcher Bereitwillig- 
keit dazu erbot, auch sonst als Vorlagfe benutzt 
haben; hat er vorzugsweise seine Metamorphosen zu 
solchem Zwecke gebraucht, so wäre die Thatsache 
erklärt, dafs Gallus' Epyllien meist Stoffe dieser Art 
behandelten. 

Wir glauben, auch selbst in Vergils Excerpten 
noch die eigentümlich alexandrinische Art dieser 
Dichtungen zu erkennen. Zwar die uns vorhin schon 
bedeutungsvoll erschienenen indirekten Fragesätze 
^uo /ante clamassentV, 43 und quo cursu deserta feÜ' 
' verit V. 80 kann ich erst weiterhin als Charakteristika 
würdigen. Aber eins ist ohne weitere Voraus- 
setzimgen erkennbar: wenn Vergils Wiedergabe des 
Epyllions von Pasiphae (V. 45 — 60) genau ist, dami 
hat dies Gedicht eine ausführliche Einlage über die 
Proitiden, ein Epos im Epos enthalten, etu^a wie 
Catulls 64. Gedicht in die Hochzeit des Peleus die 
Ariadnesage einfiicht. 

Nach all dem kann ich unmöglich Ribbeck ^) 
beipflichten, der durch den Hinweis, dafs sich eine 
Anzahl der Mythen aus der sechsten Ekloge bei 

Properz' ÄufseniQgen über Varro von Atax und über Calvus (V. 85 f. 
39 f.) Anspielungen auf deren Worte liegen. Für ('atull (V. 87 f.) 
trifft das freilich nicht zu. — Übrigens kamen auch Hylas und die 
Hesperidenäp&l bd Evpliorioii vor (frg. CXI md CXLIX). 
I) Röm. Dichtung n* 36ff. 



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— 43 — 



Hesiod nachweisen lalst, anscheinend die Erklärung' 
unseres Gredichtes zu fördern meint Die Sache 
selbst läist freilich keinen Zweifel zu^). Aber schon 
der Mythos vom gryn^schen Hain, für den ja am 

gewissesten bezeugt ist, dafs er zwar bei Hesiod zu 
finden Avar, von Gallus aber nur dem Euphorion ent- 
lehnt ist, zeigt, dafs es sich hier kaum um viel mehr 
als ein zufälliges Zusammentreffen handeln kann. 
Katalog und was sonst unter Hesiods Namen ging, 
mufste eine solche Fülle von Sagen berühren, 
dafs die Zahl derer, die darin nicht irgendwie zu 
Worte kamen, verhaltnismaisig nicht gar zu grols 
sein konnte*). Aber ganz zufallig wird jenes Zu- 
sammentreffen vielleicht doch nicht sein. Die Ge- 
schichte vom gryneischen Haan kann auch hier den 
Weg weisen. Euphorion seinerseits hat sie ja zweifel- 
los aus Hesiod übernommen, so dals denn auch die 
Überreichung der hesiodischen Hirtenflöte durch die 
Musen im Prooemium bereits seine, nicht erst des 
Gallus Erfindung gewesen sein dürfte. Es ist das 
nur ein Zeichen des starken Einflusses, den gerade 
die Hesiodische Dichtung auf die Alexandriner ge- 
habt hat; andere zusammenzustellen, was leichte Mühe 

1) V. 41 Deukalion und Pyrrha Hesiod frgm. 2i — 24 Kz,; 
Saturnia regna ~ 'Eki^. i09fF.; V. 42 Prometheus und der Adler 
OcoT. 510 ff., frgm. 23; V. 43 Hylas und die Aigonauten frg. 77 ff. 
178; V. 48 ProitideB frgm. 52 ff.; V. 61 Atalaate itnd Hesperiden- 
Spfel fvi frgm. 41 — 43; V. 63 L ^uefhontiaden f>^ icgau 220; V. 74 
Scylla »v> frgm. 172; V. 76 Odyssens' Irrfahrt »x* frgm. 89 f.; V. 78 fc 
-Tereus und Philomele *^ frgm. 125. Die Fragmente gehören übrigens 
fast sämtlich ia den KaUlogos; auch frgm. 220 könnte da gestanden 
haben. 

2) Vergl. die Bemerkungen von Couat, La po6sie Alexandrine 
S. 92. 



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— 44 — 

wäre, miüs ich mir hier versagen^). Für das Veiv 
hältnis des Euphorion zu He^od insbesondere zeugt 
sein 'Hdoboc*). 

Kdnerlei Vermutung über den Dichter der 

griechischen Vorlage des Gallus ist möglich bei dem 
Gedichte über die Schöpfung-, das Silen zu Anfang 
singt. Aber wie auch hier die Beliebtheit dieses 
Stoffes bei den Alexandrinern*) auf ein Vorbild 
jener Zeit führt, so kann man auch die Lehrmeinung 
des Originals noch deutlich erkennen: der Dichter 
war Epikureer. £s wird sich uns nachher belohnen, 
wenn wir darauf hier etwas näher eingehen. Die 
Verse 31 bis 40 der sechsten Ekloge schliefsen sich 
in der Ausdrucksweise eng an Lucrez an. Das kann 
nicht erst VergU liineingetragen haben, wenn anders 



1) Bekannt ist ja z. B. der EinSuüs auf Arat: Kallim. epigr. 27, 
Mnft Ante» S. 275 u. 5. hu allgemeinen CowA 1. a. O. 

2) Mbh liBt wohl Termiitet, dafs eben dieser das Epyllion vom 
giTneisdien Hain ndt der einleitenden Musoiweihe entibielt HStte 
aber nicht* weiter darin gestanden, go wire der Titd nicht pastender, 
als wenn etwa Ennins seine Annalen Homerus genannt hätte. Andere 
nehmen denn aacb an, dafs der Seberwettkampf zwischen Kalchas und 
Mopsos vielmehr in den Chiliaden behandelt war (so schon Fontanini, 
Hisloria litterar. Aquileiensis, Rom 1742, S. 30; Meineke, Anal. Alex. 
S. 79 spricht genauer vom fünften Bock der Chiliaden), und lassen 
etwa nur die SSngerweihe ans dem 'Hdoboc stammen. Ich wage 
nicht, irgend eine Vermntmg anssusprechen, und hüte jedenfrUs nicht 
in der Realencykl<^mdie IV 1348 die Fontaniniscbe andi nur ffir 
möglich erkliren sollen. Denn wenn die Dichterweilie auch auf 
Euphorion zurudcgeht» dann mi sie, in derHesiod eine solche RoUe 
spielte, gewifs schon von dem Chalcidier mit dem Gedicht vom gry- 
neischen Hain verknüpft. — Eine ganz unsichere Vermutung Uber den 
'Hdoöoc bei NieUsche Rhein. Mus. XXVIII 236. 

3) Vecgl. Kroll, Analecta graeca S. 5, wo auch ein neueü Bruch- 
st&dc solchen Inhaltes ediert ist 



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— 45 — 



er wünschte, da& diese Verse eine denüich kennt- 
liche Wiedeigabe eines Gedichtes des GaUns sein 
sollten, sondern es wird hier ähnliches wie nach 
dem Zeugnis des Servius bei X 46 gelten müssen: 

Vergil schliefst sich an Gallus an, und schon Gallus 
mufs die Lucrezische Phraseologie gehabt haben. Wir 
werden denn auch thatsächlich späterhin den Be- 
weis fuhren, dafs Gallus seinen Lucrez recht emsig 
studiert und recht gut im Kopfe hatte. Für jetzt 
stelle ich nur noch zusammen, was in jenen Versen 
an Lucrez anklingt, und zwar in der Weise, das ich 
zunächst die Verse abdrucke, sodann in einer Art von 
Apparat dazu die bezuglichen LucrezsteUen anmerke^). 

nainque canebat, vti magnnm per hume coocto 

semma terranunque animaeque marisque fiussent 
et liquidi simiü ignis, nt bis cxMdia primis 
omnia et ipse tener mundi concreverit orbis, 

35 tum durare solum et discludere Nerca poato 
coeperit et rerum paulatim sumere formas, 
iamque novoro terrae sti^peant lucescere solem, 
•Itiiis iilqne cadaat snimnotis nnUbiis imbres, 
indpiant sUrae com primnm Bürgere cnmqiie 

40 nn per ignotos errent animaHa montes. 

Dala inhaltlich das ganze Stack lebhaft an Lucrez V (spezieU 
V. 416 ff.) enniiert, sah schon das Altertum (Macrob. aat VI a. 33). 

Im einzelnen bemerke ich: 31 magnum per inang an derselben Vers- 
steile Lucr. I 1018 L., 1103, n 65, 105, 109; vieles ähnliche bei 
Cartault S. 269. || coacta an derselben Versstcllc mit vorangehendem 
semina L. II 1060 32 sfmtna (rerum) überaus oft bei I.. (I 59, 

176, 501 etc.) II anima vom i£,lement sehr häutig; Forbiger und die 

I) Von den Kommentatoren, die ich eingesehen habe, zeichnen 
sich Forbiger und Conington-Nettleship durch fleifsige Sammlung der 
Lucrezreminiscenzen aus. Viel auch bei A. Cartault, Etüde sur les 
bucoliques dt- Virgile, Paris 1897, S. 269 ff. Vergl. noch etwa R. Wöhler, 
Über den i:.mtiurs des Lucr. auf die august. Dichter, Progr. Greifs- 
wald 1876, S. 4 £ 



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- 46 ~ 



Andern venrdsen mit Redit betonden anf I715 •* igni, iura atfut 

anima frocrescere et imbri. 33 liquidi . . . igttis L. VI 205 |( 

prima 'Elemente' L. (I 61,) IV 186. Der Schlufs ist zweifelhaft: 
his ex omnia primis Pal.; //. exordia p. Rom., Serv., comm. Lucani 
I 642. An sich uürcir man, zumal nach den Darlegungen von Traube, 
Strena Helbigiana S. 307 IT., eine Lesart des Romanus geringer ein- 
•chStzen als dne des Palatinns; ei kirne hier aocii Uatn der gletche 
Vemchlvfs bei Lncr. I 6x ex iUis fttnt omma primis vnd die be- 
liebte Aaiqpher nach der bokoUschen Casnr und im Versanfimg. Aber 
die testimonia geben mit dem Romanns, und glaublicher ist, daTs 
ordia in omnia verschrieben ward, als dafs die umgekehrte Ver- 
schreibung einen Lucrcziscben Terminus technicus zufallig zu Wege 
brachte. exordia ist bei Lucrez als solcher bekannt; zu unserer 
Stelle vergleicht Cartault S. 27 1 mit Recht besonders V 471 hunc 
(actherem) exordia sunt solis lunaegue secuta. Jedoch hat Nettleship, 
Ardiiv £ Lezikogr, VI 433 nicht übel vermutet, dafs ex erdiM an 
trennen ist So luimmt cmtartKere an der fiMidien Präposition, die 
Fripoaitian an ihrer bei Lncres sehr hinfigen Stdlai^ (III xo tmü ex, 
ii$eüite, dütrüs etc.; Mvnro an I 841, Coraagton-Ibveifield 1898 an 
nnserer Stelle); und dafs Vergil oder vielmehr wohl Gallus auf Gnmd 
von Lucrez' gekünsteltem ordia prima (IV 28) sich noch weiter zu 
blofsem ordia verstieg, ist begreiflich. 34 mundi orbis, vgl. caeli 
Orbis L. V 510 (ähnlich 515, mundi 514) und im allgemeinen V 500f. 
Daher tener, daher auch ipse wohl im Nachklang von Lucr. V 498 
inde mare (nach dem terrae pondus), inde aer, inde aether signijer 
ipse I coHcreverü vergL L. V 495, 798 n. 5. 35 dischtdere Lucr. 
V 438 (aom ganaenV 447). 36 ptmloHm L. V 535, 627 nnd oft 
Von hier an werden die Anklänge an Lncres viel spärlicher nnd 
aweiftlhaiter. Am erheblichsten 39 f. terra . . . animal . . . fudit 
omne quod in magnis bacchatur montibus passim L. V 823. (Die 
Varianten der Überlieferung in V. 38 und 40 atgue P utgue R, 
ignotos P ignaros R sind für unsere Frage belanglos. Doch bemerke 
ich bei der Gelegenheit, dai& ich altius in V. 38 nicht mit lucescere 
solem verbinden kann; die Erde muTs sich doch nach Entstehung der 
Sonne nicht darüber wandern, dals sie hSher scheint, wShrend sie bisher 
überhaupt nicht geschienen hat, sondern dafs sie nbeihaiqit scheint, 
dab sie existiert. Und da nun Vergil nie aiftte^ wohl aber ofien aif 
an die aweite Stelle setzt, so wird auch hier der jüngere Zeuge vor- 
gezogen werden müssen; altius gehört au summoHs^ die Wolken er- 
heben sich über die Erde.) 



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— 47 — 



Zum drittenmal sehen wir, wie Gallus ein echtes 
Kind seiner Zeit ist Lucrez hat im Stil auf die älteren 
Augusteer deutlich eingewirkt (ich brauche nur an 
Horaz' Satiren zu erinnem), der Epikureismus ist 
die Modephilosophie in den letzten Jahrzehnten der 
Republik, um dann unter Augustus' Regiment vom 
Stoicismus abgelöst m werden: Veigil und Varus 
haben bei Siron gehört^), Varius huldigte der gleichen 
Richtung")» nicht blols Lucrez» sondern auch Egnatius 
hat den Epikureismus in dichterischer Form ge- 
predigt ^^). 

£me müisige Frage scheint es mir, ob es nicht 
einem Mann von 30 Jahren zu viel zutrauen heilst, 
wenn man ihm auiser vier Büchern Elegieen noch 
ein epikureisches Lehrgedicht und etwa dreiviertel 
Dutzend Epyllien zuschreibt, deren Umfang man ja 
nach Maafsgabe von CatuUs 64. Gedicht etwa auf 
je 400 Verse veranschlagen wird. Ob alle so lang 
gewesen sein müssen oder ob etwa der Ilylas in der 
Kürze des Theokriteischen sich gfehalten haben könnte, 
ob das didaktische Poem länger gewesen ist als die 
Epyllien — das sind Fragen, die sich nun einmal 
nicht beantworten lassen, an deren Beantwortung 
aber auch nur dem liegen kann, der da glaubt, dafs 
sich dichterische Begabung und Produktion nach der 
Elle messen lälst Nur zweierlei können wir hier 
zur Sadie vorbringen: erstens, dafe Gallus in manchen 
dieser Stücke wahrscheinlich nicht viel mehr als ein 
Übersetzer war — siehe den grynetschen Hain — , 
zweitens, dais seine Form offenbar nicht immer sehr 

I) Senius zu ed. VI I3. 2) Quintilian VI 3. 78. 
3} JSgnatms dt rerum natwa Macrob.VI 5. a. 



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- 48 - 



gefeilt war: für die Elegieen haben wir das Zeugtiis 
eines Kunstrichters wie Quintilian 

7- 

Wir werfen zum Schlufs auch hier noch einen 
Blick auf den Rahmen des Katalogs. Die Ähnlich- 
keit der zehnten und der sechsten Ekloge unter 
diesem Gesichtspunkt ist nicht zu verkennen. Der 
Dichter führt hier wie dort in dramatisch bewegter 
Scene eine Person ein, die nachher in Form eines 
Monologs den Überblick dort über die elegisch- 
bukolische, hier über die episch-didaktische Poesie 
des Gallus giebt, dort auf einen innem, hier auf 
einen äufsem Antrieb hin. Der Unterschied ist nur, 
dafs wir leichter begreifen, wie dort Daphnis-GaUus, 
als wie hier Silen zu dieser Rolle kommt Soviel 
ich auch vermutet und geprüft habe, nur eine Hypo- 
these scheint mir diese Benutzung der Fignr des 
Silens wirklich ausreichend zu erklären und zugleich 
die Wahrscheinlichkeit zu besitzen, die in diesen 
Dingen der beste mögliche Ersatz des Beweises ist: 
der Silen ist keine Erfindung Vergils, sondern auch 
er fand sich in einer Dichtung des Gallus; bereits 
Gallus hatte von seiner Fesselung erzählt, sei es 
gelegentlich, sei es in besonderem Gedicht^, und 

1) Inst. X 1. 93: durior. 

2) "Wer die Art der Fragen überlegt, die sonst dem gefesselten 
Silen vorgelegt werden {de rebus naturalibus et atUiquis Midae inter- 
roganti disputavisse Serv. zu ecl. VT 13 nach Theopomp), wird für 
-möglich halten, dafs ihm Gallus sein epikureisches Gedicht in den 
Mund gelegt hatte. Dann wäre also Vergils Wiedergabe auch in so 
fem genau, als dieser Stoff bei ihm der erste bleibt, den Silen singt. 
Die heitere Färbung der Silenscene wird man wohl in jedem Falle 
als eigene Neuerung Vergils ansehen. 



— 49 — 



Vergil benutzte das nun zu der heiteren Einkleidving 
der sechsten Ekloge, die man gewils ebenso wie die 
der zehnten als geistreich bezeichnen darf. Im Ein- 
klang hiermit haben wir ja auch bei der zehnten Ekloge 
die Möglichkeit offen gelassen, dafs Vergil die dortige 
Einkleidung nicht direkt aus Theokrit übersetzt, son- 
dern nur aus einer Theokritnachahmung des Gallus 
entnommen hat. All die wunderbaren Wirkungen aber, 
die Vergil den Liedern des Silen zuschreibt (V. 2 7 ff. 
und 86), werden jetzt zu ebensoviel Komplimenten für 
die Sangeskunst des Gallus. 

Halte ich mir dies trotz grolser Schwächen doch 
immerhin heiter anmutige Spiel Veigils vor Augen, 
dann glaube ich erst zu verstehen, warum Horaz^) 
an den Eklogen das moUe atque facetum rühmt 
Unsere Horazinterpreten halten es freilich mit Quinti- 
lians Aufserung: facetum non tantum circa ridicula 
opinor consistere. Nequc cnim die er et IIa rat ins , facetum 
carmiyiis genus natura coriccssum esse Vergilio. Decoris 
hanc viagis et excultae cuiusdani elegantiae appellatto- 
nem puto . . • Quod convenit cum illo Horatiano „molle 
atque facetum Vergilio'' . . .^). Ich zweifle auch natür- 
lich nicht daran, dafs facctus etwas wie elegans sein 
konnte, sondern vielmehr, ob Quintilian noch das volle 
Verständnis für Vergils Eklogen besafs, das Horaz hatte, 
und das wir uns eben mühselig wieder erkämpft haben. 
Dais es Quintilian bereits abhanden gekommen war, 
dafür kann uns ja jetzt seme bekannte Aufserung über 
Euphorion Beweis genug sein (X 1.56): quem ntsi pro' 
hasset Vergitius, idem numquam certe conditorum Chol' 
cidico versu cärmmutn fecisset in Bucolicis mentumem* 

I) Sau I 10. 44. 2) Inst. VI 3. 20. 
Sktttsch, Aus YeigOs Filihseit 4 



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DRITTES KAPITEL. 

KATALOGGEDICHTE. 

Opusculum Je inconeiis conrinuum. 
de diversis unam, de seriis ludi- 
craMt de aUaaö noatnuii. 

I. 

Wir haben versucht, den bunten Wirrwarr der 
zehnten und sechsten Ekloge zu entwirren, 

damit in solchem Lustgctümmel 
Der Sinn endieine, der vencbleieit liegt, 
Gtttaltenreidi» da AbcrdrSagt Gemimmel, 
Dem immn Sinn so irie dem ftnftem gnügt 

Nicht zuföllig kommt das Wort aus Goethes 

Maskenzug vom i8. Dezember 1818 in die Feder. 

Ist er doch wirklich ein Analogen für die Art der 
beiden Vergilischen Gedichte. Eine Reihe von Ge- 
stalten der Wielandschen, Herderschen, Schillerschen^ 
Goetheschen Dichtung zieht an uns vorüber, bunt an- 
einander gefügt, ohne andern Zusammenhang als den, 

daTs alles, was vorhanden, 
Durch Mnsengnnst den Unsrigcn entstanden. 

Kaum wird die Reihe dem Beschauer oder Leser 
verstaadlidi sein, wenn er die Werke nicht kennt, 
denen die einzelnen Gestalten entnommen sind; ge- 
vüs niht ihr Reiz fSr den Wussenden gerade darin, 
dA& sie ihm in gedrängtester Form jene Dichtungen 
wieder vor die Seele fuhren, daneben etwa noch in 
der Art, wie Goethe durch besondm heziehungsreiche 



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— 51 — 



Worte die Erinnerungen des Lesers wachzunifen ver- 
steht Hier können wir uns, denke ich, klar machen, 
dals eine solche Katalogdichtang wirklich poetisches 
Venüenst haben und fesseln kann; hier werden wir 
uns leider aber auch klar, wie ungünstig es um die 
notigste Voraussetzung solcher Wirkung da steht, 
wo uns wie b^ Vergil <fie katalogisierten Original- 
dichtungen fehlen. Die Kunst, mit der Vergil den 
Leser auf die Dichtungen des Gallus, ihre besonderen 
• Schönheiten und Eigenheiten, wie sie ihm erschienen, 
hinwies, mit der er in ihm eine Fülle von Associa- 
tionen durch leise Andeutungen weckte, diese Kunst 
werden wir nie auch nur annähernd so würdigen 
können wie Varus, Horaz und andere Zeitgenossen, 
die noch Gallus' sämtliche Werke lasen. 

Den Grundgedanken des Maskenzugs hatte Goethe 
von der Erbgro&herzogin empfangen; wir haben keinen 
Grund zu der Annahme, dafe er anderswo als in ihrem 
Kopfe entsprungen sei. Da& Veigils ähnlicher Ge- 
danke manche Ahnen mehr zahlt, wird niemand be- 
zweifeln, und wenn die Triunmerhaftigkeit der antiken 
Litteratur uns auch nicht erlaubt, die unmittelbaren 
Vorfahren zu nennen, so sind uns doch aus der offenbar 
einst sehr zahlreichen Familie, der die sechste und 
zehnte Ekloge angehören, noch manche Glieder übrig 
geblieben, die mindestens eine flüchtige Betrachtung 
lohnen und deren Zusammenstellung gleichzeitig un- 
sere Interpretation der beiden Gredichte noch weiter 
stutzen kann^). 



I) Auf Tliedkrit dnsiigeheii vemidde ich dabei disdsM. Denn 
so edur gerade meine vodiogenden Untenndiimfen midk den Reilsen* 

4* 



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— 52 — 



2. 

Vergils sechste und zehnte Ekloge sind Katalog- 
gedichte. So wird man ja wohl alle jene Gedichte 
bezeichnen können, in denen an Stelle eines histo- 
rischen Fortganges, den doch selbst Ovids Meta^ 
morphosen geschickt genug vorspiegeln, oder einer 
psychologischen Entwicklung eine bloise Aneinander- 
reihung oder Aufzahlung von gleichartigen Vorgängen, 
Personen, Dingen tritt 

Die Art ist alt SchüB&katalog und Frauen- 
katalog feilen jedem em, und die Steifheit und Auf- 
dringlichkeit des wiederholten Tum canit in der 
sechsten Ekloge, namentlich im Verein mit dem 
Nampte ean^af und Ma cantf% vnrd sich jetzt in 
Erinnerung an das poetische Paragraphenzeichen 
"H oiTi einfach genug erklären. In der Elegie sehen 
wir, dank Athenaeus 597, ja selber noch, wie Herme- 
sianax dv xiu xpiTiu KaTdXoYOV TioieiTai ^piuTiKÜuv; wenn 
er in V. 41 unter diesen dpuuTiKOi den Antimachos 
aufzählt, so geschieht es gewifs gerade deshalb, weil 
der seine AObri ähnlich angelegt hatte''), ja die Linie 
mag noch über Antimachos hinaus zu dem von 

steinschen Anschauungen nähern, so viel Zweifel bleiben mir im ein- 
zelnen, deren Erortemog hier unmoi^Gh ist 

1) Ich sehe aodi hier dmduuiB vaa den Versen VI i— 12 sb. 
Sie haben mit den folgenden keinen inneren Znsanunenhang, hatten 

vor jedes andere Gedicht ebensogut als Widmung gesetzt werden 
können: das hat wohl unsere Analyse des Hauptteils der Eklope jje- 
zcipt. Die Hypothese, dafs Alfenus Varus mit Gallus infolge gemein- 
samer Thätigkeit in Oberitalien befreundet gewesen sei, würde daran 
nicht viel ändern, auch wenn sie eine festere Grundlage hätte als 
SmittS sn EcL VI 6 nnd vibi Verg. S. 56 u. 59 Reiff., die von einem 
Znsammenwirken des Vams ndt Gallns nichts wissen. 

2) Siehe oben S. 33. 3) Plutarch ad ApolL 106B. 



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— 53 — 



Hermesianax (V. 35) gleichfalls genannten Mimnermos 
fuhren^). Und obwohl aus des Aitolers Alexandros 
ApoUon nur eine zusammenhängende Erzählung er- 
halten ist^, darf man doch vielleicht nach ihrer Art 
vemuten, dais sie dem weissagenden Apollon mit 
anderen ahnlichen zusammen in den Mund gelegt 
war. Fest steht die katalogische Form für Sosikrates, 
Nikaanetos und Fhanokles; der erste schrieb 'Hotot, 
der zweite emen kot&Xotoc Twaiio&v, in des dritten 
"EpujTec f\ m\o\ lautete das Paragraphenzeichen f| ibc % 
Nichts als ein Katalog von Leuten, die auf schreck- 
liche Weise ums Leben gekommen sind, ist der 
Kallimacheisch-Ovidische Ibis; ähnlich wird es um 
des Euphorion 'Flüche oder Becherdieb' gestanden 
haben*). Und so dürften die Alexandriner noch 
manches ähnliche aufweisen. 

Dafs gerade sie sich der Katalogpoesie be- 
fleifsigten, kann nicht überraschen; ist in ihr die 
Crelehrsamkeit doch ein minder entbehrliches Requisit 
als der poetische Schwung. Um so naher muls der 
Gredanke gelegen haben, auch die damals so eifrig 
gepflegte Pinakographie in diese Form zu kleiden; 
die Verwandtschaft der beiden mulste sich ja damals 
aufdrängen wie heut. Freilich wer in alexandrinischer 
Zeit zuerst, wer damals überhaupt diesen Gedanken 
in That umgesetzt hat, das wissen wir nicht; das 
einzige noch erhaltene griechische Erzeugnis dieser 
Art, das schon zu Vergils Zeiten vorlag, werde ich 
im vierten Abschnitt analysieren. Aber dais solche 

1) Kaibel Hermes XXII 510. 

2) ParUicnkM IpuiT. XIV, HtinclK AaaL AI«. $.219. 

3) Athen. 590 B, Rohde Roman S. 83. 

4) Mdndw a. a. O. S. 19. 



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— 54 — 



Dichtungen das Vorbild der sechsten und zehnten 
Ekloge gewesen sein müssen, das sehen wir und 
finden ihre Spiegelungen auch noch bei andern 
römischen Dichtem. 

3- 

Man wird zunächst fragen, wie in solchen pinako- 
graphischen Gedichten die einzelnen registrierten 
Werke gekennzeichnet gewesen sein mögen. Da 
sind verschiedene Weisen denkbar und späterhin 
auch nachweisbar. Aber ich darf hier von den Er- 
zeugnissen ganz absehen, in denen das poetische 
Ingrediens nur etwa im Versmafs besteht und das 
pinakographische durchaus die Hauptsache ist, wie 
etwa in dem Epigramm, das die Dichtungen des 
Kallimachos aufzählt^), und vielen ähnlichen; in solchen 
wird natürlich blofse Nennung oder kurze Umschrei- 
bimg der Titel genügen. Nicht anders steht es in 
einer Reihe von Fällen, wo zwar der pinakographische 
Zweck nicht so unverhüllt hervorgekehrt wird, aber 
das in einen gefälligen poetischen Rahmen einge- 
schlossene Verzeichnis doch seinerseits recht kurz 
gefafst und trocken ist, wie etwa in Ovids amores II 1 8 
das Verzeichnis seiner Herolden und der Antwort- 
briefe des Sabinus; auch dies giebt kaum mehr als 
eine Art Überschriften. Der Art der beiden Eklogen 
kommen näher diejenigen Kataloge, wo etw^as wie 
eine Inhaltsangabe der registrierten Dichtungen ge- 
liefert wird. Ein g^tes Beispiel ist die Übersicht 
über Lucans Poesieen in Statins' Genethliacon (silv. II 7), 

i) Reitzenstein Hermes 26, 308. Hierher z. B.Volcacius Sedigitus' 
Kanon der Terenzischen Stücke, wovon der bekannte Rest in der 
Suetonischen Terenzvita, nur dafs da ein Werturteil zugefügt war. 




— 55 — 



den Eklogen auch darin ähnlich, dafs der Katalog" 
einer vom Dichter umständlich eingeführten Person, 
hier der Calliope, als Monolog in den Mund ge- 
legt ist 

Aber andi vor dem Genetfaliacon des Statins» 
wenigstens soweit wir es an der Hand des einzigen 
erhaltenen Lucanischen Werkes beurteilen können, 
haben die beiden Eklogen eines voraus. Nicht die 
zum Teil noch bedeutend grolsere Ausführlichkeit 
in der Wiedergabe der einzelnen registrierten Werke 
meine ich, sondern etwas, zu dessen Exemplifikation 
am einfachsten wieder ein Ovidisches Gedicht dienen 
kann, die Elegie auf den Tod Tibulls (am. III 9). 
Denn gerade wie das Genethliacon des Statins für 
Lucan, das in Wirklichkeit doch auch nichts als ein 
Epikedeion ist, wird auch das Trauerlied auf Tibull 
schliefslich zum Katalog seiner Werke. Die Ein- 
kleidung ist freilich ungleich poetischer; aber im 
letzten Grunde repräsentieren D^ia und Nemesis, 
die Leidtragenden, doch nichts anderes als die Summe 
der Tibullischen Dichtung, sie besagen, ins Ptosaische 
übertragen, nichts weiter als: Tibull hat zwei Bücher 
Elegieen hinterlassen, eines auf Delia, eines auf 
Nemesis. Und hier findet sich die EigentSmlichkmt, 
die wir durch Servius (zu V. 46) für die zehnte Ekloge 
bezeugt fanden, die wir weiterhin aber auch als 
solche der sechsten Ekloge erkennen werden: wört- 
liche Citate aus den katalogisierten Werken. Unter 
diesen Citaten, die ja im ganzen bekannt genug 
sind^), verdient eins hier besondere Hervorhebung; 



1) y. 20 ~ Tib. I 3. 4; 33C Tib. I 3. 33 ff.; 47 ~ T.1 3. 3; 
51 £ T. I 3. 5 ff.; $8 (X* T. 1 1. 60. 



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- 56 — 



warum, kann sich freilich auch erst später zeigen. 
Das Wort, das Tibull an Delia richtet (I i. 60): 
te teneam moriens de&ciente manu 

legt Ovid geistreicherweise mit einer durch die Um- 
stände gebotenen kleinen Veränderung der Nemesis 
in den Mund (V. 58): 

ne tenuit moriens deficieiite mainia 

So darf Nemesis triumphierend sagen; denn das 
Liederbuch auf sie ist das zuletzt von Tibull heraus- 
gegebene (oder doch geschriebene), imd so ist 
also gemäfs der Bildersprache des Katalogdichters 
Tibull in ihrem Arm » nicht in dem der Delia gestorben. 

4. 

U. V. Wilamowitz-Möllendorff verdanke ich den 
Hinweis auf ein griechisches Gedicht, das ganz ähn- 
lich angelegt ist, den Epitaphios auf Bion. Freilich 
ist uns auch hier die Erkenntnis der Absicht des 
Dichters oder wenigfstens der Art, wie er sie aus- 
geführt hat, dadurch erschwert, dafs uns Bions eigene 
Schöpiungen nur ganz fragmentarisch vorliegen. 
Immerhin ist zweierlei auch jetzt noch deutlich: der 
Verfasser verwendet tfaunlicfast viel Wendungen aus 
seines Lehrers Gredichten und spielt mit unverkenn^ 
barer Absicht möglichst oft auf ihren Inhalt an. Für 
Gedichte, die uns nicht mehr oder nur in dürftigen 
Bruchstücken erhalten sind, können wir doch das 
letztere noch mehrfach feststellen, das erstere natür- 
lich nicht; doch mufs die Art, wie der Epitaphios 
auf Adonis benutzt ist, die Präsumption aufdrängen, 
dafs zum Grablied auf Bion auch seine sonstigen 
Werke reiche Beisteuer an einzelnen Wendungen 
und Versteilen geliefert haben. 



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— 57 — 



Ich stelle hier zunächst die wörtlichen Ent« 
lehnungen des Trauergedichts aus Bion zusammen i),. 
Aus dem Adonis stammen die Versschlüsse 32 &vd€a 
irdvT* ^fAapdvOn (= 76) und 68 [uiro]6v(jkK0VTa q>{Xiia€V 
(» 14) sowie der Versanfang 2 xai iroraiiol icXaCoire — 35 
xal itoraiiol kXoCovti (KXofouoi die Oberlieferung)*). Aber 
die Verse 67 m denen wir eben einen Versschluls aus 
Bion citiert fSanden, lehnen sich auls«rdem noch im 
ganzen an Bion V. 45 — ^47 an. Klare Beziehungen be- 
stehen femer zwischen V. 5: 

vOv (poivkcEcGe t& «tveiiJia, vOv dvfjübvai 

und Bion V. 66: 

dxixa ^)ö6ov TiKxei, iä bk ödKpuo tov dvejiuüvav^, 
zwischen V. 66: 

Kai CTUTvdv ncpl c&na t£6v icXaiouctv ''6piUT£C 
und Bion V. 80: 

d|i(pl bi vtv KXa{ovT€C dvacrevdxovciv "€pujtec, 
endlich zwischen V. 64: 

ftdvra TOI, ib fbSna, h/poMtm b<&pa t& Motcdv 

sowie V. 1 1 f.: 

Kai Td p^oc T^8vaK6 

und Bion 75 £: 

irdvTO d>v oÖTl|> 

ilic Tfjvoc T^evaKC*). 

