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Full text of "Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften. no. 46, 1914 1st pt"

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Ostwald's 
Klassiker der 

exakten 

Wissenschaf. 

no. 46, 1914 



Alle Rechte, insbesondere das der Übersetznnp. vorbehalten. 



Copyright by Wilb^lm Engelmann 1914. 



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A in« 

o SS 



Johann Beruoulli 

£iiiladaiis snr LKsnng eises Heven ProMems. 

Aus den Acta Eruditorum, Leipzig, Juni 1696, S. 269. 

Wenn in einer yertiealen Ebene zwei Punkte md 
B gegeben sind, seil man dem bewegliehen Punkte M 
eine Bahn AMB anweisen» anf weloher er Ton A ans- 
gehend yermOge seiner eigenen Sehwere in kürzester 

Zeit nach B gelangt. 

Damit Liebhaber solcher Dinge Last bekommen sich an 
die Lösung dieses Problems zn wagen ^ mdgen sie wissen, 
dass es nieht, wie es scheinen könnte, blosse Speculation ist 
nnd keinen praktischen Nutzen bat. Vielniphr erweist es sieb 
sogar, was man kaum glauben sollte, anch für andere Wissens^ 
zweige, als die Mechanik, sehr nfltzlieh. Um einem vor- 
eiligen Urtheile entgegenzutreten, möge noch bemerkt werden, 
dass die gerade Linie AB zwar die kürzeste zwischen A und 
B ist, jedoch nicht in kürzester Zeit durchiaufen wird. Wohl 
aber ist die Curve AMB eine den Geometern sehr bekannte, 
die ich angeben werde, wenn sie nach Verlauf dieses Jahres 
kein anderer genannt hat* 

2. 

Ankftndigang, 

herausgegeben GrOningon, Januar 1697. 

Die scharfsinnigsten Mathematiker des ganzen Erdkreises 
grfisst Johann Bernoulli, öffentlicher Professor der Mathematik. 

Da die Erfahrung zeigt, dass edle Geister zur Arbeit 
an der Vermehrung des Wissens durch nichts mehr angetrieben 




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4 



Johann Bernoulll. 



werden, als wenn man ihnen schwierige und zugleich ntltzliche 
Aufgaben vorlegt, durch deren Lösung sie einen berühmten 
Nauien erlangen und sich bei der Nachweit ein ewiges Denk- 
mal setzen, so hoffte ich den Dank der mathematischen Weh 
zu verdienen, wenn ich nach dem Beispiele von Männern wie 
Mersenne. Pascal, Fermat, Viviani und anderen',, welche vor 
mir dasselbe thateu . den ausgezeichuetsten Analysten dieser 
Zeit eine Aufgabe vorlegte, damit sie daran, wie an einem Prüf- 
steine, die Güte ihrer Methoden beurtheilen, ihre Kräfte er- 
proben und, wenn sie etwas fänden, mir mittheilen künnton ; 
dttuu würde einem jeden öffentlich sein verdientes Lob von 
mir zu Theil geworden sein. 

Nun habe ich vor einem halben Jahre im Junihefte der 
Leipziger Acta Eruditorum eine solche Aufgabe vorgelegt, 
deren Ntltzlichkeit und Schönheit alle erkennen werden, die 
sich erfolgreich mit ihr beschäftigen. Sechs Monate Frist vom 
Tage der Veröffentlichung ab wurde den Geometern gewährt, 
und wenn bis dahin keine Lösung eingelaufen wäre, versprach 
ich die meinige mitzutheilen. Yerflosseu ist dieser Zeitraum, 
und keine Spur einer Lösung ist erschienen. Nur der be~ 
rühmte, um die höhere Geometrie so verdiente Leibniz tbeilte 
mir brieflich mit^°>, dass er den Knoten dieses, wie er sich 
ausdrückte, »ehr schönen und bis jetzt unerhörten Problems 
glücklich aufgelöst hübe, und bat mich freundlich, die Fiist 
bis zum nächsten Osterfeste ausdehnen zu wollen, damit die 
Aufgabe inzwischen in Frankreich und Italien veröffentlicht 
werden könnte, und Niemand Veranlassung hätte sich über 
eiue zu enge Bemessung des Zeitraums zu beklagen. Dieser 
ehrenvollen Aufforderung gab ich nach, ja ich beschloss selbst 
die Verlängerung zu verkündigen, und will jetzt sehen, wer 
diese edle aber schwierige Aufgabe angreifen und, nach so langer 
Zeit, endlich sie bemeistem wird. Für die aber, in deren 
Hände die Leipziger Acta nicht gelangen, wiederhole icb hier 
die Aufgabe. 

Mechanisch -geometrisches Prohlem 

über die Linie des schnellsten Falles. 

Zwei gegebene Punkte, welche verschiedenen Ab- 
stand vom Erdboden haben und nicht senkrecht über- 
einander liegen, sollen durch eine Curve verbunden 
werden, auf welcher ein beweglicher Körper vom 




yariations-Rechnnng. 



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oberen Punkte auagehend vermöge seiner eigenen 
Schwere in kürzester Zeit zum unteren Punkte ge- 
langt. 

Der Sinn der Anfgabe ist der : unter den unendlich vielen 
Carven, welche die beiden Punkte verbinden, soll diejenige 
ausgewählt werden , längs welcher , wenn sie durch eine ent- 
sprechend gekrümmte sehr dünne Röhre ersetzt wird, ein 
hineingelegtes und freigelassenes KUgelchon seinen Weg von 
einem zum anderen Punkte in kürzester Zeit durchmisst. 

Um aber jede Zweideutigkeit auszuschliessen , sei aus- 
drücklich bemerkt, dass ich hier Galilei 's Hypothese an- 
nehme, an dererf Wahrheit, wenn man vom Widerstande ab- 
sieht, kein verständiger Geometer mehr zweifelt, dass nämlich 
die Geschwindigkeiten, welche ein fallender Körper erlangt, 
sich wie die Quadratwurzeln der durchmessenen Höhen ver- 
halten. Unser Verfahren für die Lösung ist freilich allgemein 
und findet auch für jede andere Hypothese Anwendung. 

Da nunmehr keine Unklarheit übrig bleibt, bitten wir 
alle Geometer dieser Zeit insgesammt inständig, dass sie sich 
fertig machen, dass sie daran gehen, dass sie alles in Be- 
wegung setzen, was sie in dem letzten Schlupfwinkel ihrer 
Methoden verborgen halten. Wer es vermag, reisse den Preis 
an sich, den wir dem Löser bereit gestellt haben. Freilich 
ist dieser nicht von Gold oder Silber, denn das reizt nur 
niedrige und käufliche Seelen, von denen wir nichts löbliches, 
nichts nützliches für die Wissenschaft erwarten. Vielmehr, 
da Tugend sich selbst der schönste Lohn ist und Ruhm ein 
gewaltiger Stachel, bieten wir als Preis, wie er einem edlen 
Manne zukommt, Ehre, Lob und Beifall, durch die wir den 
Scharfsinn dieses grossen Apollo öffentlich und privatim, in 
Schrift und Wort, preisen, rühmen und feiern werden. 

Wenn aber das Osterfest vorübergegangen ist und Nie- 
mand unsere Aufgabe gelöst hat, dann werden wir unsere 
Lösung der Welt nicht vorenthalten, dann wird der unver- 
gleichliche Leibniz seine und unsere Lösung, die wir ihm 
schon längst anvertraut haben, sofort, wie ich hofle, ans Licht 
gelangen lassen. Wenn die Geometer diese Lösungen, welche 
ans tiefliegender Quelle geschöpft sind, studiren werden, 
dann werden sie zweifellos erkennen, wie eng die Grenzen 
der gewöhnlichen Geometrie sind , und werden unsere Ent- 
deckung um so höher schätzen, je weniger Löser unsere aus- 
gezeichnete Aufgabe gefunden hat, sogar unter denen, welche 



Johann BernouUi. • 



sich rühmen durch besondere Methoden , die sie so sehr an- 
preisen, in die tiefsten Goheimuisso der Geometrie eingedrung^en 
zn sein und deren Gebiet in wunderbarer Weise durch goldene 
Theoreme erweitert zu haben, welche, wie sie wähnten. Nie- 
mand kannte, die indes» von anderen schon lange vorher ver- 
öffentlicht worden waren ^). 



3. 

Die KrQmniaiig eines Lichtstrahls in ungleichförmigen 
Medien und die LUsun;; des Problems, die Brachisto- 
chroue zu fludeu, das heisst, die Curve, auf welcher ein 
schwerer Puukt von einer fjegebeuen Stelle zu einer 
anderen gegebenen Stelle in kürzester Zeit herablänft, 
sowie Uber die Construction der Synchrone oder der 
Welle der Strahlen. 

Aus den Acta Eruditornm, Leipzig. Mai ItiUT. S. 206. 

Es sind schon sovielo Methoden über Masima und Minima 
erschienen, dass in Betrcfl' die-scs Gegenstandes nichts übrig 
zu bleiben scheint, dessen Scbwieiigkeit nicht diejenigen über- 
winden zu können glauben, welche sich lUhmen entweder selbst 
die Urheber dieser öcharfsiunigen Methoden oder Anhänger 
der Urheber zu »ein. Mögen sie nun soviel sie wollen auf 
des Lehrers Worte schwören, so werden sie doch, wenn sie 
es nur versuchen, sehen, das» unsere Aufgabe ganz und 
gar nicht in die engen Grenzen ihrer Methoden sich zwängen 
iässt, die sich nur soweit erstrecken, als unter gegebenen 
Grössen, deren Anzahl endlich oder unendlich sein kann, da^ 
Maximum oder Minimum zu bestimmen ist. Wenn aber, wie 
bei unserer Aufgabe, die Grössen, aus welchen die gröaste 
oder kleinste ausgewählt werden soll, ebenso wenig bestimmt 
sind, als das, was man sucht, da werden sie sich vergebens ab- 
mühen. Cartesius, Fermat und andere ausgezeichnete Männer' , 
welche einst für die VorzUglichkeit ihrer Methoden so heftig 
kämpften, als ob es sich um Herd und Altar handle, oder 
jetzt ihre Anhänger an ihrer Stelle, müssen offen eingestehen, 
dass, wer nur ihre Methoden kennt, hier ganz und gar stecken 
bleibt. Es ist nicht meine Art und auch nicht meine Absicht 



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VariAttons-Beehiiiing. 



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die Erfindaagen anderer adiieekt su machen ; sie haben sieher 
viel geleistet nnd das 2iel, welehes de sieh geseist hatten, 
trefflich erreieht; denn ebenso wie in ihren Schriften solche 
Betrachtnngen Uber Mazima nnd Minima sieh gar nicht finden, 
«benso haben sie ihre Methoden nnr ftlr die LOsnng der ge- 
wöhnlichen Aufgaben empfohlen. 

Ich Terspreehe nicht eine allgemeine Methode an geben, 
die man wohl vergebens snchen dttifto, wohl aber besondere 
Verfahmngsarton, welche nicht nnr bei dieser, sondern anch 
bei anderen Anfgaben znm Ziele fitthren. Mit ihrer Hilfe 
habe ich das Problem glllcklich gelM nnd meine LOsnng, 
w&hrend andere auf anderen Wegen sieh mtlhten, sofort dem 
bertthmten Leibnis nnterbreitet, damit dieser sie mit der 
fleinigen ansammen veröffentlichte, wenn er eine fibide. Hieran 
zweifelte ich nicht, der ich das Genie dieses scharfdnnigen 
Mannes genttgend kenne. In der That erfahre ich, während 
ich dies schreibe , ans einem der Briefe, mit denen er mich 
hänfig beehrt, dasa ihm mein Problem Uber Erwarten gefallen 
hat. Es lockte ihn, sagt er, dnrch seine Schönheit, wie der 
Apfel die Eva, nnd er wurde sofort Herr der Lösnng. Was 
andere geleietet haben, wird der Ausgang aeigen. Jedenfalls 
verdient es das Problem, dass die Geometer seiner Lösung 
einige Zelt widmen, wenn ein so beschftftigter Mann es nicht 
für unnütz hielt, seine Zeit darauf zu verwenden. Und dies 
sei ihnen Qewliin ^enug, dass sie durch die Lösung Zugang 
zu verborgenen Wahrheiten erhalten, die sie sonst schwerlich 
finden dürften. 

Mit Hecht bewundem wir Huygens, weil er zuerst 
entdeckte, dass ein schwerer Punkt auf einer gewöhnli^^hen 
Oycloide in derselben Zeit herabfällt, an welcher Stelle er 
auch die Bewegnng beginnt^}. Aber man wird starr vor Er- 
staunen sein, wenn ich sage, dass gerade die Oycloide, die 
Tautochrone von Huygens, die gesuchte Brachistochrone ist. 
Zu dieser Einsicht gelangte ich auf zwei Wegen, einem in- 
direkten nnd einem direkten. Als ich den ersten verfolgte, 
entdeckte ich eine wunderbare Übereinstimmung zwischen der 
krummen Bahn eines Lichtstrahles in einem stetig sich ändern- 
den Medium und unserer Brachistochrone; ich bemerkte auch 
noch andere geheimnissvolle Dinge , welche bei dioptrisclien 
Untersuchungen von Nutzen sein dürften. Deshalb ist wahr, 
was ich behauptete, als ich die Aufgabe stellte, dass sie nicht 
blosse Specolation sei, sondern auch für andere Wissensaweige, 



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Jobann Bernoulli. 



nAmlicli fOr die Dioptrik. sich sehr nützlich erweise. Ilm 
aber meine Worte durch die That zu bekräftigen , gebe ich 
hier die erste Lösungsweise. 

Fermat hat in einem Briefe an De la Chambre [siehe 
Epist. Cartesii Lat. Tom. III, p. 147 und Fermatii Opera 
Malhem., p. t5G) nachgewiesen, dass ein Lichtstrahl, welcher 
ans einem dünneren in ein dichteres Medium übergeht , so 
gegen das Loth gebrochen wird, dass der Strahl, welcher der 
Annahme nach vom leuchtenden zum beleuchteten Punkte 
»tetig fortschreitet, den rücksichtlich der Zeit kürzesten Weg 
einschlägt. Mittelst dieses Principes zeigt er, dass der Sinus 
des Einfallswinkels und der Sinus des Brechungswinkels sich 
umgekehrt verhalten wie die Dichtigkeiten der Medien, also 
direkt wie die Geschwindigkeiten, mit denen der Lichtstrahl 
die Medien durchdringt. Später haben Leibniz in den Acta 
Eruditorum 1GS2, S. 185 und buld darauf Huygons in seiner 
Abliandlung über das Licht, 8. 40, dies ausführlicher be- 
wiesen und das physische oder besser metaphysische Princip, 
welches Fermat, mit seinem geometrischen Beweise znfriedeii 
und nllzuleicht sich seines Rechtes begebend, auf Andrängen 
von Clerselerius verlassen zu haben scheint, durch die kräftigsten 
Beweisgründe sicher gestellt''). 

Jetzt wollen wir uns ein Medium denken, welches nicht 
gleichmässig dicht ist, sondern von lauter parallelen horizontal 
ttbereinandergelagorten Schichten gebildet wird, deren jede aus 
durchsichtiger Materie von gewisser Dichtigkeit besteht, welche 
nach einem gewissen Gesetze abnimmt oder zunimmt. Dann 
ist klar, dass ein Lichtkörperchen nicht in gerader, sondern 
in krummer Linie furtgehen wird. Das hat schon Huygens 
in der erwähnten Abhandlung über das Licht bemerkt, aber 
er bestimmte nicht die Beschaffenheit dieser Curve, auf welcher 
das Lichtk<3rperchen in kürzester 2^it von einer Stelle zn eiuer 
anderen gelangt. Unterwegs wächst seine Geschwindigkeit oder 
nimmt ab gemäss der Dichtigkeit des Mediums und, da be- 
kanntlich die Sinns der Brechungswinkel in den einzelnen 
Punkten sich umgekehrt wie die Dichtigkeiten des Mediums 
oder direkt wie die Geschwindigkeiten des Lichtkörperchen» 
vorhalten, so hat die Curve die Eigenschaft, dass die Sinus 
ihrer Neigungswinkel gegen die Verticale überall den Ge- 
schwindigkeiten proportional sind. Jetzt aber erkennt man 
sofort, dass die Brachisfochrone die Curve ist, welche ein 
Lichtstrahl auf seinem Wege durch ein Medium bilden würde. 





e 



yariatiooB-^echnuDg. 



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dessen DinTitIgkeit umgekehrt proportional ist der Geschwin'ÜL:- 
keit, welche ein schwerer Korper beim Fallen erlangt. !>( nn 
ob der Zuwachs der Geschwindigkeit von der Beschaftenheit 
eines mehr oder weniger widerstehenden Mediums abhängt, 
oder ob man von dem Medium absieht und annimmt, dass 
die Be=5chlenni£rung durch eine andere Ursache, aber nach 
derns(5lhen Gesetze, wie bei der Schwerkraft, erzeugt wird: 
in beiden Füllt n wird die Curve in kürzester Zeit dnrchlaufen, 
nnd nichts verbietet die eine an die Stelle der anderen zu 
setzen. 

Anf solche Weise kann man bei beliebigem Gesetze der 
Beschleunigung ansere Aufgabe lösen, denn sie ist darauf 




znrflckgeffihrt, dnss man den Weg eines Lichtstrahles in einem 
Medium bestimmt^ dessen Dichtigkeit beliebig variirt. Es 
sei also FGD das Medium, welches von der horizontalen 
G^eradeni^Cr begrenzt wird, in der sich der leuchtende Punkt -4 
befindet. Gegeben sei die Curve AHE mit der vertiealen 
Achse AD, deren Ordinateu HC umgekehrt proportional 
der Diebtigkeit des Mediums in der Höhe AC oder direkt 
proportional der Geschwindigkeit des LdebtkörpercheDS in M 
ist. Die krumme Bahn des Liehtstrahls, welche man sncht, 
sei AMB, Man setse 

AC = x, CH=:t, CM = y 

und die Differentiale 

Cc s= dx, mn s= dy, Mm == dz^ 

endlieh sei a eine willkttrliehe Oonstante. Dann ist in M der 
Sinns des Breehnngswinkels oder des Neigungswinkels der Cnnre 



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Johann BernoalU. 



gegen die Verticale gleich dy.dz. Nun iat, wie eben gesagt 
wurde, das Yerhältoiäa dieses Sinns zu HC constant, also 



folgt, und dies giebt umgeformt als allgemeine Differential- 
gleichuDg der gesuchten Curve AMB: 

tdx 




So habe ich mit einem Schlage zwei ausgezeichnete Probleme, 
ein optisches und ein mechanisches gelöst und mehr geleistet, 
als ich von anderen verlangte: ich zeigte, dass die beideu 
Aufgaben, welche ganz verschiedenen Gebieten der Mathematik 
entnommen sind, dennoch dieselbe Beschaffenheit besitzen. 

Betrachten wir jetzt einen besonderen Fall, nämlich die 
gewöhnliche Hypothese, welche zuerst Galilei einführte und 
bewies, wonach die Geschwindigkeiten fallender schwerer Körper 
sich wie die Quadratwurzeln der durchmessenen Höhen ver- 
halten; denn das ist ja eigentlich die Aufgabe. Unter dieser 
Voraussetzung ist die gegebene Curve AHE eine Parabel 
und daher t = }/ax. Setzt man diesen Werth in die all- 
gemeine Gieichong ein, so kommt: 



woraus ich schliesse, dass die Brachistochrone die gewöhnliche 
Cycloide ist. Wälzt sich nämlich der Kreis GLK \om Durch- 
messer a auf A G and beginnt das Wälzen in A, so beschreibt 
der Punkt K eine Cycloide, als deren Differentialgleichung, 
weuu 



dy : t = dz : a, 



worana 



ady = tdz 



und 




AC = 



X, CM=y 



gesetzt wii'd, man gerade 




findet. 



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Variations-Bechoimg. 



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Man kann dies toh totd herelB aDalytiaoh so zeigen* 
Eb ist 



^ 1 / X xdx 



\ adx— 2 xdx 



2 V 



ax 



x" 



2 \ax — x^ 



E s ist abe r [adx — 2xdx)i2Vax — x* das Differential von 

Vax — a?* oder 2^0 und aif;r: 2 Vax — a?* das Differential 
Ton dem Bogen OL. Ans der Gleichung 

dy » €fa; V—~ 

folgt also diiroh Integration: 

CiH = arc GL'—LO. 

Mithin idt 

ifC)= CO — arc QL + LO. 

Da aber 

CO arc (tL/T 
00 — aro GL = arc i^iC 

ist^ so erhlttt man: 

irO = arc LK-^ LO, 

nndy indem man anf beiden Seiten LO abzieht: 

ML are LK, 

was lehrt, das^ die Curve KMA eine Oycloide ist. 

Um dem Probleme vollständig zu genügen, bleibt noch zu 




zeigen, wie man von einem j^eg-dieneii Punkte als Scheitel 
die Ürachistochrone oder Cycloide besehreiben kann, welche 



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12 



Johann Bernoulli. 



durch einen zweiten gegebenen Punkt geht. Es geschieht so 
am leichtesten. Man verbinde die beiden gegebenen Punkte A. 
und B durch eine Gerade AB und beschreibe Aber der hori- 
xontalen Linie AL irgend eine Cycloide, welche nnr in A 
ihren Anfang haben mass. Schneidet sie die Gerade ABy^Kj 
80 verhält sich der Durchmesser des Kreises, welcher die ge- 
suchte Cycloide ABL erzengt, zu dem Durchmesser des 
Kreises, welcher die Cycloide ARS crznifrt, wie AB \ AlV). 

Bevor ich schliesse, muss ich noch einmal der Bewunde- 
rung Ausdruck ^!:rhfin, welche ich tlher die unerwartete Idcntitfit 
der Huygen s" seilen Tautochrcnie und meiner Pjracliistochrone 
empfinde. Für besonders bemerkenswerth halte ich, daR?» diese 
Übereinstimmung nur bei der Hypothese Galilei's statlfiiidet, 
so dass man sogar hieraus einen Beweis für ihre Richtigkeit 
erhält. Denn die Natur ptiegt immer auf die einfachste Art 
zu verfahren, und so leistet sie hier durch eine Curve zwei 
verschiedene Dienste, während bei jeder anderen TTypotliese 
zwei Tiirven, die eine für tautochrone Schwingungen, die andere 
für den schnellsten Fall, nöthig wären. Wenn sich z. B. die 
Geschwindigkeiten fallender Körper nicht wie die Quadrat- 
wurzeln, sondern wie die Kubikwurzeln der Höhe verhielten, 
so würde die Brachistochrone algebraisch, die Tautochrone 
transcendent sein; verhielten sich aber die Geschwindigkeiten 
wie die Höhen, so wären beide algebraisch; jene ein Kreis, 
diese eine gerade Linie 

Die Geometer werden sich, meine ich, freuen, wenn Ich ' 
anhangsweise noch die Lösung eines bemerkenswerthen Pro- 
blems gebe, welches mir anlässlich des Vorhergehenden beim 
Schreiben einfiel. Man sucht in einer verticalen Ebene eine 
Curve PBy welche man Synchrone nennen könnte, zu deren 
Punkten B ein schwerer Körper, welcher auf den Cycloiden 
AB von A aus fällt, in derselben Zeit gelangt. Der 
Sinn dieser Aufgabe ist der , dasa man von jeder Cycloide 
mit der Basis AG einen Bogen AB abschneiden soll, welchen 
der schwere Körper bei seinem Falle von A aus in derselben 
Zeit zurücklegt, die er brauchen würde, nm vertical von A 
nach einem gegebenen Ponkte P zu fallen. Der Ort dieser 
Pnnkte B iit äe getnehte Synchrone PB, 

Wenn man anfmerksam flberlegt, was oben ftber den 
Lichtstrahl gesagt wurde, so erkennt man dentUeh, dass diese 
Curve gerade die ist, welche Hnygens in der Figur anf 8. 44 
seiner Abhaiidlnog Uber das Lieht mit BC beaeichnet nnd 



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Yariatioiiä-liäcliiiuug. 



13 



Welle nennt, uud wie diese alle Strahlen, die von dem 
leuchtenden Punkte A ausgehen, senkrecht schneidet, was 
schon Huygens richtig bemerkt hat, so muss auch unsere 
Curve PB alle Cycloiden mit dem Anfangspunkte A recht- 
winklig treffen®). So ist die Aufgabe auf die rein geometrische 
zurück^^eführt, man solle die Curve linden, welche alle Cyclo- 
iden mit dem Anfangspunkte A senkrecht schneidet. Hätte 
ich die Aufgabe in dieser Form gestellt, so würde sie den 
Geometerii viel Mühe gemacht haben. BotiacLtet ra;in sie 
aber von ihrer mechanischen Seite, so ergiebt sich aufs 




leichteste folgende Construction. Die Cycloide ABU werde 
von dem Kreise GhK mit dem Durchmesser GK erzeugt. 
Dann maelie man den Bogen GL gleich der mittleren Pro- 
portionale aus der gegebenen Strecke AP und dem Durch- 
messer GK. Zieht man jetzt LB parallel der horizontalen 
Geraden AG^ so wird die Cycloide -^i^Ä'im gesuchten Punkte 
B geschnitten'^). Wenn jemand seine Methode au anderen Auf- 
gaben üben will, so möge er die Curve suchen, welche eine 
Schaar von transcendeuten Curven, denn für algebraische wäre 
die Sache nicht schwer, z. B. logarithmische Curven mit ge- 
meinsamer Axe, welche durch denselben Punkt gehen, recht- 
winklig schneidet ^^). 



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n. 



Jacob BernouUi 



LOsDng der Äiifgal)en meines Ernders, dem ich zugleich 
dafttr andere vorlege. 

Ans den Acta EruditoraiD, Leipzig, Mai l(i97. S. 211. 

Die Qeometer haben die Methode der Maxima und Minima 
bia jetzt nur auf Aufgaben angewandt, in denen bei einer der 
unendlich vielen Functionen einer Curve der grösste oder 
kleinste Werth gesucht wird, und sie dachten nicht daran, jene 
Methode aut' Probleme anzuwenden, bei welchen unter unend- 
lich vielen nicht gegebenen Curven die verlangt wird , der 
eine Eigenschaft des Maximums oder Minimums zukommt, 
während doch gerade diese Aufgaben den anderen an 
Schwierigkeit der LOsung und VorzUglichkeit des Nutzens 
nicht nachstehen. Zu ihnen gehört die, welche mein Bruder 
im Juni vorlegte und fQr deren Lösung er die Frist bis zum 
Ende des verflossenen Jahres stellte, nämlich das Problem, die 
Oligochrone zu finden, auf welcher ein schwerer Punkt von 
einer gegebenen Stelle zu einer anderen gegebenen Stelle seinen 
Fall in kürzester Zeit vollendet. Obwohl mir die Heraas- 
forderung meines Bruders gleichgültig war, konnte ich mich 
doch der Mühe der Lösung nicht entziehen, als mich der be- 
rühmte Leibniz in freundlichster Weise dazu einlud. Denn 
nachdem er mir in einem Briefe vom 13. September mitge- 
theilt hatte, er habe das Problem gelöst und wünsche, dass auch 
audere es versuchten, da griff ich an, was ich sonst unberührt 
liegen gelassen hätte, und zwar sofort mit dem besten Er- 
folge : bereits am 6. Oktober hatte ich die Lösung und zeigte 
sie von da an meinen Freunden. Den Acta theilte ich sie 
nicht mit, weil ich erfuhr, dass die Frist zu Qunsten der 



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Vnriatlons-Rechnnng. 



15 




Answärtigen bis auf diese Ostern verschoben sei, nnd mich 
deshalb entschlossen hatte , meine Forschungen auf andere 
schwierigere Probleme zu richten nnd diese gleichzeitig mit 
meiner Lösung vorzulegen. Bevor ich aber zur Lösung der 
vorliegenden Aufgabe tibergehe, schicke ich folgendes Lemma 
voraus. 

Ist ACE DB die verlangte Curve, auf welcher ein 
schwerer Paukt in ktlrzester Zeit von A nach B fWlt, und 
sind C und D zwei beliebig nahe 
Punkte auf ihr, so ist das Curvcn- 
sttlck CED unter allen Curven- 
stllcken, welche C und D zu End- 
punkten haben, das, welches ein 
schwerer Punkt, der von A aus fällt, 
in kürzester Zeit durchmisst. Wttrde 
nämlich ein anderes Cnrvenstilck CFD 
in kürzerer Zeit durchmessen werden, 

so Wörde der Punkt gegen die Annahme ACFDB in kürzerer 
Zeit als ACE DB durchlaufen. 

Es sei also in einer beliebig gegen den Horizont ge- 
neigten Ebene (denn die Ebene braucht nicht vertical zu sein) 
A CB die gesuchte Curve, auf welcher ein schwerer Punkt 
von A ans in karzerer Zeit 
nach B gelangt, als auf 
jeder anderen Curve in 
dieser Ebene. Man nehme 
auf ihr irgendwo zwei un- 
endlich nahe Punkte C und 
D an und ziehe die hori- 
zontale Gerade All, das 
Loth CH, i>i^parallel^Ä, 
halbire CF durch E und 
vervollständige das Paral- 
lelogramm DE durch die 

Gerade EI. Auf EI ist dann ein Punkt G von der Be- 
schaffenheit zu bestimmen, dass die Zeit des Falles durch CG 
vermehrt um die Zeit des Falles durch GD ein Minimum ist. 
Ich bezeichne dies mit 

tCG + tGD; 
dabei ist immer zu beachten, dass der Fall in der Höhe von 
A beginnt. Nimmt man jetzt auf der Geraden EI einen 
anderen Punkt L so an, dass GL unendlich klein gegen EG 





16 Jacob BernouUi. 

ist, und zieht CL und Z>X, so lät nach der J^atur des Mini- 
moms: 

und daher: 

Jetzt aehliesse ich so. Es ist nach der Natur des alles 
schwerer Ediper: 

CE:CG=- iCE: tCG 
CE. QL = tCE.iCL, 

also 

QB : (CG —CL)=^tCE\ (tCG — tCL). 

Nimmt man nnn auf CG den Punkt M so an, dass CM^ 
CL, folglich CG — CL = MG ist» so hat man wegen der 
Ähnliehkeit der Dreiecke MLG und CEGi 

MG : GL = EG : CG, 

mithin : 

CEiGL^EG'tCE:CG-(tCG — iCL). 

Ebenso ist nach der Natur des Falles schwerer Üörper: 
EF. Gl) = fEF: tGD 
EFiLD^tEFitLD, 

also 

EFi (LD ^ GD) « iEFi (iLD —tGD), 

Nimmt man anf DL den Punkt N so an, dass /> 6 = BN, 
folglich LD — GD=sLN ist, so hat mau wegen der 
Ähnlichkeit der Dreiecke LNG und GIB: 

LNiLG^GIi GD, 

mithin : 

EFiLG^ Gl* tEF: GD • {tLD — tGD). 

Durch Vergleichuüg erhält man: 

EG 'iCE: CG • (tCG^t OL) 
s= Gl' tEF: GD'itLD-^tGD) 
und hierans dnreh Umstellung: 

EG, tCE : Gl' iEF 
= CG{tCG'-'iCL):GDitLD — tGD)^CGiGD, 
weil ein Minimum stattfinden soll. 



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VariatioQB-RechDung. 



17 



Nach dem Gesetze der Schwere ist aber: 
EG'tCE: GI'tEF= 



vnc VH£ 



und somit endlich: 

JEG 



Gl 



Vnc y iiE 



= CG : GD. 



Iiier bitten wir beiläuBg den he.rflhmten Herrn Nien- 
wentiit sich den Gebrauch zweiter DitTorentiale, die er mit 
Unrecht vei-wirft, anzusehen '3). Wir waren nämlich genöthigt 
den Theil GL der unendlich kleinen Strecke £G im Ver- 
hAltniss dazu unendlich klein anzunehmen, und ich sehe nicht, 
wie man sonst zur Liisung des Problems gelangen könnte. 
Denn es sind EG 



und G I Elemente der 
Abscisse AH, CG 
und G D Elemente der 
Curve, HC und HE 
ihre Ordinalen und 
CE und £F Ele- 
mente der Ordinate, 
das Problem lässt sich 
also auf das rein geo- 
metrische zurückfüh- 
ren, man soUedie Curve 
bestimmen, deren Li- 
uicnelemonte den Ele- 
menten der Abäcisson 
direkt und den Qua- 
dratwurzeln ans den 

Ordinaten indirekt proportional sind. Ich finde, dass diese 
Eigenschaft der Huyghens'schen Isochrone, welche somit auch 
die Oligochrone ist, nälnilich der den Geometern wohlbekannten 
Cycloide zukommt. Dies beweise ich so. Es sei A C P die 
Hälfte einer Cycloide, CM nnd GN zwei ihrer Tangenten, 
RQP der erzeugende Kreis. Dann ist nach der Definition 
der Cycloide: 

GD .GI = GN. GX = VP:rX = VR: RX 
• = VRP.VRX = VRP: VHE. 

Oatwald's Kluiiker. 10. % 




18 



Jacob BernouIU. 



Ebenso: 
HierattB folgt: 

an : CG = VITp • gi • VHä Vhe - eq - VWP 

«= Gl HCl EG yHE 

was zu bowciäüu war. 

Soll m;in jetzt eine Cycloide mit der horizontalen Basi;* 
A II bestiiniiHni, welche durch die gegebenen Punkte A uud 
B geht, 80 besclircihr man über All irgend eine Cycloide 
AT, welche die uütlng:(!ntalls verlängerte Gerade AB in T 
Hchneidet. Dann verhält hieb die Strecke A T zur Strecke AB 
wie der Durchmesser des erzeugenden Kreises der Cycloide 
A T mm Durchmesser des erzeugenden Kreises der gesuchten 
Cycloide A B. 

Eine anderp nicht weniger plctrant»' Aufgrübe wäre es, wenn 
man fragte, auf welcher der iiiiciullich vielen Cycloiden (oder 
auch Kreise , Parabeln uud anderen Corven) , die durch A 
geben und dieselbe^ Basis AH haben, ein schwerer Punkt 
in kürzester Zeit von A nach der senkrechten Geraden ZB 
gelangt. Wer die Theorie der Maxima und iMimiiia fördern 
will, möge sich an dieser Aufgabe versuchen; uns genügt es 
sie vorgelegt zu haben. 

So zcijrt eine f 'urvo, welche von so vielen Matbeniatikeni 
untersueht ^v<lnl(■Il ist. dass au ihr nichts mehr zu erforschen 
tllui;:; t>ehie[i, eine neue Eigenschaft, als ob sie, um künftigen 
Jahrhunderten nichts zu schulden, am l^nde des Lreii wärtigeo 
den Gipfel der Vollendung erreichen wollte, naclideiu sie an 
seinem Anfange ihren Geburtstag ^^efeiert und ihr in seiner 
Mitte alle Auf^me^^sungeu nebst anderen schOnen EigenschafteA 
zu Theil geworden waren'*). 

Es möge übrigens bemerkt werden , dass man auf dem- 
selben Wege mit gleicher Ijeichtigkeit die Curve finden kann, 
weioho ein beweglicher Funkt in einem Medium von veränder- 



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VariatioBS-Becbniisg. 



19 



Heller Dichtigkeit durchläuft. Diese ist nach einem Princip, 
welches Leibniz im Juni 1682 bewiesen hat, identisch aüt 
der Brechungscurve , welche Huyghens auf Seite 44 seiner 

Abhandlung- über das Licht betrachtet und deren Überein- 
stimiimiiL^ mit der von Leibniz im September 1692 betrachteten, 
von mir im Juni 1693 construirten Curve, ich, wie mein 
Bruder weiss, schon längst wahrgenommen habe^*). 

Indens ge^vi^^t man durch diese Untersuchungen einen 
Zugang zur Behandlung anderer schwieriger Aufgaben, wie 
die über isoperimetrische Figuren sind. Man fragt zum 
Beispiel, welche von all' diesen Figuren den grössten Inhalt 
hat (gewöhnlich glaubt man, 
es sei der Kreis, das ist 
richtig, mnss aber erst be- 
wiesen werden)^®) oder bei 
welcher der Schwerpunkt 
des Inhaltes oder des Um- 
fanges von der Basis am 
weitesten entfernt ist; mein 
Bruder hat bemerkt, dass 
es die Eettenlinie ist, aber 
sein Ausgangspunkt war ein 
anderer^'). Diese und ähn- 
liche Aulgaben durch die 
Methode der Maxima zu 
lösen sc hhigüü wir ihm vor. 
Besonders aber möge er, 
weoii er Vergeltung üben 
will, folgendes allgemeine 

Problem zu lösen vcrsucheu. Unter allen isoperimetrischen 
Figuren über der gemeinaamen Basis B N soll die Curv e BFN 
bestimmt werden , welche zwar nicht selbst den grössten 
Flächeninhalt hat, aber bewirkt, dass es eine andere Curve 
BZN thut, deren Ordinate PZ irgend einer Potenz oder 
Wurzel der Strecke PF oder des Bogens BF proportional 
ist. Damit er nielit ablehnen kann, ftlgen wir die andere 
Aufgabe in Betreff der nnendlieh vielen C^cloiden hinzu, 
welche oben gestellt wurde und die mit der seinigen grössere 
Verwandtschaft hat. Und da es nnbÜlig ist, dass jemand 
fbr eine Arbeit nicht entschldigt wird, die er an Gunsten 
eines anderen mit Aufwand seiner eigenen Zeit und anm 
Schaden seiner eigenen Angelegenheiten unternimmt, so will 

2* 




üigiiiz 



20 



jACob Bemoalli. Yariations-Recbnung. 



ein Mann, für den ich bfirge, meinem Bruder, wenn er 
die Aufgaben lösen sollte, ausser dem verdienten Lobe ein 
Honorar von fünfzig Dukaten unter der Bedingung zusichern, 
daas er binnen drei Monaten nach dieser Veröffentlichung 
verspricht es zu versuchen und bis Ende des Jahres die Lö- 
sungen mittels Quadraturen, was möglich ist, vorlegt. Giebt 
sie Niemand nach Ablauf dieses Jahres, so werde ich die 
meinigen vorlegen. 




in. 