Bfiehder Rhein. Mus. XXX 33 ff.; Knaadc Realencyklopädie II 481) 

gehen nur auf diesachlithen Entlehnungen. Dagegen hat Wilamowite, 
Bion Adonis, Berlin 1900, S. 37 wörtliche Übereinstimmungen nicht nur 
beobachtet, sondern auch für die Textkritik des Adonis nutzbar gemacht. 

2) So hat Wilamowitz geändert; der Nachahmer hat allerdings 
V. 66 den VamcUiift KXatouav "EpuiTCC, wo die Enetsnag der ge- 
mdnoi Form dnieh die dorisdie nidit mS^icb ist 

3) Vei;^ auch Bion 35: ftvOctt b* iE öMvac ^puOaivtTai. 

4) Audi der Sdihift gerade dieses Verses ist, wie vir sahen» 



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- 58 - 



Weit bestiinmender aber als diese Citate sind 
-für die Art des Epikedeions die sachlichen An^ 
lehnungen und Entlehnungen geworden. Wir können 
in ihm aolser dem Adonis noch vier Bionische Gre- 
dichte erkennen, von denen wir mebt noch einen 
Rest haben. Der Adonis hat auch inhaltlich Einflufs 
geübt auf die vorhin schon unter dem formalen Ge- 
sichtspunkt besprochenen Verse 66 — 68. Aus einem 
Hyakinthos des Bion hat Stobaeus (ecl. I p. 75 W.) 
ein Fragment erhalten (XI M.); auf dieses Werk 
spielt gewifs nicht nur V. 6 an: 

vOv, ödKivec, XdXei tA cä Ypdii^ara Kai ttX^ov oUrt 
Äd)ipav€ (04i)ißaX6 Vakkenaer) toIc vCTdXoict, 

sondern auch V. 26: 

ceio, Biujv, ^KAauce xaxüv jiiöpov aÖTÖc 'AiröXXtuv. 

Der Galatea, aus der wir ebenfalls durch Sto- 
baeus (flor. CX 17) ein Fragment besitzen (XUM.)^), 
verdanken die Verse 57 — 62 ihre Entstehmig; man 
achte namentlich auf die gleiche Bezeichnung der 
OrtUchkeit in dem Fragment: 

Tf^vo itotI \\)ä^aB6v t€ koI didva") 

und den Versen 58 und 61. Dafs in cuprrrac freux« 
V. 83 eine Beziehimg auf ein Gedicht liegt, in dem 
Bion syringis struendae rationem monstraverat» hat 



von dem Nachaluner benatzt worden. Dieser hat o ff e n bar V. 75 f., 

-wie die bisherigen Heraasgeber, als Satzeinheit genommoi» wihreoid 
Wilamowitz irdvTa cüv aÖTiL als Satz für sich fafst. 

I) Noch ein paar andere Fragmente lassen sich durch mehr 
oder weniger sichere Vermutung hier einreiben (siehe z. B. Holland 
Leipziger Stud. VII 249 fF.). 

3) di4vo HiiBupUÜuiv die 'OberUeisrung, didvoc Mtidupic^a Wils- 
nowitz Hezmes XIV 163. 




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— 59 — 



Meineke efkaant und einen Rest davon in Fragment 
Xm (Stob. flor. XXIX 53) nachgewiesen: 

Oö KoXöv, «L qpiXe, Trdvxa Xöyov ttotI t^ktovo qpoiTt^v, 
txr]b" M tx&vt' öXXul) xp^oc lq(^)Li€v dXXd koI aOröc 
Texväc6ai cvpiTi^' n^ei bi toi eOfiop^c Ipfov. 

Endlich erkennen wir, oline dafe es sonst itgend- 
wie bezeugt oder belegt wäre» doch in dem Epikedeion 
noch deutlich die Nachwirkungen eines Bionischen 
Gredichts 'Orpheus'. Wenn schon die Aufdringlich- 
keit, mit der wiederholt von Orpheus gesprochen 
und mit Oq^heus v^er^lichen wird, sich auf diese 
Weise am besten erklären läfst, so spricht doch noch 
viel deutlicher die Stelle V. i4fF., die man nur mit 
den weder nötigen noch nützlichen Umstellungen 
G. Hermanns und Meinekes zu verschonen hat: 

CTiMfiöviot |«&p6c06 «op* Otoov olXiva kökvoi 
Kttl TOcpoSc cto|idTeca nAkben «fvOtfiov ^dv, 

OffitV Ö|Ll€T^pOlC TTOT^ X^^^^C* T^IP^V ficibC. 

diiaTe 5' aö Kuüpaic OlöTpic»v, ctiräTe irdcaic 
BtCTOvioic vütupaiav 'diabAcro AUipioc 'Opq>€0c'. 

Sul^ekt zu äeihe ist Bion (V. 9); er hatte den 

Tod des Orpheus durch die strymonischen Schwäne 
den thrakischen Mädchen und Nymphen verkünden 
lassen. Und nun haben die Schwäne abermals den 
Thrakerinnen zu melden: ein Orpheus ist tot, aber 
diesmal der dorische. Auch die folgenden Verse 
(bis 24, ja bis 35), mögen noch Züge aus dem Bionischen 
Orpheus enthalten^).* 

i) Wünsch bemerkt mir noch: 'nach einer Version wurde Or- 
pheus am Strymon zerris<5en: das steht Ibis 598 und ist also alcxan- 
drinisches Gut. Die Schwäne klagen um Orpheus, wie ihnen die 
Gabe des eigenen Totenliedes verlieben ist, und auch des Oiphetu 



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— 6o — 

Euugemal sehen wir auch hier diese einzeUien 
Sujets sich in scharf gesonderte ^Paragraphen'* aus- 
einanderlegen. Vor dem Crptifiövtoi ^OpeoOe steht der 
Schaltvers wie nach dem dmOXcTO Ailiptoc 'Opcpeöc und 
dann wieder nach 24 und 35. Ebenso ist die Vers- 
reihe, die auf Bions Galatea beruht, durch Schalt- 
verse umschlossen (V. 56 und 63 [54 und 61 Ahr.]); 
es folgt Adonis und danach abermals der Schaltvers 
(V. 69). Wollte man sich ins Raten verlieren, so 
könnte man wohl noch mehr dergleichen gerade eine 
Strophe füllende Inhaltsangaben herausfinden. 

Indessen wird das Gesagte genügen, um erkennen 
zu lassen, dafs wir hier wirklich ein Glied aus der 
griechischen Verwandtschaft der sechsten und zehnten 
Ekloge aufgefunden haben. In einem Zug freilich 
steht es den vorhin angeführten Dichtungen des 
Ovid und Statins näher: wie diese feiert es einen 
Toten. Es katalogisiert also eine definitiv abge- 
schlossene Reihe von Werken, während Grallus nach 
dem Jahre 39 noch manches Poetische verfaTst 
haben mag. 

Sede gdit in dnen Schwan dn (Fkto rep. X 620 A)*. Dieser Ifin- 
weis ist vielleicht von Wert ßa die EridSmag der stiyinonischen 
SchirSne. 



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VIERTES KAPITEL. 
ORIS. 

Et teneri possts carmea tagitw Pnpflvtl 

Sive aiiquid CrallL 

Ofid. 

I. 

Die Familienähnlichkeit unter den Vertretern der 
Katalogdichtung, die wir im vorigen Kapitel keimen 
gelernt haben, ist bei aller Individualität der Er- 
scheinungen doch grois genug, um als ein neuer Beweis 
dafür zu gelten» da6 unsere Interpretation der sechsten 
Eldoge zum richtigen Ziele gelangt ist. So dürfen 
wir also nunmehr von ihm aus Umschau halten. Es 
lohnt; denn eine überraschende Aussicht bietet sich 
hier. Ich kann mich nicht rühmen, sie zuerst ent- 
deckt zu haben; andere, die ich sogleich nennen 
werde, haben sich ihrer vor mir erfreut. Aber statt 
sie in gebührender Weise freizulegen, hat man sie 
zuwachsen lassen, und nur für ein aufmerksames Auge 
verriet ein schwacher Schimmer noch, was für Wunder 
hinter dem fast dem Blicke nicht mehr durchdring- 
Hchen Dickicht von Vorurteilen — ungünstigen und 
günstigen — zu schauen sind. 

SUen singt (V. 74) von Scylla der Tochter des 
Nisus, also hatte Grallus ein Epyllion über diesen 
Gegenstand verfafst Ein solches Epyllion aber be- 
sitzen wir ja noch unter den kleinen sogenannten 
VergilischenGredicht^ nach dem Vogel, in den Scylla 



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— hl — 



verwandelt wurde, Ciris betitelt. Hat uns etwa das 
Greschick, freundlich bei aller Grausamkeit, von des 
berühmten Sängers Werken wirklich eines gerettet? 

Nicht ich zuerst beantworte die Frage mit ja. 
Noch unter den Philologen des abgelaufenen Jahr- 
hunderts haben drei, die wahrlich nicht zu den schlech- 
testen gehören, dieselbe Antwort gegeben: J.H. Vofs^), 
Meineke^ und Merkel^; Meineke scheint sich dessen 
freilich späterhin fast geschämt zu haben, wenigstens 
hat er bei der Neubearbeitung seiner Schrift über 
Euphorion die betreffende Äufserung spurlos getilgt^). 
Aber schon lange vor dieser Trias war die Ent- 
deckung gemacht und mit Beifall aufgenommen; wenn 
ich es mir ersparen kann, hier Näheres anzugeben, 
so verdanke ich das dem wackem Fontanini, der das 
erste Kapitel seiner litteraturgeschichte von Aquileja^ 
dem Cornelius Grallus, den er naturlich far einen Fri- 
auler Landsmann hielt, gewidmet und da S. 32^ 
Bekenner und Bestretter unserer Lehre aufgezahlt 
hat Er erwähnt auch, da(s Taubmann und Barth 
dem Hubert van Griffen (Obertus Gi£anius) ihre Vater- 
schaft zuschreiben®). 

All diesen meinen Vorgängern ist sonderbarer- 
weise eins gemeinsam, worauf ich schon oben S. 39 
Anm. hinwies. Sie fassen nicht die ganze sechste 
Eklüge als Katalog der Gedichte des Gallus, sondern 
nur den Teil, der auf die Musenweihe folgt (V.64£f.). 



1) Zur sechsten Ekloge V. 74. 

2) De Eaphorionis Chalddensis vita et schpüs, Danzig 182^ 
S. 54 Anm. 

3) Ovidii tristia et Ibis rec. R. Merkel, Berlin 1837, S. 367 ff. 

4) Aaalecta Alezandrina S. 37. 5) Sidie otiCB S. 44 Amn. 2. 
6) Bas Niheie sidie in dem sweitoi Exlmn 'Obertas Gifimins'. 



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- 63 - 



Eine solche Inkonsequenz konnte freUich ihrer Mei- 
nimg nicht zur Empfehlung gereichen. Aiiisenlem 
aher haben sie allermeist ganz darauf verzichtet, sich 
nach Beweisen fOr ihre These umzusehen; nur bei 
Vols und Merkel finden wir dazu einen Ansatz, mehr 
freilich auch nicht Ohne solche Beweise aber bleibt 
das Ganze ein vSpiel, und zwar ein Spiel, dem man 
heute meist alle Wahrscheinlichkeit absprechen wird, 
wie ja unsere modernen Litteraturgeschichten die Ver- 
mutung entweder überhaupt nicht erwähnen oder doch 
mit einer leichten Handbewegrmg abthun^). Beweise, 
zwingende Beweise braucht man aber hier nicht blofs 
deshalb, weil es nicht gleichgültig ist, ob die litte- 
rarische Persönlichkeit des Cornelius Gallus wie bisher 
ein blolser Schemen für uns bleibt oder Fleisch und 
Blut bekommt, sondern darmn vor aUem, weil es sich 
hier um eine Eventualität handelt, die Vergils dich- 
terische Thatigkeit in ein Licht rucken wurde, das 
zweifellos vieler Augen verletzen wird. Vergil hat 
nrit der Ciris Versstucke, ganze Verse, ganze Vers- 
reihen bis zu vier Versen gemein"). Das Natürliche 
scheint hier, dafs der Verfasser der Ciris der Nach« 
ahmer ist und also, da zweifellose Obereinstimmungen 
sich durch die ganze Aeneis hindurch bis ins zwölfte 
Buch ziehen, erst nach dem Tode Vergils geschrieben 
hat Ist dagegen die Ciris vor 39 von Cornelius 
Gallus gedichtet, dann ist Vergil derjenige, der einen 
so weitgehenden Gebrauch von fremdem Gut gemacht 
hat Diese Fcdgening klingt so abenteuerlich, dals 
gewiis, wie ich sagte, nur zwingende Bewebe sie uns 
aufdringen können. 

I) Teuffel-Schwabe ' S. 501 (Z. 3 v. u.). 

3) tJbenicht bd BihiCM PLM m S. 186 ff. 



f 



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- 64 - 

Diese Beweise will ich nunmehr liefern« Ich 
bitte aber den Leser, dabei die eben berührte Frioritäts- 
-bage zunächst einmal ganz aus dem Auge lassen zu 
wollen. Wir wollen volUg unvoreingenommen an die 
Ciris herantreten, erst ganz im allgemeinen fragen, 
in welche Zeit und welchen litterarischen Kreis man 
sie rucken würde, wenn man von jenen Überein- 
stimmungen mit Vergil nichts wKifste, und dann im 
besondem der Person des Verfassers nachgehen. Ist 
das geschehen, so wird das fünfte Kapitel die Frage 
wieder aufzunehmen haben, ob Vergil hier Original 
oder Nachahmer ist 

2. 

Form und Inhalt der Ciris müssen einen SchluJs 
auf ihre Entstehungszeit wenigstens imgefahr erlauben. 
Unter der Form, die ich hier zunächst betraditen 
will, verstehe ich nicht blols die sprachlich-metrische^ 
aondem auch die des poetischen Stils, die Form der 
Erzählung. 

Für die sprachliche Form ist es wichtig, sich zu 
erinnern, daJs Vergil gerade hierin Epoche macht 
Man mag ihm von den sonstigen Eigenschaften eines 

grofsen Dichters aberkennen so viel man will, unleug- 
bar bleibt, dafs er der lateinischen Litteratursprache 
überhaupt, insbesondere aber der Sprache des römi- 
schen Epos seinen Stempel aufgeprägt hat für alle 
Zeit; er, dessen Originalität im übrigen gerade unsere 
Untersuchungen wieder in sehr fragwürdigem Lichte 
•erscheinen lassen werden, ist auf diesem Gebiete 
geradezu als schöpferisches Genie au%etreten^). Eine 

I) Dm soUte einmal monographisch dargestellt werden, nur nicht 
in der ftbUdien ftofterlicben Weise, dfe sich in sahkmnSlsiger Za- 



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- 65 - 



aufserordentlich geschickte Mischung" von Archaismen, 
kühnen Neologismen und Graecismen, das ist seine 
Sprache. Eine Mischung so geschickt, dafs aus der 
anscheinend homogenen Masse vielfach nur die aller- 
feinste Untersuchung noch die einzelnen Elemente 
wieder heraiisdestillieren kann. Ich habe dafür hier 
umso lieber und umso ausfuhrlicher Zeugnis ablegen 
wollen, weil ich mir den Vorwurf erspart zu sehen 
wünsche, als sollten oder konnten meine Unter- 
suchungen Veigil ganz aus der centralen Stellung 
verdräng^, die er in der (xeschichte der romischen 
Poesie einzunehmen pflegt Wer der Poesie seines 
Volkes das Kleid giebt, in dem sie sich, von leichten 
Modernisierungen und Verzierungen abgesehen, durch 
Jahrhunderte gefallt, der verdient gewils schon darum 
einen unvergänglichen Kranz. 

Vielleicht als das gröfste Verdienst Vergils in 
dieser Hinsicht mufs das um die Periodisierung im 
Hexameter gelten. Wie es ihm gelungen ist, über 
die schleppenden Sätze Lucrez' und CatuUs hinaus- 
zukommen, den Gang der Periode dem Gang des 
Verses anzupassen, das kann ich hier im einzelnen 



sunmenstdlung von Nachahmungeii erschöpft. Zu den vielen Er- 
wartongen, mit denen wir Nordens Kommentar zur Aeneis entgegen- 
sehen, gehört auch die, dafs hier einmal Vergil wirklich sprachlich 
gewürdigt werden wird. Inzwischen verweise ich auf Einzelheiten, 
die ich selbst gelegentlich erörtert habe: De nomin. lat. suffix. -«o- 
ope formatis, Breslau 1890, S. 22 £; Bezzenbergers Beiträge XXI 90; 
Jahrbfidier für PfailoL Snpplem. XXVn S. 91 Äam. 4 imd S. 106. 
Aufiwrdem vtxf^ B. Stacejr Ardbu t Lex. X 33. Im Archiv XU 209 
ist mir leider in so fem ein Irrtum untergelaufen* als vor Vergil schon 
Catull das Wort magnanimus von den archaischen Dichtem über- 
nommen hatte; im übrigen verSndem sich meine dortigen Ergebnisse 

■dadurch nicht wesentlich. 

Skutsch, Aus Vergil» Frühxeit. 5 



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— 66 — 



nicht darlegen; bezweifeln wird es ja wohl niemand, 
und wer es doch thun sollte, braucht nur einmal 
hintereinander ein Stück aus Lucrez oder aus CatuUs 
daktylischen Gedichten, und ein Stück aus der Aeneis 
zu lesen, um ganz ohne weiteres den gewaltigen 
Fortschritt zu empfinden, der hier gemacht ist*). Es 
ist ein Fortschritt, von dem kein Dichter unberührt 
geblieben ist, dessen Thätigkeit sicher nach der Ver- 
öffentlichung der Aeneis anzusetzen ist. Selbst wenn 
späterhin noch einmal jemand auf Lucrez als Muster 
zurückgreift wie Manilius^, ist daneben Vergil sein 
Vorbild und der Einflufs seiner Periodologie trotz 
aller Korruption der Überlieferung kaum zu ver- 
kennen. Wer Perioden baut wie die, welche die 
Ciris eröffnet und sich mit einer langen zwischen 
Vor- und Nachsatz eingeschachtelten Parenthese und 

1) Sehr hübsche Bemerkungen darüber bei Hertzberg in seiner 
Übersetzung des Vergil (Zweite Abteilung: Kleinere Gedichte, Stutt- 
gart 1856, S. 52 ff.). Hertzberg empfindet infolge seiner Beobachtungen 
genau wie ich: „es würde daher die Vermutung nahe liegen, dafs die 
Ciris auch der Zeit nach zwischen Catull und Vergil mitten inne 
stünde, wenn nicht" — ja, wenn die Ciris nicht Vergil einschliefslich 
Aeneis ,,50 stark benutzt, ja, man muTs sagen, geplündert hätte". VergL 
auch Haupt bei Belger, M. Haupt als ac. .Lehrer S. 161. 

2) Die Thatsache an sich ist wie die Nachahmungen im ein- 
zelnen (Ausdruck) bekannt. Dagegen ist, soviel ich weifs, noch nicht 
gesagt, dafs die Ausdehnung des Manilianischen Werks der des Lucre- 
zischen genau entsprechen sollte. Im fünften Buch beginnt Manilius 
das, was Finnicus im achten Buch der Mathesis die Sphaera barbarica 
nennt, d. h. die Schicksalsbestimmung nach den einzelnen Fixsternen. 
Hierbei giebt Firmicus jedesmal verschiedene "Wirkungen des ortus 
und occasus an, und das Gleiche war die Absicht des Manilius; vergl. 
V 28: sunt cuncta canenda, quid valeant ortu, quid cum merguntur 
in undas. Das fünfte recht umfangreiche Buch giebt aber nur den 
ortus; es sollte also folgen (oder ist vielleicht auch ursprünglich ge- 
folgt) noch ein sechstes mit dem occasus. 




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- 67 - 



einem relativisch angehängten Wunschsatze durch 
1 1 Verse hinzieht, der hat von Vergils Geiste keinen 
Hauch gespürt» während bei Catnll freilich ähnliches 
und schlinuneres zu finden ist (65. 66, 69 — 78 u. dgL). 
Der Fortgang ist des Anfangs würdig; man sehe 
V. 12 — 26, 42 — 53, 66—91 mit zwei Parenthesen, 
von denen die erste schon an sich eine ziemlich 
umfangreiche und nicht gerade elegante Periode ist 
Aber wozu noch weiteres ausschreiben, wo ja jeder 
Leser der Ciris in dieser Lucrezisch-Catullischen Art 
des Satzbaues sofort die wesentlichste stilistische 
Eigentümlichkeit des Gedichtes erkennen mufs. Man 
könnte den Verfasser charakterisieren wie Hertzberg* 
a. a. O. den CatuU in seinen daktylischen Dichtungen: 
er schleppt den togaahnlichen Faltenwurf der latei- 
nischen Periodologie mit allen seinen zur Einschachte- 
Itmg untergeordneter Satzteile dienenden Formen» 
Wörtern, Participial* und Infinitivconstruktioaen, ohne 
Rückincht auf die Forderungen des Atems und des 
Ohres, über Casuren, Versenden und Versgruppen 
unaufhaltsam fort; der oratorische Numerus geht 
seinen eig^enen Gang, ohne sich um den metrischen 
zu kümmern. 

Man kann es nur wiederholen: der Fortschritt, den 
Vergil machte, war für alle gemacht; ob bewulst, 
ob unbewufst, sie folgen seiner Führung. Und der 
Mann sollte nicht haben folgen können, dessen Ciris 
doch, wie wohl niemand leugnen kann, Beweis von 
einer starken dichterischen Begabung ablegt? Denn 
ausgeschlossen ist ja, dals er etwa nicht hätte 
folgen wollen, wo nach der üblichen Auffassung 
sein enger Anschlufs an Vergil sich in Dutzenden 
von Entlehnungen kund giebt. Die Ciris bleibt also 

S* 



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— 68 — 



unzweifelhaft ein stilistisches Rätsel, wenn sie nach 
Vergils Tod verfafst ist und nicht vielmehr wenigstens 
vor der Aeneis, zur Zeit, als noch kein Meister 
hexametrischen Stdls Lucrez und CatuU in Schatten 
gestellt hatte 



In diese Zeit aber weist ebenso bestimmt auch 
wenigstens ein Teil der metrischen Erwägungen, 
zu denen ich nunmehr übergehe. Ich habe drei 
Pmikte, die Casaren» die Synalöphen imd die Vers- 
enden, vergleichend untersucht, wobei ich mich frei- 
lich, abgesehen vom dritten« auf Proben von je hundert 
oder mehr Versen beschränkte. Ich habe das gethan 
nicht blo& wegen der Verdrielslichkeit solcher Statisti- 
ken, sondern auch weil ich sicher zu sein glaube, dals 
die anscheinend grofsere Genauigkeit, die durch Prü- 
fimg ganzer Bücher erreicht wird, wie im allgemeinen 
SO in unserem besonderen Fall von wenig Belang ist. 

Auf die Cäsuren untersuchte ich Lucrez I i — loo; 
Catull 64, I — 100; Vergil ecl. VI und X i — 14 (zu- 
sammen hundert Verse; a), sowie Aeneis IX i — 100 (b); 
Ovid Metam. I i — 100, und endlich Ciris i — 100 (a) 
sowie 358 — 458 (b). Das Ergebnis war folgendes^: 

1) Auffällige lexikalische Einzelheiten wie transitives requiescce 
(V. 233) und mansut'sct-re- {V, 136), das ich also nicht in der Real- 
encyklopädie rv^ 1243 als Eigentümlichkeit des Corippus hätte an- 
«pn^taiBi sollen, zeigen auch dne Pnaoofiehkeit, die Itdiier 
sieniig snsgefletct {ewesen ist Bab in Ulerer Zeit tnwsitives «mw- 
siieietre nur bd Ysno (? ef. Kcü zn r. r. II I. 4) und Lncres sn 
belegen ist (Gaasenmoller, Beitr. z. Ciris, JahrbX FluL Siqipl. XX 577 
Anra. 4), soll man auch nicht gering anschlagen. — Auf andere Eigen- 
tümlichkeiten im Wortgebrauch der Ciris korame ich weiterhin. 

2) Wer es über sich gewinnt nachzuprüfen, wird vielleicht ein 




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- 69 - 



a 





mänol. 

™ 3" 

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« » . 


Cäsar 
ruis 
• 

a 

M 


weit 

S =* 

II 


tUcbe QUar 

.S g 
(• a 


ainiLCInr 

im t. and 4. 


ZirdfBl- 
haftes nad 

Anderes 


Lucrer 


59 


30 


6 


2 (V. 6o, 76) 


2 {V. 65, 79) 


I (V. 87) 


CatuU 


73 


i8 


6 


l (V. 21) 


I (Y. i8) 


I (V. 73) 


Veisil •) 
M b) 


4« 


40 


II 


I (VI 80) 






53 


36 


lO 




i(V.«9) 




Ovid 


47 


43 


10 








Oris a) 


5« 


44 


5 








56 


37 


6 


i 


I (V. 392) 





Ob jemand bieraus iigend etwas zu schlieisen 

geneigt sein wird ist mir sehr zweifelhaft. Wird 
aber doch ein positiver Schlufs gezogen, so kann er 
wohl nur wieder mit Rücksicht auf die Zahl der 
weiblichen Casaren die Ciris näher an Lucrez und 
Catull als an Ovid rücken; jedenfalls kann man nicht 
das Entgegengesetzte aus der offenbar g^anz indivi- 
duell sorgfaltigen Behandlung des Einschnittes nach 
dem vierten Fuis bei Catull folgern. Gewils aber 
eigiebt sich aus dieser ganzen Betrachtung kein 
Einwand gegen eine etwaige Ansetzung der Ciris 
vor 39. 

Die Synalöphen der Ciris haben Hertzberg und 
Ganzenmüller a. a. O. untersucht Ich erlaube mir 



oder die andere Stelle anders fassen und damit die Zahlen um i oder 
2 verschieben. Das Ergebnis würde dadurch auch nicht erheblicher 
werden. Ebenso stehe ich auch in den folgenden Statistiken nicht 
für jeden Einer ein. 



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— 70 — 

hier zuiuu:hst Ganzeninüllers vergleichende Tabelle 
über die Gesamtzahl der Synalöphen in der Ciris und 
bei andern Dichtem zu wiederholen, allerdings mit 
zwei Abweichungen. GanzenmüUer hat aus den ver- 
glichenen Dichtungen je 541 Verse, also jedesmal 
ein der Ciris an Verszahl gleiches Stück untersucht 
Ich ziehe es vor, die betr. Zahlen in Prozenten zu 
geben, einmal gröfserer Anschaulichkeit wegen, so- 
dann weil ich die Tabelle durch Zufügnng der Ver- 
hältniszahlen für Lucrez und Catull, die Ganzenmüller 
sonderbarerweise ganz aus dem Spiele gelassen hat, 
vermehre und für Catull nur 408 Verse (die Hochzeit 
des Feleus) zxu: Verfügung stehen. Mittlere Silben 
nenne ich wie Granzenmüller die auf m schlieisenden. 





Synalöphen 
auf too Tane 


Unter lou Sjnalöphen sind 
leichte | mittlere j schwere 


Lucrez (I i — 3OO) 


45i3 


69,8 


15.5 


H.7 


Catnll 


31.6 




30.8 


18 


Veig* Aen. I 

„ xn 


46,5 






22,5 


50,6 


47.6 


29,3 


23.1 


Ciris 


39 


58.3 


22,3 


19.4 


Ovid Met. I 


19*3 


77.9 


iSi4 


6.7 


Manilitis I 


26,6 


71.5 


22,9 


5.6 

4.7 


Lucaa 


15.7 


76,5 


18,8 


Val. Flacc. I 

n u vn 


26» I 


55.3 


27 


17.7 


34 


60,9 


24i4 


14.7 


SiUns I 

xvn 


4".7 


S«»7 


25»« 


i5>5 




60,3 


22,1 


17.6 


Statius Th. I j 40,6 


64,8 


27.4 


7.8 


Claudian £utr. II 5 


51.9 1 40,7 ' 





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— 71 — 



Man sieht an dieser Tabelle erstens, da& ein 
Dichter sich in solchen Dingen nie einer gewissen 
Freiheit begiebt; einen Spielraum von 8 bis 9 Prozent 
hat man ihm einzuräumen^). Differenzen, auf Grrund 
deren man ein Werk von andern zeitlich trennen 
wiU, müssen also ganz erheblich s^n. Solch erheb- 
liche Verschiedenheiten aber erkennen wir hier zwar 
zwischen Ciris und den Dichtern der augusteisch- 
neronischen Zeit von Ovid an, nicht aber zwischen 
Ciris und den altem. Besonders charakteristisch ist 
die Menge der schweren Elisionen, entgegen dem 
bekannten und auch aus der obigen Tabelle wieder 
deutlich ersichtlichen Streben der jüngeren Augusteer, 
gerade diese einzuschränken. Selbst CatuU, dessen 
Epyllion im übrigen für seine Zeit mit den Synalöph^ 
soigfaltig Haus halt, übertrifft Ovid in der Elision 
der langen Vokale um fast 12 Ftozent, hat allerdings 
auch im ganzen 12 Prozent Synaldphen mehr. Wer 
auf Grund dieser Tabelle, zugleich unter Beruck- 



I) Noch bedeutend grolser ist der Spielnam in Vei{Qs Eldoeen. 
Die erste hat 18, die dritte 42, die sechste 30, die achte 38 Syna- 
ldphen, d. h. in hundert Versen hat: 



Synalophen 


DmrM 

leicht 


t ifaid fai PkM 

mitte! 


SlIiwoi 


I 


21,7 


44.4 


33.4 


33,3 


III 


37.8 


35.7 


28,6 


35,7 (!) 


VI 




4S 


30 


35 


vm 


34*9 


65.8 


3X,I 


X3>i 



Die achte kommt in der Prosentsahl der leichten, mittleren und 
schweren Synaldphen der Chris am nächsten, die dritte in ihrer Ge- 
santiahL 



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— 72 — 

sichtigung des in der Anmerkung Zusammengestellten 
die Ciris einordnet, wird sie wohl am allerehesten 
zwischen Lucrez und die Aeneis und in die nächste 
Nachbarschaft der Eklogen rücken; andernfalls mülste 
er bb in die Zeit der Flavier heruntergehen. 

Findet der Leser, dafs solche Beweisfilhrung 
nichts Zwingendes hat, so stimme ich ihm durchaus 
bei; ich will mit der ganzen Zusammenstellung mir 
nur den Vorwurf ersparen, einen Zeugen nicht ver- 
hört zu haben, und der Vermutung die Spitze ab- 
brechen, als könnte dieser Zeuge Belastendes gegen 
mich aussagen. Denn das wird nun wohl jeder zu- 
geben, auch wenn aus den S3nialöphen sich gar 
nichts Positives fiir mich ergeben sollte, dafs sie 
ebensowenig den Ansatz der Ciris vor 39 unmöglich 
machen. Es kann nur höchlichst befremden, wenn Gan- 
zenmuller S. 633 zu dem Schlüsse kommt: Ovid und 
seine strengeren Gresetze sind unserem Dichter be- 
kannt Denn auch das wird wohl allseitig zuge> 
standen werden, dais gerade Ovidischer Einfluls auf 
die Ciris durch die obige Statistik, die ich ja im 
wesentlichen Ganzenmüllers eigener Schrift ent- 
nommen habe, £iusgeschlossen ist. Daran können auch 
die subtileren Beobachtungen, die (janzenmüller zu- 
fügt, gar nichts ändern. Auch ich hatte mir eine 
Statistik darüber angelegt, an welchen VerssteUen 
der Dichter der Ciris und die anderen oben Ver- 
glichenen zu elidiren pflegten. Mit der Hauptmasse 
dieser Zusammenstellungen will ich den Leser nicht 
auch noch behelligen, da selbst die stärkste Vor- 
eingenommenheit sie weder zu meinen noch zu meiner 
etwaigen Gegner Gunsten interpretieren konnte^ 
Aber die Synaldphen im fünften und sechsten Fuise 



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— 73 — 

kann ich doch eben mit Rücksicht auf die Folge-^ 
nmgen, die GanzenmüUer daraus ziehen zu können 
glaubt, nicht stillschweigend übergehen, (ranzen^ 
müller stützt sich hier auf das Material vonEskuche^); 

ich stelle, was er daraus für seinen Beweis ver- 
wendet, nochmals tabellarisch zusammen-). Syna- 
löphe läfst zu 





nach 
der fünften 
Hebung 


nach 
dem fünften 
Trochäus 


nach 
dem fünften 
Daktylus 


nach 
der sechsten 
Hebung 


Hl 


LQcies je einnial in Venen 


70 


3« 


97 


0 


38 


Catnll „ 




tl 


199 


31 


0 


0 


53 


Ciris „ 




»t 


271 


108 


541 


0 


180 


Vergil „ 


M t» 


n 


429 


109 


612 


12856 


163 


Ovid „ 


>* » 


t» 


4423 


266 


1106 


0 


75 



Ich meine allerdings, dals so seltene Erschei- 
nungen einen beweisenden Wert nur gewinnen können^ 
wenn man einem ähnlich reichen Beobachtungs- 
material wie bei Lucrez Veigil Ovid gegenüber- 
steht; bei einem wenig umföngÜchen Werke wie die 
Ciris kommt man in Crefiähr, ganz zufällige 2Sahlen- 
verhaltnisse als Norm anzusehen. Ist der Leser so 
skeptisch nicht, dann kann mir das nur erfreulich 
sein; denn dann mufs er zweifellos die Ciris an 
den Platz rücken, den ich ihr in der obigen Tabelle 
angewiesen habe. In jedem Falle bleibt auch 
hier Ganzenmüllers Schluls, dafs die Ciris metrische 

1) Rhein. Mus. XLV 236 ff. 385 ff. 