Leonhard Euler 

Methode Curven zu findeiii 

denen eine Eigenschaft im höchsten oder geringsten 

Grade nnkommt 

oder 

LOsnng des isopermetrisehen PreUemSi 
wenn es im weitesten Sinne des Wortes anfge&sst wird. 

Laasanne und Genf 1744. 
1. 

Wie wendet mau die Methode der Maxima and Minima 
zur Anffindnng Yon Carven an? 

ErkUrang L t. Die Methode der Maxima und 
Minima anf Onrven angewandt bedeutet eine Methode 
Cnrren anfaufinden, denen eine vorgeschriebene EigenschafI 
im höchsten oder geringsten Grade sakommt 

Folgerung I. 2. Dnrch diese Methode findet man also 
Gurren, flur welche «ne vorgelegte Grosse den grOssten oder 
kleinsten Werth annimmt. 

Folgerung II. 3. Da aber eine and dieselbe Oorve 
aaf anendlich viele Arten sich ahnlich gemacht werden kann, 
BO würde das Problem « wenn nicht eine Einsohränkiuig bin- 
zaklme, anbestimmt and sogar sinnlos sein. Denn wenn man 
irgend eine Carve vorlegte and behauptete, dass eine 
Eigenschaft im höchsten oder geringsten Grade besitse, so 
konnte man immer eine andere ibr ähnliche oder nnahnliehe 
angeben, welche jene Eigenschiifk in höherem oder geringerem 
Grade anfweist. 



üigiiizeü 



22 



Leonhard Euler. 



Folgerung III. 4. Weil also eine genaue Kenntniss 
der Curven erfordert, das3 sie auf eine der Lage nach ge- 
gebene Axe und deren Abschnitte, welche Abscissen heissen, 
bezogen werden, so wird die erste und wichtigste Beschränkung' 
aus der Grösse der Abscissen herzunehmen sein. 

Folgerung IV. 5. Daher müssen Aufgaben, auf welche 
diese Metbode anwendbar sein soll, so vorgelegt werden, dass 
man Curven sucht, welche auf eine der Lage nach gegebene 
Axe bezogen sind und welche unter allen Curven, die zu dem- 
selben Abschnitte der Axe gehören, eine Eigenschaft im höchsten 
oder geringsten Grade besitzen. 

Anmerkung, ß. Mithin ist diese Methode der Mnxima 
und Minima völlig vorschieden von der, welche wir an anderer 
Stelle auseinandergesetzt haben. Denn dort ermittelten wir 
für eine gegebene und bestimmte Curve die Stelle, an der 
eine gegebene, auf die Curve bezügliche, veränderliche Grösse 
am grössten oder kleinsten wird. Hier aber sucht man gerade 
die Cni*ve, in welcher eine gegebene Grösse am grössten oder 
kleinsten wird. Bereits im vorigen Jahrhundert begannen, 
kurz nach Erfindung der Infinitesimalrechnung, die berühmten 
Brüder ßeruoulli diese Methode auszubilden, welche seit- 
dem grosso Fortschritte gemacht hat. Das erste Problem 
dieser Gattung"*) war ein mechanisches, man suchte die Curve, 
auf welcher ein schwerer Punkt am schnellsten horabgleitet ; 
diese Curve nannte man Brachistochrone oder Curve 
des schnellsten Falles. Schon bei diesem Probleme kann 
offenbar ohne Hinzufdgung einer Bedingung von einer Auf- 
gabe nicht die liede sein, denn je kürzer und je näher der 
verticalen Lage die Curve gewählt wird , um so kürzer ist 
selbstverständlich die Zeit des Herabfallens. Man darf daher 
nicht kurzweg nach der Curve fragen, auf welcher ein schwerer 
Punkt am schnellsten oder in kürzester Zeit herabgleitet, son- 
dern man mnss gleichzeitig den Abschnitt der Axe bestimmen, 
zu welchem die gesuchte Curve gehören soll, sodass unter 
allen Curven, welche zu demselben Abschnitte einer der Lage 
nach gegebenen Axe gehören, die gesucht wird, auf welcher 
ein schwerer Körper am raschesten herabgleitet. Aber bei 
diesem Probleme genügte diese Bedingung noch nicht, um es 
zu einem bestimmton zu machen , sondern man musste noch 
die Bedingung hinzufügen , dass die gesuchte Curve durch 
zwei gegebene Punkte hindurchgehen soll. Und so musste 
das Problem den genannten Bedingungen unterworfen werden, 





yariAtions-Bechnung. 



um zu einem bestimmten zn werden, nämlich zn dem, man 
solle unter allen Curven, welche durch zwei gegebene Punkte 
gehen, die ermitteln, auf welcher ein Körper den Bogen, der 
zu dem gegebenen Axenabsohnitte gehört, in ktlrzester Zeit 
durchläuft. 

Frnilirh ist hier zu bemerken, dass die Bedingung des 
Hindurchgehens dnrch zwei Punkte nicht unliedinst nnth- 
wendig ist, sondern durch die Ijösnng ?p\hst liiueinkommt. 
Bei der Lösung des Problems gelangt rn;in nämlich sofort zu . 
einer Difl'erentialgleichnng zweiter Ordnung, deren zweimalige 
Integration zwei willkürliche Constanteu liefert. Zn ihrer 
Bestimmung braucht man zwei Punkte, durch welche die 
Curve hindurchgehen soll, oder andere ähnliche Eigenschaften. 
Dieselbe Bedingung tritt wie von selbst zu anderen Problemen 
dieser Art hin/.u , deren Lösung Sofort auf eine DiflTerential- 
gleichuug zweitör Ordnung führt. Bei den l*r<>bleinen aber, 
welche durch eine Difterentialgleichung vierter und höherer 
Ordnung gelöst werden , genügen zur Bestimmung der Curve 
nicht einmal zwei Punkte, sondern man braucht soviel Punkte, 
als die Ordnung der Differentiale beträgt. Wenn dagegen die 
]^osuTig sogleich zu einer al;^^ebraischen Gleichung föhrt, so 
ist das Problem, wenn nur die Länge der Abscisse augegeben 
wird, auch ohne eine solche Bedingung vollständig bestimmt. 
Das alles aber wird nnm deutlicher erkennen, wenn wir erst 
zur Lösung der Probleme gelangen, und dann werden wir 
diese Begriffe ausführlicher erläutern. Iiier im Anfange schien 
es mir gut sie zu erwähnen, um falsche Anschauungen über 
die Bestimmtheit solcher Probleme hinwegzuräumen. 

Ei kl iirung 11. 7. Die absol ute Metho de der Max. im a 
nnd Minima lehrt, unter der Gesamratheit aller Curven, welche 
ÄU demselben Axenabschnitte gehören, die zu bestimmen, in 
welcher eine vorgelegte veränderliche Grösse den grössten oder 
kleinsten Werth erhält. 

Folgerung. 8. Daher ist bei Problemen, auf welche 
man diese Methode anwenden kann, eine Axe der Lage nach 
gegeben, und unter allen Curven. welche man auf diese Axe 
und einmi beatimmten Absehnitt derselben beziehen kann, wird 
die gesucht, In welcher eine veränderiielie GrOase am grössten 
^er kleinsten wird. 

Anmerkung. 9. Eine andere Bedingung far die Be-- 
stimmnng eines Maximnms oder Minimums als die in Betreff 
der Länge der Abscisse fügen wir nicht hinzn, denn es giebt 



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Leonhard Eiiler. 



Probleme, welche hierdurch vollständig bestimpit sind, wie 
unten deutlicher erhellen wird. Denn obwohl auch Probleme 
auftreten, bei denen man, damit sie bestimmte werden, nocb 
zwei oder mehr Punkte vorschreiben muss, durch welche die 
gesuchte Curve gehen soll, so erkennt man dies doch erst 
aus der Lösung eines jeden Problems. Denn wenn man zu 
einer Gleichung für die gesuchte Curve gelangt, in welche 
durch Integration neue constanto Grössen eingetreten sind, 
die in der Aufgabe selbst nicht vorkamen , dann muss die 
Lösung als eine unbestimmte angesehen werden, weil sie un- 
zählig viele Curven in sich entbült, die entstehen, wenn man 
jenen willkürlichen Constanten bestimmte Werlhe beilegt. In 
diesen Fällen muss man also scliliessen, dass das Problem an 
sich nicht vollständig bestimmt ist, und dass man, um es ganz 
bestimmt zu machen, ausser der Länge der Abscisse soviel 
neue Bedingungen hinzufügen muss, dass jene willkürlichen 
Coustanten bestimmte Werthe annehmen. Als solche Be- 
dingungen wählt man am besten Punkte, durch welche die 
gesuchte Curve hindurchgehen soll ; eben so viele Punkte als 
willkürliche Coustanten in der gefundenen Gleichung sind, 
machen die Gleichung selbst zu einer bestimmten. Um die 
Curve vollständig zu bestimmen . kann man an Stelle der 
Punkte auch eben so viele Tangeutun nehmen, welche die Curve 
berühren sollen, und wenn die Berührung in einem gegebenen 
Punkte der Tangente stattfinden soll, ist diese Bedingung mit 
zwei Punkten gleichbedeutend. An Stelle der Punkte können 
auch irgend welche andere Bedingungen gesetzt werden, wenn 
sie nur so beschaffen sind, dass die willkürlichen Constanten 
in der gefundenen Gleichung dadurch vollständig bestimmt 
werden. 

Man braucht aber nicht die Lösung der Aufgabe vollendet 
zu haben, ehe man an diese Entscheidung geht, vielmehr 
werden später Kennzeichen gegeben werden, mittelst deren 
man sofort aus der Natur der veränderlichen Grösse, die ein 
Maximum oder Minimum sein soll . entscheiden kann , welche 
neuen, in der Aufgabe nicht enthaltenen Constanten in die 
Curvengleichung eintreten. Die Anzahl dieser willkürlichen 
Constanten häugt aber von der Ordnung der Differentiale ab, 
bis zu welcher die Gleichung der gesuchten Curve aufsteigt. 
Denn soviel die Ordnung der Differentialgleichung für die ge- 
suchte Curve beträgt, soviel willkürliche Coustanten sind in ihr 
potentiell enthalten, und eben so viele Bedingungen sind nüthig, 





Variations-RecbnuDg. 



25 



um die Curve zu bestimmen. Derselbe Umstand erweist sich bei 
der Lösung aller Probleme als nützlich, bei denen man eine 
Differentialgleichung erster oder höherer Ordnung findet, ao- 
dsLSA hieraus für die beabsichtigte Untersuchung keine besondere 
Schwierigkeit entsteht. 

Erklärung III. 10. Die relative Methode der 
M&xima und Minima lehrt nicht unter der Gesammtheit 
aller Curven . welche zu demselben Axenabschnitte gehören, 
sondern nur unter denen, welche eine vorgeschriebene gemein- 
schaftliche Eigenschaft haben, diejenige zu bestimmen, welche 
eine Eigenschaft im höchsten oder geringsten Gerade besitzt. 

Folgerung I. 11. Um solche Probleme zu lösen, muss 
man zuerst aus der Gesammtheit der Curven, welche zn dem- 
selben Axenabschnitte gehören, die aussondern, denen die vor- 
geschriebene Eigenschaft zukommt, und dann unter ihnen die 
gesuchte bestimmen. 

Folgerung II. 12. Obwohl durch diese Bedingung die 
Anzahl aller Curven, welche zu demselben Axenabschnitte 
gehören, ausserordentlich beschränkt wird, so bleibt sie doch 
unendlich gross, und das gilt sogar auch, wenn nicht eine, 
sondern mehrere Eigenschaften vorgeschrieben sind, welche 
alle Curven besitzen sollen, unter denen die gesuchte zu be- 
stimmen ist. 

Folgerung III. 13. Je mehr Eigenschaften vorgelegt 
werden, welche den Curven gemeinsam sein sollen, unter denen 
die gesuchte zu bestimmen ist, um so mehr wird also die 
Anzahl der Curvca beschränkt, unter denen die Auswahl ge- 
schehen soll. Aber sie bleibt immer unendlich gross. 

Anmerkung 1. 14. Von Problemen, wie sie die rela- 
tive Methode der Maxima und Minima behandelt, ist das erste 
das am Anfange dieses Jahrhunderts von Jacob BernouUi 
vorgelegte isoperimetrische Problem'^). Man suchte dabei 
die Curve, welche eine Eigenschaft im höchsten oder ge- 
ringsten Grade besitzt, nicht unter allen Curven, die zu 
demselben Axenabschnitte gehören, sondern nur unter denen, 
welche dieselbe Länge haben; in Folge dieses Umstandes 
wurden eben die Curven, unter denen man die gesuchte 
herausfinden sollte, isoperimetrische genannt. Zum Bei- 
spiel kann man unter allen Curven derselben Bogenlänge, die 
zu demselben Axenabschnitte gehören, diejenige suchen, welche 
mit Abscisse und Ordinalen den grössten Raum einschliesst. 
Man findet dann, dass die Kreislinie der Aufgabe genügt, was 



26 



Leonhard Euler. 



freilich die Geotneter lange vor Erfindno^ dieser Methode 
erkannt nnd bewiesen hatten. 

Aber auch in dieHem Falle kommen aus der Natnr dar 
Probleme nene Bedingungen hinzu, wie bei denen, welche sich 
anf die absolute Methode der Maxima nnd Minima beziehen, 
nnd zwar hängen sie von den willkflrlichen Constanten ab. 
welche die Lösung mit sich bringt. So ergeben sich bei der 
Lösung des Problemes. wo die Curve gesucht wird, die unter 
allen Curven derselben Bogenlänge mit der Abscisse den grössten 
Flächenraum einschliesst. zwei neue Constanten. Um das Pro- 
blem zu einem bestimmten zu machen, muss man es daher so 
vorlegen, da-a unter allen Curven derselben Bogenlänge, welche 
nicht nur zu demselben Axenabscbnitte gehören, sondern auch 
durch zwei gegebene Punkte gehen, die gesucht wird, welche mit 
der gegebenen Abscisse den grössten Flächenranm einschliesst. 
In ähnlicher Weise kann es vorkommen, dass man vier Punkte 
and bisweilen noch mehr willkürlich annehmen muss, damit 
das Problem ein bestimmtes wird: die Entscheidung hierüber 
ist ans der Natur des Problems selbst zu entnehmen. 

Wie aber beim isoperimetrischen Probleme vorausgesetzt 
wird , dass alle Curven , unter denen die gesuchte bestimmt 
werden soll, dieselbe Bogenlänge besitzen, ebenso kann an 
Stelle dieser Kigenschaft eine andere vorgelegt werden, welche 
allen gemeinsam sein soll. Zum Beispiel hat man schon Curven 
mit der Eigenschaft eines Maximums oder Minimums nur unter 
allen zu demselben Axenabscbnitte gehörigen Curven gesucht, 
die nm die Abscissenaxe gedreht gleiche Oberflächen erzeugen, 
nnd in ähnlicher Weise könnten beliebige andere Eigenschaften 
vorgelegt werden. Ferner aber kann man nicht eine, sondern 
mehrere solche Eigenschaften vorschreiben, welche allen Curven 
gemeinsam sein sollen, unter denen diejenige zu bestimmen ist, 
welche ein Maximum oder Minimum in sich schliesst. Zum 
Beispiel könnte man nach der Curve fragen , welche eine 
Eigenschaft im höchsten oder geringsten Grade besitzt unter 
allen Curven. die zu demselben Axenabscbnitte gehören, wenn 
die Curven sowohl gleiche Bogenlänge haben, ald auch gleiche 
Flächenränme einschliessen sollen. 

Anmerkung II. 15. Wegen dieses Unterschiedes zwischen 
der absoluten nnd relativen Methode der Maxima nnd Minima 
wird unser Werk aus zwei Theilen bestehen. Im ersten 
werden wir eine Methode angeben, nnter der Gesammtheit 
aller zn demselben Axenabscbnitte geliörendeu Cnrven die zu 




Variations-Rechnung. 



bestimmen, welcher eine Eigenschaft im höchsten oder ge- 
ringsten Grade zukommt. Dann aber werden wir zu Pro- 
blemen fortschreiten , bei denen eine Curve verlangt wird, 
welche eine Eigenschaft im höchsten oder geringsten Gerade 
unter allen denen besitzt, die eine oder mehrere Eigenschaften 
gemeinsam haben, und aus der Anzahl dieser Eigenschaften 
wird eine weitere Theilung hervorgehen. Es wird aber nicht 
nöthig sein mit dieser Theilung weiterzugehen, da bald eine 
Methode gefunden werden wird, das Problem leicht zu lösen, 
wieviele Eigenschaften auch vorgelegt sind. Denn die Lösungen 
von Problemen, welche beim ersten Anblicke sehr verwickelt 
erscheinen, werden gegen Erwarten sehr leicht und lassen 
sich ohne grosse Rechnung erledigen. 

Annahme I. IG. Im Folgenden werden wir die 
Abscisse, auf welche alle Curvon bezogen werden, 
immer mit x, die Ordinate aber mit y bezeichnen. 
Dann soll, wenn die Elemente der Abscissenaxe gleich 
gross angenommen werden, immer: 

dij = pdx, dp = qdx, dq = rdx, dr = sdz, 

sein. 

Folgerung I. 17. Durch Einsetzen dieser Werthe werden 
alle Differentiale jeder Ordnung von y ans den Ansdrticken 
fortgeschafft, und es bleiben ausser dem Differentiale dx keine 
anderen Differentiale übrig. Freilich werden so alle Diffe- 
rentiale ausser dx nur scheinbar, nicht wirklich fortgeschafft, 
aber für unser gegenwärtiges Vorhaben erweisen sich diese 
Substitutionen als ausserordentlich nützlich. 

Folgerung II. 18. Durch diese Substitutionen wird 
sogar die Annahme eines constanten Differentials ganz aus 
der Rechnung fortgeschafft, und wenn irgend ein anderes 
Differential als constant angenommen wird , muss immer bei 
ihnen dieselbe Formel zum Vorschein kommen. Indess er- 
fordert die unten anzuwendende Methode . dass das Diffe- 
rential dx immer als constant angenommen wird. 

Folgerung III. 19. Damit man leicht übersieht, wie 
durch jene Substitutionen die Differentiale jeder Ordnung %'on 
y fortgehen, möge folgende Tabelle hinzugefügt werden: 

dy —pdx, d*y = dpdx = qdx*, d'y = dqdx* = rdx", 

Folgerung IV. 20. Auch wenn der Bogen der Curve, 
der zur Abscisse x gehört, mit seinen Differentialen jeder 
Ordnung auftritt, lassen sich alle diese Grössen so ausdrücken, 



28 



Leonbftrcl Euler. 



dnss k( in Differential ausser dz vorkommt. Setzt mau den 
Bo^^ea gleich w, so ist: 



w 



js^^ Prd^ t 

Folgerung^ Y. 21. In ihnlieher Weise lässt sicli fttr 
jede Stelle der Erttminiiiigsradina doreli scheinbar endliche 
Grössen ansdrtlcken. Denn wenn dx constant itt, wird seine 
Länge : 

dw* _ (1 H- JP*) * 

dxd^ q 

Folgerung VI. 22. Ebenso werden Snbtangente, Snb- 
nomude, Tangente and Normale beziehnngsweise gleich: 

und in entsprechender Weise lassen sich alle endlichen auf 
die Curve be/,ri£:Iichen Grossen, es sei denn dass sie Inteo:rale 
enthalten, durcii die eudlichen Grossen //,/?,... so ausdrücken, 
daäs iii ihnen scheinbar Iveiue Diflferentiale mehr vorkommea. 

Erklärung IV. 23. Für jedes Problem möge Formel 
des Maximums oder Miniiiiums die Grösse heissen, welche 
in der gesuchten Carve einen grdssten oder kieiiiäten Werth 
annehmen soll. 

Folgerung I. 24. Da bei allen Problemen, auf welche 
sich diese Methode anwenden lässt, die Curve gesucht wird, 
welche entweder unter allen oder doch unter unzählig vielen 
in gewisser Weise bestimmten Cnrven eine Eigenschaft im 
h(3( listen oder geringsten Grade besitzt, so ist die Eigenschaft, 
v»eicho bei der gesuchten L'urv^e am ^lössten oder kleinsten 
sein soll, eine Grösse, welche durch die Formel ausgedrückt 
wird, die wir eben hier Formel des Maximums oder Minimums 
nennen. 

Folgerung II. 25. Weil aber die Eigenschaft, welche 
im höchsten oder geringsten Grade vorhanden sein soll, so 



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YariatiooB-Beoliiittng. 



29 



vorgelegt werden muss , da?? «le zu einer bestiramten ge- 
gebenen Abscisse gehört, so muss ancli die l'ormel des Maxi- 
mums oder Minimuma auf jenen abgegrenzten Axenabschnitt 
bOÄOgen werden. 

Folgerung III. 26. Es ist daher die Formel des Maxi- 
inuma oder Minimnms eine veränderliche Grösse, welche von 
der Länge der Abscisse abhängt, zu welcher sie gehört, und 
bei jedem Probleme wird die Curve gesucht, für welche in 
Beziio: auf jene abgegrenzte Abscisse die Formel des Maxi- 
ni n ms oder Minimums den grössten oder kleinsten Werth an- 
nimmt. 

Folgerung IV. 27. Die Formel des Maximums oder 
Minimunis darf aber nicht bloss von der Abscisse abhängen, 
sonst würde sie nämlich für alle zu derselben Abscisse ge- 
böieuden Curven denselben Werth annehmen, und sie würden 
somit alle in gleicher Weise der Aufgabe genügen. 

Folgerung V. 2S. Deshalb muss die Formel des Maxi- 
mums oder Minimums ausser von der Abscisse, die allen be- 
trachteten Curven gemeinsam ist, von jeder Curve in beson- 
derer Weise abhängen, sodass es eine giebt, für welche sie 
den grössten oder kleinsten Werth annehmen kann. 

Anmerkung I. 29. Damit man dies deutlicher ver- 
steht und das Wesen der im Folgenden zu behandelnden 
Fragen besser begi*eift, wollen wir einmal annehmen, dass 
man entweder unter der Gesaramtheit aller Curven, welche 
zu derselben Abicisse A'Z ge- 
hören, oder nur unter unzäh- 
lig vielen mit einer gemein- 
samen Eigenschaft diejenige 
bestimmen soll, für welche die 
Formel W den grössten oder 
kleinsten Werth hat. Wir 
wollen annehmen, dass die 
Curve amz dieser Aufgabe 
genügt, sodass der Werth der 
Formel W fttr jede andere rar 

Abscisse AZ gehörende Ganre j ^ 

entweder kleiner wird, als fttr 
diese, oder iprösser, da ja in der 

Cnire, welehe Genüge leistet, W ein Maximnm oder Minimnm 
sein rnnss. Bei dieser sehr allgemeinen Aufgabe haben wir also 
erstens die Abscisse von bestimmter Länge AZ^ zweitens ist 




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30 Leoabard i^uler. 

eine Cnrve zu suchen entweder unter der Ge?ammtluit aller 
Curven, die zu die&er Ahscissf^ c^pi^ören oder unter den un- 
zählig vielen, die eine oder mehrere Eigenschalten gemeinsam 
haben , je nachdem es sich um ein absolutes oder relatives 
Maximum oder Minimum handelt, drittens haben wir eine 
Grösse deren Werth in der gesuchten Curve ein Maximum 
oder Minimum bein soll, und es ist also W die oben definirte 
Formel des Maximums oder Minimums. Jetzt erkennt man 
sofort, dass die Foniiei W so beschaft'en sein mnss, dass sie 
allen denkbaren Curven angepasst werden kann. Sie wird 
daher zunächst von der abgegrenzten Abscisse A Z abliäugeu 
und sich ändern, wenn AZ geändert wird. Daun muss sie 
von der Katur jeder besonderen Curve, welche man sich 
denken kann, in besonderer Weise abhängen, denn sonst hätte 
sie für alle Curven denselben Werth , und man hätte keine 
Aufgabe. Deshalb muss die Grösse W ausser der Abscisse 
noch Grössen in sich enthalten, welche sich auf die Curve 
selbst beziehen , und da jede Curve durch eine Beziehung 
zwischen Abscisse und Ordinate bestimmt wird, so muss die 
Grösse W ans der Abscisse, der Ordinate und davon ab- 
hängigen Grössen gebildet sein. Wenn also die unbestimmte 
Abscisse mit x, die entsprechende unbestimmte Ordinate mit 
y bezeichnet wird, so aiubs IF eine Function der beiden 
Veiäiiderlichen x und y sein. Befrachtet muii jetzt eine be- 
stimmte Curve und setzt die aus ihrer iNatur folgende Be- 
ziehung zwischen x und y in die Formel TV ein , so erhält 
W einen bestimmten Werth, welcher zu jener gegebeneu 
Curve und der abgegrenzten Abscisse gehört. Da nun die 
Formel W für andere und andere Curven verschiedene Werthe 
annimmt, auch wenn man bei allen dieselbe Abscisse nimmt, 
80 muss es unter den unzählig vielen Oorven eine geben, fttr 
welche der Werth der Formel W der grOsste oder kidnste 
wird^o). Die hier anseinanderzosetsendo Metbode soll nnn bei 
jeder bestimmten Aufgabe zur Emuttelung dieser Cnrve dienen. 

Folgerung VI. SO. £a ist also die Formel des Maxi- 
mnms oder Minimums W eine gewisse Fnnction der beiden 
Veränderlichen x nnd von denen z die AbscisBC, y die 
Ordinate bezdcbnet. In W können nun nicht bloss x nnd y 
vorkommen, sondern auch alle Grössen, die von ihnen alH 
hängen, wie r, deren Bedentnng wir oben an- 

gegeben haben. Sogar ans diesen Grössen gebildete Integral- 
formeln können, Ja mflssen in W vorkommen, wenigstens 



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YaiiatioDB-Beehiiang. 



31 



wenn die Aufgabe eine beBtimmte sein soll, wie wir bald 
zeigen werdeo. 

Folge rang YU. 31. Ist daher eine solche Formel W 
oder eine Function von x und y vorgelegt, nnd betrifit die 
Aufgabe die absolute Methode der Maxima nnd Minima, so 
▼erlaugt man eine solche Gleichung zwischen x nnd y, dass^ 
wenn in IV der Werth von y, ausgedrückt durch a?, eingesetzt 
wird, der Werth von grösser oder kleiner ausfällt , als 
wenn man irgend eine andere Qleiohang zwischen x und y 
angenommen hätte. 

Folgerung VIII. 32. So lassen sich Aufgaben der 
Curvenlehre auf die reine Analysis zurückführen und umge- 
kehrt lässt sich jede vorp^legte analytische Aufgabe dieser 
Art als eine aus der Curvenlehre ansehen und kann bo ge- 
Idst werden. 

Anmerkung II. 33. Wenn sich auch die Aufgaben 
dieser Art auf die reine Analysis zurückführen lassen, so ist 
es (loch vortheilhaft, sie mit der Lehre von den Curven in 
Vcrbinduug zu bringen. Denn wenn man von den Curven 
abstrahirt und nur reine Grössen betrachtet, so werden ein- 
mal die Aufgaben schwerverständlich und unelegant, auch 
fällt ihr Nutzen und Werth weniger in die Augen, dann aber 
würde die Methode diese Aufgaben zu lü-i n sohwerverständ- 
lieh und mühsam sein, weim sie bloss bei abstiacteu Grössen 
auseinandergesetzt werden würde, während sie durch den 
Anblick der Figuren und die Darstellung der Grössen durch 
Strecken ausserordentlich unterstützt und dem Verständnisse 
näher gebracht wird. Aus diesem Grunde werden wir die 
Aufgaben dieser Art, obwohl sie sich ebensogut auf abstracte 
wie auf concreto Grössen beziehen können, immer auf Curven 
zurückführen und so lösen. Wenn nämlich eine Gleichung 
zwischen x und y gesucht wird von der Beschaüeuheit, dass 
eine gegebene , aus x und y gebildete Formel ein Maximum 
oder Minimum wird, wenn der Werth von y aus der gesuchten 
Gleichung entnoimnen und dem x ein bestimmter Werth er- 
theilt wird: dann werden wir immer die AufL:iibe in die ver- 
wandeln, eine Curvo zu linden, deieu xVbscisÄe deren Ordi- 
nate y ist unil liir die jene Formel TV, wenn man eine gegebene 
Abscisse X nimmt, einen i^Mössteii oder kleinsten Werth hat. 

N:ich diesen Bemerk lui^en wird man die Natur der 
Fragen, um welche es sich handelt, deutlich genug er- 
kennen, höchstens könnte noch die zweideutige Redeweise 



üiguizeü by GoOglc 



Leonhard Euler« 



Bedenken erregen, das3 gleichzeitig von Maximum und Mini- 
mum gesprochen wird. Aber in Wahrheit ist hier keine 
Zweideuiii^keit , denn wenn auch die Methode gleichmässig 
Maxima und Minima zei?t. so wird es doch in jedem einzelnen 
Falle leicht sein zu entscheiden, ob die Lösunir ein Maximum 
oder Minimum liefert. Häufig ereignet sich aber auch , dass 
bei einer Aufgabe sowohl ein Maximum als ein Minimum statt- 
findet, und in solchen Fallen ist die Lösunsr eine doppelte, die 
eine gi*»ht ein Maximum, die andere ein Minimum. Meistens 
aber pHegt eins von beiden . entweder ein Maximum oder ein 
Minimum, unmriglieli /.u :iein. Dies geschieht, wenn die Formel 
des Mfiximums oder Miuimiirns ins Unendliche wachsen oder 
abnehmen kann, denn in diesen Kiilleu giebt e> kein Maximum 
oder Minimum. Es kann auch vorkommen, dass die FomieWF 
sowohl ins Unendliche wachsen als auch abnehmen kann, und 
dann existirt gar keine Lösung. Alle diese Unterscheidungen 
wird aber die Rechnung nach der Lösung zeigen '^^). 

Lehrsatz L 'M. Damit durch eine Formel des 
Maximums oder Minimums TV eine Curve amz be- 
stimmtwird, welche vor allen tlbrigen Gentige leistet, 
mu88 die Formel W ein nicht bestimmbares Integral 
sein, welches also nur integrirt werden kann, wenn 
eine Gleichung zwischen und y angenommen wird^'-^). 

Beweis. Nehmen wir an, die Formel W enthalte keine 
nicht bestimmbaren Integrale. Sie ist dann eine Function 
von X, y und den davon abhängigen Grössen^, q, r, 5, . . 
und zwar entweder eine algebraische oder eine solche tran- 
scendcnte, dass sie ohne Annahme einer Beziehung zwischen 
X und y ermittelt werden kann; dies tritt ein, wenn entweder 
Lugarithmen dieser Grössen oder Kreisbogen oder andere solche 
trauscendente Grössen vorkommen, welche alere braischen gleich- 
werthig zu erachten sind. Wird nun gleich einer solchen 
Function von x und y allein gesetzt, so ist klar, dass der 
Werth der Formel WT-fttr eine gegebene Curve, welche zu 
einer gegebenen Abscisse gehört, nur von der letzten Ordi- 
nate Zz abhängt und fdr alle Carven, welche in Z dieselbe 
Ordinate Zz haben, derselbe Ist. Durch eine solche Formel 17^ 
wird also nicht die Besehaffeiihelt der ganzen Oitrre» sondern 
nur die Lage ihres Endpunktes z bestimmt. Wenn aber In 
W ausser x und y auch die Grdsse p vorkommt, so wird 
ausser der Länge der Ordinate Zz noch die Stellung der 
Ourventaagente in z oder des letsten Elementes der Curve in 



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Vanationft-Bechnang. 



83 



z bestimmt. Wenn ferner q vorkommt, so ist die Lage zweier 
aufeinanderfolgender Curvenelemente in c b e ti mmt ii.8.w» Folg- 
lich wird durch eine bestimmte Function W von y, <l-, 
r, . . . nnr ein unendlich kleines Stück der Curve in der 
Umgebung des Endpunktes z bestimmt, und für alle Oarren, 
"welche in derselben Weise enden, ist auch der Werth von 
W derselbe. Um die ganze Curve, welche der ganzen Ab- 
scisse entspricht, zu definiren, muss daher die Formel 
so beschaffen sein, dass bei der Bestimmung der Curve amz 
ihr Werth von der Lage der einzelnen Curvenelemente zwischen 
a und z abhängt. Das aber kann nnr dann eintreten, wenn 
die Formel W ein nicht bestimmbares Integral ist, welches 
eben ohne Annahme einer Gleichung zwischen x und y keine 
Integration zulässt. Was zu beweisen war. 

Folgerung I. 35. Wenn also die Formel des Maxi- 
mums oder Minimums kein nichtbestimmbares Integral ist, 
so wird die Curve, in welcher der Werth von W am grössten 
oder kleinsten ist, gar nicht bestimmt, und die Aufgabe, die 
Curve zu finden, in welcher W ein Maximum oder Minimum 
ist, sinnlos. 

Folgerung II. 36. Damit sich also eine Curve an- 
geben lässt, in welcher ^ gegenüber den anderen, der Werth 
von W ein Maximum oder Minimum ist» muss die Formel W 
die Gestalt: 

J^Zdx 

haben, wo Z so beschaffen sein muss, dass das Differential 
Zdx nicht inteofrirt werden kann, es sei denn, dass eine 
Gleichung zwischen x und y icölgesetzt wird, 

Anmerkung. 37. Da die Formel des Maximums oder 
Minimums das Integral einer nicht bestimmbaren Differential- 
formel ersten Graucii sein muss — ersten Grades, damit das 
Integral endlich ist ■ — , so lässt sich die Diffcrentialformel 
immer aut tiie Gestalt Zdx zurückiuliren, mit Hilfe der Buch- 
staben p, q, r. . . . Deshalb werden wir im Folgenden die 
Formel des Maximums oder Minimums stets mit 

¥ 

Jzdx 

bezeichnen. Es ist aber Z eine Function nicht nur von x 
und y., sondern auch von p , g, r , , , , , Wenn zum 

Osiwald's Klassiker. 46. 3 



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34 * Leonhard Euler. 

Beispiel die Area AazZ ein Maximam oder Minimum sein 
soll, so gebt die Formel W in 




Ober; wenn die Oberfläche des Rotationskörpers, der durch 
Drehung der Cnrve amz um die Axo AZ erzeugt wird, ein 
Maximum oder Minimum sein soll, ist: 

W= Jydx V 1 + />*, 

und so hat jede Formel, welche fflr die gesuchte Cnrve ein 
Maximum oder Minimum sein soll, immer die Form 

nämlich eines Integrales aus dem Product einer endlichen 
Grösse Z und dem Differential dx. 

Z muss nun eine solche Grösse sein, dass das Integral 

X einen bestimmten Werth erhält, wenn eine Gleichung 
zwischen x und y festgesetzt wird, und daher ist Z ent- 
weder eine algebraische oder doch bestimmte Function der 
Grössen x, y, p, q, r, . . . oder enthält noch ausserdem nicht- 
bestimmbare Integral formein in sich. Dieser Unterschied ist 
sorgfältig zu beachten. Ist zum Beispiel die Formel W des 

Maximums oder Minimums /ydx oäev J'ydx V l p*, so ist 
die Grösse Z algebraisch, ist aber 

W— j'yxdx J*ydx, 

so ist Z — yxfydx, also Z selbst nicht bestimmbar, und 

sein Werth lässt sich nur angeben, wenn die Beziehung zwischen 
X und y gegeben wird. Es kann sogar vorkommen, dass Z 
nicht durch eine solche Formol ausgedrückt werden kann, 
sondern erst aus einer Differentialgleichung ermittelt werden 
muss. Ist zum Beispiel 

dZ = ydx 4- Z^dx, 

80 lässt sich aus dieser Gleichung der Werth von Z durch x 
und y nicht ausdrücken. 

Hieraus ergeben sich drei Arten von Formeln, welche in 
den gesuchten Curven ein Maximum oder Minimum werden 
sollen. Die erst« Art umfasst die Formeln, in denen Z eine 



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VariatioDS-Rechnung. 



35 



algebraische oder doch bestimmte Function von x, y, p, q, 
r, . . . ist. Zur zweiten Art gehören die Formeln, in denen 
Z ausserdem Integi-ale aufweist. Die dritte Art enthält die 
Formeln, in welchen der Werth von Z durch eine Differential- 
gleichung bestimmt wird, deren Integration nicht bekannt ist. 

Lehrsatz II. 38. Ist amz eine Curve, in welcher 
der Werth der Formel J Zdx ein Maximum oder Mini- 
mum ist, und Z eine algebraische oder doch be- 
stimmte Function von x, y, p, q, r, . . ., dann hat 
auch joder Theil mn dieser Curvc die ausgezeichnete 
Eigenschaft, dass, wenn er auf die Abscisse J/iV be- 
zogen wird, der Werth von y^^rfx gleichfalls ein Maxi- 
mum oder Minimum ist. 

Beweis. Der Werth der Formel fZdx für die Abscisse 
A7j ist die Summe der Wertho dieser F'ormel, welche den 
einzelnen Theilen der Abscisse entsprechen. Nimmt man 
also an, dass die Abscisse AZ in beliebig viele Theile zerlegt 
wird, von denen einer MN ist, und berechnet den Werth der 
Foi-mel JZdx für die einzelnen Theile, so ergiebt die Summe 
aller dieser Werthe den Werth der Formel JZdx, welcher der 
ganzen Abscisse^ Z zukommt und der ein grösster oder kleinster 
ist. Da aber Z als algebraische Function von x, y, p, q, r, . . . 
angenommen ist, so hängt der Werth der Formel y Zdx, welcher 
3fiV entspricht, nur von der Beschaffenheit des entsprechenden 
Cnrvenstückes mn ab und bleibt derselbe, wie auch die übrigen 
Stücke am und m variirt werden, denn die Wertho von x, 
y, p, q, . . worden ausschliesslich durch das Curvenstück mn 

bestimmt. Werden also die Werthe von J^Zdx, welche den 
Abscissentheilon AM, MN und NZ zukommen, mit P, Q 
und R bezeichnet, so sind die Grössen P, Q und R von 
einander unabhängig. Wenn also ihre Summe P -\- Q -\- R 
ein Maximum oder Minimum ist, so muss auch jede einzelne 
Grösse diese Eigenschaft besitzen. Wenn daher die Formel 
fZdx für die Cnrve amz den grössten oder kleinsten Werth 
hat, und die Grösse Z eine algebraische Function von x, y, 
p, y, . . ist, dann hat dieselbe Formel JZdx auch für jeden 

Theil jener Curve die Eigenschaft eines Maximums oder Mini- 
mums. Was zu beweisen war. 

8» 



36 



Leonhard Euler. 



Folgerung I. 39. Wenn man daher eine Curve arhz 
gefunden bat, welche fdr eine gegebene Abscisae AZ den 
g^össten oder kleinäten Werth von JZdx liefert, während Z 
eine algebraische oder doch bestimmte Function ist, dann 
kommt auch jedem Theilo dieser Curve beztiglich der ent- 
sprechenden Absciäse die Eigenschaft des Maximums oder 
Minimums zu. 

Folgerung II. 40. Bei Problemen, wo ein solches 
Maximum oder Minimum gesucht wird, braucht man also die 
Grösse der Abscisso, zu welcher das Maximum oder Minimum 

gehören soll, nicht zu bestimmen; ist vielmehr J Zdx für irgend 
eine Abscisse ein Maximum oder Minimum, so erfreut es sich 
such für jede andere Abscisse dieser Eigenschaft. 

Folgerung III. 41. Man löst solche Probleme, indem 
man die einzelnen Theilc der gesuchten Curve so bestimmt, 
dass für sie der Werth der Formel JZdx am grössten oder 
kleinsten wird. Denn alsdann hat auch die ganze Curve und 
jedes Stück davon ebenfalls die Eigenschaft eines Maximums 
oder Minimums. 

Anmerkung. 42. Diese Eigenschaft der Curven, in 
denen JZdx ein Maximum oder Minimum ist, wo Z, eine alge- 
braische oder doch bestimmte Function von y, q, . . . 
bezeichnet, hat grosse Bedeutung, denn auf ihr beruht die 
ganze Methode Probleme dieser Art zu lösen. Besonders des- 
halb aber erschien es nöthig diesen Lehrsatz schon jetzt zu 
bringen, damit man nicht glaubt, dass die Eigenschaft, welche 
nur den Formeln Zdx zukommt, wo Z eine algebraische oder 

doch bestimmte Function ist, der Gesammtheit aller möglichen 
Formeln gemeinsam sei ; denn wir werden im folgenden Lehr- 
satze beweisen, dass diese Eigenschaft nicht mehr statt bat, 
wenn in Z Intcgralformelu vorkommen; hieraus erkennt man 
zugleich deutlicher die Natur dieser Aufgaben. Der Bow^eis 
des gegenwärtigen Lehrsatzes aber beruht darauf, dass, so- 
bald Z eine algebraische oder doch bestimmte Function von 
sr, y, p, g, r, . . ist, der Werth der Formel JZdx, welcher 
zu dem Abscissentheile M.N gehört, nur von dem entsprechen- 
den Curv'enstück n\n abhängt und von der übrigen Curve, weder 
durch den vorhergehenden Theil am noch durch den folgenden 
Mz, nicht beeinflusst wird. 



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Variations-Rechnnng. 



37 



Diese Schlnssweise aber versagt, wenn in Z nichtbe- 
atimmbare Integrale vorkommen. Denn die Warthe der Grössen 
y t P 1 9 1 • • • ^ör den Cnrvenbogen mn hängen nur von 
der Lage dieses Bogens mn nnd von benachbaiien Elementen 
ab. welche keinen Bogen endlicher Länge bilden. Daher wird 
jede ans jenen Buchstaben gebildete Grösse allein durch die 
Natur des Bogens mn bestimmt, es sei denn, dass Integrale 
vorkommen, wie Jydx, welches die ganze vorhergehende 

Area AamM einführen würde, oder Jdx \\ -\- p*, was den 
ganzen vorhergehenden Curvenbogen mn mit sich brächte. 

Hieraus erkennt man genauer, was wir mit piner be- 
stimmten Function von x, y, p, q, . . bezeichnen wollen ; eine 
bestimmte Function ist nämlich so beschaffen, dass sie »n 
jeder Stelle nur von den gegenwärtigen Werthen der Grössen 
X, y, p, q, . . . abhängt und ihre vorhergehenden Werths 
nicht in sich enthält. Eine unbestimmte Function aber ist 
eine solche, deren Werth an jeder Stelle nicht einzig aus den 
Werthen bestimmt werden kann, welche x, y. p, q, . . . an dieser 
Stelle haben, sondern zu seiner Bestimmung noch alle Werthe 
erfordert, welche diese Grössen an allen vorhergehenden Stellen 
angenommen haben. Zum Beispiel ist klar, dass alle alge- 
braischen Functionen zugleich bestimmte sind; ausserdem sind 
aber auch alle transcendenten Functionen, welche nicht von 
der Beziehung zwischen x und y abhängen, bestimmte, wie 

' p y 

l \ x* -\- y*, ePy, arcsin — denn es lassen sich ihre Werthe 

an jeder Stelle vermöge der Werthe angeben, welche x, y, p, 
q, . . . allein an der betreffenden Stelle annehmen. Wenn aber 
in der Function nichtbestimmbare Integrale vorkommen , die 
von der gegenseitigen Beziehung zwischen x und y abhängen, 
dann lässt sich ihr Werth für eine gegebene Stelle nicht ans 
den Werthen erkennen, welche jene Buchstaben dafür haben, 
sondern man muss auch alle Werthe an den früheren Stellen 
kennen, also die allgemeine Beziehung zwischen den Coordi- 
naten x und y. Solche Functionen nennen wir unbestimmte, 
weil sie ganz nnd gar von denen verschieden sind, welche 
wir als bestimmte bezeichneten. 

Lehrsatz III. 43. Wird für eine Curve amz, 
welche zur Abscisse AZ %Q\\'6r\ , J'Zdx ein Maximum 
oder Minimum, während Z unbestimmte Integral- 



38 



Leonhard Buler. ^ 



formeln enthält, dann gilt die Bigenschaft eines 
mnms oder Minimums nicht fttr jedes beliebige OuTTen- 
stfleky sondern ist nur derOnrve eigenthflmlich, welche 
snr Abseisse AZ gehört. 

Beweis. Man denke sich die ganze Curve amz, fflr 

welche JZdx ein Maximum oder Minimum ist, irgendwie 

durch eine Ordinate Mm in zwei Theile getbeilt; der Werth 

der Formel JZdx^ welcher za dem Btflcice am gehOrt, heisse P, 

der Werth deraelben Formel für das andere Stfiek mz heisse Q. 

Dann ist der Werth von f Zdx für die ganze Curve £:leicli 

P-f-Q- Wir nehmen an, da«a P+ Q ein Maximum oder Mini- 
mum ist. Um aber alle Zweideutigkeit zu vermeiden und die 
Sache deutlicher auseinanderzusetzen, wollen wir annehmen 
es sei ein Maximum. Wenn jetzt Q von P unabhängig 
wäre, so könnte die Summe P -j- Q nur dann ein Maximum 
sein, wenn es beide, P und Q, für sich wären. Aber in 
unserem Falle, wo die Grösse Z nichtbestimmbare Integrale 
in sich enthält, hängt Q lüclit nur von dem Curvenstücke mz 
ab, auf welches es sich bezieht, sondern gleichzeitig von der 
ganzen vorhergehenden Curve a7n und daher auch von P selbst. 

Jetzt behaupten wir, dass P nicht ein Maximum zu 
sein braucht, wenn es P-|- Q sein soll. Kehmeu wix näm- 
lich an, das Curvenstück am habe die Beschaffenheit, dass 
dafür P ein Maximum ist, und lassen wir das Curvenstück am 

sich ein wenig ändern, so dass der Werth von J Zdx kleiner, 

etwa P — pt wird, so kann doch in Folge dieser Änderung 
der Werth von Q etwa am q wachsen, sodass, nachdem das 

Onryenstflek am ein wenig geändert und JZdx dafftr kein 

Maximum mehr ist, der Werth von JZdx für die ganze Carve 

amz gleich P — |? 4- -H 5^ ist. Da es nun geschehen 

kann, dass q grdsser als p ausfällt, so erkennt man, wie JZdx 

für die ganze Ourre ein Maximum sein kann, ohne dass es 
fOr das Sttlck am am grössten ist. Was zn beweisen war. 

Folgerung I. 44. Hat man also eine Onrve gefanden, 
die fSr eine gegebene Abscisse Ä Z den grössten oder kleinsten 

Werth von JZdx ergiebt, und ist Z eine unbestimmte Function, 
so folgt daraus nicht, dass jedes Stück der gefundcneu Curve 
auch die Eigenschaft eines Maximums oder Minimums besitzt. 



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Vftriationft-Becliiivng. 



39 



Folgerung II. 45. Daher muss man bei der Lösung 
solcher Probleme, bei denen die Curve gesucht wird, welche 

für eine gegebene Abscisse AZ fZdx zu einem Maximum 

oder Minimum hat, stets die Grösse der ganzen gegebenen 
Abscisse berücksiclitif^cn , und das Maximum oder Minimum 
darf man nur für diese, nicht filr einen beliebigen Theil davoD, 
2a erreichen suchen. 

Folgerung III. 4 6 . Hieraus erhellt d er gewaltige Unter- 
eebied zwiaehen den Formeln, in denen die Function Z be- 
stimmt oder unbestimmt ist, nnd sogleieh erkennt mnn die 
Verschiedenheit der Methoden, welche man gebrauchen muss, 
um Aufgaben zu lösen, bei denen die Maximal* oder Uinimal- 
werthe solcher Formeln verlangt werden. 

Anmerkung. 47. Ans dem Bewdse dieses Lekrsatses 
folgt nicht nothwendig, dass die einzelnen Theile einer Curve, 
welche Ittr eine gegebene Abscisse AZ ein Maximum oder Mini- 
mum der Formel fZdx ergiebt, sich ebenfalls dieses Vorzuges 

erfreuen, aber mixn erkeuiit leicht, dass dicä eintritt, wenn 
jene Eigenschaft den einzelnen Theileu zukommt. Nichts- 
destoweniger ist es durchaus nothwendi^^, (iie Lösung stets dor 
ganzen gegebcueu Abscisse auzupasseu. Freilicli kann es bei 
Problemen der relativen Methode vorkommeu, dass man Formeln 

JZdx. in denen Z eine unbestimmte Function ist, so bt^liandeln 

darf, als wäre Z eine bestimmte. Dies tritt nämlich ein, wenn 
nur unter .-illnn f'nrven, bei denen die in Z vorkommenden 
nichtbeätimmbaren Integrale dieselben Werthe haben, diejenige 
gesucht wird, fttr welche JZdx ein Maximum oder Minimum 

ist; denn in diesem Falle darf man die nichtbestimmbaren Inte- 
grale als bestimmbare ansehen. Wenn zum Beispiel unter allen 
Curven derselben Länge die zu bestimmen ist, in welcher fZdx^m 

Maximum oder Minimum ist, und wenn in Z ausser bestimmten 

Grössen der Curvenbogen y cte V 1 + jt>* vorkommt, dann daif 

man ihn wie eine bestimmte Function behandeln, da er ja 
fflr alle Curven, unter denen man die gesuchte finden soll, 
denselben Werth erhält. Das alles wird aber im Folgenden 
noch deutlicher auseinandergesetzt werden. 

Annahme II. 48. Wenn die Abscisse ^Zder Curve 
in unendlich viele, einander gleiche Elemente /JT, 
KL, LM, . . . getheilt, und irgend ein Stttck AM 



üigiiizeü by 



40 



Leonhard Euler. 



X genannt wird, dem eine veränderliche Function F 
entspricht, so wollen wir die Werthe der Function 
für die folgenden Punkte der Abscisse iV, O , . . . 
mit F'y F"y F'", . . ., für die vorhergehenden Punkte 
X, K, , , . mit F,, F„, F,„, . . . bezeichnen. So 
wird ohne weitläufige Schreibung von Differentialen 
der Werth, welchen eine veränderliche Function in 
irgend welchen Punkten der Abscisse annimmt, be- 
quem angezeigt. 

Folgerung I. 49. Da der Werth einer Function au 
irgend einer Stelle gleich dem Werthe an der vorhergehenden 
ist vermehrt um dessen Differential, so haben wir 

F'=F-{-dF, F" = F' + dF', F'" = F" -{-dF", 

F =F,'h dF„ F, = F„ + dF,., F„ = F,., -j- dF„., 

Folgerung II. 50. Wenn in den einzelnen Theilpunkten 
der Abscisse Ordinalen gezogen und die der Abscisse AM= x 
entsprechende Ordinate Mm mit y bezeichnet wird, so sollen 




's 7 k L M N OP £ A 



die folgenden Ordinaten iV», Oo, Pp^... mit y', y", y'", 
die vorhergehenden L/, Kk^ Ii,... mit y,, y,,, be- 
zeichnet werden. 

Folgerung III. 51. Ferner ist 

dy Nn — Mm y' — y 

^ dx dx dx * 

sodass man für die folgenden und vorhergehenden Werthe von 

p erhält: 



Variations-Rechnung. 



41 



■ dx ' dz ' ^" dx 

Folgerung IV. 52. Weiter ist 

_ dp _ p —p _ y"—2y' + y 



2 = ^\,= 





dx"" 


y'"- 






dx* 




-2y"'4-y" 


dx* 



dx dx dx 

sodass man fUr die folgenden und vorhergebenden Wertho 
von q erhält: 

_ y"-2y'+y _ y'-2y'+y 
9— ./«i ' dx* ' 

„ _ y'— 2y4-y, 

^' dx* 

^ dx* ' ^" dx* 

Folgerung V. 53. In ähnlicher Weise lassen sich 
vermöge jener Zeichen fttr die Ordinalen die Werthe der 
Grössen r, t, . . bestimmen und aus der Figur entnehmen. 
Es wird nämlich: 

y-'-3y"4-3y'-y __ y"--4y"--f6y"-4y'+y 
rf^ • dx^ 

woraus man die vorhergehenden und folgenden Werthe dieser 
Grössen bilden kann. 

Folgerung VI. 54. Bezieht man die Formel fZdx auf 

die Abscisse AM = Xf so ist der Werth, welcher dem folgenden 
Elemente MN— dx entspricht, gleich Zdx. Mithin wird 
man in ähnlicher Weise die den Abscissenelementen MN, 
NO, OP, PQ,... entsprechenden Werthe von JZdx mit 
Zdx, Z'dx, Z"dx, Z"'dx,..., die den Elementen MN, 
LM, KL, IK,... entsprechenden mit Zdx, Z,dx, Z„dx, 
Z„,dx, . . . bezeichnen. 

Folgerung VII. 55. Bezieht sich der Aasdruck JZdx 

auf die Abscisse ^ ilf = z, so ist der zu der gegebenen Ab- 
scisse AZ gehörige Werth gleich 



42 



Leonhard Euler. 



Zdx + Zdx + Z'dx + Z"dx + • • • io inf. 



bis man zum letzten Punkte Z gelangt. 

Folgerung Vlll. 56. Wenn also die Curve gefunden 
werden soll, welche far die gegebene Abscisse den grOasten 



unbestimmte Abseisse AM gleich x gesetzt, an bevirken, 
dass der Ausdruck 



bis zum Punkte Z summirt ein Maximum oder Miaimum wird. 

Anmerkung. 57. Obgleich die Annahme in gewisser 
Weise wiUktiilich ist, so sind doch jene Zeichen sehr nütz- 
lich fflr eine rasche Losung der Aufgaben, welche sich auf 
diese Methode der ^laxima und Minima beziehen. Denn gar 
viel vermag bei solciiuu (Jeschäften die bequeme Wahl der 
Zeichen, mittels deren die Kechnung nicht bloas abgekürzt, 
sondern auch leichter und übersichtlicher gemacht werden kaun. 
Die eingeführte Bezeichnungsart ist aber der üblichen bei weitem 
vorzuziehen, bei welcher man die aufeinanderfolgenden Werthe 
der Functionen durch Differentiale zu bezeichnen pßegt, weil 
bei unserer Lösnngsmethode eine andere Art von Differentialen 
auftritt, welche mit den natürlichen Differentialen veränder- 
lieber Grossen leicht verwechselt werden konnte, wenn nicht 
Tcrmügc der hier angenommenen Bezeichnnngsart die natttr- 
lichen Differentiale weggeschafft wurden. 



Lehrsatz 58. Wenn die Formel JZdx einen 



grössten oder kleinsten Werth für die auf die ge- 




liefert, so hat man, die 




• ■ « 





gebene Abscisse AZ be- 
zogene Curve amnoz er- 
langt, und mau eine an- 
dere Curve amvoz an- 
nimmt, welche von jener 
nur unendlich wenig ab- 
weicht, so ist der Werth 

der Formel J Zdx für beide 

Gnrven derselbe. 



Beweis. Wenn in der 
Analysis irgend ein veränder- 
licher Ausdruck ein Maximum 



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Yariations-Bechnung. 



43 



wird, so nähert er sich zunächst beständig wachsend dem 
Maximal werthe , sobald er ihn aber eiroicht hat, entfernt er 
sich abnehmend von ihm. Dieses Aulsteigen zum Maxiraal- 
werthe und Herabsteigen davon geschieht so , dass Abnahme 
nnd Zunahme der Grosse momentan verschwinden, wenn diese 
dem grösaten Werthe am nächsten ist, dasselbe gilt vom 
Minimum. Es giebt freilich Maxima und Minima, in deren 
Nähe Abnahme und Zunahme unendlich gross ist, aber solche 
Maxima und Minima kommen bei der gegenwärtigen Unter- 
suchung selten vor, und wenn sie vorkommen, kann man sie 
leicht bestimmen. Es genügt daher zu bemerken, dass es in 
4er Kähe vom Maximum und Minimnm keine endlichen Ände* 
rungen giebt. 

Hat daher der Ausdruck JZdx fflr die Curve amnoz 

4en grössten oder kleinsten Werth, so wird der Werth des 
Ausdruckes für eine andere Curve sich umsomehr vom Maxi- 
mum oder Minimum entfernen, je mehr die andere Onrve von 
jener abweicht. Wenn aber die andere Curve von der, welche 
Genüge leistet, nur unendlich wenig abweicht, dann erhält die 

Fonnel fZdx fflr beide denselben Werth* Eine solche sehr 

wenig abweiehende Curve erhalten wir, wenn wir annehmen, 
'dnss nur der nnendUeh kleine Bogen mno nnendlieh wenig 
variirt und an seine Stelle der Bogen mvo gesetzt wird. 
Deshalb wollen wir vns denken, dass ans der Omnre az^ für 

welche fZda^ ein Mazimom oder Minimnm ist, ein nnendlieh 

kleiner Theil mno ansgeschnitten und an seine Stelle ein 
anderer, unendlich wenig daTon abweichender, mvo eingesetzt 

werde. Dann ist der Werth von JZdx, welcher der Cnrve 

awnoz zukommt, gleich dem, welcher der Curve am«' o;? zu- 
kommt, was zu beweisen war. 

Fol^ening- I. 59. Da die Änderung möglichst klein 

sein muss, geniii^t es nicht den Bogen ynno. welcher geändert 
werden soll, als unendlich klein anzunehmen, sondern es muss 
auch die Abweichung nv im YerhäUniss zu der Länge des 
Bogens mno unendlich klein sein. 

Folgerung II. 60. Bei einer solchen Änderung der 

Curve ändert sich auch der Werth der Formel J Zdx, welche 

doch dem Beweise zufolge nnverftndert bleiben soll. Auf 
diese Weise ergiebt die angenommene Ändemng eine Glelehnng» 
welche die Natnr der gesnchien Cnrye anzeigt. 



üigiiizeü by 



44 



Leonhard Enler. 



Anmerkung. 61. Im vorhergehenden Lehrsatze ist die 
ganze Methode enthalten, Probleme za lösen, bei denen die 
Curve verlangt wird, ftlr welche der Werth einer unbestimmten 

Formel wie fZdx ein Maximum oder Minimum ist. Immer 

nämlich stellt man sich vor, dass ein unendlich kleiner Theil 
der Curve, wie mno^ variirt werde in mvo^ und fragt dann 

nach dem Unterschiede der Werthe, welche die Formel JZdx 

für die wahre Curve amnoz und für die angenommene amvoz 
besitzt. Der Unterschied gleich Null gesetzt ergiebt die Natur 
der gesuchten Curve. 

Die Änderung muss an einer unbestimmten Stelle ge- 
schehen, damit sie sich auf die ganze Curve bezieht und 
sich auf jede einzelne Stelle erstreckt. Sie kann aber sonst 
ganz beliebig gemacht werden , wenn sie nur unendlich klein 
ist, und kann sich auch auf zwei oder mehrere Elemente der 
Curve erstrecken. Immer muss jedoch dieselbe Endgleichung 
herauskommen. Indess erfordert die Bequemlichkeit der Rech- 
nung, dass die Änderung nur bei so wenigen Elementen vor- 
genommen wird, als zur Lösung hinreichen. Wenn zum Bei- 
spiel unter der Gesammtheit aller Curven, welche zu derselben 

Abscisse gehören, die bestimmt werden soll, in der JZdx ein 

Maximum oder Miniraum ist, so genügt es bloss zwei Curven- 
elemente zu ändern. Wenn aber nicht unter allen Curven, 
sondern bloss unter denen, welche eine oder mehrere Eigen- 
schaften gemeinsam haben, die bestimmt werden soll, in welcher 
irgend eine Grösse ein Maximum oder Minimum wird, dann 
darf man nicht eine beliebige Änderung mvo vornehmen, 
sondern muss es so einrichten , dass alle jene den Curven 
gemeinsamen Eigenschaften erhalten bleiben, und in diesen 
Fällen genügen nicht zwei Elemente, sondern man muss mehr 
nehmen, d<imit man allen Bedingungen genügen kann. 

Erklärung V. 62. Der zu einer Formel des Maxi- 
mums oder Minimums gehörige Differentialwerth ist 
der Unterschied der Werthe, welche diese Formel in 
der gesuchten Curve und in einer Curve annimmt, 
welche daraus durch eine unendlich kleine Änderung 
entsteht. 

Folgerung I. 63. In einer Curve also, für welche die 
gegebene Formel JZdx ein Maximum oder Minimum sein soll, 
muss der zu der Formel gehörige Differentialwerth ver- 



Variations-BechniiDg. 45 

schwinden. Setzt man also den Differentialwerth gleich Kuli, 
80 erhält man eine Gleichnngi velohe die Natar der Gurre 
aasdiückt. 

Folgerung II. 64. Kennt man also den Differential- 
Werth, welcher zu der vorgelegten Formel des Maximums oder 
Minimums gehört, so hat mau sofort eine Gleichung, welche 
die Natur der Curve ausdrückt, iu der jeue vorgelegte Formel 

den gi'össten oder kleinsten Werth annimmt. 

Folgerung III, G5. Die ganze Arbeit beim Aufsuchen 
von Curveu, welche eine Eigenschaft im höchsten oder ge- 
ringsten Grade besitzen, ist hiermit darauf zurückgefflhrt. dass 
für jede Formel des Maximums oder Minimums der ihr zu- 
kommeude Differentialwertli ermittelt wird. 

Anmerkung. G6. Nach dieser allgemeinen Darlegung 
der Natur der Aufgaben, hei denen Curven mit der Kigen- 
achaft eines Maximums oder Minimums gesucht werden, und 
der Methode, deren mau sicli zu ihrer Lösung bedienen muss, 
gehen wir zur eigentliclien Untt rsucliunä' liber, und zwar werden 
wir zuerst die absolute Metiiode darlegen, bei welcher Curven 
gesucht werden, die unter der Gesammtheit aller auf dieselbe 
Abscisse bezogenen Curven eine gewisse Eigenschaft des Maxi- 
mums oder Minimums besitzen, und dann werden wir zur 
relativen Methode der Maxima und Minima übergehen , auf 
welche sich die Aufsraben beziehen, bei denen nicht unter 
allen einer gegebeucii Abscisse entsprechenden Curven, son- 
dern nur unter denen, welche sich einer oder mehrerer ge- 
meinsamer Eigenschaften erfreuen, die bestimmt werden soll, 
welcher der Vorzug eines Maximums oder Minimums zukommt. 
In diese Untersuchungen bringt aber die Natur der Formel 

JZdx^ weiche ein Maximum oder Minimum sein soll, einen 
gewaltigen Unterschied hinein, je nachdem Z eine bestimmte 
oder unbestimmte Fanotion ist, wie wir dies sehen bemerkt 
haben. 

2. 

Wie wendet man die absolute Methode der Maxima und 
Minima zur Aufflndiuig toh Caryen an? 

Auf^-abe 1. 1. Wenn in einer Curve ainz irgend 
eine Ordinate A';i. um ein uiiendlicli kleine,-; .Stück nv 
vermehrt wird, soll mau die Änderung fiudeu, welche 



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46 



Leonhftrd Eoler. 



in Folge dessen die einzelnen bestimmten, snf die 
Curve beztlglichen Grössen erleiden. 

Lösung. Bestimmte anf die Carve bezügliche Grössen 
sind ausser der Abscisse x, welche unverändert bleibt, y, p, 
q, r, 8, . . . . mit ihren abgeleiteten Werthen, welche sie an 
den nachfolgenden nnd vorhergehenden Stellen annehmen. 
Setzen wir nun AM = x und Mm = y, so ist Nn = y', 
nnd sein Werth wird dnrch die Verschiebung des Punktes n 
nach V um das Stflckchcn nv vermehrt, während die übrigen 
folgenden Ordinaten y", y"\ . . und die vorhergehenden y,, 
Vnt Vnn ' • ' unverändert bleiben. Da also nur die Ordinate 



S I K L il A- 



R S 



luisbnÄ ooi^ 



Nn um das Stückchen n v wächst, schlie.S3t man ans §§ 5 1 flg. 
des vorhergehenden Kapitels, welche Änderung die übrigen 
Grössen in Folge der Veränderung von y' allein erfahren. 
Es erleiden nämlich eine Änderung alle Grössen, deren Werth 
von y' abhängt, die Übrigen aber, welche von y' nicht ab- 

_ y — y 

dx 



häogen, bleiben unverändert. Zum Beispiel wächst /» = 

y" - y 



nv 

um das Stückchen und 
dx 



P = 



dx 



nimmt nm das 



Stückchen 



nv 

dx 



ab. Auf ähnliche Weise findet man die Zu- 



nahme oder Abnahme der übrigen Grössen, indem man in 
ihren oben angegebenen Werthen alle Wertho von y ausser 
i/ wegstreicht nnd dafOr nv schreibt, und erhält anf diese 
Weise folgende Tabelle aller bestimmten Grössen, soweit sie 
eine Änderung erleiden - 



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YariAtionB-Rechnang. 



47 



Grösse 
Äuderung 
Grösse 
Äuderuiig 



nv, 



P > 


p' ; q, , 


9 ' 


9 » 


nv 


n v nv 
~ Tx' '^Jx*' ~ 


2nv 






dx-' 


r., , 


r, , r , 


r' 


1 • • • 


nv 


3nv , 3«v 
dx^' ' dx^' 


nv 








1 • • • 



Es wäre leicht diese Tabelle fortzusetzen. Was zu finden 
war. 

Folgerung I. 2. Kennt man also die Änderungen dieser 
auf die Curve beztlglichen ürgrössen , so kann man für alle 
aus ibnen zusammengesetzten Grössen, wenn man die Art ihrer 
Zusammensetzung beachtet, die Änderungen bestimmen, welche 
die Vermehrung der Ordinate y' verursacht. 

Folgerung II. 3. Die eben angegebenen Änderungen 
dieser Grössen kann man gcwissermaassen als ihre Dlflerentliile 
ansehen, und wenn eine aus ihnen zusammengesetzte Grösse vor- 
gelegt ist, so findet man die Änderung, welche durch die Ver- 
schiebung des Punktes « nach v verursacht wird, indem man 
die betreffende Grösse differontiirt und an Stelle der Diffe- 
rentiale der einzelnen Grössen die Änderungen schreibt, welche 
unter ihnen vermerkt wurden. 

Folgerung III. 4. Hat man zum Beispiel die Änderung 

der Function y'Vl-\-p* zu bestimmen, welche durch die 
Verschiebung des Punktes n nach v verursacht wird, so diffc- 
rentiire man zuerst diese Function, wodurch man 

erbillt, und schreibe dann an Stelle von dy' und dp die Ände- 

nv 

rungen der Grössen y' und p, nftmlich -|- nv und -|- Man 
findet so als Zuwachs der vorgelegten Function: 

Folgerung IV. 5. Leicht kann man also durch Diffe- 
rentiation einer beliebigen Function die Änderung ermitteln, 
welchö aus dem Zuwachs nv der Ordinate y' hervorgeht, was 
aus dem Anblicke der Figur nur schwierig nnd allgemein Über- 
haupt nicht geschehen kann. 



48 



Leonhard Euier. 



AnDierkung. 6. Es ist wohl zn heachteii , dass diese 
Methode die Änderung von Functionen oder Grössrn m finden, 
welclie aus y, p, q, . , und den daraus abgeleiteten ?/, 
y'\ p' , p ", . . . zusammengesetzt sind, nur bei bestimmten 
Functionen zum Ziele führt, sich aber nicht auf unbcj^tiinnite 
ausdehnen lässt. Denn ist die vortnlmtc Function eine un- 
bestimmte oder eine nicht bestimmbare Integralformel, die 
weder algebraisch noch trauscendent integrirt werden kann, 
dann kommt man durch Dift'erentiation nicht zum Zit l , wenn 
man ihre Änderung finden will. Sobald wir im Folgenden 

solche Formeln des Maximums oder Minimums JZdx betrachten 

werden, in denen 2^ eine unbestimmte Function ist, werden 
wir die Änderungen derartiger Functionen ermitteln. Ist aber 
Z eine bestimmte Function, so genügt die Lösung des vor- 
liegenden Problems, um die L(^8ung aller hierher gehörenden 
Probleme zu bewerkstelligen. 

Aufgabe H. 7. Man soll» wenn Z eine bestimmte 
Function von x und y allein ist, die Cnrve az finden, 

in welcher der Werth der Formel JZdx am grössten 

oder kleinsten ist. 

Ldsung. Man denke sich die Absei sse AZ^ sn welcher 
das Maadmnm oder Minimum der Formel JZdx gehören soll, 

in unzählig viele gleiche Elemente getheilt, die alle mit dz 
bezeichnet werden mögen. Setzt man die unbestimmte Ab- 
scisse AM s= die Ordinate Mm t= y, so liefert das Ele- 
ment Mi^^ Zill- Formel f Zdx den Beitraor Zdx und nach 

unserer Bezeichuungsweise ergeben die folgenden Elemente 
NO, OP, PQ, . . , die Werthe Z'dx, Z"dx, Z"'dx, . . 

die vorhergehenden X 3f, KL, IK&hev Z,dXy Z„dXy Z„,dx, 

Ist dalier die Curve az die gesuchte, so muss Zdx -f- Z'dx 
-|- Z' dx -\- ■ ■ ' vermehrt um Z,dz 4- Z„dx Z„,dx 4- • • . 
ein Maximum oder Minimum sein. 

Wird jetzt die Ordinate Nn = y' um das Stückchen nv 
vermehrt, so muss jener Ausdruck denselben Werth behalten 

und sogar der DifferentialwertiL von JZdx oder von der 

Summe der Glieder Zdx -|- Z'dx + Z^dx + • • • vermehrt 
um Z,dx + Z„dx + Z„fdx • • • . verschwinden. Man muss 
also die DifferentialwerChe der einzelnen Glieder ermitteln, 
welche aus der Verschiebung des Punktes n nach ff entstehen. 



üiguizea by 



ywriationa-ßeclmimg. 



49 



Ihre Summe ist der Differentialwertii der Formel JZdx^ weleber 

gleich Noll gesetst die Gleiehung fdr die gesachte Oorre er- 
giebt. 

D» Hirn Z «1b bestimmte Fanction you x nsd y ange- 
nommen ist, so hat das Differential Z die Form Mdx 4< Ndy^ 
sodass 

dZ=i MdX'\' Ndy 

ist. Die Differentiale der abgeleiteten Wertiie von Z sind 
also : 

<f JZr = JTife + dZ" =:M"dx + N"df, . . . , 

dZ, «=s M,d9 -i- N,dy,y dZ„ ^ M„dx -j- N„dy„^ . . . • 

Da aber die Diflferentialwerthe der Glieder Zdx, Z' dx. Z"dx,,.. 

lind Zfdx , Zf.dx, . . . gefnnden werden, wenn man diese 
Glieder dificrentiirt und nr an Stelle von dy\ Null an Stelle 
aller anderen Diiferentiale schreibt, so besitzt allein das Glied 
Z' dx einen Differentialwerth, da nur in seinem Differentiale 
dy vorkommt. Schreibt man also nv statt dy\ so ist der 
Differentialwerth des Gliedes Z' dx gleich N*dxnv, nnd das 

ist zugleich der Differential Werth der ganzen Formel Zdx, 

weil die übrigen Glieder ausser Z'dx keine Änderung er- 
leiden. An Stelle von N' dürfen wir aber N setzen , weil 
^ N + d N ist. lind f/ Y gegen N verschwindet. 
Ifan erhält daher ftlr die gesnchte Cnrve, in welcher 

fZdx ein Hazimnm oder Minimum sein soll, die Gleichung: 

Ndxwif = 0 oder 

wenn dZsss Mdx + Ndy ist. Was an finden war. 

Folgerung I. 8. Wenn also die Curve bestimmt werden 

soll, in welcher fZdx ein Maximum oder Minimum ist, und 

wenn Z eine bestimmte Function von :r und ?/ allein ist, so 
muss man die Grdsse Z differentiircn. Man erhält dann dZ 
in de'r Form Mdx + Ndy und bildet hieraus die Gleichung 
für die gesuchte Curve, nämlich aV= 0. 

Folgerung II. 9. Da somit N eine bestimmte Function 
von X und y selbst ist, kommt in der Curvcnirleichung iS^= 0 
keine eonstante GrOsse vor» welche nicht in der Formel des 

Maximums oder Minimums fZdx anftet, und deshalb ist die 

08twald'8 Klassiker. 46. 4 



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50 



Leonhard Euler. 



gefinidene Onrve einzig in ilirer Art und vollkommen be- 
fitimmt. 

Folgerung III. 10. Bei Aufgaben, welche unter diesem 
Probleme begriffen sind, wird also die Oarve, die Geniige 
leistet^ einzig aus der Formel des Maximums oder Minimums 
bestimmt, und man darf nicht noch Punkte Torschreibeiii durch 
welche die gesuchte Onrve hindurchgehen soll. 

Folgerung ly. 11. Ui Z eine Function Ton z alleiii, 

sodass y darin nicht Torkommt, so ist Zdx auch eine he* 

stimmte Function von x allein, und alle Curven, welche zu 
derselben Abscisse gehören, genttgen in gleicher Weise. Das- 
selbe xeigt aber audh die Beehnung, denn in diesem Fall, wo 
y in Z nicht enthalten ist, wird JV= 0, und man erhält gar 
keine Gleichung itlr die gesuchte Gurve. 

Folgerung V. 12. Man kann auch sofort erkennen, 
ob es eine Curve giebt. in welcher eine solche Formel 

fZdx ein Maximum oder Minimum ist, denn wenn man auä 

der Differentiation von Z einen solchen Werth für iV findet, 
dass durch die Gleichung iV= 0 keine Curve dargestellt wird, 
dann giebt es auch keine Curve, in welcher die vorgelegte 
Formel J Zdx ein Maximum oder Minimum ist. 

Folgerung VI. 13. £ndlich erkennt man auch, dass 
die Eigenschaft des Maximums oder Minimums nicht auf eine 
bestimmte Abscisse beschrftnkt ist; wenn vielmehr eine Curve 

die Formel JZdx eine Abscisse zu einem Maximum oder 

Minimum macht, so hat sie auch fflr Jede andere Abscisse 
gleichfalls den gritasten oder kleinsten Werth. 

Anmerkung L 14« Wir haben sonut eine leichte Me- 
thode erlangt, unter allen derselben Abscisse entsprechenden 

Curven die zu bestimmen, in welcher die Formel f Zdx einen 

grösstcn oder kleinsten Werth besitzt, wenn nur Z eine be- 
stimmte Function von x und ij allein ist. Zugleich ist auch 
klar, (iass die Curvo, welche genügt, immer algebraisch ist, 
wenn Z eine algebraische Function von x und y ist. ^ Die 
so gefundene Curve hat die Eig:enschaft, dass, wenn irgend 
eine andere Curve für dieselbe Abscisse angenommen wird, für 

die Formel JZdx ein kleinerer oder grösserer Werth hervor- 
geht als fflr die gefundene. £s bleibt aber noch zweifelhaft, 
ob in der gefundenen Oorve der Werth der Formel J Zdx ein 



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Variations-Rechonng. 



61 



Mnxiinnni oder Minimam ist, was sich in jedem einzelnen Falle 
leicht entscheiden lässt, ohne dass es allgemein möglich wäre. 
Das freilich ist gewiss, dass, wenn man nur eine einzige 
Gleichung erhält, nur entweder ein Maximum oder ein Mini- 
mum staUfinden kann; liefert also die gefundene Curve ein 
Maximum, so giebt es kein Minimum, vielmehr kann der 
Werth der Formel fZdx unbeschränkt vermindert werden, 
und ebenso kann, wenn man nur eine einzige Curve gefunden 
hat, welche für die Formel fZdx ein Minimum liefert, der 
Werth von fZdx unbeschränkt vermehrt werden. Giebt aber 
die Lösung gar keine Curve, welche Genüge leistet, so ist das 
ein Anzeichen dafür, dass der Werth der Formel fZdx für 
jede Abscisse ins Unendliche wachsen und abnehmen kann. 