2) Eine Anzahl Dichter, deren Gebrauch für uns gleichgültig 
ist, iMse idi beiseite. 



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— 74 — 



lEmwirkwgto Ovids erkennea lasse, völlig unbei- 
:greifliclu 

Ich komme zum dritten und wichtigsten Teile 
dieser metrischen Erwägungen: den Versschlüssen. Die 
Ciris hat funfisehn Spondiazonten, d. K einen auf je 
36 Verse oder 3 Prozent Man weüs, dals schon Cicero 
die Spondiazonten als das Schiboleth der vct&repot 
ansieht^ und thatsachlich hat zwar CatuU im 64. Ge- 
dicht auf je 14 Verse einen so gebauten (also noch 
etwa 4 Prozent mehr als die Ciris), Vergil aber erst auf 
4 1 3, Ovid auf 285 (also nur und ^3 Prozent). Ob Persius 
I 95 gegen die Erneuerung der neoterischen Mode 
in seiner Zeit gerichtet ist, bleibt zweifelhaft; mit 
Sicherheit ist erst bei Juvenal wieder ein Steigen 
in der Zahl der Spondiazonten nachzuweisen, aber 
doch nur auf einen in je 115 Versen, d. h. noch nicht 
einmal i Prozent^. Vergil hat wohl auch hier wieder 
das Muster för die Folgezeit abgegeben. Aber wenn 
man das auch nicht annimmt, so bleibt doch die 
Ciris nach 19 v. Chr. ein ebenso großer metrischer 
wie sprachlicher Anachronismus, während sie sich 
bequem in den Entwicklungsgang der romischen 
Metrik zwischen Catull und Vergil einfugt 

4. 

Zu dritt soll von den formellen Eigentümlich- 
keiten der Ciris der poetische Stil untersucht werden, 
die Form der Erzählung. Hier kommt zuerst das 

1) V. 73, 82, 96, 113, 158, 239, 326, 398, 413, 434 (dieser 
freilich kritisch nicht völlig gesichert), 474, 486, 495, 519, 535. 

2) Ad Att. VII 2, I. 

3) Nachweisungen bei Viertel Jahrb. L PhiloL 8$ (1862), S. 80 1 ff. 




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— 75 — 



Allgememste in Betracht: die Ciris ist ein Epyllion, 
eines jener kunstvoU angelegten Epen von geringem 

Umfang und erlesenem mythischen Inhalt, wie sie 
Alexandria ausgebildet, Catull und seine Zeitgenossen 
von dorther übernommen haben. Der aufserordent^ 
liehen Produktivität, die gegen das Ende der Re- 
publik Catulls Hochzeit des Peleus, Cinnas Smyma, 
Calvus' Ig, Comificius' Glaucus, dazu die ganze Reihe 
der Epyllien hervorbringt, die Gallus nach dem 
Zeugnis der sechsten Ekloge geschrieben hat, ihr 
hat die augusteische Zeit nichts derartiges gegenüber- 
zustellen. Die Ciris nach Vergils Tode ist also auch 
unter diesem Gresichtspunkt — dem dritten — ein 
Anachronismus. 

Die Zusammenhange der Ciris mit der Form jener 
alexandrinisch-neoterischen Dichtung beschränken 
sich aber nicht etwa auf dies Allgemeinste. Ich 
möchte namentlich vier besondere Ähnlichkeiten in 
der Art der ^Zählung herausheben. Das eine ist 
jene bekannte alexandrinische Art, das Detail über- 
wuchern zu lassen, sich in der psychologischen und 
sonstigen Kleinmalerei zu ergehen^) und die grofsen 
Züge der Handlung in aller Kürze abzumachen. 
Man weifs, wie witzig Lucian Parthenios, Kallimachos 
imd Euphorion im Gegensatz zu Homer charakte- 
risiert^ Sie verstehen es nicht, t6v lEöv töv t(|> 
irpaTMöTi zu vermeiden. Homer schildert Tantalos. 
Ixion Tityos und die andern Büiser im Hades nur ganz 
beiläufig. Aber wenn jene drei Dichter darauf zu 

1) Darüber noch immer das Beste bei Haupt Opusc. I 2$3 fl'. 
Neue Beispiele in den Wiener Hekalefragmenten. 

2) TTüic ö€l IcT. CUTTP- 57« 



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- 76 - 



sprechen gekommen wären, wie viel Worte hatten sie 
drangesetzt, um das Wasser bis zu Tantalos' Lippen 
zu fBhren! wie viel, um Ixlon auf seinem Rade umzu- 
drehen! Dafs das für Kallimachos zutrifft und also 
für Parthenios und Euphorion ebenso zugetroffen 
sein wird, brauche ich nicht erst auszuführen; wie 
sehr aber die Ciris ihnen gleicht, darauf soll doch 
kurz hingewiesen werden. Während in einem bei- 
läufig eingeschobenen Verse (187, vergl. 422) gesagt 
wird, dals Minos der Scylla die Auslieferung des 
väterlichen Haares als Bedingung seiner Gegenliebe 
hingestellt hat, während die ganze Katastrophe, das 
Abschneiden des Haares, der Fall von Megara, die 
schnöde Behandlung der verliebten Verräterin durch 
Minos, ihre Fesselung am Schiffe, in ganzen fünf 
Versen erzählt wird (386—390), während wir über- 
haupt nicht erfahren, wo und wie Scylla den Minos 
zuerst gesehen hat, schildert der Dichter ins einzelnste 
das Gebaren der von Amor getroffenen Jungfrau, 
wie sie in der ganzen Stadt mit verrückten Sinnen 
umherirrt, nicht an Schmuck mehr und nicht an 
Arbeit denkt, nachts, ihre Brust von Seufzern ge- 
schwellt, auf die Warte steigt, um nach den Wacht- 
feuern des geliebten Feindes hinunterzublicken (165 
bis 180); ja ein noch stärkeres Ritardando tritt 
220 — 339 ein, wo Scylla, von der Amme beim ersten 
Attentat auf den Vater ertappt^ sich mit ihr in lang 
ausgesponnenen Wechselreden ergeht^). Man hat 
wiederholt diese Kompositionsart getadelt, vom 

I) AoffiUlige Kürze z. B. noch V. 365—368; wie Scylla die Seher 

zu bcstccben versucht, damit sie dem Nisus raten, Frieden zu schliefsen 
und den Minos zum Eidam zu nehmen, hätte wohl ausfulirlichere 
Erzählung verdient. Nisus' Tod ist nur 523 angedeutet« 




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modernen Standpunkt aus vielleicht mit Recht, und 
Ovids Erzählung (Metam. Vm 13C) hat allerdingfs 
jene Lücken und Überstfirzimgen nicht. Aber wer 
sich auf den historischen Standpunkt stellt, sieht 
sofort» dals der Tadel ziemlich die gesamte alexan- 
drinische Epylliendichtung treffen würde. Doch 
selbst die Tadler haben allermmstens Worte der 
Anerkennung für die Kunst gehabt, die gerade in 
jenen Detailschildeningen zu Tage tritt Wir haben 
nicht viel so lebendig- Anschauliches, nicht viel so 
psychologisch Vertieftes in der römischen Poesie wie 
die Schilderung der alle andern Rücksichten all- 
mählich unterdrückenden Macht der Liebe oder die 
andere, wie das Mädchen leise in stiller Nacht zum 
Zimmer des Vaters schleicht (V. 209 — 219), wie die alte 
Wärterin sich um ihren Zögling zärtlich besozgt zeigt 
(V. 250—256, 340—348); der Mann, der das geschrieben 
hat, verdient unmittelbar neben dem Dichter der Hoch^ 
zeit des Peleus genannt zu werden, mag diese auch, 
als Ganzes angesehen, in glatterem Flusse verlaufen.^ 

Die Ciris ist femer gekennzdchnet durch die ale- 
xandrmische Vorliebe für Digressionen und gelehrte 

Zuthaten. Von den ersteren ist, um von denen in der 

Einleitung hier abzusehen, am auffälligsten die von der 
Amme in ihre Rede eingeflochtene Geschichte der Bri- 
tomartis (V. 288, 294 — 305); von den letzteren hebt 
Ribbeck mit Recht die kticic von Megara (V. 105 — 109) 
imd die Bemerkungen über den attischen t^tti£ (V. 126 

I) Ich bitte zum Gesat^'tcii die feine Charakteristik der Ciris von 
R.ibbeck zu vergleichen, die zum Besten gehört, was ihm in der Ge- 
•cbkbte der rSmischini Poesie gelungen ist (II* 350 ff.), sodann anch 
R(Ade, Roman 142 Anm. 



- 78 - 



bis 128) heraus. Doch scheint mir noch bedeutsamer 
die Art, wie der Dichter verschiedene Formen einer 
nnd derselben Sage anführt Was aus Britomartis gfe- 
worden ist, sagt die Amme, ist ungewüs (303 £): 

alii fugisse fenmt et nomen Aphaeae 
▼irgims asmemnt, aHi, quo notior esses, 
Dietynnn dixere tno de nomine Lmuun^* 

An anderer Stelle übt er sogar an solchen 
Varianten eingehende Kritik. Das ist der Fall im 
Prooemium des Ganzen, dem Teil, der wohl dem 
Dichter den herbsten Tadel der modernen Kunst- 
richter eingetragen hat „Ich will Dir erzählen", 
redet er in V. 48 bis 91 den Messalla an, „wie Scylla 
zum Vogel geworden ist, zur Strafe dafür, dals sie 
Vater und Vaterstadt verraten hat Freilich sagen 
andere, so Homer, Scylla sei vielmehr das Meer- 
ungeheuer gewesen, dem bellende Tiere die weüse 
HiÜte gurteten; andere geben ihr nicht wie Homer 
Crataeis zur Mutter, andere wieder deuten die ganze 
Sage symbolisch auf Liebesbrunst; nach anderen hat 
Amphitrite aus Eifersucht ihr Bad mit Gift versetzt 



l) Ganz richtig sind hier die zwei Legendenformen scharf von- 
einander geachiedfiii. Naeh der einen springt Britomartis, von Mino» 
vofidg^ yam DiklaioD ins Meer (Ciris Y. 302), wird aber-Tcm Fiadiem 
nit Netten «n^eftageii, dahtt ihr Name Ahfxvva (dafs so an sdireibeii 
ist, hat Wüamowita su Enrip. IfippoL 146 n. X130 gesagt, und so 
geben denn auch die bestm Handschriften der Ciris, zwar nicht in 
V. 245 , aber gerade an unserer Stelle). Nach der andern Version 
flüchtet B. über das Meer nach Aegina, wo sie dqpavr^c Y^TV^TOl, 
daher der Name 'Aqpaia. Die erstere Fassung der Sage ist erzählt 
von Kallimachos hymn. Artem. 189 flf., auf den Robert (Preller Mythol. 
I* 317) die Stdle der Cirii beziehen wüL Bei Astoninns liberalis 40 
liegt ein ungeschickter Versuch vor, die beiden Sagenfoimen an kon- 



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— 79 — 



imd so sie verwandelt^); endlich sehen wieder ander» 
die Verwandlung als eine Strafe dafür an, dals sie, 
wegen ihrer Schönheit von Liebhabern sehr gesucht, 
viel Grewinn einheimste, aber der Venns nicht ihr ge^ 
bührend Teil gab"^. Nur bei Homer wird zugesetzt: 
„Der Gewährsmann ist schlecht"^), alle übrigen 
Fassungen werden ohne Angabe von Gründen mit 
harten Worten {somnia sunt)*) verworfen; auch der 
letzten wird trotz des beigesetzten ^^7<;/7^j keine gröfsere 
Ehre zu Teil. Ich will nun gewifs weder behaupten, 
dais dies Verfahren sehr poetisch, nocli dafs es be- 
sonders tiefgründig ist; wäre es aber das letztere 
mehr, so wäre es jedenfalls das erstere noch weniger,, 
und das wird man wohl unbedingft behaupten können,^ 
dals es sich doch über den Standpunkt Ovids erhebt. 
Dieser erzahlt nicht nur mit größter Unbefangenheit 
von der einen und von der anderen Scylla, ohne sich 
ixgendwie zu einer Bemerkung über die Gleich- 
namigkeit verpflichtet zu fühlen, sondern bringt auch 
beide Sagen von der Entstehung der Hyacinthe neben- 
einander, ja hebt beim Tode des Aias wie des Hya- 
kinth beidemal ruhig hervor, dafs dieselbe Blume 



l) Diese Fassung' liegt bei Ovid vor (Metam. XIV l ff,, auch 
Servins zu ecl. VI 74), nur dafs dort für Nepttm Glaucus, für Amphi- 
trite Qxoe cängetraten ist. 

2) Diese enhemeiiitisclie Deutung, derai WoxtUnit snm Teü tni> 
adier ist, lut min meist Auf Gnmd einer alten Konjektur avf PaLu> 
pIutM sorBckgef&llit. Aber die Überlieferung docta Palaepaphiae 
testatur voce Pachynus (V. 88) macht durchaus nicht den Eindruck 
der Korruption und führt wohl eher auf Euhemeros selbst (Schwarte 
Bcrl. phil. Wochenschr. 1894, 1603). 

3) Ich komme auf die Stelle weiterhin zurück. 

4) Omnia sunt die Handschriften; Heinsius' Verbesserung scheint 
notwendig. 



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— 8o 

auch noch aus dem Blute des anderen entstanden 
sei (X 207, Xin 396). 

Aber ob man die Einleitung der Ciris noch so 
prosaisch finden, ob man ihr auch das Verdienst ab- 
sprechen mag, das ich ihr zuschreibe, so viel ist 
sicher, dafs ihr Verfasser auch hier den besten oder, 
wenn man lieber will, den berühmtesten alexan- 
drinischen Mustern nachgeht. Aufser dem früher 
besprochenen haben wir noch ein weiteres Fragment 
aus dem TdKiv9oc des Euphorion (xxxvi M.): 

•nopqtvpir] udKtvSc, jixdv )Li(a (pf||Liic doiöOüv 
'PoiTcfijc d|ud9oici &c&ouTrÖTOC AlaKi&ao 
cTapoc dvT^XX€iv YeTpai-in^va kiukajoucov. 

Was das bedeutet, hat Rohde erkannt^): auf die 
^la (pf\)iic folgte (vielleicht neben noch anderen, von 
denen wir nichts wissen) die cpfinic, an die andere 
Sänger glauben, dafs die Hyacinthe aus dem Blute 
des Hyakinthos erwachsen sei. Diese letztere erklärte 
Euphorion als die allein richtige, um im Anschlufs 
daran eben diesen Mythos (und nur diesen) zu er- 
zählen. Der Verfasser der Ciris weist also hier ein 
besonders charakteristisches Kennzeichen eines cantor 
Euphorionis auf. 

Wenigstens in Kürze sei schliefslich auch noch auf 
die echt alexandrinischen Ausdrucksmittel verwiesen, 

l) Roman S. 97 Anm. 3, wo auch anderes dieser Art angeführt 
ist. Merkwürdigerweise hat Rohde einige Seiten vorher (S. 91 Anm. i) 
das Fragment unrichtig beurteilt. Euphorion wollte nicht „aufser 
der Sage, welche den Hyacinthus mit dem Tode des Aias in Ver- 
bindung bringt, auch die andere von der Liebe des Apoll zum Hyacin- 
thus vortragen", sondern eben die beiden Sagen scharf scheiden und 
dann nur eine davon erzählen. 



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— 8i — 



die der Ciris gelegentlich geradezu etwas von nervöser 
Lebhaftigkeit verleihen. Hierhin gehören kunstvolle 
Aposiopesen (V. 137), Fragen (V. 188, 295, 313, 318, 
428, 437, 444, 513) und besonders Ausrufe. Mit den 
Interjektionen ah, heu geht der Dichter &st ver- 
schwenderisch um, nidit zur Freude des modernen 
Lesers^). Grerade auf solche Dinge hin hat schon 
Düthey das Urteü gefallt: Ciris Alexandrini si quod 
aliud coloris Carmen*). 

5. 

Das Gesamtergebnis der formellen Analyse spricht, 
wie ich denke, durchaus dafür, dais die Ciris dn 
Kind jener litterarischen Mode ist, die wir als die 
neoterische bezeichnen. Dais sie von ihr durch 
Jahrzehnte anderer Mode getrennt sein soUte,, darf 

l) 81 Btu quaÜtHS, 190 keu tamän inf^Hx, 161 Am umhiow 

terrent; 264 eheu quid dicam; 132 ni . . . ScyÜa . • * nimium 
cupidis Minoa inhiasset ocellis, 278 0 malus, 286 fiF. o mihi nunc iterum 
crudelis reddite etc., 424 0 ego crudelis, 153; 185 ah demens, 
294 ah quid ego amens, 288 ut ah olim etc. Besonders beliebt ist 
der Ausruf in der Rclativkonstruktion 150!. quo uti ne prodita ludo 
. . . tahuuH corpore pallam , 228 guod ut ak poHuSt Rhamimsia, fal- 
loTf 239 quod n* sd$ai Airast0a, 410 f[uod 0 sahw UewU te Meere 
Preigne, Venraadtes ans KalHmucho», dtoll (voi^ RicBe S. ZXCS) 
n. a. beisnbriiigak tiivt wolil aldit erat not. Aber daiaiif sei hin- 
gewiesCB, wie genau VergU ecl. VI 47 {ah virgo ütfelix, guae te de- 
mentia cepit) Vi. 52 sich der Art der von ihm eicerpierten Epyllien 
anfje schlössen hat. Er wird das wiederholte ah virgo infelix! 
wohl nicht direkt aus Calvus (Fr^i. 9 B.) entnommen haben, den Ser- 
vius zur Stelle citiert, sondern durch Vcrmittelung des Gallus. Nach 
dieser letztangeführten Analogie interpungieie ich Cäria 167 saeva 
vebtt . . . BisUmis . . . (infelix virgo J) Ma baeekatur in ur^, ÜCnch 
diese Stelle wird wie V. 71 unter dem Einflösse des Calros stehen. 

3) De CaUim. Cjrdipp. 69. Ähnlich Snäeit sich Rohde Roman 
S. 93 Anm. 3. 

SkttCtch, Ana Yatgik FiBlueJt. 6 



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— 82 — 



schon nach dem jetzigen Stand unserer Untersuchung 
als eine recht bedenkliche Annahme bezeichnet 
werden. Der Verfasser kann aber andererseits ge- 

wifs nicht zu den älteren Neoterikern gerechnet 
werden, denn er ist Calvum et doctus cantare Catullum\ 
letzteres ergiebt sich aus seinen zahlreichen Catull- 
nachahmungen, die man z. B. von Bährens PLM II 
i86if. zusammengestellt findet, ersteres aus dem was 
S. 8i Anm. i erwähnt ist. 

Wir gehen nunmehr dazu über, dem Inhalt der 
Ciris abzufragen, was im allgemeinen über Kreis imd 
Zeit ihrer Entstehung sich ermittehi lalst. 

6. 

Der Verfasser der Ciris ist Epikureer, Das 
spricht er deutlich gleich mit den ersten Versen 

seines Gedichtes aus: 

. . . me vario iactatum laudis amore . . • 
Cecropius suavis expirans hortulus auras 
florectis viridi sophiae complectitur nmbra. 

Nur darüber, scheint mir, kann man zunächst im 
Zweifel sein, ob diese Verse ein Studium in Athen 
selbst voraussetzen; trotz des Zusatzes Cecropius könnte 
man auch für möglich halten, dafs der Dichter sich 
in Rom dem Kf)iroc geweiht hat Den Ausschlag giebt 
aber doch wohl, was sich fast unmittelbar anschlieist, 
die Schilderung der Panathenäen und des Peplos. 
Der Gedanke, sein Werk mit dem heiligen Gewände 
der Göttin zu vergleichen, den Namen des Adressaten, 
den er in sein Werk verweben will, mit den Figuren, 
die in den Peplos eingestickt sind — dieser Gedanke 
ist dem Dichter doch wohl dadurch eingegeben, dafs 
er selbst in Athen den Peplos geschaut hat Denn 



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- 83 - 



so üblich es bei den Alexandrinern ist die Schildereien 

auf Mänteln, Tüchern \md dergleichen als Gegenstand 
von Einschachtelungen zu wählen^), so nahe also 
vielleicht der Vergleich mit einer Webearbeit im 
allgemeinen hier gelegen hätte, die besondere Art 
unseres Bildes verlangt auch eine besondere Er- 
klärung. 

Der Dichter der Ciris hat aber nicht blols m 
Athen epikureische Philosophie studiert, sondern er 
ist auch dabei, auf Gnmd dieser Stadien ein Lehr- 
gedicht zu schreiben. Dies mit Sicherheit zu be« 
haupten wurden wohl die Verse 36 £ uns schon 
allein berechtigen, die den Wunsch aussprechen, den 
Adressaten der Ciris 

purpureos inter soles et Candida Itmae 

sidera 

aatiir»e rerum magnis intexere cartis 

aed qtioniam ad taataa aiinc primmn naadmnr artea, 
bqhc pzimimi teneroa finnanraa xobofe nervoi, 
liaec tarnen interea . . . aecipe dooa. 

Aber ich verdanke es Bücheler, der mir seine 
prächtige Emendation von V. 5 hier mitzuteilen er- 
laubt, dafs ich den Beweis auch auf die bisher dem 
Verständnis in einem wesentlichen Punkte ver- 
schlossenen Verse i — 9 stützen kann. Sie haben 
zu lauten: 

Etsi me ... Cecropfna • • • hortnlna • • ■ 
florentia viridi aopliiae compkctitDr imibffa 

5 (nt mens quiret eo dignnm sibi qnaerere carmeo, 
longe aliud Studium atque alios accincta laborea 
altins ad magni suspendit sidera mundi 



I) Apoll. Rhod. I 721 e,, Catnll 64. 

6* 



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- 84 - 



et placitum paucis ausa est ascendere collem), 
non tarnen absistam coeptum detezere Carmen*). 

Die Zeit, in der man zur epikureischen Lehr- 
dichtung neigt, habe ich schon oben S. 47, soweit 
das thunlich war, umgrenzt Mag Horazens Absage 
an den Epikureismus in der spätestens im Jahre 23 
geschriebenen Ode Parcus deorunt (I 34) noch so 
wenig ernst gemeint sein, sie spiegelt doch die 
Stimmung der Zeit wieder. Areios Didymos, den 
Augustus sicher schon zur Zeit, als Drusus starb, 
bei sich hatte wie später seine Söhne Dionys und 
Nikanor, neigt zur Stoa^. Dafs sich jemand nach 
19 V. Chr. vornähme in Zukunft einmal ein epi- 
kureisches Lehrgedicht zu schreiben, wäre wieder 
ein Anachronismus. Umso besser pafst die Absicht 
in die Zeit, in der wir uns nach den vorausgehenden 
Abschnitten die Ciris entstanden denken. Auch der 
terminus post quem, den uns dort Catull und Calvus 
abgaben, erweist sich als zutrefiFend, Denn wie diese 
so benutzt die Ciris auch Lucrez, wofür ich wieder 
auf Bährens PLM n 186 ff. verweisen kann"); sie mufs 
also wohl nach 54 fallen. 



l) In V. 5 geben die Handschriften Tum mea (oder Tu med) 
gu{a)eret eo d. s. q. c, MenSy das wegen accincta und ausa nötig ist, 
bat Keil gefunden; eo^ auf hortulus bezüglich, und quaerere können 
keinen Verdacht einflöfsen, Vt und quiret stammt von Bücheler; 
letzteres mufs ja wohl jeden ohne weiteres überzeugen, dann ist aber 
ut nötig, um den Konjunktiv zu erklären und der ganzen Periode 
Form zo geben. Bücheler bemerkt mir noch: „quiret und nicht 
etwa queat nach strenger lat. Zeitfolge wegen der vorausliegenden 
Studien". 2) Sen. Marc. 4, 2; Sueton Aug. 89. 

3) Die Vorstellung, dafs der epikureische Weise wie von einer 
Burghöhe auf die irrenden Mitmenschen herabsieht (Ciris 14 — 17), 
braucht allerdings nicht notwendig aus Lucr. II 7 fT. zu stammen 



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- 85 - 



7. 

Der Adressat der Ciris wird in V. 54 angeredet 
Messalla, in V. 36 iuvenum doctissime. Sehen wir 
auGÄi ganz ab von allem bisher Ermittelten, so 
scheint schon diese Anrede in eine andere Zeit zu 
weisen als die gewöhnlich für die Ciris angesetzte. 
Wer nicht in dem iuoenum doctissime eine leere 
Phrase sehen will, kann unter MessaUa nur den be- 
rühmtesten seines Namens verstehen, dem in seiner 
Jugend, als er kaum viel über 16 Jahre alt war, Cicero 
das bekannte rühmliche Zeugnis ausstellt: graot 
iudicio muUaque arte se exercuit in verissimo genere 
iiandL Tanta mUem mdusina est tantumque evi- 
gilat in studio ut non maxima ingenio, quod in co 
summum est, gratia habenda vtdcatury um nur das 
auszuheben, was für uns das Wichtigste ist^). Was 
aber giebt seinem Sohne Messallinus^), was anderen 
Messallae, an die man gedacht hat, ein Anrecht auf 
jenen Ehrentitel? Aber nicht nur darum ist in der 
Ciris der berühmte Messalla eher als jeder andere zu 
verstehen. Man wird aulserdem in die Wagschale noch 
sein eigenes Ringen um die Palme in alexandrini- 
sierender Dichtung werfen dürfen (oben S. 2 1 £), femsx 
das Verhältnis, in dem er zu einer ganzen Reihe 
von Dichtem gestanden hat Selbst das aber spricht 
noch nicht so für ihn wie des Grisdichters Studium 
in Athen. Denn dort hat auch unser Messalla 



(vergl. Vollmer zu Stat. silv. II 2. 131); aber sicher sind Entlebnungeil 
formeller Art (Bährens zu Y. 7, 142, 169 u. a.). 
I) Ad BroL I 1$ in. 

3) Üborllm MoiDm8en^plieiD.epagr.X34i;FioaoiMC^ 



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— 86 — 



studiert und zwar gerade in der Zeit, in der auch 

jener Anonymus sich dort aufgehalten haben kann, 
im Jahr 45 und 44 v. Chr.*). 

Ist aber hiemach unsere Ansicht von der Persön- 
lichkeit des Messalla in der Ciris weitaus wahrschein- 
licher als jede andere, so wird ebenso wahrscheinlich, 
dafs die Ciris nicht nach 19 v. Chr., sondern viel 
früher entstanden ist Denn M. Valerius Messalla, 
dessen Greburt wahrscheinlich sogar noch einige 
Jahre vor das überlieferte Datum 59 fallt konnte 
nach 19 wohl nicht mehr gut mvenis angeredet 
werden, dagegen vortrefflich z. B. zur Zeit seiner 
athenischen Studien, wenn er schon 64 geboren war. 



Als letztes inhaltliches Argument, das uns in 
den Entstehungskreis der Ciris weist, sehe ich die 
Form der Sage von Scylla an. Sie ist von Rohde^ 
eingehend untersucht worden mit dem Ergebnis, dals 
zu der Version des Gedichtes Ciris von allen antiken 
Quellen nur Vergil*) und Parthenios genau stimmen, 
aus dessen Metamorphosen ein glückliches Ungefähr 
gerade das erhalten hat, was uns hier von nöten 
ist^. Da nun Veigil nur das Ende der Scylla er- 
wähnt, nicht ihre Vorgeschichte, so kann nicht er 
die Quelle des Cirisdichters sein, sondern, wie schon 



1) Cic. ad Att. XII 32, XV 17. 2; Nipperdey Opusc. 297; 
Frosopogr. imp. Rom. m S. 365. 

2) H. Schals De MessaHae aetale, Stettin 1S86. Prosopoer. 364. 

3) Roman S. 93 Anm. 3. 4) Geoif . I 404 ff. 

5) Eustathios und Scholien zom Periegeten Di<mys V. 420; 
Mtinek» AnaL Alex. S. 270 ff. 



8. 




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- 87 - 



Heyne geschlossen hatte und nun wiederum Rohde 
schliefst, nur Parthenios. 

Um zu erkennen, wie sicher diese Folgerung 
ist, muls man bei Rohde nachlesen, wie vie IVarianten 
der Erzililung existiert haben; man sieht dann, da& 
schwerlich etwa eine zufölUge Auslese unter ihnen 
zwei Autoren zu genauer Übereinstimmung in ihrer 
Erzählung fiihren konnte. Aber ich glaube Rohdes 
Argumentation auf anderem Wege sogar noch ver- 
stärken zu können. Die bei den Alexandrinern öfters 
begegnende abschätzige Beurteilung Homers raufs 
Parthenios besonders stark ausgesprochen haben. 
Man ist ja wohl heute darüber einig, dafs auf ihn 
das Epigramm AP VII 377 geht, obwohl die Über- 
schrift TTope^viov Töv (t>u)Ka^a statt Nuco^a lautet^). 
Hier heilst es von ihm: 

« 

^fVocc tcal Mav(tic 6f| töcov, i&ct* fttopcOon 

ich-meine diese Manie in der Ciris noch an einer 
bisher nicht richtig interpretierten Stelle zu erkennen. 

Wie wir schon erwähnten, sind dort im Eingang die 
verschiedenen Berichte von Scylla zusammengestellt, 
um dann in Bausch und Bogen abgethan zu werden. 
Nur einen würdigt der Dichter einer Art Wider- 
legung; es ist gleich der erste. „Viele Dichter haben 
behauptet, Scylla sei das Meerungeheuer": 

illam esse aammidt quam saepe legamus Ulm . . • 
60 DiUichias vexMie ntes et giugile in «ho 

x) Vagi. Dilthey De Cydippa S. 24: das Epigramiii erwUmt 
Elegken des betr. Fiifhenios; soklie hat awar P. vim NUcaia, aber 
nicht der Grammatiker Ton Pbokaia gesduriebeii. Ein anderer Beweis 
bei Koaack Hennes XXV 88 i. VeigL SosemiU Akx. I^, I S. 193 
Aam. 113. 



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— 88 — 



depventot navtas caoitNi« hceiMae mariais. 

sed neque Maeoniae patiuntnr credere cartae 

nee malas istoriim dnbiia erroribns auctor. 

Die Bedeutung des vorletzten Verses kann un- 
möglich sein: „die mäonischen Qiarten gestatten nicht, 

das zu glauben (weil sie etwas anderes berichten)", denn 
sie berichten ja gerade dies vielmehr wirklich. Sondern 
man kann nur verstehen: „die Sache ist unglaublich, 
weil sie in den mäonischen Charten steht" Damit 
ist aber auch der Sinn des letzten Verses bestimmt, 
wo freilich die üblichen Deutungen des auctor auf 
Ulixes oder Neptun schon durch den Zusatz maliis 
ausgeschlossen sind: auctor kann gar kein anderer 
sein als Homer, der die dubii errores des Ulii^es 
und seiner wnUae nach unseres Ver£eissers Meinung 
nur schlechtp unglaubwürdig erzahlt hat Dals diese 
unehrerbietige Aulserung nicht v<Mi den Ronerf 
sondern seiner Vorlage Parthenios stammt, ist eine 
Annahme, die sich mit Rohdes Beweis gegenseitig 
festigt 2). 

Hier haben wir nun fast schon einen Hinweis 
auch auf die Persönlichkeit des Römers; ich erinnere 
nochmals daran, dafs Parthenios selbst von Gallus 
als Quelle benutzt sein wollte. Aber ich will mich 

1) Patt mit der Negation nähert sich dem Sinn von efßcere ut 
mit Negation. Ähnlich perpeti bei Catull 68, 6. 

2) Hat also Cicero, wie Haupt meint, mit dem Worte cantores 
Bu^herionis im J. 44 gerade über Gallus gespottet (oben S. 3)^ so 
kSunte dch dne andere knn nachher gesc]iiid>ene Stdie (Dir. II 133) 
eben&IIs gerade gefen Gallus wenden, um ihm Kritiken Homers 
vie die m der Oxis an venrdsen: ÜU vtro nimk güam obsemmt 
Euphorion; at non Honurm, Vier iffitur melior? wo üle zweifellos 
auf die damals übliche Bewunderung Euphorions hinweist. Diese 
Vexmatoog stammt von Merkel Prolnsio ad Ibin S. 355. 



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- 89 - 

damit begnügen auch hierin nur einen Hinweis auf 
eine bestimmte Zeit und Richtung zu sehen. Um 
von zweifelhaften Zeugnissen abzusehen, wissen wir 

das eine ja ganz bestimmt, dafs Vergpl gelegentlich 
den Parthenios nachgeahmt hat^). "Die ganze Art 
des Mannes, der dem Euphorion wahlverwandt war, 
muk den Neoterikem besonders behagt haben. Dann 
interessiert sich, soweit unsere Zeugnisse reichen, erst 
Tiberius wieder für seine gelehrten Poesieen^. Aber 
daraus soll man nicht etwa schliefsen wollen, dais 
die Ciris so weit hinabgeriickt werden könnte; denn 
nicht lateinische Nachahmungen waren es, um die 
es dem Kaiser zu thun war, sondern nach Suetons 
ausdrucklichem Zeugnis griechische. 

9. 

Auch im letzten Punkte habe ich darauf ver- 
zichtet ein Indicium eines bestimmten Verfassers zu 
sehen. Der Leser wird mir also Zurückhaltung nicht 
absprechen, aber er wird wohl um so gelangweilter 
und enttäuschter fragen, wo denn die sicheren Be- 
weise bleiben, die ich versprochen habe. Ich muls 
ihn nun sogar noch einen Augenblick längw auf- 
halten, ehe ich dazu gelange; w^r müssen erst ein 
kleines Hindernis aus dem Weg räumen. 