Anmerkung II. 15. Mittelst derselben Lösung kann 
man auch jene anderen oben erwähnten Curven finden, welche 
die Eigenschaft eines Maximums oder Minimums besitzen und 
zu denen man nicht durch verschwindende , sondern durch 
unendlich grosse Diflerentialwerthe gelangt; diese Art dea 
Maximums und Minimums ist von joner gar sehr verschieden. 
Man findet diese Cui-ven, wenn man den Diflferentialwerth 
Ndx ' nv nicht gleich Null , sondern gleich unendlich setzt. 
So oft also die Gleichung iV= oo eine Curve liefert, so oft 
erhält auch in ihr die Formel fZdx den grössten oder kleinsten 
Werth; dies tritt ein, wenn iV ein Bruch ist, dessen Nenner 
gleich Null gesetzt die Gleichung für eine Curve ergiebt. 
Auf diese Art findet man möglicherweise mehrere Curven, 
welche gleichzeitig der Aufgabe genügen, und die einen liefern 
ein Maximum, die anderen ein Minimum. Man kann auch mehr 
als zwei Curven finden, welche der Aufgabe genügen, obwolil 
man nur die beiden Gleichungen jV = 0 und N = oo hat, 
denn wenn die Grösse N aus Factoren zusammengesetzt ist, 
so giebt jeder Factor, gleich 0 oder oo gesetzt, die Gleichung 
einer Curve, welche Genüge leistet; denn es ist bekannt, 
dass oft mehrere Maxima und mehrere Minima statthaben 
können. Dies alles aber wird klarer werden bei den folgenden 
zu diesem Probleme gehörigen Beispielen. 

Beispiel I. lü. Die Curve zu finden, welche unter 
allen derselben Abscisse entsprechenden Curven das grösste 
oder kleinste 




X Ydx 



52 



Leonhard £uler. 



hat, wo X eine Function von x allein und Y von y allein 
bezeichnet. 

[Lösung: X--J- = 0]. 
ax 

Beispiel IL 17. Die Carve zu finden, welche unter 
allen derselben Abscisse entsprechenden Curven den grössten 
oder kleinsten Werth der Formel 

f — y') y dx 

besitzt. 

[Lösung: ax — 3 = 0]. 

Beispiel IIL 18. Die Curve zu finden, in welcher 
nnter allen auf dieselbe Abscisse bezogenen Curven der Werth 
der Formel 

1 5 a* .r* y — 1 5 ary 5 y' — 3 y*) dx 

am grössten oder kleinsten ist. 

[Lösung: [ax — y*) [ax -f- y* — a*) = 0]. 

Beispiel IV. 19. Unter allen derselben Abscisse ent- 
sprechenden Curven die zu bestimmen, in welcher die Formel 

^3 ax — 3 a;* — y'j {ax — x^ — \xy -|- y') dx 

den grössten oder kleinsten Werth hat. 

[Lösung: (y — ^) (y* — = 0]. 

Anmerkung. 20. Diese Probleme können auch durch 
die gewöhnliche Methode der Maxima und Minima gelöst 
werden. Denn wenn die Curve gesucht wird, in welcher für 

eine beliebige Abscisse der Werth von JZdx ein Maximum 
oder Minimum ist, so kann offenbar, sobald Z eine bestimmte 
Function von x und y x^i, JZdx kein Maximum oder Mini- 
mum sein, wenn es nicht das Element Z^dx, mithin auch Z 
selbst ist. Man genügt daher der Aufgabe, wenn man Z, bei 
constantem x differentiirt, und das Differential gleich Null 
«»etzt. Denn alsdann hat Z immer den grössten oder kleinsten 



YuiAtioiui-Jßeobnung. 



53 



Werth , also auch Zdx and f Zdx> Differentürt man aber 
die Function Z bei consfantem so ergiebt sich Ndy^ da 
wir ja allgemeiii das Differential dZ gleich Mdx -4- Ndy 
gesetzt haben. Man genügt also dnrch i\r= 0, nnd dies 
ist dieselbe LOsnng, welche die vorher dargelegt Methode 
eigab. 

Hiemach kannte es seheinen, als ob solche Anfgabta 
tLberhanpt in ihnlicher Art gelM werden können, wie bei 
der gewöhnlichen Methode der Maxtma nnd Minima. Dleis 
findet aber nnr statt, wenn Z eine Function von m und y 
allein ist, denn sobald in Z ansserdem die dnrch Differentiation 
entstandenen GiOssen p, r» . . . Torkommen^ dann kann 
die gewöhnliche Methode nichts mehr nütaen. W^nn man 
nimliidL die Function Z bei constantem x differentiirte» so 
wurden in das Differential die Differentiale dp^ dq, dr, . . . 
eintreten, deren Beziehung an dy man nicht kennt, nnd hier- 
ans Iftast sich keine Gleichnng herleiten, welche zur 6e3tim-> 
mang des Maximums oder Minimnms geeignet ist. In diesen 
FAUen also erkennt man die Ntttzliehkeit nnd Nothweiidigkeit 
unserer Methode. 

Aufgabe III. 21. Wenn Z eine bestimmte Fasetioa 
von X, ff und p ist, sodass man 

dZ s Mdx 4- Ndy + Pdp 

hat, soll man unter allen zu derselben Abscisse ge*« 

hörenden Cnrven die linden, in welcher fZdx ein 
Maximum oder Minimum ist. 

Lösung. Genügt die Carve amz, so denke man sich 
die Ordinate iVb » um das Stitckchen fw yermehrt. Dann 
muss der Differentialwerth der Formel fZdx oder, was das» 
selbe ist, yon Zdx + Z'dx + Z^dx + . . . Tcrmehrt um 
Z,dx 4- Z„dx + . . . gleich Knil sein. Man erhält nun den 

Differentialwerth der ganzen Grösse fZdx^ welcher von der 
Yerschiebang des Punktes n nach v herrührt, wenn man die 
Diflbrentialwerthe der einzelnen Glieder, soweit sie durch diese 
Yerschiebung geändert werden, sucht und in eine Summe ver- 
einigt. In Folge der Verschiebung des Punktes n nach v 
erieiden aber nur die Glieder dne Yerinderung, welche die 
Grössen ^, p und p' enthalten, also nur die Glieder Zdx 
und Zdx^ denn ebenso wie Z ausser T<m x auch von y und 



üiguizeü 



54 



Leonhard Euler. 



Warthe: -\- nv, -\- 



nv 

und r- 

ax 



schreiben. Aber ebenso 



p abhängt, ebenao ist Z' eine Function von y' und p' . Des» 
halb mu88 man diese Glieder difTcTentiiren, und in ihren Diffe- 
rentialen an Stelle von dy', dp und dp' die oben augegebenon 
nv 

dx 

wie dZ = Mdx -f Ndy -\- Pdp ist, bo ist dZ' = M'dx 

-\- N' dy' -\- P' dp' . Daher ist der DiflFerenfialwerÜJ von 

nv nv 
Z gleich P-j-, der von Z' gleich N'nv — P -j-, und der 
ax dx 

von Zdx 4- Z' dx, also auch von der ganzen Formel /Zdx, 

gleich : nv (P ->r N'dx — P'). Es ist aber P' — P = dP, 

und an Stelle von A" darf man iV' achreiben, woraus sich als 

Differential Werth orgiebt: nv [Ndx — dP). Da nun der 

Differentialwerth der Formel fZdx gleich Null gesetzt die 

Gleichung für die gesuchte Curve ergicbt, so erhält mau 

0 = Ndx — dP oder 

N j— = 0, 

dx 

und durch diese Gleichung wird die Natur dor gesuchten 
Carve ausgedrückt. Was zu finden war. 

Folgerung I. 22. Ist also Z eine Function von x nnd 
y und von ihren Differentialen dx uud dy oder an Stelle 
dieser Differentiale von p selbst, wobei dy = pdx ist, so hat 
das Differential von Z die Form 

dZ = Mdx + Ndy + Pdp, 

und hieraus findet man die Curve, in welcher fZdx ein Maxi- 
mum oder Minimum ist, wenn man die Gleichung bildet 

iV — = 0 oder Ndx = dP. 
dx 

Folgerung II. 23. Diese Gleichung ist immer eine 
Differentialgleichung zweiter Ordnung, ausser wenn p iü P 
gar nicht vorkommt. Deun wenn P die Grösse p cnt- 

d V 

hält, kommt dp in dP vor, was wegen p = Differentiale 

zweiter Ordnung mit sich biingt. 

Folgerung III. 24. Wenn also P in dem Differentiale 

dz = Mdx H- Ndy Pdp die Grösse p in sich fasst, 
so ist die Differentialgleichung fflr die gesuchte Curve zweiter 



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Yariatious-XiechDUQg. 



55 



Ordnung, und es treten zwei neue Constanten durch die Inte- 
j^iation ein. Znr Bestimmung der Constanten darf man zwei 
Oarvenpuukte vorsolireiben, denn sonst würde man moht eine, 
sondern nuzählig viele Curven erhalten. 

Folgerung IV, 25. Damit also Probleme der lietrach- 
teten Art in bestimmter Weise vorgelegt werden, mus3 man 
sie so aussprechen, dass durch zwei gegebene Punkte eine 
Curve gezogen werden soll, welche unter allen jiu h reu durch 
die beiden Punkte gezogenen Curven für dieselbe Abscisse x 

den Werth J Zdx zu einem Maximum oder Minimum maclit. 

Folgerung V. 20. In P kommt die Grösse p nicht 
vor, wenn Z eine Function von x und y allein ist mnltipli- 
oirt mit p oder -|- w, wo n eine Constante bedeutet. Ist 
nämlich V eine Function von x und y allein, sodass man 
dV ^ Mdx -H I^dy hat, und Z=:V[n+ p), so ist 

(» 4-/?) Mdx 4- (» Ndy 4- Vdp. 

Hieraas erhält mau als Gleichung für die gesuchte Gurre 

oder In -f- p) Ndx = dV= Mdx 4- Ndy, 

Folgerung VI. 27, In den Fällen also, wo Z gleich 
V [71 + p) und V eine Function von x und y aliein ist, er- 
hält man keine Differentialgleichung zweiter Ordnung, weil 
dp in ihr nicht vorkommt. Aber man kommt nicht einmal 
zu einer Differentialgleichung erster Ordnung, sondern zu 
einer algebraischen Gleichung. Denn da j)dx = dy ist, so 
ist in 4 p] -Sdx = nNdx 4 Ndy, und setzt man dies gleich 
Mdx 4 ^dyy so erhält man eine durch dx iheiibare Gleichung, 
nämlich n N ^ M, welche sogar algebraisch ist, wenn Feine 
algebraische Function wai'. 

Folgerung YU. 28. So oft dies eintritt, hat die 

Fonnei des lUzimnins oder Mimmnme fZdx die Gedtatt 

^f{Vhdx+Vdy) oder, weim maa » = 0 setzt, fVdy, Solche 
Formela des MaxianmiB oder MlBimiima ftlhreD also «ach zu 
einer bestimmten Gleiehnng für die geBncKte Gnrve, sodass 
man niebt einen oder mehrere Punkte Torschreiben darf» dnrob 
welebe die Gorre Mndurebgehea soll. 

Folgernng VIII. 29. Wenn also V eine Funefion von 
X und y ift, so Uast aioh die Formel des Maximums oder 

Misimnms fVdy in derselben Weise wie fVdx bebandeln. 



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56 



Loonlurd Euler. 



Denn setzt mu dV^ Mdz Ndy, so eBtsprioht der 
Fonnel fVdx die Currengleichung iV = 0, der formtl J'Vcly 
die QleichoQg M = 0. Hieraus ersieht man, dass die Co- 
ordinaten x und y mit einander rertanscht werden dOrfen. 

Anmerkung I. 30. So erhellt, dasa man bei der Lö- 
sung solcher Probleme, in denen eine Cnrve mit einem Maxi- 
mal- oder Minimal Werth der Formel JZdx gesucht wird, 
während Z eine Function von x, y und p ist, zn einer Diffe- 
rentialgleichuDg zweiter Ordnung gelangt, ausser wenn in Z 
die Grösse p nur in erster Dimensioa vorkommt. Oft aber 
lisst diese Differentialgleichung zweiter Ordnung eine Inte- 
gration zu, was man bei den einzelnen Fftllen nntersnchen 
muBS. 

Allgemein möge bemerkt werden, dass die Integration 
gelingt, wenn x in der Function Z nicht vorkommt, wenn 
also in dem Differentiale 

dZ = Mdx 4- Ndy 4- Pdp 

der Werth M verschwindet, sodass dZ gleich Ndy -\- Pdp 
wird. Denn die Gleichung fflr die gesuchte Curve lautet 
dP 

N -j— = 0. Multiplicirt man sie mit dy, so geht sie 

wegen dy = pdx über in die Gleichung Ndy — pdP= 0, 
welche mit 

Ndy 4- Pdp = Pdp pdP = dZ 

gleichbedeutend ist, und hieraus folgt durch Integration die 
Differentialgleichung erster Ordnung : 

Z-\- C=Pp. 

Sucht man also unter allen zu derselben Absoisse gehörenden 

Curven die, in welcher der Werth der Formel JZdx am 
grOssten oder kleinsten ist, nnd ist Z nur eine Function von 
y und p, sodass sich dZ = Ndy + Pdp ergiebt, dann kann 
man ftlr die gesuchte Cnrve sogleich die Differentialgleichung 
erster Ordnung Z -\- C = Pp angeben. 

Ist femer Z eine Fnnotion von x und p allein, und 
dZ = Mdx -\- Pdp, während das Glied Ndy verschwindet, 
so ergiebt sich ebenfalls fttr die Cnrve eine Differential- 
gleichung erster Ordnung. Denn ans dP = 0 folgt P = C, 
was fdr die gesuchte Carve nur eine Differentuügleiehuüg 



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Yj^riationA-Bechnuxig. 



57 



erster Ordnung ergiebt. Wenn ansserdem noch M ver- 
schwindet nnd Z eine Fnnction von p allein, also äZ=Pdp 
ist, lässt sich die gefundene Gleicluing P~ C nmwandeln 
in Pdp = Cdp = dz, woraus duicli abermalige Integration 
Z -\- D = Cp folgt. In diesem Falle aber ergiebt jede der 
beiden Gleichungen P = C und Z D — Cp, weil Z und 
P Functionen von p allein sind, für p einen constauteu Worth 
und also eine Gleichung dy = ndx, welciie anzeigt, daas 
dem Probleme beliebig gezogene gerade Linien genügen. 
Denn da O in der Gleichung P =s C eine willkürliche Con- 
stante ist, fallt auch der Werth von p nicht bloss constant, 
sondern sogar wiilktlrlich ans, sodass sich jede beliebige 
Gerade ergiebt. Wenn man daher durch zwei gegebene 

Punkte eine Curve ziehen soll, für welche j'Zdx ein Maxi- 
mum oder Minimum ist, während Z bloss von /; abhängt, so 
genügt die durch die beiden Punkte gezogene gerade Linie. 

Anmerkung II. 31. Schon oben sahen wir, da^s man 
bei Problemen dieser Art die Coordinaten x und y miteinander 
vertauschen darf und, wenn es bequem erscheint, die Ordi- 
nate y als Abscisse bebandelt werden kann. Dasselbe lässt 
sich aber auch in diesem Falle bekräftigen. Es sei also die 

Curve zu ermitteln, !n welcher J Zdy ein Maximum oder Mini- 
mum sein soll, während Z eine Function von y und p und 

dZ =^ Mdsü + Ndy + Pdp 

ist. Diese Formel Usst sich auf unaerü alte zurückfuhreu 
und wird dann fZpdx\ dabei ist 

d(Zp) s Mpdx + Npdy + + Pp)dp. 

Daher ist der Differentialwerth der vorgelegten Formel 
(Npdx ^dZ— Pdp —pdPjnp 

oder 

{— Mdx — 2 Pdp — pdP) nv, 
und die Gleiehiiog fbr die gesnehte Gnrve iit 

0 = — Mdx — 2 Pdp — pdp 

oder 

0 = — Mdy — d[Pp\ 
Setien wir nun, um die ÄhnUehkeit la leiges, weil wir hier 

y als Abäciäse betrachten, dx =^ 7t dy^ so ist p ^ — , 



üiguizeü by Google 



58 



r Leonhard Euler. 



C? 7t 

dp= 1- = — p^dity und, wenn man 11= — Pp' setzt, 

tu 

dZ = Mdx -h Ndy — Pp^dn = Mdx + Ndy + Udn, 

sodass die Ähnlichkeit der Glieder erhalten bleibt. Deshalb 
ist die Curvengleichung 

0 = — Mdy 4- dU-, 

eine Gleichung, welche auch hervorgegangen wäre, wenn man 

in der Formel fZdy die Ordinate y in die Abscisse und 
umgekehrt die Abscisse in die Ordinate verwandelt hätte. 
Ist also irgend eine unbestimmte Formel vorgelegt, welche aus 
X, y und deren Differentialen zusammengesetzt ist, und soll 
diese ein Maximum oder Minimum sein, so darf man jede der 
beiden Coordinaten x und y nach Belieben als Abscisse an- 
sehen und ihr das Maximum oder Minimum anpassen. 

Beispiel I. 32. Unter allen auf dieselbe Abscisse 
bezogenen Curven soll man die bestimmen, in welcher 



ßzdx+[Z]dy) 



ein Maximum oder Minimum ist, während Z und [Z] 
Functionen von x und y bedeuten, so dass 

dZ = Mdx + Ndy, d[Z] = [M] dx + [N] dy 

wird. 

Um diese Formel 

J [Zdx + [Z]dy) 

auf die angenommene Form zn bringen, setze mau dy = pdx. 
Man erhält dann die Formel 



f[Z^p[Z]]dx, 



welche zu einem Maximum oder Minimum gemacht werden 
soll. Differentiirt man also Z -\- [Z]p, so wird das Differential: 

Mdx + Ndy + [M]pdx + [N]pdy + [Z]dp. 

Nach der gefundenen Regel geht hieraus für die ge- 
suchte Curve die Gleichung hervor; 



0 = (iV^4- 
= + 



N]p] dx — d\Z\ 

N]p) dx — [M] dx — [N]dy, 



Yvistiona-BechnuDg. 



59 



und diese ergiebt wegen [N]pdx = [N]dy nach Division mit 
dz für die gesuchte Curve die algebraische oder doch endliche 
Gleichung: 



bestimmbar oder das Diflerential Zdz -\- [Z]di/ so beschaffen 
gewesen wäre, dass es die Integration zalässt, so würde der 
Aufgabe keine Linie genügt haben oder besser : alle hatten es 
in gleicher Weise gethan. Denn wenn Zdx -\- [Z]äy inte- 
grabel ist, so hat man ron selbst N=[31], wie wir an 
anderer Stelle für die bestimmbaren Differentialformeln von 
zwei Veränderlichen bewiesen haben, und daher geht in diesen 
Fällen die identische Gleichung 0 = 0 hervor. Hieraus er- 
kennt man deutlich, dass, wie wir schon oben bemerkten, 
die Formel des Maximums oder Minimums nichtbestimmbar 
sein mnss, denn sonst würden alle Curven in gleicher Weise 
genügen. 

Beispiel II. 33. Unter allen auf dieselbe Ab- 
scisse bezogenen Cnrven die zu bestimmen, deren 
Länge am kleinsten ist, oder in welcher 



ein Minimum ist. 

Zunächst ist klar, dass es bei dieser Aufgabe kein Maxi- 
mum giebt, da man bei festgehaltener Abscisse die Länge der 
Linien ins Unendliche vermehren kann. Daher hat nur ein 
Minimum statt, was aus der elementaren Geometrie bekannt 
ist, in welcher bewiesen wird, dass die gerade Linie gegen- 
über allen anderen Linien mit denselben Endpunkten am 
kürzesten ist. Es schien aber gut dieses Beispiel beizu- 
bringen, damit man die Übereinstimmung unserer Methodr^ 
mit einer bekannten Wahrheit siebt, und auch, damit mau 
die Einführung der beiden Punkte, welche man Aufgaben 
dieser Art hinzufügen muss, besser vorsteht. Es wird also, 

wenn man die Formel J'dx Vi -|- />* mit der allgemeinen 



«der N = [3f] 



N— [M] = 0 
Wenn also die vorgelegte Formel 





JZdx vergleicht, j 



60 



Leonhard Eoler» 



und 
wonuis 

if= 0, N= 0, P= -^4= 

folgt Ds film lUgemeifi f&r die gesuchte CnrTe 

N T— = 0 

ist, 80 wird in diesem Fmlie dP^ 0 uid daher 

P Ä — ^ = const.« 

iroraiB 

p s eonst. SB II 

oder 

entsteht, und hiemus eigiebi sidi doreh abmalige Inlegimtion: 

y =s a + 

Bs ist also nicht nur Uar, dass die gesachte Linie eine gerade 
ist, sondern aach wegen der beiden willkfirlichen Constanten, 
dasa es eine beliebig gezogene Gerade ist. Wenn man daher 
durch swei gegebene Punkte die kürzeste Linie ziehen soll, 
so ist ea die gerade. Anf ihnliehe Art aber erkennt man, 

dasSy wenn die Cinrre gefunden werden soll, in welcher fZdx 
ein Maxirnnm oder ICnimnm sein soll« wo Z «ne Fanetion 
▼on p allein ist, dasa dann mar die gerade Linie genflgt, wie 
wir schon oben bemerkten. 

Beispiel m. 34. Unter allen anf dieselbe Ab- 
scisse beaogenen Curven die an bestimmen , in weleber 



ein Mazimnm oder Minimum ist. 

Diese Formel sntstehtt wenn man bei der Annahme einer 
l^hftrmigen Gravitation nach der Linie des schndtetwa Fallm 



üiyiiizea by Google 



Variations-Rechnaog. 81 

fragt und dabei die Absoissenaxe verücal annimmt^'). Es 
ist also 

Z = ^^ 
Vx 

und 



2 xVx Vx [\ -!-/>•) 
mithin wird: 



M N=0. P = 



2xyx Vx{l + p*) 

Da nun die gesuchte Carve durch die Gleichung 

N r- = 0 

dx 

ausgedrtickt wird, so ist 

dP=0, 

und also 

P _ i 
Yx (1 H- />«) Vä' 

wo a eine Constante bedeutet. Hieraus ergiebt sich 

a/>' — x -\- p*x 



and 



oder 



Diese Gleichung zeigt an, dass die gesuchte Curve eine Cy- 
cloide mit horizontaler Basis ist, deren Spitze im oberen Theile 
der Axc liegt; eine solche Curve lässt sich stets durch zwei 
beliebig gegebene Punkte legen. 

Beispiel IV. 35. Unter allen auf dieselbe Ab- 
scisse bezogenen Curven die zu bestimmen, in welcher 



ein Maximum oder Minimum ist. 



ß 



G2 Leonhard Euler. 

Ist diese Formel vorgelegt, so ist 



y^p dp 



2/> 



und 

dZ = ny*»-' dy Vi 4- -|- 

V\-\-p* 

sodass 

M =0, N= ny"^-^ dy V I -f- o*, P = 

Vi 

wird. 

Da also M=0 ist, erhält man sogleich nach § 30 die 
bereits einmal integrirte Gleichung; 

Z+C=Pp, 
welche in unserem Falle: 

yn VI + ^;ian ^ y P _ 

wird. Setzt man die Constante a = 0, so geht \ p^ = p^ 
oder p = 00 hervor, und es genügt eine zur Axe senkrechte 
Gerade. Allgemein aber findet man die Curven, welche Ge- 
nüge leisten, aus der Gleichung: 



oder 

Hieraus folgt 
un(^ 



y"^ -\- md^W = 0 



^ dx ma^ 
C ma^^dy 

die Curve lässt sich daher durch zwei gegebene Punkte legen 
Ist 7J = — ^, sodass 



ein Maximum oder Minimum sein muss, so muss gleichfalls 
die auf eine horizontale Axe bezogene Brachistochrone hervor- 
gehen, und es ist für sie 



yariatioj^s-EeelmuDg. 



eine Gleichung, die mit der vorhergehenden identisch wird, 
wenn die Coordinaten x und y unter sich vertansclit werden. 
Es i^^t f\ho wie vorher die Curve, welche genügt, eine Cy- 
cloide, weiche dnrch Wälznng auf einer horizontalen B.i>is 
entstanden ist, und eine solche kann man durch zwei beliebig 
gegebene Punlcte ziehen. 

Beispiel V. 36. Unter allen zu derselben Abscisae 
gehörenden Oarven die za bestimmen, in welcher 



ein Maximum oder Minimum ist^^). 

Mittels der Substitution dy=pdx geht diese Formel 
in die gewohnte Gestalt: 



Aber. Man findet sie bei der Frage nach dem Rotations- 
körper, welcher in der Richtung seiner Aze in einer Fitissig- 
keit bewegt den geringsten Widerstand erleidet, denn in diesem 

Falle nimmt man den Widerstand als proportional J-^ ^ 



CVP^dx 
oaeYjY^, — ; an. £s ist also: 



und 



2; ^ yp' 

p'^^y _^ ydp (3;?* + 



sodass 

Wird. Da also M = 0 ist, gelingt allgemein eine Integraiioni 
und die Gleichung für die gesuchte Ourve ist: 



üiguizeü by 



$4 Leonhard Ealer. 

oder: 

y/»' , ,_ />'y(34-;>') 

woraua mao 

a(l = 2;>'y 

findet. Die Entwickelang dieser Gleichung lässt sich nicht 
so anatellen, dass man p eliminirt, vielmehr ist es zweck- 
mässig, die Cuurdinaten x und y beide durch dieselbe Ver- 
änderliche p auszudrücken. Zunächst ist 

(1 -f-/>V 
^ 2p^ ' 

dann bat man wegen dy = pdx umgekehrt dx = und 

j p p *^ p 

Wird nun an Stelle von y der gefundene Werth gesetzt, so 
geht hervor: 

^ _ a(l +p^Y ^ ^ JdpW 



2 p* ' J 2p^ 



aus diesen Gleichungen kann man mit Hilfe von Logarithmen 
die Curve construiren. 

Beispiel VI. 37. Die Curve zu finden, in welcher 
die Formel: 



Jyz dxVl -\-p* 



ein Maximum oder Minimum ist. 

[ICs ergiebt sich die Differentialgleichung: 

yxdp 



xdx — ydy = 

welche sich nicht in geschlossener Form integriren lässt.] 
Beispiel VII. 38. Die Curve zu finden, in welcher 



ß 



ein Maximum oder Minimum ist. 



Google 



Variations-Rechnung. 



6S 



[Lösung: | = ^,(A.arc.,^) = r, 

Anmerkung III. 39. Wenn man also unter allen zu 
derselben Abscisse gehörenden Curven die finden soll , in 
welcher fZdx ein Maximum oder Minimum ist, während Z 
von 2, y und p abhängt und 

dZ = Mdx + Ndy + Pdp 
ist, 80 erhalt man für die gesuchte Cnrve die Gleichung 

N -r- = Q. 

dx 

Nun bemerkten wir bei der vorhergehenden Aufgabe, wo 
Z eine Function von x und y allein war, daaa man die 
Lösung mittelst der gewöhnlichen Methode der Maxima und 
Minima erhalten könne, denn damit fZdx ein Maximum oder 
Minimum ist, muss es auch Zdx und daher auch Z selbst in 
Beziehnng auf x sein, und deshalb ergiebt sich die Gleichung 
der Curve, wenn man das UifTerential von Z bei constantem 
X gleich Null setzt. Eine äbnlicho Methode würde bei dem 
gegenwärtigen Probleme zum Ziele führen, wenn nur in dem 
bei constantem x genommenen Differentiale von Z, nämlich 
Ndy -\- Pdp, die Beziehung zwischen dy und dp bekannt 
wäre, sodass man durch dy dividiren und den endlichen Werth 
ermitteln könnte, welcher gleich Null zu setzen ist. Während 
man nun jene Beziehung zwischen dy und dp, ohne welche 
sich die gewöhnliche Methode der Maxima und Minima nicht 
anwenden lässt, a priori nicht bestimmen kann, läast sie sich 
doch a posteriori angeben; weil nämlich für die gesuchte Curve 
die Gleichung: 

N T- S= 0 

dx 

gefunden wurde, erkennt man, duss sie aus der Gleichung 

dp 

Ndy -f- Pdp oder N -jr P gleich Null horvorgegangon 



vftre, wenn man: 



Ostwmld'i KUfilk«r. 4«. 



dp /'dp 
dx dl/ 



55 Leonhard E^ler. 

oder wegen dy = pdx : 

P 

festgesetzt hätte. 

Jene Beziehung zwischen den Differentialen dy und dp 
ist daher so beschaffen, dass sie durch die Gleichung 

pdP + Pdp = 0 

ausgedrückt wird, welche besagt, dass Pp als constant be- 
trachtet werden soll. Hieraus ergiebt sich folgende Regel 
zur Lösung von Problemen, bei welchen man nach der Curve 

mit einem Maximum oder Minimum von fZdx fragt, wo 

dZ = Mdx + Ndy + Pdp 

ist: man differentiire Z, setze in dem Differentiale Mdx 
•■\-Ndy-\-Pdp an Stelle von Mdx Null, lasse Ndy unverändert 
und schreibe — pdP statt Pdp ; was herauskommt setze man 
gleich Null. Denn auf diese Weise erhält man 

Ndy —pdP= 0, 

eine Gleichung, welche wegen dy=pdx genau in die ge- 
fundene 

N = ^ 

ax 

übergeht. Man vermisst daher noch eine Methode, welche 
unabhängig ist von der geometrischen Lösung und erkennen 
lässt, dass bei einer solchen Ermittelung eines Maximums 
oder Minimums an Stelle von Pdp geschrieben werden darf 

Aufgabe IV. 40. Wenn Z eine Function von x, 
p und q ist, sodass man 

dZ = Mdx -f- Ndy + Pdp -f- Qdq 

hat, soll man unter allen zu derselben Abscisse ge- 
hörenden Curven die finden, in welcher fZdx ein 
Maximum oder Minimum ist. 

Lösung. Der Werth der Integral formel^/Zf/a: lässt sich 
in die beiden Reihen Zdx -\- Z' dx -\- Z' dx •\- . . . und Z,dx 
-|- Z„dx 4- Z,„dx -\- . . . entwickeln, deren Summe ein Maxi- 
mum oder Minimum ist, wenn die Differential werthe der ein- 
zelnen Glieder, die von der Vermehrung der Ordinate y um 



Yariatioits-BechnaDg. 



67 



das Stückchen nv herrühren, gesammelt und gleich Null ge- 
setzt werden. Durch einen solchen Zuwachs der Ordinate y' 
erleiden aber mir die Buchstaben y'\ p, p\ q,, q, q eine 
Änderung und daher auch nur die Glieder, in welchen diese 
Buchstaben vorkommen, nämlich Z,dx, Zdx nrui Z'dx. Um 
die Änderungen dieser Glieder, welche aus der Verschiebuno- 
des Punktes 71 nach v hervorgehen, zu finden, hat man sie 
2a differentiiren und erhält: 



d(Zdx) = dz [Mdx + irdt/'\' Pdp'-^- ffrfj'), 
d{Zdx) s= dx (Mdx -h Ndy + Pdp + Q^)j 
d{Z,dx) s= dx {M,dx + N,dy,+ P,dp,+ Q,dq,). 



Nun ist, weil die Abscisse x durch jene Verscliiebuug nicht 
geändert wird, überall dx = 0 zu setzen. Für die übrigen 
Differentialwerthe aber erhält mau nach der ersten Aufgabe 
dieses Kapitels: 

dy^ + nv dp^^-j- dq'^-^ 



dx ^ dx 

dy,= 0 dp,^ 0 dq,= +-^. 

Setzt man diese Werthe der durch nv ausgedrückten Diffe- 
reniiaie ein, so geht folgender Differentialwerth hervor: 



nv * dx 



-»'■*(*-^+^r). 

weil d*Q^ ^d^Q ist. Deshalb erhält man (tir die gesuchte 
Onm die Qleichniig: 

dP d^Q 
dx dx* 

^^m^ WMF 

Was zn finden war. 

Folgerang I. 41. Wenn also in der Formel des Maxi- 
mums oder ICinImnms aneh noeh Differentiale zweiter OrdfiiiDg 
vorkommen, oder was dasselbe ist, wenn Z eine Function tou 
X, y, p und q ist, sodass man 

5» 



üigiiizeü by 



08 



Leonhard Euler. 



dZ= Mdx + Ndy + Pdp Qdq 
hat, 80 ist die Gleichung fttr die gesuchte Curve; 

man kann sie leicht aus dem DüTercntiale von Z bilden. 

Folgerung II. 12. Wenn oder das zweite Differential 
von y, in Q vorkommt, dann enthält * Q Differentiale vierter 
Ordnung, und von dieser Art ist die Gleichung, welche man 
fttr die Curve findet. Die Curve kann daher durch vier ge- 
gebene Punkte gezogen werden. 

Folgerung III. 43. Wenn also Q die Grösse q ent- 
halt, ist das Problem, damit es ein bestimmtes wird, so vor- 
zulegen, dass unter allen durch vier gegebene Punkte ge- 
zogenen Curveu diejenige ermittelt werden soll, fttr welche 
JZdx ein Maximum oder Minimum ist. 

Anmerkung I. 44. Nehmen wir an, dass 7 in Q nicht 
enthalten sei. und untersuchen wir, von welcher Ordnung die 
resnUirende Differentialgleichung ist. Dies tritt ein, wenn die 
vorgelegte Formol des Maximums oder Minimums yZ5(/2: ist, 
wo Z eine Function von Xy y und p allein bedeutet, sodass 
dZ = Mdx -\- ^dy -f- Pdp wird. Hieraus folgt: 

d{Zq) = Mqdx -h Nqdy -h Pqdp -f- Zdq, 

woraus sich fflr die gesuchte Curve die Gleichung ergiebt: 



oder 



oder 



dMdx -h dNdy + üPdp + Nd*y -f- Pd*p 

dx^ 

0 = 2 Ndp + dM -h pdN\ 



eine Gleichung, welche gleichbedeutend ist mit einer Diffe- 
rentlalgleichung zweiter Ordnung, weil dp = darin vor- 
kommt. 



Variationa-Rechnung. 69 

Wenn man also eine Carve wünscht, in welcher f Z g dx 
ein Maximum oder Minimum sein soll, während Z eine Functioa 
von X, y und p und dZ = Mdx + Ndy -f- Pdp ist, so 
erhält man für die gesuchte Cnrve die Gleichung: 

0 = dM + 2 Ndp -f- pdN. 

Folgerung IV. 45. Um zu der gefundenen Gleichung 

zurückzukehren, so wird sie offenbar allgemein int«grabel, 
wenn iV= 0 ist, wenn also y in Z nicht vorkommt, denn 
durch Integration geht hervor: 

dz 

Ist ausserdem P = 0 , so gelingt eine zweite Integratiou, 
durch welche 

+ Z> — Q = 0 

hervorgeht. 

Folgerung V. 46. Ist iJf = 0, ao gelingt gleichfalls 
allgemein eine Integration. Es ist nämlich ^ 

dZ = Ndy + Pdp + Q(^q- 
Multiplicirt man nun die Gleichung 

dP d*Q 

mit dy oder pdx, wodurch man 

d*Q 

Ndy—pdP + p-^ = 0 

erhält, und addirt dazu 

dZ — Ndy — Pdp — Qdq = 0, 

so entsteht: 

dZ—pdP — Pdp-{-p,^—Qdq = 0, \ 

wovon 

Z^Pp+p^-Qq=C 

das Integral ist. 



r 



70 



Leonhard Euler. 



Folgerung VI. 47. Ist M = 0 uöd N=0, bo ist 
Enniichst wegen N = 0 wie oben: 

c-p + ^° = o. 

ax 

Nun ist dZ=Pdp-{- Qdq. Multiplicirt man daber jene 
Gleichung mit dp oder qdx^ wodurch man 

Cdp — Pdp -{-(jdQ = 0 

erhält, und addirt Pdp -{-Qdq — dZ = 0, so geht hervor: 

Cdp + Qdq + qdQ — dZ=0, 

wovon 

das Integral ist. 

Anmerkung II. 48. Wenn man den Zusammenhang 
der Gleichung für die gesachte Curve, für welche fZdx den 
grössten oder kleinsten Werth hat, mit dem Differentiale von 
Z ins Auge fasst, so kann man eine Beziehung zwischen den 
Ditferentialen dy, dp und dq bestimmen , vermöge deren daa 
Differential von Z gleich Null gesetzt gerade die Gleichung 
für die gesuchte Curve ergiebt. Es ist n&mlich 

dZ = Mdx -f Ndy -f- Pdp + Qdq. 
Vergleicht man hiermit die Curvengleichung: 

dP . rf«Q 
^-^ + -^ = «' 

oder besser diese Gleichung multiplicirt mit dy = pdx: 

Ndy —pdP-\- p^ = Q, 

so erhellt, dass man in dem Differentiale von Z an Stelle von 
M dx Null schreiben , das Glied 2^dy unverändert lassen, 
• — pdP statt P<//> schreiben, und an Stelle von Qdq endlich 
d^Q 

p setzen muss. Aber da dies a priori nicht klar ist, 

dürfte es vorzuziehen sein, die Form der gefundenen Gleichung 
beizubehalten, die man ja leicht im Gedächtniss behalten kann. 
Übrigens ist zu bemerken, dass die hierher gehörenden Auf- 
gaben völlig neu und noch nicht von denen behandelt sind, 
welche sonst Aber diesen Gegenstand geschrieben haben. 



' by Google 



VariaUonA-BechBiing; 



71 



Sonst pflegten nämlich die Scbriftsteller nur solche Formeln 
des Maximums oder Minimums zu betracliten. in welchen 
höchstens die ersten Differentiale der Coordinaten enthalten 
waren. Deshalb wird es sich verlohnen, die Beschaffenheit 
dieser Probieme genau zu erforschen und besonders zu zeigen, 
wie die Curven, welche Genüge leisten, zu ihrer Bestimmung 
vier Punkte zulassen. Zu diesem Zweck schien es gut, die 
folgenden Beispiele hinzuzufügen und bei den einzelnen anza- 
geben, was zur Erläuterung beitragen kann. 

Beispiel L 49, Die Carve zu findeUi iu welcher 



ein Maximum oder Minimum ist. 

Lösung nach § 44 führt auf die Differentialgleichung 
zweiter Ordnung: 

0 = m (»I + 1) y'^dy — 2 innxypdy 4* » — 1) X^p*^dy 
4- mxy^dp -|- nx^ypdp.\ 

Anmerkung III. 50, Hier kann der Grand angegeben 
werden, waram HAsAm Angaben, bei denen 



Jzqdx 



ein Maximum oder Minimum sein soll, nur auf Differential<* 

gleichungen zweiter Ordnung fähren und daher besser den 
Aufgaben des vorhergehenden Problems zuzurechnen sind, 
wenn Z eine Function von y und p ist. Durch Reduetion 

der Integrale läaai tieh Dämlich die WomAfZqdx oder 



Zd'y 
dx 



anf die Form bringen: 



Y+ Jvdx, 



wo Y und V Functionen von x, y und p allein sind, welche 
q nicht mehr enthalten. Da nun Y eine absolute Grösse ist 

und daher bei der Aufsuchung des Maximums oder Minimums 

gleichgültig bleibt, wird die Formel fZqdx ein Maximum oder 
Mioimnm, wenn es fVdse wird, sodaBs solehe FotmeünfZqdx 



72 



Leonhard Euler. 



sich auf das vorhergehende Problem zurückführen lassen ; da- 
her ist es nicht wunderbar, dass man für die Curven, welche 
Genüge leisten, nur eine Differentialgleichung zweiter Ordnung 
findet. Damit man aber die erwähnte Keduction der Formel 
J'Zqdx oder fZdp auf Y -f- fVdx besser versteht, nehmeo 
wir an, es sei Y eine Function von x, y und p und 

dY = Q dx -\- a dy -\- t dp = (()-{- a p) dx -\- tdp. 
Dann ist in Folge der Gleichheit von fZdp und Y fVdx: 

Zdp = -|- ap) dx r dp + Vdx, 
woraus man schliesst, dass: - ) 

X SS Z, V = — Q — ap 

sein muss. Daher wird diese Reduction folgendermaassen 
vorgenommen. Man integrire die Formel Zdp bei constantem 
X und y : das Integral ist eine Function von x , y und p, 
welche Y heisse. Hierauf dilTerentiire man diese Function Y 
bei constantem p. Dann giebt dies Differential negativ ge- 
nommen Vdx, und V ist eine Function von x, y und p, welche 
q nicht enthält. So oft also eine solche YorvacX fZdp zu 
einem Maximum oder Minimum gemacht werden soll, und Z 
eine Function von x, y und p allein ist, so oft lässt sich die 
Aufgabe, obwohl sie zu dem gegenwärtig behandelten Pro- 
bleme zu gehören scheint, doch sofort auf das vorhergehende 
Problem zurückführen. — 

Beispiel II. 51. Die Curve ^/n zu finden, welche 
mit ihrer Evolute Alt und dem Krümmungsradius mR 
an jeder Stelle den kleinsten Raum ARm einschliesst. 

Setzt man die Abscisse AM = x, die Ordinate Mm = y, 
so ist der Krümmungsradius 

9 

die Area ARm aber gleich 

ß mR ■ dx y l -t- />• , 

sodass die Formel: 

j(i +prd^ 



Google 



VariatioQS-BechnUDg. 
ein Minimnm sein mass. £s ist daher 



73 



und 



9 





9 ff* 

wird. Da nnn 3/= 0 und iV = 0 ist, so hat man, nach 
Foigernng VI, als Gleichung fOr die geanchte CiUTe: 



oder 



daa heiaat 



9 ff 



t4 Leonhard Ealer. 

Da ferner dp = qdx oder q =~ ist, so erhalt man 



1 + P*i* ^ 



wovon das Integral ist: 

a-{- bp dp 

Indem man die Constanten geeignet verändert, bat man also 

X = ^ + b arctg;>. 

Weil ferner dy = pdx ist, wird 
= Jpdx = — Jzdp 

ap-\-bp^+cp' ra+bp-\-cp'^ f 

= 1 4-^« + ^^Z' —7 — r+ ^ dp — bjdp arc tg;> 

_ a;> -f- Ä/)* + r/j* /^{a + r/>'j dp 

" 1 4- />« J ' 

da 

J Jp arc tg /) = Ä/) arc tg /> — bj ^^^^ 

ist. Hieraus folgt: 

^ , ap + bp* + cp* 
y=f + i + — o) arc tgp — cp 

f -\- {a — c) p {b /} p* , , . ^ 
= 1+7^^ arc tgp. 

Hiermit sind die Werthe von x und y ausgedrückt dnrcb p 
gefunden, and es kann somit die gesuchte Curve durch vier 
gegebono Punkte gezogen und construirt werden. Um aber 
die Beschaffenheit der Curve zu erkennen, eliminire man arctg p. 
Es ist: 



^ Google 



VariatioDs-RechniiDg. 76 

<iTOtgp=J _5_=__ j—; , 

und daher: 

- ac— a«— 6/-h2i:c— a)o4-(c»— öc— J«— Ä/iö* 
(c—a)x-hi/= ^ 

Da sich aber die Carve nicht ändert, wenn die Coordinaten 
um eine coDstante Grösse vermehrt oder yermindert werden, 
so ist 

f. b*^(c-aY + 2b{c-a)p 
[c — a)x-by^ __ , 

und wenn noch a an Stelle von c — a gesetzt wird : 

b* — -\- 2 abp 
ax-by = . 

Zieht man jetzt die Ck>nstante ab, so ist 



— a* -I- 2 abp — «» 

«^-^y — 



und daher 



^rl bp — a 

Vby — az = — ^ . 

Setzt man den Curvenbogen gleich to, so ist 



dw = dxy\-\- />», 

wodurch die Gleichung 

- bdy — adx 

dw — —- 

yby — az 

zum Vorschein kommt. Folglich ist 

w = 2 Vby — ax. 

Da nun by — ax das Vielfache einer Abscisse auf einer 
anderen festen Axe ist, welcher immer noch das Quadrat 
des Bogens entspricht, so erkennt man, dass die gesuchte 
Curve eine Cycloide ist, welche durch vier gegebene Punkte 
bestimmt wird und unt«r allen durch die vier Punkte gc 
zogenen Curven mit ihrer Evolute den kleinsten Raum ein- 
schliesst. Dieser Schluss wurde deshalb so schwierig, weil 



76 



Leonhard Euler. 



die Cycloide der Aufgabe genügt . wenn man irgend eine 
Gerade als Axe annimmt, während die Gleichung ftlr eine 
beliebige Axe ziemlich verwickelt ist. Hätten wir aber a oder 
b gleich Null gesetzt, wodurch die Allgemeinheit der Lösung 
nicht beschränkt worden wäre , so wttrde die Gleichung ftlr 
die Cycloide sofort hervorgegangen sein 2"]. 

Beispiel III. 52. Die Curve zu finden, in welcher 



ein Maximum oder Minimum ist, wobei q den Rräm- 
mungsradius und to das Bogonelement der Curve be- 
zeichnet. 

[LOauug nach § 47: 

{/ (i -hp^r^-'^-^ 

Beispiel IV. 53. Die Curve zu finden, in welcher 
der Werth der Formel: 



/y dy dz* 



am kleinsten ist. 

[Lösung nach § 46: 

adp _ dy^ _ "^ydq 
p- q q* 

eine Differentialgleichung, die sich in geschlossener Form nicht 
integriren lägst. J 

Beispiel V. 54. Die Curve zu finden, in welcher 
der Werth der Formel 



q'^dz 

oder 



dz'"-* 

am kleinsten oder grössten ist. 



f. 



^ Google 



VariatioDS-Rechnunj^. 



77 



[Lösung: 

y = {aX -\- ß] (2»-l):("-«) ^yx-\-d.] 

Beispiel VI. 55. Die Curye zu finden, in welcher 

/X pdz 
t/9 

am grössten oder kleinsten ist. 

[Losung; eine Differentialgleichung vierter Ordnung; das 
Beispiel soll zeigen, dass die in § 44 — 47 auseinandergesetzten 
Zurück ftlhrungen auf Differentialgleichungen niedrigerer Ord- 
nung nicht immer möglich sind.] 

Aufgabe V. 56. Die Curve zu finden, in welcher 
der Werth von fZdx am grössten oder kleinsten ist, 
wenn Z eine Function ist, die Differentiale belie- 
biger Ordnung in sich schliesst, sodass man bat: 
dZ=Mdx H- Ndy + Pdp -\- Qdq •\- Rdr-\-Sds-\- Tdt + . . . 

Lösung. Da die Verschiebung des Punktes n nach v 
die vorhergehenden Elemente mehr als die folgenden beein- 
flnsst, — denn nur das eine folgende Element wird dadurch 
beeinflusst, während ihre Wirkung auf die vorliergebendeu 
sich um so weiter erstreckt, je höher die Ordnung der vor- 




handenen Differentiale ist — deshalb ist es vortheilbaft, eine 
vorhergehende Ordinate, etwa llh, als erste anzuuebmen, so- 
dass die Änderung, welche von der Hinzufdgung des Sttlck- 
chens nv zvl der Ordinate Nn herrührt, sich nicht über Hh 
hinaus bemerkbar macht ; das geschieht, v;cnn die Differentiale 
in Z nicht Uber die sechste Ordnung aufsteigen. Es genügt 



78 



Leonhard Etiler. 



aber den Werth von dZ bis zum Oliede Tdt zu erstrecken, 
weil ans der Löanng fOr diesen Fall leicht erschlossen wird, 
wie sie sich bei der Anwesenheit von beliebig vielen Gliedern 
gestaltet. Da fibrigens die vorliegende Aufgabe alle vorher- 
gehenden in sich enthält, so wird man immer dieselbe Lösung 
erhalten, welche Ordinate man auch um ein unendlich kleines 
Stückchen«»' vermehrt. Es sei &hQAH = x nni Hh — y. 
Den einzelnen Punkten der Abscisse I, K, L, 3/, N, O,. . . 
entsprechen dann folgende Werthe der Buchstaben p,q,r,s,t,... : 



IT 


y . 
y' . 


p > 


9 - 
?' . 




s , 


t 


I 


p' . 




s' . 


t' 


K 


y" , 


p\ 


it 
H ' 


» 

r , 


tt 

s , 


t" 


L 


y'". 


p"\ 


ni 

9 ' 




in 
s , 


i" 


M 


y'^ 
: y^ 


y^ 




r". 






N 




9^ 


r^ 







Diese einzelnen Werthe erleiden in Folge der Verschiebung 
von n nach v folgende Änderungen, wie sich aus dem ersten 
Lehrsätze bei geeigneter Veränderung der Zeichen ergiebt: 



dy 
dp 
dq 

dr 

ds 

dt 

dy" 
dp"' 

dq" 
dr"' 

ds" 

dr 



0 
0 
0 

0 

= 0 

= -1- 

= 0 
= 0 

= 4- 



71 V 



nv 



3 n V 

6 n V 
~dx*~ 
lOnv 



dy 
dp' 
dg' 
dr' 

ds' 

dt' 

dy'^' 
dp"-. 

dq"-. 

dr"": 

ds" : 
dl'" 



= 0 

= 0 
= 0 

= 0 

= + 



nv 

hnv 




0 



= + 



nv 

dx 
2nv 
1^ 
3nv 

4 nv 
"dz*" 
hnv 
1^ 



dy' = -\- nv 

1 V "V 

= —di 

nv 

~d^ 
nv 



dq'= + 
dr''= — 



nv 
Ix* 
nv 
d^ 



Diqi^izod by Google 



YAriations-BechnuDg. 



79 



Da ferner zur AbäCüäü AH ein Werth der Formel 




gehört, welcher durch die Yersciuebang des Punktes n nach 
V nicht geAodert wird, so entsprechen den folgenden Elementen 

der Absciflse die Werthe der Formel fZdsCy welche diese Ta«> 
belle angiebt: 

Element : HI, IK, KL, LM, MX, NO. 

entsprechender Werth: ZdXy Z'dx, Z"dx, Z"'dx, Z'^'dx, Z'dx. 

Um die Änderungen zu linden, welche aus der Verschiobung 
des Punktes n nach v hcrvorg-ehen, muss man die einzelnen 
Werthe differentiiren und an Stelle der Differentiale dy. dp, 
dq^ dr, dSj dt und der daraus hergeleiteten die oben ange- 
gebenen Ausdrücke mit nv eiuBetzen. M&n erhält dsLUu, wie 
folgt; 



d{Zdx)=sn9f'dX' 




Da allein die genannten Elemente von der Yerschiebnng des 
Punktes n nach p beelnflnsst werden^ glebt die Summe dieser 
inderungen den ganzen Differentlalwertii, welcher zu der anf 
die ganze Abseisse AZ erstreckten Formel gehOrt. Er ist 
also: 



j y Google 



So Leonhard Eulor. 



fiv-dxy 



dx 

Q' - 2 Q"^ + Q "' 

_ ig- — 3 jg^" + 3 R'" — If 
dx* 

S^— 4 6 S"' — 4 ^9" 4- S' 



dx' 

5 T'/»' 4- 10 T'" — 10 r" + 5 r' — 



dx^ 

Die eiDzclneo Glieder lassen sich aber bequem und kurz durch 
Difforentiale ausdrücken, denn ea ist: 

0'"+ Q"' = d*Q"', 

Ä' — 3 11"'+ 3 ir — ir = rf'ir, 

S'- — 4 .V"" + 6 S'" —AS"+S' = d*S\ 

2'> _ 5 4- 10 2""— 10 r' + 5 r — r = d^r, 

Deshalb wird der Differentialwerth der Formel fZdx, welcher 
von dem Stückchen tiv herrührt, gleich: 

, /^.^ , cPQ" . d*S' d^T\ 

,,.^^|A — + ^1 

Hier aber können, weil alle Glieder gleichartig sind, die In- 
dices woggelassen werden, denn der Unterschied zwischen 
und N, dP'^ und d P a. s. w. verschwindet. Deshalb erhalt 
man für die Formel fZdx den Differentialwerth; 

/ dP d*Q d'R d*S d'T\ 
[ dx dx* dx' dx* dx^ f ' 

woraus man zugleich für den Fall, dass in Z höhere Diffe- 
entiale vorkommen, die Form des zugehörigen Differential- 
werthes erschlicssen kann. Wenn man daher die Curve sucht, 

welche das grösste oder kleinste fZdx für eine gegebene 
Abscisse hat, uud wenn sich 

dZ=Mdx H- Ndy + Pdp + Qdq-\-Rdr + Sds+Tdt-Sr.., 
ergiebt, so ist der Diffcrenlialwerth der Formel fZdx gleich 



nv-dx\ 



Variationa-Beohnung. 81 

und hieraus entstellt fui die gesuchte Curve die Gleichung: 

dP d'Q d'R d'S d'T 

Waö zu finden war. 

Folgerung I. 57. In der Formel J'Zdx, wie wir sie 
Ivdliandelt haben, enthält die Grösse Z Differentiale fünfter 
Ordnung, wenn nur in dem Differential von Z: 

dZ= Mdx + Ndy + Pdp + Qdq Mdr Sd8 Tdt 

das Glied Tdi das letzte ist. Da also in Tnoob Diffeientiale 
fnnfter Ordnimg Tarkommeii, leuchtet ein, dass die Differential« 
gleiohmig für die gesnehte CnrFe yon der zehnten Ordnung' ist. 

Folgerung Ii. 58. Hieraus erkennt man, dass die Ord- 
nung der Differentialgleichung für die Curve immer das Doppelte 
der Ordnung ist, welche die Formel des Maximnms oder Mini« 
innms hat. Wir setzen nämlich voraus, dass in dem Gliede Tdt 
die Grösse T noch i in sich enthalt, denn sonst vflrde die 
Gleichung nm swei Stufen hemntergedrttdLt werden, wie man 
aus § 50 schliessen kann. 

Folgerung III. 59. Wenn also Z Differentiale n-ter 
Ordnung enthftlt, dann ist die Differentialgleichung fflr die 
Onrre von der Ordnung nnd deshalb enlbält sie potentiell 
obensoTiele neue Constanten in sieh. 

Folgerung IV. 60. Damit das Problem zu einem be- 
stimmten wird, musB man ebensoviele Punkte vorschreiben, als 
willkttrliehe Constanten Torhänden sind, sodass das Problem, 
wenn es ein bestimmtes sein soll, so au sges prochen werden 
muss : Unter allen Gurken, welche durch 2 n gegebene Punkte 

gehen, soll man die bestimmen, in welcher yZc/o; ein Maxi- 
mum oder Minimum ist; wenn nämlich die Grösse Z Diffe- 
rentiale n-ter Ordnung in sich enthält. 

Folgerung V. 61. Da n eine ganze Zahl ist, so ist 
die Anziäl der Punkte, durch welche das Problem zu einem 
bestimmten gemacht wird, immer eine gerade. Es werden 
also 0, 2, 4, 6, 8,... Punkte zur Bestimmung des Problems 
erfordert. 

Anmerkung I. Nach der Ordnung der Differential!- 
tftty bis zu welcher die gefundene Gleichung aufsteigt, oder 

Oitwald*« Klanilier. 46. 6 



j y Google 



83 



Leonhard Euler. 



nach der Anzahl der Punkte, durch welche die Curve hin- 
durchgehen soll, lassen sich die Probleme dieser Art bequem 
in Klassen eintheilen. Zur ersten Klasse gehören also die 
Probleme, bei denen ohne weiteres nach der Curve gefragt 
wird , welche für eine gegebene Abscisüe den grössten oder 

kleinsten Werth \qh fZdx hat; solche Probleme giebt die 
zweite Aufc^abe, aber auch die dritte liefert sie in den Fällen, 
welche wir §§ 2ti und 'M auseinandergesetzt haben; in ihnen 
giebt nämlich die Lösung eine bestimmte Curve , welche der 
Aufgabe Gcnltge leistet. Die zweite Klasse umfasst die Pro- 
bleme, deren Lösung zu einer Differentialgleichung zweiter 
Ordnung führt; sie erfordern zwei Punkte zu ihrer Bestimmt- 
heit und müssen so vorgelegt werden, dass unter allen Cnrveo, 
welche durch zwei gegebene Punkte gehen, die bestimmt werden 

soll, in welcher ,/ /^(/x am grössten oder kleinsten ist; die 
Lösung dieser Probleme haben wir in der dritten Aufgabo 
gegeben. Weiter rechnen zur dritten Klasse die Probleme, 
welche in der vierten Aufgabe behandelt wurden ; bei ihnen 
soll unter allen Curven, weiche durch vier gegebene Punkte 
gehen, die bestimmt werden, welche das grösate oder kleinste 

f Zdx hat. In ähnlicher Weise erfordert die vierte Klasse 
zn ihrer Bestimmtheit sechs Punkte, die fünfte acht u. a. w.; 
alle diese Klassen haben wir in der gegenwärtigen Aufgabe 
umfasst. Obgleich aber die gefundene Gleichung bis zu einer 
30 grossen Ordnung der Differentiale aufsteigt, so lässt sie 
doch oft allgemein eine oder mehrere Integrationen zu; einige 
Fälle dieser Art haben wir schon bei den vorhergehenden 
Aufgaben auseinandergesetzt. Deshalb wollen wir zusehen, 
in welchen Fällen unsere allgemeine Gleichung eine oder 
mehrere Integrationen gestattet, damit man bei vorkommenden 
Bei^ipielen sofort erkennen kann, ob sie in diesen Fällen ent- 
halten sind oder nicht. Solche Fälle sind aber hauptsächlich 
die beiden, in denen entweder N = 0 oder = 0 ist, und 
von ihnen hängen noch andere Fälle ab, welebe wir hier ent- 
wickeln wollen. 

Fall I. 63. In der Formel des Maximums oder Mini- 
mums fZdz sei das Glied N gleich 0, sodasa 



dZ = Mdr + Pdp -f Qdq + Rdr -f- Sds -\- . . . , 
ist. Die Gleichung für die Curve ist also: 




Yariations-Recbnung. g3 



_ dP d*Q d^R d*S 
dx dx'' dx' dx* ' 



Maltiplicirt man sie mit dx, so wird sie integrab«!. und es 
gellt hervor: 

--^---^-tlf-^f- 

Fall II. 64. Es sei N= 0 und P = 0, sodass 

dZ = Mdx + Qdq + Rdr + Sds ->(-.. . 

ist. Da N verschwindet, gelingt bereifs eine Integration, 
und man hat fllr die gesuchte Cnrve die eben gefundene 
Gleichnng, welche für P = 0 lautet: 

. ,dQ d*R d'S 
^-'^'^'d^~~d^*'^~d^~ 

Multiplicirt man sie mit dx , so lässt sie sich abermals inte> 
giiren, und es ist: 

j » . dR d*S d*T , 
0 = Ax-B + Q--^-+^—^^-, + 

Fall III. 65. Ist N=0, P=0, Q = 0, sodass man 

dZ = Mdx 4- Rdr + Sds + Tdt -{-... 

hat, so folgt aus dem Verschwinden von N und P die zwei- 
mal integrirte Gleichung: 

D . dR , d*S d'T , 



Wird in ihr Q = 0 gesetzt, so crgiebt sich nach Multiplicatioa 
mit dx die dreimal integrirte Gleichnng: 

dS d*T 

0 = iA.'-B. + C-R + ^-^+ 

Es ist klar, dass, wenn auch noch R verschwindet, eine vierte 
Integration statt hat a. s. w. 

Fall IV. 66. Es sei M= 0, sodass 

dZ = Ndy + Pdp + Qrfy + Rdr Sds . . . 
ist. Als Gleichung für die gesuchte Curve ging frflher hervor: 
dP d*Q d'R , d*S 
^-'^"dx^'d^ dx'^dx*" 



84 Leoobard £iüer. 

MaltipUcirt maii sie mit ifyssspdx und addirt 

dZ— Ndy ^ Pdp-^ Qdq-^Rdr — Sds-- , 

80 kommt die Gleichung: 

— Prfjp — Qif^ — Rdr — Sds — . . . , 

deieu lutegral man angebea kano, es ist nämlich: 

— Är 4- r ~5 . • • • 

— 6'« + . . . 

oder: 

0-^^ . ^ p . P^Q-Qdp pcr-B-dpdRJrRd'p 

^ dx 

. pd^S—dpd*S-hdSd*-p—Sd^p 

wie es weiter geht» wenn in dZ auch die folgenden Difie- 
rentiale Tdf, Vdu, . . . vorkommen, ist von selbst klar. 
Fall V. 67. Ea sei if » 0 und iV= 0, sodass 

dZ = Pdp + Qdq 4- Ärfr + Sda + . . . 

Ist. Weil = 0 ist, lässt sich eiue lategration nach Fall I 
ausfahren, und ea ist: 

^ - ^ dx dx'^ dx' • • ' • 

HuUiplicirt man diese Gleichung mit dp qdx and addirt 
tXL ilff 

0 = — c?Z -I- Pdp + Q^f^ + -i- Sds . . 
so geht die integrable Gleichung: 

0::==Adp — dZ + qdQ^q-^^q-^'^.., 

+ Qdq + Mdr + Sds^.., 



Google 



VariatioDB-RecbnuDg. 

hervor, deren Integral ist: 

az 



oder: 



4- 



qdR— Rdq 
dx 

g d'^S—dgdS+Sd^g 
dx* 



Fall VI. 68. Es sei M = 0, N = 0, P = 0, sodass 

dZ = Qdq -\- Rdr -\- Sds Tdt + . . . . 

ist. Wegen iV = 0 und P = 0 haben nach Fall II zwei Inte- 
grationen statt, and die Gleichung für die gesuchte Carve ist: 

Multiplicirt man sie mit dq = rdx und addirt 

0 = dZ— Qdq — Rdr — Sdt — Tdt — , 

eo erhält man die von neuem integrable Gleichung; 



d*S 



d'T , 



dx ' dx 
Sds— Tdt 



0 = Axdq — Bdq + dZ — rdR + r 

— Rdr- 

deren Integral ist: 

d St d* T 

0 = Axq — Bq + C + Z — Rr-\-r — — r-^-{- .... 



dT 
— Tt + ... 



oder: 

0 = A{xq—p) — Bq + C-\- Z — i:r-\- 

rd^T — drdT— Td*r 
dx* 



rdS—Sdr 



dx 




(|| . Leonluird Euler. 

Fall\TI. 69. E8 8eiJ/ = 0, A'=0, P=0, Q = 0, 
sodass 

dZ = Rdr Sd9 + Tdt -\- . . . 

ist. Wegen N=Q und Q = 0 liefert Fall III die dreimal 

integrirte Gleichung; 

0 ^ \ Ax* — Bx + C — It -\- ~ — ^ 
' ax ax* 

Wird sie mit dr = sdx maltiplicirt, und 

0 = — dZ-\~ Rdr -f- Sds + Tdt + . 

addirt, so geht die Gleichung hervor: 

Q=^Ax^dr—Bxdr-irCdr—dZ-\-sdS—8 ^ + • • • 

ax 

+ Sds+ Tdt 4- 

Diese ergiebt integrirt: 

dT 

(i = {Ax^r — Bxr-ifCr~D—Z-irS$—s-^-{- 

— Äxq +Bq ... 
-{-Ap 

oder: 

0 = ^A{x*r — 2xq-^2p) — D{xr — q]+Cr — D 

V ^ sdT-Tds 

_ / + _ + 

Anmerkung II. 70. Mittels dieser Fälle, deren Zahl 
man noch weiter vermehren könnte, wenn es bequem er- 
scheinen sollte, la^äeu sich manche Anfgaben ziemlieh rasch 
erledigen. Denn wenn ein Problem in einem der Fälle ent- 
halten ist, welche an und für sich eine oder mehrere Inte- 
grationen gestatten, so kann man sofort eine Gleichung fdr 
die Curve bilden , welche schon ein- oder mehrmal integrirt 
ist und die sich deshalb leichter behandeln lässt. Damit dies 
deutlicher erhelle und damit zugleich die Anwendung der 
letzten Aufgabe, bei der in der Formel des Maximums oder 
Minimums Differentiale von höherer als der zweiten Ordnung 
vorkommen, erklärt werde, soll ein Beispiel beigebracht werden. 

Beispiel. 71. Unter allen derselben Abscisso ent- 
sprechenden Curvon die zu bestimmen, deren Evolute mit 
Ihrer Evolute zwischen den Krümmungsradien der Evolute den 
gröästeu oder kleinsten Raum einschliesst. 



Yariations-ReehnQDg. 



87 



[LSsnng: Bei derselben Bezeichnnng wie in § 51 ist die 
Formel des Maximums oder Minimums: 

der Fall V Bndet statt, sodass die Differentialgleichung sechster 
Ordnung auf eine ausserordentlich complicirte der vierten Ord- 
nung zurUckgefahrt werden kann.] 



8. 

Wie findet mau unter allen Cunren mit einer pjemeln- 
«ameu Eigenschaft diejenige, welche eine Eigenschaft 
im höchsten oder geringsten Grade hesitzt? 

Erklärung I. I. Eine gemeinsame Eigenschaft ist eine 
Integralformel oder ein unbeatimmter Ausdruck, welcher allen 
Carven, unter denen man die gesuchte bestimmen soll, in 
gleicher Weise zukommt. 

Anmerkung I. 2. Bis jetzt haben wir die absolute 
Methode der Maxima und Minima auseinandergesetzt, bei 
welcher immer unter der Gesammtheit aller zu einer und der- 
selben Abscisse gehörenden Gurren die gesucht wurde, welcher 
eine Eigenschaft im höchsten oder geringsten Qrade zukommt. 
Jetzt aber gehen wir weiter zur relativen Metbode und lehren, 
wie man eine Carve mit einer Maximal- oder Minimaleigen- 
schaft bestimmt, nicht aus der Gesammtheit aller Ciirven, die 
zu derselben Abscisse gehören, sondern nur aus den immer 
noch unzählig vielen Curven, welchen eine oder mehrere vor- 
gelegte Eigenschaften gemeinsam sind. 

Zuerst werden wir in diesem Kapitel die zahllosen, der- 
selben Abscisse entsprechenden Curven betrachten, welche eine 
gewisse Eigenschaft gemeinsam haben, und unter ihnen die- 
jenige ermitteln, in welcher ein beliebiger unbestimmter Aus- 
druck den grössten oder kleinsten Werth annimmt. Von 
Aufgaben dieser Art ist besonders das isoperimetrische 
Problem berühmt, welches am Anfange des Jahrhunderts vor- 
gelegt wurde und bei dem man unter allen Curven derselben 
Länge, die zu derselben Abscisse gehören, diejenige bestimmen 
sollte, welche eine Eigenschaft im höchsten oder geringsten 
Grade in sich schliesst. Später wurde die Aufgabe in dem 
weiteren Sinne aufgefasst, das^ die Bestimmung nicht bloss 



88 



Loonlurd Euler. 



unter allen Cnrven derselben Länge gescliehen sollte, sondern 
unter allen Curven , die tlberbaupt irgend eine gemeinsame 
Eigenschaft besitzen, und gerade solche Aufgaben haben wir 
in diesem Kapitel zu behandeln unternommen. 

Da nun die Curve nicht ans der Gesamtntheit aller Curven 
ansgewählt werden soll, welche derselben Abscisse entsprechen, 
sondern nur ans denen, immer noch unendlich vielen, welchen 
eine vorgelegte Eigenschaft in gleicher Weise zukommt, so 
mtlssen wir vor allem die Eigenschaft selbst betrachten, welche 
wir hier mit dem Namen einer gemeinsamen Eigenschaft be- 
zeichnen. Die gemeinsame Eigenschaft also, zum Beispiel 
die Gleichheit der Bogenl&nge, muss auch allen Zwischen- 
punkten zukommen und ist daher eine unbestimmte Function, 
welche nicht durch ein Cnrvenelement, sondern durch diu 
ganze Gestalt der Curve bestimmt wird. Deshalb ist diese 
gemeinsame Eigenschaft entweder eine einfache, nichtbe- 
stimmbare Integralformel oder ein Ausdruck, welcher mehrere 
solche Formeln umfasst; sie ist also ganz und gar ebenso be- 
schaffen, wie die Formel oder der Ausdruck des Maximums 
oder Minimums selbst. Dieselben Verschiedenheiten und Ein- 
theilungen also, welche wir vorher bezüglich der Formel des 
Maximums oder Minimums gemacht und behandelt haben, gelten 
auch in gleicher Weise für die gemeinsame Eigenschaft. 

Folgerung I. 3. Ist als» eine gemeinsame Eigenschaft B 
vorgelegt, so hat man alle Cnrven zu betrachten, zu welchen, 
für dieselbe gegebene Abscisse, derselbe Werth B gehört, 
und unter diesen miiss man diejenige bestimmen , welche ein 
Maximum oder Minimum liefert. 

Folgerung II. 4. Bei den hierher gehörenden Problemen 
mUssen also zwei Dinge gegeben sein : die gemeinsame Eigen- 
schaft B nnd der Ausdruck des Maximums oder Minimums A. 
Sind sie gegeben, so muss unter allen Curven, zu denen für 
dieselbe Abscisse derselbe Werth B gehört, diejenige be- 
stimmt werden, welche ein Maximum oder Minimum liefert. 

Folgerung III. 5. Es giebt aber nicht nur unendlich 
viele Curven , welche für eine gegebene Abscisse dieselbe 
gemeinsame Eigenschaft haben, sondern dies ist auch auf 
unendlich viele Arten möglich. Zu einer beliebig ange- 
nommenen Curve gehört nämlich ein bestimmter Werth der 
vorgelegten gemeinsamen Eigenschaft, ausser ihr aber giebt 
es noch unzählig viele andere Curven, welche fttr dieselbe Ab- 
scisse denselben Werth der gemeinsamen Eigenschaft ergeben. 



YttlatioiUHBeeliiiiiiig. 



89 



Folgerung IV. 6. Ist «Iso irgend ein nichtbestimm- 
luurer Anadmek vorgelegt, so giebt es nn^ählig viele Arten 
Ton nDzfthlig fielen Onrven, sodass jede Art die unendlich 
vielen Cumn in sldi &8st, welehe für dieselbe Absdsse den- 
selben Werth des Ansdniokes ergeben. 

Folgerung V. 7. Da es also unendlich viele Arten 
giebt, von denen jede einsebe unzählig viele Carven umfasst, 
wdeben ein als gemeinsame Eigenschaft vorgelegter Ausdruck 
in gleicher Weise zukommt, so giebt es in jeder Art eine 
Curve, welche gegentther den anderen Cnrven der Art ein 
Maximum oder ein Minimum für den zweiten Ausdruck liefert. 

Folgerung VI. 8. Da man also in jeder Art eine 
Curve findet, welche die Eigenschaft des Maximums oder 
Minimums besitzt, so findet man im ganzen unendlich viele 
Gurven, welche Oenlige leisten, und jede einzelne von ihnen 
besitzt unter allen, die sieh derselben gemeinsamen £igen^ 
Schaft erfreuen, die Eigenschaft des Maximums oder Minimums. 

Anmerkung II. 9. Das alles wird deutlicher werden 
wenn wir die geraeinsame EigenscLafr, über die wir bisher 
nnr im allgemeinen sprachen, in bestimmter Weise annehmen. 
Es sei also die gemeinsame Eigenschaft die Formel, welche 
die Länge des Curvenbogens ausdrückt^ der Ausdruck des 

Maximums oder Minimums aber sei,/Zc/a;, sodass unter allen 
Curveu , bei deuen zu derselben Abscisse die gleiche Bogen- 
länge gehört, die bestimmt werden soll, in welcher für die- 
selbe Ahs>chsefZdx ein Maximum oder Minimum wird. Es 
ist aber klar, dass es nicht nur unendlich viele Curven giebt, 
welche für dieselbe Abscisse gleiche Bogenlänge haben, son- 
dern dass dies auch auf unzählig viele Arten geschehen kann. 
Ist nämlich die .s^emeinsame Abscisse gleich a und wird die 
Bogenlänge c grosser als a angenommen, so kann man un- 
zählig viele Linien, gerade und krumme, angeben, deren Länge 
immer gleich ist, und unter diesen kann man die eine be- 
stimmen, in welcher yZ^/;r nm grössten oder kleinsten ist. 
An Stelle von r aber können uuzälilisr viele Grössen ange- 
nommen werden, welche nur der Bedingung unterworfen sind, 
dass c gi'össer als a ist, und jeder dem c beigelegte Werth 
giebt eine Curve mit der Eigenschaft des M.iximums oder 
Minimums. Ftir die unendlich vielen Werthe von c findet 
man nho unendlich viele Curven, welche der Aufgabe ge- 
nügen. Aber deshalb ist die Aufgabe nicht als eine unbe- 



Leooh&rd Euler. 



stimmte anzusehen, denn die Lösnng, die unzählig viele Curven 
giebt, welche Genflge leisten, ist so aufzufassen, dass eine 
jede der gefundenen Curven unter allen gleich langen den 
gröästen oder kleinsten Werth vonfZdx ergiebt. 

Es leuchtet ein , dass , was hier Ober gleiche Cnrven- 
bogen gesagt wurde , auch ftlr alle anderen Formeln oder 
nichtbestimmbaren Ausdrücke gelten mnaa. Wenn zum Bei- 
spiel unter allen Curven, die für eine gegebene Abscisse 
X =: a denselben Werth der Formel fYJx ergeben, die ge- 
sucht wird, in welcher fZdz ein Maximum oder Minimum ist, 
dann findet man zwar unendlich viele Curven, welche Gentige 
leisten . aber dieäe unterscheiden sich so von einander , dass 
eine jede unter allen anderen möglichen Curven, welche einen 
gemeinsamen Werth von fYdx haben, den grössten oder 
kleinsten Werth der Formel fZdx ergiebt. 

Lehrsatz. 10. Wenn eine Curve unter der Ge- 
sammtheit aller zu derselben Abscisse gehörenden 
Curven eine vorgelegte Eigenschaft im höchsten oder 
geringsten Grade besitzt, so hat sie zugleich diese 
Eigenschaft im höchsten oder geringsten Grade unter 
allen Curven, welche mit ihr irgend eine Eigenschaft 
gemeinsam haben. 

Beweis. Der Ausdruck des Maximums oder Minimums 
sei A, die gemeinsame Eigenschaft B\ A und B sind dann 
nichtbestimmbnre Integralformeln oder zusammengesetzt aus 
mehreren solchen Formeln. Nehmen wir nnn an, die Curvo 
sei gefunden, welche unter der Gesammtheit aller zu derselben 
Abscisse gehörenden Curven den gröästen oder kleinsten Aus- 
druck A liefert, so ergiebt sie auch einen gewissen Werth 
des Ausdruckes B, nnd ausser ihr giebt es unzählig viele 
andere Curven, welchen derselbe Werth des Ausdruckes B 
zukommt. Da nun alle diese unzähligen Curven unter der 
Gesammtheit aller Curven enthalten sind, aus denen man die- 
jenige, für welche der Ausdruck A am grössten oder kleinsten 
ist, herausgefunden hat, so besitzt sie auch unter jenen un- 
zähligen Curven, welche die Eigenschaft B gemeinsam haben, 
den grössten oder kleinsten Werth des Ausdruckes A. Was 
zu beweisen war. 

Folgerung I. 11. Die absolute Methode ist also auch 
bei der Lösung von Problemen der relativen Methode von 




VaritttioM-Reebnimg. 



91 



Katsen, denn sie liefert immer eine Carre, welehe Oenflge 
leistet. Aber sie giebt nicht die vdtsttndige Lösung. 

Folgernng IL 12. Die Corve also» welche nnter allen 
den grOssten oder kleinsten Ansdmck A hat, ist eine der nn- 
sfthlig vielen Cnrven, welche nnter allen mit der gemeiosamen 
Eigenschaft B ffta denselben Ausdruck A den grOssten oder 
kleinsten Werth ergeben. 