Nach Ribbeck ^) „deutet der Verfasser der Ciris 
an, dafs er schon in vorgerücktem Alter stehe und 
eine Laufbahn als Staatsmann hinter sich habe. Der 
öffentlichen Geschäfte überdrüssig hat er sich nach 
Athen zurückgezogen, wo er dem Studium der 

i) Georg. I 437; Gell. XIII 27. 2) Sueton Tib. 70. 
3) Rom. Dichtung II* 354. 



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— 90 — 

epikureischen Philosophie obUegt Als dereinstige 
Frucht dieser Studien plant er ein großes Lehr- 
gedicht • . . • Einstweilen aber bietet er eine vor 
« langer Zeit begonnene, mühsam ausgeführte, längst 
versprochene Jugendarbeit«. Wenn das so ist, dann 
kann die Ciris freilich nicht von Gallus stammen, 
dessen Gedicht über Scylla vor der sechsten Ekloge, 
also jedenfalls vor dem Jahr 39, dem dreifsig^ten 
oder höchstens einunddreifsigsten seines Lebens ge- 
schrieben war. Aber ich kann in der Ciris nicht 
nur nichts von den Ribbeckschen Altersangaben ent- 
decken, sondern finde sogar ausdrücklich eine ent- 
gegengesetzte. Der Vei&sser schildert sich als vaHo 
tactatum laudis amore irrüapu exferhim faUads 
fraemia vulgi (V. i f.); nur hieraus kann Ribbeck das 
vorgerückte Alter des Dichters erschlossen haben 
und dafe er schon eine Laufbahn als Staatsmann 
hinter sich habe. Ich brauche nicht auszufuhren, dafs 
diese Worte auch ein Mann von etwa 25 Jahren 
sprechen kann, um so eher, wenn er sich als den 
durchdrungenen Epikureer hinstellen will, der der 
Lehre seines Meisters folgend^) dem politischen Ehr- 
geiz entsagt hat Ebenso kann natürlich auch ein Mann 
etwa dieses Alters davon sprechen, dafs er jetzt sich 
der Philosophie zugewendet habe statt der Dinge, 

in qmbns aevi 

45 prima radimenta et iuvenes eMgimns aanot. 

Endlich heilst es doch die Worte in ganz uner- 
laubter Weise pressen, wenn unter dona pramtssa diu 
(V.47) durchaus^lche verstanden werden sollen, die ein 



I) O0b4 noXiTcOccTat 6 coqxk, Usener Epicurea S. 94 ff. 



— 91 — 

alter Mann in seiner Jugend versprochen hat Wenn 
aber bis hierhin meine Interpretation nur der Rlbbeck- 
schen gleichwertig erscheinen mag, so entscheidet 
ohne Widerrede zu meinen Gunsten V. 42f.: 

. . . quoniam ad tantas nunc primum nascimur artes, 
nunc primam teneros fimamus robore nervös; 

das v^re im Munde eines Alten unerträglich. 

lO. 

Nun haben wir die Bahn frei für den Nachweis» 
dals die Ciris nicht etwa blols Eigentümlichkeiten 
hat, die ein Epyllion des Gallus gehabt haben kann, 
sondern dals sie wirklich selbst ein Epyllion des 
GraUus ist 

Wir erinnem zunadist wieder an die sechste 

Eklog«. Aus ihr hat sich uns ergeben, dafs Gallus 
ein Epyllion über Scylla, die Tochter des Nisus, ge- 
schrieben hat. Die Identiticierung dieses Epyllions 
mit unserer Ciris, wie sie Vofs und andere vorge- 
nommen haben, konnte zunächst als eine blofse vage 
Vermutung erscheinen, obwohl doch, wie ich meine, 
es von vornherein nicht gerade zu den wahrschein- 
lichen Annahmen gehört, dals mehrere Epyllien über 
diesen Stoff existiert haben imd uns gerade eins 
der anderen erhalten sein soDte. Jedenfidls aber hat 
jetzt für uns die Vermutung bereits erheblich an 
Festigkeit ' gewonnen. Der Dichter der Ciris hat 
sich als ein richtiger cantor Euphorionis erwiesen, 
ihre Zeit begrenzte sich durch die Herausgabe des 
Lucrez, den die Ciris nachahmt, einerseits, den Be- 
ginn der augusteischen Zeit etwa andrerseits. Dafs 
aber in dieser Zeit dem Gallus auf seinem eigensten 



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_ 92 ~ 

Gebiet em Nebenbuhler erstanden sein sollte, der 
genau denselben Stoff in genau derselben Art zu 
behandeln unternahm, wird man schwerlich glaublich 
finden. 

II. 

Die Ciris pafst aber für Gallus, wie ihn die 
sechste Ekloge feiert, nicht blofs in diesen, sondern 
in noch viel spezielleren Dingen. Das erste, was 
Süen singt, ein Gedicht des Gallus also, ist ein 
epikureisches Lehrgedicht über das Werden der Welt 
mit lucrezischer Färbung. Mit einem epikureischen 
Lehrgedicht de rerum natura fanden wir auch den 
Dichter der Ciris beschäftigt (V. 39 u^ ö.); lucrezische 
Färbung ist auch in der Ciris zu eikennen^). 

Hat man bisher noch an Zufall glauben können, 
jetzt ist er wohl ausgeschlossen. Dafs in jener Zeit 
zwei Leute eine Ciris schrieben, konnte noch denk- 
bar erscheinen, nicht mehr aber, dafs sie beide auch 
ein epikureisches Lehrgedicht vorgehabt hätten, es 
müfste denn sein, dafs der eine den andern voll- 
kommen nachzuäffen beschlossen hatte. 

Es läfst sich aber sogar auch das noch zeigen, 
dafs die Verse von der Scylla Nisi in der sechsten 
Ekloge (V. 74 — 77) nur auf unsere Ciris gehen können. 
Sie bilden ein altes Problem der Interpretation und 
selbst der Kritik, die Verse: 

Quid loqiiar snt Scyllam IQii, qvam fam& Mcutait^ 
7S Candida sncdnctam ktiatitibiia inguina monttris 

1) Siebe oben S. 84 Anm. 3 (vergl. S. 45 f.)- Dies AigamoA 
hatte schon Merkel gefunden, Prolusio ad Tbin S. 369. 

2) DaÜB hier das ungleich besser bezeugte aut dem ut des Ro- 



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— 93 — 



Dulichias vesusae i»tes et gorgite in alto 

a! timidos nautas canibas lacerasse marinis» 
aut ut mutatos Terei oarraverii artus. 

Servius hebt zu V. 74 die Schwierigkeiten der 
Stelle treffend hervor imd giebt eine Anzahl alter 
Erklärungsversuche: ScyUae duae ßteruni^ una Phorci 
U Creteidos ßia .... monstrum marwum . . . Altera 
vero Scylla fuit Nisi tn avem Cirin conversa • . • 
Modo ergo Vergilius aut poeiarum more miscuil 
fabulas et nomen posuit pro nomine, tit diceret 'Scyllam 
Ntst* pro ^ Phorci . . . aut certe sit hysteroproteron, 
ut quasi utriusque fabulae videatur facere comme' 
moratio7wm, ut intelleg amus ^quid loquar Scylla7n 
Nisi, aut quam fama secuta est, . . aut certe ^aut* 
bis accipiamus ^ quid loquar aut Scyllam Ntsi aut 
quam fama secuta est\ Es bedarf allerdings, so leicht 
unsere Kommentare auch darüber w^igehen, dringend 
einer Erklärung, wie Verg^il zu dieser anscheinenden 
Vermischung der beiden Sagen kommt Grewils ist ja, 
dais „römische Unkenntnis der griechischen Mytho- 
logie«, wie es ein Engländer formuliert hat, oder, wie 
wir vielleicht besser sagen, römische Gleichgiltigkeit 
zu dieser Kernfusion bisweilen wirklich gefuhrt hat 
Aber sicher doch erst nach der Zeit der Vergilischen 
Eklogen. Demi es ist, ob auch mehrfach behauptet^), 
doch keineswegs richtig, dafs bereits der Dichter 
der Ciris in den Versen 54 ff. gegen jene Vermischung 
polemisiere. Er weifs nichts davon, dafs irgend wer 
geglaubt hätte, die Scylla Nisi sei zum Meer- 



manns vorzuziehen ist, liegt auf der Hand, ebenso d&fs ut narraverit 
diTÖ KOlvoO zu beiden ««/-Sätzen gehört. 

I) Z. B. von Vols zur Stelle, ähnlich auch von Rothsteiu zu 
Propcrz IV 4. 39. 



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— 94 — 

ungeheuer geworden; seine Kritik, die uns ja gerade 
darum in manchem Punkte offene Thüren einzurennen 
scheint, häuft vielmehr nur alle wSagen zusammen, die 
sich an den Namen Scylla im allgemeinen geknüpft 
haben. Von der Scylla Nisi im besonderen spricht 
er m dieser Kritik überhaupt nicht; wie hatte er 
auch sonst gerade Homer hier angp-eifen können, der 
ja einen Vater der Scylla gar nicht nennt? Vergil 
seinerseits aber ist gegen den Verdacht der Un- 
kenntnis oder Gleichgütigkeit in diesem Dinge be- 
sonders wirksam geschützt, denn er weifs Georg. 
I 404 £ mit dem Veigehen der Scylla Nisi und ihrer 
Metamorphose in die Ciris ganz genau Bescheid. 
Erst Properz IV 4. 3 9 f. und Ovid F. IV 500 verdienen 
jenen Vorwurf wirklich; wer die Verse dichtete: 

quid mirum in patriüs Scyllam saevisse capiUos 
candidaque in saevos iuguina versa canes 

und 

efFugit et Syrtes et te, Zanclaea Charybdis, 
et vos, Nisaei, naofraga monstra, canes, 

der hat allerdings die Scylla Nisi und das Meer- 
ungeheuer nicht geschieden. Aber es ist vielleicht 
für manchen die Vermutung überzeugend, dafs gerade 
erst die dunkle Vergilstelle zu der Vermischung bei 
Späteren geführt hat; ist ja doch auch der Ausdruck 
bei Ptoperz deutUch durch den Vergilischen Vers 75 
bestimmt: 

eandida snccSiictam latrantibiu ingnina monatris. 

Wie dem auch sei, wir können die Konfusion 
erst nach Vergil, für Vergil selbst aber die scharfe 
Scheidung der beiden Scyllen erweisen. Folglich 
mufs diese Scheidung auch in den Versen 74 fr. vor- 
liegen. Wir dürfen sie aber natürlich weder durch 



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— 95 — 



Konjekturen, wie sie in jungen Handschriften stehen 
{amt Scylkm Nisi out pum /ama secuta est, in 
Obereinstimninng mit der einen Erklärung hei Ser« 
vius), noch durdi Ihterpretationskünste wie die des 
Servius hineinbringen. Dagegen wird sie sich auf 
die einfachste Weise ergeben, sowie wir uns an 
das oben S. 80 erklärte Fragment des Euphorion 
(XXXVI M.) erinnern; die /ama bei Vergil ent- 
spricht der |nia qpniuK; bei Euphorion, die der Dichter 
verwirft. Wir können etwa übersetzen: Scylla, die 
Tochter des Nisus, der das Gerücht nachgeht, oder 
der man das Gerede angehängt hat, dais sie u. s. w. 

Ich halte diese Erklärung nicht blofs für den 
leichtesten, sondern für den einzig möglichen Ausweg 
aus der Schwierigkeit Wenn das aber so ist^ dann 
kann doch wohl nicht zweifelhaft sein, da& wir es 
hier mit einer Anspielung gerade auf die Ciris zu 
thnn haben« deren Dichter sich in seinem Prooemium 
so viel Mühe gab, eben der Verwechslung seiner 
Scylla mit dem Meerungeheuer, das Homer schildert, 
vorzubeugen. Eine solche Anspielung, eine solche 
sachliche Entlehnung ist ja ganz im Geiste der Katalog- 
dichtung, wie wir sie in unseren ersten drei Kapiteln 
kennen gelernt haben. Aber wir haben auch das 
gesehen, dals Katalogdichter sich mit sachlichen An- 
spielungen nicht begnügen» sondern vielfach zu wört> 
Uchen Entlehnungen greifen. Und auch das finden 
wir nun hier wieder: die Veigilischen Verse 75 — 77 
sind nichts als ein fest genau wörtliches Citat aus 
Ciris 59 — 61: 

Candida succinctam latrantibus itijjuina raonstlis 
Dulichias vexassc ratcs et gurgite in alto 
deprensos nautas canibus lacerasse mahnis. 



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- 96 - 



Es kann jetzt keinem Zweifel mehr unterliefen: 
imsere Ciris sollte hier unter die übrigen Dichtungen 
des Grallus einregistriert werden. Vergil überl^e, 
wie er sie kennzeichnen sollte, und — da man ihm 
doch wohl nicht zutrauen darf, dafs er aus blolser 
Bequemlichkeit bei den Anfangs versen stehen blieb — 
er wählte das, was als besonders kunstreich und ge- 
lehrt erscheinen mochte, besonders eines cantorEupho- 
rionis würdig: die Sagenkritik. Diese Auffassung hat 
daran noch eine besondere Stütze, dafs Spuren des 
gleichen Verfahrens sich auch sonst nachweisen lassen. 
Noch immer nämlich sind wir die Erklärung jener 
auffälligen Fassung schuldig, die Vergil in der sechsten 
Ekloge den Excerpten aus des Gallus Epyllien über 
die Hylas- und die Philomela-Sage gegeben hat^). 
Er rückt dabei Nebenumstande in den Vordergrund: 
an welchem Quell die Argonauten den Hylas ver- 
loren, was fOr Flügel Philomela bei der Verwandlung 
annahm, scheint ihm wichtiger als der Verlust, die 
Verwandlung selber. Die Vermutung, dals auch hier 
Grallus verschiedene Varianten des Mythos angeführt, 
dann für eine sich entschieden hatte und dals diese 
Kritik Vergil auch hier an jenen Epyllien das Wichtigste, 
jedenfalls das Citierenswürdigste schien, halte ich für 
um so einleuchtender, als ja wirklich beide Sagen in 
den betreffenden Pimkten sehr verschieden erzählt 
wurden 



1) V. 43 und 80, oben S. 33. 

2) Für Hylas vergleiche man die Zusammenstellun^'en von Türk, 
De Hyla, Breslauer philol. Abhandlgn. VII Heft 4. Während Theo- 
krit XIII keinen Namen nennt, wohl aber die Quelle genauer be- 
schreibt, naimte Nikandros (Antonin. Lib. 26) wie auch andere den 
FlttA Askaoios (Kfou tid «poXPQciv. Dionyt. Ferieg. 807}, dae^gen 




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— 97 — 



Dals die Verse 75 — 77 der sechsten Ekloge aus 
der Ciris entnommen sind, halte ich hiemach für 
sicher. Und ich glaube, dafs gerade die einzige 
kleine Verschiedeaheit im Wortlaut dies Eigebms 
noch bestätigt Der Vers 77 

ftl timidos nautas canibos Uoenase marims 

lautet in der Ciris 61 

deprensos nantat canibiu lacerasBc marhiw, 

beides an sich gleich vortrefflich. Aber doch läfet 
sich auch hier noch zeigen, dals die Fassung Vergils 
aus der anderen umgestaltet ist Es ist nämlich 

erstens gar nicht abzusehen, was für ein Grund den 
Cirisdichter zur Änderung des Vergfilischen Wort- 
lauts hätte reizen können, zumal dieser mit dem ein- 

ApoUonios Rhodios I 1222 die Quelle Pegai (ebenso Properz I 20, 
doch endieint bei flim daneben der Aacanins in V. 5). "Vidldclit 
liegt wach, im Avadniek des ApoUcnioa etwaa Polemiaches: 

ahfa b* ö Tc Kpf|viiv ^€TClcCaee liv Md&nia 
TTirr&C drx^Tuoi neptvatfrau 

FSr TeieiM und Fhüomele giebt Vola sax Stelle einen fBr uns 
ausrdcbenden Überblick fiber die Varianten. Man kann fibrigens die, 
der Gallitt gefolgt ist, noch in allem Weaentüchen featiteHen. Ihm 

war Ptilomele die Gattin des Tenos» denn sie richtet ibm das Mahl 
und fliegt nach der Verwandlung sua tecta super (ecl. VI 79 u, 81). 
Verwandelt wurde sie in die Nachtigall, denn gewifs hat sich Vergil 
mit seinem vielcitierten Freunde mindestens nicht in Widerspruch 
setzen wollen , als er Georg. IV 1 5 , wo er gar keinen Anlafs hatte 
auf irgend welche Verwandlungs sagen einzugeben , gleichwohl schrieb: 

et manibus Procne pectus signata cruentis. 

Dies aiTiov für die (an der Kehle rotbraune) Färbung der 
Rauchschwalbe hat auch Ovid Met. VI 669 f. , bei dem aber Progne 
die Chittin des Tefeos ist, wUuend er sich über die Metsmoiphose 
V. 668 1 anffiOUg sweideotig snsdiflckt. Dagegen am. n 6, 7— to 
klagt lUloinde nm Itys; hier hst also Ovid die andere Version. 
Sktttteli, AntVacgili FfOhialk 7 



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- 98 - 

geschobenen ahi der eigenen Liebhaberei des Ciris- 
dichters (oben S. 8i) so entgegenkam. Zweitens aber 
stimmt das defrensos der Ciris zu den bei Homer 

in der Scylla^Episode (^ 85 ff.) beständig wieder- 
kehrenden Ausdrücken ^Xtjciv V. 96, tocouc qpiiuTac 
^XriTai V. 123, CkuXXt] KOiXr)C dK vriöc ^laipouc <^ eXeS* 
V. 245 und V. 100: 

(pipci hk TC Kpori ^Kdcnt» 
qkbt* igopirdEaca vaUc icuavoitpt})po«o, 

und diese Übereinstimmung ist darum gewifs nicht 
zufallig, weil ja hier eben jene homerische Schil- 
derung der Scylla wiedelgegeben werden soll, die der 
VerfiEisser nachher für unzuverlässig erklärt Warum 
VeigÜ umgestaltet hat, kann ich mit Sicherheit frei- 
lich auch nicht angeben, aber ich finde doch einen 
im Zusammenhang unserer Erörterungen recht pro- 
babeln Grund, und das ist jedenfalls bedeutend mehr 
als bei der umgekehrten Annahme möglich war» 
Wir haben in Ovids Trauergedicht auf TibuU ein Bei- 
spiel einer eigentümlichen Gepflogenheit der Katalog- 
dichter nachgewiesen; er verwendete Worte, die er 
aus TibuU citierte, mit besonderer Feinheit gerade 
in anderem Zusammenhange als Tibull. Gerade so 
ist VergU in der sechsten und der zehnten Ekloge 
ver&hren. Ich hoffe ja, dafe der Leser jetzt davon 
überzeuget ist, . dals kein anderer als Gallus die Ciris 
geschrieben hat, hoffe bestimmt, wenn er es doch 
noch nicht sein sollte, im fünften Kapitel Arn davon 
zu überzeugen; in jedem Fall darf ich schon jetzt 
als Entlehnungen aus der Gris beliehnen VI 81: 

quibus ante (PMlomela) 
iafelix sua tecta super voUtaverit alis, 



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— 99 ^ 



was aus Ciris 51 stammti dort aber von Scylla gpe- 
sagt ist, und X 69: 

omaia vincit Amox: et not cedamns Amori^, 

dessen erste Hälfte aus Ciris 437 entlefant ist Zu der 
ersten Stelle hat Merk^^eine vortreffliche Bemerkung 
gemacht^. Er meinte dals VergU darum nichts weiter 
als jene Polemik ans der Ciris in der sechsten Eld<^e 
dtiert habe, weil er sonst zwei Verwandlungen in 
Vogel hintereinander (Qris und PhUomela) Idtte er- 
zählen müssen — und das läfet sich durchaus auch 
neben unserer Begründung (oben S. 96) hören — ; da- 
durch habe er das vortreffliche Versende der Ciris sua 
tecta s. V. a. zu anderweitiger Verwendung frei be- 
kommen und es nun in sehr geschickter Weise für die 
Verwandlung der Phüomela benutzt, während doch 
gleichzeitig der kundige Leser, wenn er solch feinem 
Spiel der Associationen zu folgen vermochte, sich da^ 
durch hier an das von Vergil vorher nicht erwähnte 
Schicksal der; Scylla Nisi erinnert fühlen mu&te^ das 
Gallus eigentiich mit diesem Vers geschildert hatte. 
Ein ahnlich beziehungsreiches S{iiel liegt ecL X 69 vor; 
den Satz, den Gallus einst seine Scylla hatte sprechen 
lassen: mimia vidi Amory muis er nun mit leichter 
Änderung an sich selbst erfahren*). Nach all diesen 
Analog^een fühle ich mich zu der Vermutung be- 

1) Der Romanus hat hier merkwürdigerweise vicit wie die Ciris, 
doch verlangt der Znsammenhang bei Yergil wohl das Präsens, das 
aufserdem durch eine besonders groise Zahl von Grammatikern be- 
glaubigt ist 

2) Prohisio ad Ibin S. 370. Übrigens ist nicht nur, was dort 
Ober Galhis gesagt wird, lesensweit, sondern die ganze Prolnsio ver* 
diente weit mdur Betebtnng, als ihr heute an tdl wird. 

3) Ommia^ viieä AhAt; et mt ctdmmu Ämorit Dam noch 
eine Beme rkun g, Vergil hat Lingnng kmner Sflbe in der Hebung 

7* 



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lOO — 



rechtigt, dals ahi nUseros nautas für deprensos tunUas 
durch eine Quellenkontainiiiatioii eingetreten ist; ah 
müerffs {müerum, mtseram oder dergl.) wird iigend 
ein tins verlorener Vers des Galhis begonnen haben, 
in dem er wieder einmal seiner Vorliebe für diese 
Interjektion nachgab. 

Aber auch eine Einzelheit des Wortgebrauchs 
in den Versen ecl. VI 74 — 77 dient zur Sicherung 
unseres Ergebnisses oder stimmt wenigstens vortreff- 
lich dazu. Von Scylla heifst es da Dulükias vexasse 
rotes mit einer aufßUligen Verwendung von vexare, 
Aimaeiis Conmtus liatte sie sogar als incuriosa ei 
ahieeta getadelt; vexasse verhum esse leoe et temds 
ac pafvi ineommodt nec iantae airocüaH C0ngruere\ 

natarlicH auch sonst nicht ganz selten. Aber die Art, wie die Kürze 
hier in die Arsis geraten ist, erinnert doch einigerma£sen an Fälle in 
den Centonen wie 

contendunt petere, dubii sea vivere credant 
Poet lat min. IV S. 200 V. 21 B.» Aen. I 158 -|- 218. 

i) Der Angriff des Conrntos ist eriialten bei GdHiis n 6. Was 
danuif bei Gcüsas felgt <|| 5 ff.) stimmt wörtUch mit Servins s« V. 76 
filbevdii* 

Gell.: Sed de verbo vexam itare- 

qxmderiposse credo: Vexasse grave 
verbnm est üactumque ab eo videtur 
quod est vehere, in quo inest vis 
iam (wohl zu tilgen) quacd am alieni 
arbitrii, non enim sui potens 
est qni vebitiir. Vi*mn avtem 
qnod ex eo inclinatiim est, vi 
atqne motu procnl dubio vastiorest 
Nam qni fertnr et raptatar (lap- 
satur der Palimpsest) atque buc et 
illuc distrahitar, is vexari pro- 
prio d i c i t u r (folgen Bemerkungen über 
die Bildung und Bedeutung der In- 



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berv.: v€xats* raus per 

tapinosin dictum est; nam non 
vexavit, sed evertit. quod Pro- 
i bus vult hac ratione defendere 
I dicens vexasse venire ab eo 
quod est veho vecto vexo . . . 
. . . Vexasse est enim vis 
quaedam alieni arbitrii« 
non enim sui potens est 
qni vebitvr. boie dgo In- 
clinatnm verbum est; nam 
qui fertnr et raptatur etbuc 
jatque illuc distrahitur, 7'<r- 
\xari proprie dicitur: CatO 




— 101 — 

Die schlagend richtige Antwort auf diesen Vorwurf 
ist bald erfolgt. Probus erkannte, dafs vexare hier 
in seiner ursprünglichen Bedeutung als Intensivnm 
oder Iteiativum steht: nm quia volgo dici soUt vesca^ 
hm esse ptem ftmo aut vento aiU pulveret f^o- 
pterea debet vis vera etigue natura verH defertre, 
fuae a veiendus pii proprie aique signaU UcuH sunt, 
tta ui decuit, conservaia est; das Wort heilse hier 
/erri aigue raftari atque huc atque illuc disirahu 
So richtig das ist, ich kenne nur einen, der das Wort 
öfters in dieser Bedeutung gebraucht hat: den Autor 
der Ciris. Denn der hat nicht nur V. 60 eben jenes 
Dulichias vexasse rates, sondern sagt auch von der 
an das Schiff gebundenen und so diu'ch die Wellen 
dahingeschleiften Scylla (V. 481 &): 

donec tak decu fonnae 'vexaxier imdis * 
aon tnHt «c nuserofl mntmt vngimi artas 
caeruleo poQens conhux Neptnida regno. 

Auch hier heifst vexarier offenbar ferri, raptari\ 
andererseits war es doch nicht etwa durch das vexasse 
rotes der anderen Stelle so nahe gelegt, dals man, 



tensiva im allgemeinen). §7. M. Ca- in oratione de Acbaeis . . , 
tonis verba sunt ex oratione, Cicero in Verrinis ... 
quam de Acliaeis scripsit ... M. (II, IV 122). 
Tvllins rV. inVerrem (122) . . . 

OflFenbar hat Gellius dies alles mitsamt den Kritteleien des Cor- 
nutns ziemlich wörtlich aus einer Schrift (Kommentar?) des Probus 
ausgeschrieben. Wir können hier einmal recht deutlich sehen, einer- 
seits was unser sogenannter Probus wert ist, in dem von all diesen 
trefflichen Anseinandersetzungen nicht die geringste Spur mehr vor- 
handen iit, andererseits wdch aasgezeichnete Quellen der sogenannte 
'erweiterte' Serrins hat, denn die Weite von vexasse est etdm bis 
zum Schlosse sind nur in ihm erhalten; in den ynigsten Servius, der 



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I02 



vorausgesetzt auch <3afs das sonst anginge, an eine 
Vergünachahraung denken könnte. Wir lernen im 
Verfasser der Ciris auch hier wieder eine im Sprach- 
gebrauch originelle Individualität kennen gerade wie 
in dem, was wir oben S. 68 Anm. i angeführt haben. 



also hier ganz zweifellos nur eine rohe Verkürzung des 'erweiterten' 
ist, ist blofs der Anfang des Probasscholions übergegangen. 



I 



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FÜNFTES KAPITEL. 
VERGIL UND GALLUS. 

Aiaer: Mmpsi um »b iUo aodo. 

I. 

üfit den letzten Erarterungen haben wir bereits 
den Boden betreten, auf dem die letzte Entscheidung' 
^en muls. Ist es denkbar, daß Vetgil einen Vor- 
gänger in der Weise ausbeutet, wie er es mit der 

Ciris gethan haben mufs, wenn sie vor 39 entstanden 
ist? Mancher, der vielleicht gern unsere bisherigen 
Beweise als zwingend anerkennen würde, wird sich 
doch gegen diese Beurteilung Vergils sträuben; auch 
wer schon beistimmt, wird furchten, dafs hier noch 
ein Anstois bleibt, über den in wahrscheinlicher Weise 
nicht hinwegzukommen ist Ich hoffe dagegen zu 
zeigen, dals erstens principiell die Annahme einer sol- 
chen Unselbständigkeit fOr Vergil nidit zu beanstan- 
den ist, zweitens dais wenigstens dne Anzahl der 
Übereinstinmningen, scharf angesehen, zu ebenso viel 
neuen Beweisen für die Priorität der Qris wird. 

2. 

Was die principielle Frage angeht, so mufs man 
sich erinnern, dafs auch gegenseitiges Citieren ein 
Erbstück ist, das die Römer von den Alexandrinern 



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— 104 — 



übernommen haben. Man citiert sich des Kompli- 
ments oder der Polemik willen, man citiert wohl auch, 
um d^dpiupov oübev deibeiv. Apollonios flicht in sein 
Epos eine Versreihe aus Eimaelos ein; Kallimachos 
schreibt ein Epigramm im dorischen Dialekt, nur um 
einen Hexameter Theokrits darin anbringen zu können*). 
Dals in der bukolischen Poesie auch der Griechen 
viel der Art vorliegt, scheint mir wie bei VergU eine 
notwendige Voraussetzung ihrer Würdigung und ihres 
Verständnisses. Aber es ist nicht nötig, weitere 
Einzelheiten auch nur andeutend anzufOhren, wo 
die Thatsache selbst allgemein anerkannt imd oft 
besprochen und belegt ist*). In der zersplitterten 
Litteratur nehmen Haupts Bemerkimgen noch immer 
einen der ersten Plätze ein, in denen namentlich die 
Catullischen Citate und Anspielungen bei Lygdamus 
und Ovid gewürdigt werden. Bisher ist gerade Ovid 
vorzugsweise bekannt als Exploiteur älterer Dichter, 
auch solcher, die für uns völlig namenlos sind, wie 
des Lygdamus und in den spateren Gredichten auch 
der Consolatio ad Liviam^. Es handelt sich hier 
zweiÜBllos allermeistens gar nicht um einen Versuch 
sich fremdes Eigentum unvennerkt anzueignen; viel- 
mehr war im allgemeinen der Zweck des Citates ver- 
fehlt, wenn es dem Leser entging.^) 

1) SdioL t, ApolL HI 1372. ▼. WaAmowits Hennes XIV aoo 
Anm. I. 

2) Ältere Litteratur bei Rohde Roman S. 92 Anm. 3 (Haupt 
op. n 71, Dilthey Cyd. 109 A. 2). Später z. B. Gercke Rhein. Mus. 
XLU 592, XLiV 137 u. 254; Weinberger im 2. Exkurs zur Aus- 
gabe der Hekalefiigmente Ifittei^gii. au dea Pap. lUiiier Bd. VI S. x6. 

3) Biet hoSk ich in der RealencyklopSdie IV 941 endgültig nach* 
gewiesen an haben, 

4) Ftcüte Naumtm guod ^ miUHs alät wrsOtis VtrgüU fec*' 



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— I05 — 



Dies gilt nun vorzugsweise natürlich von der 
Katalogpoesie, wie wir sie im dritten Kapitel ge- 
schildert haben, und so braucht unsere Annahme, 
dafs Vergil Versteile, ja ganze Versreihen aus Gallus 
entnommen hat, eigentlich so wenig eine Recht- 
fertigung wie Vergil selbst. 

3. 

Aber nicht nur so im allgemeinen fühlen wir 
uns zu dem Glauben an umfassende Entlehnungen 
des Veigil bei Gallus berechtigt, sondern es fallt 
auch noch manche auf Vergils Individualitat bezüg- 
liche Beobachtung schwer in die Wagschale. 

Die erste ist die, dals VergU bekanntermalsen 
nicht nur Homer, Theokrit, Apollonios und andere 
Griechen, sondern auch eine grofee Anzahl romischer 
Dichter atiiser Gallus in Kontribution gesetzt hat. 
Man geht wohl nicht zu weit, wenn man ausspricht: 
Vergil hat seine Vorgänger ungefähr in der Weise 
ausgebeutet wie Ovid. Material, da.s deutlich genug 
spricht, haben ja schon die Alten in Fülle zusammen- 
gestellt^); man sehe doch nur, um von Vereinzeltem 
hier abzusehen, im sechsten Buch des Macrobius die 
ersten fünf Kapitel durch: schon dort sind, aufser 
den archaischen Dichtem, namentlich dem vielbe- 
nutzten Ennius, Lucrez Sueius Furius Vaiius als Quellen 
Vergils nachgewiesen, aus denen er sehr häufig 
nicht etwa blo& Versteile, sondern ganze Verse un- 

rat, nen stArufüntU mma, ud paüm mutu t mü t koc animo vi wlUt 

agnosci. Seneca suas, m 7. 

I ) Ferellius Faustus Vergilii furta contraxit. Sunt et Q. Octavi 
Aviti f homoeotheleuton octo Volumina, guae guos et undt VtfSUS tronS' 
tuUrit amtitunt. Donat vita Verg. S. 65 f. Reiff. 



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— io6 — 



verändert, ganze Versreihen mit mehr oder minder 
starker Permutation oder Variation der Worte über- 
nommen hat Ich mufs den Leser, dem die Zahl 
nnd das Mafs dieser Anlehnungen und Entlehnungen 
nicht genau im Gedächtnis ist, dringend bitten, den 
Macrobius aufzuschlagen; dann kann ich ihm imd 
mir das Ausschreiben von Einzelheiten ersparen. 
Aber um nicht dem alten Zunftgenossen die ganze 
Beweislast aufzubürden, will ich doch hier eine 
längere Stelle aus den Georgica etwas eingehender 
besprechen, die infolge besonders glücklicher Zufalle 
ims einen tiefen und belehrenden Einblick in Vergils 
ganze Arbeitsweise gestattet. Es handelt sich imi 
den Schlufs des ersten Buches, für den wir Vergils 
Vorlage, das Gedicht des Arat, selbst noch in Händen 
haben. Zu den Versen 356 — 461 hat sie den Grund- 
stoff abgegeben, zu dem im ganzen nur geringfügige 
Zxisätze gemacht sind. Ich stelle in der Anmerkimg 
zahlenmäfsig Bearbeitung und Original einander 
gegenüber^); es ergiebt sich daraus sowohl, dafs 



I) 



Vorg. Arat 



Verg. 