Folgernng III. 13. Die Lösung des Problems, unter 
allen Gurven mit der gemeinsamen Eigenschaft B die an finden^ 
in welcher A ein Ifazimnm oder lOnimnm ist, erstreckt sich 
also weiter, als wenn man absolut nnter allen Curven die- 
jenige sucht, in welcher A ein Maximum oder Minimum ist, 
und jene Lösung enthält diese als besonderen Fall in sich. 

Aufgabe I. 14. Man soll in ihren Hauptztlgen 
die Methode der Lösung Ton Problemen schildern, 
bei denen nnter allen OurTcn mit einer gemeinsamen 
Eigenschaft diejenige gesucht wird, welcher eine 
vorgelegte Eigenschaft im höchsten oder geringsten 
Grade ankommt. 

Lösung. Jedes Maximum oder Minimum ist so be- 
schaffen, dass sein Werth bei einer unendlich kleinen Ände- 
rung unverändert bleibt. Wenn daher die Cnrve az unter 
allen zu derselben Abscisse gehörigen Curven, welche die ge- 
meinsame Ei^rcnschaft B besitzen, den grossten oder kleinsten 
Werth des Ausdruckes A liefert^ so beh&lt sie denselben 




Werth bei einer unendlich kleineu Änderung, welche die ge- 
meinsame Eigenschaft B nicht stört. Hierzu genügt es aber 
nicht wie vorher, eine einzige Ordinate, etwa iVw, um eiu 



. j . > y Google 



92 



Leonhard Euler. 



unendlich kleines Stück nv zn vermebren, denn da eine solche 
Änderung durch eine einzige Bedingung bestimmt wird, kann 
man durch sie nicht bewirken, dass sowohl die gemeinsame 
Eigenschaft B, als auch der Aasdruck A des Maximums oder 
Minimums gleichmässig der ursprünglichen und der geänderten 
Curve zukommt. Man muss deshalb eine Änderung anwenden, 
welche durch zwei Bedingungen bestimmt ist, und das erreicht 
man, indem die beiden Ordinaten Nn und Oo um die un- 
endlich kleinen Stücke nv und ooj vermehrt werden. 

Denkt man sich die Curve auf diese Weise geändert, 
so muss man zuerst bewirken , dass die gemeinsame Eigen- 
schaft der ursprünglichen und der geänderten Curve in gleichem 
Maasse zukommt, und dann mnss der Ausdruck des Maximums 
oder Minimums für jede von beiden Curven denselben Werth 
annehmen. Das erste leistet man, indem man den Differential- 
werth des Ausdruckes ermittelt, dnrch welchen die gemein- 
same Eigenschaft dargestellt wird , sofern dieser durch die 
Verschiebung von 7i und o nach v und lo entsteht, und ihn 
gleich Null setzt. Der zweiten Bedingung aber genügt man, 
indem man ebenso den Differentialwerth des Ausdruckes sucht, 
welcher ein Maximum oder Minimum werden soll, sofeni dieser 
dnrch die Verschiebung von n und o nach v und lo entsteht, 
und ihn gleich Null setzt. Anf diese Weise erhält man zwei 
Gleichungen, die eine vermöge der gemeinsamen Eigenschaft, 
die andere mittels des Ausdruckes des Maximums oder Mini- 
mums. Beide haben die Form 

S-nv -|- T-ow = 0; 

und T sind auf die Curve bezügliche Grössen. Eliminirt 
man aus den beiden Gleichungen nv und ou, so erhält mau 
eine Gleichung für die gesuchte Curve, welche gegenüber allen 
anderen Curven mit der gemeinsamen Eigenschaft B den 
grOssten oder kleinsten Werth des Ausdruckes A besitzt. 
Was zu finden war. 

Folgerung I. 15. Die Lösung der Probleme kommt 
also auch auf die Ermittelung von Differentialwerthen zurück; 
die jetzigen Differentialwerthe unterscheiden sich aber von 
den früher gegebenen dadurch, dass sie durch die Verschie- 
bung zweier Curvenpunkte zu bestimmen sind. 

Folgerung II. 16. Bei jedem Probleme muss man also 
zwei solche Differentialwerthe ermitteln, welche ans den beiden 
Stückchen nv und oia entstehen, den einen für die gemeinsame 



VariatioiM-Beehiittog. 



93 



Eigenscliafl, den anderen fflr den Ansdraek dei Mazimanii 
oder Minimums. 

Folgerung III. 17 • Hat man aber die beiden Diffe- 
rential werthe gefanden, so sind beide bei jedem Probleme 
gleich Noll zn setzen. Hieraus entstehen zwei Gleichungen, 
und die Elimioation von nv und ota liefert dann eine Glei- 
chung, weiohe die Besohaffenheit der gesnehten Gurre aoS" 
drttekt. 

Folgerung IV. 18. Wenü mithin unter allen derselben 
Abscisse entsprechenden Carmen mit der gemeinsamen Eigen- 
schaft B diejenige gesucht wird, in welcher der Ausdruck A 
am grösslen oder kleinsten ist, dann hat man die Differcntial- 
werthe der beiden Ausdrücke A und B, welche durch die 
beiden Stückeben nv und oiü entstehen, zu ermitteln und 
gleich Null zu setzen. Ellminirt man aus den beiden Glei- 
chungen nv und oio, so kommt eine Gleichung für die ge- 
suchte Curve zum Vorschein. 

Folgerung V. 19. Bei dem angegebenen Veifahren 
werden die beiden Ausdrücke A und B ganz gleich massig 
behandelt, und es kommt nicht in Betracht, welcher von beiden 
die gemeinsame Eigenschaft oder das Maximum oder Mini- 
mum bezeichnet. Hieraus erhellt, dass dieselbe Lösung hervor- 
gehen muss, wenn die Ausdrücke A und B unter einander 
vertauscht werden. 

Folgerung- VI. 20. Dieselbe Lösung also hat statt, 
wenn unter allen Curven mit der gemeinsinnt n IJgenschaft B 
diejenige gebucht wird, in welcher A ein Maximum oder Mini- 
mum ist, oder wenn umgekehrt unter allen Curven mit der 
gemeinsamen Eigenschaft A diejenige gesucht wird, in welcher 
B ein Maximum oder Minimum ist. 

Anmerkung. 21. Dass die beiden Ansdrtlcke A nnd 
B, wenn sie auch für sich betrachtet ganz Yersehiedene Dinge 
bezeichnen, unter einander Tertansehbar sind, erhellt anch 
Ton selbst ans der Beschaffenheit der Lösung. Betrachten 
wir nämlich die beiden Sttlckchen nt^ und ooi, nm welche 
die Ordinaten Nn nnd Oo Termehrt weiden, so mllssen sie 
zuerst so beschaffen sein, dass die gemeiDsame Eigenschaft B 
in der ursprünglichen wie in der geänderten Gar7e denselben 
Werth hat, die gemeinsame Bigenschaft B mnss eben gieich- 
mässig den Onrren amnopz nnd amvmpz zukommen. Ebenso 
mnss man dann durch dieselben Stttckchen nv nnd oo> be- 
wirken, dass der Ansdraek welcher ein Maximum oder 



94 



Leoohard Eul«r. 



Minirnnm sein soll, fUr die Curve amnopz wie für die Carve 
amviopz denselben Werth erhält. Die gemeinsame Eigen- 
schaft wie die Natur des Maximama oder Minimums führen 
also genau dieselbe Bedingung in die Rechnung ein; ea ist 
daher klar, dass die beiden gegebenen Ausdrücke, von denen 
der eine die gemeinsame Eigenschaft, der andere die Natur 
des Maximums oder Minimums darstellt, unter sich vertauscht 
werden können, unbeschadet der Lösung. Deshalb genügt es 
bei der Lösung solcher Probleme jene beiden Ausdrücke zu 
kennen, und um die Lösungen durchzuführen braucht man 
nicht zu wissen, welcher von beiden die gemeinsame Eigen- 
schaft oder das Maximum oder Minimum bezeichnet. 

Sucht man zum Beispiel unter allen Curven gleicher 
Länge die, welche die grösste Area umfasst, so findet man 
dieselbe Curve, welche hervorgeht, wenn unter allen Curveu 
mit gleicher Area die kürzeste oder die von der kleinsten 
Bogenlänge gesucht wird. 

So verhält es sich, wenn die Natur des gesuchten Maxi- 
mums oder Minimums so beschaffen ist, dass sein Differential- 
werth Null ist. Wir bemerkten aber schon oben, dass es 
Maxima und Minima von zwei verschiedenen Arten giebt, je 
nachdem der Differentialwerth Null oder Unendlich ist. Hier 
aber betrachten wir nur die Maxima und Minima der ersten 
Art, denn bei der relativen Methode kann die zweite Art gar 
nicht statt haben. Wenn nämlich der Differentialwerth, welcher 
dem Ausdrucke des Maximums oder Minimums zukommt, un- 
endlich gross gesetzt wird, so findet man aus ihm allein eine 
Gleichung für die Curve, und deshalb tritt die gemeinsame 
Eigenschaft gar nicht in die Rechnung ein. Wenn also ein 
Maximum oder Minimum dieser Art bei der absoluten Methode 
statt bat, so erfreut sich dieselbe Curve bei der relativen 
Methode derselben Eigenschaft, welche gemeinsame Eigenschaft 
auch hinzugenommen wird. 

Da mitbin bei der Lösung solcher Probleme alles auf die 
Ermittelung der Differentialwerthe ankommt, welche aus den 
beiden Stücken 71 v und ou entstehen, wollen wir nunmehr 
eine Methode auseinandersetzen, solche Differentialwerthe fUr 
beliebige unbestimmte Ausdrücke durch ein ähnliches Ver- 
fahren zu finden , wie wir es oben benutzten , um die Diffe- 
rentialwerthe zu finden, welche aus einem einzigen Stücke nv 
entstehen. 



^3 



Y^tions-rBechnaiig: 95 

Aufgabe II. 22. Ist irgeDd ein unbestiromter Ans- 
drnck vorgelegt, welcher sich auf die Abscisse AZ 
bezieht, so soll man seinen Differeutialwerth finden, 
welcher aus der VerschiebaDg der beiden Cnrven- 
pankte n und o nach v und m hervorgeht. 

Lösang. Setzen wir die Abscisse AI=x^ die Ordi- 
nate Iis=zy, so ist: 

= y', Ll^f, Mm =: y"', Nn y^^ 
' Oo^y"", Pp «y", ... 

Ton diesen Ordinalen erleiden nnr zwei, nämlich y*^ und y ^, 
eine Veränderung, da ihnen die ätftckchen nv und oio hinzu- 
gefügt werden. £s ist also der DifferentiaLwerth der Ordi« 
nate y'^ gleich nv^ der Ordinate gleich ow, der übrigen 
Ordinaten gleich Null. Hieraus erhält man die Differential- 
werthe der übrigen auf die Curve beztlorliclien Grössen 
r, s, soweit sie von den beiden Ordinaten y^^ und y^ 

abhängen. Da snm Beispiel p s=s ist, so ist der 

Differentiaiwerth von p gleich Null; ebenso yor p* und p". 



.... y"-v"' 



Aber da » = - — -j—^ — ist, so ist der Differentialwerth von 

ax 

V l V 

gleich und da jg^^'= ^ ~J ist, so ist der Diffc- 

rentialwerth von p'^ gleich — ferner ist der von 

0(ti p' p 

/»"gleich—-^. Da weiter ^ =: ■ ist, so ist der 

Differentialwerth von f gleich von q"' gleich 

Ähnlich kann man bei den folgenden Grössen r, s, , und 
den daraus abgeleiteten verfahren , und so entsteht folgende 
Tabelle, weiche die Differentialwerthe der einzelnen Grössen 
angiebt : 



j y Google 



93 



LeonbArd £iüer. 



+ ."■'■=-^+^ 



dix * , dar* d*' 

Man erkeBnt aus dieser Tabelle, daas in den Differential- 
werthen ebenaoviele mit oo» wie mit nv mnltipUcirte Glieder 

vorkommen, und fflr beide die Coäfficienten ttbereinstimmen. 
Der Unterschied besteht darin, dass jedes mit oo) mnltipUcirte 
Glied zu einer Grösse gehört, welche unmittelbar auf diejenige 
folgt, zu welcher das ahnliche mit nv mnltipUcirte GUed ge- 
hdrt« So findet man in dem Differentialwerthe von q"* daa 

GUed: — und in dem Differentialwerthe der folgenden 

Grösse das GUed; ^ Differeutialwerthen 

treten alBo zwei yerschiedeoe Arten tod Gliedern auf, von 
denen die einen nv, die anderen oto enthalten, nnd es hat 
der Differentialwerth einea jeden anbestimmten Anadmcket 
die Form: 

Es ist üun klar, dass das erste Glied nv - 1 der Diffe- 
rentialwerth desselben Ausdruckes ist, welcUer entsteht, wenn 
man nur das Stückchen nv betiachtet, und es ist daher ?iv-I 
gerade der Diflfereiitialwertli , den wir bereite lur Jeden be- 
liebigen Ausdruck besiimmen lehrten, sodass nach den oben 
gegebenen Vorschriften dieses GUed für jeden unbestimmten 
Ausdruck angegeben werden kann. Was das zweite Glied 
ocj'K betrifft, so gehören die einzelnen Glieder, in denen 
0 01 Torkommt, zn Grössen, welche denen folgen, zn denen 
die ihnUchen Glieder mit nv gehören, und daher ist klar, 
dass K der Werth ist, welchen / an der unmittelbar vorher* 
gehenden Steile annimmt, nnd dass man also I, hat. 
Da man nun das Glied nv*I vermöge der oben gegebenen 
Vorschriften ermitteln kann, so ist ans ihm auch das andere 
Glied 001« JiTss octr*/, bekannt, Ist also V irgend ein 



ij , i.y 



Google 



Vsriations-Recb nung. 



97 



unbestimmter Ausdruck, und soll der aus den beiden Stflcken nv 
und oto hervorgehende Differentialwertb bestimmt werden, so 
setze man den Differentialwerth, welcher aus nv allein hervor- 
geht, gleich nv-I, dann ist der Differentialwerth, welcher 
aas den beiden Stücken nv und oio entsteht, gleich nv-I 
+ o oi • /, und lässt sich daher mit Hilfe der oben gegebenen 
Regeln leicht ermitteln'^). 

Folgerung I. 23. Von allen Ausdrflcken, deren Diffe- 
rentialwerthe wir finden lehrten, wenn sie ans einem Stückchen 
nv entstehen, kdnnen wir also jetzt auch die DitTerentialwerthc 
angeben, welche ans zwei Stockeben und oio hervorgehen. 

Folgerang II. 24. Diese Methode gilt also ebenso für 
die Ermittelung der Differentialwerthe von Ausdrücken, die 
QDabhängig sind von der Grösse der Abscisae AZ, wie auch 
für solche, welche von der L&nge dieser Abscisse abhängen. 

Folge rang III. 25. Sogar, wenn der vorgelegte Aus- 
druck, welcher entweder die gemeinsame Eigenschaft darstellt 
oder ein Maximum oder Minimum sein soll, eine Function von 
zwei oder mehr Integralformeln ist, so lässt sich der Diffe- 
rentialwerth, welcher aus zwei Stückchen nv und oio entsteht, 
darch dasselbe Verfahren bestimmen. 

Anmerkung. 26. Wir sahen früher, dass der aus einem 
Stöckchen nv entstehende Differentialwerth irgend eines Aus- 
dmckes immer die Form nv -dx • T oder nv • Tdx hat, wo T 
eine endliche Grösse bezeichnet; deshalb ist der aus den beiden 
Stückchen nv und ow entstehende Differentialwerth desselben 
Ausdruckes gleich nv • Tdx -\- ota • T,dx , wie wir in der 
Lösung zeigten. Diese Gestalt lässt sich aber auch leicht so 
ei-scbliessen. Setzt man 0(o = 0, so muss der aus demeinen 
Stückchen nv entstehende Differentialwerth herauskommen, 
den zu finden wir oben lehrten; er wird nv • Tdx sein. Setzt 
man aber iiv=0 und betrachtet bloss das Stückchen ooi, so 
findet man in ähnlicher Art wie oben den Differentialwertb, 
er ist aber nicht gleich oto • Tdx; weil man nämlich das Stück- 
chen 0 10 erst an der folgenden Stelle annimmt, muss man 
statt T den vorhergehenden Werth nehmen, sodass der Diffe- 
rentialwertb Oll) • T,dx wird. Werden nun beide Stückchen nv 
und oui zusammen betrachtet, so wird der Differentialwerth 
gleich 

nv Tdx •\- ovj ■ T,dx , , 
sein, denn bei der Rechnung beeinflussen sich die Stückchen nv 

Ostwald's KUssiker. 40. 7 



98 



Leonhard Enler. 



und 0 {X) nicht, jedes von beiden kann vielmehr immer für sich 
behandelt werden. 

Um aber diese Bezeichnungs weise der frflher angenommenen 
anzupassen, wollen wir annehmen^ V sei irgend ein unbe- 
stimmter Ausdruck, weleber für die beatimmte Abseisse A.Z^a 
den Werth A aBBlmmt, nad sein «ns dfim Mekeheii nur ent- 
stehender Differentialwerth sei nv*dA^ wo dA dasselbe be- 
aeiehnet, was Torber Tdse. Auf die Mber gezeigte Art kann 
man ans dem Ansdrneke V dem Werth dA ioden. Hat man 
ihn geltenden, so ist der Bifforentialwerth , welcher ans den 
beiden StUehen nnd om entsteht, gleieh 

nV'dA-{- ocj'dA, , 

wo dA, dasselbe bezeichnet wie vorher T^dx» 

Obwohl es also fttr unseren Zweek durchaus nothwendig 
ist, die Differentialwerthe aufzusuchen, welche nns zwei Stück- 
ehen entstehen, so lAsst sich doch die Lösung der hierher- 
gehörenden Probleme darauf zurückführen, dass sie allein mit 
Hilfe der oben gefundenen Differentialwerthe erledigt wird, 
welche aus einem Stückchen nv hervorgehen, me bei der 
folgenden Aufgabe bald erhellen wird. 

Aufgabe III. 27. Man 90U anter allen auf die^ 
selbe Abscisse AZ belogenen Carven, welchen der- 
selbe Werth des unbestimmten Ausdruckes W zu- 
kommt, die bestimmen, in welcher der Ausdrnek V 
ein Maximum oder Minimum ist. 

Lösung. Nehmen wir an, die Curve az genüge der 
Forderung, nnd der Ausdruck W nehme in ihr den be- 
stimmten Werth B an, dann ist die Curve az gegenXAer allen 
anderen auf dieselbe Abscisse AZ bezogenen Curven, in welchen 
der Ausdruck W denselben Werth erhält, so beschaffen, dass 
in ihr der Ausdruck V den grössten oder kleinsten Werth 
annimmt, welcher mit A bezeichnet werde. Um diese Cnrve 
an finden, sei also die unbestimmte Abseisse AI = Xj die 
entsprechende Ordinate Ii = y^ und man denke sich die 
beiden Ordiuaten Nn und Oo um die unendlich kleinen 
Stücke nv und ou} vermehrt. Dann müssen die Differential- 
werthe von W und K, welche aus der Hinziifügung dieser 
beiden Stückchen nv nnd oio entstehen, gleich Nall gesetat 
werden, wie wir in Aufgabe I zeigten. 

Es sei der Differentialwerth des Ausdruckes F, welclier 
ditfek das eine Stttokchen nv entsteht, nv*dA und der ent- 




YariatioDS-BecbnaDg. $9 

sprechende Differentialwerth des anderen Ausdruckes W gleich 
nV'dB; diese Differentialwerthe wird man mittelst der früher 
gegebenen Vorschriften finden können. Betrachtet man jetzt 
zwei Stückchen nv und ow, so ist der Differentialwerth von 
V gleich 

und der Differentialwertb des anderen Amdniekes W: 

nv'dB 4- 0 0) 'dB^,^ 
Um die gesnchte Cnrre m. finden^ mnss naii also 

IW • dA -r- 00}' dA, = 0 

und 

nv'dB 4- 00) 'dB, = 0 

setzen. Man multipliciro beide Gleichangen mit beliebigen 
Grössen, sodass man erhält: 

nv'ßdB + om • ßdB, — 0. 

Um die Sttlckchen nv und oio zu eliminiien, bestimme man 
a und ^ so, dass sie den beiden Gleichungen: 

adA + ßdB = 0, 
ginKIgeD. Da aber ixdA + ss 0 ist, so ist auch 

und vergleieht man dies mit 

adA, + /'^'Si ^ 0, 

so findet man, dass 

sein mossn). Daher müssen die QrOssen a und ß Constanten 
sein, und zwar willkürliche Constanten. Nimmt man also für 
a und ß wilikttrliche Gonstanten» so ist die CQ^ehnng der 
Cnrre 

adA + ßdB ^ 0. 

Dieselbe Gleichung geht hervor, wenn man nach der 
gewdhnHehen Methode nv und oto eliminirt. Denn es ist; 

tkv dA, dB, 

TÄ'~' 'dB* 

7* 



100 



Loonbard Euler. 



also 



und daher «ach 



dA, 


dB, 


dA 


~ dB ' 


dA' 


dB' 


dA 


dB ' 



dA' =^dA + d^A, dB* ^dB d^B^\ 
mithin koaumt 

dKA _ d^B 
dA dB' 

Würaus durch Integration folgt: 

UA-^ldB^lC 

oder 

dA » CdB, 

was in die vorher gefundene Gleichung 

QLdA-^- ^dB^^ 



übergeht « wenn man C =^ ^ setst. . 

Um das Problem zu lösen, muss man also die Differential- 
wertbe ermitteln für den Ausdruck W, welcher die gemein- 
same Eigenschaft darstellt, und für den Ausdruck V, welcher 

ein Maximum odur Minimum seiu 60IL sie mit willkürlicliün 
Constanteü multipliciereii, uud die Surame gleich Null setzen. 
Dann erhält man eine Gleichung, welche die Natur der ge- 
buchten Curve ausdrückt. 

Folgerung I. 2S. Es genügt also zur Losung der vor- 
liegenden Aufgabe die Differentialwerthe zn kennen, welche 
aus einem einzigen Stückchen nv entstehen, und wir haben 
oben gezeigt, wie man diese leicht finden kann. 

Folgerung II. 29. [Hierzu muss man die Vorschriften 
benutzen, welche in Abschnitt 2, § 5t> gegeben worden^^j.] 

Folgerung III. 30. Ist also eine gemeinsame Eigen- 
schaft W und ein Ausdruck des Maximums oder Minimums V 
vorgelegt, so muss man nach diesen Vorschriften den Diffe- 
rentialwerth jedes der beiden Ansdrticke ermitteln. Nachdem 
man aie gefunden hat, mtütipUcire man sie mit viiikttrliohen 



ij , i.y 



Google 



Yarifttiona- Reohmitig. 



101 



Constanten and setze ihre Summe gleich Null. Auf dieBe 
Weise erhftlt msn eine Gleichung fülr die gesnehto Com. 

Folgernng IV. 3t. Wird unter der Oesammtheit aller 
derselben Abscisse AZ entsprechenden Cnnren diejenige ge- 
sucht, in welcher ein Ausdruck V den grössten oder kleinsten 
Werth erlililt, ?o ergiebt sich dafür die Gleichnng äA — 0, 
wenn dA den Differentialwerih des Ansdmekes V beseiehnet. 

Folgerung Y. 32. Wenn aber nnter allen deiselben 
Abscisse A Z entsprechenden Curven, weleben der Ausdmek. W 
in gleicher Weise zukommt, di^enige gesucht wird, fflr welehe* 
der Ansdrnck V den grdssten oder kleinstem Werth hat, so 
findet man dafür die Gleichnng: 

Folgerung VI. 33. Ss ist also klar, dass die Cnrve, 
welehe nnter der Oesammtheit aller Cnrven das grdsste oder 
kleinste V hat nnd deren Gleichnng dA = 0 ist, hi der 
Gldchnng 

adA-^* ßdB^^ 

enthalten ist, die eine Curve ausdrückt, welche unter allen 
Ourven mit der gemeinsamen Eigenschaft W das grösste oder 
kleinste F hat. 

Folgerunc^ VIT. 34. In der Gleichung Cf -4 -|-/Jf?R = 0, 
welche die Lösun;; liefert, ist eine willkürliche Constante ent- 
halten, sie muäs aber dadurch bestimmt werden, dass der Ans- 
druck W einen gegebenen Werth erhält. 

Folgerung VIII. 35. So kann also das Problem ge- 
löst werden, unter allen zu derselben Abscisse AZ gehörenden 
Curven , in welchen der Augdruck W denselben gegebenen 
Werth annimmt, diejenige zu bestimmen, in welcher der Werth 
von V am grössten oder kleinsten ist. 

Folgerung IX. 36. Hieraus erkennt man endlich, dass 
die Lösüng des vorgelegten Problems übereinstimmt mit der 
Lösung des Problems, man solle unter allen derselben Ab- 
scisse AZ entsprechenden Curve diejenige finden, welche das 
grösste oder kleinste a V hat. Obgleich diese Auf- 

gabe zur absoluten Methode gehört, giebt sie doch gerade die 
Gleichung 

adA -\- ßdB = 0, 
welehe wir vorher fanden. 



102 



Leonhard Euler. 



Anmerkung I. 37. Hieraus entnimmt man also nicht 
nur eine leichte und bequeme Methode, alle hierher gehörigen 
Aufgaben zu lösen, sondern man dringt auch tiefer in die 
ErkenntnisB der Beschaffenheit dieser Probleme ein. Denn 
zuerst wird klar, was wir schon oben bewiesen, dass die 
Lösung dieselbe ist, sei es, dass man unter allen Curven mit 
der gemeinsamen Eigenschaft W diejenige sucht, welche das 
grösste oder kleinste V hat, sei es, dass man umgekehrt 
unter allen Curven mit der gemeinsamen Eigenschaft V die- 
jenige verlangt, in welcher Tf" ein Maximum oder Minimum ist. 

Ferner sieht man ein, dass die Aufgabe so vorgelegt 
werden kann, dass sie sich mittelst der absoluten Methode 
der Maxima oder Minima lösen lässt, denn das vorgelegte 
Problem stimmt mit dem überein, unter der Gesammtheit aller 
auf dieselbe Abscisse bezogenen Curven diejenige zu finden, 
in welcher der Ausdruck aV-\-ß W ein Maximum oder 
Minimum ist, und diese Umformung des Problems ist der Grund, 
warum man seine Lösung durch Differentialwerthe bewerk- 
stelligen kann, die aus einem Stückchen nv entstehen, und 
warum man nicht weiter zwei solche Stückchen braucht, wie 
es beim ersten Anblicke die Natur der Frage zu erfordern 
schien. Diese Übereinstimmung werden wir aber späterhin 
direkt und ohne jene Methode, bei welcher zwei Stückchen 
betrachtet werden, beweisen, wodurch die eben erkannte, 
überaus wichtige Wahrheit noch mehr bekräftigt werden wird. 

Um Aufgaben der betrachteten Art zu lösen , muss man 
übrigens die früher gegebenen Vorschriften vor Augen haben, 
mit deren Hülfe man bei jeder gegebenen Aufgabe den Diffe- 
rentialwerth des Ausdruckes des Maximums oder Minimums 
und der gemeinsamen Eigenschaft ermitteln kann. Hat man 
aber beide gefunden, so kann man die Gleichung für die 
Curve sofort bilden, wozu nur nöthig ist, dass man die Summe 
beliebiger Vielfachen der beiden Differentialwerthe gleich Null 
setzt. 

Anmerkung U. 38. Wir haben schon bemerkt, dass 
die Gleichung 

welche durch die Lösung unmittelbar gegeben wird, eine 
constante Grösse enthält, die aber nicht willkürlich ist, 
sondern aus der vorgelegten Bedingung bestimmt wird. Da 
nämlich allen Curven, unter denen die gesuchte zu bestimmen 



YaiUitloss-Beeliiiiiiig; 



103 



ist, dmelbe Werth tob TV zukommeB, oder dieser Ansdtuek 
in allen Cnrven denselben Werth, etwa B, anaebmen soll, 
80 liest sich die GrOsse B als gegeben ansehen, nnd da sie 
selbst in die Beclmung nieht eintritt, so sind die Constanten 
a nnd ß w zu bestimmen, dass der Werth des Ansdruckes 
wetoher za der Abscisse AZ = a gehört, gleich B wird. 

Hierdurch wird die sonst nnbestimmte Aafgabe an einer 
beatliiimten gemacht, wenigstens dann, w^n man die darch 
die spätere Integration eintretenden neuen Oonstanten durch 
eben so viele Punkte bestimmt. Genau wie früher können 
nftmlich so viele Punkte vorgeschrieben werden, durch welche 
die gesuchte Curve hindurchgehen soll, als neue Constanten 
durch Integrationen eintreten. Die Zahl derselben wird aber 
bekannt durch die höchste Ordnung der Differentiale, welche 
in der Gleichung vorkommen. Da sich aber die ganze Auf- 
gabe anf die absolute Methode zurückführen l^sst, so ist die 
Zahl dieser Constanten beständig gerade, oder die resoltireude 
GieichoDg 

ist entweder endlieh oder eine Differentialgleichnng aweiter 
Ordnung oder eine der vierten, sechsten, achten Ordnnng n. s. w. 
Ist die Gleichung 

ctdA + ßdB^ii 

endlich, dann ist die Curve vollständig bestimmt, sobald das 
Verhältniss von a und ß so angenommen wird, dass der Aus- 
druck W in der gefundenen Curve den gegebenen Werth B 
annimmt, was sieh immer durchfahren lässt. 

Findet man eine Differentialgleichung zweiter Ordnung, 
so ist die gefundene Curve durch zwei Punkte bestimmt; es 
ist aber tiblich die Endpunkte a und z der Curve vorzu- 
schreiben, und iü diesen Fällen wird das Problem zu einem 
bestimmten, wenn man die Bedingung hinzufügt, daS3 die ge- 
suchte Curve sich von a bis z erstreckt. 

Geht eine Difierentialgleichung vierter Ordnung hervor, 
so wird die Curve, welche Genüge leistet, durch vier beliebig 
angenommene Punkte bestimmt, und es wird passend sein sie 
so zu definiren, dass ausser den Endpunkten a und z auch 
die Lage der Tangenten in den Endpunkten vorgeschrieben 
wird. 

Gelangt man zu einer Differentialgleichung sechsten Grades, 
60 wird die Gurre durch sechs beliebige Punkte bestimmt; an 



. j . > y Google 



Leonhard Kuler. 



ihrer Stelle könnea aber auch vorgeschrieben werden die beiden 
Endpunkte a und r, die Lage der Tangenten in diesen End- 
punkten und die Kl lim mang an diesen Stellen oder die Grösse 
des Kl tlmmungsradiuö. 

Nach diesen Bemerkungen erkennt man aus der Lösuns: 
selbst, welche Bedingungen man beim Stellen der Aufgabe 
hinznfögeti miiss, daniit sie vollständig bestimmt wird, und 
diese Erinnerung gilt nicht bloss hier, sondern auch überhaupt 
bei der absoluten und der relativen Methode. 

Beispiel I. 40. Unter allen auf die Abscisse AZ 
bezogenen CurveUi bei denen die Formel 

J* yzdx 

denselben Werth annimmt, die zu finden, in welcher 
der Werth der Formel 

Jy^dx 

am kleinsten ist. 

[Losung: a^' -f- 2 = 0 ] 

Beispiel II. 41. Unter allen Gnrven derselben 
Länge, welche die Punkte a und z verbinden, die zu 
finden, welche die grösste oder kleinste Area aAZz 
umfasst. 

Da die gemeinsame £igenschaft die Bogenlänge 

f dxVT+p 
ist, so ist deren Differentialwerth: 

— nv ' d — . 

Ferner ist die Formel des Maximums oder Minimums: 

Jydx 

und ihr Differentialwerth 

Daher hat man fttr die gesuchte Onrve die Gleiehung: 

dx^bd — — , 



j y Google 



Yftriations-Beohnttng, 



105 



X -i- C = — — 



oder 



Legt man 



folgt. Hier Atta wird, indem man inte^rirt: 

das ist die allgemeiue Gleiehmig eines Kreises, 
daher dnreh die Punkte a nnd z irgend einen Kreisbogen, so 
seliliesst er unier allen anderen Curven gleiclier Länge die 
grdsste oder kleinste Area aAZz ein. Anf doppelte Art 
aber lassen sicli die Pankte a und z dareh einen Kreisbogen 
gegebener Länge verbinden, da er der Axe AZ sowohl 
die eoneaye wie die convexe Seite zukehren kann. Es ist 
klar, dass die Area im ersten Falle ein Maximum, im zweiten 
ein Minimum ist. Wenn daher die Endpunkte a und 2 und 
die Länge der Gurre zwiaehen ihnen gegeben werden, welch' 
letztere grösser sein muss als die Verbinduogsstrecke der 
beiden Punkte, so ist die Lösung vollständig bestimmt, denn 
es kann nur ein einziger Kreisbogen dieser Länge durch die 
beiden Punkte gelegt werden, der, je nachdem er die concave 
oder die convexe Seite der Axe AZ zukehrt, die grösste 
oder kleinste Area bildet. 

Folgerung. 42. Hieraus erhellt, dass der Kreisbogen 
(/ z zwischen a und z nicht 
nur die grösste Area aAZz 
unter allen anderen Linien 
derselben Länge liefert, 
sondern, dass auch, wenn 
man irgend eine Linie 
aCEDz giebt , welche 
von a nach z gezogen ißt, 
der Kreisbogen az mit 
ihr die grösste Area ein- 
schliesst. Denn ist die 
Area aAZz die grösste, 
so ist es auch die Area 

aAZz^aAC'-zZD+ OED, 




106 



Leonhard Euler. 



weil die Flächen a AC, zZDy CED constant äiüd, welclid 
Verbindungslinie zwischen a und z man auch nimmt. 

Beispiel III. 43. Unter allen (Jurven derselben 
Läng-e, welche die Punkte A und M verbinden, die 
zu ermitteln, weiche mit den nach einen festen Punkt 
C gezogenen Geraden A(' und MC die grösste oder 
kleinste Area ACM einschliessen. 

[Lösung: Die Curve ist ein Kreisbogen, was schon aus 
§ 42 folgt.] 

Beispiel IV. 44. Unter allen Curven, welche a 
und verbinden und , ura die Axe ^4 Z gedreht, Körper 
derselben Oberfläche liefern, soll man die bestimmen, 
für welche gleichzeitig dieser BotatioBskÖrper das 
grösste Volumen hat. 

Die Oberfläche des so erzeugten Körpers ist proportional 
der Integralformel: 

jy dx \ 1 
deren Difiterentialwerth 

iät, das Volumen des so erzeugten Küipors aber ist pro- 
portional dem Ausdrucke 

dessen Diüerentialwerth 

nv * dx ' 2y 
ist. Daher ergiebt sich die Gleiehang: 

tydx^hdxVT^^^hd :^J^=^^ 

Mhltipllcirt maD sie mit so geht herror: 

lydy rir^ldy VY^\^^hpd--M£=: 

Fl H-j>« 

yp^p yp 



wovon das Integral ist: 



YMiatioDB-Rechnung. 



107 



Kl +p* 

= * + bc, 

Vi +P' 



also ist 
und 

folglich : 



Jy = (y«_ftc))/l4-^t 

^ VA« y* — {y* — bc,* _dy 
y' — bc dz* 

dx= iy*—^c)dy 



yj« yt_ (yt__ftp,l 

Über dies« Gleichung ist zuerst zu bemerken, dass für c = 0 
erhalten wird: 

dx = -y^, 

daher ist die Curve ein Kreis, dessen Mittelpunkt auf der 
Axe AZ liegt. Beschreibt man also einen Kreisbogen, dessen 
Mittelpunkt auf der Axe AZ liegt und welcher durch die 
Punkte a und 2 hindurchgeht, so genügt man der Aufgabe; 
es giebt aber nur einen solchen Kreis, und er liefert einen 
Körper von bestimmter Oberfläche. Weiiu man daher unter 
allen Curven , welche Körper einer anderen , davon verschie- 
denen Oberfläche erzeugen, diejenige sucht, welche das grösste 
Volumen hervorbringt, ist sie kein Kreis, sondern eine andere 
Curve, welche der Gleichung: 

dx = fy*— bc) dy ^ 
^ VÄ« y»^ (y*^ Äc)'" 

genUgt. Denn man kann vermöge der beiden Constanten b 
und c nicht nur bewirken , dass die Curve durch die vor- 
geschriebenen Punkte a und z hindurchgeht, sondern auch, 
dass die Oberfläche des Körpers eine vorgeschriebene Grösse 
hat. übrigens wird die Länge der Curve wegen 



gleich 



108 Leonhard Euler. 

bydy 



dieses Integral hängt von der Quadratur des Kreises ah und ist 

6(2c + Ä) — 2y* 
= ^ 6 arc cos — ^ h const. 

Setzt man 6 = oo, so entsteht ein eigenthümlicher Fall, denn 
es geht die Gleichung hervor: 

cdy 



dx = — 



welche eine Kettenlinie darstellt, die ihre convexe Seite der 
Axe AZ zukehrt 3^). 

Beispiel V. 45. Unter allen Curven, welche die 
gleiche Area aAZz umfassen, soll man die finden, 
welche bei der Rotation um die Axe AZ den Körper 
kleinster Oberfläche ergiebt. 

Da die gemeinsame Eigenschaft die Area 



ydx 

ist, so ist deren Differentialwerth 

nv • dx. 

Ferner ist die Formel, welche ein Maximum sein soll: 

fydx Vi 4- /)* 
und ihr Differentialwcrth: 

nv ' \dx Vi — d — ^-1 , 
woraus ftir die gesuchte Curve die Gleichung: 

yp 



ndx = dx Vi -\-p- — d 



Vi+P' 



entsteht. Multiplicirt man sie mit p und integrirt, so er- 
hält man: 

ny b = 



Vi-^P' 




.y Google 



Varlatlona-Rechnun^. 



109 



oder: 
Daher ist 

Vy'— («y ^ ^ 

^ ny •\- h dx 

und 

(»y -t- rfy 
V(l — n*} y»— 2 6»y — 

Hieraus erhellt, dass fflr i = 0 die Curve in die Gerade 
übergeht, welche die Punkte a und z verbindet. Ist ferner 
» = 0, 80 hat man 

ä. M= 

und erhält eine Kettenlinie, welche der Axo A'A ihre cou- 
vexe Seite zukehrt. Ist aber n = — 1 , so ist 

\2by — 6« 
woraus durch Integration entsteht: 

2b — y 



> 



X = f H -T-^ V2Äy — 6« . 

o 0 

Das ist eine algebraische Curve, deren Gleichung in rationaler 
Form lantet: 

94 [x — c)' = {2Ä — y,» (2y — Ä); 

sie ist also eine Curve dritter Ordnung und gehürt zur Art 6S 
von Newton'^). 

Beispiel VI. 46. Unter allen Curvcn az derselben 
Länge diejenige zn bestimmen, welche bei der Drehung 
um die Axc AZ das grösste Volumen erzeugt. 

Man sucht also unter allen Cnrven mit der gemeinsamen 
Eigenschaft 

f dx Vi +/»« 



diejenige, in welcher 



/ 



y* dx 



110 



Leonhard Jb^uler* 



ein Maximum ist. Da mm der Diä^erentialwerth der Formel 
fdz Vi gleieh 

— nv ' d 



der Differenüalwertli der Fovmeljy^dx aber gleich 

2np>ydx 

ist, 80 bat man für die gesocbte Carve die Qleicbimg: 
Multiplicirt man sie mit p und integrirt, so kommt: 



oder: 



und bieraas: 



-U Je = -i_ — 



sodaifl 



J V6* — + Äc)« 

wird. Diese Cnrve bat die Eigenadisft, dass flur 
radial» welebar «Ugomein gleieh 

ist, glaicb ist, d.h, umgekebri j^oportional dos Abscisse, 



woranB eibettt, dass die geraehte Cnrve die elasliMlie^) ist. 
Maa kaan aber laittelal 4er willkarlielieo CoDsteBton b oad e 
aieht nnr bewirken, daas die Carre darch die gegelMBeB Bad- 
paakte a and £ bindarebgeht, aoadern aaeb» dass der Bogen 
awiscben den Endpunkten gegebene GrOese bat. Wird ^ s o, 
so entsteht die reebtwinküge elasüsebe Cnrre. Übrigwa Uset 
sich die Constmction niemals doieb die Qaadratnr des Kreises 
oder der Hyperbel erledigen, ausser wenn h and e naendlidi 



ij , i.y 



Google 



Itt 



sind in diAMv Fiüle kl die Lta&e gmde oder 
wem 6 SS c ifli. Benn in diesem Falle ist 



^ fj y^ 4- dij 

Jy V- (26* -y«)' 



oder webn negativ genommen wird: 

X 



und irenn man die IntegmHon dnreli Logarithmen ansfObrt, 
wird: _____ 

Die Länge der Corve aller, welcl^ allgemein gleich 

dy 



ist, wird dann gleich: 



Beispiel VII. 47. Die Curve zu finden, welche 
Hüter allen anderen derselben Länge um die Axe AZ 
gedreht einen Körper mit ^ruaster oder kleinster 
Oberüäclie erzeugt. 

Da die gemeinsame Eigenschaft 

Jdx VT+^ 
ist» dessea Diilfeieatialwecth 

Ist, 4^ DitTerentialwerth der Formel des Maiimnms oder 

fydxVT+p 

aber ^leieh 



112 



L«onhard Ealer. 



ist, BO bat man fOr die gesuchte Cnrve die Gleichung: 

Tvelobe mit p maltiplicirt and int^^rt 

b y 



oder 



ergiebt. IlierauB wird ; 



i 4- y 



und 



sodass 



V(^4-y)'-c' _ dy 
^ c äx 



cdy 



ist. Daa ist 
vorausgesetzt , 



V(*4-y)' — 

die allgemeine Gleichung einer Kettenlinie, 
dass die Axe zu der aufgehängten Kette eine 
horizontale Lage hat. Es kann nun geschehen, dass die 
Curve der Axe AZ entweder die convexe oder die concave 
Seite zukehrt, und im ersten Falle ist die Oberd&che des 
Körpers am kleinsten, im zweiten am grOssten*^). 

Beispiel VIII, 48. Unter allen Curven, welche 

durch diePunkte^ und 
Cgehen und die gleiche 
Area ABC einschlies- 
een, diejenige zu finden, 
welcheineinerFltissig- 
keit in der Richtung 
bewegt den geringsten 
Widerstand erleidet. 

[Lösung die algebra- 
ische Cnrve: 

deren Gestalt die umstehende Figur 16 (S. 113] zeigt.] 




Variations Rechnang. 



113 



Beispiel IX. 49. Unter allen Carven^3/, welche 
die gleiche Area ^ P J/ einschliesscn, diejenige zu fin- 
den, welche so beschaffen ist, dass, wenn immer vom 
Mittelpunkte O des 
Schmiegungskreises 
auf die Verlängerung 
.der Ordinate MP das 
Loth OiV'gefälltwird, 
dievon den Punkten N 
gebildete Curve die 
kleinste Area APN 
einschliesst. 

Setzt mau die Ab- 
scisse AP — X, die Or- 
dinate PM=y, 80 ist 
die Area AP 3/ gleich 




das ist die gemeinsame 
Eigenschaft, und ihr 
Differentialwerth iät 

nv • dx. 

Da femer der Krüm- 
mungsradius M O 
gleich 



ist, so wird 
und 




Daher wird die Area APN gleich 
— Jy dx — 

Sie soll ein Maximum sein. Da ihr Differeatialwerth gleich 

OatwkU't KlAMlker. 46. 8 



1)4 Leonhard Eulcr. 

ist, 80 entsteht die Gleichung: 

q 

welche intcgriit: 

nxdx^^dx -^d l±ül + bdx 
q 

ergiebt. Maltiplicirt man aber dieselbe Gleichung mit p, so 
kommt: 

ndxdy^dyd^-^ pd* i-t^ , 
wovon das Integral ist: 
ny dx = c d 

Dnrch Verbindung der beiden Gleichungen entsteht: 

— dy-\- - 
? 9 
2 c/x» 4- 2 f/.v' 



ny dx = c dx r P d ~— 



2p 2 

nzdy — ny dx — b dy — cdx -\ dy -\ dx 



= b dy — cdx -\- 

dp 

Setzt man 

nx — i = »<, ny — c = nu, 
so ist dy = du, dx = dt, und es wird 

ndp =: —— — = n —j— , 

tdu — udt dt 

2dt^ + 2 dt du'* = ntdud*u — nudtd*u, 
wenn als constant angenommen wird. Es sei 

u = st, 

dann ist: 

</« = sdt + /</«, 
rf«M = id*s -f- 2rf«(/5. 

Durch Substitution dieser Grössen entsteht die Gleichung: 

2(1 +«*) dt'-{-48tdl*ds-^2{l—H. t*dtds*^nt'dsd*s. 

Setzt man jetzt: 



80 ist 

and 

also 



Yulatimii-Beoliiiang; 115 

dt = e ' rds 
dH=0=^e ^''^^ (rdU + drds + r»<^««). 



d^s =s drda — rd«*. 

r 

Mithin kommt schlioflBlich die GleicbuDg zum Yorsebeiii: 

2(1+ *«) r^ds + Asr*ds + 2(1 — n)rds — ^nrds 

oder 



r 

Es sd 



4- (2 — n)rds + Ur^ds -f- 2r*ü^Ä -h 2rU*d6 = 0. 



1 

© ; 

r 



dann ist: 

<lr + r*dp = 



2(1 + »«) • 

IHese OleieliuDg aber li^st sieh tnfegrireB, venu 

w = 2t (t— 1) 

ist, wobei f eiae gaue Zahl beadehnet. Ist z« B. » = 4, 
so ist 

voraas sich rückwärts die Constrnction erledigen lässt. 

Beispiel X. 60. Unter allen Onr^en, in veleben 



Tdx 



den^^nlbcn Werth erhält, soU man diejenige finden, 
in velcher 



JyTd» 



116 



Leonhard Euler. 



ein Maximum oder Minimum ist, wobei Teine Function 
von p allein bezeichnet, sodass dT =■ Pdp ist. 

Beispiel XI. 51. Die Corve zu bestimmen, welche 
pegenOber allen anderen Curven zwischen denselben 
Endpunkten, zu denen derselbe Werth von 

Jxdx Vi -hp« 

gehiirt, das grösste oder kleinste 

jydx Vi 

besitzt. 

4. 

Wie flndet mau unter allen Curven mit mehreren ge- 
meinsamen Eigenschaften diejenige, welche eine Eigen- 
Hcbaft im httchsten oder geringsten Grade besitzt? 

Lehrsatz I. l. Die Curve, ftlr welche der Aus- 
druck 

anter der Gesammtheit aller Curven ein Maximum oder 
Minimum hat, ist zugleich so beschaffen, dass sie unter 
allen Curven, welche dieselbe Eigenschaft^ besitzen, 
den grössten oder kleinsten Werth der Formel B liefert. 

Beweis. Nehmen wir an, es sei die Curve gefunden, 
in welcher, gegenüber allen anderen derselben Abscisse ent- 
sprechenden Curven , der Ausdruck a A -\- ß B am grdssten 
ist; denn was man vom Maximum beweist, gilt auch bei ge- 
eigneter Veränderung vom Minimum. Es bezeichnen aber die 
Buchstaben A und B hier solche unbestimmte Formeln oder 
Ausdrücke, wie sie bei Aufgaben Qber Maxima und Minima 
auftreten können, und a und ß sind willkürliche Constanten. 
Bezeichnen wir nun die Curve, in welcher aA-\-ßB am 
grössten ist, mit Q, um sie leicht und ohne mühevolle Be- 
schreibung mit Worten angeben zu können, und denken uns 
irgend eine andere derselben Abscisse entsprechende Curve R, 
in welcher A denselben Werth wie in Q annimmt, so hat 
in der Curve R der Ausdruck aA-\-ßB einen kleineren 
Werth als in Q, weil er in Q seinen grössten Werth erlangt. 
Da also der Ausdruck A in den Curven Q und .ß denselben 



Variations-Bechimiig'. 



117 



Werth annimmt, und in Q der Ausdruck aA + ßB grösser 
ist, als in JR^ so folgt» dasB der Werth des Ausdruckes B in 
der Cnrve Q grösser sein mnss, als in der Cnrve B, Da 
nmi B irgend eine Oorre bezeichnet, zu welcher derselbe 
Werth von A wie zu Q gebOrft, so ist klar, dass die Cnrve 
Q unter allen Gurren B den grIJasten Werth der Formel B 
ergiebt. 

Somit mnss die Oarve, welche nnter der Gesammtheit 
aller Curven den grössten Werth des Ansdmckes aA-\-ßB 
liefert, zugleich so beschnffen sein, dass sie gegenüber allen 
anderen Cnrven, wolelie mit ihr die Eigenschaft A gemeinsam 
haben, den grössten oder kleinsten Werth des Ansdruckes B 
besitzt; denn obgleich dieser Beweis sicli nur aiits Maximum 
bezog, so lässt er sich doch, bei Vertanschung der Worte, 
sofort aufs Minimum flbertragen. Was zu beweisen war. 

Folgerung T. 2. Umgekehrt sieht man ein, dass, wenn 
die Cnrve ermittelt werden soll, die unter allen Cui*ven mit 
der gemeinsamen Eigenschaft A ein Maximum oder Minimum 
des Ausdiockes B besitzt, der Aufgabe gentigt wird, wenn 
man absolut unter allen Cnrven diejenige aufsucht, in welcher 
a-4 + ßB ein Maximum oder Minimum ist 

Folgerung II. 3. Bei der Lösung solcher Probleme 
treten also zwei neue willkürliche Constanten a und ß auf, 
welche in den Ausdrücken A und B selbst nicht voi kamen; 
sie sind aber nur einer Constanten gleich werthig , weil Mosa 
ihr Verhältniss in Rechnung kommt. 

Folgerung III. 4. Wenn man also unter allen Curven 
mit der gemeinsamen Eigenschaft A diejenige bestimmen soll, 
in welcher B ein Maximum oder Minimum ist, so muss man 
von beiden Ausdrücken A und B die Differentialwertbe 
nehmen, jeden ftlr sich mit einer willkürlichen Constante 
multipliciren und die Summe gleich Null setzen. So erhält 
man eine Gleichung für die gesuchte Ourve. 

Folgerung IV. 5. Zugleich lenehtet ein, dess man anf 
dieselbe W^se zn verfahren bat, sei es, dass nnter allen 
Cnrren mit der gemeinsamen Eigenschaft A diejenige gesneht 
wird, ftr welche B ein Maximum oder Minimum ist, sei es, 
dass nnter allen Cnrven mit der gemehisamen Eigenschaft B 
diejenige gesneht wird, fllr welehe A ein Maximum oder 
Minimum ist. 

Anmerkung. 6. Was wir in dem Lehrsätze und den 
' beigefügten Folgerungen zdgten, ist aus dem Torhergehenden 



. j . > y Google 



118 



Leonhard Ealer. 



Kapitel wohlbekannt, denn es ist die üinkehi uug der Methode, 
Probleme zu io^ea, bei denen mau unter allen Curven mit 
einer gemeinsamen Eigenschaft diejenige siucht. welche ein 
Maximum oder Minimum besitzt. Man darf aber nicht glauben, 
diiää wir nur dieselben Gedanken wiederholt haben, denn was 
wir dort ziemlich umständlich erschlossen hatten, haben wir 
hier einfach und kurz bewiesen, und wegen ihrer gegenseitigen 
Übereinstimmung bekräftigt die eine Bevveismethode die andere. 
Auch wenn vielleicht die erste Methode wegen des häufigen 
Gebrauches unendlich kleiner Grössen nicht durchsichtig genug 
nnd etwas bedenklich erscheinen sollte, so wird doch die 
hier gegebene Methode jeden Anstoss benehmen. Wenn aber 
jemand nn der Umkehrun^- des gegenwärtigen Lehrsatzes, wie 
sie in Folgerung I gemacht wird, zweifeln sollte, so wird 
diesem die frühere Methode völlig Gentige thun. 

Indess kann die Berechtigung dieser Umkehr ung ans sich 
selbst sichergestellt werden. Denn da die Gnrve Q, in welcher 
aA'\- ßB anter der Gesammtheit aller Gurren ein Huiinnm 
hat, ao beschaffen ist, dass sie unter allen Gar?en mit der 
gemeiBsamen Bigensohaft A ein Hanmam oder Miiüaiiini fUlr 
B ergiebt, welche Werthe auch den Gonetanten or nnd ß er- 
theilt werden, so mnas anch die Umkehrnng gültig sein, wenn 
man die GodfBeienten a und ß so aUgemein wie möglich an- 
nimmt. 

Es schien gnt dies an erwähnen und die Bflndigfceit der 
Schlnssweise an erklären, damit bei ihren späteren Anwen- 
dungen kein Zweifel ftbrig bleibt. Denn obgleich dieser Lehr- 
sats eigentlich zum Torhergehendea Kapitel gehOrt, haben wir 
ihn doch hierher gestellt > nm den eigentlichen Gegenstand 
dieses Kapitels leichter nadi derselben Methode an behsndeln ; 
die Anwendung der anderen Methode würde nämlich sehr 
nmständliche Rechnungen und die TcrdriessUche Einfährung 
von Diffmntialen aller Ordnungen erfordern. Indess werden 
wir so dentlich wie möglich zeigen, dass alles, was wir hier 
auseinandersetzen, auch vermöge der frOheien Methode be* 
stätigt nnd sogar ermittelt werden kann. 

LeliYsatä II. 7. Die Gurre, fär welche unter der 
Gesammtheit aller zn derselben Absclsse gehörigen 
Gnrren der Ausdruck 

aA-\-ßB-\-'yC 

am grössten oder kleinsten ist, ist zugleich so be* 



. j . > y Google 



Yariatioas-EechouDg. 



119 



schaffen, dass sie unter allen Ciirven, welche den 
Ausdruck A und den Ausdruck B gemeinsam haben, 
der! g-rösston oder kleiosten Werth des Ausdruckes C 
besitzt. 

Beweis. Die Bachstaben B und C mdgen irgend 
welche IntegraLformeln oder unbestimmte Ausdrücke bezeichnen^ 
welche eines Maximums oder Minimums fähig sind, die Buch- 
staben of, ß und / dagegen willkürliche Oonstanten. Jetzt 
sei Q die Curve, welche unter der Gesammtheit aller Curven 
den grössten oder kleinsten Werth von aA-\-ßB'\-'yC 
ergiebt. Denkt man sich nun eine andere Curve 7i*, in welcher 
die Ausdrücke A und B denselben Werth haben, wie in der 
Curve Q, so hat der zusammengesetzte Ausdruck aA-{- ßB 
in den beiden Curven Q und H denselben Werth , und der 
ganze Ausdruck aA-\-ßB-^yC erlangt daher in der 
Curve R einen kleineren Werth als in der Curve Q , wenn 
aA-\-ßB-\-yC\ii der Curve Q ein Maximum ist, dage^^en 
einen grösseren, wenn aA-^ßB-\~yC in der Curve Q ein 
Minimum ist. Da nun der Theil u A -f- ßB jenes Aufdruckes 
den beiden Curven Q und Ii gemeinsam ist, so muss der 
übrige Theil y C und daher auch C selbst im Falle des Maxi- 
mums in Q grösser sein als in i?, im Falle des Minimums 
aber ist der Ausdruck C in der Curve Q kleiner als in der 
Curve JR. Hieraus folgt, dass, wenn die Curve Q unter der 
Gesammtheit aller Curven den grössten oder kleinsten Werth 
des Ausdruckes a A -\- ß B -\~ y G hat, alsdann die Curve 
Q zugleich unter allen Curven Ii mit demselben Werthe des 
Ausdruckes A und des Ausdruckes B den grössten oder kleinsten 
Werth des Ausdruckes C liefert. Was zu beweisen war. 

Folgerung I. 8. Da die Ausdrücke A^ B und C be- 
liebig unter sich vertauscht werden können, so ist die Ourve^ 
in welcher 

aA-\-ßB + yC 

«in Unzimum oder Minimam h%, sogleich diejenige, in welcher 
unter allen Curven mit den gemeinsamen Eigenschaften A und 
B ein Maximum oder Minimum für C vorhanden ist, oder 
diejenige, welche das grOsste oder kleinste B hat unter allen 
Curven mit den gemeinsamen Eigenschaften A und C, oder 
endlieh diejenige, welche das grOaste oder kleinste A hat 
unter allen Cnrven, denen die heiden Eigenschaften B und 
C gleichmisslg ankommen. 



. j . > y Google 



120 



Leonhard Euler. 



Folgerung II. 9. Die Curve also, welche unter allen 
mit den gemeinaainen Eigenschaften A und B das grösste 
oder kleinste C besitzt, hat auch unter allen Cnrven mit den 
gemeinsamen Eigenschaften A und C oder B und C das 
grösste beziehungsweise kleinste B oder A. 

Folgerung III. 10. Sucht man also die Curve, welche 
unter allen, denen die beiden Eigenschaften A und B gleich- 
mässig zukommen, den grössten oder kleinsten Ausdruck C 
hat, so genügt man der Aufgabe, Indem man die Curve sucht, 
welche absolut unter allen Curven das Maximum oder Mini- 
mum des Aoädruckes aA-^ßB-\-yC besitzt. 

Folgerung IV. 11. Da a, ß und •/ willkürliche Con- 
stanten sind , so treten in die Lösung solcher Probleme drei 
neue willkQrliche Grössen ein, welche in den vorgelegten 
Formeln A, B und C nicht vorkamen; die drei Constanten 
o, ß und y sind aber nur gleichwerthig mit zweien. 

Folgerung V. 12. Dieselben Constanten kamen schon 
in der Gleichung der j.uerst gefundenen Curve vor; ausser 
ihnen treten durch die Integrationen so viele neue Constanten 
ein, als man Integrationen braucht, bevor man zur endlichen 
Gleichung gelangt. 

Folgerung VI. 13. In ähnlicher Art, wie wir diesen 
und den vorhergehenden Lehrsatz bewiesen haben, lässt sich 
auch zeigen, dass die Curve, welche absolut unter allen Curven 
den grössten oder kleinsten Werth des Ausdruckes 

aA + ßB + yC-\-dD 

besitzt, zugleich unter allen Curven mit den drei gemeinsamen 
Eigenschaften A, B und C ein Maximum oder Minimum fUr 
den vierten D ergicbt. 

Anmerkung. 14. Aus diesem Lehrsatze entnimmt man 
eine Methode, solche Probleme der relativen Methode zu lösen, 
bei denen man nach der Curve fragt, welche unter allen zu 
derselben Abscisse gehörenden Curven, die sich zweier oder 
mehrerer gemeinsamer Eigenschaften erfreuen, den grössten 
oder kleinsten Werth irgend eines Ausdruckes besitzt. Die 
Aufgabe lässt sich nämlich immer auf die absolute Methode 
zurückfuhren, sodass man unter der Gcsammtheit aller Curven 
diejenige suchen muss, welche ein Maximum oder Minimum 
eines gewissen Ausdruckes ergiebt. 

Durch diese Zarttckftlhrung erlangen wir den Vortheil, 
dass wir alle diese Probleme mit Hilfe der Differentialwertbe 



VkriAtioDB-Rechnung. 



121 



lösen können, welche wir oben en ermitteln lehrten. Die 
Lö»Qng aber gestaltet sich so, dass man die gemeinsamen 
Eigenschaften und ebenso den Ausdruck des Maximums oder 
Minimums entwickelt, sie mit willktlrlichen Constnntcn multi- 
plicirt und die Prodnete zu einer Summe vereinigt. Darauf 
mass man absolut nnter allen Gurren diejenige suchen, in 
welcher jene Summe am grßssten oder kleinsten ist. Das 
geschieht aber, indem man den Differentialwertb der Summe 
ermittelt und gleich Null setzt. 

Das ganze Verfahren kann man mithin daruuf zurtlck- 
ftihren, dass man nach den oben gegebenen Kegeln ftlr die 
einzelnen Ausdrtlcke, welche die gemeinsamen Eigenschaften 
darstellen, und fUr den Ansdnitk des Maximums oder Mini- 
mums die Differentialwerthe bildet, jeden ftlr sich mit einer 
willktlrlichcn Constante mnitiplicirt, und die Summe aller 
dieser Producte gleich Null setzt, denn so erhält man die 
Gleichung ftlr die gesuchte Curve. Diese eine Vorschrift 
wtlrde zur Lösung aller Aufgaben dieser Art genügen, aber 
beror wir ihre Anwendung auseinandersetzen . ist es zweck- 
mässig die Richtigkeit der Methode auf dem vorher ange- 
wandten Wege zu bestÄtigen. 

Aufgabe. 15. Unter allen anf dieselbe Abscisse 
bezogenen Cnrven mit zwei gemeinsamen Eigenschaften 
A und B diejenige zu finden, in welcher der Werth 
des Ausdruckes C am grössten oder kleinsten ist. 

Lösung. Aus dem Vorhergehenden erkennt man, dass 
das Problem gelöst wird, wenn man absolut unter allen Curven 
diejenige sucht, in «welcher 

tt A -\- fill + yC 

ein Maximum oder Minimam ist. Dazu muss man aber die 
Differentialwerthe der Ausdrücke A, B nnd C kennen. Sind 
sie für A gleich nv ■ dx P, für B gleich nv-dxQ, für C 
gleich nv-dxRy so erh&lt man für die gewünschte Cnrve 
die Gleichang: 

aP + ßQ + yR= 0. 

Damit aber die Richtigkeit dieser Lösung besser ein- 
leuchtet, wollen wir das Problem mittelst der Methode an- 
greifen, welche wir oben im vorhergehenden Kapitel ange- 
wandt haben. Zunächst ei kennt man, dass zur Lösung dea 



122 



Leonhard Euler. 



Problems drei Ordiüaten um imeudlicb kleine Btttcke ver- 
mehrt werden müssen, damit man drei vorgeschriebenen Be- 
dingungen genügen kann. Die drei hinzugefügten Stücke, 
mittelst (lerer die C nii£::e leistende Curve in eine sehr wenig 
davon abweichende übeigeführt wird, müssen erstens so be- 
schaffen sein 5 dass der Ausdruck A, welcher die eino f^e- 
meiusame Eigenschaft ausdrückt, beiden Curven in gleicher 
Weise zukommt, dann muss auch die zweite gemeinsame Eigen- 
schaft B in beiden Curven denselben Werth annehmen , und 
drittens muss auch, wegen der Natur des Maximums und 
Minimums, der Ausdruck C in der veränderten Curve d n- 
selben Werth wie in der ursprünglichen erlangen; den drei 
Bedingungen kann mau aber nicht gentigen, wenn man weniger 
als drei Stückchen den Ordinaten hinziifü;^t. Deshalb mass 
mau ausser den beiden Oidiuaten IS'u und Oo, welche in 
der früheren Figur um die Stückchen ?ir und ou vermehrt 
wurden, noch der folgenden Oidinate das Sttlckcheu pit 
hinzufügen. 

Zuerst suchen wir die Ändcniug, welche der Ausdruck 
A in Folge dessen erleidet. Sie ist: 

nv • Pdx -jr out • F,dx pit • F^dxn 

Denn das Stflekehen nv vernnacht die Änderung nv • Pdx^ 
welche mit dem Differentislwerthe ttbereinatimmt, den der 
Ansdmck A In Folge von nv nllein erleidet. Ans dem folgen- 
den Stflekehen ota aber ergiebt sich die Änderung ota*P,dx, 
denn venn ota der feigenden Ordinate binzogefflgt wird, so 
sind alle Grössen, welche durch om beeinflusst werden, die 
vorhergehenden derer, welche nv beeinflusst, und aus dem 
gleidien Grunde geht aus dem Stflekehen pn die Änderung 
p7t • P„ dx hervor ; alles dies wird ganz klar und einleuchtend, 
wenn man die Bechnung in derselben Weise durchführt, wie 
es in § 22 des vorhergehenden Kapitels geschah 3^). 

Auf dieselbe Weise erhält ferner der Ausdruck B, dessen 
aus nv hervorgehenden Differentialwerth wir gleich nV'Qdx 
gesetzt haben, in Folge der drei Stückchen nv^ aa» und pjv 
den Zuwachs: 

tiv ' Qdx ooi • Q,dx '\' pft • Q„ dx, 

und endlich vermehrt sich in Folge der drei Stückchen der 
Ausdruck C um 

nv * Rdz '\- aia - R,dx pf$ " B„ dx. 



. j . : y Google 



VariatioDS-Beohnang. 123 

Daher entstehen nach Division mit dx folgende drei 
Oleichangen : 

0 = • P + ow ♦ P, 4- p7t • P„^ 
0 s= MI/ • Q 4- Oft» • Q, + p7t ' Qfff 
0 Ä • Ä 4- ofti • -ß, -]- p7t • M„. 

Elimmirt man jetzt die Stückchen nv, oo) und pft, welche nur 
hebnfs Durchführung der Lösung zu Hilfe genommen wurden, 
so erhält man eine Gleichung zwischen den Grössen, die sich 
auf die Curve beziehen, und welche die ^atur der Curve 
ausdrücken. 

Um die Stückchen zu eliminiren, multiplicire man die 
Gleichnngen jede für sich mit nenen Unbekannten a, ß nnd 
sodass man hat: 

0 = nv ' ß Q ^ ota ' ß Q, -\- p7t ' ß Q„, 
0 sss nv ' y Ii + ofo * y M, + prt • y B„f 

und bilde hieraas die Gleichungen: 

O^aP ^ßQ +yB , 
0 = aP, -{-ßQ,+yIi,, 
0^aP„'^-ßQ„ + yM„, 

Hieraus erhellt sofort, dass die dritte Gleichung die beiden 
tisten in sich enthält» wenn mau für die Grössen a, ß und 
y Constanten auuimmt. Denn ist 

0^aP„ + ßQ„-^yM„, 

so ist auch 

0^adP„ + ßdQ„ + ydB„ 

nnd 

0 = ad*P„^ ßd* Q^-i-yd* E„. 

Nun ist: 

P,^P„^dP„, Q,^Q„'\'dQ„ M,=^E„ + dB„ 
nnd 

P ^ P,, + 2dP„'^d^P^, Q= Q„-^2dQ„-^ d^Q„, 

R=:R„-ir 2dBt, + d*R„^ 

also «ach; 

0 s= aP 0 +yÄ • 



124 



Leonhard Euler, 



Beabalb bat man zur LGsung des Problems die GleiebuBg 

O^aP,,-^ ßQ„ + y2i„ 
oder ancb die gleichbedeutende 

zu bilden , und schreibt man in ihr an Stelle von a, ß nnd 
y willkürliche Constanten, so druckt sie die Natur der ge- 
Süchten Cm*ve ans. Diese Gleichung aber stimmt vollständig 
mit derjenigen tiberein , welche wir bei der anderen Methode 
erhielten, nnd so bestätigen beide Methoden sich gegenseitig. 
Was zu finden war. 

Folgerung I. 16. Alle Probleme der betrachteten Art 
lassen Bich also mit Hilfe der Did'erenlialwerthe lösen, welche 
ans der Ändernng einer Ordinate entstehen, nnd welche au 
finden wir oben ausführlich gelehrt haben. 

Folgerung II. 17. Wenn man also die Curve finden 
soll, welche unter allen anderen auf dieselbe Abscisse be- 
zogenen Curven, die sich derselben Eigenschaften A und B 
erfreuen , den grössten oder kleinsten Werth des Ausdruckes 
O ergiebt , so ist einleuchtend, dass die Aufgabe auf das 
Problem der absoluten Mettiodc zunickkommt, man solle unter 
der Gesammtlipit aller auf dieselbe Ahscisse bezogenen Curven 
diejenige besiimmen, in welcher der Ausdruck 

ein Maximum oder Ifinimnm ist. 

Folgerung m. 18. Man eikennt bierans angleieb die 
Meäiode Probleme zu lösen, bei denen man nnter allen Gtnren, 
welebe in mebr als awei nnd sogar in beliebig vielen Eigen- 
scbaflen übereinstimmen, dl^enige Teriangtidrd, welebe sieb 
einer Eigensehaft des Maximums oder Minimums erfreut. 

Folgerung IV* 19. Denn wenn man nnter allen 
Gurren, in weleben die Ausdrfleke B, Z> gleicbe 
Wertbe baben, diejenige ermitteln soll, in weleber der Ans^ 
druck E ein Maximum oder Ifinimnm ist, so genttgt man der 
Aufgabe, indem man nnter der Gesammtbeit aller Ourren 
diejenige aufsncbt, in weleber 

ein Maximum oder Minimum ist, wobei die Buebstaben ß, 
yt 6 und s willkfiiliebe Constanten bezeiebnen. 



. j . > y Google 



VariaÜoDB-Rech&aiiff. 125 



Folgarnng Y» 20. Je melir Elgenaishftfleii also vor* 
gelegt irnden, welehe den Oar?eii gemelnaeluifllich Bein sollen» 
unter denen man die geanehte mit der Eigensehaft des Maxi- 
mom» oder Minimums erforsohen soll, nm so mehr wUlkflr- 
liohe Constanten traten in die Gieiehnng der Onrve ein nnd 
um so mehr Gnrren fasst sie in sieh. 

Anmerkung I. 21. Waram um so mehr Gonstanten in 
die LOsnng eintreten, je mehr gemeinsame Eigensohaften vor- 
gelegt werden, kann man aus dem Vorhergehenden leicht er- 
scfaliessen. Nehmen wir nimlieh an, dass man unter allen 
Ourven mit der gemeinsamen Eigenschaft A diejenige er^ 
mittein soll, in welcher B ein Maximum oder Minimum istj 
so steht znnAehst fest, dass der Aufgabe die Ourve genllgt, 
welche unter der Gesammtheit aller Ourven das grdsste oder 
kleinste B hat, denn sie hat auch unter allen, welche sich 
der gemeinsamen Eigenschaft A erfreuen, ein Maximum oder 
Minimum. Dann aber kann man sich unendlich viele Arten 
von Ourven denken, sodass zu jeder Art derselbe Werth von 
A gehört, und in jeder Art ist dann eine Ourve, welche 
gegenüber den anderen den giössten oder kleinsten Werth 
von B liefert. Die Ourven, welche Genüge leisten, müssen 
aber nothwendig alle in der allgemeinen Lösung enthalten 
sein. Da also die Anzabl der Curvcn, die Genüge leisten, 
unendlich gross wird, wenn eine gemeinsame Eigenschaft 
vorgeschrieben ist , so wird sie in noch stärkerem Grade 
vermehrt, wenn mehrere gemeinsame Eigenschaften vorge- 
legt sind. 

Wenn jedoch die Wcrthe, welche die gemeinsamen Eigen- 
schaften in den Ourven besitzen , unter denen mau die ge- 
suchte ermitteln soll, wirklich bestimmt werden, dann giebt 
die Lösung immer eine einzige Curve, welche Genüge leistet. 
Dt'ini jene Constanten können dazu dienen die Werthe, welche 
die gemeinsamen Eigenschaften in der gefundenen Ourve an- 
nehmen, nach Belieben zu bestimmen. So kann mau zum 
Beispiel im Falle, dass zwei Eigenschaften A und B gegeben 
sind, die Ourve angeben, zu welcher gegebene Werthe von 
A und B gehören und welche überdies so beschaffen ist, 
dass sie gegenüber den unendlich vielen anderen, zu denen 
dieselben Werthe von A und B gehören, den grössten oder 
kleinsten Werth irgend eines Ausdruckes C besitzt. Und 
dieselbe Erinnerung gilt, wenn mehrere gemeinsame Eigen- 
schaften vorgeschrieben sind. Hiernach ist wohl hinreichend 



j y Google 



126 



Leonhard Euler. 



klar, was man mit den Constnnten machen muss, welche in 
die Lösung eintreten, und wie man sie zu benutzen hat. 

Beispiel I. 22. Unter allen anf dieselbe Ab- 



Bcisse AC bezogenen Curven, 



Flg. 18. 




dinate PM— y und dy — pdx, 
gelegten gemeinsamen Eigenschaften 



welche unter einander 
dieselbe Länge be- 
sitzen und eine gl eich- 
grosse Area D.^ Dein - 
schliessen, soll man 
diejenige bestimmen, 
welche bei der Dreh- 
ung um die Axe AC 

einen Körper von 
grösstem oder klein- 
stemVolumen erzeugt. 

Setzt man die Ab- 
scisse AP=x, die Or- 
80 sind die beiden vor- 



nnd 



dz 



f' 



dxV\ 

nnd die Formel des Maximums oder Minimums ist: 



/ y'dx. 



Jetzt hat man die Diffbrentialwerthe der drei Formeln zu 
suchen. Zuerst hat die FoTme\J'ydx den Differentialwerth: 

nv • dx, 



dann ist der Differentialwerth von fdxVl + />* gleich ; 



— nv ■ d 



und drittens ist der üifforentialwerth der Formel fy*dx gleich: 

2nv • ydx. 

Aus den drei Differentialwerthen erhält man fttr die gesuchte 
Curve die Gleichung: 



Yiriations-Rechnang. 



127 



oder: 



== adx — ß d ——^ -\-2yydx 

hdx -\- 2ydx — d —=£z 



c*dp 



Moltipiicirt man diese Gleichang mit p and integrirt, so hat 



man. 



wo man c' nnd y nach Belieben positiv oder negativ an- 
nehmen darf. Hieraus wird weiter: 

(/'-hÄy-f-y')« (i +p*) = c* 



und 



_ Vc* — (r+by + y\'' _ dy 

^ /* + 4y + y' 



mithin ist: 

(/•4-*y dy 



dx = 



das ist die Gleichnng der elastischen Ourve. Darch die 
noch tibrige Integration tritt eine neno willkürliche Constante 
ein, und mittelst der vier Constanten kann man zunächst 
bewirken, dass die Curve durch zwei gegebene Punkte geht. 
Dann bleiben noch zwei Constanten übrig, welche man so 
wählen kann , dass für z = a die Länge und die Area der 
Curvo die gegebene Grösse haben. Überdies wird wegen der 
Zweideutigkeit des Vorzeichens in der Quadratwurzel das 
eine Vorzeichen die Curve mit dem Maximum, das andere die 
Curve mit dem Minimum geben. 

Da aber in der Gleichung die gegebene Grösse a der 
Abscisse nicht vorkommt, so folgt, dass ein Stück der ge- 
fundenen Curve, welches zu irgend einer Abscisse gehört, 
auch die Eigenschaft besitzt, dass es gegenüber allen anderen 
Curven, welche derselben Abscisse enttiprechen und durch 
dieselben zwei Punkte gehen, und welche dieselbe Länge und 
dieselbe Area wie jene Curve besitzen, dass dies Stück, sage 



128 



Leonhard Euler. 



ich, bei der Rotation um die Abscissonaxe einen Körper mit 
dem grüästen oder lileinsten Volumen erzeugt. Zwei Punkte 
nämlich, durch welche die gesuclite Curve hindurchgehen soll, 
sind hier deshalb in Betracht zu ziehen, weil die Rechnung 
eine Differeutialgleichung zweiter Ordnung ergiebt, welche eine 
doppelte Bestimmung erfordert. Es können aber auch die 
beiden übrigen Constanten, welche sofort in der Gleichung 
vorkamen , durch Punkte bestimmt werden , und hierdui-ch 
kommt eine Lüsung zum Vorschein, welche lehrt durch vier 
gegebene Punkte eine Curve zu beschreiben , welche unter 
allen anderen durch die vier Punkte gezogenen gleicher 
Länge und gleicher Area bei der Drehung um die Axe den 
gröästen oder kleinsten Körper erzeugt. 

Immer wird die Zahl der willkfirlichen Constanten, welche 
in der gefundenen Gleichung actuell oder potentiell vor- 
kommen, anzeigen, wieviel Bestimmungen nöthig sind, damit 
man eine bestimmte Cnrve erhält, welche dann gegenüber 
allen uuderen Curveu mit denselben Bestimmongsstücken der 
Aufgabe Genüge leistet. 