Arat. 

940 



356 f. 909 

358 ~ 912 

358 f. gio 

361 f. ~ 914 



380 f. 

381 f. 
383 



~ 963 f., 969, 1026 f. 

942, 1024 f. 
~ f., 951—53 

949 f. 

976—81, 1039 
o** 819 f. 

ioi3fF. 

~ 939 
1123 

989 — 992 

fx> 999 ff. 
<~ 1002 — 9. 



365—67 «~ 926 f. 
368 f. 00 921 f. 



362—64 rv> 916, 919, 972 



385-87 
388—89 
390—92 



375 t <^ 954 f. 

377 944 

378 <^ 946 f. 

379 f. ~ 956 t 



370—73 933—35 
374 f. 103 1 f. 



393 f- 
395 
397 
399 f. 

401 f. 

402 f. 
410 fr. 



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— . I07 — 



Vergil die einzelnen Wetterzeichen, die er bei Arat 
vorfand, erheblich gekürzt, als auch, dafs er sie 
kaleidoskopisch durcheinander gewürfelt hat Mit 
wie viel Geschick er das gethan, wie er sich in der 
Übersetzung des einzelnen bewährt hat, darf hier 
ununtersucht bleiben; was uns aLs das wichtigste 
erscheint, ist, dais er selbst hier, wo er nicht mehr 
als ein freier Übersetzer ist, doch auch jene starken 
Anleihen hei lateinischen Voi^grangem nicht vei> 
schmäht Li V. 367 kann er Arats toI b'dmGev ^ujiiol 
ihroXcuicaiviuvTat nicht wiedergeben {ßammarum Umgos 
a tergo Mescere iracius) ohne eine axtflfallige Lncrez- 
reminiscenz {longos flanmarum ducere iraetus II 207) 
Aber einen viel wichtigeren Aufschlufe giebt uns 
Servius zu V. 375: Vergil hat eine altere Übertragung 
aus den Aratea zur Hand gehabt, die des Varro 
vom Atax, und wie er diese benutzt hat, zeigen die 
sieben von Servius citierten Verse nur zu deutlich. 
Ein Vers ist wörtlich herübergenommen: 

ftut argut» lacus circnmvoliUvit himndo 

(Varro frg. 22 V. 4 Bahr. = Vergil V. 377 Arat 



y«vg. Ant 

427 — 29 OJ 800, 804 

430—31 r-^ 803, 784 f., 797 

432—35 ~ 781, 783 f«» 805 fr. 
438—41 00 820 — 23 
442 — 44 828 — 3 1 



445—47 »K. 845—47, »69—7« 

450 00 890 
451—53 ~ 832—37 
454—56 ~ 838 f. 

458—60 825—27, 858—61. 



Bd der Aoflttdlimg dieser Tabdk iit mir namewflteh das Ver- 
seidiais der NachalmiiiDgeii in der ansgeaeidineteii Ani^abe der Amtes 
von Maaüs fSrderUch gewesen. 

I) Beobachtet schon bei llacrob. VI l. So staaunt asch s^eich 
im folgenden wieder sümilatra modit paägntüt miris V. '477 
Lacies (I 123). 



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— io8 



V, 944), die übrigen haben wenigstens Vergils Aus- 
druck entscheidend bestimmt^). 

Aber fast noch charakteristischer ist das Ergeb- 
nis, das aus den wemgen Zuthaten Vergils zu der 
arateischen Grundlage zu entnehmen ist. Solche liegen 
vor in V. 383 f.: 

(iam variae pelagi volucres) et quae Asia circum 
dulcibus in stagnis rimantur prata Caystri, 

in V. 398 1: 

non tepidum ad solem pemias in litore pandunt 
dilectae Thetidi alcyooeSt 

in V. 404—409, die unten besprochen werden soUen, in 

V.415— 423, in V. 436f.: 

votaquc servati solvent in litore nautae 
Gfamco et TiMOpe»» et Inoo M eKce rt ac, 

in V. 447: 

Ttdumi crocenm Unqiiens Aurora cubOe 

mit den zwei folgenden Versen, die, soviel ich sehe, 
auch nicht unmittelbar durch Arat eingegeben sind. 
Für drei von diesen sechs Zusätzen können wir ohne 

l) VergU 383 pelagi volucres ■=» Varro V. I , Vergil 387 et 
Otutio iHCßstum Videos gntbrt laotmäi Yairo 2 ctmer* vuxpMo 
studh urtare kmoHdi, Vexgß 385 Sdiloft ii^tmätre roresr»tVmo 3 
ü^uHdtre rorem, Vogil 375 £ imeida cwAmh S$ufi*cüns ««w Vanx» 5 
bos stupieiens eatkm, Veisil 376 pahdis eapiavit nar&us auras 
Vuxo 6 naribus aerium fatülis captavit odorem. Ebenso stammt 
lanae . . . vellera V. 397 (nicht aus Lucrez VI 504, sondern) aus Varros 
Übersetzung von Arat V. 939, die in den Lc^'dener Scholien z. St. 
erhalten ist (falsch Bährens zu fr^. 21). Gegen den Verdacht, dafs 
er etwa nur Varros Übersetzung und nicht den Arat im Original zur 
Hand genommen hat, möchte ich Vergil doch schützen: seine Dis- 
poeükm in den Versen 375—387 entspricht der Arats genauer ale die 
VaiiOB. Veig^. obrigens Maafs Aratea S. 370 Aam. 




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— 109 — 

weiteres sagen, dafs sie Vergfil so wenig gehören 
wie das Kleid, auf das diese Purpurflicken aufgesetzt 
sind. Dafs V. 383 aus Homer B 461 stammt; 

sagt schon Servins. Ebendaher ist V. 447 gekommen; 
A nnd € b^^iimen: 

'Hdfc V bt kemiunt 110p* drouoO Tteufvolo 

Für 437 aber ist durch Gellius XIEE 27 bezeugt, 
dais er aus Parthenios entlehnt ist: 

rXai3xi(f Kai Niipä xal clvaXüp McXiKiprq'). 

Mir scheint der Induktionsschluls sicher: auch 
die anderen Zulhaten Veigils sind nicht sein geistiges 
Eigentum, sondern er kontaminiert nur. Für die 
Verse 404 — 409 wird das durch ihren Inhalt und ihr 
VediäHnis zu den umgebenden Versen vollauf be- 
stätigt. Arat erwähnt haliaeetus und ciris überhaupt 
nicht; die Verwandelimgssage stimmt zu der knappen 
und sachlichen Fassung der aus Arat entlehnten 
Wetterzeichen gar nicht, ja Vergil hat nicht einmal 
den Versuch gemacht, das Erscheinen der beiden 
Vögel zu einem Wetterzeichen zu gestalten. Den 
Schluis, den ich ziehe, fand ich zu meiner Über- 
raschung schon von Ribbeck ausgesprochen (R. D. 

39): „die Kleinmalerei wird durch eine leidenschaft- 
liche Scene unterbrochen, vielleicht gedachte der 
romische Leser auch mnes Gedichtes von Cornelius 



z) Vidldfilit macht der game Verianf miaerer Untennclunig 
DUULchem wie mir wahncheinlicli, daCs aach dieser Vers idcbt direkt 

dem Griechen nachgebildet, sondern dem Gallas, der ihn bereits so 
umgestaltet hatte, entlehnt ist Dann wäre der fax VeigÜ ganz singn> 
läre Hiat erklärt 



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— HO — 

Gallus (vgl. Bucol. VI 74)." Es ist schwer begreif- 
lich, dafs Ribbeck nicht noch einen kleinen Schritt 
weiter gethan und formuliert hat: nun klii^ V. 404 
deutlich an Ciris 49, V. 405 an Ciris 52 an, die Verse 
406 — 409 aber sind genau gleich dem Schluls der 
Ciris, folglich stammt die Ciris von Gallus 

Der Leser zieht jetzt, denke ich, diesen Schluls 
ipit mir. Woher die b^den noch übrigen Zutfaatchen 
stammen, wollen wir nicht fragen. Unser Ergebnis 
genügt, um zu dem Urteil zu gelangen: wenn uns 
anderwärts Vergil origineller scheint, so ist es wohl 
vielfach nur, weil seine Quellen verloren sind; gegen 
die Annahme, dafs er Verse des Gallus auch sonst 
bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit 
eingeflickt hat, wird sich jedenfalls nichts mehr ein- 
wenden lassen. 

Zweifellos meinte Vergil mit so gehäuften und 
imifangreichen Citaten seinem Gönner eine Freund- 
lichkeit zu erweisen. So scheint es denn nicht ohne 
Wichtigkeit, hier hervorzuheben, dafs das Gefühl 
dankbarer Verpflichtung, das Veigil an Gallus band, 
zur Zeit des vierten Buches der Geoigica noch genau 
so bestand wie zur Zeit der sechsten und zehnten 
Eklüge. Der Bericht des Servius, da& die Hälfte 
jenes Buches ursprSnglich dazu bestimmt war, den 
Gallus zu feiern, ist nie mit ausreichenden Gründen 



I) Nebenbei bemerkt : durdi dtt subUmis in aere der Ciris (V. 49) 
lidilet deh voOcsadi Rlbbedtt jMMfiwm 6. 1 404» Ar dw wSb. ^ 
Vecgfläberiiefemng kdncdd OTwrekliciiden Anhalt giebC. Veigl. Hc- 
neu FhiloL LV l^S* 



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— III — 

bekämpft, in den letzten Jahren durch emen Fund^ 
der schwerer wiegt als alle papierenen BeweiscTbe» 
stätigt worden^). Erst der Tod des Gallns (26) scheint 
das wenigstens von der einen Seite so warm ge- 
pflegte Verhältnis gelöst zu haben. Und so erklärt 
sich nun die Thatsache, die bei Priorität der Aeneis 
unverständlich bleiben müfste, dafs in der zw^eiten 
Hälfte der Aeneis die Ubereinstimmungen mit der 
Ciris, wenn ioicht an Zahl, dann jedenfalls an Umfang 
und Bedeutung abnehmen^. Während noch das 
siebente Buch einen so au£ßUHgen Gleichklang wie 
den von V. 64 C mit Ciris 120 ff. bietet, während im 
zweiten Buch Vergil sich sogar nicht scheut, ein auf- 
fällig neues Motiv anzubringen nur um zwei Verse des 
Grallus wörtlich dtieren zu können*), muis man von 
Buch Vill an sehr genau zusehen, um die nie über 
ganz unverfängliche Gruppen von zwei, drei, höchstens 
vier Worten steigenden Reminiscenzen an Gallus 
herauszufinden*). Das ist nicht unwichtig für die 
Chronologie der einzelnen Teile des Epos; es zeigt 
sich z. B., dals Kr.oll^) mit Recht gegen Sabbadinis 
Hypothese Einspruch erhoben hat, die Buch VII 
nach VIII — XI setzt Aber imgünstige Schlüsse auf 
Vezgils Charakter soll man daraus nicht ziehen. 

1) Man sehe näheres im dritten Exkurs: „Das vierte Buch der 
Geoigica'*. 

2) Die Beobachtung von Merkel m. a. O. S. 369 ,,in postrenu» 
▼ero Aenddis sex lilnis versos, qui e Qn sumpti videri possint, noDi 
leguntw* ist richtig, w«im er mit versns „Gsnsverse" cerndat hat. 

3) n 405 1 K Ciris 402t mheres daraber sog^cieh. 

4) Idi verwdse andi hier auf die Znsammensteneiigen ▼on Bäh- 
rens Poet. lat. min. II 186 ff. 

5) Jahrbücher f. Philol. Supplem. XXVII i6i Anm. Ver^ 
Norden Nene Jahrbüdier Vn (1901) S. 523 Anm. 5. 



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— 112 — 



Vergü hat auf höhere Veranlassung hin das vierte 
Buch der Greorgica umgearheitet; doch hat ahn viel- 
leicht nicht die Scheu, bei Hofe anzustolsen, zu der 
veränderten Stellimg^nahme gegenüber dem früher so 

vielcitierten Freunde in der Aeneis veranlafst. Wer 
nicht mehr lebendig mitschafFt, braucht nicht erst 
durch fürstlichen Befehl aus dem Gedächtnis der 
Thätigen gestrichen zu werden; sie vergessen auch 
ohne das schnell genug. 



Noch sind die allgemeinen Argumeote, die da 
beweisen, dais Veigü aus der Ciris citiert und nicht 
umgekehrt, nicht voUig erschöpft So konnte man 
noch die Frage aufwerfen, was an sich wahrschein- 
licher ist: dafs jemand, der ein Epyllion über die Ciris 
schreiben will, sich ausVergil alles geeignete, namentlich 
also die verstreuten Stellen, wo Vergil auf die Sage 
selbst zu sprechen kommt, zusammensucht — oder 
dafs Vergil jedesmal, wo er von der Ciris redet, 
dazu ein bekanntes Gedicht über diese Sage benutzt. 
Aber es scheint viel wichtiger und überzeugender, 
die einzelnen Übereinstimmungen selbst einer Prüfung 
zu unterwerfen. 

Bei einem solchen Verfahren läuft gemeinhin 
viel Sulijektives unter. Man weils, wie verschieden 
die Frage: an welcher von zwei Stellen palst em 
wiederholter Vers besser? oft beantwortet worden 
ist Und gerade für die Oxis schrecken die Spuren. 
Denn wenn Ganzenmüller ^) auf Grrund der von ihm 
gesammelten Ähnlichkeiten zwischen Ovid und der 



l) Siebe oben S. 68 Anm. I. 




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— 115 — 



Qris Ovid als den Gläubiger hinstellen zu dürfen 
g^laubte, sieht man klar, wie grofs hier die Gefahr der 
Selbsttäuschung ist. Aber es giebt doch nicht nur 
auch sonst Fälle, die objektiv völlig sicher stehen*), 
sondern gerade für Vergil und Ciris ergiebt sich 
völlig tmwidersprechliches. Mafn darf sagten, dafs 
^eh nie «in Nachahmer naivcff verraten hät als V^rgÜ, 
wdM. ihn einigennafeeia entsohuldigen mag^, dals "«r 
siebst die EntlieliniBig gair niclit v&^MSxSlBeen 'vtnflltk 
Nur ist fii^ilich die t&ppisclie Art» ixne er sich ^ 
legentUdi vetr&t, getsnfe auch seme Alteicht lu^kt 
g^ewteeii; 

Ich sehe bei dieser Untersuchung natürlich gan^ 

ab von jenen wenig umfönglichen Übereinstimmungen 
in einzelnen Worten und Versteilen, wie ich sie 
schon oben charakterisiert habe. Wen unser Nach- 
weis von der Autorschaft der Ciris überzeugt, der 
weifs dann auch, dafs der suave ruhens hyacinthus 
Kcl. III 63 dem suave rubens narcissus der Ciris 
V, q6 nachgebildet oder, noch genauer gesagt, aus 
den beiden Versschlüssen Ciris 95 und 96 kontaminiert 
ist^ Aber ohne jenen Nachweis» aus inneren Grründen 



1) Idi daif auf maiiie Bemerkungen ober dw VbiUllBiB f^riMtoi 
Ovids Tristien imd der Consolatio ad Uviam venrdsen (Realency- 
klop. IV 941). 

2) Die Vendundcung zweier Nachbanrerse ans der Ciris liebt 

Vergil offenbar sehr. So hat er aus der vortrefflichen Beschreiblllig 
des nächtlich-verstohlenen Ganges der Scylla (V. 210 £}: 

anribus arrectis nocturna silentia temptat 
et pressis tenuem singoltibas aer« captat 

flidit ttttr atricH^pü aktribUs aästant Aen. I I52, II 303 eüüeinit, 
soodem auch tturiöus aera captat Aen. III 514. Hier hat das Yer> 
fidiren übrigens einen — wie mich NokUlea belehrt — für den Schiflfer 
Skottcb« Aus VersiU Frübxeit. 8 



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• 



— 114 — 

heraus würde auch der schärfste Kritiker nicht im 
Stande sein zu sagen, welche Stelle das Original, 
welche die Nachahmung ist Gelegentlich können 
auch solche Kleinigkeiten von Bedeutung werden; 
im allgemeinen wird sich unsere Betrachtimg, gerade 
um völlig sicher zu gehen, auf die gemeinsamen 
Verse und Verspaare beschränken. Ich glaube dabei 
nichts Wesentliches, namentlich nichts was meiner 
Ansicht widerspräche, übergangen zu haben; dem 
Leser ist bequeme Kontrolle durch das öfters 
erwähnte Bährenssche Verzeichnis (PLM II S. i86ff.) 
ermöglicht, wo nur ein erheblicher Fall fehlt (Ciris 
125 ecl. IV 47, Ganzenmüller a. a. O. S. 576). Ciris 
59—61 = ecl. VI 75—77 imd Ch-is 52 + 538 bis 541 =» 
Georg. I 405 — 409 sind schon oben ausführlich be- 
sprochen und Vergil als Ausschreiber erwiesen. 

♦ 

6. 

Aeneas erzählt Aen. II 403 ff. vom Schicksal der 
Cassandra: 

ecce trahebatur passis Priameia virgo 
crinibus a templo Cassandra adytisque Minerrae 
ad caelum tendecs ardentia lumina fhistra, 
lumina, nam teneras arcebant vincula palmas. 

Wir sind nicht gerade arm an Berichten über 

Palinums aufserordentlich passenden Ausdruck zu Wege gebracht. 

Ebenso ist Ciris 178 f.: 

non arguta sonant tenui psalteria chorda, 
non Libyco moUes plauduntur pectine telae 

von Vergil zusammengezogen zu Aen. VII 14 

arguto tenuis percurrens pectine telas, 

und hier ist, glaube ich, allerdings a priori schon die Kontraktion 

wahrscheinlicher als die Zerdehnung, die schwerlich zwei so vortreff« 

liehe Verse ergeben haben würde. 





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— 115 — 



die Temp^clianduiig des Aiax^), wir besitzen auch 
^e Anzahl bildlicher Darst^nngen dieser Scene^ * 
N!i]grendwo aber ist etwas von einer Fesselung' der 
Cassandra za finden; mit diesem Zuge steht Veigü 
volHg allein. Sehr sinnreich ist er nicht: wozu wird 
das wehrlose Ifödchen gefesselt? Damit sie das Bild 
der Grottin nicht länger umklammert? Wir mülsten 
uns mit dieser verwunderten Frage begnügen, wenn 
wir nicht — die Ciris hätten. 

Scylla ist von Minos, der, was er auch durch 
ihren Verrat gewonnen haben mag, doch die Ver- 
räterin verabscheut, an sein Schiff gebunden worden, 
um so durch die Wellen geschleift zu werden (suspensa 
novo ritu de navibus altis per mare trahitur V. 389£, 
vincta V. 41 61); die festgeschlungenen Knoten dringen 
tief in die maimorweillien Arme ein (V. 450). In 
dieser schrecklichen Lage ruft sie die Götter an 
(V.402): 

ad caelum infelix aidentia Inmiiia tendens, 
i iwwii— j nsiit teneras ncciMiit iriiiciUi piloiM« 

Wahrlich, so überflüssig, so unangebracht der 
Zog bei Vergil war, so trefflich palst er hier. Mit 
vollkommener Naturlichketty ja mit zwingender Not- 
wendigk^t ergiebt sich hier alles aus der Situation* 



1) Roieker MyÜhoL Lex. II 977. 

2) Siehe die Vftsenbilder bei Reinadi lUpcrtoire des vases peints 
I 231, 338, 365, 366, 367, 380, 496, 507; n 115, 226, 273. Furtwängler 
Gemmen 14, 26; 24, 13; 25, 11; 36, 11; 46, 7. Wandgemälde des 
Fran^oisgrabes Heibig Führer II* 318 u. a. Polygnot hatte in der 
Lesche Cassandra dargestellt anf der Erde sitzend und noch das Bild 
der Göttin umklammernd, elyc hi\ dv^TpetfCv 4k ßdOpvuv t6 Eöavov, 
0TC M tfkc (xcdoc a(rrf|v 6 Aloe Aipdtoc (PMm». X 26. 8, vgl. 
WelciKr Griech. Tka^. 163), elio vqgefiMselt. 

8» 



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— it6 — 



Der Jungfrau Arme müssen hier festgebttüd^h sein, 
* und da sie sich« ebenfalls liiit voUkomhieher UaAnr^ 
Hcbkeit, an das lidM^d der Gotter wendet (UMtvbä 
bei Vei^ kein Wort steht), bleibt ihr fi^ifich nichts 
übrig als die Augen zu Ümen emporzüricfateh. 

Hier, denke ich, kaaii kein Reifet melir stf^ 
kommen, v¥er der Nachahffier ist Es ist d!ed<elfje 
Manier, die wir bei der Einschaltung im ersten Buch 
der Georgica innerhalb der Aratea kennen gelernt 
haben. In der Freude einen Flicken aus Gallus an- 
bringen zu können, wird nicht lang gefragt: wie 
pafet das hier? 

7. 

Aelieas hGit den wonderthättgen ^Idenen Zweig 
gebrodSBn, der ihm den W6gf in' diö^ Unterw^ iit- 
leichteMI? sott (^etiL' VJ ^36^148, r85-^2H), tmd äis 
Charon ihm die Überfahrt weigert, spricht die SilbyvU 

{V.403flF.): 

Ttoius Aeneas, pietate insigiiis et «nuis, 

ad genitorem imas Ereln deacendit ad vmbraa. 

Ii m mäSh tätmk' taotae piettdi' iirfago, 

at nuttimt Haut — apc^rit nu&um, qß veate littet 

^dgaoscaa 

ille admirans veiietabile donum ... 

caeruleatn advertit puppim. 

Viele werden unachtsam über die Sonderbar- 
keiten der Stelle weglesen, niemand würde sie er- 
klären* können ohne die Hilfe der Ciris. Wer steckt 
sicfh einen Zweig ins Kleid? und wozu diesen Zwei^; 
den Aeneas und die Sibylle doch allen Anlaß hatten 
niclit zu verstecken, sondern, wie gleich seme 
Wirkung- auf Charon beweist, ofiEen zu tragen? 

Scylla sagt V. aSöC der alten PflegiEnrn iffl Laufe 




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— "7 — 



ihrer Enthüllungen: wärest Du nicht «Zwischen ge- 
kommen» 

aut ferro hoc — aperit femim, quod veste latebat — 

, purpureum patris dempsissem vertice crinem 
aut mihi praesenti peperissem vulnere letum. 

... Pa ist aUes an seinem Platte, Scylla, die den 
Angriff auf des Vaters verhangnisvoUe Locke oder 
Jlur eigenes Leben plant, muls allerdings das ferrum 
hUtdUit das sie erst, da sie die Tliat versuchte, in 
dsfC Hand trug % verbergen, sowie die treue Wärterin 
sich , ihr naht; nnd wo anders kann sie es verstecken 
als im Kleide? Das ist so natürlich, wie das Ver- 
stecken des Zweiges unnatürlich war^, 

8. 

Den weiteren ^nzellallen, die ich anfüge, schreibe 
ich eine gleiche Durchschlagskraft wie den beiden 
eben angfefuhrten nicht zu. Um aber jeden&lls der 

Gefahr subjektiver Täuschung zu entgehen, hebe ich 
im allgemeinen solche Fälle heraus, wo Bemerkungen 
der neueren Herausgeber zeigen, dafs der Vergilische 
Text in irgend einer Hinsicht Anstofs bietet, während 
der entsprechende Text der Ciris von Bedenken frei 
ist. Dafs das Ergebnis, zu dem wir gelangen, die 
Priorität der Ciris, jetzt ohnehin sicher ist, mag den 
Lesern ein Trost auf den Weg sein, die im einzel- 
nen Fall der Vergilischen Fassung besseren Sinn ab- 
jgewinnen mid grdlsere Berechtigung zuschreiben zu 
können glauben als ich und die von mir citierten. 



1) V. ai3. 

a) Auf die Bewdsknft dieser SteUe liat midi Norden infinerk- 
sam gemacht. 

r 



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— ii8 — 



Ed. IV 47: 

'taUa raeda' anU diaenmt 'ouiite* fittb 
Cffttcftrdtos stflbfli fiiftocQift omDitabo IPsvcfts« 

Conington bemerkt: y^umen fatorum is so far 

a pleonasra that e ither word might be used without 

the other in nearly the same sense". Dafs etwas 

fatorum numtne geschieht oder bestimmt wird, ist 

in der Ordnung; dafs die Schicksalsgöttinnen etwas 

stabili numine sagen, ebenfalls. Über den thatsäch- 

lichen Ausdruck Vergils kann man wohl nur urteilen 

wie Conington, wenn man nicht etwa st. f. n. in die 

direkte Rede hineinziehen wilL Wer sich zu diesem 

Auskunitsmittel nicht entschlielst, . versteht Vergils 

Ausdruck erst dann, wenn er Ciris 124! ansieht: 

tarn (diu) palxiam incolnmem Nid legmiiiiqne fintnnim 
conoordes stabili finnaraat nimiiie Farcae, 

wo alles vortrefflich ist^). 
EcL V 27: 

Daphni, tuum Poenos etiam ingemuisse leones 
interitum montesque feri silvaeqne locantur. 

Den Löwen, der aus dem Walde herbeikommt, 
um Daphnis zu beweinen, kennt auch Theokrit (I 72)^ 
für die mythischen Zeiten Siciliens eine unanstolsige 
Fiktion. Aber wie kommen afrikanische Löwen nach 
Sicilien? So fragte sich schon Heyne, tröstete sich 
aber damit, dafs Potnos epitheton omans sei Zu 
dieser Auffassung wurden wir uns wohl nur verstehen, 
wenn die Ciris nicht ^M^re, wo es V. 135 heilst: 



i) Der erste Vers bei Vergil ist bekanntlich eine auch nicht 
besonders gelungene Verkaisimg aus Catull 64, 326. 



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— 119 — 



. . . Ule (Amor) etiam Poenos domitare leones 
... docnit. 

Das ist ganz richtig: die Lehre des Amor er- 
streckt sich auf alle Löwen der ganzen Erde, auch 
die wildesten, die punischen. 

Besonders viel derartiges Material bietet die 
achte Ekloge. 
Zu Vers 59 £: 

pcMoq» 90m specnla de monlis in nadM 
defenr; eztrenunn hoc sniiiiis morienlii lubeto 

bemerken Conington-Nettleship treffend, es sei un- 
geschickt, dafs der Tod die letzte Gabe des Sterben- 
den genannt werde. Sie suchen darum hier eine 
schlecht wiedergegebene Theokritreminiscenz (III 24). 
Aber es ist vielmehr eine schöne Stelle der Ciris un- 
passend verwendet Scylla, von der Amme ertappt, 
spricht ihren Wunsch zu sterben wiederholt aus 
(V. 277, 282). So kann sie denn der Alten, die ihr 
das Geheimnis abzwingt, sagen (V. 266 £): 

dicam eqoidem, quooiam tn me aon dioere, nntriz, 
non aiais; extrennim hoe nraniis taotieoüa habeto. 

Vergil hat sein Verspaar aus dieser Stelle und 
V. 302 kontaminiert« 

Dämon klagt in derselben Ekloge V. 41: 

«t ndi, Qt perii, ot me maliu abstnlit error. 

Wieso es ein malus error ist, wenn ein dreizehn- 
jähriger Hirt sich in ein kleines Mädchen seines 
Standes verliebt, ist schwer zu begreifen; wie viel 
angebrachter ist das Wort jedenfalls im Munde der 
Scylla (V. 430), die wirklich der Anblick des Minos 



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— IZO — 



in schlimme Veriming gestürzt hat, wie sie das in 
den Versen 428 fF. so beredt ausspricht. Die offen- 
bare Nachahmung des Theokriteischen Halbverses 
(n 82) WC tbov ibc ^pdvTiv kann demgegenüber zu 
Gimsten der Priorität des römischen Bukolikers vor 
dem Epiker gar nichts beweisen; hätte Vergil direkt 
aus Theokrit entlehnt , so hatte er gar keinen Grund 
die zweite Vershälfte üjc luieu Tiepi 6u|aöc iäqpOri durch 
eine für seinen Zusammenhang so viel weniger pas- 
sende zu ersetzen. 

Ich möchte den Leser nicht noch länger mit 
dergleichen Einzelheiten meinerseits aufhalten und 
bitte ihn also selbst den Vergleich zwischen 
Ecl. Vill 19 f. und Ciris 405 f., ebenso zwischen 
Georg. rV 388 f. imd Ciris 394 f. anzustellen; er fallt, 
denke ich, beidemal zu Gunsten der Ciris aus, na- 
mentlich im letzteren Fall, wo schon die englischen 
Erklärer das Hendiadyoin bei Vergil als sonderbar 
bezeichnen mufeten, ohne doch eine Erklärung geben 
zu können. Zu Aeneis Xn 57 Ciris 295 bitte ich 
zu überlegen, ob die Wendung s^es una senectae 
besser auf den Schwiegersohn oder die Tochter pafst 
Für ecl. IV 49 Ciris 398 verweise ich auf den 
vierten Exkurs. 

9. 

Entsprechungen, die eine umgekehrte Beurteilung 
v-erlangten, die so geartet sind, dafs etwas bei Vergil 
besser zu passen scheint als bei Gallus, sind kaum 
vorhanden- Von Seiten eines Freimdes werden mir 
zwei Stellen als solche bezeichnet, die bedenklich 
machen könnten, wenn nicht eben schon die ganze 



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— 121 — 



Sachlage ein für allemal solche Bedenken aus- 
schlösse. Die erste vStelle ist V, 437 ~ ecl. X 69. 
Qmnia vincit Amor: et nos cedamus Amori ist ein- 
wandfrei, während in der Ciris der zweite Halbvers 
quid mim non vinceret ille? wie eine leere Wieder- 
holung* des ersten klingen scheint. Dies aber 
doch nur so lange, als man die Cinsstelle isoliert 
betrachtet liest man sie im ZusajKmienhang und 
beachtet inabesondere, dafe in ihr das (fyr Vergü 
mir durch den Romanus, also schlecht bezeugte) 
P^ekt fnci$ (so H) erscheint, so ?mi8te ich nicbtf 
worin die Ciris hier hinter Vergil zurQcks^de: 

me non riorentcs aequali corpore nymphae, 
non metus incensam potuit retinere deorum: 
omnia vidt amor; quid enim non vinceret ille? 

. Omnia hat also hier anders als bei VergU eine 
subjeictive BedeiLtimg; während omnia vincit /imor 
bei Vei^ bereits die allgemeingültige Regel giebt. 
fa&t 0, vicif AfiMT In der Ciris nur die Erfohrungen 
der Scylla zusammen, und erst ptid eniv^ u. s. w. gieb^ 
bier den allgemeinen Satz. 

Die zweite Stelle ist ecl. II 5 Ciris 208. Dafs 
bei Vergil haec tvcofidita solus montibus et silvis 
studio iactabat ijiani in Ordnung ist, leugne ich nicht; 
ich kann aber die Anwendung der drei letzten 
Worte in der Ciris nicht im geringsten schlechter 
finden. Im Gegenteil, der Ausdruck hat dort be- 
sondere Kraft: die Schar der Wächter brüstete sich, 
fem den Thoren des Palastes, mit ihrer ersten Nacht- 
wache^), that sich etwas auf sie zu gute, aber ihr 

i) der ersten, denn Seylla venucht das Attentat so wie der 
König eingeschlafen ist. 



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122 — 

shtdium war mmet denn nicht an den Mauern der 
Stadt hätte ^e ihre Wachsamkeit ausüben sollen,, 
sondern im Palaste selbst» wo die schlimmste Gefohr 
von des Königs eigener Tochter drohte. 

Endlich könnte es vielleicht scheinen, als ob 
canitievi multo pulvere turpare besser für die Trauer 
um den Todesfall (Aen. X 844, XIl 611) als für den 
Kummer der Carme (Ciris 284) passe. Aber dasselbe 
thut Aegeus beim Abschied des Theseus nach 
CatuU 64, 224, und diese Stelle hat offenbar dem 
Gallus vorgeschwebt, der sich ja in der Benutzung 
Catulls ähnliche weitgehende Freiheiten genommen 
hatte, wie sie Vergü sich ihm gegenüber gestattete. 



Ich bin zu Ende. Wo alle Anzeichen so be- 
stimmt in dieselbe Richtung weisen, kann kein Zweifel 
bleiben. Gallus wird fortan in der römischen litteratur- 
gesdiichte nicht mehr ein blolser Name sein, in 
hellerem Lichte audi mancher aus sehier Umgebung 
dastehen. Für VergfU aber scheint mir wichtiger als 
die £inzelergebnisse noch die methodische Belehrung, 
die wir emp&ngen haben. Wer Vergil erklart, lost 
eme Gleichung mit zwei Unbekannten. Wenigstens 
da wo er irgendwie anstöfst, hat er allemal gleich 
mit in Frage zu ziehen: wen hat Vergil hier aus- 
geschrieben? 



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EXKURSE 



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ERSrak EXkUElS. 



CULEX. 

Den Culex hielt Lucan für ein Werk Vergils (Sueton 
S. 50 Reiff.), Statius setzte ihn offenbar wie die Doilatische 
Vita in Vergils 26. Lebensjahr^). Mir scheint es 90^t ^ 
ob wir seine Sptiie&^^diicli «chofH bei Odd und swär keine 
fwansig Jahre noch Veigils Tod^ nachweiBeii können^. 
Aber wer mir auch im letsten Pnnkte taicht beifetimmt, be- 
hält doch ffir den Culex gewichtige Zeugnisse Übril^. Ich 
wfll natoriich nicht bdumpteu) daft däzdi 8i6 vergiliscber 
Ursprung fSr den Culex bewiesen werden- könnte. Aber 
jweiieilos legen sie uns die Pflicht auf, die Gegenbeweise 

i) Evidente Vennvtang Voihnen zu tätr. H 7. 73. 
3) Hern« an 178 ff.: 

aspice tondeii|te8 feitile gramen oves. 

eeoe petdnt tnpei praSetuptaqne fiaaui ^j^»^ , . . 

putor faiMqtUilf mödnlatnr harnndine Carmen 

Vergleielie CnkK 50 £: 

tondebant tenero viridantia gramina morra; 
•scn^ea deseitas hacrebanfc ad^cava rnpea etc. 

99 £: 

pastor , 

compact» solitnm modnlatnr harnndine Carmen. 

Ich lege Gewicht nicht blofs auf die einzelnen hervorgehobenen 
'Worte (Vera. ecLX$i, V 14, VI 8 stehen km), sondern auf das 
gesamte Bild. 



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126 

besondefs genan ni prfifen; nur irftlUg sttc^Juüttge sind Uer 
verwendbar. Und sa dem Glanben möchte ich mich aller- 
ding« bekennen» dafii solche nicht eiisdeien, jedenfalls 
bisher nicht voigebracht sind. Ich beweise das durch 
Prüfimg der ehuselnen. 

Das wichtigste Argument durfte die Abhängigkeit von 
Vergil sein. Ich stehe nicht an auszusprechen, dafs sie auch 
nicht in einem Punkte bewiesen ist, ob sie gleich als eines 
der sichersten Fakten hingestellt zu werden pflegt. Leos 
ausgezeichneter Kommentar führt auch hier, obwohl Leo 
sich selbst noch nicht von der alten Anschaamig frei ge- 
macht hat, zur neuen und richtigeren Ansicht. Leo betont 
wiederholt die eiheblichen Abweichungen des .Culex von 
Vesgil {m V. 2$2, 236 n. ö.); sie scheinen ihm so stark, 
dab sie anf besondere Absicht snrfickgeffihrt werden messen 
(an V. 294 S. 89), Ja dals, nisi singula qnaedam tmttatoiem 
proderent, dnbitari posset, nmn hnins carminis anctor Ver- 
giUanmn novisset (S. 89). Es handelt sich hier wpeMl 
mn die Unterweltschilderung, und mir scheint allerdingt 
klar, dafs jemand, der von Vergil so abhängig wäre, wie 
man das vom Verfasser des Culex gewöhnlich annimmt, 
Aeneis VI ganz anders ausgeplündert haben würde als es 
im Culex geschehen ist, der ja seinen Anschlufs an Vergil 
hauptsächlich — in den Abweichungen verraten soll Die 
Unterwelt des Cnlez ist eine ganz andere als die der Aeneis. 
Jedenfalls wird man billigerweise verlangen dürfen, dafs bei 
solchem Sachverhalt die wirklich als Beweis allein verwend- 
baren TOnMiK^dton besonders graviefend seien. Ich darf 
abo von Dingen abseben wie der „MägUdikeit*', da0i die 
Erscheinung der Schlange V. 163 f. nach Geotg. III 414 ff. 
geschildert sei« Idi darf insbesondere auch von Vers- 
stückchen wie mmtco pechre ~u V. 61 Aen. X 556» 
voiucres auras V. 253 ~ Aen. V 503 XI 795 absehen, deren 



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idtBcheg y«rh9]tiil8 ent dann sich angeben lassen ivird, 
wenn der Culex auf andm Aigomente hin fest datiert ist. 
Moft dodi hier radem aUemal mit der MdgHcfakeit 
rechnet werden, da& Vergil und Culex sich nidit gegen- 
seitig, sondern einen Dritten ausschreiben, wie das für 
einen Fall [pabula laeta V. 45 f>^ Georg. III 385 Lucr. 
I 14 u. ö.)^) Leo sicher gestellt hat. 

Hierher können zwei Fälle, auf die Leo besonderes 
Gewicht legt, intonat ore V. 179 ~ Aen. VI 607 und sine 
mdice sedes V. 275 Aen. VI 431, umsomehi gehören, als 
es sich um Versschlusse handelt, die besonders leicht zu einer 
Art von Gemeingut werden (Wegrman Blätter L bayr. Gymn.- 
Wesen 41, 1895, 537). Aber Leo meint allerdings beide» 
mal im Culex die Nachahmung VeigOs an ihrer Ungeschick- 
Udikeit zu erkennen, und ich will lugeben, dals das (von 
Leo gewÜB richtig erklärte) nee fiuäet sine mdtce tedes des 
Culex nicht so glatt und einfach* ist wie die Stelle der 
Aeneis, und kann eine «weite Schlange, die inhnat ore (bei 
Vergil ist's die Furie), nicht beibringen. Nur ist mif 
andererseits durchaus unwahrscheinlich, dafs der Mann, der, 
ob auch schwerfalh'g, doch Vergil gegenüber sonst durchaus 
selbständig, ja mit überraschender Eigenart in vielen Wen- 
dungen arbeitet, gerade diese zwei Stückchen aus Vergil 
entlehnt haben sollte, um — sie an Stellen untozubringen^ 
wo sie schlecht hinpassCT.^ Ausserdem hat mtonare offenbar 
frdh begonnen seine Bedeutung absnschwächen; schon Cicero 



l) Andi sonst sind Lvennuidialimmigai im Cuks devdidi. 
Z. B. ist die Betähnnig swisdMn dem Lob des T^mdlrlHaMi in V. sSff. 
und Loerez n 23 — 36 jeden&Us enger als die mit Georg, n 458 — 474 
(man vergl. im einzelnen Col. 64 laqtuare t>u Lucr. 28 laqueata, 
69 prosterntt j^ramine corpus 29 prostrati in gramine ^ die Schil- 
derung der bunten Blumenpracht im Frühling Cnl. 70 f. ro Lucr. 32 f. 
und manches andere, was bei Vergil keine Entsprechung hat). 



— 128 — 

sagt (pro Mar. 8i) intonuit vox perniciosa designaii pibi^'t 
die zehnte quintüianische Deklamation (S. 182 derObiecht« 
sehen Ausgabe, Strafsbmg 1698) sogar (magm) an syuakA 
barharum murmur iniomai^). 

An Ansdehnung und Bedeutuqg scheint sich über das 
bisherige Beweism'aterial zu edieben V. 292 ied tu enkb/Kt, 
crudeKs tu magis, Orpheu. IBerzu* bemerkt Leo: negari non 
potest magis ineptum esse, denn Orpheus' Handlung lasse sich 
nur mit der der Eurydice vergleichen; das magis könne 
nur aus täppischer Nachahmung von ecl. VIII 47 ff. erklärt 
werden^. So ungern man von dem Erklärer abweichen 
wird, der um das Verständnis des Gedichtes so eiijzij^e Ver- 
dienste hat, hier thue ich es und mit voller Zuversicht. 
Womit Orpheus' Grausamkeit vergliche nsvd^' ^ebeo >die 
Verse, im Zusammenhang gelesen, olme Irdtetes: 

illa qnidem niminm manes expertä severos, 
390 pneoeptmn signabst iter nec rettnlit jntns 
Ittnina nec divae cotmpit nraneni lingim; 
sed tu cmdelis, cmdelis tu magis, OiphM, 
oscula cara petens rupisti iussa deorom. 

Offenbar nnt der Strenge der Manen wird die Gfansam- 
keit des Orpheus in Veigleich gesetzt: däs ergiebt der 

Wortlaut ganz zweifellos. Ob das sphr sinnreich ist, bleibe 
dahingestellt; so sinnlos, dafs man eine unverständige Nach- 
ahmung einer Vergilstelle anneiimen müüste, ist es jeden- 
falls nicht. ^ 

Als letzter locus classicus wird von Leo S. 16 V. 58 fi. 



1) Vergleiche noch etwa Liv. ITT 48 cum haec intanuisset pUnus 
.irae; Plin. nat. hist. VIII 150 ingmti latrafu intonuit canis. 

2) Saevos Amor docuit natortim sanfniine matrom 
commaculare manus. Crudelis tu quoque, mater, 
crudelis mater, magis at puer improbus ille, 
improbus ille puer, crudelis tu quoqoe mater. 



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— 129 — 

angdohit, das Lob des Landlebens im Verhältnis sn Geoxg. 
H 458 — ^4)f4. Ich habe« nun sdum oben (S. 127 Anm. i) 
gesagt, dals die Cnlex-SteOe in einer gansen Reihe von 
Worten und Wendungen vidmefar an Lncies (lA 23 ff.) 
ankUngt; mit Vergil berfihrt sie sich dagegen nor in dem 
Grunii^r|^daak£i^ ^glücklich die Landleote, denn wenn sie 
auch die städtische Hänserpracht nicht haben, so kennen 
sie doch friedliche Ruhe und harmlose Freude", der aber 
genau ebenso auch bei Lucrez entwickelt wird, und in 
einer E inzelheit des Ausdrucks. Die ganze Auseinander- 
setzung ist nämlich im Culex wie bei Vergil nach dem 
Schema gebaut: 0 {bona pastoris oder forhmaios agricolas) • , • 
ii non (wenn sie auch städtischen Glanz nicht haben) . . . 
at (so geniefsen sie doch dafür andere Freuden auf dem 
jLande)* . . . Hiermit kann aber die Abhängigkeit des Culex 
von Veigfl auch nicht bewiesen werden. Denn anch bei 
Lncres folgt auf 9 miuraS' hmämm mtniet, » ptchra eaua 
(V. 14) das si tum {purea sunt motmm Hmulaera per oidn 
n. s. w. V. 24 ff.) mit der g^ensätslichen Anfeählnng der 
ländlichen Genflsse von V. 29 an. Nur das at fehlt hier. 
Aber wi^ daraufhin einen engeren Zusammenhang zwischen 
Culex und Vergil anninamt, sich nicht begnügt, beide un- 
mittelbar von Lucrez abhängen zu lassen, wird uns eben 
erst noch den Beweis zu liefern haben, dafs der Culex erst 
nach den Georgica geschrieben ist und nicht vielmehr das 
.uiQgekdhrte Verhältnis stattfindet. Principiell dürfte sich ja 
gegen das letztere kaum mehr etwas einwenden lassen, seit 
wir. gelernt haben, wie viel Vorgänger Veigü und wie er sie 
ausnutst. 

Nun giebt es ja freilich anch noch foxmale und inhalt- ' 
liehe Aigumente Ar den späteren Ansats des Culez. Ich 
kann nur nicht finden, dafs sie stichhaltiger sind als die 
angeblichen Vergilimitationen. 

Skatieh, An VerfOs Frfllueit 9 



— 130 — 



Auch für das Formale können wieder Leos BemeT" 
kungen auf eine neue Bahn leiten. Bekanntlich ist die 
Elisionstechnik des Culex wieder und wieder als Beweis 
für seine späte Entstehung angeführt worden. In 414 Versen 
hat er nur ein halbes Handelt Elisionen (12 Procent), 
<lanmter, wie es scheint, um eine schwere^). Das gilt als 
„eine Feinheit des W^ff^^ja», wie sie erst Tibnll and Ovid 
sor Geltang gebracht haben"*), ja daraufhin drficlct man 
wohl den Colex bis in die neionische Zeit herab. Nan 
habe ich schon oben (S. 71) im allgemeinen bemerkt, dab 
die Beweiskraft der Elisionen in chronologischen Fragen 
nicht allzahoch angescUageoL werden darf. Im besonderen 
aber hat Leo darauf verwiesen, dafs Horaz gelegentlich in • 
den Epoden die Verschleifungen sogar noch stärker ein- 
schränkt als der Culex: die sechzehnte Epode, im Jahre 40 
geschrieben, enthält in 33 Hexametern nicht eine Elision. 
Eine andere Dichtung derselben Zeit geht zwar nicht ganz 
so weit wie Horaz, hat aber auch verhältnismafsig noch 
nicht einmal so viel Verschleühngen wie der Culex: die 
Lydia sejgt in achtiig Versen im ganzen nor fänfinal konea 
e und einmal knnea a verschliffiBn^. 

X) Nschwdse bd Heittberg in der ÜbcKaetumg S. 1 1 (V. 288,400?). 

2) Ribbeck Rom. Diektmig H* 349. 

3) Groiser iit die Anzahl der Elirionen in den Dirae. — Be- 
tiBclitet man die beiden Teü^ in die Veigüs adite EUoge ihrer Natur 
aadl «nseinanderfallt (i— 63 Eiiddtnng, Lied des Dämon, Überleitung; 

64 — 109 Lied des Alphesiboeus und Schlufs), gesondert, so zeigen 
die Elisionen in beiden eine aufifallige Verschiedenheit. Die zweite 
Hälfte hat in ihren 46 Versen 28 Elisionen d. h. 60,9 Proc, die erste 
Hälfte in 63 Versen nur IG d. h. 15,9 Proc. Ein solcher Unterschied 
kann nicht zufällig, mufs vom Dichter beabsichtigt sein, der vermot« 
Udi dadnrdb die beiden Lieder gegeneimmder komtiastieren wollte. 
Das ist wichtig ffir die Inteipietation der EUoge, wie gdesendieh 
anderwiits ani^elahrt werden soll; Veicil ahmt gewift auch hier be- 
stimmte VorMder nach. Das erste voa diesen stdit mit 15,9 Proc 



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Von den sachUclien AigDmeiiteik f8r späten Ansatz 

des Culex habe ich hier zimächst nur eins zu berühren. 

Hehn hat bekanntlich die Rhododaphnc (V, 402), die sich 
erst wieder bei Scribonius Largus nachweisen läfst, zur 
Datiening unseres Gedichtes benutzen wollen^). Aber auch 
hier hat Leo bereits treffend geantwortet (S. i6): so spät 
kann ja der Culex wegen Lucans bekannter jugendlicher 
Jlafsjening (Sueton S. 50 Reifif.) keinesfalls sein. Jetzt hat 
nun gar noch der Botaniker Engler (bei Hehn S. 404) be- 
merkt, dais Hehns Chronologie der Rhododaphne ganz 
Mg kt 

Ich denke also, "von all diesen Veiaiichen, den Cnlez 
als nadmcgilisch und naöhovidisch m erweisen, ist' keiner 
stichhaltig, und man ist völlig imbehindert in der Ver- 
wertimg positiver Anhaltspnnkte rar Datienmg des Gnies, 
Von diesen wird der widit^fste immer die Poson des 
Adressaten bleiben. Dieser heifst Octavius (V. i u. 25), 
wird purr genannt (V. 26 u. 37), aber zugleich venerande 
(V. 25) und sancte (V. 26 u. 37), Diese Beiwörter sind in 
ihrer Vereinigung gerade für einen Knaben so auffällig, 
dafe sie, auch Ayenn die von Leo S, 22 f. vortrefflich ent- 
wickelte Unmöglichkeit einen andern passenden Octavius 
aufzutreiben nicht vorhanden, wire, doch die Gedanken in 
eine bestimmte Ric^toi^ swingen meisten'). £s bleibt nur 

Elisionen dem Culex (i2 Proc.) recht nahe. Auch in der ersten bis 
fünften Epode des Horaz steigen die Elisionen nicht über 15 Proc. 

i) KolturpflaascB vad Haastleve* S. 404 u. 585. 

s) Vollmer Rheiii. Mm. S5> 5^ s>8t ftdlidi: stmei* pur et 
vmermuU de qnovis pveio oobOi did potniise Leo p. 23 aat sapeiqiie 
demonttmvit Ich kann das nicht anerkennen. Wenn jemand andi seinen 
Patron, wenn Aacaaius den Euryalns veneranius nennt, so ist dämm 
doch immer noch aufiallip, dafs jemand im hellen Licht historischer 
Zeiten sich einen Knaben zum Patron wählt und ihn venerandtis an- 
spricht. Dasselbe gilt von der Anrede sancte^ mag auch Pbaedrus 

9* 



— 132 — 



die Alternative: das Gedicht ist wirklich an Octavian vor 
der Adoption gerichtet worden oder es ist in diesem Sinne 
gefiUscht^). 

Wie man sich dieser Alternative gegenüber 'sq eol- 

scheiden hat, ist mir nicht zweüelhaft. Man weUSy^was 

Hehn a. a. O; nber die haimlosfin Verse (8 — lo) 

poiterinB grwrine sono tibi Musa loqiietiir 
nostn» dabint cmn McnriM müii ten^Mini fiructuSf 
«t tibi digna tno pdiaator carmina vosu 

geschrieben hat: sie erinnerten an die Rede Friedrichs des 
Grofsen vor dem siebenjährigen Krieg: „Jetzt eröffnen wir 
den siebenjährigen Krieg", ihr Verfasser hätte bereits die 
Greorgica und Aeneis vor Augen gehabt. Mir scheinen 
gerade umgekehrt diese Verse ebenso wie die Art der Er- 
wähnung des Octavius zu bew^sen, dafs an eine Fälschung 
auf den Namen VergUs hier unmöglich zu denken ist. Die 
Sacbf liegt ähnlich wie bei den Maecenas-Elegieen (siehe 
Panljr-Wissowas Reatenqrklopädie IV 946). So wenig wie 
bei ihnen hat sich beim Culex irgend etwas von dem em- 
gediSngt, was ein Fälscher notwend^s* hineingetragen haben 
wurde. Man stelle sich doch einmal vor \dafs jemand 
sdm oder swaazig Jahre nach Vergils Tode ihm einen 
Culex hätte unterschieben wollen. Sein erstes ix^Ue sweifel- 
los gewesen Vergil aufs genaueste zu studieren und 

viel vergiiische Worte und Wendungen anzubringen, damit 

/ ' 

einen seiner Adressaten vir sanctissimus nennen. Was aber schon 

einzeln aufTallen müfste, thut es vereint noch mehr. — Übrigens kann 

ich auch sonst Vollmer nicht folgen; wenn er in Asconius denjenigen 

sieht, der auf Grund des Namens Octavius den Culex nicht etwa 

vor da^i Jahr 44, sondern in das Jahr 44 gesetzt habe, so stimmt 

das sdilecht su der Art des Asconius und bleibt becteafidli eine ganz 

anädere Vermittang. 

X) Auch Bndider Rhehi. Mns. 45, 334 sweifdt nidbt dann, 

daft dieser Octanos gemeiiit ist. 



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Zweitens aber wfiide er natflrlidi die persdnlicbNi An- 
spielmigeii so gestaltet haben, wie es seiner Absicht und 

der vorgeschritteniüü- Zeit entsprach. Beiner Absicht hätte 
es entsprochen weder die Autorschaft Vergils noch die Be- 
ziehungen des Autors zu Octavian im unklaren zu lassen. 
Aber aus dem Gedicht selbst, wenn es isoliert und ohne 
Überschrift überliefert wäre, hätte kein Mensch je in Altertum 
oder Neuzeit die Vermutung geschöpft oder schöpfen können^ 
<iab der Verfasser Vergil sei oder sein wolle; in den 
Venen 8^10 liegt nicht nnr kein Hiaiweis auf Geoxgica 
und Aeneis, sondern sie passen f&r jeden jungen Autor, 
der nicht in der Selbstyc|btendung lebt, dab er berdts auf 
dem Giplel der Vollkominenheit angelangt sd. Wer fSr 
Veigfl hStte gehalten sehi wollen, würde da ganz andm 
anfgetrompfl, wärde Idcfat falsba^ Anspielungen statt der 
völlig allgemeinen und unverfänglichen Wendungen hinein- 
gebracht haben. Ebenso würde er aber auch Octavian als 
Adressaten mit viel unzweideutigeren Ausdrücken bezeichnet 
haben als dem blofscn Octavi und puer ^ die j^, wie man 
sieht, noch heute die Interpreten im Zweifel lassen, wer 
eigentlich gemeint ist. Kurz, wenn der Verfasser des Culex 
ein Fälscher war, der für Vergil gehalten sein wollte, dann 
ist er ein sehr verscliSmter Fälscher gewesen, denn er 'hat 
sich aDe mdgUcbe Mfihe gegeben, den Leser nicht merken 
zu lassen, dals er es mit einem Gedichte Veigils an Octavian 
SU tfann habe. 

r 

Hier könnte 4fi|)^» die nun einmal an die Fälschung 
tu glauben entschlossen* sind, allraüatlls noch die Annahme 

durchhelfen , dafs ^er Fälscher ungewöhnlich thöHdit ge- 
wesen sei. Von dem Mafs seiner Bcaiilaguug unabhängig 
aber war es, dafs die persönlichen Anspielungen im Gedicht 
genau der dafür angesetzten Zeit entsprechend ausgefallen 




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— 134 — 



sind. Der Klfigite würde dch hier venatea liabea wie der 
Dfimmate. Oder glaubt man wiildich, da6 itgond etn 
FSlsclier so Überiegung hätte haben kfinnen, un sich 
xn fragen, wie Avgnstiia hieb, als Vergil 26 (oder nadi der 
Überlieferung 1 6) Jahr alt war? so geistige Energie, ttm 
sich von jeder Anspielung auf Octavians spätere glorreiche 
Laufbahn zurückzuhalten? Die Überlegung kann er nicht 
gehabt haben, denn wenn es wirklich an sich möglich ge- 
wesen wäre, dies alles mit Bewufstsein zu thun, so war 
er ja doch eben andererseits der Thor, der seine Absicht 
von vornherein selbst dnrch aUztt diskrete Anspielangen 
vereitelte. 

Was der Dichter von sich und Octavian ssgt, iift an 
Bescheidenheit und Einfachheit nidit sn überbieten. Das 
scheint mir der sidiersle Beweis dal&r, dftb da Cnlex 
kerne Fälsdmng, sondern wirklich dem Octa;vi8n, als er 
noch Octavins faiefk, flbeirricht, also s p^äteate ns 44 Chr. 
gesdirieben worden ist. Zu dfesem Zeitaiualz^ stilwmt hier 
wieder genau wie bei der Ciris (oben S. 64 ff.) die Sprache, 
insbesondere der Periodenbau, sodann die echt alexandri- 
nische Art der Erzählung. Beides braucht hier keine nähere 
Ausführung; die Thatsache kann so wenig wie bei der 
Ciris in Zweifel gezogen werden. Ein Dichter, der 50 Jahre 
später schrieb, hätte sich unmöglich so erfolgreich mit seinen 
Eigenheiten und Sonderbarkeiten dem nivellierenden F.in- 
fln(s der greisen Klassiker entliehen können. 

Im Zusammenhang hiermit gewinnt jetst Stinjime auch 
eine Thatsache, die selbst' von solqhen, die nocli an die 
Vergilimitation glauben wie Leo (S. 16)» nicht bezweifelt 
wird: Nachahmungen jüngerer Dichter als Catnll und Lncres 
— Veigfl darf ich ja jetst wohl auch aus dieser Reihe 
streichen — sind bisher im Culex nicht nachgewiesen. Das 
heifst angesichts der angestrengten ForsdiuDg, die man 



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allezeit gerade auf diesen Funkt gerichtet hat, nichts an- 
deres als: sie sind überhaupt nicht vorhanden. 

Ich fasse zusammen. Der Cales stammt zweifellos aus 
Octavians Jiigiond, ana der Zeit, da er noch Octa^iiis hiela. 
Dafs Veigfl' der, Autor war/ist old^ kn ibeweiaen; die Zen^- 
nisse des Altaitmps sind kein gongender Beweis. ^ leidit 
fieOidi' aidi iiidit wm^ Erwcib des' Gsg^teHs ans,- wenn 
man die poetischen Scfawftdien und spiacbUpheii Hftrtfn der 
Dicfatung zusammenstellt^. 

» 

i) Der Anfinig der aduiten Eldoee: 

Prima Syracöflio dignata est Indere veno 
. ^ «V» rih» kdft«. lU. 
ist Terstiiidlich auch olme Besidlrang auf den Anfiuig des Cnl»: 
huimiu, Octavi, gracüi modtilante ThaUa. 



ZWEITER EXKURS. 
OBERTUS GIFANIÜS UND DIE CIRIS. 

Barth (Adversaria HI Kap. XXI) und Taubmann in 
seiner Vergilausgabe, die 1 6 1 8 bei Zach. Schurer erschienen 
ist (zu ecl. VI 74), bezeichnen Griüeuiius als den, der zuerst 
die Ciiis dem GaUus zugewiesen habe. Letzterer sagt 
wöitlich: Giphaoins monnit hic poetam respicen» poemation 
Galli, qnod hodie Ciris nominatum Veigilio tribnitnr, nt et 
commemoratione Terei innnere aliud eiusdem auctoris 
eidyllium de Tereo et Philomela^). 

Worauf diese Behauptung Barths und Taubmanns sich 
stützt, vermag ich nicht anzugeben. Das ist um so be- 
dauerlicher, als sie in mancher Hinsicht Bedenken zu er- 
wecken geeignet ist. Ich habe Gifanius' Werke und Briefe, 
soweit sie mir zugänglich waren, durchgesehen, von letzteren 
nicht blofs die gedruckten, sondern auch ungedruckte 

1) Da das wie Zustimmung klingt, ist es sonderbar, dafs Taub- 
mann, als er im selben Bande die Ciris abdruckt, sich der Vermutung 
des Gifiuiiiis nbahaiipt nidit mehr erimiert md eneisisch f3r den 
vorgjHschen Unpnmg des Gedidites eintritt 

2) Eine Reihe Biieife des Gifiuhis besitst die Breskner Stadt- 
faibBoÜiek, grofsenteils abfedradt von Th. Schinner im Gntnbiticms- 
Programm der Breslaner Universität zum 400jährigen Jubiläum der 
Baseler (1860). Drei ungedruckte stehen in der Handschrift R 254* 
unter Kummer 22, 25 und 76. Sonstige Briefe finden sich in Bur* 



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— 137 — 

Aber nicht nur habe ich niigends eine ^ur jener Kom> 
iMnation finden können, sondern in seinem gerübmtesten 
philologischen Werke In T. Lnoratiom Carum index seu 
potins conlectanea, das seiner Ladesan^gabe angdiängt ist,* 
dtiert Gi&nins beständig Va^g, dn (s. B. unt^ den Stich- 
Worten Aira^ Barbarieae vettes)^ ja in der vita Lncietii, die 
der Ausgabe vorangeht, &iat er ausdrücklich die Eingangs- 
yerse der Ciris als ein Selbstzeugnis des Vergü über seine 
epikureischen Studien in Athen an. Und dies alles steht 
noch in der Auflage, die 1595, blofs neun Jahre vor Gi- 
fanius' Tod, in Leyden erschienen ist. 

Gleichwohl möchte ich das Zeugnis Taubmanns und 
Barths nicht anfechten. Der Lucrez von 1595 ist wohl ein 
blofser, von Gifanins nicht mehr revidierter Neudruck der 
ersten Auflage von 1566, und die positive Vermutung über 
den Dichter der Ciris mag Gifanius mündlich verbreitet 
haben, wie so mancher andere seiner Gedaaken nicht von 
ihm selbst zum Druck gebracht war, sondern nur von seinen 
Bekannten niedergeschrieben und erst nach seinem Tode 
. veröffentlicht wurde^). 

Gifanius hat die Ehre, die ihm Barth und Taubmann 
erweisen, mir eine Zeit lang mit einem schweren Verdachte 
hesaUt. Ich berichte darüber hier in aller Kurse, um 
andere vor dem lirw^ zu behüten, den ich gegangen bin. 

Ich bemühte mich eine Zeit lang den Urheber der auf 
Gallus^ Namen im 16« Jahriiundert gefälschten Elegieen 
AntboL lat. 914 — 917 R. zu ermitteln*). £s ist sehr auf- 



roanns Sylloge epistularum a viris illustribus scriptaram, Leyden 1727, 
Bd. I Nr. 332 flF. Bd. II Nr. 71 f. 

1) Valerii Andreae BiUiotiieca Bellica» Löwen 1643, S. 702. 

2) VeigL RaOeiiqpklopidie IV t^so* 



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- 138 - 



fällig, da£s der Fälscher in die erste Elegie V. 25 — 32 als 
Episode die Sage von Scylla, der Tochter des Nisus ein- 
geflochten hat, ja dafs bisweilen sein Wortlaut an den der 
Ciris anklingt^). XJnt&c diesen Umständen lädst sich die 
Venuntniig kanm abweisen, dals der Fälscher Gallus für 
den Veifoner der Ciiis Udt Die Elegieen sind snent 1582 
and wiederholt später bei Aldos Bianntitis gedruckt worden. 
Damals hat, wenn Barth nnd Tanbnuum recht haben, ein 
einziger den Vec&sser der Ciris gekannt, wämllrh CSifiados, 
nnd dieser war mit Aldns Manntins sehr befienndet^. Wer 
daranfhin den Verdacht ausspricht, dafs Gifanins der Fälscher 
war, beschmutzt zum mindesten kein reines Ehrenkleid. 
Nicht nur die Art seines Glaubenswechsels hat Gifanius 
Tadel eingetragen, sondern viele glaubten auch die Be- 
schuldigungen, die Gifanius einen Platz in Jakob Thomasins' 
Werk De plagio verschafft haben^. 

Leider ist aber diese ansprechende Kombination nicht 
zn halten. Zwar daCs die ^^^gieen schon 1582 gedruckt sind, 
während noch Gi&nias' Lncres von 1596 Veigii als Dichter 
der Ciris nennt, ködnte ans dem oben angef&hrtcn Gmnde 
Gifimins nicht vom Verdacht reinigen, Wohl aber tintn 
das die von Chatelain^ im VaUicdUanns B 106 wieder 
an%efandenen Briefe des Fälschers an Achilles Stalins. 



1) Vergl. V. 29 mit Ciris 135 u. a. 

2) In den von Schirmer herausgegebenen Briefen S. 6 nennt er 
den Aldus mi/ii perfamüiaris und verspricht Rehdiger verschiedenes 
bei Aldus auszuwirken. 

3) §§ 445— 44S der Ausgabe von 1692. Über diese Vor- 
-Wide gegen Gibmiis orientieit am besten Bs]^ Dictfonsire, im 
tbrigen giebt ftber Um JScbers Gddiiten-Lexikon bestete Anskimfti 
in L. MfiUers Geschichte der Philologie in den Ntededaaden ist er 
vergessen. 

4) Revue de pkilologie, nouv. säie IV (1880) S. 69 if. 





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— 139 — 

Denn deren Handschrift ist, wie mir meine Photognq>hieen 
seifen, der des Gütmios nicht ähnlich. 

Man wird also anzunehmen haben, dala gegen Ende 
des i6. Jahifaunderts anlser Gttanins auch noch andeie 
wnisten, dals die Ciris von Gallas stammt 



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DRITTER EXKURS. 

GALLUS IM VIERTEN BÜCH DER 
GEORGICA. 

Servins berichtet zu EcL X i, dab das rierte Bach der 
Geoigica ui&prünglich a med^ mque ad fitum das Lob des 
Cornelius Ganus sang; erat auf Befehl des Augnstus sei 
daftOr die Geschichte von Aristaeus eiogetreten. Ähnlich 

heifst es zu Georg. IV i, der Schlnfs des Buches sei ver- 
ändert; an Stelle eines Eukoraions auf Gallus sei der Mythos 
von Orpheus gesetzt, nachdem Gallus sich wegen Augustus' 
Ungnade den Tod gegeben hatte. 

Diese Nachricht wäre schwerlich so in Mifskredit ge- 
kommen, Mde sie es heute im allgemeinen ist, wenn man 
sie nicht mit weiteigehenden Hypothesen verkoppelt hätte. 
Ribbeck u. a. haben auch auÜBerhalb des von Servius be- 
zeichneten Gebiets Spuren einer Neubearbeitung der Geoigica 
finden wollen; diese sollte dann mit der von Augustns be- 
fohlenen Ändemng des Schlusses in Zusammenhang stehen. 
Ich bin nun ganz wie Pnlveimacher, auf dessen soigfältige 
Aibdt De Geoigicis a Veigilio retractatis (Bedin 1890) 
ich för alle Einzelheiten verweise, der Ansicht, dafit stich- 
haltige Beweise für eine Überarbeitung, soweit sie nicht 
durch Servius bezeugt ist, fehlen. Aber daraus dafs die 
weitergehenden modernen Hypothesen falsch sind, kann 
doch wohl nicht das mindeste gegen den Bericht des Servius 



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— 141 — 



icrfolgeit werden. So wenig Servius etwas für Ribbeck 
beweist, so wenig, ja noch viel weniger darf man glauben, 
Servius widerl^ in haben, wenn man Ribbeck wideriegt hat 

Man macht fieOich noch besondere Einwände gegen 
Sendns. Es soll entens unmöglich sein, dals ein Gedicht, 
das sich zunächst an Macenas wendet und doch dabei fiOr 
Ihn nur kuise Worte fibdig hat (I 2, n 39 — 46, III 40-^3, 
IV 2), dem Gallus mehr als 200 Verse gewidmet habe. 
Ich wül hier nidit erst mit efaiselnen Möglichkdten spielen, 
wie dafs des Servius Bericht so wörtlich nicht zu nehmen 
sei, dafs es sich weniger um ein Lob des Gallus selbst 
als das seiner Provinz Äg}^pten gehandelt habe, wozu wir 
noch jetzt in V. 287 flf. den Ansatz lesen. Der Art kann 
man so viel ausdenken, dafs selbst der kein Recht hat über 
Servius' Nachricht abzuurteilen, der sie wörtlich genommen 
für unmöglich erklärt. Eins darf man zudem nicht ver- 
.gessen: wenn fiir uns heute Gallus hinter Mäcenas an Be- 
dentung surücktritt, so ist das erst eine Wirkung der 
Folgezeit; als Gallus von Octavian eben zum ersten Ftäp 
fekten Ägyptens bestellt war und Veigil seine Georgica ab- 
schlois (29), brauchte der von Vecgil so iimig verehrte 
Gönner gewils niemand an Rang und Bdiebtfaeit beim 
Herrscher zu welchen* 

Man versichert uns zweitens, wenn der Bericht des 
Servius wahr wäre, hätten die sechste und zehnte Ekloge 
auch nicht bleiben dürfen, zum mindesten nicht bleiben 
dürfen, wie sie. waren. Wüfste ich gegen dieses Argument 
nichts besseres als die üblichen Einwände vorzubringen, 
dann würde es mich allerdings möglicherweise stutzig machen. 
Ich betone aber weder, dafs es leichter ist ein Werk nach 
drei Jahren einzuziehen als nach dreizehn^), noch da& man 



i) Bncolicz kennsg^beii 39, Geoigic» 39, Gdlvs f 36. 