Beispiel II. 23. Unter allen derselben Abscisse 
entsprechenden Curven, welche zuerst gleiche Area 



einschliessea und dann um die Axe gedreht gleiche 
Volumina 



erzeugen, diejenige zu bestimmen, deren Schwerpunkt 
am höchsten oder niedrigsten liegt, oder in welcher 



ein Maximum oder Minimum ist. 
[Lösung: die gerade Linie]. 

Beispiel III. 24. Unter allen Ourven derselben 
Länge DAD, welche die gegebenen Punkte D, D ver- 
binden, diejenige zu finden, welche so beschaffen ist, 
dass, wenn zwischen den verticalen Goraden DB, DB 





J'ij X dz 
fydx 





Variationa-RecbDung. 



129 



durch die horizontale A'iV eine Area NDADN ge- 
gebener Grösse abgeschnitten wird, der Schwerpunkt 
von NDADN die tiefste Lage hat. 




Die LOsnng dieser Aufgabe ist fflr die Hydrostatik sehr 
ntltzlich, denn mit ihrer Hilfe löst man das Problem, die Ge- 
stalt zu bestimmen, welche ein Tuch DAD, das in deo 
Punkten /) /) an dem Gefässe BD DB befestigt ist. an- 
nimmt, wenn in das Gefäss eine gegebene Menge Wasser 
hineingegossen wird. Denn da das Tuch sich nicht ausdehnt, 
ist erstens die Länge der Curve DAD gegeben. Ferner ist 
der Raum NDADN gegeben, der durch die Menge des 
eingegossenen Wassers gemessen wird. Drittens mnss, nach 
den allgemeinen Gesetzen der Hydrostatik und der Schwere, die 
Figur DAD so beschaffen sein, dass der Schwerpunkt des 
Raumes NDADN so tief wie möglich liegt. 

Um das Problem zu lösen, setze man DC = CD = a. 
Zieht man noch irgend eine horizontale Gerade AI P M , so 
sei MF=PM=x und AP = y. Dann ist der Bogen 
MA M gleich 



2 Jdx Vi + p\ 



viQ dy = pdx gesetzt ist. Wird noch die Länge der Curve 
DAD gleich 2b gesetzt, so muss die Gleichung zwischen x 

und y so beschaffen sein, dass die Integralformel dx \ 1 -\-p* 
für X = a gleich b wird. Weiter ist die Area MAM gleich: 



2 y* xdy = 2 Jxpdx \ 



Oitwkld'« Klawiker. 40. 



130 Leonhard £uler. 

wird a gesetzt, so sei sie gleich 2f^, sodass also dann 

fxpdx =f* ist. Diese Area ist nieht gegeben, sie musa 
aber mit der Area NDDN einen gegebenen Raum erzeugeDr 
welcher gleich 2 c* sei. Setzt man also DN = z, so ist 

und daher fOr = a: 

Endlich hat der Schwerpunkt des ganzen Raumes NDADN 
Yom Funkte A den Abstand: 

wo nach der Integration x = a %n setzen ist. Der S<Awer- 
pnnkt liegt also unterhalb C um die Strecke: 

die ein Maximum sein mnss. Da über 

« — ^ (c* — J^xj) dx) 

ist, so muss 

AG'Jxpdx — ^'^'^J^^P^^ — i^(y**^^^) — J^ypdx 

ein Maximum sein. 

Das Problem kommt also darauf zurück, dass unter allen 
Cnrven gegebener Länge , welche zur Abscisse x ~ a ge- 
hören, diejenige gesucht wird, in welcher der Ausdruck: 

h Jxpdx -f- ^ Jxpdx — |y* zpds^ — zypdx . 

ein Maximum ist, wenn nämlich für x ^ a y gleich h ist. 
Nunmehr ist die Länge der Curve: 

fdxYi H-/>*, 
und ihr Differentialwerth gleich 



ij , i.y 



Google 



Vfiriations-RechnuDg. 



131 



-d . 

Weiter ist der Differentialwerth der Formel 

xpdx 



gleich 

— dx, 

and der Differentialwertb der Formel 



jrypdx 
gleich 

xpdx — d [xy] — — ydz. 

Hieraus ergiebt sich als Difl'crentialwerth des ganzen Aas- 
drackies, welcher ein Maximum sein soll: 

f* /* 

— hdx dx 4- — dx + vdx. 

a a ' y > 

und da h nnd f* unbestimmte Conatanten sind, geht er in 

kdx -}- ydx 

über, wo k eine willkürliche Constante bedeutet. 

Man erhalt daher far die gesuchte Curve die Oleichung: 

kdx + ydx = — g* d ■ -f . 

MnUiplicirt man sie mit p und integrirt, so ergiebt sie: 

„ + 2iy + y = :j^. 

Das ist die bekannte Gleichung der elastischen Gnrve ; sie 
bleibt dieselbe, welchen Werth auch die Grösse c* annimmt. 
Man genügt daher der vorgelegten Aufgabe, indem mau durch 
die Punkte D nnd Z> die elastische Curve zieht, deren Aze 
oder orthogonaler Durchmesser die verticale Gerade A C ist 
nnd von der das Stück DAD die gegebene Länge 2 5 hat. 
Auf diese Weise ist die Lösung vollständig bestimmt, nnd es 
ergiebt sich eine einzige Cnrve, welche Genüge leistet. 

Man hätte leicht vorhersehen können, dass die Grösse 
des Raumes ND ADN = 2c*, um dessen Schwerpunkt es 

9» 



132 



Leonhard £uler. Yanations-Hechnun^. 



slcli handelt, ganz ans der Rechnung heransfUllt, nnd dann 
wäre die Lösung viel leichter gewesen. Absichtlich aber 
haben wir diese Bedingung, welche freilicli überflüssig ist, 
hinzugefügt, damit man sieht, wie andere Aufg'aben dieser 
Art zu lösen sind, bei denen eine solche Yereiutachung nicht 
statt t i Ilde t^"^). 

Anmerkung II. 25. Somit ist also die unbestimmte 
Methode der Maxima und Minima, bei der es sich darum 
handelt Carven zu finden, welche eine Eigenschaft im liochsten 
oder geringsten Grade besitzen, vollständig auseinandergesetzt 
worden, und zwar wurde sie zurückgeführt auf die Ermitte- 
lung der Differentialwerthc , welche aus dem Zuwachse einer 
einzigen Ordinate hervorgehen. 

Verlangt nämlich die Aufgabe unter der Gesammtheit 
aller auf dieselbe Abscisse bezogenen Curven diejenige, in 
welclier irgend ein unbustimmter Ausdruck den grössten oder 
kleinsten Werth erhält, so muss man seinen Differentialwerth 
suchen, der gleich Noll gesetzt eine Gleichung für die ge- 
suchte Curve ergiebt. Soll man aber unter allen Curven, 
welche eine oder mehrere Eigenschaften gemeinsam haben, 
di^enige bestimmen, in welcher der Werth eines vorgelegten 
Awdraekes am grössten oder kleinsten ist, dann mnss man 
die Differentialwerfhe sowohl der einzelnen gemeinsamen Eigen- 
schaften als aneh des Ansdrnckes des Maximnms oder Mini- 
mums snehen nnd diese einzeln mit willkttrliolien Ckmstanten 
mnltipliciren. Die Summe der Prodncte gleieh Nnll gesetzt 
ergiebt dann eine Oleiehnng fttr die gesuchte Curve. Wie 
man aber den Differentialirertb irgend eines niebtbestimmbaren 
Ausdruekes findet, dafür haben wir in den TOiigen Kapiteln 
ausreiebende und siemüdi leicht anwendbare Vorsehriften ge- 
geben sodass bei diesem Gegenstande niebts llbrig ge- 
blieben sein ditafkei was nocb binzuzufflgen wäre. 



Anmerkungen. 



In diesem und dem folgenden Bändeben sollen einige ältere 
Abhandlungen berausgegeben werden, welche fttr die Variations- 
Kechnung von besonderer Wichtigkeit sind. 

Wenn auch yeiiioii bereits lObG die Aufgabe des Ro- 
tationskörpers kleinsten Widerstandes gestellt und auf 
eine Differentialgleichung zurtlckgefuhrt hatte, so begann doch 
die Eutwickelung der Variations- Rechnung erst, als Johann 
BernouUi im Juni 1696 den Mathematikern das Problem der 
Brachistochrone vorlegte. Die Reihe der hier mitgetheilteu 
Abhandlungen eröffnen daher die betreffenden Arbeiten von 
Joh. BernouUi: Problema novum ad cuius solntioucm 
Diathematici invitantur, Acta Eruditorum, Juni 1696, 
Programma, editum Groningae anno 1697 und Curva- 
tura radii in diapbanis non uniformibus aolutioque 
problematis de invenienda linea brachystochrona, id 
est, in qna grave a dato puncto ad datum punctum 
brevissimo tempore dccurrit; et de curva synchrona, 
seu radiorum unda, construenda, Acta Eruditorum, Mai 
1697. Sie sind wieder abgedruckt in den Opera omnia, 
Lausannae et Genevae, 1742, t. I, S. 161, 166 — 169. 
187—193. 

Aber auch die Lösung von Johanns Bmder Jakoh durfte 
nicht fehlen, denn dieser benutzt ein Princip, welches bei einer 
grossen Klasse von Aufgaben anwendbar ist, dass nämlich die 
Eigenschaft des Maximums oder Minimums nur dann einer 
ganzen Curve zukommen kann, wenn sie jedem ihrer Theile 
zukommt, und ewcitert das Gebiet der Variations-Rechnung, 
indem er seinem Bmder das isoperimetrische Problem 
vorlegt, das zu lösen ihm auf einem freilich recht mühsamen 
Wege gelungen war. Jak. Bernoidlis Abhandlung: Solutio 
problematum fraternorum una cum propositione 



]34 



Anmerkuageii. 



reciproca alioriim ersciiien in den Acta Eiuditorum, Mai 1697, 
sie ist wieder abgedruckt im zweiten Bande der Opera, Ge- 
iievae 1714, S. 7(58 — 775. 

Leonhard Eulcr hiit das Verdienst, die Eiüzcluuttirsucbuugen 
der Brüder Bernoulli zusammeugcfaijijt uud die Variations-Uech- 
nung als besonderen Zweig der Analysis begründet zu haben. 
In seiner ersten Arbeit fiber diesen Gegenstand (Commeiit. 
Acad. imp. t. VI ad annos 1732/33, Petersburg 1739J formulirt 
er das isoperimetrische Problem in grosser AJlgemeinheit und 
giebt vermöge Beines Mnltiplicaton eine einfftehe Lösung. Ver- 
anlaBBt dnieh das Problem der BracliiBtoelirone im wider- 
stehenden Hittel geht er dann weiter nnd betrachtet Anf- 
gaben^ bei denen als Nebenbedingung eine Differentialgleichnng 
hinzutritt; seine Lösnng ist jedoch nnrichtig, da er anch hier 
das Frincip ron Jak, Berwn/äU anwendet (Oomment t YII 
ad annos 1734/35, Petersburg 1740, Mechanica sive motns 
seientia, Bd. II, Petersbug 1736). Bald daranf erkennt er, 
dass Jenes Princip nicht allgemeingültig ist, findet aber keinen 
Ersatss dalOr (Gomment. t VIII ad annnm 1736, Petersburg 
1741). Erst 1744 Uberwindet er ^ese Schwieiigkdt, nnd nun 
erseheint sein Hauptwerk: Hethodns inveniendi lineas 
carvas maximi minimiye proprietate gandentes sive 
solntio problematis isoperimetrici latissimo sensa 
accepti, Lansannae et Genevae 1744. Jetzt löst Eukr das 
Problem in seiner ganzen AUgemeuiheii Er Iftsst an, dass 
der Ansdmck unter dem Integralzeichen Ableitungen beliebig 
hoher Ordnung enthalt, und erledigt den Fall, dass darin 
noch weitere Integrale oder sogar Grössen vorkommen, welche 
durch Differentialgleichungen definirt werden. Ganz besonders 
werthyoU ist das Werk durch die zahlreichen, schönen Bei- 
spiele, denen die folgenden 150 Jahre wenig neue hinzugefQgt 
haben. 

In der Methodus inveniendi liaben so die Forscliungen 
der ersten Periode der Variations-Bechnung ihre dassisehe Dar- 
stellung gefunden. 

Eul&r selbst hatte es ausgesprorln n, dass er sein AVerk 
nicht für vollendet ansehe. Seine Methode ist nämlich eine 
wesentlich geometrische. Dies hat den Yortheil, dass die Be- 
handlung der einfacheren Probleme überaus klar und durch- 
sichtig wird, sodass die Methodus noch heute als Einführung 
in die Variations-Rechnung treflfliche Dienste leisten wird. 
Sobald aber das .ßemou^i sehe Princip seine Geltung verliert. 




Anmerkungen 



135 



werden die Rechnongen flberaus lang und verwickelt, and bei 
aller Bewunderung für die Geschicklichkeit, mit welcher EuJer 
die Hindernisse überwindet and schlicBslich einfache and ele- 
gante Keaultate erlangt, kann mau seine llerlettungen doch 
nicht befriedigend finden. 

Was EuUr vermisst hatte, and noch mehr, leistete die 
grosse Entdeckang, welche ihm 1755 der junge Lagratige 
mittbeilte. Mit ihr beginnt eine neue Epoche der Variations- 
Kechnung, an der auch Euler grossen Antheil hat; in einer 
Reihe werthroller Abhandlungen hat er den neuen Aufbau der 
Variations-Rechnnng genauer zu begründen und weiterzuführen 
versacht. Eine Zusammenstellnng der betreffenden Veröffent- 
lichuogen Eulers findet man bei G. Ene^tröm^ Yerzeichniss der 
Schriften Leonhard Eulers, Leipzig 1 9 1 3, B. 303. Eine historisch- 
kritische Besprechung der gesammten Leistungen Eulers für die 
Variations- Rechnung hat A. Kneser gegeben (Abb. zur Geschichte 
der math. Wissenschaften, Heft 25, Leipzig 1907, 8. 21—60); 
dabei wird die Methodus iuveniendi als Eulers Hauptwerk ein- 
gehend gewürdigt. 

Hiermit sind zugleich die Gründe entwickelt, welche uns 
bewogen haben, von Eulers Arbeiten gerade die Methodus 
inveniendi, jedoch mit Auswahl, herauszugeben. Da sich 
herausstellte, dass die Kapitel I, H, V und VI, in welchen 
die Aufgaben der einfacheren Ali behandelt sind, ein wohl- 
zusammenhängendes Ganzes bilden, haben wir uns auf sie be- 
schränken zu sollen geglaubt und diese Kapitel in textgetreuor 
Übersetzung vriedergegeben. Nur bei einigen Beispielen, welche 
den Charakter von Übungsaufgaben haben, ist die Ausrechnung 
fortgelassen, aber das Resultat in eckigen Klammern angegeben 
worden. Für die Beispiele zu Kapitel V, § 35, 38 und 52 sei 
auf die inhaltreiche Abhandlung von Ossian Bonnet, Propriöt^s 
gcom6triquos et möcaniqucs de quelques courbes remarquables, 
Journal de math^matiques, 8^r. I, t. 9. 1844, 8. 97 — 112 ver- 
wiesen. Einige kleine Versehen Eulers wurden verbessert; die 
Begründung findet man in den folgenden Anmerkungen. 

Nicht aufgenommen sind die Kapitel HI und IV, welche die 
oben genannten verwickeiteren Aufgaben betreffen; dies konnte 
um so eher geschehen, als durch die im folgenden Btlndchen 
befindlichen Abhandlungen von Lagrange die Lücke ausgefüllt 
wird. Ebenso fehlen die beiden Anhänge: De curvis elasticis 
und: De motu projectorum iu modio resistente, welche 
keine unmittelbare Beziehung zur Variations-Rechnung haben. 



136 



AnmerkuDgen. 



Der erste Anhang ist in lieft 175 dlcsrr SammluTi^: Abhand- 
luDgen über das Gleichgewiclit und die Schwingungen der ebenen 
eUstischen Curven von H. Linsenbarth herausgegeben worden. 



1) Zu aS, 4. Mersenne stellte 1646 die Aufgabe des 
Schwingungsmittelpunktes. Pascals berühmtes Preisausschreiben 
von 1658 bezog sich auf die Cycloide. Fcnnat legte 1657 den 
Englischen Geometern verschiedene zahlcntheoretische Probleme 
vor. Von Viviard rührt die ^iFlorentiner« Aufgabe her (Acta 
Erud. \f}91). Von anderen ist Lcibniz zu nennen, der IG87. 
das Frobleiii der Isochrone nnd Jak, BernauUif der 1690 das 
Problem der Kettenlinie stellte. 

2) Zu S. 4, Der bereits 1745 vcröiTentlichte Briefwechsel 
zwischen Leibniz und Joh. Bctiioulli ist von Gerhardt im dritten 
Bande von Lcihnixrns mathematischen Schriften, Halle 
1856, neu herausgegeben worden. Der angeführte Brief findet 
sich dort S. 288, 

3) Zu S. ü. Diese Bi iuerkung richtet sich g:<'iren Nettio)ij 
der seine Methode der i iuxionen mit einem gewissen Geheimnisa 
umgab, während Ldhiiixem erste Veröffentlichung schon 1684 
geschehen war, und ist ein Vorspiel zu dem Prioritätsstieit, 
der 17ü8 zum Ausbruch kam. 

4) Zu S. 6. Über den fetreit zwischen Desmrtcs und Fermat 
vgl. Monfnelaj Histoire des Math^matiques, 2. 6d., t II 
(Paris au VII), S. 139. 

5) Zu S. 7. Die Entdeckung von Iluygens findet man in 
seiner Schrift über die Pendeluhr: Horologium oscilla- 
torinm, Paris 1673. 

Wenn ein Kreis vom iiadius / auf einer horizontalen 
Geraden rollt ohne zu gleiten, so beschreibt jeder Punkt des 
Umfanges eine Cycloide, zu deren Darstellung man mit Vor^ 
theil die beiden Gleichungen: 

=3 r — sin g)), y = r (1 — cos 9) 

benntst Kehrt man eine solche Cycloide nm, sodiis ihre 
Spitsen nach oben zeigen, so ist sie ebe Tantoehrone, das 
heisst die Zeit, welche ein sehwerer PoiÜLt gebranchtf um von 
irgend einer Stelle der Cycloide bis in ihrem tiefsten Ponlcte 
zu gelangen, ist stets dieselbe. 

6] 2» 8, 8, Fermat hatte das Jetst naoh SneUius be* 
nannte Breohnngsgesetz angegriffen, ▼elohes Desoartes 1637 
in seiner G^om^trie aufgestellt hatte, weil er im Gegensatz 



. j . > y Google 



Anmerkaugen. 



137 



zu diesem amiahm, die Lichtgeschwindigkeit im optisch diinnei L m 
Medium sei grösser als im optisch dichteren. Auf Vciaiil/isHU]]- 
des Cartesianers Clerselier nahm er 1662 seine Untersuchungen 
wieder auf und entdeckte zu seiner grossen Überrnschung, dass 
gerade bei seiner Annahme über die Llchtgescliwindio'keit aus 
dem Princip der schnellsten Ankunft das Brecbuugsgesetz von 
Descaries folge. 

Femtats Hi ipf an De la Ghambre findet sich in der Kditio 
secunda der Epiatolae Betiati Cariesii von 1692 in t. III, 
8. 128, der an Ckrsüiei' S. 15!; beide sind 1662 geschrieben. 
Die citirte Stelle der Varia opera mathematica Petri de 
Fcrmat (Tolosae 1779) enthält einen Brief an einen Unbe- 
kannten, in dem Fermat die Geschichte seiner optischen Unter- 
snchnngen erzählt. Der Traite de la Inmi^re von JiKijfjois^ 
verfasst 1678, war 1690 m Leyden erschienen; wiederberans- 
gegeben ist es in Nr. 20 dieser Sammlung. 

7) Zu S. 12. Die Constrnction beruht darauf, dass alle 
Cycloiden einander ähnlich sind. 

8) Zu S. 12. Dass die Natur stets auf die einfuchste Art 
verfahre, war ein Lieltüngsgedniikc des IS. .lalu ]jiind<'its, vgl. 
Mach. Die Mechanik in ihrer Entwickelung historiöch- 
kritibcli dLirgestellt, Leipzig 1SS3 (4. AuH. 1901). 

Die Behauptungen BermulUs über die Brachistochronen 
für t — ax und t — a\ x sind richtig und leicht zu beweisen. 
Wird die Geschwindigkeit der n-ten Potenz der Fallhrdic pro- 
portional angenommen, so hat man als Taatochione die Curve; 

y^J y«*»-* — ;i* dx 

(X bedeutet eine CkmstaDlej, denn das Integral; 

welches die Zeit des Falles von der Höhe « A bit znr Höhe 
jr = 0 aiudTftekty isfty wie die Snbstitatkm x=shu leigt, nn- 
abbliig% Ton h. Da dieses Integral nnr dann eben SHmi hMtf 
w«Ba n swiieheii 0 und 1 Hegt, itt Benamüm Annahme i = ox 
tiiwoHm%, dagefen fldiit die Am^Vm* t ss af^x whididi 
anf «ne InoueendcBle G«m, BiittBeh waf eb elliptiidies Iih 
ttgnl flr y. 



13S 



ÄnmerkaDgen. 



9) Zu S. 13. Die Figur findet sich S. 45 der in 6) er- 
wähnten Ausgabe. 

10) Zu S. 13. Der Beweis lässt sich im Stile Joh. 
BemouUis etwa so führen. Der schwere Punkt sei während 
derselben Zeit auf der Cycloide von A bis zum Punkte B mit 
den Coordiiiaten y gekommen, auf der verticalen Geraden 
von A bis P, wo AP gleich ^ sei. Im n&chsten Zeitelemente 
fällt er auf der Geraden am eine Strecke, welche proportional 

:V^, auf der Cycloide um eine Strecke, welche proportional 
dz :Vx ist. Mithin hat man : 



was zu beweisen war. 

11) Zu S. 13. Huygena Lichttheorie hatte Joh. BerttouUi 
schon 1693 auf das allgemeine Problem der orthogonalen Tra- 
Jectorien geführt. Leibnix hielt es fUr so schwierig, dass er 
es in seinem Streite mit Newton den Engländeru als Aufgabe 
vorlegte (Acta Enid. Mai 1715), Netvtoti gab jedoch sofort 
eine Lösung; vgl. C. I. Oerhardt, Geschichte der Mathematik 
in Deutschland, Manchen 1877, 8. 165 — 167, Das besondere 
Problem für logarithmische Curven löste Jak. BernouUi (Acta 
Erud. Mai 16Ü7). 

12) Zu S. 14. Die zu einer Abscisse gehörigen Stücke 
einer Curvc, wie Ordinate, Tangente, Subtangente, Krümmungs- 
radius, hatte Leibniz (Acta Erud. Api-il 1G92) als Functionen 
der Abscisse bezeichnet. Erst Joh. BernouUi machte sich 
von dieser geometrischen Auffassung frei und definirte (17 IS) 
fonction als «qnantit«^ composce de quelque mani^re 
que ce soit d'une grandeur variable et de constantea« 
(Opera omnia, t. II. S. 241). 

13) Zu S. 17. Die Einwendungen des Holländers Nieu- 
tcentiit entbehrten nicht jeder Berechtigung, denn Lcibnixcm 




oder: 



l^'Jl =1/ ^ dx + dx 
2 ^ « — « Vax — X* 



das heisst das Differential von Va^ ist gleich der Summe der 
Differentiale von CM und LO (Fig. 1), folglich 

VC?Ä'^P= CM+LO = arc ÖL, 



^3 



AnmerkimgeB. 



139 



Antwort (Acta Erud. 1694} zeigte, dass er zwar die geo- 
metrische und mechanische Bedeutuog der nnendlich kleinen 
Grössen zweiter Ordnung richtig erkannte, dass aber seine 
analytische Auffassang unziilänglicii war. 

14) Zu S. 18. Eine ansführliche Geschichte der Cycloide 
findet man in Montudas schon angeführtem Werke, t. II. 
S. 52 — 73. Hier sei nur erwähnt, dass Galilei 1599 die Gestalt 
der Cycloide richtig erkannte und auch versuchte, ihre Area 
2U bestimmen. Die strenge Lösung dieser Aufgabe gelang erst 
Roberval fl637; und Torrioelli (1638). Kurz darauf gaben 
l)cscartes und Viviani die Tangen tenconstruction. Pascal (1658) 
muH Huyg&m sind schon in 1) und 5j ei willmt woi den. 

15) Zu 8.19. Angeregt durch von Traitö de la lumiere 
(1690) Yon Huygms h&tte LeibniXj Acta Erud. Sept. 1692, auf 
die Wichtigkeit der optischen Curven hingewiesen. Hierdurch 
wurde Jak. BernouUi veranlasst, den durch Reflexion entstehen- 
den, kaustischen Curven, welche Tschimhausm (Acta Erud. 
Not. 1682) eingeführt hatte, die durch Brechung entstehenden, 
diakAnstiBohen Carren an die Seite in stellen (Acta £nid. 
Mai 1694). 

16) Zu 8. 19, Ein Beweis des Satsee, dass tob allen 
Figuren gleichen Umfanges der Ereis den grössten Inhalt hat, 
ist bereits von Zmodoroa yersncht nnd tms dnrch Pappos er- 
halten worden, ygl. Contor, Gesehiehte der Mathematik, 
Bd. L 3. Anfl. 8. 356. 

11) Zu 8, 19, Dass bei der Eettenlinie der Sdiwerpunkt 
des Umfanges am weitesten von der Basis entfernt ist, er- 
seheint bei Joh. BemauUi (Opera omnia, t. III. 8. 497) erst 
am Schinss als Folgerung ans einem allgemeinen Satse tlber 
das Gleichgewicht schwerer KOrper. 

18) Zu 8, 22, Das erste Problem der VariationBrechnnng 
hat Newton 1686 gestellt, es ist das Ton Eukr weiter unten 
(8. 63) behandelte Problem des Rotationskörpers kleinsten 
Widerstandes. 

19) Zu 8. 25, Ehdera Angabe ist ungenau, Jak, BemouUi 
legte das isoperimetrische Problem schon 1697 vor, nnd 
seine Lösung erschien Acta Erud. Juni 1700. 

' 20) Zu S. 30. Diese Deduction beweist nur, dass die 
Werthe der Integralformel eine obere und eine untere Grenze 
haben, aber nicht, dass immer eine Gurve ezistirt, in welcher 
ein solcher Grenz worth wirklich angenommen wird. Anderer- 
seits können unter Umstünden mehrere Cnrren ein Maximum 



140 



AnmerkaDgen. 



oder Minimum liefern, denn dazu gehört nur, dass sie gegen- 
über den benachbarten Curven grössere oder kleinere Werthe 
der Integralformel ergeben. 

21) ZiiS. 32. Während es d^u Mutliematikern des 18. Jahr- 
hunderts geläufig war, dass die bekannte Bedingung für das 
Maximum oder Miuimum einer Ordinate anch Wendepunkte 
einer Curve liefere, hat in der Variiitions- Rechnung bis ins 
l'i. Jahrhundert hinein eine grosse VerwirruDg: im (Gebrauche 
der Worte 'Maximum« und > Minimum < geherrscht, üudasü Jacobi 
1837 tadelnd bemerkte: »man sagt, ein xVusdruck sei ein 
Maximum oder Minimum, wenn man blos sagen will, 
dass seine Variation verschwindet, selbst wenn auch 
weder ein Maximum noch ein Minimam stattfindet 
Man sagt eine Grösse sei ein Maximum, wenn man 
nar sagen will, dass sie kein Minimum sei«. Dies gilt 
aueh von Eukir und darf im folg^den nicht ausser Aeht ge- 
lassen werden. 

22) Zu 8. 32. Quantitas integralis indefinita ist 
mit: niehtbestimmbare Integralformel übersetzt worden, 
weil der Aosdrnek: unbestimmtes Int^ral gegenwärtig ein In- 
tegral mit unbestimmter Grenze bedeutet und wdl nachher 
funetio indeterminata am besten durch: unbestimmte 
Function wiedergegeben wird. 

2^) Zu 8, 6L Die Formel im Text ergiebt sich so. Es 
sei i die Zeit, g die Constante der Schwere, ds das Bogen- 
dement der Oydoide, dann ist nach dem Satze von der leben- 
digen Kraft: 



vorausgesetzt, dass die Bewegung im Anfangspunkte der Co- 
ordinaten beginnt. Hieraus folgt: 



24) Zu S. 63. Beispiel V ist das erste Problem der 
Variations-Rechnung. £s findet sich in Newtons classischem 
Werke: Fhilosophiae naturalis princlpia mathematica. 
London 1686, lib. II, Sect. VII, Prep. 34, Scholium. Newton 
nimmt an, dass jedes Oberfiächenelement eines Rotationskörpers, 
welcher in einer Fiflssigkeit mit gleichförmiger Geschwindigkeit 






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AnmerkangeiL 



141 



parall«! seiner Axe, die «Is a;-Axe gewählt werde, bevegt 
wird, einen Druck cHrfährt, der stets senkreekt anf der FlAehe 
steht, und dem Quadrate der Gesehwindigkeit in der Biehtnng 
der Fliehennormale proportional ist. Wird der Winkel awisehen 
Flftohennormale und a;*Aze mit X besdchnet, so ist dieser 
Dmek proportional eo8*A. Da der Rotationskörper ab starr 
Toransgesetct wird, l^ommt vom Dmek nnr die Oomponente naeh 
der os-Axe sur Qeltong, sodass der Oesanuntdmeki welchen 
der EOrper erfthrt, proportional dem Integral über eosUmal 
dem OberflAchenelemente zn setien ist. Zerlegt man die Rotations^ 
fliehe dorch Ebenen senkrecht snr x-Axe in Z onen,- so erhftit 

man als Oberflftehenelement ^ny Vdx* + dy*, woraus in Yer- 
bindinig mit der Gleichung cos^ =^ dy : \ dx' -f- dy* die 
Formel des Textes folgt. 

Newton gab in den Principia ohne jede Begründung die 
Differentialgleichung der erzengenden Gture in geometrischer 
Einkleidung; aus seinem Kaehlass ist in dem Oatalogne of the 
Portsmouth Collection, Cambridge 1888, 8. XXl— XXIII ein 
Brief, Termuthlieh aus dem Jahre 1694 und an Danfid Gregory, 
yerdffentUeht worden, der einen ausführlicfien Beweis enthftlt 
(vgl. O.BobM^ Bibliotheea mathematica, 3. Folge, Bd. 13, 1913, 
8« 146—149). Auf NewUms Losung lenkte 1699 J^s^ de 
DwUHer die Aufmerksamkeit in einer Flngsehrift, deren Zweck 
war, Neiffion als eigentliehen EIrfinder der Infinitesimalrechnung, 
iMbm» höchstens als aweiten Erfinder hinzustellen. Jetzt be-* 
sehäftigten sieh De VHospUal und Ich, ^mouUi mit dem Pro- 
bleme nnd integrirten die Differentialglmchnng (Acta Erud. Aug. 
u. Not. 1699). Weiteres Uber die Geschichte dieses Problems 
findet man in Anm. 15) des folgenden BSndchens Nr. 47. 

25) Zu 8* 66, Die Methode, welche WuJer yermisste, 
gefimden au haben ist das grosse Verdienst Ton Lagrange^ 
dessen grundlegende Abhandlungen im folgenden BSndchea 
nachzusehen sind. 

26) Zu 8, 76. Eine einfachere Herieitong der Gldchung 

w = Vby — ax hat Scliellbach gegeben (Jouinal für Mathe- 
matik, Bd. 41, 1851}. 

27) Zu S. 97. Im Original heisst diese iSteUe: palam est 
qnantitatem A' Iure valorem, quam quantitas / in proximo se- 
quente loco indiiit, atqne idcirco esse K= I'. Die Tabelle S. 96 
oben lässt aber erkeunen, daas vielmehr K = 7, zu setzen ist. 
Dies Versehen ist sogleich im Text verbessert worden. 



142 



AnmerknngeD. 



28) Zu S. 99. Zunilchst folgt nur, d&SB a, = Aa, 
.i^ = ist, da aber die Differenzen a, — a, ß, — ß un- 
endlich klein sind, muss A = 1 sein. 

29) 7ai S. 100. Diese Dednction ~kann nicht alfl streng 
gelten, denn es ist nicht bewiesen worden, dass man mit den 
Differentialwerthen dA und dB ebenso wie mit gewöhnlichen 
DifTerentialen rechnen darf. Euler scheint diesen Einwarf 
vorausgesehen zu haben, denn er giebt 8. 116 eine andere 
Herleitung, bei welcher der Gebrauch von Differentialwerthen 
vermieden wird. Aber auch diese ist nicht stichhaltig, denn 
sie zeigt nur, dass man Curven der verlangten Art erhält, 
wenn man aV-\- ^i^Trnach der absoluten Methode behandelt, 
aber es bleibt fraglich, ob man auf diese Weise alle Curven 
erhält. Eine strengere Herleitung findet man bei Bertrand, Liou- 
ville's Journal, sör. I, t. VII, 1842. 

3ü) Zu S. 100. Der Satz in eckigen Klammern ersetzt 
einen hier fortgelassenen Hinweis des Originals auf Kap. IV. 

31) Zu S. 108. Eine Zusammenstellung der Literatur Uber 
dieses viel behandelte, jedoch noch keineswegs vollständig er- 
ledigte Problem, welches mit Plateaus schönen Untersuchungen 
über die Gestalt von Flltssigkeitslamellen eng zusammenhängt, 
findet man in der Dissertation von JV. Jlowe, Berlin 1887. 

32) Zu S. 109. Euler bezieht sich tLuf Xeivtons Enume- 
ratio linearum tertii ordinis, London 1704, worin die 
Curven dritter Ordnung in 72 Arten getheilt werden. Nach 
Netoton lassen sich alle diese Curven durch Projection auf die 
filnf divergirenden Parabeln zurückführen, deren gemein- 
same Gleichung: 

y« = aas' + bx* +cx-{-d 

ist. Die im Text betrachtete Curve ist eine divergirende Parabel, 
und zwar eine solche mit Doppelpunkt. 

33) Zu S. 110. Elastische Curve heisst die Curve, 
welche die Gestalt einer an zwei Punkten aufgelegten Feder 
angiebt. Sie hat die Eigenschaft, den Ausdruck: 




zu einem Minimum zu machen. Exiier hat sie im ersten der 
beiden Anhänge zur Methodus eingehend un^rsucht; vgl. 
Heft 175 dieser Sammlung. 



AlunerkiiDgen. 



14a 



34) Zu S. III. Im Original ist bei der Integration der 
Factor 2 vor übersehen worden, wodorch eine kleine Änderung 
notbwendig wurde. 

35) Zu 8. 112. DaBS das Problem auf Kettenlinie 
Athrt, folgt ohne Jede Beehnung aqs der G^msehen Begel, 
wonach die Mantelflftche eines BotationskOrpers proportional ist 
dem Prodncte ans der Lftnge des rotirenden Bogens nnd dem 
Abstände seines Schwerpunktes Ton der Axe. Ist also die 
Bogenlänge gegeben, so erhält man ein Extremnm der Ober» 
flftche, wenn der Abstand des Schwerpunktes ein solches ist. 

36) Zu 8, 1S2, Hier machte ein Versehen Eukrs^ auf 
welches schon in 27) anfinerksam gemacht wnrde, einige kleine 
Änderungen gegen den Urtext nOthig. 

37) Zu 8, 132. Biese Aufgabe rührt ron Joh. BemtmUi 
hcTi ygl. Opera omnia, t III, S. 512, und steht in engem Zu- 
sammenhatte mit dem von Jak. BemouUi gestellten Problemi 
die Gestalt eines vom Winde aufgeblähten Segels zu bestimmen. 

38) Zu 8. 132. Im Original folgt nooh ein Hinweis auf 
das hier weggelassene Kapitel IV. 

Heidelberg^ Dezember 1913. 



P. StäekeL 



Inhalt. 



I. Johann Bernoulli (1667—1748) BeiU 

1] Einladung znr Lüsung eines neuen Pro- 
blems ;Juni 16%; 3 

2 Ankündigung, herausgegeben Grüningen Januar 

16"J7 3 

3) Die Krümmung eines Lichtstrahls in un- 
gleicbfürmigen Medien und die LUsung des 
Problems die Brachistochrone zu finden, 
das heisst die Curve, auf welcher ein 
BchwererPunktvoD einer gegebenen Stelle 
zu einer anderen gegebenen Stelle in kür- 
zester Zeit herabläuft, sowie Uber die Con- 
struction der Synchrone oder der Welle 
der Strahlen (Mai 16tf7) 6 

II. Jakob Bernoulli (1654—1705) 

Lösung der Aufgabe meines Bruders, dem 
ich sagleichdafUr andere vorlege (Mai 1697) 14 

III. Leonhard Euler (1707—1783) 

Methode Curven zu finden, denen eine 
Eigenschaft im hUchaten oder geringsten 
Grade zukommt, oder Lösung des isoperi- 
metrischen Problems, wenn es im weitesten 
Sinne des Wortes aufgefasst wird (1741): 

Kapitel L Ij Wie wendet man die Methode der Maxi- 
ma und Minima zur Auffindung von 
Curven an? 2t 

Kapitel IL 2) Wie wendet man die absolute Methode 
der Maxima und Minima zur Auffindung 
von Curven an? 45 

Kapitel V. 3) Wie findet man unter allen Curven mit 
einer gemeinsamen Eigenschaft dii'Jonige, 
welche eine Eigenschaft im höchsten oder 
geringsten Grade besitzt? 87 

Kapitel VI. 4; Wie findet man unter allen Curven mit 
mehreren gemeinsamen Eigenschaften 
diejenige, welche eine Eigenschaft im 
höchsten oder geringsten Grade besitzt? 116 



Unick von Brtitkopf * U&rt«l in Lglpiig.