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— 142 — 



der PapyrnaroUe leichter ein neues End- als ein neues 
Mittelstack «Tildmen kann. Mir scheint es vidmehr ebenso 
ansreicfaend zur Erkläning wie einlencfatend, dals nor die 
Teüe der Vergüischen Dichtung faDen mnfsten, die wie die 

zweite Hälfte von Georgica IV den Staatsmann Gallus 
feierten; der Dichter Gallus, von dem allein die sechste 
und zehnte Ekloge reden, interessierte den zürnenden 
Herrscher nicht. 

Dieser sozusagen negativen Verteidigung des serviani- 
schen Berichts können wir eine positive zur Seite stellen. 
Ich sagte bereits . oben, da(s hier ein Fund der letzten 
Jahre allein schon schwerer wiegt als alle Einwände der 
Gegner. Jeder Zweifel» ob den Gallus wirklich efaie dam- 
natio memoriae getroffen hat, wie sie der Servinsbericfat 
voraussetzt, muft heute verstummen vor der Stele von PUQae^). 
Wenn man im fernen Ägypten des Gallas' Inschrift zerschlug 
(vieUelcfat nicht unabsichflich so, dals gerade sein Bild* zu 
Schaden kam) und vor dem Tempel des Gottes Augustus 
in den Boden einliefs, so dafs der Andächtigen Fufs über 
sie hinweg mufste, so war es natürlich, dafs man in einem 
Gedichte, dem weiteste Verbreitung sicher war, das Lob 
des Gerichteten nicht länger beliefs, das ihn gerade in der 
Stellung feierte, die seines Vergehens und seines Sturzes 
Ursache war. Ob das Verfahren von Augustus selbst ver« 
anhiist war, der ja grolae Betrübnis Aber GaUns' Fall an 
den Tag gckgt haben soU^, oder ob hier nur die Dienst- 
beflissenbeit der Höflinge zu erkennen ist, kann im einen 
wie im andern FaD dahingestdlt bleiben. 

Durch den neugefondenen Beweis gewinnt aber neue 
Frische auch der alte, der der mangelhafken Komposition 



i) Sitzungsber, d. Berliner Akad. 1896, 475; dazu Wilckcn Zeit- 
schrift ägypU Sprache XXXV 70 ff. 2) Saeton Aug. 66. 



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— 143 — 



des Schlusses der Georgica selbst entnommen und kürzlich 
wieder von Sabbadini gut entwickelt word^ ist^). Man 
mag sich um des Zusammenhangs wülen eine gedrängte 
Darkgong auch hier gefallen lassen. 

Die Geschichte dea Azistana acUielat weder in sich 
noch mit der ersten Hälfte des vierten Buches gut lu- 
sanonen Als er seine Bienen verloren hat, sucht er Hilfe 
bei seiner Matter Cyrene; die aber weils dem Sohn nichts 
weiter an raten, als dals er den Proteus im Schlafe 
langen solle, 

ut omnem 

397 ezpediat moiU csoMin eventusqne secandet. 



I) Rivists di filologis XXIX {1901) S. 19 ff< Was Ssbbtdfaii 
sonst voilniag^ habe idi hier nidit m ptftfen. 

a) Ein pur von den leichteren AnstSben eihUren sieh durch 

gar zu engen Anschlufs an Odyssee b. Cyrene salbt den Sohn mit 
Ambrosia (V. 41 SQ» seine Haare werden dadurch wohlriechend, man 
weifs nicht wozu, und seine Glieder stark, was ja für das Proteus- 
abenteuer erwünscht ist, aber nis causa sufüciens etwas nachhinkt. 
Wie anders bei Homer! Menelaos und seine drei Gefährten lauem 
unter RobbenfeDen versteckt dem Proteus auf (V. 441 ff.): 

Iv6a Kev alvöraroc X6xoc ^irXeTc relpe ydp alvAc 
(piUKduiv AXiOTp€<p^iuv 6X0U1TOTOC bbyii\. 

Da hilft ihnen Eidothee: 

djißpodTiv OiTÖ ^tva ^Kdcxiu 0f^K€ <p^pouca 
f\b\} |idXa irvEioucav, ÖXecce bi k^itcoc ö&^/)v. 

Noch ein zweiter bei Homer sinnvoller und lebendiger Zug ist 
beim Durchgang durch die Vergilische Retorte um Saft und Kraft ge- 
kommen. Menelaus und die drei andern stürzen idxovT€C auf Proteus 
los (V. 454), was ganz in der Ordnung ist, da sie ihn durch ihre 
Zahl cu schrecken hofien können und nicht su furchten branchen, dafs 
er ihnen entrinnt. Wenn dagegen Aristins, der allein ist, V. 439 
auf den sich nun Schlafe anttchidtenden Proteus cum clamert magno 
losstfirzt, so ist das so ziemlich die groHrte Verkehrtheit, die er be- 
gehen kann* 



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— 144 — 

Nam sine vi, fährt sie fort, non uUa dabit prcucepta\ sie 
ist also zweifellos der Meinung, dafs Proteus aufser 
Ursache des Übels auch Mittel angeben wird, wie man 
seiner Herr werden kann. Proteus rechtfertigt diese Er- 
wartungen sehr wenig. Er erzählt dem Aiistäus, dals 
Oipheos aoB Zorn über den Vediut der Gattin, die auf 
•der Flucht vor Aiiatäna der tödliche Scfalasgenbiis getzoifen 
habe» ihm * diese Strafe', den VezluBt der Bienen sende. 
Den zehn oder zwölf Versen, mit denen das gesagt ist 
(453 ff.), fügt Proteus sechzig weitere zu, die den Abstieg 
des Orpheus zur Unterwelt und seinen Tod erzählen. Ob 
letzterer sich mit suscitat poe?tas 456 vereinigen läfst, bleibe 
dahingestellt; jedenfalls stört die an sich sehr sch(jne Stelle, 
die zu Aristäus und seiner Frage keinerlei Beziehung hat, 
in ihrer Ausführlichkeit den Zusammenhang auf das em- 
pfindlichste, und auch wer an alezandrinische Einschachte- 
Inngen gewöhnt ist, mtUs diese für eine Wucherung er- 
klflzen, die einen organischen Teil der Froteosrede gani 
zerfipessen hat Das kann am besten wieder Homer erweisen« 
Dort lälst es zwar Frotens auch an langen Erzählungen 
nicht fehlen (V. 492 ff.), jedoch nur an solchen, zu denen 
er durch die Fragen des Menelaos unmittelbar angeregt ist; 
vor allem aber vergifst er nicht den Rat zu erteilen, auf 
den es dem Frager vor allem ankonunt (V. 472 — 480). 
Wenn dagegen Vergils Proteus mit überraschender Plötzlich- 
keit ins Meer springt (V. 528}, läfst er Cyrene und Aristäus 
nicht wesentlich klüger zurück als sie vorher waren. Es 
ist also eine ganz unvermittelte und unerklärliche Eingebung, 
wenn Cyrene jetzt auf einmal bis ins einzebiste weils, was 
der Sohn zu thun hat um seine Bienen wiedenubdcommen 
0^* 535 — 558)» ja wenn sie sich sogar zu Proteus in \li^der^ 
sprach zu setzen wagt Denn Aristäus soll freilich Orpheus 
und Euijdice ein Totenopfer darbringen (V. 545 flf.), aber 



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— 145 — 



wer ihn straft, wer ihm zürnt, das ist nicht Orpheus, wie 
Proteus verkündet hat (V. 455 und 456), sondern die 
Nymphen, an die Aristaiu vor altem aeine Bitten und Gaben 
richten soU (V. 532, 535). 

Hier aind vielleicht drei, jedenfalls zwei Vorlagen kon- 
taminiert, die msprfinglich gar iiichta miteinander ni thnn 
hatten; die homerische Schicht können wir mit Leichtigkeit 
abheben. Solche Kontamination ist, irie unsere Unter- 
suchungen gezeigt haben, ein so echt vergilisches Ver&hien, 
dafs es ganz andere Bewdse als dem von Maafs in sdner 
sonst höchst anregenden Behandlung unserer Stelle bei- 
gebrachten*) bedürfte, um die Verquickung schon dem grie- 
chischen Vorbild Vergils zur Last legen zu dürfen. 

Nun kann man freilich sagen, je öfter Vergil ähnliche 
Proceduren vornimmt, umso weniger kann eine mifslungene 
beweisen, daCs wir es mit einer nicht ganz glücklich ab- 
gelaufenen zweiten Redaktion zu thun haben. Und so be- 
trachte ich allerdings die bisher erörterten Anstölae nur in 
der Konkurrenz mit den vorher besprochenen Argumenten 
als ein Anzechen £iSr dte Überarbeitung des viertim Budies. 
Dagegen scheinen mir die flbrigen Anstöise, die, welche 
im Attschluis der Aristäusepisode an die erste HälAe des 
Buches liegen, allerdings schon an sich als Beweis ver- 
wendbar. 

Von V. 281 ff. an stehen zwei Berichte über die Ent- 
stehung der Bienen aus toten Rindern nebeneinander, die 
sich gegenseitig; im einzelnen widersprechen, im ganzen 
ausschliefsen, und die auch im Ausdruck vom Dichter nicht 
vennittelt sind. Die Ägypter ersticken ein Kalb, zerschlagen 
ihm die Gedärme, ohne das Fell zu verletzen, und schlidsen 
den Kadaver in ein kleines Gebäude ein; Aristäns kehlt 



i) Oipheas & 285 £ 
Skatiek, Aa» TacgtU FMÜMit 10 




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146 — 



Rinder ab und läfst sie im Hain liegen. Weit schlimmer 
ist, dafs wir mit keinem Wort erfahren, wie denn gerade 
die Ägypter dazu kommen, nach dem Recepte des Arcadtus 
nu^itUr zu verfahren. Dieser sachliche Widerspruch prägt 
sich aber auch in den Worten aus. Nachdem mit V. 281 
die Frage au^ewoifen ist« wie man Eraats fir veiloie&e 
Bienen eifaalten kann, venpricfat Veigfl die denkwfirdige 
Erfindung des Aristäns sn enahlen (V. 283): 



Hiernach erwartet der Leser den Mythos von Ariatäus 
zu hören. Mit nam 287 lenkt denn auch der Dichter zur 
firsählung über, aber weder von Anstaus noch von ein^ 
fima noch dem Ursprung dieser Fama oder dem Ursprung 
der Boogonie erzählt er, sondern es folgen 30 Verse, die 
die ägyptische Sitte der Boogoxue und nicht als Fama, 
sondern als feststehende Thatsache erzählen. Wenn das 
vorüber ist, kommt der Dichter eist mit der Frage (315) 

quis de US hanc, Musae, quis nobis eztudit artem? 

auf sein Thema, nicht ohne auch durch die Überleitung 
den Leser wieder zu übeirascfaen: die Fkage ist müiäg, 
nachdem sie uns in V. 283 bereits beantwortet worden war. 

Ober diese Anstöise kann, wie ich denke, keine Inter- 
pretation hinweghelfen. Ihre Entstehung aber ist erklärt, 
sowie man annimmt, dafs die Verse über Ägypten bereits 
der ersten Ausgabe der Gcorgica angehörten und dort zum 
Lobe der neuen Provinz und ihres ersten Präfekten über- 
leiteten — einem im J. 29 aktuellen Thema. Bei der 
zweiten Redaktion fiel weg, was auf diese Überleitung einst 
gefolgt war; sie selbst zu opfern konnte sich Vergil um so 
weniger entschliefsen, als er im Mythos von Aristäus einen 
verwandten Stoff gefunden hatten der geeignet erschien den 



altius omnem 
expediam prima repctena ab origine fiunam. 




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— 147 — 



fortgefaUenen Schlufs m eraetsen. Nur der Anfang der 

Überleitung mufs auch änderungsbedürftig gewesen sein; 
die Verse 283 — 286 gehören offenbar der zweiten Be- 
arbeitung an. Die erste mufs statt deren hier einen Passus 
des Inhalts gehabt haben: („Wenn jemand die Bienen aus- 
gegangen sind,) so wende er ein in Ägypten vielgebrauchtes 
Verfahren an." Wahischeinlich war schon hier irgendwie 
auf Gallas Bezug genommen, sonst hätte die ältere Fasmmg 
nicht zu fallen brauchen. Jedenfalls findet nur so das mm 
gua FtUoii q. s. w. in V. 283 ff. seine volle Erklärung. 



r 



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VIERTER EXKURS. 



Dm VIERTE EKLOGE. 



Ist Comeliuft Gallns der Ver&aaer der Ciris, so folgt, 
dab V. 49 der vierten Ekloge 



aus der Ciris entlehnt ist, wo in V. 398 die Dioskuren 
genannt werden 



Begnügen wir nns nicht, dies £igd)m8 als euie bloise Fol- 
gerung ans unserem Hanptresnltat hinranebmen, sondern. 

suchen noch nach Einzelbeweisen, so fehlt es wohl auch an 
solchen nicht. Ich meine, dafs zweierlei deutlich für die 
Priorität der Ciris spricht. Erstens scheinen mir die Worte 
von vornherein für die Aioc KoOpoi, die lovis subo/es ge- 
prägt; es wäre sonderbar, wenn ein so scharfer treffender 
Aiisdmck blofs durch Variation eines allgemeineren zu stände 
gekommen wäre. Zweitens ist der Vers ein Spondiazon, 
und wir wissen, dafo dw Verfasser der Ciris solche mit 
Vorliebe bant (oben S. 74), während Veigfl in den Eklogen 
im ganzen drei d. h. ' 0,36 Ftocent hat*^). Besser aber wird 
man die Veigilische Entlehnung noch zu würdigen ver- 
mögen, wenn es mir gelingt, die Intefpretation der vierten 
EUoge dem Leser wahrscheinlidi zu machen,, die, heute 

I) V38 (—Ciris 96), Vnsä. 



cara demn tnboles, magnnm loiris iBcremeatam 



CM» lovts snboles, rnagimm loviy inccementiini. 




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— 149 — 



£ut allseitig wa^egtHMOf mir doch die einsig mögliche scheint. 
Idi begründe sie im folgenden und dbeilasse es dem I.eser 
die nötigen Schlösse fSr onseren Vera xa üAßu, 

Die fachmäfsigen Interpretationen der vierten Ekloge 
zerfallen in drei Gruppen: der Knabe, dessen Geburt ge- 
feiert wird, ist den einen eine Allegorie, den andern ein 
{bestimmtes oder imbestimmtes) göttliches Wesen, den dritten 
ein Mensch. 

Die erste Interpretation, nur von wenigen vertreten» 

brancht eigentlich keine Wideriegong. Den Alten ist es 

nie beigekommen, den Frieden — die pax Brundisina soll 

ja gemeint sein — in der Schillerschen Axt zu personifi- 

desen. Es konnte ihnen nie beikommen, denn weder pox 

noch eipriVT) lassen sich als Knabe vorsteilem Aber ginge 

das selbst an, so wäre es eine Absurdität, dieser Allegorie 

susumfen: 

incipe, parve puer, lisu cognoscere matrem: 
matri longa deeem tnlenmt ftstidia 

Schon zu viel Worte habe ich an diese erste Deutungs- 
art gewendet. Die zweite ist von mehr und von sehr an- 
sehnlichen Gelehrten vertreten; besser scheint sie mir doch 
nicht. Sei nun der pu^ ein bestimmter Gott sei er ein 
unbestimmter gans allgemein gedachter — dies die Auf- 
fessong von Crusins Rhein. Mus. 51, 555, die idi mir liots 
aller Gelefarsainkelt des Vei&ssen nicht recht greifbar 
machen kann — , das Gedicht würde in jedem Falle eine 
Singularität sein. Die Geburt eines wirklichen Gottes von 
einem als Persönlichkeit genau bekannten Dichter prophezeit, 
der sich zudem, soweit wir seine Eklogen verstehen, durchaus 
unr mit den menschlichsten zeitgenössischen Vorgängen be- 
fafst — das ist so befremdlich, dafs wir erst schlagende 
Analogieen haben müisten, ehe wir's zu glauben vennöchten. 



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— I50 — 



Zudem aber wird der ptur gar nicht als ein Gott geboren. 
Seine Mutter leidet sehr Menschliches durch ihre Schwanger- 
schaft (V. 6l). Er selbst wird der Götter Leben em- 
pfangen, die Götter und Heroen gesellt sehen und sie 
werden ihn sehen (V. 15 f.); das wäre ja so selbstverständ- 
lich, wenn er durch seine Geburt schon ein Gott wäre, 
dafs es uns der Dichter nicht erst hätte zu sagen brauchen. 
Nur wenn seine Eltern ihm zulachen, würdigt ihn ein Gott 
seines Tisches, eine Göttin ihres Lagers (V. 63): aber wenn 
er doch ein Gott durch Geburt ist, werden sie ihm das 
anch ohnedies schwerlich weigern können; wenigstens wflbte 
ich nidkt, dals andeten Göttern deigieidien- Bedingungen 
ihrer Götteiachait gestellt worden wiren. Sein Vater' hat 
grolae Thaften verrichtet, den Erdkreis befriedet (V. 17): 
wenn der Vater ein Gott - ist, könnte es also' wohl nur 
Herkules sefai, auf den allein der Ausdruck (pacahim pairut 
virtidibus orbrm ^Him^pufce Ta»av V. 17) pafst^); wir wollen 
abwarten, ob die Verfechter des Götterknaben mit einem 
Herkulessohn hier etwas anzufangen wissen. Der Knabe 
wird der Heroen Lob und die Thaten seines Vaters lesen 
und damit eine Würdigung ihrer Leistungsfähigkeit ge- 
winnen (V. 27): ein sonderbares Götterkind, das auf diese 
Weise von seines Vaters Ruhm erfahrt Ist das vielleicht 
eine der Kinderstubmiscenen, wie sie der Alexandrinismtis 
gern auf den Olymp verlegt? Wir wollen anch hier ab- 
warten, ob die Gottsucher diese ErUSrung oder welche sie 
sonst wählen werden. 



I) Reinach L'oiphisme dsu Is jqnatritaie ^logue de Vlrgfle, 

Revue de l'histoire des religions 1900, S. 9 des Separatabzngs ver- 
steht Juppiter, der die Titanen besiegt hat. Aber offenbar wird pa- 
catum orbem als die Hauptthätigkeit des Vaters genannt, die ihn be« 
sonders auszeichnet. Trifit das auf Juppiter zu? 



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— 151 — 



Nor die dritte Erklämngsart kann, meine ich, för voll 
genommeii Waden. Ein Menicfaensohn «oll geboren werden ~ 
fieilicfa eineri den manche Benehnngen und Erwartungen mit 
den Göttern veilEnüpfen* 

Wer ist es, dem dies hohe Präconiwn sn teD wird? 
Schon die antike Philologie hat Umschau gehalten unter 
den Kindern, die geboren wurden, als Vergil seine Ekloge 
schrieb und Pollio Konsul war; Asconius hatte von einem 
der Beteiligten selbst eine Auskunft erhalten. Diese ver- 
langt heute um so ernstere Prüfung, als sie jüngst wieder 
von Marx zur Grundlage eines ausgezeichneten Aufsatzes 
gemacht worden ist^). 

Aaconius halle von Aainins Gallus, PolUos Sohn, ge- 
hört, za seinen Ehren sei diese Ekloge gescfaiiebenf). 
Asconius aber ist einer der snverlSssigsten Forscher des 
Altertums, also, schliefst Man, ist mit'dem /umt der vierten 
Ektoge wirklich Gallus gemeint. Ich untoachrabe die 
beiden Prämissen unbedingt Aber ich leugne ebenso be- 
stimmt, dafk aus diesen Prämissen sich ligend ein anderer 
Schlufs ergiebt als der, dafs Asconius das wirklich von 
Gallus gehört hat. Von da bis zu dem Nachweise, dafs 
Gallus recht hatte, ist es noch sehr weit. Auch Asconius 
selbst scheint ja nach der Art, wie Servius sich ausdrückt, 
die Äufserung des Gallus durchaus nicht als eine inappellable 
Entscheidung angesehen zu haben. 

Ich will dabei dem Gallus nicht einmal den gvLtea. 
Glauben abstreite. Der emsige Name, der in der vierten 
Ekloge genannt wird, ist der seines Vaters, und der wird 
rühmend genannt (V. 12); so konnte Gallus auf seine 



1) Neue Jahrbücher für das klass. Alt. I (1898) S. 105 ff. 

2) Serv. zu ecl. IV 1 1 : Asconius Pedianus a Gallo audisse se 
refert hone eclogam i» hem m m ems factam. 



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— 152 — 

Deatimg des dimkein Gedichtes so gut bona fide verfallen, 
wie nach dem bentigen Stande nnaerar Kenntnis Bettinen der 
gute dasbe nicht gefeblt hat» als sie die Henlieb-Soiietle 
auf sich besog Nnr ist natdrlich Ar die Interpxetation mit 
solcher bona fides gar nichts bewiesen. Hier stdien ihr 
nun vollends Argumente gegenüber, die Marx zum Teil 
vergeblich w^zudeuten sucht, zum Teil überhaupt nicht 
beröhrt. 

Von dem erwarteten Knaben und seinen Angehörigen 
wird in den höciisten Tönen gesproclien. Ein Gott ist er 
zwar nicht, aber er stammt von Göttern (V. 49) und einst 
wird ihm der Götter Leben, der Götter Gesdlschaft zu teil 
werden (V. 15!, 63); die goldene Zeit wild, er aUmahlich 
wieder heranfiüfaren (V. 601, i8flf., 37 S^, und er wird das 
umso eher können, als sein Vater bereits dem Erdkreis den 
Flieden gegeben hat (V. 17). Marz bemuht sich nachsu* 
wciaeii (S. 1 10), dab eine so iiberscfawängliche Sprache und 
Phantasie nicht äberrasdien könne; es sei die Sprache der 
Gtöckwunsche und sonstigen frommen Wasche, die in der 
Wochenstube und Kinderstube vernommen wurde, die Sprache 
des Volksmärchens, für die Persius II 31 ff. als Beispiel 
dienen könne; ihren Wert habe die vierte Ekloge [gerade 
als einzig erhaltene Probe von Klientenpoesie bei Eintritt 
eines frohen Ereignisses im Hause des rtx. Ich kenne 
noch ein zweites Beispiel, herrührend von einem Mann, 
dem es wahrhaftig auf eine faustdicke Schmeichelei nicht 
ankam, von Stalins; man lese IV 7 f. in den Süvcai, um sich 
die Enormität der vierten EUoge ganz klar in machen. 
Aber seben wir anch von dieser Parallele ab und ver- 
gleichen wir nur, wie Marx will, mit dem Wunsch der 
Grofimmtter oder Tante bei Persius, so zeigt sich sogar, 



I) Pniower Euphorion VII 54 if. 



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— 153 — 

dait 8o hoch wie die vierte EUoge selbst das kOhnste 
Selbs^esprach der Altweiberiiebe sich nicht versteigt Die 
Reichtömer des Lidnns und Cxassus mag sie f&r das Wickel- 
kind erhoffen und eine Ftinzessin als Fraa, Rosen unter 
seinen Ffllsen und die wetteifernde liebe aller Mädchen; 
so absurd- aber geberden sich selbst die veferes aoiae nicht, 
einem gewöhnlichen Menschenkinde die Apotheose nicht 
blofs zu wünschen, sondern zu prophezeien. Wie sollte 
das also der Klient in einem für die Öffentlichkeit be- 
stimmten Gedichte gethan haben und mit solchen Worten 
{rnagnum lovts incremeniumX) gethan haben) Moliste er doch 
zudem furchten , mit solcher Verherrlichung eines Mannes 
von hnmerhin nur zweitem Range bei den maÜBigebenden 
aasustoÜBen (vor allem bei dem in der erstra Ekloge so 
gefeierten Octavian), die nach dem Frieden von Brundistum 
wohl nodi weniger alt sonst zugestanden hätten, dafs ein 
anderer als sie dem Erdkreis den Frieden geben könne 
(V. 17). Am weniigsten aber wurden sie es dem Asiniua 
PoBio angestanden haben; seine Rolle bei den Friedens- 
veifaandlungen^) konnte auch der verwegenste Schmeichler 
nicht mit den Worten bezeichnen: pacavit viriutihus orhem. 
Noch weniger aber konnte auch der verwegenste Schmeichler 
in Polhos Stammbaum etwas entdecken, was seinen Sohn 
zu der Benennung magna deum suboles (V. 49) berechtigte, 
Asinius war niedriger Herkunft*); dafs er trotzdem in seinem 
Stammbaum (von dem wir nichts wissen) Jnppiter als Anfang 
JEU setzen gewagt hatte, das vermutet Marx doch eben nur, 
weU ihm bereits üeststdit, dafis Asinius Gallus der Held der 
Ekloge ist 

Damit ist die Entscheidung schon gegen Aainhis Gallua 
und g^gen Marx gefollen. Aber dies Argument ist nicht 



I) Appian dv. V 64. 2) Grobe ReakocyU. n 1589. 



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— 154 — 



das einzige. Es gab Leute, die da wnftten, dals Asintus 

Gallus gar nicht unter dem Konsulat des Pollio geboren 
war, sondern vorher, als Pollio erst zu dem Amte designiert 
war, d. h. im Jahre 41 (Servius zu ecl. IV 11). Nach 
Marx (S. 106) wäre das nur ein Schlufs aus dem Futurum 
inibit in Vers 1 1 der Ekloge und „ verunstalte den urkund- 
lichen Bericht des besten Philologen der römischen Kaiser- 
zeit**. Demgegenüber mnls ich nochmals betonen, dafs wir 
gans und gar nicht wissen, was Asconius' eigene Meinung 
war. Vor allem aber spiidit eines schlagend fär das Jahr 41 : 
des Gallus Konsulat fiel ins Jahr 8. Damals wird man 
mit 33 Jahren Konsul (Mommsen Staatsrecht I' 574 C). 
Ansnafamen kommen wohl vor; die Berechtigung fclr Gallus 
an eine solche zu glauben müfste erst nodi erwiesen 
w«*den. Demgegenüber könnte die Behauptung des Gallus 
selbst dann nichts beweisen, wenn Asconius — wovon wir, 
wie gesagt, nichts wissen — sie sich wirklich zu eigen ge- 
macht haben sollte. Hätte er sich durch Gallus täuschen 
lassen, so könnte das seine Fbilologenehre nicht mindern, 
wäre aber für uns genau so unverbindlich wie es des Gallus 
Äufserung ist. Des Gallus Geburt ins Jahr 41 zu ver- 
legen, wenn er wirklich 40 geboren war, hatte damals kein 
Mensch einen Grund; wohl hatte Gallus Grund zur um^ 
gekehrten Verschiebung — er konnte ja sonst nicht der 
Held der vierten Ekloge sein. 

Das dritte Argument ist, obwohl es mir das stärkste 
scheint, bisher nur ganz gelegentlich verwertet^), darum 
auch von Marx gar nicht berücksichtigt worden. Wir lesen 
in der vierten Ekloge wohl von PolUos Konsulat und was 
es für ein schöner Zufall sei, dalis der Wunderknabe unter 



I) Vortrefflich namentlich von Bolssier La rdigion tomaiae 
d'Angute ans Antonins I 288 Anm. 




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— 155 — 



diemi Konanlat geboren werde (V. 1 1), aber nicht ein Wort 
davon, dafs er des PoUio Sohn ist: 

teqne adeo decns Hoc aevi, te conatile inibit 

Stärker kann wohl te nicht betont sein als durch die 
Wiederholung, die Stellung und das nachgeschobene adeo. 
Dem Vater kann man sagen : „und noch dazu unter Deinem 
Konsulate wird Dein Sohn geboren werden", nicht jedoch: 
„nnd noch dazu unter Deinem Konsulate**. Aber ancb 
wer dieser Einselinteqpretation nicht beitritt, kann unmög«- 
Uch verkennen, dafo FoUio im ganzen Gedichte nicht ein- 
mal anf seine Vaterschaft hin angesprochen wird. Ist also 
die Deutung anf Asinins GaUns richtig, so wende man nur 
künftig auf die vieite Ekloge den Goetheschen Spruch an: 

Kdn tolleres Vendm kann sein, 

Giebflt einem ein Fest und ISdst ihn nicht ein. 

Ein Teil dessen, was hier n^ativ geltend gemacht 
ist, lälst sich auch positiv verwerten und zwingt, wie ich 
meine, der Deutung ganz ohne weiteres eine bestimmte 
Richtung anf. Der Vater hat allenthalben Frieden gescfaafll, 
das Kind ist ein Göttersprofii, es wird die goldene Zeit 
herau£Rlhren und sdbst ehist zu den Göttern eingehen. 
Ware das Gedidit zeim Jahre später geschrieben, niemand 
würde bezweifeln, dafs es nur eine Beziehung zuläflrt {Ich 
brauche gar nicht zu sagen, welche*)). Warum aber soll 
die Interpretation, die im Jahre 30 notwendig wäre, 
nicht auch für das Jahr 40 das Richtige treffen? Ist Cäsar 
da vielleicht noch nicht Gott? ja ist es nicht, mindestens 



i) Vergl. z. B. Georg. I 503, Aen. VI 792 ff., wo pacare gerade 
im Vergleich des Herkules mit Augustus gebraucht wird, wie Augustus 
es im Monumentnm Ancyranum mit Vorliebe (V i, 12, 13; Norden 
Rhein. Mns. 54, 473) von sich verwendet. 



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- 156 - 



nach Veigfls Anschauung (ecl. I 6 ff.), andi Octavian schon? 
Kann der Dichter etwa im Jahre 40 noch nicht sagen, 
dafs Octavian den Erdkreis befriedet hat? kann er es nicht 
insbesondere mit dem besten Recht, wenn der brundisinische 
Frieden bereits geschlossen ist? Dieser Frieden aber scheint 
doch gerade wegen des Ausdrucks pacatum orbem (V. 17) 
zu den Voraussetzungen der vierten Ekloge zu gehören. 

Wir machen die Probe auf das Exempel. Wenn Lu- 
cina in der vierten Ekloge zu Hilfe gerufen wird (V. 10), 
so begründet das der Dichter: huu mm regnai Apollo* 
Ich" will nun nicht leugnen, dafs wahr sein mag was Servius 
. nach Nigtdius zur SteUe su berichten weiJs: mnmilä ul 
magi mmU ApoUim» fire rtgmm (nadi Saturn Juppiter u.s.w.) 
und uUmuM saecubm S&yüa SoHs esse memoramt. Aber 
dals der Dichter in diese magische oder sibylUnische Vor- 
stellung noch etwas anderes hineingelegt hat, scheint mir 
zweifellos. Apollo war des Octavian besonders verehrter 
Schutzgott, nicht erst seit der Schlacht bei Actium, in der 
er so offenkundig zu Octavians Gunsten eintrat, sondern 
sicher schon lange vorher : der palatinischc Temjjel des Gottes 
war schon 36 v. Chr. geplant (Vell. II 81 ; Gass. Dio 4g, 15). 
Und wenigstens Horaz (od. I 2, 32) hat Octavian als Ver- 
körperung Apollos gefeiert^). 

Ab^ es giebt noch einen schlagenderoi Beweis^. Im 
Jahre 40 muis Octavian wirklich ein Kind erwartet haben, 
seine Frau Scribonia schwanger gewesen sein. Wemi sich das 
wahrscheinlich madien Iftfot, was wir gleich versuchen wollen, 
dann dürfen wir wohl die Worte, die Marx mit Besiehung 

1) Vei;^. Norden Nene Jahrb. VU (1901) S. 262 Anm. 3. 

2) Man mag nebenher anch daran erinnern, dafs der Fanegyri- 
cus auf Augustus, der ins sechste Buch der Aeneis eingelegt ist 
(V. 789 — 808, vgl. Norden Rhein. Mus. a. O.), wörtliche Anspielungen 
auf die vierte Ekloge zu enthalten scheint (Crusins a. O. S. 559). 




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— 157 — 

auf Follio und sein Kind geschrieben hat, mit ganz an- 
demn Rechte auf Octavian und seinen SpröMng anwenden: 
„Wenn Octavian damals ein Kind erwartete, so konnte 
weder der Diditer noch seine Leser im Jahre 40 ein Ge> 
dicht, das einen Göttersprols feiert, der als Mensch ge- 
boren die goldene Zeit wieder heraufiüihreii und schlieb- 
lich zu den Göttern eingehen soD, anders verstehen als 
von dem Kinde, das Octavians Gattin unter dem Herzen trug." 

Wir besitzen leider Icein bestimmtes Zeugnis darüber, 
wann Octavian die Scribonia geheiratet hat. Aber nach 
dem Zusammenhang, in dem Appian und Dio das Er- 
eignis erwähnen, wird es in das Frühjahr 40 gefallen sein^). 
Zu diesem Ansatz stehen die Gründe der Staatsraison 
mindestens nicht in Widerspruch. Kromayer bemerkt mir 
darüber freundlichst folgendes: „Dafs der Kri^ mit Anto- 
nius bevorstand, war ja seit dem Falle von Perusia im 
Februar etwa vorauszusdien. Von dieser Zeit an wird sich 
also Octavian, vorausschauend wie er war, nach Rücken- 
deckung umgesehen haben." Als die vierte Ekloge ge- 
schrieben wurde, nach dem Frieden von Brundisium, der 
in den September 40 föllt*), war Octavian seit Monaten 
veriieiratet 

Die Ehe hat nicht lange gewährt Fast das aller- 
erste, was Dio unter dem Jahre 3g berichtet, ist ihre 

Scheidung^. Dio verlegt nun freilich auf denselben Tag 
wie die Scheidung auch die Geburt des der Ehe ent- 
sprossenen Kindes. Aber diese Angabe sieht doch zu sehr 
nach einer Pointe aus, um völlig zu überzeugen. Indes 
selbst wenn wir sie aonelmien, fallt ja die Geburt des 

i) Appian dv. V 58; Dio 48, 16. 
3) Kromayer Humes 29, 561. 

3) Dio 48, 34: T?|v CKptßuMov TöcoOcav .... öiten^fiitraro 
oö8v||ispdv. 



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- 158 — 



Ejndes spätestens in den allerersten Anfang des Jahres und 
konnte also der Dichter in den letzten Monaten des 
Jahres 40 su prophezeien wagen, dafs die Niederkunft 
noch unter dem Konsulat des Pollio erfolgen wfirde. Und 
das mnfs durchaus festgehalten werden: das Gedicht ist 
vor der Niederkunft geschrieben. Nur dann hat die An- 
rufung der Lucina in V. 10 Sinn. Die Situation bleibt 
aber bis zum Ende die gleiche; nirgends weist auch nur 
ein Wort daranf hin, daTs der Dichter die Niederkunft als 
inzwischen erfolgt ansähe. Auch der Schlufs 
incipe, parve puer, risu cofnoscere matrem 

ebenso wie V. 48 

ftdtgredeie o nutcnos (sderit im tempns) honores 

kann ohne Widerrede verstanden werden von dem Kinde, 
dessen Geburt unmittelbar bevorsteht, und mufs so ver- 
standen werden, denn sonst würden wir eben in V. 10 etwa 
lesen casia favit Lucina, Auch Martial hat so verstanden, 
sonst würde er nicht (VI 3) die vierte Ekloge so nach- 
gebildet haben: 

OMcere, DanUuuo pronisnim Bomen Ivlo, 
Vera demn niboks, nascere, magne pner. 

Nascere ist offenbar der Nachklang der vergilischen 
Imperative incipe und adgredere, wie die Anrede viagne puer 
mit einer besonderen Finesse dem vergilischen parve puer 
nachgebildet ist. 

Gerade für die Zeit unmittelbar nach dem Brundisi- 
nischen Frieden entfallt auch der Anstoüs, den Vofs und 
andere an der hier vorgetragenen Interpretation der £kloge 
nahmen; gerade damals wo Octavian und Antonius versöhnt 
waren» konnte ein Gedicht, das der Veifaenlichung Octa- 
vians diente, sich doch auch an Pollio, den Parteigänger 
des Antonius, wenden. 




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159 — 



Aber eine grofse Frage hat auch der Leser hier noch 
zu thun, der mir etwa, so weit willig gefolgt wäre. Wer wird 
denn ein solches Gedicht vor der Geburt des Kindes m 
iruertum sexus eventum schreiben und sich der Gefahr aus- 
setzen, der Vergil ja in diesem Falle nicht entgangen wäre, 
dafs nachher statt des prophezeiten Knaben ein Mädchen 

— Julia — geboren wird? Wer wird gar, wenn er es 
doch gewagt hat and*ihm die Fjropheseiimg mifelungen ist, 
das Gedicht nachher gleichwohl in seine gesammelten 
Werke aufnehmen? Ich will den Leser nicht eist mit 
breiter AnfÜhmng ähnlicher Fille gewagter Vorhersage be- 
hell^en, die in den Epithalamien geradezu stehend Ist^). 
Ich begnüge mich das Gedicht anzufahren, das mit Veigil 
auch die andere Sonderbarkeit — Veröffentlichung trotz 
fehlgegangener Weissa-^^ung — teilt*). Es ist jenes Epi- 
gramm des Martial, auf das ich eben schon venvies (VI 3) 
und das mit den W^endungen der vierten Ekloge einen er- 
warteten Sprofs des Domitian und seiner Nichte Julia feiert. 
Man weifs, dais aus dieser Hoffnung, so oft sie sich wieder- 
holte, nie etwas geworden ist"). So wenig wie das den 
Martial veranlafist hat, sein Gedicht späteihin zu unter- 
drücken, so wenig fittilte sich Veigil dazu veranlaist Zudem 
waren die Gedichte nun einmal in beiden FSUen den aller- 
höchsten Personen bereits übeneicht worden, und Veigil 

— um von Martial ganz zu schweigen — dachte gewifa 

1) Siehe z. B. CatuU 61, 216 ff.; Stat. silv. I 2. 266—273. Die 
Lehren der Rhetoren stellt Vollmer zur letzteren Stelle zusammen. 
Der Geschmack hat sich in diesen Dingen eben geändert. Crusius 
findet s. ft. O. S. 555 die Vene 8 — 10, wenn man sie 'als Gebet 
eines Höflings far eine Tomehme römische Dame anrieht', 'abgeschmackt 
und widerwirtig*. Demg^enaber bat schon Maix auf das scUagend 
Shnliche Gebet des Krinagmas fiir Antonia (Anth.FaI. VI 344) verwiesen. 

2) Darauf liat mich Roüistein firevndliclut nnfineriuam gemacht. 

3) Juvenal n 32 £. 



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i6o — 



nicht anders als Statius (ailv. IV praef.): iam dommo Caesar t 
Mtram et qwaUo hoc plus tü quam. edereJ) 

Es handelte sich mir hier keinesw^ darum, alle die 
Ingredientien xn prfifen, die VeigU in der viralien Ekloge 
gemisdit hat So halte ich s. B. den Gedanken, daia 
Vergil bei der Prophesseimig des neuen Sftcnlnms eine filr 

das Jahr 39 projektierte Säcularfeiet mit im Auge gehabt 
habe*), für durchaus erwägenswert. Aber ich durfte hier 
Einzelheiten aufser acht lassen, denn es kam mir nur 
darauf an, eine zu Unrecht vergessene Erklärung des ganzen 
Gedichtes wieder einmal nachdrücklich zu empfehlen. Besser 
als dnrch meine Worte wird sie sich aber selbst empfehlen. 
Ich möchte den Leser dringend bitten, einmal für kurze 
Zeit aDe sonstige Weisheit alter und neuer berufener und 
unberufener Intezpreten zu vergessen und völlig vorans- 
setzungslos die Ekloge als ein an Octavian gqgen Ende 
der Schwangezscfaaft seiner Fran Scribonia gerichtetes Ge- 
dicht zu lesen. Das wird — im Gegensatz zu allen anderen 
Versuchen — so glatt gelingen, dafs dies Experiment den 
Leser besser gewinnen wird als alle Eiuzelargumentation. 

1) Gerade der Umstand, dalk Octatvian kein Knabe geboren 
wurde, hat, wie Vollmer mit Recht bemeikt, fitlsche fiitevpretationen 
der vierten Ekloge (insbesondere die auf Asinins GaUns) möglich ge- 
inacht imd hervoigeralbn. 

2) Sudhaus Rhein. Mos. 56, 39. Im übrigen kann ich Sudhavs 
nidbt immer folgen. 




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REGISTER 



Skattcli» Aot ▼«ri^ VHItt«it II 



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L SACHVERZEICHNIS.') 



Alftni» Vants 52. 
Amuicit Comntas 100 1 

Apollo Schulzgott Octavians 156. 
Apollonios V. Rhod. entlehnt IO4. 
Arat Quelle Vergils 106. 
Aristaeus bei Vergil 144 ff. 
Asconius Pedianus 132, 151 f. 
Asinius Gallus and Pollio 151 ff. 

Bettina v. Arnim 153. 

Britomartis 78. 
Bukolik 104. 

ClmMB des Hexameters 68 ff. 

Catnlls Stil in den hexametrischen 

Gedichten 65 f., 67. 
Cirifl, Adressat 85 f. 

Detailmalerei 75 f. 
„ Epikureismus 82 ff. 
„ Gelehrsamkeit 77 ff. 
ff etrisd&es 68 
f, Kachahmiing des Catoll o. 

Cahms 8z t 
ff Nadudmmng d. Lvcres 84. 
„ Original 86 fr. 
M Periodisierung 66 ff. 
,> Sprache 68, lOOff. 



Otieien, g^enseit^es in alexaa» 
difa. n* 16m. Bichtang 103 ff. 
Ctmieliiis Galliis Laufbahn u.Std* 
lang 2 f., 141. 
„ damnatio memoriae 142. 
dichterische Thätigkeit 
passim. 

„ im 4. Buch der Geor- 
gica 140. 
Culex Adiessat 131 L 
n Nachahmung d. Lnctes 117. 
„ „ Veigfls?? I26ff. 

„ nachgeahmt von Orid 125. 
„ Periodisierung 134. 
Synalöphen 130. 

Detailmalerei in der alexandrini- 

schen Dichtwig 75 ff. 
Dichlerweihe in Proomien 34 f* 

KiwscHaffihtrinBgea, dichterische 83. 
nyMwnff n gifjhg Synalöphen. 
Epikweismas der ilteren Angn- 

stecr 47. 
„ d. Stoizismus weih 

chend 84. 



I) Für die einzelnen Schriftsteller bitte ich allemal auch das 
Stellenr^ster zu vergleichen. 

11* 



— 164 — 



Epithalamien , Prophezeiungen in 
159. 

Epyllien in Rom 75. 
Euphorion, poetischer Stil 75 f. 

Frieden, brundisinischer 149, 153, 
156 f. 

Gifemius, Obertus (Hubert van 
GifFen) 62^ 136— 139. 

Hesiod bei den Alexandrinern 43. 
Hyakinth^ge? 3^. 
Hylassage, Varianten 26. 

lulia Aug. f., wann geboren 

Kallimachos , poetischer Stil 75 f. 

„ Theokritcitat 104. 
Kassandra und Aias iig. 
Kataloggedichte 50 — 60, log. 

ff Verwendung von 

Citaten in verän* 
derteraZusammen- 
hang 98. 
Klientenpoesie iga. 

Längung in der Arsis 99 f. 
Lucrez, Verhältnis zu Vergil 107. 
„ Stil 65 ff. 

Maecenaselegieeti 132. 
MamHus, Anlage des Werics und 

Sprache 66m 
Meliboeus siehe Namen. 
Messalla, M. Valerius M. Corvi- 

nus 21, 85 f. 
Messallinus, Sohn d. vorigen 8«;. 
Metamorphosendichtung ^ f. 
Moeris siehe Namen. 

Namen, bukolische 21. 

Octavian, Heirat m. Scribonia 156 ff. 



Octavian, Schützling ApoUs 156. 
Octavius im Culex ff. 
Orpheus ^ f. 

Ovid, Verhältnis zu älteren Dich- 
tem 104. 113. 

Parthenios, poetischer Stil 75 f. 
„ Quelle der Ciris 86 ff. 
„ „ Vergils? 

vgl. loj Anm. 
„ Urteil üb. Homer 87 f. 
„ Nachleben 89. 
Periodenbau in der hexametr. 

Dichtung d. Römer 64 ff., 134. 
Permessos , symbolische Beden« 

tung 36 f. 
Philomelasage, Variaaten ^ f. 
Pinakograpkie £3. 
Probus, wirklicher und angeb- 
licher IQQf. 

Rhododaphne, Einfiihrang in Eu- 
ropa 131. 

Säcnlarfeier im J. l6o. ■ 

Sagenkritik bei alexandrin. Dich- 
tem 79 ff. 
Schöpfungsgeschichte bei alexandr. 

Dichtem 44. 
Schwäne, strymonische £^ f. 
Scylla 28 f-. 86 ff., 2i ff.. HS ff. 
Servius, 'erweiterter' mif. 
Silen, gefesselter zäff., 48. 
Spondiazonten JAi ^48. 
Staub ins Haar streuen 122. 
Synalöphen der Daktyliker 69 ff. 

„ in der Lydia 130. 

„ in Horaz' Epoden 130. 

„ in Vergüs Eklogen 7 1 , 
130; 

M s. auch Ciris u. Culex. 



Google 



Theopomp, Quelle Vergils? 23. 
Tiberins, Interesse für Parthenios 

Varro vom Atax, Quelle Vergils 
107. 

Vergils Benutzung älterer Dichter 
lOSff. 

„ Benutzung des Gallus 10^ 

t22. 



Vergil, Kontamination von Quellen 

107 ff., iijf-f HS- 
„ Chronologie d. Aeneis Iii. 

„ Metrik 24. 91^-' 

,, Sprache 64 ff. 

„ Umarbeitung von Georgica 

rV UOlL, 140—147* 
„ Verfasser des Culex? 125 

-135. 

Versschlüsse Gemeingut 127. 



n. STELLENVERZEICHNIS. 



Seit« 

Alexandros Aitolos Apollon 5^ 
Anthol. lat, 914—917 137 f. 

914. 25 ff- LI? 

Anthol. Palat. VI 244 153 

VII 42 M 

377 8Z 

Antimacbos Lyde 52 

Antoninus Lib. ^ 78 

ApoUonios Rhod. I 1222 ... 92 

• III 1372 . . 104. 

Bakchylides frg. 2 = V liiü . 25^ 

Bion vergl. Epitaphios. 

Adonis ^ ^ 

ZSf- 52 f- 

Galatea 58 

Hyakinth 58 

Orpheus 53 

Syrinx ^ f. 

Calvns frg. 9 &i 

CatuII fii, 216 ff. 

Cicero div. II fiÄ 

Tusc. lHü 3 

Ciris 61 — 102 

I f. 30 

5 81*^ 

^ff. 83 

42 f- 91 

44 f- 90 



Seite 

Ciris 42 90 

48—91 2? 

42 Ufl 

ii n 

52 HO 

SA !S 

Slff- 91t 

59—61 95 

6q mi 

61 92^' 

63 87f. 

21 fii 

as 22 

95 f ui 

105—109 22 

124 f. ll8 

126—128 22 

135 Il8t 

150 

165—180 26 

167 fiJ 

178 f. IM 

187 Z6 

208 m 

209—219 22 

220—339 76 

245 Z8 

250—256 22 




y Google 



— i62 — 



Seite 

Ciris 267 IIa 

280 116 1 

284 L22 

288 TL 

294—305 TL 

295 I2fl 

302 T% 

303 ff- z8 

340—348 TL 

365-368 . . . . , z6 

386—390 26 

394 f. I2Q 

398 120, 148 

402 £ 115 

405 f- I2Q 

430 II9fc 

437 92i Iii 

481 IUI 

523 Z6 

Coraelius Gallus, siehe Gallus. 

Culex 22^ 125—135 

I 115 

8—10 132 f. 

45 122 

50f- 125 

58 ff. 127, I28f. 

in ii6 

IQQ 125 

163 f. lifi 

179 122 

253 126 

275 122 

292 llfi 

402 Iii 

Dirae und Lydia 22^ 

Elegie auf Messalla catal. IX ff., 

21 f. 

Ennius annal. prooem 35 



Seite 

Epitaphios auf Bion .... 56 — 60 

Euphorion 'Apai y 

Chiliad. V 44 

Epyllion vom gryn. 

Hain 41. 43 

Hesiodos 44 

Hyakinth fragm. 
XXXVI M. 80, 25 

xxxvn 41 

Euripides Hipp. 2 1 5 ff. i£ 

Gallus, C. Cornelius vgl. Ciris. 

Bucolica? 2 — 27 

Ciris dl ff,, 51 

Elegieen (amores?) 2 — 27, 
23, 25, 48 

Epyllien 40 

Gedicht vom gryn. Hain 

34x 30, 42 
Inschrift von Philae 

Hylas 42 

Lehrgedicht, epikureisches 

Mff-» 92 
Silen bei Gallus 48 

Gellius II fi looff'. 

Goethe Herzliebsonette 152 

Maskenzug vom 18. Dezbr. 

1818 50 f. 

Hermesianax t»|) xpixiu ... 52 

Hesiod Theog. 22 ff. 35 

Frauenkatalog 52 

frg. 188 Rz. (gryneischer 

Hain) 

Homer Schiffskatalog ^ 

Horaz sat. I 10, 44, 4^ 

epod. 130 

Kallimachos hymn. Artem. 189 ff. 

28 

cpigr. SJ Wil. . 104 
Ibis 53 



DigitizeP^' Google 



— i68 — 



Seite 

Lvcrcthis 1 i± 122 

m 23ff. 129 

Macrobius sat. VI i — 5. . . . 105 f. 

Manilius V2Ä 66 

Martial VI 3 158 f. 

Messalla Bucolica 21 

Mimnermos 53 

Nikainetos Franenkatalog . ... 53 

Orid amores 2^ 

„ n 6, 7—10 .... 22 
lÄ Si 

in9 SS 

ars n 187 ff. IS 

remed. 178 ff. 125 

metam. VI 669 f. 37 

X 207 8d 

Xra 396 Sü 

xrv I ff. 2fi 

fiut. IV 500 24 

I^is Si 

Parthenios ^puuT. praef. 40 

metara 42 

Persius I25 JA 

II 31 ff. 152 

Phanokles "Spante S2 

Propcrz I L 2 ff« iS 

8- 7 Ü2 15 

9. LI 12 

lÄ 1^ 

92 

Hl 2Q 

IQ» 25 16 

33.91 41 

m 1 2Q 

3; y ff. 38 

IV 4. 22 24 

Quintilian inst. VI 3. 2Q 49 

X L S6 42 

Servius zu ecl. IV 1 1 . . 151. IS4 



Seite 

Servius zu ecl. VI 74 • • • 25i ?3 

76 100 ff. 

X I 

Georg. IV i 140 

Sosikrates 'HoToi s^ 

Statius silv. I 2- 266 — 273. . 159 

n2 54f. 

I2S 

rv praef. ifiQ 

7f- LS2 

Theokrit VIH 23 

TibuU Ii y, 

4. 49 ff- IS 

Si 21 ff- LS 

II 3. 3 ff- IS 

6. I ff. 15 

III 2 (paneg. Mess.) .... 23 

Vergil ed. Ii 22 

6 ff. 156 

II S 121 

in 63 113 

rv 148—160 

8—10 IS2 

IQ 1S6. 158 

12 LSI 

LSf- ISO. 152 

17 • • ISOj i52f., is6 

22 ^. . . ISO 

47f. ufi 

48 IS» 

49 ■ • 120, r^g, I52f. 

fei ISO 

6i ISO. 152 

V 27 iiß 

VI 28-49,62 

I — 12 S2 

3 ff. 22 

31—40 45 ff- 

43 §6 




Google 



— 169 — 



Seite 

Vergil ecl. VI ^ El 

S2 ai 

24 dl ff. 

74—77 . . 21 ff.. 95 
Z6 WQ 

71 2Z 

79 22 

26 

Ei 22 ff- 

vm 

LI 22 

I9L 12Q 

4J IIQ f» 

47 ff. 12fi 

6ü 112 

X 2—27, 42 

if. Li5 

12 ä6 

62 99. 121 

Georg. I 356—461 . . 106 ff. 

367 102 

375— 387 - . 107 f. 
383 108 f. 

397 

398 f. IDÄ 

404 Hfl 

404ff. . .86.94. 109 
415—423 ma 

437 89. 109 

447 liiSf. 

477 ISZ 

503 155 

II 458—474 127,129 



Seite 

Vergil Georg. Ol 385 127 

414 ff. 

IV 15 2Z 

28iff. 145—147 

283 146 

283—286. 142 

287 146 

287 ff. 

3IS 146 

388 f. L2Ö 

397 lAl 

4X5f. ... 141 

439 lAl 

456 IM 

528 IM 

532 ff. . . . 144 f. 

Aeneis I iij 

II 303 Ul 

403 ff- IM 

in 514 ii3f. 

V 503 126 

VI 406 116 f. 

431 127 

607 122 

792ff. i55f- 

Vn 14 IM 

64ff. LLI 

X 556 I2fi 

844 122 

XI 795 126 

XII i2 L2Ü 

611 L22 

Volcacius Sedigitus Kanon . . 54 



Google 



m. WORTVERZEICHNIS. 



Sdtc 

anima als Element 45 f. 

atque Stellung bei Vergü , . . 46 

*A(paia 

Carmen 7J_ 

cursus Flug i2 

deprendere ^Eaipdv ^Eapird- 

Zciv 28 

AiKTUva Dictyna 2? 

errare ^ 

exordia bei Lucret ^ 

interea zwischendurch IQ 

intonare in abgeschwächter Be- 
deutung 127 f. 



Seite 

Tnagnanimus 6^ 

mansaescerc mit Accus. dS 

ordia ^ 

pacare 150, 155 

pati, perpeti mit Negation u. 

Infinitiv 8S 

quo = quomodo?? . . . ^J, vgl. §6 

requiescere mit Accus 6S 

solus einsam 5 

sublimen?? iin 

ut Stellung bei Vergü ^ 

vexare Intensiv von vehere IQQ ff. 



Verlag von B. 6. Teubner in Leipzig. 



fÜMTO im Wandel der Jahrhnnderte. Ein Vortrag toq Th»ddaent 

Zt«linski,ProfeMor uid«rUiiiT«nimSt.P«t«iibiirg. 8. OetolimMkToll kArt.UK8.40. 
Au flinem thstaftebliefa ma Cteoroi nraitaiuendj&hrigem G«lNnrttt*g gAbaltenm 
Vortrag entitanden und den Charakter eines solchen in Haltung and Stil bewahrend, 
Tenaoht dieses Schriftohen, Ton Ciceros Einflufs auf die geistige Knltor der Folgexeit 
ein b«i aller Knappheit klares und zutreffendes Bild sn geben. Es kommen dabei banpt« 
tftchlich die drei Emptionsperioden der Kultnrgoachichte — die Zeit der Ausbreitung 
des Christentums, die Bonaissance, die Anfkläran^ — in ihren bedeutondgteu Vertretern 
zur Sprache; das Resultat ist, dafs, recht im Gegensats zur landlfiiifii^en Vorstellan^ 
mit jeder weiteren Kulturstufe am h das Verständnis Cicems eich erweitert und TerUtfl 
und sein Kinflufs auf die treibenden Kräft« der Menschheit an Bedeutung gewinnt. 

Ckarakteristik der lateinischen Sprache, von Prof. Dr. o. Weise, zweit« 

Attflage. gr. 8. Geh JC 2 40 

Die Kenntnis einer Sprache bleibt oberflächlich, solange sich der Lernende nicht 
auch die Ortlnde für die Terschiedonartige Gestaltting ihres Banea klar gemacht hat. 
Das bereit* in zweiter, mehrfach Termehrter Auflage vorliegende Scbriftchen will der 
Sohablone des rein gedftchtniam&raigen Eintlbens im Sprachunterricht möglichst zu ent- 
ntan haUna und dannf bimridua, 6tMx «in« mebr TtrtieüNid«, iiMbx mm ÜMbdiaiiktti 
swfaigaBda und «ingaBd« LdumaUiod« ra wlklan. 

IMe SlegetySttin. Entwurf der Geschichte einer aallkn UMlgMlatt vo« VrMS 
Studnieaks. Mit 18 TafUn. gr. 8. Geh. JL S.— 

mwr Tortiag kaum >!■ «to Mdaw li<i » l«rw«r k dtt Mchio to gtodh« Bat»dhfaMg>« 
«liN, «l« hOTto gstfbi wird, dlMMm: er wird dMÜialb und wegen dei dsaUavn 
Stoflta Tim d«B w eite— n Kzeli Ton Vmanatm der Antika wUlkonmen geheiften iraidea. 

Hag alte Born* Entwickelnng seinei QnndtlnMa lud C(eedd«hte MfaMr BMrtea anf 
U Karlen und U TaiUat dannaleat mid ailt einem IlaM dar kavI^M 8ladt aowla 
eiiiar ttadtgeachli^äialiMi Sfadeilaiig henusgegebeo wom Artk« Saknaldar. 
12 Seiten Test, IS Karten, 14 Tafeln mit 887 Abbildnngan «Bd 1 man auf Karton, 
Qner-FoUo 45x56 cm. OeschmackToll gebunden JC 16. — 

Das Werk uucht ein Gesamtbild des alten Born zu geben, in dem die Oai^ 
Stellung durch das Wort mit der in Bild und Plan zusammenwirkt, auf streng 
wiHSonschaftlichor Grundlage, aber zugleich in allgemein TerstÄndlicher Form. £• 
erscheint deshalb besonders geeignet, jedem Gobildeton die Bedeutung des alten Boni 
für tinsere Zeit nahe zu bringen, indem oa ihm ein besseres Verständnis der antiken 
Arehitaktnr and Knltor sa «rmO^Uohen nebt» nnd bietet ao beaonden tax jeden Born» 
fakrar die beala Torbaraltnng vnd dia aobtaafea BriaaarBBg. 

Beden nnd Vorträge von Otto Bibbeefc. lOt daan BOdala. gr. t. Gab. 

Ji6.—,iii Original-HalbfhuiB gab. JC 8.— 

In dieeen Bande iet eina Mka v«a Kaden nnd aa eia giftflMtaa MUflnan aloh 
««adaadm TccMgaa Otto Bikbaaka Twaiat, dia. abwoU ia dar tfaaa oder andern 
Vom atm^ek baiötla ToKMhalUdit, äotih knokklaAerltek nldil nakr arreiohbar sind 

nnd darum seinen Freunden und Verehrern wie allen denen de« klassischen Altertums 
Oberhaupt in dieser Sammlung willkommen sein werden. Sie umfaTst sechs in Kiel 
während der Jahre IH^i — 73 gehaltene akademische Reden, die ihren Stoff aus dem 
klasaiaclieu Altertum entnahmen, aber durchweg zn den politischen Ereignissen der Zeit 
in deutlicher Beziehung standen, sowie die Beden und Vortrüge, dertn Inhalt dia 
klassische Litteratur der Griechen und Römer betrifft, und einige der eindrucksvollsten 
OedAobtnlerodi<u Kihbeck»; anhangsweise ist die satirische l^osprechung von Strom- 
barga Oatoll-Oberaetinng wieder abgedmokt, als eine kleine Probe dea earkaetifchOB 
ToBoa, dea B. gagabeoeailblla mit ao tIoI WIta «BaaaahktgaB vatalaBd. 

TnO&ng (lakisehe Kriege nach d«a8l«leBi«Uaf «mblt voBAPataraaB. LD« 

erste Krieg, gr. 8. Kart. 1.8ü. 

Aus einer Anzeige der neuen Ausgabe der Trajansnaivule ist ein fortlaufender 
Kommentar der Bildchronik geworden. Za einer ISehandlung des Denkmals von arch&o- 
loglacber Seite erschien in eartorldnie der Verfasser berufen, der, mit römischer Kunst 
wte wenige Tertrant, nicbt bot aa einem Oipeabgnfe naobprOfen konnte, oondara dam 
«mb daa Otigfaial «ftgliek vor Angea ataad. 

Satora. Ausgewftlilte Satiren des Horai, Persins und Juvenal 

in freier metrischer Übertragung Ton Blüm ner. 8. Oesohmaokroll kart. 5. — 
Das dieser Obersetaung einer Auswahl aus den drei rOmiichen Satirikem 
an Omnde liegende Prinzip ist TomabmUak daa Anigeben daa Zwangee der wOrtlioben 
Obai80lB«mg; wo aotwendig. iet dar liba a ao tw r gua ftot varfbhiaa, am ao dlo Worta 
dea Dlobloia dntak ümaakrolboBg odar Koallaa flr daa koaUgaa Loaar vaiataadlkh sv 
machen. 



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^ ^ Verlag von B. G, Teubner in Leipzig , Jfc 



Ffllirer durch die öffentlichen Sammlimgen klASBischer Altertümer 

in Koni. Von Volfgmng Heibig. SBd«. lAnfl. 8. O— obnacikr. gab. JL 
Auagabo mit Sohvdbfttplir dwobidMinHi fA. UK 17.^ (Dto Bftnd» diid «taMb 

nicht kttuflich ) 

„l>enu die cmintuitf Brauchbarkeit des Buches ergiebt sich alsbald in erfreu- 
lichster Weiae jedem, der es gegenüber den Denkmälern in die Hand nimmt; aber 
Mieh sam Stadium im Angeiicht von Oipsabgüuen und Photographien wird es vielen 
imgemein förderlich aeia. £■ giebt nicht blori feste Besultate der Forichang, aoiuiem 
geht auch überall »af die wiaaenacbafilichen Streitfragen ein, und die« in einer W«IM| 
die ebanao den gebUdetan Lftien, wie dea weidenden oder gewordenen VeehniMUi la 
to t e ie ie i e i e n «ad ni Melinn geeignet tet." (Das HvnaaiefetMdis OTBknaalaB.) 

„Die Bweite AnfUge Ton Helblg« wohlbekanntem Fahrer bedarf kaum einer 
lobenden Einführung. Er iat ein unentbehrliches Buch nicht blofs fOr den Romfahrer, 
sondern für jeden Freund der antiken KiiiiBt Mit uncrrnudlicbem Plelfse hat der Ver- 
fasser überall gebessert und nachgetragen, er hat auch den Umfang der besprochenen 
Denkmftler ganz we w n t U eh erweitert.** (Idteinr. Oentralblatt.) 

Ciceros Tillen ▼<» O. K Schmidt. Mit % Tafda und AbbUdnagea im Tuti 

gr. 8. geh. M 2.— 

UicBo Darstellung der Stktteii von Ciceros Leben und Wirken betrachtet beides 
in seiner Wechselwirkung und diese in ihrer Bedeutung fOr die Kultur- und Oeistea- 
geschichto der Zeit| oud diBifte dnram iBr den Fbilologeik wie dm Aidiiologea i^afeb 

anziehend sein. 

Aus den gnriechischen Papyrnsurknnden. £in Tortrag gehalten auf der 

YI. Versammlung deutscher Uistoriker zu Halle a. 8. am &. AptU IMO V«l Pvol Dr. 

Ludwig Mitt eis. [50 S.] 8. geh. n. .iL 1.20. 

,,E3 wur ein vordienstvolU^a rntornebmen von Ludwig Mitteis, in einem Vor- 
trage auf dem diesjährigen deutschen Historikertage zu Hallo einem weiteren Kreiee 
von HietOrfkem die neueren Ergebnisse der griechischen Papyrusurktuiden vona- 
führen. . . . Dieaer Überblick Ober die inbaltanielie Sebrift dOifte sum Beweise deeaea 
genügen, wie viele iriditige Probleme der aatlkea Qeediidite «nf Qrund der Papgvoe- 
ftiade der IiOsinig allier gebtaelit werdea. iJlea Hlitoiikem und Altertnnufonehwa 
«ef daber die Sohrilt xnr ffinfttbrnng In die Tkpjmdnmd« anfb dringendste erapfoblea.** 

(Deataebe Litteratnrzeitnng.) 

JEUmmelsbild und Weltanschaanng im Wanddl der Zeiten, von Prof. 
Troela-Lund. Autorisierte Übeneteaag voB L. Blooh. 1. Auflage. la Lein- 
wand geaebmaekToU geb. 5.~ 

nDika Bndi iM* in wabdmft apanneader Weit« die Bpoehea der menaeblieliaii 
Oeiatflagesohlohte In floem Vortgang geschildert, unter einem gaaa nenea Oealohtapankte, 
vao. deieen entsohetdender Bedeutung es aber ein OefOhl der Übertengnng a« erweokea 
vermag." (M. Schneidewin i d. Vossischen Ztg.) 

„Es ist Schwung und Wärme in der Darstellung, uud man ist erstaunt 
über die glückliche Kühnheit so vieler Wendungen, um so mehr, als das so 
eigenartig (IiHagto doch den Eindruck des mühelos Gefundenen und ganz natürlich 
AuBgedrückti'ii macht. Man .»lOit, dafs der gelehrte Verfasser stark und warm 
empfindet und anschauend denkt. Das macht seine Rede Uberzeugungskr&ftig. .. . 
Beine NaturBchildtruiiK'eu, durch welche er um abgeblafste Namen ein frisches uud 
aauberitches laicht zu gieraen versteht, sind bei ihm kein aufgesetzter Schmuck, sondern 
die Oraadiage eeiaer kulturhistorischen Erörterungen." 

(<) WtMfsenfels i. d. Wochenschrift für klassische Philologie.) 

Die 8täudi8chen uud sozialen Kämpfe in Born zur Zeit der Bepublik. 

Von Dr. Leo Bloch [U u. 166 8.] S. ISOO. gdk JL 1 » gab. JL l.M. Ct^VB 

Natur und Geistesweit'', 22.) 

Es giebt Bchwerlioh einen gleich interessanten uud gleich bedeutungsvollen 
Vorgang in der Weltgeschichte wie ^e Entwicklung der römischen Weltmacht. 
Der Dantellnng der sozialen Erscheinungen, der inneren Kämpfe der Stände, 
ontar denea aiob dieea Sntwickloag TolMeh^ dient ala Onmdlage eine SebUdenuig der 
Vatar dea Laadea aad der BeTdlkerung la grofban Zagen, anf der alob die 
Xntatehang der beiden sich in Zukunft bekämpfenden Stände abhebt. Hit der durah 
die inzwischen erlangte Grorsmacbtstellnng Roms bedingten Entstehung neuer 
sozialer Unterschiodo treten sii b neue ^^tiuiile cnttfi'^fn ; die Hcrr.icliaft des 
Aratsadels und des Kapitals beginnt, auf der anderen iSeito bildet sicli i'in grofs- 
stüdtiscbes Proletariat. Diese OegonsHtze kommen dann im HOziuleu Krie)j^ 
des letzten J alirhunderts der Republik zum Ausbruch, vor allem in den 
durch die G r a c c Ii i a c h o u agnirischen Re f o r m v e r s u c Ii o verursachten Kümpfeu. 
Den Abachlufs der Darstellung bildet ein Auibliok auf die Losung der Parteik&mpfe 
dareb die Xoaarobl«. 



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